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Title: Wilhelm Hauffs sämtliche Werke in sechs Bänden. Vierter Band
Author: Hauff, Wilhelm
Language: German
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    Anmerkungen zur Transkription


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    ~so markiert~.

    Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
    Buches.



    Wilhelm Hauffs

    sämtliche Werke in sechs Bänden

    Mit einer biographischen Einleitung
    von _Alfred Weile_

    Neu durchgesehene Ausgabe
    :: :: in neuester Rechtschreibung :: ::

    Vierter Band.

    A. Weichert Verlag, Berlin NO.⁴³, Neue Königstr. 9.



    Mitteilungen

    aus den

    Memoiren des Satan.



Erster Teil.

Einleitung

    ~Marte, e' rassembra te, qualor dal quinto
    Cielo, di ferro scendi e d'orror cinto.~

            _Tassos_ Jerusalem. V. 44.



Erstes Kapitel.

Der Herausgeber macht eine interessante Bekanntschaft.


Wer, wie der Herausgeber und Uebersetzer vorliegender merkwürdiger
Aktenstücke, in den letzten Tagen des Septembers 1822 in Mainz war und
in dem schönen Gasthof zu den drei Reichskronen logierte, wird gewiß
diese Tage nicht unter die verlorenen seines Lebens rechnen.

Es vereinigte sich damals alles, um das Gasthofleben, sonst nicht
gerade das angenehmste, das man führen kann, angenehm zu machen.
Feine Weine, gute Tafel, schöne Zimmer hätte man auch sonst wohl dort
gefunden, seltener, gewiß sehr selten so ausgesuchte Gesellschaft. Ich
erinnere mich nicht, jemals in meinem Leben, weder vor- noch nachher,
einen meiner damaligen Tisch- und Hausgenossen gesehen zu haben, und
dennoch schlang sich in jenen glücklichen Tagen ein so zartes, enges
Band der Geselligkeit um uns, wie ich es unter Fremden, deren keiner
den andern kannte oder seine näheren Verhältnisse zu wissen wünschte,
nie für möglich gehalten hätte.

Der schöne Herbst von 1822 mit seiner erfreulichen Aussicht, dieser
Herbst, am Rhein genossen, mag allerdings zu dieser ruhigen Heiterkeit
des Gemüts, zu diesem Hingeben jedes einzelnen für die Gesellschaft
beigetragen haben, aber nicht mit Unrecht glaube ich diese Erscheinung
einem sonderbaren, mir nachher höchst merkwürdigen Mann zuschreiben zu
müssen.

Ich war schon beinahe anderthalb Tage in den drei Reichskronen vor
Anker gelegen; hätte mich nicht ein Freund, den ich seit langen Jahren
nicht gesehen hatte, auf den fünfundzwanzigsten oder dreißigsten
bestellt, ich wäre nicht mehr länger geblieben, denn die schrecklichste
Langeweile peinigte mich. Die Gesellschaft im Hause war anständig,
freundlich sogar, aber kalt. Man ließ einander an der Seite liegen,
wenig bekümmert um das Wohl oder das Weh des Nachbars. Wie man einander
die schönen geschmorten Fische, den feinen Braten oder die Salatiere
darzubieten habe, wußte jeder, »aber das Genie, ich meine den Geist«,
wies sich nicht gehörig an der Tafel, noch weniger nachher aus.

Ich sah eines Nachmittags aus meinem Fenster auf den freien Platz vor
dem Hotel herab und dachte nach über meine Forderungen an die Menschen
überhaupt und an die Gasthofmenschen (worunter ich nicht Wirt und
Kellner allein verstand) insbesondere. Da rasselte ein Reisewagen über
das Steinpflaster der engen Seitenstraße und hielt gerade unter meinem
Fenster.

Der geschmackvolle Bau des Wagens ließ auf eine elegante Herrschaft
schließen. Sonderbar war es übrigens, daß weder auf dem Bock noch
hinten im Kabriolett ein Diener saß, was doch eigentlich zu den vier
Postpferden, mit welchen der Wagen bespannt war, notwendig gepaßt hätte.

»Vielleicht ein kranker Herr, den sie aus dem Wagen tragen müssen,«
dachte ich und richtete die Lorgnette genau auf die Hand des großen,
stattlichen Oberkellners, der den Schlag öffnete.

»Zimmer vakant?« rief eine tiefe, wohltönende Männerstimme.

»So viele Euer Gnaden befehlen,« war die Antwort des Giganten.

Eine große, schlanke Gestalt schlüpfte schnell aus dem Wagen und trat
in die Halle.

»Nr. 12 und 13!« rief die gebietende Stimme des Oberkellners, und Jean
und George flogen im Wettlauf die Treppe hinan.

Die Wagentüre war offen geblieben, aber noch immer wollte kein zweiter
heraussteigen.

Der Oberkellner stand verwundert am Wagen, zweimal hatte er
hineingesehen und immer dabei mit dem Kopf geschüttelt.

»Bst, Herr Oberkellner, auf ein Wort!« rief ich hinab, »wer war denn --«

»Werde gleich die Ehre haben,« antwortete der Gefällige und trat bald
darauf in mein Zimmer.

»Eine sonderbare Erscheinung,« sagte ich zu ihm; »ein schwerer Wagen
mit vier Pferden, und nur ein einzelner Herr ohne alle Bedienung.«

»Gegen alle Regel und Erfahrung,« versicherte jener, »ganz sonderbar,
ganz sonderbar. Jedoch der Postillon versicherte, es sei ein Guter,
denn er gab immer zwei Taler schon seit acht Stationen. Vielleicht ein
Engländer von Profession, die haben alle etwas Apartes. --«

»Wissen Sie den Namen nicht?« fragte ich neugieriger, als es sich
schickte.

»Wird erst beim Souper auf die Schiefertafel geschrieben,« antwortete
jener; »haben der Herr Doktor sonst noch etwas --?«

Ich wußte zu meinem Verdruß im Augenblicke nichts; er ging und ließ
mich mit meinen Konjekturen über den Einsamen im achtsitzigen Wagen
allein.

Als ich abends zur Tafel hinabging, schlüpfte der Kellner an mir
vorüber, eine ungeheure Schiefertafel in der Hand. Er wurde mich kaum
gewahr, als er, in einer Hand ein Licht, in der andern die Tafel, vor
mich hintrat, mir solche präsentierend.

»von Natas, Partikulier,« stand aufgeschrieben. »Hat er noch keine
Bedienung?« fragte ich.

»Nein,« war die Antwort, »er hat zwei Lohnlakaien angenommen, die ihn
aber weder aus- noch ankleiden dürfen.«

Als ich in den Speisesaal trat, hatte sich die Gesellschaft schon
niedergelassen, ich eilte still an meinen Stuhl, gegenüber saß Herr von
Natas.

Hatte dieser Mann schon vorher meine Neugierde erregt, so wurde er mir
jetzt um so interessanter, da ich ihn in der Nähe sah.

Das Gesicht war schön, aber bleich, Haar, Auge und der volle Bart von
glänzendem Schwarz, die weißen Zähne, von den feingespaltenen Lippen
oft enthüllt, wetteiferten mit dem Schnee der blendend weißen Wäsche.
War er alt? war er jung? Man konnte es nicht bestimmen; denn bald
schien sein Gesicht mit jenem pikanten Lächeln, das ganz leise in dem
Mundwinkel anfängt und wie ein Wölkchen um die feingebogene Nase zu
dem mutwilligen Auge hinauf zieht, früh gereifte und unter dem Sturm
der Leidenschaften verblühte Jugend zu verraten; bald glaubte man
einen Mann von schon vorgerückten Jahren vor sich zu haben, der durch
eifriges Studium einer reichen Toilette sich zu konservieren weiß.

Es gibt Köpfe, Gesichter, die nur zu _einer_ Körperform passen und
sonst zu keiner andern. Man werfe mir nicht vor, daß es Sinnentäuschung
sei, daß das Auge sich schon zu sehr an diese Form, wie sie die Natur
gegeben, gewöhnt habe, als daß es sich eine andere Mischung denken
könnte. Dieser Kopf konnte nie auf einem untersetzten, wohlbeleibten
Körper sitzen, er durfte nur die Krone einer hohen, schlanken,
zartgebauten Gestalt sein. So war es auch, und die gedankenschnelle
Bewegung der Gesichtsmuskeln, wie sie in leichtem Spott um den Mund,
im tiefen Ernst um die hohe Stirne spielten, drückte sich auch in dem
Körper durch die würdige, aber bequeme Haltung, durch die schnelle,
runde, beinahe zierliche Bewegung der Arme, überhaupt in dem leichten,
königlichen Anstande des Mannes aus.

So war Herr von Natas, der mir gegenüber an der Abendtafel saß. Ich
hatte während der ersten Gänge Muße genug, diese Bemerkungen zu
machen, ohne dem interessanten vis-a-vis durch neugieriges Anstarren
beschwerlich zu fallen. Der neue Gast schien übrigens noch mehrere
Beobachtungen zu veranlassen, denn von dem obern Ende der Tafel waren
diesen Abend die Brillen mehrerer Damen in immerwährender Bewegung;
mich und meine Nachbarn hatten sie über dem Mittagessen höchstens mit
bloßem Auge gemustert.

Das Dessert wurde aufgetragen, der Direktor der vorzüglichen Tafelmusik
ging umher, seinen wohlverdienten Lohn einzusammeln. Er kam an den
Fremden. Dieser warf einen Taler unter die kleine Münzensammlung und
flüsterte dem überraschten Sammler etwas ins Ohr. Mit drei tiefen
Bücklingen schien dieser zu bejahen und zu versprechen und schritt
eilig zu seiner Kapelle zurück. Die Instrumente wurden aufs neue
gestimmt.

Ich war gespannt, was jener wohl gewählt haben könnte; der Direktor gab
das Zeichen, und gleich in den ersten Takten erkannte ich die herrliche
Polonaise von Osinsky. Der Fremde lehnte sich nachlässig in seinen
Stuhl zurück, er schien nur der Musik zu gehören; aber bald bemerkte
ich, daß das dunkle Auge unter den langen, schwarzen Wimpern rastlos
umherlief, -- es war offenbar, er musterte die Gesichter der Anwesenden
und den Eindruck, den die herrliche Polonaise auf sie machte.

Wahrlich! dieser Zug schien mir einen geübten Menschenkenner zu
verraten. Zwar wäre der Schluß unrichtig, den man sich aus der wärmern
oder kältern Teilnahme an dem Reich der Töne auf die größere oder
geringere Empfänglichkeit des Gemüts für das Schöne und Edle ziehen
wollte; heult ja doch auch selbst der Hund bei den sanften Tönen der
Flöte, das Pferd dagegen spitzt die Ohren bei dem mutigen Schmettern
der Trompeten, stolzer hebt es den Nacken, und sein Tritt ist fester
und straffer.

Aber dennoch konnte man nichts Unterhaltenderes sehen, als die
Gesichter der verschiedenen Personen bei den schönsten Stellen des
Stückes; ich machte dem Fremden mein Kompliment über die glückliche
Wahl dieser Musik, und schnell hatte sich zwischen uns ein Gespräch
über die Wirkung der Musik auf diese oder jene Charaktere entsponnen.

Die übrigen Gäste hatten sich indessen verlaufen, nur einige, die in
der Ferne auf unser Gespräch gelauscht hatten, rückten nach und nach
näher. Mitternacht war herangekommen, ohne daß ich wußte, wie; denn der
Fremde hatte uns so tief in alle Verhältnisse der Menschen, in alle
ihre Neigungen und Triebe hineinblicken lassen, daß wir uns stille
gestehen mußten, nirgends so tiefgedachte, so überraschende Schlüsse
gehört oder gelesen zu haben.

Von diesem Abend an ging uns ein neues Leben in den drei Reichskronen
auf. Es war, als habe die Freude selbst ihren Einzug bei uns gehalten
und feiere jetzt ihre heiligsten Festtage; Gäste, die sich nie hätten
einfallen lassen, länger als eine Nacht hier zu bleiben, schlossen
sich an den immer größer werdenden Zirkel an und vergaßen, daß sie
unter Menschen sich befinden, die der Zufall aus allen Weltgegenden
zusammengeschneit hatte. Und Natas, dieses seltsame Wesen, war die
Seele des Ganzen. Er war es, der sich, sobald er sich nur erst mit
seinen nächsten Tischnachbarn bekannt gemacht hatte, zum ~maître de
plaisir~ hergab. Er veranstaltete Feste, Ausflüge in die herrliche
Gegend und erwarb sich den innigen Dank eines jeden. Hatte er aber
schon durch die sinnreiche Auswahl des Vergnügens sich alle Herzen
gewonnen, so war dies noch mehr der Fall, wenn er die Konversation
führte.

Jenes ergötzliche Märchen von dem Hörnchen des Oberon schien ins Leben
getreten zu sein; denn Natas durfte nur die Lippen öffnen, so fühlte
jeder zuerst die lieblichsten Saiten seines Herzens angeschlagen,
auf leichten Schwingen schwirrte dann das Gespräch um die Tafel,
mutwilliger wurden die Scherze, kühner die Blicke der Männer,
schalkhafter das Kichern der Damen, und endlich rauschte die Rede in so
fessellosen Strömen, daß man nachher wenig mehr davon wußte, als daß
man sich »göttlich« amüsiert habe.

Und dennoch war der Zauberer, der diese Lust heraufbeschwor, weit
entfernt, je ins Rohe, Gemeine hinüberzuspielen. Er griff irgend einen
Gegenstand, eine Tagesneuigkeit auf, erzählte Anekdoten, spielte das
Gespräch geschickt weiter, wußte jedem seine tiefste Eigentümlichkeit
zu entlocken und ergötzte durch seinen lebhaften Witz, durch seine
warme Darstellung, die durch alle Schattierungen von dem tiefsten
Gefühl der Wehmut bis hinauf an jene Ausbrüche der Laune streifte,
welche in dem sinnlichsten, reizendsten Kostüm auf der feinen Grenze
des Anstandes gaukeln.

Manchmal schien es zwar, es möchte weniger gefährlich gewesen sein,
wenn er dem Heiligen, das er antastete, geradezu hohngesprochen,
das Zarte, das er benagte, geradezu zerrissen hätte; jener zarte
geheimnisvolle Schleier, mit welchem er dies oder jenes verhüllte,
reizte nur zu dem lüsternen Gedanken, tiefer zu blicken, und das üppige
Spiel der Phantasie gewann in manchem Köpfchen unsrer schönen Damen nur
noch mehr Raum; aber man konnte ihm nicht zürnen, nicht widersprechen;
seine glänzenden Eigenschaften rissen unwiderstehlich hin, sie
umhüllten die Vernunft mit süßem Zauber, und seine kühnen Hypothesen
schlichen sich als Wahrheit in das unbewachte Herz.



Zweites Kapitel.

Der schauerliche Abend.


So hatte der geniale Fremdling mich und noch zwölf bis fünfzehn Herren
und Damen in einen tollen Strudel der Freude gerissen. Beinahe alle
waren ohne Zweck in diesem Haus, und doch wagte keiner den Gedanken an
die Abreise sich auch nur entfernt vorzustellen. Im Gegenteil, wenn
wir morgens lange ausgeschlafen, mittags lange getafelt, abends lange
gespielt und nachts lange getrunken, geschwatzt und gelacht hatten,
schien der Zauber, der uns an dieses Haus band, nur eine neue Kette um
den Fuß geschlungen zu haben.

Doch es sollte anders werden, vielleicht zu unserm Heil. An dem
sechsten Tage unseres Freudenreiches, einem Sonntag, war unser Herr von
Natas im ganzen Gasthof nicht zu finden. Die Kellner entschuldigten ihn
mit einer kleinen Reise; er werde vor Sonnenuntergang nicht kommen,
aber zum Tee, zur Nachttafel unfehlbar da sein.

Wir waren schon so an den Unentbehrlichen gewöhnt, daß uns diese
Nachricht ganz betreten machte; es war uns, als würden uns die Flügel
zusammengebunden, und man befehle uns, zu fliegen.

Das Gespräch kam, wie natürlich, auf den Abwesenden und auf seine
auffallende, glänzende Erscheinung. Sonderbar war es, daß es mir
nicht aus dem Sinne kommen wollte, ich habe ihm, nur unter einer
andern Gestalt, schon früher einmal auf meinem Lebenswege begegnet;
so abgeschmackt auch der Gedanke war, so unwiderstehlich drängte er
sich mir immer wieder auf. Aus früheren Jahren her erinnerte ich
mich nämlich eines Mannes, der in seinem Wesen, in seinem Blick
hauptsächlich, große Aehnlichkeit mit ihm hatte. Jener war ein fremder
Arzt, besuchte nur hie und da meine Vaterstadt und lebte dort immer
von Anfang sehr still, hatte aber bald einen Kreis von Anbetern um
sich versammelt. Die Erinnerung an jenen Menschen war mir übrigens
fatal, denn man behauptete, daß, so oft er uns besucht habe, immer ein
bedeutendes Unglück erfolgt sei; aber dennoch konnte ich den Gedanken
nicht los werden, Natas habe die größte Aehnlichkeit mit ihm, ja, es
sei eine und dieselbe Person.

Ich erzählte meinen Tischnachbarn den unablässig mich verfolgenden
Gedanken und die unangenehme Vergleichung eines mir so grausenhaften
Wesens, wie der Fremde in meiner Vaterstadt war, mit unserm Freunde,
der so ganz meine Achtung und Liebe sich erworben hatte; aber noch
unglaublicher klingt es vielleicht, wenn ich versichere, daß meine
Nachbarn ganz den nämlichen Gedanken hatten; auch sie glaubten unter
einer ganz andern Gestalt unsern geistreichen Gesellschafter gesehen zu
haben.

»Sie könnten einem ganz bange machen,« sagte die Baronin von Thingen,
die nicht weit von mir saß, »Sie wollen unsern guten Natas am Ende zum
ewigen Juden oder, Gott weiß, zu was sonst noch machen!«

Ein kleiner, ältlicher Herr, Professor in T., der seit einigen Tagen
sich auch an unsere Gesellschaft angeschlossen und immer still
vergnügt, hie und da etwas weinselig, mitlebte, hatte während unserer
»vergleichenden Anatomie«, wie er es nannte, still vor sich hin
gelächelt und mit kunstfertiger Schnelligkeit seine ovale Dose zwischen
den Fingern umgedreht, daß sie wie ein Rad anzusehen war.

»Ich kann mit meiner Bemerkung nicht mehr länger hinter dem Berge
halten,« brach er endlich los, »wenn Sie erlauben, Gnädigste, so halte
ich ihn nicht gerade für den ewigen Juden, aber doch für einen ganz
absonderlichen Menschen. So lange er zugegen war, wollte wohl hie und
da der Gedanke in mir aufblitzen: ›Den hast du schon gesehen, wo war es
doch?‹ aber wie durch Zauber krochen diese Erinnerungen zurück, wenn er
mich mit dem schwarzen umherspringenden Auge erfaßte.«

»So war es mir gerade auch, mir auch, mir auch,« riefen wir alle
verwundert.

»Hm! he, hm!« lachte der Professor. »Jetzt fällt es mir aber von den
Augen wie Schuppen, daß es niemand ist als der, den ich schon vor zwölf
Jahren in Stuttgart gesehen habe.«

»Wie, Sie haben ihn gesehen, und in welchen Verhältnissen?« fragte Frau
von Thingen eifrig und errötete bald über den allzugroßen Eifer, den
sie verraten hatte.

Der Professor nahm eine Prise, klopfte den Jabot aus und begann: »Es
mögen nun ungefähr zwölf Jahre sein, als ich wegen eines Prozesses
einige Monate in Stuttgart zubrachte. Ich wohnte in einem der ersten
Gasthöfe und speiste auch dort gewöhnlich in großer Gesellschaft
an der Wirtstafel. Einmal kam ich nach einigen Tagen, in welchen
ich das Zimmer hatte hüten müssen, zum erstenmal wieder zu Tisch.
Man sprach sehr eifrig von und über einen gewissen Herrn Barighi,
der seit einiger Zeit die Mittagsgäste durch seinen lebhaften Witz,
durch seine Gewandtheit in allen Sprachen entzücke; in seinem Lob
waren alle einstimmig, nur über seinen Charakter war man nicht recht
einig, denn die einen machten ihn zum Diplomaten, die andern zu einem
Sprachmeister, die dritten zu einem hohen Verbannten, wieder andere zu
einem Spion. Die Türe ging auf, man war still, beinahe verlegen, den
Streit so laut geführt zu haben; ich merkte, daß der Besprochene sich
eingefunden habe, und sah --

»Nun, ich bitte Sie! denselben, der uns -- denselben, der uns seit
einigen Tagen so trefflich unterhält. Dies wäre übrigens gerade nichts
Uebernatürliches; aber hören Sie weiter: Zwei Tage schon hatte uns
Herr Barighi, so nannte sich der Fremde, durch seine geistreiche
Unterhaltung die Tafel gewürzt, als uns einmal der Wirt des Gasthofs
unterbrach: ›Meine Herren,‹ sagte der Höfliche, ›bereiten Sie sich auf
eine köstliche Unterhaltung, die Ihnen morgen zu teil werden wird, vor:
der Herr Oberjustizrat Hasentreffer zog heute aus und zieht morgen ein.‹

»Wir fragten, was dies zu bedeuten habe, und ein alter grauer
Hauptmann, der schon seit vielen Jahren den obersten Platz in diesem
Gasthofe behauptete, teilte uns den Schwank mit: ›Gerade dem Speisesaal
gegenüber wohnt ein alter Junggeselle, einsam in einem großen, öden
Haus; er ist Oberjustizrat außer Dienst, lebt von einer anständigen
Pension und soll überdies ein enormes Vermögen besitzen.

»›Derselbe ist aber ein kompletter Narr und hat ganz eigene
Gewohnheiten, wie z. B. daß er sich selbst oft große Gesellschaft gibt,
wobei es immer flott hergeht. Er läßt zwölf Couverts aus dem Wirtshaus
kommen, feine Weine hat er im Keller, und einer oder der andere
unsrer Markeurs hat die Ehre, zu servieren. Man denkt vielleicht, er
hat allerlei hungrige oder durstige Menschen bei sich? Mit nichten!
alte, gelbe Stammbuchblätter, auf jedem ein großes Kreuz, liegen auf
den Stühlen, dem alten Kauz ist aber so wohl, als wenn er unter den
lustigsten Kameraden wäre; er spricht und lacht mit ihnen, und das Ding
soll so greulich anzusehen sein, daß man immer die neuen Kellner dazu
braucht, denn wer _einmal_ bei einem solchen Souper war, geht nicht
mehr in das öde Haus.

»›Vorgestern war wieder ein Souper, und unser neuer Franz dort
schwört Himmel und Erde, ihn bringe keine Seele mehr hinüber. Den
andern Tag nach dem Gastmahl kommt dann die zweite Sonderbarkeit des
Oberjustizrats. Er fährt morgens früh aus der Stadt und kehrt erst den
andern Morgen zurück, nicht aber in sein Haus, das um diese Zeit fest
verriegelt und verschlossen ist, sondern hierher ins Wirtshaus.

»›Da tut er dann ganz fremd gegen Leute, welche er das ganze Jahr
täglich sieht, speist zu Mittag und stellt sich nachher an ein Fenster
und betrachtet sein Haus gegenüber von oben bis unten.

»›Wem gehört das Haus da drüben?‹ fragt er dann den Wirt.

»Pflichtmäßig bückt sich dieser jedesmal und antwortet: ›Dem Herrn
Oberjustizrat Hasentreffer, Euer Exzellenz aufzuwarten.‹«

-- »Aber, Herr Professor, wie hängt denn Ihr toller Hasentreffer mit
unserm Natas zusammen?« fragte ich.

»Belieben Sie sich doch zu gedulden, Herr Doktor,« antwortete jener,
»es wird Ihnen gleich wie ein Licht aufgehen. Der Hasentreffer beschaut
also das Haus und erfährt, daß es dem Hasentreffer gehöre. ›Ach!
Derselbe, der in Tübingen zu meiner Zeit studierte?‹ fragt er dann,
reißt das Fenster auf, streckt den gepuderten Kopf hinaus und schreit
›Ha--a--asentreffer, Ha--a--asentreffer!‹

»Natürlich antwortet niemand, er aber sagt dann: ›Der Alte würde es mir
nie vergessen, wenn ich nicht bei ihm einkehrte,‹ nimmt Hut und Stock,
schließt sein eignes Haus auf, und so geht es nach wie vor.

»Wir alle,« fuhr der Professor in seiner Erzählung fort, »waren sehr
erstaunt über diese sonderbare Erscheinung und freuten uns königlich
auf den morgenden Spaß. Herr Barighi aber nahm uns das Versprechen ab,
ihn nicht verraten zu wollen, indem er einen köstlichen Spaß mit dem
Oberjustizrat vorhabe.

»Früher als gewöhnlich versammelten wir uns an der Wirtstafel und
belagerten die Fenster. Eine alte baufällige Chaise wurde von zwei
alten Kleppern die Straße herangeschleppt, sie hielt vor dem Wirtshaus.
›Das ist der Hasentreffer, der Hasentreffer,‹ tönte es von aller Mund,
und eine ganz besondere Fröhlichkeit bemächtigte sich unser, als
wir das Männlein, zierlich gepudert, mit einem stahlgrauen Röcklein
angetan, einem mächtigen Meerrohr in der Hand, aussteigen sahen. Ein
Schwanz von wenigstens zehn Kellnern schloß sich ihm an; so gelangte er
ins Speisezimmer.

»Man schritt sogleich zur Tafel; ich habe selten so viel gelacht als
damals, denn mit der größten Kaltblütigkeit behauptete der Alte,
geradesweges aus Kassel zu kommen und vor sechs Tagen in Frankfurt
im Schwanen recht gut logiert zu haben. Schon vor dem Dessert mußte
Barighi verschwunden sein, denn als der Oberjustizrat aufstand und sich
auch die übrigen Gäste erwartungsvoll erhoben, war er nirgends mehr zu
sehen.

»Der Oberjustizrat stellte sich ans Fenster, wir alle folgten seinem
Beispiele und beobachteten ihn. Das Haus gegenüber schien öde und
unbewohnt; auf der Türschwelle sproßte Gras, die Jalousien waren
geschlossen, zwischen einigen schienen sich Vögel eingebaut zu haben.

»›Ein hübsches Haus da drüben,‹ begann der Alte zu dem Wirt, der immer
in der dritten Stellung hinter ihm stand. ›Wem gehört es?‹ -- ›Dem
Oberjustizrat Hasentreffer, Euer Exzellenz aufzuwarten.‹

»›Ei, das ist wohl der nämliche, der mit mir studiert hat?‹ rief
er aus. ›Der würde es mir nie verzeihen, wenn ich ihm nicht meine
Anwesenheit kundtäte.‹ Er riß das Fenster auf: ›Hasentreffer --
Hasentreffer!‹ schrie er mit heiserer Stimme hinaus. -- Aber wer
beschreibt unsern Schrecken, als gegenüber in dem öden Haus, das wir
wohl verschlossen und verriegelt wußten, ein Fensterladen langsam sich
öffnete; ein Fenster tat sich auf, und heraus schaute der Oberjustizrat
Hasentreffer im zitzenen Schlafrock und der weißen Mütze, unter welcher
wenige graue Löckchen hervorquollen; so, gerade so pflegte er sich zu
Hause zu tragen. Bis auf das kleinste Fältchen des bleichen Gesichts
war der gegenüber der nämliche, der bei uns stand. Aber Entsetzen
ergriff uns, als der im Schlafrock mit derselben heiseren Stimme über
die Straße herüberrief: ›Was will man, wem ruft man? he!‹

»›Sind Sie der Herr Oberjustizrat Hasentreffer?‹ rief der auf unserer
Seite, bleich wie der Tod, mit zitternder Stimme, indem er sich bebend
am Fenster hielt.

»›Der bin ich,‹ kreischte jener und nickte freundlich grinsend mit dem
Kopfe; ›steht etwas zu Befehl?‹

»›Ich bin er ja auch,‹ rief der auf unserer Seite wehmütig, ›wie ist
denn dies möglich?‹

»›Sie irren sich, Wertester!‹ schrie jener herüber, ›Sie sind der
dreizehnte; kommen Sie nur ein wenig herüber in meine Behausung, daß
ich Ihnen den Hals umdrehe; es tut nicht weh.‹

»›Kellner, Stock und Hut!‹ rief der Oberjustizrat, matt bis zum
Tod, und die Stimme schlich ihm in kläglichen Tönen aus der hohlen
Brust herauf. ›In meinem Haus ist der Satan und will meine Seele; --
vergnügten Abend, meine Herren!‹ setzte er hinzu, indem er sich mit
einem freundlichen Bückling zu uns wandte und dann den Saal verließ.

»›Was war das?‹ fragten wir uns. ›Sind wir alle wahnsinnig?‹ --

»Der im Schlafrock schaute noch immer ganz ruhig zum Fenster hinaus,
während unser gutes altes Närrchen in steifen Schritten über die Straße
stieg. An der Haustüre zog er einen großen Schlüsselbund aus der
Tasche, riegelte -- der im Schlafrock sah ihm ganz gleichgültig zu --
riegelte die schwere, knarrende Haustüre auf und trat ein.

»Jetzt zog sich auch der andere vom Fenster zurück, man sah, wie er dem
unsrigen an die Zimmertüre entgegenging.

»Unser Wirt, die zehn Kellner waren alle bleich von Entsetzen
und zitterten. ›Meine Herren,‹ sagte jener, ›Gott sei dem armen
Hasentreffer gnädig, denn einer von beiden war der Leibhaftige.‹ --
Wir lachten den Wirt aus und wollten uns selbst bereden, daß es ein
Spaß von Barighi sei, aber der Wirt versicherte, es habe niemand in das
Haus gehen können, außer mit den überaus künstlichen Schlüsseln des
Rats; Barighi sei zehn Minuten, ehe das Gräßliche geschehen, noch an
der Tafel gesessen, wie hätte er denn in so kurzer Zeit die täuschende
Maske anziehen können, vorausgesetzt auch, er hätte sich das fremde
Haus zu öffnen gewußt. Die beiden seien aber einander so greulich
ähnlich gewesen, daß er, ein zwanzigjähriger Nachbar, den echten nicht
hätte unterscheiden können. ›Aber um Gottes willen, meine Herren, hören
Sie nicht das gräßliche Geschrei da drüben?‹

»Wir sprangen ans Fenster, schreckliche trauervolle Stimmen tönten aus
dem öden Hause herüber, einigemal war es uns, als sähen wir unsern
alten Oberjustizrat, verfolgt von seinem Ebenbild im Schlafrock, am
Fenster vorbeijagen. Plötzlich aber war alles still.

»Wir sahen einander an; der Beherzteste machte den Vorschlag,
hinüberzugehen; alle stimmten überein. Man zog über die Straße, die
große Hausglocke an des Alten Haus tönte dreimal, aber es wollte sich
niemand hören lassen; da fing uns an zu grauen; wir schickten nach der
Polizei und dem Schlosser, man brach die Türe auf, der ganze Strom der
Neugierigen zog die breite, stille Treppe hinauf, alle Türen waren
verschlossen; eine ging endlich auf; in einem prachtvollen Zimmer lag
der Oberjustizrat im zerrissenen stahlfarbigen Röcklein, die zierliche
Frisur schrecklich zerzaust, tot, erwürgt auf dem Sofa.

»Von Barighi hat man seitdem weder in Stuttgart, noch sonst irgendwo
jemals eine Spur gesehen.«



Drittes Kapitel.

Der schauerliche Abend.

(Fortsetzung.)


Der Professor hatte seine Erzählung geendet, wir saßen eine gute Weile
still und nachdenkend. Das lange Schweigen ward mir endlich peinlich,
ich wollte das Gespräch wieder anfachen, aber auf eine andere Bahn
bringen, als mir ein Herr von mittleren Jahren in reicher Jagduniform,
wenn ich nicht irre ein Oberforstmeister aus dem Nassauischen, zuvorkam.

»Es ist wohl jedem von uns schon begegnet, daß er unzähligemal für
einen andern gehalten wurde oder auch Fremde für ganz Bekannte
anredete, und sonderbar ist es, ich habe diese Bemerkung oft in meinem
Leben bestätigt gefunden, daß die Verwechselung weniger bei jenen
platten, alltäglichen nichtssagenden Gesichtern, als bei auffallenden,
eigentlich interessanten vorkommt.«

Wir wollten ihm seine Behauptung als ganz unwahrscheinlich verwerfen,
aber er berief sich auf die wirklich interessante Erscheinung unseres
Natas. »Jeder von uns gesteht,« sagte er, »daß er dem Gedanken Raum
gegeben, unsern Freund, nur unter anderer Gestalt, hier oder dort
gesehen zu haben, und doch sind seine scharfen Formen, sein gebietender
Blick, sein gewinnendes Lächeln ganz dazu gemacht, auf ewig sich ins
Gedächtnis zu prägen.«

»Sie mögen so unrecht nicht haben,« entgegnete Flaßhof, ein preußischer
Hauptmann, der auf die Strafe des Arrestes hin schon zwei Tage bei uns
gezaudert hatte, nach Koblenz in seine Garnison zurückzukehren. »Sie
mögen recht haben; ich erinnere mich einer Stelle aus den launigen
Memoiren des italienischen Grafen Gozzi, die ganz für Ihre Behauptung
spricht. Jedermann, sagt er, hat den Michele d'Agata gekannt und
weiß, daß er einen Fuß kleiner und wenigstens um zwei dicker war als
ich und auch sonst nicht die geringste Aehnlichkeit in Kleidung und
Physiognomie mit mir gehabt hat. Aber lange Jahre hatte ich alle Tage
den Verdruß, von Sängern, Tänzern, Geigern und Lichtputzern als Herr
Michele d'Agata angeredet zu sein und lange Klagen über schlechte
Bezahlung, Forderungen usw. anhören zu müssen. Selten gingen sie
überzeugt von mir weg, daß _ich_ nicht Michele d'Agata sei. Einst
besuchte ich in Verona eine Dame; das Kammermädchen meldet mich an:
›Herr Agata‹. Ich trat hinein und ward als Michele d'Agata begrüßt
und unterhalten, ich ging weg und begegnete einem Arzt, den ich wohl
kannte. ›Guten Abend, Herr Agata,‹ war sein Gruß, indem er vorüberging.
-- Ich glaubte am Ende beinahe selbst, ich sei der Michele d'Agata.«

Ich wußte dem guten Hauptmann Dank, daß er uns aus den ängstigenden
Phantasien, welche die Erzählung des Professors in uns aufgeregt
hatte, erlöste. Das Gespräch floß ruhiger fort, man stritt sich um
das Vorrecht ganzer Nationen, einen interessanten Gesichterschnitt zu
haben, über den Einfluß des Geistes auf die Gesichtszüge überhaupt und
auf das Auge insbesondere, man kam endlich auf Lavater und Konsorten;
Materien, die ich hundertmal besprochen, mochte ich nicht mehr
wiederkäuen, ich zog mich in ein Fenster zurück. Bald folgte mir der
Professor dahin nach, um gleich mir die Gesichter der Streitenden zu
betrachten.

»Welch ein leichtsinniges Volk,« seufzte er, »ich habe sie jetzt soeben
gewarnt und die Hölle ihnen recht heiß gemacht, ja, sie wagten in
keine Ecke mehr zu sehen, aus Furcht, der Leibhaftige möchte daraus
hervorgucken, und jetzt lachen sie wieder und machen tolle Streiche,
als ob der Versucher nicht immer umherschliche.«

Ich mußte lachen über die Amtsmiene, die sich der Professor gab. »Noch
nie habe ich das schöne Talent eines Vesperpredigers an Ihnen bemerkt,«
sagte ich; »aber Sie setzen mich in Erstaunen durch Ihre kühnen
Angriffe auf die böse Welt und auf den Argen selbst. Bilden Sie sich
denn wirklich ein, dieser harmlose Natas ...«

»Harmlos nennen Sie ihn?« unterbrach mich der Professor, heftig meine
Brust anfassend, »harmlos? Haben Sie denn nicht bemerkt,« flüsterte er
leiser, »daß alles bei diesem feinen ... Herrn berechneter Plan ist? O,
ich kenne meine Leute!«

»Sie setzen mich in Erstaunen, wie meinen Sie denn?«

»Haben Sie nicht bemerkt,« fuhr er eifrig fort, »daß der gebildete Herr
Oberforstmeister dort mit Leib und Seele sein ist, weil er ihm fünf
Nächte hindurch alles Geld abjagte und den Ausgebeutelten gestern nacht
fünfzehnhundert Dukaten gewinnen ließ? Er nennt den abgefeimten Spieler
einen Mann von den nobelsten Sentiments und schwört auf Ehre, er müsse
über die Hälfte wieder an den Fremden verlieren, sonst habe er keine
Ruhe. Haben Sie ferner nicht bemerkt, wie er den Oekonomierat gekörnt
hat?«

»Ich habe wohl gesehen,« antwortete ich, »daß der Oekonomierat, sonst
so moros und misanthrop, jetzt ein wenig aufgewacht ist, aber ich habe
es dem allgemeinen Einfluß der Gesellschaft zugeschrieben.«

»Behüte. Er läuft schon seit zwanzig Jahren in den Gesellschaften umher
und wacht doch nicht auf; auf dem Weg ist er, ein Bruder Liederlich zu
werden. Der Esel reist krank im Lande umher, behauptet einen großen
Wurm im Leib zu haben und macht allen Leuten das Leben sauer mit seinen
exorbitanten Behauptungen, und jetzt? Jetzt hat ihn dieser Wundermann
erwischt, gibt ihm ein Pülverlein und rät ihm, nicht wie ein anderer
vernünftiger Arzt, Diät und Mäßigkeit, sondern er soll seine Jugend,
wie er die fünfzig Jahre des alten Wurms nennt, genießen, viel Wein
trinken etc., und das ~et cetera~ und den Wein benützt er seit vier
Tagen ärger als der verlorne Sohn.«

»Und darüber können Sie sich ärgern, Herr Professor? Der Mann ist sich
und dem Leben wiedergeschenkt --«

»Nicht davon spreche ich,« entgegnete der Eifrige, »der alte Sünder
könnte meinetwegen heute noch abfahren, sondern daß er sich dem
nächsten besten Charlatan anvertraut und sich also ruinieren muß. Ich
habe ihn vor acht Jahren in der Kur gehabt, und es besserte sich schon
zusehends.«

Der Eifer des guten Professors war mir nun einigermaßen erklärlich, der
liebe Brotneid schaute nicht undeutlich heraus. --

»Und unsere Damen,« fuhr er fort, »die sind nun rein toll. Mich dauert
nur der arme Trübenau, ich kenne ihn zwar nicht, aber übermorgen
soll er hier ankommen, und wie findet er die gnädige Frau? Hat man
je gehört, daß eine junge gebildete Frau in den ersten Jahren einer
glücklichen Ehe sich in ein solches Verhältnis mit einem ganz fremden
Menschen einläßt, und zwar innerhalb fünf Tagen!« --

»Wie? die schöne, bleiche Frau dort!« rief ich aus. --

»Die nämliche bleiche;« antwortete, er, »vor vier Tagen war sie noch
schön rot wie eine Zentifolie, da begegnet ihr der Interessante auf der
Straße, fragt, wohin sie gehe, hört kaum, daß sie ~Rouge fin~ kaufen
wolle (denn solche Toilettengeheimnisse auszuplaudern, heißt ~bon
ton~), so bittet und fleht er, sie solle doch kein Rot auflegen, sie
habe ein so interessantes ~je ne sais quoi~, das zu einem blassen Teint
viel besser stehe. Was tut sie? wahrhaftig, sie geht in den nächsten
Galanterieladen und sucht weiße Schminke; ich war gerade dort, um ein
Pfeifenrohr zu erstehen, da höre ich sie mit ihrer süßen Stimme den
rauhhärigen Bären von einem Ladendiener fragen, ob man das Weiß nicht
noch etwas _ätherischer_ habe? Hol' mich der T...! hat man je so etwas
gehört?«

Ich bedauerte den Professor aufrichtig, denn wenn ich nicht irrte, so
suchte er von Anfang die Aufmerksamkeit der schönen Frau auf den schon
etwas verschossenen Einband seiner gelehrten Seele zu ziehen. Daß es
aber mit Natas und der Trübenau nicht ganz richtig war, sah ich selbst.
Von der Schminkgeschichte, die jenen so sehr erboste, wußte ich zwar
nichts; aber wer sich auf die Exegese der Augen verstand, hatte keinen
weiteren Kommentar nötig, um die gegenseitige Annäherung daraus zu
erläutern.

Der Professor hatte, in tiefe Gedanken versunken, eine Zeitlang
geschwiegen; er erhob jetzt sein Auge durch die Brille an die Decke
des Zimmers, wo allerlei Engelein in Gips aufgetragen waren. »Himmel,«
seufzte er, »und die Thingen hat er auch. Sie glauben nicht, welcher
Reiz in dem ewig heitern Auge, in diesen Grübchen auf den blühenden
Wangen, in dem Schmelz ihrer Zähne, in diesen frischen, zum Kuß
geöffneten Lippen, in diesen weichen Armen, in diesen runden, vollen
Formen der schwellenden --«

»Herr Professor!« rief ich, erschrocken über seine Ekstase, und
schüttelte ihn am Arm ins Leben zurück. »Sie geraten außer sich,
Wertester. Belieben Sie nicht eine Prise Spaniol?«

»Er hat sie auch,« fuhr er zähneknirschend fort. »Haben Sie nicht
bemerkt, mit welcher Hast sie vorhin nach seinen Verhältnissen fragte?
Wie sie rot ward? Jung, schön, wohlhabend, Witwe -- sie hat alles, um
eine angenehme Partie zu machen. Geistreiche Männer von Ruf in der
literarischen Welt buhlen um ihre Gunst, sie wirft sich an einen --
Landstreicher hin. Ach, wenn Sie wüßten, bester Doktor, was mir neulich
der Oberkellner sagte, aber mit der größten Diskretion, daß man ihn
vorgestern nacht aus ihrem Zimmer ...«

»Ich bitte, verschonen Sie mich,« fiel ich ein, »gestehen Sie mir
lieber, ob der Wundermensch Sie selbst noch nicht unter den Pantoffel
gebracht hat.«

»Das ist es eben,« antwortete der Gefragte verlegen lächelnd, »das ist
es, was mir Kummer macht. Sie wissen, ich lese über Chemie; er brachte
einmal das Gespräch darauf und entwickelte so tiefe Kenntnisse, deckte
so neue und kühne Ideen auf, daß mir der Kopf schwindelte. Ich möchte
ihm um den Hals fallen und um seine Hefte und Notizen bitten, es zieht
mich mit unwiderstehlicher Geisterkraft in seine Nähe, und doch könnte
ich ihm mit Freuden Gift beibringen.«

Wie komisch war die Wut dieses Mannes, er ballte die Faust und
fuhr damit hin und her, seine grünen Brillengläser funkelten wie
Katzenaugen, sein kurzes schwarzes Haar schien sich in die Höhe zu
richten.

Ich suchte ihn zu besänftigen. Ich stellte ihm vor, daß er ja nicht
ärger losziehen könnte, wenn der Fremde der Teufel selbst wäre; aber er
ließ mich nicht zum Worte kommen.

»Er ist es, der Satan selbst logiert hier in den drei Reichskronen,«
rief er, »um unsere Seelen zu angeln. Ja, du bist ein guter Fischer
und hast eine feine Nase; aber ein ...r Professor, wie ich, der sogar
in demagogischen Untersuchungen die Lunte gleich gerochen und eigens
deswegen hierher nach Mainz gereist ist, ein solcher hat noch eine
feinere als du.«

Ein heiseres Lachen, das gerade hinter meinem Rücken zu entstehen
schien, zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich wandte mich um und
glaubte Natas höhnisch durch die Scheiben hereingrinsen zu sehen. Ich
ergriff den Professor am Arm, um ihm die sonderbare Erscheinung zu
zeigen, denn das Zimmer lag einen Stock hoch; dieser aber hatte weder
das Lachen gehört, noch konnte er meine Erscheinung sehen, denn als er
sich umwandte, sah nur die bleiche Scheibe des Mondes durch die Fenster
dort, wo ich vorhin das greulich verzerrte Gesicht des geheimnisvollen
Fremdlings zu sehen geglaubt hatte.

Ehe ich noch recht mit mir einig war, ob das, was ich gesehen, Betrug
der Sinne, Ausgeburt einer aufgeregten Phantasie oder Wirklichkeit war,
ward die Türe aufgerissen, und Herr von Natas trat stolzen Schrittes
in das Zimmer. Mit sonderbarem Lächeln maß er die Gesellschaft, als
wisse er ganz gut, was von ihm gesprochen worden sei, und ich glaubte
zu bemerken, daß keiner der Anwesenden seinen forschenden Blick
auszuhalten vermochte.

Mit der ihm so eigenen Leichtigkeit hatte er der Trübenau gegenüber,
neben der Frau von Thingen Platz genommen und die Leitung der
Konversation an sich gerissen. Das böse Gewissen ließ den Professor
nicht an den Tisch sitzen, mich selbst fesselte das Verlangen,
diesen Menschen einmal aus der Ferne zu beobachten, an meinen Platz
im Fenster. Da bemerkten wir denn das Augenspiel zwischen Frau von
Trübenau und dem gewandtesten der Liebhaber, der, indem er der Tochter
des Oekonomierats so viel Verbindliches zu sagen wußte, daß sie
einmal über das andere bis unter die breiten Brüsseler Spitzen ihrer
Busenkrause errötete, das feingeformte Füßchen der Frau von Thingen auf
seinem blankgewichsten Stiefel tanzen ließ.

»Drei Mücken auf einen Schlag, das heiße ich doch -- meiner Seel'!
aller Ehre wert,« brummte der zornglühende Professor, dem jetzt auch
seine letzte Ressource, die ökonomische Schöne, so was man sagt, vor
dem Mund weggeschnappt werden sollte. Mit tönenden Schritten ging er
an den Tisch, nahm sich einen Stuhl und setzte sich, breit wie eine
Mauer, neben seine Schöne, doch diese schien nur Ohren für Natas zu
haben, denn sie antwortete auf seine Frage, ob sie sich wohl befinde,
»übermorgen,« und als er voll Gram die Anmerkung hinwarf, sie scheine
sehr zerstreut, meinte sie »1 fl. 30 kr. die Elle.«

Ich sah jetzt einem unangenehmen Auftritt entgegen. Der Professor,
der nicht daran dachte, daß er durch ein Sonett oder Triolett alles
wieder gut machen, ja, durch ein paar ~ottave rime~ sich sogar bei der
Trübenau wieder insinuieren könnte, widersprach jetzt geradezu jeder
Behauptung, die Natas vorbrachte. Und ach! nicht zu seinem Vorteil;
denn dieser, in der Dialektik dem guten Kathedermann bei weitem
überlegen, führte ihn so aufs Eis, daß die leichte Decke seiner Logik
zu reißen und er in ein Chaos von Widersprüchen hinabzustürzen drohte.

Eine lieblich duftende Bowle Punsch unterbrach einige Zeit den Streit
der Zunge, gab aber dafür Anlaß zu desto feindseligern Blicken zwischen
Frau von Trübenau und Frau von Thingen. Diese hatte, ihrer schönen,
runden Arme sich bewußt, den gewaltigen silbernen Löffel ergriffen, um
beim Eingießen die ganze Grazie ihrer Haltung zu entwickeln. Jene aber
kredenzte die gefüllten Becher mit solcher Anmut, mit so liebevollen
Blicken, daß das Bestreben, sich gegenseitig so viel als möglich
Abbruch zu tun, unverkennbar war.

Als aber der sehr starke Punsch die leisen Schauer des Herbstabends
verdrängt hatte, als er anfing, die Wangen unserer Damen höher zu
färben und aus den Augen der Männer zu leuchten, da schien es mir mit
einemmal, als sei man, ich weiß nicht wie, aus den Grenzen des Anstands
herausgetreten. Allerlei dumme Gedanken stiegen in mir auf und nieder,
das Gespräch schnurrte und summte wie ein Mühlrad, man lachte und
jauchzte und wußte nicht über was? Man kicherte und neckte sich, und
der Oberforstmeister brachte sogar ein Pfänderspiel mit Küssen in
Vorschlag. Plötzlich hörte ich jenes heisere Lachen wieder, das ich
vorhin vor dem Fenster zu hören glaubte. Wirklich, es war Natas, der
dem Professor zuhörte und trotz dem Eifer und Ernst, mit welchem dieser
alles vorbrachte, alle Augenblicke in sein heiseres Gelächter ausbrach.

»Nicht wahr, meine Herren und Damen,« schrie der Punsch aus dem
Professor heraus, »Sie haben vorhin selbst bemerkt, daß unser verehrter
Freund dort jedem von Ihnen, nur in anderer Gestalt, schon begegnet
ist? Sie schweigen? Ist das auch Räson, einen so im Sand sitzen zu
lassen? Herr Oberforstmeister! Frau von Thingen, gnädige Frau! Sagen
Sie selbst, namentlich Sie, Herr Doktor!«

Wir befanden uns durch die Indiskretion des Professors in großer
Verlegenheit. »Ich erinnere mich,« gab ich zur Antwort, als alles
schwieg, »von interessanten Gesichtern und ihren Verwechslungen
gesprochen zu haben. Und wenn ich nicht irre, wurde auch Herr von Natas
aufgeführt.«

Der Benannte verbeugte sich und meinte, es sei gar zu viel Ehre, ihn
unter die Interessanten zu zählen; aber der Professor verdarb wieder
alles.

»Was da! ich nehme kein Blatt vor den Mund!« sagte er, »ich behauptete,
daß mir ganz unheimlich in Dero Nähe sei, und erzählte, wie Sie in
Stuttgart den armen Hasentreffer erwürgt haben, wissen Sie noch,
gnädiger Herr?«

Dieser aber stand auf, lief mit schrillendem Gelächter im Zimmer
umher, und plötzlich glaubte ich den unglückbringenden Doktor meiner
Vaterstadt vor mir zu haben; es war nicht mehr Natas, es war ein
älterer, unheimlicher Mensch.

»Da hat man's ja deutlich,« rief der Professor, »dort läuft er als
Barighi umher.«

»Barighi?« entgegnete Frau von Trübenau. »Bleiben Sie doch mit Ihrem
Barighi zu Hause, es ist ja unser lieber Privatsekretär Gruber, der da
hereingekommen ist.«

»Ich möchte doch um Verzeihung bitten, gnädige Frau,« unterbrach sie
der Oberforstmeister, »es ist der Spieler Maletti, mit dem ich in
Wiesbaden letzten Sommer associiert war.«

»Ha! ha! wie man sich doch täuschen kann,« sprach Frau von Thingen, den
auf und ab Gehenden durch die perlmutterne Brille beschauend, »es ist
ja niemand anders als der Kapellmeister Schmalz, der mir die Gitarre
beibringt.«

»Warum nicht gar!« brummte der alte Oekonomierat, »es ist der lustige
Kommissär, der mir die gute Brotlieferung an das Spital in D--n
verschaffte.«

»Ach! Papa,« kicherte sein Töchterlein, »jener war ja schwarz, und
dieser ist blond! Kennen Sie denn den jungen Landwirt nicht mehr, der
sich bei uns ins Praktische einschießen wollte?«

»Hol' mich der Kuckuck und alle Wetter,« schrie der preußische
Hauptmann, »das ist der verfluchte Ladenprinz und Ellenreiter, der mir
mein Lorchen wegfischte! Auf Pistolen fordere ich den Hund, gleich
morgen, gleich jetzt.« Er sprang auf und wollte auf den immer ruhig
auf und ab Gehenden losstürzen. Der Professor aber packte ihn am Arm:
»Bleiben Sie weg, Wertester!« schrie er, »ich hab's gefunden, ich hab's
gefunden, kehrt seinen Namen um, es ist der _Satan_!«



Viertes Kapitel.

Das Manuskript.


So viel als ich hier niedergeschrieben habe, lebt von diesem Abend noch
in meiner Erinnerung; doch kostete es geraume Zeit, bis ich mich auf
alles wieder besinnen konnte. Ich muß in einem langen, tiefen Schlaf
gewesen sein, denn als ich erwachte, stand Jean vor mir und fragte,
indem er die Gardine für die Morgensonne öffnete, ob jetzt der Kaffee
gefällig sei?

Es war elf Uhr. Wo war denn die Zeit zwischen gestern und heute
hingegangen? Meine erste Frage war, wie ich denn zu Bett gekommen sei?

Der Kellner staunte mich an und meinte mit sonderbarem Lächeln, das
müsse ich besser wissen als er.

»Ah! ich erinnere mich,« sagte ich leichthin, um meine Unwissenheit zu
verbergen, »nach der Abendtafel ...«

»Verzeihen der Herr Doktor,« unterbrach mich der Geschwätzige. »Sie
haben nicht soupiert. Sie waren ja alle zu Tee und Punsch auf Nr. 15.«

»Richtig, auf Nr. 15, wollte ich sagen. Ist der Herr Professor schon
auf?«

»Wissen Sie denn nicht, daß sie schon abgereist sind?« fragte der
Kellner.

»Kein Wort;« versicherte ich staunend.

»Er läßt sich Ihnen noch vielmals empfehlen, und Sie möchten doch in T.
bei ihm einsprechen; auch läßt er Sie bitten, seiner und des gestrigen
Abends recht oft zu gedenken, er habe es ja gleich gesagt.«

»Aha, ich weiß schon,« sagte ich, denn mit einemmal fiel mir ein Teil
des gestern Erlebten ein. »Wann ist er denn abgereist?«

»Gleich in der Frühe,« antwortete jener, »noch vor dem Oekonomierat und
dem Oberforstmeister.«

»Wie? so sind auch diese abgereist?«

»Ei ja!« rief der staunende Kellner, »so wissen Sie auch das nicht?
Auch nicht, daß Frau von Thingen und die gnädige Frau von Trübenau --«

»Sie sind auch nicht mehr hier?«

»Kaum vor einer halben Stunde sind die gnädige Frau weggefahren,«
versicherte jener. Ich rieb mir die Augen, um zu sehen, ob ich nicht
träume, aber es war und blieb so. Jean stand nach wie vor an meinem
Bette und hielt das Kaffeebrett in der Hand.

»Und Herr von Natas?« fragte ich kleinlaut.

»Ist noch hier. Ach, das ist ein goldener Herr. Wenn der nicht gewesen
wäre, wir wären heute nacht in die größte Verlegenheit gekommen.«

»Wieso?«

»Nun, bei der Fatalität mit der Frau von Trübenau. Wer hätte aber
auch dem gnädigen Herrn zugetraut, daß er so gut zur Ader zu lassen
verstünde?«

»Zur Ader lassen? Herr von Natas?«

»Ich sehe, der Herr Doktor sind sehr frühzeitig zu Bette gegangen und
haben eine ruhigere Nacht gehabt als wir.«

Jean belehrte mich in leichtfertigem Ton: »Es mochte kaum elf Uhr
gewesen sein, die Geschichte mit der Polizei war schon vorbei --«

»Was für eine Geschichte mit der Polizei?«

»Nun, Nr. 15 ist vornheraus, und weil, mit Permiß zu sagen, dort
ein ganz höllischer Lärm war, so kam die Runde ins Haus und wollte
abbieten, Herr von Natas aber, der ein guter Bekannter des Herrn
Polizeileutnants sein muß, beruhigte sie, daß sie wieder weiter gingen.
Also gleich nachher kam das Kammermädchen der Frau von Trübenau
herabgestürzt, ihre gnädige Frau wolle sterben. Sie können sich denken,
wie unangenehm so etwas in einem Gasthof nachts zwischen elf und zwölf
Uhr ist. Wir wie der Wind hinauf, auf der Treppe begegnet uns Herr von
Natas, fragt, was das Rennen und Laufen zu bedeuten habe, hört kaum,
wo es fehlt, so springt er in sein Zimmer, holt sein Etui, und ehe fünf
Minuten vergehen, hat er der gnädigen Frau am Arm mit der Lanzette eine
Ader geöffnet, daß das Blut in einem Bogen aufsprang. Sie schlug die
Augen wieder auf, und es war ihr bald wohl, doch versprach Herr von
Natas, bei ihr zu wachen.«

»Ei! was Sie sagen, Jean!« rief ich voll Verwunderung.

»Ja, warten Sie nur! Kaum ist eine Stunde vorbei, so ging der Tanz von
neuem los. Auf Nr. 18 läutete es, daß wir meinten, es brenne drüben in
Kassel. Des Herrn Oekonomierats Rosalie hatte ihre hysterischen Anfälle
bekommen. Der Alte mochte ein Glas über den Durst haben, denn er sprach
vom Teufel, der ihn und sein Kind holen wolle. Wir wußten nichts
anderes, als wieder unsere Zuflucht zu Herrn von Natas zu nehmen. Er
hatte versprochen, bei Frau von Trübenau mit dem Kammermädchen zu
wachen; aber lieber Gott, geschlafen muß er haben wie ein Dachs, denn
wir pochten drei-, viermal, bis er uns Antwort gab, und die Kammerkatze
war nun gar nicht zu erwecken.«

»Nun, und ließ er der schönen Rosalie zur Ader?«

»Nein, er hat ihr, wie mir Lieschen sagte, Senfteig zwei Hand breit
aufs Herz gelegt, darauf soll es sich bald gegeben haben.«

»Armer Professor!« dachte ich, »dein hübsches Röschen mit ihren
sechzehn Jährchen und dieser Natas in traulicher Stille der Nacht, ein
Pflaster auf das pochende Herz pappend.«

»Der Herr Papa Oekonomierat war wohl sehr angegriffen durch die
Geschichte?« fragte ich, um über die Sache ins klare zu kommen.

»Es schien nicht, denn er schlief schon, ehe noch Lieschen mit dem
Hirschhorngeist aus der Apotheke zurückkam. Aber es läutet im zweiten
Stock, und das gilt mir.« Er sprach's und flog pfeilschnell davon.

So war auf einmal die lustige Gesellschaft zerstoben; und doch wußte
ich nicht, wie dies alles so plötzlich kommen konnte. Ich entsann mich
zwar, daß gestern bei dem Punsch etwas Sonderbares vorgefallen war; was
es aber gewesen sein mochte, konnte ich mich nicht erinnern.

Sollte Natas mir Aufschluß geben können? Doch, wenn ich recht nachsann,
mit Natas war etwas vorgefallen. Der Professor schwankte in meiner
Erinnerung umher -- am besten deuchte mir, zu Natas zu gehen und ihn
um die Ursache des schnellen Aufbruchs zu befragen.

Ich warf mich in die Kleider, und ehe ich noch ganz mit der kurzen
Toilette fertig war, brachte mir ein Lohnlakai folgendes Billett:

    »Euer Wohlgeboren würden mich unendlich verbinden, wenn Sie vor
    meiner Abreise von hier, die auf den Mittag festgesetzt ist,
    mich noch einmal besuchen wollten.

            von _Natas_.«

Neugierig folgte ich diesem Ruf und traf den Freund reisefertig
zwischen Koffern und Kästchen stehen. Er kam mir mit seiner gewinnenden
Freundlichkeit entgegen, doch genierte mich ein unverkennbarer Zug von
Ironie, der heute um seinen Mund spielte, und den ich sonst nicht an
ihm bemerkt hatte.

Er lachte mich aus, daß ich mich vor den Damen als schwachen Trinker
ausgewiesen und einen Haarbeutel mir umgeschnallt habe, erzählte mir,
daß ich selig entschlafen sei, und fragte mich mit einem lauernden
Blick, was ich noch von gestern nacht wisse?

Ich teilte ihm meine verworrenen Erinnerungen mit, er belachte sie
herzlich und nannte sie Ausgeburten einer kranken Phantasie.

Die Abreise der ganzen Gesellschaft gab er einer großen
Herbstfeierlichkeit schuld, welche in Worms gehalten werde. Sie seien
alle, sogar der morose Oekonomierat, dorthin gereist; ihn selbst aber
rufen seine Geschäfte den Rhein hinab.

Die Zufälle der Trübenau und der schönen Rosalie maß er dem starken
Punsch bei und freute sich, durch Liebhaberei gerade so viele
medizinische Kenntnisse zu besitzen, um bei solchen kleinen Zufällen
helfen zu können.

Wir hörten den Wagen vorfahren, der Kellner meldete dies und brachte
von dem dankbaren Hotel eine Flasche des ältesten Rheinweins. Natas
hatte sie verdient, denn wahrlich, nur er hatte uns so lange hier
gefesselt.

»Sie sind Schriftsteller, lieber Doktor?« fragte er mich, während wir
den narkotisch duftenden Abschiedstrunk ausschlürften.

»Wer pfuscht nicht heutzutage etwas in die Literatur?« antwortete ich
ihm. »Ich habe mich früher als Dichter versucht, aber ich sah bald
genug ein, daß ich nicht für die Unsterblichkeit singe. Ich griff daher
einige Töne tiefer und übersetzte unsterbliche Werke fremder Nationen
fürs liebe deutsche Publikum.«

Er lobte meine bescheidene Resignation, wie er es nannte, und fragte
mich, ob ich mich entschließen könnte, die Memoiren eines berühmten
Mannes, die bis jetzt nur im Manuskript vorhanden seien, zu übersetzen?
»Vorausgesetzt, daß Sie dechiffrieren können, ist es eine leichte
Arbeit für Sie, da ich Ihnen den Schlüssel dazu geben würde und das
Manuskript im Hochdeutschen abgefaßt ist.«

Ich zeigte mich, wie natürlich, sehr bereitwillig dazu. Dechiffrieren
verstand ich früher und hoffte es mit wenig Uebung vollkommen zu
lernen. Er schloß ein schönes Kästchen von rotem Saffian auf und
überreichte mir ein vielfach zusammengebundenes Manuskript. Die Zeichen
krochen mir vor dem Auge umher, wie Ameisen in ihren aufgestörten
Hügelchen, aber er gab mir den Schlüssel seiner Geheimschrift, und die
Arbeit schien mir noch einmal so leicht.

Wir umarmten uns und sagten uns Lebewohl. Unter warmem Dank für seine
Güte, die er noch zuletzt für mich gehabt, für die schönen Tage, die
er uns bereitet habe, begleitete ich ihn an den Wagen. Die Wagentüre
schloß sich, der Postillon hieb auf seine vier Rosse, sie zogen an,
und die interessante Erscheinung flog von hinnen; aber aus dem Innern
des Wagens glaubte ich jenes heisere Lachen zu vernehmen, das ich von
gestern her unter den Bruchstücken meiner Erinnerung bewahrte.

Als ich die Treppe hinaufstieg, händigte mir der Oberkellner einen
Brief ein. Der Professor habe ihm solchen zu meinen eigenen Händen zu
übergeben befohlen, ich riß ihn auf --

        »Verehrter, Wertgeschätzter!

    Ich bin im Begriff, mein Roß zu besteigen und aus dieser Höhle
    des brüllenden Löwen zu entfliehen. Ich sage Ihnen schriftlich
    Lebewohl, weil Sie aus der todähnlichen Betäubung, die Sie
    härter als uns alle befallen hat, nicht zu wecken sind. Daß
    unser fröhliches Zusammenleben so schauerlich endigen mußte!
    Nicht wahr, lieber Zweifler, jetzt haben Sie es ja klar, daß
    dieser Natas nichts anderes als der leibhaftige Satan war!

    Er schaut mir vielleicht in diesem Augenblick über die Schulter
    und liest, was ich sage, aber dennoch schweige ich nicht. Den
    armen Oekonomierat und sein Töchterlein, die blasse Trübenau,
    meine schöne Thingen, den Hauptmann und den Oberforstmeister
    hat er in seinem Netz. Gott gebe, daß er Sie nicht auch
    geködert hat. Mich hat er halb und halb, denn ich habe allzu
    tief eingebissen in seine mit chemischen Ideen bespickte Angel.
    Ich reiße mich los und mache, daß ich fortkomme.

    Adieu, Bester! Montag, den 7. Oktober, früh 6 Uhr.«

Jetzt kehrten meine Erinnerungen in Scharen zurück. Ja, es war der
Teufel, der sein Spiel mit uns gespielt hatte; es war der Teufel, dem
es gestern Spaß gemacht hatte, uns zu ängstigen; es mußten des Teufels
Memoiren sein, die ich in der Hand hielt.

Wer stand mir aber dafür, daß die Schriftzüge mir nicht durch die Augen
ins Hirn hinaufkrochen und mich wahnsinnig machten; und konnte ich mich
nicht gerade dadurch, daß ich den Dechiffreur und Dekopisten des Satans
machte, unbewußt in seine Leibeigenschaft hineinschreiben?

Ich packte die Handschrift in meinen Koffer und reiste dem Professor
nach, um ihn um Rat zu fragen. Aber in Worms traf ich keine Spur von
irgend einem der lustigen Gesellschaft in den drei Reichskronen.
Entweder hat sie der Satan eingeholt und in seinem achtsitzigen Wagen
in sein ewiges Reich gehaudert, oder hatte er mich in den April
geschickt. Das letztere schien mir wahrscheinlicher

In Worms aber traf ich einen frommen Geistlichen, der an der Domkirche
angestellt war. Ich trug ihm meinen Fall vor und erhielt den Bescheid,
ich solle so viele Messen darüber lesen lassen, als das Manuskript
Bogen enthalte. Der Rat schien mir nicht übel. Ich reiste in meine
Heimat und schickte am nächsten Sonntag den ersten Satansbogen in die
Kirche. ~Probatum est~; am Montag fing ich an zu dechiffrieren und habe
noch nicht das geringste Spukhafte weder an dem Papier noch an mir
bemerkt.

Von meinen Genossen in Mainz habe ich indessen wenig mehr gehört.
Der Professor fährt fort, durch seine Entdeckungen in der Chemie zu
glänzen, und ich fürchte, er ist auf dem Wege, dem Satan Gehör zu
geben, der ihn zu einem _Berzelius_ machen will. Der Hauptmann soll
sich erschossen haben, Frau von Thingen aber, die schöne Witwe, hat,
nach einer Anzeige im Hamburger Korrespondenten, vor nicht gar langer
Zeit wieder geheiratet.



Die Studien des Satan auf der berühmten Universität ...en.

      »Betrogene Betrüger! Eure Ringe
    Sind alle drei nicht echt; der echte Ring
    Vermutlich ging verloren.«

            Lessings Nathan III. 7.



Fünftes Kapitel.

Einleitende Bemerkungen.


Alle Welt schreibt oder liest in dieser Zeit Memoiren; in den Salons
der großen und kleinen Residenzen, in den Ressourcen und Kasinos der
Mittelstädte, in den Tabagien und Kneipen der kleinen spricht man von
Memoiren, urteilt über Memoiren und erzählt nach Memoiren, ja, es
könnte scheinen, es sei seit zwölf Jahren nichts Merkwürdiges mehr auf
der Erde als ihre Memoiren. Männer und Frauen ergreifen die Feder, um
den Menschen schriftlich darzutun, daß auch sie in einer merkwürdigen
Zeit gelebt, daß auch sie sich einst in einer Sonnennähe bewegt
haben, die ihrer sonst vielleicht gehaltlosen Person einen Nimbus von
Bedeutsamkeit verliehen.

Gekrönte Häupter, nicht zufrieden, sich aus ihrer früheren Grandezza,
wo sie, wie in der Bilderbibel, mit der Krone auf dem Haupt zu
Bette gingen, erhoben zu haben, nicht zufrieden damit, daß sie auf
Kurierreisen Europa von einem Ende bis zum andern durchfliegen, um sich
gegenseitig ihrer Freundschaft zu versichern, schreiben Memoiren für
ihre Völker, erzählen ihnen ihre Schicksale, ihre Reisen. Die Mitwelt
ist zur Nachwelt geworden, man hat ihr einen neuen Maßstab, wonach sie
die Handlungen richte, in die Hände gegeben; es sind die Memoiren.

Große Generale, berühmte Marschälle, weit entfernt, das Beispiel
jenes Römers nachzuahmen, der in der Muße des Friedens die Taten der
Legionen unter seiner Führung der Nachwelt würdig zu überliefern
glaubte, wenn er von sich nur immer in der dritten Person spräche,
haben den bescheideneren Weg eingeschlagen, sprechen von sich, wie
es Männern von solchem Gewichte ziemt, als Ich, bauen aus ihren
Memoiren ein Odeon in verjüngtem Maßstabe und treten herzhaft vorne
auf der Bühne auf. Mit Schlachtstücken im großen Stil dekorieren sie
die Kulissen, Staatsmänner und berühmte Damen, die große Armee und
ihre lorbeerbekränzten Adler, die ganze Mitwelt stellen sie in den
Hintergrund als Figuranten auf, sie selbst aber spielen ihre Sulla oder
Brutus würdig des unsterblichen Talma.

~Mundus vult decipi~, d. i. die Leute lesen Memoiren; was hält mich ab,
denselben auch ein solches Gericht Gerngesehen vorzusetzen?

Man wendet vielleicht ein: »Der Schuster bleibe bei seinem Leisten, der
Satan hat sich nicht mit Memoirenschreiben abzugeben.«

Ei! wirklich? Und wenn nun dieser Satan doch einen Beruf hätte,
Memoiren in die Welt zu streuen, wenn er doch so viel oder noch mehr
gesehen hätte als jene kriegerischen Diplomaten oder diplomatischen
Krieger, welche die Welt mit ihrem _literarischen_ Ruhme anfüllen,
nachdem die Bulletins ihrer Siege zu erwähnen aufgehört haben; wenn nun
dieser arme Teufel einen Drang in sich fühlte, auch für einen ~homo
literatus~ zu gelten?

Ja, ich gestehe es mit Erröten, je länger ich mich in meinem lieben
Deutschland umhertreibe, desto unwiderstehlicher reißt es mich hin,
zu schriftstellern; und wenn es den Damen erlaubt ist, die Finger mit
Tinte zu beschmutzen, so wird es doch dem Teufel auch noch erlaubt sein?

Und da komme ich auf einen zweiten Punkt; man sagt vielleicht gegen
meine schriftstellerischen Versuche, ich sei kein Literatus, kein Mann
vom Gewerbe etc. Aber fürs erste habe ich soeben die Damen, welche,
wenn sie noch so gelehrt, doch keine Gelehrten von Profession sind,
anzuführen die Ehre gehabt; sodann berufe ich mich auf jene Söhne des
Lagers, die, unter Gefahren groß geworden, unter Strapazen ergraut,
keine Zeit hatten, Humaniora zu studieren und dennoch so glänzende
Memoiren schreiben; ich behaupte drittens, daß das Vorurteil, ich sei
ein unstudierter Teufel, ganz falsch ist, denn ich bin ~in optima
forma~ Doktor der Philosophie geworden, wie aus meinen Memoiren zu
ersehen, und kann das Diplom schwarz auf weiß aufweisen.

Der Erzengel Gabriel, als ich ihn mit dem Plan, meine Memoiren
auszuarbeiten, bekannt machte, warnte mich mit bedenklicher Miene
vor den sogenannten Rezensenten. Er gab mir zu verstehen, daß ich
übel wegkommen könnte, indem solche niemand schonen, ja sogar
neuerdings selbst Doktoren der Theologie in Berlin, Halle und Leipzig
hart mitgenommen haben. Ich erwiderte ihm nicht ohne Gelehrsamkeit,
daß das Sprichwort ~clericus clericum non decimat~ füglich auch auf
mein Verhältnis zu den Rezensenten angewandt werden könne; werde ich
ja doch schon im Alten Testament _Satan_, ~adversarius~, das ist
Widersacher, genannt, was auch ganz auf jene passe; den schlagendsten
Beweis nehme ich aber aus dem Neuen Testament; dort werde ich διαβολος
oder Verleumder genannt; da nun διαβαλλειν so viel sei als ~acerbe
recensere~, so müsse er, wenn er nur ein wenig Logik habe, den Schluß
von selbst ziehen können.

Der Erzengel bekam, wie natürlich, nicht wenig Respekt vor meiner
Gelehrsamkeit in Sprachen und meinte selbst, daß es mir auf diese Art
nicht fehlen könne.

Man wird bei Durchlesung dieser Mitteilungen aus meinen Memoiren
vielleicht nicht jenes systematische, ruhige Fortschreiten der Rede
finden, das den Werken tiefdenkender Geister so eigen zu sein pflegt.
Man wird kürzere und längere Bruchstücke aus meinem Walten und Treiben
auf der Erde finden und den innern Zusammenhang vermissen.

Man tadle mich nicht deswegen; es war ja meine Absicht nicht, ein
Gemälde dieser Zeit zu entwerfen, man trifft deren genug in allen
soliden Buchhandlungen Deutschlands.

Der Memoirenschreiber hat seinen Zweck erreicht, wenn er sich und
seine Stellung zu der Zeit, welcher er angehört, darstellt und darüber
reflektiert; wenn er Begebenheiten entwickelt, die entweder auf
ihn oder die Mitwelt nähere oder entferntere Beziehung haben, wenn
er berühmte Zeitgenossen und seine Verhältnisse zu ihnen dem Auge
vorführt. Und diese Forderungen glaube ich in meinen Memoiren erfüllt
zu haben, sie sind es wenigstens, die mich bei meiner Arbeit leiteten,
die meine Kühnheit vor mir rechtfertigten, vor einem gelehrten Publikum
als Schriftsteller aufzutreten.[1]

    [1] Was der Satan hier ernsthaft und gelehrt spricht! Er
        gebärdet sich beinahe wie ein junger Kandidat der
        Theologie, der seine erste Predigt drucken läßt.

            Anm. d. Herausgebers.

Ueber Persönlichkeit, über berühmte Abstammung oder glänzende
Verhältnisse hat der Teufel nichts zu sagen. Was etwa darüber zu
sagen sein könnte, habe ich in dem Abschnitt »Besuch bei Goethe«
ausgesprochen und verweise daher den Leser dahin.

Fleißige Leser, d. i. solche, die Bogen für Bogen in einer
Viertelstunde durchfliegen, mögen daher doch diesen Abschnitt
nicht überschlagen, da er sehr zu besserem Verständnis der übrigen
eingerichtet ist; sittsamen und ordentlichen Lesern habe ich hierüber
nichts zu sagen als, sie sollen das Buch weglegen, wenn sie sich
langweilen.

Ehe mein Diener mit dem zweiten Bogen aus der Messe zurückkommt, hat
der Unterzeichnete noch Zeit, einige Bemerkungen einzuflicken. Es
scheint mir nämlich, der Satan besitze eine ziemliche Dosis Eitelkeit;
man bemerke nur, wie wichtig er von jenem Abschnitt spricht, worin er
über sich einige Bemerkungen macht; es wäre genug gewesen, wenn er
nur angedeutet hätte, daß dies oder jenes darin zu finden sei, aber
dem Leser zu empfehlen, er möchte doch den Abschnitt, in welchem jene
enthalten sind, nicht überschlagen, ist sehr anmaßend.

Sodann die Unordnung, in welcher er alles vorbringt! Ein anderer, wie
z. B. der Herausgeber, hätte doch, wenn auch nicht mit dem Taufschein,
was nun freilich beim Teufel nicht wohl möglich ist, doch wenigstens
mit der Begebenheit angefangen, die der Chronologie nach die erste ist.
Ich habe das Manuskript flüchtig durchblättert (zu lesen, ehe jeder
Bogen hinlänglich geweiht, nehme ich mich wohl in acht) und fand, daß
er mit Ereignissen anfängt, die der ganz neuen Zeit angehören, und
nachher im bunten Gemische Menschen und ihre Taten von zehn, zwanzig
Jahren auftreten läßt; man sieht wohl, daß er keine gute Schule gehabt
haben muß.

Zu größerer Deutlichkeit, und daß der geneigte Leser trotz dem Teufel
wählen kann, was er will, habe ich den Inhalt von jedem einzelnen
Kapitel vorangesetzt.

            _Der Herausgeber._



Sechstes Kapitel.

Wie der Satan die Universität bezieht, und welche Bekanntschaften er
dort machte.


Deutschland hat mir von jeher besonders wohlgefallen, und ich gestehe
es, es liegt diesem Geständnis ein kleiner Egoismus zu Grunde; man
glaubt nämlich dort an mich wie an das Evangelium; jenen kühnen
philosophischen Waghälsen, die auf die Gefahr hin, daß ich sie zu mir
nehme, meine Existenz geleugnet und mich zu einem lächerlichen Phantom
gemacht haben, ist es noch nicht gelungen, den glücklichen Kindersinn
dieses Volkes zu zerstören, in dessen ungetrübter Phantasie ich noch
immer schwarz wie ein Mohr, mit Hörnern und Klauen, mit Bocksfüßen und
Schweif fortlebe, wie ihre Ahnen mich gekannt haben.

Wenn andere Nationen durch die sogenannte Aufklärung so weit
hinaufgeschraubt sind, daß sie, ich schweige von einem Gott, sogar an
keinen Teufel mehr glauben, so sorgen hier unter diesem Volke sogar
meine Erbfeinde, die Theologen, dafür, daß ich im Ansehen bleibe. Hand
in Hand mit dem Glauben an die Gottheit schreitet bei ihnen der Glaube
an mich, und wie oft habe ich das mir so süße Wort aus ihrem Munde
gehört: »~Anathema sit~, _er glaubt an keinen Teufel_.«

Ich kann mich daher recht ärgern, daß ich nicht schon früher auf
den vernünftigen Gedanken gekommen bin, meine freie Zeit auf einer
Universität zu verleben, um dort zu sehen, wie man mich von Semester zu
Semester systematisch traktiert.

Ich konnte nebenbei noch manches profitieren. Alle Welt ist jetzt
zivilisiert, fein, gesittet, belesen, gelehrt. Schon oft, wenn ich
einen guten Schnitt zu machen gedachte, fand es sich, daß mir ein guter
Schulsack, etwas Philosophie, alte Literatur, ja sogar etwas Medizin
fehle; zwar, als das Magnetisieren aufkam, habe ich auch einen Kursus
bei Mesmer genommen und nachher manche glückliche Kur gemacht. Aber
damit ist es heutzutage nicht getan; daher die elenden Sprichwörter,
die in Deutschland kursieren: _ein dummer Teufel_, _ein armer Teufel_,
_ein unwissender Teufel_, was offenbar auf meine vernachlässigte
wissenschaftliche Bildung hindeuten soll.

Es ist noch kein Gelehrter vom Himmel gefallen, und ich bin vom
Himmel gefallen, aber nicht als gelehrt; darum entschloß ich mich, zu
studieren und womöglich es in der Philosophie so weit zu bringen, daß
ich ein ganz neues System erfände, wovon ich mir keinen geringen Erfolg
versprach. Ich wählte ...en und zog im Herbst des Jahrs 1819 daselbst
auf.

Ich hatte, wie man sich denken kann, nicht versäumt, mich meinem
neuen Stande gemäß zu kostümieren. Mein Name war _von Barbe_, meine
Verhältnisse glänzend, das heißt, ich brachte einen großen Wechsel mit,
hatte viel bar Geld, gute Garderobe und hütete mich wohl, als Neuling
oder, wie man sagt, als Fuchs aufzutreten; sondern ich hatte schon
allenthalben studiert, mich in der Welt umgesehen.

Kein Wunder, daß ich schon den ersten Abend höfliche Gesellschafter,
den nächsten Morgen vertraute Freunde und am zweiten Abend Brüder auf
Leben und Tod am Arm hatte. Man denkt vielleicht, ich übertreibe; wäre
ich Kavalier, so würde ich auf Ehre! versichern und »Hol' mich der
Teufel« als Verstärkungspartikel dazu setzen (denn »Auf Ehre« und »Hol'
mich der Teufel« verhalten sich zu einander, wie der ~Spiritus lenis~
zum ~Spiritus asper~), in meiner Lage kann ich bloß meine Parole als
Satan geben.

Es waren gute Jungen, die ich da fand. Es begab sich dies aber
folgendermaßen: Man kann sich denken, daß ich nicht unvorbereitet kam;
wer die deutschen Universitäten nur entfernt kennt, weiß, daß ein an
Sprache, Sitte, Kleidung und Denkungsart von der übrigen Welt ganz
verschiedenes Volk dort wohnt. Ich las des unsterblichen Herrn von
Schmalz Werke über die Universitäten, Sands Aktenstücke, Haupt über
Burschenschaften und Landsmannschaften etc., ward aber noch nicht recht
klug daraus und merkte, daß mir noch manches abging. Der Zufall half
mir aus der Not. Ich nahm in F. einen Platz in einer Retourchaise; mein
Gesellschafter war ein alter Student, der seit acht Jahren sich auf die
Medizin legte. Er hatte das ~Savoir vivre~ eines alten Burschen, und
ich befliß mich, in den sechs Stunden, die ich mit ihm der Musenstadt
zufuhr, an ihm meine Rolle zu studieren.

Es war ein großer wohlgewachsener Mann von vier- bis fünfundzwanzig
Jahren, sein Haar war dunkel und mochte früher nach heutiger Mode
zugeschnitten sein, hing aber, weil der Studiosus die Kosten scheute,
es scheren zu lassen, unordentlich um den Kopf; doch bemühte er sich,
solches oft mit fünf Fingern aus der Stirne zu frisieren. Sein Gesicht
war schön, besonders Nase und Mund edel und fein geformt, das Auge
hatte viel Ausdruck; aber welch sonderbaren Eindruck machte es; das
Gesicht war von der Sonne rotbraun angelaufen; ein großer Bart wucherte
von den Schläfen bis zum Kinn herab, und um die feinen Lippen hing ein
vom Bier geröteter Henriquatre.

Sein Mienenspiel war schrecklich und lächerlich zugleich, die
Augenbrauen waren zusammengezogen und bildeten düstere Falten; das Auge
blickte streng und stolz um sich her und maß jeden Gegenstand mit einer
Hoheit, einer Würde, die eines Königsohnes würdig gewesen wäre.

Ueber die untern Partien des Gesichtes, namentlich über das Kinn konnte
ich nicht recht klug werden, denn sie staken tief in der Krawatte.
Diesem Kleidungsstück schien der junge Mann bei weitem mehr Sorgfalt
gewidmet zu haben als dem übrigen Anzug; diese beiläufig einen halben
Schuh Höhe messende Binde von schwarzer Seide zog sich, ohne ein
Fältchen zu werfen, von dem Kinn inklusive bis auf das Brustbein
exklusive und bildete auf diese Art ein feines Mauerwerk, auf welchem
der Kopf ruhte; seine Kleidung bestand in einem weißgelben Rock, den
er Flaus, in zärtlichen Augenblicken wohl auch Gottfried nannte, und
welchem er von Speisen und Getränken mitteilte; dieser _Gottfried
Flaus_ reichte bis eine Spanne über das Knie und schloß sich eng um den
ganzen Leib; auf der Brust war er offen und zeigte, soviel die Krawatte
sehen ließ, daß der Herr Studiosus mit Wäsche nicht gut versehen sein
müsse.

Weite, wellenschlagende Beinkleider von schwarzem Samt schlossen sich
an das Oberkleid an; die Stiefel waren zierlich geformt und dienten
ungeheuren Sporen von poliertem Eisen zur Folie.

Auf dem Kopfe hatte der Studiosus ein Stückchen rotes Tuch in Form
eines umgekehrten Blumenscherben gehängt, das er mit vieler Kunst gegen
den Wind zu balancieren wußte; es sah komisch aus, fast, wie wenn man
mit einem kleinen Trinkglas ein großes Kohlhaupt zudecken wollte.

Ich hatte Zachariäs unsterblichen Renommisten zu gut studiert, um
nicht zu wissen, daß, sobald ich mir eine Blöße gegen den Herrn
Bruder gebe, sein Respekt vor mir auf ewig verloren sei; ich merkte
ihm daher seine Augenbrauenfalten, sein ernstes, abmessendes Auge,
soviel es ging, ab und hatte die Freude, daß er mich gleich nach der
ersten Stunde auffallend vor dem »Philister und dem Florbesen«, auf
deutsch einem alten Professor und seiner Tochter, welche unsre übrige
Reisegesellschaft ausmachten, auszeichnete. In der zweiten Stunde
hatte ich ihm schon gestanden, daß ich in Kiel studiert und mich
schon einigemal mit Glück geschlagen habe, und ehe wir nach ...en
einfuhren, hatte er mir versprochen, eine »fixe Kneipe«, das heißt,
eine anständige Wohnung auszumitteln, wie auch mich unter die Leute zu
bringen.

Der Herr Studiosus Würger, so hieß mein Gesellschafter, ließ an einem
Wirtshaus vor der Stadt anhalten und lud mich ein, seinem Beispiele
zu folgen und hier auf die Beschwerden der Reise ein Glas zu trinken.
Die ganze Fensterreihe des Wirtshauses war mit roten und schwarzen
Mützen bedeckt; es war nämlich eine gute Anzahl der Herren Studiosi
hier versammelt, um die neuen Ankömmlinge, die gewöhnlich am Anfang
des Semesters einzutreffen pflegen, nach gewohnter Weise zu empfangen.
Würger, der alte, »längst bemooste« Bursche, hatte sich schon unterwegs
mit dem Gedanken gekitzelt, daß seine Kameraden uns für »Füchse« halten
werden, und wirklich traf seine Vermutung ein.

Ein Chorus von wenigstens dreißig Bässen scholl von den Fenstern herab;
sie sangen ein berühmtes Lied, das anfängt:

    »Was kommt dort von der Höh'?«

Während des Gesanges entstieg mein Gefährte majestätisch der Chaise,
und kaum hatte er den Boden berührt, so erhob er sein furchtbares
Haupt und schrie zu den Fenstern empor: »Was schlagt ihr für einen
Randal auf, Kamele! Seht ihr nicht, daß zwei alte Häuser aus diesem
Philisterkarren gestiegen kommen?« (Auf deutsch: Lärmt doch nicht so
sehr, meine Herren, Sie sehen ja, daß zwei alte Studenten aus dem Wagen
steigen.)

Der allgemeine Jubel unterbrach den erhitzten Redner: »Würger!
Du altes, fideles Haus!« schrien die Musensöhne und stürzten die
Treppen herab in seine Arme; die Raucher vergaßen ihre langen Pfeifen
wegzulegen, die Billardspieler hielten noch ihre Queues in der
Hand. Sie bildeten eine Leibwache von sonderbarer Bewaffnung um den
Angekommenen.

Doch der Edelmütige vergaß in seiner Glorie auch meiner nicht, der
ich bescheiden auf der Seite stand, er stellte mich den ältesten
und angesehensten Männern der Gesellschaft vor, und ich wurde mit
herzlichem Handschlag von ihnen begrüßt. Man führte uns in wildem
Tumult die Treppe hinan, man setzte mich zwischen zwei bemooste Häupter
an den Ehrenplatz, gab mir ein großes Paßglas voll Bier, und ein Fuchs
mußte dem neuen Ankömmling seine Pfeife abtreten.

So war ich denn in ...en als Student eingeführt, und ich gestehe,
es gefiel mir so übel nicht unter diesem Völkchen. Es herrschte ein
offener, zutraulicher Ton, man brauchte sich nicht in den Fesseln der
Konvenienz, die gewiß dem Teufel am lästigsten sind, umherzuschleppen,
man sprach und dachte, wie es einem gerade gefiel. Wenn man bedenkt,
daß ich gerade im Herbst 1819 dorthin kam, so wird man sich nicht
wundern, daß ich mich vom Anfang gar nicht recht in die Konversation
zu finden wußte. Denn einmal machten mir jene Kunstwörter (~Termini
technici~), von welchen ich oben schon eine kleine Probe gegeben habe,
viel zu schaffen; ich verwechselte oft »Sau,« das Glück, mit »Pech«,
das Unglück bedeutet, wie auch »holzen«, mit einem Stock schlagen, mit
»pauken«, mit andern Waffen sich schlagen.

Aber auch etwas anderes fiel mir schwer; wenn nämlich nicht von Hunden,
Paukereien, Besen oder dergleichen gesprochen wurde, so fiel man hinter
dem Bierglas in ungemein transzendentale Untersuchungen, von welchen
ich anfangs wenig oder gar nichts verstand, ich merkte mir aber die
Hauptworte, welche vorkamen, und wenn ich auch in die Konversation
gezogen wurde, so antwortete ich mit ernster Miene: »Freiheit,
Vaterland, Deutschtum, Volkstümlichkeit.«

Da ich nun überdies ein großer Turner war und eigentlich _teufelmäßige_
Sprünge machen konnte, da ich mir sogar nach und nach langes Haar
wachsen ließ, solches fein scheitelte und kämmte und einen zierlich
ausgeschnittenen Kragen über den deutschen Rock herauslegte, mich auch
auf die Klinge nicht übel verstand, so war es kein Wunder, daß ich bald
in großes Ansehen unter diesem Volke kam. Ich benutzte diesen Einfluß
so viel als möglich, um die Leute nach meinen Ansichten zu leiten und
zu erziehen und sie für die Welt zu gewinnen.

Es hatte sich nämlich unter einem großen Teil meiner Kommilitonen ein
gewisser frömmelnder Ton eingeschlichen, der mir nun gar nicht behagte
und nach meiner Meinung sich auch nicht für junge Leute schickte.
Wenn ich an die jungen Herren in London und Paris, in Berlin, Wien,
Frankfurt etc. dachte, an die vergnügten Stunden, die ich in ihrem
Kreise zubrachte; wenn ich diese Leute dagegenhielt, die ihren schönen,
hohen Wuchs, ihre kräftigen Arme, ihren gesunden Verstand, ihre nicht
geringen Kenntnisse nur auf dem Turnplatz, nicht im Tanzsaal, nur zu
überschwenglichen Ideen und Idealen, nicht zu lebhaftem Witz, zu feinem
Spott, der das Leben würzt und aufregt, anwenden sah, wenn ich sie,
statt schönen Mädchen nachzufliegen, in die Kirche schleichen sah,
um einen ihrer orthodoxen Professoren anzuhören, so konnte ich ein
widriges Gefühl in mir nicht unterdrücken.

Sobald ich daher festen Fuß gefaßt hatte, zog ich einige lustige
Brüder an mich, lehrte sie neue Kartenspiele, sang ihnen ergötzliche
Lieder vor, wußte sie durch Witz und dergleichen so zu unterhalten,
daß sich bald mehrere anschlossen. Jetzt machte ich kühnere Angriffe.
Ich stellte mich Sonntags mit meinen Gesellen vor die Kirchtüre,
musterte mit geübtem Auge die vorübergehenden Damen, zog dann, wenn
die Schäflein drin waren und der Küster den Stall zumachte, mit den
Meinigen in ein Wirtshaus der Kirche gegenüber und bot alles auf, die
Gäste besser zu unterhalten als der Doktor N. oder Professor N. in der
Kirche seine Zuhörer.

Ehe drei Wochen vergingen, hatte ich die größere Partie auf meiner
Seite. Die Frömmeren schrieen von Anfang über den rohen Geist, der
einreiße, und gaben zu bemerken, daß wir christliche Bursche seien;
aber es half nichts, meine Persiflagen hatten so gute Wirkung getan,
daß sie sich am Ende selbst schämten, in der Kirche gesehen zu werden,
und es gehörte zum guten Ton, jeden Sonntag vor der Kirchtür zu sein;
aber bis hierher und nicht weiter. Die Wirtshäuser waren gefüllter als
je, es wurde viel getrunken, ja, es riß die Sitte ein, Wettkämpfe im
Trinken zu halten, man wird es kaum glauben, es gab sogar eigentliche
Kunsttrinker!

Es predigte zwar mancher gegen das einreißende Verderben, aber die
Altdeutschen trösteten sich damit, daß ihre »Altvordern« auch durch
Trinken exzelliert haben; die Frömmsten ließen sich große Humpen
verfertigen und zwangen und mühten sich so lange, bis sie wie Götz von
Berlichingen oder gar wie Hermann der Cherusker schlucken konnten. Den
Feineren, Gebildeteren war es natürlich vom Anfang auch ein Greuel,
ich verwies sie aber auf eine Stelle bei Jean Paul. Er sagt nämlich in
seinem unübertrefflichen Quintus Fixlein:

»Jerusalem bemerkt schön, daß die Barbarei, die oft hart hinter dem
schönsten, buntesten Flor der Wissenschaften aufsteigt, eine Art von
stärkendem Schlammbad sei, um die Ueberfeinerung abzuwenden, mit der
jener Flor bedrohe; ich glaube, daß einer, der erwägt, wie weit die
Wissenschaften bei einem Studierenden steigen, dem Musensohne ein
gewisses barbarisches Mittelalter, das sogenannte Burschenleben --
gönnen werde, das ihn wieder so stählt, daß die Verfeinerung nicht
über die Grenze geht.«

Wenn ein Meister wie Jean Paul, dem ich hiermit für diese Stelle meinen
herzlichen Dank öffentlich sage, also sich ausspricht, was konnten
die Kleinmeister und Jünger dagegen? Sie setzten sich auch in die
schwarzgerauchte Kneipe, »verschlammten« sich recht tüchtig in dem
»barbarischen Mittelalter« und hatten kraft ihres inwohnenden Genies
meine älteren Zöglinge bald überholt.



Siebentes Kapitel.

Satan besucht die Kollegien; was er darin lernte.


Indessen ich auf die beschriebene Weise praktisch lebte und leben
machte, vergaß ich auch das ~Dic cur hic~ nicht und legte mich mit
Ernst aufs _Theoretische_. Ich hörte die Philosophen und Theologen und
hospitierte nicht unfleißig bei den Juristen und Medizinern. Ich hatte,
um zuerst über die Philosophen zu reden, von einem der hellsten Lichter
jener Universität, wenn in der Ferne von ihm die Rede war, oft sagen
hören, _der Kerl hat den Teufel im Leib_. Eine solche geheimnisvolle
Tiefe, wollte man behaupten, solche überschwengliche Gedanken, solche
Gedrungenheit des Stils, eine so hinreißende Beredsamkeit sei noch
nicht gefunden worden in Israel. Ich habe ihn gehört und verwahre mich
feierlich vor jenem Urteil, als ob ich in ihm gesessen wäre. Ich habe
schon viel ausgestanden in der Welt, ich bin sogar Ev. Matthäi VIII.
31 und 32 in die Säue gefahren, aber in einen solchen Philosophen? --
Nein, da wollte ich mich doch bedankt haben!

Was der gute Mann in seinem schläfrigen, unangenehmen Ton vorbrachte,
war für seine Zuhörer so gut als Französisch für einen Eskimo. Man
mußte alles gehörig ins Deutsche übersetzen, ehe man darüber ins klare
kam, daß er ebensowenig fliegen könne wie ein anderer Mensch auch.
Er aber machte sich groß, weil er aus seinen Schlüssen sich eine
himmelhohe Jakobsleiter gezimmert und solche mit mystischem Firnis
angepinselt hatte. Auf dieser kletterte er nun zum blauen Aether hinan,
versprach aus seiner Sonnenhöhe herabzurufen, was er geschaut habe, er
stieg und stieg, bis er den Kopf durch die Wolken stieß, blickte hinein
in das reine Blau des Himmels, das sich auf dem grünen Grasboden noch
viel hübscher ausnimmt als oben, und sah, wie Sancho Pansa, als er auf
dem hölzernen Pferd zur Sonne ritt, unter sich die Erde so groß wie ein
Senfkorn und die Menschen wie Mücken, über sich -- nichts.

Sie kommen mir vor, die guten Leute dieser Art, wie die Männer von
Babel, die einen großen Leuchtturm bauen wollten für alles Volk, damit
sich keines verlaufe in der Wüste, und siehe da, der Herr verwirrte
ihre Sprache, daß weder Meister noch Gesellen einander mehr verstanden.

Da lobe ich mir einen andern der dortigen Philosophen; er las über
die Logik und deduzierte jahrein, jahraus, daß zweimal zwei vier sei,
und die Herren Studiosi schrieben ganze Stöße von Heften, daß zweimal
zwei vier sei. Dieser Mann blieb doch ordentlich im Blachfeld und
wanderte seinem Ziele mit größerer Gelassenheit zu als seine illustren
Kollegen, die, wenn ein anderer ihr Gewäsche nicht Evangelium nannte,
Antikritiken und Metakritiken der Antikritiken in alle Welt aussandten.

Ich gestehe redlich, der Teufel amüsiert sich schlecht bei so bewandten
Dingen. Ich schlug den Weg zu einem andern Hörsaal ein, wo man über
die Seele des Menschen dozierte. Gerechter Himmel! Wenn ich so viel
Umstände machen müßte, um eine liederliche Seele in mein Fegfeuer zu
deduzieren! Der Mensch auf dem Katheder malte die Seele auf eine große
schwarze Tafel und sagte: »So ist sie, meine Herren!« Damit war er aber
nicht zufrieden, er behauptete, sie sitze oben in der Zirbeldrüse.

Ich quittierte die Philosophen und besuchte die Theologen. Um meine
Leute näher kennen zu lernen, beschloß ich, an einem Sonntag nach der
Kirche einem oder dem andern meine Visite abzustatten. Ich zog mich
ganz schwarz an, daß ich ein ziemlich theologisches Air hatte, und
trat meinen Marsch an. Man hatte mir vorhergesagt, ich sollte keinen
zu voreiligen Schluß auf den reinen und frommen Charakter dieser
Männer machen, sie seien etwas nach dem alttestamentarischen Kostüm,
vernachlässigen äußere Bildung und fallen dadurch leicht ins Linkische.

Mein Herz mit Geduld gewaffnet, trat in das Zimmer des ersten
Theologen. Aus einer bläulichen Rauchwolke erhob sich ein dicker
ältlicher Mann in einem großgeblümten Schlafrock, eine ganz schwarze
Meerschaumpfeife in der Hand. Er machte einen kurzen Knicks mit dem
Kopf und sah mich dann ungeduldig und fragend an. Ich setzte ihm
auseinander, wie mich die Philosophie gar nicht befriedigte, und
daß ich gesonnen sei, einige theologische Kollegien zu besuchen.
Er murmelte einige unverständliche, aber, wie es schien, gelehrte
Bemerkungen, verzog beifällig lächelnd den Mund und schritt im Zimmer
auf und ab.

Ich setzte die Einladung, ihn auf seinem Spaziergang zu begleiten,
voraus und schritt in ebenso gravitätischen Schritten neben ihm
her, indem ich aufmerksam lauschte, was sein gelehrter Mund weiter
vorbringen werde. Vergebens! Er grinste hie und da noch etwas weniges,
sprach aber kein Wort weiter, wenigstens verstand ich nichts als die
Worte: »Pfeife rauchen?« ich merkte, daß er mir höflich eine Pfeife
anbiete, konnte aber keinen Gebrauch davon machen, denn er rauchte
wahrhaftig eine gar zu schlechte Nummer.

Ich habe mir schon lange abgewöhnt, über irgend etwas in Verlegenheit
zu geraten, sonst hätte dieses absurde Schweigen des Professors mich
gänzlich außer Fassung gebracht. So aber ging ich gemächlich neben
ihm her, kehrte um, wenn er umkehrte, und zählte die Schritte, die
sein Zimmer in der Länge maß. Nachdem ich das alte Ameublement, die
verschiedenen Kleider und Wäschrudera, die auf den Stühlen umherlagen,
das wunderliche Chaos seines Arbeitstisches gemustert hatte, wagte
ich meine prüfenden Blicke an den Professor selbst. Sein Aussehen war
höchst sonderbar. Die Haare hingen ihm dünn und lang um die Glatze,
die gestrickte Schlafmütze hielt er unter dem Arm. Der Schlafrock
war an dem Ellbogen zerrissen und hatte verschiedene Löcher, die
durch Unvorsichtigkeit hineingebrannt schienen. Das eine Bein war mit
einem schwarzseidenen Strumpf, und der Fuß mit einem Schnallenschuh
bekleidet, der andere stak in einem weiten abgelaufenen Filzpantoffel,
und um das halbentblößte Bein hing ein gelblicher Socken. Ehe ich
noch während des unbegreiflichen Stillschweigens des Theologen meine
Bemerkungen weiter fortsetzen konnte, wurde die Türe aufgerissen, eine
große, dürre Frau, mit der Röte des Zorns auf den schmalen Wangen,
stürzte herein.

»Nein, das ist doch zu arg, Blasius!« schrie sie, »der Küster ist da
und sucht dich zum Abendmahl. Der Dekan steht schon vor dem Altar, und
du steckst noch im Schlafrock!«

»Weiß Gott, meine Liebe,« antwortete der Doktor gelassen, »das habe ich
häßlich vergessen! Doch sieh, einen Fuß hatte ich schon zum Dienste
des Herrn gerüstet, als mir ein Gedanke einfiel, der den Doktor Paulus
weidlich schlagen muß.«

Ohne darauf zu achten, daß er sich beinahe der letzten Hülle beraube,
wollte er eilfertig den Schlafrock herunterreißen, um auch sein übriges
Kadaver zum Dienst des Herrn zu schmücken. Sein Eheweib aber stellte
sich mit einer schnellen Wendung vor ihn hin und zog die weiten Falten
ihrer Kleider auseinander, daß vom Professor nichts mehr sichtbar war.

»Sie verzeihen, Herr Kandidat,« sprach sie, ihre Wut kaum
unterdrückend. »Er ist so im Amtseifer, daß Sie ihn entschuldigen
werden. Schenken Sie uns ein andermal das Vergnügen. Er muß jetzt in
die Kirche.«

Ich ging schweigend nach meinem Hut und ließ den Ehezärter unter den
Händen seiner liebenswürdigen Xanthippe. »Ein schöner Anfang in der
Theologie!« dachte ich, und die Lust, die übrigen geistlichen Männer
zu besuchen, war mir gänzlich vergangen. Doch beschloß ich, einige
Vorlesungen mit anzuhören, was ich auch den Tag nachher ausführte.

Man denke sich einen weiten, niedrigen Saal, vollgepfropft mit jungen
Leuten in den abenteuerlichsten Gestalten. Mützen von allen Farben und
Formen, lange herabwallende, kurze emporsteigende Haare, Bärte, an
welchen sich ein Sappeur der alten Garde nicht hätte schämen dürfen,
und kleine, zierliche Stutzbärtchen, galante Fräcke und hohe Krawatten,
neben deutschen Röcken und ellenbreiten Hemdkragen. So saßen die jungen
geistlichen Herren im Kollegium. Vor sich hatte jeder eine Mappe, einen
Stoß Papier, Tinte und Feder, um die Worte der Weisheit gleich ~ad
notam~ zu nehmen. »O Platon und Sokrates!« dachte ich, »hätten eure
Studiosen und Akademiker nachgeschrieben, wie manches Wort tiefer,
heiliger Weisheit wäre nicht umsonst verrauscht; wie majestätisch
müßten sich die Folianten von ~Socratis opera~ in mancher Bibliothek
ausnehmen!«

Jetzt wurden alle Häupter entblößt. Eine kurze, dicke Gestalt drängte
sich durch die Reihen der jungen Herren dem Katheder zu, es war der
Doktor Schnatterer, den ich gestern besucht hatte. Mit Wonnegefühl
schien er die Versammlung zu überschauen, hustete dann etwas weniges
und begann:

»Hochachtbare, Hochansehnliche!« (Damit meinte er die, welche sechs
Taler Honorar zahlten.)

»Wertgeschätzte!« (Die, welche das gewöhnliche Honorar zahlten.

»Meine Herren!« (Das waren die, welche nur die Hälfte oder aus Armut
gar nichts entrichteten.) Und nun hob er seinen Sermon an, die Federn
rasselten, das Papier knirschte, er aber schaute herab wie der Mond aus
Regenwolken.

Ich hätte zu keiner gelegeneren Zeit diese Vorlesungen besuchen können,
denn der Doktor behandelte gerade den Abschnitt ~De angelis malis~,
worin ich vorzüglich traktiert zu werden hoffen durfte. Wahrhaftig,
er ließ mich nicht lange warten. »Der Teufel,« sagte er, »überredete
die ersten Menschen zur Sünde und ist noch immer gegen das ganze
Menschengeschlecht feindlich gesinnt.« Nach diesem Satz hoffte ich
nun eine philosophische Würdigung dieses Teufelsglaubens zu hören;
aber weit gefehlt. Er blieb bei dem ersten Wort _Teufel_ stehen,
und daß mich die Juden Beelzebub geheißen hätten. Mit einem Aufwand
von Gelehrsamkeit, wie ich sie hinter dem armen Schlafrock nicht
gesucht hätte, warf er nun das Wort Beelzebub drei Viertelstunden
lang hin und her. Er behauptete, die einen erklären, es bedeute einen
Fliegenmeister, der die Mücken aus dem Lande treiben solle, andere
nehmen das Sephuph nicht von den Mücken, sondern als _Anklage_, wie die
Chaldäer und Syrier. Andere erklären Sephuph als Grab, ~Sepulcrum~.
Die Federn schwirrten und flogen: so tiefe Gelehrsamkeit hört man
nicht alle Tage. Zu jenen paar Erklärungen hatte er aber volle drei
Viertelstunden verwendet, denn die Zitate aus heiligen und profanen
Skribenten nahmen kein Ende. Von Anfang hatte es mir vielen Spaß
gemacht, die Dogmatik auf solche Weise getrieben und namentlich den
Satan so gründlich anatomiert zu sehen. Aber endlich machte es mir
doch Langeweile, und ich wollte schon meinen Platz verlassen, um dem
unendlichen Gewäsch zu entfliehen, da ruhte der Doktor einen Augenblick
aus, die Sacktücher wurden gebraucht, die Füße wurden in eine andere
Lage gebracht, die Federn ausgespritzt und neu beschnitten -- alles
deutete darauf hin, daß jetzt ein Hauptschlag geschehen werde.

Und es war so. Der große Theologe, nachdem er die Meinungen anderer
aufgeführt und gehörig gewürdigt hatte, begann jetzt mit Salbung und
Würde seine eigene Meinung zu entwickeln.

Er sagte, daß alle diese Erklärungen nichts taugen, indem sie keinen
passenden Sinn geben. Er wisse eine ganz andere und glaube sich in
diesem Stück noch über Michaelis und Döderlein stellen zu dürfen. Er
lese nämlich Saephael, und das bedeute Kot, Mist und dergleichen.
Der Teufel oder Beelzebub wäre also hier der _Herr im Dreck_, _der
Unreinliche_, το πνευμα ακαθαρτον, der _Stinker_ genannt, wie denn
auch im Volksglauben mit den Erscheinungen des Satans ein gewisser
unanständiger Geruch verbunden sei.

Ich traute meinen Ohren kaum. Eine solche Sottise war mir noch nie
vorgekommen. Ich war im Begriff, den orthodoxen Exegeten mit dem
nämlichen Mittel zu bedienen, das einst Doktor Luther, welcher gar
keinen Spaß verstand, an mir probierte, ihm nämlich das nächste beste
Tintenfaß an den Kopf zu werfen; aber es fiel mir bei, wie ich mich
noch besser an ihm rächen könnte, ich bezähmte meinen Zorn und schob
meine Rache auf.

Der Doktor aber schlug im Bewußtsein seiner Würde das Heft zu, stand
auf, bückte sich nach allen Seiten und schritt nach der Türe. Die tiefe
Stille, welche im Saal geherrscht hatte, löste sich in ein dumpfes
Gemurmel des Beifalls auf.

»Welch ein gelehrter Mann, welch tiefer Denker, welche Fülle der
tiefsten Gelehrsamkeit!« murmelten die Schüler des großen Exegeten.
Emsig verglichen sie untereinander ihre Hefte, ob ihnen auch
kein Wörtchen von seinen schlagenden Beweisen, von seinen kühnen
Behauptungen entgangen sei. Und wie glücklich waren sie, wenn auch
kein Jota fehlte, wenn sie hoffen durften, ein dickes, reinliches,
vollständiges Heft zu bekommen.

Sobald sie aber die teuren Blätter in den Mappen hatten, waren sie die
alten wieder. Man stopfte sich die ellenlangen Pfeifen, man setzte die
Mütze kühn auf das Ohr, zog singend oder den großen Hunden pfeifend ab,
und wer hätte den Jünglingen, die im Sturmschritt dem nächsten Bierhaus
zuzogen, angesehen, daß sie die Stammhalter der Orthodoxie seien und
~recta via~ von der kühnsten Konjektur des großen Dogmatikers herkommen?

So schloß sich mein erster theologischer Unterricht, ich war, wenn
nicht an Weisheit und Einsicht, doch um einen Begriff meiner selbst, an
den ich nie gedacht hätte, reicher geworden.

Ich schwur mir selbst mit den heiligsten Schwüren, keinen Theologen
dieser finstern Schule mehr zu hören. Denn, wenn der Oberste unter
ihnen solche krasse Begriffe zu Markt brachte, was durfte ich von den
übrigen hoffen? Aber der orthodoxen Saephael-, oder Dr--ck-Seele hatte
ich Rache geschworen, und ich war Manns genug dazu, um sie auszuführen.



Achtes Kapitel.

Der Satan bekommt Händel und schlägt sich. Folgen davon.


Indessen ereignete sich etwas anderes, das ich hier nicht übergehen
darf, weil es als ein Kommentar zu den Sitten des wunderlichen Volkes,
unter welchem ich lebte, dienen kann. Ich hatte schon seit einiger Zeit
fleißig die Anatomie besucht, um auch die Aerzte kennen zu lernen. Da
geschah es eines Tages, daß ich mit mehreren Freunden um einen Kadaver
beschäftigt war, indem ich ihnen durch Zergliederung der Organe des
Hirns, des Herzens etc. die Nichtigkeit des Glaubens an Unsterblichkeit
darzutun suchte.

Auf einmal hörte ich hinter mir eine Stimme: »Pfui Teufel! wie riecht's
hier!«

Ich wandte mich rasch um und erblickte einen jungen Theologen, der
mich schon in jener dogmatischen Vorlesung durch den Eifer und das
Wohlbehagen, mit welchem er die unsinnige Konjektur des Professors
niederschrieb, gegen sich aufgebracht hatte. Als ich nun diese
Aeußerung: »Pfui Teufel, wie riecht's hier!« die ich in jenem
Augenblick aus des Theologen Munde nur auf mich, als den »Herrn im
Kot« bezog, hörte, sagte ich ihm ziemlich stark, daß ich mir solche
Gemeinheiten und Unzüglichkeiten verbitte.

Nach dem uralten heiligen Gesetzbuche der Burschen, das man Komment
heißt, war dies eine Beschimpfung, die nur mit Blut abgewaschen werden
konnte. Der Theologe, ein tüchtiger Raufer, ließ mich daher am andern
Tage sogleich fordern. Ein solcher Spaß war mir erwünscht, denn wer
sein Ansehen unter seinen Kommilitonen behaupten wollte, mußte sich
damals geschlagen haben, obgleich das Duell an sich von meinen Freunden
als etwas Unvernünftiges, Unnatürliches angesehen wurde. Ich hatte
meinen Gegner bestimmen lassen, die Sache in einem Vergnügungsort, eine
Stunde vor der Stadt, auszumachen, und beide Partien erschienen zur
bestimmten Zeit an Ort und Stelle.

Feierlich wurde jeder einzelne in ein Zimmer geführt, der Oberrock ihm
ausgezogen und der »Paukwichs,« das heißt, die Rüstung, in welcher das
Duell vor sich gehen sollte, angelegt. Diese Rüstung oder der Paukwichs
bestand in einem Hut mit breiter Krempe, die dem Gesicht hinlänglichen
Schutz verlieh, einer ungeheuern, fußbreiten Binde, die über den Bauch
geschnallt wurde. Sie war von Leder, gepolstert und mit der Farbe der
Verbindung, zu welcher man gehörte, ausgeschmückt. Eine ungeheure
Krawatte, wogegen Herrn Studiosus Würgers ein Groschenstrick war, stand
steif um die Gegend des Halses und schützte Kinn, Kehle, einen Teil der
Schultern und den obern Teil der Brust. Den Arm, vom Ellbogen bis zur
Hand, bedeckte ein aus alten seidenen Strümpfen verfertigtes Rüstzeug,
Handschuh genannt. Ich gestehe, die Figur, in diese sonderbare
Rüstung gepreßt, nahm sich komisch genug aus. Doch gewährte sie große
Sicherheit, denn nur ein Teil des Gesichtes, der Oberarm und ein
Teil der Brust war für die Klinge des Gegners zugänglich. Ich konnte
mich daher des Lachens nicht enthalten, wenn ich im Spiegel meinen
sonderbaren Habit betrachtete. »Der Satan in einem solchen Aufzuge
und im Begriff, sich wegen des schlechten Geruchs auf der Anatomie zu
schlagen!«

Meine Genossen aber nahmen dieses Lachen für einen Ausbruch der
Kühnheit und des Muts, gedachten, es sei jetzt der rechte Augenblick
gekommen, und führten mich in einen großen Saal, wo man mit Kreide die
gegenseitige feindliche Stellung auf dem Boden markiert hatte. Ein
Fuchs rechnete es sich zur hohen Ehre, mir den »Schläger« vorantragen
zu dürfen, wie man den alten Kaisern Schwert und Zepter vorantrug.
Jener war eine aus poliertem Stahl schön gearbeitete Waffe mit großem,
schützendem Korb, und scharf geschliffen wie ein Schermesser.

Wir standen endlich einander gegenüber. Der Theologe machte ein
grimmiges Gesicht und blickte mit einem Hohn auf mich, der mich nur
noch mehr in dem Vorsatz bestärkte, ihn tüchtig zu zeichnen.

Wir legten uns nach alter Fechterweise aus, die Klingen waren gebunden,
die Sekundanten schrieen: »Los!« und unsere Schläger schwirrten in der
Luft und fielen rasselnd auf die Körbe. Ich verhielt mich meistens
parierend gegen die wirklich schönen und mit großer Kunst ausgeführten
Angriffe des Gegners. Denn mein Ruhm war größer, wenn ich mich von
Anfang nur verteidigte und erst im vierten, fünften Gang ihm eine
Schlappe gab.

Allgemeine Bewunderung folgte jedem Gang. Man hatte noch nie so kühn
und schnell angreifen, noch nie mit so vieler Ruhe und Kaltblütigkeit
sich verteidigen sehen. Meine Fechtkunst wurde von den ältesten
»Häusern« bis in den Himmel erhoben, und man war nun gespannt und
begierig, bis ich selbst angreifen würde. Doch wagte es keiner, mich
dazu aufzumuntern.

Vier Gänge waren vorüber, ohne daß irgendwo ein Hieb blutig gewesen
wäre. Ehe ich zum fünften aufmarschierte, zeigte ich meinen Kameraden
die Stelle auf der rechten Wange, wohin ich meinen Theologen treffen
wolle. Dieser mochte es mir ansehen, daß ich jetzt selbst angreifen
werde, er legte sich so gedeckt als möglich aus und hütete sich, selbst
einen Angriff zu machen. Ich begann mit einer herrlichen Finte, der
ein allgemeines Ah! folgte, schlug dann einige regelmäßige Hiebe, und
klapp! saß ihm mein Schläger in der Wange.

Der gute Theologe wußte nicht, wie ihm geschah, mein Sekundant und
Zeuge sprangen mit einem Zollstab hinzu, maßen die Wunde und sagten mit
feierlicher Stimme: »_Es ist mehr als ein Zoll, klafft und blutet, also
Ansch--ß_«. Das hieß so viel als: weil ich dem guten Jungen ein Zoll
langes Loch ins Fleisch gemacht hatte, war seiner Ehre genug geschehen

Jetzt stürzten meine Freunde herzu, die ältesten faßten meine Hände,
die jüngeren betrachteten ehrfurchtsvoll die Waffe, mit welcher die
in der Geschichte einzige und unerhörte Tat geschehen war. Denn wer,
seit des großen Renommisten Zeiten durfte sich rühmen, vorher die
Stelle, die er treffen wollte, angezeigt und mit so vieler Genauigkeit
getroffen zu haben?

Ernsten Blickes trat der Sekundant meines Gegners herein und bot mir in
dessen Namen Versöhnung an. Ich ging zu dem Verwundeten, dem man gerade
mit Nadel und Faden seine Wunde zunähte, und versöhnte mich mit ihm.

»Ich bin Ihnen Dank schuldig,« sagte er zu mir, »daß Sie mich so
gezeichnet haben. Ich wurde, ganz gegen meinen Willen, gezwungen,
Theologie zu studieren. Mein Vater ist Landpfarrer, meine Mutter eine
fromme Frau, die ihren Sohn gerne einmal im Chorrock sehen möchte.
_Sie_ haben mit _einemmal_ entschieden, denn mit einer Schmarre vom Ohr
bis zum Mund darf ich keine Kanzel mehr besteigen.«

Die Burschen sahen teilnehmend auf den wackern Theologen, der wohl
mit geheimer Wehmut an den Schmerz des alten Pastors, an den Jammer
der frommen Mama denken mochte, wenn die Nachricht von diesem Unfall
anlangte. Ich aber hielt es für das größte Glück des Jünglings, durch
eine so kurze Operation der Welt wiedergeschenkt zu sein. Ich fragte
ihn, was er jetzt anzufangen gedenke, und er gestand offen, daß der
Stand eines Kavalleristen oder eines Schauspielers ihn von jeher am
meisten angezogen hätte.

Ich hätte ihm um den Hals fallen mögen für diesen vernünftigen
Gedanken, denn gerade unter diesen beiden Ständen zähle ich die meisten
Freunde und Anhänger. Ich riet ihm daher aufs ernstlichste, dem Trieb
der Natur zu folgen, indem ich ihm die besten Empfehlungsbriefe an
bedeutende Generale und an die vorzüglichsten Bühnen versprach.

Dem ganzen Personale aber, das dem merkwürdigen Duell angewohnt hatte,
gab ich einen trefflichen Schmaus, wobei auch mein Gegner und seine
Gesellen nicht vergessen wurden. Dem ehemaligen Theologen zahlte ich
nachher in der Stille seine Schulden und versah ihn, als er genesen
war, mit Geld und Briefen, die ihm eine fröhliche, glänzende Laufbahn
eröffneten.

Meine geheime Wohltätigkeit war so wenig, als der glänzende Ausgang
meiner Affäre ein Geheimnis geblieben. Man sah mich von jetzt wie ein
höheres Wesen an, und ich kannte manche junge Dame, die sogar über
meine großmütigen Sentiments Tränen vergoß.

Die Mediziner aber ließen mir durch eine Deputation einen prachtvollen
Schläger überreichen, weil ich mich, wie sie sich ausdrückten: _für den
guten Geruch ihrer Anatomie geschlagen habe_.

Die Welt bleibt unter allen Gestalten die nämliche, die sie von Anfang
war. Dem Bösen, selbst dem Unvernünftigen huldigt sie gerne, wenn es
sich nur in einem glänzenden Gewande zeigt; die gute, ehrliche Tugend
mit ihren rauhen Manieren und ihrem ungeschliffenen, rohen Aussehen
wird höchstens Achtung, niemals Beifall erlangen.



Neuntes Kapitel.

Satans Rache an Doktor Schnatterer.


Als ich sah, wie weit die Philosophie und Theologie in ...en hinter
meinen Vorstellungen, die ich mir zuvor gemacht hatte, zurückbleibe,
legte ich mich mit Eifer auf Aesthetik, Rhetorik, namentlich aber auf
die schöne Literatur. Man wende mir nicht ein, ich habe auf diese Art
meine Zeit unnütz angewendet. Ich besuchte ja jene berühmte Schule
nicht, um ein Brotstudium zu treiben, das einmal einen Mann mit Weib
und Kind ernähren könnte, sondern das ~Dic cur hic~, das ich recht oft
in meine Seele zurückrief, sagte mir immer, ich solle suchen, von
jeder Wissenschaft einen kleinen Hieb zu bekommen, mich aber so sehr
als möglich in jenen Künsten zu vervollkommnen, die heutzutage einem
Mann von Bildung unentbehrlich sind.

Bei Gelegenheit, eine Stelle aus einem Dichter zu zitieren, über
die Schönheit eines Gemäldes kunstgerecht mitzusprechen, eine
Statue nach allen Regeln für erbärmlich zu erklären, für die Männer
einige theologische Literatur, einige juridische Phrasen, einige
neue medizinische Entdeckungen, einige exorbitante philosophische
Behauptungen ~in petto~ zu haben, hielt ich für unumgänglich notwendig,
um mich mit Anstand in der modernen Welt bewegen zu können, und ohne
mir selbst ein Kompliment machen zu wollen, darf ich sagen, ich habe in
den paar Monaten in ...en hinlänglich gelernt.

Ich habe mir nach dem Beispiel meiner großen Vorbilder im
Memoirenschreiben vorgenommen, auch die geringfügigsten Ereignisse
aufzuführen, wenn sie lehrreich oder merkwürdig sind, wenn sie Stoff
zum Nachdenken oder zum Lachen enthalten. Ich darf daher nicht
versäumen, meine Rache am Doktor Schnatterer zu erzählen.

Besagter Doktor hatte die löbliche Gewohnheit, Sonntag nachmittags mit
mehreren andern Professoren in ein Wirtshaus, ein halbes Stündchen
vor der Stadt, zu spazieren. Dort pflegte man, um die steifgesessenen
Glieder wieder auszurenken, Kegel zu schieben und allerlei sonstige
Kurzweil zu treiben, wie es sich für ehrbare Männer geziemt; man
spielte wohl auch bei Türen ein Whistchen oder Pikett und trank
manchmal ein Gläschen über Durst, was wenigstens die böse Welt daraus
ersehen wollte, daß sich die Herren abends in der Chaise des Wirts zur
Stadt bringen ließen.

Der ehrwürdige Theologe aber pflegte immer lange vor Sonnenuntergang
heimzukehren, man sagt, weil die Frau Doktorin ihm keine längere Frist
erlaubt hatte: er ging dann bedächtlichen Schrittes seinen Weg, vermied
aber die breite Chaussee und schlug den Wiesenpfad ein, der dreißig
Schritte seitwärts neben jener hinlief; der Grund war, weil der breite
Weg am schönen Sonntag abend mit Fußgängern besäet war, der Doktor aber
die höhere Röte seines Gesichtes und den etwas unsicheren Gang nicht
den Augen der Welt zeigen wollte.

So erklärten sich die Bösen den einsamen Gang Schnatterers; die Frommen
aber blieben stehen, schauten ihm nach und sprachen: »Siehe, er geht
nicht auf dem breiten Weg der Gottlosen, der fromme Herr Doktor,
sondern den schmalen Pfad, welcher zum Leben führt.«

Auf diese Gewohnheit des Doktors hatte ich meinen Racheplan gebaut.
Ich paßte ihm an einem schönen Sonntag abend, der alle Welt ins Freie
gelockt hatte, auf, und er trat noch bei guter Tageszeit aus dem
Wirtshaus. Mit demütigem Bückling nahte ich mich ihm und fragte, ob ich
ihn auf seinem Heimweg begleiten dürfe, der Abend scheine mir in seiner
gelehrten Nähe noch einmal so schön.

Der Herr Doktor schien einen kordialen Hieb zu haben; er legte
zutraulich meinen Arm in den seinigen und begann mit mir über die
Tiefen der Wissenschaften zu perorieren. Aber ich schlug sein Auge mit
Blindheit, und indem ich als ehrbarer Studiosus neben ihm zu gehen
schien, verwandelte ich meine Gestalt und erschien den verwunderten
Blicken der Spaziergänger als die schöne Luisel, die berüchtigste
Dirne der Stadt. -- Ach! daß Hogarth an jenem Abend unter den
spazierengehenden Christen auf dem breiten Wege gewandelt wäre! Welch
herrliche Originale für frommen Unwillen, starres Erstaunen, hämische
Schadenfreude hätte er in sein Skizzenbuch niederlegen können!

Die Vordersten blieben stehen, als sie das seltsame Paar auf dem
Wiesenpfad wandeln sahen, sie kehrten um, uns zu folgen, und rissen
die Nachkommenden mit. Wie ein ungeheurer Strom wälzte sich uns die
erstaunte Menge nach, wie ein Lauffeuer flog das unglaubliche Gerücht:
»Der Doktor Schnatterer mit der schönen Luisel!« von Mund zu Mund der
Stadt zu.

»Wehe dem, durch den Aergernis kommt!« riefen die Frommen. »Hat man
_das_ je erlebt von einem christlichen Prediger?«

»Ei, ei, wer hätte das hinter dem Ehrsamen gesucht?« sprachen mit
Achselzucken die Halbfrommen. »Wenn der Skandal nur nicht auf
öffentlicher Promenade --!«

»Der Herr Doktor machen sich's bequem!« lachten die Weltkinder, »er
predigt gegen das Unrecht und geht mit der Sünde spazieren.«

So hallte es vom Felde bis in die Stadt, Bürger und Studenten, Mägde
und Straßenjungen erzählten es in Kneipen, am Brunnen und an allen
Ecken; und »Doktor Schnatterer« und »Schön Luisel« war das Feldgeschrei
und die Parole für diesen Abend und manchen folgenden Tag.

An einer Krümmung des Weges machte ich mich unbemerkt aus dem
Staube und schloß mich als Studiosus meinen Kameraden an, die mir
die Neuigkeit ganz warm auftischten. Der gute Doktor aber zog ruhig
seines Weges, bemerkte, in seine tiefen Meditationen versenkt, nicht
das Drängen der Menge, die sich um seinen Anblick schlug, nicht das
wiehernde Gelächter, das seinen Schritten folgte. Es war zu erwarten,
daß einige fromme Weiber seiner zärtlichen Ehehälfte die Geschichte
beigebracht hatten, ehe noch der Theologe an der Hausglocke zog;
denn auf der Straße hörte man deutlich die fürchterliche Stimme des
Gerichtsengels, der ihn in Empfang nahm, und das Klatschen, welches man
hie und da vernahm, war viel zu volltönend, als daß man hätte denken
können, die Frau Doktorin habe die Wangen ihres Gemahls mit dem _Munde_
berührt.

Wie ich mir aber dachte, so geschah es. Nach einer halben Stunde
schickte die Frau Doktorin zu mir und ließ mich holen. Ich traf den
Doktor mit hoch aufgelaufenen Wangen, niedergeschlagen in einem
Lehnstuhl sitzend. Die Frau schritt auf mich zu und schrie, indem sie
die Augen auf den Doktor hinüberblitzen ließ: »Dieser Mensch dort
behauptet, heute abend mit Ihnen vom Wirtshaus hereingegangen zu sein:
sagen Sie, ob es wahr ist, sagen Sie!«

Ich bückte mich geziemend und versicherte, daß ich mir habe nie träumen
lassen, die Ehre zu genießen; ich sei den ganzen Abend zu Haus gewesen.

Wie vom Donner gerührt, sprang der Doktor auf, der Schrecken schien
seine Zunge gelähmt zu haben: »Zu Haus gewesen?« lallte er. »Nicht mit
mir gegangen? O, mit wem soll ich denn gegangen sein als mit Ihnen,
Wertester?«

»Was weiß ich, mit wem der Herr Doktor gegangen sind?« gab ich lächelnd
zur Antwort. »Mit mir auf keinen Fall!«

»Ach, Sie sind nur zu nobel, Herr Studiosus,« heulte die wütende Frau,
»was sollten Sie nicht wissen, was die ganze Stadt weiß; der alte
Sünder, der Schandmensch! Man weiß seine Schliche wohl; mit der schönen
Luisel hat er scharmutziert!«

»Das hat mir der böse Feind angetan,« raste der Doktor und rannte im
Zimmer umher; »der Böse, der Beelzebub, nach meiner Konjektur der
Stinker.«

»Der Rausch hat dir's angetan, du Lump,« schrie die Zärtliche, riß
ihren breitgetretenen Pantoffel ab und rannte ihm nach; ich aber
schlich mich die Treppe hinab und zum Haus hinaus und dachte bei mir:
»Dem Doktor ist ganz recht geschehen; man soll den Teufel nicht an die
Wand malen, sonst kommt er.«

Der Doktor Schnatterer wurde von da an in seinen Kollegien ausgepocht
und konnte selbst mit den kühnsten Konjekturen den Eifer nicht mehr
erwecken, der vor seiner Fatalität unter der studierenden Jugend
geherrscht hatte. Die Kollegiengelder erreichten nicht mehr jene Summe,
welche die Frau Professorin als allgemeinen Maßstab angenommen hatte,
und der Professor lebte daher in ewigem Hader mit der Unversöhnlichen.
Diesem hatte, so zu sagen, _der Teufel ein Ei in die Wirtschaft gelegt_.



Zehntes Kapitel.

Satan wird wegen Umtrieben eingezogen und verhört; er verläßt die
Universität.


Um diese Zeit hörte man in Deutschland viel von Demagogen, Umtrieben,
Verhaftungen und Untersuchungen. Man lachte darüber, weil es schien,
man betrachte alles durch das Vergrößerungsglas, welches Angst und
böses Gewissen vorhielten. Uebrigens mochte es an manchen Orten doch
nicht ganz geheuer gewesen sein; selbst in dem sonst so ruhigen ...en
spukte es in manchen Köpfen seltsam.

Ich will einen kurzen Umriß von dem Stand der Dinge geben. Wenn
man unbefangen unter den Burschen umherwandelte und ihren Gelagen
beiwohnte, so drängte sich von selbst die Bemerkung auf, daß viele
unter ihnen von etwas anderem angeregt seien, als gerade von dem
nächsten Zweck ihres Brotstudiums; wie einige großes Interesse daran
fanden, sich morgens mit ihren Gläubigern und deren Noten (Philister
mit Pumpregistern) herumzuzanken, nachher den Hund zu baden und ihn
schöne Künste zu lehren, sodann Fensterparade vor ihren Schönen zu
machen usw., so hatten sich andere, und zwar kein geringerer Teil, auf
Idealeres geworfen. Ich hatte zwar dadurch, daß ich sie zum Studium
des Trinkens anhielt, dafür gesorgt, daß die Herren sich nicht gar
zu sehr der Welt entziehen möchten; aber es blieb doch immer ein
geheimnisvolles Walten, aus welchem ich nicht recht klug werden konnte.

Besonders aber äußerte sich dies, wenn die Köpfe erleuchtet waren; da
sprach man viel von Volksbildung, von frommer deutscher Art, manche
sprudelten auch über und schrieen von der Not des Vaterlandes, von --.
Doch das ist jetzt gleichgültig, von was gesprochen wurde, es genügt
zu sagen, daß es schien, als hätte _eine_ große Idee viele Herzen
ergriffen, sie zu _einem_ Streben vereinigt. Mir behagte die Sache
an sich nicht übel; sollte es auf etwas Unruhiges ausgehen, so war
ich gleich dabei, denn Revolutionen waren von jeher mein Element; nur
sollte nach meiner Meinung das Ganze einen eleganteren, leichteren
Anstrich haben.

Es gab zwar Leute unter ihnen, die mit der Gewandtheit eines
Staatsmannes die Menge zu leiten wußten, die sich eine Eleganz des
Stils, eine Leichtigkeit des Umgangs angeeignet hatten, wie sie in den
diplomatischen Salons mit Mühe erlernt und kaum mit so viel Anstand
ausgeführt wird; aber die meisten waren in ein phantastisches Dunkel
geraten, munkelten viel von dem Dreiklang in der Einheit, von der
Idee, die ihnen aufgegangen sei, und hatten Vergangenheit und Zukunft,
Mittelalter und das Chaos der jetzigen Zeit so ineinander geknetet, daß
kein Theseus sich aus diesen Labyrinthen herausgefunden hätte.

Ich merkte oft, daß einer oder der andere der Koryphäen in einer
traulichen Stunde mir gerne etwas anvertraut hätte; ich zeigte
Verstand, Weltbildung, Geld und große Konnexionen, Eigenschaften,
die nicht zu verachten sind, und die man immer ins Mittel zu ziehen
sucht. Aber immer, wenn sie im Begriff waren, die dunkle Pforte des
Geheimnisses vor meinen Augen aufzuschließen, schien sie, ich weiß
nicht was, zurückzuhalten; sie behaupteten, ich habe kein Gemüt, denn
dieses edle Seelenvermögen schienen sie als Probierstein zu gebrauchen.

Mochte ich aber aussehen wie ein verkappter Jakobiner, mochte ich durch
meinen Einfluß auf die Menge Verdacht erregt haben? Eines Morgens trat
der Pedell mit einigen Schnurren in mein Zimmer und nahm mich im Namen
Seiner Magnifizenz gefangen. Der Universitätssekretär folgte, um meine
Papiere zu ordnen und zu versiegeln, und gab mir zu verstehen, daß ich
als _Demagoge_ verhaftet sei.

Man gab mir ein anständiges Zimmer im Universitätsgebäude, sorgte
eifrig für jede Bequemlichkeit, und als der hohe Rat beisammen war,
wurde ich in den Saal geführt, um über meine _politischen Verbrechen_
vernommen zu werden.

Die Dekane der vier Fakultäten, der Rektor Magnifikus, ein Mediziner
und der Universitätssekretär saßen um einen grün behängten Tisch in
feierlichem Ornat; die tiefe Stille, welche in dem Saal herrschte, die
steife Haltung der gelehrten Richter, ihre wichtigen Mienen nötigten
mir unwillkürlich ein Lächeln ab.

Magnifikus zeigte auf einen Stuhl ihm gegenüber am Ende der Tafel,
Delinquent setzte sich, Magnifikus winkte wieder, und der Pedell trat
ab.

Noch immer tiefe Stille; der Sekretär legt das Papier zum Protokoll
zurecht und schneidet Federn; ein alter Professor läßt seine ungeheure
Dose herumgehen. Jeder der Herren nimmt eine Prise, bedächtlich und
mit Beugung des Hauptes; Doktor Saper, mein nächster Nachbar, schnupft
und präsentiert mir die Dose, läßt aber das teure Magazin, von einem
abwehrenden Blick Magnifici erschreckt, mit polterndem Geräusch zu
Boden fallen.

»Alle Hagel, Herr Doktor,« schrie der alte Professor, alle Achtung
beiseite setzend.

»O Jerum,« ächzte der Sekretär und warf das Federmesser weg, denn er
hatte sich aus Schrecken in den Finger geschnitten.

»Bitte untertänigst!« stammelte der erschrockene Doktor Saper.

Diese alle sprachen auf einmal durcheinander, und der letztere kniete
auf den Boden nieder und wollte mit der Papierschere, die er in der
Eile ergriffen hatte, den verschütteten Tabak aufschaufeln.

Magnifikus aber ergriff die große Glocke und schellte dreimal; der
Pedell trat eilig und bestürzt herein und fragte, was zu Befehl sei,
und Magnifikus mit einem verbindlichen Lächeln zu Doktor Saper hinüber
sprach: »Lassen Sie es gut sein, Lieber, er taugt doch nichts mehr; da
wir aber in dieser Sitzung einiges Tabaks benötigt sein werden, glaube
ich dafür stimmen zu müssen, daß frischer ~ad locum~ gebracht werde.«

Doktor Saper zog schnell sein Beutelein, reichte dem Pedell einige
Groschen und befahl ihm, eilends drei Lot Schnupftabak zu bringen.
Dieser enteilte dem Saal. Vor dem Haus fand er, wie ich nachher erfuhr,
die halbe Universität versammelt, denn meine Verhaftung war schnell
bekannt geworden, und alles drängte sich zu, um das Nähere zu erfahren.
Man kann sich daher die Spannung der Gemüter denken, als man den
Pedell aus der Türe stürzen sah. Die Vordersten hielten ihn fest und
fragten und drängten ihn, wohin er so eilig versendet werde, und kaum
konnte man sich in seine Beteuerung finden, daß er eilends drei Lot
Schnupftabak holen müsse.

Aber im Saale war nach der Entfernung des Götterboten die vorige,
anständige Stille eingetreten. Magnifikus faßte mich mit einem Blick
voll Hoheit und begann:

»Es ist uns von einer höchstpreuslichen Zentral-Untersuchungskommission
der Auftrag zugekommen, auf gewisse geheime Umtriebe und Verbindungen,
so sich auf unserer Universität seit einiger Zeit entsponnen haben
sollen, unser Augenmerk zu richten. Wir sind nun nach reiflicher
Prüfung der Umstände vollkommen darüber einverstanden, daß Sie, Herr
von Barbe, sich höchst verdächtig gemacht haben, solche Verhältnisse
unter unserer akademischen Jugend dahier herbeigeführt und angesponnen
zu haben. Hm! Was sagen Sie dazu! Herr von Barbe?«

»Was ich dazu sage? Bis jetzt noch nichts, ich erwarte geziemend die
Beweise, die mein Leben und Betragen einer solchen Beschuldigung
verdächtig machen.«

»Die Beweise?« antwortete erstaunt der Rektor, »Sie verlangen Beweise?
Ist das der Respekt vor einem akademischen Senate? Man führe selbst den
Beweis, daß man nicht im sträflichen Verdacht der Demagogie ist.«

»Mit gütiger Erlaubnis, Euer Magnifizenz,« entgegnete der Dekan der
Juristen, »Inquisit kann, wenn er eines Verdachtes angeklagt ist, _in
alle Wege verlangen_, daß ihm die Gründe des Verdachtes genannt werden.«

Dem medizinischen Rektor stand der Angstschweiß auf der Stirne; man
sah ihm an, daß er mit Mühe die Beweisgründe in seinem Haupte hin
und her wälze. Wie ein Bote vom Himmel erschien ihm daher der Pedell
mit der Dose und berichtete zugleich mit ängstlicher Stimme, daß
die Studierenden in großer Anzahl sich vor dem Universitätsgebäude
zusammengerottet haben und ein verdächtiges Gemurmel durch die Reihen
laufe, das mit einem Pereat oder Scheibeneinwerfen zu bedrohen scheine.

Kaum hatte er ausgesprochen, so stürzte eine Magd herein und richtete
von der Frau Magnifikussin an den Herrn Magnifikus ein Kompliment
aus, »und er möchte doch sich nach Haus salvieren, weil die Studenten
allerhand verdächtige Bewegungen machen.«

»Ist das nicht der klarste Beweis gegen Ihre geheimen Umtriebe, lieber
Herr von Barbe?« sprach die Magnifizenz in kläglichem Tone. »Aber der
Aufruhr steigt, ~videant Consules, ne quid detrimenti~ -- man nehme
seine Maßregeln; -- daß auch der Teufel gerade in meine Amtsführung
alle fatalen Händel bringen muß! -- ~Domine Collega~, Herr Doktor
Pfeffer, was stimmen Sie?«

»Es ist eigentlich noch kein Votum zur Abstimmung vorgebracht und zur
Reife gediehen, ich rate aber, Herrn von Barbe bis auf weiteres zu
entlassen und ihm --«

»Richtig, gut,« rief der Rektor, »Sie können abtreten, wertgeschätzter
junger Freund, beruhigen Sie Ihre Kameraden, Sie sehen selbst, wie
glimpflich wir mit Ihnen verfahren sind, und zu einer gelegeneren
Stunde werden wir uns wieder die Ehre ausbitten; damit aber die Sache
kein solches Aufsehen mehr erregt -- weiß Gott, der Aufruhr steigt, ich
höre ~pereat~ -- so kommen Sie morgen abend alle zum Tee zu mir, Sie
auch, lieber Barbe, da denn die Sachen weiter besprochen werden können.«

Ich konnte mich kaum enthalten, den ängstlichen Herren ins Gesicht zu
lachen. Sie saßen da, wie von Gott verlassen, und wünschten sich in
Abrahams Schoß, das heißt in den ruhigen Hafen ihres weiten Lehnstuhls.

»Was steht nicht von einer erhitzten Jugend zu erwarten?« klagten
sie. »Seitdem etzliche Lehrer von den Kathedern gestiegen sind und
sich unter diese himmelstürmenden Cyklopen gemischt haben, ist keine
Ehrfurcht, kein Respekt mehr da. Man muß befürchten, wie schlechte
Schauspieler ausgepfiffen oder am hellen Tage insultiert zu werden.«

»Vom Erstechen will ich gar nicht reden,« sagte ein anderer, »es sollte
eigentlich jeder Literatus, der nicht allewege ein gut Gewissen hat,
einen Brustharnisch unter dem Kamisol tragen.«

Indessen die Philister also klagten, dankte ich meinen Kommilitonen für
ihre Aufmerksamkeit für mich, sagte ihnen, daß sie nachts viel bessere
Gelegenheit zum Fenstereinwerfen haben, und bewog sie durch Bitten
und Vorstellungen, daß sie abzogen. Sie marschierten in geschlossenen
Reihen durch das erschreckte Städtchen und sangen ihr ~Ça ira, ça
ira~, nämlich: »Die Burschenfreiheit lebe« und das erhabene »Rautsch,
rautsch, rautschitschi, Revolution.«

Ich ging wieder in den Saal zurück und sagte den noch versammelten
Herren, daß sie gar nichts zu befürchten haben, weil ich die Herren
Studiosen vermocht habe, nach Hause zu gehen. Beschämung und Zorn
rötete jetzt die bleichen Gesichter, und mein bißchen Psychologie
mußte mich ganz getäuscht haben, wenn mich die Herren nicht ihre Angst
entgelten ließen. Und gewiß! Meine Ahnung hatte mich nicht betrogen.
Magnifikus ging ans Fenster, um sich selbst zu überzeugen, daß die
Aufrührer abgezogen seien; dann wendete er sich mit erhabener Miene zu
mir, und _er_, der noch vor einer Viertelstunde »mein wertgeschätzter
Freund« zu mir sagte, herrschte mir jetzt zu: »Wir können das Verhör
weiter fortführen, Delinquent mag sich setzen!«

So sind die Menschen; nichts vergißt der Höhere so leicht, als daß
der Niedere ihm in der Stunde der Not zu Hilfe eilte. Nichts sucht er
sogar eifriger zu vergessen als jene Not, wenn er sich dabei eine Blöße
gegeben, deren er sich zu schämen hat.

Nach der Miene des Magnifikus richteten sich auch die seiner Kollegen.
Sie behandelten mich grob und mürrisch. Der Rektor entwickelte mit
großer Gelehrsamkeit den ersten Anklagepunkt.

»Demagog kommt her von δημος und ὰγειν. Das eine heißt Volk, das
andere führen oder verführen. Wer ist nach diesem Begriff mehr Demagog
als Sie? Haben wir nicht in Erfahrung gebracht, daß Sie die jungen
Leute zum Trinken verleiteten, daß Sie neue Lieder und Kartenspiele
hierher verpflanzten? Auch von andern Orten werden diese Sachen als
die sichersten Symptome der Demagogie angeführt; folglich sind Sie ein
Demagog.« --

Mit triumphierendem Lächeln wandte er sich zu seinen Kollegen: »Habe
ich nicht recht, Doktor Pfeffer? Nicht recht, Herr Professor Saper?« --
»Vollkommen, Euer Magnifizenz,« versicherten jene und schnupften.

»Zweitens, jetzt kommt der andere Punkt,« fuhr der Mediziner fort;
»das Turnen ist eine Erfindung des Teufels und der Demagogen, es ist,
um mich so auszudrücken, eine vaterlandsverräterische Ausbildung der
körperlichen Kräfte. Da nun die Turnplätze eigentlich die Tierparks und
Salzlecken des demagogischen Wildes, Sie aber, wie wir in Erfahrung
gebracht haben, einer der eminentesten Turner sind, so haben Sie sich
durch Ihre ~Saltus mortales~ und Ihre übrigen Künste als einen kleinen
Jahn, einen offenbaren Demagogen gezeigt. -- Habe ich nicht recht,
Herr Doktor Bruttler? Sage ich nicht die Wahrheit, Herr Doktor Schrag?«

»Vollkommen, Euer Magnifizenz,« versicherten diese und schnupften.

»Demagogen,« fuhr er fort, »Demagogen schleichen sich ohne bestimmten
äußern Zweck ins Land und suchen da Feuer einzulegen; sie sind unstäte
Leute, denen man ihre Verdächtigkeit gleich ansieht; der Herr Studiosus
von Barbe ist ohne bestimmten Zweck hier, denn er läuft in allen
Kollegien und Wissenschaften umher, ohne sie für immer zu frequentieren
oder _gar nachzuschreiben_; was folgt? Er hat sich der Demagogie sehr
verdächtig gemacht; ich füge gleich den vierten Grund bei: man hat
bemerkt, daß Demagogen, vielleicht von geheimen Bünden ausgerüstet,
viel Geld zeigen und die Leute an sich locken; wer hat sich in diesem
Punkt der Anklage würdiger gemacht als Delinquent? Habe ich nicht
recht, meine Herren?«

»Sehr scharfsinnig, vollkommen!« antworteten die Aufgerufenen ~unisono~
und ließen die Dose herumgehen.

Mit Majestät richtete sich Magnifikus auf: »Wir glauben hinlänglich
bewiesen zu haben, daß Sie, Herr Studiosus Friedrich von Barbe, in
dem Verdacht geheimer Umtriebe stecken; wir sind aber weit entfernt,
ohne den Beklagten anzuhören, ein Urteil zu fällen, darum verteidigen
Sie sich. -- Aber mein Gott! Wie die Zeit herumgeht, da läutet es
schon zu Mittag; ich denke, der Herr kann seine Verteidigung im Karzer
schriftlich abfassen; somit wäre die Sitzung aufgehoben; wünsche
gesegnete Mahlzeit, meine Herren.«

So schloß sich mein merkwürdiges Verhör. Im Karzer entwarf ich eine
Verteidigung, die den Herren einleuchten mochte. Wahrscheinlicher aber
ist mir, daß sie sich scheuten, einen jungen Mann, der so viel Geld
ausgab, aus ihrer guten Stadt zu verbannen. Sie gaben mir daher den
Bescheid, daß man mich aus besonderer Rücksicht diesmal noch mit dem
Konsilium verschonen wolle, und setzten mich wieder auf freien Fuß.

Als Demagog eingekerkert zu sein, als Märtyrer der guten Sache
gelitten zu haben, zog einen neuen Nimbus um meinen Scheitel, und
im Triumph wurde ich aus dem Karzer nach Haus begleitet; aber die
Freude sollte nicht lange dauern. Ich hatte jetzt so ziemlich meinen
Zweck, der mich in jene Stadt geführt hatte, erreicht und gedachte
weiterzugehen. Ich hatte mir aber vorgenommen, vorher noch den Titel
eines Doktors der Philosophie auf gerechtem Wege zu erringen. Ich
schrieb daher eine gelehrte Dissertation, und zwar über ein Thema,
das mir am nächsten lag: ~De rebus diabolicis~, ließ sie drucken
und verteidigte sie öffentlich; wie ich meine Gegner und Opponenten
tüchtig zusammengehauen, erzähle ich nicht, aus Bescheidenheit; einen
Auszug aus meiner Dissertation habe ich übrigens dem geneigten Leser
beigelegt.[2]

    [2] Findet sich wenn ich nicht irre, am Ende des zweiten Teiles.

~Post exantlata~ oder nachdem ich den Doktorhut errungen hatte, gab
ich einen ungeheuren Schmaus, wobei manche Seele auf ewig mein wurde.
Solange noch die guten Jungen meinen Champagner und Burgunder mit
schwerer Zunge prüften, ließ ich meine Rappen vorführen und sagte
der lieben Musenstadt Valet. Die Rechnung des Doktorschmauses aber
überbrachte der Wirt am Morgen den erstaunten Gästen, und manches
Pochen des ungestümen Gläubigers, das sie aus den süßen Morgenträumen
weckte, mancher bedeutende Abzug am Wechsel erinnerte sie auch in
spätern Zeiten an den berühmten Doktorschmaus und an ihren guten
Freund, den Satan.



Unterhaltungen des Satan und des ewigen Juden in Berlin.

    »Die heutigen dummen Gesichter
    sind nur das ~Boeuf à la mode~ der
    frühern dummen Gesichter.«

            _Welt_ und _Zeit_.



Elftes Kapitel.

Wen der Teufel im Tiergarten traf.


Ich saß, es mögen bald drei Jahre sein, an einem schönen Sommerabend im
Tiergarten zu Berlin, nicht weit vom Weberischen Zelt; ich betrachtete
mir die bunte Welt um mich her und hatte großes Wohlgefallen an ihr;
war es doch schon wieder ganz anders geworden als zu der frommen
Zeit Anno dreizehn und fünfzehn, wo alles so ehrbar, und, wie sie
es nannten, altdeutsch zuging, daß es mich nicht wenig ennuyierte.
Besonders über die schönen Berlinerinnen konnte ich mich damals recht
ärgern; sonst ging es Sonntag nachmittags mit Saus und Braus nach
Charlottenburg oder mit Jubel und Lachen die Linden entlang nach dem
Tiergarten heraus; aber damals --? Jetzt aber ging es auch wieder hoch
her. Das Alte war dem Neuen gewichen, Lust und Leben wie früher zog
durch die grünen Bäume, und der Teufel galt wieder was, wie vorzeiten,
und war ein geschätzter, angesehener Mann.

Ich konnte mich nicht enthalten, einen Gang durch die buntgemischte
Gesellschaft zu machen. Die glänzenden Militärs von allen Chargen,
mit ihren ebenso verschieden chargierten Schönen, die zierlichen
Elegants und Elegantinnen, die Mütter, die ihre geputzten Töchter
zu Markt brachten, die wohlgenährten Räte mit einem guten Griff der
Kassengelder in der Tasche, und Grafen, Barone, Bürger, Studenten und
Handwerksbursche, anständige und unanständige Gesellschaft -- sie alle
um mich her, sie alle auf dem vernünftigsten Wege, _mein_ zu werden!
In fröhlicher Stimmung ging es weiter und weiter, ich wurde immer
zufriedener und heiterer.

Da sah ich, mitten unter dem wogenden Gewühl der Menge, ein paar
Männer an einem kleinen Tischchen sitzen, welche gar nicht recht zu
meiner fröhlichen Gesellschaft taugen wollten. Den einen konnte ich
nur vom Rücken sehen, es war ein kleiner beweglicher Mann, schien viel
an seinen Nachbar hinzusprechen, gestikulierte oft mit den Armen und
nahm nach jedem größeren Satz, den er gesprochen, ein erkleckliches
Schlückchen dunkelroten Franzweins zu sich.

Der andere mochte schon weit vorgerückt in Jahren sein, er war ärmlich,
aber sauber gekleidet, beugte den Kopf auf die eine Hand, während die
andere mit einem langen Wanderstab wunderliche Figuren in den Sand
schrieb, er hörte mit trübem Lächeln dem Sprechenden zu und schien ihm
wenig oder ganz kurz zu antworten.

Beide Figuren hatten etwas mir so Bekanntes, und doch konnte ich mich
im Augenblick nicht entsinnen, wer sie wären. Der kleine Lebhafte
sprang endlich herauf, drückte dem Alten die Hand, lief mit kurzen
schnellen Schritten, heiser vor sich hinlachend, hinweg und verlor sich
bald ins Gedränge. Der Alte schaute ihm wehmütig nach und legte dann
die tiefgefurchte Stirne wieder in die Hand.

Ich besann mich auf alle meine Bekannten, keiner paßte zu dieser Figur;
eine Ahnung durchflog mich, sollte es -- doch was braucht der Teufel
viel Komplimente zu machen? Ich trat näher, setzte mich auf den Stuhl,
welchen der andere verlassen hatte, und bot dem Alten einen guten Abend.

Langsam erhob er sein Haupt und schlug das Auge auf, ja, er war es, es
war der _ewige Jude_.

»~Bon soir~, Brüderchen!« sagte ich zu ihm, »es ist doch schnakisch,
daß wir einander zu Berlin im Tiergarten wiederfinden, es wird wohl so
achtzig Jährchen sein, daß ich nicht mehr das Vergnügen hatte?«

Er sah mich fragend an. »So, du bist's?« preßte er endlich heraus.
»Hebe dich weg, mit dir habe ich nichts zu schaffen!«

»Nur nicht gleich so grob, _Ewiger_,« gab ich ihm zur Antwort; »wir
haben manche Mitternacht miteinander vertollt, als du noch munter warst
auf der Erde und so recht systematisch liederlich lebtest, um dich
selbst bald unter den Boden zu bringen. Aber jetzt bist du, glaube ich,
ein Pietist geworden.«

Der Jude antwortete nicht, aber ein hämisches Lächeln, das über seine
verwitterten Züge flog, wie ein Blitz durch die Ruine, zeigte mir, daß
er mit der Kirche noch immer nicht recht einig sei.

»Wer ging da soeben von dir hinweg?« fragte ich, als er noch immer auf
seinem Schweigen beharrte.

»Das war der Kammergerichtsrat Hoffmann,« erwiderte er.

»So, _der_? Ich kenne ihn recht wohl, obgleich er mir immer ausweicht
wie ein Aal; war ich ihm doch zu mancher seiner nächtlichen Phantasien
behilflich, daß es ihm selbst oft angst und bange wurde, und habe ich
ihm nicht als sein eigner Doppelgänger über die Schultern geschaut,
als er an seinem Kreisler schrieb? Als er sich umwandte und den Spuk
anschaute, rief er seiner Frau, daß sie sich zu ihm setze, denn es war
Mitternacht, und seine Lampe brannte trüb. -- So, so, der war's? Und
was wollte er von dir, Ewiger?«

»Daß du verkrümmest mit deinem Spott; bist du nicht gleich ewig wie
ich, und drückt dich die Zeit nicht auch auf den Rücken? Nenne den
Namen nicht mehr, den ich hasse! Was aber den Kammergerichtsrat
Hoffmann betrifft,« fuhr er ruhiger fort, »so geht er umher, um sich
die Leute zu betrachten; und wenn er einen findet, der etwas Apartes
an sich hat, etwa einen Hieb aus dem Narrenhaus oder einen Stich aus
dem Geisterreich, so freut er sich baß und zeichnet ihn mit Worten oder
mit dem Griffel. Und weil er an mir etwas Absonderliches verspürt haben
mag, so setzte er sich zu mir, besprach sich mit mir und lud mich ein,
ihn in seinem Haus auf dem Gendarmenmarkt zu besuchen.«

»So, so? Und wo kommst du denn eigentlich her, wenn man fragen darf?«

»~Recta~ aus China!« antwortete Ahasverus. »Ein langweiliges Nest, es
sieht gerade aus wie vor fünfzehnhundert Jahren, als ich zum erstenmal
dort war.«

»In China warst du?« fragte ich lachend. »wie kommst du denn zu dem
langweiligen Volk, das selbst für den Teufel zu wenig amüsant ist?«

»Laß das,« entgegnete jener, »du weißt ja, wie mich die Unruhe durch
die Länder treibt. Ich habe mir, als die Morgensonne des neuen
Jahrhunderts hinter den mongolischen Bergen aufging, den Kopf an die
_lange Mauer_ von China gerannt, aber es wollte noch nicht mit mir zu
Ende gehen, und ich hätte eher ein Loch durch jene Gartenmauer des
himmlischen Reiches gestoßen wie ein alter Aries, als daß der dort oben
mir ein Härchen hätte krümmen lassen.«

Tränen rollten dem alten Menschen aus den Augen. Die müden Augenlider
wollten sich schließen, aber der Schwur des Ewigen hält sie offen,
bis er schlafen darf, wenn die andern auferstehen. Er hatte lange
geschwiegen, und wahrlich, ich konnte den Armen nicht ohne eine Regung
von Mitleid ansehen. Er richtete sich wieder auf. -- »Satan,« fragte er
mit zitternder Stimme, »wieviel Uhr ist's in der Ewigkeit?«

»Es will Abend werden,« gab ich ihm zur Antwort.

»O Mitternacht,« stöhnte er, »wann endlich kommen deine kühlen Schatten
und senken sich auf mein brennendes Auge? Wann nahest du, Stunde, wo
die Gräber sich öffnen und Raum wird für den _einen_, der dann ruhen
darf?«

»Pfui Kuckuck, alter Heuler!« brach ich los, erbost über die
weinerlichen Manieren des ewigen Wanderers. »Wie magst du nur solch ein
poetisches Lamento aufschlagen? Glaube mir, du darfst dir gratulieren,
daß du noch etwas Apartes hast. Manche lustige Seele hat es an einem
gewissen Ort viel schlimmer als du hier auf der Erde. Man hat doch
hier oben immer noch seinen Spaß, denn die Menschen sorgen dafür, daß
die tollen Streiche nicht ausgehen. Wenn ich so viele freie Zeit hätte
wie du, ich wollte das Leben anders genießen. ~Ma foi~, Brüderchen,
warum gehst du nicht nach England, wo man jetzt über die galanten
Abenteuer einer Königin öffentlich certiert? Warum nicht nach Spanien,
wo es jetzt nächstens losbricht? Warum nicht nach Frankreich, um dein
Gaudium daran zu haben, wie man die Wände des Kaisertums überpinselt
und mit alten Gobelins von Louis des Vierzehnten Zeiten, die sie aus
dem Exil mitgebracht haben, behängt. Ich kann dir versichern, es sieht
gar närrisch aus, denn die Tapete ist überall zu kurz, und durch
Risse guckt immer noch ernst und drohend das Kaisertum, wie das Blut
des Ermordeten, das man mit keinem Gips auslöschen kann, und das, so
oft man es weiß anstreicht, immer noch mit der alten _bunten_ Farbe
durchschlägt?«

Der alte Mensch hatte mir aufmerksam zugehört, sein Gesicht war immer
heiterer geworden, und er lachte jetzt aus vollem Herzen. »Du bist, wie
ich sehe, immer noch der alte,« sagte er und schüttelte mir die Hand,
»weißt jedem etwas aufzuhängen, und wenn er gerade aus Abrahams Schoß
käme!«

»Warum,« fuhr ich fort, »warum hältst du dich nicht länger und
öfter hier in dem guten, ehrlichen Deutschland auf? Kann man etwas
Possierlicheres sehen als diese Duodezländer? Da ist alles so -- doch
stille, da geht einer von der geheimen Polizei umher. Man könnte leicht
etwas aufschnappen und den ewigen Juden und den Teufel als unruhige
Köpfe nach Spandau schicken. Aber um auf etwas anderes zu kommen, warum
bist du denn hier in Berlin?«

»Das hat seine eigene Bewandtnis,« antwortete der Jude. »Ich bin hier,
um einen Dichter zu besuchen.«

»Du einen Dichter?« rief ich verwundert. »Wie kommst du auf diesen
Einfall?«

»Ich habe vor einiger Zeit ein Ding gelesen, man heißt es Novelle,
worin ich die Hauptrolle spielte. Es führt zwar den dummen Titel: _Der
ewige Jude_, im übrigen ist es aber eine schöne Dichtung, die mir
wunderbaren Trost brachte! Nun möchte ich den Mann sehen und sprechen,
der das wunderliche Ding gemacht hat.«

»Und der soll hier wohnen, in Berlin?« fragte ich neugierig, »und wie
heißt er denn?«

»Er soll hier wohnen und heißt F. H. Man hat mir auch die Straße
genannt, aber mein Gedächtnis ist wie ein Sieb, durch das man
Mondschein gießt!«

Ich war nicht wenig begierig, wie sich der ewige Jude bei einem Dichter
produzieren würde, und beschloß, ihn zu begleiten. »Höre, Alter,« sagte
ich zu ihm, »wir sind von jeher auf gutem Fuß miteinander gestanden,
und ich hoffe nicht, daß du deine Gesinnungen gegen mich ändern wirst.
Sonst --«

»Zu drohen ist gerade nicht nötig, Herr Satan,« antwortete er, »denn
du weißt, ich mache mir wenig aus dir und kenne deine Schliche
hinlänglich, aber deswegen bist du mir doch als alter Bekannter ganz
angenehm und recht. -- Warum fragst du denn?«

»Nun, du könntest mir die Gefälligkeit erweisen, mich zu dem Dichter,
der dich in einer Novelle abkonterfeite, mitzunehmen. Willst du nicht?«

»Ich sehe zwar nicht ein, was für Interesse du dabei haben kannst,«
antwortete der Alte und sah mich mißtrauisch an. »Du könntest irgend
einen Spuk im Sinne haben und dir vielleicht gar mit bösen Absichten
auf des braven Mannes Seele schmeicheln. Dies schlage dir übrigens nur
aus dem Sinn, denn der schreibt so fromme Novellen, daß der Teufel
selbst ihm nichts anhaben kann. -- Doch meinetwegen kannst du mitgehen.«

»Das denke ich auch. Was diese Seele betrifft, so kümmere ich mich
wenig um Dichter und dergleichen, das ist leichte Ware, welcher der
Teufel wenig nachfragt. Es ist bei mir nur Interesse an dem Manne
selbst, was mich zu ihm zieht. Uebrigens, in diesem Kostüm kannst du
hier in Berlin keine Visiten machen, Alter!«

Der ewige Jude beschaute mit Wohlgefallen sein abgeschabtes braunes
Röcklein mit großen Perlmutterknöpfen, seine lange Weste mit breiten
Schößen, seine kurzen, zeisiggrünen Beinkleider, die auf den Knieen
ins Bräunliche spielten. Er setzte das schwarzrote dreieckige Hütchen
aufs Ohr, nahm den langen Wanderstab kräftiger in die Hand, stellte
sich vor mich hin und fragte: »Bin ich nicht angekleidet stattlich wie
König Salomo und zierlich wie der Sohn Isais? Was hast du nur an mir
auszusetzen? Freilich trage ich keinen falschen Bart wie du, keine
Brille sitzt mir auf der Nase, meine Haare stehen nicht in die Höhe ~à
la~ Wahnsinn. Ich habe meinen Leib in keinen wattierten Rock gepreßt,
und um meine Beine schlottern keine ellenweiten Beinkleider; wozu
freilich Herr Bocksfuß Ursache haben mag.«

»Solche Anzüglichkeiten gehören nicht hierher,« antwortete ich dem
alten Juden. »Wisse, man muß heutzutage nach der Mode gekleidet sein,
wenn man sein Glück machen will, und selbst der Teufel macht davon
keine Ausnahme. Aber höre meinen Vorschlag. Ich versehe dich mit einem
anständigen Anzug, und du stellst dafür meinen Hofmeister vor. Auf
diese Art können wir leicht Zutritt in Häusern bekommen, und wie wollte
ich dir's vergelten, wenn uns dein Dichter in einen ästhetischen Tee
einführte.«

»Aesthetischer Tee, was ist denn das? In China habe ich manches Maß Tee
geschluckt, Blumentee, Kaisertee, Mandarinentee, sogar Kamillentee,
aber ästhetischer Tee war nie dabei.«

»~O sancta simplicitas!~ Jude, wie weit bist du zurück in der Kultur!
Weißt du denn nicht, daß dies Gesellschaften sind, wo man über
Teeblätter und einige schöne Ideen genugsam warmes Wasser gießt und den
Leuten damit aufwartet? Zucker und Rum tut jeder nach Belieben dazu,
und man amüsiert sich dort trefflich.«

»Habe ich je so etwas gehört, so will ich Hans heißen,« versicherte der
Jude, »und was kostet es, wenn man's sehen darf?«

»Kosten? Nichts kostet es, als daß man der Frau vom Haus die Hand küßt
und, wenn ihre Töchter singen oder mimische Vorstellungen geben, hie
und da ein ›Wundervoll‹ oder ›Göttlich‹ schlüpfen läßt.«

»Das ist ein wunderliches Volk geworden in den letzten achtzig Jahren.
Zu Friedrichs des Großen Zeiten wußte man noch nichts von diesen
Dingen. Doch des Spaßes wegen kann man hingehen. Denn ich verspüre in
dieser Sandwüste gewaltig Langeweile.«

Der Besuch war also auf den nächsten Tag festgesetzt. Wir besprachen
uns noch über die Rolle, die ich als Eleve von zwei- bis dreiundzwanzig
Jahren, er als Hofmeister zu spielen hätte, und schieden.

Ich versprach mir treffliche Unterhaltung von dem morgenden Tage. Der
ewige Jude hatte so alte, unbehilfliche Manieren, wußte sich so gar
nicht in die heutige Welt zu schicken, daß man ihn im Gewand eines
Hofmeisters zum wenigsten für einen ausgemachten Pedanten halten mußte.
Ich nahm mir vor, mir selbst so viel Eleganz, als dem Teufel nur immer
möglich ist, anzulegen und den Alten dadurch recht in Verlegenheit zu
bringen. Zerstreuung war ihm überdies höchst nötig, denn er hatte in
der letzten Zeit auf seinen einsamen Wanderungen einen solchen Ansatz
zur Frömmelei bekommen, daß er ein Pietist zu werden drohte.

Der Dichter, zu welchem mich der ewige Jude führte, ein Mann in
mittleren Jahren, nahm uns sehr artig auf. Der Jude hieß sich Doktor
Mucker und stellte in mir seinen Eleven, den jungen Baron von
Stobelberg, vor. Ich richtete meine äußere Aufmerksamkeit bald auf die
schönen Kupferstiche an der Wand, auf die Titel der vielen Bücher, die
umherstanden, um desto ungeteilter mein Ohr und, wenn es unbemerkt
möglich war, auch mein Auge an der Unterhaltung teilnehmen zu lassen.

Der alte Mensch begann mit einem Lob über die Novelle vom ewigen
Juden; der Dichter aber, viel zu fein und gebildet, als daß er seinen
Gast hätte auf diesem Lob stehen lassen, wandte das Gespräch auf
die Sage vom ewigen Juden überhaupt, und daß sie ihm auf jene Weise
aufgegangen sei. Der Ewige schnitt, zur Verwunderung des Dichters,
grimmige Gesichter, als dieser unter anderem behauptete: es liege in
der Sage vom ewigen Juden eine tiefe Moral, denn der Verworfenste
unter den Menschen sei offenbar immer der, welcher seinen Schmerz über
getäuschte Hoffnung gerade an dem auslasse, der diese Hoffnungen erregt
habe. Besonders verworfen erscheine er, wenn zugleich der, welcher die
Hoffnung erregte, noch unglücklicher erscheine als der, welcher sich
täuschte.

Es fehlte wenig, so hätte der Herr Doktor Mucker sein Inkognito
abgelegt und wäre dem wirklich genialen Dichter als ewiger Jude zu
Leib gegangen. Noch verwirrter aber wurde mein alter Hofmeister, als
jener das Gespräch auf die neuere Literatur brachte. Hier ging ihm die
Stimme völlig aus, und er sah die nächste beste Gelegenheit ab, sich zu
empfehlen.

Der brave Mann lud uns ein, ihn noch oft zu besuchen, und kaum hatte
er gehört, wir seien völlig fremd in Berlin und wissen noch nicht,
wie wir den Abend zubringen sollen, so bat er uns, ihn in ein Haus zu
begleiten, wo alle Montag ausgesuchte Gesellschaft von Freunden der
schönen Literatur bei Tee versammelt sei. Wir sagten dankbar zu und
schieden.



Zwölftes Kapitel.

Satan besucht mit dem ewigen Juden einen ästhetischen Tee.


Ahasverus war den ganzen Tag über verstimmt. Gerade das, daß er in
seinem Innern dem Dichter recht geben mußte, genierte ihn so sehr. Er
brummte einmal über das andere über die »naseweise Jugend« (obgleich
der Dichter jener Novelle schon bei Jahren war) und den Verfall der
Zeiten und Sitten. Trotz dem Respekt, den ich gegen ihn als meinen
Hofmeister hätte haben sollen, sagte ich ihm tüchtig die Meinung und
brachte den alten Bären dadurch wenigstens so weit, daß er höflich
gegen den alten Mann sein wollte, der so artig war, uns in den
ästhetischen Tee zu führen.

Die siebente Stunde schlug. In einen modischen Frack, wohl parfümiert,
in die feinste, zierlichst gefältelte Leinwand gekleidet, die
Beinkleider von Paris, die durchbrochenen Seidenstrümpfe von Lyon, die
Schuhe von Straßburg, die Lorgnette so fein und gefällig gearbeitet,
wie sie nur immer aus der Fabrik der Herren Lood in Werenthead
hervorgeht, so stellte ich mich den erstaunten Blicken des Juden dar;
dieser war mit seiner modischen Toilette noch nicht halb fertig und
hatte alles höchst sonderbar angezogen, wie er z. B. die elegante hohe
Krawatte, ein Berliner Meisterwerk, als Gurt um den Leib gebunden hatte
und fest darauf bestand, dies sei die neueste Tracht auf _Morea_.

Nachdem ich ihn mit vieler Mühe geputzt hatte, brachen wir auf. Im
Wagen, den ich, um brillanter aufzutreten, für diesen Abend gemietet
hatte, wiederholte ich alle Lehren über den gesellschaftlichen Anstand.

»Du darfst,« sagte ich ihm, »in einem ästhetischen Tee eher zerstreut
und tiefdenkend als vorlaut erscheinen. Du darfst nichts ganz unbedingt
loben, sondern sieh immer so aus, als habest du sonst noch etwas
~in petto~, das viel zu weise für ein sterbliches Ohr wäre. Das
Beifalllächeln hochweiser Befriedigung ist schwer und kann erst nach
langer Uebung vor dem Spiegel völlig erlernt werden. Man hat aber
Surrogate dafür, mit welchen man etwas sehr loben und bitter tadeln
kann, ohne es entfernt gelesen zu haben. Du hörst z. B. von einem
Roman reden, der jetzt sehr viel Aufsehen machen soll. Man setzt als
ganz natürlich voraus, daß du ihn schon gelesen haben müssest, und
fragt dich um dein Urteil. Willst du dich nun lächerlich machen und
antworten, ›Ich habe ihn nicht gelesen?‹ Nein! Du antwortest frisch
drauf zu: ›Er gefällt mir im ganzen nicht übel, obgleich er meinen
Forderungen an Romane noch nicht entspricht. Er hat manches Tiefe und
Originelle, die Entwickelung ist artig erfunden, doch scheint mir hie
und da in der Form etwas gefehlt und einige der Charaktere verzeichnet
zu sein.‹

»Sprichst du so, und hast du Mund und Stirne in kritische Falten
gelegt, so wird dir niemand tiefes und gewandtes Urteil absprechen.«

»Dein Gewäsch behalte der Teufel,« entgegnete der Alte mürrisch.
»Meinst du, ich werde wegen dieser Menschlein, oder gar um dir Spaß
zu machen, ästhetische Gesichter schneiden? Da betrügst du dich sehr,
Satan. Tee will ich meinetwegen saufen, soviel du willst, aber --«

»Da sieht man es wieder,« wandte ich ein, »wer wird denn in einer
honetten Gesellschaft _saufen_? Wieviel fehlt dir noch, um heutzutage
als gebildet zu erscheinen! Nippen, schlürfen, höchstens trinken --
aber da hält schon der Wagen bei dem Dichter, nimm dich zusammen, daß
wir nicht Spott erleben, Ahasvere!«

Der Dichter setzte sich zu uns, und der Wagen rollte weiter. Ich sah es
dem Alten wohl an, daß ihm, je näher wir dem Ziele unserer Fahrt kamen,
desto bänger zu Mut war. Obgleich er schon seit achtzehn Jahrhunderten
über die Erde wandelte, so konnte er sich doch so wenig in die Menschen
und ihre Verhältnisse finden, daß er alle Augenblicke anstieß. So
fragte er z. B. den Dichter unterwegs, ob die Versammlung, in welche
wir fahren, aus _lauter_ Christen bestehe, zu welcher Frage jener
natürlich große Augen machte und nicht recht wissen mochte, wie sie
hierher komme.

Mit wenigen, aber treffenden Zügen entwarf uns der Dichter den Zirkel,
der uns aufnehmen sollte. Die milde und sinnige Frömmigkeit, die in dem
zarten Charakter der gnädigen Frau vorwalten sollte; der feierliche
Ernst, die stille Größe des ältern Fräuleins, die, wenngleich
Protestantin, doch ganz das Air jener wehmütig heiligen Klosterfrauen
habe, die, nachdem sie mit gebrochenem Herzen der Welt Ade gesagt,
jetzt ihr ganzes Leben hindurch an einem großartigen, interessanten
Schmerz zehren.[3] Das jüngere Fräulein, frisch, rund, blühend, heiter,
naiv, sei verliebt in einen Gardeleutnant, der aber, weil er den Eltern
nicht sinnig genug sei, nicht zu dem ästhetischen Tee komme. Sie habe
die schönsten Stellen in Goethe, Schiller, Tieck usw., welche ihr die
Mutter zuvor angestrichen, auswendig gelernt und gäbe sie hie und da
mit allerliebster Präzision preis. Sie singt, was nicht anders zu
erwarten ist, auf Verlangen italienische Arietten mit künstlichen
Rouladen. Ihre Hauptforce besteht aber im Walzerspielen. Die übrige
Gesellschaft, einige schöne Geister, einige Kritiker, sentimentale und
naive, junge und ältere Damen, freie und andere Fräulein[4] werden wir
selbst näher kennen lernen.

    [3] Ganz in der Eile nimmt sich der Herausgeber die Freiheit,
        den Aufriß des Boudoirs dieser protestantischen Nonne,
        wie er sich ihn denkt, hier beizufügen. Im Fenster stehen
        Blumen, in der Ecke ein Betpult mit einem gußeisernen
        Kruzifix. Eine Gitarre ist notwendiges Requisit, wenn
        auch die Eigentümerin höchstens »~O Sanctissima~« darauf
        spielen kann. Ein Heiligenbild über dem Sofa, ein mit Flor
        verhängtes Bild des Verstorbenen oder Ungetreuen, von
        etzlichem sinnigen Efeu umrankt. Sie selbst in weißem oder
        aschgrauem Kostüm, an der Wand ein Spiegel.

    [4] Satan scheint hier zwischen Freifräulein und anderen
        Fräulein zu unterscheiden. Unter jenen versteht er die von
        gutem Adel, unter letzteren die, welche man sonst Jungfer
        oder Mamsell heißt. Ich finde übrigens, den Unterschied auf
        diese Art zu bezeichnen, sehr unpassend. Denn man wird mir
        zugeben, daß die bürgerlichen Fräulein oft ebenso frei in
        ihren Sitten und Betragen sind als die echten.

Der Wagen hielt, der Bediente riß den Schlag auf und half meinem
bangen Mentor heraus. Schweigend zogen wir die erleuchtete Treppe
hinan. Ein lieblicher Ambraduft wallte uns aus dem Vorzimmer entgegen.
Geräusch vieler Stimmen und das Gerassel der Teelöffel tönte aus der
halbgeöffneten Türe des Salons; auch diese flog auf, und umstrahlt von
dem Sonnenglanz der schwebenden Lüster, saß im Kreise die Gesellschaft.

Der Dichter führte uns vor den Sitz der gnädigen Frau und stellte den
Doktor Mucker und seinen Eleven, den jungen Baron von Stobelberg, vor.
Huldreich neigte sich die Matrone und reichte uns die schöne zarte
Hand, indem sie uns freundlich willkommen hieß. Mit jener zierlichen
Leichtigkeit, die ich einem Wiener Incroyable abgelauscht hatte, faßte
ich diese zarte Hand und hauchte ein leises Küßchen der Ehrfurcht
darüber hin. Die artige Sitte des Fremdlings schien ihr zu gefallen,
und gern gewährte sie dem Mentor des wohlgezogenen Zöglings die
nämliche Gunst. Aber o Schrecken! Indem er sich niederbückte, gewahrte
ich, daß sein grauer, stechender Judenbart nicht glatt vom Kinn
wegrasiert sei, sondern wie eine Kratzbürste hervorstehe. Gnädige Frau
verzog das Gesicht grimmig bei dem Stechkuß, aber der Anstand ließ sie
nicht mehr als ein leises Gejammer hervorstöhnen. Wehmütig betrachtete
sie die schöne weiße Hand, die rot aufzulaufen begann, und sie sah
sich genötigt, im Nebenzimmer Hilfe zu suchen. Ich sah, wie dort ihre
Zofe aus der silbernen Toilette kölnisches Wasser nahm und die wunde
Stelle damit rieb. Sodann wurden schöne glacierte Handschuhe geholt,
die Käppchen davon abgeschnitten, so daß doch die zarten Fingerspitzen
hervorsehen konnten, und die gnädige Hand damit bekleidet.

Indessen hatten sich die jungen Damen unsere Namen zugeflüstert, die
Herren traten uns näher und befragten uns über Gleichgültiges, worauf
wir wieder Gleichgültiges antworteten, bis die Seele des Hauses wieder
hereintrat. Die Edle wußte ihren Kummer um die aufgelaufene Hand so
gut zu verbergen, daß sie nur einem häuslichen Geschäft nachgegangen
zu sein schien und sogar der alte Sünder selbst nichts von dem Unheil
ahnte, das er bewirkt habe.

Die einzige Strafe war, daß sie ihm einen stechenden Blick für seinen
stechenden Handkuß zuwarf und _mich_ den ganzen Abend hindurch
auffallend vor ihm auszeichnete.

Die Leser werden gesehen haben, daß es ein ganz eleganter Tee war,
zu welchem uns der Dichter geführt hatte. Die massive silberne
Teemaschine, an welcher die jüngere Tochter Tee bereitete, die
prachtvollen Lüster und Spiegel, die brennenden Farben der Teppiche und
Tapeten, die künstlichen Blumen in den zierlichsten Vasen, endlich die
Gesellschaft selbst, die in vollem Kostüm, schwarz und weiß gemischt
war, ließen auf den Stand und guten Ton der Hausfrau schließen.

Der Tee wies sich aber auch als ästhetisch aus. Gnädige Frau bedauerte,
daß wir nicht früher gekommen seien. Der junge Dichter Frühauf habe
einige Dutzend Stanzen aus einem Heldengedicht vorgelesen, so innig,
so schwebend, mit soviel Musik in den Schlußreimen, daß man in langer
Zeit nichts Erfreulicheres gehört habe, es stehe zu erwarten, daß es
allgemein Furore in Deutschland machen werde.

Wir beklagten den Verlust unendlich, der bescheidene, lorbeerbekränzte
junge Mann versicherte uns aber unter der Hand, er wolle uns morgen
in unserm Hotel besuchen, und wir sollten nicht nur die paar Stanzen,
die er hier preisgegeben, sondern einige vollständige Gesänge zu hören
bekommen.

Das Gespräch bekam jetzt aber eine andere Wendung. Eine ältliche Dame
ließ sich ihre Arbeitstasche reichen, deren geschmackvolle und neue
Stickerei die Augen der Damen auf sich zog. Sie nahm ein Buch daraus
hervor und sagte mit freundlichem Lispeln:

»~Voyez là~ das neueste Produkt meiner genialen Freundin Johanna.
Sie hat es mir frisch von der Presse weg zugeschickt, und ich bin so
glücklich, die Erste zu sein, die es hier besitzt. Ich habe es nur ein
wenig durchblättert, aber diese herrlichen Situationen, diese Szenen,
so ganz aus dem Leben gegriffen, die Wahrheit der Charaktere, dieser
glänzende Stil --«

»Sie machen mich neugierig, Frau von Wollau,« unterbrach sie die
Dame des Hauses, »darf ich bitten --? Ah, Gabriele von Johanna von
Schopenhauer. Mit dieser sind Sie liiert, meine Liebe? Da wünsche ich
Glück.«

»Wir lernten uns in Karlsbad kennen,« antwortete Frau von Wollau,
»unsere Gemüter erkannten sich in gleichem Streben nach veredeltem Ziel
der Menschheit,[5] sie zogen sich an, wir liebten uns. Und da hat sie
mir jetzt ihre Gabriele geschickt.«

    [5] Frau von Wollau will wahrscheinlich sagen »nach dem Ziel
        der Veredlung.«

            Der Herausgeber.

»Das ist ja eine ganz interessante Bekanntschaft,« sagte Fräulein
_Natalie_, die ältere Tochter des Hauses. »Ach! wer doch auch so
glücklich wäre! Es geht doch nichts über eine geniale Dame. Aber sagen
Sie, wo haben Sie das wunderschöne Stickmuster her, ich kann Ihre
Tasche nicht genug bewundern.«

»Schön -- wunderschön -- und die Farben! Und die Girlanden! -- Und die
elegante Form!« hallte es von den Lippen der schönen Teetrinkerinnen,
und die arme Gabriele wäre vielleicht über dem Kunstwerk ganz vergessen
worden, wenn nicht unser Dichter sich das Buch zur Einsicht erbeten
hätte. »Ich habe die interessantesten Szenen bezeichnet,« rief die
Wollau, »wer von den Herren ist so gefällig, uns, wenn es anders der
Gesellschaft angenehm ist, daraus vorzulesen?«

»Herrlich -- schön -- ein vortrefflicher Einfall --« ertönte es wieder,
und unser Führer, der in diesem Augenblicke das Buch in der Hand hatte,
wurde durch Akklamation zum Vorleser erwählt. Man goß die Tassen wieder
voll und reichte die zierlichen Brötchen umher, um doch auch dem Körper
Nahrung zu geben, während der Geist mit einem neuen Roman gespeist
wurde, und als alle versehen waren, gab die Hausfrau das Zeichen, und
die Vorlesung begann.

Beinahe eine Stunde lang las der Dichter mit wohltönender Stimme aus
dem Buche vor. Ich weiß wenig mehr davon, als daß es, wenn ich nicht
irre, die Beschreibung von Tableaus enthielt, die von einigen Damen der
großen Welt aufgeführt wurden. Mein Ohr war nur halb oder gar nicht
bei der Vorlesung, denn ich belauschte die Herzensergießungen zweier
Fräulein, die, scheinbar aufmerksam auf den Vorleser, einander allerlei
Wichtiges in die Ohren flüsterten. Zum Glück saß ich weit genug von
ihnen, um nicht in den Verdacht des Lauschens zu geraten, und doch war
die Entfernung gerade so groß, daß ein Paar gute Ohren alles hören
konnten! Die eine der beiden war die jüngere Tochter des Hauses, die,
wie ich hörte, an einen Gardeleutnant ihr Herz verloren hatte.

»Und denke dir,« flüsterte sie ihrer Nachbarin zu, »heute in aller
Frühe ist er mit seiner Schwadron vorbeigeritten, und unter meinem
Fenster haben die Trompeter den Galoppwalzer von letzthin anfangen
müssen.«

»Du Glückliche!« antwortete das andere Fräulein, »und hat Mama nichts
gemerkt?«

»So wenig als letzthin, wo er mich im Kotillon fünfmal aufzog. Was
ich damals in Verlegenheit kam, kannst du gar nicht glauben. Ich war
mit dem ...schen Attaché engagiert, und du weißt, wie unerträglich
mich dieser dürre Mensch verfolgt. Er hatte schon wieder von den
italienischen Gegenden Süddeutschlands angefangen und mir nicht
undeutlich zu verstehen gegeben, daß sie noch schöner wären, wenn
ich mit ihm dorthin zöge; da erlöste mich der liebe Fladorp aus
dieser Pein. Doch kaum hatte er mich wieder zurückgebracht, als der
Unerträgliche sein altes Lied von neuem anstimmte, aber Eduard holte
mich noch viermal aus seinen glänzendsten Phrasen heraus, so daß
jener vor Wut ganz stumm war, als ich das letzte Mal zurückkam. Er
äußerte gegen Mama seine Unzufriedenheit; sie schien ihn aber nicht zu
verstehen.«

»Ach, wie glücklich du bist,« entgegnete wehmütig die Nachbarin, »aber
ich! Weißt du schon, daß mein Dagobert nach Halle versetzt ist? Wie
wird es mir ergehen!«

»Ich weiß es und bedaure dich von Herzen, aber sage mir doch, wie dies
so schnell kam?«

»Ach!« antwortete das Fräulein und zerdrückte heimlich eine Träne im
Auge. »Ach, du hast keine Vorstellung von den Kabalen, die es im Leben
gibt. Du weißt, wie eifrig Dagobert immer für das Wohl des Vaterlandes
war. Da hatte er nun einen neuen Zapfenstreich erfunden, er hat ihn
mir auf der Fensterscheibe vorgespielt, er ist schön. Seinem Obersten
gefiel er auch recht wohl, aber dieser wollte haben, er solle ihm die
Ehre der Erfindung lassen. Natürlich konnte Dagobert dies nicht tun,
und, darüber aufgebracht, ruhte der Oberst nicht eher, bis der Arme
nach Halle versetzt worden ist. Ach, du kannst dir gar nicht denken,
wie wehmütig mir ums Herz ist, wenn der Zapfenstreich an meinem Fenster
vorbeikommt, sie spielen ihn alle Abend nach der neuen Erfindung, und
der, welcher ihn machte, kann ihn nicht hören!«

»Ich bedaure dich recht. Aber weißt du auch schon etwas ganz Neues? Daß
sie bei der Garde andere Uniform bekommen?«

»Ist's möglich? O sage, wie denn? Woher weißt du es?«

»Höre, aber im _engsten_ Vertrauen, denn es ist noch tiefes, tiefes
Geheimnis. Eduard hat es von seinem Obersten und gestand mir es
neulich, aber unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit. Sieh, die
Knöpfe werden auf der Brust weiter auseinandergesetzt und laufen weiter
unten enger zu, auf diese Art wird die Taille noch viel schlanker,
dann sollen sie auch goldene Achselschnüre bekommen, das weiß aber der
Oberst und ich glaube selbst der General noch nicht ganz gewiß; auch an
den Beinkleidern geschehen Veränderungen. -- Eduard muß aussehen wie
ein Engel -- siehe, bisher ...«

Sie flüsterten jetzt leiser, so daß ich über den Schnitt der
Gardebeinkleider nicht recht ins klare kommen konnte. Nur so viel
sah ich, daß schöne Augen bei platonischen Empfindungen ein recht
schönes Feuer haben, daß sie aber viel reizender leuchten, bei weitem
glänzendere Strahlen werfen, wenn sich _sinnliche Liebe_ in ihnen
spiegelt.



Dreizehntes Kapitel.

Angststunden des ewigen Juden.


Der Vorleser war bis an einen Abschnitt gekommen und legte das Buch
nieder. Allgemeiner Applaus erfolgte, und die gewöhnlichen Ausrufungen,
die schon dem Stickmuster gegolten hatten, wurden auch der Gabriele zu
teil. Ich konnte die Geistesgegenwart und die schnelle Fassungskraft
der beiden Fräulein nicht genug bewundern; obgleich sie nicht den
kleinsten Teil des Gelesenen gehört haben konnten, so waren sie doch
schon so gut geschult, daß sie voll Bewunderung schienen. Die eine lief
sogar hin zu Frau von Wollau, faßte ihre Hand und drückte sie an das
Herz, indem sie ihr innig dankte für den Genuß, den sie allen bereitet
habe.

Diese Dame aber saß da, voll Glanz und Glorie, wie wenn sie die
Gabriele selbst zur Welt gebracht hätte. Sie dankte nach allen Seiten
hin für das Lob, das ihrer Freundin zu teil geworden, und gab nicht
undeutlich zu verstehen, daß sie selbst vielleicht einigen Einfluß
auf das neue Buch gehabt habe. Denn sie finde hin und wieder leise
Anklänge an ihre eigenen Empfindungen, an ihre eigenen Ideen über
inneres Leben und über die Stellung der Frauen in der Gesellschaft, die
sie in traulichen Stunden ihrer Freundin aufgeschlossen.

Man war natürlich so artig, ihr deswegen einige Komplimente zu machen,
obgleich man allgemein überzeugt war, daß die geniale Freundin nichts
aus dem inneren Wollauschen Leben _gespickt_ haben werde.

Der ewige Jude hatte indes bei diesen Vorgängen eine ganz sonderbare
Figur gespielt. Verwunderungsvoll schaute er in diese Welt hinein,
als traue er seinen Augen und Ohren nicht. Doch war das Bemühen,
nach meiner Vorschrift ästhetisch und kritisch auszusehen, nicht
zu verkennen. Aber weil ihm die Uebung darin abging, so schnitt er
so greuliche Grimassen, daß er einigemal während des Vorlesens die
Aufmerksamkeit des ganzen Zirkels auf sich zog und die Dame des Hauses
mich teilnehmend fragte, ob mein Hofmeister nicht wohl sei?

Ich entschuldigte ihn mit Zahnschmerzen, die ihn zuweilen befallen, und
glaubte alles wieder gut gemacht zu haben. Als aber Frau von Wollau,
die ihm gegenübersaß, ihren Einfluß auf die Dichterin mitteilte, mußte
das preziöse, geschraubte Wesen derselben dem alten Menschen so komisch
vorkommen, daß er laut auflachte.

Wer jemals das Glück gehabt hat, einem eleganten Tee in höchst
feiner Gesellschaft beizuwohnen, der kann sich leicht denken, wie
betreten alle waren, als dieser rohe Ausbruch des Hohns erscholl.
Eine unangenehme, totenstille Pause erfolgte, in welcher man bald den
Doktor Mucker, bald die beleidigte Dame ansah. Die Frau des Hauses,
eingedenk des stechenden Kusses, wollte schon den unartigen Fremden,
der den Anstand ihres Hauses so gröblich verletzte, ohne Rückhalt
zurechtweisen, als dieser mit mehr Gewandtheit und List, als ich ihm
zugetraut hätte, sich aus der Affäre zu ziehen wußte.

»Ich hoffe, gnädige Frau,« sagte er, »Sie werden mein allerdings
unzeitiges Lachen nicht mißverstehen und mir erlauben, mich zu
rechtfertigen. Es ist Ihnen allen gewiß auch schon begegnet, daß eine
Ideen-Association Sie völlig außer Kontenance brachte. Ist doch schon
manchem mitten unter den heiligsten Dingen ein lächerlicher Gedanke
aufgestoßen, der ihn im Munde kitzelte, und je mehr er bemüht war, ihn
zu verhalten und zurückzudrängen, desto unaufhaltsamer brach er auf
einmal hervor; so geschah es mir in diesem Augenblick. Sie würden
mich unendlich verbinden, gnädige Frau, wenn Sie mir erlaubten, durch
offenherzige Erzählung mich bei Frau von Wollau zu entschuldigen.«

Gnädige Frau, höchlich erfreut, daß der Anstand doch nicht verletzt
sei, gewährte ihm freundlich seine Bitte, und der ewige Jude begann:
»Frau von Wollau hat uns ihr interessantes Verhältnis zu einer
berühmten Dichterin mitgeteilt; sie hat uns erzählt, wie sie in
manchen Stunden über ihre schriftstellerischen Arbeiten sich mit ihr
besprochen, und dies erinnerte mich lebhaft an eine Anekdote aus meinem
eigenen Leben.

Auf einer Reise durch Süddeutschland verlebte ich einige Zeit in S.
Meine Abendspaziergänge richteten sich meistens nach dem königlichen
Garten, der jedem Stand zu allen Tageszeiten offen stand. Die schöne
Welt ließ sich dort zu Fuß und zu Wagen jeden Abend sehen. Ich wählte
die einsameren Partien des Gartens, wo ich, von dichten Gebüschen gegen
die Sonne und störende Besuche verschlossen, auf weichen Moosbänken mir
und meinen Gedanken lebte.

Eines Abends, als ich schon längere Zeit auf meinem Lieblingsplätzchen
geruht hatte, kamen zwei gutgekleidete, ältliche Frauen und setzten
sich auf eine Bank, die nur durch eine schmale, aber dichtbelaubte
Hecke von der meinigen getrennt war. Ich hielt nicht für nötig,
ihnen meine Nähe, die sie nicht zu ahnen schienen, zu erkennen zu
geben. Neugierde war es übrigens nicht, was mich abhielt, denn ich
kannte keine Seele in jener Stadt, also konnten mir ihre Reden
höchst gleichgültig sein. Aber stellen Sie sich mein Erstaunen vor,
Verehrteste, als ich folgendes Gespräch vernahm:

›Nun? Und darf man Ihnen Glück wünschen, Liebe? Haben Sie endlich die
hartnäckige Elise aus der Welt geschafft?‹

›Ja,‹ antwortete die andere Dame, ›heute früh nach dem Kaffee habe ich
sie umgebracht.‹

Schrecken durchrieselte meine Glieder, als ich so deutlich und
gleichgültig von einem Mord sprechen hörte; so leise als möglich
näherte ich mich vollends der Hecke, die mich von jenen trennte,
schärfte mein Ohr wie ein Wachtelhund, daß mir ja nichts entgehen
sollte, und hörte weiter.

›Und wie haben Sie ihr den Tod beigebracht? Wie gewöhnlich durch Gift?
Oder haben Sie die Unglückliche, wie Othello seine Desdemona, mit dem
Deckbette erstickt?‹

›Keines von beiden,‹ entgegnete jene, ›aber recht hart ward mir dieser
Mord; denken Sie sich, drei Tage lang hatte ich sie schon zwischen
Leben und Sterben, und immer wußte ich nicht, was ich mit ihr anfangen
sollte. Da fiel mir endlich ein gewagtes Mittel ein; ich ließ sie,
wie durch Zufall, von einem Steg ohne Geländer in den tiefen Strom
hinabgleiten, die Wellen schlugen über ihr zusammen. Man hat von Elisen
nichts mehr gesehen.‹

›Das haben Sie gut gemacht, und die wievielte war diese, die Sie auf
die eine oder die andere Art umbringen?‹

›Nun, das wird bald abgezählt sein, Pauline Dupuis, Marie usw., aber
die erstere trug mir am meisten Geld ein. Es waren dies noch die guten
Zeiten von 1802, wo noch wenige mit mir konkurrierten.‹

Die Haare standen mir zu Berg. Also fünf unschuldige Geschöpfe hatte
diese Frau schon aus der Welt geschafft. War es nicht ein gutes Werk an
der menschlichen Gesellschaft, wenn ich einen solchen Greuel aufdeckte
und die Mörderin zur Rechenschaft zog?

Die Damen waren nach einigen gleichgültigen Gesprächen aufgestanden
und hatten sich der Stadt zugewendet. Leise stand ich auf und schlich
mich ihnen nach, wie ein Schatten ihren Fersen folgend. Sie gingen
durch die Promenade, ich folgte; sie kehrten um und gingen durchs Tor,
ich folgte; sie schienen endlich meine Beobachtungen zu bemerken, denn
die eine sah sich einigemal nach mir um, ihr böses Gewissen schien
mir erwacht, sie mochte ahnen, daß ich den Mord wisse, sie will mich
durch die verschiedene Richtung der Straßen, die sie einschlägt,
täuschen, aber ich -- folge. Endlich stehen sie an einem Hause still.
Sie ziehen die Glocke, man schließt auf, sie treten ein. Kaum sind
sie in der Türe, so gehe ich schnell heran, merke mir die Nummer des
Hauses und eile, getrieben von jenem Eifer, den die Entdeckung eines so
schauerlichen Geheimnisses in jedem aufregen muß, auf die Direktion der
Polizei.

Ich bitte den Direktor um geheimes Gehör. Ich lege ihm die ganze
Sache, alles, was ich gehört hatte, auseinander, weiß aber leider
von den Gemordeten keine mit ihrem wahren Namen anzugeben, als eine
gewisse _Pauline Dupuis_, die im Jahre 1801 unter der mörderischen Hand
jener Frau starb. Doch dies war dem unter solchen Fällen ergrauten
Polizeimann genug. Er dankt mir für meinen Eifer, schickt sogleich
Patrouille in die Straße, die ich ihm bezeichnete, und fordert mich
auf, ihn, wenn die Nacht vollends hereingebrochen sein werde, in jenes
Haus zu begleiten. Die Nacht wähle er lieber dazu, da er bei solchen
Auftritten den Zudrang der Menschen und das Aufsehen womöglich vermeide.

Die Nacht brach an, wir gingen. Die Polizeisoldaten, die das Haus
umstellt hatten, versicherten, daß noch kein Mensch dasselbe verlassen
habe. Der Vogel war also gefangen. Wir ließen uns das Haus öffnen und
fingen im ersten Stock unsere Untersuchung an. Gleich vor der Türe des
ersten Zimmers hörte ich die Stimmen der beiden Frauen. Ohne Umstände
öffne ich und deute dem Polizeidirektor die kleinere, ältliche Dame als
die Verbrecherin an.

Verwundert stand diese auf, trat uns entgegen und fragte nach unserem
Begehr. In ihrem Auge, in ihrem ganzen Wesen hatte die Dame etwas, das
mir imponierte. Ich verlor auf einen Augenblick die Fassung und deutete
nur auf den Direktor, um sie wegen ihrer Frage an jenen zu weisen. Doch
dieser ließ sich nicht so leicht verblüffen. Mit der ernsten Amtsmiene
eines Kriminalrichters fragte er sie über ihren heutigen Spaziergang
aus. Sie gestand ihn zu, wie auch die Bank, wo sie gesessen. Ihre
Aussagen stimmten ganz zu den meinigen, der Mann sah sie schon als
überwiesen an. Die Frau fing an ängstlich zu werden, sie fragte, was
man denn von ihr wolle, warum man ihr Haus, ihr Zimmer mit Bewaffneten
besetze, warum man sie mit solchen Fragen bestürme?

Der Mann der Polizei sah in diesen ängstlichen Fragen nur den Ausbruch
eines schuldbeladenen Gewissens. Er schien es für das beste zu halten,
durch eine verfängliche Frage ihr vollends das Verbrechen zu entlocken.
›Madame, was haben Sie Anno 1801 mit Pauline Dupuis angefangen? Leugnen
Sie nicht länger, wir wissen alles, sie starb durch Ihre Hand, wie
heute früh die unglückliche Elise!‹

›Ja, mein Herr! Ich habe die eine wie die andere sterben lassen,‹
antwortete diese Frau mit einer Seelenruhe, die sogar in ein boshaftes
Lächeln überzugehen schien.

›Und diesen Mord gestehen Sie mit so viel Gleichmut, als hätten Sie
zwei Tauben abgetan?‹ fragte der erstaunte Polizeidirektor, dem ~in
praxi~ eine solche Mörderin noch nicht vorgekommen sein mochte. ›Wissen
Sie denn, daß Sie verloren sind, daß es Ihnen den Kopf kosten kann?‹

›Nicht doch!‹ entgegnete die Dame. ›Die Geschichte ist ja weltbekannt.‹
-- ›Weltbekannt?‹ rief jener. ›Bin ich nicht schon seit vierundzwanzig
Jahren Polizeidirektor? Meinen Sie, dergleichen könnte mir entgehen?‹

›Und dennoch werde ich recht haben; erlauben Sie, daß ich Ihnen die
Belege herbeibringe?‹

›Nicht von der Stelle, ohne gehörige Bewachung. Wache! Zwei Mann
auf jeder Seite von Madame. Bei dem ersten Versuch zur Flucht --
zugestoßen!‹

Vier Polizeidiener mit blanken Seitengewehren begleiteten die
Unglückliche, die mir den Verstand verloren zu haben schien. Bald
jedoch erschien sie wieder, ein kleines Buch in der Hand.

›Hier, meine Herren, werden Sie die Belege zu dem Morde finden,‹ sagte
sie, indem sie uns lächelnd das Buch überreichte.

›Taschenbuch für 1802,‹ murmelte der Direktor, indem er das Buch
aufschlug und durchblätterte, ›was Teufel, gedruckt und zu lesen steht
hier: _Pauline Dupuis_ von -- mein Gott, Sie sind die Witwe des Herrn
von -- und, wenn ich nicht irre, selbst Schriftstellerin?‹

›So ist es,‹ antwortete die Dame und brach in ein lustiges Lachen
aus, in welches auch der Direktor einstimmte, indem er, vor Lachen
sprachlos, auf mich deutete.

›Und Elise, wie ist es mit diesem armen Kind?‹ fragte ich, den
Zusammenhang der Sache und die Fröhlichkeit der Mörderin und des
Polizeimannes noch immer nicht verstehend.

›Sie liegt ermordet auf meinem Schreibtisch,‹ sagte die Lachende, ›und
soll morgen durch die Druckerei zum ewigen Leben eingehen.‹

Was brauche ich noch dazuzusetzen? Meine Herren und Damen! Ich war der
Narr im Spiel, und jene Frau war die rühmlichst bekannte, interessante
Th. v. H. Die Erzählung »Pauline Dupuis« ist noch heute zu lesen;
ob die geniale Frau ihre Elise, die sie am Morgen jenes Tages nach
dem Kaffee vollendet hatte, herausgegeben, weiß ich nicht. Ich mußte
aus S. entfliehen, um nicht zum Gespötte der Stadt zu werden. Vorher
aber schickte mir der Polizeidirektor noch eine große Diätenrechnung
über Zeitversäumnis, weil ich durch jene lustige Mordgeschichte den
Durstigen von seinem gewöhnlichen Abendbesuch in einem Klub abgehalten
hatte.« --

Der ewige Jude hatte mit einer verbindlichen Wendung an Frau von Wollau
geendet. Allgemeiner Beifall ward ihm zu teil, und ein gnädiges Lächeln
der Hausfrau sagte ihm, wie glücklich er sich gerechtfertigt hatte.
Und wie die finstern Blicke dieser Dame vorher die Männer aus seiner
unglücklichen Nähe entfernt hatten, ebenso schnell nahten sie sich ihm
wieder, als ihn die Gnadensonne wieder beschien. Man zog ihn öfter ins
Gespräch, man befragte ihn über seine Reisen, namentlich über jene in
Süddeutschland. Denn wie Schottland und seine Bewohner für London und
Alt-England überhaupt, so ist Schwaben für die Berliner, welche nie an
den Rebhügeln des Neckars und an den fröhlich grünenden Gestaden der
obern Donau eines jener sinnigen, herzlichen Lieder aus dem Munde eines
»luschtiga Büebles«, oder eines rüstigen hochaufgeschürzten »Mädles«
belauschten, ein Gegenstand hoher Neugierde.

Welch sonderbare Meinungen über jenes Land, selbst in gebildeten
Zirkeln, wie dieser elegante Tee, im Umlauf seien, hörte ich
diesen Abend zu meinem großen Erstaunen. In einem Zaubergarten von
sanften Hügeln, von klaren blauen Strömen, von blühenden, duftenden
Obstwäldern, von prangenden Weingärten durchschnitten, wohne, meinten
sie, ein Völkchen, das noch so ziemlich auf der ersten Stufe der Kultur
stehe. Immense Gelehrte, die sich nicht auszudrücken verstünden,
phantasiereiche Schriftsteller, die kein Wort gutes Deutsch sprechen.
Ihre Mädchen haben keine Bildung, ihre Frauen keinen Anstand. Ihre
Männer werden vor dem vierzigsten Jahre nicht klug, und im ganzen Lande
werden alle Tage viele tausende jener Torheiten begangen, die allgemein
unter dem Namen »Schwabenstreiche« bekannt seien.

Mir kam dieses Urteil lächerlich vor; ich war manches Jahr in Schwaben
gewesen und hatte mich unter den guten Leutchen ganz wohl befunden;
hätte ich nicht befürchten müssen, aus der Rolle eines Zöglings zu
fallen, ich hätte sogleich darauf geantwortet, wie ich es wußte; so
aber ersparte mir mein Mentor die Mühe, welcher unglücklich genug, die
gute Meinung, die er auf einige Augenblicke gewonnen hatte, nur zu
schnell wieder verlieren sollte!

»Ob die Berliner,« sagte er, »mehr innere Bildung, mehr Eleganz
der äußern Formen besitzen als die Schwaben, ob man hier im
Brandenburgischen mit mehr Feinheit ausgerüstet auf die Erde oder
vielmehr auf Sand kommt als in Schwaben, wage ich nicht zu untersuchen,
aber soviel habe ich mit eigenen Augen gesehen, daß man dort im
Durchschnitt unter den Mädchen eine weit größere Menge hübscher, sogar
schöner Gesichter findet als selbst in Sachsen, welches doch wegen
dieses Artikels berühmt ist.«

»~Quelle sottise!~« hörte ich Frau von Wollau schnauben, »welche
abgeschmackte Behauptungen dieser gemeine Mensch --«

Umsonst winkte ich dem Ewigen mit den Augen, umsonst gab ihm der
Dichter einen freundschaftlichen Rippenstoß, ihn zu erinnern,
daß er sich unter Damen befinde, die auch auf Schönheit Anspruch
machten; ruhig, als ob er den erzürnten Schönen das größte Kompliment
gesagt hätte, fuhr er fort: »Sie können gar nicht glauben, wie reizend
dieser verschrieene Dialekt von schönen Lippen tönt; wie alles so
naiv, so lieblich klingt; wie unendlich hübsch sind diese blühenden
Gesichtchen, wenn man ihnen sagt, daß sie schön seien, daß man sie
liebe; wie schelmisch schlagen sie die Augen nieder, wie unschuldig
erröten sie, welcher Zauber liegt dann in ihrem Trotz, wenn sie sich
verschämt wegwenden und flüstern: ›Ach, ganget Se mer weg, moinet
Se denn, i glaub's?‹ Hier in Norddeutschland gibt es meist nur
Teegesichter, die einen Trost darin finden, ästhetisch oder ätherisch
auszusehen; sie müssen den Atem erst lange anhalten, wenn sie es je der
Mühe wert halten, über dergleichen zu erröten.«

O Jude, welchen Bock hattest du geschossen. Kaum hast du das
zornblickende Auge einer Dame versöhnt, so begehst du den großen
Fehler, vor zwölf Damen die schönen Gesichtchen zweier Länder zu
loben, und nicht nur sie nicht mit aufzuzählen, sondern sogar ihren
ätherischen Teint, ihre interessante Mondscheinblässe für Teegesichter
zu verschreien!

Die jungen Damen sahen erstaunt, als trauten sie ihren Ohren nicht, die
ältern an; diese warfen schreckliche Blicke auf den Frevler und auf
die übrigen Herren, die, ebenso erstaunt, noch keine Worte zu einer
Replik finden konnten. Die Teetassen, die goldenen Löffelchen klirrten
laut in den vor Wut zitternden Händen der Mütter, die seit zehn Jahren
mit vieler Mühe es dahin gebracht hatten, daß ihre Töchter nobel und
edel aussehen möchten -- wozu heutzutage, außer dem Gefühl der Würde,
etwas Leidendes, beinahe Kränkliches gehört --, welche die immer wieder
anschwellende Fülle ihrer Töchter, die immer wiederkehrende Röte der
Wangen doch endlich zu besiegen gewußt hatten.

Und jetzt sollte dieser fremde, abenteuerliche, gemeine Mensch sie und
ihre Freude, ihre Kunst zu schanden machen; er sollte es wagen, die
Damen dieses deutschen Paris mit jenen schwerfälligen Bewohnerinnen des
unkultivierten Schwabens auch nur in Parallele zu bringen und ihnen den
ersten Rang zu versagen. Und dies sollten sie dulden?

~Jamais!~ Gnädige Frau nahm das Wort, mit einem Blick, der über
das eiskalte Gesicht des stillen Zornes wie ein Nordschein über
Schneegefilde herabglänzte: »Ich muß Sie nur herzlich bedauern,
Herr Doktor Mucker, daß Sie das schöne Schwaben und seine naiven
Bauerndirnen so treulos verlassen haben; und ich bitte Sie, Lieber,«
fuhr sie fort, indem sie sich zu dem Dichter, der uns eingeführt hatte,
wandte, »ich bitte Sie, muten Sie diesem Herrn da nicht mehr zu, meinen
Zirkel zu besuchen. Jotte doch, er könnte bei unsern Damen seine
robusten Naturen und jene Naivität vermissen, die er sich so ganz zu
eigen gemacht hat.«

Triumphierend richteten sich die Gebeugten auf, die Mütter spendeten
Blicke des Dankes, die Fräulein kicherten hinter vorgehaltenen
Sacktüchern, die jungen Herren hatten auch wieder die Sprache gefunden
und machten sich lustig über meinen armen Hofmeister. Doch der feine
Takt der gnädigen Frau ließ diesem Ausbruch der Nationalrache nur so
lange Raum, bis sie den Doktor Mucker hinlänglich bestraft glaubte.
Beleidigt durfte dieser Mann in ihrem Salon nie werden, wenn er gleich
durch seine rücksichtslose Aeußerung ihren Unwillen verdient hatte; sie
beugte also schnell mit jener Gewandtheit, die feingebildeten Frauen so
eigentümlich ist, allen weitern Bemerkungen vor, indem sie ihren Neffen
aufforderte, sein Versprechen zu halten und der Gesellschaft die längst
versprochene Novelle preiszugeben.

Dieser junge Mann hatte schon während des ganzen Abends meine
Aufmerksamkeit beschäftigt. Er unterschied sich von den übrigen jungen
Herren, die leer in den Tag hinein plauderten, sehr vorteilhaft durch
Ernst und würdige Haltung, durch gewählten Ausdruck und kurzes,
richtiges Urteil. Er war groß und schlank gebaut, männlich schön, nur
vielleicht für manche etwas zu mager. Sein Auge war glänzend und hatte
jenen Ausdruck stillen Beobachtens, der einen Menschenkenner oder
wenigstens einen Mann verriet, der das Leben und Treiben der großen und
kleinen Welt in vielerlei Formen gesehen und darüber gedacht hatte.

Er hatte, was mich sehr günstig für ihn stimmte, an dem Gespräch des
ewigen Juden und an seiner Persiflage mit keinem Wort, ich möchte
sagen, mit keiner Miene teilgenommen. Zum erstenmal an diesem ganzen
Abend entlockte ihm die Frage seiner Tante ein Lächeln, das sein
Gesicht, besonders den Mund, noch viel angenehmer machte; wahrlich, in
diesen Mann hätte ich mich, wenn ich eines der anwesenden Fräulein
gewesen wäre, unbedingt verlieben müssen; aber freilich, junge Damen
haben hierüber ganz andere Ansichten als der Teufel, und das einfache
schwarze Gewand des jungen Mannes konnte natürlich die glänzende
Garde-Uniform und ihren kühnen, die drallen Formen zeigenden Schnitt
nicht aufwägen.



Vierzehntes Kapitel.

Der Fluch.

(Eine Novelle.)


»Ich habe mich vergebens abgemüht, gnädige Tante,« sprach der junge
Mann mit voller, wohltönender Stimme, »eine artige Novelle oder eine
leichte, fröhliche Erzählung für diesen Abend zu ersinnen. Doch, um
nicht wortbrüchig zu erscheinen, muß ich schon den Fehler einigermaßen
gut zu machen suchen. Wenn Sie erlauben, will ich etwas aus meinem
eigenen Leben erzählen, das, wenn es nicht ganz den romantischen
Reiz und den anziehenden Gang einer Novelle, doch immer den Wert der
Wahrheit für sich hat.«

Die Tante bemerkte ihm gütig, daß die einfache Wahrheit oft größeren
Reiz habe als die erfundene Spannung einer Novelle, ja, sie gestand
ihm, daß sie etwas sehr Interessantes erwarte, denn er sehe seit der
Zurückkunft von seinen Reisen so geheimnisvoll aus, daß man auf seine
Begebnisse recht gespannt sein dürfe.

Die älteren Damen lorgnettierten ihn aufmerksam und gaben dieser
Bemerkung vollkommen Beifall; der junge Mann aber hub an zu erzählen:

»Als ich vor fünf Jahren in diesem Saal von einer großen Gesellschaft,
welche die Güte meiner Tante noch einmal um den Scheidenden versammelt
hatte, Abschied nahm, warnten mich einige Damen -- wenn ich nicht
irre, war Frau von Wollau mit davon -- vor den schönen Römerinnen,
vor ihren feurigen, die Herzen entzündenden Blicken. Ich nahm ihre
Warnung dankbar an, noch kräftigeren Schutz aber versprach ich mir von
jenen holden, blauen Augen, von jenen freundlichen vaterländischen
Gesichtchen, von all den lieblichen Bildern, die ich, in feinem und
treuem Herzen aufbewahrt, mit über die Alpen nahm. Und sie schützten
mich, diese Bilder, gegen jene dunklen Feuerblicke der Römerinnen;
wie sie aber vor sanften blauen Augen, welche ich dort sah, sich
unverantwortlich zurückgezogen, wie sie mein armes, unbewahrtes Herz
ohne Bedeckung ließen, will ich als bittere Anklage erzählen.

Der s...sche Gesandte am päpstlichen Hofe hatte mir in der Karwoche
eine Karte zu den Lamentationen in der sixtinischen Kapelle geschickt;
mehr um den alten Herrn, der mir schon manche Gefälligkeit erwiesen
hatte, nicht zu beleidigen, als aus Neugierde, entschloß ich mich
hinzugehen. Ich war nicht in der besten Laune, als es Abend wurde;
statt einer lustigen Partie, wozu mich deutsche Maler geladen, sollte
ich einen Klaggesang mitanhören, der mir schon an und für sich höchst
lächerlich vorkam. Nie hatte ich mich nämlich von der Heiligkeit
solcher Ritualien überzeugen können, selbst in dem ehrwürdigen Kölner
Dom, wo die hohen Gewölbe und Bogen, das Dunkel des gebrochenen
Lichtes, die mächtigen vollen Töne der Orgel manchen andern ernster
stimmen mögen, konnte ich nur über die Macht der Täuschung staunen.

Meine Stimmung wurde nicht heiliger, als ich an das Portal der
sixtinischen Kapelle kam. Die päpstliche Wache, alte, ausgediente,
schneiderhafte Gestalten, hielten hier Wache mit so meisterlicher
Grandezza, als nur die Cherubim an der Himmelstüre. Der Glanz der
Kerzen blendete mich, da ich eintrat, und stach wunderbar ab gegen den
dunklen Chor, in den die Finsternis zurückgeworfen schien. Nur der
Hochaltar war dort von dreizehn hohen Kerzen erleuchtet.

Ich hatte Muße genug, die Gesichter der Gesellschaft um mich her zu
mustern. Ich bemerkte nur sehr wenige Römer, dagegen fast alles, was
Rom an Fremden beherbergte.

Einige französische Marquis, berüchtigte Spieler, einige junge
Engländer von meiner Bekanntschaft, standen ganz in meiner Nähe. Sie
zogen mich auf, daß auch ich mich habe verführen lassen, dem Spektakel,
wie sie es nannten, beizuwohnen; Lord Parter aber meinte, es sei dies
wohl der Schönen zu Gefallen geschehen, die ich mitgebracht habe. Er
deutete dabei auf eine junge Dame, die sich neben mir niedergelassen.
Er fragte nach ihrem Namen und ihrer Straße und schien sehr ungläubig,
als ich ihm damit nicht dienen zu können behauptete.

Ich betrachtete meine Nachbarin näher; es war eine schlanke hohe
Gestalt, dem Wuchs nach keine Römerin; ein schwarzer Schleier bedeckte
das Gesicht und beinahe die ganze Gestalt und ließ nur einen Teil
eines Nackens sehen, so rein und weiß, wie ich ihn selten in Italien,
beinahe nie in Rom gesehen hatte.

Schon pries ich im Herzen meine Höflichkeit gegen den alten Diplomaten,
hoffend, eine interessante Bekanntschaft zu machen, wollte eben -- da
begann der Klaggesang, und meine Schöne schien so eifrig darauf zu
hören, daß ich nicht mehr wagte, sie anzureden. Unmutig warf ich mich
in den Kirchenstuhl zurück, Gott und die Welt, den Papst und seine
Lamentationen verwünschend.

Unerträglich war mir der monotone Gesang. Denken Sie sich sechzig der
tiefsten Stimmen, die ~unisono~ im tiefsten Grundton der menschlichen
Brust Bußpsalmen murmeln. Der erste Psalm war zu Ende, eine _Kerze_ auf
dem Altar verlöschte. Getröstet, die Farce werde ein Ende haben, wollte
ich eben den jungen Lord anreden, als von neuem der Gesang anhub.

Jener belehrte mich zu meinem großen Jammer, daß noch alle zwölf
übrigen Kerzen verlöschen müssen, bis ich ans Ende denken könne. Die
Kirche war geschlossen und bewacht, an ein Entfliehen war nicht zu
denken. Ich empfahl mich allen Göttern und gedachte, einen gesunden
Schlaf zu tun. Aber wie war es möglich? Wie Strahlen einer Mittagssonne
strömten die tiefen Klänge auf mich zu. Zwei bis drei Kerzen
verlöschten, meine Unruhe ward immer größer.

Endlich aber, als die Töne noch immer fortwogten, drangen sie mir
bis ins innerste Mark. Das Erz meiner Brust schmolz vor den dichten
Strahlen, Wehmut ergriff mich, Gedanken aus den Tagen meiner Jugend
stiegen wie Schatten vor meiner Seele auf, unwillkürliche Rührung
bemächtigte sich meiner, und Tränen entstürzten seit Jahren zum
erstenmal meinem Auge.

Beschämt schaute ich mich um, ob doch keiner meine Tränen gesehen. Aber
die Spieler, wunderbarer Anblick! lagen zerknirscht auf ihren Knieen,
der Lord und seine Freunde weinten bitterlich. Zwölf Kerzen waren
verlöscht. Noch _einmal_ erhoben sich die tiefen, herzdurchbohrenden
Töne, zogen klagend durch die Halle, immer dumpfer, immer leiser
verschwebend. Da verlöschte die letzte Kerze und zugleich mit das
Feuermeer der Kirche, und bange Schatten, tiefe Finsternis drang aus
dem Chor und lagerte sich über die Gemeinde. Mir war, als wär' ich
aus der Gemeinschaft der Seligen hinausgestoßen in eine fürchterliche
Nacht.

Da tönten aus des Chores hintersten Räumen süße klagende Stimmen. Was
jenes tiefe, schauerliche Unisono unerweicht gelassen, zerschmolz
vor diesem hohen Dolce der Wehmut. Rings um mich das Schluchzen
der Weinenden, vom Chor herüber Töne, wie von gerichteten Engeln
gesungen, glaubte ich nicht anders, als in einer zernichteten Welt
mit unterzugehen und zu hören, der Glaube an Unsterblichkeit sei Wahn
gewesen.

Der Gesang war verklungen, Fackeln erhellten die Szene, die Menge ergoß
sich durch die Pforten, und auch ich gedachte mich zum Aufbruch zu
rüsten; da gewahrte ich erst, daß meine schöne Nachbarin noch immer auf
den Knieen niedergesunken lag. Ich faßte mir ein Herz.

›Signora,‹ sprach ich, ›die Tore werden geschlossen, wir sind die
letzten in der Kapelle.‹

Keine Antwort. Ich faßte ihre Rechte, die auf der Seite niederhing, sie
war kalt und ohne Leben. Sie lag in Ohnmacht.

Ich befand mich in sonderbarer Lage. Die Nacht war schon weit
vorgerückt; nur noch einige Flambeaux zogen durch die Kirche, ich mußte
alle Augenblicke befürchten, vergessen zu werden. Ich besann mich nicht
lange, rief einen der Fackelträger herbei, um mit seiner Hilfe die Dame
aufzurichten.

Wie ward mir, als ich den Schleier aufschlug! Der düstere Schein der
halbverlöschten Fackel fiel auf ein Gesicht, wie ich es auch auf den
herrlichsten Kartons von Raphael nie gesehen! Glänzendbraune Locken
hatten sich aufgelöst und fielen herab bis in den verhüllten Busen
und umzogen das liebliche Oval ihres Angesichtes, auf dem sich eine
durchsichtige Blässe gelagert hatte. Die schönen Bogen der Brauen
versprachen ein ernstes, vielleicht etwas schelmisches Auge, und den
halbgeöffneten Mund, umkleidet mit den weißesten Perlen, konnte Gram,
konnte Schmerz so gezogen haben.

Als wir sie aufrichten wollten, schlug sie das herrliche, blaue Auge
auf, dessen eigener schwärmerischer Glanz mich so überraschte, daß ich
einige Zeit mich zu sammeln nötig hatte. Sie richtete sich plötzlich
auf, stand nun in ihrer ganzen Schöne mir gegenüber. Welch zarte Formen
bei so vielem Anstand, bei so ungewöhnlicher Höhe des Wuchses. Sie
schaute verwundert in der Kirche umher, ließ dann ihre Blicke auf mich
herübergleiten.

›Und Sie hier, Otto?‹ sprach sie, nicht italienisch, nein, in reinem,
wohlklingendem Deutsch.

Wie war mir doch so wunderbar! Sie sprach so bekannt zu mir, ja, sogar
meinen Namen hatte sie genannt; woher konnte sie ihn wissen? -- sie
schien verwundert über mein Schweigen.

›Nicht bei Laune, Freund? Und doch haben Sie mich so freundlich
unterstützt? Doch, lassen Sie uns gehen, es wird spät.‹

Sie hatte recht. Die Fackel drohte zu verlöschen. Ich gab ihr den Arm.
Sie drückte zärtlich meine Hand.

Was sollte ich denken, was sollte ich machen? Betrug von ihr war nicht
möglich -- das Mädchen _konnte_ keine Dirne sein. Verwechslung war
offenbar. Aber sie wußte mich bei meinem Namen zu nennen, sie war so
ohne Arg. -- Ich wagte es -- ich übernahm die Rolle eines verstimmten
Verehrers und schritt schweigend mit ihr durch die Hallen.

Am Portal geht mein Jammer von neuem an. Welche Straße sollt' ich
wählen, um nicht sogleich meine wahre Unbekanntschaft zu verraten? Ich
nahm allen meinen Mut zusammen und schritt auf die mittlere Straße zu.

›Mein Gott,‹ rief sie aus und zog meinen Arm sanft seitwärts, ›Otto, wo
sind Sie nur heute? Hier wären wir ja an die Tiber gekommen.‹

O! Wie hörte ich so gerne diese Stimme! Wie lieblich klingt unsere
Sprache in einem schönen Munde. Schon oft hatte ich die Römerinnen
beneidet um den Wohllaut ihrer Töne; hier war weit mehr, als ich in
Rom gehört; es mußte offenbar ein deutsches Mädchen sein, ich sah es
aus allem, und doch so reine, runde Klänge ihrer Sprache! Als ich noch
immer schwieg, brach sie in ein leises Weinen aus. Ihr tränendes Auge
sah mich wehmütig an, ihre Lippen wölbten sich, wie wenn sie einen Kuß
erwarteten.

›Bist du mir nicht mehr gut, mein Otto? Ach, könntest du mir zürnen,
daß ich die Lamentationen hörte? O! zürne mir nicht! Doch du hast
recht, wäre ich lieber nicht hingegangen. Ich glaubte Trost zu finden
und fand keinen Trost, keine Hoffnung. Alle meine Lieben schienen dem
Grab entstiegen, schienen über die Alpen zu wehen und mit Tönen der
Klage mich zu sich zu rufen. Wie bin ich doch so allein auf der Erde!‹
weinte sie, indem ihr blaues Auge in das nächtliche Blau des Himmels
tauchte. ›Wie bin ich so allein! -- Und wenn ich dich nicht hätte, mein
Otto!‹

Meine Lage grenzte an Verzweiflung, das schönste lieblichste Kind im
Arme, und doch nicht sagen können, wie ich sie liebte! Als ihre Tränen
noch nicht aufhören wollten, flüsterte ich endlich leise: ›Wie könnte
ich dir zürnen.‹

Sie schaute freudig dankbar auf -- ›Du bist wieder gut? Und o! wie
siehst du heute doch gar nicht so finster aus, auch deine Stimme klingt
heute so weich! Sei auch morgen so und laß nicht wieder einen ganzen
langen Tag auf dich warten.‹

Sie näherte sich einem Haus und blieb davor stehen, indem sie die
Glocke zog. ›Und nun gute Nacht, mein Herz,‹ sagte sie, ›wie gern säß
ich noch zu dir auf der Bank, aber die Signora wartet wohl schon zu
lange.‹ Ich wußte nicht, wie mir geschah, ich fühlte einen heißen Kuß
auf meinen Lippen, und weg war sie.

Ich merkte mir die Nummer des Hauses, aber die Straße konnte ich nicht
erkennen. Nur einen Brunnen und gegenüber vor ihrem Haus eine Madonna
in Stein gehauen, konnte ich als Zeichen für die Zukunft anmerken.
Ich wand mich mit unsäglicher Mühe durch das Gewirr der Straßen
und war doch nicht froh, als ich endlich mein Haus erreichte. Bis
an den lichten Morgen kein Schlaf. Zuerst ließ mich der Mond nicht
schlafen, der mich durchs Fenster herein angrinste, und als ich die
Gardine vorzog, schien gar der Engelkopf des Mädchens hereinzublicken.
Mitunter zogen auch die Lamentationen durch meinen wirren Kopf, und
ich verwünschte endlich ein Abenteuer, das mich eine schlaflose Nacht
kostete.

Sehr frühe am andern Morgen traten Lord Parter und einer seiner Freunde
bei mir ein. Sie wollten mir begegnet sein, als ich meine rätselhafte
Schöne zu Haus brachte, und schalten mich neckend, daß ich sie gestern
gänzlich verleugnet habe. Als ich ihnen mein Abenteuer, dem größern
Teil nach, erzählte, wurden sie noch ungestümer und behaupteten, mich
deutlich schon mehreremal mit derselben Dame gesehen zu haben. Immer
klarer ward mir, daß irgend ein Dämon sich in meine Gestalt gehüllt
habe, da ja auch das Mädchen mich so genau zu kennen schien, und
ich war nicht minder begierig, das liebe Mädchen, als das leibhafte
Konterfei meiner Gestalt zu Gesicht zu bekommen. Die beiden Engländer
mußten mir Stillschweigen geloben, indem ich mich vor dem Spott meiner
Bekannten fürchtete, zugleich versprachen sie auch, mir suchen zu
helfen.

Nach langem Umherirren, wobei wir tausend Lügen ersinnen mußten, um die
erwachende Neugierde unserer Freunde zu täuschen, fanden wir endlich
in dem entlegensten Winkel der Stadt jene Merkzeichen, die Madonna und
den Brunnen. Ich sah das Haus der Holden, ich sah die Bank an der Türe,
auf welcher ich hätte selig werden sollen, aber hier ging auch unser
Weg zu Ende. Als Fremde hätten wir zu viel gewagt, so weit entfernt von
den uns bekannten Straßen, unter einer Menschenklasse, die besonders
den Engländern so gram ist, uns in ein fremdes Haus einzudrängen. Wir
zogen mehreremal durch die Straße, immer war die Türe verschlossen,
immer die Fenster neidisch verhängt. Wir verteilten uns, bewachten
tagelang die Promenaden, weder meine Schöne noch mein Ebenbild ließen
sich sehen.

Geschäfte riefen mich in dieser Zeit nach Neapel. So angenehm mir
sonst diese Reise gewesen wäre, so war sie mir in meiner gegenwärtigen
Spannung höchst fatal. Unaufhörlich verfolgte mich das Bild des
Mädchens, im Traum wie im Wachen hörte ich die liebliche Stimme
flüstern. Hatten mich die Gesänge in der Kapelle so weich gestimmt,
hatte das flüchtige Bild der Schönen vermocht, was der Geist und die
Schönheit so mancher andern nicht über mich vermochte?

Unruhig reiste ich ab. Die Reise, so viele abwechselnde Gegenstände,
die ernsten Geschäfte, der Reiz der Gesellschaft, nichts gab mir meine
Ruhe wieder.

Es war die Zeit des Karnevals, als ich nach Rom zurückkehrte. Durfte
ich hoffen, im Gewühle der Menge den Gegenstand meiner Sehnsucht
herauszufinden? Meine englischen Freunde waren abgereist, ich hatte
niemand mehr, dem ich mich vertrauen mochte. Ohne Hoffnung hatte ich
mehrere Tage verstreichen lassen, ich war nicht zu bewegen, mich unter
die Freuden des Karnevals zu mischen.

Wie erstaunte ich aber, als mich am Morgen des vierten Tages der
Karnevalswoche der Gesandte fragte, wie ich mich gestern amüsiert
habe. Ich sagte ihm, ich sei nicht im Korso gewesen. Er erstaunte,
behauptete, mich von seinem Wagen aus mit einer Dame am Arm gesehen
und begrüßt zu haben. Er schwieg etwas beleidigt, als ich es wieder
verneinte. Aber plötzlich kam mir der Gedanke: wie, wenn es die
Gesuchten wären? -- Man war in allen Zirkeln sehr gespannt auf diesen
Abend. Ein prachtvoller Maskenzug, worin Damen aus den edelsten
römischen Häusern eine Rolle übernommen hatten, sollte den Karneval
verherrlichen. Ich gab dem Drängen meiner Bekannten nach und ging mit
in den Korso.

Erwarten Sie von mir keine Beschreibung dieses Schauspiels. Zu jeder
andern Zeit würde ich ihm alle meine Aufmerksamkeit geschenkt haben,
nicht nur weil es mir als Volksbelustigung sehr interessant gewesen
wäre, sondern weil sich der Charakter der Römer gerade hier am meisten
aufdeckt. Aber wenn ich sage, daß von dem ganzen Abend, von allen
Herrlichkeiten des Korso nur noch ein Schatten in meiner Erinnerung
geblieben, und nur _ein_ heller Stern aus dieser Nacht auftaucht, so
werden Sie vergeben, wenn ich über das interessante Schauspiel Ihre
Neugierde nicht zur Genüge befriedige.

Die lange, enge Straße war schon gefüllt, als wir durch die Porta
del popolo hereintraten. Unabsehbar wogten die Wellen der Menge
durcheinander. Und das Auge gleitete unbefriedigt darüber hinweg,
weil es unter der Mischung der grellsten Farben keinen Punkt fand,
der es festhielt. Die Erwartung war gespannt. Ueberall hörte man von
dem Maskenzug reden, der sich nun bald nahen müsse. Ein rauschendes
Beifallrufen drang jetzt von dem Obelisken auf der Piazza herüber
und verkündete die Auffahrt der Masken. Alle Blicke richteten sich
dorthin. Von den Balkonen und Gerüsten herab wehten ihnen Tücher und
winkten schöne Hände entgegen, indem die Equipagen sich in die Seiten
drängten, um den Wagen des Zuges Platz zu machen. Er nahte. Gewiß ein
herrlicher Anblick. Die Götter der alten Roma schienen wieder in die
alten Mauern eingezogen zu sein, um ihren Triumph zu feiern. Liebliche,
majestätische Gruppen! Welch herrliche Umrisse in den Gestalten des
Apoll und Mars, wie lieblich Venus und Juno, und man konnte es nicht
für Unbescheidenheit halten, sondern mußte gerade hierin den schönsten
Triumph finden, wenn das Volk mit Ungestüm den Göttinnen zurief, die
Masken abzunehmen. Unendlich wurde aber der Beifall, als die Gräfin
Parvi, die edlen Formen des Gesichtes unverhüllt, als Psyche sich
nahte. Wahrlich, dieser liebliche Ernst, diese sanfte Größe hätten
einen Zeuxis und Praxiteles begeistern können.

Der Abend nahte heran, man rüstete sich, die Gerüste zu besteigen,
weil das Pferderennen beginnen sollte. Ich stand ziemlich verlassen
auf der Straße, musternd mit sehnsüchtigen Blicken die Galerien und
Balkone, ob meine Schöne nicht darauf zu treffen sei. Plötzlich fühlte
ich einen leisen Schlag auf die Schulter. ›So einsam?‹ tönte in der
lieben Muttersprache eine süße Stimme in mein Ohr. Ich sah mich um.
Eine reizende Maske, in der Kleidung einer Tirolerin, stand hinter mir.
Durch die Höhlen der Maske blitzten jene blauen Augen, die mich damals
so sehr überraschten. Sie ist's -- es ist kein Zweifel. Ich bot ihr
schweigend die Hand, sie drückte sie leise. ›Du böser Otto,‹ flüsterte
sie, ›den ganzen Abend habe ich dich vergebens gesucht. Wie mußte ich
schwatzen, um die Signora loszuwerden!‹

Die Wache rückte die Straße herab. Es war hohe Zeit, die Galerien zu
suchen. Ich deutete hinauf, sie gab mir ihren Arm, sie folgte. Ein
heimliches Plätzchen hinter einer Säule bot sich dar, sie wählte es
von selbst. Karneval, Pferderennen, alle Schönheiten Roms waren für
mich verloren, als mein stiller Himmel sich öffnete, als sie die Maske
abnahm. Noch lieblicher, noch unendlich schöner war sie als an jenem
Abend. Die zarte Blässe, die sie damals aus der Kapelle brachte, war
einer feinen, durchsichtigen Röte gewichen; das Auge strahlte noch von
höherem Glanz als damals, und der tiefe, beinahe wehmütige Ernst der
Züge, wie sie sich mir damals zeigte, war durch ein Lächeln gemildert,
das fein und flüchtig um die zarten Lippen wehte.

Sie heftete wieder einige Minuten schweigend ihr Auge auf mein Gesicht,
strich mir spielend die Haare aus der Stirne und rief dann plötzlich:
›Jetzt bist du's wieder ganz! Ganz wie an jenem Abend in der Kapelle,
den du mir so hartnäckig leugnest! Gestehst du ihn deiner Luise noch
nicht?‹

Welche Pein! Was sollte ich sagen? Da fiel plötzlich das Signal, die
Pferde rannten durch den Korso. Meine Schöne bog den Kopf abwärts, und
ich, meiner Sinne kaum mächtig, flüchtete hinter die nächste Säule,
um nicht im Augenblick vor dem arglosen Mädchen als ein Tor oder noch
etwas Schlimmeres zu erscheinen. Und was war ich auch anders, wenn ich
mich selbst recht ernstlich fragte? Was wollte ich von dem Mädchen,
was konnte ich von ihr wollen? Und war nicht eine so weit getriebene
Neugierde Frevel?

Während ich noch so mit mir selbst kämpfte, ob es nicht ehrlicher sei,
ein Abenteuer aufzugeben, dessen Ende nur ein törichtes sein könnte,
bemerkte ich, daß meine Stelle schon wieder besetzt sei. Ich schlich
näher hinzu, um wenigstens zu hören, wer der Glückliche sei, da ich
ihn, ohne meine unbescheidene Nähe zu verraten, nicht sehen konnte.

›Wie magst du nur so zerstreut fragen?‹ sagte Luise. ›Du selbst hast
mich ja heraufgeführt?‹

›Ich hätte dich geführt, der ich diesen Augenblick erst zu dir trete?
Gestehe, du betrügst mich; wer hat dich hergeleitet?‹

Mit befangener Stimme, dem Weinen nahe, beharrte sie auf dem, was sie
vorhin sagte. ›Du bist auch wie unsere Wetter über den Alpen, soeben
noch so freundlich, und jetzt so kalt, so finster.‹

Jener stand schnell auf: ›Ich bin nicht gestimmt, meine Gnädige, das
Ziel Ihrer Scherze zu sein,‹ sagte er, ›und wenn Sie sich in Rätsel
vertiefen, wird meine Gesellschaft Ihnen lästig werden.‹ Er brach
auf und wollte gehen. Ich konnte die Leiden der Armen nicht mehr
verlängern, trat hervor hinter der Säule, um mich als Auflösung des
Rätsels zu zeigen. Aber wie ward mir! Meine eigene Gestalt, mein
eigenes Gesicht glaubte ich mir gegenüber zu sehen. Die überraschende
Aehnlichkeit --«



Fünfzehntes Kapitel.

Das Intermezzo. -- Die Trinker.


Ein schrecklicher Angstschrei, ein Gerassel, wie Blitz und Donner
einander folgend, unterbrach den Erzähler. Welcher Anblick! Der Jude
lag ausgestreckt auf dem Boden des Saales, überschüttet mit Tee,
Trümmern seines Stuhles und der feinen Meißner Tasse, die er im Sturz
zerschmettert, um ihn her. Der Aerger über eine solche Unterbrechung
war auf allen Gesichtern zu lesen; zürnend wandten die Damen ihr
Auge von diesem Schauspiel, von den Herren machte keiner Miene, ihm
beizustehen. Er selbst aber blieb sekundenlang liegen, ohne sich zu
rühren, und schaute verwundert herauf.

Ich sprang auf, ihm beizustehen, ich hob ihn auf und sah mich nach
einem andern Stuhl um, auf welchen ich ihn setzen könnte. Aber ein
Verwandter des Hauses raunte mir in die Ohren; ich möchte machen,
daß wir fortkommen, mein Hofmeister scheine sich nicht in dieser
Gesellschaft zu gefallen.

Wir folgten dem Wink und nahmen unsere Hüte. Als ich mich von der
gnädigen Frau beurlaubte, sagte sie mir viel Schönes und lud mich ein,
sie recht oft zu sehen; meinen armen Hofmeister würdigte sie keines
Blickes. Sie neigte sich so kalt als möglich und ließ ihn abziehen.
Gelächter schallte uns nach, als wir den Saal verließen, und ich hatte
mit meiner Inkarnation soviel menschliche Eitelkeit angezogen, daß mich
dieses Lachen ungemein ärgerte.

Wie gerne hätte ich die Erzählung jenes interessanten jungen Mannes zu
Ende gehört;[6] wieviel Wichtiges und Psychologisches hätte ich von dem
gardeuniformliebenden Fräulein erlauschen können; und war ich selbst
nicht ganz dazu gemacht, junge Herzen an jenem Abend zu erobern? Ein
junger, reicher, ich darf sagen hübscher Mann auf Reisen findet, wo er
hinkommt, freundliche Augen, durch welche er so leicht in die Herzen
einzieht -- und dies alles hatte mir das ungeschliffene Wesen _des
alten Menschen_ verdorben, ich hätte ihn würgen können, als wir im
Wagen saßen.

    [6] Wenn ich nicht irre, so habe ich im zweiten Teile dieser
        Memoiren eine Fortsetzung jener Erzählung gesehen.

            Der Herausgeber.

»War es nicht genug,« sagte ich, »daß du mit deinem scharfen Judenbart
die zarte Hand der Gnädigen empfindlich bürstetest? Mußtest du auch
noch die Frau von Wollau durch dein unzeitiges Gelächter beleidigen?
Und kaum hast du es wieder gut gemacht, so bringst du aufs neue alles
gegen dich auf? Was gingen dich denn die _Schwabenmädel_ an, daß du
ihre Schönheit an den Teetischen Berlins predigst? Darfst du denn
sogar in China einer Schönen sagen, sie habe ein Teegesicht? Und
jetzt, nachdem du die spitzigen Worte der ungnädigen Frau eingesteckt
hattest, jetzt, als alles auf das erste vernünftige Thema, das diesen
Abend abgehandelt wurde, lauschte, jetzt fällst du, wie der selige
Hohepriester Eli im zweiten Kapitel Samuelis, rücklings in den Saal und
zerschmetterst -- nicht den eigenen hohlen Schädel, wie jener würdige
jüdische Papst -- nein! einen zierlich geschnitzten Fauteuil und eine
Tasse von Meißner Porzellan; sage, sprich, schlechter Kamerad, wie
fingst du es nur an?«

»In Eurer Stelle, Herr Satan, wäre ich nicht so arrogant gegen
unsereinen,« antwortete er verdrießlich, »Ihr wißt, daß Euch keine
Gewalt über meine Seele zusteht, denn seit anderthalb tausend Jahren
kenne ich Eure Schliche und Ränke wohl. Was aber die Eli-Geschichte
betrifft, so will ich Euch reinen Wein einschenken, vorausgesetzt, Ihr
begleitet mich in eine Auberge; denn der läpperige Tee hier, mit dem
man in China kaum die Tassen ausspülen würde, mit dem noch schlechtern
Arrak, haben mir ganz miserabel gemacht.«

Ich ließ vor einem Restaurateur halten und führte den verunglückten
Doktor Mucker hinein. Es war schon ziemlich tief in der Nacht, und nur
noch wenige, aber echte Trinker in dem Wirtszimmer. Wir setzten uns
an einen Tisch zu vier oder fünf solcher nächtlichen Gestalten; ich
ließ für den alten Menschen Burgunder auftragen, und in geläufigem
Malabarisch, wovon die Trinker gewiß nichts verstanden, forderte ich
ihn auf, zu erzählen.

Nachdem der ewige Jude durch etliche Schlücke sich erholt hatte, begann
er:

»Ich glaube, es ist ein Teil des Fluches, der auf mir ruht, daß ich,
sobald ich mich in höhere Sphären der Gesellschaft wage, lächerlich
werde; ein paar Beispiele mögen dir genügen.

Du weißt, daß ich, um mir die Langeweile des Erdenlebens zu vertreiben,
zuweilen einen Liebeshandel suche -- nun verziehe dein Gesicht nur
nicht so spöttisch, ich bin eine Stereotypausgabe von einem kräftigen
Fünfziger, und ein solcher darf sich schon noch aufs Eis wagen. Nun
hatte ich einmal in einem kleinen sächsischen Städtchen eine Schöne auf
dem Korn. Ich hatte schon seit einigen Tagen Zutritt in das elterliche
Haus, und die kleine Kokette schien mir gar nicht abgeneigt. Ich
kleidete mich sorgfältiger, um ihr zu gefallen, ich scherwenzelte um
sie her, wenn sie spazieren ging, kurz, ich war ein so ausgemachter
Geck, als je einer über das Pflaster von Leipzig ging. In dem Städtchen
gehörte es zum guten Ton, morgens um neun Uhr an dem Haus seiner
Schönen vorbeizugehen; schaute sie heraus, so wurde mit Grazie der Hut
gezogen und etwas weniges geseufzt.

Dies hatte ich mir bald abgemerkt und zog nun pflichtgemäß, wenn die
Glocke neun Uhr summte, an jenem Haus vorüber; und ich hatte die
Freude, zu sehen, wie mein Engel jedesmal zum Fenster herausschaute
und huldreich lächelte. Eines Morgens war es sehr kotig auf der
Straße; ich ging also, um die weißseidenen Strümpfe zu schonen,
auf den Zehenspitzen und machte Schritte wie ein Hahn. Aber vor
dem Hause meiner Schönen war der Schmutz reinlich in große Haufen
zusammengekehrt, denn der Papa war eine Art von Polizeiinspektor und
mußte den Einwohnern ein gutes Beispiel geben; wie freute sich mein
Herz über diese Reinlichkeit! Ich konnte dort fester auftreten, ich
konnte mit dem rechten Bein, wenn ich mein Kompliment machte, zierlich
ausschweifen, ohne mich zu beschmutzen. Mein Engel schaute huldreich
herab, freudig ziehe ich den Hut von dem schönfrisierten Toupet,
schwenke ihn in einem kühnen Bogen, und -- o Unglück -- er entwischt
meiner Hand, er fährt wie ein Pfeil in den aufgeschichteten Unrat, daß
nur noch die Spitze hervorsieht.

Wie schön sagt Schiller:

    Einen Blick
    Nach dem Grabe
    Seiner Habe
    Sendet noch der Mensch zurück.

So stand ich wie niedergedonnert an dem Unrat. Sollte ich in zierlicher
Stellung mit den Fingerspitzen den Hut herausziehen? Aber dann war zu
befürchten, daß er ganz ruiniert sei; sollte ich völlig ~chapeau bas~
weiterziehen, wie einer, der ohne Hut dem Galgen oder dem Tollhaus
entsprungen?

Wie ein silbernes Feuerglöckchen schlägt jetzt das lustige Lachen
meiner Dulcinea an mein Ohr; brummend wie die schweren Totenglocken,
das Grabgeläute meiner Hoffnung, antworten zehn Bässe aus dem
gegenüberstehenden Kaffeehaus, Husarenleutnants, Schreiber, Kaufleute,
brüllen aus den aufgerissenen Fenstern, und ›Hussa, Sultan, such'
verloren!‹ tönt die Stimme meines furchtbarsten Rivalen, des Grafen
Lobau. Eine englische Dogge von Menschenlänge stürzt hervor, packt den
verlorenen Hut mit geübter Schnauze, rennt auf mich zu, stellt sich
auf die Hinterbeine, tappt mit seinen Pfoten auf meine Schultern und
präsentiert mir das triefende ~Corpus delicti~.

Was ich dir hier mit vielen Worten erzähle, mein Bester, war das Werk
eines Augenblicks; wie angefroren war ich dagestanden, und erst die
Zudringlichkeit des höflichen Hundes gab mir meine Fassung wieder.
Wieherndes, jauchzendes Gelächter scholl aus dem Kaffeehause, und
auch bei _ihr_ waren alle Fenster mit Lachern angefüllt; und als ich
einen zärtlichen Blick, den letzten, hinauflaufen ließ, sah ich, wie
sie das batistene Sacktuch in den Mund schob, um nicht vor Lachen zu
bersten. Da verlor ich von neuem die Fassung; wütend ergriff ich den
Hut und schlug ihn der Dogge ins Gesicht; aber die Bestie verstand
keinen Spaß, sie packte mich an der zierlichen Busenstreife, ich ließ
ihr diese Spolien und machte mich eilends davon, durch dick und dünn
galoppierend, aber die Bestie folgte, und andere Hunde und Gassenjungen
stürzten nach, und die schreckliche Jagd nahm erst ein Ende, als ich
atemlos in das Portal meines Gasthofes stürzte.

Daß es mit meiner Liebe aus war, kannst du denken, besonders da ich
nachher erfuhr, die Kokette habe alle ihre Anbeter um diese Stunde in
das Kaffeehaus bestellt, um täglich meine Fensterparade zu bewundern!«

Ich bedauerte den Armen von Herzen, er aber griff ruhig nach seinem
Glas, trank und fuhr dann fort:

»Kann dich versichern, so hundsföttisch ging es mir von jeher,
besonders aber in der neuen aufgeklärten Zeit, wo man so ungemein viel
auf das Schickliche hält und verzweifeln möchte, wenn der vortreffliche
Reifrock der Etikette ein wenig unsanft berührt wird. Darum ist es mir
bei einem Gastmahl immer höllenangst. Wird fette Sauce umhergegeben,
so sehe ich schon im Geiste, daß ich damit zittern und sie verschütten
werde. Kommt dann der Bettel an mich, so bricht mir der Angstschweiß
aus, die Sauciere klappert in meiner zitternden Hand fürchterlich,
sie schwankt, ich fahre mit der andern Hand danach, und -- richtig,
meine freundliche Nachbarin hat die ganze Bescherung auf dem neuen
~Drap d'or~ oder genuesischen Samtkleid, daß alles im schönsten Fett
schwimmt. Habe ich aber endlich eine solche Fegefeuertour durchgemacht,
ohne Sauce zu verschütten, ohne ein Glas umzuwerfen, ohne einen Löffel
fallen zu lassen, ohne den Schoßhund auf den Schwanz zu treten, ohne
der Tochter des Hauses die größten Sottisen zu sagen, wenn ich höflich
und pikant sein will, so faßt mich irgend ein Unheil noch zum Schluß,
daß ich mit Schande abziehe wie heute.«

»Nun,« fragte ich, »was warf dich denn heute mitten ins Zimmer?«

»Als der langweilige Mensch seine Erzählung anhub, wie er ein
paar Pfaffen habe singen hören, und wie er einem hübschen Mädchen
nachgelaufen sei -- was man überall tun kann, ohne gerade in Rom zu
sein -- da übermannte mich die Langeweile, die eines meiner Hauptübel
ist, und so setzte ich, um mich zu unterhalten, meinen Stuhl rückwärts
in Bewegung und schaukelte mich ganz angenehm. Auf einmal, ehe ich mich
dessen versah, schlug der Stuhl mit mir rückwärts über, und ich lag.«

»Das habe ich leider gesehen, wie du lagst,« sagte ich; »aber wie kann
man nur in honetter Gesellschaft so ganz alle gute Sitte vergessen und
mit dem Stuhl schaukeln.«

»Sei jetzt ruhig und bringe mich nicht auf mit der verdammten
Geschichte, ich habe heute abend kein Glück gemacht, das ist alles.
~Bibamus, diabole!~« sagte der alte Mann, indem er selbst mit tüchtigem
Beispiel voranging und dann schmunzelnd auf das dunkelrote Glas wies:
»Der ist koscher, Herr Bruder, guter Burgunder, echter Chambertin
und wenigstens zwanzig Jahre alt. Du magst mich jetzt auslachen oder
nicht, aber ein gutes altes Weinchen vom Südstamme ist noch immer
meine Leidenschaft, und ich behaupte, die Welt sieht jetzt nur darum so
schlecht aus, weil soviel Tee, Branntwein und Bier, aber desto weniger
Wein getrunken wird.«

»Du könntest recht haben, Jude!«

»Wie stattlich,« fuhr er im Eifer fort, »wie stattlich nahmen sich
sonst die Wirtshäuser aus. Breite, gedrungene, kräftige Gestalten, den
dreispitzigen Hut ein wenig auf die Seite gesetzt, rote Gesichter,
feurige Augen, ins Bläuliche spielende Nasen, honette Bäuche -- so
traten sie, das hohe, mit Gold beschlagene Meerrohr in der Faust,
feierlich grüßend ins Zimmer. Wenn der Hut am Nagel hing, der Stock in
die Ecke gestellt war, schritt der Gast dem wohlbekannten Plätzchen
zu, das er seit Jahren sich zu eigen gemacht hat, und das oft nach ihm
getauft war. Der Wirt stellte mit einem ›Wohl bekomm's‹ die Weinkanne
vor den ehrsamen Trinker, die gewöhnlichen Bechernachbarn fanden sich
zur bestimmten Stunde ein, man trank viel, man schwatzte wenig und zog
zur bestimmten Stunde wieder heim. So war es in den guten alten Zeiten,
wie die Menschen sagen, die nach Jahren rechnen, so war es, und nur der
Tod machte darin eine Aenderung. Jetzt hängen sie alles an den Putz,
machen Staat wie die Fürsten und sitzen den Wirten um zwei Groschen die
Bänke ab. Luftiges, unstätes Gesindel fährt in den Wirtshäusern umher,
man weiß nie mehr, neben wem man zu sitzen kommt, und das heißen die
Leute _Kosmopolitismus_. Höchstens trifft man ein paar alte weingrüne
Gesichter von der echten Sorte, aber dies Geschlecht ist beinahe
ausgestorben!«

»Schau' nur dorthin,« fiel ich ihm ein, »du Prediger in der Wüste,
dort sitzen ein paar Echte. Sieh nur das kleine Männlein dort in dem
braunen Röckchen, wie es so feurig die roten Augen über die Flasche
hinrollen läßt. Er scheint mir ein rechter Kenner, denn er trinkt den
Nierensteiner Kirchhofwein, den er vor sich hat, in ganz kleinen Zügen
und zerdrückt ihn ordentlich auf der Zunge, ehe er schluckt. Und dort
der große dicke Mann mit der roten Nase, ist er nicht eine Figur aus
der alten Zeit? Nimmt er nicht das Glas in die ganze Faust, statt wie
die heutigen den kleinen und den Goldfinger zierlich auszustrecken? Ist
er nicht schon an der vierten Flasche, seit wir hier sind, und hast
du nicht bemerkt, wie er immer die Pfropfen in die Tasche steckt, um
nachher zu zählen, wie viele Flaschen er getrunken?«

»Wahrhaftig, diese sind echt!« rief der begeisterte Jude, »ich bin
jung gewesen und alt geworden, aber solcher gibt es nicht viele, laß
uns zu ihnen uns setzen, ~mi fratercule~!«

Wir hatten nicht fehl geraten. Jene Trinker waren von der echten
Sorte, denn schon seit zwanzig Jahren kommen sie alle Abende in das
nämliche Wirtshaus. Man kann sich denken, wie gerne wir uns an sie
anschlossen. Ich, weil ich solche Käuze liebe und aufsuche, der ewige
Jude aber, weil der Kontrast zwischen dem eleganten Tee und diesen
Trinkern in seinen Augen sehr zu Gunsten der letzteren ausfiel. Er
wurde so kordial, daß er zu vergessen schien, daß er mit ihren Urvätern
schon getrunken habe, daß er vielleicht mit ihren späten Enkeln wieder
trinken werde.

Die alten Gesellen mochten jetzt ihre Ladung haben, denn sie wurden
freundlich und fingen an, zuerst leise vor sich hin zu brummen, dann
gestaltete sich dieses Brummen zu einer Melodie, und endlich sangen sie
mit heiserer Weinkehle ihre gewohnten Lieder. Auch den alten Menschen
faßte diese Lust. Er dudelte die Melodien mit, und als sie geendet
hatten, fing auch er sein Lied an. Er sang:


Des ewigen Juden Trinklied.

    »Wer seines Leibes Alter zählet
      Nach Nächten, die er froh durchwacht,
    Wer, ob ihm auch der Taler fehlet,
      Sich um den Groschen lustig macht,
    Der findet in uns seine Leute,
      Der sei uns brüderlich gegrüßt,
    Weil ihn, wie uns, der Gott der Freude
      In seine sanften Arme schließt.

    Wenn von dem Tanze sanft gewieget,
      Von Flötentönen süß berauscht,
    Fein Liebchen sich im Arme schmieget
      Und Blick um Liebesblick sich tauscht;
    Da haben wir im Flug genossen
      Und schnell den Augenblick erhascht
    Und, Herz am Herzen festgeschlossen,
      Der Lippen süßen Gruß genascht.

    Den Wein kannst du mit Gold bezahlen,
      Doch ist sein Feuer bald verraucht,
    Wenn nicht der Gott in seine Strahlen,
      In seine Geisterglut dich taucht;
    Uns, die wir seine Hymnen singen,
      Uns leuchtet seine Flamme vor,
    Und auf der Töne freien Schwingen
      Steigt unser Geist zum Geist empor.

    Drum, die ihr frohe Freundesworte
      Zum würdigen Gesang erhebt,
    Euch grüß' ich, wogende Akkorde,
      Daß ihr zu uns herniederschwebt!
    Sie tauchen auf -- sie schweben nieder
      Im Vollton rauschet der Gesang,
    Und lieblich hallt in unsre Lieder
      Der vollen Gläser Feierklang.

    So haben's immer wir gehalten
      Und bleiben fürder auch dabei,
    Und mag die Welt um uns veralten,
      Wir bleiben ewig jung und neu;
    Denn wird einmal der Geist uns trübe,
      Wir baden ihn im alten Wein,
    Und ziehen mit Gesang und Liebe
      In unsern Freudenhimmel ein.«

Ob dies des Juden eigene Poesie war, kann ich nicht bestimmt sagen;
doch ließ er mich zuzeiten merken, daß er auch etwas Poet sei; die
zwei alten Weingeister aber waren ganz erfüllt und erbaut davon; sie
drückten dem _alten Menschen_ die Hand und gebärdeten sich, als hätte
er ihnen die ewige Seligkeit verkündigt.

Es schlug auf den Uhren drei Viertel vor zwölf Uhr. Der ewige Jude sah
mich an und brach auf, ich folgte. Rührend war der Abschied zwischen
uns und den Trinkern, und noch auf der Straße hörten wir ihre heiseren
Stimmen in wunderlichen Tönen singen:

    »Und wird einmal der Geist uns trübe,
      Wir baden ihn im alten Wein,
    Und ziehen mit Gesang und Liebe
      In unsern Freudenhimmel ein.«



Satans Besuch bei Herrn von Goethe

nebst

einigen einleitenden Bemerkungen über das Diabolische in der deutschen
Literatur.

    Von Zeit zu Zeit seh' ich den Alten gern
    Und hüte mich, mit ihm zu brechen.
    Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,
    So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.

    _Goethe._



Sechzehntes Kapitel.

Bemerkungen über das Diabolische in der deutschen Literatur.


»Die Idee eines Teufels ist so alt als die Welt und nicht erst durch
die Bibel unter die Menschen gekommen. Jede Religion hat ihre Dämonen
und bösen Geister -- natürlich weil die Menschen selbst von Anfang an
gesündigt haben und nach ihrem gewöhnlichen Anthropomorphismus das
Böse, das sie sahen, einem Geiste zuschrieben, dessen Geschäft es sei,
überall Unheil anzurichten.« So würde ich ungefähr sprechen, wenn ich
es zum Professor der Philosophie gebracht hätte und nun über die _Idee
eines Teufels_ mich breit machen müßte.

In meiner Stellung aber lache ich über solche Demonstrationen, die
gewöhnlich darauf auslaufen, daß man mich mit zehnerlei Gründen hinweg
zu disputieren sucht; ich lache darüber und behaupte, die Menschen, so
dumm sie hie und da sein mögen, merken doch bald, wenn es nicht _ganz
geheuer um sie her ist_, und mögen sie mich nun Ahriman oder das böse
Prinzip, Satan oder Herr Urian nennen, sie kennen mich in allen Völkern
und Sprachen. Es ist doch eine schöne Sache um das »~dicier hic est~«,
darum behagt mir auch die deutsche Literatur so sehr. Haben sich nicht
die größten Geister dieser Nation bemüht, mich zu verherrlichen und,
wenn ich's nicht schon wäre, mich ewig zu machen?

In meiner ~Dissertatio de rebus diabolicis~ sage ich unter anderem
folgendes: Ȥ 8. _Die Idee, das moralische Verderben in einer Person
darzustellen, mußte sich daher den Dichtern bald aufdrängen_; diese
waren, wie es in Deutschland meistens der Fall war, philosophisch
gebildet, doch war ihre Philosophie wie ihre Moral von jener breiten,
dicken Sorte, die nicht mit Leichtigkeit über Gegenstände hinzugleiten
weiß; daher kam es, daß auch die Gebilde ihrer Phantasie jenes
philosophische Blei an den Füßen trugen, das sie nicht mit Gewandtheit
auftreten ließ; sie stolperten auf die Bühne und von der Bühne und
machten sich breit in Philosophemen, die der zehnte nicht sogleich
verstand, und drehten und wandten sich, als sollten sie auf einer engen
Brücke ohne Geländer in Reifröcken einander ausweichen.

Daher kam es, daß auch die Teufel dieser Poeten gänzlich verzeichnet
waren. Betrachten wir z. B. Klingers Satan. Wie vielen Bombast
hat dieser arme Teufel zuerst in der Hölle und dann auf der Erde
herzuleiern!

Klingemanns Teufel! Glaubt man nicht, er habe ihn nur geschwind aus dem
Puppenspiel von der Straße geholt, ihm die Glieder ausgereckt, bis er
die rechte Größe hatte, und ihn dann in die Szene gesetzt? Man begreift
nicht, wie ein Mensch sich von einem solchen Ungetüm sollte verführen
lassen.«

Es gibt noch mehrere solcher literarischen Ungetüme, die hier
aufzuführen der Raum nicht erlaubt. Sie alle haben mir von jeher
viel Spaß gemacht und ich kam mir oft vor, wie der Pulcinell des
italienischen Lustspiels; ich war bei diesen Leuten eine stehende
Figur, die, wenn auch etwas anders aufgeputzt, doch immer wieder die
Hörner herausstreckte, und unter welche man zu besserer Kenntnis ein
~Ecce homo~, sehet, das ist der Teufel, schrieb.

Doch auch dem Teufel muß man Gerechtigkeit widerfahren lassen, sagt ein
Sprichwort, folglich muß der Teufel zur Revanche auch wieder gerecht
sein. »Ein jeder gibt, wie er's kann,« fuhr ich in der Dissertation
fort, »und wie sich in jenen Poeten das moralische Verderben bei jedem
wieder in andern Reflexen abspiegelte, so gaben sie auch ihre Teufel.
Daher kommt es, daß Herr Urian bei Klopstock wieder bei weitem anders
aussieht.

Jener Abbadona ist ein gefallener Engel, dem das höllische Feuer die
Flügel versengte, der sich aber auch jetzt noch nobel und würdig
ausnehmen soll. Aber leider ist dieser Zweck doch ein wenig verfehlt,
mir wenigstens kommt dieser Klopstockische Gottseibeiuns vor wie ein
Elegant, der, wegen Unarten aus den Salons verwiesen, sich in den
Tabagien und spießbürgerlichen Klubs nicht recht zu finden weiß und
darum unanständig jammert.«

So ungefähr sprach ich mich in jener gelehrten Dissertation aus, und
ich gebe noch heute zu, daß die Auffassung wie jeder Idee, so auch der
des Teufels sich nach den individuellen Ansichten des Dichters über
das Böse richten muß; dies alles aber entschuldigt keineswegs jenen
berühmten Mann, der, kraft seines umfassenden Genies, nicht den engen
Grenzen seines Vaterlandes oder der Spanne Zeit, in welcher er lebt,
sondern der Erde und künftigen Jahrhunderten angehören könnte, es
entschuldigt ihn nicht darin, daß er einen so schlechten Teufel zur
Welt gebracht hat.

Der _Goethesche Mephistopheles_ ist eigentlich nichts anders als
jener gehörnte und geschwänzte Popanz des Volkes. Den Schweif hat er
aufgerollt und in die Hosen gesteckt, für die Bocksfüße hat er elegante
Stiefel angezogen, die Hörner hat er unter dem Barett verborgen --
siehe da den Teufel des großen Dichters! Man wird mir einwenden,
das gerade ist ja die große Kunst des Mannes, daß er tausend Fäden
zu spinnen weiß, durch die er seine kühnen Gedanken, seine hohen
überschwenglichen Ideen an das Volksleben, an die Volkspoesie knüpft.
-- Halt, Freund! Ist es eines Mannes, der, wie sie sagen, so hoch über
seinem Gegenstand steht und sich nie von ihm beherrschen läßt, ist
es eines solchen Dichters würdig, daß er sich in diese Fesseln der
Popularität schmiegt? Sollte nicht der königliche Adler dieses Volk bei
seinem populären Schopf fassen und mit sich in seine Sonnenhöhe tragen?

Verzeihe, Wertester, erhalte ich zur Antwort, du vergissest, daß unter
diesem Volke mancher eine Perücke trägt; würde ein solcher nicht in
Gefahr sein, daß ihm der Zopf breche und er aus halber Höhe wieder
zur Erde stürzt? Siehe! der Meister hat dies besser bedacht; er hat
aus jenen tausend Fäden, von welchen ich dir sagte, eine Strickleiter
geflochten, auf welcher seine Jünger säuberlich und ohne Gefahr zu ihm
hinaufklimmen. Der Meister aber setzet sie zu sich in seine Arche,
gleich Noah schwebt er mit ihnen über der Sintflut jetziger Zeit und
schaut ruhig wie ein Gott in den Regen hinaus, der aus den Federn der
kleinen Poeten strömt.

Ein wässeriges Bild! entgegne ich, und zugleich eine Sottise; befand
sich denn in jener Arche nicht mehr Vieh als Menschen? Und will der
Meister warten, bis die Flut sich verlaufe, und dann seine Stierlein
und Eselein, seine Pfauen und Kamele, Paar und Paar auf die Erde
spazieren lassen?

Will er vielleicht, wie jener Patriarch, die Erfindung des Weines sich
zuschreiben, sich ein Patent darüber ausstellen lassen und über seine
Schenke schreiben: »Hier allein ist Echter zu haben,« wie Maria Farina
auf sein kölnisches Wasser, so für alle Schäden gut ist?

Aber, um wieder auf den Mephistopheles zu kommen; gerade dadurch, daß
er einen so überaus populären und gemeinen Teufel gab, hat Goethe
offenbar nichts für die Würde seines schönsten Gedichtes gewonnen. Er
wird zwar viele Leser herbeiziehen, dieser Mephisto, viele Tausende
werden ausrufen: »Wie herrlich! das ist der Teufel, wie er leibt und
lebt.« Um die übrigen Schönheiten des Gedichtes bekümmern sie sich
wenig, sie sind vergnügt, daß es endlich einmal eine Figur in der
Literatur gibt, die ihrer Sphäre angemessen ist.

»Aber erkennst du denn nicht,« wird man mir sagen, »erkennst du nicht
die herrliche, tiefe Ironie, die gerade in diesem Mephistopheles liegt?«

Ironie? Und welche? Ich sehe nichts in diesem meinem Konterfei als
den gemeinen Ritter von dem Pferdefuß, wie er in jeder Spinnstube
beschrieben wird. Man erlaube mir, dieses Bild noch näher zu
beleuchten. Ich werde nämlich vorgestellt als ein Geist, der beschworen
werden kann, der sich nach magischen Gesetzen richten muß:

    »Gesteh' ich's nur! Daß ich hinausspaziere,
    Verbietet mir ein kleines Hindernis,
    Der Drudenfuß auf Eurer Schwelle;«

und dieser Schwelle Zauber zu zerspalten,

    »Bedarf ich eines Rattenzahns;«

daher befiehlt:

    »Der Herr der Ratten und der Mäuse,
    Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse«

in einer Zauberformel seinem dienstbaren Ungeziefer, die Kante, welche
ihn bannte, zu benagen. Auch kann ich nicht in das Studierzimmer
treten, ohne daß der Doktor Faust dreimal »Herein!« ruft. In andere
Zimmer, wie z. B. bei Frau Martha und in Gretchens Stübchen, trete
ich ohne diese Erlaubnis. Doch den Schlüssel zu diesen sonderbaren
Zumutungen finden wir vielleicht in dem Vers:

    »Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
    Es müsse sich dabei auch etwas denken lassen!«

Doch weiter. --

Ich stehe auf einem ganz besondern Fuß mit den Hexen. Die in der
Hexenküche hätte mich gewiß liebevoller empfangen, aber sie sah keinen
Pferdefuß, und um mich bei ihr durch mein Wappen zu legitimieren, mache
ich eine unanständige Gebärde.

    »Mein Freund, das lerne wohl verstehen,
    Das ist die Art, mit Hexen umzugehen.«

Auf dem Brocken in der Walpurgisnacht bin ich noch viel besser bekannt.
Das Gehen behagt mir nicht, ich sage daher zum Doktor:

    »Verlangst du nicht nach einem Besenstiele?
    Ich wünschte mir den allerderbsten Bock.«

Auch hier

    »Zeichnet mich kein Knieband aus,
    Doch ist der Pferdefuß hier ehrenvoll zu Haus.«

Um unter diesem gemeinen Gelichter mich recht zu zeigen, tanze ich mit
einer alten Hexe und unterhalte mich mit ihr in Zoten, die man nur
durch Gedankenstriche

    »Der hatt' ein -- -- -- --
    So -- es war, gefiel mir's doch«

anzudeuten wagt.

Ich bin selbst in Fausts Augen ein widerwärtiger, hämischer Geselle, der

    »-- -- kalt und frech
    Ihn vor sich selbst erniedrigt.«

Ich bin ohne Zweifel von häßlicher unangenehmer Gestalt und Gesicht,
zurückstoßend, was man, mit mildem Ausdruck, markiert, intrigant, und
im gemeinen Leben einen abgefeimten Spitzbuben zu nennen pflegt.

Daher sagt Gretchen von mir:

    »Der Mensch, den du da bei dir hast,
    Ist mir in tiefer, inn'rer Seele verhaßt.
    Es hat mir in meinem Leben
    So nichts einen Stich ins Herz gegeben
    Als des Menschen widrig Gesicht. --
    Seine Gegenwart bewegt mir das Blut,
    Ich hab' vor dem Menschen ein heimlich Grauen. --
    -- Kommt er einmal zur Tür herein,
    Sieht er immer so spöttisch drein
    Und halb ergrimmt. --
    Es steht ihm an der Stirn geschrieben,
    Daß er nicht mag eine Seele lieben etc.«

Daher sage ich auch nachher:

    »Und die Physiognomie versteht sie meisterlich,
    In meiner Gegenwart wird's ihr, sie weiß nicht, wie;
    Mein _Mäskchen_ da weissagt verborgnen Sinn,
    Sie fühlt, daß ich ganz sicher ein Genie,
    Vielleicht wohl gar der Teufel bin.«

Soll das bei Gretchen Ahnung sein? Ist sie befangen in der Nähe eines
Wesens, das, wie man sagt, ihren Gott verleugnet? Ist es etwa ein
unangenehmer Geruch, eine schwüle Luft, die ihr meine Nähe ängstlich
macht? Ist es kindlicher Sinn, der den Teufel früher ahnet als der
schon gefallene Mensch; wie Hunde und Pferde vor nächtlichem Spuk
scheuen, wenn sie ihn auch nicht sehen? Nein -- es ist nur allein
mein Gesicht, mein _Mäskchen_, mein lauernder Blick, mein höhnisches
Lächeln, das sie ängstlich macht, so ängstlich, daß sie sagt:

    »-- Wo er nur mag zu uns treten,
    Mein' ich sogar, ich liebte dich nicht mehr --«

Wozu nur dies? Warum soll der Teufel ein Gesicht schneiden, das
jedermann Mißtrauen einflößt, das zurückschreckt, statt daß die Sünde,
nach den gewöhnlichsten Begriffen, sich lockend, reizend sehen läßt?

Wer hat nicht die herrlichen Umrisse über Goethes Faust von dem
genialen Retzsch gesehen! Gewiß, selbst der Teufel muß an einem solchen
Kunstwerk Freude haben. Ein paar Striche, ein paar Pünktchen bilden das
liebliche, sinnige Gesicht des kindlichen, keuschen Gretchens, Faust in
der vollendeten Blüte des Mannes steht neben ihr, welche Würde noch in
dem gefallenen Göttersohn!

Aber der Maler folgt der Idee des Dichters, und siehe, ein Scheusal in
Menschengestalt steht neben jenen lieblichen Bildern. Die unangenehmen
Formen des dürren Körpers, das ausgedörrte Gesicht, die häßliche Nase,
die tiefliegenden Augen, die verzerrten Mundwinkel -- hinweg von
diesem Bild, das mich schon so oft geärgert hat.[7]

    [7] Man erlaube mir hier eine kleine Anmerkung. Wenn ich nicht
        irre, so ertappt man hier den Satan auf einer größern
        Eitelkeit, als man ihm fast zutrauen sollte; gewiß hat ihn
        nichts anderes gegen jenen verehrten Dichter aufgebracht,
        als daß er ihn mit etwas lebhaften Farben als häßlich
        darstellt; diese Bemerkung wird um so wahrscheinlicher,
        wenn man sich erinnert, daß er oben in dem zweiten
        Abschnitt selbst gesteht, daß durch seine Inkarnation
        einige Eitelkeit in ihn gefahren sei; Meister Urian gibt
        sich übrigens durch den übertriebenen Eifer, mit welchem
        er seine Mißgestalt rügt, eine Blöße, die ihm nicht hätte
        beigehen sollen.

Und warum diese häßliche Gestalt? frage ich noch einmal. Darum,
antworte ich, weil Goethe, der so hoch über seinem Werk schwebende
Dichter, seinen Satan anthropomorphisiert; um den gefallenen _Engel_
würdig genug darzustellen, kleidet er ihn in die Gestalt eines tief
gefallenen _Menschen_. Die Sünde hat seinen Körper häßlich, mager,
unangenehm gemacht. In seinem Gesicht haben alle Leidenschaften gewühlt
und es zur Fratze entstellt, aus dem hohlen Auge sprüht die grünliche
Flamme des Neides, der Gier; der Mund ist widrig, hämisch wie der eines
Elenden, der alles Schöne der Erde schon gekostet hat und jetzt aus
Uebersättigung den Mund darüber rümpft; der Unschuld ist es nicht wohl
in seiner befleckenden Nähe, weil ihr vor diesen Zügen schaudert.

So hat der Dichter, weil er einen schlechten Menschen vor Augen hatte,
einen schlechten Teufel gemalt.

Oder steht etwa in der Mythologie des Herrn von Goethe, der Teufel
könne nun einmal nicht anders aussehen, er _könne_ sein Gesicht, seine
Gestalt nicht _verwandeln_? Nein, man lese:

    »Auch die Kultur, die alle Welt beleckt,
    Hat auf den Teufel sich erstreckt;
    Das nordische Phantom ist nun nicht mehr zu schauen,
    Wo siehst du Hörner, Schweif und Klauen?
    -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
    Du nennst mich Herr Baron, so ist die Sache gut,
    Ich bin ein Kavalier wie andre Kavaliere --«

Und an einem andern Ort läßt er mich mein Gesicht ein »Mäskchen«
nennen; folglich _kann_ er sich eine Maske geben, _kann_ sich
verwandeln; aber wie gesagt, der Dichter hat sich begnügt, das
_nordische Phantom_ dennoch beizubehalten, nur daß er mich von
»_Hörnern, Schweif und Klaue_« dispensiert.

Dies ist das Bild des Mephistopheles, dies ist Goethes Teufel, jenes
nordische Phantom soll mich vorstellen. Darf nun ein vom Dichter so
hochgestellter Mensch durch eine so niedrige Kreatur, die sich schon
durch ihre Maske verdächtig macht, ins Verderben geführt werden? Darf
jener große Geist, der noch in seinem Falle die übrigen hoch überragt,
darf er durch einen gewöhnlichen »Bruder Liederlich«, als welchen sich
Mephisto ausweist, herabgezogen werden? Und -- muß nicht _diese_ Maske
der Würde jener Tragödie Eintrag tun?

Doch ich schweige. An geschehenen Dingen ist nichts zu ändern, und
meine verehrte Großmutter würde über diesen Gegenstand zu mir sagen:
»Söhnchen! διαβολε! Bedenke, daß ein großer Dichter ein großes Publikum
haben und, um ein großes Publikum zu bekommen, so populär als möglich
sein muß.«



Siebzehntes Kapitel.

Der Besuch.


Bei diesem allem bleibt Faust ein erhabenes Gedicht, und Goethe einer
der ersten Geister seiner Zeit, und man darf sich daher nicht wundern,
daß ich ein großes Verlangen in mir fühlte, diesen Mann einmal zu
sehen. Ich hätte ihm einen unerwarteten Besuch machen können, ja, wenn
ich oft recht ärgerlich über mein Zerrbild war, stand ich auf dem
Sprung, ihm einmal im Kostüm des Mephistopheles nächtlicherweise zu
erscheinen und ihm einigen Schrecken in die Glieder zu jagen. Aber eine
gewisse Gutmütigkeit, die man zuweilen an mir gefunden hat, hielt mich
immer wieder ab, dem alten Mann eine schlaflose Nacht zu machen.

Ich entschloß mich daher, als ~Doctor legens~, ein ehrsamer Titel auf
Reisen, ihn zu besuchen, und als solcher kam ich in Weimar an. Es ist
mit berühmten Leuten wie mit einem fremden Tiere. Kommt ein ehrlicher
Pächter mit seiner Familie in die Stadt auf den Jahrmarkt, so ist sein
erstes, daß er in der Schenke den Hausknecht fragt: »Wann kann man den
Löwen sehen, Bursche?« -- »Mein Herr,« antwortet der Gefragte, »die
Affen und der Seehund sind den ganzen Tag zu haben, der Löwe aber ist
am besten aufgelegt, wenn er das Futter im Leib hat, daher rate ich, um
jene Zeit hinzugehen.«

Geradeso erging es mir in Weimar. Ich fuhr von Jena aus mit einem
jungen Amerikaner hinüber. Auch in sein Vaterland war des Dichters Ruhm
schon längst gedrungen, und er machte auf der großen Tour durch Europa
dem berühmten Mann zu Ehren schon einen Umweg von zwanzig Meilen.
In dem Gasthof, wo wir abgestiegen waren, fragten wir sogleich, um
welche Zeit wir bei Herrn von Goethe vorkommen könnten? Wir waren in
Reisekleidern, die besonders bei meinem Gefährten etwas unscheinbar
geworden waren. Der Wirt musterte uns daher mit mißtrauischen Blicken
und fragte, ehe er noch unsere Frage beantwortete, ob wir auch Fräcke
bei uns hätten?

Wir waren glücklicherweise beide damit versehen, und unser Wirt
versprach, uns sogleich anmelden zu lassen. »Sie werden wahrscheinlich
nach dem Diner, um fünf Uhr, angenommen werden. Um diese Zeit sind
Seine Exzellenz am besten zu sprechen. Zweifle auch gar nicht, daß Sie
angenommen werden, denn wenn man, wie der Herr hier, eigens deswegen
aus Amerika nach Weimar kommt, wäre es doch unbarmherzig, einen
ungesehen wieder fortzuschicken.«

Dieser Patriotismus ging doch wahrhaftig sehr weit. Doch wir ließen
den guten Mann auf dem Glauben, der junge Philadelphier komme ~recta~
nach Weimar und gehe von da wieder heim. Uebrigens hatte er richtig
prophezeit: ~Doctor legens~ Supfer, wie ich mich nannte, und Forthill
aus Amerika waren auf fünf Uhr bestellt.

Endlich schlug die Stunde, wir machten uns auf den Weg. Der Dichter
wohnt sehr schön. Eine sanfte, geschmackvolle, mit Statuen dekorierte
Treppe führt zu ihm. Eine tiefe geheimnisvolle Stille lag auf dem
Hausgang, den wir betraten. Schweigend führte uns der Diener in
das Besuchzimmer. Behagliche Eleganz, Zierlichkeit und Feinheit,
verbunden mit Würde, zeichneten dieses Zimmer aus. Mein junger Gefährte
betrachtete staunend diese Wände, diese Bilder, diese Möbel. So hatte
er sich wohl das _Stübchen des Dichters_ nicht vorgestellt. Mit der
Bewunderung dieser Umgebungen schien auch die Angst vor der Größe des
Erwarteten zu steigen. Alle Nüancen von Rot wechselten auf seinem
angenehmen Gesicht. Sein Herz pochte hörbar, sein Auge war starr an die
Tür geheftet, durch welche der Gefeierte eintreten mußte.

Ich hatte indes Muße genug, über den großen Mann nachzudenken. Wieviel
weiter, sagte ich mir, wie unendlich weiter helfen dem Sterblichen
Gaben des Geistes als der zufällige Glanz der Geburt.

Der Sohn eines unscheinbaren Bürgers von Frankfurt hat hier die
höchste Stufe erreicht, die dem Menschen nach dem gewöhnlichen Lauf
der Dinge offen steht. Es hat schon mancher diese Stufe erstiegen.
Geschäftsmänner vom Fach haben vom bescheidenen Plätzchen an der Türe
alle Sitze ihrer Kollegien durchlaufen, bis endlich der Stuhl, der
zunächst am Throne steht, sie in seine Arme aufnahm. Mancher hat sich
auf dem Schlachtfeld das Portefeuille erkämpft. -- Goethe hat sich
seine eigene Bahn gebrochen, auf welcher ihm noch keiner voranging,
noch keiner gefolgt ist. Er hat bewiesen, daß der Mensch _kann_, was er
_will_. Denn man sage mir nichts von einem das All umfassenden Genie,
von einem Geist, der sein Zeitalter gebildet, es stufenweise zu dem
Höheren geführt habe -- das Zeitalter hat _ihn_ gebildet.

Ich kann mir noch wohl denken, welch heilloses Leben Werther in
das liebe Deutschland brachte. Die Lotten schienen wie durch einen
Zauberschlag aus dem Boden zu wachsen. Die Zahl der Werther war Legion.
Aber was war hierin Goethes Verdienst? Hatte es wirklich nur daran
gefehlt, daß _er_ das Hörnchen an den Mund setzte, und bei dem ersten
Ton, den er angab, mußte Pfaffe und Laie, Nönnchen und Dämchen in
wunderlichen Kapriolen ihren Sankt-Veitstanz beginnen? Wie heißt dieses
große schöpferische Geheimnis? _Alles zu rechter Zeit._ Der Siegwart
hatte die harten Herzen aufgetaut und sie für allen möglichen Jammer,
für Mondschein und Gräber empfänglich gemacht, da kommt Goethe.

Die Türe ging auf -- er kam.

Dreimal bückten wir uns tief -- und wagten es dann, an ihm
hinaufzublinzeln. Ein schöner, stattlicher Greis! Augen so klar und
helle, wie die eines Jünglings, die Stirne voll Hoheit, der Mund voll
Würde und Anmut. Er war angetan mit einem feinen, schwarzen Kleid, und
auf seiner Brust glänzte ein schöner Stern. -- Doch er ließ uns nicht
lange Zeit zu solchen Betrachtungen. Mit der feinen Wendung eines
Weltmannes, der täglich so viele Bewunderer bei sich sieht, lud er uns
zum Sitzen ein.

Was war ich doch für ein Esel gewesen, in dieser so gewöhnlichen Maske
zu ihm zu gehen. ~Doctores legentes~ mochte er schon viele hunderte
gesehen haben. Amerikaner, die, wie unser Wirt meinte, ihm zulieb auf
die See gingen, gewiß wenige. Daher kam es auch, daß er sich meist mit
meinem Gefährten unterhielt. Hätte ich mich doch für einen gelehrten
Irokesen oder einen schönen Geist vom Mississippi ausgegeben! Hätte
ich ihm nicht Wunderdinge erzählen können, wie sein Ruhm bis jenseits
des Ohio gedrungen, wie man in den Kabanen von Louisiana über ihn
und seinen Wilhelm Meister sich unterhalte? -- So wurden mir einige
unbedeutende Floskeln zu teil, und mein glücklicherer Gefährte durfte
den großen Mann unterhalten.

Wie falsch sind aber oft die Begriffe, die man sich von der
Unterhaltung mit einem großen Manne macht! Ist er als witziger Kopf
bekannt, so wähnt man, wenn man ihn zum erstenmal besucht, einer Art
von Elektrisiermaschine zu nahen, man schmeichelt ihm, man glaubt, er
müsse dann Witzfunken von sich strahlen wie die schwarzen Katzen, wenn
man ihnen bei Nacht den Rücken streichelt. Ist er ein Romandichter,
so spitzt man sich auf eine interessante Novelle, die der Berühmte
zur Unterhaltung nur geschwind aus dem Aermel schütteln werde. Ist er
gar ein Dramatiker, so teilt er uns vielleicht freundschaftlich den
Plan zu einem neuen Trauerspiel mit, den wir dann ganz warm unsern
Bekannten wieder vorsetzen können. Ist er nun gar ein umfassender Kopf
wie Goethe, einer der, so zu sagen, in allen Sätteln gerecht ist -- wie
interessant, wie belehrend muß die Unterhaltung werden! Wie sehr muß
man sich aber auch zusammennehmen, um ihm zu genügen.

Der Amerikaner dachte auch so, ehe er neben Goethe saß. Sein Ich fuhr,
wie das des guten Walt, als er zum Flitte kam,[8] ängstlich oben in
allen vier Gehirnkammern und darauf unten in beiden Herzkammern wie
eine Maus umher, um darin ein schmackhaftes Ideenkörnchen aufzutreiben,
das er ihm zutragen und vorlegen könnte zum Imbiß. Er blickte angstvoll
auf die Lippen des Dichters, damit ihm kein Wörtchen entfalle, wie der
Kandidat auf den strengen Examinator, er knickte seinen Hut zusammen
und zerpflückte einen glacierten Handschuh in kleine Stücke. Aber
welcher Zentnerstein mochte ihm vom Herzen fallen, als der Dichter
aus seinen Höhen zu ihm herabstieg und mit ihm sprach wie Hans und
Kunz in der Kneipe. Er sprach nämlich mit ihm vom guten Wetter in
Amerika, und indem er über das Verhältnis der Winde zu der Luft, der
Dünste des wasserreichen Amerika zu denen in unserem alten Europa
sich verbreitete, zeigte er uns, daß das All der Wissenschaft in ihm
aufgegangen sei, denn er war nicht nur lyrischer und epischer Dichter,
Romanist und Novellist, Lustspiel- und Trauerspieldichter, Biograph
(sein eigener) und Uebersetzer -- nein, er war auch sogar Meteorolog!

    [8] Jean Pauls Flegeljahre.

Wer darf sich rühmen, so tief in das geheimnisvolle Reich des Wissens
eingedrungen zu sein? Wer kann von sich sagen, daß er mit jedem seine
Sprache, d. h. nicht seinen vaterländischen Dialekt, sondern das,
was ihm gerade geläufig und wert sein möchte, sprechen könne. Ich
glaube, wenn ich mich als reisender Koch bei ihm aufgeführt hätte, er
hätte sich mit mir in gelehrte Diskussionen über die geheimnisvolle
Komposition einer Gänseleberpastete eingelassen oder nach einer
Sekundenuhr berechnet, wie lange man ein Beefsteak auf jeder Seite
schmoren müsse.

Also über das schöne Wetter in Amerika sprachen wir, und -- siehe das
Armesündergesicht des Amerikaners hellte sich auf, die Schleusen seiner
Beredsamkeit öffneten sich -- er beschrieb den feinen, weichen Regen
von Kanada, er ließ die Frühlingsstürme von New-York brausen und pries
die Regenschirmfabriken in der Franklinstraße zu Philadelphia. Es
war mir am Ende, als wäre ich gar nicht bei Goethe, sondern in einem
Wirtshaus unter guten alten Gesellen, und es würde bei einer Flasche
Bier über das Wetter gesprochen, so menschlich, so kordial war unser
Diskurs; aber das ist ja gerade das große Geheimnis der Konversation,
daß man sich angewöhnt -- nicht gut zu _sprechen_, sondern gut zu
_hören_. Wenn man dem weniger Gebildeten Zeit und Raum gibt zu
sprechen, wenn man dabei ein Gesicht macht, als lausche man aufmerksam
auf seine Honigworte, so wird er nachher mit Enthusiasmus verkünden,
daß man sich bei dem und dem köstlich unterhalte.

Dies wußte der vielerfahrene Dichter, und statt uns von seinem
Reichtum ein Scherflein abzugeben, zog er es vor, mit uns
Witterungsbeobachtungen anzustellen.

Nachdem wir ihn hinlänglich ennuyiert haben mochten, gab er das Zeichen
zum Aufstehen, die Stühle wurden gerückt, die Hüte genommen, und wir
schickten uns an, unsere Abschiedskomplimente zu machen. Der gute Mann
ahnte nicht, daß er den Teufel zitiere, als er großmütig wünschte,
mich auch ferner bei sich zu sehen; ich sagte ihm zu und werde es
zu seiner Zeit schon noch halten, denn wahrhaftig, ich habe seinen
Mephistopheles noch nicht hinuntergeschluckt. Noch einen -- zwei
Bücklinge, wir gingen. --

Stumm und noch ganz stupid vor Bewunderung folgte mir der Amerikaner
nach dem Gasthof; die Röte des lebhaften Diskurses lag noch auf seiner
Wange, zuweilen schlich ein beifälliges Lächeln um seinen Mund, er
schien höchst zufrieden mit dem Besuch.

Auf unserem Zimmer angekommen, warf er sich heroisch auf einen Stuhl
und ließ zwei Flaschen Champagner auftragen. Der Kork fuhr mit einem
Freudenschuß an die Decke, der Amerikaner füllte zwei Gläser, bot mir
das eine und stieß an auf das Wohlsein jenes großen Dichters.

»Ist es nicht etwas Erfreuliches,« sagte er, »zu finden, so
hocherhabene Männer seien wie unsereiner. War mir doch angst und bange
vor einem Genie, das dreißig Bände geschrieben; ich darf gestehen, bei
dem Sturm, der uns auf offener See erfaßte, war mir nicht so bange;
und wie herablassend war er, wie vernünftig hat er mit uns diskuriert,
welche Freude hatte er an mir, wie ich aus dem neuen Lande kam!« Er
schenkte sich dabei fleißig ein und trank auf seine und des Dichters
Gesundheit, und von der erlebten Gnade und vom Schaumwein benebelt,
sank er endlich mit dem Entschluß, Amerikas Goethe zu werden, dem
Schlaf in die Arme.

Ich aber setzte mich zu dem Rest der Bouteillen. Dieser Wein ist von
allen Getränken der Erde der, welcher mir am meisten behagt, sein
leichter flüchtiger Geist, der so wenig irdische Schwere mit sich
führt, macht ihn würdig, von Geistern, wenn sie in menschlichen Körpern
die Erde besuchen, gekostet zu werden.

Ich mußte lächeln, wenn ich auf den seligen Schläfer blickte; wie
leicht ist es doch für einen großen Menschen, die andern Menschen
glücklich zu machen; er darf sich nur stellen, als wären sie ihm so
ziemlich gleich, und sie kommen beinahe vom Verstand.

Dies war mein Besuch bei Goethe, und wahrhaftig, ich bereute nicht, bei
ihm gewesen zu sein, denn

    »Von Zeit zu Zeit seh' ich den Alten gern
    Und hüte mich, mit ihm zu brechen.
    Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,
    So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.«



Der Festtag im Fegefeuer.

Eine Skizze.

    »Das größte Glück der
    Geschichtschreiber ist, daß die
    Toten nicht gegen ihre Ansichten
    protestieren können.«

            _Welt_ und _Zeit_. I.



Achtzehntes Kapitel.

Beschreibung des Festes. Satan lernt drei merkwürdige Subjekte kennen.


Ich teile hier einen Abschnitt aus meinen Memoiren mit, welcher zwar
nicht mich selbst betrifft, den ich mir aber aufzeichnete, weil er mir
sehr interessant war und vielleicht auch anderen nicht ohne einiges
Interesse sein möchte. Er führt die Aufschrift »_Der Festtag im
Fegefeuer_«, und kam durch folgende Veranlassung zu diesem Titel. Es
ist auf der Erde bei allen großen Herren und Potentaten Sitte, ihre
Freude und ihre Trauer recht laut und deutlich zu begehen. Wenn ein aus
fürstlichem Blute stammender Leib dem Staube wiedergegeben wird, haben
die Küster im Land schwere Arbeit, denn man läutet viele Tage lang alle
Glocken. Wird eine Prinzessin oder gar ein Stammhalter geboren, so
verkündet schrecklicher Kanonendonner diese Nachricht. Landesväterliche
oder landesmütterliche Geburtstage werden mit allem möglichen Glanz
begangen. Die Bürgermilizen rücken aus, die Honoratioren halten einen
Schmaus, abends ist Ball oder doch wenigstens in den Landstädtchen
~bière dansante~. Kurz, alles lebt ~in dulci jubilo~ an solchen Tagen.

Um nun meiner guten _Großmutter_ eine Ehre zu erweisen, hielt ich es
auch schon seit mehreren Jahrhunderten so. Im Fegefeuer, wo sie sich
gewöhnlich aufhält, ist immer an diesem Tage allgemeine Seelenfreiheit.
Die Seelen bekommen diesen Tag über den Körper, den sie auf der
Oberfläche hatten, ihre Kleider, ihre Gewohnheiten, ihre Sitten. Was
von Adel da ist, muß Deputationen zum Handkuß der Alten schicken (~in
pleno~ können sie nicht vorgelassen werden, weil sonst die Prozession
einige Tage lang dauerte). Ehemalige Hofmarschälle, Kammerherren usw.
haben den großen Dienst und schätzen es sich zur Ehre, die Honneurs zu
machen, die Festlichkeiten zu leiten, die Touren bei den Bällen, welche
abends gegeben werden, zu arrangieren usw.

Ich erfülle durch diese Festlichkeiten einen doppelten Zweck. _Einmal_
fühlt sich ~chère grande-mama~ ungemein geschmeichelt durch diese
Aufmerksamkeit, zweitens gelte ich unter den Seelen für einen honetten
Mann, der ihnen auch ein Vergnügen gönnt, drittens macht dieser einzige
Tag, in Freude und alten Gewohnheiten zugebracht, daß die Seelen sich
nachher um so unglücklicher fühlen, was ganz zu dem Zweck einer solchen
Anstalt, wie das Fegefeuer ist, paßt.

An einem solchen Festtag gehe ich dann verkleidet durch die Menge.
Manchmal erkennt man mich zwar, ein tausendstimmiges: »Vivat der Herr
Teufel!« »~Vive le diable!~« erfreut dann mein landesväterliches Herz;
doch weiß ich wohl, daß es nicht weniger erzwungen ist, als ein _Hurra_
auf der Oberwelt, denn sie glauben, ich drücke sie noch mehr, wenn sie
_nicht_ schreien.

In meinem Inkognito besuche ich dann die verschiedenen Gruppen.
~Tout comme chez vous~, meine Herren, nur etwas grotesker,
Kaffeegesellschaften, Tee von allen Sorten, diplomatische,
militärische, theologische, staatswirtschaftliche, medizinische Klubs
finden sich wie durch natürlichen Instinkt zusammen, machen sich einen
guten Tag und führen ergötzliche Gespräche, die, wenn ich sie mitteilen
wollte, auf manches Ereignis neuerer und älterer Zeit ein hübsches
Licht werfen würden.

Einst trat ich in einen Saal des ~Café de Londres~ (denn nebenbei
gesagt, es ist an diesem Tag alles auf großem Fuß und höchst elegant
eingerichtet), ich traf dort nur drei junge Männer, die aber durch
ihr Aeußeres gleich meine Neugierde erweckten und mir, wenn sie
ins Gespräch miteinander kommen sollten, nicht wenig Unterhaltung
zu versprechen schienen. Ich verwandelte daher meinen Anzug in das
Kostüm eines flinken Kellners und stellte mich in den Saal, um die
Herrschaften zu bedienen.

Zwei dieser jungen Leute beschäftigten sich mit einer Partie Billard.
Ich markierte ihnen und betrachtete mir indes den dritten. Er war
nachlässig in einen geräumigen Fauteuil zurückgelehnt, seine Beine
ruhten auf einem vor ihm stehenden kleineren Stuhl, seine linke Hand
spielte nachlässig mit einer Reitgerte, sein rechter Arm unterstützte
das Kinn. Ein schöner Kopf! Das Gesicht länglich und sehr bleich. Die
Stirne hoch und frei, von hellbraunen, wohlfrisierten Haaren umgeben,
die Nase gebogen und spitzig wie aus weißem Wachs geformt, die Lippen
dünn und angenehm gezogen, das Auge blau und hell, aber gewöhnlich kalt
und ohne alles Interesse langsam über die Gegenstände hingleitend. Dies
alles und ein feiner Hut, enger oben als unten, nachlässig auf ein
Ohr gedrückt, ließen mich einen Engländer vermuten. Sein sehr feines,
blendendweißes Linnenzeug, die gewählte, überaus einfache Kleidung
konnte nur einem Gentleman, und zwar aus den höchsten Ständen, gehören.
Ich sah in meiner Liste nach und fand, es sei Lord Robert Fotherhill.
Er winkte, indem ich ihn so betrachtete, mit den Augen, weil es ihm
wahrscheinlich zu unbequem war, zu rufen. Ich eilte zu ihm und stellte
auf seinen Befehl ein großes Glas Rum, eine Havanna-Zigarre und eine
brennende Wachskerze vor ihn hin.

Die beiden anderen Herren hatten indes ihr Spiel geendigt und nahten
sich dem Tische, an welchem der Engländer saß; ich warf schnell einen
Blick in meine Liste und erfuhr, der eine sei ein junger Franzose,
Marquis de Lasulot, der andere ein Baron von Garnmacher, ein Deutscher.

Der Franzose war ein kleines untersetztes, gewandtes Männchen. Sein
schwarzes Haar und der dichtgelockte schwarze Backenbart standen
sehr hübsch zu einem etwas verbrannten Teint, hochroten Wangen und
beweglichen, freundlichen schwarzen Augen; um die vollen roten Lippen
und das wohlgenährte Kinn zog sich jenes schöne, unnachahmliche Blau,
welches den Damen so wohlgefallen soll und in England und Deutschland
bei weitem seltener als in südlichen Ländern gefunden wird, weil hier
der Bartwuchs dunkler, dichter und auch früher zu sein pflegt als dort.

Offenbar ein Inkroyabel von der ~Chaussée d'Antin~! Das elegante
Negligee, wie es bis auf die geringste Kleinigkeit hinaus der
eigensinnige Geschmack der Pariser vor vier Monaten (so lange mochte
der junge Herr bereits verstorben sein) haben wollte. Von dem mit
zierlicher Nachlässigkeit umgebundenen ostindischen Halstuch,
dem kleinen blaßroten Schal mit einer Nadel ~à la Duc de Berry~
zusammengehalten, bis herab auf die Gamaschen, die man damals seit drei
Tagen nach innen zuknöpfte, bis auf die Schuhe, die, um als modisch
zu gelten, an den Spitzen nach dem großen Zehen sich hinneigen und
ganz ohne Absatz sein mußten, ich sage: bis auf jene Kleinigkeiten,
die einem Uneingeweihten geringfügig und miserabel, einem, der in
die Mysterien hinlänglich eingeführt ist, wichtig und unumgänglich
notwendig erscheinen, war er gewissenhaft nach dem neuesten »Geschmack
für den Morgen« angezogen.

Er schien soeben erst seinem Jean die Zügel seines Kabrioletts in die
Hand gedrückt, die Peitsche von geglättetem Fischbein kaum in die Ecke
des Wagens gelehnt zu haben und jetzt in mein Café hereingeflogen zu
sein, mehr um gesehen zu werden, als zu sehen, mehr zu schwatzen, als
zu hören.

Er lorgnettierte flüchtig den Gentleman im Fauteuil, schien sich an dem
ungemeinen Rumglas und dem Rauchapparat, den jener vor sich hatte, ein
wenig zu entsetzen, schmiegte sich aber nichtsdestoweniger an die Seite
Seiner Lordschaft und fing an zu sprechen:

»Werden Sie heute abend den Ball besuchen, mein Herr, den uns
~Monseigneur le Diable~ gibt? Werden viel Damen dort sein, mein Herr?
Ich frage, ich bitte Sie, weil ich wenig Bekanntschaft hier habe.«

»Mein Herr, darf ich Ihnen vielleicht meinen Wagen anbieten, um uns
beide hinzuführen? Es ist ein ganz honettes Ding, dieser Wagen, habe
ich die Ehre, Sie zu versichern, mein Herr; er hat mich bei Latonnier
vor vier Monaten achtzehnhundert Franken gekostet. Mein Herr, Sie
brauchen keinen Bedienten mitzunehmen, wenn ich die Ehre haben sollte,
Sie zu begleiten, mein Jean ist ein Wunderkerl von einem Bedienten.«

So ging es im Galopp über die Zunge des Inkroyabel. Seine Lordschaft
schien sich übrigens nicht sehr daran zu erbauen. Er sah bei den ersten
Worten den Franzosen starr an, richtete dann den Kopf ein wenig auf,
um seine rechte Hand frei zu machen, ergriff mit dieser -- die erste
Bewegung seit einer halben Stunde -- das Kelchglas, nippte einige Züge
Rum, rauchte behaglich seine Zigarre an, legte den Kopf wieder auf die
rechte Hand und schien dem Franzosen mehr mit dem Auge als mit dem Ohr
zuzuhören und auch auf diese Art antworten zu wollen, denn er erwiderte
auch nicht _eine_ Silbe auf die Einladung des redseligen Franzosen und
schien, wie sein Landsmann Shakespeare sagt, »der Zähne doppelt Gatter«
vor seine Sprachorgane gelegt zu haben.

Der Deutsche hatte sich während dieses Gespräches dem Tische genähert,
eine höfliche Verbeugung gemacht und einen Stuhl dem Lord gegenüber
genommen. Man erlaube mir, auch ihn ein wenig zu betrachten. Er war,
was man in Deutschland einen _gewichsten jungen Mann_ zu nennen
pflegt, ein Stutzer; er hatte blonde, in die Höhe strebende Haare, an
die etwas niedere Stirne schloß sich ein allerliebstes Stumpfnäschen,
über dem Mund hing ein Stutzbärtchen, dessen Enden hinaufgewirbelt
waren, seine Miene war gutmütig, das Auge hatte einen Ausdruck von
Klugheit, der wie gut angebrachtes Licht auf einem grobschattierten
Holzschnitt keinen üblen Effekt hervorbrachte.

Seine Kleidung, wie seine Sitten schien er von verschiedenen Nationen
entlehnt zu haben. Sein Rock mit vielen Knöpfen und Schnüren war
polnischen Ursprungs; er war auf russische Weise auf der Brust vier
Zoll hoch wattiert, schloß sich spannend über den Hüften an und
formierte die Taille so schlank als die einer hübschen Altenburgerin;
er hatte ferner enge Reithosen an, weil er aber nicht selbst ritt, so
waren solche nur aus dünnem Nanking verfertigt, aus eben diesem Grund
mochten auch die Sporen mehr zur Zierde und zu einem wohltönenden,
Aufmerksamkeit erregenden Gang, als zum Antreiben eines Pferdes dienen.
Ein feiner italienischer Strohhut vollendete das gewählte Kostüm.

Ich sehe es einem gleich bei der Art, wie er den Stuhl nimmt und sich
niedersetzt, an, ob er viel in Zirkeln lebt, wo auch die kleinste
Bewegung von den Gesetzen des Anstandes und der feinen Sitte geleitet
wird; der Stutzer setzte sich passabel, doch bei weitem nicht mit jener
feinen Leichtigkeit wie der Franzose, und der Engländer zeigte selbst
in seiner nachlässigen, halb sitzenden, halb liegenden Stellung mehr
Würde als jener, der sich so gut aufrecht hielt, als es nur immer ein
Tanzmeister lehren kann.

Diese Bemerkungen, zu welchen ich vielleicht bei weitem mehr Worte
verwendet habe, als es dem Leser dieser Memoiren nötig scheinen möchte,
machte ich in einem Augenblick, denn man denke sich nicht, daß der
junge Deutsche mir so lange gesessen, bis ich ihn gehörig abkonterfeit
hatte.

Der Marquis wandte sich sogleich an seinen neuen Nachbar. »Mein Gott,
Herr von Garnmacker,« sagte er, »ich möchte verzweifeln; der englische
Herr da scheint mich nicht zu verstehen, und ich bin seiner Sprache
zu wenig mächtig, um die Konversation mit gehöriger Lebhaftigkeit zu
führen; denn ich bitte Sie, mein Herr, gibt es etwas Langweiligeres,
als wenn drei schöne junge Leute beieinander sitzen und keiner den
andern versteht?«

»Auf Ehre, Sie haben recht,« antwortete der Stutzer in besserem
Französisch, als ich ihm zugetraut hätte; »man kann sich zur Not
denken, daß ein Türke mit einem Spanier Billard spielt, aber ich sehe
nicht ab, wie wir unter diesen Umständen mit dem Herrn plaudern können.«

»~J'ai bien compris, Messieurs~,« sagte der Lord ganz ruhig neben
seiner Zigarre vorbei und nahm wieder einigen Rum zu sich.

»Ist's möglich, Mylord?« rief der Franzose vergnügt, »das ist sehr gut,
daß wir uns verstehen können! Markeur, bringen Sie mir Zuckerwasser! O,
das ist vortrefflich, daß wir uns verstehen, welch schöne Sache ist es
doch um die Mitteilung, selbst an einem Ort wie dieser hier.«

»Wahrhaftig, Sie haben recht, Bester,« gab der Deutsche zu; »aber
wollen wir nicht zusammen ein wenig umherschlendern, um die schöne Welt
zu mustern? Ich nenne Ihnen schöne Damen von Berlin, Wien, von allen
möglichen Städten meines Vaterlandes, die ich bereist habe; ich hatte
oben große Bekanntschaften und Konnexionen und darf hoffen, an diesem
verfl... Orte manche zu treffen, die ich zu kennen das Glück hatte;
Mylord nennt uns die Schönen von London, und Sie, teuerster Marquis,
können uns hier Paris im kleinen zeigen.«

»Gott soll mich behüten!« entgegnete eifrig der Franzose, indem er nach
der Uhr sah, »jetzt um diese frühe Stunde wollen Sie die schöne Welt
mustern?«

»Meinen Sie, mein Herr, ich habe in diesem ~détestable purgatoire~ so
sehr allen guten Ton verlernt, daß ich jetzt auf die Promenade gehen
sollte?«

»Nun, nun,« antwortete der Stutzer, »ich meine nur, im Fall wir nichts
Besseres zu tun wüßten. Sind wir denn nicht hier wie die drei Männer im
Feuerofen? Sollen wir wohl ein Loblied singen wie jene? Doch wenn es
Ihnen gefällig ist, mein Herr, uns einen Zeitvertreib vorzuschlagen, so
bleibe ich gerne hier.«

»Mein Gott,« entgegnete der Inkroyabel, »ist dies nicht ein so
anständiges Café, als Sie in ganz Deutschland keines haben? Und fehlt
es uns an Unterhaltung? Können wir nicht plaudern, soviel wir wollen?
Sagen Sie selbst, Mylord, ist es nicht ein gutes Haus, kann man diesen
Salon besser wünschen? Nein! ~Monsieur le Diable~ hat Geschmack in
solchen Dingen, das muß man ihm lassen.«

»~Une comfortable maison!~« murmelte Mylord und winkte dem Franzosen
Beifall zu. »~Et ce salon comfortable.~«

»Gute Tafel, mein Herr?« fragte der Marquis. »Nun, die wird auch da
sein, ich denke mir, man speist wohl nach der Karte? Aber meine Herren,
was sagen Sie dazu, wenn wir uns zur Unterhaltung gegenseitig etwas
aus unserem Leben erzählen wollten? Ich höre so gerne interessante
Abenteuer, und Baron Garnmacker hat deren wohl so viele erlebt als
Mylord?«

»~Goddam!~ das war ein vernünftiger Einfall, mein Herr,« sagte der
Engländer, indem er mit der Reitgerte auf den Tisch schlug, die Füße
von dem Stuhl herabzog und sich mit vieler Würde in dem Fauteuil
zurecht setzte; »noch ein Glas Rum, Markeur!«

»Ich stimme bei,« rief der Deutsche, »und mache Ihnen über Ihren
glücklichen Gedanken mein Kompliment, Herr von Lasulot. -- Eine Flasche
Rheinwein, Kellner! -- Wer soll beginnen zu erzählen?«

»Ich denke, wir lassen dies das Los entscheiden,« antwortete Lord
Fotherhill, »und ich wette fünf Pfund, der Marquis muß beginnen.«

»Angenommen, mein Herr,« sagte mit angenehmem Lächeln der Franzose;
»machen Sie die Lose, Herr Baron, und lassen Sie uns ziehen, Nummer
zwei soll beginnen.«

Baron Garnmacher stand auf und machte die Lose zurecht, ließ ziehen,
und die zweite Nummer fiel auf ihn selbst.

Ich sah den Franzosen dem Lord einen bedeutenden Wink zuwerfen, indem
er, das linke Auge zugedrückt, mit dem rechten auf den Deutschen
hinüber deutete; ich übersetzte mir diesen Wink so: »Geben Sie einmal
acht, Mylord, was wohl unser ehrlicher Deutscher vorbringen mag. Denn
wir beide sind schon durch den Rang unserer Nationen weit über ihn
erhaben.«

Baron von Garnmacher schien aber den Wink nicht zu beachten; mit großer
Selbstgefälligkeit trank er ein Glas seines Rheinweins, wischte in der
Eile den Stutzbart mit dem Rockärmel ab und begann:



Neunzehntes Kapitel.

Geschichte des deutschen Stutzers.


»Als mein Großvater, der kaiserlich-königlich --«

»Ich bitte Sie, mein Herr,« unterbrach ihn der Inkroyabel, »verschonen
Sie uns mit dem Großpapa, und fangen Sie gleich bei Ihrem Vater an: was
war er?«

»Nun ja, wenn es Ihnen so lieber ist, aber ich hätte mich gerne bei dem
Glanz unserer Familie länger verweilt; mein Vater lebte in Dresden auf
einem ziemlich großen Fuß --«

»Was war er denn, der Herr Papa? Sie verzeihen, wenn ich etwas zu
neugierig erscheine, aber zu einer Geschichte gehört Genauigkeit.«

»Mein Vater,« fuhr der Stutzer etwas mißmutig fort, »war
Kleiderfabrikant en gros --«

»Wie,« fragte der Lord, »was ist Kleiderfabrikant? Kann man in
Deutschland Kleider in Fabriken machen?«

»Hol' mich der Teufel, wie er schon getan!« rief der Stutzer unwillig
und stieß das Glas auf den Tisch; »das ist nicht die Art, wie man seine
Biographie erzählen kann, wenn man alle Augenblicke von kritischen
Untersuchungen unterbrochen wird; mein Vater hatte ein Haus am Markt,
darin hatte er ein Atelier und hielt Arbeiter, welche Kleider für die
Leute machten!«

»~Mon Dieu!~ also war er, was wir ~Tailleur~ nennen? ein Schneider?«

»Nun in Gottes Namen! nennen Sie es, wie Sie wollen, kurz, er hatte die
Welt gesehen, machte ein Haus, und wenn er auch nicht den Adel und die
ersten Bürger in seinen Soirees sah, so war doch ein gewisser guter
Ton, ein gewisser Anstand, ein gewisses, ich weiß nicht was, kurz, es
war ein ganz anständiger Mann, mein Papa.«

Mich selbst erfaßte der Lachkitzel, als ich den ~Garçon tailleur~ so
perorieren hörte, doch faßte ich mich, um den Markeur nicht aus der
Rolle fallen zu lassen. Der Marquis aber hatte sich zurückgelehnt und
wollte sich ausschütten vor Lachen, der Engländer sah den Stutzer
forschend an, unterdrückte ein Lächeln, das seiner Würde schaden
konnte, und trank Rum; der deutsche Baron aber fuhr fort:

»Sie hätten mich, meine Herren, auf der Oberwelt in Daumenschrauben
pressen können, und ich hätte meine Maske nicht vor Ihnen abgenommen.
Hier ist es ein ganz anderes Ding; wer kümmert sich an diesem
schlechten Ort um den ehemaligen Baron von Garnmacher? Darum verletzt
mich auch Ihr Lachen nicht im geringsten, im Gegenteil, es macht mir
Vergnügen, Sie zu unterhalten!«

»Ah! ~ce noble trait!~« rief der Inkroyabel und wischte sich die Tränen
aus dem Auge. »Reichen Sie mir die Hand und lassen Sie uns Freunde
bleiben. Was geht es mich an, ob Ihr Vater ~Duc~ oder ~Tailleur~ war.
Erzählen Sie immer weiter, Sie machen es gar zu hübsch.«

»Ich genoß eine gute Erziehung, denn meine Mutter wollte mich durchaus
zum Theologen machen, und weil dieser Stand in meinem Vaterland der
eigentlich privilegierte Gelehrtenstand ist, so wurde mir in meinem
siebenten Jahre ~Mensa~, in meinem achten ~Amo~, in meinem zehnten
τυπτω, in meinem zwölften ~Pakat~ eingebläut. Sie können sich denken,
daß ich bei dieser ungemeinen Gelehrsamkeit keine gar angenehmen Tage
hatte; ich hatte, was man einen harten Kopf nennt: das heißt, ich ging
lieber aufs Feld, hörte die Vögel singen oder sah die Fische den Fluß
hinabgleiten, sprang lieber mit meinen Kameraden, als daß ich mich
oben in der Dachkammer, die man zum Musensitz des künftigen Pastors
eingerichtet hatte, mit meinem Bröder, Buttmann, Schröder, und wie die
Schrecklichen alle heißen, die den Knaben mit harten Köpfen wie böse
Geister erscheinen, abmarterte.

Ich hatte überdies noch einen andern Gang, der mir viele Zeit raubte;
es war die von früher Jugend an mit mir aufwachsende Neigung zu schönen
Mädchen. Sommers war es in meiner Dachkammer so glühend heiß wie unter
den Bleidächern des Palastes Sankt Marco in Venedig; wenn ich dann das
kleine Schiebfenster öffnete, um den Kopf ein wenig in die frische Luft
zu stecken, so fielen unwillkürlich meine Augen auf den schönen Garten
unseres Nachbars, eines reichen Kaufmanns; dort unter den schönen
Akazien auf der weichen Moosbank saß Amalie, sein Töchterlein, und ihre
Gespielinnen und Vertrauten. Unwiderstehliche Sehnsucht riß mich hin;
ich fuhr schnell in meinen Sonntagsrock, frisierte das Haar mit den
Fingern zurecht und war im Flug durch die Zaunlücke bei der Königin
meines Herzens. Denn diese Charge bekleidete sie in meinem Herzen im
vollsten Sinne des Wortes. Ich hatte in meinem elften Jahr den größten
Teil der Ritter- und Räuberromane meines Vaterlandes gelesen, Werke,
von deren Vortrefflichkeit man in andern Ländern keinen Begriff hat,
denn die erhabenen Namen Cramer und Spieß sind nie über den Rhein oder
gar den Kanal gedrungen. Und doch, wieviel höher stehen diese Bücher
alle, als jene Ritter- und Räuberhistorien des Verfassers von Waverley,
der kein anderes Verdienst hat, als auf Kosten seiner Leser recht
breit zu sein. Hat der große Unbekannte solche vortreffliche Stellen
wie die, welche mir noch aus den Tagen meiner Kindheit im Ohr liegen:
›_Mitternacht, dumpfes Grausen der Natur, Rüdengebell, Ritter Urian
tritt auf._‹

Wem pocht nicht das Herz, wem sträubt sich nicht das Haar empor, wenn
er nachts auf einer öden, verlassenen Dachkammer dieses liest; wie
fühlte ich da das ›_Grausen der Natur_‹! und wenn der Hofhund sein
Rüdengebell heulte, so war die Täuschung so vollkommen, daß sich meine
Blicke ängstlich an die schlechtverriegelte Türe hefteten, denn ich
glaubte nicht anders, als ›_Ritter Urian trete auf_‹.

Was war natürlicher, als daß bei so lebhafter Einbildungskraft auch
mein Herz Feuer fing? Jede Bertha, die ihrem Ritter die Feldbinde
umhing, jede Ida, die sich auf den Söller begab, um dem den Schloßberg
hinabdonnernden Liebsten noch einmal mit dem Schleier zuzuwedeln, jede
Agnes, Hulda usw. verwandelte sich unwillkürlich in Amalien.

Doch auch _sie_ war diesem Tribut der Sterblichkeit unterworfen. Aus
ihrer Sparbüchse nämlich wurden die Romane angeschafft. Wenn einer
gelesen war, so empfing ich ihn, las ihn auch, trug ihn dann wieder
in die Leihbibliothek und suchte dort immer die Bücher heraus, welche
entweder keinen Rücken mehr hatten oder vom Lesen so fett geworden
waren, daß sie mich ordentlich _anglänzten_. Das sind so die echten
nach unserem Geschmack, dachte ich, und sicher war es ein _Rinaldo
Rinaldini_, ein _Domschütz_, ein _alter Ueberall_ und _Nirgends_ oder
sonst einer unserer Lieblinge.

Zu Hause band ich ihn dann in alte lateinische Schriften ein, denn
Amalie war sehr reinlich erzogen und hätte, wenn auch das Innere des
Romans nicht immer sehr _rein_ war, doch nie mit bloßen Fingern den
fetten Glanz ihrer Lieblinge betastet. Ehrerbietig trug ich ihn dann
in den Garten hinüber und überreichte ihn; und nie empfing ich ihn
zurück, ohne daß mir Amalie die schönsten Stellen mit Strickgarn oder
einer Stecknadel bezeichnet hätte. So lasen und liebten wir; unsere
Liebe richtete sich nach dem Vorbild, das wir gerade lasen; bald war
sie zärtlich und verschämt, bald feurig und stürmisch, ja, wenn
Eifersuchten vorkamen, so gaben wir uns alle mögliche Mühe, einen
Gegenstand, eine Ursache für unser namenloses Unglück zu ersinnen.

Mein gewöhnliches Verhältnis zu der reichen Kaufmannstochter war
übrigens das eines Edelknaben von dunkler Geburt, der an dem Hof eines
großen Grafen oder Fürsten lebt, eine unglückliche Leidenschaft zu der
schönen Tochter des Hauses bekommt und endlich von ihr heimliche, aber
innige Gegenliebe empfängt. Und wie lebhaft wußte Amalie ihre Rolle
zu geben; wie gütig, wie herablassend war sie gegen mich! Wie liebte
sie den schönen, ritterlichen Edelknaben, dem kein Hindernis zu schwer
war, zu ihr zu gelangen, der den breiten Burggraben (die Entenpfütze
in unserm Hof) durchwatet, der die Zinnen des Walles (den Gartenzaun)
erstiegen, um in ihr Gartengemach (die Moosbank unter den Akazien)
sich zu schleichen. Tausend Dolche (die Nägel auf dem Zaun, die meinen
Beinkleidern sehr gefährlich waren), tausend Dolche lauern auf ihn,
aber die Liebe führt ihn unbeschädigt zu den Füßen seiner Herrin.

Das einzige Unglück bei unserer Liebe war, daß wir eigentlich gar kein
Unglück hatten. Zwar gab es hie und da Grenzstreitigkeiten zwischen dem
armen Ritter (meinem Vater) und dem reichen Fürsten (dem Kaufmann),
wenn nämlich eines unserer Hühner in seinen Garten hinübergeflogen
war und auf seinen Mistbeeten spazieren ging; oder es kam sogar zu
wirklicher Fehde, wenn der Fürst einen Herold (seinen Ladendiener) zu
uns herüberschickte und um den Tribut mahnen ließ (weil mein Vater eine
sehr große Rechnung in dem Kontobuch des Fürsten hatte). Aber dies
alles war leider kein nötigendes Unglück für unsere Liebe und diente
nicht dazu, unsere Situationen noch romantischer zu machen.

Die einzige Folge, die aus meinem Lesen und meiner Liebe entstand, war
mein hartes Unglück, immer unter den Letzten meiner Klasse zu sein und
von dem alten Rektor tüchtig Schläge zu bekommen, doch auch darüber
belehrte und tröstete mich meine Herrin. Sie entdeckte mir nämlich,
daß des Herzogs (des Rektors) ältester Prinz um ihre Liebe gebuhlt und
sie aus Liebe zu mir den Jüngling abgewiesen habe; er aber habe gewiß
unsere Liebe und den Grund seiner Abweisung entdeckt und sie dem alten
Vater, dem Rektor, beigebracht, der sich dafür auf eine so unwürdige
Art an mir räche. Ich ließ die Gute auf ihrem Glauben, wußte aber
wohl, woher die Schläge kamen; der alte Herzog wußte, daß ich die
unregelmäßigen griechischen Verba nicht lernte, und _dafür_ bekam ich
Schläge.

So war ich fünfzehn, und meine Dame vierzehn Jahre alt geworden,
ungetrübt war bis jetzt der Himmel unserer Liebe gewesen, da ereigneten
sich mit einemmale zwei Unglücksfälle, wovon schon einer für sich
hinreichend gewesen wäre, mich aus meinen Höhen herabzuschmettern.

Es war die Zeit, wo nach dem Frieden von Paris die Fouquéschen Romane
anfingen, in meinem Vaterlande Mode zu werden ...«

»Was ist das, Fouquésche Romane?« fragte der Lord.

»Das sind lichtbraune, fromme Geschichten; doch durch diese Definition
werden Sie nicht mehr wissen als vorher. Herr von Fouqué ist ein
frommer Rittersmann, der, weil es nicht mehr an der Zeit ist, mit
Schwert und Lanze zu turnieren, mit der Feder in die Schranken reitet
und kämpft, wie der gewaltigen Währinger einer. Er hat das ein wenig
rohe und gemeine Mittelalter modernisiert oder vielmehr unsere heutige
modische Welt in einigen frommen Mystizismus einbalsamiert und um
fünfhundert Jahre zurückgeschoben. Da schmeckt nun alles ganz süßlich
und sieht recht anmutig, lichtdunkel aus; die Ritter, von denen man
vorher nichts anderes wußte, als sie seien derbe Landjunker gewesen,
die sich aus Religion und feiner Sitte so wenig machten, als der
Großtürke aus dem sechsten Gebot, treten hier mit einer bezaubernden
Kourtoisie auf, sprechen in feinen Redensarten, sind hauptsächlich
_fromm_ und _kreuzgläubig_.

Die Damen sind moderne Schwärmerinnen, nur keuscher, reiner, mit
steifen Kragen angetan, und überhaupt etwas ritterlich aufgeputzt.
Selbst die edlen Rosse sind glänzender als heutzutage und haben
ordentlich Verstand, wie auch die Wolfshunde Und andere solche Getiere.«

»~Mon dieu!~ solchen Unsinn liest man in Deutschland?« rief der
Franzose und schlug vor Verwunderung die Hände zusammen.

»O ja, meine Herren, man liest und bewundert; es gab eine Zeit bei
uns, wo wir davon zurückgekommen waren, alles an fremden Nationen zu
bewundern; da wir nun, auf unsere eigenen Herrlichkeiten beschränkt,
nichts an uns fanden, das wir bewundern konnten, als die ~Tempi
passati~ -- so warfen wir uns mit unserem gewöhnlichen Nachahmungseifer
auf diese und wurden allesamt altdeutsch.

Mancher hatte aber nicht Phantasie genug, um sich ganz in jene
herrliche vergangene Zeiten hineinzudenken, man fühlte allgemein das
Bedürfnis von Handbüchern, die, wie Modejournale neuerer Zeit, über
Sitten und Gebräuche bei unseren Vorfahren uns belehrt hätten, da
trat jener fromme Ritter auf; ein zweiter Orpheus griff er in die
Saiten, und es entstand ein neu Geschlecht; die Mädchen, die bei den
französischen Garnisonen etwas frivol geworden waren, wurden sittige,
keusche, fromme Fräulein, die jungen Herren zogen die modischen Fräcke
aus, ließen Haar und Bart wachsen, an die Hemden eine halbe Elle
Leinwand setzen, und ›Kleider machen Leute‹, sagt ein Sprichwort,
~probatum est~, auch sie waren tugendlich, tapfer und fromm.«

~»Goddam!~ Sie haben recht, ich habe solche Figuren gesehen;«
unterbrach ihn der Engländer, »vor acht Jahren machte ich die große
Tour und kam auch nach der Schweiz. Am Vierwaldstätter See ließ ich
mir den Ort zeigen, wo die Schweizer ihre Republiken gestiftet haben.
Ich traf auf der Wiese eine Gesellschaft, die wunderlich, halb modern,
halb aus den Garderoben früherer Jahrhunderte sich gekleidet zu haben
schien. Fünf bis sechs junge Männer saßen und standen auf der Wiese und
blickten mit glänzenden Augen über den See hin. Sie hatten wunderbare
Mützen auf dem Kopf, die Haare fielen in malerischer Unordnung auf
den Rücken und die Schultern; den Hals trugen sie frei und hatten
breite, zierlich gestickte Kragen, wie heutzutage die Damen tragen,
herausgelegt.

Ein Rock, der offenbar von einem heutigen Meister, aber nach antiker
Form gemacht war, kleidete sie nicht übel; er schloß sich eng um
den Leib und zeigte überall den schönen Wuchs der jungen Männer.
In sonderbarem Kontrast damit standen weite Pluderhosen von grober
Leinwand. Aus ihren Röcken sahen drohende Dolchgriffe hervor, und in
der Hand trugen sie Beilstöcke, ungefähr wie die römischen Liktoren.
Gar nicht recht wollte aber zu diesem Kostüm passen, daß sie Brillen
auf der Nase hatten und gewaltig Tabak rauchten.

Ich fragte meinen Führer, was das für eine sonderbare Armatur und
Uniform wäre, und ob sie vielleicht eine Besatzung der Grütliwiese
vorstellen sollten? Er aber belehrte mich, daß es fahrende Schüler
aus Deutschland wären. Unwillkürlich drängte sich mir der Gedanke
an den fahrenden Ritter Don Quichotte auf, ich stieg lachend in
meinen Kahn und pries mein Glück, auf einem Platz, der durch die
erhabenen Erinnerungen, die er erweckt, nur zu leicht zu träumerischen
Vergleichungen führt, eine so groteske Erscheinung aus dem Leben
gehabt zu haben. Die jungen Deutschen söhnten mich aber wieder mit
sich aus, denn als mein Kahn über den See hinglitt, erhoben sie
einen vierstimmigen Gesang in so erhabener Melodie, mit so würdigen,
ergreifenden Wendungen, daß ich ihnen in Gedanken das Vorurteil abbat,
welches ihr Kostüm in mir erweckt hatte.«

»Nun ja, da haben wir's,« fuhr der Baron von Garnmacher fort, »so
sah es damals unter alt und jung in Deutschland aus; auch ich hatte
Fouquésche Romane gelesen, wurde ein frommer Knabe, trug mich wie
alle meine Kameraden altdeutsch und war meiner Herrin, »der wundigen
Maid«, mit einer keuschen, inniglichen Minne zugetan. Auf Amalien
machte übrigens der _Zauberring_, die _Fahrten Thiodolfs_ etc. nicht
den gewünschten Eindruck, sie verlachte die sittigen, lichtbraunen,
blauäugigen Damen, besonders die _Bertha von Lichtenrieth_, und pries
mir Lafontaine und Langbein, schlüpfrige Geschichten, welche ihr eine
ihrer Freundinnen zugesteckt hatte.

Ich war zu erfüllt von dem deutschen Wesen, das in mir aufging, als
daß ich ihr Gehör gegeben hätte, aber der lüsterne Brennstoff jener
Romane brannte fort in dem Mädchen, das sich, weil sie für ihr Alter
schon ziemlich groß war, für eine angehende Jungfrau hielt, und kurz
-- es gab eine Josephsszene zwischen uns; ich hüllte mich in meinen
altdeutschen Rock und meine Fouquésche Tugend ein und floh vor den
Lockungen der Sirene, wie mein Held Thiodolf vor der herrlichen Zoe.

Die Folge davon war, daß sie mich als einen Unwürdigen verachtete und
dem Prinzen, des Rektors Sohn, ihre Liebe schenkte. Ob er mit ihr
Lafontaine und Langbein studierte, weiß ich nicht zu sagen, nur soviel
ist mir bekannt, daß ihn der Fürst, Amaliens Vater, einige Wochen
nachher eigenhändig aus dem Garten gepeitscht hat.

Ich saß jetzt wieder auf meinem Dachkämmerlein, hatte die hebräische
Bibel und die griechischen Unregelmäßigkeiten vor mir liegen, und auf
ihnen meine Romane. An manchem Abend habe ich dort heiße Tränen geweint
und durch die Jalousien in den Garten hinabgeschaut; denn die zuchtlose
Jungfrau sollte meinen Jammer nicht erschauen, sie sollte den Kampf
zwischen Haß und Liebe nicht auf meinem Antlitz lesen. Ich war fest
überzeugt, daß so unglücklich wie ich kein Mensch mehr sein könne, und
höchstens der unglückliche _Otto von Trautwangen_, als er in Frankreich
mit seinem vernünftigen, lichtbraunen Rößlein eine Höhle bewohnte,
konnte vielleicht so kummervoll gewesen sein wie ich.

Aber das Maß meines Leidens war noch nicht voll; hören Sie, wie aus
entwölkter Höhe mich ein zweiter Donner traf.

Der alte Rektor hatte seinen Schülern ein Thema zu einem Aufsatz
gegeben, worin wir die Frage beantworten sollten, _wen wir für den
größten Mann Deutschlands halten_? Es sollte sein Wert geschichtlich
nachgewiesen, Gründe für und wider angegeben und überhaupt alles recht
gelehrt abgemacht werden. Ich hatte, wie ich Ihnen schon bemerkt habe,
meine Herren, immer einen harten Kopf, und Aufsätze mit Gründen waren
mir von jeher zuwider gewesen, ich hatte also auch immer mittelmäßige
oder schlechte Arbeit geliefert. Aber für diese Arbeit war ich ganz
begeistert, ich fühlte eine hohe Freude in mir, meine Gedanken über die
großen Männer meines Vaterlandes zu sagen und meine Ideale (und wer hat
in diesen Jahren nicht solche?) in gehöriges Licht setzen zu können.

Geschichtlich sollte das Ding abgefaßt werden. Was war leichter für
mich als dies? Jetzt erst fühlte ich den Nutzen meines eifrigen Lesens.
Wo war einer, der so viele Geschichten gelesen hatte als ich? Und
wer, der irgend einmal diese Bücher der Geschichten in die Hand nahm,
wer konnte in Zweifel sein, wer die größten Männer meines Vaterlandes
seien? Zwar war ich noch nicht ganz mit mir selbst im reinen, wem ich
die Krone zuerkennen sollte. _Hasper a Spada?_ Es ist wahr, es war
ein Tapferer, der Schrecken seiner Feinde, die Liebe seiner Freunde.
Aber, wie die Geschichte sagt, war er doch etwas sehr dem Trinken
ergeben, und dies war doch schon eine Schlacke in seinem fürtrefflichen
Charakter. _Adolf der Kühne, Raugraf von Dassel?_ Er hatte schon etwas
mehr von einem großen Mann. Wie schrecklich züchtigt er die Pfaffen!
Wenn er nur nicht in der Historie nach Rom wandeln und Buße tun müßte,
aber dies schwächt doch sein majestätisches Bild. Es ist wahr, _Otto
von Trautwangen_ glänzt als ein Stern erster Größe in der deutschen
Geschichte, dachte ich weiter; aber auch er scheint doch nicht der
größte gewesen zu sein, wiewohl seine Frömmigkeit, die sehr in Anschlag
zu bringen ist, jeden Zauber überwand.

Island gehörte wohl auch zum Deutschen Reich; wahrhaftig unter allen
deutschen Helden ist doch keiner, der dem _Thiodolf_ das Wasser reicht.
Stark wie Simson, ohne Falsch wie eine Taube, fromm wie ein Lamm, im
Zorn ein _Berserker_, es kann nicht fehlen, er ist der größte Deutsche.

Ich setzte mich hin und schrieb voll Begeisterung diese Rangordnung
nieder. Wohl zehnmal sprang ich auf, meine Brust war zu voll, ich
konnte nicht alles sagen, die Feder, die Worte versagten mir, wohl
zehnmal las ich mir mit lauter Stimme die gelungensten Stellen vor. Wie
erhaben lautete es, wenn ich von der Stärke des Isländers sprach, wie
er einen Wolf zähmte, wie er in Konstantinopel ein Pferd nur ein wenig
auf die Stirne klopfte, daß es auf der Stelle tot war, wie großmütig
verschmäht er alle Belohnung, ja, er schlägt einen Kaiserthron aus, um
seiner Liebe treu zu bleiben, wie kindlich fromm ist er, obgleich er
die christliche Religion nicht recht kannte; wie schön beschrieb ich
alles, ja, es mußte das harte Herz des alten Rektors rühren!

Ich konnte mir denken, wie er meine Arbeit mit steigendem Beifall
lesen, wie er morgens in die Klasse kommen würde, um unsere Aufsätze zu
zensieren. Dann sendet er gewiß einen milden, freundlichen Blick nach
dem letzten Platze, wohin er sonst nur wie ein brüllender Löwe schaute,
dann liest er meine Arbeit laut vor und spricht: ›Kann man etwas
Gelungeneres lesen als dies, und ratet, wer es gemacht hat? Die Letzten
sollen die Ersten werden. Der Stein, den die Bauleute verworfen haben,
soll zum Eckstein werden. Tritt hervor, mein Sohn, ~Garnmachere~! Ich
habe immer gesagt, du seiest ein ~bête~, konnte ich ahnen, daß du mit
so vielem Eifer Geschichten studierst? Nimm hin den Preis, der dir
gebührt.‹

So mußte er sagen, er konnte nicht anders, ohne das schreiendste
Unrecht zu tun. Eifrig schrieb ich jetzt meinen Aufsatz ins Reine. Um
zu zeigen, daß ich auch in den neueren Geschichten nicht unbewandert
sei, sagte ich am Schluß, daß ich nach Erfindung des Pulvers den
_deutschen Alkibiades_ und zunächst ihm _Hermann von Nordenschild_ für
die größten Männer halte. Man könne ihnen den _Ritter Euros_, welcher
nachher als Domschütz mit seinen Gesellen so großes Aufsehen gemacht
habe, was die Tapferkeit betreffe, vielleicht an die Seite stellen,
doch stehen jene beiden auf einem viel höheren Standpunkt.

Ich brachte dem Rektor triumphierend den Aufsatz und mußte ihm beinahe
ins Gesicht lachen, als er mürrisch sagte: ›Er wird wieder ein schönes
Geschmier haben, Garnmacher!‹

›Lesen Sie, und dann -- richten Sie,‹ gab ich ihm stolz zur Antwort und
verließ ihn.

Wenn in Ihrem Vaterlande, Mylord, eine Preisfrage gestellt würde
über den würdigsten englischen Theologen, und es würden in einer
gelehrten, mit Phrasen wohldurchspickten Antwort die Vorzüge des ~Vicar
of Wakefield~ dargetan, wer würde da nicht lachen? Wenn Sie, werter
Marquis, nach der würdigsten Dame zu den Zeiten Louis' XIV. gefragt
würden, und Sie priesen die _neue Heloise_, würde man Sie nicht für
einen Rasenden halten? Hören Sie, welche Torheit ich begangen hatte!

Der Samstag, an welchem man unsere Arbeiten gewöhnlich zensierte,
erschien endlich. So oft dieser Tag sonst erschienen war, war er mir
ein Tag des Unglücks gewesen. Gewöhnlich schlich ich mich da mit
Herzklopfen zur Schule, denn ich durfte gewiß sein, wegen schlechter
Arbeit getadelt, öffentlich geschmäht zu werden. Aber wieviel stolzer
trat ich heute auf, ich hatte meinen besten Rock angezogen, den
schönsten, feingestickten Hemdkragen angelegt, mein wallendes Haar war
zierlich gescheitelt und gelockt, ich sah stattlich aus und gestand
mir, ich sei auch im Aeußern des Preises nicht unwürdig, welcher mir
heute zuteil werden sollte.

Der Rektor fing an, die Aufsätze zu zensieren. Wie ärmliche, obskure
Helden hatten sich meine Mitschüler gewählt: Hermann, Karl den Großen,
Kaiser Heinrich, Luther und dergleichen -- er ging viele durch, immer
kam er noch nicht an meine Arbeit. Ja, es war offenbar, meine Helden
hatte er auf die Letzt aufgespart -- als die besten!

Endlich ruhte er einige Augenblicke, räusperte sich und nahm ein
Heft mit rosenfarbner Ueberdecke, das _meinige_, zur Hand. Mein Herz
pochte laut vor Freude, ich fühlte, wie sich mein Mund zu einem
triumphierenden Lächeln verziehen wollte, aber ich gab mir Mühe,
bescheiden bei dem Lob auszusehen. Der Rektor begann: ›Und nun komme
ich an eine Arbeit, welche ihresgleichen nicht hat auf der Erde. Ich
will einige Stellen daraus vorlesen!‹ Er deklamierte mit ungemeinem
Pathos gerade jene Kraftstellen, welche ich mit so großer Begeisterung
niedergeschrieben hatte. Ein schallendes Gelächter aus mehr als
vierzig Kehlen unterbrach jeden Satz, und als er endlich an den Schluß
gelangte, wo ich mit einer kühnen Wendung dem furchtbaren _Domschützen_
noch einige Blümchen gestreut hatte, erscholl Bravo! Ancora! und
die Tische krachten unter den beifalltrommelnden Fäusten meiner
Mitschüler. Der Rektor winkte Stille und fuhr fort: ›Es wäre dies eine
gelungene Satire auf die Herren Spieß und Konsorten, wenn nicht der
Verfasser selbst eine Satire auf die Menschheit wäre. Es ist unser
lieber Garnmacher. Tritt hervor, du ~Dedecus naturae~, hierher zu mir!‹

Zitternd folgte ich dem fürchterlichen Wink. Das erste war, als ich vor
ihm stand, daß er mir das rosenfarbene Heft einmal rechts und einmal
links um die Ohren schlug. Und jetzt donnerte eine Strafpredigt über
mich herab, von der ich nur soviel verstand, daß ich ein ~bête~ war und
nicht wußte, was Geschichte sei.

Es begegnet zuweilen, daß man im Traum von einer schönen blumigen
Sonnenhöhe in einen tiefen Abgrund herabfällt. Man schwindelt, indem
man die unermeßlichen Höhen herabfliegt, man fühlt die unsanfte
Erschütterung, wenn man am Boden zu liegen glaubt, man erwacht und
sieht sich mit Staunen auf dem alten Boden wieder. Die Höhe, von der
man herabstürzte, ist mit allen ihren Blütengärten verschwunden, ach,
sie war ja nur ein Traum!

So war mir damals, als mich der Rektor aus meinem Schlummer
aufschüttelte; ein tiefer Seufzer war die einzige Antwort, die ich ihm
geben konnte. Ich war arm wie jener Krösus, als er vor seinem Sieger
Cyrus stand; auch ich hatte ja alle meine Reiche verloren!!

Ich sollte bekennen, woher ich die Romane bekommen, wer mir das Geld
dazu gegeben habe. Konnte, durfte ich _sie_, die ich einst liebte,
verraten? Ich leugnete, ich hielt den ganzen Sturm des alten Mannes
aus, ich stand wie Mucius Scävola.

Der langen Rede kurzer Sinn war übrigens der, daß ich von meinem
Vater ein Attestat darüber bringen müsse, daß ich das Geld zu solchen
Allotriis von ihm habe, und überdies habe ich am nächsten Montag
vier Tage Karzer anzutreten. Verhöhnt von meinen Mitschülern, die
mir Thiodolf, deutscher Alkibiades und dergleichen nachriefen, in
dumpfer Verzweiflung ging ich nach Hause. Es war gar kein Zweifel, daß
mich mein Vater, wenn er diese Geschichte erfuhr, entweder sogleich
totschlagen oder wenigstens zum Schneiderjungen machen würde. Vor
beidem war mir gleich bange. Ich besann mich also nicht lange, band
etwas Weißzeug und einige seltene Dukaten und andere Münzen, welche
mir meine Paten geschenkt hatten, in ein Tuch, warf noch einen Kuß und
den letzten Blick nach des Nachbars Garten, sagte meinem Dachstübchen
lebewohl, und eine Viertelstunde nachher wanderte ich schon auf der
Straße nach Berlin, wo mir ein Oheim lebte, an welchen ich mich fürs
erste zu wenden gedachte.

In meinem Herzen war es öde und leer, als ich so meine Straße zog.
Meine Ideale waren zerronnen. Sie hatten also nie gelebt, diese
tapferen, frommen, liebevollen, biederen Männer, sie hatten nicht
geatmet, jene lieblichen Bilder holder Frauen. Jene bunte Welt voll
Putz und Glanz, alle jene Stimmen, die aus fernen Jahrhunderten
zu mir herübertönten, die mutigen Töne der Trompete, Rüdengebell,
Waffengeklirr, Sporenklang, süße Akkorde der Laute -- alles, alles
dahin, alles nichts als eine löschpapierene Geschichte, im Hirn eines
Poeten gehegt, in einer schmutzigen Druckpresse zur Welt gebracht!

Ich sah mich noch einmal nach der Gegend um, die ich verlassen hatte.
Die Sonne war gesunken, die Nebel der Elbe verhüllten das liebe
Dresden, nur die Spitzen der Türme ragten vergoldet vom Abendrot über
dem Dunstmeer.

So lag auch mein Träumen, mein Hoffen, Vergangenheit und Zukunft in
Nebel gehüllt, nur einzelne hohe Gestalten standen hell beleuchtet wie
jene Türme vor meiner Seele. ›Wohlan!‹ sprach ich bei mir selbst:

    ›-- -- ~O fortes, pejoraque passi
    Mecum saepe viri, nunc cantu pellite curas,
    Cras ingens iterabimus aequor.~‹

Noch einmal breitete ich die Arme nach der Vaterstadt aus, da fühlte
ich einen leichten Schlag auf die Schulter und wandte mich um. -- --«

       *       *       *       *       *

Der Herausgeber ist in der größten Verlegenheit. Er hat bis auf den
Tag, an welchem er dies schreibt, dem Verleger das Manuskript zum
ersten Teil versprochen, und doch fehlt noch ein großer Teil des
letzten Abschnittes. Er ist noch nicht geweiht, die Messe ist schon
vorüber, und eine eigene über die paar Bogen lesen zu lassen, findet
sich weder ein gehöriger Vorwand, noch würde das Werkchen diese
bedeutende Ausgabe wert sein. Wir versparen daher die Fortsetzung des
Festtages in der Hölle auf den zweiten Teil und bleiben einstweilen wie
die Ochsen am Berge stehen.



Zweiter Teil.



Vorspiel,

    worin von Prozessen, Justizräten die Rede, nebst einer
    stillschweigenden Abhandlung: »Was von Träumen zu halten sei?«


Dieser zweite Teil der Mitteilungen aus den Memoiren des Satan
erscheint um ein völliges Halbjahr zu spät. Angenehm ist es dem
Herausgeber, wenn die Leser des ersten sich darüber gewundert, am
angenehmsten, wenn sie sich darüber geärgert haben; es zeigt dies eine
gewisse Vorliebe für die schriftstellerischen Versuche des Satan,
die nicht nur ihm, sondern auch seinem Uebersetzer und Herausgeber
erwünscht sein muß.

Die Schuld dieser Verspätung liegt aber weder in der zu heißen
Temperatur des letzten Spätsommers, noch in der strengen Kälte des
Winters, weder im Mangel an Zeit oder Stoff, noch in politischen
Hindernissen. Die einzige Ursache ist ein sonderbarer Prozeß, in
welchen der Herausgeber verwickelt wurde, und vor dessen Beendigung er
diesen zweiten Teil nicht folgen lassen wollte.

Kaum war nämlich der erste Teil dieser Memoiren in die Welt versandt
und mit einigen Posaunenstößen in den verschiedenen Zeitungen begleitet
worden, als plötzlich in allen diesen Blättern zu lesen war eine

        _Warnung vor Betrug._

»Die bei Gebr. Franckh in Stuttgart herausgekommenen Memoiren des Satan
sind nicht von dem im Alten und Neuen Testament bekannten und durch
seine Schriften: Elixiere des Teufels, Bekenntnisse des Teufels, als
Schriftsteller berühmten Teufel, sondern gänzlich falsch und unecht;
was hiermit dem Publikum zur Kenntnis gebracht wird.«

Ich gestehe, ich ärgerte mich nicht wenig über diese Zeilen, die von
niemand unterschrieben waren. Ich war meiner Sache so gewiß, hatte das
Manuskript von niemand anders als dem Satan selbst erhalten, und nun,
nach vielen Mühen und Sorgen, nachdem ich mich an den infernalischen
Chiffern beinahe blind gelesen, soll ein solcher anonymer Totschläger
über mich herfallen, meine literarische Ehre aus der Ferne totschlagen
und besagte Memoiren für unecht erklären?

Während ich noch mit mir zu Rate ging, was wohl auf eine solche
Beschuldigung des _Betruges_ zu antworten sei, werde ich vor die
Gerichte zitiert und mir angezeigt, daß ich einer Namensfälschung,
eines literarischen Diebstahls angeklagt sei, und zwar -- vom Teufel
selbst, der gegenwärtig als geheimer Hofrat in persischen Diensten
lebe. Er behaupte nämlich, ich habe seinen Namen Satan mißbraucht, um
ihm eine miserable Scharteke, die er nie geschrieben, unterzuschieben;
ich habe seinen literarischen Ruhm benützt, um diesem schlechten
Büchlein einen schnellen und einträglichen Abgang zu verschaffen; kurz,
er verlange nicht nur, daß ich zur Strafe gezogen, sondern auch, daß
ich angehalten werde, ihm Schadenersatz zu geben, »dieweil ihm ein
Vorteil durch diesen Kniff entzogen worden«.

Ich verstehe so wenig von juridischen Streitigkeiten, daß mir früher
schon der Name Klage oder Prozeß Herzklopfen verursachte; man kann
sich also wohl denken, wie mir bei diesen schrecklichen Worten zumute
ward. Ich ging niedergedonnert heim und schloß mich in mein Kämmerlein,
um über diesen Vorfall nachzudenken. Es war mir kein Zweifel, daß es
hier drei Fälle geben könne, entweder hatte mir der Teufel selbst das
Manuskript gegeben, um mich nachher als Kläger recht zu ängstigen und
auf meine Kosten zu lachen; oder irgend ein böser Mensch hatte mir
die Komödie in Mainz vorgespielt, um das Manuskript in meine Hände zu
bringen, und der Teufel selbst trat jetzt als erbitterter Kläger auf;
oder drittens, das Manuskript kam wirklich vom Teufel, und ein müßiger
Kopf wollte jetzt den Satan spielen und mich in seinem Namen verklagen.

Ich ging zu einem berühmten Rechtsgelehrten und trug ihm den Fall
vor. Er meinte, es sei allerdings ein fataler Handel, besonders weil
ich keine Beweise beibringen könne, daß das Manuskript von dem echten
Teufel abstamme, doch er wolle das Seinige tun und aus der bedeutenden
Anzahl Bücher, die seit Justinians ~Corpus juris~ bis auf das neue
birmanische Strafgesetzbuch über solche Fälle geschrieben worden seien,
einiges nachlesen.

Das juristische Stiergefecht nahm jetzt förmlich seinen Anfang Es
wurde, wie es bei solchen Fällen herkömmlich ist, soviel darüber
geschrieben, daß auf jeden Bogen der Memoiren des Satan ein Ries
Akten kam, und nachdem die Sache ein Vierteljahr anhängig war, wurde
sogar auf Unrechts Kosten eine eigene Aktenkammer für diesen Prozeß
eingeräumt; über der Türe stand mit großen Buchstaben: »~Acta~ in
Sachen des persischen G. H. R. Teufel gegen ~Dr.~ H--f, betreffend die
Memoiren des Satan.«

Ein sehr günstiger Umstand für mich war der, daß ich auf dem Titel
nicht »Memoiren des Teufels«, sondern »des Satan« gesagt hatte.
Die Juristen waren mit sich ganz einig, daß der Name _Teufel_ in
Deutschland sein _Familienname_ sei, ich habe also wenigstens diesen
nicht zur Fälschung gebraucht; Satan hingegen sei nur ein angenommener,
willkürlicher, denn niemand im Staate sei berechtigt, zwei Namen
zu führen. Ich fing an, aus diesem Umstand günstigere Hoffnung zu
schöpfen, aber nur zu bald sollte ich die bittere Erfahrung machen,
was es heiße, den Gerichten anheimzufallen. Das Referat in Sachen des
~et cetera~ war nämlich dem berühmten Justizrat Wackerbart in die
Hände gefallen, einem Mann, der schon bei Dämpfung einiger großen
Revolutionen ungemeine Talente bewiesen hatte und neuerdings sogar dazu
verwendet wurde, bedeutende Unruhen in einem Gymnasium zu schlichten.
Stand nicht zu erwarten, daß ein solcher berühmter Jurist meine Sache
nur als eine ~Cause célèbre~ ansehen und sie also handhaben werde, daß
sie, gleichviel wem von beiden Recht, ihm am meisten Ruhm einbrächte?
Hierzu kam noch der Titel und Rang meines Gegners; Wackerbart hatte
seit einiger Zeit angefangen, sich an höhere Zirkel anzuschließen;
mußte ihm da ein so wichtiger Mann, wie ein persischer geheimer Hofrat,
nicht mehr gelten als ich Armer?

Es ging, wie ich vorausgesehen hatte. Ich verlor meine Sache gegen
den Teufel; Strafe, Schadenersatz, aller mögliche Unsinn wurde auf
mich gewälzt, ich wunderte mich, daß man mich nicht einige Wochen ins
Gefängnis sperrte oder gar hängte. Man hatte hauptsächlich folgendes
gegen mich in Anwendung gebracht:

        _Entscheidungs-Gründe_

        zu dem

        vor dem Kriminalgericht Klein-Justheim unter dem
        4. Dezember 1825 gefällten Erkenntnis

        in der Untersuchungssache
        gegen den
        ~Dr.~ ...f wegen Betrugs.

    1. Es ist durch das Zugeständnis des Angeklagten erhoben,
    daß er keine Beweise beizubringen weiß, daß die von ihm
    herausgegebenen Memoiren des Satan wirklich von dem bekannten
    echten Teufel, so gegenwärtig als geheimer Hofrat in persischen
    Diensten lebt, herrühre. Ferner hat der Angeschuldigte ...f
    zugegeben, daß die in öffentlichen Blättern darüber enthaltene
    Ankündigung mit seinem Wissen gegeben sei.

    2. Die letztgenannte Ankündigung ist also abgefaßt, daß hieraus
    die Absicht des Verfassers, die Lesewelt glauben zu machen, daß
    »die Memoiren des Satan« von dem wahren, im Alten und Neuen
    Testament bekannten und neuerdings als Schriftsteller beliebten
    Teufel geschrieben sei, nur allzudeutlich hervorleuchten tut.

    3. Durch diese Verfahrungsart hat sich der Angeklagte ...f
    eines Betruges, alldieweilen solcher im allgemeinen in jedweder
    auf impermissen Commodum für sich oder Schaden anderer
    gerichteten unrechtlichen Täuschung anderer, entweder indem
    man falsche Tatsachen mitteilt oder wahre Dito nicht angibt --
    besteht; oder um uns näher auszudrücken, da hier die Sprache
    _von einer Ware und gedrucktem_ Buch ist -- einer _Fälschung_
    schuldig gemacht; denn, durch den Titel »Memoiren des Satan«
    und die Anpreisung des Buches wurde der Lesewelt fälschlich
    vorgespiegelt, daß das Buch ausdrücklich von dem unter dem
    Namen Satan bekannten, k. persischen geheimen Hofrat Teufel
    verfaßt sei; was beim Verkauf des Werkes verursachte, daß
    es schneller und in größerer Quantität abging, als wenn das
    Büchlein unter dem Namen des Herrn ...f, so dem Publico noch
    gar nicht bekannt ist, erschienen wäre, und wodurch die, so
    es kauften, in ihrer schönen Erwartung, ein echtes Werk des
    Teufels in Händen zu haben, schnöde betrogen wurden.

    4. Wenn der Herr ~Dr.~ ...f, um sich zu entschuldigen,
    dagegen einwendet, daß der Name Satan in Deutschland nur ein
    angenommener sei, worauf der Teufel, wie man ihn gewöhnlich
    nennt, keinen Anspruch zu machen habe, so bemerken wir
    Kriminalleute von Klein-Justheim sehr richtig, daß sich ...f
    auf den Gebrauch jenes angenommenen, übrigens bekanntermaßen
    den Teufel sehr wohl bezeichnenden Namen nicht beschränkt,
    sondern in dem Werke selbst überall durchblicken läßt,
    namentlich in der Einleitung, daß der Verfasser derjenige
    Teufel oder Satan sei, welcher dem Publico, besonders dem
    Frauenzimmer, wie auch denen Gelehrten durch frühere ~Opera~,
    z. B. die Elixiere des Teufels ~et cetera~ rühmlichst bekannt
    ist, wodurch wohl ebenfalls niemand anders gemeint ist als der
    geheime Hofrat Teufel.

    5. Man muß lachen über die Behauptung des Inkulpaten, daß das
    in Frage stehende ~Opusculum~, wie auch nicht destoweniger
    seine Anzeige, eigentlich eine Satire auf den Teufel und
    jegliche Teufelei jetziger Zeit sei! Denn diese Entschuldigung
    wird durch den Inhalt der Schrift selbst widerlegt; ja, jeder
    Leser von Vernunft muß das auch wohl eher für eine etwas
    geringe Nachäffung der Teufeleien als für -- eine Satire auf
    dieselbe erkennen. Wäre aber auch, was wir Juristen nicht
    einzusehen vermögen, das Werk dennoch eine Satire, so ist
    durchaus kein günstiger Umstand für ...f zu ziehen, weil
    derjenige Käufer, der etwas _Echtes_, vom Teufel verfaßtes
    kaufen wollte, erst nach dem Kauf entdecken konnte, daß er
    betrogen sei.

    6. Außer der völlig rechtswidrigen Täuschung der Lesewelt,
    Leihbibliotheken ~et cetera~ ist in der vorliegenden
    Defraudation auch ein Verbrechen gegen _den_ begangen, dessen
    Name oder Firma mißbraucht worden; namentlich und spezialiter
    gegen den geheimen Hofrat Teufel, welcher sowohl als Gelehrter
    und Schriftsteller als von wegen des Honorars seiner übrigen
    Schriften, sehr dabei interessiert ist, daß nicht das
    Geschreibsel anderer, als von ihm niedergeschrieben, wie auch
    erdacht, angezeigt und verkauft werde.

    7. Wenn endlich der Angeklagte behauptet, daß er das Buch
    arglos herausgegeben, ohne das Klein-Justheimer Recht hierüber
    zu kennen, daß ihn auch bei der Fälschung durchaus keine
    gewinnsüchtigen Absichten geleitet hätten, so ist uns dies
    gleichgültig und haben nicht darauf Rücksicht zu nehmen, denn
    Fälschung ist Fälschung, sei es, ob man englische Teppiche
    nachahmt und als echt verkauft, oder Bücher schreibt unter
    falschem Namen; ist alles nur verkäufliche Ware und kann
    den Begriff des Vergehens nicht ändern, weil immer noch die
    Täuschung und Anschmierung der Käufer restiert, und zwar
    ebenfalls nichtsdestominder auch alsdann, wenn die Memoiren
    des Satan gleichen Wert mit den übrigen Büchern des Teufels
    hätten (was wir Klein-Justheimer übrigens bezweifeln, da jener
    geheimer Hofrat ist), weil dem Ebengedachten schon durch das
    Unterschieben eines fremden Machwerkes unter seinem Namen ein
    Schaden in juridischem Sinne sein tut.

    Es ist daher, wie man getan hat, erkannt worden usw. usw.

        Gez. _Präsident und Räte des Kriminalgerichts_
        zu Klein-Justheim.

Hast du, geneigter Leser, nie die berühmten Nürnberger Gliedermänner
gesehen, so kunstreich aus Holz geschnitzelt, ihre Gliedlein nach jedem
Druck bewegen? Hast du wohl selbst in deiner Jugend mit solchen Männern
gespielt und allerlei Kurzweil mit ihnen getrieben und probiert, ob es
nicht schöner wäre, wenn er z. B. das Gesicht im Nacken trüge und den
Rücken hinunterschaue, oder ob es nicht vernünftiger wäre, wenn ihm die
Beine ein wenig umgedreht würden, daß er vor- und rückwärts spaziere,
wie man es haben wolle? Das hast du wohl versucht in den Tagen deiner
Kindheit, und es war ein unschuldiges Spiel, denn dem Gliedermann war
es gleichgültig, ob ihm die Beine über die Schulter herüberkamen oder
nicht, ob er den Rücken herabschaute oder vorwärts, er lächelte so
dumm wie zuvor, denn er hatte ja kein Gefühl, und es tat ihm nicht
weh im Herzen, denn auch dieses war ja aus Holz geschnitzelt, und
wahrscheinlich aus Lindenholz.

Aber selbst ein solcher Gliedermann sein zu müssen in den täppischen
Händen der Klein-Justheimer Kriminalien! Sie renkten und drehten mir
die Glieder, setzten mir den Kopf so oder so, wie es ihnen gefällig,
oder auch nach Vorschrift des Justinian, drehten und wendeten mein
Recht, bis das Kadaver vor ihnen lag auf dem grünen Sessionstisch, wie
sie es haben wollten, mit verrenkten Gliedern, und sie nun anatomisch
aufnotieren konnten, was für Fehler und Kuriosa an ihm zu bemerken,
nämlich, daß er das Gesicht im Nacken, die Füße einwärts, die Arme
verschränkt ~et cetera~ trage, ganz gegen alle Ordnung und Recht.

Ware, Ware! nannten sie deine Memoiren, o Satan! Ware! Als würde
dergleichen nach der Elle aus dem Gehirn hervorgehaspelt, wie es jener
Schwarzkünstler und Eskamoteur getan, die Bänder verschluckte und sie
herauszog Elle um Elle aus dem Rachen. Warenfälschung, Einschwärzen,
Defraudation, o welch herrliche Begriffe, um zu definieren, was man
will! Und rechtswidrige Täuschung des Publikums! Wer hat denn darüber
geklagt? Wer ist aufgestanden unter den Tausenden und hat Zeter
geschrien, weil er gefunden, daß das Büchlein nicht von dem Schwarzen
selbst herrühre, daß er den Missetäter bestraft wissen wolle für diese
rechtswidrige Täuschung? O Klein-Justheim, wie weit bist du noch zurück
hinter England und Frankreich, daß du nicht einmal einsehen kannst,
Werke des Geistes seien kein nachgemachter Rum oder Arrak und gehören
durchaus nicht vor deine Schranken.

Traurig musterte ich das Manuskript des zweiten Teiles, der nun
für mich und das Publikum verloren war; ich dachte nach über das
Hohngelächter der Welt, wenn der erste nur ein Torso, ein schlechtes
abgerissenes Stück, verachtet auf den Schranken der Leihbibliothek
sitze, trübselig auf die hohe Versammlung der Romane und Novellen
aller Art herabschaue und ihnen ihre abgenützten Gewänder beneide, die
den großen Furore, welchen sie in der Welt machen, beurkunden, wie er
seine andere Hälfte, seinen Nebenmann, den zweiten herbeiwünsche, um,
verbunden mit ihm, schöne Damen und Herren zu besuchen, was ihm jetzt
als einem Invaliden beinahe unmöglich war. Da wurde mir eines Morgens
ein Brief überbracht, dessen Aufschrift mir bekannte Züge verriet. Ich
riß ihn auf und las:

        »Wohlgeborener, sehr verehrter Herr!

    Durch den Oberjustizrat Hammel, der vor einigen Tagen das
    Zeitliche gesegnet und an mein Hoflager kam, erfuhr ich zu
    meinem großen Aerger die miserablen Machinationen, die gegen
    Euch gemacht werden. Bildet Euch nicht ein, daß sie von mir
    herrühren. Mit großem Vergnügen denke ich noch immer an
    unser Zusammentreffen in den drei Reichskronen zu Mainz, und
    in meiner jetzigen Zurückgezogenheit und bei meinen vielen
    Geschäften im Norden komme ich selten dazu, eine deutsche
    Literaturzeitung zu lesen; aber einige Rezensenten, welche ich
    sprach, versicherten mich, mit welchem Eifer Ihr meine Memoiren
    herausgegeben habt, und daß das Publikum meine Bemühungen zu
    schätzen wisse. Der Prozeß, den man Euch an den Hals warf, kam
    mir daher um so unerwarteter. Glaubet mir, es ist nichts als
    ein schlechter Kunstgriff, um mich nicht als Schriftsteller
    aufkommen zu lassen, weil ich ein wenig über ihre Universitäten
    schimpfte und die ästhetischen Tees, und Euch wollen sie
    nebenbei auch drücken. Lasset Euch dies nicht kümmern,
    Wertester; gebt immer den zweiten Teil heraus, im Notfall könnt
    Ihr gegenwärtiges Schreiben jedermann lesen lassen, namentlich
    den Wackerbart, saget ihm, wenn er meine Handschrift nicht
    kenne, so kenne ich um so besser die seinige.

    Ich kenne diese Leutchen, sie sind Raubritter und Korsaren, die
    jeden berühmten Prozeß, der ihnen in die Hände fällt, für _gute
    Prise_ erklären und, wenn sie ihn fest haben in den Krallen, so
    lange deuteln und drehen, bis sie ihn dahin entscheiden können,
    wo er ihnen am meisten Ruhm nebst etzlichem Golde einträgt. Was
    war bei Euch von beiden zu erheben? Ihr, ein armseliger Doktor
    der Philosophie und Magister der brotlosen Künste, was seid Ihr
    gegen einen persischen geheimen Hofrat? Denket also, die Sache
    sei ganz natürlich zugegangen, und grämet Euch nicht darüber.
    Was den persischen geheimen Hofrat betrifft, der meine Rolle
    übernommen hat, so will ich bei Gelegenheit ein Wort mit ihm
    sprechen.

    Hier lege ich Euch noch ein kleines Manuskriptchen bei,
    ich habe es in den letzten Pfingstfeiertagen in Frankfurt
    aufgeschrieben, es ist im ganzen ein Scherz und hat nicht viel
    zu bedeuten; doch schaltet Ihr es im zweiten Teile ein, es gibt
    vielleicht noch Leute, die sich dabei freundschaftlich meiner
    erinnern.

    Gehabt Euch wohl; in der Hoffnung, Eure persönliche
    Bekanntschaft bald zu erneuern, bin ich

            Euer wohlaffektionierter Freund

            _der Satan_.«

Man kann sich leicht denken, wie sehr mich dieser Brief freute. Ich
lief sogleich damit zu dem wackern Mann, der meine Sache geführt hatte,
ich zeigte ihm den Brief, ich erklärte ihm, appellieren zu wollen an
ein höheres Gericht und den Originalbrief beizulegen.

Er zuckte die Achseln und sprach: »Lieber, sie wohnen zusammen in
_einer_ Hausmiete, die Kriminalien; ob Ihr um eine Treppe höher steigen
wollet, aus dem Entresol in die Bel-Etage zu den Vornehmeren, das
ist einerlei, Ihr fallet nur um so tiefer, wenn sie Euch durchfallen
lassen. Doch an mir soll es nicht fehlen.«

So sprach er und focht für mich mit erneuerten Kräften; doch -- was
half es? Sie stimmten ab, erklärten den Persischen für den echten,
alleinigen Teufel, der allein das Recht habe, Teufeleien zu schreiben,
und -- der Prozeß ging auch in der Bel-Etage verloren.

Da faßte mich ein glühender Grimm; ich beschloß, und wenn es mich den
Kopf kosten sollte, doch den zweiten Teil herauszugeben, ich nahm das
Manuskript unter den Arm, raffte mich auf und -- -- erwachte.

Freundlich strahlte die Frühlingssonne in mein enges Stübchen, die
Lerchen sangen vor dem Fenster, und die Blütenzweige winkten herein,
mich aufzumachen und den Morgen zu begrüßen.

Verschwunden war der böse Traum von Prozessen, Justizräten,
Klein-Justheim, und alles, was mir Gram und Aerger bereitete,
verschwunden, spurlos verschwunden.

Ich sprang auf von meinem Lager, ich erinnerte mich, den Abend
zuvor bei einigen Gläsern guten Weins über einen ähnlichen Prozeß
mit Freunden gesprochen zu haben; da war mir nun im Traum alles so
erschienen, als hätte ich selbst den Prozeß gehabt, als wäre ich selbst
verurteilt worden von Kriminalrichtern und Klein-Justheimer Schöppen.

Ich lächelte über mich selbst! Wie pries ich mich glücklich, in einem
Lande zu wohnen, wo dergleichen juridische Exzesse gar nicht vorkämen,
wo die Justiz sich nicht in Dinge mischt, die ihr fremd sind, wo es
keine Wackerbärte gibt, die einen solchen Fund für gute Prise erklären,
das Recht zum Gliedermann machen und drauf loshantieren und drehen, ob
es biege oder breche; wo man Erzeugnisse des Geistes nicht als Ware
handhabt und Satire versteht und zu würdigen weiß, wo man weder auf den
Titel eines persischen geheimen Hofrats, noch auf irgend dergleichen
Rücksicht nimmt.

So dachte ich, pries mich glücklich und verlachte meinen komischen
Prozeßtraum.

Doch wie staunte ich, als ich hintrat zu meinem Arbeitstisch! Nein, es
war keine Täuschung, da lag er ja, der Brief des Satan, wie ich ihn im
Traume gelesen, da lag das Manuskript, das er mir im Briefe verheißen.
Ich traute meinen Sinnen kaum, ich las, ich las wieder, und immer wurde
mir der Zusammenhang unbegreiflicher.

Doch ich konnte ja nicht anders, ich mußte seinen Wink befolgen und
seinen »Besuch in Frankfurt« dem zweiten Teile einverleiben.

Ich gestehe, ich tat es ungern. Ich hatte schon zu diesem Teile alles
geordnet, es fand sich darin eine Skizze, die nicht ohne Interesse zu
lesen war, ich meine jene Szene, wie er mit Napoleon eine Nacht in
einer Hütte von Malojaroslawez zubrachte und wie von jenen Augenblicken
an so vieles auf geheimnisvolle Weise sich gestaltet im Leben jenes
Mannes, dem selbst der Teufel Achtung zollen mußte, vielleicht -- weil
er ihm nicht beikommen konnte, doch -- vielleicht ist es möglich,
dieses merkwürdige Aktenstück dem Publikum an einem anderen Orte
mitzuteilen.

Noch war ich mit Durchsicht und Ordnen der Papiere beschäftigt, da
wurde die Türe aufgerissen, und mein Freund Moritz stürzte ins Zimmer.

»Weißt du schon?« rief er. »Er hat ihn verloren!«

»Wer? Was hat man verloren?«

»Nun, von was wir gestern sprachen, den Prozeß gegen Clauren meine ich,
wegen des Mannes im Monde!«

»Wie? Ist es möglich!« entgegnete ich, an meinen Traum denkend. »Unser
Freund, der Kandidatus Bemperlein? Den Prozeß?«

»Du kannst dich darauf verlassen, soeben komme ich vom Museum, der
Verleger sagte es mir, soeben wurde ihm das Urteil publiziert.«

»Aber wie konnte dies doch geschehen, Moritz! War er etwa auch in
Klein-Justheim anhängig?«

»Klein-Justheim? Du fabelst, Freund!« erwiderte der Freund, indem er
besorgt meine Hand ergriff. »Was willst du nur mit Klein-Justheim, wo
gibt es denn einen solchen Ort?«

»Ach,« sagte ich beschämt, »du hast recht; ich dachte an -- meinen
Traum.«



Der Fluch.

Novelle.

(Fortsetzung.)


Man kann sich denken, daß ich in Rom immer viele Geschäfte habe. Die
_heilige Stadt_ hatte immer einen Ueberfluß von Leuten, die in der
ersten, zweiten oder dritten Abstufung mein waren.

Man wird sich wundern, daß ich eine Klassifikation der _guten Leute_
(von anderen Sünder genannt) mache: aber, wer je mit der Erde zu tun
hatte, hat den Menschen bald abgelernt, daß nur das Systematische
mit Nutzen bei ihnen betrieben werden könne. Es ist dies besonders
in Städten, wie Rom, unumgänglich notwendig; wo so vielerlei Nüancen
_guter Leute_ vom roten Hut bis auf die Kapuze, vom Fürsten, der die
Macht hat, Orden zu verleihen, bis auf den Armen, dem solche um dreißig
Taler angeboten werden, sich vorfinden, da muß man Klassen haben. Ich
werde in der Bibel und von den heutigen Philosophen als das negierende
Prinzip vorgestellt, daher teilte ich meine guten Leute ein in: erste
Klasse mit dem Prädikat recht gut, solche, die geradehin verneinen,
als da sind: Freigeister, Gottesleugner etc. Zweite Klasse, gut; sie
sagen mit einigem Umschweif nein, gelten unter sich für Heiden, bei
Vernünftigen für liberale Männer, bei der Menge für fromme Menschen.
In dieser Klasse befinden sich viele Türken und Pfaffen. Die dritte
Klasse, mit dem Prädikat mittelmäßig, sind jene, die ihr Nein nur
durch ein Kopfschütteln andeuten. Es sind jene, die sich selbst für
eine Art von Gott halten, mögen sie nun Ablaß verkaufen oder als
evangelisch-mystisch-pietistische Seelen einen Separatfrieden mit dem
Himmel abschließen; der letzteren gibt es übrigens in Rom wenige.

Es läßt sich annehmen, daß das Innere dieses Systems, die verschiedenen
Uebergänge der Klassen beinahe mit jedem Jahr sich ändern. Geld,
Sitten, der Zeitgeist üben hier einen großen Einfluß aus und machen
beinahe alle zwei Jahre eine Reise an Ort und Stelle notwendig.

Als ich vor einiger Zeit auf einer solchen Visitationsreise in Rom
verweilte, war ich Zeuge folgender Szenen, die ich aufzuzeichnen nicht
unterlassen will, weil sie vielleicht für manchen Leser meiner Memoiren
von Interesse sein möchten.

Ich ging eines Morgens unter den Säulengängen der Peterskirche
spazieren, dachte nach über mein System und die Veränderungen, die ihm
durch die Missionare in Frankreich und das Ueberhandnehmen der Jesuiten
drohten, da stieß mir ein Gesicht auf, das schon in irgend einer
interessanten Beziehung zu mir gestanden sein mußte. Ich stand stille,
ich betrachtete ihn von der Seite. Es war ein schlanker, schöner junger
Mann; seine Züge trugen die Spuren von stillem Gram; dem Auge, der Form
des Gesichtes nach war er kein Italiener -- ein Deutscher, und jetzt
fiel mir mit einemmale bei, daß ich ihn vor wenigen Monaten in Berlin
im Salon jener Dame gesehen hatte, die mir und dem ewigen Juden einen
ästhetischen Tee zu trinken gegeben hatte. Es war jener junge Mann,
dessen anziehende Unterhaltung, dessen angenehme Persönlichkeit mir
damals ein so großes Interesse eingeflößt hatten. Er war es, der uns
damals eine Aventüre aus seinem Leben erzählt hatte, die ich für würdig
fand, bei der Beschreibung jenes Abends mit aufzuzeichnen.

Ob ihn wohl die Liebe zu jener jungen Dame noch einmal in die heilige
Stadt gezogen hatte? Ob ihm, wie mir, der düstere Himmel seines Landes
und die süße Langeweile der ästhetischen Tees im Hause seiner Tante so
drückend wurde, daß er sich unter eine südlichere Zone flüchtete? Ich
beschloß, seine Bekanntschaft zu erneuern, um über jenes interessante
Begegnis, dessen Erzählung der Jude unterbrochen, um über ihn selbst,
über seine Schicksale etwas Näheres zu vernehmen. Er stand an einer
Säule des Portals, den Blick fest auf die Türe gerichtet; fromme
Seelen, schöne Frauen, junge Mädchen strömten aus und ein. Ich sah,
er blieb gleichgültig; wenigstens schien ihn keine dieser Gestalten
zu interessieren. Endlich erscheint ein kleiner Florentiner Strohhut
in der Türe; war es die Form dieses Hutes, waren es die weißen,
wallenden Federn, war es die einfache Rose, aus welcher dieser Busch
hervorwallte, was dem jungen Manne so reizend, so bekannt dünkte? Noch
konnte man weder Gestalt noch Gesicht der Dame sehen, aber seine Augen
glänzten, ein Lächeln der erfüllten Hoffnung flog um seinen Mund, seine
Wangen röteten sich, er richtete sich höher auf und schaute unverwandt
den Säulengang hin. Noch verdeckten zwei Pfaffen mit ihren Kapuzen die
Nahende, jetzt bogen sie rechts ein, und ich sah ein holdes, süßes
Wesen heranschweben.

Wer, wie ich, erhaben über jede Leidenschaft, die den Sterblichen
auf der Erde quält, die Dinge betrachtet, wie sie sind, nicht wie
sie euch Liebe oder Haß oder eure tausend Vorurteile schildern, dem
ist eine solche seltene Erscheinung ein Fest, denn es ist etwas
Neues, Originelles. Ich gedachte unwillkürlich jener Worte des jungen
Mannes, wie er uns den Eindruck beschrieb, den der Anblick jener Dame
zum erstenmal auf ihn machte, mit welchem Entzücken er uns ihr Auge
beschrieb; -- ich war keinen Augenblick im Zweifel, daß diese liebliche
Erscheinung, die auf uns zukam, und jene rätselhafte Dame eine und
dieselbe sei.

Ein glühendes Rot hatte die Züge des Jünglings übergossen. Er hatte
den Hut gezogen; es war, als schwebte ihm ein Morgengruß oder eine
freundliche Rede auf den Lippen, und überrascht von der stillen Größe
des Mädchens sei er verstummt. Auch _sie_ errötete, sie schlug die
Augen auf, als er sich verbeugte, sie warf einen fragenden Blick auf
ihn, hielt einen kurzen Moment ihre Schritte an, als erwarte sie, von
ihm angeredet zu werden; er schwieg, sie eilte bewegt weiter.

Der junge Mann sah ihr mit trüben Blicken nach, dann folgte er
langsamen Schrittes; oft blieb er, wie in Gedanken verloren, stehen.
Ich ging ihm einige Straßen nach, er trat endlich in ein Kaffeehaus,
wo sich die deutschen Künstler zu versammeln pflegen. Hatte schon
früher dieser Mensch und seine Erzählung meine Teilnahme erregt, so
war ich jetzt, da ich Zeuge eines flüchtigen, aber so bedeutungsvollen
Zusammentreffens gewesen war, um so neugieriger, zu erfahren, in
welchem Verhältnis der Berliner zu dieser Dame stehe; daß es kein
glückliches Verhältnis, kein gewöhnliches Liebesverständnis war,
glaubte ich in ihren Mienen, in ihrem sonderbaren Benehmen gelesen zu
haben.

Man wird sich erinnern, daß ich als hoffnungsvoller Zögling des ewigen
Juden, als Herr von Stobelberg die Bekanntschaft dieses Mannes machte.
Daher trat ich in dieser Rolle in das Kaffeehaus. Der junge Herr saß
an einem Fenster und las in einem Brief. Ich wartete eine Weile, ob er
wohl bald ausgelesen haben werde, um ihn dann anzureden, aber er las
immer. Ich trat von der Seite hinter ihn, um nach dem Schluß dieses
riesengroßen Briefes zu blicken -- es waren wenige Zeilen von einer
Frauenhand, die er, wie es schien, gedankenlos anstarrte.

»Habe ich die Ehre, Herrn von S. vor mir zu sehen?« fragte ich in
deutscher Sprache, indem ich vor ihn trat.

»Der bin ich;« antwortete er, indem er den düsteren Blick von dem
Brief auf mich schlug und mein Kompliment durch ein leichtes Neigen des
Hauptes erwiderte.

»Sie scheinen mich nicht mehr zu kennen; und doch war ich so glücklich,
einmal einen Abend in dem Hause Ihrer Tante in Berlin zu genießen,
den vorzüglich Ihre Unterhaltung, Ihre interessanten Mitteilungen mir
unvergeßlich machen.«

»Im Hause meiner Tante?« fragte er, aufmerksamer werdend. »Wie, war es
nicht ein höchst ennuyanter Tee? Waren nicht einige männliche Weiber
und einige zartweibliche Herren zugegen? Ich erinnere mich, ich mußte
etwas erzählen. Doch Ihr Name, mein Lieber, ist mir leider entfallen.«

»Baron von Stobelberg; ich reiste damals mit --«

»Ah -- mit einem ganz sonderbaren Kauz von Hofmeister; jetzt erinnere
ich mich ganz; er war so unglücklich, allen Damen, ohne es zu wollen,
Sottisen zu sagen, und überschnappte endlich, nämlich mit dem Stuhl?«

»So ist's; wollten Sie erlauben, meinen Kaffee hier zu trinken? Ich bin
noch so fremd hier, ich kenne keine Seele. Sie sind wohl schon lange
hier bekannt?«

Ein melancholisches Lächeln zog um seinen Mund. »O ja, bin schon lange
hier bekannt,« antwortete er düster. »Ich war früher in Geschäften
hier, jetzt zu -- meiner Erholung.«

»Sie erinnern mich da auf einmal wieder an den Abend bei Ihrer Tante,
mein Hofmeister brachte mich damals um einen köstlichen Genuß. Sie
erzählten uns ein kleines Abenteuer, das Sie mit einer Deutschen in
Rom gehabt. Ihre Erzählung war auf dem Punkte, eine Wendung zu nehmen,
die uns über vieles, namentlich über Ihre sonderbare Verwechslung
mit einem Ebenbilde aufgeklärt hätte, da zerstörte mein Mentor durch
seinen Fall meine schöne Hoffnung; ich war genötigt, mit ihm den Salon
zu verlassen, und plage mich seitdem mit allerlei Möglichkeiten,
Wahrscheinlichkeiten, wie es Ihnen möchte ergangen sein, ob Sie sich
mit Ihrem Ebenbilde geschlagen haben, ob Sie auch ferner der schönen
Luise sich nahen konnten, ob nicht endlich ein Liebesverhältnis
zwischen Ihnen entstanden. Kurz, ich kann Sie versichern, es peinigte
mich tagelang, die tollsten Konjekturen erfand ich, aber nie wollten
sie passen.«

Der junge Mann war während meiner Reden nachdenklich geworden; es
schien etwas darin zu liegen, das ihm nicht ganz recht war; vielleicht
ahnte er meine unbezwingliche Neugierde nach seinem Abenteuer, er
blickte mich scharf an, aber er wich in seiner Antwort aus.

»Ich erinnere mich,« sagte er, »daß wir damals alle bedauerten, Ihre
Gesellschaft entbehren zu müssen. Sie waren uns allen wert geworden,
und die Damen behaupteten, Sie haben etwas Eigenes, Anziehendes, das
man nicht recht bezeichnen könne, Sie haben einen höchst pikanten
Charakter. Nun, Sie werden in der Zeit diese Damen entschädigt haben;
wann waren Sie das letzte Mal bei meiner Tante?«

Ich sah ihn staunend an. »Ich hatte nie die Ehre, bei Ihrer Tante
gesehen zu werden als an jenem Abend.«

Er entgegnete hierauf nichts, sprach vom Papst und dergleichen, kam
aber immer wieder darauf zurück, mich durch eine Zwischenfrage nach
Berlin ins Haus seiner Tante zu verlocken. »Was wollen Sie nur immer
wieder mit Berlin?« fragte ich endlich. »Ich war seit jenem Abend nicht
mehr dort und reiste in dieser Zeit in Frankreich und England. Sehen
Sie einmal in meinem Paß, welch ungeheure Tour ich in dieser Zeit
gemacht habe!«

Er warf einen flüchtigen Blick hinein und errötete. »Verzeihen Sie,
Baron!« rief er, indem er meine Hand ungestüm drückte. »Verzeihen Sie,
ich hielt Sie für einen Spion meiner Tante.«

»Ihrer Tante? Für einen Spion, den man Ihnen bis Rom nachschickt?«

»Ach, die Menschen sind zu keiner Torheit zu gut. Ich halte mich etwa
seit zwei Monaten hier auf. Meine Verwandten toben, weil ich meinen
Posten im Bureau des Ministers plötzlich und ohne Urlaub verlassen
habe; sie bestürmten mich mit Briefen, ich kam nicht; sie wandten sich
an die preußische Gesandtschaft hier; sie fand aber nichts Verdächtiges
an mir und ließ mich ungestört meinen Weg gehen. Vor einigen Tagen
schrieb mir ein Freund, ich solle auf meiner Hut sein, man werde einen
Spion in meine Nähe senden, um alle meine Schritte zu bewachen.«

»Ist's möglich? Und warum denn dies alles?«

»Ach, es ist eine dumme Geschichte, eine Anordnung meines verstorbenen
Vaters legt mir Pflichten auf, die -- ein andermal davon -- die ich
nicht erfüllen kann. Und Sie, lieber Stobelberg, hielt ich für den
Spion. Sie vergeben mir doch?«

»Unter zwei Bedingungen,« erwiderte ich ihm, »einmal, daß Sie mir
erlauben, Sie recht oft zu begleiten, um der Spion Ihres Spions zu
sein. Halten Sie mich nicht für indiskret, es ist wahre Teilnahme für
Sie und der Wunsch, Ihnen nützlich zu werden. Sodann -- teilen Sie
mir, wenn es Ihnen anders möglich ist, den Schluß Ihres Abenteuers mit.«

»Den Schluß?« rief er und lachte bitter. »Den Schluß? Ich wünschte,
es schlösse sich, könnte es auch nur mit meinem Leben schließen. Doch
kommen Sie, wir wollen unter jene Arkaden gehen. Die Künstler kommen um
diese Zeit hierher, wir könnten nicht ungestört reden; wer weiß, ob man
nicht einen von ihnen zu meinem Wächter ersehen hat.«

       *       *       *       *       *

Ich folgte Otto von S. -- so hieß der junge Mann -- unter die Arkaden.
Er legte seinen Arm in den meinigen, wir gingen eine Weile schweigend
auf und ab; er schien mehr nachdenklich als zerstreut.

»Es ist etwas, was mir Vertrauen zu Ihnen einflößt;« hub er lächelnd
an. »Ich habe über den Ausspruch jener Damen in Berlin nachgedacht und
finde ihn, so komisch er mir damals vorkam, dennoch bestätigt. Es ist
mir, in den paar Viertelstunden, die wir beisammen sind, als seien Sie
ein Wesen, das ich längst kannte, als seien Sie schon jahrelang mein
Freund. Und doch haben Sie nicht jenes Gutmütige, Ehrliche, was an den
Deutschen sogleich auffällt, was bewirkt, daß man ihnen gerne vertraut;
Sie haben für Ihre Jahre viel Beobachtungsgeist in Ihrem Auge, und um
Ihren Mund in gewissen Augenblicken einen Zug, der nicht immer das
bestätigt, was Sie sagen wollten. Und dennoch fühle ich, daß mir der
Zufall viel geschenkt hat, der mich in jenes Haus führte, ich fühle
auch, daß man Ihnen trauen kann, mein Lieber.«

»Ich halte nichts auf Gesichter und habe durch Erfahrung gelernt, daß
sie nicht immer der Spiegel der Seele sind. Es freut mich übrigens,
wenn etwas an mir ist, das Ihnen Vertrauen einflößt. Es ist vielleicht
der rege Wunsch, Ihnen dienen zu können, was Ihnen einiges Vertrauen
gibt?«

»Möglich; doch bin ich Ihnen einige Aufschlüsse über mich und mein
Abenteuer hier in Rom schuldig. Ich erzählte Ihnen, wie ich mit Luise
von Palden bekannt wurde --«

»Erlauben Sie, nein! Diesen Namen höre ich zum erstenmal. Sie erzählten
uns, daß Sie eine junge Dame in den Lamentationen der sixtinischen
Kapelle kennen lernten, die Ihre ganze Aufmerksamkeit erregte. Sie
wurden von ihr mit einem andern verwechselt, sie gefielen sich in
diesem Quiproquo und versetzten sich unwillkürlich so in die Stelle des
Liebhabers, daß Sie das Mädchen sogar liebten. --«

»Und _wie_ liebe ich sie!« rief er bewegt.

»Sie suchten die Dame lange vergeblich in Rom, der Zufall führte
endlich das schöne Kind im Karneval als Maske an Ihre Seite. Es ist
schon dunkel, sie glaubt in Ihnen den Freund zu finden; Sie, lieber
Freund, benützen die Gelegenheit noch einmal, diesen Scherz, der Ihnen
so angenehm ist, fortzuführen. Sie bringen die Dame auf eine Loge,
um das Pferderennen anzusehen. Da erscheint auf einmal der rechte
Liebhaber, und Sie -- erblicken sich. Bis hierher hörte ich damals.
Sie können sich denken, wie begierig ich bin, zu hören, wie es Ihnen
erging.«

»Ich gestehe,« fuhr Herr von S. fort, »mir selbst fiel die Aehnlichkeit
dieses Mannes mit meinen Zügen, meiner Gestalt, selbst meiner Kleidung
überraschend auf. Das letztere hatte wohl die Mode verschuldet, die
damals alle junge Welt zwang, sich schwarz zu kleiden. Doch auch für
die große Aehnlichkeit unserer Züge, so auffallend sie ist, hat man
Beispiele. Sie erinnern sich vielleicht des Falles, der in Frankreich
vorkam. Zwei Franzosen trafen in Amerika zusammen. Ihre Aehnlichkeit
war so groß, daß man sie gewöhnlich miteinander verwechselte, der
eine starb, der andere, ein armer Teufel, wußte sich seine Papiere zu
verschaffen, reiste nach Frankreich zurück und lebte mit der Frau des
Verstorbenen noch lange Jahre, bis der Betrug an den Tag kam.[9]

    [9] Die Möglichkeit einer solchen Verwechselung beweist ein
        Fall, der sich vor einigen Monaten in Ravensburg im
        Württembergischen zutrug. Zwei Zwillingsbrüder sahen
        sich täuschend ähnlich. Der eine tötete einen Mann und
        floh. Er wußte, daß sein Bruder, der in Bregenz in einem
        österreichischen Regiment diente, desertiert war. Der
        Mörder wandte sich dorthin, zeigte sich in der Gegend, ließ
        sich als Deserteur gefangen nehmen und viermal Spießruten
        jagen. Er diente einige Zeit in der Stelle seines Bruders,
        bis der Betrug durch einen Zufall entdeckt wurde.

Der Herr und die Dame schienen nicht weniger überrascht als ich;
die letztere errötete, sie gedachte vielleicht jenes Kusses, und es
wurde ihr wohl mit einemmal klar, daß es schon an jenem Abend nicht
ihr Otto gewesen sei, gegen den sie sich so zärtlich bewiesen. Der
Herr mit meinen Gesichtszügen fragte mich in etwas barschem Ton in
schlechtem Französisch, wie ich dazu komme, diese Komödie zu spielen.
Ich nahm, nicht aus Furcht vor seinem rollenden Auge, sondern im
Gefühl, ein Unrecht, vielleicht eine Unschicklichkeit wieder gut zu
machen, alle Artigkeit, die ich in der Welt gelernt hatte, zusammen
und bat die Dame, mir einen Scherz zu vergeben, zu dem sie mich selbst
verleitet habe. ›Sie selbst?‹ rief bei diesen Worten jener Mann, und
seine Züge verzogen sich immer mehr zum Zorn. ›Sie selbst? Es ist ein
abgekartetes Spiel, ich sehe schon, ich bin der betrogene Teil. Doch
ich will nicht stören.‹ -- Er sagte dies, vor Wut zitternd, indem er
sich von seinem Platze entfernen wollte. Luise -- o, ich habe sie nie
so süß, so wundervoll gesehen wie in jenem Augenblicke, sie schien
mit aller Hingebung der Zärtlichkeit an diesem Manne zu hängen; sie
ergriff bebend seine Hand, sie rief ihn mit den lieblichsten Tönen; sie
beteuerte, sich unschuldig zu wissen, sie rief mich zürnend zum Zeugen
auf. Ich war hingerissen von diesem Zauber der Liebe, der sich mir
hier zum erstenmal in seiner ganzen Schönheit darstellte. Es ist etwas
Schönes um ein Mädchen, das in sanfter, stiller Liebe ist, es ist etwas
Heiliges, möchte ich sagen. Aber der Schmerz inniger Liebe, das Zittern
zärtlicher Angst, und diese Tränen in den blauen Augen, dieses Flüstern
der süßesten Namen von den feinen Lippen, und diese Röte der Angst und
der Beschämung auf den zarten Wangen, es ist ein Bild, irdischer zwar
als jenes, aber von einer hinreißenden Gewalt.«

»-- Ich kenne das,« unterbrach ich diese rednerischen Schilderungen
des verliebten Berliners, dem die Dame seines Herzens in jeder neuen
Form wieder lieblicher schien, »ich kenne das, so was Heiliges, so was
Weinendes, Madonnenartiges, Grazienhaftes, Süßes, Bitterschmerzliches,
kurz, so was Klagendes, Anziehendes, ich kenne das; aber wie war es
denn mit dem zornigen Patron, der Euer Wohlgeboren so ähnlich?«

»Er glaubte ihren Versicherungen nicht; war es Eifersucht, war es sein
leidenschaftlicher Zorn, den er nicht bemeistern konnte, er stieß
sie zurück, er drohte, sie nie mehr zu sehen. Das Mädchen setzte
sich weinend auf ihren Stuhl. Die tobende Freude der Römer an dem
Pferderennen, ihr Jauchzen, ihr Rufen stand in schneidendem Kontrast
mit dem stillen Schmerz dieses Engels. Ich fühlte inniges Mitleid
mit ihr, ich fühlte mich tief verletzt, daß ein Mann eine Dame, ein
Liebender die Geliebte so schnöde beleidigen könne. ›Mein Herr,‹ sagte
ich, ›das Wort eines Mannes von Ehre kann Sie vielleicht überzeugen,
daß die Schuld dieser Szene allein auf mir ruht.‹ -- ›Eines Mannes von
Ehre?‹ rief er höhnisch lachend; ›so kann sich jeder Tropf nennen.‹
Jetzt glaubte ich die Formen der gesellschaftlichen Höflichkeit nicht
weiter beobachten zu müssen. Ich gab ihm ein wohlbekanntes Zeichen,
flüsterte ihm meinen Namen, die Nummer meines Hauses und die Straße zu,
in welcher ich wohnte, und verließ ihn.

Es waren widerstreitende Gefühle, die in meiner Brust erwachten, als
ich zu Hause über diesen Vorfall nachdachte. Ich mußte mir gestehen,
daß ich unbesonnen, töricht gehandelt hatte, die Rolle eines andern
bei diesem Mädchen zu übernehmen. Es ist wahr, der Zufall war so
überraschend, die Gelegenheit so lockend, ihre Erscheinung so reizend,
so anziehend, daß wohl keiner der Versuchung widerstanden hätte. Aber
mußte mich nicht schon der Gedanke zurückschrecken, daß es ihr bei
dem Geliebten schaden könnte, traf er uns beide zusammen? In welch
ungünstigem Lichte mußte ich, mußte auch sie ihm erscheinen!

Und doch -- wo ist der Mensch, der nicht in einem solchen Falle sich
vor sich selbst zu entschuldigen wüßte? Ich fühlte, daß ich dieses
unbekannte, reizende Wesen liebe, und wie leicht entschuldigt Liebe!
und weil ich sie liebte, haßte ich den begünstigten Mann. Er war
ein Barbar in meinen Augen; wie konnte er die Geliebte so grausam
behandeln? Wie durfte er, wenn er sie wahrhaft liebte, an ihrer Tugend
zweifeln, und wer, der jemals in dieses treue, seelenvolle Auge
gesehen, wer konnte an der Reinheit dieses Engels zweifeln?

Am Morgen nach dieser Begebenheit bekam ich einen italienischen
schlecht geschriebenen Brief, er enthielt die Bitte einer Signora Maria
Campoco, dem Ueberbringer des Briefes in ihr Haus zu folgen, wo sie mir
etwas Wichtiges zu sagen habe. Ich kannte keine Dame dieses Namens, ich
fragte den Diener nach der Straße, er nannte mir eine, von welcher ich
nie gehört hatte. Eine Ahnung sagte mir übrigens, dieser Brief könnte
mit meinem Abenteuer von gestern zusammenhängen; ich entschloß mich
zu folgen. Der Diener führte mich durch viele Straßen in eine Gegend
der Stadt, die mir völlig unbekannt war. Er bog endlich in eine kleine
Seitenstraße; ein Brunnen, eine Madonna von Stein fiel mir ins Auge, es
war kein Zweifel, ich befand mich an dem Haus, wohin ich Luisen aus den
Lamentationen begleitet hatte.

Es war ein kleines, unscheinbares Haus, dessen Türe der Diener
aufschloß; über einen finstern Gang, eine noch dunklere Treppe brachte
er mich in ein Zimmer, dessen Eleganz nicht mit dem übrigen Ansehen des
Hauses übereinstimmte. Nachdem ich eine Weile gewartet hatte, erscholl
das Kläffen vieler Hunde, die Türe öffnete sich -- aber nicht meine
Schöne, sondern eine kleine, wohlbeleibte, ältliche Frau trat, umgeben
von einer Schar kleiner Hunde, ins Zimmer.

Es dauerte ziemlich lange, bis Tasso, Ariosto, Dante, Alfieri und
wie die Kläffer alle hießen, über den Anblick eines fremden Mannes
beruhigt waren, und die kleine Dame endlich zum Wort kommen konnte.
Sie sagte mir sehr höflich, sie habe mich rufen lassen, um wegen einer
Angelegenheit ihrer Nichte, Luise von Palden, mit mir zu sprechen.
Das Verlangen, das schöne Kind wiederzusehen, mich bei ihr selbst
zu entschuldigen, gab mir eine _Notlüge_ ein: ich fragte sie in so
miserablem Italienisch, als mir nur möglich war, ob sie Französisch
oder Deutsch verstehe. Sie verneinte es, ich zuckte die Achseln
und gab ihr mehr durch Zeichen als Worte zu verstehen, daß ich der
italienischen Sprache durchaus nicht mächtig sei. Sie besann sich eine
Weile, sagte dann, ich könne in _ihrer Gegenwart_ mit ihrer Nichte
sprechen, und entfernte sich.

Wie schlug mein Herz, von Erwartung, von Liebe bewegt! Wie beschämt
fühlte ich mich, in ihren Augen als ein Nichtswürdiger zu scheinen, der
ihren Irrtum auf so indiskrete Art benützte! Die hündische Leibwache
der Signora verkündete, daß sie nahe. Ich fühlte seit langer Zeit zum
erstenmal eine Verlegenheit, ein Beben; ich fühlte, wie ich errötete,
jene Sicherheit des Benehmens, die mich jahrelang begleitet hatte,
wollte mich in diesem Augenblick verlassen.

Sie kam, sie dünkte mir in dem einfachen, reizenden Negligee lieblicher
als je, und ihre Verwirrung, als sie mich sah, der Unmut, den ich in
ihrem Auge zu lesen glaubte, vermochte ihre Anmut nicht zu schwächen.
›Mein Herr! es ist eine sonderbare Begebenheit, die Sie in dieses Haus
führt;‹ sprach sie mit jenen klangvollen Tönen, die ich so gerne hörte;
›Sie müssen selbst gestehen,‹ setzte sie hinzu; aber sei es, daß die
Erinnerung an jenen Abend sie zu unangenehm berührte, sei es, daß sie
einem meiner Blicke begegnete, die vielleicht _mehr_ als Ehrfurcht
ausdrückten, sie schlug die Augen nieder, errötete aufs neue und
schwieg.

Ich faßte mich, ich suchte mich zu entschuldigen, so gut es ging;
ich erzählte ihr, wie ich sie hilflos und in Ohnmacht in der Kirche
gefunden, wie ich ihren Irrtum nicht habe berichtigen können, aus
Furcht, sie möchte meine Begleitung ablehnen, die ihr in ihrem
damaligen Zustande so notwendig war. Meine zweite Unbesonnenheit schob
ich auf die Maskenfreiheit des Karnevals, ich suchte einen Scherz
daraus zu machen, ich behauptete, es sei an diesem Abend erlaubt, jede
Maske vorzunehmen, und so habe ich die ihres Freundes vorgenommen. Ich
glaubte, sagte ich, in diesen Scherz um so eher eingehen zu dürfen,
da wir Landsleute sind, und die Deutschen in Rom, als Kinder _einer_
Heimat, nur _eine_ große Familie sein sollten.«

»Eine gefährliche Verwandtschaft!« -- unterbrach ich den jungen
Berliner, indem ich mich im stillen über seine jesuitische Logik
freute. »Wie? brachte die Dame nicht das ~Corpus juris~ und den
-- -- -- -- gegen Sie in Anwendung? In Schwaben möchte zur Not ein
solches Verwandtschaftssystem gelten, oder bei den Juden, welche Herren
und Knechte, Norden und Süden ›unsere Leute‹ nennen; aber Deutschland?
bedenken Sie, daß es in zweiunddreißig Staaten geteilt ist, wo ist da
ein Verwandtschaftsband möglich? Wenn sie sich im Himmel oder in der
Hölle treffen, so heißen sie nur Oesterreicher, Preußen, Hechinger und
fürstlich reußische Landeskinder!«

»Luise mochte auch so denken,« fuhr er fort. »Doch nötigte ihr meine
Deduktion ein Lächeln ab; es schien ihr angenehm, über diese Punkte so
leicht weggehen zu können. Sie klagte sich selbst an, diesen Irrtum
veranlaßt zu haben, sie vergab, sie erlaubte mir, ihre schöne Hand
zu küssen. Doch ihre Blicke wurden wieder düster. Sie sagte, wie sie
nur zu deutlich bemerkt habe, daß ich tief beleidigt weggegangen sei,
daß dieser Streit noch eine gefährlichere Folge haben könne. Ihr Auge
füllte sich mit Tränen, als sie dies sagte. Sie beschwor mich, ihrem
Freund zu vergeben, sie suchte ihn zu entschuldigen, _ihn_, der sie
selbst so tief beleidigt hatte; sie sprach mit so zärtlicher Wärme für
den Mann, der so ganz vergessen hatte, daß die wahre Liebe glauben und
vertrauen müsse, der so niedrig war, dieser reinen Seele gegenüber
gemeine Eifersucht zu zeigen. Ich wäre glücklich, selig gewesen, hätte
dieses Mädchen so von _mir_ gesprochen!

Ich fragte sie, ob sie in _seinem_ Auftrag mir dieses sage? Sie war
betreten, sie antwortete, daß sie gewiß wisse, daß es ihm leid sei,
mir jene Worte gesagt zu haben; ich versprach, wenn er mir dies selbst
sagen werde, nicht mehr an die Sache zu denken. Wie heiter war sie
jetzt, sie scherzte über ihren Irrtum, sie verglich meine Züge mit
denen ihres Freundes, sie glaubte große Aehnlichkeit zu finden, und
doch schien es ihr unbegreiflich, wie sie nicht an meinen Augen, meiner
Stimme, an meinem ganzen Wesen ihren Mißgriff erkannt habe. Sie rief
ihrer Tante zu, daß sie ihren Zweck vollkommen erreicht habe.

Signora Campoco, die während der ganzen Szene am Fenster gesessen und
bald die Leute auf der Straße, bald ihre Hündchen, bald uns betrachtet
hatte, kam freundlich zu mir, dankte für meine Gefälligkeit, ihr Haus
besucht zu haben, und bemerkte, sie hätte nie geglaubt, daß unsere
barbarische Sprache so wohltönend gesprochen werden könne. Sie sehen,
ich hatte jetzt nichts mehr in diesem Hause zu tun; so gerne ich noch
ein Stündchen mit Fräulein von Palden geplaudert hätte, so neugierig
ich war, ihre Verhältnisse in Deutschland und ihre Lage in Rom zu
erfahren -- der Anstand forderte, daß ich Abschied nahm, mit dem
unglücklichen Gefühle Abschied nahm, diese Schwelle nie mehr betreten
zu können. Signora, sie hätte sich vielleicht gekreuzt, hätte sie
gewußt, daß ein Ketzer vor ihr stehe, Signora empfahl mich der Gnade
der heiligen Jungfrau, und Luise reichte mir traulich die Hand zum
Scheiden. Ich fragte sie noch, wie der Herr heiße, mit welchem ich das
Glück gehabt habe, verwechselt zu werden. Sie errötete und sagte: ›Er
will zwar hier nicht bekannt sein und so zurückgezogen als möglich
leben, doch warum sollte ich Ihnen seinen Namen verhehlen? Ich möchte
so gerne, daß Sie Freunde würden. Er heißt ... und wohnt -- -- -- --‹«

So, »etwas breit nach Art der lieben Jugend«, hatte mir der junge
Mann den weiteren Verlauf seines Abenteuers erzählt; ich hörte ihm
gerne zu, obgleich nichts peinlicher für mich ist, als eine lamentable
Liebesgeschichte recht lang und gehörig breit erzählen zu hören;
aber interessant war mir dabei die Art, wie er mir erzählte. Sein
ausdrucksvolles Auge schien die Glut seiner Gefühle widerzustrahlen,
seine Züge nahmen den Charakter düsterer Wehmut an, wenn er sich
unglücklich fühlte, und ein angenehmes Lächeln erheiterte sie, wenn er
mir die Reize der jungen Dame zu beschreiben suchte. Plötzlich, als er
mir eben erzählte, wie er das Haus der Signora verlassen habe, drückte
er meinen Arm fester und brach in einen kleinen Fluch aus. »So muß der
Teufel diesen Pfaffen doch überall haben!« rief er und wandte sich
unmutig um. Ich war erstaunt; welchen Pfaffen sollte ich denn überall
haben? Ich fragte ihn, was ihn so aufbringen könne.

»Sehen Sie nicht hin, sonst müssen wir grüßen,« gab er mir zur Antwort,
»ich kann ihn nicht ansehen, den Jesuiten.«

Ich stellte mich, als befolge ich treulich seinen Befehl, doch konnte
ich nicht umhin, einen Seitenblick in die Straße zu werfen, und sah
wirklich ein höchst ergötzliches Schauspiel. Die Straße herauf kam ein
hoher Prälat der Kirche, der Kardinal Rocco, ein Mann, der schon längst
als einer der zweiten Klasse mit dem Prädikat _gut_ auf meinen Tafeln
verzeichnet ist. Eine große, majestätische Gestalt voll stolzer Würde;
sein weißes Haar, von einem einfachen, roten Käppchen bedeckt, stach
sonderbar ab gegen ein Gesicht, das man eigentlich reich nennen könnte.
Gewölbte Brauen, große Augen, eine Adlernase, die Unterlippe etwas
übermütig gezogen, das Kinn und die Wangen voll und kräftig. Ueber
das rollende Untergewand trug er einen Talar, dessen eines Ende er in
malerischen Falten über den Arm gelegt hatte; das andere Ende hielt in
einiger Entfernung hinter ihm herschleichend sein Diener, ebenfalls ein
Mönch, ein dürres bleiches Geschöpf, dessen tückische Augen nach allen
Seiten spähten, ob Seine Eminenz von den Gläubigen ehrfurchtsvoll, wie
es sich gebührt, begrüßt werden.

Der Gang des Kardinals war der Gang eines Siegers, und eine solche
Erscheinung in diesen Straßen erinnerte nur zu leicht an die Senatoren
der »ewigen Stadt«.

»Sehen Sie, wie er hingeht, dieser Pharisäer,« flüsterte der junge
Mann, mit den Zähnen knirschend. »Sehen Sie, wie der Pöbel sich zum
Handkuß drängt, mit welcher Würde, mit welcher Grazie er seinen Segen
erteilt. Theaterpossen! wenn diese Leute wüßten, was ich von ihm weiß,
sie würden diesem Pharisäer, diesem Verfälscher des Gesetzes die
Insignien seiner Würde vom Leibe reißen, oder sie wären wert, von einem
Türken beherrscht zu werden.«

»Was bringt Sie so auf, verehrter Freund? Wer ist dieser Ehrenmann? Was
hat er Ihnen zuleid getan? Hängt er mit Ihren Abenteuern zusammen?«
Ich mußte lange fragen, bis er mich hörte, denn er schaute mit
durchbohrenden Blicken der Eminenz nach und murmelte Verwünschungen wie
ein Zauberer.

»Ob ich ihn kenne? ob er mir etwas zuleide getan? O! dieser Mensch hat
ein Leben vergiftet, ein Herz zu Boden getreten, das -- doch Sie werden
mehr von ihm hören; es ist der Kardinal Rocco, der Satan ist nicht
schwärzer als er; mit seinem roten Hut deckt er alle Sünden zu, aber
trotzdem, daß er geweiht ist, wird ihn dennoch der Teufel holen!«

Da hat es gute Wege, dachte ich; Nr. 2, gute Sorte! Doch was konnte
dieser Berliner gegen Rocco haben? Unmöglich konnte ich glauben, daß
sein Protestantismus so tief gehe, daß er jeden, der violette Strümpfe
trug, in die Hölle wünschen mußte. Er hatte sich wieder gesammelt.
»Vergeben Sie diese Hitze, Sie werden mir einst recht geben, so zu
urteilen, wenn ich Sie erst mit dem Treiben dieser Menschen bekannt
mache. Doch jetzt noch einiges zum Verständnis meines Abenteuers. Die
Geschichte mit -- war bald abgetan. Er schickte einen Franzosen zu mir,
der mir erklärte, daß jener sich in mir geirrt habe und um Verzeihung
bitte. Durch ihn erfuhr ich auch, daß Luisens Geliebter früher Offizier
und zwar in ...schen Diensten gewesen sei.

Um diese Zeit kam die Schwester des sächsischen Gesandten nach Rom,
sich einige Zeit mit ihrer Familie bei ihrem Bruder aufzuhalten. Ich
war am ersten Abend ihres Aufenthalts zufällig zugegen, und -- stellen
Sie sich einmal mein Erstaunen vor, als ich hörte, wie sie eine andere
Dame fragte, ob nicht ein Fräulein von Palden hier lebe? Ich wandte
mich unwillkürlich ab, um nicht dem ganzen Kreise mein Erröten, mein
Entzücken zu zeigen; es war mir etwas so Neues, so Schönes, Luisens
Namen aus einem fremden Munde zu hören. Jedoch keine der anwesenden
Damen wollte von ihr wissen, und ich fühlte mich nicht berufen,
unaufgefordert mein Geheimnis mitzuteilen.

Deutsche, besonders Frauen, pflegen immer großen Anteil an Landsleuten
zu nehmen; es konnte daher nicht anders sein, als daß man seine
Verwunderung laut darüber aussprach, daß ein deutsches Fräulein in Rom
lebe, die auch _keinem_ von allen bekannt sein sollte? Wer ist sie?
Ist sie schön? Wie kommt sie nach Rom? fragte man einstimmig, und wie
lauschte ich, wie pochte mein Herz, endlich über das interessante Wesen
etwas zu hören.

Sie erzählte, wie sie in ...th Luisen kennen gelernt, die damals durch
ihr schönes Aeußere, durch ihre Liebenswürdigkeit, ihren Verstand die
ganze Stadt beschäftigt, ihre näheren Bekannten bezaubert habe. Um so
auffallender sei auf einmal ein Liebeshandel gewesen, der sich zwischen
einem Offizier, einem bürgerlichen Subjekt, und der Tochter des
Geheimenrats Palden entspann. Dieser Mensch habe außer seiner schönen
Figur und einem blühenden Gesicht keine Vorzüge, nicht einmal gute
Sitten gehabt. Dem Vater sei diese Geschichte zu ernstlich geworden,
er habe den Offizier zu einem Regiment zu versetzen gewußt, das mit
einem Teil der französischen Armee nach Spanien bestimmt war. Man
habe sich in ...th allgemein gefreut über die Art, wie sich Fräulein
Palden in diese Wendung fügte; doch bald erfuhr man, daß die Verbindung
mit dem Offizier nichts weniger als abgebrochen sei, sondern durch
Armeekuriere und dergleichen Briefe gewechselt werden. Es vergingen
so beinahe zwei Jahre. Die Armee kehrte zurück, doch nicht mit ihr
jener Offizier. Man sagte in Gesellschaften und in Luisens Nähe, er
sei wegen einer Ehrensache aus dem Dienst getreten. Seine Kameraden
schwiegen hartnäckig hierüber, doch gab es einige Stimmen im Publikum,
die von einer vorteilhaften Heirat, andere, die von einer Entführung
oder von beiden sprachen, kurz, man bemerkte, daß Herr ..., so hieß
der Offizier, seiner Dame untreu geworden sei. Um diese Zeit starb der
alte Herr von Palden. Seine erste Frau war eine Römerin, das Fräulein
entschloß sich auf einmal zu großer Verwunderung der Stadt ...th, zu
ihren Verwandten nach Rom zu ziehen.

So viel wußte die Schwester des Gesandten von Luisen. Es war mir genug,
um ihr Verhältnis zu ... ganz in der Ordnung zu finden; nur war es mir
unbegreiflich, was ihn bewogen haben könnte, nach Rom zu gehen; oder
kam er erst nach ihr hierher? Und warum heiraten sie sich nicht, da
doch ihre Hand jetzt frei und von niemand abhängig ist?

Ich quälte mich mit diesen Gedanken. Ich hätte so gerne mehr und immer
mehr von dem holden Kind erfahren; ich fühlte lebhaft den Wunsch, sie
wieder zu sehen, zu sprechen; ich wollte ja nicht geliebt werden,
nur sehen, nur lieben wollte ich sie. Da fiel mir bei, wie ich dies
so leicht möglich machen könnte. Ich durfte ja nur der Schwester des
Gesandten sagen, wo sich Luise aufhalte, und dann konnte ich gewiß
sein, sie schon in den nächsten Tagen im Hotel des Gesandten zu sehen.
Ich tat dies, und mein Wunsch wurde erfüllt.«

Ein Bekannter des Herrn von S. gesellte sich hier zu uns und unterbrach
zu meinem großen Aerger die Erzählung. Ich machte noch einige Gänge mit
ihnen unter den Arkaden; als ich aber sah, daß der Bekannte sich nicht
entfernen wollte, fragte ich den Berliner nach seiner Wohnung und ging
mit dem Vorsatz, ihn am nächsten Morgen zu besuchen. Ich muß gestehen,
ich fing an, die Geschichte des jungen Mannes weniger anziehend zu
finden, weil sie mir in eine gewöhnliche Liebesgeschichte auszuarten
schien. Doch zwei Umstände waren es, die mir von neuem wieder Interesse
einflößten und mich bestimmten, seine Abenteuer zu hören. Ich erinnerte
mich nämlich, wie überraschend sein Anblick, sein ganzes Wesen in
Berlin auf mich gewirkt hatten. Es war nicht der gewöhnliche Kummer der
Liebe, wie er sich bei jedem Amoroso vom Mühlendamm ausspricht; es war
ein Gram, ein tieferes Leiden, das mir um so anziehender dünkte, als
es nur ganz unmerklich und leise durch jene Hülle schimmerte, womit
die gesellschaftlichen Formen die weinende Seele umgeben. Er schien
ein Unglück zu kennen, zu teilen, das ihn unausgesetzt beschäftigte,
zu welchem ihn die Erinnerung sogar mitten in einem ästhetischen Tee
zurückführte.

Das zweite, was mich zu dem jungen Mann und seinem Abenteuer zog, war
die Szene, die ich morgens vor der Peterskirche beobachtet hatte. Ich
hatte dort bemerkt, daß er sie mit Sehnsucht erwarte; sie war gekommen,
aber es schien kein fröhliches Zusammentreffen. Sie schien ihn etwas
mit ihren Blicken zu fragen, das er nicht beantworten, sie schien etwas
zu verlangen, das er nicht erfüllen konnte; wie schwer mußte es ihm
werden, in der Ferne zu stehen und dem holden Mädchen durch keine Silbe
zu antworten! Er ließ sie gehen, wie sie gekommen, aber dann sandte er
ihr Blicke voll zärtlicher Liebe nach. Warum sagte er ihr nicht auf der
Stelle, wie er sie liebe? Welche Gewalt mußte sie über ihn ausüben,
um ihn in diese engen Schranken einer beinahe blöden Bescheidenheit
zurückzuweisen? Wie viel es _sie_ koste, sah ich an ihrem Auge, in
welchem eine Träne perlte, als sie weiterging.

Diese Fragen drängten sich mir auf, als ich über den jungen Mann und
die rätselhafte Dame nachdachte. Wo nicht ein blindes Fatum waltet
und ein Uhrwerk die Gedanken der Sterblichen treibt, da lernt keiner
aus, sei er Gott oder Teufel. Wohl sagt der Mensch, der kleinlich nur
auf die Resultate seiner Geschichte sieht: »Es wiederholt sich alles
im Leben;« aber _wie_ es sich wiederhole, wie der endliche Geist in
seiner kurzen Spanne Zeit wächst und ringt und strebt und gegen die
alte Notwendigkeit ankämpft, das ist ein Schauspiel, das sich täglich
mit ewig neuem Reize wiederholt; und das Auge, das von Weltintrigen
gesättigt, vom Anschauen der Kämpfe großer Massen ermüdet ist,
senkt sich gerne abwärts zum kleineren Treiben des einzelnen. Drum
möge es keinem jener verehrlichen Leute, für die ich meine Memoiren
niederschreibe, kleinlich dünken, daß ich in Rom, wo so unendlich
viel Stoff zur Intrige, ein so großer Raum zu einem diabolischen
Festtagsspiel ist, mit einer Liebeshistorie mich befasse. --

Am Abend dieses Tages fuhr ich mit einigen griechischen Kaufleuten auf
der Tiber. Wir hatten eine der größeren Barken bestiegen und die freien
Sitze des Vorderteils eingenommen, weil das Zelt in der Mitte, wie uns
die Schiffer sagten, schon besetzt war. Der Abend war schwül und wirkte
selbst mitten im Fluß so drückend und ermattend auf diese Menschen,
daß unser Gespräch nach und nach verstummte. Ich vernahm jetzt ein
halblautes Reden und Streiten im Innern des Zeltes, ich setzte mich
ganz nahe hin und lauschte. Es waren zwei Männer und eine Frau, soviel
ich aus ihren Stimmen schließen konnte. Sie sprachen aber etwas
verwirrt und gebrochen; der eine hatte gutes, wohltönendes Italienisch,
er sprach langsam und mit vieler Salbung. Die Dame mischte unter sechs
italienische Worte immer zwei spanische und ein französisches; der
andere Mann, der wenig, aber schnell und mit Leidenschaft sprach, hatte
jene murmelnde, undeutliche Aussprache, an welcher man in Italien
sogleich den Deutschen oder Engländer erkennt.

Ein kleiner Riß in der Gardine des Zeltes ließ mich die kleine
Gesellschaft überschauen; und, o Wunder! jene salbungsvolle Rede
entströmte dem Kardinal Rocco! Ihm gegenüber saß eine Dame, schon
über die erste Blüte hinaus, aber noch immer schön zu nennen. Ihre
beweglichen, schwarzen Augen, ihre vollen roten Lippen, ihr etwas
nachlässiges Kostüm, dessen Schuld der schwüle Abend tragen mußte,
zeigten, daß sie mit den ersten Dreißig die Lust zum Leben noch nicht
verloren habe. An ihrer Seite glaubte ich auf den ersten, flüchtigen
Anblick Otto von S. zu erkennen. Doch die Züge des Mannes im Zelte
waren düsterer, sein Auge blickte nicht so offen und frei wie das
des Berliners -- ich war keinen Augenblick im Zweifel, es mußte sein
verkörperter Doppelgänger sein. Aber wie, die Dame war nicht Luise von
Palden; durfte dieser Mann so traulich neben einer andern sitzen, ohne
dieselbe Schuld wirklich zu tragen, die er der Geliebten aufbürden
wollte?

»Gilt dir denn meine Liebe, meine Zärtlichkeit gar nichts?« hörte ich
die Dame sagen; »nichts meine Aufopferung, nichts meine Leiden, nichts
meine Schande, der ich mich um deinetwillen aussetzte? Ein Wort, ein
einziges Wort kann uns glücklich machen. Du sagst immer morgen, morgen!
Es ist jetzt Abend, warum willst du morgen doch wieder nicht?«

»Mein Sohn!« sprach der Kardinal; »ich will nichts davon sagen, daß
Euer langes Zögern, Eure fortwährende Weigerung für unsere heilige
Kirche Beleidigung ist. Ich weiß zwar wohl, nicht Ihr seid es, der
diese Zögerungen verschuldet; der Teufel, der leibhaftige Satan spricht
aus Euch: es ist das letzte Zucken Eurer ketzerischen Irrtümer, was
Euch die Wahrheit nicht sehen läßt; aber beim heiligen Kreuz, den
Nägeln und der heiligen Erde beschwöre ich Euch, folget mir; lasset
Euch aufnehmen in den heiligen Schoß der Kirche, zur Verherrlichung
Gottes.«

Ha! dachte ich, den haben sie gerade recht in den Krallen. Ein schönes
Weib, ein Kardinal Rocco und ein paar Gewissensbisse, wie der Herr im
Zelte zu haben schien. -- Da kann es nicht fehlen! -- Er seufzte, er
blickte bald die Dame, bald den Priester mit unmutigen Blicken an. »Ich
will ja alles tun, ins Teufels Namen, alles tun,« -- sagte er, »mein
Leben ist ohnedies schon verschuldet und vergiftet, aber wozu diese
sonderbare Prozedur? Warum soll ich vor der Welt zum Narren werden, um
die Ehre von Donna Ines wiederherzustellen?«

»Mein Sohn, mein Sohn! Wie frevelt Ihr! Zum Narren werden, sagt Ihr?
O! Ihr verstockter Ketzer, ihr alle seid von eurer Taufe an, wo der
Satan zu Gevatter steht, Renegaten, Abtrünnige! Es ist also nur eine
Rückkehr, kein Uebertritt, keine Ableugnung eines früheren Glaubens.
Ihr hattet ja vorher keinen Glauben. Ihr werdet doch nicht die Ketzerei
so nennen wollen, die der Erzketzer in Wittenberg aus den Fetzen, die
er dem Heiligtum gestohlen, zusammenstückelte?«

»Lasset mich, Eminenz! Es ist einmal gegen meine Ueberzeugung. Ich
müßte mich ja vor ganz Deutschland schämen.«

»O verstockter Ketzer! Schämen, sagt Ihr? Hat sich der liebe Mann, der
Herr von Haller, auch geschämt? Schämen? wie ein Heiliger würdet Ihr
dastehen; braucht sich ein Heiliger zu schämen? Hat sich der treffliche
Hohenlohe geschämt, umgeben von Ketzern, seine Wunder zu verrichten?
Es sei gegen Eure Ueberzeugung, saget Ihr? Da sieht man wieder den
Deutschen, nicht wahr, Donna Ines, den ehrlichen Deutschen? Zu was denn
immer Ueberzeugung? Das ist ja gerade das Wunderbare am Glauben, daß
er von selbst wirkt, ohne Ueberzeugung. Gesetzt, Ihr wäret krank, mein
lieber Freund; man schickt Euch den ersten Arzt der Christenheit; Ihr
seid nicht überzeugt, daß er der alleinige, wahre Arzt ist, aber Ihr
laßt Euch gefallen, seine Arzneien einzunehmen, und siehe, sie wirken
auf Euren Körper ohne Ueberzeugung, gerade wie unser Glaube auf die
Seele.«

»Otto!« sprach Dame Ines mit schmelzenden Tönen, »teurer Otto! Siehe,
wenn mich der heilige Mann hier nicht absolviert und beruhigt hätte,
ich müßte ja schon längst verzweifelt sein, einen Ketzer so innig zu
lieben! Wie leicht wird es dir gemacht, einer der Unsrigen zu sein und
dann ein Weib auf ewig glücklich zu machen, das dir alles opferte! Und
bedenke die schöne Villa an der Tiber, und das köstliche Haus neben
dem Palast Seiner Eminenz. Dies alles will uns der heilige Vater zur
Ausstattung schenken. Bist du nicht gerührt von so vieler Liebe?«

»Nicht verhehlen kann ich es Euch, mein Sohn,« fuhr der beredte Mann
mit dem roten Hute fort, »nicht verhehlen kann ich es Euch, daß man
im Lateran noch heute von Euch sprach, daß es sogar Seiner Heiligkeit
selbst auffällt, daß Ihr so lange zögert. Bis über acht Tage naht ein
großes Fest heran, welche herrliche Gelegenheit, etwas zu Gottes Ehre
zu tun, bietet sich Euch dar!«

»Wozu doch diese Oeffentlichkeit?« fragte ..., »ich hasse dieses Rühmen
und Ausschreien in alle Welt. Lasset mich still in einer Kapelle die
Zeremonie verrichten. Was nützt es Euch, ob ich laut und offen das
Opfer bringe! O Luise, Luise! Es tötet sie, wenn sie es hört!«

»Elender!« rief die Dame, indem sie in Tränen ausbrach. »Sind das deine
Schwüre? Du falsches Herz. Ich habe dir alles, alles geopfert, und so
kannst du vergelten? O Barbar! gehe hin zu ihr, lege dich nieder in
ihre Fesseln, aber wisse, daß ich mich in die Tiber stürze; über meine
armen Würmer, meine unglücklichen Kinder, mag sich Gott erbarmen!«

»Kinder, Kinder! Meine fromme Tochter, mein lieber, aber verblendeter
Sohn. Wozu dieser Skandal, diese Szene auf dem Schiffe? Stillet Eure
Tränen, schöne Frau, es wird noch alles gut werden; kommet, ich will
einen väterlichen Kuß auf Eure Augen drücken, so. Und Ihr, wisset Ihr
nicht, daß Ihr Euch versündiget gegen Donna Ines! Was wollet Ihr nur
immer wieder mit der Ketzerin, die einst Eure Sinnen zu bestricken
wußte? Haben wir Euch nicht Beweise genug gegeben, daß sie in einem
strafwürdigen Verhältnis zu dem Teufel ist, der Eure Gestalt und
Sprache angenommen hat?«

»Welch einfältiges Märchen!« rief der junge Mann. »Was wollet Ihr
auch den Teufel ins Spiel ziehen? Ein ehrlicher Berliner ist er, ein
Tropf, dem ich das Mädchen nicht gönnen mag, wenn sie mich auch zehnmal
betrog!«

»Mein Sohn, die heilige Jungfrau schütze uns, aber der Satan selbst ist
es. Hat es nicht letzthin meinem dienenden Frater Piccolo geträumt,
der Teufel gehe hier in der heiligen Stadt spazieren? Alle seine
Träume sind noch eingetroffen. Der deutsche Baron ist der höllische
Geist selbst. Wer es aber auch sei; sie hat Euch betrogen. Hat nicht
die fromme Frau Maria Campoco Euch selbst dieses Geständnis über ihre
Nichte gemacht? Was wollet Ihr nur auf die treulose Ketzerin Rücksicht
nehmen! -- Und schaut, was ich Euch hier mitgebracht habe,« fuhr
Seine Eminenz fort, indem sie ein großes Papier entfaltete. »Sehet,
wie ich Wort halte: Ich habe Euch versprochen, die Liste aller derer
mitzubringen, welche in Eurem Deutschland öffentliche Ketzer, insgeheim
aber gute Christen der wahren Kirche sind. Da, leset!«

Der junge Mann las und staunte. Er sah den Kardinal fragend an, ob er
denn wirklich dieser Schrift trauen dürfe. Donna Ines, welche bemerkte,
welch günstigen Eindruck diese Liste mache, zog die Hand des heiligen
Mannes an den Mund und bedeckte sie mit feurigen Küssen der Andacht.

»Nicht wahr,« fuhr Rocco fort, »da stehen wohlklingende Namen?
Professoren, Grafen, Fürsten sogar. Freilich diese Leute können nicht
so öffentlich sich erklären, Freundchen. Die Politik, die Rücksicht auf
ihre ketzerischen Untertanen erlaubt das nicht. Aber im Herzen, _im
Herzen_ sind sie unser. Da, dieser Nr. 8, ich kann eure barbarischen
Namen nicht aussprechen, der wird sich sogar öffentlich erklären und
seine Irrtümer abschwören. Der da oben wird auch einen wichtigen
Schritt vorwärts tun. O! und bedenket, was erst in Frankreich, selbst
in England für uns getan wird, bald, vielleicht erlebe ich es noch,
bald werdet ihr alle samt und sonders zu uns zurückgekehrt sein. Wie
herrlich muß dann ein Name wie der Eurige leuchten, der nicht mit der
Menge, sondern lang zuvor auf unsere heiligen Tafeln verzeichnet wurde!«

»Aber, o Himmel, Kardinal! Ich bin ja schlechter als die ganze Liste
dieser Heimlichen. Ihr selbst wisset, daß, wenn ich zu Eurer Kirche
abfalle, es nur geschieht, um den ewigen Klagen der Donna Ines zu
entgehen. Diese Heimlichen haben keinen Vorteil bei ihrer Heimlichkeit.
Sie gelten von außen als echte Lutheraner, und was haben sie davon, daß
sie von innen römisch sind?«

»O Einfalt! es ist gut, daß Ihr nicht die ketzerische Theologie
studiert habt. Ihr wäret durch das Examen gefallen! Was ist
denn das Schöne an unserer Kirche? He? Nicht nur, daß sie die
alleinseligmachende, daß sie gleichsam eine Brandversicherungsanstalt
gegen die Hölle, eine Seelenassekuranz gegen den Tod ist! denn schon
aus physischen Gründen kann man annehmen, daß keine Seele von den
Unsrigen lange im Fegfeuer oder gar in der Hölle verweilt, wenn sie
auch ohne Beichte abfährt. Antonio Montani hat berechnet, daß im
Durchschnitt hundertundzwanzig Millionen Menschen in der Hölle und
ebensoviel im Fegfeuer sind. Nun kann man annehmen, daß seit eurer
verfluchten Reformation neunzig Millionen Ketzer, zwanzig Millionen
Türken und zehn Millionen Juden hinabgefahren sind. Das macht zusammen
hundertundzwanzig.«

»O wie gut haben wir es, hochwürdiger Herr!« sagte Ines mit
zauberischem Lächeln. »Ach, Otto! Dich soll ich an jenem Ort wissen,
in der Gesellschaft des Teufels und seiner Großmutter? O Gott! es ist
nicht möglich!«

»Sodann weiter,« fuhr der Salbungsvolle fort, »euer Erzketzer in
Berlin, der Schleiermacher, nimmt selbst an, daß alle Menschen
prädestiniert sind, und zwar so beiläufig die Hälfte zum Bösen. Diese
müssen nun eine Art von Seelenwanderung in verschiedenen Stationen des
Elends machen, bis sie selig werden, und fangen mit der Hölle an. Der
Mann hat vernünftige Gedanken und wäre wert, einst nur ins Fegfeuer
zu kommen. Aber das weiß er doch nicht recht. Wenn einer auch zehnmal
prädestiniert, zur Hölle plombiert, zum Teufel rekommandiert ist, wir
können ihn doch absolvieren und ~recta~ in den Himmel schicken. Nun,
und wenn man annimmt, daß das Fegfeuer hundertundzwanzig Millionen
faßt, und darunter hundert Millionen Türken und zwanzig Millionen
Ketzer, so ist, weiß Gott, auch dort wenig Raum für eine etwas
liederliche Seele.«

»Ihr wisset, Eminenz, was ich von solchen Berechnungen halte, machet
mir doch Eure Sache nicht noch lächerlicher. Eure Seelenassekuranz kann
mich nicht locken. Doch ist sie gut fürs Volk, und ich begreife nicht,
warum Ihr nicht schon lange ganze Regimenter, Divisionen, ja Armeen
Kavallerie, Infanterie, Artillerie samt dem Generalstab öffentlich
verassekuriert habt. Das wäre eine Anstalt ~à la~ Mohammed, die Kerls
würden sich schlagen wie der Teufel, denn sie wüßten, wenn sie heute
erschossen werden, wachen sie morgen im Paradiese auf. Lasset mich
lieber noch einen Blick in die Liste werfen, sie ist mir tröstlicher,
denn es stehen ganz vernünftige Männer dort.«

»O daß Ihr nur ein Jahr auf einer deutschen Universität zugebracht
hättet! Unsere Agenten geben uns herrliche Berichte, die ketzerische
Jugend soll gegenwärtig ganz absonderlich fromm, heilig und mystisch
sein. Das Mittelalter, das gute, liebe Mittelalter versetzt sie in
diesen liebenswürdigen Schwindel. Sie neigen sich schon ganz zu
uns, und lasset nur erst die Jesuiten recht in Deutschland überhand
nehmen, dann sollt Ihr erst Wunder sehen! Auch einige brave Männer,
Professoren, nehmen sich unserer Sache an: Seht, dieser da, Nr. 172,
Signor Crusado, der umhüllt sie mit einem so tiefen symbolischen
Dunkel, daß sie bald unser sind. Wahrlich, der Hofmechanikus Seiner
Heiligkeit, der berühmte Signor Carlo Fiorini, hat vollkommen recht. Er
hat berechnet, wenn Deutschland einige Grade südlicher läge, wenn ihr
eine schönere Natur, ein wenig mehr Sinnlichkeit und Phantasie hättet
-- die Ketzerei hätte nie aufkommen können, oder ihr wäret wenigstens
schon lange wieder zurückgekehrt.«

Die Barke stieß bei diesen Worten ans Land. Wie gerne hätte ich diesem
trefflichen Pfaffen noch länger zugehört, wie er diese deutsche Seele
bearbeitete; es war ein schweres Stück Arbeit, ich gestehe es. Ein
Mensch ohne Phantasie, der in den Zeremonien nur Zeremonien sieht,
der die Tendenz dieser Römer durchschaut, der durch keinen weltlichen
Vorteil zu blenden ist, wahrlich, ein solcher ist schwer zu gewinnen.
Doch für diesen war mir nicht bange. Ein Kardinal Rocco und ein schönes
Weib haben schon andere geangelt als diesen.

Der heilige Mann stieg aus: mit Ehrfurcht empfingen die Schiffer seinen
Segen, den er mit einer Würde, einem Anstand, würdig eines Fürsten der
Kirche, erteilte. Donna Ines folgte. Ich bewunderte, während sie über
das Brett ging, ihren feinen, zierlichen Wuchs, die Harmonie in ihren
Bewegungen und die Glut, die aus ihren Augen strahlte und den Abend
schwül zu machen schien. Sie reichte dem geliebten Ketzer ihre schöne
Hand mit so besorgter Zärtlichkeit, mit einem so bedeutungsvollen
Lächeln, daß ich im Zweifel war, ob ich mehr seine transmontanische
Kälte belächeln oder den Mut bewundern sollte, mit welchem er den
geistlichen Lockungen dieser in Liebe aufgelösten Kirke widerstand. --
Am Ufer hielt ein schöner Wagen. Der dienende Bruder Piccolo, welchem
ich im Traum, in Rom spazieren gehend, erschienen war, stand am Schlag
und erwartete Seine Eminenz. Es kostete einige Zeit, bis dieser sein
Gewand zu gehöriger Wirkung drapiert hatte, dann erst folgte der
Frater Piccolo. Der Ketzer und seine Dame schlugen einen Fußpfad ein
und gingen der Stadt zu.

»Wer sind diese,« fragte ich den Schiffer.

»Kennt Ihr den heiligen Mann, den Kardinal Rocco nicht? O, es ist einer
der besten Füße des heiligen Stuhles! Alle Abende fährt er in meiner
Barke auf dem Fluß.«

»Und die Dame?«

»Ha! das ist eine gute Christin,« antwortete er mit Feuer. »Sie fährt
beinahe immer mit dem Kardinal, zuweilen allein mit ihm, zuweilen mit
dem Mann, den Ihr gesehen. Dem traue ich nicht ganz, es ist entweder
ein Deutscher oder ein Engländer, und die sind doch Kinder des Teufels.«

»So? Da sagt Ihr mir etwas Neues, und dieser Mann, ist er ihr Gemahl?«

»Bewahre uns die heilige Jungfrau! Ihr Gemahl! Wo denkt Ihr hin? Da
würde er nicht so zärtlich mit ihr spazieren fahren. Ich denke, es ist
ihr Geliebter.«

»So ist es,« sagte einer der griechischen Kaufleute, »die Dame wohnt
nicht weit von mir. Sie lebt allein mit ihren Kindern. Sie sieht
niemand bei sich als einige fromme Geistliche und diesen jungen Mann!
Es ist ihr Geliebter. Aber sie führen ein Hundeleben zusammen. Man hört
sie oft beide weinen und zanken und schreien. Der junge Mann flucht
und donnert und jammert mit schrecklicher Stimme, und die Donna weint
und klagt, und die Kinder erheben ein Zetergeschrei, daß die Nachbarn
zusammenlaufen. Dann stürzt oft der junge Mann verzweifelnd aus dem
Haus und will fliehen, aber die Donna setzt ihm mit fliegenden Haaren
nach, und die Kinder laufen heulend hintendrein. Sie faßt ihn unter der
Türe am Gewand, sie achtet nicht auf die Menschen, die umherstehen. Sie
zieht ihn zurück ins Haus und besänftigt ihn, und dann ist es oft auch
viele Tage stille, bis das Wetter von neuem losbricht.«

»Heilige Jungfrau,« rief der Schiffer, »und hat er sie noch nie
totgestochen im Zorn?«

»Wie Ihr seht, nein!« erwiderte der Grieche. »Aber krank ist sie schon
oft geworden, wenn er so greulich raste. Dann lief er schnell zu drei,
vier Doktoren, um sie wieder ins Leben zurückzurufen. Es sind doch gute
Seelen, diese Deutschen!«

So sprachen diese Männer, und ich ging von ihnen in tiefen Gedanken
über das, was ich gehört und gesehen hatte. Jenes Wort des jungen
Berliners fiel mir wieder bei, der den Kardinal Rocco beschuldigte,
ein schönes gutes Herz gebrochen zu haben. Welches andere Herz konnte
dies sein als Luisens? Ich glaubte deutlich zu sehen, daß der Priester
den Kapitän der Geliebten entzogen, indem er sie verleumdet, daß er
ihn in die Fesseln dieser Donna Ines geschmiedet habe, um ihn für die
Kirche zu gewinnen. Aber wie war alles dies geschehen? Wie hatte er
diesen Mann aus den Armen seines Mädchens ziehen, von einem Herzen
hinwegreißen können, das ihn mit so heißer Glut umfing? Sollten jene
Beschuldigungen von Untreue wahr sein, die der Kardinal dem Kapitän
einflüsterte, hatte sie wirklich den jungen Mann, der ihm so ähnlich
sah, vorgezogen? Doch ich wußte ja, wo ich mir Gewißheit verschaffen
konnte. Ich beschloß, bei guter Zeit am nächsten Morgen den Berliner
wieder aufzusuchen.

Herr von S... schien mich liebgewonnen zu haben, denn er empfing
mich mit Herzlichkeit und einem Wohlwollen, das selbst den Teufel
erfreut, wenn er auch schon an dergleichen gewöhnt ist. Ich hatte mir
vorgenommen, von meiner gestrigen Fahrt und den Wunderdingen, die ich
gehört hatte, noch nichts zu erwähnen, um den Verlauf seiner Geschichte
zuvor desto ungestörter zu vernehmen.

»Von allem Unglück, das die Erde trägt,« fuhr er zu erzählen fort,
»scheint mir keines größer, schmerzlicher und rührender, als jener
stille, tiefe Gram eines Mädchens, das unglücklich liebt oder dessen
zartes, glühendes Herz von einem Elenden zur Liebe hingerissen und
dann betrogen wird. Der Mann hat Kraft, seinen Gram zu unterdrücken,
den Verrat seiner Liebe zu rächen, die gepreßte Brust dem Freunde zu
öffnen; das Leben bietet ihm tausend Wege, in Mühe und Arbeit, in
weiter Ferne Vergessenheit zu erringen. Aber das Weib? -- Der häusliche
Kreis ist so enge, so leer. Jene täglich wiederkehrende Ordnung,
jene stille Beschäftigung mit tausend kleinen Dingen, der sie sich
in der Zeit glücklicher Liebe fröhlich, beinahe unbewußt hingab, wie
drückend wird sie, wenn sich an jeden Gegenstand die Erinnerung an ein
verlorenes Glück heftet! Wie träge schleicht der Kreislauf der Stunden,
wenn nicht mehr die süßen Träume der Zukunft, nicht der Zauber der
Hoffnung, nicht die Seligkeit der Erwartung den Minuten Flügel gibt,
wenn nicht mehr das von glücklicher Liebe pochende Herz den Schlag der
Glocke übertönt!

Doch, wozu Sie auf ein Unglück vorbereiten, das Sie nur zu bald
erfahren werden? Hören Sie weiter: Mein Wunsch, Luise von Palden im
Hause des Gesandten zu sehen, gelang. Schon nach einigen Tagen wurde
sie durch seine Schwester dort eingeführt. Sie errötete, als sie mich
zum erstenmal dort sah, doch sie schien mich wie einen alten Bekannten
dort zu nehmen; es schien sie zu freuen, unter so vielen fremden
Männern einen zu wissen, der ihr näher stand. Denn so war es; sei
es, daß die Erinnerung an unser sonderbares Abenteuer mich aus einem
Fremden zum Bekannten machte, sei es, daß sie gerne zu mir sprach, weil
ich die Züge ihres Freundes trug, sie unterschied mich auffallend von
allen übrigen Männern, die dieser seltenen Erscheinung huldigten. Sie
lächeln, Freund? Ich errate Ihre Gedanken.«

»Ich finde, Sie sind zu bescheiden; könnte es nicht auch Ihre eigene
Persönlichkeit gewesen sein, was das Fräulein anzog?«

»Nein, denken Sie nicht so von diesem himmlischen Geschöpf; ich
gestehe, ich war ein Tor, ich machte mir Hoffnung, sie für mich
gewinnen zu können; ja, Freund, ich sagte ihr sogar, was ich fürchte.«

»Und Sie wurden nicht erhört? Das treue, ehrliche Kind! und ihr Kapitän
lag vielleicht gerade in den Armen einer andern!«

Der Berliner stutzte. »Wie? Was wissen Sie?« fragte er betroffen. »Wer
hat Ihnen gesagt, daß West noch eine andere liebe?«

»Nun, Sie selbst haben mich genug darauf vorbereitet,« erwiderte ich;
»sagten Sie nicht, daß jener das Mädchen betrog?«

»Sie haben recht; -- nun, ich wurde lächelnd abgewiesen, abgewiesen
auf eine Art, die mich dennoch glücklich, unaussprechlich glücklich
machte. Sie war keinen Augenblick ungehalten, sie gestand mir, daß ich
ihr als Freund willkommen sei, daß ihr Herz keinem andern mehr gehören
könne. Sie sagte mir auch manches von ihren Verhältnissen, was ganz mit
dem übereinstimmte, was uns die Schwester des Gesandten erzählte; sie
gestand, daß sie nur darum nach Rom gezogen sei, weil den Kapitän seine
Verhältnisse hierher riefen, sie gestand, daß er einen Rechtsstreit
wegen einer Erbschaft hier habe, daß er, sobald die Sache entschieden
sei, vielleicht schon in wenigen Wochen, sie zum Altar führen werde.

Etwa eine Woche nach diesem aufrichtigen Geständnis rief mich eines
Abends der Gesandte aus dem Salon, in welchem die Gesellschaft
versammelt war, zu sich. Es war nichts Seltenes, daß er sich mir in
Geschäftssachen mitteilte, weil ich sein Vertrauen auf eine ehrenvolle
Art besaß; doch die Zeit war mir auffallend, und es mußte etwas von
Wichtigkeit sein, weswegen er mich aus dem Kreis der Damen aufstörte.

›Kennen Sie einen gewissen Kapitän West?‹ fragte er, indem er mich mit
forschenden Blicken ansah.

›Ich habe einen Kapitän West flüchtig kennen gelernt,‹ gab ich ihm zur
Antwort.

›Nun, so flüchtig müsse es doch nicht sein,‹ entgegnete er mir, da ich
ein Duell mit ihm gehabt.

Ich sagte ihm, daß ich Streit mit ihm gehabt, wegen einer ziemlich
gleichgültigen Sache, es sei aber alles gütlich beigelegt worden.
Dennoch war es mir auffallend, woher der Gesandte diesen Streit
erfahren hatte, den ich so geheim als möglich hielt, und von welchem
Luise in seinem Hause gewiß nichts erwähnt hatte.

›Wegen einer Dame haben Sie Streit gehabt,‹ sagte er; ›doch möchte
ich Ihnen raten, solche Händel wegen einer so zweideutigen Person zu
vermeiden. Sie wissen selbst, wenn man einmal einen öffentlichen,
besonders einen diplomatischen Charakter hat, ist dergleichen in einem
fremden Lande wegen der Folgen für beide Teile fatal.‹

Der Ton, worin dies gesagt wurde, fiel mir auf. Er war sehr ernst, sehr
warnend; noch schmerzlicher berührte mich, was er über jene Dame sagte,
›zweideutige Person!‹ Und doch saß gerade diese Person als Krone der
Gesellschaft in seinem Salon, er selbst, ich hatte es deutlich gesehen,
er selbst hatte noch vor einer halben Stunde mit ihr auf eine Art
gesprochen, die mich in dem alten Herrn einen aufrichtigen Bewunderer
ihrer Reize und ihres glänzenden Verstandes sehen ließ. Ich konnte
eine Bemerkung hierüber nicht unterdrücken, ich bat ihn höflich, aber
so fest als möglich, in meiner Gegenwart nicht mehr so von einer Dame
zu sprechen, die ich achte, und die einen so entschiedenen Rang in der
Gesellschaft einnehme. Ich wolle davon gar nicht reden, daß er selbst
sein Haus beschimpfe, wenn er in solchen Ausdrücken von seinen Gästen
spreche.

Er sah mich verwundert an; er sagte mir, er könne meine Reden nicht
begreifen, denn weder behaupte die Dame einen Rang in der Gesellschaft,
die _er_ sehe, noch habe sie je einen Fuß über seine Schwelle gesetzt.
Die Reihe zu erstaunen war jetzt an mir; ich sah, daß hier ein Irrtum
vorwalte, und belehrte ihn, daß Fräulein von Palden die Dame sei, um
die wir uns schlagen wollten. ›Verzeihen Sie,‹ rief er, ›man sagt mir,
Sie haben sich wegen der Geliebten dieses Kapitän West geschlagen,
daher glaubte ich, Ihnen dies sagen zu müssen.‹

›Und wenn dies nun dennoch wäre?‹ fragte ich. ›Kennen Sie denn die
Geliebte des Kapitäns?‹

›Gott soll mich bewahren,‹ entgegnete er. ›Nein, ich glaube, er hat
schon selbst genug an seiner Spanierin.‹

Ich staunte von neuem. ›Von einer Spanierin sprechen Sie? Wie kommen
Sie nur darauf? Ich weiß bestimmt, daß der Kapitän eine deutsche Dame
liebt!‹

›Um so schlimmer für das arme Kind in Deutschland,‹ war seine Antwort;
›wie die Sachen stehen, scheint man im Lateran ernstlich daran zu
denken, den goldenen Quadrupeln der schönen Donna Gehör zu geben und
ihre frühere Ehe, weil sie nicht ganz gültig vollzogen war, für nichtig
zu erklären. Der Kapitän macht eine gute Partie, aber -- jeder Mann von
Ehre wird diesen Schritt mißbilligen.‹

Ich stand wie vom Donner gerührt vor dem alten Mann; entweder lag hier
eine Verwechslung der Namen und Personen zu Grunde, oder es war ein
schreckliches Geheimnis, und der Kapitän ein Betrüger, der Luisens
Glück vielleicht auf ewig zerstört hatte.

Ich sagte dem Gesandten geradezu, daß er mit mir über Dinge spreche,
die mir völlig unbekannt seien. Er staunte, doch glaubte er, da er
schon soviel gesagt hatte, mir die weitere Erklärung dieser Rätsel
schuldig zu sein. ›Dieser Kapitän West ist ein Sachse,‹ erzählte er;
›er diente früher im Generalstab und wurde dann zu einer diplomatischen
Sendung nach Spanien verwandt; er soll ein Mann von vielen Talenten,
aber etwas zweideutigem Charakter sein. Warum die Wahl gerade auf
ihn fiel, da noch ältere Leute, und aus guten Häusern im Departement
waren, ist mir unbekannt; nur soviel erfuhr ich zufällig, daß man ihn
damals von Dresden habe entfernen wollen. Man erzählt sich, er habe in
Madrid in einem Verhältnis zu einer schönen jungen Frau gelebt; sie
war eine Spanierin, aber an einen alten Engländer verheiratet, der sie
vielleicht nicht so strenge unter Schloß und Riegel hielt, wie man
sonst in Spanien zu tun pflegt.

Als aber endlich dieses Verhältnis zu den Ohren des Engländers kam,
bewirkte dieser, daß der Kapitän von seinem Posten abgerufen und sogar
aus dem Dienste entlassen wurde. Doch sagen andere, er selbst habe aus
Aerger über seine schnelle Abberufung quittiert. Doch das Beste kommt
noch; einige Wochen nach seiner Abreise war die Frau des Engländers mit
ihren beiden Kindern plötzlich verschwunden, man kann sagen spurlos
verschwunden, denn so viele Mühe sich ihr Gatte gab, ihrer habhaft
zu werden, alles war vergeblich. Vielleicht scheiterten auch seine
Bemühungen an den Unruhen, die gerade in jener Zeit ausbrachen und die
Kommunikation mit Frankreich sehr erschwerten.

Der Verdacht dieses Engländers fiel, wie natürlich, vor allem auf den
Kapitän West. Er wußte es zu machen, daß dieser in Paris angehalten und
verhört wurde. Man sagt, er solle sehr betreten gewesen sein, als er
die Nachricht von der Flucht dieser Dame hörte; er wies sich aber aus,
daß er die Reise bis nach Paris allein gemacht habe, und bekräftigte
mit einem Eid, daß er von diesem Schritt der Donna nichts wisse.

Etwa ein Vierteljahr nachher kam er nach Rom und lebt seitdem hier
sehr still und eingezogen, besucht keine Gesellschaft, hat keinen
Freund, keinen Bekannten; vorzüglich vermeidet er es, mit Deutschen
zusammenzutreffen.‹

Um diese Zeit, fuhr der Gesandte fort, sei von seinem Hofe die Anfrage
an ihn ergangen, ob dieser West sich in Rom befinde; wie er lebe, und
ob er nicht in Verhältnis mit einer Spanierin sei, die sich ebenfalls
hier aufhalten müsse. Man habe ihm dabei die Geschichte dieses Kapitän
West mitgeteilt und bemerkt, daß der Engländer von neuem Spuren von
seiner Frau entdeckt habe, die beinahe mit Gewißheit annehmen lassen,
daß sie in Rom sich aufhalte. Man habe deswegen von Spanien aus sich an
die päpstliche Kurie gewandt, es scheine aber, man wolle sich hier der
Dame annehmen, denn die Antwort sei sehr zweifelhaft und unbefriedigend
ausgefallen. Der Gesandte machte die nötigen Schritte und erfuhr
wenigstens soviel, daß jener Verdacht bestätigt schien. Er wandte sich
nun auch an Consalvi, um zu erfahren, ob der römische Hof in der Tat
die Dame in seinen Schutz nehme, und erhielt die in eine sehr bestimmte
Bitte gefaßte Antwort, man möchte diese Sache beruhen lassen, da die
Ehe der Donna Ines mit dem Engländer wahrscheinlich für ungültig
erklärt werde.

Dies erzählte mir der Gesandte; er fügte noch hinzu, daß er aus
besonderem Interesse an diesem Fall dem Kapitän immer nachgespürt habe,
und so sei ihm auch der Streit zu Ohren gekommen, den ich im Karneval
mit jenem ›wegen einer Dame‹ gehabt habe.

Sie können sich denken, Freund, welche Qualen ich schon während seiner
Erzählung empfand; und als ich das ganze Unglück erfahren hatte, stand
ich wie vernichtet. Der Gesandte verließ mich, um zu der Gesellschaft
zurückzukehren; ich hatte kaum noch so viel Fassung, ihn zu bitten, er
möchte niemand etwas von diesen Verhältnissen wissen lassen, das Warum
versprach ich ihm auf ein andermal.

Ich konnte von dem Zimmer, wohin der Gesandte mich gerufen, den Salon
übersehen, ich konnte Luisen sehen, und wie schmerzlich war mir ihr
Anblick. Sie schien so ruhig, so glücklich. Der Friede ihrer schönen
Seele lag wie der junge Tag freundlich auf ihrer Stirne; ihr sanftes
blaues Auge glänzte vielleicht von der Erwartung einer schönen
Abendstunde, und das Lächeln, das ihren Mund umschwebte, schien der
Nachklang einer freudigen Erinnerung hervorgelockt zu haben. Nein, es
war mir nicht möglich, diesen Anblick länger zu ertragen, ich eilte ins
Freie, um dieses Bild durch neue Bilder zu verdrängen; aber wie war es
möglich? Der Gedanke an sie kehrte schmerzlicher als je zurück, denn
der Friede der Natur, der zauberische Schmelz der Landschaft, die süße
Ruhe, die diese Fluren atmeten, erinnerten sie mich nicht immer wieder
an jenes holde Wesen? Und die Wolken, die sich am fernen Horizont
schwärzlich auftürmten und ein nächtliches Gewitter verkündeten, hingen
sie nicht über der friedlichen Landschaft wie das Unglück, das Luisen
drohte?

Ich ging nach Hause; ich dachte nach, ob nicht Rettung möglich sei,
ob ich sie nicht losmachen könne von dieser schrecklichen Verbindung.
Doch war nicht zu befürchten, daß sie mir mißtrauen werde? Sie wußte,
ich liebe sie; kannte sie mich hinlänglich, um nicht an der Reinheit
meiner Absichten zu zweifeln? Ich konnte es nicht über mich gewinnen,
ihr selbst ihr Unglück zu verkünden. Nur _einen_ Ausweg glaubte ich
offen zu sehen; ich wollte ihn selbst zur Rede stellen, den Elenden,
ich wollte ihn bewegen, einen entscheidenden Schritt auf die eine
oder die andere Seite zu tun. Ja, darin glaubte ich einen glücklichen
Weg gefunden zu haben; er selbst mußte ihr sagen, daß er nicht mehr
verdiene, von ihr geliebt zu werden; und dann, dachte ich, dann wird
sie zwar unglücklich sein, aber ich will versuchen, sie glücklich
zu machen, durch ein langes Leben voll Treue und Liebe will ich ihr
Unglück zu mildern suchen.«

»Aber wie konnten Sie glauben,« rief ich, über diese romantischen Ideen
unwillkürlich lächelnd, »wie konnten Sie glauben, Freund, daß ein
Kapitän West zu diesem sonderbaren Geständnisse sich hergeben werde? In
Romanen mag dies der Fall sein, aber, Herr! in der Wirklichkeit? Haben
Sie je einen Narren derart gekannt?«

»Ach, ich dachte zu gut von den Menschen,« antwortete er. »Ich dachte:
wie ich muß jeder fühlen. -- Ich ging in die Wohnung des Kapitän West.
Er wohnte schlecht, beinahe ärmlich. Ich traf ihn, wie er einen schönen
Knaben von acht Jahren auf den Knieen hatte, welchen er lesen lehrte.
Errötend setzte er den Knaben nieder und stand auf, mich zu begrüßen.
›Ei, Papa!‹ rief der Kleine, ›wie sieht dir dieser Herr so ähnlich.‹

Der Kapitän geriet in Verlegenheit und führte den Knaben aus dem
Zimmer. ›Wie,‹ sagte ich zu ihm; ›Sie haben schon einen Knaben von
diesem Alter? Waren Sie früher verheiratet?‹

Er suchte zu lachen und die Sache in einen Scherz zu drehen; er
behauptete, der Knabe gehöre in die Nachbarschaft, besuche ihn zuweilen
und nenne ihn Papa, weil er sich seiner annehme.

›Er gehört wohl der Donna Ines?‹ fragte ich, indem ich ihn scharf
ansah. Noch nie zuvor hatte ich gesehen, wie schrecklich das böse
Gewissen sich kundtat; er erblaßte; seine Augen glänzten wie die einer
Schlange, ich glaubte, er wolle mich durchbohren. Noch ehe er sich
hinlänglich gesammelt hatte, um mir zu antworten, sagte ich ihm gerade
ins Gesicht, was ich von ihm wisse und was ich von ihm verlange, um das
Fräulein nicht völlig unglücklich zu machen.

Er lief in Wut im Zimmer umher, er schimpfte auf Zwischenträger und
Zudringliche; er behauptete, ich habe die ganze Geschichte aufgedeckt,
um Luisen von ihm zu entfernen. Ich ließ ihn ausreden; dann sagte
ich ihm mit kurzen Worten, wie ich sein Verhältnis zu der Spanierin
erfahren habe, und bat ihn noch einmal mit den herzlichsten Tönen
unserer Sprache, das Fräulein so schonend als möglich von sich zu
entfernen.

Es gelang mir, ihn zu rühren; aber nun hatte ich eine andere
unangenehme Szene durchzukämpfen; er klagte sich an, er weinte, er
verfluchte sich, das holde Geschöpf so schändlich betrogen zu haben.
Er schwur, sich von der Spanierin zu trennen; er flehte mich an, ihn
zu retten: er gestand mir, daß er sich von einem Netz umstrickt sehe,
das er nicht gewaltsam durchbrechen könne, weil einige hohe Geistliche
der Kirche kompromittiert würden. Er ging so weit, mich zu zwingen,
seine Geschichte anzuhören, um vielleicht milder über ihn urteilen
zu können. Es war die Geschichte eines -- Leichtsinnigen. Dieses Wort
möge entschuldigen, was vielleicht _schlecht_ genannt werden könnte.
Es lag in dem Wesen dieses Mannes ein Etwas, das ihn bei den Frauen
sehr glücklich machen mußte. Es war der äußere Anschein von Kraft und
Entschlossenheit, die ihm übrigens sein ganzes Leben hindurch gemangelt
zu haben schienen. Er mußte eine für seinen Stand ausgezeichnete
Bildung gehabt haben, denn er sprach sehr gut, seine Ausdrücke waren
gewählt, seine Bilder oft wahrhaft poetisch, er konnte hinreißen, so
daß ich oft glaubte, er spreche mit Eifer von einem dritten, während
er mir seinen eigenen beklagenswerten Zustand schilderte. Ich habe
dies oft an Menschen bemerkt, die sonst ihrem Triebe folgen, in den
Tag hinein leben, ohne sich selbst zu prüfen, und erst in dem Moment
der Erzählung über sich selbst flüchtig nachdenken. Sie werden dann
durch die Sprache selbst zu einem eigentümlichen Feuer gesteigert, sie
sprechen mit Umsicht von sich selbst, doch eben weil diese ihnen sonst
abging, ist man versucht zu glauben, sie sprechen von einem dritten.

Es war Luise, die ihn zuerst liebte; er erkannte ihre Neigung;
Eitelkeit, die herrlich aufblühende Schönheit, die Tochter eines der
ersten Häuser der Stadt für sich gewonnen zu haben, riß ihn zu einem
Gefühl hin, das er für Liebe hielt. Der Vater sah dies Verhältnis
ungern. Ich konnte mir denken, daß es vielleicht weniger Stolz auf
seine Ahnen, als die Furcht vor dem schwankenden Charakter des Kapitäns
war, was ihn zu einer Härte stimmte, die die Liebe eines Mädchens
wie Luise immer mehr anfachen mußte. Er soll ihr, was ich jetzt erst
erfuhr, auf seinem Sterbebette den Fluch gegeben haben, wenn sie je mit
dem Kapitäns sich verbinde.

West suchte die Geschichte mit der Frau des Engländers auf Verführung
zu schieben. Ich habe eine solche bei einem Mann, der das Bild der
Geliebten fest im Herzen trägt, nie für möglich gehalten. Doch die
Strafe ereilte ihn bald. Er gestand mir, daß er froh gewesen sei, als
er, vielleicht durch Vermittlung des Engländers, von seinem Posten
zurückberufen wurde. Donna Ines habe ihm allerlei sonderbare Vorschläge
zur Flucht gemacht, in die er nicht habe eingehen können; er sei, ohne
Abschied von ihr zu nehmen, abgereist. Was ihn eigentlich bestimmte,
nach Rom zu gehen, sah ich nicht recht ein, und er suchte auch über
diesen Punkt so schnell als möglich hinweg zu kommen. Er erzählte
ferner, wie er durch Luisens Ankunft erfreut worden sei, wie er sich
vorgenommen, nur ihr, ihr allein zu leben. Doch da sei plötzlich Donna
Ines in Rom erschienen, sie habe sich mit zwei Kindern geflüchtet, sei
ihm nachgereist und habe jetzt verlangt, er solle sie heiraten.

Es entging mir nicht, daß der Kapitän mich hier belog. Ich hatte von
dem Gesandten bestimmt erfahren, daß jener schon in Paris angehalten
und über die Flucht der Donna zur Rede gestellt worden sei; er konnte
sich also denken, daß sie ihm nachreisen werde, und dennoch knüpfte
er die Liebe zu Luisen von neuem an. Ferner, wie hätte es Ines wagen
können, ihm zu folgen, wenn er ihr nicht versprochen hätte, sie zu
heiraten, wenn er sie nicht durch tausend Vorspiegelungen aus ihrem
ruhigen Leben herausgelockt und zur Abenteuerin gemacht hätte?

Er schilderte mir nun ein Gewebe von unglücklichen Verhältnissen, in
welche ihn diese Frau, die mit allen Kardinälen, namentlich mit Pater
Rocco, schnell bekannt geworden, geführt habe. Es wurde ernstlich an
der Auflösung ihrer früheren Ehe gearbeitet, und es war als bekannt
angenommen worden, daß er die Geschiedene heiraten werde.

›Sie sagten mir hier nichts Neues,‹ antwortete ich ihm; ›dies alles
beinahe wußte ich vorher. Aber ich hoffe, daß Sie als Mann von Ehre
einsehen werden, daß das Verhältnis zu Fräulein von Palden nicht
fortdauern kann, oder Sie müssen sich von der Spanierin lossagen.‹

Das letztere könne er nicht, sagte er, er habe von ihr und dem Kardinal
Rocco Vorschüsse empfangen, die sein Vermögen übersteigen; er könne
also wenigstens im Augenblick keinen entscheidenden Schritt tun.

›Im Augenblick heißt hier nie,‹ erwiderte ich ihm. ›Sie werden sich aus
diesen Banden, wenn sie _so_ beschaffen sind, nie mit Anstand losmachen
können. Ich halte es also für Ihre heiligste Pflicht, Luisen nicht
noch unglücklicher zu machen; denn was kann endlich das Ziel Ihrer
Bestrebungen sein?‹

Er errötete und meinte, ich halte ihn für schlechter, als er sei. Doch
er fühle selbst, daß man einen Schritt tun müsse. Er glaube aber, es
sei dies meine Sache. Er trete mir Luisen ab, ich solle mir auf jede
Art ihre Gunst zu erwerben suchen und sie glücklich machen. Er hatte
Tränen in den Augen, als er dies sagte, und ich sah mit beinahe zu
mitleidigen Augen, wie weit ein Mensch durch Leichtsinn kommen könne.

Ich ging, um nichts weiser geworden, ohne daß ein wirklicher Entschluß
gefaßt worden war, von dem Kapitän; mein Gefühl war eine Mischung von
Verachtung und Bedauern. Auf der Treppe begegnete mir wieder der schöne
Knabe und fragte, ob er wohl jetzt zu Papa kommen dürfte.«

»Ha! Und jetzt setzten Sie wohl alle Segel auf, Freundchen,« fragte
ich; »jetzt machten Sie wohl Jagd auf die schöne Galeere Luise?«

»Ja und nein,« antwortete er trübe; »sie schien meine Liebe zu
übersehen, nicht zu achten, aber bald bemerkte ich, daß sie ängstlicher
wurde in meiner Nähe; es schmerzte sie, daß mir ihre Freundschaft nicht
genügen wolle. Und jener Elende, sei es aus Bosheit oder Leichtsinn,
zog sich nicht von ihr zurück, ich vermute es sogar, er hat sie vor mir
gewarnt. So standen die Sachen, als die Zeit, die ich in Rom zubringen
sollte, bald zu Ende ging. Im Kabinett des Gesandten arbeitete man
schon an Memoires, die man mir nach Berlin mitgeben wollte, man
wunderte sich, daß ich noch keine Abschiedsbesuche mache -- und ich,
ich lebte in dumpfem Hinbrüten; ich sah nicht ein, wie ich dieser Reise
entfliehen konnte, und dennoch hielt ich es nicht für möglich, Luisen
zu verlassen, jetzt da ihr vielleicht bald der schrecklichste Schlag
bevorstand. Oft war ich auf dem Punkt, ihr alles, alles zu entdecken,
aber wie war es mir möglich, ihre himmlische Ruhe zu zerstören, das
Herz zu brechen, das ich so gerne glücklich gewußt hätte?

Da stürzte eines Morgens der Kapitän West in mein Zimmer; er war
bleich, verstört; es dauerte eine lange Zeit, bis er sich fassen und
sprechen konnte. ›Jetzt ist alles aus,‹ rief er; ›sie stirbt, sie _muß_
sterben, dieser Kummer wird sie zerschmettern!‹ Er gestand, daß Donna
Ines oder der Kardinal Rocco seine Liebe zu Luisen entdeckt hätten; ihr
schrieben sie sein Zögern, sein Schwanken zu, und der Kardinal hatte
geschworen, er wolle an diesem Tage zu dem deutschen Fräulein gehen,
und sie zur Rede stellen, wie sie es wagen könne, einen Mann, der schon
so gut als verehelicht sei, von seinen Pflichten zurückzuhalten.

Ich kannte diesen Priester und seine tückische Arglist; ich erkannte,
daß die Geliebte verloren sei. Ich weiß Ihnen von dieser Stunde, von
diesem Tag wenig mehr zu erzählen. Ich weiß nur, daß ich den Kapitän in
kalter Wut zur Türe hinausschob, mich schnell in die Kleider warf und
wie ein gejagtes Wild durch die Straßen dem Hause der Signora Campoco
zulief. Als ich unten an dieser Straße anlangte, sah ich einen Kardinal
sich demselben Hause nähern. Er schritt stolz einher, Frater Piccolo
trug ihm den Mantel, es war kein Zweifel, es war Rocco. Ich setzte
meine letzten Kräfte daran, ich rannte wie ein Wahnsinniger auf ihn zu,
doch -- ich kam eben an, als mir Piccolo mit teuflischem Lächeln die
Türe vor der Nase zuwarf.

Eine Art von Instinkt trieb mich, all diesem Jammer zu entfliehen.
Ich ging, wie ich war, zu dem Gesandten und sagte ihm, daß ich noch
in dieser Stunde abreisen werde. Er war es zufrieden, gab mir seine
Aufträge, und bald hatte ich die heilige -- unglückselige Stadt im
Rücken. Erst als ich nach langer Fahrt zu mir selbst kam, als meine
Vorstellungen sich wieder ordneten und deutlicher wurden, erst dann
tadelte ich meine Feigheit, die mich zu dieser übereilten Flucht
verführte. Ich tadelte meine ganze Handlungsweise, ich klagte mich
an, die Unglückliche auf diesen Schlag nicht vorbereitet zu haben; --
doch es war zu spät, und wenn ich mir meine Gefühle, meine ganze Lage
zurückrief, ach, da schien es so verzeihlich, die Geliebte verschont zu
haben! So kam ich nach Berlin, in dieser Stimmung trafen Sie mich dort,
und ein Teil dieser Geschichte war es, den ich damals im Hause meiner
Tante erzählt habe.«

Der junge Mann hatte geendet; seine Züge hatten nach und nach jene
Trauer, jene Wehmut angenommen, die ich in seinem Wesen, als ich ihn
in Berlin sah, zu bemerken glaubte; er war ganz derselbe, der er an
jenem Abend war, und die Worte seiner Tante: er sehe seit seiner
Zurückkunft so geheimnisvoll aus, kamen mir wieder in den Sinn und
ließen mich den richtigen Blick dieser Dame bewundern. An seiner
ganzen Historie schienen mir übrigens nur zwei Dinge auffallend.
Unglückliche Mädchen wie das Fräulein, abenteuernde Damen wie Ines,
intrigante Priester wie Kardinal Rocco hatte ich auf der Welt schon
viele gesehen. Aber die beiden Männer waren mir, als Menschenkenner,
etwas rätselhaft. Der Kapitän hatte allerdings schon einen bedeutenden
Grad in meinem Reglement erlangt, aber unbegreiflich war es mir, wie
sich dieser Mann so lange auf einer Stufe halten konnte, da doch nach
moralischen wie nach physischen Kräften ein Körper, welcher abwärts
gleitet, immer schneller fällt. Er war falsch, denn er spielte zwei
Rollen; er war leichtsinnig, denn er vergaß sich alle Augenblicke;
er war eifersüchtig, obgleich er es selbst mit zwei Frauen hielt;
er war schnell zum Zorn reizbar, als deutscher Kapitän liebte er
wahrscheinlich auch das ~Est, Est, Est~, Eigenschaften, die nicht lange
auf einer Stufe lassen. Ein anderer an seiner Stelle wäre vielleicht
aus Eifersucht und Zorn schon längst ein Totschläger geworden,
ein zweiter wäre leichtsinnig wie er, all diesem Jammer entflohen,
hätte die Donna Ines hier und Fräulein Luise dort sitzen lassen und
vielleicht an einem andern Ort eine andere gefreit; ein dritter hätte
vielleicht der Donna Gift beigebracht, um die schöne Sächsin zu
besitzen, oder aus Verzweiflung die letztere erdolcht.

Aber wie langweilig dünkte es mir, daß das Fräulein noch in demselben
Zustande war, daß die beiden Anbeter noch nicht in Streit geraten
waren, daß das Ende von diesen Geschichten ein Uebertritt zur römischen
Kirche, eine Hochzeit der Donna Ines und vielleicht eine zweite,
Luisens mit dem Berliner, werden sollte?

Denn eben dieser ehrliche Berliner! er stand zwar in etwas entfernten
Verhältnissen zu mir, doch wußte ich, wenn ich ihm das Ziel seines
heimlichen Strebens, das Fräulein, recht lockend, recht reizend
vorstellte, wenn ich ihren Besitz ihm von ferne möglich zeige, so
machte er Riesenschritte abwärts, denn seine Anlagen waren gut. Ich
beschloß daher, mir ein kleines Vergnügen zu machen und die Leutchen zu
hetzen.

Während diese Gedanken flüchtig in mir aufstiegen, wurde dem Herrn von
S. ein Brief gebracht. Er sah die Aufschrift an und errötete, er riß
das Siegel auf, er las, und sein Auge wurde immer glänzender, seine
Stimme heiterer. »Der Engel!« rief er aus, »sie will mich dennoch
sehen! Wie glücklich macht sie mich! Lesen Sie, Freund,« sagte er,
indem er mir den Brief reichte; »müssen solche Zeilen nicht beglücken?«

Ich las:

        »Mein treuer Freund!

    Mein Herz verlangt danach, Sie zu sprechen. Ich wollte Sie
    nicht mehr sehen, nicht mehr sprechen, bis Sie mir gute
    Nachrichten zu bringen hätten; Sie selbst sind es eigentlich,
    der diesen Bann aussprach. Doch heben Sie ihn auf, Sie wissen,
    wie tröstlich es mir ist, mit Ihnen sprechen zu können. Der
    Fromme ist wieder hier; er verspricht sich das Beste von West.
    Ach! daß er ihn zurückbrächte von seinem Abwege, nicht zu mir,
    meine Augen dürfen ihn nicht mehr sehen, nur zurück von dieser
    Schmach, die ich nicht ertragen kann.

            L. v. P.«

    »N. S. Wissen Sie in Rom keinen Deutschen, der in Mecklenburg
    bekannt wäre? West hat dort Verwandte, die vielleicht in der
    Sache etwas tun können.«

»Ich kann mir denken, daß dieses schöne Vertrauen Sie erfreuen muß,«
sagte ich; »doch einiges ist mir nicht recht klar in diesem Brief, das
Sie mir übrigens aufklären werden. Wegen der Verwandten in Mecklenburg
kann sich übrigens das Fräulein an niemand besser wenden als an mich;
denn ich war mehrere Jahre dort und bin beinahe in allen Familien genau
bekannt.«

Der junge Mann war entzückt, dem Fräulein so schnell dienen zu können.
»Das ist trefflich!« rief er, »und Sie begleiten mich wohl jetzt
eben zu ihr? Ich erzähle Ihnen unterwegs noch einiges, was Ihnen die
Verhältnisse klarer machen wird.«

Ich sagte mit Freuden zu, wir gingen.

»In Berlin,« erzählte er, »hielt ich es nur zwei Monate aus; ich hatte
niemand hier in Rom, der mir über das unglückliche Geschöpf hätte
Nachricht geben können, und so lebte ich in einem Zustand, der beinahe
an Verzweiflung grenzt; nur einmal schrieb mir der sächsische Gesandte:
der Papst habe sich jetzt öffentlich für den Kapitän West erklärt, man
spreche davon, daß der Preis dieser Gnade der Uebertritt des Kapitäns
zur römischen Kirche sein solle. In demselben Brief erwähnte er mit
Bedauern, daß die junge Dame, die uns alle so sehr angezogen habe, die
mich immer besonders auszuzeichnen geschienen, sehr gefährlich krank
sei, die Aerzte zweifeln an ihrer Rettung.

Wer konnte dies anders sein als die arme Luise. Diese letzte Nachricht
entschied über mich. Zwar hätte ich mir denken können, daß das, was ihr
der Kardinal mitteilte, Krankheit, vielleicht den Tod zur Folge haben
werde, aber jetzt erst, als ich diese Nachricht gewiß wußte, jetzt erst
kam sie mir schrecklich vor; ich reiste nach Rom zurück, und meine
Bekannten hier haben sich nicht weniger darüber gewundert, mich so
unverhofft zu sehen, als meine Verwandten in Berlin, mich so plötzlich
wieder entlassen zu müssen. Besonders die Tante konnte es mir nicht
verzeihen, denn sie hatte schon den Plan gemacht, mich mit einem der
Fräulein, die Sie beim Tee versammelt fanden, zu verheiraten.

Erlassen Sie es mir, zu beschreiben, wie ich das Fräulein wiederfand!
Nur eins schien diese schöne Seele zu betrüben, der Gedanke, daß West
zu seiner großen Schuld noch einen Abfall von der Kirche fügen wollte.
Ich lebe seitdem ein Leben voll Kummer. Ich sehe ihre Kräfte, ihre
Jugend dahinschwinden, ich sehe, wie sie ein Herz voll Jammer unter
einer lächelnden Miene verbirgt. Um mich noch zu tätigerem Eifer, ihr
zu dienen, zu zwingen, gelobte ich, sie nicht mehr zu sprechen, bis ich
von dem Kapitän erlangt hätte, daß er nicht zum Apostaten werde -- oder
bis sie mich selbst rufen lasse. Das letztere ist heute geschehen. Es
scheint, sie hat Hoffnung, ich habe keine; denn er ist zu allem fähig,
und Rocco hat ihn so im Netze, daß an kein Entrinnen zu denken ist.«

»Aber der Fromme,« fragte ich; »soll wohl der seine Bekehrung
übernehmen?«

»Auf diesen Menschen scheint sie ihre Hoffnung zu gründen. Es ist
ein deutscher Kaufmann, ein sogenannter Pietist, er zieht umher, um
zu bekehren; doch leider muß er jedem Vernünftigen zu lächerlich
erscheinen, als daß ich glauben könnte, er sei zur Bekehrung des
Kapitäns berufen. Eher setzte ich einige Hoffnungen auf Sie, mein
Freund, wenn Sie durch die Verwandten etwas bewirken könnten; doch auch
dies kommt zu spät! Wie sie sich nur um diesen Elenden noch kümmern
mag?«

Viel versprach ich mir von diesem Besuch bei dem Fräulein von Palden.
Was ich von ihr gesehen, von ihr gehört, hatte mir ein Interesse
eingeflößt, das diese Stunde befriedigen mußte. Ich hatte mir schon
lange zuvor, ehe ich sie sah, ein Bild von ihr entworfen, ich fand es,
als sie mir damals im Portikus erschien, beinahe verwirklicht; nur
eines schien noch zu fehlen, und auch das hatte sich jetzt bestätigt;
ich dachte mir sie nämlich etwas fromm, etwas schwärmerisch, und sie
mußte dies sein, wie konnte sie sonst einem deutschen Pietisten die
Heilung des Kapitän West zutrauen?

Wir wurden von der Signora Campoco und ihren Hunden freundlich
empfangen; den Berliner führte sie zu ihrer Nichte, mich bat sie, in
ein Zimmer zu treten, wo ich einen Landsmann finden werde. Ich trat
ein. Am Fenster stand ein kleiner hagerer Mann, von kaltem, finsterem
Aussehen. Er heftete seine Augen immer zu Boden, und wenn er sie
einmal aufschlug, so glühten sie von einem trüben, unsicheren Feuer.
Ich machte ihm mein Kompliment, er erwiderte es mit einem leichten
Neigen des Hauptes und antwortete: »Gegrüßet seist du mit dem Gruße des
Friedens!«

Ha, dachte ich, das ist niemand anders als der Pietist! Solche Leute
sind eine wahre Augenweide für den Teufel; er weiß, wie es in ihrem
Innern aussieht, und diese herrliche Charaktermaske, lächerlicher als
Pulcinell, komischer als Passaglio, pathetischer als Truffaldin und
wahrer als sie alle, trifft man besonders in Deutschland und seit
neuerer Zeit in Amerika, wohin sie die Deutschen verpflanzt haben.
Diese Protestanten glauben im echten Sinne des Wortes zu handeln,
wenn sie gegen alles protestieren. Der Glaube der katholischen Kirche
ist ihnen ein Greuel; der Papst ist der Antichrist, gegen ihn und die
Türken beten sie alle Tage ein absonderliches Gebet. Nicht zufrieden
mit diesem, protestieren sie gegen ihren eigenen Staat, gegen ihre
eigene Kirche. Alles ist ihnen nicht orthodox, nicht fromm genug. Man
glaubt vielleicht, sie selbst sind um so frömmer? O ja, wie man will.
Sie gehen gesenkten Hauptes, wagen den Blick nicht zu erheben, wagen
kein Weltkind anzuschauen. Ihre Rede ist: »ja, ja, nein, nein.« Auf
weitere Schwüre und dergleichen lassen sie sich nicht ein. Sie sind die
Stillen im Lande, denn sie leben einfach und ohne Lärm für sich; doch
diese selige Ruhe in dem Herrn verhindert sie nicht, ihre Mitmenschen
zu verleumden, zu bestehlen, zu betrügen. Daher kommt es, daß sie
einander selbst nicht trauen. Sie vermeiden es, sich öffentlich zu
vergnügen, und wer am Sonntag tanzt, ist in ihren Augen ein Ruchloser.
Unter sich selbst aber feiern sie Orgien, von denen jeder andere sein
Auge beschämt wegwenden würde.

Drum lacht mir das Herz, wenn ich einen Mystiker dieser Art sehe. Sie
gehen still durchs Leben und wollen die Welt glauben machen, sie seien
von Anbeginn der Welt als extrafeine Sorte erschaffen und plombiert
worden, und der heilige Petrus, mein lieber Cousin, werde ihnen einen
näheren Weg, ein Seitenpförtchen in den Himmel aufschließen. Aber alle
kommen zu mir; Separatisten, Pietisten, Mystiker, wie sie sich heißen
mögen, seien sie Kathedermänner oder Schuhmacher, alle sind in Nr. 1
und 2, sie _verneinen_, wenn auch nicht im Aeußeren, denn sie sind
Heuchler in ihrem Herzen von Anbeginn.

Ein solcher war nun der fromme Mann am Fenster. »Ihr seid ein Landsmann
von mir,« fragte ich nach seinem Gruß, »Ihr seid ein Deutscher?«

»Alle Menschen sind Brüder und gleich vor Gott,« antwortete er; »aber
die Frommen sind ihm ein angenehmer Geruch.«

»Da habt Ihr recht,« erwiderte ich, »besonders wenn sie in einer
engen Stube Betstunde halten. Seid Ihr schon lange hier in dieser
gotteslästerlichen Stadt?«

Er warf einen scheuen Blick auf mich und seufzte: »O welche Freude hat
mir der Herr gegeben, daß er einen Erweckten zu mir sandte! Du bist
der erste, der mir hier saget, daß dies die Stadt der babylonischen
H--, der Sitz des Antichrists ist. Da sprechen sie in ihrem weltlichen
Sinne von dem Altertum der Heiden, laufen umher in diesen großen
Götzentempeln und nennen alles ›heiliges Land‹, selbst wenn sie
Protestanten sind; aber diese sind oft die Aergsten.«

»Wie freut es mich, Bruder, dich gefunden zu haben. Sind noch mehrere
Brüder und Schwestern hier? Doch hier kann es nicht fehlen; in einer
Gemeinde, die der Apostel Paulus selbst gestiftet hat, müssen fromme
Seelen sein.«

»Bruder, geh mir weg mit dem Apostel Paulus, dem traue ich nur halb;
man weiß allerlei von seinem früheren Leben, und nachher, da hat er
so etwas Gelehrtes wie unsere Professoren und Pfarrer; ich glaube,
durch ihn ist dieses Uebel in die Welt gekommen. Zu was denn diese
Gelehrtheit, diese Untersuchungen? sie führen zum Unglauben. Die
Erleuchtung macht's, und wenn einer nicht zum _Durchbruch_ gekommen
ist, bleibt er ein Sünder. Ein altes Weib, wenn sie erleuchtet ist,
kann so gut predigen und lehren in Israel als der gelahrteste Doktor.«

»Du hast recht, Bruder,« erwiderte ich ihm; »und ich war in meinem
Leben in der Seele nicht Vergnügter, nie so heiter gestimmt, als wenn
ich einen Bruder Schuster oder eine Schwester Spitälerin das Wort
verkündigen hörte. War es auch lauterer Unsinn, was sie sprach, so
hatte ihr es doch der Geist eingegeben, und wir alle waren zerknirscht.
Doch sage mir, wie kommst du ins Haus dieser Gottlosen?«

»Bruder, in der Stadt Dresden im Sachsenlande, wo es mehr Erleuchtete
gibt als irgendwo, da wohnte ich neben ihrem Haus. Damals war sie ein
Weltkind und lachte, wenn die Frommen am Sonntag abend in mein Haus
wandelten, um eine Stunde bei mir zu halten. Als ich nun hierher kam in
dieses Sodom und Gomorrha, da gab mir der Geist ein, meine Nachbarin
aufzusuchen. Ich fand sie von einem Unglück niedergedrückt. Es ist ihr
ganz recht geschehen, denn so straft der Herr den Wandel der Sünder.
Aber mich erbarmte doch ihre junge Seele, daß sie so sicherlich
abfahren soll, dorthin wo Heulen und Zähnklappern. Ich sprach ihr zu,
und sie ging ein in meine Lehren, und ich hoffe, es wird bei ihr bald
zum Durchbruch kommen. Und da erzählte sie mir von einem Mann, den der
Satan und der Antichrist in ihren Schlingen gefangen haben, und bat
mich, ob ich nicht lösen könne diese Bande kraft des Geistes, der in
mir wohnet. Und darum bin ich hier.«

Während der fromme Mann die letzten Worte sprach, kam der Berliner
mit dem Fräulein. Jener stellte mich vor, und sie fragte errötend, ob
ich mit der Familie des Kapitän West in Mecklenburg bekannt sei. Ich
bejahte es; ich hatte mit mehreren dieser Leute zu tun gehabt und gab
ihr einige Details an, die sie zu befriedigen schienen.

»Der Kapitän ist auf dem Sprung, einen sehr törichten Schritt zu tun,
der ihn gewiß nicht glücklich machen kann; S. hat Ihnen wohl schon
davon gesagt, und es kommt jetzt darauf an, ihm das Mißliche eines
solchen Schrittes auch von seiten seiner Familie darzutun.«

»Mit Vergnügen; dieser fromme Mann wird uns begleiten; er ist in
geistlichen Kämpfen erfahrner als ich; ich hoffe, er wird sehr nützlich
sein können.«

»Es ist mein Beruf,« antwortete der Pietist, die Augen greulich
verdrehend, »es ist mein Beruf, zu kämpfen, solange es Tag ist. Ich
will setzen meinen Fuß auf den Kopf der Schlange und will ihr den Kopf
zertreten wie einer Kröte; soeben ist der Geist in mich gefahren. Ich
fühle mich wacker wie ein gewappneter Streiter. Lieben Brüder, lasset
uns nicht lange zaudern, denn die Stunde ist gekommen; Sela!«

»Gehen wir!« sagte der Berliner; »seien Sie versichert, Luise, daß
Freund Stobelberg und ich alles tun werden, was zu Ihrer Beruhigung
dienen kann. Fassen Sie sich, sehen Sie mutig, heiter in die Zukunft,
die Zeit bringt Rosen.«

Das schöne bleiche Mädchen antwortete durch ein Lächeln, das sie einem
wunden Herzen mühsam abgezwungen hatte. Wir gingen, und als ich mich in
der Türe umwandte, sah ich sie heftig weinen.

Wir drei gingen ziemlich einsilbig über die Straße; der Pietist,
vom Geiste befallen, murmelte unverständliche Worte vor sich hin
und verzog sein Gesicht, rollte seine Augen wie ein Hierophant. Der
Berliner schien an dem guten Erfolg unseres Beginnens zu zweifeln
und ging sinnend neben mir her, ich selbst war von dem Anblick der
stillen Trauer jenes Mädchens, ich möchte sagen, beinahe gerührt; ich
dachte nach, wie man es möglich machen könnte, sie der Schwärmerei zu
entreißen, sie dem Leben, der Freude wiederzugeben, denn so gerne ich
ihr den Himmel und alles Gute wünschte, so schien sie mir doch zu jung
und schön, als daß sie jetzt schon auf eine etwas langweilige Seligkeit
spekulieren sollte. Durch den Berliner schien ich dies am besten
erreichen zu können, besser vielleicht noch durch Kapitän West, der mir
ohnedies verfallen war; doch zweifelte ich, ob man ihn noch von der
Spanierin werde losmachen können.

Auf der Hausflur des Kapitäns ließ uns der Pietist vorangehen, weil er
hier beten und unsern Ein- und Ausgang segnen wolle. Doch, o Wunder!
Als wir uns umsahen, nahm er nach jedem Stoßseufzer einen Schluck aus
einem Fläschchen, das seiner Farbe nach einen guten italienischen Likör
enthalten mußte. Ha! jetzt muß der Geist erst recht über ihn kommen,
dachte ich, jetzt kann es nicht fehlen, er muß mit großer Begeisterung
sprechen.

Der Kapitän empfing uns mit einer etwas finstern Stirne. Der Berliner
stellte uns ihm vor, und sogleich begann der Pietist, vom Geist
getrieben, seinen Sermon.

Er stellte sich vor den Kapitän hin, schlug die Augen zum Himmel und
sprach: »Bruder! was haben meine Ohren von dir vernommen? So ganz hat
dich der Teufel in seinen Klauen, daß du dich dem Antichrist ergeben
willst, daß du absagen willst der heiligen, christlichen Kirche, der
Gemeinschaft der Heiligen? Sela. Aber da sieht man es deutlich. Wie
heißt es Sirach am neunten, im dritten Vers? He? ›Fliehe die Buhlerin,
daß du nicht in ihre Stricke fallest?‹ --«

»Zu was soll diese Komödie dienen, Herr von S.« sprach der Kapitän
gereizt. »Ich hoffe, Sie sind nicht gekommen, mir in meinem Zimmer
Sottisen zu sagen.«

»Ich wollte Sie mit Herrn von Stobelberg, der Ihre Familie kennt,
besuchen. Da ließ sich dieser fromme Mann, der gehört hat, daß Sie
übertreten wollen, nicht abhalten, uns zu begleiten.«

»Große Ehre für mich, geben Sie sich aber weiter keine Mühe, denn --«

»Höret, höret, wie er den Herrn lästert, in dessen Namen ich komme,«
schrie der Pietist. »Der Antichrist krümmet sich in ihm wie ein Wurm,
und der Teufel sitzt ihm auf der Zunge. O, warum habt Ihr Euch blenden
lassen von Weltehre? Was sagt derselbe Sirach? ›Laß dich nicht bewegen
von dem Gottlosen in seinen großen Ehren; denn du weißt nicht, wie es
ein Ende nehmen wird. -- Wisse, daß du unter den Stricken wandelst, und
gehest auf eitel hohen Spitzen!‹«

»Sie kennen meine Familie, Herr von Stobelberg? Sind Sie vielleicht
selbst ein Landsmann aus Mecklenburg?«

»Nein, aber ich kam viel in Berührung mit Ihrer Familie und bin mit
einigen Gliedern derselben sehr nahe liiert. So zum Beispiel mit Ihrem
Onkel F., mit Ihrer Tante W., mit Ihrem Schwager Z.«

»Wie? Der Satan hat ihm die Ohren zugeleimt?« rief der fromme
Protestant, als sein abtrünniger Bruder ihn völlig ignorierte. »Auf,
Ihr Brüder, Ihr Streiter des Herrn, lasset uns ein geistliches Lied
singen, vielleicht hilft es.« Er drückte die Augen zu und fing an, mit
näselnder, zitternder Stimme zu singen:

    »Herr, schütz' uns vor dem Antichrist
      Und laß uns doch nicht fallen;
    Es streckt der Papst mit Hinterlist
      Nach uns die langen Krallen;
        Und laß dich erbitten,
        Vor den Jesuiten
        Und den argen Missionaren.
        Wollest gnädig uns bewahren.

    Sie sind des Teufels Knechte all,
      Nur wir sind fromme Seelen;
    Wir kommen in des Himmels Stall,
      Uns kann es gar nicht fehlen;
        Denn nach kurzem Schlafe
        Ziehn wir frommen Schafe
        In den Pferch, für uns bereitet,
        Wo der Hirt die Schäflein weidet.

    Dort scheidet er die Böcke aus --«

Man kann eben nicht sagen, daß der Fromme wie eine Nachtigall sang,
aber komisch genug war es anzusehen, wie er, vom Geist getrieben,
dazu agierte. Auf den Wangen des Kapitäns wechselten Scham und Zorn,
und man war ungewiß, ob er mehr über die Unverschämtheit dieses
Proselytenmachers staunte oder mehr über den Inhalt der frommen Hymne
erbost sei. Als der Pietist nach einem tiefen Seufzer den dritten
Vers anhub, ging die Tür auf, und die hohe, majestätische Gestalt
des Kardinals Rocco trat ein. Er war angetan mit einem weißen,
faltenreichen Gewand, und der Purpur, der über seine Schultern
herabfloß, gab ihm etwas Erhabenes, Fürstliches. Er übersah uns
mit gebietendem Blick, und die Rechte, die er ausstreckte, mochte
vielleicht den ehrwürdigen Kuß eines Gläubigen erwarten.

Der Kapitän war in sichtbarer Verlegenheit. Er fühlte, daß der Kardinal
uns den Protestantismus sogleich anriechen, daß es ihn erzürnen werde,
seinen Katechumenen in so schlechter Gesellschaft zu sehen. Er nannte
der Eminenz unsere Namen, doch als er Herrn von S. erblickte, trat er
erschrocken einen Schritt zurück und flüsterte dem Frater Piccolo in
der violetten Kutte zu: »Das ist wohl der Teufel, den du im Traume
gesehen?«

Piccolo antwortete mit drei Kreuzen, die er ängstlich auf seinen
Leib zeichnete, und der Kardinal fing an, leise einige Stellen
aus dem Exorzismus zu beten. Während dieser Szene hatte sich der
fromme Kaufmann, dem das Wort auf der Lippe stehen geblieben war,
wieder erholt. Er betrachtete die imponierende Gestalt dieses
Kirchenfürsten, doch schien sie ihm nicht mehr zu imponieren, nachdem
er bei sich zu dem Resultate gelangt war, daß nur ein frommer
protestantisch-mystischer Christ zur Seligkeit gelangen könne. Er hub
im heulenden Predigerton auf italienisch an: »Siehe da, ein Sohn der
Babylonischen, ein Nepote des Antichrists. Er hat sich angetan mit
Seide und Purpur, um eure armen Seelen zu verlocken. Hebe dich weg,
Satanas!«

»Ist der Mensch ein Narr?« fragte der Kardinal, indem er näher trat
und den Prediger ruhig und groß anschaute. »Piccolo, merke dir diesen
Menschen, wir wollen ihn im Spital versorgen.«

Der Pietist geriet in Wut: »Baalspfaffe, Götzendiener, Antichrist!«
schrie er. »Du willst mich ins Spital tun? Ha, jetzt kommt der Geist
erst recht über mich. Ich will barmherzig sein mit dir, Sodomiter!
Ich will dich lehren die Hauptstücke der Religion, daß du deine
ketzerischen Irrtümer einsehest. Aber zuvor ziehe sogleich den Purpur
ab, zu was soll dieser Flitter dienen? Meinst du, du gefallest dem
Herrn besser, wenn du violette Strümpfe anhast? O du Tor! das sind die
eiteln Lehren des Antichrist, des Drachen, der auf dem Stuhle sitzt; in
Sack und Asche mußt du Buße tun.«

Jetzt glühte Roccos Auge vor Wut, seine Stirne zog sich zusammen,
seine Wangen glühten. »Jetzt sehe ich, Kapitän,« rief er, »was Euch so
lange zögern macht. Ihr haltet Zusammenkünfte mit diesen wahnsinnigen
Ketzern, die Euch in Eurem Aberglauben bestärken. Ha, bei der heiligen
Erde, Ihr habt uns tief gekränkt.«

»Herr Kardinal!« fiel ihm Herr von S. in die Rede, »ich bitte, uns
nicht alle in _eine_ Klasse zu werfen. Wenn jener Mann dort den Trieb
in sich fühlt, alle Welt zu bekehren, so können wir ihn nicht daran
verhindern. Doch meine ich, man habe sich nicht darüber zu beklagen,
denn Eure Eminenz wissen, daß es gleichsam nur Repressalien für die
Missionen und die Jesuiterei sind, mit welcher man gegenwärtig alle
Welt überschwemmt.«

Jetzt war der rechte Zeitpunkt, die Leutchen zu hetzen. Jetzt galt
es, sie zu verwickeln, um sie nachher desto länger trauern zu lassen.
»Herr von S.,« sagte ich, »der Herr Kapitän will, denke ich, durch sein
Schweigen beweisen, daß er Seiner Eminenz recht gebe. Zwar schließt
mich mein Bewußtsein von den wahnsinnigen Ketzern aus, ich mache keine
Proselyten, ich unterrichte niemand in der Religion; aber Ihrer werten
Familie in Mecklenburg werde ich bei meiner Rückkehr sagen können --«

»Stille!« rief der Pietist mit feierlicher Stimme. »Bruder, Mann
Gottes, willst du dich so versündigen, mit dem Baalspfaffen zu
rechten? Er geht einher wie ein Pharisäer, aber es wäre ihm besser,
ein Mühlstein hinge an seinem Hals und er würde ertränket, wo es am
tiefsten ist.«

»Hüte dich, einen Pfaffen zu beleidigen,« ist ein altes Sprichwort, und
der Kapitän mochte auch so denken. Ich sah, daß Beschämung vor uns, von
Rocco wie ein Schulknabe behandelt zu werden, und die Furcht, ihn zu
beleidigen, in seinem Gesichte kämpften.

»Ich muß Ihren Irrtum berichtigen, Eminenz,« entgegnete er. »Diesen
Mann hier kenne ich nicht, und er kann sich auch entfernen, wann
er will; denn seine schwärmerischen Reden sind mir zum Ekel, aber
über diese Herren hier haben Sie eine ganz falsche Ansicht. Herr von
Stobelberg bringt mir Nachrichten von meiner Familie, Herr von S.
besucht mich. Ich weiß nicht, welche bösliche Absicht Sie darein legen
wollen.«

Weit entfernt, den Kardinal durch diese Worte zu besänftigen, brachte
er ihn nur noch mehr auf, doch bezähmte er laute Ausbrüche desselben,
und seine stille Wut wurde nur in kaltem Spott sichtbar. »Ja, ich
habe mich freilich höchlich geirrt,« sagte er lächelnd, »und bitte um
Verzeihung, meine Herren. Ich dachte, Ihr Besuch betreffe religiöse
Gegenstände, doch nun merke ich, daß es friedlichere Absichten sind,
was Sie herführt. Herr von S. wird wahrscheinlich den Herrn Kapitän
wieder in die süßen Fesseln des deutschen Fräuleins legen wollen?
Trefflich! Ob auch eine andere Dame darüber sterben wird, es ist ihm
gleichgültig. Ich bewundere nebenbei auch Ihre Gutmütigkeit, Capitano,
daß Sie sich von demselben Mann zurückführen lassen, der Sie so
geschickt aus dem Sattel hob!«

Zu welch sonderbaren Sprüngen steigert doch den Sterblichen die
Beschämung. Gefühl des Unrechts, wirkliche Beleidigung, Zorn, alle
Leidenschaften seiner Seele hätten den Kapitän wohl nicht so außer sich
gebracht als das Gefühl der Scham, vor deutschen Männern von einem
römischen Priester so verhöhnt zu werden. »Die Achtung, Signor Rocco,«
sagte er, »die Achtung, die ich vor Ihrem Gewand habe, schützt mich,
Ihnen zu erwidern, was Sie mir in _meinem_ Zimmer über mich gesagt
haben. Ich kenne jetzt Ihre Ansichten über mich hinlänglich und wundere
mich, wie Sie sich um meine arme Seele so viel Mühe geben wollten.
Diesem Herrn, der, wie Sie sagten, mich aus dem Sattel hob, werde ich
folgen. Doch wissen Sie, daß, was er getan hat, mit meiner Zustimmung
geschah; ich werde ihm folgen, obgleich es zuvor gar nicht in meiner
Absicht lag. Nur um Ihnen zu zeigen, daß weder Ihr Spott noch Ihre
Drohungen auf mich Eindruck machen; und wenn Sie ein andermal wieder
einen Mann meiner Art unter der Arbeit haben, so rate ich Ihnen, Ihren
Spott oder Ihren Zorn zurückzuhalten, bis er im Schoße der Kirche ist.«

Das reiche, rosige Antlitz Roccos war so weiß geworden als sein
seidenes Gewand. »Geben Sie sich keine Mühe,« entgegnete er, »mir zu
beweisen, wie wenig man an einem seichten Kopf Ihrer Art verliert.
Glauben Sie mir, die Kirche hat höhere Zwecke, als einen Kapitän West
zu bekehren --«

»Wir kennen diese schönen Zwecke,« rief der Berliner mit sehr
überflüssigem Protestantismus; »Ihre Pläne sind freilich nicht auf
einen einzelnen gerichtet, sie gehen auf uns arme Seelen alle. Sie
möchten gar zu gerne unser ganzes Vaterland und England und alles, was
noch zum Evangelium hält, unter den heiligen Pantoffel bringen. Aber
Sie kommen hundert Jahre zu spät, oder zu früh; noch gibt es, Gott sei
Dank, Männer genug in meinem Vaterlande, die lieber des Teufels sein
wollen, als den heiligen Stuhl anbeten.«

»Bringe mir meinen Hut, Piccolo!« sagte der Priester sehr gelassen,
»Ihnen, mein Herr von S., danke ich für diese Belehrung; doch lag uns
an den dummen Deutschen wenig. Es liegt ein sicheres Mittel in der
Erbärmlichkeit Ihrer Nation und in ihrer Nachahmungssucht. Ich kann Sie
versichern, wenn man in Frankreich recht fromm wird, wenn England über
kurz oder lang zur alleinseligmachenden Kirche zurückkehrt, dann werden
auch die ehrlichen Deutschen nicht mehr lange protestieren. Drum leben
Sie wohl, mein Herr, auf Wiedersehen.« Die Züge des Kardinals hatten
etwas Hohes, Gebietendes, das mir beinahe nie so sichtbar wurde als
in diesem Moment. Ich mußte gestehen, er hatte sich gut aus der Sache
gezogen und verließ als Sieger die Walstatt. Frater Piccolo setzte ihm
den roten Hut auf, ergriff die Schleppe seines Talars, und mit Anstand
und Würde grüßend, schritt der Kardinal aus dem Zimmer.

Der Berliner fühlte sich beschämt und sprach kein Wort; der Pietist
murmelte Stoßgebetlein und war augenscheinlich düpiert, denn der
Streit ging über seinen Horizont, an welchem nur die Ideen von dem
Antichrist, dem Drachen auf dem Stuhl des Lammes, dem Baalspfaffen, der
babylonischen Dame, dem ewigen Höllenpfuhl und dem Paradiesgärtlein, in
lieblichem Unsinn verschlungen, schwebten.

Dem Kapitän schien übrigens nicht gar zu wohl bei der Sache zu sein.
Ich erinnerte mich, gehört zu haben, daß er von Donna Ines und diesem
Priester bedeutende Vorschüsse empfangen habe, die er nicht zahlen
konnte; es war zu erwarten, daß sie ihn von dieser Seite bald quälen
würden, und ich freute mich schon vorher, zu sehen, was er dann in der
Verzweiflung beginnen werde. Auch zu diesem Auftritt hatte ihn sein
Leichtsinn verleitet, denn hätte er bedacht, was für Folgen für ihn
daraus entstehen können -- er hätte sich von falscher Scham nicht so
blindlings hinreißen lassen. Der Berliner fuhr übrigens bei dieser
Partie ebenso schlimm. Ich wußte wohl, daß er die Hoffnung auf Luisens
Besitz nicht aufgegeben hatte, daß er sie mächtiger als je nährte, da
sie ihn heute hatte rufen lassen; ich wußte auch, daß sie den Kapitän
nicht gerade zu sich zurückwünschte, sondern ihn nur nicht katholisch
wissen wollte, ich wußte, daß sie dem Berliner vielleicht bald geneigt
worden wäre, weil sie sah, mit welchem Eifer er sich um sie bemühe;
und jetzt hatte der Kapitän vor uns allen ausgesprochen, daß er das
Fräulein wiedersehen wolle; und so war es.

»Es ist mein voller Ernst, Herr von S.,« sagte er, »ich sehe ein, daß
ich mich diesen unwürdigen Verbindungen entreißen muß. Können Sie mir
Gelegenheit geben, das Fräulein wiederzusehen und ihre Verzeihung zu
erbitten?«

»Ich weiß nicht, wie Fräulein von Palden darüber denkt,« antwortete der
junge Mann etwas verstimmt und finster; »ich glaube nicht, daß nach
diesen Vorgängen --«

»O! Ich habe die beste Hoffnung,« rief jener, »ich kenne Luisens gutes
Herz und kann nicht glauben, daß sie aufgehört habe, mich zu lieben.
Hören Sie einen Vorschlag. Signora Campoco hat einen Garten an der
Tiber; bitten Sie das Fräulein, mit ihrer Tante heute abend dorthin zu
kommen. Ich will sie ja nicht allein sehen, Sie alle können zugegen
sein; ich will ja nichts als Vergebung lesen in ihren Augen; ein Wort
von ihr soll mir genug sein, um mich mit mir selbst und mit dem Himmel
zu versöhnen. Ach, wie schmerzlich fühle ich meine Verirrungen!«

»Gut, ich will es sagen,« erwiderte der Berliner, indem er mit Mühe
nach Fassung rang. »Soll ich Ihnen Antwort bringen?«

»Ist nicht nötig; wenn Sie keine Antwort bringen, bin ich um sechs Uhr
als reuiger Sünder in dem Garten an der Tiber.«

       *       *       *       *       *

Ich gestehe, der Berliner hatte ein sonderbares Geschick. Das
Verhängnis zog ihn in diese Verhältnisse, seine Gestalt, sein Gesicht,
zufällig dem Kapitän West sehr ähnlich, bringt ihm Glück und Unglück;
es zieht ihn in die Nähe des Mädchens; er lernt ihr Schicksal kennen,
er sieht sie leiden, er leidet mit ihr; die Zeit, die alle Wunden
heilt, bewirkt endlich, daß sie den Kapitän vielleicht nicht mehr so
sehnlich zurückwünscht; sie will nur, daß er jenen Schritt nicht tue,
den sie für einen törichten hält; sich selbst unbewußt, gibt sie dem
armen S. Hoffnungen; er glaubt, sie errungen zu haben durch die vielen
Bemühungen um ihre Wahl, und jetzt muß er den gefährlichen Nebenbuhler,
einen Mann, den er verachtet, zu ihr zurückführen!

Ich war begierig auf diesen Abend; der Berliner hatte mir gesagt, daß
sie einwillige, ihn, von Signora Campoco begleitet zu sehen. Sie hatte
ihn eingeladen, zugegen zu sein, und er bat mich, ihn zu begleiten,
weil er diese Szene allein nicht mit ansehen könne.

Als ich seiner Wohnung zuging, trat mir auf einmal Frater Piccolo
in den Weg, mit der Frage, wo er wohl den Kapitän finden könnte?
Ich forschte ihn aus, zu welchem Zweck er wohl den Kapitän suche,
und er sagte mir ohne Umschweife, daß er ihm von dem Kardinal einen
Schuldschein auf fünftausend Skudi zu überreichen habe, die jener
zwölf Stunden nach Sicht bezahlen müsse. »Wertester Frater Piccolo,«
erwiderte ich ihm, »das Sicherste ist, Ihr bemühet Euch nach sechs
Uhr in den Garten der Signora Campoco, welcher an der Tiber gelegen;
dort werdet Ihr ihn finden, dafür stehe ich Euch.« Er dankte und ging
weiter. Daß er diese Nachricht dem Kardinal, vielleicht auch Donna
Ines mitteilen werde, glaubte ich voraussetzen zu dürfen. »Fünftausend
Skudi, zwölf Stunden nach Sicht!« sagte ich zu mir, »ich will doch
sehen, wie er sich heraushilft!«

Den armen Berliner traf ich sehr niedergeschlagen. Er schien zu fühlen,
daß seine Hoffnungen auf ewig zerstört seien; doch nicht nur dies
Gefühl war es, was ihn unglücklich machte; er fürchtete, Luise werde
nicht auf die Dauer glücklich werden. »Dieser West!« rief er. »Ist es
nicht immer wieder Leichtsinn, was ihn zu uns, zu ihr zurückführt!
Wie leicht ist es möglich, wenn einmal die Reue über ihn kommt, die
Spanierin so unglücklich gemacht zu haben, wie leicht ist es möglich,
daß er auch Luisen wieder verläßt!«

Ja, dachte ich, und wenn erst das Wechselchen anlangt und er nicht
zahlen kann, und wenn ihn Donna Ines mit den funkelnden Augen
sucht und bei der Fremden findet, und wenn erst der Kardinal seine
Künste anwendet. Die Schule der Verzweiflung hat er noch nicht ganz
durchgemacht. Aber auch das Fräulein, hoffe ich, wird jetzt auftauen
und ihre Hilfe zu kleinen Teufeleien und Höllenkünsten nehmen, und der
gute Berliner soll wohl auch bekannter mit mir werden müssen!

Wir gingen hinaus an die Tiber zum verhängnisvollen Garten der Signora
Campoco. Unterwegs sagte mir der junge Mann, das Fräulein sei ihm
unbegreiflich. Als er ihr die Nachricht gebracht, wie sich im Hause
des Kapitäns auf einmal alles so sonderbar, wie durch eine höhere
Leitung gefügt habe, wie West nicht nur zur protestantischen Kirche
zurücktreten, sondern auch als reuiger Sünder zu ihr zurückkehren
wolle, da sei, so sehr sie ihn zuvor angeklagt, ein seliges Lächeln
auf ihren schönen Zügen aufgegangen. Sie habe geweint vor Freude,
sie habe mit tausend Tränen ihre Tante dazu vermocht, uns in ihrem
Garten zu empfangen. Und dennoch sei sie jetzt nicht mehr recht
heiter; eine sonderbare Befangenheit, ein Zittern banger Erwartung
habe sie befallen, sie habe ihm gestanden, daß sie der Gedanke an den
Fluch ihres Vaters, wenn sie je die Gattin des Kapitäns werde, immer
verfolge. Es sei, als liege eine schwarze Ahnung vor ihrer sonst
so kindlich frohen Seele, als fürchte sie, trotz der Rückkehr des
Geliebten, dennoch nicht glücklich zu werden.

Unter den Klagen des Berliners, unter seinen Beschuldigungen gegen das
ganze weibliche Geschlecht hatten wir uns endlich dem Garten genähert.
Er lag, von Bäumen umgeben, wie ein Versteck der Liebe. Signora Campoco
empfing uns mit ihren Hündlein aufs freundlichste; sie erzählte, daß
sie das deutsche Geplauder der Versöhnten nicht mehr länger habe hören
können, und zeigte uns eine Laube, wo wir sie finden würden. Errötend,
mit glänzenden Augen, Verwirrung und Freude auf dem schönen Gesicht,
trat uns das Fräulein entgegen. Der Kapitän aber schien mir ernster,
ja, es war mir, als müßte ich in seinen scheuen Blicken eine neue
Schuld lesen, die er zu den alten gefügt.

Dem Berliner war wohl das schmerzlichste der feurige Dank, den ihm das
schöne Mädchen für seine eifrigen Bemühungen ausdrückte. Sie umfing
ihn, sie nannte ihn ihren treuesten Freund, sie bot ihm ihre Lippen,
und er hat wohl nie so tief als in jenem Augenblick gefühlt, wie die
höchste Lust mit Schmerz sich paaren könne. Mir, ich gestehe es, war
diese Szene etwas langweilig; ich werde daher die nähere Beschreibung
davon nicht in diese Memoiren eintragen, sondern als Surrogat eine
Stelle aus Jean Pauls Flegeljahren einschieben, die den Leser weniger
langweilen dürfte: »Selige Stunden, welche auf die Versöhnung der
Menschen folgen! Die Liebe ist wieder blöde und jungfräulich, der
Geliebte neu und verklärt, das Herz feiert seinen Mai, und die
Auferstandenen vom Schlachtfelde begreifen den vorigen, vergessenen
Krieg nicht.« So sagt dieser große Mensch, und er kann recht haben, aus
Erfahrung; ich habe, seit sich der Himmel hinter mir geschlossen, nicht
mehr geliebt, und mit der Versöhnung will es nicht recht gehen.

Bei jener ganzen Szene ergötzte ich mich mehr an der Erwartung als an
der Gegenwart. Wenn jetzt mit einemmal, dachte ich mir, Frater Piccolo
durch die Bäume herbeikäme, um seinen Wechsel honorieren zu lassen
-- welche Angst, welcher Kummer bei dem Kapitän, welches Staunen,
welcher Mißmut bei dem Fräulein! Ich dachte mir allerlei dergleichen
Möglichkeiten, während die andern in süßem Geplauder mit vielen Worten
nichts sagten -- da hörte ich auf einmal das Plätschern von Rudern
in der Tiber. Es war nach sechs Uhr, es war die Stunde, um welche
ich Frater Piccolo hierher bestellt hatte; wenn er es wäre! -- Die
Ruderschläge wurden vernehmlicher, kamen näher, weder die Liebenden
noch der Berliner schienen es zu hören. Jetzt hörte man nur noch das
Rauschen des Flusses, die Barke mußte sich in der Nähe ans Land gelegt
haben. Die Hunde der Signora schlugen an, man hörte Stimmen in der
Ferne, es rauschte in den Bäumen, Schritte knisterten auf dem Sandweg
des Gartens, ich sah mich um -- Donna Ines und der Kardinal Rocco
standen vor uns.

Luise starrte einen Augenblick diese Menschen an, als sehe sie ein
Gebild der Phantasie. Aber sie mochte sich des Kardinals aus einem
schrecklichen Augenblick erinnern, sie schien den Zusammenhang zu
begreifen, schien zu ahnen, wer Ines sei, und sank lautlos zurück,
indem sie die schönen Augen und das erbleichende Gesicht in den Händen
verbarg. Der Kapitän hatte den Kommenden den Rücken zugekehrt und sah
also nicht sogleich die Ursache von Luisens Schrecken. Er drehte sich
um, er begegnete zornsprühenden Blicken der Donna, die diese Gruppe
musterte, er suchte vergeblich nach Worten; das Gefühl seiner Schande,
die Angst, die Verwirrung schnürten ihm die Kehle zu.

»Schändlich!« hub Ines an. »So muß ich dich treffen? Bei deiner
deutschen Buhlerin verweilest du und vergißt, was du deinem Weibe
schuldig bist? Ehrvergessener; statt meine Ehre, die du mir gestohlen,
durch Treue zu ersetzen, statt mich zu entschädigen für so großen
Jammer, dem ich mich um deinetwillen ausgesetzt habe, schwelgest du in
den Armen einer andern?«

»Folget uns, Kapitän West!« sagte der Kardinal sehr strenge. »Es ist
Euch nicht erlaubt, noch einen Augenblick hier zu verweilen. Die Barke
wartet. Gebt der Donna Euren Arm und verlasset diese ketzerische
Gesellschaft.«

»Du bleibst!« rief Luise, indem sie ihre schönen Finger um seinen
Arm schlang und sich gefaßt und stolz aufrichtete. »Schicke diese
Leute fort. Du hast ja noch soeben diese Abenteuerin verschworen. Du
zauderst? Monsignor, ich weiß nicht, wer Ihnen das Recht gibt, in
diesen Garten zu dringen; haben Sie die Güte, sich mit dieser Dame zu
entfernen.«

»Wer mir das Recht gibt, junge Ketzerin?« entgegnete Rocco. »Diese
ehrwürdige Frau Campoco; ich denke, ihr gehört der Garten, und es wird
sie nicht belästigen, wenn wir hier verweilen.«

»Ich bitte um Euren Segen, Eminenz,« sagte, sich tief verneigend,
Signora Campoco; »wie möget Ihr doch so sprechen? Meinem geringen
Garten ist heute Heil widerfahren! Denn heilige Gebeine wandeln darin
umher!«

»Nicht gezaudert, Kapitän!« rief der Kardinal: »Werfet den Satan
zurück, der Euch wieder in den Klauen hat; folget uns, wohin die
Pflicht Euch ruft. -- Ha! Ihr zaudert noch immer, Verräter? Soll
ich,« fuhr er mit höhnischem Lächeln fort, »soll ich Euch etwa dies
Papier vorzeigen? Kennet Ihr diese Unterschrift? Wie steht es mit
den fünftausend Skudi, verehrter Herr? Soll ich Euch durch die Wache
abholen lassen?« --

»Fünftausend Skudi?« unterbrach ihn der Berliner. »Ich leiste
Bürgschaft, Herr Kardinal, sichere Bürgschaft --«

»Mitnichten!« antwortete er mit großer Ruhe. »Ihr seid ein Ketzer;
~haeretico non servanda fides~; Ihr könnet leicht ebenso denken und mit
der Bürgschaft in die Weite gehen. Nein, -- Piccolo! Sende einen der
Schiffer in die Stadt; man solle die Wache holen.«

»Um Gottes willen, Otto! Was ist das?« rief Luise, indem ihr Tränen
entstürzten. »Du wirst dich doch nicht diesen Menschen so ganz
übergeben haben? O Herr! Nur eine Stunde gestattet Aufschub, mein
ganzes Vermögen soll Euer sein; mehr, viel mehr will ich Euch geben,
als Ihr fordert --«

»Meinst du, schlechtes Geschöpf!« fiel ihr die Spanierin in die Rede.
»Meinst du, es handle sich hier um Gold? Mir, mir hat er seine Seele
verpfändet; er hat mich gelockt aus den Tälern meiner Heimat; er hat
mir ein langes, seliges Leben in seinen Armen vorgespiegelt, er hat
mich betrogen um diese Seligkeit; du -- du hast mich betrogen, deutsche
Dirne, aber sieh zu, wie du es einst vor den Heiligen verantworten
kannst, daß du dem Weib den Gatten raubst, den Kindern, den armen
Würmern, den Vater!«

»Ja, das ist dein Fluch, alter Vater!« sagte Luise von tiefer Wehmut
bewegt. »Das ist dein Fluch, wenn ich je die Seine würde; er nahte
schnell! Ich hätte dir ihn entrissen, unglückliches Weib? Nein, so tief
möchte ich nicht einmal dich verachten. Er kannte mich längst, ehe er
dich nur sah, und die Treue, die er dir schwur, hat er mir gebrochen!«

»Von dieser Sünde werden wir ihn absolvieren,« sprach der Kardinal;
»sie ist um so weniger drückend für ihn, als Ihr selbst, Signora, mit
einem anderen, der hierneben sitzt, in Verhältnissen waret. Zaudere
nicht mehr, folge uns; bei den Gebeinen aller Heiligen, wenn du jetzt
nicht folgst, wirst du sehen, was es heiße, den heiligen Vater zu
verhöhnen!«

Der Kapitän war ein miserabler Sünder. So wenig Kraft, so wenig
Entschluß! Ich hätte ihn in den Fluß werfen mögen; doch es mußte zu
einem Resultate kommen, drum schob ich schnell ein paar Worte ein:
»Wie? was ist dies für ein Geschrei von Kindern?« rief ich erstaunt.
»Es wird doch kein Unglück in der Nähe geben?«

»Ha! meine Kinder!« weinte die Spanierin. »O, weinet nur, ihr armen
Kleinen, der, der euch Vater sein sollte, hat Erz in seiner Brust. Ich
gehe, ich werfe sie in die Tiber, und mich mit ihnen; so ende ich ein
Leben, das du, Verfluchter, vergiftetest!«

Sie rief es und wollte nach der Tiber eilen, doch das Fräulein faßte
ihr Gewand; bleich zum Tod, mit halbgeschlossenen Augen führte sie
Donna Ines zu dem Kapitän und stürzte dann aus der Laube. Ich selbst
war einige Augenblicke im Zweifel, ob sie nicht denselben Entschluß
ausführen wollte, den die Donna für sich gefaßt; doch der Weg, den
sie einschlug, führte tiefer in den Garten, und sie wollte wohl nur
diesem Jammer entgehen. Der Berliner aber lief ihr ängstlich nach, und
als sich auch der Kapitän losriß, ihr zu folgen, stürzte die ganze
Gesellschaft, der Kardinal, ich und Signora Campoco, in den Garten.

Wir kamen zu ihnen, als eben Luise erschöpft und ohnmächtig
zusammensank. S. fing sie in seinen Armen auf und trug die teure Last
nach einer Bank. Dort wollte ihn der Kapitän verdrängen, er wollte
vielleicht seinen Entschluß zeigen, nur ihr anzugehören; er glaubte
heiligere Rechte an sie zu haben und entfernte den Arm des jungen
Mannes, um den seinigen unterzuschieben.

Doch dieser, ergriffen von Liebe und Schmerz, aufgeregt von der Szene,
die wir gesehen, stieß den Kapitän zurück. »Fort mit dir!« rief er,
»gehe zu den Pfaffen und Ehebrechern, zu Schurken deines Gelichters.
Du hast deine Rolle künstlich gespielt; um diese Blume zu pflücken,
mußtest du dich den Armen jenes hergelaufenen Weibes noch einmal
entreißen. Hinweg mit dir, du Ehrloser!«

»Was sprechen Sie da?« schrie der Kapitän schäumend; es mochte in der
Rede des jungen Mannes etwas liegen, was als Wahrheit um so beißender
war. »Welche Absichten legen Sie mir unter? Was hätte ich getan.
Erklären Sie sich deutlicher!«

»Jetzt hast du Worte, Schurke, aber als dieser Engel zu dir flehte, da
hatte deinen Mund die Schande verschlossen. Rühre sie nicht an, oder
ich schlage dich nieder!«

»Das kann dir geschehen,« entgegnete jener, und einem Blitze gleich
fuhr er mit etwas Glänzendem aus der Tasche nach der Brust des jungen
Mannes. -- In Spanien lernt man gut stoßen. Der Berliner hatte einen
Messerstich in der Brust und sank, ohne das Haupt der Geliebten zu
lassen, in die Knie.

Jetzt wird der tapfere Hauptmann gewiß katholisch! war mein Gedanke,
als das Herzblut des jungen Mannes hervorströmte; jetzt wird er sich
bergen im Schoße der Kirche! Und es schien so zu kommen. Denn willenlos
ließ sich der Kapitän von Ines und dem Kardinal wegführen, und die
Barke stieß vom Lande.

       *       *       *       *       *

Wenige Tage nach diesem Vorfall erschien jener glorreiche Tag, an
welchem der Papst vor dem versammelten Volk mir, dem Teufel, alle
Seelen der Ketzer übermacht; ich habe zwar durch diese Anweisung
noch nie eine erhalten und weiß nicht, ob Seine Heiligkeit falliert
haben und nun auf der Himmelsbörse keine Geschäfte mehr machen, also
wenig Einfluß auf das Steigen und Fallen der Seelen haben, oder ob
vielleicht diese Verwünschung nur zur Vermehrung der Rührung dient, um
den Wirten und Gewerbsleuten in Rom auf versteckte Weise zu verstehen
zu geben, daß sie sich kein Gewissen daraus machen sollen, den Beutel
der Engländer, Schweden und Deutschen zu schröpfen, da ihre Seelen doch
einmal verloren seien.

An einem solchen Tage pflegt ganz Rom zusammenzuströmen, besonders
die Weiber kommen gerne, um die Ketzer im Geiste abfahren zu sehen.
Man drängt und schlägt sich auf dem großen Platz, man hascht nach
dem Anblick des heiligen Vaters, und wenn er den heiligen Bannstrahl
herabschleudert, durchzückt ein mächtiges Gefühl jedes Herz, und alle
schlagen an die Brust und sprechen: »Wohl mir, daß ich nicht bin wie
dieser einer.« An diesem Tage aber hatte das Fest noch eine ganz
besondere Bedeutung; man sprach nämlich in allen Zirkeln, in allen
Kaffeehäusern, auf allen Straßen davon, daß ein berühmter, tapferer,
ketzerischer Offizier an diesem Tage sich taufen lassen wolle. Dieser
Offizier machte seine Grade erstaunlich schnell durch. Am Montag hieß
es, er sei Kapitän, am Dienstag, er sei Major, am Mittwoch war er
Oberst, und wenn man am Donnerstag früh ein schönes Kind auf der Straße
anhielt, um zu fragen, wohin es so schnell laufe, konnte man auf die
Antwort rechnen: »Ei, wißt Ihr nicht, daß zur Ehre Gottes ein General
der Ketzer sich taufen läßt und ein guter Christ wird, wie ich und Ihr?«

Wer der berühmte Täufling war, werden die Leser meiner Memoiren leicht
erraten. Endlich, endlich war er abgefallen! Sie hatten ihn wohl nach
der Szene in Signoras Garten so lange und heftig mit Vorwürfen, Bitten,
Drohungen, Versprechungen und Tränen bestürmt, daß er einwilligte,
besonders, da er durch den Uebertritt nicht nur Absolution für seine
Seele, was ihm übrigens wenig helfen wird, sondern auch Schutz für die
Justiz bekam, die ihm schon nachzuspüren anfing, da der Berliner einige
Tage zwischen Leben und Tod schwebte und sein Gesandter auf strenge
Ahndung des Mordes angetragen hatte.

Ich stellte mich auf dem Platze so, daß der Zug mit dem Täufling an
mir vorüberkommen mußte. Und sie nahten! Ein langer Zug von Mönchen,
Priestern, Nonnen, andächtigen Männern und Frauen kamen heran. Ihre
halblaut gesprochenen Gebete rollten wie Orgelton durch die Lüfte. Sie
zogen im Kreis um den ungeheuren Platz, und jetzt wurden die Römer
um mich her aufmerksamer. »~Ecco, ecco lo!~« flüsterte es von allen
Seiten; ich sah hin -- in einem grauen Gewand, das Haupt mit Asche
bestreut, ein Kruzifix in den gefalteten Händen, nahte mit unsicheren
Schritten der Kapitän. Zwei Bischöfe in ihren violetten Talaren gingen
vor ihm, und Chorknaben aller Art und Größe folgten seinen Schritten.

»Ein schöner Ketzer, bei St. Peter! ein schmucker Mann!« hörte ich die
Weiber um mich her sagen. »Welch ein frommer Soldat!«

»Wie freut man sich, wenn man sieht, wie dem Teufel eine Seele
entrissen wird!« --

»Werden sie ihn vorher taufen oder nachher?« --

»Vorher,« antwortete ein schönes, schwarzlockiges Mädchen, »vorher,
denn nachher verflucht der heilige Vater alle Ketzer, und da würde er
ihn ja auf ewig verdammen und nachher segnen und taufen.«

»Ach, das verstehst du nicht,« sagte ihr Vater, »der Papst kann alles,
was er will, so oder so.«

»Nein, er kann nicht alles,« erwiderte sie schelmisch lächelnd, »nicht
alles!«

»Was kann er denn nicht?« fragten die Umstehenden. »Er kann alles; was
sollte er denn nicht können?«

»Er kann nicht heiraten!« lachte sie; doch nicht so schnell folgt der
Donner dem Blitz, als die schwere Hand des Vaters auf ihre Wange fiel.

»Was, du versündigst dich, Mädchen?« schrie er. »Welche unheiligen
Gedanken gibt dir der Teufel ein? Was geht es dich an, ob der Papst
heiratet oder nicht? Dich nimmt er auf keinen Fall.«

Das Volk begann indes in die Peterskirche zu strömen; und auch ich
folgte dorthin. Es ist eine lächerliche, materielle Idee, wenn die
Menschen sich vorstellen, ich könne in keine christliche Kirche kommen.
So schreiben viele Leute C. M. B. (Caspar, Melchior, Balthasar) über
ihre Türen und glauben, die drei Könige aus Morgenland werden sich
bemühen, ihre schlechte Hütte gegen die Hexen zu schützen.

Ich drängte mich so weit wie möglich vor, um die Zeremonien dieser
Taufe recht zu sehen. Der tapfere Kapitän hatte jetzt sein graues
Gewand mit einem glänzend weißen vertauscht und kniete unweit des
Hochaltars. Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe standen umher, der
ungewisse Schein des Tages, vermischt mit dem Flackern der Lichter,
der Kerzen, welche die Chorknaben hielten, umgaben sie mit einem
ehrwürdigen Heiligenschein, der jedoch bei manchem wie Scheinheiligkeit
aussah. Auf der andern Seite kniete unter vielen schönen Frauen Donna
Ines mit ihren Kindern. Sie war lockender und reizender als je, und
wer Luisen und ihr sanftes blaues Auge nicht gesehen hatte, konnte dem
Täufling verzeihen, daß er sich durch dieses schöne Weib und einen
listigen Priester unter den Pantoffel St. Petri bringen ließ.

Neben mir stand eine schwarzverschleierte Dame. Sie stützte sich mit
einer Hand an eine Säule, und ich glaube, sie wäre ohne diese Hilfe
auf den Marmorboden gesunken, denn sie zitterte beinahe krampfhaft.
Der Schleier war zu dicht, als daß ich ihre Züge erkennen konnte. Doch
sagte mir eine Ahnung, wer es sein könnte. Jetzt erhoben die Priester
den Gesang, er zog mit den blauen Wölkchen des arabischen Weihrauchs
hinauf durch die Gewölbe und berauschte die Sinne der Sterblichen,
übertäubte ihre Seelen und riß sie hin zu einer Andacht, die sie zwar
über das Irdische, aber auch über die ewigen Gesetze ihrer Vernunft
hinwegführt.

Die Priester sangen. Jetzt fing er an, sein Glaubensbekenntnis zu
sprechen.

»Er hat mich nie geliebt,« seufzte die Dame an meiner Seite, »er hat
dich nie geliebt, o Gott, verzeihe ihm diese Sünde!«

Er sprach weiter, er verfluchte den Glauben, in welchem er bisher
gelebt.

»Gib Frieden seiner Seele,« flüsterte sie; »wir alle irren, solange wir
sterblich sind; vielleicht hat er den wahren Trost gefunden! Laß ihn
Frieden finden, o Herr!«

Da fingen die Priester wieder an zu singen. Ihre tiefen Töne drangen
schneidend in das Herz der Dame. Jetzt wurde das Sakrament an ihm
vollzogen, der Kardinal Rocco, im vollen Ornat seiner Würde, segnete
ihn ein, und Donna Ines warf dem Getauften frohlockende Grüße zu.

»Vater, laß ihm mein Bild nie erscheinen,« betete die Dame an meiner
Seite, »daß nie der Stachel der Reue ihn quäle! Laß ihn glücklich
werden!«

Und mit dem Pomp des heiligen Triumphes schloß die Taufe, und der
Kapitän stand auf, zwar als ein so großer Sünder wie zuvor, doch als
ein rechtgläubiger katholischer Christ. Das Volk drängte sich herzu
und drückte seine Hände, und Donna Ines führte ihm mit holdem Lächeln
ihre Kinder zu. Aber noch war die Szene nicht zu Ende. Kardinal Luighi
führte den Getauften an die Stufen des Altars, stieg die heiligen
Stufen hinan und las die Messe.

Die Dame im schwarzen Schleier zitterte heftiger, als sie dies alles
sah; ihre Knie fingen an, zu wanken. »Wer Ihr auch seid, mein Herr!«
flüsterte sie mir plötzlich zu, »seid so barmherzig und führt mich aus
der Kirche, ich fühle mich sehr unwohl.« Ich gab ihr meinen Arm, und
die frommste Seele in St. Peters weiten Hallen ging hinweg, begleitet
vom Teufel.

Auf dem Platze vor der Peterskirche deutete sie schweigend auf eine
Equipage, die unfern hielt. Ich führte sie dorthin, ich öffnete ihr
den Schlag und bot ihr die Hand zum Einsteigen. Sie schlug den dunklen
Schleier zurück, es war, wie ich mir gesagt hatte, es waren die
bleichen, schönen Züge Luisens. »Ich danke Euch, Herr!« sagte sie, »Ihr
habt mir einen großen Dienst erwiesen.« Noch zitterte ihre Hand in der
meinigen, ihre schönen Augen wandten sich noch einmal nach St. Peter
und füllten sich dann mit einer Träne. Aber schnell schlug sie den
Schleier nieder und schlüpfte in den Wagen; die Pferde zogen an, ich
habe sie -- nie wiedergesehen.

       *       *       *       *       *

Eine wichtige Angelegenheit, die wankende Sache der hohen Pforte,
welcher ich immer besondere Aufmerksamkeit geschenkt habe, rief mich
an diesem Tage nach ..., wo ich mit einem berühmten Staatsmann eine
Konferenz halten mußte. Man kennt die Zuneigung dieses erlauchten
Wesirs eines christlichen Potentaten zum Halbmond; und ich hatte
nicht erst nötig, ihn zu überzeugen, daß die Türken seine natürlichen
Alliierten seien. Von ... eilte ich zurück nach Rom. Ich gestehe, ich
war begierig, wie sich die Verhältnisse lösen würden, in welche ich
verflochten war, und die mir durch einige Situationen so interessant
geworden waren.

Der erste, den ich unter der Porta del Popolo traf, war der deutsche
Kaufmann. Er saß in einem schönen Wagen und hatte, wie es schien,
Streit mit einigen päpstlichen Polizeisoldaten. Ich trat als Stobelberg
zu ihm. »Lieber Bruder,« sagte ich, »es scheint, du willst Sodom
verlassen gleich dem frommen Lot?«

»Ja, fliehen will ich aus dieser Stätte des Satan!« war seine Antwort;
»und hier läßt mich der Drache auf dem Stuhl des Lammes noch einmal
anhalten, aus Zorn, weil ich einen seiner Baalspfaffen im Christentum
unterweisen wollte.«

Ich sah hin und merkte jetzt erst die Ursache des Streites. Die
Polizei hatte, ich weiß nicht, aus welchem Grund, den Wagen noch
einmal untersucht. Da war man auf ein Kistchen gestoßen und hatte den
Pietisten gefragt, was es enthalte. »Geistliche Bücher,« antwortete
er. Man glaubte nicht, schloß auf, und siehe da, es war ein gutes
Flaschenfutter, und die Polizeimänner wollten wegen seines Betruges
einige Skudi von ihm nehmen.

»Aber, Bruder,« sagte ich zu ihm. »Eine fromme Seele sollte nach nichts
dürsten als nach dem Tau des Himmels, nach nichts hungern, als nach dem
Manna des Wortes, und doch führst du ein Dutzend Flaschen mit dir, und
hier liegt ein ganzer Pack Salamiwürste? Pfui, Bruder, heißt es nicht:
›Was werden wir essen, was werden wir trinken, nach dem allen fragen
die Heiden?‹«

»Bruder,« erwiderte jener und drehte die Augen gen Himmel! »Bruder, bei
dir muß es noch nicht völlig zum Durchbruch gekommen sein, daß du einem
Manne von so felsenfestem Glauben, daß du _mir_ solche Fragen vorlegst.
Gerade, daß ich nicht zu seufzen brauche: ›Was werden wir essen, was
werden wir trinken, womit uns kleiden?‹ gerade deswegen habe ich mir
den neuen Rock hier gekauft, habe meinen Flaschenkeller gefüllt und die
aus Eselsfleisch bereiteten Würste gekauft; es geschah also aus reinem
Glaubensdrang, und der Geist hat es mir eingegeben. Da, ihr lumpigen
Söhne von Astaroth, ihr Brut des Basilisken, so auf dem Stuhl des
Lammes sitzt und an seinen Klauen Pantoffeln führt, da nehmet diesen
holländischen Dukaten und lasset mir meine geistlichen Bücher in Ruhe!
-- So, nun lebe wohl, Bruder! Der Geist komme über dich und stärke
deinen Glauben!«

Da fuhr er hin, und wieder wurde ich in dem Glauben bestärkt, daß diese
christlichen Pharisäer schlimmer sind, als die Kinder der Welt. Ich
ging weiter, den Korso hinab. Am unteren Ende der Straßen begegnete mir
der Kardinal Rocco und Piccolo, sein Diener. Der Kardinal schien sehr
krank zu sein, denn ganz gegen die Etikette trug ihm Piccolo nicht die
Schleppe nach, sondern führte ihn unter dem Arm, und dennoch wankte
Rocco zuweilen hin und her. Sein Gesicht war rot und glühend, seine
Augen halb geschlossen, und der rote Hut saß ihm etwas schief auf dem
Ohr.

»Siehe da, ein bekanntes Gesicht!« rief er, als er mich sah, und blieb
stehen. »Komm hierher, mein Sohn, und empfange den Segen. Haben wir uns
nicht schon irgendwo gesehen?«

»O ja, und ich hoffe noch öfter das Vergnügen zu haben; ich hatte die
Ehre, Ew. Eminenz im Garten der Frau Campoco zu sehen.«

»Ja, ja! ich erinnere mich, Ihr seid ein junger Ketzer; wisset Ihr,
woher ich komme? Geradeswegs von dem Hochzeitsschmause des lieben
Paares!«

Jetzt konnte ich mir die Krankheit des alten Herrn erklären; die
spanischen Weine der Donna Ines waren ihm wohl zu stark gewesen, und
Piccolo mußte ihn jetzt führen. »Ihr waret wohl recht vergnügt?« fragte
ich ihn; »es ist doch Euer Werk, daß die Donna den Kapitän endlich
doch noch überwunden hat?«

»Das ist es, lieber Ketzer,« sagte er, stolz lächelnd. »Mein Werk ist
es, kommet, gehen wir noch ein paar hundert Schritte zusammen! -- Was
wollte ich sagen? Ja -- mein Werk ist es, denn ohne mich hätte die
Donna gar keine Kunde von ihm bekommen. Ich schrieb ihr, daß er sich in
Rom befinde. Ohne mich wäre ihre frühere Ehe nicht für ungültig erklärt
worden; ohne mich wäre der Kapitän nicht rechtgläubig geworden, was zur
Glorie unserer Kirche notwendig war; ohne mich wäre er nicht von seiner
Ketzerin losgekommen -- kurz, ohne mich -- ja, ohne mich stünde alles
noch wie zuvor.«

»Es ist erstaunlich!«

»Höret, Ihr gefallt mir, lieber Ketzer. Hört einmal, werdet auch
rechtgläubig. Brauchet Ihr Geld? Könnet haben, soviel Ihr wollt, gegen
ein Reverschen, zahlbar gleich nach Sicht. O! damit kann man einen
köstlich in Verlegenheit bringen. Brauchet Ihr eine schöne, frische,
reiche Frau? Ich habe eine Nichte, Ihr sollt sie haben. Brauchet Ihr
Ehren und Würden? Ich will Euch ~pro primo~ den goldenen Sporenorden
verschaffen. Es kann ihn zwar jeder Narr um einige Skudi kaufen -- aber
Ihr sollet ihn umsonst haben. Wollet Ihr in Eurer barbarischen Heimat
große Ehrenstellen? Dürfet nur befehlen. Wir haben dort großen Einfluß,
geheim und öffentlich. Na! was sagt Ihr dazu?«

»Der Vorschlag ist nicht übel,« erwiderte ich. »Ihr seid nobel in Euren
Versprechungen. Ich glaube, Ihr könntet den Teufel selbst katholisch
machen?«

»~Anathema sit! anathema sit!~ Es wäre uns übrigens nicht schwer,«
antwortete der Kardinal. »Wir können ihn von seinen zweitausendjährigen
Sünden absolvieren und dann taufen. Ueberdies ist er ein dummer Kerl,
der Teufel, und hat sich von der Kirche noch immer überlisten lassen!«

»Wisset Ihr das so gewiß?«

»Das will ich meinen. Zum Beispiel, kennt Ihr die Geschichte, die er
mit einem Franziskaner gehabt?«

»Nein, ich bitte Euch, erzählet!«

»Ein Franziskaner zankte sich einmal mit ihm wegen einer armen Seele.
Der Teufel wollte sie durchaus haben und hatte allerdings nach dem Maß
ihrer Sünden das Recht dazu. Der Mönch aber wollte sie ~in majorem dei
gloriam~ für den Himmel zustutzen. Da schlug endlich der Satan vor,
sie wollen würfeln; wer die meisten Augen mit drei Würfeln werfe,
solle die Seele haben. Der Teufel warf zuerst, und, wie er ein falscher
Spieler ist, warf er achtzehn, er lachte den Franziskaner aus. Doch
dieser ließ sich nicht irre machen. Er nahm die Würfel und warf --
neunzehn. Und die Seele war sein.«

»Herr! das ist erlogen,« rief ich, »wie kann er mit drei Würfeln
neunzehn werfen?«

»Ei, wer fragt nach Möglichkeit? Genug, er hat's getan, es war ein
Wunder. Nun, kommet morgen in mein Haus, lieber Sohn, wir wollen dann
den Unterricht beginnen.«

Er gab mir den Segen und wankte weiter. Nein, Freund Rocco! dachte
ich. Eher bekomme ich dich als du mich. Von dir läßt sich der Satan
nicht überlisten. Es trieb mich jetzt, nach dem Hause des Berliners
zu gehen, den ich schwer verwundet verlassen hatte. Zu meiner großen
Verwunderung sagte man mir, er sei ausgegangen und werde wohl vor Nacht
nicht zurückkehren. So mußte ich den Gedanken aufgeben, heute noch zu
erfahren, wie es ihm ergangen sei, wie das Fräulein sich befinde, ob er
wohl Hoffnung habe, jetzt, da der Kapitän auf immer für sie verloren
sei, sie für sich zu gewinnen. Es blieb mir keine Zeit, ihn heute noch
zu sehen, denn den Abend über wußte ich ihn nicht zu finden, und auf
die kommende Nacht hatte ich eine Zusammenkunft mit jenen kleineren
Geistern verabredet, die als meine Diener die Welt durchstreifen.

Ich trat zu diesem Zweck, als die Nacht einbrach, ins Kolosseum,
denn dies war der Ort, wohin ich sie beschieden hatte. Noch war die
Stunde nicht da, aber ich liebe es, in der Stille der Nacht auf den
Trümmern einer großen Vorzeit meinen Gedanken über das Geschlecht
der Sterblichen nachzuhängen. Wie erhaben sind diese majestätischen
Trümmer in einer schönen Mondnacht! Ich stieg hinab in den mittleren
Raum. Aus dem blauen, unbewölkten Himmel blickte der Mond durch die
gebrochenen Wölbungen der Bogen herein, und die hohen überwachsenen
Mauern der Ruine warfen lange Schatten über die Arena. Dunkle Gestalten
schienen durch die verfallenen Gänge zu schweben, wenn ein leiser
Wind die Gesträuche bewegte und ihre Schatten hin und wider zogen. Wo
sie schwebten, diese Schatten, da sah man einst ein fröhliches Volk,
schöne Frauen, tapfere Männer und die ernste, feierliche Pracht der
kriegerischen Kaiser. Geschlecht um Geschlecht ist hinunter, diese
Mauern allein überdauerten ihre Zeit, um durch ihre erhabenen Formen
diese Sterblichen zu erinnern, wie unendlich größer der Sinn jenes
Volkes war, das einst, ein Jahrtausend vor ihnen, um diese Stätte
lebte. Die ernste Würde der Konsuln und des Senates, der kriegerische
Prunk der Cäsaren und -- _dieser_ römische Hof und _diese_ Römer!

Der Mond war, während ich zu mir sprach, heraufgekommen und stand jetzt
gerade über dem Zirkus. Ich sah mich um, da gewahrte ich, daß ich nicht
allein in den Ruinen sei. Eine dunkle Gestalt saß seitwärts auf dem
gebrochenen Schaft einer Säule. Ich trat näher zu -- es war Otto von
S... Ich war freudig erstaunt, ihn zu sehen. Ich warf mich schnell in
den Herrn von Stobelberg, um mit ihm zu sprechen. Ich redete ihn an und
wünschte ihm Glück, ihn so gesund zu sehen. Er richtete sich auf, der
Mond beschien ein sehr bleiches Gesicht, weinende Augen blickten mich
wehmütig an, schweigend sank er an meine Brust.

»Sie scheinen noch nicht ganz geheilt, Lieber!« sagte ich. »Sie sind
noch sehr bleich, die Nachtluft wird Ihnen schaden!«

Er verneinte es mit dem Haupt, ohne zu sprechen. Was war doch dem
armen Jungen geschehen, hatte er wohl von neuem einen Korb bekommen?
»Nun, ein Mittel gibt es wohl, Sie gänzlich zu heilen,« fuhr ich fort.
»Jetzt steht Ihnen ja nichts mehr im Wege, jetzt wird sie hoffentlich
so spröde nicht mehr sein. Ich will den Brautwerber machen. Sie müssen
Mut fassen, Luise wird Sie erhören, und dann ziehen Sie mit ihr aus
dieser unglücklichen Stadt, führen sie nach Berlin zu der Tante. Wie
werden sich die ästhetischen Damen wundern, wenn Sie Ihre Novelle auf
diese Art schließen und die holde Erscheinung aus den Lamentationen
persönlich einführen!«

Er schwieg, er weinte stille.

»Oder wie! haben Sie etwa den Versuch schon gemacht? Sollten Sie
abgewiesen worden sein? Will sie die Rolle der Spröden fortspielen?«

»Sie ist tot!« antwortete der junge Mann.

»Ist's möglich! höre ich recht? So plötzlich ist sie gestorben?«

»Der Gram hat ihr Herz gebrochen. Heute hat man sie begraben.«

Er sagte es, drückte mir die Hand, und einsam weinend ging er durch die
Ruinen des Kolosseums.



Mein Besuch in Frankfurt.



1.

Wen der Satan an der Table d'hote im weißen Schwanen sah.


Kommt man um die Zeit des Pfingstfestes nach Frankfurt, so sollte
man meinen, es gäbe keine heiligere Stadt in der Christenheit; denn
sie feiern daselbst nicht wie z. B. in Bayern anderthalb oder, wie
im Kalender vorgeschrieben, zwei Festtage, sondern sie rechnen vier
Feiertage; die Juden haben deren sogar fünf, denn sie fangen in
Bornheim ihre heiligen Uebungen schon am Samstag an, und der Bundestag
hat sogar acht bis zehn.

Die Festtage gelten aber in dieser Stadt weniger den wunderbaren
Sprachkünsten der Apostel als mir. Was die berühmtesten Mystiker am
Pfingstfeste morgens den guten Leutchen ans Herz gelegt, was die
immensesten Rationalisten mit moralischer Salbung verkündet hatten, das
war so gut als in den Wind gesprochen. Die Fragen: »Ob man am Montag
oder am Dienstag, am zweiten oder dritten Feiertag ins _Wäldchen_
gehen, ob es nicht anständiger wäre, ins Wilhelmsbad zu fahren, ob man
am vierten Feiertag nach Bornheim oder ins Vauxhall gehen solle, oder
beides,« diese Fragen schienen bei weitem wichtiger als jene, die doch
für andächtige Feiertagsleute viel näher lag: »Ob die Apostel damals
auch Englisch und Plattdeutsch verstanden haben?«

Muß ein so aufgeweckter Sinn den Teufel nicht erfreuen, der an solchen
Tagen mehr Seelen für sich gewinnt, als das ganze Judenquartier in
einer guten Börsenstunde Gulden? Auch diesmal wieder kam ich zu
Pfingsten nach Frankfurt. Leuten, die, von einem berühmten Belletristen
verwöhnt, alles bis aufs kleinste Detail wissen wollen, diene zur
Nachricht, daß ich im weißen Schwanen auf Nr. 45 recht gut wohnte, an
der großen Table d'hote in angenehmer Gesellschaft trefflich speiste;
den Küchenzettel mögen sie sich übrigens von dem Oberkellner ausbitten.

Schon in der ersten Stunde bemerkte ich ein Seufzen und Stöhnen, das
aus dem Zimmer nebenan zu dringen schien. Ich trat näher, ich hörte
deutlich, wie man auf gut deutsch fluchte und tobte, dann Rechnungen
und Bilanzen, die sich in viele Tausende beliefen, nachzählte und dann
wieder wimmerte und weinte wie ein Kind, das seiner Aufgabe für die
Schule nicht mächtig ist.

Teilnehmend, wie ich bin, schellte ich nach dem Kellner und fragte ihn,
wer der Herr sei, der nebenan so überaus kläglich sich gebärde?

»Nun,« antwortete er, »das ist der stille Herr.«

»Der stille Herr? Lieber Freund, das gibt mir noch wenig Aufschluß, wer
ist er denn?«

»Wir nennen ihn hier im Schwanen den stillen Herrn oder auch den
Seufzer; er ist ein Kaufmann aus Dessau, nennt sich sonst Zwerner und
wohnt schon seit vierzehn Tagen hier.«

»Was tut er denn hier? Ist ihm ein Unglück zugestoßen, daß er gar so
kläglich winselt?«

»Ja! das weiß ich nicht,« erwiderte er, »aber seit dem zweiten Tag,
daß er hier ist, ist sein einziges Geschäft, daß er zwischen zwölf und
ein Uhr in der neuen Judenstraße auf und ab geht, und dann kommt er zu
Tisch, spricht nichts, ißt nichts, und den ganzen Tag über jammert er
ganz stille und trinkt Kapwein.«

»Nun, das ist keine schlimme Eigenschaft,« sagte ich, »setzen Sie mich
doch heute mittag in seine Nähe.« Der Kellner versprach es, und ich
lauschte wieder auf meinen Nachbar.

»Den zwölften Mai,« hörte ich ihn stöhnen, »Metalliques 84¾,
österreichische Staatsobligationen 87⅜, Rothschildsche Lotterielose,
der Teufel hat sie erfunden und gemacht! 132, preußische
Staatsschuldscheine 81! O Rebekka! Rebekka! Wo will das hinaus! 81! Die
Preußen! Ist denn gar keine Barmherzigkeit im Himmel?«

So ging es eine Zeitlang fort; bald hörte ich ihn ein Glas Kapwein
zu sich nehmen und ganz behaglich mit der Zunge dazu schnalzen; bald
jammerte er wieder in den kläglichsten Tönen und mischte die Konsols,
die Rothschildschen Unverzinslichen und seine Rebekka auf herzbrechende
Weise untereinander. Endlich wurde er ruhiger. Ich hörte ihn sein
Zimmer verlassen und den Gang hinabgehen; es war wohl die Stunde, in
welcher er durch die neue Judenstraße promenierte.

Der Kellner hatte Wort gehalten. Er wies, als ich in den Speisesaal
trat, auf einen Stuhl: »Setzen sich der Herr Doktor nur dorthin,«
flüsterte er, »zu Ihrer Rechten sitzt der Seufzer.« Ich setzte mich,
ich betrachtete ihn von der Seite; wie man sich täuschen kann! Ich
hatte einen jungen Mann von melancholischem, gespenstigem Aussehen
erwartet, wie man sie heutzutage in großen Städten und Romanen trifft,
etwa bleichschmachtend und fein wie Eduard von der Verfasserin der
Urika, oder von schwächlichem, beinahe liederlichem Anblick, wie einige
Schopenhauersche oder Pichlersche Helden. Aber gerade das Gegenteil,
ich fand einen Untersetzten, runden, jungen Mann mit frischen,
wohlgenährten Wangen und roten Lippen, der aber die trüben Augen
beinahe immer niederschlug und um den hübschen Mund einen weinerlichen
Zug hatte, welcher zu diesem frischen Gesicht nicht recht paßte.

Ich versuchte, während ich ihm allerlei treffliche Speisen anbot,
einigemal mit ihm ins Gespräch zu kommen, aber immer vergebens;
er antwortete nur durch eine Verbeugung, begleitet von einem
halbunterdrückten Seufzer. In solchen Augenblicken schlug er dann wohl
die Augen auf, doch nicht, um auf mich zu blicken, er warf nur einen
scheuen, finstern Blick geradeaus und sah dann wieder seufzend auf
seinen Teller.

Ich folgte einem dieser Blicke und glaubte zu bemerken, daß sie einem
Herrn gelten mußten, der uns gegenüber saß und schon zuvor meine
Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.

Er war gerade das Gegenteil von meinem Nachbar rechts. Seine schon
etwas kahle, gefurchte Stirne, sein bräunliches, eingeschnurrtes
Gesicht, seine schmalen Wangen, seine spitze, weithervortretende Nase
deuteten darauf hin, daß er die fünfundvierzig Jährchen, die er haben
mochte, etwas _schnell_ verlebt habe. Den auffallendsten Kontrast mit
diesen verwitterten, von Leidenschaften durchwühlten Zügen bildete ein
ruhiges, süßliches Lächeln, das immer um seinen Mund schwebte, die
zierliche Bewegung seiner Arme und seines Körperchens, wie auch seine
sehr jugendliche und modische Kleidung.

Es saßen etwa fünf oder sechs junge Damen an der Tafel, und nach den
zärtlichen Blicken, die er jeder zusandte, dem süßen Lächeln, womit er
seine Blicke begleitete, zu urteilen, mußte er mit allen in genauen
Verhältnissen stehen. Dieser Herr hatte, wenn er mit der abgestorbenen,
knöchernen Hand einen Spargel zum Munde führte und süßlich dazu
lächelte, die größte Aehnlichkeit mit einem rasierten Kaninchen,
während mein Nachbar rechts wie ein melancholischer Frosch anzusehen
war.

Warum übrigens der Seufzer das Kaninchen mit so finsteren Augen maß,
konnte ich nicht erraten. Endlich, als die Blicke meines Nachbars
düsterer und länger als gewöhnlich auf jenem ruhten, fing das Kaninchen
an, die Schultern und Arme graziös hin und her zu drehen, den Rücken
auf künstliche Art auszudehnen und das spitzige Köpfchen nach uns
herüber zu drehen; mit süßem Lächeln fragte er: »Noch immer so
düster, mein lieber Monsieur Zwerner? Etwa gar eifersüchtig auf meine
Wenigkeit?«

An dem zarten Lispeln, an der künstlichen Art, das r wie gr
auszusprechen, glaubte ich in ihm einen jener adeligen Salonmenschen zu
erkennen, die von einer feinen, leisen Sprache Profession machen. Und
so war es, denn mein Nachbar antwortete: »Eifersüchtig, Herr Graf? Auf
_Sie_ in keinem Fall.«

Graf Rebs -- so hörte ich ihn später nennen -- faltete sein Mäulchen
zu einem feinen Lächeln, drückte die Augen halb zu, bog die Spitznase
auf komische Weise seitwärts, strich mit der Hand über sein langes,
knöchernes Kinn und kicherte.

»Das ist schön von Ihnen, lieber Monsieur Zwerner; also gar nicht
eifersüchtig? Und doch habe ich die schöne Rebekka erst gestern abend
noch in ihrer Loge gesprochen. Ha, ha! Sie standen im Parterre und
schauten mit melancholischen Blicken herauf. Darf ich Sie um jenes
Ragout bitten, mein Herr?«

»Ich war allerdings im Theater, habe aber nur vorwärts aufs Theater,
und nicht rückwärts gesehen, am wenigsten mit melancholischen Blicken.«

»Herr Oberkellner,« lispelte der Graf, »Sie haben die Trüffeln gespart.
Aber nein! Monsieur Zwerner, wie man sich täuschen kann! Ich hätte
auf Ehre geglaubt, Sie schauen herauf in die Loge mit melancholischen
Blicken. Auch Rebekka mochte es bemerken und Fräulein von Rothschild,
denn als ich auf Sie hinabwies -- Kellner, ich trinke heute lieber
roten Ingelheimer, ein Fläschchen -- ja, wollte ich sagen -- das ist
mir nun während des Ingelheimers gänzlich entfallen; so geht es, wenn
man soviel zu denken hat.«

Meinem Nachbar mochte das unverzeihlich schlechte Gedächtnis des
Grafen nicht behagen; obgleich er vorhin das Kaninchen ziemlich barsch
abgewiesen hatte, so schien ihm doch dieser Punkt zu interessant, als
daß er nicht weiter geforscht hätte. »Nun, auch Fräulein von Rothschild
hat bemerkt, daß ich melancholisch hinaufsah?« fragte er, indem er
seine bitteren Züge durch eine Zutat von Lächeln zu versüßen suchte;
»freilich, diese hat ein scharfes Gesicht durch die Lorgnette --«

»Richtig, das war es,« erwiderte Rebs, »das war es; ja, als ich auf Sie
hinabwies und Rebekkchen Ihre Leiden anschaulich machte, schlug sie
mich mit ihrem Jokofächer auf die Hand und nannte mich einen Schalk.«

Mein Nachbar wurde wieder finster, seine roten Wangen röteten sich noch
mehr, und die ansehnliche Breite seines Gesichtes erweiterte sich noch
durch wilden Trotz, der in ihm wütete. Er zog den Kopf tief in die
Schultern und blitzte das Kaninchen hin und wieder mit einem grimmigen
Blick an. Er hatte nie so große Aehnlichkeit mit einem angenehmen
Froschjüngling, der an einem warmen Juniabend trauernd auf dem Teichel
sitzt, als in diesem Augenblicke.

Graf Rebs bemerkte dies. Mit angenehmer Herablassung, wobei er das
r noch mehr schnurren ließ als zuvor, sprach er: »Werter Monsieur
Zwerner, Sie dürfen aus dem Schlag mit dem Jokofächer keine argen
Folgerungen ziehen. Es ist nur eine ~Façon de parler~ unter Leuten
von gutem Ton. Wegen meiner dürfen Sie ruhig sein. Zwar solange man
jung ist,« fuhr er fort, indem er den Halskragen höher heraufzog und
schalkhaft daraus hervorsah, wie das Kaninchen aus dem Busch, »zwar
solange man jung ist, macht man sich hie und da ein Späßchen. Aber ein
ganz anderer Gegenstand fesselt mich jetzt, Liebster! Haben Sie schon
die Nichte des englischen Botschafters gesehen, die seit drei Tagen
hier in Frankfurt ist?«

»Nein,« antwortete mein Nachbar, leichter atmend.

»Oh, ein deliziöses Kind! Augenbrauen wie, wie -- wie mein Rock hier,
einen Mund zum Küssen, und in dem schönen Gesicht so etwas Pikantes,
ich möchte sagen, soviel englische Rasse. Nun, wir sind hier unter uns,
ich kann Sie versichern, es ist auffallend, aber wahr, ich sollte es
nicht sagen, es beschämt mich, aber auf Ehre, Sie können sich drauf
verlassen, obgleich es ein ganz komischer Fall ist, übrigens hoffe ich
mich auf Ihre Diskretion verlassen zu können; nein, es ist wirklich
auffallend, in drei Tagen ...«

»Nun, so bitte ich Sie doch um Gottes willen, Herr Graf, was wollen Sie
denn sagen?«

Es war ein eigener Genuß, das Kaninchen in diesem Augenblick anzusehen.
Ein Gedanke schien ihn zu kitzeln, denn er kniff die Aeuglein zu, sein
Kinn verlängerte sich, seine Nase bog sich abwärts nach den Lippen,
und sein Mund war nur noch eine dünne, zarte Linie; dazu arbeitete
er mit dem zierlich gekrümmten Rücken und den Schulterblättern, als
wolle er anfangen zu fliegen, und mit den abgelebten Knöchlein seiner
Finger fuhr er auf dem Tisch umher. Noch einmal mußte der Seufzer ihn
ermuntern, sein Geheimnis preiszugeben, bis er endlich hervorbrachte:
»Sie ist in mich verliebt! Sie staunen; ich kann es Ihnen nicht
übelnehmen, auch mir wollte es anfangs sonderbar bedünken, in so kurzer
Zeit; aber ich habe meine sicheren Kennzeichen, und auch andere haben
es bemerkt.«

»Sie Glücklicher!« rief der Seufzer nicht ohne Ironie. »Wo Sie nur
hintippen, schlagen Ihnen Herzen entgegen; übrigens rate ich, diese
Engländerin ernstlicher zu verfolgen; so bedenken Sie, eine so solide
Partie --«

»Merke schon, merke schon,« entgegnete Rebs mit schlauem Lächeln, »es
ist Ihnen um Rebekka, Sie wollen, ich solle dort gänzlich aus dem
Felde ziehen. Solide Partie! Sie werden doch nicht meinen, daß ich
schon heiraten will? Gott bewahre mich! Aber wegen Rebekkchen dürfen
Sie ruhig sein; ich ziehe mich gänzlich zurück. Und sollte vielleicht
eine vorübergehende Neigung in dem Mädchen -- Sie verstehen mich schon
-- das wird sich bald geben, ich glaube nicht, daß sie mich ernstlich
geliebt hat.«

»Ich glaube auch nicht,« entgegnete der Seufzer mit einem Ton, in
welchem sich bittere Ironie mit Grimm mischte. Die Gesellschaft stand
auf, wir folgten. Graf Rebs tänzelte lächelnd zu den Damen, welchen er
während der Tafel so zärtliche Blicke zugeworfen; ich aber folgte dem
unglücklichen Seufzer.



2.

Trost für Liebende.


»Was war doch dies für ein sonderbarer Herr?« fragte ich meinen
Nachbar, indem ich mich dicht an ihn anschloß. »Findet er wirklich bei
den Damen so sehr Beifall, oder ist er ein wenig verrückt?«

»Ein Geck ist er, ein Narr!« rief der Seufzende, indem er mit dem
Kopf aus den Schultern herausfuhr und die Arme umherwarf. »Ein alter
Junggeselle von fünfundvierzig und spielt noch den ersten Liebhaber.
Eitel, töricht, glaubt, jede Dame, die er aus seinen kleinen Aeuglein
anblinzelt, sei in ihn verliebt, drängt sich überall an und ein --«

»Nun, da spielt dieser Graf Rebs eine lächerliche Rolle in der
Gesellschaft, da wird er wohl überall verhöhnt und abgewiesen?«

»Ja, wenn die Damen dächten wie Sie, wertgeschätzter Herr! aber so
lächerlich dieser Gnome ist, so töricht er sich überall gebärdet, so --
o Rebekka! der Teufel hat die Weiberherzen gemacht.«

»Ei, ei!« sagte ich, indem ich schnell Nr. 45 aufschloß und den
Verzweifelnden hineinschob, »ei! lieber Herr Zwerner, wer wird so arge
Beschuldigungen ausstoßen? Und auf Fräulein Rebekka -- setzen Sie sich
doch gefälligst aufs Sofa -- auf das Fräulein sollte er auch Eindruck
gemacht haben, dieser Gliedermann?«

»Ach, nicht er, nicht er. Sie sieht, daß er lächerlich ist und
geckenhaft, und doch kokettiert sie mit ihm. Nicht mit ihm, sondern mit
seinem Titel. Es schmeichelt ihr, einen Grafen in ihrer Loge zu sehen
oder auf der Promenade von ihm begrüßt zu werden, vielleicht wenn sie
eine Christin wäre, hätte sie einen solideren Geschmack.«

»Wie, das Fräulein ist eine Jüdin?«

»Ja, es ist ein Judenfräulein. Ihr Vater ist der reiche Simon in der
neuen Judenstraße. Das große gelbe Haus neben dem Herrn von Rothschild,
und eine Million hat er, das ist ausgemacht.«

»Sie haben einen soliden Geschmack. Und wie ich aus dem Gespräch des
Grafen bemerkt habe, können Sie sich einige Hoffnung machen?«

»Ja,« erwiderte er ärgerlich, »wenn nicht der Satan das Papierwesen
erfunden hätte. So stehe ich immer zwischen Türe und Angel. Glaube
ich heute einen festen Preis, ein sicheres Vermögen zu haben, um vor
Herrn Simon treten und sagen zu können: ›Herr! wir wollen ein kleines
Geschäft machen miteinander, ich bin das Haus Zwerner und Komp. aus
Dessau, stehe so und so, wollen Sie mir Ihre Tochter geben?‹ Glaube
ich nun, so sprechen zu können, so läßt auf einmal der Teufel die
Metalliques um zwei, drei Prozent steigen, ich verliere, und meinem
Schwiegerpapa, der daran gewinnt, steigt der Kamm um soviele Prozente
höher, und an eine Verbindung ist dann nicht mehr zu denken.«

»Aber kann denn nicht der Fall eintreten, daß Sie gewinnen?«

»Ja, und dann bin ich so schlecht beraten wie zuvor. Herr Simon ist
von der Gegenpartei. Gewinne ich nun durch das Sinken dieser oder
jener Papiere, so verliert er ebensoviel, und dann ist nichts mit
ihm anzufangen, denn er ist ein ausgemachter Narr und reif für das
Tollhaus, wenn er verliert. Ach, und aus Rebekkchen, so gut sie sonst
ist, guckt auf allen Seiten der jüdische Geldteufel heraus.«

»Wie? sollte es möglich sein, eine junge Dame sollte so sehr nach Geld
sehen?«

»Da kennen Sie die Mädchen, wie sie heutzutage sind, schlecht,«
erwiderte er seufzend. »Titel oder Geld, Geld oder Titel, das ist es,
was sie wollen. Können sie sich durch einen Leutnant zur gnädigen Frau
machen lassen, so ist er ihnen eben recht, hat ein Mann wie ich Geld,
so wiegt dies den Adel zur Not auf, weil derselbe gewöhnlich keines
hat.«

»Nun, ich denke aber, das Haus Zwerner und Komp. in Dessau _hat_ Geld,
woher also Ihr Zweifel an der Liebe des Fräuleins?«

»Ja, ja!« sagte er etwas freundlicher, »wir haben Geld, und soviel,
um immer mit Anstand um eine Tochter des Herrn Simon zu freien, aber
Sie kennen die Frankfurter Mädchen nicht, werter Herr! Ist von einem
angenehmen, liebenswürdigen jungen Mann die Rede, so fragen sie: wie
steht er? Steht er nun nicht nach allen Börsenregeln solid, so ist er
in ihren Augen ein Subjekt, an das man nicht denken muß.«

»Und Rebekka denkt auch so?«

»Wie soll sie andere Empfindungen kennen lernen in der neuen
Judenstraße? Ach! ihre Neigung zu mir wechselt nach dem Kurs der
Börsenhalle! Man weiß hier, daß ich mich verführen ließ, viele
Metalliques und preußische Staatsschuldscheine zu kaufen. Mein
Interesse geht mit dem der hohen Mächte und mit dem Wohl Griechenlands
Hand in Hand. Verliert die Pforte, so gewinne ich und werde ein
reicher Mann. Gewinnt der Großtürke und sein Reis-Efendi, so bin ich
um zwanzigtausend Kaisergulden ärmer und nicht mehr würdig, um sie zu
freien. Das weiß nun das liebenswürdige Geschöpf gar wohl, und ihr Herz
ist geteilt zwischen mir und dem Vater. Bald möchte sie gerne, daß die
Pforte das Ultimatum annehme, um mein Glück zu fördern. Bald denkt
sie wieder, wieviel ihr Vater durch diese Spekulation des Herrn von
Metternich verlieren könnte, und wünscht dem Efendi soviel Verstand als
möglich. Ich Unglücklicher!«

»Aber, lieben Sie denn wirklich dieses edle Geschöpf?« fragte ich.

Tränen traten ihm in die Augen, ein tiefer Seufzer stahl sich aus
seiner Brust. »Wie sollte ich sie nicht lieben?« antwortete er.
»Bedenken Sie, fünfzigtausend Taler Mitgift, und nach des Vaters Tod
eine halbe Million, und wenn Gott den Israelchen zu sich nimmt, eine
ganze. Und dabei ist sie vernünftig und liebenswürdig, hat so was
Feines, Zartes, Orientalisches; ein schwarzes Auge voll Glut, eine kühn
geschwungene Nase, frische Lippen, der Teint, wie ich ihn liebe, etwas
dunkel und dennoch rötlich. Ha! und eine Figur! Herr! Wie sollte man
ein solches Geschöpf nicht lieben?«

»Und haben Sie keinen Rival als den Gnomen, den Grafen Rebs?«

»O, einige Judenjünglinge, bedeutende Häuser, buhlen um sie, aber ihr
Sinn steht nach einem soliden Christen. Sie weiß, daß bei uns alles
nobler und freier geht als bei ihrem Volk, und schämt sich, in guter
Gesellschaft für eine Jüdin zu gelten. Daher hat sie sich auch den
Frankfurter Dialekt ganz abgewöhnt und spricht Preußisch. Sie sollten
hören, wie schön es klingt, wenn sie sagt, ›Ißßt es möchlich?‹ oder:
›es jinge wohl, aber es jeht nich.‹«

Der Seufzer gefiel mir. Es ist ein eigenes, sonderbares Volk, diese
jungen Herren vom Handelsstand. Sie bilden sich hinter ihrem Ladentisch
eine eigene Welt von Ideen, die sie aus den trefflichsten Romanen der
Leihbibliotheken sammeln. Sie sehen die Menschen, die Gesellschaft
nie, es sei denn, wenn sie abends durch die Promenade gehen, oder
Sonntags, gekleidet wie Herren ~comme il faut~, auf Kirchweihen oder
sonstigen Bällen sich amüsieren. Reisen sie hernach, so dreht sich
ihr Ideengang um ihre Musterkarte und die schöne Wirtin der nächsten
Station, welche ihnen von einem Kameraden und Vorgänger empfohlen ist,
oder um die Kellnerin des letzten Nachtlagers, die, wie sie glauben,
noch lange um den schönen, wohlgewachsenen jungen Mann weinen wird. Sie
haben irgendwo gelesen oder gehört, daß der Handelsstand gegenwärtig
viel zu bedeuten habe; darum sprechen sie mit Ehrfurcht von sich und
ihrem Wesen, und nie habe ich gefunden, daß einer von sich sagte:
»Kaufmann oder Bänderkrämer«, sondern: »Ich reise in Geschäften des
Hauses Bäuerlein oder Zwierlein,« und fragt man, in welchen Artikeln,
so kann man unter zehn auf neun rechnen, sie ganz bescheiden antworten
zu hören: »Knöpfe, Haften und Haken, Tabak, Schnupf- und Rauch- und
dergleichen bedeutende Artikel.« Haben sie nun gar im Städtchen ihrer
Heimat ein Schätzchen zurückgelassen, so darf man darauf rechnen,
sie werden, wenn von Liebe die Rede ist, ihre sehr interessante
Geschichte erzählen, wie sie Fräulein Jettchen beim Mondschein kennen
gelernt haben, sie werden die Brieftasche öffnen, unter hundert
Empfehlungsbriefen, Annoncen von Gasthöfen etc. ein Seidenpapier
hervorziehen, das ein Pröbchen Haar von der Stirne der Geliebten
enthält.

Glückliche Nomaden! Ihr allein seid noch heutzutage die fahrenden
Ritter der Christenheit. Und wenn es euch auch nicht zukommt, mit
eingelegter Lanze ~à la~ Don Quichotte eurer Jungfrauen Schönheit
zu verteidigen, so richtet ihr doch in jeder Kneipe nicht weniger
Verwüstung an wie jener mannhafte Ritter und seid überdies meist euer
eigener Sancho Pansa an der Tafel.

Eine solche liebenswürdige Erziehung aus Kontorspekulationen, Romanen,
Mondscheinliebe und Handelsreisen zusammengesetzt, schien nun auch mein
Nachbar Seufzer genossen zu haben. Nur etwas fehlte ihm, er war zu
ehrlich. Wie leicht wäre es für einen Mann von Zweimalhunderttausend
gewesen, Kuriere nicht von _Höchst_ oder von _Langen_, sondern von
Wien, sogar mit _authentischen_ Nachrichten kommen zu lassen, um seinem
Glücke aufzuhelfen. Ist denn auf der Erde nicht alles um Geld feil? Und
wenn Rothschild mit Geld etwas machen kann, warum sollte es ein anderer
nicht auch können, wenn sein Geld ebenso gut ist als das des großen
Makkabäers?

Zwar _ein_ solcher Sperling macht keinen Sommer. _Eine_ solche
Handelsseele mehr oder weniger mein kann mir nicht nützen. Doch die
Nüancen ergötzen mich, jenes bunte Farbenspiel, bis ein solcher Hecht
ins Netz geht, und darum beschloß ich, ihm zu nützen, ihn zu fangen.

»Ich bin,« sagte ich zu ihm, »ich bin selbst einigermaßen
Papierspekulant, daher werden Sie mir vergeben, wenn ich Ihre bisherige
Verfahrungsart etwas sonderbar finde.«

»Wie meinen Sie das?« fragte er verwundert. »Als ich in Dessau war,
ließ ich mir nicht jeden Posttag den Kurszettel schicken? Und hier,
gehe ich nicht jeden Tag in die Börsenhalle? Gehe ich nicht jeden Tag
in die neue Judenstraße, um das Neueste zu erfragen?«

»Das ist es nicht, was ich meine. Ein Genie wie Sie, Herr Zwerner (er
verbeugte sich lächelnd), das heißt, ein Mann mit diesen Mitteln, der
etwas wagen will, muß _selbst_ eingreifen in den Lauf der Zeiten.«

»Aber mein Gott,« rief er verwunderungsvoll, »das kann ja jetzt niemand
als der Rothschild, der Reis-Efendi und der Herr von Metternich. Wie
meinen Sie denn?«

»Ueber Ihr Glück, Sie geben es selbst zu, kann ein einziger Tag, eine
einzige Stunde entscheiden. Zum Beispiel, wenn die Pforte das Ultimatum
verwirft, die Nachricht schnell hierher kommt, kann eine Krisis sich
bilden, die Sie stürzt. Ebenso im Gegenteil, können Sie durch eine
solche Nachricht sehr gewinnen, weil dann Ihre Papiere steigen.«

»Gewiß, gewiß,« seufzte er. »Aber ich sehe nur noch nicht recht ein --«

»Nur Geduld. Wer gibt nun diese Nachricht, wer bekommt sie? Das
Ministerium in Wien oder ein guter Freund, der sehr nahe hingehorcht
und dem _großen Portier_ ein Stück Geld in die Hand gedrückt hat, läßt
noch in der Nacht einen Kurier aufsitzen. Der reitet und fährt und
fliegt nach Frankfurt, und bringt die Depesche, wem?«

»Ach, dem Glücklichsten, dem Vornehmsten!«

»Nein, dem, der am besten zahlt. Einen solchen Kurier kann ich Ihnen
um Geld auch verschaffen, ich habe Konnexionen in Wien. Man kann dort
mancherlei erfahren, ohne gerade der österreichische Beobachter zu
sein. Kurz, wir lassen einen Brief mit der Nachricht einer wichtigen
Krisis, eines bedeutenden Vorfalls kommen --«

»Etwa, der Sultan habe einen Schlag bekommen, oder der Kaiser von
Rußland sei plötzlich --«

»Nichts davon, das ist zu wahrscheinlich, als daß es die Leute glauben!
Unwahrscheinliches, Ueberraschendes muß auf der Börse wirken!« --

»Also etwa, der Fürst von M. sei ein Türke geworden? habe dem Islam
geschworen?«

»Ich sage Ihnen, nichts Wahrscheinliches. Nein, geradezu, die Pforte
habe das Ultimatum angenommen. Bekommen Sie nun diese Nachricht
mit allem möglichen geheimnisvollen Wesen, lassen Sie den Kurier
sogleich ein paar Stationen weiterreisen, lassen Sie den Brief einige
Geheimniskrämer lesen, gehen kurze Zeit darauf in die Börsenhalle,
so kann es nicht fehlen, Sie sind ein wichtiger Mann und setzen Ihre
Papiere mit Gewinn ab.«

»Aber, lieber Herr,« erwiderte der Kaufmann von Dessau kläglich, »das
wäre ja denn doch erlogen, wie man zu sagen pflegt, eine Sünde für
einen rechtlichen Mann, bedenken Sie, ein Kaufmann muß im Geruch von
Ehrlichkeit stehen, will er Kredit haben.«

»Ehrlichkeit, Possen! Geld, Geld, das ist es, wonach er riechen muß,
und nicht nach Ehrlichkeit. Und was nennen Sie am Ende Ehrlichkeit? Ob
Sie Ihre Kunden bei einem Pfund Kaffee betrügen, ob Sie einem alten
Weibe ihr Lot Schnupftabak zu leicht wiegen, oder ob Sie dasselbe
Experiment im großen vornehmen, das ist am Ende dasselbe.«

»Ei, verzeihen Sie, da muß ich denn doch bitten; an der Prise, die das
Weib zu wenig bekommt, stirbt sie nicht, wie man zu sagen pflegt; aber
wenn ich einen solchen Kurier kommen lasse, so kann er durch seine
falsche Nachricht ein Nachrichter der ganzen Börse werden; viele Häuser
können fallieren, andere wanken und im Kredit verlieren, und das wäre
dann meine Schuld!«

»So, mein Herr?« sagte ich mit mitleidigem Lächeln zu der schwachen
Seele. »So, Sie schämen sich nicht, die Moral, das Herrlichste, was man
auf Erden hat, so zu verhunzen? Also wegen der Folgen wollen Sie nicht?
Nicht vor dem Beginnen an sich, als einem unmoralischen, beben Sie
zurück? Wer den Anfang einer Tat nicht scheut, darf auch ihr Ende nicht
scheuen, ohne für eine kleine Seele zu gelten. Oder glauben Sie, eine
Rebekka könne man dadurch verdienen, daß man im weißen Schwanen wohnt
und seufzt, daß man zur Tafel geht und mit dem Kaninchen, dem Grafen
Rebs, grollt?«

»Aber, mein Herr,« rief der Seufzer etwas pikiert, »ich weiß gar nicht,
was Sie mir, als einem ganz Fremden, für eine Teilnahme erzeigen; ich
weiß gar nicht, wie ich das nehmen soll?«

»Mein Herr, das haben Sie sich selbst zuzuschreiben; Sie haben mir Ihre
Lage entdeckt und mich gleichsam um Rat gefragt, daher meine Antwort.
Uebrigens bin ich ein Mann, der reist, um überall das Treffliche und
Erhabene kennen zu lernen. In Ihnen glaubte ich gleich auf den ersten
Anblick solches gefunden zu haben.«

»Bitte recht sehr, eine so ganz gewöhnliche Physiognomie wie die
meine --«

»Das können Sie nicht so beurteilen wie ein anderer; auf Ihrer Stirne
thront etwas Freies, Mutiges, um Ihren Mund weht ein anziehender
Geist --«

»Finden Sie das wirklich?« rief er, indem er lächelnd meine Hand
faßte und verstohlen nach dem Spiegel blickte; »es ist wahr, man hat
mir schon dergleichen gesagt, und in Stuttgart hat man mir sogar
versichert, ich sei dem berühmten Dannecker auf der Straße aufgefallen,
und er sei eigens deswegen einigemal in den König von England gekommen,
um von mir etwas für seinen Johannes abzusehen.«

»Nun sehen Sie, wie muß es nun einen Mann, wie ich bin, überraschen,
so wenig Mut, so wenig Entschluß hinter dieser freien Stirne, diesem
mutigen Auge zu finden!«

»Ach, Sie nehmen es auch zu strenge; ich habe ja Ihren Vorschlag
durchaus nicht verworfen, nur einiges Bedenken, einige kleine Zweifel
stiegen in mir auf, und -- nun, Sie haben wahrlich nicht unrecht, ich
fühle einen gewissen Mut, eine gewisse Freiheit in mir, es ist ein
gewisses Etwas, ja -- so gut es ein anderer tun kann, will ich es auch
versuchen. Es sei, wie Sie sagten, ich will es daran rücken und einen
Kurier kommen lassen; wir wollen die Metalliques steigern!«



3.

Ein Schabbes in Bornheim.


Der einzige Zweifel, der den seufzenden Dessauer noch quälte, war die
Furcht, den Vater seiner Geliebten in bedeutenden Verlust zu stürzen,
wenn er seine Operation nach meinem Plane einrichte. Doch auch dafür
wußte ich ein gutes, sehr einfaches Mittel. Er mußte den Herrn Simon
in der neuen Judenstraße auf seine Seite bringen, mußte ihm bedeutende
Winke von der nahenden Krisis geben; entweder nahm dann der Jude an dem
ganzen Unternehmen unbewußt teil und gewann zugleich mit dem Dessauer,
oder er war wenigstens gewarnt und mußte einige Achtung vor einem Mann
bekommen, der so genau die politischen Wendungen zu berechnen wußte,
der seine Kombinationen so geschickt zu machen verstand.

Dem Kaufmann leuchtete dies ein. Er kam von selbst auf den Gedanken,
noch an diesem Tage mit dem alten Simon zu sprechen, und lud mich ein,
mit ihm nach _Bornheim_ zu fahren, wo der Schabbes heute die noble Welt
des alten Judenquartiers, der neuen Judenstraße, überhaupt alle Stämme
Israels versammelt habe.

Wir fuhren hinaus; der Seufzer schien ein ganz anderer Mensch geworden
zu sein. Sein trübseliges Gesicht leuchtete freundlich vom Glanze der
Hoffnung, sein Auge hob sich freier; um seine Stirne, seinen Mund war
jede Melancholie verschwunden, sein großer runder Kopf steht nicht mehr
zwischen den Schultern, er trägt ihn freier, erhabener, als wollte er
sagen: »Seht, ihr Frankfurter und Bornheimer, ich bin es, das Haus
Zwerner und Komp. aus Dessau, nächstens eine bedeutende Person an der
Börse, und wenn es gut geht, Bräutigam der schönen Rebekka Simon in der
neuen Judenstraße!«

Aus dem Garten des goldenen Löwen in Bornheim tönten uns die zitternden
Klänge von Harfen und Gitarren und das Geigen verstimmter Violinen
entgegen; das Volk Gottes ließ sich vormusizieren im Freien wie einst
ihr König Saul, wenn er übler Laune war. Wir traten ein; da saßen sie,
die Söhne und Töchter Abrahams, Isaaks und Jakobs, mit funkelnden
Augen, kühn gebogenen Nasen, fein geschnittenen Gesichtern, wie aus
_einer_ Form geprägt, da saßen sie vergnügt und fröhlich plaudernd
und tranken Champagner aus saurem Wein, Zucker und Mineralwasser
zubereitet, da saßen sie in malerischen Gruppen unter den Bäumen, und
der Garten war anzuschauen, als wäre er das gelobte Land Kanaan, das
der Prophet vom Berge gesehen und seinem Volk verheißen hatte. Wie sich
doch die Zeiten ändern durch die Aufklärung und das Geld!

Es waren dies dieselben Menschen, die noch vor dreißig Jahren keinen
Fuß auf den breiten Weg der Promenade setzen durften, sondern
bescheiden den Nebenweg gingen; dieselben, die den Hut abziehen mußten,
wenn man ihnen zurief: »Jude, sei artig, mach' dein Kompliment!«
dieselben, die von dem Bürgermeister und dem hohen Rat der freien Stadt
Frankfurt jede Nacht eingepfercht wurden in ihr schmutziges Quartier.
Und wie so ganz anders waren sie jetzt anzuschauen. Ueberladen mit Putz
und köstlichen Steinen saßen die Frauen und Judenfräulein; die Männer,
konnten sie auch nicht die spitzigen Ellbogen und die vorgebogenen
Kniee ihres Volkes verleugnen, suchten sie auch umsonst den ruhigen,
soliden Anstand eines Kaufherrn von der Zeile oder der Million zu
kopieren, die Männer hatten sich sonntäglich und schön angetan, ließen
schwere goldne Ketten über die Brust und den Magen herabhängen,
streckten alle zehn Finger, mit blitzenden Solitärs besteckt, von
sich, als wollten sie zu verstehen geben: »Ist das nicht was ganz
Solides? Sind wir nicht das auserwählte Volk? Wer hat denn alles Geld,
gemünzt und in Barren, als wir? Wem ist Gott und Welt, Kaiser und König
schuldig, wem anders als uns?«

»Dort sitzt sie, die Taube von Juda, dort sitzt sie, die Gazelle des
Morgens,« rief der Seufzer in poetischer Ekstase und zerrte mich am
Arme; »schauen Sie dort, unter dem Zelt von hölzernem Gitterwerk. Der
mit dem runden Leib, der langen Nase und den grauen Löckchen am Ohr
ist der Vater, Herr Simon aus der neuen Judenstraße, die dicke Frau
rechts mit den schwarzseidenen Locken und dem rotbraunen Gesicht ist
die Tante; eine fatale Verwandtschaft, aber man weiß sich in Zukunft zu
separieren nach und nach.«

»Aber wo ist denn die Gazelle, die Taube? ich sehe sie noch nicht --«

»Geduld! Noch bedeckt die neidische Wolke, die Tante, das Gestirn des
Aufgangs; fassen wir ein Herz, treten wir näher. Doch eben fällt mir
bei, ich muß Sie vorstellen; wie nenne ich Sie, mein lieber Freund und
Ratgeber?«

»Ich bin der k. k. Legationsrat Schmälzchen aus Wien,« gab ich ihm zur
Antwort, »reise in Geschäften meines Hofes nach Mainz.«

»Ah,« rief er, nachdem er schon bei dem kaiserlich königlich an den Hut
gegriffen hatte, »Le--Legationsrat, wirklicher, und nicht bloß Titular
ums liebe Geld? Das freut mich, Dero werte Bekanntschaft zu machen.
Hätte es mir gleich vorstellen können, Sie haben einen gar tiefen
Blick in die Staatsaffairen. Wahrhaftig, hätte es Ihnen gleich ansehen
können; haben so etwas Diplomatisches, Kabinettmäßiges in Dero Visage.«

»Bitte, bitte, keine Komplimente. Gehen wir zum Juden, ich hoffe, Ihnen
nützlich sein zu können.«

Wir traten zu dem Zelt aus hölzernem Gitterwerk. Mein Begleiter
errötete tiefer, je näher er trat; seine Wangen liefen vom Hellroten
ins Dunkelrote, von da ins bläulich Schattierte an, und als wir vor
dem Herrn Simon standen, war er anzusehen wie eine schöne dunkelrote
Herzkirsche. Die Tante, »das neidische Gewölk,« erhob sich, und nun
ward auch das Gestirn des Morgens sichtbar. Das Schickselchen, die
Kalle, ich meine Rebekka, des Juden Tochter, war nicht übel. -- Sie
hatte, um mich wie Graf Rebs auszudrücken, viel Rasse, und ihre Augen
konnten den Seufzer wohl bis aufs Herz durchbrennen, obgleich er zur
Vorsicht und aus Eleganz drei Westen angetan hatte.

Nachdem mich mein Freund, der als solides Haus aus Dessau bei der
Familie wohl gelitten schien, vorgestellt hatte, machte er sich an die
Taube von Juda und überließ es mir, den alten Simon zu unterhalten.
Mein Titel schien ihm einigen Respekt eingeflößt zu haben. »Haben
da ein schönes Fach erwählt, Herr von Schmelzlein,« bemerkte er
wohlgefällig lächelnd; »habe immer eine Inklination für die Diplomatik
gehabt, aber die Verhältnisse wollten es nicht, daß ich ein Gesandter
oder dergleichen wurde. Man weiß da gleich alles aus der ersten Hand!
Man kann viel komplizieren und dergleichen; was ließen sich da für
Geschäfte machen!«

»Sie haben recht, mein Herr! Man lernt da die verwickeltsten
Verhältnisse kennen. Allein aber schauen's, das Ding hat auch seinen
Haken. Man weiß oft eigentlich zu viel, es geht einem wie ein Rad im
Kopf umher.«

Der Jude rückte näher. Mit einem Wiener Diplomaten, mochte er denken,
nehme ich es auch noch auf. »Zeviel?« sagte er. »Ich für meinen
Teil kann nie zeviel wissen. Was die Papiere betrifft, da kann ein
Fingerzeig, ein halber, ein Viertelsgedanke oft mehr tun als eine
lange Rede im Frankfurter Museum. Nu, _Sie_ stehen solide in Wien. Ihr
Staat ist ein gemachtes Haus trotz einem; was der Herr von M. auf dem
Flageolett vorpfeift, das singen die Staren nach.«

»Die Staren vielleicht, aber nicht die Zaren!«

»Gut, ~très bien bon~! Gut gegeben, hi! hi! hi! ~à propos~, wissen Sie
Neues aus daher?« Er rückte mir noch näher und wurde verfänglicher.

»Herr Simon,« sagte ich mit Artigkeit ausweichend, »Sie wissen, es gibt
Fälle --«

»Wie!« rief er erschrocken, »Gotts Wunder! Neue Fallissements, waas!
Ist nicht die Krisis vom letzten Winter schon ein Strafgericht des
Herrn gewesen? Waas?«

»Um Jottes willen, Papa!« schrie Rebekka, indem sie den Arm des
zärtlichen Seufzers zurückstieß und aufsprang. »Doch kein Unglück? Mein
Jott! Doch nicht hier in Frankfort?«

»Beruhigen Sie sich doch, gnädiges Fräulein, ich sprach mit Ihrem Herrn
Papa über Politik und rechnete einige Fälle auf, und er hat mich holter
nicht recht verstanden.«

Sie preßte mit einem zärtlichen, hinsterbenden Blick auf den
erschrockenen Dessauer ihre Hand auf das Herz und atmete tief.

»Nee! Was ich erschrocken bin jeworden, da machen Sie sich keenen
Bejriff von!« lispelte sie. »Mein Herz pocht schrecklich! Na, erzählen
Sie man weiter; was sachte der Graf? Sie hätten ins Parterre jestanden
und wären melancholisch jewesen?«

Das Geflüster der Liebenden wurde leiser und leiser; die Blicke des
Seufzers wurden feuriger, er zog, als »das Gewölke« ein wenig im Garten
auf und ab ging, die niedliche Hand der Jüdin an die Lippen und gestand
ihr, wenn ich anders recht gehört hatte, daß nächstens die Metalliques
und die ... um drei Prozent steigen werden.

»Herr von Schmelzlein!« sagte der Alte, nachdem er einigen koscheren
Wein zu sich genommen hatte, »Sie haben mir da einen Schreck in den
Leib gejagt, den ich nie vergesse. Fallen, Fälle, wie kann man auch nur
dies Wort in Gesellschaft aussprechen! Nun, Sie wollten sagen?«

»Es gibt Affairen,« fuhr ich fort, »wo der Diplomat schweigen muß.
Ueber das Nähere meiner Sendung z. B. werden Sie selbst mich nicht
befragen wollen; nur soviel kann ich Ihnen, aber, mein Herr Simon, im
engsten Vertrauen --«

»Der Gott meiner Väter tue mir dies und das!« rief er feierlich. »So
ich nur meinem Nachbar oder seinem Weib oder seinem Sohn oder seiner
Tochter das geringste --«

»Schon gut! Ich traue auf Ihre Diskretion; kurz, soviel kann ich Ihnen
sagen, daß nächstens eine bedeutende Krisis eintreten wird; _ganz_ zu
allernächst. _Für_ oder _gegen_ wen, darf ich nicht sagen; doch Herr
von Zwerner --«

»_Von_ Zwerner?«

»Nun, ich nenne ihn so, man weiß ja nicht, was geschieht; an ihn war
ich besonders empfohlen vom Fürsten, und ich glaube, wenn ich anders
richtig schließe, er muß in den nächsten Tagen Kuriere aus Wien
bekommen.«

»Der Zwerner? Ei, ei! Wer hätte das gedacht! Zwar, ich sagte immer,
hinter _dem_ steckt etwas; geht so tiefsinnig, kalkulierend umher, hat
wahrscheinlich nicht umsonst so unsinnig viele Metalliques gekauft; ei,
sehe doch einer! Hält sich Kuriere mit Wien! Und, wenn man fragen darf,
es handelt sich wohl um das Ultimatum mit der Pforte?«

»Ja.«

»Ei, darf man fragen? Wie ist es ausgefallen? Hat er eingewilligt, der
Efendi? Hat er?«

»Mein Herr Simon, ich bitte --«

»O, ich verstehe, ich verstehe, Sie wollen es nicht sagen, aus Politik,
aus Politik, aber er hat, er hat?«

»Trauen Sie auf nichts, ich _warne_ Sie, auf keine Nachricht trauen
Sie, als auf authentische. Der Herr dort weiß vielleicht mancherlei und
hat nicht das drückende Stillschweigen eines Diplomaten zu beobachten.«

»Ei, hätte ich das in meinem Leben gedacht, Kuriere von Wien, und der
Zwerner aus Dessau; zwar, er ist ein solides Haus, das ist keine Frage,
aber denn doch nicht so außerordentlich. Ob sich wohl was mit ihm
machen ließe?« setzte er tiefer nachsinnend hinzu, indem er seine Nase
herunter gegen den Mund bog und das lange Kinn aufwärts drückte, daß
sich diese beiden reichen Glieder begegneten und küßten. Dies war der
Moment, wo er anbeißen mußte, denn er nagte schon am Köder. Ich gab dem
Seufzer aus Dessau einen Wink, sich dem Papa zu nähern, und nahm seinen
Platz bei der Gazelle des Morgenlandes ein.



4.

Das gebildete Judenfräulein.


Wie war sie graziös, das heißt geziert, wie war sie artig, nämlich
kokett, wie war sie naiv, andere hätten es lüstern genannt.

»Ich liebe die Tiplomattiker,« sagte sie unter anderem mit feinem
Lächeln und vielsagendem Blick. »Es is so etwas Feines, Jewandtes in
ihren Manieren. Man sieht ihnen den Mann von jutem Jeschmack schon von
ferne an, und wie angenehm riechen sie nach ~Eau de Portugal~!«

»O gewiß, auch nach ~Fleur d'orange~ und dergleichen. Wie nehmen sich
denn die hiesigen Diplomaten? Kommen sie viel unter die Leute?«

»Nun, sehen Sie, wie das nun jeht, die älteren Herren haben sechs bis
sieben Monate Ferien und reisen umher. Die jüngeren aber, die indessen
hier bleiben und die Geschäfte treiben, sie müssen Pässe visieren, sie
müssen Zeitungen lesen, ob nichts Verfängliches drein is, sie müssen
das Papier ordentlich zusammenlegen für die Sitzungen. Nun, was nun
solche junge Herren Tiblomen sind, das sein ganz scharmante Leute,
wohnen in die ~Chambres garnies~, essen an die ~Tables d'hôte~, jehen
auf die Promenade schön ausstaffiert ~comme il faut~, haben zwar
jewöhnlich kein Jeld nich, aber desto mehr Ansehen.«

»Da haben Sie einen herrlichen Schal umgelegt, mein Fräulein, ist er
wohl echt?«

»Ah, jehen Sie doch! Meinen Sie, ich werde etwas anderes anziehen,
als was nicht janz echt ist? Der Schal hat mir gekostet achthundert
Gulden, die ich in die Rothschildschen Los gewunnen. Und sehen Sie,
dieses Kollier hier kostet sechzehnhundert Gulden, und dieser Ring
zweitausend. Ja, man jeht sehr echt in Frankfort, das heißt, Leute von
den jutem Ton wie unsereine.«

»Ach, was haben Sie doch für eine schöne, gebildete Sprache, mein
Fräulein! Wurden Sie etwa in Berlin erzogen?«

»Finden Sie das ooch?« erwiderte sie anmutig lächelnd. »Ja, man hat mir
schon oft das Kompliment vorjemacht. Nee, in Berlin drein war ich nie,
ich bin hier erzogen worden; aber es macht, ich lese viel und bilde auf
die Art meinen Jeist und mein Orkan aus.«

»Was lesen Sie? wenn man fragen darf.«

»Nu, ~Bellettres~, Bücher von die schöne Jeister. Ich bin abbonniert
bei Herrn Döring in der Sandjasse, nächst der weißen Schlange, und der
verproviantiert mich mit Almanachs und Romancher.«

»Lesen Sie Goethe, Schiller, Tieck und dergleichen?«

»Nee, das tu' ich nicht. Diese Herren machen schlechte Jeschäfte
in Frankfort. Es will sie keen Mensch, sie sind zu studiert, nich
natürlich jenug. Nee, den Jöthe lese ich nie wieder! Das is was
Langweiliges. Und seine Wahlverwandtschaften! Ich werde rot, wenn ich
nur daran denke. Wissen Sie, die Szene in der Nacht, wo der Baron zu
die Baronin -- ach, man kann's jar nicht sagen, und jedes stellt sich
vor --«

»Ich erinnere mich, ich erinnere mich. Aber es liegt gerade in diesen
Gedanken eine erstaunliche Tiefe -- ein Chaos von Möglichkeiten --«

»Nu, kurz, den mag ich nich; aber wer mein Liebling ist, das is der
Clauren. Nee, dieses Leben, diese Farben, dieses Studium des Herzens
und namentlich des weiblichen Jemüts, ach, es is etwas Herrliches. Und
dabei so natürlich! Wenn mir die andern alle vorkommen wie schwere
vierhändige Sonaten mit tiefen Baßpartien, mit zierlichen Solos, mit
Trillern, die kein Mensch nicht verstehen und spielen kann, so wie der
Mozart, der Haydn, so kommt mir der Clauren akkerat so vor wie ein
anjenehmer Walzer, wie ein Hopswalzer oder Galopp. Ach, das Tanzen
kommt einem in die Beene, wenn man ihn liest. Es ist etwas Herrliches!«

»Fahren Sie fort, wie gerne höre ich Ihnen zu. Auch ich liebe diesen
Schriftsteller über alles. Diese anderen, besonders ein Schiller,
wie wenig hat er für das Vergnügen der Menschheit getan. Man sollte
meinen, er wolle moralische Vorlesungen halten. Er ist, um mich eines
anderen Gleichnisses zu bedienen, schwerer, dicker Burgunder, der
mehr melancholisch als heiter macht. Aber dieser Clauren! er kommt
mir vor wie Champagner, und zwar wie unechter, den man aus Birnen
zubereitet. Der echte verdunstet gleich, aber dieser unechte, setzt er
auch im Grunde viele Hefen an, so ›brüsselt‹ er doch mit allerliebsten
tanzenden Bläschen auf und ab eine Stunde lang, er berauscht, er macht
die Sinne rege, er ist der wahre Lebenswein.«

»O sehen Sie, da kann ich Ihnen ja gleich unseren Clauren vormachen
mit Bornheimer Champagner. Man nimmt fremden Wein, so etwa die Hälfte,
jießt Mineralwasser dazu, und nun jeben Sie acht. Ich werfe Zucker in
das Janze, und unser Clauren ist fertig. Sehen Sie, wie es siedet,
wie es sprudelt und brüsselt, wie anjenehm schmeckt es nich, und ist
ein wohlfeiles Jetränke. Nee, ich muß sagen, er ist mein Liebling.
Und das angenehmste is das, man kann ihn so lesen, ohne viel dabei zu
denken, man erlebt es eigentlich, es is, meine ich, mehr der Körper,
der ins Buch schaut, als der Jeist. Und wie anjenehm läßt es sich dabei
einschlafen!«

»Ich glaube gar, ihr seid in einem gelehrten Gespräch begriffen,« rief
lachend der alte Jude, indem er, den Dessauer an der Hand, zu uns trat.
»Nicht wahr, Herr Legationsrat, ich habe da ein gelehrtes Ding zur
Tochter? Sie spricht auch wie ein Buch und liest den ganzen Tag.«

»Nun, und Sie, Papa, und Herr Zwerner, haben wohl tiefe
Handelsjeheimnisse abjemacht? Darf man auch davon hören? Wie werden sie
in der nächsten Woche stehen, die Metalliques? Recht hoch? Hab' ich es
erraten?«

»Stille, Kind, stille! Kein Wort davon! Muß alles geheim gehalten
werden! Muß _einen_ großen Schlag geben. Ist ein Goldmännchen, der Herr
von Zwerner. Setzen Sie sich zu ihr hin und klären ihr alles auf. Sie
ist auf diesem Punkt ein verständiges Kind und weiß zu rechnen, die
Rebekkchen.«

Was schlich denn jetzt durch das Gras? Was hüpfte auf zierlichen
Beinchen heran? Was lächelt schon von weitem so freundlich nach der
Kalle des Herrn Simon? War es nicht das Gräfchen Rebs, das alte,
freundliche Kaninchen, das in alle Damen verliebt ist und alle
bezaubert? Er war es, er kam hereingeschwänzelt.

Er schnupfte und ächzte, als er herankam, und doch konnte er auch in
dem Zustand höchster Erschöpfung, in welchem er zu sein schien, sein
liebliches, süßes Lächeln nicht unterdrücken. Er warf sich ermattet
neben Rebekka in einen Sessel, streckte die dünnen Beinchen, so mit
zierlichen Spörnchen zum Spazierengehen beschlagen, heftete den matten,
sterbenden Blick auf die schöne Jüdin und sprach: »Habe die Ehre,
vergnügten Abend zu wünschen. Ich sterbe, mit mir geht's aus!«

»Mein Jott! Herr Israel! Graf Rebs, was haben Sie doch? Ihre Wangen
sind janz einjeschnurrt, Ihre Augen bleiben stehen. Er antwortet nich!
Herr Tipplomat, ~Eau de Cologne~! Haben Sie keines bei sich in die
Tasche?«

So rief das schöne Judenkind und beschäftigte sich um den Ohnmächtigen
mit zarter Sorgfalt. Da ich kein ~Eau de Cologne~ bei mir trug, so
begann sie etwas weniges verzweifeln zu wollen und verlangte von dem
Dessauer, er solle ihm Tabaksrauch in die Nase blasen. Doch der Vater
wußte bessern Rat: »Da geht einer,« rief er freudig, »da geht ein
scharmanter junger Herr, ist in Kondition nicht weit von uns, der trägt
beständig etzliches Kölner Wasser in seiner Rocktasche!«

Wie ein Pfeil schoß er auf den jungen Mann zu und war, als er ihm mit
schrecklichen Gebärden das ~Eau de Cologne~-Fläschchen abforderte,
anzusehen wie Sir John Falstaff, als er die Krämer beraubt. Maria
Farinas Lebenstropfen brachten das arme Kaninchen wieder zu sich. Er
schlug die Augen auf, seufzte tief und lächelte. »Mich gehorsamst
zu bedanken,« lispelte er mit zitternder Stimme, »für die gütigst
geleistete Hilfe. War mir aber recht elend zu Mut. Fast als hätte ich
mehr Bier getrunken als dienlich.«

»Sind Sie oft solchen Zufällen unterworfen?« fragte Rebekka, ihn etwas
mißfällig betrachtend.

»Mit nichten und im Gegenteil,« erwiderte er, indem er den Rücken
zierlich wendete und drehte, mit den Schultern über die Brust
herausfuhr und mannhaft mit den Spörnchen klirrte. »Mit nichten, habe
sonsten eine überaus starke Konstitution. Aber der dicke Pfarrer, der
dicke Pfarrer ...«

Die Juden schwiegen, und Rebekka schlug die Augen nieder wie immer,
wenn von christlichen Pfarrern oder Zeremonien oder auch von
Schweinefleisch in ihrer Nähe gesprochen wurde. Der Seufzer aber, dem
die Erscheinung des Grafen etwas lästig schien, fragte ihn ziemlich
boshaft, ob er etwa im goldenen Brunnen gewesen, sich allda etwas
betrunken und nachher mit dem ehrsamen Pastor Münster Streit und
kirchlichen Skandal angefangen, nach seiner Gewohnheit?

»Nach meiner Gewohnheit?« rief das Kaninchen erschrocken, »ich ein
Unruhestifter oder Säufer, ich in dem goldenen Brunnen, ich, der ich
nur die allernobelsten Hotels, den Pariser und den Englischen Hof, den
Weidenbusch, in welchem ich logiere, und den weißen Schwanen mit meinem
Besuch beehre? Nein! er ist mir begegnet, der Pfarrer, und als er an
mir vorbeiging, sah er mich mit schrecklichen Augen an und sagte: ›Das
ist auch so ein _Stein des Anstoßes_, auch so ein Mystiker.‹ -- ›Herr
Pfarrer,‹ sagte ich, ›guten Abend, aber ein Mystiker bin ich nicht und
will auch für keinen gelten, am wenigsten öffentlich, auf der Chaussee
nach Bornheim.‹ -- ›Sie wollen keiner sein?‹ antwortete er, indem er
näher auf mich zutrat, so daß sein Bauch und das Cachet seiner Uhr mir
gerade auf die Brust zu sitzen kamen und mich heftig drückten. ›Wollen
keiner sein? Warum kommen Sie denn nicht mehr ins Museum? Warum haben
Sie an öffentlichen Wirtstafeln, im Pariser, Weiden- und anderen Höfen
geschimpft über mich, daß ich ein gewisses Gedicht von Langbein in
besagter Gesellschaft vorgelesen?‹ Es ist wahr, ich hatte mich ziemlich
stark darüber ausgesprochen, aber nicht aus Mystizismus, sondern weil
ich glaubte, es könne zarte Damenohren und weiche Gemüter unangenehm
berühren, jenes Gedicht. Aber er nahm keine Entschuldigung an. Ich
schlüpfte ihm unter dem Bauch weg und wollte schnell weitergehen,
aber er setzte mir mit weiten Schritten nach, ging neben mir her und
beschuldigte mich, seinem Gegenpart, dem mystischen Pfarrer, zu einer
reichen Frau verholfen zu haben; er behauptete auch, daß ich mich jeden
Morgen, statt des Frühstücks, magnetisieren lasse und dergleichen. Und
erst hier an der Gartentüre ließ er mit einer mürrischen Reverenz von
mir ab.«

»Aber was hat denn dies alles zu bedeuten?« fragte ich. »Halten denn
die Pfarrer hier auf der Landstraße Kirche, wie es Sitte war zur Zeit
der Apostel?«

»In Frankfurt,« belehrte mich der Kaufmann aus Dessau, »in Frankfurt
ist gegenwärtig ein großer Krieg zwischen den Pfarrern, und ihre
Parteien befehden sich ebenfalls. Mystiker und Rationalisten schelten
sie sich hin und her, der eine wirft dem andern vor, er predige nur
Moral, der andere entgegnet, sein Gegner rede tiefen Unsinn. Nicht nur
in den Kirchen, auf den Kanzeln, sondern auch in den Weinhäusern und
Trinkstuben, auf Chausseen und Kasinos wird gekämpft, und so konnte es
leicht geschehen, daß der Herr Graf einem Eiferer der Vernunft in die
Hände fiel. -- Doch wie? Herr Graf, wenn ich nicht irre, so fährt dort
der Lord und seine Nichte. Nicht so? Und sie halten vor dem Garten, sie
steigen aus?«

»Ah, sie hat mich bemerkt,« rief das Kaninchen sehr freundlich,
»sie schaut schon herüber und wedelt, wenn ich nicht irre, mit dem
Taschentuch mir zu. Verzeihen allerseits, daß ich mich entferne. Miß
Mary hat ein Auge auf mich geworfen, und Sie wissen selbst, bei solchen
Affären --«

Er schlüpfte unter diesen Worten aus dem Zelt und eilte mit zierlichen
Sprünglein zu der Gartenpforte, wo er in dem Drang seines Herzens die
junge Dame auf den glacierten Handschuh küßte. Es mochte ihr übrigens
dieses Zeichen seiner Verehrung überaus komisch vorkommen, denn ihr
Lachen drang bis zu uns herüber, und mit tiefem Baß begleitete sie der
Lord, indem er dem Kaninchen das Pfötchen schüttelte.

Das Gewölk, die Tante Simon, kam jetzt zurück und beklagte sich, daß
es schon etwas kühl werde. Der Jude ließ daher seinen schönen Wagen
vorfahren und verließ mit den Seinigen den Garten. Der Seufzer hatte
das Glück, Rebekkchen in den Wagen heben zu dürfen und kam mit ganz
verklärtem Gesicht zurück. Sie hatte ihm unter der Türe noch die
Hand gedrückt und gestanden, daß sie sich diesen Nachmittag janz
fürtrefflich amüsiert habe, und der Alte hatte ihn eingeladen, morgen
und alle Tage den Abend in seinem Hause zuzubringen.



5.

Der Kurier aus Wien kommt an.


Ich könnte dir, geneigter Leser meiner Memoiren, vieles Ergötzliche
und Interessante erzählen, was ich in der freien Stadt Frankfurt
erlebte. Nicht von früheren Zeiten her, wo ich oft hinter den Stühlen
der Kurfürsten stand und den Kaiser wählen half, wo ich so oft unter
guten Freunden im Römer und beim Römer saß, wenn das neue Haupt
des vielgliedrigen Leibes, Deutsches Reich genannt, mit der Krone
geschmückt worden war. Nein, von den heutigen Tagen könnte ich dir
viel erzählen, von dem tiefen, geheimnisvollen Wesen der Diplomatie,
von dem herrlichen Junitag, in welchem es niemals Abend oder Nacht
wird, ich meine den deutschen Bundestag, von dem herrlichen Treiben und
Blühen des Mystizismus und wie ich das Feuer anschürte zwischen seinen
Anhängern und Rationalisten, und wie es im Wirtshaus zum goldenen
Brunnen einigemal zu bedeutenden Raufereien kam zwischen beiden
Parteien, das heißt -- nur mit schneidenden Zungen und stechenden
Blicken. Ich könnte dir erzählen, wie ich in einem Institut, woselbst
man junge Fräulein für die Welt zustutzt, nützlichen Unterricht gab im
Gitarrespielen und anderen Kleinigkeiten, so eine junge Dame kennen
muß, wenn sie in die Welt tritt. Ich könnte dir erzählen von jener
Straße, Million genannt, wo meine speziellsten Freunde wohnen, deren
der geringste über Millionen gebietet.

Doch ich schweige von diesem allen, weil ich mir vorgenommen, dir einen
kleinen Abriß zu geben von der Art, wie ich den ehrlichen, seufzenden
Sohn Merkurs aus Dessau zu einem Teufelskind machte. Der erste Schritt
vom ehrlichen Mann zum schlechten oder Betrüger ist an sich klein
und dennoch bedeutend, weil man leicht sozusagen in Schuß kommt und
unaufhaltsam bergab, bergab geht, anfangs im Trott, nachher im Galopp.
Mein guter Seufzer hatte sein bedeutendes Vermögen mit einem ehrlichen
Gemüt geerbt. Er ging in seinen Geschäften den geraden, ehrlichen Weg,
nicht weil er ihm angenehmer war, sondern weil er es unbequem finden
mochte, Winkelzüge und Umwege zu machen.

Es ist dies die Ehrbarkeit, die Tugend, die nie auf der Probe war, und
daher ein negativer Begriff, ein Nichts, auf jeden Fall keine Tugend
ist.

Nicht der Geldgewinn, er ist ziemlich zufrieden mit seinem Los, sondern
die Liebe zu der schönen Kalle des alten Simon machte ihn straucheln,
oder vielmehr, wie Gelegenheit Diebe macht, die süße Art, wie ich es
ihm eingab. Jetzt ist, um das Kind beim rechten Namen zu nennen, aus
dem ehrlichen Mann ein Betrüger geworden. Er wird, weil es ihm diesmal
leicht wird, zu betrügen, das nächste Mal Aehnliches versuchen. Das
Gewissen, die Ehrlichkeit, die Ruhe, die Selbstzufriedenheit ist ja
doch schon zum Teufel, warum soll er sich also genieren? Der große
Gewinn für mich liegt aber darin, daß die ersten Versuche des ehrlichen
Mannes, ein Betrüger zu werden, gewöhnlich gut ausfallen und zur
Wiederholung locken. Denn wer mit mir Geschäfte macht, kann, solange es
tunlich ist, darauf rechnen, sie mit Glück zu machen, und unglückliche
Spekulanten, von denen die Sage geht, daß sie sich erhängt oder ersäuft
haben, hatten durch Reue und Selbstanklage den Kopf verloren, hatten
mir zu wenig vertraut, und nicht ich war es, der sie verließ, sie
hatten sich selbst verlassen.

Doch, wo gerate ich hin? Habe ich mich von dem dicken Pfarrer anstecken
lassen, zu moralisieren? Ist es denn mein Zweck, mit psychologischen
Abhandlungen meinen Leser zu ermüden oder sogar abzuschrecken?
Oder wie, ließ ich mich etwa von den Winken einiger gelehrten
Leute verführen, die behaupteten, es liege zu wenig psychologische
Teufelei oder teuflische Psychologie in meinen Memoiren, ich sei für
einen deutschen Schriftsteller, als welchen ich mich im Leipziger
Meßkatalogus einregistrieren lassen, nicht gründlich genug?

Der Teufel soll es holen! möchte ich mir selbst zurufen. Sobald
man vom Wege abgeht, gerät man immer mehr auf Abwege, so auch im
Niederschreiben von Memoiren. Ich werde kurz sein.

Ich hatte durch meine dienenden Kleinen erfahren, welche Gedanken der
Reis-Efendi in einer Privatunterredung mit Herrn von Minciaky über
das russische Ultimatum geäußert. Ja, um redlich zu sein, ich hatte
selbst großen Anteil an jener Wendung der Dinge, weil mir dadurch
das sogenannte Gleichgewicht etwas auf die Spitze gerückt zu werden
schien und mehr Leben in das schlummernde Europa kommen konnte, das
von Revolutionen und anderen lustigen Artikeln nur _träumt_ und im
_Schlafe_ spricht. Ich hatte diese Nachricht früher vernommen, als
sie selbst nur nach Petersburg kommen konnte, und in meiner Hand lag
es, die Papiere steigen oder fallen zu machen. Der Vater der schönen
Rebekka hatte in den letzten Tagen auf meinen Rat und seine eigene
Einsicht hin seine Papiere so umgesetzt, daß er beim geringsten
Steigen der -- -- auf großen Gewinn zählen konnte. Große Spannung
herrschte in dem Hause des Herrn Simon in der neuen Judenstraße. Der
Alte versicherte, seine Gebeine erzittern, so oft er ansetze, einen
wichtigen Brief zu schreiben. Die Tante, »das neidische Gewölk«,
mochte ahnen, was vorging, und schlich trübe und ächzend im Haus
umher. Die Kalle war die Mutigste von allen. Zwar war auch sie in
einiger Bewegung, denn sie las nicht mehr, weder in Clauren noch
in verschiedenen Almanachs, sogar das Modejournal wollte sie nicht
ansehen, sie spielte auch nicht mehr auf der Harfe, aber doch trug sie
das Köpfchen noch so hoch wie zuvor und ermutigte durch manche Rede die
zagenden Bundestruppen.

Der Seufzer war gänzlich vom Verstand gekommen. Bald war er tiefsinnig
und zweifelte an seinem Glück, besonders in der Nähe der schönen Jüdin,
wenn er sich die Höhe seiner Seligkeit, den Besitz der lieblichen Kalle
dachte. Dann war er wieder ausgelassen fröhlich und sprach allerlei
verwirrtes Zeug, wie er ein Millionär zu werden gedenke, wie und wo
er sich ein Haus bauen wolle, und was dergleichen überschwengliche
Gedanken mehr waren, der Kalle aber flüsterte er ins Ohr, daß er sich
wolle adeln lassen und sie zur gnädigen Frau Baronesse von Zwerner zu
Zwernersheim machen, welcher Ort noch auf der Landkarte auszumitteln
wäre.

Endlich, es war am dritten Frankfurter Pfingstfeiertag, und die Mädchen
und Frauen spazierten schon scharenweise hinaus an den Main, um sich
übersetzen zu lassen nach dem Wäldchen, und die Männer riefen ihnen
nach, nur einstweilen alles zuzurüsten daselbst, weil sie nur noch auf
die Börse gingen und bald nachkämen, indem heute nichts Bedeutendes
vorkomme, und auch die alte Baubo, die schnöde Hexe, zog hinaus, doch
diesmal nicht auf dem Mutterschwein, sondern in einem eleganten Wagen.
Sie hatte ihre schönen Stieftöchter bei sich und nickte mir freundlich
zu, als wollte sie sagen: »Dich kenne ich wohl, Satan, obgleich du
jetzt in schwarzem Frack und seidenen Strümpfen einherzuwandeln
beliebst und meiner Elise, dem allerliebsten Kind, praktische
Gitarrestunden gibst, dich kenne ich wohl; komm aber nur hinaus ins
Wäldchen, da sprechen wir wohl wieder ein Wort zusammen.« Da fuhr sie
hin, die gute Alte, eine der ersten Palastdamen meiner Großmutter, und
sehr angesehen in Frankfurt und auf dem Brocken in der Walpurgisnacht;
da fuhr sie hin und viele tausend und wieder tausend fromme Frankfurter
Seelen ihr nach, die alle das Gebot in feinem Herzen trugen: »Du sollst
den Feiertag heiligen, und an Pfingsten auch den dritten und vierten.«

Jetzt war es Zeit, zu operieren. Den Tag zuvor hatte man sich allgemein
mit dem Gerücht getragen, daß die Pforte das Ultimatum nicht annehmen
werde, und man erwartete von heute nichts Besonderes. Da jagte um elf
Uhr ein Kurier durch das Tor, ganz mit Schweiß und Staub bedeckt, er
sprengte, greulich auf dem Posthorn blasend, durch die Straße, Million
genannt, und in einem Umweg durchs neue Judenquartier, die Leute rissen
die Fenster auf und fuhren mit den Köpfen heraus, um zu schauen nach
dem schrecklichen Trompeten- und Straßenlärm. »Wo kümmt er här? Wo
will er hün?« riefen sie. »In weißen Schwanen,« schrie er, »ich habe
den Weg verfehlt, wo geht's in weißen Schwanen?« -- »Der Herr is wohl
ä Korrier?« -- »Freilich, nur schnell,« rief er und zog einen Brief
mit großem Sigill aus der Tasche, »das kommt von Wien und ist an den
Herrn Zwerner aus Dessau im weißen Schwanen.« -- »Da an der Ecke geht's
rechts, dann die Straße links, dann kommt Er auf die Zeile, da reitet
Er bis an die Hauptwache, und von dort ist's nimmer weit.« So riefen
sie, schauten ihm nach, wie er mit der Peitsche knallend davonjagte,
und besprachen sich dann über die Straße hinüber, was wohl die Depesche
aus Wien enthalten möchte. Der Kurier aber war niemand anders als einer
meiner dienstbaren Geister, in die Uniform eines hessischen Postillons
gekleidet.



6.

Der Reis-Efendi und der Teufel in der Börsenhalle.


Im Briefe stand mit dürren Worten, daß der Reis-Efendi dem Herrn von
Minciaky die vertrauliche, jedoch halb offizielle Mitteilung gemacht
habe, daß die Pforte das Ultimatum, soweit es Rußland betreffe,
annehmen werde.

Der Seufzer bekam nun die nötige Instruktion, was er zu tun hatte. Er
fuhr mit dem Brief sogleich zu Papa Simon und mit diesem zu Herrn von
R..., dem Papst der Börse, dem sichtbaren Oberhaupt der unsichtbaren
papierenen Kirche. Dieser prüfte die Depesche genau. Er selbst hatte
schon zu oft ähnliche Mittel angewendet, Pariser Kuriere aus Mainz, und
Wiener aus Aschaffenburg kommen lassen, als daß er so leicht konnte
hintergangen werden. Er ließ daher ein Licht bringen und prüfte zuerst
Geruch und Flüssigkeit des Siegellacks. »Gotts Wunder!« sprach er
bedächtlich riechend, »Gotts Wunder! das ist echtes Kaisersiegellack,
wie es nur in Wien selbst zubereitet wird, und was Eingeweihte zu
solchen Depeschen zu verwenden pflegen.« Dann betrachtete er genau
das Kuvert des Briefes und fand darauf die gedruckten Zeichen jeder
Poststation von Wien bis Frankfurt, und keines fehlte. Er verglich
sodann diese Zeichen mit der Liste der Postzeichen, die er zur Hand
hatte, und -- sie waren richtig.

Hatte er zuvor den Herrn Zwerner, Handelsmann aus Dessau, als ein
kleines Paarmalhunderttausendguldenmännchen so obenhin behandelt, wie
der Löwe das Hündchen, so wuchs jetzt seine Achtung mit unglaublicher
Schnelle. Er hätte zwar am liebsten selbst den Kurier bekommen, samt
der inhaltschweren Depesche, doch, da dies nicht mehr zu ändern war,
machte er gute Miene zum bösen Spiel, dankte, daß man ihn sogleich von
der wichtigen Nachricht avertiert habe, und berechnete dabei, welche
Summe dem Dessauer diese Nachricht gekostet haben könnte, indem er
annahm, dieser Kaufmann müsse die Preise, die _er_ in Wien für solche
Winke bezahlte, überboten haben. Es war Börsenzeit, er selbst fuhr mit
auf die Börsenhalle.

_Börsenhalle!_ unter diesem Namen stellt sich wohl der Fremde, der
diese Einrichtung noch nie gesehen, ein weitläufiges Gebäude vor, wie
es der Stadt Frankfurt würdig wäre, mit weiten Sälen, Seitengängen,
schönen Portalen und dergleichen, wie wundert er sich aber und lächelt,
wenn er in _diese_ Börsenhalle tritt! Man stelle sich einen ziemlich
kleinen, gepflasterten Hof, von unansehnlichen Gebäuden eingeschlossen,
vor, wo man mit Bequemlichkeit Pferde striegeln, Wagen reinigen,
waschen, Hühner und Gänse füttern und dergleichen solide häusliche
Hantierungen verrichten könnte. Statt des ehrwürdigen Truthahns,
statt der geschwätzigen Hühner und Gänse, statt des Stallknechts mit
dem Besen in der Faust, statt der Küchendame, die hier ihren Salat
wäscht -- sieht man hier zwischen zwölf und ein Uhr mittags ein
buntes Gedränge. Männer mit dunkelgefärbten, markierten Gesichtern,
mit schwarzen Bärten und lauernden Augen, mit kühn gebogenen Nasen
und breiten Mäulern, mit schmutzigen Hemden und unsauberer Kleidung
schleichen, mit gebogenen, schlotternden Knien und spitzigen Ellbogen,
den Hut in den Nacken zurückgedrückt, umher und fragen einander:
»Nun, wie stehen sie heute?« Du wandelst staunend durch dieses Gewühl
und fühlst einen kleinen unbehaglichen Schauer, wenn dich eine der
unsauberen Gestalten im Vorübergehen anstreift. Du begreifst zwar,
daß du dich unter den Kindern Israels befindest, aber zu welchem
Zweck treiben sie sich hier unter freiem Himmel in einem Hühnerhof
umher? Endlich wirst du eine Tafel, etwa wie ein Wirtshausschild
anzusehen, gewahr. Drauf steht mit goldnen Buchstaben deutlich zu
lesen: -- Börsenhalle. Also in der Börsenhalle der freien Stadt
Frankfurt befindest du dich. Du hörst heute ein sonderbares Gemunkel
und Geflüster. Die Leute gehen staunend umher, mehr mit Blicken
als mit Worten fragend: »Ae Korrier es Wien?« »Gotts Wunder!« »Wer
hat'n gekriecht?« »Ae Fremder, der Zwerner von Dessau.« »Wie? kaner
von unsere Lait? Nicht der Rothschild, der grauße Baron, nicht der
Bethmann? Auch nicht der Metzler? Waas?«

»Was hat'r gebracht, der Korrier! Abraham, wie stehen se?«

»Wie werden se stehen! Wer kann's wissen, solange der Zwerner aus
Dessau nicht ist auf der Börsenhalle!«

»Levi! hat er's Oltemat'm angenommen, der Reis-Efendi? Hat er oder hat
er nicht? Wie werden se stehen?«

»Ich hab's genug, 's is a Vertel auf eins, und noch will keiner
verkaufen, aus Schreck vor die Korrier. Wär' nur der Zwerner aus Dessau
da! Auch der Rothschild bleibt so lang aus und der Simon von die neue
Straße. Wirst sehen, 's wird geben ä grauße Operation! Der Herr wird
verstockt haben das Herz des Efendi, aß er hat nicht angenomme das
Oltematum von dem Moskeviter?«

»Bethmännische Obligationen will man nicht kaufen, sind gefallen um
Vertelpurzent!«

»Wie steht's mit die Metalliques? Wie verkauft sie der Metzler? Wie
stehen se, Abraham? Tu mer de Gefallen und sag', die Metalliques, wie
stehen se?«

»Aß ich der sag, ich weiß nicht, wo mer steht der Kopf, weiß heut
keiner, wer iß Koch oder Kellner? Aß ich nicht kann riechen, wie se
stehen, die Metalliques!«

Plötzlich entsteht ein Geräusch, ein Gedränge nach der Türe zu. Ein
Wagen ist vorgefahren, die Leute stehen auf den Zehen, machen lange
Hälse, um die Mienen der Kommenden zu sehen. Drei Männer arbeiten sich
durch die Menge und stellen sich ernst und gravitätisch an ihren Platz
zur Seite, wie es wohllöblicherweise auf anderen Börsen der Brauch
ist, wo nur die Mäkler umherlaufen und sich drängen. Es war der große
Baron, der an der Seite stand, zu seiner Rechten das Gestirn des Tages,
der Kaufmann Zwerner aus Dessau, jetzt nicht mehr Seufzer zu nennen,
denn sein Herz schien zu jubilieren und allerlei verliebte Streiche
ausführen zu wollen, während er doch die Sinne bedächtlich und gesetzt
beisammen behalten mußte, um sich nicht zu verrechnen. Zur Linken stand
der Jude Simon, angetan mit seinem Sabbater Rock und einer schneeweißen
Halsbinde, mit feierlicher, hochzeitlicher Miene, so daß sein Volk
gleich sah, es müsse was ganz Außerordentliches sich zugetragen haben.

Jetzt nahten die Käufer und Verkäufer und fragten nach den Preisen. Sie
wurden bleich, sie sanken in die Knie und schlichen zitternd umher.
Sie lamentierten schrecklich mit den Armen, sie steckten die Finger
in den Mund, sie fluchten Hebräisch und Syrisch auf den Christen, der
sich einen Kurier kommen lassen, auf den Vater, der den Kurier gezeugt,
auf das Pferd, welches das Pferd des Kuriers zur Welt gebracht, auf
seinen Kopf, auf seine vier Füße, kurz auf alles, selbst auf Sonne,
Mond und Sterne und auf Frankfurt und die Börsenhalle. Jetzt merkte
man, warum der schlaue Simon seine Papiere in den letzten Tagen
umgesetzt habe; jetzt konnte man sich den Tiefsinn des Kaufmanns aus
Dessau erklären --! »Das Ultimatum ist angenommen,« scholl es durch
den Hof, »der Reis-Efendi hat zugesagt,« hallte es durch die Ecken;
und obgleich die drei wichtigen Männer nur entfernt auf ihren Brief
anspielten, nur einige nähere Umstände angaben, nichts Bestimmtes
aussprachen, so stiegen doch die österreichischen, die Rothschildschen
und wenige andere Papiere, von welchen durch Zwerners und des alten
Simons Sorge gerade nicht sehr viele auf dem Platz waren, in Zeit von
einer halben Stunde um vier und ein halb Prozent. Mehrere Häuser, die
sich nicht vorgesehen hatten, fingen an zu wanken, eins lag schon halb
und halb und hatte es nur seiner nahen Seitenverwandtschaft mit dem
regierenden (Börsen-) Hause zu verdanken, daß ihm noch einige Stützen
untergeschoben wurden.

Als man um ein Uhr auseinanderging, lautete der Kurszettel der
Frankfurter Börsenhalle:

    Metalliques 87⅜.
    Bethmännische 75½.
    Rothschildsche Lose 132.
    Preußische Staatsschuldscheine 84.

In den übrigen war nichts geändert worden.



7.

Die Verlobung.


Dieses kleine Börsengemetzel entschied über das Schicksal des
Seufzers aus Dessau. In den zwei nächsten Tagen wirkte er durch
die große Menge Metalliques, die er in Händen hatte, mächtig auf
den Gang der Geschäfte, und als einige Tage nachher Herr von
Rothschild Privatmitteilungen aus Wien erhielt, wodurch seine
Nachrichten vollkommen bestätigt wurden, da drängte sich alles um den
hoffnungsvollen, spekulativen Jüngling, um den genialen Kopf, der auf
unglaubliche Weise die Umstände habe berechnen können.

Seine Zurückgezogenheit zuvor galt nun für tiefes Studium der Politik,
seine Schüchternheit, sein geckenhaftes Stöhnen und Seufzen für
Tiefsinn, und jedes Haus hätte ihm freudig eine Tochter gegeben, um mit
diesem sublimen Kopf sich näher zu verbinden. Da aber die Polygamie in
Frankfurt derzeit noch nicht förmlich sanktioniert ist und das Herz
des Dessauers an Rebekka hing, so schlug er mit großer Tapferkeit alle
Stürme ab, die aus den Verschanzungen in der Zeile, aus den Trancheen
der Million, selbst aus den Salons der neuen Mainzerstraße mit
glühenden Liebesblicken und Stückseufzern auf ihn gemacht wurden.

Der alte Herr Simon, konnte sich auch der Dessauer in Hinsicht auf Geld
und Glücksgüter ihm nicht gleichstellen, rechnete es sich dennoch zur
besondern Ehre, einen so erleuchteten Schwiegersohn zu bekommen. Ja, er
sah es als eine glückliche Spekulation an, ihn durch Rebekka gefangen
zu haben. Er sah ihn als eine prophetische Spekulationsmaschine an,
die ihn in kurzer Zeit zum reichsten Mann Europas machen mußte; denn,
wenn er immer mit seinem Schwiegersohn zugleich kaufte oder verkaufte,
glaubte er nie fehlen zu können.

Fräulein Rebekka ging ohne vieles Sträuben in die Bedingungen ein, die
ihr der Zärtliche auferlegte; da er eine gewisse Abneigung verspürte,
ein Jude zu werden, so hielt er es für notwendig, daß sie sich taufen
lasse. Sie nahm schon folgenden Tages insgeheim Unterricht bei dem
Herrn Pastor Stein und gab dafür auf einige Zeit ihre Klavierstunden
auf, wobei, wie sie behauptete, noch etwas Erkleckliches profitiert
würde, da sie dem Klaviermeister einen Taler für die Stunde hatte
bezahlen müssen. Sie selbst legte dafür dem Dessauer die Bedingung auf,
daß er sich für einige hundert Gulden in den Adelsstand erheben lassen
und in dem jöttlichen Frankfort leben müsse.

Er ging es freudig ein und überließ mir dieses diplomatische
Geschäft. Um nun auch von mir zu reden, so traf pünktlich ein, was
ich vorausgesehen hatte. Der Seufzer beschwichtigte fürs erste sein
Gewissen, das ihm allerlei vorwerfen mochte, z. B., daß das ganze
Geschäft unehrlich und nicht ohne Hilfe des Teufels habe zustande
kommen können. Sobald er mit dieser Beschwichtigung fertig war, war
auch seine Dankbarkeit verschwunden. Weil ihn alles als den sublimsten
Kopf, den scharfsinnigsten Denker pries, glaubte er ohne Zaudern selbst
daran, wurde aufgeblasen, sah mich über die Achsel an und erinnerte
sich meiner sehr gütig als eines Menschen, mit welchem er im weißen
Schwanen einigemal zu Mittag gespeist habe.

Was mich übrigens am meisten freute, war, daß er die Strafe seines
Undankes in sich und seinen Verhältnissen trug. Es war vorauszusehen,
daß seine prophetische Kraft, sein spekulativer Geist sich nicht lange
halten konnten. Mißglückten nur erst einige Spekulationen, die er,
auf sein blindes Glück und seinen noch blindern Verstand trauend,
unternahm, verlor er erst einmal fünfzig- oder hunderttausend und zog
seinen Schwiegerpapa in gleiche Verluste, so fing die Hölle für ihn
schon auf Erden an.

Rebekkchen, das liebe Kind, sah auch nicht aus, als wollte sie mit
dem neuen Glauben auch einen neuen Menschen anziehen. War sie erst
gnädige Frau von Zwerner, so war zu erwarten, daß die Liebesintrigen
sich häufen werden; junge wohlriechende Diplomaten, alte Sünder wie
Graf Rebs, fremde Majors mit glänzenden Uniformen waren dann willkommen
in ihrer Loge und zu Hause, und der Dessauer hatte das Vergnügen,
zuzuschauen. Und wie wird dieser sanfte Engel, Rebekka, sich gestalten
zur Furie, wenn die spekulative Kraft ihres Eheherrn nachläßt und damit
zugleich sein Vermögen, wenn man das glänzende Hotel in der Zeile, die
Loge im ersten Rang, die Equipage und die hungernden Liebhaber samt
der köstlichen Tafel aufgeben, wenn man nach Dessau ziehen muß in
den alten Laden des Hauses Zwerner und Komp., wenn die gnädige Frau
herabsinkt aus ihrem geadelten Himmel und zur ehrlichen Kaufmannsfrau
wird, wenn man den Gemahl statt mit Papieren, wie es nobel ist und
groß, mit Ellenwaren und Bändern, ganz klein und unnobel handeln sieht!
Welche Perspektive!

Doch am vierten Pfingstfeiertag 1826 dachte man noch nicht an
dergleichen im Hause des Herrn Simon in der neuen Judenstraße. Da
war ein Hin- und Herrennen, ein Laufen, ein Kochen und Backen; es
wurde ungemein viel Gänseschmalz verbraucht, um koscheres Backwerk zu
verfertigen; ein Hammel wurde geschächtet, um köstliche Ragouts zu
bereiten.

Der geneigte Leser errät wohl, was vorging in dem gesegneten Hause.
Nämlich, nichts Geringeres als die Verlobung des trefflichen Paares.
Die halbe Stadt war geladen und kam. Hatte denn der alte Simon
nicht treffliche alte Weine? Speiste man bei ihm, das Gänsefett
abgerechnet, nicht trefflich? Hatte er nicht die schönsten jüdischen
und christlichen Fräulein zusammengebeten, um die Gesellschaft zu
unterhalten durch geistreiche Spiele und herrlichen Gesang?

Auch Graf Rebs, das treffliche Kaninchen, war geladen, und nur _das_
brachte ihn einigermaßen in Verlegenheit, daß nicht weniger als zwanzig
Frauen und Fräulein zugegen waren, mit denen er schon in zärtlichen
Verhältnissen gestanden hatte. Er half sich durch ausdrucksvolle
Liebesblicke, die er allenthalben umherwarf, wie auch durch die eigene
Behendigkeit seiner Beinchen, auf welchen er überall umherhüpfte und
jeder Dame zuflüsterte, sie allein sei es eigentlich, die sein zartes
Herz gefesselt. Die übergroße Anstrengung, zwanzig auf einmal zu
lieben, da er es sonst nur auf fünf gebracht hatte, richtete ihn aber
dergestalt zu Grunde, daß er endlich elendiglich zusammensank und in
einem Wagen nach Hause gebracht werden mußte.

Die Gesellschaft unterhielt sich ganz angenehm und bewies sich nach
Herrn Simons Begriffen sehr gesittet und anständig, denn als er am
Abend, nachdem alle sich entfernt hatten, mit seiner Tochter Rebekka
das Silber ordnete und zählte, riefen sie einmütig und vergnügt:
»Gotts Wunder! Gotts Wunder! Was war das für noble Gesellschaft, für
gesittete Leute! Es fehlt auch nicht _ein_ Kaffeelöffelchen, kein
Dessertmesserchen oder Zuckerlämmerchen ist uns abhanden gekommen!
Gotts Wunder!«



Der Festtag im Fegefeuer.

    Am Horizont in diesem Jahr
    Ist es geblieben, wie es war.

            _M. Claudius._

(Fortsetzung.)



1.

Der junge Garnmacher fährt fort, seine Geschichte zu erzählen.


Das Manuskript, aus welchem wir diese infernalischen Memoiren
dechiffrieren und ausziehen, fährt bei jener Stelle, die wir im ersten
Teile notgedrungen abbrachen, fort, die Geschichte des jungen deutschen
Schneiderbarons zu geben. Er ist aus seiner Vaterstadt Dresden
entflohen, er will in die weite Welt, fürs erste aber nach Berlin gehen
und erzählt, was ihm unterwegs begegnete.

»Meine Herren,« fuhr der edle junge Mann fort, »als ich mich umsah,
stand ein Mann hinter mir, gekleidet wie ein ehrlicher, rechtlicher
Bürger; er fragte mich, wohin meine Reise gehe, und behauptete,
sein Weg sei beinahe ganz der meinige, ich solle mit ihm reisen.
Ich verstand soviel von der Welt, daß ich einsah, es würde weniger
auffallend sein, wenn man einen halberwachsenen Jungen mit einem
älteren Mann gehen sieht als allein. Der Mann entlockte mir bald die
Ursache meiner Reise, meine Schicksale, meine Hoffnungen. Er schien
sich sehr zu verwundern, als ich ihm von meinem Onkel, dem Herrn von
Garnmacher in der Dorotheenstraße in Berlin, erzählte. ›Euer Onkel ist
ja schon seit zwei Monaten tot!‹ erwiderte er. ›O, du armer Junge, seit
zwei Monaten tot; es war ein braver Mann, und ich wohnte nicht weit von
ihm und kannte ihn gut. Jetzt nagen ihn die Würmer!‹

Sie können sich leicht meinen Schrecken über diese Trauerpost denken,
ich weinte lange und hielt mich für unglücklicher als alle Helden; nach
und nach aber wußte mich mein Begleiter zu trösten: ›Erinnerst du dich
gar nicht, mich gesehen zu haben?‹ fragte er; ich sah ihn an, besann
mich, verneinte. ›Ei, man hat mich doch in Dresden soviel gesehen,‹
fuhr er fort; ›alle Alten und besonders die Jugend strömte zu mir und
meinem jungen Griechen.‹

Jetzt fiel mir mit einemmale bei, daß ich ihn schon gesehen hatte. Vor
wenigen Wochen war nach Dresden ein Mann mit einem jungen unglücklichen
Griechen gekommen; er wohnte in einem Gasthof und ließ den jungen
Athener für Geld sehen, das Geld war zur Erhaltung des Griechen und der
Ueberschuß für einen Griechenverein bestimmt. Alles strömte hin, auch
mir gab der Vater ein paar Groschen, um den unglücklichen Knaben sehen
zu können. Ich bezeigte dem Manne meine Verwunderung, daß er nicht mehr
mit dem Griechen reise.

›Er ist mir entlaufen, der Schlingel, und hat mir die Hälfte meiner
Kasse und meinen besten Rock gestohlen; er wußte wohl, daß ich ihm
nicht nachsetzen konnte; aber wie wäre es, mein Söhnchen, wenn du mein
Grieche würdest?‹ Ich staunte, ich hielt es nicht für möglich; aber
er gestand, mir, daß der andere ein ehrlicher Münchener gewesen sei,
den er abgerichtet und kostümiert habe, weil nun einmal die Leute die
griechische Sucht hätten.«

»Wie?« unterbrach ihn der Engländer, »selbst in Deutschland nahm man
Anteil an den Schicksalen dieses Volkes? Und doch ist es eigentlich
ein deutscher Minister, der es mit der Pforte hält und die Griechen
untergehen läßt.«

»Wie es nun so geht in meinem lieben Vaterland,« antwortete Baron von
Garnmacher, des Schneiders Sohn, »was einmal in einem anderen Lande
Mode geworden, muß auch zu uns kommen. Das weiß man gar nicht anders.
Wie nun vor kurzem die Parganioten ausgetrieben wurden und bald nachher
die griechische Nation ihr Joch abschüttelte, da fanden wir dies
erstaunlich hübsch, schrieben auf der Stelle viele dicke Bücher darüber
und stifteten Hilfsvereine mit sparsamen Kassen. Sogar Philhellenen gab
es bei uns, und man sah diese Leute mit großen Bärten, einen Säbel an
der Seite, Pistolen im Gürtel, rauchend durch Deutschland ziehen. Wenn
man sie fragte: ›Wohin?‹ so antworteten sie: ›In den heiligen Krieg,
nach Hellas gegen die Osmanen!‹ Bat sich nun etwa eine Frau oder ein
Mann, der in der alten Geographie nicht sehr erfahren, eine nähere
Erklärung aus, so erfuhr man, daß es nach Griechenland gegen die Türken
gehe. Da kreuzigten sich die Leute, wünschten dem Philhellenen einen
guten Morgen und flüsterten, wenn er mit dröhnenden Schritten einen
Fußpfad nach Hellas einschlug: ›Der muß wenig taugen, daß er im Reich
keine Anstellung bekommt und bis nach Griechenland laufen muß.‹«

»Ist's möglich?« rief der Marquis. »So teilnahmlos sprachen die
Deutschen von diesen Männern?«

»Gewiß; es ging mancher hin mit dem schönen Gefühl, einer unterdrückten
Sache beizustehen; mancher, um sich Kriegsruhm zu erkämpfen, der nun
einmal auf den Billards in den Garnisonen nicht zu erlangen ist; aber
alle barbierte man über einen Löffel, wie mein Vater zu sagen pflegte,
und schalt sie Landläufer.«

»Mylord,« sagte der Franzose, »es sind doch dumme Leute, diese
Deutschen!«

»O ja,« entgegnete jener mit großer Ruhe, indem er sein Rumglas
gegen das Licht hielt; »zuweilen; aber dennoch sind die Franzosen
unerträglicher, weil sie allen Witz allein haben wollen.«

Der Marquis lachte und schwieg. Der Baron aber fuhr fort: »Auf diese
Sitte der Deutschen hatte jener Mann seinen Plan gebaut, und noch oft
muß ich mich wundern, wie richtig sein Kalkül war. Die Deutschen,
dachte er, kommen nicht dazu, etwas für einen weit aussehenden Plan,
für ein fernes Land und dergleichen zu tun; entweder sagen sie: ›Es war
ja vorher auch so, lasset der Sache ihren Lauf, wer wird da etwas Neues
machen wollen?‹ oder sie sagen: ›Gut, wir wollen erst einmal sehen, wie
die Sache geht, vielleicht läßt sich hernach etwas tun.‹ Fällt aber
etwas in ihrer Nähe vor, können sie selbst etwas Seltenes mit eigenen
Augen sehen, so lassen sie es sich ›etwas kosten‹.

Man war dem Griechen früher oft in mancher kleinen Stadt sehr dankbar,
daß er doch wieder eine Materie zum Sprechen herbeigeführt habe,
eine Seltenheit, welche die Weiber beim Kaffee, die Männer beim Bier
traktieren konnten.

Was für Aussichten blieben mir übrig? Mein Onkel war tot, ich hatte
nichts gelernt; so schlug ich ein, Grieche zu werden. Jetzt fing ein
Unterricht an, bei welchem wir bald so vertraut miteinander wurden,
daß mir mein Führer sogar Schläge beibrachte. Er lehrte mich alle
Gegenstände auf neugriechisch nennen, bläute mir einige Floskeln
in dieser Sprache ein, und nachdem ich hinlänglich instruiert war,
schwärzte er mir Haar und Augenbrauen mit einer Salbe, färbte mein
Gesicht gelblich, und -- ich war ein Grieche. Mein Kostüm, besonders
das für vornehme Präsentationen, war sehr glänzend, manches sogar von
Seide. So zogen wir im Lande umher und gewannen viel Geld.«

»Aber mein Gott,« unterbrach ihn der Franzose, »sagen Sie doch,
in Deutschland soll es so viele gelehrte Männer geben, die sogar
Griechisch schreiben. Diese müssen doch auch sprechen können; wie haben
Sie sich vor diesen durchbringen können?«

»Nichts leichter als dies, und gerade bei diesen hatte ich meinen
größten Spaß; diese Leute schreiben und lesen das Griechische so gut,
daß sie vor zweitausend Jahren mit Thukydides hätten korrespondieren
können, aber mit dem Sprechen will es nicht recht gehen; sie mußten
zu Haus immer die Phrasen im Lexikon aufschlagen, wenn sie sprechen
wollten; da hatte ich nun, um aus aller Verlegenheit zu kommen,
eine herrliche Floskel bereit: -- -- -- ›Mein Herr, das ist nicht
griechisch.‹ Mein Führer unterließ nicht, sogleich, was ich gesagt,
dem Publikum ins Deutsche zu übersetzen, und jene Kathedermänner kamen
gewöhnlich über das Lächeln der Menschen dergestalt außer Fassung, daß
sie es nie wieder wagten, Griechisch zu sprechen.

So zogen wir längere Zeit umher, bis endlich in Karlsbad die ganze
Komödie auf einmal aufhörte. Wir kamen dorthin zur Zeit der Saison und
hatten viele Besuche. Unter andern fiel mir besonders ein Herr mit
einem Band im Knopfloch auf, der mir große Aehnlichkeit mit meinem
Vater zu haben schien. Er besuchte uns einigemal, und endlich, denken
Sie sich mein Erstaunen, höre ich, wie man ihn Herrn von Garnmacher
tituliert. Ich stürzte zu ihm hin, fragte ihn mit zärtlichen Worten,
ob er mein verehrter Herr Onkel sei, und entdeckte ihm auf der Stelle,
wie ich eigentlich nicht auf klassischem Boden in Athen, sondern als
königlich sächsisches Landeskind in Dresden geboren sei. Es war eine
rührende Erkennungsszene. Das Staunen des Publikums, als der Grieche
auf einmal gutes Deutsch sprach, die Verlegenheit meines Oheims, der
mit vornehmer Gesellschaft zugegen war und nicht gerne an meinen Vater,
den ~Marchand tailleur~, erinnert sein wollte, die Wut meines Führers,
alles dies kam mir trotz meiner tiefen Rührung höchst komisch vor.

Der Führer wurde verhaftet, mein Onkel nahm sich meiner an, ließ mir
Kleider machen und führte mich nach Berlin. Und dort begann für mich
eine neue Katastrophe.«



2.

Der Baron wird ein Rezensent.


»Mein Onkel war ein nicht sehr berühmter Schriftsteller, aber ein
berüchtigter, anonymer Kritiker. Er arbeitete an zehn Journalen,
und ich wurde anfänglich dazu verwendet, seine Hahnenfüße ins reine
zu schreiben. Schon hier lernte ich nach und nach in meines Onkels
Geist denken, faßte die gewöhnlichen Wendungen und Ausdrücke auf und
bildete mich so zum Rezensenten. Bald kam ich weiter; der herrliche
Mann brachte mir die verschiedenen Klassen und Formen der Kritik bei,
über welche ich übrigens hinweggehen kann, da sie einen Fremden nicht
interessieren.«

»Nein, nein!« rief der Lord. »Ich habe schon öfters von dieser
kritischen Wut Ihrer Landsleute gehört. Zwar haben auch wir, z. B. in
Edinburg und London, einige Anstalten dieser Art, aber sie werden, höre
ich, in einem ganz anderen Geiste besorgt als die Ihrigen.«

»Allerdings sind diese Blätter in meinem Vaterlande eine sonderbare,
aber eigentümliche Erscheinung. Wie in unserer ganzen Literatur immer
noch etwas Engbrüstiges, Eingezwängtes zu verspüren ist, wie nicht das,
was leicht und gesellig, sondern was mit einem recht schwerfälligen
gelehrten Anstrich geschrieben ist, für einzig gut und schön gilt,
so haben wir auch eigene Ansichten über Beurteilung der Literatur.
Es traut sich nämlich nicht leicht ein Mann oder eine Dame in der
Gesellschaft ein Urteil über ein neues Buch zu, das sich nicht an ein
öffentlich ausgesprochenes anlehnen könnte; man glaubt darin zu viel zu
wagen. Daher gibt es viele öffentliche Stimmen, die um Geld und gute
Worte ein kritisches Solo vortragen, in welches dann das Tutti oder der
Chorus des Publikums einfällt.«

»Aber wie mögen Sie über diese Institute spotten, mein Herr Baron?«
unterbrach ihn der Lord. »Ich finde das recht hübsch. Man braucht
selbst kein Buch als diese öffentlichen Blätter zu lesen und kann dann
dennoch in der Gesellschaft mitstimmen.«

»Sie hätten recht, wenn der Geist dieser Institute anders wäre. So
aber ergreift der, welcher sich nach diesen Blättern richtet, unbewußt
irgend eine Partie und kann, ohne daß er sich dessen versieht, in
der Gesellschaft für einen Goethianer, Müllnerianer, Vossiden oder
Creuzerianer, Schellingianer oder Hegelianer, kurz, für einen Yaner
gelten. Denn das eine Blatt gehört dieser Partei an und haut und sticht
mehr oder minder auf jede andere, ein anderes gehört diesem oder jenem
großen Buchhändler. Da müssen nun fürs erste alle seine Verlagsartikel
gehörig gelobt, dann die seiner Feinde grimmig angefallen werden; oft
muß man auch ganz diplomatisch zu Werke gehen, es mit keinem ganz
verderben, auf beiden Achseln (Dichter-) Wasser tragen und, indem man
einem freundlich ein Kompliment macht, hinterrücks heimlich ihm ein
Bein unterschlagen.«

»Aber schämen sich denn Ihre Gelehrten nicht, auf diese Art die Kritik
und Literatur zu handhaben?« fragte der Marquis. »Ich muß gestehen, in
Frankreich würde man ein solches Wesen verachten.«

»Ihre politischen Blätter, mein Herr, machen es nicht besser. Uebrigens
sind es nicht gerade die Gelehrten, die dieses Handwerk treiben. Die
eigentlichen Gelehrten werden nur zu Kernschüssen und langsamen,
gründlichen Operationen verwandt und mit vier Groschen bezahlt.
Leichter, behender sind die Halbgelehrten, die eigentlichen Voltigeurs
der Literatur. Sie plänkeln mit dem Feind, ohne ihn gründlich und mit
Nachdruck anzugreifen; sie richten Schaden in seiner Linie an, sie
umschwärmen ihn, sie suchen ihn aus seiner Position zu locken. Auch
dürfen sie sich gerade nicht schämen, denn sie rezensieren anonym, und
nur _einer_ unterschreibt seine kritischen Bluturteile mit so kaltem
Blute, als wollte er seinen Bruder freundlich zu Gevatter bitten.«

»Das muß ja ein eigentlicher Matador sein!« rief der Lord lächelnd.

»Ein Matador in jedem Sinne des Wortes. Auf spanisch -- ein
Totschläger, denn er hat schon manchen niedergedonnert; und wahrhaftig,
er ist der höchste Trumpf, dieser Matador, und zählt für zehn, wenn er
~Pacat ultimo~ macht. Und bei den literarischen Stiergefechten ist er
Matador! Denn er, der Hauptkämpfer, ist es, der dem armen gehetzten und
gejagten Stier den Todesstoß gibt.«

»Gestehen Sie, Sie übertreiben; -- Sie haben gewiß einmal den
unglücklichen Gedanken gehabt, etwas zu schreiben, das recht tüchtig
vorgenommen wurde, und jetzt zürnen Sie der Kritik?«

Der junge Deutsche errötete: »Es ist wahr, ich habe etwas geschrieben,
doch war es nur eine Novelle, und leider nicht so bedeutend, daß es
wäre rezensiert worden; aber nein; ich selbst habe einige Zeit unter
meines Onkels Protektion den kritischen kleinen Krieg mitgemacht
und kenne diese Affären genau. Nun, mein Onkel brachte mir also
die verschiedenen Formen und Klassen bei. Die _erste_ war die
_sanftlobende_ Rezension. Sie gab nur einige Auszüge aus dem Werk,
lobte es als brav und gelungen und ermahnte, auf der betretenen
Bahn fortzuschreiten. In diese Klasse fielen junge Schriftsteller,
die dem Interesse des Blattes entfernter standen, die man aber für
sich gewinnen wollte. Hauptsächlich aber war diese Klasse für junge,
schriftstellerische Damen.«

»Wie?« erwiderte der Lord. »Haben Sie deren so viele, daß man eine
eigene Klasse für sie macht?«

»Man zählte, als ich noch auf der Oberwelt war, sechsundvierzig jüngere
und ältere! Sie sehen, daß man für sie schon eine eigene Klasse
machen kann, und zwar eine gelinde, weil diese Damen mehr Anbeter
und Freunde haben als ein junger Schriftsteller. Die _zweite_ Klasse
ist die _lobposaunende_. Hier werden entweder die Verlagsartikel des
Buchhändlers, der das Blatt bezahlt oder die Parteimänner gelobt. Man
preist ihre Namen, man ist gerührt, man ist glücklich, daß die Nation
einen solchen Mann aufweisen kann. Die _dritte_ Klasse ist dann die
_neutrale_. Hier werden die Feinde, mit denen man nicht in Streit
geraten mag, etwas kühl und diplomatisch behandelt. Man spricht mehr
über das ~Genus~ ihrer Schrift und über ihre Tendenz, als über sie
selbst, und gibt sich Mühe, in recht vielen Worten _nichts_ zu sagen,
ungefähr wie in den Salons, wenn man über politische Verhältnisse
spricht und sich doch mit keinem Wort verraten will.

Die _vierte_ Klasse ist die _lobhudelnde_. Man sucht entweder einen,
indem man ihn scheinbar und mit einem Anstrich von Gerechtigkeit ein
wenig tadelt, zu loben, oder umgekehrt, man lobt ihn mit vielem Anstand
und bringt ihm einige Stiche bei, die ihn entweder tief verwunden oder
doch lächerlich machen. Die _fünfte_ Klasse ist die _grobe, ernste_;
man nimmt eine vornehme Miene an, setzt sich hoch zu Roß und schaut
hernieder auf die kleinen Bemühungen und geringen Fortschritte des
Gegners. Man warnt sogar vor ihm und sucht etwas Verstecktes in seinen
Schriften zu finden, was zu gefährlich ist, als daß man öffentlich
davon sprechen möchte. Diese Klasse macht stillen, aber tiefen
Eindruck aufs Publikum. Es ist etwas Mystisches in dieser Art der
Kritik, was die Menschen mit Scheu und Beben erfüllt. Die _sechste_
Klasse ist die _Totschlägerklasse_. Sie ist eine Art von Schlachtbank,
denn hier werden die Opfer des Zornes, der Rache niedergemetzelt ohne
Gnade und Barmherzigkeit, sie ist eine Säge- und Stampfmühle, denn der
Müller schüttet die Unglücklichen, die ihm überantwortet werden, hinein
und zerfetzt, zersägt, zermalmt sie.«

»Aber wer trägt denn die Schuld von diesem unsinnigen
Vertilgungssystem?« fragte Lasulot.

»Nun, das Publikum selbst! Wie man früher an Turnieren und Tierhetzen
die Freude hatte, so amüsiert man sich jetzt am kritischen Kriege; es
freut die Leute, wenn man die Schriftsteller mit eingelegten Lanzen
aufeinander anrennen sieht, und -- wenn die Rippen krachen, wenn einer
sinkt, klatscht man dem Sieger Beifall zu. Ländlich, sittlich! ›Ein
Stier, ein Stier, ruft's dort und hier!‹ In Spanien treibt man das
in der Wirklichkeit, in Deutschland metaphorisch, und wenn ein paar
tüchtige Fleischerhunde einen alten Stier anfallen und sich zu Helden
an ihm beißen, wenn der _Matador_ von der Galerie hinab in den Zirkus
springt,

    und zieht den Degen
    und fällt verwegen
    zur Seite den wütenden Ochsen an --

da freut sich das liebe Publikum, und von ›Bravo!‹ schallt die Gegend
wider!«

»Das ist köstlich!« rief der Engländer, doch war man ungewiß, ob sein
Beifall der deutschen Kritik oder dem Rum gelte, den er zu sich nahm.
»Und ein solcher Klassenkritikus wurden Sie, Master Garnmacher?«

»Mein Onkel war, wie ich Ihnen sagte, für mehrere Journale verpachtet;
wunderbar war es übrigens, welches heterogene Interesse er dabei
befolgen mußte. Er hatte es so weit gebracht, daß er an einem Vormittag
ein Buch las und sechs Rezensionen darüber schrieb, und oft traf es
sich, daß er alle sechs Klassen über einen Gegenstand erschöpfte. Er
zündete dann zuerst dem Schlachtopfer ein kleines gelindes Lobfeuer
aus Zimtholz an; dann warf er kritischen Weihrauch dazu, daß es große
Wolken gab, die dem Publikum die Sinne umnebelten und die Augen
beizten. Dann dämpfte er diese niedlichen Opferflammen zu einer
düsteren Glut, blies sie dann mit dem kalten Hauch der vierten Klasse
frischer an, warf in der fünften einen so großen Holzstoß zu, als die
Sancta simplicitas in Konstanz dem Huß, und fing dann zum sechsten an,
den Unglücklichen an dieser mächtigen Lohe des Zornes zu braten und zu
rösten, bis er ganz schwarz war.«

»Wie konnte er aber nur mit gutem Gewissen sechserlei so verschiedene
Meinungen über _einen_ Gegenstand haben? Das ist ja schändlich!«

»Wie man will. Ich erinnere Sie übrigens an die liberalen und an die
ministeriellen Blätter Ihres Landes; wenn heute einer Ihrer Publizisten
eine Ode an die Freiheit auf der Posaune geblasen hat, und ihm morgen
der Herr von ... einige Sous mehr bietet, so hält er einen Panegrikus
gegen die linke Seite, als hätte er von je in einem ministeriellen
Vorzimmer gelebt.«

»Aber dann geht er förmlich über;« bemerkte der Marquis; »aber Ihr
Onkel, der Schuft, hatte zu gleicher Zeit sechs Zungen und zwölf Augen,
die Hälfte mehr als der Höllenhund.«

»Die Deutschen haben es von jeher in allen mechanischen Künsten und
Handarbeiten weit gebracht,« erwiderte mit großer Ruhe der junge Mann,
»so auch in der Kritik. Als mich nun mein Onkel so weit gebracht
hatte, daß ich nicht nur ein Buch von dreißig Bogen in zwei Stunden
durchlesen, sondern auch den Inhalt einer _unaufgeschnittenen_ Schrift
auf ein Haar erraten konnte, wenn ich wußte, von welcher Partei sie
war, so gebrauchte er mich zur Kritik. ›Ich will dir,‹ sagte er, ›die
erste, zweite, fünfte und sechste Klasse geben. Die Jugend, wie sie
nun einmal heutzutage ist, kann nichts mit Maß tun. Sie lobt entweder
über alle Grenzen, oder sie schimpft und tadelt unverschämt. Solche
Leute, besonders wenn sie ein recht scharfes Gebiß haben, sind übrigens
oft nicht mit Geld zu bezahlen. Man legt sie an die Kette, bis man sie
braucht, und hetzt sie dann mit unglaublichem Erfolg, denn sie sind auf
den Mann dressiert, trotz der besten Dogge. Zu den Mittelklassen, zu
dem Neutralitätssystem, zu dem verdeckten Tadel, zu dem ruhigen, aber
sicheren Hinterhalt gehört schon mehr kaltes Blut.‹

So sprach mein Onkel und übergab mir die Kränze der Gnade und das
Schwert der Rache. Alle Tage mußte ich von früh acht bis ein Uhr
rezensieren. Der Onkel schickte mir ein neues Buch, ich mußte es
schnell durchlesen und die Hauptstellen bezeichnen. Dann wurden
Kritiken von Nr. 1 und 2 entworfen und dem Alten zugeschickt. Nun
schrieb er selbst 3 und 4, und war dann noch ein Hauptgericht zu
exequieren, so ließ er mir sagen: ›Mein lieber Neffe! nur immer Nr. 5
und 6 draufgesetzt; es kann nicht schaden, nimm ihn in Teufels Namen
tüchtig durch,‹ und den ich noch vor einer Stunde mit wahrer Rührung
bis zum Himmel erhoben, denselben verdammte ich jetzt bis in die
Hölle. Vor Tisch wurden dann die kritischen Arbeiten verglichen, der
Onkel tat, wie er zu sagen pflegte, Salz hinzu, um das Gebräu pikanter
zu machen; dann packte ich alles ein und verschickte die heil- und
unheilschweren Blätter an die verschiedenen Journale.«

»~Goddam!~ Habe ich in meinem Leben dergleichen gehört?« rief der Lord
mit wahrem Grauen. »Aber wenn Sie alle Tage nur _ein_ Buch rezensieren,
das macht ja im Jahr 365! Gibt es denn in Ihrem Vaterland jährlich
selbst nur ein Dritteil dieser Summe?«

»Ha! da kennen Sie unsere gesegnete Literatur schlecht, wenn Sie dies
fragen. So viele gibt es in _einer_ Messe, und wir haben jährlich zwei.
Alle Jahre kann man achtzig Romane, zwanzig gute und vierzig schlechte
Lust- und Trauerspiele, hundert schöne und miserable Erzählungen,
Novellen, Historien, Phantasien etc., dreißig Almanache, fünfzig Bände
lyrischer Gedichte, einige erhabene Heldengedichte in Stanzen oder
Hexametern, vierhundert Uebersetzungen, achtzig Kriegsbücher rechnen,
und die Schul-, Lehr-, Katheder-, Professions-, Konfessionsbücher, die
Anweisungen zum frommen Leben, zu Bereitung guten Champagners aus Obst,
zu Verlängerung der Gesundheit, die Betrachtungen über die Ewigkeit,
und wie man auch ohne Arzt sterben könne usw. sind nicht zu zählen;
kurz, man kann in meinem Vaterland annehmen, daß unter fünfzig Menschen
immer einer Bücher schreibt; ist einer einmal im Meßkatalog gestanden,
so gibt er das Handwerk vor dem sechzigsten Jahr nicht auf. Sie können
also leicht berechnen, meine Herren, wieviel bei uns gedruckt wird.
Welcher Reichtum der Literatur, welches weite Feld für die Kritik!«

Der junge Deutsche hatte diese letzten Worte mit einer Ehrfurcht,
mit einer Andacht gesprochen, die sogar _mir_ höchst komisch vorkam;
der Lord und der Marquis aber brachen in lautes Lachen aus, und je
verwunderter der junge Herr sie ansah, desto mehr schien ihr Lachreiz
gesteigert zu werden.

»Monsieur de Garnmacker! Nehmen Sie es nicht übel, daß ich mich von
Ihrer Erzählung bis zum Lachen hinreißen ließ,« sagte der Marquis,
»aber Ihre Nation, Ihre Literatur, Ihre kritische Manufaktur kam mir
unwillkürlich so komisch vor, daß ich mich nicht enthalten konnte, zu
lachen. Ihr seid sublime Leute! Das muß man euch lassen.«

»Und der Herr hier hat recht,« bemerkte Mylord mit feinem Lächeln.
»Alles schreibt in diesem göttlichen Lande, und was das schönste
ist, nicht jeder über sein Fach, sondern lieber über ein anderes. So
fuhr ich einmal auf meiner ~Grand tour~ in einem deutschen Ländchen.
Der Weg war schlecht, die Pferde womöglich noch schlechter. Ich ließ
endlich durch meinen Reisebegleiter, der Deutsch reden konnte, den
Postillon fragen, was denn sein Herr, der Postmeister, denke, daß er
uns so miserable Pferde vorspanne? Der Postillon antwortete: ›Was das
Post- und Stallwesen anbelangt, so denkt mein Herr nichts.‹ Wir waren
verwundert über diese Antwort, und mein Begleiter, dem das Gespräch
Spaß machte, fragte, was sein Herr denn anderes zu denken habe? ›Er
schreibt!‹ war die kurze Antwort des Kerls. ›Wie? Briefverzeichnisse,
Postkarten?‹ -- ›Ei, behüte,‹ sagte er, ›Bücher, gelehrte Bücher.‹ --
›Ueber das Postwesen?‹ fragten wir weiter. ›Nein,‹ meinte er; ›Verse
macht mein Herr, Verse, oft so breit als meine fünf Finger und so lang
als mein Arm!‹ und klatsch! klatsch! hieb er auf die magern Brüder des
Pegasus und trabte mit uns auf dem stoßenden Steinweg, daß es uns in
der Seele wehe tat. ›~Goddam!~‹ sagte mein Begleiter. ›Wenn der Herr
Postmeister so schlecht auf dem Hippogryphen sitzt wie sein Schwager
auf diesen Kleppern, so wird er holperige Verse zutage fördern!‹
Und auf Ehre, meine Herren, ich habe mich auf der nächsten Station
erkundigt, dieser Postmeister ist ein Dichter wie Sie, Mr. Garnmacher,
ein großer Kritiker.«

»Ich weiß, wen Sie meinen;« erwiderte der Deutsche mit etwas unmutiger
Miene, »und Ihre Erzählung soll wohl ein Stich auf mich sein, weil ich
eigentlich auch nicht für dieses Gebiet der Literatur erzogen worden.
Uebrigens muß ich Ihnen sagen, Mylord, in Ihrem kalten, systematischen,
nach Gesetzen ängstlich zugeschnittenen Land möchte etwas dergleichen
auffallen, aber bei uns zulande ist das was anderes. Da kann jeder in
die Literatur hineinpfuschen, wann und wie er will, und es gibt kein
Gesetz, das einem verböte, etwas Miserables drucken zu lassen, wenn
er nur einen Verleger findet. Bei den Kritikern und Poeten meines
Vaterlandes ist nicht nur in Hinsicht auf die Phantasie die schöne
romantische Zeit des Mittelalters, nein, wir sind, und ich rechne
mich ohne Scheu dazu, samt und sonders edle Raubritter, die einander
die Blumen der Poesie abjagen und in unsere Verließe schleppen, wir
üben das Faustrecht auf heldenmütige Weise und halten literarische
Wegelagerungen gegen den reich beladenen Krämer und Juden. Die Poesie
ist bei uns eine Gemeindewiese, auf welcher jedes Vieh umherspazieren
und Blumen und Gras fressen kann nach Belieben.«

»Herr von Garnmacker,« unterbrach ihn der Marquis de Lasulot, »ich
würde Ihre Geschichte erstaunlich hübsch und anziehend finden, wenn sie
nur nicht so langweilig wäre. Wenn Sie so fortmachen, so erzählen Sie
uns achtundvierzig Stunden in einem fort. Ich schlage daher vor, wir
verschieben den Rest und unsere eigenen Lebensläufe auf ein andermal
und gehen jetzt auf die Höllenpromenade, um die schöne Welt zu sehen!«

»Sie haben recht,« sagte der Lord, indem er aufstand und mir ein
Sixpencestück zuwarf, »der Herr von Garnmacher weiß auf unterhaltende
Weise einzuschläfern. Brechen wir auf; ich bin neugierig, ob wohl viele
Bekannte aus der Stadt hier sind?«

»Wie?« rief der junge Deutsche nicht ohne Ueberraschung, »Sie wollen
also nicht hören, wie ich mich in Berlin bei den Herren vom Mühlendamm
zu einem Elegant perfektionierte? Sie wollen nicht hören, wie ich einen
Liebeshandel mit einer Prinzessin hatte, und auf welche elendigliche
Weise ich endlich verstorben bin? O, meine Herren, meine Geschichte
fängt jetzt erst an, interessant zu werden.«

»Sie können recht haben,« erwiderte ihm der Lord mit vornehmem Lächeln,
»aber wir finden, daß uns die Abwechslung mehr Freude macht. Begleiten
Sie uns; vielleicht sehen wir einige Figuren aus Ihrem Vaterland, die
Sie uns zeigen können.«

»Nein, wirklich! Ich bin gespannt auf Ihre Geschichte,« sagte der
Marquis lachend, »aber nur jetzt nicht. Es ist jetzt die Zeit, wo die
Welt promeniert, und um keinen Preis, selbst nicht um Ihre interessante
Erzählung, möchte ich diese Stunde versäumen. Gehen wir.«

»Gut,« erwiderte der deutsche Stutzer, resigniert und ohne beleidigt zu
scheinen. »Ich begleite Sie; auch so ist mir Ihre werte Gesellschaft
sehr angenehm, denn es ist für einen Deutschen immer eine große Ehre,
sich an einen Franzosen oder gar an einen Engländer anschließen zu
können.«

Lachend gingen die beiden voran, der Baron folgte, und ich veränderte
schnell mein Kostüm, um diese merkwürdigen Subjekte auf ihren
Wanderungen zu verfolgen, denn ich hatte gerade nichts Besseres zu tun.

Die Menschen bleiben sich unter jeder Zone gleich -- es ist möglich,
daß Klima und Sitten eines anderen Landes eine kleine Veränderung in
manchem hervorbringen; aber lasset nur eine Stunde lang Landsleute
zusammen sprechen, der Nationalcharakter wird sich nicht verleugnen,
wird mehr und mehr sich wieder hervorheben und deutlicher werden. So
kommt es, daß dieser Geburtstag meiner lieben Großmutter mir Stoff
zu tausend Reflexionen gibt, denn selbst im Fegefeuer, wenn diesen
Leutchen nur _ein_ Tag vergönnt ist, findet sich Gleiches zu Gleichem,
und es spricht und lacht, und geht und liebt wie im Prater, wie auf der
~Chaussée d'Antin~ oder im ~Palais royal~, wie Unter den Linden oder
wie in ...

Welchen Anblick gewährte diese höllische Promenade! Die Stutzer
aller Jahrhunderte, die Kurtisanen und ~Merveilleuses~ aller Zeiten,
Theologen aller Konfessionen, Juristen aller Staaten, Financiers von
Paris bis Konstantinopel, von Wien bis London; und sie alle in Streit
über ihre Angelegenheiten, und sie alle mit dem ewigen Refrain: »Zu
unserer Zeit, ja! zu unserer Zeit war es doch anders!« Aber ach, meine
Stutzer kamen zu spät auf die Promenade, kaum daß noch Baron von
Garnmacher einen jungen Dresdener Dichter umarmen und einer Berliner
Sängerin sein Vergnügen ausdrücken konnte, ihre Bekanntschaft hier
zu erneuern! Der edle junge Herr hatte durch seine Erzählung die
Promenadenzeit verkümmert, und die große Welt strömte schon zum Theater.



3.

Das Theater im Fegefeuer.


Man wundert sich vielleicht über ein Theater im Fegefeuer? Freilich
ist es weder ~Opera buffa~ noch ~seria~, weder Trauer- noch Lustspiel;
ich habe zwar Schauspieldichter, Sänger, Akteurs und Aktricen, Tänzer
und Tänzerinnen genug; aber wie könnte man ein so gemischtes Publikum
mit einem dieser Stücke unterhalten? Ließe ich von Zacharias Werner
eine schauerlich-tragi-komisch-historisch-romantisch-heroische Komödie
aufführen -- wie würden sich Franzosen und Italiener langweilen, um
von den Russen, die mehr das Trauerspiel und Mordszenen lieben, gar
nicht zu sprechen. Wollte ich mir von Kotzebue ein Lustspiel schreiben
lassen, etwa die Kleinstädter in der Hölle, wie würde man über
verdorbenen Geschmack schimpfen! Daher habe ich eine andere Einrichtung
getroffen.

Mein Theater spielt große pantomimische Stücke, welche wunderbarerweise
nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft zum Gegenstand haben; aber
mit Recht. Die Vergangenheit, ihr ganzes Leben liegt abgeschlossen
hinter diesen armen Seelen. Selten bekommt eine einen Erlaubnisschein,
als Revenant die Erde um Mitternacht besuchen zu dürfen. Denn was nützt
es mir? Was frommt es dem irren Geist einer eifersüchtigen Frau, zum
Lager ihres Mannes zurückzukehren? Was nützt es dem Manne, der sich
schon um eine zweite umgetan, wenn durch die Gardine dringt --

    Eine kalte weiße Hand,
    Wen erblickt er? Seine Wilhelmine,
    Die im Sterbekleide vor ihm stand?

Was kann es dem Teufel, was einer ausgeleerten herzoglichen Kasse
helfen, wenn der Finanzminister, der sich aus Verzweiflung mit
dem Federmesser die Kehle abschnitt, allnächtlich ins Departement
schleicht, angetan mit demselben Schlafrock, in welchem er zu arbeiten
pflegte, schlürfend auf alten Pantoffeln und die Feder hinter dem
Ohr; zu was dient es, wenn er seufzend vor den Akten sitzt und mit
glühendem Auge seinen Rest immer noch einmal berechnet? Was kann es
dem fürstlichen Keller helfen, wenn der Schloßküfer, den ich in einer
bösen Stunde abgeholt, durch einen Kellerhals herniederfährt und mit
krampfhaft gekrümmten Fingern an den Fässern anpocht, die er bestohlen?
Zu welchem Zweck soll ich den General entlassen, wenn oben der
Zapfenstreich ertönt und die Hörner zur Ruhe blasen? Wozu den Stutzer,
um zu sehen, ob sein bezahltes Liebchen auf frische Rechnung liebt?
Zwar sie alle, ich gestehe es, sie alle würden sich unglücklicher
fühlen, könnten sie sehen, wie schnell man sie vergessen hat; es wäre
eine Schärfung der Strafe, wie etwa ein König, als ihm ein Urteil zu
_lebenslänglicher_ Zuchthausstrafe vorgelegt wurde, »_noch sechs Jahre
länger_« unterschrieb, weil er den Mann haßte. Aber sie würden mir auf
der andern Seite so viel verwirrtes Zeug mit herabbringen, würden mir
manchen fromm zu machen suchen, wie der reiche Mann im Evangelium, der
zu Lebzeiten so viel getrunken, daß er in der Hölle Wasser trinken
wollte -- ich habe darin zu viele Erfahrungen gemacht und kann es in
neuern Zeiten, wo ohnedies die Missionarien und andere Mystiker genug
tun, nicht mehr erlauben. Daher kommt es, daß es in diesen Tagen wenig
mehr in den _Häusern_, desto mehr aber in den _Köpfen_ spukt.

Um nun den Seelen im Fegefeuer dennoch Nachrichten über die Zukunft
zu geben, lasse ich an Festtagen einige erhebliche Stücke von meiner
höllischen Bande aufführen. Auf dem heutigen Zettel war angezeigt:

    _Mit allerhöchster Bewilligung._

    Heute als am Geburtsfeste

    der Großmutter, diabolischen Hoheit:

    Einige Szenen aus dem Jahr 1826.

    Pantomimische Vorstellung mit Begleitung des Orchesters.

    Die Musik ist aus Mozarts, Haydns, Glucks und anderen
    Meisterwerken zusammengesucht von Rossini.

    (Bemerkungen an das Publikum.) Da gegenwärtig sehr viele
    allerhöchste Personen und hoher Adel hier sind, so wird
    gebeten, die ersten Ranglogen den Hoheiten, Durchlauchten und
    Ministern bis zum Grafen abwärts inklusive, die zweite Galerie
    der Ritterschaft samt Frauen bis zum Leutnant abwärts zu
    überlassen.

            Die Direktion des infernal. Hof- und Nationaltheaters.

Das Publikum drängte sich mit Ungestüm nach dem Haus. Ich bot mich
den drei jungen Herren als Cicerone an und führte sie glücklich durch
das Gedränge ins Parkett. Obgleich der Lord ohne Anstand auf die
erste, der Marquis und der deutsche Baron auf die zweite Loge hätten
eintreten dürfen, fanden es diese drei Subjekte aber amüsanter, von
ihrem niederen Standpunkt aus Logen und Parterre zu lorgnettieren.
Wie mancher Ausruf des freudigen Staunens entschlüpfte ihnen, wenn
sie wieder auf ein bekanntes Gesicht trafen. Besonders Garnmacher
schien vor Erstaunen nicht zu sich selbst kommen zu können. »Nein,
ist es möglich?« rief er wiederholt aus. »Ist es möglich? Sehen Sie,
Marquis, jener Herr dort oben in der zweiten Galerie rechts, mit den
roten Augen, er spricht mit einer bleichen jungen Dame. Dieser starb
in Berlin im Geruch der Heiligkeit und soll auch hier sein an diesem
unheiligen Ort? Und jene Dame, mit welcher er spricht, wie oft habe
ich sie gesehen und gesprochen? Sie war eine liebenswürdige fromme
Schwärmerin, ging lieber in die Dreifaltigkeitskirche als auf den
Ball -- sie starb, und wir alle glaubten, sie werde sogleich in den
dritten Himmel schweben, und jetzt sitzt sie hier im Fegefeuer! Zwar
wollte man behaupten, sie sei in Teplitz an einem heimlichen Wochenbett
verschieden, aber wer ihren frommen Lebenslauf gesehen, wer konnte das
glauben?«

»Ha! die Nase von Frankreich!« rief auf einmal der Marquis mit Ekstase.
»Heiliger Ludwig, auch Ihr unter Euern verlorenen Kindern? Ha! und
ihr, ihr verdammten Kutten, die ihr mein schönes Vaterland in die
Kapuze stecken wollet. Sehen Sie, Mylord, jene häßlichen, kriechenden
Menschen? Sehen Sie dort -- das sind berühmte Missionare, die uns
glauben machen wollten, sie seien frömmer als wir. Dem Teufel sei es
gedankt, daß er diese Schweine auch zu sich versammelt hat.«

»O, mein Herr,« sagte ich, »da hätten Sie nicht nötig gehabt, bis ins
Theater sich zu bemühen, um diese Leutchen zu sehen. Sie zeigen sich
zwar nicht gerne auf den Promenaden, weil selbst in der Hölle nichts
Erbärmlicheres zu sein pflegt als ein entlarvter Heuchler. Aber im
~Café de Congrégation~ wimmelt es von diesen Herren, vom Kardinal bis
zum schlechten Pater. Sie können manche heilige Bekanntschaft dort
machen.«

»Mein Herr, Sie scheinen bekannt hier,« erwiderte Mylord. »Sagen Sie
doch, wer sind diese ernsten Männer in Uniform nebenan? Sie unterhalten
sich lebhaft, und doch sehe ich sie nicht lächeln. Sind es Engländer?«

»Verzeihen Sie,« antwortete ich, »es sind Soldaten und Offiziere von
der alten Garde, die sich mit einigen Preußen über den letzten Feldzug
besprechen.«

Alle drei schienen erstaunt über dieses Zusammentreffen und wollten
mehr fragen, aber der Kapellmeister hob den Stab, und die Trompeten
und Pauken der Rossinischen Ouvertüre schmetterten in das volle Haus.
Es war die herrliche Ouvertüre aus ~Il maestro ladro~, die Rossini
auf sich selbst gedichtet hat, und das Publikum war entzückt über die
schönen Anklänge aus der Musik aller Länder und Zeiten, und jedes
fand seinen Lieblingsmeister, seine Lieblingsarie in dem herrlich
komponierten Stück. Ich halte auch außer der ~Gazza ladra~ den
~Maestro ladro~ für sein Bestes, weil er darin seine Tendenz und seine
künstlerische Gewandtheit im Komponieren ganz ausgesprochen hat. Die
Ouvertüre endete mit dem ergreifenden Schluß von Mozarts Don Juan, dem
man, zur Vermehrung der Rührung, einen Nachsatz von Pauken, Trommeln
und Trompeten angehängt hatte, und -- der Vorhang flog auf.

Man sah einen Saal der Börsenhalle von London. Aengstlich drängten
sich die Juden und Christen durcheinander. In malerischen Gruppen
standen Geldmäkler, große und kleine Kaufleute und steigerten die
Papiere. Nachdem diese Introduktion einige Zeitlang gedauert hatte,
kamen in sonderbaren Sprüngen und Kapriolen zwei Kuriere hereingetanzt.
Allgemeine Spannung. Die Depeschen werden in einem ~Pas de deux~
entsiegelt, die Nachrichten mitgeteilt. In diesem Augenblick erscheint
mein erster Solotänzer, das Haus Goldsmith vorstellend, in der Szene.
Seine Mienen, seine Haltung drücken Verzweiflung aus. Man sieht,
seine Fonds sind erschöpft, sein Beutel leer, er muß seine Zahlungen
einstellen. Ein Chor von Juden und Christen dringen auf ihn ein, um
sich bezahlt zu machen. Er fleht, er bittet, seine Gebärdensprache ist
bezaubernd -- es hilft nichts. Da rafft er sich verzweiflungsvoll auf.
Er tanzt ein Solo voll Ernst und Majestät. Wie ein gefallener König
ist er noch im Unglück groß, seine Sprünge reichen zu einer immensen
Höhe, und mit einem prachtvollen Fußtriller fällt das Haus Goldsmith
in London. Komisch war es nun anzusehen, wie das Chor der englischen,
deutschen und französischen Häuser, vorgestellt von den Herren vom
~Corps de ballet~, diesen Fall weiter fortsetzten. Sie wankten
künstlich und fielen noch künstlicher, besonders exzellierten hierbei
einige Berliner Börsenkünstler, die durch ihre ungemeine Kunst einen
wahrhaft tragischen Effekt hervorbrachten und allgemeine Sensation im
Parterre erregten.

Plötzlich ging die lamentable Börsenmusik in einen Triumphmarsch über.
Die herrliche Passage aus der Italienerin in Algier: »_Heil dem großen
Kaimakan_« ertönte. Ein glänzender Zug von Christensklaven, Goldbarren
und Schüsseln mit gemünztem Gold tragend, tanzten aufs Theater. Es war,
wie wenn in der Hungersnot ein Wagen mit Brot in eine ausgehungerte
Stadt kommt. Man denkt nicht daran, daß der spekulative Kopf, der das
Brot herbeischaffte, nichts als ein gemeiner Wucherer ist, der den
Hunger benützt und sein Brot zu ungeheuren Preisen losschlägt. Man
denkt nicht daran, man verehrt ihn als den Retter, als den schützenden
Schild in der Not. So auch hier. Die gefallenen Häuser richteten sich
mit Grazie empor, sie schienen Hoffnung zu schöpfen, sie schienen den
Messias der Börse zu erwarten. Er kam. Acht Finanzminister berühmter
Könige und Kaiser trugen auf ihren Schultern eine Art von Triumphwagen,
der die transparente Inschrift: »_Seid umschlungen, Millionen!_« trug.
Ein Herr mit einer pikanten, morgenländischen Physiognomie, wohlbeleibt
und von etwas schwammigem Ansehen, saß in dem Wagen und stellte den
Triumphator vor.

Mit ungemeinem Applaus wurde er begrüßt, als er von den Schultern
der Minister herab auf den Boden stieg. »Das ist Rothschild! Es lebe
Rothschild!« schrie man von den ersten Ranglogen und klatschte und
rief Bravo, daß das Haus zitterte. Es war mein erster Grotesktänzer,
der diese schwierige Rolle meisterhaft durchführte; besonders als er
mit dem englischen, österreichischen, preußischen und französischen
Ministerium einen Cosaque tanzte, übertraf er sich selbst. Rothschild
gab in einer komischen Solopartie seinem Reich, der Börse, den
Frieden, und der erste Akt der großen Pantomime endigte sich mit einem
brillanten Schlußchor, in welchem er förmlich gekrönt und zu einem
allerhöchsten ~cher cousin~ gemacht wurde.

Als der Vorhang gefallen war, ließ sich Mylord ziemlich ungnädig über
diese Szene aus. »Es war zu erwarten,« sagte er, »daß diese Menschen
bedeutenden Einfluß auf die Kurse bekommen werden, aber daß auf der
Börse von London ein solcher Skandal vorfallen werde, im Jahr 1826, das
ist unglaublich.«

»Mein Herr!« erwiderte der Marquis lachend, »unglaublich finde ich
es nicht. Bei den Menschen ist alles möglich, und warum sollte nicht
einer, wenn er auch im Judenquartier zu Frankfurt das Licht der Welt
erblickte, durch Kombination so weit kommen, daß er Kaiser und Könige
in seinen Sack stecken kann?«

»Aber England, Alt-England! Ich bitte Sie,« rief der Lord schmerzlich.
»Ihr Frankreich, Ihr Deutschland hat von jeher nach jeder Pfeife tanzen
müssen! Aber, ~Goddam!~ das englische Ministerium mit diesem Hepphepp
einen Cosaque tanzen zu sehen! O! es ist schmerzlich!«

»Ja, ja!« sprach Baron von Garnmacher, des Schneiders Sohn, sehr ruhig.
»Es wird und muß so kommen. Freilich, ein bedeutender Unterschied
zwischen 1826 und der Zeit des Königs David!«

»Das finde ich nicht,« antwortete der Marquis, »im Gegenteil, Sie sehen
ja, welch großen Einfluß die Juden auf die Zeit gewinnen!«

»Und dennoch finde ich einen bedeutenden Unterschied,« erwiderte der
Deutsche. »Damals, mein Herr, hatten alle Juden nur _einen_ König,
jetzt haben aber alle Könige nur _einen_ Juden.«

»Wenn Sie so wollen, ja. Aber neugierig bin ich doch, was für eine
Szene uns der Teufel jetzt geben wird. Ich wollte wetten, Frankreich
oder Italien kommt ans Brett.«

»Ich denke, Deutschland,« erwiderte Garnmacher. »Ich wenigstens
möchte wohl wissen, wie es im Jahr 1826 oder 1830 in Deutschland sein
wird. Als ich die Erde verließ, war die Konstellation sonderbar. Es
roch in meinem Vaterlande wie in einer Pulverkammer, bevor sie in
die Luft fliegt. Die Lunte glühte, und man roch sie allerorten. Die
feinsten diplomatischen Nasen machten sich weit und lang, um diesen
geheimnisvollen Duft einzuziehen und zu erraten, woher der Wind komme.
Meinen Sie nicht auch, es müsse bedeutende Veränderungen geben?«

»Es wird heißen: Auch in diesem Jahre ist es geblieben, wie es war,«
antwortete ich dem guten Deutschen. »Um eine Lunte auszulöschen, bedarf
es keiner großen Künste. Man wird bleiben, wie man war, man wird
höchstens um einige Prozente weiser vom Rathaus kommen. Sie wollen Ihr
Vaterland in Szene gesetzt sehen, um zu erfahren, wie es Anno 1826 dort
aussieht? Armer Herr, da müßte ich ja zuvor noch fragen, was für ein
Landsmann Sie sind?«

»Wie verstehen Sie das?« fragte der Baron unmutig.

»Nun? Was könnte man Ihnen denn Allgemeines und Nationales vorspielen,
da Sie keine Nation sind? Sind Sie ein Bayer, so müßte man Ihnen
zeigen, wie man dort noch immer das alte ehrliche Bier, nur nach neuen
Rezepten braut. Sind Sie ein Württemberger, so könnten Sie erfahren,
wie man die Landstände wählte. Sind Sie ein Rheinpreuße, und drückt
Sie der Schuh, so lassen Sie den eigenen Fuß operieren, denn an dem
Normalschuh darf nichts geändert werden. Sind Sie ein Hesse, so trinken
Sie ganz ruhig Ihren Doppelkümmel zum Butterbrot, aber denken Sie
nichts, nicht einmal, ob es in der letzten Woche schön war und in der
nächsten regnen wird. Sind Sie ein Brandenburger, so machen Sie, daß
Ihnen die Haare zu Berge stehen, und hungern Sie, bis Sie eine schöne
Taille bekommen -- --«

»Herr, sind Sie des Teufels!« fuhr der Baron auf. »Wollen Sie uns alles
Nationalgefühl absprechen? Wollen Sie --«

»Stille! Sie sehen, der Vorhang geht wieder in die Höhe!« rief der
Marquis. »Wie, was sehe ich? Das ist ja das Portal von Notre Dame! Das
finde ich sonderbar. Wenn man von Frankreich etwas in Szene setzen
will, warum gibt man uns kein Vaudeville, warum nicht den Kampf der
Kammer?«

Die Glocken von Notre Dame ertönten in feierlichen Klängen. Chorgesang
und das Murmeln kirchlicher Gebete näherte sich, und eine lange
Prozession, angeführt von den Missionaren, betrat die Bühne. Da sah
man königliche Hoheiten und Fürsten mit den Mienen zerknirschter
Sünder, den Rosenkranz in der Hand, einherschleichen. Da sah man Damen
des ersten Ranges, die schönen Augen gen Himmel gerichtet, die ~à
la~ Madonna gekämmten Haare mit wohlriechender Asche bestreut, die
niedlichen Füßchen bloß und bar in dem Staube wandelnd. Das Publikum
staunte. Man schien seinen Augen nicht zu trauen, wenn man die Herzogin
D--s, die Komtesse de M--u, die Fürstin T--d im Kostüm einer Büßenden
zur Kirche wandeln sah. Doch, als Offiziere der alten Armee, nicht mit
Adlern, sondern mit heiligen Fahnen in der Hand, hereinwankten, als
sogar ein Mann in der reichen Uniform der Marschälle, den Degen an der
Seite, die Kerze in der Hand und Gebetbücher unter dem Arm, über die
Szene ging, da wandte sich der Marquis ab, die Soldaten der alten Garde
an unserer Seite ballten die Fäuste und riefen Verwünschungen aus, und
wer weiß, was meinen Akteurs geschehen wäre, hätte man faule Aepfel
oder Steine in der Nähe gehabt? Das hohe Portal von Notre Dame hatte
endlich die Prozession aufgenommen, und nur der Schluß ging noch über
die Szene. Es war ein Affe, der eine Kerze in der Hand und unter dem
Arm eine Vulgata trug. Man hatte ihm einen ungeheuren Rosenkranz als
Zaum um den Hals gelegt, an welchem ihn zwei Missionare wie ein Kalb
führten. So oft er aus dem ruhigen Prozessionsschritt in wunderliche
Seitensprünge fallen wollte, wurde er mit einer Kapuzinergeißel
gezüchtigt und schrie dann, um seine Zuchtmeister zu versöhnen: »~Vive
le bon Dieu! vive la croix!~« So brachten sie ihn endlich mit großer
Mühe zur Kirche. Orgel und Chorgesang erscholl, und der Vorhang fiel.

»Haben Sie nun Genugtuung?« sagte der Marquis zu dem Lord. »Was ist
Ihr Skandal auf der Börse gegen diesen kirchlichen Unfug? O, mein
Frankreich, mein armes Frankreich!«

»Es ist wahr,« antwortete Mylord sehr ernst, indem er dem Franzosen die
Hand drückte, »Sie sind zu beklagen; aber ich glaube nicht an diese
tollen Possen. Frankreich kann nicht so tief sinken, um sich so unter
den Pantoffel zu begeben. Frankreich, das Land des guten Geschmacks,
der fröhlichen Sitten, der feinen Lebensart, Frankreich sollte schon im
Jahre 1826 vergessen haben, daß es einst der gesunden Vernunft Tempel
erbaute und den Jesuiten die Kutte ausklopfte? Nicht möglich, es ist
ein Blendwerk der Hölle!«

»Das möchte doch nicht so sicher sein,« sagte ich. »Das Vaterland des
Herrn Marquis gefiel sich von jeher in Kontrasten. Wenn einmal der
Jesuitismus dort zur Mode wird, möchte ich für nichts stehen.«

»Aber was wollten Sie nur mit dem Affen in Notre Dame?« fragte der
Baron. »Was hat denn dieses Tier zu bedeuten?«

»Das ist, wie ich von der Theaterdirektion vernahm, der Affe Joko,
der sonst diese Leute im Theater belustigte. Jetzt ist er wohl auch
von den Missionaren bekehrt worden, und wenn er, wie man aus seinen
Seitensprüngen schließen könnte, ein Protestant ist, so werden sie ihn
wohl in der Kirche taufen.«

»~Goddam!~ was Sie sagen. Doch Sie scheinen mit der Theaterdirektion
bekannt. Sagen Sie uns, was noch aufgeführt wird. Wenn es nichts
Interessantes ist, so denke ich, gehen wir weiter, denn ich finde diese
Pantomimen etwas langweilig.«

»Es kommt nur noch ein Akt, der mehr allgemeines Interesse hat,«
antwortete ich. »Es wird nämlich ein diplomatisches Diner aufgeführt,
das der Reis-Efendi den Gesandten hoher Mächte gibt, das Siegesfest
der Festung Missolunghi vorstellend. Es werden dabei Ragouts aus
Griechenohren, Pastetchen von Philhellenennasen aufgetischt. Das
Hauptstück der Tafel macht ein Roastbeef von dem griechischen
Patriarchen, den sie lebendig geröstet haben, und zum Beschluß wird
ein kleiner Ball gegeben, den ein besternter Staatsmann, so alt er
sein mag, mit der schönsten Griechensklavin aus dem Harem seiner
mohammedanischen Majestät eröffnet.«

»Ei!« rief der Marquis. »Was wollen wir diese Schande der Menschheit
sehen? Ihre Londoner Börse war lächerlich, die Prozession gemein und
dumm, aber diese ekelhafte Erbärmlichkeit, ich kann sie nicht ansehen!
Kommt, meine Freunde. Wir wollen lieber noch die Geschichte des Herrn
von Garnmacher hören, so langweilig sie ist, als dieses diplomatische
Diner betrachten!«

Der Lord und der deutsche Baron willigten ein. Sie standen auf und
verließen mein Theater, und der Lord sah, als er heraustrat, mit einem
derben Fluche zurück und rief: »Wahrlich, es steht schlimm mit der
Zukunft von 1826!«



Inhalt.


    Erster Teil.

    Einleitung.

                                                           Seite

    Erstes Kapitel. Der Herausgeber macht eine interessante
    Bekanntschaft                                              5

    Zweites Kapitel. Der schauerliche Abend                   10

    Drittes Kapitel. Der schauerliche Abend. (Fortsetzung)    17

    Viertes Kapitel. Das Manuskript                           24

    Die Studien des Satan auf der berühmten Universität ...en.

    Fünftes Kapitel. Einleitende Bemerkungen                  30

    Sechstes Kapitel. Wie der Satan die Universität bezieht
    und welche Bekanntschaften er dort machte                 34

    Siebentes Kapitel. Satan besucht die Kollegien;
    was er darin lernte                                       40

    Achtes Kapitel. Der Satan bekommt Händel und schlägt
    sich. Folgen davon                                        46

    Neuntes Kapitel. Satans Rache an Doktor Schnatterer       49

    Zehntes Kapitel. Satan wird wegen Umtrieben eingezogen
    und verhört; er verläßt die Universität                   53

    Unterhaltungen des Satan und des ewigen Juden in Berlin.

    Elftes Kapitel. Wen der Teufel im Tiergarten traf         60

    Zwölftes Kapitel. Satan besucht mit dem ewigen Juden
    einen ästhetischen Tee                                    67

    Dreizehntes Kapitel. Angststunden des ewigen Juden        74

    Vierzehntes Kapitel. Der Fluch. Eine Novelle              83

    Fünfzehntes Kapitel. Das Intermezzo. -- Die Trinker       92

    Satans Besuch bei Herrn von Goethe.

    Sechzehntes Kapitel. Bemerkungen über das Diabolische
    in der deutschen Literatur                               100

    Siebzehntes Kapitel. Der Besuch                          107

    Der Festtag im Fegefeuer. Eine Skizze.

    Achtzehntes Kapitel. Beschreibung des Festes.
    Satan lernt drei merkwürdige Subjekte kennen             113

    Neunzehntes Kapitel. Geschichte des deutschen Stutzers   120


    Zweiter Teil.

    Vorspiel, worin von Prozessen, Justizräten die Rede,
    nebst einer stillschweigenden Abhandlung:
    »Was von Träumen zu halten sei?«                         132

    Der Fluch. Novelle. (Fortsetzung)                        142

    Mein Besuch in Frankfurt.

    1. Wen der Satan an der Table d'hote im weißen Schwanen
    sah                                                      203

    2. Trost für Liebende                                    208

    3. Ein Schabbes in Bornheim                              215

    4. Das gebildete Judenfräulein                           220

    5. Der Kurier aus Wien kommt an                          226

    6. Der Reis-Efendi und der Teufel in der Börsenhalle     229

    7. Die Verlobung                                         233

    Der Festtag im Fegefeuer. (Fortsetzung.)

    1. Der junge Garnmacher fährt fort, seine Geschichte zu
    erzählen                                                 236

    2. Der Baron wird ein Rezensent                          240

    3. Das Theater im Fegefeuer                              248



    Weitere Anmerkungen zur Transkription


    Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die
    Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.

    Korrekturen:

    S. 26: Kastel → Kassel
        es brenne drüben in {Kassel}

    S. 47: Groschenstück → Groschenstrick
        Würgers ein {Groschenstrick} war

    S. 52: Züge → Zunge
        schien seine {Zunge} gelähmt

    S. 56: höchstpreislichen → höchstpreuslichen (nach anderen Ausgaben)
        einer {höchstpreuslichen} Zentral-Untersuchungskommission

    S. 189: vom → dem
        er diese Nachricht {dem} Kardinal

    S: 207: Haned → Hand
      mit ihrem Jokofächer auf die {Hand}





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