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Title: Kulturgeschichte der Nutzpflanzen, Band IV, 1. Hälfte
Author: Reinhardt, Ludwig
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Kulturgeschichte der Nutzpflanzen, Band IV, 1. Hälfte" ***


  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

    Der vorliegende Text wurde anhand der 1911 erschienenen Buchausgabe
    so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
    Fehler wurden stillschweigend korrigiert; Rechtschreibvarianten
    wurden nicht vereinheitlicht, sofern die Verständlichkeit
    des Textes dadurch nicht berührt wird. Fremdwörter und
    Transliterationen (vorwiegend aus dem Griechischen) wurden weder
    korrigiert noch vereinheitlicht.

    Die gedruckte Fassung wurde in einer Frakturschrift gesetzt, in
    der die Großbuchstaben I und J identisch sind; die Auswahl in
    der vorliegenden Ausgabe erfolgte daher mitunter willkürlich.
    Im Sachregister wird nunmehr zwischen den Begriffen mit den
    Anfangsbuchstaben I und J unterschieden, was im Original nicht
    möglich war.

    Einige Bildtafeln enthalten mehrere Abbildungen. Das Verzeichnis
    der Tafeln wurde der zweiten Hälfte dieses Bandes entnommen.

    Besondere Schriftschnitte wurden in der vorliegenden Fassung mit
    den folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet:

      fett:       =Gleichheitszeichen=
      gesperrt:   +Pluszeichen+
      Antiqua:    ~Tilden~

    Das Caret-Symbol (^) steht vor hochgestellten Zeichen.

  ####################################################################



                   Kulturgeschichte der Nutzpflanzen



                        Die Erde und die Kultur

                   Die Eroberung und Nutzbarmachung
                      der Erde durch den Menschen

                    In Verbindung mit Fachgelehrten
                  gemeinverständlich dargestellt von
                        ~Dr.~ Ludwig Reinhardt

                        Bd. IV~ in zwei Teilen
                   Kulturgeschichte der Nutzpflanzen

                             München 1911
                     +Verlag von Ernst Reinhardt+



                   Kulturgeschichte der Nutzpflanzen

                                  von

                        ~Dr.~ Ludwig Reinhardt

                          Band IV,  1. Hälfte

          Mit 57 Abbildungen im Text und 90 Kunstdrucktafeln

                             München 1911
                     +Verlag von Ernst Reinhardt+



                        Alle Rechte vorbehalten

                 Roßberg’sche Buchdruckerei, Leipzig.



Vorwort.


Die emsige Forscherarbeit der letzten Jahrzehnte hat auf dem weiten
Gebiete der allgemeinen Kulturgeschichte eine Fülle von Material
zusammengetragen, das aber, dem Nichtfachmann unzugänglich, in
wissenschaftlichen Zeitschriften und Monographien verborgen war. Es
aus diesem Dornröschenschlaf zu erwecken und dem weiten Kreise der
Gebildeten zugänglich zu machen, war eine lockende Aufgabe, der ich
mich in Gemeinschaft mit dem Geographen und Nationalökonomen ~Dr.~ R.
+Hotz+ und anderen Fachgelehrten gern unterzogen habe. In gewissem
Sinne bildet es eine Ergänzung und Erweiterung des in gleichem Verlage
erschienenen Sammelwerkes „Vom Nebelfleck zum Menschen“; denn wenn dort
versucht wurde, die lange Geschichte der Menschwerdung zu schildern, so
soll in „+Die Erde und die Kultur+“ gezeigt werden, wie der Mensch im
Laufe der Jahrtausende die Erde erobert und seinen Zwecken dienstbar
gemacht hat.

Die Gliederung des Gesamtwerkes ist die folgende: Band I: Die Erde und
ihr Wirtschaftsleben (von ~Dr.~ R. +Hotz+). Band II: Kulturgeschichte
des Menschen. Band III: Kulturgeschichte der Nutztiere. Band IV:
Kulturgeschichte der Nutzpflanzen. Jeder Band ist in sich abgeschlossen
und einzeln käuflich. Band IV ist soeben erschienen, Band I und III
erscheinen im Laufe des Jahres 1911, Band II im Sommer 1912, so daß
spätestens im Herbst des Jahres 1912 das ganze Werk vollständig sein
wird.

In dem vorliegenden Doppelband „+Die Kulturgeschichte der
Nutzpflanzen+“ suchte ich das fortzusetzen, was einst der feinsinnige
Philologe Victor +Hehn+ für einen Teil der bekanntesten Kulturpflanzen
begonnen hatte: eine Geschichte ihrer Domestikation und ihrer Wanderung
über die Erde im Gefolge des Menschen zu geben. Ein Menschenalter
ist seit dem Erscheinen von Hehns Werk verflossen, manches hat sich
geändert, dazu habe ich den Gegenstand nach allen Seiten erweitert;
denn nicht nur die Kulturpflanzen sollen in dem Werke behandelt
werden, sondern die Nutzpflanzen im weitesten Sinne des Wortes.
Eine Fülle von Literatur war zu sichten und zu bearbeiten, fast zu
groß für die Arbeitskraft eines einzelnen Menschen. Ich habe mich
bemüht, allen wissenschaftlichen Ballast wegzulassen und durch
gründliches Quellenstudium das heute Sichergestellte in klaren Zügen
gemeinverständlich darzustellen.

Besondere Sorgfalt wurde auf die Bilder verwendet, die auf
Kunstdrucktafeln, größtenteils nach noch unveröffentlichten
Photographien, dem Texte beigegeben werden.

Allen Gelehrten, die mich in meiner Arbeit in zuvorkommender
Weise unterstützt haben, spreche ich auch an dieser Stelle meinen
verbindlichen Dank aus.

    +Basel+, im Oktober 1910.

    =~Dr.~ Ludwig Reinhardt.=



Inhalt des ersten Bandes.


     1. Die Getreidearten. 1. Der Weizen und seine Abarten             1

     2. Die Getreidearten. 2. Gerste, Roggen, Hafer, Hirse und
          Buchweizen                                                  26

     3. Die Getreidearten. Reis und Mais                              52

     4. Die Fruchtbäume. 1. Teil                                      72

     5. Die Fruchtbäume. 2. Teil                                     155

     6. Die Agrumen                                                  237

     7. Die Gemüsearten                                              256

     8. Eßbare Knollengewächse                                       349

     9. Die Ölgewächse                                               399

    10. Der Zucker                                                   436

    11. Der Kaffee                                                   454

    12. Der Tee                                                      475

    13. Der Kakao                                                    500

    14. Die Gewürze                                                  516

    15. Die berauschenben Getränke                                   596

    16. Die betäubenden Pflanzenstoffe                               647

    17. Der Tabak                                                    665

    18. Die Gärungserreger                                           683



Tafelverzeichnis des ersten Bandes.

     1. Getreidearten                                                 16

     2. Alter Pflug; Die Entwicklung des  Pfluges                     16

     3. Dreschen in Galiläa                                           16

     4. Dampfdreschmaschine                                           16

     5. Dampfpflug                                                    32

     6. Dampfpflug                                                    32

     7. Mohrenhirse; Buchweizen                                       48

     8. Reisfeld                                                      48

     9. Singhalesen beim Pflügen                                      56

    10. Reisfelder; Pflanzen des Reises                               56

    11. Entkernen des Reises; Dreschen des Reises                     56

    12. Singhalesinnen b.Reisstampfen                                 56

    13. Maisscheune der Zulu                                          64

    14. Maismühle der Zulu                                            64

    15. Längsspalier von Birnen                                       81

    16. Kreuzspalier von Birnen                                       81

    17. Blühende  Mandelbäume; Traubenernte                           81

    18. Konservenfabrik in Lenzburg                                   81

    19. Maulbeerbäume; uralter Feigenbaum                            129

    20. Alter Ölbaumhain in Arco                                     129

    21. Ölbaum in Antibes                                            152

    22. Olivenhain auf Capri; Dattelpalmen am Nil                    152

    23. Dattelpalmen in Algier; Dattelernte in Algerien              168

    24. Kokospalme in Westafrika                                     168

    25. Ölpalme; Zuckerpalme                                         176

    26. Kokospalmen; verschiedene Palmen                             176

    27. Arekanüsse; Sagopalmen                                       176

    28. Auf Arekapalmen kletternde Inder                             176

    29. Talipotpalme                                                 185

    30. Seychellenpalme; Victoria Regia                              185

    31. Fächerpalme                                                  192

    32. Bananenhain; Verladung von Bananen                           192

    33. Mangobaum                                                    201

    34. Brotfruchtbaum; Brotfrucht                                   201

    35. Zweig der Brotfrucht                                         201

    36. Baobab; Malaienwohnung                                       201

    37. Kolabäume                                                    208

    38. Durian; Mangostane                                           208

    39.  Ananas; Tamarindenallee                                     208

    40. Melonenbaum                                                  208

    41. Tropisches Gewächshaus                                       216

    42. Fruchtladen  auf  Ceylon; Fruchtladen in Südindien           216

    43. Kastanienbäume; Alter Feigenbaum                             232

    44. Johannisbrotbaum; Zitronenhain in Salo                       232

    45. Japanische Küche                                             289

    46. Japanischer Gemüsehändler                                    289

    47. Artischockenpflanzung; Wassermelonen                         337

    48. Kürbisbaum                                                   337

    49. Japanische Bäuerin; Japanischer Bauer                        352

    50. Papyrusdickicht; Maniokpflanzung                             352

    51. Fufustampfen auf d. Goldküste; Yamsknollen auf Jamaika       368

    52. Yamsknollen; Frauen in Bonaberi                              368

    53. Champignonkultur bei Paris; Champignonernte                  392

    54. Verarbeitung von Champignons                                 392

    55. Schibutterbäume; Szenerie aus dem Urwald                     416

    56. Rizinuspflanzung; Karnaubapalme                              416

    57. Wildes Zuckerrohr                                            441

    58. Zuckerrohrernte; Zuckerrohrernte                             441

    59. Liberiakaffee                                                465

    60. Liberiakaffee                                                465

    61. Pflücken der Teeblätter                                      480

    62. Pflücken der Teeblätter                                      480

    63. Singhalesinnen Tee verlesend                                 480

    64. Trocknen der Teeblätter                                      480

    65. Teestrauch                                                   489

    66. Mateernte                                                    489

    67. Kakaosaatbeete                                               512

    68. Junge Kakaopflanzung                                         512

    69. Kakaoernte                                                   512

    70. Kakaobaum; Vanillestrauch                                    512

    71. Vanillepflanzung                                             520

    72. Pfefferrebe                                                  520

    73. Wilder Hopfen; Hopfengarten                                  545

    74. Hopfenpflücker; gedörrter Hopfen                             545

    75. Zimtbaum; Schälen des Zimtrohrs                              577

    76. Muskatnüsse; Gewürznelkenbäume                               577

    77. Hydraulische Kelter; Moderne Weinfässer                      625

    78. Faune nach Rubens; Champagnerkellerei                        625

    79. Kokapflanze; Pulquegewinnung                                 640

    80. Opiumraucher; Opuntie                                        640

    81. Blühender Tabak                                              672

    82. Anlage einer Tabakpflanzung                                  672

    83. Trockenscheune in einer Pflanzung                            672

    84. Reifer Tabak; Trockenscheune (Inneres)                       672

    85. Sortieren der Tabakblätter                                   680

    86. Fermentieren der Tabakblätter; Zigarettenfabrik              680

    87. Knetmaschinen                                                697

    88. Moderner Backraum                                            697

    89. Malztenne der Löwenbrauerei; Sudhaus der Löwenbrauerei       705

    90. Gärkeller der Löwenbrauerei, Lagerkeller der Löwenbrauerei   705

    91. Hofbräuhaus (außen)                                          705

    92. Hofbräuhaus (innen)                                          705



I.

Die Getreidearten

Der Weizen und seine Abarten.


Die ältesten vom Menschen in Kultur genommenen Nutzpflanzen sind,
soweit wir dies heute zu beurteilen vermögen, +Weizen+ und +Gerste+,
die irgendwo in Vorder- oder Mittelasien, von fürsorgenden Frauen
gesammelt und gehegt, später auch angepflanzt, mit der Zeit durch
fortgesetzte Auslese zu Spendern besonders großer, mehlreicher
Körnerfrüchte gediehen. Diese wurden nicht nur ihnen und ihren Kindern,
sondern auch den zunächst ausschließlich von der Jagd und später, nach
der Zähmung und Aufzucht von Haustieren, von Viehzucht lebenden Männern
zu einer immer unentbehrlicheren Zukost zu der von diesen gelieferten
Fleischnahrung.

Während der Mann der Urzeit mit seinen Sippengenossen der Jagd oblag,
suchte die Frau für sich und ihre Kinder, soweit sie nicht mehr von ihr
gestillt wurden, was damals in Analogie mit heute noch auf derselben
Kulturstufe lebenden Völkern zwei bis drei Jahre gedauert haben mag,
die für sie erreichbare, hauptsächlich aus Vegetabilien und kleinen
Tieren wie Würmern, Schnecken, Heuschrecken, Käfern, Raupen, Fröschen,
Eidechsen, Schlangen und dergleichen bestehende Nahrung. Mit dem
ziemlich langen Grabstock versehen, den sie als Universalwerkzeug und
Waffe stets bei sich führte, zog sie, von ihren Kindern begleitet, in
die Speise irgend welcher Art zur Stillung des stets regen Hungers
versprechende Nachbarschaft des jeweiligen Lagerplatzes, um hier alle
möglichen, ihr als nahrhaft bekannten Wurzeln, Früchte und Sämereien
zu sammeln und zugleich alle ihr dabei entgegentretenden kleineren
Tiere zu erbeuten. Was nicht sofort verzehrt wurde, wanderte als Vorrat
in die mitgeführte Felltasche und später in den aus Binsen oder Bast
geflochtenen Korb, um dann, roh oder schwach am Feuer geröstet, als
Speise zu dienen. Unbeweglich, wie sie durch die Mutterschaft geworden
war, zog sie notgedrungen das für sie erreichbare minderwertige
Kleinere dem begehrenswerteren Größeren vor.

Der viel beweglichere Mann dagegen bevorzugte als Nahrung die
vorzugsweise in Schlingen und Fallgruben oder durch Anschleichen
und Hetzen von ihm erbeuteten größeren Tiere. Aber in dem Maße als
die Bevölkerung des Landes zunahm und der Wildreichtum durch die
unausgesetzten Jagden sich verminderte, nahm diese Nährpflanzen zur
Stillung des Hungers suchende Tätigkeit der Frau an Bedeutung stetsfort
zu. So kam sie in der Fürsorge für sich und ihre Kinder nach und nach
dazu, nicht bloß gewisse Reviere mit ihr allein bekannten Standorten
nahrhafter Pflanzen, deren Zahl für jene sehr wenig wählerischen
Menschen der Urzeit selbstverständlich unvergleichlich größer war, als
wir es uns heute vorstellen können, für sich zu reservieren, sondern
auch später in fürsorgender Arbeit selbst Samen dieser Nahrungspflanzen
auszustreuen, in der berechtigten Erwartung, hier einst mühelos für die
Ihrigen ernten zu können.

[Illustration: Bild 1.

Mit Steinkugel beschwerter Grabstock eines Buschmannweibes in der
Stellung, wie er zum Ausgraben von nahrhaften Wurzeln von ihr in den
Boden getrieben zu werden pflegt.

(Stark verkleinert.)]

Wir Kulturmenschen, die das gewohnheitsmäßige Erleben selbst der
außergewöhnlichsten Erscheinungen vollständig abgestumpft hat, so daß
wir dieselben als ganz selbstverständlich hinnehmen und gar nicht mehr
darüber nachdenken, übersehen gewöhnlich, welche außergewöhnliche
Begabung und Verstandesschärfe dazu erforderlich waren, bis ein Mensch,
und zwar ein armseliges, schwaches +Weib+, von der fürsorgenden
Mutterliebe getrieben, voll Hoffnung, dereinst hier ernten zu können,
die ersten Samenkörner einer Nährpflanze in die vorher von ihr mit dem
Grabstock gelockerte Erde streute.

Den alten Griechen, welche den ersten Regungen menschlicher Gesittung
näher standen als wir, erschien ein planvolles Erdenken des Ackerbaues,
dem der primitivere Hackbau vorausging, als für menschliche
Verstandeskräfte vollkommen unerfaßlich und undenkbar. Deshalb
schrieben sie diese so überaus wertvolle, den Keim zu aller höheren
Gesittung überhaupt legende Erfindung einer Gottheit zu. Und so wie
sie dachten alle anderen Völker der Erde auf gleicher Erkenntnisstufe,
die alle diese so überaus folgenschwere Erfindung als Geschenk einer
Gottheit betrachteten und nicht als Produkt menschlichen Denkens
auffaßten.

Mit dem ersten Pflanzenbau, den solchermaßen die fürsorgende
Mutterliebe einer intelligenten Frau der Urzeit in den Sinn gab,
selbst wenn er nur von Wanderhorden am Sommerlagerplatz armselig
genug betrieben wurde, waren alle künftigen Fortschritte der
Menschheitsentwicklung im Keime gegeben. Nicht nur hörte damit der
Mensch auf als Almosenempfänger in den Wild- und Wurzelgärten der Natur
von der Laune des Augenblicks und vom Zufall des Tages abzuhängen,
seine Zukunft wurde eine mehr und mehr gesicherte, von der ungewissen
Jagd unabhängige.

Diese friedliche, ihr innerhalb des Familienverbandes eine zunehmende
Macht verleihende Tätigkeit der Frau führte sie früher schon auf eine
höhere Kulturstufe als den Mann, der lange nur als ein geduldetes
Anhängsel der +Mutterfamilie+ erschien; denn in der Haushaltung, die
das Weib der Urzeit mit ihren Kindern führte, war der Mann lange Zeit
nur eine Art Pensionär, der für die Gunst, von der Pflanzenspeise
mitessen zu dürfen, vom Ertrage seiner Jagd wenigstens etwas
beizusteuern hatte.

Erst auf einer späteren Entwicklungsstufe der Menschheit wurde das
Weib, weil es schwächer war und sich nicht gegen solche Vergewaltigung
von seiten des Mannes zu wehren vermochte, von diesem als Sklavin und
Arbeitstier betrachtet. Für sich selbst zog er das süße Nichtstun vor
und bürdete alle Arbeit dem Weibe auf. Aber mit dem Überhandnehmen der
Volkszahl genügten die Frauenarme bald nicht mehr, um den zunächst
ausschließlich von diesen geübten Hackbau zur Fütterung der sich
mehrenden Stammesgenossen zu bewältigen, zumal ihnen alle sonstigen
Hausgeschäfte: das Kochen, das Weben der Kleidung, das Gerben der
Häute, das Formen und Brennen des Tons zu Geschirr, der Hausbau und
was sonst noch in den Bereich ihrer Pflichten fiel, oblagen. Und die
Zahl dieser weiblichen Arbeiten wurde mit der besseren Lebenshaltung
in zunehmendem Maße gesteigert, so daß die Frauenkraft mit dem besten
Willen allen an sie gestellten Forderungen nicht mehr genügen konnte.
Da galt es männliche Kraft zur Gewinnung der für die wachsende
Bevölkerung immer wichtiger werdenden Nährfrüchte zu gewinnen. Diese
aber leistete zunächst nicht der freie Mann, dem die Arbeit von jeher
als größter Schimpf galt, wie wir bei allen auf dieser Kulturstufe
verharrenden Menschheitsstämmen zu beobachten vermögen, sondern dazu
wurden die Kriegsgefangenen verwendet, die man bis dahin getötet, d. h.
den gefürchteten Geistern mächtiger Verstorbener, die sich allmählich
zu Gottheiten entwickelten, geopfert hatte, weil man nichts mit ihnen
anzufangen wußte. So erkannten die Stämme der jüngeren Steinzeit bald,
daß diese Tötung eine unbegreifliche Verschwendung gewesen war. Deshalb
wurde sie als unzweckmäßig abgeschafft und man begnügte sich als Opfer
für die siegverleihenden Mächte die Anführer oder nur wenige, durch das
Los bestimmte Männer aus der Zahl der Gefangenen zu schlachten. Die
übrigen blieben am Leben und mußten als Knechte den Acker bestellen und
alle schwere Arbeit verrichten.

Noch intensiver vermochte man den Landbau zu betreiben, als zu diesen
unfreien Hörigen als ersten männlichen Arbeitern die Zugkraft des
zunächst bloß zur Milch- und Fleischgewinnung vom Manne gezüchteten
Rindes hinzukam, das den als Fortbildung der Hacke erfundenen einfachen
Hakenpflug zur Auflockerung des Bodens vor der Aussaat des Getreides
durch den zum Ackerfelde bestimmten Boden zu ziehen hatte. Besonders
ausgiebig konnte der durch Kastration dem menschlichen Willen
gefügiger gemachte Stier als Ochse den Pflug ziehen, und mit seiner
Mithilfe vermochte man immer größere Ländereien dem Anbaue der Nahrung
spendenden ältesten Nutzpflanzen dienstbar zu machen.

In dem Maße als sich der äußere Betrieb des Feldbaues vervollkommnete,
verbesserte sich auch die Beschaffenheit der in menschliche Pflege
und Kulturauslese verbrachten Körnerfrüchte, die neben den eßbaren
Baumfrüchten und Wurzelknollen, welche aber erst später in Anbau
genommen werden konnten, als die ältesten Nutzpflanzen des Menschen zu
gelten haben. Schon auf der Stufe des umherziehenden Sammlers müssen
dem Menschen die in dichten Beständen beieinander wachsenden Grasarten
in erster Linie als Nahrungspflanzen aufgefallen sein. Mochten ihre
mehlreichen Samen auch nur klein sein, so ersetzten sie den Mangel
an Größe durch ihre leicht anzuhäufende große Zahl. Und als er zum
Aussäen der Getreidekörner übergegangen war, griff er unwillkürlich,
um eine größere Menge davon zusammenzubringen, nach den großen, in
möglichst kräftig aufgeschossenen Halmen befindlichen Samen. Schon
damit war der erste Schritt zur unbewußten Zuchtwahl getan, welche von
selbst weiterschritt, wenn auf dem zur Aussaat gewählten Feld unter den
ziemlich dicht nebeneinander aufschießenden Halmen im Ringen nach Luft
und Licht die kräftigeren Pflanzen die Oberhand gewannen, während die
schwächlicheren unterdrückt wurden und damit aus der Zucht ausschieden.

Je nach den klimatischen Verhältnissen und der Beschaffenheit des
Bodens entwickelte sich die betreffende, in die Pflege des Menschen
genommene Pflanze nach verschiedenen Richtungen weiter. Dazu kam die
ihr innewohnende Variabilität oder Veränderungsfähigkeit, welche
plötzlich neue Eigenschaften in ihr zutage treten ließ. Diese
auffallenden abweichenden Formen suchte sich der Mensch, wenn sie
sich als für ihn nützlich erwiesen, besonders aus und vermehrte sie
durch getrennte Aussaat. So entwickelten sich unwillkürlich aus
einer und derselben Stammpflanze mit der Zeit die mannigfaltigsten
Kultursorten, die ihre Herkunft aus jener einen Art kaum glaublich
erscheinen ließ. Daher kommt es, daß alle seit längerer Zeit in der
Pflege und Kulturauslese des Menschen befindlichen Nutzgewächse eine
solch unübersehbare Mannigfaltigkeit von Formen aufweisen und in so
zahlreiche Unterarten mit allen Übergängen ineinander zerfallen, daß es
ganz unmöglich ist, sie alle zu scheiden.

Die älteste vom Menschen in Pflege und Kulturauslese genommene
Getreideart war zweifellos neben der Gerste, die besonders in Europa
die erste Verbreitung besaß, der +Weizen+ (~Triticum vulgare~). Er
wurde irgendwo im westasiatischen Steppengebiet von einem heute
nicht mehr festzustellenden, zu Ansässigkeit und höherer Kultur
fortgeschrittenen Volke aus einem Wildlinge mit kleinen Samen zur
wichtigen Nährfrucht mit großen, mehlreichen Körnern erhoben. Der
gemeinsame Besitz dieser sicher schon vor mehr als 10000 Jahren in
menschliche Obhut und Pflege genommenen Grasart bei den ältesten
Kulturvölkern Westasiens und Ägyptens, wie auch bei den aus dem
Innern Asiens, den Oasen am Südrande des Tarimbeckens etwa im
vierten vorchristlichen Jahrtausend nach Osten gewanderten und als
bereits reine Ackerbauer in den fruchtbarsten, aus Löß, dem besten
Getreideboden, bestehenden Gegenden Nordchinas ansässig gewordenen
Chinesen ließen eine zentralasiatische Herkunft des Weizens annehmen.
So hat vor allem der Straßburger Botaniker H. Graf zu Solms-Laubach
eingehend dazutun versucht, daß die Wiege der Weizenkultur in
Zentralasien gesucht werden müsse, zu einer Zeit als die Wüste Gobi
noch vom Meere bedeckt war und die Chinesen und die westasiatischen
Kulturvölker noch näher beieinander wohnten. Als dann mit dem
Verschwinden des Meeres die Existenzbedingungen des Menschen in jenen
niederschlagsarmen Gegenden sich verschlimmerten, seien erstere nach
Osten und letztere nach Westen ausgewandert und hätten diese ihre
wichtige älteste Kulturpflanze mitgenommen.

So schön nun diese Annahme klingt und so verlockend sie auch auf
den ersten Blick erscheint, so kann sie doch wohl kaum länger
aufrechterhalten werden, denn bisher ist noch nirgends in Zentralasien
wildwachsender Weizen angetroffen worden, wohl aber in Westasien.
Dort ist neuerdings mit großer Wahrscheinlichkeit in Persien und am
Antilibanon die wilde Stammform des Weizens mit kleinen Samenkörnern
und ziemlich brüchiger Spindel, alles Merkmalen, die auf ursprüngliche
Wildheit und nicht bloß Verwilderung schließen lassen, gefunden worden.
Zuletzt gelang es Aaronsohn im Jahre 1906, sie auch am Südostabhang
des Hermon im Westjordanlande, in Rosch Pinah und an den Ostabhängen
des Dschebel Safed und Kanaan in einigen voneinander abweichenden
Spielarten nachzuweisen, wobei allerdings die Möglichkeit nicht ganz
ausgeschlossen ist, daß wir es in diesem letzteren Falle mit seit
langer Zeit verwilderten einstigen Kulturformen des Menschen zu tun
haben.

Jedenfalls sprechen alle uns bekannten geschichtlichen Tatsachen
dafür, daß die Weizenkultur ihren ältesten nachweisbaren Herd in
der durch ein reichverzweigtes Kanalnetz bewässerten und dadurch zu
einem äußerst fruchtbaren Lande gemachten Ebene des Zweistromlandes
zwischen Iran im Osten und Kleinasien im Westen hatte. Hier in
Mesopotamien, wo das uralaltaische Volk von Sumer und Akkad, d. h.
Süd- und Nordbabylonien das älteste für uns nachweisbare Kulturzentrum
schuf, das dann allmählich von den eingewanderten Semiten eingenommen
wurde, die jene Kultur völlig in sich aufnahmen und in eigenartiger
Weise weiterbildeten, war die ganze Lebenshaltung des Volkes auf
den im reich bevölkerten Lande intensiv betriebenen Weizenbau neben
der Kultur von Gerste und Hirse, wie auch Sesam als Fettspender,
gegründet. Der älteste griechische Geschichtschreiber Herodot, der
ums Jahr 460 v. Chr. das Land bereiste, war von den Getreidekulturen
Babyloniens so entzückt, daß er später bei der Beschreibung jenes
Landes sagte: „Assyrien ist so übermäßig fruchtbar, daß das
Getreide einen zweihundertfachen, ja in den besten Jahren einen
dreihundertfachen Ertrag gibt und daß die Blätter des Weizens und der
Gerste reichlich vier Finger breit werden, Hirse und Sesam aber sehen
dort aus wie Bäume.“ Wenn wir auch von der offenkundigen Übertreibung
dieses Berichterstatters absehen, so ist doch so viel sicher, daß
der Weizen dort außerordentlich üppig gedieh. Der große Schüler des
Aristoteles und nach dessen Tod im Jahre 322 Haupt der peripatetischen
Schule, Theophrastos (390-286 v. Chr.) in Athen, schreibt in seiner
Pflanzengeschichte: „In Babylonien ist man genötigt, den Weizen
nicht nur einmal, wie in anderen fruchtbaren Gegenden, sondern sogar
zweimal abzusicheln, zum drittenmal aber mit Schafen abzuweiden; erst
dann kann man ihn in den Halm wachsen lassen, weil er sonst zu üppig
in die Blätter treibt. Er gibt dort 50- bis 100fältigen Ertrag. Die
große Fruchtbarkeit erlangt der Boden Babyloniens durch Bewässerung.“
Noch Berosos, ein Priester zu Babylon, der im dritten vorchristlichen
Jahrhundert drei Bücher über babylonische Geschichte in griechischer
Sprache schrieb, berichtet, daß der Weizen in der Gegend seines
Wohnortes wildwachsend angetroffen werde.

Auch im ältesten Ägypten, dessen Kulturvolk auf eingehende
astronomische Kenntnisse gestützt einen schon sehr genau ausgerechneten
Kalender im Jahre 4241 v. Chr. einführte, also damals schon eine
staunenswerte Höhe der Kultur errungen hatte, erhielt der Weizen
den Vorrang vor der Gerste und wurde seit den ältesten für uns
nachweisbaren Dynastien in solcher Menge angepflanzt, daß die
Schriftsteller des Altertums die ganze fruchtbare Niederung am Delta
des Niltales mit einem einzigen, großen Weizenfelde verglichen.
Der Weizen hieß im Altägyptischen ~su~ und wurde wie der Spelt
~bôti~ und die Gerste ~ati~ in zwei Sorten, einer weißen und einer
roten, kultiviert. Seine Fruchtkörner finden sich fast regelmäßig
unter den Totenspeisen. Wie sie als Nährfrucht für die Lebenden
von der größten Bedeutung waren, so sollten sie auch die Geister
der Verstorbenen nicht entbehren. Die altägyptischen Grabdenkmäler
zeigen uns schon ganz deutlich begrannten und unbegrannten Weizen,
wie auch sämtliche Vorgänge beim Pflügen, Säen, Ernten, Dreschen
und Magazinieren des Getreides. Der Pflug aus der Pyramidenzeit,
d. h. dem Beginne des dritten vorchristlichen Jahrtausends war ein
gekrümmtes, vorn zugespitztes Holz von einem Baumast, an welchem,
durch Baststricke oder Weidengeflecht befestigt, sich die Deichsel
befand. Er wurde meist von Rindern und nur ausnahmsweise von vier
Männern zu Paaren gezogen. Die Kornfrucht wurde mit kurzen Sicheln
in Kniehöhe abgeschnitten, in Garben zusammengeschnürt und diese
auf Eseln nach der im Freien auf etwas erhöhter, dem Winde leicht
Zutritt gewährender Stelle errichteten Tenne gebracht, wo man sie
auflöste und über die Ähren Rinder oder Esel im Kreise herum trieb,
damit sie die Körner austräten. Währenddem wendete ein Arbeiter mit
einer Holzgabel die niedergetretenen Haufen um. Vermittelst der Worfel
wurde dann die Frucht von der Spreu geschieden, d. h. Männer warfen
die ausgetretene Masse mit Schaufeln in die Höhe, so daß der Wind die
Spreu wegfegte, während die schweren Körner zur Erde fielen. Vielfach
wurde die Tätigkeit des Windes durch Hin- und Herschwingen eines Wedels
unterstützt. Dann wurde das Getreide, nachdem es durch ein Rohrsieb
vom anhaftenden Staub und Unkrautsamen befreit worden war, in Säcke
geschaufelt und auf den Rücken der Arbeiter in die oben geöffneten,
hohen, runden Speicher getragen. In den staatlichen Magazinen wurde
das Getreide in größerer Menge für Zeiten der Not auf viele Jahre
hinaus aufgespeichert. Da der Weizen die Hauptkulturpflanze des
Niltales bildete, gehörte auch Weizengebäck zu den Hauptnahrungsmitteln
der alten Ägypter. Nachdem das Korn von den Frauen auf einfachen
Handmühlen gemahlen worden war, wurde es mit Wasser zu einem Teig
angemacht, der vielfach mit den nackten Füßen geknetet und zu den
verschiedensten Fladen und Kuchen verarbeitet wurde. Diese wurden dann
teils in heißer Asche, teils auf erhitzten Steinplatten, meist jedoch
in bienenkorbähnlichen, etwa 1 m hohen Backöfen, die innen geheizt
wurden und auf welche die fladenförmigen Brote außen angeklebt wurden,
gargebacken und in der Regel, um sie schmackhafter zu machen, mit
Sesamkörnern bestreut. Solches Weizenbrot galt im alten Ägypten als
das vornehmste Opferbrot. Die Weizenkultur war noch zur Römerzeit in
Ägypten so ausgedehnt, daß teilweise die Proletarier in Rom mit deren
Erträgnis gefüttert wurden. So wurden unter Kaiser Augustus allein
20 Millionen römischer ~modii~ (= 175 Millionen Liter) Weizen aus
Alexandrien nach Rom verschifft, und wenn auch dieser von Plinius in
seinem Bericht über die Güte der nach Rom gesandten Tributleistungen
der von den Römern unterjochten Völker dem italienischen,
böotischen und sizilischen Weizen nachgestellt wird, so ist dies
nur damit zu erklären, daß die Ägypter zu diesen Zwangslieferungen
begreiflicherweise nicht die besten Sorten Getreide genommen haben
werden.

Auch in Syrien und Palästina war der Weizen als Getreidefrucht sehr
angesehen und wurde neben der Gerste viel kultiviert, wie schon
verschiedene diesbezügliche Stellen aus dem Alten Testamente dartun.
So wird in Jesaias, 25 gesagt, daß man Weizen und Gerste, wie auch
Spelt jegliches an seinen Ort säe und solches nach der Ernte durch
Darübertreiben von Rindern ausdresche. Dabei wurde als Tenne ein wenn
möglich erhöhter, dem Wind allseitig Zutritt gebender Ort gewählt. Nur
ausnahmsweise wurde eine in den anstehenden Fels gehauene Vertiefung,
in welcher man sonst die Trauben bei der Weinbereitung mit den Füßen
zertrat und die deshalb von Luther bei seiner Bibelübersetzung als
Kelter bezeichnet wurde, zum Dreschen benutzt, wie beispielsweise im
Buche der Richter 6, 11, wo der Engel des Herrn sich unter eine Eiche
zu Ophra setzte, „die war Joas, des Vaters der Efriter, und sein Sohn
Gideon (der Held und Heerführer -- Richter -- der Israeliten im 12.
Jahrhundert v. Chr., der sein Volk von der siebenjährigen Herrschaft
der Midianiter befreite) drosch Weizen in der Kelter, daß er flöhe vor
den Midianitern“. Und als der Engel seine Botschaft ausgerichtet hatte,
daß der Herr mit ihm sei und er die Midianiter schlagen werde wie einen
einzelnen Mann, hieß ihn Gideon warten, bis er ihm ein Speiseopfer
geleistet habe. „Und Gideon ging und schlachtete ein Ziegenböcklein und
nahm ein ~epha~ ungesäuertes Mehl (d. h. aus ungesäuertem Teig
gebackenes Fladenbrot) und legte (das gekochte) Fleisch in einen Korb
und tat die Brühe in einen Topf und brachte es zu ihm heraus unter die
Eiche und trat herzu. Da sprach der Engel Gottes: Nimm das Fleisch und
das Ungesäuerte und laß es auf dem Fels, der hier ist, und gieße die
Brühe aus. Und er tat also. Da reckte der Engel des Herrn den Stecken
aus, den er in der Hand hatte, und rührete mit der Spitze das Fleisch
und das ungesäuerte Mehl an. Und das Feuer fuhr aus dem Fels und
verzehrte das Fleisch und das ungesäuerte Mehl. Und der Engel des Herrn
verschwand aus seinen Augen.“ Da baute Gideon daselbst dem Herrn einen
Altar und hieß ihn: der Herr des Friedens.

Sehr frühe schon in vorgeschichtlicher Zeit kam auch der Weizen mit
der Gerste und der Hirse wie zu den neolithischen Hackbauern Europas,
so auch nach Osten zu dem alten Kulturvolke der Chinesen, als sie noch
im Innern Asiens saßen. Bei ihrer, wie bereits bemerkt, in das vierte
vorchristliche Jahrtausend zu setzenden Auswanderung in die fruchtbaren
Gegenden Nordchinas waren sie schon längst im Besitze dieser wertvollen
Nährfrucht. In den chinesischen Annalen wird von einem Kaiser namens
Schen-nung berichtet, der ums Jahr 2800 v. Chr. lebte und anordnete,
daß bei einem alljährlich wiederkehrenden großen Feste in symbolischer
Handlung die fünf wichtigsten Kulturpflanzen der damaligen Zeit
ausgesät werden sollten. Unter ihnen befand sich neben der Gerste, dem
Reis, den Sojabohnen und der Hirse auch der Weizen.

Die in den neolithischen Pfahlbauansiedlungen Mitteleuropas am
häufigsten neben der für Europa älteren Gerste angebaute Körnerfrucht
war nach den eingehenden Untersuchungen des verstorbenen Züricher
Botanikers Oswald Heer der kleinkörnige Pfahlbauweizen, eine heute
ausgestorbene Weizenart, welche durch ihre sehr kleinen Körner
anzeigt, daß diese Getreideart noch sehr wenig durch künstliche Zucht
und Auslese veredelt worden war. Daneben wurde der Emmer und das
Einkorn oder der Zwergweizen, zwei ebenfalls sehr wenig ausgiebige
Getreidearten, angepflanzt. Erst zu Beginn der Bronzezeit, etwa um
1800 v. Chr., wurde durch die regeren Handelsverbindungen mit den
östlichen Mittelmeerländern, die durch ihre großen, mehlreichen Samen
sich als hochgezüchtete Art ausweisende, ertragreiche ägyptische
Kulturvarietät, der sogenannte Mumienweizen -- so genannt, weil er
sich den altägyptischen Mumien mitgegeben findet -- zu den Hackbauern
Mitteleuropas gebracht.

Auch bei den Griechen der homerischen Zeit war neben Gerste und Spelt
der Weizen das Hauptgetreide, dessen Körner auch den Pferden und
dem Federvieh, soweit solches schon in menschlicher Pflege stand,
verfüttert wurden. So wurden nach der Ilias die schnellfüßigen Rosse
des Diomedes und nach der Odyssee die zwanzig Gänse, die Penelope
auf ihrem Gute in Ithaka besaß, mit „lieblich schmeckendem Weizen“
(~pyrós~) gefüttert. Und als Hektor zum Kampfe gegürtet aufbricht,
redet er, bevor er den zweiräderigen Schlachtwagen besteigt, seine
beiden Pferde an: „Wohlauf, ihr meine Rosse, zeigt euch dankbar für die
gute Pflege, die euch Andromache (seine Gattin) angedeihen ließ, indem
sie euch köstlichen Weizen und Wein vorsetzte, so oft ihr nach Futter
und Trank verlangtet.“

Von späteren griechischen Autoren schreibt Theophrast in seiner
Pflanzengeschichte zu Ende des vierten vorchristlichen Jahrhunderts:
„Es gibt viele Sorten von Weizen. Sie haben ihre Namen von ihrem
Vaterlande oder von anderen Dingen und unterscheiden sich in der
Farbe, Größe und Gestalt und anderen Eigenheiten der Körner, sind
auch an Wirkung und Nährkraft verschieden. Mancher Weizen wird im
Herbst, mancher dagegen im Frühjahr gesät. Es gibt auch eine Sorte,
die in drei, eine, die in zwei Monaten reif wird; auf Euböa soll er
von der Aussaat bis zur Reife nur 40 Tage brauchen. An Nährwert
sind manche Sorten so verschieden, daß Kämpfer, die in Böotien kaum
drei Pfund verzehren, deren fast fünf brauchen, wenn sie nach Athen
kommen. Der Grund solcher Verschiedenheit liegt im Boden und in der
Luft.“ Und Columella, ein aus Spanien nach Rom gekommener römischer
Ackerbauschriftsteller aus dem ersten Jahrhundert n. Chr., sagt in
seinem Buche über den Landbau: „Die wichtigsten und dem Menschen
nützlichsten Getreidearten sind Weizen (~triticum~) und Spelt (~semen
adoreum~, d. h. beim Opfer dargebrachter Samen; sein gewöhnlicher
Name war bei den Römern ~far~). Wir kennen mehrere Weizensorten; für
den Anbau eignet sich aber diejenige am besten, die ~robus~ genannt
wird, weil sie sich durch Gewicht und Glanz auszeichnet. Den zweiten
Rang nimmt der Siligoweizen ein; er gibt ein köstliches Brot, wiegt
aber leicht. Die dritte Sorte ist der Dreimonatsweizen; er ist bei den
Landleuten sehr beliebt, denn er hilft aus, wenn Regen, Überschwemmung
oder eine andere Ursache die zeitige Aussaat verhindert hat. Dieser
ist übrigens auch eine Siligosorte. Alle übrigen Weizenarten kann man
recht gut entbehren, es sei denn, daß man seine Freude daran hat, recht
vielerlei zu besitzen und zur Schau zu stellen.“

Columellas Zeitgenosse Plinius meint: „Der Weizen saugt das Land
am meisten aus. In verschiedenen Gegenden werden verschiedene
Getreidearten gebaut, und dieselbe Art führt auch nicht überall
denselben Namen. Die gemeinsten sind Spelt (~far~), früherhin auch
~adoreum~ genannt, ferner ~siligo~ -- wie der Spelt grannenlos -- und
Weizen. Siligo heißt eine zarte Weizensorte, sie ist weiß, kraftlos,
leicht und eignet sich für feuchten Boden. Jenseits der Alpen hält sie
sich nur im Lande der Allobroger und Meminer (keltischer Bergvölker
in der ~Gallia narbonensis~, d. h. Südostfrankreich), in den andern
geht sie nach zwei Jahren in Weizen über. Eine andere Weizenart,
~arinca~, wird in Gallien, jedoch auch in Italien angepflanzt; in
Ägypten, Syrien, Kilikien, Kleinasien und Griechenland dagegen
vorzugsweise ~zea~ (eine Art Spelt), ~olyra~ (eine Art Weizen) und
~tiphe~ (Einkorn). -- Ägypten liefert ein feines Weizenmehl, das
aber dem italienischen an Güte nachsteht.“ Später schreibt er, um
zu sagen, wie fruchtbar der Weizen sein könne: „In der byzakischen
Landschaft Afrikas (Algerien) gibt ein Maß ausgesäten Weizens bei der
Ernte 150 Maß zurück. Der dortige Prokurator hat dem Kaiser Augustus
eine Weizenstaude geschickt, welche aus +einem+ Korne gewachsen war,
sich aber in fast 400 Halme teilte. Das klingt kaum glaublich; aber
die darüber gewechselten Briefe sind noch vorhanden. Er hat auch dem
Nero eine Weizenstaude mit 360 Halmen aus +einem+ Korn geschickt.
Hundertfältigen Ertrag geben auch die Felder in Sizilien, Bätika
(die nach dem Flusse Baetis = Quadalquivir genannte südlichste, ganz
Andalusien umfassende Provinz Spaniens), Ägypten.“

Seit dem Altertum werden in Europa wie in allen Kulturländern die
verschiedensten Arten von begranntem oder unbegranntem Weizen angebaut,
auf deren Unterschiede wir hier nicht eintreten können. Es genüge
zu bemerken, daß heute jährlich etwa 90 Milliarden Kilogramm Weizen
geerntet werden. Dabei nimmt der Weizenbau immer noch gewaltig zu,
indem stetsfort neue Strecken Kulturlandes hierfür in Bearbeitung
genommen werden. Unter allen Zerealien bedarf der Weizen am meisten
Wärme; er verlangt nämlich eine mittlere Sommertemperatur von
+14° C. Gegenwärtig ist der Weizenbau über die ganze gemäßigte
und subtropische Zone der Alten und Neuen Welt verbreitet. In der
heißen Zone kann sein Anbau nur noch auf Bergen stattfinden, deren
Temperatur derjenigen unserer Gegenden entspricht. Am besten geeignet
zur Weizenkultur ist lehmhaltiger Kalkboden; doch ist auch lehmiger
Sandboden sehr gut dafür. Wenn zu viel Lehm vorhanden ist, ist der
Boden zu feucht und gibt einen nur geringen Ertrag an Samenkörnern.
Sonst nimmt es der Weizen nicht allzu genau mit der Bodenart. Er flieht
nur übermäßige Feuchtigkeit und verlangt kohlensauren Kalk, daneben
natürlich die unentbehrlichen Nährstoffe wie Stickstoff, phosphorsauren
Kalk und Alkalien. Um rationelle Getreidekultur zu betreiben, muß
also der Ackerbauer die natürliche und chemische Zusammensetzung des
Bodens, auf dem er Getreide pflanzen will, genau kennen und die Düngung
desselben dementsprechend regeln. Am besten ist dabei entschieden
der Stalldünger, der die Ackerkrume nicht nur chemisch, sondern auch
physikalisch verbessert.

Außerdem ist es nötig, daß der Acker, auf dem der Weizen gedeihen soll,
sorgfältig von Unkraut gereinigt sei, weil dieses Kulturgewächs sich
leicht durch allerlei Unkraut verdrängen läßt. Aus diesem Grunde läßt
man zwischenhinein auf dem zur Weizenkultur verwendeten Boden eine
Kultur wie Runkelrüben oder Tabak wachsen, die das Unkraut vertilgt.
Überhaupt soll möglichster Fruchtwechsel geübt werden, damit der Boden
trotz der Düngung nicht einseitig ausgesogen werde.

Die Entwicklung und das Reifen des Korns sind, was die Zeitdauer
betrifft, hauptsächlich vom Klima und von der Getreidesorte abhängig.
Das als Winterkorn bezeichnete Getreide wird in den nördlichen Gegenden
der gemäßigten Zone im Oktober, in den südlichen jedoch erst im
Dezember gesät. Das Sommerkorn dagegen kommt erst im März oder April
zur Aussaat. Für ein einigermaßen rauhes Klima kann als Grundregel
gelten, daß das Korn keine Spur von Wachstum zeigt, so lange die
Temperatur niedriger als + 6° C. ist, und daß es ungefähr drei Wochen
wachsen muß, bevor es der Winterkälte Widerstand zu leisten vermag.

Um eine reiche Ernte zu erzielen, muß das Saatkorn völlig reif und
schwer sein, sich trocken anfühlen, leicht durch die Finger gleiten
und durch die Unkraut-Auslesemaschinen vom Unkraut befreit sein.
Um allfällige, dem unbewaffneten Auge unsichtbar an ihm haftende
Krankheitskeime, besonders des Getreiderostes und Stinkbrandes zu
entfernen, wird es zudem vor der Aussaat gekalkt oder geschwefelt;
letzteres ist die am meisten geübte, gründlichste und zugleich
billigste Methode. Dazu wird das Saatkorn in einem Bottich mit einer
Lösung von 300 g schwefelsaurem Kupfer auf 100 Liter Wasser gewaschen,
wobei die obenauf schwimmenden leichten Körner als zur Saat ungeeignet
entfernt werden. Bei dem nur auf kleineren Bauernhöfen geübten Kalken
wird das Korn mit einer aus 1,5 Liter ungelöschtem Kalk auf 100 Liter
Wasser hergestellten Kalkmilch begossen und dabei fortgesetzt mit
der Schaufel umgewendet, damit jedes einzelne Korn gut mit der Masse
imprägniert werde.

Diese Vorsichtsmaßregel ist durchaus nötig, denn der Weizen wird wie
alle Kulturpflanzen von verschiedenen bösartigen Pilzkrankheiten
heimgesucht. Beim +Stinkbrand+ werden die Fruchtknoten mit einer stark
nach Heringslake riechenden, klebrig-schmierigen Sporenmasse erfüllt.
Kommen solche erkrankte Ähren unter das Getreide, und werden gemahlen,
so können große Mengen von Mehl vollständig unbrauchbar gemacht werden.
Noch verbreiteter und, wenn möglich, bösartiger ist der +Getreiderost+,
der alle Getreidearten heimsucht. Es bilden sich dabei an den Blättern
rötliche Flecken, die die Entwicklung der Pflanze hindern und nicht
bloß den Ertrag herabsetzen, sondern auch das Eingehen der erkrankten
Pflanze bewirken können. Rost kommt aus der germanischen Wurzel
~rud~, d. h. rot. Bei den Griechen hieß er ~erisýbē~ und bei den
Römern ~rubigo~ (von ~rubus~ rot). Aus Furcht vor dieser schlimmen
Getreidekrankheit opferten die letzteren sogar dem Gotte Rubigus und
feierten zur Abwendung der Krankheit am 25. April die Rubigalien.

Schon den Bauern des Mittelalters war es aufgefallen, daß die
Rostkrankheit des Getreides sich immer nur da zeigte, wo in der Nähe
der Felder Berberitzensträucher standen. Obgleich durchaus kein Beweis
für diesen Zusammenhang erbracht werden konnte, war der Glaube daran
schon so tief gefestigt, daß häufig die Gerichte die Entfernung von
Berberitzensträuchern aus der Nähe von Getreidefeldern beantragten.
Erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit wurde von der wissenschaftlichen
Forschung der untrügliche Beweis erbracht, daß die Praxis ganz richtig
erkannt hatte. Ein und derselbe Pilz (~Puccinia graminis~) bedarf zu
seinem Fortkommen des Wirtswechsels, indem er in der einen Generation
auf den Getreidehalmen und in der folgenden auf den Blättern der
Berberitze, wo er hellgelbe Pusteln verursacht, sich ansiedelt, um
endlos diesen Kreislauf aufs neue zu vollführen. Deshalb dürfen auch
absolut keine Berberitzensträucher in der Nähe von Getreidefeldern
geduldet werden. Dies sei nur nebenbei bemerkt, um begreiflich zu
machen, wie sehr eine Desinfektion des Saatkornes nötig ist.

[Illustration: Bild 2. Weizenälchen (~Tylenchus scandens~), stark
vergrößert.]

Von tierischen Parasiten des Weizens ist vor allem das +Weizenälchen+
(~Tylenchus scandens~) zu nennen, welches das sogenannte Gichtigwerden
oder den +Faulbrand+ des Weizens verursacht und dadurch oft gewaltigen
Schaden anrichtet. Die jungen Älchen dringen in die Blütenähre ein
und bilden, ähnlich wie manche Insektenlarven Galläpfel, eine abnorme
Entwicklung des Korns, was man als Gicht oder Radenkorn bezeichnet.
Die Weibchen legen darein eine große Menge Eier und sterben, wie
auch die Männchen, ab. Aus den Eiern entwickeln sich geschlechtslose
Larven, die in Anabiose, eingetrocknet den staubigfaserigen Inhalt des
Gichtkorns bilden. Gelangt letzteres mit den gesunden Weizenkörnern
in den feuchten Ackerboden, so werden die winzigen Würmchen durch
Wasserzufuhr wieder lebendig, gelangen zu einer jungen Weizenpflanze,
kriechen an derselben hinauf, halten sich bei trockener Witterung in
den Blattscheiden ohne Bewegung und Lebenszeichen auf, suchen aber
bei einfallendem Regen mit dem Emporwachsen des Halmes immer weiter
nach oben zu kommen und gelangen so zu einer Zeit schon in die oberste
Blattscheide, da sich die Blüte zu bilden beginnt. In diese dringen sie
nun ein, wachsen zur Geschlechtsreife heran, paaren sich und pflanzen
sich fort, um den Kreislauf stets wieder aufs neue zu vollenden.
Bemerkenswert ist die außerordentliche Zählebigkeit der Weizenälchen,
die, wie mehrfache Versuche bewiesen, nach 20 und mehr Jahren völliger
Eintrockung bei Befeuchtung wieder aufleben. Naturgemäß tritt der
Faulbrand in nassen Jahren stärker auf als in trockenen. Der Landmann
muß sich gegen den Schädling dadurch schützen, daß er alle gichtigen
Körner des Weizens -- am besten durch Verbrennen -- vernichtet und
zum Säen nur gesundes, in einer halbprozentigen Kupfervitriollösung
gebeiztes Saatgut verwendet.

So vorbereitet wird das Korn mit voller Hand, breitwürfig, wie man zu
sagen pflegt, auf den durch Pflügen und Eggen vorbereiteten Boden gesät
und durch nochmaliges Eggen möglichst in ihn hineingebracht; denn alle
an der Oberfläche liegen bleibenden Körner erliegen der Kälte oder der
Sonnenwärme, oder werden von den danach lüsternen Vögeln, besonders
Tauben, weggepickt. Viel besser als die Menschenhand besorgen dies
Geschäft die modernen Sämaschinen, die ausgezeichnet rasch und gut
arbeiten und über die Hälfte des Saatkorns ersparen, indem sie den
Samen gleich in die Erde versenken.

Vierzehn Tage nach der Aussaat erscheinen die ersten Keime, so daß
der Ackerboden einen grünen Anflug erhält. Im Laufe des Frühjahrs und
Sommers wächst nun das Korn im Wechsel von Regen und Sonnenschein
heran, treibt seine Blüten, die durch den Wind mit dem reichlich
ausstäubenden Pollen befruchtet werden, und läßt den Samen reifen.
Sobald die Samenkörner so fest geworden sind, daß sie ohne große
Anstrengung durch den Nagel gerade noch einen Eindruck bekommen,
beginnt die Ernte, die in kleineren Betrieben noch von Hand, sonst
aber in zunehmendem Maße ebenfalls durch Maschinen besorgt wird. Durch
Maschinen wird es auch gedroschen, geworfelt, gesiebt und dabei die
Getreidekörner nach der Größe sortiert, während das Stroh automatisch
zu Bündeln vereinigt wird. Die Getreidesäcke werden in gut gelüfteten
Scheunen aufbewahrt -- in den Zentren des Getreidebaus benutzt man
dazu besondere Silos mit automatisch arbeitenden Elevatoren. Für den
menschlichen Gebrauch wird dann das Korn in den Mühlen gemahlen und
kommt als Mehl verschiedenster Sorte teils zum Bäcker, teils an die
Makkaroni- oder Schiffszwiebackfabrikanten oder wird sonstwie in den
einzelnen Haushaltungen zur Herstellung von allerlei Eßwaren verwendet.

Jahrtausende hindurch haben unsere Ahnen der vorgeschichtlichen und
frühgeschichtlichen Zeit das zur Herstellung des Breies, der Grütze und
später auch des Fladenbrotes nötige, damals noch äußerst grobkörnige
und vielfach mit feinen Gesteinssplittern vermengte Mehl selbst
herstellen müssen. Zu diesem Zwecke wurde das meist kurz geschnittene
Korn durch die Hufe der darüber getriebenen Rinder, Ziegen oder Schafe
ausgetreten -- woher überhaupt die lateinische Bezeichnung des Weizens
~triticum~ (von ~tritare~ = austreten), d. h. das „Ausgetretene“
herrührt -- und in Vorratsbehältern verschiedenster Gestalt aufbewahrt.
Daraus holten sich die Frauen jeweilen ihren täglichen Bedarf an Korn.
Wie heute noch im Orient, konnte man einst früh morgens noch vor dem
Morgengrauen das Reibegeräusch der primitiven steinernen Handmühlen in
den Siedlungen der Stein- und Bronzezeit hören, in denen die Frauen
das Mehl zur Herstellung des Breies oder der flachen, ungetriebenen
Brotfladen für das Frühstück herstellten. Es war dies die erste Arbeit
des Tages, soviel Korn als für die erste Mahlzeit der Hausgenossen
nötig war, zu Mehl zu mahlen. Deshalb heißt es in den Lobsprüchen eines
tugendsamen Weibes aus den Sprüchen Salomos (Kap. 31, Vers 15) von
„der Frau, die morgens früh aufsteht, wenn es noch Nacht ist, und die
Speise für ihren Mann, die Kinder und das Gesinde bereitet“, d. h. auf
der Handmühle das für den ersten Tagesbedarf erforderliche Korn zu Mehl
mahlt.

[Illustration: Bild 3. Auf einer Handmühle Korn zu Mehl verreibende
Ägypterin.

Statuette aus Kalkstein um 2600 v. Chr., jetzt im Alten Museum in
Berlin.]

[Illustration:

    Tafel 1.

1. Roggen, 2. blühendes Roggenährchen, 3. Spelt oder Dinkel, 4.
vierzeilige Gerste, 5. Emmer, 6. unbegrannter Weizen, 7. begrannter
Weizen, 8. reifes Ährchen von unbegranntem Weizen, 9. zweizeilige
Gerste, 10. Hafer, 11. Haferährchen in der Blüte, 12. sechszeilige
Gerste, 13. Ährchen der zweizeiligen Gerste.]

[Illustration:

    Tafel 2.

    (Phot. von E. Reinhardt.)

Holzpflug mit Metallspitze, wie er heute noch in Toskana verwendet
wird. Die gleiche Form war schon im Altertum üblich. Im Hintergrunde
Stützbäume für Weinreben.]

[Illustration: Die Entwicklung des Pfluges, dargestellt in den Modellen
des Deutschen Museums in München (Phot. und Verlag von M. Stuffler).]

Ursprünglich bestanden diese Handmühlen, die uns in großer Zahl in
den prähistorischen Museen entgegentreten, aus zwei losen Steinen,
einem kleineren, walzenförmigen, der auf einem größeren, flachen über
das zu mahlende Korn hin und her gerieben wurde. Später wurden zwei
annähernd gleich große Steine so zugehauen, daß der obere, an welchem
exzentrisch ein hölzerner Handgriff angebracht war, um den unteren
herumgedreht werden konnte, wie dies heute noch an den im Morgenlande
überall gebräuchlichen Hausmühlen zu sehen ist. Solche einfache
steinerne Handmühlen besaßen noch die deutschen Stämme zur Zeit
der Völkerwanderung. Gotisch hießen sie ~quairnus~, althochdeutsch
~quirn~ oder ~quern~. An letztere erinnern noch manche Eigennamen wie
Querner, Kerner, Körner, die also gleichbedeutend mit unserem Worte
Müller sind, und Ortsnamen wie Quirnfurt, Querfurt, Körnbach usw. Daß
aber ganze Orte nach der Handmühle ~quirn~ bezeichnet wurden, zeigt,
daß es im Mittelalter neben den kleineren auch größere Mühlen gab, wie
sie nicht in jedem Hause, nicht einmal an jedem Orte vorkamen, weil
sie sonst kein unterscheidendes Kennzeichen für die Benennung hätten
abgeben können. Wahrscheinlich wurden sie später so vergrößert, daß
sie durch Tiere getrieben wurden, was bei den Griechen und Römern der
späteren Zeit bereits allgemein üblich war. Aber mit dem Untergange
der hellenisch-römischen Kultur verfielen in den Bedrängnissen der
Völkerwanderungszeit diese bequemen Einrichtungen an den meisten Orten
und kamen außer Gebrauch. So benutzten die Germanenstämme des frühen
Mittelalters noch ausschließlich die kleinen Handmühlen. Erst nach
und nach kamen bei ihnen die von den Römern in den von ihrer Kultur
befruchteten Gebieten gebauten ~molinae~, d. h. meist schon durch
Wasser- statt Tierkraft getriebenen Mühlen auch in Germanien allmählich
in Aufnahme. Deren Anlage erheischte jedoch so viel Vorbereitungen, wie
Erwerb von Wasserrechten und Land, Stauung des Wassers, Einrichtung der
Wasserräder und der an sie gekuppelten Maschinen, daß diese „Mülinen“,
wie sie im späteren Mittelalter genannt wurden (franz. ~moulin~),
sich nur sehr langsam neben den allgemein gebräuchlichen Quirnsteinen
einbürgerten.

[Illustration:

    Tafel 3.

    (~Copyright by Underwood & Underwood~.)

Das Dreschen des Getreides in Galiläa. Die gleiche Art war schon im
Altertum üblich.]

[Illustration:

    Tafel 4.

Dampfdreschmaschine mit Strohselbstbinder der Maschinenfabrik Heinrich
Lanz in Mannheim. (Im Betrieb auf Gut Boldebuck in Mecklenburg.)]

Die Wassermühlen waren übrigens durchaus keine römische Erfindung,
sondern dienten schon sehr früh im Orient zum Ersatze der menschlichen
oder tierischen Kraft bei der Mehlbereitung. Bereits Mithridates der
Große (132-66 v. Chr.), der im Jahre 88 von den Küstenländern am
Schwarzen Meere aus ganz Kleinasien eroberte und daselbst alle Römer,
etwa 80000 an der Zahl, ermorden ließ, besaß in seinem Reiche welche.
Es waren dies oberschlächtige Wasserräder, die früher bekannt waren und
dem Mühlenbetriebe dienten als die unterschlächtigen, von denen uns
erst der römische Kriegsingenieur unter Cäsar und Augustus, Vitruvius,
berichtet. Öffentliche Wassermühlen kamen in Rom erst zu Ende des 4.
Jahrhunderts n. Chr. unter den Kaisern Honorius und Arkadius auf, und
das älteste darauf bezügliche Gesetz aus dem Jahre 398 zeigt deutlich,
daß sie damals noch eine neue Einrichtung waren, die man durch
öffentlichen Schutz sichern mußte. Darauf bezügliche Befehle wurden
noch gegen das Ende des 5. Jahrhunderts von Kaiser Zeno erneuert.
Diese Mühlen lagen an den Kanälen, die Wasser nach Rom führten, und
konnten, da sie nur von wenig Wasser getrieben wurden, jedenfalls nur
verhältnismäßig geringe Kraft entwickeln. Als der Gotenkönig Vitiges im
Jahre 536 den Feldherrn des oströmischen Kaisers Justinian, Belisar, in
Rom belagerte und die 14 großen Wasserleitungen der Stadt verstopfen
ließ, geriet dieser in große Verlegenheit, nicht wegen Wassermangel
überhaupt -- denn dagegen sicherte ihn der Tiberstrom --, sondern wegen
Verlustes desjenigen Wassers, das die Mühlen trieb, die alle an diesen
Kanälen lagen. Pferde und Ochsen, die man zum Treiben der Mühlen hätte
gebrauchen können, fehlten den Einwohnern der belagerten Stadt. Da
geriet Belisar auf den Gedanken, die Mühlen auf im Tiber verankerte
Fahrzeuge zu bringen und sie vom Strome treiben zu lassen. Damit wurde
er zum Erfinder der Schiffsmühlen. Diese funktionierten ganz gut.
Und als die Belagerer starke Balken in den Strom warfen, um sie zu
zerstören, schützten sich die Belagerten durch vorgezogene Ketten.

[Illustration: Bild 4 u. 5. Durch Arbeitssklaven oder wohl häufiger
durch ein Maultier getriebene Mühle aus Pompeji. (Nach Mau.)

4. Die aus Lava gehauenen beiden Mahlsteine samt dem gemauerten
Unterteil ohne die zerfallenen Holzteile, die zum Bewegen des oberen
Steines um den festliegenden unteren dienten; 5. Querschnitt derselben
mit Rekonstruktion der Holzteile.]

Vor der Erfindung der Wassermühlen war tierische oder menschliche Kraft
zum Treiben der Mühlen gebräuchlich. Bei der Unmenge von Sklaven,
über die man in Rom verfügte, besorgten diese lange Zeit hindurch das
Drehen der großen Mühlen, die aus zwei Steinen aus rauhem Trachyt
bestanden, wie man an den uns in Pompeji ziemlich zahlreich erhaltenen
Exemplaren sehen kann. Die Unterlage bildete ein kreisförmiger, großer
Stein mit erhöhtem Rand. In seiner Mitte ruhte ein am oberen Ende
wagerecht abgestutzter Kegel, aus dessen Mitte ein kurzer Eisenzapfen
hervorragte, der in eine entsprechende Höhlung einer eisernen Scheibe
am sogenannten Läufer paßte. Dieser Läufer war ein sanduhrförmiger
Doppeltrichter, in den oben das Getreide geschüttet wurde, um durch
vier Löcher, von welchen die Eisenscheibe durchbohrt war, zwischen
Bodenstein und Läufer zu geraten und beim Drehen des letzteren zermalmt
zu werden. Das fertig gemahlene Mehl wurde am Rande der Unterlage mit
der Hand hinweggenommen.

Neben diesen moderneren Mühlen haben die Römer noch lange Zeit hindurch
ihr Getreide geröstet von Sklaven in Mörsern stampfen lassen. Vom
lateinischen ~pinsere~ stampfen nannte man die Leute, die dieses
Geschäft besorgten, ~pinsores~, später ~pistores~. Besonders wurde
dies mit dem alsbald zu besprechenden Spelt oder Dinkelweizen gemacht,
da damit die Hüllspelzen desselben leichter zu entfernen waren.
Verordnungen über die Mühlensklaven kommen noch unter dem Kaiser
Valentinian vor, der von 364-375 regierte. Erst unter dem 379 von
Gratian zum Mitregenten ernannten Theodosius dem Großen, der 395 in
Mailand starb, nachdem er sein Reich unter seine beiden Söhne Arkadius
und Honorius geteilt hatte, hörte man, wie uns Antonius berichtet, auf,
Sklaven zu halten und Mühlen von Menschen treiben zu lassen.

Windmühlen waren im Altertum noch nicht im Gebrauch. Diese kamen
vielmehr erst um die Mitte des 11. Jahrhunderts in Deutschland auf.
Jahrhunderte hindurch blieb dann hier das Mühlenwesen auf der einmal
erreichten Stufe stehen, bis von den praktischen Nordamerikanern aus
ein mächtiger Anstoß zu Verbesserungen im Mühlenbetriebe erfolgte.
In Pennsylvanien und am Mississippi bestanden bereits zu Anfang des
vergangenen Jahrhunderts Mühlen, die die Leistungen der europäischen
Mühlen weit übertrafen, indem sie auf Großbetrieb eingerichtet waren.
Dazu kam die Anwendung der Dampfmaschine zuerst 1784 in England, dann
1825 in Deutschland, und zwar Magdeburg, und 1828 in Frankreich, so
daß von dieser Zeit an Dampfmühlen nach amerikanischem System rasche
Ausbreitung fanden. Vom Jahre 1834 an, da Sulzberger solche Neuerung
einführte, wandte man eiserne Walzen statt der Mühlsteine an, wodurch
das Mahlverfahren noch weiter gehoben wurde, bis zuletzt der höchste
Aufschwung durch die Erfindung von Porzellanwalzen im Jahre 1874 durch
den Züricher Wegmann erfolgte.

Wie der Weizen das Hauptgetreide des klassischen Altertums war, so
ist er es heute noch bei allen romanischen Völkern, wie auch bei den
Engländern, die ihn Korn, wie wir den Roggen nennen. Man stellt daraus
das „weiße Gebäck“ dar. Die Körner sind entweder durch den reichen
Gehalt an einer als Kleber bezeichneten Eiweißart glasig oder durch
relativen Mangel daran in Verbindung mit Vorwiegen des Stärkemehls
mehlig. Keine von beiden Formen ist im Extrem zum Verbacken sehr
tauglich. Im ersteren Falle liefert er ein sehr festes Produkt, im
letzteren dagegen bäckt er wegen des mangelhaften Klebergehaltes
nur schlecht. Deshalb wird der rein mehlige Weizen besonders zur
Stärkefabrikation benutzt, während der kleberreiche speziell zur
Herstellung von Nudeln, Makkaroni und Grieß Verwendung findet. Die
Bedeutung vieler deutscher Seestädte, welche mit Getreide nach dem
Auslande handelten, wie Danzig und Königsberg, bestand vorzugsweise
darin, daß man dort Gemische unseres mehligen deutschen Weizens mit dem
glasigen russischen Weizen herstellte, wie sie von den verschiedenen
Absatzgebieten gewünscht wurden.

Das Weizenstroh ist zwar kurz, aber doch wertvoll und wird meist
zu Häcksel verschnitten. Eine auf sehr schlechtem Boden in Toskana
gezogene Sorte liefert in ihren dünnen, festen Halmen das Material zu
den geschätzten florentiner Strohhüten.

Von echten Weizenarten sind noch der +Zwerg+- oder +Binkelweizen+
(~Triticum compactum~) und seine vorgeschichtliche Varietät, der
+Kugelweizen+ (~Triticum compactum globiforme~) zu nennen. Letzterer
wurde bereits in neolithischen Stationen in Bosnien, Ungarn,
Oberitalien und Süddeutschland gefunden und dehnte dann sein Gebiet
im Laufe der Bronzezeit bis nach Dänemark aus. Ersterer wurde,
wie verschiedene Funde beweisen, in der Schweiz von der jüngeren
Steinzeit bis in die römische Epoche ununterbrochen kultiviert. In
der Westschweiz baut man stellenweise den Zwergweizen heute noch an,
während der Kugelweizen sich in Schweden und Norwegen bis in die
Gegenwart erhielt und dort noch ziemlich verbreitet ist. Der +welsche
Weizen+ (~Triticum turgidum~) wurde bis jetzt nur in vorgeschichtlichen
Fundstellen Oberitaliens und der Schweiz gefunden, hat aber nie in
Europa eine größere Bedeutung erlangt.

Viel wichtiger als diese mehr historisches Interesse beanspruchenden
Weizenarten sind die bespelzten Weizensorten, der +Spelt+, +Emmer+ und
+Einkorn+. Unter ihnen ist der +Spelt+ oder +Dinkelweizen+ (~Triticum
spelta~) weitaus der wichtigste. Olivier will ihn nebst Weizen 1807 in
Mesopotamien wildwachsend angetroffen haben. Doch wurde er zu keiner
Zeit weder in Babylonien, noch Ägypten angebaut. Auch im Sanskrit,
im Indischen und Persischen fehlt ein Name für ihn, während seine
europäischen Namen auf eine alte Kultur im östlichen Europa hindeuten.
Heute wird er vorzugsweise nur noch in Süddeutschland und der Schweiz,
dann in Südtirol und Nordspanien in größerem Umfange angebaut. Aber
auch hier, wie auch in Italien und Frankreich, wo er früher viel
angepflanzt wurde, ist er mehr und mehr auf den Aussterbeetat gesetzt
worden. Besonders sind es die alamannischen Stämme, die noch aus
alter Gewohnheit an der früher von ihnen als „Korn“ bezeichneten
Getreideart hängen. Seine Ähre gleicht derjenigen des gemeinen Weizens
in allen wesentlichen Punkten, abgesehen davon, daß die Ährchen etwas
weitläufiger an der Spindel verteilt sind. Nur insofern ist ein
durchgreifender Unterschied zu konstatieren, als die Ährenspindel bei
der Reife, als ursprüngliches Merkmal aller darin nicht durch Kultur
verbesserter Getreidearten, noch zerbrechlich ist und die Körner bei
der Reife von den Spelzen eingeschlossen bleiben und auch beim Dreschen
nicht wie beim Weizen ausfallen. Um das Speltkorn aus der Umhüllung
herauszuschälen, ist ein eigener Mahlprozeß, das sogenannte Schälen
oder Gerben erforderlich, das in den Mühlen in besonderen Gängen, den
„Gerbgängen“, vorgenommen wird.

In der Kultur hat der Spelt immerhin gewisse Vorzüge vor dem gemeinen
Weizen, indem er geringe Ansprüche an Boden und Klima macht und seine
Körner vor dem Raube durch die Sperlinge und andere Vögel gesichert
sind, die oft große Teile der Weizenfelder verwüsten. Auch die
Festigkeit des Halmes ist beim Spelt eine höhere als beim Weizen, so
daß schwerer Gewitterregen das Getreide nicht so leicht knickt und zu
Boden schlägt. Wo aber ein guter Boden und ausreichende Sommerwärme
zur Verfügung stehen, da übertrifft bei rationeller Kultur der Ertrag
des Weizens denjenigen des Speltes beträchtlich, und das mag wohl der
Grund sein, weshalb der Anbau des Speltes auch in den Gebieten, wo er
alteingesessen ist, mehr und mehr zurückgeht.

Das Speltkorn liefert ein gelbliches Brotmehl, das im allgemeinen
weniger geschätzt wird als das Weizenmehl. Als Handelsware trifft man
vielfach, besonders in Süddeutschland, den Speltgrieß an, der als
Einlage zu Suppen sehr beliebt ist. Zu demselben Zwecke wird der
gleichfalls vom Spelt gewonnene Grünkern verwendet, der die noch
unreifen Körner darstellt, die aus den gedörrten, unreifen Ähren durch
Schälen gewonnen werden.

Die Heimat des Speltes ist vermutlich Südosteuropa, d. h. Südrußland
oder Westasien, jedenfalls ein Land mit kurzen Wintern und heißen
Sommern. Er ist ein typisches Wintergetreide, das im Herbst gesät und
im Frühsommer geerntet wird; als Sommerfrucht kommt er kaum je zur
Aussaat. Schon daß er eine solche Winterfrucht ist, beweist seine
Herkunft aus dem russisch-asiatischen Steppengebiet. Dort wird das
Getreide stets im Herbst gesät und im Frühjahr geerntet; auf diese
Weise entgeht es der alles versengenden sommerlichen Hitze. Denselben
Entwicklungsgang haben dort viele Gewächse, die ihn auch nach ihrer
Einwanderung in Gegenden ohne Sommerdürre wie die unserige bewahrt
haben, so die Trespenarten und andere Gräser, die bei uns im September
keimen, über Winter wachsen solange es nicht zu kalt ist, jedenfalls
nicht vom Froste groß leiden, im Juli ihre Früchte reifen lassen und
dann absterben. Diese Tatsache gibt uns einen willkommenen Fingerzeig,
weshalb und woher Winterfrucht in Gegenden wie bei uns aufkam, wo
sonst nur Sommerfrucht zu gedeihen und also auch heimisch zu sein
vermag. So hat auch das mittelländische Getreide, wie Volkart zuerst
darauf hinwies, bei seiner Wanderung nach Norden als Kulturpflanze die
Aussaat im Herbste beibehalten. Aus dem Wintergetreide entstanden dann
in hohen Lagen, die erst später besiedelt wurden, nach und nach auch
Sommergetreideformen; es ist dies ein Prozeß, den wir übrigens noch
heute beim Roggen zu verfolgen vermögen.

A. de Candolle und Buschan geben das südöstliche Europa als die
Heimat der Speltkultur an, von wo aus sie nach Mittel- und Südeuropa
eingeführt worden wäre. Dies ist vom pflanzenbiologischen Standpunkte
aus sehr wohl möglich; ist doch, wie Hoops hervorhebt, auch der
Roggen, ebenfalls ursprünglich eine Winterfrucht, zweifellos in diesen
Gegenden zu Hause. Volkart dagegen meint, der Spelt sei ursprünglich
mediterraner Herkunft; dies wohl mit Unrecht. Auch der namhafte
Straßburger Botaniker H. Graf zu Solms-Laubach, der die Heimat des
Speltes wie die der anderen Hauptkulturformen des Weizenstammes nach
Zentralasien verlegt, dürfte im Irrtum sein, schon aus dem Grunde, daß
dieses Getreide, soweit wir bis jetzt wissen, weder in früherer noch in
neuerer Zeit in Zentral- und Ostasien kultiviert wurde. Weit eher noch
dürfte Westasien, diese uralte Wiege der menschlichen Kultur, der wir
so viele pflanzliche und tierische Erwerbungen, wie auch technische
und geistige Kulturgüter zu verdanken haben, als Heimat des Speltes in
Frage kommen.

Schon im ältesten Ägypten wurde neben Weizen und Gerste auch Spelt
gepflanzt. Die alten Ägypter nannten ihn ~bôti~ und unterschieden von
ihm eine weiße und eine rote Sorte. Der Grieche Theophrast im vierten
vorchristlichen Jahrhundert nennt Spelt das alexandrinische Korn,
und der Römer Plinius im 1. Jahrhundert n. Chr. bemerkt, das aus ihm
bereitete Mehl sei feiner und weißer als gewöhnliches Weizenmehl,
obwohl es nach der Angabe seines Zeitgenossen, des griechischen Arztes
Dioskurides aus Kilikien, weniger Nährwert als Weizenbrot besitze
und leichter austrockne. In Ägypten selbst galt allerdings Speltmehl
für geringwertiger als Weizenmehl, denn nur das letztere ward zu den
Opferbroten verwendet.

In Europa war der Spelt schon zur Bronzezeit nördlich der Alpen
bekannt und wurde von den an den Seeufern ansässigen Pfahlbauern der
frühen Metallzeit in ihren Hackfeldern am Lande angebaut. Ist nun
diese Tatsache durch Funde unwiderleglich bewiesen, so ist anzunehmen,
daß er damals sicher auch in Südfrankreich kultiviert wurde; denn
die alte Völkerverkehrsstraße vom Mittelmeer nach der Westschweiz,
wo wir die verkohlten Speltkörner in den Überresten der Pfahlbauten
der Bronzezeit finden, führte das Rhonetal aufwärts. Wahrscheinlich
war aber der Spelt zur Bronzezeit schon im ganzen Mittelmeergebiet
heimisch und dürften mit der Zeit Spuren einer solchen prähistorischen
Speltkultur auch bei Ausgrabungen in Italien zum Vorschein kommen.
Jedenfalls haben ihn später besonders die Römer als altgewohntes
Getreide kultiviert und ihn in der Folge innerhalb des ganzen von ihnen
beherrschten Reiches populär gemacht. Sie, die in der ältesten Zeit
ausschließlich von Spelt lebten und auch noch in späterer Zeit als
äußerst konservativ im Kulte dessen Körner, gewöhnlich geröstet, mit
Salz ihren Göttern als gebräuchlichstes Opfer darbrachten, waren die
Hauptträger der Speltkultur. Plinius bezeichnet ihn als die gemeinste
Kornfrucht Italiens und sagt, daß er in den Hülsen aufbewahrt werde,
da er sich nicht gut aus ihnen dreschen lasse. Varro, der fruchtbarste
und bedeutendste Gelehrte Roms (116-27 v. Chr.) gibt an, daß, wenn man
den in den Ähren aufbewahrten Spelt zu verspeisen beabsichtige, man ihn
im Winter vom Speicher hole, in Holzmörsern zur Enthülsung stampfe und
dann röste.

Dieses von ihnen als ~far~ bezeichnete Getreide, das bei den Griechen,
die es kaum anpflanzten, ~zeiá~ oder ~zeá~ hieß, eine Bezeichnung,
die übrigens heute als Genusname dem aus Amerika zu uns gekommenen
Mais verliehen wurde, brachten die Römer nach Gallien, Germanien
und Britannien und empfahlen es den dortigen Völkern zum Anbau. Das
deutsche Dinkelgebiet hält sich genau innerhalb der Grenzen des
alten römischen Reiches. Ihre Nachfolger in der Hochschätzung des
Speltbaues waren dann später die Alamannen, die nach dem Verlassen
ihrer ostelbischen Heimat beim Einwandern ins römische Dekumatenland
ihn dort kennen lernten. Sie nannten dieses Getreide, das auch in
solchem Boden noch gedieh, in welchem der Weizen keinen guten Ertrag
mehr gab, ~spelta~, ein Wort, das dann den Römern im Laufe des 3. und
4. Jahrhunderts durch den Getreidehandel mit jenen geläufig wurde. Seit
jener Zeit ist bis auf den heutigen Tag die Speltkultur in Deutschland
vorzugsweise eine Eigentümlichkeit des schwäbischen Stammes geblieben,
an der dieser mit großer Zähigkeit festhielt, bis in neuerer Zeit die
Verdrängung desselben durch den profitableren Weizen auch hier nach und
nach überhand nahm.

Noch ältere Bestandteile unseres Getreidebaues, die aber in noch
weit geringerem Grade als der Spelt kultiviert werden, sind die uns
schon bei den neolithischen Pfahlbauern Mitteleuropas vor 4000 bis
5000 Jahren begegnenden +Emmer+ und +Einkorn+. Erstere, mit dem Spelt
sehr nahe verwandte Weizenart (~Triticum dicoccum~) hat gleichfalls
eine zerbrechliche Ährenspindel und am Korn festsitzende Spelzen.
Während aber beim Spelt die Ährchen besonders locker an der Spindel
befestigt sind, stehen sie beim Emmer vielmehr dicht gedrängt. Wie beim
Emmer ist auch beim Einkorn (~Triticum monococcum~) die zweizeilig
ährchentragende Ähre stets begrannt; für gewöhnlich entwickelt sich
aber in jedem Ährchen nur eine einzige reife Frucht.

Obschon diese Getreidearten von allen am genügsamsten sind und mit
überaus magerem Boden und rauher Lage vorlieb nehmen, werden sie aber
wegen ihres noch geringeren Ertrages heute bei uns in geringerem
Umfange als selbst der Spelt angepflanzt. In Deutschland sind sie
fast nur in Schwaben und Thüringen anzutreffen. Dagegen stehen sie in
Gebirgsgegenden Südeuropas, besonders in Spanien, Frankreich, Italien,
Serbien, ebenso in Kleinasien, Ägypten, Abessinien und Arabien immer
noch in Ehren. In Europa werden ihre Samenkörner wie diejenigen des
Speltes zur Gewinnung von Grünkern, Grieß und Stärkemehl benutzt.

Das war in vorgeschichtlicher Zeit anders. Da war man noch nicht so
verwöhnt und anspruchsvoll wie heute und baute auch diese weniger
ergiebigen Getreidearten gerne. Von der neolithischen Zeit, besonders
aber von der Bronzezeit an, wurden sie nicht nur in Vorderasien und
Ägypten, sondern auch in den Mittelmeerländern und in Mitteleuropa
kultiviert. In Ägypten findet sich besonders der Emmer (altägyptisch
~emrai~ genannt) in den Grabbeigaben der ältesten Pharaonendynastien
und noch in der fünften Dynastie, die auf die Zeit der großen
Pyramidenerbauer folgte (2700-2550), wurden vielfach die Leichen in
Spreu von Emmer gelegt und die Grabkammer damit aufgefüllt. In den
Trümmern von Hissarlik-Troja fand Schliemann unter den verkohlten
Vegetabilien das Einkorn so massenhaft aufgespeichert, daß es damals
als Brotgetreide zweifellos die erste Stelle muß eingenommen haben.
Auch in Syrien und Palästina bildete es einst ein sehr wichtiges
Getreide. Es ist das im Alten Testament mehrfach erwähnte ~Kussémet~,
aus dem einst die Juden und ihre syrischen Nachbarn, wie später die
Araber ihr Brot bereiteten. Nach Indien scheint seine Kultur niemals
vorgedrungen zu sein.

Eine wilde Stammform kennen wir bis jetzt nur von letzterem, dem
Einkorn, die in Mesopotamien, in Syrien am Antilibanon, in Kappadocien,
in Kleinasien und im Taurusgebiet, aber auch in Griechenland und
Serbien in wildem Zustande in der Form von ~Triticum aegilopoides~
gefunden wird.



II.

Die Getreidearten.

Gerste, Roggen, Hafer, Hirse und Buchweizen.


Zeitlich ebenso früh wie der Weizen wurde von den Steinzeitvölkern die
+Gerste+ (~Hordeum vulgare~) angepflanzt, die die Hauptnährfrucht der
Indogermanen war und bei ihnen wenigstens in das 4. vorchristliche
Jahrtausend zurückreicht. In Europa scheint sie die älteste überhaupt
angepflanzte Getreideart gewesen zu sein, die in der frühneolithischen
Zeit ausschließlich angebaut wurde, bis schließlich von Osten her
aus Asien auch der Weizen hinzukam, den wir dann in der späteren
neolithischen Zeit neben der älteren Gerste als Brotfrucht antreffen.
Die Kulturgerste stammt von der von den Kaukasusländern bis Persien und
Beludschistan einerseits und Mesopotamien andererseits verbreiteten
wilden Gerste (~Hordeum spontaneum~) ab. Diese steht der zweizeiligen
Gerste am nächsten und unterscheidet sich von ihr fast nur durch
die brüchige Spindel der Ähre, die der Mensch mit der Zeit durch
entsprechende Kulturauslese in eine zum Zwecke der leichteren Ernte
notwendige zähe Spindel umwandelte. Bei dieser Kornfrucht sind
im Gegensatz zum Weizen und Roggen, bei welchen jeder Absatz der
Ährenspindel nur ein einziges Ährchen trägt, stets drei Ährchen
nebeneinander gestellt, um welche die Hüllspelzen eine Art Manschette
bilden. Sind nun sämtliche Ährchen voll ausgebildet, so erhält man
sechs Reihen derselben, die sich entweder deutlich voneinander abheben,
dann haben wir die sechszeilige Gerste vor uns, oder von denen
nur die Mittelzeile deutlich hervortritt, während die Nebenzeilen
ineinander fließen, wie bei der gemeinen, auch vierzeiligen Gerste.
Bleiben dagegen die seitlichen Ährchen unentwickelt, so resultiert die
zweizeilige Gerste.

Von einer zweizeiligen Urform haben sich die vier- und sechszeiligen
Gerstearten schon in sehr früher vorgeschichtlicher Zeit ausgebildet;
denn letztere treten uns nicht bloß in den neolithischen
Pfahlbauten Mitteleuropas, sondern auch in den Grabbeigaben der
ältesten ägyptischen Dynastien aus dem vierten vorchristlichen
Jahrtausend entgegen. Ja, die sechszeilige Gerste war, in der Abart
~H. pyramidatum~ mit pyramidenförmig zugespitzten Ähren, im ganzen
Altertum bis in junge historische Zeiten hinein die gewöhnlichste
Kulturart, während die vierzeilige erst in neuerer Zeit wenigstens in
Europa größere Bedeutung erlangte. Heute ist letztere wohl hier die
verbreitetste Saatgerste.

Neben dem allerdings viel häufiger angepflanzten Weizen finden wir
auch die Gerste, im Altägyptischen ~ati~ genannt und in einer weißen
und roten Sorte unterschieden, im Niltal schon zur Zeit der ältesten
Dynastien kultiviert. Doch scheint sich hier namentlich die arme
Bevölkerung damit ernährt zu haben und daraus hergestelltes Brot oder
Brei ihren Toten ins Grab mitgegeben zu haben. In den ungebrannten,
nur an der Sonne getrockneten Backsteinen der Stufenpyramide von
Daschur aus dem Ende des vierten vorchristlichen Jahrtausends
fanden sich außer langgeschnittenem Stroh, Unkraut und den Blättern
mehrerer Sumpfpflanzen Überreste der vierzeiligen und sechszeiligen
Gerste neben solchen von Weizen. Als Beigabe aus Gräbern des alten
Reiches kam in Sakkara eine Schale mit zertrümmerten Gerstenähren,
im Gräberfeld von Theben dagegen erhärtete Breiklumpen von grob
zerriebenen Gerstenkörnern zutage. Auch in Wandmalereien finden wir
Ähren dargestellt, die in äußerst schematischer Weise den Charakter der
Gerstenähre zeigen.

Weiter nördlich und westlich finden wir in den neolithischen
Fundplätzen Kleinasiens und Süd- bis Mitteleuropas neben verkohlten
Überresten des Zwergweizens auch solche von Gerste, deren Körner
durch außerordentliche Kleinheit ausgezeichnet sind. Eine schon etwas
großkörnige Gerstenart finden wir in den schweizerischen Pfahlbauten,
in denen neben dem kleinen Pfahlbauweizen die kurze sechszeilige Gerste
nach den Untersuchungen von Oswald Heer weitaus das häufigste Getreide
war. Neben ihr wurde auch die dichte sechszeilige und die zweizeilige
Gerste angepflanzt, aber sehr viel seltener als die kurze sechszeilige
Gerste, die als das eigentliche Pfahlbaugetreide bezeichnet werden
kann. Jedenfalls nahm sie den weitaus größten Raum in den primitiv
genug mit der Holzhacke in gerodeten Waldlichtungen angelegten und
niemals gedüngten Hackfeldern der Pfahlbauern ein, die, sobald ihr
Ertrag durch Erschöpfung des Bodens nachließ, verlassen wurden, um auf
frisch gerodetem, jungfräulichem Boden durch neue ersetzt zu werden.

Auch in den Überresten der jüngeren Steinzeit Nordeuropas wie in
denjenigen der ganzen Bronze- und Eisenzeit finden wir die Gerste
durch ganz Mitteleuropa von Ungarn bis Frankreich recht häufig.
Besonders im Norden hat sie sich in der Folge so gut eingebürgert, daß
sie beispielsweise in Schweden bis tief ins 15. Jahrhundert hinein
überhaupt das einzige dort angebaute Getreide war, während Roggen und
Weizen bis in die Mitte jenes Jahrhunderts als für jene Gegenden neue
und ungewöhnliche Getreidearten bezeichnet wurden. Kürzlich fand man,
wie schon früher wiederholt, in der Fundschicht einer dem 5. oder
6. Jahrhundert n. Chr. angehörenden Ansiedlung in der schwedischen
Provinz Östergötland einen kleinen halbkugeligen verkohlten Gegenstand,
der sich bei genauerer Untersuchung als ein grobgemahlenes, mit
Steinsplitterchen des Mahlsteines vermischtes vorgeschichtliches
Gerstenbrot erwies.

Meist läßt sich allerdings an den vorgeschichtlichen Gerstenkörnern
nicht sicher bestimmen, welcher Art von Gerste sie angehören, und
auch die Schriftsteller des Altertums sprechen sich in der Regel
nicht deutlich genug über die Verschiedenheit der Gerstensorten aus.
Stets ist es die kurze sechszeilige Gerste, das Hauptgetreide der
Pfahlbauern, welche wir neben dem Weizen deutlich erkennbar auf den
griechischen Münzen abgebildet finden. Sie ist es, die wir auf den
ältesten, nur auf einer Seite geprägten Münzen aus dem 6. Jahrhundert
v. Chr. (Münzen der griechischen Stadt Metapontion am Meerbusen
von Tarent in Unteritalien) in Form einer prächtig ausgeführten,
langen, begrannten Ähre als das Symbol der ~pólis~, des städtischen
Gemeinwesens, abgebildet finden. Ein Vierdrachmenstück einer andern
griechischen Stadt, nämlich Leontinon auf Sizilien, aus dem fünften
vorchristlichen Jahrhundert zeigt um einen Löwenkopf herum vier
einzelne Körner derselben Getreideart. Zwei Münzen aus Skotussa und
Methydrion in Thessalien geben Abbildungen eines einzelnen Ährchens des
grannenlosen Winterweizens wieder, während ein Obolos von Orchomenos in
Böotien ein einzelnes Weizenkorn derjenigen Abart des gemeinen Weizens
zeigt, welche gegenwärtig als englischer Weizen bezeichnet und heute
noch vorzugsweise in den Mittelmeerländern angebaut wird.

Auf einer zweiten Münze von Metapontion aus späterer Zeit als
die erstgenannte, sitzt auf der dichtgedrängten kurzen Ähre der
sechszeiligen Gerste eine Wanderheuschrecke, auf der Rückseite aber ist
Apollon mit dem Lorbeerzweig, der die Gerstenfelder vor der furchtbaren
Heuschreckenplage bewahrende Gott, dargestellt. Auf einer anderen
Münze aus dieser unteritalischen Stadt ist neben der Gerstenähre eine
Zwergmaus auf einem Gerstenblatte dargestellt und auf der Rückseite
Ceres, die Beschützerin der Gerstenfelder vor der Mäuseplage, in
deren Haar die Ähren derselben Gerstenart geflochten sind. „Selbst in
diese kleinen Ähren, wie in die fast ebenso kleinen auf campanischen
Münzen -- neben dem Pferdekopf --“ sagt der verstorbene Züricher
Botaniker Oswald Heer 1865, in einer Arbeit über die Pflanzen der
Pfahlbauten, „wußte der Künstler den Charakter der heiligen (kurzen,
sechszeiligen) Gerste zu legen, während auf modernen Münzen, so denen
der französischen Republik von 1848, kein Mensch zu unterscheiden
vermag, ob Gerste, oder Weizen, oder Roggen dargestellt sein soll.“
Auf einer andern Münze von Metapontion ist der Sperling, dieser stete
Begleiter des Getreides, auf einer weiteren die Getreidemücke neben der
Gerstenähre deutlich erkennbar abgebildet. Daraus können wir schließen,
daß das Getreide schon damals unter denselben tierischen Feinden wie
heute zu leiden hatte. Wenn nun auch aus den metapontischen Münzen
nicht zu entscheiden ist, welche Art von Gerste gemeint sei, so zeigen
uns diejenigen von Leontinon nach der Gestalt der einzelnen Körner,
daß wir es hier mit der kleinen, kurzen, sechszeiligen Gerste zu tun
haben, wie sie schon von den neolithischen Pfahlbauern angebaut wurde,
die also der Urtypus der heiligen, auf den altgriechischen Silbermünzen
dargestellten Gerste ist.

Die Griechen der homerischen Zeit, zu Ende des vorletzten Jahrtausends
v. Chr., übten schon längst den Anbau dieser Gerste neben demjenigen
von Weizen aus. In der Ilias und Odyssee ist neben dem Weizen (~pyrós~)
vielfach von der Gerste (~kri~), bei den späteren Griechen ~krithé~
genannt, die Rede, die fast stets den schmückenden Beinamen „die weiße“
(~leukón~) trägt. So werden in beiden Epen die Pferde mit Gerste und
~ólyra~, das ist eine Art Spelt, gefüttert. Dioskurides sagt uns
nämlich in seiner Arzneimittellehre, daß die ~ólyra~ zu derselben
Pflanzenart wie der Spelt (~zeiá~) gehöre, aber etwas weniger als
dieser nähre. Auch aus ihm werde Brot gebacken. Der eigentliche Spelt
(~zeiá~) kommt nicht in der Ilias, sondern nur in der jüngeren Odyssee
vor. Als der Atride Agamemnon, dem Sohn des Odysseus, Telemachos, bei
seinem Besuche in Mykene als übliches Gastgeschenk Pferde schenken
wollte, sagt dieser zu ihm: O Sohn des Atreus, willst du mir ein
Geschenk machen, so möge dies klein und wertvoll sein. Die Rosse, die
du mir schenken willst, möchte ich lieber nicht annehmen. Sie bleiben
besser bei dir, denn du herrschest über weite Gefilde, wo viel Klee
wächst und Weizen, Spelt (~zeiá~) und weiße Gerste; Ithaka dagegen ist
(weil gebirgig) nicht für Rosse passend, dagegen für Ziegen.

In der Ilias wird „auf der Tenne die weiße Gerste leicht von den
Füßen der darüber getriebenen Ochsen ausgedroschen“, und im ganzen
griechischen Altertum galt die „weiße Gerste“ als besser als die
„rötliche Gerste“, wie schon Theophrast unterscheidet. Und der
griechische Arzt Dioskurides im 1. Jahrhundert n. Chr. sagt: „Die
Gerste ist am besten, wenn sie weiß und rein ist. Sie enthält zwar
weniger Nahrungsstoff als der Weizen, doch ernährt ein aus gerösteter
Gerste gekochter Trank (~ptisánē~, woraus bei den Römern z. B. Plinius
~tisana~, und daraus unsere Bezeichnung Tisane nicht nur für eine
Gerstenabkochung, sondern für jede durch Abkochen von Arzneistoffen
hergestellte Flüssigkeit wurde) doch stark, weil sich beim Kochen viele
Teile der Gerste ablösen. Man braucht übrigens die Gerste (auch als
Arznei) in verschiedenen Zubereitungen innerlich und äußerlich.“

Im ganzen Altertum war vornehmlich +geröstete Gerste+ ein
außerordentlich wichtiges und verbreitetes Nahrungsmittel; ja
sie dürfte überhaupt eine der frühesten, wenn nicht die früheste
Zubereitungsart des Getreides zur Nahrung des Menschen darstellen,
von der wir Kunde haben. So hat schon der vorhin genannte
Züricher Botaniker Oswald Heer zu Anfang der 1860er Jahre bei der
wissenschaftlichen Untersuchung der aus den schweizerischen Pfahlbauten
herrührenden Getreideüberreste festgestellt, daß in der neolithischen
und noch zur Metallzeit aus der Gerste keinerlei Brot hergestellt
wurde, sondern daß dieses so überaus häufig kultivierte Getreide, das,
wie gesagt, die wichtigste pflanzliche Nahrung jener vorgeschichtlichen
Mitteleuropäer bildete, stets nur geröstet gegessen worden sein muß.
Erst durch das Rösten wurden die Grannen und Hülsen der Gerste so
brüchig, daß sie leicht entfernt werden konnten. Dies ließ sich auf
keine andere Weise bewerkstelligen. Das ist auch der Grund, weshalb
die geröstete Gerste noch im ganzen Altertum eine so überaus wichtige
Rolle spielte, und, als sie die Menschen nicht mehr aßen, sie dieselbe
nach altgeheiligter Sitte noch ihren Verstorbenen in die unterirdische
Behausung als Totenspeise mitgaben und den Göttern opferten.

Während also die Gerste von den Pfahlbauern stets geröstet gegessen
wurde, verfertigten sie aus den übrigen Getreidearten Brei und flaches,
nur 1,5-2,5 cm hohes, fladenartiges Brot, und zwar außer Weizen-
auch Hirsebrot, welch letzterem meist auch zerquetschte Weizenkörner
mit Leinsamen zur Erhöhung des Wohlgeschmacks beigemischt wurden.
Diese rundlichen Brotfladen der Pfahlbauern, von denen sich mehrere
Überreste bis auf unsere Tage erhielten, sind auf der oberen Seite
ganz unregelmäßig runzelig, auf der unteren Seite dagegen, wo sie
auf dem heißgemachten Stein auflagen, glatt und hohl. Die sonst kaum
zu schälende Gerste aber wurde durch Rösten genießbar gemacht und so
gegessen; aus ihr verfertigte man keinerlei Brot, sonst hätte man
Überreste davon finden müssen. Auch die ältesten Ägypter aßen die
Gerste geröstet und gaben sie geröstet ihren Toten zu deren Speisung
im Geisterlande mit, wie uns zahlreiche Gräberfunde kundtun. Auch bei
den alten Juden spielte die geröstete Gerste, ~kali~, d. h. Geröstetes
genannt, eine sehr wichtige Rolle neben dem aus Weizen und Spelt
gebackenen Brot, das auch bei ihnen gebräuchlich war. Die uns allen von
Jugend auf bekannte, idyllische Geschichte der Moabiterin Ruth, die
nach dem Tode ihres Mannes nach Bethlehem (d. h. Brotstadt) kam und
durch ihre Verheiratung mit Boas die Stammutter des Davidschen Hauses
wurde, spielt zur Zeit „da die Gerstenernte anfing.“ Auch ihr wurde
wie den anderen an der Einheimsung der Ernte Beteiligten ~kali~, also
geröstete Gerste verabreicht. Der junge David, der seines Vaters Herden
weidete, brachte seinen im Felde lagernden Brüdern Brot aus gerösteter
Gerste (~kali~), und auch dem vor Absalon fliehenden David, wird außer
Weizen, Gerste, Mehl, Saubohnen und Linsen, geröstete Gerste (~kali~),
gebracht, und auch von den Linsen wird ausdrücklich gesagt, daß sie
geröstet gewesen seien.

Auch bei den Griechen der homerischen Zeit spielte die geröstete
Gerste, von ihnen ~álphiton~ genannt, eine wichtige Rolle und wurde,
wie in der Odyssee geschildert wird, in ledernen Schläuchen (meist
aus Ziegenfell) statt des Brotes auf die Reise mitgenommen. Auch
Odysseus Sohn Telemachos befiehlt, als er seine weite Reise nach Mykene
antreten will, der Dienerin Eurykleia (der „weithin Berühmten“) 20 Maß
~alphiton~, d. h. von den Hüllen befreite und grob gemahlene, geröstete
Gerste in wohlgenähte Lederschläuche zu tun, um sie zur Wegzehrung für
sich und seine Begleiter mitnehmen zu können. Stets wird in der Odyssee
beim feierlichen Opfer geröstete Gerste auf das zu schlachtende Rind
oder sonstiges Opfertier als Opfer an die Gottheit gestreut, und als
die Gefährten des Odysseus auf den Rat des Eurylochos frevelhafterweise
einige dem Sonnengotte gehörige Rinder schlachten und den Göttern
als Opfer darbringen wollten und es ihnen dazu an „weißer Gerste“
gebrach, so bestreuten sie dieselben wenigstens mit Eichenblättern.
Als Nestor einen Ochsen schlachten wollte, brachte Aretos in einem
Becken Weihwasser herbei und hielt in der anderen Hand ein Körbchen
mit gerösteter Gerste. Da nahte auch Thrasymedes mit einer scharfen
Axt in den Händen, um den Ochsen niederzuschlagen, und so begann der
alte Nestor die feierliche Handlung, indem er seine Hände wusch und
geröstete Gerste auf das Tier streute.

Noch in viel späterer Zeit bildete geröstete Gerste auch bei den
Griechen eine wichtige Nahrung des Menschen. So bestand noch in der
klassischen Zeit in Athen eine vom berühmten Gesetzgeber der Athener,
Solon (639-559 v. Chr.), einem der sieben Weisen, erlassene Verordnung,
wonach jede junge Frau bei ihrer Verheiratung ein ~phrýgetron~
genanntes Gefäß zum Rösten der Gerste in den jungen Hausstand
mitzubringen hatte. Und als die Griechen sich nach und nach von
dieser altertümlichen Nahrung emanzipierten, durfte geröstete Gerste
wenigstens bei keinem Opfer fehlen. In den Traditionen des uralten
Kultes der Demeter (soviel als ~Gē-mḗtēr~, d. h. „Mutter Erde“ als
Hervorbringerin der Brotfrucht) auf Kreta wie in Eleusis bei Athen
galt die Gerste als das „älteste Korn“ und „geröstete Gerste“ als die
einst von den Ahnen gegessene wichtigste Speise aus dem Pflanzenreiche
als die unerläßliche Grundlage im Opferritual. Dabei wurde die meist
schwach geröstete Gerste, zwischen den Mahlsteinen enthülst und grob
zerkleinert, mit Wasser angerührt und allein oder mit Zutat von
Leinsamen oder Olivenöl gegessen.

Noch der 79 n. Chr. beim Vesuvausbruch, der Pompeji und Herculaneum
verschüttete, als Befehlshaber der beim Kap Misenum, bei der
gleichnamigen Stadt stationierten Flotte umgekommene ältere Plinius
sagt in seiner Naturgeschichte: „Schrot (grobes Mehl) von gerösteter
Gerste (~polenta~) ziehen die Griechen dem aus anderem Getreide
hergestellten Schrote vor. Sie übergießen die Gerste mit Wasser,
trocknen sie eine Nacht hindurch, rösten sie am folgenden Tage und
schroten (~frangere~, d. h. brechen) sie auf der Mühle. Manche rösten
die Gerste stärker, besprengen sie dann nochmals mit Wasser und
trocknen sie wieder, bevor sie dieselbe auf die Mühle bringen. Zu
20 Pfund Gerste werden 3 Pfund Leinsamen, ½ Pfund Koriander und ein
~acetabulum~ (ein kleines, auf dem Ständer mit Essig und Öl stehendes
Salzschälchen) voll Salz genommen. Das alles wird geröstet und in der
Mühle mit der Gerste vermengt. -- In Italien wird die Gerste nicht
angefeuchtet, nur geröstet und dann zu feinem Mehl (~farina~, im
französischen ~farine~ noch erhalten) gemahlen (~molere~); man gibt
ihr dieselben Zusätze und fügt noch Rispenhirse (~milium~) bei. Die
Alten aßen Gerstenbrot; jetzt dient es fast nur noch zu Viehfutter;
dagegen wird eine Gerstenabkochung (~tisana~) für stärkend und heilsam
gehalten. Der berühmte Arzt Hippokrates (460 v. Chr. auf der Insel
Kos geboren, bereiste Griechenland, Kleinasien, Skythien, starb 364
in Larissa in Thessalien, führte die Geheimnisse der Ärzteschule der
Asklepiaden ins Leben ein, begründete die Lehre von den Krisen und die
Diätetik) hat dieser Gerstenabkochung ein eigenes Buch (Schriftrolle)
gewidmet.“

[Illustration:

    Tafel 5.

Moderner Dampfpflug von J. Kemna in Breslau, der eine Leistung von bis
zu 100 Morgen im Tag erzielt.]

[Illustration:

    Tafel 6.

Siebenschariger Dampfpflug von J. Kemna in Breslau, der eine
Arbeitsbreite von 2,5 m besitzt und mit einer Geschwindigkeit
von ca. 2,5 m in der Sekunde gezogen wird.]

Wie bei den Griechen und Römern war ihrem ganzen Stamme, den ältesten
Indogermanen, die Gerste das „Korn“ schlechthin, dessen einzelne Körner
bei ihnen das kleinste Gewicht und Längenmaß bildeten. Wäre der Weizen
damals deren Hauptkornart gewesen, so wäre das Weizenkorn und nicht das
Gerstenkorn zu einem solchen Zwecke herangezogen worden. Nur bei einem
Zweige derselben, bei den Römern, wurde die Gerste sehr frühzeitig aus
ihrer Rolle als Hauptnahrungsmittel durch den von ihnen ~far~ genannten
Spelt verdrängt, und so diente bei ihnen tatsächlich das Speltkorn als
Maßeinheit. Doch wurde bei ihnen neben dem Spelt auch noch in späterer
Zeit die zweizeilige Gerste als Sommerfrucht, die sechszeilige Gerste
dagegen als Winterkorn gebaut. Die zweizeilige Gerste preist schon
der römische Ackerbauschriftsteller Columella im ersten christlichen
Jahrhundert wegen ihres Gewichts und der Weiße ihres Mehls. Heute ist
sie in einer großkörnigen Sorte die am meisten kultivierte Sommergerste
Mitteleuropas und Englands. In den gebirgigen Gegenden Oberbayerns
und der Schweiz geht sie mit dem Roggen bis zur obersten Grenze des
Getreidebaus.

Irgendwo in Vorderasien ist die wild wachsende Gerste nicht nur
zur Kulturpflanze mit festerer Spindel, sondern auch mit größeren,
mehlreicheren Körnern und so allmählich ausgiebigerem Ertrage gezüchtet
worden und drang mit der Zeit von ihrer ältesten Anbaustätte, wo wir
sie jedenfalls schon vor mehr als 10000 Jahren als angepflanzt annehmen
dürfen, wie zu den Neolithikern der Mittelmeerländer, so auch östlich
nach China, wo sie uns auch schon sehr frühe, nämlich zu Beginn des
dritten vorchristlichen Jahrtausends, entgegentritt.

Die Gerste erfordert für einen erfolgreichen Anbau einen ziemlich
guten Boden; hingegen macht sie in bezug auf die Sommerwärme nur
geringe Ansprüche und durchläuft ihren Entwicklungsgang von der Keimung
bis zur Kornreife in verhältnismäßig kurzer Zeit. Eine mittlere
Sommertemperatur von 8° C. genügt schon, um sie zur Reife zu bringen.
So geht ihr Anbau wie derjenige des Roggens bis zum Nordkap und in
den Alpen bis gegen 2000 m über Meer. Sie gedeiht noch im nördlichen
Schottland, auf den Orkney- und Faröerinseln, am Weißen Meer wie in
Nordamerika und Australien. In Nordeuropa mit Einschluß des nördlichen
Deutschlands, wo nach den neuesten Forschungen die Urheimat der
Indogermanen gelegen haben muß, ist sie von den ältesten Zeiten bis in
die Gegenwart die Hauptbrotfrucht geblieben, so daß sie dort noch heute
als „Korn“ schlechthin bezeichnet wird.

In diesen nördlichen Ländern mit kurzem Sommer wird hauptsächlich
die vierzeilige Gerste als Sommerfrucht angebaut, da sie ihre
Vegetationszeit auf 90 Tage einzuschränken vermag. In Mitteleuropa und
der Schweiz dagegen wird die ertragreichere zweizeilige Gerste jener
in der Regel vorgezogen. Doch steht die produzierte Gerstenmenge fast
in allen Ländern hinter der Weizenmenge zurück; deshalb wird nur in
den nordischen Gebieten: Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland aus
klimatischen Gründen mehr Gerste als Weizen gebaut. Auf den britischen
Inseln ist der Ertrag der beiden Getreidearten annähernd gleich. Die
Hauptmasse der Gerstenproduktion kommt aus Rußland, an zweiter Stelle
müssen Deutschland und Österreich-Ungarn genannt werden, die ungefähr
gleiche Mengen davon hervorbringen. Von außereuropäischen Ländern
kommen als Gerstenproduzenten namentlich Nordamerika, Algerien und
Ägypten in Betracht. Auch in Chile und Australien wird ziemlich viel
Gerste gebaut. In wärmeren Gegenden, namentlich in Japan, pflanzt man
eine nackte Gerste, deren Früchte nicht von den Spelzen umschlossen
werden. Sie ist ein wichtiger Bestandteil der dort als Würze zum
Reis genossenen Shojusauce; zu dem Zwecke wird sie mit zerquetschten
Sojabohnen vermengt und die Masse, wie wir später kennen lernen werden,
durch Hinzufügen eines bestimmten Pilzes gären gelassen.

Obschon das Mehl der Gerste zum Brotbacken weniger geeignet ist als
Weizen- und Roggenmehl, wird in den nördlichen Ländern wie Schottland,
Dänemark und Skandinavien dennoch das Brot meist daraus bereitet. Bei
uns in Mitteleuropa kommt der Gerste die größte Wichtigkeit für die
Malzgewinnung zur Bierbrauerei, sowie zur Herstellung von Malzzucker
und Malzextrakt zu. Man läßt zu diesem Zwecke die Früchte durch
Befeuchten mit Wasser keimen, bis sie etwa ein 5 mm langes
Würzelchen getrieben haben, wobei sich die Masse durch den dabei
entwickelten Lebensprozeß stark erwärmt. Ist durch die Mitwirkung eines
in den Samenkörnern enthaltenen, als Diastase bezeichneten Fermentes
bei der Keimung ein großer Teil der unlöslichen Stärke in löslichen
Zucker umgewandelt, so wird die Keimung durch starkes Erhitzen (Dörren)
unterbrochen, das Malz zur Extraktion des Zuckers gekocht und diese
Lösung zur Bierbereitung weiterhin in alkoholische Gärung gebracht.
Ein Zusatz von Hopfen gibt dann der Flüssigkeit den bittern Geschmack.
Außerdem wird die Gerste durch Abschälen zu Grütze, Grieß und Graupen
verarbeitet. Ferner dient sie als beliebtes Futtermittel für das
Federvieh, und geschrotet als Kraft- oder Mastfutter für größere
Haustiere. In Südeuropa werden auch die Pferde mit Gerste gefüttert.

So alt der Anbau von Weizen und Gerste in Asien und Europa ist, so
jungen Datums ist hier die Kultur von +Roggen+ und +Hafer+. Diese
beiden Getreidearten haben weder die alten Babylonier, Ägypter, Inder
und Chinesen, noch die homerischen Griechen gekannt. Selbst die
Griechen der klassischen Zeit und die Römer haben deren Anbau als
Feldfrucht noch nicht geübt. Diese beiden Nährfrüchte, die in der
Gegenwart bei uns eine so große Bedeutung erlangt haben, sind, wie
auch die Bluthirse im Süden Osteuropas, von den Slawen zuerst als
Feldfrucht angepflanzt und veredelt worden, und zwar zu einer Zeit, als
sich bereits die griechischen und römischen Stämme von der arischen
Gesamtfamilie, zu der auch die Slawen gehörten, getrennt und im Süden
Europas gesonderte Wohnstätten bezogen hatten. Nur die germanischen
Stämme, welche länger wie jene mit den Slawen in Berührung blieben,
nahmen von diesen frühzeitig den Bau der beiden neuen Getreidearten an.

Unter den angestammten Getreidearten der Alten Welt ist der +Roggen+
(~Secale cereale~) mit dem Hafer entschieden der jüngste. Er kann
in Mitteleuropa erst in der Übergangsperiode von der Bronze- zur
Eisenzeit nachgewiesen werden. Den Pfahlbauten der Schweiz fehlte
er noch gänzlich, während er hier zur Römerzeit angebaut wurde,
wie mehrfache Funde und Angaben der Schriftsteller beweisen. In
Dänemark tritt er in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten auf;
doch findet er sich am allerhäufigsten in den frühmittelalterlichen
slawischen Niederlassungen. Die Slawen brachten ihn den finnischen
und germanischen Stämmen, bei denen er, die ältere Gerste überholend,
vielfach das Hauptbrotgetreide, das „Korn“ schlechthin, wurde.

Die Heimat des Roggens ist in der sarmatischen Ebene in Südrußland
zu suchen, von wo aus sein Anbau nach Norden zu den eben genannten
Volksstämmen, sowie westwärts nach Thrakien gelangte. Zuerst erwähnt
ihn der ältere Plinius (23 n. Chr. in Como geboren und 79 als
Befehlshaber der Flotte bei Misenum beim Vesuvausbruch umgekommen)
als die Hauptbrotfrucht der keltischen Bevölkerung der Poebene; doch
hat dem vornehmen Römer das kräftige, daraus bereitete Brot, das
„Schwarzbrot“, so wenig als den verweichlichten Kulturnationen unserer
Zeit behagt. Er schreibt in seiner Naturgeschichte: „Der Roggen
(~secale~), den die Tauriner am Fuße der Alpen ~asia~ nennen, ist das
geringste Getreide, kann nur zur Stillung des Hungers dienen, gibt
übrigens viele Körner, hat einen dünnen Halm und liefert ein dunkles,
schweres Mehl. Um diesen Geschmack zu verbessern, mischt man ihm Spelt
bei; aber dennoch ist er dem Magen im höchsten Grade zuwider. Er wächst
in jedem Boden, trägt etwa hundertfältig und schont den Boden“ --
was übrigens durchaus nicht der Fall ist. Auch der griechische Arzt
Galenos (131-200 n. Chr.), der uns das zweite bekannte Zeugnis über den
Roggen überliefert hat, kann sich mit ihm durchaus nicht befreunden.
Er sagt über ihn in seiner Schrift von den Eigenschaften der Speisen:
„Auf vielen Äckern Thrakiens und Makedoniens habe ich eine Getreideart
gesehen, die der Granne und dem ganzen Äußeren nach unserer asiatischen
~típhē~ (wahrscheinlich Einkorn) ähnlich war. Ich fragte die Leute
nach dem Namen, und sie antworteten, die ganze Pflanze wie auch der
bloße Samen heiße ~bríza~. Das daraus bereitete Brot riecht unangenehm
und ist schwarz.“ So wenig nun auch das Roggenbrot bei den Gebildeten
jener Zeit Anklang fand, so scheint sich doch die Roggenkultur
damals südwärts ausgedehnt zu haben; denn in einem diokletianischen
Erlaß aus dem Beginne des 4. Jahrhunderts wird der Roggen unter den
Getreidepflanzen an dritter Stelle gleich hinter Weizen und Gerste
genannt.

In Oberitalien und den Alpengegenden wird er heute noch ziemlich
viel gepflanzt; doch ist sein Hauptverbreitungsgebiet Deutschland
und Westrußland, wo er das „Korn“ schlechthin genannt wird. In
diesen Ländern ist das schwarze Roggenbrot ein Hauptnahrungsmittel
der Landbevölkerung. Ist es auch etwas weniger nahrhaft als das aus
Weizenmehl hergestellte Weißbrot, so ist es dafür schmackhafter und
hält sich viel länger weich und genießbar als letzteres, das leicht
austrocknet und dadurch seinen Wohlgeschmack verliert. Enthält der
Weizen 64 Prozent Stärkemehl und gegen 13 Prozent Eiweißstoffe, so
enthält das Roggenkorn nur 60 Prozent Stärkemehl und 11 Prozent Eiweiß.
Außer zum Brotbacken wird der Roggen noch zum Branntweinbrennen
verwendet. Die Kleie, welche beim Mahlen des Roggenkorns als Abfall
zurückbleibt, dient, wie auch das ganze geschrotene Korn, als
Viehfutter; außerdem wird der Roggen als voluminöse Halmfrucht oft vor
seiner Reife als Grünfutter geschnitten und an das Vieh verfüttert. Das
Stroh findet als Häcksel und zur Einstreu für das Vieh, beim Dachdecken
und in der Papierfabrikation, ebenso zur Herstellung von Strohmatten,
Flaschenmuffen und ähnlichen Gebrauchsgegenständen Verwendung.

Der Roggen stellt weit geringere Ansprüche an die Güte des Ackerbodens
und ist auch mit einer geringeren Sommerwärme zufrieden als der Weizen.
In Skandinavien gedeiht der Roggen selbst noch am Nordkap, und in den
Alpen steigt er so hoch hinauf als die höchsten Felder reichen. So
findet er sich bei Findelen im Kanton Wallis noch bei 2075 m und
bei Lü im Münstertal bei 1900 m Höhe neben der Gerste angebaut.
Er wird sowohl einjährig als Sommerroggen, als auch zweijährig als
Winterroggen angebaut, indem man die Saat frühzeitig im Herbst
anpflanzt und den Keimlingen dadurch Zeit zu reichlicher Bestockung
gewährt. Die Roggenähre ist in ihrer Zusammensetzung derjenigen des
Weizens sehr ähnlich, doch hüllen die beiden viel kleineren Hüllspelzen
nicht wie dort das ganze Ährchen ein. In jedem Ährchen entwickeln
sich nur zwei Blüten, so daß die reifen Körner in der Ähre in vier
Längsreihen angeordnet sind.

Als einziger Rispenträger unter unseren Getreidegräsern kann der
+Hafer+ (~Avena sativa~) nicht leicht mit einer anderen Getreideart
verwechselt werden. Er stammt höchst wahrscheinlich vom Flughafer
(~Avena fatua~) ab, den noch die Römer nur als unbrauchbares
Feldunkraut kannten. Als Kulturform unterscheidet er sich von der
wilden Stammform hauptsächlich dadurch, daß, abgesehen von den
größeren Körnern, die Spindel der Ährchen nicht mehr so brüchig ist
und die Früchte deshalb nicht so leicht abfallen. Diese Veredelung
wurde gleichfalls durch zielbewußte Kulturauslese erreicht, und zwar
vermutlich in Südostrußland, in der kaspisch-kaukasischen Ebene oder
in dem daran angrenzenden turkestanischen Tiefland. Von hier drang er
schon in vorgeschichtlicher Zeit westwärts, wo wir ihn nördlich der
Alpen in den schweizerischen Pfahlbauten und in etwa gleichzeitigen
Landansiedelungen Deutschlands schon zur Bronzezeit antreffen. Hier
lernten ihn später die Römer als menschliches Nahrungsmittel kennen.
Sie staunten über das „barbarische Brotkorn“ der Germanen, wie sie es
nannten; denn sie sahen in dem Kulturhafer nur den ihnen als lästiges
Ackerunkraut bekannten Flughafer, den sie höchstens als Viehfutter und
Arzneimittel gelten ließen.

Die Griechen der homerischen Zeit kannten den Hafer noch nicht. Der
erste griechische Schriftsteller, der ihn erwähnt, ist der Arzt
Dieuches aus dem Anfang des 4. Jahrhunderts v. Chr., der sagt, man
könne aus dessen Körnern einen Brei kochen, der leichter verdaulich
als der gewöhnlich genossene Gerstenbrei sei. Der ausgezeichnete
griechische Botaniker Theophrastos (371-286 v. Chr.) kennt ihn nur
als ein Ackerunkraut, ebenso der ältere Cato (234-149 v. Chr.), der
in seiner Schrift über den Landbau sagt, man müsse den Hafer beim
Hacken und Jäten des Getreides als lästiges Unkraut ausreißen. Auch
die römischen Dichter Vergil (70-19 v. Chr.) und Ovid (43 vor bis 17
nach Chr.) kennen ihn nur als solches. Ersterer sagt in einer seiner
Eklogen, d. h. ausgewählten Gedichte: „Meine Felder liegen öde; da, wo
ich Gerste gesät, wächst der unglückselige Taumellolch (~lolium~) und
unfruchtbarer Hafer (~sterilis avena~)!“ Und in seiner Georgika, einem
Gedicht über den Landbau, klagt er: „Gar mancher sät zu früh, seine
Saat verdirbt und sein Feld trägt dann nichts als unnützen Hafer (~vana
avena~).“

Erst der römische Ackerbauschriftsteller Columella aus Spanien im 1.
Jahrhundert n. Chr. spricht von seiner Verwendung als Viehfutter:
„Hafer wird gesät, um grün oder als Heu verfüttert zu werden; man läßt
auch welchen stehen, um wieder Samen zu bekommen.“ Sein Zeitgenosse
Plinius (23-79 n. Chr.) meint: „Der Hafer (~avena~) ist ein unter
dem Getreide vorkommendes Unkraut und entsteht durch Entarten der
Gerste. Die germanischen Völker säen ihn und essen keinen anderen Brei
als Haferbrei.“ Der 131 n. Chr. in Pergamon in Kleinasien geborene
griechische Arzt Claudios Galenos, der zuerst in seiner Vaterstadt
und dann in Rom, wo er um 200 starb, die Heilkunst ausübte, schreibt
über den ~brómos~, was man bisher mit Hafer übersetzte, da Plinius
an einer Stelle die eßbaren Samen einer Getreideart so bezeichnet,
das aber wahrscheinlicher eine Wickenart bedeutet, da Galenos ihn
ausdrücklich als Hülsenfrucht bezeichnet: „Der ~brómos~ wird in großer
Menge in Asien angebaut, besonders in Mysien, das über Pergamon liegt.
Er dient als Futter für das Zugvieh; von Menschen wird nur zur Zeit
von Hungersnot daraus gebackenes Brot gegessen. Außer einer Hungersnot
wird er nur selten, und dann in Wasser gekocht und mit süßem Wein
oder eingekochtem Most oder Honigwasser gegessen. Er gibt nicht gar
viel Nahrung und das aus ihm bereitete Brot schmeckt nicht angenehm,
bekommt aber gut.“ Wenn wir nun auch diese Notiz nicht für den Hafer
verwenden können, so ist uns doch aus späterer Zeit der Anbau von Hafer
als Viehfutter wenigstens im oströmischen Reiche verbürgt. Als solcher
erscheint er zwar noch nicht als Getreide für den Menschen, wohl aber
unter den Futterkräutern fürs Vieh im bereits erwähnten Erlaß des
Kaisers Diokletian (239-313) und der Kirchenvater Hieronymus (340-420)
sagt an einer Stelle, der Hafer werde wie die Wicke von den weidenden
Tieren gefressen. So dient er auch heute noch in Norditalien wie in
Griechenland nur als Grünfutter, während als Pferdefutter allgemein
Gerste benutzt wird.

[Illustration: Bild 6. Flugbrand des Getreides (~Ustilago segetum~).

~a~ Vom Flugbrand befallener Hafer.

    Der Parasit dringt in die junge Haferpflanze ein und entwickelt
    sich in derselben unsichtbar weiter, bis bei der Blütenbildung das
    mitgewandelte Pilzmyzel in die jungen Fruchtknoten eindringt und
    dort, reichlich ernährt, das ganze Korn zerstört, indem es ihn in
    einen Haufen winzigster Brandsporen umwandelt.

~b~ In Wasser keimende Brandspore bei 800facher Vergrößerung.]

Das eigentliche Kulturgebiet des Hafers als Getreidefrucht des Menschen
ist das Europa nördlich der Alpen, so weit es nicht zu kalt für ihn
wird. Bezüglich seiner Ansprüche an die Beschaffenheit des Ackerbodens
ist er genügsamer als alle übrigen Getreidearten. Er kann ebensogut
auf geringem Sandboden, als auf schwerem Tonboden oder auf Moorboden
angebaut werden. Trotzdem ist seine geographische Verbreitung nicht
so groß als diejenige von Weizen und Gerste, weil sein Anbau ein
wärmeres Klima erfordert und er sich langsamer als jene entwickelt.
Im Norden erreicht seine Kultur den 70. Breitengrad nicht und in den
Alpen steigt er nicht über 1670 m Meereshöhe. Man baut ihn
als Sommergetreide mit früher Aussaat. Er leidet wie die übrigen
Getreidearten vornehmlich durch den Flugbrand, der in nassen Jahren
große Verheerungen anrichtet.

Den meisten Hafer produzieren die Vereinigten Staaten von Nordamerika,
dann folgen Rußland und Deutschland mit Mengen, welche die
Weizenproduktion der betreffenden Länder noch weit übersteigen. Auch
Frankreich und Österreich liefern beträchtliche Mengen. Im Verhältnis
zur Größe des bebauten Landes ist die Haferproduktion in den nordischen
Ländern: Schweden, Norwegen, Dänemark, Schottland und Kanada besonders
groß; in Schweden liefert z. B. der Hafer mehr als die Hälfte alles
überhaupt gewonnenen Getreides. Dort und in Norwegen wird aus ihm ein
trockenes, jahrelang haltbares Fladengebäck, das Fladbrot -- eine Art
Zwieback -- verfertigt, das als Volksnahrung eine große Rolle spielt.
Auch in Schottland bäckt man aus dem Hafermehl harte, ungesäuerte
Kuchen. Das nationale Frühstücksessen der Schotten, Iren und vieler
Engländer aber ist die mit Milch gekochte Hafergrütze, der ~porridge~,
der vor dem Aufkommen des Kaffees auch bei uns in Süddeutschland und
der Schweiz als „Habermus“ als solches figurierte und neuerdings sich
glücklicherweise immer mehr als äußerst rationelles erstes tägliches
Essen einbürgert. Sonst wird der Hafer zu Schleimsuppen, Grütze, Grieß
und Brei verwandt, besonders aber an Pferde verfüttert. Haferstroh
dient wie dasjenige der übrigen Getreidearten in der Landwirtschaft als
Streu und wird zu Häcksel verschnitten.

[Illustration: Bild 7. Rispenhirse (~Panicum miliaceum~). (Nach Hegi.)]

Weiter sind die +Hirse+arten wichtige Getreidegräser. Diese ein- bis
zweiblütigen Rispengräser sind leicht daran zu erkennen, daß die Deck-
und Vorspelze hart und häufig glänzend sind. Eine der größten der
gegen 500 bekannten Arten ist die +Rispenhirse+ (~Panicum miliaceum~),
deren Stammform bisher unbekannt ist. Jedenfalls ist sie irgendwo in
Zentralasien zur Kulturpflanze erhoben worden und hat von da schon
sehr frühe ihren Eroberungszug über die ganze Alte Welt angetreten.
So gelangte sie schon in der neolithischen Zeit nach Mitteleuropa
und wurde hier von den Stämmen der jüngeren Steinzeit neben Gerste
und Weizen angepflanzt. In den neolithischen Pfahlbauten der Schweiz
finden wir die Hirsekörner so verquetscht und zu brotähnlichen Massen
verknetet, daß eine Bestimmung der Art nach den Körnern unmöglich ist.
Auch aus den antiken Schriftstellern werden wir nicht klug, welche
Hirseart von den von ihnen beschriebenen fremden Völkern verzehrt
wurde. Im ganzen scheint die Rispenhirse darunter verstanden worden
zu sein: doch ist daneben damals schon in Mitteleuropa eine zweite
Art nachweisbar. Es ist dies die +Kolbenhirse+ (~Panicum italicum~),
deren Stammform als ~Panicum viride~, ein durch die gemäßigte Zone
der alten Welt verbreitetes Unkraut bildet. Sie unterscheidet sich
von der kultivierten Form nur durch geringere Größe und das spontane
Abfallen der Fruchtähren bei der Reife. Auch diese Wildhirse scheint
in Innerasien zuerst als Getreide in die Pflege des Menschen genommen
worden zu sein und hat sich früh nach allen Richtungen verbreitet.
Schon ums Jahr 2800 v. Chr. treffen wir sie neben Weizen, Gerste, Reis
und Sojabohne in China angebaut. Noch früher muß sie in Nordindien
kultiviert worden sein, wo sie die Arier bei ihrer Einwanderung
als die gewöhnliche Brotfrucht der Eingeborenen überall angebaut
fanden. Doch verschmähten sie selbst zunächst dieses Korn, das ihnen
minderwertig erschien. Wie im Sanskrit treffen wir eine Bezeichnung
für sie im Altägyptischen, doch ist ihre Kultur weder im Niltal, noch
in Mesopotamien zu größerer Bedeutung gelangt, da hier offenbar schon
ältere Getreidearten so gut eingebürgert waren, daß sie sie nicht aus
ihrer herrschenden Stellung zu verdrängen vermochte. Dagegen war sie
von jeher bei den Negern in Afrika das Hauptgetreide. Wie der spätere
Plinius, sagt der um 25 n. Chr. verstorbene weitgereiste griechische
Geograph Strabon aus Amasia im Pontusgebiet: „In Äthiopien leben die
Leute (Neger) von Rispenhirse (~kénchros~) und von Gerste (~krithḗ~)
und machen aus beiden ihren Trank.“ Auch bei den Steppenvölkern
Südrußlands war die Hirse die wichtigste Nährfrucht. So sagt derselbe
Autor: „Das Tal des ins Schwarze Meer fließenden Thermodon ist feucht,
mit frischem Grün bedeckt, ernährt Herden von Rindern und Pferden und
die meisten Felder sind mit Kolbenhirse (~élymos~) und Rispenhirse
(~kénchros~) bestellt. Noch nie haben die Leute in diesem Tale
Hungersnot erlebt.“ Auch im Hochlande von Armenien fanden die Griechen
im Jahre 400 v. Chr. auf ihrem Rückzuge nach der unglücklichen Schlacht
von Kunaxa laut dem Berichte ihres Führers Xenophon, der ihn in seiner
Anabasis beschrieb, die Kolbenhirse (~élymos~) als Hauptgetreide
angepflanzt.

Die ältesten Griechen bauten die Hirse nicht an. Nirgends wird sie in
den homerischen Epen erwähnt. Von den griechischen Schriftstellern
nennt sie zuerst Hesiod im achten vorchristlichen Jahrhundert, aber an
einer wahrscheinlich später eingeschobenen Stelle. Erst den späteren
Griechen war sie wohlbekannt, sowohl die Rispenhirse ~kénchros~,
als auch die Kolbenhirse ~élymos~ oder ~melínē~. Der griechische
Pflanzenkundige Theophrast (390-286 v. Chr.) erwähnt beide als Getreide
(~sítos~) und sagt, daß man sie im Sommer säe. Besonders die Spartaner
werden uns als Hirseesser bezeichnet; auch in Athen war der Hirsebrei
ein gewöhnliches Gericht. Doch urteilt der aus Anazarbos in Kilikien
gebürtige griechische Arzt Dioskurides um die Mitte des 1. Jahrhunderts
n. Chr. in seiner Arzneimittellehre: „Die Rispenhirse (~kénchros~)
hat, wenn sie in Brot verwandelt wird, weniger Nährkraft als anderes
Getreide. Als Brei wird sie arzneilich gebraucht, auch legt man sie
geröstet in Säckchen auf schmerzende Stellen. -- Die Kolbenhirse
(~élymos~) heißt auch ~melínē~; sie ist ein der Rispenhirse ähnliches
Getreide, wird ebenso zu Speise und Arznei gebraucht, hat aber weniger
Nährkraft als jene.“

Eine etwas größere Rolle als in Griechenland, wo sie im ganzen nur
geringe Bedeutung erlangte, spielte die Hirse bei den Volksstämmen
Italiens. Auch bei ihnen wurden beide Arten gepflanzt, die Rispenhirse
als ~milium~ und die Kolbenhirse als ~panicum~. Letzterer Name hängt
mit ~panis~ = Brot zusammen und beweist, daß das Mehl der Kolbenhirse,
wie schon bei den neolithischen Pfahlbauern, vorzugsweise zu
fladenartigem, nicht getriebenem Brot verbacken wurde, während man aus
dem gemahlenen Korn der Rispenhirse mit Vorliebe einen in der Regel
nur mit Wasser, ausnahmsweise mit Milch gekochten Brei herstellte.
In seiner Naturgeschichte sagt Plinius: „Die Rispenhirse (~milium~)
gedeiht vorzüglich in Kampanien, man kocht dort aus ihr einen weißen
Brei (~puls~) und bäckt aus ihr ein recht süßes Brot. Die sarmatischen
Völker (Nomadenvölker im Norden des Schwarzen Meeres, ein Teil der
Skythen) leben vorzugsweise von solchem Hirsebrei, mischen auch
rohes Mehl mit Pferdemilch oder mit Blut aus den Schenkeladern des
Pferdes und essen es so. Die Neger kennen keine andere Feldfrucht als
Rispenhirse und Gerste. -- Die Kolbenhirse (~panicum~) ist in ganz
Gallien gebräuchlich; in Italien pflanzt man sie in der Landschaft, die
der Po durchfließt, und mischt (gemahlene) Saubohnen hinzu, ohne welche
man dort überhaupt nichts zubereitet. Die pontischen Völker (besonders
in Kaukasien und dem nördlichen Kleinasien) ziehen die Kolbenhirse
jeder anderen Speise vor.“ Auch die iberischen Volksstämme bauten ihn
mit Vorliebe an. So sagt der überaus gelehrte Marcus Terentius Varro
(116-27 v. Chr.) in seiner Schrift über den Landbau: „In den Erdgruben,
die man in Spanien zur Aufbewahrung des Getreides anlegt, hält sich
die Rispenhirse (~milium~) mehr als 100 Jahre lang gut.“ Und der aus
Spanien stammende Ackerbauschriftsteller Columella im 1. Jahrhundert
n. Chr. schreibt: „Zum Getreide kann man auch die Kolbenhirse
(~panicum~) und die Rispenhirse (~milium~) rechnen. Sie verlangen einen
leichten, lockeren Boden und gedeihen selbst auf magerem Sand, wenn
er nur feucht ist und Regen darauf fällt; trockenen und tonigen Boden
scheuen sie. Vor dem Frühjahr darf man sie nicht säen, weil sie die
Wärme lieben; die beste Zeit der Aussaat ist Ende März. Die Aussaat ist
an sich wohlfeil, weil man dem Maß nach nicht viel streut; später macht
sich aber ein oftmaliges Behacken und Jäten nötig. Die Ernte geschieht,
bevor die Samen ausfallen, indem man die Samenrispen (~spicae~) mit
der Hand abpflückt. Man hängt sie alsdann in die Sonne, trocknet sie,
hebt sie dann auf dem Kornboden auf, und so halten sie sich länger
als anderes Getreide. Aus der Rispenhirse bereitet man Brot, das
sich gut essen läßt, solange es noch warm ist. Die Kolbenhirse wird
durch Stampfen (in Holzmörsern) von der Schale befreit und gibt dann,
besonders mit Milch gekocht, einen Brei, der nicht übel schmeckt. Die
Rispenhirse kann ebenso zu Brei gekocht werden.“

Trotzdem die Hirse bei den Volksstämmen Italiens gebaut wurde,
trat sie, gleich der Gerste, vor dem Spelt und später dem Weizen
zurück. Nur wenn die letzteren nicht gut gerieten, war man über jene
mindergeschätzten, aber ausgiebigeren Getreidearten froh. Speziell in
der Poebene und im südlichen Gallien wurden sie noch lange von den
dort wohnenden keltischen Stämmen bevorzugt. Als Cäsar die Hafenstadt
Massalia (das heutige Marseille) belagerte, ernährten sich die
Einwohner mit alter Hirse und verdorbener Gerste, die sie für derartige
Zeiten der Not aufgespeichert hatten. In ähnlicher Weise wurden noch zu
Anfang des 6. nachchristlichen Jahrhunderts während einer Hungersnot zu
Pavia und Tortona große Mengen von Hirse aus den städtischen Magazinen
zu sehr niedrigen Preisen an das Volk abgegeben, ein Beweis dafür, daß
der Hirsebau sich im keltischen Oberitalien auch unter römischer und
gotischer Herrschaft behauptete.

Bis ins 18. Jahrhundert hinein war der Hirsebau in Mitteleuropa
ziemlich verbreitet, und bei unseren Vorfahren bildete der Hirsebrei
neben dem Hafermus die tägliche Morgenkost, die seither durch
Kaffee und Brot verdrängt wurde. Nur in Nordchina, Zentralasien und
Südrußland bildet diese Körnerfrucht heute noch eine der wichtigsten
Getreidearten, die als Brei und Kuchen von jedermann täglich genossen
wird. Vom Kaspischen Meer bis zur Donaumündung ist die Hirse sogar die
Hauptnährfrucht, und bis vor 50 Jahren war es in Südrußland allgemein
geübte Sitte, den Toten außer Brot und Branntwein einen Topf voll
Hirsebrei mit ins Grab zu geben.

Tiefer nach Afrika hinein drang der Anbau dieser nordischen Hirsearten
niemals vor, da hier verschiedene einheimische Hirsearten bereits große
Bedeutung erlangt hatten. Unter ihnen ist vor allem die +Negerhirse+
(~Pennisetum spicatum~) zu nennen, deren Heimat das tropische Afrika
ist. Von hier aus drang sie früh nach Ägypten und teilweise auch
Palästina vor, wo sie schon im Alten Testament als ~duchn~ genannt
wird, eine Bezeichnung, die heute noch bei den Arabern gebräuchlich
ist, während die Neger sie gewöhnlich ~mavele~ nennen. Sie wird 2 m
hoch und bildet walzenförmige Fruchtstände von über 30 cm Länge und
bis 4 cm Dicke, in denen die Körner sich dichtgedrängt finden. Das
daraus gewonnene feine Mehl wird, mit Wasser angemacht, zu einer
wohlschmeckenden Grütze gekocht, die in vielen Gegenden Afrikas die
Hauptnahrung der Eingeborenenbevölkerung bildet.

Allerdings ist in diesem Kontinente eine andere Hirseart noch viel
beliebter und deshalb verbreiteter. Es ist dies die +Mohrenhirse+ oder
das +Neger+- bzw. +Kafferkorn+ (~Andropogon sorghum~), von den Arabern
~durra~, von den Negern jedoch meist ~mtamma~ genannt. Von ihr gibt es
eine Menge Varietäten, die 2-7 m hoch werden, bis 1 m lange und 7-10 cm
breite Blätter treiben und schließlich eine mehr oder weniger gedrängte
endständige Rispe hervorbringen, an denen die 4-5 mm langen und
3-4 mm breiten Früchte sitzen. Bei der wilden Urform, dem aleppischen
Bartgrase (~Andropogon halepense~), die über die wärmeren Gebiete der
ganzen Erde verbreitet ist und in manchen Gegenden an Wasserläufen
große Dickichte bildet, fallen die die Ährenpaare tragenden Ästchen des
Blütenstandes nach der Fruchtreife ab, während sie bei den Kulturformen
stets erhalten bleiben. Auch werden die Früchte der wilden Form ganz
und gar von den Hüllspelzen umhüllt, während dies nur bei einer
einzigen, noch wenig durch Kulturauslese veränderten Kulturform der
Fall ist. Die zahlreichen Kulturvarietäten unterscheiden sich nun
durch Gestalt, Größe und Farbe der Hüllspelzen, die von Schneeweiß zu
Gelb, Rot, Braun und Schwarz wechseln, wie auch durch die Gestaltung
der Rispe, die bald weitschweifig und flatterig wie bei der Stammform
ist, bald mehr oder weniger gedrängte, elliptische bis kugelige Kolben
bildet.

Die Mohrenhirse nimmt mit trockenem, magerem Boden vorlieb und eignet
sich deshalb besser als irgend eine andere Pflanze zum Anbau in solchen
tropischen und halbtropischen Gegenden, wo auf eine kürzere Regenzeit
eine langanhaltende Trockenzeit folgt. Deshalb bildet sie nicht nur in
Afrika, wo sie heimisch ist und zuerst in Kultur genommen worden zu
sein scheint, sondern auch in Indien und China die Hauptbrotfrucht,
die in zahlreichen Spielarten gezogen wird. Aus ihrer Heimat Afrika
gelangte sie schon zur Zeit der ältesten Dynastien um die Mitte
des 4. vorchristlichen Jahrtausends nach Ägypten, wo sie neben den
älteren hier eingeführten Getreidearten als ~boti~ ziemlich häufig
gepflanzt wurde; wenigstens wird ihre Frucht ziemlich häufig unter
den Grabbeigaben gefunden, auch ist sie mehrfach deutlich erkennbar
an den Wänden der Grabkammern abgebildet worden. So findet sich auf
einem Wandgemälde im Grabe des Amenembe eine Ernteszene der Mohrenhirse
dargestellt. Die mannshohen, unten hellgrün und oben gelb mit rotem,
kolbenförmigen Fruchtstand gemalten Halme werden dabei aus dem Boden
gezogen, in Garben gebunden und nach der Tenne getragen, wo sie
vermittelst einer Hechel von ihren Körnern befreit werden.

[Illustration: Bild 8. Die Mohrenhirse (~Andropogon sorghum~). Nach
Hegi.]

Später drang die Mohrenhirse auch nach Westasien vor, ohne daß wir
allerdings geschichtliche Dokumente dafür besäßen. Noch heute wird sie
wie in Oberägypten, so in Palästina und Vorderasien ziemlich häufig
angebaut. In der Folge kam sie auch nach Indien, wo sie um die Wende
der christlichen Zeitrechnung bereits bekannt war, doch fehlt ein
Sanskritname für sie. Nach China soll sie angeblich im 4. Jahrhundert
nach Chr. als „Hirse aus dem Lande Shu“ eingeführt worden sein.
Heute nährt sich ein großer Teil der ¾ Milliarden Einwohner Indiens
und Chinas vorzugsweise von dieser Hirseart statt von Reis, wie man
gewöhnlich annimmt.

In ihrer alten Heimat Afrika ist sie, wie schon der Name Mohrenhirse
oder Kafferkorn besagt, die weitaus wichtigste Getreidefrucht
geblieben, aus welcher nicht nur fladenartiges Brot und Brei, sondern
auch ein als ~merissa~ bezeichnetes, sehr beliebtes Bier hergestellt
wird. Zu dem Zwecke werden die Körner der Mohrenhirse zuerst in Wasser
aufgeweicht, sodann vorübergehend in die Erde vergraben, um das Keimen
derselben zu bewirken. Ist dies erreicht, so werden sie zu einem groben
Mehl zerstampft, in einem irdenen Topf gekocht und die durch Filtration
daraus gewonnene klare, zuckerhaltige Flüssigkeit in Kalabassen einer
langsamen Gärung unterzogen. Nach 1-2 Tagen ist das leicht berauschende
Getränk fertig.

Die ältesten Griechen und Römer haben die Mohrenhirse nicht gekannt.
Der erste römische Autor, der uns von ihr berichtet, ist der 79
n. Chr. beim Vesuvausbruch umgekommene ältere Plinius, der in seiner
Naturgeschichte schreibt: „Vor etwa zehn Jahren ist in Italien eine
aus Indien stammende Hirseart (~milium~) eingeführt worden, welche
dunkelfarbig und großkörnig ist und einen rohrartigen Halm hat. Sie
wird bis sieben Fuß hoch. Ihre Blütenrispe wird Mähne (~phoba~)
genannt; sie gibt von allen Getreidearten den höchsten Ertrag,
von einem einzigen Halme 3 Sextarien (= 1,54 Liter).“ Trotz ihres
außerordentlichen Ertrages fand sie aber in Italien damals nicht recht
Eingang, wahrscheinlich weil das dem Roggen ähnliche, schwärzliche
Mehl den verwöhnten Römern nicht behagte. Kein späterer Autor spricht
mehr von ihr, so daß wir annehmen müssen, daß sie bald wieder völlig
aus Italien verschwand. Erst durch die Araber wurde sie wieder in
die Mittelmeerländer eingeführt. So erwähnt sie aus Italien zuerst
wieder Petrus de Crescentiis ums Jahr 1300 unter dem Namen ~milica~.
Doch diente sie damals vorzugsweise als Viehfutter und nur in
Teuerungszeiten wurde das daraus gewonnene Mehl mit anderem gemischt
genossen.

Einzig der Umstand, daß diese Getreideart sieben Monate zu ihrer
Entwicklung bedarf, hat es bewirkt, daß diese sonst so wertvolle,
ertragreiche Körnerfrucht nicht weiter nordwärts in Europa Verbreitung
fand. Ihre Nordgrenze findet sie hier in Südtirol, wo sie unter dem
Namen Sirch gepflanzt wird. Hier scheint aber diese Getreideart früher
allgemeiner angepflanzt worden zu sein, da bis vor kurzem der Grundzins
in diesem Korn bezahlt werden mußte. Von hier kommen auch meist die
abgeernteten und vermittelst metallener Kämme entkörnten Fruchtrispen,
die man bei uns sehr viel zur Anfertigung von Besen und groben Bürsten,
die man fälschlicherweise als Reisbesen oder Reisbürsten bezeichnet,
benutzt.

In der Neuzeit hat sich die Mohrenhirse weitherum, so weit das Klima
warm genug für sie ist, verbreitet. Auch in Nordamerika wurde sie im
19. Jahrhundert vielfach angepflanzt, erwies sich aber empfindlicher
gegen nasse Kälte und bedarf einer höheren Sommerwärme zur Reifung
ihrer Samen als der dort einheimische Mais. Sie wird wie dieser, nur
noch enger gepflanzt, außerdem müssen die betreffenden Felder öfter
gejätet werden, da die jungen Pflänzchen der Mohrenhirse sich langsamer
als diejenigen des Maises entwickeln, weshalb sie in größerer Gefahr
sind, vom Unkraut unterdrückt zu werden. Später treiben sie nach dem
Abschneiden ein zweites Mal Halme, wodurch es möglich wird, nach einer
Grünfutterernte eine Körnerernte zu gewinnen, vorausgesetzt natürlich,
daß die klimatischen Verhältnisse es gestatten.

Eine ebenfalls aus Afrika stammende Abart der Mohrenhirse ist die
+Zuckerhirse+ (~Andropogon saccharatus~), die höher wird als jene und
eine weitschweifige Rispe besitzt. Auch sie wird weitherum in Afrika
und anderen Tropenländern ihrer Samen wegen angebaut, die indessen
nicht so gut schmecken wie diejenigen der Mohrenhirse. Dafür enthalten
ihre Stengel ziemlich viel Zucker, der sich daraus gewinnen läßt. In
den weniger heißen Ländern, wo sie ihre Früchte nicht mehr reifen
läßt, dient sie als nahrhafte Futterpflanze. Auch sie gelangte aus
ihrer zentralafrikanischen Heimat frühe nach Ägypten und Vorderasien
und von da nach China, wo sie heute noch als Kao-liang, d. h. große
Hirse, eine weite Verbreitung besitzt. In letzterem Lande wird sie
erst zu Beginn der christlichen Zeitrechnung erwähnt, hat sich aber
dadurch die besondere Gunst der Bevölkerung erworben, daß sich aus dem
von ihr ausgepreßten Zuckersafte, der dort niemals zur Zuckergewinnung
benutzt wird, ein beliebtes alkoholhaltiges Getränk herstellen läßt.
Besonders in der Mandschurei ist dieser Kao-liang das gewöhnliche Korn
und wird dort in sehr ausgedehntem Maße gepflanzt. In den Berichten
aus dem japanisch-russischen Krieg konnte man genug von diesen hohen
Kao-liangkulturen lesen, die den Soldaten gute Deckung und willkommene
Fourage bot. Zur Gewinnung von Zucker wird dieses Getreidegras
neuerdings auch in Nordamerika in größerem Maßstab angepflanzt.

Gleicherweise afrikanischen Ursprungs und hier seit sehr alter Zeit als
Getreide angepflanzt ist die +Negerhirse+ (~Pennisetum spicatum~) --
nicht mit der Mohrenhirse zu verwechseln.

Diese 1-2 m hohe Hirseart mit 8-10 cm langer und 2-4 cm dicker,
kolbiger Fruchtrispe spielt heute noch in ihrer Heimat als Nährfrucht
eine große Rolle und ist bei den Negerstämmen Zentralafrikas ein
Hauptgegenstand des Hackbaues. Im letzten vorgeschichtlichen
Jahrtausend muß sie auch nach Ägypten und von da später weiter nach
Vorderasien gekommen sein; denn zu Beginn des sechsten vorchristlichen
Jahrtausends erwähnt sie der jüdische Prophet Hesekiel unter dem Namen
~dochan~ als eine Getreideart Babyloniens, aus der man Brot bereite.
Dieser Ausdruck hat sich bis heute in der arabischen Bezeichnung
~duchn~ für Negerhirse erhalten. Sie wird ebenfalls im Orient,
besonders in Südarabien und in Indien angebaut, und aus ihren Samen
stellen die Araber ihren Kuskus genannten Fruchtbrei her, der, wenn
möglich, mit Hammelfett oder Hammelfleisch gekocht wird und so beliebt
ist, wie anderwärts der damit gekochte Reis.

In höheren Gebirgslagen Abessiniens heimisch und daselbst im großen
unter dem Namen +Tef+ angebaut, ist eine Art von Liebesgras,
~Eragrostis abessinica~, die nur 0,5 m hoch wird. Die sehr kleinen,
kaum hirsekorngroßen, aber sehr zahlreichen Samen liefern der
gesamten Bevölkerung Abessiniens das allgemeinste und beliebteste
Brot, das gewöhnlich in eine gepfefferte Fleischsauce getaucht oder
mit Erbsenbrei, sonst auch nur mit Salz, Pfeffer und Butter gegessen
wird. Dieses Getreide wurde nach den zahlreichen auf uns gekommenen
Überresten einst im alten Ägypten häufig angebaut, wird aber dort nicht
mehr gepflanzt. Heute wird es nur noch in Abessinien bis zu 2200 m über
Meer in verschiedenen weißen, grünen und roten Spielarten kultiviert.
Die Ernte geschieht schon 3-4 Monate nach der Aussaat, was ein großer
Vorzug dieser Brotfrucht ist.

[Illustration:

    Tafel 7.

Mohrenhirse (~Andropogon sorghum~) in Deutsch-Ostafrika (nach Karsten &
Schenck, „Vegetationsbilder“).]

Endlich ist noch eine rasenartig wachsende, durchschnittlich 1 m hoch
werdende Getreideart zu erwähnen, der +Korakan+ (~Eleusine coracana~),
der in Indien seine Heimat hat, aber heute außer dort besonders auch
im tropischen Afrika bei den Negervölkern als ~uimbi~ sehr viel zur
Gewinnung von Brot und Bier angepflanzt wird. Auch von ihr gibt es
eine Menge von Kulturformen, die sich in den verschiedenen Gegenden
ihres Kulturgebietes ausbildeten. In Ostafrika wird sie in höheren
Lagen, oft mit größerer Sorgfalt als es sonst zu geschehen pflegt, in
wohlbewässerten Feldern angebaut.

[Illustration:

    (Nach Photographie von Apotheker Max Dietrich, Rietschen O. L.)

Buchweizenfeld.]

[Illustration:

    Tafel 8.

Landschaft auf Sumatra mit als Sawahs bezeichneten Reisfeldern; rechts
unten befindet sich ein Wächterhäuschen. Im Hintergrund führt eine aus
Bambusrohr errichtete Brücke über den Fluß.]

[Illustration: Bild 9. Der Buchweizen (~Fagopyrum esculentum~).]

Außer den bisher betrachteten Grasarten, die bekanntlich alle monokotyl
sind, hat auch eine dikotyle Pflanze aus der nächsten Verwandtschaft
der Knöteriche, der +Buchweizen+ (~Fagopyrum esculentum~), ein
naher Verwandter von Sauerampfer und Rhabarber, einige Bedeutung
als Getreidefrucht erlangt. Mit zwei anderen Polygonumarten, deren
Kultur auf Zentralasien beschränkt blieb, hat er seine Heimat in der
nördlichen Mongolei und Mandschurei, dann um den Amur- und Baikalsee
herum, wo er heute noch wild gefunden wird. Er ist ein einjähriges,
bis 60 cm hoch werdendes Kraut, mit gestielten, herzförmigen Blättern,
weißen oder rötlichen Blüten und dreikantigen, glänzendbraunen Nüßchen,
die den Bucheckern ähnlich sind und deshalb diesem Getreide den Namen
Buchweizen verschafften. Er ist höchst anspruchslos in bezug auf den
Boden und wächst noch im magersten Sande. Dann hat er entsprechend
seiner asiatischen Heimat mit kurzen, warmen Sommern und langen, kalten
Wintern eine kurze Vegetationsperiode und empfiehlt sich durch seine
schmackhaften Früchte, während die Blüten eine gute Bienenweide liefern.

Als Kornfrucht wird der Buchweizen besonders in Rußland viel
angepflanzt und daraus Grütze und Kuchen bereitet. Wer je jenes Land
bereist hat, dem werden die besonders zu Festzeiten in gewaltigen
Mengen verspeisten ~blini~, d. h. Pfannkuchen aus Buchweizenmehl,
aufgefallen sein, die in recht viel Butter dünn wie Papierblätter oder
auch dicker gebacken werden. Mit saurer Sahne und ausgelassener Butter
vorgesetzt, bilden sie einen Leckerbissen hocheleganter Diners wie der
einfachsten Bauernkost. Wer es vermag, leistet sich als Zukost dazu
geräucherten Lachs und Kaviar.

Wie in ganz Rußland, so hängt heute noch auch in Norddeutschland der
gemeine Mann von alters her an seiner Grütze aus Buchweizen, dessen
Körner als Mastfutter denselben Wert wie Gerste und als Pferdefutter
einen größeren als Hafer besitzen. Da die Buchweizenkörner mit einer
sehr harten Schale umgeben sind, so müssen sie immer zuerst geschrotet
werden, bevor sie als Futter dienen. Gemahlen werden sie, meist mit
Weizenmehl vermischt, zu Brot verbacken. Auch als Grünfutter wird der
Buchweizen angebaut und dient sehr häufig als Gründünger.

Im nördlichen China und in Japan wird er viel angebaut, erst seit
kurzem auch in Nordindien und auf Ceylon. Die alten Kulturvölker in
Vorderasien und am Mittelmeer kannten ihn nicht. Erst zu Ausgang des
Mittelalters kam er nach Europa. Seine früheste Erwähnung findet sich
im Zinsregister des mecklenburgischen Dorfes Gadebusch (bekannt durch
den Heldentod des Dichters Theodor Körner) vom Jahre 1436, und 1546
gab Hieronymus Bock eine genaue Beschreibung der damals noch nicht
allgemein in Deutschland bekannten Pflanze. In Süddeutschland nennt
man ihn gewöhnlich Heidekorn, d. h. ein von den Heiden gekommenes
Getreide. Ein anderer deutscher Name ist Taterkorn, was so viel
bedeutet als Brotfrucht der Tataren. Jedenfalls haben diese den
Buchweizen nach Rußland übermittelt und hat Viktor Hehn Unrecht, wenn
er das seltsame, aus Nordindien stammende und erst im Jahre 1417 in
Mitteleuropa auftauchende Wandervolk der Zigeuner, das ums Jahr 1000
aus seiner ursprünglichen Heimat zunächst nach Persien und Armenien
auswanderte, dann längere Zeit in Ländern griechischer Zunge, und
zwar wahrscheinlich Kleinasien, umherzog, in diesen Tatern erblickt.
Da diese ruhelos umherschweifenden Stämme keinen Ackerbau treiben, so
können sie auch unmöglich Verbreiter einer besonderen Kornart gewesen
sein, das zudem in ihrer ursprünglichen Heimat ganz unbekannt war.

Während der Buchweizen im Norden über Rußland nach Deutschland kam,
scheinen ihn die Franzosen erst durch die Vermittlung der Araber
(Sarazenen) erhalten zu haben, da sie ihn als ~blé sarasin~ bezeichnen.
Die ums Jahr 1225 unter dem Drucke der Mongolen aus Zentralasien
nach Vorderasien ausgewanderten Türken werden diese Kornfrucht nach
Armenien gebracht haben, von wo aus sie bei der Ausdehnung der
Türkenherrschaft nach Kleinasien und in die Länder am östlichen
Mittelmeer gelangte. Durch die im späteren Mittelalter als Seeräuber
das ganze Mittelmeer unsicher machenden Araber, die gewöhnlich als
Sarazenen bezeichnet wurden, scheint der Buchweizen an die Gestade
des westlichen Mittelmeers verbreitet worden zu sein; daher rührt
wohl die französische Bezeichnung her. Zu Ende des 16. Jahrhunderts
bildete er schon ein ziemlich allgemeines Nahrungsmittel der Armen
in manchen Gegenden Frankreichs. Im 18. Jahrhundert wurde er durch
ganz Europa und seit dem 19. auch in Nordamerika kultiviert. Wie
in Norddeutschland und bei den Slawen ist er in manchen Tälern der
Ostalpen eine beliebte Brotfrucht, so besonders in Tirol, wo er Plent
heißt (aus dem Italienischen ~polenta~) und das aus seinem nahrhaften
Mehl hergestellte Gericht Sterz genannt wird.

Kräftiger, dauerhafter und im Ertrag sicherer, wenn auch mit weniger
ausgiebigem, dickschaligem und nicht so wohlschmeckendem Korn, das
zudem auch leichter bei der Reife ausfällt, ist der aus Sibirien
stammende +tatarische Buchweizen+ (~Fagopyrum tataricum~). Er besitzt
wie der gemeine Buchweizen saftige, ästige, meist rotgefärbte Stengel
mit herzförmigen, gestielten Blättern, aber in schlaffe Trauben
geordnete grünliche Blüten und an den Kanten buchtig gezähnte Nüßchen.
Deutsche Botaniker brachten ihn im 18. Jahrhundert aus Sibirien, wo er
schon lange kultiviert wird, nach St. Petersburg, von wo aus er über
Europa verbreitet wurde. Da er aber ein bitteres und schwärzeres Mehl
als der gemeine Buchweizen liefert, wird er meistens nur zu Grünfutter
verwendet.



III.

Die Getreidearten.

Reis und Mais.


So wichtig die bisher von uns betrachteten Grasarten als Körnerfrüchte
für die Existenz des Menschen waren, so kann doch keine dieser
Nährpflanzen es an Bedeutung und weiter Verbreitung mit dem +Reis+
(~Oryza sativa~) aufnehmen, von dem reichlich die Hälfte aller
Menschen, d. h. etwa 750 Millionen, mehr oder weniger lebt. Vor allem
sind es die Asiaten, die vorzugsweise oder fast ausschließlich von
ihm leben, indem sie seine in kochendem Wasser erweichten Körner fast
ohne Zutat, mit fettem Hammelfleisch als Pilau in Vorderasien, oder
mit allerlei scharfen Gewürzen und Fisch- oder Hühnerfleisch in Süd-
und Ostasien, verzehren. Aus gemahlenem Reis werden in Indien die
verschiedensten Speisen, auch Brot, zubereitet. In Ostasien, besonders
in Japan, werden die drei täglichen Mahlzeiten nach dem Worte für
gekochten Reis als Morgen-, Mittag- und Abendreis bezeichnet. In
Japan setzen arme Gebirgsbewohner, die sich mit Buchweizen, Gerste
und Weizen begnügen müssen, wenigstens Greisen, Kindern und Kranken
Reis als Speise vor. Während in China, Korea und Japan der Reis die
hauptsächlichste Körnerfrucht ist, heißt er in Indien und Hinterindien
das Getreide schlechtweg.

Im tropischen Australien, durch ganz Südasien bis nach Westafrika kommt
in sumpfigen Gebieten, selbst in Gegenden, wo der Mensch ihn nicht
anbaut und auch nie angebaut hat, so daß ein Verwildern ausgeschlossen
ist, der wilde Reis vor, der sich nur darin vom langbegrannten
Kulturreis unterscheidet, daß seine Früchte nach dem Reifen abfallen,
eine Eigenschaft, die fast alle wilden Getreidearten im Gegensatz zu
den Kulturformen besitzen. Im oberen Niltale, wo er nach Schweinfurth
die Gewässer massenhaft bedeckt, werden die von den Eingeborenen
hochgeschätzten Früchte des wilden Reises aus dem Wasser geschöpft,
um als willkommene Speise zu dienen. Auch sonst überall werden seine
abfallenden Früchte von den auf der Stufe der Sammler lebenden
Naturvölkern regelmäßig gesammelt und nach leichter Röstung im Feuer,
wodurch der mehlige Inhalt der Körner aufquillt und so der Verdauung
leichter zugänglich gemacht wird, als beliebte Zukost zur tierischen
Nahrung gegessen. Ganz in derselben Weise wird in Nordamerika der in
seichten Gewässern, wie am Ufer der Seen und Ströme der Nordweststaaten
der Union und im südlichen Kanada wildwachsende +Tuscarora+- oder
+Wasserreis+ (~Zizania aquatica~), der 2-2,5 m hoch wird und eine
beliebte Nahrung für die Fische und Wasservögel bildet, auch von den
Indianern gesammelt und verspeist. Doch ist die Pflanze nicht wie der
Reis durch Veredlung zur Kulturpflanze erhoben worden, obwohl sie
dieselben guten Eigenschaften wie jener aufweist.

Welches Volk den Reis zuerst in seine Pflege nahm und durch zielbewußte
Kulturauslese die große Brüchigkeit seiner Ährenspindel beseitigte, so
daß die Frucht am Halme geerntet zu werden vermochte, das können wir
nicht mehr feststellen. Nur das eine wissen wir, daß diese bedeutsame
Kulturtat irgendwo in Südasien geschah, und zwar wahrscheinlich
in Hinterindien. In Südchina finden wir dieses Getreide zuerst in
größerem Maßstabe angebaut. Schon im Jahre 2800 v. Chr. hat nach dem
altchinesischen Werke Schu-King der bereits erwähnte Kaiser Schen-nung
die fünf heiligen Erntegewächse, außer Hirse, Weizen, Gerste und
Sojabohnen auch den Reis als eines der wichtigsten Nahrungsmittel
des Menschen beim Frühjahrsfeste selbst gepflanzt, um durch diese
feierliche Handlung dem Volke die Wichtigkeit des Anbaues derselben
vor Augen zu führen. Im Jahre 2356 v. Chr. ließ dann der Kaiser Jao am
Jang-tse-Kiang ausgedehnte Bewässerungsanlagen zur Erleichterung der
Reiskultur anlegen und regelte durch bestimmte Gesetze die Verteilung
der Einkünfte von den Reisfeldern. Von China gelangte der Reisbau früh
schon nach Korea und Japan, wie er von Hinterindien aus nach Indien
gebracht wurde, um von da auch nach den Sundainseln und Philippinen,
wie auch nach Ceylon zu wandern. Auf der Insel Java soll der Legende
zufolge der Reis bereits im Jahre 1084 v. Chr. angepflanzt worden
sein. Aus Indien kam die Reiskultur während der ersten Hälfte des
letzten vorchristlichen Jahrtausends nach Persien, von da westwärts
in die durch ihren Wasserreichtum zu seinem Anbau sehr geeignete
Euphratniederung und erst spät in die Länder am Mittelmeer. Auf dieser
Wanderung veränderte sich die indische Sanskritbezeichnung dieser
Nährfrucht ~vrîhi~ in ~brizi~ der iranischen Sprachen, und, aus dem
Altpersischen entstellt, erhielten die Griechen ihre Benennung ~óryza~,
aus dem sich dann die verschiedenen neusprachlichen Benennungen, auch
das deutsche Reis, herausbildeten.

Die alten Babylonier und Ägypter kannten dieses südasiatische Getreide
so wenig als die Juden des Alten Testaments. Erst durch die Feldzüge
Alexanders des Großen trat es in den Gesichtskreis der Kulturvölker am
Mittelmeer, nachdem manche weitgereiste Griechen, wie beispielsweise
Herodot, schon vorher unbestimmte Kunde von einer in Indien wachsenden
Pflanze erhalten hatten, deren Körner von der Größe eines Hirsekorns in
einer Hülse stecken, mit der letzteren gekocht und so gegessen werden.
Die erste sichere Nachricht über den Reis verdanken wir Aristobulos,
einem Begleiter Alexanders des Großen auf seinen Heerzügen in Asien von
334-324 v. Chr., der im hohen Alter eine Geschichte des ruhmreichen
Königs und seiner Feldzüge, verbunden mit einer Naturschilderung der
von jenem durchzogenen Länder verfaßte. Seine Schrift ist uns nicht
erhalten; aber der zur Zeit Cäsars und Augustus’ lebende griechische
Geschichtschreiber Diodoros aus Sizilien, daher Siculus genannt, teilt
uns folgenden Passus daraus mit: „Aristobulos sagt, der Reis (~óryza~)
stehe in Indien auf Beeten, die eingedämmt und mit Wasser bedeckt
sind. Die Höhe dieser Pflanze betrage vier Ellen; sie trage viele
Ähren und viele Körner, reife zur Zeit, da die Plejaden untergehen
und werde wie der Spelt durch Stampfen enthülst. Er wachse auch in
Baktriana, Babylonien, Susis und im unteren Syrien.“ Also nicht bloß
in Indien, sondern auch schon am oberen Oxus und in Vorderasien
wurde im 4. Jahrhundert v. Chr. diese wasserliebende Getreidepflanze
kultiviert. Auch des Aristobulos Zeitgenosse Theophrast (390-286), der
von Teilnehmern am berühmten Alexanderzuge diesbezügliche Mitteilung
erhielt, beschreibt uns die Nährpflanze ganz richtig: „Die Indier bauen
den sogenannten Reis (~óryzon~) in Menge an und kochen daraus Brei
(~hépsaina~). An sich sieht er dem Spelt (~zeiá~) ähnlich, enthülst
aber den Graupen (~chóndros~). Er ist leicht verdaulich (~éupeptos~).
Die Pflanze sieht dem Taumellolch (~aíra~) ähnlich, muß lange Zeit
hindurch im Wasser stehen, bildet aber keine Ähre, sondern eine Rispe
wie die Rispenhirse (~kénchros~) und die Kolbenhirse (~élymos~).“
Selbst sein, wie auch vordem Alexanders des Großen Lehrer, Aristoteles,
der ein Jahr nach des letzteren unerwarteten Tod in Babylon, nämlich
322 in Chalkis auf Euböa starb, also von dem 327 erfolgten Eindringen
seines vormaligen Zöglings in Indien noch Kenntnis erhalten hatte,
berichtet in seiner Tiergeschichte von einem aus Reis gewonnenen Wein,
indem er sagt: „Wenn die Elefanten von einem eisernen Geschoß verwundet
sind, so gibt man ihnen Öl zu trinken; wollen sie dieses nicht, so gibt
man ihnen eine abgekochte Mischung von Öl und Reiswein (~oínos orýzas~,
also nach unserem Sprachgebrauch Arrak).“ Später erwähnt solchen auch
Strabon. Er sagt nämlich: „Die Indier sind sehr mäßig, trinken nur bei
Festen Wein, und dieser ist aus Reis gemacht statt aus Gerste. Ihre
Hauptspeise ist Reisbrei.“ Dieser Geschichtschreiber berichtet auch bei
der Erzählung der Kämpfe zwischen Eumenes und Seleukos, daß ersterer
wegen Getreidemangels seine Truppen in der persischen Hochebene mit
Reis, Sesam und Datteln ernährt habe, mit welchen Produkten jene Gegend
reich gesegnet sei!

Der ums Jahr 200 n. Chr. in Alexandrien und Rom lebende griechische
Grammatiker Athenaios aus Naukratis in Ägypten schreibt in seinen 15
Büchern ~Deipnosophistai~, die wichtige Nachrichten über Leben, Sitte,
Kunst und Wissenschaft der alten Griechen enthalten, daß Megasthenes,
der unter dem 281 von Ptolemaios Keraunos ermordeten König Seleukos
Nikator von Syrien Agent und als solcher in Indien gewesen war, in
seinem von Indien handelnden Buche berichtet, daß dort bei Gastmählern
einem jeden ein Tischchen vorgesetzt werde. Auf dieses werde eine
goldene (tatsächlich wie Gold aussehende Messingschüssel) Schüssel mit
gekochtem Reis gestellt und dazu noch allerlei gute Gaben gereicht. Von
der dazu damals schon gebräuchlichen scharfen Currysauce berichtet er
uns nicht, obschon er wohl selbst an solchem Mahle teilgenommen hat.

Sehr merkwürdig ist, daß, nachdem die Griechen eine solche richtige
Vorstellung der Reispflanze gehabt hatten, der gelehrte Römer Plinius
der Ältere (23-79 n. Chr.) eine solch falsche Beschreibung derselben,
die nach ihm fleischige Blätter haben soll, in seiner Naturgeschichte
liefern konnte. Bei den Griechen und Römern war der Reis eine für
die bürgerliche Küche durchaus ungebräuchliche Speise, obschon er in
späterer Zeit, um die Wende der christlichen Zeitrechnung, infolge der
regen Handelsverbindungen mit dem Osten zu recht billigem Preise zu
haben war. Rät doch der Dichter Horaz (65-8 v. Chr.) in einer seiner
Satiren einem Geizigen: „Ist dein Magen leer, so fülle ihn noch mit
einem Reisbrei (~ptisanarium oryzae~, d. h. Abkochung von Reis), der
nicht teuer ist; für acht As (etwa 32 Pfennig) bekommst du eine
Portion, mit der du den Bauch gehörig füllen kannst.“ Selbst bei den
nach fremdländischen Erzeugnissen begierigen Reichen fand er keinen
rechten Beifall. Er wurde vielmehr von den griechischen Ärzten, die
zwar selbst keine sehr hohe Meinung von seiner Verdaulichkeit und
seinem Nährwerte hatten, hauptsächlich als Krankenspeise verordnet. So
nennt ihn Dioskurides im 1. Jahrhundert n. Chr. mäßig nahrhaft, und
Galenos im 2. Jahrhundert n. Chr. als schwerer verdaulich als Graupen
(~chóndros~), dabei weniger nahrhaft und nicht so wohlschmeckend wie
diese.

Wie im Altertum blieb der Reis das ganze Mittelalter hindurch erst
recht eine Luxusnahrung der südeuropäischen Bevölkerung, die auch nur
spärlich als Leckerei in die Länder nördlich der Alpen gelangte, wo
diese Kornfrucht bis in unsere Zeit bei der großen Menge, namentlich
bei der ländlichen Bevölkerung, einen nur bei Krankheit oder als
Festspeise mit Milch, Mandeln und Zucker verspeisten Luxusartikel
bildete. Auch haben weder die Römer, noch die Byzantiner je den
Versuch gemacht, die Reispflanze im Abendlande selbst zu kultivieren.
Dies taten erst die Araber, die ihn zu Ende des 7. Jahrhunderts, als
sie erobernd nach Westen bis an die Gestade des Atlantischen Ozeans
vordrangen und den unterjochten Ländern ihre Kultur aufzwangen, aus
Syrien nach Ägypten und ganz Nordafrika, und im 8. Jahrhundert auch
nach Spanien und Sizilien brachten. Bei ihrem Bestreben, die von
ihnen gewonnenen Länder nach dem Abbilde derer, aus denen sie kamen,
einzurichten, führten sie überall, wohin sie erobernd gelangten, die
Reiskultur als diejenige ihres Lieblingskornes ein. Überall legten sie
Kanäle und Rieselfelder zur Anpflanzung dieser Sumpfpflanze an und
verhandelten den Überschuß ihrer Ernten an die umwohnenden christlichen
Völker.

[Illustration:

    Tafel 9.

Singhalesen auf Ceylon beim Pflügen eines unter Wasser gesetzten
Reisfeldes mit Hilfe von Büffeln.]

[Illustration:

    Tafel 10.

Unter Wasser gesetzte Felder mit angepflanztem Reis auf Sumatra.
Links auf einer Erhöhung die aus Palmblättern erbaute Hütte des die
Reispflanzungen bei der Fruchtreife hütenden Malaien.

Das Pflanzen der Reissetzlinge in Japan.]

Nach der Eroberung der maurischen Königreiche, deren letzten Rest,
Granada, Ferdinand V., der Katholische, von Aragon im Jahre
der Entdeckung Amerikas, 1492, gewann, gingen die ausgedehnten
arabischen Reisfelder in den Besitz des letzteren über. Und da
glücklicherweise keine religiösen Bedenken die Fortsetzung der Werke
der Ungläubigen verboten, wurde von der christlichen Bevölkerung
Spaniens auch der muhammedanische Reisbau übernommen. Und als zu
Anfang des 16. Jahrhunderts sich die spanische Macht in Neapel und
bald auch in Oberitalien festsetzte, wurde der Anbau des Reises auch
dahin verbracht und bald ebenfalls nach Südfrankreich ausgedehnt;
um so mehr, als er einträglicher war als die bisher hier gebaute
gewöhnliche Körnerfrucht. Bloß das dadurch bedingte Überhandnehmen
des Sumpffiebers, der Malaria, ließ in der Folge mehr und mehr eine
Einschränkung seines Anbaus durch die Obrigkeit aufkommen. So durften
die Reisfelder nicht zu nahe bei den menschlichen Wohnungen sein.

[Illustration:

    Tafel 11.

Das Entkernen des Reises in Japan.

Das Dreschen zur Enthülsung des Reises in Japan.]

[Illustration:

    Tafel 12.

Singhalesinnen auf Ceylon mit einem zum Enthülsen des Reises dienenden
Holzstampfer, mit einer Worfel zum Säubern und einem Tonkrug zum Kochen
des enthülsten Reises.]

Ziemlich spät erst gelangte die Reiskultur nach Nordamerika. Als
erster erhielt im Jahre 1647 der englische Gouverneur des Staates
Virginia, Sir William Berkeley, aus seiner Heimat einen halben Bushel,
d. h. 18 Liter Reissaat, die 16 Bushel, d. h. 576 Liter guten Reis
lieferten; jedoch währte es bis zum Jahre 1694, bis die Reiskultur in
Nordamerika als wirklich eingeführt gelten konnte. In diesem Jahre
lief ein holländisches Schiff, von Madagaskar kommend, den Hafen von
Charleston in Südkarolina an. Bei dieser Gelegenheit machte der Kapitän
dem Gouverneur Thomas Smith einen Besuch und schenkte ihm auf dessen
Bitte einen kleinen Sack Reissaat, den er zufällig an Bord hatte. Smith
wollte versuchen, auf einem sumpfigen Stück Land, das ihm gehörte, den
Reis anzupflanzen; und dieser Versuch fiel glänzend aus. Er war der
erste Anfang der blühenden Reiskultur in Südkarolina, das heute noch
das Renommee besitzt, den besten Reis zu pflanzen. Allerdings stammt
heute ein großer Teil dessen, was als Karolinareis im Handel verkauft
wird, aus Java. Schon im Jahre 1724 wurden etwa 18000 Faß Reis aus dem
Staate Karolina ausgeführt, doch blieben hier auch später Mais und
Weizen das wichtigste Nahrungskorn der Bevölkerung, während er in Asien
fast das ausschließliche Nahrungsmittel der Reis bauenden Bevölkerung
bildet. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts kam die Reiskultur auch nach
Brasilien, wo die Pflanze in der Folge teilweise verwilderte.

Heute wird der Reis in allen Weltteilen gebaut, soweit die sommerliche
Hitze wenigstens vier Monate andauert und 29° C. erreicht, wenn auch
immer noch Südasien den Löwenanteil an seinem Anbau aufweist und drei
Viertel allen im Welthandel vorkommenden Reises von Bengalen und
Burma geliefert werden. Das Anbaugebiet, das nur von einigen Ländern
genau bekannt ist, kann man für die ganze Erde auf etwa 700000 qkm
abschätzen, eine Jahresernte auf 120 Milliarden kg und deren Wert auf
6000 Millionen Mark veranschlagen. Davon erntet Britisch-Ostindien
jährlich 25 Milliarden kg, von denen es 1700 Millionen kg jährlich
exportiert. Auf Java beträgt die Produktion etwa 3 Milliarden kg;
Kochinchina führt etwa 700 Millionen kg und Siam 500 Millionen kg aus.
Japan erntet etwa 3 Milliarden kg, die Vereinigten Staaten dagegen nur
64 Millionen kg, wovon 10 Millionen kg als Karolinareis zur Ausfuhr
gelangen. In Europa wird in der Poebene etwa 1 Milliarde kg Reis von
200000 Hektaren geerntet, dann kommt Spanien mit 20000 und Portugal mit
4000 Hektaren Reisland. Auch in Griechenland wird etwas Reis gebaut,
und sogar im Rhonetal in Frankreich. Doch ist diese Kultur nur von
geringer Bedeutung.

Infolge der mehrtausendjährigen Kultur in den verschiedensten Klimaten
und Nährböden hat der Reis zahllose Varietäten gebildet, die sich gar
nicht überblicken lassen. Im Museum von Kalkutta findet man nicht
weniger als 1104 verschiedene Sorten Reis, die in Britisch-Indien
kultiviert werden; außerdem figurieren dort noch weitere 300
verschiedene Arten Reis aus anderen Gegenden. Auf Ceylon allein sollen
161 verschiedene Arten Reis angepflanzt werden, und in Hinterindien,
China und Japan sollen mehr als 1400 Sorten desselben existieren. Alle
diese Arten sind aber nur Kulturvarietäten einer einzigen botanischen
Spezies, die von den Gelehrten eben ~Oryza sativa~ genannt wird.

Bei der edelsten Sorte desselben bleiben die einzelnen Körner nach
dem Dämpfen getrennt und verkleben nicht, im Gegensatz zu dem außer
Stärkemehl einen hohen Gehalt an Amylodextrin besitzenden Klebreis,
dessen längliche, durch hellrote Farbe ausgezeichneten Körner beim
Garwerden zusammenkleben und bald in Brei übergehen. Doch kommt diese
letztere Sorte kaum je zu uns und wird dann vorzugsweise zu Backwerk
verwendet. Was wir als Reiskleister essen, ist nur der in der Küche
durch falsche Zubereitung verdorbene gute, nicht klebende Reis. Um
dieses herrliche Nahrungsmittel mit Genuß essen zu können, muß es in
der richtigen Weise zubereitet werden, was folgendermaßen geschieht:
Nach gründlicher Waschung wird die betreffende Menge Reis mit reichlich
Wasser aufs Feuer gesetzt und darin gekocht, bis er gar ist, d. h.
man nimmt von Zeit zu Zeit einzelne Körner desselben heraus und sucht
sie zwischen den Fingern zu zerdrücken. Sobald dies geschehen kann,
wird das Wasser abgegossen, der Reis gut durcheinander gemischt und
der betreffende Topf mit dem Deckel geschlossen, um den Inhalt noch
durch den heißen Dampf gar werden zu lassen. Solchermaßen zubereiteter
Reis wird nie klebrig oder gar kleisterig und ist erst das, was die
Reiskenner unter gut zubereitetem Reis bezeichnen, der als Bestandteil
der indisch-holländischen Reistafel oder nach indischer Art nur mit
Fleisch und Curry versetzt gegessen wird und eine Delikatesse ersten
Ranges ist, die einem den Speichel im Mund zusammenfließen macht, wenn
man nur daran denkt.

Alle Reisarten, mögen sie von zwergigen oder hochwachsenden Sorten
stammen, begrannte und grannenlose Früchte mit kleinen oder großen
Körnern tragen, früh oder spät reifen, weiße, gelbe, rote, braune oder
schwarze, behaarte oder unbehaarte Früchte mit weichen oder harten
Körnern erzeugen, verlangen wenigstens eine periodische Bewässerung,
welche die Reiskultur treibenden Gegenden so stark versumpft und
in ihnen die Entstehung von Wechselfieber begünstigt, daß diese
Körnerfrucht beispielsweise in Italien nur in größerer Entfernung von
bewohnten Ortschaften gebaut werden darf.

Schon an den Nährsalzen der Frucht erkennt man, daß der Reis von einer
Wasserpflanze stammt, die sich im Gegensatz zu den übrigen Körner-
oder gar Knollenfrüchten dem Leben auf dem Lande durchaus noch nicht
angepaßt hat. Wie alle Tiere, sind auch alle Pflanzen, die einst in
frühester Urzeit dem Meere als dem Ursprung alles Lebens entstiegen
und sich, von Luft statt Wasser umgeben und in Licht gebadet, dem
Leben am Lande anpaßten, ursprünglich, der salzigen Flut, in der sie
einst lebten, entsprechend, sehr kochsalz- und dadurch natronreich.
Die Pflanzen haben sich nun als sehr viel früher dem Leben am Lande
angepaßte und durch ihre Assimilation überhaupt erst den Tieren die
Existenz daselbst ermöglichende Lebewesen sehr viel mehr von ihrer
natronreichen Urheimat, dem Meere, emanzipiert und das Natron in ihren
Geweben durch das Alkalimetall des Erdbodens, das Kali, ersetzt, und
zwar um so weitgehender, je landfester sie wurden. Nun ist der Reis das
kaliärmste und dadurch das für die Nieren reizloseste Nahrungsmittel,
das wir kennen, das besonders allen Nierenkranken nicht warm genug kann
anempfohlen werden. Milch enthält schon 5mal, Mehlspeisen 6mal, Erbsen
12mal, Rindfleisch 19mal, Bohnen 21mal und Kartoffeln gar 26-28mal mehr
Kalisalze als der Reis.

Trotz dieses großen Vorzuges spielt aber der Reis leider in
unserer Ernährung nicht die Rolle, die ihm gemäß seiner großen
Leichtverdaulichkeit und Nahrhaftigkeit zukommen sollte. In letzter
Zeit ist zwar darin eine erhebliche Besserung eingetreten; denn noch
vor hundert Jahren galt der Reis als Luxusartikel, den man höchstens
etwa bei festlichen Anlässen zu einer süßen Platte verwendete.
Damals war der jährliche Verbrauch nicht mehr als 100 g pro Kopf der
Bevölkerung Deutschlands, während er heute doch wenigstens auf 2,5 kg
jährlich für jeden Einwohner dieses Reiches gestiegen ist. Aber das ist
wahrhaftig nicht viel, im Vergleich mit der Unmenge von Kartoffeln,
die die Deutschen genießen. Der Engländer, der die Kartoffeln auch
nicht verschmäht, ißt dreimal mehr Reis als der Deutsche. Deutschland
führt jährlich Reis im Werte von 40-50 Millionen Mark ein, davon
verzehrt es aber nur für 30 Millionen Mark; der Rest wandert, meist als
Reisstärke, wieder nach dem Ausland.

[Illustration: Bild 10.

Der Reis (~Oryza sativa~). Nach Hegi.]

Der Kulturreis ist wie alle Getreidearten eine einjährige Pflanze,
die auf einem durchschnittlich 1,2 m hohen, nicht sehr kräftigen,
hohlen Halme mit verhältnismäßig breiten, 30 cm langen, am Rande etwas
scharfen und an der Basis bewimperten Blättern eine endständige,
überhängende Rispe mit einblütigen Ährchen und 30-60, ja sogar 100 und
mehr Samenkörner entwickelt. Aus praktischen Gründen unterscheidet
man +Wasser+- und +Bergreis+, die abweichende Anforderungen an den
Boden stellen. Beide verlangen zu ihrer Entwicklung eine Wärme, wie
sie nur in der heißen Zone und in den wärmeren Gegenden der gemäßigten
Zone gefunden wird. Nur in Gegenden, in denen es ununterbrochen 4
Monate hindurch heiß ist, gedeiht der Wasserreis, der zwar viel
Bodenfeuchtigkeit, aber keine allzugroße Luftfeuchtigkeit verlangt.
Überall da, wo in den Tropen während 10 Monaten eine ziemlich
gleichmäßige Temperatur herrscht, können 2 Jahresernten von demselben
Felde eingeheimst werden. Der Bergreis verträgt eine kühlere Temperatur
als der sonst ertragreichere und ausschließlich in den Welthandel
gelangende Wasserreis. Daher sehen wir in Südasien sein Anbaugebiet
im Gebirge aufwärtssteigend da beginnen, wo dasjenige des letzteren
aufhört. Es ist dies bei einer Erhebung von 1000 m der Fall. Von da bis
zu 1600 m Höhe liefert er sichere Erträge; denn sein Anbau wird in die
warme Jahreszeit verlegt und seine Entwicklung nimmt im Gegensatz zum
Wasserreis, der meist 5 bis 6 Monate zur Vollendung seines Wachstums
bedarf, nur 4 Monate in Anspruch. Unter 1000 m würde der Bergreis zwar
auch noch gedeihen, aber bei vorhandenen Wachstumsbedingungen wird der
Wasserreis vorgezogen, der mehr und bessere Frucht gibt.

Ein leichter, etwas sandiger Boden in ebener Lage ist dem Bergreis
am förderlichsten, während der Wasserreis tonigen Boden mit schwach
sandiger Krume vorzieht. Ein Reisfeld darf nicht die geringste
Beschattung, weder von Bergen, noch Bäumen haben, sondern muß tagsüber
dem vollen Sonnenschein ausgesetzt sein. Da aller Reis in künstlich
unter Wasser gesetzten Feldern angepflanzt werden muß, legt man die
Reisfelder im gebirgigen Gelände terrassenförmig übereinander an,
indem man sie von oben herab der Reihe nach berieselt und durch Dämme
von etwa 60 cm Höhe mit Durchstichen voneinander trennt. Diese in
Indonesien als +Sawahs+ bezeichneten Reisfelder, die oft bis zu großer
Höhe ins Gebirge hinaufsteigen und zu oberst künstliche Teiche, die
sie speisen, tragen, folgen den Konturen der Berge und verleihen
dadurch der tropischen Landschaft, in der sonst das Wirken des Menschen
gegenüber der Fülle der Vegetation vollkommen verschwindet, ein
bestimmtes, als Zeichen menschlicher Tätigkeit angenehm berührendes
Gepräge.

Infolge dieser starken Bewässerungsnotwendigkeit wird manchenorts,
namentlich in China und Japan, aber auch in Südungarn und Italien,
mit dem Reisbau zugleich Fischzucht verbunden, wobei die Fische,
gewöhnlich Karpfen, sich dadurch nützlich erweisen, daß sie die den
jungen Reispflanzen schädlichen Insektenlarven, Würmer und Schnecken
wegfressen. Müssen dann später die Reisfelder trocken gelegt werden, so
finden diese Fische ihre Zuflucht in den tiefen Abzugsgräben, die zu
diesem Zweck in den Reisfeldern angelegt sind.

Nachdem die übrigens gut zu düngenden Felder bewässert sind, setzt man
die jungen Reispflanzen, die man vorher in einem Saatbeete gezogen hat
und etwa 30-40 Tage wachsen ließ, auf sie in gewissen Abständen über.
Sind die Stecklinge festgewachsen, so wird wieder Wasser ins Feld
geleitet und damit fortgefahren, bis die Pflanzen anfangen gelb zu
werden; dann läßt man das Wasser ab, um das Reifwerden der Körner zu
befördern.

Beginnt der Reis reif zu werden, so gilt es die meist gewaltigen
Scharen von diebischen Reisvögeln und andere Körnerfresser, die sich
hungrig hinter das ihnen willkommene Futter hermachen wollen, durch
allerlei Scheuchapparate zu vertreiben. Ist er reif geworden, so
werden die Fruchtrispen kurz abgeschnitten und getrocknet, dann --
soweit er nicht verkauft wird -- in Scheunen aufbewahrt, aus welchen
die Frauen den täglichen Bedarf holen und dreschen, d. h. gewöhnlich
in hölzernen Mörsern mit Holzkeulen stampfen, bis die Körner sich
aus den Spelzen lösen. Die leeren Ähren und das Stroh werden dann
mit der Hand entfernt und die enthülsten Körner auf einen Korbteller
geschüttet und geworfelt, wobei sich im Winde die Spreu von den Körnern
scheidet. Zuletzt wird der Reis zur Entfernung des ihn noch umgebenden
Silberhäutchens geschält, d. h. nochmals gestampft, was von den
wechselweise zustoßenden Frauen im Takte geschieht. Bei allen diesen
Manipulationen werden in den verschiedenen Ländern die verschiedensten
Gebräuche beobachtet, da dem Asiaten der Reis ein heiliges Gewächs ist,
bei dessen Behandlung alles leichtsinnige Lachen und Schwatzen verboten
ist. Nach Europa gelangt der Reis meist noch in den Hülsen; als solcher
heißt er in Südasien ~paddy~, in Amerika dagegen ~rough rice~, d. h.
rauher Reis. Bei uns wird er dann in besonderen Mühlen geschält und
außerdem poliert, indem die Körner in einen Zylinder geschüttet werden,
in welchem sich eine mit Wolle überzogene Rolle rasch dreht; dabei wird
durch einen kleinen Zusatz von Öl der gewünschte appetitliche Glanz zu
erhöhen gesucht.

Vermöge seiner vorhin hervorgehobenen großen Leichtverdaulichkeit
in Verbindung mit hohem Nährwert ist der Reis besonders für die
Bewohner der Tropen, die leicht an Verdauungsstörungen und Leberleiden
erkranken, von der größten Bedeutung. Deshalb fühlen sie sich auch bei
dieser Kost so überaus wohl und genießen täglich gewaltige Portionen
davon, nämlich ungefähr 1 kg, indem sie ihn mit Zugabe von Gemüse,
allerlei scharfen Gewürzen und kleinen Mengen tierischer Nahrung,
besonders getrockneten Fischen genießen. Trotzdem sie jahraus, jahrein
täglich dreimal denselben Reis, auf dieselbe Weise bereitet, genießen,
entleidet er ihnen niemals.

Aber auch alkoholische Getränke wissen sie aus ihm zu bereiten, indem
sie ihn zuerst zwölf Stunden in Wasser aufweichen, dann die Körner
kochen bis sie weich geworden sind, sie abkühlen und durch Hinzufügen
einer Hefe in alkoholische Gärung kommen lassen. Das so gewonnene,
leicht an Sherry erinnernde berauschende Getränk, das die Japaner
~sake~ nennen, wird in Fässer gefüllt, die ihrerseits wieder in einer
Strohhülle stecken. Das gewöhnlich 13 Prozent Alkohol enthaltende
Getränk gelangt in glasierten Ton- oder Porzellanflaschen in den Handel
und wird heiß aus winzigen Porzellantäßchen, und zwar beim Beginn der
Mahlzeit, getrunken. Auf ähnliche Weise erlangen die Chinesen aus
Reis, der mit verschiedenen Gewürzen versetzt wurde, einen ~samschu~
genannten Branntwein, der etwa 36 Prozent Alkohol enthält. In Ostindien
dient gemälzter Reis zur Herstellung von Arrak, der sonst aus Melasse
bei der Gewinnung des Rohrzuckers, mancherorts, wie in Goa, auch aus
Palmensaft gemacht wird. Die Abfälle vom Polieren des Reises, bestehend
aus zerbrochenen Körnern und Schalenresten, wie auch der auf dem
Schiffstransport durch das Meerwasser zu Schaden gekommene Reis, der
als Nahrungsmittel nicht mehr zu verwenden ist, wird zu Stärkemehl
verarbeitet. Solches Reismehl, das reicher an Fett ist als der
geschälte Reis, ist ein sehr gutes Futter- und Mastmittel für Rindvieh.
Die meiste Reisstärke dient aber als Appretur, um Baumwollstoffe
schwerer und haltbarer erscheinen zu lassen, und geht auf diese Weise
wiederum nach Indien, das den Reis lieferte, zurück. Endlich ist auch
das Reisstroh ein sehr wertvolles Produkt, welches namentlich in der
Papierfabrikation und in der Korb- und Hutflechterei eine vielfache
Verwendung findet.

Eine andere Grasart, die als Getreide für den Menschen eine ungemein
große Bedeutung erlangt hat, ist der +Mais+ (~Zea mais~). Sie ist die
einzige Körnerfrucht, mit der uns der amerikanische Kontinent beschenkt
hat. Nirgends mehr wird sie in wildem Zustande angetroffen; doch ist
es höchst wahrscheinlich, daß sie ursprünglich in Mexiko heimisch war
und dort zuerst von uns unbekannten, zu höherer Gesittung gelangten
Indianerstämmen in Zucht und Pflege genommen wurde; hat uns doch dieses
Land neuerdings eine zweite, wildwachsende Art der Gattung geliefert.

Bei der Entdeckung Amerikas fanden die Spanier diese für die dortige
Bevölkerung wichtigste Nährfrucht überall im Lande, soweit es das
Klima zuließ, in Kultur. Alle Indianersprachen hatten eine Bezeichnung
für sie, und speziell die Inselkaraiben, die Tainos, mit denen es
Kolumbus und die Spanier zuerst zu tun hatten und die sie dann durch
schonungslose Ausbeutung und strengen Frondienst auf den von ihnen
angelegten Gütern im Laufe von etwa 50 Jahren zum Aussterben brachten,
nannten sie ~mahiz~, ein Ausdruck, den dann die Spanier annahmen
und später mit der Nutzpflanze in den europäischen Sprachgebrauch
einführten. Bei allen Indianerstämmen, von den Inkas Perus bis zu
den Moundbuilders in Nordamerika östlich vom Mississippi wurde der
Mais als Hauptnahrungsmittel nebst Bohnen, Kürbis und Tabak in
verschiedenen Varietäten gepflanzt. Und wie seine Samenkörner den
Lebenden als wichtigstes Nahrungsmittel dienten, so wurden sie den
Toten als Wegzehrung in ihre unterirdischen Behausungen mitgegeben.
Im alten Mexiko hieß die Göttin des Ackerbaus Cinteutl nach der
Bezeichnung für Mais ~cintli~ und erhielt, wie die Demeter bei den
Griechen, oder Ceres bei den Römern, die ersten Fruchtkolben der
Maisernte als Weihegabe. Zur Entfernung der harten Schalen kochten die
Azteken Mexikos die Maiskörner zuerst mit Ätzkalk, um sie dann auf
dem dreibeinigen Mahlstein mit einer steinernen Walze zu zerreiben
und die Masse, mit Wasser zu einem steifen Brei angemacht, in runden
Fladen (altmexikanisch ~tlaxcalli~, spanisch ~tortilla~) auf flachen
Tontellern über dem Feuer zu backen. An Knollenfrüchten wurden Batate,
Mandioka und Yams gebaut, während der spanische Pfeffer (~Capsicum~)
das beliebteste Gewürz bildete. Ähnlich war es im alten Peru. In den
Tempeln von Cusco, der Hauptstadt des peruanischen Reiches der Inka,
bereiteten die Sonnenjungfrauen das Maisbrot für die Opfer, wie die
Frauen in den Haushaltungen es für ihre Familienangehörigen bereiteten.
Außer den Kartoffeln, die im Lande selbst aus Wildlingen zur
Kulturpflanze erhoben wurden, war auch hier der Mais die Hauptnahrung
der Bevölkerung. Die Ketschua, die Träger der Inkakultur, hatten ihn
aus ihrer Urheimat im Norden, dem Gebiete von Quito, mitgebracht. In
den tropischen Anden gedieh er noch sehr gut in 1900 m Höhe und fand
sich auch an dem Titicacasee im Süden Perus bis 3900 m und mehr Höhe
angepflanzt.

In Europa wurde der Mais zuerst in spanischen Gärten zu Anfang des 16.
Jahrhunderts gesät und kam dann bald auch als Rarität in manche Gärten
Mitteleuropas, ohne daß man wußte, daß die Pflanze aus der Neuen Welt
stamme. Zuerst wird die Pflanze in dem 1537 in Basel erschienenen
lateinischen Pflanzenwerke des Ruellius: ~De natura stirpium~ als aus
Griechenland oder Asien gekommenes „türkisches Getreide“ genannt; aber
die erste genauere Beschreibung derselben findet sich in dem 1543
in Basel gedruckten deutschen Kräuterbuche des Tübinger Botanikers
Leonhard Fuchs. Auch nach ihm ist der Mais aus der Türkei gekommen,
wächst gerne und war damals schon in Deutschland ganz gemein. Erst
spätere Autoren, wie der Nürnberger Joh. Joachim Camerarius in seinem
1590 in Frankfurt a. M. erschienenen Kräuterbuch und der Regensburger
Apotheker J. Wilhelm Weinmann in seinem vierbändigen, von 1737-1745
herausgegebenen Pflanzenatlas sprechen mit Text die Ansicht aus, der
Mais stamme aus Amerika. „Dieses Korn“, so schreibt der Erstgenannte,
„wird unbillich Türkisch genannt; denn es wächst nicht in Asia in
der Türkei, sondern in India, so gegen Mitternacht liegt, von
dannen man es zu uns gebracht und gewehnet. Die Indianer nennen dies
Korn in ihrer Sprache Maiz. Sie machen Gruben mit dem Pfahl und werfen
4-5 Körner hinein und machen es wieder zu, um es vor den Papageien
zu schützen. Die Samen werden vorher in Wasser gequellt. In wenigen
Tagen schießt es auf und ist in vier Monaten zeitig.“ Camerarius kennt
bereits vier Sorten desselben, darunter die buntscheckige.

[Illustration:

    Tafel 13.

(~Copyright by F. O. Koch.~)

Maisscheune der Zulukaffern.]

[Illustration:

    Tafel 14.

Zulufrauen Mais mahlend.

(~Copyright by F. O. Koch.~)]

Erst im 17. Jahrhundert gelangte der Mais aus den Gärten, wo er
mehr als Zier-, denn als Nutzpflanze gehalten wurde, auf die Felder
und wurde hier auch in Europa als Getreidefrucht gezogen. Besonders
waren es die Venezianer, die ihn überall auf ihren Handelsreisen im
Orient verbreiteten. Der jetzt noch gebräuchliche Name „türkischer
Weizen“ soll wohl nur andeuten, daß der Mais aus weiter Ferne zu uns
gekommen sei, wie die englische Bezeichnung ~turkey~ für den ebenfalls
aus Mexiko zuerst nach Europa gelangten Truthahn. In den Pyrenäen
heißt er spanisches Korn und die Türken nennen ihn ägyptisches Korn,
die Deutschen aber Welschkorn. Durch die regen Handelsbeziehungen
der Europäer mit Asien gelangte dann der Mais schon während der
im Jahre 1644 zu Ende gegangenen Mingdynastie zu Anfang des 17.
Jahrhunderts nach China und bald darauf auch nach Japan. Heute wird er
in ausgedehntem Maße in Afrika bei den verschiedensten Negerstämmen
angebaut und ist wie in den Tropen und Subtropen, so auch in alle
Länder mit gemäßigtem Klima vorgedrungen, so daß man sagen kann, daß er
nächst dem Reis die größte Anzahl Menschen ernährt und als Riesenmais
und Bandmais, d. h. einer Abart mit weißgestreiften Blättern, auch als
Zierpflanze bei den Kulturvölkern der Erde Eingang gefunden hat.

Der Mais, wie er uns heute in gegen 60 Varietäten entgegentritt, ist
ohne Zweifel eine schon erheblich veränderte Kulturform, von der
sich die Urform vermutlich durch verzweigte weibliche Blütenstände
unterschied. Als solche Rückschläge in die alte Form kommen auch
heute noch gelegentlich fingerartig geteilte Kolben vor. Er ist eine
Riesenform unter den Gräsern, die eine Höhe von 5-6 m erreichen kann
und mit großen, bis fast 2 m langen und 10 cm breiten Blättern versehen
ist. Je nördlicher er angebaut werden soll, um so niedriger zur Reife
gelangende Sorten muß man wählen, wenn man Korn von ihm zu ernten
beabsichtigt. Bei uns reift er meist nur in den wärmeren Jahren seine
Früchte; doch lohnt sein Anbau gleichwohl als nahrhaftes Grünfutter.
Dafür eignet sich auch noch für Mittel- und Norddeutschland der große
badische Mais von 2-2,5 m Höhe. In Oberitalien, Ungarn, Südfrankreich
und Spanien ist er wie im wärmeren Amerika fast das wichtigste
Volksnahrungsmittel geworden, indem aus seinem Mehle durch Kochen
mit Wasser eine in Italien als Polenta, an der unteren Donau jedoch
als Mamaliga bezeichnete Art Pudding hergestellt wird, von dem sich
Hunderttausende von Bauern und Arbeitern Tag für Tag ernähren. Ist aber
das Maismehl durch Feuchtwerden verdorben, indem sich ein bestimmter
Pilz darin angesiedelt hat, so wirkt die aus solchem hergestellte
Polenta giftig, so daß dann häufig Massenerkrankungen entstehen. Diese
in Italien als +Pellagra+ bezeichnete Vergiftung, deren Symptome
übrigens der durch den Genuß verdorbener Kicher- und Platterbsen
erzeugten, in Südeuropa und Nordafrika heimischen Erkrankung ähneln,
nimmt einen chronischen Verlauf mit alljährlichen, meist im Frühjahr
erfolgenden Nachschüben. Sie beginnt mit heftigen Magen- und
Darmstörungen und einem eigentümlichen Ausschlag, bei welchem die Haut
sich rötet, anschwillt und schließlich in Fetzen abgeht. Später treten
dann Nervenlähmungen und Verbiegungen der Gelenke als Folge einer
Rückenmarkserkrankung auf, desgleichen allgemeine Ernährungsstörungen,
geistige Verwirrung und schließlich geht der davon Betroffene an
Entkräftung zugrunde. Wegen dieses tückischen „Maidismus“, der
gelegentlich auch an Tieren, besonders an Pferden, beobachtet wird, ist
die Aufbewahrung der Maiskörner an einem trockenen, gut gelüfteten Orte
und die Verwendung unverdorbenen Mehles für die Ernährung des Volkes
von größter Bedeutung.

[Illustration: Bild 11. Der Mais (~Zea mais~), bei ~a~ eine der
männlichen, am Scheitel der Pflanze befindlichen Blütenähren
vergrößert. (Nach Hegi.)]

Für Tiere, namentlich das Federvieh, aber auch für Rinder und Schweine,
die gemästet werden sollen, gibt es kein besseres Nahrungsmittel als
den Mais, der noch mehr nährende Bestandteile als andere Getreidearten,
Weizen eingeschlossen, enthält. Es ist nur schade, daß die Keime ein Öl
enthalten, das dem Maismehl einen wenig angenehmen Geschmack verleiht.
Es kommt vor, daß selbst Pferde nach einiger Zeit einen Widerwillen
gegen Mais zeigen, namentlich wenn er ihnen als Mehl vorgesetzt wird.
Die aufgeweichten und geschroteten Körner scheinen aber den Tieren
weniger schnell zu widerstreben.

Aber auch für den Menschen ist der Mais wegen seiner
Leichtverdaulichkeit besonders in Form des +Maizena+, eines fein
gemahlenen und entfetteten Maismehles, von größter Bedeutung und
eignet sich besonders für die Ernährung von Kindern, Schwachen und
Rekonvaleszenten. Nur für das Brotbacken ist er ungeeignet, da er
nicht aufgeht, sondern eine kompakte Masse bleibt. Wird ihm jedoch 25
Prozent Weizenmehl hinzugesetzt, so verliert er diesen Fehler. Aus
einer solchen Mischung gebackenes Brot ist besonders in der Türkei sehr
beliebt.

In den Vereinigten Staaten ißt man die jungen, unreifen Fruchtkolben,
geröstet oder in Salzwasser abgekocht, als schmackhaftes Gemüse, oder
die noch weichen Maiskörner werden, mit Streuzucker und Zimt oder
einem anderen Gewürz versetzt und zu Törtchen oder Kuchen verbacken,
verzehrt. Auch anderwärts werden die unreifen Früchte auf verschiedene
Weise zubereitet, auch eingemacht. Die Eingeborenen Südamerikas stellen
dagegen auf äußerst primitive Weise aus reifen Maiskörnern ein als
~chicha~ (sprich ~tschitscha~) bezeichnetes gegorenes Getränk dar,
das einst überall beliebt war, heute sich aber nur noch in Bolivien
besonderer Wertschätzung erfreut. Allerdings ist seine Bereitung wie
diejenige der Kawa der Südseeinsulaner keine für uns Europäer sehr
appetitliche, so daß man es begreift, daß mit dem Kulturfortschritt,
der auch in Südamerika seinen Einzug hält, dieses altväterliche
Getränk an Beliebtheit zusehends einbüßt. Es wird nämlich in der
Weise hergestellt, daß Frauen -- selten Männer -- die weichgekochten
Maiskörner kauen und dann in einen Behälter speien, worin der Speichel,
mit warmem Wasser verdünnt, das Stärkemehl des Mais in Dextrin und
Zucker verwandelt, deren Lösung durch die allgegenwärtigen Hefepilze
schließlich in alkoholische Gärung übergeführt wird. So war es noch
bis vor kurzem üblich, daß, wie man bei uns einem Gaste ein Glas
Limonade oder Wein vorsetzt, der Indianer dem bei ihm Einkehr
haltenden Fremdling einen Krug ~chicha mascada~, d. h. selbstgekaute
~chicha~ anbot, um ihm seine Freundschaft zu beweisen. In Mexiko wird
die ~chicha~ etwas appetitlicher aus Gerstenwasser und Maismehl unter
Zusatz von Ananasscheiben, welches man zusammen gären läßt, Zucker,
Nelken und Zimt bereitet.

Die unreifen Maisstengel sind so reich an Zucker, daß man diesen daraus
fabrikmäßig zu gewinnen versucht hat. In Mexiko bereitet man durch
Gärung des zuckerreichen Saftes ein als ~pulque de mahiz~ bezeichnetes
berauschendes Getränk. Man entkörnt die Maiskolben von Hand, im großen
aber durch besondere Maschinen und benutzt die Spindeln als Brennstoff.
In Afrika dienen letztere wie bei uns das Klosetpapier und aus den
Körnern wird mit Vorliebe ein süßes, schwach alkoholhaltiges Bier
bereitet. Bei uns wird der Mais vielfach zu Stärkemehl und Spiritus
verarbeitet. Wenn die Körner nicht zu Mehl vermahlen und in Brei-
oder Kuchenform gegessen werden, so läßt man sie im Wasser aufquellen
und ißt sie geröstet, wobei sie aufspringen. Dermaßen behandelt und
mit Zucker bestreut, genießt man sie in Menge besonders auch in
den muhammedanischen Ländern. Die Hüllen der Fruchtkolben dienen
zum Polstern und Flechten und liefern ein wertvolles Material zur
Papierbereitung. In vielen Gegenden Amerikas dient auch ein daraus
herausgeschnittenes zartes Stück unmittelbar als Zigarettenumhüllung.
Die Malaien kochen diese Häutchen in einer Zuckerlösung und bringen sie
getrocknet als Zigarettenpapier in den Handel.

Die Maiskultur bleibt sich überall ziemlich gleich und ist sehr
einfach, da man nach der Aussaat im wesentlichen nur dafür Sorge zu
tragen hat, daß das Unkraut nicht zu sehr überhand nimmt. Nachdem der
Boden gedüngt und tüchtig umgepflügt ist, werden in einem Abstande
von 25-40 cm Löcher in den Boden gemacht, mit je 3 bis 5 Samenkörnern
belegt und wiederum geschlossen. Der Mais wächst dann heran und bedarf
bis zur Reife 3½-4 Monate. Gegen das Ende der Vegetationsperiode bildet
sich dann oben an dem mit Zuckersaft gefüllten, nicht hohlen Stengel
ein Büschel männlicher Blüten, deren in großer Menge gebildete leichte
Pollen ausstäuben und durch den Wind auf die in den Achseln der Blätter
verborgenen, einzig ihre klebrigen Narben herausstreckenden weiblichen
Blüten übertragen werden. Nach der Befruchtung verwendet die Pflanze
allen in ihr angesammelten Zuckersaft, um die Samen mit Nährstoffen für
den Keimling zu füllen, und schließlich stirbt sie völlig ausgesogen
ab. Sie wird dann meist als Brennmaterial verwendet, wobei die so
erlangte Asche zur Düngung des Bodens dient. In den nichttropischen
Ländern, wo das Vieh nachts in die Ställe getrieben wird, benutzt
der Landmann den vertrockneten Mais auch als Streu für das Vieh.
Sonst bilden die Blätter und Halme (auch getrocknet) ein geschätztes
Viehfutter und die Scheiden der Kolben finden nach der Ernte für die
Papierfabrikation und als Zigarettenhüllen usw. vielfache Verwendung.
Man unterwirft sie auch einem einfachen Hechelprozesse und benutzt die
isolierten Fasern als Polstermaterial u. dgl.

Infolge seines überaus kräftigen und ausgiebigen Wachstums, welches
ihn gegen äußere Einflüsse widerstandsfähig macht, wird der Mais
von relativ wenigen Schädlingen angegriffen. Am bekanntesten unter
denselben ist der Maisbrand, der aber selten eine wirklich bedrohliche
Form annimmt. Junge Maispflanzen tötet er, ältere schwächt er und regt
die von ihm befallenen Stellen des Stengels zu kropfigen Anschwellungen
an. Weniger bekannt ist die bisher nur auf Java beobachtete
Lijer-Krankheit, welche die jungen Pflanzen befällt und tötet und
wegen ihres epidemischen Charakters gefährlicher ist als die anderen
Krankheitsformen des Maises. Der Erreger dieser Krankheit ist ein
Peronospora-Pilz, dessen Sporen durch den Wind von Maisfeld zu Maisfeld
getragen werden und so rasch ausgedehnte Maiskulturen zum Absterben
bringen. Bekanntlich sind es auch Peronospora-Arten, die den von den
Landwirten so gefürchteten „falschen Mehltau“ der Reben und eine der
schlimmsten Kartoffelkrankheiten hervorrufen, wobei die von ihnen
befallenen Blätter zuerst wie Schimmel aussehende Flecken bekommen, die
sich rasch ausdehnen und das Blattgewebe zerstören, so daß die Blätter
sich bräunen.

Auch wenn der Mais geerntet ist, sind seine Samenkörner allerlei
Schädlingen ausgesetzt. Besonders suchen sie kleine Kornwürmer
heim, die in vier Arten vorkommen und durch ihre riesige Vermehrung
ungeheuren Schaden anrichten können. Die Weibchen legen bis 6000 Eier,
von denen jedes auf ein Maiskorn geklebt wird. Nach 4-5 Tagen kriecht
daraus eine winzige Larve hervor, die sich in das Innere hineinbohrt,
um den Inhalt in etwa 14 Tagen zu verzehren. Dann puppt sie sich ein
und wird zum geflügelten Insekt, um nach der Paarung ihren Kreislauf
in derselben Weise zu vollenden. Am besten werden diese schädlichen
Insekten durch fortwährendes Umschaufeln des Maises verscheucht. In den
Schiffsräumen wird der Mais mit dem giftigen Claytongas desinfiziert,
mit welchem auch die Ratten und das andere Ungeziefer getötet werden.

Der größte Teil des geernteten Maises wird in den Produktionsländern
selbst verbraucht. Erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
begannen die Vereinigten Staaten von Nordamerika und die Republiken
Südamerikas, besonders Argentinien, ihn in zunehmendem Maße nach
Europa zu exportieren, wo er heute, obschon nahrhafter, um ein Drittel
billiger als Weizen zu haben ist. Deshalb wird vielfach das Weizenmehl
mit dem billigeren Maismehl „verfälscht“. Obschon das Maismehl zur
Hälfte aus reinem Stärkemehl besteht, eignet es sich wegen seiner
graugelben Farbe doch nicht zur Stärkefabrikation. Doch gewinnt man
aus den zum Keimen gebrachten Samen das zu etwa 20 Prozent in ihnen
enthaltene hellgelbe, nicht leicht ranzig werdende Maisöl, das nur
teilweise zur Vermengung mit den teueren Sorten von Tafelöl, der
Hauptsache nach jedoch in den Seifen- und Farbenfabriken verwendet
wird. Im vergangenen Jahr wurden nicht weniger als 160000 Hektoliter
desselben produziert. Die bei der Auspressung des Öls zurückbleibenden
Kuchen finden großen Absatz als Viehfutter. Daneben wird das
verzuckerte Stärkemehl des Maises, wenn auch bisher nur in beschränktem
Maße, zur Spiritusfabrikation verwendet, wobei als Nebenprodukt
ebenfalls etwas Maisöl gewonnen wird.

In Argentinien nahm im vorletzten Jahre die Maiskultur gegen drei
Millionen Hektare in Anspruch und die Ernte wurde auf 3500 Millionen
kg geschätzt, während die Weizenernte 4500 Millionen kg betrug. In
Nordamerika macht die Maisernte nicht weniger als 75000 Millionen kg
aus. Die mit Mais bebaute Fläche beträgt in den Vereinigten Staaten
nicht weniger als 40 Millionen Hektar gegen 18 Millionen Hektar Weizen
und 74 Millionen Hektar gesamtes Getreideland. Der Hauptsitz der
Maiskultur, die natürlich im großen mit Maschinen der verschiedensten
Art betrieben wird, liegt in dem flachen, fruchtbaren Staate Kansas,
das von zahlreichen, in den Mississippi mündenden Flüssen und von
verschiedenen miteinander konkurrierenden Eisenbahnen durchzogen
wird. Dadurch besitzt jener Staat billige Transportwege nach der als
Hauptstapelplatz dafür dienenden Hafenstadt New Orleans.

Wie in Spanien, Italien, Griechenland und den Balkanstaaten bildet auch
in zahlreichen Gegenden Afrikas der Mais eines der Hauptnahrungsmittel
der Eingeborenen. In den deutschen Kolonien wird er nur in Togo
und Ostafrika seit längerem angebaut. Togo führte im Jahre 1907 20
Millionen kg im Werte von 1199000 Mark aus, während Ostafrika nur
für 21000 Mark exportierte. In der Regel wird er hier überall zweimal
geerntet. Nach Kamerun, Südwestafrika und den Südseeinseln ist er erst
in neuerer Zeit gelangt, doch bürgert er sich auch hier schon ein. Die
Regierung sucht möglichst solche Spielarten einzuführen, die sich dem
Klima und Boden anpassen und sichere Ernten liefern.

Seinen Hauptbedarf an Mais bezieht Deutschland heute aus Nordamerika,
nämlich für 50397000 Mark, sodann aus Argentinien für 22951000 Mark.
Die gesamte Maiseinfuhr Deutschlands im Jahre 1906 hatte einen Wert von
112,7 Millionen Mark.



IV.

Die Fruchtbäume.


Erster Teil.


Noch viel mehr als die Getreidearten, die verhältnismäßig rasch ihre
Vegetationsperiode vollenden und nach der Ernte den Menschen wieder
frei geben, binden ihn die Obstbäume an die Scholle. Diese wachsen
langsam und müssen lange gezogen, getränkt und vor Beschädigungen
durch den Sturm und Angriffe wilder Tiere beschützt werden, bis sie --
dann aber auch jährlich ganze Menschenalter hindurch -- eßbare Früchte
liefern. Deshalb vermochte der vorgeschichtliche Mensch erst nachdem er
sein unstetes Leben ganz aufgegeben und für mehr oder weniger dauernd
festen Wohnsitz bezogen hatte, auch die für ihn wahrscheinlich die
älteste Nahrung spendenden Fruchtbäume in Kulturpflege zu nehmen und
ihre Früchte nach und nach durch zielbewußte Auslese der besten Sorten
zur Nachzucht zu vervollkommnen.

Schon die Mitteleuropäer der jüngeren Steinzeit hatten außer
verschiedenen Getreidearten wenigstens eine Art von Obstbäumen in
Kulturpflege. Es waren dies +Apfel+bäume (~Pirus malus~), deren kleine,
fast nur aus Kerngehäuse mit wenig, wohl noch recht säuerlichem
Fruchtfleisch bestehenden Früchte sich verkohlt in den Überresten der
meist durch Brand untergegangenen Pfahldörfer am Rand der Schweizer
Seen vorfanden. Dank der konservierenden Moorerde, in der sie 5000
Jahre und mehr lagen, sind sie noch so vorzüglich erhalten, daß wir
über diese älteste bei uns kultivierte Obstsorte recht gut unterrichtet
sind. Es war ein überaus kleinfrüchtiger, noch sehr wenig durch
Domestikation verbesserter Apfel, der neben dem Holzapfel des Waldes
in ziemlichen Mengen geerntet wurde und mit den Haselnüssen und den
Getreidearten als Vorrat für den Winter diente. Seltener ganz, meist
halbiert müssen die Früchte an der Sonne gedörrt worden sein, um sie
als willkommene Zukost zum Brot zu genießen.

Dieser noch kaum durch Kultur veredelte kleine Apfel der neolithischen
Pfahlbauten war aber nicht etwa ein Abkömmling unseres wilden,
sogenannten Holzapfels, der sich durch völlige Kahlheit der Blätter
von allen Kulturformen unterscheidet, sondern gleichfalls wie die
übrigen Kulturgüter jener Menschen ein Import aus Westasien. Und zwar
scheinen vorzugsweise zwei Arten von Wildlingen durch Zuchtwahl und
Kreuzung zur Bildung der ältest nachweisbaren Äpfelsorten beigetragen
zu haben, nämlich einerseits der Strauchapfel (~Pirus pumila~) dem
man noch häufig im Kaukasus und den südlichen Altaigebirgen wild
wachsend begegnet, und andererseits eine Form aus Vorderasien, die
auch noch in Kleinasien vorkommt, der filzigblätterige Apfel (~Pirus
dasyphylla~). Dieser letztere gilt speziell als die Stammpflanze
unserer Reinetten. Als weitere wichtige Stammeltern unserer heute zu so
ansehnlicher Größe gediehenen und mit vorzüglichem, süßem bis saurem
Fruchtfleisch versehen, auch wegen ihrer Haltbarkeit sehr geschätzten
Speiseäpfel kommen noch der glattblätterige Apfel (~Pirus silvestris~)
aus Westasien und der pflaumenblätterige Apfel (~Pirus prunifolia~)
aus Mittelasien in Betracht. Letzterer, der in Nordchina, Südsibirien
und der Tatarei seine Heimat hat und durch seine gelben bis blutroten
Früchte ausgezeichnet ist, gilt als Stammform des Astrachaner Apfels
und des russischen Eisapfels.

Der Kulturapfel, von dem heute über 600 verschiedene Arten bekannt
sind, bildet in seiner ältesten Heimat Westasien gelegentlich kleine
Wälder. Diese erstrecken sich nördlich von Kleinasien bis nach
Zentralasien hinein. Er gedeiht nur in einem mäßig warmen Klima und
konnte deshalb nicht allzuweit südlich vordringen. In kühleren Lagen
Syriens gedeiht er noch, aber kaum mehr in Ägypten. So hat er im Lande
der Pharaonen keinerlei Rolle gespielt und findet sich nirgends unter
den Obstarten abgebildet, auch haben sich keinerlei Überreste von
ihm in Gräbern gefunden. In den Hieroglyphentexten kommt nun einige
Male das Wort ~dappich~ für eine Frucht vor, die man nur als Apfel
deuten kann, um so mehr als der Apfel im Hebräischen ~tappuch~ und im
Arabischen ~taffach~ heißt. Nun muß der Apfelbaum zur Zeit der 19.
Dynastie (1350-1205 v. Chr.), also im neuen Reiche von Syrien her nach
Ägypten eingeführt worden sein; denn Tempelinschriften in Theben tun
uns kund, daß König Ramses II. (1292-1225), dessen wohlerhaltene
Mumie sich im Museum von Bulak bei Kairo befindet, Apfelbäume in
seinen Gärten im Delta pflanzen ließ. Und noch von Ramses III. der
20. Dynastie (1198-1167 v. Chr.) erfahren wir, daß er den Priestern
des großen Ammontempels in Theben nicht weniger als 848 Körbe voll
Äpfel als Opfergabe überreichen ließ. Aber was die königlichen Gärtner
zustande brachten, das konnte nicht dem gemeinen Volke gelingen. Und so
blieb der Apfelbaum dem ägyptischen Volke bis auf den heutigen Tag ein
Fremdling, da er dort infolge der andauernden übergroßen Wärme keine
Früchte mehr zeitigt.

Aus denselben Gründen ist der Apfelbaum auch den Bewohnern Palästinas
mehr oder weniger fremd geblieben. Auch dort scheint er früher, so
lange das Klima infolge der reicheren Bewaldung kühler war, in den
höheren Lagen gut gediehen und auch Frucht getragen zu haben, wie wir
verschiedenen Stellen des Alten Testaments entnehmen können. Aber mit
dem Wärmer- und Trockenerwerden des Klimas war sein Schicksal in diesem
Lande besiegelt. Dagegen sagten ihm die klimatischen Verhältnisse
des gebirgigen Armenien und Kleinasien gut zu und so gedieh er hier
vortrefflich und verbreitete sich über das ganze Land. Von Kleinasien
her gelangte er schon gegen das Ende des vorletzten Jahrtausends
v. Chr. nach Griechenland, wo er ziemlich viel kultiviert wurde. Nicht
bloß in den homerischen Epen wird er erwähnt, sondern seine als
~mḗlon~ bezeichnete Frucht spielt auch im Mythos eine gewisse Rolle.
So galt der aus dem Orient -- angeblich Indien -- über Kleinasien
nach Griechenland gekommene Gott des Natursegens, Dionysos, wie als
Schöpfer des Weinstocks, so auch als derjenige des Apfelbaums, den
er der Liebesgöttin Aphrodite schenkte. Dadurch wurde der Apfel zum
Sinnbilde der Liebe. Aphrodite ihrerseits schenkte drei goldene Äpfel
dem Hippomenes, mit denen dieser die schnellfüßige Atalante zum
Weibe gewann. Eris aber erregte durch den goldenen Apfel, den sie
an der Hochzeit des Peleus und der Thetis unter die Gäste warf, die
Eifersucht der drei ersten Göttinnen, woher der Ausdruck Erisapfel im
Sinne von Zankapfel stammt. Eine ähnliche Rolle spielte der Apfel in
der bekannten Geschichte, in welcher Paris, der Sohn des trojanischen
Königs Priamos, unter denselben drei Göttinnen die Wahl zu treffen
hatte und ihn als Siegespreis der Schönsten derselben, Aphrodite,
darbot. Die goldenen Äpfel der Hesperiden aber hatte Gäa, die Mutter
Erde, der Hera bei der Vermählung derselben mit Zeus als Symbol der
Fruchtbarkeit geschenkt. Herakles holte sie im Lande der Hyperboräer,
wo sie von drei der Hesperiden und vom hundertköpfigen Drachen Ladon
bewacht wurden.

Eine noch weitere Verbreitung als bei den Griechen fand die Kultur
des Apfelbaums bei den Römern, die die Frucht in Anlehnung an das
griechische ~mḗlon malum~ nannten. Schon der ältere Cato (234-149
v. Chr.) meldet uns in seiner Schrift über den Landbau, daß die
Apfelbäume in Pflanzschulen gesät und später gepfropft würden. Um die
Mitte des ersten christlichen Jahrhunderts sagt der ältere Plinius
in seiner Naturgeschichte: „Es gibt sehr viele Sorten Äpfel, die man
alle mit verschiedenen Namen bezeichnet, und manche haben den Mann,
der sie erzeugte, andere ihre Heimat berühmt gemacht. Die sogenannten
appianischen Äpfel hat ein Mann namens Appius, aus der Familie des
Appius Claudius (der 312 v. Chr. Zensor war und die berühmte, von Rom
nach Capua führende, später bis Brundisium, dem heutigen Brindisi,
verlängerte, nach ihm benannte Straße anlegte) dadurch erzeugt, daß er
Äpfel auf Quittenstämme pfropfte. Sie haben den Geruch der Quitten.
Es gibt auch Äpfel, die blutrot sind, was davon herrührt, daß sie auf
einen Maulbeerstamm gepfropft wurden. (Natürlich sind diese Erklärungen
falsch.) Im allgemeinen röten sich die Äpfel auf der Sonnenseite. Aus
allen Apfelsorten bereitet man Wein. Die wilden Äpfel haben einen
sauern Geschmack und jeder saure Apfel ist imstande, durch seine Säure
die Schärfe eines Schwertes stumpf zu machen.“

Auch sein Zeitgenosse, der aus Spanien nach Rom gekommene
Ackerbauschriftsteller Columella sagt: „Es gibt sehr verschiedene
Sorten Äpfel; sie schmecken gut und befördern die Gesundheit.“ Und
der aus Pergamon gebürtige griechische Arzt Claudios Galenos (131-200
n. Chr.) meint: „Unreife Äpfel sind zwar durchaus schädlich, reife
dagegen roh, gebraten und gekocht sehr gesund.“ Sie wurden gerne als
Wintervorrat aufbewahrt. Wie man dies zu tun habe, darüber schreibt
der überaus gelehrte und fruchtbare römische Schriftsteller Marcus
Terentius Varro (116-27 v. Chr.) in seiner Schrift über den Landbau:
„Die dauerhaften Apfelsorten wie beide Quittensorten (die Birnen- und
Apfelquitten) müssen an einem trockenen, kühlen Orte auf Spreu liegend
aufbewahrt werden. Beim Bau der Obstkammer (~oporotheca~, von den
Griechen entlehnt) muß von vornherein dafür besorgt sein, daß ihre
Fenster nach Norden stehen und daß der (kühle) Nordwind Einlaß habe;
jedoch müssen die Fenster für gewöhnlich mit Läden geschlossen sein,
weil allzuviel Wind das Obst austrocknet und welk macht. Man gibt auch
der Decke, den Wänden, dem Boden einen marmorartigen Überzug (von
Stuck), damit sie desto kühler sind. Manche richten die Obstkammer
so ein, daß sie darin speisen, und sich dabei an der Pracht der dort
lagernden Früchte ergötzen können. Es gibt freilich Leute in Rom,
die das Obst kaufen, statt es selbst zu ziehen, und schmücken damit
ihre Obstkammer; das sollte man nicht nachahmen. Die Äpfel legt man in
der Obstkammer auf Bretter oder auf Stroh oder auf Wollflocken, die
Granatäpfel in Fässer, die mit Sand gefüllt sind, die Quitten werden
schwebend aufgehängt, Birnen werden in (durch Kochen) eingedickten
Weinmost gelegt; Spierlingsfrüchte (+sorbum+ von ~Sorbus domestica~)
und Birnen werden auch zerschnitten und an der Sonne getrocknet, die
ersteren halten sich auch an jedem trockenen Orte lange frisch. Rüben
werden in Senf, Walnüsse in Sand gelegt.“

Der ältere Cato (234-149 v. Chr.) verlangt von der Wirtschafterin,
die das Hauswesen im Landhause (~villa~) besorgt und für alle
Bewohner derselben kocht, sie müsse viele Hühner und Eier im Vorrat
halten. „Ferner muß sie getrocknete Birnen, Spierlingsfrüchte,
Feigen, getrocknete Weinbeeren, in eingedicktem Most liegende
Spierlingsfrüchte, auch Birnen und Trauben in Fässern, ebenso Quitten
vorrätig haben. Sie muß Trauben haben, die in Weinmost, in Krügen und
in der Erde aufbewahrt werden. Außerdem muß sie frische pränestische
Nüsse im Krug unter der Erde, scantianische Äpfel in Fässern und
andere Obstarten, die man aufzubewahren pflegt, auch wilde, haben.“
Außerdem verlangt er von ihr, sie müsse die Kunst Mehl und Schrot, die
damals noch von jeder Haushaltung selbst hergestellt wurden, zu machen
verstehen, dürfe keine Schwätzerin sein und sich mit den Nachbarinnen
umhertreiben, auch ohne Befehl des Hausherrn oder der Hausfrau nicht
opfern, solle reinlich sein und auch die Villa rein halten, täglich,
bevor sie zu Bett gehe, den Herd reinigen, an Festen den Herd bekränzen
und an diesen Tagen dem Hausgotte opfern.

Von den in der späteren Kaiserzeit unterschiedenen 29 Äpfelsorten
gediehen die berühmtesten bei der Stadt Abella in Kampanien, die
jedenfalls hier eine sehr alte, schon von den Kelten betriebene
Äpfelkultur besaß; denn ihren Namen wird sie von der keltischen
Bezeichnung ~aball~ für Äpfel erhalten haben. Der römische
Ackerbauschriftsteller Palladius im 4. Jahrhundert n. Chr. sagt von den
Apfelbäumen: „Es gibt deren viele Sorten, und es wäre zu weitläufig,
sie aufzuzählen. Sie lieben einen kräftigen, fetten Boden, der nicht
durch Bewässerung, sondern von Natur feucht ist; besteht er aber aus
trockenem Sand oder Ton, so tut die Bewässerung gut. An kalten Orten
setzt man sie auf die Südseite der Berge. Man braucht die Erde um sie
weder durch Ackern, noch durch Graben aufzulockern; daher passen sie
gut auf Wiesen. Mist verlangen sie zwar nicht, nehmen ihn aber gerne
an, auch kann er mit Asche gemischt sein. Beim Beschneiden nimmt man
am besten nur was trocken oder falsch gewachsen ist weg. Der Apfelbaum
dauert nicht so viele Jahre wie der Birnbaum. Läßt er seine Äpfel vor
der Zeit der Reife fallen, so spaltet man eine Wurzel und keilt einen
Stein in den Spalt (natürlich ist dies Unsinn). Hängen die Äpfel in
zu großer Zahl am Baum, so nimmt man die schlechtesten weg (damit
sich die anderen umso schöner entwickeln). Die Zeit der Veredlung ist
der Februar und März. Apfelreiser gedeihen auf Apfel- und Birnbäumen,
Weißdorn, Pflaume, Spierling, Pfirsich, Platane, Pappel, Weide. -- Die
Äpfel, welche aufbewahrt werden sollen, müssen sorgfältig ausgelesen
werden. Man legt sie an einem dunkeln, windfreien Orte in abgesonderten
Haufen auf Stroh und teilt die Haufen oft. Manche schließen sie auch
in ausgepichte große Tonkrüge, deren Deckel mit Gips verstrichen wird,
oder hüllen sie in Ton oder bestreichen nur die Stiele mit Ton, oder
legen sie auf Hürden, die mit Spreu belegt sind, oder decken sie von
oben mit Stroh. Die sogenannten Kugeläpfel kann man ohne weiteres
ein ganzes Jahr aufbewahren. Manche Leute senken auch die in gut
ausgepichten und verpichten Gefäßen befindlichen Äpfel unter Wasser.
Andere nehmen die Äpfel einzeln vom Baum, tauchen ihre Stiele in
siedendes Pech, legen sie reihenweise auf die Gestelle und decken sie
mit Nußblättern. Viele legen sie zwischen Sägespäne von Pappel- oder
Tannenholz. Es ist bekannt, daß man die Äpfel so legen muß, daß der
Stiel unten ist, und daß man sie nicht eher anrühren darf, als bis man
sie braucht. Auch Wein und Essig wird aus Äpfeln wie Birnen gemacht.“

Die von ihnen in Italien angepflanzten besseren Äpfelsorten brachten
die Römer mit den übrigen von ihnen verbreiteten Obstsorten auch
über die Alpen nach Gallien und Germanien. Hier gab es zwar bereits
kultivierte Äpfel, aber doch noch nicht so feine Arten, wie sie die
Römer aus Italien mitbrachten, auch kannte man noch nicht die von jenen
geübten Methoden der Veredelung des Obstes durch Pfropfen. In allen
von den Römern beeinflußten romanischen und germanischen Sprachen
führen sowohl die Obstarten als auch die Ausdrücke für ihre Veredelung
(wie impfen, aus dem lateinischen ~impu(t)are~) ausnahmslos Namen,
die aus dem Lateinischen entlehnt sind. Nur +ein+ Obstname, nämlich
derjenige des Apfels, ist in den Sprachen Mitteleuropas nicht aus dem
Lateinischen entlehnt, sondern altes Erbgut der hier ansässigen Stämme.
Er lautet althochdeutsch ~apful~, nordisch ~appel~, urkeltisch ~aball~,
altslawisch ~jabluko~. Es ist deshalb anzunehmen, daß der Apfel, die
einzige Obstart, für die sich beim Eindringen der römischen Obstkultur
in den ersten Jahrhunderten nach Christus der altangestammte Name
in Germanien behauptete, hier schon in einer seit der Pfahlbauzeit
erhalten gebliebenen kultivierten, wenn auch minderwertigen Art
bekannt war, die sich allerdings ganz wesentlich vom römischen Apfel
unterschied. Er spielte in der Mythologie der alten Deutschen eine
nicht unbedeutende Rolle, indem er nach altgermanischer Vorstellung
als Symbol der Mutterbrust und der nährenden Liebe galt. In der
nordischen Mythologie sind Äpfel die Speise der Asen, des mächtigsten
Göttergeschlechts, das von den Riesen seinen Ursprung nahm. Iduna war
ihre Bewahrerin und sie besaßen die Kraft, den zu verjüngen, der sie aß.

Überall da, wo nun die Römer nördlich der Alpen ihre Militärstationen
gründeten und Märkte anlegten, machten sie bald auch Versuche mit
der Anpflanzung südlicher Obstsorten, die ihnen für ihre gewohnte
bessere Lebensführung unentbehrlich waren. So wissen wir aus der
Naturgeschichte des älteren Plinius (23-79 n. Chr.), daß die Belgier
schon zu seiner Zeit eine besondere kernlose Art von Äpfeln zogen.
Im 6. Jahrhundert bedankt sich der romanisierte Franke Venantius
Fortunatus bei seinem Freunde und Landsmann Gregor von Tours
(eigentlich Georgius Florentius geheißen, um 540 in Clermont-Ferrand
geboren, von 573-594 Bischof von Tours) in einem uns erhaltenen
poetischen Billett für Äpfel und Apfelpfropfreiser, die dieser
ihm gesandt hatte. In Karls des Großen ~Capitulare de villis vel
curtis imperii~, d. h. seinen Verordnungen über die Einrichtung und
Bewirtschaftung der königlichen Domänen aus dem Jahre 812, durch die er
auf sein Volk vorbildlich wirken wollte und die für uns das wichtigste
Dokument der frühmittelalterlichen Garten- und Obstkultur sind, werden
frühe und späte, säuerliche und süße Sorten, auch Daueräpfel unter
den damals gebräuchlichen Bezeichnungen wie Gosmaringer, Geroldinger,
Crevedeller und Sperauker genannt. Diese Bezeichnungen stammen meist
von Orten Süddeutschlands, wo innerhalb des Dekumatenlandes sehr früh
die von den Römern eingeführte Apfelkultur in Blüte kam und wertvolle,
aus dem Süden stammende, Sorten kultiviert wurden.

Ein ausgedehnter Raum sollte in den Meierhöfen zum Aufbewahren von
Obstsorten verschiedenster Art, besonders von Äpfeln, eingerichtet
sein. Als ein Obstgarten erscheint in der altsächsischen Dichtung
vom Heliand der Garten Getsemane. In ihm, den man sich möglichst
ungepflegt als einen mit Obstbäumen bestandenen Rasenplatz vorzustellen
hat, gab die Bauerndirne ihrem Geliebten ein Stelldichein und
fanden bei festlichen Anlässen die Lustbarkeiten statt. Den in ihm
befindlichen Obstbäumen wurde meist nur geringe oder gar keine Pflege
zuteil. Vorbildlich in der Obstkultur gingen vor allem die Klöster den
Bauern mit gutem Beispiel voran; denn im frühen Mittelalter waren sie
ganz besonders die Heger und Pfleger der von den Römern übernommenen
Kulturgüter, und wenn die Mönche auf ihren stetigen Wanderungen eine
neue Sorte entdeckten, so brachten sie dieselbe mit in ihr Kloster.
Und aus dem Klostergarten gelangten später Pfropfreiser davon in die
Gärten der benachbarten Dörfer. So berichtet uns der Geschichtschreiber
des Klosters Morimund, daß die Brüder, die auszogen, um eine neue
Kolonie zu gründen, Samen und Pflänzlinge von allen Sorten für den
Garten des neu zu gründenden Klosters mitnahmen. Die Mönche, welche
nach Altenkampen im Kölnischen gingen, nahmen die graue Reinette mit,
welche im Bassigny um Morimund häufig war. Von Altenkampen verpflanzten
sie andere Mönche desselben Ordens nach Walkenried, von dort nach
Pforte, von Pforte nach Leubus in Schlesien, von wo sie sich durch ganz
Schlesien verbreitete. So ist auch der Borsdorfer Apfel ein Produkt der
Cistersiensermönche von Pforte, den sie mit südländischen Pfropfreisern
auf dem für Obst- und Weinpflanzungen besonders geeigneten Ackerhofe
zu Borsendorf bei Dornburg an der Saale gezogen hatten. In demselben
Pforte wird zuerst im Jahre 1271 ein Obstgärtner als ~magister pomi~
erwähnt. So verbreiteten sich durch die segensreiche Kulturtätigkeit
dieser Mönche diese edleren Obstsorten, die sie auch auf die Wildstämme
der umliegenden Bauernhöfe pfropften. Bald drang so statt der wilden
Kirschen, sauren Holzäpfel und Schlehen wohlschmeckendes Obst als
weitergeleitetes altes Erbe des römischen Kulturvolkes auch in die
entlegensten Gaue Germaniens vor.

Was seither die vorzugsweise von Laien fortgeführte Veredelung aus
dieser westasiatischen Obstart gemacht hat, ist genugsam bekannt, so
daß wir nicht näher darauf einzugehen brauchen. Es genüge, hier zu
bemerken, daß nicht nur in ganz Europa, sondern auch in Nordamerika,
besonders Kalifornien, die Apfelkultur sich zu ganz außerordentlicher
Blüte entfaltet hat, so daß in einem Jahre schon über eine Milliarde
Kilogramm frischen Obstes von dort allein nach England eingeführt
wurde. Auch getrocknet, mit Zucker als Kompott oder zu Mus eingekocht
gelangen die Äpfel heute überall in den Handel, und aus ihnen wird
auch an vielen Orten ein angenehm säuerlicher, schwach alkoholhaltiger
Trank als sogenannter Äpfelwein hergestellt.

Fast ebenso viele Formen wie von den Kulturäpfeln gibt es von den
kultivierten +Birnen+ (~Pirus communis~), deren Stammeltern ebenfalls
aus Westasien zu uns gelangten. Besonders waren es die orientalische
herzblätterige Birne (~Pirus cordata~) und die persische Birne (~Pirus
persica~), die miteinander und später auch mit unserer einheimischen
Holzbirne gekreuzt wurden und zu zahlreichen Varietäten Anlaß gaben.
Daher kommt es denn auch, daß weder die Äpfel- noch die Birnensorten
samenbeständig sind. Durch die Aussaat entstehen fast stets nur Bäume
mit ganz minderwertigen Früchten. Um nun die gewünschten edlen Früchte
zu erhalten, muß der Wildling veredelt werden, d. h. man schneidet
den oberen Teil desselben ab und schiebt in die Wundfläche zwischen
Rinde und Holz einen Zweig der guten Sorte, ein „Edelreis“. Nachdem
die betreffende Wundstelle gut verbunden und durch Aufstreichen von
Baumwachs luftdicht abgeschlossen ist, verwächst der Wildling mit
dem Edelreis; jener übernimmt die Ernährung des letzteren, das nun
austreibt und eine neue Krone bildet.

[Illustration:

    Tafel 15.

Längsspalier von Birnbäumen auf einer der Obstpflanzungen der
Konservenfabrik Lenzburg (Schweiz).]

[Illustration:

    Tafel 16.

Kreuzspalier von Birnbäumen auf einer der Obstpflanzungen der
Konservenfabrik Lenzburg (Schweiz).]

Die Kultur der Birne ist wie diejenige des Apfels schon aus
klimatischen Gründen Syrien und Ägypten fremd, dagegen in Persien und
Armenien eine uralte. Über Kleinasien gelangte sie schon ebensofrüh
als diejenige des Apfels nach Griechenland, wo die Birne bei Homer
~ónchnē~, vom großen Pflanzenkundigen Theophrast daneben auch ~ápios~
und bei den Griechen später ausschließlich ~ápios~ genannt wurde.
Außer der Insel Thasos war besonders auch der Peloponnes durch den
Reichtum an Birnen bekannt. Ja, nach der Angabe des um 200 n. Chr.
in Alexandrien lebenden Athenaios führte diese Halbinsel aus diesem
Grunde auch den Beinamen Apia, d. h. Birnenland. Nach Italien müssen
nach dem Funde des bronzezeitlichen Pfahlbaus von Baradello schon die
aus dem Norden des Balkans dahin wandernden Stämme des vorletzten
Jahrtausends v. Chr. den Birnbaum gebracht haben. In der Folge nahm
sein Anbau in Italien, wo die Birne ~pirum~ genannt wurde, immer
größere Ausdehnung an. In seiner Schrift über den Landbau sagt der
ältere Cato (234-149 v. Chr.): „Es gibt eine Menge Birnensorten, so
die volemische, anicianische, sementivische, tarentinische (von den
Griechen aus Tarent übernommen), Most- und Kürbisbirne und andere. Sie
werden gepflanzt und gepfropft.“ 200 Jahre später schreibt Plinius
in seiner Naturgeschichte: „Es gibt eine sehr große Menge von
Birnensorten. Roh sind sie sämtlich selbst für ganz gesunde Leute
schwer verdaulich und werden daher Kranken verboten. Auch die Waldbirne
wird getrocknet, um sie als Arznei zu gebrauchen.“ Sein Zeitgenosse,
der griechische Arzt Dioskurides, meint: „Alle Birnen (~ápios~), und
es gibt deren viele Sorten, haben zusammenziehende Kräfte. Verzehrt
man rohe Birnen nüchtern, so schaden sie leicht. Aus Birnen macht
man Birnenwein, wie man auch welchen aus Quitten, Spierlingen und
Johannisbrot macht. Alle diese Weine haben etwas Zusammenziehendes und
sind gesund.“ Nach dem ebenfalls um die Mitte des 1. Jahrhunderts
n. Chr. lebenden, aus Spanien nach Rom gekommenen Ackerbauschriftsteller
Columella wurden aus noch nicht ganz reifen Birnen und Äpfeln an der
Sonne gedörrte Schnitze hergestellt, die nebst getrockneten Feigen
einen sehr wichtigen Teil der Nahrung der ländlichen Bevölkerung
bildeten. Zur Mostgewinnung pflanzte man besondere Mostbirnen, und
feinere Birnen wurden in eingekochtem Most konserviert. Palladius im
4. Jahrhundert rät, die Birnbäume 30 Fuß auseinanderzusetzen, die Erde
aufzulockern und feucht zu halten, auch einmal jährlich zu düngen.
„Zweckmäßiger als aus Samen ist es, sie durch Pfropfen von Wildstämmen
zu gewinnen, und zwar pfropft man sie auf wilde Birnbäume, Apfelbäume
und, wie einige angeben, auch auf Mandel- und Granatbäume, Quitten und
Eschen (griechische Schriftsteller fügen dieser Liste die Maulbeerbäume
hinzu und sagen, daß die darauf gewachsenen Birnen rot werden). Will
man Birnen lange aufbewahren, so sucht man mit der Hand gepflückte,
ganz unbeschädigte, noch nicht völlig reife aus, tut sie in ein
ausgepichtes Gefäß, befestigt darauf den Deckel ganz dicht, legt es so
um, daß der Deckel nach unten kommt und vergräbt es an einer Stelle, um
die jahraus, jahrein Wasser fließt. Man hebt auch Birnen in Spreu und
Getreide auf.“

Neben der als ~ápios~ bezeichneten Kulturbirne wurden von den
Griechen die als ~áchras~ bezeichneten wilden Birnen gelegentlich
noch gesammelt und gegessen. In der Urzeit muß dies eine regelmäßige
Nahrung der Griechenstämme gewesen sein, wie das uralte Fest der
Achraden bei den Argivern beweist, und wie das aus dem Holz des wilden
Birnbaums geschnitzte Herabild zu Tiryns auf den wilden Birnbaum
als ersten Nährbaum der Tiryntier hinweist. Je weiter wir in der
Menschheitsgeschichte zurückgehen, desto ausschließlicher finden wir
den wilden Birnbaum mit seinen herben, wenig zum Genusse verlockenden
Früchten als Nahrungsspender. So wurden zur jüngeren Steinzeit, wie
uns die Funde in den Kulturschichten der Pfahlbaustationen von Wangen
und Robenhausen in der Schweiz beweisen, neben wilden Äpfeln auch wilde
Birnen gesammelt und, in Schnitze geschnitten und an der Sonne gedörrt,
als Wintervorrat aufgehoben. Die saftige Kulturbirne aber fehlte bis
ins erste Jahrhundert unserer Zeitrechnung in Mitteleuropa durchaus.
Sie gelangte im Gegensatz zum Apfel, der sich hier bereits seit dem
Ende des dritten vorchristlichen Jahrtausends kultiviert vorfand, erst
durch die Römer der Kaiserzeit in die Länder nördlich der Alpen. Zwar
wurden Samenkerne dieser Obstarten nicht im Wegwurf der römischen
Militärstationen gefunden, was bei der Kleinheit und Vergänglichkeit
derselben einigermaßen begreiflich ist. Wohl aber fanden sich die viel
größeren und sehr harten Steinkerne der bald zu besprechenden Pflaumen,
Mirabellen, Kirschpflaumen, Süß- und Sauerkirschen, Pfirsiche und
Aprikosen und die Schalen der Walnüsse und großen Haselnüsse, nicht
bloß in den ausgemauerten, sondern vornehmlich in den zahlreichen
mit Holz ausgekleideten Schachtbrunnen der Saalburg bei Homburg, die
nachweislich schon von den Römern selbst im 2. Jahrhundert n. Chr.
durch ausgemauerte Brunnen ersetzt und zugeschüttet wurden. Hier lagen
sie in einer Schlammschicht 5-10 m unter der Oberfläche. Daß sie etwa
erst in späteren Jahrhunderten in die Brunnen geworfen sein könnten,
ist unter diesen Umständen völlig ausgeschlossen, ganz abgesehen davon,
daß das Kastell unter Gallienus (260-268 n. Chr.) definitiv an die
Germanen verloren und von jenen eingeäschert und zerstört wurde und
seither keine menschliche Niederlassung mehr hier vorhanden war. Erst
einige Jahrhunderte später ist dann die Kulturbirne von den Germanen in
Pflege genommen worden, worauf die Bildung von althochdeutsch ~pira~,
später ~bira~ aus dem lateinischen ~pirum~ deutet.

In dem aus dem Jahre 812 datierenden Verzeichnis der auf den Gütern
Karls des Großen zu haltenden Obstbäume figurieren neben den ~pomarii~,
den Apfelbäumen, auch die ~pirarii~, von denen ebenfalls mehrere
Sorten erwähnt werden, so süßere, frühreife und spätreife. Und der im
Jahre 849 verstorbene fränkische Mönch Walahfrid Strabo, ein großer
Gartenfreund, der es trotz seiner edlen Abkunft nicht verschmähte,
durch tüchtiges Zugreifen, wie er selbst sagt, sich die Hände schwielig
zu machen und zu bräunen, hat in einem lateinischen Gedichte „über
die Pflege der Gärten“ beschrieben, wie er in seinem Garten im Juli
Pfirsiche und im August Feigen, Pflaumen, Nüsse und große volemische
Birnen pflücke, von denen eine die ganze Hand ausfüllt. Zu den von
den Römern übernommenen Birnensorten sind dann durch die Bemühungen
der Klöster und später auch der Laien zahlreiche neue hinzugekommen.
So zählt Valerius Cordus in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts
mehr als 50 in Mitteldeutschland kultivierte Sorten auf, die sich
inzwischen, besonders durch die Bemühungen belgischer Obstzüchter, ganz
wesentlich vermehrt haben.

Vom Obstbau der alten Kulturvölker haben wir nur eine geringe Kenntnis,
da ihre Schriftsteller von solch allgemein bekannten Dingen keine
Aufzeichnungen hinterließen. In Ägypten und Babylonien hat das Kernobst
keinerlei Rolle gespielt, wohl aber in dem durch seine Höhenlage
kühleren Persien, in welchem Lande schon zu den Zeiten des älteren
Kyros (um 550 v. Chr.) die Straßen, welche von der Hauptstadt nach
den Provinzen führten, mit Obstbäumen als nützlichen Schattenspendern
bepflanzt waren. Schon damals hatten die persischen Großkönige die
Gepflogenheit, bei feierlichen Anlässen Obstbäume mit eigener Hand zu
pflanzen, -- beides Sitten, die sich bis auf unsere Zeit erhalten haben.

Schon sehr frühe drang der Obstbau aus Vorderasien über Kleinasien
zu den Griechen und später zu den Römern, die sich seiner mit Liebe
annahmen. Schon bei Homer finden wir die zwischen den Krautgärten
gelegenen Obstgärten der Vornehmen erwähnt, die in der Regel von
älteren Familienangehörigen besorgt wurden. So finden wir in der
Odyssee die Obhut der Obstbäume vorzugsweise Greisen anvertraut, die
niedergebückt im Garten pflanzten, gruben und beschnitten. So hat sich
auch der greise Laertes, Odysseus Vater, in seine Gärten zurückgezogen,
und sein Genosse hierin war der gealterte Sklave Dolios, den einst
Penelope von ihres Vaters Hause in dasjenige ihres Gatten Odysseus mit
hinübergebracht hatte.

Der Baumgarten des Altertums war wie der Rebberg durch eine Mauer,
einen Graben oder einen Zaun, später auch durch eine lebende Hecke als
Privateigentum abgegrenzt. Wer nun diese Grenze nicht respektierte,
machte sich eines frevelhaften Einbruchs in fremdes Eigentum schuldig.
Wie schwer solche Vergehen bisweilen geahndet wurden, beweist uns
die von dem griechischen Geschichtsschreiber Apollodoros berichtete
Episode des Herrschers von Kalydon auf Kreta Oineus (d. h. Winzer), der
seinen eigenen Sohn Toxeus (d. h. den Schützen) tötete, weil dieser es
frevelhaft gewagt hatte, den Graben, der seinen Weinberg umschloß, zu
überspringen.

Nach der Schilderung in der Odyssee trug Laertes bei seinen Arbeiten im
Obstgarten zum Schutz seiner Beine vor Beschädigungen durch die Dornen
ein Paar alter Beinschienen aus Leder und dazu einen geflickten Rock.
Der Garten war von einer Dornenhecke umgeben und enthielt wohlgepflegte
Apfel-, Birn-, Feigen- und Ölbäume. Ein hoher Birnbaum fiel besonders
auf; unter ihm stand Odysseus nach seiner Heimkehr, eine Weile mit der
Rührung kämpfend, da er seinen Vater in der Ferne beobachtet. Und als
er sich ihm zu erkennen gibt, erinnert er ihn an die Zeit der Kindheit,
als er ihm einst 13 Birnbäume, 10 Äpfelbäume, 40 Feigenbäume und 50
Weinstöcke zu eigener Nutznießung schenkte.

Die alten Römer nannten ihre Obstgärten nach den vorzugsweise darin
kultivierten Apfelbäumen ~pomarium~, während sie den Lustgarten
~hortus~, den Blumengarten ~floralium~ und den Küchengarten mit den
Gemüsen ~hortus pinguis~ oder ~rusticus~, d. h. den fetten oder
ländlichen Garten nannten. In den großen Obstgärten der Reichen waren
zugleich Magazine zum Aufbewahren von Obst, wie auch daran sich
anschließende bescheidene Wohnungen für die Gärtnerdienst tuenden
Sklaven vorhanden. Sonst wissen wir sehr wenig von ihnen, nur so viel,
daß in ihnen, wie wir bald sehen werden, schon eine ganze Menge aus dem
Osten importierter Fruchtbäume gediehen.

Im Mittelalter waren, wie gesagt, die Klöster die Träger und
Überlieferer der altrömischen Kultur und ihrer Erzeugnisse. Sie
haben sich ein besonderes Verdienst um die Erhaltung und Ausbreitung
der von den Römern eingeführten Nutzpflanzen, besonders der aus dem
Süden importierten Obstbäume erworben. Selbstverständlich waren
die Klostergärten ebenso eingefriedigt wie diejenigen der Bauern.
In einem Weistum vom Jahre 1500 wird sogar vorgeschrieben, daß der
aus senkrechten Stöcken mit dazwischen geflochtenen Ruten oder
schräg aufgerichteten Brettern, von denen immer mehrere durch einen
senkrechten Pfahl gehalten wurden, hergestellte Zaun mannshoch sein
solle. Was dann noch an Hühnern und sonstigem Geflügel hinübersteige,
das dürfe der Bauer totschlagen. Nach den uns erhaltenen Zeichnungen
aber ist seine Höhe für gewöhnlich nicht mehr als 1 m gewesen.

In diesen Gärten wurde nicht sehr streng zwischen Gemüse- und
Obstgarten unterschieden. Oftmals wird erwähnt, daß Bäume im
Kohlgarten gestanden haben. War ein besonderer Baum- oder Obstgarten
vorhanden, so waren darin nur wenige Sorten vertreten, und zwar
meist Äpfel und Birnen, seltener Steinobst oder gar Nüsse. Noch der
römische Geschichtsschreiber Tacitus (54-117 n. Chr.) hielt in seiner
ethnographischen Schilderung Germaniens dieses Land für schon zu kalt
zum Obstbau, nur für Getreidebau geeignet. Die Einwohner desselben, so
schrieb er, nährten sich von ganz einfachen Speisen wie wilden Äpfeln
und Beeren, frischem Wildbret und saurer Milch.

Diese Lebensweise hat sich im Laufe des Mittelalters, als auch
Germanien das Erbe der altrömischen Kultur antrat, gründlich geändert.
Deutschland war nicht zu rauh für die Obstzucht; die Obstbäume gediehen
vielmehr ganz gut, soweit sie das gegenüber den Mittelmeerländern viel
rauhere Klima ertrugen. Und den Anstoß zu diesem Wechsel legten die
Römer selbst durch ihre Kolonisation, die die Schätze an wertvollen
Nutzpflanzen, die ihr Land durch den Import aus dem Morgenlande
aufwies, über den eisumgürteten Grenzwall der Alpen hinüber in die
durch ihren Reichtum an Wäldern und Sümpfen ausgezeichneten und
dadurch für die Römer zunächst nur abschreckenden Länder des Nordens
brachten. Auch Italien selbst war einst ein solch armes Waldland
gewesen, als es von den Italikern besiedelt wurde. Und als es durch
Rodung und nachfolgenden Ackerbau schon einigermaßen kultiviert war,
erschien es den älteren Griechen als ein Land, das im Vergleich schon
mit ihrem eigenen und noch viel mehr mit dem an Kultur viel weiter
fortgeschrittenen Orient einen nordischen, primitiven Charakter trug
und dessen Produktion in noch ziemlich später Zeit vorwiegend in Holz,
Vieh und Getreide bestand. Noch der im Jahre 286 v. Chr. in Athen
verstorbene Schüler des Aristoteles, Theophrastos von der Insel Lesbos,
der Begründer der antiken Pflanzenkunde, der eine uns noch erhaltene
„Naturgeschichte der Gewächse“ schrieb, rechnet Italien zu den wenigen
Ländern am Mittelmeer, wo noch Schiffsbauholz vorkommt. Und als der
prunkliebende König Hieron II. von Syrakus, der im Jahre 269 v. Chr.
nach einem entscheidenden Siege über die sogenannten Mamertiner in
seiner Vaterstadt zur Herrschaft gelangte, die er als tüchtiger Regent
und Bundesgenosse der Römer bis zu seinem Tode im Jahre 215 ausübte,
sich ein riesiges Getreideschiff baute, so fand sich nach dem Berichte
des um 200 n. Chr. in Alexandrien und Rom lebenden griechischen
Grammatikers Athenaios aus Naukratis in Ägypten nur im brettischen
Gebirge in Italien ein Baum, der als Hauptmast dienen konnte. Es war
dies im heutigen, aus Laricio-Kiefern bestehenden Nilawalde, der aber
damals auch mit Eichen oder Buchen untermischt gewesen sein muß, da
ein Sauhirt, der seine Herde zur Eichel- oder Bucheckernmast in den
Wald trieb, der Auffinder dieser damals schon bemerkenswerten Rarität
war.

Von ungeheuren, unwirtlichen Wäldern auf der italischen Halbinsel
hören wir auch durch die römische Überlieferung. Den ciminischen
Wald beim heutigen Viterbo nördlich von Rom beschreibt der römische
Geschichtsschreiber Livius (59 v. bis 17 n. Chr.) unter dem Jahre 308
v. Chr., also nach der Zeit Alexanders des Großen, als so schrecklich,
wie nur die später von den Römern betretenen Wälder Germaniens. Von
einem ähnlichen Grauen vor diesem entsetzlichen Waldgebiete muß auch
der im 2. Jahrhundert n. Chr. lebende römische Geschichtsschreiber
Florus erfaßt gewesen sein, der wie Livius eine Geschichte Roms von
der Gründung der Stadt bis zu Kaiser Augustus schrieb. Er berichtet,
daß damals der Prätor C. Manlius zu Anfang des von 218-201 v. Chr.
dauernden zweiten punischen Krieges zum Entsatze des von den Bojern,
einem teils in Oberitalien, teils zwischen Alpen und Donau seßhaften
keltischen Volksstamme, bedrängten Mutina (dem heutigen Modena)
herbeirückte, sein Heer in den unwegsamen Wäldern fast aufgerieben
wurde. Noch schlimmer erging es nach demselben Autor dem Prätor L.
Postumius in dem litanischen Wald, aus welchem von seinem ganzen Heere
nur wenige Mann den Ausweg fanden.

Und dieses Waldland Italien, das ursprünglich außer Haselnüssen,
Holzäpfeln, Schlehen, Holzbirnen, Eicheln, Bucheckern und Waldbeeren
keinerlei eßbare Früchte trug, schildert uns der im Jahre 116 v. Chr.
geborene und 27 v. Chr. verstorbene bedeutendste Gelehrte Roms, Marcus
Terentius Varro, es sei dermaßen mit aus dem Morgenlande eingeführten
Fruchtbäumen besät, daß es wie ein großer Obstgarten erscheine! Edle
Äpfel und Birnen, Quitten und Mandeln, Kirschen, Pflaumen, Pfirsiche,
Feigen, Granaten, Oliven, Maulbeeren, Kastanien, Walnüsse, Pistazien
wurden zur römischen Kaiserzeit in Menge auf jener einst aller eßbaren
edleren Früchte mangelnden Halbinsel gezogen.

Die Vermittler dieser Umwandlung, von deren Reichtum in der Folge ganz
Europa bis auf unsere Tage solch großen Nutzen zog, bildeten Sklaven
und Freigelassene aus Syrien, Kilikien und den verschiedenen Ländern
Kleinasiens. Nach den glücklich durchgeführten asiatischen Kriegen, die
eine Fülle Kriegsgefangener auf den römischen Markt brachten, wimmelte
Italien von ihnen lange vor dem großen römischen Sittenmaler Juvenalis
(47-130 n. Chr.), der sich in einer Satire beklagt, es sei so weit
gekommen, daß der syrische Fluß Orontes sich in den Tiber ergieße.
Er meint damit: Rom und seine Umgebung sei dermaßen von Syriern
überschwemmt, daß man sich an den Orontes versetzt glauben könne. Diese
syrischen Sklaven waren durch Arbeitsamkeit, Ausdauer und Ergebenheit
gegen ihre Herren ausgezeichnet. Schon der römische Komödiendichter
Plautus (254-184 v. Chr.) nennt sie das allergeduldigste Geschlecht
der Menschen. Dem Kriegshandwerke abgeneigt, waren sie als Träger
einer überaus alten Kultur aufs beste vertraut mit dem Aufziehen und
Pflegen von Pflanzen, besonders Obstbäumen, die sie durch sachkundige
Beschneidung und Düngung zu ergiebigster Fruchtbildung veranlaßten.
Aufs beste verstanden sie sich auf das Veredeln, dessen Methoden uns
schon von altgriechischen Autoren eingehend geschildert werden, von den
späteren römischen Schriftstellern über Obstbau nicht zu reden, die
sich sehr eingehend über diese Materie aussprechen. Sagt doch bereits
der ältere Plinius (23-79 n. Chr.): „In der Veredelung der Bäume haben
die Menschen schon längst das Höchste erreicht“, bemerkt aber dazu,
daß man eine Sünde begehen würde, alles auf gut Glück durcheinander
veredeln zu wollen; „denn Dornsträucher (~spina~) darf man nicht
pfropfen, weil sich sonst die Blitze nicht leicht sühnen lassen und
jeder Blitzschlag mit zwei-, drei- oder vierfacher Gewalt einschlägt,
wenn man zwei-, drei- oder vierfach veredelt hat.“ An einer anderen
Stelle meint derselbe Plinius: „Auf die Veredelung (~inserere~, d. h.
einsäen) mag wohl die Natur selbst den Menschen aufmerksam gemacht
haben, indem durch Vögel oder Winde öfter Samen auf Bäume gebracht
werden und auf diesen gedeihen. So habe ich z. B. einen Kirschbaum auf
einer Weide, eine Platane auf einem Lorbeer, einen Lorbeer auf einem
Kirschbaum und allerlei der Art gesehen. Auch Kerne, die von Dohlen als
Vorrat in Ritzen alter Mauern gesteckt werden, geben Veranlassung zu
dergleichen Erscheinungen.“ -- Das +Okulieren+ (~inoculatio~) besteht
darin, daß man von einem Baume ein Auge mit etwas Rinde abschneidet
und in einen anderen Baum einsetzt, von dem man ein eben solches Stück
Rinde weggeschnitten hat, Vergil (70-19 v. Chr.) lehrt auch, in dem
Knoten, auf dem eine Knospe sitzt, ein Loch zu machen und eine fremde
Knospe in dieses zu setzen. Beim +Pfropfen+ (~insitio~) schneidet man
den Stamm mit der Säge durch, glättet die Wunde mit der Hippe (dem
gekrümmten Rebmesser), schiebt das Pfropfreis zwischen Holz und Rinde,
wie es von altersher geschieht, oder spaltet den Stamm und setzt die
Reiser in den Spalt. Nach Cato (234-149 v. Chr.) soll man die Wunde
„mit einer Mischung von Ton, Kreide, Sand und Kuhmist verstreichen.“

Ein ungenannter Grieche der klassischen Zeit schreibt in den Geoponika,
einer ums Jahr 912 n. Chr. veranstalteten Sammlung von Auszügen aus
guten alten griechischen Schriften über Land- und Gartenwirtschaft:
„Es sind drei Arten der +Veredelung+ (~enkentrismós~ von ~kéntron~
Gerte, Reis, also zu deutsch Reiseinfügung) im Gebrauch. Veredelt man
so, daß man den Stamm durchschneidet, von der Wunde aus einen Keil
zwischen Rinde und Holz treibt und in die so entstandene Höhlung das
Reis (~énthema~) einfügt, so nennt man dieses Verfahren ~emphyllismós~
(von ~phýllon~ Blatt). Spaltet man aber den Stamm, nachdem er quer
durchschnitten ist, in der Mitte und setzt das Reis in den Spalt ein,
so heißt dieses Verfahren insbesondere ~enkentrismós~.

In beiden Fällen der Veredelung muß man rasch zu Werke gehen, damit
weder die Wunde des Stammes, noch das Reis austrocknet. Die Reiser,
welche man einsetzt, müssen zweijährig sein und die Dicke eines
kleinen Fingers haben und sich in zwei oder drei Enden teilen; die
einjährigen wachsen zwar leicht an, sind aber unfruchtbar. (Im
Mittelalter dagegen verwendete man gleich heute, wie beifolgender
alter Holzschnitt zeigt, stets einjährige Edelreiser, die natürlich
vollkommen fruchtbar sind. Man schneidet sie im Winter, in der Zeit der
Knospenruhe, ab und bewahrt sie meist in feuchtem Sand, damit sie nicht
zu stark eintrocknen, und pfropft damit beim Trieb im Frühjahr.) Die
Reiser werden zehn oder mehr Tage vor der Veredelung von ihrem Baume
geschnitten und in einem gut zugedeckten Topfe aufbewahrt, damit sie
nicht zu sehr eintrocknen. Die Knospen müssen an ihnen noch geschlossen
sein, an dem zu veredelnden Baume aber eben aufbrechen wollen, wenn
man die Reiser einsetzt, und eben deswegen müssen die Reiser schon
vorher abgeschnitten sein. Es zeigt auch die Erfahrung, daß sie weit
leichter anwachsen, wenn sie nicht mehr frisch sind. Der Grund dieser
Erscheinung ist darin zu suchen, daß sie in ganz frischem Zustande,
weil voll Saft, auch dicker sind; würde man sie so einsetzen, so würden
sie in der ersten Zeit, ehe sie anwachsen, noch schwinden, wodurch
Ritze entstehen würden, in welche die Luft eindringen kann. -- Werden
Reiser in die Ferne verschickt, so tut man sie in einen Topf, dessen
Boden mit feuchtem Ton bedeckt ist. Man steckt sie in den Ton, schließt
den Topf und verstreicht gut alle Fugen am Deckel.“

Die Technik des Pfropfens war bei den alten Griechen und Römern zu
einer in der Jetztzeit kaum wieder erreichten Virtuosität ausgebildet.
Man glaubte damals, soweit man sich nicht durch abergläubische
Erwägungen, von denen Plinius eine erwähnt, bestimmen ließ, jedes
beliebige Reis auf jeden beliebigen Baum pfropfen zu können, und
erreichte damit auch in der Tat Erstaunliches. So will derselbe Plinius
einen Baum gesehen haben, der an seinen verschiedenen Ästen mehrere
Äpfel- und Birnensorten, Granaten, Feigen, Weintrauben, Oliven und
Nüsse zugleich trug; doch soll er nicht lange gelebt haben. Schon beim
römischen Dichter Vergilius Maro (70-19 v. Chr.) trägt die Platane
Äpfel, die Esche Birnen, der Erdbeerbaum Nüsse und die Ulme Eicheln,
und bei Palladius, um 380 n. Chr., ist in seinem Buche über den Landbau
kein Baum, von dem nicht ausgesagt würde, er könne die und die fremden
Früchte zu tragen gezwungen werden.

[Illustration: Bild 12. Das Pfropfen der Obstbäume im Mittelalter mit
einjährigen Reisern. (Nach einem Baseler Holzschnitt von 1548.)

Die mit Baumharz verstrichene Wunde ist noch vorsorglich mit einem
Leinwandlappen umbunden, was heute nicht mehr üblich ist und auch im
Altertum nicht angewendet wurde.]

Über diese Virtuosität, die Natur zu vergewaltigen und zu mißbrauchen,
wie er sich ausdrückt, entsetzte sich zwar mancher, wie der biedere
Plinius, als über einen den Zorn der Götter wachrufenden Frevel. So
aberwitzig auch solche Künsteleien erscheinen mochten, so hatten sie
doch das Gute, die Mannigfaltigkeit und Vollkommenheit der einst in
Italien fremden, nun aber durch die regen Verbindungen mit dem an
Fruchtbaumsorten so reichen Orient hier eingebürgerten Früchte immer
weiter zu steigern. Wenn die römischen Aristokraten nach Ablauf ihres
Jahres aus Syrien oder einer anderen der an der Ostgrenze des Reiches
gelegenen Provinzen heimkehrten und manche angenehme Frucht, die dort
auf ihre Tafel gekommen war, nach Italien und auf ihre Villen zu
versetzen wünschten, so hatten sie in ihren syrischen, kleinasiatischen
und persischen Sklaven außerordentlich erfahrene und geschickte
Gärtner, die ihnen beim Großziehen und Veredeln der mitgebrachten
Pflanzenschätze behilflich waren und zur Belohnung dafür die goldene
Freiheit oder wenigstens eine gnädige, milde Behandlung erwarten
durften.

So hat der Orient, dem wir die Gewinnung der meisten Fruchtsorten,
die Kaprifikation der Feige, die Füllung der Rosen, Violen und
anderer Blumen und die Hochzuchten zahlreicher Gemüsearten verdanken,
durch seine infolge Kriegsunglückes in den letzten vorchristlichen
Jahrhunderten nach dem Herrenlande Italien verbrachten gartenkundigen
Einwohner diese ihre neue Heimat aufs weitgehendste mit neuen
gärtnerischen Zuchtprodukten befruchtet. Und aus Italien brachten
die Römer die ihnen zu Hause liebgewordenen Fruchtarten in ihre
nördlichen und westlichen Provinzen, die sie damit beschenkten, indem
sie dieselben dort anpflanzten und heimisch werden ließen. So war es
mit den verschiedenen Äpfel- und Birnensorten, wie noch mit so mancher
anderen Fruchtart, mit der wir uns im folgenden zu beschäftigen haben,
der Fall.

Welchen Fortschritt die Kultur dieser beiden so wichtigen Fruchtbäume
im Altertum gemacht hat, lehrt uns folgende von F. Unger aufgestellte
Zusammenstellung, die wir allerdings nicht belegen. So kannten

    Theophrast (um 300 v. Chr.)       von Äpfeln 2, Birnen 3 Sorten,
    Cato d. ältere (um 160 v. Chr.)    „    „    7,   „    6   „
    Plinius d. ältere (um 70 n. Chr.)  „    „   36,   „   41   „
    Palladius (um 380 n. Chr.)         „    „   37,   „   56   „

Diese sind dann in der Folge um mehr als das Dreißigfache vermehrt
worden, so daß man gegenwärtig von jeder Art über 1500 Spielarten
zählt, die sich durch Größe, Gestalt, Farbe, Konsistenz, Geschmack und
Zeit der Reife oft außerordentlich voneinander unterscheiden.

Zu den durch die Vermittlung der Römer dem Europa nördlich der Alpen
verschafften Obstbäumen des Orients gehört auch die mit den Äpfeln nahe
verwandte +Quitte+ (~Cydonia vulgaris~), die heute noch in den Wäldern
des nördlichen Persien beim Kaspischen Meer, südlich vom Kaukasus
in Armenien und Kleinasien wildwachsend mit kleinen, unscheinbaren,
gelben Früchten gefunden wird. In ihrer Heimat ist sie schon im
zweiten vorchristlichen Jahrtausend von einem uns unbekannten Volke in
Pflege genommen und zu einer großfrüchtigen Kultursorte umgewandelt
worden. Dem babylonisch-ägyptischen Kulturkreise blieb auch dieser
Obstbaum fremd, schon weil er als die Kühle liebender Gebirgsbaum die
anhaltende Wärme der Niederungen nicht ertrug. Schon zu Beginn des
letzten christlichen Jahrtausends muß er westwärts gewandert und in
Kleinasien gepflanzt worden sein. Seine früheste urkundliche Erwähnung
findet er bei dem aus Lydien gebürtigen griechischen Dichter Alkman ums
Jahr 650 v. Chr. Dann nennt ihn ums Jahr 600 v. Chr. der griechische
Dichter Stesichoros aus Sizilien in seinem Stücke Helena und 50 Jahre
später der durch Schillers Ballade uns allen wohlbekannte Dichter
Ibykos aus Rhegion in Unteritalien. Also war diese Frucht und der
sie hervorbringende Baum schon im 7. vorchristlichen Jahrhundert den
Griechen allgemein bekannt. Sie bezeichneten ihn als ~mḗlon kydṓnion~,
d. h. kydonischen Apfel (woher der noch heute geltende botanische
Gattungsname ~Cydonia~ herrührt), weil sie ihn zunächst aus dem Gebiete
der Kydonen an der Nordwestküste Kretas bezogen. Dahin war er einst von
der karischen Südküste Kleinasiens als ein der Liebesgöttin heiliger
Fruchtbaum gelangt. Als dann die Griechen den Fruchtbaum in Pflege
nahmen, weihten sie seine von ihnen meist nur als „goldene Äpfel“
bezeichneten Früchte gleichfalls ihrer Liebesgöttin Aphrodite und
benutzten sie als Geschenk bei Liebesspielen und als bräutliche Gabe.
Bei der Hochzeit trug die Griechin der alten Zeit die der Liebesgöttin
geweihte Quitte als Unterpfand einer glücklichen Ehe in der Hand und
brachte sie ihrem Gatten als Zeichen dafür, daß sie sich nunmehr dem
Dienste der Aphrodite weihe, ins Haus, eine Sitte, die der berühmte,
zu den sieben Weisen gerechnete Gesetzgeber der Athener, Solon (639
bis 559 v. Chr.), zum offiziellen Hochzeitsritus erhob und die sich in
Attika im Laufe der Jahrhunderte durch allen Wechsel der Zeiten bis auf
den heutigen Tag erhielt.

Die schön gelbe Frucht, die sich wegen ihrer Herbe roh nicht genießen
ließ, die aber mit Honig eingekocht eine von ihnen als Delikatesse
geschätzte, aromatisch duftende, feinschmeckende, ~mēlo~- oder
~kydōnomḗli~ genannte süße Speise lieferte, haben die Griechen schon
im Altertume sehr geschätzt. Die Hippokratiker bedienten sich ihrer
als Arznei gegen Durchfall. Gleichwohl scheint Viktor Hehn im Irrtum
zu sein, wenn er die goldenen Äpfel der griechischen Sage nicht als
idealisierte Äpfel, sondern als Quitten auffaßt, was ihm dann andere
kritiklos nachsprachen. Von den griechischen Kolonien Unteritaliens
gelangte dann die Quitte auch zu den Römern, die aus dem griechischen
~mḗlon kydṓnion~, d. h. kydonischer Apfel, ~malum cotoneum~ machten,
ein Ausdruck, aus welchem dann später das althochdeutsche Kutina
und schließlich das neuhochdeutsche Quitte hervorging, während die
Früchte heute noch im Italienischen ~mela cotogna~ heißen. Der aus
Spanien nach Rom gekommene Ackerbauschriftsteller Columella zählt drei
Sorten Quitten (~cydonium~) auf, nämlich ~struthium~, ~chrysomelinum~
und ~musteum~, letzteres offenbar eine Mostquitte. Nach ihm kennt
Plinius um 75 n. Chr. schon sechs Sorten, die nicht nur als Genuß-,
sondern auch als Heilmittel verwendet wurden, nämlich eine goldgelbe,
gefurchte, ~chrysomelum~ genannte, eine ausgezeichnet riechende
weiße einheimische, eine ebenfalls geschätzte neapolitanische, eine
~strutheum~ genannte kleinere und noch wohlriechendere Spätsorte und
eine ~musteum~ (d. h. Mostquitte) genannte Frühsorte. Unter ihnen
sind sowohl Äpfel- als Birnenquitten zu verstehen, die schon Cato ums
Jahr 150 v. Chr. unterschied. Zur letzten von ihm erwähnten Sorte
bemerkt Plinius: „Die mulvianische Quitte ist dadurch entstanden,
daß die gewöhnliche Quitte (~cotoneum~) auf ~strutheum~ gepfropft
wurde. Sie ist die einzige Sorte, welche roh gegessen werden kann.
Alle Quittensorten sieht man jetzt in den Empfangszimmern der Männer
aufgestellt und vor die Bildsäulen der Nachtgottheiten gelegt. In den
Zäunen wachsen auch kleine, wilde Quitten von vortrefflichem Geruch.“
Sein Zeitgenosse, der aus Kilikien gebürtige, in Rom tätige griechische
Arzt Dioskurides meint: „Die Quitten bekommen dem Magen gut, sind
gekocht milder als roh. Um Quittenwein zu machen, welcher ~kydonítēs~
und ~mēlítēs~ heißt, läßt man zerstoßene Quitten 30 Tage lang in Most
und seiht diesen dann durch. Um ~mēlomḗli~, auch ~kydōnomḗli~ genannt,
zu bekommen, legt man Quitten, denen die Kerne genommen sind, in Honig.
Um dem Olivenöl den angenehmen Geruch der Quitten zu geben, legt man
Quitten so lange hinein, bis der Zweck erreicht ist.“

Schon der Grieche Theophrast im 4. vorchristlichen Jahrhundert
wußte, daß „wie aus den Samen der Kulturbirne (~ápios~) die elende
wilde Birne (~áchras~) und aus dem Samen des edlen Apfels eine
schlechte, saure Sorte gezogen werde, so zieht man aus der edlen
Quitte (~strúthion~) die wilde Quitte (~kydṓnion~).“ Und Palladius
im 4. Jahrhundert n. Chr. sagt, daß man die Quitten durch Pfropfen
vermehre: „Die Quittenbäume (~cydonius~) lieben einen kühlen, feuchten
Standort. Man pfropft am besten Quitten auf Quitten. Aber auf diesem
Baume gedeihen auch Pfropfreiser von Granaten, Spierlingen und allen
apfelähnlichen Früchten, welche sogar dadurch verbessert werden. Man
hebt die geernteten reifen Quitten auf verschiedene Art auf, und will
man sie in Honig legen, so zerschneidet man sie vorher mit einem Messer
aus Rohr oder Elfenbein in vier Stücke.“

Mit den übrigen Obstarten brachten die Römer auch den Quittenbaum
in die nördlichen Provinzen des Reichs, wo er sich auch nach dem
Untergange der Römerherrschaft erhielt, so daß er im Inventare der
Gärten Karls des Großen aus dem Jahre 812 als ~cotoniarius~ figuriert.
Bei der heiligen Hildegard, Äbtissin von Rupertsberg bei Bingen
(1098-1197), wird er als ~quotanus~, beim Dominikaner Albertus Magnus,
Graf von Bollstädt, einem der größten Gelehrten des Mittelalters
(1193-1280), als ~coctanus~ oder ~citonius~ erwähnt. Da aber seine
Früchte nur mit Honig oder später Zucker eingemacht genießbar sind,
hat er beim Volke keine besonders große Bedeutung erlangt. In Italien
werden übrigens noch jetzt wie zur Zeit des Plinius reife Quitten in
den Zimmern aufgestellt, um diese mit deren angenehmem Duft zu erfüllen.

Durch die Vermittlung der Phönikier, die diesen Fruchtbaum überall
in den von ihnen gegründeten Kolonien anpflanzten, erhielten die
alten Griechen den +Granatapfel+ (~Punica granatum~). Dieser ist
in ganz Vorderasien, vom nordwestlichen Indien über Persien bis
Kleinasien, zu Hause, erscheint im wilden Zustande stets strauchartig
und besitzt nur kleine Früchte, die erst durch Kulturauslese zu
Faustgröße gediehen. Durch seine feuerroten Blüten und seine
rotwangigen, kernreichen Früchte mit säuerlichem Fruchtfleisch mußte
er frühe schon die Aufmerksamkeit des Menschen auf sich ziehen,
der ihn dann in seine Pflege nahm und ihn in Beziehungen zu seinem
Hauptgotte, dem Sonnengotte, brachte. Als Kultpflanze spielte er im
syrisch-phönikischen Gottesdienste eine wichtige Rolle und verbreitete
sich über das Gebiet der Westsemiten, bei denen er ~rimmôn~ genannt
wurde, als ~ahrmani~ nach Ägypten, wo wir ihm im neuen Reiche zuerst
begegnen. Die älteste Erwähnung desselben finden wir an der Wand der
Grabkammer des Schreibers Anna, der unter Thutmosis I. (1547-1501
v. Chr.) starb. Hier wird er unter den Bäumen des Totengartens
erwähnt, unter denen der Geist des Verstorbenen wandelnd gedacht war.
Da jener Fürst Thutmosis den ersten Feldzug nach Syrien unternahm,
scheint die Granate als Folge desselben nach dem Niltale gekommen zu
sein. Die älteste Darstellung des Granatbaums stammt aus der Zeit
des erfolglosen Reformators der ägyptischen Staatsreligion Amenhotep
IV. am Ende der 18. Dynastie (1375-1358 v. Chr.) in einem Grabe bei
seiner damaligen Residenz, dem heutigen Teil el Amarna nördlich von
Theben, während die ältesten Granatfrüchte unter den Totenbeigaben
eines Grabes der 20. Dynastie zur Zeit Ramses IV. (1167-1148 v. Chr.)
aus der Totenstadt von Theben gefunden wurden. Diese Granatäpfel sind
kleiner und einfacher gebaut als die heutigen. Während nämlich letztere
meist 6-8 Fruchtfächer besitzen, haben die ersteren deren nur 4-6.
In späterer Zeit finden wir diesen Fruchtbaum auch auf Wandgemälden
und seine Früchte unter den Opfergaben ziemlich häufig abgebildet.
Aus seinen schön roten Blüten flocht man Girlanden, mit denen man die
mumifizierten Toten schmückte, und aus seinem säuerlichen Fruchtfleisch
stellte man eine Art Limonade her, die in den altägyptischen Texten
als ~schedech-it~ erwähnt wird. Diese Frucht war so beliebt, daß sich
die Juden auf ihrer Wüstenwanderung unter Moses, wie uns im Pentateuch
berichtet wird, nach den Granatäpfeln und Weintrauben Ägyptens
zurücksehnten. Und als sie sich ums Jahr 1250 v. Chr. Kanaan erobert
und im Lande häuslich niedergelassen hatten, wandten sie den im Lande
schon längst angebauten Granatbäumen große Sorgfalt zu; denn auch in
ihrem Kulte spielte bald die Blüte und die Frucht des Granatbaums eine
bedeutungsvolle Rolle. Ihre Priester mußten nämlich, wenn sie ins
Heiligtum eintraten, ein Kleid anhaben, an dessen Saum Granatäpfel
hingen. Auch der zu Beginn des letzten vorchristlichen Jahrtausends
unter ungeheurem Aufwand an Geld gebaute salomonische Tempel barg
in seinen zahlreichen Verzierungen häufig das Granatapfelmotiv, und
speziell die Säulen trugen Kapitäle in Form von aufgeschichteten
vergoldeten Granatäpfeln. Was die praktische Verwendung der säuerlichen
bis süßen Früchte anbetrifft, so wurden sie auch bei den Juden außer
als Speise in frischem Zustande zur Herstellung eines durstlöschenden
Saftes verwendet. So gab es im alten Palästina eine Ortschaft
Gath-rimmôn, was „Kelter des Granatapfels“ bedeutet. Bekannt ist ihre
Rolle in dem um 800 v. Chr. entstandenen Hohen Liede, wo es in Kap.
6, 6 von der Geliebten heißt: „Deine Wangen sind wie ein Ritz am
Granatapfel zwischen deinen Zöpfen“ und in Vers 10: „Ich ging hinab
in den Nußgarten, zu schauen die Sträucher am Bach, nachzusehen, ob
der Weinstock blühete, ob die Granatbäume grüneten,“ oder ebendort 4,
13: „Dein Gewächs ist wie ein Lustgarten von Granatbäumen mit edlen
Früchten.“

Auch in ganz Vorderasien muß der Granatapfel und ein aus seinem
sauersüßen Fruchtsafte hergestellter Trank beliebtes Genußmittel
gewesen, was uns die Stelle von Herodot verrät, daß der Perserkönig
Dareios I. (Sohn des Hystaspes, Großneffe des Kyros, der nach Kambyses
kinderlosem Absterben und der Ermordung des falschen Smerdis 521
v. Chr. den Thron bestieg, bekanntlich 490 den Zug zur Unterjochung
Griechenlands unternahm, die an dem Siege der Griechen unter Miltiades
bei Marathon scheiterte, und 485 starb) diese Frucht nicht missen
mochte.

Von Kleinasien aus, und zwar speziell aus Karien, kam der Granatapfel
ebenfalls in Verbindung mit religiösen Anschauungen zu den Griechen,
denen sein Kernreichtum ein Sinnbild der Fruchtbarkeit war, weshalb
sie ihn den chthonischen Gottheiten Demeter (= ~Gḗ mḗtēr~, d. h.
Mutter Erde) und Persephone weihten. Schon zu homerischer Zeit scheint
man den Granatbaum gekannt zu haben, da in der Odyssee neben Birn-
und Apfelbäumen auch Granatbäume (jonisch ~roiḗ~) in den Gärten
des Alkinoos und Laertes erwähnt werden. Der berühmteste Arzt des
Altertums, Hippokrates (460-364 v. Chr.), empfiehlt den Saft des
Granatapfels, in Attika ~roá~ genannt, als Labetrunk für Kranke,
besonders Fiebernde, und der Schüler des Aristoteles, Theophrast im
4. vorchristlichen Jahrhundert, schreibt, daß die Granatblüte auch
gefüllt vorkomme, so daß sich ihre Masse wie bei einer gefüllten Rose
ausbreitet. Über 400 Jahre später sagt Dioskurides: „Der Granatapfel
(~roá~) schmeckt gut, ist gesund, gibt aber sehr wenig Nahrung.“

Da die Römer diese Frucht nicht nach dem Griechischen nannten, sondern
als punischen Apfel (~malum punicum~) oder Granatapfel (~malum
granatum~, woraus das italienische ~melogranato~ oder ~granato~
entstand) bezeichneten, muß die Bekanntschaft derselben durch die
Punier, d. h. Karthager, vermittelt worden sein, doch werden sie den
Baum selbst wohl zweifellos durch die Griechen Kampaniens erhalten
haben. Noch Plinius sagt: „Bei Karthago wachsen die besten Granatäpfel;
es gibt davon verschiedene Sorten. Ihr Genuß bekommt nicht sonderlich
gut. Die einzelnen Teile des Baumes gebraucht man als Heilmittel.“
Und der ums Jahr 120 n. Chr. verstorbene witzige Epigrammdichter
Martialis schrieb einem Freunde bei Zusendung eines Körbchens mit
diesen Früchten: „Du erhältst keine kernlosen afrikanischen Granaten,
sondern inländische Früchte aus meinem Garten.“ Trotzdem das Klima von
Mittelitalien den Anbau des die Wärme liebenden Granatbaumes nicht
gerade günstig war, wurde er hier gepflanzt; doch wurden die viel
süßeren nordafrikanischen Sorten, die einst von den Phönikiern aus
Syrien eingeführt worden waren, den ziemlich saueren einheimischen
Sorten bei weitem vorgezogen. So besitzen wir noch ein Zeugnis aus
der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, worin Flavianus Myrmecius in
einem kleinen Gedichte seinen Freund Rufus Festus Avienus bittet, er
möchte ihm, wenn sein Schiff aus Afrika komme, einige dort gewachsene
süße Granatäpfel senden. Sein eigener Garten trüge zwar auch solche,
aber sie seien sauer und herb und nicht den nektargleichen Früchten zu
vergleichen, wie sie die warme Sonne Afrikas hervorbringe.

Wie bei den Griechen, die ihnen den Granatbaum übermittelten, erhielt
er auch bei den Römern eine gewisse sakrale Bedeutung. So trug nach
altem römischen Opferritual die das Abbild der römischen Matrone aus
der Urzeit darstellende Gattin des Oberpriesters auf dem Haupte einen
Granatbaumzweig, dessen Enden mit einem weißen Wollfaden verknüpft
waren, wie das Haupt ihres Mannes mit einem Ölzweig geschmückt war.

Die aus der karthagischen Zeit übernommenen Granatbaumanpflanzungen
kultivierten die Römer in ihrer Provinz Afrika weiter und zogen eine
sehr süße, blutrote, scheinbar kernlose, d. h. sehr weichkernige Sorte,
die den Vandalen, die im Jahre 429 von Spanien aus unter Geiserich nach
Nordafrika einfielen und 439 hier ein ausgedehntes Reich gründeten,
besonders gemundet zu haben scheint. Auch die Araber ließen sich
seine Kultur angelegen sein und brachten ihn, als sie nach dem Siege
von Xeres de la Frontera 711 Südspanien besetzten, dahin. Hier wurde
diese Frucht in der Folge viel gezogen und die im 10. Jahrhundert von
den Mauren gegründete Stadt Granada erhielt von der Granate, deren
Abbild dann auch ins Stadtwappen überging, ihren Namen. Sonst ist die
arabische Bezeichnung der Frucht ~roma~.

In den altbyzantinischen Geweben, die dann das Abendland nachahmte,
spielt das Granatapfelmuster eine große Rolle. Gern pflanzte man dort
wie im ganzen Abendlande den Strauch mit den hübschen Blüten in Kübel
und stellte ihn zur Einfassung von Treppen und zur Verzierung von
Altanen auf. Von dem spätgriechischen Namen der Blüte, ~balaústion~ --
wohl auch einem orientalischen Fremdwort -- hat sich das italienische
~balaustro~ und davon ~balaustrata~ gebildet, woraus unser Balustrade
entstand. Vom säuerlichen, rotgefärbten Fruchtsafte stellt man die
Grenadine her, jenen Sirup, der mit Wasser verdünnt auf sehr angenehme
Weise den Durst löscht. Heute haben aber die Zitrone und die Orange dem
Granatapfel den Platz geraubt, den er bei den Alten einnahm. Doch noch
jetzt verknüpft das Volk in Griechenland, wo man die Pflanze häufig
verwildert antrifft, mit der Frucht die Vorstellung reichen Segens und
der unzählbaren Menge, und die feuerrote Blüte ist als Geschenk ein
Zeichen feuriger Liebe. Im Mittelalter aber diente allgemein wie in
Südeuropa, so auch bei uns eine Abkochung der Frucht als Fiebermittel,
bis die Chinarinde im 16. Jahrhundert aufkam und dieses ältere Mittel
verdrängte.

Auch die +Mispel+ (~Mespilus germanica~) stammt aus dem Orient, und
zwar ist sie in Nordpersien zu Hause. Dieser Baum, dessen wenig
schmackhafte Früchte nur im überreifen, teigigen Zustande genießbar
sind und sich im allgemeinen in unserer verwöhnten Zeit keines
besonderen Ansehens erfreuen, kam frühzeitig nach Griechenland, wo er
schon von dem ums Jahr 700 v. Chr. auf der Insel Paros lebenden Dichter
Archilochos und später von Theophrastos aus Lesbos (390 bis 286
v. Chr.) unter dem Namen ~méspilon~ erwähnt wird. In Italien war er
nach Plinius noch zur Zeit Catos, der im Jahre 149 v. Chr. starb,
unbekannt, gelangte aber nach dem makedonischen Kriege aus Makedonien
unter seinem griechischen Namen dahin. Plinius spricht mehrfach vom
~mespilus~, und Palladius im 4. Jahrhundert nach Chr. sagt: „Die
Mispeln gedeihen an warmen Orten gut, aber auch an kalten. Man zieht
sie aus Stecklingen, welche im März oder November in gut bearbeiteten
und gedüngten Boden eingesetzt werden. Der Baum wächst sehr langsam.
Man pfropft die Mispel im Februar auf Mispel- oder Birn- oder
Apfelstämmchen; dabei nimmt man das Reis von der Mitte des Stammes,
denn von der Spitze genommen taugt es nichts. Immer muß in den Spalt
gepfropft werden, denn beim Propfen in die Rinde gedeiht es nicht. Die
Früchte nimmt man vom Baume, ehe sie eßbar sind, denn sie bleiben auch
am Baume sehr lange hart. Man verwahrt sie in ausgepichten Töpfen oder
hängt sie einzeln auf, oder legt sie in eingedickten Most; auch legt
man sie so in Spreu, daß sie sich nicht berühren.“

Daß die Römer den Mispelbaum im südlichen Gallien bereits vorfanden,
beweist, daß er vermutlich von der griechischen Kolonie Massalia aus
in das Gebiet der Rhone gebracht wurde. Durch die Römer wurde er auch
in ihren nordischen Militärstationen angesiedelt. Im Mittelalter wurde
er in Frankreich und Deutschland so häufig angepflanzt, daß er heute
vielerorts verwildert auftritt, so daß noch Carl von Linné, der ihm den
Beinamen des „Deutschen“ gab, glaubte, er sei in Deutschland von jeher
heimisch gewesen. Auch er gehört als ~mespilarius~ zu den Bäumen, die
im ~Capitulare de villis~ und in zwei Garteninventaren aus der Zeit
Karls des Großen aus dem Anfange des 9. Jahrhunderts vorgeschrieben
werden.

Viel besser als die „deutsche Mispel“ schmeckt die seit kaum hundert
Jahren in die Mittelmeerländer eingeführte +japanische Mispel+
(~Eriobotrya japonica~), deren gelbe, angenehm säuerliche Früchte
von den Franzosen kurz ~nèfles~, d. h. Mispeln, genannt werden. Wer
an der Riviera oder in Algerien gereist ist, dem sind die im ersten
Frühjahre als erstes Obst reifenden Früchte, wie auch der dichtbelaubte
Baum mit seinen großen, oben glänzenden und unten dicht wollfilzigen,
lederartigen Blättern sehr wohl bekannt. Obschon wenig haltbar,
gelangen die Früchte, seit wir durch gute Zugsverbindungen nach der
Durchtunnelung der Alpen dem Süden gleichsam näher sind, immer häufiger
zu uns und werden jetzt regelmäßig in den Früchtehandlungen zum Kaufe
angeboten. Diesen Bürger Ostasiens brachte Sir Joseph Banks im Jahre
1778 aus Japan zuerst nach England, von wo er bald in die ihm mehr
zusagenden, weil wärmeren Länder am Mittelmeer gelangte. Doch gedeiht
er noch ganz gut an dem vor rauhen Winden geschützten Nordufer des
Genfersees. Auch in Chile wurde er zu Beginn des vorigen Jahrhunderts
eingeführt. Er hat sich dort so gut eingebürgert, daß seine Früchte in
jenem Lande wie in den Mittelmeerländern zum gemeinsten Obste gehören.

Noch unschmackhafter als die faden Mispeln sind die gleichfalls
erst, wenn sie durch längeres Hängen am Baume teigig geworden sind,
genießbaren, mehligen Früchte des +Spierlings+ (~Sorbus domestica~),
der Kulturform der Eberesche (~Sorbus aucuparia~), die aber gleichwohl
schon im Altertum gerne gegessen wurden. Die sie liefernden Bäume
wurden schon von den alten Griechen und Römern kultiviert. Der
griechische Pflanzenkenner Theophrast im 4. Jahrhundert v. Chr.
beschreibt ausführlich den von ihm ~oía~ genannten Spierlingsbaum
und sagt: „Manche Spierlingsbäume tragen runde, andere längliche
Früchte, die sich auch durch den Geschmack unterscheiden; im
ganzen sind die runden wohlriechender und süßer. Sie sind leicht
dem Wurmstich ausgesetzt, wie auch die Bäume selbst, die am besten
an kalten, feuchten Stellen gedeihen.“ Palladius im 4. Jahrhundert
sagt. „Die Spierlingsbäume (~sorbus~) werden im April gepfropft,
und zwar auf andere Spierlingsbäume, auf Quitten und auf Weißdorn.
Man hebt die Früchte in irdenen, gut geschlossenen Gefäßen auf,
die man an einem trockenen, sonnigen Orte in die Erde gräbt; auch
zerschneidet man sie in Stücke und dörrt diese an der Sonne. Diese
Schnitzchen kocht man dann, wenn sie gegessen werden sollen. Man
hängt ferner die Früchte einzeln an einem schattigen, trockenen
Orte auf, soll auch Wein und Essig aus ihnen gemacht werden.“
Nördlich der Alpen werden die Spierlingsbäume zuerst im ~Capitulare
de villis~ Karls des Großen von 812 und im Entwurf des St. Galler
Klostergartens vom Jahre 820 erwähnt. Seine im Hochsommer in großen
Trauben reifenden scharlachroten bis gelben Beeren, die besonders von
den Drosseln begierig gefressen werden, dienen, wie auch diejenigen
des Elsenbeerbaumes (~Sorbus torminalis~), vielfach zur Herstellung
eines würzig schmeckenden, starken Schnapses, der besonders gegen
Durchfall getrunken wird. Der Baum, der sie liefert, ist ursprünglich
in Südeuropa zu Hause und verdankt seine Überführung nach dem Norden
ebenfalls den Römern. Im Mittelalter wurde er wie die Mispel häufig
kultiviert. In Süddeutschland und Frankreich wird er noch jetzt
vielfach als Obstbaum gezogen, doch hat hier seine Kultur nie größere
Bedeutung erlangt, so wenig als diejenige des +Weißdorns+ (~Crataegus
oxyacantha~), dessen als +Rotdorn+ bezeichnete rotblühende Form als
prächtiger Baum überall gezüchtet wird. Seine roten, wenig fleischigen,
als +Mehlbeeren+ bezeichneten Früchte werden von den anspruchslosen
Kindern gern gegessen. Bloß einige neuerdings bei uns eingeführte
amerikanische Arten, wie ~Crataegus coccinea~ haben saftigere, auch von
den Erwachsenen gern genossene Früchte von der Größe einer Kirsche,
die auch wegen ihrer prächtigen, lebhaft roten Farbe ein Schmuck des
Baumes sind. Immerhin ist dieser bei uns einheimische Strauch, der
häufig in Wäldern der Gebirgsgegenden wild vorkommt, insofern für die
Obstbaumzucht von Bedeutung, als er als Unterlage zum Aufpfropfen
edler Birnensorten dient. Aber auch die leuchtend roten Scheinfrüchte
der einheimischen wilden und verwilderten Rosen, die +Hagebutten+,
bieten in ihrem fleischig gewordenen Blütenboden nach Entfernung der
ihn innen bedeckenden kleinen, weichen Haare und der eingeschlossenen
einsamigen, nußähnlichen Früchtchen mit Zucker gekocht ein durch
seinen Wohlgeschmack ausgezeichnetes Fruchtmus, das, als „Buttenmost“
bezeichnet, geradezu einen Leckerbissen bildet, dessen einfache
Abkunft man ihm gar nicht anmerken würde. Aber auch roh bilden sie,
wenn ein Frost über sie gegangen ist und sie infolgedessen einen süßen
Geschmack erlangt haben, eine noch heute von den Kindern gern gegessene
Speise. Schon die Pfahlbauern müssen sie gesammelt und gegessen haben;
denn man fand die Samenkerne der Hundsrose in größerer Menge in den
spätneolithischen Pfahlbauten von Robenhausen und Moosseedorf.

Zur Pfahlbauzeit war man ja in bezug auf die pflanzliche Nahrung
sehr wenig wählerisch, so hat man außer den Hagebutten auch die
schwarzen +Holunder+- und +Attichbeeren+ (von ~Sambucus nigra~ und
~S. ebulus~), dann die Wasser- und Buchnüsse, die Mehl- und anderen
Beeren wie Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren, Heidel- und Preißelbeeren,
die Haselnüsse, Holzäpfel und Holzbirnen, Schlehen und Wildkirschen
gesammelt und gegessen. Reste von der +Kornelkirsche+ (~Cornus mas~)
sind nicht unter jenem Wegwurfe gefunden worden, so daß der Strauch,
der sich im Frühjahr über und über mit gelben Blüten bedeckt und später
schön kirschrote, glänzende Steinfrüchte von pflaumenähnlicher Gestalt,
nur bedeutend kleiner und von säuerlichem Geschmack, reifen läßt,
damals noch nicht nördlich der Alpen vorkam. In den Pfahlbautenresten
von Castione bei Parma in Oberitalien sind seine Fruchtsteine dagegen
zahlreich gefunden worden. Im ganzen Altertum wurden seine Früchte
gegessen. In der Ilias und Odyssee werden sie als ~kranía~ erwähnt,
auch Theophrast spricht von ihnen. Da man im Altertume aus den geraden
Stämmchen Lanzenschäfte machte, nennt der römische Dichter Vergil die
Kornelle (~cornus~) gut zum Krieg. Plinius unterscheidet männliche
und weibliche Sträucher und findet nur das Holz der ersteren zu
Lanzenschäften geeignet, da es zu den härtesten Holzarten gehöre; das
des weiblichen aber sei schwammig. Was für eine Pflanze er unter der
letzteren Bezeichnung meint, läßt sich allerdings nicht sagen. Er sagt:
„Die Kornelkirschen werden zur Speise gezogen und der griechische Arzt
Dioskurides empfiehlt sie zum Einmachen.“ Wie solche Konserven bei den
alten Römern hergestellt wurden, teilt uns sein Zeitgenosse Columella
mit. Er sagt in seinem Buche über den Landbau: „Die Kornelkirschen,
welche wie Oliven gegessen werden, die Nagelpflaumen (eine gewisse
Sorte der Kulturpflaume), Haferpflaumen (auch Krieche von ~Prunus
insititia~, stammt wahrscheinlich aus dem Orient, ist dornig und
einem Schlehenbaume ähnlich, trägt ebensolche, nur doppelt so große
Früchte je nach den Kultursorten von dunkelblauer, rötlicher, gelber
oder grüner Farbe und säuerlichem Fruchtfleisch, weshalb sie schon im
Altertum in Südeuropa häufig angepflanzt wurde) und die verschiedenen
Sorten von Birnen und Pflaumen werden in folgender Weise eingemacht.
Man sammelt sie, wenn sie weder überreif, noch allzu unreif sind.
Sie werden einen Tag lang im Schatten getrocknet und dann mit einer
Mischung von gleichviel Essig und eingedicktem Most übergossen. Es ist
auch etwas Salz beizufügen, damit keine Würmchen oder andere Tierchen
in der Masse entstehen. Noch besser ist es übrigens ⅔ eingedickten
Most und nur ⅓ Essig zu nehmen. Die Birnen sammelt man, wenn sie der
Reife nahe sind, untersucht sie genau, ob sie keine Fehler oder Würmer
haben, legt sie in einen irdenen, ausgepichten Topf, gießt aus halb
eingetrockneten Trauben bereiteten Wein oder eingedickten Most darüber,
so daß der Topf voll und jede Birne mit der Flüssigkeit bedeckt ist,
verschließt den Topf mit einem Deckel und verstreicht den Ritz mit
Gips. Übrigens können die Birnen wie die Äpfel auch in Honig aufbewahrt
werden. Ich rate wenigstens so viele in Honig zu legen, daß sie für
Fälle vorrätig sind, in denen sie Kranken nützlich sein können. Mit
anders eingemachten darf man sie jedoch nicht mischen, sonst verdirbt
eines das andere. Sonst werden Äpfel und Birnen von recht süßem
Geschmack, die aber noch nicht ganz reif sein dürfen, mit einem aus
Rohr oder Knochen verfertigten Messer zerschnitten und an die Sonne
gelegt, bis sie eintrocknen. Hat man recht viel solcher gedörrter
Äpfel- und Birnenschnitzchen in Vorrat, so sind sie nebst getrockneten
Feigen ein sehr wichtiger Teil der ländlichen Nahrung für den Winter.“
In Rußland werden die Kornelkirschen viel gegessen und auch mit Zucker
eingemacht. Auch bei den Türken bilden sie eine beliebte Speise und
werden unter dem griechischen Namen ~krania~ überall auf den Straßen
von Konstantinopel, Smyrna usw. von Händlern ausgeboten. Mit Wasser
verdünnt bildet ihr Saft ein angenehmes, Scherbet (vom arabischen
~scharab~ für Trank) genanntes Getränk. Ebenso werden die süßen
pflaumengroßen Früchte von ~Prunus ursina~, eines bedornten baumartigen
Strauchs Vorderasiens, der besonders am Antilibanon in Menge wild
wächst, wie auch diejenigen des kleinen, ganz der Erde angepreßten
Gebirgsstrauchs ~Prunus prostrata~, sehr gerne gesammelt und gegessen.

Eine weit größere Rolle als diese doch recht bescheidenen, kaum
kultivierten Früchte spielen die zu den Rosenblütlern gehörenden
+Kirschen+ und +Pflaumen+. Diese sind in den edlen Kultursorten
erst in geschichtlicher Zeit nach Südeuropa und von da über die
Alpen nach Norden gelangt. Die vorgeschichtlichen Europäer kannten
als Steinobst einzig die herben, wenig schmackhaften Früchte der
+Vogelkirsche+ (~Prunus avium~), der +Traubenkirsche+ (~Prunus
padus~) und +Schlehe+ (~Prunus spinosa~). Reste von ihnen sind in den
neolithischen Pfahlbauten der Schweiz, Italiens und Österreichs und in
den verschiedensten bronzezeitlichen Stationen Mitteleuropas gefunden
worden. Auch die primitiveren Völker des Altertums sammelten sie noch,
um sich ihrer als Speise zu bedienen. Bei manchen Volksstämmen erfreute
sich die Traubenkirsche besonderer Beliebtheit. So berichtet uns der
griechische Geschichtsschreiber Herodot (484 v. Chr. in Halikarnassos
geboren und um 424 zu Thurii in Unteritalien gestorben) von den
Argippäern, „plattnasigen Leuten mit langem Kinn, die nördlich von den
Skythen am Fuße hoher Berge wohnen und eine eigene Sprache reden“, --
man hat in ihnen wohl mit Recht die Vorfahren der heutigen Baschkiren
am Südende des Uralgebirges vermutet -- daß sie von den Früchten eines
~póntikon~ genannten feigenbaumgroßen Baumes leben, der saubohnengroße,
kernhaltige Früchte besitzt. „Die Argippäer schlagen die reifen Früchte
in Tücher, pressen eine dicke, schwarze Flüssigkeit heraus, welche
~aschy~ heißt. Diese genießen sie ohne Beimischung oder mit Milch. Aus
den Trebern machen sie Kuchen, welche ihre Speise sind.“ Dieses von
Herodot beschriebene Verfahren traf der deutsche Forscher Adolf Ermann,
wie er in seiner Reisebeschreibung durch Sibirien berichtet, noch bei
den heutigen Baschkiren, in deren Sprache sich merkwürdigerweise noch
derselbe Name für den Traubenkirschsaft wie vor mehr als 2000 Jahren,
nämlich ~atschui~, findet. Daraus dürfen wir mit Recht schließen, daß
Herodot unter dem ~póntikon~ den Traubenkirschbaum verstand.

Auch die Früchte der in ganz Mittel- und Südeuropa wildwachsend
angetroffenen +Schlehe+ (~Prunus spinosa~) wurden trotz ihres herben
Geschmacks, der erst nachdem Frost auf sie eingewirkt hat etwas
angenehmer säuerlich wird, von den unverwöhnten Gaumen der Menschen
der Stein- und frühen Metallzeit gegessen und teilweise ein Mus
daraus gemacht, wie uns der ältere Cato aus der ersten Hälfte des
2. vorchristlichen Jahrhunderts von den Römern berichtet. Noch die
später heilig gesprochene Äbtissin Hildegard, Vorsteherin des Klosters
Rupertsberg bei Bingen (1098-1197), führt die Schlehe unter den
Obstbäumen ihrer Zeit an. Bis in die Neuzeit hinein war Schlehenmus
eine auf dem Lande beliebte Zukost zu Brot, auch wurde daraus eine
Art Schnaps gebrannt. In der Moldau-Wallachei werden die Schlehen roh
gegessen und auch getrocknet für den Winter aufbewahrt. Mit Traubenmost
zusammengestampft geben sie den roten, mandelartig schmeckenden
Schlehenwein.

Die heutige Kulturform der +Süßkirsche+ (~Prunus avium~) ist zweifellos
im nördlichen Kleinasien von einer dortigen Art Vogelkirsche gezüchtet
worden. Der römische Naturkundige Plinius der Ältere berichtet um die
Mitte des 1. christlichen Jahrhunderts, daß die Kirsche ihren Namen
~kérasos~ von der gleichnamigen Stadt an der Südküste des Schwarzen
Meeres zwischen Sinope und Trapezunt erhielt, die im Jahre 68 v. Chr.
durch den römischen Feldherrn Lucius Licinius Lucullus zerstört wurde.
Dieser durch seinen Tafelluxus und seine Schlemmerei sprichwörtlich
gewordene vornehme Römer habe von dorther im Jahre 64 v. Chr. den
Kirschbaum bei seinem Triumph in Rom aufgeführt und so nach Italien
verpflanzt. Die Stelle in seiner Naturgeschichte lautet wörtlich
folgendermaßen: „Ehe Lucius Lucullus den Mithridates besiegt hatte,
wuchsen in Italien keine Kirschbäume (~cerasus~). Im Jahre 680 nach
Roms Erbauung brachte er den ersten aus dem Pontusgebiet nach Italien,
und er hat sich in weniger als 120 Jahren bis Britannien verbreitet.“
Merkwürdigerweise erwähnt aber der griechische Geschichtschreiber
Plutarchos (50-120 n. Chr.) diese Tatsache in seinem „Leben des
Lucullus“ mit keinem Wort. Jedenfalls hat es schon lange vor
Lucullus kleine Süßkirschen in Italien gegeben, nur hat dieser Römer
eine besonders edle Sorte aus dem von ihm verwalteten Kleinasien
mitgebracht, wie auch Servius in einer Erläuterung zu Vergils Georgica
zur Tat des Lucullus hinzufügt: „Übrigens wuchsen in Italien schon
vor der Zeit des Lucullus Kirschen, aber harte.“ Jedenfalls müssen,
wie schon aus der griechischen Benennung dieser Frucht hervorgeht, zu
des Lucullus Zeit um die sinopische Kolonie Kerasos Edelkirschen von
besonderer Güte kultiviert worden sein, denn zweifellos erhielt jene
kleinasiatische Stadt ihren Namen von den in großer Zahl um sie herum
angepflanzten Edelkirschbäumen und nicht umgekehrt die Kirsche ihren
Namen von jener Stadt, wie die alten Autoren sagen. Übrigens sollen
nach Koch die Bewohner der pontischen Gebirge noch heute die Süßkirsche
mit dem Namen ~kirash~ bezeichnen. Derselbe Autor weist auch auf eine
Mitteilung des griechischen Arztes Dioskurides aus der Mitte des 1.
Jahrhunderts n. Chr. hin, wonach der pontische „Kerasia“-Baum Gummi
ausschwitze, eine Erscheinung, die ausschließlich der Süßkirsche und
niemals der Sauerkirsche zukommt. Dieser Kirschgummi soll nach den
Angaben dieses griechischen Arztes „ein gutes Mittel gegen den Husten
und überhaupt gesund sein“.

Auf kleinasiatischem Boden, am Idagebirge und bei Milet, scheint man
veredelte Süßkirschen schon zur Zeit des Königs Lysimachos gekannt zu
haben, der 361-281 v. Chr. lebte, nach dem Tode Alexanders des Großen
als einer von dessen Feldherrn Thrakien zu einer selbständigen Satrapie
erhob und sich 306 mit den übrigen Diadochen den Königstitel beilegte.
Ja, schon Theophrastos und sein Zeitgenosse Diphilos von Siphnos aus
dem Ende des 4. vorchristlichen Jahrhunderts beschreiben den Kirschbaum
als einen in Griechenland bekannten und angebauten Fruchtbaum. Ersterer
sagt, man erkenne den Baum schon von weitem, er sei im ganzen nicht
sehr reich an Ästen, habe weiße, der Birnenblüte ähnliche Blüten und
rote Früchte so groß wie Saubohnen. Er wachse mit Linden zusammen
vorzüglich an Gewässern und schwitze einen Gummi aus. Daß Theophrast
ihn so ausführlich beschreibt, beweist, daß er für die meisten seiner
Landsleute noch etwas Neues war.

Bei dem regen Verkehr der Griechen untereinander konnte es nicht
ausbleiben, daß der edle Süßkirschbaum früh in die griechischen
Kolonien nach Sizilien und Unteritalien gelangte. Doch wurde er von
hier erst verhältnismäßig spät an die Römer abgegeben. So nennt noch
der ältere Cato, der im Jahre 149 v. Chr. gestorbene unversöhnliche
Gegner Karthagos, in seinen Schriften über den Landbau die Kirsche als
Kulturgewächs überhaupt nicht, und der im Jahre 27 v. Chr. gestorbene
Varro, einer der gelehrtesten Männer Roms, gedenkt ihrer nur ein
einziges Mal, indem er sagt, daß der Kirschbaum (~cerasus~) zur Zeit
des kürzesten Tages gepfropft werde. Servius bezeugt, daß in Italien
schon vor der im Jahre 64 v. Chr. erfolgten Heimkehr des Lucullus
aus Kleinasien, wo er als Statthalter amtete, Kirschbäume gewachsen
seien, aber nur solche mit kleinen, harten Früchten. Demnach scheint
also der Feinschmecker Lucullus nur eine besonders großfrüchtige
und wohlschmeckende Kulturform der Süßkirsche in Mittelitalien
angesiedelt zu haben. Von hier aus verbreitete sich der Obstbaum durch
die Vermittlung der Römer nach Norden, so daß er also nach Plinius
schon 120 Jahre nach jener Kulturtat des reichen Lucullus bis nach
Britannien vorgedrungen war. Derselbe Plinius sagt fernerhin: „Es
werden verschiedene Sorten Kirschen gezogen, gute auch in Belgien
und am Rhein. Kürzlich ist durch Pfropfen auf Lorbeer eine Sorte
geschaffen worden, die ~laurea~ heißt, herb, aber nicht unangenehm
schmeckt. Der Kirschbaum liebt einen kühlen Standort, seine Früchte
reifen früh, man trocknet sie auch an der Sonne oder bewahrt sie wie
Oliven in Fässern auf. In Ägypten ist es ihm zu warm, so daß dort
der Kirschbaum selbst bei der größten Sorgfalt nicht gedeiht.“ Und
der römische Ackerbauschriftsteller Palladius im 4. Jahrhundert
n. Chr. schreibt: „Der Kirschbaum liebt einen kalten Standort, an einem
warmen bleibt er klein, einen heißen erträgt er gar nicht. Er liebt
Berge und Hügel. Junge wilde Kirschstämmchen versetzt man im Oktober
oder November in den Garten und veredelt sie anfangs Januar. Man sät
auch die Früchte und aus diesen kommen die Bäumchen äußerst schnell.
Ich habe auch selbst erlebt, daß Kirschzweige, die ich als Stützen in
Weingärten gesteckt hatte, schnell zu Bäumen heranwuchsen. Ich habe es
am besten befunden, zwischen Rinde und Holz zu pfropfen. Man pfropft
Kirschreiser auf Kirschbäume, Pflaumenbäume, Platanen; andere sagen
auch, man könne sie auf Pappeln pfropfen. Der Kirschbaum steht gern
einzeln, liebt das Behacken, verdirbt aber durch Mist. Martialis sagt,
wenn man Kirschen (~cerasum~) ohne Kern habe wolle, so müsse man den
Baum auf 2 Fuß zurückschneiden, dann bis zur Wurzel spalten, das Mark
ganz herauskratzen, beide Teile zusammenbinden und die Wunde mit Mist
verstreichen. Nach Jahresfrist ist die Wunde fest verwachsen. Nun wird
der Stamm mit Reisern, die noch keine Frucht getragen, gepfropft, und
diese tragen dann, wie Martialis versichert, kernlose Früchte. (Dies
ist natürlich Unsinn!) Kirschen werden nur aufbewahrt, wenn sie an der
Sonne getrocknet sind.“ Der römische Arzt Celsus meint: „Die Kirsche
ist dem Magen gesund,“ und sein griechischer Kollege Dioskurides sagt:
„Der Genuß frischer Kirschen (~kerásion~) hat andere Wirkung als der
getrockneter.“

Als aus dem Pontusgebiet, einer Gebirgsgegend mit kalten Wintern
stammend, fühlte sich dieser Fruchtbaum nördlich der Alpen offenbar
besonders wohl und zeitigte hier besonders wohlschmeckende Früchte,
die zudem den großen Vorzug besaßen, zu einer Zeit zu reifen, da die
übrigen Obstarten noch im Rückstande waren. In dem gleichmäßig milden
Italien hatte er eben diese für ihn günstigsten Verhältnisse nicht
gefunden.

Jedenfalls haben sich unter den verschiedenen Kirschenarten, die von
den römischen Schriftstellern der Kaiserzeit erwähnt werden, auch
+saure Sorten+ befunden; denn auf zwei Wandgemälden in Pompeji sollen
nach dem Urteil gewiegter Kenner auch Darstellungen von Sauerkirschen
abgebildet sein. Weiterhin hat man, was noch viel mehr besagen will,
in dem Schachtbrunnen des befestigten Lagers der Saalburg bei Homburg
vor der Höhe unzweideutige Kerne der Sauerkirsche gefunden. Der sie
liefernde Baum, die +Sauerkirsche+ (~Prunus cerasus~), dürfte in
Transkaukasien, wo er heute noch wildwachsend angetroffen wird und wo
auch die Süßkirsche besonders üppig gedeiht, heimisch sein. Er scheint
eine Abart der Vogelkirsche von geringerer Größe und im Gegensatz zu
jener, die unterseits behaarte Blätter besitzt, mit völlig kahlen
Blättern zu sein, die auch viel leichter als jene Wurzelschößlinge
treibt. Diese Sauerkirsche kam etwas später als die Süßkirsche zu
den Griechen und Römern. Deren Einführung muß durchaus unbemerkt vor
sich gegangen sein; wenigstens erfahren wir nichts darüber von den
Schriftstellern des Altertums, die sonst alles Neue gewissenhaft
anzuführen pflegen. Süße und sauere Arten haben wir uns jedenfalls
auch unter den verschiedenerlei Sorten von Kirschbäumen (~ceresarii~)
zu denken, die im ~Capitulare de villis~ Karls des Großen angeführt
werden. Im Laufe des Mittelalters hat sich die Kirschenzucht in
Mitteleuropa intensiv entwickelt und spielt heute für viele Gegenden
eine bedeutende Rolle, indem die Früchte, soweit sie nicht frisch
gegessen werden, zur Bereitung einer trefflichen Konfitüre und eines
starken Schnapses, des Kirschwassers, in England ~cherry brandy~
geheißen, benutzt werden.

Mit der Frucht übernahmen die alten Deutschen auch die Bezeichnung
der Römer dafür; denn das deutsche Wort Kirsche ist so gut wie das
französische ~cerise~ und das englische ~cherry~ vom lateinischen
~cerasus~ abzuleiten. Zuerst hieß die Frucht Kerasbeere, dann
Kersbeere, Kerschbeere und schließlich einfach Kersche oder Kirsche.
Noch vielfach wird in Norddeutschland das aus dem Kersbeere entstandene
Kesber oder Kesper dafür gebraucht. Die Bezeichnung Wissel dagegen,
aus dem unser Weichsel wurde, scheint der alte vorrömische Name der
Deutschen für die einheimische Vogelkirsche zu sein, der dann speziell
auf die Sauerkirsche übertragen wurde. Die +Felsenkirsche+ oder der
+echte Weichsel+ (~Prunus mahaleb~) mit kleinen, blauschwarzen,
bitterlichen Früchten stammt aus Südosteuropa und dem Orient.
~Mahaleb~ ist die ursprüngliche arabische Bezeichnung des Gewächses,
das erst im 16. Jahrhundert nach Westeuropa kam und namentlich in
Frankreich rasch Verbreitung fand. Wegen des wahrscheinlich durch
einen Gehalt an Kumarin hervorgebrachten Wohlgeruchs seines Holzes
und namentlich seiner Rinde wird es zur Parfümierung von allerlei
Spezereien gebraucht, besonders aber zur Herstellung von wohlriechenden
Pfeifenrohren verwendet, indem namentlich im Elsaß und um Baden bei
Wien die Kultur des Weichsels, dessen Stockausschläge benützt werden,
im großen Maßstabe getrieben wird.

Dem deutschen Schlehe, althochdeutsch ~slêha~, entspricht das slawische
~sliva~ in der Bedeutung von Pflaume, wie dem französischen ~crèque~
das deutsche Krieche und das niederdeutsche Kreke nachgebildet sind.
Weit edler als die Schlehe ist die +Pflaume+, die bereits von den
Griechen der älteren Zeit als Obst gekannt und geschätzt war unter
der Bezeichnung ~kokkýmēlon~ (deren erste Hälfte wahrscheinlich ein
orientalisches Wort ist und kaum Kuckuck bedeutet). In einer der
Idyllen des aus Syrakus gebürtigen griechischen Dichters Theokrit, die
ums Jahr 280 v. Chr. verfaßt wurde, wird die Ankunft der Geliebten
so süß genannt wie der Frühling im Gegensatz zum Winter und die
Pflaume im Gegensatz zur Schlehe (~brábylon~). Der Begründer der
Botanik Theophrast im 4. vorchristlichen Jahrhundert spricht vom
Pflaumenbaum und vom Gummi, der aus ihm quillt und vielfach ärztliche
Verwendung fand. Neben der Bezeichnung ~kokkýmēlon~ kennt er auch den
Namen ~prúmnon~, unter welchem die Pflaume von den Griechen zu den
Römern gelangte, welche daraus ~prunum~ machten. Der berühmte, 131
n. Chr. in Pergamon geborene und um 200 in Rom verstorbene griechische
Arzt Claudius Galenos berichtet, daß die Frucht des Pflaumenbaums
(~kokkymḗlea~) in Asien ~prúmnon~ heiße. Der Pflaumenbaum (~Prunus
insititia~) wächst in Südeuropa und durch Kleinasien bis zum Kaspischen
Meere wild und wurde, wie die Kulturschichten der neolithischen und
bronzezeitlichen Pfahlbauniederlassungen der Schweiz, Oberitaliens und
Österreichs beweisen, schon in früher vorgeschichtlicher Zeit durch
die regen Handelsbeziehungen mit dem Süden in Mitteleuropa eingeführt,
wo der Baum dann später, der menschlichen Aufsicht entwachsen,
verwilderte. Die großfrüchtige Kulturpflaume aber ist gleich der
Kirsche in den Ländern südlich vom Schwarzen Meer, in Armenien und
Transkaukasien, aus der dort heimischen Wildpflaume gezüchtet worden,
während die größere +Zwetsche+ (~Prunus domestica~) im Kaukasus und
nördlichen Persien heimisch ist. Die Kultur dieser Steinobstarten kam
etwa im 5. vorchristlichen Jahrhundert und diejenige der Pflaume etwas
später nach Syrien, wo sie besonders um die Stadt Damaskus in später
als besonders wohlschmeckend gerühmten Arten kultiviert wurde. Das
Wort Zwetsche soll nach Schmeller aus dem griechischen ~damáskenon~
entstellt sein, eine Deutung, die jedenfalls falsch ist. Zu Beginn des
3. vorchristlichen Jahrhunderts, d. h. nach Eröffnung des Orients durch
Alexander den Großen, kamen diese Steinobstarten nach Griechenland und
über die süditalischen griechischen Pflanzstädte etwa zu Anfang des 2.
vorchristlichen Jahrhunderts unter dem griechischen Namen ~prúmnon~ zu
den Römern. Der ältere Cato (234-149 v. Chr.) nennt in seiner Schrift
über den Landbau den Pflaumenbaum nur einmal als einen in seiner
römischen Heimat wenig bekannten Obstbaum. Plinius dagegen behauptet,
daß alle Pflaumenarten erst nach Cato in Mittelitalien eingebürgert
worden seien. Jedenfalls wurden sie erst im augusteischen Zeitalter in
den Gärten der Römer häufiger gepflanzt, nachdem besonders die Krieche,
d. h. die runde, schwarzbraune Pflaume und die gelbe Mirabelle durch
die Kriegszüge des Pompejus in Westasien den Römern bekannt geworden
waren. Sie schätzten diese Früchte so, daß sie nach Plinius schon in
der zweiten Hälfte des 1. christlichen Jahrhunderts in den Gärten der
vornehmen Römer in großer Menge und zahlreichen Spielarten gezogen
wurden. Dieser Autor sagt in seiner Naturgeschichte: „Es gibt eine
ungeheure Schar von Pflaumen, bunte, schwarze, weiße und solche, die
man Gerstenpflaumen nennt, weil sie mit der Gerste reifen. Eine andere,
ebenso gefärbte Sorte, welche später reift und größer wird, heißt
Eselspflaume, weil sie sehr wohlfeil ist. Es gibt auch Pflaumen von
Onyxfarbe, aber beliebter sind die wachsgelben und purpurroten, von
den ausländischen die wegen ihres Wohlgeruchs geschätzte armenische
(unter letzterer ist zweifellos die Aprikose verstanden).“ Die mit der
Obstkultur vertrauten syrischen und kleinasiatischen Sklaven veredelten
auch diese Frucht immer mehr und pfropften die edle Pflaume sogar auf
den wilden Schlehdorn. So berichtet der Dichter Horaz (65-8 v. Chr.),
daß bei seinem Landhause Pflaumen auf Dornen wüchsen, und Plinius
meldet: „Merkwürdig sind die auf Walnußbäume gepfropften Pflaumen; sie
sehen aus wie Nüsse, schmecken aber wie Pflaumen und heißen Nußpflaumen
(~nuciprunum~). In Bätica (der nach dem Bätisflusse genannten,
Südspanien umfassenden altrömischen Provinz) pfropft man Pflaumen
auf Apfelbäume und auf Mandelbäume. Der Kern der letztgenannten ist
wie ein Mandelkern. Als beste Art gilt die Damaszenerpflaume; dieses
Erzeugnis Syriens, das seinen Namen von Damaskus hat, wächst auch seit
langer Zeit in Italien, wo sie jedoch einen größeren Kern und weniger
Fleisch hat, auch beim Trocknen keine Runzeln bekommt, weil ihr die
heimische Sonne fehlt.“ Nach dem griechischen Arzt Claudios Galenos
aus Pergamon (131-200 n. Chr.) ist die spanische Pflaume die beste
nach der Damaszener, und Palladius im 4. Jahrhundert n. Chr. gibt an,
daß die Pflaume im Januar am besten auf Pflaume gepfropft werde; man
könne sie auch auf Pfirsich-, Mandel- und Apfelbäume pfropfen, aber
die Früchte verlören dabei an Güte. „Die Pflaumen werden auf Hürden an
der Sonne getrocknet, auch taucht man frisch gepflückte Pflaumen in
siedendes Meer- oder Salzwasser und trocknet sie dann entweder in einem
Backofen oder an der Sonne.“ Der erwähnte Galenos sagt: „Die Pflaumen
(~kokkýmēlon~) werden fast alle bei der Reife süß, geben nicht viel
Nahrung, können im Vorrat getrocknet werden.“ Dioskurides meint, daß
die Pflaumen dem Magen nicht sehr gut bekommen, am besten noch die
getrockneten Damaszener Pflaumen.

Gleich den übrigen Obstarten haben die Römer auch die Pflaumen und
Zwetschen nördlich von den Alpen angesiedelt. Diese Einführung der dort
vorher unbekannten Fruchtbäume nach dem Norden haben die Funde aus den
Schachtbrunnen der Saalburg und aus einem spätrömischen Pfahlbau bei
Fulda in Form von Steinkernen dieser Obstarten bestätigt. Wie aus dem
griechischen ~prúmnon~ das ~prunum~ der Römer entstand, so ging aus dem
Pluralis des Lateinischen ~pruna~ das althochdeutsche ~pfruma~ und aus
diesem schließlich ~pflume~, Pflaume hervor. Im ~Capitulare de villis~
Karls des Großen aus dem Jahre 812 werden ~prunarii diversi generis~,
d. h. Pflaumenbäume verschiedener Sorten erwähnt, worunter wohl nicht
bloß Pflaumen-, sondern auch Zwetschenbäume in mehreren Spielarten zu
verstehen sind.

Die großfrüchtige Zwetsche, die in Turkestan und im südlichen
Altaigebirge ihre Heimat hat, kam erst mit den Turkvölkern nach dem
Abendlande. Erst vor 400 Jahren wurde sie durch die massenhafte
Einfuhr der getrockneten Früchte aus Ungarn und Mähren, wohin sie
von der Türkei aus bald gelangte, bei uns bekannt. Auch die von der
in Turkestan und Vorderasien heimischen und in Persien angebauten
+Kirschpflaume+ (~Prunus cerasifera~) stammende Mirabelle -- die
~Myrobalane~ der älteren Botaniker -- kam erst in der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts in Mitteleuropa in Aufnahme. In Europa wird die
großfrüchtige Türkenzwetsche seit längerer Zeit besonders an der
unteren Donau im großen gezogen. Dort begegnet man, besonders in
Bosnien, ganzen Wäldern von Zwetschenbäumen, deren Früchte im Herbst
4-6 Wochen hindurch die Hauptnahrung der Bevölkerung bilden und in
gedörrtem Zustande massenhaft nach Europa und anderwärts ausgeführt
werden. Von dem überreichen Ertrag wird auch ein beliebter Branntwein,
Sliwowitza genannt (von ~sliva~, verwandt mit Schlehe, Zwetsche),
hergestellt, der in Unmengen im Lande selbst konsumiert und auch
exportiert wird.

Im Laufe des Mittelalters ist in dem durch seine Obstbaumzucht
hervorragenden Frankreich außer anderen saftigen, süßen Spielarten
auch die +Reineclaude+ hervorgegangen, die einer nicht festgestellten
französischen Königin zu Ehren diesen Namen erhielt, wie heute noch
neue Varietäten von Obst oder Blumen gerne nach vornehmen Damen
genannt werden. Von Europa sind dann die verschiedenen Pflaumen- und
Zwetschenarten nach Nordamerika eingeführt worden, wo sie sich rasch
einbürgerten. Gleich allen anderen Obstarten werden sie besonders in
Kalifornien im großen gezüchtet und in eisgekühlten Eisenbahnwagen
überallhin durch die Vereinigten Staaten versandt, wo sie willige
Abnehmer finden.

Edle Früchte hat der Mensch ferner in der armenischen Pflaume oder der
+Aprikose+ (~Prunus armeniaca~) und der persischen Pflaume oder dem
+Pfirsich+ (~Prunus persica~) -- früher nach Linné ~Amygdalus persica~,
d. h. persische Mandel genannt -- gewonnen. Beide Fruchtbäume stammen
aus dem Innern Asiens noch jenseits des Kirschen- und Pflaumenlandes,
und zwar die Aprikose aus dem östlichen Turkestan, der Dsungarei,
der südlichen Mandschurei und Nordchina und der Pfirsich (chinesisch
~tao~) aus Mittelchina, wo in den Gebirgen der Provinzen Schen-si
und Kan-su eine als ~Prunus davidiana~ bezeichnete sehr nahestehende
Art mit kleinen Früchten, die vielleicht die Stammpflanze des
Kulturpfirsichs ist, heute noch wildwachsend angetroffen wird. Das
Volk, das beide Fruchtarten zuerst in seine Pflege nahm, sind die
Chinesen. Aus den Berichten in den chinesischen Annalen wissen wir,
daß ihr Anbau in verschiedenen Varietäten bis ins 3. vorchristliche
Jahrtausend zurückreicht. Nur sehr langsam verbreitete sich ihre Kultur
west- und südwärts. Weder im Sanskrit noch im Hebräischen existiert
ein Name für diese Früchte. Den Ägyptern wurden beide erst in der
griechisch-römischen Periode bekannt.

Wie die Forschungen des Sinologen Bretschneider die bis dahin in
Kleinasien gesuchte Heimat von Aprikose und Pfirsich nach Ostasien
verlegten, so haben sie uns auch einen Einblick in die Wanderung dieser
beiden Steinobstarten nach Westen verschafft. Wir wissen jetzt aus
chinesischen Annalen, daß im Jahre 128 v. Chr. der kühne chinesische
General Tschang-kiën bis zu den Ländern am Oxus und Jaxartes vordrang.
Seit diesem denkwürdigen Zuge entspann sich zwischen den Chinesen und
dem Volke der Ansi, in denen man mit großer Wahrscheinlichkeit die
Parther vermutet, ein lebhafter Handelsverkehr, der das ganze letzte
Jahrhundert v. Chr. andauerte. Dieser muß das Verbreitungsgebiet der
beiden Obstsorten westwärts ausgedehnt haben. Und die Ansi ihrerseits
besorgten den Austausch der aus China kommenden Waren mit den
angrenzenden Distrikten Vorderasiens, mit Persien und Mesopotamien.
Aus Persien gelangte dann der Pfirsichbaum und aus Armenien der
Aprikosenbaum nach der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr., als die
römische Kaisermacht sich nach dem Untergange des Königs Mithridates
im Jahre 63 Armeniens und bald darauf auch Persiens bemächtigte,
zuerst nach dem Lande der Sieger, Italien. Hier nahmen nun die vorhin
erwähnten syrischen Sklaven der vornehmen Römer diese beiden neuen
Fruchtbäume in Pflege, und bald wurden sie auch nach Griechenland und
in die übrigen Provinzen des römischen Reiches gebracht.

Dieser ihrer Geschichte gemäß weiß kein römischer Schriftsteller weder
der ausgehenden Republik, noch des augusteischen Zeitalters irgend
etwas vom Pfirsich. Erst auf einem Wandgemälde der im Jahre 79 n. Chr.
durch den bekannten Vulkanausbruch verschütteten Stadt Pompeji findet
sich eine bildliche Darstellung dieser Frucht, und der bei jener
Katastrophe als Befehlshaber der beim Kap Misenum stationierten
römischen Flotte umgekommene ältere Plinius berichtet, daß zu seiner
Zeit eine einzelne Frucht des Pfirsich (~persica~), der weder in
Italien, noch in Kleinasien und Griechenland heimisch, sondern aus
Persien nach Italien gebracht worden sei, mit 300 Sesterzien, das sind
nach unserem Gelde etwa 45 Mark, bezahlt wurde, so selten und kostbar
war sie damals noch. Man nannte sie nach dem Orte ihrer Herkunft
~persica mala~, d. h. persische Äpfel, auch ~persica~ allein, die
Aprikosen dagegen ~armeniaca mala~, d. h. armenische Äpfel. Aus dem
~persica~ der Römer hat sich dann später das ~pesca~ der Italiener,
das ~pêche~ der Franzosen und das Pfirsich der Deutschen gebildet.
Die ~armeniaca~ dagegen wurden später von den Römern in Anlehnung an
ihre Benennung im Griechischen ~prēkókkion~, die wir bei Dioskurides
und Galen finden, meist als ~praecoqua~ bezeichnet, eine Benennung,
die uns Palladius im 4. Jahrhundert n. Chr. noch anführt, indem er
berichtet, daß die sogenannten Aprikosen im Januar auf Pflaumen
gepfropft werden. Und zwar haben die Römer, wie uns Galen belehrt,
eine bessere Aprikosensorte mit der Bezeichnung ~praecoquum~ versehen,
während sie der geringeren die Benennung ~armeniacum~ beließen. Aus
dem ~praecoquum~ der Römer haben dann die Araber, die bei ihrem
Siegeszuge über Syrien und Nordafrika den Fruchtbaum kennen lernten,
ihr ~albarkuk~ (wobei ~al~ der Artikel ist) gebildet, und diesen
übernahmen dann die Italiener als sie in Sizilien und Unteritalien mit
der sarazenischen Kultur in Berührung kamen und den Fruchtbaum von
dorther kennen lernten. Wie die Italiener aus dem arabischen ~albarkuk~
ihr ~albercocco~ bildeten, formten die Spanier, die die Bezeichnung
mit der Frucht den Mauren entlehnten, ihr ~albaricoque~, woraus das
französische ~abricot~ und aus diesem wiederum das deutsche Aprikose
wurde.

Der griechische Arzt Galenos meint, der Pfirsich sei dem Magen nicht
sehr zuträglich, verdaue sich aber besser, wenn man ihn vor als nach
der Mahlzeit esse. Ein Jahrhundert vor ihm erklärten Dioskurides:
„Der Pfirsich ist eine gesunde Speise, wenn er gehörig reif ist,“ und
Plinius: „Der Pfirsich bekommt einem besser als die Pflaume und das
meiste andere Obst. Bei der Pfirsichsorte, die man ~duracinum~ (aus dem
Griechischen ~dōrakinón~ laut Geoponika) nennt, geht das Fleisch nicht
vom Kern.“ Diese allein läßt sich nach Palladius „auf verschiedene
Weise eine Zeit lang aufbewahren.“ Bei den gewöhnlichen Sorten war dies
nicht möglich; denn Gargilius Martialis klagt: „Man hat auf mancherlei
Weise versucht, Pfirsiche lange aufzubewahren, aber vergeblich.“
Nach Palladius im 4. Jahrhundert n. Chr. kann man Pfirsichbäume aus
Kernen ziehen, die im November oder Januar mit der Spitze nach unten
in tief gegrabene Beete, je zwei Fuß voneinander gelegt werden, oder
auf Wildlinge pfropfen, und zwar auf Pfirsiche, Mandeln, Pflaumen
und Aprikosen. „Am besten werden die Früchte an warmen Stellen, auf
sandigem, feuchtem Boden. Wachsen die Bäume an kalten und windigen
Stellen, so gehen sie ein, wenn sie nicht vor Kälte und Wind geschützt
werden. Im Herbst wird die Erde um die Bäume aufgehackt und sie werden
mit ihren eigenen Blättern gedüngt. Um große Früchte zu bekommen,
begießt man den Baum zur Blütezeit 3 Tage lang mit Ziegenmilch.“

    Tafel 17.

[Illustration:

    (Phot. von E. Reinhardt.)

Blühende Mandelbäume bei Assisi in Umbrien.

Traubenernte in der Provence in Südfrankreich.]

    Tafel 18.

[Illustration: Das Einmachen von Obst in der Konservenfabrik Lenzburg.]

Wie rasch diese geschätzten Obstsorten durch die Römer nordwärts der
Alpen gebracht wurden beweist die Tatsache, daß bereits zu Columellas
Zeit gegen das Ende des 1. christlichen Jahrhunderts eine besondere
gallische Pfirsichsorte bekannt war. In den ältesten Schachtbrunnen
der Römer auf der Saalburg sind, wie bereits erwähnt, sowohl Aprikosen-
wie Pfirsichkerne gefunden worden. Auch im Pfahlwerk des Fuldatales
aus spätrömischer Zeit kamen 25 Pfirsichsteine zum Vorschein; wie
Vonderau berichtet, wurde ein Teil derselben einer Kulturschicht
entnommen, die auch mehrere Bruchstücke der glänzend-roten ~terra
sigillata~ enthielten. Pater de la Croix entdeckte beim Dorfe Sanxay
in Poitou einen kleinen Pfirsichkern in einer Mauer, die aus dem
2.-4. Jahrhundert n. Chr. stammen soll. Ein anderer Fund wurde aus
dem Pfahlwerk von Paladru im Departement Isère aus der Merowingerzeit
gemacht. Unter den ~persicarii diversi generis~, d. h. Pfirsichbäumen
verschiedener Art, die wir im Verzeichnis der Obstbäume aus den
Gärten Karls des Großen 812 erwähnt finden, werden sich jedenfalls
auch Aprikosen befunden haben, welche im Mittelalter teils zu den
Pfirsichen, teils zu den Pflaumen gerechnet wurden. Noch Albertus
Magnus (geb. 1193 in Schwaben, gest. 1280 in Köln), einer der größten
Gelehrten des Mittelalters, nennt den Pfirsich ~prunum persicum~
und die Aprikose ~prunum armeniacum~, und die Botaniker des 16.
Jahrhunderts sahen die Aprikose meist als eine Pfirsichsorte an.

Heute blüht die Kultur der Pfirsiche und Aprikosen außer um Paris, wo
besonders diejenigen von Montreuil berühmt sind, besonders im südlichen
Nordamerika, speziell in Kalifornien, das ganze Bahnzüge davon frisch
oder getrocknet nach den östlichen Vereinigten Staaten versendet.
Ebenso in Südamerika, speziell in Argentinien, wohin diese Obstbäume
durch die Jesuiten gelangten, werden sie im großen gezogen. Jetzt
finden wir in der Nähe der alten Niederlassungen der Spanier reiche
Bestände völlig wildwachsender Bäume, die von den Argentiniern nicht
bloß ihrer Früchte, sondern auch ihres Holzes wegen geschätzt werden.
Oft findet sich der rasch wachsende Baum mitten in den sonst baumlosen
Pampas des Holzes wegen ~kultiviert~.

Auch in Chile spielen sie neben dem übrigen von Europa dorthin
importierten Obst eine große Rolle. Prof. Otto Bürger schreibt
darüber in seinem Buche: Acht Lehr- und Wanderjahre in Chile: „In der
Vorkordillere bilden Pfirsiche, süße und saure Kirschen -- ~cerezos~
und ~guindos~ -- fruchtbeladene Haine. Nach der chilenischen Weihnacht
beginnt die Zeit ihrer Reife. Da sind die Verkaufsstände voll Kirschen,
~duraznos~ und ~priscos~ (verschiedene Sorten Pfirsiche), ~ciruelas~
(Pflaumen) und Frühbirnen. Was umschließt allein das Wort ~durazno~ für
eine Fülle von Früchten, die sich durch Größe, Form, Farbe, Glätte,
Flaum, früheres oder späteres Reifen voneinander unterscheiden und
dementsprechend verschiedene Namen im Volke führen. Der Pfirsich oder
~durazno~ (offenkundig aus dem lateinischen ~duracinum~ abzuleiten)
ist seit der Eroberung in Chile heimisch (1541 wurden die nördlichsten
Provinzen durch die Spanier erobert, nachdem Diego de Almagro 1536
von Peru aus zuerst dorthin vorgedrungen war) und war schon um die
Mitte des 18. Jahrhunderts der gemeinste Obstbaum. Eine grünlichgelbe
Sorte mit roten Wangen, bei welcher der Kern freiliegt, wird ~prisco~
genannt. Die ~duraznos~ werden in Menge getrocknet und dann, wenn es --
wie meistens -- mit dem Kern geschieht, als ~huesillos~ oder ohne ihn
als ~orejones~ bezeichnet und vom Volke mit ~mote~ (gekochten Weizen-
oder Maiskörnern) gegessen. Die ~ciruelas~ (Pflaumen) und ~damascos~
(Aprikosen) sind ebenfalls schon lange in Chile heimisch und gedeihen
wie die ~duraznos~ am besten in Mittelchile, während die Feigenbäume
-- ~las higueras~ --, die im Dezember die größeren und saftigeren
~brevas~ und im Herbste die kleineren und süßen ~higos~ liefern, im
Norden sogar noch besser vorwärts kommen. Die getrockneten Feigen
sind die der zweiten Ernte. Unter ~tunas~ versteht man die Früchte
eines ursprünglich auf den Antillen beheimateten Kaktus (~Opuntia
tuna~). Die ~nisperas~, d. h. Mispeln, sind die gelblichen, rundlichen
Früchte eines japanischen Baumes (~Eriobotrya japonica~), die in ihren
vollständigen, traubigen Fruchtständen gebrochen werden. Sie haben
einen säuerlichen Geschmack und sind ein wenig das Aschenbrödel unter
ihren Genossen. Der Spanier hat einen Spruch:

    „~Quien come nisperas~            Wer (japanische) Mispeln ißt
    ~I bebe cerveza~                  Und Bier trinkt
    ~I beza a mujeres viejas,~        Und alte Weiber küßt,
    ~Ni come, ni bebe, ni beza!~“     Der hat nicht gegessen,
                                               getrunken, geküßt.

Außerdem gibt es bräunlichgrüne Lucumafrüchte von der Größe eines
Apfels von einem aus Peru stammenden dichtbelaubten Sapotaceenbaume
(~Lucuma obovata~). Weiter gibt es in Chile eine wilde Art (~L.
valparadisea~), welche die feuchten und schattigen Schluchten der
Provinzen Aconcagua und Valparaiso bewohnt, deren viel kleinere Früchte
wohl süß, aber zugleich adstringierend schmecken und darum nicht
gegessen werden. Birnen und Äpfel liefert der Süden, vom Rio Biobio ab,
in wahren Prachtexemplaren; es gibt Birnen von einer Größe und süßen
Saftigkeit und Äpfel der verschiedensten Sorten von einer Feinheit
und Reinheit der Zeichnung und des Aromas, die unseren besten nicht
nachstehen. Aus gewissen Sorten wird seit alters Äpfelwein -- ~chicha
de manzana~ -- in vorzüglicher Qualität hergestellt, dessen Fabrikation
von den Deutschen der Provinz Valdivia ausgedehnt und vervollkommnet
wurde.

Und was gibt es noch? Vor allem Trauben, schwarze und gold-grüne, die
ebenfalls wie die Wassermelonen mit rotem Fleisch -- ~sandias~ -- und
die gelben Melonen zu den Artikeln des Massenkonsums gezählt werden
dürfen, so beliebt und billig sind sie, dann Orangen -- ~las neranjas~
--, die aber erst im September am wohlschmeckendsten werden, saure
und süße Limonen, Mandeln, Walnüsse und ~avellanos~, die chinesische
Haselnuß, die schwere Menge, und dann noch etwas echt Chilenisches,
~piñones~, die Samen der Araukarie des Südens. Ferner die einheimische
und europäische Erdbeere, die aus Brasilien oder Peru eingeführte
Ananas und Banane, ~platanos~ genannt, die ~chirimoya~ (~Anona
cherimolia~), eine Frucht von ganz apartem, wunderbarem Aroma, und die
~palta~ (~Persea gratissima~), welche den Lorbeergewächsen zugehört.
Diese reifen in den gegen das Meer hin offenen, warmen und feuchten,
gegen die trockenen, eisigen Winde der Hochkordillere geschützten
~Chacras Quillótas~.“

Welche Fülle von herrlichem Obst hat also nicht die Alte Welt der
Neuen zu ihren zahlreichen einheimischen Produkten hinzugegeben, die
auch sehr schätzenswert sind! Wir werden im folgenden Abschnitte
einige der wichtigsten unter denselben kennen lernen. Sonst sind außer
den +Guajaven+ (~Psidium pyriferum~) mit birnförmigen und dem nahe
verwandten ~Psidium pomiferum~ mit kugeligen, pflaumen- bis apfelgroßen
Früchten vom Ansehen der Orangen, unter deren lederartiger Schale ein
nach innen schön rosenrot gefärbtes, zartes Fruchtfleisch von Erd-
und Himbeergeschmack sich findet, die eirunde und über faustgroße
westindische +Anchojebirne+ (von ~Grias cauliflora~) zu nennen. Unsere
Kirschen vertreten im warmen Südamerika die vorzüglich in Guiana
heimische +Pitanga+ (von ~Eugenia michelii~) und die +Jabuticaba+ (von
~Eugenia cauliflora~). Die Frucht der letzteren von der Größe unserer
Herzkirsche hat unter der zarten, schwarzen Haut ein weißes, weiches,
sehr saftiges Fleisch mit 2-3 Kernen. Sie steht an Geschmack unseren
Kirschen nach, reift in Brasilien am Ende des Winters (September und
Oktober) und ist doppelt geschätzt, da sie zu der Zeit die einzige
Frucht bildet, welche frisch zu haben ist. Eine andere Frucht von
der Größe und Form unserer Pflaumen sind die +Ibametara-Arten+ (von
~Spondias myrobalanus~) u. a., die in Westindien und dem nördlichen
Südamerika wildwachsen und hier überall, wie auch anderwärts in den
Tropen, wohin alle diese Fruchtbäume verbracht wurden, vom Menschen
angepflanzt werden, weil er ihre wohlschmeckenden, süßen Früchte
überaus schätzt, Mus daraus bereitet und allerlei Getränke davon macht.

Kehren wir nach diesem kurzen Abstecher nach Südamerika in unsere
Heimat zurück, so ist in bezug auf die Kultur der Pfirsiche und
Aprikosen zu bemerken, daß sie bei uns nur in südlichen Gegenden
oder an sonniger, geschützter Lage gut gedeihen, aber als Hochstämme
wohlschmeckendere Früchte denn als Spalierbäume liefern. Mit Vorliebe
zieht man sie in den ebenfalls sonnige Lage beanspruchenden Weingärten;
aber auch in den wärmeren Obstgärten gedeihen sie gut. Besonders
die sattroten, direkt dem Stamm aufsitzenden, vor den Blättern
erscheinenden Blüten des Pfirsichs verleihen durch ihre hübsche Färbung
zwischen dem weißen Blust des übrigen Kernobstes und den rosafarben
angehauchten Apfelblüten einem gemischten Obstgarten ein höchst
eigenartiges, manchmal geradezu bezauberndes Gepräge.

Im Gegensatz zum Pfirsich, dessen saftige äußere Fruchtschale gegessen
wird, ißt man bei der verwandten +Mandel+ (~Amygdalus communis~) den
Samenkern, der in einer süßen und bitteren Abart vorkommt. Diejenigen
der letzteren Sorte enthalten in erheblicher Menge die giftige
Blausäure und sind deshalb, in größerer Menge genossen, auch dem
Menschen schädlich, während sie kleinen Tieren sicheren Tod bringen.
Sie dienen vorzugsweise zum Würzen der Speisen. Die süßen Mandeln
dagegen werden ihres Ölgehaltes wegen gegessen und allerlei Gebäck
und Mehlspeisen zugesetzt. Unter der samtig behaarten äußeren Haut,
welche zur Zeit der Reife in einem Längsspalt aufspringt, befinden
sich die in der Regel sehr harten, festen Schalen. Man kultiviert
aber auch Formen mit brüchigen Schalen, die Knack- oder Krachmandeln,
deren Samen wie Nüsse gegessen werden. Die Fruchtknoten aller Kirsch-,
Pflaumen- und Mandelarten, die bekanntlich mit dem Kernobst in die
Familie der Rosazeen gehören, enthalten zwei Samenanlagen, von denen
aber in der Regel nur eine zur Ausbildung gelangt; entwickeln sich
aber in den Knackmandeln beide, so entstehen solche Exemplare, die als
„Vielliebchen“ dienen.

Der Mandelbaum wächst in Afghanistan, Turkestan, Persien wild und
kommt auch hier mit bittern und süßen Samen vor. Indien und Ostasien
ist er ursprünglich fremd; dort hat man auch keine einheimische
Bezeichnung für ihn. In den Schriften des Sanskrit wird er nicht
erwähnt, ebensowenig in der älteren chinesischen Literatur. Erst in
chinesischen Werken des 10. oder 11. Jahrhunderts wird er angeführt,
und zwar als „Baum aus den Ländern der Muhammedaner“. Er scheint also
durch die Handelsbeziehungen der Chinesen mit Baktrien als Tausch
gegen Aprikose und Pfirsich von dort her nach China gelangt zu sein.
Auch in den vorgeschichtlichen Niederlassungen Südeuropas hat man
nirgends Spuren von Mandeln gefunden. Aber in Persien begegnen wir
diesem Fruchtbaum sehr früh. Von dort gelangte er schon vor der
Mitte des letzten vorgeschichtlichen Jahrtausends nach Syrien und
Kleinasien und von da vor dem Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. nach
Griechenland. Seine Frucht wird als ~naxía amygdálē~, d. h. Mandel von
Naxos -- einer Insel der Cycladen, welche, weil in der Mitte zwischen
dem südlichen Kleinasien und Griechenland liegend, eine natürliche
Zwischenstation beim Übergang von Kleinasien nach Griechenland
bildet -- zuerst von Phrynichos, einem Dichter der älteren attischen
Komödie und Zeitgenossen des Aristophanes im 5. Jahrhundert v. Chr.
erwähnt. Bei den attischen Komödiendichtern des 4. vorchristlichen
Jahrhunderts ist seine Frucht als ~amygdálē~ schlechthin schon ganz
gewöhnlich. Von den Griechen lernten dann die Römer den Fruchtbaum
kennen. Noch gegen die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. kennt Cato in
Italien die Mandeln nur als fremde Importware unter der Bezeichnung
„griechische Nüsse“, als Beweis dafür, daß die Römer diese Früchte
durch Vermittlung der Griechen Unteritaliens erhalten hatten. Erst bei
Columella, einem römischen Ackerbauschriftsteller des 1. Jahrhunderts
n. Chr., ist der Mandelbaum unter der griechischen Bezeichnung
~amygdala~ auch in Mittelitalien heimisch, während seine Früchte immer
noch griechische Nüsse heißen. Die Bezeichnung ~amygdala amara~ und
~dulcia~, d. h. bittere und süße Mandeln, treten uns zum erstenmal
in der „Zusammenstellung der gebräuchlichsten Medikamente“ des
Scribonius Largus entgegen, die noch vor der Mitte des 1. christlichen
Jahrhunderts verfaßt wurde. Seither ist die Pflanze in ganz Italien
eingebürgert, und aus dem griechisch-lateinischen ~amygdale~ ist im
Laufe der Jahrhunderte das italienische ~mandorle~ und daraus unser
Mandel geworden. In allen Gärten stehen in Italien die Mandelbäumchen
im Februar und März im Schmucke ihrer schneeigen Blüten, bevor noch die
Blätter hervorgekommen sind. Ihre Früchte sind nicht bloß eine beliebte
Volksnahrung, sondern man gewinnt heute auch aus ihnen ein als sehr
mild geschätztes Öl, aus den bittern dagegen das in der Parfümerie
Verwendung findende Bittermandelöl und ein bei Husten reizmilderndes
blausäurehaltiges Wasser, das übrigens gleicherweise auch aus den
Kirschlorbeerblättern bereitet wird.

Nördlich der Alpen ist der Mandelbaum, soweit er in den klimatisch
milderen Gegenden noch zu gedeihen vermag, erst in nachrömischer Zeit
naturalisiert worden. Bei den Ausgrabungen des römischen Militärlagers
der Saalburg bei Homburg vor der Höhe hat man keine Spur von Mandeln
gefunden, und der Fund einer Mandelschale in dem wahrscheinlich
spätrömischen Pfahlwerk im Tale der Fulda nördlich des Mains wird
von den maßgebenden Forschern mit einem Fragezeichen registriert.
Der althochdeutsche Name ~mandulae~ hat zwar gegenüber dem gelehrten
angelsächsischen ~amigdal~ einen entschieden volkstümlichen Anstrich,
er kann aber wegen des unverschobenen ~d~ frühestens im 8. Jahrhundert
aufgenommen worden sein. Im ~Capitulare de villis~ Karls des Großen vom
Jahre 812 und in dem nach dem Muster desselben abgefaßten Entwurfe zum
St. Galler Klostergarten vom Jahre 820 werden unter den zu pflanzenden
Bäumen auch ~amandalarii~, d. h. Mandelbäume aufgeführt, aber in den
Inventaren der kaiserlichen Gärten vom Jahre 812 fehlen sie.

Der Mandelbaum, der in bezug auf Kälte noch empfindlicher ist als der
Pfirsichbaum, scheint also auch in der Karolingerzeit nur ausnahmsweise
und wohl nur in einigen besonders warmen Landesteilen gezogen worden
zu sein. Obwohl er gegenwärtig am Oberrhein und in der Rheinpfalz
recht gut gedeiht und seine Früchte reift, so pflegen wir doch auch
heute noch die Mandel zu den Südfrüchten zu zählen. Ähnlich war es im
Mittelalter. Die Mandeln, welche damals in Deutschland konsumiert und
zu medizinischen Zwecken verwendet wurden, stammten wohl größtenteils,
wie heute noch, aus Italien. Die Bewohner Nordfrankreichs dagegen
scheinen ihren Bedarf an Mandeln außer aus den südlichen Teilen des
eigenen Landes namentlich aus Spanien bezogen zu haben, wie die
Geschichte des altfranzösischen Namens ~almande~ vermuten läßt.

Die nahe Verwandtschaft zwischen Mandel und Pfirsich spricht sich auch
darin aus, daß beide sehr leicht gekreuzt werden können und auch dann
noch reichlich Früchte tragen. Wie der Pfirsich seine rosenroten,
treibt auch die Mandel ihre weißen Blüten vor der Entfaltung der
Blätter, damit diese um so ausgiebiger von den Bienen befruchtet
werden. Wie in den Mittelmeerländern wird auch im Süden der Vereinigten
Staaten, besonders in Kalifornien, die Mandelkultur manchenorts im
großen getrieben.

In den lichten Wäldern Transkaukasiens und Armeniens ist die wegen
ihrer süßen, saftigen Trauben so geschätzte +Weinrebe+ (~Vitis
vinifera~) zu Hause, wo sie heute noch wild, wenn auch mit kleinen
und wenig schmackhaften, etwas herben Früchten gefunden wird. Als
Schlingpflanze rankt sie sich wie bei uns die Waldrebe von Baum zu
Baum und klettert in die Wipfelregion ans Licht empor. Hier ist sie
wohl zuerst durch Kulturauslese veredelt und zur Kulturpflanze mit
großen, süßen Früchten gemacht worden. Doch ist Westasien nicht die
ausschließliche Heimat dieser Waldliane. Ihr Vorkommen reicht von
hier ostwärts bis in das gemäßigte Mittelasien hinein und westwärts
über ganz Südeuropa und einen Teil Mitteleuropas. Doch wurde sie
hier nirgends kultiviert, sondern, wie Funde aus Südfrankreich, der
Schweiz und Norditalien beweisen, wurden ihre Früchte schon zur
Steinzeit gelegentlich vom Menschen gesammelt und gegessen, wo wir
dann zur Seltenheit einmal ihre harten Samen unter dem Speiseabfall
seiner Niederlassungen finden. Immerhin sind manche Angaben über
das Wildvorkommen der Rebe in Süd- und Mitteleuropa mit Vorsicht
aufzunehmen, da diese Kulturpflanze in den Weinbau treibenden Ländern
leicht verwildert und dann als dort heimisch angesehen wird. So ist es
sehr zweifelhaft, ob die in Baden und im Elsaß gefundenen angeblich
wilden Reben wirklich ursprünglich wild wachsend oder nicht bloß seit
der Einführung des Weinstocks in diesen Gegenden verwildert sind, was
immerhin das wahrscheinlichste sein dürfte, da sonst wilde Reben in
Deutschland außerhalb der Weinbauregion noch nicht nachgewiesen werden
konnten.

Der heute über die ganze Welt ausgedehnte Rebbau hat seinen Ursprung
in den Ländern südlich des Kaukasus und des Kaspisees genommen,
wo die wilde Rebe ganz besonders üppig gedeiht und den Menschen
geradezu zu ihrer Domestikation auffordert. Von Armenien kam er im
4. vorchristlichen Jahrtausend nach Babylonien, Syrien und Palästina
und läßt sich von der 5. Dynastie, d. h. seit 2700 v. Chr. an auch in
Ägypten nachweisen. Über Kleinasien und Griechenland wanderte er dann,
wie wir später bei der Besprechung des Weinbaus eingehender sehen
werden, nach Italien und von da nördlich der Alpen zu den gallischen
und rätischen Stämmen und zuletzt zu den Germanen.

Alle Ausdrücke dieser Völker, die auf den Weinbau Bezug haben, sind dem
Lateinischen entnommen von ~vindemia~ (franz. ~vendange~) Wingert oder
Weinlese bis ~mustum~ (franz. ~moût~) Most und ~vinum~ (franz. ~vin~)
Wein.

Sehr zahlreich sind die Anweisungen der antiken Ackerbauschriftsteller
über die beste Art des Rebbaus. Schon der im 8. Jahrhundert v. Chr.
lebende griechische Dichter Hesiod singt: „Wenn der Frühling beginnt
und die Schwalbe kommen will, dann mache dich ans Beschneiden der
Weinstöcke (~oínē~),“ und „wenn der Orion und der Sirius bis zur Mitte
des Himmels steigen, dann ist die Zeit da, in der du die Trauben
abschneiden und nach Hause bringen mußt.“ Varro und Columella berichten
eingehend über die Anlage des Weingartens (~vinea~) und die Behandlung
der Rebe (~vitis~). Letzterer meint: „Die Zahl der verschiedenen
Weinsorten ist so zahllos wie die Sandkörner der libyschen Wüste; denn
jede Gegend und fast jeder kleine Ort hat seine besonderen Sorten und
für diese besondere Namen. Manche haben auch ihren Namen geändert,
indem sie anderswohin versetzt wurden; manche haben in ihrer neuen
Heimat ihre Eigentümlichkeit verloren, so daß sie der Ursorte gar nicht
mehr ähnlich sind. Ganz richtig haben schon Cato und nach ihm Celsus
gesagt, man solle nur Weinsorten pflanzen, die in gutem Rufe stehen,
und solle sie nur in dem Falle behalten, daß sie sich als gut bewähren.
Für einen recht günstigen Standort müssen wir recht edle Sorten wählen,
für einen ungünstigen aber solche, die große Mengen von Trauben zu
geben pflegen.“

Wie von jeher die Orientalen, so waren auch die alten Griechen und
Römer große Liebhaber der Traube, die von ihnen als die edelste der
Früchte gepriesen wurde. Um solche möglichst lange essen zu können,
wurde sie frisch oder gedörrt und auf die mannigfaltigste Weise
konserviert aufbewahrt. Verschiedene solche Verfahren beschreibt
Columella. Von seinen zahlreichen Angaben über die Aufbewahrung von
Trauben wollen wir hier einige anführen: „Um Trauben (~uva~) ein Jahr
lang frisch zu erhalten, verpicht man ihren Stiel sogleich, wenn man
sie vom Stocke geschnitten hat. Dann füllt man ein neues irdenes Gefäß
mit recht trockener Spreu, die man durch Sieben vom Staube gereinigt
hat, und legt die Trauben darauf. Alsdann bedeckt man das Gefäß mit
einem andern, verpicht die Fuge mit Lehm, der mit Spreu vermischt
ist, stellt das Gefäß auf ein recht trockenes Gestell und bedeckt es
mit trockener Spreu. Eine andere Art, Trauben frisch zu erhalten, ist
folgende: In einen großen Tonkrug (~dolium~) wird eingedickter Most
gegossen, über diesen werden Stöcke in die Quere eingeklemmt, die
jedoch den Most nicht berühren dürfen. Auf diese Stöcke werden neue
irdene Schüsseln gesetzt und in diese die Trauben so gelegt, daß sie
einander nicht berühren. Dann werden die Deckel auf die Schüsseln
gelegt und verstrichen. Nächstdem setzt man neue Stöcke über den
Schüsseln ein und auf diese neue Schüsseln, und fährt so fort, bis das
ganze Faß voll ist. Endlich setzt man den Deckel auf, der gut gepicht
und inwendig tüchtig mit eingedicktem Most bestrichen wird, worauf man
die Fugen noch mit Asche verklebt. Andere tun eingedickten Most in das
Tongefäß, stemmen Stöcke hinein, hängen die Trauben an die Stöcke, so
daß sie den Most nicht berühren, legen den Deckel auf und verstreichen
ihn. Andere legen Trauben schichtweise in Gerstenkleie, oder Sägemehl
von Pappeln oder Tannen, oder Gipsmehl. Mein Onkel Marcus Columella
(zu Gades in Spanien) tat die Trauben in große Tonkrüge, die in- und
auswendig stark gepicht waren; sie durften einander nicht berühren und
von jeder war der Stiel in siedendes Pech getaucht. War der Deckel
aufgelegt und die Fuge mit Gips verstrichen, so wurde auch der Gips
noch tüchtig gepicht, so daß durchaus keine Feuchtigkeit eindringen
konnte. Nun wurden die Krüge in Quell- oder Brunnenwasser gestellt und
so mit einem Gewichte beschwert, daß sie ganz unter der Oberfläche
blieben. Auf solche Weise halten sich die Trauben vortrefflich, müssen
aber, wenn sie herausgenommen sind, gleich gegessen werden, weil sie
sonst sauer werden. Als allgemeine Regel muß noch die aufgestellt
werden, daß man Äpfel und Trauben nicht an demselben Orte aufbewahren
darf, ja daß der Geruch der Äpfel nicht einmal aus einiger Entfernung
die Trauben erreichen darf, denn er verdirbt sie.“

Häufig wurden auch Traubenbeeren und ganze Trauben an der Sonne
getrocknet (~uva passa~) und dann in Töpfen aufbewahrt. Vielfache
Verwendung fand in der griechischen und römischen Küche auch der durch
Kochen eingedickte Traubenmost (~defrutum~), wie auch der aus sauer
gewordenem Wein hergestellte Essig (~acetum~).

Alle diese Produkte hat schon vorher der Orient gekannt und benützt.
So sind von der Traube gelöste, getrocknete Weinbeeren seit der Zeit
der Pyramidenerbauer, d. h. seit dem Beginne des 3. vorchristlichen
Jahrtausends, häufig als Wegzehrung den Toten mitgegeben worden und
finden sich teilweise so gut in den altägyptischen Gräbern erhalten,
daß sich der Zucker darin noch nachweisen läßt.

Wie die Rebenkultur heute in Mitteleuropa betrieben wird, ist genugsam
bekannt, so daß wir nicht näher darauf einzugehen brauchen. Es
genüge hier zu bemerken, daß der Weinstock einer sorgfältigen Pflege
bedarf, viel Sonne und einen kalkreichen, steinigen, d. h. viel Wärme
verschluckenden Boden verlangt. Aber wenn auch alle diese Bedingungen
erfüllt sind, ist die Rebe, wie die Erfahrung gelehrt hat, nur dann
wirklich ertragreich und liefert wertvolle Trauben, wenn sie richtig
geschnitten wird. Die Fortpflanzung geschieht durch Stecklinge, die
meist mit drei Augen, d. h. Knospen zur Verwendung gelangen. Das
unterste derselben wird in die Erde gesteckt; die beiden andern treiben
aus und geben je nach der Kraft des Triebes mehr oder weniger lange
Schosse, die man im Herbst zurückschneidet, und zwar den oberen so,
daß 8-9 Augen bleiben, die anderen aber viel weiter zurück, so daß nur
zwei Augen bleiben. Jenes Reis ist das Tragholz für das nächste Jahr;
denn die an ihm befindlichen Augen entwickeln Triebe, welche nach dem
4. oder 5. Blatte Blüten erzeugen. Man läßt an diesen Trieben nur eine
bestimmte Zahl Blätter stehen, nach dem 2. oder 3. oberhalb der letzten
Blütentraube bricht man den Schoß ab, um nicht unnütz Nährstoffe nach
dem fernerhin nicht weiter brauchbaren Triebe gelangen zu lassen. Hat
das Tragholz, der sogenannte Schenkel, abgetragen, so schneidet man
dasselbe mit dem hakenförmig gekrümmten Rebmesser ab, das die Römer
der Kaiserzeit in Gallien und in den von den Legionären aus Gallien
und Hispanien am linken Rheinufer gepflanzten Rebbergen schon in
gleicher Weise besaßen wie wir heute noch, die wir ja einst die ganze
Rebkultur mit allen Geräten und diesbezüglichen Bezeichnungen von jenen
übernahmen.

Während das Tragholz im Sommer seine Früchte an den Seitentrieben
zeitigte, entwickelte der oben erwähnte, kurz auf zwei Knospen
zurückgeschnittene „Zapfen“ aus demselben wieder zwei lange Triebe, die
man bis zum Herbste auswachsen läßt. Sie können eine sehr beträchtliche
Länge erreichen und bringen Blätter und in den Achseln derselben
Knospen hervor. Von ihnen treiben in demselben Jahre alle, ausgenommen
die obersten, in Form von schwachen Zweigen aus, die „Geize“ genannt
werden. Da diese im ersten Jahre überhaupt nicht zum Blühen kommen,
und auch im zweiten Jahre, wenn sie zu Tragholz werden, auch nur
schwächlich blühen würden, schneidet sie der Weinbauer weg, läßt ihnen
aber meist 2-3 Blätter. Diesen letzteren kommt nämlich eine doppelte
Bedeutung zu. Es entsteht nämlich neben dem Geize eine zweite Knospe,
die sich als eine Achselknospe aus dem untersten Schuppenblatte äußerst
kräftig entwickelt und einerseits zu ihrer Ernährung der beiden Blätter
des bei ihr stehenden Geizes bedarf, andererseits aber auch leicht zum
Austreiben käme, wenn man den Geiz bis zum Grunde entfernen würde.

Im Herbst wird nun wieder an den beiden Schossen des Zapfens der
Schnitt in der Weise ausgeführt, daß der obere mit 8-10 Augen zum
Schenkel wird und im nächsten Jahre das Tragholz liefert; die untere
wird dagegen abermals zum Zapfen. An den in den Treibhäusern gezogenen
Reben schneidet man das Tragholz viel weiter zurück, so daß an dem bis
zu 15 Jahren tragfähigen Haupttrieb seitlich knorrige Stümpfe stehen
bleiben, aus denen dann eine neue Tragrebe gezogen wird. Hier läßt man
meist auch nur zwei Trauben zur Ausbildung gelangen. Durch Auspflücken
der zu reichlichen Beerenanlagen bringt man es dahin, daß die
bleibenden zuweilen eine ganz außergewöhnliche Größe erreichen. So hat
man in England durch die sorgfältigste Pflege und reichliche Düngung
Trauben von über 7,5 kg Schwere mit pflaumengroßen Früchten
gezogen, die jedenfalls diejenigen, die die Kundschafter der Juden aus
dem Lande Kanaan brachten, noch weit übertreffen.

Noch jetzt ist jenes den Israeliten bei ihrem Zuge durch die Wüste
gelobte Land, Palästina, ein vorzügliches Weinland, wo die Kultur der
Rebe heute noch wohl in derselben Weise wie vor 4000 Jahren betrieben
wird. Die Weinberge sind meist auf hügeligem Gelände angelegt, weil die
terrassenförmig aufsteigenden Hänge dem Weinbau günstig sind und dieses
Terrain sich weniger für Getreidebau eignet. Doch ist auch viel flaches
Gebiet mit Reben bepflanzt und zahlreiche Namen von Ortschaften, die
heute keinen Rebbau mehr haben, weisen darauf hin, daß dies früher, vor
der dem Wein feindseligen muhammedanischen Invasion noch der Fall war.
Zum Schutze gegen Menschen und Tiere, unter welch letzteren besonders
die Füchse zu nennen sind, die sich bei der Traubenreife als ungebetene
Gäste zum Schmause einstellen, werden die Weinberge im Orient mit
1-2 m hohen trockenen Steinmauern, die noch mit Dornen bewehrt sein
können, oder mit lebenden Hecken von dem aus Amerika eingewanderten
Feigenkaktus umgeben. Mitten darin baut man aus losen, unbehauenen
Steinen einen 5-6 m hohen Turm, der oben eine von Laubwerk oder Matten
beschattete Hütte trägt, wo der Weinbauer bei der Traubenreife sein
Lager aufschlägt, um den Weinberg, den er von hier aus gut zu übersehen
vermag, Tag und Nacht zu überwachen. Da diese Hütten häufig erneuert
werden müssen, so erscheinen sie schon einem Hiob (27, 18) als Bild der
Vergänglichkeit.

In den Weinbergen Palästinas werden nicht nur Reben, sondern auch
andere Fruchtträger, wie Feigen-, Aprikosen-, Pfirsich- Apfel-,
Birn-, Mandel-, Quitten- und Granatbäume gepflanzt, deren Früchte
verführerisch locken. Da bleibt dem Fellachen, d. h. Bauern, bei der
diebischen Natur seiner Volksgenossen nichts anderes übrig, als diese
Schätze sorgfältig zu bewachen; denn was er nicht hütet, erntet er
auch nicht. Schon die unreifen Trauben und Früchte überhaupt liebt der
Morgenländer wie unsere Kinder sehr, indem er sie entweder roh oder
mit Essig und reichlich Olivenöl angemacht als Salat ißt. So zieht der
Winzer bei der Fruchtreife mit Sack und Pack in die Weinbergshütte
hinaus, um hier mit seiner Familie so lange zu hausen -- das Kleinvieh
bringt er in den kühlen Nächten im dunkeln Raum des Wachtturmes unter
dem Turmabschluß, wo er Wache hält, unter --, bis alles aufgegessen
oder verkauft ist.

Bei der Neuanlage eines Rebbergs werden die Stecklinge als etwa
1,3 m lange Ruten gewöhnlich Ende Februar in 50 cm tiefe und 20 cm
breite Gruben in 2-4 m allseitiger Entfernung versenkt. Eine solche
Neupflanzung trägt dann im dritten Jahre die ersten Trauben. In manchen
Gegenden, besonders in der Ebene, läßt man die Reben am Boden liegen,
in andern zieht man sie aufrecht an Fruchtbäumen irgend welcher Art
oder an Pfählen in die Höhe. Schon im Februar wird der Rebberg,
nachdem die Erde durch mehrmaligen Regenfall genügend erweicht ist,
mit dem schon von den Vorfahren vor einigen tausend Jahren gebrauchten
primitiven hölzernen Hakenpflug gepflügt oder, wo dieser nicht
hinkommen kann, mit der Hacke gelockert und die Reben bis auf wenige
kurze Ruten mit kräftigen Augen beschnitten. Im Laufe des Frühjahrs
wird das Land noch zwei- bis dreimal zur Beseitigung des Unkrauts und
zur Auflockerung des Bodens gepflügt oder behackt. Nach vollendeter
Traubenblüte entwickelt sich dann üppiges Laubwerk und es treiben bis
3 m lange Schößlinge, deren Spitzen nach Bedarf entfernt werden.

Die Trauben, die in der Ebene schon im Juni, im Gebirge erst im Juli zu
reifen beginnen, erlangen nach ihrer Reife eine Länge von zwei Spannen
und ein Gewicht von 1,5 kg mit großen, feinhäutigen, saftigen Beeren.
Sie werden, weil den Einwohnern als rechtgläubigen Muhammedanern der
Genuß des Weines verboten ist, entweder an Ort und Stelle gegessen
oder auf den nächsten Markt zum Verkaufe gebracht, wo sie nicht mehr
als höchstens 8 Pfennige das Kilogramm kosten. Mancherorts wird der
Überschuß zu Rosinen, Traubenhonig und Traubenkuchen verarbeitet,
um als solche in den Handel gebracht zu werden; die Beeren mancher
nichtreifender Sorten dagegen werden zur Herstellung einer süßen
Limonade, wie sie sonst aus Zitronensaft bereitet wird, verwendet.

Die zu Rosinen bestimmten Trauben werden korbweise in ein Gefäß mit
geklärtem Laugenwasser, dem etwas Öl beigegeben ist, getaucht und auf
einem geebneten Dörrplatz im Weinberg oder auf Matten ausgebreitet
10-15 Tage lang zum Dörren der Sonnenhitze ausgesetzt. Die Benetzung
mit Lauge und Öl hat den Zweck, daß die Rosinen schön weich und von
der Sonne nicht allzusehr verbrannt werden, sie zugleich auch einen
gewissen Glanz erhalten. Zuletzt werden sie von den Stielen abgelesen
und nach der Größe sortiert.

Der Traubenhonig wird in der Weise gewonnen, daß der ausgepreßte
Traubensaft mit einer weichen Kalksteinmasse vermischt, umgerührt und
über Nacht stehen gelassen wird. Dabei verbindet sich die Weinsäure mit
dem Kalk zu einer unlöslichen Verbindung und wird bei diesem Vorgange
zugleich der aus Pektin bestehende, die Lösung trübende Pflanzenschleim
niedergeschlagen. Der so durch den Kalk geklärte und in seiner Herbe
gemilderte Saft wird dann abgeschöpft und bis zu Sirupdicke eingekocht.
100 Teile Trauben geben etwas mehr als 20 Teile Traubenhonig, der sehr
gern als Zukost zum Brot verspeist wird und pro Kilogramm nur 20-30
Pfennige kostet.

Die Traubenkuchen werden teilweise ähnlich wie der Traubenhonig
bereitet. Den durch den kohlensauren Kalk der Kalksteinmasse abgeklärte
und von der Säure befreite Traubensaft läßt man etwas einkochen und
rührt Mehl oder Gries und hernach Pinien- oder Kiefernsamen hinein.
Der so entstandene dicke Brei wird auf Tücher gestrichen, an der Sonne
getrocknet, um als dünne Fladen abgenommen und verspeist zu werden. 1
kg kostet in Palästina etwa 1.50 bis 1.80 Mark.

Auch die christlichen Araber produzieren wenig Wein, um so mehr aber
die in Palästina niedergelassenen Europäer, besonders die als höchst
wertvolle Erwerbung des Landes daselbst ihre Kolonien gründenden
Templer, die meist aus dem Schwabenlande stammen und das solide
deutsche Bauerntum nach dem Morgenlande verpflanzten. Der Palästinawein
ist ein sehr kräftiges Getränk von etwas herbem Geschmack. Weinkeltern
(vom lat. ~calcatura~), wie sie die Kanaaniter und Israeliten hatten
und wie man sie noch in manchen Weinbergen sieht, werden nicht mehr
benutzt. Es waren dies zwei in Felsen gehauene Becken, von denen das
größere, in welchem die Trauben mit den Füßen ausgetreten wurden,
etwa 4 m auf jeder Seite mißt. Dasselbe wurde gelegentlich auch zum
Ausdreschen von Getreide benützt. Sein flacher Boden neigt nach einer
Ecke, wo eine Rinne es mit dem kleineren, tiefer liegenden Becken zur
Aufnahme des Mostes (aus dem lateinischen ~mustum~) verbindet. Von
da aus wurde dieser in mit nach innen gekehrtem Fell gebildete und
mit Harz oder Pech verstrichene Schläuche aus Tierhaut gefaßt, oder
man goß ihn, wie die christlichen Araber noch immer tun, in irdene
Gefäße und leerte ihn nach der Gärung mit Zurücklassung der Hefe in
andere Gefäße. Der Araber, der alles Süße liebt, zeigt eine Vorliebe
für süßen und starken Wein, den er aus Trauben keltert, die 14 Tage
lang schön ausgebreitet in der Sonne lagen. Der daraus gepreßte Saft
ist süß, zugleich aber stark berauschend. Wenn die Araber Weinmost
lange aufbewahren wollen, so pflegen sie ihn zu kochen und dann erst in
Tonkrüge zu füllen, in die oben am Halse etwas Olivenöl als Verschluß
hinzugefügt wird. Das Weinbereitungsgeschäft vollzieht sich im
Morgenlande noch rascher als im Abendlande, da die zerdrückten Trauben
schon nach 6-12 Stunden in Gärung übergehen und also nicht lange stehen
bleiben dürfen.

Weitere aus Asien zu uns gelangte Fruchtbäume sind die mit den Ulmen-,
Nessel- und Feigengewächsen verwandten +Maulbeerbäume+. Lange vor
dem aus Ostasien stammenden weißen ist der westasiatische +schwarze
Maulbeerbaum+ (~Morus nigra~) ins Mittelmeergebiet und von da aus nach
Mitteleuropa eingeführt worden. Seine ursprüngliche Heimat deckt sich
mit derjenigen der Kulturrebe und erstreckt sich vom Gebirgsland von
Armenien bis gegen Persien. Er erschien zu Ende des 6. vorchristlichen
Jahrhunderts in Griechenland und von da ein Jahrhundert später auch
in Italien. Schon der Dichter Aeschylos, der im Jahre 456 v. Chr.
in Sizilien starb, spricht in zweien seiner Tragödien von ~môra~
(~plur~. von ~môron~), die später auf Maulbeeren bezogen wurden, aber
im gewöhnlichen Sprachgebrauch Brombeeren heißen. Im Volksgebrauch
sind nämlich die Maulbeeren wegen ihrer Gestalt und Färbung zunächst
als Brombeeren bezeichnet worden. Dem diese Früchte tragenden
Baum aber gaben die Griechen, weil er völlig verschieden von der
Brombeerstaude war, den Namen ~sykáminos~. Dies war aber eigentlich
ihre Bezeichnung für die +Sykomore+ oder den +Maulbeerfeigenbaum+
(~Ficus sycomorus~), der ursprünglich in Ägypten zu Hause war, aber
früh in Westasien von Palästina, Syrien und Cypern bis nach Karien und
die Insel Rhodos angepflanzt wurde. Die Griechen lernten ihn dort auf
ihren Handelsfahrten kennen und bildeten aus dem syrischen Namen der
Früchte ~schikmim~, einem Pluralis, mit Anlehnung an die griechische
Bezeichnung für Feige ~sýkos~ ihr ~sykáminos~ als Namen für den Baum.

Als nun der Maulbeerbaum bei seinem Vordringen nach Westen zu den
Griechen der kleinasiatischen Küste gelangte, nannten sie ihn wegen
der Ähnlichkeit der Blätter und seiner ganzen Gestalt mit der
Sykomore eben auch ~sykáminos~. Nicht nur in der Naturgeschichte
der Pflanzen des Theophrastos (390-286 v. Chr.), sondern noch bei
späteren Schriftstellern werden beide Bäume mit demselben Worte
bezeichnet. Der zur Zeit Cäsars und Augustus lebende griechische
Geschichtschreiber Diodoros aus Sizilien unterschied zuerst die beiden
Fruchtbäume, indem er erklärte, es gebe zwei Arten ~sykáminos~:
die eine trage brombeer-, die andere feigenähnliche Früchte. Zum
Unterschiede von der eigentlichen Brombeere (~môron~) nannte man die
Früchte der brombeerfrüchtigen ~sykáminos sykómōron~. So entstand
der jüngere Name des Maulbeerbaums ~sykómoros~, welcher bald als
vollkommen gleichbedeutend mit ~sykáminos~ gebraucht und auch auf den
ägyptischen ~sykáminos~, den Maulbeerfeigenbaum, ausgedehnt ward, der
davon heute noch Sykomore heißt. Das gemeine Volk aber blieb bei der
Bezeichnung ~môron~ (Brombeere) für Maulbeere und unter diesem Namen
kam die Frucht von den Griechen Unteritaliens zu den Römern, die den
Namen um so williger annahmen, als ~morum~ auch bei ihnen die von den
Griechen übernommene Benennung der Brombeere war. Später drang auch das
Wort ~sycomorus~ ein, das für Maulbeere und Brombeere gleicherweise
gebraucht wurde; da unterschied man die Maulbeere als Baumbrombeere
von der gewöhnlichen oder Waldbrombeere. Auch im Lateinischen des
Mittelalters hieß der Baum ~morus~ und die Frucht ~morum~ (~plur.
mora~). Unter diesem Namen wird er im ~Capitulare de villis~ und in
den beiden Garteninventaren Karls des Großen aus dem Jahre 812 und
im Entwurf zum St. Galler Klostergarten aus dem Jahre 820 unter den
anzupflanzenden Obstbäumen angeführt.

Der Maulbeerbaum erreicht eine ansehnliche Größe und trägt ein dunkles
Laub, das im Frühling spät hervorbricht. Daher bezeichnet ihn Plinius
im 1. christlichen Jahrhundert als den weisesten unter den Bäumen, der
sich erst hervorwage, wenn kein Frühlingsfrost mehr zu fürchten sei.
Die süßsäuerlichen, dunkelroten Beeren munden erst, wenn sie völlig
reif sind, und müssen dann rasch verzehrt werden, da ihr Saft leicht
in saure Gärung übergeht. Man pflückt sie daher im Süden frühmorgens
und genießt oder verkauft sie, ehe die Hitze des Tages sie verdorben
hat, heute noch wie in alter Zeit, da der römische Dichter Horaz
im augusteischen Zeitalter solches in einem Gedichte aussprach.
Mit ihrem roten Safte bemalten sich üppige Weiber und lose Männer
beim Mummenschanz die Wangen und färbten vielfach auch ihren Wein
dunkelrot. Der als Zeitgenosse des Horaz um die Wende der christlichen
Zeitrechnung lebende, im Jahre 17 n. Chr. in der Verbannung in der
Stadt Tomi in der heutigen Dobrudscha am Westrande des Schwarzen Meeres
verstorbene römische Dichter Ovid erzählt uns im vierten Buche seiner
Metamorphosen, woher die rote Farbe der Maulbeeren stamme, nämlich vom
Blute des Pyramus, als dieser sich wegen seiner von einem Löwen getötet
geglaubten Geliebten Thisbe unter dem Maulbeerbaume den Tod gab. Es
ist dies eine durchaus kleinasiatische, auch bei anderen Pflanzen mit
rotsaftigen Früchten wiederkehrende Sage, die diesmal in Babylonien vor
sich gegangen sein soll, wohl als Erinnerung an die Herkunft des Baumes
aus dem fernen Osten.

Plinius sagt vom Maulbeerbaum: „Die Gärtnerkunst hat an diesem Baum
nicht viel ausgerichtet, auch durch Veredeln nicht; doch zeigen sich
die Früchte an Größe verschieden.“ Nach Athenaios um 200 n. Chr.
labten sich an letzteren besonders die Kinder. In der Geoponika,
einer wahrscheinlich ums Jahr 912 n. Chr. veranstalteten Sammlung
von Auszügen aus alten griechischen Schriften über Land- und
Gartenwirtschaft, wird gesagt, daß man die Maulbeere auf Kastanie,
Speiseeiche, Apfel- und wilden Birnbaum, auf Terpentin-Pistazie, Ulme
und Silberpappel pfropfe; in letzterem Falle würden die Maulbeerfrüchte
weiß.

Der +weiße Maulbeerbaum+ (~Morus alba~) war dem Altertum und dem
Mittelalter vollkommen fremd; denn erst im 15. Jahrhundert gelangte
dieser im zentralen und östlichen Asien heimische Baum von kleinerem
Wuchse, glatteren und zarteren Blättern als sein Schwesterbaum, die
schwarze Maulbeere, und süßen, etwas faden, weißen Früchten mit der
Einführung der ostasiatischen Seidenraupenkultur aus China nach
Südeuropa. Diesem Insekte behagen die viel rauheren und gröberen
Blätter des schwarzen Maulbeerbaumes nicht, und so führte man mit
seiner Zucht auch den ostasiatischen weißen Maulbeerbaum bei uns ein.
Überall in Norditalien und Südfrankreich, wo die Seidenraupenzucht
in großem Maßstabe betrieben wird, treffen wir diesen Baum in langen
Reihen angepflanzt an, um ihn seiner Blätter zu berauben, die jenem
Tiere verfüttert werden, damit es daraus groß werden und schließlich
seine Seidenhülle bei der Verpuppung spinnen könne. In Deutschland
bemühte sich besonders Friedrich der Große um die gewinnbringende
Zucht desselben und damit um die Anpflanzung des weißen Maulbeerbaums,
dessen Laub das einzige Futter ist, das den Seidenraupen gereicht
werden kann. Doch hatte er dabei nur geringen Erfolg, da das Klima zu
rauh für das Gedeihen jener Tiere ist.

[Illustration:

    Tafel 19.

Reihe von weißen Maulbeerbäumen, deren Blätter den Seidenraupen als
Futter dienen, im Kanton Tessin.

Uralter Feigenbaum in Roscoff (Finisterre). Der Baum bedeckt eine
Fläche von 600 qm.]

[Illustration:

    Tafel 20.

Ein Hain alter Ölbäume bei Arco in Südtirol.]

Nahe verwandt mit dem Maulbeerbaum ist, wie wir übrigens schon aus der
Ähnlichkeit der Maulbeeren und Maulbeerfeigen schließen können, der
+Feigenbaum+ (~Ficus carica~), der sehr gern wild in Felsspalten wächst
und von Nordwestindien bis in die Mittelmeerländer vorkommt. Verwildert
begegnet man ihm hier überall sehr häufig, aber wahrhaft wildwachsend
fand ihn Th. Kotschy an den Ufern des nördlichen Euphrat. Der Stamm ist
strauch- bis baumartig, kann bei einem Durchmesser von 40-50 cm bis
10 m hoch werden. Das Holz ist leicht und porös und hat ein schwammiges
Mark wie dasjenige des Holunders. Der Bast, die Blätter und Früchte
sind mit Milchgefäßen versehen. Die Frucht ist eine Scheinfrucht von
grünlicher, purpurroter, brauner oder fast schwarzer Farbe, innen
fleischig, gelb bis rot und besteht aus dem fleischig gewordenen,
urnenartig vertieften Fruchtboden, auf welchem -- von außen unsichtbar
-- die winzigen Blüten und später die sehr kleinen Samen sitzen. In
Südeuropa gibt ein völlig ausgewachsener Feigenbaum jährlich etwa 100
kg frische Feigen, die im getrockneten Zustande etwa 30 kg schwer
sind. Diese bilden in den südlichen Ländern ein Hauptnahrungsmittel
für Menschen und Tiere und werden frisch und gedörrt als gesundes
Obst gegessen. Infolge der mehrtausendjährigen Kultur gibt es eine
große Menge von Varietäten. Alle werden am besten durch Stecklinge
fortgepflanzt, durch Samen nur dann, wenn neue Spielarten gewonnen
werden sollen.

Der Feigenbaum verlangt nasse Winter mit nur 2° C. Kälte und trockene
Sommer mit bis zu 55° C. in der Sonne, eine gegen Nord- und Ostwinde
geschützte Lage und sandigen Humusboden mit kalkigem Untergrund. Da nur
die jungen Zweige Früchte hervorbringen, werden die Spitzen der jungen
Triebe abgekneift, wenn sie etwa 12 cm lang sind, damit sie im nächsten
Jahre reichlich tragen. Ist die junge Pflanze 3 m hoch geworden, so
spitzt man sie ein, um ihr Wachstum in die Breite zu veranlassen.
Wächst ein Zweig zu üppig ins Holz, so drückt man seine Spitze gegen
das Ende hin mit dem Finger so zusammen, daß die weiche, saftige
Substanz dem Drucke nachgibt, wodurch das Längenwachstum aufhört und
der Saft in die Teile zurückgeht, in denen er notwendig ist. Dadurch
und durch das Biegen der Zweige in Bogen, die Spitze nach abwärts,
werden diese Teile sehr fruchtbar. Im Frühjahr müssen die Bäume
gedüngt werden; dabei werden sie bis über 100 Jahre alt.

Irgendwo im semitischen Westasien ist der Feigenbaum in grauer Vorzeit
in Kulturpflege genommen worden, und zwar soll nach der Lautgestalt
der semitischen Bezeichnungen ~tinu~ für Feigenbaum und ~balasu~ für
Feige nach Lagarde im Wohngebiet des Bachrâstammes im südöstlichen
Arabien die engere Heimat der Kulturfeige sein, eine Annahme,
die der Straßburger Botaniker Graf H. von Solms-Laubach auch aus
naturgeschichtlichen Gründen für glaubhaft hält. Schon sehr früh wurde
der Feigenbaum in Syrien und Palästina heimisch und ließ hier eine
Fülle süßer Früchte reifen, die den Bewohnern eine wichtige Nahrung
lieferten. Das Alte Testament erwähnt ihn oft, namentlich in Verbindung
mit dem Weinstock. So bedeutete bei den Juden Palästinas die Redensart:
unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, so viel als ein ruhiges,
friedliches Dasein genießen.

Als die Herrscher Ägyptens im mittleren Reich zu Beginn der 12.
Dynastie (2000-1788 v. Chr.) in regere Verbindung mit Syrien traten,
gelangte der Feigenbaum von dort nach dem Niltal, wo wir seine
Darstellung in einem Grabe eben jener 12. Dynastie in Beni Hassan
antreffen. Dort ist unter anderem eine Feigenernte dargestellt.
Auf einem niederen, seine Zweige weit ausstreckenden Feigenbaum,
dessen gelappte, blaugrüne Blätter sehr deutlich erkennbar wieder
gegeben sind, sehen wir drei durch ihre Körperfarbe als Hundsaffen
(~Cynocephalus ursinus~), die im uralten Ägypten besondere Verehrung
genossen, charakterisierte Affen, die sich die Feigen schmecken lassen,
während unter dem Baume ein Mann damit beschäftigt ist, die braungelben
Feigen von den Zweigen zu pflücken und sie in einen aus Papyrus
geflochtenen viereckigen Korb zu legen. Ein anderer ist eben im Begriff
seinen mit Tragriemen versehenen, ganz mit Feigen gefüllten Korb vom
Boden aufzuheben, um ihn von dannen zu tragen. Unter den Opferspenden
und als Grabbeigabe werden die Feigen nur selten angetroffen, doch
waren sie im Niltal eine wichtige Medizin und wurde aus ihnen eine
Art Wein hergestellt. Sie hießen im Ägyptischen ~dab~ und der sie
liefernde Feigenbaum ~nuhi net dab~, d. h. Feigensykomore. Auch bei
den Juden wurden übrigens die Feigen, die eine wichtige Volksnahrung
bildeten, medizinisch verwendet. So wird uns berichtet, daß Hiskias,
der König von Juda, der von 728-697 regierte und den Jahvekult
wiederherstellte, 701 von den Assyrern unter Sanherib hart bedrängt,
einen lebensgefährlichen Karbunkel bekam und von diesem durch den
Propheten Jesaias geheilt wurde, indem er durch ein Feigenpflaster die
Geschwulst zum Aufbrechen brachte. Noch Plinius berichtet, daß in Wein
gesottene Feigen das beste Mittel zum Reifwerdenlassen von Karbunkeln
und Furunkeln seien.

[Illustration: Bild 13.

Feigenernte im alten Ägypten. Grabgemälde in Beni Hassan. (Nach
Woenig.)]

Von Syrien verbreitete sich die Feigenkultur früh nach Kleinasien, wo
später besonders in Karien eine so gute Sorte gezogen wurde, daß diese
in Menge exportiert wurde. Auch in Lydien galten die Feigen neben
dem Wein so sehr als die ersten Güter des Lebens, daß nach Herodot
diejenigen, die dem Könige Kroisos (Crösus) den Zug gegen den Perser
Kyros abrieten, sich darauf beriefen, jene Menschen tränken nicht
einmal Wein, sondern Wasser, und hätten auch keine Feigen zur Nahrung.
Das homerische Zeitalter Griechenlands zu Ende des 2. vorchristlichen
Jahrtausends kannte die westasiatische Feige noch nicht. An den
wenigen Stellen, an denen vom Feigenbaum die Rede ist, handelt es sich
unverkennbar um den als ~erineós~ bezeichneten wilden Feigenbaum,
der schon in vorhistorischer Zeit über das ganze Mittelmeergebiet
verbreitet war. So berichtet die Ilias von einem großen wilden
Feigenbaum, der vor Troja stand, und die Odyssee von einem solchen,
der über dem Strudel der Charybdis (bei Messina) sich erhob. Noch in
augusteischer Zeit berichtet der um 25 n. Chr. verstorbene, aus Amasia
in Pontos gebürtige griechische Geograph Strabon, daß zu seiner Zeit
bei Troja, wo der Simoïs und Skamander zusammenfließen, eine rauhe,
mit wilden Feigenbäumen besetzte Stelle sei, und damals noch der vom
Dichter Homeros erwähnte wilde Feigenbaum (~erineós~) gezeigt werde.
Nur in einer offenkundig ganz späten Stelle der an sich gegenüber
der Ilias ziemlich jüngeren Odyssee wird der süße Feigenbaum (~sykéē
glykerḗ~) als neben anderen Fruchtbäumen im Garten des Phäakenkönigs
Alkinoos stehend erwähnt. Diese Stelle wird allgemein als ein
Einschiebsel aus späterer Zeit aufgefaßt. Die Forschung hat sicher
festgestellt, daß die Griechen an der kleinasiatischen Küste erst
im 9. Jahrhundert v. Chr. mit dem von ihnen als ~sykḗ~ bezeichneten
Feigenbaume mit eßbaren Feigen, ~sýkoi~ genannt, von Osten her bekannt
wurden. Der im 8. Jahrhundert in Böotien lebende Dichter Hesiod kennt
diesen edlen Feigenbaum noch nicht; erst Archilochos ums Jahr 700
v. Chr. erwähnt Feigen als Erzeugnis seiner Heimatinsel Paros.
In Attika soll die Personifikation der Frucht hervorbringenden
mütterlichen Erde, Demeter (eigentlich ~Gē mḗtēr~) den Feigenbaum
als Geschenk dem Phytalos, der sie gastlich aufnahm, aus der Erde
haben hervorsprießen lassen, wie bei anderer Gelegenheit Athene den
Ölbaum. Der griechische Geschichtschreiber Pausanias berichtet in
seiner zwischen 160 und 180 n. Chr. verfaßten Reisebeschreibung durch
Griechenland, er habe noch die Inschrift auf dem Grabe des Heroen
gelesen, die folgendermaßen lautete:

    Hier hat Phytalos einst, der Held, die hehre Demeter
    Gastlich empfangen, und hier zuerst erschuf sie die Frucht ihm,
    Die von dem Menschengeschlecht die heilige Feige genannt wird;
    Seitdem schmückt des Phytalos Stamm nie alternde Ehre.

Wein und Feigen wurden in Griechenland bald allgemeines
Lebensbedürfnis, das arm und reich gleichermaßen zum täglichen Mahle
verlangte. Wohl jeder Athener war, wie es Plato von sich aussagt,
~philósykos~, d. h. ein Feigenfreund. Neben Sikyon, der Gurkenstadt im
Peloponnes, nahe der Meerenge von Korinth, rühmte sich die Landschaft
Attika der besten Feigen; und wie stolz gerade die Athener auf dieses
Produkt ihrer Kulturen waren, lehrt die von einem aus ihrem Kreise
erfundene Sage, der mächtige Perserkönig Xerxes habe sich nach seiner
Niederlage gegen die griechische Flotte bei Salamis im Jahre 480
v. Chr. bei jeder Mittagstafel durch ihm vorgesetzte attische Feigen
daran erinnern lassen, daß er das Land, in welchem sie wüchsen, noch
nicht sein nenne und jene Früchte, statt sie sich von den Einwohnern
als seinen Untertanen steuern zu lassen, als ausländische Ware kaufen
müsse.

Mit der griechischen Kolonisation gelangte der Feigenbaum schon früh
auch nach Sizilien und Unteritalien. Von hier aus wurden dann die
Bewohner Mittelitaliens mit ihm bekannt und aus dem griechischen
~sýkos~ wurde das lateinische ~ficus~. Ja, er findet sich sogar in
die Sage von der Gründung Roms verflochten, indem die ausgesetzten
Zwillinge, Romulus und Remus, von der Wölfin unter dem ruminalischen
(von ~rumen~, Zitze) Feigenbaum sollen gesäugt worden sein. Es ist
ganz derselbe Zug der Sage, der den den Juden der späteren Zeit ganz
unentbehrlichen Feigenbaum in den Garten Eden, das Paradies, versetzen
ließ.

Noch zur Zeit des Kaisers Tiberius wurden nach Plinius wie heute edle
Feigenarten direkt von Syrien nach Italien verpflanzt. Besonders
beliebt in Rom waren nach ihm die kaunischen, die überall auf den
Straßen der Weltstadt von fahrenden Obsthändlern ausgerufen wurden.
Diese kaunischen Feigen haben einmal dem Marcus Crassus, als er gegen
die Parther zu Felde ziehen und an Bord des Schiffes gehen wollte,
Verderben prophezeit, indem ein Feigenverkäufer kaunische Feigen mit
dem Geschrei: ~cavneas~ ausbot, worin die Worte ~cave ne eas~ „hüte
dich zu gehen!“ lagen. Es war dies im Jahre 53 v. Chr., als der wegen
seines ungeheuren Reichtums von 30 Millionen Mark mit dem Beinamen
~dives~, d. h. der Reiche belegte Triumvir (neben Cäsar und Pompejus)
sich als Prokonsul nach Syrien begab, um die Parther zu bekriegen,
wobei er bei Carrhae besiegt und dann hinterlistig getötet wurde.

Derselbe Plinius berichtet, daß die Feigen so groß wie Birnen werden,
und daß man zu seiner Zeit nicht weniger als 29 verschiedene Sorten
derselben unterschieden habe, die in Italien angepflanzt wurden; doch
seien die besten Eßfeigen von den Römern aus Kleinasien und Nordafrika
bezogen worden. „Wo es Feigen von vorzüglicher Güte gibt,“ sagt er,
„da trocknet man sie an der Sonne und bewahrt sie in Kästchen auf. Die
Insel Ebusus (jetzt Iviza, die größte der Pityusen- oder Fichteninseln
bei den spanischen Balearen) liefert ausgezeichnete Ware, auch das Land
der Marruciner (in Latium). Wo sie in größerer Menge vorhanden sind,
füllt man große Fässer damit, wie in Asien; in der afrikanischen Stadt
Ruspina füllt man sie in kleinere. Getrocknete Feigen werden statt Brot
gegessen. Der Genuß frischer Feigen dagegen ist der Gesundheit nicht
zuträglich.“ Außer als beliebte Volksnahrung, die sie überall im Süden
bis auf den heutigen Tag geblieben sind, verwandte man sie auch zur
Essigbereitung. Der aus Gades (dem heutigen Cadix) in Spanien gebürtige
römische Ackerbauschriftsteller Columella im 1. Jahrhundert n. Chr.
rühmt solchen besonders. Er schreibt: „Es gibt Gegenden, die Mangel
an Wein und also auch an Essig haben. In solchen muß man die Feigen
so reif als möglich sammeln, namentlich, wenn schon Regen eingetreten
ist und sie von selbst vom Baume fallen. Man tut sie in große Töpfe
und läßt sie da gären. Ist die Gärung so weit vorgeschritten, daß die
Feigen sauer geworden sind, wird alle Flüssigkeit, die nun aus Essig
besteht, sorgsam geseiht und in ausgepichte, wohlriechende Gefäße
gegossen. Solcher Essig ist ausgezeichnet gut und scharf, und wird nie
trübe und schimmelig, wenn er nicht an einem feuchten Orte steht.“

Wie Plinius, meint auch sein Zeitgenosse, der aus Kilikien gebürtige
griechische Arzt Dioskurides: „Frische Feigen sind, wenn auch reif,
dem Magen schädlich, erregen Ausschlag und Schweiß, beschwichtigen
Durst und Hitze. Trocken sind sie nahrhaft, erwärmen auch, erregen
Durst, bekommen dem Magen gut.“ Die reifen Früchte müssen gleich nach
dem Abpflücken gegessen werden und dürfen nicht viel mit den Fingern
gedrückt werden; daher soll nach Plinius der ältere Cato, der im Jahre
149 v. Chr. verstorbene unversöhnliche Gegner des wieder aufblühenden
Karthago, im römischen Senat eine frühreife (~praecox~) Feige aus
Karthago vorgewiesen und gesagt haben: „Ich frage euch, wann glaubt
ihr, daß diese Frucht vom Baume gebrochen wurde?“ Wie nun alle sie als
frisch anerkannten, fuhr er fort: „So wisset denn, daß sie vorgestern
in Karthago gepflückt wurde; so nahe an unseren Mauern haben wir den
Feind, daher stimme ich für die Vernichtung desselben.“ Als er diese
Worte gesprochen -- fährt Plinius fort -- ward der Krieg gegen Karthago
beschlossen, welcher mit der Zerstörung jener Stadt endete. Jedenfalls
wird jenes fanatisch die gefürchtete Rivalin Roms hassende Original,
das als Zensor die altrömische Sittenstrenge und Einfachheit der
Lebensweise aufrecht zu erhalten bestrebt war, eine unreif in Karthago
gepflückte und erst unterwegs durch Liegen zum Reifen gebrachte Frucht
in der Kurie vorgezeigt haben, um die Kriegserklärung durchzudrücken.

Gemäß der volkstümlichen Ansicht, die Dioskurides und Plinius
vertreten, daß nämlich frische Feigen der Gesundheit nicht zuträglich
seien, wohl aber getrocknete, wurden tatsächlich auch vorzugsweise
getrocknete Feigen gegessen. Nach Columella wurden sie in der Sonne
gedörrt und, in gut gepichte, weite Tonkrüge festgetreten und unten
und oben mit Fenchel bestreut, gut verschlossen an einem trockenen
Orte aufbewahrt. So erhielten sie sich sehr lange gut. „Andere suchen
die saftigsten frischen Feigen aus, teilen sie mit einem aus Rohr
verfertigten Messer oder mit den Fingern, lassen sie an der Sonne
einschrumpfen und kneten sie dann zur Mittagszeit, wenn sie von der
Sonne durchwärmt sind, nach Sitte der Afrikaner und Spanier zu Kuchen
zusammen, die Sterne, Blumen oder Brote darstellen, trocknen sie
dann vollends in der Sonne und legen sie endlich in Gefäße.“ Welche
Mengen dieser getrockneten Feigen gelegentlich von einzelnen verzehrt
wurden, läßt uns der Geschichtschreiber Julius Capitolinus ahnen, wenn
er schreibt: „Clodius Albinus, welcher von dem in Gallien stehenden
römischen Heere zum Kaiser ausgerufen wurde (als Gegenkaiser des
Septimius Severus, von dem er alsbald 196 n. Chr. bei Lyon geschlagen
wurde, wobei er umkam), war, wie Cordus in seinem Werke erzählt,
so gefräßig, daß man es kaum für möglich halten sollte. So z. B.
verzehrte er nüchtern 500 getrocknete Feigen von der Sorte, welche die
Griechen ~kallistruthia~ nennen, oder 100 kampanische Pfirsiche oder
10 hostiensische Melonen oder 20 Pfund lavikanische Trauben oder 100
Feigendrosseln oder 400 Austern.“

Der gelehrte Varro (116-27 v. Chr.) schreibt: „Die Samen der Feigen
sind so klein, daß kaum Pflänzchen aus ihnen entstehen können. Man
pflanzt daher in der Baumschule (~seminarium~) lieber junge Reiser
von Feigenbäumen, als daß man Samen sät. Letzteren wendet man nur an,
wenn man keine frischen Reiser haben kann, wie z. B. dann, wenn man
sich ausländische Feigensorten will über das Meer kommen lassen. In
diesem Falle werden reife Feigen an Bindfäden gebunden, getrocknet,
verschickt und so in die Erde gelegt. Auf diese Weise sind die
Feigensorten, welche jenseits des Meeres heimisch sind, nach Italien
gekommen.“ Nach einem griechischen Schriftsteller der Geoponika wurde
die Feige auch auf Maulbeerbäume und Platanen gepfropft, und zwar
nicht bloß wie andere Bäume im Frühjahr, sondern auch im Sommer bis
zur Wintersonnenwende. Columella schreibt: „Den Feigenbaum darf man
bei Kälte nicht pflanzen. Er liebt sonnige, steinige und felsige
Stellen. Er gedeiht schnell, wenn man ihn in eine weite Grube setzt.
Alle Feigensorten werden, obgleich sie sich durch Geschmack und Ansehn
unterscheiden, auf einerlei Weise gepflanzt. An kalte Standorte, die im
Herbste wasserreich sind, bringt man Frühsorten, damit die Ernte vor
eintretendem Regen eingebracht werden kann. An warme Stellen pflanzt
man Spätsorten. Will man eine Frühsorte künstlich in eine Spätsorte
verwandeln, so bricht man die ersten Früchte, wenn sie noch klein sind,
ab, worauf der Baum andere treibt, welche dann erst im Winter reifen.
Zuweilen ist es nützlich, den Feigenbäumen, wenn das Laub bei ihnen
hervorbricht, die Spitzen abzuschneiden und hierdurch die Fruchtbarkeit
zu steigern. Jedenfalls bekommt es dem Baume sehr gut, wenn man ihm zur
Zeit, da die Blätter treiben, mit rotem Ton nebst dem Preßrückstand
von Oliven und Menschenkot, so weit seine Wurzeln reichen, begießt.
Dadurch werden die Feigen größer, fleischiger, besser.“

Schon in der römischen Kaiserzeit kamen die Feigen von der karischen
Küste Kleinasiens als eine besonders vorzügliche Sorte unter dem
Namen ~caricae~ nach Rom, obschon auch in Italien ganz gute Sorten
wuchsen. Feigen nebst Datteln und Honig bot man am Neujahrstage
den Göttern als Opfer und den Freunden als Geschenk dar. Schon im
Altertum wurde der Feigenbaum in Spanien und Nordafrika, wie auch im
südlichen Frankreich angepflanzt. Heute reicht sein Kulturgebiet von
der Bretagne bis zum Kap der guten Hoffnung. Nach China gelangte er
erst nach dem 8. Jahrhundert, in der Neuzeit nach Australien und bald
nach der Entdeckung des neuen Weltteils auch nach Amerika, wo er heute
besonders in Kalifornien im großen gezogen wird. In den eigentlichen
Tropen wächst der Feigenbaum zwar ganz gut, wenigstens da, wo das Klima
nicht zu feucht ist, jedoch erreichen seine Früchte daselbst nirgends
dieselbe Vollkommenheit wie in den Subtropen.

Der Feigenbaum wird selten höher als 6 m. Überall im Orient wird
er meist in Gärten gezogen, die höchstens einigemal gehackt oder
umgepflügt werden. Man vermehrt ihn dort durch Ableger. Will man von
einem Baum eine andere Sorte Feigen erzielen, so schneidet man den
Stamm unmittelbar am Boden ab und vollzieht die Veredelung durch
Einsenken von Pfropfreisern in je einen Spalt. Die Edeltriebe können
schon im ersten Jahre über mannshoch werden und sogar einige Früchte
tragen. Zuerst kommen die Frühfeigen, die im April noch unreif mit Salz
als Delikatesse verspeist werden. Im Mai treiben die Sommerfeigen, die
Anfang Juni reifen und als schöne, große, grünhäutige, sehr saftige
Erstlinge auf den Markt kommen. Von Ende Juli bis November reifen die
verschiedenen anderen Sorten in ununterbrochener Reihenfolge, bis im
Dezember, wenn schon alle Blätter durch die Winterstürme weggefegt
sind, die letzten Spätfeigen gepflückt werden. Ein guter Teil der
Feigen wird in Palästina frisch verzehrt, ein bedeutend größerer aber
an der Sonne getrocknet. Wenn die Feigen eines Baumes infolge des
welk gewordenen Stieles schlaff herabhängen, so schüttelt man den
Baum, liest die abgefallenen Früchte zusammen und breitet sie auf
der Erde aus, um sie etliche Tage an der Sonne trocknen zu lassen.
Zur Aufbewahrung für den Winter werden sie in weithalsige Tonkrüge
fest zusammengepreßt, damit die Luft keinen Zutritt habe und sie sich
weich und gut erhalten. Getrocknete Feigen werden auch vermöge ihres
reichen Zuckergehaltes zur Schnapsfabrikation verwendet. In Gegenden,
in denen die Sonnenwärme nicht zum Dörren der Feigen genügt, werden
sie in besonderen Öfen getrocknet und gelangen dann in Kisten verpackt
zum Versand. Die sehr große, weißlichgelbe Smyrnafeige läßt sich sehr
gut dörren und gibt im Jahre zwei Ernten. Von ihr werden jährlich 35
Millionen kg im Werte von 6,5 Millionen Mark ausgeführt. Viele Sorten
eignen sich jedoch nicht zum Trocknen und müssen roh verzehrt werden.
Besonders im Sommer halten sie sich nicht lange, sondern gehen bald in
Gärung über und sind dann an ihrem säuerlichen Geschmack erkenntlich.
Man bewahre sie deshalb auch getrocknet an einem möglichst kühlen Ort
auf, lasse sie in fester Verpackung und schütze sie vor dem Zutritt
der Luft. Der weiße Staub, der an der Oberfläche getrockneter Feigen
zu bemerken ist, rührt von ausgetretenem Traubenzucker her. In manchen
Gegenden Italiens überstreut man die Feigen mit Kastanienmehl, wodurch
ihnen Feuchtigkeit, aber auch Zucker entzogen wird. Vielfach wird auch
Mus aus den Feigen gemacht. In Spanien macht man daraus einen Käse, dem
man geschälte Mandeln, Haselnüsse, Pinien- und Pistaziennüsse, feine
Kräuter und Gewürze zusetzt. Getrocknet und braun geröstet liefern sie
den Feigenkaffee.

Die Eßfeigenbäume sind die nur Fruchtblüten enthaltenden weiblichen
Feigenstöcke, während die nichtkultivierten männlichen Stöcke die
nichteßbaren +Bocksfeigen+ liefern. Letztere hießen im Altertum bei den
Griechen ~erinón~, bei den Römern ~caprificus~ und dienten damals schon
zur Befruchtung der in der Kultur zu eßbaren Früchten ausgebildeten
Früchte der weiblichen Pflanze. Diesen Vorgang nennt man Kaprifikation.
Damit hat es folgende Bewandtnis: Die als Bocksfeigen bezeichneten
Früchte der nicht durch Kultur veredelten männlichen Feigenbäume
stellen Urnen dar, die bloß an der Mündung männliche Pollenblüten,
sonst aber ausschließlich sogenannte Gallenblüten tragen. Letztere
sind von einer winzigen Inquiline oder Gallwespe, der +Feigenwespe+
(~Blastophaga grossorum~) mit dem Legestachel angebohrte und mit je
einem Ei belegte Fruchtblüten, deren Fruchtknoten zur Galle wird, indem
die weiße, fußlose Larve des Insekts die ganze Samenanlage zu ihrem
Wachstume verbraucht. Wenn die kleinen Wespen herangewachsen sind,
verlassen sie die Gallen. Und zwar schlüpfen die flügellosen Männchen
zuerst aus, indem sie durch Zerbeißen der sie beherbergenden Galle ein
Loch in ihrer Kinderwiege zum Ausschlüpfen herstellen. Später tun dies
auch die beflügelten Weibchen, die alsbald von den Männchen noch in der
Urne der Bocksfeige befruchtet werden. Nun streben sie in die Weite.
Indem sie zu diesem Zwecke zur Urnenmündung emporklettern, beladen
sie sich am ganzen Körper mit dem Blütenstaub der dort gelegenen
Pollenblüten, den sie beim Aufsuchen neuer Urnen an die Narben der
der Befruchtung harrenden Fruchtblüten abstreifen. Sie suchen nämlich
ausschließlich diejenigen Urnen auf, die sich in einem jüngeren
Entwicklungsstadium befinden, um dort ihre Eier in die Fruchtknoten zu
legen. In die normalen Fruchtblüten der gewöhnlichen Feige können diese
Wespen keine Eier legen, da ihr Legestachel zu kurz ist, um bis an die
Fruchtknotenhöhle hinabgestoßen zu werden. Die dort hineingesenkten
Eier bleiben in einer für ihre Weiterentwicklung ungünstigen Stelle des
Griffels liegen und gehen zugrunde. Der dabei auf die Narben gebrachte
Pollen aber befruchtet diese Blüten, während der auf die Gallenblüten
gelangte wirkungslos bleibt, da deren Narben mehr oder weniger
verkümmert sind. Diese letzteren dagegen besitzen einen kurzen Griffel
und sind zur Aufnahme des Insekteneies vorzüglich geeignet. Sie bringen
nun auch die jungen Wespen hervor, welche jeweilen die Befruchtung der
Feigen zu übernehmen haben.

[Illustration: Bild 14. 1 urnenförmiger Blütenstand der Eßfeige von
aus Gallen der nicht eßbaren Bocksfeige ausgeschlüpften winzigen
Feigenwespen besucht, 2 langgriffelige Fruchtblüte der Eßfeige, 3 die
aus einer kurzgriffeligen Fruchtblüte der Bocksfeige hervorgegangene
Galle, 4 aus einer solchen ausschlüpfende Feigenwespe, in 5 das Tier
ganz dargestellt.]

Die Kaprifikation der Feige wird in der Weise vorgenommen, daß man
vom männlichen wilden Feigenbaume Zweige mit Feigen oder einzelne
Feigen abschneidet und sie oben in kultivierte weibliche Feigenbäume
hineinhängt. Aus den bald verwelkenden wilden Feigen sind dann die
Gallwespen gezwungen, auszukriechen und die zahmen Feigen aufzusuchen
und zu befruchten. Diese Kaprifikation ist eine Erfindung der
Semiten Arabiens und Syriens, die diese Methode mit der Feigenkultur
weiter verbreiteten, um dem Abfallen der weiblichen Eßfeigen infolge
Nichtbefruchtung zu wehren. So wurde sie auch von den alten Griechen
geübt. Schon der Vater der griechischen Geschichtschreibung Herodot
erwähnt sie im 5. vorchristlichen Jahrhundert. Drei Generationen
später schreibt der treffliche Pflanzenkenner Theophrastos in seiner
Pflanzenkunde darüber: „Dem Abfallen der Früchte des Feigenbaumes
(~sykḗ~) beugt man durch die Kaprifikation (~erinasmós~) vor. Man
hängt nämlich, wenn es geregnet hat, an den zahmen Baum wilde Feigen,
Bocksfeigen (~erineós~), aus denen Gallwespen (~psḗn~) hervorkommen,
welche in die zahmen Feigen von deren Außenende aus hineinkriechen.
Daß eine Frucht kaprifiziert ist, erkennt man daran, daß sie rot, bunt
und derb wird, während die nichtkaprifizierte weiß und kraftlos ist.
Übrigens fallen die Feigen ohne Kaprifikation nicht überall ab; in
Italien z. B. sollen sie hängen bleiben und deshalb wird dort jenes
künstliche Mittel nicht angewendet. Auch in den nördlichen Gegenden
und auf magerem Boden Griechenlands soll die Kaprifikation nicht
nötig sein, wie bei Phylakos im Gebiet von Megara und in manchen
Gegenden bei Korinth. Auch bei Wind, namentlich bei Nordwind, fallen
die Feigen leichter ab, besonders wenn sie in großer Menge vorhanden
sind, desgleichen werfen Frühsorten leichter ab als späte, weshalb man
letztere nicht kaprifiziert.“

Einen Sinn hat die Kaprifikation in der Gegenwart nur dann, wenn
man keimfähige Samen zur Vermehrung der Feigenbäume zu erhalten
begehrt. Da aber die Feigenbäume heute nicht mehr aus Samen, sondern
aus Stecklingen gezogen werden, ist die Kaprifikation eigentlich
überflüssig; denn im Laufe der Zeit und durch die Kultur begünstigt,
hat die Feige die Eigenschaft erworben, auch ohne Bestäubung durch
die Wespen saftig und süß zu werden. Doch wird sie gleichwohl an den
meisten Orten, namentlich in Unteritalien, Sizilien, Griechenland
und den griechischen Inseln, Kleinasien, Syrien, Tripolis, Algier,
Südspanien und Portugal noch immer ausgeführt, indem man glaubt, daß
sie das Abfallen der unreifen Feigen verhindere und eine frühere Reife
herbeiführe, sowie daß ein kaprifizierter Baum sehr viel mehr Feigen
trage, als ein nichtkaprifizierter. Die Kaprifikation unterbleibt
dagegen in Nord- und Mittelitalien, Tirol, Sardinien, Südfrankreich,
Nordspanien, Portugal, Ägypten, auf den Kanaren und den Azoren. Diese
eigentümliche Befruchtungsart durch speziell angepaßte kleine Wespen
finden wir übrigens bei allen Ficusarten, deren die Tropen eine Fülle
oft sehr großer, baumartiger Formen beherbergen. Aber nur noch die
Sykomore -- von den alten Griechen so, d. h. Feigenmaulbeerbaum genannt
-- wird in Ägypten, wo ihre Früchte seit uralter Zeit ein beliebtes
Volksnahrungsmittel sind, kaprifiziert.

Die +Sykomore+ (~Ficus sycomorus~), der Maulbeerfeigenbaum, ist ein
13-16 m hoher Baum Afrikas mit dickem Stamm und immergrünen, fast
herzförmig eirunden Blättern. Seine walnußgroßen, gelblichen Früchte
von angenehm süßem und gewürzhaftem, maulbeerähnlichem Geschmack treten
in Büscheln oft zu Hunderten unmittelbar aus dem Stamm und werden von
Menschen und Tieren sehr gerne gegessen. Um vollkommen reif zu werden,
sticht oder ritzt man sie einige Tage vor der Reife an, wobei ein
bitter schmeckender Saft abfließt. Der Baum liebt feuchten Boden und
wächst deshalb mit Vorliebe am Wasser. Das weiche, schwer verwesliche
Holz war im Niltal das wichtigste einheimische Werkholz, das zu
allerlei Geräten, besonders aber zur Herstellung der Mumiensärge diente.

Infolge des mannigfachen Nutzens, den sie gewährte, begreifen wir die
Hochachtung, welche die Sykomore im alten Ägypten als der Isis und
Hathor, den Göttinnen der Fruchtbarkeit und Liebe, geweihter Baum
genoß. Sie hieß altägyptisch nuhi und galt als Typus eines Baumes, nach
welchem andere neu eingeführte genannt wurden, z. B. der Feigenbaum:
die Feigensykomore, der Weihrauchbaum: die Weihrauchsykomore, die
Terpentinpistazie: die Harzsykomore usw. Nicht bloß aß das Volk
seit den ältesten nachweisbaren Zeiten gerne seine gewöhnlich als
„Eselsfeigen“ bezeichneten Früchte, sondern opferte diese mit Vorliebe
den Toten. Den Ägyptern des alten Reiches war der Reichtum des
Nillandes an Sykomoren ein besonderer Stolz und sie fügten meist dem
Namen ihres Landes „~Kem~“, was „Schwarze Erde“, d. h. fruchtbares
Schwemmland des Nils, im Gegensatz zur sterilen gelben Wüste bedeutet,
zur Kennzeichnung der kultivierten, baumtragenden Niederung, das
Deutbild eines Baumes bei; und zwar war es die Sykomore, nach welcher
sie ihre Heimat auch das „Land des Nuhibaumes“ nannten, etwa wie sich
ein Teil Deutschlands das „Land der Eichen“ nennen kann. In ihrem
Schatten lebten die Lebenden und aßen ihre Früchte, die auch den Toten
die liebste Opfergabe war, so daß sich ganze Körbe davon getrocknet
in den Grabkammern fanden. Zweige und Blätter derselben dienten zum
Schmucke der Mumien, die in Särgen aus Sykomorenholz ruhten. Und nicht
nur stand als „Baum des Lebens“ nach dem Totenbuch der alten Ägypter
eine Sykomore am Eingang zum Reiche der Seelen, sondern im Laube
dieser Bäume dachte man sich die Geister der Verstorbenen mit Vorliebe
hausend. Darum ist es nach dem Zeugnis so vieler Steleninschriften der
heißeste Wunsch des Abgeschiedenen, unter einer Sykomore zu wohnen.
Deshalb pflegte man diese Bäume in eigenen Grabgärtchen, die wenn
möglich von Wasser aus dem Nilstrom umflossen waren, zu pflanzen. Noch
zur Zeit der 18. und 19. Dynastie, d. h. im neuen Reiche (von 1550
bis 1200 v. Chr.), wünscht sich der Tote in stehender Formel: „Möge
meine Seele (~ka~) sitzen auf den Zweigen des Grabgartens, den ich
mir bereitet habe; möge ich mich erfrischen tagtäglich unter meiner
Sykomore.“ So war einst dem anspruchloseren Bewohner des Landes die
Sykomore auch im Diesseits ein „Baum des Lebens“, zugleich Obdach
gegen die sengende Hitze des Mittags und Nahrungsspenderin. Erst in
späterer Zeit nahm ihre Wertschätzung gegenüber anderen Fruchtspendern
ab und ihre Früchte, die Eselsfeigen, galten jüngeren Geschlechtern
für weniger schmackhaft. Dem gibt der jüdische Prophet Amos im 8.
vorchristlichen Jahrhundert Ausdruck, indem er zu König Amazia sagt,
daß jene Früchte nur noch die dürftige Nahrung der Kuhhirten bilden:
„Ich bin kein Prophet, noch eines Propheten Sohn, sondern ich bin ein
Kuhhirt, der Maulbeerfeigen ablieset.“ Auch bei den übrigen Völkern
des Altertums waren die Eselsfeigen wenig geschätzt. So schreibt der
griechische Geschichtschreiber Strabon: „In Ägypten gibt es einen
Maulbeerbaum (~sykáminos~), dessen Frucht ~sykómōron~ heißt; sie
ist einer Feige ähnlich, schmeckt aber nicht sonderlich gut.“ Und
Dioskurides beschreibt ihn, wie schon 300 Jahre vor ihm Theophrast,
sehr ausführlich: „Der ägyptische Maulbeerbaum (~sykáminos~), der,
wie dessen Frucht, auch ~sykómōron~ heißt, ist ein großer Baum, dem
Feigenbaum ähnlich, sehr saftreich, hat dem Maulbeerbaum (~mōréa~)
ähnliche Blätter und trägt drei- bis viermal des Jahres Früchte, die
aus dem Stamme selbst kommen. Sie sind denen des wilden Feigenbaums
ähnlich, haben aber keine Kerne und werden nur reif, wenn man sie mit
den Fingernägeln ritzt oder mit eisernen Nägeln kratzt. Die meisten
Bäume dieser Art wachsen in Karien, auch auf Rhodos, überhaupt an
Orten, welche arm an Weizen sind; sie geben dort einigen Schutz gegen
Hungersnot. Die Frucht gibt übrigens nur wenig Nahrung. Die Rinde des
Baumes verwundet man absichtlich, fängt den ausfließenden Milchsaft
mit einem Badeschwamm (~spóngos~) oder mit Wolle auf, trocknet ihn und
braucht ihn innerlich und äußerlich zu Heilzwecken.“

Wie das gemeine Volk im Niltal seit alters gerne die Sykomorenfrüchte,
trotz ihres etwas faden Geschmackes ißt, so schmausen südlicher
wohnende Eingeborenenstämme Afrikas die Früchte nahe verwandter Arten.
So wächst beispielsweise in Ostafrika eine besondere Maulbeerfeigenart,
die ~Ficus capensis~, deren Früchte in allen Ortschaften der
Landschaft Usambara auf den Markt kommen, aber an Wohlgeschmack
diejenigen der echten Sykomore lange nicht erreichen. Übrigens findet
man auch in Südpersien zwei wilde Feigenarten (~Ficus persica~ und
~Ficus iohannis~) mit haselnußgroßen, eßbaren Früchten, die von den
anspruchslosen Eingeborenen gerne gegessen werden.

Wie der süßfrüchtige Feigenbaum ist auch der edle +Ölbaum+ (~Olea
europaea~) ein Gewächs des südlichen Vorderasiens, das in dieser seiner
eigentlichen Heimat von den dort wohnenden semitischen Volksstämmen
früh veredelt und durch Kulturauslese zu lohnendem Fruchtertrage an dem
für alle vorzugsweise von fettarmer Pflanzenkost, besonders Getreide,
lebenden Menschen so wertvollen Öle gebracht wurde. Die älteste Öl
liefernde Kulturpflanze der Menschheit scheint der +Sesam+ (~Sesamum
indicum~) gewesen zu sein, ein heute noch von Westafrika bis Japan
in umfangreichem Maße angebautes einjähriges Kraut mit schön hellrot
gefärbten, an den Fingerhut gemahnenden Blüten, das Indien zu seiner
Heimat hat. Hier wurde es zur Kulturpflanze erhoben und gelangte von
da schon sehr früh nach Babylonien, wo im Altertume alles Öl aus
Sesam bereitet wurde. In den erst später zu höherer Kultur gelangten
Ländern am Mittelmeer ist diese ältere Ölpflanze durch den jüngeren
Ölbaum verdrängt worden, der im nördlichen, nahe dem Meere gelegenen
Syrien oder Kilikien von den dort wohnenden Stämmen, vermutlich aus
der engeren Verwandtschaft der Chethiter, schon im 3. vorchristlichen
Jahrtausend zur Kulturpflanze erhoben wurde. Die wildwachsende Form mit
kleinen, nur mit einem sehr dünnen Fruchtfleisch umgebenen Früchten
findet sich seltener als Baum, meist als Strauch durch ganz Westasien
und wurde schon in vorgeschichtlicher Zeit durch Vögel, die seine
Früchte verzehrten, durch das ganze Mittelmeergebiet verbreitet.
Noch heute tritt er uns überall bis zu den Azoren und Kanaren in
den Macchien als +Oleaster+ entgegen. Wie die Feige gedeiht auch
der zur wertvollen Kulturpflanze erhobene edle Ölbaum am besten auf
Kalkboden in nicht zu großer Entfernung vom Meere. Schon sehr früh
hat er sich über ganz Syrien verbreitet. Jedenfalls war er überall in
Kanaan angepflanzt, als die Juden ums Jahr 1250 das Land eroberten,
und ihre späteren Herrscher, besonders David und Salomo, beförderten
dessen Anbau in jeder Weise. Das aus den Oliven gewonnene Öl wurde
von den Juden in der mannigfaltigsten Weise verwendet: zum Schmälzen
der Mehlspeisen, zum Opfer, zum Brennen in der Lampe und zum Salben
des Haupthaares und Körpers überhaupt. Es galt auch als wertvolles
Tausch- und Zahlmittel. So erfahren wir, daß König Salomo, der von 993
bis 953 v. Chr. regierte, die am Tempelbau beschäftigten phönikischen
Arbeiter teilweise mit Olivenöl entlohnte. Den Überschuß ihrer
Ölproduktion verkauften die Juden nach den Zeugnissen der Bibel an
die Phönikier und nach dem reichen, stark bevölkerten Ägypten, das
allerdings schon längst eigene Ölbaumkulturen besaß. Der Begründer der
Botanik, Theophrastos im 4. vorchristlichen Jahrhundert, berichtet
von ausgedehntem Olivenbau in der Thebais, vermutlich den Oasen der
libyschen Wüste, wo der Baum heute noch vielfach gepflanzt wird, sagt
aber, daß auch das übrige Ägypten ein an Ölbäumen reiches Land sei.
Da sie aber einen trockenen Boden lieben, gedeihen diese aber hier
nur soweit, als die Überschwemmung von seiten des Niles fehlt. Aus
demselben Grunde fehlte der Ölbaum auch in den Niederungen von Euphrat
und Tigris, wo als Fettspender ausschließlich die Sesampflanze angebaut
wurde.

Über Kleinasien gelangte der Ölbaum in der ersten Hälfte des 2.
vorchristlichen Jahrtausends zu den Griechenstämmen am Ägäischen Meer.
Während noch Hehn bestritt, daß in homerischer Zeit der Ölbaum in
Griechenland selbst angebaut wurde, und annahm, daß alles Olivenöl,
das damals vornehmlich zum Salben des Körpers von den Griechen
gebraucht wurde, als Importware durch die Phönikier aus Syrien gebracht
worden sei, wissen wir heute mit Sicherheit, daß der Ölbaum schon in
mykenischer Zeit um die Mitte des vorletzten Jahrtausends v. Chr. in
Griechenland selbst angebaut wurde. Nicht nur hat man auf mehreren
bildlichen Darstellungen aus jener Zeit unverkennbare Darstellungen
von Ölbäumen und in verschiedenen der Paläste Kretas und auf der Insel
Thera steinerne Ölmühlen aus mykenischer Zeit gefunden, sondern in den
Königsgräbern von Mykene fanden sich auch eine Anzahl Olivenkerne. Also
muß der Baum damals schon im Lande selbst kultiviert worden sein und
haben seine Früchte als Speise gedient.

Was in den homerischen Epen als phönikischer Import angeführt wird,
war nicht sowohl reines, als parfümiertes Olivenöl, mit dem die Helden
nach dem Bade von den Mägden eingerieben wurden. Mit solch duftendem
Öle salbten sich nach Homer nicht nur die Menschen, sondern auch die
unsterblichen Götter, so Hera, die sich dem Zeus angenehm machen
wollte. In der Schatzkammer des Odysseus wie des Telemachos lag neben
Gold, Silber, Erz, Kleider und Wein auch Olivenöl (~élaion~). Wie
Telemachos nach dem Bade mit Öl gesalbt und mit schönen Kleidern
angetan wurde, „daß er aussah wie ein unsterblicher Gott“, salbte
Patroklos auch die Mähne seiner Streitrosse, wenn sie gewaschen
worden waren, mit Olivenöl. Desgleichen tat Achilleus mit den Mähnen
seiner Pferde, die als Söhne des Windgottes Zephyr unsterblich waren.
Und wie die liebreizende Aphrodite nach Homer auf Cypern, dem Orte
ihrer besonderen Verehrung, von den Chariten mit ambrosischem Öle
gesalbt wurde, dessen Duft, wenn es bewegt wurde, Himmel und Erde
durchdrang, so salbte sie damit auch den Leichnam ihres von Achilleus
gefällten Lieblings Hektor. Mit ihm reinigte Athene gleicherweise das
gramerfüllte Gesicht von Odysseus treuer Gattin Penelope während des
Schlafes, damit es bei ihr, die sich in Trauer um ihren verschollenen
Gemahl weder gewaschen noch gesalbt hatte, mit der unsterblichen
Schönheit leuchte, die die schönbekränzte Liebesgöttin umgibt, wenn sie
damit gesalbt zum lieblichen Reigen der Chariten geht. Aber nicht nur
das Olivenöl, auch das Holz des Ölbaums, und zwar des ~elaíē~ genannten
Kulturbaums, spielt in den homerischen Epen eine nicht unbedeutende
Rolle. Nicht nur standen im Garten des Phäakenkönigs Alkinoos reichlich
Frucht tragende Ölbäume, sondern aus Olivenholz waren die Keule des
Kyklopen Polyphem, der Stiel der Streitaxt des Peisandros und das
Bettgestell, das sich Odysseus in seiner Heimat Ithaka eigenhändig
gezimmert hatte, angefertigt.

Um so merkwürdiger muß es uns erscheinen, daß Herodot berichtet, der
Ölbaum sei erst zur Zeit des attischen Gesetzgebers Solon (639-559
v. Chr.) nach dem griechischen Festlande gebracht worden. Damals kann
nicht der Kulturölbaum an sich, sondern nur eine höher gezüchtete
Abart mit größeren Früchten nach Hellas gekommen sein. In der Tat
weisen die in mykenischen Fundschichten zutage getretenen Steinkerne
auf eine noch recht kleinfrüchtige Olivenart hin. Nach der attischen
Sage soll Athene selbst dem Könige Theseus auf der Burg den Ölbaum
geschaffen haben, und nach der Erzählung der Bewohner von Elis soll
ihn Herakles von den Hyperboräern im äußersten Nordwesten dorthin
gebracht haben. In zahlreichen griechischen Mythen ist vom Ölbaum die
Rede, und mit Zweigen von ihm bekränzte man nach uralter Sitte die
Sieger der Wettkämpfe in Olympia. Mit Vorliebe nahm man sie von den
Bäumen in den heiligen Bezirken, die teilweise ein sehr hohes Alter
aufwiesen. So stand auch auf dem Marktplatze der Stadt Megara, westlich
von Athen, ein uralter Ölbaum, dessen Jugend bis in die Heroenzeit
hinaufgereicht haben soll. Von solchen als heilig und unverletzlich
gehaltenen Ölbäumen ist auch in Athen die Rede. So waren im Garten der
Akademie solche der Athene geweihte und daher unantastbare Ölbäume,
die von dem alten, durch die Stadtgöttin selbst auf der Akropolis
einst hervorgezauberten und später nach der Verbrennung durch die
Perser im Jahre 481 v. Chr. durch Wurzelschößlinge verjüngten Baume
stammten und das Öl lieferten, von dem ein Krug voll beim gymnischen
Agon während des großen, von Peisistratos um 540 v. Chr. gestifteten
Panathenäenfestes den Siegespreis bildete.

Über die Erschaffung des Ölbaums auf der Akropolis in Athen berichtet
uns ein ungenannter griechischer Autor, jedenfalls ein Athener, in
den Geoponika, dessen 9. Buch ausschließlich vom Ölbaume und seinen
Früchten handelt: „Anfänglich war die Erde ganz mit Wasser bedeckt.
Da tauchte zuerst Attika aus dem großen Meere hervor, und es entstand
ein Streit zwischen dem (Meergott) Poseidon und (der aus dem Haupte
des Zeus entsprungenen) Athene, nach wessen Namen die da zu gründende
Stadt benannt werden sollte. Zeus entschied, sie sollte dem gehören,
der ihr das beste Geschenk gäbe. Poseidon gab der Stadt einen Hafen
und Schiffswerften, Minerva aber schuf auf der Burg einen an Blüten
und Früchten reichen Ölbaum, bekränzte sich mit dessen Zweigen, ward
als Siegerin erklärt und nach ihrem Namen wurde die Stadt Athen
genannt. Infolge dieser Begebenheit werden die Sieger in öffentlichen
Wettkämpfen mit Ölzweigen bekränzt. Übrigens hat sich noch gefunden,
daß ein Ölblatt auch anderweitig gute Dienste leisten kann; schreibt
man nämlich darauf ~Athēná~ und bindet es um den Kopf, so
vergeht das Kopfweh.“

Schon zu Beginn des 6. vorchristlichen Jahrhunderts hatte der weise
Gesetzgeber Solon, der einer der sieben Weisen war, eingehende
Bestimmungen über den Oliven- und Feigenbau in Attika erlassen.
Nach ihm hat besonders Peisistratos sich den Anbau des nützlichen
Ölbaumes auf der kahlen und damals schon durch Entwaldung baumlosen
Landschaft Attikas angelegen sein lassen. Und als die Griechen ihre
Kolonisation nach Westen ausdehnten, nahmen sie selbstverständlich
den Anbau des Olivenbaums so gut als denjenigen des Weinstocks und
des Feigenbaums als für sie unentbehrliche Nutzpflanzen mit sich. So
bedeckten sich im Laufe des 7. und 6. vorchristlichen Jahrhunderts die
Gestade Siziliens und Süditaliens mit jenen Pflanzen. Plinius sagt,
daß nach Fenestella (der unter der Regierung des Kaisers Tiberius, die
von 14-37 n. Chr. währte, lebte) es zur Zeit des Lucius Tarquinius
Priscus (des 5. römischen Königs, eines Etruskers, der von 616-578
regierte) in Italien, Spanien und Afrika noch keine kultivierten
Ölbäume gegeben habe. Erst unter der Regierung von dessen Sohn Lucius
Tarquinius Superbus (der seinen Schwager Servius Tullius stürzte, um
von 534-510 zu regieren) sei der erste Ölbaum nach Latium gekommen.
Von da verbreitete er sich dann allmählich nach Norden bis an den
Südabfall der Alpen, soweit ihm das Klima überhaupt vorzudringen
gestattete. Diese Periode des Aufblühens des römischen Gemeinwesens war
eine Zeit des lebhaftesten Verkehrs mit den griechischen Ansiedelungen
Campaniens. Daß nun Griechen die Vermittler der Ölbaumkultur bei den
Römern waren, beweisen schon die lateinischen Bezeichnungen ~oliva~ und
~oleum~ (Öl), die dem Griechischen ~elaíā~ und ~élaion~ entlehnt sind,
wie übrigens auch sämtliche auf die Ölbereitung bezüglichen Ausdrücke.
Schon im 1. Jahrhundert v. Chr. war Italien bis auf die Gegend nördlich
vom Apennin, deren Klima bis heute keinen Ölbau duldet, so reich an
Ölbäumen, daß es damals hierin allen übrigen Ländern am Mittelmeer den
Rang ablief.

Der aus Spanien nach Rom gekommene römische Ackerbauschriftsteller
Columella schreibt in seinem Buche über den Landbau: „Von allen Bäumen
ist der Ölbaum dem Range nach der erste und erfordert dennoch den
geringsten Aufwand. Für gewöhnlich trägt er nur ein Jahr ums andere,
aber sein Fruchtertrag verdoppelt sich, wenn man ihn gut pflegt;
andererseits bringt er doch auch dann einigen Nutzen, wenn man ihn
viele Jahre hindurch vernachlässigt, und läßt sich durch bessere Pflege
innerhalb Jahresfrist wieder in guten Stand bringen. Es gibt viele
Olivensorten und im allgemeinen gilt bei ihnen die Regel, daß die
großen besser zum Verspeisen, die kleinen dagegen besser zur Gewinnung
von Öl sind. Große Hitze und große Kälte ist allen Sorten schädlich.
Man pflanzt daher in heißen Gegenden diese Bäume am besten an nach
Norden gelegenen Abhängen, in kälteren aber gegen Süden. Tiefe Täler
und hohe Berge passen nicht für sie, sondern mäßige Hügel, wie man
sie im Sabinerlande und im ganzen südlichen Spanien antrifft.“ Dann
gibt er ausführliche Anleitung über die Anlage von Ölbaumpflanzungen
(~olivetum~), auf die wir hier nicht näher eintreten wollen.

Columellas Zeitgenosse Plinius berichtet, daß im 505. Jahre Roms (249
v. Chr.) unter dem Konsulat des Appius Claudius und Lucius Iunius 2
Pfund Olivenöl 10 Asse (über 5 Mark) kosteten, daß im Jahre 74 v. Chr.
dagegen 10 Pfund Olivenöl bloß 1 As (etwa 47 Pfennige) zu stehen
kam, und 22 Jahre später unter des Gnäus Pompejus drittem Konsulat
Italien einen solchen Überfluß daran besaß, daß noch welches in die
Provinzen ausgeführt werden konnte. Dazu bemerkt er: „Zur Zeit des
Hesiodus (im 8. Jahrhundert v. Chr.) muß man es mit der Olivenzucht
(in Griechenland) noch nicht weit gebracht haben; denn er behauptet,
niemand habe damals von seinen Ölbaumpflanzungen Nutzen gehabt. Jetzt
aber besitzt man für diese Bäume eigene Baumschulen und erntet schon
zwei Jahre, nachdem man sie aus ihnen herausgenommen hat, Früchte.
Es gibt verschiedene Sorten von Oliven. Vergil nennt sie ~orchites~,
~radius~ und ~posia~. Die Olivenernte folgt auf die Traubenernte und
die Behandlung des Öles ist anfangs schwieriger als diejenige des
Mostes. Je reifer die Olive (~bacca~, d. h. Beere), desto fetter ist
ihr Saft, aber desto schlechter schmeckt er. Die Zeit, in der Güte
und Menge des Öls am besten in ihr vereinigt sind, zu der man sie
also am liebsten erntet, ist die, da sie anfangen sich dunkel zu
färben, da die Römer sie ~drupa~, die Griechen ~drypetis~ nennen. Die
frühreifen Olivensorten erntet man gleich nach Beginn des Herbstes;
die dickschaligen läßt man bis zum März hängen, und mehrere von
diesen fangen nicht einmal vor dem 8. Februar an, eine dunkle Farbe
zu bekommen. Vom Baume genommene Oliven darf man nicht lange stehen
lassen, da jeder Verzug die Ölmasse in ihnen vermindert, dagegen die
Schleimmasse vermehrt. Frisches Öl ist zum Verspeisen am besten; wenn
es über ein Jahr alt ist, schmeckt es schlecht, was beim Weine nicht
der Fall ist. Außer dem Öl gewinnt man den Ölabgang (~amurca~), der zum
Düngen der Ölbäume, zum Einölen der Krüge, zum Tränken der Tenne, auf
welcher gedroschen werden soll, zum Bestreichen des Getreidespeichers,
um Holzwürmer und anderes Ungeziefer abzuhalten, und als Heilmittel gut
ist.“

Welche Bedeutung dem Olivenöl nicht bloß als Nahrungs- und
Beleuchtungsmittel, sondern vor allem auch zur Körperpflege bei den
Völkern des Altertums zukam, beweist der Ausspruch desselben Plinius,
der sagt: „Es gibt zwei Flüssigkeiten, welche dem menschlichen
Körper sehr willkommen sind; innerlich der Wein und äußerlich das
Olivenöl; beide stammen von Bäumen, aber der Wein ist jedenfalls
entbehrlicher als das Öl.“ Der griechische Philosoph Demokritos aus
Abdera in Thrakien (460-360 v. Chr.), der die Torheiten der Menschen
belächelte und das höchste Glück der Menschen in völlige Seelenruhe
setzte, erwiderte auf die Frage, wie man gesund bleiben und seine
Tage verlängern könne, mit der diätetischen Regel: „Innerlich Honig,
äußerlich Olivenöl.“ An einer anderen Stelle, an der er die Bedeutung
der Öleinreibung bespricht, meint Plinius: „Das Olivenöl hat die
Eigenschaft, in die Haut eingerieben den Körper zu erwärmen, gegen
Kälte zu schützen und die Hitze des Kopfes zu kühlen. Bei den Griechen
steht auf den für die Gymnastik bestimmten Plätzen Öl, mit dem sich
jeder umsonst salben darf. Auch der römische Staat erweist dem Ölbaum
hohe Ehre, indem sich die Ritterscharen am 15. Juli mit dessen Zweigen
bekränzen, was auch die siegreichen Feldherrn bei Ovationen tun.“

Wie schon in Griechenland ein Kranz aus Ölzweigen die höchste
Auszeichnung des bei den Wettkämpfen siegenden Volksgenossen
war, so trugen auch bei den Römern die im Felde gewesenen Diener
lorbeergeschmückter Feldherrn einen Kranz von Ölzweigen. Der Ölzweig
war den Alten überhaupt das Sinnbild des Friedens, und Besiegte, die um
Frieden zu bitten kamen, trugen Ölzweige in den Händen. Dies wurde dann
weiter auf den Frieden einer höheren Welt übertragen, wenn die frisch
aufgenommenen Mitglieder der samothrakischen Mysterien Ölzweige trugen,
oder wenn auf den Grabsteinen der ältesten Christen eine Taube mit dem
Ölzweig im Schnabel dargestellt wurde. Im Altertum müssen die Ölbäume
nur auf einem beschränkten Umkreis um die Ortschaften angepflanzt
worden sein, was aus dem lateinischen Sprichwort hervorgeht: ~extra
oleas vagari~, d. h. über die Ölbäume hinausschweifen, im Sinne von zu
weit gehen, übers Ziel schießen.

Bei der großen Bedeutung des Olivenöls für die antike Welt, kann es
uns nicht wundern, daß von den Regierenden außer Brotkorn auch Öl dem
Proletariat der Stadt Rom umsonst gespendet wurde. So berichtet uns
Aelius Spartianus im Leben des Kaisers Septimius Severus, daß dieser
bei seinem Tode im Jahre 211 einen Getreidevorrat in der Hauptstadt
hinterließ, durch den der Bedarf auf sieben Jahre gedeckt war, so daß
täglich 75000 Scheffel (~modius~) verausgabt werden konnten -- es
ist dies eine Menge, die reichlich zur Ernährung von 600000 Menschen
hinreichte, so viele müssen also damals in Rom vom kaiserlichen
Getreide gelebt haben --, „von Olivenöl aber hinterließ er so ungeheure
Vorräte, daß sie auf fünf Jahre nicht bloß den Bedarf der Stadt Rom,
sondern für ganz Italien genügten“. Bei der gewaltigen Produktion
von Olivenöl ist es daher begreiflich, daß zur römischen Kaiserzeit
ziemlich große Mengen desselben, außer aus Italien, auch aus Istrien
und Dalmatien in die nördlich davon gelegenen Länder ausgeführt und
daselbst gegen Vieh, Häute und Sklaven ausgetauscht wurden. Von
Massalia, dem heutigen Marseille, aus, wohin die Griechen den Ölbaum
schon im Jahre 680 v. Chr. mit dem Weinstocke verpflanzt hatten,
rückte die Kultur dieser Nutzpflanzen in die durch ein warmes Klima
und Kalkboden besonders für den Ölbaum geeignete Provence vor, wo die
Ölbaumkultur bei der Eroberung durch die Römer bereits ausgedehnte
Verbreitung besaß. Unter der Römerherrschaft wurde sie über das ganze
südliche Gallien verbreitet. Im 7. Jahrhundert wird schon das Baumöl
von Burdigala (Bordeaux) erwähnt.

Von dem Ertrage der Ölbaumpflanzungen, die sich der ganzen ligurischen
Küste entlang erhoben, wurden die Volksstämme des Hinterlandes, wie der
griechische Geschichtschreiber Strabon sagte, gegen Vieh, Häute und
Honig mit dem zum Brennen der Öllampen nötigen Öle versorgt. Es als
Fett zum Kochen zu benutzen, damit konnten sie sich zunächst so wenig
befreunden, wie die übrigen Barbaren, auch die Griechen und Römer,
als sie zuerst damit bekannt gemacht wurden. Auch konnte es nicht
fehlen, daß die Küstengebiete Spaniens, soweit sie sich zum Anbau des
Ölbaumes eignen, zur Zeit der römischen Herrschaft Ölbaumpflanzungen
erhielten, die bis heute so gedeihen, als wären sie von jeher dort
heimisch gewesen. Ebenso wurden die windgeschützten sonnigen Abhänge
der norditalienischen Seen mit diesem nützlichen Fruchtbaume aus dem
nördlichen Syrien bepflanzt, der auch ganz Nordafrika besiedelte
und seit dem 15. Jahrhundert auf den Kanarischen Inseln, seit dem
16. Jahrhundert am Kap, ebenso in Mexiko und Peru, wohin ihn 1560
Antonio Ribero brachte, angebaut wird. Bald wurde er auch in Chile
und Kalifornien, das heute gewaltige Ölbaumplantagen aufweist, wie
auch in Australien heimisch. Er wird heute in etwa 40 Kulturvarietäten
angepflanzt, die aber leicht in die Urform zurückschlagen. An der
Nordgrenze seines Verbreitungsgebietes leidet er leicht durch Frost in
kalten Wintern.

Die ganze Erscheinung des Ölbaumes mit den schmalen, oben mattgrünen,
unten silberiggrau schimmernden Blättern auf knorrigem Stamme
deutet auf seine Herkunft aus einem Klima mit längeren Perioden von
Trockenheit. Im wilden Zustande, als Oleaster, ist er strauchartig mit
verdornten Zweigspitzen und bildet undurchdringliche Dickichte, während
er durch Kultur zu einem 6-8 m hohen, dornlosen Baume wird, der ein
Alter bis zu 1000 Jahren erreicht. Er verlangt einen trockenen, vor
Wind geschützten Kalkboden und muß vom zweiten Jahre an reichlich mit
stickstoffhaltigem Dünger versehen werden. Die Vermehrung geschieht
am zuverlässigsten durch Samen, woraus Wildlinge hervorgehen, die wie
die ebenfalls zur Vermehrung benutzten Stecklinge und Wurzelauswüchse
im zweiten Jahre durch Pfropfen oder Okulieren veredelt werden
müssen. Am vorteilhaftesten ist die Niederstammzucht, wobei durch
regelmäßiges Abkneifen der Zweigspitzen und Auslichten der erschöpften
Tragzweige das Austreiben junger Fruchtzweige veranlaßt werden muß. Die
Tragbarkeit beginnt mit dem 7. Jahre, wird mit dem 10. Jahre lohnend
und erhält sich vom 40. bis zum 100. Jahr auf der Höhe.

Im Mai oder Juni ist der Ölbaum über und über mit lieblich duftenden,
kleinen, gelblichweißen Blüten bedeckt, die an diejenigen unseres
Hartriegels (~Ligustrum vulgare~) erinnern, der auch in Wirklichkeit
ein naher Verwandter desselben ist. Die Frucht ist eine 4 cm
lange, pflaumenartige, dunkelviolette bis schwarze Steinbeere, die
vom November bis Ende Januar geerntet wird, und zwar beträgt die
durchschnittliche Ernte eines vollkräftigen Baumes zwischen 70 und
75 kg Früchte, die in ihrem grünlichweißen Fruchtfleisch zwischen
30 und 50 Prozent Öl enthalten. Das ursprünglichste Verfahren bei
der Olivenernte besteht darin, daß Männer auf die Bäume steigen
und die Oliven mit Stangen hinunterschlagen, die dann von Frauen
und Kindern am Boden gesammelt werden, wobei auch die schon früher
abgefallenen überreifen oder faulenden mit den guten zusammen kommen.
Begreiflicherweise ist das daraus gepreßte Öl nicht von besonders guter
Qualität. Will man feines Olivenöl gewinnen, so muß man die Oliven
einzeln vom Baume pflücken und alle minderwertigen beseitigen, auch die
Pressung möglichst beschleunigen, bevor diese irgendwelche Veränderung
erfahren haben. Das allerfeinste Öl gewinnt man bei schwacher Pressung,
wenn die Steinkerne der Früchte unzerdrückt bleiben. Es ist dies
das „Jungfernöl“, dessen geschätzteste Sorte aus Nizza und Lucca in
Oberitalien kommt. Doch wird im Großbetriebe kaum je so verfahren,
sondern die Pressung gleich bis zum Zermalmen der Kerne gesteigert.
Der so gewonnene Brei gelangt in Säcke, die kalt gepreßt werden. Das
abfließende Öl ist die nächstbeste Qualität, das Provenceröl, so
genannt, weil es am meisten in der Provence gewonnen wird. Aus den
Rückständen und den weniger guten Früchten macht man unter Anwendung
von Wärme das weniger gute, geringwertigere Baumöl, welches als
Brennöl und besonders zur Herstellung milder Seifen -- speziell der
Marseillerseife -- Verwendung findet. Heute wird das Olivenöl vielfach
durch den Zusatz von Erdnußöl verfälscht, das neuerdings in großer
Menge besonders nach Frankreich eingeführt wird.

Als Nahrungs- und Heilmittel, wie auch in der Technik zum Ölen und
zur Herstellung von Seife, ebenso zur Salbung und letzten Ölung
der Katholiken spielt das Olivenöl eine bedeutende Rolle. Obschon
Südfrankreich etwa 26 Millionen kg davon hervorbringt und das übrige
Frankreich aus anderen Pflanzen über 80 Millionen kg Öl erzeugt, deckt
es damit seinen eigenen Bedarf noch nicht. Es führt deshalb noch
reichlich Olivenöl aus Süditalien ein. So soll das meiste Provenceöl
aus Apulien stammen. Es wird von Bari aus nach Nizza verschifft, wo
es als Provenceöl verkauft wird. Italien produziert 1,6 Millionen
Hektoliter Olivenöl im Werte von 200 Millionen Franken und führt davon
für 70 Millionen Franken aus. Spanien produziert 10,6 Millionen kg
Olivenöl und führt für etwa 12 Millionen Mark aus. Griechenland erntet
etwa 122 Millionen kg Oliven und führt für etwa 3 Millionen Mark
aus. Algier besitzt etwa 4 Millionen Ölbäume, und Tunis verschifft
durchschnittlich 3,5 Millionen kg Olivenöl im Jahre. Syrien erzeugt
etwa 7 Millionen kg Olivenöl.

Wie seit dem frühesten Altertum, so ist heute noch der Ölbaum der
nützlichste Baum, ja geradezu das Wahrzeichen Syriens und Palästinas.
Fast jedes Dorf ist von einem Ölbaumhain umgeben, dessen Bäume außer
gelegentlichem Ausputzen der Zweige und Umpflügen des Landes, um
Atmungsluft leichter zu den Wurzeln gelangen zu lassen, keinerlei
Pflege bedarf. Unverwüstlich leben sie weiter und tragen jährlich ihre
Früchte, die den größten Reichtum des Landes bilden. Der Fellache,
d. h. Landmann, sagt: Der Weinstock sei eine ~sitt~, eine zärtliche
Dame und verlange Pflege und Aufmerksamkeit, der Feigenbaum sei eine
~fellacha~, eine abgehärtete Bäuerin, die schon bei wenig sorgfältiger
Behandlung gedeihe, der Ölbaum sei aber eine ~bedauije~, ein auch
in der Wildnis und bei absoluter Vernachlässigung noch arbeitsames
Beduinenweib.

Der Ölbaum bedarf zu seinem Gedeihen einzig nur ein von anderen
Kulturen freies Land; er duldet nicht, daß man Weinreben oder
Feigenbäume dazwischen pflanzt. Diese Unduldsamkeit des Ölbaumes
erklärt uns, weshalb in der Bibel stets Weinstock und Feigenbaum,
aber nie Weinstock und Ölbaum nebeneinander genannt sind. Wie
unsere Obstarten wird er aus Wildlingen veredelt, aber nicht durch
Pfropfreiser, wie noch zur Zeit des Apostels Paulus, sondern durch
Okulieren. Selten zieht man die jungen Wildlinge aus Samen, da
es bei ihrem äußerst langsamen Wachstume zu lange ginge, bis sie
veredelungsfähig wären, und auch veredelt würden sie Jahre hindurch
unansehnliche Bäumchen bleiben. Es werden vielmehr die um den
knorrigen Wurzelstock der alten Bäume drängenden Schößlinge, deren
frische Jugendkraft dem alttestamentlichen Psalmendichter zu dem Bilde
Veranlassung gibt: „Deine Kinder sind wie Ölzweige um den Tisch herum,“
als Ableger verwendet. Sobald sie einigermaßen erstarkt sind, werden
sie zur Zeit der Olivenblüte okuliert. Man schneidet am Wildling ein
rechteckiges Stück Rinde aus, überträgt ein von einem fingerdicken
Edelreis genommenes gleichgroßes Stück mit guten Augen auf den
Ausschnitt und verbindet die Veredelung auf eine Dauer von 12 Tagen mit
Bast.

War die Veredelung von Erfolg begleitet, so löst man die veredelten
Stämmchen vermittelst einer Axt derart vom Mutterbaume los, daß man
ihnen ein klotzartiges Stück des Wurzelstocks beläßt. Hierauf schneidet
man ihre Edeltriebe ziemlich nahe der Verbindungsstelle ab, weil sie
im ersten Jahre, da sie selbständig Wurzel fassen, nicht genügend Saft
hätten, diese Triebe weiter zu entwickeln, und versetzt sie. Bereits
vom dritten Jahre an kann ein solcher Baum Früchte tragen. Will man
einen schon großen, wilden oder halbzahmen Ölbaum veredeln, so bringt
man an jedem Ast in Mannshöhe eine Veredelung an und trennt oberhalb
derselben in Form eines Ringes die Rinde bis auf das Holz los, damit
sich die Säfte des Baumes mehr dem Edelreise zuwenden. Im Herbst werden
dann nach der Ernte die Äste an der geringelten Stelle mit dem Beil
abgeschlagen; sie abzusägen würde, wie die Fellachen sagen, dem Baume
schaden.

    Tafel 21.

[Illustration: Ein großer Ölbaum bei Antibes an der Riviera.]

    Tafel 22.

[Illustration: Olivenhain auf Capri.

Dattelpalmen an den Ufern des Nils in Ägypten.]

Der Olivenertrag ist nur jedes zweite Jahr ein reichlicher, wobei ein
großer Baum etwa 120 kg Oliven ergibt, aus denen 25 Liter Öl gewonnen
werden kann. Bei der Ernte werden sehr viele Oliven roh verspeist,
andere eingemacht und der Rest zur Gewinnung von Öl verwendet, wobei
das beste und feinste Öl aus den unreifen Oliven gewonnen wird. Je
fleischiger nämlich die Olive wird, desto weniger und geringer ist
das Öl, das sie gibt. Die zur Ölbereitung bestimmten Beeren werden
zunächst auf dem flachen Dache oder am Boden ausgebreitet und dann
einige Zeit aufgehäuft, „damit sie“, wie der Fellache sagt, „in Gärung
geraten“. Hierauf kommen sie in die Ölpresse, die aus einem wagrechten,
kreisrunden Stein mit tellerartiger Vertiefung besteht, in welcher ein
aufrecht stehender Mühlstein durch ein Maultier oder einige Männer
im Kreise bewegt wird. Nachdem die Oliven von diesem Steine zu Brei
zermalmt sind, werden sie in einer der Weinkelter ähnlichen Presse
ausgepreßt, wobei das Öl in eine kleine, auszementierte Zisterne läuft
und aus dieser in Lederschläuche oder große irdene Gefäße gefüllt
wird. Ärmere Leute schütten die Oliven wie in der Vorzeit in die Mulde
eines Felsens und zerdrücken sie mit einem walzenförmigen Stein.
Die zermalmten Früchte werden in einem Kessel mit siedendem Wasser
übergossen, worauf das Öl oben zu schwimmen kommt und abgeschöpft wird.
Dieses Öl dient als Nahrung, als geschätzte Arznei, als Brennmaterial
zur Erhellung der Hütten während der langen Winternächte und zum Salben
des ganzen Körpers, wovon die Leute stark und kräftig zu werden glauben.

Wie in allen Gegenden, in welchen der Ölbaum gedeiht, kann man sich
auch in Palästina eine Mahlzeit ohne Oliven kaum denken. Sie werden
meist in der Weise konserviert, daß man sie, nachdem ihr Fruchtfleisch
durch leichtes Klopfen mit einem Stein aufgerissen wurde, in
Salzwasser legt, oder man verbringt sie in große Strohkörbe, streut
Salz darauf, fügt zur Würze Zweige der Raute bei, bedeckt sie mit
Steinen, vermischt sie nach zehn Tagen mit Olivenöl und genießt sie,
auf solche Weise haltbar gemacht, das ganze Jahr hindurch. Dergleichen
Oliven und Olivenöl, das sich heute noch wie vor 3000 Jahren bei
der Witwe zu Sarepta im Kruge der ärmsten Bäuerin findet, sind mit
Weizenbrot, in Zeiten der Teuerung auch Gersten- und Durrabrot, die
Hauptnahrungsmittel der Bevölkerung. Das Olivenöl vertritt bei den
Bauern ganz die Stelle des Schmalzes und der Butter, die nur die
nomadisierenden herdenbesitzenden Beduinen gebrauchen, und wenn der
Landmann, der Fellache, seinen frisch aus dem Ofen kommenden Brotfladen
in etwas Öl eintauchen kann, so gilt ihm das als Leckerbissen. Alle
Orientalen, die es sich leisten können, lieben es, nicht bloß ihre
Salate und Gemüse, sondern überhaupt sämtliche Speisen förmlich in Öl
schwimmend zu genießen.

Aus dem gelben, im Innern dunkel geaderten und gefleckten Holz, das
angenehm nach Öl duftet und eine hübsche Politur annimmt, werden in
manchen Gegenden Palästinas, besonders in Betlehem, allerlei hübsche
Gebrauchsgegenstände angefertigt, die von den Fremden gerne als
Andenken gekauft werden.

Ein aus alten Stämmen schwitzendes, vanilleartig riechendes Gummiharz
dient in Italien zum Räuchern. Auch die Früchte des +amerikanischen
Ölbaums+ (~Olea americana~) in Carolina und Florida werden in ihrer
Heimat gegessen. Das überaus harte Holz der alten Bäume wird dort
als ~devil-wood~ vielfach bearbeitet. Seine Blüten sind beinahe so
wohlriechend wie diejenigen des in China, Cochinchina und Japan
wachsenden +wohlriechenden Ölbaums+ (~Olea fragrans~), eines etwa 2 m
hoch werdenden immergrünen Strauchs, dessen Blüten zur Parfümierung des
chinesischen Tees, wie ihn der Abendländer liebt, benutzt wird.



V.

Die Fruchtbäume.

Zweiter Teil.


Mit den im vorigen Abschnitte aufgezählten Fruchtbäumen ist das
Verzeichnis der der alten Kulturwelt geschenkten Gaben der Ceres noch
lange nicht erschöpft. Man denke zunächst nur an die große Schar von
köstliche Frucht tragenden Palmen, denen im Haushalte des Menschen die
allergrößte Bedeutung zukommt. Schon durch ihre äußere Erscheinung
bestimmen sie vielerorts den Charakter der Landschaft; denn in den
Tropen erreichen sie vielfach eine gewaltige Größe und genießen infolge
ihrer ungemein großen Nützlichkeit eine hohe Verehrung, ja mancherorts
geradezu göttliche Ehre.

In Europa gibt es gegenwärtig nur eine einzige wildwachsende Palme,
die ganz unscheinbar ist und auch dem Menschen nur geringen Nutzen
gewährt. Es ist dies die +Zwergpalme+ (~Chamaerops humilis~), welche
in Südspanien, in Süditalien und in Griechenland an heißen, trockenen
Standorten Gestrüppe bildet. Besonders häufig aber ist sie im
trockenen, warmen Nordafrika, wo sie den europäischen Kolonisten das
größte Hindernis bei der Urbarmachung des Bodens bildet, indem ihre
über 1 m tief eindringenden Wurzeln darin ein undurchdringliches, kaum
zu beseitigendes Geflecht bilden, deren Ausrodung überaus mühevoll
und kostspielig ist. Ihr Stamm ist so niedrig, daß er oft kaum über
die Erde emporragt; er trägt eine Krone von fächerförmigen Blättern,
an deren Achseln die mit gelben, zweihäusigen Blüten besetzten
Blütenstände hervortreten. Die weiblichen erzeugen einsamige Beeren,
die eine gewisse Ähnlichkeit mit Oliven aufweisen.

Die früher als lästiges Unkraut betrachtete Palme hat sich
als Nutzpflanze erwiesen, indem aus den Fasern ihrer Blätter
Polstermaterial für Matratzen und Kissen gewonnen wird, das gegenüber
den Pferdehaaren den Vorzug besitzt, 75 Prozent billiger zu sein und
nicht von Insekten angegriffen zu werden. Der Verkaufspreis der
Rohblätter am Gewinnungsorte in Algerien, wo die Pflanze am häufigsten
ausgebeutet wird, beträgt 2 Mark pro Zentner, und da ein fleißiger Mann
4 Zentner in einem Tage schneiden kann, so verdient er einen guten
Taglohn. Dies gilt in bezug auf die öffentlichen Ländereien Algeriens,
wo die Blätter der Zwergpalme von eingewanderten Spaniern, die
gleichzeitig Spartgras schneiden, und von Arabern abgeerntet werden,
während die Frauen und Kinder sie hecheln. Solche gehechelte Blätter
gelten 8-9 Mark pro Zentner und kommen seit 1845 in zunehmendem Maße
als „vegetabilisches Pferdehaar“ nach Europa, besonders Frankreich,
in den Handel. Außerdem werden die Blätter neuerdings auch zur
Papierfabrikation benutzt.

Von dieser Zwergpalme erhielt die kleine Insel Palmaria bei Spezia
ihren Namen, da sie von ihr einst förmlich überwuchert war. Schon
der treffliche griechische Botaniker Theophrastos (350-286 v. Chr.)
unterschied sie deutlich von der +Dattelpalme+, obschon sie denselben
Namen trug. Er sagt, sie wachse häufig auf Kreta, aber noch mehr
auf Sizilien und aus ihren breiten Blättern würden Körbe und Matten
geflochten. Noch heute ist dies der Fall, außerdem verfertigt man
Kehrbesen aus ihnen, dreht Stricke daraus und ißt gelegentlich
die jungen Gipfeltriebe, Wurzeln und Früchte. Von dieser wenig
schmackhaften Kost ernährten sich nach dem Berichte des Cicero (106-43
v. Chr.) in seiner zweiten Rede gegen Verres die Matrosen der an der
Küste Siziliens von ihrem Führer verlassenen Flotte. In einer Satire
des römischen Dichters Horaz (65-8 v. Chr.) ist von aus Blättern dieser
Palme verfertigten Kehrbesen die Rede, mit denen die Mosaikfußböden
gereinigt würden, und der zu Gades in Spanien geborene römische
Ackerbauschriftsteller Columella im 1. Jahrhundert n. Chr. spricht von
daraus verfertigten Palmmatten, mit denen sein Onkel zu Gades (Cadix)
in der das südliche Spanien umfassenden Provinz Baetica während der
größten Sommerhitze seine Weinreben bedecke.

Die erste größere Palme, die uns an der Riviera durch ihre zierliche
Erscheinung erfreut, ist die +Dattelpalme+ (~Phoenix dactylifera~),
die hier als weit nach Norden vorgeschobener Vorposten des
sonnenreichen Südens erscheint und auch niemals Früchte zeitigt.
Durch ganz Nordafrika von Marokko und den Kanaren bis Syrien, Persien
und Arabien ist sie der heutigen muhammedanischen Bevölkerung eine
zum Lebensunterhalt völlig unentbehrliche Fruchtpflanze, deren
zierliche Kronen von Fiederblättern überall, wo sie auftauchen,
die menschlichen Ansiedelungen ankündigen. Ihre süßen, sehr
wohlschmeckenden und nahrhaften Früchte bilden das tägliche Brot und
zugleich den wichtigsten Handelsartikel der Araber, die sich ihren
Anbau sehr angelegen sein lassen. Sie gedeiht am besten zwischen
dem 19. und 35.° nördlicher Breite, und bedarf nach Norden zu einer
mittleren Jahreswärme von 21-23°, um genießbare Früchte zu zeitigen.
Sie verlangt Sandboden mit Grundwasser zu ihrem guten Gedeihen und
will ihren Blätterschopf in der Sonnenglut baden. Kein Sturm bricht
oder entwurzelt sie, da ihr Stamm von den verflochtenen Fasern der
Blattstiele umgeben wird und ihre zahlreichen, sehr tief reichenden,
zähen Wurzeln sie überaus fest im Boden verankern. Ihr 20-30 m, in
einzelnen Fällen sogar 40 m hoher Stamm trägt einen Schopf von 40 bis
80 Stück 2-3, ja 4 m langer, graugrüner Fiederblätter, die das Licht
durchlassen, so daß an ihrem Fuße noch Gemüse und kleinere Fruchtbäume
gedeihen. Zudem spenden sie willkommene Kühlung, indem die Blätter,
je stärker sie von der Sonne bestrahlt werden, um so mehr Wasser
verdunsten lassen, wobei Wärme gebunden wird. Meist bildet sich in
jedem Jahr nur ein neues Blatt, während ein altes abstirbt; dies
fällt nicht ab, wird aber bei den in Kultur befindlichen Bäumen von
Menschenhand entfernt.

Die einzelnen Exemplare der Dattelpalme sind männlich oder weiblich
und bringen ihre Fruchtorgane in großen Rispen hervor. Jede Rispe
enthält beim männlichen Baum etwa 12000 Blüten, beim weiblichen
dagegen 100-200 Fruchtansätze. Dabei überträgt die Luftströmung den
Pollen von den hängenden Rispen des männlichen auf die Blütenstände
des weiblichen Baumes. Die Getrenntgeschlechtlichkeit dieser Pflanze,
deren weibliche Individuen die Datteln hervorbringen, war bereits den
alten Babyloniern, Ägyptern und Griechen bekannt, und sie wußten sehr
gut, daß Gruppen von vereinzelt stehenden weiblichen Bäumen nur dann
Frucht ansetzen, wenn stäubende männliche Blütenrispen in ihre Kronen
aufgehängt werden.

Derselbe Prozeß der Auslese und Kultur, der aus einem Wildling den
edlen Ölbaum schuf, hat auch in Südwestasien in vorgeschichtlicher
Zeit die Dattelpalme geschaffen. Als die Stammpflanze derselben gilt
die wilde Dattelpalme (~Phoenix silvestris~), die noch heute in Iran
und dem wüstenhaften Vorderindien weit verbreitet gefunden wird, aber
kaum eßbare, kleine, herbe Früchte liefert. Als Ursprungsland der
Dattelkultur wird meist Südarabien angesehen, doch ist die älteste
für uns nachweisbare Stätte der Anpflanzung des veredelten Baumes
Babylonien, das Tiefland des Euphrat und Tigris, zu einer Zeit bevor
noch die semitische Einwanderung hier stattfand, die diesen Fruchtbaum
als höchst kostbares Kulturgut mit andern solchen Kulturgütern
übernahm. Schon die Siedelungen des altbabylonischen Volkes von Sumer
und Akkad waren, wie heute noch diejenigen der Araber, im Schatten der
Dattelpalmen errichtet. Ein uns erhaltener babylonischer Hymnus zählt
uns 360 Arten -- eine mystische astrologische Zahl, die bei diesen
abergläubigen Menschen eine große Rolle spielte -- von Nutzen dieses
Baumes auf, der bei den Assyrern, wie uns verschiedene Basreliefs auf
Alabaster beweisen, geradezu als heilig verehrt wurde. Der älteste
griechische Geschichtschreiber, Herodot, der ums Jahr 460 v. Chr.
Babylonien selbst bereiste, berichtet in seiner Geschichte des Orients
und Griechenlands, daß die Dattelpalme der einzige Baum sei, der in
den Ebenen Babyloniens gepflanzt werde und dort in ganzen Hainen
wachse. „Man sieht dort weder Ölbäume, noch Reben, noch Feigenbäume.
Nur Dattelpalmen wachsen überall und tragen Früchte, aus welchen man
Speisen, Wein und honigsüßen Saft gewinnt. Die Leute pflegen ihre
Palmen sehr gut und binden die Blütenrispen der männlichen Bäume in die
Krone der weiblichen, fruchttragenden, damit die Gallwespe (~psēn~)
von jenen auf diese übergehe und sie zur Reife bringe. Geschieht dies
nicht, so fallen die Früchte ab. Es tragen nämlich die männlichen
Dattelbäume in ihren Rispen Gallwespen wie die Feigenbäume.“ Diese
Behauptung, die kein anderer Schriftsteller des Altertums wiederholt,
war natürlich unrichtig, indem dies geschieht, damit der Wind die
Befruchtung vornehme. Er schloß nur aus der in seiner Heimat am
Feigenbaum geübten Sitte auf diese ihm sonst unerklärliche babylonische
Gepflogenheit, die später der große Schüler des Aristoteles,
Theophrastos (390-286), ganz richtig erklärt, indem er bemerkt, daß man
dies tue, um den Blütenstaub sicher auf die weiblichen Blüten gelangen
zu lassen.

Herodot berichtet weiter: „Meistens führen sie (die Babylonier) Krüge
von Palmwein darauf“ -- nämlich auf ihren runden, gepichten Fahrzeugen,
auf denen sie den Euphrat hinunter nach Babylon fahren. Eingehender
berichtet uns der griechische Geschichtschreiber Xenophon, ein Schüler
des Sokrates (440-355 v. Chr.), über die von ihm in Babylonien
beobachteten Dattelpalmen. Als er im Jahre 400 die zehntausend Mann
griechischer Truppen, die dem jüngeren Kyros gegen dessen Bruder
Artaxerxes Mnemon zu Hilfe gezogen waren, nach der unglücklichen
Schlacht bei Kunaxa über das armenische Hochland nach der Südküste des
Schwarzen Meeres und von da weiter nach Byzanz führte, baute er, um
die breiten, brückenlosen Kanäle zu passieren, Brücken aus Palmstämmen
und quartierte dann seine Leute in Dörfern ein, in denen großer Vorrat
von Getreide, Dattelwein und Dattelessig war. „Die Datteln selbst,
welche dem Gesinde gegeben wurden, waren so wie diejenigen, welche
man in Griechenland sieht; diejenigen aber, die für die Herrschaft
bestimmt waren, besaßen eine wundervolle Schönheit und Größe. Der Farbe
nach waren sie dem Bernstein gleich. Auch wurden sie getrocknet zum
Verspeisen aufbewahrt. Aß man die getrockneten zum Trank, so schmeckten
sie zwar süß, bewirkten aber Kopfweh. Dort aßen die Soldaten auch zum
erstenmal das Hirn der Dattelpalme (~enképhalon tu phoínikos~). Sie
bewunderten das Aussehen und den eigentümlich angenehmen Geschmack
dieser Speise; aber sie bewirkte ebenfalls starkes Kopfweh. Übrigens
stirbt jede Palme ab, wenn ihr das Gehirn genommen wird.“ Und an einer
anderen Stelle schreibt er: „Sie (die Soldaten) fuhren dann auf ihnen
(den wasserdicht zusammengenähten und mit Heu ausgestopften Fellen,
die ihnen als Fahrzeuge dienten) hinüber (über den Euphrat) und holten
sich aus der Stadt (Charmande) aus Datteln hergestellten Palmwein und
Hirsebrot, dergleichen in der Gegend im Überfluß zu haben war.“

Auch der ältere Plinius sagt um die Mitte des 1. christlichen
Jahrhunderts, daß nicht nur der aus den in Wasser eingeweichten
Datteln gepreßte Dattelwein, sondern auch die frischen Datteln Kopfweh
verursachen, getrocknet weniger. Die Dattelpalme sei nach dem Weinstock
und Ölbaum der edelste Baum; man unterscheide viele Sorten, von denen
die sogenannten königlichen Datteln zu Babylon die berühmtesten
seien. Im Süden seien auch die Syagren (d. h. Wildschweindatteln) und
Margariden berühmt; letztere seien kurz, rund und weiß, weshalb sie
auch ihren Namen von der Perle (~margarita~) erhalten hätten. Nach
diesen seien die Sandaliden (d. h. Sandalendatteln) und Karyoten (d.
h. Nußdatteln)[A] die geschätztesten. Vorzugsweise sei Judäa durch
seine Dattelpalmen berühmt. Ihr Hauptwert bestehe in dem fetten Safte
mit weinartigem, süßem Honiggeschmack. Die weniger saftigen dortigen
Datteln heißen Nikolaen;[B] sie seien ungemein groß, so daß vier davon
zusammen die Länge einer Elle ausmachen. Weniger ansehnlich, aber im
Geschmack fast ebensogut wie die Karyoten seien die Adelphiden (d.
h. Geschwisterdatteln), während die dritte hierher gehörige Art, die
Pateten (d. h. zertreten aussehenden Datteln), zu viel Saft haben,
weswegen sie noch am Baume platzen und dann wie zertreten aussehen.
Eine mehr trockene Sorte seien die langen, schlanken Daktylen (die den
eigentlichen Dattelnamen tragen); „diese, die wir den Göttern weihen,
nennen die Juden, welche sich durch Verachtung der Götter auszeichnen,
Chydäen (d. h. Ausschuß).“

Daß dieser edle Fruchtbaum schon sehr früh von Babylonien nach Syrien
und Palästina gelangte, kann uns nicht überraschen. Allerdings gedieh
er in letzterem Lande in den höheren Lagen nicht mehr recht, so daß er
im Alten Testament keine nennenswerte Rolle als Fruchtbaum spielte.
Noch David, der zweite König von Israel, der Jerusalem zur Residenz
erhob und nach Sauls Fall 40 Jahre lang (1033-993 v. Chr.) den Thron
von Juda behauptete, zählt die Dattelpalme nicht unter den Bäumen
auf, die man in den Gärten pflanzen solle. Aber in den Ebenen und an
der Küste Syriens gedieh sie vortrefflich und war bald ein durchaus
unentbehrlicher Fruchtbaum, den auf ihren Küstenfahrten zu verbreiten
sich die schiffahrtkundigen Phönikier angelegen sein ließen. Sie
brachten ihn zuerst bei der Aussendung von Kolonien nach Nordafrika, wo
das von ihnen gegründete und später mit Rom rivalisierende Karthago die
Dattelpalme als Wappenbild auf ihre Münzen schlug.

Durch die regen Verbindungen mit Syrien und Babylonien gelangte die
Dattelpalme schon zu Ende des 3. vorchristlichen Jahrtausends, etwa
gleichzeitig mit dem Feigenbaum, nach Ägypten, wo sie uns in den
Darstellungen an den Wänden der Gräber der 12. Dynastie, also zu Beginn
des mittleren Reiches unter der Bezeichnung ~bunnu~ oder ~phunnu~ zum
erstenmal als offenbar nicht mehr seltener Fruchtbaum entgegentritt.
So sehen wir in einer hübschen Darstellung des Grabes Nr. 2 zu Beni
Hassan, wie erwachsene Bäume dieser Art gefällt werden, was wohl
nicht der Fall gewesen wäre, wenn dies eine kostbare Neueinführung
gewesen wäre. In der Folge war die Dattelpalme ein in Ägypten viel
angepflanzter und neben der Dumpalme häufig dargestellter Baum, dessen
Früchte zahlreich unter den Totenbeigaben gefunden werden. Aus den
Stengeln der Fiederblätter -- altägyptisch ~bai~ genannt -- stellte
man Stöcke, Käfige und leichte Stühle her, während die Fiedern selbst
-- altägyptisch ~utu~ -- zum Flechten von Matten, Körben, Sandalen und
dergleichen mehr dienten. Von den altägyptischen Ärzten wurden den
Kranken häufig Datteln zum Abführen verordnet.

Neben der Dattelpalme wurde von den alten Ägyptern auch ein dem
Sonnengotte Ra geheiligter, besonders in der Sonnenstadt Heliopolis
verehrter adlerähnlicher Vogel, der sich alle 500 Jahre selbst
verbrennen und aus der Asche verjüngt auferstehen sollte, ebenfalls
~bunnu~ oder ~phunnu~ genannt. Nun besteht zweifellos zwischen diesen
beiden gleichgenannten Dingen irgend eine nicht mehr zu ergründende
sagenhafte Beziehung, die den Griechen durch Vermittlung phönikischer
Handelsleute zu Gehör kam. So nannten sie diesen mythischen Vogel
und die Dattelpalme aus ~phunnu~ verändert ~phoínix~ und gaben den
semitischen Kaufleuten von der Küste Syriens selbst diese Bezeichnung,
während später die Römer diesem Handelsvolke den sichtlich aus ~bunnu~
abgeleiteten Namen ~puni~ oder ~poeni~ gaben.

Dem homerischen Zeitalter war die Dattelpalme noch durchaus fremd.
Erst an einer Stelle der Odyssee, die nicht früher als aus dem 9.
vorchristlichen Jahrhundert stammen dürfte, wird in Worten höchster
Bewunderung von einer heiligen Palme auf der Insel Delos gesprochen,
mit der der vielgewanderte Dulder Odysseus die schlanke Tochter
des Königs der Phäaken, Nausikaa, vergleicht, die ihn nach seinem
Schiffbruch, als er nackt und ohne irgend welche Habe von den Wogen ans
Land geworfen wurde, freundlich aufnahm und zu ihrem Vater Alkinoos
geleitete. Es war das die einzige Palme, die er auf seinen weiten
Wanderungen sah; ja, er sagt von ihr, daß sonst nirgends auf Erden
ein solcher Baum wachse, als nur dort: „denn nicht trägt ein solches
Gewächs sonst irgend die Erde.“

Wenn schon die zierliche Gestalt des nicht Frucht tragenden Baumes
im Abendlande solches Entzücken erregte, so wird man begreifen, daß
im Morgenlande selbst, wo der Baum durch seine wohlschmeckenden,
nahrhaften Früchte dem Menschen ganz unentbehrlich ist, er als
Inbegriff der durch große Nützlichkeit hervorgehobenen Schönheit von
den Dichtern in den schönsten Bildern besungen wird. Wer denkt da
nicht an die Stelle im Hohen Lied des Alten Testaments, dem einzigen
uns erhaltenen, ums Jahr 800 v. Chr. entstandenen und ganz mit Unrecht
dem König Salomo zugeschriebenen Erzeugnis der weltlichen Lyrik der
Hebräer, da der Sänger seine Geliebte in begeisterten Worten beschreibt
und von ihr sagt: „Dein Wuchs gleicht der Palme und deine Brüste den
Datteltrauben“, dann an den Gebrauch der Israeliten und Vorderasiaten
überhaupt, ihre Töchter mit Vorliebe ~tamar~, d. h. Dattelpalme zu
heißen.

Die athenische Sage berichtet, daß ihr mythischer König Theseus nach
der Überwindung des Minotaurus auf seiner Heimfahrt von Kreta auf
Delos gelandet sei und mit seinen Genossen zu Ehren des dort verehrten
Gottes Apollon ein Kampfspiel aufgeführt habe. Die Sieger seien dann
mit Zweigen jener berühmten Palme geschmückt worden, und seither sei
der Palmwedel das Symbol des Siegers und der Siegesfreude. Schon in
der Mitte des 7. vorchristlichen Jahrhunderts stiftete der Tyrann
Kypselos, der Herrscher der auf phönikischen Ursprung zurückgehenden
Stadt Korinth, eine eherne Palme als Weihgeschenk für den delphischen
Apollon, wie später auch die Athener nach ihrem Doppelsiege über die
Perser am Flusse Eurymedon im Jahre 466 v. Chr. Endlich prägten Ephesus
und andere Griechenstädte, so auf Kreta und Euböa, Palmen auf ihre
Münzen.

Von den Griechen kam die Dattelpalme zu den Römern, die vorher bloß die
auf heißen Standorten Siziliens und Unteritaliens wachsende Zwergpalme
(~Chamaerops humilis~) gekannt hatten. Auch bei ihnen war der
Palmwedel das Abzeichen und der Preis des Siegers in den öffentlichen
Spielen wie bei den Triumphzügen, und mit ihm bestickten sie als
ganz besondere Auszeichnung die ~tunica palmata~, das kurzärmelige,
wollige Unterkleid, das die Männer unter der Toga trugen. Die ersten
Dattelpalmen auf italienischem Boden pflanzten die unteritalischen
Griechen um die dem Apollon geweihten Tempel und von ihnen drangen
sie mit der Zeit zu den Römern vor, von denen der Geschichtschreiber
Livius das erste Exemplar aus dem Jahre 291 v. Chr. aus dem Hain des
Apollo in der Hafenstadt Antium in Italien erwähnt. Aber erst im
letzten vorchristlichen Jahrhundert kamen die Früchte dieses Baumes
als Handelsartikel durch die Vermittlung der Griechen häufiger zu
den Römern unter der dem semitischen Worte dafür ~dachel~ entlehnten
griechischen Bezeichnung ~dáktyloi~, woraus das lateinische ~dactyli~
und zuletzt unser deutsches Wort Dattel wurde. Daß nun die Griechen aus
dem von den Phönikiern gehörten Wort ~dachel dáktyloi~ machten, mag
wohl auf einer Ideenverbindung mit dem Worte Finger, was ~dáktylos~
eigentlich bedeutete, beruhen, da diese Früchte entfernt fingerförmige
Gestalt besitzen.

Da die Dattelpalme auf europäischem Boden keine süße Frucht trägt, sind
mit dem Untergang der antiken Welt auch die anmutigen hier gepflanzten
Exemplare, weil keine Früchte tragend, als nutzlos zugrunde gegangen.
Die Araber dagegen verbreiteten dieses ihr heimatliches Gewächs überall
hin, wo sie ihren Fuß setzten. So soll der Kalif Abdurrahman I. um
das Jahr 756 in einem Garten bei Cordova mit eigener Hand die erste
Dattelpalme auf spanischem Boden gesetzt haben, von der alle übrigen in
Spanien abstammen sollen. Oft soll er sie in sehnsüchtiger Erinnerung
an die arabische Heimat betrachtet haben. Die Sarazenen brachten den
Baum wiederum nach Sizilien und Süditalien, wo sich seiner in der Folge
die Christen bemächtigten, um die Blattwedel am Palmsonntage weihen zu
lassen und das Jahr über als Schmuck in ihren Wohnungen aufzubewahren.
Dieser Sitte verdankt Italien seinen größten Palmenhain, der sich bei
Bordighera zwischen San Remo und Ventimiglia unter fast 44° nördlicher
Breite befindet. Eßbare Früchte liefern sie natürlich hier nicht, dafür
aber müssen sie ihre Blattwedel opfern. Die Einwohner dieses Städtchens
haben das durch Gewohnheit geheiligte Vorrecht, zum Osterfest Palmen
nach Rom zu liefern, und diese Industrie schuf mit der Zeit die über
4000 Stämme zählende Palmenanpflanzung. Dieses Vorrecht verlieh Papst
Sixtus V. im Jahre 1586 der Familie Bresca als Belohnung dafür, daß
ein Glied dieser Familie, ein Schiffskapitän, in jenem Jahre, während
der Aufstellung des unter Kaiser Caligula 39 n. Chr. aus Heliopolis
in Ägypten nach Rom gebrachten und damals den vatikanischen Zirkus
schmückenden Obelisken auf dem Platz von St. Peter in Rom, als die
trockenen Taue zu versagen drohten, durch den rechtzeitigen Ruf:
„Wasser auf die Taue!“ dem die Aufstellung besorgenden Baumeister
Fontana aus schwerer Verlegenheit half.

Den Palmwedel hat die christliche Kirche, wie so viele andere Symbole
der Bildersprache des Orients entnommen. Wie Palmenwedel bei den
Festen des Osiris in Ägypten, beim feierlichen Einzuge der Könige
in Jerusalem prangten, die Sieger in Olympia schmückten und die
Festgewänder römischer Imperatoren zierten, so bedient sich ihrer
heute noch die katholische Kirche in Erinnerung an den Einzug des
Christus (d. h. Messias) in die jüdische Hauptstadt. Bei der Feier des
Palmsonntags sollen sie nicht bloß ein Zeichen des Sieges des Urhebers
des Christentums, sondern zugleich ein Bild himmlischer Reinheit sein,
deren Beispiel jener gab. Damit nun die Palmwedel möglichst farblos
weiß bleiben, d. h. sich ohne Ausbildung des Blattgrüns entwickeln,
werden die Kronen vom Hochsommer an fest zusammengebunden, so daß die
innersten Blätter, vom Licht unberührt, vergeilen. Der Reisende, der um
diese Zeit die Riviera di Ponente besucht, sieht dann die Palmwipfel
in Form von riesigen Kugeln und begreift anfangs nicht, was diese
Verstümmelung des schönen Baumes bezweckt. Im Dunkeln gehalten, werden
solche Wedel auch schlank und lang. An ihren Enden laufen sie spitz aus
und bleiben biegsam und weich, so daß sie leicht in beliebige Formen
geflochten werden können.

Aber auch das ältere Judentum benutzt noch die Palmwedel in Verbindung
von Myrte und Bachweide zum Feststrauß für das Laubhüttenfest, das
ursprünglich ein Erntefest war. Es verlor aber nach der Zerstreuung
der Juden, die sich in der Fremde dem Handel zuwandten, diese seine
Bedeutung und behielt nur die andere geschichtliche bei, eine
Erinnerung an den göttlichen Schutz während der Wüstenwanderung zu
sein, als ihre Vorfahren unter Mose in Hütten aus Palmzweigen wohnten.
Die Bestandteile dieses, bei jenem im Oktober gefeierten Feste zur
Aufstellung gelangenden Straußes mußten gewisse Bedingungen erfüllen,
so auch der Palmwedel, der für die Juden grün bleiben muß. Der Schopf
zu diesem Zwecke gehaltener Palmen wird in Bordighera weniger stark
zusammengebunden, so daß auch die jüngeren Blätter etwas Licht erhalten
und ergrünen können. Sie bleiben zugleich kürzer, schließen mit
stumpfer Spitze ab und werden härter als diejenigen für die Katholiken.

Früher trug auch die Umgegend des kalabrischen Reggio und von
Palermo auf Sizilien ganze Palmenwaldungen, die aber als Nachlaß der
ungläubigen Sarazenen von den Christen zerstört wurden. Einzig in
Südspanien, bei Elche, befindet sich noch ein aus mohammedanischer
Zeit herrührender Palmenwald von etwa 60 000 Stämmen, der nicht
nur Blätter für fromme Gläubige liefert, sondern auch genießbare
Früchte zeitigt. An der Riviera wird neuerdings sehr häufig neben der
Dattelpalme die ihr sehr ähnliche kanarische Phönix gepflanzt, von ihr
nur durch gedrängteren, üppigeren Wuchs und kräftigere Blattentwicklung
verschieden. Ihre Blätter werden gleichfalls häufig zu der an der
Riviera blühenden Palmenflechterei benutzt.

In den Oasen Nordafrikas und Westasiens ist die Dattelpalme das
wichtigste Kulturgewächs, ohne welches der Mensch hier nicht
existieren könnte. Hier treibt sie ihre Wurzeln sehr tief in den
Boden, bis die wasserführende Schicht erreicht ist, so daß sie ohne
künstliche Bewässerung üppig gedeiht. Alles an ihr wird von den armen
Oasenbewohnern verwertet. Die Früchte sind das fast ausschließliche
Nahrungsmittel, das roh, getrocknet oder gekocht täglich mehrmals
gegessen wird. In Körbe gepreßt oder in Sand gegraben, können sie bis
zwei Jahre aufbewahrt werden und verderben selbst in der brennendsten
Sonnenhitze nicht. Deshalb bilden Datteln auf den Karawanenreisen ein
unentbehrliches Proviantmittel. Der Stamm der Dattelpalme liefert
die Pfosten der Häuser, die Gerüste zu den Ziehbrunnen, die Bretter
zu Türen und das Werkzeugmaterial überhaupt. Die Blätter dienen zur
Bedachung der Hütten, die Rippen zur Einzäunung der Grundstücke wie
auch zu Wanderstäben; ihre Fiedern werden zu Sandalen und Körben
geflochten. Aus dem Fasergewebe der Blattansätze werden sehr haltbare
Stricke gedreht, die besonders widerstandsfähig gegen Salzwasser
sind und deshalb vielfach in der Schiffahrt Verwendung finden; die
Herzblätter der Stammspitze liefern den wohlschmeckenden Palmkohl und
durch Anzapfen des Stammes erhält man einen zuckerhaltigen Saft, der
vergoren einen berauschenden Wein liefert. Meist aber wird solcher
Dattelwein durch Gärenlassen von mit Wasser verdünntem Dattelhonig
gewonnen, der durch Auspressen der frischen Datteln erhalten wird.

Die Fortpflanzung der Dattelpalme geschieht bisweilen durch die
Fruchtkerne, in denen das Nährgewebe für den Embryo in Form von
hornartig hartem Holzstoff angehäuft ist, das dann durch Fermente
gelöst und in Zucker verwandelt wird, um dem jungen Pflänzchen zum
Wachstume zu dienen. Am häufigsten aber wird dieser Fruchtbaum durch
Schößlinge vermehrt, die man im Herbste aus der unmittelbaren Nähe des
Mutterbaumes ausgräbt, verpflanzt und etwa drei Monate lang begießt,
von wo an sie sich selbst erhalten können. Nach sechs bis acht Jahren
beginnen diese die ersten Blüten zu treiben, aber erst vom 20. Jahre
an liefern sie volle Erträge, die bis zum 70. oder 80. Jahre andauern.
Von da an wird der Ertrag geringer, und etwa im Alter von 100 Jahren
sterben die Bäume ab.

Stets werden die weiblichen Dattelpalmen in der Weise befruchtet, daß
man in ihre Rispen Teile eines stäubenden männlichen Blütenstandes
befestigt oder darüber schüttelt, damit der Pollen in reichen Mengen
auf erstere hinunterfalle. In einem Fruchtstande gelangen meist über
hundert Beeren zur Entwicklung, die dann im Herbste geerntet werden,
doch nicht gleichzeitig. Man pflückt nämlich diejenigen, die als
Vorrat aufbewahrt werden sollen, vor ihrer völligen Reife, um sie
an der Sonne ausreifen, zugleich aber auch trocken und fest werden
zu lassen. Die am Baume völlig reif gewordenen ißt man vorweg. Als
Durchschnittsernte rechnet man auf einen Baum einen Jahresertrag von 50
kg, die an Ort und Stelle etwa drei Mark wert sind.

Endlich hat die Dattelpalme auch in der Kunst eine wichtige Rolle
gespielt. Bei den alten Babyloniern gab ihr Stamm den Anlaß zur
Entstehung der später aus Stein nachgebildeten runden Säule, während
ihr Wipfel das in der babylonischen und assyrischen Kunst so beliebte
Motiv der Palmette gab, welches dann die Griechen aus dem Orient
übernahmen. In Ägypten dagegen wurden die Säulen aus Papyrus und Lotus
nachgeahmt; dadurch entstand die kanelierte Säule, die die Griechen
von dorther übernahmen und in ihrer dorischen und korinthischen Säule
weiter bildeten. Da sie ihnen aber nüchtern vorkam, wurde sie mit
den Blättern des im Mittelmeergebiet in mehreren Arten verbreiteten
Acanthus gekrönt, wodurch das korinthische Kapitäl entstand. Die
Voluten des ionischen Kapitäls dagegen sind wahrscheinlich den
gewundenen Gehäusen der Tonnenschnecken (~Dolium~) nachgebildet. So hat
die Dattelpalme den weitgehendsten Einfluß auf die allgemeine Kultur
des in ihrem Bereiche lebenden Volkes ausgeübt.

Die im tropischen Afrika einheimische und namentlich an den Flußufern
sehr verbreitete +Ukindu+- oder +wilde Dattelpalme+ (~Phoenix
reclinata~) liefert ungenießbare, holzigtrockene Früchte, doch werden
die Fiedern der Blätter zu Flechtereien aller Art benutzt. Wichtiger
als sie ist die indische +Dattel-Zuckerpalme+ (~Phoenix silvestris~),
die nur 9 bis 13 m hoch wird und eine dichte, halbkugelige Krone aus
3 bis 5 m langen Fiederblättern trägt. Sie wird in ihrer Heimat,
besonders in Bengalen, seit unvordenklicher Zeit zur Gewinnung
von Palmenzucker kultiviert. Ende Oktober entfernt man an ihr die
unteren Blätter, die zum Flechten von Matten und Säcken für die
Zuckerverpackung oder als Brennmaterial dienen, und macht einige Tage
später an jener entblößten Stelle einen Einschnitt in den Stamm,
in welchen man ein gespaltenes Bambusröhrchen einsetzt, das den
aus der Wunde rieselnden süßen Saft in ein Gefäß leitet. Der Saft
fließt besonders nachts, und zwar um so stärker, je kühler sie ist.
Früh morgens geht der Eigentümer mit seinen Gehilfen von Baum zu
Baum, um den Saft zu sammeln und sofort an Ort und Stelle zu einem
~gur~ genannten Sirup zu kochen. Dieser wird meist verkauft und von
besonderen Zuckerkochern zu Palmenzucker eingedickt. Wenn der Saftfluß
nach etwa acht Tagen erschöpft ist, so läßt man die Wunde zuheilen und
versucht eine Woche später an einer anderen Stelle nach vorhergehendem
Schälen des Stammes weiteren Saft zu gewinnen. Ein vollkräftiger Baum
kann während der Erntezeit in 50 Nächten abgezapft werden und liefert
240 Sihr (= 100 Liter) süßen Saft, aus denen 24 Sihr (= 10 Liter) Sirup
eingekocht wird. Die Bäume werden aus Samen auf gutgedüngtem Boden
gezogen und werden nach Ablauf des fünften Lebensjahres zum erstenmal
angezapft. Die erste Ernte beträgt nur die Hälfte des Ertrags eines
vollkräftigen Baums. Durchschnittlich beträgt die Erntefähigkeit 40,
unter besonders günstigen Verhältnissen 45 bis 50 Jahre.

Ganz außerordentliche Wichtigkeit kommt der Königin der Palmen,
der +Kokospalme+ (~Cocos nucifera~) zu, die überall in den Tropen
in der Nähe der Küsten schon seit sehr langer Zeit eine geradezu
unentbehrliche Nutzpflanze bildet. Da die übrigen 28 Arten der
Palmengattung ~Cocos~ im Küstengebiet von Mittelamerika heimisch sind,
muß auch sie, die man nirgends mehr wild findet, von dorther stammen,
wie zuerst Martius vermutete. Sie hat sich teils durch den Menschen,
der sie überall mit sich nahm, teils durch die Meeresströmungen über
den ganzen Tropengürtel verbreitet. Als ausgeprägte Strandpflanze,
von der man sagt, daß sie nur soweit gedeiht, als der Seewind sie
erreicht, sind nämlich ihre mächtigen, undeutlich dreikantigen Früchte
auf lange andauernden Transport durch die salzige Flut eingerichtet.
Zu diesem Zwecke haben sie eine 2 Finger dicke, außerordentlich zähe
und dauerhafte Faserhülle, die als Schwimmkörper dient; außerdem ist
der Keimling in eine steinharte Schale eingeschlossen, welche auch
nach allfälliger Auflösung der äußeren Faserhülle den zarten Keimling
vor der schädlichen Einwirkung des scharfen Meerwassers abhält.
Dieser Umstand erklärt es, weshalb die zierliche Palme, deren wehende
Blätterkronen einen der schönsten und charakteristischen Züge der
tropischen Landschaft bilden, sich auch ohne Zutun des Menschen als
vielfach einzigen Vertreter der Baumvegetation auf allen Koralleninseln
der Südsee angesiedelt hat.

Ursprünglich ist die Kokospflanze eine ausschließliche Küstenpflanze.
Erst durch den Menschen wurde sie auch fern von der Küste angesiedelt.
Da, wo sie ihre Wurzeln ins Grundwasser tauchen kann, das auch salzig
sein darf, gedeiht sie nämlich auch fern von der Salzflut. So hat man
sie neuerdings nicht bloß in Indien und auf Ceylon, sondern auch in
Ostafrika bis 500 km vom Meere entfernt angesiedelt. Und sie kommt
hier so gut als an der Küste fort. Sie wird gewöhnlich nur etwa 20 m
hoch, kann aber gelegentlich 25 bis 30 m Höhe erreichen. Auf ihrem
von den vorherrschenden Winden meist etwas gekrümmten, schlanken,
geringelten Stamm von 30 bis 60 cm Durchmesser erhebt sich eine Krone
von 10-12 bis 5 m langen, gefiederten Blättern, deren unterseits
rinnenförmig ausgehöhlter Stiel am Grunde von einem zähen, braunen
Geflecht umgeben ist. Aus den Achseln der untersten Blätter kommen
die bis 1 m langen, zusammengedrückten Blütenscheiden hervor, welche
lange, vielfach verzweigte Kolben mit gelben männlichen und grünen
weiblichen Blüten umschließen. Aus letzteren gehen die 29 : 26 cm
messenden, blaß aschgrauen bis rötlichen Früchte hervor, die fast ein
Jahr zu ihrer Reife brauchen. Ein jeder Fruchtkolben, deren mehrere
gleichzeitig am Baume zu sehen sind, trägt 10 bis 30 Nüsse. So reifen
das Jahr über an einem Baume günstigenfalls bis 150 Nüsse; doch
rechnet man durchschnittlich nur auf einen Jahresertrag von 60 bis 80
Nüssen per Baum in vier bis fünf Ernten. Die junge Nuß ist mit einer
milchigen Flüssigkeit, der Kokosmilch, erfüllt, die einen süßlichen,
etwas zusammenziehenden Geschmack besitzt und frisch ein angenehmes,
kühlendes Getränk bildet. Bei der Reife verdichtet sich diese milchige
Flüssigkeit in den äußeren Partien zu einem festen, weißen Kern, der
neben Eiweißstoffen besonders reichlich Fett enthält. In der Höhlung
dieses festen Teiles des Nährgewebes findet sich aber auch nach
der Reife noch ein flüssiger Teil als Milch, welche später bei der
Keimung zuerst zur Verwendung gelangt. Der kleine Keimling liegt im
festen Nährgewebe unterhalb des Keimlochs des nicht fehlgeschlagenen
Fruchtknotenfaches.

    Tafel 23.

[Illustration: Dattelpalmen in Algier.

Dattelernte in einer nordafrikanischen Oase.]

    Tafel 24.

[Illustration: Fruchttragende Kokospalme in Westafrika mit einem Neger,
der im Begriffe ist sie zu besteigen, um Nüsse herunterzuholen.]

In einem zusammenhängenden, dichten Besiedelungsgebiet wächst
die Kokospalme besonders in ganz Südasien, der indischen und
polynesischen Inselwelt in dichten Hainen und befriedigt die meisten
Lebensbedürfnisse der Eingeborenen, deren Existenz sich ohne sie
gar nicht mehr denken ließe. Keine andere Nutzpflanze läßt sich an
vielseitiger Verwendung auch nur annähernd mit ihr vergleichen.
Von ihr sagt ein indisches Sprichwort, daß sie 999 Nutzanwendungen
gewähre und die 1000. sei überhaupt noch nicht gefunden. Aus der Rinde
der Kokospalme gewinnt man den Kokosgummi, womit sich die Bewohner
von Tahiti und anderer Inseln der Südsee die Haare bestreichen, um
ihnen Halt zu geben. In Indien werden die äußeren, gerbstoffhaltigen
Teile des Stammes zum Gerben benutzt. Der vom 35. Jahre an stark
verholzende Stamm dient als oft einziges Nutzholz zum Bauen und zur
Herstellung der Möbel und verschiedensten Geräte. Zur Anfertigung
feiner Möbel wird er besonders viel nach England ausgeführt. Die
Blätter benutzt man zum Dachdecken, sowie zu Matten und anderen
Geflechten, wie besonders Hüten und Regenschirmen, die Blütenscheiden
und alten, ausgetrockneten Blätter zusammengerollt zu Fackeln, die
Mittelrippe zu Kämmen, die zusammengebundenen Blätter zu Besen.
Das junge Mark unter der Endknospe, das einen süßen, an Haselnuß
erinnernden Geschmack besitzt, wird wie die ganz jungen Blätter als
Gemüse, sogenannten Palmkohl, gegessen. Das Fasernetz am Grunde der
Blätter, noch mehr aber die faserige Hülle der Früchte dient zu
unverwüstlichen Tauen, Stricken und Geflechten, besonders Matten,
Teppichen und Läufern, aber auch zu Besen, Pinseln und Bürsten. Aus
den noch geschlossenen Blütenscheiden wird durch Umschnürung mit
jungen Kokosblättern und Anschneiden der Toddy genannte Palmwein und
aus diesem durch Destillation Arrak, durch Einkochen ein Sirup und
endlich ein sehr angenehm schmeckender brauner Zucker, der Palmzucker
(~tschakara~, mit dem Sanskritworte ~sackara~, von dem unser Zucker
abstammt, zusammenhängend), von dem über 110 Millionen kg jährlich
produziert werden, gewonnen. Der dünnmilchige Saft besonders der
unreifen Früchte dient als überaus angenehmes, erfrischendes Getränk,
während der wie Haselnuß schmeckende weiße Kern roh verspeist oder
zerrieben dem Curry und anderen Speisen hinzugefügt wird, auch preßt
man aus ihm das zu 68 Prozent in ihm enthaltene Öl in Form eines
weißen, dem Schweineschmalz ähnlichen, bloß etwas unangenehm riechenden
Fettes, das zum Schmälzen der Speisen, als Brenn- und Salböl dient,
zu welch letzterem Zwecke es vielfach mit Sandelholz parfümiert wird.
Besonders aber dient es wie das afrikanische Palmöl zur Herstellung von
Kerzen und Seifen. Kokosseife ist besonders bei Seeleuten sehr beliebt,
da sie die einzige ist, die auch im Meerwasser schäumt. 15 Nüsse geben
durchschnittlich 2 Liter Kokosnußfett. Die Preßrückstände geben ein
wertvolles Viehfutter. Die harte Schale liefert Gefäße und Löffel
und wird in Europa zu allerlei Drechslerwaren, namentlich Knöpfen,
verarbeitet.

Welch ungeheure Werte der Mensch der Kokospalme verdankt, kann man sich
einigermaßen vorstellen, wenn man bedenkt, daß einzig die Insel Ceylon,
auf der die Europäer erst seit etwa 30 Jahren systematisch größere
Anpflanzungen dieser Palme vornahmen, aus ihren wenigstens 30 Millionen
Kokosbäumen jährlich einen Ertrag von rund 325 Millionen Mark bezieht,
während der Reis einen solchen von 112 Millionen Mark, der neuerdings
im großen Maßstabe gepflanzte Tee aber einen solchen von 100 Millionen
Mark liefert. Deshalb wird die Kokospalme auch in allen tropischen
Kolonien Deutschlands in Menge kultiviert. Die größten und wertvollsten
Bestände besitzen die Südseeinseln, wo sich neben den Kokoshainen
der Eingeborenen auch große, von Europäern angelegte Kokosplantagen
befinden. In Afrika wird sie in den Küstenstrichen fast nur von den
Eingeborenen kultiviert. Trotzdem haben die deutschen Kolonien im Jahre
1906 für 6¼ Millionen Mark der als Kopra bezeichneten getrockneten
Kokosnuß exportiert. Da die Gesamteinfuhr Deutschlands an Kopra in
demselben Jahre 16,9 Millionen Mark betrug, so ergibt sich, daß dieses
Land jetzt schon mehr als ein Drittel seines Koprabedarfes aus seinen
Kolonien zu decken vermag.

Die Eingeborenen der Tropen pflanzen die Kokospalme gern in und
um ihre Dörfer an, meist nur in kleineren Beständen, seltener als
größere Pflanzungen. Diese werden in der Regel von den Europäern
angelegt. Die Kultur der Kokospalme ist eine höchst einfache. Die
Vermehrung geschieht ausschließlich durch die Früchte, welche man nach
der Ernte noch 3-4 Wochen lang ausreifen und ankeimen läßt, bevor
man sie zur Aussaat verwendet. Wenn der Keimling etwa 2 cm aus der
Frucht herausragt, werden die Nüsse ihrer Länge nach in Furchen eines
aus sandiger, reich mit Salz oder Asche gedüngter Erde bestehenden
Saatbeetes gelegt und lose mit Erde bedeckt. Nach 7 bis 9 Monaten
werden die jungen Palmen an ihren definitiven Bestimmungsort gebracht,
wobei man sie etwa 7 m auseinander pflanzt. Doch müssen sie noch
längere Zeit bei allzu großer Hitze beschattet, gegen das weidende Vieh
beschützt und regelmäßig mit Holzasche gedüngt werden. Nach dem ersten
Jahre fangen die Blätter an gefiedert zu werden, d. h. sie verlieren
ihre für das Jugendstadium charakteristische zusammenhängende Form. Am
Ende des zweiten Jahres haben sie am Grunde einen Durchmesser von 8 cm.
Im dritten Jahre nimmt der Fuß der Krone die Gestalt eines Hufeisens an
und der Stamm beginnt sich über die Erde zu erheben. Im vierten Jahre
hat er 12 und im fünften Jahre 24 Blätter. In den folgenden Jahren
setzt er noch weitere 12 Blätter an, damit ist seine Krone vollständig.
Nun wendet sich das Wachstum mehr auf den Umfang der Pflanze. Vom
siebenten oder achten Jahre an beginnt die Palme zu blühen und das
ganze Jahr hindurch Früchte zu zeitigen. Die volle Tragfähigkeit tritt
aber meist erst im zwölften Jahre ein und dauert bis zum sechzigsten
bis achtzigsten Jahre, dann nimmt der Ertrag ab, so daß der Baum
schließlich umgehauen und durch eine junge Kokos ersetzt wird. Doch
kann der Baum ein Alter von 90-100 Jahren erreichen.

In bezug auf den Boden ist die Kokospalme nicht besonders wählerisch,
wenn sie nur genug Wasser, am liebsten brackiges hat. Am besten sagt
ihr ein tiefgründiger, humusreicher Lehm zu. Außer Wind, der ihr
überall an der Küste in reichem Maße zuteil wird, verlangt sie vor
allem reichen Sonnenschein. Luft und Licht sind zwei ihrer wichtigsten
Lebensbedingungen. Im Schatten verkümmert sie; daher finden wir niemals
Kokospalmen im geschlossenen Hochwalde. Im Halbschatten wächst sie
mangelhaft, bildet nur einen ganz dünnen Stamm und die wenigen Früchte,
die sie hier hervorbringt, sind klein und unansehnlich.

Begreiflicherweise war dieses Tropengewächs, das sehr früh die
Gestade Indiens besiedelte, den älteren Kulturvölkern am Mittelmeer
unbekannt. Die erste Beschreibung von ihm gab unter den Griechen der
pflanzenkundige Aristotelesschüler Theophrast (390-286 v. Chr.) in
seiner Naturgeschichte der Gewächse nach dem Bericht, den er über die
Kokospalme durch Begleiter Alexanders des Großen auf dessen Zuge nach
Indien erhalten. Er nannte sie ~kúki~. Der ägyptische Großkaufmann
Kosmas aus Alexandrien, der ums Jahr 550 mit seinem Begleiter Menas
auf einer Handelsreise bis Südafrika und Indien gelangte und später
als Mönch seine Reise beschrieb, sah in den Küstengebieten Indiens,
der von ihm ~Taprobane~ genannten Insel Ceylon und auf den Malediven,
die er besuchte, in Menge die von ihm ~argéllion~ genannte Kokospalme;
es ist dies das ~nargil~ der Perser und Araber, das aus dem indischen
~narikela~ stammt. Er sagt, daß man den von ihr gewonnenen süßen, in
alkoholische Gärung übergehenden Saft ~konchusúra~ nenne. Nach ihm
hat der weitgereiste Venezianer Marco Polo mit seinem Vater Niccolò
und seinem Oheim Maffeo Polo 1293 und 1294 auf seiner Heimreise von
China über Indonesien und Indien die Kokospalme häufig gesehen und
in seinem während der Gefangenschaft bei den Genuesen diktierten
Bericht beschrieben. Er nennt sie nur den „Palmbaum mit den indischen
Nüssen“. Der Name Kokosnuß wurde erst nach des Portugiesen Magelhaens’
Fahrten, der als erster Europäer die nach ihm benannte Meerenge
zwischen Patagonien durchfuhr und im November 1520 in den Stillen Ozean
gelangte, um am 27. April 1521 in einem Gefecht auf der Marianeninsel
Matan umzukommen, bei den Seeleuten bekannt. Nach Garcias und Klöden
soll er daher stammen, daß die portugiesischen Seeleute sie infolge
der Ähnlichkeit der drei Keimlöcher der inneren Frucht mit den beiden
Augen und der Nase einer Meerkatze (~macoco~) ~coco~ nannten. Die
Erforscher der malaiischen Inselwelt Rumphius und Thunberg im 17.
Jahrhundert nannten die Kokospalme nach der Bezeichnung der Amboinesen
Kulapa-Baum. Da sie im Sanskrit Indiens als ~narikela~ vorkommt,
muß sie dort schon vor 3-4000 Jahren bekannt gewesen sein. An der
Malabarküste wird sie als ~tenga~, d. h. Südfrucht bezeichnet, weil sie
von Süden her, speziell aus Ceylon, dort eingeführt wurde. Auf Tahiti
heißt sie ~ari~, wie sie auch von manchen Malaienstämmen genannt wird.
Jedenfalls hat sich diese von Martius als „wandelnde Seeuferpalme“
bezeichnete Kulturpflanze, die unfruchtbar bleibt, wenn sie nicht vom
Menschen gepflegt wird, zunächst durch die Meeresströmungen, dann durch
den Menschen von der pazifischen Küste Mittelamerikas zuerst über ganz
Ozeanien und dann die südasiatische Inselwelt verbreitet und wurde erst
nach der Entdeckung Amerikas im Bereiche des Atlantischen Ozeans, in
Westafrika, an den Küsten Brasiliens und im Gebiete ganz Westindiens
angesiedelt. Dagegen fanden die ersten Spanier, die von Mexiko nach der
Küste des Stillen Ozeans hinabstiegen, sie reichlich auf der Westküste
Mexikos wie ganz Mittelamerikas angepflanzt. Neu-Kaledonien ist die
südlichste Insel, an deren Nordküste die Kokospalme noch gedeiht.
Ihre nördlichste Verbreitung aber hat sie auf den Sandwich-Inseln,
beinahe unter dem Wendekreis des Krebses, gefunden, wo sie aber infolge
ungenügender Sonnenwärme nur spärlich Früchte hervorbringt. Dort
genossen in vorchristlicher Zeit nur die Männer die Früchte, die den
Weibern ~tabu~ waren und nicht einmal von ihnen berührt werden durften,
bis einmal eine mutige Häuptlingsfrau, von ihrem Manne gegen die Rache
der Priester beschützt, dieses altgeheiligte Verbot übertrat und, da
sie von den Göttern für diesen Frevel nicht bestraft wurde, ihrem
Geschlecht das Recht zum Genuß der herrlichen Früchte verschaffte.

Eine besonders für Westafrika sehr wichtige Palme ist die +Ölpalme+
(~Elaeis guineensis~), deren Vorkommen auf das tropische Afrika
beschränkt ist. Von der Westküste, wo sie sich in einem breiten
Streifen vom Gambia- bis zum Kuanzafluß findet, dringt sie nordöstlich
bis zum Albertsee und südöstlich bis zum Nordende des Nyassasees vor.
Sie kommt also auch im ganzen Kongobecken vor, wird aber im wilden
Zustande nur verhältnismäßig selten angetroffen. Die einzige außer
ihr noch vorhandene Elaeis-Art, ~Elaeis melanococca~, die gleichfalls
rote, zur Gewinnung von Öl benützte Früchte besitzt, hat ihre Heimat im
tropischen Amerika, wo sie um Bahia, an der Mündung des Amazonenstroms,
in Guiana, Venezuela und auf dem Isthmus von Panama wild wächst.
Deshalb vermutet man, daß auch die westafrikanische Ölpalme im
Dorado der Palmen, dem nördlichen Südamerika und Mittelamerika, ihre
ursprüngliche Heimat hat, von der sie schon im Tertiär auf der damals
noch bestehenden Landbrücke nach Westafrika gelangte.

Die westafrikanische Ölpalme ist ein sehr schönes Gewächs, gedeiht
aber nur dort, wo ein feuchtes, heißes Klima herrscht. Nur unter den
natürlichen Lebensbedingungen, im Walde, erreicht sie ihre normale
Höhe von 20 m, in der Kultur aber wird sie meist bloß 10-15 m hoch.
Ihr tief geringelter, mannsstarker Stamm schwillt vielfach über dem
Boden etwas an und ist unter den natürlichen Verhältnissen im obersten
Teil meist noch mit den Resten abgestorbener Blattstiele bedeckt. In
der Entfernung dieser, damit die Palme zum Herunterholen der reifen
Früchte bestiegen werden könne, beschränkt sich in der Regel die
ganze Pflege seitens der Eingeborenen. Die schöne Blattkrone besteht
aus 20-25 Wedeln bis zu 7 m Länge mit etwa 1 m langen Fiedern, die
sich aber schlecht zum Flechten eignen. In den Blattachseln des
Wipfels brechen die mit kätzchenartig angeordneten Blüten reichlich
besetzten Blütenstände hervor, die, wie bei den meisten Palmen,
getrennten Geschlechts sind, jedoch in der nämlichen Krone, nicht
auf verschiedenen Individuen sich entwickeln. Eine Palme bringt
während des Jahres durchschnittlich drei bis vier der massigen, nicht
herabhängenden Fruchtstände zur Reife. Sieben Monate nach der Blüte
reifen die Früchte heran. 600-800, ja bis 1500 an der Zahl finden sie
sich an einer riesigen, meist 20-30, gelegentlich bis 50 kg schweren
Traube, durch kurze Stacheln voneinander getrennt. Sie sitzen sehr fest
und sind wegen ihres gedrängten Wachstums unregelmäßig abgeplattet und
erscheinen fett glänzend, von hochgelber bis zinnoberroter Farbe. Am
Oberteile sind sie braunschwarz angelaufen. Zu äußerst bestehen sie
aus einer dünnen Lage eines fettreichen, faserigen Fleisches, das eine
dickschalige, steinharte, mit einem bläulich weißen Kerne versehene Nuß
umschließt. Etwa ein Drittel des Gewichtes der Fruchtstände wird von
den Früchten selbst gebildet. Deren ölhaltiges Fruchtfleisch bildet
eine Lieblingsnahrung der Affen und Papageien, aber auch des Menschen,
der es roh oder noch häufiger gekocht in Form der bei den Negern sehr
beliebten Palmölsuppe verzehrt. Besonders aber gewinnt er daraus
das für ihn so wichtige Palmöl, das ihm als Fettzusatz zu seiner an
Fett sonst so armen Pflanzenkost, außerdem aber zur Beleuchtung, zum
Einreiben des Körpers und als Arznei dient.

Zur Ölgewinnung wird der ganze Fruchtstand der Ölpalme abgehauen,
sobald die Palmnüsse reif sind. Dann werden die einzelnen Früchte
ausgebrochen und deren äußeres Fleisch durch Kochen in Wasser oder
durch Liegenlassen an der Sonne erweicht. Darauf werden sie in Mörsern
gestampft, wobei sich das Fleisch vom Kern löst und zugleich das im
Fruchtfleisch enthaltene Öl heraustritt. Dieses schön orangerote,
wohlschmeckende Palmöl wird zum geringeren Teil von den Eingeborenen
selbst im Haushalt verwendet, zum größeren Teil jedoch an die
europäischen Faktoreien verkauft. Im tropischen Westafrika, wo die
Ölpalme manchenorts ausgedehnte Wälder bildet, wird es in solchen
Mengen erzeugt, daß es gegenwärtig den wichtigsten Handelsartikel
dieser Gegenden bildet.

Aus den nach der Ölgewinnung übrigbleibenden bräunlichen, harten
Kernen wird das weiße Palmkernöl gewonnen, das sogar noch feiner und
wertvoller als das Palmöl ist. Dies wird von den Eingeborenen auf
sehr primitive Weise durch Aufklopfen der Kerne und Auspressen des
Samens gewonnen. Der weitaus größte Teil der Kerne gelangt aber in die
Faktoreien, um nach Europa gesandt zu werden, wo die Ölgewinnung aus
diesen vermittelst eigens dafür konstruierter Maschinen geschieht.
Die Abfälle bei der Ölbereitung, Palmkuchen genannt, geben ein
ausgezeichnetes Viehfutter.

Der Nutzen der Ölpalme beschränkt sich aber nicht bloß auf die
ölreichen Früchte. Sie liefert nämlich außerdem in ihren stattlichen
Wedeln das Material zur Umzäunung von Gehöften und zu größeren
Fischereianlagen, sowie paarweise zur Herstellung leichter und
zäher Tragkörbe. Die starken Blattrippen dienen als geschätztes
Material für den Hausbau und zur Herstellung von Palisaden, aus den
Fiederblättern werden Körbe und viele andere Geräte geflochten und
aus den Rippen gute Besen hergestellt. Die außerordentlich festen
Gefäßbündel der Wedelstiele vertreten die Stelle von Darmsaiten bei
den Musikinstrumenten der Eingeborenen. Endlich wird aus der Ölpalme
der bei den Eingeborenen so beliebte, frischem Äpfelmost ähnliche,
anfangs süße, bald aber durch Hefegärung stark alkoholhaltige und dann
berauschende Palmwein gewonnen. Zur Erlangung kleinerer Mengen davon
schneidet man die männlichen Blütenstände ab, zu derjenigen größerer
Mengen jedoch wird die Palme mit axtartigen Werkzeugen gefällt, indem
man damit das ganze Wurzelwerk durchhaut. Nachdem die Stämme 1-2
Wochen am Boden gelegen haben, schneidet man ihnen mit dem Buchmesser
die Wedel ab und höhlt da, wo das Mark in das Herzblatt ausläuft, von
oben aus ein ziemlich großes Loch in den Stamm, das mit einer kleinen
Öffnung bis auf die untere Seite desselben durchgeführt wird. Durch
dieses Loch wird eine dünne Holzröhre gesteckt, durch welche der Saft
tropfenweise in einen untergestellten Topf abläuft. Durch Schneiden und
Brennen wird das Loch täglich etwas erweitert, ein Vorgang, den die
Neger als das „Rufen des Palmweins“ bezeichnen. In den ersten 16 Tagen
fließt der süßeste Saft aus, dann wird der Ausfluß stärker, aber das
Produkt ist wässeriger. Nach höchstens 30 Tagen ist der Saftreichtum
des Stammes erschöpft. Dieser Palmwein wird von den Eingeborenen dem
von der Kokospalme gewonnenen vielfach vorgezogen.

Bei dem großen Nutzen der Ölpalme für den Menschen kann es uns
nicht wundern, daß der dem Neger so unentbehrliche Fruchtbaum im
18. Jahrhundert durch westafrikanische Negersklaven nach Westindien
gebracht wurde, wo er in ähnlicher Weise wie in seiner Heimat
kultiviert wird. Am besten gedeiht er im lockeren Buschwald, wo auch
die Fruchtstände am größten werden. Sonst wächst er auch willig auf
trockenem und leichtem, wie auf feuchtem und schwerem Boden. Entweder
werden zuerst Stecklinge aus reifen Früchten gezogen und dann in
Abständen von etwa 2 m verpflanzt, oder die Früchte werden gleich in
entsprechenden Entfernungen in den Boden gesteckt. Der Baum braucht bis
zur vollen Entwicklung etwa 10 Jahre; dann fängt er an zu blühen und
Früchte zu tragen, was wenigstens bis zum 60. Jahre andauert. Da jedes
Jahr 3-7 Früchtbündel zur Reife gelangen, kann man im Durchschnitt
bei geregelter Kultur wohl auf 50 kg Früchte pro Baum rechnen. Da
nun 250 kg frischer Früchte 24,5 kg Öl im Fruchtfleisch und 32 kg
Kerne liefern, die ihrerseits etwa 15 kg Kernöl abgeben können, so
besteht also fast ⅙ des Fruchtgewichtes aus Öl. Da aber dieses nicht
restlos aus ihnen gewonnen werden kann, so ist die wirkliche Ausbeute
eine bedeutend geringere und beträgt oft nicht einmal die Hälfte des
tatsächlich Vorhandenen. So gewinnt der Neger mit seinen unvollkommenen
Verfahren aus 50 kg Früchten, die also die mittlere Jahresernte
einer Palme darstellen, bloß 2,94 kg Öl und 3,84 kg Kerne. Die
Fruchtfleischrückstände enthalten noch sehr viel brauchbares Fett, das
durch kräftigeres Pressen leicht zu gewinnen wäre.

So lange die Ölpalmen jung sind, müssen sie namentlich gegen die Glut
der regelmäßig am Ende der Trockenzeit von den Negern angefachten
Steppenbrände geschützt werden. Haben sie aber eine gewisse Höhe
erreicht, so ertragen sie, ohne Schaden zu erleiden, sowohl die
Umschließung durch andere, sie überragende Gewächse, als auch
monatelange Überschwemmung ihres Standortes und die auflodernden
Flammen der Grasbrände.

Im Zentrum der Palmenentwicklung, dem Waldgebiet des nördlichen
Südamerika, ist die +Weinpalme+ (~Raphia vinifera~) heimisch, die
außerdem in Brasilien und Westafrika verbreitet ist. Der Stamm erreicht
bloß 5-10 m Höhe, besitzt aber bis 15 m lange Blätter mit gewaltigen,
oft über 2 m langen Fiedern. Durch Abschneiden der sich entwickelnden
Blütenkolben werden große Mengen eines zuckerigen Saftes gewonnen, der
durch alkoholische Gärung einen ebenfalls viel genossenen Palmwein
liefert; dieser soll aber an Güte dem von anderen Palmen gewonnenen
nicht gleichkommen. In Südasien und Indonesien werden verschiedene
andere Palmen als Weinpalmen bezeichnet, da sie ebenfalls zur Bereitung
von Palmwein benutzt werden.

Andere Palmengattungen liefern in ihren steinharten, weißen Früchten
einen wertvollen Ersatz für das durch die zunehmende Ausrottung der
Elefanten und die allmählich sich vermindernde Mammutelfenbeingewinnung
in Nordsibirien immer seltener und kostbarer werdende Elfenbein.
Es sind dies die von verschiedenen Palmenarten stammenden, als
„vegetabilisches Elfenbein“ auf den Markt gelangenden Steinnüsse.
Zuerst erlangten als solches die Nüsse der südamerikanischen
+Steinnußpalme+ (~Phytelephas macrocarpa~) Bedeutung, die seit dem
Jahre 1826 in zunehmender Menge in der Kulturwelt Verwendung finden
und deshalb einen der wichtigsten Handelsartikel des Staates Kolumbia
bilden. In ihrer Heimat, den Wäldern am Magdalenenstrom und dessen
Zuflüssen, werden sie von den Eingeborenen schon seit uralter Zeit zu
allerlei Schnitzereien verwendet. Zwei Spanier, Ruiz und Pavon, machten
bereits in einem 1798 erschienenen Werke die wissenschaftliche Welt auf
diese Palme und ihre Nüsse aufmerksam und gaben ihr den bis heute in
Geltung gebliebenen lateinischen Namen ~Phytelephas macrocarpa~, der
die großfrüchtige Pflanzenelfenbeinpalme bedeutet.

    Tafel 25.

[Illustration: Ölpalmenhain in Westafrika.

Ansicht eines sumatranischen Dorfes mit einer blühenden Zuckerpalme in
der Mitte und einem Bambustrieb rechts.]

    Tafel 26.

[Illustration: Gruppe von Kokospalmen auf Java.

Verschiedene Palmenarten auf Java.]

Die Steinnußpalme ist auf Südamerika beschränkt, liebt feuchte
Standorte und steigt den Flußläufen entlang aus den Niederungen bis zu
1000 m Höhe. Sie wächst meist in Gruppen, selten in größeren Beständen.
Der höchstens 6 m hohe Stamm ist teils von seinem eigenen Gewicht,
teils von den Luftwurzeln auf den Boden gedrückt. Darin und in ihrem
ganzen übrigen Aussehen gleicht sie auffallend der vorhin erwähnten
südamerikanischen Ölpalme (~Elaeis melanococca~). Bei der nahe mit ihr
verwandten Steinnußpalme mit etwas kleineren Früchten (~Phytelephas
microcarpa~) ist die Stammbildung fast ganz unterdrückt, so daß sie
sich mit ihrem Wipfel nur wenig über den Boden erhebt.

    Tafel 27.

[Illustration: Junger Singhalese auf Ceylon mit zwei Fruchtbündeln von
Arekanüssen und zwei Kakaofrüchten davor.

Sagopalmen auf Celebes.]

    Tafel 28.

[Illustration: Auf Arekapalmen kletternde Inder, die ihre Füße zum
besseren Kletternkönnen mit einem Tuch verbunden haben.]

Die Bäume sind getrennt geschlechtig, und zwar sind die männlichen
Exemplare stärker und aufrechter als die weiblichen. In den Achseln
der riesigen Blätter entwickeln sich die Blütenstände, welche an den
weiblichen Palmen über kopfgroße, kugelige Sammelfrüchte bilden,
die aus je sechs oder mehr eng aneinander gepreßten, holzigen
Einzelfrüchten mit höckeriger Oberfläche bestehen, die wiederum vier
bis sechs hornige Samen in besonderen Fächern aufweisen. In diesen
20-60 g schweren, etwa hühnereigroßen Samen, den Steinnüssen, liegt
von einer schwarzbraunen Schale umgeben der weiße, sehr harte Kern,
bestehend aus einem von dickwandigen Steinzellen mit reichlich Eiweiß
und Öl im Innern gebildeten Nährgewebe, das selbst nach 24stündigem
Liegen im Wasser nicht wesentlich erweicht. Beim Keimen aber sieht man
diese steinharte Masse plötzlich weich werden, indem dabei Fermente
ausgeschieden werden, die dem Keimling den wie beim Dattelkern sehr
harten Reservevorrat lösen und ihn in Form von Traubenzucker für dessen
Wachstum zugänglich machen. In diesem Stadium läßt sich ein angenehm
schmeckendes, süßes Getränk aus ihnen gewinnen, das als solches, oder
erst gegoren, von den Eingeborenen genossen wird. Diese Keimung der
Samen erfolgt, wie Kulturversuche ergaben, sehr leicht an feuchten
Orten der Tropen, so daß für die Anzucht der Steinnußpalme keinerlei
Vorrichtungen wie Saatbeete erforderlich sind.

Diese Palmnüsse bilden den wichtigsten Handelsartikel für die am
Meerbusen von Mexiko gelegenen Teile Südamerikas, und zwar sind
naturgemäß diejenigen Sorten am geschätztesten, deren Inneres dem
echten Elfenbein in Farbe und Tönung am nächsten kommt. Besonders
trifft dies bei der Sorte „Savanilla“ zu, deren gelblicher Kern
gebrauchtem Elfenbein auffallend ähnelt. Sie werden auf der Drehbank
bearbeitet und besonders in der Beinknopfindustrie in ungeheuren
Mengen verbraucht. Da sie sich gut färben lassen, verfertigt man auch
künstliche Korallen, Türkise usw. daraus. Die Abfälle werden zur
Darstellung von Pflanzenalbumen, einem speziell für Färbereizwecke
dienenden Eiweiß, leider aber auch zur Verfälschung von gepulverten
Gewürzen, die kaffeebraune Steinschale gepulvert zur weiteren
Verschlechterung von Kaffeesurrogaten verwendet.

Seit dem Jahre 1876 werden in zunehmendem Maße auch Steinnüsse aus
Polynesien unter der Bezeichnung +Tahitinüsse+ bei uns eingeführt, die
genau dieselben Eigenschaften wie die südamerikanischen besitzen, sich
aber infolge ihrer ansehnlicheren Größe noch besser verwenden lassen.
Wie sich später herausstellte, stammen sie nicht von den Tahiti-
oder Gesellschaftsinseln, sondern von den weiter im Westen gelegenen
Karolinen, Salomons- und Fidschiinseln von drei verschiedenen Arten der
Palmengattung ~Coelococcus~, die auf den genannten Inseln in größeren
Beständen gedeihen und einen recht ansehnlichen Export herbeigeführt
haben. Im Gegensatz zu den südamerikanischen Steinnüssen enthalten sie
innerhalb der Steinzellen Kriställchen von oxalsaurem Kalk in der Öl-
und Eiweißschicht eingebettet, bedürfen daher zu ihrer Bearbeitung
eines besonders gehärteten Stahls. Sie dienen ebenfalls vorzugsweise
der Knopffabrikation; jährlich werden etwa 13 Millionen kg derselben
gegenüber 38 Millionen kg südamerikanischer Steinnüsse über Hamburg
eingeführt.

Von großer Bedeutung für sämtliche Südasiaten und Indonesier ist die
ursprünglich in Südasien heimische +Arekapalme+ (~Areca catechu~), die
wegen ihrer diesen Menschen als Genußmittel unentbehrlichen Nüsse in
den Tropen daselbst häufig angepflanzt wird. Es ist dies eine wunderbar
zierliche Palme von 10-20 m Höhe mit dünnem, kerzengeradem, weißem
Stamm und einer Krone von dunkelgrünen Fiederblättern, deren einzelne
Fiedern etwas nach aufwärts gebogen sind, und leicht vom Winde bewegt
werden, so daß die bilderreiche indische Dichtung diese Palme mit einem
von der Gottheit in die Erde geschossenen Pfeile vergleicht, dessen
Kielfedern noch vom Fluge erzittern. Viele Europäer bezeichnen sie als
die anmutigste aller asiatischen Palmen, ja manche als die schönste
der Palmen überhaupt. Das Wichtigste und Wertvollste an ihr sind die
an einem nahezu 0,5 m langen Kolben erzeugten, im reifen Zustande
orangefarbenen Früchte von der Größe kleiner Hühnereier, die unter
einer glatten Außenhaut eine dicke, faserige Mittelschicht und unter
dieser eine gelbliche, dünne Schale besitzen, an welcher der Same
fest angewachsen ist. Letzterer ist sehr hart und enthält ein weißes,
von fast bis zum Zentrum eindringenden schwarzen Platten durchzogenes
Nährgewebe, das sehr reich an einem Katechu genannten Gerbstoff
ist, der als solcher daraus gewonnen und in großen Mengen ausgeführt
wird. Noch viel wichtiger aber ist ihr Gebrauch als Genußmittel der
Eingeborenen. Die Nuß ist nämlich ein wesentlicher Bestandteil des
„Betels“, der in ganz Süd- und Ostasien mit Leidenschaft von jedermann
gekaut wird. Man wickelt zu diesem Zwecke ein Stückchen derselben in
das Blatt des Betelpfeffers (~Piper betel~) ein, fügt etwas gelöschten
Kalk, dann Gambir und eventuell Gewürze wie beispielsweise Kardamomen
hinzu und kaut dies wie die Arbeiter und Matrosen bei uns den
Priemchentabak. Durch den Reiz dieses Gemisches werden große Mengen
eines roten Speichels ausgeschieden, der Zahnfleisch und Zähne rot
färbt und jene Betelkauer zu Virtuosen des Spuckens gemacht hat, die
darin höchstens durch die gumkauenden Yankees übertroffen werden.

Die Arekapalme gedeiht sowohl in Meereshöhe, wo sie häufig im Verein
mit der Kokospalme gezüchtet wird, als auch in größeren Erhebungen,
wenn auch selten über 1000 m über Meer. Sie ist seit unvordenklicher
Zeit über ganz Südasien verbreitet und, da sie im wilden Zustande nicht
mehr vorzukommen scheint, ist es unmöglich, mit absoluter Sicherheit
ihre engere Heimat festzustellen. Doch kann kaum ein Zweifel darüber
bestehen, daß dies die Sundainseln sind. Zur Gewinnung der ihnen
geradezu unentbehrlichen Arekanüsse wird sie von den Eingeborenen
jeweilen in nur wenigen Exemplaren um ihre Wohnungen gepflanzt. Die
Früchte fallen erst nach der Vollreife von den Fruchtzapfen ab. Unter
besonders günstigen Umständen beträgt die Jahresproduktion einer Palme
800 Früchte, doch können durchschnittlich nicht mehr als 250-300
angenommen werden. Die Tragbarkeit beginnt im fünften und endet
gewöhnlich im dreißigsten Jahre. Ausgedehnte Arekapalmenplantagen
gibt es auf Ceylon, das außer seinem eigenen großen Verbrauch etwa 13
Millionen kg davon jährlich ausführt, dann besonders in Nordindien
und auf der Halbinsel Malakka. Neuerdings wird sie auch auf den
Philippinen, in Neuguinea, ganz Indonesien und Ostafrika für den Export
angepflanzt; denn für mehrere hundert Millionen Menschen ist ihr Genuß
zum Kauen ein geradezu unentbehrliches Reizmittel, dem sie so wenig als
die Gewohnheitsraucher dem Tabak entsagen würden.

Die Betelnüsse werden gepflückt, bevor sie vollständig reif sind,
in dem Zustande nämlich, in welchem die unter der faserigen Hülle
liegende Schale noch nicht ganz verhärtet ist. Für die Beurteilung
ihrer Güte ist die Größe durchaus nicht maßgebend, sondern nur das
Aussehen des aufgeschnittenen Kerns. Wenn der weiche, markige Teil,
der den härteren roten Teil durchsetzt, eine bläuliche Schattierung
besitzt und der rote, gerbstoffhaltige Teil tiefrot ist, wird die Nuß
für erste Qualität erklärt. Wenn aber der markige Teil weiß ist und zu
sehr vorherrscht, was der Fall ist, wenn sie zu reif geworden ist, so
besitzt sie dann nicht mehr den gewünschten, stark zusammenziehenden
Geschmack und wird daher als geringwertig betrachtet. Meist werden
die Nüsse, nachdem sie von ihrer faserigen Hülle befreit wurden, mit
einem scharfen Messer halbiert und an der Sonne getrocknet. Manchmal
werden die Halbstücke vor dem Trocknen gekocht. Am geschätztesten ist
der Artikel, wenn er in folgender Weise hergestellt wurde. Die -- also
unreif -- geernteten Nüsse werden enthülst und in wenig Wasser gekocht.
Dabei entsteht eine rote, dicke, gallertige Brühe, die eingedampft und
getrocknet wird. Sie dient zum Einreiben der Nüsse, nachdem dieselben
in Stücke geschnitten und an der Sonne getrocknet wurden. Die Stücke
werden dadurch glänzend schwarz und in dieser Zubereitung als eine
Delikatesse ersten Ranges betrachtet. Auch ungeschnitten werden die
Nüsse zuweilen getrocknet, im übrigen aber nach demselben Verfahren
behandelt. Der Verbrauch an den Produktionsorten der Nüsse geschieht
häufig ohne jede Zubereitung oder nach einem kurzen Einweichen in
heißem Wasser.

Die Kultur der Betelpalme erfolgt wie diejenige der Kokospalme. Oft
werden beide Palmen durcheinander auf demselben Grundstücke angebaut.
Die frischen Nüsse von bester Beschaffenheit werden in Saatbeeten in
Abständen von 20-30 cm zum Keimen gebracht. Wenn sie 1-1½ Jahre alt
sind, werden sie in der Hauptregenzeit auf ein Feld 3 m auseinander
ausgepflanzt, in welchem vorher Bananenstauden als Schattenspender
wachsen gelassen wurden. Später ist den Arekapalmen die volle
Sonnenbestrahlung sehr dienlich und man pflanzt sie sogar häufig als
Schattenspender für Kakao, Betelpfeffer und andere Nutzpflanzen. Wenn
auch ihre Krone voll der Sonne ausgesetzt sein soll, so liebt sie doch
einen Boden, der durch Beschattung frisch und kühl erhalten wird. In
Anbaugebieten dieser Palme mit langen Trockenzeiten ist eine mehrmalige
gründliche Bewässerung der Arekaanpflanzung während der Trockenzeit
nötig.

Als Nahrungspflanze sehr wichtig für die Bewohner der Molukken und
von Neuguinea sind die verschiedenen ostindischen +Sagopalmen+, die
im Innern des Stammes eine große Menge Stärkemehl als Reservevorrat
aufspeichern, um am Ende ihres Lebens den mächtigen Blütenstand
aufzubauen und die Früchte reifen zu lassen. Die wichtigste derselben
ist die gesellig wachsende, 8-12 m Höhe bei einem Durchmesser von
0,6-1,5 m erreichende echte +Sagopalme+ (~Metroxylon rumphii~, nach
dem 1627 in Hanau geborenen und 1702 gestorbenen Rumphius benannt, der
lange auf der Insel Amboina lebte und diese Palme zuerst beschrieb).
Sie treibt im Alter von 10-12, ausnahmsweise auch 15 Jahren,
schwachrötliche Blüten in großer Menge an einer gewaltigen, die Palme
überragenden, endständigen, vielfach verzweigten Blütenrispe. Je mehr
die Früchte ihrer Reife entgegengehen, desto mehr schwindet natürlich
das Stärkemehl aus dem Stammkern, da es ja zur Fruchtbildung verwandt
wird. Sobald die pflaumengroßen, von einem gelbbraunen, glänzenden
Schuppenpanzer umgebenen trockenen Früchte reif sind, ist der
Stärkevorrat erschöpft, doch lebt der Baum noch einige Jahre weiter und
stirbt im 20. bis spätestens 25. Lebensjahre.

Ganz ähnlich verhält es sich mit der ihr nahe verwandten ~Metroxylon
sagus~, die im Gegensatz zu der vorgenannten keine Dornen an den
den Blattstiel umgebenden Blattscheiden trägt. Diese +unbewehrte
Sagopalme+, wie man sie im Gegensatz zur vorgenannten dornigen nennen
könnte, birgt weniger und geringwertigeres Stärkemehl. Während erstere
mehr auf den Molukken und in Neuguinea wächst und neuerdings auch,
seitdem eine größere Nachfrage nach Sago vorhanden ist, anderwärts
angepflanzt wird, wird die dornige Sagopalme mehr im westlichen Teil
des malaiischen Archipels, namentlich auf Borneo, Sumatra und Java,
wild und kultiviert angetroffen und liefert weitaus den größten Teil
des von Singapur aus in den Welthandel gelangenden Sagos.

Kurz bevor nun die Sagopalmen zu blühen beginnen, werden sie etwa
im 9. oder 10. Jahre zur Gewinnung des in ihnen in reicher Menge
angesammelten körnigen Stärkemehls gefällt und in 2-3 m lange Blöcke
zersägt, die sich leicht aufspalten lassen. Der dadurch freigelegte,
ziemlich feste Kern wird in großen Schollen losgebrochen und diese
werden in einem Troge zu grobem Mehl zerstampft. Dieses Mehl wird nun
zur Ausscheidung der Fasern mit Wasser vermischt und durch ein Sieb in
einen andern Trog gegossen. Nachdem sich das Stärkemehl auf dem Boden
niedergeschlagen hat und das Wasser abgelassen wurde, wird es in den
ersten Trog zurückgeschaufelt, mit Wasser vermischt und nochmals durch
das Sieb getrieben. Dieses Verfahren wird ein drittes und manchmal
noch ein viertes Mal wiederholt. Dann ist die Reinigung vollzogen und
das Stärkemehl für den Gebrauch für die Eingeborenen fertig, die sich
fladenartige, dünne Brote daraus herstellen und sie als Zukost zu ihren
Fischen oder anderer tierischer Kost essen.

Zur Herstellung des +Sagos+ -- das Wort stammt aus dem Malaiischen und
heißt eigentlich ~sagu~, was „eßbares Mehl“ ohne nähere Bezeichnung
der Herkunft bedeutet -- wird das sich nach dem Schlämmen absetzende
Mehl, wenn halb getrocknet, zerstoßen und durch ruckweises Hin- und
Herschütteln in einem Tuche, das an zwei von der Decke des Schuppens,
in dem die Zubereitung stattfindet, herabhängenden Seilen befestigt
ist, zu kleinen, als „Perlen“ bezeichneten Kügelchen geformt. Die diese
Arbeit verrichtenden Leute müssen besonders geschickt sein, da von der
Art des Schüttelns die Größe der Sagokügelchen abhängt. Diese werden
dann durch Siebe mit verschiedenen Maschen gesondert, in heißen Schalen
unter beständigem Rühren schwach geröstet und dann, auf großen Öfen
ausgebreitet, bei mäßiger Hitze vollständig getrocknet. Der Sagoertrag
eines einzelnen Baumes schwankt je nach der Gründlichkeit der Gewinnung
-- meist ist sie eine sehr oberflächliche -- zwischen 200 und 350 kg.
Die Gesamtmenge des jährlich von Singapur aus in den Handel gebrachten
Sagos wird auf 50 Millionen kg berechnet. Noch weit mehr konsumieren
die Eingeborenen, die zum großen Teil davon leben.

Die Sagopalme wird besonders in sumpfigen Talgründen, den Wasserläufen
entlang, angepflanzt. Eine kräftige Sagopalme erzeugt 300-400 kg
Stärkemehl. Dabei erneuert sich die Anlage von selbst, indem man von
jedem Baum, nachdem er gefällt ist, einen Schößling treiben läßt,
der seine Stelle einnimmt. Dieser ist meist nach 8 bis 10 Jahren
schlagreif und verlangt keinerlei Pflege. Die ersten Sagoproben
brachte der weitgereiste Venezianer Marco Polo (1256-1323) 1295 nach
Venedig. Aber erst durch die Portugiesen kam die Ware seit dem 16.
Jahrhundert in den Handel. Da man aber in neuerer Zeit fand, daß Sago
nur ein reines Stärkemehl ist, so bereitet man aus dem Stärkemehl
der Kartoffel deutschen Sago, der denselben Nährwert besitzt. Jetzt
wird die Sagopalme außer in ihrer Heimat noch an vielen Orten der
Tropen, besonders auch in Westindien, kultiviert. In derselben Weise
werden auch verschiedene Verwandte des echten Sagobaumes ausgebeutet.
Ein minderwertiges, nicht in den Handel gelangendes Sago gewinnt man
übrigens auch aus dem Marke der kürzeren, plumpen Stämme verschiedener
+Farnpalmen+, deren einfach gefiederte, große, lederartige Blätter an
Stelle der eigentlichen Palmenwedel unter dem Namen Palmenzweige bei
Leichenfeierlichkeiten verwendet werden.

Eine der berühmtesten Palmen ist die 20-25 m hohe fächerblättrige
ostindische +Talipotpalme+ (~Corypha umbraculifera~), die in den
feuchtesten Strichen Ceylons und des Festlandes wächst und zur
leichteren Wasserverdunstung gewaltige Blätter von 7-8 m Länge und
5-6 m Breite entwickelt. Unter einem solchen Blatte können zehn
Personen mit Leichtigkeit Platz und Schutz finden. So ist es nicht
zu verwundern, daß die Eingeborenen sich aus ihr sehr zweckmäßige
Sonnen- und Regenschirme herstellen, die sich die Vornehmen unter
ihnen, besonders die Häuptlinge, von ihren Dienern über den Kopf halten
lassen. Auch zum Decken der Häuser werden sie benutzt, während die
Blattknospen als Palmkohl gegessen werden und man aus dem Stamm eine
geringe Sorte Sago gewinnt. Jahrzehnte hindurch sammelt diese Palme
das nötige Nährmaterial, um am Ende ihres Lebens den außerordentlich
mächtigen, Tausende von weißen Blüten tragenden, reich verzweigten
Blütenstand hervorzubringen und dann, nach der Fruchtbildung,
abzusterben. Auf die in Längsstreifen gespaltenen Blätter ritzen
die Inder und Singhalesen mit eisernen Griffeln ihre Schrift ein.
Alle heiligen Schriften der Buddhisten Ceylons bestehen aus solchem
Schreibmaterial, das zu Büchern aufeinandergelegt und durch Schnüre
zusammengefaßt wird. Die Blattfasern dienen zu Stricken usw. Das weiche
Holz des Stammes wird kaum benutzt, dagegen dient das innere Mark
besonders in Zeiten der Not zur Gewinnung von Sago. Ähnlich, nur noch
vielseitiger, ist die Verwendung der nahe verwandten +Gebangpalme+
(~Corypha gebanga~) der Sundainseln. Eine andere Verwandte, die
ebenfalls in Vorder- und Hinterindien heimische +Kitulpalme+ (~Caryota
urens~) liefert namentlich Fasern und durch Ausschneiden der sich zum
Auftrieb bereitenden Blütenstände einen süßen Saft in solcher Menge --
bis über 50 Liter in 24 Stunden --, daß nicht nur Palmwein, sondern
durch Eindampfen auch bräunlicher Palmzucker (~tschakara~) daraus
gewonnen wird.

Zur Palmweingewinnung von etwas geringerer Güte dient auch eine andere
Fächerpalme, die überall im feuchtwarmen Gebiete des tropischen Afrika
als +Delebpalme+ und in Südasien und der asiatischen Inselwelt in einer
wenig verschiedenen Abart als +Palmyrapalme+ (~Borassus flabellifer~)
gedeiht. Die stattliche, durchschnittlich 20 m Höhe erreichende Palme
ist in ihrer afrikanischen Abart dadurch ausgezeichnet, daß der
Stamm in seinem oberen Teile bauchig angeschwollen ist, was bei der
südasiatischen Form durchaus fehlt, indem der Stamm der letzteren
durchwegs zylindrisch ist und sich nach oben hin etwas verjüngt.
Sie ist wie die meisten Palmen von der größten Nützlichkeit für die
Eingeborenen, die alles an ihr benutzen. Neben der Kokospalme ist
sie, die von den Malaien ~lontar~ genannt wird und durch die ganze
indonesische Inselwelt bis Neuguinea vorkommt, die Hauptnutzpalme
besonders Ostindiens, und ein uraltes indisches Lobgedicht auf sie
zählt nicht weniger als 801 Nutzanwendungen von ihr auf. Sie ist für
Ostindien deshalb so bedeutsam, weil sie dem Menschen gerade dann
einen bedeutenden Teil seiner Nahrung liefert, wenn Reis und andere
Lebensmittel hoch im Preise stehen, die Produkte der Palmyrapalme aber
billig sind, da sie umsonst aus den Wäldern gewonnen werden können. Sie
wird auch eigens zur Nahrung kultiviert und die jungen Keime werden
als wohlschmeckendes Gemüse (Palmkohl) gern gegessen. Aus dem Marke
gewinnt man Sago. Die kokosnußähnlichen Früchte von der Größe eines
Kinderkopfes dienen Menschen und Vieh zur Nahrung. Sie werden roh und
geröstet gegessen und sind für Millionen Inder eine Hauptnahrung.

Durch das Abschneiden der noch von den Scheiden umgebenen jungen
Kolben der männlichen Bäume wird der Toddy genannte Palmwein gewonnen.
Man beginnt von der Spitze her von diesen Kolben dünne Scheiben
abzuschneiden; dabei tritt ungefähr acht Tage nach dem ersten Schnitt
das Ausfließen des Saftes ein, welches so lange anhält, bis der ganze
Kolben weggeschnitten ist, was vier bis sechs Monate dauert. Man kann
daraus entnehmen, welche große Mengen süßen Palmsaftes auf diese Weise
gewonnen werden. Durch Einkochen desselben und Behandeln mit Kalk
wird brauner Palmzucker, von den Eingeborenen ~tschakara~ genannt,
hergestellt.

    Tafel 29.

[Illustration: Blühende Talipotpalme auf Ceylon.]

    Tafel 30.

[Illustration: Junge Seychellenpalme im botanischen Garten von
Buitenzorg auf Java.

Vorn ~Victoria regia~ und hinten ein afrikanischer Leberwurstbaum
(~Kigelia africana~) im botanischen Garten von Buitenzorg auf Java.]

In den jungen, noch nicht reifen Früchten ist das Nährgewebe der Samen
gallertartig weich und wohlschmeckend. Das harte, hornartige Nährgewebe
der reifen Frucht ist ebenfalls eßbar, wenn es durch Fermentwirkung
bei der Keimung weich geworden ist. Zu diesem Zwecke läßt man die
Samen ankeimen, indem man sie in lockere Erde gräbt. Meist jedoch wird
der keimende Samen seiner Entwicklung zum Keimpflänzchen überlassen;
wenn dieses dann die Größe einer kräftigen Mohrrübe erreicht hat,
liefert es in verschiedener Zubereitung eine schmackhafte Speise.
Namentlich die inneren, zarteren Teile des Keimpflänzchens, das
sogenannte Herz, werden wegen ihrer zarten Beschaffenheit zum Essen
bevorzugt. Die jungen, weißlichen Blätter dienen als Schreibmaterial,
während die älteren grünen Blätter in ähnlicher Weise wie diejenigen
der Fächerpalmen zu Matten, Körben, Säcken, Hüten, Fächern und zur
Bedeckung der Hütten benutzt werden. Das durch seine Härte und
Dauerhaftigkeit, besonders seine Widerstandskraft gegen die sonst
kaum eine pflanzliche Substanz verschonenden Termiten ausgezeichnete
Holz älterer Bäume dient zum Hausbau und wird als Tischlerholz zu
allen nur erdenkbaren Gegenständen verarbeitet. Aus den dunkelfarbigen
Rindenschichten älterer Bäume werden in Europa Spazierstöcke und
mancherlei Drechslerwaren verfertigt. Das Holz jüngerer Bäume dagegen,
das nur in den äußeren Teilen des Stammes sehr hart ist, wird, nachdem
man den weichen inneren Teil entfernt hat, zu Wasserröhren, Dachrinnen
usw. benutzt. Die Blattscheiden endlich liefern einen sehr wertvollen
Faserstoff, der als Borassus- oder Palmyrapiassave in den Handel kommt.

Auch bei der in den Wäldern Ostafrikas, Ostindiens und Indonesiens
bis zu den Molukken heimischen +echten Zuckerpalme+ (~Arenga
saccharifera~), in Malabar Gomutipalme genannt, die 16-19 m hoch wird
und 6,5-8 m lange Blätter treibt, besteht der Hauptnutzen im süßen,
durch Abschneiden der jungen Blütenkolben, selten durch Einschnitte
in den Stamm in Menge gewonnenen Saft, den man zur Herstellung eines
stark berauschenden Palmweins, noch häufiger aber durch Einkochen zur
Gewinnung eines dunkeln Palmzuckers benutzt. Aus dem Mark bereitet
man eine Art Sago. Zwischen dem Ursprung der Blattstiele stehen
roßhaardicke schwarze Fasern, die als Gomutifasern oder Ejuh in den
Handel gelangen und zur Herstellung von Schnüren, Segeln, Ankertauen
und Besen verwendet werden. Ihre mit Zucker eingemachten unreifen
Früchte gelten in Cochinchina als Leckerbissen, aber das saftige
Fleisch der reifen Steinfrüchte ist so brennend, daß die Lippen
davon anschwellen. Auch das rote Fruchtfleisch der kastaniengroßen
Früchte der vorhin erwähnten, bis 16 m hohen ostindischen +Kitulpalme+
(~Caryota urens~), mit bis 6,5 m langen doppeltgefiederten Blättern,
kann wegen des heftigen Brennens, das sie im Munde verursachen, in
reifem Zustande nicht genossen werden.

Außerordentlich beliebt bei den Malaien und in wenigen Dörfern
Javas, Sumatras und Borneos fehlend, ist die +Salakpalme+ (~Zalacca
edulis~), eine stammlose, buschige Palme mit großen, stacheligen
Fiederblättern. Die Blätter dienen zum Dachdecken, und die mit einem
braunroten Schuppenpanzer umgebenen eiförmigen Früchte bergen drei von
einer weichen, weißen Fruchtmasse eingehüllte Samen. Deren angenehm
säuerliches, etwas zusammenhängendes Fruchtfleisch wird roh, mit Zucker
oder gekocht gegessen. Oft bezahlen die Malaien dafür sehr hohe Preise.

Eine niedrige Schirmpalme, welche vielfach als Topfpflanze bei
uns kultiviert wird, ist die in China heimische und früh nach der
Insel Bourbon verpflanzte ~Livistona chinensis~, deren Früchte, die
+Latanenäpfel+, unter der dünnen sich leicht ablösenden Schale ein
schmackhaftes Fleisch enthalten.

Eine der Hauptnahrungspflanzen der süd- und mittelamerikanischen
Indianer ist die bei einer Stammdicke von 13-21 cm 25-29 m hoch
werdende +Pupunhapalme+ (~Guilelmia speciosa~) mit 2-2,3 m langen
Blättern. Deren Früchte bilden gekocht und geröstet eine sehr
wichtige Speise der Eingeborenen, weshalb sie den Baum um ihre Hütten
anpflanzen. Aus den Samen wird auch Palmöl gewonnen. Dieser Fruchtbaum
der tropischen Waldgebiete Amerikas steht schon so lange in der Kultur
des Menschen, daß er nur noch durch Schößlinge fortgepflanzt werden
kann.

Gleicherweise liefern die Früchte der auf dem Gebiet von
Britisch-Honduras große Wälder bildenden +Cohunepalme+ (~Attalea
cohune~) das dem Kokosnußöl bei weitem vorgezogene Cohuneöl, das
bei 24° C. gerinnt. Diese schöne Palme bringt nur +eine+ Ernte im
Jahre hervor, gewöhnlich aus 700-800 Früchten bestehend. Wenn die
Früchte von den Bäumen gefallen sind, werden sie gesammelt und in
sehr roher Weise zur Ölgewinnung benutzt. Ihre sehr harten Schalen
werden mit einem Stein aufgeschlagen und die Kerne in einen hölzernen
Mörser geworfen, in dem sie zerstoßen werden. Die dabei entstehende
Masse wird in Kesseln gekocht und das an die Oberfläche kommende Öl
abgeschöpft. In unreifem Zustande enthalten die Früchte eine kühle,
angenehm schmeckende Flüssigkeit, die sehr abführend wirkt. Hat sich
diese Flüssigkeit zu einem weichem Kern verdichtet, so wird derselbe
zerstoßen, mit wenig warmem Wasser übergossen und durch ein Tuch
geseiht. Die erhaltene milchige Flüssigkeit dient zur Vermischung mit
Kaffee und zur Herstellung einiger Gerichte. Aus dem süßen Safte der
Palme wird ein weinartiges Getränk bereitet. Die bis 9 m langen Blätter
mit 1 m langen Fiedern dienen zur Bedachung der Hütten.

Auch aus den eßbaren Früchten der brasilischen ~Alfonsia oleifera~ und
noch mehr aus denjenigen der westindischen +Macahubapalme+ (~Acrocomia
sclerocarpa~) wird ein sehr wohlriechendes Öl gewonnen, das vielfach
zur Fabrikation von feinen Toilettenseifen Verwendung findet. Letztere
Palme ist 6-12 m hoch; ihr Stamm verdickt sich am Grunde etwas und
wird von 3-5 m langen, lebhaft grünen Blättern gekrönt, die mit
braunen Stacheln bewehrt sind. Die kugeligen, olivengrünen Früchte
von der Größe einer Aprikose enthalten einen sehr harten Kern, der
eine schöne Politur annimmt und deshalb vielfach von den Negern zu
Schmucksachen verarbeitet wird. Um das Öl zu erhalten, werden die Samen
leicht geröstet und in einer Mühle zu Brei zerrieben. Derselbe wird
schwach erwärmt, zu einem Viertel seines Gewichts mit kochendem Wasser
vermischt und in einen Sack gebracht, der zwischen zwei erwärmten
Eisenplatten gepreßt wird. Das erhaltene Öl reinigt man, indem man es
kocht und filtriert. Nach dieser Behandlung hat es die Beschaffenheit
von Butter, ist goldgelb gefärbt, riecht veilchenähnlich und besitzt
einen süßlichen Geschmack. Es dient meist als Speisefett und kommt auch
nach Europa. In verschlossenen Gefäßen läßt es sich lange aufbewahren.
Der Luft ausgesetzt, verliert es bald seine schöne gelbe Farbe und sein
angenehmes Aroma.

In sumpfigen Niederungen des Amazonenstroms und sonst in Brasilien
wächst die bis 30 m hohe +Assaipalme+ (~Euterpe oleracea~), die
schlehenartige Früchte zeitigt. Diese werden, wenn reif, in irdene
Töpfe gelegt und mit warmem Wasser übergossen, das bald eine purpurne
Färbung annimmt. Nach einer Stunde wird der größte Teil des Wassers
abgegossen, etwas kaltes Wasser hinzugefügt und das inzwischen weich
gewordene Fruchtfleisch mit den Händen zerdrückt. Sind die grünlichen
Steine entfernt, so wird die rahmartige Flüssigkeit durch ein Sieb
getrieben und ist zum Genusse fertig. Als ~assai~ wird es überall in
den Ortschaften von Straßenverkäufern feilgeboten. Außerdem werden die
Blattknospen aus dem Innern der Blattscheiden gekocht als Gemüse oder
roh als Salat (Palmkohl) feingeschnitten und mit Öl und Essig gemischt
gegessen. Die Stämme dienen häufig zu Pfählen und Palisaden.

Weiter ist die brasilische +Wein-+ oder +Mostpalme+ (~Oenocarpus
bacaba~), die in ihrer Heimat überall um die Wohnungen der Eingeborenen
angepflanzt wird, von Wichtigkeit, da die gekochten und gepreßten
Früchte viel süßes Öl zum Küchengebrauche und zum Brennen und außerdem
ein beliebtes weinartiges, von den Indianern ~bakaba~ genanntes Getränk
liefern. An Nützlichkeit wird sie noch von der in Nordbrasilien und im
Orinokogebiet heimischen +Moritzpalme+ -- nach dem 1665 gestorbenen
Prinzen Moritz von Nassau, einem Beförderer der Botanik so genannt
-- (~Mauritia vinifera~) übertroffen, deren bis über 32 m hoher und
0,3-0,6 m dicker Stamm innen schwammig-weich ist und eine Art Sago
liefert, der in Scheiben geschnitten eine brotähnliche Speise gibt.
Fleisch und Kern der hühnereigroßen Früchte werden gegessen, der
durch Abschneiden der unentwickelten Blütenscheiden gewonnene süße
Saft liefert den betäubenden Palmwein der Guaraniindianer, während
die Oberhaut der Blätter vortreffliche Schnüre und Netze gibt und der
äußere Teil des Stammes als Nutzholz dient. Nach Alexander von Humboldt
ernährt diese Palme ausschließlich die im Mündungsgebiet des Orinoko
lebenden wilden Stämme der Guarani, welche sich Hängematten aus den
Blattstielen machen und dieselben zwischen den Stämmen ausspannen,
um in der Regenzeit, wenn das Mündungsgebiet des Flusses weithin
überschwemmt ist, ganz auf diesen Bäumen zu leben.

Nicht weniger nützlich ist für die Eingeborenen Chiles die +chilenische
Palme+ (~Jubaea spectabilis~), die einzige Palme Chiles und die
südlichste Amerikas, die auf ein kleines Gebiet der Küstenkordillere
vom Meeresstrand bis 800 m Höhe beschränkt ist. Sie erreicht 25 bis
28 m Höhe bei einem Stammdurchmesser von 1-2 m. Diese dickste
aller Palmen der Erde besitzt eine Krone von 50-60 2,5 m langen
Fiederblättern. Sie blüht erst in einem Alter von 60 Jahren, und
zwar fällt der Beginn der Blütezeit in den Oktober, den chilenischen
Frühling. Dann platzt die Hülle, die den Blütenstand einschließt, mit
lautem Knall. Der darin geborgene fleischige Blütenkolben entfaltet
gegen hundert Zweige, die zugleich mit männlichen und weiblichen
strohgelben, etwas rötlichen Blüten besetzt sind. Aus den weiblichen
entwickeln sich walnußgroße, apfelgelbe Steinfrüchte, deren den Kern
umhüllendes Fruchtfleisch an den Geschmack der Mispel erinnert. Die
Samenkerne, ~coquitos~ genannt, von denen ein einziger Baum in einem
guten Jahr 10000 zur Reife bringt, dienen als Ersatz für Mandeln und
sind namentlich in Peru sehr begehrt. Wie von allen Palmen werden
auch von ihr alle Teile ausgenutzt. Aus den Fasern des Stammes wird
eine zur Bedachung der Häuser geeignete Pappe gemacht, aus den
Fiedern der Blätter verfertigt man Körbe und Flechtwerk aller Art,
oder zerschleißt sie zu Polsterungsmaterial, die Mittelrippen werden
nach Europa exportiert und dort zu Spazierstöcken verarbeitet, aus
dem Stamme jedoch, wobei die Palme geopfert wird, gewinnt man den zu
Konfitüren der häuslichen Küche unentbehrlichen Palmenhonig (~miel de
palma~). Bestellt man in einem Restaurant Chiles beispielsweise einen
Pfannkuchen, so fragt der Kellner, der ihn serviert: „mit Zucker oder
Palmenhonig?“ Der Chilene zieht letzteren vor, der sich alsdann aus
der angebohrten Blechbüchse in dünnem, aber zähem gelbbraunen Strahl
auf das Gebäck ergießt. Zur Gewinnung dieses Palmenhonigs werden die
in Mittelchile noch in größeren Beständen wachsenden Palmen bevor der
Frühlingstrieb erfolgt in der Weise an der Wurzel gefällt, daß sie noch
durch einen Teil des Stammes mit dem Erdreich in Verbindung bleiben.
Dann wird das oberste Stammende nach Entfernung der Krone gekappt
und ein Gefäß darunter gestellt. Während des 6-8 Monate andauernden
Ausflusses von süßem Saft liefert sie insgesamt 300-400 Liter
desselben. Dabei muß nur von Zeit zu Zeit für eine neue Schnittfläche
gesorgt werden, da sich die alte mit der Zeit verstopft. Der Saft wird
dann auf Sirupdicke eingekocht. Eine Palme liefert 60-100 Liter Honig.

Im Innern Afrikas ist die +äthiopische Fächerpalme+ (~Borassus
aethiopum~), deren Stamm im zweiten Drittel angeschwollen ist, häufig
und wird auch teilweise von den Negern angepflanzt, da ihre kopfgroßen,
2-2,5 kg schweren Nüsse ihnen allgemein zur Nahrung dienen und
teilweise so wichtig sind wie die Datteln den Arabern. Auch die Triebe
der jungen Sämlinge werden roh gegessen.

Verwandt mit ihr und der Deleb- beziehungsweise Palmyrapalme (~Borassus
flabellifer~) ist die im Westgebiet des Indischen Ozeans heimische
+Seychellenpalme+ (~Lodoicea seychellarum~). Sie selbst ist noch
nicht sehr lange bekannt, während ihre bis 40 cm langen und 10 bis
13 kg schweren, vortrefflich zum Schwimmen über weite Meeresstrecken
eingerichteten, seltsam zweilappigen Früchte, deren Nährgewebe wie
dasjenige der Kokosnüsse schmeckt und gerne verspeist wird, schon im
Mittelalter in Indien und Hinterindien bekannt waren. Aus unbekannter
Ferne fand man sie bisweilen am Strande der Küste Vorderindiens
oder der vorgelagerten Inselgruppe der Malediven angeschwemmt. Kein
Mensch wußte zu sagen, woher diese merkwürdigen Gebilde kamen, und
so bildete sich die Sage aus, daß sie als eine Zauberfrucht am
Grunde des Meeres wüchsen. Deshalb nannte man sie Meerkokosnüsse
oder Wundernüsse Salomos, auch maledivische Nüsse, weil sie zumeist
von den Malediven nach dem indischen Festland in den Handel kamen.
Auf den Malediven mußte jede solche entdeckte Nuß als Eigentum des
Fürsten bei Todesstrafe sofort diesem gebracht werden, der sie dann
verschenkte oder verkaufte. Ihrer großen Seltenheit und geheimnisvollen
Herkunft entsprechend galt sie als ganz außerordentlich wertvoll und
man schrieb ihr die wunderbarsten Wirkungen zu. Besonders die Malaien
ließen sich daraus kostbare, wundertätige Trinkgefäße schnitzen. 1602
brachte der holländische Admiral Hermanson zuerst eine solche Nuß, die
er von einem indischen Fürsten geschenkt erhalten hatte, nach Europa,
wo ihr dieselben wunderbaren Kräfte wie in Indien zugeschrieben wurden.
Kaiser Rudolf II. (1552-1612) bezahlte für einen daraus geschnitzten
Becher, der als zauberkräftiger Talisman galt und heute noch in der
Schatzkammer des Kaiserhauses in Wien aufbewahrt wird, nicht weniger
als 4000 Goldgulden (im heutigen Werte von über 12000 Mark), eine
für die damalige Zeit ganz ungeheure Summe. Erst im Jahre 1769 wurde
gelegentlich einer vom Herzog von Praslin angeordneten Untersuchung
der Seychellengruppe auf einer winzig kleinen, nach Praslin benannten
Insel die Mutterpflanze in Gestalt der bis 40 m hohen Palme mit 7 m
langen und 4 m breiten Blattwedeln gefunden, und 1770 brachte ein
unternehmender französischer Kauffahrer diese Meernüsse in Menge
nach Kalkutta, wo er sehr gute Geschäfte damit machte. Später kamen
sie vielfach als Kuriosität in europäische Sammlungen. Daß die
Mutterpflanze getrenntgeschlechtig ist und nicht in dichten Beständen,
sondern zwischen den übrigen Urwaldbäumen zerstreut wächst, trägt nicht
wenig dazu bei, daß ihre Vermehrung nur überaus langsam fortschreitet.
Zudem brauchen die Früchte nicht weniger als sieben Jahre zum Reifen.
Erst ein Jahr nach dem Pflanzen derselben erscheint der Keimling, der
oft mehrere Meter unter der Bodenoberfläche dahinkriecht, bis er nach
oben hervorbricht. Bis ein Baum Blüten trägt, vergehen 30-40 Jahre.

[Illustration: Bild 15. Nuß der Seychellenpalme (~Lodoicea
seychellarum~). Nach dem Original im Baseler botanischen Institut.]

In Oberägypten häufig ist die 8-9,5 m hoch werdende +Dumpalme+
(~Hyphaene thebaica~), eine der wenigen Palmen, deren Stamm
sich 3 bis 4mal gabelt. Sie kommt in verschiedenen Arten in ganz
Afrika vor. Die etwa die Größe und Form einer Birne erreichenden
bräunlichgelben, völlig glatten Früchte besitzen um die harten
Samen ein süßes, wohlschmeckendes Fruchtfleisch, das besonders die
Affen und Elefanten, aber auch die Menschen sehr lieben. In manchen
Gegenden, so beispielsweise im Ambolande, bilden die Früchte dieser
„Pfefferkuchenpalmen“ ein sehr wichtiges Nahrungsmittel. Auch in
Ägypten gelangen sie heute noch wie zur Zeit der ältesten Dynastien zum
Verkauf. Die alten Ägypter aßen sie mit Vorliebe und gaben sie ihren
Toten als Wegzehrung mit. So finden wir sie häufig als Grabbeigaben,
besonders der 12. Dynastie seit dem Beginne des vorletzten Jahrtausends
v. Chr. Die Dumpalme hieß bei den Ägyptern ~mama~ und deren Früchte
~kuku~. Aus den Blättern wurden Sandalen hergestellt, deren sich
mehrere erhielten, so eine im Museum in Florenz.

Eine neuerdings auch bei uns eingeführte, äußerst wertvolle
Tropenfrucht sind die +Bananen+ oder +Paradiesfeigen+, auch +Pisang+
genannt. Diese mit den Liliengewächsen verwandten Pflanzen stellen
die Riesen unter den Stauden dar, indem ihr krautiger, nach außen
ausschließlich von dicken Blattscheiden gebildeter Stamm 6 bis zu
10 m Höhe erreicht. Nur wenn die Pflanzen als Abschluß ihres Daseins
zur Blüte gelangen, durchwächst dann im Innern ein solider Körper als
sogenannter Krautstamm den Stengel. Die außerordentlich großen, 3-4 m
langen und 60-90 cm breiten, saftig grünen Blätter besitzen eine sehr
starke Mittelrippe, von der sich parallele Seitennerven abzweigen,
zwischen denen sie der Wind oft arg zerschlitzt.

Die Bananenstaude bringt nur +ein+ Fruchtbüschel hervor, das aber
mit seinen Früchten 30-50 kg schwer wird und 60-100, bei einigen
Abarten bis 300 Einzelfrüchte enthält. Nachdem die Frucht gereift
ist, stirbt die Pflanze ab. Die Blüten brechen nach Beendigung des
Größenwachstums der Pflanze hervor und sitzen an einem bis 1,5 m
langen, meist hängenden Kolben, und zwar in 12-16 Ringen von je 15-20
fruchtbaren weiblichen Blüten, von denen jede mit einem großen, roten,
blauen oder violetten Deckblatte umgeben ist. Diejenigen der oberen
Scheiden, die am weitesten herabhängen, sind männlich und fallen nach
dem Verblühen samt den Blätterscheiden ab, während der Achsenteil, an
dem sie befestigt waren, erhalten bleibt und auch später noch weit über
den reifen Fruchtstand hinausragt. Dann folgen einige unfruchtbare
Zwitterblüten und darunter erst die fruchtbaren weiblichen, die nach
der Befruchtung die 20-30 cm langen und 5-8 cm dicken, schön gelb bis
rot gefärbten, sechskantigen, nicht aufspringenden Früchte hervorgehen
lassen. Diese gurkenförmig länglichen, sichelförmig gekrümmten,
ursprünglich dreifächerigen, weichen Beeren weisen bei sämtlichen
kultivierten Sorten als Zeichen einer uralten Kultur, bei der alles
Gewicht auf die möglichst reiche Entwicklung des Fruchtfleisches
gelegt wurde, keinerlei Samen mehr auf, so daß diese Kulturpflanze
sich nur noch durch Stecklinge fortpflanzt. Bei der wildwachsenden
südasiatischen Stammpflanze sind sie gedrückt kugelig, während sie bei
den kultivierten Arten zugunsten des Fruchtfleisches unterdrückt wurden
und nur noch als dunkle Punkte zu erkennen sind. Die Bananenfrüchte
schmecken, wie sich ein jeder von uns wohl selbst zu überzeugen
vermochte, wie mehlige, sehr aromatische Birnen und besitzen einen
außerordentlich hohen Nährwert.

Mit der vollständigen Entwicklung der Blüte hat das Wachstum der Banane
sein Ende erreicht, mit der Reife der Früchte stirbt der Schaft und
wird vom Menschen umgehauen, entwickelt aber neue Nebensprossen. Die
Lebensdauer beträgt je nach Boden, Klima und Eigenschaft der Spielart 9
Monate bis 3 Jahre, ist aber unter günstigen Lebensverhältnissen meist
nicht länger als 12-14 Monate. Beträgt sie unter dem Äquator 9 Monate,
so nimmt dieser Zeitraum in demselben Verhältnisse zu, je weiter vom
Äquator entfernt die Kultur dieser Obstpflanze getrieben wird.

    Tafel 31.

[Illustration: Die aus dem südlichen China stammende Fächerpalme
~Livistona chinensis~ mit Früchten in einem Garten in Kamerun. Die auch
als Latanenäpfel bezeichneten Früchte besitzen unter der dünnen, sich
leicht ablösenden Schale ein schmackhaftes Fleisch. Diese Palme wird
wie andere niedere Schirmpalmen häufig als Zimmerpflanze kultiviert.]

    Tafel 32.

[Illustration: Bananenpflanzung auf Jamaika.

Verladung von Bananen ins Schiff auf Jamaika.]

Der +gemeine Pisang+ (~Musa paradisiaca~) hat einen schlankeren Wuchs,
schmalere Blätter und längere, aber weniger schmackhafte Früchte als
der +Bananenpisang+ oder die eigentliche +Banane+ (~Musa sapientum~).
Von beiden Arten gibt es sehr viele Varietäten (in Amerika allein
440), neben +Obstbananen+ auch solche, die sich nur zum Kochen und
Backen eignen. Man nennt diese +Mehlbananen+. Aus ihnen, die roh ein
herbes Fruchtfleisch aufweisen und nur gekocht schmecken, kann ein
Mehl erhalten werden, daß in einigen Gegenden Afrikas, z. B. am Albert
Edward Nyansa, ein wichtiges Nahrungsmittel bildet. Anderswo wird
aus den unreifen Bananen ein Mehl bereitet, aus dem man Bananenbrot
bäckt. In manchen Gebieten Afrikas ernährt sich die Bevölkerung beinahe
ausschließlich von Bananen, und auch in Mittel- und Südamerika wie
auch auf den Südseeinseln bilden sie roh, geröstet oder gekocht die
Hauptnahrung des Menschen. Aus dem Safte der sehr zuckerhaltigen
Obstbanane wird auch ein sehr angenehmes, kühlendes Getränk von
weinartigem Geschmack hergestellt, das frisch süß und moussierend
schmeckt, bei längerem Stehen jedoch säuerlich wird und durch
alkoholische Gärung stark berauschend wirkt. Um diesen Bananenwein
noch stärker und gehaltreicher zu machen, wird ihm vielfach, so in
Ostafrika, geröstetes Kafferkorn oder Durra (~Andropogon sorghum~) mit
Wasser beigefügt. Das Herz, d. h. das Mark des Stammes und die jungen
Schosse dienen in der mannigfaltigsten Zubereitung als beliebte Speise,
die saftigen Blattscheiden und der noch nicht erhärtete Wurzelstock
werden von den Negern gegessen und aus dem Schafte der Blätter, der als
Wasserreservoir dient, kann ein trinkbares Wasser herausgepreßt werden.
Im Süden Chinas werden die Blüten zu einem geschätzten Salat verwendet.
Die großen Blätter dienen zum Decken der Hütten, zu Sonnenschirmen, als
Teller zum Auftragen der Speisen und dergleichen. Einige Male langsam
durch die Glut eines gelinden Feuers hin- und hergezogen, werden sie
weich und geschmeidig wie Papier und dienen dann als ein vorzügliches,
wasserdichtes Packmaterial, in denen man beispielsweise die Tabake von
Manila versendet. Die Blattscheiden enthalten Fasern, die seit den
ältesten Zeiten zu Matten, Stricken und anderem Flechtwerk, sowie zu
Geweben und zu Zunder verwendet werden. Aus dem Schafte aber wird eine
Art Hanf bereitet, der auf den Philippinen von der dort zur Gewinnung
des sogenannten Manilahanfes in ausgedehntem Maßstabe gepflanzten
Faserbanane (~Musa textilis~), in Vorderindien und in Ozeanien, auch
von ~Musa sapientum~, auf den Antillen, in Guiana und Angola von ~Musa
paradisiaca~ und in Neusüdwales auf der vor kurzer Zeit aus Abessinien
dort eingeführten ~Musa ensete~ gewonnen wird.

Da nun der Schaft der Banane nach der Bildung der Früchte allmählich
abstirbt, keimfähige Samen aber nicht ausgebildet werden, so beruht
die Erhaltung und Vermehrung der Art allein auf der Tätigkeit
des Wurzelstocks, der sich durch die reichliche Entwicklung von
Seitensprossen, sogenannten Schößlingen, auszeichnet. Hat eine
Banane Frucht getragen, so wird sie meist über der Wurzel abgehauen,
um das Mark derselben zum Essen zu verwenden. Von den während der
Entwicklung des Schaftes, bis die Fruchtbildung sich vollzogen hatte,
unterdrückten Schößlingen läßt man gewöhnlich nur zwei gegen das Ende
der Fruktifikation des Hauptstammes zur Weiterentwicklung gelangen und
schlägt dann den schwächeren mit dem ausgedienten Haupttrieb ab. Die
Vermehrung der Bananen erfolgt ausschließlich durch solche Schößlinge,
welche man in der Nähe ihrer Basis von der Mutterpflanze abschneidet
und in mit altem, gerottetem Mist gedüngte, etwa 30 cm tiefe
und ebenso breite Pflanzlöcher steckt, wo sie so weit mit Erde bedeckt
werden, daß nur etwa 5 cm des Schößlings frei herausragt.

Die Banane stellt eine der schönsten und anmutigsten Pflanzenformen
dar, die neben den Palmen das Hauptmotiv jeder vom Menschen bewohnten
Tropenlandschaft bildet und überall um die Hütten der Eingeborenen
gepflanzt wird. Als ursprüngliche Küstenpflanze liebt sie die von der
Seeluft erreichte Niederung. Nicht als ob sie nur in der Nähe des
Meeres fortkäme; sie erreicht aber da ihre üppigste Entwicklung. Außer
Wärme und Feuchtigkeit, die um so größer sein müssen, je höher die
betreffende Spielart wird, verlangt sie einen geschützten Standort;
denn ihr schlimmster Feind ist der Wind, der ihre großen Blätter bis
auf die Mittelrippe in lauter schmale Streifen spaltet. Wenn nun
dieser Vorgang immer wieder, bei allen sich neu entwickelnden Blättern
wiederholt wird, so büßt die Staude sehr an der Fähigkeit ein, Früchte
zu erzeugen und verliert sie schließlich ganz. Wird ihr solcher Schaden
in erheblichem Maße vor der Blüte zuteil, so treibt sie überhaupt
keine Blüte; hat sich bereits ein Fruchtbündel angesetzt, so reift es
unvollkommen aus. Auch wird sie leicht vom Sturme geknickt. Deshalb
müssen da, wo nicht Bodenerhebungen Schutz gewähren, tiefwurzelnde
Bäume als Windbrecher gepflanzt werden. Der Boden muß reich an
Nährsalzen sein, und zwar sagt feuchter, tiefgründiger und humusreicher
Lehmboden der Pflanze am besten zu. Deshalb findet sich die Banane
vorzugsweise an den Flußläufen angepflanzt, wo sie zugleich die für sie
nötige Bodenfeuchtigkeit findet. In solcher Weise kultiviert, liefert
sie zwölf Monate nach dem Setzen eines Schößlings eine Fruchttraube von
30-40 kg Gewicht, die gelegentlich auch, wie gesagt, auf 50 kg steigen
kann.

Die Kultur der Banane ist sehr einfach. Man pflanzt die Schößlinge 2 m
weit auseinander, am liebsten am Rande von sumpfigen Wassern. Ungefähr
8 Monate nach der Anpflanzung erscheint ein dunkelvioletter Knoten an
dem Punkt, wo sich die obersten Blätter trennen. Bald tritt er frei
aus seiner Umgebung hervor, an einem langen Stiele hängend, der sich
beugt unter dem Gewichte der inzwischen entwickelten, die Form eines
zugespitzten Eies aufweisenden Blütenhülle. Kaum zur vollen Größe
ausgebildet, öffnet sich ein Blatt dieses Blütenkolbens und rollt sich
bis zur Basis zurück, indem es eine Reihe von 5-6 Blüten dem Blicke
freilegt. Danach entfalten sich die übrigen Blätter der Blütenhülle
eins nach dem andern, bis schließlich 20-30 Blütenbündelchen aufgedeckt
sind, die alle an dem einen Stiele hängen. Wenn die Blätter der
Blütenhülle verwelken und abfallen, beginnen die Fruchtknoten zu
schwellen, und von da bis zu ihrer Reife vergehen 3-4 Monate. In dieser
Zeit wendet sich die Nahrungszufuhr der Pflanze auf die zahlreichen
Früchte, deren Haupternte vom Januar bis Mai stattfindet. Da aber die
Banane bereits lange vor der Blüte, wenn sie erst einige Meter hoch
ist, neue Schößlinge aus ihrem Wurzelstocke hervortrieb, von denen man
allerdings in geordneten Plantagen nur zwei stehen läßt, damit nicht
ein undurchdringlicher Wald entstehe, und diese später blühen und
Früchte zeitigen, so kommt es, daß man immer Blüten und Früchte auf
einer Bananenpflanzung findet. Einzig in den Gegenden, in denen eine
längere Trockenzeit herrscht, läßt die Fruchtreife in dieser Zeit nach,
so daß manchenorts die Tropenbewohner, die sich fast ausschließlich von
ihr ernähren, bisweilen kurze Zeit ohne Bananen sind, da sich diese
fleischigen Früchte nicht längere Zeit aufbewahren lassen, selbst wenn
man sie noch grün abschneidet. Weil sie leicht verderben und auch
viele Liebhaber unter der Tierwelt besitzen, so besonders Affen, dann
unter den Vögeln namentlich die prächtig gefärbten, bis 50 cm langen
Bananenfresser (~Musophagae~) und verwandte Arten, dann Eichhörnchen,
Fledermäuse, verschiedene Insekten und andere, werden die Früchte vor
der völligen Reife, wenn sie noch grüngelb sind, geerntet und die
Fruchttrauben unter Dach zur vollständigen Reife gebracht. Dabei färbt
sich die äußere Fruchtschale der Banane goldgelb, des gemeinen Pisang
purpurrot bis schwarz, wobei das Fruchtfleisch mehr und mehr erweicht
und sich die Stärke desselben ganz in Zucker verwandelt. Es gibt keine
andere Pflanze, die auf so kleinem Raum mehr Nahrungsstoff bietet als
die Banane, die auf derselben Grundfläche 3½mal mehr Nahrungsstoff als
die Kartoffel und 15mal mehr als der Weizen liefert. Dabei erneuern
sich die Stauden, die nur kurze Wurzeln besitzen, weshalb sie einzeln
stehend leicht vom Sturme zu Boden geworfen werden, aus dem Wurzelstock
60-80mal. In der glühenden Sonnenhitze und bei der größten Trockenheit
beschatten und befeuchten sie den Boden selbst und bewirken durch
die bedeutende nächtliche Wärmeausstrahlung ihrer riesigen Blätter
ein Sinken der Temperatur um 5° C., so daß sich infolgedessen der
Wasserdunst der Atmosphäre auf ihnen verdichtet, in großen Tropfen
zusammenfließt, am Schafte niedersickert und die Erde rings um die
Wurzeln anfeuchtet, als ob sie begossen sei. Nur den einen Nachteil
hat sie, eben als Folge ihrer außerordentlichen Leistungsfähigkeit,
daß sie den Boden in hohem Maße aussaugt. Deshalb schlägt man die
Pflanze nach der Ernte ihrer Fruchttraube nieder, zerschneidet sie in
Stücke und düngt damit den stehengebliebenen Wurzelstock mit den neuen
Töchterpflanzen.

Die Banane ist wohl eine der ältesten Fruchtpflanzen, die der
innerhalb der Tropenzone aus der Tierheit hervorgegangene Mensch
in seine Pflege nahm, da sie sehr rasch wuchs und ihm mühelos
in kürzester Zeit reichen Ertrag brachte. Ihre Heimat ist die
südostasiatische Inselwelt, von wo aus sie ihrer vorzüglichen Früchte
wegen vom Menschen schon in vorgeschichtlicher Zeit fast über die
ganze Tropenwelt verbreitet wurde. Jedenfalls wurde sie bei der
Entdeckung Amerikas wenigstens auf der Westseite dieses Kontinents,
besonders in Mittelamerika und Peru, angepflanzt gefunden, was
bei der gelegentlichen Verschlagung malaiischer Schiffe an dieses
Gestade schließlich auch kein Wunder ist. Der Peruaner Garcilasso
de la Vega, ein Nachkomme der Inkas, der in den Jahren 1530-1568
lebte, sagt in seinen spanisch geschriebenen ~Commentarios reales~
ausdrücklich, daß zur Zeit der Inkas in den gemäßigten Regionen der
Mais, die Quinoapflanze, die Kartoffel, und in den heißen die Bananen
den Hauptbestandteil der Nahrung der Eingeborenen ausmachten. Noch
andere Autoren führt Alexander von Humboldt in seinem französisch
geschriebenen Buche „Neuspanien“ an und sagt selbst, daß an den
Ufern südamerikanischer Ströme bei Indianerstämmen, die in keinerlei
Beziehungen mit europäischen Niederlassungen gestanden haben, neben den
Maniok- auch Bananenpflanzungen anzutreffen gewesen seien. Auch hat der
amerikanische Geschichtsforscher Prescott alte Werke oder Handschriften
gesehen, denen zufolge die Bewohner von Tumbez an der Küste von Peru
dem dort 1531 landenden Pizarro Bananen als Gastgeschenk brachten. Wenn
nun auch nach diesen allerdings nicht absolut beweisenden Zeugnissen
die Banane in Amerika vor der Invasion der Spanier höchstens an
der Westküste jenes Kontinents zu finden war, so hat sie zur Zeit
der Entdeckung Amerikas sicher in Westindien und im nordöstlichen
Südamerika gefehlt. Dort wurde sie sehr früh von den Portugiesen
eingeführt, und zwar war es der Pater Thomas de Berlengas, der sie im
Jahre 1516 von den Kanarischen Inseln nach San Domingo brachte, von wo
sie auf die übrigen Antillen und später auch nach Brasilien gelangte,
so daß sie jetzt allenthalben zu finden und auch verwildert ist.

Von der südostasiatischen Inselwelt verbreitete sich die Banane nach
allen Seiten und wurde schon längst auch im Indusgebiet angepflanzt,
als die Griechen im Heere Alexanders des Großen im Jahre 327 v. Chr.
das Pandschab durchzogen. Obschon deren Früchte dort allgemein als
Volksnahrung dienten, hielt sie Alexander für ungesund und verbot
sie seinen Soldaten zu essen. Später erwähnt Plinius die Banane
unter dem Namen ~pola~, doch wird ihre Frucht wegen ihrer großen
Verderblichkeit kaum je in den Bereich der Mittelmeerländer gekommen
sein. Dieses ~pola~ des Plinius ist das Sanskritwort ~pala~, das Frucht
bedeutet, aus dem auch das Wort Banane hervorging, während ~pisang~
die malaiische Bezeichnung ist. ~Musa~ wurde dann die Pflanzengattung
von Linné nach der arabischen Bezeichnung ~muz~ für die Pflanze, die
sich schon im 13. Jahrhundert bei Ibn Baithar findet, genannt, und
zwar ~Musa sapientum~, weil die indischen Weisen (~sapientes~) von den
Früchten lebten und ~Musa paradisiaca~, weil sie im Paradiese stand.
Später hieß man sie auch Paradiesfeige oder Adamsapfel, weil sie nicht
nur feigenartig schmeckt, sondern weil sie auch für den Baum der
Erkenntnis des Guten und Bösen im Paradiese, von dem Eva dem Adam zu
essen gab, gehalten wurde.

Überall in den Tropen sind die Bananenfrüchte ein sehr wichtiger
Handelsartikel, der nach und nach für die ganze Kulturwelt von
Bedeutung geworden ist; denn durch die rasch fahrenden Schiffe
der Gegenwart ist dieses kostbare Erzeugnis der Tropen auch den
Bewohnern der klimatisch gemäßigten Länder zugänglich gemacht
worden. Besonders wird sie in großen Mengen aus Mittelamerika nach
den so obstfreundlichen Vereinigten Staaten eingeführt. So sind von
Nordamerikanern, speziell Minor C. Keith in Costarica, allein 15000
Hektar Land mit ~Musa~ bepflanzt worden, aus denen im Jahre 1908
über 15 Millionen Bündel Bananenfrüchte von durchschnittlich 30 kg
Gewicht im Wert von beinahe 20 Millionen Mark geerntet und nach den
Vereinigten Staaten eingeführt wurden. Bei ihrer geringen Haltbarkeit
müssen sie, sobald sie reif sind, in mit Kühlvorrichtungen versehenen
Schiffen und Eisenbahnen rasch spediert werden und schmecken dann
unendlich viel besser als die unreifen Früchte, die wir bisher aus
Westindien erhielten. So sind sie in allen Schichten der Bevölkerung
der Vereinigten Staaten zu einem eigentlichen Volksnahrungsmittel
geworden, ein Beispiel, das in Europa Nachahmung verdiente, da sie
eine vortrefflich bekömmliche und wohlschmeckende Nahrung bilden. Um
den Schwierigkeiten des Transportes aus dem Wege zu gehen, wurden
sie in England zuerst getrocknet eingeführt. Seitdem aber die
Transportverhältnisse sich gebessert haben und man gelernt hat, diese
Früchte fast reif zu uns zu bringen, gelangen sie in immer größerer
Menge frisch nach Europa und finden hier immer mehr Anklang, so daß
sie im Begriffe sind, sich zu einem Welthandelsartikel wie die Orangen
aufzuschwingen. Hat doch Deutschland allein in den sieben ersten
Monaten des Jahres 1909 78 Millionen kg davon eingeführt.

Bei uns wird die südchinesische +Zwergpalme+ (~Musa cavendishi~), wie
auch die kleinbleibende ~Musa coccinea~ in Warmhäusern kultiviert
und als Zimmerpflanze gehalten. Sie, wie auch die größte aller
Bananensorten, die ~Musa ensete~ aus Abessinien mit roten Blattstielen
und Hauptnerven, werden gleichfalls im Sommer auf Rasenrabatten allein
oder mit anderen Blattpflanzen, besonders ~Ricinus~ und ~Canna~
zusammen angepflanzt. Diese ~enzeht~ der Abessinier ist die größte
aller Krautpflanzen überhaupt. Eine fünfjährige Pflanze im Palmenhause
zu Kew bei London hatte schon über 10 m Höhe und unten am Schaft 2 m
Umfang erreicht und besaß 6,5 m lange und 1 m breite Blätter. Wegen
dieser letzteren scheinen die alten Ägypter bereits die Pflanze
als Viehfutter kultiviert zu haben; denn es ist eine altägyptische
Darstellung bekannt, in welcher Nilpferde eine Bananenpflanzung
verwüsten. Durch Einschnitte in den mächtigen Schaft fließt ein
köstlich schmeckender Saft aus, der von den Abessiniern, mit Milch
und etwas Butter vermischt, sehr gerne gegessen wird. Das Innere des
Schaftes, wie auch die Schößlinge geben gekocht ein gutes Gemüse, das
von vielen ostafrikanischen Volksstämmen als wichtigste pflanzliche
Nahrung genossen wird. In ihrer Heimat trägt auch sie reichlich
Früchte, die wie alle anderen Bananensorten mit Vorliebe auch von den
Affen gegessen werden. Plündernd fallen sie in die Pflanzungen des
Menschen ein und schaden hauptsächlich dadurch, daß sie mehr verwüsten
als fressen. Auch den Maisfeldern sind sie sehr gefährlich, indem
sie beim Plündern der Maiskolben von Staude zu Staude springen und
natürlich jedesmal die Staude abbrechen. Die Abessinier sind, weil sie
keine Schrotgewehre zur Einschüchterung dieser frechen Diebe besitzen,
dieser Landplage gegenüber fast machtlos. Sie behelfen sich damit, daß
sie wie anderwärts die Bananentrauben abschneiden, bevor sie reif sind,
sie aber zum Nachreifen in die Erde vergraben; denn von dort stehlen
sie die Affen nicht.

Eine andere, in Treibhäusern nicht selten angetroffene Art ist
der auf Madagaskar heimische „+Baum der Reisenden+“ (~Ravenala
madagascariensis~), der auf einem ebenfalls bis 10 m hohen, blattlosen
Stamm einen Schopf großer, zweizeilig gestellter, im Gegensatz zu den
eigentlichen Bananen gestielter Blätter trägt. Seinen Namen hat er
daher, daß die Reisenden auf jener großen, Afrika benachbarten Insel
die Blattstiele mit ihren hohlen Wanderstöcken anstechen, um das
herausfließende schmackhafte Wasser zu trinken.

Wahrscheinlich auf der Halbinsel Malakka heimisch und von da im
gesamten tropischen Asien und auf der malaiischen Inselwelt kultiviert,
ist als eine der köstlichsten Tropenfrüchte die +Mangostane+ (~Garcinia
mangostana~) zu erwähnen. Sie wächst an einem 20-25 m hohen Baume mit
dicken, dunkelgrünen Blättern und ist eine fast kugelige Frucht von
5-7 cm Durchmesser, welche innerhalb einer dicken, weinroten Schale
ein schneeweißes, weiches, sehr süßes und aromatisches Fruchtfleisch
enthält, in welchem die Samen eingebettet sind. Das Fleisch ist als
Mantel des Samens zu deuten.

Angenehm säuerliche Früchte von etwa 1 kg Gewicht, deren Saft
sowohl zur Würze an Speisen getan, als auch zu kühlenden Getränken
benutzt wird, besitzt die nahe Verwandte der Mangostane, ~Garcinia
pedunculata~, ein gegen 20 m hoher Baum in Bengalen. Die getrockneten
Früchte pflegt man mit Vorliebe auf Seereisen mitzunehmen.

In Hinterindien, Südchina und dem malaiischen Archipel heimisch sind
die +Jambosen+ oder +Rosenäpfel+, auch Malaienäpfel genannt, die auf
6-12 m hohen, immergrünen Bäumen aus der Familie der Myrtengewächse
wachsen. ~Jambosa malaccensis~ trägt apfelgroße runde, rote, ~Jambosa
vulgaris~ dagegen, die noch auf den ostindischen Inseln wildwachsend
angetroffen wird, blaßgelbe, rosenrot angehauchte birnförmige,
rosenartig riechende Beerenfrüchte von der Konsistenz des Apfels, die
in einer weiten Höhle einen olivengroßen Kern bergen. Beide werden
ihres Wohlgeschmacks wegen in allen Tropengegenden, besonders den
Sandwich- und Fidschiinseln, neuerdings auch in Brasilien, auf den
Antillen und auf Madeira kultiviert. Ihre in Zucker eingemachten,
weinsäuerlich riechenden Blüten werden bei fieberhaften Krankheiten
verabreicht.

Ähnliche birnförmige, wohlschmeckende Früchte wie letztgenannte Art
liefert die ebenfalls in Südindien heimische ~Jambosa macapa~, die auch
anderwärts, so besonders auf Mauritius, in mehreren Abarten kultiviert
wird. Dasselbe ist mit der in Südchina zur Kulturpflanze erhobenen
~Jambolifera pedunculata~ der Fall, deren schwarze, süße Früchte einen
nicht unwichtigen Handelsartikel bilden.

In Südasien, besonders Indonesien, werden ebenfalls häufig ~Sandoricum
indicum~ wegen ihrer kleinen, orangeähnlichen Früchte und ~Dillenia
serrata~ und ~D. elliptica~ wegen ihrer über apfelgroßen, sauersüßen,
schleimigen Früchte, wie auch ~Erioglossum edule~ und ~Lansium
domesticum~ wegen ihrer Steinfrüchte angebaut. Besonders angenehm
schmeckt auch der große +Molukkenapfel+ (von ~Xanthochrymus dulcis~ und
~X. pictorius~).

Ebenfalls in Südasien heimisch und von da über die ganze Tropenwelt
verbreitet ist der 10-15 m hohe +Mangobaum+ (~Mangifera indica~) mit
lederartigen, länglichen, ganzrandigen Blättern und wohlriechenden,
kleinen, weißen Blüten, deren nierenförmige, außen grüne bis gelbe,
in einem rötlichgelben, saftreichen, sauersüßen Fruchtfleisch einen
einzigen großen harten Samen umschließenden, ei- bis faustgroßen
Früchte, die Mangos, von vielen Europäern als die edelste der
Tropenfrüchte erklärt werden. Manche Kulturformen liefern noch größere
Früchte, die bis 1 kg schwer werden. Sie schmecken sehr süß, aromatisch
und durch ihren Gehalt an Zitronensäure erfrischend säuerlich. Allen
Sorten ist aber ein mehr oder weniger ausgesprochener Geschmack nach
Terpentin eigen, welcher manchem den Genuß verleidet. Damit sich dieser
verliere legt man die geschälte Frucht einige Zeit in Wasser. Auch die
Samen werden geröstet gegessen und schmecken dann wie Kastanien. Der
Mangobaum, der in Südindien und Ceylon noch wild gefunden wird, aber
als solcher nur kleine Früchte zeitigt, ist heute in vielen Varietäten
über die ganze Tropenwelt verbreitet und wird in einer besonders
wohlschmeckenden Sorte auch in Brasilien kultiviert.

In Südasien heimisch, aber ebenfalls im ganzen Tropengürtel vielfach
kultiviert, ist der indische +Mandelbaum+ (~Terminalia catappa~), ein
großer Baum mit mächtiger Laubentwicklung mit abwechselnd gestellten,
gegen das Ende der Zweige zusammengehäuften, ganzrandigen, gestielten
Blättern, welche am Anfange der Trockenzeit schön rot werden, später
aber abfallen. Aus den in ährenartigen Infloreszenzen stehenden
kleinen, sitzenden Blüten entwickeln sich außen etwas fleischige, in
der Mitte zusammengedrückte Steinfrüchte, die in dem sehr harten Stein
einen wie Mandeln schmeckenden, länglich eirunden Samen einschließen,
der eine beliebte Speise bildet.

    Tafel 33.

[Illustration: Ostindischer Mangobaum (~Mangifera indica~) in Rio
de Janeiro. (Nach einer in der Sammlung des botan. Instituts der
Universität Wien befindlichen Photogr. von M. Ferrez.)]

    Tafel 34.

[Illustration: Ein junger Brotfruchtbaum in Westafrika. (~Artocarpus
incisa.~)


    (~Copyright by F. O. Koch.~)

Junge Früchte des Tschakfruchtbaumes (~Artocarpus integrifolia~).]

    Tafel 35.

[Illustration: Ein Zweig des Brotfruchtbaumes mit jungen Früchten aus
Ceylon. (~Artocarpus incisa.~)]

    Tafel 36.

[Illustration: Während der sommerlichen Trockenzeit entblätterte Baobab
oder Affenbrotfruchtbäume in der Steppe am unteren Kongo (nach Chun).

Malaienwohnung auf Sumatra mit Melonenbaum.]

Ebenso geschätzt ist der gleichfalls über die gesamten Tropen
verbreitete, wahrscheinlich in Ostindien heimische +Gombo+ oder
+Ochro+ (~Hibiscus esculentus~), eine baumartige Malvacee, deren
wohlschmeckende junge Früchte, besonders gekocht, sehr beliebt
sind. Ähnlich verhält es sich mit dem sehr nahe damit verwandten
+Moschushibiscus+ (~Hibiscus moschatus~), der ebenfalls in den
heißesten Gebieten Ostindiens heimisch ist und von da aus die weiteste
Verbreitung fand. Seine Samen besitzen einen zarten Bisamgeruch, der
sie auch für die Parfümerie Verwendung finden ließ.

Einen, als die Europäer erschienen, in ganz Indonesien von Sumatra bis
zu den Markesasinseln angebauten Fruchtbaum stellt der +Brotfruchtbaum+
(~Artocarpus incisa~) dar, der zu den Maulbeergewächsen gehört. Es
ist dies ein 13-17 m hoher, einen zähen, fadenziehenden Milchsaft
führender, einhäusiger Baum, mit 33-50 cm dickem Stamm und bis 1 m
langen, oft 50 cm breiten, derben, tiefeingeschnittenen Blättern.
Diese sind an den Schößlingen oft ganzrandig, an den Sprossen und
stärkeren Zweigen dagegen nur zwei- bis dreilappig, während sie sonst
bis neun Lappen aufweisen. Sie sind oben dunkelgrün, von gelblichen
Nerven durchzogen, fast ganz glatt, unten rauh, bleicher gefärbt und
mit hervortretenden Rippen. Beim Welken durchlaufen sie die ganze
Farbenreihe zwischen dunklem Grün und brennendem Rot. Das eine Ende ist
oft noch samtgrün, während die Mitte goldgelb leuchtet und das andere
Ende purpurn oder scharlachrot strahlt. Die männlichen Blütenstände
sind kätzchenartig gestellt und entspringen von den jungen Zweigen,
während die weiblichen eirund sind und aus den älteren Zweigen
hervorgehen. Die Frucht ist eine über kopfgroße, bis 2 kg schwere
Scheinfrucht mit einem saftigen, nahrhaften Fleisch, in der als Zeichen
sehr langer Kultur meist keine Samen mehr zur Ausbildung gelangen. In
Scheiben geschnitten und mit oder ohne Fett gebacken, schmecken sie wie
die besten Kartoffeln. Auch die Samen, falls welche vorhanden sind, ißt
man in heißer Asche geröstet wie Kastanien. Man zieht aber diejenigen
Kulturvarietäten, die keine Samen mehr erzeugen, den anderen vor, weil
ihre Fruchtstände saftiger sind und einen höheren Nährwert besitzen.
Die Südseeinsulaner ernähren sich zum größten Teile von den Früchten
dieser Pflanze, von der zwei bis drei Bäume für den ganzen Unterhalt
eines Menschen genügen sollen. Die Heimat des Brotfruchtbaums scheint
in Java und den Sundainseln zu liegen, wo der deutsche Naturforscher in
holländischen Diensten Rumphius (1627-1702) eine anscheinend wilde Form
desselben angetroffen haben soll.

Der Brotfruchtbaum wird nur auf ungeschlechtlichem Wege durch
Schößlinge künstlich vermehrt. Er gedeiht im geeigneten Klima in
jedem Boden, selbst in solchem, der zu keiner anderen Kultur benutzt
werden kann. Der Baum bleibt 60 bis 70 Jahre lang tragbar; dabei
währt die Ernte 9 Monate lang, nämlich von November bis Juli, und
ist so außerordentlich ausgiebig, daß, wie der Weltumsegler James
Cook (1728-1779) sich ausspricht, „einer, der in seinem Leben 10
Brotfruchtbäume gepflanzt hat, seine Pflicht gegen sein eigenes
und sein nachfolgendes Geschlecht ebenso vollständig und reichlich
erfüllt hat, als ein Einwohner unseres rauhen Himmelstrichs, der
sein ganzes Leben hindurch während der Kälte des Winters gepflügt,
in der Sommerhitze geerntet und nicht nur seine jetzige Haushaltung
mit Brot versorgt, sondern auch seinen Kindern etwas an barem Geld
kümmerlich erspart hat.“ Das roh nicht eßbare, mehlige Fleisch der
halbreifen, grünen Früchte wird geröstet, zu Brot verbacken und als Mus
gegessen. Das Backen geschieht in heißer Asche oder auf heißen Steinen,
seltener in Öfen. Dabei wird das Innere der Früchte beim Braten weiß
und weich wie Brotkrume, muß indessen gleich gegessen werden, da es
nach 24 Stunden musig und fad wird. Nur in Scheiben geschnitten und
getrocknet hält sich die Frucht zwei Jahre, kann so den Schiffszwieback
ersetzen und wird auch von den Spaniern als solcher gebraucht. Die
Schiffsmannschaften ziehen diese Nahrung dem Brote vor. Auf den
Südseeinseln benutzt man die unreife Brotfrucht auch zur Herstellung
eines sehr schmackhaften Muses, indem man sie nur wenig röstet, dann
von der Schale befreit, das Fruchtfleisch in kaltes Wasser bringt
und darauf zu Brei quirlt. Eine sehr schmackhafte Speise bereitet
man ferner aus der geöffneten unreifen Brotfrucht, indem man ihr die
Rinde und das Kernhaus nimmt und sie in einem Mörser tüchtig stampft.
Dann gießt man darauf die aus dem saftigen Kern einer reifen Kokosnuß
durch Versieben entstandene dicke Milch, die man durch kleine, aus
feinen Kokosfasern geflochtene Beutel preßt. Von den Europäern wird
die unreife Brotfrucht meist in dünne Scheiben geschnitten, in Butter
oder sonstigem Fett gebacken gegessen, was eine sehr feine Speise gibt,
die, wie mir eine Jugenderinnerung sagt, in bezug auf den Geschmack an
knusperig gebratene Kartoffeln erinnert.

Ist die Mehrzahl der Brotfrüchte reif geworden, so findet die
Haupternte statt. Die reifen Früchte sind goldgelb, weich, inwendig
breiig, von widerlich süßem Geruch und Geschmack. Dieser Brei gilt
als ungesund und wird kaum gegessen. Dagegen verwendet man die feste
Rinde und das Kerngehäuse der geernteten Früchte, indem man sie in
Holzmörsern zu einer teigigen Masse zusammenstampft, die man in ~mahe~
genannten Laiben, sorgfältig in Blätter und Bast gehüllt, jahrelang an
einem kühlen Orte aufbewahren kann, wobei sie durch längeres Lagern
noch an Güte gewinnen. Die Südseeinsulaner backen daraus nach Bedarf,
nachdem sie den Teig haben gären lassen, Kuchen von bernsteingelber
Farbe und etwas herbem, aber durchaus nicht unangenehmem Geschmack, der
feinem Weizenbrot oder -- nach Anson -- gebratenen Kartoffeln ähnlich
sein soll. Mit dem Saft von Orangen getränkt, soll das Brot süß wie
Apfelkuchen schmecken. Auch kann man den Brotfruchtteig wie Pudding
zubereiten. Von dieser aufbewahrten Brotmasse nähren sich die Insulaner
von August bis Oktober, während welcher Zeit der Brotfruchtbaum keine
Früchte trägt.

Außer den Früchten liefert der Brotfruchtbaum noch andere nützliche
Produkte, so die Rinde zum Gerben und Färben, den Bast junger Zweige
zur Herstellung von ~tapa~ oder Rindenstoff, den Milchsaft zur
Herstellung von Vogelleim und Kitt; ein durch Einschnitte in den Stamm
gewonnenes Harz (das ~dammar selo~ der Malaien) kommt wie Kopallack
zur Herstellung von Firnis in den Handel. Das gelbe Holz benutzt man
zum Häuserbau, zur Gewinnung von Booten und Holzgeräten. Die Blätter
verwendet man wie starkes Papier zum Einwickeln von Gegenständen und
Aufbewahren von Lebensmitteln. Die halbverwelkten, bunten Blätter
werden von den Eingeborenen an der Mittelrippe aufgeschlitzt und als
Kopfbedeckung benutzt; sonst dienen sie auch als Tischtücher, Teller
und Servietten. Im tropischen Amerika wird der echte Brotfruchtbaum
wegen seiner schönen Belaubung mehr als Alleebaum, denn als Fruchtbaum
gepflanzt.

Der erste Bericht vom Brotfruchtbaum datiert aus dem Jahre 1697 von
dem englischen Seefahrer William Dampier (1652-1715), der ihn in
Menge auf den Marianen oder Ladronen, d. h. Diebesinseln -- jetzt
bekanntlich deutsche Kolonie -- angepflanzt fand. Genauere Nachrichten
über diesen so nützlichen Fruchtbaum verdanken wir dem Reiseberichte
des deutschen Naturforschers Joh. Reinhold Forster (1729 bis 1798), der
mit seinem Vater den Kapitän James Cook auf seiner zweiten Reise um die
Welt von 1772 bis 1775 begleitete und später bis zu seinem Tode als
Botanikprofessor in Halle tätig war. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts
brachte Sonnerat den Brotfruchtbaum nach der Insel Mauritius. Später
wollte König Georg III., der 22jährig 1760 auf den englischen Thron
gelangte, den er bis zu seinem Tode 1820 behauptete, auf Wunsch der
englischen Kolonisten in Amerika ihn in Westindien einführen. In seinem
Auftrage gelang es nun dem englischen Kapitän Bligh (sprich Blei) 774
junge Brotfruchtbäume einzuschiffen; allein die Expedition wurde durch
eine Meuterei der Mannschaft vereitelt. Erst die zweite Expedition
war von Erfolg begleitet. Von 1150 jungen Brotfruchtpflanzen überstand
ein großer Teil die Reise. 550 derselben wurden im Januar 1793 in St.
Vincent gelandet, die übrigen -- außer fünf für den Garten von Kew
bei London bestimmten -- kamen nach Jamaika. Die Hoffnung, durch die
Brotfruchtbäume ein neues Nahrungsmittel für die Sklaven in Amerika
zu erhalten, verwirklichte sich aber nur sehr unvollständig; denn
jene zogen der Brotfrucht die besser schmeckende Banane vor, die roh
zu genießen ist, sich ebenso leicht anpflanzen läßt und eher Früchte
trägt. Auch dem Südseeinsulaner ist es nicht angenehm, daß er die
Brotfrucht erst noch zubereiten muß, ehe er sie essen kann. „Daher
träumt er sich“ -- sagt Forster -- „auch in seinem Paradiese eine
Brotfrucht, die keiner Zubereitung bedarf und frisch vom Baume weg
gegessen werden kann.“ Bei der Geburt eines Kindes pflanzt er einen
Brotfruchtbaum, der für das Kind allein bestimmt ist.

Auf dem indischen Festland, auf welches die Brotfrucht schon sehr
früh verpflanzt wurde, ist außer dem weichhaarigen Brotfruchtbaum
(~Artocarpus pubescens~) mit ebenfalls eßbaren Früchten, die noch weit
größere und äußerst wohlschmeckende Früchte reifen lassende Verwandte,
der nach der indischen Bezeichnung ~tschaka~ für die Frucht als
+Tschakfruchtbaum+ (~Artocarpus integrifolia~) zu Hause. Seine großen
Blätter sind ganzrandig und die bis 40 kg schweren Tschakfrüchte von
ebenfalls grüner Farbe besitzen innen ein außerordentlich aromatisch
schmeckendes, gelbes Fruchtfleisch, das Menschen und Tiere mit
Leidenschaft essen. Besonders die Rinder riechen die Früchte von
weitem und eilen herbei, um sich der von ihnen so geliebten Speise zu
bemächtigen; doch gönnt ihnen der Mensch gewöhnlich nur die Schale.
Der schon sehr lange domestizierte, in ganz Südindien, Ceylon und
Indonesien anzutreffende Baum scheint seine eigentliche Heimat an der
Malabarküste zu haben, wo er manchenorts noch wildwachsend angetroffen
wird. Im Jahre 1782 wurde er nach Jamaika, bald hernach nach Brasilien
und an die verschiedensten Orte der Tropen verpflanzt, wo er überall
wegen seiner aromatischen Früchte geschätzt wird.

Vielleicht noch mehr als sie geschätzt, sowohl von den Europäern als
auch ganz besonders von den Eingeborenen, wird die im malaiischen
Archipel und auf der Halbinsel Malakka heimische, jetzt aber auch
vielfach in ganz Süd- und Südostasien kultivierte +Durianfrucht+.
Auch sie wird über kopfgroß, ist mit derben, kegelförmigen Stacheln
besetzt und wird so schwer, daß der Aufenthalt unter dem hochwipfligen
Baum zur Zeit der Fruchtreife geradezu lebensgefährlich ist. Teils
deswegen, teils auch weil den reifen Früchten von den gefräßigen
Flughunden als Lieblingsnahrung sehr nachgestellt wird, nimmt man sie
meist vor der vollsten Reife ab. Der Geschmack des weichen inneren
Fleisches der fünfklappigen Kapsel ist der einer stark mit Fruchtäther
gewürzten süßen Eierkreme, die geradezu berückend wirkt. Dabei hat sie
aber leider einen Beigeschmack und vor allem einen Duft, der zwischen
faulen Eiern und sehr stark riechenden Zwiebeln schwankt. Deshalb
können sich viele Europäer nicht dazu entschließen, sie auch nur zu
versuchen. Jedenfalls ist der Genuß des Durians wegen des unangenehmen
Geruchs in guter Gesellschaft verpönt und es darf demselben in den
Hotels, wie auch in den Geschäftsräumen der Kaufleute nur in einem
besonderen Raume nachgegangen werden. Der die Durianfrüchte liefernde
Baum (~Durio zibethinus~) gehört zu den Malvengewächsen und stellt
einen hohen Baum mit länglichen, ganzrandigen, lederigen Blättern dar.
Sein Hauptverbreitungsgebiet ist das südliche Asien mit Einschluß von
Indonesien.

Mit dem Durian verwandt ist der durch seine massige Größe, besonders
des Stammes, der bis zu 10 m Durchmesser erreicht, ausgezeichnete,
in den Steppen Mittelafrikas häufig vorkommende +Affenbrotbaum+
(~Adansonia digitata~). Seine sehr großen, einen Umfang von 60 cm
erreichenden weißen Blüten werden durch die den Kolibris ähnlichen
Nektarinen oder Honigvögel im Fluge bestäubt, die emsig die Blumen
besuchen, um den von ihnen gespendeten Honig zu naschen und die sich
daran gütlich tuenden kleinen Insekten zu haschen. Die Früchte sind
oben dicke und unten dünnere gurkenartige Körper, von oft mehr als
40 cm Länge und 10 cm Dicke, die unter der hellen Schale, in einem
säuerlichen Marke große, schwarze Samen enthalten. Beide sind eßbar und
werden von den Negerstämmen verzehrt, die auch den Bast des Stammes
seit uralter Zeit als wichtiges Bindematerial, namentlich auch zur
Anfertigung von Stricken und dünnen Seilen, benutzen. In neuerer Zeit
gelangt derselbe in größeren Mengen in den europäischen Handel und
dient vielfach auch zur Herstellung eines dem alten Büttenpapiere
ähnlichen Papieres.

Noch beliebter als das Mark seiner Früchte ist dasjenige einer
australischen Art (~Adansonia gregorii~), welche der +Sauregurkenbaum+
genannt wird. Da zur Zeit der völligen Fruchtreife in der Trockenzeit
die Blätter der Affenbrotbäume abgefallen sind, so bieten sie mit
ihren an sehr langen Stielen hängenden Früchten einen überaus
merkwürdigen Anblick dar.

Ebenso große, gleichfalls mit einem säuerlichen Fruchtfleisch erfüllte,
an 2-2,5 m langen Stielen herabhängende Früchte besitzt der im
tropischen Westafrika bis zum Seengebiet verbreitete +Leberwurst-+
oder +Fetischbaum+ (~Kigelia africana~), dessen in langen Trauben
herabhängende, sehr große, hellrötliche Blüten ebenfalls von den
Honigvögeln besucht und befruchtet werden. Seine Früchte dienen außer
zu Zauber mancherlei Art mit Vorliebe als Opfergaben an die als
Fetische verehrten Seelen der Verstorbenen; daher der Name Fetischbaum.
Östlich vom Seengebiet wird er nicht mehr im wilden Zustande
aufgefunden. Hier vertritt ihn die verwandte ~Kigelia aethiopica~.

An der feuchtheißen Westküste des tropischen Afrika, von Oberguinea
(Sierra Leone) bis zur Kongomündung, wächst in den Küstenurwäldern
und landeinwärts bis 360 km von der Küste der +Kolabaum+ (~Cola
acuminata~). Es ist dies ein 10-18 m hohes Gewächs mit glänzenden,
lederartigen Blättern und getrenntgeschlechtigen, gelben Blüten, die in
Rispen wie beim Kakao oft unmittelbar aus dem Stamm oder aus älteren
Zweigen entstehen. Nach der Befruchtung bilden sich aus ihnen die aus
4-6 Kapseln bestehenden Früchte, die sternförmig um den Fruchtstiel
angeordnet sind. Jede Kapsel enthält bis zu sechs fast kastaniengroße,
etwa 30 g schwere rötlich-braune Samen. Letztere schmecken stark
bitter, besitzen aber einen Gehalt von 2,4 Prozent Koffein und 0,023
Prozent Theobromin, wodurch sie anregend auf das Nervensystem und die
Muskulatur bei Ermüdung wirken. Deshalb werden sie eifrig von den
Negern gesammelt und gekaut, wie die Peruaner zu demselben Zwecke die
Blätter der Kokapflanze kauen. Auf ihren langen, oft Monate dauernden
Handelsreisen durch schwach bevölkerte Gebiete würden die Eingeborenen
ohne den Genuß der Kolanüsse nicht auskommen, der ihnen für lange
Zeit das Gefühl von Hunger und Durst unterdrückt und sie zugleich vor
Ermüdung schützt.

Wegen dieser seiner hochgeschätzten Früchte wird der Kolabaum, wie
auch ein Verwandter, +Cola macrocarpa+, seit langem von den Negern
angepflanzt und werden seine Früchte, die Kola- oder Gurunüsse, als
gesuchter Handelsartikel weithin durch ganz Zentral- und Nordafrika
in Tausch gebracht. Denn außer den anregenden und die Müdigkeit
beseitigenden Stoffen enthalten sie in beträchtlicher Menge auch
wirkliche Nährstoffe, wie Eiweiß, Stärkemehl und Zucker. Den größten
Kolahandel betreibt das Hinterland der Goldküste, vor allem die
Landschaft Gondja. Von hier aus gelangen die Kolanüsse vor allem nach
dem Sudan, jedoch selten oder gar nicht nach Europa. In Deutsch-Togo
und Kamerun sind neuerdings auch von Europäern Kolapflanzungen angelegt
worden und die Ausfuhr der Kolanüsse, die im Jahre 1907 in Kamerun
schon einen Wert von 21000 Mark darstellte, dürfte in der Zukunft
bedeutend steigen, da sie in der Heilkunde eine zunehmende Wichtigkeit
erlangt haben. Man stellt daraus Kolapillen, Kolapastillen, Kolawein,
dann Tinkturen, Extrakte und Liköre her, die bei Nervenschwäche
und in der Rekonvaleszenz von Krankheit gute Dienste leisten, auch
für Sportsleute bei anstrengenden Kraftleistungen unentbehrlich
sind. Deshalb wird neuerdings die Einführung der Kolapräparate als
Stärkungsmittel bei der Armee zur Erlangung höchster Marschleistungen
versucht. Am besten wird die gemahlene Nuß dem Kakao beigemischt und
mit Gewürzen aller Art und Zucker zu einer Kolaschokolade verarbeitet.
Auf diese Weise bekommt man ein Anregungs- und Stärkungsmittel, das
zugleich ein Nahrungsmittel ersten Ranges darstellt, da es unmöglich
ist, in konzentrierterer Form als in ihr Nährstoffe auf engstem Raume
darzubieten. Als Kaffee-Ersatz eignen sich die Kolanüsse trotz ihres
hohen Koffeingehaltes, der sogar höher als selbst beim Kaffee ist,
nicht, da beim Rösten derselben etwa die Hälfte des Koffeins verloren
geht.

Durch Negersklaven ist der Kolabaum zu Anfang des vorigen Jahrhunderts
auch nach Amerika verpflanzt worden. Dort wird er jetzt, besonders
auf den Antillen, vielfach und mit gutem Erfolge auch von den Weißen
angebaut. Der Baum liefert vom 8.-10. Jahre an volle Erträge, bestehend
in etwa 4000 Nüssen jährlich. Auf dieser Höhe des Ertrages hält er sich
bis zum 50. Jahre. Westindische Pflanzer sind der Ansicht, daß, wenn
der Preis der Kolanüsse nur die Hälfte des Kaffeepreises erreichen
würde, die Kolapflanzungen einträglicher als die Kaffeeplantagen wären.

Ein anderer großer Baum des tropischen Westafrika, die Intsia africana,
liefert über 20 cm lange scharlachrote, bohnenartige Hülsen, deren
fleischige Samenmäntel namentlich von den Eingeborenen gerne gegessen
werden. Eine weitere baumartige Leguminose des tropischen Afrika, die
heute in der gesamten Tropenwelt kultiviert wird und sich daselbst
auch vielfach verwildert vorfindet, ist die +Tamarinde+ (~Tamarindus
indica~), die gleichfalls Hülsen, und zwar von 14 cm Länge, mit
angenehm säuerlichem Fruchtfleisch entwickelt. Dieses letztere ist sehr
erquickend und leicht verdaulich, wirkt aber schwach abführend und
wird daher auch als Arzneimittel -- meist in Form von Pastillen --
verwendet. In Ostindien werden auch die übrigens wenig schmackhaften
Samen besonders in Zeiten der Not geröstet oder gekocht gegessen.

Aus seiner engeren Heimat in Zentralafrika im Gebiet des oberen Nil
gelangte der Tamarindenbaum schon sehr früh ins obere Niltal und
wurde auch unter dem Namen ~nutem~, was „Schotenbaum“ im allgemeinen
bedeutet, von den alten Ägyptern kultiviert. Sein Fruchtmus wurde nach
dem Papyrus Ebers bereits als Abführmittel verwendet. Eine größere
Bedeutung erlangte er in Ostindien, wohin er in früher Vorzeit kam und
als geschätzter Frucht- und Schattenspender willkommen geheißen wurde.
Von dorther lernten die Araber seine Früchte kennen und gaben ihm den
Namen, den er in Europa besitzt; denn die arabischen Ärzte machten das
daraus hergestellte Fruchtmus als leichtes, angenehmes Abführmittel
zuerst im Abendlande unter der Bezeichnung Tamarinde bekannt. Letzteres
stammt aus dem Arabischen und ist aus ~tamr~ (hebräisch ~tamar~)
Dattelpalme und ~hindi~ indisch entstanden, bedeutet also indische
Dattel, offenbar infolge der Ähnlichkeit des Fruchtmuses beider
Pflanzen. Sie muß schon sehr früh nach Indien gekommen sein und wurde
dort als Schattenbaum in der Nähe der Häuser und den Straßen entlang
kultiviert, da sie schon in der alten Sanskritliteratur mehrere Namen
besitzt. Die Griechen und Römer kannten die Tamarinde und deren Mus
noch nicht. Als Amerika entdeckt wurde, folgte sie der Völkerwanderung
nach dem neuen Erdteil und wurde namentlich in Westindien willkommen
geheißen. Später verbreitete sie sich über die Südseeinseln, wo sie
zwar nicht überall, aber doch auf den größeren Eilanden hier und da
zu finden ist. Sie fehlt nur in wenigen tropischen Gegenden, und
zwar solchen, die weitab vom großen Verkehr liegen, wie Neuguinea
und im Innern Brasiliens. Überall ist sie der beliebteste Alleebaum,
der außer den Früchten, die gedörrt oder in Form von Mus besonders
aus Ost- und Westindien, wie auch Ekuador in den Handel kommen, auch
durch sein schweres Holz sehr nützlich ist. Infolge seiner schönen
Maserung und Farbe ist es für Möbel sehr geschätzt, dient aber auch
zur Herstellung von allerlei Werkzeugen und Stampfmörsern für Reis und
Ölfrüchte. In Form von Holzkohle ist es ein vorzügliches Rohmaterial
für Schießpulver. Die Tamarinde wird aus Samen gezogen und wächst auf
jedem Boden, ausgenommen sumpfigem.

    Tafel 37.

[Illustration:

    (Nach Photogr. von W. Busse in „Karsten u. Schenck,
     Vegetationsbilder“.)

Im Vordergrund Kolabäume, dahinter Pandanus und Ölpalmen bei Mokundange
in Kamerun. Über den Wolken ist der kleine Kamerunberg sichtbar.]

    Tafel 38.

[Illustration: Frucht des Durian (~Durio zibethinus~) auf Ceylon.

Fruchtzweig der Mangostane (~Garcinia mangostana~).

(Beide nach einer in der Sammlung des botan. Institutes der Universität
Wien befindlichen Photographie.)]

Im tropischen Westafrika heimisch ist der 10-20 m große, durch eine
sehr reiche Fruchtentwicklung ausgezeichnete +Akeebaum+ (~Blighia
sapida~), dort Amejichian genannt. Auf einem Sklavenschiffe nach
Amerika gebracht, hat sich der Baum auf den westindischen Inseln und in
Venezuela unter dem Namen ~akee~ sehr verbreitet und wird heute seiner
Früchte wegen in großem Maße kultiviert; diese stellen mandelartige,
aber fast zur Hälfte von einem dicken, weißen Samenmantel umgebene
Bohnen dar. Zu dreien liegen sie in einer dreifächerigen, an ihrer
Spitze dreiklappig aufspringenden Kapsel. Ihr Samenmantel ist von
äußerstem Wohlgeschmack und wird im tropischen Amerika an Stelle von
Eierspeisen aufgetischt.

    Tafel 39.

[Illustration: Ananaspflanzung auf Jamaika.

Allee von Tamarindenbäumen in Surabaya auf Ostjava.]

    Tafel 40.

[Illustration: Melonenbaum in Surabaya an der Nordküste der Insel Java.]

Aus der Familie der Ebenholzgewächse liefern eine ganze Reihe von
Arten der Gattung der +Götterpflaumenbäume+ (~Diospyros~) in den
Tropen der alten und neuen Welt geschätzte Früchte und werden deshalb
vielfach angebaut. Der bekannteste darunter ist der in Japan heimische
+Kakibaum+ (~Diospyros kaki~), dessen orangengroße, prächtig gelb oder
rötlich gefärbte, angenehm süß schmeckende Beerenfrüchte das wichtigste
Obst in Japan und China darstellen. Neuerdings werden sie vielfach
auch in Italien angepflanzt, wo sie noch an den oberitalienischen
Seen gedeihen. Von dort gelangen sie als beliebtes Obst in unsere
Südfruchthandlungen. Wegen ihres reichen Gehaltes an Gerbstoff dürfen
sie nicht mit eisernen Messern geschnitten werden. Derselbe bedingt die
Verwendung ihres Saftes in Ostasien zum Dauerhaftmachen von Netzen und
Fischereigerät, von Packpapier und Anstrichfarben.

Außer diesen Götterpflaumen ist in Ostasien auch der die +chinesischen+
oder +japanischen Haselnüsse+ liefernde +Litschibaum+ (~Litchi
chinensis~) ein wichtiger Obstspender, der seiner äußerst angenehm
schmeckenden Nüsse wegen in vielen Varietäten kultiviert wird. Er
ist ein etwa 6 m hoher Baum aus der Familie der Sapindazeen oder
Seifenbaumgewächse mit zwei- bis dreijochig gefiederten, lanzettlichen,
oben glatten Blättern, gestielten Blüten in Rispen und 4 cm dicken,
eiförmigen, rotbraunen, mit zahlreichen annähernd sechseckigen Schilden
bedeckten Früchten, die in der Mitte je eine kurze Erhabenheit
tragen. Der braune Same ist vom saftreichen Samenmantel umhüllt. Der
ursprünglich in China und auf den Philippinen heimische Baum wird
nicht nur in ganz Ostasien, sondern auch in Westindien und anderen
Tropengebieten kultiviert.

Im nördlichen Südamerika heimisch, wo sie noch zahlreich in einer
Form mit kleineren Früchten wildwachsend in den Küstengebieten
angetroffen wird, und von da noch vor der Entdeckung des neuen
Weltteils überall im tropischen Amerika angepflanzt, so daß sich
zahlreiche Kulturvarietäten ausbildeten, ist die +Ananas+ (~Ananassa
sativa~). Sie wird je nach den Sorten 0,5-1,25 m hoch und entwickelt
Früchte von 2-12 und sogar 15 kg Gewicht, letzteres aber nur bei sehr
sorgfältiger Kultur; wird diese vernachlässigt, so sinkt das Gewicht
von 2 auf 1 kg und von 12 auf 5 kg und noch weniger. Die Farbe der
Früchte ist purpur-, scharlach- oder schwarzrot, gelb, grün oder weiß
in den verschiedensten Schattierungen. Aus einer Rosette von 0,3-0,8 m
langen, steifen, gezähnten Blättern wächst ein kurzer Fruchtstengel
heraus, der in einen Blütenzapfen endigt und daher nur +eine+ Frucht
trägt. Aus ihrem brasilianischen Namen ~nana~ bildeten die Portugiesen
die Bezeichnung Ananas, während die Spanier sie wegen der Ähnlichkeit
der Frucht mit einem Pinienzapfen ~pinas~ nannten. Christoph Kolumbus
lernte sie auf seiner zweiten Reise im Jahre 1493 auf der westindischen
Insel Guadeloupe kennen. Alle Schriftsteller, die zuerst über Amerika
schrieben, erwähnen sie; so gibt der Spanier Hernandez de Oviedo in
seiner 1535 erschienenen Naturgeschichte Indiens die erste Beschreibung
und Abbildung der Pflanze und sagt, daß sie in den warmen Gegenden
von Tahiti und Mexiko wachse, und Geronimo Benzone meint in seiner
1568 erschienenen Geschichte der Neuen Welt, keine Frucht auf Gottes
Erdboden könne angenehmer sein als sie. Bei den Azteken hieß sie
~matzatli~. Die erste Ananas kam im Jahre 1514 nach Spanien. Als man
einmal eine solche Karl V. zu kosten geben wollte, mißtraute er der
Sache und wollte die Frucht durchaus nicht kosten. Im Jahre 1592 kam
die Pflanze nach Bengalen, bald darauf nach Südchina. Schon vorher
war sie durch die Portugiesen nach Java gelangt, wo sie 1599 bereits
eingebürgert war und von da aus gelegentlich auch nach Europa gebracht
wurde. Heute ist sie über die ganze Tropenwelt verbreitet.

Die ersten Kulturversuche in Europa in Treibhäusern schlugen fehl,
bis zu Ende des 16. Jahrhunderts der holländische Kaufmann Le Cour im
Gewächshause seines Gartens zu Driehock bei Leiden die ersten eßbaren
Früchte erzielte. In Deutschland gewann Kaltschmidt in Breslau 1703
die erste reife Frucht. Bald hernach hat sie in diesem Lande Wilh.
Weinmann in Wort und Bild beschrieben und populär gemacht, so daß
sie in der Folge mehrfach auch bei uns ihre überaus aromatischen
Früchte reifte, die roh mit Zucker genossen oder zu Bowlen verwendet
sehr geschätzt werden. Ihr Saft, der in den Tropen vielfach auch zu
Wein und Branntwein verarbeitet wird, enthält ein sehr wirksames,
Bromelin genanntes Ferment, das bei 40-50° C. Fleisch löst und es in ein
haltbares Pepton verwandelt. Deshalb benützen die Neger Westindiens
den Ananassaft gegen Diphtherie, wie die Amerikaner und nach ihnen die
Europäer den Saft der Früchte des gleich zu besprechenden Melonenbaums
zu demselben Zwecke anwandten.

Die Früchte der wilden Ananas sind viel kleiner und bedeutend weniger
schmackhaft als die äußerst aromatischen kultivierten, die über 15
Prozent Zucker enthalten und als Zeichen einer sehr alten Kultur meist
keine Samen mehr bilden. Nur eine weiße verwilderte Art in Ostindien
entwickelt in ihren Früchten noch welchen. Sie wird in mehreren
bezüglich Gestalt, Größe, Farbe und Geschmack der Früchte verschiedenen
Spielarten gezogen, von denen bei der Entdeckung Amerikas bereits drei
vorhanden waren. In Brasilien gedeiht sie am besten. In Peru wird aus
ihrem Safte ein sehr wohlschmeckendes weinartiges Getränk bereitet. Die
Vermehrung erfolgt nur auf vegetativem Wege entweder durch Schößlinge
des ausdauernden Wurzelstocks oder noch besser durch den aus der
fleischigen Fruchtachse vorsichtig herausgedrehten Blätterschopf,
den man einfach kurz vor der Regenzeit in den gut gedüngten Boden
steckt, worauf die Frucht nach einem Jahre geerntet werden kann.
Merkwürdigerweise geben die als Stecklinge gepflanzten Blätterschöpfe
der Früchte viel gewürzreichere und süßere Früchte als die aus den
Wurzelstöcken entstandenen Sprosse. Nur wenn letztere frühzeitig von
der Mutterpflanze losgelöst und sorgfältig angepflanzt werden, tragen
sie ebenfalls gute Früchte. Die Blätter enthalten ein sehr feines und
festes, als +Pitafaser+ bezeichnetes Gespinnstmaterial, derentwegen die
Pflanze jetzt ebenfalls umfangreich kultiviert wird, und zwar besonders
in Westindien und den Bahamainseln, die Millionen von Früchten nach
Nordamerika und Europa auf den Markt bringen. Da sie aber unreif
gepflückt werden müssen, um den Transport möglich zu machen, so haben
sie bei uns lange nicht das feine Aroma, das ihnen nur dann zukommt,
wenn sie vollreif geerntet werden können.

Eine weitere, ebenfalls für das gesamte Tropengebiet von der größten
Bedeutung gewordene Obstpflanze des tropischen Amerikas ist der
+Papai+ oder +Melonenbaum+ (~Carica papaya~), ein naher Verwandter
der Passionsblumengewächse, den die Karaiben Westindiens ~ababai~
nannten. Vor der Ankunft der Europäer wurde er in Brasilien, auf
den Antillen und besonders in Mexiko angepflanzt. Es ist dies ein
getrennt geschlechtlicher, 6-9 m hoher, schlanker, unverzweigter, fast
staudenartiger Baum, der ungemein schnell aus den Samen schießt, das
ganze Jahr hindurch blüht und Früchte trägt, aber schon im vierten
Jahre abstirbt. Der Stamm, dessen Holzkörper von einem gelben, bitteren
Milchsaft strotzt, trägt an der Spitze einen Schopf langgestielter,
handförmig gelappter Blätter. Zwischen diesen letzteren sind die
männlichen oder weiblichen halbfingerlangen, weißen Blüten angebracht,
von denen letztere nach der Befruchtung einfächerige, vielsamige,
fleischige Beeren von Form und Größe einer Melone hervorbringen, die
wegen ihres wohlschmeckenden, zuckerreichen Fruchtfleisches so beliebt
sind, daß der Baum kurze Zeit nach der Entdeckung Amerikas über das
ganze Tropengebiet verbreitet wurde. Das 2 cm dicke, fast butterartige,
etwas mehlige, rotgelbe, wohlschmeckende Fruchtfleisch bildet eine
Höhlung, deren innere Wand von zahlreichen braunen oder braun-grünen
Samen ausgekleidet wird, die wegen ihres starken Kressengeschmacks vor
dem Genusse der Früchte entfernt werden müssen. Doch sind letztere
heute durch Kulturauslese so weit verbessert worden, daß die besseren
Sorten vollständig samenlos geworden sind. Man ißt sie roh mit Zucker,
auch gekocht und eingemacht; die unreifen Früchte werden wie bei uns
die Gurken mit Salz und Essig eingemacht oder in Stücke geschnitten
wie Gemüse zubereitet. Der nicht bloß in den Früchten, sondern auch in
allen übrigen Teilen der Pflanze, besonders den Blättern, enthaltene
Milchsaft besitzt zu 50 Prozent ein pepsinartiges Ferment, das Eiweiß
verdaut. Es ist dies das Papain, das in neuerer Zeit statt Pepsin bei
Verdauungsschwäche gegeben wird, wie es eine Zeitlang bei Diphtherie
zur Auflösung der Membranen durch Bepinselung damit benützt wurde.
Überall dort, wo die Pflanze kultiviert wird, besonders in ihrer
Heimat, dem tropischem Amerika, setzt man frisch geschlachtetem und
sonst zähem Fleisch etwas Blätter oder Milchsaft des Melonenbaums beim
Kochen hinzu, wodurch es alsbald weich und leicht verdaulich wird.

Wie bei vielen Kulturpflanzen ist auch die Stammpflanze des
Melonenbaums nicht bekannt. Sehr wahrscheinlich ist diese Nutzpflanze
ein Kreuzungsprodukt mehrerer Arten, die in den feuchten Gebirgstälern
des nördlichen Südamerikas und Mittelamerikas wild vorkommen. Es gibt
dort noch manche Formen, deren Früchte sogar ein bei weitem feineres
Aroma als diejenigen des gewöhnlichen Melonenbaums besitzen. Dahin
gehört z. B. die köstliche Chamburu der tieferen Lagen der Anden von
Ekuador. Von Brasilien bis Westindien ist der als Mamão bezeichnete
Melonenbaum ein sehr geschätzter Obstbaum, der von den Indianern und
zugewanderten Weißen und Schwarzen wie die Banane neben ihren Häusern
gezogen wird. Seine Übertragung nach Ostindien und der malaiischen
Inselwelt durch die Portugiesen muß schon im 16. Jahrhundert erfolgt
sein; bereits im Jahre 1626 kamen Samen von ihm aus Ostindien nach
Neapel. Seine weitere Verbreitung über die ganze Tropenwelt der Erde
erfolgte in den beiden letzten Jahrhunderten.

Im tropischen Südamerika wie auch im gegenüberliegenden Teile
Westafrikas sind die gelben, roten oder schwarzen +Icacopflaumen+ (von
~Chrysobalanus icaco~) heimisch, die sowohl frisch, als eingemacht
trotz ihres etwas herben Beigeschmackes gerne von den Eingeborenen
und ansässigen Weißen gegessen werden. In Westindien hat der 19
bis 22 m hohe, zu den Guttiferen gehörende +Mammeibaum+ (~Mammea
americana~) mit breit ausladender Krone seine Heimat, der wegen seiner
wohlschmeckenden, über faustgroßen, rötlichgelben Früchte ebenfalls
seinen Weg über das Tropengebiet beider Hemisphären fand. Sie, die
meist Mammeiäpfel genannt werden, obschon sie mit den Äpfeln nichts
zu tun haben, enthalten in einer dicken, bitter schmeckenden Rinde
ein goldgelbes, den Aprikosen ähnlich schmeckendes Fleisch und werden
deshalb überall, wo der Baum angepflanzt wird, roh oder als Marmelade
gerne gegessen.

Ebenfalls in Westindien und im nördlichen Südamerika heimisch ist
die Sapotazee ~Lucuma mammosa~, ein Milchsaft führender Baum, der
eiförmige, an Geschmack den Bergamottbirnen ähnliche Früchte reifen
läßt, die als +Mammeizapote+ oder +surinamsche Mispeln+, in Peru als
Lucuma, in ganz Mittel- und Südamerika, wo der Baum häufig angepflanzt
wird, viel gegessen werden. Ein in denselben Gegenden wild wachsender
und auch häufig angebauter Baum ist der ihm sehr nahe verwandte
+Breiapfelbaum+ (~Achras sapota~), in seiner Heimat Zapota, von
den Spaniern dagegen ~nispero~, d. h. Mispel genannt, der eine der
bevorzugtesten Tropenfrüchte liefert, deren süßes, weiches Fleisch
von sehr angenehmem Geschmacke ist. Deshalb wird er auch sonst in
den heißesten Landstrichen der Erde allgemein kultiviert. Besondere
Wertschätzung genießen die 4 cm dicken Früchte bei den Brasiliern, die
aus ihm ein sehr wohlschmeckendes Mus bereiten, das auch exportiert
wird. Da die Fledermäuse sehr lüstern über sie herfallen, wenn sie zu
reifen beginnen, werden sie meist schon vor der Reife abgenommen, um
sie auf dem Lager nachreifen zu lassen.

Derselben Familie der milchsaftführenden Sapotazeen, von denen uns
Artgenossen der malaiischen Inselwelt das wertvolle Guttapercha
liefern, gehört der +Sternapfelbaum+ (~Chrysophyllum cainito~) an,
dessen purpurrote, glatte, runde, süße Früchte ein von den Antillen
über das tropische Amerika und die übrige heiße Zone verbreitete
Delikatesse bilden. Der Lieferant dieses wohlschmeckenden Obstes
ist ein schöner Baum von 9-12 m Höhe mit großen, auf der Unterseite
goldglänzenden Blättern (daher auch der Name Goldblattbaum) und
kleinen purpurroten Blüten. Nicht minder beliebt ist der gleichfalls
in Westindien heimische +Marmeladeapfel+ (~Vitellaria mammosa~).
Nahe Verwandte haben sehr ölreiche Samen wie beispielsweise der
westafrikanische +Butterbaum+ (~Butyrospermum parkii~), der die später
zu besprechende Schibutter liefert.

Ebenfalls in Westindien heimisch ist der +Acajoubaum+ (~Anacardium
occidentale~), der auch nach Brasilien und Westafrika verbreitet
wurde und besonders im Kongogebiet vielfach angepflanzt wird. Der
ziemlich hohe, mit umgekehrt eiförmigen Blättern bedeckte Baum erzeugt
Früchte, welche großen Bohnen gleichen. Sie sind dadurch ungemein
auffällig, daß ihr Stiel zur Zeit der Reife mächtig anschwillt und
einen etwa 8 cm langen, birnförmigen, fleischigen Körper bildet,
der süßsäuerlich schmeckt und als erfrischendes Obst gerne gegessen
wird. Die eigentliche Früchte kommen unter dem Namen „amerikanische
Elefantenläuse“ in den Handel. Sie enthalten einen sehr ölreichen,
geröstet eßbaren Samen, der aber von einer Schale umschlossen wird,
die in zahlreichen Höhlungen ein äußerst scharfes, an der Luft
schwarz werdendes Öl enthält. Von diesem auf der äußeren Haut leicht
Entzündungen und Blasen erzeugenden Reizstoffe macht man in der
Tierarzneikunde Gebrauch.

Zu den Myrtengewächsen gehört die ursprünglich ebenfalls im
tropischen Amerika heimische und von da über den ganzen Tropengürtel
verbreitete +Guajave+ (~Psidium guajava~), deren bald birn-, bald mehr
apfelförmige, beerenartige, grüne oder gelbe Früchte von Pfirsichgröße
mit einem goldgelben bis rosenroten, süßsäuerlichen, angenehm
schmeckenden Fruchtfleisch erfüllt sind und sehr gerne teils roh, teils
gekocht als Kompott oder Marmelade gegessen werden. Auch wird ein
sehr geschätztes Gelee von ihnen gewonnen. Besonders eignet sich dazu
die Schale und das Innere der Frucht, das mit etwas lästigen kleinen
Kernen, wie bei den Johannisbeeren, erfüllt ist. Überall in den Städten
Südamerikas kauft man als dulce eingekochtes Guajavenmus, das, in
kleine Blechkisten gefüllt, allenthalben auf den Straßen der Städte
feilgeboten wird.

Dieselbe Heimat wie die Guajaven haben die mit den Magnolien nahe
verwandten +Gewürz-+ oder +Zimtäpfel+ (~Anona squamosa~), die bis 2
kg schwer werden und ein starkes, gewürziges Aroma besitzen. Obschon
sie einen stark zusammenziehenden Terpentingeschmack aufweisen, an
den sich der europäische Gaumen erst gewöhnen muß, steht dieses Obst
doch überall in hoher Gunst und wird etwa auch einmal in unseren
Delikateßläden angeboten.

In die Familie der Lorbeergewächse endlich gehört ein hoher Fruchtbaum
mit schönen Lorbeerblättern, ~Persea gratissima~, der ursprünglich
gleichfalls im tropischen Amerika heimisch war und besonders von
den alten Mexikanern kultiviert wurde, jetzt aber überall in den
Tropen gezogen wird und selbst noch in Südspanien aushält. Die
olivengrüne, birnförmige Frucht erreicht eine Länge von 10 cm und
enthält ein weißes, sehr stark aromatisches, zucker- und fettreiches
Fruchtfleisch, das man allein, oder mit Kognak oder Sherry übergossen,
sehr gerne genießt. Bei den Mexikanern hieß die Frucht ~ahuaca~ oder
~aguacate~, daraus machte man Avagatobirne, endlich Advokaten- und
sogar Alligatorbirne. An diesem Beispiel sieht man wie merkwürdige
Verballhornisierungen einheimischer Bezeichnungen entstehen, wenn
fremde Zungen sie sich zurecht legen.

Endlich sei noch als wichtiger Fruchtbaum Indonesiens und Polynesiens
der von den Kanaken auf Hawai (Sandwichinseln) ~ohia~, von den Malaien
Sumatras dagegen ~jambo~ genannte Baum mit apfelartigen Früchten
(~Metrosideros polymorpha~) genannt.

Selbstverständlich gibt es außer den genannten Obstarten noch eine
Menge anderer, denen aber keine so große Bedeutung zukommt wie diesen.
Doch wird diese kurze Aufzählung der wichtigsten Tropenfrüchte genügen,
um zu zeigen, welche Fülle herrlicher Früchte das das Pflanzenleben
in hohem Maße begünstigende Sonnenlicht innerhalb der Wendekreise
hervorbringt. Wie überaus ärmlich ist dagegen die ursprünglich in
Europa heimische Fruchtvegetation, bevor sie durch den Import aus
Westasien in unvergleichlicher Weise bereichert wurde. Unser Kontinent
mit seinem niederschlagsreichen, mit Nebel und Winterkälte reichlich
bedachten Waldklima besaß in der Vorzeit außer den Beerenfrüchten
der Waldlichtungen wie Erdbeere, Brombeere, Himbeere, Heidelbeere,
Preiselbeere und Moosbeere, welch letztere in Sümpfen und Torfmooren
wächst, nur Holzapfel und Holzbirne, Schlehe und Vogelbeere, die faden
Früchte von Weiß- und Rotdorn, die Vogelkirschen und Haselnüsse. Auch
das waldbedeckte Italien und Griechenland, in das die Viehzucht und
Ackerbau treibenden Stämme der Italiker und Hellenen einzogen, barg
durchaus nicht mehr als diese hier aufgezählten ärmlichen Fruchtarten.
Alles andere, ohne das wir uns diese sonst klimatisch so bevorzugten
Landstriche gar nicht vorstellen können, hat noch vor dreitausend
Jahren und weniger jenen Gegenden vollkommen gefehlt. Da erntete man
nicht bloß zum Genusse der als Haustiere in eingehegten Plätzen um die
Hütten der Menschen gehaltenen Schweine, sondern auch für die Menschen
die eiweißreichen, aber herben Eicheln und die ölreichen Bucheckern,
die man zerrieben und mit Wasser angemacht zu Brot und Fladen buk.

Niemand würde glauben, daß die Edelkastanien und Walnüsse, die heute
als selbstverständliche Produkte des warmen Südeuropas angesehen
werden, auch hier erst verhältnismäßig spät eingebürgerte Fremdlinge
sind. Wie die großen Haselnüsse als pontische Nüsse, gelangten auch
die Kastanien und Walnüsse als persische oder königliche Nüsse,
weil sie aus Lydien, also einer Gegend stammten, die dem persischen
Könige untertan war, nach Griechenland. Und als diese überseeischen
Schalenfrüchte, die in Säcken auf den Markt, z. B. von Athen,
gelangten, schon längst hier eingebürgert waren, schwankte noch
ihre Benennung so sehr, daß der populäre Name „Zeus-Eichel“, ~Diós
bálanos~, der in Griechenland meist die Kastanie bezeichnete, in
der entsprechenden lateinischen Form ~juglans~ (~Jovis glans~ =
Jupiterseichel) die Bedeutung Walnuß erhielt.

    Tafel 41.

[Illustration: Melonenbäume, Kaffeestauden und andere Kulturpflanzen
der Tropen im Gewächshaus der deutschen Kolonialschule in Witzenhausen
a. d. Werra.]

    Tafel 42.

[Illustration: Fruchtladen auf Ceylon mit einheimischen Früchten, an
der Schnur hängt eine Bananenstaude.

Fruchtladen in Südindien, oben hängen Ananas und Bananen, rechts an die
Wand gelehnt ein Haufen Zuckerrohrstengel.]

In ihrer nördlicheren Urheimat bezeichneten die Griechen mit dem Worte
~bálanos~, wie die Römer mit ~glans~, die einst auch dem Menschen zur
Nahrung dienende Eichel, von der noch der einer hochkultivierten Zeit
angehörende Plinius in seiner Naturgeschichte sagt: „Eicheln machen den
Reichtum vieler Völker aus. Bei Getreidemangel werden sie getrocknet,
gemahlen und zu Brot verbacken; in Spanien werden auch Eicheln zum
Nachtisch aufgetragen. In Asche gebraten schmecken sie besser.“ Damit
sind jedenfalls die Früchte der in Italien und auf der Iberischen
Halbinsel wachsenden Speiseeiche (~Quercus esculus~) gemeint, während
in Griechenland die Knoppereiche (~Quercus aegilops~) eine für
anspruchslose Menschen eßbare und noch jetzt vom Landvolk gegessene
Eichel hervorbringt. In der älteren Zeit wurden diese Eicheln nicht nur
in Zeiten des Getreidemangels, sondern regelmäßig gegessen. So sagt
der aus Askra in Böotien gebürtige griechische Dichter Hesiod im 8.
Jahrhundert v. Chr.: „Wo gerechte Menschen wohnen, da ist Hungersnot
unbekannt. Ihnen geben die Götter reichlichen Unterhalt, Eichen
(~drýs~), die mit Eicheln (~bálanos~) beladen sind, Honig, Schafe.“
Und Herodot im 5. vorchristlichen Jahrhundert schreibt in seiner
Geschichte: „Nach dem Tode des (um 820 v. Chr. lebenden Königssohns,
der Sparta Gesetze gab und es dann verließ, ohne je wieder dahin
zurückzukehren) Lykurgos wurden die Spartaner bald mächtig, bekamen
Lust zu Eroberungen und fragten in Delphi an, ob sie wohl Arkadien
(nördlich von Lakonien, dessen Hauptstadt Sparta war) erobern könnten.
Die Pythia antwortete: ‚In Arkadien wohnen viel eichelverzehrende
Männer, die werden euch zurückschlagen.‘“

Als die Griechenstämme in Hellas einwanderten, übertrugen sie
begreiflicherweise das alte Wort ~bálanos~ (Eichel) auf verschiedene
neue Früchte, unter denen sich auch die wilde +Edelkastanie+ (~Castanea
esculenta~) befand. Dieser Baum ist in einer kleinfrüchtigen Form
in ganz Südeuropa heimisch und tritt uns auch weiter nördlich schon
in vorgeschichtlicher Zeit entgegen. So finden wir sein Holz in
Norditalien bei der Herstellung der bronzezeitlichen Pfahlbauten und
Terramaren verwendet, und in den verkohlten Überresten der Terramaren
der ältesten Eisenzeit aus dem Beginne des letzten vorchristlichen
Jahrtausends ließen sich seine Früchte ebenfalls nachweisen. Auch
auf der Iberischen Halbinsel reicht der Nachweis des Vorkommens von
Kastanien bis in die Übergangszeit von der Stein- zur Bronzezeit
zurück. Da nun die Früchte dieses Wildlings von den alten Griechen so
wenig als von der heutigen Bevölkerung Griechenlands gegessen wurden,
empfanden sie auch keinerlei Bedürfnis, diese Früchte mit besonderem
Namen zu belegen. Erst als großfrüchtige ausländische Sorten in
Griechenland aufkamen, mußte man unterscheidende Bezeichnungen für sie
schaffen. Dabei behalf man sich damit, daß man sie zunächst einfach
nach den Ländern ihrer Herkunft benannte.

Noch der hochgebildete Xenophon, ein Schüler des Sokrates, kannte
keinen Namen für diese Früchte, als sie ihm im Hochlande von Armenien
zuerst unter die Augen kamen. Als er im Jahre 400 v. Chr. die
zehntausend Mann griechischer Soldtruppen, die dem jüngeren Kyros
gegen dessen Bruder Artaxerxes Mnemon zu Hilfe gezogen waren, nach
der unglücklichen Schlacht bei Kunaxa über das armenische Hochland
zum Schwarzen Meere und von da nach Byzanz zurückführte, fand er im
Lande der Mosynoiken bei Trapezunt „unter den Dächern der Häuser große
Vorräte von breiten Nüssen, welche durchaus keinen Einschnitt hatten.
Diese Früchte bildeten das wichtigste Nahrungsmittel der Einwohner
und wurden teils gekocht, teils zu Brot verbacken.“ Daß Xenophon bei
der Umschreibung der Kastanien als „breite Nüsse ohne Ritze“ an die
Walnüsse zum Vergleiche gedacht hat, ist offenkundig. Merkwürdig aber
bleibt unter allen Umständen die Tatsache, daß er kein besonderes Wort
für diese ihm fremdartig vorkommenden Früchte anzugeben weiß.

Nach dem trefflichen Pflanzenkundigen Theophrast (390-286 v. Chr.)
scheint die einheimische Benennung der Kastanie Zeus-Eichel (~Diós
bálanos~) gewesen zu sein. Und als großfrüchtige Kastanien aus den
Ländern am Südrande des Schwarzen Meeres nach Griechenland importiert
wurden, erhielten sie die Bezeichnung Eicheln oder Nüsse aus Herakleia,
Sinope oder Paphlagonien, oder auch sardische Eicheln, nach Sardes, der
Hauptstadt von Lydien. Letztere Bezeichnung gebraucht beispielsweise
der aus Sinope stammende, als Dichter der neuattischen Komödie im
3. vorchristlichen Jahrhundert in Athen lebende Diphilos, der sagt:
„Die Eicheln von Sardes sind sehr nahrhaft und gesund, doch schwer zu
verdauen, namentlich in rohem Zustande“. Sein Zeitgenosse Nikander
bezeichnet sie zum erstenmal mit dem Namen, der ihnen später haften
bleiben sollte; er nennt sie nämlich „kastanische Nüsse“, doch wußte
niemand später anzugeben, wo das Land Kastanis liege. Heute wissen
wir, daß diese Bezeichnung gar nicht auf eine geographische, sondern
auf eine sprachliche Benennung zurückgeht, die dem Kastanienbaum
im Armenischen zukam. ~Kaskeni~ bedeutet nämlich im Armenischen
Kastanienbaum und ~kask~ Kastanie. Aus ersterem entstand dann die
griechische Bezeichnung „kastanische Nuß“ (~kastanaikón káryon~)
und später mit Weglassung des Wortes Nuß einfach ~kastánaion~ oder
~kástanon~. Letztere Bezeichnung treffen wir beispielsweise in dem
Buche des Atheners Mnesitheos, der nach dem um 200 n. Chr. lebenden
Athenaios sagt: „Die Kastanien (~kástanon~) heißen auch euböische
Nüsse; sie sind schwer zu verdauen, machen aber diejenigen, die sie gut
verdauen können, fett. Übrigens sind sie gleich anderen Nüssen gekocht
oder geröstet eine viel gesündere Speise als roh.“

[Illustration: Bild 16. Die Edelkastanie (~Castanea esculenta~).

~a~ blühender Zweig mit oben männlichen und unten weiblichen Blüten an
den Blütenähren, ~b~ männliche, ~d~ weibliche Blüte; ~c~ drei weibliche
Blüten in einer Fruchthülle; ~e~ drei Samen in einer Fruchthülle, ~i~
dieselben im Durchschnitt; ~f-h~ junge Kastanien. (Nach Hegi.)]

Mit der Frucht übernahmen auch die Römer die Bezeichnung derselben von
den Griechen. Wann nun dieser Fruchtbaum nach Italien kam, läßt sich
nicht mehr sagen. Wahrscheinlich hat ihn der römische Komödiendichter
Plautus (254-184 v. Chr.), der die griechischen Stücke des eben
erwähnten Diphilos und seines älteren Rivalen Menandros (342-290
v. Chr.) nachahmte, gekannt. Er spricht nämlich an einer Stelle von
einem das Dach beschattenden Baum, der eine „weiche Nuß“ (~mollescam
nucem~) trage. Nun kann darunter sowohl eine weichschalige, als eine
weich zu essende Nuß verstanden sein. Allem nach scheint aber ersteres
das wahrscheinlichere zu sein, so daß wir also darunter wohl die
Kastanie zu verstehen haben. Aber bei dem Mangel eines feststehenden
Namens kann wohl von einer allgemeinen Kultur dieser Bäume in Italien
vor dem Beginn des 2. vorchristlichen Jahrhunderts keine Rede sein.
Noch der ältere Cato (234-149 v. Chr.), der als Zensor die altrömische
Einfachheit in der Lebensweise und Sittenstrenge aufrechterhalten
wissen wollte, erwähnt in seiner sonst alle in Italien angepflanzten
Bäume anführenden Schrift über den Landbau die Kastanien so wenig als
Walnüsse und Mandeln, nur die von den Griechenstädten Süditaliens
nach Kampanien versetzten großen Haselnüsse, die den Griechen aus dem
Pontusgebiet zugekommen waren.

Erst zu Ende der Republik tritt uns der Baum und die Frucht als
zweifellos in Italien heimisch entgegen. Unter der von den Griechen
übernommenen Bezeichnung „kastanische Nuß“ (~castanea nux~ oder kurz
~castanea~) erwähnt sie zuerst der römische Dichter Vergil (70-19
v. Chr.), indem er an einer Stelle seiner Eklogen sagt „Ich will dir
Kastanien (~castanea nux~) und wachsgelbe Pflaumen (~prunum~) geben“
und an einer andern: „Wir haben schmackhaftes Obst, auch weiche
Kastanien und Vorrat von Käse.“ Dann nennt der Dichter Ovid (43 vor bis
7 n. Chr.) diese Frucht, indem er von seiner Geliebten Amaryllis sagt:
„sie liebte Kastanien und Nüsse“.

Der ältere Plinius (23-79 n. Chr.) sagt in seiner Naturgeschichte:
„Auch die Kastanien (~castanea~) werden Nüsse (~nux~) genannt, obschon
es passender wäre, sie Eicheln (~glans~) zu nennen. Sie sind mit
Stacheln besetzt, wozu sich bei den Eicheln nur der Ansatz findet.
Obgleich sie die Natur unter ihrer Stachelschale versteckt hat, sind
sie doch sehr häufig. Zuweilen stecken in einer einzigen Schale drei
Kerne. Die Haut, welche zwischen Schale und Kern liegt, verschlechtert,
wie bei den Nüssen, den Geschmack. Man verspeist sie lieber geröstet
als roh. Sie werden auch gemahlen und können dann ein Brot geben.
Ursprünglich sind sie in Sardes heimisch, und deswegen nennen sie
die Griechen auch sardische Eicheln; denn Zeus-Eicheln sind sie erst
später genannt worden, als sie durch gute Pflege veredelt waren. Jetzt
gibt es mehrere Arten von Kastanien; die tarentinischen sind flach,
die sogenannte ~balanitis~ ist runder, die ~pura~ geht leicht aus der
Schale, die ~salariana~ ist flach, die ~corelliana~ ist gut, ebenso
die von ihr gezogene ~eterejana~, doch stellt nur ihre rote Schale sie
über die dreikantigen, gemeinen schwarzen, welche auch Kochkastanien
(~coctiva~) heißen. Die besten Kastanien wachsen um Tarent und Neapel.
Bei den geringen Kastaniensorten zieht sich die Schale bis in den Kern;
sie sind daher schwer verdaulich und dienen nur zu Schweinefutter.“

Sein Zeitgenosse, der griechische Arzt Dioskurides, sagt in seiner
Arzneilehre: „Die Kastanie hat verschiedene Namen: sardische Eichel,
~lópimon~, ~kástanon~, auch ~móton~, Zeus-Eichel. Sie sind der Wirkung
nach den eßbaren Früchten der Eichenbäume ähnlich; besonders haben die
Häute zwischen Schale und Fleisch zusammenziehende Eigenschaften.“
Zur Erklärung der Bezeichnungen corellianische und eterejanische
Kastanien schreibt derselbe Autor an einer andern Stelle: „Als eine
Merkwürdigkeit mag hier folgendes erwähnt werden: Der römische Ritter
Corellius, aus Ateste gebürtig, veredelte einmal im Neapolitanischen
einen Kastanienbaum mit dessen eigenem Reise, und aus diesem erwuchs
eine vortreffliche Kastaniensorte, die noch jetzt nach jenem Ritter
die corellianische heißt. Später veredelte sein Freigelassener namens
Eterejus diese Kastanie wieder, und nun zeigte sich der Unterschied,
daß die corellianische reichlichere, die eterejanische aber bessere
Früchte trug.“

In den ~Geoponika~ sagt ein griechischer Autor, daß die (schwarze)
Maulbeere auf Kastanie (~kástanon~) und Speiseeiche (~phagós~ von
~phageín~, essen) gepfropft werde. Und der zur Zeit Cäsars und
Augustus’ lebende griechische Geschichtschreiber Diodoros aus Sizilien,
daher Siculus zubenannt, schreibt in seinem Geschichtswerk: „In
Arabien wird gediegenes Gold in Stücken gefunden, welche die Größe
einer Kastanie (~káryon kastanaikón~) haben“, und an einer andern
Stelle: „Im Lande der Ichthyophagen (d. h. Fischesser, bei den Alten
zwei Völker, in Gedrosien und Arabien) wachsen viele Ölbäume, deren
Frucht einer Kastanie ähnlich ist.“ Der aus Spanien gebürtige römische
Ackerbauschriftsteller Columella im 1. Jahrhundert n. Chr. sagt:
„Der Kastanienbaum (~castanea~) ist der Steineiche (~robur~) ähnlich
und deswegen zu Pfählen für den Weinstock sehr brauchbar. Die Frucht
(~nux~, d. h. Nuß) wird im Herbst in zweimal gegrabenen Boden gesät
und keimt rasch. Neben jede steckt man einen kurzen Rohrstab, um
beim Jäten zu wissen, wo sie liegt. Sobald die Stämmchen zweijährig
sind, verpflanzt man so viele, daß die bleibenden je zwei Fuß
auseinanderstehen, damit sie einander nicht schaden. Die Samen werden
deswegen dichter gelegt, weil sie durch verschiedene Zufälle am Keimen
verhindert werden können, z. B. durch Trockenheit oder ein Übermaß von
Nässe, durch Mäuse und Maulwürfe.“ Und Palladius sagt im 4. Jahrhundert
n. Chr.: „Versetzt man Kastanienbäumchen (~castanea~), die irgendwo
von selber gewachsen sind, so gedeihen die so schlecht, daß man oft
zwei Jahre lang nicht weiß, ob sie am Leben bleiben oder nicht. Besser
als im November werden die Kastanien im Februar gesät, nachdem man
sie zuerst, im Schatten getrocknet und 30 Tage mit Flußsand bedeckt
hat stehen lassen und dann durch Werfen in kaltes Wasser geprüft hat,
welche untersinken und somit gut sind und welche schwimmen und damit
bekunden, daß sie krank sind. Wenn sie zweijährig sind, werden die
jungen Bäumchen versetzt. Wenn sie angewachsen sind, pfropft man sie,
und zwar, wie ich selbst probiert, im Monat März oder April in die
Rinde; doch kann man sie auch okulieren. Man pfropft Kastanien auf
Kastanien oder Weiden (~salix~). Doch reift in letzterem Falle die
Frucht später und schmeckt weniger angenehm. Man hebt die Kastanien in
Hürden auf, doch so, daß sie nicht aufeinander liegen, oder man legt
sie so einzeln in Kies, daß sie sich nicht berühren, oder man tut sie
in neue irdene Töpfe und vergräbt diese an einem ziemlich trockenen
Orte, oder man bewahrt sie in Körben auf, die luftdicht mit Lehm
bestrichen sind, oder unter feiner Gerstenspreu, oder in Behältern, die
dicht aus Binsen geflochten sind.“

Mit den gleich zu besprechenden Walnüssen kamen auch die Kastanien
in der römischen Kaiserzeit über die Alpen und daraus wurden in den
römischen Kolonien von den sich hier ansiedelnden Veteranen die
betreffenden Fruchtbäume gezogen. So fanden sich in den älteren, später
von den Soldaten selbst mit allerlei Wegwurf zugeschütteten Brunnen
des römischen Kastells auf der Saalburg zahlreiche Walnußschalen, und
bei Ausgrabungen in Mainz stieß man wiederholt auf Kastanien, welche
von der Beliebtheit dieser beiden Fruchtarten bei den Römern Kunde
geben. Venantius Fortunatus, der Freund und Landsmann des fränkischen
Bischofs Gregor von Tours in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts
n. Chr. sandte seiner Freundin Radegunde ein Körbchen mit Kastanien,
das von einem poetischen, uns noch im Wortlaut erhaltenen Billette
begleitet war, worin er ihr als ländliche Gabe ~molles~ (d. h. weiche)
~castaneas~, „die der Baum auf dem Felde trug“ anbietet. Später
verordnete Karl der Große die Anpflanzung von ~castanearios~ in den
kaiserlichen Krongütern. Nach England kam dieser Baum erst am Anfang
des 16. Jahrhunderts.

Die eßbare Kastanie geht weniger weit nach Norden als der Nußbaum.
In warmen Lagen Deutschlands, wie am Rhein, wurde er aber schon in
den ersten Jahrhunderten n. Chr. eingebürgert. Teilweise ist er hier
verwildert und hat sich so gut eingelebt, daß er beispielsweise auf
den Bergen um Heidelberg herum und an der Bergstraße geradezu zu einem
Charakterbaum der Landschaft wurde. Weder zur Römerzeit noch auch
später drang er nach Norddeutschland vor, wo es ihm zu rauh ist und er
keine Früchte mehr zeitigt, so daß er höchstens als Zierbaum gehalten
werden kann. Deshalb fehlt auch sein Name gänzlich in den Orts- und
Flurnamen Mittel- und Norddeutschlands. Nur in Italien, Südfrankreich,
Spanien, Korsika, Sardinien usw. bildet der edle Kastanienbaum ganze
Waldungen. So sehr sind seit der Römerzeit seine schmackhaften Früchte
in diesen Gebieten zur Volksnahrung geworden, daß man in Frankreich die
Trägheit der Korsen ihren Kastanien zuschrieb. In der Tat genügt einer
korsischen Familie der Besitz von zwei Dutzend Kastanienbäumen und
einer das ganze Jahr hindurch im Freien weidenden Ziegenherde, um alle
ihre Bedürfnisse zu decken.

Nach der Eroberung Teneriffes durch die Spanier am Ende des 15.
Jahrhunderts wurde der Kastanienbaum auch auf diese Insel verpflanzt.
Auch hier bildet er ausgedehnte Waldungen und gedeiht so üppig wie
in seiner Heimat, dem nördlichen Kleinasien, wo Wutzer auf seiner
Orientreise nicht nur gewaltige Bäume der großen Haselnußart, sondern
auch Platanen und Kastanien sah, deren Größe ihn in Erstaunen versetzte.

Die Früchte einer in Nordamerika vorkommenden Spielart des
Kastanienbaums finden dieselbe Verwendung wie diejenigen der
altweltlichen. Auch werden dort die der ~Castanea pumila~, der
~Chincapin~, gegessen. Ebenso hat China in der ~Castanea chinensis~
und Indonesien in der ~Castanea argentea~ und ~Castanea tungurrut~
einen Ersatz für unsere Eßkastanie. Übrigens gibt es in den Tropen der
ganzen Erde verschiedene Bäume, die den Kastanien an Wohlgeschmack
gleichkommende Früchte besitzen, die sowohl roh als geröstet gegessen
werden. Unter ihnen ist der wichtigste ~Bombax malabaricum~, ein
ungeheurer Baum Ostindiens mit süßen, angenehm schmeckenden Samen.
Auch die mehlreichen Samen von ~Carolinea princeps~ in Guiana und
dem übrigen nördlichen Südamerika und von ~Carolinea insignis~ auf
den Antillen schmecken geröstet wie Kastanien und werden, wie die
jungen Blätter und Blumen als Gemüse gern verspeist. Ähnlich schmecken
die süßen Samen von ~Melicocca bijuga~ und ~Cupania tomentosa~ in
Westindien. Ausgezeichnet süß, kastanienartig schmecken auch die
Samen des westafrikanischen Baumes ~Blighia sapida~, die samt dem
fleischigen, sie umgebenden Mantel gekocht und gebraten gern gegessen
werden. Durch Negersklaven wurde der Baum auch nach Westindien
gebracht, wo er öfter kultiviert angetroffen wird. Dasselbe ist
bei ~Laurus chloroxylon~ in Brasilien und bei ~Sloanea dentata~ im
nördlichen Südamerika der Fall. Auch der durch seine kindskopfgroßen
Früchte ausgezeichnete +Topfbaum+ (~Lecythis ollaria~) des tropischen
Amerika ist seiner kastanienartigen Samen wegen beliebt und wird,
wie auch mehrere andere ~Lecythis~-Arten mit ähnlichen Samen, häufig
angepflanzt. Endlich ist noch der australische Baum ~Castanospermum
australe~ zu nennen, dessen aus der Hülse gelösten kastaniengroßen
Samen wie Kastanien verspeist werden.

Vom nordwestlichen Himalaja, Beludschistan und Afghanistan, wo er nach
Atchison von 2200 bis 2800 m Höhe gefunden wird, über Nordpersien bis
nach Kleinasien ist der +Walnußbaum+ (~Juglans regia~) heimisch, der
überall in seiner Heimat in größeren Beständen im Gebirge wächst und
den Anwohnern in seinen Nüssen eine willkommene Nahrung spendet. Zu den
Griechen kamen sie gleich den Kastanien unter der Bezeichnung persische
oder königliche Nüsse (aus dem bereits mitgeteilten Grunde, weil dort
im persischen Kleinasien ein König herrschte) oder als sinopische
Nüsse (~káryon~), weil sie auch von der Hafenstadt Sinope am Südrande
des Schwarzen Meeres in größeren Mengen nach Griechenland gebracht
wurden. Dem Namen nach sind sie also für uns nicht von den Kastanien
unterscheidbar. Wie die Kastanie wurde sie von den Griechen auch ~Diós
bálanos~, d. h. Zeus-Eichel genannt, unter welcher Bezeichnung sie
dann später durch Vermittlung der Griechen Süditaliens zu den Römern
kam, welche sie in derselben Weise ~juglans~ (zusammengezogen aus
~Jovis glans~, d. h. Jupiterseichel) nannten. Ihre ölreichen Kerne
scheinen sich bei den Griechen keiner besonderen Wertschätzung erfreut
zu haben; denn der griechische Arzt Dioskurides im 1. Jahrhundert
n. Chr. schreibt: „Die königlichen Nüsse (~káryon basilikón~), welche
bisweilen auch persische Nüsse genannt werden, sind schwer zu verdauen,
schaden dem Magen, erzeugen Galle, machen Kopfweh, sind namentlich bei
Husten zu vermeiden. Dagegen ist ihr Genuß Nüchternen, welche Erbrechen
bewirken wollen, nützlich. Mit Feigen und Raute vermischt gibt man sie
als Vorbeugungsmittel gegen Gift, vertreibt mit ihnen, wenn man sie
in Menge verzehrt, die Bandwürmer, benutzt sie noch sonst innerlich
und äußerlich, setzt auch die verkohlten Schalen und Kerne einigen
äußerlich anzuwendenden Mitteln bei. Aus den zerstampften Nüssen preßt
man Öl. Übrigens bekommen frische dem Magen weit besser als alte.“
Sonst schweigen sich die griechischen Autoren über den Walnußbaum
aus. Wir wissen nur, daß die lakedämonischen Jungfrauen zur Zeit des
Einsammelns der Nüsse (~plur. kárya~) ein danach ~Kárya~ genanntes Fest
zu Ehren der ~Artemis karyátis~ feierten, und daß deshalb ~karyatízein~
den bei diesem Feste abgehaltenen Tanz tanzen bedeutete. Danach heißen
Karyatiden die an einem solchen Nußfeste tanzenden Jungfrauen, die ein
attischer Bildhauer als Gebälkträgerinnen -- auch einfach Koren, d. h.
Mädchen genannt -- an der Südhalle des Erechtheions auf der Akropolis
in Athen in für alle Zeiten vorbildlicher Weise darstellte.

Geschätzter als bei den Griechen waren die Walnüsse bei den Römern,
die den Walnußbaum ziemlich häufig angepflanzt zu haben scheinen. Der
überaus gelehrte Marcus Terentius Varro (116-27 v. Chr.) schreibt
über die Walnuß: „Diese herrliche, große Frucht heißt ~glans~, weil
sie in ihrer grünen Schale einer Eichel (~glans~) ähnlich sieht;
~juglans~ heißt sie von Jupiter (Stamm ~Jov~) und ~glans~. Sie heißt
auch Nuß (~nux~), weil sie den Körper schwarz färbt, wie die Nacht
(~nox~) die Luft.“ An einer anderen Stelle sagt er: „Hat man Walnüsse
(~nux juglans~), Datteln (~palmula~) und sabiner Feigen (~ficus~)
eingemacht, so schmecken sie um so besser, je eher man sie verzehrt;
denn die Dattel wird durch das Alter blaß, die Feige morsch, die
Walnuß trocken.“ Er hält aber dafür, daß die Nußbäume ihrer Umgebung
schädlich seien: „Neben einem Eichenwald gedeiht der Ölbaum schlecht,
neben Kohl (~olus~) der Weinstock, der sich sogar von jenem wegneigt;
auch die Walnußbäume (~juglans~) machen rings um sich her das Erdreich
unfruchtbar.“

Der berühmte Redner Cicero, der im Jahre 43 v. Chr. ermordet wurde,
sagt an einer Stelle seiner nach seinem Landgute Tuskulanum bei der
altlatinischen Stadt Tusculum im Sabinergebirge benannten Schrift: „Der
syrakusanische Tyrann Dionysius (der ältere, 431-367 v. Chr.) war so
mißtrauisch, daß er sich vor dem Rasiermesser fürchtete und sich den
Bart von seinen Töchtern mit glühenden Walnußschalen wegbrennen ließ.“
Der 79 n. Chr. beim Vesuvausbruch umgekommene Plinius meint wie Varro:
„Der Schatten der Walnußbäume ist von großem und schädlichem Einfluß,
tötet gleich dem der Pinien, Rot- und Weißtannen alle anderen Pflanzen,
verursacht sogar dem Menschen Kopfweh.“ Und von seinen Früchten sagt
er: „Die Walnüsse (~nux juglans~) haben keinen großen Wert, obgleich
ihr Gebrauch bei Hochzeitsfeierlichkeiten eingeführt ist. Die Natur
hat diese Frucht dadurch ausgezeichnet, daß sie den in einer holzigen
Schale liegenden Kern noch in eine weiche Schale einschloß. Daß sie
von den Königen Persiens stammt, beweist der Umstand, daß sie bei den
Griechen königliche Nüsse (s. vor. Stelle bei seinem Zeitgenossen
Dioskurides) heißen; auch nennt man jetzt noch die beste Sorte
~persicon~ und ~basilicon~. Kopfnuß (~káryon~) heißt eine Sorte
wahrscheinlich deswegen, weil sie durch ihren starken Geruch Kopfweh
verursacht. Die gerbstoffreiche grüne Schale wird zum Färben der Wolle
benutzt, die ganz jungen Nüsse dienen zum Braunfärben der Haare. Im
Alter werden die Walnüsse ölig. Die Sorten unterscheiden sich nur nach
der Schale, welche fest oder zerbrechlich, dünn oder dick, in Fächer
geteilt oder einfach ist. Die Schale zerfällt in zwei Teile, der Kern
selbst ist durch Zwischenhäute vierteilig.“

Auch andere, besonders griechische Schriftsteller sprechen von der
Sitte, die sich bis heute in Griechenland erhielt, im Augenblicke da
die Neuvermählte das hochzeitliche Gemach betrat, Nüsse unter die Gäste
und Kinder zu streuen, damit Zeus-Jupiter, nach welchem die Nüsse
hießen, der jungen Frau Fruchtbarkeit schenken möge. So fordert der
römische Dichter Vergil (70-19 v. Chr.) in einer seiner Eklogen auf:
„Streuet Nüsse (~nuces~) dem Hochzeitspaar aus!“ Auch Ovid (43 v. bis
7 nach Chr.) spricht an zwei Stellen von Walnüssen, das eine Mal, da
er von seiner Geliebten Amaryllis (Pseudonym, nach der Bezeichnung der
schönen, von Vergil in seinen Hirtengedichten besungenen Hirtin oder
Nymphe gleichen Namens, der die „Glänzende“ bedeutet) sagt: sie liebte
Kastanien und Nüsse, und das andere Mal, da er von derselben meldet:
ihr fehlten weder Nüsse noch Mandeln. Palladius im 4. Jahrhundert
n. Chr. sagt von der Kultur des Walnußbaumes: „Die ~nux juglans~
liebt feuchte, kühle, steinige Höhen, kommt aber auch an wärmeren
vor. Man zieht sie aus an der Sonne getrockneten Nüssen, die in der
Weise gepflanzt werden, daß man einen Stein oder Backstein unter sie
legt, damit sie keine einfache Pfahlwurzel, sondern geteilte Wurzeln
treiben. Die Bäumchen sollen alle 2 bis 3 Jahre versetzt werden,
dadurch gedeihen sie besser. Die Wurzeln dürfen dabei nicht beschnitten
werden; man bestreicht sie aber mit Rindermist, streut auch Asche in
die Grube. Man macht die Gruben recht tief und auch weit voneinander
entfernt, weil ein Walnußbaum selbst dem anderen durch seine Traufe
schadet. Man lockert die Erde rings um den Stamm zuweilen auf, damit
dieser im Alter nicht so leicht hohl wird. Ist er aber doch hohl
geworden, so haut man ihn von einer Seite bis zur Höhlung auf, damit
Sonne und Wind eindringen und die Fäulnis hemmen können. Werden die
Nüsse zu hart oder knotig, so muß man einen Schnitt rings in der
Rinde machen, um die schlechten Säfte abzuführen. Andere schneiden in
diesem Fall die Wurzelspitze ab, oder bohren ein Loch in die Wurzel
und schlagen einen Pflock von Buchsbaumholz hinein. Will man gemeine
Walnüsse in die tarentinische Sorte (mit weicher Schale) verwandeln,
so steckt man nur den von der harten Schale befreiten fleischigen
Kern, wickelt ihn aber zuvor zum Schutz gegen Ameisen in Wolle. Will
man einen schon tragenden Baum in einen tarentinischen verwandeln,
so begießt man ihn ein ganzes Jahr lang monatlich dreimal mit Lauge.
Die Reife der Nuß erkennt man daran, daß sich ihre äußere Schale
ablöst. Ihre Aufbewahrung geschieht entweder unter Spreu oder Sand
oder trockenen Walnußblättern oder in einem Kasten von Walnußholz oder
zwischen Küchenzwiebeln, denen sie zugleich den scharfen Geschmack
benehmen. Man kann nach Angabe vieler Gärtner Walnußreiser im Februar
auf Erdbeerbäume (~arbutus~) pfropfen, am besten in den Stamm, ebenso
auf Pflaumen- oder auf Walnußbäume.“ Dem fügt ein griechischer Autor in
der ~Geoponika~ bei: „Pfropfreiser des Walnußbaumes (~káryon~) wachsen
nicht leicht an, jedoch gelingt die Veredlung, wenn man sich nicht
gleich abschrecken läßt und sorgfältig zu Werke geht. Einige Gärtner
heben 2- und 3jährige Walnußbäumchen aus, pfropfen die Wurzeln und
setzen sie wieder ein.“

Mit den Kastanien brachten die Römer auch die Walnüsse über die Alpen
und pflanzten sie um ihre Militärstationen. So fanden sich auch im
Wegwurf der Saalburg zerbrochene Schalen von Walnüssen, die dort einst
von den Legionären oder deren Angehörigen verspeist wurden. So scheint
der Walnußbaum zuerst um die römischen Kastelle gewachsen zu sein, um
im Laufe von Jahrhunderten von da weiter ins Land hinauszugelangen. So
sind Ortsnamen, die mit Nuß- zusammenhängen, in der Rheingegend schon
in den ältesten auf uns gekommenen Urkunden nachweisbar, so der Flecken
Nußloch bei Heidelberg, der zuerst im Jahre 776 und das Dorf Nußbaum
bei Bretten in Baden, das zum ersten Male im Jahre 883/884 belegt ist.
Dazu kommen später Nußdorf (erster Beleg 1134), Nußbach bei Oberkirch
(1196), Nußbach bei Triberg (1284) und Nußbaum bei Mosbach (1335). Daß
der Baum in Gallien besonders intensiv kultiviert wurde beweist der
spätlateinische Name ~nux gallica~, dessen Reflex wir im deutschen
Walnuß und im englischen ~walnut~ haben. Die Anpflanzung des Nußbaums
wird sowohl im ~Capitulare de villis~ wie in den beiden uns erhaltenen
Garteninventaren Karls des Großen aus dem Beginne des 9. Jahrhunderts
angeordnet. In der Hünenburg bei Rinteln an der Weser aus dem 10. bis
11. Jahrhundert n. Chr. wurden Stücke von Walnußschalen gefunden.
Heute hat sich der Nußbaum überallhin, wo es ihm nicht zu kalt ist,
verbreitet und wird seiner ölreichen Nüsse, die ein sehr gutes Tafelöl
liefern, und seines sehr gesuchten Holzes wegen viel gepflanzt.

Die +Haselnuß+ (~Corylus avellana~) ist fast in ganz Europa und in
Vorderasien heimisch. Hier war sie schon den Menschen der Steinzeit
ein beliebtes Nahrungsmittel und wir finden ihre zerbrochenen Schalen
im Wegwurfe der Pfahlbauern der jüngeren Stein- und der Bronzezeit. An
einzelnen Fundstellen finden sie sich zu ganzen Schichten angehäuft.
Erst die Griechen und hernach die Römer haben außer der einheimischen
wilden Art auch schon größere und feinere, kultivierte Arten gekannt,
so die +lombardische+ oder +Lambertsnuß+ (~Corylus tubulosa~) und die
+türkische Haselnuß+ (~Corylus colurna~). Der Erzeuger der ersteren
ist ein stattlicher Strauch, derjenige der letzteren dagegen ein Baum,
der in seinem Vaterlande, im Pontusgebiet bis Armenien, ganze Wälder
bildet. Beide kamen aus dem nördlichen Kleinasien über die Städte am
Pontus als ~kárya póntika~, d. h. pontische Nüsse, nach Griechenland,
von wo sie in die griechischen Kolonien Siziliens und Unteritaliens
gelangten. Hier wurden sie mit besonderer Vorliebe kultiviert, so daß
die bei der Stadt Abella in Campanien wachsende Haselnuß -- welche
der beiden vorhin genannten groß-kernigen Sorten es war, ist nicht
entschieden -- als ~nux abellana~ von den Römern, die deren Kultur von
den Griechen übernahmen, besonders geschätzt wurde.

Durch die Römer wurden diese pontischen Haselnußrassen gleichzeitig
mit Walnuß und Kastanie in ihren transalpinen Provinzen eingeführt.
So fand man im Wegwurf in den Brunnen des römischen Feldlagers der
Saalburg nicht nur zahlreiche Schalen der gewöhnlichen Haselnuß,
sondern auch der großen Lamberts- und türkischen Haselnüsse. Auf Grund
dieser Funde dürfen wir annehmen, daß die ~avellanarii~, d. h. die
Haselnußstauden, die in den Gärten Karls des Großen gezogen wurden,
nicht sowohl einheimische, wilde, die ja sonst gar nicht besonders
angeführt worden wären, als vielmehr die lambertsche oder die türkische
Haselnuß waren. Im 16. Jahrhundert wurden dann echte türkische
Haselnüsse durch Valerius Cordus, der sie von einem ungarischen
Gesandten in Konstantinopel erhielt, direkt bei uns eingeführt und in
Gärten Mitteleuropas kultiviert. Allerdings erreicht sein Erzeuger bei
uns lange nicht die stattliche Größe, die er in seiner Heimat in den
Pontusländern aufweist.

Solche haselnußartige Samen bieten sehr zahlreiche Pflanzen aller
möglichen Länder, unter denen wir nur die chilenische, brasilische,
westindische und nordamerikanische Haselnuß, die Waldmandel Westindiens
und verschiedener Waldbäume des nördlichen Südamerika mit teilweise
mandelartigem Aussehen nennen wollen. Die brasilischen Nüsse, von den
Einheimischen ~juvias~ genannt, sind vierkantige, braune Samen von der
Größe einer Walnuß mit ölreichem Kern, der wie Mandeln schmeckt. Der
sie hervorbringende stattliche Baum (~Bertholletia excelsa~) wächst
überall in den Wäldern von Guiana, Venezuela und Nordbrasilien und
wird zur Zeit der Samenreife stets von den Indianern aufgesucht, die
diese wohlschmeckenden Nüsse sehr lieben und viele Wochen hindurch
davon leben. Leider werden sie bald ranzig und lassen sich deshalb
nicht längere Zeit aufbewahren. Außerdem gibt es in denselben Gebieten
einen souari genannten hohen Baum (~Caryocar butyrosum~) und in
Ekuador einen nahen Verwandten desselben, den ~pequi~-Baum (~Caryocar
amygdaliferum~), die den Mandeln ähnliche ölreiche Samen aufweisen.

Von geringerer Bedeutung, aber für uns wichtiger sind die
Pistaziennüsse und das Johannisbrot, die wir ebenfalls aus dem warmen
Süden erhalten. Ihre Erzeuger, die Pistazie und der Johannisbrotbaum,
ohne die wir uns die alten Kulturländer am Mittelmeer nicht mehr
vorstellen können, sind ebensowenig wie die früher betrachteten
Fruchtbäume hier heimisch, sondern erst in geschichtlicher Zeit vom
Menschen dort angesiedelt worden. Die +echte Pistazie+ (~Pistacia
vera~) hat ihre Heimat im südlichen Kaukasus, in Mesopotamien
und Syrien, wo sie stellenweise noch wild wachsend in größeren
Beständen angetroffen wird. Sie ist ein 6-9 m hoher Baum mit unpaarig
gefiederten, abfallenden Blättern, kurzen Blütenrispen und eiförmig
länglichen, 2,5-4 cm großen Steinfrüchten. Diese besitzen einen dünnen
Überzug von grünem, rot angehauchtem Fleisch und darunter unter
holziger Schale angenehm mandelartig schmeckende, haselnußgroße,
länglich dreikantige, grüne Kerne, die Pistazienmandeln oder syrischen
Nüßchen (ital. ~pistacchi~), die im Orient roh gegessen und zu allerlei
Backwerk, auch zur Gewinnung von Öl verwendet werden, das aber leicht
ranzig wird. Früher dienten sie auch als Heilmittel; jetzt werden sie
nur noch in der Küche, von Zuckerbäckern und Metzgern zum Würzen der
feineren Würste verwendet.

In Babylonien ist die Pistazienkultur uralt und schon damals werden die
Früchte wie heute noch in Syrien und Ägypten eine Lieblingsnäscherei
der vornehmen Haremsdamen gewesen sein. Sie hießen im Assyrischen
~butnu~ und als ~botnim~ kamen sie nach Syrien und Palästina, wo sie
zur Zeit der jüdischen Erzväter bekannt waren. Als die Brüder Josephs,
von der Hungersnot gedrängt, zum zweitenmal nach Ägypten zogen, nahmen
sie als Geschenke an den Minister des Pharao, in dem sie ihren Bruder
nicht vermuteten, unter den erlesenen Landesfrüchten auch Pistazien
mit. Von da an hat man keine Nachricht mehr vom Vorhandensein dieses
Fruchtbaums in Syrien, bis nach der Erschließung Vorderasiens durch den
Zug Alexanders des Großen ums Jahr 330 v. Chr. die Griechen Kunde von
ihm erhielten. So berichtet Theophrast, der Schüler des Aristoteles:
„In Indien wächst ein Baum, der der Terebinthe ähnlich ist, dessen
Früchte aber wie Mandeln sind. Er soll auch in Baktrien wachsen; die
Früchte sollen besser als Mandeln schmecken und werden deshalb dort
lieber gebraucht als diese.“ Dieser Autor kennt noch keinerlei Namen
für diese Frucht. Ein solcher erscheint erst hundert Jahre später, zu
Ende des 3. vorchristlichen Jahrhunderts beim griechischen Dichter
Nikander, der schreibt: „Am wild brausenden indischen Strome Choaspes
-- es ist dies der Fluß von Susa -- tragen die Äste der Pistazien
(~pistákia~) Früchte gleich Mandeln.“ Den Namen ~pistákion~, d. h.
Pistazie nennt wiederum hundert Jahre später der aus Apamea in Syrien
gebürtige Geschichtschreiber Poseidonios. Er sagt, daß in Arabien und
Syrien die sogenannte Pistazie wachse, deren grünliche Kerne zwar
den Pinienkernen an Geschmack nachstehen, aber einen angenehmen Duft
haben. In der Folge wird der Pistazienbaum mehrfach von medizinischen
Schriftstellern erwähnt, so vom griechischen Arzte Dioskurides,
der um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. eine reichhaltige
Arzneimittellehre verfaßte und darin über dessen Früchte schreibt:
„Die Pistaziennüsse (~pistákion~), welche in Syrien wachsen, sind
den Piniennüssen (~stróbilos~) ähnlich und bekommen dem Magen gut.“
Ähnlich schreibt der im Jahre 131 n. Chr. in Pergamon geborene und ums
Jahr 200 in Rom verstorbene berühmte Arzt Galenos: „Die Pistaziennüsse
(~pistákion~) wachsen bei Alexandria in Ägypten, aber noch weit
häufiger bei der Stadt Berrhoea in Syrien. Sie geben wenig Nahrung,
sind aber gesund.“

Plinius nennt unter den Bäumen Syriens den, „der die bekannten
Pistaziennüsse (~pistacium~) trägt“ und berichtet, daß ihn der Römer
Lucius Vitellius -- nicht zu verwechseln mit dem nachmaligen Kaiser
Aulus Vitellius --, der zur Zeit des Tiberius zwischen den Jahren
20 und 30 n. Chr. Legat in Syrien war und von dorther allerlei
Gartenfrüchte und Obstbäume auf sein Landgut bei der Stadt Alba in
Mittelitalien verpflanzte, nach Italien, und Flaccus Pompejus, ein
römischer Ritter, der mit Vitellius Kriegsdienste tat, nach Spanien
brachte. In Mittelitalien wird aber jedenfalls das Klima zu rauh
für den empfindlichen medisch-persischen Baum gewesen sein; denn
noch in Kalabrien und auf Sizilien, wo ihn in der Folge die Römer
akklimatisierten, liefert er weniger schmackhafte Früchte als in seiner
orientalischen Heimat.

Auch in Sizilien und Sardinien wuchs der Baum, von dem gewöhnlich
Edelreiser auf die im Mittelmeergebiet überall heimische
Terpentinpistazie gepfropft wurden. Noch im 4. Jahrhundert n. Chr.
berichtet uns Palladius, der selbst Güter auf der Insel Sardinien
besaß, vom Anbau dieses Fruchtbaumes. Aber die Kultur desselben
muß in den Stürmen, die die Völkerwanderung über Italien brachte,
vollständig außer Gebrauch gekommen sein, und es blieb den Arabern
vorbehalten, mit so manchen anderen asiatischen Kulturpflanzen wie
Dattelpalme, Mohrhirse, Safran und Zitrone auch die Pistazie wieder
an dafür geeigneten Orten am Mittelmeer, das sie ja um die Wende des
1. christlichen Jahrtausends völlig beherrschten, angesiedelt zu
haben. Seitdem sie die Pistazie wiederum in Sizilien und Süditalien
anpflanzten, blieb der Fruchtbaum bis auf den heutigen Tag in der
Kultur der sie in der Herrschaft ablösenden Christen, die die Früchte
gerne aßen und in der Küche verwandten. Am häufigsten trifft man bei
uns die sizilischen Pistazien; die tunesischen sind wegen ihrer schönen
grünen Farbe besonders geschätzt, während diejenigen Aleppos sehr groß
und gelb sind.

Wie der Pistazienbaum wurde auch der +Johannisbrotbaum+ oder
+Caroubier+ (~Ceratonia siliqua~) erst durch die Araber in den
wärmeren Gegenden am Mittelmeer als Spender eines billigen
Volksnahrungsmittels angesiedelt. Dieser heute namentlich in den
östlichen Mittelmeerländern weit verbreitete Hülsenfrüchtler stellt
einen nicht sehr hohen, breitausladenden, schattenreichen Baum dar mit
paarig gefiederten, lederartigen Blättern. Sein bevorzugter Standort
sind die sonnendurchwärmten, felsigen Halden in der Nähe des Meeres,
die vor dem kalten Nordwind geschützt sind; denn dieses sonnenverwöhnte
Kind Vorderasiens liebt diesen durchaus nicht. Hier wächst er langsam,
trägt erst nach zwanzig Jahren, dauert aber jahrhundertelang aus.
Seine flachen, hornartig gekrümmten Schoten mit süßem, nahrhaftem
Fruchtfleisch, das innen glänzend dunkle, bohnenartige Samen birgt,
werden nicht nur mit Vorliebe von Schweinen, Pferden und Eseln, sondern
auch vom Menschen roh und geröstet oder gebacken überall im Orient
gegessen. Auch auf unsern Jahrmärkten erscheint das Johannisbrot
als geschätzter Leckerbissen mit der Süßholzwurzel und den schwarzen
Lakritzenstangen. Lakritz ist aus dem griechischen ~glykyrrhíza~, d.
h. Süßwurzel zusammengezogen, und erfreut hier besonders die Kinder.
Aus den als Karuben bezeichneten Fruchthülsen -- das Wort stammt aus
dem arabischen ~charrûb~ -- wird auch ein süßer, honigähnlicher Saft
gepreßt, der als ~keratomeli~, d. h. Hörnchenhonig im Morgenlande sehr
beliebt ist. Nach ihrer hörnchenartig gekrümmten Form nannten die
alten Griechen, die den Baum selbst nicht kannten, sondern nur die aus
dem Orient eingeführten Früchte gelegentlich auf dem Markt kauften,
die Johannisbrotschoten ~kerátia~ oder ~kerōnia~, d. h. Hörnchen und
glaubten irrtümlicherweise, sie kämen aus Ägypten. Erst der Schüler
von Aristoteles, Theophrastos (390-286 v. Chr.), versichert mit
Nachdruck, sie kämen nicht von dorther, sondern aus Syrien und Ionien;
denn zu seiner Zeit war der Karubenbaum bis Knidos im südwestlichen
Kleinasien und bis zur Insel Rhodos im Ägäischen Meere vorgedrungen.
Auch Strabon, der ums Jahr 25 n. Chr. verstorbene griechische Geograph
aus der kleinasiatischen Stadt Amasia südlich vom Schwarzen Meer, sagt,
er wachse nicht in Ägypten, sondern zugleich mit der Dattelpalme in
Äthiopien, wo er in Menge gedeihe.

Seine eigentliche Heimat hat der Johannisbrotbaum in Syrien, wo er
mit anderen Fruchtbäumen und Nutzpflanzen vermutlich vom uralten
Volke der Chetiter in Kultur genommen und veredelt wurde. Einst, wie
jetzt, bildeten seine süßen Schoten dort und in Palästina eine gemeine
Speise. Johannes der Täufer soll sich während seines Aufenthalts
in der Wüste damit genährt haben, weshalb sie überhaupt den Namen
Johannisbrot erhielten. Noch den Reisenden neuerer Zeit wird der
angebliche Baum gezeigt, von dessen Früchten der Vorläufer des Messias
sein Leben während der Zurückgezogenheit in der Wüste gefristet
haben soll. Im Gleichnis vom verlorenen Sohn, das im 15. Kapitel des
Evangeliums nach Lukas berichtet wird, begehrt der verlorene Sohn, der
zum Schweinehirten herabgesunken ist, seinen Hunger mit den Hörnchen
(im Urtext ~apó tón keratión~, fälschlich von Luther, der die wahre
Bedeutung dieses Wortes nicht kannte, mit Treber übersetzt), die die
Schweine fraßen, zu stillen, aber niemand gab sie ihm. Diese Hörnchen
sind nichts anderes als das Johannisbrot.

    Tafel 43.

[Illustration: Bäume mit eßbaren Kastanien am Vierwaldstättersee.]

[Illustration:

    (Photographie von G. Kraskowits.)

Gewöhnlicher Feigenbaum und Feigenopuntie auf der Insel Korfu.]

    Tafel 44.

[Illustration: Johannisbrotbaum.

(Nach einer Photogr. von L. Adamovic in „Karsten u. Schenck,
Vegetationsbilder“.)

Zitronenhain bei Saló am Gardasee.]

Auch die alten Ägypter kannten das Johannisbrot, das unter dem
Namen ~dscharudsch~ oder ~garuta~, d. h. Schote, aus Syrien zu
ihnen gebracht wurde. Man aß es hier trocken oder eingekocht und
bereitete daraus einen ~tarruku~ genannten süßen Trank. Auch als
Medizin wurde es viel angewandt. Unter den Totenbeigaben sind in
Kahun aus Gräbern der 12. Dynastie im mittleren Reich (2000-1788
v. Chr.) Reste von Schoten des Johannisbrotbaumes, samt Fruchtkernen,
ebenso in solchen des ägyptisch-griechischen Gräberfeldes von Hawara
im Fajûm gefunden worden. Nach Unger findet sich Johannisbrot auch
auf einer altägyptischen Darstellung von Totenspeisen in einem Grabe
der 12. Dynastie abgebildet. Später wurde der Fruchtbaum in Ägypten
selbst angepflanzt. So fand Kotschy in einem Sarkophag neben einer
Mumie einen Stock, der sich bei mikroskopischer Untersuchung als vom
Johannisbrotbaum herrührend erwies.

Die alten Griechen haben diesen Fruchtbaum noch nicht in ihrem Lande
gezogen. Sie brachten seine Früchte als Rückfracht aus dem Orient mit
und vermittelten ihre Kenntnis auch den Römern, die sie zunächst als
~siliquae graecae~, d. h. griechische Schoten, bezeichneten. Später
werden sie vielfach als syrische Schoten bezeichnet, als man erkannte,
daß sie aus Syrien stammten und nur durch die Griechen übermittelt
wurden. Dioskurides und Galenos rühmen diese Schoten als Speise
durchaus nicht. Ersterer sagt: „Das frische Johannisbrot (~kerátion~)
bekommt, wenn es genossen wird, schlecht; das getrocknete schmeckt
besser, besonders, wenn die Schalen und Kerne nicht mitgegessen
werden.“ Und letzterer meint: „Das Johannisbrot (~kerátion~) ist
keine gesunde Speise, kommt aus dem Morgenland, sollte aber nicht
von dort geholt werden.“ Also war noch zur Zeit des Arztes Galenos
gegen Ende des 2. nachchristlichen Jahrhunderts das Johannisbrot
durchaus nur Gegenstand der Einfuhr aus dem Orient und erst im 4.
Jahrhundert lehrt Palladius, der Verfasser eines noch im Mittelalter
viel benutzten Werkes über den Landbau, ausführlich wie der Baum
gepflanzt und veredelt werden soll, so daß man annehmen muß, daß er
damals auch in Italien selbst wuchs. Immerhin könnte diese Stelle ein
späteres Einschiebsel sein, da sie in einigen Handschriften fehlt und
der fleißige Benutzer des Palladius, Petrus Crescentius, über den Baum
schweigt. Wenn er nun auch damals jedenfalls in beschränkter Zahl in
Italien selbst kultiviert wurde, so war doch diese Produktion ohne
größere Bedeutung.

Erst die Araber nahmen die mehr oder weniger verschwundene Kultur
dieses Fruchtbaumes wieder auf und verbreiteten ihn in Sizilien,
Süditalien, Spanien, wie in ganz Nordafrika im Bereiche ihrer
Herrschaft. Ihre Bezeichnung Charruben für die Früchte ist ins
Italienische ~carruba~, ins Spanische ~garroba~ -- oder mit dem
arabischen Artikel al davor als ~algarroba~ -- ins Portugiesische
~alfarroba~ und ins Französische ~caroube~ übergegangen, was an sich
schon mit Sicherheit beweist, daß sie diesen Ländern die Kenntnis
dieser Frucht vermittelten. Sie ihrerseits hatten von den Griechen
die als ~kerátia~ bezeichneten Bohnen der Johannisbrotschoten, die
sich durch eine auffallend übereinstimmende Größe auszeichnen, als
Gewichtseinheit angenommen und dies dem Abendlande übermittelt. So
dient uns heute noch das von ihnen als kleinstes Gewicht angenommene
Karat, d. h. eben die nach dem griechischen ~kerátion~ bezeichnete
Johannisbrotbohne als Gewichtseinheit für Gold, Diamanten und alle
Juwelen überhaupt, wie in Persien das Weizenkorn ~gändum~ als kleinste
Gewichtseinheit dient, und die nächst höhere die Kichererbse ~nukhûd~
ist. Dabei ist 1 ~nukhûd~ = 4 ~gändum~.

Seitdem die Araber den Johannisbrotbaum überallhin an den Gestaden des
Mittelmeers, soweit er gedeihen kann, angesiedelt haben, pflanzt man
ihn gerne auch als Schattenbaum zur Straßeneinfassung und inmitten
der Felder. Soll der Baum aber nicht bloß Schatten gewähren, sondern
auch reichlich Früchte tragen, so muß er von Zeit zu Zeit beschnitten
werden wie der Weinstock und der Ölbaum. Die nördliche Grenze seiner
Verbreitung fällt ungefähr mit derjenigen der Orangen und Zitronen
zusammen. In Kleinasien und Syrien wird er als Fruchtspender so
geschätzt, daß er geradezu göttliche Verehrung bei Muhammedanern und
Christen genießt. Er ist dem heiligen Georg geweiht, dem sagenhaften
kappadozischen Prinzen, der unter Diokletian (regierte von 284-313
n. Chr.) als Märtyrer gestorben sein soll, nachdem er einst einen
Lindwurm besiegt hatte, der ein Mädchen zu verschlingen drohte. Schon
die Kreuzfahrer führten diesen streitbaren Heiligen symbolisch in
ihrem Panier und seither ist er der Schutzheilige aller Berittenen.
In Griechenland und im Orient überhaupt sind Georgskapellen unter
Johannisbrotbäumen häufig.

Wie bei allen Kulturgewächsen haben sich auch bei ihm die
verschiedensten Varietäten gebildet, die sich durch Form, Größe,
geringere oder größere Süßigkeit und Haltbarkeit der Schoten
unterscheiden. Doch gilt im allgemeinen, daß je wärmer das Klima
ist, in welchem er wächst, er um so mehr Zucker in seinen Schoten zu
entwickeln vermag und um so süßer der aus ihnen ausgepreßte Honig wird.
In letzterem Falle werden die Preßrückstände den Schweinen vorgeworfen.
Auch das harte Holz wird geschätzt und die tanninhaltige Rinde dient
zum Gerben. Vom Orient aus wird das Johannisbrot bis tief nach Rußland
hinein und in die nordischen Länder exportiert, wo es als billiger
Leckerbissen auf keinem Volksmarkte fehlt.

Eine eßbare, wohlschmeckende Kernfrucht bietet auch der in ganz
Indonesien, besonders den Molukken wild wachsende und auch angepflanzte
+Katappabaum+ (~Terminalia catappa~). Die Frucht, deretwegen der Baum
auch sonst in den Tropen, besonders auf den Antillen kultiviert wird,
hat Ähnlichkeit mit der Walnuß und enthält einen bis zwei mandelartige
Kerne. Ähnliche Samen bieten verschiedene andere Terminaliaarten in
Südindien, Ozeanien und Südamerika. Gleicherweise werden auf den Inseln
der Südsee die Kerne der Früchte von ~Inocarpus edulis~, ~Sterculia
balanghas~ und ~St. foetida~ als fast tägliche Speise gegessen. Ebenso
finden die ölreichen Samen zahlreicher Nadelholzgewächse als Speise der
Menschen Verwendung, so diejenigen verschiedener Kiefern und Fichten,
wie der +Zirbelkiefer+ (~Pinus cembra~), der +Fichte der Norfolkinsel+
östlich von Australien, der als Ziergewächs bei uns in Töpfen gezogenen
~Araucaria excelsa~ und der +südamerikanischen Araukarie+ (~Araucaria
imbricata~). Dieser von den Indianern als ~pehuén~ bezeichnete
Nadelbaum ist diözisch, d. h. weist männliche und weibliche Exemplare
auf und bildet auf Sandboden lichte Bestände, die entfernt an unsere
Kiefernwälder erinnern. Sein Stamm bildet eine mächtige Säule von
bis zu 60 m Höhe, ist unten kahl und trägt oben einen schirmartigen
Wipfel, dessen herunterhängende Äste an den Spitzen wieder nach
aufwärts streben. Die Fruchtzapfen benötigen zwei Jahre zur Reife
und enthalten 100 bis 200 mehlige, ähnlich wie Kastanien schmeckende
Samen, die im Februar und März reifen. Um diese von den Spaniern, die
sie ebenfalls sehr lieben, ~piñones~ genannten, doppelt mandelgroßen
Nüsse zu erlangen, unternehmen die Indianer zur Zeit der Reife große
Wanderungen. Diese pflanzliche Speise ist für sie um so wichtiger, je
weiter sie von den Weißen entfernt wohnen und je schwerer sie sich von
jenen die gewöhnlichen Getreidearten durch Tausch gegen Wildpret und
Felle verschaffen können. Ein einziger Zapfen genügt für einen Indianer
zur Ernährung für einen Tag, wenn er noch etwas Fleisch zu sich nimmt.
Durch ihren reichen Ölgehalt sind sie nicht sehr leicht verdaulich und
lassen sich auch nicht längere Zeit hindurch aufbewahren. Doch bereiten
die Eingeborenen daraus ein Gebäck, das sich lange Zeit erhält. So
können sie die von ihnen sehr geschätzten Samen aufs weitgehendste
ausnützen.

In den Mittelmeerländern finden besonders die +Piniennüsse+, gewöhnlich
Pignolen genannt, zahlreiche Liebhaber und kommen dort überall in
den Handel. Der Nüsse und des Holzes wegen wird die Pinie auch in
Südtirol kultiviert. Die Pinienzapfen reifen erst im vierten Jahre.
Zur Gewinnung der Nüsse werden besondere Sorten mit sehr dünner,
zerbrechlicher Schale gezogen, entsprechend den als Butternüsse
bezeichneten, weichschaligen Walnüssen und den weichschaligen
Bruchmandeln. So gewährt der berühmte Pinienwald bei Ravenna, die
Pineta, den Bewohnern reichlichen Gewinn durch die überallhin nach
Italien verschickten Samen, trotzdem die Bestände durch den kalten
Winter 1879-80 und durch einen Waldbrand stark gelitten haben. Sie
sind ziemlich groß, schmecken wie Mandeln und werden roh zu allerlei
Speisen und in Zucker eingemacht gegessen, auch zur Darstellung eines
fetten süßen Öles benutzt. Sie bilden auch für Griechenland, besonders
den Peloponnes, einen nicht unwichtigen Ausfuhrartikel. Schon der
Grieche Athenaios (um 200 n. Chr.) in Alexandrien erwähnt die Ausfuhr
der Piniennüsse von dort nach Ägypten. Dioskurides sagt von ihnen:
„Die Samen der Pinien (~pítys~) und Kiefern (~peúkē~) werden ~pityís~
genannt. Sie befördern die Verdauung und erwärmen etwas, sind auch
für sich oder mit Honig gegen Husten und Brustübel nützlich.“ Sein
Zeitgenosse Plinius unterscheidet 4 Sorten der Piniennüsse (~pinea
nux~), deren eine, „die tarentinische, eine so dünne Schale besitzt,
daß man sie zwischen den Fingern zerbrechen kann. Sie werden deshalb
oft schon am Baume von den Vögeln gefressen.“ Er bemerkt, daß die
Tauriner (die jetzigen Piemontesen) die von der Schwarzkiefer
(~pinaster~ = ~Pinus laricio~) stammenden Samen, in Honig gekocht, als
treffliches Mittel gegen den Husten in den Handel bringen und meint
ferner: „Die Pinienkerne stillen den Durst und helfen gegen Magensäure
und Nierenleiden, heilen auch, mit Wasser gekocht, das Blutspucken.
Mit Wein oder einer Abkochung von Datteln getrunken, führen sie die
Galle ab. Gegen heftigeren Magenschmerz und Nierenübel mischt man
Gurkensamen und Portulaksaft hinzu.“ Palladius um 380 n. Chr. sagt:
„Die Pinienzapfen können reif oder überreif von den Bäumen genommen
werden, doch muß es geschehen, bevor sich die Zapfen öffnen. Die Kerne
lassen sich nur dann aufbewahren, wenn sie gut gereinigt und getrocknet
sind.“ Diese Bemerkung ist ganz richtig. Nur aus den Zapfen genommen
und sorgfältig getrocknet lassen sie sich einige Zeit aufbewahren.



VI.

Die Agrumen.


Unter der Bezeichnung ~agrumi~ faßt der Italiener die verschiedenen
Vertreter der Gattung ~Citrus~, also die Zitronen, Orangen,
Mandarinen usw. zusammen. Die Kultur dieser in seinem Lande und
neuerdings auch bei uns so beliebten Früchte scheint uns untrennbar
mit dem Begriffe Italien oder Spanien zu sein. Seit Goethe in seinem
Mignonlied der Sehnsucht des Nordländers nach den sonnigen südlichen
Gestaden so treffenden Ausdruck gegeben hat, können wir uns das
glückliche warme Mittelmeergebiet nicht vorstellen ohne das satte
Grün dieser Fruchtbäume, ohne den würzigen Blütenduft der Zitronen
und das prächtige Gleißen der schimmernden „Goldorangen“. Dem ist
aber nicht immer so gewesen. Es sind vielmehr noch keine tausend
Jahre verstrichen, seitdem die ersten Vertreter dieser Produkte
ostasiatischer Kultur dem Fruchtbaumbestande Südeuropas durch die
damals das Mittelmeer beherrschenden Araber einverleibt wurden.

Das Altertum hat diese Früchte durchaus nicht gekannt. Wohl kennen die
römischen Schriftsteller das Wort ~citrus~, mit dem sie aber einen
ganz anderen Begriff als wir verbanden. Die Bedeutung dieses Wortes
verstehen wir erst, wenn wir daran erinnert werden, daß sie dasselbe
wie so unendlich viele andere Kulturgüter und deren Bezeichnungen
den in bezug auf Gesittung weiter als sie fortgeschrittenen Griechen
verdankten. ~Citrus~ ist das romanisierte ~kédros~ der Griechen, das
mit dem Namen Zeder zusammenhängt. Darunter verstanden die Römer wie
die Griechen, von denen sie Wort und Begriff übernahmen, das duftende,
den Würmern widerstehende Holz verschiedener Nadelhölzer, besonders
Zedern-, Wacholder- und Lebensbaumarten, das zur Herstellung von
mottensicheren Truhen zur Aufbewahrung der ja vorzugsweise aus Wolle
hergestellten Kleider diente. Für die Römer der Kaiserzeit war es
wohl in erster Linie das schön gemaserte, wohlriechende weil öl- und
harzdurchtränkte Holz der nordafrikanischen Zypressenart ~Callitris
quadrivalvis~ -- die Produzentin des echten Sandarakharzes --, welche,
weil durch ihren starken Duft vor Motten schützend, zur Fabrikation
von solchen Kleiderkisten -- Schränke kannte man damals noch nicht --
diente.

Von den Griechen hatten sie vernommen, daß auch die starkduftenden,
im übrigen aber nicht eßbaren Früchte eines aus dem Orient bezogenen
Baumes vortrefflich zur Abwehr von Motten in den Kleiderkisten seien.
Es waren dies eiförmige, über faustgroße grüne bis gelbe Früchte
mit einer überaus dicken, reich mit ätherischen Ölen durchsetzten,
feinhöckerigen Schale, die wir im Deutschen als +Zedraten+ oder
+Zitronatzitronen+ bezeichnen, weil aus ihren würzigen, dicken Schalen
durch Kochen in Zucker das Zitronat hergestellt wird. Die Zedraten, von
den Italienern ~cedro~ genannt, sind weit größer als unsere bekannten
Zitronen und erreichen in runden, bis stark in die Länge gezogenen
Formen oft die Größe eines Menschenkopfes. Ihr Fruchtfleisch enthält
einen mäßig sauren Saft -- jedenfalls bedeutend weniger als bei der
Zitrone -- dem durch den Gehalt an Zitronensäure fäulniswidrige
Eigenschaften innewohnen.

Diese Zedraten waren schon den alten Ägyptern als ~kitri~ und den
Hebräern zur Zeit des Moses als ~hadar~ bekannt. Der Baum scheint
zur Zeit der 18. Dynastie (1580-1350 v. Chr.) aus Südasien nach dem
Niltal gekommen zu sein, wo ihn später die Griechen kennen lernten.
Bei den letzteren galt die wenig schmackhafte, säuerliche Frucht der
Zedrate nicht nur als gutes Mittel um, in die Kleiderkisten gelegt, die
Motten davon fernzuhalten, sondern geradezu als ein äußerst wirksames
Gegengift. Nach ihrem Dafürhalten konnte, wer immer davon aß, in den
nächsten darauffolgenden Stunden nicht vergiftet werden.

So empfahl der um 200 n. Chr. in Alexandrien und Rom lebende
griechische Grammatiker Athenaios aus Naukratis in Ägypten als bestes
Schutzmittel gegen Vergiftung eine in Honig gekochte Zedrate zu
essen. Wer morgens früh ein halbes Glas des daraus gepreßten Saftes
genieße, dem können den ganzen Tag über Gifte nichts anhaben. In
seiner 15 Bücher umfassenden Schrift „~Deipnosophistai~“, die wichtige
Nachrichten über Leben, Sitte, Kunst und Wissenschaft der alten
Griechen enthalten, schreibt er: „Daß der Kedrosapfel (~kedrómēlos~)
ein Mittel gegen Gift ist, weiß ich von meinem Landsmann, welcher
Statthalter von Ägypten war. Er hatte einige Verbrecher dazu
verurteilt, in dem zu Tierkämpfen bestimmten (Amphi-)Theater von
wilden Tieren getötet zu werden. Als diese dahin geführt wurden,
gab ihnen unterwegs eine mitleidige Frau einen Kedrosapfel, den sie
zufällig bei sich hatte. Die Leute aßen ihn, wurden gleich darauf den
wilden Bestien vorgeworfen und auch von Aspisschlangen gebissen, litten
aber gar nicht. Der Statthalter wunderte sich nicht wenig darüber; und,
wie er erfuhr, daß sie einen Kedrosapfel gegessen, ließ er am folgenden
Tage dem einen eine solche Frucht geben, dem anderen nicht. Jener blieb
gesund, dieser aber starb vom Schlangenbiß auf der Stelle. Dieser
Versuch wurde öfters, und immer mit demselben Erfolg wiederholt.“
Diese Aspis der Griechen und Römer war, nebenbei bemerkt, die Ara, d.
h. Aufgerichtete der alten Ägypter, gräzisiert als „Uräus“-schlange
bezeichnet, die man als Sinnbild der Erhabenheit zu beiden Seiten der
Sonnenkugel des Gottes Ra über dem Portal der altägyptischen Tempel
eingemeißelt findet und deren Nachbildung der Pharao als zierendes
Abzeichen seiner Hoheit und Herrschergewalt an seinem Diadem über der
Stirne trug. Diese bis 2,25 m lange ägyptische Brillenschlange (~Naja
haje~) ist noch größer als ihre südasiatische Verwandte und wird von
jeher in Ägypten sehr gefürchtet. Wie heute noch die Gaukler auf den
Straßen vor allem Volke die so überaus gefürchtete, in Ledersäcken
verwahrte „Haje“ vorführen, so produzierten sich mit ihr schon Moses
und Aaron vor dem Pharao. Sie war es auch, mit der sich die berühmte
Buhlerin Kleopatra, Königin von Ägypten und nacheinander die Geliebte
von Julius Cäsar und Marcus Antonius, nach des letzteren Selbstmord
nach der verlorenen Seeschlacht von Aktium im Jahre 30 v. Chr. tötete,
um nicht von ihrem ihren Gunstbezeugungen unzugänglichen Überwinder
Octavianus Augustus im Triumph in Rom vorgeführt zu werden. Bevor
dieses so viele Männer mit ihren Verführungskünsten bestrickende Weib
in den Tod ging, ließ sie ihre vertrautesten Dienerinnen von solchen
Schlangen beißen, um zu sehen, welchen Effekt der gefährliche Biß auf
sie haben werde.

Der +Zedratbaum+ (~Citrus decumana~), dessen oft fast nur aus Schale
bestehenden, bis 6 kg schweren Früchte eines saftigen Fruchtfleisches
in der Regel entbehren, ist ein 3-5 m hoher Baum mit stumpfen,
dunkelgrünen Blättern, die an breitgeflügeltem Stiele sitzen, und
weißen, wohlriechenden Blüten. Seine Heimat ist höchstwahrscheinlich
im malaiischen Archipel zu suchen, wo er heute noch in zahlreichen
Spielarten, auch solchen mit saftigem, säuerlichsüßem bis süßem
Fruchtfleisch kultiviert wird. Schon früh kam er nach Indien,
Hinterindien und China, in welch letzterem Lande er schon zu
Beginn des letzten vorchristlichen Jahrtausends unter dem Namen
yu gepflanzt wurde. Von Indien aus gelangte er nach der Mitte des
letzten vorchristlichen Jahrtausends nach Medien und Persien, wo
ihn die Griechen auf dem berühmten Zuge Alexanders des Großen ins
Innere Asiens von 334 bis 324 v. Chr., der ihnen überhaupt eine
Fülle neuer Naturprodukte aus dem Pflanzenreiche vermittelte, kennen
lernten. Der pflanzenkundige Theophrastos (390-286 v. Chr.), nach
Alexander selbst Schüler des großen Aristoteles, beschreibt diesen
Baum, den er jedenfalls nur von der Beschreibung der Teilnehmer am
Alexanderzuge kannte und nicht selbst sah, in seiner Pflanzengeschichte
folgendermaßen: „Medien und Persien erzeugt unter anderen
eigentümlichen Gewächsen auch den medischen oder persischen Apfel
(~mḗlon~). Das Blatt dieses Baumes sieht fast genau so aus wie das
der Andráchlē (~Arbutus andrachne~), auch hat der Baum Dornen wie der
Birnbaum (~ápios~) und der Weißdorn (~oxyákanthos~); sie sind glatt,
sehr spitzig und stark. Der Apfel wird nicht gegessen, allein er hat,
so wie auch das Blatt des Baumes, einen sehr angenehmen Geruch; und der
Apfel schützt Kleider, zwischen die er gelegt wird, vor Motten. Auch
dient er als Arznei. Der Baum, der am besten auf lockerem, feuchtem
Erdreich gedeiht, hat das ganze Jahr hindurch Früchte. Während man
reife abnimmt, sind auch unreife und Blüten daran vorhanden.“

Von den Griechen erhielten die Römer die Kenntnisse vom medischen
Apfel. Der römische Dichter Vergil (70-19 v. Chr.) nennt ihn in
Italien zuerst als „goldenen“ oder „Glücksapfel“. Er sagt von ihm in
seiner Georgica: „In Medien wächst der Glücksapfel (~felix malum~),
dessen Saft den jämmerlichen, lang anhaltenden Geschmack hat, aber
ein herrliches Mittel gegen verschlucktes Gift ist. Der Baum selbst
hat eine gewaltige Größe, sieht dem Lorbeer sehr ähnlich, riecht aber
ganz anders. Die Blätter werden von keinem Winde abgerissen; auch die
Blüte trotzt dem Sturm. Der Meder nimmt sie in den Mund, um dem Atem
Wohlgeruch zu geben, und Greise stärken mit ihr die schwach werdende
Brust.“ Man glaubte, wie verschiedene griechische Schriftsteller der
römischen Kaiserzeit berichten, in ihnen die Äpfel der Hesperiden vor
sich zu haben. Es waren dies der Sage nach die Töchter des Atlas und
der Hesperis, die mit dem Drachen Ladon die „goldenen Äpfel“ der Hera
im Garten der Götter im äußersten Westen des Okeanos bewachten, die
dann der berühmte Heros Herakles auf Geheiß des delphischen Gottes
Apollon im Dienste des Königs Eurystheus von Mykenä holte.

Der gelehrte ältere Plinius (23-79 n. Chr.) schreibt in seiner
Naturgeschichte über ihn: „Aus dem Ausland stammt der medische
Apfelbaum, den man auch ~cedrus~ nennt; er trägt Früchte, die man gegen
Gifte braucht. Als Speise genießt man sie nicht, aber sie riechen
vortrefflich, und auch die dem Erdbeerbaum (~unedo~) gleichenden
Blätter, zwischen denen Dornen stehen, riechen. Dieser Geruch teilt
sich Kleidern, zwischen welche man die Früchte legt, mit und schützt
gegen Mottenfraß. Der Baum hat jederzeit Früchte, reife und unreife
zugleich. Man hat diese Bäume, weil sie so ausgezeichnete Arznei
liefern, in irdene Töpfe, welche Luftlöcher haben, gepflanzt und sie in
andere Länder zu versetzen gesucht; denn jung gedeihen sie bis jetzt
nur in Medien und Persien.“ An einer anderen Stelle nennt er die Frucht
Citrusapfel (~malum citreum~) und den Baum ~citrea~, spricht auch von
Citrusöl (~oleum citreum~), das von den Vornehmen bereits als Parfüm
gebraucht wurde.

Sein Zeitgenosse, der aus Anazarbos in Kilikien gebürtige, um die
Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. in Rom praktizierende griechische
Arzt Dioskurides schreibt in seinem Buche über Arzneiwissenschaft:
„Allgemein bekannt ist der medische oder persische Apfel, auch
~kedrómēlon~, von den Römern ~kítrion~ (= ~citreum~) genannt. Der
Baum hat das ganze Jahr hindurch Früchte, und diese sind länglich,
runzlig, goldfarbig und haben einen starken, aber angenehmen Geruch.
Die Samen sind denen der Birne ähnlich. Man legt die Früchte in Wein
und braucht dann diesen gegen Gifte. Auch kocht man sie, und spült sich
mit der Abkochung den Mund aus, um ihn wohlriechend zu machen. Legt man
die Früchte in Kleiderkisten, so sollen keine Motten hineinkommen.“
Und der im Jahre 131 n. Chr. in Pergamon geborene und um 200 in Rom
verstorbene griechische Arzt Galenos sagt: „Der auch ~kítrion~ genannte
medische Apfel besteht aus drei Teilen: dem sauren, der in der Mitte
liegt, dem fleischigen, der den sauren umgibt, und der wohlriechenden,
gewürzhaften Schale. Wird letztere in Menge genossen, so ist sie schwer
zu verdauen; kleingerieben und in geringer Menge stärkt sie dagegen die
Verdauung. Das saure, nicht eßbare Mittelstück legt man in Essig, um
diesen zu verstärken. Die fleischige Masse, die weder sauer noch scharf
ist, wird mit Essig und Fischsauce (~garum~) gegessen.“

Der bereits erwähnte Athenaios (um 200 n. Chr.) sagt: „Aus den Komikern
ersieht man, daß der Kedrosapfelbaum aus Asien nach Griechenland
versetzt wurde“ und an anderer Stelle: „Zur Zeit des Theophrast
und bis auf die Zeit unserer Großväter hat kein Mensch Kedrosäpfel
gegessen; sie wurden dagegen in Kleiderschränke gelegt.“ Zu seiner Zeit
wurde der, wie Plinius meldet, in Kübel aus gebranntem Ton in Medien
gepflanzte Zedratbaum wie zur Zeit Ludwigs XIV. und seiner Nachahmer
die Orangenbäume zur Zierde der Villen vornehmer Römer in deren Alleen
aufgestellt. Bald lernte man ihn aber auch im Lande selbst ziehen. So
beschreibt uns der Grieche Florentinus ums Jahr 218 n. Chr. die Kultur
der von ihm ~kítria~ genannten Bäume ganz in der Art der heute noch in
Italien betriebenen Agrumen, und fügt hinzu, daß reiche Leute sie auch
in freiem Lande an nach Süden gerichteten Wänden pflanzen und sie im
Winter zudecken, da sie vom Froste leicht eingehen. „Die Früchte werden
schwarz, wenn man Reiser des ~kítrion~-Baumes auf Apfelbäume, rot
dagegen, wenn man sie auf (schwarze) Maulbeerbäume pfropft; auch lassen
sie sich auf Granatbäume pfropfen.“

Fast zweihundert Jahre später gibt uns der noch im Mittelalter viel
gelesene römische Ackerbauschriftsteller Palladius ums Jahr 380 n. Chr.
ausführliche Kunde über die Kultur des Zedratbaums, dessen Früchte
teilweise schon einen süßen Saft in ihrem inneren Fruchtfleisch
entwickelt hatten. Er schreibt: „Im Monat März nimmt man die Vermehrung
des Citrusbaums (~citri arboris~) vor, und zwar auf vier verschiedene
Arten, nämlich durch Samen, Äste, Stecklinge und Keulen. (Hier
folgen die näheren Angaben über das Vorgehen dabei, die uns nicht
interessieren.) Man pfropft ihn auch an warmen Stellen im April, an
kalten im Mai nicht in die Rinde, sondern in den Stamm selbst, den
man über der Wurzel spaltet. Man kann auch Zedratreiser, wie einige
behaupten, auf Birn- und Maulbeerbäume pfropfen, aber man muß dann das
Propfreis dadurch schützen, daß man ein Körbchen oder Töpfchen darüber
stülpt.

Der Citrusbaum liebt einen lockeren Boden, ein warmes Klima und
fortwährende Nässe. Am liebsten steht er an warmen, bewässerten, dem
Meere nahe gelegenen Stellen. Will man’s aber erzwingen, daß er in
einem kalten Klima wachsen soll, so muß er von Winden geschützt und
auf der Südseite stehen, muß auch den Winter über eine Umhüllung von
Stroh bekommen. Man glaubt, daß er auch besser gedeiht, wenn in seiner
Nähe Flaschenkürbisse (~cucurbita~) gepflanzt werden, deren Sprosse man
auch verbrennt, um eine dem Citrusbaum förderliche Asche zu bekommen.
Um größere Früchte zu erzielen, gräbt man die Erde um den Baum
fleißig um. Man darf aber an ihm, außer dürren Ästen, fast nie etwas
abschneiden.

Martialis sagt, der Citrusbaum habe in Assyrien immerfort Früchte;
dieselbe Erfahrung habe ich in meinen in Sardinien und bei Neapel
gelegenen Gütern gemacht. Dort sind Boden und Luft lau und genügend
feucht. An den auf diesen Gütern stehenden Bäumen hängen immer unreife
Früchte, wenn reife abgenommen werden, und Blüten, während die unreifen
Früchte wachsen. Man sagt, das Mark der Citrusfrucht werde süß, wenn
man die zu pflanzenden Kerne drei Tage lang in Honigwasser oder in
Schafsmilch, was noch besser ist, aufweicht. Manche bohren im Monat
Februar unten in den Stamm ein schiefes Loch, das aber auf der andern
Seite nicht herauskommen darf. Aus diesem lassen sie Saft fließen, bis
die Früchte sich bilden, dann füllen sie das Loch mit Lehm aus und
behaupten, durch dieses Verfahren werde die Mitte der Citrusfrucht
süß. -- Die reife Frucht hält sich am Baume hängend fast das ganze
Jahr, und jedenfalls besser, als wenn man sie in Gefäße legt. Will man
sie pflücken und nachher längere Zeit aufbewahren, so nimmt man sie
in einer mondlosen Nacht in der Weise ab, daß noch ein beblättertes
Zweigstück bleibt, und legt jede so, daß sie die andern nicht berührt.
Manche Leute legen auch jede Citrusfrucht einzeln in ein besonderes
Gefäß, verstreichen den Deckel mit Gips und stellen die Gefäße an einen
schattigen Ort. Die meisten aber heben sie in Zederspänen (besonders
Spänen von Wacholder und Lebensbäumen) oder in Häckerling oder Spreu
auf.“

Was für Künsteleien die von den reichen Römern als Gärtner in ihren
Landhäusern mit Vorliebe gehaltenen syrischen Sklaven, die sich mit
der Pflege dieser empfindlichen Importbäume abgaben, gelegentlich an
solchen Früchten vornahmen, darüber berichtet uns Julius Africanus,
ein zur Zeit des Kaisers Alexander Severus (222-235 n. Chr.) lebender
Christ, der sagt: „Um zu bewirken, daß eine Citrusfrucht, ein Apfel,
eine Birne, ein Granatapfel usw. die Gestalt eines Tieres oder sonst
eines beliebigen Gegenstandes annehme, so umschließt man sie, wenn sie
die Hälfte ihres Wachstums erreicht haben, mit einer entsprechenden,
aus Gips oder Lehm geformten, in zwei Hälften geschnittenen,
getrockneten und in letzterem Falle im Töpferofen gebrannten Form.“

In den Wirren der Völkerwanderung ging dieser nutzlose Luxusbaum der
Römer, mit dem die germanischen Stämme nichts anzufangen wußten, in
Italien unter, wurde aber im späteren Mittelalter wieder aus dem Orient
hier eingeführt. Heute wird er wieder ziemlich viel unter dem Namen
~cedro~ in Italien kultiviert, um aus dem Wertvollsten an den Früchten,
der dicken, würzigen Schale, durch Einkochen in Zucker das +Zitronat+
zu gewinnen, das einen für die Konditoreien begehrten Handelsartikel
bildet. Auch ein für die Parfümerien verwendbares ätherisches Öl läßt
sich daraus gewinnen. Noch mehr als in Italien wird aber der Zedratbaum
im westlichen Mittelmeergebiet und auf den Azoren angepflanzt,
obschon man neuerdings die Schalen einiger fruchtbarerer Spielarten
der Zitrone, oder besser gesagt Limone, vielfach zur Herstellung von
Zitronat verwendet.

Diese Zedrat-Zitronen, die eigentlich allein den Namen Zitronen
verdienen und tatsächlich auch bei den meisten Völkern diesen Namen
führen -- nur die Deutschen und Franzosen nennen die Limonen Zitronen
-- variieren außerordentlich in ihrer Form und viele Abänderungen
sind durch Pfropfen und Veredeln fixiert worden. So bekommt man neben
stark in die Länge gezogenen auch fast runde Zedraten zu sehen.
Manche Sorten erreichen eine gewaltige Größe und ein Gewicht von bis
10 kg. Eine solche besonders große, rundliche, durch stark höckerige
Schale und feinen Wohlgeruch ausgezeichnete Zedrate mit sehr saurem
Fruchtfleisch wird als +Adams-+ oder +Paradiesapfel+ bezeichnet, weil
sie im Mittelalter allgemein von Juden und Christen für die verbotene
Frucht des Paradieses gehalten wurde. Ganz abgesehen davon, daß
sich Adam, wenn wir seine Existenz zugeben, sehr wohl gehütet haben
würde, in eine solche saure, unschmackhafte Frucht zu beißen, da er
wohl bessere im Garten Eden zur Verfügung hatte, wissen wir heute
bestimmt, daß der hebräische Mythus unter dem Baum der Erkenntnis
des Guten und Bösen zweifellos die Dattelpalme verstand, die einer
der ältesten Fruchtbäume Babyloniens war, wo die Juden, von den
babylonischen Semiten beeinflußt, ihre Schöpfungssagen ausbildeten.
Und weil die auf fabelhafte Fruchtbarkeit des Paradieses hinweisende
großfrüchtige Zedrate heute noch neben dem Palmblatt und allerlei
Zweigen beim Laubhüttenfest -- ursprünglich einem Erntefest -- der
Juden Verwendung findet, wird sie vielfach aus Korfu, Palästina und
Marokko, wo sie die Araber mit Vorliebe anpflanzen, bei uns eingeführt
und kann bei vorgeschriebener Form einen sehr hohen Geldwert erlangen.
Die lithauische Jüdin Pauline Wengeroff schreibt im 1. Band ihrer
„Memoiren einer Großmutter -- Bilder aus der Kulturgeschichte der
Juden Rußlands im 19. Jahrhundert“ über diese von ihr als Eßrog
bezeichnete Frucht bei der Beschreibung des Versöhnungstages, des am
10. des Monats Tischri (September oder Oktober) gefeierten Fest- und
Fasttages der Juden: „Mein Vater ging gleich von der Synagoge fort, um
einen Eßrog (zitronenähnliche Frucht) und einen Lulow (Palmenblatt)
zu kaufen; und frohgelaunt kehrte er heim, wenn es ihm gelang, einen
völlig fehlerfreien Eßrog -- einen sogenannten ‚Mibuder‘ -- zu finden.
Ein solches Stück kostete im Jahre 1838 5-6 Rubel, da zu jener Zeit
der Transport der Früchte aus Palästina, wo sie nur in geringer
Zahl wuchsen, mit viel Schwierigkeiten und Gefahren verbunden war.
Nichtsdestoweniger erhielt jeder der jungen Männer unseres Hauses je
einen Eßrog für sich. Eine jede dieser wohlriechenden, prächtigen
Früchte wurde sorgfältig in weichen Hanf gebettet und in einem
Silbergefäß aufbewahrt. Diese Früchte werden im Verlaufe der acht
Feiertage des Laubhüttenfestes (~Sukkoth~) beim Morgengebet benützt.
Die Palmenblätter, Myrten und Weidenzweige, die der Vorschrift gemäß
dazu gehören, standen in einem großen, mit Wasser gefüllten irdenen
Krug. Und im Hause wurde es wieder hell und heiter. Man aß, trank,
lachte, plauderte nach Herzenslust.“

Manche andere Spielarten dieser großen Zedrate werden auch nur
gezüchtet, um ihre riesigen Früchte zur Schau zu stellen, wozu sie sich
schon deshalb besonders eignen, weil sie sich länger halten als alle
übrigen Früchte der Gattung ~Citrus~. Eine chinesische, den Europäern
übrigens wegen des faserigen Fleisches wenig mundende Varietät bildet
in ihrer Heimat einen Leckerbissen, den die Chinesen selbst in fremden
Ländern nicht missen mögen, weshalb diese Früchte überallhin, wo jene
sich niederlassen, nach Kalifornien, Hawai usw. exportiert werden.
Die Chinesen schälen die innere, weiße, widerlich bitter schmeckende
Schale mit größter Sorgfalt ab, um zum rötlichen, süßlich-sauren
Fruchtfleisch zu gelangen, das sie nicht nur roh, sondern auch in Form
von Mus und Gelee essen. Aus dem Saft bereiten sie ein erfrischendes
Getränk und die Schalen kandieren sie, ähnlich wie wir dies mit den
Pomeranzenschalen tun. Übrigens gibt es einige Spielarten, die auch dem
Europäer sehr wohl schmecken; vor allem gilt dies von der +Pompelmuse+
von Batavia, einer wirklich köstlichen Frucht, die in Indonesien häufig
gezogen wird.

Der Baum, der die leuchtend gelben +Zitronen+ zeitigt, die die
Italiener und Engländer mit Recht mit ihrem geschichtlichen Namen
als +Limonen+ bezeichnen, war den Mittelmeervölkern des Altertums
durchaus unbekannt, bis ihn die Araber im Laufe des 10. Jahrhunderts
in Palästina und Ägypten, sowie in ganz Nordafrika ansiedelten. Im 11.
Jahrhundert wurde er durch sie in Spanien, bald darauf auch in dem von
ihnen eroberten Sizilien angepflanzt, wo der Italiener Falcando im
Jahre 1260 besonders um Palermo herum diesen bevorzugten Schützling der
Araber in Menge kultiviert fand. Denn dieses Volk, dem der Koran den
Genuß alkoholhaltiger Getränke verbot, suchte sich am sauren, angenehm
erfrischenden und den Durst löschenden Safte der von ihnen als ~limûn~
bezeichneten Zitronen, den sie mit gezuckertem Wasser vermischt als
bevorzugtes Getränk vor der Einführung des Kaffees tranken, schadlos zu
halten. Sie selbst hatten die Frucht eben als ~limûn~ von den Persern
erhalten, die wiederum sie aus Indien unter dem dort gebräuchlichen
Namen ~limu~ entlehnt hatten. Von den Arabern lernten die Italiener
die Frucht als ~limone~ und den daraus bereiteten beliebten Trank
als ~limonata~ kennen, woraus wir Deutsche unsere Limonade bildeten.
Kreuzfahrer und Handelsleute der italienischen Seestädte, vorzugsweise
Venedig, Pisa und Genua, brachten die Limone zuerst nach Europa, wo sie
nördlich der Alpen nicht unter dieser jüngeren Bezeichnung, sondern der
älteren, die auf der Bekanntschaft mit dem Zedrat-Citrus fußte, bekannt
wurde. Auch hier lernte man, als dann die Frucht häufiger aus Italien
dahin kam, wie im Orient den sauren Saft derselben und die aromatisch
duftende, an wohlriechendem ätherischen Öl reiche Schale als angenehme
Beigabe zu vielen Speisen schätzen und sie auch in Verbindung mit dem
zu gleicher Zeit bekannt werdenden Zucker zu Limonaden und Bowlen
verwenden. Auch als Medikament fand sie weithin Verbreitung; ist doch
ihr saurer Saft stark fäulnishemmend und demnach sehr günstig bei allen
Leiden, die mit Darmfäulnis zusammenhängen, wie ihr saurer Saft die
beim Fieber erhöhte Alkalescenz des Blutes herabsetzt.

Die Heimat des +Zitronenbaumes+ (~Citrus medica var. limonum~) ist das
östliche Südasien von den mittleren Tälern am Südfuße des Himalaja über
Nordbirma nach dem südlichen China und Cochinchina. Noch heute wird er
von Gurwal bis Sikkim, in den Kasia- und Garrobergen wild wachsend in
oft größeren Beständen gefunden. Zur weit größere und edlere Früchte
zeitigenden Kulturpflanze wurde er wohl in Cochinchina erhoben, von
wo er allmählich nach China und Japan verpflanzt wurde. Über Indien
gelangte er etwa im 8. Jahrhundert n. Chr. nach Persien in den
Machtbereich der Araber, die ihn dort kennen lernten und allmählich in
dem ganzen von ihnen eroberten Gebiete ansiedelten. Von ihnen lernten
die Kreuzfahrer den Baum und dessen Früchte in Syrien und Palästina
kennen. Von solchen aus dem Morgenlande heimkehrenden Kreuzfahrern
ist er gegen das Ende des 11. Jahrhunderts an der Riviera angesiedelt
worden. Aber einen größeren Aufschwung nahm dessen Kultur erst vom 14.
Jahrhundert an, bis sie im 17. Jahrhundert durch das Populärwerden
der Limonade in Europa erst volle Bedeutung erlangte. Ums Jahr 1655,
da der 1602 in Pescina in den Abruzzen (Süditalien) geborene Kardinal
Jules Mazarin (eigentlich Mazarini, gestorben 1661) das Staatsruder
Frankreichs führte, traten in Paris, wie zuvor in Italien, die ersten
Limonadiers auf, um dort, wie bald hernach in den übrigen größeren
Städten Europas eine ähnliche Rolle wie die sie darin später ablösenden
Cafetiers zu spielen.

Der Zitronenbaum ist ein strauchartiger kleiner Baum, der selten über
5 m Höhe hinausgeht, sehr empfindlich ist und schattige Standorte
bevorzugt. An sonnigen Standorten wächst er nur, wenn er sehr viel
Wasser zur Verfügung hat. Sein glattberindeter, aus einem sehr
feinen, gelben Holze bestehender Stamm trägt eine lichte Krone
glänzend grüner, kahler Blätter, die im Gegensatz zu denjenigen des
Zedrat- und Orangenbaums einen ungeflügelten Blattstiel besitzen. Die
weißen, außen etwas rötlich angelaufenen Blüten duften sehr stark und
sind wohlriechender, aber nicht so haftend als die ganz weißen der
Orange. Die uns allen von Jugend auf genugsam bekannten eiförmigen
gelben Früchte mit saftigem, saurem Fruchtfleisch werden zum Export
noch grün gepflückt, in einem „Fermentierhaus“ 2-3 Wochen lang bei
einer Temperatur von etwa 50° C. nachreifen gelassen, wobei die
Schale dünn und gelb wird, und dann noch längere Zeit bei niedriger
Temperatur gehalten, wonach sie sehr lange haltbar sind. Aus den
minder schönen und guten Früchten wird an deren Produktionsort der in
Küche und Haushaltung, weil gesunder als Weinessig, immer häufiger
Anwendung findende Zitronensaft gepreßt, der sich im Fruchtfleisch in
strahlenmäßig angeordneten, wasserhellen kleinen Beutelchen befindet,
während aus den Schalen das angenehm duftende Zitronen- oder Limonenöl
gewonnen wird, indem durch einen Nadelapparat die es umschließenden
Ölbehälter angestochen werden. Aus den Schalen der unreifen Zitronen
dagegen stellt man das Petitgrainöl her. Diese Substanzen kommen wie
die Zitrone selbst in bedeutenden Mengen in den Handel, so daß sie eine
sehr wichtige Einnahmequelle der Zitronenkultur treibenden Einwohner
Südeuropas bilden. Die wichtigsten Produktionsorte für Europa sind
außer dem Dorado hierfür, Sizilien, das allein jährlich über eine
Milliarde dieser Früchte exportiert, die Riviera di Ponente westlich
von Genua, dann Spanien, Portugal und Nordafrika. Dieselbe Rolle
spielen für das Gebiet der Vereinigten Staaten Florida und Kalifornien,
die heute immense Zitronenkulturen in Plantagenbetrieb aufweisen.

Man macht heute ausgedehnten Gebrauch vom sauren Safte der Zitronen,
der schon im Kräuterbuch des kurfürstlich pfälzischen Leibarztes
Tabernämontanus nicht bloß „als wider die innerliche Faulung und
das Gifft sehr gut und kräftig“ gepriesen, sondern auch „gegen alle
Traurigkeit und Schwermüthigkeit des Hertzens und die Melancholey“
angelegentlich empfohlen wird. Nach ihm widerstehe die Schale der
Frucht wie die Rinde dem Gift, daher solle man sie zur Zeit der Pest
„im Munde halten, auch einen Rauch damit machen“. Jedenfalls wirkt der
Zitronensaft, wie bereits bemerkt, antiseptisch, d. h. die Fäulnis im
Magen-Darmkanal herabsetzend und bei Mundfäule heilend. Daher ist er in
Verbindung mit dem Genusse frischer Gemüse das wirksamste Vorbeugungs-
und Bekämpfungsmittel des Skorbuts oder Scharbocks, der vormals
den Seefahrern zur Zeit der Segelschiffe auf ihren lange währenden
Meeresfahrten gewaltig zusetzte und bis zur Gegenwart der größte Feind
der Polarfahrer war. Bei allen Marinen der Erde besteht die Vorschrift,
der Mannschaft bei längerer Seefahrt Zitronen zum Genusse von deren
Saft zu verabreichen, weshalb wir diese südasiatische Frucht im
eisernen Bestand aller Schiffsvorräte finden.

Auch die Symbolik hat sich mannigfach der Zitrone bemächtigt. Das
Aromatische, Erquickende und Belebende dieser Frucht hat sie vielfach
auch zum Sinnbild des Lebens, zum Abzeichen des Schutzes gegen alle dem
Leben feindlichen Einflüsse überhaupt gemacht. Daher schützt auch die
Zitrone nach altem Glauben, wie die etwas minder saure Zedrate, nicht
bloß gegen Gift, sondern auch vor Verzauberung und allen schädlichen
Einwirkungen der Geisterwelt auf Menschen und Tiere. Daher rührt ihre
mannigfache Verwendung als Gegenzauber beim gemeinen Volke im Süden
her und die damit zusammenhängende Sitte, daß die Leichenträger bei
Begräbnissen eine Zitrone in der Hand halten, wie auch einst die den
Scheiterhaufen besteigenden indischen Witwen diese Frucht als Abwehr
der finsteren Mächte mit sich auf ihrem Todesgange trugen. Diese
fürchterliche Sitte der Witwenverbrennung ist jetzt glücklicherweise
durch ein streng von den Engländern gehandhabtes Gesetz verboten. Sie
war übrigens der Ausfluß der absurden Lehre vom Karma, die ihrerseits
eine Folge der Wiederverkörperungslehre ist. Nach ihr ist eine jede
Witwe schuld an dem Tode ihres Gatten durch eine schwere Sünde, die
sie in einem früheren Leben begangen hat. Deshalb wird, selbst wenn
sie ein Kind sein sollte, das noch gar nicht mit dem ihr einst von
den Eltern angetrauten Manne zusammengelebt hat, jede Witwe in Indien
von den Angehörigen, die über den von ihr verursachten Todesfall in
der Familie aufs äußerste erzürnt sind, ihres Schmuckes beraubt,
muß zeit ihres Lebens in Trauergewandung gehen, wird verachtet und
oft genug mißhandelt. Man gönnt ihr kein freundliches Wort mehr und
Wiederverheiratung ist vollständig ausgeschlossen. Unter diesen
Umständen war es kein Wunder, daß viele Witwen den freiwilligen, ihr
als großes Verdienst angerechneten Tod durch Verbrennung mit der
Leiche des Gatten dem freudlosen, überaus leidvollen Leben, dem sie
entgegensahen, vorzogen.

Eine Varietät der echten Limone oder Zitrone ist die +süße Limone+ oder
+Lumie+ mit süßem Fruchtfleisch, die hauptsächlich als Zierfrucht und
ihres ätherischen Öles wegen kultiviert wird. Ausschließlich in den
Tropen und nicht mehr im Mittelmeergebiet wächst die +Limonelle+ oder
+Zitronelle+, ein kleines, schmächtiges Bäumchen mit zierlichen, sehr
sauren, meist rundlichen Früchten, die eine glatte, grüne, bei der
Reife gelblich werdende dünne Schale besitzen. Im malaiischen Archipel
und in vielen anderen tropischen Gegenden ersetzen sie die Zitronen und
werden besonders in Westindien viel zur Herstellung von Limonellensaft
im großen kultiviert.

Für uns noch viel wichtiger als die Zitrone, die mehr in der Küche
Verwendung findet, ist die +Orange+, die für Mitteleuropa und die
nördlichen Vereinigten Staaten bald eine der wichtigsten Obstarten
bildet, da sie seit den besseren Eisenbahnverbindungen in solchen
Mengen und zu einem so billigen Preise eingeführt wird, daß selbst der
Ärmste sich den Genuß dieser Frucht um einen geringen Preis leisten
kann. Sie ist für uns um so wertvoller, da sie gerade im Winter, wenn
das übrige Obst, soweit es nicht konserviert zu werden vermag, selten
ist, geerntet wird und überall zu haben ist. Diese süße Varietät
der Orange bezeichnet man gewöhnlich als +Apfelsine+, die bittere
dagegen, die nicht zu uns kommt, +Pomeranze+. Die zunächst nur für
die viel früher als die süße bei uns bekannt gewordene bittere Abart
aufgekommene Bezeichnung Orange, die nach der charakteristischen
ziegelroten Färbung der Früchte dann auch eine Farbenbezeichnung wurde,
ist auf das Sanskritwort ~nagrunga~ zurückzuführen, mit dem die alten
Inder diese rotschimmernde Frucht bezeichneten. Von ihnen erhielten
die Perser den Baum mit dem indischen Namen ~narungschi~ und gaben ihn
an die Araber weiter, die daraus das Wort ~naranschi~ bildeten. Daraus
formten die Byzantiner ~nerantzi~, die Italiener ~naranci~ und später
mit abgeschliffenem ~n~ ~aranci~, ~arangi~ und endlich die Franzosen
~orange~. Aus dem italienischen ~aranci~ bildete das mittelalterliche
Latein das Wort ~aurantium~ mit Bezugnahme auf den hineinspielenden
Begriff ~aurum~, Gold, wegen der wie Gold gleißenden Früchte. Die
botanischen Schriftsteller des 16. und 17. Jahrhunderts bezeichneten
die Früchte als ~poma aurantia~, woraus das deutsche Pomeranze und das
polnische ~pomarancza~ hervorging.

Die chinesische Abstammung der verlockend gefärbten süßen Abart gibt
sich sehr deutlich in dem deutschen Worte Apfelsine zu erkennen, was
Apfel von Sina, d. h. China bedeutet. Und in der Tat gelangte die
süße Orange erst im Jahre 1548 aus Südchina durch die Vermittlung der
Portugiesen nach Portugal und von da nach Spanien und in die übrigen
Mittelmeerländer. Noch weist die italienische Bezeichnung derselben
~portogallo~ deutlich auf diese ihre Herkunft über Portugal hin.

Daß die Portugiesen die Vermittler dieser und anderer chinesischer
Fruchtbäume waren, hängt ganz einfach damit zusammen, daß sie eben
zuerst jenes Land betraten und sich in einen Tauschhandel mit den
Bewohnern einließen. Das erste europäische Schiff, das in China,
und zwar im Jahre 1517 landete, war ein portugiesisches und die
Portugiesen waren es, die bereits 1557 die erste Niederlassung von
Europäern in China gründeten. Es ist dies Macao, ein befestigter Ort
auf einer Insel an der Mündung des Perlflusses in Südchina, welches der
Hauptstapelplatz des Handels mit China war, bis vor kaum mehr als 50
Jahren die englische Niederlassung Hongkong es dann weit überflügelte.

Wie der Apfelsinenbaum sich von Portugal aus an den Küsten des
Mittelmeeres bis tief nach Westasien hinein ausbreitete, um neben dem
Zitronenbaum in warmen, windgeschützten Lagen gepflanzt zu werden, da
die Frucht bald allgemeinen Beifall fand, so brachten ihn Portugiesen
und Spanier in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auch nach
Amerika, wo er in den tropischen und subtropischen Gegenden wunderbar
gedieh und mit der Zeit überallhin in der Neuen Welt verbreitet wurde.

Die ursprüngliche Heimat des +Orangenbaums+ (~Citrus aurantium s.
vulgaris~), ist das Gebirgsland südlich vom Himalaja über Birma
nach Südchina und Cochinchina, also dieselben Gegenden, die wir als
die Heimat des Zitronenbaumes angeführt haben. Wie der Zitronenbaum
wurde er wohl in Südchina zuerst in Kultur genommen und veredelt. Er
bildet stattlichere Bäume als jener, aber seine Blätter haben an den
Blattstielen herzförmige Flügel und seine rein weißen Blüten duften
weniger angenehm als diejenigen des Zitronenbaums.

Wie der Zitronenbaum die mannigfaltigsten, in bezug auf Gestalt,
Farbe, Größe und Geschmack der Früchte abweichenden Kultursorten
hervorgebracht hat, ja, in der Limetta, die besonders an der
ostafrikanischen Küste vielfach angepflanzt wird, eine süßfrüchtige Art
besitzt, so hat sich auch der Orangenbaum in zahllose samenbeständige
Kulturvarietäten aufgelöst, von denen wir hier nur die süße, die wir
in allen Fruchtläden zu Gesicht bekommen, und die bittere besprechen
wollen.

Die süße Abart (~Citrus aurantium chinense s. dulcis~) besitzt
schwach blaßgrüne, wenig aromatische Blätter. Die kugelige Frucht ist
orangefarbig, selten gelb und enthält unter einer meist dünnen Schale
ein schwach säuerliches, wohlschmeckendes, in den hochkultivierten
Sorten bereits kernlos gewordenes Fruchtfleisch. Der Baum ist wie die
anderen Citrusarten empfindlich gegen kalte Winde, deshalb zieht man
ihn wie den Zitronenbaum, mit dem er dieselben Gegenden als für den
Anbau geeignet teilt, soweit er solchen Winden ausgesetzt ist, in
Reihen, die durch dichte Hecken eng nebeneinander gepflanzter Zypressen
geschützt werden. Diese hohen Zypressenhecken fallen einem jeden auf,
der durch die Provence oder Algier reist.

Von Genua bis Marseille findet man ihn an den geschützten Lagen
angepflanzt, dann besonders in Sizilien, Spanien, Portugal, Nordafrika;
in Nordamerika besitzen besonders Kalifornien und Florida gewaltige
Orangengärten. Erst in Sizilien und von da weiter südlich erreicht er
die Größe unseres Apfelbaums und liefert dann, gut gehalten, 600-800
Früchte jährlich, während ein ausgewachsener Zitronenbaum bei voller
Kraftentfaltung sogar 1000-1100 Früchte in demselben Zeitraum liefert.
Man rechnet nach Theobald Fischer in den berühmten Zitronen- und
Orangengärten in der ~Conca d’oro~ bei Palermo einen durchschnittlichen
jährlichen Rohgewinn von 3000 Lire vom Hektar. Was das besagen will,
geht daraus hervor, daß die einträglichsten Gemüse- und Fruchtgärten
bei Paris es nur zu einem jährlichen Rohgewinn von 2500-2700 Franken
auf den Hektar bringen. Dies ist allerdings nicht zu vergleichen mit
dem Ertrage der Südfrüchte in Kalifornien, wo der Morgen, also etwas
mehr als ¼ Hektar bis 4000 Mark einträgt und eine 5 Morgen umfassende
Erdbeer- oder Obstplantage ein Einkommen von 7-10000 Mark abwirft.
Allerdings ist der Geldwert drüben bedeutend geringer als bei uns, so
daß wir einen entsprechenden Abzug machen müssen, um diese Verhältnisse
auf die unsrigen zu übertragen.

Es gibt eine Unzahl von Apfelsinensorten, von denen aber nur einige
wenige zu uns gelangen, worunter außer der gewöhnlichen die immer
beliebter werdende Blutapfelsine (~var. sanguinea~) mit blutrot
gestreiftem oder ganz blutrotem, süßem Fruchtfleisch, ebenso die
doppelfrüchtige Orange, bei der jede Frucht in ihrem oberen Teile
sozusagen noch eine zweite enthält, ferner auch die violette Orange,
deren Blätter, Blüten und unreifen Früchte teilweise violett überhaucht
sind und welche, wie die kleine buchsbaumblättrige Orange nur als
Zierbaum gezüchtet wird. Die gleichfalls meist nur als Zierstrauch
dienende myrtenblättrige Orange besitzt mispelgroße Früchte, die
zuweilen auch wie die chinesische Bigaradie eingemacht werden.

Viel länger im Mittelmeergebiet bekannt als die, wie gesagt, erst im
Jahre 1548 direkt von China nach Portugal eingewanderte süße Art,
ist die bittere, die stets im Mittelalter unter den ~poma aurantia~
verstanden war. Die Äste und Zweige des Baumes sind mit Dornen besetzt,
die Blätter sind dick, tief dunkelgrün und riechen sehr aromatisch;
sie bilden die offizinellen Orangenblätter, die zur Herstellung eines
wohlschmeckenden Tees Verwendung finden. Aus ihnen und den jungen
Trieben wird ebenso wie aus den unreifen Früchten das als ~essence
de petit grain~ bezeichnete ätherische Öl gewonnen. Besonders reich
an dem Glykosid Hesperidin sind die jungen Früchte, die ebenfalls
als ~Aurantia immatura~ offizinell sind, d. h. in den Apotheken
und Drogerien gehalten werden. Aus den relativ großen, weißen, an
Wohlgeruch diejenigen des Apfelsinenbaums übertreffenden Blüten wird
in großen Mengen das ebenfalls für die Parfümerie wichtige Nafa-
oder Neroliöl -- auch Orangenöl genannt --, ebenso das Orangenwasser
gewonnen. Die kugeligen, tief orangeroten Früchte enthalten ein
bittersaures Fruchtfleisch, dessen Saft wie derjenige der Zitrone
zur Herstellung von Limonade dient, besonders aber zur Bereitung der
berühmten Orangenmarmelade benutzt wird. Zu diesem Zwecke werden
jährlich viele Schiffsladungen Sevillaorangen nach der schottischen
Stadt Dundee, wo dieses Genußmittel hauptsächlich bereitet wird,
importiert. Die sehr dicke, rauhe Schale von tiefer Orangefarbe kommt
als kandierte Pomeranzen- oder bittere Orangenschale oder auch einfach
getrocknet in den Handel. Sie ist die offizinelle Pomeranzenschale
und enthält bis zu 2,4 Prozent das angenehm riechende, aber bittere
Bigaradieöl. Sie wird vorzugsweise zur Bereitung von Likören
(Pomeranzenlikören, Curaçao, Kurfürstlichem Magenbitter aus Danzig
usw.), zur Würze von Weinen (Bischofessenz) und allerlei Konfitüren
benutzt. Da der Stamm des bitterfrüchtigen Orangenbaums sich als
besonders widerstandsfähig erwiesen hat, so benutzt man ihn auch häufig
als Unterlage, um auf ihn andere, weniger widerstandsfähige Citrusarten
aufzupfropfen. Eine Varietät des Pomeranzenbaums ist die chinesische
Bitterorange oder Bigaradie, die kleiner als die Sevillaorange und fast
kugelrund ist und häufig in Sirup eingemacht wird, zumal in Frankreich,
wo sie als ~bigaradier chinois~ in allen Delikatessenhandlungen der
Großstädte zu finden ist.

Aus seiner südostasiatischen frühesten Kultur gelangte der bittere
Pomeranzenbaum sowohl nach Hinterindien und den Sundainseln, als über
Indien nach Persien. Seit dem Ende des 9. christlichen Jahrhunderts
ist er in Arabien nachweisbar. Die Araber verbreiteten ihn dann im
10. Jahrhundert nach Afrika und Spanien. Im Jahre 1002 finden wir ihn
auch in dem damals von den Arabern (Sarazenen) besetzten Sizilien
frisch eingeführt, wo er auch heute noch einen wesentlichen Bestandteil
der Agrumenplantagen bildet. Die Kreuzfahrer sahen ihn in Syrien und
Palästina und haben ihn wahrscheinlich mit dem Zitronenbaum an die
Riviera gebracht.

In China und Japan wird die +japanische Zwergorange+, ~kumquat~ oder
~kinkan~ genannt, viel kultiviert. Es ist dies ein niedriger, gegen
Frost empfindlicher Strauch mit kleinen, schmalen Blättern, winzigen
Blüten und etwas über kirschgroßen, von einer sehr aromatischen Schale
bedeckten säuerlichen Früchten, die namentlich von Kindern, auch roh,
gegessen werden. Meist werden sie aber in Sirup eingemacht und gelten
als Delikatesse. In neuerer Zeit werden sie in dieser Zubereitung auch
exportiert. In Ostindien werden die Früchte einer anderen Citrusart,
~marmelo~ genannt, häufig gegessen und ebenfalls besonders gerne mit
Zucker eingekocht. Von ihnen rührt unsere Bezeichnung Marmelade her.
Aus den höchst aromatischen Fruchtschalen der erst seit dem Ende
des 17. Jahrhunderts bekannten +Bergamotte+ (~Citrus bergamea~) mit
blaßgelben Früchten und angenehm säuerlichem Fleisch, das aber für
gewöhnlich nicht gegessen wird, gewinnt man das für die Parfümerien
und die Apotheken sehr wichtige Bergamottöl, während die sehr kleinen
Früchte der myrtenblätterigen Abart (~Citrus myrtifolia~) in Zucker
eingekocht die beliebten „Chinois“ bilden. Wie für alle Agrumen, ist
auch für diese Sizilien der Hauptproduktionsort, das über 100000 kg
Bergamottöl und fast ebensoviel aus Pomeranzen gewonnenes Portugalöl
(vom italienischen ~portogallo~ für die bitterfrüchtige Pomeranze)
jährlich exportiert. Das Bergamottöl ist ein dünnflüssiges, angenehm
riechendes, bitter schmeckendes ätherisches Öl, welches bei längerem
Stehen einen gelben, festen Bodensatz, den Bergamottölkampfer,
ausscheidet.

In Cochinchina und Südchina ist auch die +Mandarine+ (~Citrus nobilis~)
zu Hause, wo sie seit Urzeiten unter dem Namen ~kan~ kultiviert wird.
Sie ist heute noch in China und in Japan, in welch letzterem Lande sie
~mikan~ genannt wird, die vorzugsweise angebaute Orange, die hier den
Winter über in großer Menge und sehr billig zum Verkauf kommt. Der
Mandarinenbaum ist in allen Teilen kleiner als der Apfelsinenbaum und
durch einen buschigeren Wuchs ausgezeichnet. Die lanzettlichen, schwach
gekerbten Blättchen sitzen an kurzen, kaum geflügelten Blattstielen.
Die in Büscheln stehenden weißen Blüten liefern die bekannten, an den
Polen abgeflachten, kleinen, orangeroten, süßen Früchte, die jetzt
ebenfalls Gegenstand bedeutenden Exportes aus Italien und Spanien
geworden sind. Der Mandarinenbaum gedeiht an der Riviera sogar besser
als der Apfelsinenbaum. Wie gegen Frost, ist er auch gegen heiße,
trockene Winde empfindlich, die hier vollkommen fehlen. Aus seiner
ostasiatischen Heimat gelangte er ziemlich früh nach den Sundainseln,
wo er viel angebaut wird. Erst im Jahre 1828 ist er in Südeuropa
und 1848 in San Remo an der Riviera eingeführt worden. Wegen des
feinen, aber nicht jedermann zusagenden Geschmacks hat die Kultur
der Mandarine im Mittelmeergebiet in den letzten 30 Jahren einen
ganz außerordentlich großen Umfang angenommen und hat besonders im
westlichen Mittelmeergebiet, in Spanien, Algier, Malta, sowie auch noch
in der Provence und in Ligurien Fuß gefaßt.

Ohne weiter auf verschiedene andere, namentlich in Ostindien
kultivierte Citrusarten mit oft ziemlich großen Früchten einzugehen,
die meist Varietäten der Zitrone sind, wollen wir hier noch einer durch
Veredelung festgehaltenen monströsen Zitronenform gedenken, welche
in Indien hervorging und als +buddhafingerige Zitrone+ beim dortigen
Volke zu allerlei abergläubigen Vorstellungen Veranlassung gab. Diese,
auch in manchen Gärten der Riviera gezogene Art ist eigentlich nichts
anderes als eine erblich gewordene Mißbildung, wie z. B. der Blumenkohl
und unter den Haustieren Mopse, Dachshunde usw. Sie beruht darauf, daß
die einzelnen Fruchtfächer statt zu einer runden Frucht vereinigt zu
bleiben, an ihren Enden frei hervorwachsen. Dadurch bekommt die Frucht
fünf Fortsätze, die entfernt an die vorgestreckten Finger einer Hand
erinnern.

Noch merkwürdiger ist die ebenfalls bisweilen in den Gärten der
ligurischen Küste angetroffene +Bizzarria+, ein Citrusbaum, der
zugleich Orangen und Zitronen trägt, aber auch solche, welche die
Mitte zwischen jenen beiden Fruchtarten einhalten und solche, an
welchen einzelne Fächer das Aussehen von Orangen, andere wiederum
dasjenige von Zitronen besitzen. Ihre Entstehung ist bis jetzt nicht
endgültig aufgeklärt worden. Die einen halten sie für Bastarde,
während andere meinen, sie seien bei der Veredelung durch zufällige
Vermischung der Eigenschaften der Unterlage und des aufgepfropften
Edelreises entstanden. Sonst weisen die Bastarde im allgemeinen wohl
eine Verschmelzung der elterlichen Eigenschaften, aber kein getrenntes
Nebeneinander derselben wie in diesem Falle bei der Bizzarria auf.
Andererseits lehrt die Erfahrung, die wir täglich bei der Veredelung
unserer Obstbäume, der Rosen und sonstigen Gewächse machen, daß die
Unterlage ohne allen Einfluß auf das Edelreis bleibt, daß beide
vielmehr ihre besonderen Eigenschaften unvermischt beibehalten.

Nun gibt es aber einen richtigen Bastard zwischen Orange und Zitrone,
die man als +süße Zitrone+ oder +Limette+ bezeichnet. Sie hat kleine
weiße Blüten, eine rundliche bis eiförmige Frucht und geflügelte
Blattstiele. Das süßliche, etwas aromatische Fruchtfleisch wird roh
oder gekocht gegessen und auch zum Einmachen verwendet. Da aber die
Frucht weder die vollen Eigenschaften der Zitrone, noch diejenigen der
Orange besitzt, hat sie keinen besonderen Wert und findet sich deshalb
nur selten angebaut.



VII.

Die Gemüsearten.


Das Hackfeld, der Vorläufer des Ackerfeldes, auf dem die Körnerfrüchte
als Hauptnahrungsmittel aus dem Pflanzenreiche gezogen wurden, ist
so alt als die menschliche Kultur überhaupt; denn das ist ja das
Kennzeichen der letzteren, daß sich in ihr der Mensch freigemacht hat
von den Zufälligkeiten der Jagd und vorsorgend Nährfrüchte für kommende
schmale Tage zieht. Viel jünger als das Hackfeld ist der als +Garten+
bezeichnete eingehegte Teil des in Kultur genommenen Bodens, der die
Gemüse genannten Nahrungspflanzen umschließt. Zum Begriff Garten
gehört nun durchaus nicht der Begriff des Zierlichen, den er erst
erlangte, als er zum Ziergarten wurde, sondern es ist das schlichte,
eingehegte Pflanzland beim Hause, im Gegensatz zum offenen Acker. Das
Wort steht begrifflich in enger Beziehung zum gotischen ~gairdan~
umgürten, einhegen. Dies Pflanzland in nächster Nähe des Hauses lag mit
diesem zusammen in +einer+ Umzäunung, deshalb wurde bei den Germanen
der Völkerwanderungszeit ein Diebstahl aus demselben als Einbruch in
eingehegtes Gut schwerer bestraft als ein solcher aus dem Acker.

Vom Gemüsegarten des Altertums ist uns im ganzen nur wenig bekannt;
doch lernen wir in einer auf uns gekommenen Schilderung die in ihm
gepflanzten Kräuter kennen. Es ist diejenige des Gärtchens eines
einfachen römischen Landmannes zur Zeit des Augustus, worin der Dichter
Vergil (78-19 v. Chr.), der berühmte Verfasser der Äneis, in einem
bukolischen, ~moretum~, d. h. „Mörsergericht“ benannten Gedicht sagt:

    „Hier war Kohl, hier kräftig die Arme ausstreckender Mangold,
    Hier weitwuchernder Ampfer und heilsame Malven und Alant,
    Hier die süßliche Möhre und buschige Häupter des Lauches,
    Hier auch grünte einschläfernd der Mohn mit kalter Betäubung,
    Auch der Salat grünte, der labend die edleren Schmäuse beschließt.
    Häufig auch sproßte empor der Rettich mit fleischiger Wurzel,
    Und schwer hing an kräftigem Stengel der gelbliche Kürbis.“

Ein griechischer Autor unbekannten Namens, in der ~Geoponika~
genannten, ums Jahr 912 n. Chr. veranstalteten Sammlung von Auszügen
aus guten, alten Schriften über die Land- und Gartenwirtschaft gibt uns
wenigstens über die Anschauungen der Alten in betreff des Gemüsebaues
einen Begriff. Die Stelle ist wichtig genug, um hier wörtlich angeführt
zu werden. Er sagt: „Die Gärtnerei ist für das menschliche Leben von
der größten Wichtigkeit. Wer Gemüsegärtnerei treibt, hat darauf zu
sehen, daß der Samen gut, der Boden passend, Wasser und Mist vorhanden
sind. Aus gutem Samen zieht man gute Pflanzen; passender, fruchtbarer
Boden gibt Gedeihen; Wasser gibt dem Gemüse seine gehörige Größe; der
Mist macht die Erde mürbe, so daß sie das Wasser leichter aufnimmt und
den Wurzeln mitteilt.

Zur Gärtnerei eignet sich vorzugsweise eine Erde, die weder sehr rauh
ist, noch im Sommer große Risse bekommt. Reiner Ton, der im Winter fest
zusammenfriert, im Sommer aber ganz austrocknet, tötet entweder das in
ihm Gepflanzte oder macht es schwach und dünn. Ein solches Erdreich
kann man kaum durch Beimischung von Dünger auflockern. Durch die
Sprünge, die es beim Eintrocknen im Sommer bekommt, wird es vollends
unbrauchbar. Ein allzurauher (sandiger) Boden kann weder die Pflanzen
ernähren, noch Wasser behalten. Um die Erde zu probieren, wäscht man
sie mit Wasser und hält sie für gut, wenn sie vielen, lockeren Schlamm
als Bodensatz gibt, dagegen für schlecht, wenn sie sich wie Wachs
kneten läßt.

Den besten Dünger für Gemüse gibt jedenfalls die Asche; sie ist von
Natur warm und tötet die Erdflöhe, Würmer und ähnliche Tierchen. An
Güte folgt dann der Taubenmist, der ebenfalls die kleinen Tiere tötet
und in geringer Menge dasselbe leistet, was eine große Menge andern
Mistes. Manche ziehen den Eselsmist dem Taubenmist vor und behaupten,
er mache die Gemüse süßer. Ausgezeichnet gut ist jedenfalls auch der
Ziegenmist. Fehlt es an den eben besprochenen Mistarten, so kann man
auch andern brauchen; jedoch soll er, wenn möglich, nicht frisch sein,
weil er dann Gewürm erzeugt. Hat er ein Jahr gelegen und wurde er dabei
oft gewendet, so ist er gut.“

Dann gibt er ausführliche Anleitung zur Bearbeitung des Bodens und zum
Anlegen der Gartenbeete, die Palladius im 4. Jahrhundert n. Chr. 12
Fuß lang und 6 Fuß breit zu machen empfiehlt. Letzterer Autor sagt:
um trockenen Boden regelmäßig bewässern zu können, umgebe man die
Beete mit schmalen Dämmen, die so eingerichtet sind, daß man von oben
her Wasser in sie einfließen lassen kann, das dann auf andere Beete
weiterfließt, sobald man den Damm unten öffnet. „Jede Aussaat soll bei
zunehmendem Mond, jede Ernte bei abnehmendem gemacht werden.“ Noch mehr
als heute spielte im Altertum der Aberglaube in der Bewirtschaftung
der Güter eine große Rolle. So rät Palladius gegen Nebel und Rost den
Garten durch Erzeugen von Rauch mit schwelendem Unkraut zu schützen.
„Um den Hagel abzuwehren, droht man dem Himmel mit blutigen Beilen,
oder umgibt den ganzen Garten mit Zaunrüben, oder schlägt eine Eule mit
ausgebreiteten Flügeln an, oder bestreicht die eisernen Gartenwerkzeuge
mit Bärenfett. Manche mischen auch Bärenfett mit Öl und bestreichen
damit die Sicheln und Hippen (gekrümmten Gartenmesser), wenn sie
damit schneiden wollen. Das muß ganz geheim gemacht werden, soll aber
dann so wirksam sein, daß dann kein Nebel und kein einziges Tier mehr
schadet; bleibt die Anwendung des Mittels nicht geheim, so verliert es
augenblicklich seine ganze Kraft. Ganze Weinberge schützt man gegen
Hagel, indem man in deren Mitte das Fell eines kleinen Seehunds über
einen kleinen Weinstock deckt. Alle Samen sollen in Gärten und Feldern
vor jedem Unheil sicher sein, wenn man sie vor der Aussaat mit dem Saft
der Wurzeln der Springgurke tränkt. Ebensogut geschützt dagegen sollen
sie sein, wenn man den Schädel einer Stute oder Eselin im Garten oder
im Felde aufstellt. Ein solcher Schädel soll Segen über alles bringen,
was er anguckt.“ Dasselbe Mittel wird auch in der ~Geoponika~
als probat für das Gedeihen der Gartengewächse empfohlen, wie auch
das Beimengen von geschnittenem Wegdorn oder zerriebenem getrockneten
Bockshornklee (griechischem Heu) in das Wasser, mit dem man begießt.

In ähnlicher Weise wie im Altertum wurde der frühmittelalterliche
Gemüsegarten gemäß den sehr geschätzten und von den Schreibkundigen
abgeschriebenen Anleitungen der alten Autoren besorgt. Auch die Anlage
desselben hatte man von den Römern übernommen, und zwar waren es vor
allem die Klöster, die den Völkern Mitteleuropas dieses alte Kulturerbe
übermittelten. Besonders waren es die Benediktinermönche, die eine
große Anzahl von den Römern übernommener Kulturpflanzen über die Alpen
brachten und im 8. und 9. Jahrhundert einen geregelten Gartenbau in
Deutschland einführten. Solche Benediktinermönche befanden sich auch
am Hofe Karls des Großen, dieses gewaltigen Mannes, der neben seinen
sonstigen bedeutenden Leistungen noch Zeit fand, den Garten und seine
Kultur zu fördern. In seinem berühmten ~Capitulare de villis~,
einer Ordnung für die Einrichtung der kaiserlichen Domänen, vom Jahre
812, schrieb er genau vor, welche Pflanzen auf seinen Hofgütern zu
halten seien, so daß wir uns ein ziemlich gutes Bild davon machen
können, wie es damals in diesen Gärten aussah, um so mehr, als auch
zwei Inventaraufnahmen seiner Hofgüter Asnapium und Treola erhalten
sind. Danach wuchsen in ihnen außer Apfel-, Birn-, Kirsch-, Pflaumen-,
Quitten-, Mispel-, Pfirsich-, Aprikosen-, Vogelbeer- und Maulbeerbäumen
und Gebüschen von großen welschen Haselnüssen allerlei Gewürzkräuter
und Gemüse wie Kohl, Mohrrüben, Saubohnen, Kohlrabi, Zwiebeln,
Knoblauch, Schnittlauch, Petersilie, Kerbel, Melde, Bohnenkraut, Dill,
Wiesen- und Gartenkümmel, Koriander, Thymian, Minze, Fenchel, Kresse,
Lattich, Endivie, Erbsen, Melonen, Gurken, Koloquinten, Mohn, Sellerie,
Senf, Anis, aber auch eine Menge heute nicht mehr gebräuchlicher
Heilkräuter, wie Fieberwurz, Haselwurz, Flöhkraut, Schlangenwurz,
Raute, Sadebaum, Frauenminze, Malve, Griechisch Heu, Springwurz,
Poley, Rosmarin, Meerzwiebel, Hauswurz, Salbei, Allermannsharnisch,
Liebstöckel, Meisterwurz und dergleichen mehr. Blumen, die hier
gezogen wurden, wie Rose, Lilie, Nelke, blaue Schwertlilie, Akelei,
Goldlack, Krokus und Päonie verdankten das zunächst nicht der Freude an
ihrer Schönheit, sondern der schon ihrem Dufte, mehr aber noch ihren
zerquetschten Blumenblättern beigelegten Heilwirkung, wie auch der
Krapp seines Färbevermögens wegen gezogen wurde.

Aus dem Jahre 830 besitzen wir den allerdings nicht zur Ausführung
gelangten Bauriß des schon damals bedeutenden Klosters von St.
Gallen. In ihm werden drei Arten von Gärten unterschieden, nämlich
Obst-, Gemüse- und Arzneikräutergarten. Der Obst- oder Baumgarten
diente zugleich als Begräbnisplatz. Er ist als ein großes, mit Mauern
umgebenes viereckiges Feld gezeichnet, das auf der Seite der Klausur
mit einem einzigen Eingange versehen ist. Die fünf Reihen Gräber
gruppierten sich symmetrisch um das Kreuz in der Mitte und beherbergten
zwischen sich 15 Bäume. Wichtiger war der Gemüsegarten, der wohl zuerst
angelegt wurde, da die Mönche schon wegen der Forderung vegetabilischer
Kost zum Gemüsebau verpflichtet waren. Er lag südlich vom Baumgarten
und bildete ein in zweimal neun Parzellen eingeteiltes Rechteck, in
welchem 18 verschiedene Gemüsearten gezogen wurden. Viel kleiner war
der sich daran anschließende Arzneikräutergarten mit 16 kleinen Beeten,
der neben dem Spital für kranke Brüder lag, in welchem sich der als
Arzt amtende Klosterbruder aufhielt.

Gehen wir nach dieser kurzen Übersicht über die nachweislich für uns
ältesten Gärten zu den ältesten in Europa kultivierten Gemüsen über, so
ist zunächst festzustellen, daß schon die spätneolithischen Pfahlbauern
an den Ufern der Schweizer Seen vor 4000 Jahren nach einzelnen
Samenfunden die Erbse in einer auffallend kleinen Form, ebenso Pastinak
und Mohrrüben pflanzten. Dazu kamen in der Bronzezeit die Linse in
einer kleinkörnigen Form, die sich zu Beginn der Eisenzeit auch in
Norddeutschland nachweisen läßt, und später die Saubohne.

Beginnen wir eine eingehendere Würdigung der einzelnen Gemüsearten
mit der +Gartenerbse+ (~Pisum sativum~), deren Bekanntschaft in
Mitteleuropa eine schon sehr alte ist, wie auch die hier altererbte
Benennung beweist. Erbse kommt vom althochdeutschen ~araweiz~, das
mittelhochdeutsch ~erweiz~ lautet und zum neuhochdeutschen Erbse
wurde. Von den Germanenstämmen haben einzig die Angelsachsen den
einheimischen Namen ~earfe~ auf die Wicke übertragen und dafür das
lateinische Lehnwort ~pise~ (~von pisum~), neuenglisch ~pea~ für die
Erbse eingeführt. Die alten Griechen bezeichneten dieses Gemüse,
das sie allerdings nicht sehr viel angepflanzt zu haben scheinen,
in früherer Zeit als ~órobos~, in späterer jedoch meist als ~písos~
oder ~píson~, woraus dann die Römer, als sie die Nutzpflanze von
ihnen kennen lernten, ~pisum~ machten. Dieses Gemüse muß schon in
früher Zeit in Italien populär gewesen sein, sonst hätte nicht das
plebejische römische Geschlecht der Calpurnier, aus welcher der große,
aus altpatrizischem Geschlechte stammende Julius Cäsar (100-44 v. Chr.)
seine Frau Calpurnia nahm, den Beinamen der Pisonen erhalten; denn
solche volkstümliche Beinamen können nur einer dem Volke altbekannten
Speise oder Feldfrucht entnommen worden sein.

Zur Zeit des Theophrastos im 4. vorchristlichen Jahrhundert wurde diese
Pflanze überall in Griechenland angebaut. Ihre Kultur muß hier wie in
der Schweiz schon sehr alt sein, denn man hat verkohlte kleine Samen
von ihr schon in der mykenischen Niederlassung von Hissarlik, dem alten
Troja, gefunden. Auch im alten Ägypten wurde sie bereits angepflanzt
und muß nach den zahlreichen Funden von als Totenspeise mitgegebenen
Samen in Gräbern des mittleren Reiches, besonders der 12. Dynastie
(2000-1788 v. Chr.), wie auch der der griechisch-römischen Periode
angehörenden Nekropole von Hawara im Fajûm eine beliebte Speise gewesen
sein. Der ägyptische Name ist uns nicht überliefert worden, wohl aber
der koptische, der ~ti-lakonte~ lautet und auf eine Einwanderung aus
Westasien nach dem Niltal hinweist.

Die Heimat dieser Kulturpflanze ist unbekannt, da sie nirgends mehr
in wildem Zustande gefunden wird. Manche Botaniker vermuten, daß sie
eine Kulturform der +grauen Erbse+ (~Pisum arvense~) sei, die durch
eckige, braun und graugrün gescheckte Samen ausgezeichnet ist. Diese
letzteren wurden weder in Pfahlbauten, noch in alten Gräbern gefunden,
doch will sie Unger in einem luftgetrockneten Backstein der aus der
Zeit der 5. Dynastie (um 2700 v. Chr.) stammenden Stufenpyramide von
Daschur gefunden haben. Sie wird im Orient und in Europa kultiviert
und findet sich wildwachsend in Hecken und Gebirgswäldern Nord- und
Mittelitaliens; in Griechenland und Syrien kommt sie außerhalb der
Kulturen nur verwildert vor. Da die wenigen aus Fundstellen der
neolithischen, Bronze- und Eisenperiode stammenden Erbsen, wie Buschan
gezeigt hat, eine allmähliche Größenzunahme erkennen lassen, je
jüngeren Alters sie sind, so ist es in der Tat höchst wahrscheinlich,
daß die Gartenerbse von der grauen Erbse (~Pisum arvense~) abstammt.

In Griechenland wurde die Erbse sicher schon zur Zeit Homers angebaut.
Von Norditalien kam sie früh schon nach der Schweiz, wo sie zur
Bronzezeit ziemlich häufig um die Pfahlbauansiedelungen angepflanzt und
ihre Samen, wie wir aus den verkohlten Überresten ersehen, als Vorrat
für den Winter gesammelt wurden. Für Deutschland ist ihre Kultur mit
Sicherheit erst aus der Hallstattzeit zwischen 750 und 400 v. Chr.
nachgewiesen worden. Sie ist gegen Kälte und Trockenheit empfindlich
und dürfte ihre engere Heimat in Südeuropa haben, von wo aus sie in der
großkörnigeren Kulturform erst zu Beginn des Mittelalters nach Mittel-
und Nordeuropa gelangte. In den Verordnungen Karls des Großen, über die
in seinen Krongütern zu haltenden Pflanzen aus dem Jahre 812 wird sie
als ~pisum mauriscum~ zum Anbau empfohlen. Als die Angeln und Sachsen
vom Unterlauf von Weser und Elbe im 5. Jahrhundert -- zuerst der Sage
nach unter Hengist und Horsa im Jahre 449 -- nach England übersetzten
und sich dieses Land nach wiederholten Einwanderungen unterwarfen, war
ihnen die Erbse noch völlig unbekannt, weshalb sie später, als sie
damit bekannt wurden, das lateinische Lehnwort dafür übernahmen. Bei
Beginn der literarischen Überlieferung war sie in den altnordischen
Ländern bereits eingebürgert und wird im Jahre 1273 unter den Früchten
genannt, von denen dem Herkommen gemäß Zehnten an die Geistlichkeit
zu entrichten sind. Doch aß man von ihnen stets nur die ausgereiften,
getrockneten Samenkörner. Das Verspeisen der noch unreifen grünen
Körner, wie dies bei uns Sitte ist, scheint erst zu Anfang des 17.
Jahrhunderts von Holland aus verbreitet worden zu sein. Fuller, der
1660 die Gärten von Surrey im südöstlichen England beschrieb, bemerkt,
daß man grüne Erbsen kaum anderswo her als aus Holland bekommen könne.
Noch um die Mitte des 17. Jahrhunderts galten junge, grüne Erbsen in
Frankreich als ein teuerer Leckerbissen der Vornehmen. So erzählt
man vom Vater des großen Condé, daß er ums Jahr 1645 über hundert
alte Franken für einen Litron, d. h. 8/10 Liter dieses zarten Gemüses
bezahlt habe. In einer 1665 aufgeführten Komödie betitelt: ~La comédie
des coteaux ou des friands marquis~ erklärt eine der Hauptpersonen,
daß ihre Mittel ihr erst dann grüne Erbsen zu essen erlauben, wenn
dieselben nicht teuerer als für 100 Franken das Litron zu haben sein
werden. Zu demselben Preise handelte sie Heinrich I. von Bourbon, Prinz
von Condé (geb. 1552, focht mit Heinrich von Navarra an der Spitze der
Hugenotten, starb schon am 5. März 1588 vermutlich von seiner Gattin
vergiftet), der Vater des als Feldherrn berühmten großen Condé, auf dem
Markte für sich selbst ein. Noch zu Colberts Zeiten, der 1683 starb,
waren sie so teuer, daß in seiner 1695 erschienenen Biographie erzählt
wird, Feinschmecker hätten das Vergnügen, ein Litron junge Erbsen zu
essen, mit nicht weniger als 200 Franken erkauft. Im Jahre 1696 schrieb
Frau von Maintenon (eigentlich Françoise d’Aubigné, zuerst Erzieherin
der königlichen Kinder, dann die Geliebte und zuletzt, 1685 heimlich
getraut, die Gemahlin Ludwigs XIV.) in einem Briefe: „Hinsichtlich der
grünen Erbsen ist alles beim Alten. Seit vier Tagen sind unsere Prinzen
bloß auf dreierlei Dinge erpicht: sie wollen erstens grüne Erbsen
essen, dann freuen sie sich, welche gegessen zu haben und möchten
fernerhin am liebsten beständig welche essen.“ In einem andern Briefe
von ihr heißt es: „Das Erbsenthema dauert immer noch an; die Ungeduld
und das Vergnügen, sie zu verzehren, die Unersättlichkeit immer noch
mehr davon zu begehren, das sind die Hauptpunkte, über die der Hof seit
vier Tagen verhandelt.“ Noch um die Mitte des 18. Jahrhunderts ließ
die Marquise de Pompadour -- ursprünglich Jeanne Antoinette Poisson
--, die 1745 am Pariser Hofe erschien, um dann die Mätresse Ludwigs
XV. (1715-1774) zu werden und sich bei ihm unentbehrlich zu machen,
mehrfach durch den Polizeileutnant von Paris alle jungen, grünen Erbsen
der Hauptstadt aufkaufen, um damit als kostbarem Leckerbissen den König
bewirten zu können. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden sie ein
so billiges Gemüse, daß sich alle Kreise der Bevölkerung dessen Genuß
zu leisten vermochten.

Die Erbsen gedeihen fast in jedem nahrhaften, nicht frisch gedüngten
Boden, jedoch muß jedes Jahr mit dem Platze gewechselt werden. Sonst
lieben sie eine freie sonnige Lage und lockeres Erdreich. Im Gegensatz
zu den eigentlichen Erbsen, deren reife Samenkörner ausschließlich
gegessen werden, nennt man diejenigen Formen, von denen nur die
unreifen, grünen Samen verzehrt werden, +Ausmach+- oder +Pahlerbsen+,
während von den +Zuckererbsen+ die ganz jungen, zuckerreichen
Hülsen verspeist werden. Beide zerfallen in hohe Formen, die mit
Stecken gestützt werden müssen, und in niedrig bleibende Formen, die
solches nicht nötig haben, da sie bloß 20-30 cm hoch werden. Die
+Lupinenerbsen+ sind durch sehr große, nahe beieinander stehende
und dadurch viereckig gepreßte Samen ausgezeichnet. Einheimische
afrikanische Erbsen von einiger Bedeutung sind die +ägyptische+ und die
+abessinische Erbse+ (~P. jomardi~ und ~P. abessinicum~), die in ganz
Nordostafrika vielfach kultiviert werden.

Schon in homerischer Zeit haben die Griechen die +Kichererbse+
(~Cicer arietinum~) unter dem Namen ~erébinthos~ angepflanzt. Dieses
Wort steht nun in sprachlichem Zusammenhang mit dem althochdeutschen
~araweiz~ (Erbse), weshalb manche Autoren wie V. Hehn diese griechische
Bezeichnung für die Erbse in Anspruch nehmen, was aber jedenfalls
unrichtig ist, da schon der bedeutendste Botaniker Altgriechenlands,
Theophrast (390-286 v. Chr.), die Bezeichnung ~erébinthos~ bestimmt für
die Kichererbse und nicht für die gemeine Gartenerbse, die er ~órobos~
nennt, braucht. Wegen der Ähnlichkeit ihrer am Ende etwas umgebogenen
Schoten mit einem Widdergehörn hieß sie später bei ihnen vielfach nur
~kríos~, was Widder bedeutet. Unter dieser Bezeichnung gelangte sie
zur Kenntnis der Römer, so daß der römische Ackerbauschriftsteller
Columella im 1. Jahrhundert n. Chr. sie als ~cicer~ bezeichnet,
~quod arietinum vocatur~, d. h. die Kichererbse, welche auch die
„Widderkopfähnliche“ genannt wird. Plinius sagt, sie habe etwas
Saftiges an sich und es gebe von ihr nach Größe, Farbe, Gestalt und
Geschmack der Samenkörner verschiedene Sorten. Ihre Hülsen seien im
Gegensatz zu den langen der übrigen Hülsenfrüchte rund. Der griechische
Arzt Galenos im 2. Jahrhundert n. Chr. sagt: „Die reifen Kichererbsen
(~erébinthos~) sind schwer zu schroten. Bei vielen Völkern werden sie
gekocht vom Menschen verzehrt; sie blähen, sind aber sehr nahrhaft.
Manche Leute essen sie auch, so lange sie noch jung und grün sind, was
auch bei den Saubohnen der Fall ist.“

Die Römer scheinen die Kichererbsen durch die süditalischen Griechen
kennen gelernt zu haben; denn ihre Bezeichnung dafür, nämlich cicer,
ist zweifellos aus dem griechischen ~kríos~ hervorgegangen, und hat
sich in wenig veränderter Form in allen romanischen Sprachen bis auf
den heutigen Tag erhalten. Ihre Heimat scheint südlich vom Kaukasus, in
Armenien und Persien zu suchen zu sein, von wo aus sie sich einerseits
nach Indien, wo wir sie sehr früh unter der Sanskritbezeichnung
~chennuka~ treffen, andererseits nach Syrien und Ägypten verbreitete,
ohne indessen in diesen Ländern eine größere Bedeutung für die
Volksernährung zu erlangen. Wahrscheinlich hat der Prophet Jesaias, der
seit 740 v. Chr. zu Jerusalem wirkte, unter der Bezeichnung ~ketsech~
diese Hülsenfrucht verstanden. In homerischer Zeit war sie als
~erébinthos~ ein Volksnahrungsmittel wie aus einer Stelle im 13. Buche
der Ilias hervorgeht, wo sie neben der Saubohne genannt wird. Helenos,
der Sohn des Königs Priamos von Troja, hatte auf den Atriden Menelaos,
König von Sparta, Bruder des Agamemnon, des Fürsten des goldreichen
Mykene, und Gatte der Helena, die Paris, ein anderer Sohn des Priamos
ihm entführt hatte, wodurch überhaupt der Feldzug der Griechen gegen
die Feste Troja veranlaßt wurde, einen Pfeil abgeschossen, der aber von
der Rüstung des Helden absprang, „wie auf weiter Tenne im Wehen des
Windes die dunkeln Saubohnen (~kýamos~) und Kichererbsen (~erébinthos~)
von der Wurfschaufel springend fliegen“.

Durch das ganze Altertum wurde die Kichererbse in den östlichen
Mittelmeerländern in ziemlicher Menge angebaut und war wie in
Vorderasien und Ägypten, so auch in Italien recht populär; leitet sich
doch der Familienname des bekannten römischen Redners zu Ende der
Republik Cicero (106-43 v. Chr.) von ihr ab. Wie Zwiebeln und Linsen
in Athen, bildeten Zwiebeln und Kichererbsen im alten Italien die
frugale Mahlzeit der ärmeren Volksklasse wie der römische Dichter Horaz
(65-8 v. Chr.) in einer seiner Satiren sagt; daher wurden auch bei
den seit dem Jahre 173 v. Chr. alljährlich vom 28. April bis 3. Mai
durch ausgelassene mimische Aufführungen und Zirkusspiele gefeierten
Feste der altitalischen Göttin der Blumen und des Frühlings Flora, das
zum erstenmal 238 v. Chr. als Floralien in größerem Maßstabe aber in
unregelmäßigen Intervallen gefeiert wurde, Saubohnen und Kichererbsen
unter das Volk ausgestreut, das sie mit Gelächter aufzufangen suchte.
Noch heute wird diese Fruchtpflanze in Italien viel angebaut und ihre
Samen werden als beliebte Volksspeise gegessen, ebenso in Spanien,
wo die Garbanzos das tägliche Gericht der niederen und mittleren
Volksklassen bilden. Auch in Südfrankreich, Griechenland, ganz
Nordafrika bis Ägypten, Ostindien und China werden sie viel angebaut
in Varietäten mit schwarzen, roten, gelben und weißgelben Samen. Sie
verlangen einen warmen, kräftigen, sandigen Boden und gedeihen noch gut
in Gegenden, wo Bohnen, Erbsen und Linsen vertrocknen. In Deutschland
werden sie -- und zwar gedeiht hier am besten die schwarzsamige Art
-- hin und wieder als Kaffeesurrogat angebaut, auch eignen sie sich
gut zum Mästen des Federviehs. Das Kraut wird von den Pferden gerne
gefressen. Da ihr das Klima nicht warm genug ist, fristet sie aber bei
uns nur ein kümmerliches Dasein.

Besser dagegen wächst hier die als deutsche Kichererbse oder
Kicherling, auch weiße Erve bezeichnete, aus Südeuropa stammende
+Saatplatterbse+ (~Lathyrus sativus~), die noch heute vielfach als
nahrhaftes Grünfutter gepflanzt wird, und deren Samen unreif und reif
wie Erbsen gegessen werden, aber weniger wohlschmeckend als diese
sind. Die Griechen nannten sie ~láthyros~ und die Römer ~cicercula~.
Theophrast sagt von ihr, sie leide leicht durch Würmer, und Columella
rät, sie, die der Erbse (~pisum~) ähnle, im Januar oder Februar
zu säen, und zwar auf guten Boden bei feuchtem Himmel. Sie sauge
von allen Hülsenfrüchten (~legumina~) den Boden am wenigsten aus,
entspreche aber selten der Erwartung, die man auf sie setze, weil
ihr zur Blütezeit Trockenheit und Südwind schaden, und diese träten
gerade oft dann ein, wenn sie in Blüte stehe. Heute noch wird sie im
gebirgigen Griechenland als ~lathuri~ und in Italien als ~cicerchia~
zur Gewinnung der etwas bitteren Samen als Speise für die Menschen
angebaut. Ihr sehr nahe stehen die wie diese in den Mittelmeerländern
teilweise noch wildwachsend angetroffene +Kicherplatterbse+ (~Lathyrus
cicera~), die ~cicera~ der alten Römer mit rotvioletten Blüten und die
+Ocherplatterbse+ (~Lathyrus ochrus~), die ~óchros~ der Griechen und
~ervilia~ der Römer mit gelben Blüten, die heute noch in Südeuropa
fürs Vieh, seltener zur Gewinnung der Samen als Speise des Menschen
angepflanzt werden, weil sie bitter und schwer verdaulich sind.
Letztere heißt in Italien ~araco nero~.

Kaum mehr angebaut wird die in den östlichen Mittelmeerländern
heimische +Erdplatterbse+ (~Lathyrus amphicarpus~), deren Blüten nach
der Befruchtung negativ heliotropisch werden und sich wie die der
Erdnuß in den Boden bohren, um hier zu reifen. Theophrast und Plinius
erwähnen sie als Kulturpflanze unter der Bezeichnung ~arachnida~.
Ihr nahe verwandt ist die als +Saubrot+ oder +Erdeichel+ bezeichnete
~Lathyrus tuberosus~, die an den Wurzeln haselnußgroße, außen schwarze,
innen weiße Knollen entwickelt, die süßlich schmecken, besonders nach
dem Kochen in Salzwasser wohlschmeckend wie Kastanien sind und einen
nach Rosen duftenden flüchtigen Stoff enthalten. Sie sind besonders bei
den Tataren als Speise beliebt. Die Schweine wühlen mit Vorliebe nach
ihnen, da sie dieselben leidenschaftlich gerne essen. Die Knollen von
~Lathyrus montanus~, die ähnlich schmecken, dienen in Hochschottland
als sehr beliebte Nahrung. Man trocknet sie, um sie als Proviant auf
die Reise mitzunehmen, und bereitet aus ihnen mit Hilfe von Wasser und
Hefe ein wohlschmeckendes geistiges Getränk.

Von weiteren für den Menschen heute noch gelegentlich in Betracht
kommenden Hülsenfrüchten ist die im östlichen Mittelmeergebiet
heimische weiße +Lupine+ (~Lupinus albus~) mit weißen Blüten und
gelbweißen Samen zu nennen. Sie wurde im Altertum in Westasien, Ägypten
und den Mittelmeerländern nicht bloß als Grünfutter angepflanzt,
sondern deren Samen dienten auch ohne Teuerung als geschätzte Nahrung
und Arznei für Menschen und Tiere. Von Theophrast im 4. vorchristlichen
Jahrhundert an erwähnen sie alle sich mit Agrikultur beschäftigenden
Autoren und loben sie teilweise wegen ihres Wohlgeschmacks und ihrer
großen Nahrhaftigkeit. Von den Griechen erhielten sie die Römer, die
sie anbauten, um sie teils als Gründünger zu benutzen, teils die
mehlreichen, aber bittern Samen als Speise zu ernten. Sie wird heute
noch in Italien, wie im Orient kultiviert. Im 16. Jahrhundert baute
man sie am Rhein und im 18. Jahrhundert in Sachsen als Feigen- oder
Wolfsbohne an. Besonders zum Gründüngen ist sie wertvoll, das Vieh
aber verschmäht sowohl Blattwerk, als Samen derselben. Die +gemeine
Gartenlupine+ (~Lupinus hirsutus~) mit blauen oder purpurroten, auch
fleischfarbenen Blüten, die an allen Teilen weichhaarig ist, ist im
Mittelmeergebiet zu Hause und wurde bereits von den alten Griechen
kultiviert, deren Samen den ärmeren Volksgenossen als Nahrung dienten,
wie heute noch die an Kultur am weitesten zurückgebliebenen Bewohner
des Peloponnes, die die unzugänglichsten Landschaften Griechenlands
bewohnenden Mainoten, die ihre Häuser festungartig ohne Fenster
errichten und in ausgedehntem Maße der Blutrache huldigen, sie zur
Gewinnung der Samen als Speise anpflanzen. Sonst dient sie meist nur
noch als Viehfutter, da das Vieh Kraut und Samen der Gartenlupine
eifrig frißt.

Ebenso häufig wird die gleichfalls aus den Mittelmeerländern stammende
+sizilische+ oder richtiger +ägyptische Lupine+ oder +Wolfsbohne+
(~Lupinus termis~) in Südeuropa angebaut, die ebenfalls ziemlich
weichhaarig ist, weiße Blüten mit blauen Schiffchen hat und Samen
hervorbringt, welche denen der weißen Lupine gleichen, aber größer und
eckiger sind. Sie wurde besonders im alten Ägypten angebaut, wo die
Samen als Volksnahrung dienten und mit Vorliebe den Toten als Speise
in ihre unterirdische Behausung mitgegeben wurden. Von den Ägyptern
erhielten sie die Griechen, die sie als ~térmos~ bezeichneten, eine
Benennung, die aus Ägypten stammt und sich im arabischen ~termus~ bis
auf den heutigen Tag erhielt. Tatsächlich essen die Fellachen Ägyptens
noch heute gern ihre in Salzwasser gekochten und geschälten Samen. Auch
in Italien findet man sie noch ziemlich oft angepflanzt. Von dort kam
sie zu uns, wo sie zwar noch reiche Futtermassen gibt, aber ihre Samen
nicht mehr oder spät zur Reife bringt. Das Vieh liebt sie in hohem Maße.

Ihr gegenüber bevorzugten die Kulturvölker des Altertums die
+Futterwicke+ (~Vicia sativa~), die sie nicht ausschließlich als
Grünfutter, wie wir, sondern gelegentlich auch noch als Speise für den
Menschen anpflanzten. Diese heute noch in den Mittelmeerländern wild
angetroffene Futterpflanze hieß bei den Griechen ~bíkion~ und bei den
Römern ~vicia~. Columella schreibt über sie: „Die Wicke wird, wenn
sie grün verfüttert werden soll, um die Herbst-Nachtgleiche gesät;
baut man sie aber der Samen wegen, so wird die Aussaat im Januar
vorgenommen. Man kann sie auf ungepflügten Boden säen, besser aber
ist es, vorher zu pflügen. Man sät morgens, jedoch nicht eher als bis
der Tau verschwunden ist; auch darf man nicht mehr säen, als was an
demselben Tage unter den Boden gebracht werden kann. Die geringste
nächtliche Feuchtigkeit verdirbt sie.“ Der griechische Arzt Galenos im
2. Jahrhundert n. Chr. sagt von ihr: „Die Wicke wird als Viehfutter
gebraucht, doch in Hungersnot auch von Menschen, besonders wenn sie
noch jung ist, gegessen, gibt aber eine schlechte Speise. Bei uns heißt
sie nur ~bíkion~, bei den Attikern auch ~árakos~.“ Heute heißt sie
in Griechenland ~bíkos~. Daß die Wicke als Nahrung für den Menschen
schon früh auch in Palästina -- wie wohl allgemein in Westasien und
Ägypten -- angebaut wurde, zeigt uns die Stelle beim Propheten Jesaias,
der seit 740 v. Chr. in Jerusalem wirkte. Da wird in Kap. 28, 27 vom
Ackermann gesagt, er säe Wicken aus wie Weizen, Gerste oder Spelt und
schlage nach der Ernte die Körner derselben mit einem Stecken aus, um
sie zur Speise zu gewinnen.

Der Wicke sehr nahestehend ist die nach der altrömischen Bezeichnung
dafür ~ervum~ als +Erve+ bezeichnete ~Vicia ervilia~, die noch heute
allgemein in Griechenland unter dem Namen ~orobi~ oder ~robi~ als
Futter für das Rindvieh gepflanzt wird. Dieser Name zeigt noch deutlich
seine Abstammung aus dem altgriechischen ~órobos~ für Erbse. Sie diente
einst auch dem Menschen als Nahrung. Von ihr unterschied bereits der
pflanzenkundige Theophrast im 4. vorchristlichen Jahrhundert einige
Sorten nach Farbe und Geschmack der Samen. Der griechische Arzt
Dioskurides schreibt um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr., da sie
nur noch in Zeiten der Teuerung als menschliche Nahrung diente, von
ihr: „Die Erve (~órobos~) ist allgemein bekannt; ihr Genuß schadet
dem Menschen, mästet aber das Rindvieh.“ Sein Zeitgenosse Columella
aus dem südlichen Spanien meint: „Die Erve (~ervum~) bedarf einen
mageren Boden, der auch nicht feucht sein darf; sie wächst sonst zu
üppig und verdirbt. Man kann sie im Januar und Februar säen. Wird sie
im März gesät, so soll sie dann ein schädliches Futter für die Kühe
geben.“ Palladius im 4. Jahrhundert n. Chr., der Verfasser eines noch
im Mittelalter vielbenutzten Werkes über den Landbau, behauptet sogar,
die im März gesäte Erve (~ervum~) mache das Rindvieh toll. Diese
lateinische Bezeichnung ~ervum~ hängt zweifellos wie das griechische
~órobos~ sprachlich mit dem althochdeutschen ~araweiz~, aus dem dann
unser Wort Erbse hervorging, zusammen.

Wie die Lupine, Wicke und Erve ist auch die +Linse+ (~Ervum lens~)
eine uralte Kulturpflanze, die im östlichen Mittelmeergebiet heimisch
ist und hier sehr früh schon in die menschliche Pflege gelangte und
dahin veredelt wurde, daß sie größere Samen produzierte. In Syrien
und Ägypten wird sie seit grauer Vorzeit vom Menschen angepflanzt.
So fanden sich zu einem Brei gekochte, aber noch teilweise deutlich
als solche erkennbare Linsen in Tonnäpfchen neben grobgemahlener,
gerösteter Gerste mehrfach unter den Grabbeigaben des mittleren
Reiches, speziell der 12. Dynastie (2000-1788 v. Chr.) in einer noch
heute in Ägypten kultivierten kleinsamigen Abart. Ferner tritt uns die
Linse in altägyptischen Inschriften entgegen, so auch auf dem berühmten
Gemälde aus dem Grabe Ramses III. der 20. Dynastie (1198-1167 v. Chr.)
in Theben, das uns einen Blick in die königliche Bäckerei tun läßt.
Dort bemerken wir unter anderem auch einen Diener, der vor dem Kessel
hockt und für die Bäcker Linsen kocht. Die Linsen befinden sich in zwei
neben ihm stehenden Körbchen. Noch in den späteren Zeiten der römischen
Herrschaft trieben die Ägypter im Delta, namentlich in Pelusium an
einer der Nilmündungen, einen lebhaften Handel mit Linsen, die auf
Segelschiffen weithin über die Küsten des östlichen Mittelmeeres
verfrachtet wurden. Noch in der Kaiserzeit wurden viel Linsen nebst
Getreide zur Fütterung der Proletariermassen der Hauptstadt nach
Italien gebracht. So wissen wir, daß das mächtige Transportschiff,
das im Jahre 39 n. Chr., zur Zeit des Kaisers Caligula (regierte von
37-41 n. Chr.), den ungeheuer schweren, 25,5 m langen Obelisken von
der Fassade des Tempels des Sonnengottes Re in Heliopolis nach Rom
brachte, als Ballast 120000 Scheffel Linsen aus Ägypten mitbrachte.
Dieser gewaltige Monolith aus Syenit mit heute unkenntlich gewordenen
Hieroglyphen wurde damals im vatikanischen Zirkus aufgestellt. Noch
steht auf seinem Sockel die Widmung an Augustus und Tiberius zu lesen.
Unter Papst Sixtus V. wurde er dann 1586 von seinem alten Standort bei
der Sakristei von St. Peter unter gewaltigen Schwierigkeiten in die
Mitte der Ellipse des Platzes vor der Peterskirche aufgestellt und
dabei festgestellt, daß das Gewicht dieses Kolosses 963537 römische
Pfund beträgt. Übrigens beweist die ganz unägyptische, dagegen sehr
stark semitisch anmutende ägyptische Bezeichnung ~arshana~ für Linsen,
daß diese Samenpflanze Ägypten ursprünglich fremd war und aus Westasien
ins Niltal gelangt sein muß.

Auch bei den alten Juden dienten die Linsen bereits im 2.
vorchristlichen Jahrtausend als sehr beliebte Speise, wie die uns
allen von Jugend auf bekannte Geschichte Esaus, d. h. des Behaarten,
beweist, der als Sohn Isaaks und der Rebekka um ein Linsengericht sein
Erstgeburtsrecht an seinen nach ihm geborenen Zwillingsbruder Jakob
verkaufte. In dieser Erzählung des Alten Testaments wird die Farbe des
Linsengerichtes als rot bezeichnet, was darauf hinweist, daß jene Samen
vor dem Kochen nach gehörigem Aufweichen in Wasser enthülst wurden,
ein Brauch, der jetzt noch in Ägypten üblich ist und ihnen eine
rosenrote Farbe verleiht. Als David, der als zweiter König von Israel
nach Sauls Fall von 1033 v. Chr. 40 Jahre lang, bis 993 den Thron von
Juda behauptete, vor seinem aufrührerischen Sohne Absalom in die Wüste
östlich vom Jordan floh, da brachten seine Freunde ihm und seinen
Begleitern Weizen, Gerste, Mehl, geröstete Ähren, Saubohnen, +Linsen+,
Grütze, Honig, Butter, Käse, Schafe und Rinder, „denn sie dachten, das
Volk werde hungrig, müde und durstig sein in der Wüste“. Und als die
Philister sich versammelten, um gegen David zu ziehen, da „versammelten
sie sich zu einer Rotte und war daselbst ein Stück Acker voll Linsen.
Da trat Samna, der Sohn Hagas, des Harariters, mitten auf das Stück
und schlug die Philister und Gott gab ein großes Heil.“ Die hebräische
Bezeichnung ~adaschim~ für Linsen hat sich übrigens im arabischen
~adas~ oder ~ads~ bis auf den heutigen Tag erhalten.

Da sie leichter verdaulich und zudem nahrhafter als die Erbsen sind,
wurden sie wie in ganz Vorderasien und im Nilland auch in Kleinasien
angepflanzt und als Volksnahrungsmittel gegessen. Dazu wurden sie
meist mit Öl und Knoblauch gekocht; bisweilen wurde auch in Zeiten
der Not eine Art Brot daraus gebacken. Reste derselben kleinsamigen
Abart der Linse wie in Ägypten fanden sich auch in der zweituntersten
spätneolithischen Schicht von Troja, dem heutigen Hissarlik, dann
in den bronzezeitlichen Ansiedelungen Ungarns, Norditaliens und der
Schweiz. Auch aus Fundstätten der Eisenperiode sind Überreste von
Linsen mehrfach zutage gefördert worden. Das vergleichende Studium
all dieser Funde führte nun Buschan zu dem Ergebnis, daß alle
vorgeschichtlichen Linsen weit kleiner sind, als die jetzt gebauten.
Dabei ist es ziemlich sicher, daß die kultivierte Linse von der auf
einigen Plätzen von Kleinasien bis Afghanistan häufig anzutreffenden
Feldlinse (~Lens schnittspahni~) abstammt.

Nach den Angaben der Schriftsteller des Altertums war die Linse von
alters her ein Nahrungsmittel besonders der ärmeren Volksklassen;
in Zeiten der Not wurde ihr Mehl mit Gerstenmehl vermischt zu Brot
verbacken. Ihrer großen Bedeutung als Volksnahrungsmittel entsprechend
war ihr Anbau ein sehr ausgedehnter. Noch zur Römerzeit bildete sie
einen wichtigen Exportartikel des Landes. Auch die Griechen der älteren
Zeit bauten sie unter dem Namen ~phakós~ viel an und bezeichneten
das daraus bereitete Gericht ~phakḗ~, doch aß sie seit der Mitte des
5. vorchristlichen Jahrhunderts in Athen nur noch das niedere Volk.
Der Begüterte und Gebildete enthielt sich jedoch dieser gemeinen
Nährfrucht. In einer Komödie des attischen Dichters Aristophanes (geb.
um 455 v. Chr., trat 427 zuerst als Dichter auf und starb 387) heißt
es von einem Athener: „jetzt, da er reich geworden ist, mag er keine
Linsen mehr, während er früher, da er noch arm war, aß was ihm vorkam.“
Und beim Lustspieldichter Phenecrates aus Athen, der um 440 bis 415
v. Chr. dramatisch tätig war, ruft eine Person in einem Stücke: „Nur
keine Linsen! -- Wer Linsen ißt, riecht aus dem Munde.“ Die Römer
nannten sie ~lens~, was darauf hindeutet, daß sie diese Nährfrucht
schon vor ihrer Bekanntschaft mit den Griechen kannten, und bezogen sie
während der Kaiserzeit, wie wir bereits sahen, in großen Mengen aus
Ägypten. Der ältere Cato (234 bis 149 v. Chr.) lehrt in seinem Buche
über die Landwirtschaft, wie man Linsen zu säen habe und wie man sie
am besten mit Essig zubereite. Auch bei den Totenmählern setzte man
im alten Italien wie dem Verstorbenen, so auch den Lebenden Linsen
und Salz als geschätzte Speise vor. Durch die Vermittlung der Römer
lernten dann die Völker nördlich der Alpen, wie schon die hier heute
noch gebräuchlichen Bezeichnungen dafür beweisen, diese ihnen bis dahin
unbekannte Nährfrucht kennen.

Wie einst im Altertum sind die Linsen heute noch den Beduinen
Palästinas, Mesopotamiens und Arabiens ein sehr wichtiges
Nahrungsmittel, weshalb sie außer in Westasien auch in ganz
Nordostafrika viel angebaut werden. Im Hochlande von Abessinien wird
übrigens eine besondere Varietät unserer Linse in verschiedenen Sorten
kultiviert und dient als beliebtes Volksnahrungsmittel.

Die einzige in vorgeschichtlicher Zeit in Mittel- und Nordeuropa
angepflanzte +Bohne+ ist die +große+ oder +Saubohne+, auch +Puffbohne+
genannt (~Vicia faba major~ und ~minor~) mit schwarzgefleckten weißen
Blüten, die heute in zahlreichen Varietäten kultiviert wird. Es war
dies die Bohne der alten Germanen, der ~kýamos~ der Griechen, die
~faba~ der Römer, nach der das berühmte Patriziergeschlecht der Fabier
genannt wurde, dessen Mitglieder, 306 an der Zahl, im Jahre 477
v. Chr. im Kampf gegen die Bewohner von Veji bis auf einen einzigen,
in Rom zurückgebliebenen Knaben fielen. Allerdings besaß die Bohne bei
den Völkern des Altertums nicht solche Verbreitung und Beliebtheit wie
Erbse und Linse; aber bei manchen Völkern stand sie in um so höherem
Ansehen. Bei den Hebräern war die Saubohne nach dem Zeugnisse der
Bibel schon ums Jahr 1000 v. Chr. als Volksnahrungsmittel bekannt und
beliebt. Auch die alten Ägypter aßen sie. So haben sich in einem Grabe
des mittleren Reiches aus der 12. Dynastie (2000-1788 v. Chr.) in der
Totenstadt von Theben einige, gegenüber der heutigen etwas kleinere
Samen der Saubohne als Totenbeigabe gefunden. Immerhin erlangte
diese Nährfrucht keinerlei Bedeutung für das Land, so daß wir die an
sich falsche Behauptung des griechischen Geschichtschreibers Herodot
(484-424 v. Chr.), der ja selbst in Ägypten und Babylonien war und
dem wir ein Urteil in dieser Sache zuerkennen dürfen, einigermaßen
begreifen. Er schreibt nämlich: „Saubohnen pflanzt man aber nicht in
Ägypten, und die herauskommen, ißt man nicht so (wie bei uns -- also
roh, so lange die Samen noch unreif sind), noch speist man sie gekocht.
Die Priester ertragen nicht einmal ihren Anblick.“ Als Grund der
Verpönung mutmaßt Herodot die starken Blähungen, die sie verursachen.
Der griechische Schriftsteller Plutarch (50-120 n. Chr.) dagegen
sagt, die Saubohnen seien den ägyptischen Priestern verboten, weil
sie zu stark nähren. Das ist natürlich eine falsche Annahme dieses
Autoren. Wir werden bald erkennen, was der wirkliche Grund dieser
Speiseentsagung war.

Bei den Griechenstämmen dagegen spielten die Saubohnen schon seit den
ältesten Zeiten eine nicht unwichtige Rolle als Nahrungsmittel. So
werden schon in der Ilias ~kýamoi melanochrōes~, d. h. schwarzsamige
Bohnen, die nichts anderes als Saubohnen waren, als Speise der Helden
erwähnt, und in den Trümmern von Troja sind reichliche verkohlte
Vorräte von Saubohnen gefunden worden, die heute noch nach Schliemann
eine der gewöhnlichsten Ackerfrüchte der Troas bilden. In Griechenland
und noch mehr in Italien war sie von jeher bis heute ein sehr
beliebtes Volksnahrungsmittel. Auf griechischem Boden tritt sie uns
vorgeschichtlich in einem bronzezeitlichen Fund aus Heraklea auf Kreta
entgegen. In Oberitalien ist sie sogar aus dem Ende der neolithischen
Zeit vor etwa 4000 Jahren nachgewiesen. Nördlich der Alpen läßt sie
sich, wie die Funde der Pfahlbauten des Bieler, Neuenburger und Murtner
Sees beweisen, erst in der Bronzezeit zwischen 1800 und 1500 v. Chr.,
und in Norddeutschland erst zu Beginn der als Hallstattperiode
bezeichneten ersten Eisenzeit nach 750 v. Chr. nachweisen. Im
europäischen Norden haben wir Funde von Saubohnen bis jetzt erst aus
der Völkerwanderungszeit, doch beweist der gemeingermanische Bohnenname
-- althochdeutsch ~bôna~ --, der nur dem Gotischen fehlt, daß ihr Anbau
bis in die vorgeschichtliche Zeit zurückreicht. Jedenfalls kannten sie
die Angeln und Sachsen vor ihrer Auswanderung nach England, wie die
angelsächsische Bezeichnung ~bean~, altnordisch ~bon~, althochdeutsch
~bôna~, mittelhochdeutsch ~bone~ für das neuhochdeutsche Wort Bohne
beweist. Wenn freilich der ältere Plinius, der von 45-52 n. Chr. in
der römischen Reiterei in Germanien diente und unter den Kaisern
Nero und Vespasian mehrere hohe Zivil- und Militärämter bekleidete,
in seiner Naturgeschichte berichtet, die römischen Soldaten hätten
die Nordseeinsel Burcana (vielleicht das heutige Borkum) wegen der
Menge der dort angeblich wild wachsenden Bohnen Fabaria genannt, und
wenn derselbe Autor an einer anderen Stelle eine weitere Nordseeinsel
mit dem augenscheinlich germanischen Namen Baunonia „Bohneninsel“
erwähnt, so ist unter diesen wildwachsenden ~fabae~ oder Bohnen nach
de Candolle, Buchenau und Krause nicht die Saubohne, sondern eine
Erbsenart, ~Pisum maritimum~, zu verstehen, die heute noch massenhaft
auf den Dünen der Nordseeinseln wild wächst.

Nach den eingehenden Untersuchungen von Buschan lassen sich unter den
seit der Bronzezeit kultivierten vorgeschichtlichen Bohnen wenigstens
zwei Abarten unterscheiden, nämlich eine kleinere, rundliche, die den
östlichen Fundstätten: Kleinasien, Griechenland, Ungarn und Schweiz
eigen ist, und eine längere, flache, die in Spanien, Südfrankreich
und Deutschland ausschließlich gefunden wird. In Oberitalien scheinen
beide zusammenzutreffen. Wahrscheinlich sind sie von entgegengesetzten
Richtungen ausgegangen, die kleinere, rundliche vom Orient und die
lange, flache von Westen. De Candolle hat diesen doppelten Ursprung
vermutet und seine Ansicht ist durch Buschans Untersuchungen bestätigt
und ergänzt worden. Die Heimat der ersteren ist in Südkaspien,
diejenige der letzteren dagegen in Spanien und Nordafrika zu suchen.
Beide Abarten, die unserer Sau- und Pferdebohne entsprechen, sind nahe
Verwandte der wilden Wicke, und zwar dürfte die Stammart der Form
mit längeren, flachen Bohnen ~Vicia narbonensis~ sein, eine in den
Mittelmeerländern und in Westasien bis nach dem Kaukasus, Nordpersien
und Mesopotamien hin wild wachsende Wickenart, die schon im Altertum
kultiviert wurde. Heute noch wird diese als schwarze Ackerbohne
bezeichnete Art in Frankreich und Italien, aber auch bei uns in
leichtem Boden als Viehfutter angebaut und gibt in mildem Klima einen
reichen Ertrag an Körnern.

Die schwarzen Flecken in den weißen Blüten der Saubohne galten im
Altertum als Schriftzeichen des Todes; demgemäß galt die Pflanze
als Symbol des Todes. Deshalb durften die ägyptischen Priester
keine Saubohnen essen, während das Volk solche, im Altägyptischen
~arschan~ genannt, aß. Auch der 580 v. Chr. in Samos geborene große
griechische Philosoph Pythagoras der 529 nach Kroton in Unteritalien
übersiedelte, um der Gewaltherrschaft des Tyrannen Polykrates von
Samos zu entgehen, und hier einen später weit verbreiteten, durch die
ägyptische Geheimlehre weitgehend beeinflußten Bund stiftete, der
ethische und politische Zwecke verfolgte, verbot seinen Schülern den
Genuß von Saubohnen. Sonst wurden solche vornehmlich bei Totenmählern
und Trauerfesten als Speise aufgetragen. Auf dem heiligen Wege von
Athen nach Eleusis stand ein dem Bohnengott Kyamites geweihter Tempel,
in welchem das zu den dem Dienste der unterirdischen Mächte und des
Unsterblichkeitsglaubens gewidmeten Mysterien ausziehende Volk dem mit
dem Tod in Zusammenhang gebrachten Gotte Saubohnen als Todessymbole
opferte. Auch im alten Italien brachte man den Unterirdischen
Bohnenopfer dar, so warf der Hausvater an dem am 9., 11. und 13. Mai
gefeierten Feste der Lemurien zur Versöhnung der als schreckhafte,
übelwollende Spukgeister gedachten Lemuren oder bösen Geister
Verstorbener nachts schwarze Saubohnen über den Kopf hinter sich, um
sich und die Seinigen von deren Macht zu lösen; und am 21. April, an
welchem Tage der Sage nach die Stadt Rom gegründet worden sein soll,
besprengte man am Feste der altitalischen Hirtengöttin Pales -- deren
Name, nebenbei bemerkt, dem Worte ~palatium~ auf dem palatinischen
Hügel zugrunde liegt, woraus dann unsere Bezeichnung Palast
hervorging --, den Palilien, den Boden mit einem in Wasser getauchten
Lorbeerzweige, entzündete darauf ein Feuer mit Bohnenstroh und sprang
zur Entsühnung darüber, trieb auch seine Herdentiere hindurch, um sie
im kommenden Jahre vor Erkrankung und allem Bösen zu schützen. In Athen
dienten weiße und schwarze Bohnen, die als Ja und Nein galten, zur
Abstimmung.

Auch bei anderen Völkern Europas, besonders bei den Germanen und
Slawen, wurden Saubohnen speziell zu Totenopfern gebraucht. Die
verschiedenen, auf die Saubohnen bezüglichen Zeugnisse der Inder,
Griechen, Römer, Germanen und Slawen hat nun L. von Schröder eingehend
geprüft und kam dabei zum sichergestellten Ergebnis, daß die Saubohnen
schon in der indogermanischen Urzeit als Speise für die Lebenden und
dann auch als Opfer für die Geister der Abgeschiedenen bekannt und
beliebt waren. Während sich dieser uralte Gebrauch bei den meisten
indogermanischen Stämmen mehr oder weniger verwischte, blieb er
besonders bei den in sakralen Dingen so überaus konservativen Römern in
der altertümlichen Form als nächtlicherweile mit abgewandtem Gesicht
dargebrachtes Opfer an die Geister der Verstorbenen erhalten. Das
altertümliche ist hier eben die scheue Abwehr dieser gefürchteten
Geister. Aber über die Indogermanen hinaus muß dieses Bohnenopfer
an die Totengeister in der Urzeit in der Alten Welt weit verbreitet
gewesen sein; denn auch die Ägypter und Vorderasiaten übten solches
einst, und daher rührt die Scheu der Lebenden, besonders wenn sie
priesterliche Funktionen ausübten, diese mehr und mehr als Totenspeise
geltende Frucht zu essen. Weil sie den Toten geopfert wurde, galt sie
eben vielen als unrein und ungeeignet als Speise der Lebenden.

Bei den Indogermanen Südeuropas blieb die Saubohne aber auch für die
Lebenden späterhin die wichtige Speise, die sie den Vorfahren jener
Stämme seit grauer Vorzeit gewesen war. Zahlreiche Stellen aus den
Schriften des Altertums sprechen von ihr als geschätztem Nahrungsmittel
für Menschen und Tiere. Schon in Homers Ilias werden sie wie die
Kichererbsen auf der Tenne durch Worfeln gereinigt. Nach dem römischen
Ackerbauschriftsteller Columella im 1. Jahrhundert n. Chr. wurden
sie von Mitte November bis Ende Dezember auf recht fettem oder gut
gedüngtem Boden, am besten im Tale nach vorhergehendem Pflügen, wie
das Getreide gesät und dann geeggt, damit sie recht tief zu liegen
kamen. Er meint: „Die Saubohnen (~fabae~) erschöpfen das Land nicht so
sehr wie manche andere Frucht; jedenfalls gedeiht aber das Getreide
auf einem Acker, der brach gelegen hat, besser, als auf einem, der
jene Hülsenfrucht (~siliqua~) getragen hat. Das Ausdreschen der
Bohnen macht keine Schwierigkeit. Man legt eine mäßige Anzahl von
aufgelösten Bündeln an das eine Ende der Tenne, vier bis fünf Leute
treiben die Bündel mit den Füßen allmählich bis ans andere Ende und
schlagen sie dabei mit Stöcken. Sind sie ans Ende gelangt, so legen
sie das ausgedroschene Bohnenstroh auf einen Haufen; die Bohnen selbst
liegen auf der Tenne, und über diese werden auch die übrigen Bündel
hingetrieben und ausgedroschen. Um dann die Bohnen noch von der
Spreu zu sondern, bringt man sie auf einen Haufen, wirft sie mit der
Worfschaufel (aus Holz) weit weg, wobei die Spreu eher niederfällt
und sich dabei absondert.“ Wenig später als Columella schreibt der
ältere Plinius in seiner Naturgeschichte: „Unter den Hülsenfrüchten
nimmt die Saubohne (~faba~) den ersten Rang ein. Das aus ihnen
gewonnene Mehl heißt ~lomentum~ und vergrößert das Gewicht anderer
Mehlsorten, was auch die übrigen Hülsenfrüchte tun. Die Saubohne wird
vielfach für Menschen und Vieh als Nahrung gebraucht und deswegen
in den Handel gebracht. Bei den meisten Völkern wird sie unter das
Getreide, besonders die Kolbenhirse, gemischt. Nach alter Sitte
wird auch Saubohnenbrei bei Opfern verwendet. Übrigens glaubt man,
daß der Genuß der Saubohnen die Sinne abstumpft und Schlaflosigkeit
verursacht. Aus diesem Grunde hat Pythagoras ihren Genuß verboten,
oder, wie andere meinen, weil er glaubte, in ihnen stäken die Seelen
Verstorbener. Jedenfalls braucht man sie um dieses Glaubens willen bei
Leichenfeierlichkeiten (zum Totenschmause). Varro gibt an, der Priester
der Schutzgottheiten esse erstens deswegen keine Saubohnen, weil Seelen
in ihnen stecken, und zweitens, weil auf ihren Blüten Trauerbuchstaben
stehen. Es gilt übrigens als ein gutes Vorzeichen, wenn man vom Felde
eine Saubohne mit nach Hause bringt; deshalb wird sie auch ~referiva~
genannt. Bei Versteigerungen steckt man sie ebenfalls zu sich, um einen
guten Kauf zu machen. Jedenfalls ist sie die einzige Feldfrucht, welche
sich bei zunehmendem Monde wieder füllt, wenn sie hohl genagt ist.
(Natürlich auch ein Aberglaube, der daran trotz ihrer hohen Bildung
so reichen Römer!) In Seewasser oder anderem gesalzenen Wasser kann
man sie nicht weich kochen. Man sät sie entweder im Herbste, oder im
Frühling; doch glauben die meisten Leute, die Herbstsaat gebe Hülsen
und Stengel, die das Vieh lieber frißt. Während der Blütezeit ist ihr
reichliche Bewässerung zuträglich, nachher aber nicht. In Mazedonien
und Thessalien pflügt man sie, sobald sie zu blühen begonnen hat, zur
Düngung unter.“ Der um 150 n. Chr. lebende römische Schriftsteller
Gellius sagt: „Der römische ~flamen dialis~ (Oberpriester des Jupiter)
darf weder eine Ziege, noch rohes Fleisch, noch Efeu, noch Saubohnen
berühren, noch auch deren Namen aussprechen.“ Der griechische Arzt
Dioskurides, im 1. Jahrhundert n. Chr., behauptet von der Saubohne
(~kýamos~), sie sei jung oder alt schwer zu essen, blähe, mache
schweren Atem und störe den Schlaf. Doch bekomme sie besser, wenn
man das erste Wasser beim Kochen weggieße. Das Mehl der Bohne werde
äußerlich als Heilmittel aufgelegt. Auch sein Volksgenosse und Kollege
Galenos im 2. Jahrhundert n. Chr. urteilt über sie, sie blähe, man
möge sie zubereiten wie man wolle. Man gebe sie als Brei gekocht oder
gebacken vornehmlich den Gladiatoren zu essen, da sie viel Fleisch
ansetze, das aber nicht fest, sondern mehr schwammig sei. Junge, grüne
Saubohnen essen manche Leute roh oder kochen sie mit Zusatz von Fett.
Auch als Pferdefutter waren sie neben der Gerste sehr beliebt. So
schreibt Columella: „Sind gesunde Pferde mager, so kommen sie schneller
durch gerösteten Weizen als durch Gerste zu Kräften. Auch gibt man
ihnen Wein zu trinken. Später geht man allmählich von dieser Fütterung
ab und gewöhnt sie an Saubohnen und reine Gerste.“

Trotz ihrer blähenden Wirkung war die Saubohne auch bei den Kelten und
Iberiern als Nährfrucht sehr verbreitet. Von der keltischen Bevölkerung
der Poebene sagt Plinius, daß sie, wie die übrigen Gallier, zum
Mehle der Kolbenhirse (~panicum~) stets auch Saubohnenmehl mischten.
Überhaupt werde dort nichts ohne Beigabe von Saubohnenmehl bereitet.
Diese Vorliebe hat sich lange erhalten. Auch die Germanen nahmen später
diese Nährfrucht von ihren Nachbarn an. So ist ihr Anbau durch das im
5. Jahrhundert in mittelalterlichem Latein aufgezeichnete Volksrecht
der salischen Franken und durch das Breviarium und das ~Capitulare
de villis~ Karls des Großen vom Jahre 812 genugsam bezeugt. Da in
letzterem von ~fabae majores~, d. h. größeren Saubohnen die Rede ist,
so waren damals offenbar neben diesen auch die kleineren in Kultur,
letztere vielleicht nur als Viehfutter, wie heute noch. Die größere
Art aber, die eigentliche Saubohne, dient noch jetzt in ganz Südeuropa
als beliebtes Volksnahrungsmittel und ihre unreifen Samen werden
gern roh mit Brot verspeist. Vom frühen Mittelalter an bildeten sie
mit den Erbsen und Linsen recht eigentlich eine Hauptnahrung weiter
Kreise der Bevölkerung Mitteleuropas. Alle drei Hülsenfrüchte wurden
in der christlichen Zeit mit der Einführung strenger Fasttage als
gebräuchlichste Fastenspeise besonders häufig kultiviert.

Im Morgenlande dagegen waren die Saubohnen früh in Mißkredit geraten.
So vermieden es die alten Ägypter schon im letzten vorchristlichen
Jahrtausend, Saubohnen als nach ihrer Ansicht unreine Speise zu essen.
Sie zogen deren Samenkörnern diejenigen der in den Teichen massenhaft
gezogenen, aus dem fernen Indien zu ihnen gelangten blaublühenden
Lotosblume (~Nelumbium speciosum~) vor, die lange Zeit allgemein
als Nahrung dienten, so daß sie die Griechen und Römer geradezu als
ägyptische Bohnen (~fabae aegyptiacae~) bezeichneten. Als aber die
sie liefernde Pflanze eine immer größere Rolle im Kultus spielte und
damit zu einer heiligen gestempelt wurde, verboten die Priester auch
dem gemeinen Volke den Genuß dieser Speise, die sie selbst wegen der
Heiligkeit, die von ihnen der Erzeugerin der Samen beigemessen wurde,
schon längst mieden. Dieses Verbot war um so leichter durchzuführen,
als die alten Ägypter in den Samen der bereits erwähnten Wolfsbohne
(~Lupinus termis~) -- arabisch ~termus~ -- eine kräftige, heute
noch im Niltal vielfach angepflanzte Nahrung besaßen. Später wurden
dann in jenem Lande als wichtige Körnerfrucht die im tropischen
Afrika heimische Bohnenart mit schwarzgenabelten Samen, ~Dolichos
melanophthalmos~, eingeführt.

Die alten Griechen dagegen lernten durch den Zug Alexanders des
Großen nach Indien im Jahre 327 v. Chr. eine damit verwandte niedere
Bohnenart kennen, von der sie Samen in ihre Heimat mitbrachten. Es
ist dies die heute noch in Ostindien im großen angebaute ~Dolichos
biflorus~, deren junge Hülsen und reife Samen als beliebte Nahrung
für Menschen und Tiere dienen. Ihre Blüten sind violett oder weiß,
die Samen dunkel gefärbt und werden nur von der vornehmsten Kaste der
Brahmanen als für sie, die Göttersöhne, unpassende Speise verschmäht.
Der ausgezeichnete Pflanzenkenner Theophrast, der nach Alexander dem
Großen Schüler des Aristoteles war, erwähnt sie unter der Bezeichnung
~dólichos~. Er schreibt über sie in seiner Pflanzengeschichte: „Die
~dólichos~ ist eine Hülsenfrucht; sie steigt hoch an Stangen empor und
trägt dann Früchte. Fehlt die Stange, so mißrät sie und überzieht sich
mit Mehltau.“ Der griechische Arzt Dioskurides um die Mitte des 1.
Jahrhunderts n. Chr. dagegen nennt sie ~phasíolos~ und sagt von ihr,
sie sei schwer zu verdauen, blähe, mache einen schweren Atem. Grün
gekocht bekomme sie besser. Als ~phasiolus~ tritt sie uns bei Plinius
entgegen, der in seiner Naturgeschichte angibt, man esse von ihr die
grünen Hülsen mit den Samen. Man könne sie in jedes beliebige Land
von Mitte Oktober bis Anfang November säen. Sind sie reif, so müssen
sie bald geerntet werden, da sonst die Samen leicht ausfallen und
dann verloren gehen. Sein Zeitgenosse Columella nennt sie ~faseolus~
und sagt, man säe sie zur Zeit, da die Hirse geerntet werde, wenn
nämlich die Hülsen jung vom Menschen gegessen werden sollen. „Sollen
aber reife Samen gezogen werden, so sät man sie erst Ende Oktober oder
Anfang November. -- Wenn man Salat einmacht, so legt man auch ganze
grüne Bohnen (mit der Hülse: ~faseolus viridis integer~) dazwischen;
sie müssen vorher einen Tag und eine Nacht in Salzwasser geweicht
und dann wieder etwas getrocknet sein.“ Mit den Römern, die sie
ziemlich häufig gegessen zu haben scheinen, gelangte sie auch in die
Länder nördlich der Alpen, wo sie aber nicht gedeihen konnte, da es
ihr hier zu kalt war. Wenn wir daher im ~Capitulare de villis~ Karls
des Großen vom Jahre 812 neben den ~fabae majores~, den Saubohnen,
die uns von gleichzeitigen Geschichtschreibern als beliebte Speise
der Franken hingestellt werden, als weiteres Gemüse den ~faseolus~
erwähnt finden, so kann dies kaum eine der durch ihr Wärmebedürfnis
ausgezeichneten Dolichosarten, wie sie noch in Italien gedieh, gewesen
sein, sondern war nach Körnicke vermutlich die rotblühende Felderbse
(~Pisum arvense~), von der wir sahen, daß sie schon im Altertum in
den Mittelmeerländern kultiviert wurde. Jedenfalls steht fest, daß
der Name ~phaseolus~ im Mittelalter auf die Erbse übertragen wurde.
Die Bezeichnung ~fasol~ (und das davon herrührende faseln) war in
Oberdeutschland bis zum Bekanntwerden der amerikanischen Gartenbohne,
ja noch bis ins 17. Jahrhundert hinein der allgemein angewandte
volkstümliche Name für Erbsen. Vom 16. Jahrhundert ging er dann auf
die damals neu eingeführte Gartenbohne über, begünstigt vom zufälligen
Gleichklang des amerikanischen Wortes ~frisol~ für letztere, woraus das
spanische ~frijol~ für Saubohne und ~fajol~ für Gartenbohne und daraus
endlich das neuhochdeutsche Fisole stammt.

Unsere +gemeine Gartenbohne+ oder +Fisole+ -- italienisch ~fagiolo~
und neugriechisch ~fasulia~ -- auch +Schminkbohne+ genannt, weil das
Mehl ihrer Samen die Haut glättet und deshalb als ein Bestandteil
der weißen Schminke benutzt wurde (~Phaseolus vulgaris~), die in 70
Spielarten windend als Stangen-, Speck-, Kugel-, Eier- und Negerbohnen,
oder nicht windend als Busch-, Zwerg-, Zucker- oder Frühbohnen auf
dem Felde und im Garten der grünen, unreifen Hülsen und reifen Samen
halber kultiviert wird, stammt mit der von den Peruanern ebenfalls
als Gemüsefrucht gezogenen +Feuerbohne+ (~Phaseolus multiflorus~)
aus Südamerika und verdrängte nach ihrer Einführung durch die
Spanier mit ihren ertragreicheren und härteren, weißen Samen bald
die schwarzsamige Dolichosbohne Ostindiens aus Südeuropa. Diese
heute bei uns allgemein verbreiteten neuweltlichen Gartenbohnen
hat man nicht nur in Südamerika, in den Gräbern des Totenfeldes
von Ancon in Peru, sondern auch in Nordamerika als Grabbeigabe in
vorgeschichtlichen Gräbern gefunden, als Beweis dafür, daß dieses
Gemüse schon lange vor der Entdeckung Amerikas durch die Europäer aus
seiner südamerikanischen Heimat, wo sie zur Kulturpflanze erhoben
wurde, durch den ganzen Kontinent, und zwar in mehreren Spielarten,
die wir heute noch kultivieren, bis weit nach Norden verbreitet
worden war. Die großen botanischen Werke aus der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts unterscheiden sehr wohl zwischen amerikanischen und
ägyptischen, d. h. also Dolichosbohnen. Der französische Arzt und
Botaniker Clusius (Charles de l’Ecluse, geb. 1525 zu Arras, war von
1571-1587 kaiserlicher Gartendirektor in Wien unter Maximilian II. und
von 1593 an Professor der Botanik in Leiden in den Niederlanden, wo er
1609 starb) sah die weißsamige Gartenbohne zuerst 1564 bei Gelegenheit
einer naturwissenschaftlichen Reise in Spanien und kurz darauf die
Feuerbohne mit grellroten Blüten und schmutzig rot oder violett und
schwarz marmorierten Samen in einem Kloster zu Lissabon. Dort erhielt
er auch Bohnensamen aus Brasilien zum Geschenk. Diesen brachte er nach
seiner Heimat Frankreich mit und ließ ihn hier wachsen. Die daraus
erzielten Samen schenkte er an seine Freunde weiter, die sie wiederum
in ihren Gärten pflanzten. So verbreiteten sich diese „welschen“ oder
„Stangenbohnen“ in den verschiedensten Arten immer weiter unter dem
Volke und wurden zu dem unentbehrlichen Gemüse, das sie heute sind;
doch ging die Kunde der Einführung der ersteren aus der Neuen Welt
später verloren, bis erst im 18. Jahrhundert diese Tatsache aufs neue
erkannt wurde. So war der Regensburger Apotheker J. Weinmann einer der
ersten, der in seinem vierbändigen, von 1737-1745 herausgegebenen, in
Kupfer gestochenen Pflanzenatlas mit erläuterndem Text die Ansicht
äußert, daß die Gartenbohnen wie der Mais aus Amerika stamme. Er
unterscheidet diese als amerikanische und brasilische Bohnen sehr
wohl von den vor der Entdeckung Amerikas einzig in Europa gepflanzten
ägyptischen Bohnen der Gattung Dolichos.

Schon im 17. Jahrhundert waren diese amerikanischen Gartenbohnen so
volkstümlich, daß ihre Samen zu dem von den niederländischen Malern mit
Vorliebe dargestellten Bohnenfeste benutzt wurden. Dieses am 5. Januar
gefeierte „Bohnenkönigsfest“, in Frankreich unter der Bezeichnung „~Le
roi boit~“ bekannt, war ein Nachklang an die römischen Saturnalien,
einem der ältesten und volkstümlichsten italischen Feste, das in Rom
am 17. Dezember zu Ehren Saturns, des altitalischen Gottes der Saaten
und der Fruchtbarkeit überhaupt, gefeiert wurde. Dieses unter den
römischen Kaisern auf eine volle Woche ausgedehnte Fest bedeutete
eine sinnbildliche Rückkehr zu jenen glücklichen Zeiten, da unter
der Regierung des als Herrscher von Latium gedachten Gottes, den man
dem griechischen Gotte Chronos gleichstellte, nur Friede und Freude,
allgemeine Freiheit und Gleichheit unter den Menschen geherrscht haben
sollen. Daher wurden die Saturnalien mit ausgelassenem Jubel und
allgemeinem Schmausen begangen, an dem auch die Sklaven Anteil hatten.
Sie saßen mit ihren Herrn zu Tische und wurden von diesen zuerst
bedient, genossen überhaupt unbeschränkte Freiheit. Man beschenkte
sich gegenseitig mit allerhand Geschenken, besonders mit Wachskerzen
und kleinen Tonfiguren, wie sie die Kinder als Spielzeug gebrauchten,
eine Sitte, deren Nachhall in der christlichen Weihnachtsfeier nicht zu
verkennen ist.

Auch in der römischen Armee wurde das Fest, aber in ihrer Weise
gefeiert. Durchs Los wurde ein König für die Festzeit bestimmt, dem
sich alle zu fügen hatten. Seine unbeschränkte Macht hatte aber bald
ein Ende, indem er am Ende der Saturnalien als Sühnopfer geschlachtet
wurde. Ein Zeichen, wie brutal diese Berufssoldaten, die ja für
Straßenbau und andere Werke der Kultur in den Provinzen zweifellos sehr
große Verdienste sich erwarben, im tiefsten Grunde waren. Später wurde
meist ein Verbrecher mit dieser zweifelhaften Würde bekleidet, indem
man ihm einige Tage vor der Hinrichtung diese letzte Freude gewährte.
Und als das römische Weltreich in den Wirren der Völkerwanderung
zugrunde gegangen war, hatte sich in Frankreich, England, in den
Niederlanden und am Rhein dieser aus der Zeit der römischen Besatzung
stammende, ursprünglich ernsthafte Brauch als scherzhaftes Volksfest
erhalten. Es fand am 5. Januar statt und der König des Tages wurde in
jeder Familie in der Weise gewählt, daß ein Königskuchen verspeist
wurde, in welchem eine Bohne hineingebacken war; wer diese in seinem
Stücke fand, war König und wählte sich eine Königin und einen Hofstaat,
der ihn auf alle erdenkliche Weise bedienen mußte. So oft der König
trank, mußte der ganze Kreis rufen: Der König trinkt! weshalb eben
dieses Fest in Frankreich nur „~le roi boit~“ genannt wurde. Wer
den Ruf unterließ, der mußte „zur Strafe trinken“, wie man sich in
Studentenkreisen ausdrückt „in die Kanne steigen“, oder etwas zahlen
oder ein Pfand geben, das nachher ausgelost wurde und damit wiederum
Gelegenheit zu neuen Lachereien und ausgelassenen Scherzen gab. Bei
dieser burlesken Feier wurde auch das berühmte, bisher allerdings in
einem zuverlässigen alten Texte noch nicht aufgefundene „Bohnenlied“
gesungen, das mit Zweideutigkeiten so gepfeffert war, daß heute
noch das Sprichwort von einer allzustarken Zumutung sagt, es gehe
noch über das Bohnenlied. Daß solche ausgelassene häusliche Szenen
die derben, naturalistischen niederländischen Maler zur Wiedergabe
reizten, ist ja sehr wohl begreiflich. So haben flämische wie
holländische Maler, Katholiken wie Protestanten, wie Jakob Jordaens,
die beiden David Teniers, Jan Steen, Gabriel Metsu und wie sie alle
heißen, mit innerlichstem Vergnügen dieses lachende, mutwillige Fest
geschildert. Außer den Niederlanden kannten auch das von deutschen
Franken durchsetzte Nordfrankreich sowie England die Sitte sogut wie
in Deutschland die Rheingegend. „Diser Brauch der Künigreich, darinn
auch viel Buoberei geschicht, ist fürnehmlich gmein am Reinstrom“, sagt
im 16. Jahrhundert der bekannte süddeutsche, lange im Elsaß lebende
Sittenschilderer Sebastian Franck, der 1542 in Basel starb.

Eine noch weit wichtigere Rolle, als bei uns die aus Südamerika
eingeführten Gartenbohnen, spielt in ganz Ostasien die +Sojabohne+
(~Glycine hispida~) als eine überaus wichtige Kulturpflanze. Von
den vier in Asien und Afrika wachsenden Glycinearten kommt die
wahrscheinlich ihre Stammform bildende Art in China, Japan und den
Amurländern wild vor. Als solche ist sie viel kleiner und weniger
verzweigt als die Kulturpflanze, die sich in vielen Varietäten in
weiter Verbreitung in Asien, besonders in China und Japan vorfindet.
Sie ist eine einjährige Pflanze mit 0,5-1 m hohem, etwas windendem
Stengel, langgestielten, dreizähligen Blättern, die wie Stengel und
Zweige dicht rotbraun behaart sind, kurzgestielten Blütenträubchen
mit kleinen, unscheinbaren, blaßvioletten Blüten und sichelförmig
gekrümmten, trockenhäutigen, rötlich behaarten Hülsen mit 2-5 Samen.
Sie braucht zu ihrer Entwicklung viel Licht und hochgradige Wärme und
gedeiht außer in den Tropen nur in den Subtropen als Sommergewächs.
Für eine ergiebige Kultur verlangt sie trockenen, tiefgründigen, an
mineralischen Nährstoffen reichen Boden. Ein großer Vorzug derselben
besteht in einer bedeutenden Anpassungsfähigkeit an Boden und
Klima, in der Immunität gegen Schmarotzerpilze und nie versiegender
Fruchtbarkeit. Bei uns in Mitteleuropa hat sie begreiflicherweise
keine befriedigenden Resultate gegeben, da ihre Vegetationszeit selbst
im warmen Klima 130 Tage beträgt und daher die Samen hier nicht mehr
reifen. Diese letzteren sind rundlich, länglich oder nierenförmig,
gelblich, braunrot, grünlich oder schwarz. Ihr Nährwert ist gegenüber
den übrigen Hülsenfrüchten ein sehr hoher und durch hohen Fettgehalt
ausgezeichnet. In dem so überaus volkreichen China lebt ein großer
Teil der Bevölkerung von Sojagerichten, auch dient sie vielfach zur
Gewinnung von Speiseöl. Hier ist die Kultur der Sojabohne bereits seit
4700 Jahren nachzuweisen, indem Kaiser Schen-nung ums Jahr 2800
v. Chr. solche neben den damals gebräuchlichen vier Getreidearten:
Reis, Gerste, Weizen und Hirse beim Frühlingsfeste zur Aufmunterung des
Volkes höchst eigenhändig pflanzte. Wie in China wird auch in Japan,
das ebensowenig Tiermilch produziert und deshalb keine Butter besitzt,
der aus ihnen gewonnene fettige Brei zum Schmelzen der Speisen benutzt
und die sehr eiweißreichen Sojagerichte dienen in diesem Lande bis zu
einem gewissen Grade als Ersatz des nur selten gegessenen Fleisches.
Besonders wertvoll sind die Sojabohnen den Japanern zur Herstellung
der von ihnen als große Delikatesse geschätzten Sojasauce +Shoju+, die
nicht nur in ganz Ost- und Südasien sehr beliebt ist, sondern auch
in Europa mehr und mehr Anerkennung findet; dient sie doch in erster
Linie zur Bereitung der berühmten englischen Worcestersauce, die ja in
vielen vornehmen Haushaltungen auch des Kontinentes gebraucht wird. Um
die Shojusauce zu bereiten werden gleiche Teile Sojabohnen und Weizen
genommen und 1-3 Teile Wasser hinzugefügt. Die Bohnen werden halbgar
gekocht, der Weizen geröstet und gemahlen, darauf wird alles gründlich
vermengt und etwas gedämpfter Reis mit Kulturen des Schimmelpilzes
~Aspergillus oryzae~ dazu getan. Das Ganze wird in Holzkästen drei Tage
lang einer Temperatur von +25° C. ausgesetzt, wobei sich die Masse
vollständig mit Schimmel bedeckt. Hierauf wird sie mit Hinzugabe von
1-6 Teilen Kochsalz in große Holzkübel getan, worin sie längerer Gärung
bei möglichst niedriger Temperatur überlassen wird. Der anfangs dicke,
graue Brei wird wiederholt umgerührt, wobei er allmählich flüssiger
wird und schließlich eine braune Farbe annimmt. Die Gärung dauert 2-5
Jahre und das Produkt ist um so feiner, je länger sie bestanden hat.
Neben dem ziemlich dicken, tiefbraunen Shoju, von dem man wegen seiner
Stärke nur sehr wenig nehmen darf, wird in Japan noch ein anderes
Sojapräparat, ein weniger durchgreifend vergorener Brei, der +Miso+,
viel verwendet. Ebenfalls als Würzmittel dient der aus einem wässerigen
Auszuge der gekochten Sojabohnen durch Kochsalz gefällte +Tofu+.
Daneben werden verschiedene andere Präparate aus dieser Bohnenfrucht in
Verbindung mit Salz und meist auch gekochtem Reis von allen Schichten
der Bevölkerung Japans in großer Menge gegessen. Sehr beliebt und durch
Händler überall auf den Straßen der japanischen Städte feilgeboten sind
besonders süße Kuchen aus Sojabohnenmehl und ein aus gekochten und
zerquetschten Sojabohnen durch Gärung infolge Stehenlassens im Keller
erzeugter, mit Shojusauce gewürzter Käse. In Österreich dagegen werden
die Sojabohnen als beliebtes Kaffeesurrogat benutzt.

Die wichtigste Bohnenart Ostindiens ist die +Mungobohne+ (~Phaseolus
mungo~), deren junge Sprossen ebenfalls rotbraun behaart sind. Die
sehr kleine, 4-5 cm lange Hülse enthält 10-15 grasgrüne Samen, die
kaum ein Drittel so groß wie Erbsen sind und einen deutlichen Nabel
aufweisen. Sie ist im Lande selbst heimisch und wächst im Himalaja
bei etwa 2000 m Höhe wild. Die ansehnliche Zahl von Spielarten und das
Vorhandensein von drei verschiedenen indischen Namen für sie beweisen
mit Sicherheit, daß diese Nährfrucht schon sehr lange in jenem Lande
gebaut wird. Sehr früh kam sie nach Ägypten und in die Länder am oberen
Nil, später auch nach Ostafrika, wo sie ebenfalls sehr geschätzt und
wie unsere Gartenbohnen zubereitet wird. Sonst ist die hauptsächlich
in Afrika gepflanzte Bohne die hochwindende +Helmbohne+ (~Dolichos
lablab~) mit sehr langgestielten Blütentrauben, die nach dem Verblühen
noch weiter wachsen. Die kahle, ziemlich flachgedrückte Hülse enthält
2-5 bohnengroße Samen, deren weißer Nabel fast die ganze Längsseite
derselben einnimmt und durch seine Form an die Raupen früherer
Soldatenhelme, wie sie namentlich in Bayern getragen wurden, erinnert.
Ursprünglich im tropischen Afrika heimisch, wird diese Pflanze jetzt
der jungen Hülsen und schwarzen oder braunen Samen wegen überall in
den Tropen und Subtropen als eine der wichtigsten Gemüsepflanzen
in vielen Varietäten kultiviert. Ebenfalls afrikanischen Ursprungs
scheint die nirgends mehr wild angetroffene +Lubiabohne+ (~Dolichos
lubia~) zu sein, die schon lange in der Nilgegend, ebenso in Syrien,
Persien und Indien angebaut wird. Im alten Ägypten war sie noch nicht
bekannt; jedenfalls hat sie sich erst im Laufe der letzten zwei
Jahrtausende nach Vorder- und Südasien verbreitet. Gleicherweise ist
der gelbblühende +indische Bohnenstrauch+ (~Cajanus indicus~), der
namentlich in Ostindien, aber auch in Italien und Südamerika fleißig
kultiviert wird, in Afrika heimisch. Er findet sich im tropischen Teile
des Kontinents bis nach Oberägypten hin wild, und wird heute noch in
Nubien und dem ägyptischen Sudan der Samen wegen angebaut, die nach
Form und Größe unseren Erbsen gleichen, aber nicht so wohlschmeckend
und zudem schwer verdaulich sind. Dieser Schmetterlingsblütler muß
bereits im alten Ägypten angebaut worden sein, da man unter den vorhin
mehrfach genannten Gräberfunden des mittleren Reiches in Theben aus der
Zeit der 12. Dynastie (2000-1788 v. Chr.) auch einen Samen von ihm fand.

Die +mondförmige Bohne+ (~Phaseolus lunatus~) dagegen, die heute in
Afrika fast überall zwischen den Wendekreisen angebaut wird und sich
neuerdings über Indien nach China verbreitet hat, stammt zweifellos aus
Südamerika, wo sie ausschließlich in Zentralbrasilien und in der Region
des Amazonenstromes wild gefunden wird. Ihre Samen finden sich mehrfach
unter den Grabbeigaben des Totenfeldes von Ancon in Peru. Schon vor der
Ankunft der Europäer hatte sich diese Bohnenart in einer durch die
Kultur großfrüchtig gewordenen Form durch ganz Süd- und Zentralamerika
verbreitet und scheint dann durch portugiesische Sklavenhändler
zuerst nach der Guineaküste gebracht worden zu sein, von wo aus sie
sich mit der Zeit über ganz Afrika und später auch Süd- und Ostasien
verbreitete. Erst vor wenigen Jahrzehnten ist endlich die mit 30-40 cm
langen, hellgrünen Hülsen ausgestattete +Riesenbohne+ (~Phaseolus
sesquipedalis~), die ein ausgezeichnetes Gemüse liefert, aus ihrer
Heimat, dem tropischen Amerika, nach Südasien und Südeuropa gebracht
worden, wo sie sich zunehmender Beliebtheit erfreut.

Im warmen Afrika heimisch, wo sie in Nubien, Kordofan, Sennar und
Abessinien wildwachsend angetroffen wird, ist der heute vielfach
zwischen den Wendekreisen, auch in der Türkei und in Griechenland,
besonders aber in Ostindien als Gemüsepflanze angebaute +eßbare
Eibisch+ (~Hibiscus esculentus~) oder die +Gombobohne+, auch ~ochro~,
von den Arabern ~bamia~, im Sudan ~weka~ genannt. Sie hat gelbe Blüten
und wird medizinisch wie unser Eibisch verwendet. Die ganz jungen
Früchte werden wie Kapern eingemacht, die alten bis 8 cm langen
fünfkantigen Samenkapseln dagegen werden unreif als wohlschmeckende
und nahrhafte Speise ganz gekocht oder man benutzt dazu nur die
unreifen, bohnenförmigen, grauen Samen, die viel Schleim enthalten
und teilweise den Speisen hinzugesetzt werden. Die reifen Bohnen
dagegen verwendet man zu einem beliebten, warm getrunkenen, wie Kaffee
bereiteten und deshalb auch als Gombokaffee bezeichneten Getränk.
Sie werden gebrannt, zerstoßen und mit heißem Wasser ausgezogen; die
dadurch entstandene kaffeeartige Brühe besitzt einen sehr angenehmen,
gewürzhaften Geschmack und wirkt nicht nervenerregend wie der arabische
Kaffee. Die Kultur der Pflanze ist in Ägypten eine sehr alte und findet
sich bereits in einem Grabe der 12. Dynastie (2000-1877 v. Chr.) in
Beni Hassan dargestellt. In von der Darstellung der Rebenkulturen
abweichenden Laubengängen, die dicht mit den rankenden Schossen
der Pflanze überzogen sind, sind drei Arbeiter mit dem Abpflücken
der charakteristisch dargestellten Schoten beschäftigt. Einer
derselben, der hockt, da ihm der niedere Bogengang nicht erlaubt sich
aufzurichten, wirft die Früchte in einen hohen Korb mit durchbrochenem
Geflecht. Der daneben in einem höheren Bogen ganz aufrecht stehende
zweite Arbeiter trägt in seiner Linken einen kleinen, viereckigen,
an zwei Schnüren getragenen Korb und langt mit der Rechten nach den
Früchten in das Gerank hinein. Der dritte bückt sich, um Nachsuche in
den Stauden zu halten, während ein vierter Arbeiter in zwei großen,
an einer Stange über der Schulter getragenen Körben die gepflückten
Früchte wegträgt.

Im Mittelalter hat der arabische Gelehrte Abdul Abbas Enabati, der 1216
Ägypten bereiste, den Gombo gut beschrieben, ebenso der Venezianer
Prosper Alpino (1553-1617), der ihn nach einem Aufenthalt in Ägypten
in seinem Werk über ägyptische Pflanzen genau abbildete und als
~Bamia moschata~ beschrieb. Ein naher Verwandter desselben ist der
+Bisameibisch+ (~Hibiscus abelmoschus~), der ebenfalls in Ägypten wie
überall in den Tropen, auch in Amerika, kultiviert wird. Es ist ein
2-3 m hoher, in Ostindien heimischer Strauch mit großen, gelben,
im Grunde dunkelroten Blüten. Seine erbsengroßen, nierenförmigen,
schwarzbraunen, in frischem Zustande stark nach Bisam (Moschus)
riechenden und bitterlich schmeckenden Samen mit erhabenen braunen
Rippen, die Bisam- oder Abelmoschuskörner, dienten früher als
krampfstillendes Mittel; jetzt werden sie nur noch zu Parfümerien,
besonders zur Herstellung des wohlriechenden zyprischen Haarpuders
verwendet. Früher benutzte man sie auch, namentlich in Frankreich, zur
Anfertigung von Rosenkränzen. Die Stengel dieses, wie besonders auch
des zu diesem Zwecke in Indien gepflanzten ~Hibiscus tetraphyllus~
liefern juteartige Bastfasern, die als Bandakaifasern in den Handel
gelangen und in Nordamerika auch zur Papierfabrikation benutzt werden.

Unter den Doldenblütlern sind +Pastinak+ und +Mohrrübe+ die ältesten
Gemüsepflanzen, deren durch Kultur fleischig gewordene Wurzeln, wie wir
sahen, schon vor mehr als 4000 Jahren von den neolithischen Pfahlbauern
an den Ufern der Schweizerseen gegessen wurden. Allerdings mögen sie in
jener Frühzeit noch recht bescheidene Speise dem hungernden Menschen,
der sie in Kultur nahm, geboten haben; denn diese allenthalben in
Europa und Nordasien wild wachsenden Pflanzen haben von Natur aus eine
magere, dünne Pfahlwurzel, da eine fleischige für sie zwecklos ist.
Sie sind einjährige Pflanzen, die blühen und Frucht tragen wollen.
Selbst durch reichliche Ernährung und sorgfältige Pflege sind sie
nicht dazu zu bringen, fleischige Wurzeln zu bilden; das tun sie nur
dann, wenn man sie nicht in einem Jahre ihre Vegetationszeit vollenden
läßt, so daß sie gezwungen werden zur Beendigung ihres Daseins, das
in der Fruchtbildung gipfelt, für das nächste Jahr Nahrungsstoffe
aufzuspeichern. Hierdurch erst schwellen die Wurzeln an und geben
eine schmackhafte Kost ab. Diesen Prozeß hat man mehrfach künstlich
studiert, so unter den ersten der gelehrte französische Landwirt
Vilmorins vom Jahre 1832 an. Er mochte es anstellen wie er wollte,
durch kein Mittel konnte er von ihm ausgesäte wilde Mohrrüben zur
Verdickung ihrer Wurzel durch Aufspeichern von Reservenahrungsstoffen
bringen. Erst als er sie gegen Ende Juni zum drittenmal säte, zu einer
Zeit also, da die Pflanzen statt der ihnen sonst zu Gebote stehenden
acht Monate nur deren zwei zu ihrem Wachstume zur Verfügung hatten,
bildeten nicht alle, aber einige wenige Exemplare Reservespeicher
durch Anschwellung ihrer sonst dünnen Pfahlwurzeln, um im kommenden
Jahre ihren in der Fruchtbildung gipfelnden Vegetationsprozeß zu Ende
zu führen. Auf diese Weise hat die Pflanze, die nur +ein+ Jahr leben
sollte, aber nicht vergehen wollte ohne Frucht getrieben zu haben,
sich die Möglichkeit geschaffen, doppelt so lange zu leben. Diese paar
sorgsam überwinterten Möhren beendeten ihren Vegetationsprozeß im
nächsten Jahre, und unter den von ihnen erzielten Sämlingen erwies sich
etwa ein Fünftel als getreue Erbinnen der mütterlichen Fähigkeiten.
Die schönsten, dickwurzeligsten unter ihnen wurden ausgesucht, um zur
Vermehrung verwendet zu werden. Schon in der vierten Generation war die
Gewohnheit, im ersten Jahre keine Frucht zu treiben, bei der Mehrzahl
der Nachkommen vorherrschend. Noch einige Generationen weiter, und der
Prozentsatz der Pflanzen, die nach alter Sitte im ersten Jahre blühten,
war fast gleich Null, und aus der wilden Möhre war eine Gemüsepflanze
geworden, die als zweijährige in allen Fällen reichen Reservestoff in
ihrer dick und fleischig gewordenen Wurzel aufspeicherte.

Was in der Gegenwart das zielbewußte Experiment, das hat in der
Vergangenheit gelegentlich der Zufall gezeitigt. So sind vielfach
aus unschmackhaften Wildlingen vor Tausenden von Jahren schmackhafte
Gemüsepflanzen geworden. Unter ihnen hat der in manchen Gegenden
angebaute +Pastinak+ (~Pastinaca sativa~) eine weiße, der weißen
Varietät der gelben Rübe sehr ähnliche Wurzel. Durch ihren scharfen
Geruch und stark aromatischen Geschmack kann sie aber leicht von dieser
unterschieden werden. Ihre Stammform ist eine bei uns auf feuchten
Wiesen und an Flußufern häufig wild vorkommende einjährige Pflanze
mit gelben, stark aromatisch riechenden Blüten. Bei der zweijährigen
Kulturform, die 30-90 cm hoch wird, ist die Wurzel wie die der gelben
Rübe zu bedeutender Mächtigkeit gebracht worden. Sie kommt bei uns nur
vereinzelt auf den Markt und spielt fast mehr die Rolle eines Gewürzes,
als die eines selbständigen Gemüses, wie etwa die Petersilie. Sie
gedeiht am besten in tiefgründigem, lehmigem Boden und wurde wie bei
den Pfahlbauern der späteren neolithischen und Bronzezeit auch bei
den alten Ägyptern, die sie ~makmakchai~ nannten, angebaut; ebenso
bei den Griechen, die sie ~elaphobóskon~, d. h. Hirschfraß nannten.
Diese eigentümliche Bezeichnung erklärt uns der um die Mitte des 1.
Jahrhunderts n. Chr. lebende griechische Arzt Dioskurides, indem er
in seinem Arzneibuch schreibt: „Der Pastinak ist eine Doldenpflanze
mit zwei Finger breiten, sehr langen, zurückgebogenen und etwas rauhen
Blättern. Der Stamm hat mehrere Äste, die Dolden tragen, welche denen
des Dills ähnlich sind, gelbliche Blüten und Samen wie sie der Dill
hat. Die Wurzel ist etwa drei Finger breit lang, einen Finger dick,
weiß, süß, eßbar. Auch der junge, zarte Stamm wird als Gemüse gegessen.
Man sagt, die Hirsche fräßen die Pastinakwurzel als Schutzmittel gegen
Schlangenbiß und gibt deshalb zu gleichem Zwecke auch den Menschen
die Samen in Wein.“ Sein Zeitgenosse, der ältere Plinius, nennt auch
das ~elaphoboscon~, daneben aber auch ~pastinaca~, von dem er zwei
Arten erwähnt. Auch im Mittelalter wurde der Pastinak in Süd- und
Mitteleuropa angepflanzt. Noch vor hundert Jahren spielte er bei uns
eine ziemlich große Rolle als Gemüsepflanze, bis er durch den Anbau der
Kartoffel mehr und mehr eingeschränkt und in vielen Gegenden von jener
völlig verdrängt wurde, obschon er einige Vorteile vor der so häufig
gepflanzten Mohrrübe gewährt. Er liefert nämlich auf geeignetem Boden
höhere Erträge nahrhafteren Futters, seine Kultur ist leichter und sie
ist widerstandsfähiger gegen die Kälte und erträgt sogar im Freien
unsere strengen Winter. Die feineren Sorten werden nur für die Küche
gebaut und müssen frostfrei überwintert werden. Die Samen wurden früher
medizinisch benutzt. Eine nahe verwandte zweijährige Art, ~Pastinaka
sekakul~, die in Syrien und Ägypten heimisch ist, wird sehr viel im
Orient als wohlschmeckendes Wurzelgemüse angepflanzt.

    Tafel 45.


[Illustration: Japanische Küche, in welcher teilweise Wurzelgemüse
zubereitet werden.]

[Illustration:

    Tafel 46.

Japanische Gemüsehändler in Tokio.]

Die +Mohrrübe+ oder +Möhre+, auch +gelbe Rübe+ genannt (~Daucus
carota~), stammt von einem bei uns auf trockenen Wiesen und an
Wegrändern häufig angetroffenen einjährigen Wildling, dessen dünne,
fadenförmige Wurzel von schwach aromatischem Geruch in der Kultur zu
einer dicken, fleischigen Pfahlwurzel wurde. Sie ist eine zweijährige,
30-60 cm hoch werdende Doldenpflanze, die in jedem gut zubereiteten,
dungkräftigen Boden, wenn er locker ist und eine sonnige Lage aufweist,
gedeiht. Bei Mangel an Kalksalzen im Boden sinkt der Zuckergehalt,
der bei der Speisemöhre durchschnittlich 1,58 Prozent beträgt. Bei
den Futtermöhren kommt es hauptsächlich auf großen Ertrag an. Als
Speisemöhren dienen die mit zarterer, zuckerreicher, aus Weiß rot oder
gelb gewordener fleischiger Wurzel, die sich bei den Frankfurter Möhren
allmählich zuspitzt, während sie bei den Pariser und Holländer Möhren,
die wir Karotten nennen, kurz und unten rundlich abgestumpft ist und
in ein feines Würzelchen ausläuft. Mit Trockenfutter gemengt, sind die
Mohrrüben ein sehr gedeihliches Futter für alle Haustiere und eignen
sich auch für die Mästung; auch das Kraut wird von den Rindern gern
gefressen. Der gelbrote Farbstoff heißt Karotin. Aus dem Safte bereitet
man einen Sirup, wie das süße Wurzelfleisch auch zu Kuchen verwendet
wird. Geröstet dient es als Kaffeesurrogat. Die Mohrrübe wurde wie die
gewöhnliche oder weiße Rübe nicht nur von den Griechen und Römern,
sondern auch von den germanischen Völkern vor ihrem Bekanntwerden mit
der römischen Kultur unter dem althochdeutschen Namen ~morha~ angebaut
und gern gegessen. Allerdings mögen die von ihnen kultivierten Sorten
keine besonderen Vorzüge vor denen anderer Völker gehabt haben. Wenn
nun Plinius berichtet, daß sich der Kaiser Tiberius, der von 14-37
n. Chr. regierte, seine Mohrrüben alljährlich von Germanien kommen
ließ und der Rettich in Germanien die Größe „neugeborener Kinder“
erreichte, so ist nicht etwa an einheimische Möhren und Rettiche zu
denken, die von den Germanen selbst kultiviert worden wären, sondern
handelt es sich dabei jedenfalls um eingeführte römische Sorten, die
in den Militärkolonien am Rhein gezogen wurden und unter dem kühleren
Himmel Germaniens besonders gut gediehen. Karl der Große empfahl sie
als ~carruca~ seinen Franken zur Kultur und ließ sie auf seinen Gütern
bauen. Erst im Mittelalter ist dann diese Gemüsepflanze in Mitteleuropa
recht heimisch geworden und wurde in großem Maße angepflanzt. Schon am
Anfang des 17. Jahrhunderts hatte man eine weiße und gelbe Varietät,
und seither sind zahlreiche neue Arten gezüchtet worden.

Ebenso beliebt wie die Möhre war bei den alten Römern die
+Zuckerwurzel+ (~Sium sisarum~), die zu derselben Familie der
Umbelliferen wie jene gehört und in Ostasien, speziell China,
einheimisch sein soll. Jedenfalls gelangte sie von Asien zuerst nach
den Mittelmeerländern, wo sie im Altertum ziemlich häufig angebaut
worden zu sein scheint. Die Griechen nannten sie ~sísaron~ und die
Römer, die sie von jenen durch deren unteritalische Kolonien kennen
lernten, ~siser~. Der griechische Arzt Dioskurides sagt um die
Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr.: „Die Zuckerwurzel (~sísaron~)
ist allgemein bekannt. Die Wurzel schmeckt gekocht gut, bekommt
dem Magen vortrefflich und vermehrt den Appetit.“ Ein Zeitgenosse,
der Römer Columella, rät die Zuckerwurzel (~siser~) im August auf
tief umgegrabenen, gedüngten Boden zu säen und so wenig als möglich
zu versetzen, damit sie besser wachse. Und Plinius sagt in seiner
Naturgeschichte: „Die Zuckerwurzel (~siser~) hat Kaiser Tiberius
dadurch zu Ehren gebracht, daß er sie alle Jahre aus Germanien
kommen ließ. Gelduba heißt ein am Rhein gelegenes Kastell, bei dem
die Zuckerwurzel in bester Sorte wächst. Man ersieht daraus, daß sie
sich für kalte Länder eignet. Im Inneren der Wurzel befindet sich ein
Strang, den man bei gekochten herauszieht, der aber immer noch einen
großen Teil seiner Bitterkeit zurückläßt, die man jedoch durch Honig
dämpft und so in Wohlgeschmack verwandelt.“ Die infolge des großen
Zuckerreichtums von 4,5 Prozent sehr süße und zugleich gewürzhaft
schmeckende Wurzel wird heute noch als ~sisaro~ in Italien, wie auch
bei uns als schmackhaftes, nahrhaftes und leicht verdauliches Gemüse
angepflanzt. Sehr nahe mit ihr verwandt ist die ausschließlich in China
als Gemüse und geschätzte Arznei angepflanzte +Ninsiwurzel+ (~Siser
ninsing~), die früher als „indianische Kraftwurzel“ auch bei uns
offizinell war und für das beste Surrogat der kostbaren chinesischen
Ginsengwurzel (von der Umbellifere ~Panax ginseng~) galt, die in
den Gebirgen ihrer Heimat wächst und bei den Chinesen als eine der
geschätztesten Arzneipflanzen gilt und deshalb von Linné ~Panax~,
d. h. Allheilkraut genannt wurde. Die Chinesen verwenden sie gegen
Nervenschwäche, Erschöpfung und Schwächezustände aller Art; deshalb
wird sie von ihnen auch allen Arzneien als Panazee zugesetzt. 1610 kam
sie unter dem Namen ~Pentsao~ durch die Holländer nach Europa und wurde
auch hier häufig angewandt. Am meisten geschätzt wird der Ginseng der
Tartarei.

Der mit den Kohlarten, den Rüben und dem Senf nahe verwandte +Rettich+
(~Raphanus sativus~) ist, in gleicher Weise wie Pastinak, Möhre und
Zuckerwurzel aus einheimischen Wildlingen hervorgingen, aus dem als
Ackerunkraut bei uns häufigen Hederich (~Raphanus raphanistrum~)
hervorgegangen. Außer seiner fleischigen Wurzel ist er von ihm
eigentlich nur durch die gleichmäßig verlaufende, glatte Hülse
ausgezeichnet, die beim Hederich noch perlschnurartig eingeschnürt
ist. Diese Pflanze mit violetten Blüten und walzenrunden Hülsen mit
braunschwarzen, runden Samen ist wahrscheinlich in Westasien zwischen
dem armenischen Hochland und Syrien zur Kulturpflanze erhoben worden
und wird seit dem Altertum im ganzen Mittelmeergebiet in mehreren
Varietäten kultiviert. Er gedeiht besonders gut auf gedüngtem,
kalkhaltigem Boden und bedarf ziemlicher Wärme und reichlicher
Wasserzufuhr. Auf dem mit ihm bepflanzten Lande wechselt man meist mit
Salat und Sellerie ab.

Vom +Gartenrettich+ (~Raphanus sativus rapiferus~) mit großer,
weißfleischiger, außen verschieden, weiß bis gelb und braun,
rötlich oder violett gefärbter Knollenwurzel von meist scharfem
Geschmack unterscheidet man zweijährigen +Winter-+ und einjährigen
+Sommerrettich+. Der erstere bildet die ursprüngliche Art, die erst im
nächstfolgenden Frühjahr zum Samentragen angepflanzt wird, wobei die
in der Wurzel aufgespeicherten Nährstoffe zur Blüten- und Samenbildung
aufgebraucht werden. Er hält sich auch den ganzen Winter hindurch,
während der aus ihm hervorgegangene Sommerrettich schon um Weihnachten
den Geschmack verliert. Die Wurzel verdankt ihren scharfen Geschmack
einem schwefelhaltigen ätherischen Öle.

Weil er den Appetit und die Verdauung anregt, wurde der Gartenrettich
schon von den alten Ägyptern, die ihn ~nun~ nannten, angepflanzt. Der
älteste griechische Geschichtschreiber, Herodot von Halikarnassos, im
dorischen Teil der kleinasiatischen Küste zwischen Milet und Rhodos
(484-424 v. Chr.), der Ägypten und Vorderasien bereiste, meldet uns,
daß Rettiche neben Zwiebelgewächsen als Beikost den Fronarbeitern
beim Bau der Pyramide des Cheops (Chufu, um 2900 v. Chr.) in großer
Menge verabreicht wurden, wie noch zu seiner Zeit daran zu lesen
gewesen sei. Und der römische Naturkundige, der ältere Plinius (23-79
n. Chr.), schreibt in seiner Naturgeschichte: „In Ägypten wird der
Rettich sehr geschätzt, weil man aus den Samen ein reichliches Öl
gewinnt. Wenn es die Umstände irgend gestatten, säen die Ägypter lieber
Rettiche als andere Früchte; denn sie ziehen davon mehr Gewinn als
vom Getreide und geben weniger Abgaben davon.“ Auf den altägyptischen
Denkmälern des mittleren Reiches, so in verschiedenen Gräbern der
12. Dynastie (2000-1788 v. Chr.) von Beni Hassan, finden wir ihn
abgebildet, entweder beblättert -- so in einem Korb mit Zwiebeln --
oder unbeblättert. Letzteres ist bei einer Darstellung an den Wänden
des Tempels von Karnak der Fall, wo wir zwei deutlich als solche
charakterisierte Rettichwurzelknollen zwischen anderen Opfergaben
abgebildet finden.

Bei den Griechen und Römern war dieses Knollengewächs als Zukost zu
Brot oder Fladen sehr beliebt. Die Griechen nannten ihn ~raphanís~
und die Römer ~armoracea~, welch letztere Bezeichnung später
irrtümlicherweise von den älteren deutschen Botanikern auf den den
Alten nicht bekannten Meerrettich bezogen und deshalb diesem verliehen
wurde. Er wurde in mehreren Sorten in den Gärten gezogen. Schon der
griechische Pflanzenkundige Theophrast unterschied in der zweiten
Hälfte des 4. vorchristlichen Jahrhunderts vier Rettichsorten. Der
korinthische wachse am stärksten und bilde seine Wurzelknollen über
der Erde, statt wie die übrigen in derselben. Der liothasische, auch
thrakische genannt, sei am unempfindlichsten gegen die Winterkälte.
Der böotische aber schmecke am besten, er sei rund; der kleonäische
dagegen lang ausgezogen. Je glatter die Blätter, desto lieblicher, je
rauher aber, desto schärfer sei der Geschmack dieses Wurzelgemüses. Wie
der römische Naturforscher Plinius (23-79 n. Chr.), so sagt auch der
griechische Arzt Dioskurides (131-200 n. Chr.), daß die Wurzelknolle
des Rettichs mit Salz oder Essig verspeist werde, und daß arme Leute
auch das Kraut als Gemüse kochen. Nach Plinius soll der Rettichwurzel
durch das Kochen die Schärfe genommen werden. So werde sie milder und
könne wie Kohlrüben (~napus~) gegessen werden. Sein Saft, der ja noch
heute mit Zucker gegen Husten genommen wird, sei für die Brust heilsam.
Im Tempel zu Delphi habe man dem Apollo einen Rettich von Gold,
eine Runkelrübe von Silber und eine Rübe von Blei als Weihgeschenk
dargebracht. „Daraus sieht man, daß unser Feldherr Manius Curius nicht
in Delphi geboren ist, denn er saß, wie die Jahrbücher erzählen, an
seinem Herde und war damit beschäftigt, Rüben zu braten, als Gesandte
der Samniten kamen und ihm Gold boten, das er aber zurückwies.“
Derselbe Autor sagt, der Grieche Moschion habe ein besonderes Werk über
den Rettich geschrieben. Er soll im Winter am gesündesten zu essen
sein und stoße weniger auf, wenn man hinterher reife Oliven esse. Der
Weinstock scheue sich vor dem Rettich und ziehe sich vor ihm zurück,
wenn er neben ihm stehe. Daß die Völker nördlich der Alpen den Rettich
von den Römern kennen lernten, beweist schon das deutsche Radi und
Radieschen wie Rettich, ebenso das französische ~radis~ und englische
~radish~, das vom lateinischen ~radix~ (Wurzel), der vulgär-römischen
Bezeichnung dieser Wurzelknolle, herrührt. Erst seit dem Mittelalter,
da Karl der Große sie auf seinen Gütern anpflanzen ließ, hat sie
bei den Germanen und später auch bei den Slawen weitere Verbreitung
gefunden.

Außer dem Gartenrettich kannten die Kulturvölker am Mittelmeer wohl
bereits im Altertum die +Radieschen+ (~Raphanus sativus radicula~)
oder +Monatsrettiche+ mit kleiner, kugeliger oder rübenförmiger
Knollenwurzel und roter, violetter oder weißer Schale. Sie sind
einjährig und werden in mehreren Varietäten in Glashäusern, in
Mistbeeten oder im Freien gepflanzt. Diese stammen nicht vom
einheimischen Hederich, sondern von einer anderen, in Westasien
wildwachsenden Art. Aus Zentralasien dagegen stammt der +Ölrettich+
(~Raphanus sativus oleiferus~) mit kleiner, holziger Wurzel, aber
ölreichen Samen, der der Stammform am nächsten steht und besonders in
China angepflanzt wird. Er liefert als Sommerfrucht fast denselben
Ertrag wie der Winterraps, nur erfordert die Kultur mehr Umsicht als
diejenige des Rübsens, ist aber sicherer. Das von ihm gewonnene Öl ist
nicht ganz so gut wie Rüböl; das Stroh ist härter als Rübsenstroh,
aber die Schoten sind als Viehfutter nahrhafter als jenes. Von solcher
Verwendung der Rettiche im alten Ägypten war bereits die Rede. Ein
ostasiatischer Ölrettich ist der in Japan heimische +geschwänzte
Rettich+ (~Rhaphanus caudatus~), der dort wegen seiner langen,
genießbaren und sehr wohlschmeckenden Samenschoten im großen angebaut
wird und teilweise auch schon in unseren Gärten Eingang gefunden hat.

Ein ähnliches, schwefelhaltiges, ätherisches Öl wie die Rettiche
besitzt der +Meerrettich+ (~Cochlearia armoracea~), eine mit den
Rettichen sehr nahe verwandte, ausdauernde Kruzifere. Sie liebt
Lehmboden, wird 60-90 cm hoch, trägt weiße Blüten und elliptische
Schötchen; doch reifen an der Kulturform fast niemals Früchte. Sie
wird wegen des unterirdischen Wurzelstocks gezogen, der bei der wilden
Stammform wie auch bei der wiederum verwilderten Form nur dünn und
holzig ist, während er bei der Kulturform dick und fleischig wurde,
und ist in Ost- und Südrußland heimisch, wird aber verwildert durch
ganz Europa und neuerdings auch in Nordamerika an Flußufern gefunden.
Auf ihrer Wanderung nach Westen hat sie ihren russischen Namen Chren
weithin bewahrt; so findet er sich in allen slawischen Sprachen wieder.
Auch in Wien ist der Kren genannte Meerrettich gerade so populär wie
die saure Gurke in Berlin. Im westlichen Frankreich pflegte man ihn
früher ~moutarde des allemands~ zu nennen. Früher benutzte man ihn
auch arzneilich. Sein deutscher Name Meerrettich hat mit dem Meer
durchaus nichts zu tun und sollte Mährrettich, in der Bedeutung von
Pferderettich, geschrieben werden. Jedenfalls ist seine Ableitung durch
Verballhornung aus der mittellateinischen botanischen Bezeichnung
~armoracea~, wie sie von manchen Botanikern erklärt wird, durchaus
falsch.

Von den Römern haben die Mitteleuropäer die +weiße Rübe+, auch
+Stoppelrübe+ -- weil sie meist im Herbst auf den Stoppeln gebaut
wird -- oder Turnips genannt (~Brassica rapa rapifera~), kennen
gelernt. Dabei wurde aus dem lateinischen ~rapa~ das althochdeutsche
~raba~ und ~ruoba~. Sie ging aus der wilden Rübe hervor, deren
ursprünglich spindelförmige, dünne Wurzel durch Kultur fleischig
wurde und eine mächtige Entfaltung erlangte, und bildete schon bei
den Römern neben der menschlichen Nahrung ein wichtiges Viehfutter.
Sie wurde nach Columella, dem in Gades in Spanien geborenen römischen
Ackerbauschriftsteller im 1. Jahrhundert n. Chr., zweimal im Jahr, und
zwar zu denselben Zeiten wie der Rettich, am besten aber im August,
gesät. Er sagt, sie gebe dem Menschen und dem Vieh Nahrung und werde
besonders in Gallien in bedeutender Menge als Viehfutter angebaut. Er
gibt genau an, wie sie in Salz eingemacht werden soll. Doch die beiden
Ärzte Galenos und Dioskurides sind, wie wir heute noch, der Ansicht,
daß sie sehr wenig nahrhaft sei und blähe. Ersterer sagt, man müsse
sie zweimal kochen, wenn sie einem gut bekommen soll. Karl der Große
empfahl sie den Franken zum Anbau. Bei allen Germanenstämmen spielte
sie das ganze Mittelalter hindurch eine wichtige Rolle neben dem als
~krût~, d. h. Kraut bezeichneten, ebenfalls mit Vorliebe in Salz
eingemachten Kohl. So neckt der Begründer der höfischen Dorfpoesie,
der Minnesänger Neidhart von Reuenthal, der zwischen 1210 und 1240
dichtete, in einem uns erhaltenen Poem seine bäuerliche Geliebte mit
ihrer Vorliebe für Rüben. Mit ihrem Kraut klein gehackt, gedämpft
und mit Speck gekocht, waren sie als ~rüebekrût~ ein gebräuchliches
Klosteressen. Eine besonders wohlschmeckende Abart mit verhältnismäßig
langer, aber dünn bleibender Wurzel bilden die Teltower oder märkischen
Rüben, so genannt nach der Stadt Teltow in der Mark Brandenburg, in
deren Umgebung sie zuerst im großen gezüchtet wurden und die noch heute
Berlin und das Land weithin mit ihren Erzeugnissen versorgt.

Von den Kulturvölkern des Altertums wurde auch die +Runkelrübe+
(~beta~), von uns auch +Rübenmangold+ genannt (~Beta vulgaris~), nicht
nur vom Vieh, sondern auch von den Menschen gern gegessen. Sie ist im
Mittelmeergebiet und in Westasien heimisch und wurde, wie aus einer
Abbildung in einem Grabe der 12. Dynastie (2000-1788 v. Chr.) von Beni
Hassan bei Theben hervorgeht, in Ägypten schon zur Zeit des mittleren
Reiches kultiviert. Da sehen wir einen Mann im Lendenschurz, wie ihn
alle Arbeiter im Niltal damals trugen, ein großes, knolliges Gewächs
in Gestalt einer Runkelrübe zu einem Bündel von askalonischen Zwiebeln
auf ein großes Tragbrett legen. Heute noch wird sie in mehreren
Varietäten im Niltal kultiviert. Auch die Griechen und Römer bauten
sie als Gemüse an. Plinius sagt, man säe sie im Frühling und Herbst
und esse sie mit Linsen und Saubohnen, setze auch, um ihren matten
Geschmack zu verbessern, Senf hinzu. Die Ärzte hätten übrigens die
Meinung aufgestellt, sie sei weniger zuträglich als Kohl, und manche
wollten sie nicht essen und behaupteten, sie seien eine Speise, die nur
Starken gut bekomme. Sie wachse meist als aus der Erde hervorragende
Rübe und sei um so schöner, je breiter sie werde. Man könne sie dadurch
breit machen, daß man etwas Schweres auf sie legt, sobald sie anfängt
sich zu färben. In günstigem Boden wie bei Circeji könne sie zwei Fuß
breit werden.

Die zweijährige Pflanze stammt bestimmt von einer an den Küsten
Europas bis nach der Nordsee verbreiteten Meldenart mit dünner
Pfahlwurzel, ~Beta maritima~, und bildet im ersten Jahr die Rübe
aus, die im September oder Oktober reift. Nur etwa 1 Prozent der
Pflanzen entwickelt wie die wilde Form schon im ersten Jahr einen
Stengel, treibt Blüten und reift den Samen, und zwar wird dieser
Rückfall in frühere Zustände nachgewiesenermaßen durch die Nachtfröste
des Frühjahrs ausgelöst. Die zur Samenzucht auserlesenen Rüben
werden im zweiten Jahre wieder ausgepflanzt, aber auch unter diesen
kommen Abweichungen vor, Trotzer, die im zweiten Jahre noch nicht
blühen und ein drittes Jahr leben möchten. Die meist aus dem Boden
hervorwachsenden Rüben gedeihen noch überall, wo Wintergetreide gebaut
werden kann. Die gewöhnlichste Vorfrucht vor ihrem Anbau ist gedüngtes
Wintergetreide oder Gerste, die Nachfrucht Sommergetreide oder
Hülsenfrüchte. Die eiweißreichsten Formen sind die Futterrunkelrüben,
die zuckerreichsten, deren Zuckergehalt man bis 10 und 18 Prozent
getrieben hat, sind die zur Rübenzuckerfabrikation verwendeten
Zuckerrüben und die mit dünner Schale, zartem Fleisch und purpurrotem
Saft versehenen Salatrunkeln oder roten Rüben, in Süddeutschland Rahnen
genannt, werden als Salatpflanzen kultiviert, um gekocht und in Essig
eingelegt oder frisch als Suppe -- in Norddeutschland als Betensuppe,
in Rußland als Borschtsch -- gegessen zu werden. In bezug auf Nährwert
stehen die Runkelrüben zu weißen Rüben wie 9 : 16, zu Kohlrüben wie
11 : 9 und zu Kartoffeln wie 40-46 : 20.

Mit anderen kräftigen Futterarten zusammen geben sie ein
vortreffliches Mastfutter, haben aber leider wie alle hochkultivierten
Nutzpflanzen unter zahlreichen tierischen und namentlich pflanzlichen
Feinden zu leiden. Bei den Zuckerrüben tritt z. B. häufig ein als
Rübenmüdigkeit bezeichneter plötzlicher Stillstand im Wachstum ein, der
dadurch hervorgerufen wird, daß ein kleiner Fadenwurm, das Rübenälchen
(~Heterodera schachtii~ und ~H. radicicola~) an den Wurzelfasern der
Rüben saugt. Man bekämpft diese Krankheit durch mehrmaligen Anbau von
Fangpflanzen wie Rübsen und Raps, die man nach etwa vier Wochen, sobald
sich die Einwanderung der Fadenwürmer mikroskopisch nachweisen läßt,
durch Herauspflügen zerstört, wobei dann die Würmchen zum größten Teil
absterben.

Die Runkelrübe wird auch als +Mangold+ oder +römischer Spinat+
(~Beta cicla~) auf Blattsubstanz kultiviert; dabei hat sie eine
kaum fleischige Wurzel, aber stärker entwickelte Blattstiele von
grünweißer, gelber oder roter Farbe. Man genießt die Blätter als Spinat
und die fleischigen Blattstiele und mittelsten Blattrippen gedämpft
und an Süßbuttersauce wie Spargel. Schon die alten Griechen bauten
ihn, wie jetzt die Perser und Inder, als Gemüse an. Der attische
Lustspieldichter Aristophanes (455-387 v. Chr.) wirft dem großen
Euripides vor, seine Mutter sei eine Gemüsehändlerin gewesen und habe
Mangold auf den Markt gebracht. Die Römer kannten zwei Abarten davon.
Karl der Große empfahl auf seinen Gütern den Anbau von ~beta’s~. Von da
an verbreitete sich die Kultur des Mangolds nach und nach durch ganz
Europa und gelangte im 17. Jahrhundert auch nach Nordamerika.

Durch eine ganz außerordentliche Fülle von Kulturformen, nämlich etwa
120, ist der +Gartenkohl+ (~Brassica oleracea~) ausgezeichnet, dessen
Stammpflanze, der Saatkohl, auf den felsigen Küsten Europas vom Strande
Norditaliens bis nach Helgoland und der dänischen Insel Laland, auch im
südlichen England und Irland wild wächst. Schon in vorgeschichtlicher
Zeit ist dieser Wildling von irgend welchen Küstenbewohnern Europas
angepflanzt und durch Kulturauslese zur Kulturpflanze erhoben worden,
wie die Stämme im Innern die Melde (~Chenopodium~) anpflanzten, so daß
schon zur jüngsten Steinzeit nicht bloß die Blätter, sondern auch die
Samen derselben, die nach dem Botaniker Oswald Heer zu den häufigsten
Vorkommnissen im neolithischen Pfahlbau von Robenhausen gehören,
gegessen wurden. Letzteres geschieht auch heute noch zu Zeiten von
Hungersnot in Südrußland als Ersatz für das fehlende Brot, indem die
Samen, zu einem Teig verbacken, gegessen werden.

Die ältesten Ägypter haben den Kohl nicht gekannt. Erst die Griechen,
die sich seit dem 6. vorchristlichen Jahrhundert in einigen
Küstenstädten zu Handelszwecken niedergelassen hatten, brachten ihn
ins Land, wo er unter der griechischen Bezeichnung ~krámbē~ hie und da
angebaut wurde. So finden wir Überreste von ihm unter den Totenbeigaben
der griechisch-römischen Nekropole von Hawara im Fajûm. Die Griechen
scheinen den Kohl so hoch wie die Rüben geschätzt zu haben. Theophrast
im 4. vorchristlichen Jahrhundert unterscheidet drei Arten von Kohl:
den krausblätterigen, den glattblätterigen und den wilden, und der vier
Jahrhunderte nach ihm lebende griechische Arzt Dioskurides aus Kilikien
sagt: „Der Kohl ist gesünder, wenn er nur warm gemacht, als wenn er
eigentlich gekocht oder gar zweimal gekocht wird. Er wird auch als
Arznei zu mancherlei Kuren verwendet.“

In noch höherem Ansehen als bei den Griechen stand der Kohl bei den
Römern, bei denen er ~brassica~ hieß. Auch sie scheinen ihn wie die
Griechen mit Vorliebe roh gegessen zu haben. Schon der ältere Cato
(234-149 v. Chr.), der unversöhnliche Gegner des wiederaufblühenden
Karthago, preist ihn geradezu als das beste Gemüse. Er sagt von ihm:
„Der Kohl ist das allerbeste Gemüse. Iß ihn roh oder gekocht. Willst
du ihn roh essen, so tauche ihn in Essig; dann ist er der Verdauung
förderlich und gesund. Etwas Kohl mit Essig vor der Mahlzeit und wieder
etwas nach der Mahlzeit genossen, tut wohl. Gekochter Kohl dient mit
Zusätzen vielfach als Arznei. Als Speise für Kranke wird er erst eine
Zeitlang in Wasser gelegt, dann darin in einem Topfe tüchtig gekocht.
Darauf wird das Wasser abgegossen, Olivenöl, etwas Salz, Kreuzkümmel
und Mehl hinzugetan und wieder tüchtig gekocht.“ Mit diesem Kohlgemüse
behandelte er, wie jeder andere ~pater familias~ -- unter der Familie
wurden bei den alten Römern nicht bloß die Angehörigen, sondern auch
das aus leibeigenen Sklaven bestehende Gesinde verstanden -- der guten,
alten Zeit die Seinigen in Krankheitsfällen.

Der aus Spanien um die Mitte des 1. christlichen Jahrhunderts nach
Rom gezogene Ackerbauschriftsteller Columella zählt den Kohl mit dem
Salat, der Kresse, der Zuckerwurzel, dem Pastinak, der Artischocke
und den Küchenkräutern Koriander, Kerbel, Dill zu den Gemüsen, die
sowohl im Herbst als im Frühjahr gesät werden können. Besser aber
sei es, dies im Frühjahr, und zwar im Februar zu tun. „Hat die junge
Kohlpflanze Blätter getrieben und soll versetzt werden, so bestreicht
man ihre Wurzel mit flüssigem Mist und legt drei Streifen von Seetang
darum, ehe man sie einpflanzt. Dadurch wird bewirkt, daß später die
Blätter beim Kochen, auch ohne Zusatz von Soda, grün bleiben. In kalten
Gegenden und in solchen, in denen es oft regnet, verpflanzt man den
Kohl am besten um die Mitte von April. Ist die Pflanze eingesetzt und
hat Wurzel gefaßt, so wächst sie um so kräftiger und bildet um so
größere Blätter und Sprosse, je öfter man sie behackt und bedüngt.“

Man schnitt vom Kohl den ganzen Sommer und Herbst über die Blätter
ab, um sie, roh oder gekocht, als Speise zu genießen. Als besonders
wohlschmeckend und zart galten nach Plinius (23-73 n. Chr.) die jungen
Sprosse. Dieser Gelehrte ist in seiner Naturgeschichte ungehalten
darüber, daß die Genußsucht unter seinen Landsleuten immer weitere
Kreise erfaßt habe und sie sich nicht mit den Speisen der biedern,
tapfern Vorfahren, vor allem auch mit dem Kohl, den jene mit Vorliebe
gegessen hätten, begnügen wollen. Er schreibt darüber: „Der Kohl, den
die Griechen nicht sonderlich schätzen, spielte bei den Römern eine
sehr bedeutende Rolle, und dessen medizinische Eigenschaften hielt Cato
für sehr wichtig. Man sät, pflanzt und schneidet ihn das ganze Jahr.
Nach dem Frühjahrsschnitt treibt er gleich wieder und diese Triebe sind
noch wohlschmeckender und zarter als die Blätter. -- Dem Schwelger
Apicius und dem von ihm verleiteten Prinzen Drusus (dem jüngeren Bruder
des Kaisers Tiberius, geboren 38 v. Chr., unterwarf im Jahre 15
v. Chr. Rätien, drang in drei Feldzügen in den Jahren 12-9 v. Chr. vom
Rhein her tief nach Germanien ein und starb auf dem Rückzug infolge
eines Sturzes vom Pferd) schmeckte der Kohl nicht und deshalb bekam er
Vorwürfe von seinem Vater Tiberius Claudius Nero.“

Plinius, der uns solches berichtet, fährt dann fort: „Statt sich mit
der einfachen Lebensweise unserer Vorfahren zu begnügen und sich
aus den eigenen Gemüsegärten die für den Unterhalt nötige Speise zu
holen, hält man es jetzt für klüger, mit Gefahr des Schiffbruchs
und des Ertrinkens in die Tiefe des Meeres zu tauchen, um dort
Austern aufzusuchen, Geflügel jenseits des verrufenen Phasisflusses
zu holen (jetzt Rioni genannter Fluß in dem durch die Giftmischerin
Medea berüchtigten Kolchis, nach dem die giftige Herbstzeitlose
~Colchicum~ genannt wurde, während die hier gemeinten Vögel die von
dort bezogenen, nach dem Phasisflusse als ~phasiani sc. galli~, d.
h. Hühner von Phasis, genannten Fasanen sind) und anderes Geflügel
(nämlich Perlhühner, von den Römern ~numidae aves~, d. h. numidische
Vögel genannt) aus Numidien (etwa dem heutigen Algerien entsprechendes
Königreich, das seit 49 v. Chr. römische Provinz war) und von den
Gräbern der Neger, oder mit Raubtieren zu kämpfen und sich von
Bestien fressen zu lassen, die man zur Speise für andere Leute fangen
wollte (bezieht sich wohl auf die Bären, deren Fleisch auch die Römer
gern aßen). In unserer Zeit hat die Schwelgerei alles aufs äußerste
gesteigert: Der Reiche will bessere Früchte essen als der Arme, er
will Weine trinken, die wuchsen, ehe er lebte, er will von vielen
Feldfrüchten nur das Mark genießen, er will anderes Brot essen als
das Volk, und das Getreide wird in allen Schichten der Gesellschaft,
bis zum ganz gemeinen Mann hinab, verschieden zubereitet. Auch in
Gemüsen macht man einen Unterschied, selbst in solchen, die man für ein
As (Kupfergeld im Werte von 4 Pfennigen) kauft. Mancher Stengelkohl
(~caulis~) wird jetzt so groß gezogen, daß ihn der Mittelstand nicht
gebrauchen kann, weil er für seinen Tisch zu groß ist. Den Spargel
(~corruda~) läßt die Natur wild wachsen, damit ihn jeder nach Belieben
stechen kann. Jetzt aber stellt man künstlich gezogenen Spargel
(~asparagus~) zur Schau und in Ravenna wiegen drei Stück davon zusammen
ein Pfund. Solche Ungeheuer werden für den Bauch gezogen! Wollte jemand
dem Vieh verbieten, Disteln zu fressen, so klänge das sonderbar; es
gibt aber Disteln (gemeint sind die Artischocken), deren Genuß sich
für arme Leute von selbst verbietet, weil sie zu teuer sind. Selbst im
Wasser liegt ein Unterschied. Der Reiche trinkt im Sommer Schnee oder
Eis und läßt sich Dinge wohl schmecken, die den Gebirgen lästig sind.“

Von den verschiedenen, im alten Rom verzehrten Kohlsorten erwähnt
Plinius den Tritianer oder Stengelkohl, der stets bis zur Spitze mit
Erde behäufelt wurde, so daß sich am Strunk keine Blätter bildeten.
Weil man von ihm nur die zarten, weißen Stengel aß, hieß diese Sorte
insbesondere ~caulis~ (d. h. Stengel). Beim Cumaner schlossen die
Blätter den Strunk ein und es bildete sich ein breiter Kopf; besonders
große Köpfe (~caput~) bildete der aus dem aricischen Tale stammende
Lacuturrische, so genannt, weil dort ein See mit einem Turm am Ufer
steht. Der Aricische wuchs nicht hoch und hatte zahlreiche, zarte
Blätter; man hielt diese Sorte für die beste, weil sie neben jedem
Blatte besondere Sprosse ausbildete. Schlanker war der Pompejaner,
dessen Blätter schmäler waren und lockerer standen. Einen dünnen
Strunk und große Blätter von scharfem Geschmack besaß der Bruttische,
während diejenigen des Sabellischen wunderlich kraus waren. Die an der
Meeresküste wachsende Kohlart ~halmyridion~ (wohl der Meerkohl ~Crambe
maritima~) aber wurde besonders auf lange Meeresreisen mitgenommen,
weil er sich, in leere Ölkrüge möglichst luftdicht eingepreßt, sehr
lange grün erhielt. Alle diese Sorten Kohl wurden nach Plinius durch
einen Reif viel wohlschmeckender.

Sauerkraut haben die alten Römer und Griechen noch nicht gekannt.
Bei ihnen konservierte man den Kohl auf andere Weise. Des Plinius
Zeitgenosse Columella berichtet uns darüber folgendes: „Gegen die
Zeit der Weinernte macht man verschiedene Kräuter ein, wie Portulak
und später Kohl, den einige auch zahme ~battis~ nennen. Diese Kräuter
werden sorgfältig gereinigt und im Schatten ausgebreitet. Am dritten
Tage wird Salz auf den Boden der Tonkrüge, in denen sie aufbewahrt
werden sollen, gestreut, dann wird jedes der genannten Kräuter für sich
hineingelegt, Essig darüber gegossen und Salz aufgestreut. Salzlake
darf man für diese Kräuter nicht in Anwendung bringen.“

So wenig als die Gartenmelde ist der Kohl von den germanischen
Stämmen des Altertums angepflanzt worden, sondern sie lernten ihn von
den Römern kennen, wobei sie aus dem lateinischen ~caulis~, d. h.
Stengel, ihre Bezeichnung Kohl für ihn bildeten. Besonders durch die
Vermittlung der Klostergärten ist dieses Gemüse im frühen Mittelalter
in den Ländern nördlich der Alpen populär gemacht worden, wobei von
den verschiedenen von den Römern übernommenen Kulturvarietäten des
Kohls besonders auch der Kopfkohl, althochdeutsch ~chapuz~ -- vom
mittellateinischen ~caputium~ (Kopf), mittelhochdeutsch ~kabez~ und
neuhochdeutsch ~kabis~ -- viel angebaut wurde. Das ganze Mittelalter
hindurch war er ein äußerst beliebtes Volksgericht, was schon dadurch
bezeugt wird, daß nach altem Brauch die Pflanzplätze für Gemüse einfach
nach der vorzugsweise angebauten Krautart Kohlgärten hießen. Ein
~Calendarium~ des 14. Jahrhunderts sagt, Kohl essen dürfe man das ganze
Jahr, nur im Dezember nicht, und ein Samländer, dem die preußischen
Ordensritter ihre Burg zu Balga zeigten und der sie dort Kohl essen
sah, riet seinen Landsleuten, die Ritter nicht anzugreifen; denn wer
könne einem Volke widerstehen, das so genügsam sei und Gras als Speise
verwende.

Die von uns heute besonders angepflanzten Kohlsorten sind: 1. der
+Blattkohl+, der der Stammform am nächsten steht, mit flacher, von
ausgebreiteten Blättern gebildeter, selten etwas aufgerichteter
Rosette an hohem Stengel; 2. der +Winterkohl+ mit hohem Stengel und
flachen, mehr oder weniger zerschlitzten, krausen Blättern, die sich
nicht zu einem Kopfe schließen; 3. der +Rosenkohl+, der dem vorigen
an Wuchs ähnlich ist und ebenfalls einen hohen Stengel bildet, an
dessen Spitze sich ein halbgeschlossener Kopf mit blasigen Blättern
befindet; aus den Achseln der unteren Blätter aber, die beizeiten
abgestoßen werden, wachsen zu kleinen, dicht geschlossenen Köpfchen
werdende Seitenknospen hervor, die zu Winterbeginn ein feines Gemüse
abgeben. Vielfach werden die ausgerissenen Stengel mit Wurzelballen
an einem frostfreien Orte, mit Laub bedeckt, aufbewahrt, damit die
„Rosen“ bleicher und zarter werden; 4. der +Wirsing+ mit blasigen,
krausen Blättern, die sich zu einem Kopfe schließen. Diese Abart heißt
auch Welschkohl, weil sie zuerst in Südeuropa kultiviert wurde und
von dort wahrscheinlich erst im 17. Jahrhundert mit andern Gemüsen
bei uns eingeführt wurde; 5. der +Kopfkohl+ oder +Kabis+, schlechthin
als +Kraut+ bezeichnet, mit ebenfalls gedrängtem Wuchs, an dem nur
die äußeren Blätter locker auseinander treten, während die nun meist
völlig glatt gewordenen inneren einen festgeschlossenen Kopf bilden.
Man unterscheidet Früh- und Spätkraut, wie auch Weiß- und Rotkraut, bei
welch letzterem die gleichfalls zu einem runden Kopfe geschlossenen
Blätter durch einen intensiven Farbstoff rot bis violett gefärbt
sind. Während der Rotkohl dünn gehobelt als Gemüse gekocht und als
Salat mit Essig und Öl, Salz, Pfeffer und Senf roh gegessen wird,
wird der Weißkohl, wie auch das Filderkraut mit länglichem, weißem
Kopfe, gehobelt und, mit Salz und Dill oder Wacholderbeeren bestreut,
in Tonnen eingelegt, wobei sich eine durch den Milchsäurebazillus
eingeleitete Gärung vollzieht und +Sauerkraut+ entsteht. Dieses mit
Recht als Nationalspeise der Deutschen bezeichnete Gericht kam erst
im Mittelalter als eine Entlehnung von den Slawen, die heute noch die
Hauptsauerkrautesser sind, zu den Deutschen, die es bis heute noch
nicht recht an die Franzosen weiterzugeben vermochten. Wie der römische
Ackerbauschriftsteller Columella im 1. Jahrhundert n. Chr. angibt,
machten die Römer zwar auch Kohl ein, aber in ganzen Köpfen mit Salz
überstreut und Essig übergossen. Diese als ~compositum~ -- woraus dann
das mittelhochdeutsche ~kumpost~ hervorging bezeichnete Kohlkonserve
wurde als römisches Erbe in den Klöstern des frühen Mittelalters
hergestellt, fand aber keinen Eingang beim Volke. Erst das slawische
Verfahren der Sauerkrautbereitung hat dann wenigstens in Deutschland
allgemeine Verbreitung gefunden.

Während wir das Sauerkraut nur als Gemüse zu Kartoffeln oder Erbsen
mit Schweinefleisch essen, verzehren es die Russen häufig in der
Suppe. Es ist ein Bestandteil der zwei russischen Nationalsuppen,
~Borschtsch~ und ~Schtschi~ genannt. Beides sind mit einem Stück
gekochtem Rindfleisch und viel Gemüse hergestellte Fleischbrühen.
Erstere enthält außer Weißkohl hauptsächlich rote Rüben und Tomaten,
die sie ganz rot färben, letztere dagegen vorzugsweise Spinat oder
Sauerampfer, die ihr eine grüne Farbe verleihen. Zu beiden wird in
verhältnismäßig großen Töpfen säuerlicher Rahm genossen. Überhaupt ist
der Kohl in der verschiedensten Zubereitung ein Hauptnahrungsmittel der
niederen Bevölkerung Rußlands wie bei uns die Kartoffel, und wird in
gewaltigen Mengen angepflanzt. Auch das Militär pflanzt seinen eigenen
Kohl; jede Truppeneinheit bekommt ihr besonderes Kulturfeld, und
diejenige Kompagnie, die den besten Kohl erzielt hat, wird vom Kommando
ausgezeichnet.

Alles Kraut, auch das Sauerkraut, will nach schon altrömischer
Gewohnheit reichlich mit Fett, Speck oder Schmalz gekocht sein.
Wie einst in Italien und dann im Mittelalter bei uns sind heute
noch Kohlsuppen und Kohlgemüse durch ganz Europa in fast allen
Gesellschaftskreisen beliebt. Er ist auch ein Bestandteil des
englischen Nationalgerichtes, ~joint~ genannt, das in der Weise
hergestellt wird, daß man in derselben Pfanne Kartoffeln mit Spinat und
Kohl ohne Butter, aber mit Schaffleisch ohne Salzbeigabe kocht.

Weiter haben wir 6. den +Kohlrabi+, bei dem auf Kosten und unter
ziemlicher Unterdrückung der Blattbildung sämtliche Nährstoffe
sich im stark verdickten, fleischigen Stengel ansammeln. Dadurch
ist der anfangs dünne Strunk zu einem fleischigen, grünen, weißen
oder rotvioletten Knollen angeschwollen, aus dem dann die Blätter
entspringen. Wie beim Früh- und Spätkraut gibt es auch bei ihm eine im
Herbst gesäte frühe Sorte, welche aber weniger fein ist als die späte,
im Frühjahr gesäte. Dieser wird als geschätztes Gemüse gekocht, dem man
die zarteren Blätter beifügt; 7. der +Blumenkohl+, dessen Blütenstand
zu einer fleischigen Masse entartet ist und weitaus das feinste Gemüse
aus der Kohlsippe liefert. Neuerdings wird er massenhaft aus Italien,
wo seine Kultur in der neueren Zeit sehr schwungvoll betrieben wird,
zur Winterszeit bei uns eingeführt; 8. der +Spargelkohl+, mit seinem
italienischen Namen auch ~Broccoli~ genannt. Er wurde, wie schon aus
dem Namen hervorgeht, aus dem Süden bei uns eingeführt.

In West- und Südeuropa werden noch verschiedene andere Kohlarten
kultiviert, so der durch starke Verlängerung des Stengels
hervorgegangene +Baum-+ oder +Riesenkohl+, eine Abart, welche
Mannshöhe erreicht und hauptsächlich als Futtergemüse angebaut wird.
Von ihm werden jeweilen nur die Blätter abgebrochen und als beliebtes
Gemüse auch für den Menschen gekocht. In Portugal bilden seine Blätter
eine Hauptspeise der Bevölkerung, und auf der englischen Kanalinsel
Jersey, wo diese Kohlsorte 4-5,5 m hoch wird, macht man aus seinen
Stengeln, die sonst, getrocknet, höchstens als Brennmaterial Verwendung
finden, seit etwa 40 Jahren Spazierstöcke, die als Spezialität der
Insel gerne von den Fremden als Andenken mitgenommen werden. Auch im
ganzen Morgenland bis Persien und Abessinien wird allerlei Kohl zum
Teil in solch hohen Formen gepflanzt und von den Eingeborenen gerne
roh, mit Knoblauch oder Zwiebeln und Brot gegessen.

In ihrer Verwandtschaft zu den Kohlgemüsen am nächsten stehend, aber
von einer anderen, gleichfalls wie der wilde Kohl im nordwestlichen
Deutschland noch teilweise wild, sonst aber allenthalben verwildert
vorkommenden Stammpflanze, dem Raps (~Brassica napus~) sich ableitend,
den wir unter den ölliefernden Pflanzen kennen lernen werden, ist die
als +Kohlrübe+ oder +Erdkohlrabi+ (~Brassica napobrassica~) bekannte
Rübe, deren gelbe Varietät ein beliebtes Speisegemüse bildet, während
die weiße meist nur als Viehfutter benutzt wird. Diese Rübe mit
ihren bis kindskopfgroß anschwellenden Wurzelknollen ist wohl die
anspruchsloseste von allen Gemüsesorten, da sie in äußerst exponierter
Lage und in jedem Boden, in welchem andere Kohlarten unmöglich mehr
fortkommen, noch gut gedeiht.

Je primitiver der Kulturzustand eines Volkes ist, um so größer
ist die Auswahl der wildwachsenden Kräuter, deren saftige, grüne
Blätter gesammelt und, anfänglich roh, später, mit der Erfindung von
Kochgeschirren, in denen Wasser zum Sieden gebracht werden konnte,
auch gedämpft und mit Salz versetzt und so schmackhafter gemacht,
verspeist wurden. Um sich das mühsame Suchen nach dergleichen Speise,
wie auch nach eßbaren Wurzeln und Samen der verschiedensten Pflanzen
zu erleichtern, war es sehr naheliegend, daß hier und dort eine um
ihre eigene Ernährung und diejenige ihrer Kinder besorgte Frau, zu
deren Hauptbeschäftigung das Suchen von pflanzlicher Speise gehörte,
an nur ihr bekannten, leicht erreichbaren Orten solche durch Aussaat
anpflanzte und so den ersten Grund zum Hackbau legte. Durch Auswahl der
kräftigsten und die gewünschten Eigenschaften vorzugsweise aufweisenden
Exemplare zur jeweiligen Vermehrung durch Samen ergab sich dann von
selbst eine Kulturauslese, welche nach und nach zur Rassenverbesserung
führte. Wenn wir nun, wie vorhin erwähnt, solche Mengen von Meldesamen
in der über 4000 Jahre alten Kulturschicht des spätneolithischen
Pfahlbaues von Robenhausen im Kanton Zürich finden, so dürfen wir wohl
den naheliegenden Schluß daraus ziehen, daß das meiste desselben,
wenn nicht aller, aus kultivierter Melde und nicht von wildwachsender
gesammelt wurde, da ja jene Leute einen ausgedehnten Hackbau am Lande,
in der Nähe ihrer Pfahlbauansiedelungen, betrieben und verschiedene
Getreidearten und Lein, nebst Mohn, Erbse, Pastinak und Möhre
pflanzten, zu denen in der Bronzezeit die uns später in einer etwas
ergiebigeren Art mit größeren Samen bei den Kelten entgegentretende
Zwergsaubohne und kleine Feldlinse, beide damals noch mit äußerst
kleinen Samen, hinzukamen.

Jedenfalls ist seit Urzeiten neben anderen saftigen Kräutern auch
die +Brennessel+ (~Urtica urens~ und ~dioica~) gesammelt und als
Gemüse verspeist worden, wie dies heute noch manchenorts auch bei uns
geschieht. So sagt schon der berühmte griechische Arzt Hippokrates (460
bis 364 v. Chr.): „Die Nessel (~knídion~) gehört zu denjenigen Stoffen,
die den Leib reinigen.“ Theophrast im 4. Jahrhundert v. Chr. sagt:
„Will man Nesseln essen, so brüht man sie vorher ab.“ Der römische
Dichter Horaz (65-8 v. Chr.) schreibt in einer seiner Episteln: „Man
kann ganz einfach von Kräutern (~herba~) und Nesseln (~urtica~)
leben.“ Meist wurden sie gepfeffert genossen, wofür der unter Tiberius
lebende römische Feinschmecker M. Gabius Apicius in seinem berühmten
Kochbuch folgendes Rezept gab: „Man siede Nesseln, seihe das Wasser ab,
zerkleinere sie fein mit dem Wiegemesser und dämpfe das Gewiegte auf
heißer Asche mit Olivenöl, füge Fischsülze (~garum~) und gestoßenen
Pfeffer hinzu, verrühre die Mischung mit Zusatz von Eiern und bestreue
das Gericht mit Pfeffer.“ Plinius berichtet, daß die Brennessel zur
Blutreinigung genossen werde: „Die jungen Frühjahrstriebe gewähren
eine nicht unangenehme Nahrung, auf deren Gebrauch manche Leute
gewissenhaft halten, weil sie glauben, dadurch für das ganze Jahr jede
Krankheit abhalten zu können. Die Wurzel der Nessel bewirkt auch,
daß Fleisch, mit dem sie gekocht wird, zarter wird. Die Nessel dient
in sehr verschiedener Weise zu Heilzwecken, worüber namentlich der
(griechische) Naturforscher Phanias geschrieben hat. Ihr Samen muß zur
Erntezeit gesammelt werden, und man bezieht den besten von Alexandria.“
Nesselsamen mit Pfeffer gekocht wurde nach Ovids ~ars amandi~ von
manchen Leuten als Aphrodisiakum genommen, auch wurde daraus, wie
Plinius berichtet, Öl gewonnen. Der 87 v. Chr. in Verona geborene und
57 in Rom gestorbene römische Dichter Catull schreibt in einem seiner
kleinen Gedichte: „Ich habe einen tüchtigen Schnupfen und Husten gehabt
und mich mit Basilie (~ocimum~) und Nessel kuriert.“ Der griechische
Arzt Galenos dagegen (geb. 131 n. Chr. in Pergamon, praktizierte
daselbst und dann in Rom, wo er um 200 starb) meint: „Die Brennessel
hat nur geringe Kräfte, wird aber von Leuten gegessen, die Hunger
haben, und bekommt ihnen gut.“

Noch im Mittelalter wurden die Blätter und Samen des wilden +Senfes+,
wie auch des +Sauerampfers+ (~Rumex acetosa~) bei uns gesammelt
und gegessen, wie wir heute noch die zarten, jungen Blätter des
+Löwenzahns+ (~Taraxacum officinale~) sammeln, um sie wie Spinat
gekocht oder als Salat angemacht zu verspeisen. Durch Kultur ist aus
dem wilden Sauerampfer eine langblätterige Varietät als +spanischer
Spinat+ und eine breitblätterige Varietät als +französischer Spinat+
oder +Oseille+ hervorgegangen. Wurzel, Kraut und Früchte des
Sauerampfers wurden früher arzneilich verwendet, und heute noch dienen
die viel oxalsaures Kali enthaltenden Blätter als Zutat zu Suppen und
Gemüsen, wie auch als Salat. In den Klostergärten des Mittelalters
wurde der an grasreichen gedüngten Stellen der Alpweiden gefundene
+Alpensauerampfer+ (~Rumex alpinus~) kultiviert, um den fleischigen,
verzweigten Wurzelstock als Rhabarbersurrogat zu benutzen. Als
+englischen Spinat+ oder +Gartenampfer+ wird besonders in England
die 2 m hohe, zweijährige Ampferart ~Rumex patientia~ angebaut, die
in Mittel- und Südeuropa wild wächst. Unser +Spinat+ oder +Binetsch+
(~Spinacia oleracea~) ist eine Meldenart, die im wilden Zustande
nicht mehr gefunden wird, doch, wie ihre nächsten Verwandten, aus
dem Hochlande von Iran stammen dürfte. Den Griechen und Römern war
sie unbekannt. Die Kultur des Spinats scheint am Ende des Altertums
unter dem Namen ~ispany~ in Persien aufgekommen zu sein und gelangte
dann einesteils als ~isfany~ nach Indien und unter dem chinesischen
Namen „persisches Kraut“ bis in die Mandschurei, anderenteils als
~isfanâdsch~ zu den Arabern, die ihn zuerst nach Europa, und zwar nach
Spanien brachten, von wo er sich als französisch ~épinards~, englisch
~spinage~, hochdeutsch Spinat und süddeutsch Binetsch weiter nach
Norden verbreitete. Jedenfalls war er bei uns noch im 16. Jahrhundert
neu und wenig bekannt. Man kultiviert ihn als im Frühjahr gepflanzten
Sommerspinat mit länglicheirunden Blättern und ungehörnten Früchten,
und als Winterspinat, der im Herbst gesät und im Frühjahr geschnitten
wird, mit spießförmigen, zweizähnigen Blättern und Früchten mit 2-4
stachelartigen Hörnchen. Ersterer wird bevorzugt, weil er weniger
leicht in Samen schießt. Die Blätter liefern gedämpft und gehackt ein
sehr zartes, blutbildendes Gemüse, das gerne als Fastenspeise genossen
wird. Zu diesem Zwecke füllt man in Griechenland Gebäck mit Spinat und
einigen Gewürzkräutern, und in Frankreich verbäckt man den Samen zu
Brot.

Als +neuseeländischer Spinat+ wird seit dem Jahre 1772 auch in Europa
eine dem Portulak verwandte, in Neuseeland, Australien und den
Norfolkinseln heimische, 1 m hohe ästige Eiskrautart (~Tetragonia
expansa~) mit eirunden Blättern, gelblichgrünen Blüten und
vierhörnigen, fest sitzenden Früchten kultiviert, die schon länger auch
in Südamerika und Japan gepflanzt wird. Als Nährpflanze viel wichtiger
ist der +Peruspinat+ oder die +Reismelde+ (~Chenopodium quinoa~),
eine unserem gemeinen Unkraut, der weißen Melde ähnliche, mehlig
bestäubte, gegen 1 m hohe Pflanze mit ovalen und eckigen Blättern,
in sehr ästigen Rispen vereinigten Blüten und gelblichweißen Samen.
Wegen letzteren, die in Wasser oder Milch abgekocht, in Breiform
oder auch zu Mehl gestampft und dann geröstet als ein schmackhaftes
und tägliches Nahrungsmittel an Stelle des Getreides im westlichen
Südamerika von Chile bis Mexiko gegessen werden, wird diese in Chile
und Peru noch in einer Höhe von 4000 m über Meer, wo Roggen und Gerste
nicht mehr gedeihen, angepflanzte Meldenart als das Hauptnahrungsmittel
neben den Kartoffeln geschätzt. Auch die Blätter geben, wie bei uns
Spinat und Gartenampfer, ein gutes Gemüse. Alexander von Humboldt,
der von 1799-1804 mit Bonpland Süd- und Mittelamerika bereiste, gab
die ersten Nachrichten über diese Kulturpflanze, deren Spielart
mit weißen Samen als die ergiebigste gilt und zum Anbau auch für
Norddeutschland paßt. Als +Erdbeerspinat+ wird die aus Südeuropa
stammende Blattmelde (~Chenopodium foliosum~) teils ihrer wie Spinat
benutzten Blätter, teils der zahlreichen, hochroten, erdbeerähnlichen,
aber fade schmeckenden Früchte wegen kultiviert. Die Beeren geben eine
wenig haltbare Farbe. In der Walachei schminken sich die Bauernweiber
mit ihnen. Wie die weiße und grüne Melde, deren Blätter auch bei uns
in manchen Gegenden als Gemüse gesammelt und, wie Spinat gekocht,
gegessen werden, Kulturpflanzen Ostindiens sind, so wird auch bei uns
die im nördlichen Europa bis Sibirien heimische, schon bei den Alten
als Speise verzehrte +Gartenmelde+ oder +wilder Spinat+ (~Atriplex
hortense~) mit herzförmig-dreieckigen, gezähnten, roten Blättern
stellenweise, so besonders in Frankreich als ~arroche~, angebaut.
Von ihrer strauchartigen Verwandten, der an den europäischen Küsten
wachsenden +Portulakmelde+ (~Atriplex portulacoides~), werden die
jungen Sprosse wie Kapern eingemacht, während die säuerlichsalzigen
Blätter und zarten Stengel der in Südeuropa heimischen +Meermelde+
(~Atriplex halimus~) in England und Holland als Salat gegessen werden.
Die jungen Sprosse ersetzen in Portugal den Spargel.

Seit sehr langer Zeit werden die fleischigen Blätter des über Asien,
Europa und Afrika verbreiteten und längst auch in die Neue Welt
verpflanzten +Portulaks+ (~Portulaca oleracea~) -- bei den Griechen
~andráchnē~, bei den Römern ~portulaca~ genannt -- roh als Salat
angemacht oder gekocht als Gemüse gegessen. Nach Columella wurden
sie wie der späte Kohl gegen die Zeit der Weinernte mit Salz und
Essig eingemacht. Sonst waren der Lattich (~lactuca~) und die Endivie
(~intubum~) die Hauptsalatkräuter der Römer, indem sie aus ihnen
mit Zuhilfenahme von Fleischbrühe, Olivenöl, Zwiebeln, Honig und
Essig ihren nach dem Essig (~acetum~) als ~acetarium~ bezeichneten
Salat herstellten. Im Mittelalter genoß man mit Salz, Essig und
Öl angemachten Salat vorzugsweise aus Lauch, Zwiebeln, Boretsch,
Pfefferminze und Petersilie. Heute werden die verschiedensten
Blattgemüse und Wurzeln dazu verwendet. Salat kommt vom italienischen
~salato~ gesalzen, woraus zunächst das französische ~salade~ und
daraus erst unser deutsches Salat wurde. Essig, Öl, Salz, Pfeffer und
Senf sind die Hauptingredienzien dazu, und zwar mische man das Öl
vor dem Essig mit den Blättern, damit der Saft infolge der fettigen
Umhüllung ganz in den pflanzlichen Teilen bleibe und das Fett den
Salat durchdringen könne. Ein altes Sprichwort sagt, der Salat solle
von einem Verschwender mit Öl, von einem Geizhals mit Essig, von einem
Weisen mit Gewürzen und Salz versehen und von einem Narren gemischt
werden, dann werde er recht sein. Die Römer der Kaiserzeit pflegten
ihr Abendessen mit Salat zu beginnen, während ihre Vorfahren zur Zeit
der Republik es mit ihm zu beschließen pflegten. Dazu wurde gewöhnlich
Lattich genommen, der im Rufe stand, den Schlaf zu befördern. Der
Geschichtschreiber Flavius Vopiscus berichtet uns von dem im Jahre 275
75jährig vom Senate gewählten und schon im folgenden Jahre auf einem
Zuge gegen die Goten in Kleinasien von den Soldaten ermordeten Kaiser
Marcus Claudius Tacitus, er habe sehr mäßig getrunken und gespeist,
aber viel Salat gegessen, um sich einen recht sanften Schlaf zu
verschaffen. Desgleichen berichtet Suetonius vom Kaiser Augustus, daß
er, wenn er durstig war und doch kein Getränk zu sich nehmen wollte,
ein Stückchen Gurke oder von einer Lattichstaude in den Mund nahm,
um daran zu kauen. Einmal soll ihm die Klugheit seines Arztes Musa
das Leben gerettet haben, indem er ihm Salat verordnete, den ihm der
vorige Arzt Gajus Ämilius aus allzugroßer Ängstlichkeit verboten hatte.
Nach dieser Aufsehen erregenden Heilung des Staatsoberhauptes stieg
das Ansehen des Salates, wie Plinius uns berichtet, in Rom so hoch,
daß man sogar die Erfindung machte, ihn in mit Essig versetztem Honig
aufzubewahren, bis es wieder frischen gab.

Durch die Römer kam dann der Salat in die Länder nördlich der Alpen
und wurde hier in der Folge sowohl in den Klostergärten, als auf den
Edelhöfen gepflanzt. Zuerst wird der Salat auf deutschem Gebiet in
Ekkehards Benediktionen aus dem Kloster St. Gallen, später dann auch
als Gericht höherer weltlicher Kreise erwähnt, allerdings mit dem
Hinzufügen, daß solche Speise auf die Dauer für Kraft und Aussehen
unvorteilhaft sei. Erst im 15. Jahrhundert wurde sein Genuß, besonders
in der Form von Lattich, in Mitteleuropa gemein, und zwar in der von
Italien her gebräuchlichen Weise, ihn, außer mit Essig zu versetzen,
mit Öl einzufetten. Genießt doch heute noch der Italiener mit Vorliebe
auch andere grüne Gemüse mit Öl übergossen.

Der +Gartenlattich+ (~Lactuca sativa~) stammt von dem im gemäßigten und
südlichen Europa und in Westasien wachsenden wilden Lattich (~Lactuca
scariola~) und wurde schon im frühen Altertum als Salatpflanze gezogen,
so von den Persern zur Zeit des Königs Kambyses, des Sohnes von Kyros,
der diesem 529 v. Chr. folgte, 525 Ägypten eroberte und 522 auf dem
Rückzuge nach Persien starb. Die alten Griechen nannten ihn ~trídax~
und bauten ihn in wenigstens drei Sorten an, die Römer hießen ihn nach
dem Milchsaft ~lac lactuca~ und pflanzten hauptsächlich vier Sorten:
den cäcilianischen Salat mit grünen bis roten, krausen Blättern, den
kappadozischen mit bleichen, kammförmig eingeschnittenen, dicken
Blättern, den weißen, sehr krausblätterigen aus der Provinz Bätica (dem
südlichen Spanien, nach dem Flusse Bätis so genannt) und aus der Nähe
der Stadt Gades (dem heutigen Cadix) und den zyprischen rötlichweißen
mit glatten, sehr zarten Blättern. Columella, der uns diese aufzählt,
berichtet uns zugleich, daß sie in der hier angegebenen Reihenfolge von
Januar bis April in gut gedüngten Boden gesät würden, reichlich Wasser
erhielten und durch Auflegen einer Scherbe auf den Wipfelsproß am
Aufschießen verhindert und gezwungen würden, mehr in die Breite als in
die Höhe zu wachsen.

Aus den frühmittelalterlichen Klostergärten und den Gärten der
Vornehmen, besonders des mächtigen Frankenkönigs Karl, dem späteren
Kaiser, ging der Gartenlattich mit den anderen von den Römern
übernommenen Gemüsearten in die Gärten Mittel- und schließlich
auch Nordeuropas über und aus dem lateinischen ~lactuca~ wurde
das französische ~laitue~, das deutsche Lattich und das englische
~lettuce~. Und mit diesem Salatkraut wurde auch sein alter Begleiter,
der +Boretsch+ (~Borrago officinalis~) übernommen, der fortan keinem
Gemüsegarten fehlte. Diese aus Südeuropa und Kleinasien stammende
Pflanze mit borstenhaarigen Blättern, gewöhnlich dunkelblauen, in
manchen Varietäten aber himmelblauen, blaßroten und weißen Blüten
war schon im Altertum außer als Bienenweide auch als Heilmittel für
mancherlei Krankheit geschätzt, und schon die alten Griechen und Römer
fanden, daß ihre Blätter und Blüten, fein gewiegt, dem Lattichsalat
einen feinen, gurkenähnlichen Geschmack verleihen. Aus diesem Grunde
ist sie bis auf den heutigen Tag im ländlichen Garten in Ehren
geblieben.

Heute unterscheiden wir drei Hauptarten von Lattich: 1. den
+Schnittsalat+ mit hell- oder dunkelgrünen, rotgefleckten oder
dunkelroten Blättern in offener Rosette, die man allmählich von innen
nach außen absticht. 2. den +Bindsalat+ oder +römischen Salat+ mit
länglichen, aufrechten, eine geschlossene Rosette bildenden Blättern,
die man zusammenbindet, um die inneren zu bleichen. Mit Recht findet
der als ~laitue~ bezeichnete französische Bindsalat durch die ganze
Kulturwelt rasche Verbreitung. 3. den +Kopfsalat+ mit breiten, blasig
aufgetriebenen, kopfförmig zusammenschließenden Blättern; dieser
wird am häufigsten gebaut und unter Strohmatten überwintert. Alle
diese Salatarten, die heute noch in Südeuropa die Lieblingsspeise
des gemeinen Mannes bilden, haben sich heute über die ganze Erde
verbreitet. Nach China gelangte der Lattich ums Jahr 600 n. Chr. aus
dem Westen.

In derselben Weise wie der Salat wurde von den Griechen und Römern die
Endivie angepflanzt und, wie Plinius uns berichtet, über den Winter in
Krügen eingemacht und später gekocht, als ob sie frisch sei. Früher
nahm man an, daß sie aus Indien stamme, doch wissen wir jetzt, daß sie
von der im Mittelmeergebiet wild wachsenden ~Cichorium divaricatum~
gewonnen wurde. Die +Endivie+ (~Cichorium endivia~) wird besonders
in der krausen Varietät häufig als Salatpflanze in den Gemüsegärten
kultiviert. Die breitblätterige Abart kommt dagegen unter dem Namen
Eskariol auf den Markt. Bei beiden werden wie beim Bindsalat die eine
lockere Rosette bildenden und meist zu einem Kopf zusammenschließenden
Blätter gewöhnlich zusammengebunden, um durch Lichtentzug gebleicht zu
werden. Dadurch schmecken sie ungemein zart; aber selbst die feinste
Pariser ~chicorée~ ist immer noch härter als Kopfsalat.

Bei den Alten galt die überall in den Mittelmeerländern wildwachsende
Endivie, mit Essig vermischt gegessen, als dem Magen gesund und
allerlei Übel heilend. Plinius berichtet, daß die wildwachsende
Endivie in Ägypten ~cichorium~, die zahme dagegen, die kleiner und
saftiger sei, ~seris~ heiße. Die Magier behaupten, wer sich mit dem
Saft einer ganzen Zichorie und Olivenöl einreibe, der werde anmutiger
und erreiche seine Wünsche leichter. Deshalb nennen manche die Pflanze
auch ~chreston~ (d. h. brauchbar), andere ~pankration~ (d. h. alles
beherrschend), die wildwachsende heiße auch ~hedypnois~ (d. h. süßen
Schlaf bewirkend). Nach dem gelehrten Varro (116-27 v. Chr.) wurde die
Endivie für die Gänse gesät, die aber nicht darauf getrieben wurden,
weil sie die Blätter teils zertreten, teils so viel von ihnen fressen
würden, daß sie stürben. Man schneide deswegen die Blätter selbst für
die Tiere ab und gebe ihnen ihre richtige Portion davon. Und Palladius
im 4. christlichen Jahrhundert gibt an, daß man sie im Monat Oktober
säe; sie liebe einen lockeren, feuchten Boden und man weise ihr ein
ebenes Beet an, damit die Wurzeln nicht durch Regengüsse entblößt
würden.

Sehr viel bitterer als die Endivie ist die gemeine +Zichorie+
oder Wegwart (~Cichorium intybus~), eine, im Gegensatz zu jener
einjährigen, ausdauernde Pflanze mit kurzgestielten, blauen Blüten.
Sie findet sich wild in ganz Mittel- und Südeuropa, Nordafrika und dem
gemäßigten Asien, wurde aber, da sie häufig an Wegen und auf Feldern
auftritt, vielfach vom Menschen über die Grenzen ihres ursprünglichen
Vaterlandes hinaus verbreitet. Die jungen Blätter wurden schon von den
Griechen und Römern teils von wildwachsenden, teils aber auch schon
kultivierten Pflanzen als Gemüse und Salat benutzt. Columella sagt
um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr., daß sie, die er ~intybum~
nennt, dem übersättigten Gaumen behage. Auch sein Zeitgenosse, der
ältere Plinius, spricht mehrfach von ihr und empfiehlt sie als gesunde
Speise. Heute pflanzt man zu diesem Zwecke den Brüsseler Witloof und
den französischen Kapuzinerbart, deren Wurzeln, in einem dunkeln
Keller in Pferdedünger eingepflanzt, farblose, äußerst zarte Blätter
treiben, die als Salat gegessen werden. Die lange, möhrenförmige,
ungemein bitter schmeckende Wurzel wird arzneilich benutzt und bildet,
mit Zucker eingemacht, die Hindläufte der Konditoren; namentlich
aber hat sie im letzten Jahrhundert als Kaffeesurrogat eine ungemein
große Bedeutung erlangt. Deshalb wird die Zichorie in Frankreich,
Belgien, Holland, Mittel- und Süddeutschland, Böhmen, Ungarn und
Rußland im großen angebaut. Die kultivierte Wurzel ist stärker als
die wild gewachsene, fleischig, mit verhältnismäßig breiter Rinde und
erreicht ein Gewicht von 200-400 g. Ende September, wenn die untersten
Blätter gelb werden und abzusterben beginnen, werden die Wurzeln,
die frisch auch als Beigabe zu Viehfutter verwendet werden, um den
Stoffwechsel anzuregen, geerntet, gewaschen, zerschnitten, getrocknet,
dann in eisernen Trommeln geröstet und gemahlen. Ein Zusatz von 1-5
Prozent Sesam- oder Erdnußöl beim Rösten verbessert den Geschmack.
Das Zichorienmehl wird zuletzt in Dampftrommeln feucht gemacht, in
Pakete verpackt und kommt als +Zichorienkaffee+ in den Handel. Sein
Aroma erinnert entfernt an den Kaffee, doch entbehrt er natürlich der
auf das Nervensystem anregend wirkenden Bestandteile und wirkt bei
anhaltender Benutzung nachteilig auf die Verdauung. Er wird vielfach
mit Runkelrübenpreßlingen, Ziegelmehl, Ocker und Ton verfälscht. Schon
um die Mitte des 18. Jahrhunderts röstete man in Haushaltungen am
Nordrande des Harzes Zichorienwurzeln, um sie als Kaffeesurrogat zu
benutzen; um 1790 begannen Braunschweiger und Magdeburger Kaufleute
dieses Präparat für den Handel herzustellen. Es vermochte sich dann
besonders während der Kontinentalsperre bei der ärmeren Bevölkerung
einzubürgern, so daß immer mehr Fabriken errichtet wurden. Gegenwärtig
besitzt das Deutsche Reich über 100 und Europa 450 Zichorienfabriken.
Deutschland liefert für rund 9 Millionen Mark Rohstoffe und für 18
Millionen Mark Fabrikate von Zichorie.

Als weitere Salatkräuter sind die Kressearten zu nennen, die teilweise
schon von den alten Griechen und Römern angepflanzt und, wie der
griechische Arzt Dioskurides um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr.
berichtet, mit Wasser, Salz und Milch gegessen wurden. Besonders die
+Gartenkresse+ (~Lepidium sativum~), die von Südeuropa und Nordafrika
bis Indien heimisch ist, wurde, wie heute noch, so schon im Altertum
in Ägypten kultiviert. Doch dürfte ihr Anbau dort nicht erheblich
über das 2. Jahrhundert v. Chr. hinausgehen. Den alten Alexandrinern
galt sie als leckeres, gewürzhaftes Gemüse, das als Salat gegessen
wurde. Auch von den Griechen der späteren Zeit wurde sie geschätzt.
Von den Römern wurde sie ~nasturcium~, d. h. Nasenquäler genannt, weil
ihre Schärfe bis in die Nase hinein verspürt werde. Sie scheint im
östlichen Mittelmeergebiet, vielleicht in Kleinasien, zur Kulturpflanze
erhoben worden zu sein und wird heute bei uns häufig kultiviert, um
als Salat und Beilage zu Fleisch und Gemüse zu dienen. Dabei hat
sie den Vorzug, außerordentlich rasch zu wachsen; auch wirken ihre
jungen Triebe anregend auf Appetit und Verdauung. Früher wurde sie
auch medizinisch benutzt, wie ihre Verwandte, das +Pfefferkraut+
(~Lepidium latifolium~), die am Meeresstrand und an Salinen in Europa,
Mittelasien und Nordafrika wächst. Auch sie wird seit dem Mittelalter
in Gärten kultiviert, um die pfefferartig scharf brennenden Blätter
zu Saucen verwenden zu können. Die in Quellen, Bächen und Gräben mit
schlammigem Grund in ganz Europa, Nord- und Ostasien heimische, auch
nach Nordamerika übergeführte +Brunnenkresse+ (~Nasturtium officinale~)
wird bei uns vielfach kultiviert, um ihre durch den Gehalt an einem
ätherischen Öle rettichartig scharf schmeckenden Blätter als Salat
zu essen. Sie verlangt reines, leicht strömendes Wasser und wird vom
Oktober bis April geerntet. Später hört die Ausbeute auf, da dann
die Blütenbildung beginnt, in deren Verlauf die Blätter steif und
ungenießbar werden. Sie galt seit den ältesten Zeiten als heilkräftig
und stand daher als Zugemüse in hohem Ansehen. So erwähnt sie schon
die heilige Hildegard, Äbtissin des Klosters Rupertsberg bei Bingen,
als brunnencrassum besonders als Mittel gegen Fieber. Heute wird sie
im großen gezogen und gelangt in Menge auf den Markt, und zwar sind
die Hauptproduktionsorte Dreienbrunnen bei Erfurt und die Umgegend von
Paris. Um aber als Salat gegessen zu werden, soll sie mit Zitronensäure
statt Essig angemacht werden, da der Essig ihren charakteristischen
Geschmack beeinträchtigt. Endlich wird auch die aus Südamerika
eingeführte +Kapuzinerkresse+ (~Tropaeolum majus~), weil ähnlich scharf
schmeckend, als Salat gegessen, während ihre Blütenknospen und unreifen
Früchte, in Salz und Essig eingelegt, wie Kapern Verwendung finden.

Eine beliebte Salatpflanze ist ferner der +Feldsalat+ oder das
+Rapünzchen+ (~Valerianella oliteria~), das in ganz Mittel- und
Südeuropa als Ackerunkraut wächst, aber, um zartere Pflänzchen zu
bekommen, auch im Gemüsegarten kultiviert wird, wo sie größer, kahler
wird und sich durch Selbstbesamung fortpflanzt. Sie gehört der den
Korbblütlern nahestehenden Familie der Baldriangewächse an und wird
im ersten Frühjahr gesammelt und auf den Markt gebracht. Dann der
+Sellerie+ oder +Eppich+ (~Apium graveolens~), dessen Stammpflanze
mit kleinen, etwas knollig verdickten Wurzeln fast in ganz Europa,
Westasien und Nordafrika an feuchten Orten in der Nähe der salzhaltigen
Meeresküste wild wächst. Bei den Griechen hieß er ~sélinon~, bei den
Römern dagegen ~apium~. Schon in Homers Odyssee wird erzählt, daß auf
der Insel der Kalypso die Wiesen mit Veilchen und Sellerie bedeckt
gewesen seien, so schön, daß sie selbst den Göttern wohlgefielen. Mit
Kränzen aus wildem Sellerie pflegten die Griechen ihre Grabmäler zu
schmücken und solchen auch bei den Leichenschmäusen zu verzehren. Nach
Plinius stimmten Chrysippos und Dionysios darin überein, daß es unrecht
sei, den Sellerie an Speisen zu tun, da er nur zum Leichenschmaus
gehöre. Er war den Göttern der Unterwelt geweiht und bezeichnete
im griechischen Volksglauben Trauer und Tränen. Der griechische
Geschichtschreiber Plutarch (50-120 n. Chr.) erzählt uns in seiner
Biographie des korinthischen Feldherrn Timoleon, der 343 v. Chr. die
Stadt Syrakus von ihrem Tyrannen Dionysios dem Jüngeren befreite und
340 die Karthager am Flusse Krimissos besiegte, daß ihm einst mit
seinem Heere Maulesel begegnet seien, die mit Sellerie beladen gewesen
seien. Das hielten die Soldaten für eine üble Vorbedeutung, weil es
Sitte war, die Denkmäler der Toten mit Sellerie zu bekränzen. Plinius
aber berichtet, daß man dem Sellerie in Achaja die Ehre erweise, mit
ihm diejenigen zu bekränzen, die in den heiligen Spielen zu Nemea
gesiegt haben. Auch bei den alten Römern galt er durch griechischen
Einfluß als Sinnbild des Todes und der Trauer. So hieß die Redensart
~apio indiget~, es gibt nur noch Eppich für ihn, so viel als es steht
schlimm mit ihm, er ist dem Tode nahe. Bei den heutigen Griechen
dagegen gilt er als glückbringend und wird nebst Knoblauch und Zwiebeln
in den Zimmern aufgehängt.

Während der wilde Sellerie widerlich durchdringend riecht und eine fast
ungenießbar bittere Wurzel besitzt, ist ihr Geschmack beim kultivierten
Sellerie bedeutend gemildert. Das hohe Alter seiner Kultur erklärt uns
das Vorhandensein der so verschiedenen Kulturvarietäten. So pflanzt
man +Krautsellerie+ mit langgestielten, aufrecht stehenden Blättern
und kleiner Wurzel, +Bleich-+ oder +Stengelsellerie+ mit fleischigen,
zarten Blattstielen und +Knollensellerie+ mit kurzgestielten Blättern
und großer, rundlicher Wurzel, welche als Küchengewürz und Salat mit
Essig und Öl gegessen wird. In Zucker eingemacht, liefert sie mit
Weißwein ein der Ananasbowle täuschend ähnliches Getränk. Sie wirkt
reizend auf die harnabsondernden Organe und gilt als sexuell reizendes
Mittel.

Die +Petersilie+ (~Petroselinum sativum~) ist eine zweijährige
Umbellifere der Mittelmeerländer, die vom Arzte Dioskurides unter dem
Namen ~petrosélinon~, d. h. Felsensellerie, als eine wildwachsende
Heilpflanze erwähnt wird, die dann auch die Römer unter derselben
Bezeichnung als Medikament verwendeten. Ob sie schon im Altertum
angebaut wurde, ist uns nicht bekannt; doch wird dies aus der römischen
Kaiserzeit wohl anzunehmen sein. Erst im ~Capitulare de villis~ Karls
des Großen vom Jahre 812 wird sie bestimmt unter den anzubauenden
Pflanzen erwähnt. Im 16. Jahrhundert wurde sie im Garten von Olivier de
Serres gezogen. Die englischen Gärtner erhielten sie nach dem Berichte
eines Zeitgenossen im Jahre 1548. Obgleich ihre Kultur weder ein hohes
Alter aufweist, noch von besonderer Wichtigkeit ist, so hat sie sich
doch bereits in zwei Rassen gespalten, eine Form mit krausen Blättern,
die als Suppengewürze dienen, und eine andere, deren fleischige Wurzel
gegessen wird.

Aus dem gemäßigten Westasien scheint der +Gartenkörbel+ (~Scandix
cerefolium~) zu stammen, den die älteren griechischen Autoren nicht
erwähnen, gleichwohl aber gekannt haben müssen. Um die Mitte des
1. Jahrhunderts n. Chr. wird sie als Gemüsepflanze von Dioskurides
und Plinius unter der Bezeichnung ~cerefolium~ genannt. Sie wurde
angepflanzt und muß schon im 2. Jahrhundert v. Chr. von den Griechen zu
den Römern gelangt sein, um dann zunächst zu den Romanen zu gelangen,
die sie heute noch ~cerfeuil~ nennen. Viel wichtiger als sie war einst
das heute ganz aus unserem Gemüsegarten verschwundene +Myrrhenkraut+
(~Smyrnium olus-atrum~), von der schon der Aristotelesschüler
Theophrastos als einer wichtigen medizinischen Pflanze unter dem
Namen ~hipposélinon~, d. h. Pferdesellerie spricht. Drei Jahrhunderte
später sagt Dioskurides von ihr, daß man ihre Blätter und Wurzeln als
Speise benütze. Als ~olus antrum~ wurde sie von den Römern kultiviert,
als ~olisatum~ befahl sie Karl der Große auf seinen Meierhöfen
anzupflanzen. Später wurde diese in den Mittelmeerländern wildwachsend
angetroffene Pflanze auch bei den Italienern des Mittelalters als
~macerone~ angebaut. Noch zu Ende des 18. Jahrhunderts kannte man in
Frankreich und England die Überlieferung, daß diese Pflanze einst
in den Gemüsegärten gehalten wurde, später aber wird sie nicht mehr
erwähnt.

Ein von den älteren Griechen als köstlichste Beigabe jeder Speise
gehaltene Würzpflanze, die zugleich, noch mehr als alle vorgenannten
Kräuter, für eine kostbare Medizin galt, die alle Gifte aufhebe,
die bösartigsten Wunden heile, Blinde sehend und Greise jung mache,
war das +Silphium+, griechisch ~sílphion~. Es war eine in der
nordafrikanischen Landschaft Kyrene wildwachsende Doldenpflanze,
deren etwas knoblauchartig riechende Blätter und junge Sprosse als
feinstes Gemüse in ganzen Schiffsladungen nach Griechenland gebracht
wurden. Sie bildete den Reichtum des Landes von Kyrene, der ihren
Bewohnern großen Wohlstand brachte und als wichtigstes Landesprodukt
auf den dortigen Münzen abgebildet wurde. Der Silphionhandel ist uns
auch auf der berühmten Arkesilasschale im ~Cabinet des Médailles~ der
Nationalbibliothek in Paris abgebildet. Auf ihr sitzt an Deck eines
Schiffes, das bald absegeln und die kostbare Ware in die Fremde tragen
soll, Arkesilas, der König von Kyrene, auf einem Klappsessel, auf dem
bärtigen Kopfe einen spitzen Strohhut mit aufgebogenen Rändern und mit
einem langen, weißen Chiton und einem schwarzrot gestreiften Himation
bekleidet, dessen Bordüre eingewebte Stickerei trägt. Zu Füßen des
Königs, unter dem Sessel, liegt, um das Land Afrika anzudeuten, ein
Panther. Der König hält das Szepter in der Rechten und weist mit der
Linken nach der Wage, auf der das Silphion abgewogen wird, das in
Binsensäcken verpackt ist. Ein Mann scheint dem Könige zu melden: Es
besteht Gleichgewicht. Die große Wage ist an einer Rahe aufgehängt.
Ein als Silphiumarbeiter bezeichneter Mann legt das Silphium zurecht.
Neben ihm stehen zwei Korbträger, von denen einer sich umwendet und den
König frägt: Soll ich wegnehmen? Er fürchtet offenbar zu gut gewogen
zu haben. Darunter sehen wir unbärtige Matrosen unter der Aufsicht
eines Wächters die mit Silphium gefüllten Binsensäcke im Schiffsraum
aufeinander legen. Sogar die Jahreszeit der Handlung ist sehr sinnig
angedeutet. Es ist Spätherbst; denn über dem Schiffe sehen wir Zugvögel
dahinziehen, von denen sich einige, von der langen Meerfahrt erschöpft,
auf dem Takelwerk des Schiffes niederlassen wollen, aber von einem
zahmen Affen wenig liebenswürdig verscheucht werden.

Alle Teile der kostbaren Silphionpflanze wurden von den danach
lüsternen Griechen verwendet. Die jungen Blütenschäfte wurden sowohl
roh als gekocht als Salat und Gemüse gegessen; der Stengel galt
als hochfeine Delikatesse, während die Blätter als Gemüse gekocht
wurden. Der eingedickte Saft von Stengel und Wurzel wurde als sehr
geschätztes Gewürz und Allheilmittel fast mit Gold aufgewogen; er
bildete das kostbare ~laserpitium~ der Römer. Schon unter dem Kaiser
Nero verschwand diese Pflanze mit ihren so geschätzten Produkten völlig
aus dem Handel, und trotz eingehenden Forschungen konnte bis heute
nicht ermittelt werden, welche Pflanze eigentlich unter dem Silphion
der Alten zu verstehen sei. Vielleicht, daß man später einmal in einem
entlegenen Gebiete des Innern von Barka in Tripolis diese spurlos
verschwundene, und nicht in Kultur genommene Silphionpflanze der
Alten findet. Ihr sehr ähnlich, aber nicht mit ihr identisch, ist die
+Teufelsdreckpflanze+ oder der +Stinkasant+ (~Ferula asa foetida~), der
seit Alexanders des Großen Zug nach Persien und Indien als „persisches
Silphion“ bekannt war und in gleicher Weise wie das seit dem 7.
vorchristlichen Jahrhundert verwendete echte afrikanische Silphion von
den Griechen und Römern benutzt wurde. Heute noch werden die einzelnen
Teile der Pflanze wie einst diejenigen der kyrenischen Art teils roh
als Salat, teils gekocht als Gemüse, speziell als Beigabe zu Fleisch,
der eingedickte Saft aber als Allheilmittel verwendet. Im Gegensatz
zum echten Silphion, das als wohlriechend bezeichnet wird, riecht
das persische widrig knoblauchartig. Von Persien bis China dient der
Stinkasant als hochgeschätzte Arznei und sein eingedickter Milchsaft
kommt noch heute in großer Menge als wertvolles Heilmittel zu uns nach
Europa und in alle Kulturländer der Erde. Über ihn und seine Geschichte
soll im Abschnitt über Heilpflanzen Genaueres mitgeteilt werden.

Eine bei fast allen Völkern der Alten Welt seit grauer Vorzeit
überaus beliebte Würze und Zukost zur faden Brotnahrung sind
die meist im Innern Asiens heimischen Laucharten, deren scharfe
Zwiebeln von den ihre Herden hütenden Nomaden eifrig gesucht
und als Delikatesse gegessen werden. Sehr frühe sind diese
zentralasiatischen Zwiebelgewächse als geschätztes Zugemüse in
die alten Kulturländer Vorderasiens und am Nil eingeführt worden.
Soweit wir es zurückverfolgen können, waren Zwiebeln und Knoblauch
Bestandteile der allgemeinen Volksnahrung Ägyptens. Sie galten sogar
im Lande als heilig, so daß man bei ihnen schwur und die Priester und
Frommen aus Scheu sie nicht einmal zu berühren wagten. Während ihrer
Wüstenwanderung sehnten sich die Israeliten nach den Lauchgewächsen
des Niltals, wie 4. Mose 5, 11 gesagt wird: „Wir gedenken der Fische,
die wir in Ägypten umsonst aßen, und der Aggurmelonen, Wassermelonen
(~battichim~, von Luther irrtümlich mit Pfeben, d. h. Kürbisse
übersetzt), Lauch, Zwiebeln und Knoblauch.“ Diese alle wurden im
Niltal in Menge gepflanzt und von den Ägyptern gerne gegessen, wenn
wir auch, wie Wildemann zuerst schlagend nachwies, von der Wahrheit
der Herodotschen Angabe abstrahieren müssen, wonach beim Bau der
großen Pyramide des Cheops (um 2900 v. Chr.), wie auf derselben noch
zu seiner Zeit mit Hieroglyphen soll verzeichnet gewesen sein, allein
für die Rettich-, Zwiebel- und Knoblauchkost der Fronarbeiter 1600
Silbertalente, d. h. über 7,5 Millionen Mark aufgewendet worden seien.

Schon zur Zeit der ältesten ägyptischen Dynastie, die mit der
Thronbesteigung des Menes 3400 v. Chr. beginnt, waren die Zwiebeln und
Knoblauch im Pharaonenlande viel kultivierte Pflanzen, deren große
Wertschätzung als gesunde, schmackhafte Speise die ihr im ganzen Lande
gespendete Verehrung genugsam erklärt. Zwiebeln in überreicher Menge
gehörten in Ägypten zu den gebräuchlichsten Opfergaben. So finden wir
sie -- altägyptisch ~hudsch~ und ~badschar~ genannt, welch letzteres
mit dem hebräischen ~besel~ (Plural ~besalim~) zusammenhängt, aus
welch letzterem sich dann das arabische ~basal~ bildete -- mit dem
nicht minder geschätzten Knoblauch, altägyptisch ~schagin~, und der
Schalotte auf den Darstellungen an den Wänden der Totenkammern schon
des alten Reiches, teils in Füllhörnern steckend, teils in Bündeln
frei auf den Opfertischen liegend, teils zu glockenartigen Gebilden
zusammengebunden, sehr deutlich abgebildet. Die Zwiebeln in solcher
Glockenform den Göttern zu spenden war vielleicht ein Vorrecht der
durch das Tragen des Leopardenfells ausgezeichneten Priesterkaste.
Einen solchen opfernden Priester erblicken wir auf einem Grabgemälde
des mittleren Reiches in der Totenstadt Theben. Derselbe hält in
seiner linken das Weihrauchbecken und bringt mit seiner Rechten das
Trankopfer dar, indem er aus einem Gefäße geweihten Wein auf die unter
der Zwiebelglocke liegenden Früchte spendet. Der Genuß von Zwiebeln
und Knoblauch war zwar den Priestern selbst verboten, weil sie, wie
der griechische Schriftsteller Plutarch (50-120 n. Chr.) meint, den
Durst reizen. Als eigene Erklärung der Priester führt Plutarch dagegen
an, daß die Enthaltung vom Genusse der Zwiebelgewächse deshalb bei
ihnen geschehe, weil die Pflanze bei abnehmendem Monde wachse. Seiner
persönlichen Meinung gibt er Ausdruck, indem er hinzufügt: „In der
Tat schickt sich die Zwiebel weder für fastende Büßer, noch für die,
welche fröhliche Feste begehen: den ersteren erweckt sie Begierden und
den letzteren lockt sie Tränen ins Auge“. Doch galten die Zwiebeln wie
die übrigen Lauchgewächse den Alten als gesunde Speise und heilsam,
weil sie, wie Plinius erklärt, „die Verdauung befördern und Winde in
Bewegung setzen“. Dieser Autor kennt die Zwiebel ausschließlich als
Kulturgewächs; denn er sagt ausdrücklich in seiner Naturgeschichte:
„Wilde Zwiebeln gibt es nicht.“ Wie in Assyrien, Babylonien und ganz
Vorderasien wurden die Zwiebeln in verschiedenen Kulturrassen seit
den ältesten nachweisbaren Zeiten auch in Ägypten kultiviert und vom
Volke roh und gekocht in Menge gegessen. In einem Grabe des mittleren
Reiches in der Totenstadt von Theben finden wir auf einem Gemälde
die Zwiebelernte geschildert. Ein Gärtner zieht diese ansehnlichen
Knollengewächse aus den quadratischen Gemüsebeeten, in denen sie
kultiviert wurden, aus, um sie zu je vieren in Bündel zu binden. So
brachte man sie in Körben auf den Markt. Auf einem Relief in Sakkara
trägt eine, vermutlich aus dem Gemüsegarten heimkehrende dienende Frau
einen Korb mit Artischocken auf dem Kopfe und drei sehr langblättrige
Zwiebeln über die Schulter geschlagen.

[Illustration: Bild 17.

Zwiebeln (~Allium cepa~) als Opfergaben. Nach einem altägyptischen
Gemälde in Beni Hassan. (Aus Lepsius, Denkmäler.)]

Diese ägyptischen Zwiebel- und Knoblaucharten, die heute noch in Menge
im Niltal wie im ganzen Morgenland gegessen werden, halten keinen
Vergleich mit den unsrigen, viel schärfer beißenden aus, so daß wir
sehr wohl die Sehnsucht der in der Wüste hungernden und durstenden
Juden nach dieser schmackhaften, saftigen Speise begreifen können.
Wie vor Jahrtausenden kommen sie noch jetzt in Menge auf den Markt
und können um geringes Geld selbst von den Ärmsten gekauft werden, um
als meist roh genossene Zukost zum Brote zu dienen. Die ägyptischen
Zwiebeln sind schneeweiß, besitzen namentlich jung äußerst zarte
Häute, sind ungemein mild und besitzen durchaus nicht die Schärfe und
den beißenden Geschmack, der unsere Zwiebelarten kennzeichnet. Auch
der dortige Knoblauch ist sehr mild schmeckend. Schon Plinius rühmt
den lieblichen, süßen Geschmack, den er in Ägypten und Palästina
besitze. Wie die Zwiebel fand er bei den alten Ägyptern in zahlreichen
Krankheitsfällen, selbst bei Zahnschmerzen, Verwendung.

[Illustration: Bild 18.

Gärtner, Zwiebeln zu Bündeln bindend. Nach einem altägyptischen Gemälde
in Beni Hassan. (Aus Lepsius, Denkmäler.)]

Auch in späterer Zeit waren die Zwiebelgewächse in Vorderasien
höchst wichtige und beliebte Gemüse. So wird uns von griechischen
Schriftstellern berichtet, daß am persischen Hofe in Susa der Verbrauch
von Zwiebeln und Knoblauch an der Tafel des Großkönigs und seines
Gesindes ein gewaltiger war. So soll außer Kümmel, Silphion und anderen
Würzen ein Talent Gewicht (26,2 kg) Knoblauch und ein halbes Talent
Zwiebeln, letztere von der scharfen Art, als tägliches Bedürfnis
des Hofes angesetzt gewesen sein. Das hohe Alter der Zwiebeln als
Würzmittel bei den Völkern am Mittelmeer wird auch durch Homer bezeugt,
der sie schon unter dem Namen ~krómmyon~ kennt. In der Ilias heißen
sie Beiessen zum Mischtrank, den die schönlockige Hekamede dem durstig
aus der Schlacht heimgekehrten Nestor bereitet, und dieser Held läßt
(im 11. Gesange) seinen Gästen einen Tisch vorsetzen, auf dem sich
neben frischem Honig und Brot „aus heiligem Mehl“ eine eherne Schüssel
mit Zwiebeln (~krómmyon~) befand, „die zum Trunke trefflich munden“.
Dabei stand ein mit Wein gefüllter Krug, in welchen noch Ziegenkäse auf
einem Reibeisen gerieben und weißes Mehl darein gestreut war. In der
Odyssee trägt der weit gereiste Odysseus eine prächtige Tunika „fein
wie das Häutchen um die trockene Zwiebel“. Ebenso alt oder vielleicht
noch älter als diese homerischen Stellen ist vermutlich der Name einer
einst megarischen Ortschaft Krommyon, der jedenfalls von der dort in
besonderer Menge oder Güte angebauten Zwiebel abzuleiten ist. In ganz
Griechenland, wie später in Italien, waren die Zwiebelgewächse eine
sehr beliebte Volksnahrung; aber mit der steigenden Bildung schlug
bei den höheren Ständen die Vorliebe dafür in ihr Gegenteil um, und
Zwiebel- und Knoblauchgeruch verriet den Mann aus dem niedrigen
Volke. Wie der Lustspieldichter Aristophanes (455-387 v. Chr.) das
bäuerliche Zwiebelessen geißelt, so verwünscht der feinfühlende Horaz
(65-8 v. Chr.) den Knoblauch, den man künftig Verbrechern statt des
Schierlings geben möge! Vermöge ihres durchdringenden Geruches und
scharfen Geschmackes schrieb man den Zwiebelgewächsen im allgemeinen
auch abergläubische Heilkraft zu, besonders die Fähigkeit, bösen Zauber
zu brechen. Schon in der Odyssee wird die von den Menschen schwer,
von den Göttern aber leicht zu grabende Pflanze ~móly~ mit schwarzer
Knollenwurzel und milchweißer Blüte erwähnt, die dem Odysseus von
Hermes zum Schutze gegen den Zauber der Kirke gegeben wurde. Damit ist
jedenfalls ~Allium nigrum~ gemeint.

Die +Sommerzwiebel+ oder +gemeine Zwiebel+ (~Allium cepa~) ist in
wildem Zustande nicht mehr bekannt; doch sind neuerdings durch kleinere
Dolden ausgezeichnete Wildlinge in Zentralasien gefunden worden,
die mit der Stammpflanze sehr nahe verwandt, ja vielleicht mit ihr
identisch sein dürften. Jedenfalls ist das innere Asien ihre Heimat,
von wo sie sich schon früh allseitig verbreitete. So wird sie im
Chinesischen durch einen einzigen Buchstaben (~tsung~) bezeichnet,
was nach Bretschneider auf ein sehr altes Vorkommen bei jenem Volke
hinweist und sehr wahrscheinlich macht, daß diese Pflanze in den einst
von ihnen vor ihrer im 3. Jahrtausend v. Chr. vor sich gegangenen
Wanderung nach Osten innegehabten Ursitzen in Oasen am Südrande des
Tarimbeckens zwischen Chotan und Lop-nor einheimisch war. Das Sanskrit
kennt für die Zwiebel die drei Namen: ~palandu~, ~latarka~ und
~sukandaka~, was auf Invasion der Würzpflanze auf verschiedenen Wegen
nach Altindien spricht. Wie von alters her wird die Zwiebel heute noch
in ganz Asien in zahlreichen Varietäten mit runden, plattrunden oder
birnförmigen Knollen angepflanzt. In bezug auf Geschmack gibt es alle
Abschattierungen von sehr scharfen bis ganz milden Sorten. Schon bei
den Mittelmeervölkern des Altertums wurden milde, süße und scharfe,
herbe Zwiebeln unterschieden. Erstere, die noch jetzt hauptsächlich
im Orient gezogen werden, lassen sich gut roh essen ohne irgendwie
die Tränendrüsen zu reizen. Sie dienten auch den Kulturvölkern am
Mittelmeer vorzugsweise als Volksnahrungsmittel, das bei den Griechen
und Römern in besonderen Abteilungen des Gemüsegartens, bei ersteren
~krommyónes~ (vom griechischen ~krómmyon~, Zwiebel), bei letzteren
~cepinae~ (vom lateinischen ~cepa~, Zwiebel) genannt, gepflanzt
wurde. Besondere fliegende Händler (griechisch ~krommyopóles~,
lateinisch ~ceparii~) boten in den Straßen der Städte diese Ware feil
und fanden guten Absatz. Schon der pflanzenkundige Theophrast im 4.
vorchristlichen Jahrhundert unterschied mehrere Zwiebelarten, die er
wie seine Zeitgenossen nach den Orten, von wo aus sie in den Handel
kamen, benannte, so sardische, knidische, samothrakische, sethamische
und askalonische Zwiebeln. Nach ihm war besonders die Insel Kimolos,
nördlich von Melos, das uns die berühmte Venus von Milo im Louvre in
Paris bescherte, durch ihre Zwiebelkulturen berühmt und erhielt daher
den Beinamen ~Krommyúsa~, d. h. Zwiebelinsel.

Nicht minder beliebt als in Griechenland waren die Zwiebeln auf
der italischen Halbinsel, wo die Römer ausgedehnte Zwiebelgärten
besaßen. Als geschätzte Speise siedelten sie dieses Küchengemüse
auch in ihren Provinzen an. So brachten sie die Zwiebel als ~cepa~
zu Beginn der christlichen Zeitrechnung auch in die Länder nördlich
der Alpen, speziell Germanien. Hier wurde sie aber erst zu Beginn des
Mittelalters beim Volke gebräuchlicher unter dem Namen Zwiebel oder
Bolle, was beides aus dem spätlateinischen ~cepulla~ (Diminutivum
von ~cepa~), wie das italienische ~cipolla~, entstand. Allerdings
schätzten die Deutschen dieses Gewächs viel weniger als die Romaioi im
oströmischen Reiche, bei denen beispielsweise an der kaiserlichen Tafel
in Byzanz der Zwiebelverbrauch so stark war, daß der langobardische
Bischof Liudprand von Cremona in Oberitalien, der Gesandte des
Deutschen Kaisers Ottos des Großen am Hofe Königs Nikephoros II.
(963-969), sich daran stieß. „Der Beherrscher der Griechen“, sagt er
in seinem Gesandtschaftsbericht vom Jahre 968, „trägt langes Haar,
Schleppkleider, weite Ärmel und eine Weiberhaube..., nährt sich von
Knoblauch, Zwiebeln und Lauch und säuft Badewasser (d. h. mit Wasser
verdünnten resinierten, d. h. geharzten Wein)“. Und ein anderes Mal:
„Er befahl mir zu seiner Mahlzeit zu kommen, die tüchtig nach Zwiebeln
und Knoblauch duftete und mit (Oliven-) Öl und Fischlake besudelt
war.“ Um dieselbe Zeit machte freilich ein Morgenländer, der Araber
Ibn Hauqual, der die Hauptstadt von Sizilien, Palermo, besuchte, den
Einwohnern dieser Stadt den Vorwurf, daß sie morgens und abends rohe
Zwiebeln äßen, wodurch ihr Gehirn verstört und ihre Sinne abgestumpft
würden. Man sehe das an ihrem Benehmen und an ihrem Aussehen. Sie
trinken lieber stehendes als laufendes Wasser, scheuen sich vor keiner
stinkenden Speise, sind schmutzig am Leibe, ihre Häuser sind unrein, in
den prächtigsten Wohnungen laufen die Hühner herum usw.

Auch im Abendland werden eine Menge von Kulturvarietäten der Zwiebel
angepflanzt. Die bemerkenswertesten darunter sind die gewaltig
große, rötliche bis weiße, fast kugelige Madeirazwiebel von mildem,
süßem Geschmack, aber im Winter nicht haltbar und nur in wärmeren
Gegenden ihre volle Größe erreichend, und die leider ebenfalls nicht
haltbare Bellegarde von ovaler Form, oft von 50 cm Umfang und 1,5 kg
Gewicht, mit feinem, süßem Fleisch. In der ganzen Kulturwelt werden
die Zwiebeln als Küchengewürz benutzt, in Süd- und Osteuropa dagegen
roh oder geröstet wie Obst oder Gemüse gegessen. Sie enthalten ein
schwefelhaltiges ätherisches Öl und wirken dadurch in Übermaß reizend
auf den Magen, erzeugen übelriechende Atmung und Ausdünstung. Die
Vermehrung geschieht durch die sogenannten Steckzwiebeln, kleine
Zwiebelchen, die sich nach der Aussaat im ersten Jahre bilden und, im
zweiten Jahre ausgesetzt, die küchenfähige Zwiebel liefern. In Essig
eingemacht kommen sie unter dem Namen Perlzwiebeln in den Handel.

Im ganzen milder als diese zweijährige gemeine oder Sommerzwiebel
schmeckt die ausdauernde +Winterzwiebel+ oder der +Röhrenlauch+
(~Allium fistulosum~) mit mehreren länglichen, nebeneinander stehenden
Zwiebeln, sonst der vorigen ähnlich. Sie stammt aus dem südlichen
Sibirien, vom Altai bis nach Daurien, und kam erst am Ausgang des
Mittelalters über Rußland nach Europa. Im 16. Jahrhundert gab Dodoens
eine wenig kenntliche Abbildung von ihr. Weil sie sich sehr stark
vermehrt und winters im freien Lande aushält, wird sie in Gärten häufig
kultiviert; doch benutzt man meist nur die Blätter als Küchengewürz und
zum Füttern von jungen Truthühnern.

Die +Schalotte+ (~Allium ascalonicum~) -- deutsch auch Aschlauch -- hat
ihren Namen von der Stadt Ascalon, wo sie früher viel gebaut wurde und
von wo aus sie durch Kreuzritter nach Europa gebracht wurde. Sie wird
nirgends mehr wild gefunden und scheint eine mit der gemeinen Zwiebel
verwandte Form zu sein, die schon im Altertum in Syrien, Palästina
und Kleinasien gepflanzt wurde. Die vorderasiatischen Semiten waren
von jeher wie heute noch die Juden große Zwiebelfreunde und pflanzten
und aßen sie in Menge. Ammianus Marcellinus erzählt uns aus dem Leben
des Kaisers Marcus Aurelius, daß, als er auf einer Reise nach Ägypten
im Jahre 175 n. Chr. durch Palästina kam, ihm der Gestank und Lärm
der Juden so lästig wurde, daß er schmerzlich ausgerufen haben soll:
„O Markomannen, Quaden und Sarmaten (es sind dies Stämme, die er vor
kurzem besiegt hatte), habe ich doch noch schlimmere Leute als ihr
seid gefunden!“ -- Noch heute werden die Zwiebelgewächse von den
Israeliten, wie auch von den Orientalen und Russen sehr geschätzt. Die
Schalotten haben pfriemenförmige und nicht aufgeblasene Blätter wie die
vorigen, sind ausdauernd und werden, da bei uns der Same nicht reift,
durch Brutzwiebeln fortgepflanzt. Die Zwiebeln mit äußeren braungelben
und inneren violetten Hüllen schmecken milder und feiner als die
gewöhnlichen Zwiebeln und werden als besseres Küchengewürz benutzt. Um
sie ein Jahr lang zu erhalten, dörrt man sie über dem Ofen.

Der +Porree+ oder die +Welschzwiebel+ (~Allium porrum~) mit weißer,
rundlicher Zwiebel, fast ohne Nebenzwiebeln und hellpurpurroten,
statt wie bei der Schalotte violetten Blüten, ist eine Kulturform
des im Mittelmeer heimischen ~Allium ampeloprasum~, welche Art als
Sommerporree gepflanzt wird und pikanter als der gemeine Porree
schmeckt. Wie Zwiebeln und Knoblauch wurde der Porree schon im Altertum
in Gärten kultiviert und besonders im Orient sehr geschätzt. Die alten
Ägypter nannten ihn edsche und auch im Alten Testament wird er mehrfach
erwähnt. Bei den Griechen hieß er ~prasiás~, bei den Römern dagegen
~porrum~ und hatte nach Plinius bei letzteren besonders dadurch ein
hohes Ansehen erlangt, daß ihn Kaiser Nero seiner Stimme wegen in jedem
Monat an bestimmten Tagen mit Öl aß und dabei gar nichts anderes, nicht
einmal Brot, genoß. Derselbe Autor meldet, daß der römische Ritter
Mela, als er wegen schlechter Verwaltung seiner Provinz vor den Kaiser
Tiberius gefordert wurde, sich in der Verzweiflung damit vergiftete,
daß er soviel Porreesaft trank als drei Silberdenare wiegen. Er sei
dann auf der Stelle und ohne Schmerzen gestorben. Sonst galt der Porree
den Alten -- nach Dioskurides am besten gekocht, wobei das Wasser
zweimal abgegossen wurde, und dann in kaltes Wasser gelegt -- als
schleimlösendes Mittel bei Husten und wurde nach Columella, mit Öl und
Gersten- oder Weizenmehl vermischt, zu demselben Zwecke dem Rindvieh
gegeben. Der bissige Epigrammendichter Martial (40-120 n. Chr.), der
aus seiner spanischen Heimatstadt Bilbilis zur Zeit Neros nach Rom
kam und Schmeichler und Günstling der auf jenen folgenden Kaiser war,
rät einem Freunde: „Hast du stinkenden Porree gegessen, so schließe
wenigstens den Mund, wenn du jemand küssen willst.“

Wichtiger als er ist der +Knoblauch+ (~Allium sativum~), der in
der Dsungarei in Zentralasien heimisch ist und, wie wir bereits
feststellten, schon bei den ältesten Babyloniern und Ägyptern
gepflanzt wurde. Er ist ausdauernd, hat breitlineale, flache Blätter
und eine Blütendolde, in der zwischen zahlreichen Zwiebelchen wenige
weißlichrosenrote Blüten stehen, die keinen Samen entwickeln. Er
kommt bei uns verwildert vor und wird wie die vorigen am besten in
sandigem Boden kultiviert. Mit den Zwiebeln wurde er schon im hohen
Altertume bei den alten Kulturvölkern Vorderasiens und in Ägypten
angebaut. Im Sanskrit hieß er ~mahuschuda~, bei den Juden ~schumin~,
bei den Griechen ~skórodon~, bei den Römern ~allium~, das dann in
die verschiedenen Sprachen lateinischen Ursprungs überging, z. B.
italienisch ~aglio~, französisch ~ail~. Die Mitteleuropäer kannten ihn
schon bevor die Römer ihre Kultur über die Alpen brachten. Lauch ist
ein gemeingermanisches Wort, das vornehmlich Knoblauch bezeichnet,
der den Germanenstämmen eine beliebte Würze bildete. Beklagt sich
doch schon der byzantinische Gesandte Sidonius Apollinaris über den
üblen Geruch des germanischen Volkes der Burgunder vom vielen Lauch-
und Zwiebelnessen. Nach Plinius wurde er viel als Arznei angewandt,
besonders auf dem Lande. Esse man ihn ungekocht, so gebe er dem Atem
einen sehr unangenehmen Geruch. Der Schriftsteller Menandros behaupte
zwar, man könne dem Munde den Knoblauchgeruch nehmen, wenn man
geröstete Runkelrüben hernach kaue. Um ihn und die Küchenzwiebel lange
aufzubewahren, befeuchte man sie mit lauem Salzwasser oder hänge sie
eine Zeitlang zum Dörren über glühenden Kohlen auf; manche höben den
Knoblauch auch in Spreu auf. Auf den Feldern wachse wilder Knoblauch,
den man ~alum~ nenne. Man koche ihn und werfe ihn aus, wo Vögel der
Saat Schaden zufügen; diejenigen, welche davon fräßen, würden alsbald
betäubt, so daß man sie mit Händen greifen und unschädlich machen könne.

Schon im Altertum aß das gemeine Volk in den Mittelmeerländern wie
noch heute gern den Knoblauch, der bei den Griechen und Römern
in besonderen, griechisch ~skorodṓnes~, lateinisch ~alliinae~
genannten Abteilungen des Gemüsegartens gepflanzt und durch ambulante
Knoblauchhändler (griechisch ~skorodopṓles~, lateinisch ~alliarii~)
verkauft wurde. Noch in unseren Tagen lebt der arme Grieche oft
wochenlang vom Genusse des Knoblauchs. Die Geizigen gaben ihren
Sklaven Knoblauch zu essen, wie uns die Schriftsteller mehrfach
berichten, und eine ~skorodálmē~ genannte Brühe aus Knoblauch und Salz
gehörte zu den altgriechischen Volksgerichten. So beliebt er aber
beim ungebildeten, armen Volke war, so sehr wurde er wegen seines
starken Duftes von den gebildeten, vornehmen Kreisen verabscheut und
sein Geruch von ihnen durchaus verpönt. ~Allium olet~, der Knoblauch
stinkt, war eine Redensart, mit der ihn diese Kreise besonders im
reichen Rom abweisend kennzeichneten. In einer Komödie des lateinischen
Dichters Plautus (254-184 v. Chr.) wird ein Mann aus dem Volke mit
dem Ausruf angeschnauzt: „Mensch, schere dich zum Teufel, du stinkst
nach Knoblauch!“ Und Marcus Terentius Varro, der fruchtbarste und
bedeutendste Gelehrte Roms (116-27 v. Chr.) sagt in einer seiner
Schriften: „Unsere Väter und Urgroßväter waren recht brave Leute,
obgleich ihre Worte einen derben Knoblauch- und Zwiebelgeruch hatten.“
Feinfühlige Römer der späteren Zeit entsetzten sich ob dieses
plebejischen Genußmittels; so läßt der Dichter Horaz (65-8 v. Chr.)
in einer seiner Epoden seinen Gönner Maecenas, den Freund des Kaisers
Augustus, der ihm sein Landgut Sabinum schenkte, wissen: „Du hast
mich, mein verehrter Gönner, Maecenas, mit einem Futter bewirtet, das
giftiger ist als Schierling und tödlicher als Vipernblut; du hast
mir Knoblauch zu essen gegeben, dieses Teufelszeug, das die harten
Eingeweide der Schnitter vielleicht verdauen können, das aber in
meinem Leibe wie ein wütendes Ungeheuer tobt, dieses Teufelsgift, mit
dem Medea einst den Jason so gräßlich beschmierte, daß selbst die
feuerschnaubenden Stiere sich nicht an ihn wagten. Wart, verehrter
Gönner, wenn du dir wieder so ein Knoblauchspäßchen mit mir erlaubst,
so werde ich meinerseits dir alles mögliche Unheil an den Hals
wünschen.“

Heute sind nur noch die Juden, wie auch die Russen und Türken besondere
Freunde des Knoblauchs, der sonst wegen seiner widerwärtigen, lange
anhaltenden Ausdünstung auch bei den Kulturvölkern des Abendlandes in
Verruf erklärt ist. Er wird in verschiedenen Varietäten kultiviert,
von denen der spanische Lauch und der Schlangenlauch die feinsten
sind. Letzterer liefert die Perlzwiebeln oder Rockambolen (aus
dem italienischen ~rocambole~), die stets nur durch Zwiebelbrut
fortgepflanzt werden können. Wie der Knoblauch wird auch der in
Südeuropa wild wachsende +Sandlauch+ (~Allium scorodoprasum~)
kultiviert und als Küchengewürz verwendet. Die Italiener nennen
ihn ~agliporro~. Der auch von uns vielfach benutzte +Schnittlauch+
(~Allium schoenoprasum~) mit kleinen, weißen, länglichen, in Büscheln
beisammenstehenden Zwiebeln, einen Rasen bildenden hohlen Blättern
und wenig höheren Blütenschäften von rotvioletten Blüten wächst auf
Gebirgswiesen in ganz Europa bis nach dem südlichen Schweden, in
Sibirien bis nach Kamtschatka und auch in Nordamerika, da aber nur in
der Nähe der kanadischen Seen. Nach De Candolle steht die in den Alpen
vorkommende Form der angebauten am nächsten. Von den Alten wurde sie
nicht angepflanzt, höchstens etwa auf freiem Felde gesammelt und als
Medizin oder Küchengewürz verwendet. Erst im Mittelalter wurde sie zur
Kulturpflanze erhoben und wird heute auch in Norditalien als ~erba
cipollina~ gezogen. Die kleinen, dichtgedrängten Zwiebelchen setzen
einen umfangreichen Wurzelstock zusammen, dessen röhrenförmige Blätter
man wegen ihres angenehm würzigen Geschmacks abschneidet, um sie als
Würze in die Suppe zu tun oder dem Salat beizufügen. Nicht zu tief
abgeschnitten, wachsen sie bald wieder nach und bilden daher ein sehr
dankbares Gartengewächs.

Schon von den alten Ägyptern, Griechen und Römern wurde der ~Spargel~
(~Asparagus officinalis~) als geschätzte Gemüsepflanze gezogen. Diese
Pflanze, die von Spanien bis zur Dsungarei und vom Mittelmeer bis
Norwegen besonders an Flußufern wild wächst, treibt im Frühjahr aus
dem Wurzelstock fleischige, saftige, weißliche oder blaßrote bis
grünliche Sprosse, Pfeifen genannt. Diese verlängern sich über der Erde
in den reich verzweigten, grünen, bis 1,5 m hohen glatten Stengel,
an welchem im Herbste zahlreiche rote Beeren erscheinen. Nachdem
man anfänglich nur die saftigen Sprosse des wildwachsenden Spargels
gesammelt, wurde diese Pflanze früh aus der Wildnis in die Gärten
übernommen und durch Kultur veredelt. Dabei suchte man auf künstlichem
Wege durch Behäufeln mit Erde oder tiefes Setzen der Pflanzen die so
bleich bleibenden jungen Sproßspitzen möglichst lang und fleischig zu
erhalten und stach sie mit eigenen Spaten ab, sobald sie die Oberfläche
des Bodens erreichten. So treffen wir den Kulturspargel bereits unter
den Opfergaben im Grabe der Stufenpyramide von Sakkara aus der 5.
Dynastie (2750-2625 v. Chr.) abgebildet. Da liegen auf einem Tische
neben Feigen, Flaschenkürbissen und länglichen gerippten Aggurmelonen
dreifach gebundene Spargelbündel, damit der Verstorbene, der sie
im Leben gern aß, auch im Tode nicht entbehre. Auf einer anderen
Darstellung sind sogar die Blattschüppchen des sonst blattgrünfreien,
weißen Sprosses mit hellgrüner Farbe angedeutet.

[Illustration: Bild 19. Ägyptische Opfergaben.

Seitlich links und rechts oben und unten Flaschenkürbisse (~Lagenaria
vulgaris~), zwischen den beiden oberen eine Aggurmelone (~Cucumis
chate~); darüber ein Bündel Spargeln.

(Nach Woenig.)]

Bei den Griechen hieß der Spargel ~aspáragos~, d. h. der nicht
Gesäte, weil man ihn damals schon durch Stecklinge in den Gärten
fortpflanzte. Das ungebildete Volk in Griechenland glaubte nach dem
Berichte des Dioskurides durch Tragen eines Spargelsprosses als Amulett
unerwünschten Kindersegen fernhalten zu können; auch wurde er bei
mancherlei Krankheit als Heilmittel eingenommen. In seiner Schrift über
den Landbau gibt uns der ältere Cato (234-149 v. Chr.) ausführliche
Mitteilungen über seinen Anbau und rät als besten Dung für ihn den
Schafmist, da anderer Mist Unkraut erzeuge. Daß er so eingehend
über ihn spricht, beweist, daß diese von den wohllebenden Griechen
Unteritaliens eingeführte Kultur damals bei den Römern noch neu war.
Noch um die Mitte des 1. christlichen Jahrhunderts wurde nach Plinius
und Columella der wildwachsende Spargel, weil als Arznei wirksamer
als der gezähmte, gesammelt. Plinius sagt, den Spargel (~corruda~)
lasse die Natur wild wachsen, damit ihn jeder nach Belieben stechen
könne; jetzt aber stelle man künstlich gezogenen Spargel (~asparagus~)
zur Schau, von welchem der in Ravenna gezogene „gemästete“ so dick
werde, daß drei Stück zusammen ein Pfund wiegen (was für das Stück
115 g ausmacht). Sein Genuß solle dem Magen wohltun; auch genieße
man ihn bei Bauchweh mit einem Zusatz von römischem oder Kreuzkümmel
(~cuminum~), oder koche ihn mit Wein. Suetonius berichtet uns, daß der
Kaiser Augustus, wenn er sagen wollte, es müsse etwas schnell fertig
werden, er den Ausdruck zu gebrauchen pflegte: „schneller als Spargel
beim Kochen gar wird“. Wie diese Spargeln der Römer ausgesehen haben,
das lehren uns verschiedene Küchengegenstände darstellende Wandgemälde
in Pompeji, auf denen man solche in Bündel zusammengebunden neben
Zwiebeln, Rettichen, Rüben und einer Art kleiner Kürbisse abgebildet
findet. In Böotien pflegten einst Neuvermählte mit Kränzen aus
Spargelkraut geschmückt zu werden, wohl um anzudeuten, daß das Rohe
durch Kultur verfeinert werde, wie die Ehe und die Familie die Sitten
der Völker veredle.

Wie schon das aus dem lateinischen ~asparagus~ abgeleitete Wort Spargel
beweist, haben die Römer den Spargelbau nach Gallien und Germanien
gebracht. Aber wegen seiner anspruchsvollen Kultur konnte er hier kein
allgemein gebräuchliches Gemüse werden, sondern blieb ein Luxusgemüse
der Vornehmen. Erst im 10. Jahrhundert hören wir überhaupt wieder etwas
vom Anbau des Edelspargels in Mitteleuropa. Doch begann er erst im 16.
Jahrhundert hier als Leckerei aufzukommen. So schreibt der deutsche
Geistliche Hieronymus Bock (nach der damaligen Sitte der Gelehrten in
Tragus latinisiert, 1498 bis 1554) in seinem 1539 erschienenen „New
Kreutterbuch“ vom Spargel als eines „gemeinen Sallats (einer mit Salz
angemachten Speise) der Walen (Welschen) und Hispanier, der nunmehr
auch, wie andere Leckerbißlein ins Teutschland kommen ist, ein lieblich
Speis für die Leckermäuler“. Sein Schüler Tabernaemontanus (nach
seinem Geburtsort Bergzabern so genannt, starb 1590 als Leibarzt des
Pfalzgrafen Johann Kasimir bei Rhein in Heidelberg) gibt in seinem erst
nach seinem Tode 1613 herausgegebenen Kräuterbuch, auf Cato gestützt,
Kulturanweisungen des Spargels, von dem er berichtet, daß er „im
Rheingau bei Weynhagen um denen feuchten Wiesen so überflüssig gezogen
wurde, datz mann ihn zur Spais genugsam bekommen könnte“. Er schreibt
seinem Genusse heilkräftige Wirkung auf die Nieren zu und beruft
sich dabei als Gewährsmann auf Serenus Sammonicus, den Leibarzt des
römischen Kaisers Caracalla (Sohn des Septimius Severus, bestieg 211
23jährig mit seinem Bruder Geta, den er im Jahre darauf ermorden ließ,
den Thron und wurde 217 auf Anstiften des Macrinus bei Edessa selbst
ermordet), der Spargelköpfe in Wein bei Erkrankung der Nieren empfohlen
habe. Weil sie harntreibend wirken empfahl sie auch der Arzt Becher
1663 in seinem ~Parnassus medicinae~ als Stärkungsmittel der Nieren,
das sich auch für Leber und Milz nützlich erweise.

Erst in der Neuzeit hat der Spargel als geschätztes feineres Gemüse in
weiteren Kreisen Verbreitung gefunden, und zwar nahmen zuerst einige
Städte am Mittellauf des Rheins, besonders Mainz, wo er heute noch
sehr viel und in besonderer Güte gezogen wird, seine Kultur auf. Von
da an drang sein Anbau ostwärts durch ganz Deutschland, so daß er hier
heute überall auch auf den Tisch der bürgerlichen Kreise gelangt,
während er früher nur den Vornehmen erreichbar war. Er wird in großen
Plantagen in mehreren Varietäten gepflanzt, und zwar am ausgedehntesten
um Braunschweig, Erfurt, Berlin, Lübeck, Ulm und Argenteuil bei
Paris, wo teilweise auch Riesenformen, die denjenigen von Ravenna in
römischer Zeit durchaus ebenbürtig sind, gezogen werden. Um Erfurt
herum sind weit über 2000 ha Land der Spargelkultur gewidmet. Da nun
ein Hektar durchschnittlich mit 25000 Pflanzen besetzt ist, von denen
jede einzelne ¼–½ kg Stangen liefert, so kann man sich einigermaßen
vorstellen, um welche Mengen dieses zarten, wohlschmeckenden Gemüses es
sich hier handelt. Dabei bezahlt der Importeur genannte Zwischenhändler
25-50 Mark, später wohl auch nur 15 Mark für 50 kg. Und er verkauft
sie wieder zu einem solchen Preise, daß auch der Minderbemittelte sich
gelegentlich diesen Leckerbissen verschaffen kann.

Ein lockerer, durchlässiger, gut gedüngter Boden eignet sich am besten
zur Spargelkultur. Das Saatgut wird in Zwischenräumen von 30-35 cm
gestreut, um den Wurzeln Spielraum zu lassen. Die Zwischenräume werden
mit Kompost ausgefüllt. Nach 3-4 Wochen erscheinen die jungen Keime.
Nun werden die Schwächlinge unter ihnen ausgerodet und nur die als
„Klauen“ bezeichneten kräftigen Keimlinge, die starke Wurzeln ansetzen,
weiter gepflegt und mit gelegentlichen Düngergüssen gespeist. Nach
drei Jahren kann die erste, bescheidene Ernte gehalten werden, die
bis 25 Jahre hindurch alle Frühjahre wiederholt wird, wenn aus den
Klauen die „Pfeifen“ genannten jungen Sprosse ausbrechen und dem Lichte
entgegenstreben. Beim wilden Spargel, der nur wenige Zentimeter unter
der Erdoberfläche wurzelt, sind natürlich die Pfeifen dementsprechend
kurz. Beim kultivierten jedoch sitzt die Wurzel tiefer in der Erde,
auch wurde noch ein Erdhügel über sie geschichtet, der sich als Wall
-- denn eine Wurzel liegt neben der anderen in kurzen Abständen --
lang hinzieht, so daß die ganze Plantage aus Wällen und dazwischen
gelegenen Gräben besteht. So muß der junge Sproß erst einen langen Weg
durch das Erdreich zurücklegen, ehe er das Licht der Sonne erblickt.
Doch dazu läßt es der Züchter gar nicht kommen. Er sticht ihn ab,
bevor er zutage tritt. Denn nur solange der Sproß in der Erde steckt,
besitzt er eine zarte, weiße Farbe. Sobald die Sonne ihn trifft,
wird er violett und grün. Darum gehen die Spargelstecher morgens vor
Sonnenaufgang hinaus aufs Feld und spähen sorgsam nach den feinen
Rissen im Boden, die bekunden, daß hier ein Sproß durchbrechen will.
Dann graben sie ihn sorgfältig aus und schneiden oder brechen ihn
dicht an der Klaue ab. Der gestochene Spargel wird dann gewaschen und
in ausgemauerten Erdgruben aufbewahrt, wenn nicht gleich verpackt und
auf den Markt gebracht. Statt wie früher nur einige Wochen, dauert
die Stechzeit heute volle zwei Monate. Sehr viel Spargeln werden von
den Konservenfabriken, von denen Braunschweig allein über 30 mit mehr
als 3000 Arbeitern zählt, verarbeitet, indem sie, zuerst geschält und
einige Minuten in Wasser gekocht, in Büchsen mit schwach gesalzenem
Wasser übergossen, eingelötet und darin noch anderthalb Stunden in
kochendes Wasser gelegt werden. So halten sie sich jahrelang und
schmecken auch dem verwöhntesten Gaumen wie frische. So kann man sie
das ganze Jahr über zu so billigem Preise kaufen, daß heute die noch
in den 1870er Jahren mit großem Gewinn betriebene Spargeltreiberei in
Mistbeeten zwecklos geworden ist und nur noch aus alter Gewohnheit von
einigen Herrschaftsgärtnern betrieben wird.

Die Spargelliebhaber, die ihn als Salat oder mit dicken Saucen
vorziehen, sind in der Minderheit. Die meisten lieben das Gericht,
wenn es in Salzwasser gekocht und mit brauner Butter übergossen wird,
so wie es schon John Gray im 17. Jahrhundert seinen Landsleuten, den
Engländern, empfahl: „Die Sprosse oder jungen Keime des Spargels,
leicht gekocht und mit Butter angerichtet, empfehlen sich dem Gaumen
durch köstlichen Geschmack und werden im Frühjahr unter den Speisen
hochgeschätzt.“ Doch, wenn auch in der Zubereitung des Spargels die
Ansichten zumeist ungeteilt sind, so gehen sie doch bei der Beurteilung
der einzelnen Qualitäten wesentlich auseinander. Denn nicht alle Völker
lieben gleich uns die weißen Spargelköpfe. In Frankreich, in Italien
und auch in Süddeutschland bevorzugt man den Spargel, dessen Köpfe
schon von der Sonne grün oder violett gefärbt wurden, da diese mehr
Asparagin angesammelt haben und einen strengeren Geschmack besitzen.
Neuerdings beginnen diese „französischen Spargelspitzen“, wie sie von
Argenteuil aus in Menge nach Paris und den anderen großen Städten
ausgeführt werden, sich auch bei uns einzubürgern.

Bekanntlich verleiht der Spargel dem in größerer Menge abgesonderten
Harn einen eigentümlichen, an Veilchen erinnernden Geruch. Das feine,
zarte Laubwerk, aus welchem im Juli kleine, gelblichweiße Blüten
hervorschauen, um im Herbst erbsengroße, rote Beeren hervorgehen zu
lassen, dient zur Garnierung von Sträußen. Aus den kleinen, schwarzen
Samen, die für den Spargelzüchter als Aussaatgut von Wert sind,
wurde zur Zeit der von Napoleon I. im Jahre 1806 zur Schädigung des
englischen Handels verhängten Kontinentalsperre ein Kaffeesurrogat
hergestellt, das aber keinen besonders guten Geschmack gehabt haben
muß; denn man ging rasch nach der Aufhebung der Sperre wieder zur
anregenden Kaffeebohne zurück. Übrigens werden im Mittelmeergebiet auch
die ersten zarten Triebe mehrerer anderer Arten wie diejenigen des
gemeinen Spargels benutzt.

Ein Genußmittel mehr der Reichen ist bei uns auch die +Artischocke+
(~Cynara scolymus~), nach dem italienischen ~articiocco~ von uns so
genannt. Dieses ausdauernde, 1 m hohe Distelgewächs mit violetten
Blüten und großen, unterseits weißfilzigen Blättern stammt aus
Nordafrika. Nach dem griechischen, um 200 n. Chr. in Alexandria
lebenden Grammatiker Athenaios hatten die Soldaten des ägyptischen
Königs Ptolemaios Euergetes I., der von 247-221 regierte, in Libyen
eine Menge wilder ~kýnara~ gefunden und sich damit ernährt. Jener
König, der ein Schüler des großen Philosophen Aristarch war, sagt im
zweiten Buche seiner Schriften: „In der Gegend von Berenice in Libyen
ist der Fluß Lethon, in dessen Umgebung die bunte Distel (~kínara~)
-- eine Art wilde Artischocke -- sehr häufig wächst. Alle Soldaten,
die ich bei mir hatte, sammelten sie, reinigten sie von den Stacheln,
verzehrten sie und boten auch mir davon an.“

Schon im alten Ägypten wurde sie häufig angepflanzt und findet sich in
der verschiedensten Weise an den Wänden der Grabkammern abgebildet.
In seinem Buch über „die Pflanzen im alten Ägypten“ schreibt Franz
Wönig: „Auf den Opfertischen, Fruchttabuletts und in den Gemüsekörben
fehlt der längliche, runde Blütenkopf der Artischocke nur selten.
Ich habe mir von altägyptischen Monumenten bisher 35 verschiedene
Modifikationen derselben kopieren können. Sie tritt ebenso oft in der
sorgsamsten Ausführung, wie im flüchtigen Umriß auf. Auf farbigen
Darstellungen erscheint der Kopf der Artischocke dunkelgrün oder
lebhaft grün koloriert; mehrfach sind auch die einzelnen Hüllblätter
noch besonders umrandet.“ Auch sehr große Formen müssen bereits damals
im Niltal gepflanzt worden sein, was uns des um 25 n. Chr. verstorbenen
griechischen Geographen Strabon Mitteilung, daß die Artischocken in
Maurusea (Nordafrika) zwölf Ellen hoch und zwei Handbreiten dick
werden, einigermaßen begreiflich erscheinen läßt; denn unter günstigen
Kulturbedingungen erreicht die Pflanze tatsächlich eine gewaltige Größe
und Stärke.

[Illustration: Bild 20. Artischockenformen von altägyptischen
Wandmalereien. (Nach Woenig.)]

Als ~skólymos~ kannten sie die Griechen und später als ~carduus~
auch die Römer. Plinius nennt die Artischocke ausdrücklich eine
Speisepflanze der orientalischen Völker. Und durch Vermittelung des
Handels mit Ägypten muß dieses Gemüse auch zuerst nach Griechenland
gelangt sein, wo es neben der schon früher von ihnen als Gemüse
benutzten und ~kýnara~ genannten +bunten Distel+ (~Scolymus maculatus~)
angepflanzt wurde. Daß diese Überführung der Artischocke von Ägypten
nach Griechenland bereits vor dem 8. vorchristlichen Jahrhundert
erfolgte, beweist jenes überaus anmutige Gedicht des im 8. Jahrhundert
v. Chr. lebenden, aus Askra in Böotien gebürtigen griechischen Dichters
Hesiod, worin es heißt: „Sobald die Zeit der Getreideernte da ist,
wetze die Sicheln, wecke das Gesinde, verlaß die schattigen Sitze und
den Morgenschlaf. Eile, die Getreidefrucht nach Hause zu schaffen,
damit es dir nicht an Nahrung zum Lebensunterhalte fehle. Steh frühe
auf! denn die Morgenröte nimmt nur ein Drittel der Arbeit in Anspruch.
Die Morgenröte fördert jede Arbeit. Wenn die Artischocke (~skólymos~)
blüht, die Zikade auf den Bäumen ihren schwirrenden Gesang ertönen
läßt, die Zeit des arbeitsvollen Sommers da ist, die Hitze Kopf,
Glieder und Leib austrocknet, dann setze dich in eine schattige Höhle,
labe dich an Wein von Naxos, den du mit klarem Quellwasser mischest, an
Maza (d. h. einem aus in Wasser gekochtem Gerstenschrot oder Weizenmehl
hergestelltem Brei), Milch und gebratenem Rindfleisch und befiehl den
Knechten, die heilige Frucht der Demeter (d. h. Mutter Erde) auf der
gut geebneten Tenne im Luftzuge zu dreschen. Die ausgedroschenen und
geworfelten Körner miß sorgfältig ab und verwahre sie gut.“ Es müssen
die Artischocken, von denen hier die Rede ist, kultivierte Exemplare
gewesen sein; denn nach dem Begründer der Botanik, Theophrast, im 4.
vorchristlichen Jahrhundert, ist die von ihm als ~kaktos~ bezeichnete
wilde Verwandte der Artischocke nur in Sizilien und nicht in
Griechenland zu finden.

Bei den Römern der Kaiserzeit bildeten die Artischocken eine Speise
der Reichen, für deren Zubereitung der unter Tiberius (der von 14
bis 37 n. Chr. regierte) lebende römische Feinschmecker Apicius, der
Verfasser eines einst von den Vornehmen viel gebrauchten Kochbuches,
so viel Rezepte gab, daß er damit den Unwillen der weniger materiell
angelegten gebildeten Zeitgenossen hervorrief. Nach Plinius, der
uns solches überliefert hat, zog man dieses feine Gemüse besonders
bei Karthago in Nordafrika und Corduba (dem jetzigen Cordoba) in
Südspanien, wobei man auf einem kleinen Felde für 6000 Sesterzien
(etwa 900 Mark) Artischocken gewinnen konnte. Zugleich berichtete er
uns, daß sie in einer Mischung von Wasser und Honig mit Silphium und
Kreuzkümmel konserviert werden. Die fleischigen Hüllkelchblätter und
den Blütenboden der vor ihrer Entfaltung geernteten Blüten empfiehlt
auch der berühmte griechische Arzt Galenos in Rom in der zweiten
Hälfte des 2. christlichen Jahrhunderts, mit Koriander, Wein, Olivenöl
und der berühmten Fischsauce ~garum~ angemacht, zu essen. Der Römer
Palladius um 380 n. Chr., der Verfasser eines noch im Mittelalter
vielfach benutzten Werkes über den Landbau, empfiehlt den Samen der
Artischocke (~carduus~) im Februar oder März bei zunehmendem Mond
in ein schon vorbereitetes Beet, je einen halben Fuß voneinander,
mit der Spitze nach oben, nur bis zum ersten Fingergelenk in die
Erde zu stecken, nachdem man sie zuvor drei Tage lang mit Lorbeeröl,
Nardenöl, Opobalsamum (Mekkabalsam), Rosensaft und Mastixöl befeuchtet
und getrocknet habe. Durch letzteres Verfahren erhielten sie den
Wohlgeschmack der angewandten Mittel. Diese Pflanze liebe einen
gedüngten, lockeren Boden, sei aber in einem festen sicherer gegen
Maulwürfe und andere feindliche Tiere geschützt. Jedes Jahr trenne man
die jungen Triebe vom alten Stock und lasse ihnen dabei etwas Wurzel.
Die Blütenköpfe, deren Samen man zur Aussaat sammeln wolle, müsse
man mit einer Decke versehen, damit Sonne und Regen die Samen nicht
verderben; auch müsse man solchen Pflanzen alle jungen Triebe nehmen,
damit die zur Ausbildung kommenden Blütenköpfe recht groß würden.

Während des Mittelalters haben die Völker Europas die Artischocke
als Gemüse nicht gekannt, während sie innerhalb des Bereiches der
Araberherrschaft kultiviert wurde. Sie kam dann mit den Sarazenen nach
Sizilien und Spanien. Von Süditalien drang sie um 1466 nach Florenz,
1473 nach Venedig, zu Anfang des 15. Jahrhunderts nach Frankreich
und später auch nach England vor. Heute wird diese Gemüsepflanze in
mehreren Varietäten kultiviert, und zwar am besten aus im Januar
in Töpfen gesäten Samen. Die an ihrer Basis samt dem Blütenboden
durch Kultur fleischig gewordenen Hüllblätter bilden namentlich in
Frankreich, wo die ~artichaut~ eine große Rolle spielt, in Fleischbrühe
gekocht oder in Öl gesotten ein geschätztes Gemüse. Auch sind sie in
Italien wie in den übrigen Mittelmeerländern ein beliebtes Gericht,
das überall zu billigem Preise zu haben ist und geradezu als ein
Volksnahrungsmittel bezeichnet werden darf.

Eine sehr nahe Verwandte der echten Artischocke ist die +Cardone+ oder
+spanische Artischocke+ (~Cynara cardunculus~), die in Marokko und
den Küsten des östlichen Mittelmeerbeckens heimisch ist und dort von
den Arabern zur Kulturpflanze erhoben wurde. Sie ist der vorigen sehr
ähnlich, nur höher im Stengel und mit kleinen Blütenköpfen. Von ihr
werden die Herzblätter und markigen Stengel- und Blattstielteile in
verschiedener Zubereitung genossen. Um recht bleich und zart zu werden,
wird die Pflanze drei Wochen vor der Ernte mit Stroh umwickelt und
möglichst hoch behäufelt, so daß nur die Spitze derselben hervorschaut.
Dies geschieht im September. Die Kultur der Cardone kam noch später als
diejenige der Artischocke nach Mitteleuropa, welch letztere im 16.
Jahrhundert von Italien aus zuerst bei den Vornehmen aufkam und sich
mit der Zeit auch die Bürgerkreise eroberte.

Ebenso jungen Datums ist die Kultur der +Schwarzwurzel+ (~Scorzonera
hispanica~), deren wissenschaftlicher botanischer Name auf eine
Herkunft von Spanien hindeutet. Sie wächst wild in ganz Süd- und
Mitteleuropa bis zum Kaukasus, wird 60-90 cm hoch, hat schmale
Blätter und goldgelbe Blüten. Ihre außen schwarze und innen weiße,
von Milchsaft wie die ganze Pflanze durchzogene Wurzel wurde früher
arzneilich benutzt, dient jedoch in der Gegenwart, im Herbste
des ersten oder zweiten Jahres herausgenommen, als schmackhaftes
Gemüse. Wegen ihrer geringen Ausgiebigkeit wird sie vorzugsweise von
den wohlhabenden Städtern konsumiert und ist auf dem Lande wenig
bekannt. In Gegenden, wo die Kultur des weißfrüchtigen Maulbeerbaums
Schwierigkeiten bereitet, werden die Blätter als Ersatzfutter für die
Seidenraupen verwendet.

Gleichfalls erst seit der Neuzeit werden bei uns mehrere Kulturformen
des +Rhabarbers+ (~Rheum undulatum~ und ~rhaponticum~) der starken,
saftigen Blattstiele wegen als Küchengewächs angebaut und bilden,
besonders im April und Mai, wenn das Obst selten und teuer ist, einen
einträglichen Marktartikel. Von ihrer Oberhaut befreit bilden die
an der Basis roten Stengel, in Scheiben geschnitten und mit Zucker
gekocht, eine angenehm säuerliche Speise, die als Kompott oder Kuchen
gegessen wird, auch zur Füllung von Pasteten dient. Besonders in
England und Frankreich wird der Rhabarber in vielen Spielarten angebaut
und dient in ersterem Lande, wie auch in Schlesien, zur Weinbereitung.
Vielfach hält man ihn auch bloß seiner schönen, großen Blätter wegen
als Zierpflanze in Anlagen, ohne die Stengel zu verwerten.

In Nordindien, in den Landschaften am Fuße des Himalaja, ist die
+gemeine Gurke+ (~Cucumis sativus~) heimisch, wo sie noch in ähnlichen,
aber bitterfrüchtigen Formen wildwachsend gefunden wird. Diese seit
wenigstens 3000 Jahren in Indien angebaute Pflanze wurde erst im 2.
Jahrhundert v. Chr., als Schan-kien von seiner Gesandtschaftsreise
nach Baktrien zurückgekehrt war, in China eingeführt. Weit früher
gelangte sie nach Westasien und in die Länder am Mittelmeer. In
Ägypten läßt sie sich unter dem Namen ~schupi~ schon in Grabbeigaben
des mittleren Reiches (12. Dynastie, 2000-1788 v. Chr.) in der
Nekropole von Kahun bei Theben und dem der griechisch-römischen Zeit
angehörenden Gräberfelde von Hawara im Fajûm nachweisen. Die Griechen
der homerischen Zeit kannten sie noch nicht; denn sie gelangte erst
ums Jahr 600 v. Chr. von Kleinasien nach Hellas, wo sie allerdings
bald weite Verbreitung fand. So veränderte das bei Korinth gelegene
Städtchen Mekone, d. h. Mohnstadt, seiner großen Gurkenanpflanzungen
wegen seinen Namen, der noch im 8. vorchristlichen Jahrhundert,
zu des Dichters Hesiod Zeit, der allein gebräuchliche war, nach
der griechischen Bezeichnung für Gurke ~síkyos~ in Sikyon, d. h.
Gurkenstadt. Auch bei den Römern, die die Gurken von den süditalischen
Griechen erhielten, war diese Gartenfrucht sehr beliebt. Plinius und
Columella geben an, daß sie, wenn sie an feuchten Orten gepflanzt
würden, keiner Pflege bedürfen. In Italien wüchsen grüne, sehr
kleine Arten, in den Provinzen dagegen sehr große, wachsgelbe und
dunkelfarbige. Sie suchten das Wasser auf, flöhen dagegen das Öl.
Kaiser Tiberius habe täglich Gurken (~cucumis~) gegessen; für ihn
wurden sie in gutgedüngten, in Glimmer gedeckten, auf Rädern fahrbaren
Behältern gezogen, die den Winter über bei sonnigem Wetter ins Freie,
bei Kälte aber in ein gewärmtes Haus gezogen wurden. Auf den Gedanken,
heizbare Kästen zu bauen, verfielen die kaiserlichen Hofgärtner noch
nicht. Die weniger wohlhabenden Römer mußten sich mit konservierten
Gurken begnügen. Zu diesem Zwecke legten sie dieselben in Heu, Sand
oder Salzwasser, worin sie sich nach Plinius fast bis zum Erscheinen
der neuen hielten. Diese Gurken des Altertums waren eine größere, jetzt
nicht mehr gebaute Art, die gedämpft mit Beigabe von Essig, Senf,
Kümmel, Sellerie und Pfeffer, aber auch in Honig eingemacht gegessen
wurde. In seinen zehn Büchern über Kochkunst (~de re coquinaria~) gibt
uns Apicius verschiedene Rezepte zu deren Zubereitung.

Die heute von uns kultivierten Gurken kamen erst im frühen Mittelalter
von Byzanz aus, wo sie mit einem persisch-aramäischen Wort als
~anguria~ bezeichnet wurden, als ~agurka~ zu den Slawen, die heute noch
leidenschaftliche Verehrer der Gurken sind, und unter der Bezeichnung
Gurken im 17. Jahrhundert zu den Deutschen. Schon vor 200 Jahren wußten
die Lausitzer Wenden auch ohne Mistbeete die schönsten Gurken zu
ziehen und heute ist der Spreewald die Gurkenkammer von Berlin, wo man
nach slawischer Sitte in Salzwasser eingelegte „saure Gurken“ oder in
Essig, Meerrettichstückchen, Pfeffer und Senf eingemachte „Essig- oder
Senfgurken“ als billiges Volksnahrungsmittel überall zu essen bekommt.
Erstere schmecken durch Milchsäuregärung, wobei die in Salzwasser von
richtiger Beschaffenheit sich entwickelnden Milchsäurebazillen aus
dem Zucker der Gurke Milchsäure bilden, sauer, ohne daß auch nur ein
Tropfen Essig dazukommt. Heute sind die Gurken als äußerst beliebtes
Salatgemüse über alle Weltteile, soweit Europäer sich angesiedelt
haben, verbreitet. Von den zahlreichen, durch die Kultur entstandenen
Spielarten wird nur die Feldgurke im großen kultiviert. Sie verlangt
warme, sonnige Lage, einen gut gedüngten, humusreichen, lockeren,
gleichmäßig feuchten Boden. Zur Aussaat nimmt man 3-4jährigen Samen.
Man bestellt die Beete im April und sät, wenn die Nachtfröste vorbei
sind. Die Haupternte findet im August statt, wobei man vom Hektar etwa
100000 Stück erntet. Die Hauptproduktionsgebiete sind Holland, das
schon im April ganze Schiffsladungen von in Treibhäusern gezogenen
Gurken nach England sendet, dann Böhmen, Mähren, Ungarn, Rußland, in
Deutschland der Spreewald, dessen Hauptort Lübbenau allein jährlich
2 Millionen Stück produziert, Erfurt, Quedlinburg, Naumburg und Ulm.
Meist werden die unreifen Früchte, welche im Orient wohlschmeckender
sind und daselbst roh und ungeschält zur Speise dienen, als Salat und
auf mancherlei Weise eingemacht gegessen.

    Tafel 47.

[Illustration: (Phot. von E. Reinhardt.)

Artischockenpflanzung in der toskanischen Fruchtebene.

Verladung von Wassermelonen in Chile.]

    Tafel 48.

[Illustration: Aus Mittelamerika stammender Kalabassen- oder Kürbisbaum
in einem Garten in Kamerun.]

Nach den Funden und Darstellungen auf den Denkmälern wurde im alten
Ägypten schon unter den ersten Dynastien die +ägyptische Gurke+ oder
+Aggurmelone+ (~Cucumis chate~) mit großer, länglicher Frucht, die
noch jetzt im Morgenlande allgemein kultiviert und frisch verzehrt
wird, neben der Wassermelone und dem Flaschenkürbis kultiviert. Diese
ägyptische Gurke, die außer in Südasien auch im tropischen Afrika
heimisch ist, wo sie von vielen Reisenden gesammelt wurde, ist eine
der wilden Stammform der Melone (~Cucumis melo~) sehr nahestehende, ja
vielleicht sogar mit ihr identische Art, die nach Schweinfurth von den
Ägyptern selbst zur Kulturpflanze erhoben wurde. Sie hieß altägyptisch
~kadi~, woraus die Araber ~katta~ und die Botaniker in Anlehnung an
das Arabische ~chate~ machten. Als die Israeliten unter Moses’ Führung
hungrig und durstig durch die wasserlose Wüste der Sinaihalbinsel
wanderten, gedachten sie sehnsüchtig der guten in Ägypten genossenen
Verpflegung, indem es im 4. Buch Moses 11, 5 heißt: „Wir gedenken
der Fische, die wir in Ägypten umsonst aßen, und der ~bischûim~ und
~battichim~ (von Luther fälschlicherweise mit Kürbis und Pfeben, d.
h. Feldkürbis übersetzt, heißt aber tatsächlich Aggurmelonen und
Wassermelonen), Lauch, Zwiebeln und Knoblauch.“ Diese beiden so überaus
saftige Früchte hervorbringenden Kürbisarten haben wir dem Weltteile
Afrika zu verdanken, und im alten Ägypten haben sie ihre erste
sorgfältige Zucht durch Kulturauslese erfahren. Wie sie heute noch
ein köstliches, hochgeschätztes Erzeugnis des Niltales bilden, muß es
schon zur Zeit der Pyramidenerbauer ein solches gewesen sein. Bald
nach der Überschwemmung des dem heißen, trockenen Lande eigentlich das
Leben spendenden und deshalb mit Recht einst göttlich verehrten Nils
schießen die Aggurmelonen und Wassermelonen in Ägypten üppig empor und
entwickeln ihre Früchte ungemein schnell, weshalb sie von den Frucht-
und Gemüsehändlern der ägyptischen Städte mit dem Rufe feilgeboten
werden: „Zart und frisch, und hat sich in der Nacht gestreckt!“ Auf
den Denkmälern des alten Ägyptens treten uns diese Melonen als häufig
angepflanzte und überall gern gegessene Früchte sehr häufig entgegen,
teils grün, teils gelb gemalt und vielfach braun oder rot umrissen,
bisweilen auch die Rippen durch braune Linien angedeutet. Sie fehlen
selten unter den Opfergaben und den bei Gesellschaften zur Erfrischung
gespendeten Speisen, welche die Diener auf Servierbrettern herumbieten,
damit sich jedermann nach Belieben davon bediene. Ihr Laub gehört
zu den pflanzlichen Resten in den Totenkammern, die zur einstigen
Schmückung des Sarkophags dienten.

Die Aggurmelone, die bereits der in Padua als Botanikprofessor wirkende
und 1617 verstorbene Prosper Alpino in seinem 1592-1640 erschienenen
Buche unter dem heute noch gebräuchlichen Namen ~chate~ erwähnt --
er sah sie bei seinem Aufenthalte im Niltale selbst dort wachsen --,
wird in Ägypten reif und unreif gegessen. Ihre länglichen, bis 40 cm
langen, gerippten Früchte sind grüner, weicher, süßer und verdaulicher
als diejenigen der gemeinen Gurke. Wenn sie auch nach Aussehen und
Geschmack der Gurke ähneln, so sind doch die Blätter und Blüten nicht
wie bei dieser, sondern wie bei der Melone, die ja eine sehr nahe Abart
derselben ist, gebildet.

Wie die Aggur- und Wassermelone war auch die eigentliche +Melone+
(~Cucumis melo~) den Griechen der homerischen wie auch der klassischen
Zeit vollkommen fremd. Von keinem griechischen Schriftsteller wird
deren honiggleiche Süßigkeit -- dient doch eingekochter Melonensaft
heute noch im Orient an Stelle des Zuckers zur Herstellung von
Limonaden und allerlei süßem Gebäck --, deren herrlicher Duft und der
köstliche Wohlgeschmack ihres goldgelben bis zartweißen Fleisches
hervorgehoben. Auch die römischen Schriftsteller wissen nichts von
einer solchen Frucht zu melden, die doch in einem Lande, in dem so
viele Feinschmecker lebten und in welchem alle irgendwie geschätzten
Früchte von den Dichtern besungen wurden, einmal hätte erwähnt werden
müssen. Wenn auch unsere süße Melone sicher fehlte, so lehren uns
doch einige Mosaikbilder und Wandgemälde aus den im Jahre 79 n. Chr.
verschütteten Städten Herkulanum und Pompeji und einige Stellen bei
Autoren, die von einem eßbaren Kürbisgewächs handeln, daß ein solches,
das griechisch ~pépōn~ oder ~mēlopépōn~ und lateinisch ~pepo~ oder
~melopepo~ genannt wurde, damals existiert haben muß. Schon der große
Hippokrates (460-364 v. Chr.) erwähnt in seiner Schrift über die Diät
den ~pépōn~ und nach ihm Plinius, Dioskurides und Galenos, aber kein
Schriftsteller rühmt sie als angenehm zu essen. Auch der griechische
Grammatiker Athenaios aus Naukratis in Ägypten, der um 200 n. Chr.
in Alexandrien und Rom lebte, spricht in seinen ~Deipnosophistae~,
die wichtige Nachrichten über Leben, Sitte, Kunst und Wissenschaft
der alten Griechen enthalten, von ihr, weiß aber nichts besonders
Rühmenswertes von der von ihm als Gurkenart bezeichneten ~síkyos
pépōn~ zu berichten. Auch Palladius gegen das Ende des 4. Jahrhunderts
spricht von einer ~melo~, deren Kerne im März zwei Fuß voneinander in
gutbearbeitetes, vorzugsweise sandiges Erdreich gelegt werden. „Vor
dem Legen werden die Samen drei Tage lang in Meth oder Milch geweicht,
dann erst getrocknet. Hierdurch bekommen die Früchte einen lieblichen
Geschmack. Wohlriechend werden sie, wenn sie viele Tage lang zwischen
trockenen Rosenblättern gelegen haben.“

Erst im 5. Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung wird von den
antiken Schriftstellern eine kurzweg nach dem griechischen ~mḗlon~, d.
h. Apfel oder Quitte als ~melo~ bezeichnete Gartenfrucht erwähnt, die
wie Pfirsiche zu den Delicien, d. h. Köstlichkeiten gerechnet wurde.
Damals erst ist die +süße+ oder +Zuckermelone+, die weder Ägypten, noch
die Mittelmeerländer vorher gekannt hatten, ebenfalls aus Westasien
in das Abendland gekommen. Nach Westasien scheint sie aus Indien
gelangt zu sein; denn in letzterem Lande wird eine in bezug auf Blätter
und Blüten mit der kultivierten Melone durchaus übereinstimmende
Pflanze gefunden, deren Früchte meist nur die Größe einer Pflaume,
nur ausnahmsweise diejenige einer Orange erreichen. Oft besitzen sie
einen ausgesprochenen Geschmack und Geruch nach Melonen, oft aber
sind sie ganz geruchlos und schmecken fade. Aus ihrer nordindischen
Heimat gelangte sie etwa zu Beginn der christlichen Zeitrechnung
westwärts nach Afghanistan und Turkestan, wo sie erst ihre höchste
Vollkommenheit erreichte. Aus den Landschaften Turkestans kam sie dann
im 8. christlichen Jahrhundert zu den Chinesen. Da nun diese seit dem
2. Jahrhundert v. Chr., wie wir durch die Gesandtschaft von Schang-kien
wissen, mit dem alten Baktrien und Sogdiana in Verkehrsbeziehungen
standen, muß ihre Kultur vorher auf die südlichen Oasen von Buchara
beschränkt gewesen sein. Der weitgereiste Venezianer Marco Polo, der
sich von 1271-1295 in Zentral- und Ostasien aufhielt, sagt von der
Landschaft am Amu-darja (dem Oxus der Alten) um die Stadt Balch, daß
dort die besten Melonen der Welt wachsen. Man schneide sie rundherum
in Streifen, lasse sie an der Sonne trocknen und halte sie dann als
Handelsware überall im Lande feil. So gedörrt seien sie süßer als
Honig. Dasselbe rühmt der arabische Reisende Ibn Batuta, der von
1340-1350 Zentralasien und China bereiste, von den Melonen von Charism,
und der ungarische Orientalist Hermann Vambéry, der von 1863-1869
als Derwisch verkleidet Persien und das Turkmenenland bereiste, von
denjenigen von Chiwa. Letzterer schreibt in seinem Buche: „Reisen
in Zentralasien“: „Für Melonen hat Chiwa keinen Rivalen, nicht nur
in Asien, sondern in der ganzen Welt. Kein Europäer kann sich einen
Begriff machen vom süßen, würzigen Wohlgeschmack dieser köstlichen
Frucht. Sie schmilzt im Munde, und mit Brot gegessen ist sie die
lieblichste und erquicklichste Speise, die die Natur bietet.“ Auch
Persien ist, wie alle Reisenden, die dieses Land besuchten, einstimmig
versichern, ein vorzügliches Melonenland, in welchem die feinsten
Sorten gezogen und in Unmengen auf den Markt gebracht werden. Es gibt
dort eine große Zahl von Varietäten, die oft von Dorf zu Dorf wechseln;
darunter einige von weitverbreitetem Ruhme, so süß, daß die Perser
darüber lachen, wenn man ihnen erzählt, daß man in Europa die Melonen
mit Zucker esse. Der berühmte Ägyptologe Heinrich Brugsch Pascha,
der 1883 Prinz Friedrich Karl von Preußen auf dessen Orientreise
begleitete und zweimal als Gesandtschaftsattaché Persien bereiste,
rühmt mit begeisterten Worten die Güte der überall in Persien zum Kaufe
angebotenen Melonen, deren vorzügliches Gedeihen er ganz wesentlich der
kräftigen Düngung mit Taubenmist zuschreibt. Überall im Orient sieht
man in den Ortschaften die aus mit der Mündung nach außen gekehrten
Tonkrügen aufgebauten Taubentürme, deren Bewohner als heilige Tiere
vor den Moscheen gefüttert werden und als einzigen Nutzen dem Menschen
ihren Mist gewähren, den dieser auch gerne als für ihn wertvolle Gabe
in Empfang nimmt, um ihn regelmäßig seinen Melonenkulturen zuzuführen.

Die +Wassermelone+ (~Citrullus vulgaris~), im südlichen Rußland
+Arbuse+ oder nach der Benennung der heutigen Griechen ~angúrion~
auch +Angurie+ genannt, ist im südlichen und mittleren tropischen
Afrika heimisch, wo die saftigen Früchte den Menschen und Tieren in
trockenen Gebieten als Labsal dienen. In ihrer Heimat überzieht die
Pflanze oft weithin die öden Länderstrecken, doch sind ihre ziemlich
kleinen Früchte bei sonst gleichem Aussehen der Stöcke das eine
Mal sehr bitter, das andere Mal ganz angenehm schmeckend. Selbst
die Eingeborenen, die sich ihrer als Nahrung bedienen, können nach
Livingstone diese Eigenschaft nicht nach äußeren Merkmalen feststellen,
sondern schlagen die Früchte erst mit einer Hacke an, um dann zu
untersuchen, ob der Saft des Fruchtfleisches angenehm oder bitter
schmeckt. Dieser Wildling hat durch Kulturpflege die großfrüchtige,
saftige Wassermelone aus sich hervorgehen lassen, die niemals mehr
bittere Eigenschaften zeigt. Sie kam sehr früh schon ins Niltal und
wurde, wie verschiedene Abbildungen an den Wänden der Grabkammern
beweisen, von den alten Ägyptern kultiviert, die sie ~banti~ nannten.
Die Juden sehnten sich auf ihrer Wüstenwanderung nach ihnen, die sie
~abattichim~ nannten. Schon damals muß sie in Syrien, Arabien und
selbst Indien, wo sie den Sanskritnamen ~chaya-pula~ führte, angebaut
worden sein. Die alten Griechen und Römer scheinen sie nicht gekannt zu
haben, da sie nirgends von den alten Autoren erwähnt wird. Dagegen fand
sie in Westasien weite Verbreitung. Aus Turkestan, wo sie im frühen
Mittelalter neben der Melone viel angepflanzt worden sein muß, gelangte
sie erst im 10. Jahrhundert n. Chr. nach China unter der Bezeichnung
~sikua~, was nach Bretschneider Melone des Westens bedeutet. Die
Araber, die sie in Anlehnung an das hebräische ~abattichim battich~
nannten, verbreiteten sie über ganz Nordafrika bis nach Spanien, wo sie
seither als ~batteca~, woraus dann das französische ~pastèque~ wurde,
sehr viel, wie auch in ganz Südeuropa bis nach Rußland hinein angebaut
wird und im Sommer überall eine Hauptnahrung der ärmeren Volksklassen
bildet. Wer kennt nicht die köstlichen Gemälde des spanischen Malers
Bartolomé Estéban Murillo (1618-1682) mit den verlumpten Sevillaner
Gassenjungen, die sich neben der Weintraube die Wassermelone, von
der sie sich gierig große Stücke in den Mund schieben, schmecken
lassen. Von Spanien kam sie sehr bald nach Westindien und dem Festland
von Amerika, wo sie jetzt von Chile bis in die Vereinigten Staaten
in großem Umfange angebaut wird. Allerdings gelangt sie hier wie
anderwärts nur in den warmen Gebieten zu ihrer Vollkommenheit. Schon
bei uns ist es ihr zu kalt. Die 10-15 kg schweren, fast kugeligen,
dunkel- oder gellgrünen, in letzterem Falle weißlich gefleckten Früchte
haben zu äußerst ein ungenießbares, härtliches, weißes und darunter ein
weiches, saftiges, süßes, dunkel- bis hellrotes, seltener gelbes oder
weißes Fleisch, worin die schwarzen, gelben oder roten Samen liegen. In
ganz Südeuropa und im Orient dienen sie roh als beliebte Volksnahrung;
härtere Arten werden gekocht und, mit Mehl vermischt, gebacken
genossen. Im Orient und in allen wärmeren Ländern werden ihre Früchte,
obschon den Melonen an delikatem Geschmack weit nachstehend, recht
süß und wohlschmeckend, so daß sie sehr beliebt sind. Aus der Krim
werden sie in einer etwas faden, aber außerordentlich saftigen Abart
überallhin transportiert und unter dem Namen „Arbusen“ spottbillig
verkauft, so daß jedermann sich im Herbst ihren Genuß leisten kann. Bei
den Tataren und Kleinrussen, bei denen sie als Steppenpflanze besonders
gut gedeiht, werden sie zu allen Mahlzeiten gegessen, indem ihr überaus
saftiges Fleisch statt des Wassers zum Brote geschlürft wird. Auch aus
ihrem Safte kann, wie aus demjenigen der süßen Melone, Zucker gewonnen
werden.

Bei ihrer großen Beliebtheit ist es sehr begreiflich, daß die Spanier
sie früh nach der Neuen Welt verpflanzten. In Peru und Chile, welch
letzteres im Norden schon 1541 von den Spaniern besetzt wurde, gedeihen
diese Früchte ausgezeichnet und sind eine wichtige Volksnahrung
geworden. So schreibt Prof. Otto Bürger in seinem Buche: Acht Lehr- und
Wanderjahre in Chile: „Von Januar bis März steht das Land im Zeichen
der Sandias und Melonen. Namentlich die Sandias, die Wassermelonen mit
dem roten Fleisch (~Citrullus vulgaris~), die auch in Südeuropa so
begehrt vom Volke sind, bilden für den Chilenen, ob hoch oder niedrig,
das Schönste des Jahres. Das gewöhnliche Volk und insbesondere der
~Róto~ (d. i. der Zerlumpte, die Kaste der armen Tagelöhner, in der das
indianische Blut noch am reinsten pulsiert und die die beharrlichsten
Trunkenbolde der Welt umfaßt), nährt sich in jener Zeit von kaum
etwas anderem. In den volkreichen Stadtvierteln entstehen zu dieser
Zeit besondere Baracken, in denen tagtäglich ganze Wagenladungen an
primitiven Tischen verzehrt werden. Das Stück kostet 15-50 Centavos (=
25,5-85 Pfennige), aber die teuersten besitzen eine kolossale Größe und
können von +einem+ nicht bezwungen werden. Billiger sind die gelben
Melonen (~Cucumis melo~), welche dem Ausländer mehr zusagen, und die er
~au naturel~ oder mit Zucker ißt, während sie der bessere Chilene am
leckersten mit Pfeffer und Salz findet.“

Außer der als ~pépōn~ bezeichneten Aggurmelone oder ägyptischen Gurke
haben die alten Griechen noch eine andere, als ~kolokýntē~ oder ~síkya
indikḗ~, d. h. indische Gurke bezeichnete Cucurbitazee gepflanzt, deren
kleine, wenig schmackhafte Früchte nur gekocht oder gebraten gegessen
wurden. Meist wird diese Frucht als Kürbis übersetzt, was indessen
durchaus unrichtig ist. Auch konnte sie nicht die +Koloquinte+ oder
+Bittergurke+ (~Citrullus colocynthis~) bedeuten, die im Orient und in
Nordafrika einheimisch ist, in Masse auf den trockenen Abhängen wild
wächst und einst den Straußen als Futter diente. Ihre faustgroße, runde
Frucht ist sehr bitter und wirkt abführend, wird aber gleichwohl von
den armen Tuaregstämmen in der Sahara, geröstet und auf den Handmühlen
vermahlen, verzehrt. Ähnlich ist die Wirkung der im Orient heimischen
+Prophetengurke+ (~Citrullus prophetarum~), so genannt, weil ihr
bitteres Mus dem Propheten Elias, mit Zusatz von geröstetem Mehl, als
Speise gedient haben soll.

Der einzige Kürbis, den die Alten kannten, war der +Flaschenkürbis+
(~Lagenaria vulgaris~), dessen Frucht in den Kulturen die
verschiedenartigsten Formen zeigt und durch die Härte seiner
Schale ausgezeichnet ist, so daß sie getrocknet und ausgehöhlt als
natürlicher Wasserbehälter benutzt werden kann. Charakteristisch für
sie ist auch die bei Kürbissen ziemlich seltene weiße Blüte. Ihr
Fruchtfleisch ist meist bitter, manchmal geradezu giftig, doch ist
es bei einigen Varietäten auch süß und schmackhaft. Seine Heimat
hat der Flaschenkürbis im mittleren Vorderindien, wo er heute noch
in den feuchten Wäldern von Malabar wildwachsend gefunden wird.
Ebenso hat man ihn auf den Molukken, in Abessinien und Ostafrika
wild in Felsengebieten entdeckt. Von diesen beiden Regionen der
alten Welt hat sich die Pflanze mit ursprünglich durchaus bitterem
Fruchtfleisch über alle Tropengebiete und gemäßigten Länder mit
genügender Sommerwärme ausgebreitet. Daß schon im Sanskrit der gemeine
Flaschenkürbis als ulavu von einer andern, ~kututumbi~ genannten
bitteren Art unterschieden wird, spricht für das hohe Alter seiner
Kultur. Im 1. Jahrhundert n. Chr. wird seiner in einem chinesischen
Werke von Tschong-tschi-tschu Erwähnung getan. In Ägypten tritt er
uns verhältnismäßig spät, nämlich erst im mittleren Reich zur Zeit
der 12. Dynastie (2000-1788 v. Chr.) entgegen, indem sich seine
Frucht, auch mehrfach ausgehöhlt als Behälter, unter den Totenbeigaben
vorfand. Doch hat seine Kultur dort, im Gegensatz zur Aggur- und
Wassermelone, keine große Bedeutung erlangt. Den älteren Griechen war
der Flaschenkürbis vollkommen fremd, ebenso den Römern zur Zeit der
Republik. Erst zur römischen Kaiserzeit im 1. Jahrhundert n. Chr.
beschreibt der römische, aus Spanien gebürtige Ackerbauschriftsteller
Columella verschiedene seiner Fruchtformen, welche als Behälter für
Flüssigkeiten aller Art, besonders Milch und Honig, und als Trinkgefäß
verwendet werden konnten, daneben aber auch den Jungen als eine Art
Schwimmblase zur Erlernung des Schwimmens dienten. Nach ihm spricht der
79 n. Chr. beim Vesuvausbruch umgekommene Plinius von ihr als einer
gurkenähnlichen Pflanze, die er ~cucurbita~ nennt. Er schreibt in
seiner Naturgeschichte darüber: „Den Gurken sind die Flaschenkürbisse
(~cucurbita~) ähnlich; wie jene scheuen sie die Kälte, lieben feuchten
Boden und Mist. Sie kriechen wie die Gurken mit ihren rankenden
Sprossen an rauhen Wänden hinauf bis aufs Dach, klettern überhaupt gern
in die Höhe, können sich aber nicht selbst tragen. Ihr Wachstum ist
sehr rasch, und man benutzt sie, um Zimmer mit ihnen auszukleiden oder
Lauben mit ihnen zu decken. Man hat zwei Sorten: bei der ersteren hängt
die schwere Frucht an einem dünnen Stiele, die letztere jedoch kriecht
an der Erde hin. Wie den Gurken gibt man auch den Flaschenkürbissen
allerlei Gestalten, vornehmlich in geflochtenen Formen, in die man
die jungen Früchte steckt. Sie nehmen dann beim Wachsen die Gestalt
der Form an und diese stellt gewöhnlich eine gewundene Schlange vor.
Läßt man sie freihängen, so hat man sie schon 9 Fuß lang werden sehen.
Ihre Anwendung ist verschieden. Beim Verspeisen wird die Schale
fortgeworfen. Sie gelten übrigens für eine gesunde und leichte Speise.
Die Kerne, welche an beiden Enden der Frucht liegen, geben lange
Früchte, die in der Mitte liegenden runde. (Natürlich ist dies eine
unsinnige Behauptung, wie Plinius deren nicht selten aufstellt.) Man
trocknet die Kerne im Schatten, weicht sie aber, wenn man sie pflanzen
will, zuerst in Wasser auf. Die längsten und dünnsten Früchte hat man
zum Verspeisen am liebsten. Diejenigen Flaschenkürbisse, deren Samen
man zur Aussaat gebrauchen will, schneidet man gewöhnlich erst mit
Eintritt des Winters ab, trocknet sie dann im Rauch und gebraucht
sie, um in ihrem hohlen Innern Sämereien, Wein und dergleichen
aufzubewahren. Man hat auch ein Verfahren erfunden, nach welchem man
die Flaschenkürbisse wie Gurken zum Verspeisen aufbewahren kann, so
daß sie sich fast bis zu der Zeit halten, da es wieder frische gibt.
Die Aufbewahrung geschieht in Salzbrühe. Man soll sie auch an einem
schattigen Orte in einer Grube, deren Boden mit Sand bedeckt ist,
aufbewahren können, indem man sie von oben mit trockenem Heu und dann
mit Erde zudeckt.“

In der Folge wurde der Flaschenkürbis überall in Südeuropa häufig
angepflanzt und fand nach der Entdeckung Amerikas auch im neuen
Kontinent, wohin ihn die Spanier zuerst brachten, überall willige
Aufnahme und rasche Verbreitung unter den Eingeborenen. Da man ihn
auch in manchen peruanischen Gräbern fand, glaubten einige Forscher,
er sei in Amerika zu Hause gewesen, was heute sicher als unrichtig
festgestellt wurde. Samen des Flaschenkürbisses stammen in Südamerika
stets nur aus Gräbern, die jüngeren Datums als das Jahr 1500 sind; denn
manche Gräberfelder wurden noch lange nach der Ankunft der Europäer auf
diesem Kontinente weiter benutzt.

Als Behälter zur Aufnahme von Flüssigkeiten ist jedenfalls die
getrocknete und ausgehöhlte Kürbisschale, die man gewöhnlich als
+Kalabasse+ bezeichnet, uralt. Jedenfalls haben wir in ihr die
Urform des Gefäßes zu erblicken, die erst in sehr viel späterer
Zeit vom Menschen in gebranntem Ton nachgeahmt wurde. Wie nun der
Flaschenkürbis in der alten Welt dem Menschen einen natürlichen
Behälter darbot, benutzte der Mensch der neuen Welt zu demselben
Zwecke außer den getrockneten hohlen Schalen der einheimischen
Kürbisse, von denen alsbald zu reden sein wird, auch die ähnlich
beschaffenen Früchte des in Mittelamerika heimischen +Kalabassenbaums+
(~Crescentia cucurbitana~), der in fünf verschiedenen Arten vorkommt.
Allgemein in Westindien, Südamerika und neuerdings auch in Westafrika
kultiviert wird die 6-9 m hohe ~Crescentia cujete~ mit gebüschelten,
lanzettförmigen Blättern, grünlichen, gelb und rot gescheckten Blüten
und großen, rundlichen, 30 cm im Durchmesser haltenden Früchten, die in
einer grünen, holzigen Rinde ein schwammig-saftiges, säuerlich-süßes
Mark mit den Samen beherbergen. Dieses Mark wird in Amerika arzneilich
benützt, aus der Fruchtschale, der eigentlichen Kalabasse, verfertigt
man oft mit Schnitzereien verzierte Gefäße, Schalen, Löffel usw. Das
Holz dagegen dient in der Möbeltischlerei.

Wie der Flaschenkürbis in Südasien heimisch ist eine andere in ihren
Früchten technisch wichtige Kürbisart, nämlich der +Schwammkürbis+
(~Luffa cylindrica~), der heute im ganzen Tropengebiet kultiviert
wird, auch nach Amerika gebracht wurde und dort verwilderte. Die
ziemlich großen, länglichen, glatten Früchte können besonders unreif
wie die Blätter gekocht genossen werden; wichtiger aber ist das in
den reifen Früchten erhärtende, stark ausgebildete Gefäßbündelnetz,
das den +vegetabilischen+ oder +Luffaschwamm+ liefert. In Wasser
erweichend dient er statt des tierischen Schwammes zum Reinigen und
Frottieren der Haut, dann zu Schuhsohlen, Badepantoffeln, Mützen,
Körbchen, Sattelunterlagen, Bilderrahmen und kommt zum Teil aus
Ägypten, besonders aber aus Japan in den Handel. Die unreifen Früchte
der gleicherweise in Südasien heimischen ~Luffa acutangula~, deren
Kultur sich heute über die ganzen Tropen erstreckt, werden wie Gurken
gegessen, die Wurzeln und Samen dagegen als Abführmittel benutzt.

Sämtliche +echten Kürbisse+ dagegen sind in der Neuen Welt heimisch
und haben sich erst seit deren Entdeckung durch die Europäer, also
seit dem 16. Jahrhundert, über die Alte Welt verbreitet. Alle zehn
bekannten Arten sind im warmen Amerika, nördlich bis Kalifornien, zu
Hause, doch sind mehrere, so namentlich die drei einjährigen Arten, im
wilden Zustande noch nicht aufgefunden worden. Daß sie schon lange in
der Kultur des Menschen stehen, beweist die Tatsache, daß Samenkerne
verschiedener Arten als Totenbeigaben auf dem vorkolumbischen
altperuanischen Gräberfelde von Ancon gefunden wurden. Auch wurden in
ganz Amerika schon lange vor der Ankunft der Europäer verschiedene
Kürbisarten von den Indianern angebaut, die den dahin gelangenden
Weißen, wie auch den Botanikern in Europa, die sie später kennen
lernten, vollkommen neu waren. Dies wird uns von Acosta und anderen
Spaniern von Peru und Mittelamerika, von späteren Einwanderern auch
von Nordamerika bezeugt. Bis zum Lande der Huronen an den kanadischen
Seen gab es Kürbisse. Von den letzteren berichtet uns ein französischer
Reisender des 16. Jahrhunderts, daß sie in Menge „~les citrouilles du
pays~“ anpflanzten. Ein anderer gleichzeitiger Schriftsteller nennt die
„~citrouilles~“ des südlichen Kanada süß und verschieden von denjenigen
Europas. Sie seien so groß wie unsere Melonen und ihr Fleisch sei so
gelb wie Safran.

Der +gemeine Kürbis+ (~Cucurbita pepo~) hat seine Heimat in Mexiko und
Texas, von wo aus er durch die Spanier sehr bald nach der Entdeckung
der Neuen Welt nach Spanien gebracht wurde, um sich von da rasch
ostwärts über Südeuropa zu verbreiten. Gleichzeitig mit dem Mais und
dem spanischen Pfeffer oder der Paprikapflanze finden wir ihn als
Novität in dem 1543 in Basel gedruckten Kräuterbuch des Leonhard Fuchs
sehr gut dargestellt mit zwei- bis dreiteiligen Ranken und rotgelben
Blüten. In Analogie mit dem als „türkisch Korn“ -- was wohl so viel
als von weither gekommen heißen soll -- bezeichneten Mais benennt
dieser Autor den Kürbis als „türkisch Cucumer, auch Meer-Cucumer
oder Zuccomarin“ und versichert, „daß er vor kurtzen jaren erst zu
uns gebracht worden, was man aus seinen Namen wohl mag abnehmen“. Im
Laufe des 16. Jahrhunderts hat sich dann diese Gartenfrucht rasch bei
uns eingebürgert, teils wegen ihres eßbaren Fruchtfleisches, teils
aber auch der schmackhaften Fruchtkerne wegen, auf welche nach einer
Bemerkung von M. Lobelius aus dem Jahre 1576 die Bauern sehr erpicht
waren. Die einjährige Pflanze mit liegenden, bis 10 m langen Stengeln,
dottergelben, einzelstehenden Blüten und kugeligen, oft sehr großen
Früchten mit weißem oder gelbem, genießbarem Fleisch wird in vielen
Varietäten kultiviert. Sie gedeiht, wo der Mais gedeiht, und liefert
bei gutem Anbau bis 60000 kg vom Hektar. Jede Pflanze soll nur acht
Früchte zur Reife bringen; sobald sie vier Nebenranken getrieben hat,
bricht man die Spitze der Hauptranke ab und nach dem Fruchtansatz
auch diejenigen der Nebenranken. In ganz Südeuropa dienen die Früchte
auf die mannigfaltigste Weise zubereitet der ärmeren Volksklasse
als geschätzter Zusatz zur Brotnahrung, sie bilden ferner ein
vortreffliches Mastfutter für Schweine, auch wird aus ihnen Branntwein
gewonnen. Aus den Samen läßt sich ein feines Speiseöl pressen. Zur
Herstellung von Kompott eignen sich besonders der +Markkürbis+ und
der nichtrankende +virginische Kürbis+. Zum Verspeisen sind auch der
+silbergraue+, der +melonengelbe+, der +Astrachan-+ und +Ohiokürbis+ zu
empfehlen. Der besonders in Südasien viel gepflanzte +Moschuskürbis+
hat wohlschmeckende, melonenähnliche Früchte, deren Fleisch nach
Moschus duftet und schmeckt. Sehr zahlreich sind die +Zierkürbisse+,
von denen etwa zu nennen sind: der +Türkenbundkürbis+, mit grün, gelb
und rot gestreiften Früchten, der nichtrankende +Pastetenkürbis+, auch
Bischofsmütze genannt, mit flacher, am Stiel gewölbter, gelber, grüner
und orange mit weiß gestreifter Frucht, dann der +Mantelsackkürbis+ mit
dunkelgrüner, am Ende sackartig aufgetriebener Frucht, dessen Samen
mit solchen von anderen Arten in den altperuanischen Gräbern von Ancon
gefunden wurden, und viele andere Formen wie +Apfel-+, +Birnen-+,
+Zitronen-+, +Glocken-+, +Warzenkürbis+. Die weitaus größten Früchte
besitzt der +Riesenkürbis+. Sie werden 20-100 kg schwer, sind kugelig,
plattgedrückt oder gerippt und haben ein feineres, wohlschmeckenderes
Fleisch als die eigentlichen Zierkürbisse, deren Fleisch nicht gegessen
wird.

Endlich hat uns Südamerika auch zwei als wertvolle Bereicherungen
unseres Gemüsegartens gepflanzte Nachtschattenarten geliefert, nämlich
den Liebesapfel oder die Tomate und die Eierpflanze oder Aubergine. Der
+Liebesapfel+ (~Lycopersicum esculentum~) mit übelriechenden, behaarten
Blättern, gelben Blüten, glänzend roten, gelbroten, gelben oder weißen
Früchten, heißt mit einer amerikanischen Bezeichnung +Tomate+. Der
große Baseler Botaniker Kaspar Bauhin (1560-1624) bezeichnet die Art
1596 als ~Tumatle Americanorum~, und die ersten von den Botanikern des
16. Jahrhunderts ihr beigelegten Namen wie „peruanischer Apfel“ lassen
vermuten, daß man sie aus Peru erhalten hatte. Jedenfalls wurde sie auf
dem südamerikanischen Festlande von den Eingeborenen früher angebaut
als auf den Antillen. Die Ausgangsform war eine ganz kleinblütige Art
mit kirschgroßen Früchten, die im Küstengebiet Perus heute noch wild
wachsend angetroffen wird. Heute wird die einjährige Pflanze in der
ganzen Kulturwelt, besonders in den englischen Kolonien, in Indien,
dann in Süd- und Mitteleuropa in vielen Varietäten angebaut und liefert
in ihren Früchten ein wohlschmeckendes und zuträgliches Gemüse, das
auch gerne roh als Salat gegessen wird. Um Neapel und Rom sieht man
ganze Felder mit dieser Frucht bepflanzt. Den Namen Liebesapfel
verdankt sie dem Glauben, daß die so schön gefärbte Frucht zärtliche
Gefühle erwecke.

Die +Eierpflanze+ (~Solanum melongena~), von den Franzosen ~aubergine~
genannt, mit 60 cm hohem, krautartigem Stengel, eirunden Blättern und
lilafarbigen, großen Blüten trägt ovale bis längliche, dunkelviolette,
gelbe oder weiße Früchte, denen man durch kochendes Wasser das in
ihnen enthaltene Narkotische entzieht. In Spanien, Südfrankreich,
Italien, der Wallachei und im Orient werden sie häufig auf Feldern
zum Küchengebrauche gezogen. Bei uns verwendet man sie vorzugsweise
als Zutat an Saucen, Suppen, Ragouts usw.; auch werden sie vielfach
gedünstet gegessen.

Ein naher Verwandter, ~Solanum quitoense~, ein bis 2 m hoher
Halbstrauch aus Peru, trägt genießbare Früchte von der Größe und Farbe
einer kleinen Orange, die im ganzen westlichen Südamerika als Obst
beliebt sind und auch zur Herstellung von kühlenden Getränken dienen.
Weil sie vielfach um Quito, die Hauptstadt von Ekuador kultiviert
werden, nennt man sie meist +Orangen von Quito+. Neuerdings werden sie
auch in England gezogen.

Von ~Solanum anthropophagorum~ endlich, der +Tomate der Kannibalen+,
einem auf den Fidschiinseln kultivierten, etwa 1,5 m hohen Halbstrauch,
wurden die tomatenähnlichen Beeren als Würze zu den einstigen
Menschenopferschmäusen gegessen, weshalb man diese Pflanze auch bei
jeder Bure, d. h. einem Opferplatz, wohin die Körper der Erschlagenen
gebracht wurden, um dort verzehrt zu werden, in kleinen Anpflanzungen
regelmäßig zog. Heute, da der Menschenfraß auf jenen Inseln abgeschafft
ist, dient sie als beliebte Würze zu allerlei Tierfleisch. In gleicher
Weise werden verschiedene andere Nachtschattenarten ihrer genießbaren
Früchte wegen in den Tropen kultiviert, so ~Solanum aethiopicum~ in
Afrika, ~Solanum edule~ in Guinea, ~Solanum macrocarpum~ auf Mauritius
und Madagaskar.

Endlich wäre noch die derselben Familie der Nachtschatten angehörende
+Juden-+ oder +Blasenkirsche+ (~Physalis alkekengi~) zu nennen, die
aus dem Laubwalde Europas als Zier- und Nutzpflanze in die Gärten
übernommen wurde. Sie hat schmutzigweiße Blüten und kirschgroße,
glänzendrote Beeren, die von dem nach dem Verblühen sich stark
vergrößernden und zur Zeit der Fruchtreife als Schauapparat ebenfalls
lebhaft rot gefärbten Kelch tutenförmig umschlossen werden. Während
das Kraut giftig ist, sind die süßlich sauren Früchte eßbar. Sehr
viel wohlschmeckender aber als sie sind die in ihrer Heimat roh oder
eingemacht eine sehr beliebte Speise bildenden Früchte der peruanischen
Verwandten, ~Physalis edulis~, die jetzt in den tropischen und
subtropischen Gärten allgemein kultiviert wird. Ihre als Ananaskirschen
bezeichneten Früchte werden bisweilen auch zu uns gebracht und in den
Delikateßläden feilgehalten.



VIII.

Eßbare Knollengewächse.


Außer den mancherlei Früchten waren wohl die stärkemehlreichen
Wurzelknollen, die keine Gifte oder sonst schädliche Stoffe enthielten,
die vom Menschen zur Stillung seines Hungers am meisten gesuchten
Pflanzenteile. Am Feuer geröstet, waren sie sehr wohl geeignet, seinen
stets regen Hunger zu stillen. Daß dabei die Menschen der Urzeit
keine Kostverächter waren und viele Wurzelknollen und andere Teile
von Pflanzen aßen, die wir heute zu essen verschmähen, das ist ganz
selbstverständlich. So verzehrten die Pfahlbauern Mitteleuropas zur
späteren Stein- und Bronzezeit nicht bloß die mehlreichen Früchte
der +Wassernüsse+ (~Trapa natans~), deren Schalen wir in ihren
Speiseabfällen finden, sondern wohl auch deren fleischige Wurzeln, die
heute noch viele Liebhaber unter den Naturvölkern finden. So werden
sie, wie die nach Kastanien schmeckenden Nüsse, geröstet, in Menge
selbst von den Bewohnern Kaschmirs, und in einer nahe verwandten Art
(~Trapa bicornis~) von den Chinesen, die sie in besonderen Teichen
kultivieren, als Speise namentlich der ärmeren Volksklasse gegessen.

Den alten Ägyptern dienten zu demselben Zwecke die Wurzelknollen der
+Papyrusstaude+ und verschiedener +Seerosen+. Man aß sie roh, geröstet
oder gekocht und verwendete sie, zu Brei zerstoßen, wie die alten
Schriftsteller berichten, insbesondere zur Ernährung der Kinder, die
noch keine gröbere Kost ertragen konnten. An der in ihrer Gestalt und
Farbe unserer weißen Seerose ähnlichen +ägyptischen Lotospflanze+
(~Nymphaea lotus~) und deren Schwester, der +himmelblauen Seerose+
(~Nymphaea coerulea~), war aber nicht bloß der knollige Wurzelstock,
dessen angenehm süßlicher Geschmack gerühmt wird, als Speise geschätzt,
sondern auch die kleinen braunen, eiweißhaltigen Samen, die in einer
fächerreichen, kugeligen Frucht von schmutziggrüner Farbe liegen. Die
Lotospflanze hieß bei den alten Ägyptern ~suschin~, im Hebräischen
-- daraus entlehnt -- ~schuschan~, eine Bezeichnung, welche später
auf die weiße Lilie überging und uns in dem Namen Susanna erhalten
ist. Noch heute heißt die weiße Lilie im Arabischen ~susan~. Auch bei
den ältesten Griechen wurde die weiße Lotos als Lilie (~leírion~)
bezeichnet. Der älteste griechische Geschichtschreiber, Herodot, der um
460 v. Chr. selbst in Ägypten war, berichtet darüber: „Die Früchte der
Lotospflanze (~lōtós~) aber schneiden sie (die Ägypter) ab und trocknen
sie an der Sonne. Hierauf zerstoßen sie die darin befindlichen Körner,
welche dem Mohn ähnlich sind, und bereiten sich mit Hilfe des Feuers
Brot daraus. Auch die Wurzel ist eßbar und schmeckt nicht übel; sie
ist rundlich und von der Größe einer Quitte.“ Nach ihm berichtet der
große, pflanzenkundige Schüler des Aristoteles, Theophrast (390-286
v. Chr.): „Der Lotos wächst in Ägypten auf den Feldern, wenn sie der
Nil überschwemmt. Ihre weiße Blüte schließt sich bei Sonnenuntergang
und verbirgt die Frucht; bei Sonnenaufgang aber tritt sie wieder über
das Wasser und öffnet sich. Dies wiederholt sie bis die Frucht reif
ist und die Blumenblätter abgefallen sind. Die Frucht ist so groß wie
der größte Mohnkopf und ebenso in Fächer geteilt. In dieser liegt der
Same dicht und sieht so aus wie Hirsekorn (~kénchros~). Die Ägypter
legen die reifen Früchte in Haufen zusammen und lassen sie liegen,
bis die Schale gefault ist, worauf die Samen herausgenommen werden.
Diese trocknet man, zerstampft sie und bäckt Brot daraus. Die Wurzel
des Lotos heißt kórsion, ist rund, so wie eine Quitte, hat eine
schwärzliche Rinde wie die Kastanie. Das Innere ist weiß; gekocht oder
gebraten wird es wie Eidotter gegessen und ist sehr wohlschmeckend. Man
kann sie auch roh essen.“

Als dann um 500 v. Chr. von Persien her der rosenrot blühende +indische
Lotos+ (~Nelumbium speciosum~) im Niltal eingeführt und kultiviert
wurde, haben die Ägypter auch dessen olivenkerngroße, braune, in
Vertiefungen der der Brause einer Gießkanne ähnelnden Frucht steckenden
Samen und die mehlreichen Wurzelknollen gern gegessen. Der vorhin
erwähnte Herodot meint sie, wenn er sagt: „Neben dem Lotos haben die
Ägypter auch noch andere im Wasser wachsende Lilien, deren Frucht einer
Wespenwabe gleicht, worin Samen, so groß wie Olivenkerne, in Menge
sitzen; man ißt sie frisch und gedörrt.“ Diese Samen waren die ~kýamoi
aigýptioi~ oder ~fabae aegyptiacae~, d. h. ägyptischen Saubohnen der
griechischen und römischen Schriftsteller des Altertums, die eine
sehr beliebte Volksnahrung der alten Ägypter bildeten und nur von
den Priestern gemieden wurden, da die sie erzeugende Pflanze in den
Kult aufgenommen war und als heilig galt. Von dieser Pflanze, der
heiligen ~padma~ der Inder, die noch heute in ihrer Heimat Südasien,
besonders aber in China und Japan der mehlreichen Wurzelknolle und
der wohlschmeckenden Samen wegen in stehenden Gewässern viel gezogen
wird, schreibt Theophrast in seiner Pflanzenkunde: „Die ~kýamos~
wächst in Sümpfen und stehenden Gewässern Ägyptens. Ihre Stämme
werden bis vier Ellen lang, sind fingersdick, krustenlos, haben aber
inwendig Scheidewände, welche quer durchgehen. Auf den Stämmen stehen
die Fruchtköpfe, die wie runde Wespennester aussehen und in jeder
Vertiefung eine etwas hervorragende saubohnenähnliche Frucht tragen.
Es sind in jeder Frucht gewöhnlich 30 Bohnen enthalten. Die Blume
ist doppelt so groß wie eine Mohnblume und tief rosa gefärbt. Die
Frucht steht über der Wasserfläche. Neben den Früchten kommen große
Blätter hervor, wie breitkrempige Hüte; ihre Stiele sehen aus wie
die der Früchte. Die Wurzel ist dicker als die des dicksten Schilfes
und hat ebensolche Scheidewände wie der Stamm. Sie wird roh, gekocht
und geröstet verzehrt. Die Pflanze wächst häufig wild, wird aber
auch gesät, indem man deren Samen in Ton wickelt und mit diesem ins
Wasser senkt. Wo die Pflanze einmal steht, da dauert sie sehr lange
aus. Die Wurzel ist stark, der Schilfwurzel ähnlich, aber dornig.
Deswegen vermeidet sie das Krokodil, weil es fürchtet, seine Augen
an den Dornen zu verletzen. Die Pflanze wächst auch in Syrien und
Kilikien, trägt dort aber keine reifen Früchte. Sie wächst auch bei
Torone in Chalchidike in einem mäßig großen See und in diesem bringt
sie ihre Frucht zur Reife.“ Später schreiben der aus Kilikien gebürtige
griechische Arzt Dioskurides um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr.
und der um 200 n. Chr. in Alexandria und Rom lebende, aus Naukratis in
Ägypten stammende griechische Grammatiker Athenaios, daß der ~kýamos
aigýptios~ in Ägypten in reicher Fülle wachse, sich aber auch in Asien
und Kilikien in stehenden Gewässern finde. Die eßbaren Samen würden
auch ~kibórion~ genannt, während die Wurzel ~kolokásia~ genannt und
ebenfalls gegessen werde.

Schon bei den ältesten Griechenstämmen war die durch unbestimmte
Berichte aus Ägypten beeinflußte Sage von den Lotophagen, d. h.
Lotosessern, sehr verbreitet. Läßt doch schon Homer in der Odyssee
seinen Helden Odysseus zu den Lotophagen, worunter wohl zweifelsohne
die Ägypter zu verstehen sind, gelangen und erzählt in phantasiereicher
Weise von der seltsamen Wirkung der Frucht:

    „Doch von den Lotophagen geschah nichts Leides den Männern
    Unserer Schar; sie reichten vom Lotos ihnen zu kosten.
    Wer des Lotos Gewächs nur kostete, süßer denn Honig,
    Nicht an Mahnung zum Aufbruch dachte der, noch an die Rückkehr,
    Sondern sie trachteten dort in der Lotophagen Gesellschaft
    Lotos pflückend zu bleiben und abzusagen der Heimat;
    Aber ich führt an die Schiffe die Weinenden wieder mit Zwang hin,
    Zog sie in die geräumigen Schiffe und band sie fest an die Bänke;
    Doch die andern ermahnt ich und trieb die werten Genossen
    Schleunig hinwegzufliehn, in die hurtigen Schiffe sich rettend,
    Daß nicht einer, vom Lotos gereizt, noch vergäße der Heimat.
    Alle stiegen hinein auf die Ruderbänke sich setzend,
    Saßen gereiht und schlugen die grauliche Woge mit Rudern.“

Nun kann aber dieser honigsüße Lotos Homers nicht die Frucht der
ägyptischen Lotosblume, die keineswegs süß ist, gewesen sein, sondern
war vermutlich diejenige des dem Judendorn nahe verwandten ~Zizyphus
lotos~, eines dort und in anderen Ländern am Mittelmeer wachsenden
Strauches mit längeren Dornen und größeren Früchten, die ein
gelblichweißes, mehliges Fruchtfleisch von schleimigem, sehr süßem, an
Datteln erinnerndem Geschmack besitzen und heute noch im Orient, wo der
Strauch wild wächst, gern von der einheimischen Bevölkerung gegessen
werden.

    Tafel 49.

[Illustration: Japanische Bäuerin mit Wurzelgemüsen und Blumen.

Japanischer Bauer mit Regenmantel aus Reisstroh.]

    Tafel 50.

[Illustration: Papyrusdickicht am Flusse Anapo bei Syrakus.

Fünf Monate alter Maniok oder Cassave (~Manihot utilissima~) in Buenga,
Westafrika.]

Der +Papyrus+ (~Cyperus papyrus~) -- altägyptisch ha -- ist ein niemals
in schnellfließenden, tiefen Gewässern, sondern im seichten Wasser der
Strombuchten, am Rande der Seen und in Sümpfen wachsende, bis 5 m hohe
Grasart des tropischen Afrika, die einst in ganz Ägypten sehr häufig
war, heute aber nur noch in Nubien und den Ländern am Oberlaufe des
Nils wildwachsend in ausgedehnten Beständen angetroffen wird. Ihre
fleischige Grundachse ist ein Hauptnahrungsmittel der Flußpferde, die
sie mit ihren kräftigen, weit vorstehenden Schneidezähnen leicht aus
dem schlammigen Boden heben, um sie schmatzend zu verzehren. Ihrem
Beispiel folgten die Menschen. Wie heute noch die Stämme im oberen
Nilgebiet, so haben schon die alten Ägypter die saftige, mehlreiche,
aromatisch schmeckende Grundachse der Papyruspflanze, die erst im Alter
verholzt, roh und gekocht als beliebte, billige Speise gegessen. Auch
das untere Ende des saftreichen dreikantigen Stengels wurde von
ihnen, weil infolge des reichen Zuckergehaltes süß schmeckend, gern
wie anderwärts das Zuckerrohr gekaut, um den Saft auszusaugen. Schon
der Vater der griechischen Geschichtschreibung, Herodot (484 v. Chr.
in der kleinasiatischen Stadt Halikarnaß geboren, bereiste Ägypten und
Babylonien, war seit 456 wieder in Griechenland, ging dann 443 nach der
griechischen Pflanzstadt Thurii in Süditalien, wo er um 424 verstarb)
schreibt: „Die Bewohner des ägyptischen Marschlandes reißen den Papyrus
(~býblos~), der alljährlich nachwächst, aus dem Schlamm, schneiden
das Obere ab, um es sonst zu verwenden; das ellenlange Wurzelstück
dagegen essen oder verkaufen sie. Soll es recht gut schmecken, so
wird es zuvor in einem heißen Ofen geröstet und dann erst gegessen.“
Eine ausführliche Beschreibung der Pflanze und ihres Nutzens gibt uns
der pflanzenkundige Theophrast (390-286 v. Chr.), der von ihr sagt:
„In Ägypten kommen zahlreiche Wasserpflanzen vor; dieselben sind im
allgemeinen süß und eßbar. Der ~pápyros~ wächst nicht in tiefem Wasser,
sondern nur etwa 2 Ellen oder auch weniger tief. An Dicke kommt die
Wurzel der Handwurzel eines starken Mannes gleich und dabei wird sie
über 10 Ellen lang. Sie tritt über den Boden hervor, schickt seitlich
viele dünne Wurzeln nach unten, nach oben aber dreikantige, bis 4
Ellen hoch wachsende Stengel, die man insbesondere ~pápyros~ heißt.
Solche Stengel treibt die Wurzel überall in Menge. Diese sind zu
vielerlei brauchbar. Man macht aus ihnen Fahrzeuge, und aus dem Baste
(~bíblos~) werden Segel, Matten, Seile, Kleider und viele andere Dinge
geflochten. Im Ausland ist das daraus gewonnene Papier (~ta bíblia~)
allgemein bekannt. Für die Eingeborenen ist aber die Nahrung, die sie
aus dem ~pápyros~ ziehen, am wichtigsten. Sie kauen ihn roh, gekocht
und geröstet, verschlucken den Saft und speien das übrige aus. Die
(älteren) Wurzeln dienen statt Holz zum Brennen und zum Verfertigen
von allerlei Geräten.“ Fast dreihundert Jahre später schrieb der aus
Sizilien gebürtige griechische Geschichtschreiber Diodor, da er vom
häuslichen Leben und der Kinderpflege der Ägypter handelte, daß den
Eltern unglaublich wenig Kosten für die Ernährung der Kinder erwachsen,
„denn sie kochen ihnen die nächste beste einfache Speise; auch geben
sie ihnen von der Papyrusstaude den untern Teil zu essen, soweit man
ihn im Feuer rösten kann... Daher kostet ein Kind seinen Eltern, wenn
es erwachsen ist, im ganzen nicht über 20 Drachmen“ (etwa 12 Mark).

Ein naher Verwandter des Papyrus ist das eßbare +Cypergras+ (~Cyperus
esculentus~), auch Erdmandel genannt, deren Knollen man auch
bisweilen mit anderen Pflanzenresten in den altägyptischen Sarkophagen
als beliebte Totenspeise findet. So fand man welche in Gräbern des
mittleren Reiches (2160-1788 v. Chr.) in Der el bahri bei Theben.
Die im Berliner ägyptischen Museum aufbewahrten sollen nach A.
Braun rundlicher und kleiner sein, als die heutigentags in Ägypten
kultivierten. Die Pflanze hieß bei den alten Ägyptern gaiu und die
Wurzelknolle ~schabin~. Der erste Grieche, der die Pflanze erwähnt,
ist Theophrast. Er sagt von ihr: „Die ~malinathállē~ wächst in der
Nähe der Flüsse Ägyptens auf sandigem Boden, ist rund von Gestalt,
an Größe der Mispel gleich, ohne Kern und ohne Schale. Aus dieser
Masse kommen Blätter wie beim Zypergras hervor. Die Leute sammeln die
Knollen und kochen sie in Gerstenbier; auf diese Weise werden sie sehr
süß. Sie werden auch allgemein zum Nachtisch gegessen.“ In ähnlicher
Weise drückt sich der ältere Plinius (23-79 n. Chr.) aus: „In Ägypten
wächst das ~anthalion~; es hat die Größe und Rundung einer Mispel,
weder Kern noch Schale, aber Blätter wie Zypergras. Es wird gegessen,
nachdem es durch Feuer zubereitet ist.“ Noch heute ist die Erdmandel
oder Chufa eine für die Völker Nordafrikas sehr wichtige und deshalb
allgemein angebaute Nährpflanze, deren Knollen überall in den Basaren,
auch in Ägypten und im Orient als ~hab el asis~, d. h. vorzügliche
Knolle, zu kaufen sind. Aus letzteren bereiten die Araber ein sehr
süßes, wohlschmeckendes Getränk, ~scherbet~ genannt (vom Arabischen
~schariba~ = trinken abzuleiten). Überall, wo die Araber einst
herrschten, wurde die Pflanze häufig angebaut, so auch in Sizilien
und Süditalien, und neuerdings wird sie wegen des süßen Geschmacks
ihrer nahrhaften Wurzelknolle auch in Süddeutschland und Österreich
kultiviert. Vielfach trifft man sie auch in Südasien und sogar in
Amerika an. Die stärkemehl-, öl- und zuckerreichen Wurzelknollen von
ausgezeichnetem mandelartigem Geschmack werden vielfach in den Handel
gebracht und dienen zur Gewinnung eines als Speiseöl sehr geschätzten
Öles. Da die Pflanze auch längere Trockenzeiten mit Leichtigkeit zu
überstehen vermag, so bilden ihre Knollen, die roh und gekocht in
der verschiedensten Zubereitung gegessen werden, in dem trockeneren
Südafrika eines der wichtigeren Nahrungsmittel, weshalb die Erdmandel
in vielen Teilen Afrikas, u. a. auch in Deutsch-Südwestafrika, angebaut
wird.

Auch die nahrhaften Wurzeln verschiedener anderer Pflanzen wurden und
werden manchenorts vom Menschen gegessen. So bildeten die mehlhaltigen
Wurzelstöcke gewisser +Farnkräuter+ die fast ausschließliche
Pflanzennahrung der Maori Neuseelands vor ihrer Entdeckung durch
die Europäer. Sie waren um 1300 n. Chr. von Norden her auf dieses
Eiland eingewandert und bewohnten ausschließlich die Nordinsel, sich
hier vorzugsweise vom Fischfang und der Jagd ernährend. Noch als der
berühmte Seefahrer James Cook den Südwinter 1773 bei ihnen verbrachte,
hatten sie daran und am Fleische der gewaltigen, flügellosen Vögel,
die in zahlreichen Arten jene Insel bewohnten, genügend zu essen;
als aber letztere zu Beginn des 19. Jahrhunderts ausgerottet wurden
und die Eingeborenenbevölkerung sich so weit vermehrt hatte, daß die
Fleischnahrung als notwendige Zukost zur eiweißarmen Wurzelnahrung
im Innern, wo kein Fischfang möglich war, mangelte, da begannen die
Maori notgedrungen, sich gegenseitig aufzufressen, bis die Europäer
durch Einführung der Schweine als Eiweißnahrung und der Kartoffeln
an Stelle der viel geringwertigeren Farnwurzeln als Pflanzenkost der
chronischen auf dieser übervölkerten Insel herrschenden und zu den
Gräueln des Kannibalismus führenden Hungersnot ein Ende machten, worauf
der Menschenfraß von selbst aufhörte. Heute noch dienen allerlei
Farnwurzeln, namentlich von ~Pteris aquilina~, im Himalaja und in Japan
zur Ernährung des Menschen.

Noch häufiger aber werden andere stärkemehlhaltige Wurzelstöcke als
Nahrung benutzt, so vor allem diejenigen der in der ganzen Inselwelt
des Stillen Ozeans und Südasiens heimischen +Tahitipfeilwurz+ (~Tacca
pinnatifida~), auf Tahiti und den benachbarten Inseln ~pia~ genannt.
Diese niedrige, ausdauernde Staude wird hier überall, wie auch in
Queensland, dem malaiischen Archipel, Indien, Südchina und der
Ostküste von Afrika um Sansibar herum wegen ihrer stärkemehlreichen
Wurzelknollen kultiviert, obgleich dieselben eine Schärfe besitzen,
welche selbst durch mehrmaliges Auswaschen nicht vollständig entfernt
werden kann. Von den Europäern wird sie deshalb gewöhnlich mit Essig
gegessen, der die Schärfe unterdrückt. In China und Cochinchina dienen
auch die gekochten Blattstiele zur Nahrung. Von dieser Pflanzenknolle
wird ein sehr geschätztes Stärkemehl gewonnen, das als ostindisches
~Arrowroot~, d. h. Wurzelmehl, in den Handel gelangt, meist aber an Ort
und Stelle verbraucht wird. Neuerdings wird diese Pfeilwurz mit bestem
Erfolg auch im Kamerungebiete und in Deutsch-Südwestafrika angebaut
und zur Gewinnung von Stärkemehl benutzt, das vielfach auch von den
Fidschi-, Samoa- und Sandwichinseln, wie auch von Neuguinea in den
Handel kommt.

Sonst wird das Arrowroot des Handels meist aus Wurzelstöcken
verschiedener im tropischen Südamerika heimischer Pflanzen aus der
Familie der Marantazeen, einer Art Gewürzlilien, gewonnen. Dieses
Wurzelmehl gewannen die Indianer schon lange vor ihrer Bekanntschaft
mit den Europäern und nannten es ~aruruta~ (von ~aru~ Mehl und ~ruta~
Wurzel), woraus die Engländer irreführenderweise ihr ~arrowroot~
machten, was also „+Wurzelmehl+“ und nicht „Pfeilwurz“ bedeutet, wie
man glauben könnte. Das beste Stärkemehl liefert ~Maranta arundinacea~,
eine 2-3 m hohe Staude mit geradem, schlankem Stengel, langen,
ovallanzettlichen, unterseits etwas behaarten Blättern, kleinen weißen
Blüten, die in kurzen Ähren an den verzweigten Blütenständen erscheinen
und welchen Kapselfrüchte von der Größe der Johannisbeeren folgen.
Der fleischige Wurzelstock verzweigt sich im Boden; seine einzelnen
Glieder, „Finger“ genannt, werden 25 bis 45 cm lang, sind weiß und
müssen zur Zeit des Absterbens der Stengel, wenn sie am stärkereichsten
sind, geerntet werden. Wenn der Wurzelstock jung ist, enthält er nur
7-8 Prozent Stärkemehl, dann wächst der Gehalt allmählich und erreicht
im 10.-12. Monat, je nach der Gunst des Klimas, 25-26 Prozent. Die
abgeschnittenen Stauden dienen als Gründüngung, während die mit Hacken
ausgegrabenen Wurzelstöcke geschält, gewaschen, zwischen Walzen
zerquetscht und die Stärkemehlkörnchen auf feinen Sieben ausgeschlämmt
werden. Darauf folgt die Trocknung in großen, flachen Kupferpfannen,
in welche die Stärke mit neusilbernen Schöpflöffeln übertragen wird,
und darauf das Verpacken in Fässer oder noch besser in Zinnkisten.
Aus ihrer Heimat im tropischen Südamerika war die Pfeilwurz vor der
Ankunft der Europäer überall in Westindien verbreitet und wird schon
lange auch in Ostindien, Afrika und Australien im großen kultiviert.
Besonders in Süd- und Westafrika hat sich ihr Anbau in neuerer Zeit
sehr gehoben. Natal führt davon jährlich bis zu 300000 kg aus, wovon
das kg im Großhandel etwa 1 Mark kostet. Solches Arrowroot wird in
Westindien auch von ~Calathea allouya~ gewonnen, einer Pflanze mit
rundlichen, kleinen Knollen, die wie die Maranta von den Eingeborenen
Guianas und Westindiens häufig als Knollenpflanze bei den Häusern
angebaut wird. Dann wird aus verschiedenen Cannaarten, die mit Maranta
nahe verwandt sind und wie diese kultiviert werden, Arrowroot gewonnen,
das unter dem Beinamen Tulema (verdorben aus ~tous les mois~) bekannt
ist, ~Canna discolor~ aus Mittelamerika soll wenig, aber eine sehr gute
Sorte geben, die in Trinidad unter dem Namen ~Cannaroot~ in den Handel
kommt. Während die verschiedensten südamerikanischen Cannaarten, so
namentlich ~C. gigantea~ aus Brasilien und ~C. paniculata~ aus Peru,
zur Stärkemehlgewinnung angepflanzt werden, wird nur die ebenfalls
in Peru heimische ~Canna edulis~ in Süd- und Mittelamerika, wie seit
langer Zeit auch im östlichen Australien für den Export im großen
angebaut. In ihrer Heimat Peru heißt sie ~adeira~ und werden ihre
Knollen wie bei uns die Kartoffeln gegessen. Sie ist außerordentlich
zähe und genügsam an den Boden und wird im Gegensatz zur weißen
Arrowrootpflanze (~Maranta arundinacea~ mit der weißen Blüte), weil
sie scharlachrote Blüten und dunkelpurpurfarbene Früchte besitzt, die
rote Arrowrootpflanze genannt. In Queensland hat sie infolge ihrer
leichteren Erntebereitung, trotzdem ihr Produkt weit geringere Preise
erzielt, die Marantakultur schon fast ganz verdrängt. Sonst kommt die
meiste Cannastärke von St. Kitts in Westindien nach London auf den
Markt.

Andere nennenswerte Arrowrootquellen sind einige Ingwerarten Ostindiens
aus der Gattung Curcuma, deren eine die als Gewürz gebrauchte Gelbwurz
liefert; die beste Sorte liefert ~Curcuma angustifolia~. Das daraus
gewonnene Stärkemehl wird meist auf den indischen Basaren unter
einheimischen Namen verkauft und kommt kaum in den europäischen Handel,
doch soll es vielfach zur Verfälschung des echten Arrowroots aus
~Maranta arundinacea~ gebraucht werden. In Westindien dient zu der
seltener vorkommenden Verfälschung derselben eine ihr ähnlich sehende
Stärke, die von verschiedenen Cycadeen oder Palmfarnen, besonders
~Zamia tenuis~, ~furfuracea~ und ~pumila~, gewonnen wird. Dem gleichen
Zwecke dienen die im Tieflande Mexikos wachsenden großen Samen des
Palmfarns ~Dioon edule~. In Chile ist ~Astroemeria pallida~ eine
Arrowrootquelle; das gewonnene Produkt dient aber nur dem einheimischen
Verbrauch.

Eine als Nahrungsmittel außerordentlich wichtige Knollenfrucht
liefert die südamerikanische Wolfsmilchart ~Manihot utilissima~.
Dieses Wurzelgewächs wird in Westindien und den Vereinigten Staaten
+Cassava+, in Zentralamerika, Kolumbien, Venezuela, Peru, Ekuador und
Bolivien +Yuca+, in Brasilien, Argentinien und Paraguay aber +Mandioca+
genannt. Und als +Maniok+ wird es auch von den Europäern in Amerika
gewöhnlich bezeichnet, während es die in Westafrika, wo es früh durch
südamerikanische Sklavenhändler eingeführt wurde, lebenden Weißen als
Cassada oder Stockyams bezeichnen. Besonders an der Küste Westafrikas,
wo es die Eweer Agbeli nennen, wird es neben dem ebenfalls aus
Südamerika eingeführten Mais als Hauptbrotfrucht gepflanzt. Man
unterscheidet in seiner Heimat bittern und süßen Maniok; der letztere
wird als ~Manihot aipi~ bezeichnet, ist mehr in Südbrasilien, Paraguay
und Nordargentinien zu Hause, hat lange Staubbeutel und ungeflügelte,
nur etwas eckige Kapseln, während ersterer dagegen mehr aus
Nordbrasilien, Guiana und Westindien stammt und kurze Staubbeutel und
breitgeflügelte Kapseln besitzt. Obschon der süße Maniok, namentlich
in kühleren Gegenden, besser gedeiht als der bittere, auch in bezug
auf den Boden weniger anspruchsvoll ist und kürzere Zeit, nämlich 8-10
Monate, zur Reife gebraucht, wird er weniger als der bittere angebaut,
der reicheren Ertrag geben soll und dessen Knollen sich im Boden auch
besser halten sollen als die süßen. Sie sind größer als letztere und
nicht weißlich, sondern dunkel gefärbt. Die Pflanze gehört zu den
halbholzigen Sträuchern, der weißliche, spröde Stengel ist mit dickem
Mark gefüllt, mehrfach verästelt und wird 1,5-2 m, unter günstigen
Verhältnissen sogar 3 m hoch. Er ist schwach mit bläulichgrünen,
drei- bis siebenlappigen Blättern besetzt und trägt rispiggestellte
unscheinbare Blüten männlichen und weiblichen Geschlechts, aus welch
letzteren Kapselfrüchte hervorgehen. Die fleischigen Wurzeln stehen
in Büscheln beisammen und bilden den Dahlien- oder Georginenknollen
ähnliche, nur bedeutend größere und schwerere, außen meist rotbraun,
innen dagegen gelbweiß wie die Kartoffel gefärbte, fingerförmig
auseinanderstehende Knollen mit derber Schale. Meist erreichen sie
nur 30-45 cm Länge, können aber auch bis 70 cm Länge und ein Gewicht
von 4-5 kg erlangen. Sie enthalten gleich dem Strauche einen äußerst
giftigen Milchsaft, der schon wenige Minuten nach dem Genuß den Tod
herbeiführt. Durch Unkenntnis dieser Verhältnisse bei der ihnen bis
dahin unbekannten Knollenfrucht gingen zahlreiche der schwarzen, aus
Ostafrika mitgenommenen Suaheliträger auf dem letzten großen Zuge
Stanleys kongoaufwärts zum Entsatze von Emin Pascha an Vergiftung
zugrunde. Glücklicherweise läßt sich aber das Gift, das aus Blausäure
besteht, schon teilweise durch sorgfältiges und wiederholtes
Auswaschen, vollständig aber durch Rösten und Kochen entfernen. Die
Hitze verflüchtigt es so schnell, daß dünne Wurzelschnitten, einige
Stunden an der Sonne getrocknet, dem Vieh als Futter verabreicht werden
können, und sogar, falls sie völlig trocken sind, auch vom Menschen
gegessen werden dürfen. Vor ihrer Zubereitung raspelt und zerreibt
man die Knollen, preßt die Masse aus, wäscht sie wiederholt im Wasser
aus und drückt sie schließlich durch ein Bambusrohrgeflecht. Das
dabei Zurückbleibende ist das Mandiocamehl, in Südamerika meist nur
~farinha~, d. h. Mehl genannt, das, zu Brot oder Kuchen gebacken oder
mit Wasser zu Brei verrührt, in einem großen Teile Südamerikas für die
ärmere Bevölkerung das ist, was die Kartoffel für Irland. Aus dem durch
das Bambusgeflecht abgelaufenen Wasser schlägt sich reines Stärkemehl
nieder, das als +Tapioka+ (aus dem ~tipiok~ der Indianer entstanden),
Manioksago oder brasilianisches Arrowroot in den Handel gelangt und
als Kindermehl oder zu feinem Backwerk verwendet wird. Damit sich das
Mandiocamehl leichter zu Brot backen läßt, wird es in Amerika vielfach
mit Weizenmehl vermischt. Als Würze zu den etwas fade schmeckenden
Maniokklößen oder dem Tapiokabrei genießt man vielfach den mit Pfeffer
gekochten frischen Milchsaft der Pflanze, und sogar die Blätter werden
gekocht als Gemüse gegessen. Da die Kultur des Manioks eine äußerst
einfache ist, die Pflanze selbst mit geringem Boden vorlieb nimmt und
bei geringer Arbeit einen hohen Ertrag liefert, so ist es kein Wunder,
daß sie sich aus ihrem Stammland Brasilien, wo sieben verschiedene
Arten derselben angebaut werden, über ganz Südamerika, Mexiko und
die Antillen schon vor der Ankunft der Europäer verbreitet hatte.
Im 16. Jahrhundert kam sie durch die Portugiesen nach Westafrika,
wo sie sich mit der Zeit weithin verbreitete; später ward sie auch
nach Asien gebracht und wird da stellenweise angebaut, so besonders
auf der Halbinsel Malakka. Doch nimmt heute noch Brasilien weitaus
die erste Stelle in bezug auf den Export von Tapioka ein. Hat doch
dieses Land eine Jahresausfuhr von 15 Millionen kg im Wert von über
einer Million Mark, nach ihm kommt Singapur mit 12,4 Millionen kg. Die
deutschen Kolonialgebiete in Westafrika produzieren fast nur für den
Eigenbedarf, weil von seiten der Europäer bis jetzt keine Nachfrage
nach diesem Artikel besteht. Doch hat Togo immerhin im Jahre 1906 schon
250000 kg im Werte von fast 22000 Mark ausgeführt. Die Kultur ist so
überaus einfach und ergiebig, daß sie selbst dem arbeitsscheuen Neger
einleuchtet und sich von selbst bis nach Westafrika quer durch den
Kontinent ausbreitete. Sowohl in Deutsch-Ostafrika als auch namentlich
im portugiesischen Teile spielt sie heute eine große Rolle. Der Maniok,
der von den Deutschen Westafrikas im Gegensatz zum eigentlichen, wie
wir gleich sehen werden, rankenden Yams auch als Stockyams bezeichnet
wird, gedeiht am besten auf trockenem Sandboden, während er bei zu
großer Feuchtigkeit, z. B. im Gebirge, durch starken Giftgehalt
ausgezeichnet ist und dann mit der größten Vorsicht durch die vorhin
genannten Maßnahmen entgiftet werden muß.

In seiner Heimat Brasilien, wie in Afrika und auf Malakka, wird der
Maniok in der denkbar einfachsten Weise angepflanzt, indem man ein
Stück Urwald mit Axt und Feuer lichtet und den Grund behackt. In
Abständen, die mit Rücksicht auf die Größe des sich entwickelnden
Strauches durchschnittlich 1,5-2 m betragen, werden etwa 30 cm lange
Stengelstücke, an denen in ausgiebigster Weise Knospen angelegt sind,
die in der folgenden Vegetationsperiode zur Entwicklung gelangt
wären, bis nahezu zur Hälfte schräg in den Boden gesteckt. Schon nach
2 bis 3 Wochen bemerkt man das Austreiben der Knospen, welche sich
dann sehr schnell entwickeln, so daß bereits nach sieben Monaten,
während welcher nur ein- bis zweimal zur Beseitigung des gröbsten
Unkrauts gehackt zu werden braucht, die Ernte der Knollen beginnen und
infolge der stetigen Entwicklung neuer Knollen mehrere Monate fast
ununterbrochen fortgesetzt werden kann. Dabei müssen die Knollen,
die sich an der Luft nicht gut halten, bis zu ihrem Verbrauche im
Boden belassen werden, worin sie sich ausgezeichnet konservieren. In
Westafrika wird der Maniok in ausgedehnten, meist sorgsam gehegten
Feldern bei den Negerdörfern gebaut, indem um jede Pflanze ein
Erdhaufen zusammengeharkt wird, welcher infolge der Belaubung der über
Mannesgröße erreichenden Stauden meist frei von Unkraut bleibt. Dabei
kann man auf einen Ernteertrag von 5 kg Knollen pro Pflanze rechnen mit
einem Mehlertrag von etwa 33 Prozent. Die anfänglich leeren Abstände
benützt man vielfach zum Anbau schnellwachsender Pflanzen wie Mais oder
Bergreis und legt häufig Mischkulturen von Maniok und Bananen an. Auch
der Maniok hat seine Feinde, von denen namentlich Raupen mitunter in
größeren Mengen an die Pflanze herangehen. Bedeutend mehr wird aber
die durch einen Fadenpilz hervorgerufene Kräuselkrankheit der jungen
Triebe gefürchtet. Einfallende Schwärme von Wanderheuschrecken können
durch Abfressen des für sie trotz der Giftigkeit unschädlichen Laubes
großen Schaden anrichten, ebenso Wildschweine und in Amerika Agutis
durch Wegfressen der Knollen trotz ihrer Bitterkeit. Die Blätter fallen
vielfach auch Hirschen und Antilopen zum Opfer.

[Illustration: Bild 21. Die Batate oder süße Kartoffel (~Ipomaea
batatas~). Blühender Zweig und Wurzelknollen.]

Eine andere uralte Kulturpflanze des tropischen Amerika ist die
+Batate+ oder +süße Kartoffel+ (~Ipomaea batatas~), die durchaus nicht
mit der gemeinen Kartoffel verwandt ist, sondern ein Windengewächs mit
eßbaren Wurzelknollen ist. Wegen der großen Ähnlichkeit der letzteren
mit den Kartoffelknollen in Verbindung mit deren ausgesprochen süßem
Geschmack wurden sie als süße Kartoffeln bezeichnet. Die Pflanze
ist ausdauernd, sie hat aus einer Wurzel mehrere lange, auf dem
Boden kriechende Stengel, langgestielte, breite, tiefeingeschnittene
Blätter, zu 3-4 an einem ebenfalls langen Stiele aus den Blattwinkeln
hervorbrechende große, purpurrote, rötliche oder weiße Trichterblüten
und entwickelt mehrere lange, walzen- oder spindelförmige, spitz
zulaufende, außen purpurrote, weiße oder gescheckte, inwendig aber
weiße, weiche mehlreiche Wurzelknollen, die im allgemeinen nur
ein Gewicht von 1-2 kg erreichen; doch sind solche von 6 kg keine
Seltenheit, und auf Java soll man sogar Knollen von 25 kg gezogen
haben. Obschon die Pflanze noch nirgends im wilden Zustande angetroffen
wurde, so ist doch höchst wahrscheinlich Brasilien ihre engere
Heimat, da dort verwandte wilde ~Ipomaea~-Arten angetroffen werden,
deren Knollen gleichfalls gegessen werden können. Seit den ältesten
Zeiten wird sie durch das ganze tropische Amerika von Paraguay und
Peru, in welch letzterem Lande sie ~apichu~ genannt wird und nach den
Gräberfunden von Ancon schon von den vorgeschichtlichen Indianerstämmen
angepflanzt wurde, bis Mexiko und den Antillen kultiviert, und zwar in
einer großen Zahl von Kulturvarietäten, die indessen nicht durchweg
beständig zu sein scheinen. Sie wurde im Jahre 1519 in Europa bekannt,
indem Pigafetta über ihre Kultur in Brasilien berichtete. Bald darauf
wurde sie in Spanien eingeführt und von dort und den Kanaren kam sie
noch vor der Kartoffel nach England. Wegen ihrer großen Vorzüge als
Nährfrucht verbreitete sie sich sehr rasch über die Alte Welt und
fand sich schon im 17. Jahrhundert in ausgedehntem Maße in Ostasien,
besonders China, angepflanzt. Man baut sie gegenwärtig außer sehr
allgemein in Amerika, wo sie sich den ganzen Süden der Vereinigten
Staaten erobert hat, in Nordafrika, Ostindien, China, Japan und dem
malaiischen Archipel an. Selbst in Südeuropa hat man sie einzubürgern
versucht; doch ist es ihr hier nicht warm genug, so daß sie nicht recht
zu gedeihen vermag.

Die Kultur der Batate, deren Namen die Engländer als die ihnen von den
beiden Knollengewächsen zuerst bekannt gewordene als ~potatoe~ auf
die Kartoffel übertrugen, erfordert in den warmen Ländern sehr wenig
Arbeit. Sie wächst in jedem Boden, ist aber für ausgiebige Düngung
dankbar. Man steckt die Saatknollen, oder falls man Stecklinge erhalten
kann, meist diese in Abständen von 1 m in den Boden, nachdem der Boden
durch Hacken gelockert und das Unkraut als Gründüngung untergegraben
ist. Die beste Pflanzzeit ist in den Tropen die zweite Regenzeit oder,
falls nur eine existiert, die zweite Hälfte derselben; doch pflanzt
man meist während der ganzen Regenzeit, um stets frische Süßkartoffeln
zu haben. Meist setzt man sie als Zwischenfrucht auf Feldern, die zum
zweiten Male Mais tragen. Und zwar wählt man die Zeit, da der Mais
schon 30-40 cm hoch ist und als Schattenpflanze für die jungen Bataten
dienen kann. Nach zwei Monaten wird der Mais geerntet, nach fünf
Monaten aber die Bataten entweder ohne Zwischenfrucht, oder man sät
noch einmal Mais dazwischen. Andere Zwischenfrüchte, wie z. B. Bananen,
wählt man jetzt nicht mehr oder nur selten. Dadurch, daß die Stengel
der Bataten auf dem Erdboden kriechen und mit zahlreichen Blättern
versehen sind, unterdrücken sie die Entwicklung von Unkräutern. Man
braucht also nicht zu hacken, sondern kann den Boden fest lassen,
wodurch auch die Ausbildung großer und mehr runder Knollen begünstigt
wird. Bei der Ernte, welche etwa Anfang April beginnt, werden die
Knollen für den jedesmaligen Bedarf oder in gewissen, meist nicht sehr
großen Quantitäten mit möglichster Schonung der Pflanze herausgenommen.
Diese setzt dann fortwährend neue Knollen an, so daß die Felder oft
erst nach zwei bis drei Jahren erneuert werden. Nachher aber werden
die Blätter kleiner und die Knollen bleiben aus, so daß die Kulturen
frisch angelegt werden müssen. Die Ernte soll man möglichst nur bei
trockenem Wetter vornehmen. In vielen Fällen heben die Knollen zur
Zeit der Ernte, da das Laub gelb zu werden beginnt, die Erde empor und
lassen sich leicht auffinden und mit der Hacke ausgraben. Der Wert der
durch einen großen Reichtum an Stärkemehl und Milchsaft ausgezeichneten
Knollen wird durch ihre geringe Haltbarkeit beeinträchtigt, zumal in
einem feuchten Klima. Vor allem müssen sie in einem trockenen, luftigen
Raum aufbewahrt werden. Zu diesem Zwecke baut man gutgedeckte Scheuern,
worin sie aufgehängt oder, wie es die Neger meist machen, lose
aufeinander geschichtet werden. Man ißt sie aber meist bald nach der
Ernte und bereitet sie in derselben Weise wie die Kartoffeln zu, indem
man sie in Butter geröstet und als Puree oder Salat zubereitet ißt.
Sie sind sehr bekömmlich und nahrhaft, zart und von angenehmem, süßem
Geschmack, sind leichter verdaulich, stehen aber für unser Empfinden
in bezug auf Wohlgeschmack weit hinter den Kartoffeln zurück. Im Ofen
getrocknet oder in Zucker eingelegt, lassen sie sich auch konservieren;
auch benutzt man sie zur Gewinnung eines berauschenden Getränkes, das
in Westindien ~mobby~, bei den Portugiesen aber marmoda heißt. Die von
Würmern angefressenen, die leicht faulen, und die unreifen Knollen
können als Viehfutter verwendet werden. Als ebensolches dienen auch die
Blätter und Stengel; erstere werden bisweilen auch solange sie jung
sind wie Spinat gekocht vom Menschen gegessen, schmecken aber nicht
sehr gut.

Unter der Bezeichnung +Yams+ oder +Igname+ werden seit uralter Zeit
verschiedene kletternde Knollenpflanzen aus der Gattung ~Dioscorea~
(nach dem griechischen Arzte Dioskurides im 1. Jahrhundert n. Chr. so
genannt) im tropischen Amerika, in Afrika und Asien kultiviert, deren
wilde Stammformen meist nicht mehr zu finden sind. Von den zahllosen
Formen sind ~Dioscorea batatas~, ~sativa~ und ~alata~ die wichtigsten.
Unter ihnen hat die erstgenannte mit Sicherheit in China und dem
indo-malaiischen Gebiet ihre Heimat; hier wird sie in den ältesten auf
uns gekommenen Schriften mit einheimischen Namen erwähnt. Ferner hat
sich herausgestellt, daß der in Südamerika für sie gebräuchliche Name
Igname, der sich mit dem Gewächs weithin verbreitet hat und beinahe
ebenso oft gebraucht wird als die Bezeichnung ~Yams~, aus Westafrika
stammt und wahrscheinlich mit der Frucht durch Sklaven dahin gelangte.
Alle Yamsarten sind windende Pflanzen mit bis 6 m langem, dünnem,
hartem, vielfach noch mit Dornen ausgestattetem Stengel, spiral darum
herumlaufenden herzförmigen Blättern, getrennt geschlechtigen,
unscheinbaren grünen, der Johannisbeertraube ähnlichen Blüten, harten,
herzförmigen, ungenießbaren Früchten, 0,5-1 m und mehr langen, bis
10 kg schweren fleischigen Knollen mit dunkler Rinde und mehlreichem
Inhalt. Bei vielen sind letztere stark bitter oder geradezu giftig,
in welch letzterem Falle sie einen ekelhaften Geruch beim Kochen von
sich geben. Durch Wässern und längeres Kochen werden aber diese Stoffe
vollständig beseitigt, so daß sie dann eine sehr wohlschmeckende
Speise abgeben, die an Nährwert der Kartoffel gleichkommt. Sie werden
geschält, zerschnitten, weich gekocht, in Holzmörsern zerstampft und
der so entstandene dicke Brei mit Pfeffer und Öl gewürzt verzehrt.

[Illustration: Bild 22. Der Yams (~Dioscorea batatas~). Ein rankender
Zweig und junge Wurzelknollen.]

Der Yams verlangt einen guten, durchlässigen, humusreichen Boden,
weshalb er meist auf früherem Waldboden kultiviert wird, und ein
feuchtwarmes Klima. Als Saatgut dienen kleine Knollen, die vielfach
nicht unterirdisch, sondern an den Blattwinkeln entstehen. Solche
überirdische Knollen werden besonders von einigen afrikanischen
Yamssorten erzeugt, die speziell in Abessinien kultiviert werden
und überhaupt keine unterirdischen Knollen bilden. Je größer die
gepflanzten Knollen oder Knollenstücke sind, um so kräftigere
Schößlinge treiben sie aus und um so mehr Frucht setzen sie an. In
Abständen von 1 m häufelt man die Erde zu kleinen Hügelchen auf,
pflanzt die Knollen dort ein und steckt gleichzeitig bei jeder eine
Stange, die zwar nicht die Höhe, aber die Stärke einer Hopfenstange
haben muß. Sobald die Ranken einige Fuß lang sind, bindet man sie wie
Bohnenranken an. Im übrigen besteht die Pflege in mehrmaligem Jäten des
Unkrauts und Auflockern des Bodens, außerdem in wiederholtem Anhäufeln
nach Bedarf um die sich bildenden Knollen herum. Eine Zwischenfrucht
ist nicht zu empfehlen, höchstens etwa Mais oder Bataten, wobei dann
aber selbstverständlich größere Abstände nötig sind.

Im ganzen wird der Yams von den Kolonisten nur selten feldbaumäßig
wie von den Eingeborenen angepflanzt, sondern nur zum Hausgebrauch
in Gärten den Zäunen entlang, oder zur Belaubung von Veranden gleich
den Zierkürbissen gezogen. Nach 9-11 Monaten sind die Knollen reif,
was man am Welken der Stengel merkt; man wartet aber, bis die Stengel
völlig abgestorben sind und ihre sämtlichen Nährstoffe in die Knollen
geschafft haben. Der Durchschnittsertrag darf auf 2-4 kg per Pflanze
gerechnet werden, was bei Abständen von 1 m 20-40000 kg pro Hektar
ergibt. Hat man schwächliche oder kleine Knollen zur Aussaat benutzt,
so braucht man mehrere Jahre zum Erzielen von großen Knollen; da
muß man mit 1 kg schweren Knollen zufrieden sein. Mittelstarke
Saatknollen geben Ernteknollen von 2-5 kg. Riesenknollen von 15-18
kg sind ausnahmslos das Produkt des Wachstums mehrerer Jahre. Auf
den Fidschiinseln, wo die Yamskultur durch die Eingeborenen in hoher
Blüte steht, versteht man Knollen von 1,8 m Länge und 50 kg Gewicht zu
erzielen. Die Leute dort geben an, daß man zur Erzielung von so großen
Knollen einen harten, nicht bearbeiteten Boden brauche; auch bereitet
man den Pflanzen durch untergelegte Steine einen künstlichen Widerstand
und pflegt dabei zu sagen, der Yams müsse sich erst ärgern, um seine
ganze Kraft zu zeigen. Auch die Eingeborenen von Neuguinea vermögen
Riesenknollen von 40 kg Gewicht zu erzielen.

In ganz Westafrika ist der Yams neben dem Maniok eine der wichtigsten
Nährpflanzen, ja geradezu die Kartoffel der Eingeborenen und der
dort lebenden Europäer. An der Küste gedeiht er nicht so gut wie im
Binnenlande; hier ist neben Mais der Cassava oder Stockyams genannte
Maniok die Hauptknollenfrucht, während die Knollen des gewöhnlichen
Yams in großen Mengen aus dem Innern eingeführt werden. Im Binnenlande,
in welchem der Yams zu Hause ist, wächst er dort am besten, wo am
Fuß der sanft ansteigenden Gebirgszüge und in den Tälern sich ein
guter, lockerer Humusboden abgelagert hat. Schon im Monat Februar,
zur Zeit des Harmattan und am liebsten nach dem Grasbrand, der den
Boden mit seiner fruchtbaren Asche düngt, begibt sich der schwarze
Yamsbauer in den Busch, um sich entweder auf dem eigenen Land oder
dem seiner Familie oder seines Stammes den Platz für die anzulegende
Pflanzung herzurichten, indem er mit seinem Buschmesser den Boden vom
niedrigen Gestrüpp, Buschwerk und Gras, falls der Brand letztere noch
nicht vernichtet hat, säubert. Palmen und größere Laubbäume bleiben
als wohltuende Schattenspender stehen, außerdem leitet er die rasch
wachsenden Yamslianen durch Palmrippen zu diesen Bäumen, an denen sie
dann ähnlich wie der Hopfen hoch hinaufranken. Zu dichte Baumgruppen
lichtet der Neger dadurch, daß er den einen oder andern Baum unten über
der Erde am Stamm abbrennt. Dadurch stirbt er ab, wird dürr und liefert
im kommenden Jahr gutes Brennholz für die Küche. Das abgehauene und
rasch dürr gewordene Gestrüpp wird nun auf Haufen gebracht und an Ort
und Stelle verbrannt. Dann werden in 1-1,5 m Abständen mit der Hacke
rundliche Erdhaufen in der Größe unserer Ameisenhügel gemacht und in
jeden solchen mit der Hand eine kleine Yamsknolle mit 1-2 Triebaugen
gepflanzt. Leicht mit Erde zugedeckt, treibt sie schon nach 2-3 Wochen
eine armlange Ranke, die nun einen Pfahl erhält. Ist ein Baum in der
Nähe, so erhält die Yamsranke nur eine Palmrippe der Ölpalme, die zwar
im Boden rasch morsch wird, aber nur dazu dienen soll, sie auf den
benachbarten Baum zu leiten. Die übrigen Pflanzen erhalten im Busch
gehauene, unten zugespitzte und in den Boden gesteckte Pfähle wie
unsere Bohnenstangen. Nun hat der Yamsbauer während der folgenden 6-8
Monate bis zur Ernte den Boden mit der kurzen Hacke zu lockern und vom
Unkraut freizuhalten. Ist das Yamsfeld weit entfernt, so baut sich der
Neger dabei eine kleine Hütte, in der er mit den Seinigen haust. Für
die jungen Söhne pflanzt der Vater gewöhnlich eine Reihe von 20 bis
30 Yamsstöcken, deren Ertrag sie für sich verkaufen dürfen. Auch die
Frau bekommt 2-3 Reihen, etwa 60-80 Yamspflanzen, über deren Ertrag
sie frei verfügen kann. Ist der Mann gut zu ihr, so darf sie zwischen
den einzelnen Yamsreihen Tomaten, Fetri oder Kaschokeln, Pfeffer und
Zwiebeln pflanzen. Zu Anfang Oktober schneidet der Neger die Yamsranke
am Kopfe der Knolle in der Weise ab, daß noch eine dünne Scheibe an
ihr hängen bleibt, und pflanzt sie in denselben Hügel etwas abseits
gleichsam noch einmal. Die ausgewachsenen, armdicken, 30-50 cm langen
und bis 10 und 12,5 kg schweren, reifen Knollen werden vorläufig noch
im Boden belassen und nach Bedarf daraus entnommen. Bringt der Neger
mehrere Lasten Yams nach Hause, so werden die einzelnen Stücke an
einer schattigen, kühlen Ecke im Hof in die Erde gegraben, damit sie
frisch bleiben, und nach Bedarf in der Küche verbraucht. Die wieder
gepflanzte Ranke setzt bei günstiger Witterung 3, 4 und mehr kleine,
etwas verkrüppelte Knollen, ~teta~ genannt, an. Diese Knollen sind
nach 6 bis höchstens 8 Wochen reif und bilden die Saatfrucht für das
nächste Jahr. Ende November, wenn die Ranken dürr geworden sind,
werden die großen und kleinen Knollen geerntet. Diese Yamsernte ist der
willkommene Anlaß zu einem fröhlichen mit Schmaus, Trinkgelagen aus
Palmwein und Tanz gefeierten Fest. Für die westafrikanischen Neger, die
wir hier besonders im Auge haben, ist es zugleich das Neujahrsfest.
Lautes Freudengeschrei ertönt überall auf den Feldern und in den
Dörfern. Am Morgen opfern die Priester den Fetischen, in denen sie die
Geister ihrer Verstorbenen hausend wähnen, Yams mit Palmöl gemischt.
Man beschenkt sich gegenseitig mit Yams, und das Lieblingsgericht der
Neger, der „Fufu“, wird in großen Mengen aus der Frucht hergestellt
und verzehrt. Zu diesem Zwecke werden die Yamsknollen von den Weibern
auf denen sonst alle Arbeit ruht, geschält, zerkleinert und gekocht,
um dann zuletzt in einem mörserartig ausgehöhlten Holzblock mit
Holzstampfern zu Brei gestampft zu werden. Dieser Brei wird dann in
Form eines brotleibähnlichen Klumpens aufgetischt und, da er etwas
fade schmeckt, mit Palmöl- und Pfeffersuppe, die daneben gestellt
werden, gewürzt gegessen. Der Hausherr bekommt mit seinen Söhnen eine
besondere Schüssel, die Hausfrau mit ihren Töchtern desgleichen. Beim
Essen trennt jeder mit Zeige- und Mittelfinger ein Stück des Brotbreies
ab, drückt mit dem Daumen eine Vertiefung hinein und fährt mit dem
Stück durch die daneben stehende scharfe Sauce, um bei dieser Prozedur
möglichst viel davon in der eingedrückten Höhlung aufzufangen. Schnell,
ohne lange gekaut zu werden, wird der Bissen hinuntergeschluckt. Was
der Neger täglich an Yams gebraucht, holt er sich jeweilen vom Felde.
Sobald aber die Ranken dürr geworden sind, werden die Yamsknollen
ausgegraben und in das auf der Plantage aus dünnen Pfählen mit quer
daran festgebundenen Palmrippen errichtete und mit Palmblättern
gedeckte Yamshaus gebracht, wo sie möglichst trocken aufbewahrt werden
müssen. An den vier Innenwänden des überaus luftigen Yamshauses wird
jede Knolle vermittelst Schlingpflanzen festgebunden und hält sich
so 6-8 Monate, gröbere Sorten sogar 10-12 Monate lang, da die Luft
beständig Zutritt hat. Diese Eigenschaft ist von großer Bedeutung, da
er die einzige Frucht bildet, die im Lande aufbewahrt werden kann.
Mais, der zweimal im Jahre geerntet wird, ist schon nach kurzer
Zeit vom Kornwurm angegriffen, und die Wurzelknolle des Maniok oder
Stockyams hält sich ausgegraben höchstens drei Tage. Missionar Fies hat
die Namen von 42 Yamssorten aus Togo notiert und sagt, es gebe noch
weitere, denen aber keine große Bedeutung zukomme. Ist die Yamsernte
gut ausgefallen, so verkauft der Yamsbauer von den Früchten an die
Küstenneger oder auch an die Europäer, die ihn ebenfalls gerne essen;
denn der Handel mit dem verhältnismäßig hoch im Preise stehenden Yams
ist recht einträglich und dürfte in der wirtschaftlichen Entwicklung
der hier gelegenen deutschen Kolonien, besonders von Togo, eine
wichtige Stellung einnehmen.

[Illustration: Bild 23. Der Taro (~Colocasia esculenta~).

Die in der Erde ruhende Knollenwurzel ist nicht sichtbar.]

    Tafel 51.

[Illustration: In Holzmörsern Yamsknollen zum Fufu genannten Brei
zerstampfende Frauen an der Goldküste in Westafrika.

Neger mit Yamsknollen, Kokosnüssen und Bananen auf Jamaika.]

    Tafel 52.

[Illustration: Yamsknollen, Ananas und Bananen in Kamerun.

Frauen in Bonaberi, Kamerun, gekochte Yamsknollen stoßend, um Fufu
daraus zu bereiten.]

Neben dem Yams spielen die Knollen eines in Polynesien +Taro+,
in Westafrika aber +Dinde+ genannten Aronsstabgewächses mit der
lateinischen Bezeichnung ~Colocasia antiquorum~, eine sehr wichtige
Rolle. Während der Regenzeit und der ersten Hälfte der Trockenzeit
ist er für die Polynesier und an der Küste lebenden Neger Westafrikas
sogar die wichtigste Feldfrucht. Auch im malaiischen Archipel, in
Ostasien bis Japan, in Indien, Südarabien, Ägypten und Ostafrika
ist die Tarokultur recht verbreitet, wenn sie auch fast nirgends
als Hauptkultur betrieben wird. Ebenso ist sie durch den Einfluß
der Araber nach Algerien und Südspanien gelangt, doch spielt sie
hier, wie auf den Kanaren, in Westafrika und in Amerika eine sehr
untergeordnete Rolle. Der Taro ist eine mehrjährige Pflanze mit
langgestielten, breiten Blättern in Herzform, einem kolbenförmigen,
von einer großen Scheide umgebenen Blütenstand von etwa 15 cm Länge
und einer bis kopfgroßen, rundlichen Wurzelknolle, neben welcher sich
am Wurzelhalse noch kleine Tochterknollen entwickeln. Je nach den
verschiedenen Arten, die sich schon äußerlich an der verschiedenen,
grünen oder violetten Färbung der Blattrippen und Stengel unterscheiden
lassen, sind die Knollen außen weiß, gelblich, rötlich oder violett,
innen aber stets weiß und recht stärkereich. Sie enthalten 2,5 Prozent
Eiweiß und 15 Prozent Stärke. Roh können sie nicht gegessen werden,
da sie einen scharfen Stoff enthalten, der aber schon beim Kochen und
Rösten in Asche oder auf heißen Steinen, welch letzteres Verfahren fast
ausschließlich in der Südsee geübt wird, verschwindet. Man genießt sie
in der verschiedensten Zubereitung wie unsere Kartoffeln, besonders
auch in Form von Taroschnitten geröstet, und ißt auch die Blätter,
nachdem man die starken Rippen von ihnen entfernt hat, gekocht als
Gemüse.

Die Heimat des Taro ist Südasien, speziell Indien, von wo aus sich die
Nutzpflanze allseitig verbreitete, soweit der Mensch sie in Pflege
nahm. In China wird sie etwa seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. erwähnt.
Die ersten europäischen Seefahrer trafen ihre Kultur bereits in Japan
und in ganz Ozeanien, bis zum nördlichen Teile Neuseelands vor. Bei
den Kulturvölkern Westasiens und des Mittelmeergebiets ist die Pflanze
im Altertum nicht heimisch geworden, nur im Niltal wurde sie etwa seit
der Mitte des letzten vorchristlichen Jahrtausends gepflanzt, wie uns
Theophrast berichtet. Die Beschreibung von Dioskurides und Plinius um
die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. einer ägyptischen Knollenpflanze,
dürfte sich eher auf den indischen Lotos als auf sie beziehen. Aber im
Mittelalter wurde sie unter der arabischen Bezeichnung ~kolkâs~, woraus
dann von den abendländischen Gelehrten, insbesondere vom Venezianer
Prosper Alpino, der eine Reise nach Ägypten ausführte, wonach er ein
Buch über „ägyptische Pflanzen“ schrieb, und als Professor der Botanik
in Padua 1617 starb, die Bezeichnung ~colocasia~ entstand, im Niltal
häufig gepflanzt und breitete sich damals über Nubien und Sennar nach
Afrika aus.

Die Kultur des Taro ist derjenigen des Yams ähnlich, nur daß man
natürlich, da sie keine Kletterpflanze ist, keiner Stangen bedarf.
Am besten eignet sich dazu sandiger Lehm, der recht feucht sein und
durch fleißiges Behacken locker gehalten werden muß. Das Wärmebedürfnis
der Pflanze ist kein besonders großes, vielmehr verlangt sie
außer reichlicher Wasserzufuhr Schatten, den man ihr meist durch
Dazwischenpflanzen von Bananen zuteil werden läßt. Andererseits benutzt
man sie wiederum vielfach und mit Erfolg zur Beschattung junger
Kaffee- und Kakaopflanzen. Die Vermehrung geschieht entweder durch
die Tochterknollen, die aber viel Zeit zur Entwicklung brauchen, oder
zweckmäßiger durch den oberen Teil der Knollen früherer Ernten, die in
Abständen von etwa 1 m gepflanzt werden. Die Güte und Zartheit des beim
Kochen eine gelbliche Farbe annehmenden und einen etwas schleimigen,
jedoch nicht unangenehmen Geschmack aufweisenden Fleisches der 0,5-2
kg schweren Knollen hängt neben der Sorte, der Feuchtigkeit und dem
Boden, von der Sorgfalt der Bearbeitung ab. Namentlich muß das Feld von
Unkraut rein gehalten werden. Schon nach zwei Monaten sind die ersten
Knollen genießbar, nach fünf bis sechs Monaten haben die frühreifen
Sorten bereits ihre definitive Größe erreicht, die anderen werden
nach acht bis zwölf Monaten geerntet; länger darf man nicht warten,
da sonst die Knolle wieder austreibt. Die gleichfalls gut brauchbaren
Tochterknollen kann man aber schon vorher mit Vorsicht ausgraben, ohne
die Pflanze zu schädigen. Nur in Gegenden mit ausgeprägter Trockenzeit
welken die Blätter vollständig; man muß sich deshalb die Zeit des
Auspflanzens merken, um die Erntezeit nicht zu verpassen. Ein großer
Vorteil ist, daß die Knolle sich im Boden wenigstens einige Monate
hindurch hält, so daß man ernten kann je nach Bedarf; auch ist die Zahl
der Tochterknollen in gutem Boden eine sehr reiche, was die Vermehrung
sehr erleichtert. Nur einen Nachteil besitzt der Taro, daß er nämlich
in bezug auf Boden und Klima wählerisch ist und bedeutend weniger
Ertrag gibt als die meisten anderen, für den Anbau zur Verfügung
stehenden Knollengewächse.

Außer dem Taro werden übrigens in Ostasien und Polynesien noch eine
Reihe anderer Aronsstabgewächse wegen ihrer mehlhaltigen Knollen
angebaut, so z. B. die 1 m hohe ~Alocasia macrorhiza~ mit noch größeren
Blättern, deren Knolle aber dem Taro an Güte nachsteht und zudem
einen außerordentlich scharfen, giftigen Saft enthält. Zur Entfernung
desselben muß sie lange eingeweicht und unter Erneuerung des Wassers
gekocht werden. Ferner werden in denselben Gegenden hier und da Arten
der Gattung ~Amorphophallus~ kultiviert, die aus einer mächtigen, oft
über 15 kg schweren Knolle nur ein einziges, bis 3 m hohes, riesiges,
mehrfach gelapptes Blatt erzeugen, nach dessen Absterben dann ein
ebenfalls sehr großer, kolbiger, mit dunkelvioletter Scheide umgebener
Blütenstand hervortreibt, der in der Vollblüte einen ekelhaften
Aasgeruch verbreitet. Die Schärfe der Knollen muß ebenfalls durch
mehrfaches Auswässern und längeres Kochen zerstört werden. In Japan
wird besonders ~Alocasia rivieri~ kultiviert, aus deren Knollen die
Japaner ein ~konniyak~ genanntes Stärkemehl gewinnen. Auf den Molukken
wird zuweilen die auch in wildem Zustande sehr gemeine ~Alocasia
campanulata~ gepflanzt. Andere Arten werden in Vorderindien und Afrika
benutzt, freilich aber nicht kultiviert.

Den Taro vertreten im tropischen Amerika seit alter Zeit andere
Aronsstabgewächse der Gattung ~Xanthosoma~, die in Westindien +Taya+,
in Brasilien dagegen +Mangareto+ genannt werden. Wie der Maniok und
andere amerikanische Nutzpflanzen sind sie dann durch die Portugiesen
schon sehr früh nach Westafrika übergeführt worden, wo sie in manchen
Gegenden der Küste, z. B. in Kamerun, noch heute eine weit größere
Rolle spielen als der Taro. Von den asiatischen Arten unterscheiden
sich die Pflanzen leicht durch den milchigen Saft, während er beim Taro
durchsichtig ist. Die wichtigste Art ist ~Xanthosoma sagittifolium~,
die wegen ihrer weißen, ganz angenehm, wenn auch weniger gut als die
Kartoffel schmeckenden mehligen Knollen ~Mangareto branco~, d. h.
weiße Mangareto genannt wird. Die apfelgroße, als sehr schmackhaft
geltende Hauptknolle wird von einer Anzahl nur nußgroßer Tochterknollen
umgeben, die besser als die größeren schmecken. Die violette Taya hat
violette Blattstiele und grünviolette Blätter; eine andere Sorte wird
Bananentaya genannt. Die Touca besitzt viel kleinere und mehr graugrüne
Blätter; ihre besonders wohlschmeckenden Knollen sind innen gelb und
behalten die Farbe auch beim Kochen. Auch von diesen Pflanzen ißt man
die gekochten Blätter als Gemüse.

Ein anderes amerikanisches Knollengewächs, das mühelos reiche
Ernten liefert, ist eine Kürbisart, die schon die Azteken in Mexiko
kultivierten. Sie nannten sie ~chayotli~, was „stacheliger Kürbis“
heißt. Daraus wurde ihre heutige mexikanische Bezeichnung +Chayote+.
Ihre Verbreitung nach Westindien, wo sie +Chocho+ genannt wird,
wurde durch die Tatsache begünstigt, daß sie außer den mehlreichen
Wurzelknollen, die oft 10 kg schwer werden und äußerlich wie im
Geschmack der Yamswurzel gleichen, nur im frischen Zustande ein
bitteres, abführendes, durch Kochen in Wasser leicht zu beseitigendes
Prinzip enthalten, 10-15 cm lange, rauhhaarige, bleichgrüne oder
gelblichweiße Früchte liefern, welche große, eßbare Samen enthalten.
Letztere können roh kaum genossen werden, schmecken auch gekocht
recht fade, doch lassen sich aus ihnen durch Hinzufügen von Zucker
und Zitronensaft ausgezeichnete Marmeladen und Fruchtspeisen
herstellen. Sie vertragen auch gut den Export, nur muß man sich vor
Verletzung derselben hüten, da sie dann alsbald zu faulen beginnen.
Gute Sorten haben etwa Nußgeschmack und sind viel mehliger als der
Kürbis oder die Gurke. In Algier und auf Réunion hat man sie als
Gemüseobstpflanze eingeführt, auch findet man sie jetzt vielfach in
Ostindien angepflanzt. Wo sie sehr häufig ist, wie in Westindien,
dient die Frucht auch als Schweinefutter, aber wohl nirgends in so
ausgedehntem Maße wie in Jamaika, wo diese Pflanze eigens zum Zwecke
der Schweinemast angebaut wird. Die jungen, noch nicht beblätterten
Sprosse werden in Mexiko als Spargel gegessen und sollen ähnlich wie
dieser schmecken. In Paris und anderswo wird das leichte Fasergewebe
der Pflanze zur Herstellung von Damenhüten verwendet. Die Kultur
erfolgt wie bei einem gewöhnlichen Kürbis in sandiger Erde in Abständen
von 1 m in der einen und von 3 m in der andern Richtung durch Pflanzen
der der Frucht entnommenen Samen. Wenn nicht geduldet wird, daß das
Unkraut den Boden überwuchert, wachsen die Pflanzen außerordentlich
schnell und liefern noch in demselben Jahre eine Ernte ihrer großen,
grünen, stacheligen Früchte. Im nächsten Jahre kann eine Aberntung
von Wurzelknollen stattfinden; diese erzeugt nämlich Nachkommen, die
abgelöst werden können, ohne daß die Lebenstätigkeit der Pflanze
gestört wird. Zugleich kann abermals eine Ernte von Früchten
stattfinden. Diese Doppelernten können noch sechs bis sieben Jahre
wiederholt werden, wenigstens in Gegenden, wo kein Frost auftritt. Nach
Ablauf dieser Zeit ist aber die Pflanze erschöpft und muß durch Stecken
eines Sämlings neu gepflanzt werden. Da sie keinerlei Kulturarbeit
erfordert und sich innerhalb der heißen Zone leicht an Boden und Klima
anpaßt, verdient sie als äußerst nützliches Tropengewächs allgemeine
Beachtung und weitere Verbreitung.

Das weitaus nützlichste Kulturgewächs aber, das der an Pflanzen
mit eßbaren Wurzelknollen so reiche Kontinent Amerika den Ländern
mit gemäßigtem Klima, so vor allem auch Europa schenkte, ist
die +Kartoffel+ (~Solanum tuberosum~). Bedenken wir, daß allein
Deutschland jährlich etwa 30 Milliarden kg Kartoffeln erzeugt und
zum weitaus größten Teil als Nährfrucht verbraucht, ferner daß in
diesem Lande ein volles Achtel des Ackerlandes auf den Anbau dieser
Knollenfrucht verwendet wird, so kann man schon daraus ermessen, welche
ungemein große Bedeutung dieser Amerikanerin allenthalben, wo Europäer
sich niedergelassen haben, zukommt. Sie stammt aus den gemäßigten
Gegenden des westlichen Südamerika, dem Gebiete der Anden von Chile
und Peru, und wurde daselbst seit ältester Zeit von den Eingeborenen
als Nahrungsmittel verwendet und im Laufe vieler Jahrhunderte durch
Kulturauslese zu der hochgezüchteten Knollenfrucht, wie sie den
Europäern bei der Entdeckung des Inkareiches entgegentrat, entwickelt.
Ihr Wert beruht ausschließlich in den stärkemehlreichen Knollen, die
keine Wurzelanschwellungen, sondern zu Reservestoffspeichern verdickte
unterirdische Stengel analog den Ausläufern der Erdbeerpflanze sind
und wie die übrigen Teile der Pflanze namentlich dicht unter der Haut
den Giftstoff Solanin enthalten, der allerdings bei den Kultursorten
ein sehr unbedeutender ist und leicht durch Kochen beseitigt wird.
Immerhin sind auch bei uns schon Vergiftungsfälle vorgekommen, so
namentlich, wenn zu junge, unzeitige Knollen mit der Schale gegessen
wurden. Die Blätter erzeugen das Stärkemehl, das in den unterirdischen,
verdickten Stengeln aufgespeichert wird. Im Gegensatz zu diesen blaß
bleibenden Trieben unter der Erde ergrünen die oberirdischen Triebe und
erzeugen außer den dunkelgrünen Blättern, welche mit Hilfe der Energie
der Sonnenstrahlen die Kohlensäure der Luft zerlegen, den Sauerstoff
ausatmen und den Kohlenstoff zurückbehalten, um ihn in Verbindung
mit den Bestandteilen des Wassers zum Aufbau der Stärkemehlkörnchen
zu verwenden, an ihrem Gipfel Dolden von weißen, rötlichen oder
violetten Blüten, je nachdem die Knollen weiße, rötliche oder
violette Schalen bilden. Die Frucht ist die bekannte grüne, zuweilen
weißliche, etwas über kirschgroße Beere, die viele Samen enthält.
Die Zucht aus Samen ist zur Bildung neuer Formen durch Kreuzung von
einer gewissen Bedeutung; doch wird sie für die Vermehrung der Pflanze
nicht verwendet, da die Knollen der daraus gezogenen Kartoffeln, wie
diejenigen der wild wachsenden Arten höchstens pflaumengroß werden.
Letztere sind erst durch langjährige Kultur dazu gebracht worden, viel
größere Knollen zu erzeugen, die man dann auf vegetativem Wege vermehrt.

So wird die Kartoffel lediglich durch Knollen vermehrt, die,
sobald sie über eine bestimmte Größe hinausgehen, unbeschadet der
Wachstumsmöglichkeit in Stücke geschnitten werden können, an denen
dann die daran befindlichen Augen austreiben. Durch die Boden-, weniger
durch die Klimaverschiedenheit nimmt die Kartoffel unter auffallender
Vergrößerung mannigfaltigste Form, Farbe und Beschaffenheit an und
ändert sich der Ertrag und der Stärkemehlgehalt ihrer Knollen. Sie
gedeiht am besten in einem tiefgründigen, lockeren, etwas sandigen
Boden in warmer, sonniger Lage; in feuchtem Lehmboden oder in nassem
Moorboden verringert sich sowohl der Ertrag an Knollen, als auch ihr
Stärkemehlgehalt ganz bedeutend. Die Saatknollen wählt man im Herbst
aus und lagert sie sorgfältig. Im Frühjahr setzt man sie in Reihen.
Die Triebe entwickeln sich nun kranzförmig rings um die Mutterknolle
und werden in der Weise angehäufelt, daß in die Mitte derselben Erde
gebracht wird, so daß die unbedeckt bleibenden beblätterten Stengel
sich sternförmig nach außen niederbiegen und bei mehrmaligem Anhäufeln
ein flacher Erdhügel entsteht, in welchem sich die jungen Knollen
ausbilden. Die frühesten Sorten werden schon Mitte Juli reif, doch
erfolgt die Haupternte erst im September und Oktober, nachdem das
Kraut abgedorrt ist. Das Ausnehmen geschieht mit Hacke und Forke
(vom lateinischen ~furca~, Gabel), oder mit dem Pfluge. Die großen
Ansprüche, welche die Aussaat und die Ernte der Kartoffeln an die
menschliche Arbeitskraft stellen, haben neuerdings zur Erfindung
von besonderen Maschinen zum Legen und Ausgraben der Knollenfrüchte
geführt. Zur Erzielung gesunder und sehr großer Kartoffeln sollte jede
Saatknolle einen Wachsraum von 1 qm erhalten; doch begnügt man sich
meist mit einem bedeutend kleineren Raum. Durchschnittlich erntet man
pro Hektar 13000-18000 kg, doch können die Erträge unter günstigen
Umständen auf 20000-40000 steigen. Die Knollen sollen in trockenen,
kühlen Kellern aufbewahrt werden. Gleich nach der Ernte reifen sie
noch nach, wobei sie Kohlensäure abgeben und Wärme entwickeln, wie
alle Lebewesen überhaupt beim Lebensprozesse. Bald nimmt dann die
Lebenstätigkeit ab und ruht fast völlig, bis sie im Frühjahr neu
erwacht. Dies geschieht um so später, je kühler und trockener sie
lagern. Sie halten deshalb im Frühjahr auf einem luftigen Boden viel
länger ohne zu keimen als im Keller, und wenn sie auch einschrumpfen,
so werden sie durch Legen ins Wasser leicht wieder glatt. In den
austreibenden Keimen findet sich besonders der Giftstoff Solanin,
so daß diese sorgfältig vor dem Genusse der Knollen entfernt werden
müssen. Bis zum Frühjahr verlieren sie etwa 10-12 Prozent ihres
Gewichtes durch Atmung. Bei starken Kältegraden tritt ein Erfrieren
der Kartoffeln ein, wobei das Leben der Knollen getötet wird und sie
nach dem Auftauen infolge der Desorganisation sehr rasch faulen. Bei
geringen Kältegraden, schon bei +2-3° C., tritt ein Süßwerden der
Kartoffeln ein, was oft auch Erfrieren genannt wird. Die Ursache
liegt darin, daß bei derartigen Temperaturen die Knollen den aus
dem Stärkemehl sich bildenden Zucker nicht veratmen können und ihn
aufspeichern. Bewahrt man solche süßgewordene Kartoffeln mehrere Tage
bei Temperaturen von 10-16° C. auf, so verliert sich dieser unangenehme
Geschmack infolge Verbrennens des angesammelten Zuckers. Wird eine
Kartoffel gekocht, deren Reservevorrat noch intakt ist, dann quellen
die in ihr enthaltenen Stärkekörner durch Wasseraufnahme stark auf,
drücken mit großer Kraft gegen die Wände der Zellen, in denen sie
eingeschlossen sind, und bewirken dadurch, daß die Gänge und Spalten
zwischen den einzelnen Zellen und die Zellen selbst aufgerissen werden
bis zu ihrer völligen Trennung. Zu junge Knollen und solche, aus denen
im Frühjahr das Stärkemehl teilweise wieder verschwunden ist, indem
es zur Ernährung der austreibenden Knospen verwendet wurde, werden
begreiflicherweise nicht mehr „mehlig“.

Die Kartoffel wird jetzt überall auf der bewohnten Erde kultiviert,
wo es ihr nicht zu warm oder zu kalt ist. In Europa geht sie bis zum
70° nördlicher Breite und in Deutschland bis zu 1000 m Meereshöhe;
im Kanton Bern findet sie sich noch bei 1400 m und im Kanton Wallis
am Simplon mit der Saubohne sogar bis zu 2000 m über Meer angebaut.
Die gegen 3000 kultivierten Spielarten werden nach der Form in
runde oder Lärchenkartoffeln, spitze oder Hornkartoffeln und lange
oder Nierenkartoffeln, nach der Reifezeit in frühe, mittelfrühe und
späte Kartoffeln, endlich nach der Verwendung in Speise-, Futter-
und Brennkartoffeln eingeteilt. Letztere werden vorzugsweise zur
Bereitung von Spiritus verwendet. Sie enthalten 9-25, im Mittel
18 Prozent Stärkemehl neben bloß 0,6-4,4, durchschnittlich 2,0
Prozent Eiweißstoffen und rund 1 Prozent Gummi und Salzen, besonders
viel Kalisalzen. Indem nun diese Kalisalze nach dem Essen von
Kartoffeln ins Blut gelangen, entziehen sie der Chlornatrium-, d.
h. Kochsalzlösung des Blutes teilweise das Natron, das sich mit dem
Kali als dem stärkeren Alkali verbindet und als für den Körper nicht
weiter verwendbarer Stoff durch die Nieren ausgeschieden wird. Dieser
Kochsalzverlust muß nun durch Einnahme dieser Verbindung gedeckt
werden; deshalb schmeckt uns die Kartoffel nur mit Salz und mit
gesalzenen Speisen wie Heringen, die gleichzeitig das ihr fehlende
Eiweiß enthalten. Jedenfalls ist die Kartoffel weniger nahrhaft als das
Getreide, weil in ihr das Stärkemehl mit einer weit geringeren Menge
Eiweiß als in jenen verbunden ist. Unmöglich können wir mit ihr allein
auskommen, sondern müssen Fett durch Schmälzen und etwas Eiweiß in Form
von Hülsenfrüchten, Brot oder Fleisch dazu genießen. Dann ist sie eine
sehr gute Speise, die wir auch tatsächlich nicht mehr missen möchten.

Diese Knollenfrucht wurde zuerst von den Indianern der chilenischen
Anden in Pflege genommen und nach und nach durch Kulturauslese zur
großknolligen, nahrhaften Nutzpflanze erhoben. Die noch jetzt zwar
nicht mehr auf dem Festlande, wohl aber auf der chilenischen Insel
Chiloe an steilen, felsigen, meist in der Nähe der Seeküste in
gemäßigter Lage wildwachsend angetroffene Kartoffelpflanze bringt nur
kleine, unschmackhafte, wässerige Knollen hervor und hat immer weiße,
und zwar im Gegensatz zur kultivierten, wohlriechende Blüten. Im alten
Kulturreiche der Inkas, das außer Peru auch Chile und Ekuador umfaßte,
wurde diese Nährfrucht, die, nach der Zahl der schon damals vorhandenen
Spielarten zu urteilen, schon seit Jahrtausenden in Kultur gestanden
haben muß, überall angepflanzt, als der vormalige Schweinehirt, dann
Soldat Francisco Pizarro mit einem Häuflein von Glücksrittern wie er
selbst, die Uneinigkeit im Hause der „Sonnensöhne“ klug benutzend,
durch Treulosigkeit, Verrat und unerhörte Grausamkeit das Land
im Jahre 1533 einnahm, um dann 1541 63jährig von seines Genossen
Almagros Sohn ermordet zu werden. Zuerst finden wir die Kartoffel in
einer im Jahre 1553 in Sevilla gedruckten Chronik Perus von Petrus
Ciça als trüffelartige Frucht erwähnt. Bald nach 1560 brachten die
Spanier sie in ihre Heimat nach Spanien, von wo aus sie nach Italien
gelangte. Hier nannte man sie nach ihrer Ähnlichkeit mit der Trüffel
~tartufulo~, d. h. Trüffel, woraus dann die Deutschen, als sie von
Italien her mit dem Knollengewächs bekannt wurden, ihre zu Anfang des
17. Jahrhunderts noch allgemein gebräuchliche Bezeichnung Tartuffel
bildeten, das später in Kartoffel umgeändert wurde. Der Erneuerer der
Botanik Clusius (eigentlich Charles de l’Ecluse, 1526 in Arras geboren,
war von 1573-1587 Hofbotaniker in Wien und von 1593 bis zu seinem 1609
erfolgten Tode Professor der Pflanzenkunde in Leiden in Holland),
schreibt in seinem 1609 erschienenen Buch über ausländische Pflanzen,
dieses Knollengewächs sei in Italien sehr gemein; man genieße die als
~tartufoli~ bezeichneten Knollen wie die Rüben und den Pastinak zum
Fleisch, füttere aber damit vorzugsweise die Schweine. Die ersten
Kartoffeln erhielt jener Gelehrte zu Anfang des Jahres 1588 von einem
Freunde aus Belgien zugesandt. Damals war sie aber, durch die spanische
Herrschaft eingeführt, teilweise schon in Burgund in Kultur.

Unabhängig von der Einführung durch die Spanier in die iberische
Halbinsel, von wo sie sich dann nach Italien und dem übrigen Südeuropa
verbreitete, gelangte die Kartoffel nach England. Und zwar herrschte im
18. und teilweise noch im 19. Jahrhundert bei den Gelehrten allgemein
die Ansicht, daß sie zuerst durch den Engländer Franz Drake nach
England eingeführt worden sei, von wo aus sie dann ihren Siegeszug
nach dem europäischen Kontinent angetreten habe. Deshalb wurde diesem
verdienten Manne 1853 ein Denkmal in der badischen Stadt Offenburg
gesetzt. Diese Annahme hat sich bei genauerer Untersuchung als durchaus
unrichtig erwiesen. Diesem Manne kommt nur das Verdienst zu, die
Batate oder süße Kartoffel nach Europa gebracht zu haben, wo es ihr
allerdings nur im Süden warm genug war, um zu gedeihen. So verbreitete
sie sich bald über die heißen Gegenden der Alten Welt, ohne den Völkern
Europas einen nennenswerten Nutzen zu bringen. Die Kartoffel dagegen
gelangte zuerst auf britisches Gebiet durch den Sklavenhändler Hawkins,
der sie bald nach 1565 aus Peru nach Irland brachte. Sie fand aber
in jenem Lande, das heute diese Knollenfrucht vor allen anderen der
Erde konsumiert, zunächst noch keine Beachtung. Im Jahre 1584 wurde
sie durch den Schiffskapitän Walter Raleigh aus Virginien abermals
nach Irland gebracht, wo er sie zunächst auf seinem Gute Yonghal
pflanzte; von dort aus kam sie nach Lancashire in England. Dann soll
Thomas Herriott 1586 ebenfalls Kartoffelknollen aus Virginien nach
England gebracht haben. Doch ist hierzu zu bemerken, daß die Kartoffel
in Virginien selbst im 16. Jahrhundert noch nicht kultiviert wurde,
sondern vermutlich auf dem Handelswege, wenn nicht durch Raub auf
einem Flibustierzuge in den Besitz der dort niedergelassenen Engländer
gelangte, um von diesen den Schiffskapitänen nach Europa mitgegeben
zu werden. Durch Franz Drake erhielt der Botaniker Gerard außer
Bataten auch einige Saatkartoffeln, die er 1596 in seinem Garten in
London anpflanzte. 1610 brachte Walter Raleigh abermals Kartoffeln aus
Nordamerika nach seiner Heimatinsel Irland. Hier aber fand sie immer
noch keine Aufnahme beim Volke, bis die Royal Society 1663 ihren Anbau
durch alle möglichen Mittel zu befördern suchte, um der hier infolge
von Mißernten des Getreides immer wieder auftretenden Hungersnot
zu steuern. Trotz allen Bemühungen von Privaten und gemeinnützigen
Gesellschaften, diese Nährfrucht im Lande einzuführen, wurde die
Kartoffel in England erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts allgemeiner
bekannt.

In Deutschland wurde die Kartoffel zuerst 1588 als Kuriosität in den
kaiserlichen Gärten von Frankfurt am Main und Wien durch den bereits
genannten Clusius unter der Bezeichnung ~Papas peruvianorum~ gepflanzt.
Erst der von einem Hugenotten aus Amiens in der Picardie stammende,
1560 in Basel geborene und hier 1624 als Stadtarzt und Professor für
Anatomie und Botanik verstorbene Kaspar Bauhin gab ihr im Jahre 1590
den ihr bis auf den heutigen Tag verbliebenen wissenschaftlichen
Namen ~Solanum tuberosum~. In Frankreich kam die Kartoffel als große
ausländische Rarität 1616 auf die königliche Tafel, ein Jahr nachdem
der 1601 als Sohn Heinrichs IV. und der Maria von Medici geborene
Ludwig XIII. unter Vormundschaft seiner Mutter die Regierung seines
Reiches angetreten hatte, als sein Vater dem Anschlage des Mörders
Ravaillac erlegen war. Um 1630 scheint sie zuerst in Lothringen und
im Lyonnais angebaut worden zu sein; aber das ganze 16. Jahrhundert
hindurch wurde sie nur versuchsweise angepflanzt und spielte als
Nährmittel noch keinerlei Rollen. Noch unter Ludwig XIV. (1638
geboren, regierte seit seines Vaters Tod am 14. Mai 1643, zuerst unter
Vormundschaft seiner Mutter Anna von Österreich und des Ministers Jules
Mazarin, dann nach des letzteren Tode 1661 selbständig bis zu seinem
1715 erfolgten Tode, sein Reich in völliger Zerrüttung hinterlassend)
war sie nur ein Leckerbissen der Vornehmen, von dem das gemeine Volk
nichts wissen mochte. Um sie nun bei der konservativ an ihrem Hirse-
und Haferbrei nebst Weizen- und Roggenbrot hängenden Landbevölkerung
einzuführen, soll ein findiger Apotheker folgende List angewandt
haben. Er versah mit Kartoffeln bestellte Felder mit Warnungstafeln,
auf denen allen, die es wagen sollten, die kostbaren Feldfrüchte zu
stehlen, empfindliche Strafen angedroht wurden. Durch diesen Kunstgriff
soll dann erzielt worden sein, was durch einfache Empfehlung nicht
erreicht werden konnte. Die Bauern der Umgegend stahlen die verbotene
Frucht und lernten sie so kennen. Der König -- es soll Ludwig XV.
gewesen sein --, die Königin und die Höflinge sollen sogar eine
Zeitlang die Kartoffelblüte im Knopfloche getragen haben, um diese
Knollenfrucht bei den Untertanen beliebt zu machen. Aber trotz allem
Liebeswerben beharrten die französischen Bauern bei der Ablehnung
der Kartoffel. Erst durch Parmentier, der sie in Deutschland kennen
gelernt hatte, fand sie bald nach 1770 zunächst im Osten des Landes
weitere Verbreitung. Als der Engländer Arthur Young kurz vor der großen
Revolution von 1791 das Land bereiste, war sie in weiten Gebieten,
namentlich in Westfrankreich, eine noch fast unbekannte Nährfrucht,
und unter hundert Bauern, meint er, hätten sich gewiß neunundneunzig
geweigert, sie auf irgendwelche Weise zubereitet auch nur in den Mund
zu nehmen. Hier wie anderswo trugen erst die Hungersnöte von 1793 und
1817 zur Überwindung des Vorurteils gegen die Amerikanerin das ihrige
bei, so daß sich die Bevölkerung nach und nach entschloß, sie bei sich
einzuführen.

In Deutschland trugen die Nöte des Dreißigjährigen Krieges viel zur
Einführung der Kartoffel bei, so daß sie hier früher als in Frankreich
sich allgemeinerer Anerkennung erfreute. Schon um die Mitte des 17.
Jahrhunderts wurde sie in Baden, Franken, Sachsen, Braunschweig und
Westfalen gebaut. Friedrich II., der Große, der von 1740 bis 1786
regierte, verbreitete durch Gewaltmaßregeln den Anbau der schon
1738 in Preußen eingeführten Kartoffel in Pommern und Schlesien. Im
Siebenjährigen Krieg, den er im Bunde mit England gegen Österreich,
Rußland, Frankreich, Schweden, Sachsen und die Mehrzahl der deutschen
Reichsstände von 1756-1763 führte, zeigte sich dann der Nutzen der
Einführung dieser Mehlfrucht, ohne welche die Not und das Elend im
Mißjahr 1770 noch viel größer geworden wären. Aber auch in Deutschland
begann erst nach Abschaffung der reinen Brache ums Jahr 1780 ihr
Anbau im großen. Als nach den Befreiungskriegen die wohlfeile Zeit
anbrach, begann man sie in umfangreichem Maße auch als Viehfutter und
zur Spiritusbrennerei zu verwenden. Um 1726 kam sie nach Schweden, um
1730 wurde sie bei Bern kultiviert und um 1760 war sie in den meisten
Ländern eine bekannte Frucht, die von 1770 an größere Verbreitung
in Böhmen und Ungarn fand. Nach Böhmen war sie von Brandenburg aus
gekommen, weshalb sie in jenem Lande heute noch Bramborg heißt.
Aber erst im 19. Jahrhundert wurde sie die beliebte und geradezu
unentbehrliche Speise, als welche sie uns heute entgegentritt. Auch
die russische Regierung wollte nicht zurückbleiben und ermunterte das
Volk zu deren Anbau durch das Aussetzen von Prämien. In Griechenland
verbreitete sich der Kartoffelbau erst, als der zum Könige des Landes
ernannte Prinz Otto von Bayern 1833 mit bayerischen Truppen in Nauplia
landete und die Verwaltung des Landes nach abendländischem Muster
organisierte. Die Engländer verpflanzten sie in alle ihre Kolonien;
schließlich fand sie auch im nördlichen China Aufnahme. Heute ist sie
über die ganze Kulturwelt verbreitet und schätzt man die Produktion in
Europa und den Vereinigten Staaten auf etwa 200 Milliarden kg, was eine
ganz respektable Zahl bedeutet.

[Illustration: Bild 24 und 25. Der die Kartoffelkrankheit bewirkende
Pilz ~Phytophthora infestans~.

~a~ ein von diesem Pilz befallenes Kartoffelblatt; ~b~ Schnitt
durch dasselbe mit den durch die Spaltöffnungen des Blattes zutage
tretenden Sporenbehälterträgern; ~c~ Reifer Sporenbehälter; ~d~ junger
Sporenbehälter mit sich zu Sporen teilenden Zellen; ~e~ freibewegliche
Sporen mit den die Bewegung vermittelnden Wimperfäden.]

[Illustration: Bild 26. Der Koloradokäfer (~Doryphora decemlineata~).
~a~ erwachsener Käfer, ~b~ Eierhäufchen, ~c~ Larven in verschiedenen
Stadien, ~d~ Puppen.]

Mit dem allgemeineren Anbau der Kartoffel stellten sich aber auch
verschiedene Krankheiten, wie sie mit Vorliebe die Kulturgewächse
heimsuchen, ein. So verursachte von 1845-1850 die von einem
Schmarotzerpilze aus der Familie der Peronosporeen (~Phytophthora
infestans~) hervorgerufene Kartoffelkrankheit verheerende Epidemien
in ganz Mitteleuropa. Vereinzelt war sie schon seit 1830, nach ihrer
Einschleppung aus Amerika, in Deutschland beobachtet worden, doch
erst seit dem regenreichen Sommer 1845, der zu ihrer Entwicklung sehr
günstig war, fand sie allgemeine Verbreitung. Seit dieser Zeit ist sie
nie mehr ganz verschwunden; doch ist die Wirkung des Pilzes offenbar
in den letzten Jahrzehnten eine schwächere geworden und verursacht
nur noch in sehr nassen Sommern größeren Schaden. Durch Infektion der
Knollen verursacht sie die Knollenfäule, die sich nur durch Verwendung
gesunder Knollen als Saatgut verhüten läßt. In neuerer Zeit hat man
mehrfach widerstandsfähigere Sorten mit dickeren Schalen gezüchtet,
die von der Krankheit weniger zu leiden haben. Von tierischen Feinden
schaden der Kartoffel namentlich Engerling, der Drahtwurm, die Raupen
der Nonne und Saateule, wie auch des Totenkopfes, endlich der nach
seiner Heimat, den Tälern des Koloradoflusses im nordamerikanischen
Felsengebirge, als Koloradokäfer bezeichnete Blattkäfer ~Doryphora
decemlineata~, der zuerst die Kartoffelernten der westlichen Staaten
Nordamerikas Jahre hindurch dermaßen vernichtete, daß man in vielen
Distrikten den Anbau der Kartoffeln ganz aufgab. Unaufhaltsam schritt
der Koloradokäfer seit 1859 nach dem Osten der Union vor, überall
permanente Kolonien gründend, und trat 1877 in der Nähe von Mühlheim
am Rhein und bei Torgau in Schlesien auf, ohne daß ermittelt werden
konnte, wie er dorthin gelangt war, obschon die meisten Staaten
Europas versucht hatten, durch ein im Frühjahr 1875 erlassenes Verbot
der Einfuhr amerikanischer Kartoffeln sich den lästigen Schmarotzer
vom Leibe zu halten. Dank dem sofortigen energischen Eingreifen der
preußischen Regierung vermochte die Gefahr in der Folge abgewendet zu
werden, wenn der Koloradokäfer auch 1888 nochmals bei Torgau, wo man
ihn vernichtet wähnte, in größerem Maße auftrat.

Von anderen südamerikanischen Nachtschattenarten mit knolligen
Reservestoffspeichern ist noch die +Sumpfkartoffel+ (~Solanum
commersoni~) zu erwähnen, die in Argentinien und Uruguay heimisch
ist und am La Plata häufig neben der Kartoffel gezogen wird, da
sie mancherlei Vorzüge vor jener besitzt. Am besten gedeiht sie in
schwerem, nassem Lehmboden, wobei das gelbe, bisweilen grünliche
Fleisch seine ursprüngliche Bitterkeit mehr und mehr verliert. Als die
Europäer nach Südamerika vordrangen, war sie die in Brasilien, wo die
Kartoffel völlig unbekannt war, allein kultivierte Knollenfrucht aus
der Familie der Nachtschattengewächse. Später wurde sie hier durch die
eigentliche Kartoffel völlig zurückgedrängt. Auch in Europa hat sie
sich bis jetzt nicht einzubürgern vermocht. So werden besonders in
Frankreich fortgesetzt Versuche zu ihrer Akklimatisation gemacht, doch
hat es bis jetzt nicht glücken wollen, sie hier zur Reife zu bringen.
Im Jahre 1901 tauchte dort plötzlich in der Kultur des Gutsbesitzers
Labergerie in Verrières (Dep. Vienne) eine sehr ertragreiche und
gegen die gewöhnliche Kartoffelkrankheit widerstandsfähige Varietät
mit violettem Fruchtfleisch auf. Außerdem zeichnete sie sich dadurch
aus, daß sie auch in den Blattachseln sehr große Luftknollen erzeugte,
die bis 21 cm lang, 8 cm breit und 850 g schwer wurden. Fünf an einem
Bächlein gepflanzte Stöcke gaben 10 kg Knollen, ein anderer deren 2,5
kg, darunter eine gegliederte Knolle von 1 kg Gewicht. Allerdings
zeigte diese vielversprechende violette Abart zahlreiche Rückschläge in
den gelben Urtypus. In Deutschland und Österreich waren die Ergebnisse
hauptsächlich wegen des Ausbleibens der Reife noch weniger günstige;
doch dürfte diese Kartoffel in einem warmen Klima vielversprechend
sein. Zudem ist sie leicht durch Kultur auf fruchtbarem Boden dahin zu
bringen, daß ihr Fruchtfleisch seine Bitterkeit verliert.

Die Indianer der Anden von Peru und Bolivia, denen wir die für die
Kulturwelt so überaus wichtige Kartoffelkultur verdanken, bauen außer
der Kartoffel eine Reihe anderer Knollengewächse an, von denen dem
einen oder anderen vermutlich eine größere Zukunft beschieden sein
mag. Unter ihnen ist die von den Peruanern +Oca+ genannte ~Oxalis
tuberosa~ die wichtigste. Diese Verwandte des Sauerklees hat große,
gelbe, in langgestielten Dolden stehende Blüten mit am Rande gekerbten
Blumenblättern und je nach der Sorte längliche oder runde, bis 7 cm
lange, im allgemeinen unter Hühnereigröße bleibende außen weiße, gelbe,
rosafarbene oder rotviolette Knollen, die 10-12 Prozent Stärkemehl
enthalten, sich leicht kochen lassen und auch gut schmecken, aber
6-10 Tage der Sonnenwärme ausgesetzt werden müssen, um den ihnen
sonst innewohnenden säuerlichen Geschmack zu verlieren. Bei längerem
Aussetzen an die Sonne verlieren die Knollen einen Teil des Saftes und
bekommen einen deutlich süßen Geschmack. Durch Frost und Mazerieren
in stehendem Wasser bereiten sich die Peruaner eine Art Käse, Caya
genannt, der trotz seines ekelhaften, faulendem Fleisch ähnlichen
Geruches von den Eingeborenen sehr geschätzt wird. Die Vermehrung
geschieht durch Knollen, die man in Abständen von einem Meter einlegt;
die Ernte erfolgt im Herbst, wenn das Kraut durch Frost zerstört ist.
Die Knollen lassen sich an einem kühlen Ort oder in trockenem Sand gut
aufbewahren; auch kann man sie den Winter über in der Erde lassen. Ihre
Zubereitung geschieht wie bei der Kartoffel; meist werden sie geschält
und etwa 20 Minuten in Wasser gekocht mit Zusatz von etwas Soda, die
ihnen eine schöne Bernsteinfarbe gibt. Mit Pfeffer und Salz geben sie
ein angenehm schmeckendes, leicht verdauliches Gericht. Der Hauptvorzug
der Oca vor der Kartoffel besteht in ihrer Ergiebigkeit, die dadurch
außerordentlich gesteigert werden kann, daß man sie anhäufelt. Die
Blätter und Spitzen der Schößlinge können wie Sauerampfer als Gemüse
gekocht oder als Salat genossen werden. Sie ist seit längerer Zeit
in Mittelfrankreich eingeführt. Eine andere, aus Mexiko stammende
vielblätterige Sauerkleeart (~Oxalis esculenta~) hat rübenförmige
Knollen von 10-20 cm Länge und 2-5 cm Dicke. In Wasser mit Salz gekocht
sollen sie ähnlich wie gelbe Rüben schmecken; auch lassen sich die
Blüten als Salat und die Blätter wie Sauerampfer verwenden. Beide Arten
verdienen es, in den Bergregionen der Tropen angebaut zu werden.

Auf der Hochebene der Anden Perus wird auch eine als +Maca+ bezeichnete
Art Kapuzinerkresse (~Tropaeolum tuberosum~) ihrer kastanienförmigen
Knollen wegen gepflanzt. Frisch soll sie wässerig und von fadem
Geschmack sein, doch wird sie von den Eingeborenen gerne gegessen
und deshalb viel angebaut. Ähnlich wie die Oca kann man auch sie
durch Besonnung und nachheriges Gefrierenlassen zum Süßwerden, zur
Einschrumpfung und zu jahrelanger Haltbarkeit bringen. Ebenso werden
in Chile die Knollen einiger Arten der Gattung ~Tropaeolum~ von den
Eingeborenen gegessen und teilweise angebaut. Wichtiger als diese ist
der +Ulluco+ (~Ullucus tuberosus~), eine Meldenart mit zarthäutigen,
je nach der Varietät außen weiß, rosa, rötlich, gelb, violett, innen
dagegen gelb bis grünlich gefärbten, länglichen oder runden Knollen,
die etwas kleiner sind als Kartoffeln. Die kletternden, überall Wurzeln
bildenden Stengel tragen langgestielte, herzförmige, glänzend-grüne,
dicke Blätter. Es gibt unter ihnen schlechtere und bessere Sorten;
letztere werden sehr gerühmt, schmecken aber in Wasser gekocht etwas
fade, weshalb man sie mit Pfeffer ißt. Auf solche Weise gewürzt munden
sie sehr und sollen an Güte den Ocas gleichkommen, sollen aber schwerer
verdaulich sein und sich frisch nur zwei Monate halten. Besonnt aber
und dem Frost ausgesetzt, sollen sie sich wie die vorigen über ein Jahr
aufbewahren lassen. Außerdem läßt sich das Kraut wie Spinat benutzen.
Die Ernte findet im Spätherbst statt, wenn das Kraut abgestorben ist,
und zwar ist die Ergiebigkeit eine ganz außerordentliche. So hat man
beispielsweise aus fünf ausgepflanzten Knollen in Gent und in Riga
nicht weniger als 2000 allerdings meist ziemlich kleine Knollen erzielt.

In weit tieferen Lagen als die vorgenannten Knollengewächse gedeiht in
den Bergen von Venezuela und Kolumbien ein als +Arracacha+ bezeichnetes
Doldengewächs mit fast einem halben Meter langen, dreiteilig
gespaltenen Blättern und gelblichen oder dunkelvioletten Blüten. Die
Güte und der Nährwert der Knolle wird vielfach von den Reisenden
gerühmt. Sie wird wie die Kartoffel verwendet, auch Stärkemehl und ein
alkoholisches Getränk wird daraus gewonnen; doch wird die Pflanze kaum
je außerhalb ihrer Heimat angetroffen, da sie sich nicht sehr leicht
akklimatisiert. Eine dieser als ~Arracacia xanthorhiza~ genannten
Umbellifere nahe verwandte Art, ~Arracacia moschata~ wird in Mexiko
in ähnlicher Weise benutzt und ziemlich häufig angepflanzt. Auch sie
dürfte vor allen Dingen für solche Gebirgsgegenden in den Tropen in
Betracht kommen, wo die Kartoffel wegen zu großer Feuchtigkeit schlecht
gedeiht, während die vorher besprochenen Knollengewächse in besonders
hohen und trockenen Gebirgsgegenden der Tropen versucht werden sollten.

Im östlichen Nordamerika dagegen ist ein anderes Knollengewächs
heimisch, das sich sehr wohl zum Anbau in kälteren Gegenden eignet
und auch in Mitteleuropa reiche Erträge liefert. Es ist dies der
+Erdapfel+ oder +Topinambur+ (~Helianthus tuberosus~), ein im Staate
Indiana wildwachsend gefundener Verwandter unserer Sonnenblume
(~Helianthus annuus~), der schon von den Indianern im Gebiet der
heutigen Vereinigten Staaten und von Kanada angepflanzt wurde. Er
hat einen 2,5-3,8 m hohen, blattreichen Stengel und gelbe, 8 bis 10 cm
im Durchmesser haltende Blütenköpfe, die bei uns nur in warmen
Herbsten zur Entwicklung gelangen. Zuerst kam er 1617 nach England
und ein Jahr später durch Lescarbot nach Frankreich, wo man ihn bald
darauf als ~topinambaux~ zu verkaufen anfing. Die Wilden aber nannten
ihn, wie letzterer Autor in seiner ~histoire de la nouvelle France~
erzählt, ~chiqiuebi~. Der erste Europäer, der in Nordostamerika die
Bekanntschaft der ovalen, außen rötlichen, innen aber weißen, spitz
zulaufenden Knollen bei den Indianern machte, war der Engländer
Champlain, der im Jahre 1603 berichtet, daß die Eingeborenen diese
den Geschmack von Artischocken besitzenden Wurzeln anbauen. Auch der
Name Topinambur scheint aus der Sprache eines nordamerikanischen
Indianerstammes herzurühren. Die Pflanze gedeiht noch im schlechtesten
Boden und ist winterhart; ihr Ertrag kommt im allgemeinen demjenigen
der Kartoffel ziemlich nahe, dabei ist sie viel einfacher und billiger
zu pflanzen. In nahrhaftem Boden setzt eine Pflanze 4-5 kg sehr
nahrhafter, nach dem Kochen in Wasser angenehm süßlich schmeckender
Knollen an. Diese können im November geerntet und den Winter über in
trockenem Sand aufbewahrt werden; oder man kann sie auch im Boden
belassen und nach Bedarf herausnehmen, in welchem Falle sie mit Stroh
bedeckt werden, damit die Erde zur leichteren Entnahme frostfrei
bleibe. Trotz der großen Vorzüge hat die Pflanze, nachdem sie kurz nach
dem 1648 zu Ende gegangenen Dreißigjährigen Krieg nach Deutschland
eingeführt wurde, nur vorübergehend für den Menschen Bedeutung als
Nährpflanze erlangt und wurde im Laufe des 18. Jahrhunderts durch die
Kartoffel verdrängt. Noch dient sie in manchen Gegenden dem Menschen
zur Speise, doch wird sie bei uns fast nur noch als Viehfutter und zur
Spiritusgewinnung angepflanzt, obschon ihre Wurzelknollen einen sehr
angenehmen Artischockengeschmack besitzen und sehr nahrhaft sind. In
neuester Zeit bindet man den Flugsand mit Vorliebe mit Topinambur.

Weit größere Bedeutung als er scheint eine andere nahe Verwandte
aus dem südlichen Nordamerika erlangen zu wollen. Es ist dies der
+~Helianthi~+, in seiner Heimat meist ~Salsifis~ genannt, ein
Kreuzungsprodukt von ~Helianthus doronicoides~ und ~decapetalus~,
das eine Pflanze von 3,5 m Höhe mit dunkelgrünem Laub und goldgelben
Blütenköpfchen darstellt. Das Kraut gibt ein vorzügliches Grünfutter
und die saftigen, verdickten Wurzeln bilden ein sehr schmackhaftes,
leichtverdauliches und dabei sehr nahrhaftes Gemüse, das mit der Zeit
noch große Bedeutung erlangen wird. Der Ertrag ist sehr bedeutend,
indem eine einzige Pflanze bis 9,5 kg Wurzelknollen ergibt. Ein
Hektar Land mit ~Helianthi~ bepflanzt bringt wenigstens 100000 kg
Knollen, also um die Hälfte mehr, als wenn die Fläche mit Kartoffeln
bepflanzt worden wäre. Man pflanzt ihn von November bis Ende April in
irgendwelchen gedüngten Boden. Ein einmaliges Behacken und Behäufeln
genügt. Gegen Mitte November beginnt die Ernte, sobald die Stengel
vertrocknet sind. Man kann aber auch die Knollen an Ort und Stelle im
Boden lassen, die Büschel abschneiden und die Oberfläche mit einer
guten Schicht Stroh bedecken, damit der Frost das Herausnehmen der
Knollen nicht erschwere. Die Pflanze widersteht der größten Hitze wie
der größten Kälte Nordamerikas und ist berufen, nicht als Ersatz der
Kartoffel, wohl aber als wichtiges, billiges Wintergemüse eine ungemein
bedeutende Rolle zu spielen. Sind die Knollen des ~Helianthi~ gegen das
Frühjahr hin geschrumpft, so genügt es, sie einige Stunden ins Wasser
zu legen, damit sie Aussehen und Geschmack von frischen erhalten.

Dem östlichen Nordamerika, von Kanada bis Virginien, gehört eine dem
~Topinambur~ ähnliche Knollenwurzel von ~Apios tuberosa~ an. Dieselbe
soll wie Artischocken schmecken und wird stellenweise angepflanzt und
als Speise gegessen. Desgleichen finden ihre Samen Verwendung. Für die
Westküste Nordamerikas jenseits des Felsengebirges dient die mehlreiche
Wurzel von ~Lupinus littoralis~ denselben Zwecken. Am meisten wird
sie von den Bewohnern des Staates Kolumbia als Nahrung benutzt. Eine
dritte Leguminose, die +Batatenbohne+ (~Stizolobium tuberosum~) auf den
Antillen, zeichnet sich durch eine kindskopfgroße Knollenwurzel, eine
vierte, die +Rübenbohne+ (~Pachyrhizus angulatus~) auf den Philippinen
und Molukken, durch eine dicke, rübenartig schmeckende Wurzel aus. Sie
ist im ganzen tropischen Asien bekannt und wird teilweise angebaut. Von
der Batatenbohne dienen auch die Samen dem Menschen zur Nahrung.

Im Orient werden die großen Zwiebeln von ~Crocus edulis~, zur Zeit, da
sie eben zu treiben beginnen, gern gegessen und kommen in Menge auf den
Markt. In ähnlicher Weise wird in der Türkei die Zwiebel des Safrans
roh oder gekocht verzehrt. Als Gemüsepflanze kommt für uns Europäer
neuerdings auch der in China und Japan heimische Knollenziest (~Stachys
tuberifera~) in Betracht, der ebenfalls sehr nahrhafte Wurzelknollen
bildet, die kastanienähnlich schmecken und sehr leicht verdaulich sind,
so daß sie sich besonders für Leute mit schwacher Verdauung eignen.
Die Pflanze wurde 1887 zuerst in Crosnes in Frankreich eingeführt,
gedeiht mit Leichtigkeit in einem durchlässigen, nahrhaften Boden und
leidet nicht durch Frost. Nach dem Absterben des Krautes können die
Knollen geerntet werden, doch läßt man sie gewöhnlich bis zum Gebrauch
im Boden, da sie sich außerhalb der Erde nicht lange halten. Ihr
Geschmack ist sehr fein; mit Vorliebe werden sie wie die vorigen mit
holländischer Sauce zubereitet.

Berühmt durch äußersten Wohlgeschmack sind manche unterirdische
Knollenbildungen bei Pilzen. Von den in Europa wachsenden sind die
+Trüffeln+ die geschätztesten. Es sind dies die unter der Erde sich
bildenden fleischigen Fruchtkörper einiger Pilze aus der Familie der
Tuberazeen, deren als Mycel bezeichnetes feines Geflecht von weißen
Fäden sich spinnwebeartig im Waldboden ausbreitet und nach Art der
~Mykorrhiza~ in Symbiose mit den Wurzeln der verschiedensten Waldbäume
lebt. Vorzüglich gedeihen diese Pilze im humusreichen, kalkhaltigen
Boden um Eichen, Hain- und Rotbuchen, Kastanien und Haselnußsträucher.
Wird der Waldbestand abgeholzt, so verschwinden auch die Trüffeln;
wenn aber der Boden wieder mit Gehölz bewachsen ist, so erscheinen
sie alsbald aufs neue. Von den etwa 50 Arten in Europa ist die in den
Laubwäldern, besonders Eichenwaldungen, Südfrankreichs und Italiens,
selten auch in der Rheingegend vorkommende +schwarze Trüffel+ (~Tuber
melanosporum~) mit dunkelbrauner Oberfläche und schwärzlichen Adern
besser als die außen gleichgefärbte, innen aber mit schwärzlichgrauen
Adern durchzogene ~Tuber brumale~, die bis zu 1 kg schwer und dann über
faustgroß wird. Die meisten in den Handel kommenden Trüffeln haben
die Größe einer mittleren Kartoffel oder einer welschen Nuß, sind
kugelig und mit zahlreichen Wärzchen besetzt. Sie zeigen die Härte
einer Kartoffel und sind außen schwarzrötlich, innen dagegen hell- oder
dunkelviolett gefärbt. Am geschätztesten sind die von Périgueux in
Südfrankreich versandten sogenannten Périgordtrüffeln, die man durch zu
diesem Zwecke abgerichtete Hunde oder Schweine, die dem aromatischen
Geruch des Fruchtkörpers des Trüffelpilzes nachgehen und den Erdboden
an den Stellen, wo sich solche finden, aufzuwühlen beginnen, aufsucht.
Übrigens gibt es in Frankreich auch viele geübte Trüffelsucher, die
ohne weitere Hilfsmittel das Vorhandensein von Trüffeln an gewissen
Veränderungen, kleinen Spalten oder dergleichen, der Bodenoberfläche
erkennen. Sie liegen 2 bis 10 cm tief und geben den spezifischen
Geruch von sich, um allerlei Insekten und Würmer herbeizulocken, die
die winzigen Sporen, mit denen sie sich beim Fressen an der Trüffel
besudeln und die sie auch in ihrem Kote von sich geben, zu verbreiten
haben.

[Illustration: Bild 27. Fruchtkörper einer Trüffel (~Tuber rufum~),
schwach vergrößert. Im Innern dunkle Scheidewände, an denen die
Sporenmasse ausreift.]

Bei der in Südfrankreich betriebenen Trüffelkultur handelt es sich
nicht um die Aufzucht aus den Sporen, die bis vor kurzem nicht gelingen
wollte, sondern um Verbreitung und reichlichere Entwicklung bereits
im Boden befindlicher Mycelien durch die von ihnen bewohnten Wurzeln
lebender Bäume, besonders Eichen. Bei Aufzucht von solchen Sämlingen
aus Trüffelrevieren lassen sich schon nach zehn Jahren reichliche
Trüffelernten gewinnen. Erst in jüngster Zeit hat man regelrechte
Trüffelkulturen zustande gebracht, indem man die in Laboratorien
zum Keimen gebrachten Sporen der Trüffel mit Rübenschnitzeln oder
zerkleinerten Eicheln vermischte und die darin erzielten Mycelien,
d. h. Pilzfäden, mit der Beigabe von Rüben oder Eicheln in jungen
Eichenwäldern sorgfältig in den Boden eingrub, damit der Pilz die
Symbiose mit dem Wurzelgeflecht der Bäume eingehe. Solche Kulturen
lassen schon nach 4 bis 5 Jahren die erste ausgiebige Trüffelernte
gewinnen. Der französische Trüffelhandel datiert seit dem Jahre
1770 und erstreckt sich jetzt nicht bloß über Süd-, sondern auch
Mittelfrankreich. Am meisten dieses von den Feinschmeckern überaus
hochgeschätzten Leckerbissens erzeugt die Provence. Besonders berühmt
sind die Trüffelkulturen am Fuße des Mont Ventoux im Departement
Vaucluse, der bei allen Gebildeten durch die Schilderung bekannt ist,
die der berühmte italienische Dichter Francesco Petrarca von seiner im
Jahre 1336 mit seinem Bruder Gerardo unter großen Schwierigkeiten und
ohne Führer unternommenen Besteigung gab, als die Freude an pittoresker
Naturbetrachtung zum erstenmal bei den Menschen des Abendlandes zum
Durchbruch gelangte. Die Abhänge dieses Berges wurden seit 1858 neu
mit Eichen aufgeforstet, die nun eine reiche Trüffelernte abwerfen.
Seither kommt in der Stadt Apt im Departement Vaucluse jeden Winter
eine Trüffelernte von 15000 kg zu Markt. Der Ertrag dieser Knollenart
für ganz Frankreich läßt sich auch nicht annähernd abschätzen, doch
muß er ein ganz gewaltiger sein, wenn man bedenkt, daß die Ausfuhr
dieses Landes sich auf mehr als 1,5 Millionen kg im Werte von etwa 35
Millionen Franken jährlich beziffert.

[Illustration: Bild 28. Das Innere der Trüffel, sehr stark vergrößert.
Das Pilzmyzel endet in Fruchtschläuchen (~asci~), in denen je vier mit
stacheliger Hülle umgebene Sporen sich befinden. (Nach Tulasne.)]

Das Trüffelsammeln, das heute berufsmäßig betrieben wird, war früher
ein Sport, dem viele große Herren mit Leidenschaft oblagen. Damals
beherrschten die vornehmen Dilettanten das Feld, das heute einen
lohnenden Beruf für viele bildet. Der Herzog Victor Amadeus II.
von Savoyen (1675-1730), der im Frieden von Utrecht 1713 außer dem
Königstitel die Insel Sizilien bekam, die er dann 1720 gegen die
Insel Sardinien vertauschte, hatte eine besondere Vorliebe für die
Trüffel„jagd“, wie sie von den Franzosen gern genannt wird. Sein
Sohn Karl Amadeus III., der von 1730 bis 1773 das Land regierte,
teilte diese Vorliebe und hielt sich ganze Meuten von Trüffelhunden
und erfahrenen Jagdgehilfen, mit denen er alljährlich mehrmals große
Trüffeljagden abhielt. Mit Vorliebe wurden solche den Gästen zu Ehren
abgehalten. Auch der Herzog von Cumberland war ein passionierter
Trüffeljäger, gleich Ludwig XV. und vielen deutschen und polnischen
Königen. Zu diesem Zwecke wurden an den Höfen des 18. Jahrhunderts
stets sorgfältig abgerichtete Trüffelhunde gehalten, deren erste
Exemplare ums Jahr 1720 von Burgund nach Deutschland kamen.

In Deutschland kommt die schwarze Trüffel nur im wärmeren Südwesten,
besonders im Rheintal vor. Hier könnte sie mit Erfolg gezüchtet werden,
wodurch viel deutsches Geld, das für französische Trüffeln außer Land
geht, im Lande behalten werden könnte. Außer den beiden genannten
berühmtesten Trüffelarten werden aber noch verschiedene andere
gegessen, so die +weiße italienische Trüffel+ (~Tuber magnatum~) mit
hellbrauner, glatter Oberfläche und starkem knoblauchartigem Geruch,
dann ~Tuber aestivum~ und ~T. mesentericum~, deren Fruchtfleisch mit
hellbraunen Adern durchzogen ist, ferner die sogenannte +Holztrüffel+
(~Tuber excavatum~ und ~T. rufum~), die alle am häufigsten in
Frankreich und in Italien, doch auch stellenweise in Deutschland
vorkommen. Eine der wichtigsten Arten für letzteres Land ist die
sogenannte +weiße deutsche Trüffel+ (~Choiromyces maeandriformis~) mit
etwa faustgroßen, außen blaßbraunen, innen weißen, mit wenigen dunkeln
Adern durchzogenen Knollen. Sie findet sich besonders in Schlesien
und Böhmen, außerdem in Oberitalien und England. Volkswirtschaftlich
von großer Bedeutung sind zwei in den Mittelmeerländern vorkommende
Arten, ~Terfezia leonis~ und ~T. boudieri~, die schon von den Römern
sehr geschätzt wurden und von ihnen in großer Menge aus Nordafrika und
später auch aus Syrien bezogen wurden. Hier überall schmarotzen diese
Pilze an den Wurzeln von Helianthemumarten. Von der nordafrikanischen
Bezeichnung ~terfez~ für sie ist nicht nur die wissenschaftliche
Bezeichnung ~Terfezia~, sondern wahrscheinlich auch die italienische
Benennung ~tartufi~ und daraus unser Trüffel wie auch Kartoffel (aus
dem Italienischen ~tartufoli~) abzuleiten. Diese Trüffelarten besitzen
ein sehr angenehmes Aroma und galten bei den Alten wie alle Trüffeln
überhaupt als die Sinnlichkeit anregendes Mittel. Sie wurden damals
schon gebraten oder mit Rotwein gekocht und mit Olivenöl genossen,
auch als Bestandteil von Pasteten, oder als Zusatz zu Fleischspeisen,
Brühen, Suppen usw. verwendet. An den Rändern der Sahara kommen
diese letztgenannten Arten in solchen Mengen vor und werden von
der Eingeborenenbevölkerung, besonders in Algerien, in derartigen
Quantitäten gesammelt, daß sie für jene fast ebenso wichtig ist als die
Kartoffeln für uns. Die Trüffeln müssen in luftigen Räumen aufbewahrt
werden und kommen in Fässern verpackt oder als Konserven oder in Wein
gekocht und dann in Öl eingemacht in den Handel. Frische Trüffeln
halten sich im Erd- oder Sandbett in guten Kellern bis 14 Tage und
länger.

Den Trüffeln schließen sich naturgemäß, obschon sie keine
unterirdischen Knollen, sondern oberirdische Fruchtkörper in Form
von Hüten bilden, die verschiedenen andern +eßbaren Pilze+ an, die
im Gegensatz zum grünen Gemüse verhältnismäßig sehr reich an Eiweiß
sind, so daß man sie mit Recht als das Fleisch des Waldes bezeichnet
hat. Durch ihre Schmackhaftigkeit und ihr angenehmes Aroma haben sie
von jeher ihre Liebhaber besonders bei den Feinschmeckern gefunden,
wenn sich auch die große Menge des Volkes, aus Angst sich zu vergiften,
bis jetzt, sehr mit Unrecht, ablehnend dagegen verhielt; denn es
sind an wirklich giftigen Pilzen noch sehr wenig Menschen gestorben.
Diejenigen, die davon krank wurden, wurden es dadurch, daß sie im
Übermaß alte, bereits in Zersetzung übergegangene Pilze aßen. Solche
nachteilige Folgen können aber auch von andern überständigen und in zu
großen Mengen gegessenen Speisen hervorgerufen werden.

Die Pilze verdienen es in der Tat, ein Volksnahrungsmittel zu werden,
da sie nicht nur herrlich schmecken, sondern auch recht nahrhaft sind.
Wenn sie auch zu neun Zehnteln aus Wasser bestehen, so ist doch ein
Viertel des verbleibenden Restes für den Menschen ausnutzbares Eiweiß,
so daß sie bei den steigenden Lebensmittelpreisen und der zunehmenden
Fleischteuerung gerade für die weniger Bemittelten einen willkommenen
Ersatz des Fleisches bilden. 1 kg frische Pilze enthält etwa ebensoviel
ausnutzbares Eiweiß als 100 g frisches Fleisch. Und zwar sind junge
Pilze nach den Untersuchungen von Kohlrausch und Lösecke eiweißreicher
als alte. So beträgt der Eiweißgehalt des getrockneten Hutes junger
Pilze nach Margiewicz beim Steinpilz 44,99 Prozent, beim Birkenröhrling
43,90, beim Rothautröhrling 40,91, beim Butterröhrling 40,74, beim
Filzröhrling 39,85, beim echten Reizker 38,12, beim Hallimasch 28,16,
beim echten Gelbling 27,77 Prozent. Zudem besitzen sie außer etwas
Fett und Kohlehydraten einen reichen Gehalt an Nährsalzen, besonders
phosphorsauren und Kaliverbindungen, so beim getrockneten Steinpilz,
als dem nährsalzreichsten, 19 Prozent, während im besten Ochsenfleisch
nur 17 Prozent davon enthalten sind. In frischem Zustande beträgt der
Nährsalzgehalt durchschnittlich ½-2 Prozent. Auf die Trockensubstanz
berechnet enthält an Nährsalzen der Steinpilz also 19 Prozent, der
Pflaumenrößling 15, der Nelkenschwindling 10,75, die Spitzmorchel 9,0,
der echte Gelbling 8,19, der Butterröhrling 6,38, der Traubenziegenbart
6,23, der Kuhröhrling 6,0, das Schafeuter 2,8 Prozent. Bei diesem
Nährwert lohnt es sich schon der Mühe, die zahlreichen eßbaren Pilze,
die der Wald umsonst bietet, und die der Mensch aus Unkenntnis
und Trägheit darin verfaulen läßt, zu sammeln, wobei das Suchen
dieser Pflanzen an sich schon Körper und Geist günstig beeinflußt.
Welche Freude bietet nicht eine solche Exkursion für alt und jung,
welcher Jubel schallt da nicht durch Wald und Feld, wenn sich die
verschiedensten Pilze an den dem Kenner wohlbekannten Standorten
finden, und wie schmecken zu Hause diese Schwämme, die man selbst
gesucht hat, weit besser als Markthallenware! Zudem lassen sie sich
durch Trocknen oder Sterilisieren oder Einmachen in Essig konservieren
und so jederzeit als schmackhafte Würze und Beilage verwenden. Um die
eßbaren von den giftigen Pilzen zu unterscheiden, gibt es zahlreiche
Pilzbüchlein mit schön kolorierten Tafeln, unter denen das vom
Kaiserlichen Gesundheitsamte in Berlin herausgegebene Pilzmerkblatt,
das zur Orientierung vollkommen genügt, schon für 10 Pfennige zu haben
ist. Hauptsächlich sollte es die Schule übernehmen, auf Ausflügen die
Jugend mit den eßbaren und nichteßbaren Pilzen bekanntzumachen. So
würde die übertriebene Furcht vor giftigen Pilzen durch Aufklärung
weiterer Volksmassen am ehesten zu beheben sein; denn es gibt
glücklicherweise nur verhältnismäßig wenig giftige Pilze, und diese
sind zudem von der Natur als solche deutlich gekennzeichnet, so daß man
sie mit einiger Übung leicht und untrüglich als solche herausfinden
kann. Die Hauptsache aber bleibt stets, daß die Pilze frisch und in
mehr jugendlichem Zustande gepflückt als Speise verwendet werden,
da alte, verdorbene Exemplare von eßbaren Sorten vielfach ebenso
schädlich als die eigentlich giftigen sind. Fast alle Pilzvergiftungen
lassen sich darauf zurückführen, daß solche verdorbene Pilze verspeist
wurden. Und wer im Volke sie nicht selbst essen mag, der sammle und
verkaufe sie und kaufe sich mit dem daraus erworbenen Gelde eine
ihm besser zusagende Speise. Die Armen ernähren sich auch nicht mit
Erdbeerschnitten, obgleich die Erdbeeren im Walde umsonst zu haben sind.

    Tafel 53.

[Illustration: Champignonkultur der Konservenfabrik ~Amieux frères~ in
unterirdischen Gewölben bei Paris.

Champignonernte für ~Amieux frères~ in Paris.]

    Tafel 54.

[Illustration: Verarbeitung von Champignons in der Konservenfabrik
~Amieux frères~ in Paris.]

Der geschätzteste der eßbaren Hutpilze und der einzige unter
ihnen, der im großen Maßstabe künstlich gezüchtet wird, ist der
+Feldblätterschwamm+ oder +Brachpilz+ (~Agaricus campestris~), besser
unter dem französischen Namen +Champignon+ bekannt. Er findet sich
vom Mai bis Oktober auf sandigen Waldwiesen und auf Weideplätzen, in
gedüngten Feldern und Obstgärten, in Weingärten und an Waldrändern in
Europa, Asien, Nordamerika und Nordafrika und bildet bis 10 cm breite,
weiße bis bräunliche fleischige Hüte. Eine besonders aromatische
Varietät wird vielfach in Kellern und andern dunkeln Räumen mit
möglichst gleichmäßiger Temperatur gezogen. Bei der Anlage solcher
Kulturen bringt man nicht zu alte käufliche Champignonbrutziegel aus
Pferde- und Kuhmist mit etwas Gartenerde, die mit den Myzelien des
Brachpilzes durchwachsen sind, in Beete von frischem, strohfreiem,
durch vorherige Behandlung nicht mehr gärungsfähigem Pferdemist,
die nach 3-4 Wochen etwa 3 cm hoch mit lockerer, sandiger Erde bedeckt
werden. Die Brutbeete werden durch öfteres Begießen feucht gehalten.
Dabei durchwuchert das Pilzfadengeflecht rasch das gesamte Nährsubstrat
und schreitet dann, nachdem es ihm seine Nährstoffe entzogen hat, zur
Bildung der Fruchtkörper. Wenn letztere nach 7-8 Wochen hervorbrechen,
werden sie, bevor sich der Hut zu sehr in die Breite entwickelt hat,
an der Stielbasis mit einem Messer abgeschnitten und auf den Markt
gebracht. Läßt der Ertrag nach einigen Wochen nach, so werden neue
Beete angelegt. Besonders um Paris herum wird die Champignonkultur
in den zahllosen unterirdischen Steinbrüchen mit ihrer gleichmäßigen
Wärme im großen betrieben und bildet für zahllose einfache Leute eine
lohnende Beschäftigung, die auch in Deutschland mit aller Energie
betrieben werden sollte; denn dieser vortreffliche Speisepilz wird in
der feinen Küche sehr viel verwendet und der aus ihm bereitete Extrakt
bildet ein vorzügliches Würzmittel für Suppen und Saucen. Schon die
römischen Feinschmecker schätzten seinen delikaten Geschmack sehr und
Kaiser Nero, dem es gewiß nicht an guten Bissen fehlte, soll ihn sogar
als Götterspeise bezeichnet haben. Bis in unsere Zeit gab es Gourmets,
besonders französische, die diesen beliebten Pilz gern eigenhändig
sammelten und zubereiteten. Franzosen waren es auch, die den Champignon
in deutsche Küchen einführten, namentlich vornehme Emigranten, die,
auf den Broterwerb angewiesen, sich in der Fremde nicht selten der
in ihrer Heimat hochkultivierten Kochkunst widmeten und dadurch
mitunter ein Vermögen erwarben. Die einfachste Art der Zubereitung
ist, ihn in frischer Butter zu dünsten und mit ein wenig Zitronensaft
zu beträufeln. Manche Leute behaupten, daß sein Aroma angenehmer
hervortrete, wenn man statt Butter Ochsenmark verwende. Auch in
Ausbackteig gebacken schmeckt er nicht übel, und wohl kaum ein anderer
Pilz findet so viel Verwendung wie er zu Saucen, Ragouts und Frikassees.

Neben dem Champignon wird der +Steinpilz+ (~Boletus edulis~), in
Frankreich ~cèpe~ genannt, sehr geschätzt und kommt getrocknet in
Schnitzen und als Ölkonserve in den Handel. Ihn durch Aussäen von
Sporen auf Stellen im Walde zu übertragen, wo er bisher fehlte, ist
nicht gelungen, wohl aber bei der +Nußkraterelle+ (~Craterellus
nucleatus~), die im Aroma nur der Perigordtrüffel nachsteht. In Japan
wird ein außerordentlich schmackhafter Pilz (~Agaricus shitake~) in
großen Massen gezüchtet, indem seine Kultur für ganze Distrikte des
japanischen Waldes die einzige Art der Forstbenutzung bildet. Nach
dem Laubfall werden jüngere Stämme und armdicke Äste verschiedener
Laubholzarten gefällt, etwa 100 Tage im Walde liegen gelassen und
dann in meterlange Stöcke zersägt, die mit tiefen Einschnitten
versehen werden. Die an den Pilzkulturplätzen stets gegenwärtigen
Sporen des Schitakepilzes nisten sich in diese Wundstellen ein, das
sich entwickelnde Pilzmyzel verwandelt das Holz in eine weißliche,
brüchige Masse und schon im Herbst des ersten Jahres, besonders aber
im zweiten und in den folgenden vier Jahren nach der Infektion brechen
teils aus der Rinde, teils aus der Schnittwunde die Pilze hervor,
die merkwürdigerweise je größer, desto besser und teuerer sind.
Prof. Mayr hat versucht, den Schitakepilz bei uns einzuführen. Dabei
zeigte es sich, daß Buche, Hainbuche und Birke sich am besten zur
Aufzucht desselben eignen, daß jedoch die jungen Kulturen sehr unter
den einheimischen Pilzen, die sich an denselben Stellen ansiedeln,
und unter Schneckenfraß zu leiden haben. Doch sollen die Versuche
fortgesetzt werden. Jedenfalls wäre der Pilz geeignet, im Regenwalde
der tropischen und subtropischen Kolonien am Holze der wertlosen
Baumarten, die doch nur das Wachstum der wertvollen behindern,
gezüchtet zu werden.

Schon die Römer der Kaiserzeit schätzten die Trüffel, die sie ~tuber~
nannten, wie auch die verschiedenen anderen Speisepilze. Am höchsten
stand in ihrer Wertschätzung der in den Wäldern von ganz Italien
heimische und heute noch beim Volke als Speise beliebte +Kaiserling+
(~Agaricus caesareus~), den sie ~boletus~ nannten. Er sieht dem
Fliegenschwamm ähnlich, weshalb verhängnisvolle Verwechslungen
vorkommen können. Plinius schreibt in seiner Naturgeschichte, daß er,
wie auch die +Steinpilze+ (~suillus~), zu seiner Zeit bei den Vornehmen
in Mode kam. Beide wachsen um die Wurzeln von Eichen, und zwar wachsen
die besten an denen der Stieleiche; „die unter Steineichen, Zypressen
und Pinien aber sind schädlich. Man ißt sie auf gut Glück und sie
bilden jedenfalls eine vortreffliche Speise, doch sind sie auch schon
zu entsetzlichen Verbrechen benutzt worden. So ist der Kaiser Tiberius
Claudius durch Gift ums Leben gekommen, das seine (zweite) Gemahlin
Agrippina unter ein Gericht Kaiserschwämme gemischt hatte.“ Der
Geschichtschreiber Suetonius (70-140 n. Chr.), der Geheimschreiber des
Kaisers Hadrian, sagt in seiner Biographie des 52 n. Chr. erst 43 Jahre
alt vergifteten Kaisers Claudius, dieser sei sehr gierig nach diesen
Schwämmen gewesen. Und in der Biographie Neros bemerkt er dazu: „Wenn
auch Kaiser Nero nicht an der Vergiftung seines Stiefvaters Claudius
geradezu schuld gewesen ist, so hat er doch jedenfalls darum gewußt:
Das leugnete er auch gar nicht und nannte die Kaiserlinge (~boletus~)
-- denn in diesen war das Gift dem Claudius beigebracht worden -- eine
Speise für Götter.“ Und derselbe Autor sagt in seiner Biographie des
Tiberius: „Kaiser Tiberius gab dem Asellius Sabinus 200000 Sesterzien
(etwa 30000 Mark) für einen Dialog, worin der Kaiserling, die
Feigendrossel, die gewöhnliche Drossel und die Auster (als die feinsten
Leckerbissen) um den Vorrang stritten.“ Der Satiriker Martial (40-120
n. Chr.) erwähnt in seinen Gedichten öfter den Kaiserling. In einem
Epigramm sagt er: „Ich begreife wahrhaftig nicht, Poeticus, wie du mich
zu Tische laden und dabei so grob sein kannst, mir Mießmuscheln, an
denen ich mir die Lippen zerschneide, Steinpilze (~suillus~), die für
die Schweine gehören, und eine im Käfig krepierte Elster vorzusetzen,
während du deinen Bauch mit gemästeten Austern, Kaiserlingen und zarten
Turteltauben anfüllst.“ In einem andern ruft er aus: „Bist du denn
verrückt, Caecilianus, daß du dich allein hinsetzest und Kaiserlinge
vor aller Welt issest (ohne mich zu solchem Mahle einzuladen)? -- Du
bist ein gefräßiges Leckermaul und ich wünsche dir einen Kaiserling in
den Hals, wie ihn Kaiser Claudius gegessen hat.“ Und in einem seiner
Xenien meint er von einem Schlemmer: „Silber, Gold und kostbare Kleider
entbehrt das Leckermaul leicht, aber Kaiserlinge wahrhaftig nicht.“

Der griechische Arzt Claudios Galenos (131-200 n. Chr.) bezeichnet
in seiner Schrift über die Eigenschaften der Nahrungsmittel die
Kaiserlinge, die auf allerlei Weise gewürzt gegessen werden, als
geschmacklos, aber jedenfalls als die unschädlichste Sorte Pilze:
„Nach ihnen folgen dem Range nach die +Champignons+ (~amanítai~).
Der Sicherheit wegen sollte man andere Pilze gar nicht anrühren,
denn es sind schon viele Leute durch sie vergiftet worden. Ich kenne
sogar jemand, der nach dem reichlichen Genuß nicht gehörig gekochter
Kaiserlinge (~bōlítēs~), die doch für ganz unschädlich gelten, schwere
Zufälle, Ohnmacht und kalten Schweiß bekam, und sich nicht eher
erholte, als bis er die Schwämme ausgespien hatte.“ Plinius empfiehlt
an dritter Stelle die +Steinpilze+ (~Boletus edulis~), von den Römern
~suillus~, d. h. Schweinepilz genannt. „Diese aber“, fährt er fort,
„werden am leichtesten zu Vergiftungsversuchen gebraucht. So sind vor
kurzer Zeit ganze Familien und ganze Tischgesellschaften damit ums
Leben gekommen, so Annaeus Serenus, Oberst bei der Garde Neros, so
Tribunen und Zenturionen. Wie ist es möglich, daß jemand sich nach
einer so gefährlichen Speise kann gelüsten lassen?

Manche haben die Pilze nach den Bäumen, bei denen sie wachsen, als
eßbar oder giftig unterscheiden wollen; aber diese Unterscheidung kann
denen nicht helfen, die von fremden Leuten gesammelte Pilze kaufen.
Alle giftigen Pilze sehen bläulich aus, und sie sind für um so giftiger
zu halten, je ähnlicher der Saft des Baumes, bei dem er gewachsen, dem
des Feigenbaumes (also milchig) ist.

In manchen Fällen können Pilze auch als Heilmittel gebraucht werden. So
hält Glaucias die Kaiserlinge für magenstärkend. Die Steinpilze werden,
mit einer Binse durchstochen, aufgehängt und getrocknet; so kommen sie
von Bithynien aus in den Handel. Sie werden gegessen um rheumatische
Entzündungen des Unterleibs zu heilen, dienen auch äußerlich gegen
Fehler der Haut.

Ich will ferner noch einige allgemeine Bemerkungen über die
Zubereitung der Pilze geben, weil sie der einzige Leckerbissen sind,
den die vornehmen Leute eigenhändig zubereiten, wobei sie im voraus
in Erwartung des bevorstehenden Genusses ganz selig sind, und die
Pilze mit Elektron- (Silber und Gold gemischt) oder Silbermessern
zerschneiden.

Schädlich sind diejenigen Pilze, die beim Kochen härter werden;
solche werden unschädlich, wenn man sie mit Zusatz von Soda tüchtig
durchkocht. Auch dadurch schützt man sich vor Vergiftung durch sie, daß
man sie mit Fleisch oder mit Birnenstielen kocht. Auch Birnen, welche
gleich nach den Pilzen gegessen werden, sind nützlich; ferner ist Essig
ein Mittel, das ihrem Gifte entgegenwirkt.“

Der Arzt Galenos rät gegen Pilzvergiftung Wermut oder Raute mit Essig
zu trinken und fährt fort: „Asklepiades gibt bei Pilzvergiftung rohen
Rettich in Menge zu essen und ungemischten Wein dazu zu trinken.
Ich aber habe in Mysien einen Mann kennen gelernt, der denjenigen,
die an Pilzvergiftung litten, Hühnermist eingab, und ich habe dann
selbst Versuche mit diesem Mittel angestellt, indem ich den Mist
fein zerrieb und in mit Wasser oder Honig gemischten Essig tat.
Die Patienten bekamen alsbald, nachdem sie die Mischung getrunken
hatten, Erbrechen und genasen sodann. Dabei ist zu beachten, daß der
Mist von freigehenden Hühnern weit wirksamer ist als derjenige von
eingesperrten.“

Auch die Trüffeln fanden bei den alten Griechen und Römern ihre
Liebhaber. So sagt Plinius von den Trüffeln (~tuber~), die Martial
in einem Epigramm an Wohlgeschmack nur den Kaiserlingen nachstehen
läßt: „Sie sollen nach heftigen, im Herbst eintretenden Regengüssen
und Gewittern entstehen. Ihre Entstehung und die Tatsache, daß sie
ganz ohne Wurzel wachsen, berechtigen, sie zu den wunderbaren Dingen
zu rechnen. Sie liegen ganz in der Erde ohne mit ihr in irgend einem
Zusammenhang zu stehen und ohne sie emporzutreiben. Sie haben eine
eigentümliche Rinde und finden sich meist in trockenem, sandigen Boden
unter Gebüsch. Sie erreichen die Größe einer Quitte und die Schwere
eines Pfundes. Es gibt zwei Arten derselben: eine sandige, welche den
Zähnen schadet, und eine reine. Übrigens unterscheidet man sie nach
ihrer braunroten oder schwarzen und inwendig weißen Farbe. Am höchsten
werden die afrikanischen geschätzt. Wie sie entstehen, und ob sie
Leben haben, weiß man nicht, wohl aber, daß sie zuletzt verfaulen.
Dem gewesenen Praetor Lartius Licinius, der zu Carthago in Spanien
(dem heutigen Cartagena) die Rechtspflege verwaltete, ist es, wie ich
weiß, vor wenigen Jahren passiert, daß er auf einen Denar, der in eine
Trüffel eingewachsen war, so biß, daß sich seine Vorderzähne schief
bogen, woraus man auf die Art und Weise, wie die Erde sich zu Trüffeln
ballt, schließen kann. Als sicher kann man es jedenfalls ansehen, daß
sie entstehen, aber auch als sicher, daß man sie nicht anpflanzen kann.

Den Trüffeln ähnlich ist das Misy in der Provinz Cyrenaika (dem
heutigen Barka in Tripolis); es zeichnet sich durch lieblichen Geruch
und Geschmack aus, ist aber fleischiger; auch ist ihnen in Thracien
das ~iton~ und in Griechenland das ~geranion~ ähnlich. -- Bei Mytilenä
soll es nun Trüffeln geben, wenn Trüffelsamen durch Überschwemmung von
Tiarä, wo sie sehr häufig sind, herabkommt. In Kleinasien finden sich
die beliebtesten zu Lampsacus und Alopekonnesus, in Griechenland um
Elis.“

Endlich sagt der griechische Arzt Galenos, der einer der gesuchtesten
Ärzte Roms war und zur Zeit des Septimius Severus daselbst starb: „Die
Trüffel (~hýdron~) muß man zu den Wurzeln oder Knollen zählen. Sie
haben an sich wenig Geschmack, werden mit Gewürz gegessen, und sind
unschädlich.“

Wie in Europa, so finden übrigens auch überall anderwärts verschiedene
Pilze als geschätzte Nahrung des Menschen Verwendung, unter denen wir
wegen seiner außergewöhnlichen Größe nur den als ~indian potatoe~
bezeichneten +Riesenpilz+ ~Lycoperdon solidum~ erwähnen wollen, der
überall in den Südstaaten der nordamerikanischen Union auf eben
abgeholztem Waldboden erscheint. Er erreicht ein Gewicht von 8-15 kg
und wurde von den Indianern gern verzehrt. Ebenso lebten einst die in
die Wälder flüchtenden Negersklaven fast gänzlich von ihm.

Wie die Pilze sind auch viele Arten von +Seetang+ eine vom Menschen
gern gegessene, von der Natur gespendete Speise. So werden eine ganze
Anzahl derselben an den verschiedenen Küsten teils roh, teils gekocht
gegessen. Manche derselben enthalten außer knorpligem Schleim auch
ziemliche Mengen von Stärkemehl und Zucker. Ebenso verhält es sich
mit manchen +Flechten+, unter denen die +Mannaflechte+ (~Lecanora
esculenta~) die bekannteste ist. Sie wächst vorzugsweise in den
Steppen von Südrußland bis Zentralasien in großer Menge auf sonst
von Vegetation völlig entblößtem, lehmigem Boden oder nacktem Fels,
locker mit der Unterlage, auf der sie haftet, verbunden, ohne von ihr
Feuchtigkeit, sondern nur einige Nährsalze zu verlangen. Sie wird daher
durch Winde, die ja in diesen Steppen eine außerordentliche Gewalt
annehmen, leicht losgerissen, in Vertiefungen angesammelt, oder durch
heftige Stürme auch wohl in weitere Entfernungen getragen, wo sie dann
das höchst merkwürdige Phänomen des Mannaregens hervorbringt, das in
Kleinasien und Persien zu verschiedenen Malen und auch an anderen Orten
beobachtet wurde. Diese meist in haselnußgroßen Stücken gefundene
Flechte enthält außer Stärkemehl und Inulin über 23 Prozent Gallerte
und wird von den armen Steppenvölkern, vermahlen und zu Brot gebacken,
gern gegessen. Sie wurde fälschlicherweise von Ehrenberg für das Manna
der Bibel erklärt, das wir unter den Zuckerarten kennen lernen werden.

Überall im Norden wird auch die als „isländisches Moos“ bezeichnete
+Renntierflechte+ (~Cetraria islandica~) als ein nach Entfernung des
ihr anhaftenden Bitterstoffes durchaus nicht zu verschmähende Nahrung
nicht nur für die Renntiere, die sich hauptsächlich von ihr ernähren,
sondern auch für den Menschen gegessen und teilweise ebenfalls zu Brot
verbacken. In den zirkumpolaren Gegenden, wo es mit der pflanzlichen
Nahrung sehr übel bestellt ist, nimmt der hungrige Mensch dankbar
solche Nahrung entgegen. Und wenn Eskimos ein Renntier erlegt haben,
ist ihnen der mit dieser Flechte erfüllte Renntiermagen ein sehr
geschätzter Leckerbissen, dessen Inhalt sie sorgfältig sammeln, um ihn
mit Blut vermischt für festliche Anlässe aufzubewahren, bei denen er
dann nur mit Herbeiziehung der allerbesten Freunde als eine Leckerei
ohnegleichen gegessen wird. Doch muß man schon ein genügsames Kind der
Arktis sein, um an einem solchen Kompott ein so großes Wohlgefallen zu
haben.



IX.

Die Ölgewächse.


Hinsichtlich ihres Vermögens der Arbeitsleistung und Wärmebildung im
Körper stehen die Fette hoch über den Eiweißkörpern und Kohlehydraten,
d. h. den Stärkemehl und Zucker enthaltenden Nahrungsstoffen. Beträgt
der Verbrennungswert dieser letzteren, sowohl der Eiweißkörper als der
Kohlehydrate, 4,1 Wärmeeinheiten pro g, so beläuft sich dieser Betrag
beim Fett auf 9,3 Wärmeeinheiten pro g. Bei dieser mehr als doppelten
Nährkraft ist es kein Wunder, daß namentlich der in einem kalten Klima
lebende Mensch, der reichlich durch Ausstrahlung verloren gehende
Wärme zu ersetzen hat, mit Vorliebe fettreiche Speisen verzehrt, die
er, solange er auf der Jägerstufe lebte, in den Fettablagerungen der
von ihm erbeuteten Tiere fand. Noch heute klingt es in den Sagen
aller Nordvölker durch, welch große Bedeutung dem Nierenfett und dem
Knochenmark als vielbegehrtem Leckerbissen der Vorzeit zukam. Als
der Mensch sich zum Viehzüchter erhob, konnte er dieses instinktive
Bedürfnis nach Fett im fetten Fleische und dem Speck, später auch in
der aus der Milch gewonnenen Butter seiner Herdentiere befriedigen.

Erst als er zum Hackbau sich erhob und infolgedessen notgedrungen
an die von ihm bearbeitete Scholle gebunden war, suchte er seinen
Fettbedarf aus dem Pflanzenreiche zu decken. Dieser war ein besonders
großer, da die mehlreichen Samen und Wurzelknollen, wie auch die grünen
von ihm verspeisten Pflanzenteile in der Regel auffallend arm an Fett
sind. Deshalb war er darauf angewiesen, seine Mehlspeisen zu schmälzen;
nur so schmeckten sie ihm. Wie heute noch unsere Landbevölkerung ihre
Schmarren und Knödel in Schmalz oder Butter bäckt und Butter oder
fetten Käse zum Brote genießt, so suchte die Hackbäuerin der Urzeit
unter den Pflanzen ihrer Umgebung instinktiv nach solchen, die Fett
in ihren Samen enthielten. Diese zerquetschte sie und genoß sie als
solche; auf einer höheren Stufe jedoch preßte sie das Fett aus ihnen
aus und benutzte es zum Schmälzen ihrer aus dem Mehl der verschiedenen
Getreidearten bereiteten Fladen und Breie. Um solche Fettspender stets
zur Hand und in größerer Menge zu haben, nahm sie solche in Hegung
und vermehrte dann durch Kulturauslese den Ertrag an dem gewünschten
Rohstoff.

Einer der ältesten Ölspender der Menschheit ist der +Sesam+ (~Sesamum
indicum~), der seit sehr langer Zeit in Südasien, speziell Indien,
im großen kultiviert wird. Seine Heimat ist nach A. de Candolle
das östliche tropische Asien, insbesondere Indonesien, wo er
heute noch, beispielsweise auf Java, wild angetroffen wird. Der
Berliner Botaniker Ascherson dagegen hält unter Berücksichtigung
der pflanzengeographischen Ermittlungen Afrika für die Heimat der
Sesampflanze, da von den 12 Arten der Gattung ~Sesamum~ nicht weniger
als 10 diesem Erdteile angehören. Trotzdem scheint uns letztere
Annahme wenig wahrscheinlich. Jedenfalls läßt sich für uns ihre Kultur
zuerst in Indien nachweisen, wo der Engländer Watt in Behar und im
nordwestlichen Himalaja eine der Sesampflanze sehr nahestehende wilde
Art fand. Schon vor 3500 Jahren drang die Sesamkultur aus Indien in
die Euphratländer, wo nach Herodots Zeugnis alles Öl aus Sesamsamen
gewonnen wurde. Er schreibt darüber: „In Assyrien (und Babylonien) hat
man kein Olivenöl, dagegen gebraucht man dort das Öl, das man vom Sesam
(~sḗsamon~) gewinnt, der dort baumhoch wird.“ Nach Ägypten kam die
Kultur des Sesams erst während der Mitte des letzten vorchristlichen
Jahrtausends, wo ihn Theophrastos (390-286 v. Chr.) zuerst erwähnt.
Früher war er im Niltal vollständig unbekannt und wird weder im Kult,
noch auf den Denkmälern der alten Ägypter erwähnt; auch finden sich
in den Grabbeigaben keinerlei Spuren von ihm. Auch das Alte Testament
kennt ihn durchaus nicht, was doch der Fall sein müßte, wenn ihn die
Juden vor ihrem Auszuge in Ägypten kennen gelernt hätten. Auch nach
China kam er erst zu Beginn der christlichen Zeitrechnung; wenigstens
wird erst in einem Buche des 5. Jahrhunderts seiner Erwähnung getan.
Er heißt dort ~chi-ma~, während er im Sanskrit ~tila~, im Indischen
~gingils~, im Malaiischen ~widjin~ und im semitischen Vorderasien
~simsim~ hieß, woraus dann die Griechen ~sḗsamon~ machten. Die alten
Ägypter scheinen die Pflanze ~ake~ genannt zu haben, während sie
die Samen derselben ~schemschem~ hießen. Letzteres ist also die
ägyptisierte semitische Bezeichnung; demnach müssen es Semiten gewesen
sein, die diese Kulturpflanze in Ägypten einführten. Wie diese uralte
Kulturpflanze in der indischen Kultur eine wichtige Rolle spielt, so
tat sie es auch im frühen Mittelalter bei den Arabern, die sie ~semsem~
nannten. Welche bedeutende Rolle sie bei jenen spielte, bekunden schon
die Märchen aus Tausend und Einer Nacht, wo das Wort Sesam als ~semsem~
einen Zauberspruch zum Öffnen von Türen bildet.

[Illustration: Bild 29.

Der Sesam (~sesamum orientale~).]

Heute bildet der Sesam eine sehr wichtige Nutzpflanze für China,
Japan, ganz Süd- und Vorderasien, Ost- und Westafrika und neuerdings
sogar Amerika; denn er hat sich fast das ganze Gebiet der Tropen
und Halbtropen erobert. Er ist ein einjähriges, aufrechtes Kraut
mit ungeteilten Blättern und einzeln in den Blattachseln stehenden,
rachenförmigen, hellroten Blüten. Ein blühendes Sesamfeld gewährt
einen sehr hübschen Anblick. Die reife Frucht ist eine längliche,
stumpf-vierkantige Kapsel, welche von der Spitze nach der Basis
aufspringt und in jedem Fache eine Anzahl etwa 3 mm langer und 1,5 mm
breiter, zu beiden Seiten abgeplatteter Samen von braunschwarzer,
rötlicher oder gelblicher Farbe trägt. Nach diesen Farbendifferenzen
des Samens, die als Beweis uralter Kulturvarietäten ins ferne Altertum
zurückgehen, unterscheidet man eine dunkle und eine helle Sesamsaat.
Letztere gibt ein besseres, erstere aber ein reichlicheres Öl von
gelber Farbe, fast ohne Geruch und von angenehm süßem Geschmack, das
die vorzügliche Eigenschaft besitzt, nicht leicht ranzig zu werden. Da
die Samen außer größeren Mengen Eiweiß durchschnittlich 56,8 Prozent
Öl besitzen, ist ihr Nährwert ein sehr großer, so daß sie in Form von
Mehl oder als daraus gewonnenes Öl und selbst als Ölkuchen die tägliche
Nahrung für die große Mehrzahl der indischen Bevölkerung bilden.

Der Sesam gedeiht am besten in möglichst gleichmäßig warmem Klima auf
leichtem, lehmig-sandigem Boden. Sein Anbau erfordert keine große Mühe
und bringt in der Regel reiche Erträge. Die ganze Kultur der Pflanze
liegt in den Händen der Eingeborenen, die ihn vorzugsweise als Brotkorn
für ihren eigenen Bedarf bauen und nur aus dem Überschuß des Ertrages
Öl pressen, das sie meist verkaufen. Eine vorzügliche Sorte baut man in
Ägypten und Palästina an, wo aus Sesammehl die berühmte Fastenspeise
~chalba~, eine Art mit Zitronat und Honig versetzter Kuchen, bereitet
wird. Die grob zerstoßenen Samen dienen auch zur Herstellung eines
nahrhaften Breies, der selbst Europäern mundet, und das gewöhnliche
Brot, wie auch alle Kuchen, werden mit den ganzen Samen bestreut, so
wie man bei uns den Mohn- oder Kümmelsamen verwendet. Meist jedoch wird
auch hier das in ihnen enthaltene Öl ausgepreßt und im Haushalt als
Speiseöl und zur Beleuchtung verwendet, während die Preßkuchen Menschen
und Tieren als Nahrung dienen.

Das Sesamöl ist von süßlichem, sehr angenehmem Geschmack, völlig
geruchlos und wird erst nach langer Zeit durch Aufnahme von Sauerstoff
aus der Luft ranzig. Da die Sesamsamen durchschnittlich 56 Prozent
desselben enthalten, ist der Ertrag daran ein sehr reichlicher. Doch
schwankt bei ihnen wie bei allen hier zur Besprechung gelangenden
andern Fettlieferanten der Fettgehalt je nach Klima und Kulturmethode;
auch ist die Ausbeute an Öl je nach der Gewinnungsmethode verschieden.
Stets werden die Samen zuerst in Stampfen oder neuerdings zwischen
Walzen zerquetscht und unter Zusatz von Wasser auf Filtergängen
gemahlen, um die Zellen, die das Öl enthalten, zu zerreißen. Aus den
tropischen oder subtropischen Produktionsländern gelangt der als
Überschuß der Ernte verkaufte Sesam meist als Samen nach Europa,
und zwar hauptsächlich nach Marseille, wo erst das Öl in großen
Pressen gewonnen wird, um dann bei der Kunstbutterbereitung, bei
der Seifenfabrikation und zum Verschneiden des Olivenöls Verwendung
zu finden. Die Rückstände, welche außer Fett noch 36 Prozent Eiweiß
enthalten, liefern ein sehr wertvolles Viehfutter. Ostindien führt
jährlich gegen 200 Millionen kg Sesamsamen und 13,5 Millionen kg
Sesamöl aus; Ost- und Westafrika exportiert etwa halb soviel.
Deutschlands Sesameinfuhr beträgt jährlich etwa 615 Millionen kg im
Werte von 15 Millionen Mark.

In Indien, wie in ganz Südasien und Ozeanien stehen seit alter Zeit die
67 Prozent Fett enthaltenden +Kokosnüsse+ als beliebtes Speisefett
im Gebrauch. Das ölreiche, weiße Nährgewebe derselben ist für die
Eingeborenen ein wichtiges Nahrungsmittel, das feingerieben den
verschiedensten Mehlspeisen zugesetzt wird. Außerdem stellt es einen
wichtigen Handelsartikel dar, das sich seit der Mitte des vorigen
Jahrhunderts den europäischen Weltmarkt erobert hat. Hierzu wird es an
der Sonne getrocknet und heißt dann +Kopra+. Als solches kommt es nach
Europa, wo es in großen Kesseln erwärmt wird; das dabei ausgeschmolzene
Fett sammelt sich oben an und wird abgeschöpft. Es ist schön weiß
und schmeckt milde, hat aber einen unangenehmen Geruch, wird auch
leicht ranzig. Die moderne Technik hat es aber zustande gebracht, das
Kokosnußfett von seinen unangenehm riechenden Bestandteilen zu befreien
und ein Fett in den Handel zu bringen, das als sehr geschätzter,
billiger und sehr haltbarer Ersatz für tierische Fette unter dem Namen
+Kunerol+, +Palmin+ usw. sich mit Recht einer zunehmenden Verwendung
als Speisefett an Stelle oder gemischt mit Milchbutter erfreut. Der
weitaus größte Teil des Kokosnußfetts wird aber zur Herstellung
von Kerzen und Seifen verbraucht. Weil Kokosseife die einzige ist,
die auch im salzigen Meerwasser schäumt, ist sie besonders bei den
Seeleuten sehr beliebt. Die Gesamteinfuhr Deutschlands an Kopra beträgt
gegenwärtig etwa 18 Millionen Mark, wovon es jetzt schon über ein
Drittel aus seinen Kolonien decken kann. Weitaus am meisten liefert
Samoa im Werte von gegen 3 Millionen Mark. Aus 7000 Früchten erhält
man 1000 kg Kopra. Das Zerschneiden und Trocknen der Kokoskerne wurde
zuerst von den Franzosen in Ostafrika praktiziert und dann von einer
Hamburger Firma auch auf den Südseeinseln eingeführt.

Für den europäischen Markt war früher und ist heute noch das +Olivenöl+
das wichtigste Speise- und Brennfett. Aus den am besten mit der Hand
abgenommenen Oliven, die 56-70 Prozent Fett enthalten, wird bei
schwacher Pressung in der Kälte das gelbliche, süße, feine Speiseöl
gewonnen, während man bei stärkerem Druck und warmer Pressung das
gewöhnliche Öl gewinnt, das vielfach als Lampenöl Verwendung findet,
besonders aber bei der Seifenfabrikation benutzt wird. Dem guten
Olivenöl der Provence verdankt die Marseiller Seife ihren guten
Ruf, von der nach beiläufiger Schätzung jährlich 600000 Zentner
gewonnen werden. Die Preßrückstände werden schließlich noch mit
Wasser ausgekocht, wodurch allerdings nur geringwertige Ölsorten
gewonnen werden, die höchstens als Maschinenöl dienen können. Sie
sind trübe und werden in Knochenkohlefiltern geklärt. Aber selbst
aus ihren Rückständen läßt sich durch langsame Zersetzung in halb mit
Wasser gefüllten Zisternen, wobei sich alles noch vorhandene Öl auf
der Oberfläche der fürchterlich riechenden Flüssigkeit sammelt und
abgeschöpft wird, ein noch für Fabriken verwendbares Öl gewinnen.
Solches Öl ist auch das Tournantöl, das in der Türkischrotfärberei eine
große Rolle spielt.

Noch wichtiger als die bisher genannten Öle ist das +Palmöl+, das
aus dem Fruchtfleisch der Ölpalme (~Elaeis guineensis~) gewonnen
wird. Es kann geradezu als das wichtigste aller Fettstoffe aus dem
Pflanzenreiche gelten, von dem Deutschland jährlich für gegen 40
Millionen Mark einführt. Es dient hauptsächlich zur Seifen- und
Kerzenfabrikation, wird aber auch zur Herstellung von Kunstbutter
verwendet. Die Preßrückstände bilden ein beliebtes Viehfutter, aber
auch ein Verfälschungsmittel für Gewürze, namentlich für Pfeffer.

Die Heimat der Ölpalme ist, wie wir sahen, das tropische Westafrika,
wo sie manchenorts weit sich erstreckende Wälder bildet. Eigentlich
angebaut wird sie selten; in der Regel beschränken sich die
Eingeborenen darauf, vor Beginn der Regenzeit die überflüssigen Wedel
mit dem Buschmesser zu entfernen und die ganze Krone durch Ausbrennen
von Ungeziefer zu reinigen. Sie haben dann nur zu ernten, aus den
Palmnüssen das Fruchtfleisch auszubrechen, dasselbe durch Kochen in
Wasser oder Liegenlassen in der Sonne zu erweichen und in Mörsern zu
zerstampfen, wobei das Öl heraustritt. Dasselbe ist orangegelb, hat
einen angenehmen Geschmack, riecht leicht nach Veilchenwurzel und hat
bei Zimmertemperatur Butterkonsistenz. Den Negern dient es allgemein
als Speisefett; doch wird es mit der Zeit weiß und ranzig. Den
Überschuß ihres Öles und die Palmkerne verkaufen sie an die Europäer,
die aus den letzteren in Europa vermittelst eigens dazu konstruierter
Maschinen das Palmkernöl gewinnen, das noch wertvoller als das Palmöl
aus dem Fruchtfleische der Palmnüsse ist.

In Westafrika ist auch die +Schibutter+ beliebt, die aus den Samen des
im Sudan heimischen Schibaums (~Butyrospermum parkii~) gewonnen wird.
Hier findet sich der etwa 9 m hohe, zu den Sapotazeen gehörende Baum
von der Tracht eines Apfelbaums vorzugsweise an trockenen und steinigen
Orten von Senegambien bis zu den Ufern des Nils, meist im lichten
Buschwald. Der Stamm ist rauh, reich verästelt und hat eine breite,
aber nicht dichte Krone. Die langgestielten, ovalen, etwas lederigen,
in der Jugend mit rostfarbenem Filz bedeckten Blätter sind büschelartig
an den Enden der dicken Zweige zusammengedrängt. Die Blüten sind
kurzgestielt und haben ebenfalls einen rostfarbenen Filzbelag. Die
Früchte sind eirunde, einsamige, grüne Beeren, deren äußere Schicht von
einem weichen, wohlschmeckenden, gelben Fleische gebildet wird, das die
Eingeborenen gerne essen. Darunter liegt +ein+ glänzendbrauner Samen
von Taubeneigröße ohne Nährgewebe, aber mit ölreichen, fleischigen
Kotyledonen (Samenlappen), die die Schibutter liefern. Diese ist ein
hellgrünliches Fett von angenehmem Geruch und Geschmack, das nicht
leicht ranzig wird und von den Eingeborenen zum Backen und Kochen, zum
Einreiben des Körpers, zum Brennen in den Lampen usw. gebraucht wird.
In der europäischen Industrie dient sie zur Herstellung von Kerzen und
Seife. Hierzu ist sie so geeignet als das Palmöl, vor dem sie noch den
Vorzug hat, daß sie nicht gebleicht zu werden braucht.

In den deutschen Kolonien Togo und Kamerun kommt der Schibaum überall
in den Steppen wild vor. Die Neger bauen ihn kaum an, weil die wilden
Bestände ihrem Bedarf vollständig genügen. Weil der Baum vorzugsweise
im Innern vorkommt und der Transport an die Küste durch Träger viel
zu teuer ist, lohnt sich der Absatz an die europäischen Faktoreien in
den meisten Fällen schlecht. Mit den besseren Transportmitteln und der
stärkeren Nachfrage würde sich auch das Angebot an Schinüssen steigern.
Auch würde der Anbau des Baumes den Eingeborenen keine Schwierigkeit
machen, zumal er mit dem schlechtesten Boden vorlieb nimmt und sehr
geringer Feuchtigkeit bedarf. Aus Togo werden etwa für 30000 Mark
Schifrüchte jährlich ausgeführt. Obwohl die Schibutter den Vorzug hat,
sich auch bei der Berührung mit Luft lange zu halten, ohne ranzig
zu werden, so eignet sie sich weniger für den Handel als die reifen
Früchte. Aus diesen gewinnen die Eingeborenen das Fett, indem sie die
Samen nach Entfernung der Schale in Wasser kochen und dann zerstampfen.
Das sich an der Oberfläche sammelnde Öl wird abgeschöpft und erkalten
gelassen.

Ähnlich wie die Früchte des Schibutterbaumes werden diejenigen eines
im westafrikanischen Urwald wachsenden, ansehnlichen, 30-40 m hohen,
von den Duallas in Kamerun +~nyabi~+ genannten Baumes, den wir auf
beifolgender Tafel gefällt vorführen, verwendet. Derselbe besitzt
eine dicke Borke ähnlich der Eiche, darunter eine Milchsaft führende
Schicht, und ein außerordentlich hartes, rötliches Holz ähnlich dem
Mahagoni, nur noch feinporiger, das gerne als Werkholz benutzt wird,
obschon der bei der Bearbeitung desselben entwickelte Holzstaub die
Schleimhäute stark reizt. Die apfelgroßen, grünen Beerenfrüchte
enthalten drei kastanienartige, nur länglichere Samenkerne, die
bei der Reife in einem schleimigbreiigen Fruchtfleische liegen. Bei
der während der Regenzeit erfolgenden Reife sammeln die Neger die
abgefallenen Früchte, kochen sie in Wasser weich, drücken sie nach dem
Erkalten mit den Händen aus und sieden das so entstandene Mus dann
nochmals, wonach sie das weiße, gänseschmalzartige Fett abschöpfen.
Trotz seinem etwas eigentümlichen Beigeschmack wird es von den
Eingeborenen so gerne wie Palmöl als Speise zu ihrer sonst fettarmen
Pflanzenkost gegessen.

Als weiteren Fettspender besitzt das tropische Westafrika den
+Butterfruchtbaum+ (~Pentadesma butyraceum~). Es ist dies ein hoher
Baum mit gegenständigen, großen, länglicheirunden Blättern, großen,
roten, einzelstehenden Blüten, aus denen fleischige Früchte von der
Größe kleiner Melonen hervorgehen. In ihnen liegen 4 cm lange und 3 cm
dicke rote Samen, aus deren fleischigen Kotyledonen die Eingeborenen
ein gelbes Fett gewinnen, das sie als Zusatz zu ihrem ~fufu~ genannten
Brei aus stärkemehlhaltigen Knollen sehr lieben.

Fernerhin wachsen dort einige baumartige Sapotazeen mit gestielten,
lederartigen Blättern und eirunden Früchten, die als +Illipenüsse+
von den Negern gesammelt werden, um aus den ölreichen, fleischigen
Kotyledonen ein ebenfalls geschätztes Speisefett zu gewinnen. Ebenso
finden sich dort baumartige Euphorbiazeen mit großen, langgestielten
Blättern und Steinfrüchten, die als +Osangilenüsse+ aus dem
Kamerungebiet in den Handel kommen. Aus diesen, die von den Deutschen
als Kerzennüsse bezeichnet werden, gewinnt man gleichfalls durch Kochen
der Samen mit fleischigen, ölreichen Samenlappen ein als Speisefett
geschätztes Öl.

In den Küstenregionen des tropischen Westafrika, aber auch im Innern,
wächst stellenweise in größeren Mengen der zu den Leguminosen
gehörende +Owalabaum+ (~Pentaclethra macrophylla~) mit gelblichweißen
Blüten und 60-80 cm langen und 10 cm breiten Hülsen, deren verholzte
Klappen sich bei der Reife oft plötzlich und mit großer Gewalt
zurückrollen, so daß die 8-10 Samen mitunter weit fortgeschleudert
werden. Letztere sind 8 cm lang, 5 cm breit und 1 cm dick. Sie
haben eine glänzende holzige Samenschale, die sie befähigt, wenn
sie von den an der Küste befindlichen Bäumen aus ins Meer fallen,
unbeschadet der Keimkraft weite Reisen mit den Meeresströmungen zu
machen. So hat man an der norwegischen Küste wiederholt solche und
andere Hülsen tropischer Leguminosen angeschwemmt gefunden, die noch
vollkommen entwicklungsfähig waren. Die dicken Kotyledonen sind sehr
ölreich, enthalten außerdem über 30 Prozent Stickstoff, sind also
stickstoffreicher als unsere Hülsenfrüchte. Das daraus gepreßte Öl
eignet sich sehr gut für die Kerzen- und Seifenindustrie, und die
Preßrückstände liefern ein vorzügliches Viehfutter. Die Eingeborenen
benutzen sie als geschätztes Nahrungsmittel, das sie teils roh, teils
gekocht, teils zu einem sehr nahrhaften Brot gebacken genießen.

Nicht minder beliebt ist das Dika-Brot, das besonders die Gabunneger
gerne essen. Es wird durch Einwirkung eines milden Feuers aus den
ebenfalls sehr ölreichen Samen des +Dikabaumes+ (~Irvingia gabunensis~)
hergestellt. Es ist dies ein bis 30 m hoher, breit ausladender Baum des
tropischen Westafrika mit langen Zweigen, welche erst nach den Enden zu
reichlicher verästelt sind und große lederartige Blätter tragen. Die
Frucht ist eine grüne, eirunde, ziemlich große Steinfrucht mit saftigem
Fruchtfleisch, in welchem die sehr eiweiß- und ölreichen Samen stecken.

Große ölreiche Samen haben auch die bis 30 m hohen +Karapabäume+
(~Carapa guianensis~), die die Küsten des tropischen Westafrika,
aber auch Guianas und der Karaiben bewohnen. Ihre Frucht ist eine
10 cm dicke, fünffächerige, kugelige, holzige, in jedem Fache 6-8
kantige, kastaniengroße, braune Samen enthaltende Kapsel, welche sich
mit fünf Klappen öffnet. Die rundlichen Samen enthalten eine braune,
holzige Schale, welche sie befähigt, durch die Meeresströmungen
getrieben, unbeschadet der Keimkraft, weite Seereisen zu machen.
In ihren fleischigen Kotyledonen enthalten sie zu 60 Prozent ein
für die Industrie sehr wertvolles Öl, das Karapaöl, dessen große
Bitterkeit indessen eine Verwendung desselben bei der Bereitung von
Speisen ausschließt; doch ist es für die Seifenfabrikation sehr gut
geeignet. Gleichfalls in Guiana, wie auf den Antillen und an der
westafrikanischen Küste wächst ~Carapa procera~, das ein ähnliches
bitteres Öl liefert, das von den Negern hauptsächlich zu dem Zwecke
gewonnen wird, um ihre Körper zum Schutze gegen Insekten damit
einzuschmieren. ~Carapa moluccensis~ in Südasien dagegen liefert
ein Öl, das in der Seifenfabrikation verwendet wird. In Indien und
Ceylon betrachten die Eingeborenen dieses Öl als ein gutes Mittel
gegen Rheumatismus. Wie das westafrikanische Karapaöl dient dasjenige
der Samen eines eben dort heimischen rankenden Strauches ~Omphalea
diandra~, die bis zu 65 Prozent eines bernsteinfarbenen Öles enthalten,
den Negern zu mannigfacher Verwendung.

Ein anderer Fettspender, der im tropischen Afrika weit verbreitet ist
und namentlich im Gebiet des oberen Niger und in Sierra Leone seit
längerer Zeit, in Togo dagegen erst neuerdings von den Eingeborenen
gepflanzt wird, ist ~Polygala butyracea~, ein Strauch von mehr
als 1 m Höhe mit rutenförmigen, behaarten Stengeln und langen,
schmalen, kurzbehaarten Blättern. Endständig entwickeln sich aus den
Blütentrauben Kapselfrüchte mit länglichen Samen, die 18 Prozent eines
bräunlichgelben, butterartigen Fettes enthalten, das einen angenehmen,
nußartigen Geschmack besitzt und die Speisen, denen es zugesetzt wird,
trefflich würzt.

Ostafrika besitzt einen Ölspender im +Fettbaum+ (~Allanblackia
stuhlmanni~), einem von den Eingeborenen ~mkani~ genannten, über 20 m
hohen Baum mit lederartigen, glänzenden Blättern und 30 cm langen
goldgelben Früchten, von denen eine einzige 0,5 kg Fett liefert. Da
dasselbe sich für die Kerzen- und Seifenfabrikation wohl eignet, dürfte
dieser Baum einige Bedeutung erlangen, sobald bessere Verbindungen mit
dem Innern hergestellt sein werden.

Wichtiger noch ist für das tropische Ostafrika eine riesige
Schlingpflanze, die sich an den Bäumen des Urwaldes emporrankt. Es ist
dies der +Kouëme+ oder +Talerkürbis+ (~Telfairia pedata~). Er bringt
30-50 cm lange und 15-20 cm breite, gelbe, gurkenartige Früchte hervor,
die unter einer faserigen Hülle eine erhebliche Zahl von in Längsreihen
angeordneten, dunkelbraunen, fast talergroßen, runden, auf beiden
Seiten abgeplatteten Samen bergen. Ihr Geschmack ist ein angenehmer,
mandelartiger; deshalb bilden sie in ähnlicher Weise wie bei uns die
Mandeln eine beliebte Speise, die roh, geröstet oder gekocht von den
Negern gegessen wird. Aber sie enthalten nicht bloß 59 Prozent eines
schmackhaften, leicht verdaulichen Fettes, sondern auch viel Eiweiß,
bilden also ein wertvolles Nahrungsmittel, das einst in größeren
Mengen ausgeführt werden wird, sobald die Eingeborenen sie häufiger
pflanzen und die Samen regelmäßig auf den Markt bringen werden. Zur
Zeit scheitert ihre Einführung in die europäische Industrie daran, daß
es noch keine Maschine zum Schälen der Samen gibt; und wiederum können
Schälmaschinen erst dann gebaut werden, wenn eine größere, dauernde
Anfuhr nach Europa gesichert ist. Übrigens existiert auch in Togo eine
verwandte Kürbisart mit ähnlichen Früchten.

Südasien besitzt einen trefflichen Fettspender in der der Mangostane
verwandten ~Garcinia indica~, einem Baum mit hängenden Zweigen,
dunkelgrünen Blättern, apfelgroßen Früchten mit purpurrotem
Fruchtfleisch und nieren- oder halbmondförmigen Samen, aus denen man
die +Kokumbutter+ gewinnt, ein talgartiges, weißes, brüchiges Fett
von schwachem, nicht unangenehmem Geruch, das bei 35° C. schmilzt,
bei 24° C. erstarrt und zur Verfälschung der Schibutter, in England
auch zur Bereitung von Pomade dient. Ferner im +indischen Butterbaum+
(~Illipe butyracea~), einem etwa 16 m hohen Baum mit behaarten,
verkehrt eiförmigen Blättern, hängenden, blaßgelben Blüten und
länglichen Beerenfrüchten. Er ist im Himalaja heimisch und wächst in
Ostindien auf Anhöhen. Seine Samen liefern die +Fulwabutter+, ein
talgartiges, angenehm riechendes und schmeckendes, weißes Fett, das
zur Herstellung von Seife, als Brennmaterial und auch zu medizinischen
Zwecken verwendet wird. Vor allem aber wird es von den Eingeborenen
als Speisefett geschätzt, das sich selbst im heißen Klima Indiens
monatelang unverändert erhält. Deshalb wird es im Lande selbst völlig
verbraucht, so daß es nicht im Handel erscheint. Auch die Preßkuchen
dienen dem Menschen als Nahrung. Der Saft der Blüten wird auf Zucker
verarbeitet.

Auch die Samen von ~Illipe malabrorum~, dem +Gallertbaum+ auf Malabar
und Ceylon, liefern ein grünlichgelbes Speiseöl, das nicht leicht
ranzig wird. Seine weißen, fleischigen Blüten und die gelblichen,
dichtbehaarten, kugeligen Früchte werden gegessen. Der +Mahdukabaum+
(~Illipe latifolia~) liefert in seinen Samen ein als +Mahwabutter+
bezeichnetes Fett, das als Brenn- und Speiseöl, zur Herstellung von
Seife usw. verwendet wird. Die Preßkuchen dienen zur Betäubung der
Fische. Dieser Fettspender ist ein mäßig hoher Baum mit gelben,
wohlriechenden Blüten und mit 5 cm langen, eiförmigen, braunen
Früchten, der im gebirgigen Ostindien, besonders in Bengalen, wächst.
Seine Blüten verwelken nicht nach der Befruchtung, werden vielmehr
fleischig und speichern reichlich Zucker in den Blumenblättern auf,
um erst nach dem Fruchtansatz abzufallen. Sie schmecken wie Rosinen,
werden getrocknet und bilden eine wichtige Nahrung der Eingeborenen.
Ein Baum liefert bis 150 kg der süßen Blüten. Sie sind um so mehr
geschätzt, als sie mit großer Regelmäßigkeit auftreten und deshalb
bei Mißernten eine wichtige Ersatzspeise bilden. Man verarbeitet sie
auch auf Branntwein, der in Gudscherat und in Bengalen in großer Menge
verbraucht wird, frisch den Europäern aber verderblich sein soll.

Den hier aufgezählten südasiatischen Fetten ähnlich ist in Südamerika
das gelbliche, frisch nach Muskatnußbutter riechende, aber bald
ranzig werdende +Virolafett+, das in der Kulturwelt zur Kerzen- und
Seifenfabrikation dient. Unendlich viel wichtiger als Fettspender
ist aber nicht nur für diesen Erdteil, sondern überhaupt die zur
Familie der Leguminosen gehörende +Erdnuß+ (~Arachis hypogaea~),
deren Heimat Südamerika, und zwar speziell Brasilien ist, von wo sie
sich noch vor dem Eintreffen der Weißen über das ganze tropische
Amerika verbreitete, nach der Entdeckung des Erdteils durch Kolumbus
bereits im 16. Jahrhundert nach Westafrika gelangte und sich bald
über den Tropengürtel der Erde ausdehnte. Der Spanier Oviedo, der
sich von 1513-1524 auf der Insel Kuba aufhielt, nennt sie zuerst in
seiner Chronik von Indien (also Amerika) vom Jahre 1547. Er sagt von
der Erdnuß, daß sie in den Gärten der Indianer gemein sei und von
ihnen ~mani~ genannt werde, ein Name, den sie übrigens auch jetzt
noch dort führt. Ausführlicher beschreibt sie der spanische Arzt
Nikolaus Monardes (1493-1578) in seinem erst nach seinem Tode 1579 in
Antwerpen gedruckten Werke über Indien. Er sagt darin, daß in Peru
eine merkwürdige Frucht ohne Wurzel und Stengel in der Erde wachse
gleich der Trüffel. Sie besitze mehrere Kerne, die, wenn die Früchte
trocken seien, in ihnen klappern wie die Mandel in ihrem Gehäuse. Die
Erdnuß bildet ein einjähriges, niedriges, sich am Boden ausbreitendes
Kraut, das mit magerem, selbst sandigem Boden zufrieden ist, der aber
durchaus einen bestimmten, wenn auch nicht sehr bedeutenden Kalkgehalt
besitzen muß. Bei völligem Mangel an Kalk bringt nämlich die Erdnuß,
wie eingehende Versuche unwiderlegbar bewiesen, ihre Früchte nicht zu
voller und ausgiebiger Entwicklung.

Von dieser Nutzpflanze, die eine uralte Kulturform der in Brasilien
nicht seltenen ~Arachis prostrata~ zu bilden scheint, unterscheidet
man zwei Formen, welche aber nicht selten ineinander übergehen,
nämlich eine niederliegende und weniger behaarte, die vorzugsweise
in Afrika kultiviert wird, und eine aufrechte, etwas mehr behaarte,
die vornehmlich in Asien gepflanzt wird. Nach diesen ihren
Hauptkulturgebieten bezeichnet man sie auch als ~Arachis africana~ und
~A. asiatica~.

[Illustration: Bild 30. Die Erdnuß (~Arachis hypogaea~).]

Dieses in den größten Kulturformen bis 50 cm hoch werdende Kraut von
ausgebreitetem Wuchs mit behaarten Stengeln und Blättern trägt eine
Pfahlwurzel, welche an ihrem unteren Teile zahlreiche Nebenwurzeln
entwickelt. Diese sind meist mit Bakteroidenknöllchen gespickt,
jenen kleinen symbiontischen Laboratorien, in denen mit Hilfe der
von der Pflanze herbeigelockten und in der Wurzel angesiedelten
Stickstoffbakterien der sonst dem Gewächs unzugängliche Stickstoff
der Luft zu salpeter- und salpetrigsauren Salzen gebunden wird. Auf
diese Weise kann sich die Pflanze, wie die übrigen Leguminosen, die
alle diese Lebensgemeinschaft mit bestimmten, mit dieser Fähigkeit der
Stickstoffbindung ausgestatteten winzigen Bodenbakterien eingegangen
sind, selbst in dem an gebundenem Stickstoff ärmsten Boden ansiedeln
und darin vortrefflich gedeihen. Die Blätter sind abwechselnd gestellt
und tragen nur zwei Paare länglicheiförmiger Fiederblättchen. Aus den
Blattachseln entspringen kurze Ähren von 2-3 ziemlich großen, gelben
Schmetterlingsblüten. Nach deren Verblühen infolge eingetretener
Befruchtung streckt sich die bis dahin kaum entwickelte Blütenachse
allmählich zu einem 5-20 cm langen, an seinem Ende den Fruchtknoten
tragenden Stiel, wird, während er, so lange er die Blüte trug, positiv
heliotropisch war, d. h. dem Sonnenlichte zustrebte, damit die die
Befruchtung vollziehenden Insekten die Blüten leicht finden konnten,
auf einmal negativ heliotropisch, d. h. flieht das Licht und bohrt
sich mehr und mehr in die Erde ein, wo die Samen vor den Angriffen
lüsterner Tiere geschützt heranreifen. Die Frucht ist eine mit einem
Netz von stärkeren Längs- und schwächeren Querrippen bedeckte, ziemlich
dickwandige Hülse, die 1-4, meist jedoch 2 bohnengroße, ölige, süße
Samen mit dünner, spröder, weißlicher, rötlicher oder bräunlicher
Schale umschließt. In ihnen fehlt zwar das Nährgewebe, doch ist
der Nährstoffvorrat der jungen Pflanze in den dicken, fleischigen
Kotyledonen aufgespeichert. Ihr großer Gehalt an Fett, Eiweißstoffen,
Stärkemehl und Zucker (zusammen 80-85 Prozent des Gewichtes) verleiht
den Samen einen sehr großen Nährwert, weshalb sie überall in den
Tropen als Nahrungsmittel von den Eingeborenen sehr geschätzt werden.
Sie werden von ihnen geröstet, gekocht oder gemahlen und gebacken
gegessen.

Diese von allen Menschenstämmen heißer Landstriche fleißig kultivierte
Nutzpflanze gedeiht als echte Tropenpflanze innerhalb des Tropengürtels
weitaus am ergiebigsten, kann aber auch noch in den Subtropen gebaut
werden. Sie gedeiht auch ohne große Feuchtigkeit auf sandigem Boden.
Das Pflanzen findet kurz vor oder bei Beginn der Regenzeit statt und
ist sehr einfach. Man macht nämlich in bestimmten Abständen kleine
Löcher in den Boden und legt in jedes zwei Samen. Nach 10-12 Tagen
erscheinen dann die jungen Keimlinge, die bald zu buschigen Pflanzen
aufwachsen. Der Raum zwischen den jungen Erdnußpflänzchen muß in der
Folge durch Jäten von Unkraut freigehalten werden. Bei der Ernte, die
in der Regel am Ende der auf die Regenzeit folgenden Trockenperiode
stattfindet, wenn sämtliche Blätter abgestorben sind, wird der Boden
leicht mit der Hacke oder einem anderen Gerät gelockert und die
mehr oder weniger vertrockneten Reste mit den anhängenden Früchten
vorsichtig ausgehoben. Diese bleiben nun zum Trocknen 14 Tage am
Boden liegen; dann erst werden sie abgepflückt und verwendet oder in
entsprechender Verpackung nach Europa gesendet.

In neuerer Zeit werden die Erdnüsse, welche 38-55 Prozent eines dem
Olivenöl ähnlichen und demselben fast gleichwertigen fetten Öles
enthalten, zur Darstellung des Erdnußöles in großen Mengen auch nach
Europa gebracht, und zwar meist nach Marseille, wenig nach Deutschland.
Dort wird das Öl fabrikmäßig aus ihnen gewonnen. In erster Linie dient
es zur Seifebereitung; daneben findet ein großer Teil als Speiseöl
und bei der Schokoladefabrikation Verwendung, meist mit Olivenöl
vermischt, dessen etwas herber Geschmack durch das milde Erdnußöl
gemildert wird. Dieses gemischte Speiseöl kommt unter dem Namen
Oliven- oder +Tafelöl+ in den Handel. In der Regel werden die Erdnüsse
dreimal ausgepreßt. Die erste Pressung liefert das feinste Tafelöl,
die zweite Öl zur Seifenbereitung, die dritte Schmieröl. Die eiweiß-
und stärkemehlreichen Rückstände werden zu sogenannten Erdnußkuchen
geformt und in gleicher Weise wie die Kokosnuß-, Sesamkuchen usw. als
außerordentlich nahrhaftes Viehfutter in der Landwirtschaft verwendet.
Auch das Erdnußstroh wird vom Vieh sehr gern gefressen. Für die
Menschen aber sind in den Hülsen geröstete Erdnüsse ein beliebter
Leckerbissen, nach welchem besonders die Kinder sehr lüstern sind. Wie
in Nordamerika, wo sie ~peanuts~ heißen, werden sie auch bei uns in
zunehmendem Maße verzehrt. Außerdem finden sie, gemahlen und mit Zucker
und Gewürzen versetzt, zur Herstellung von Biskuits und Suppen von sehr
hohem Nährwert, die in ihrem Geschmack lebhaft an Bohnensuppe erinnern,
vielfache Verwendung. Auch würden sie sich sehr zur Vermischung mit
Schokolade eignen.

Seinen Bedarf an Erdnüssen deckt der europäische Großhandel zum weitaus
größten Teil aus Westafrika, wo sie an der Küste vom Senegal bis
zum Kunene überall in ziemlicher Menge angepflanzt werden. Und zwar
liegt die gesamte Erdnußkultur bemerkenswerterweise in den Händen der
Eingeborenen, ist also ein Erzeugnis freiwilliger und selbständiger
Negerarbeit. Diese Leute sind also doch nicht ganz so faul, wie sie
in der Regel von den Europäern gescholten werden. Schon im Jahre
1902 betrug die westafrikanische Ausfuhr an Erdnüssen 160 Millionen
kg im Werte von 21,5 Millionen Mark. Daran beteiligt sich in erster
Linie Senegambien, wo die französische Kolonialregierung diesem
Erzeugnisse verstärkte Aufmerksamkeit zuwendet. In diesem Lande,
das nach Dr. Westermann schon im Jahre 1837 670000 kg ausführte,
betrug die Erdnußausfuhr im Jahre 1897 76 Millionen kg im Werte von
etwa 15 Millionen Mark. Sierra Leone verschifft jährlich 30000 kg,
Oberguinea etwa 10 Millionen kg (1840: 1200 kg). In Togo, Kamerun und
Deutsch-Ostafrika, wo der Anbau der Erdnuß seit langem bekannt ist und
ebenfalls ausschließlich von den Eingeborenen geübt wird, beträgt die
Ausfuhr zusammen jetzt schon etwa 3 Millionen kg im Werte von etwa
400000 Mark. Sie wird aber mit den Jahren bedeutend steigen, da die
Kultur dieser Nutzpflanze wegen der geringen Anbauschwierigkeiten und
der großen Ergiebigkeit auch hier einen gewaltigen Aufschwung zu nehmen
beginnt.

Eine weitere ölreiche Hülsenfrucht, die ihre Samen ebenfalls erst in
der Erde reifen läßt, ist die +Erderbse+ (~Voandzia subterranea~). Es
ist dies ein im tropischen Afrika in umfangreichem Maße angebautes
einjähriges Kraut, das außer einer Pfahlwurzel weithin auf dem Boden
kriechende Verzweigungen des Stengels entwickelt. Es trägt kleeartige
dreiteilige Blätter und kurzgestielte einzelne Blüten, die nach der
Befruchtung sich dem Boden zuwenden und sich durch eine drehende
Bewegung der Blütenachse, unterstützt von rückwärts gerichteten
steifen Borsten, in denselben hineinbohren. Die in der Erde reifenden
Früchte sind kurze Hülsen mit in der Regel nur +einem+ Samen, der
länglich-kugelig, dunkelbraun oder gelblich, größer als eine Erbse ist
und reichlich Öl enthält. Besonders in Ostafrika, wo die Heimat der
Pflanze zu suchen ist, werden die Früchte gerne gegessen, kommen aber
nicht in nennenswerten Mengen zum Export.

[Illustration: Bild 31. Die Erderbse (~Voandzia subterranea~). ~a~
ganze Pflanze, ~b~ einzelne Frucht.]

Afrika ist auch das Ursprungsland der +Rizinusstaude+ (~Ricinus
communis~), die an mehreren Orten, wie im Ambolande, am Kilimandjaro,
in Abessinien und Kordofan wildwachsend angetroffen wird und
stellenweise größere Bestände bildet. Diese wegen ihrer schönen
Erscheinung bei uns öfter in Gärten als Zierpflanze gezogene große,
einjährige Staude wird in Europa nur 2-2,5 m hoch, während sie in
ihrer Heimat bis 12 m Höhe erreicht. Ihre großen, handförmig gelappten
Blätter dienen in Bengalen als Futter des großen Eria-Seidenspinners
(~Saturnia cynthia~), der dort zur Gewinnung einer allerdings gelben
Seide gezogen wird. Die 16 Varietäten, die es von ihr gibt, weisen auf
eine uralte Kultur im Schwarzen Erdteil hin; und tatsächlich haben
schon die ältesten Ägypter sie angepflanzt. Sie hieß bei ihnen ~dekam~
und der Same ~kiki~. Die alten Griechen nannten aber die Pflanze selbst
~kiki~ und sagten, daß die Ägypter daraus ein Brennöl herstellen. Schon
Herodot im 5. vorchristlichen Jahrhundert schreibt, daß die Ägypter
den Wunderbaum (~sillikýprion~), den sie ~kiki~ nennen, anpflanzen.
„Dieser trägt seine übelriechenden Früchte sehr reichlich. Sie werden
gesammelt, zerstampft, gepreßt, oder geröstet und dann gekocht. So
fließt das Öl aus, das ebenso gut wie Olivenöl in der Lampe brennt,
aber stark rußt.“ Der 400 Jahre später lebende griechische Geograph
Strabon sagt: „In Ägypten wird der ~kiki~ auf Feldern angebaut. Er
liefert Öl, das fast überall den Bauern zum Brennen und ärmeren Leuten,
sowohl Männern als Weibern, zum Salben dient.“ Und der griechische Arzt
Dioskurides im 1. Jahrhundert n. Chr. meint, das Kikiöl tauge nicht als
Speise, wohl aber als Brennöl und zum Herstellen von Pflastern.

Zur Gewinnung von Brennöl hat sich die Pflanze vom Niltal über
Westasien nach Indien verbreitet. Bei den alten Juden hieß sie
~kikajon~, wie wir aus der Stelle beim Propheten Jonas lesen, der unter
Jerobeam II. von Israel, dem Sohn und Nachfolger des Joas (regierte von
790-749 v. Chr.), von Jahve den Auftrag erhielt, dem gottlosen Ninive
den Untergang anzudrohen, wenn es sich nicht bessere. Und als sich
die Bewohner tatsächlich zu Gott wandten und verschont blieben, ging
Jonas verdrossen aus der Stadt hinaus, „setzte sich gegen Morgen der
Stadt und machte sich daselbst eine Hütte; in deren Schatten setzte
er sich, bis er sähe, was der Stadt widerfahren würde. Gott der Herr
aber verschaffte ihm einen ~kikajon~ (von Luther fälschlich mit Kürbis
übersetzt) -- also eine Rizinusstaude --, der wuchs über Jonas, daß
er Schatten gab über sein Haupt. Und Jonas freute sich sehr über den
~kikajon~; aber der Herr sandte des Morgens, da die Morgenröte anbrach,
einen Wurm, der stach den ~kikajon~, daß er verdorrete.“

Heute wird die Rizinusstaude außer in Westafrika besonders in Süd-
und Ostasien, wie auch in Amerika in großer Menge zur Ölgewinnung
angebaut. Man sät sie meist als Zwischenfrucht zu Beginn der Regenzeit
und schneidet am Ende der Trockenzeit die Rispen, kurz bevor sich
die Fruchtkapseln öffnen, ab, um sie an der Sonne zu trocknen.
Dabei öffnen sie sich von selbst und lassen die ziemlich großen,
meist glänzendgrauen, mitunter auch schwarzen oder rotbraunen Samen
herausfallen. Diese sind innen weiß, öligfleischig, talgweich,
enthalten 52-55 Prozent des durch Pressung gewonnenen gelblichen,
dickflüssigen +Rizinus-+ oder +Kastoröls+, das bekanntlich ein mildes
Abführmittel ist, aber gleichwohl von den Chinesen vielfach als
Speiseöl benutzt wird. In Südasien wird es meist als Brennöl gebraucht,
da es ein helles, weißes Licht gibt. Sonst wird es vielfach zur
Herstellung von Kerzen und Seifen verwendet. Leider wird es an der Luft
leicht ranzig, so daß in Europa die Samen eingeführt werden, aus denen
hier erst das Öl gepreßt wird. Da aber die Rückstände das Ricin, ein
äußerst heftiges, das Blut zur Gerinnung bringendes Gift enthalten,
sind sie trotz ihres hohen Nährwertes als Viehfutter ungeeignet.

Noch viel schärfer reizend wirkt auf die Darmschleimhaut das
+Krotonöl+, das aus den Früchten von ~Croton tiglium~, einem nur
4 bis 6 m hohen, in Indien heimischen Baum aus der Familie der
Wolfsmilchgewächse gewonnen wird. In seiner Heimat wird er als
Schattenspender für Kaffee-, Kakao-, Vanille- und Kardamompflanzen
oder zur Bildung von Hecken, die von allen Tieren streng gemieden
werden, angebaut. Von dem zähflüssigen gelben Öl genügt ein Tropfen
zur ausgiebigen Darmentleerung und, ebensoviel auf die Haut
gebracht, bewirkt Blasen. Ebenfalls, wenn auch schwächer abführend,
ist das tiefgelbe, zähflüssige +Purgiernußöl+, das von den Samen
der im nördlichen Südamerika heimischen ~Jatropha curcas~ stammt.
Als Heckenpflanze oder Stützpflanze für Vanille und Pfeffer wird
der Strauch jetzt in fast allen, tropischen Ländern gezüchtet, am
ausgedehntesten wohl auf den Kapverdischen Inseln, die jährlich bis 5
Millionen kg Samen nach Europa ausführen, um hier das Öl zu pressen,
das ein vorzügliches Brennöl ist und auch als Schmieröl und in der
Seifenfabrikation befriedigt.

    Tafel 55.

[Illustration: Schibutterbäume in der Steppe von Togo (nach
Photographie von W. Busse in „Karsten und Schenck, Vegetationsbilder“).

    (Phot. von Missionar Schkölziger.)

Szenerie aus dem Urwald am Mongofluß bei Bombe in Kamerun.

Im Vordergrund ist ein zur Gewinnung von Bauholz gefällter Naybibaum,
dessen Früchte zur Bereitung einer weißen Pflanzenbutter verwendet
werden. Dahinter befindet sich eine junge Ölpalme.]

    Tafel 56.

    (~Copyright by F. O. Koch.~)

[Illustration: Rizinusplantage in Ostafrika.

Karnaubapalme (~Copernicia cerifera~) in Brasilien (nach Photographie
von Ule in „Karsten und Schenck, Vegetationsbilder“).]

Ein Öl, das zunehmende Bedeutung in der Industrie erlangt hat und
von dem Deutschland jährlich, zumeist aus Amerika, für 25 bis 30
Millionen Mark einführt, ist das +Baumwollsamenöl+, das in China und
in Mittelasien schon seit Jahrhunderten in sehr primitiven Mühlen
gewonnen wird. Aus ägyptischem Baumwollsamen gepreßtes Öl wurde zuerst
1852 versuchsweise auf den europäischen Markt gebracht. Bis man auf
diese neue Verwendungsmöglichkeit aufmerksam wurde, bildeten die Samen
der Baumwollarten bei der Gewinnung des Spinnstoffes ein Nebenprodukt,
das lange Zeit als lästiger, wertloser Abfall angesehen und als
solcher verbrannt oder in den nächsten Fluß geschüttet wurde. So hat
der Mississippi Millionen Zentner davon in den Atlantischen Ozean
getragen. Heute ist dieses lästige Abfallsprodukt ein so wertvoller
Rohstoff geworden, daß die Samenernte und das daraus gewonnene Öl noch
lukrativer sind als die Baumwollernte selbst. Von einem 1 Hektar großen
Baumwollfeld kann man etwa 1000 kg Samen ernten, und da diese 20-25
Prozent fettes Öl enthalten, so ist deren Ausbeute sehr beträchtlich.
Die Baumwollsamen werden in Ölmühlen gemahlen und das daraus gewonnene
Öl dient hauptsächlich zur Herstellung von Kunstbutter und Seife. Es
ist dickflüssig, trübe, von brauner bis schwarzbrauner Farbe, gereinigt
dagegen hellgelb und von angenehmem nußartigem Geschmack. Es findet
namentlich in Nordamerika als Speiseöl, aber auch zur Verfälschung
anderer wertvoller Speiseöle Verwendung. Das in den Vereinigten Staaten
unter dem Namen Olivenöl verkaufte Tafelöl besteht zu 90 Prozent
aus Baumwollsamenöl. Die Preßrückstände, die man heute schalen- und
haarefrei herzustellen vermag, bilden ein sehr wertvolles Kraftfutter
für das Vieh.

Im Gegensatz zu den anfänglich besprochenen Fettstoffen, die nicht
trocknende Öle darstellen, sind die beiden letztgenannten, das Rizinus-
und Baumwollsamenöl, trocknende Öle, welche infolge des Besitzes von
Olëinsäure an der Luft zu einem durchsichtigen, harzartigen Körper
eintrocknen. Zu solchen gehören ferner das Lein-, Leindotter-, Mohn-,
Hanf-, Raps-, Rübsen-, Sonnenblumensamen-, Haselnuß-, Walnuß-,
Kürbissamenöl u. a. m.

Die älteste in Europa nachweisbare, Fett liefernde Kulturpflanze ist
der +Lein+ oder +Flachs+, den schon die neolithischen Pfahlbauern
nicht bloß zur Gewinnung eines Faserstoffes, sondern vor allem
auch zum Verspeisen der ölreichen Samen anpflanzten, wie sie dies
gleicherweise mit dem Mohn taten, dessen Samen sich ebenfalls
in ihrer Hinterlassenschaft im moorigen Schlamm der seither
größtenteils verlandeten Seen an den Stellen vorfand, die einst
Pfahlbauansiedelungen trugen. Er wurde teils allein, teils mit anderen
Körnerfrüchten zusammen in Form von Brei oder Fladen verspeist. So
fand man in der Hinterlassenschaft des neolithischen Pfahlbaues von
Robenhausen im Kanton Zürich eine Art Flachskuchen in Form einer aus
Flachssamen zusammengesetzten dünnen Scheibe, außerdem Reste eines
Hirsebrotes, dem einzelne Weizenkörner und Flachssamen beigemengt
sind. Heute noch wird in Indien der Lein nur seiner ölreichen Samen
wegen angebaut, während seine Fasern keine Verwendung finden; auch in
Abessinien dient der Lein ausschließlich als Speisepflanze. Noch im
Altertum aßen die Mittelmeervölker seine Samen regelmäßig; deshalb
finden wir sie unter den Totenspeisen der Ägypter aus dem alten und
mittleren Reiche, also bis zur Mitte des vorletzten christlichen
Jahrtausends. Ebenso finden wir sie bei den alten Griechen zeitig als
beliebte Speise neben den Mohn- und Sesamkörnern; und zwar wurden
sie mit Vorliebe als Beimischung zu Hirsebrot verwandt oder für sich
als Brei, oftmals mit Honig vermengt, genossen. Urkundlich erwähnt
sie zuerst in solcher Zubereitung im 7. vorchristlichen Jahrhundert
der Dichter Alkman aus der Stadt Sardes in Kleinasien, der von süßen
Kuchen, aus Mohn-, Lein- und Sesamsamen spricht. Der griechische
Geschichtschreiber Thukydides berichtet, daß in dem 431-404 v. Chr.
zwischen der dorisch-spartanischen und der ionisch-attischen
Bundesgenossenschaft geführten sogenannten peloponnesischen Kriege, der
die Macht Athens brach, gleichzeitig aber ganz Griechenland schwächte,
Taucher der von den Athenern belagerten Inselstadt Sphakteria unter
dem Wasser in Schläuchen Mohnsaat in Honig und zerstoßene Leinsaat als
willkommene Speise zuführten. Auch in dem nördlich vom Po gelegenen
Oberitalien gab es nach Plinius um die Mitte des 1. Jahrhunderts
n. Chr. bei den dort wohnenden keltischen Stämmen eine sehr süße
ländliche Speise aus Leinsaat, die aber damals nur noch bei Opfern
Verwendung fand, von den Lebenden aber nicht mehr gegessen wurde.

Während heute die meisten Länder den Lein als Gespinstpflanze bauen,
wird er außer in Indien und Abessinien nur noch in Ägypten und Rußland
vornehmlich der ölhaltigen Samen wegen kultiviert. Nur die guten,
ausgereiften Samen dienen in diesen Ländern zur Aussaat; die minder
guten oder unreifen dagegen werden zur Gewinnung eines als pflanzliches
Speisefett sehr geschätzten Öles benutzt, mit dem man in jenen Gegenden
wie auch manchenorts in Europa, z. B. in Böhmen, Schlesien, Thüringen
und wohl auch Brandenburg, das landesübliche Gebäck schmälzt. Die
Fruchtkapseln der Leinpflanzen enthalten je zehn eiförmige, glatte,
bräunliche Samen, die 31-35 Prozent eines aus indischen Produkten
hellgelben, aus nördlicheren dagegen bräunlichgelben Öles bergen, das
durch kaltes Pressen in feinerer Qualität als Speiseöl, durch warmes
Pressen dagegen in geringerer Qualität als Industrieöl gewonnen wird.
Doch müssen die Samen vorher 2 bis 6 Monate lagern, da das Öl sonst
trübe und schleimig wird. Das meist goldgelbe, dickflüssige, etwas
scharf, aber sonst angenehm schmeckende und riechende Öl wird an der
Luft durch Sauerstoffaufnahme leicht ranzig, heller und trocknet ein.
Bis auf 290° C. erhitzt, wird es zäher, trocknet leichter ein und
liefert den Firnis, der als schützender Überzug auf Holz und Eisen
gebraucht wird. Ganz besonders wird er mit Mennige verrieben zum
konservierenden Anstrich aller Eisenkonstruktionen an Brücken, Häusern,
Einhegungen usw. verwendet, da er mit jener eine äußerst fest haftende,
lange vor Rost schützende Vereinigung eingeht. Auf diesen ersten
Überzug wird dann in der Regel graue Ölfarbe aufgetragen. Auf höhere
Temperatur gebracht wird es noch konsistenter und als Buchdruckerfirnis
brauchbar. Auch zu wasserdichten Stoffen, besonders zu Linoleum,
wird es verwendet. Mit Schwefel zusammengeschmolzen, liefert es eine
plastische, erhärtende, aber brüchige Masse, die zur Verfälschung und
als sehr schlechter Ersatz für Kautschuk auf den Markt gelangt. Die
frischen Leinsamen werden bekanntlich in der Apotheke geführt, weil
sie in Wasser gekocht, wie die Quittensamen und andere, große Mengen
Schleim aus der obersten Samenschale abgeben, welcher zu Umschlägen und
als Breikissen gebraucht wird. Die nach dem Pressen zurückbleibenden
Reste endlich bilden als Lein- oder Ölkuchen ein vorzügliches
Viehfutter.

Bis zum Mittelalter hat man die Samen dieser Ölpflanze zerquetscht
und gegessen. Erst nach der Zeit der Kreuzzüge begann man das Öl als
solches zu gewinnen und zu verwenden. Vorher hatte man in Deutschland
alles zu ritualen und Speisezwecken verwendete Öl für Kirchen und
Klöster in Form von Olivenöl aus dem Süden, aus den romanischen Ländern
als vielbegehrten Handelsartikel eingeführt. Dieser Import hörte dann
auf, und da das einheimische Öl billig zu stehen kam, fand es bald
ausgedehnte Verwendung. Dabei wurde seit dem 13. Jahrhundert neben
dem Leinsamen auch der 51-55 Prozent Öl enthaltende +Mohnsamen+ als
Fettspender gezogen, um aus letzterem das ~mâgöl~ zu gewinnen. Denn
~mâgo~ oder ~mâg~ hieß althochdeutsch der Gartenmohn, den schon Karl
der Große in den Verordnungen für seine Landgüter anzupflanzen befahl.
Auch der fränkische Mönch Walahfried Strabo empfahl um die Mitte des 9.
Jahrhunderts dessen Anbau in einem uns erhaltenen lateinischen Gedicht,
weil den Körnern schlafbringende Kraft innewohne. Zur Gewinnung der
ölreichen Samen haben schon die neolithischen Pfahlbauern eine der
Stammpflanze des Gartenmohns sehr nahe stehende Mohnart in ziemlicher
Menge angebaut. Dies beweist uns die große Menge von Mohnkörnern, die
sich in manchen ihrer einstigen Niederlassungen vorfanden. So kam in
Robenhausen, wo wir selbst schon vor 20 Jahren Ausgrabungen beiwohnten,
außer zahlreichen vereinzelten Sämchen ein Mohnkopf und ein ganzer
Kuchen aus verkohlten Mohnsamen zum Vorschein, der aus Tausenden
kleiner, zu einer Masse zusammengebackener Sämchen besteht. Es scheinen
also schon damals die Samen in Form von Mohnkuchen gegessen worden zu
sein. Aber ein Öl daraus zu pressen, verstand man damals wie noch lange
später nicht. Erst nach den Kreuzzügen kam solches in Mitteleuropa
auf, und im späteren Mittelalter trat dann die Erzeugung von Öl aus
Mohnsamen so sehr in den Vordergrund, daß man die Pflanze selbst
~mâgöl~ nannte.

Heute ist in den weiten Gebieten, in denen Opium gewonnen wird,
der Mohnsamen ein wichtiges Nebenprodukt, und zwar gibt der weiße
Mohnsamen feineres Öl, während der blauschwarze einen reicheren
Ertrag daran liefert. Man gewinnt aus ihnen 60-80 Prozent eines
dünnflüssigen, klaren Öles. Und zwar finden auch hier zwei Pressungen
statt. Das erstemal wird der Samen kalt gepreßt. Dadurch gewinnt man
ein blaßgelbes Öl von angenehmem Geschmack und Geruch, das den großen
Vorteil hat, schwer ranzig zu werden; deshalb findet es vorzugsweise
als Speiseöl Verwendung. Bei der zweiten warmen Pressung erhält man das
dunkelgefärbte sogenannte rote Mohnöl, das unangenehm nach Leim riecht
und einen kratzenden Geschmack besitzt, weshalb man es nur industriell
verwendet. Besonders dient es zur Seifenfabrikation, aber auch zur
Herstellung von Firnis und Malerfarben, da es ebenfalls an der Luft
mit der Zeit eintrocknet. Zur Bereitung feiner Ölfarben benutzt man
lieber das Öl der 40 bis 70 Prozent davon enthaltenden +Walnußkerne+,
das ohne rissig zu werden trocknet. Auch als Speiseöl ist letzteres
vortrefflich und fand früher auch als Brennöl Verwendung, da es ein
schönes, helles Licht liefert. In derselben Weise werden bisweilen auch
die 60 Prozent Fett enthaltenden +Haselnüsse+ zur Ölgewinnung gepreßt.
Soweit der Haschisch im Orient als betäubendes Genußmittel Verwendung
fand, verzehrte man auch die 31-33 Prozent Öl enthaltenden Samen des
ihn liefernden +Hanfes+ als willkommene pflanzliche Fettspeise. Erst
sehr viel später fanden die zähen Fasern der Stengel dieser Pflanze
zu allerlei Gespinsten Verwendung, zu welchem Zwecke ausschließlich
der mittelasiatische Hanf aus dem Morgenlande in Europa eingeführt
wurde. Zuerst bauten ihn hier nach dem Berichte des griechischen
Geschichtschreibers Herodot die Skythen, aber noch nicht zur Verwendung
des Faserstoffs, wie ausdrücklich bemerkt wird, sondern als Genußmittel
an, um sich durch Verbrennen der Hanfsamen auf im Feuer heiß gemachten
Steinen in niederen, allseitig geschlossenen Zelten aus Wollfilzdecken
mit einem tragenden Gerüst aus Holzstangen zu betäuben. Die ölreichen
Samen jedoch werden sie kaum gegessen haben, da sie wohl aus der
Milch ihrer Herdentiere Butter gewannen, die sie zur Schmälzung ihrer
Mehlgerichte verwendeten.

Viel wichtigere Ölpflanzen sind bei uns +Raps+ und +Rübsen+, die heute
fast in ganz Europa, besonders aber in Frankreich und Belgien viel
angepflanzt werden. Sie treten uns geschichtlich erst spät, und zwar
zuerst um Erfurt herum angebaut, entgegen, breiteten sich dann aber
auch am weitesten aus, da sie sich vorzüglich zum Brennen am Docht
eigneten. Aus diesem Grunde hielt man sie in der Vorzeit, bevor das
Petroleum als Beleuchtungsmittel aufkam, in hohen Ehren. Das Rapsöl
ist dickflüssiger als das olivenbraune Rüböl. Heute dienen sie weniger
als Brenn-, denn als Schmieröle, werden aber auch der Kunstbutter
zugesetzt, um sie salbenförmig, streichfähig zu machen. Bei dem
ungeheuren Bedarf der Seifen- und Schmierölindustrie genügen aber
die europäischen Kulturen nicht, vielmehr werden aus Ostindien große
Mengen davon importiert. Der Raps ist eine gelbe Kohlrübe, auch Erdrübe
genannt, die, weil man sie in Blüten schießen läßt, nur eine dünne und
holzige Pfahlwurzel hat; der Rübsen ist die dem Raps entsprechende Form
der weißen Rübe. Beide werden in zwei Formen gezogen, als im Herbste
gesäte und im folgenden Sommer zur Reife gelangende Winterform und
eine andere, im Frühjahr gesäte, die noch in demselben Jahre ihren
Vegetationszyklus vollendet. Dabei ist die Winterform ölreicher als die
Sommerform. So enthält der Sommerraps 35 Prozent, der Sommerrübsen 34
Prozent Öl, während der Winterraps 37-39 Prozent und der Winterrübsen
35-38 Prozent desselben aufweist. Die Kultur dieser Fettspender ist in
vorgeschichtlicher Zeit von um die Nord- und Ostsee wohnenden Völkern
vorgenommen worden und hat sich im vorletzten vorgeschichtlichen
Jahrtausend nach Westasien und im letzten vorgeschichtlichen nach
Ostasien verbreitet.

Ein anderer als Fettspender wichtiger Kreuzblütler ist der +Flachs+-
oder +Leindotter+ (~Camelina sativa~), eine 0,3-1 m hohe einjährige
Pflanze mit kleinen, gelben Blüten und länglichen, dottergelben, sehr
kleinen Samen, die 27-31 Prozent Fett enthalten. Diese im gemäßigten
Europa wie in Nordasien heimische Pflanze wird besonders in Belgien,
in den Niederlanden und in Süddeutschland als Ölpflanze angebaut. Sie
ist in ihrem Ertrage sicherer als der Sommerraps und der Sommerrübsen
und wird gern angebaut, wenn der Winterraps infolge zu intensiver
Kälte zugrunde ging. Dagegen saugt sie den Boden stärker aus und
ist weniger einträglich als jener. Das hellgelbe, fast geruch- und
geschmacklose aus den Samen gewonnene Öl dient als Speiseöl und zur
Seifenfabrikation; nur wird es leicht ranzig.

Die weißen, grauen, gelben bis schwarzen Samen der aus Mexiko
stammenden +Sonnenblume+ enthalten etwa 32 Prozent klares, blaßgelbes,
geruchloses, angenehm schmeckendes Öl, das sich gut als Speiseöl
verwenden läßt, meist jedoch der Seifen- und Firnisfabrikation dient.
Als die Europäer in das atlantische Gebiet Nordamerikas gelangten,
fanden sie außer Mais, das als Hauptnährfrucht diente, Bohnen, Kürbis,
Tabak auch Sonnenblumen von den Indianern angepflanzt, deren Samen
man röstete und zu Mehl zerrieb. Bald nach der Entdeckung Amerikas
gelangte die Sonnenblume nach Europa und verbreitete sich allmählich
bis Südasien. Heute stammt das meiste in den Handel gelangende
Sonnenblumensamenöl aus Ungarn, Italien, dem südlichen Rußland und
Indien.

Selbst die +Bucheckern+, die 15-28 Prozent Fett enthaltenden Früchte
der Rotbuche, werden in Thüringen, Hannover, am Rhein und in Frankreich
gepreßt und das hellgelbe, klare, mild schmeckende, fast geruchlose
Bucheckernöl daraus gewonnen. Kalt gepreßt liefert es ein gutes
Speiseöl und dient zur Fälschung des Mandelöls; heiß gepreßt dagegen
ist es bräunlich, dient als Brennöl und zur Seifenbereitung, wobei
es weiche, gelbliche, später grünlich werdende Seifen liefert. Die
Preßrückstände können nur an Schweine und Wiederkäuer, nicht aber an
Pferde verfüttert werden, da sie das giftige Cholin enthalten, gegen
das die ersteren unempfindlich sind, das aber Pferden schädlich wird.

Reiche Buchensamenjahre, wie sie alle 8-10 Jahre vorkommen, liefern
unendliche Massen dieser köstlichen, billigsten Ölfrucht, die man
meist nutzlos im Walde verfaulen läßt, statt sie auszunützen. Am
ausgiebigsten sammelt man die Bucheckern durch Anschlagen stärkerer
Äste mit einem hölzernen Hammer, wobei die herabfallenden Früchte in
untergelegte Tücher aufgefangen werden. Die Herstellungskosten für
einen Liter Bucheckernöl, das als Back- und Salatöl meist allen anderen
Schmälzmitteln vorgezogen wird, stellen sich insgesamt auf höchstens
40 Pfennige. Die Aufbewahrung desselben geschieht am besten in großen,
gut verschlossenen Steinkrügen; auch empfiehlt es sich, dasselbe nach
Verlauf eines halben Jahres nochmals abzudampfen. Derart behandelt hält
es sich wenigstens drei Jahre lang ohne zu verderben.

Die Früchte des zum Färben dienenden +Saflors+ (~Carthamus
tinctorius~), die 20 bis 30 Prozent eines sich besonders als Brennöl
eignenden Öles enthalten, und die der +Nigersaat+ (~Guizotia
abessinica~), einer Pflanze des tropischen Afrika, die 40-50 Prozent
enthalten, werden ebenfalls auf fettes Öl verarbeitet. Das Nigersaatöl
erinnert durch den Geschmack an Nußöl und findet besonders in
Ostindien, wo man den Wert dieses Öles schon lange schätzen gelernt
hat, bei der Zubereitung von Speisen vielfach Verwendung. Die Nigersaat
gedeiht sehr leicht auf jedem Boden und liefert schon vier Monate nach
der Aussaat reife Samen. Die Pflanze ist eine bis 1,5 m hohe, an ihren
oberen Teilen rauhhaarige, unten dagegen fast kahle Komposite mit
gegenständigen, schmalen, gezähnten Blättern und gelben Blüten, die
nach der Befruchtung durch Insekten etwa 5 mm lange und 3 mm breite,
glänzendschwarze Samen liefern. Da sie sehr eiweißreich sind, geben die
Preßrückstände ein außerordentlich nahrhaftes und deshalb gesuchtes
Futter. In ihrer Heimat, dem tropischen Afrika, hat dieser wichtige
Fettspender nicht die verdiente Kultur gefunden. Nur in Abessinien baut
man ihn in umfangreicherem Maße an. Besonders hat aber Ostindien den
Wert dieser Ölpflanze erkannt und kultiviert sie in Menge. Neuerdings
sollte ihr in Ostafrika, wo sie heimisch ist, vermehrte Aufmerksamkeit
geschenkt werden, da sie in ihren Samen einen wertvollen, viel nach
Europa eingeführten Handelsartikel bildet.

Aus den Samen von ~Bactris minor~ wird auf Trinidad und Jamaika
ein gelbliches Fett mit Veilchenaroma und süßem Geschmack, die
+Macajabutter+, gewonnen und allgemein als Speisefett verwendet.
Sehr ergiebig sind die Samen von ~Litsea sebifera~, deren Fett der
Kerzenfabrikation dient. Die Früchte eines einzigen Baumes geben
genügend Material zur Herstellung von 500 Kerzen. Das +Rettichöl+
wird in China wie das Sesamöl zur Bereitung der schwarzen Tusche zum
Schreiben verwendet; das +Senföl+ dagegen, das zu 22-29 Prozent in den
Senfsamen enthalten ist, dient in Indien als ausgezeichnetes Brennöl.
Heute wird der Senf in Indien nicht mehr als Gewürzpflanze, sondern
fast nur noch zur Gewinnung dieses Öls kultiviert.

Ein sehr feines, geruch- und farbloses, süßliches Öl ist dasjenige
von ~Moringa oleifera~, das +Behenöl+, das für die Parfümerie und
Uhrenmacherei sehr geschätzt wird. Ebenfalls für die Kosmetik von
Bedeutung ist das +Mandelöl+, zu dessen Bereitung man süße und bittere
Mandeln mischt; doch enthalten die bitteren Mandeln weniger Öl,
nämlich nur 43-48 Prozent, als die süßen, die 50-55 Prozent davon
aufweisen. Da sie aber außerdem über 24 Prozent Eiweißkörper besitzen,
so liefern die nach der Pressung zurückbleibenden Preßkuchen ein sehr
gutes Viehfutter. Das Mandelöl ist hellgelb, geruchlos, angenehm
schmeckend, dünnflüssiger als Olivenöl, wird aber leicht ranzig. Es
kommt mit Mohn-, Nuß-, Pfirsichkern- und Aprikosenkernöl verfälscht
in den Handel. Letztere beiden Öle werden auch an und für sich von
Südfrankreich aus als „süßes Mandelöl“ verkauft. Echtes Mandelöl, das
in der Parfümerie und zur Fabrikation der sehr festen Mandelseife
verwendet wird, stammt fast nur aus England.

In den bitteren Mandeln ist das Mandelöl an das Amygdalin gebunden,
einen Körper, der ihnen den bitteren Geschmack verleiht. Außerdem ist
darin ein Ferment, Emulsin genannt, enthalten, welches beim Verreiben
der bitteren Mandeln mit Wasser das Amygdalin in Traubenzucker,
Bittermandelöl und Blausäure spaltet. Da nun etwa 0,8 Prozent
der Verbindung Bittermandelöl-Blausäure in den bitteren Mandeln
enthalten ist, so ist es begreiflich, daß bittere Mandeln eine
giftige Wirkung äußern. Ein Dutzend derselben kann bei Erwachsenen
schon schwere Vergiftungen hervorrufen. Das Bittermandelöl wird in
der Likörfabrikation und Medizin, am häufigsten aber zum Parfümieren
billiger Seifen, z. B. der Kokosnußseifen, verwendet. Allerdings hat
hier der Mensch tätig eingegriffen und es der Natur gleichgetan,
indem er im synthetisch aus Benzol und Salpetersäure hergestellten
Nitrobenzol, auch Mirbanöl genannt, einen vollständigen Ersatz für
das Bittermandelöl als Parfümeriemittel schuf. Deshalb ist letzteres
in der gewerblichen Verwendung fast völlig durch das künstliche
Produkt verdrängt worden. Aus den süßen Mandeln dagegen wird die für
kosmetische Zwecke geschätzte Mandelkleie hergestellt.

Ebenfalls in der Parfümerie, Pharmazie und Seifenfabrikation viel
verwendet wird die aus den Kakaobohnen gewonnene +Kakaobutter+,
die zu 52 Prozent in diesen enthalten ist. Sie wird in der Weise
aus ihnen ausgezogen, daß die gerösteten und geschälten Bohnen auf
etwa 80° C. erwärmt, in Zwilchsäcke gepackt und das Öl dann zwischen
warmen Preßplatten ausgequetscht und hernach filtriert wird. Es
ist weißlich, von mildem, angenehmem Geschmack und Geruch nach
Kakao und wird schwer ranzig. In gleicher Weise wird das Fett der
Muskatnüsse, die +Muskatbutter+, aus den zurückgestellten, kleinen,
schadhaften, feingemahlenen Nüssen durch Auspressen in erwärmtem
Zustande gewonnen. Die talgartige, rötlichbraune Masse wird dann in
Metallgefäßen erstarren gelassen und kommt in kleinen Würfeln in den
Handel. Sie riecht angenehm nach Muskatnuß und dient besonders der
Parfümfabrikation.

Zur Kerzenfabrikation dient der +chinesische Talg+, das weiße bis
grünliche Fett der Samen des chinesischen Talgbaumes (~Sapium
sebiferum~), von welchem diese ganz umhüllt sind. Dieser Baum ist eine
kahle, in China und Japan heimische Euphorbiazee, die in diesen Ländern
seit alter Zeit kultiviert wird. Er wurde aber auch nach Ostindien
und allen wärmeren Ländern beider Erdhälften verpflanzt und gedeiht
meist sehr gut. Die in den Monaten November und Dezember gesammelten
Samen werden in große, mit Löchern versehene Holzzylinder gebracht und
mit heißem Wasserdampf behandelt, wobei der Talg abfließt, um nach
dem Erstarren noch einmal geschmolzen und filtriert zu werden. Er
bildet erstarrt mattweiße, brüchige Stücke, die in mächtigen Platten
von 40-50 kg Gewicht in den Handel gelangen und vornehmlich in der
Kerzenfabrikation Verwendung finden. Die zurückgebliebenen Samen,
deren Nährgewebe sehr ölreich ist, werden in Steinmörsern zerstampft,
mit Wasser erhitzt und gepreßt, wobei ein von den Chinesen ~fing-yu~
genanntes flüssiges Fett erhalten wird, das man zur Firnisfabrikation
und als Brennöl benützt.

Diesem chinesischen Talg ähnlich ist der in Ostindien durch Auskochen
der gerösteten und gemahlenen Samen der ~Vateria indica~ gewonnene
+Vateriatalg+, der zuerst gelblich, später aber farblos ist, ganz
angenehm schmeckt und riecht und in England zur Kerzenfabrikation dient.

Sehr verbreitet ist im Pflanzenreich die Ausscheidung eines Überzuges
von +Wachs+ an Organen, besonders Blättern, bei denen die Verdunstung
herabgesetzt werden soll. Auch an Früchten ist gelegentlich dieser
Wachsüberzug zu finden, man denke nur an den leichten Wachsüberzug
unserer Pflaumen und Zwetschen, der sie wie bereift erscheinen läßt.
Allerdings ist in der Regel die Wachsausscheidung eine viel zu geringe,
als daß sie sich ausbeuten und technisch verwerten ließe. Nur ganz
ausnahmsweise ist dies der Fall, so bei der in Nordamerika heimischen
+Wachsgagel+ (~Myrica cerifera~). Es ist dies eine unserer, auf den
norddeutschen Heiden weit verbreiteten, stark riechenden Gagel (~Myrica
gale~) verwandte Art, deren erbsengroße, braune Früchte von einer
schneeweißen Wachskruste bedeckt sind. Kocht man die Beeren in Wasser,
so sinken sie unter und das Wachs sammelt sich an der Oberfläche der
Flüssigkeit als fettige Masse an, wird abgeschöpft und in flachen
Schüsseln erkalten gelassen. Ein Strauch gibt 10-15 kg Beeren mit etwa
25 Prozent dieses als +~Myrica~+- oder +Myrtenwachs+ bezeichneten
vegetabilischen Wachses. Es ist härter als Bienenwachs, geschmacklos,
von schwachem Balsamgeruch und wurde von den Indianern in Menge
verzehrt. Jetzt dient dieses Myrtlewachs, wie es die Amerikaner nennen,
zur Anfertigung von Kerzen, die nach dem Auslöschen einen angenehmen
Geruch verbreiten. Diesem ähnlich ist das von ~Myrica carolinensis~
in Nordamerika, von ~Myrica carcassana~ in Neugranada und ~Myrica
quercifolia~, ~M. cordifolia~ und ~M. laciniata~ am Kap der Guten
Hoffnung durch ebenfalls Auskochen mit Wasser gewonnene grünliche, sehr
schwach balsamisch riechende vegetabilische Wachs, das wie Bienenwachs
benutzt und mit diesem vermengt verwendet wird.

Auf dieselbe Art wird in China und Japan das sogenannte +Japanwachs+
aus den Beeren des von Japan längs der Ostküste Asiens bis in den
Himalaja verbreiteten +Wachs-Sumachs+ (~Rhus succedanea~) gewonnen
und ebenfalls meist zu Kerzen verarbeitet. Auch die Beeren von ~Rhus
vernicifera~ und ~silvestris~ werden in gleicher Weise durch Auskochen
und Pressen zur Gewinnung von Wachs verarbeitet. Dieses ist blaßgelb,
nach längerem Liegen außen dunkelgelb bis bräunlich mit schneeweißem
Anflug. Es ist das für den Handel weitaus wichtigste Pflanzenwachs,
das seit dem Jahre 1854 in großen Mengen in Form zentnerschwerer
Blöcke oder Scheiben nach Europa und Amerika gelangt. Von ihm werden
in London allein jährlich mehr als 200000 kg umgesetzt. Es hat die
Eigentümlichkeit, beim Einschmelzen bis 30 Prozent Wasser aufzunehmen,
es wird daher auch oft mit Wasser verfälscht. In Japan wird es als
Ersatz für tierischen Talg und Bienenwachs, auch zum Aufpolieren von
gedrechselten Gegenständen aus Holz, bei uns dagegen hauptsächlich
für Wachsstreichhölzchen und Wachskerzen, überhaupt als Zusatz zu
Bienenwachs verwendet; es ist nämlich nur halb so teuer wie dieses.
Ein naher Verwandter des Wachs-Sumachs ist übrigens der giftige
+Firnis-Sumach+ (~Rhus vernicifera~), ein hoher Baum, aus dessen Stamm
durch Einschnitte der Firnis gewonnen wird, mit Hilfe dessen die
Japaner ihren so vortrefflichen, unverwüstlichen Lack herstellen, der
in einem späteren Abschnitte eingehender besprochen werden soll.

Außerordentlich reich an einem wachsartigen Harz sind manche
+Balanophoren+, fleischige Wurzelschmarotzer der Tropen von
staudenartiger Tracht, die, weil sie des Blattgrüns und größerer
Blätter völlig entbehren, eher an Pilze als an hoch organisierte
Gewächse erinnern. Die getrockneten Pflanzen brennen angezündet mit
leuchtender Flamme, deshalb werden sie beispielsweise in Südamerika als
~siejas~ auf den Märkten verkauft und an kirchlichen Feiertagen wie
Kerzen verbrannt. Auf Java zerstößt man solche frische Balanophoren zu
Brei und bestreicht mit dieser Paste dünne Bambusstäbchen, welche als
Taschenkerzchen dienen.

Technisch wichtiger ist das Wachs der +Wachspalme+ (~Ceroxylon
andicola~), die auf den Anden Südamerikas in den Staaten Columbien,
Ekuador und Neugranada in 2000-3000 m Höhe wächst. Sie besitzt einen
bis 75 m hohen, geringelten Stamm von mehr als 30 cm Durchmesser, der
in der halben Höhe anschwillt und von unten bis oben von einer etwa
6 mm starken Schicht blaßgelben, spröden Wachses bedeckt ist, das ihm
ein marmorartiges Aussehen verleiht. Obschon es zu ⅖ mit Harz vermischt
ist, wird es ziemlich wie Bienenwachs benutzt und neuerdings in großer
Menge in die verschiedenen Kulturländer, auch nach Europa, eingeführt.
Die gefiederten Blätter werden 6-7,5 m lang und sind oben dunkelgrün,
unten silberweiß. Das Wachs, das einen namhaften Handelsartikel bildet,
gewinnt man durch Abschaben der gefällten Stämme, von denen jeder
etwa 12 kg liefert. Mit Talg zusammengeschmolzen gibt es eine gute
Kerzenmasse, die aber gelb ist, weil dieses Baumwachs nicht gebleicht
werden kann. Das Holz ist sehr dauerhaft und wird besonders als Bauholz
geschätzt. Mit den Blättern deckt man, wie mit denjenigen der meisten
anderen Palmenarten, Dächer und benutzt sie zu allerlei Flechtwerk.

Ebenfalls in Südamerika, aber im östlichsten Zipfel dieses Kontinents,
nämlich in den brasilischen Provinzen Ceara, Pernambuco und Rio
Grande besonders an Flußufern heimisch, ist die gleichfalls Wachs
liefernde +Karnaubapalme+ (~Copernicia cerifera~). Es ist dies ein
12-15 m hoher Baum, dessen blaugrüne, bereifte, bis 2 m langen Blätter
eine kugelrunde Krone bilden. Auf feuchtgründigem Boden bildet er
oft ansehnliche Bestände. Sein Holz ist sehr dauerhaft und wird als
Nutzholz verwendet, während die Blätter zu Bedachung der Hütten und als
Flechtmaterial dienen, auch einen starken Faserstoff zur Herstellung
der in jedem Hause statt der Betten gebräuchlichen Hängematten, von
Stricken usw. liefern. Die jüngeren derselben, die als Viehfutter
verwendet werden können, liefern ein strohgelbes Wachs, das beide
Blattflächen bedeckt. An der Oberseite der Blätter ist die Wachsschicht
dicker und sitzt loser, so daß sie sich beim Schütteln der Blätter in
Form kleiner Schuppen ablöst, an der Unterseite jedoch ist sie dünner
und sitzt fester, so daß man das betreffende Wachs nur durch Abschaben
gewinnen kann. Wenn die jungen Fächerblätter sich eben auszubreiten
beginnen, schneidet man sie vorsichtig ab, trocknet sie und klopft
sie so lange mit einem Stock, bis die Wachsschichten vollständig
abgefallen sind. Das so erhaltene grauweiße Pulver wird dann über einem
freien Feuer zusammengeschmolzen oder mit wenig Wasser in einem Topfe
gekocht. Nach einer anderen Methode taucht man die Blätter in heißes
Wasser und sammelt das auf der Oberfläche sich abscheidende flüssige
Wachs, um es in tönerne Formen zu gießen, in denen es zu etwa 2 kg
schweren Kuchen erstarrt. Dieses rohe Karnauba-Wachs ist schmutzig
gelblichgrün, stellenweise bräunlich, hart, spröde, geschmacklos und
wird -- früher ausschließlich in Europa, jetzt meist schon in Brasilien
-- gereinigt und ist dann von blaßgrünlich-gelber Farbe, dichtem Gefüge
und sehr schwach aromatischem Geruch. Es wird seit dem Jahre 1852 in
zunehmendem Maße auch nach Europa ausgeführt, um hier zur Herstellung
von Siegellack, Kerzen, weichen Firnissen, als Schuhmacherwachs und
zum Glänzendmachen des Sohlleders verwendet zu werden. Es läßt sich so
wenig als das Wachs der Wachspalme künstlich bleichen, doch wird ihm
seine Sprödigkeit durch Beimengung von Talg oder Bienenwachs genommen.
Viele Menschen beschäftigen sich ausschließlich mit der Gewinnung
desselben. Jährlich werden etwa 2 Millionen kg exportiert und fast
ebensoviel im Lande selbst verbraucht. Aus den trockenen Blättern
flicht man Matten, die violetten, haselnußgroßen, bitteren Früchte
werden roh oder gekocht von den Indianern gegessen und deren geröstete
und gemahlene Kerne geben ein nahrhaftes Getränk als Ersatz des
Kaffees. Aus dem Marke des Stammes gewinnt man ein schmackhaftes Mehl
und die Blattknospen geben einen trefflichen Palmkohl.

Außer als Nahrung haben die verschiedenen Fettkörper im Laufe der
Kulturentwicklung der Menschheit besonders zur Gewinnung von Seife
und Beleuchtungsmaterial eine große Bedeutung gewonnen. Die Seife ist
eine keltische Erfindung, bestehend aus einer Mischung von Fett mit
Asche, später mit Aschenlauge, und stellt chemisch betrachtet ein
Salz dar, in welchem alkalische Basen mit Fettsäuren verbunden sind.
Von den Alkalien werden sowohl Kali als Natron verwendet; zuerst
benutzte man sie zusammen, später aber, als man beide voneinander zu
scheiden vermochte, getrennt, wobei die Kaliseifen als eine weiche,
schmierige Masse, die Natronseifen jedoch in harter Form gewonnen
wurden. Die keltische Bezeichnung für die Seife ist ~saipo~, ein Wort,
das im Deutschen sich als Seife erhielt. Unter der Bezeichnung ~sapo~
gelangte sie zu den Römern, die vorher, wie alle antiken Völker, außer
gefaultem Urin oder gewissen, Saponine oder Seifenstoff enthaltenden
Pflanzenabkochungen vor allem die Holzasche als natürliche Soda zum
Waschen benutzt hatten. Nach Plinius bereiteten die Gallier feste und
flüssige Seife aus Ziegentalg und Buchenasche und benutzten sie als
äußerliche Arznei und Haarverschönerungsmittel. Erst Galenos (131-200
n. Chr.) spricht von der deutschen Seife, die als Reinigungsmittel
benutzt werde. Durch die Verwendung von gebranntem Kalk bei der
Herstellung der Aschenlauge wurden dann später bessere Seifen erzielt.
Nachdem die Seifensiederei aus einem in jedem Haushalt für sich
hergestellten Geschäft in den gewerblichen Betrieb übergegangen war,
scheint sie sich jahrhundertelang durch das ganze Mittelalter hindurch
ohne besondere Fortschritte erhalten zu haben. Schon im 9. Jahrhundert
hatte Massalia, das heutige Marseille, einen bedeutenden Seifenhandel,
und zwar diente dort vorzugsweise das Olivenöl als Fett bei der
Seifenbereitung. Ihm verdankt die Marseillerseife bis auf den heutigen
Tag ihren guten Ruf. Im 15. Jahrhundert lag der Seifenhandel besonders
in den Händen Venedigs, und im 17. Jahrhundert hatten Savona, Genua
neben Marseille die Führung darin. Eine mächtige Förderung erhielt die
Seifenindustrie seitdem der französische Chemiker Chevreul die Natur
der Fette und mithin das Wesen des Verseifungsprozesses kennen gelehrt,
andererseits die Entwicklung der Sodaindustrie einen mächtigen Anstoß
zur Verbesserung des Verfahrens der Seifengewinnung gegeben hatte.
Gegenwärtig wird aus Liverpool allein mehr Seife jährlich ausgeführt
als vor der Begründung der Sodaindustrie aus sämtlichen Häfen
Großbritanniens zusammengenommen. Weiterhin wurde die Seifenindustrie
durch die Einführung von Palmöl, Kokosöl, südamerikanischem und
australischem Tiertalg und nordamerikanischem Fichtenharz begünstigt.
Das Kokosöl gestattete die Herstellung der Leimseifen; es kam um 1830
zuerst nach Deutschland und Douglas bereitete aus ihm auf kaltem
Wege die erste Kokosnußöl-Sodaseife für medizinische Zwecke. Heute
führt Deutschland rund 1,8 Millionen kg Seife ein und 10 Millionen
kg Seife aus. Was es selbst verbraucht, ist nicht anzugeben, doch
stellt dies eine sehr große Menge dieses heute völlig unentbehrlichen
Reinigungsmittels dar.

Wie die Seifenbestandteile, das Öl und die Holzaschenlauge, so
entstammt auch alles Beleuchtungsmaterial direkt oder indirekt dem
Pflanzenreiche. Der älteste Lichtspender ist das flackernde Holz des
Herdfeuers, das seinen warmen Schein schon dem unstet nach tierischer
Beute umherschweifenden Höhlenbewohner der Urzeit, wie dem durch
Feldbau und Viehzucht ansässig gewordenen Neolithiker in seiner
bescheidenen Behausung erstrahlen ließ. Ihm folgte auf einer späteren
Stufe als spezifiziertes Beleuchtungsmittel der schräg in einen Ständer
aus unverbrennlichem Material, am besten aus Metall, sobald solches
bekannt und zu haben war, gesteckte Kienspan; denn schon sehr früh
wird der Mensch die Beobachtung gemacht haben, daß Holz um so leichter
und mit um so größerer Flamme brennt, je harzreicher es ist. Deshalb
suchte er bei den Nadelhölzern die harzreichsten Teile, das Wurzelwerk,
zur Beleuchtung zu erlangen. Die Kulturvölker des Altertums benutzten
daneben auch mit Pech und Wachs getränkte Flachsschnüre, und in
späterer Zeit in Pech getauchte oder mit Wachs überzogene getrocknete
Binsen oder Streifen von dürrem Papyrusmark. Auch Schilfrohr, dessen
Höhlung mit Fett ausgegossen war, diente als Vorläufer der Kerze.
Diese selbst scheint erst in der römischen Kaiserzeit als ~candela~ --
das sich im französischen ~chandelle~ erhielt -- aufgekommen zu sein
und wurde schon damals sowohl aus Wachs, als aus Talg hergestellt und
demnach als ~cerea~ (von ~cera~ = Wachs) oder ~sebacea~ (aus ~sebum~ =
Talg) unterschieden. Man stellte sie in der Weise her, daß man dürre
Binsenstengel oder Streifen von Papyrusmark, später auch Flachsfäden
als Docht so oft in geschmolzenes Fett oder Wachs tauchte, bis die
Fetthülle im Verhältnis zum Kern eine ansehnliche Dicke erreicht
hatte. Besonders bei Leichenbegängnissen wurden bei den vornehmen
Griechen und Römern der späteren Zeit große Kerzen in den Dimensionen
unserer Kirchenlichter getragen, während im Haushalte besonders bei
festlichen Anlässen kleinere gebraucht wurden, die man in Leuchter der
verschiedensten Konstruktionen steckte. War der Lichtträger sehr hoch,
damit die dareingesteckten Kerzen weithin leuchteten, so hieß er (nach
~candela~ = Kerze) ~candelabrum~.

In Deutschland wurde die Talgkerze erst im 9. Jahrhundert bekannt und
begann hier allmählich den bis dahin üblichen Kienspan zu verdrängen.
Wachskerzen dagegen kamen erst im 14. Jahrhundert in Gebrauch, waren
aber auch an Höfen reicher Fürsten immer noch etwas Kostbares, mit
dem man sehr sparsam umging. Im Laufe des 15. Jahrhunderts erst wurde
der Gebrauch von Wachskerzen durch die katholische Kirche immer mehr
gesteigert und dehnte sich im 16. Jahrhundert ins Fabelhafte aus; so
wurde beispielsweise zu Luthers Zeiten allein in der Schloßkirche zu
Wittenberg etwa 36000 Pfund Wachskerzen im Jahre als Opferspenden
verbrannt. Dieser mit dem Kult in Zusammenhang stehende Luxus blieb
aber auf die Gotteshäuser beschränkt; denn die Bürger und Bauern
begnügten sich in ihren Häusern mit den viel billigeren Talglichtern,
deren Herstellung die Hausfrau immer noch selbst besorgte. Im
November, wenn die Feldarbeit beendet war, begann wie für den
Mann die Drescharbeit in der Tenne, so für die Frau die Zeit des
„Lichtstippens“. Durch wiederholtes Eintauchen des aus Leinen und
später Baumwolle angefertigten Dochtes in geschmolzenen Talg wurden
die Lichter auf die gewöhnliche Dicke gebracht. Erst seit dem 17.
Jahrhundert wurden die Unschlittkerzen auf der Form gegossen, und zwar
dünnere für die Werktage und dickere für die Feiertage.

Zu Anfang des 19. Jahrhunderts begann man den Talg durch Entfernung der
Ölsäure vermittelst Pressen härter zu machen und ihm das öligschmierige
Aussehen zu nehmen. 1823 erschienen die wichtigen Untersuchungen über
die Fette tierischen Ursprungs des französischen Chemikers Chevreul,
denen zufolge zwei Jahre später Cambacérès, der zuerst die geflochtenen
und außerdem chemisch mit Schwefelsäure zubereiteten Dochte in
Anwendung brachte, Kerzen aus Fettsäuren herzustellen versuchte; doch
waren diese braun, fühlten sich immer noch fettig an und verbreiteten
einen unangenehmen Geruch. Die ersten einigermaßen brauchbaren Kerzen
brachte ein Herr von Milly in Paris auf. Er war vormals Kammerherr
Karls X. gewesen, hatte aber durch die Julirevolution und die danach
folgende Abdankung des Königs 1830 seinen Posten verloren; deshalb
errichtete er, um sich eine neue Existenz zu gründen, zu Paris eine
kleine Fabrik zur Herstellung von Kerzen. Die erste Entdeckung, die
er machte, bezeichnete schon einen sehr erheblichen Fortschritt. An
Stelle der kaustischen Soda, die Chevreul und sein Teilhaber Gay-Lussac
zur Verseifung der Fette seit 1825 angewandt hatten, benutzte er
dazu den Ätzkalk und erhielt dadurch eine Kalkseife, aus der die
Fettsäuren zur Herstellung von Kerzen sich mit Hilfe der Schwefelsäure
leicht abscheiden ließen. Durch anfänglich kalte, im Verlaufe jedoch
gesteigerte und zuletzt warme Pressungen waren die bei gewöhnlicher
Temperatur festen Fettsäuren leicht von der Olëinsäure zu trennen.
Die aus den festen Fettsäuren, der Palmitin- und Stearinsäure (vom
griechischen ~stéar~ = Fett), die in der ersten Zeit als eine einzige
betrachtet und ihrer perlmutterartig glänzenden Krystalle wegen (nach
dem lateinischen ~margarita~ = Perle) Margarinsäure genannt wurden,
bis man auch sie voneinander zu scheiden vermochte, bereiteten Kerzen
hatten jedoch den einen Übelstand, daß der Masse ein kleiner Rest Kalk
beigemengt blieb, der sich beim Verbrennen in den Docht sog und dessen
Porosität verringerte. Auch darin schaffte Milly Abhilfe, indem er den
Docht statt wie nach Cambacérès mit Schwefelsäure mit Borsäure tränkte,
welche alle Aschenbestandteile zu winzigen, glasartigen Kügelchen
zusammenschmilzt. Ebenso begegnete er dem für die Kerzenfabrikation
fatalen Bestreben der nunmehr vorzugsweise zur Herstellung von Kerzen
verwendeten Stearinsäure zu kristallisieren und infolgedessen im Innern
der Formen Hohlräume zu bilden. Man hatte zwar in der arsenigen Säure
schon ein Mittel gegen diesen Umstand in Anwendung gebracht, doch war
dasselbe zu gesundheitsgefährlich, um sich auf die Dauer im Gebrauch
halten zu können.

Milly fand zuerst, daß ein geringer Zusatz von Wachs zur Stearinsäure
eine gleichmäßige und durchgängig zusammenhängende Masse gebe.
Späterhin entdeckte er, daß die Stearinsäure nur kristallisiert, wenn
sie in sehr dünnflüssigem Zustande in die Formen gegossen wird, daß
sie aber ein völlig gleichmäßiges Gefüge erhält, wenn sie bei einer
Temperatur verarbeitet wird, die dem Schmelzpunkte so nahe liegt, daß
die Masse eben nur fließend erhalten wird.

Solchergestalt verbesserte Stearinkerzen brachte Milly 1834 unter
dem Namen ~bougies de l’étoile~ in den Handel, doch waren sie in der
ersten Zeit ihres hohen Preises wegen mehr ein Luxusgegenstand für
Reiche als ein volkstümlicher Beleuchtungsartikel. Um sie zu einem
Gegenstand allgemeinen häuslichen Verbrauchs zu machen, bedurfte man
weiterer Verbesserungen in der Methode der Stearinfabrikation. Den
wesentlichsten Vorteil zog man aus der Entdeckung, daß die flüssige
Olëinsäure ein sehr wertvolles Material für die Seifenfabrikation sei,
das das Olivenöl sogar in vielen seiner Eigenschaften zu ersetzen
imstande ist. Durch Höherwertung des einen Bestandteils mußten aber die
anderen sich billiger gestalten, und diese wirtschaftliche Tatsache kam
der Stearinsäure zugute. Auch konnte man jetzt im festen Material dem
geflochtenen Docht eine so starke Drehung geben, daß sich die Spitze
desselben fortwährend nach außen drehte und so an der Peripherie der
Flamme stets genug Sauerstoff zur Verbrennung zu Asche fand. Im Jahre
1839 gab es allein in Paris neun Fabriken, die solche neue, immer
höheren Ansprüchen genügende Kerzen herstellten. Andere Länder blieben
nicht zurück, und ganz besonders gelangte diese neue Industrie in
Österreich zu großer Bedeutung.

[Illustration: Bild 32. Lampe der Mammutjäger der frühen Nacheiszeit
aus einem roten Sandsteingeröll mit einer Art Griff, aus der Höhle
von La Mouthe in der Dordogne. Auf der Unterseite ist der Kopf eines
Steinbocks eingeritzt. (⅓ natürliche Größe.)]

Als Beleuchtungsmittel noch viel gebräuchlicher als die Kerzen
waren seit dem frühesten Altertum die +Lampen+, in denen zuerst
tierisches, später auch pflanzliches Fett vermittelst eines aus
einem Holzsplitter oder noch besser aus irgend welchen getrockneten
Pflanzenfasern bestehenden Dochts verbrannt wurde. Die älteste Lampe
war ein ausgehöhlter Stein, und erst nach Erfindung der Töpferkunst
eine aus Ton gebrannte, zuerst offene und später, zum Schutze gegen
das Ausschütten und das Hineingelangen von Verunreinigungen mehr
oder weniger geschlossene kleine Schüssel. Solche Lampen, in denen
besser als fester tierischer Talg nach der Erlangung von ölspendenden
Kulturpflanzen flüssiges fettes Öl verbrannt wurde, besaßen schon
die ältesten Ägypter und Assyrer. Meist waren sie aus Ton gebrannt,
seltener aus Metall und nur ausnahmsweise aus Alabaster oder Glas
hergestellt. Sie bestanden aus einem runden oder ovalen Ölbehälter mit
einer meist in der Mitte gelegenen Öffnung zum Eingießen des Öles,
einer oder mehreren vorspringenden Tüllen für den Docht an der einen
und einem Griff oder Henkel an der anderen Seite. Von den einfachsten
bis zu den kunstvollsten, kostbarsten Formen waren alle Übergänge
vorhanden, darunter außer kleinen auch große, die bis zu 12 und mehr
Flammen nebeneinander brennen lassen konnten. Sie hingen an Ketten oder
standen wie die Kerzen auf einem bei den Römern ebenfalls ~candelabrum~
genannten Träger. Aus der römischen Kaiserzeit haben uns, abgesehen
von den Funden in Pompeji, besonders die Gräber eine reiche Ausbeute
an Lampen geliefert, da es Sitte war, den Toten Lampen mitzugeben, die
eigens zu diesem Zwecke fabriziert wurden und nicht zu praktischem
Gebrauch geeignet waren.

Die ersten Christen verzierten ihre Lampen mit christlichen Emblemen,
wie dem Christusmonogramm, dem Lamm, der Taube oder dem ein Lamm auf
seinem Rücken tragenden guten Hirten. Aus den beim Katakombenkultus
gebrauchten Lampen zum Aufhängen vermittelst Kette an der Decke oder
einem Holz- oder Metallarm entwickelte sich die während des ganzen
Mittelalters gebrauchte Hängelampe, die sowohl für Kultuszwecke in
christlichen Kirchen und muhammedanischen Moscheen, als auch für
Profanzwecke überall im Gebrauche stand. Das übliche Öl, das darin
verbrannt wurde, war in Europa meist Rüböl und der Docht ein massiver
Runddocht, während der Flachdocht erst 1783 durch Leger in Paris,
der hohle Docht 1789 durch den in Genf geborenen Techniker Argand in
London aufkam. Letzterer war auch der Erfinder des nach ihm benannten
Brenners mit doppeltem Luftzug, indem er den bis dahin über der Flamme
angebrachten blechernen Zugzylinder durch einen gläsernen ersetzte.

Eine vollständige Umwälzung in der Lampenfabrikation brachte die
Einführung des +Petroleums+ hervor, für die Silliman in den Vereinigten
Staaten 1855 die erste Lampe konstruiert haben soll. Zwar hatte man
schon im Altertum gelegentlich Erdöl in Lampen gebrannt. So berichten
Dioskurides und Plinius um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. vom
Erdöl von Agrigent auf Sizilien, das als „sizilisches Öl“ in Lampen
gebrannt wurde. Auch das Erdöl der „Pechquelle“ bei Bechelbronn im
Unterelsaß, die schon 1498 erwähnt wird, soll im 16. Jahrhundert zum
Brennen in Ampeln benutzt worden sein. Im 19. Jahrhundert diente
das zu Amiano unweit Parma gefundene Erdöl zur Beleuchtung einiger
italienischer Städte, namentlich Genuas. Seit uralter Zeit betrachtete
man die mancherorts aus dem Boden hervorsickernde brennbare Flüssigkeit
mit heiliger Scheu und benutzte sie als geschätzte Medizin. Die
heiligen Feuer der Erdölgegend von Baku waren den Anhängern Zoroasters
ein Gegenstand religiöser Verehrung und sind es ihren Nachkommen,
den Parsen, bis auf den heutigen Tag geblieben. Weil ihre Priester
an den Orten, wo das „ewige Feuer“ brannte, die Versöhnung mit Gott
vermittelten, nannte man sie ~nephtar~, d. h. Versöhnungsorte, wovon
sich der Name Naphtha für Petroleum oder Erdöl ableitet. Erst vom
Jahre 1859 an datiert der Beginn der Petroleumbenutzung in weiteren
Kreisen, zuerst der Vereinigten Staaten, dann auch Europas und der
ganzen Kulturwelt. 20 Jahre später wurde die Petroleumlampe durch die
Konstruktion der Glühlampe von Edison entthront, die ganz wesentlich
zur Verbreitung des elektrischen Lichtes in den Haushaltungen beitrug.



X.

Der Zucker.


Der älteste Süßstoff der Menschheit war der in hohlen Bäumen oder
Felsklüften von wilden Bienen gesammelte +Honig+. Erst sehr viel später
lernte der Mensch die mancherlei süßen Säfte, die das Pflanzenreich
hervorbringt, für sich verwenden. So wird er schon sehr früh
gelegentlich der Verletzung eines aufschießenden Triebes irgend einer
Palme beobachtet haben, daß nach einer solchen die Pflanze den zum
Aufbau des jungen Pflanzenleibes nötigen Nährsaft in Menge aus der
Wunde hervorträufeln läßt. Dieser schmeckt durch den darin enthaltenen
Traubenzucker süß und kann, durch Verdampfen des Wassers in einem
Gefäß eingedickt, als eine bräunliche, krümelige Masse oder, durch
Alkoholgärung in leicht schäumenden Most verwandelt, als eine Art Wein
genossen werden. Fast alle Palmen haben einen solchen süßen Saft,
den sie bei Verletzung des aufschießenden Triebes in Menge spenden.
So liefert eine einzige auf solche Weise behandelte Kokospalme im
Jahre mehr als 250 Liter Palmensaft, der ein Fünftel seines Gewichts
Zucker enthält. Eingedickt liefert er einen vortrefflich mundenden,
als ~schakara~ bezeichneten +Palmzucker+. Nächst der Kokospalme ist
die indische Dattelzuckerpalme eine für die Zuckergewinnung besonders
geschätzte Palmenart. Von ihr sollen jährlich über 65 Millionen kg
Zucker gewonnen werden, der meist in Indien selbst konsumiert wird.

Eine natürliche Zuckerart, die statt Traubenzucker Mannit enthält,
ist das +Manna+, das den bei ihrer Wanderung durch die Wüste zu
verhungern drohenden Juden vom Himmel herabgefallen sein soll. Als für
sie unerwartete Himmelsgabe fanden sie es an einem Sommermorgen, als
ihr Hunger aufs höchste gestiegen war, unter den Tamariskenbüschen,
welche in den Tälern des Sinai, die sie durchzogen, heute noch in
Menge wachsen. Diese etwa 7 m hoch werdende Mannatamariske (~Tamarix
mannifera~) produziert diesen Süßstoff spontan nach dem Stiche
einer bestimmten kleinen Schildlaus (~Coccus manniparus~). Diese
Tamariskenart ist eine nahe Verwandte der fränkischen Tamariske, welche
aber nur am Sinai und im Steinigen Arabien, wo sie ganze Wälder bildet,
jene glänzendweißen, honigsüßen Tropfen in der heißesten Zeit, im Juni
und Juli, von den von der betreffenden Schildlaus angestochenen Zweigen
herabträufeln läßt. Nur vor Aufgang der Sonne aufgelesen sind sie von
der Kühle der Nacht noch in festem Zustand und werden seit Urzeiten von
den umwohnenden Araberstämmen in lederne Schläuche gesammelt und müssen
dann sofort an einem kühlen Ort aufbewahrt werden. Die Araber, welche
sie als man bezeichnen, woraus die Juden das Wort ~manna~ bildeten,
sammeln davon am Sinai jährlich etwa 250 kg und verzehren sie als ihren
bevorzugten Leckerbissen mit Brot. Sie sagen, er sei süßer als Honig
und geben ihn kaum je an Fremde ab. Nun sammeln auch die Mönche des St.
Katharinenklosters am Sinai davon in lederne Schläuche und benutzen
es als willkommenen Süßstoff teils selbst, teils verkaufen sie es für
teures Geld an die gläubigen Pilger, die den Sinai mit dem Serbal, dem
Berge der Gesetzgebung, besuchen.

Im Orient und im Mittelmeergebiet wächst noch ein anderer natürlicher
Zuckerspender. Es ist dies die +Manna+- oder +Blütenesche+ (~Fraxinus
ornus~), deren bis armdicke Zweige durch den Stich der Mannazikade, am
häufigsten aber durch täglich wiederholte Kreuzschnitte oder mehrfache,
schief aufsteigende Einschnitte bis ins Holz angezapft werden, wonach
ein bräunlicher Saft hervorträufelt, der schon nach wenigen Stunden
durch Verdunstung zu einer weißlichen, kristallinischen Masse von sehr
süßem Geschmack erhärtet. Es ist dies der Mannazucker, der heute noch
namentlich in Sizilien und Kalabrien in Kulturgärten gewonnen wird und
in den Handel kommt, seitdem die Araber, die im Jahre 827 Besitz von
jener Insel ergriffen, den Eingeborenen jene natürliche Zuckergewinnung
durch Einschnitte auch an der gewöhnlichen Esche (~Fraxinus excelsior~)
lehrten. Die beste Sorte ist das Röhrenmanna, das von den dünneren
Zweigen gewonnen wird, während das von älteren Zweigen gesammelte
Manna weniger rein ist. Es besteht bis zu 60 Prozent aus Mannit,
einem zuckerähnlichen Körper, der kein Kohlehydrat ist und sich von
den echten Zuckerarten durch mehr Wasserstoff und die Unfähigkeit,
in alkoholische Gärung zu kommen, unterscheidet. Einen ähnlichen
natürlichen Zuckerspender, dessen Erzeugnis von den Eingeborenen
gerne gesammelt und gegessen wird, bildet der +australische Manna+-
oder +Zuckergummibaum+ (~Eucalyptus mannifera~), aus dessen Rinde und
Blättern Tröpfchen eines mannaartigen Saftes in reichlicher Menge
hervorquellen. Dieses Manna ist etwas schleimig, weniger süß als die
echte Manna der arabischen Tamariske und gelinde abführend. Es kommt in
manchen Gegenden in den Handel.

Obschon außer diesen noch sehr zahlreiche Pflanzensäfte zuckerhaltig
sind und manchenorts zur Gewinnung von Zucker verwendet werden, kommen
nur wenige für den Betrieb im großen in Betracht. So hat man in
Nordamerika, und zwar in Louisiana schon zu Ende des 18. Jahrhunderts
begonnen, aus dem Safte des wildwachsenden +Zuckerahorns+ (~Acer
saccharinum~) Zucker zu gewinnen, und in Europa liefert der Spitzahorn
und Silberahorn ebenfalls Zuckersaft, der namentlich früher in größeren
Mengen gewonnen und auf Zucker verarbeitet wurde. Zu diesem Zwecke
bohrt man Ende Januar und im Februar 30-45 cm über der Erde an mehreren
Stellen schräg aufwärts gerichtete Bohrlöcher von 4 cm Tiefe in den
Stamm und steckt Röhrchen hinein, die den Saft in untergestellte Gefäße
leiten. Der Ausfluß des Saftes dauert für jeden Stamm fünf Tage, dann
vernarbt die Wunde. Nach vielen Versuchen ist diese Operation ohne
erkennbaren Nachteil für den Baum und kann bis Mitte März, bis sich
die Blätter entwickeln, ausgeübt werden. Der so erhaltene Saft ist
wasserklar und enthält bis 5 Prozent Zucker, so daß aus 20 kg Saft bis
1 kg Rohzucker gewonnen werden kann. In Amerika gibt ein Baum etwa
2,5-3 kg Zucker. In Ungarn lieferten 200 Bäume 39 kg sehr schönen
Rohzucker und dazu noch Sirup im Wert von etwa 12 kg Rohzucker. Als der
Rübenzucker noch nicht aufgekommen war, spielte diese Zuckergewinnung
eine wichtige Rolle. So erreichte die Ahornzuckerproduktion der
Vereinigten Staaten Nordamerikas im Jahre 1840 gegen 18 Millionen kg,
nahm aber seither bedeutend ab. In Kanada beträgt die Jahresproduktion
immer noch 3-3,5 Millionen kg und für das gesamte Nordamerika 5
Millionen kg -- meist aus dem Steinahorn, im Westen auch aus dem
Weichahorn. Diese Bäume, die 30-40 m hoch werden, gedeihen am besten
auf fruchtbarem Ackerboden, sind meist durch den Wald in Gruppen
zerstreut, seltener bilden sie geschlossene Waldungen. Im Vorfrühling,
zur Zeit der kalten Nächte und der allmählich wärmer werdenden Tage,
dem sogenannten „Zuckerwetter“, beginnt der Saft in den Bäumen zu
steigen. Um diese Zeit trifft man die Vorbereitungen zur Zuckerernte.
Mit den nötigen Geräten beladen rücken die Zuckersieder zu zweien oder
dreien in die Wälder. Der eine bohrt die Bäume an und schafft immer
frischen Saft herbei, den der andere in einem großen Kessel einkocht.
Ist ein Dritter vorhanden, so besorgt der die kleinen Handreichungen,
schafft die nötigen Lebensmittel herbei und kocht. Nach zwei bis
drei Monaten kehren sie wieder zurück, häufig mit einem Ergebnis von
750-1000 kg Zucker, der, auf so kunstlose Art gewonnen, braun ist, aber
durch geringe Beimengungen von Apfelsäure einen so angenehmen Geschmack
aufweist, daß er höher geschätzt wird als der gewöhnliche weiße Zucker,
den man übrigens durch Raffinieren sehr leicht aus ihm gewinnen kann.

In Frankreich stellte man zur Zeit der Kontinentalsperre aus dem
ausgepreßten Safte des +Mais+ Zucker her, wie einst in den Nordstaaten
Amerikas vor dem Bürgerkriege aus demjenigen des +Sorghum+ oder der
+Mohrenhirse+ (~Andropogon sorghum~), einer Art Bartgras. Durch den
aus dem letzteren gewonnenen Zucker wollte man dem aus dem Zuckerrohr
der Südstaaten hergestellten Konkurrenz machen und damit der Sklaverei
selbst einen Stoß versetzen. Man gewinnt daraus in der Tat einen
vortrefflichen Sirup und die Rückstände bilden ein ausgezeichnetes
Viehfutter; bloß die Gewinnung eines kristallisierten Zuckers stößt auf
Schwierigkeiten. Erst nach vollendeter Reife der Samen kann man fast
zwei Drittel des etwa 9 Prozent des Saftes betragenden Zuckergehalts
in kristallisiertem Zustand gewinnen. Doch ist dann der Stengel schon
stark verholzt und muß gebrüht werden, um als Viehfutter dienen zu
können.

Viel rationeller ist es, den Saft des dem Sorghum nahe verwandten
~Zuckerrohrs~ und der +Zuckerhirse+ zur Gewinnung von Zucker zu
verarbeiten. Das taten denn auch seit wenigstens der Mitte des letzten
vorchristlichen Jahrhunderts die Hindus in Indien, wo die griechischen
Begleiter Alexanders des Großen nach dem Überschreiten des Indus im
Jahre 327 v. Chr. im Pandschab, d. h. Fünfstromland, wie gemeldet wird,
als erste Europäer „an festem Honig sich labten, der nicht von Bienen
stammte“. Immerhin kann diese gelbbraune Substanz auch Palmenzucker
gewesen sein. Jedenfalls ist dies die früheste Nachricht, die wir von
einer durch Eindampfen von süßen Pflanzensäften gewonnenen Zuckerart
besitzen. Der Schüler des bedeutenden Lehrers Alexanders des Großen,
Aristoteles, und nach dessen Tod im Jahre 322 Haupt der peripatetischen
Schule, zugleich der erste namhafte Botaniker, Theophrastos (390-286
v. Chr.), berichtet als erster von einem „süßen Salz, das sich in
Indien von selbst aus einer rohrartigen Pflanze erzeuge“. Damit kann
nur der Rohrzucker gemeint sein. Nach ihm ist von den Schriftstellern
des Altertums, die das Zuckerrohr erwähnen, der bedeutendste Gelehrte
Roms, Marcus Terentius Varro (116-27 v. Chr.), zu nennen, der schreibt:
„In Indien wächst ein Rohr von mittlerer Baumhöhe, aus dessen zähen
Wurzeln man einen Saft preßt, der dem Honig an Süßigkeit gleichsteht.“
Dann berichtet der Erzieher und Leiter des jugendlichen Nero, Lucius
Annaeus Seneca (2-65 n. Chr.), in seiner 84. Epistel: „In Indien soll
in den Blättern einer Rohrart ein Honig gefunden werden, der entweder
vom Taue jenes Himmels, oder aus dem süßen Safte des Rohres stammt.“
Der um 25 n. Chr. verstorbene griechische Geograph Strabon aus Amasia
in Pontos meldet: „Megasthenes spricht von einem in Indien wachsenden
großen Rohr, welches süß ist, und er glaubt, diese Süßigkeit sei
die Folge der Sonnenhitze, welche den Saft der dortigen Pflanzen
einkoche. Er spricht auch von einem Rohr, das ohne Zutun der Bienen
Honig gibt.“ Der um die Mitte des 1. christlichen Jahrhunderts lebende
griechische Arzt Dioskurides aus Anazarbos in Kilikien erwähnt in
seiner reichhaltigen Arzneimittellehre: „Eine Art Honig, die man
~sáccharon~ nennt, findet sich in Indien und dem Glücklichen Arabien
auf Rohr. Die Masse sieht aus und kaut sich zwischen den Zähnen wie
Salz. Sie löst sich in Wasser auf und ist dem Magen, der Blase und den
Nieren gesund.“ Sein Zeitgenosse, der ältere Plinius, sagt: „Das beste
~sáccharon~ erzeugt Indien; es kommt aber auch in Arabien vor. Es ist
eine Art Honig, der sich in einer Rohrart sammelt, weiß wie Gummi ist,
zwischen den Zähnen bricht, höchstens in Stücken von Haselnußgröße
vorkommt und nur als Arznei dient.“ Der große Arzt Claudios Galenos
(geb. 131 in Pergamon, praktizierte daselbst, dann in Rom, wo er ums
Jahr 200 verstarb) meint: „Das sogenannte ~sacchar~, das aus Indien und
dem Glücklichen Arabien gebracht wird, ist, wie man sagt, eine sich an
Rohr findende verhärtete Masse, eine Art Honig, doch nicht so süß wie
unser Honig, hat jedoch ungefähr dieselben arzneilichen Eigenschaften,
bekommt aber dem Magen besser.“ Endlich schreibt der griechische
Kriegsschriftsteller Aelianus, der unter Trajan, der von 98-117
regierte, lebte: „Das eigentliche Getränk der indischen Elefanten ist
Wasser; die für den Krieg bestimmten bekommen aber Wein, der nicht aus
Trauben, sondern aus Reis und einem Rohr bereitet ist.“

    Tafel 57.

[Illustration:

    (Nach Phot. von R. v Wettstein.)

Verwildertes blühendes Zuckerrohr in Brasilien.]

    Tafel 58.

[Illustration: Zuckerrohrernte auf Jamaika.

Zuckerrohrernte auf den Antillen.]

Alle diese auf uns gekommenen Mitteilungen des Altertums über den
indischen Rohrzucker, denen der Vollständigkeit wegen noch die Angabe
des zu Beginn des 2. christlichen Jahrhunderts lebenden Arztes Gallus
hinzuzufügen ist, daß man das indische Salz als kostbare Medizin bei
Krankheiten verwende, lassen mit großer Deutlichkeit erkennen, daß der
indische Rohrzucker noch in der römischen Kaiserzeit sehr selten und
deshalb teuer war, wohl als Arznei, aber keineswegs als alltäglich
gebrauchter Süßstoff Verwendung fand. Als solcher diente das alte
Süßungsmittel, der Honig, der noch das ganze Mittelalter hindurch bis
in die Neuzeit bei uns den gewöhnlichen Süßstoff zur Bereitung von
Kuchen und süßen Getränken bildete. Alle altertümlichen Gebäckarten,
wie Pfeffer- und Lebkuchen, Leckerli und Honigbrötchen enthalten stets
Honig statt Zucker.

Das +Zuckerrohr+ (~Saccharum officinale~) ist eine unserem Schilfrohr
sehr ähnliche Grasart, deren Heimat Südasien, speziell die heiße
Niederung von Bengalen ist, jenes von den Schmelzwässern des
Himalaja reich bewässerte Land, das wegen seiner unerschöpflichen
Fruchtbarkeit von jeher als der Garten Indiens gepriesen wurde. Hier
wurde das Zuckerrohr ursprünglich, wie später in China, auf den
Philippinen und den Südseeinseln, als Nahrungspflanze gezogen und erst
nachträglich bloß zur Gewinnung des aus ihm gepreßten süßen Saftes
im großen kultiviert, und zwar ausschließlich durch Stecklinge, so
daß die Pflanze im Laufe der mehr als 3000 Jahre, während welcher
sie auf ungeschlechtlichem Wege vermehrt wird, die Fähigkeit, Samen
hervorzubringen, ganz eingebüßt hat.

Aus Nordindien kam das Zuckerrohr gegen das Ende des 3. Jahrhunderts
n. Chr. nach China, und zwar im Jahre 286 als Tribut des Königreichs
Funam in Indien. Ein von 627-650 n. Chr. herrschender chinesischer
Kaiser entsandte dann einen Gelehrten nach der indischen Provinz Behar,
um dort die Zuckerfabrikation zu studieren. Zweihundert Jahre später
als nach China drang die Kultur des Zuckerrohrs nach Südpersien und
Arabien vor. In Persien wurde die indische Bezeichnung ~schakara~ (im
altindischen Sanskrit noch ~sarkura~) in ~schakar~, im Arabischen in
~sukkar~, als welches es sich mit dem zu a abgekürzten arabischen
Artikel al als ~azucar~ im Spanischen und Portugiesischen erhielt,
während es im Englischen zu ~sugar~, im Italienischen zu ~zucchero~,
im Deutschen zu Zucker und im Französischen zu ~sucre~ wurde. Das
griechische ~sáccharon~, das als ~saccharum~ ins Lateinische überging,
steht dem persisch-indischen ~schakara~ noch näher.

Im 6. Jahrhundert n. Chr. war der Anbau des Zuckerrohrs von seinem
Ursprungsherde Indien westlich bis Gondisapur am persischen Meerbusen
vorgedrungen, wohin sich die Nestorianer geflüchtet hatten, als
das Konzil zu Ephesus im Jahre 431 ihre Lehre, wonach zwischen der
göttlichen und menschlichen Natur in Christus scharf zu unterscheiden
sei, für ketzerisch erklärt und ihr Haupt, den Patriarchen Nestorius
von Byzanz, abgesetzt und verbannt hatte. Sie führten dem Orient die
Keime klassischliterarischer und wissenschaftlich medizinischer Bildung
zu, namentlich auch die Anfangsgründe chemischer Kenntnisse. Die
durch rege Schiffahrt unterhaltenen Beziehungen der Stadt Gondisapur
zu Indien bewirkten zugleich, daß sich der Einfluß der indischen
Arzneilehre dort geltend machte und eine Akademie erblühte, die nicht
nur die Traditionen der griechischen Medizin und Naturwissenschaften
in sich aufnahm, sondern dieselben auch, mit den indischen Kenntnissen
befruchtet, wesentlich förderte. Hier wurde allem Anscheine nach die
Kunst der Zuckerraffinerie erfunden, wie der persische Name „~kand~“
für den gereinigten Zucker -- in unserer Bezeichnung Zuckerkandel
beziehungsweise Kandiszucker noch zu erkennen -- vermuten läßt.

In der Folge waren es die Araber, welche das Zuckerrohr in größeren
Mengen pflanzten, um Zucker daraus zu gewinnen. So soll der Kalif
Mostadi ben Villa von Bagdad bei den prunkvollen Festlichkeiten zu
Ehren seiner Vermählung im Jahre 1087 einen so großen Tafelaufsatz aus
Konfekt haben herstellen lassen, daß zu seinem Aufbau 5000 kg Zucker
nötig waren. Wenn auch dieser Bericht zweifellos eine von der blühenden
orientalischen Phantasie diktierte Übertreibung darstellt, so kann doch
schlechterdings nicht bezweifelt werden, daß die Araber den Zucker
schon in beträchtlicher Menge gewonnen haben müssen. Bei ihnen lernten
ihn die Abendländer auf ihren Kreuzzügen im Morgenlande kennen. So
meldet uns der Mönch Albertus Aquensis, daß die Kreuzfahrer im Gelobten
Lande aus Mangel an anderen Nahrungsmitteln „süßes, honigreiches
Schilfrohr“, das sie da und dort im Lande der Ungläubigen angepflanzt
fanden, also Zuckerrohr gekaut hätten, um dessen Saft zu schlürfen.
Nach Venedig gelangte der erste Zucker im Jahre 996 aus Alexandrien.
Dort soll er später aus seinem rohen Zustand, wie ihn die Araber
lieferten, in die heute noch gebräuchliche Kegelform des Zuckerhutes
gebracht worden sein. Durch die Vermittlung der venezianischen
Kaufleute wurde er dann nach der Zeit der Kreuzzüge auch im Abendlande
bekannt; aber auch hier fand er wie einst im Morgenlande vorzugsweise
nur ärztliche Verwendung als kostbares Heil- und Stärkungsmittel. Ja
er war noch zu Ende des 17. Jahrhunderts so teuer, daß man sich in
Deutschland nur in den vornehmsten Haushaltungen seiner bediente.

Das Zuckerrohr selbst brachten die Araber im 8. Jahrhundert nach
Ägypten (766 wuchs es schon bei Assuan in Oberägypten), ganz Nordafrika
und sogar (714) nach Spanien und im 9. Jahrhundert nach Zypern,
Rhodus, Kreta, Malta, Sizilien und Kalabrien. In Sizilien blieb dessen
Kultur auch nach der Vertreibung der Araber bestehen. So schenkte
König Wilhelm II. von Sizilien dem Kloster St. Benedikt bei Palermo
im Jahre 1166 eine -- jedenfalls von den Arabern eingerichtete --
Mühle zum Zerquetschen des Zuckerrohrs mit Privilegien, Arbeitern
und Zubehör. In Venedig, das in sehr regen Handelsbeziehungen mit
dem muhammedanischen Orient stand, lassen sich bereits im Jahre 1150
Zuckerbäcker nachweisen. Die drei wichtigsten Produktionsländer des
Zuckers im Mittelalter waren Syrien, Ägypten und Zypern, von wo ihn die
Handelsschiffe der Venezianer holten, um ihn den Völkern Mitteleuropas
zu vermitteln. Die Bedeutung dieser Länder schwand erst als Vasco da
Gama im Jahre 1498 den direkten Weg nach Ostindien um das Kap der Guten
Hoffnung fand und der Zwischenhandel mit indischem Zucker und den
mancherlei im Abendlande so überaus beliebten Gewürzen in die Hände
der Portugiesen fiel. Damit war der dominierende handelspolitische
Einfluß Venedigs und damit seine Seemacht für immer gebrochen; an
Stelle des Mittelmeeres wurde der Atlantische Ozean der Schauplatz des
Weltverkehrs.

Der portugiesische Prinz Heinrich der Seefahrer ließ das Zuckerrohr
im Jahre 1420 nach der damals neu entdeckten Insel Madeira schaffen;
von da gelangte es bald nach den Kanaren, wo in der Folge eine
besonders feine Sorte Zucker erzeugt wurde. Daher rührt die Bezeichnung
Kanarienzucker für die feinste Sorte. Von den kanarischen Inseln
verbrachte Kolumbus das Zuckerrohr auf seiner ersten Reise 1490, die
mit der Entdeckung des neuen Weltteils gekrönt wurde, nach San Domingo,
wo er es auf seiner zweiten Reise im Jahre 1495 gut gedeihend antraf.
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurde es nach den übrigen westindischen
Inseln, 1531 durch die Jesuiten zugleich mit den dasselbe anbauenden
Negern nach Brasilien und 1553 durch Cortez nach Mexiko verbracht, wo
die Eingeborenen bereits aus Mais Zucker zu gewinnen verstanden. Im
ganzen tropischen Amerika, besonders auf den westindischen Inseln,
gedieh es in der Folge so gut, daß diese Länder, schon von 1570 an,
eine solche Menge Zucker auf den Weltmarkt brachten, daß Sizilien
seine Zuckerproduktion ums Jahr 1580 einzustellen begann, da es
gegen die überseeische Produktion in Amerika nicht mehr anzukämpfen
vermochte. Selbst Ostindien konnte nicht mehr mithalten und mußte
seine Zuckerproduktion verkleinern, da sein Zucker für Europa zu
teuer zu stehen kam. Diese gewaltige Zuckerproduktion, womit es alle
Konkurrenten aus dem Felde schlug, war Amerika nur durch die beständige
Zufuhr von Negersklaven aus Afrika ermöglicht, die hier als billiges
Arbeitsmaterial auf den Plantagen verwendet wurden. Länder, die zu
dieser Kultur freie Arbeiter anstellen mußten, konnten mit jenem Lande
nicht konkurrieren.

Obschon alles heute gebaute Zuckerrohr von derselben Art abstammen
muß, sind im Laufe der Zeit unter den Einwirkungen des veränderten
Bodens und Klimas die mannigfaltigsten, hauptsächlich an Unterschieden
der Farbe des Stengels kenntliche Varietäten entstanden, die stets
nur durch Stecklinge vermehrt werden, wozu man meist die obersten,
ausnahmsweise auch die untersten Glieder mit 2-3 Augen des knotigen,
saftreichen, nicht hohlen Stengels verwendet. Daraus erwachsen Pflanzen
mit ausdauernden dicken, knotigen, dicht verschlungene Rasen bildenden
Wurzeln, 4-5, ganz ausnahmsweise bis 12 Stück 3-4, in seltenen Fällen
auch 6 m hoher und 3-5 cm dicker, runder, knotig gegliederter Halme mit
einem lockeren, zelligen, saftigen Mark, von einer dichten, festen,
glatten und glänzenden Oberhaut bedeckt, die in der Jugend mit einem
weißen Reif versehen ist. Oben sind die Halme hellgrün und durchlaufen
nach unten zu alle Nuancen durch Purpur bis zum welken Gelb bei der
Reife. Die Farbe ist bei den verschiedenen Spielarten bald grün, bald
gelb oder violett, bald purpurn oder verschiedenfarbig gestreift.
Die mit ihrer Basis an den Knoten den Halm 30 cm hoch scheidenartig
umfassenden Blätter sind 1,25-1,3 m lang, 6-7 cm breit, glatt, sehr
fein, aber scharf gezähnt mit einer breiten, weißlichen, auf dem Rücken
gewölbten Mittelrippe. In dem Maße wie der Halm wächst, dorren die
unteren Blätter ab, bis das Rohr zur Ernte reif ist. Dabei hat der
Stengel, der allein Verwendung findet, unten eine Dicke von 6 cm und
unter Umständen ein Gewicht von 10 kg und darüber erreicht. Er enthält
nur bis zu einer gewissen Höhe hinauf Zucker. Gipfel und Blätter bergen
zwar auch viel Saft, aber keinen süßen.

Das Zuckerrohr wird schon so lange vom Menschen angepflanzt, daß
es wohl gelegentlich verwildert, wie auf einzelnen Inseln des
Großen Ozeans, aber nirgends mehr wild angetroffen wird. Am besten
gedeiht es in einem feuchtwarmen Klima mit verhältnismäßig hoher
Bodenfeuchtigkeit, die man zum Teil auch durch künstliche Bewässerung
erreichen kann. Der Boden muß, wie eingehende Versuche ergaben, neben
den Silikaten des Aluminiums und Kaliums namentlich Kalk enthalten,
der bei Fehlen durch Düngung, z. B. von Gips, ersetzt werden muß. In
solchen tief umgegrabenen, jungfräulichen oder gut gedüngten Boden
werden die Stecklinge in 1-1,25 m voneinander abstehenden Rinnen in
60-65 cm Abstand beinahe horizontal eingesteckt. Fällt nur spärlicher
Regen, so müssen sie sorgfältig begossen werden; ist dagegen ein
Überschuß von Feuchtigkeit vorhanden, so muß dieser durch die Rinnen
abgeleitet werden, damit dem Verfaulen der Stecklinge vorgebeugt werde.
Die Wurzeln beginnen sich rasch zu entwickeln und bald schießt der
erste Stengel empor; erst wenn dieser eine Höhe von 50 cm erreicht hat,
entwickeln sich noch 4-5 oder mehr Seitenstengel, die aber an Stärke
hinter dem Hauptstengel zurückstehen.

Die Zuckerrohrpflanzung muß während des ersten Wachstums des Rohrs
durch Jäten des üppig wuchernden Unkrauts und durch Behäufeln der
Pflanze, um sie vor dem Austrocknen zu schützen, sorgfältig gepflegt
werden, bis die Blätter der Pflanze so hoch geworden sind, daß sie
genug Schatten werfen, um damit das Unkraut unterdrücken zu können.
Dann ist das Jäten nicht mehr nötig. Werden die Pflanzen größer, so
nimmt man ihnen ihre untersten Blätter, damit die Sonne bis zum Stengel
dringe und einen möglichst großen Zuckergehalt in ihm bewirken könne,
dann aber auch, um diese abgebrochenen, großen Blätter horizontal auf
den Boden unter die Pflanzen zu legen, damit wenn sie sich neigen
sollten, ihre Knoten nicht Wurzel schlagen können, wodurch das Rohr an
Zuckergehalt bedeutend verlieren würde. Nach etwa acht Monaten haben
die Rohrstengel ihre volle Größe erreicht. Von da an muß das Wetter
möglichst trocken sein, damit sich reichlich Zucker in den Stengeln
ansammle.

Die Ernte beginnt +vor+ der Blütezeit, wenn sich das Rohr und die
mittleren stehen gebliebenen Blätter desselben gelb zu färben beginnen.
Die Blüten würden nach etwa zehn Monaten in Form von 60 cm langen,
buschartigen, aus sehr zahlreichen Einzelblütchen bestehenden Rispen
nur bei einigen wenigen kultivierten Zuckerrohrsorten zum Vorschein
kommen. Die meisten Sorten blühen aber überhaupt nicht mehr, da aus
technischen Gründen durch Jahrhunderte hindurch das Rohr vor der
Ausbildung der Blüte abgehauen wurde und sich die Pflanze so allmählich
daran gewöhnte, diese überhaupt nicht mehr zu bilden. Noch viel
seltener bringt sie Früchte hervor; diese sind vielmehr wie die Keimung
derselben erst in jüngster Zeit beobachtet worden.

Beginnen die mittleren Blätter zu welken und schwellen die unteren,
besonders viel Zucker enthaltenden Stengelglieder von dem in ihnen
angehäuften Safte an, so wird das Zuckerrohr abgehauen. In Abteilungen
verteilt streifen die Arbeiter erst die Blätter von den Stengeln ab
und hauen dann mit großen, im romanischen Amerika ~machete~ genannten
Buschmessern das Rohr an der Wurzel ab, während andere die noch
unreifen Spitzen desselben abschneiden. Dann werden die Stengel, zu
Bündeln vereinigt, auf Maultierkarren nach dem Zuckerhause gebracht, wo
sie zuerst gewogen und der Zuckergehalt in ihnen bestimmt wird, damit
der Fabrikant berechnen könne, wieviel kristallisierbaren Zucker sie
liefern werden. Die Stengel des Zuckerrohrs enthalten nämlich gegen 90
Prozent Saft und in diesen 18-20 Teile Rohrzucker. Von diesem letzteren
werden indessen höchstens 8-10 Prozent gewonnen, beinahe die Hälfte
desselben geht bei der mangelhaften Gewinnungsmethode verloren, gegen 6
Prozent bleiben allein im Rohr zurück.

[Illustration: Bild 33. Eine Zuckerfabrik im 16. Jahrhundert: Das
Ausquetschen des Zuckerrohrs.

(Nach Piso und Marggraf, ~Historia nat. Brasiliae~. Elzevir. 1648.)]

[Illustration: Bild 34. Eine Zuckerfabrik im 16. Jahrhundert. Das
Einsieden des aus dem Zuckerrohr gepreßten Saftes.

(Nach Piso und Marggraf, ~Historia nat. Brasiliae~. Elzevir. 1648.)]

In der Fabrik werden die Zuckerrohrstengel zunächst zwischen zwei
kannelierten Stahlwalzen -- früher bediente man sich dabei hölzerner
Walzen -- zerquetscht und vermittelst hydraulischer Pressen der Saft
ausgedrückt. Dieser letztere gelangt dann in mehrere, etwas tiefer
liegende offene Pfannen, in denen er durch Verdampfen des Wassers zu
Sirupkonsistenz eingedickt wird. Weil er wegen seines Eiweißgehaltes
leicht in Gärung übergeht und dann sauer wird, versetzt man ihn in
der Pfanne sofort mit etwas gelöschtem Kalk (2 kg auf 360 Liter
Saft). Während des starken Kochens steigen alle Unreinigkeiten mit
dem geronnenen Eiweiß als Schaum an die Oberfläche und werden mit
großen, flachen Kellen abgeschöpft. Ist der Saft so weit eingedickt,
daß er beim Abtröpfeln Fäden zieht, so wird er so rasch als möglich in
hölzerne Kühltröge geschöpft, wo er schnell zum braunen +Rohzucker+,
~Muscovado~ genannt, auskristallisiert. Im Filtrierzimmer stehen große
Fässer mit fein durchlöchertem Boden auf einem Gerüst über einem
Bassin. In diese Fässer wird nun die konzentrierte Rohzuckerlösung
gebracht und einige Zeit stehen gelassen. Dabei scheidet sich der
Zucker kristallinisch als bräunliche, krümelige Masse aus, und der
nicht kristallisierbare Teil wird zuletzt als bräunlicher Sirup,
+Melasse+ genannt, ablaufen gelassen. Nun hat man die Erfahrung
gemacht, daß je länger die Rohrzuckerlösung der Luft ausgesetzt bleibt,
um so weniger Zucker sich in Kristallform ausscheidet und um so mehr
flüssig bleibender Sirup sich bildet. Daher kam man auf die Neuerung,
den Zuckersaft in luftleer gepumpten Pfannen, sogenannten Vakuumpfannen
einzudicken. So bildet sich nur noch wenig Melasse, die dann durch
Zentrifugieren aus dem krümelig auskristallisierten Rohzucker entfernt
wird. Erfrorene und unreif geerntete Rohre geben viel Melasse. Aus
dieser Melasse, die auch beim Vakuumverfahren immer noch meist
über fünf Prozent des gesamten gewonnenen Zuckers beträgt, wird,
soweit er nicht als solcher in den Handel gelangt, um in den ärmeren
Haushaltungen an Stelle von Honig verwendet zu werden, durch Verdünnen
mit Wasser und Vergärenlassen +Rum+ gebrannt. Wird der Rohrzucker durch
Sieden und Läutern in mit feuchtem Ton bedeckten Gefäßen noch mehr
gereinigt, so heißt er +Kassonade+, +Farin+ oder +Farinzucker+, auch
+Mehl-+ oder +Puderzucker+.

Dieser Zucker wird nun meist erst in Europa in besonderen
Zuckerraffinerien noch weiter geläutert und gereinigt und in weißen
+Hutzucker+ verwandelt. Die erste Raffination ergibt den Lumpenzucker
und die zweite den Melis, so genannt nach der Insel Melita-Malta, wo
die Araber einst Zuckerraffinerien besaßen und diese Methode übten. Der
feinste gereinigte Zucker heißt +Raffinade+ oder +Feinzucker+, dessen
beste Sorte der nach den gleichnamigen, einst durch ihre Zuckerkultur
ausgezeichneten Inseln genannte Kanarienzucker ist. +Kandiszucker+, der
nach dem persischen Worte ~kand~ für gereinigten Zucker so genannte
kristallisierte Zucker, wird dadurch erzeugt, daß man in eine stark
eingedickte Zuckerlösung, in welcher noch kein Zucker zur Ausscheidung
gelangte, Fäden hineinhängt, an denen der Zucker in vielseitigen
Prismen auskristallisiert. Da man beim Sieden des Zuckers sehr viel
Heizmaterial verbraucht, so verwendet man dazu die als +Bagasse+
bezeichneten trockenen, holzigen Fasern des Zuckerrohrs, die nach der
Auspressung des Saftes als Abfall zurückbleiben.

Die gesamte Rohrzuckerfabrikation der Welt wird auf 5 Milliarden kg
geschätzt, von denen Westindien und danach Niederländisch-Indien
und Hawai das meiste liefern. Es würde uns nun zu weit führen, hier
aufzuzählen, zu welch großer Bedeutung der Zucker, besonders nach der
Einführung von Kaffee, Tee und Schokolade, in der Kulturwelt gelangt
ist und wie er auch bei der Herstellung der mancherlei Gebäcke nach und
nach den früher hierfür ausschließlich verwendeten Honig verdrängte.
Noch im 17. Jahrhundert war er so teuer, daß alle weniger Bemittelten
sich mit Honig oder der als Abfall bei der Zuckerraffinerie gewonnenen
Melasse begnügen mußten. Da er sich nun nicht bloß als Genußmittel,
sondern als Nahrungsmittel von hohem Nährwert erwies, den sich
verschaffen zu können alle Volksschichten anstrebten, mußte es von
unseren Voreltern als eine große Kalamität empfunden werden, als zu
Beginn des vorigen Jahrhunderts durch die von Napoleon I. aufgebrachte
Kontinentalsperre alle Handelsverbindungen Englands und seiner
Kolonien mit dem europäischen Festlande lahmgelegt wurden und dadurch
die Einfuhr von Kolonialzucker ganz außerordentlich eingeschränkt
wurde. Mit den übrigen Kolonialwaren wurde der Zucker so teuer, daß
ein Pfund desselben 4 Mark kostete. Da suchte man notgedrungen aus
einheimischen zuckerhaltigen Pflanzen diesen Stoff zu gewinnen. Von
diesen erwies sich in der Folge die +Runkelrübe+ als das geeignetste
Ausgangsmaterial, auf deren Zuckergehalt zuerst der Chemiker Marggraf
in Berlin im Jahre 1747 aufmerksam gemacht hatte. Allerdings gewann
er aus den Rüben nur etwa 6 Prozent Zucker. Nach vielen vergeblichen
Versuchen, diesen Zuckergehalt der Rüben im großen auszubeuten,
gelang es erst in den 1820er Jahren, die +Rübenzucker+industrie mit
günstigem Erfolge zu betreiben und aus dem Safte der Runkelrüben, die
bald zu eigentlichen Zuckerrüben veredelt wurden, einen Zucker von
untadelhafter Beschaffenheit zu gewinnen.

Den Grund zu dieser Neuerung legte im Jahre 1801 Marggrafs Schüler
Friedrich Karl Achard, der mit Unterstützung des Königs Friedrich
Wilhelms III. von Preußen, welcher die Bedeutung der einheimischen
Zuckererzeugung erkannt hatte, auf dem Gute Kunern bei Breslau in
Niederschlesien zuerst Runkelrüben zur Zuckergewinnung pflanzte und
eine Zuckerrübenfabrik errichtete, nachdem er schon 1796 auf seinem
Gute Kaulsdorf bei Berlin Rübenzucker hergestellt hatte. Doch betrug
die Ausbeute an Zucker zunächst nur 2-3 Prozent und die Fabrikation
hatte auch sonst mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen. Zu
Hilfe kam ihr nun die durch die Kontinentalsperre hervorgerufene
Zuckerteuerung. Ihr Verursacher, Kaiser Napoleon I., hatte selbst
einen Preis von einer Million Franken für die gelungene Darstellung
von Zucker aus inländischen Pflanzen ausgesetzt. Durch diese doppelte
Aussicht gereizt und durch den ungeheuren Eingangszoll auf Rohrzucker
begünstigt, der diesen, den man doch nicht entbehren mochte, ganz
fabelhaft verteuerte, lernte man trotz der geringen Ausbeute doch
nach und nach Nutzen ziehen. Von ganz wesentlichem Einflusse wurde
dabei die Entdeckung der günstigen Wirkung, welche der Zusatz von
Knochenkohle bei der Behandlung des Zuckersaftes auszuüben vermag. Die
französische Regierung, die selbst im Besitze von Kolonien war, welche
Rohrzucker, wenn auch in mäßigen Mengen, erzeugten, kam freilich in
Verlegenheit, ob sie hinsichtlich der Zuckerfabrikation die Kolonien
gegen das Mutterland oder das Mutterland gegen die Kolonien schützen
solle. Zuletzt aber behielt auch bei ihr die Verpflichtung zum Schutze
der einheimischen Rübenzuckerindustrie die Oberhand und diese hat
ihr die Begünstigung auch reichlich vergolten. So wurde Frankreich
neben Deutschland das erste Land, in welchem die Runkelrübe zur
Zuckergewinnung angepflanzt wurde. Seit dem Jahre 1811 besaß es eine
ansehnliche Zahl von Rübenzuckerfabriken, besonders nachdem Delessert
das Darstellungsverfahren von Zucker aus dem Rübensafte vervollkommnet
hatte. Aber nach Aufhebung der Kontinentalsperre gingen auch hier wie
in Deutschland die meisten Rübenzuckerfabriken ein.

Erst vom Jahre 1820 datiert der neue Aufschwung und der schließlich
großartige Erfolg der Rübenzuckerindustrie, so daß heute in ganz Europa
von den Ufern der Garonne bis zum Ural zahlreiche Rübenzuckerfabriken
bestehen und selbst England angefangen hat, Rübenzucker herzustellen,
obschon gerade dieses Land alle Ursache hätte, dem Zucker seiner
Kolonien keine Konkurrenz zu machen. Seit dem Jahre 1850 bis heute
hat sich die Rübenzuckerindustrie mehr als verdreißigfacht, so daß
Mitteleuropa, speziell Deutschland, nicht bloß seinen eigenen Bedarf
deckt, sondern noch viel Zucker auszuführen vermag. Dabei liefert
der Rübenzucker ein Produkt, das dem besten Rohrzucker an Güte nicht
im mindesten nachsteht, und zwar benötigt man zur Herstellung von
1 Zentner Rohzucker durchschnittlich 12,5 Zentner Zuckerrüben. Es
ist dies eine heute durch Zucht spezialisierte, d. h. in bezug auf
Zuckergehalt bedeutend angereicherte Runkelrübe, welche am besten auf
gründlich gepflügtem und fleißig geeggtem, fettem, lehmigem Boden
gedeiht, der tüchtig gedüngt werden muß, da die Rüben demselben
reichlich Nährsalze entziehen. Im März wird die Zuckerrübe ausgesät.
Bald kommen die jungen Pflanzen zum Vorschein. Mehrmals muß nun zuerst
von Hand, dann mit der Hacke gejätet, dabei auch die zu eng stehenden
Pflänzchen ausgedünnt werden. Wenn die Rübe eine bestimmte Größe
erreicht hat, wird sie ein- oder zweimal behäufelt, wobei derjenige
Teil der Pfahlwurzel, der über die Erde hervorragt, mit Erde bedeckt
wird. Man hat nämlich durch zahlreiche Versuche festgestellt, daß das
Licht umgekehrt wie bei den Stengeln des Zuckerrohrs nachteilig für die
Zuckerbildung in der fleischigen Pfahlwurzel der Runkelrübe ist. Diese
nimmt nach und nach an Umfang zu und in demselben Maße wächst auch ihr
Zuckergehalt, der schließlich durch Kultur und fortwährende Auslese
der süßesten Sorten von ursprünglich 6 auf 14, ja sogar 18 und 20
Prozent stieg.

Gewöhnlich läßt man die Rüben nur mäßig groß werden. Sobald der
Zuckergehalt in ihrer Wurzel seinen Höhepunkt erreicht hat, werden sie
aus dem Boden gepflügt. Dann werden an ihnen die Blätter und die Krone
ausgeschnitten, damit die Zuckerrüben später nicht in den Speichern
weiterwachsen können, da dadurch ihr Zuckergehalt bald erschöpft werden
würde. Die Blätter werden meist auf dem Felde zurückgelassen, um als
Dünger zu dienen; nur in Jahren, in denen das Futter knapp ist, werden
sie als Viehfutter benutzt, obschon ihr Nährwert nur ein geringer ist.

So zubereitet werden die Rüben auf dem Felde zu großen Haufen
aufgestapelt und mit Stroh und Erde bedeckt. Aus diesen Reservevorräten
holt man so viel in die Fabrik, als verarbeitet werden kann. Zuerst
werden die Rüben in einem Röhrenkomplex in fließendem Wasser gereinigt,
dann durch eine Maschine in einem zylindrischen Kasten in kleine
Stücke geschnitten und zu Brei zerrieben, der durch etwas Wasser
ausgelaugt und schließlich, in Tücher von grober Wolle eingeschlagen,
durch eine hydraulische Presse ausgedrückt wird. Der Saft wird dann
auf verschiedene Weise, zuletzt durch Passieren eines Filters mit
Knochenkohle, gereinigt und im Vakuumapparat vermittelst Dampf in
luftverdünnten Kesseln eingekocht. Ungefähr 85 Prozent von dem darin
eingedickten Saft besteht dann aus Zucker, der durch Zentrifugieren von
der Melasse getrennt wird.

Der so gewonnene Zucker ist pulverförmig und muß gereinigt werden. Zu
diesem Zweck wird er von neuem in Wasser gelöst und, mit Knochenkohle
und Ochsenblut vermischt, in großen Kesseln gekocht. So raffiniert
wird der flüssige Zucker in Formen gegossen, in welchen eine langsame
Kristallisation stattfindet. Zuletzt werden die Formen in die
Schwitzkammern gebracht und die Melasse aus ihnen entleert; schließlich
gewinnt man reinen Zucker in Form von Kegeln oder Würfeln. Der
Preßrückstand der Zuckerrüben, die +Preßlinge+, dienen als Viehfutter.

Die Rübenzuckerindustrie ist für unsere Landwirtschaft von allergrößter
Bedeutung geworden, weil durch sie dem Boden die höchste Rente
abgewonnen wird; sie hat auch einen starken Export namentlich nach den
Vereinigten Staaten hervorgerufen, der dem Lande viel Geld einbringt.
In Deutschland bestanden im Jahre 1908 358 Rübenzuckerfabriken, die
gegen 13000 Millionen kg Zuckerrüben verarbeiteten und daraus 2135
Millionen kg Rohzucker gewannen. Damit steht dieses Land in der
Produktion des Rübenzuckers obenan. Ihm folgen der Reihe nach Rußland
mit 1470 Millionen kg, Österreich mit 1345 Millionen kg, Frankreich
mit 760 Millionen kg, Belgien mit 285 Millionen kg und endlich die
Niederlande mit 180 Millionen kg. Die Zuckerproduktion der ganzen
Welt im Betrage von etwa 11 Milliarden kg besteht zur größeren
Hälfte -- etwa 6 Milliarden kg -- aus Rübenzucker und zur kleineren
-- 5 Milliarden kg -- aus Rohrzucker. Letzterer wird besonders auf
Kuba, der Perle der Antillen, gepflanzt, das im Jahre 1906/07 allein
1486 Millionen kg Zucker aus Zuckerrohr produzierte. Java erzeugte
im Jahre 1905 1039 Millionen kg; der Süden der Vereinigten Staaten
im gleichen Jahre 342000 kg und Hawai 370 Millionen kg. Weitere
wichtige Erzeugungsländer für Rohrzucker sind Mauritius, Ägypten, die
Philippinen und Portoriko mit je 100-200 Millionen kg Produktion;
ferner China und Indien, deren Ertrag sich jedoch nicht sicher
bestimmen läßt, da sie fast ausschließlich für den eigenen bedeutenden
Konsum arbeiten.

Da das Zuckerrohr wie alle aus Stecklingen oder Pfropfreisern
auf vegetativem Wege vermehrten Pflanzen im Laufe der Zeit an
Widerstandskraft gegen äußere, schädliche Einflüsse eingebüßt hat,
so ist man bestrebt, es auch auf generativem Wege fortzupflanzen, um
dadurch weiterer Entartung desselben vorzubeugen. Zu diesem Zwecke
erforschte man genau, welche Kultursorten noch nicht so weit entartet
sind und noch normale Blüten entwickeln; dabei fanden sich bei keiner
mehr normale Verhältnisse. Selbst beim zucker- und blütenreichen
Cheribonrohr von Java waren die Pollenkörner zum größten Teile
vertrocknet, also völlig untauglich zur Bestäubung. Da benützte man zur
Befruchtung dieser noch nicht völlig in bezug auf Geschlechtsorgane
degenerierten Kultursorte den Pollen von zwei wilden Arten, dem
~Saccharum ciliatum~ und dem Kassurrohr und erzielte damit kräftige
Keimlinge, die teilweise noch eine weit größere Höhe erreichten als
ihre Muttervarietäten. Sie waren recht zuckerreich und wurden dann in
der gewöhnlichen Weise vegetativ fortgepflanzt, wobei sich die Mehrzahl
derselben sehr gut hielt. Daraus lassen sich gewiß mit der Zeit gute,
neue Kulturvarietäten entwickeln.

Vor allem waren diese auf geschlechtlichem Wege erzeugten
Zuckerrohrarten absolut frei von der in Java als Sereh bezeichneten
und sehr gefürchteten Krankheit, die sich darin äußert, daß das Rohr
niedrig bleibt und keine großen Halme mehr treibt, dafür zahlreiche
Seitentriebe erzeugt, wodurch es einer Grassorte mit wohlriechender
Wurzel, dort ~sereh~ genannt (~Andropogon schoenanthus~) sehr ähnelt,
schließlich verkümmert und abstirbt. Diese Krankheit ist nicht auf
irgend welche infektiöse Keime zurückzuführen, sondern ist eine
erbliche Entartungserscheinung, die von Jahr zu Jahr stärker wird, wenn
die Stecklinge serehkranken Rohren entnommen werden. Dagegen hilft am
besten die Kultur von aus Samenpflanzen gezogenen Stecklingen.

Von tierischen Schädlingen sind in Amerika besonders der
Zuckerrohrkäfer, dann der Zuckerrohrwickler, dessen Raupe sich
ebenfalls in das Zuckerrohr einbohrt, zwei Ameisenarten und die
Zuckerschildlaus einigermaßen gefürchtet. Außerdem werden die
mannigfachsten Pilzkrankheiten am Zuckerrohr beobachtet, so der Brand,
der rote und Blattrost, die Ananas- und Dongkellankrankheit, die
Gelbflecken-, Rotflecken-, Ring-, Augen- und Blattfleckenkrankheit der
Blätter und verschiedene andere, auf die wir hier nicht näher eingehen
können.



XI.

Der Kaffee.


Es liegt in der menschlichen Natur das instinktive Bedürfnis, gewisse
Stoffe in sich aufzunehmen, die weder als Kraftquelle dienen, noch
als Ersatzmittel für verbrauchte Körperbestandteile eine Bedeutung
haben, wohl aber eine angenehm anregende Wirkung auf das Nervensystem
ausüben und etwa vorhandene Müdigkeit oder geistige Trägheit rasch
beseitigen. Durch diese Eigenschaften sind sie dem Menschen fast
ebenso unentbehrlich wie die Nahrungsstoffe geworden, mit denen er
den stetigen Stoffverlust beim Lebensprozesse ersetzt. Unter diesen
Genußmitteln ist, abgesehen vom Alkohol, der leider durch die ihm
innewohnende Verleitung zur Unmäßigkeit eine überaus verhängnisvolle
Rolle spielt, der vom Chemiker als dreifach methyliertes Xanthin
bezeichnete Körper, eine stickstofffreie, kristallisierbare Verbindung,
die man als Koffeïn bezeichnet, die weitaus wichtigste.

Diesen durch keine besonderen Merkmale gekennzeichneten Stoff hat
der Mensch mit wunderbarem Scharfsinn überall in der ihn umgebenden
Pflanzenwelt herauszufinden vermocht, so die Araber in der Kaffeebohne,
die Chinesen im Tee, die Neger West- und Zentralafrikas in der
bitteren Kolanuß und im Mus der Dodoa, die Südafrikaner im Buschtee,
den Blättern einer Cyclopiaart, die Eingeborenen Südamerikas im Mate
oder Paraguaytee, der von den Blättern der paraguayschen Stechpalme
gewonnen wird, und in den Samen einer Guarana genannten brasilianischen
Schlingpflanze, endlich die Indianer Mittelamerikas im Kakao und
diejenigen Nordamerikas im Apalachentee, der aus den Blättern mehrerer
Stechpalmenarten, die um den mexikanischen Meerbusen wachsen, gewonnen
wird. Diese Erscheinung ist um so auffallender, als das Koffein sich
weder durch seinen Geruch, noch durch seinen Geschmack irgendwie
verraten kann, ebensowenig als das zweifach methylierte Xanthin, das
außer dem Koffeïn im Tee als Theophyllin und im Kakao und in der
Kolanuß als Theobromin vorhanden ist.

In der Auffindung all dieser koffeïn- und theobrominhaltigen
Genußmittel offenbart sich ein erstaunlicher Scharfsinn der
Naturvölker. Das allermerkwürdigste ist aber, daß es dem Menschen
gelang, alle solche die Nerven anregenden und das Müdigkeitsgefühl
beseitigenden Substanzen enthaltende Pflanzen in der Natur aufzufinden,
und zwar in jeder Pflanze wiederum den an diesen Alkaloiden reichsten
Teil herauszubekommen und nur diesen zu verwenden!

In den betreffenden Samen oder Blättern ist das Koffeïn, wie auch
die übrigen verwandten Stoffe, eine Art für die Pflanze nicht weiter
benutzbarer Ausscheidung, ein dem Harnstoff verwandtes Endprodukt des
Stoffwechsels, ähnlich wie die Purinkörper im Tierleibe, die hier
zu oft höchst bunter Färbung des Körpers, wie z. B. im mannigfachen
Gefieder der Vögel und in den Zeichnungen der Schmetterlinge und Käfer
Verwendung finden. Und zwar sind diese Stoffe in den betreffenden
Pflanzen in gerbsaurer, daher zunächst bitter schmeckender Verbindung
vorhanden.

Würdigen wir zunächst das bei uns weitaus populärste Genußmittel aus
dieser Gruppe, den +Kaffee+, ohne den die Kulturmenschen der Gegenwart
sich das Leben gar nicht mehr vorstellen könnten. Wie ist eigentlich
der Mensch auf den Genuß dieses Getränkes verfallen? Niemand vermag uns
da eine zutreffende Antwort zu geben.

In einer zu Ende des 17. Jahrhunderts in Rom geschriebenen Abhandlung
über den Kaffee berichtet uns der Italiener Fausto Naironi, daß im
Jahre 1440 ein Hirte aus dem Gallastamme in der Gebirgslandschaft
Kaffa im südlichen Abessinien, wo die Kaffeestaude dichte, buschartige
Bestände bildet, den Mönchen des benachbarten abessinischen Klosters
voller Erstaunen erzählt habe, daß seine Herde, statt wie gewöhnlich
zu schlafen, die ganze Nacht hindurch erregt herumgesprungen sei,
worauf die Mönche, welche der Ansicht waren, diese Erscheinung ließe
sich nur dadurch erklären, daß die Tiere ein besonders anregendes
Kraut gefressen hätten, bald feststellten, daß auf dem Platze, wo
die Herde geweidet hatte, eine große Anzahl von Sträuchern kürzlich
ihrer Blätter und Früchte beraubt worden waren. Sie sollen dann einige
Früchte dieser Sträucher, die nichts anderes waren als Kaffeesträucher,
gepflückt und an sich selbst die anregende Wirkung verspürt haben, so
daß sich von dieser Zeit an diejenigen Mönche, welche die Nacht im
Gebet verbringen mußten, mit dem Getränk, das sie durch Abkochen der
Früchte bereiteten, den Schlaf vertrieben. Dann soll diese Entdeckung
in weitere Kreise gedrungen und zur Kenntnis von ein paar arabischen
Kaufleuten gelangt sein, die sich sofort daran machten, dieses so
wichtige Produkt auszubeuten.

Anders als diese abessinische Sage -- denn mit einer solchen, der dazu
noch alle Anzeichen höchster Unwahrscheinlichkeit anhaftet, haben wir
es zu tun -- lautet die Legende, die die Araber über die Entdeckung
der anregenden Wirkung der Kaffeepflanze erzählen. Diese ist dem
orientalischen Geschmacke entsprechend mit solchen phantastischen
Wundern ausgeschmückt, daß es nicht der Mühe lohnt, näher darauf
einzugehen. Auch sie schreibt in letzter Linie Hirten die Entdeckung
der eigentümlich anregenden und den Schlaf verscheuchenden Wirkung der
Produkte des Kaffeestrauches zu.

Dem mag nun sein, wie ihm will, jedenfalls sind die Beeren des in
Afrika heimischen und dort in mehreren Arten noch wildwachsend
angetroffenen Kaffeestrauches im abessinischen Hochlande zuerst wegen
ihrer anregenden Wirkung auf das Nervensystem vom Menschen benutzt
worden. Bei den regen Handelsverbindungen mit Südarabien konnte es
nicht fehlen, daß das Genußmittel zu Anfang des 16. Jahrhunderts
dorthin gelangte, und zwar zuerst 1507 nach Aden und bald darauf auch
nach Mekka. Ein von Aden gebürtiger Mufti, d. h. Rechtsgelehrter,
Dhabani -- so erzählt der zu Anfang des 15. Jahrhunderts lebende
Rechtsgelehrte Scheik Abd-elkader Ansari -- sah auf einer Reise nach
Adjam an der Westküste des Roten Meeres seine Landsleute Kaffee
trinken, versuchte den Trank selbst und erfuhr dabei, daß er wach
erhält und den Schlaf vertreibt. Von diesem neuen Genußmittel brachte
er Bohnen in seine Heimat mit und verbreitete nach seiner Rückkehr
den daraus bereiteten Trank unter den Derwischen, einer Art Mönchen,
zur besseren Abhaltung der vorgeschriebenen Gebetstunden. Der Genuß
dieses Anregungsmittels griff aber bald um sich; denn er war der hier
ansässigen muhammedanischen Bevölkerung um so willkommener, als ihr
den Lehren des Korans zufolge der Genuß geistiger Getränke verboten
war. Allein wie alles Neue, so fand auch der Kaffee seine Gegner. Als
im Jahre 1511 ein neuer Statthalter, Khair Beg, nach Mekka kam, der
den aus den Kaffeebohnen bereiteten braunen Trank noch nicht kannte,
und die heiteren Kaffeegelage in den Höfen und unter den schattigen
Säulenhallen der Moscheen sah, ließ er die Leute, die diesen ihm
unbekannten Trank schlürften, auseinandertreiben. Dieses Getränk schien
ihm, weil aufregend, gegen die Satzungen des Korans zu verstoßen, und
so berief er eine Versammlung von Gelehrten, die über die Zulässigkeit
seines Genusses entscheiden sollten. Ihr präsidierten zwei Ärzte,
die Gebrüder Hakim Ani, und diese erklärten den Kaffee für „kalt und
trocken“ und deshalb verwerflich. Ihnen schloß sich die Mehrzahl der
Versammlung an, und so ward der Genuß von Kaffee verboten und die
Niederlagen desselben zerstört. Es wurde damals behauptet, daß die
Gesichter aller Kaffeetrinker einst am Tage des Gerichts noch schwärzer
erscheinen würden, als der Kaffeetopf, aus dem sie das Gift getrunken.
Wer immer des Genusses von Kaffee überführt wurde, den ließ man,
rückwärts auf einem Esel reitend und dem Spott der Menge preisgegeben,
durch die Straßen von Mekka führen. Der Statthalter berichtete über
diese seine Verordnung an den Sultan von Kairo als seinem Vorgesetzten,
der diese Verordnung guthieß. Aber da der Kaffee hier beim gemeinen
Volke wie bei den Gelehrten bereits Eingang gefunden hatte, mußte das
Dekret bald von ihm zurückgenommen und durften die Kaffeeschenken in
Mekka wieder eröffnet werden. Ja der neue Statthalter, selbst ein
eifriger Verehrer des Kaffees, scheute sich nicht, denselben öffentlich
in Gesellschaft seiner Gäste zu trinken. Diesem Beispiele folgten bald
auch andere ansehnliche Personen.

Durch die in der muhammedanischen Welt vorgeschriebenen Wallfahrten
nach Mekka wurde der Kaffee bald in Ägypten und Syrien bekannt. So
lernte Sultan Selim I., der in den Jahren 1516 und 1517 Syrien,
Palästina und Ägypten eroberte, hier den Kaffee kennen. Doch ging es
bis zum Jahre 1554, bis zwei Kaufleute, Hakim von Aleppo und Schems
von Damaskus, die ersten Kaffeehäuser in Konstantinopel errichteten.
Das Geschäft scheint sehr gut gegangen zu sein; denn schon nach
drei Jahren kehrte Schems als reicher Mann nach Damaskus zurück.
Und der wohltätige Einfluß, den das äthiopische Getränk auf die
Geistestätigkeit der es Genießenden ausübte, hatte zur Folge, daß alle
möglichen Leute, besonders Gelehrte und Beamte, selbst Paschas, in
den Kaffeehäusern, die sich bald vermehrten, zusammenströmten, so daß
diese bald Mittelpunkte des geselligen Lebens wurden und als solche
~mektâb-i-irfân~, d. h. Schulen der Gebildeten, genannt wurden. Ja,
die muhammedanischen Priester fingen an sich zu beklagen, daß die
Moscheen immer weniger, dafür aber die Kaffeehäuser immer mehr besucht
würden. Sie erklärten, daß die Kaffeehäuser für das Heil der Seele
noch verderblicher seien als die Wirtshäuser. In einer Eingabe an den
Mufti gaben sie an, der Kaffee sei eine Art Kohle, und solche zu essen
habe der Prophet im Koran verboten. Und tatsächlich wurde der Kaffee
unter Sultan Murad II. verboten. Aber man wußte sich zu helfen und
trank ihn hinter verschlossenen Türen weiter, bis ein neuer Mufti nach
Konstantinopel kam und erklärte, der Kaffee sei keine Kohle, deshalb
könne er von jedem Muselmann getrunken werden. Infolgedessen wurden
die Kaffeehäuser wieder eröffnet und mehrten sich bald dermaßen, daß
der Großvezier sie als einträgliche Steuerobjekte auffaßte. So mußte
jeder Kaffeewirt täglich 1 Zechine (venezianisches Goldstück im Werte
von etwa 16 Mark) Steuer bezahlen und durfte gleichwohl nicht mehr
als 1 Asper (= 15 Pfennigen) für eine Tasse Kaffee verlangen. Der
Großvezier Köprili ließ während der Minderjährigkeit Muhammeds IV. die
Kaffeehäuser aufs neue schließen, als er sich überzeugt hatte, daß
in ihnen zu viel politisiert wurde. Aber trotz dieser Maßregel nahm
der nun einmal populär gewordene Kaffeeverbrauch in Konstantinopel
nicht ab, da man dieses Getränk überall auf den Plätzen und in den
Straßen feilbot. Als Köprilis Nachfolger ans Ruder kam, ließ er die
Kaffeehäuser unbehelligt. Aber aus der arabischen Literatur jener Zeit,
die ebensoviel Spott- als Lobgedichte auf den Kaffee enthält, kann man
deutlich erkennen, mit welch fortwährenden Kämpfen seine Verbreitung
allenthalben in muhammedanischen Ländern errungen wurde.

Die erste Kunde von diesem braunen, das Nervensystem anregenden Getränk
brachte, soviel wir wissen, der den Orient bereisende Augsburger Arzt
Leonhard Rauwolf nach Deutschland. Er hatte ihn im Jahre 1573 in einem
Kaffeehaus in Aleppo kennen gelernt und berichtete darüber in seinem
1582 erschienenen Reisewerke, betitelt „Raiß in die Morgenländer“
folgendes: „Die Türken haben in Halepo ein gut Getränke, welliches sie
hoch halten, Chaube von ihnen genannt, das ist gar nahe wie Dinten so
schwarz und ist in gebresten, sonderlich des Magens, gar dienstlich.
Dieses pflegens am Morgen fru, auch an offenen Orten, vor jedem
manigulich, ohne alles Abschuchen (Abscheu) zu trinken, aus jrdenen und
Porzellanischen tiefen Schälein so warm als sie’s könnden erleiden,
setzend offt an, thond aber kleinen trinklein und lassens gleich
weitter, wie sie neben einander im Kreiß sitzen, herumbgehen. Dieser
Trank ist bei Ihnen sehr gemain.“

Die erste Beschreibung der Kaffeepflanze gab dem Abendlande der
gelehrte Arzt und Botaniker Prosper Alpino, Professor zu Padua, in
seinem 1592 erschienenen lateinischen Buche über die Pflanzen Ägyptens.
Er hatte nämlich bei seinem Aufenthalte zum Studium der Flora des
Niltals im Garten eines vornehmen Türken in Kairo einen Kaffeestrauch
gesehen. Er bezeichnete den Strauch als ~arbor Bon cum fructu suo
Buna~. Rauwolf hatte den Strauch als ~Bunnu~ und Bellus, der 1596 Samen
der Kaffeepflanze an Clusius gesandt hatte, als ~Bunca~ bezeichnet.
Nun muß der Name ~bunnu~ oder ein diesem ähnlicher die ursprüngliche
Bezeichnung der Kaffeepflanze gewesen sein, die die Abessinier heute
noch ~bun~ nennen. Auch die Araber bezeichnen mit ~bun~ sowohl die
Kaffeepflanze als die Kaffeebohne, während sie den aus den gerösteten
Kaffeebohnen hergestellten Trank ~kahweh~ (sprich ~kachweh~) nennen.
Dieses alte arabische Wort ist nach dem Orientalisten A. Mez
ursprünglich die Bezeichnung für Wein, die dann auf den neuen Trank
übertragen wurde. Aus dieser arabischen Benennung ist unser Wort
Kaffee entstanden, das durchaus nicht von Kaffa, der abessinischen
Provinz als der Heimat des Kaffees, abzuleiten ist. Schon der vorhin
genannte Paduaner Botaniker Prosper Alpino, der auch eine allerdings
recht unvollkommene Abbildung der Kaffeepflanze veröffentlichte, gab
an, daß aus den Früchten ein ~caova~ genanntes Getränk bereitet werde,
das anregend auf die Geistestätigkeit und die Phantasie wirke. Auch
Bellus spricht in seinem Briefe an Clusius 1596, daß die Ägypter aus
den Samen des Kaffees, die sie zuerst über Feuer rösten und dann in
einem Holzmörser fein zerstoßen, das braune Getränk ~cave~ bereiten,
und 1615 schrieb der Italiener Pietro della Valle seinen Verwandten in
der Heimat von diesem von ihm als ~kawhe~ bezeichneten neuen Getränk,
es sei von schwarzer Farbe, wirke im Sommer kühlend, im Winter dagegen
erwärmend.

Abgesehen vom türkischen, also noch durchaus zum Orient gehörenden
Konstantinopel, war die durch ihren immer noch regen Handel mit dem
muhammedanischen Morgenlande in Verbindung stehende Stadt Venedig
der erste abendländische Ort, in welchem Kaffee getrunken wurde.
Es war dies im Jahre 1624. Doch kamen erst 1642 größere Mengen
dieses Genußmittels nach Venedig, und 1645 wurde daselbst das erste
Kaffeehaus errichtet. Aber erst zu Ende des 17. Jahrhunderts kam das
den Muhammedanern entlehnte Getränk in den Städten Italiens wenigstens
bei den Vornehmen, die ihn zu bezahlen vermochten, in Mode und wurden
die Kaffeehäuser in Italien zahlreicher. Nach Frankreich kam der Kaffee
im Jahre 1644, und zwar nach Marseille, wo 1659 das erste Kaffeehaus
errichtet wurde. Auch in England führte sich der Kaffee rasch ein;
1650 bestand schon ein Kaffeehaus in Oxford, und 1652 eines in London.
In Paris ließ der Gelehrte Thevenot im Jahre 1658, kurz nach seiner
Rückkehr aus dem Orient, zum erstenmal bei einem Diner seinen Gästen
Kaffee als Nachtischgetränk vorsetzen; aber das fremdartige Getränk
mundete ihnen nicht, so daß eine Wiederholung des Versuches unterblieb.
Erst zu Ende der sechziger Jahre des 17. Jahrhunderts, unter Ludwig
XIV., wurde das Kaffeetrinken in Paris in den Kreisen der Vornehmen
durch Soliman Aga, den Gesandten Muhammeds III., einigermaßen populär.
Le Grand d’Aussy berichtet, daß jener Türke seinen Gästen den Kaffee
nach orientalischer Sitte servieren ließ. Es reichten ihn leibeigene
Diener in glänzenden Porzellantassen auf goldbefransten Servietten.
Die fremdartige Einrichtung der Zimmer, das Sitzen auf Diwans oder
Teppichen am Boden, die mit Hilfe eines Dolmetschers geführte
Unterhaltung interessierte besonders die Damen noch mehr als der
gereichte Kaffee. Überall wurde in Hofkreisen davon gesprochen, und
schließlich gingen alle Vornehmen zu dem interessanten Türken, um seine
merkwürdige Wohnung und seinen braunen Trank kennen zu lernen. Jeder,
der etwas auf sich hielt, wollte von letzterem gekostet haben.

In Paris eröffnete im Jahre 1670 ein Armenier namens Pascal, der im
Dienste eines türkischen Arztes gestanden hatte, auf dem Quai de
l’Ecole das erste Pariser Kaffeehaus, das nach dem darin feilgebotenen
Getränke Café genannt wurde. Es war eine „~boutique~“ nach Art der
orientalischen, ohne irgend welche gefällige Ausstattung. Deshalb
gefiel es dem feineren Publikum, das damals allein Kaffee zu trinken
begann, durchaus nicht, und der Armenier machte recht schlechte
Geschäfte. Den Grund des Mißerfolges erkannte richtig der Sizilianer
Francesco Procopio, der sich in Paris durch die Einführung des
Gefrorenen einen Namen gemacht hatte. Er richtete gegenüber der alten
~Comédie française~ eine Schankwirtschaft ein, in welcher er außer
Kaffee auch Tee, Schokolade, Eis und verschiedene Liköre feilbot. Und
da sein Lokal hübsch ausgestattet und gefällig dekoriert war, fehlte
es ihm bald nicht an Gästen. Seine Erfolge ermutigten andere, solche
Erfrischungsorte zu eröffnen, so daß Paris schon im Jahre 1676 eine
große Zahl solcher Cafés aufwies.

Da der Kaffeegenuß der um sich greifenden Trunksucht zu steuern schien,
begünstigte ihn Ludwig XIV. so sehr er konnte. Doch war er noch so
teuer, daß er nur für die Wohlhabenden erschwinglich war. So kostete
damals das Pfund Kaffeebohnen 140 alte Franken, und die Tasse 2 Sous
und 5 Deniers; dafür kann das Getränk freilich nicht sehr stark gewesen
sein, wenn der Kaffeeschenk auf seine Rechnung kommen wollte. Auch
galt sein Genuß nicht als ganz ungefährlich; die Marquise de Sévigné
rät darum ihrer Tochter, der Gräfin Grignan, in einem Briefe aus dem
Jahre 1680, dem Kaffee etwas Milch zuzusetzen, „um seine Schädlichkeit
zu mildern“. Im Jahre 1674 reichten die Frauen in London eine Petition
gegen den Kaffee als gesundheitsschädliche Neuerung ein, und 1675
ließ Karl II. aus politischen Gründen die Kaffeehäuser, die sich
sehr rasch vermehrten und zu Sammelplätzen der Vornehmen, Gelehrten
und Politiker wurden, als „Brutstätten der Revolution“ in seinem
ganzen Reiche polizeilich schließen. Doch mußte er sein Verbot schon
nach wenigen Tagen zurückziehen, da er es nicht auf eine Revolte der
zahlreichen Liebhaber des Kaffees ankommen lassen wollte. Englische
Spottgedichte aus jener Zeit nennen den Kaffee einen „Kienrußsirup,
schwarzes Türkenblut, eine ekelerregende Abkochung aus alten Schuhen
und Stiefeln“ usw., vermochten aber mit allem Lächerlichmachen nicht,
seinen weiteren Siegeslauf durch die Welt aufzuhalten.

Im Jahre 1680 ward das erste Kaffeehaus im Haag und 1683, nach der
Entsetzung von Wien, das erste solche in Österreichs Hauptstadt
errichtet. Hier war es ein gewisser Kolschitzky, dem als Belohnung für
den Mut, mit dem er sich als Türke verkleidet durch den Belagerungsring
hindurchgeschlichen hatte, um der durch Kara Mustapha aufs äußerste
bedrängten Stadt vom Nahen des Ersatzheeres unter Herzog Karl von
Lothringen Kunde zu bringen, die im verlassenen türkischen Lager
gefundenen Säcke mit Kaffee überlassen wurden, damit er den braunen
Trank bereite und ihn den Liebhabern desselben ausschenke.

Nach Deutschland kam der Kaffee von Holland und Frankreich her um 1670.
Am Hofe des Großen Kurfürsten war er im Jahre 1675 im Gebrauch. Das
erste deutsche Kaffeehaus wurde 1679 in Hamburg von einem englischen
Kaufmann errichtet. Ihm folgten Leipzig 1684, Nürnberg und Regensburg
1686, Köln 1687, Stuttgart 1712, Augsburg 1713 und Berlin 1721. Um die
Mitte des 18. Jahrhunderts war der Kaffeegenuß an allen deutschen Höfen
und bei der wohlhabenden Bevölkerung ziemlich allgemein verbreitet
und die Kaffeebohnen bildeten einen wichtigen Handelsartikel für
Hamburg und Bremen. Aber auch in Europa ging die Einführung des
Kaffees nicht ohne Widerstand vor sich. Besonders die Ärzte bekämpften
vielfach seinen Genuß der gesundheitschädlichen Wirkungen wegen und
verbreiteten besonders die von Alpino aus dem Orient mitgebrachte
irrtümliche Ansicht, daß der Kaffee Unfruchtbarkeit im Gefolge habe.
Die Volkswirtschaftler eiferten in jener Blütezeit des Merkantilismus
dagegen, daß große Summen für den teuren Kaffee ins Ausland gingen.
Deshalb wurde sein Genuß vielfach durch die Regierungen verboten oder
durch hohe Zölle und Steuern nur für die Bemittelten möglich gemacht.
In Schweden wurde er im Jahre 1750 und in Hessen-Darmstadt 1766
gänzlich verboten. Auch Friedrich der Große versuchte vergeblich seinen
Verbrauch einzuschränken. In dem Bestreben, Preußen wirtschaftlich
abzuschließen und das Geld im Lande zu behalten, hatte er besonders die
damals noch teueren Kolonialwaren mit hohen Zöllen belegt und suchte
sie zu monopolisieren. Am liebsten hätte er den Kaffee ganz verboten;
das Landvolk sollte sich nicht an ihn gewöhnen, „denn das ist mit die
Absicht“, antwortete er auf eine Beschwerde, „daß nicht so viel Geld
für Kaffee aus dem Lande gehen soll. Übrigens sind Seine Majestät
höchstselbst in der Jugend mit Biersuppe erzogen worden. Mithin können
die Leute ebensogut mit Biersuppe erzogen werden. Das ist viel gesünder
als der Kaffee.“

Wenn Friedrich der Große auch nicht so weit ging wie Landgraf
Friedrich von Hessen, der den Kaffee in seinem Lande bei 100 Talern
Strafe verbot, so wollte er die Sucht seiner Untertanen nach diesem
Genußmittel in andere Bahnen lenken. Zu diesem Zwecke wurden Marggraf
und einige andere Chemiker beauftragt, an Stelle des damals meist nur
in gebranntem Zustande von den Holländern bezogenen Kaffees Surrogate
zu schaffen, was zur Entstehung von Eichelkaffee, von Kaffee aus Gerste
und Roggen, ja selbst aus Rüben und Roßkastanien führte. Erst später,
nämlich um das Jahr 1790, kam der Zichorienkaffee auf, nachdem man
zuvor die gerösteten Wurzeln der Möhren, der Rüben und des Löwenzahns
als Kaffeesurrogate verwendet hatte. Aber alle diese Kaffeeersatzmittel
erfreuten sich durchaus nicht des Beifalls des Publikums, so daß
dieses nach wie vor lieber den sehr teueren echten Kaffee, der ihm
die gewünschte anregende Wirkung verschaffte, zu kaufen begehrte. Als
der König sah, daß er den Leuten den Kaffee nicht verbieten könne, so
wollte er wenigstens zugunsten des Fiskus ein gutes Geschäft damit
machen. So führte er im Jahre 1781 ein Kaffeemonopol in Preußen ein,
das die dem Bürgerstande angehörenden Konsumenten zwang, den gebrannten
Kaffee vom Staat, und zwar 24 Lot (= 408 g) zum Preise von einem Taler,
d. h. sechsmal so teuer als früher zu kaufen. Nur Adelige, Beamte und
Geistliche konnten Brennscheine erhalten, die ihnen erlaubten, den
billigeren rohen Bohnenkaffee zu kaufen und ihn selbst zu brennen.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts hat sich der Kaffee die ganze Kulturwelt
erobert und ist an Stelle der alten Breie von Hirse oder Hafer und
dicken Suppen zum eigentlichen Frühstücksgetränk geworden. Besonders in
Deutschland, das seiner Einführung so viel Widerstand entgegensetzte,
hat er geradezu eine Kulturmission erzielt, indem er ganz wesentlich
dazu beitrug, die noch bis zum Ende des 17. Jahrhunderts allgemein
gebräuchliche Unsitte, zu allen Tageszeiten Wein und Bier in großen
Mengen zu trinken, allmählich verdrängte und damit unwillkürlich
verfeinernd auf die Sitten der Bevölkerung einwirkte. Wir alle wissen,
daß der schwarze Trank die Nerventätigkeit und das Denken anregt, das
Unbehagen der Müdigkeit beseitigt und durch den ganzen Körper ein
wohliges Gefühl des Angeregtseins verbreitet. Außer dem Koffeïn, das
von 0,9-1,5 Prozent darin enthalten ist, wovon aber beim Rösten mehr
als die Hälfte verloren geht, haben wir im Kaffee einige Prozente
eines flüchtigen sogenannten empyreumatischen Öles, Koffeon genannt,
das sich durch das Rösten in den Bohnen entwickelt. Genießt man dieses
abdestillierte Öl in Substanz, so entstehen Schweiß, Schlaflosigkeit
und heftige Blutwallungen. Dieses Öl gibt dem Kaffee sein Aroma,
das aber durch die Beimischung eines in den feineren Sorten etwas
reichlicher vorhandenen zweiten Öles modifiziert wird. Dazu gesellen
sich Kaffeesäure, ziemlich viel Eiweiß, etwas Zucker und eine
Gerbsäure von besonderer Art, welche mit Eisenlösung einen grünlichen
statt wie sonst einen blauen Niederschlag gibt, dann etwas Fett und
Pflanzenschleim.

Guter Kaffee muß nicht nur vollständig reif gepflückt werden, sondern
auch nachher noch im grünen Stadium den nötigen Reifungsprozeß
durchmachen, wodurch er erst den köstlichen Wohlgeschmack und das
herrliche Aroma gewinnt, das der Kulturmensch an ihm schätzt. Nicht
genügend durch Lagern gereifter Kaffee schmeckt rauh und gehaltlos. Um
nun das unserem Geruchs- und Geschmackssinn so angenehme flüchtige Öl
und andere Zersetzungsprodukte der Bohnen zu gewinnen, röstet man den
Kaffee nach vorherigem, kurzem Abspülen der Bohnen in Wasser, wobei
man sich auch davon überzeugen kann, ob sie gefärbt waren, am besten
in kugelartigen verschlossenen Gefäßen, wobei die Bohnen unablässig
in Bewegung gehalten werden müssen. Dabei soll jede Bohne durch und
durch, aber doch nicht zu stark geröstet werden. Das Rösten ist zu
beenden, wenn die Bohnen plötzlich aufschwellen, braunrot werden und
zu glänzen beginnen. Dann setzt man ihnen etwas Zucker zu, der von der
Hitze sofort schmilzt und sie mit einer das Aroma besser bewahrenden
Karamelhülle umgibt. Der Röstprozeß darf nun durchaus nicht zu lange
fortgesetzt werden. Bloß braunrot gerösteter Kaffee enthält mehr Aroma
als solcher, der kastanienbraun gefärbt oder gar durch Verkohlen
schwarzbraun geworden. Je länger das Rösten fortgesetzt wird, um so
mehr verlieren die Bohnen an Gewicht, nehmen dafür aber an Größe zu.
So verliert z. B. braunroter Kaffee 15 Prozent an Gewicht und nimmt
30 Prozent an Größe zu; schwarzbraun gebrannter verliert dagegen 25
Prozent an Gewicht, gewinnt dagegen 50 Prozent an Umfang. Nach dem
Brennen soll der Kaffee durch Ausschütten auf eine kalte Platte rasch
abgekühlt werden, da um so mehr Aroma verloren geht und dabei ein
unangenehmer Beigeschmack entsteht, je länger die Bohnen ihre hohe
Temperatur behalten. Dann wird er fein gemahlen, wodurch das Ausziehen
der löslichen Stoffe mit kochendem Wasser erleichtert wird.

Die gebrannte Bohne ist außerordentlich empfindlich gegen alles sie
Berührende und muß am besten in metallenen oder gläsernen Gefäßen
aufbewahrt werden. Man soll nur kleine Mengen aufs mal, dafür aber
recht oft rösten, da frisch gebrannter Kaffee das beste Getränk liefert
und außerdem das fette Öl in den zu lange aufbewahrten gerösteten
Bohnen leicht ranzig wird. Auch ist das Wasser, das zur Herstellung
des Kaffeeaufgusses verwendet wird, von großer Bedeutung. Je weniger
es erdige Bestandteile, vor allem Kalk, und dafür doppeltkohlensaures
Natron enthält, um so mehr löst es die Bestandteile des Kaffees und
nimmt sie in sich auf. Deshalb sind Badeorte mit Mineralwasser, z. B.
Karlsbad, wegen ihres vorzüglichen Kaffees berühmt. Dasselbe läßt sich
erreichen, wenn man dem Wasser vor dem Aufgießen etwa eine Messerspitze
voll doppeltkohlensaures Natron zusetzt. Auch das Kochen des Kaffees
muß vermieden werden, da er dabei den größten Teil seines Aromas
verliert.

    Tafel 59.

[Illustration: Ernte von Liberiakaffee durch Malaiinnen auf einer
Plantage Sumatras.]

    Tafel 60.

[Illustration: Sträucher von Liberiakaffee auf Sumatra. Die auf der
primitiven Leiter aus Bambusrohr stehende Malaiin zeigt die schweren,
schwarzen Fruchttrauben, die sie zu pflücken im Begriffe steht.]

Um einen möglichst wohlschmeckenden Kaffee zu erzeugen, ist vor allem
auch die größte Sauberkeit bei der Zubereitung ein Haupterfordernis.
Besser als Filter aus Blech, die den Geschmack des durchlaufenden
heißen Wassers durch die Berührung mit Eisen sehr leicht verderben,
sind solche aus Porzellan, Email oder Flanell zu verwenden. Das
Wasser darf nicht mehr als 70° C. Wärme haben, da dann das feinste
Aroma erzielt wird und die weniger feinen Elemente des Kaffees
ungelöst bleiben. Am besten ist es, auf den im Filter befindlichen
zusammengedrückten, gemahlenen Kaffee zunächst eine kleine Menge
heißen Wassers zu schütten und etwas ziehen zu lassen. Eine größere
Menge würde die Löcher des Filters leicht verstopfen. Nachher gießt
man das übrige Wasser nach. Den Trank selbst genießt man mit Milch
und Zucker nach Belieben versetzt, am besten gleich nach seiner
Herstellung, warm. In einer Tasse Kaffee, die aus etwa 8 g Kaffeebohnen
bereitet wurde, findet sich dann 0,1 g Koffeïn. Gestützt auf diese
Feststellung läßt sich jeder Kaffee leicht auf seine Güte prüfen. Dies
tat kürzlich ~Dr.~ Strunk in Berlin und stellte dabei fest, daß man
den besten und stärksten Kaffee in den erstklassigen Hotels erhält,
denn in diesen wies die Tasse einen Gehalt von durchschnittlich 0,11
Koffeïn auf, geht also noch über den Durchschnitt hinaus. Sogenannter
Mokkakaffee enthielt sogar 0,12 Koffeïn. Demgegenüber wird ein
sehr dünner Kaffee in der Berliner Volksküche verabreicht; dieser
enthält nämlich bloß 0,01 Koffeïn. Nicht viel besser ist der in den
Studentenwohnungen verabreichte; derselbe weist durchschnittlich 0,02
Koffeïn auf. Er stellt also in bezug auf Koffeïnwirkung ein höchst
unschuldiges Getränk dar, das fürwahr keinerlei Schädigung auf das
Nervensystem ausüben dürfte.

Der Kaffee regt, wie wir alle durch vielfache eigene Erfahrung wissen,
in hohem Maße das Nervensystem an, beseitigt die Müdigkeit, belebt die
Gedanken und Vorstellungen und beschleunigt die Blutzirkulation. Auch
kalt ist dünner Kaffee bei anstrengenden Touren und bei der Feldarbeit
sehr angenehm und erhöht die körperliche Leistungsfähigkeit im
Gegensatz zu den geistigen Getränken, die vielmehr erschlaffend wirken.
Nur für nervöse, reizbare, leicht an Herzklopfen und Schlaflosigkeit
leidende Personen ist er nicht zu empfehlen; auch wirkt ein Übermaß
desselben schädlich selbst für Gesunde. In solchen Fällen ist der
neuerdings in den Handel gelangende koffeïnfreie Kaffee oder irgend
eins der zahlreichen beim Volke beliebten Kaffeesurrogate zu empfehlen.

Von den etwa 30 in Afrika wildwachsenden Arten des Kaffeestrauches
kommen nur zwei für die Kultur im großen in Betracht, nämlich der
sogenannte +echte+ oder +arabische Kaffee+ (~Coffea arabica~), der
aus dem südlichen Abessinien stammt, und der +Liberiakaffee+ (~Coffea
liberica~) -- so genannt nach dem Staate Liberia, wo er wild wächst --
aus Westafrika. Der letztere ist derber, größer und breitästiger als
der arabische Kaffeestrauch. Er ist im Gegensatz zu ersterem, der eine
Gebirgspflanze darstellt und als solche bergige Lagen bevorzugt, eine
Tieflandpflanze, die in ihrer Heimat nicht höher als 140 m über den
Meeresspiegel steigt und ein feuchtwarmes Klima, sowie einen leichten,
etwas sandigen Boden liebt. Bis vor etwa 40 Jahren wurde ausschließlich
der arabische Kaffeestrauch kultiviert; da er aber der später noch zu
besprechenden Kaffeeblattkrankheit in hohem Maße ausgesetzt ist, wurde
seither auch der dagegen und anderen Parasiten gegenüber viel weniger
empfindliche liberische Kaffeestrauch besonders in den asiatischen und
afrikanischen Produktionsländern angebaut.

Der arabische oder echte Kaffeebaum ist ein heute noch von Abessinien
und der Küste von Mozambique bis zum Victoriasee und bis Angola
wildwachsend angetroffener immergrüner Strauch von 5-6, selten 8 oder
9 m Höhe. Der schlanke Stamm ist mit grünlichgrauer, glatter Rinde
bedeckt und trägt viele dünne, wagerecht oder leicht abwärts geneigte
Zweige, die kurzgestielte, 6-10 cm lange und 3-4 cm breite, länglich
eiförmige, zugespitzte, glatte, oben glänzend dunkelgrüne, unten
blaßgrüne Blätter besitzen, aus deren Achseln 4-16 kurzgestielte,
sehr rasch verblühende, in Aussehen und Geruch den Jasminblüten
ähnliche weiße Blüten hervorbrechen und schließlich kirschengroße
Steinfrüchte mit schleimigem, süßem Fruchtfleisch zeitigen. Die
Blütezeit des arabischen Kaffeestrauches zieht sich durch drei Monate
hindurch, während der an der afrikanischen Westküste, besonders in
Liberia heimische, bis zu 16 m hochwerdende, großblätterige liberische
Kaffeestrauch fast das ganze Jahr hindurch blüht. Der letztere eignet
sich also seiner Herkunft nach viel besser für Niederungen bis
höchstens 200 m Seehöhe, wobei ihm das feuchte und warme Klima der
Küsten besonders zusagt, während ersterer als eine Gebirgspflanze erst
in Höhen, die über 200 m über dem Meeresspiegel liegen, gedeiht.

Der Kaffeestrauch verlangt zu seinem Gedeihen einen guten, fruchtbaren
Boden und eine gleichmäßige Wärme und Feuchtigkeit, viel Luft und
Licht, in heißen Gegenden aber genügend Schatten, Schutz gegen Wind
und sorgfältige Reinhaltung des Bodens von Unkraut. Zuerst zieht
man junge Pflänzchen in Samenbeeten. Wenn diese etwa zweijährig
sind, setzt man sie auf die eigentlichen Felder aus, die in tieferen
Lagen Schattenbäume enthalten müssen, da ihnen hier die direkte
Sonnenbestrahlung schädlich ist. In höheren Lagen, bis 1500 m,
können solche fehlen. Im dritten oder vierten Jahr beginnen die
Pflanzen Blüten und Früchte zu tragen, liefern aber erst vom sechsten
oder achten Jahre an vollen Ertrag daran, der nach 20-30 Jahren
zurückzugehen pflegt; dann müssen die Sträucher durch neu angepflanzte
ersetzt werden. Ein Strauch liefert 2-3, nur ganz ausnahmsweise 5 oder
gar 6 kg handelsreinen Kaffee.

Die Früchte des arabischen Kaffees sind erst dunkelgrüne, dann gelbe,
später dunkelkarmoisinrote, rundlich eiförmige Beeren von der Größe
kleiner Kirschen, während diejenigen des Liberiakaffees im reifen
Zustande blauschwarz und doppelt so groß als jene sind. In ihnen liegen
um ein saftiges, süßes Fruchtfleisch zwei von einer pergamentartigen,
glatten, strohfarbenen Hülle und darunter noch von einem silberfarbigen
Häutchen umgebene, innen flache und nach außen gewölbte Samen, deren
gelblichweißes Nährgewebe hornartig hart ist und keinerlei Stärke
enthält. Es kommt aber auch vor, daß gelegentlich nur eine Bohne
zur Entwicklung gelangt, die dann nicht innen abgeflacht, sondern
vollkommen rund und etwas größer als die gewöhnlichen Bohnen ist.
Es sind das die sogenannten männlichen Bohnen oder Perlbohnen, die
sorgfältig ausgesondert werden, weil sie höher im Preise stehen als
die gewöhnlichen Doppelbohnen. Als Perlkaffee bilden sie überhaupt die
teuerste Sorte Kaffee, die in den Handel gelangt, obschon diese ihre
hohe Bewertung nur ein Vorurteil ist.

Die Ernte darf erst nach der vollständigen Reife der Früchte
vorgenommen werden und muß mit großer Sorgfalt geschehen, da nicht
sämtliche Früchte zu gleicher Zeit das Reifestadium erreichen, beim
Liberiakaffeebaum auch Blüten geschont werden müssen. Nach Eintritt der
Reife lassen die Araber die Früchte an den Bäumen, bis sie von selbst
abfallen oder leicht zu schütteln sind. Dieser Behandlungsweise werden
die vortrefflichen Eigenschaften des nach dem Ausfuhrhafen im südlichen
Arabien als Mokka bezeichneten Kaffees zugeschrieben. Doch, was wir als
Mokkakaffee genießen, ist meist eine auserlesene brasilianische Sorte
mit eigentümlich ellipsoiden Bohnen. Diesen brasilianischen Kaffee
sammelt man auch durch Schütteln des Baumes über einem weißen Laken, um
sie vor Schmutz, Sand und dergleichen zu schützen. In Gegenden jedoch,
wo es viel regnet, wie auf Java, ist dieses Verfahren nicht möglich,
da das Fleisch der Früchte schnell fault und die Früchte durch einen
kräftigen Regenfall zu Boden geschlagen werden. Deshalb sammelt man sie
dort sobald sie einigermaßen reif sind und verarbeitet sie weiter. In
Ostindien gelten diejenigen Kaffeebohnen als die besten, die aus dem
Kote von Schleichkatzen und Schakalen gesammelt werden, was allerdings
begreiflich ist, da diese Tiere nur die reifsten Beeren fressen und
deshalb die von ihnen unverdaut abgehenden Samen von besonderer Güte
sind.

Früher trocknete man die abgelesenen Früchte auf der Erde und zerbrach
die äußeren Hüllen in Holzmörsern durch Handarbeit oder in einer
Art Mühle in Tierbetrieb, was auch jetzt noch teilweise geschieht.
In neuester Zeit und auf fortgeschrittenen Betrieben werden die
Früchte, um die Kaffeebohnen von dem sie einhüllenden Fleische zu
befreien, unmittelbar nach dem Pflücken in Maschinen zerquetscht und
auf ein Sieb gebracht, dessen Maschen gerade groß genug sind, um die
Bohnen durchzulassen, das Fruchtfleisch aber zurückzubehalten. Das
letztere findet als Dünger Verwendung. Die noch mit der Pergamenthülle
bedeckten Bohnen dagegen werden in den Gärraum gebracht, wo die an
ihnen haftenden Fruchtfleischreste einen Fäulnisprozeß durchmachen,
worauf sie sich durch Waschen leicht entfernen lassen. Nach dem Waschen
trocknet man sie an der Sonne, nach dem älteren System auf gemauerten
Tennen, nach dem neueren jedoch in großen, flachen Karren auf niedrigen
Rädern, die, auf Schienen laufend, des Nachts oder bei schlechtem
Wetter in einen langen Schuppen gerollt werden. Die Farbe der Bohnen
wird nur durch ihren Feuchtigkeitsgehalt bedingt. So sind die blauen
Bohnen feuchter als die grünen und die grünen wiederum feuchter als
die gelben, während ein langsames Trocknen bei feuchter Witterung dem
Kaffee eine bleierne Farbe verleiht.

Bei dem trockenen Verfahren werden die Bohnen gleich nach dem Pflücken
durch Ausbreitung am Boden vermittelst der Sonnenwärme getrocknet, bis
man beim Umrühren der Früchte die Bohnen in ihren Hüllen rasseln hört.
Dann bringt man sie in Speicher, wo man sie beliebig lange aufbewahren
kann. Zur Entfernung der Pergamenthülle werden sie dann, wie der auf
nassem Wege vom Fruchtfleisch befreite Kaffee, in Mörsern mit langen
hölzernen Stampfern, in der Regel aber in Maschinen bearbeitet.
Auf solche Weise von den Hülsen befreit, werden sie nach der Größe
sortiert und poliert. Der Reinertrag an verkaufsfertigen Bohnen beträgt
durchschnittlich ein Fünftel des Gewichts der frischen Früchte.

Neben der Hauptblüte des Kaffeebaumes gibt es eine Vor- und Nachblüte,
die aber weniger von Bedeutung sind; so handelt es sich gleichwohl um
eine Haupterntezeit, die auf Java alle 4-6 Monate stattfindet. Doch
wird auch hier in zunehmendem Maße der weniger empfindliche und rascher
wachsende liberische Kaffeestrauch, der stets Blüten und Früchte
nebeneinander trägt und deshalb eine periodische Ernte vollkommen
ausschließt, gepflanzt. Zur Aussaat werden jeweilen die schönsten und
größten Beeren ausgesucht, die von in der Fülle ihrer Kraft stehenden
Bäumen stammen, d. h. nicht zu jung und nicht zu alt sind. Da der Same
des Kaffees seine Keimkraft schnell verliert, bedient man sich, um ihn
in fern abliegende Gegenden zu verpflanzen, besser nicht der Samen,
sondern junger Pflänzchen, die in kleinen, mit Glas gedeckten Kisten
an Deck mit größter Behutsamkeit transportiert werden müssen. Beim
Anpflanzen werden sie gleich wie die aus Sämlingen an Ort und Stelle
gezogenen jungen Pflanzen unter dem Schutz von Schattenbäumen groß
gezogen. Häufig werden zwischen den Kaffeesträuchern, so lange diese
noch jung sind, auch andere Pflanzen angebaut, so in Brasilien Mais und
Bohnen, die gleichzeitig dazu bestimmt sind, die allzugrell scheinende
Sonne abzuhalten. Sobald jedoch die Kaffeepflanzen groß geworden sind
und anfangen Früchte zu tragen, müssen diese Zwischenpflanzen entfernt
werden, da sie dann den Ertrag verringern. Zwischen den Kaffeebäumen
muß das rasch emporwuchernde Unkraut regelmäßig entfernt werden, was
bei Großbetrieben durch besondere Maschinen geschieht. Dann muß die
Plantage auch gedüngt werden; besonders ist eine Zufuhr von Phosphor
vonnöten. Je tiefgründiger der Boden, um so mehr können sich die
Pfahlwurzeln entwickeln und um so älter werden die Bäumchen. Als
Gebirgspflanze gedeiht der arabische Kaffeestrauch am besten in Tälern
oder an Abhängen, wo er vor Winden geschützt ist. Am besten sagen ihm
Temperaturen zu, die zwischen 15 und 25° C. schwanken, und Regenmengen
zwischen 220 und 330 cm im Jahr.

Aus Abessinien ist der echte Kaffeestrauch zuerst nach dem
südlichen Arabien gelangt, wo seine Kultur beschränkt blieb, bis
auf Veranlassung des Bürgermeisters von Amsterdam, Nikolas Witsen,
Direktor der holländischen Handelskompagnie, der Gouverneur von
Batavia, van Hoorn, im Jahre 1650 einige Kaffeebäumchen von Mekka
nach Batavia auf der Insel Java bringen ließ, die aber infolge
einer Überschwemmung wieder eingingen. Keinen besseren Erfolg hatte
die Sendung des holländischen Kommandanten von Malabar, Adrian van
Ommeren, vom Jahre 1696. Kurz darauf gelang es Hendrik Zwaardekron
diese Nutzpflanze dort einzubürgern. Sie wurde in großen Plantagen
angepflanzt, von deren Ertrag bald auch die Muhammedaner Westasiens
mit diesem Genußmittel versorgt werden konnten. Später wurde die
Kaffeekultur von den Holländern auch auf die anderen Sundainseln
und auf Ceylon ausgedehnt. Im Jahre 1710 wurden von Batavia aus
mehr als hundert junge Kaffeebäumchen nach Amsterdam gesandt, wo
sie im Treibhaus des Botanischen Gartens Unterkunft fanden. Eines
derselben erhielt im Jahre 1713 Ludwig XIV. durch den Direktor
des Amsterdamer Gartens Namens Pancras. Er ließ es im Garten von
Marly bei Paris sorgsam aufziehen, und nach ihm veröffentlichte dann
der Botanikprofessor am ~Jardin du roi~ in Paris, Antoine de
Jussieu, in den ~Mémoires de l’Academie des sciences~ eine genaue
Beschreibung der Pflanze. Ein anderes Exemplar gelangte von Amsterdam
nach Surinam, wo dann die Holländer die Kaffeekultur erfolgreich
einzubürgern vermochten.

Von der einen Kaffeepflanze in Marly wurden Samen erzielt, die junge
Pflänzchen ergaben, von denen der vorgenannte Antoine de Jussieu
dem Schiffskapitän de Clieu d’Erchigny im Jahre 1721 drei Exemplare
mitgab, um sie nach der Insel Martinique zu bringen. Infolge großen
Wassermangels auf der langen Reise, die den Offizier zwang, die ihm
zugewiesene Wasserration zum größten Teile zur Erhaltung seiner
Pfleglinge zu verwenden und selbst Durst zu leiden, brachte er nur
+ein+ Exemplar lebend an den Bestimmungsort. Hier angepflanzt, mußte es
beständig von Sklaven bewacht werden, damit es nicht gestohlen werde.
Es gedieh vorzüglich und wurde die Stammpflanze aller westindischen
Kaffeebäume, deren Kultur sich in der Folge rasch über das tropische
Amerika verbreitete.

Im Jahre 1725 pflanzte de la Motte-Aigron, der Gouverneur von Cayenne,
daselbst das erste Kaffeepflänzchen, das er sich verstohlenerweise bei
seinem Aufenthalt in Surinam zu verschaffen gewußt hatte. Von dort her
gelangte die Pflanze 1740 nach Brasilien. Im Jahre 1730 wurde die erste
Kaffeeplantage auf Guadeloupe und durch Nicholas Lewes desgleichen auf
Jamaika angelegt. Gegen das Ende des 18. Jahrhunderts wurden in Sumatra
die ersten Anbauversuche gemacht, die aber erst von 1819 an, als die
Insel unter holländische Herrschaft kam, Erfolg hatten. 1822 begann
der Kaffeebau auf Celebes und 1832 in Costarica, und zwar an letzterem
Orte durch den deutschen Kaufmann Wallerstein. Endlich kam der
Kaffeebau 1892 auch nach Deutsch-Ostafrika, wo er heute besonders in
der Landschaft Usambara blüht. Auch in Kamerun sind neuerdings größere
Anpflanzungen von Liberiakaffee gemacht worden.

Der westindische Kaffee, der im 18. Jahrhundert, als er sich mit dem
Javakaffee in den Welthandel teilte, in hoher Blüte stand, ging im 19.
Jahrhundert infolge der Abschaffung der Sklaverei und fortwährender
politischer Umwälzungen so sehr zurück, daß man an seiner Stelle Tabak
und Zuckerrohr bevorzugte. In der Mitte des 19. Jahrhunderts lebte
sein Anbau jedoch in Mexiko und namentlich in Brasilien auf, in welch
letzterem Lande er allerdings schon seit 1808 für den Welthandel
zunehmende Bedeutung erlangt hatte. Früher noch kam er in Ostindien
auf, wo besonders Ceylon reiche Kaffeeplantagen besaß, bis im Jahre
1869 dort zuerst die durch einen Rostpilz, ~Hemileia vastatrix~,
hervorgerufene gefürchtetste Blattfleckenkrankheit des arabischen
Kaffeebaums ausbrach, die im Jahre 1875 dort und auf dem indischen
Festlande einen so verderblichen Charakter annahm, daß in der Folge
die Kaffeekultur in diesen Ländern fast ganz aufgegeben werden mußte
und durch den Anbau von Tee verdrängt wurde, soweit sie nicht durch
die Kultur des durch größere Samen ausgezeichneten, infolge seiner
größeren Robustheit mehr Widerstandskraft gegen den Pilz aufweisenden
Liberiakaffees ersetzt wurde. Dieser Pilz, der sich dann auch in den
Kaffeegärten Deutsch-Ostafrikas zeigte, hat dem Kaffeebau auf Ceylon
bis zum Jahre 1880, also in zehn Jahren, einen Schaden von über 300
Millionen Mark verursacht und viele vorher vermögliche Pflanzer
ruiniert.

[Illustration: Bild 35. Der Rostpilz des Kaffeestrauches (~Hemileia
vastatrix~).

~a~ vom Rostpilz befallenes Blatt, ~b~ aus einer Spaltöffnung des
Blattes sich hervordrängende Dauersporen in Büscheln.]

Dieser so verhängnisvolle Krankheitserreger, gegen den bis jetzt
kein sicheres Bekämpfungsmittel gefunden wurde, erzeugt ½–¾ cm
große orangegelbe Flecken an der Unterseite der Blätter der von ihm
befallenen Pflanze, indem sich hier aus den Spaltöffnungen des Blattes
zahlreiche Dauersporen in Büscheln hervordrängen, die abfallen und
allseitig ausstäuben. Sie sind so ungemein leicht, daß der leiseste
Lufthauch sie überallhin auf andere Blätter trägt, wo sie keimen und,
in das Zellgefüge der Blätter eindringend, die Krankheit verbreiten.
Der ganze Entwicklungsprozeß dauert nicht länger als einen Monat,
wodurch sich die schnelle Verbreitung der Seuche erklärt. Wenn viele
Blätter zu gleicher Zeit von der Krankheit befallen werden und
abfallen, so geht der Baum ein. In jedem Falle wird er aber durch
diese Infektion so stark in seinem Allgemeinbefinden angegriffen,
daß er mehrere Jahre hindurch einen ganz geringen Ertrag liefert.
Bordeauxbrühe und Tabakwasser töten zwar die Sporen der ~Hemileia~,
aber gegen das Umsichgreifen der Seuche schützt nur ein Radikalmittel
wie die Vernichtung aller von der Krankheit befallener Sträucher.
Besonders in Java, wo die Krankheit im Jahre 1876 zuerst auftrat, um
dann 1882 auf der ganzen Insel zu wüten, half man sich dadurch, daß
man die zarte arabische Kaffeepflanze durch die bedeutend kräftigere
Liberiakaffeepflanze ersetzte. Neuerdings wird dort wiederum erstere
als eine feinere Bohnensorte liefernde Pflanze vorgezogen, indem man
sie auf junge Sämlinge von Liberiakaffee pfropft, was recht gute
Resultate liefert, indem so der arabische Kaffeestrauch größere
Widerstandskraft gegen die Infektion erlangt.

Die gewaltige Verbreitung, welche dieser Pilz in den 1870er Jahren
erreichte, ist namentlich darauf zurückzuführen, daß er von einer Abart
der arabischen Kaffeepflanze, der ~Coffea travancorensis~, die er
zuerst befiel, auf ~Coffea arabica~ überging und in der letzteren eine
neue, ihm zusagende Nährpflanze fand, in der er sich, von dem zu seiner
Entwicklung außerordentlich geeigneten feuchtwarmen Klima begünstigt,
in der ausgiebigsten Weise ausbreitete. Dies hat man in ähnlicher Weise
auch an anderen Rostpilzen beobachtet, daß ein Übergang von der einen
Pflanzenart auf eine andere nahe verwandte, besonders wenn diese durch
längere Kultur verzärtelt war, einem solchen Krankheitspilz besondere
Bösartigkeit verlieh, so daß er eine bis dahin unbekannte Ausdehnung
erlangte und eine in hohem Maße zerstörende Wirkung ausübte. Da die
Ansteckung mit der ~Hemileia~ in den ersten Stadien nur sehr schwach
zu erkennen ist, sollten für den Plantagenbetrieb niemals junge
Pflänzchen von auswärts bezogen werden, sondern zur Anpflanzung sollten
jeweilen nur in Bordeauxbrühe desinfizierte Samen verwendet werden,
bei denen man eine Garantie hat, daß die Übertragung des Schädlings
ausgeschlossen ist.

In Ostafrika haben sich die Larven eines Bockkäfers, ~Herpetophyas
fasciatus~, als Schädlinge der Kaffeebäumchen erwiesen, in Westafrika
dagegen speziell beim Liberiakaffee ein Borkenkäfer, ~Apate
franciscea~. In Südamerika entstehen an den Kaffeesträuchern vielfach
Wurzelknoten durch die Invasion winziger Würmchen. Doch ist der dadurch
erwachsene Schaden bisher kein sehr großer gewesen. Endlich hat eine
Mottenlarve, ~Cemiostoma coffeellum~, in einigen Teilen Amerikas
wie auf der Insel San Domingo und in Brasilien große Verheerungen
angerichtet.

Die Republik Costarica führt den Kaffeebaum als Wappenschild.

Der Kaffeeverbrauch der Erde ist in beständigem Steigen begriffen.
Weitaus am meisten Kaffee wird in Amerika erzeugt und getrunken. Von
der jährlich auf der ganzen Erde hervorgebrachten Menge von gegen einer
Milliarde kg Kaffeebohnen erzeugt Brasilien gegen 700 Millionen kg und
das übrige Südamerika, namentlich Venezuela und Kolumbia, gegen 60
Millionen kg. Zentralamerika baut ebenfalls viel Kaffee an und seine
Produktion beläuft sich auf etwa 100 Millionen kg. Gegenüber dieser
Kaffeeproduktion Amerikas ist die in Ostindien und Java geerntete
Kaffeemenge eine verschwindend kleine; sie beläuft sich nämlich auf
nur etwa 40 Millionen kg. Erzeugt nun Amerika den meisten Kaffee, so
liefert Abessinien, die Heimat dieser Kulturpflanze, immer noch den
besten Kaffee. Dieses äthiopische Produkt wird nach der Somaliküste
gebracht und dort von indischen Händlern aufgekauft. Aus der Landschaft
Yemen in Südarabien stammt der arabische Kaffee, von seinem früheren
Exporthafen auch Mokka genannt, der aber leider nicht zu uns kommt,
da er in Persien, Vorderasien und Ägypten aufgebraucht wird. Unser
gewöhnlicher „Mokka“ ist nichts als ausgesuchter kleinbohniger
Java- oder Ceylonkaffee, welche Produktionsorte mit Celebes, das
den rötlichgelben großbohnigen Menadokaffee liefert, den besten
zu uns gelangenden Kaffee erzeugen. In Frankreich wird besonders
der von Manila exportierte ausgezeichnete Kaffee der Philippinen
verbraucht. Hinter diesen südasiatischen Kaffeesorten steht der
brasilianische und an Qualität rangieren in letzter Linie derjenige
von Venezuela und Haiti. Meist zieht man hellgefärbte Sorten den
dunkeln vor. Großbohnige, in Größe und Farbe gleichmäßige Sorten geben
im allgemeinen die beste Garantie für völlige Reife, sorgfältige
Behandlung und Sortierung.

Nach den Vereinigten Staaten, die jährlich gegen 500 Millionen kg
Kaffee verbrauchen, kommt Deutschland, das im letzten Jahre 189
Millionen kg Kaffee im Werte von 162 Millionen Mark einführte. Auf
die Zahl der Einwohner berechnet verbraucht Holland weitaus am meisten
Kaffee, nämlich 5,8 kg pro Jahr und Kopf der Bevölkerung. Ihm folgen
die Vereinigten Staaten von Nordamerika mit 5,75 kg, Deutschland mit
3,12 kg, die Schweiz mit 2,98 kg, Frankreich mit 1,38 kg, England mit
0,45 kg und endlich Rußland mit 0,10 kg. Der Kaffeekonsum der beiden
letztgenannten Länder ist nur deshalb so klein, weil dort an seiner
Stelle um so mehr Tee getrunken wird.

Zum Schluß sei noch erwähnt, daß Afrika außer dem Kaffeestrauch noch
eine andere anregende Nutzpflanze besitzt. Es ist dies der +Katstrauch+
(~Catha edulis~), ein dem Pfaffenhütchen (~Evonymus europaeus~) sehr
nahe verwandter Strauch aus der Familie der Spindelbaumgewächse, der
von Abessinien bis zum Kaplande in gebirgigen Gegenden verbreitet ist
und unter anderem auch in Arabien kultiviert wird. Der Gebrauch der
Blätter des Katstrauchs als Genußmittel ist in Arabien und Abessinien
älter als derjenige der Kaffeebohnen. Sie werden gekaut und frisch oder
häufiger getrocknet zur Herstellung eines mit Honig versüßten Aufgusses
wie diejenigen des chinesischen Tees benutzt. Auch sie enthalten eine
das Nervensystem anregende Substanz, das ~Celastrin~, das ebenfalls
dazu dient, körperlich und geistig anzuregen, die Müdigkeit und den
Schlaf zu verscheuchen; im Übermaß aber soll es betäubend wirken. Nach
Europa gelangt dieses Genußmittel durchaus nicht, da hier Kaffee und
Tee vollkommen eingebürgert sind und dieses dagegen nicht aufzukommen
vermag. Der Reisende ~Dr.~ Roth sagt von ihm: „Die Sitte des Katkauens,
die ich in Yemen kennen lernte, gehört zu den einladendsten, der sich
der Araber beim Frühstück, zum Mittagessen und selbst in den heitern
Nächten hingibt. Man zieht zu letzterem Zwecke die kultivierte Pflanze
der wildwachsenden weit vor. Es wird bei den Wohlhabenderen damit viel
Luxus getrieben, und so wie man bei uns dem Fremden eine Tasse Tee oder
Kaffee anbietet, wird derselbe dort mit den grünen Zweigbündeln des Kat
beehrt. Die im Zimmer der Vornehmen umherliegenden entblätterten Zweige
sind der Maßstab der Wohlhabenheit und der Gastfreundschaft.“ Im Aufguß
mit heißem Wasser genossen, schmecken und wirken die Katblätter ähnlich
wie chinesischer Tee, der uns im nächsten Abschnitt beschäftigen soll.



XII.

Der Tee.


Wie der Kaffee ostafrikanischen Ursprungs, so ist der Tee
ostasiatischer Herkunft, und zwar verdanken wir seine Verwendung als
Genußmittel dem uralten Volke der Chinesen, das ihn nach dem Berichte
alter Chroniken im 3. Jahrhundert unserer Zeitrechnung aus dem Süden
erhalten haben soll. Aber erst zu Beginn des 9. Jahrhunderts n. Chr.
kam der Teegenuß in China mehr in Aufnahme. Nach Japan wurde er durch
einige Priester eingeführt, die ihn in China kennen gelernt hatten;
aber erst im 15. Jahrhundert erreichte er in diesem Lande einen
größeren Umfang.

Der Teestrauch, dessen dunkelgrüne, lederartige, glänzende Blätter
den Ostasiaten den ihnen unentbehrlichen, das Nervensystem anregenden
Trank spenden, gehört mit der ihm sehr nahe verwandten Camellia zu
den den Myrtengewächsen nahestehenden Ternströmiaceen (nach dem
Schweden C. Ternström so genannt, der China durchforschen wollte,
aber vor Erreichung seines Zweckes 1745 starb). Er hat seine Heimat
im gebirgigen südlichen Asien, wo er außer auf der südchinesischen
Insel Hainan in Assam und den südlich davon gelegenen Bergländern noch
heute im wilden Zustande gefunden wird. Die Gattung ~Thea~ umfaßt
16 in Hinterindien, China und Japan wild wachsende Arten, die man
in Eutheen mit gestielten, nickenden Blüten und nicht abfallenden
Kelchblättern und Camellien mit ungestielten, aufrechten Blüten und
abfallenden Kelchblättern einteilt. Zu letzteren gehört die ~Thea
japonica~, die als Zierpflanze bekannte und beliebte Camellie,
zu ersteren dagegen die ~Thea chinensis~, deren Blätter uns den
chinesischen Tee liefern. Sie kommt in zweierlei Arten vor, die ~Thea
chinensis~ im engeren Sinne, die, sich selbst überlassen, etwa 7-10 m
Höhe erreicht, als Kulturgewächs jedoch zum bequemeren Einsammeln der
Blätter kaum 1,5-2 m hoch gehalten wird, und die 10-15 m hohe ~Thea
assamica~, die fast doppelt so große, schneller reifende Blätter wie
jene besitzt und weniger zur Bildung von Blüten neigt, die -- statt
wie beim chinesischen Teestrauch zu 2-5 Stück -- einzeln aus den
Blattwinkeln hervorbrechen. Letztere beansprucht wärmere Lagen und
fruchtbareren Boden und verhält sich zum chinesischen Teestrauch wie
der liberische Kaffeebaum zum echten arabischen. Beide Pflanzenarten
und die davon abgeleiteten Kreuzungsprodukte, deren Blätter aber oft
an Aroma minderwertig sind, gedeihen in verschiedenen Klimaten und
auf verschiedenem Boden üppig und überdauern sogar ziemlich kalte
Winter, vorausgesetzt, daß sie warme Sommer haben, in denen sie ihre
Blättermasse reichlich zu entwickeln vermögen. Frost können sie nicht
ertragen und haben auch von der Trockenheit zu leiden. Am besten sagt
ihnen ein mäßig warmes, feuchtes Klima auf subtropischen Inseln und
Küsten, näher am Äquator dagegen in kühlerer Berglage in 1000-2000 m
Höhe zu.

Die beiden Teearten sind buschig verzweigte, immergrüne Sträucher mit
wechselständigen, kurz gestielten, lanzettförmigen, gekerbten Blättern,
die wie die jüngsten Zweigspitzen nur in ihrer Jugend zum Wärmeschutz
seidig weiß behaart sind, während sie im entwickelten Zustande kahl und
lederartig erscheinen. Aus den Achseln der Blätter treten beim Assamtee
einzeln, beim chinesischen aber zu zweien bis fünfen, etwa den Umfang
eines Markstücks erreichende, schwach nach Jasmin riechende, weiße
Blüten hervor. Die kleinen Kelchblätter wie die Blumenblätter sind
in der Sechszahl vorhanden. Die über zweihundert Staubfäden sind am
Grunde verwachsen und der behaarte Fruchtknoten umschließt in jedem der
Fächer zwei hängende Samenanlagen. Die Frucht ist eine runde, gelbbraun
punktierte, dünnwandige, holzige Kapsel, die in drei aufspringenden
Fächern je einen kirschkerngroßen, glänzend braunen Samen mit
gelblicher Keimgrube birgt.

Der Teestrauch gedeiht am besten in einem feuchtwarmen Klima in
sonniger Lage; deshalb werden die Teegärten mit Vorliebe an nach
Süden gerichteten Abhängen angelegt, weil sich dann kein Wasser an
den Wurzeln der Pflanzen ansammeln kann, was ihrem Wachstum schaden
würde. Sie bedürfen keiner Schattenbäume und gedeihen am besten
auf lockerem, festem Boden. Nachdem das Erdreich, auf welchem eine
Teeplantage angelegt werden soll, durch Pflügen oder Umgraben und Eggen
gehörig bearbeitet worden ist, wird es sofort bepflanzt. Ist der Boden
sehr mager, so muß er zuvor gedüngt werden, damit er reichen Ertrag
liefere; auch muß er ziemlich viel Kalk enthalten. In ihm wird nun
die Teepflanze in der Regel durch etwa einjährige Samen, die man in
Reihen 1,25 m voneinander entfernt zu zweien oder zu dreien in
den Boden legt, gewonnen. Der Samen keimt unter günstigen Umständen
nach fünf bis sechs Wochen und ein paar Wochen später kann man schon
Pflanzen von 10 cm Höhe haben. Weniger empfehlenswert ist die
Anzucht in besonderen Saatbeeten, da die Wurzeln der jungen Pflänzchen
außerordentlich empfindlich sind und beim Überführen in die definitiven
Standorte fast immer leiden, wodurch nicht unerhebliche Ausfälle
entstehen. Dabei legt man, um den Boden auszunützen, in den ersten zwei
oder drei Jahren Zwischenpflanzungen, am besten von Mais, an, welche
auch für genügende Beschattung der jungen Teepflanzen sorgen.

Weil es dem Teestrauch ein Bedürfnis ist, dem Wind freien Durchtritt
zu gewähren, läßt man zwischen den einzelnen Exemplaren einen gewissen
Abstand; auch läßt man ihn nicht hoch aufschießen, sondern beschneidet
ihn immer wieder rücksichtslos, wie wir dies mit unseren Hecken tun,
damit er reichlich Seitenschosse erzeuge und zum dichten Busch werde.
Wenn der Teestrauch drei Jahre alt geworden ist, kann mit dem Pflücken
der Blätter begonnen werden. Gewöhnlich erntet man dieselben in China
dreimal im Jahre. Zuerst, Anfang März bis Mitte April, unmittelbar vor
der Regenzeit, pflückt man die ersten Frühlingsblätter, aus denen der
feinste Tee gewonnen wird. Nach der Regenzeit, Ende Mai oder Anfang
Juni, folgt die zweite, die sogenannte große Ernte, die qualitativ die
bedeutendste ist und zum großen Teil ins Ausland gesendet wird, aber
an Feinheit des Aromas der ersten Ernte nachsteht. Die dritte Ernte,
Ende Juli oder Anfangs August, ist wegen der groben, wenig aromatischen
Blätter recht minderwertig und wird daher in vielen Gegenden gänzlich
unterlassen, da die Erhaltung der betreffenden Blätter für das Gedeihen
des Strauches und somit auch für die Güte der ersten Ernte des nächsten
Jahres von großer Bedeutung ist.

In der Regenzeit wird alles Pflücken der Blätter vermieden, weil es für
die Qualität des Tees nachteilig ist, solche zu pflücken, die vom Regen
naß sind; der Tee schmeckt nämlich dann flau. Auch das Äußere des Tees
wird durch die Feuchtigkeit benachteiligt, da feuchte Blätter sich bei
der Bearbeitung zu mehreren zusammenzurollen pflegen und dann nur mit
großer Mühe auseinandergebracht werden können. Früh morgens, wenn der
Tau der Nacht verdunstet ist, beginnt man mit dem Pflücken der Blätter
und fährt damit fort, bis man eine zur betreffenden Tagesverarbeitung
genügende Menge hat. Dabei müssen die Blätter vor ihrer vollen
Entwicklung geerntet werden, wenn sie eben im Begriffe sind, die
Blattflächen auseinanderzurollen.

Wenn auch der Teestrauch bereits im Alter von drei bis fünf Jahren
beginnt, Erträge zu liefern, so erhält man erst vom zehnten Jahre
an Vollernten von 1 kg und mehr jährlich pro Strauch. Aber um diese
Zeit werden die Blätter oft schon groß und minderwertig, so daß man
sich, wie bei der Kultur der Rebe, damit behilft, den Strauch stark
bis auf einen oder wenige Zweige zu beschneiden, damit sich reichlich
junge Schosse bilden. Aber die Blätter dieser letzteren erreichen
nie die Güte, welche die ersten besaßen, so daß man es vorzieht, die
Bäumchen bereits nach dem zehnten Jahre zu entfernen und neue Aussaaten
vorzunehmen, wie dies z. B. auf Ceylon überall zu geschehen pflegt.

Je jünger und zarter die geernteten Blätter sind, desto besseren Tee
liefern sie; doch ist erst in den ganz ausgewachsenen Blättern der
Höchstgehalt an Teeïn, das mit dem Koffeïn identisch ist, und den
übrigen, dem Tee seinen Wert verleihenden Substanzen, erreicht. Diese
sind im mittleren Blattgewebe enthalten. Auf einen Hektar Teepflanzung
rechnet man durchschnittlich eine Ernte von 3000 kg Teeblättern
jährlich. Aber auf den besten Teepflanzungen erntet man bis 10000
kg pro Jahr. Beim Pflücken der Blätter, das meist Frauen und Kinder
besorgen, wird peinlichste Sauberkeit beobachtet. Die Pflückerinnen
müssen täglich baden und sich getrockneter Fische und anderer stark
riechender Speisen enthalten. Ja, die feinste Sorte aus den zartesten
Blättern der ersten Ernte, die in China den Kaiser- oder Blumentee
liefern, der kaum je in den Handel gelangt und vom Hofe selbst, der ihn
mit 600 Mark das kg bezahlt, aufgekauft wird, pflückt man sogar mit
Handschuhen. Damit beide Hände frei bleiben, tragen die Pflückerinnen
an einer Schnur um den Hals gehängt ein Körbchen auf der Brust,
ziehen mit der Linken einen Zweig an sich und brechen mit der Rechten
die Blätter am Stiel ab. Eine Person vermag täglich 6-7 kg Blätter
einzusammeln, die dann nach der Zubereitung zu Tee 75 Prozent ihres
Gewichts verlieren, so daß also 4 kg frische Blätter 1 kg Tee liefern.

Je nach der weiteren Bearbeitung erhält man nun zwei ganz verschiedene
Sorten, den +schwarzen+ und den +grünen Tee+, die durchaus nicht,
wie man früher glaubte, von verschiedenen Pflanzen, sondern von
derselben stammen, nur durch verschiedene Behandlung der Blätter
erzielt werden. Der +grüne Tee+, wie ihn die Ostasiaten lieben, weil
er infolge weit geringerer Zersetzung kräftiger auf die Nerven als der
von uns bevorzugte schwarze Tee wirkt, wird in der Weise gewonnen, daß
die Blätter unmittelbar nach dem Einbringen „gedämpft“ werden, damit
sie ihre Farbe behalten, und schließlich eine Röstung erfahren. Zu
diesem Zwecke werden sie in Hürden aus Bambusstäben über Kessel mit
dampfendem Wasser gehalten oder in tiefen Pfannen bei starker Hitze
in ihrem eigenen Safte gedämpft, wobei sie unausgesetzt mit Stöcken
rasch umgerührt werden, bis sie beginnen rote Ränder zu zeigen. Dann
werden sie wie beim schwarzen Tee, nur in schnellerer Aufeinanderfolge,
mit den Händen gerollt und über Feuer geröstet. Durch dieses rasche
Trocknen wird dem Gerbstoff in den Blättern keine Zeit zum Oxydieren
gelassen, während gleichzeitig auch einer späteren chemischen
Zersetzung in der Masse vorgebeugt wird. Zum Schluß werden sie, nachdem
man ihnen noch die gewünschte blaugrüne Farbe, die nicht jeder Tee
annimmt, durch Bestäuben mit einer Mischung von Indigo, Curcuma und
Gips verliehen hat, vermittelst Sieben sortiert und die Ware nach
nochmaligem Rösten noch warm in mit Stanniol gefütterte Kisten verpackt.

Der +schwarze Tee+, der weitaus die Hauptmenge des Fabrikats ausmacht,
da er vorzugsweise zum Export gelangt, wird ganz anders behandelt.
Zunächst läßt man die Blätter auf flachen Bambushürden 24 Stunden
und länger welken, wobei die Blätter unter allerlei chemischen
Veränderungen, die vorzugsweise in einem Freiwerden des Teeïns aus
seiner gerbsauren Verbindung und in einer Zunahme von löslichen
Stickstoffverbindungen bestehen, etwa 20-28 Prozent ihres Gewichtes
verlieren. Durch dieses Welken werden die Blätter zugleich für die
weitere Bearbeitung geeigneter gemacht. Da sie gerollt werden sollen,
wird dadurch das Austreten des Saftes bei jenem Prozesse vermindert und
bewirkt, daß sie sich später leichter rollen lassen und dabei weniger
leicht zerbrechen. Unmittelbar nach dem Welken werden die Blätter
20-30 Minuten lang auf Rolltischen mit den Händen gerollt. Die so
entstandenen Ballen werden auseinander gelöst, auf geflochtenen Tellern
ausgebreitet und mit feuchten Tüchern bedeckt, um das Austrocknen zu
verhüten und die Temperatur in der leicht gärenden Masse niedrig zu
halten. Diese Gärung findet durch ausschließlich im Teeblatte selbst
enthaltene Fermente statt, wobei durch das Freiwerden eines ätherischen
Öles das Aroma entsteht. Nach zwei bis drei Stunden ist dieser Prozeß
abgelaufen und dann hat sich die Blattmasse rotbraun verfärbt. Nun
werden die Blätter nochmals gerollt und danach getrocknet. Dieser
letztere Prozeß soll möglichst zuerst in der Sonne und dann in
Trockenmaschinen bei 100° C. geschehen. Danach folgt das durch Frauen
besorgte Verlesen oder das Sortieren durch Maschinen. Schließlich
wird der Tee nochmals in offenen Sieben über hellem Kohlenfeuer gut
getrocknet und erwärmt, um die absolute Luftfeuchtigkeit in der
Verpackung, welche beim Transport zur Schimmelbildung führen würde,
zu vermindern, sorgfältig in große, innen mit Stanniol ausgekleidete
Kisten verpackt und dann verlötet, damit er sein feines Aroma
möglichst unverändert behalte. Wie bei der Verpackung ist auch bei der
Aufbewahrung des Tees darauf zu achten, daß nicht riechende Stoffe
in der Nähe sind und die Ware nicht der Luft, dem Lichte und der
Feuchtigkeit ausgesetzt ist. Übrigens wird nur den besseren Teesorten
eine solch sorgfältige Behandlung zuteil. Für den Verbrauch im Inlande
werden die geringwertigen Blätter einfach an der Sonne getrocknet und
mit gefurchten Steinen gerollt. Der so gewonnene Tee hat ein angenehmes
Aroma, eine rötliche Farbe und einen süßlichen Geschmack, hält sich
aber nicht lang.

China erzeugt sowohl schwarzen wie grünen Tee in großen Mengen, während
Japan nur grünen, Ceylon und Java nur schwarzen, Indien nur wenig
grünen Tee (für die mittelasiatischen Länder) produziert und nach
Europa und Amerika fast nur schwarzen Tee verschifft. Die besseren
Sorten des bei uns wenig beliebten grünen chinesischen Tees -- von
den Chinesen Lo-tscha genannt -- sind: der Kaiser- oder Blumentee,
der aus etwas größeren Blättern der ersten Ernte zu ziemlich großen
Körnchen gerollt wird; er wird vom kaiserlichen Hofhalt, den Mandarinen
und reichen Chinesen verbraucht. Dann der Chu-tscha oder Perltee, der
aus den Blättern der Knospen der ersten Ernte zu ganz feinen Körnern
gerollt wird; er wird aus Ning-po und Schang-hai besonders nach den
Vereinigten Staaten und Marokko ausgeführt, wo vielfach wie in Ostasien
der grüne chinesische Tee dem schwarzen bevorzugt wird. Drittens der
Hei-son, d. h. blühender Frühling, der aus den gekräuselten Blättern
der ersten Ernte gerollt und in zwei Qualitäten hergestellt wird.
Aus den Abfällen dieser Sorten wird endlich ein Twan-kai genannter
Ausschußtee hergestellt.

    Tafel 61.

[Illustration: Singhalesin auf Ceylon beim Pflücken der Teeblätter, die
sie hinter sich in den Korb wirft.]

    Tafel 62.

[Illustration: Singhalesinnen auf Ceylon beim Pflücken der Teeblätter
unter Aufsicht eines sich mit Schirm gegen die Sonnenstrahlen
schützenden Aufsehers.]

    Tafel 63.

[Illustration: Singhalesinnen auf Ceylon, die von ihnen gepflückten
Teeblätter nach der Qualität verlesend.]

    Tafel 64.

[Illustration: Das Trocknen der Teeblätter auf Hürden in Ceylon.]

Der schwarze Tee Chinas wird in die beiden Gruppen +Oolong+ und +Bohea+
geschieden. Oolong bedeutet grüner Drache; dieser Name rührt daher,
weil er von vielen gelblichgrünen Blättern durchsetzt ist. Die Oolongs
geben einen kräftigeren Aufguß von mehr gelber Farbe als die
Boheas, die wirklichen schwarzen Teesorten Chinas, die einen dunklen,
schwächeren Aufguß geben. Sie werden in fünf Sorten geschieden: Die
feinste Sorte wird von den Engländern ~caper~, von den Chinesen
aber He-chu-tscha, d. h. schwarzer Perlentee, genannt. Sie ist
rötlichschwarz, glänzend und besteht aus zu Perlen gerollten Blättern
und gibt einen dunkelrötlichen Aufguß von reichem Aroma. Dann folgt als
noch sehr feine Qualität der Peko (eigentlich ~pak-ho~, d. h. weißer
Flaum), der aus den zarten, gegen die Spitze hin mit weißen, seidigen
Haaren bedeckten Knospenblättern und frisch entfalteten Blättern meist
der ersten Ernte hergestellt wird. Die reichlich bei der Herstellung
dieses Tees abfallenden Haare geben mit behaarten jungen Knospenteilen
und älteren Blättern vermengt die Pekoblüten. Der Souchong (eigentlich
~sou-tschong~, d. i. kleine Sorte) wird aus den kleinen Knospenblättern
der zweiten Ernte gebildet, während der Pouchong (~pau-tschong~, d. h.
gefaltete Sorte) aus den gefalteten mittelgroßen Blättern der zweiten
Ernte besteht. Der viel Zeit für die Zubereitung erfordernde Congou
(eigentlich ~kong-fo~, d. h. mühevolle Sorte) -- von den Chinesen meist
nur ~hung-tscha~, d. h. roter Tee genannt -- besteht aus den 3-8 cm
langen, 1-3 cm breiten Blättern der zweiten Ernte. Von ihm werden noch
zwei besondere Sorten unterschieden, nämlich der Karawanentee, der
meist nach Rußland exportiert wird, und der Kaisow-Congou mit kleinen,
feingekräuselten Blättern, der vielfach von Kennern für die beste aller
Teesorten angesehen wird.

Da in Japan die Ernte fast ununterbrochen stattfindet, treten in dem
vom grünen chinesischen und indischen weit an Güte übertroffenen
japanischen Tee keine so wesentlichen Unterschiede in der
Zusammensetzung je nach den einzelnen Ernten wie in China hervor.
Nichtsdestoweniger unterscheidet man Peko, welcher die kleinsten,
Souchong, welcher die mittleren, und Congou, welcher die größten
Blätter enthält. In seinen feinsten Sorten Uji, Kioto und Ogura
wird der japanische Tee in der Provinz Yamaschiro erzeugt. Die in
den benachbarten Landschaften Omi und Tamba gebauten Teesorten
sind geringwertiger, werden aber in den größten Mengen auf den
Markt gebracht. Der japanische Tee gibt einen hellfarbigen Aufguß
von eigentümlichem, reichem Geschmack und wirkt kräftig auf das
Nervensystem.

Wie der Chinese den grünen Tee zur Erzielung der gewünschten schönen
blaßgrünen Farbe färbt, so parfümiert er sowohl den grünen, als auch
den schwarzen Tee durch vorübergehenden Zusatz wohlriechender Blumen,
um ihn so für den europäischen Konsumenten angenehmer zu gestalten.
Die zu letzterem Zwecke am meisten gebrauchten Blüten sind diejenigen
von Jasmin, Orangen, Nelken, Rosen, der Gardenie, der wohlriechenden
Aglaia, von ~Illicium amsatum~, ~Magnolia fuscata~, ~Chloranthus
conspicuus~ und besonders diejenigen des wohlriechenden Ölbaums (~Olea
fragrans~); ferner werden die Wurzeln von ~Iris florentina~ und das Öl
von ~Bixa orellana~ dazu verwendet. In Indien und Ceylon ist solches
Parfümieren des Tees verpönt. Und in der Tat, wer sich erst an den
Geschmack unparfümierten, reinen Tees gewöhnt hat, dem widersteht der
apothekenhafte Geschmack dessen, was als chinesischer Tee den Europäern
aufgetischt wird.

Neben diesen beiden Hauptsorten, dem grünen und schwarzen Tee, gibt
es noch verschiedene andere, so besonders den für die Nomaden der
Mongolei, die Tibeter und Mongolenstämme Sibiriens und Rußlands, wie
die Kalmücken, zu einem eigentlichen Volksgetränk gewordenen und daher
als beliebtestes Tauschmittel dienenden +Backstein+- oder +Ziegeltee+.
Er wird aus Abfällen geringer Sorten, aus älteren, lederartigen
Teeblättern und anderen Blättern, namentlich von Weiden, mit Hilfe
von Reiswasser und Serum von Ochsen- und Schafblut zu viereckigen,
länglichen Tafeln von gegen 2 kg Gewicht zusammengepreßt und dann in
Öfen oder an der Luft getrocknet. Dieser Backsteintee macht auch das
schlechteste Wasser der Steppen trinkbar und wird vom Kaiser von China
seinen mongolischen Truppen als Sold verabreicht. Er muß beim Gebrauch
mit einem Hackmesser auseinandergeschlagen, in einem Holzmörser
zerstampft und darauf in Wasser gekocht werden, bis er auseinanderfällt
und weich genug ist, um mit Zusatz von meist ranziger Schaf- oder
Ziegenbutter und Salz weniger als Getränk, denn eine Art Gemüse, samba
genannt, verzehrt zu werden.

Das Teetrinken ist in China und Japan eine in allen Volksschichten
gleichmäßig verbreitete Sitte, die mit Kunst zu üben den Knaben und
Mädchen durch besondere Lehrer gelehrt wird, wie unsere Kinder etwa
Tanzunterricht erhalten. Man brüht den Tee dort in kleinen, irdenen
Töpfen an, die desto wertvoller sind, je länger sie im Gebrauche stehen
und je mehr Absatz sich im Innern des Gefäßes niedergeschlagen hat. Der
Tee wird stets warm in kleinen Täßchen ohne Zucker und Milch getrunken.
Bestellt man in jenen Ländern in einem Teehaus, die dort die Rolle
unserer Wirtshäuser spielen, Tee, so wird in der Regel kein Teetopf
benutzt, sondern der Tee wird einfach in den Tassen abgebrüht, während
ein schüsselförmiger durchlochter Deckel verhütet, daß die Blätter beim
Trinken in den Mund geraten.

Die vornehmen Chinesen pflegen eine durchlöcherte Kapsel aus Silber
oder Gold an einer kleinen Kette aus demselben Metall bei sich zu
führen, mit dem sie sich den Tee selbst bereiten, indem sie, falls
ihnen die Lust zu einem derartigen Genuß ankommt, die Kapsel mit Tee
füllen, und sie einige Minuten in eine Tasse mit heißem Wasser halten.

Während die Chinesen und Japaner einen sehr schwachen Teeaufguß
trinken, lieben ihn die Engländer sehr stark und bevorzugen dabei
ihren Ceylontee. Weniger stark lieben ihn die Russen, bei denen er
ebenfalls zum eigentlichen Nationalgetränk wurde. Die ärmeren Klassen
der russischen Bevölkerung trinken den ganzen Tag hindurch Tee, aber
sehr stark verdünnt. In jedem Hause brodelt das Wasser im Samowar,
einem meist urnenförmig gestalteten, gewöhnlich durch glühende Kohlen
geheizten Kessel, dessen Wasser ausschließlich zur Teebereitung
verwendet wird. Man nimmt dafür nur wenig Teeblätter und gießt immer
wieder heißes Wasser auf die schon ausgelaugten Teeblätter.

In den hohen Gesellschaftskreisen Rußlands wird wohl -- mit Ausnahme
derjenigen von China und Japan -- der beste Tee getrunken, den es gibt,
und zwar gewöhnlich ohne Zucker und Milch, dafür aber mit Zusatz von
einer Zitronenscheibe oder einigen Tropfen Zitronensaft, wodurch das
Aroma verstärkt werden soll. Nur die von Viehzucht lebenden Tataren
kochen ihn mit Milch unter Hinzufügen von etwas Salz. Im Norden
von Europa, wie in Deutschland und Frankreich, pflegt man vielfach
etwas Rum in den Tee zu tun. So dient er vor allem zur Bereitung
des Punsches. Das Wort Punsch stammt aus dem Indischen und bedeutet
ursprünglich das Zahlwort ~pandsch~, d. h. fünf (z. B. in der
wohlbekannten Bezeichnung Pandschab, d. h. Fünfstromland enthalten),
weil in dieses Getränk fünf Bestandteile eintreten, nämlich Wasser,
Zucker, Tee, Rum und Zitronensaft.

Der von China, Ceylon oder sonstwoher importierte Tee wird stets
von den großen europäischen Importfirmen je nach dem Geschmacke
der betreffenden Abnehmer und Konsumenten gemischt. Durch eine
solche Vermischung verschiedener Sorten wird eine Ergänzung der
Eigenschaften derselben bewirkt und kann so besser jede persönliche
Geschmacksliebhaberei befriedigt werden, und zwar bei gleichzeitiger
Verbilligung infolge des Zusetzens leichter Sorten zu schweren.
Durch solche Vermischungen, die von den großen Teeimportfirmen als
Geschäftsgeheimnis sorgfältig gehütet werden, erhält das Publikum
ein billigeres und zugleich ein ihm besser zusagendes Getränk, als
wenn es eine reine Sorte genösse. In letzterem Falle müßte es, um
einen wirklich guten Tee zu bekommen, eine feine, teure Qualität
verwenden, die es jedoch so zu nehmen hätte, wie sie gerade ist, auch
wenn ihr diese oder jene Unvollkommenheit anhaftete. Die Vermischung
muß stets bei trockenem Wetter vorgenommen werden, und danach hat
der Tee mindestens 10 Tage unberührt zu lagern, bis er seine guten
Eigenschaften erlangt hat. Übrigens wird auch der Kaffee in ähnlicher
Weise vermischt in den Handel gebracht, wobei jedes größere Geschäft
seine bei den Kunden als beliebt erprobte Zusammensetzung vornimmt.

Was den Teekonsum der Völker Europas anbetrifft, so steht England
weitaus an der Spitze mit gegen 3 kg pro Jahr und Kopf der Bevölkerung,
dann folgen Holland -- das daneben noch viel Kaffee verbraucht -- mit
0,6 kg und Rußland mit 0,5 kg. Weit weniger als diese verbrauchen die
Schweiz, nämlich 100 g, Deutschland 50 g und Frankreich nur 20 g,
ebenfalls pro Jahr und Kopf der Bevölkerung. Die Franzosen trinken
dafür als Frühstücksgetränk viel Schokolade, die in den letzten
Jahrzehnten in Paris geradezu ein Volksgetränk wurde. Doch erfreut sich
seit der letzten Weltausstellung auch der Tee in Paris zunehmender
Beliebtheit.

Daß dieser letztere zum Lieblingsgetränk so vieler Nationen geworden
ist, verdankt er seinem Gehalt an einem ätherischen brenzlichen Öle,
das ihm das angenehme Aroma verleiht, und zwei Alkaloiden, die in
gleicher Weise wie jenes das Nervensystem angenehm anregen. Das dem Tee
seinen spezifischen Geruch verleihende ätherische Öl ist zitronengelb,
abscheidbar, erstarrt leicht, schwimmt auf dem Wasser und regt, in
reinem Zustande genossen, ungeheuer auf und verursacht in großen Gaben
selbst den Tod. Da es aber im grünen Tee nur zu 1 Prozent, im schwarzen
sogar nur ½ Prozent enthalten ist und seine Wirkung außerdem durch
die Gerbsäure herabgesetzt wird, so wirkt es bei mäßigem Genusse des
Tees bloß anregend und belebend auf das Nervensystem, erzeugt aber
im Übermaß Aufgeregtheit, Schlaflosigkeit und Eingenommenheit des
Kopfes. Ebenso wirkt das mit dem Koffeïn identische Alkaloid Teeïn
von bitterem Geschmack, das zu 0,8 bis 4,5 Prozent neben dem ihm sehr
nahe verwandten Theophyllin darin enthalten ist. Die Gerbsäure aber,
die im Tee zu 10-25 Prozent enthalten ist, verleiht ihm einen herben,
zusammenziehenden Geschmack und wirkt leicht stopfend auf die Gedärme.
Beim Erkalten des Teeaufgusses bewirkt die Ausscheidung von Gerbsäure
eine Trübung desselben. Damit nun der Tee nicht bitter werde, darf das
heiße Wasser nicht zu lange mit den Blättern in Berührung bleiben. Nach
längstens 10 Minuten sind die erwünschten Bestandteile der Teeblätter
extrahiert und dann soll die dieselben bergende Kapsel aus dem Aufguß
entfernt werden.

Der angenehme Geschmack des Teeaufgusses wird durch das richtige
Verhältnis aller dieser Bestandteile zueinander bestimmt, und dieses
Verhältnis hängt ganz davon ab, wie das heiße Wasser verwendet wird.
Die Chinesen als die ersten Teekenner der Welt legen so großes Gewicht
auf die richtige Zubereitung dieses Getränkes, daß ausführliche
wissenschaftliche Werke darüber existieren. Über die Herstellung dieses
Getränkes sagt der chinesische Kaiser Kien-long in einem Gedicht:
„Setze über ein mäßiges Feuer ein Gefäß mit drei Füßen, dessen Farbe
und Form darauf deuten, daß es schon lange im Gebrauch ist. Fülle es
mit klarem Wasser von geschmolzenem Schnee. Laß dieses Wasser bis zu
dem Grade erwärmt werden, bei welchem der Fisch weiß und der Krebs
rot wird. Gieße dieses Wasser in eine Tasse auf feine Blätter einer
ausgewählten Teesorte, lasse es etwas stehen, bis die ersten Dämpfe,
welche eine dicke Wolke bilden, sich allmählich vermindern und nur
leichte Nebel auf der Oberfläche schweben. Trinke alsdann langsam
diesen köstlichen Trank, und du wirst kräftig gegen die fünf Sorgen
werden, welche gewöhnlich unser Gemüt beunruhigen. Man kann die süße
Ruhe, welche man einem so zubereiteten Getränke verdankt, schmecken,
fühlen, jedoch nicht beschreiben.“

Um einen guten Tee zu bereiten, muß das zum Anbrühen des Tees zu
verwendende Wasser weich sein, d. h. möglichst wenig Kalksalze
enthalten. Ist es hart, so muß ihm doppeltkohlensaures Natron, und
zwar eine Messerspitze voll pro Liter, zugesetzt werden. Das Wasser
soll kochen, aber nur ganz kurze Zeit, da es sonst schal wird. Bereits
gekochtes Wasser darf nicht ein zweites Mal gekocht und zum Teeaufguß
verwendet werden, da dann alle Gase aus ihm entwichen sind, die das
Aroma des Tees gut binden oder festhalten. Die Zubereitung muß in
einem Gefäß aus Porzellan oder gebranntem Ton vor sich gehen und darf
niemals in einem solchen aus Eisen geschehen, da die Gerbsäure das
letztere angreift. Das Gefäß wird vorher erwärmt, indem man es mit ein
wenig des eben zu sieden beginnenden Wassers ausspült, bevor man die
Teeblätter in einer Aluminium- oder Nickelkapsel hineintut, wenn man
nicht vorzieht, das an den in den Handel gelangenden chinesischen
und japanischen Teetöpfen befindliche Porzellan- oder Tonfilter zu
benutzen, das gleich nach dem Ausschänken der ersten Portion die
Blätter zurückhält und aus der Flüssigkeit heraushebt. 5-8 Minuten
nach der Hinzufügung des frisch siedenden Wassers wird die Kapsel mit
den Teeblättern herausgezogen. Indischer Tee darf nicht länger als 5
Minuten ziehen, da er sonst widerlich bitter schmeckt. Feinschmecker
lassen den Tee sogar nur 3 Minuten ziehen, und das ist durchaus
genügend, um die wertvollen Bestandteile des Tees aus den Blättern
zu extrahieren. Läßt man die Teeblätter zu lange im Aufguß, so wird
der Tee durchaus verdorben, indem er sich durch einen Überschuß
von Gerbsäure und Gummi dunkel färbt, unangenehm bitter wird und
nicht nur an Aroma und Milde, sondern auch an Bekömmlichkeit stark
Einbuße erleidet. Durch zu langes Ausziehenlassen der Teeblätter
erhält man statt eines wohlschmeckenden, erquickenden Getränkes eine
unschmackhafte, durch den reichen Gerbsäuregehalt bittere und den
Verdauungsorganen nachteilige Brühe. Richtig zubereiteter Tee darf
nicht zu dunkel, sondern muß hellbraun sein mit sanftem, an Rosenduft
erinnerndem Aroma. Um diesen würzigen Duft zu kosten, darf er nicht
durch Beifügen von Vanille verdeckt werden, was entschieden als eine
Geschmacksverirrung zu bezeichnen ist. Die meisten Teeliebhaber trinken
dunkeln, meist zu lange an den Blättern gelassenen Tee mit viel Zucker
und Milch. Da ihm die brenzlichen, aromatischen Öle des Kaffees, die
auf den Magen ungünstig wirken, fehlen, so ist besonders für Personen
mit schwachem Magen der Teegenuß entschieden zuträglicher als der
Kaffeegenuß. Im übrigen wirkt er ähnlich anregend wie der Kaffeeaufguß
auf das Nervensystem, beseitigt die Müdigkeit und üble Laune, bringt
ein Gefühl allgemeiner Behaglichkeit und Heiterkeit des Geistes
hervor und unterdrückt eine leichte Berauschung und Schläfrigkeit.
Die Chinesen sagen von ihm: „Der Tee entfernt das Fett und läßt den
Menschen nicht schlafen; er spült Unreinlichkeiten fort, vertreibt
Schläfrigkeit, heilt Kopfweh und verhütet es.“

Die Verwendung des Tees als belebendes und anregendes Genußmittel ist
in China sehr alt. Eine japanische Sage meldet, daß ein im Jahre 519
von Indien nach China gekommener buddhistischer Priester in frommem
Eifer das Gelübde tat, sich des Schlafes zu enthalten, um eine Zeitlang
anhaltend zu beten. Da ihn aber der Schlaf dennoch überwältigte,
schnitt er sich in heiligem Zorn zur Sühne seine Augenlider ab und warf
sie auf die Erde. Da geschah ein Wunder. Aus ihnen erwuchs plötzlich
die den Schlaf verscheuchende Teestaude, deren Blätter in ihrer Gestalt
und durch einen Besatz von Wimperhaaren die Form der abgeschnittenen
Augenlider nachahmen. So sinnig diese Sage auch erscheinen mag, so
ist sie schon in der Datierung grundfalsch; denn die Teepflanze ist
schon lange vor dem 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung in China als
Arznei- und Genußmittel benutzt worden. Bereits im Jahre 2700 v. Chr.
erwähnt das Buch ~Pent-sao~ den Teestrauch, und 500-600 v. Chr. im
„~Rya~“ desgleichen. Seine Blätter sollen um 150 v. Chr. zuerst zur
Herstellung eines als Getränk benutzten Aufgusses verwendet worden
sein. Im 4. Jahrhundert n. Chr. hat der Ausleger des letztgenannten
Werkes Einzelheiten über die Pflanze und den Gebrauch ihrer Blätter
zu Aufgüssen gegeben. Damals soll schon ein chinesischer Minister Tee
getrunken haben; aber erst im 6. Jahrhundert verschaffte sich der Tee
allgemeinen Eingang und wurde in China Nationalgetränk, angeblich
nachdem ein Leibarzt des Kaisers seinem Herrn das Kopfweh damit
vertrieben hatte. Jedenfalls war die Pflanze ums Jahr 600 n. Chr. in
ganz China als Genußmittel angebaut. Seiner Wertschätzung für dieses
Getränk soll der chinesische Kaiser Kien-long dadurch Ausdruck gegeben
haben, daß er einen von ihm auf einer Jagdpartie gedichteten Lobgesang
auf den Tee auf Porzellantassen schreiben ließ, die er zu kaiserlichen
Geschenken verwendete. Im Geschichtsbuche ~Kiang-mo~ wird gesagt, der
Kaiser Te-tsing habe im 14. Jahre seiner Regierung, d. h. 782 n. Chr.,
einen Zoll auf Tee gelegt. Gegen das Ende des 9. Jahrhunderts berichtet
der arabische Reisende Abuzeid-el-Hazen, daß die Steuer auf Tee eine
der hauptsächlichsten Einnahmequellen des Kaisers von China sei.

Im Jahre 810 brachten chinesische Priester den Teestrauch nach Japan,
wo seine Blätter bald in derselben Weise wie in China zum beliebten
Volksgetränk wurden. Von Ostasien aus verbreitete sich die Sitte
des Teetrinkens erst im 15. Jahrhundert nach Mittelasien, wo die
Tibeter bald große Liebhaber desselben wurden. Die Araber, die seit
dem 9. Jahrhundert in Handelsbeziehungen, hauptsächlich Seidenstoffe
betreffend, zu den Chinesen standen, beschrieben den Tee zuerst unter
der Bezeichnung ~tscha~. Im Chinesischen bedeutet ~tschai-yé~ junges
Blatt und daraus zusammengezogen ~tscha~ = Tee; dieses wird im Dialekt
von Kanton wie ~tschai~ ausgesprochen. Dieses Wort ist als ~tsja~ in
die Sprache der Japaner und als ~tschai~ in diejenige der Russen und
Portugiesen übergegangen. Die bei den übrigen europäischen Völkern
gebrauchten Namen Tee, ~thé~, ~té~, ~tea~ und das lateinische ~thea~
stammen wahrscheinlich von dem im Dialekte Fo-kiens in Südchina
üblichen Worte ~tia~, das in A-moy ~tai~ und in Fu-tschan ~ta~ lautet.
Die älteste in Deutschland nachweisbare Bezeichnung für Tee stammt aus
dem Jahre 1657 und lautet ~herba schac~.

Die erste Nachricht vom chinesischen Tee als Genußmittel der Ostasiaten
soll ums Jahr 1550 durch einen persischen Kaufmann dem Geographen
Ramusio in Venedig zu Ohren gekommen sein. Aber wie falsch die
Vorstellung der Abendländer von diesem Genußmittel der Ostasiaten
war, beweist die Mitteilung des Italieners Giovanni Botero aus dem
Jahre 1590, wonach die Chinesen eine Pflanze anbauten, aus der sie ein
angenehmes Getränk preßten, das sie an Stelle des Weines tränken. Damit
war natürlich der Tee gemeint, aber seine Gewinnung völlig unrichtig
geschildert, als Beweis dafür, daß man über seine Herstellung noch
völlig im unklaren war. Der Reisende Maffei erwähnt ihn ebenfalls in
seiner lateinisch geschriebenen Historie Indiens vom Jahre 1588; aber
erst im Jahre 1610 brachten die Holländer in Bantam von chinesischen
Kaufleuten gegen Salbeiblätter eingetauschten Tee mit nach Hause. 1638
erhielt eine russische Gesandtschaft in der Mongolei als Gegengeschenk
für etliche Zobelfelle einige Pfund Tee, den sie nach ihrer Rückkehr
in Moskau nach chinesischer Sitte zubereiten ließ. Damit fand sie
ordentlichen Beifall, so daß sich die Reichen noch mehr dieses
neuartigen Genußmittels zu verschaffen suchten.

Im Abendlande war der Portugiese Alvarez Semedo, der sich längere
Zeit in Makao aufgehalten hatte, der erste, der 1643 den chinesischen
Teestrauch beschrieb und über die Zubereitung der Blätter
berichtete. 1658 wurde die Pflanze von Piso in seinem Werke über
die Naturgeschichte und Medizin beider Indien deutlich erkennbar
abgebildet. Im Jahre 1712 gab dann der berühmte Reisende, Arzt und
Naturforscher Kämpfer nicht nur eine gute Zeichnung des Teestrauches,
sondern auch eine ausführliche Beschreibung der Teefabrikation
in China. 1763 erhielt Carl von Linné durch den schwedischen
Schiffskapitän Ekeberg lebende Teepflanzen für den botanischen Garten
in Upsala und führte die damals schon gebräuchliche Bezeichnung ~thea~
in die wissenschaftliche Nomenklatur ein.

    Tafel 65.

[Illustration: Zweige des Teestrauches (~Thea assamica~) mit Blättern,
Blüten und Früchten auf Ceylon.]

    Tafel 66.

[Illustration: Eine Anhäufung von Matezweigen. Im Hintergrund Matebäume
(~Ilex paraguayensis~).]

Die erste abendländische Gesellschaft, die dieses neue Genußmittel
in Europa einzuführen versuchte, war die holländisch-indische
Handelsgesellschaft. Bis zum Jahre 1630 war es ihr auch in ziemlichem
Umfange gelungen, den Teegenuß in Holland populär zu machen. Dabei
wurde sie ganz wesentlich durch die Lobpreisungen unterstützt, die
einige namhafte holländische Ärzte dem daraus bereiteten Getränke
zuteil werden ließen. So sollte er die Lebenskraft steigern, das
Gedächtnis stärken, alle seelischen Tätigkeiten erhöhen und das Blut
in ausgiebigster Weise verdünnen. Gegen Fieber mußte man Dutzende von
Tassen desselben trinken, was von sehr guter Wirkung sein sollte.

Von Holland brachten die Lords Albington und Ossiro den Tee im Jahre
1660 zuerst nach England, und ihre Frauen servierten den Gästen
dieses neue Getränk und machten es in weiteren Kreisen Londons
bekannt. Bald darauf wurde es auch in einigen Londoner Trinkhäusern
als fremde Novität ausgeschänkt. Doch war der Tee noch im Jahre 1664
in London etwas so überaus Seltenes, daß die englisch-ostindische
Handelsgesellschaft ihrer Königin ein sehr kostbares Geschenk mit zwei
Pfund Tee zu machen glaubte. Das Pfund Tee wurde damals in London zum
Preise von 65 Livres verkauft, obwohl es in Batavia nur 3-4 Livres
kostete. Daraus kann man entnehmen, welch enormen Gewinn die Holländer
durch den Import des Tees nach Europa machten.

Trotz dieses hohen Preises und der starken Besteuerung, die auf dem Tee
lastete, war das Teetrinken in England ums Jahr 1700 schon allgemein
verbreitet, wenn auch gegen diese Neuerung, gleichwie gegen den Genuß
von Kaffee und Schokolade von manchen Leuten energisch zu Felde gezogen
wurde. So bezeichnete ein französischer Gelehrter, Patin, den Tee als
„~l’impertinente nouveauté du siècle~“, d. h. die unverschämte Neuheit
des Jahrhunderts. Nach dem im Jahre 1782 erschienenen Buche von Le
Grand d’Aussy über die Geschichte des Privatlebens der Franzosen war
nämlich der Tee im Jahre 1636 in Paris bekannt geworden und bald zu
Ansehen gelangt, weil ihn der Kanzler Séguier unter seinen besonderen
Schutz nahm. In Holland gab man ihm ums Jahr 1670 den Spottnamen
„Heuwasser“. Trotz diesen und zahlreichen anderen Angriffen behagte
aber doch das neue, zweifellos angenehm schmeckende und anregende
Getränk den Vornehmen, die sich dasselbe zu kaufen vermochten, zumal
damals auch der Rohrzucker in größerer Menge aus den in den Tropen
gelegenen Kolonien in Europa eingeführt wurde und als nötige Würze
den Geschmack desselben für die abendländischen Zungen bedeutend
verbesserte.

Von Autoren, die den Tee rühmten, sind Molinari 1672, Albino 1684,
Pechlin 1684, Blankaert 1686 und Blegna 1697 zu nennen. Der Mann
aber, der trotz den zahlreichen Anfeindungen das neue Getränk am
nachhaltigsten lobte und am meisten für seine Verbreitung tat, war
der im Jahre 1618 zu Alkmar geborene und als Leibarzt des Kurfürsten
von Brandenburg im Jahre 1686 verstorbene holländische Arzt ~Dr.~
Cornelis Dekker, besser bekannt unter dem Beinamen Bontekoe, der
davon herrührte, daß an der elterlichen Wohnung in Alkmar ein mit
einer bunten Kuh bemaltes Aushängeschild befestigt war. Dieser danach
gewöhnlich als Cornelis Bontekoe bezeichnete Holländer studierte in
Leiden und lebte nach beendigtem Studium im Haag, später in Amsterdam,
Hamburg und zuletzt in Berlin, wo er als Arzt ständig mit seinen
Kollegen in Streit lebte. Nur dem Schutze seines fürstlichen Patienten
und Gönners verdankte er seine große Popularität, die auch seinen
Werken zuteil wurde. Er war ein Anhänger der Lehre, daß das Blut des
Menschen schon zur Vorbeugung, besonders aber bei bereits entstandener
Krankheit, verdünnt werden müsse; dazu empfahl er in einer 1667
erschienenen, bald auch ins Französische und Lateinische übersetzten
Abhandlung besonders den Genuß von Tee, aber auch von Kaffee und
Schokolade. In Deutschland machte er den Tee zuerst ums Jahr 1657 am
Hofe des Großen Kurfürsten bekannt. Trotz mancher Übertreibungen und
zahlreicher Irrtümer über die Wirkung des Tees, deren sich Bontekoe
schuldig machte, ist nicht zu leugnen, daß er mit seiner Propaganda
für den Genuß desselben viel Gutes stiftete, sei es auch nur insofern,
als ihm das große Verdienst gebührt, als Erster den Kampf gegen den
übermäßigen Genuß alkoholhaltiger Getränke, die er durch Tee, Kaffee
und Schokolade ersetzt wissen wollte, aufgenommen zu haben. Und obschon
Generationen nach ihm dieser Kampf gänzlich ruhte und erst in unserer
Zeit mit größerer Energie wieder aufgenommen wurde, ist doch die Arbeit
von Cornelis Bontekoe nicht vergeblich gewesen; denn sie legte den Keim
zu der glücklicherweise immer weitere Kreise in ihren Bann ziehenden
Bewegung, die dahin zielt, geistige Getränke als für das Wohlergehen
des einzelnen Menschen wie des ganzen Volkes überaus nachteilige
und die größte soziale Gefahr in sich bergende Genußmittel immer
mehr zu unterdrücken und durch die viel harmloseren und hygienisch
ratsameren Getränke Tee, Kaffee und Schokolade, die durchaus keine so
allgemeingefährlichen Gifte wie die alkoholischen Getränke sind, zu
ersetzen.

Nach Bontekoe hat der holländische Arzt ~Dr.~ Steven Blankaert am
nachhaltigsten für die Empfehlung dieses neuen Genußmittels gewirkt.
In seinem 1686 erschienenen Werke über den Gebrauch und Mißbrauch
des Tees empfiehlt er dieses Getränk sehr, warnt aber zugleich
vor dem Übermaß desselben. Daß nun zunächst kein Mißbrauch mit
diesem Genußmittel getrieben wurde, dafür sorgte schon der teure
Preis, den man dafür bezahlen mußte, solange er das Monopol der
holländisch-indischen Handelsgesellschaft war und zudem vom Fiskus
hoch besteuert wurde. Der Tee war so teuer als der Kaffee und deshalb
nur für die Wohlhabenden erschwinglich. So steht beispielsweise in
einer Verordnung der Stadt Nimwegen in Geldern, daß für jedes Pfund
rohe Kaffeebohnen eine Abgabe von 8 Stuiver (etwa 60 Pfennigen), für
jedes Pfund gebrannte Bohnen oder Kaffeepulver aber 11 Stuiver und
Tee sogar ein Gulden an den Pächter der Akzise zu entrichten sei. Die
Wirte der Kaffeehäuser, von denen es schon damals eine ganze Anzahl
gab, wurden noch stärker besteuert, indem sie für rohen Kaffee 12 und
für gebrannten Kaffee oder Kaffeepulver 16 Stuiver bezahlen mußten. Und
damit das geliebte Getränk rein zu haben sei, wurden alle Kaffeehändler
und Schenker, die den Kaffee verfälschten, mit einer Strafe von 100
Gulden bedroht. Nach Sonnenuntergang durfte kein Kaffee mehr gebrannt
werden und das „Stampfen“ und „Präparieren“ des Kaffees durfte nur im
Laden geschehen. Kaffeemühlen kannte man damals noch nicht, die Bohnen
wurden wie heute noch bei den Arabern in Mörsern zerstampft, und daher
kommt es, daß auch wir noch von Kaffeepulver an Stelle von gemahlenem
Kaffee sprechen. Ähnliche Bestimmungen wie für den Kaffee gab es für
den Tee.

Die Ausfuhr von Kaffee und Tee wurden durch die Verordnung von
denselben Bestimmungen betroffen, wie sie heutzutage für den Export
von Spirituosen existieren. Kein Händler durfte Kaffee oder Tee aus
dem Distrikt des einen Akzisenpächters in den eines anderen bringen,
ohne mit einem Schein des Akzisenpächters, aus dessen Distrikt die Ware
ausgeführt wurde, versehen zu sein. Dieser Schein mußte außer dem Namen
des Exporteurs einen Vermerk über die Menge des Kaffees oder Tees, eine
Angabe, womit die Ware möglicherweise vermischt war, ob der Kaffee
gebrannt oder ungebrannt war und schließlich die Angabe des Ortes, nach
welchem sie ausgeführt werden sollte, enthalten.

Von der Mitte des 17. Jahrhunderts an wurde der chinesische Tee auch
in Deutschland zuerst als ~herba theae~ in den Apotheken geführt, so
1657 in der Taxe von Nordhausen, 1662 in derjenigen von Liegnitz,
1662 in derjenigen von Ulm. Im 18. Jahrhundert begannen ihn die
vornehmeren Leute als Genußmittel zu trinken und erst vom Beginne des
19. Jahrhunderts an bürgerte er sich hier auch beim Mittelstande ein,
erlangte aber bei weitem nicht die Popularität des Kaffees. Noch im
Jahre 1815 kostete eine Tasse Tee in Paris 1,25 Franken, während eine
Tasse Kakao mit 1 Franken und eine Tasse Kaffee mit 80 Centimes bezahlt
wurde. Daraus kann man sich einen Begriff über die damals anderwärts
bezahlten Preise machen. Diese hohen Preise wurden aber hauptsächlich
dadurch bedingt, daß der Fiskus dieses Genußmittel in weitgehendem
Maße besteuerte und zu einer ergiebigen Einnahmequelle machte. Durch
dieses ungerechtfertigte Vorgehen wurde beim Volke, das an diesem
Genußmittel bald Gefallen fand, viel böses Blut erregt. Manchenorts kam
es sogar zu Auflehnungen gegen die Regierung. So führte der Unwille
gegen die von England auch den Kolonien auferlegte hohe Teesteuer in
Nordamerika zum bekannten Teesturm, bei welchem einige kühne Bostoner
Bürger am 26. Februar 1773 eine Ladung von 18000 Pfund englischen Tees
ins Meer warfen. Diese Revolte war der Ausgangspunkt der Lostrennung
des englischen Nordamerika von seinem Mutterlande und der Bildung der
Vereinigten Staaten von Nordamerika. So hat Englands kurzsichtige
Krämerpolitik ihm damals seine reichste Kolonie entfremdet und der
Tee spielte eine geradezu weltgeschichtliche Rolle, wie sie sonst nur
wenigen pflanzlichen Erzeugnissen beschieden war.

Bis zur ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts versah China die ganze
Welt mit Tee. Heute noch ist China das Land, das die ausgedehntesten
Teegärten der Welt besitzt und im Shan-Lande zwischen Birma und Tonking
den besten, am chinesischen Hofe gebrauchten Tee hervorbringt. Den
Mittelpunkt der Teeproduktion bildet die nördlich von Jün-nan tief im
Innern, am Oberlauf des Jang-tse-kiang oder blauen Flusses gelegene,
bergige Provinz Sze-tschwan, wo besonders die große Stadt Tschöng-fu
den Export betreibt. Dort gedeiht der Teestrauch zwischen 40° und 27°
nördlicher Breite meist in Höhenlagen von 500 m und mehr. Außerdem
wird er in den Provinzen Kuan-tung, Fu-kian, Kiang-si, Tschi-kiang und
Ngan-hui kultiviert, und zwar entweder in zerstreuten Büschen oder in
Reihen zwischen den Feldern, besonders Reisfeldern, auf den mehr oder
weniger hohen Dämmen. Den durch Samen fortgepflanzten Tee stutzt man im
dritten Jahre auf etwa 60 cm und sammelt von da an die neu entwickelten
Blätter, um Tee daraus zu bereiten. Von dort ging die Teeausfuhr nach
Europa lange Zeit auf dem Landwege über Kiachta und Maimatschin nach
Nischni-Nowgorod und St. Petersburg. Noch heute genießt der russische
Karawanentee einen hohen Ruf, da er schon wegen der hohen Spesen des
weiten Transportes nur aus Blättern von bester Qualität hergestellt
wird. Später ging er größtenteils auf dem Seewege nach Europa, gelangt
aber seit der Erbauung der transsibirischen Bahn meist wiederum auf dem
Landwege dahin.

In Japan trifft man die besten Teeplantagen von 30° bis 25° nördlicher
Breite. Die allerbeste Teesorte in Japan liefert die Landschaft
Udsi, westlich von Kioto, in der Nähe des Meeres gelegen. Sie ist
ausschließlich für die Familie des Kaisers bestimmt und kommt
ebensowenig wie der sogenannte chinesische Kaisertee je in die Hände
von Europäern.

In den letzten Jahrzehnten ist die Teekultur in die verschiedensten
warmen Länder ausgedehnt worden, so zuerst auf Java, wo sie im
Jahre 1826 eingeführt wurde, dann 1827 in Bengalen und 1835 in
der sieben Jahre zuvor den Birmesen abgenommenen Provinz Assam am
Südfuße des Himalaja. Hier hatte der englische Botaniker Bruce die
als ~Thea assamica~ bezeichnete wilde Teepflanze entdeckt. Das gab
die Veranlassung, daß die Regierung 1835 die ersten Teepflanzungen
anlegen ließ, die 1839 an die damals gegründete Assam Tea Company
abgetreten wurden. Man kultivierte zunächst die einheimische Pflanze,
hatte aber erst vom Jahre 1851 an Erfolg, als man dieses an den Schutz
des feuchtwarmen Urwaldes gewöhnte Gewächs, das sich als zu zart für
die Kultur in offenen Gärten erwies, mit der chinesischen Teepflanze
kreuzte. Damit erzielte man so schöne Kulturen, daß ein wildes
Spekulationsfieber ausbrach, das 1865 seinen Höhepunkt erreichte.
Noch 1888 lieferte Assam zwei Drittel des in Indien erzeugten Tees.
Der Assamteestrauch hat größere, statt 12 bis 22 cm lange, außerdem
deutlicher zugespitzte Blätter als der chinesische, die der Textur
nach dünner und heller sind. Diese werden reichlicher erzeugt und
bleiben auch länger weich als diejenigen des chinesischen Teestrauches.
Überhaupt ist dieser Wildling noch nicht so abgehärtet wie der schon so
lange in Kultur befindliche chinesische Teestrauch, ist besonders gegen
Trockenheit und Frost empfindlicher als dieser. Diese nachteiligen
Eigenschaften wurden durch die Kreuzung beider zum größten Teile
behoben; doch läßt sich noch kein definitives Urteil über deren Wert
fällen.

Bald nach der Einführung des Teeanbaus in Assam wurde er auch in
den weiter westlich gelegenen Südabhängen des Himalaja, besonders
um Dardschiling, dann in den Nilgeris oder Blauen Bergen hinter der
Malabarküste und endlich auch in Ceylon eingeführt. 1842 begannen
die ersten Versuche der Teekultur in Ceylon; aber erst nach 1873
wurde die Kultur in immer größerem Maße eingeführt als Ersatz des
durch die Laubkrankheit des arabischen Kaffeestrauchs zugrunde
gerichteten Kaffeebaus. Diese gebirgige, für den Anbau des Teestrauches
außerordentlich günstig beschaffene Insel brachte dann in kurzer
Zeit mehr Tee auf den europäischen Markt als das doppelt so große
Java. Übrigens wird auf Ceylon, wie in ganz Indien und auf Java
ausschließlich die widerstandskräftigere Kreuzung der ~Thea chinensis~
mit der ~Thea assamica~ angepflanzt, der einen recht kräftigen und
gehaltvollen Tee liefert; doch erreicht dieser nicht das feine Aroma
des chinesischen Tees.

Auch in Brasilien wurden schon im Jahre 1810 in der Gegend von Rio de
Janeiro Versuche mit der Teekultur angestellt, aber der Anbau in der
Folge wieder aufgegeben, da die Blätter dort entschieden von ihrem
Aroma einbüßten und zudem die dortige Bevölkerung dem einheimischen,
gleichfalls koffeïnhaltigen Mate oder Paraguaytee den Vorzug gab.
Im Jahre 1828 ist dann auch in Kalifornien, 1848 in Südkarolina und
Tenessee und 1859 in Australien der Tee probeweise angebaut worden;
seine Kultur ist dann aber ebenfalls wegen zunehmender Verschlechterung
der hier erzeugten Qualität wieder aufgegeben worden. Bessere Resultate
erzielte man in Natal und besonders im Kaukasus, wo sich die russische
Regierung viel von der Zukunft dieser Kultur verspricht.

Die Gesamtproduktion von Tee läßt sich nicht schätzen, da China und
Japan gewaltige Mengen davon selbst verbrauchen. In den Welthandel
gelangen jährlich über 2 Milliarden kg, von denen 760 Millionen kg aus
China und Japan, 720 Millionen kg aus Britisch-Indien, 560 Millionen
kg aus Ceylon und 5,5 Millionen kg aus Java ausgeführt werden. Noch im
Jahre 1820 erhielten Europa und Nordamerika zusammen ausschließlich
aus China 16 Millionen kg, von denen ¾ auf England entfielen. Heute
konsumiert Deutschland jährlich etwa 4 Millionen kg im Werte von
beinahe 8 Millionen Mark. Das macht jährlich pro Kopf ⅙ kg Tee.
Wichtigere Konsumenten sind Holland mit ½ kg, dann Rußland mit 1 kg
und England mit 2-2½ kg Teeverbrauch pro Kopf und Jahr. Hauptteemarkt
Europas ist London, dann folgen Hamburg, Bremen, Marseille und Odessa.

Wie seit langer Zeit die Ostasiaten und neuerdings auch Russen und
Engländer ihren Tee außerordentlich lieben, so sind die Einwohner
von Paraguay, Argentinien, Südbrasilien, Chile, Peru und Bolivia
leidenschaftliche Trinker von +Mate+, den sie den ganzen Tag über
genießen. Mate bedeutet das Gefäß, in welchem der Aufguß der
betreffenden Blätter getrunken wird, und dieser Name ging schließlich
auf das Getränk selbst, sowie auf die dasselbe liefernde Pflanze über.
Die Spanier bezeichnen den Matetee als ~yerba mate~ und die Portugiesen
als ~erva mate~. Beide Wörter stammen vom lateinischen ~herba~ Kraut,
und ~yerba~ oder ~erva~ nennt das Volk gemeinhin den Trank, der vom
Ärmsten wie vom Reichsten getrunken und dem Gaste als erster Willkomm
dargeboten wird. Förmlich -- wie nun einmal der Südamerikaner, ob
Indianer oder Abkömmling der spanischen Eroberer ist -- wird derselbe
nie versäumen, dem Hausherrn ein Kompliment bezüglich der Güte seiner
~yerba~ zu machen, und die Gespräche über gute oder weniger gute
~yerba~ nehmen oft einen beträchtlichen Raum in der sonst einförmigen
Unterhaltung dieser ~caballeros~ ein.

[Illustration: Bild 36. Blätter und Blütenknospen von ~Ilex
paraguayensis~, des wichtigsten Mate liefernden Strauches in
natürlicher Größe. (Nach Neger und Vanino, Der Paraguay-Tee).]

[Illustration: Bild 37. ~a~ das ~bombilla~ genannte Saugrohr, das in
das Gefäß ~b~, die ~calabaza~, gesteckt wird, um den Mate zu schlürfen.

(Nach Neger und Vanino, Der Paraguay-Tee.)]

Der in seiner Wirkung dem chinesischen Tee ähnliche, wenn auch
weniger Koffeïn -- nämlich nur 0,5 bis 1 Prozent statt wie jener
1,5-3, ja 4 Prozent zu besitzen -- und auch weniger ätherisches Öl
enthaltende und etwas herb schmeckende +Paraguaytee+ wird von einer
großen, Sträucher bis kleine Bäume bildenden Stechpalmenart (~Ilex
paraguayensis~) ohne stachelspitzig gebuchtete Blätter und zahlreichen
nahe damit verwandten Arten gewonnen, die von Südbrasilien durch
Paraguay und Uruguay bis zu den Kordilleren Argentiniens in gebirgigen
Gegenden wild wachsen. Auf einem kurzen Stamm aus sprödem, leicht
faulendem Holz befindet sich eine ziemlich dichte, schön gewölbte
Krone von 5 cm langen, lanzettlichen, an den Rändern leicht gezackten,
immergrünen Blättern. Aus kleinen, weißlichen, im Oktober und November
erscheinenden Zwitterblüten, die aber durch Abort auf verschiedenen
Pflanzen zweihäusig sich entwickeln, so daß die einen nur weibliche
Stempelblüten, die anderen nur männliche Staubgefäßblüten tragen,
bilden sich dunkelviolette Kapseln, welche die sehr harten Samenkerne
enthalten. Die Matebäume treten einzeln und in Gruppen, untermischt mit
subtropischen und tropischen Gewächsen auf. Von den als „~mineros~“
bezeichneten Arbeitern, vielfach Indianern, werden die wildwachsenden
Bäume beschnitten, indem sie erst größere Äste und von diesen die
Zweige abhauen, die dann mit den daran befindlichen Blättern durch
Ziehen durch ein nicht rauchendes Feuer zum Welken gebracht werden,
worauf man sie auf einem hölzernen Gerüst über einem mäßigen Feuer
röstet. Dann bleiben sie eine kurze Zeit auf einem Haufen liegen,
um zu schwitzen, d. h. fermentieren. Hierauf werden sie nochmals in
Schuppen schnell über Feuer getrocknet, bis selbst die Zweige dürr
geworden sind. Endlich werden sie auf einer Tenne ausgebreitet, die
Blätter abgestreift und in Holzmörsern zerstampft, neuerdings aber
in eigenen Yerbamühlen zwischen Walzen zerkleinert und liefern so
den in Segeltuchsäcken oder Lederballen in den Handel gelangenden
Matetee. Aufgüsse desselben werden nicht nur in den Gegenden, in
denen der Strauch vorkommt, sondern auch in Chile, Peru und Bolivia
als Nationalgetränk von jedermann täglich genossen. Dies geschieht in
der Weise, daß man auf die nie verlöschende Glut des Herdes schnell
einige Zweige oder in manchen sehr holzarmen Gegenden trockene
Fladen von Lamaexkrementen oder polsterförmige Klumpen einer Llareta
genannten Umbellifere legt und darüber ein Gefäß mit Wasser erhitzt.
So viel pulverisierte Mateblätter als man zwischen zwei Fingern halten
kann, werden in eine mate genannten Kalabasse -- eine ausgehöhlte
Kürbisschale von eigentümlicher Gestalt -- getan, heißes Wasser
darauf gegossen und möglichst heiß getrunken, indem man den Aufguß
ohne Zuckerzusatz mit einem ~bombilla~ genannten, unten blasenförmig
erweiterten, rings geschlossenen, siebartig durchbrochenen Röhrchen,
meist aus Silber, aufsaugt. Dadurch wird wie beim chinesischen Tee das
Nervensystem angenehm angeregt. Fortgesetzter unmäßiger Genuß des Mate
soll Magenreizung und Nervenzerrüttung herbeiführen. Gewöhnlich gießt
man den ersten Aufguß, der wohl infolge der Zubereitung der Mateblätter
am Feuer etwas rauchig schmeckt, nach kurzem Verweilen an den Blättern
weg und kann dann durch Nachfüllen mit Wasser dieselbe Portion
wenigstens dreimal ausziehen lassen.

Schon die vorgeschichtlichen Peruaner liebten den Mate und gaben ihren
Toten als Speise im Geisterreich Mateblätter mit, die sich ziemlich
häufig in den Gräbern des Totenfeldes von Ancon in Peru als Grabbeigabe
vorfinden. Zur Zeit der spanischen Eroberung war er außer bei den
peruanischen Inkastämmen, von denen das Gräberfeld von Ancon herrührt,
auch bei den Guaranis und anderen Indianerstämmen in hohem Ansehen.
Es ist dies ein Beweis dafür, welch weitreichender Tauschverkehr
unter den Indianerstämmen Südamerikas schon lange vor der Ankunft der
Europäer bestand; denn der Matestrauch hat seine Heimat nur in den
Niederungen im Bereiche des La Platastromes und seine Blätter wurden
von dort über die hohen, beschwerlichen Andenpässe nach Peru, Chile und
Bolivia auf viele Tausende von Kilometern Entfernung als geschätzte
Tauschware transportiert. Zur Zeit der theokratisch-patriarchalischen
Jesuitenherrschaft in Paraguay von 1608-1768 übernahmen die weißen
Patres von ihren Schützlingen, den Indianern, den Mate, dessen
gute Eigenschaften sie bald erkannten, so daß sie ihn dem damals
schon in Amerika angebauten Kaffee vorzogen. Sie verstanden es, den
Ilexbaum zu pflanzen und besaßen ausgedehnte Kulturen davon, eine
Kulturerrungenschaft, die mit ihrer Vertreibung verloren ging. Spätere
Anbauversuche schlugen fehl, und erst ganz neuerdings ist es zuerst dem
Deutschen Friedrich Neumann auf der Kolonie Nueva Germania in Paraguay
gelungen, den Samen, der notorisch seine volle Keimfähigkeit erst
erlangt, wenn er einen Vogelmagen passiert hat, keimfähig zu machen,
indem er ihn mit Maiskörnern vermischt Hühnern verfütterte. In die
humusreiche Walderde ausgestreut, keimten nun die aus den Exkrementen
ausgewaschenen Samen, aber die Hühner, deren Magen die Samen passiert
hatten, kränkelten davon und starben schließlich. Diese nur einseitig
befriedigenden Resultate veranlaßten einen anderen Deutschen namens
Jürgens ein zweckmäßigeres Verfahren zur Erzielung keimfähiger Samen
zu entdecken. Nach zahlreichen Versuchen fand er, daß die Einwirkung
von reiner rauchender Salzsäure während drei Minuten mit nachfolgendem
gehörigen Auswaschen der Samen bis der letzte Rest von Säuregeschmack
aus dem Waschwasser verschwunden ist, sehr befriedigende Resultate
liefert. Die in besonderen Saatkästen ausgesäten Samen beginnen, recht
feucht erhalten, nach 1½-2 Monaten zu keimen und werden, wenn sie
30-50 cm hoch geworden sind im Juli und August in Reihen mit
3,5 m Abständen nach allen Richtungen ins Freie gepflanzt. Als
Schattenpflanzen benutzt man dazwischen gesäten Mais, bis die Bäumchen
erstarkt sind. Im dritten Jahre nach dem Anpflanzen werden die
inzwischen 1,5-2 m hoch gewordenen Bäumchen etwas zurückgeschnitten,
damit sie mehr Buschform annehmen. Von da an kann man jedes Jahr die
allmählich heranwachsenden Bäume etwas auslichten und deren Zweige zur
Gewinnung von Mate benutzen. Alle 3 Jahre kann eine ausgiebige Ernte
erfolgen.

Da durch den bis jetzt üblichen Raubbau die Bestände wildwachsender
Matepflanzen schon bedenklich gelichtet sind, andererseits der
Matekonsum in Südamerika von Jahr zu Jahr zunimmt und noch mehr
wachsen wird, wenn -- wie voraussichtlich -- der Mategenuß auch
in anderen Ländern als Südamerika allgemein geworden sein wird,
so hat die Matekultur eine sehr große Zukunft. Bis jetzt gibt es
Matekulturen nur in Nueva Germania in Paraguay und am Rio Pardo in
Brasilien, welche 4 Jahre nach dem Umsetzen der Keimlinge eine Ernte
von 4-6 kg trockener Yerba pro Strauch ergaben. Eine solche läßt
sich alle drei Jahre vornehmen. Die als Yerbales bezeichneten wilden
Matebestände Paraguays umfassen etwa 1460000 ha und waren vormals
Staatseigentum, bis sie nach dem Kriege von 1864-1869 vom Staate teils
verpachtet, teils verkauft wurden. Die Ernte dauert vom Dezember bis
August, weil zu dieser Zeit das Laub der Matesträucher am dichtesten
ist, und wird, wie gesagt, meist von Indianern unter Aufsicht von
weißen Aufsehern vorgenommen. Neuerdings wurde der Matetee, der in
Südamerika täglich von über 20 Millionen Menschen genossen wird, und
schon im 18. Jahrhundert als +Jesuitentee+ in den Handel gelangte,
auch in Nordamerika, England und der Schweiz eingeführt, hat aber
hier, obschon er weit billiger ist als der chinesische oder indische
Tee und ganz angenehm schmeckt, gleichwohl bisher nur sehr geringen
Beifall gefunden. Die Gesamterzeugung von Mate beträgt in Paraguay,
Argentinien und Südbrasilien jährlich etwa 100 Millionen kg, die, wenn
wir auch nur einen Ausfuhrpreis von 56 Pfennigen pro kg rechnen --
tatsächlich beträgt der Preis im Kleinverkauf bis 2,50 Mark pro kg --,
einen Gesamtwert von über 56 Millionen Mark repräsentieren. Gegenüber
der jährlichen Kaffeeproduktion der Welt von gegen 1000 Millionen kg
und von Tee im Betrag von 2000 Millionen kg ist dies ja wenig; doch hat
der Mateverbrauch in Südamerika in letzter Zeit riesig zugenommen, denn
noch im Jahre 1726 betrug die Mateproduktion erst 625000 kg. Im Jahre
1780 stieg sie bereits auf 2,5 Millionen kg und 1855 auf 7,5 Millionen
kg.

Endlich wird noch aus den getrockneten, lederartigen Blättern einer in
den Urwäldern der Insel Bourbon als Überpflanze auf Bäumen wachsende
Orchidee, ~Angraecum fragrans~, ein als +Fahantee+ bezeichneter Aufguß
bereitet, der pur oder mit Zucker versüßt wie Tee getrunken wird.
Dieser Tee entbehrt aber durchaus der belebenden Eigenschaften, wie
sie chinesischer Tee und Mate besitzen, und ist nur eine unschuldige,
aber angenehm zu trinkende Lösung des den Wohlgeruch des Waldmeisters,
des Ruchgrases und der Tonkabohne bedingenden Riechstoffes Kumarin,
der allerdings in größeren Mengen Kopfschmerzen verursacht. Dieses
Genußmittel hat sich nicht über seine engere Heimat verbreitet.



XIII.

Der Kakao.


Weitläufig verwandt mit dem Teestrauch ist der zu den Sterculiazeen
gehörende +Kakaobaum+ (~Theobroma cacao~), dessen Heimat das tropische
Amerika vom 23° nördlicher bis zum 20° südlicher Breite ist.
Lebensbedingung für ihn ist ein warmes, feuchtes Waldklima. Der wilde
Kakao, der von Südmexiko bis nach dem Staate Bahia in den Vereinigten
Staaten von Brasilien im Urwalde wild gefunden wird, liefert
minderwertige, äußerst herbe und bittere Samen in kleineren Früchten
als dies bei dem schon von den Indianern in vorgeschichtlicher Zeit in
Kultur genommenen, veredelten Baume der Fall ist. Gleichwohl werden
sie heute noch von den Indianern gesammelt und auf den Markt gebracht,
während sie das sie einhüllende angenehm süßsäuerliche, saftige
Fruchtfleisch als willkommene Nahrung selbst genießen.

Der Kakaobaum ist in seinem natürlichen Zustand ein etwa 10 bis 14 m
hoch werdender immergrüner Baum von 25-30 cm Stammdurchmesser mit
ausgebreiteter Krone. Gewöhnlich läßt man ihn aber nur 3-8 m hoch
werden. Die zimtbraune, ziemlich dicke Rinde liegt um einen porösen,
leicht rosa gefärbten Holzkörper. Der Stamm trägt eine Menge meist
schlanker Äste, an denen die kurzgestielten, länglich ovalen, spitz
zulaufenden, 20-35 cm langen Blätter sitzen. Jung sind sie pfirsichrot,
werden aber, nachdem sie sich entwickelt haben, glänzend dunkelgrün; an
der Unterseite sind sie matter gefärbt und leicht behaart.

Der Baum treibt das ganze Jahr hindurch Blüten und Früchte, die aus dem
Stamm und den älteren Zweigen unmittelbar hervorsprießen, was bei der
Größe und Schwere der letzteren eine äußerst zweckmäßige, ja notwendige
Einrichtung ist, da die schwächeren, dünneren Zweige solcher Belastung
nicht gewachsen wären und brechen würden. Die Stellen, an denen sie
erscheinen, entsprechen den Blattachseln; nur wird dieser Sachverhalt
durch den Abfall der Blätter verwischt.

Die Blüten brechen in Büscheln hervor und sind ziemlich langgestielt.
Über fünf rosenroten, lanzettlichen Kelchblättern finden sich
ebensoviel kappenförmige, zitronengelbe, rötlich geaderte
Blumenblätter. Von den zehn pfirsichroten Staubblättern erzeugen nur
fünf Pollen in je vier gesonderten Pollenfächern. Der Fruchtknoten
ist fünffächerig und umschließt mehrere zweireihig angelegte
Samenanlagen. Die Frucht ist eine kurzgestielte rotgelbe Beere, die
einer zugespitzten, von zehn stumpfen Längsrippen durchzogenen,
12-20 cm langen und 6-10 cm dicken Gurke gleicht, welche in einer
derben, bald holzig werdenden Schale in einem saftigen, farblosen
Fleisch 40-60 blaßrote, in fünf Längsreihen angeordnete mandelförmige,
aber dickere Samen umschließt. Sie sind von einer dünnen, wenn trocken
brüchigen Samenschale umgeben und bestehen ausschließlich aus dem
derbfleischigen Keimlinge, in dessen Kotyledonen das Nährgewebe sich
findet. In frischem Zustande schmecken sie, besonders bei der besten
Sorte von Soconusko, sehr herb und bitter. Man nimmt ihnen diese übeln
Eigenschaften durch eine besondere Zubereitung, von der bald die Rede
sein soll.

In den windgeschützten Tälern des tropischen Amerika, deren weicher,
humusreicher Boden von großen und kleinen Wasserströmen feucht
erhalten wird, trägt der Kakaobaum an den Flußufern das ganze Jahr
hindurch Blüten und Früchte nebeneinander. Dort wird er auch mit
Vorliebe in der durch Kultur veredelten Form vom Menschen angebaut.
Als Waldbaum, der nicht besonders fest im Boden wurzelt, muß er
namentlich Schutz vor starken Winden haben, die nicht bloß die Früchte
vor ihrer Reife abschlagen, sondern auch die Bäume entwurzeln. So warf
auf der Insel Martinique ein Orkan mit +einem+ Stoß alle Kakaobäume
der sehr umfangreichen Pflanzungen um. Deshalb errichtet man die
Kakaopflanzungen mit Vorliebe in windgeschützten Tälern oder zwischen
Waldstreifen als Windbrechern.

Wie der wilde Kakaobaum als Waldbaum gewöhnlich im Schatten größerer
Bäume wächst, so muß man auch dem veredelten Kakaobaum in der Kultur
Schattenbäume beigeben. So lange er jung ist, dienen meist Bananen als
solche, später gibt man ihm in Amerika den Korallenbaum (~Erythrina
corallodendron~) der deshalb von den Spaniern „Mutter des Kakaobaumes“
genannt wird. Dieser ist hierzu auch durch die geringen Ansprüche, die
er an den Boden stellt, sehr geeignet. Da nun den Kakaobäumen schon
durch die Schattenbäume viel Licht weggenommen wird, darf man nicht
zu dicht pflanzen, was zur Folge hat, daß eine Kakaoplantage stets
einen bedeutenden Raum beansprucht. Man rechnet vier- bis sechshundert
Kakaobäume auf einen Hektar Land.

Es gibt wohl kein landwirtschaftliches Produkt, dessen Kultur
mehr Mühe, Ausdauer und Unkosten verursacht, als der Kakao; aber
andererseits gibt es auch wenig Produkte, die, wenn sie gut
einschlagen, größeren Gewinn bringen, als er, da die Erträge von Jahr
zu Jahr verblüffend steigen. Vor allem verlangt der Kakaobaum zu seinem
Gedeihen einen lockeren, tiefgründigen, an Kalk und Phosphorsäure
reichen Boden, am besten Urwaldboden. Ferner muß ihm eine gleichmäßige
Temperatur von 24-28° C. und reichlich Feuchtigkeit zuteil werden, die
aber wieder nicht in der Form heftiger Güsse auf ihn fallen darf, weil
solche die Früchte beschädigen. Grundwasser muß durchaus vermieden
werden, auch sind die tierischen Schädlinge, namentlich die Termiten
und Schnecken, von ihm abzuhalten. Sodann muß der Boden reingehalten
und das überflüssige Holz abgeschnitten werden.

In solchen für seine Kultur geeigneten Boden wird der Samen der
Kakaobäume entweder direkt gesetzt, oder noch besser in weitmaschigen,
mit Moos ausgefütterten und Erde gefüllten Binsenkörben ausgesät, die
dann später, wenn die jungen Pflänzchen genügend erstarkt sind, direkt
in den Boden der Plantagen eingesetzt werden, da die Wurzeln aus ihnen
ungehindert in die Erde einzudringen vermögen. Gleichzeitig bieten
diese Pflanzkörbe in der ersten Zeit einen sehr wertvollen Schutz gegen
die Termiten, die gefährlichsten Feinde der jungen Kakaopflänzchen.
Die Sämlinge in Saatbeeten zu ziehen, ist durchaus unratsam, da deren
Wurzeln noch empfindlicher gegen äußere Eingriffe als selbst diejenigen
der Kaffeebäumchen sind.

Wenn die Sämlinge 8-10 Monate alt geworden sind, werden sie in 3,5-6 m
allseitigem Abstand eingepflanzt, während die definitiven Schattenbäume
in 12 m Abstand gepflanzt werden. Den jungen Kakaopflanzen spenden
zuerst Mais und später Bananen den nötigen Schatten. Wenn sie eine Höhe
von etwa 1 m erlangt haben, werden sie beschnitten. Man nimmt ihnen
alle Seitenschosse bis auf die drei oder vier obersten, damit sie eine
breite Krone ausbilden. Auch beim spätern Wachstum verhindert man das
in die Höhe Wachsen derselben, indem man sie nur 3 bis höchstens 8 m
hoch werden läßt, damit das Pflücken der Früchte bequemer vor sich
gehen könne.

Schon nach vier Jahren trägt der Baum die ersten Blüten und Früchte,
aber erst nach zwölf Jahren beginnt er seine ausgiebigste Entwicklung
zu erreichen. Von da an nimmt seine Fruchtbarkeit progressiv steigend
bis zum 25. oder 30. Jahre zu, um dann langsam abzunehmen; doch
kann der Baum bis zu seinem 50. Jahr Früchte tragen. Der Ertrag ist
den Jahren nach verschieden, auch wechselt er bei den verschiedenen
Bäumen. Alleinstehende Bäume produzieren am stärksten. Sie können
300-400 Früchte tragen, doch rechnet man bei einer größeren Pflanzung
durchschnittlich nicht mehr als 25 Früchte pro Baum jährlich, die
1 kg trockenen Kakao ergeben, weil das Trocknen der Bohnen einen
Gewichtsverlust von 30-40 Prozent zur Folge hat.

Die, wie gesagt, das ganze Jahr hindurch reifenden Früchte brauchen
vom Beginn ihrer Entwicklung bis zu ihrer Vollreife eine Zeit von vier
Monaten. Man erntet sie auch das ganze Jahr hindurch, doch finden die
Haupternten in Brasilien im Februar und Juli, in Mexiko im März und
April, in Westafrika im Oktober und November statt. Die Früchte müssen
mit größter Vorsicht teils von Hand, teils durch lange Stöcke, an deren
Ende ein Messer befestigt ist, von Stamm und Zweigen gepflückt werden,
damit die Blüten der kommenden Ernte dabei nicht Schaden leiden. Die
Reife der Früchte verrät sich durch die rotgelbe Farbe und den dumpfen
Ton, den sie beim Beklopfen geben als Zeichen dafür, daß sich der Same
von seiner Hülle gelöst hat.

Bei der Ernte werden die Früchte zum Nachreifen 3-4 Tage auf einen
Haufen gelegt, und zwar am besten in der Faktorei, nicht aber im
Freien, wo sie dem Ungeziefer und der Witterung schutzlos preisgegeben
sind. Während dieser Zeit soll bereits, begünstigt durch das umgebende
Fruchtmus, die Gärung der Bohnen beginnen. Darauf werden sie durch
Aufschlagen aufeinander oder auf einen harten Gegenstand „gebrochen“
oder mit einem stumpfen Messer in der Mitte quer aufgeschnitten,
wobei aber die mandelförmigen, im frischen Zustande weißen bis
rosenroten Samen, eben die Kakaobohnen, nicht zerquetscht oder
angeschnitten werden dürfen. Die Haufen leerer Fruchtschalen läßt man
in Verwesung übergehen und benützt sie als Düngemittel, da sie nicht
unerhebliche Mengen von dem für den Kakaobaum so wichtigen Kalk und von
Phosphorsäure enthalten. Auch das Fruchtmus wird unbegreiflicherweise
fortgeworfen, trotzdem es sich sehr gut zur Bereitung von Gelees und
Likören eignen würde. Benützten doch die Indianer am Orinoko, wie
Alexander von Humboldt mitteilt, nur das Fruchtmus und warfen alles
übrige, auch die bitteren Kerne fort. Und heute noch verwenden die
ärmeren Leute in Amerika die Fruchtschalen des Kakaos zur Herstellung
eines ganz angenehm schmeckenden Tees.

Bei der auf niedriger Stufe stehenden Kultur werden die Kakaobohnen
einfach getrocknet und zusammengepackt. Derartige Samen, die man im
Handel als „ungerotteten“ Kakao bezeichnet, haben einen bitteren,
herben Geschmack und sind zur Schokoladebereitung durchaus ungeeignet.
Sie finden nur bei der Fabrikation des entölten Kakaos Verwendung.
Für die Schokoladefabrikation müssen die Bohnen noch einer weiteren
Behandlung unterworfen werden. Zu diesem Zwecke werden sie in Körben
nach dem Fermentierhaus gebracht, wo sie auf einem hölzernen, mit
Löchern zum Ablaufen des Fruchtsaftes versehenen Boden möglichst
luftdicht auf einem Haufen, der alle 12 Stunden durcheinander
geschaufelt wird, vergären müssen; es ist dies ein sehr wichtiger
Prozeß, von dessen umsichtiger Leitung vor allem die Güte der Ware
abhängt. Die Fermentation, bei der es sich höchst wahrscheinlich
um eine Milchsäuregärung handelt, soll nämlich in erster Linie den
Geschmack der Kakaobohnen verbessern. Nach 3-4 Tagen werden die
Bohnen an der Sonne oder bei künstlicher Hitze getrocknet, wobei sie
alle Viertelstunden gekehrt werden müssen. Zum Schluß werden sie in
großen Trommeln mit fein gemahlener roter Erde herumgedreht, wobei sie
behufs einer besseren Konservierung außen an den Schalen rot gefärbt
werden. Der innere Teil bleibt von der Färbung unberührt. Durch dieses
Färben wird nicht bloß die sehr wichtige völlige Austrocknung der
Bohnen begünstigt, sondern erfahrungsgemäß auch das sonst so schnell
erfolgende Schimmeln derselben verhindert. Die „gerotteten“ Kakaobohnen
sind innen rotbraun, lassen sich durch einen leichten Druck mit dem
Finger von der sie umgebenden Schale lösen und zeigen einen angenehmen,
ölig milden Geschmack, der mit einem eigentümlichen süßlichen
Nachgeschmack verbunden ist. Das volle Aroma erhalten sie aber erst
nach einer bestimmten Lagerzeit, so daß der geerntete Kakao in der
Regel erst nach einem Jahre verkäuflich wird. Dabei gelangt er teils in
Ballen, teils in Fässern in den Handel.

Den meisten Kakao erzeugt Südamerika, und zwar speziell Ekuador, das
beinahe ein Drittel der Gesamtproduktion liefert, dann Trinidad,
während man in Venezuela, wo die Kakaopflanzungen sehr gut gediehen,
in neuester Zeit der Kaffeekultur den Vorzug gab. Mexiko, das die
berühmte Soconuscobohne liefert, führt wegen des starken eigenen
Gebrauchs wenig Kakao aus. Aus Brasilien kommen mehr minderwertige
Sorten, während die besten Sorten aus Carácas und Trinidad in den
Handel gelangen. Diese haben beinahe einen doppelt so hohen Wert als
die geringeren Sorten von Ekuador und San Thomé. Der Kakao von Surinam
steht an Wert ungefähr in der Mitte zwischen jenen. Aus den deutschen
Kolonien sind der Samoa- und Neuguineakakao weitaus die besten und
werden so hoch bezahlt wie der Carácaskakao, während der Plantagenkakao
von Kamerun und Togo ungefähr demjenigen von San Thomé gleichgeschätzt
wird. Doch ist dort die Kakaokultur in starkem Aufblühen begriffen
und verspricht zu einem der bedeutendsten Produktionsorte für dieses
wichtige Kolonialprodukt berufen zu sein. Derjenige der Philippinen,
wohin der Baum schon im Jahre 1670 verpflanzt wurde, ist wie derjenige
von Ceylon mittlerer Qualität.

Von Kakao kommen jährlich etwa 32 Millionen kg in den Welthandel.
Die Gesamtproduktion ist natürlich viel höher, läßt sich aber nicht
schätzen, da diese Frucht auch in den Produktionsländern reiche
Verwendung findet. Deutschland verbraucht jährlich für über 41
Millionen Mark Kakaobohnen und führt aus seinen Kolonien, besonders
Kamerun, dann Samoa und Togo, für gegen 3 Millionen Mark aus; doch
glaubt man in den nächsten Jahren das 3- bis 5fache dieser Summe zu
erreichen. Hauptmärkte für Kakao sind London, Havre, Amsterdam, Hamburg
und Bordeaux.

Der Kakao ist nicht nur ein köstliches Genußmittel, sondern zugleich
auch ein sehr wertvolles Nahrungsmittel. Er besteht nämlich zur Hälfte,
d. h. 52 Prozent, aus einem mild schmeckenden, butterartigen Fett,
der Kakaobutter, die vielfach, um die Verdaulichkeit des Kakaos für
schwache Magen zu erhöhen, in hydraulischen Pressen abgepreßt wird,
um an die Zuckerbäckereien, Parfümerien und Apotheken abgegeben zu
werden. An letzterem Orte wird sie, da sie nur sehr schwer ranzig
wird, zu feineren Pomaden, Stuhlzäpfchen und allerlei kosmetischen
Mitteln verarbeitet. Außerdem enthält sie 20 Prozent Eiweiß, 10 Prozent
Stärkemehl, 6 Prozent Wasser, 1,5 Prozent Zucker, 2 Prozent Zellulose
oder Zellstoff, 4 Prozent Kakaofarbstoff, 3 Prozent Nährsalze und 1,5
Prozent Theobromin, d. i. zweifach methyliertes Xanthin, das in seiner
Wirkung auf die Muskeln und das Zentralnervensystem etwas weniger
anregend als das Koffeïn oder Teeïn, d. h. dreifach methyliertes
Xanthin ist. Im Kakao sind auch noch Spuren von Koffeïn zu finden, doch
sind die Mengen desselben in den im wärmeren Südamerika zur Bereitung
der als Genußmittel sehr beliebten dunkelbraunen +Guaranapaste+
dienenden Samen der ~Paullinia sorbilis~, eines mit rankenden
Zweigen kletternden Strauches, neben dem Theobromin sehr viel größer.
Zu der leicht belebenden Wirkung des Kakaos trägt auch noch das
ätherische Öl bei, das beim Rösten der Bohnen entsteht und dem Kakao
sein spezifisches Aroma verleiht.

In den heißen Niederungen des östlichen Mexiko, speziell auf der
Halbinsel Yucatan und südlich davon bis nach Guatemala hinein, ist wohl
von einem der Mayastämme die wilde Kakaopflanze in Kultur genommen und
zur wertvollen Nutzpflanze des Menschen erhoben worden. Wenigstens
ist die Bezeichnung ~cacau~ ein Mayawort, das dann die benachbarten
Stämme Mexikos mit den Früchten und bald auch mit dem Fruchtbaum selbst
übernahmen, um ihm weitgehendste Pflege angedeihen zu lassen; denn sie
schätzten als für sie vornehmstes Genußmittel neben dem berauschenden
Pulque, der nur Männern von einem gewissen Alter an zu trinken
gestattet war, in hohem Maße die das Nervensystem anregende Wirkung der
Kakaobohne, die sie in der heute noch üblichen Weise rotteten, dann
rösteten und fein zerstoßen mit heißem Wasser und Maismehl angerührt
als ~choco latl~, d. h. Kakaowasser, genossen. Von diesem Worte stammt
unsere Bezeichnung Schokolade ab. Zum Versüßen der etwas bitteren
Brühe benutzten sie ausschließlich Honig und versetzten sie außerdem
gerne mit allerlei Gewürz, vor allem auch Vanille. Um die Masse zu
konservieren, wurden die zerriebenen, gerösteten Kakaobohnen zu Tafeln
und Blöcken gepreßt, denen man jeweilen die zur Herstellung des Trankes
nötige Menge entnahm. Das geringere Volk, dem dieses Getränk zu teuer
war, begnügte sich mit einem Aufguß der Schalen oder dem zerstoßenen
Fruchtfleisch der Kakaofrucht mit Maismehl und Pfeffer.

Als der spanische Abenteurer Fernando Cortez, von Velasquez, dem
Statthalter von Kuba, mit 11 Schiffen 670 Mann und 14 Geschützen
zur Eroberung von Mexiko ausgesandt, im Sommer 1519 in dieses Land
eindrang und es für den König von Spanien eroberte, fand er darin eine
ausgedehnte Kultur des Kakaobaumes in wohlgepflegten Plantagen vor. Die
Eingeborenen betrachteten ihn als eine für sie sehr wichtige Nahrung
spendende Pflanze und schrieben ihm und seinen Früchten gleichzeitig
auch wundertätige Eigenschaften zu. Ähnlich wie im Mittelalter der
Pfeffer in Europa, dienten die Kakaobohnen nicht nur in Mexiko, sondern
in ganz Mittelamerika als landläufige Münze, wobei tausend Stück
ungefähr den Wert von 2,80 Mark hatten. Cortez schrieb darüber an
Kaiser Karl V.: „Diese Samenkörner sind im ganzen Lande so geschätzt,
daß man sie als Münze gebraucht und auf dem Markt und allerorten seine
Einkäufe damit bezahlt.“ Auch die Steuern an den Herrscher wurden
darin entrichtet. So bezahlte die Stadt Tobasco jährlich 16 Millionen
Kakaobohnen an den Kaiser Montezuma, in dessen Staatsschatz bei der
Eroberung Mexikos die Spanier nicht weniger als 2½ Millionen Pfund
solcher Bohnen vorfanden. Übrigens dienen die Kakaobohnen heute noch in
einem großen Teil Südamerikas als landläufige Scheidemünze. Dabei sind
72 Bohnen = 43 Pfennigen.

Eine alte mexikanische Legende erzählt, Quezalcoatl habe aus dem
Lande, in welchem die ersten Söhne der Sonne wohnten, den Samen
des Kakaobaumes (~cacaohoaguahuitl~) auf die Erde gebracht, um
den Menschen eine angenehme Speise zu verschaffen, die auch von
den Göttern geschätzt wurde. Vielleicht hat der Schwede +Carl von
Linné+ diese Legende gekannt. Wenn dies aber nicht der Fall war, so
war er wenigstens selbst so entzückt von diesem Getränke, daß er
die Schokolade 1769 in den „~Amoenitates academicae~“, d. h. den
Akademischen Vergnügungen, eingehend behandelte und dem Kakaobaum den
Namen ~Theobroma~, d. h. Götterspeise ~cacao~, gab. Andere seiner
gelehrten Zeitgenossen verabscheuten aber aus Vorurteil dieses ihnen
unbekannte neue Getränk; ja die Botaniker Clusius (Charles d’Ecluse)
und Benzoni fanden dasselbe -- wohl weil ohne Zucker genossen -- nur
für die Schweine genießbar. Der fein gebildete Franzose Le Grand
d’Aussy bezeichnete noch im Jahre 1782 die Schokolade als eine recht
unschmackhafte Brühe „~une bouillie assez dégoutante~“.

Die Spanier, welche die Schokolade (~chocolatl~) am Hofe des Kaisers
Montezuma kennen gelernt hatten, brachten die erste Kunde davon nach
Europa. In seinen Berichten an Kaiser Karl V. berichtet Cortez, „daß
eine einzige Tasse von diesem kostbaren Getränk genüge, um einen
Mann auf einem Tagemarsch frisch zu erhalten“. Dieser gewalttätige
Mann zwang sie seinen Soldaten, die auf dem Eroberungszuge nach dem
Hochlande von Mexiko die größten Strapazen durchzumachen hatten,
geradezu auf, und diese lernten dieses Getränk bald schätzen. Schon im
Jahre 1520 sandten sie Kakaobohnen zur Herstellung der Schokolade nach
dem Mutterlande, hielten aber die Art der Gewinnung derselben geheim.
Allgemein bekannt wurde die Fabrikation erst im Jahre 1606 durch den
Florentiner Antonio Carletti, der während seines Aufenthaltes auf den
westindischen Inseln die Herstellung und den Gebrauch des Kakaos und
der Schokolade kennen gelernt hatte. Die Ausfuhr der Kakaobohnen war
aber nur der Regierung gestattet, bis im Jahre 1728 König Philipp V.
von Spanien das Monopol des Kakaoverkaufs in allen Ländern an eine zu
diesem Zwecke gebildete internationale Gesellschaft verkaufte.

Als die Spanier im Jahre 1519 unter Fernando Cortez in Mexiko
eindrangen, war der Anbau der Kakaopflanze und der Genuß ihres in
Wasser verrührten gerösteten Samenpulvers nicht bloß auf dieses Land
beschränkt, sondern auch als eine seit Jahrhunderten betriebene Kultur
in ganz Zentralamerika, Kolumbien, Venezuela, Guiana, Ekuador, Peru,
dem nördlichen Brasilien und einem Teil der westindischen Inseln
verbreitet. Allerdings übernahmen die spanischen Einwanderer zunächst
in Mexiko die Sitte des Kakaotrinkens von den Eingeborenen. Bald
frönten ihm in ganz Mittelamerika die vornehmen Damen in solcher
Weise, daß sie sich dieses Getränk von Dienerinnen sogar in die Kirche
nachtragen ließen. Als ein Bischof in Mexiko wagte, gegen diese Unsitte
aufzutreten, besuchten die erzürnten Schönen seine Kirche nicht mehr,
um ihren Kakao in der Kirche eines weniger strengen Priesters weiter
trinken zu können. Durch die mancherlei Beziehungen mit Westindien und
Mittelamerika wurde das Kakaotrinken bald auch in Spanien populär.
Von jenem Lande, in welchem die ersten europäischen Fabriken zur
Verarbeitung der Kakaobohnen entstanden, und das heute noch das am
meisten Kakao verzehrende Land Europas ist, kam die als Schokolade
bezeichnete gezuckerte Kakaobrühe zuerst an den eng mit Spanien
liierten Wiener Hof, von wo aus er 1615 durch Anna von Österreich,
die Gemahlin Ludwig XIII., an den Pariser Hof gelangte. Zu einiger
Geltung kam sie aber erst im Jahre 1661, unter dem Einfluß von Maria
Theresia von Spanien, der Gemahlin Ludwigs XIV., die sich aber --
wie die Herzogin von Montpensier in ihren Memoiren angibt -- noch
versteckte, um ihre Schokolade zu trinken. Der Genuß derselben mußte
also damals selbst am Hofe Frankreichs noch als etwas Ungewohntes oder
gar Verpöntes angesehen worden sein. Indessen schon 1671 konnte die
Freifrau von Sévigné an ihre Tochter, die Gräfin Grignan, schreiben:
„~Vous ne vous portez pas bien, le chocolat vous remettra~.“ Freilich
mußte damals die Schokolade als Heilmittel ihre Wirkung versagt haben;
denn in einem späteren Briefe wird sie als „~source des vapeurs~“, d.
h. Ursache von Blutandrang gegen den Kopf -- ~et des palpitations~
(also Herzklopfen) -- angegeben.

In Paris erhielt zuerst ein abgedankter Offizier namens Chaillon die
alleinige Erlaubnis, Schokolade auszuschänken. Er fand auch guten
Zuspruch von der Bürgerschaft, die dieses höfische Getränk gerne
kostete. So machte er glänzende Geschäfte und konnte sich schon nach
wenigen Jahren in den Ruhestand zurückziehen. Doch ging die Einführung
dieses neuen Genußmittels auch in Frankreich nicht ohne Angriffe von
den verschiedensten Seiten ab. Zunächst leisteten gewisse Kreise, so
besonders die Geistlichen, diesem von ihnen vielfach als „Erzeugnis
des Bösen“ bezeichneten neuen Getränk energischen Widerstand. Ja, in
einem Schreiben an den Bischof von Cleve im Jahre 1572 bezeichnete der
Italiener Benzoni dieses Getränk sogar als „Schweinefutter“. Allmählich
aber begannen ihn manche Ärzte gutzuheißen. So verteidigte ein Pariser
Arzt, namens Bachot, 1684 vor der dortigen Fakultät eine These, in
welcher er gut zubereitete und gesüßte Schokolade als eine der edelsten
Erfindungen pries, die weit mehr als Nektar und Ambrosia würdig sei,
die Speise der Götter zu bilden. Doch war sie durch ihren hohen Preis
zunächst nur ein Genußmittel der Reichen. Erst als im Jahre 1776 unter
der Regierung Ludwigs XVI. die erste Schokoladefabrik in Frankreich
errichtet wurde, die das Monopol für den Verkauf bekam und ihren Kakao
aus den französischen Kolonien bezog, begann der Schokoladekonsum in
Frankreich allgemeiner zu werden.

Der vorhin genannte Florentiner Antonio Carletti, der die Schokolade in
Westindien kennen gelernt hatte, führte sie ums Jahr 1607 in Italien
ein und machte die Verarbeitung der Kakaobohnen in jenem Lande bekannt.
Von Italien aus verbreitete sich diese Kenntnis allmählich über ganz
Mittel- und Nordeuropa.

Ums Jahr 1625 begann sich die Schokolade in England und annähernd
gleichzeitig auch in Holland einzubürgern. Die erste Schokoladefabrik
wurde in England im Jahre 1657 errichtet; gleichzeitig entstanden
in London auch sogenannte Schokoladehäuser im Stil unserer heutigen
Kaffeehäuser. In Deutschland wurde die Schokolade durch das Buch des
bereits bei der Besprechung des Tees erwähnten holländischen Leibarztes
des Großen Kurfürsten, ~Dr.~ Kornelis Bontekoe, betitelt: „Traktat über
Gewürz, Tee, Kaffee, Schokolade, 1679“, bekannt. Er brachte ihn zuerst
nach Berlin mit. Später verbot dann Friedrich der Große die Einfuhr
von Schokolade in ganz Preußen und beauftragte den Chemiker Markgraf,
der Ähnliches schon für den Kaffee versucht hatte, ein Surrogat
derselben herzustellen, wozu er Lindenblüten benutzte. Da aber dieses
Ersatzmittel begreiflicherweise sehr wenig Anklang fand, so behauptete
sich auch hier in der Folge die Schokolade so gut als Kaffee und Tee,
die in Preußen unter Friedrich dem Großen ebenfalls durch Erzeugnisse
des eigenen Landes ersetzt werden sollten.

Die erste deutsche Schokoladefabrik wurde vom Fürsten Wilhelm von
Schaumburg-Lippe im Jahre 1756 in Steinhude errichtet, und als Arbeiter
wurden mit der Verarbeitung der Kakaobohnen vertraute Portugiesen
dahin berufen. Seither hat dieses Produkt in allen Kulturländern
immer mehr Aufnahme gefunden und sein Konsum wächst zusehends, und
zwar wird es nicht mehr nur als Leckerei genossen, sondern bildet wie
ursprünglich in Spanien und den Kreolenstaaten Südamerikas mehr und
mehr ein nahrhaftes und gesundes Volksgetränk. In Frankreich herrscht
in den besser situierten Kreisen bereits allgemein der Brauch, morgens
zum Frühstück Schokolade zu trinken, und auch in Deutschland hat
dieses wertvolle Geschenk der Tropen durchaus erfolgreich den Kampf
mit dem leider nur allzusehr eingebürgerten Bier aufgenommen. Auch
hier wird der Genuß der Schokolade als nahrhaftes und wohlschmeckendes
Frühstücksgetränk immer allgemeiner. Außerdem wächst überall der Genuß
der Speiseschokolade in sehr starkem Maße. Während noch in der Mitte
des vorigen Jahrhunderts der Kakaoverbrauch in Deutschland nur etwa 0,5
Millionen kg jährlich betrug, stieg er langsam auf 2 Millionen kg im
Jahre 1870, dann auf 5 Millionen kg bis 1890, auf 15 Millionen kg bis
1900 und erreichte in den Jahren 1906 und 1908 bereits je 35 Millionen
kg; außerdem wurden an fertigen Präparaten 671200 kg holländisches
Kakaopulver und 1061400 kg Schweizer Schokolade eingeführt. Nur Amerika
verbraucht mehr Kakao als Deutschland, das allein etwa 200 Kakao- und
Schokoladenfabriken besitzt. Zu diesen heute vom Deutschen Reiche
verbrauchten 40 Millionen kg lieferten seine tropischen Kolonien erst
etwa 2 Millionen kg Kakao im Jahr, während die Weltproduktion an
Kakaobohnen, soweit sie in den Handel gelangen, rund 150 Millionen kg
beträgt. Da aber die Gesamtkakaoindustrie bereits 145 Millionen kg
beansprucht, so ist die Kakaokultur für die tropischen Kolonien, die
sich dafür eignen, sehr aussichtsreich.

Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts geschah die Fabrikation der
Schokolade ausschließlich durch Handarbeit, indem die gerösteten Bohnen
in einem metallenen Mörser zu Pulver zerstoßen und die so erhaltene
Masse mit Zucker und mancherlei Gewürz, besonders Vanille, aber
vielfach auch Zimt und Nelkenpulver vermischt, zu einem Teig geknetet
wurde, den man in irgend einer Form trocknen ließ. Seit im Jahre 1778
der Franzose Doret die erste Maschine zum Mahlen der Kakaobohnen
konstruierte, ist die Technik der dafür gebrauchten Maschinen immer
mehr verbessert worden. Dabei werden die durch Schütteln in einem
Sieb und durch strömende Luft zur Entfernung des Staubes gereinigten
Kakaobohnen auf einem zweiten Sieb in drei Gruppen gleicher Größe
geschieden, damit sie bei dem nun folgenden Röstprozesse gleichmäßig
gar werden, was bei verschiedener Größe derselben nicht zu erreichen
wäre, da die kleinen Bohnen dabei vor den großen gar würden.

Das Rösten bezweckt das eigentliche Aroma und den Geschmack der Bohnen
hervorzurufen und zugleich das Stärkemehl teilweise in leichter in
Wasser lösliches Dextrin zu verwandeln. Ferner werden dadurch die in
ihnen enthaltenen Bitterstoffe durch Zersetzung entfernt und außerdem
durch das damit verbundene Austrocknen die Schalen leichter lösbar und
die Bohnen geeigneter zum Vermahlen gemacht. Dieser Prozeß findet in
großen, um ihre Achse rotierenden Trommeln statt, wobei die Temperatur
lange nicht so hoch wie beim Brennen der Kaffeebohnen zu sein braucht.
Sie darf überhaupt eine solche von 130-140° C. nicht überschreiten;
erfahrene Arbeiter wissen am Aussehen der Bohnen genau den richtigen
Zeitpunkt zu treffen, wann die Röstung unterbrochen werden muß. Damit
kein Aroma verloren gehe und die Samenschalen sich leichter von den
Bohnen lösen, müssen die gerösteten Bohnen möglichst schnell aus den
Trommeln entfernt und abgekühlt werden, was dadurch geschieht, daß man
vermittelst eines Ventilators einen kalten Luftstrom auf die heiße
Masse richtet. Dann werden die Kakaobohnen in besonderen Maschinen
gebrochen und die leichten Samenhülsen, die etwa 12 Prozent des Samens
ausmachen, durch einen Ventilator weggeblasen und dienen als Abfall zur
Feuerung.

Die gebrochenen Kakaobohnen werden nun zwischen rotierenden Granit-,
oder neuerdings Porzellanwalzen, welche weit besser sind, gemahlen,
mit Zucker vermischt und zum Schluß die Gewürze, wie Vanille und
verschiedene ätherische Öle zur Aromatisierung beigefügt. Die durch
Erwärmen auf 35-40° C. geschmolzene Masse wird zuerst flach gewalzt
und in gleiche Teile von gewünschtem Gewicht zerschnitten, die
dann mit der Hand in Blechformen hineingedrückt werden. Wenn die
Schokoladetafeln völlig erkaltet sind, nimmt man sie aus den Formen
und verpackt sie möglichst sorgfältig in Staniol und darüber Papier
eingewickelt und versendet sie in Kisten. So, luftdicht verpackt,
können sie jahrelang aufbewahrt werden. In jüngster Zeit kommt von der
in der Herstellung von fester Eßschokolade für die ganze Kulturwelt
tonangebenden Schweiz aus immer mehr die Beigabe von Milch in die
Schokoladenmasse, wie sie die Firma Cailler in Broyes in den Freiburger
Alpen zuerst einführte, auf. Es ist dies eine äußerst glückliche von
zahlreichen anderen Schokoladefabriken sofort aufgegriffene Neuerung,
die den Wohlgeschmack und Nährwert der Eßschokolade noch bedeutend
erhöht und sie so zart macht, daß sie auf der Zunge förmlich wie
Butter zerschmilzt. Auch andere Fett- und Eiweißspender lassen sich
in sie verarbeiten; besonders scheint das Erdnußmehl als Beigabe zu
Schokolade eine große Zukunft zu haben. Auch Bananenmus ist sehr
zweckmäßig. Überhaupt stehen wir erst ganz am Anfang einer rationellen
Kakaoverwertung für den menschlichen Konsum und es lassen sich heute
alle Kombinationsmöglichkeiten dieses hervorragenden Genußmittels
überhaupt noch nicht übersehen.

Das eine ist jedenfalls heute schon ganz sicher, daß die Eßschokolade
bei den jetzigen, als billig zu bezeichnenden Preisen in Anbetracht
ihres überaus hohen Nährwerts nicht bloß eine Delikatesse oder
Leckerei, sondern ein wichtiges Nahrungsmittel darstellt. Sie ist
überhaupt das beste Verproviantierungsmittel für die Schule, für
Ausflüge und anstrengende Touren aller Art, bei denen Herz und
Muskeln ein großes Maß von Arbeit zugemutet wird. Es ist nämlich
kaum möglich in anderer Form bei gleich geringem Volumen und Gewicht
gleich viel Nahrungsstoff in Verbindung mit einem die Muskeln und das
Nervensystem zu erhöhter Arbeitsleistung anregenden Reizmittel, wie
solches die Schokolade im Theobromin in angenehmster Form darbietet,
mit sich zu führen. Und wem die Süße nicht behagt, der esse dazu, wie
dies jedermann tun sollte, Brot und so wird auch ihm die Schokolade
vortrefflich munden.

    Tafel 67.

[Illustration: Frisch angelegte Saatbeete für Kakao mit Schutzdächern
gegen zu intensive Sonnenbestrahlung in Kamerun.

Junge Kakaopflanzen kurz vor der Verpflanzung in Kamerun.]

    Tafel 68.

[Illustration: Junge Kakaopflanzung in Kamerun mit Bananen als
Schattenbäumen.]

Als Frühstücksgetränk verdient die Schokolade entschieden den Vorzug
vor dem bei uns bereits eingebürgerten Kaffee. Früher wurde sie
durch Aufkochen von Eßschokolade gewonnen, bis der Holländer C. J.
van Houten (1801-1887) ein Verfahren fand, durch Entfernung des
überschüssigen Fettes aus den Kakaobohnen ein Kakaopulver herzustellen,
aus dem in einfacher Weise ein schmackhaftes, auch für schwache Magen
leicht verdauliches Getränk hergestellt zu werden vermochte. Damit
sich dieses Kakaopulver nach dem Übergießen mit kochendem Wasser
möglichst ohne Satzbildung in der Flüssigkeit verteile, wurde
es nach dem Entfetten mit Alkalien behandelt. Dabei wird bis zu drei
Prozent Pottasche in die Masse hineingebracht, was von manchen Ärzten
als bedenklich für die Gesundheit beanstandet wird. Doch kann dies
jedenfalls nicht sehr schädlich sein, erhöht aber die Annehmlichkeit
des Trinkens bedeutend, indem sich ohne diese Beimischung die Masse
nur schwer im Wasser verteilt erhalten läßt und rasch einen starken
Bodensatz bildet, der durch Umrühren wieder in Suspension gebracht
werden müßte.

    Tafel 69.

[Illustration: Kakaoernte in Kamerun.]

    Tafel 70.

[Illustration: Ein Kakaobaum mit Früchten in allen Stadien der
Entwicklung in Kamerun.

Ein Vanillestrauch mit halbreifen Schoten in Kamerun.]

Eigentliche Ersatzmittel für Schokolade und Kakao sind nicht bekannt
geworden, während man für den Kaffee mehrere, und für den Tee viele
versucht hat. Neuere Reisende erzählen von einem schokoladeähnlichen
Getränk im Innern Afrikas, das besonders im westlichen Sudan allgemein
im Gebrauch ist. Man gewinnt es aus dem Mus der zerstoßenen Früchte der
dort +~Dodoa~+ genannten ~Parkia africana~, das man in kleine Kuchen
formt und in dieser Gestalt weithin als Tauschobjekt in den Handel
bringt; besonders werden sie von der muhammedanischen Bevölkerung des
Sudans gern gegessen. Durch Auflösen in heißem Wasser gewinnt man
daraus ein angenehm schmeckendes und gleichzeitig anregendes Getränk.
Aber diese Kuchen kommen ebensowenig nach Europa als die bereits
erwähnte +Guaranapaste+ aus den durch einen Gehalt von 2,6-3 Prozent
Koffeïn und daneben etwas Theobromin gleichfalls anregend auf das
Nervensystem wirkenden getrockneten Samen von ~Paullinia cupana~, die
als brasilianischer Kakao von den Indianern an Stelle des echten Kakaos
genossen wird.

Die Guaranapflanze ist ein in Nord- und Westbrasilien und Südvenezuela
heimischer Kletterstrauch aus der Familie der Sapindazeen oder
Seifenbaumgewächse. Sie wurde zuerst von Alexander von Humboldt
und Bonpland auf ihrer berühmten, von 1799-1804 ausgeführten Reise
am Orinoko gefunden und 1821 von Knuth beschrieben. Der Strauch
ist identisch mit der 1826 vom Botaniker Martius am Amazonenstrom
entdeckten ~Paullinia sorbilis~, wird aber nach der älteren Bezeichnung
~cupana~ genannt. ~Guaraná~ oder ~uaraná~ bedeutet in der Tupisprache
Schlingpflanze. Diese Bezeichnung übernahmen dann die Europäer von
den Indianern und bezeichneten damit den Schlingstrauch und sein
Produkt. Die Guaranapflanze klettert ohne Ranken vermöge ihrer
spreizenden Äste an den Waldbäumen in die Höhe. Die aus fünf eiförmigen
Fiederblättchen bestehenden Blätter sitzen an einem 8 cm langen Stiel.
Die unscheinbaren, kleinen, weißen Blüten stehen in den Blattachsen
in Rispen und sind kurz gestielt; aus ihnen gehen langgestielte,
haselnußgroße, mit drei Klappen aufbrechende Kapselfrüchte hervor,
die meist nur einen, fast kugeligen, dunkelbraunen, der Roßkastanie
ähnlichen Samen von 1-1,3 cm Durchmesser und 0,5-0,8 g Gewicht
bergen. Darin liegt unter einer dünnen Schale der weiße Keimling ohne
Nährgewebe, aber mit großen, halbkugeligen, im trockenen Zustande
schwer trennbaren, stärkemehlreichen Keimblättern. Neben dieser echten
Guaranapflanze gibt es in denselben Gegenden Brasiliens noch zwei
andere, ähnliche Guaranaarten, von denen die eine kleinere Blätter und
bittere Früchte als die echte hat und nur im Falle der Not von den
Indianern gesammelt wird.

Die echte Guaranapflanze wird in manchen Gegenden Brasiliens kultiviert
und meist durch Stecklinge, seltener aus Samen gezogen. Man zieht
sie an Stützen wie die Weinrebe, nur weiter auseinander. Im 3. oder
4. Jahre trägt sie schon Früchte, und von dieser Zeit an wird sie
jährlich in derselben Weise wie die Rebe beschnitten. Im Juli blüht
sie und im November werden die Früchte reif. Eine gut behandelte
Pflanze trägt über 40 Jahre hindurch durchschnittlich 2 kg Früchte
jährlich. Diese werden nach der Ernte zuerst in Wasser gelegt, um die
holzige Fruchthülle leichter entfernen zu können. Dann werden die Samen
am Feuer getrocknet und sorgfältig geröstet, in großen Holzmörsern
mit Stößern aus hartem Holz zerstampft und daraus mit Zusatz von
etwas kaltem Wasser ein feiner Teig gemacht, der in Brotlaib- oder
Wurstgestalt geformt und erst an der Sonne, hernach am Ofen getrocknet
wird. Wenn die Masse ganz fest und fast steinhart geworden ist,
wird sie als ~uaraná~ in den Handel gebracht. Sie ist braun, von
bitterem, etwas zusammenziehendem, schwach säuerlichem Geschmack
und riecht ähnlich wie gerösteter Kaffee. Im Innern Brasiliens und
im nordwestlichen Bolivien ist die Guaranapaste ein sehr wichtiger
Handelsartikel, den man dort in derselben Weise benötigt, wie den
Kaffee an der Küste. Dabei ist er sehr billig, indem 1 kg nur 1,50
Mark kostet. Er wird in derselben Weise wie Schokolade mit Wasser
bereitet unter Hinzufügen von Zucker nach Bedarf und Neigung. Zuerst
wird mit einer Raspel die für den jeweiligen Gebrauch nötige Menge von
der Paste abgefeilt und mit einem silbernen Löffel in einen Becher mit
Wasser verrührt und dann genossen. Die Eingeborenen können wohl ohne
Fleisch und Mehl, niemals aber, vom reichsten Bürger bis zum ärmsten
Hirten, ohne den geliebten Uaranátrank sein, der mit Recht von manchen
Reisenden als „brasilianischer Kakao“ bezeichnet wird. Vielfach wird
die pulverisierte Paste mit Maniokmehl zusammengestampft, zu kleinen
Broten geformt und am Feuer gebacken. Mit der Guarana, die wie der
Kakao nicht nur ein Genußmittel, sondern vermöge ihres hohen Nährwertes
ein Nahrungsmittel ist, vermögen die Indianer längere Zeit zu leben,
ohne abzumagern, und sehen dabei so gesund und kräftig aus, als ob sie
mit Fleisch genährt würden.

Nach Europa gelangte die Guaranapaste zuerst im Jahre 1817 von Rio de
Janeiro aus, indem ein französischer Gesandtschaftsoffizier dieselbe an
Cadet nach Paris sandte. 1826 wurde vom Bruder des vorhin erwähnten,
Südamerika bereisenden Martius der wirksame Stoff daraus isoliert
und als Guaranin bezeichnet; doch erkannte man 1840, daß dieser mit
dem Koffeïn identisch ist. Durch den Koffeïngehalt wirkt die Guarana
vorzüglich bei Migräne und Neuralgien und wird deshalb in der ganzen
Kulturwelt dagegen genommen. Da sie den Blutdruck steigert und damit
die Harnabsonderung vermehrt, wirkt sie auch bei Herz- und Nierenleiden
günstig. In größeren Dosen übt sie durch ihren reichen Gerbstoffgehalt
eine adstringierende Wirkung und wird deshalb wie in ihrer Heimat, so
auch bei uns gegen Abführen angewandt. Aus den Früchten ziehen die
Indianer einen schönen gelben Farbstoff aus, den sie zum Bemalen des
Gesichtes verwenden.



XIV.

Die Gewürze.


Die meisten Speisen, die der Mensch genießt, sind an sich geschmacklos,
da die einzelnen Bestandteile derselben, sowohl das Stärkemehl, als
das Eiweiß und Fett an sich keinen Geschmack oder Geruch besitzen. Nun
aber ist nicht bloß der liebliche Duft, sondern vor allem der angenehme
Geschmack einer Speise für deren Bekömmlichkeit von allergrößter
Bedeutung; denn dadurch erst werden die Verdauungssäfte in ausgiebiger
Menge zur Absonderung gebracht, so daß diese auch recht verdaut werden
kann. Deshalb haben alle Völker der Erde, soweit sie zum Hackbau und zu
einem unbesorgteren Lebensgenusse gelangten, allerlei wohlriechende und
angenehme oder scharfschmeckende Pflanzen ihrer Umgebung zur Würzung
ihrer sonst fade schmeckenden Nahrung verwendet. Je mehr nun die
Völker ihre Produkte untereinander austauschten, um so mannigfaltiger
wurde die Auswahl derselben. Und gerade die heißen Landstriche der
Erde, in denen das Pflanzenwachstum weitaus am energischsten erfolgt
und die stärksten Würzen und kräftigsten Gifte und Heilstoffe erzeugt
werden, lieferten die wirksamsten derselben. Die hier wohnenden Völker
verkauften von ihrem Überfluß an die in klimatisch weniger begünstigten
Gegenden Lebenden. So sind wir Europäer auch hierin in erster Linie den
Tropen tributpflichtig geworden. Und wenn auch die Zeiten längst dahin
sind, in denen man die fremdländischen Gewürze mit Gold und Silber
aufwog, und eine ganz unbegreifliche, heute vollständig verschwundene
Sucht nach schweren Gewürzen die Völker ergriffen hatte, so sind es
doch noch ziemlich bedeutende Summen, die jährlich für fremdländische
Gewürze ausgegeben werden. So hat z. B. Deutschland im Jahre 1908
für rund 14 Millionen Mark allerlei Gewürze aus dem Ausland bezogen.
Obenan steht unter ihnen noch immer der Pfeffer, von dem für 5661000
Mark bezogen wurde, ferner für 340000 Mark Paprika, so daß also das
deutsche Volk für das Pfeffern seiner Speisen gegen 6 Millionen Mark
ans Ausland bezahlt hat. Nächst dem Pfeffer kommen die Gewürznelken,
von denen Deutschland für 1,5 Millionen kaufte, dann Zimt für 3,5
Millionen Mark und Muskatnüsse für 1,2 Millionen Mark. Trotz des
künstlichen Vanillins wurden 90000 kg Vanilleschoten für 1260000 Mark
bezogen, ferner aus Südeuropa und Kleinasien 28200 kg Safran, wofür
1692000 Mark bezahlt wurden. Dieses ist weitaus das teuerste aller
Gewürze; denn in der Reichsstatistik für das Jahr 1907 wurde ein
Kilogramm davon mit 60 Mark bewertet; nächst ihm kommt, wenn auch erst
in weitem Abstande, die Vanille, von der das Kilogramm mit 14 Mark
bezahlt wurde.

Beginnen wir unsere Betrachtung mit diesem zweifellos feinsten und
aromatischsten aller Gewürze, der +Vanille+, deren Bekanntschaft uns
die Spanier nach der Entdeckung der Neuen Welt zuerst vermittelten.
In der Literatur Mitteleuropas erwähnt sie zuerst der französische
Botaniker Clusius (Charles de l’Ecluse, geb. 1526, von 1593 bis zu
seinem 1609 erfolgten Tode Professor der Botanik in Leiden) in einem
1605 erschienenen Werke. Wo er dieses Produkt zuerst kennen lernte,
ist nicht ersichtlich, doch muß es durch spanisch-österreichische
Vermittlung geschehen sein. Die Spanier lernten die Vanille im Bereiche
der Kakaokultur in Mexiko zuerst kennen, wo sie im östlichen Teile
des Landes ihre älteste Heimat hat. Wie wir dies heute noch bei der
Bereitung des Kakaos tun, würzten die bei ihrer Entdeckung durch die
Europäer zu recht hoher Kultur fortgeschrittenen Azteken, die Einwohner
Mexikos, ihre Schokolade, ~chocolatl~ genannt, mit der von ihnen als
~tlilxochitl~ bezeichneten Vanille, während die Spanier in der Folge
das einheimische Wort ~vaynilla~, d. h. Schötchen, für dieses ihnen
neue Gewürz in Aufnahme brachten. Im Jahre 1510 brachten sie es zum
erstenmal nach Europa, und zwar nach Spanien.

Die in den Handel gelangenden Vanilleschoten sind bekanntlich die auf
besondere Weise zubereiteten Früchte einer Orchidee, bei denen manche
Arten, wie beispielsweise die auf den Alpenwiesen wachsende Männertreu
(~Nigritella~), denselben auf der Anwesenheit des Vanillins beruhenden
Duft in den Blüten aufweisen. Von dieser über 7000 Arten umfassenden
Familie der Orchideen, die nur in 1,5 Prozent in Europa heimisch sind,
dagegen vorzugsweise die feuchten Gebirgstäler des äquatorialen und
subtropischen Amerika, wie auch Indiens und Hinterindiens bewohnen
und darin, wie beispielsweise in den Anden, bis beinahe 3300 m
emporsteigen, sind viele auf der Borke von Bäumen hoch oben auf deren
Geäst lebende Epiphyten oder Überpflanzen, die vielfach fälschlich als
Schmarotzer bezeichnet werden, was sie durchaus nicht sind, da sie sich
selbständig ernähren, ohne je ihre Wirte anzuzapfen.

Die Vanillepflanze (~Vanilla planifolia~) ist kein solcher
„hochgeborener“ Baumbewohner, sondern wie sämtliche bei uns wachsenden
Orchideen ein ursprünglich bodenständiger Erdbewohner, der sich an ihm
Stütze gewährenden Bäumen und Sträuchern emporrankt, um dann später
durch Absterben der Erdwurzeln die Verbindung mit dem Boden zu lösen
und eine durch Luftwurzeln aus der Atmosphäre lebende Überpflanze zu
werden. Diese Kletterpflanze besitzt einen runden, fingerdicken, sehr
lang werdenden, tiefgrünen Stengel, der große, dunkelgrüne, fleischige
Blätter und ihnen gegenüber je eine als Haft- und Nährorgan zugleich
dienende, blattgrünfreie und deshalb weißliche Luftwurzel, die oft
bis zur Erde herabreicht. Aus den Blattwinkeln treten die großen,
traubenförmig gestellten, gelblich- bis weißgrünen, in der Mitte etwas
aufgeblasenen, wohlriechenden Blüten hervor, die nur einen Tag geöffnet
bleiben und nach der Befruchtung durch ein bestimmtes Insekt 20-30 cm
lange, dreikantige, mit einer großen Zahl überaus kleiner, schwarzer
Samenkörner gefüllte Schotenfrüchte hervorgehen lassen.

Bevor diese völlig reif sind, d. h. wenn die vorher grünen eben gelb zu
werden beginnen, werden sie gepflückt oder abgeschnitten. Zu letzterem
Zwecke sind die Arbeiter mit einer langstieligen Schere und einem mit
Blättern ausgelegten Körbchen versehen. In diesem Zustande sind sie
noch geruchlos. Ihr feines Aroma entwickelt sich erst beim Trocknen,
das möglichst rasch zu geschehen hat. Bevor sie dieser Prozedur
unterworfen werden, taucht man sie einige Sekunden in kochendes
Wasser, um die ihnen anhaftenden Insekteneier zu vernichten und die
Entwicklung des Wohlgeruchs zu befördern. Hierauf werden die danach
tiefbraun gefärbten Früchte zuerst auf Gitterrosten erhitzt, dann an
der Sonne getrocknet und noch warm in Blechkasten gelegt, in denen
sie völlig austrocknen, wobei sie drei Viertel ihres ursprünglichen
Gewichtes verlieren. Darin bleiben sie etwa drei Monate liegen, bis sie
ihr volles Aroma entwickelt haben und durch Ausschwitzung mit feinen,
weißen Kristallnadeln aus Vanillin bedeckt sind. Dabei werden sie öfter
untersucht und diejenigen Schoten, die zu feucht sind und infolgedessen
in Gärung übergehen könnten, entfernt. Schließlich bindet man sie in
Bündel von je 50 Stück zusammen und bringt diese, in Zinnbüchsen, die
etwa 5 kg Vanille enthalten, eingelötet, in den Handel.

Ihren Wert erhalten die Vanilleschoten durch das bis zu 4 Prozent
in ihnen enthaltene, äußerst wohlriechende Vanillin, das eines der
am häufigsten benutzten feineren Gewürze darstellt. Außer in ihrem
Heimatlande Mexiko, wo die Vanille besonders in der Umgebung der
Stadt Oaxaca gezogen wird, kultiviert man sie heute an vielen Orten
der Tropen. So wurde sie wegen des hohen Preises der Schoten, von
denen 1821 1 Pfund 120 Mark und 1860 1 Pfund in Holland 22,50 Mark
kostete, von den Holländern 1819 nach Java eingeführt, gedieh dort
auch ganz gut, blühte reichlich, brachte aber keine Früchte hervor. Da
erkannte der Direktor des Versuchsgartens in Buitenzorg, Theysmann,
daß die Schuld nur der mangelnden Befruchtung der Blüten zukomme,
da eben an diesem neuen Standorte die bestimmten, in der Heimat die
Pollenübertragung vollziehenden Insekten fehlten. Sobald man diesem
Mangel durch künstliche Befruchtung der Blüten abhalf, indem man den zu
winzigen Kölbchen, den Pollinien, verwachsenen Blütenstaub mit Hilfe
von zugespitzten Bambusstäbchen auf die Narbe der Blüten übertrug,
hatte man einen vollen Erfolg. Alle Blüten müssen gleich am Morgen,
an dem sie aufgegangen sind, befruchtet werden, und zwar kann ein
flinker Arbeiter an einem Morgen 1000 Blüten bestäuben. Wenige Tage
danach kann man bereits diejenigen Blüten auslichten, die keine Früchte
ansetzen. Einen Monat nach der Blütenbefruchtung erreichen die Früchte
schon ihre endgültige Größe, bedürfen aber zu ihrer völligen Reife
noch weiterer fünf Monate, und zwar werden die der Sonne ausgesetzten
Schoten die besten. Die Ernte findet auf der nördlichen Erdhälfte von
Dezember bis Februar, auf der südlichen dagegen von Juni bis August
statt. Dabei rechnet man im Durchschnitt auf einen Ertrag von 100-200
kg marktfertiger Ware auf den Hektar. Seit Anfang der 1860er Jahre hat
man die Vanillekultur besonders intensiv auf den französischen Inseln
Réunion und Bourbon betrieben, die heute weitaus am meisten Vanille
exportieren, nämlich jährlich etwa 100000 kg. An zweiter Stelle kommen
die gebirgigen Seychellen-Inseln, auf denen diese Kulturpflanze im
Jahre 1868 eingeführt wurde. Doch lohnt die Kultur dieser Nutzpflanze
nicht mehr die Kosten, da der Wert der Vanille im Laufe des vergangenen
Jahrhunderts von 240 Mark auf 8-10 Mark für das Kilogramm sank. Zu
diesem gewaltigen Preisabschlag trug besonders die neuerdings gelungene
künstliche Herstellung des Vanillins bei, das man jetzt im großen
aus dem im Kambium (Bastmantel) der Nadelhölzer enthaltenen Glykosid
Koniferin gewinnt. Dabei leisten 10 g künstlich erzeugtes Vanillin so
viel wie 500 g feinste Bourbonvanille. Dieses Gewürz wird im Haushalt
und in der Konditorei viel gebraucht, sollte aber von reizbaren,
schwachnervigen Menschen recht mäßig oder gar nicht angewendet werden,
da es in größeren Mengen zu stark erregt und erhitzt. So meidet man im
heißen Amerika den Genuß der Vanille aus diesen Gründen fast ganz.

Die Vanillekultur ist verhältnismäßig sehr einfach. Sie wird meist
in unvollständig gelichteten Wäldern betrieben, in welchen man die
jüngeren Bäume als Schattenspender und zugleich Stützen für die
kletternde Orchidee stehen läßt. Da der wie bei allen Orchideen sehr
kleine Same bei der Kulturpflanze meist nicht mehr keimfähig ist,
verwendet man für die Vermehrung derselben meist Stecklinge von 1 m
Länge mit 3-4 Blättern, die 15-20 cm tief in die Erde gesteckt und
darin möglichst fest gedrückt werden, während die Spitze an einer
Stütze befestigt wird. Im dritten Jahre beginnt die Pflanze Früchte
zu entwickeln, die man aber zur Schonung der Pflanze nicht alle
befruchtet. Dieselben erreichen vom vierten bis zum achten Jahre ihre
höchste Vollkommenheit; doch bleibt die Staude bis zum zwanzigsten
Jahre tragfähig.

Die Vanillepflanze gedeiht nur in tropischen Gebieten mit möglichst
gleichmäßiger Wärme, ohne größere Temperaturschwankungen und
ausgiebiger Feuchtigkeit der Luft und des Bodens. Als Waldpflanze
erträgt sie keinen Wind, selbst dann, wenn er warm ist, deshalb schützt
man sie durch 4-5 m hohe heckenartige Umfriedigungen davor, oder indem
man sie im Schatten von Schutzbäumen (meist Banane oder Kalabassenbaum)
oder an Spalieren von ansehnlicher Höhe zieht, die ebenfalls den
nötigen Schatten gewähren müssen und aus diesem Grunde nicht von Osten
nach Westen gezogen werden dürfen. An diesen können nicht nur die
Zweige in der zweckentsprechenden Weise auseinander gebreitet werden,
sondern lassen sich alle Vorteile erzielen, welche man bei der Kultur
solcher kletternder Pflanzen erstrebt. Die in ihrer Heimat im Urwalde
wachsende Vanille wird meistens nicht reif, da die Affen eine besondere
Vorliebe für diese schmackhaften Schoten haben und dafür sorgen, daß
diese nicht in menschliche Hände geraten.

    Tafel 71.

[Illustration: Eine Vanillepflanzung im Botanischen Garten von Viktoria
in Kamerun.]

    Tafel 72.

[Illustration: An Stützbäumen emporrankende Pfefferreben auf Sumatra.]

Neuerdings hat man in den deutschen Kolonialgebieten mit bestem
Erfolg den Anbau dieser Kulturpflanze eingeführt und wird hier mit
der Zeit einen ansehnlichen Teil der gegen 330000 kg betragenden
Gesamtproduktion der Erde gewinnen, so daß das Deutsche Reich seinen
Bedarf von etwa 41000 kg im Werte von 1 Million Mark daraus zu
bestreiten vermag.

Ebenfalls eine an Bäumen emporrankende Kletterpflanze ist die in
Südasien heimische +Pfefferrebe+ (~Piper nigrum~), die sowohl den
schwarzen, als auch den weißen Pfeffer liefert. Ihr holziger, bis
2 cm im Durchmesser haltender Stamm steigt an den sich ihm zur Stütze
darbietenden Bäumen 6-7 m empor, indem er sich durch Luftwurzeln an
sie anklammert. Die herzförmigen, mit langer Träufelspitze versehenen,
etwas lederigen Blätter stehen an ziemlich langen Stielen spiralförmig
am Stamme. Denselben gegenüber brechen die ährenartigen Blütenstände
hervor, die nach der Befruchtung rote, mit einer dünnen Lage von
Fruchtfleisch umgebene Beeren liefern. Dieselben enthalten unter einer
innen braunroten, mit dem scharfen Piperin, einer gelben öligharzigen
Substanz, erfüllten Samenschale, die in einem reichen, mehligen
Nährgewebe liegenden, gleichfalls durch jenen scharfen Stoff vor dem
Gefressenwerden durch unberufene Tiere geschützten Samen.

Ihre Heimat hat die Pfefferrebe in den Wäldern der Malabarküste,
wo sich die Eingeborenen ihrer hübschen roten Früchte jedenfalls
schon im zweiten vorchristlichen Jahrtausend zur Würze ihrer an sich
etwas faden Reisnahrung bedienten. Denn gerade in den Tropen mit
ihrem erschlaffenden, warmen Klima besteht überall das unumgängliche
Bedürfnis nach scharfen Gewürzen als Zukost zur an sich wenig die
Geschmacksnerven reizenden Kost aus stärkemehlreichen Samen, Früchten
oder Wurzelknollen. Schon in den altindischen Epen ist vom Pfeffer
die Rede, welcher neben dem Salz als Würze der Speisen bezeichnet
wird. Wahrscheinlich bedeutet das Wort Malabar -- aus ~malichabar~
entstanden -- „Pfefferland“; denn im Sanskrit, der ausgestorbenen
Sprache Altindiens, ist ~malicha~ die ursprüngliche Bezeichnung für den
Pfeffer, während bar im Arabischen Land bedeutet. Dieser Name ihres
Landes ist übrigens den Eingeborenen von Malabar fremd; sie nennen es
vielmehr Malajálam, was Hügelland, oder Kéralam, was Kokosnußland heißt.

Von den Wäldern von Malabar, wo die Eingeborenen die Pfefferrebe
an Waldrändern an Stützbäumen oder, der leichteren Ernte wegen, an
Spalieren ziehen, hat sich der Anbau dieser Kulturpflanze besonders
nach der Halbinsel Malakka und dem benachbarten malaiischen Archipel
gewandt. Nicht mehr wie noch im Mittelalter in Indien, sondern hier
wird heute der meiste Pfeffer erzeugt. Der Hauptausfuhrhafen dafür
ist Singapur. Von den über 30 Millionen kg Pfeffer, die jährlich auf
den Weltmarkt gelangen, entfällt reichlich die Hälfte auf Sumatra, an
dessen Ostküste besonders dieses so geschätzte Gewürz erzeugt wird.
Neuerdings ist die Pfefferkultur auch auf Neuguinea, Westafrika und
Westindien ausgedehnt worden.

Sie wird ursprünglich in der Weise betrieben, daß man einen oder
mehrere Stecklinge von 30 cm Länge, meist Ranken, am Fuße eines
Baumes am Waldsaum oder einer Waldlichtung pflanzt und den gleichen
Vorgang bei allen benachbarten Bäumen wiederholt. Neuerdings aber
legt man regelrechte Plantagen an, indem man die Stecklinge an 3-4 m
hohen Stangen hinaufranken läßt. Schon nach zwei Jahren haben sie
rings um die Stütze einen dichten, grünen Mantel gebildet, im dritten
beginnen sich die Früchte zu zeigen und im vierten tritt die volle
Ertragsfähigkeit ein. Diese erreicht vom siebenten bis neunten Jahre
ihre Höhe, indem jede Pflanze bis zu 35 Fruchtähren mit je 20-30
Früchten hervorbringt, so daß die einzelne Pflanze nicht selten 3,5
kg Beeren liefert. Nach 15 Jahren vermindert sich der Ertrag und die
Pflanzungen müssen erneuert werden.

Zwischen Blüte- und Fruchtzeit verlaufen jeweilen drei Monate, so daß
im Jahre drei Ernten möglich sind. Meist erntet man aber nur zweimal
jährlich, zuerst von Dezember bis Februar und dann von Mai bis Juli.
Die Ernte nimmt ihren Anfang, wenn sich die Beeren zu röten beginnen
und währt mehrere Monate, da nicht alle Beeren gleichzeitig sich
röten. Um +schwarzen Pfeffer+ zu erhalten, sammelt man die Beeren vor
ihrer Reife, d. h. wenn die untersten Früchte sich zu röten beginnen,
läßt sie an der Sonne trocknen und sortiert sie je nach der Größe. Um
+weißen Pfeffer+ zu erhalten, läßt man die Beeren völlig reif werden,
legt sie 2-3 Tage in Wasser und entfernt dann die durch leichte Gärung
weich gewordene äußere Fruchthülle teils durch Reiben zwischen den
Händen oder Stampfen mit den Füßen, teils durch kaffeetrommelartige
Rotationsapparate, die an mehreren Stellen siebartig durchbrochen sind,
um die vom fleischigen Mantel befreiten Fruchtkörner hindurchtreten
zu lassen. Gereinigt und je nach ihrem Reifegrad sortiert, werden sie
in Ballen verpackt und kommen so in den Handel. Der Pfeffer verdankt
seinen scharfen Geschmack einem darin zu 1 Prozent enthaltenen
ätherischen Öl und dem bis zu 9 Prozent vorhandenen Piperin, das bei
Magenschwäche anregend auf die Absonderung der Verdauungssäfte wirkt.

Die Pfefferrebe ist ein echtes Tropengewächs, das außerhalb des engeren
Tropengürtels nirgends gedeiht. Als ursprüngliche Waldpflanze verlangt
sie wie die Vanille eine ziemliche Luft- und Bodenfeuchtigkeit nebst
Halbschatten. Wo diese Bedingungen erfüllt sind, bietet ihr Anbau
keinerlei Schwierigkeiten.

Wie die heutigen Hindus ihn mit Kardamomen, Ingwer, Kurkuma oder
Gelbwurzel und anderen Ingredienzen mit Zuhilfenahme von Kokosnußmilch
zur Herstellung ihrer als Curry (sprich Körri) bezeichneten scharfen
gelben Brühe benützen, mit welcher sie ihren dreimal täglich genossenen
gedämpften Reis, dem sie, wenn möglich, etwas getrockneten Fisch
zusetzen, würzen, so taten es schon ihre Vorfahren vor 3000 und mehr
Jahren. In den Veden finden wir außer der Bezeichnung ~malicha~ für
den schwarzen Pfeffer auch die Benennung ~pippali~ für den bald zu
besprechenden langen Pfeffer, der schärfer als jener ist. Da nun
die Hindus schon in der ersten Hälfte des letzten vorchristlichen
Jahrtausends ihre Fahrten bis zum Persischen Meerbusen und zum Roten
Meere ausdehnten, so kann es kein Wunder sein, daß die Kulturvölker
des Orients beide Arten schon früh kennen lernten. Zuerst erhielten
die Perser dieses Gewürz. Sie übertrugen wohl aus Mißverständnis den
indischen Namen ~pippali~ für den langen Pfeffer auf den schwarzen
Pfeffer, und da sie kein l in ihrer Sprache besitzen, machten sie
daraus ~pippari~. Die Griechen, denen sie die Kenntnis und den Gebrauch
dieses starken Gewürzes übermittelten, machten daraus ~péperi~, und
zwar bezeichneten sie den langen Pfeffer als ~péperi makrón~ (d. h. den
großen Pfeffer) im Gegensatz zum gewöhnlichen Pfeffer, den sie einfach
~péperi~ nannten. Die Römer lernten ihn von den Griechen kennen und
machten aus ~péperi piper~, dabei bezeichneten sie den langen Pfeffer
als ~piper longum~. Vom lateinischen ~piper~ entwickelte sich dann das
~pepper~, ~pfeffer~ und ~poivre~ der europäischen Sprachen.

Die erste Kenntnis vom Pfeffer erhielten die Griechen durch den dem
Abendlande eine neue Welt eröffnenden Siegeszug Alexanders des Großen
durch ganz Vorderasien bis nach Indien, das er im Jahre 327 v. Chr.
betrat. Nach Besiegung des indischen Königs Poros am Hydaspes (dem
heutigen Flusse Dschelam im Pandschab) durchzog der makedonische
König das Fünfströmeland (Pandschab), ward aber endlich durch die
Unzufriedenheit seines Heeres zur Rückkehr gezwungen, die er zu
Lande durch Gedrosien (Beludschistan) bewerkstelligte, während sein
Unterfeldherr Nearchos die Flotte nach dem Persischen Meerbusen
führte. Die erste genauere Kunde von diesem indischen Gewürz gibt uns
der Schüler von Alexanders Lehrer Aristoteles und nach dessen Tod
Haupt der peripatetischen Schule in Athen, Theophrastos (gestorben 286
v. Chr.). Dieser vortreffliche Pflanzenkenner unterscheidet bereits
schwarzen und langen Pfeffer. Erst der griechische Arzt Dioskurides
nennt in seiner reichhaltigen, um die Mitte des ersten christlichen
Jahrhunderts verfaßten Arzneimittellehre auch den weißen Pfeffer.
Sein Zeitgenosse, der ältere Plinius, teilt uns sogar die damals
geltenden Preisnotierungen für die verschiedenen Pfeffersorten mit.
Nach ihm kostete der lange Pfeffer, der sich als der schärfste aller
Pfefferarten bis weit ins Mittelalter hinein besonderer Wertschätzung
erfreute, 15 Denare (= etwa 9 Mark) das Pfund, während der schwarze zu
4 (= 2,40 Mark) und der weiße zu 7 Denaren (= 4,20 Mark) das Pfund zu
haben waren. Dem fügt er bei: „Es ist sonderbar, daß sich der Pfeffer
(~piper~) beliebt gemacht hat. Andere Dinge empfehlen sich durch
Süßigkeit, wieder andere durch Schönheit; der Pfeffer aber konnte
nur durch seinen scharfen Geschmack und dadurch gefallen, daß er aus
Indien kommt. Dort wächst er wild; bei uns wird er für Gold und Silber
gekauft. Verfälscht wird er mit Wacholderbeeren, die merkwürdigerweise
ihm im Geschmack ähneln; auch in bezug auf Gewicht wird er auf
mancherlei Weise durch beschwerende Zusätze gefälscht.“

Um Pfeffer, Zimt, Ingwer und die anderen so hochgeschätzten Gewürze
Indiens, die zu hohen Preisen guten Absatz fanden, nach dem Römerreiche
zu bringen, bestand damals ein reger Handel mit dem gepriesenen
Gewürzlande Indien, den zumeist wie in der Vorzeit die Bewohner
der Landschaft Jemen in Südarabien, dem „Glücklichen Arabien“
der Alten, als den schon durch die geographische Lage gegebenen
Zwischenhändlern übermittelten. Doch fuhren damals die römischen
Schiffe mit griechischer Bemannung aus Alexandrien durch den bereits
von den alten Pharaonen angelegten Südwasserkanal nicht nur bis zum
Stapelplatz ~Arabia felix~, sondern teilweise selbst bis nach Indien.
Der um 100 n. Chr. zu Nikomedia in Bithynien geborene und unter Kaiser
Marcus Aurelius um 170 verstorbene griechische Schriftsteller Flavius
Arrianus, der 136 unter Hadrian Präfekt von Kappadokien war, schreibt:
„Nach der Handelsstadt Nelekynda am südwestlichen Ufer Indiens kommen
viele Schiffe, weil dort vortrefflicher Pfeffer (~péperi~) in Menge zu
haben ist“, und sein schon ums Jahr 25 n. Chr. verstorbener Landsmann
Strabon, der weit in der Welt herumgekommen war, berichtet: „Früher
wagten sich kaum zwanzig Schiff aus dem Arabischen Meerbusen (dem
Roten Meere) hinaus; jetzt aber segeln große Flotten nach Indien und
bis ans äußerste Ende von Äthiopien (Afrika) und bringen die teuersten
Waren nach Ägypten, von wo sie wieder nach allen Ländern ausgeführt
werden. In Alexandreia ist die Hauptniederlage für jene Waren; denn die
Lage dieser Stadt ist für den Handel äußerst günstig.“ Dort unterlag
der Pfeffer wie die übrigen Gewürze und Kostbarkeiten Indiens und
Äthiopiens -- wie wir aus einem Berichte aus dem Jahre 176 n. Chr.
wissen -- einem römischen Durchgangszoll. Die vornehmen Griechen und
Römer der Kaiserzeit benützten ihn als Medizin, wie auch zu allerlei
Würze von Speise und Trank. Schon durch seine ferne Heimat und den
nicht für jedermann erschwinglichen Preis bildete er eine kostbare
Ware, mit deren Anwendung man gerne prunkte. So lernten ihn die
deutschen Barbaren kennen und schätzen. Von dem Gotenkönig Alarich wird
uns berichtet, daß, als er mit seinem Heere im Jahre 408 Rom belagerte,
er sich erst zur Aufhebung der Belagerung verstand, nachdem ihm die
Römer 5000 Pfund Gold, 30 000 Pfund Silber, 4000 seidene Kleider, 3000
Pfund Pfeffer und andere Kostbarkeiten entrichtet hatten.

Der erste Abendländer, der die Pfefferpflanze in ihrer Heimat wachsen
sah und später beschrieb, war der griechische Großkaufmann Kosmas
aus Alexandrien in Ägypten, ein Zeitgenosse des oströmischen Kaisers
Justinian I., der sich bekanntlich vom Bauer zum Basileus (König)
emporgeschwungen hatte und von 527-565 n. Chr. regierte. Mit einem
gewissen Menas hatte dieser Kosmas ums Jahr 540 eine Handelsreise
nach Indien und Ostafrika unternommen und später, als er mit jenem,
dem Zuge ihrer Zeit folgend, der bösen Welt entsagte, um das
engelgleiche Gewand anzuziehen, d. h. Mönch zu werden, schrieb er in
seiner Vaterstadt, dem lebenslustigen, reichen Alexandreia, wo er
predigend umherzog, einen uns erhaltenen Bericht über seine Reise,
der von musterhafter Gewissenhaftigkeit zeugt. Er gibt uns darin
eine ausführliche Beschreibung der von den Alten Taprobane genannten
Insel Ceylon, „jenseits dem Pfefferlande und indischen Meere“. Nach
seiner denkwürdigen Fahrt nach Indien, die damals noch als etwas ganz
Außergewöhnliches galt, erhielt dann dieser Mönch Kosmas von seinen
Zeitgenossen den Beinamen Indikopleustes, d. h. Indienfahrer.

Nach ihm war der Venezianer Marco Polo der erste Europäer, von dem
wir wissen, daß er die indische Pfefferrebe in ihrer Heimat wachsen
sah. Er war mit seinem Vater Niccolo und seinem Onkel Maffio Polo,
auf deren zweiter ostasiatischen Reise, die 1271 angetreten wurde,
nach China gekommen, wo er 17 Jahre blieb, um zuletzt ein hoher
chinesischer Beamter zu werden und als solcher das ganze Reich, außer
den beiden südlichen Provinzen Kwang-si und Kwan-tung kennen lernte,
auch Osttibet, Jün-nan und Nordbirma bereiste. Im Jahre 1292 traten
die Poli die Rückreise zu Schiff über Südasien an und besuchten bei
dieser Gelegenheit Hinterindien, Borneo, Sumatra, Ceylon, das westliche
Vorderindien, den Persischen Meerbusen, Nordpersien, Armenien und
Kleinasien. Auf dieser drei Jahre dauernden Rückreise, von der sie 1295
nach Venedig zurückkehrten, lernten sie auch Südasien so gut kennen,
daß sie während des ganzen Mittelalters die besten Kenner dieses
Kontinents blieben, außer etwa dem Araber Ibn Batûta (1302-1377),
der ebenfalls Vorderasien und China besuchte, aber sich nur kurz in
diesen Ländern aufhielt. Seinen Reisebericht diktierte Marco Polo
1298 in genuesischer Gefangenschaft, in die er während eines Krieges
zwischen Venedig und Genua geraten war. Das Buch wurde in mehrere
Sprachen übertragen und war im Abendlande bald so bekannt, daß es
zu den gelesensten Schriften des späteren Mittelalters gehörte.
Durch die glänzenden Schilderungen des fabelhaften Reichtums und der
ungeheuren Ausdehnung der Städte Ostasiens blendete es die Völker
des Abendlandes, die gar zu gerne jene vielbeneideten Länder kennen
gelernt oder noch lieber für sich gewonnen hätten. Deshalb trugen
Marco Polos Berichte über das goldreiche Ostasien und die Gewürzländer
Südasiens ganz wesentlich zu der zwei Jahrhunderte später erfolgten
Entdeckung Amerikas bei; denn der im Dienste des spanischen Königs
Ferdinands V., des Katholischen, am 3. August 1492 vom Hafen Palos mit
drei kleinen Caravellen mit 120 Mann Besatzung nach Westen segelnde
Genuese Cristophoro Colombi (Kolumbus) wollte nicht einen neuen
Weltteil entdecken, sondern das Gewürzland Indien und das goldreiche
Zipangu (Japan), den Pfefferstapelplatz Zaiton (Tsi-uen-tschou an der
Fokienstraße) und das reiche Quinsay (Hang-tschou-fu) entdecken. Und
nicht nur an jenem denkwürdigen 12. Oktober 1492, als er auf der Insel
Guanahani (jetzt Watlings Island) landete, sondern bis zu seinem 1526
erfolgten Tode hat Kolumbus dem Glauben gelebt, Indien aufgefunden
zu haben, dessen wertvolle Produkte es nun aufzufinden und mit gutem
Gewinn in Europa zu verkaufen galt.

Die nächste Folge der Reisen der Poli war die Ausbreitung des
Christentums in China, der die in religiöser Beziehung völlig
indifferente Mongolendynastie keine Hindernisse in den Weg legte.
Erst als 1368 durch die Revolution des echten Chinesentums gegen die
mongolische Dynastie der Yuen die usurpatorische mongolische Herrschaft
in China zusammenbrach und die christenfeindliche Dynastie der Ming
ihre Herrschaft antrat, blieb der Osten Asiens für das Abendland
wieder völlig in Dunkel gehüllt. Als einziger Europäer gelangte im 15.
Jahrhundert der Italiener Nicolo Conti, ein Venezianer und Kaufmann
wie Marco Polo, nach Indien, Ceylon und Birma, und zwar nachdem
er seinen christlichen Glauben abgelegt und den Islam angenommen
hatte. Infolgedessen vermochte er auch ungestraft Vorderindien zu
durchkreuzen, Hinterindien zu besuchen und sich sogar auf Sumatra und
Java längere Zeit aufzuhalten. Auch er sah die Pfefferrebe in ihrer
Heimat wachsen. Die nächsten Europäer, denen dies wieder beschieden
war und die dann den direkten Seeweg nach Indien fanden, waren die
Portugiesen, die, wie wir bald sehen werden, unter der Führung des
kühnen Seefahrers Vasco da Gama am 23. Mai 1498 in Kalikut an der
Malabarküste, mitten im Zentrum der damaligen Pfefferkultur, landeten,
um dann den Handel mit diesem über alles geschätzten Gewürz an sich zu
reißen.

Den Pfefferhandel in seine Hände zu bekommen, wollte damals etwas
heißen, und es war der größten Opfer wert, dieses Monopol den Arabern
und Venezianern zu entreißen; denn im Mittelalter steigerte und
verallgemeinerte sich der Gebrauch dieses Gewürzes so unsinnig, daß
die Krämer wie im alten Rom geradezu piperarii, d. h. Pfefferhändler
genannt wurden. In der Bezeichnung Pfeffersäcke, die sich für die
Kaufleute bis zur Gegenwart erhielt, liegt noch heute ein Beigeschmack
großen Reichtums. Der Pfeffer war das ganze Mittelalter hindurch
im ganzen Abendlande ein überaus gesuchter Handelsartikel, mit
dem man wie in der römischen Kaiserzeit Speise und Trank, sogar
das süße Gebäck, wie beispielsweise die mancherlei Pfefferkuchen,
würzte. Das Urteil über eine Mahlzeit hing damals geradezu von der
Pfefferbeigabe ab; so lautet eine häufig wiederkehrende Wendung in
den mittelalterlichen Beschreibungen von Festmahlzeiten: „Daz ezzen
was guot, wile wole gepfefferôt.“ Diese uns heute ganz unbegreifliche
Vorliebe für Pfeffer und alle scharfen Gewürze überhaupt kann man sich
nur dadurch erklären, daß eben unsere Altvordern wie heute noch die
Bauernbevölkerung sehr fette Speisen aßen und die Zugabe der scharfen
Gewürze die Verdaulichkeit dieser schweren Speisen durch Reizung der
Verdauungsdrüsen förderte.

Wie Zimt, Gewürznelken und Muskatnuß, wie wir bald sehen werden, in
der holländischen Geschichte von der allergrößten Bedeutung waren,
so spielte der ostindische Pfeffer eine sehr wichtige Rolle in der
Geschichte Venedigs während des späteren Mittelalters. Damals war
jene Stadt an der Adria der Mittelpunkt des Handels zwischen Europa
und Asien und hatte etwa 3000 Kauffahrteischiffe von allerdings meist
nur 10-100 und nur ganz ausnahmsweise bis 700 Tonnen (zu 1000 kg)
Ladefähigkeit im Mittelmeere schwimmen. Diese segelten teilweise bis
nach den Niederlanden, speziell Brügge, das damals neben Augsburg und
Nürnberg die wichtigste Handelsstadt nördlich der Alpen war, um die
kostbaren Produkte des Morgenlandes dem Abendlande zu vermitteln. Die
Marine Venedigs war die größte des Mittelalters und besaß zur Zeit
ihrer höchsten Blüte im 14. Jahrhundert 25-30000 Köpfe Bemannung.
Nach ihr kam diejenige von Genua, dessen Hauptbedeutung im westlichen
Mittelmeer lag. Während Pisas Blüte bereits gegen das Ende des 13.
Jahrhunderts zu welken begann, hob sich Florenz allmählich, um dessen
Erbe anzutreten. Nachdem es 1421 von Genua die Hafenstadt Livorno
gekauft hatte, konnte es als drittwichtigste Seestadt jener Zeit
gelten. Namentlich tat sich Florenz in Herstellung von Wollgeweben,
Seidenstoffen, Gold- und Silberbrokat hervor. Schon um 1338 gab es in
jener Stadt 200 Tuchwebereien, die jährlich 80000 Stück Tuch lieferten.
Den Handel unterstützte ein vorzüglich eingerichtetes Bankwesen, das
sich über alle wichtigeren mitteleuropäischen Städte ausdehnte.

Solche einheimische Industrie besaß nun Venedig allerdings nicht;
es war vor allem Seehafen und vermittelte den Kulturvölkern des
Abendlandes die Produkte des Morgenlandes. Unter diesen war der
Pfeffer Indiens, den indische Schiffer an die Gestade des Roten Meeres
und arabische Karawanen von da den Venezianern an ihre Schiffe in
Syrien und Ägypten brachten, weitaus der wichtigste Handelsartikel.
Ja, man kann sagen, daß Venedig in erster Linie am Pfeffer, als dem
damals begehrtesten Gewürze Indiens, reich geworden ist. Deshalb lag
ihm mit besonderer Rücksicht auf dieses Gewürz alles daran, sich das
Rote Meer und Ägypten offen zu halten. Unmengen von Pfeffer wurden
im ~fondaco dei tedeschi~ in Venedig an die Agenten der reichen
Handelsherren von Augsburg und Nürnberg verkauft und auf den Rücken von
Maultieren über die Alpen nach Deutschland gebracht, wo er geradezu
die Bedeutung eines überall gangbaren Zahlmittels erlangte. Im 13. und
14. Jahrhundert nahm er entschieden den ersten Rang unter sämtlichen
Gewürzen ein; er stand so hoch im Preise, daß ärmere Leute von dem
regelmäßigen Gebrauche desselben absehen mußten und die Bezeichnung
„~cher comme poivre~“ sprichwörtlich wurde. Damals waren einige Pfund
Pfeffer ein geradezu fürstliches Geschenk.

Der sehnliche Wunsch, die so begehrten teuren Gewürze Indiens, außer
Pfeffer auch Gewürznelken, Zimt, Muskatnuß und Ingwer, auf direktem
Wege, ohne den arabischen und venezianischen Zwischenhandel, billiger
zu beziehen, trieb die Spanier und Portugiesen in erster Linie dazu
an, den direkten Wasserweg nach Ostindien durch Umschiffung Afrikas
zu finden. Und als dies dem portugiesischen Kapitän Vasco da Gama als
erstem gelang, indem er am 20. Mai 1498 in Kalikut an der Malabarküste
landete, um dann im August 1499 nach Lissabon zurückzukehren, brachte
er schon damals eine reiche Ladung indischer Gewürze mit heim. Da an
der Ware 600 Prozent verdient wurden, brach er 1502 mit 20 Schiffen
abermals nach dem Pfefferlande auf. Bei dieser Gelegenheit gründete
er Kolonien auf Mosambik und Sofala an der ostafrikanischen Küste und
kehrte 1503 mit 13 reich beladenen Schiffen, die mit nicht weniger als
5 Millionen kg Gewürz aus dem Hafen von Kalikut an der Malabarküste
ausliefen, nach Portugal zurück. Diese Ladung repräsentierte natürlich
einen ungeheuren Wert und brachte den Portugiesen zum großen Ärger der
in ihrer Haupteinnahmequelle bedrohten Venezianer ungeheuren Gewinn.
Deshalb ward Vasco da Gama 1524 von König Johann III. (inzwischen
war Emanuel I., unter dem der Seeweg nach Ostindien gefunden und das
portugiesisch-ostindische Kolonialreich begründet, dann im Jahre 1500
durch Cabral auch Brasilien entdeckt und in Besitz genommen worden war,
1521 gestorben) abermals mit 16 Schiffen nach Indien gesandt, kam aber
von dieser letzten Reise nicht mehr zurück, indem er am 24. Dezember
1524 55jährig in Kotschin an der Malabarküste starb. Er hat wie kein
anderer Portugiese seinem Vaterlande die größten Dienste geleistet
und ihm ganz wesentlich zum Höhepunkt seiner Blüte verholfen, den es
zu Beginn des 16. Jahrhunderts erklomm. Damals war Lissabon die erste
Handelsstadt Europas und verdiente an den indischen Gewürzen riesige
Summen. Aber schon unter Johann III. (gestorben 1557) sank das Reich
infolge seiner klerikalen Politik (Inquisition, Judenverfolgungen,
Einfluß der Jesuiten) und mußte seine Macht und bald auch seine
wichtigsten indischen Kolonien an die protestantischen Niederländer
abtreten.

Von dem Momente an, da die Gewürze Indiens auf dem Wasserwege direkt
nach Europa gebracht wurden, sank nun natürlich die Bedeutung Venedigs
als Hauptvermittlerin des Gewürzhandels sehr bald dahin und dafür
nahm die Hansa als Zwischenhändlerin der von Portugal eingeführten
indischen Gewürze nach Mittel- und Nordeuropa ihren Aufschwung und
machte sehr gute Geschäfte, bis die Holländer nach Besetzung der
wichtigsten portugiesischen Gewürzländer in Indien diesen Handel für
sich in Anspruch nahmen. Da sie die indischen Gewürze als ihr Monopol
ansahen und die Preise selbst bestimmten, so erhöhten sie den von den
Portugiesen gemachten Gewinn von 600 Prozent auf 1000 Prozent. Ein
solch gutes Geschäft ließen sich aber die Engländer nicht entgehen
und jagten den Holländern bei der ersten besten Gelegenheit die
Pfefferküste ab und verdrängten sie ganz aus Indien.

Merkwürdigerweise war man aber in Europa sehr skeptisch gegen diesen
ums Kap der Guten Hoffnung dahin gebrachten Pfeffer gesinnt, wie heute
noch die Hausfrauen die natürliche Vanille und andere Rohprodukte dem
künstlich hergestellten Vanillin als angeblich besser bevorzugen. Im
Jahre 1518 verbot sogar der Rat von Bonn den Verkauf solchen um Afrika
herum statt über Alexandrien und Venedig importierten Pfeffers. Nach
und nach sah man aber das Unberechtigte solchen Vorurteils ein und
benutzte ihn bald ausschließlich, weil er begreiflicherweise bedeutend
billiger zu stehen kam als der durch den arabischen Zwischenhandel
gegangene venezianische. Trotzdem aber der Pfeffer mit der Zeit
sehr billig wurde, nahm mit der Verfeinerung des Geschmackes seine
Verwendung mehr und mehr ab und ist heute auf ein Minimum gesunken.

Während des Altertums und Mittelalters waren noch einige andere
Pfefferarten bei uns im Gebrauch, so vor allem der schon von den
alten Griechen und Römern überaus geschätzte +lange Pfeffer+ (~Piper
longum~), von dem wir bereits berichteten, daß er, weil schärfer, von
jenen viel teurer als der weiße und schwarze Pfeffer bezahlt wurde. Aus
demselben Grunde, weil schärfer und beißender als der schwarze Pfeffer,
ist er auch heute noch in Asien viel beliebter als in Europa. Diese
wohl im östlichen Teil des malaiischen Archipels einheimische holzige
Kletterpflanze hat länglichovale Blätter und ihre Einzelfrüchte stehen
nicht frei an der Spindel wie diejenigen des schwarzen Pfeffers,
sondern so dicht gedrängt, daß sie beim Reifen zu einer festen Masse
zusammenwachsen. Diese Pfefferart wird auf den malaiischen Inseln,
wie auch in Vorderindien viel angebaut. So gesucht sie im Altertume
und teilweise noch im Mittelalter im Abendlande war, so gelangt sie
jetzt nur ganz ausnahmsweise in den europäischen Handel. Früher waren
auch ihre in Indien noch heute viel gebrauchten Wurzelstöcke als
„Pfefferwurzeln“ bei uns offizinell. Sie enthalten zahlreiche Ölzellen,
welche ihnen einen scharfen, aromatischen Geschmack verleihen.

Auch der einst in Europa als Gewürz viel gebrauchte +Cubebenpfeffer+
ist heute bei uns nur noch als Medikament für Entzündungen der Harnwege
und Harnblase in den Apotheken zu finden. Er stammt von einem bis 6 m
hohen, rankenden, zweihäusigen Strauch (~Piper cubeba~), dessen Heimat
Südasien, besonders Sumatra, Java und Südborneo ist. Außer hier wird
er aber auch in Westindien kultiviert. Und zwar wird er nur selten
für sich allein gepflanzt; in der Regel dient er als Zwischenpflanze
auf Kaffeeplantagen, wobei er an den Schattenbäumen zu einer recht
stattlichen Entwicklung gelangt. Seine Fruchtähren sind etwas länger
als diejenigen des schwarzen Pfeffers, die Beeren ungefähr von gleicher
Größe, aber die Früchte sitzen anfangs dicht an der Ährenspindel
und verschmälern sich erst später an ihrer Basis stielartig. Diese
Stiele sind daher nicht wie sonst von der Frucht abgegliedert. Die
Früchte, welche einen kampferartigen Geruch besitzen, schmecken weniger
scharf, als durchaus gewürzhaft und enthalten sowohl in der mittleren
Fruchtschicht als auch in der Samenschale Kristallgruppen von Cubebin,
die an der gleichen Stelle auftreten wie das Piperin in der Samenschale
von ~Piper nigrum~ und ~longum~. Sie wirken in kleinen Dosen wie
Pfeffer, regen den Appetit etwas an und befördern die Verdauung, stören
aber beide bei länger fortgesetzter Verwendung. Der Name Cubeben stammt
aus dem Hindustanischen. Sie waren in der indischen Volksmedizin schon
längst in Gebrauch, als der Orient sie auf dem Wege des Handels kennen
lernte. Die arabischen Ärzte erwähnen sie als indisches Gewürz. Von
ihnen lernte das Abendland diese Droge kennen, die vom 13. Jahrhundert
an einen namhaften Handelsartikel für Europa bildete, den vornehmlich
die Venezianer und Genuesen ihm vermittelten. Er diente hier aber
ausschließlich als ein kostbares Gewürz. Erst zu Anfang des 19.
Jahrhunderts lernten englische Offiziere auf Java von den Eingeborenen
die vorhin genannte medizinische Anwendung der Cubeben kennen, und
seit 1818 bedient man sich ihrer in Europa als Medikament, nachdem sie
als Gewürz hier schon längst außer Gebrauch gekommen waren.

Von der größten Bedeutung für die Südasiaten und deshalb in großen
Mengen angepflanzt ist der +Betelpfeffer+ (~Piper betle~). Ursprünglich
im malaiischen Archipel zu Hause, hat er sich heute über ganz
Indien, Hinterindien und Indonesien verbreitet. Hier werden seine
ovalen, brennend gewürzhaft schmeckenden Blätter, die scharfe, die
Speichelabsonderung anregende Stoffe enthalten, zum Betelkauen
verwendet, dem jedermann, Mann und Frau, alt und jung, frönt. Zu diesem
Zwecke wird ein Blatt mit Kalkmilch (aus mit Wasser abgelöschtem
gebranntem Kalk) bestrichen und darauf eine dünne, in Wasser gekochte
Querscheibe der eiförmigen Arekanuß nebst Catechu oder Gambir gelegt.
Das ganze wird zusammengerollt und dient als solches zum Kauen. Durch
den Zusatz von Kalkmilch erhält der Speichel eine gelbrote Farbe,
welche sich auch den Zähnen der Betelkauer mitteilt. Päckchen von 20-30
solcherweise präparierter und zusammengebundener Betelpfefferblätter
werden überall in Südasien zum Verkauf ausgelegt wie bei uns die
Zigarren. Der dabei zur Anwendung gelangende Catechu ist ein Extrakt
aus dem Holze der Catechuakazie und Gambir eine Abkochung der Blätter
und jungen Triebe von ~Uncaria gambir~; beide sind sehr reich an
Gerbstoff und wirken zusammenziehend auf die Schleimhaut des Mundes.

Der sogenannte +japanische Pfeffer+ entstammt einem in Japan, Korea
und Nordchina heimischen Strauche aus der Familie der Rutazeen
(~Xantophyllum piperitum~), der in zwei Klappen aufspringende Früchte
von der Größe des schwarzen Pfeffers hervorbringt, als dessen Ersatz
sie dienen. Der auch als ~Kumba~ bezeichnete +Negerpfeffer+ stammt von
einem im tropischen Westafrika häufigen Baume (~Xylopia aethiopica~)
aus der Familie der Anonazeen. Es sind die schotenartig aussehenden,
4-5 cm langen, kaum 0,5 cm dicken, walzenförmigen, meist etwas
gekrümmten, im trockenen Zustande schwarzen Früchte dieses Baumes, die
wegen ihrer Schärfe von manchen Negerstämmen mit Vorliebe zum Würzen
ihrer Speisen verwendet werden. Andere Arten der Gattung kommen in
Ostafrika und Amerika vor und werden dort vielfach auch zum Würzen
verwendet. Als +Tasmaniapfeffer+ werden in Tasmanien die Früchte des
dort und im südöstlichen Australien im Gebirge wildwachsenden, 3-4 m
hohen Strauches ~Drimys aromatica~ aus der Familie der Magnoliazeen
zum Würzen verwendet, da sie ebenfalls einen beißenden, gewürzhaften
Geschmack besitzen.

Viel wichtiger als diese, die nur eine sehr beschränkte lokale
Verwendung finden, ist der in Zentralamerika heimische +rote
spanische Pfeffer+, auch +Paprika+ genannt, von ~Capsicum annuum~,
der durch die Spanier nach Europa gelangte und daher die Bezeichnung
spanischer Pfeffer erhielt. Wie der indische Pfeffer den Hindus und
Malaien, so dient er den dortigen Indianern als beliebte Zukost zu
ihrer sonst faden Breinahrung. Diese zu deutsch Beißbeere genannte
Nachtschattenart hat sich durch lange fortgesetzte Kultur in eine große
Menge von Spielarten gespalten, deren aufgeblasene Beerenfrüchte von
Rot bis Gelb und Dunkelviolett schwanken. Sie enthalten das scharfe,
beißende Capsicin, das vor allem zu Zugpflastern bei Rheumatismus
Verwendung findet. Der +gelbe spanische Pfeffer+ (~Capsicum luteum~),
der jetzt besonders in Ostindien gepflanzt wird und als ~piment de
Mozambique~ in den Handel kommt, liefert die schärfsten Sorten, die
für europäische Zungen geradezu ungenießbar sind und bei den nicht an
deren Genuß Gewöhnten eine Schwellung von Zunge und Lippen bewirken.
Sehr scharf ist auch der rote +Cayennepfeffer+, von ~Capsicum crassum~,
~minimum~, ~baccatum~ usw., deren Früchte getrocknet und zerkleinert,
oft noch mit Salz und Weizenmehl vermischt, in den Handel kommen.
Der +Quittenpfeffer+ (~Capsicum cydoniforme~), der ~pellpepper~ der
Engländer und ~poivron~ der Franzosen, erzeugt dagegen saftige Früchte,
die fast keine Schärfe besitzen und deshalb roh oder eingemacht wie
Obst gegessen werden können. Zwischen beiden Arten liegen zahlreiche
Mittelsorten, auf die wir hier nicht näher eingehen können. In Europa
wird der Paprika besonders von denjenigen Volksstämmen bevorzugt,
die wie z. B. die Serben und Magyaren, gern rohe Gehirne von Kälbern
und Schafen verspeisen. Bekannt ist seine Verwendung zum ungarischen
Nationalgericht, dem ~Guljasch~, und zu den von den Engländern
geliebten ~mixed pickles~ und der Worchestersauce.

Ähnlich wie Paprika wird von uns auch mehr als Reizmittel zu dem an
sich keinen ausgesprochenen Geschmack besitzenden Fleisch der +Senf+
oder +Mostrich+ genossen, den schon die alten Griechen und Römer in
ähnlicher Weise benutzten. Aus der lateinischen Bezeichnung ~sinapis~
ist überhaupt das deutsche Senf entstanden, da die Römer seine
Bereitung und Anwendung in die Länder nördlich der Alpen brachten.
Gotisch heißt er ~sinap~, angelsächsisch ~senep~, althochdeutsch
~senaf~, mittelhochdeutsch ~senef~ und neuhochdeutsch ~senf~. Im
~Capitulare de villis~ Karls des Großen aus dem Jahre 812 erscheint er
als ~sinape~ unter den anzubauenden Pflanzen. Im 13. Jahrhundert finden
wir das Kraut in England im großen angebaut und dort, wie auf dem
europäischen Festland, zur Senfbereitung verwendet. Unser Speisesenf
wird von den beiden, den Kohl- und Rübenarten sehr nahe verwandten
Kreuzblütlern, dem +schwarzen+ und dem +weißen Senf+ (~Sinapis nigra~
und ~alba~) gewonnen, deren Heimat das südliche Europa, Nordafrika
und Westasien ist. In Kleinasien oder Griechenland scheint die wilde
Art, welche ursprünglich nur ein Ackerunkraut war, vom Menschen zuerst
zur Würze verwendet und später auch angepflanzt worden zu sein. Noch
im Mittelalter wurden vom Senfkraut nicht bloß die Samen verwertet,
sondern auch die Blätter als Gemüse genossen. Die Griechen nannten die
Senfpflanze ~sínēpi~, ~sínapi~ oder ~nápy~ -- dabei ist die Silbe ~si~
ein Augmentativum, um die Schärfe des Senfs noch mehr hervorzuheben
-- gleicherweise die Römer, die sie von ersteren kennen lernten,
~sinapi~. Sie pflanzten sie in ihren Gemüsegärten an. Theophrast im
3. Jahrhundert v. Chr. und Palladius im 4. Jahrhundert n. Chr. geben
uns eine Anleitung zu ihrer Kultur und sagen, daß sie im Herbst gesät
werde. Columella um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr., der sie auch
im Frühjahr zu säen rät, gibt uns das erste Rezept zur Herstellung
von Speisesenf. Er sagt: „Den sorgfältig gereinigten Samen läßt man
zwei Stunden im Wasser aufweichen und stößt ihn dann, mit den Händen
herausgenommen und ausgedrückt, in einem neuen, wohlgereinigten Mörser
klein. Darauf zieht man die ganze zerriebene Masse in der Mitte des
Mörsers zusammen, drückt sie fest, legt einige glühende Kohlen darauf,
gießt mit Soda versetztes Wasser darüber, wodurch der bittere Geschmack
beseitigt wird, läßt sodann das Wasser wieder abfließen, gießt weißen
scharfen Essig hinzu, rührt die Masse um und seiht sie durch. Die so
gewonnene Flüssigkeit ist vorzüglich zum Einmachen der Rüben dienlich.“
Sie wurde aber auch als Würze zu Fleischspeisen genossen. Palladius im
4. Jahrhundert n. Chr. rät, Senfsamen mit Honig, Olivenöl und Essig zu
mischen.

Heute wird die Senfpflanze, die der Kaiser Diokletian 301 n. Chr.
in einem Edikt anführt, nicht bloß in ganz Europa, sondern auch
in Nordamerika und Indien viel angepflanzt. Der schwarze Senf
hat eigentlich braune, kleine, kugelige Samen, der weiße dagegen
hellfarbige, viel größere, etwa fünfmal so schwere. Dazu kommt
noch eine dem schwarzen Senf ähnliche Abart mit besonders scharf
schmeckenden Samen, der besonders bei Sarepta am unteren Laufe der
Wolga in Südrußland von den dort angesiedelten württembergischen
Kolonisten angepflanzt wird und als Sareptasenf bezeichnet wird. Sie
kommt bei uns im Handel nur sehr selten vor, dagegen ist das daraus
bereitete Senfmehl ein bei uns als „englischer“ oder „russischer“ Senf
viel verwendeter Artikel.

Außer Eiweißkörpern und Öl enthalten die Samen des weißen Senfes
das kompliziert zusammengesetzte Sinalbin und ein Ferment Myrosin,
das die Eigenschaft besitzt, das Sinalbin bei Gegenwart von Wasser
chemisch zu zerlegen, so daß neben Zucker und anderen Stoffen daraus
das Sinalbinsenföl entsteht, ein geruchloses, gelbes, scharfes Öl, das
blasenziehend wirkt, weshalb der weiße Senf pulverisiert zu den lokal
starke Hautreize ausübenden Senfpflastern verwendet wird. Die Samen
des schwarzen Senfes enthalten ebenfalls Myrosin, wenn auch bedeutend
weniger als die des weißen -- weshalb es behufs besserer Ausbeute an
Senföl zweckmäßig ist, den weißen und schwarzen Senf zu mischen --,
dabei aber einen andern, ebenfalls durch Myrosin spaltbaren Körper, aus
dem das farblose, gleicherweise auf der Zunge brennende, durchdringend
scharf riechende Allylsenföl entsteht.

Die Bereitung des Speisesenfes ist nach den Ländern sehr verschieden.
Am meisten wird er wohl in dem alle solche scharfen Würzen liebenden
England hergestellt und genossen. Zu diesem Zwecke werden die Senfsamen
zerrieben und das zu 30 Prozent in ihnen enthaltene Senföl, das ein
vorzügliches Brennöl liefert, abgepreßt. Das Senfmehl wird dann
gewöhnlich mit Essig und Zucker angerührt. In Mitteleuropa nahm man im
Mittelalter meist jungen Wein, sogenannten Most (aus der lateinischen
Bezeichnung ~mustum~ hervorgegangen). Aus der Bezeichnung ~mustum
ardeum~, d. h. scharfer Most, der in den Klöstern zuerst aufkam,
entstand dann das französische ~moutarde~ und das norddeutsche
Mostrich, während die Westfalen und Rheinländer Mostard und Mostert
sagen. Noch der 1590 als Leibarzt des Kurfürsten Johann Kasimir bei
Rhein in Heidelberg verstorbene, nach seinem Geburtsort Bergzabern
Tabernaemontanus genannte Elsässer Arzt sagt uns in seinem Kräuterbuch,
daß der Speisesenf aus zerstoßenen Senfsamen und Most hergestellt
werde. Heute sind in England am geschätztesten der weiße Senf von
Cambridge und der schwarze von Yorkshire, die in den großen englischen
Senffabriken fast ausschließlich zur Verarbeitung gelangen.

Wie Senf wird zur Würzung der Saucen, die besonders den faden
Fischspeisen beigegeben werden, auch das Produkt eines anderen
Kreuzblütlers verwendet. Es sind dies die +Kapern+. Sie bestehen
aus den noch im Knospenzustande gepflückten und mit Salz in Essig
eingemachten Blüten des dornigen Kapernstrauches (~Capparis spinosa~),
die sich später weiß oder rötlich entfaltet hätten. Der bis meterhohe
Strauch ist im Mittelmeergebiet heimisch, wo er seine Zweige mit
Vorliebe an grell von der Sonne beschienenen Felsen herabhängen läßt.
Er wird deshalb der leichteren Erreichbarkeit wegen vielfach in seiner
Heimat angepflanzt. Als Surrogat dafür werden häufig die Blütenknospen
der aus Südamerika stammenden Kapuzinerkresse (~Tropaeolum
majus~) und des einheimischen Ginsters (~Spartium scoparium~),
ebenso in Norddeutschland die allerdings weniger wohlschmeckenden
Blütenknospen der überall an stehenden Gewässern und Quellen häufigen
Sumpfdotterblume (~Caltha palustris~) und die kleineren des im
Frühjahr überall häufigen, durch seine gelben Blüten auffallenden
Scharbockkrautes (~Ficaria ranunculoides~) eingemacht und gegessen.

Zu ähnlichem Zwecke dient der ebenfalls schon von den Alten als
Würze gebrauchte +Lorbeer+ in seinen aromatisch duftenden Blättern
und Früchten. Die an ausgiebigeren Gewürzen arme mittelalterliche
Küche bediente sich dazu der Sprosse stark duftender einheimischer
Lippenblütler wie +Bohnenkraut+, +Thymian+, +Salbei+, +Pfefferminze+,
+Melisse+ und +Majoran+, dann des +Rosmarins+ und +Lavendels+, durch
einen reichen Gehalt an ätherischen Ölen reicher Halbsträucher der
Felsenheide des Mittelmeergebiets -- italienisch ~machia~, französisch
~maquis~ genannt -- deren blaue beziehungsweise violette Lippenblüten
mit den daran haftenden aromatisch riechenden Blättern und Zweigen im
Altertum viel zum Winden von Kränzen benutzt wurden, mit denen man
die Bildsäulen der Laren, der wohlwollenden, schützenden Geister der
abgeschiedenen Vorfahren, schmückte. Deren Bilder wurden ursprünglich
am häuslichen Herd in einem besonderen, als ~lararium~ bezeichneten
Schrein aufbewahrt, später aber wurden diese Schutzgötter des Hauses
auch in Gärten und auf Straßen in Hermen verehrt.

Die beiden letztgenannten, durch ein wohlriechendes Öl ausgezeichneten
strauchartigen Lippenblütler Rosmarin und Lavendel empfahl schon Karl
der Große in seinen Vorschriften zur Bepflanzung der Gärten seiner
Landhäuser vom Jahre 812 und trug so wesentlich dazu bei, diese
Fremdlinge aus Italien auch nördlich der Alpen heimisch werden zu
lassen, wo sie dann keinem besseren Küchengarten des Mittelalters
fehlten, so wenig als das ebenso wohlriechende einjährige Kraut
+Basilikum+ mit hellgrünen, kleinen Blättern und weißen Lippenblüten
mit weit vorgestreckter Unterlippe, das durch die Vermittlung der
Muhammedaner aus seiner Heimat Indien nach Europa gelangte und
besonders bei den Serben und allen Südslawen überhaupt eine große Rolle
im Volksleben spielt. Jedem Leser der serbischen Volkslieder wird es
auffallen, welch große Bedeutung dem Kraute Basilikum beigelegt wird.

Noch viel wichtiger als diese heute fast ganz außer Gebrauch
gekommenen volkstümlichen Gewürze war für die mittelalterliche Küche
der ~Safran~, die aromatisch riechenden, dunkelgelben Narben des im
Orient heimischen ~Crocus sativus~, der vornehmeren Verwandten des
bescheidenen europäischen Frühlingskrokus (~Crocus vernalis~). Diese
weißblühende, kleine Lilienart ist ein Kind der sich von Kleinasien
bis Persien erstreckenden vorderasiatischen Steppe, wo sie zuerst
irgendwo ihrer duftenden, leuchtendgelben Narben wegen in menschliche
Pflege genommen wurde. Im Orient wurde der Safran seit Urzeiten
verwendet und spielte in der ältesten persischen und indischen Medizin
wegen seiner stark erregenden Wirkung als Arzneimittel, dann als
Gewürz und Färbemittel, eine sehr große Rolle. König Salomo und Homer
erwähnen ihn, der berühmte griechische Arzt Hippokrates verwendete
ihn und im ganzen Altertum galt er als König der Pflanzen. Für die
Morgenländer bildete er einen sehr wichtigen Handelsartikel, mit dem
wohl die schiffahrtkundigen Phönikier die Griechen zuerst bekannt
machten. Der bedeutendste Pflanzenkenner des Altertums, Theophrastos
von Lesbos (390-286 v. Chr.), unterscheidet in seiner uns erhaltenen
Pflanzengeschichte sehr wohl den duftenden ~Crocus sativus~ des
Morgenlandes von dem duftlosen, weißen Frühlingskrokus Attikas und
hebt den aus Nordafrika stammenden cyrenäischen Safran als besonders
gut hervor. Sonst galt sowohl bei den Griechen, als auch den Römern,
zu denen erstere den ~krókos~ gebracht hatten, der kilikische aus dem
südöstlichen Asien als der edelste.

In seiner Schrift über den Landbau schreibt der aus Spanien nach
Rom gekommene Columella um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr.:
„Mysien, Lydien, Apulien, Kampanien sind durch ihr herrliches Getreide
berühmt; der Tmolus (ein Gebirg Lydiens) und Korykus (eine Hafenstadt
Kilikiens) durch Safran (~crocus~), Judaea und Arabien durch kostbare
Wohlgerüche. Übrigens werden jetzt sogar in Rom Zimtkassien- und
Weihrauchbäume gezogen, auch sieht man ganze Gärten mit Myrrhen und
Safran bestellt. Hierin liegt ein Beweis, daß Italien ein Land ist,
in welchem bei gehöriger Pflege die Gewächse fast aller Erdstriche
gedeihen können.“ -- An einer anderen Stelle sagt dieser Autor: „In
den Gärten suchen die Bienen Nahrung an den weißen Lilien, auch
pflanzt man für sie (im Februar) Zwiebelknollen von korykischem und
sizilischem Safran.“ Sein Zeitgenosse, der aus Kilikien stammende
griechische Arzt Dioskurides schreibt: „Der beste Safran (~krókos~)
ist der korykische aus Sizilien, der zweite an Güte ist derjenige,
welcher auf dem Olymp in Lykien wächst, der drittbeste kommt aus Aegae
in Aeolien; der aus Kyrenaika (östlich von Tripolis) und aus Sizilien
ist schwächer, obgleich saftreich und leicht auszupressen; er täuscht
daher viele. Zum arzneilichen Gebrauch hat derjenige den Vorzug, der
ziemlich lang, frisch und gut gefärbt ist, beim Reiben gut riecht, beim
Befeuchten die Hände färbt, nicht verschimmelt ist und etwas scharf
schmeckt.“ Er führt dann die verschiedenen Verfälschungen und deren
Erkennungszeichen an und sagt, Thessalos behaupte, der Safran sei das
einzige wirklich gut riechende Ding. Plinius hält den wild wachsenden
Safran für den besten und sagt, in Italien bringe der Safranbau keinen
Vorteil. Dann fährt er fort: „Der angepflanzte Safran (~crocus~) wird
breiter, größer, glänzender, ist aber weit schwächer und artet überall
aus. Mucianus gibt an, man verpflanze in Lykien den Safran im 7. oder
8. Jahre auf einen bearbeiteten Boden, und so werde der Ausartung
vorgebeugt. Zu Kränzen braucht man den Safran nirgends, denn seine
Blätter sind fast haardünn. Dagegen ist Safran ein herrlicher Zusatz
zu Wein, insbesondere zu süßem. Gerieben dient er dazu, die Theater
mit Wohlgeruch zu erfüllen. Die Ernte fällt in die Zeit des kürzesten
Tages, und das Trocknen geschieht im Schatten. Man bewahrt ihn in
hölzernen Büchsen auf. Er dient als Arznei, hat auch die Eigenschaft,
daß man nach seinem Genusse vom Wein nicht trunken werden kann, und
daß selbst ein Kranz davon die Berauschung verhindert. Diese Blume hat
schon in Homers Zeiten in Ehren gestanden.“

Die Vornehmen des kaiserlichen Rom trieben einen gewaltigen Luxus
sowohl mit dem Safran, den sie außer als Arznei auch zur Würze von
Speisen und Getränken benutzten, als auch mit den wohlriechenden
Blüten des orientalischen Krokus. Wenn schon zur Zeit der Republik
der Dichter Lucretius Carus (98-55 v. Chr.) den Gebrauch kennt, die
Sitze der Aristokratie im Theater mit wohlriechendem Safranwasser
zu besprengen, und nach dem römischen Geschichtschreiber Sallustius
Crispus (86-35 v. Chr.) Metellus Pius durch ein Gastmahl gefeiert
wurde, bei dem der Speisesaal wie ein Tempel drapiert und der Boden mit
duftenden Krokusblüten bestreut war, so ist nicht zu verwundern, daß
der Luxus damit zur Kaiserzeit keine Grenzen mehr kannte. So wurden
zur Zeit des Kaisers Hadrian, der, nach Trajans Tod im Jahre 117
von seinem Heere in Syrien zum Kaiser ausgerufen, bis 138 regierte,
die Statuen im Theater mit duftender Safranessenz gesalbt und sogar
hohle Erzstatuen mit feinen Poren dermaßen eingerichtet, daß solches
Parfüm daraus nach Belieben hervorquoll. So schreibt Senecas Neffe
Lucanus (geb. 39 n. Chr. zu Corduba in Spanien, wurde Quästor und
Augur zu Rom und entleibte sich 65, als er wegen Beteiligung an der
Pisonischen Verschwörung gegen Nero zum Tode verurteilt wurde) in
einem Pharsalia betitelten Gedichtbuch: „In Afrika war ein junger
Römer von der Schlange Hämorrhois gebissen worden, da drang aus seiner
Haut Blut hervor, gleich wie mit Safran parfümiertes Wasser aus den
Poren hervorgepreßt wird, mit denen man künstlich die ganze Oberfläche
hohler Bildsäulen durchbohrt hat.“ Und Petronius berichtet in einer
seiner Satiren: „Bei einem Gastmahl war die Veranstaltung getroffen,
daß aus jedem Kuchen und jedem Obst bei der geringsten Berührung
flüssig gemachter Safran floß.“ Damals war der Safrangeruch einer der
beliebtesten Parfüms der vornehmen Griechen und Römer. Von Kaiser
Hadrian berichtet sein Biograph Aelius Spartianus ferner: „Kaiser
Hadrianus teilte zu Ehren seiner Schwiegermutter Gewürze (~aroma~)
unter das Volk aus und ließ zu Ehren (seines Vorgängers im Imperium)
des Trajanus (wohlriechenden) Balsam und (in Wasser oder Wein gelösten)
Safran die Stufen des Theaters herunterfließen.“ Der Geschichtschreiber
Aelius Lampridius schreibt vom Kaiser Heliogabalus, der 218 wie Hadrian
in Syrien auf Anstiften seiner Großmutter Julia Maesa von den Legionen
17jährig zum Kaiser ausgerufen wurde und den orgiastischen Dienst
seines syrischen Gottes Elagabalus, dessen Oberpriester er zu Emesa
war und nach dem er sich nannte (denn eigentlich hieß er Valerius
Avitus Bassianus), in Rom einführte, bis er schon 222 von seiner
Leibgarde, den Prätorianern ermordet wurde, er habe seine Betten und
bei Gastmählern die Polster, auf denen seine Gäste zu Tische lagen,
mit Safran wie mit Blumenblättern von Rosen oder Lilien, Veilchen,
Hyazinthen und Narzissen füllen lassen und habe nur in Bassins
gebadet, dessen Wasser mit wohlriechenden Essenzen, besonders Safran,
wohlriechend gemacht worden war.

Außer als Parfüm war der Safran bei den alten Griechen und Römern
besonders auch als Medikament geschätzt, das im Rufe stand, gegen die
verschiedensten Übel helfen zu können. Wenig Rezepte wurden damals
von den Ärzten der Vornehmen, meist Griechen, verschrieben, in denen
dieser Bestandteil fehlte. Diesem Beispiele folgten ihre geistigen
Erben, die byzantinischen und arabischen Ärzte. Und als durch die
Kreuzzüge das Abendland in engere Berührung mit dem ihm an Kultur
überlegenen Morgenlande kam, gelangte die hohe Wertschätzung des
Safrans als Gewürz und Heilmittel auch dahin. Diese Tatsache beweist
schon die im Abendlande geläufig gewordene Bezeichnung Safran, die aus
dem arabischen ~za’fran~ herrührt -- aus ~zahafaran~ abgekürzt --, ein
Wort, das seinerseits mit dem arabischen asfar gelbsein zusammenhängt.

Wie im Orient, der damals die Erzeugung und den Handel mit Safran
ausschließlich in den Händen hatte, wurde der Safran trotz seines
überaus hohen Preises auch im Abendlande als ein wichtiges Arzneimittel
und eines der hervorragendsten Gewürze überaus geschätzt. Vielfach
hieß -- wie beispielsweise in Basel -- die Zunft der Krämer nach
ihrem kostbarsten Handelsartikel im frühen Mittelalter die Zunft
zum Safran, und als ihr Gildeabzeichen figuriert die stilisierte
dreigespaltene Narbe dieses Liliengewächses, die ihrem Aussehen nach
der heraldischen Lilie der Bourbonen in Frankreich sehr nahe kommt.
Seitdem die Kreuzfahrer im 11. Jahrhundert die Pflanze nach dem
Abendlande brachten, wird sie in Italien und Südfrankreich angebaut.
Viel früher noch wurde der Safran in Spanien, wohin die Araber schon
im 10. Jahrhundert seine Kultur brachten, angepflanzt. Dieses Land
hat das ganze Mittelalter hindurch bis in die Gegenwart fast ganz
Europa mit seinem Produkte versorgt und besitzt heute noch besonders
in der durch den Ritter Don Quichote als dessen Heimat bei uns
bekannt gewordenen Landschaft Mancha, südlich von Madrid, ausgedehnte
Safranpflanzungen. Im 15. und 16. Jahrhundert war der Safranbau auch
in Mitteleuropa von Belang, ging aber hier mit dem Zurückgehen von
dessen Wertschätzung fast ganz ein. Kleinere Mengen davon werden nur
noch in Niederösterreich, dann bei Orleans, ziemlich viel dagegen in
Südfrankreich gewonnen. Letzteres liefert 2-4000 kg jährlich,
während die Produktion von Spanien 45000 kg beträgt.

Die Safrankultur erfolgt in der Weise, daß man die zwiebelartigen
Knollen, die übrigens auf der Balkanhalbinsel roh und gebraten als
beliebte Speise gegessen werden, in Abständen von 8-10 cm in 20 cm
auseinanderstehenden Reihen setzt. Bei der Blüte im Frühling werden
die orangeroten Narben meist von Frauen und Kindern gepflückt und
noch an demselben Tage über einem leichten Kohlenfeuer getrocknet.
Man erhält dadurch ein gesättigt rotbraunes, loses Haufenwerk sich
fettig anfühlender Fäden, die stark aromatisch, fast betäubend riechen,
gewürzhaft bittersüß schmecken und gekaut den Speichel intensiv gelb
färben. Die Masse zieht sehr leicht Feuchtigkeit aus der Luft an
und enthält außer Safrangelb von außerordentlichem Färbungsvermögen
ein gelbes, dickflüssiges, schweres, ätherisches Öl, das Safranöl,
von brennendem Geschmack und dem charakteristischen Safrangeruch.
Gegenwärtig schwankt der Preis des Safrans je nach der Ernte zwischen
32 und 160 Mark das kg. Dieser hohe Preis wird erklärlich, wenn man
erwägt, daß die Narben von 70000-80000 Blüten gepflückt werden müssen,
um 1 kg Safran zu ergeben. Er verlockt aber auch dazu, den Safran
zu verfälschen, indem man ihm pulverisierte Blüten des Saflors, der
Arnika, der Ringelblume, der Granate, dann gefärbte Kollodiumfäden
zufügt und ihn mit Baryt und Gips beschwert. Auch werden bereits
extrahierte Narben gefärbt und als ungebrauchte Ware verkauft.
Jedenfalls ist es sehr zu raten, ihn nicht in gemahlenem Zustande als
Pulver zu kaufen, da dann Verfälschungen leichter zu erkennen sind.

Schon die medizinischen Schriftsteller des Altertums beklagen sich über
solche Betrügereien an diesem kostbaren Stoffe. Der ältere Plinius
meint, daß überhaupt keine andere Ware so sehr gefälscht werde als
gerade er. Deshalb war während des ganzen Mittelalters der Handel mit
Safran scharf kontrolliert. So bestand im Jahre 1374 ein besonderes
~officio dello zafferano~ zur Überwachung des Safranhandels in
Venedig, und in anderen großen Städten waren ähnliche Kontrollstellen
vorhanden, so in Augsburg und Nürnberg, wo im 15. Jahrhundert strenge
Polizeigesetze diesem Handelsartikel besondere Aufmerksamkeit
schenkten. Die Strafe für Safranfälschung bestand darin, daß solche
Betrüger lebendig samt ihrer verfälschten Ware verbrannt wurden.
Solchen Tod erlitten 1449 Jobst Friedenkem, 1456 Hanns Kölbell und
Lienhard Frey, „weil sie gefälschten Safran für gut verkauft“. Die
Else Pragerin, die den beiden letztgenannten „darzugeholfen“, wurde
lebendig begraben. In demselben Jahre 1456 wurden in Zofingen in der
Schweiz zwei Bürger wegen Fälschung des Safrans und anderer Gewürze
lebendig verbrannt samt einer Frau, welche ihnen dabei behilflich
gewesen war. Noch 1499 wurden dem Hannsen Bock in Nürnberg wegen
„betrüglicher Arznei“ beide Augen ausgestochen. Später begnügte man
sich bei der Verfälschung des Safrans und anderer solcher Drogen
damit, diese öffentlich durch den Scharfrichter verbrennen zu lassen
und dem Schuldigen eine sehr hohe Geldstrafe aufzuerlegen. Noch ein
Erlaß Heinrichs II. von Frankreich (Sohn Franz I. und Claudias, Tochter
Ludwigs XII., seit 1533 mit Katharina von Medici vermählt, regierte
von 1547 bis zu seinem den 10. Juli 1559 infolge einer Augenverletzung
bei einem Tournier erfolgten Tode) bedrohte die Safranfälscher mit
energischer körperlicher Züchtigung, und auf dem Reichstage in
Augsburg 1551 wurde sogar ein für das ganze Deutsche Reich gültiges
Polizeigesetz gegen „geschmierten“ Safran erlassen. Neuerdings wird
als billiger Ersatz des echten Safrans der +Kapsafran+ in den Handel
gebracht, er besteht aus den getrockneten Blüten einer Skrofulariazee
vom Kap, ~Lyperia crocea~, die annähernd Geruch, Geschmack und
Färbungsvermögen des Safrans besitzen.

Von weiteren europäischen Gewürzen von größerer Bedeutung, die zugleich
eine wichtige Rolle als Arzneimittel spielten, haben wir zunächst
den +Hopfen+ (~Humulus lupulus~) zu nennen, der schon den Griechen
und Römern zu Heilzwecken diente. Die Griechen nannten ihn das
wildwachsende (~ágrion~) ~kléma~, die Römer dagegen nach Plinius ~lupus
salictarius~, d. h. Weidenwolf, weil er andere Pflanzen umschlingt
und ihnen Schaden zufügt. Gebraucht wurden damals schon wie heute
hauptsächlich die tannenzapfenähnlichen Fruchtähren, die am Grunde mit
goldgelben, körnerartigen Drüschen besetzt sind, welche der Pflanze
den eigentümlichen Geruch und den gewürzhaftbittern Geschmack geben.
Außer einer geringen Menge einer narkotisch wirkenden Substanz, um
dessen Willen der Hopfen in England wie Opium geraucht wurde und noch
geraucht wird, enthält das aus den Drüsenkörnern bestehende, getrocknet
rötlichgelbe Hopfenmehl der reifen Früchte ein aromatisches Öl, ferner
das Hopfenbitter, das dem Biere den bitterlichen Geschmack verleiht und
Hopfenharze, welche die Entwicklung der Milchsäurebakterien verhindern,
die die Güte des Bieres beeinträchtigen. Zugleich fällen die Gerbstoffe
des Hopfens die Eiweißstoffe des Malzes aus der Würze und wirken so
konservierend auf das Bier. Aus diesen Gründen wird der Hopfen seit
dem frühen Mittelalter dem Biere als Würze zugesetzt und hat als
solche eine sehr große Bedeutung erlangt, so daß er in bedeutendem Maße
angebaut wird.

[Illustration: Bild 38. Um eine Stütze sich windender Hopfensproß
(von ~Humulus lupulus~) mit ambosartigen Klimmhaken zum Festhalten,
von denen ein einzelner, abgelöster links bei stärkerer Vergrößerung
dargestellt ist.]

Die ersten europäischen Hopfengärten werden in einer Urkunde Pipins
des Kurzen vom Jahre 768 erwähnt. In der Folge legten sich besonders
die Klöster auf den Hopfenbau, da sie dieses Würzmittels bei der
Bierbereitung bedurften. Erst als das Bierbrauen in die Hände
der Bürgerlichen gelangte, pflanzte man auch in Laienkreisen den
Hopfen, der bis dahin von den Bauern meist nur von den wilden oder
verwilderten, in ganz Europa in Hecken und Gebüschen, besonders an
Flußufern wachsenden Exemplaren gesammelt wurde. Im Gegensatz zu diesem
wilden Hopfen, der noch häufig zur Fälschung des guten mitbenutzt wird,
ist der kultivierte heute durch Kulturauslese sehr viel gehaltreicher
geworden, weshalb er allein in den Handel kommt. Da die Hopfenpflanze
getrenntgeschlechtig ist, werden selbstverständlich nur weibliche
Pflanzen angebaut, deren Fruchtstände dann im Herbste geerntet werden.
Der Hopfen ist eine ausdauernde Pflanze, die zumeist 15-20 Jahre
aushält, bis sie wiederum frisch aus Samen gezogen wird. Er wird an
hohen Stangen oder Drahtgerüsten gezogen, von denen er im Herbste
herabgerissen wird, um zu Hause vorsichtig die Früchte abzupflücken,
die auf den geräumigen mehrstöckigen Speichern der Hopfenbauern in
Horden getrocknet werden, was in 4-5 Tagen geschehen ist. Dabei müssen
sie häufig gewendet werden. Unterbleibt dies, so wird der Haufen rot
und dadurch minderwertig, oft beinahe ganz wertlos. Die Hopfenfrüchte
müssen reichlich gelbes Hopfenmehl aufweisen und ein reines, würziges,
knoblauch- oder käseartiges Aroma besitzen. Nach dem Verkauf werden
sie gut getrocknet und, vielfach geschwefelt, damit möglichst wenig
Luft daran bleibt, in Ballen von 2 m Länge und 0,75 m Breite von
65-100 kg Gewicht zusammengepreßt. Da sich der Hopfen schlecht hält,
wird er am besten an einem kühlen Orte in Metallkisten aufbewahrt.
Andere Konservierungsmethoden, wie das Besprengen mit Alkohol haben
sich nicht bewährt; dagegen werden vielfach, so besonders in Amerika,
Hopfenextrakte verwendet. Doch vermögen sie nicht alle Eigenschaften
des Hopfens zu ersetzen. Die Stengel des Hopfens werden in nördlichen
Ländern zu Stricken, Matten, Säcken und anderen groben Geweben, sonst
in der Papierfabrikation, die Blätter als Viehfutter und die jungen
Schößlinge als Gemüse verwendet. Von der Welternte des Hopfens von
106,95 Millionen kg im Jahre 1908 entfallen 30 Prozent auf Deutschland,
das besonders in Franken, Schwaben, Baden und Elsaß in ausgedehntem
Maße Hopfen pflanzt. An zweiter Stelle steht England, doch suchen die
Vereinigten Staaten von Nordamerika den alten Kulturländern auch hierin
den Vorrang streitig zu machen.

Seit dem Altertum sind verschiedene Arten der Gattung ~Artemisia~,
+Beifuß+, mehr als Arznei, denn als Gewürz bekannt und geschätzt.
~Artemisía~ nannten sie die Griechen -- von ~artemḗs~ gesund -- weil
sie deren Gebrauch für die Gesundheit förderlich hielten. Unter ihnen
war speziell der +Wermut+ (~Artemisia absinthium~), ein 0,6 bis 1,25 m
hohes, stark aromatisch, aber widerlich riechendes, überall an
Zäunen und unbebauten Plätzen wachsendes Kraut mit feingefiederten,
ursprünglich weißgrauen Blättern und gelben Blüten, sehr beliebt.
Die Griechen nannten die Pflanze ~apsínthion~ und danach die Römer
~absinthium~. Von ihr schreibt der griechische Arzt Dioskurides: „Das
~apsínthion~ (von den Deutschen Wermut genannt, nach ~werm-uot~, d.
h. wärmende Wurzel wegen der erhitzenden Eigenschaft dieser Pflanze)
ist äußerst bitter, es ist allgemein bekannt. Die beste wächst im
Pontosgebiet und in Kappadokien auf dem Taurusgebirge. Sie erwärmt,
zieht zusammen, befördert die Verdauung und ist in vielen Fällen
ein wichtiges Heilmittel. Man versetzt auch die schwarze Tinte zum
Schreiben mit Wermut, weil sich dann die Mäuse nicht daran wagen.“ Und
Plinius schreibt in seiner Naturgeschichte: „Es gibt mehrere Arten von
Wermut (~absinthium~, auch ~apsinthium~ geschrieben); die sogenannte
santonische kommt aus einer Landschaft Galliens (die Santonen waren
Kelten und wohnten in Aquitanien), die pontische aus dem Pontus, wo
sich (wie er Theophrast nachschreibt) die Schafe damit mästen, aber
davon (Theophrast sagt vorsichtig: wie einige sagen, was Plinius
wegläßt) die Galle verlieren. Die pontische Wermut ist die beste,
weil bitterer als die italische, hat aber ein süßes Mark. Dieses
äußerst nützliche Kraut ist allgemein bekannt und zu sehr vielen
Heilzwecken im Gebrauch. Es wird auch bei den Latinischen Festen in Rom
verwendet, wo vierspännige Wagen am Capitolium um die Wette fahren.
Wer da den Sieg errungen hat, trinkt Wermut, wahrscheinlich weil
unsere Vorfahren geglaubt haben, Gesundheit sei eine recht ehrenwerte
Belohnung.“

    Tafel 73.

[Illustration: Wild wachsender Hopfen aus Bayern.

Hopfengarten der Kgl. Akademie in Weihenstephan (Bayern).]

    Tafel 74.

[Illustration: Hopfenpflücker in der Holledau, Bayern (meist böhmische
Wanderarbeiter).

Gedörrte und zum Versand bereite Hopfenfruchtähren.]

Dieses bitterste aller Kräuter mußte nach der uns erhaltenen Verordnung
über die auf den Krongütern zu haltenden Nutzpflanzen aus dem Jahre 812
auch in den Gärten der Meierhöfe Karls des Großen angepflanzt werden
und spielte das ganze Mittelalter hindurch als ~wermuota~ eine wichtige
Rolle als Heilmittel. Noch heute ist es als solches beim Volk in hohem
Ansehen und wird zu bitterem Tee und Magentropfen, zur Herstellung von
Wermutbier und Wermutlikören viel benutzt. Bekannt ist die Liebhaberei
der Franzosen zum angeblich erregenden, tatsächlich aber den Magen
reizenden Absinth, dessen Herstellung und Verkauf glücklicherweise
neuerdings in der Schweiz, wo besonders die Welschen bedeutende
Konsumenten desselben waren, verboten wurde.

Im Altertum wurde schon bei den Ägyptern und später bei den Griechen
und Römern auch der +baumartige Beifuß+ (~Artemisia arborea~)
angebaut und zur Herstellung von Arzneien aller Art, besonders
Wermutwein benutzt. Als der Heilgöttin Isis geweiht, trugen die
Priester derselben, wie uns Plinius berichtet, deren Zweige, die er
~absinthium~ nennt, bei den öffentlichen Umzügen feierlich vor sich
her. Auch in Europa dienen heute noch Wermutzweige, so wie der gemeine
Beifuß und andere stark riechende Kräuter zum Weihbunde, d. h. zu den
Kräutern, welche in katholischen Kirchen auf Maria-Himmelfahrt oder
Maria-Krautweihe (den 15. August) vom Priester geweiht werden. Es ist
dies ein direkt durch römische Vermittelung vom Isiskulte herrührender
Gebrauch; denn Isis mit dem Horusknäbchen auf dem Arm ist das
unmittelbare Vorbild der Gottesmutter Maria mit dem Jesuskinde.

Nicht minder berühmt war seit dem Altertum der halbstrauchartige,
in den Mittelmeerländern wild wachsende +Eberreis+ (~Artemisia
abrotanum~), den man häufig zu duftenden Kränzen, besonders aber als
Arznei verwendete. Schon Theophrast erwähnt ihn als ~abrótonon~ und
sagt, er werde zu Kränzen gebraucht, während ihn Dioskurides als
Heilmittel nennt und beifügt, er wachse häufig in Kappadokien, dem
asiatischen Galatien und in Syrien. Auch wurde er zur Herstellung
eines mit ihm und anderen Gewürzen bereiteten (Oliven-) Öls verwendet.
Und der aus Spanien im 1. Jahrhundert n. Chr. nach Rom gekommene
Ackerbauschriftsteller Columella meint: „Das Bauchweh verliert sich
beim Haarvieh, vornehmlich bei Maultieren und Pferden, augenblicklich,
wenn es schwimmende Enten sieht (!); als Arznei tut ihm aber ein Trank
von zarten Lorbeerblättern und Eberreis (~abrotanum~) sehr wohl.“ Es
wird jetzt noch in den Mittelmeerländern häufig in den Küchengärten
angepflanzt und heißt bei den Neugriechen ~pikróthanos~ und bei den
Italienern ~abrotano~.

Der +gemeine Beifuß+ (~Artemisia vulgaris~) wird ebenfalls kultiviert,
weil sein Kraut als Küchengewürz und die Wurzel als krampfstillendes
und schweißtreibendes Mittel dient. Ehemals wurde letztere als
Zaubermittel und Vorbeugungsmittel gegen das Ermüden an die Füße
gelegt; daher der Name Beifuß. Ein Büschel dieses Krautes hängen
die Landleute gerne in den Wohnstuben als „Fliegenkraut“ auf, weil
sich die Fliegen abends gern in Menge daran setzen und dann leichter
gefangen und getötet werden können. Die unmittelbar vor dem Aufblühen
gesammelten Blütenköpfe des in der Kirgisensteppe und südlich davon
wild wachsenden, neuerdings aber in zunehmendem Maße angepflanzten
+Wurmbeifußes+ (~Artemisia cina~) liefern eines der bekanntesten
Wurmmittel, die zur Abtreibung von Spulwürmern und Pfriemenschwänzen
(~Oxyuris~) dienenden +Zitwer+- oder +Wurmsamen+, deren bitterer
Extraktivstoff das Santonin bildet, das neuerdings statt der
Wurmsamenlatwerge in Zucker- oder Schokoladezeltchen als Wurmmittel
gegeben wird.

Noch weiter östlich in Asien, nämlich in der Mongolei heimisch ist
der +Dragonbeifuß+ (~Artemisia dracunculus~), das französische
~estragon~, das als geschätztes Küchengewürz in Mitteleuropa seit
alter Zeit kultiviert wird. Die blühenden Stengelspitzen riechen
angenehm gewürzhaft, schmecken bitterlich und dienen zur Bereitung des
Estragonessigs. Dragon kommt vom lateinischen ~draco~, Drache, Schlange
(~dracunculus~ heißt kleiner Drache) und wurde der Pflanze von den
mittelalterlichen Ärzten gegeben, weil nach Plinius das Tragen dieser
Pflanze vor dem Gebissenwerden durch Giftschlangen schütze.

Ein anderes viel verwendetes einheimisches Gewürz ist der +gemeine
Kümmel+, die getrockneten Früchte der zweijährigen Kümmelpflanze
(~Carum carvi~) aus der Familie der Umbelliferen, die im mittleren und
nördlichen Europa bis zur Birkengrenze auf guten, trockenen Wiesen
wild wächst. Sie ist die älteste in Europa nachweisbar als Gewürz
verwendete Pflanze, da im neolithischen Pfahlbau von Robenhausen aus
dem dritten vorchristlichen Jahrtausend verkohlte Samenkörner von ihr
zutage traten. Jedenfalls aber wird sie damals noch nicht vom Menschen
angepflanzt worden sein, da ihm die Wildlinge genug Samen boten. Doch
ist diese Gewürzpflanze in Vorderasien schon sehr früh kultiviert
worden, wie wir aus einer Stelle des seit 740 v. Chr. unter den Königen
Usias, Jothan, Ahas und Hiskias zu Jerusalem wirkenden Propheten
Jesaias in Kap. 28, 25 entnehmen, wo es vom Ackermann heißt: „er streut
Wicken und wirft Kümmel, er säet Weizen und Gerste, jegliches, wo er
es haben will, und Spelt an seinen Ort,“ und in Vers 27: „denn man
drischet die Wicken nicht mit Eggen und läßt auch nicht ein Wagenrad
über den Kümmel gehen, sondern die Wicken schlägt man aus mit einem
Stabe und den Kümmel mit einem Stecken“.

In größeren Mengen wird der Kümmel seit dem Mittelalter in Holland,
bei Halle, Erfurt, Hamburg, Nürnberg, Ostpreußen, Tirol, Norwegen,
Schweden, Finnland und Rußland auf Feldern kultiviert. Man sät ihn
während der Baumblüte in Reihen auf kalkhaltigen, warmen, trockenen
Boden, im Herbst schneidet man das Kraut bis zum Herzblatt ab und
verbraucht es als Viehfutter. Im folgenden Jahr blüht der Kümmel im
Mai und muß geschnitten werden, sobald die oberste Fruchtdolde zu
reifen beginnt und die übrigen noch grüne, aber entwickelte Früchte
haben. Man bindet ihn in kleine Bündel und trocknet ihn. Der Same
enthält viel ätherisches Öl, schmeckt beißend gewürzhaft und wird
den verschiedensten Speisen als Gewürz zugesetzt. Aus ihnen wird
durch Destillation auch das ätherische Kümmelöl gewonnen, das in der
Branntweinindustrie ausgedehnte Verwendung findet. Den besten Kümmel
liefert Holland, der dort schon in fränkischer Zeit kultiviert wurde.
Er wird in den mittelalterlichen Arzneibüchern als beliebtes Heilmittel
oft genannt; so pries ihn als solches schon im 12. Jahrhundert die
heilige Hildegard, Äbtissin des Klosters Rupertsberg bei Bingen, die
auch die erste Nachricht von der Verwendung des Hopfens als Bierwürze
gab. In den städtischen Spezereitaxen wird Kümmel zuerst 1304 in
Brügge, dann in der Mitte des 15. Jahrhunderts in Danzig angeführt. Die
Wurzelknollen des in Westdeutschland nicht seltenen +knolligen Kümmels+
(~Carum bulbocastanum~), auch Erdkastanie genannt, werden manchenorts,
besonders in der Walachei und Moldau gegessen.

Statt unseres Kümmels gebrauchten die alten Griechen und Römer als
Arznei und Gewürz die Samen des bei ihnen angebauten, in den östlichen
Mittelmeerländern wild wachsenden +römischen+ oder +Kreuzkümmels+
(~Cuminum cyminum~). Dieses heute auf Sizilien und Malta, wie auch
in Ostindien häufig angebaute einjährige Doldengewächs mit weißen
oder rötlichen Blüten besitzt doppelt so lange Früchte wie diejenigen
unseres Kümmels von stark aromatischem, unangenehmem, entfernt an
Fenchel erinnerndem Geruch und scharf bitterlichem Geschmack. Sie
enthalten ein ätherisches Öl von hellgelber Farbe und durchdringend
kümmelartigem Geruch, welches als römisches Kümmelöl bei der Bereitung
„magenstärkender“ Liköre verwendet wird.

Im ganzen Altertum war er wie in den Mittelmeerländern heute noch als
Küchengewürz und Arznei geschätzt. Er hieß bei den alten Ägyptern
~tapnen~, einem Worte, dem man häufig in dem medizinischen Papyri
begegnet. Daneben bedienten sie sich auch einer semitischen Bezeichnung
~kamnini~, die mit dem hebräischen ~kammôn~ zusammenhängt. Seine Samen
befanden sich mehrfach unter den Totenbeigaben in den altägyptischen
Gräbern. Die Griechen nannten ihn ~kýminon~ und danach die Römer,
die ihn durch jene kennen lernten, ~cyminum~. Dioskurides sagt von
ihm: „Das ~kýminon~ schmeckt gut, vorzüglich das äthiopische, das
Hippokrates (460-364 v. Chr.) das königliche nennt; nach ihm folgt
an Güte das ägyptische und dann die übrigen Sorten. Es wächst im
asiatischen Galatien, in Kilikien, bei Tarent und an mehreren anderen
Orten. Es dient als Gewürz und Heilmittel.“ Theophrast schreibt: „Das
~kýminon~ trägt schmale, gestrichelte Samen in reichlicher Menge; es
wird für die Küche angepflanzt und dabei vorgeschrieben, daß man bei
der Aussaat fluchen und schimpfen soll.“ (Damit wollte man die bösen
Geister vertreiben, die dem Wachstume der Saat schaden konnten.) Eine
Abart dieses Kümmels nennt Dioskurides ~káros~ und fügt hinzu: „er
ist ein kleiner, allbekannter Same, der ein gutes Gewürz gibt; auch
die Wurzel wird zur Speise gekocht“. Diesen Kümmel nannten die Römer
nach den Griechen careum; so sagt Columella: „Das ~careum~ dient als
Gewürz,“ und Plinius: „Der ~careum~ (= Kümmel) stammt aus dem Auslande
und hat seinen Namen von seinem Vaterlande Karien. Man benützt ihn
vorzugsweise für die Küche; er gedeiht in jedem Boden, der beste kommt
jedoch aus Karien und nächstdem aus Phrygien.“

Als Arznei gegen Blähungen und beliebtes Gewürz ist unter den
Doldenblütlern ferner der +gemeine Fenchel+ (~Foeniculum vulgare~)
mit ausdauerndem, 1-2 m hohem Stengel zu nennen. Er wächst von den
Azoren bis Persien und Kurdistan, von Nordafrika bis Ungarn wild und
wird stellenweise in Deutschland, Südfrankreich, Galizien, Rumänien,
Indien, China und Japan kultiviert. Die jungen Pflanzen werden auf
Saatbeeten gezogen und im Juli versetzt, wie der Kümmel behandelt
und im Herbste geschnitten. In kälteren Gegenden werden die Wurzeln
für den Winter gedeckt. Die Samen können zwei- bis dreimal geerntet
werden. Das Kraut dient als Viehfutter, während die durch das
ätherische Fenchelöl angenehm aromatisch riechenden und gewürzhaft
süßlich schmeckenden Früchte als Küchengewürz zum Einmachen von
Gurken usw., auch als Appetit anregendes Mittel angewendet werden.
Mit pulverisierten Sennesblättern und Süßholzwurzeln zusammen bilden
sie einen Hauptbestandteil des leicht abführenden „Brustpulvers“. Wie
anderswo Kümmel, bäckt man in Thüringen und Tirol Fenchel ins Brot.

Der +römische Fenchel+ ist eine Abart des ~Foeniculum dulce~, die in
Südfrankreich, Italien und auf Malta angepflanzt wird. Er schmeckt
etwas süßer und milder, sonst wie voriger. Auch die Früchte des in den
Mittelmeerländern wildwachsenden +beißenden Fenchels+ (~Foeniculum
piperitum~) werden als Gewürz benutzt.

Seit den ältesten Zeiten diente der Fenchel den Chinesen, Indern,
Ägyptern und den Völkern am Mittelmeer als Arznei und Küchengewürz. Als
~schamari hout~ findet er sich mehrfach in den medizinischen Papyri
angeführt. Auch bei den Griechen und Römern wurde er als Küchengewürz
und Arznei verwendet. Schon Theophrast im 4. Jahrhundert v. Chr.
erwähnt den Fenchel als ~márathron~ und Dioskurides sagt von ihm vier
Jahrhunderte später: „Vom Fenchel (~márathron~) wird das Kraut oder
der Samen gegessen, um die Milch zu vermehren. Der letztere bekommt
dem Magen gut. Man zieht aus der Pflanze und deren Samen den Saft,
um ihn für schwache Augen zu verwenden.“ Noch hundert Jahre später
schreibt der Arzt Galenos aus Pergamon: „Der Fenchel (~márathron~)
wächst wild, wird aber auch angesät, und nicht bloß als Gewürz, sondern
auch als Speise benutzt, zu welchem Zwecke man die Pflanze fürs ganze
Jahr in Essig oder eine Mischung von Essig und Salzwasser legt.“ Wie
ein griechischer Schriftsteller in der ~Geoponika~, sagt gleicherweise
der aus Spanien stammende Römer Columella: „Beim Einmachen der Oliven
dient Fenchelsamen als Gewürz.“ Die Römer nannten ihn ~foeniculum~.
Plinius schreibt von ihm: „Die Schlange bekommt im Winter eine neue
Haut und streift die alte mit Hilfe des Fenchels (~foeniculum~) ab.
Den Menschen dient der Fenchel als Gewürz, auch wird er zur Stärkung
schwacher Augen gebraucht, worauf man durch die Beobachtung gekommen
ist, daß ihn die Schlangen zu diesem Zwecke verwenden.“ Und Palladius
im 4. Jahrhundert n. Chr. schreibt: „Man sät den Fenchel (~foeniculum~)
im Februar auf einer sonnigen und etwas steinigen Stelle.“ Später
erfahren wir, daß Karl der Große dessen Anbau gleich demjenigen der
übrigen Doldengewächse mit würzhaft schmeckenden Samen auf seinen
Gütern anordnete. Im Mittelalter wurde er allgemein noch mehr als Anis
geschätzt.

Dem Fenchel sehr ähnlich ist der +gemeine Dill+, auch +Gurkenkraut+
genannt (~Anethum graveolens~), der seit dem Altertume in derselben
Weise wie jener verwendet wird. Er findet sich bereits in den
altägyptischen Texten als ammisi erwähnt und wurde nach dem
medizinischen Papyrus Ebers hauptsächlich gegen Kopfweh verordnet.
Er wächst noch heute in Ägypten und in Südeuropa wild. Die Griechen
nannten ihn wegen seines starken Geruches ~ánēthon~. Dioskurides sagt,
daß man die Dolde und den Samen desselben verwende, um die Verdauung
zu verbessern und die Milchabsonderung zu steigern; zu viel und zu
oft genossen schwäche er jedoch. Palladius schreibt: „Man sät den
Dill (~anethum~) im Februar. Er verträgt jedes Klima, doch ist ihm
das mäßig warme am liebsten. Man darf ihn nicht dicht säen. Manche
decken den Samen gar nicht mit Erde, weil sie glauben, kein Vogel gehe
daran. Fehlt es an Regen, so begießt man ihn.“ Die Römer brachten
dieses Gewürz über die Alpen, und Karl der Große ließ es in seinen
Gärten anpflanzen. Seither fehlt es nicht mehr in den Küchengärten
Mitteleuropas. Noch heute wird das junge Kraut, besonders aber die
Dolden mit den reifen Früchten wegen des kräftigen Geschmacks und
Geruchs als Küchengewürz, zum Einmachen von Sauerkraut, Gurken u. dgl.
benutzt. Das ätherische Öl wurde früher wie dasjenige des Anis gegen
krampfartige Unterleibsbeschwerden angewendet.

Ebenso alt ist in den Mittelmeerländern die Kultur des +Korianders+
(~Coriandrum sativum~), dessen Früchte ebenfalls erst durch die
Römer in Mitteleuropa bekannt wurden. Diese heute noch im Orient, in
Südeuropa und auch bei uns hier und da als Sommergewächs angebaute
und dann auch verwilderte Gewürzpflanze stammt aus Westasien, wird
30-60 cm hoch und trägt kugelige, braungelbe Früchte, die eigentümlich
angenehm und mildaromatisch riechen, mit schwachem, an Wanzen
erinnernden Beigeruch, der sich vor der Reife weit stärker, auch
am Kraut zeigt. Daher der Name, vom griechischen ~kóris~ Wanze, im
Deutschen Wanzenkraut lautend. Die Samen dienen als Küchengewürz,
zu Backwerk aller Art, Likören und wurden früher auch abführenden
Arzneien zugesetzt. Das frische Kraut soll betäubend wirken. Seine
Samen wurden von jeher als Gewürz und Arznei verwendet. Sie finden
sich schon in altägyptischen Gräbern. Die ärztlichen Papyri nennen
den Koriander mehrfach als ~unschi~ und erwähnen auch eine asiatische
Sorte desselben. Er wurde vielfach als Arznei gebraucht und seine Samen
dienten nach den hieroglyphischen Aufzeichnungen dazu, den Wein noch
berauschender zu machen. Auch die hebräischen und Sanskritschriften
kennen ihn. Theophrast und Dioskurides erwähnen ihn als ~koríannon~;
letzterer sagt, man nenne ihn auch ~kórion~, er sei allgemein bekannt
und werde äußerlich und innerlich zu Heilzwecken verwendet. Als
~coriandrum~ kam er zu den Römern. Plinius schreibt von ihm: „Den
Koriander findet man nicht wild; der beste kommt aus Ägypten. Er
dient als Arznei, auch rät Marcus Varro (116-27 v. Chr.), Fleisch im
Sommer mit Essig, worin sich zerstoßener Koriander und Kreuzkümmel
befinden, vor Fäulnis zu schützen.“ Sein Zeitgenosse Columella rät,
ihn im Frühjahr und Herbst auf gedüngten Boden zu säen. Karl der Große
ließ ihn auf seinen Krongütern anpflanzen, doch finden wir ihn in
Mitteleuropa erst wieder im 16. Jahrhundert erwähnt.

Ebenfalls ein einjähriger Doldenblütler ist der ursprünglich in
Ägypten, Kleinasien und auf den griechischen Inseln heimische +gemeine
Anis+ (~Pimpinella anisum~), der schon im Altertum kultiviert wurde,
um die angenehm, eigentümlich riechenden, süßaromatisch schmeckenden
Samen als Gewürz und Arznei zu verwenden. Dioskurides schreibt von
ihm: „Der Anis (~ánison~) ist als Gewürz und Arznei gesund. Der beste
ist frisch, voll, ohne Staub, hat einen starken Geruch. Dem kretischen
gibt man den Vorzug, ihm zunächst steht der ägyptische.“ Durch die
Griechen wurden die Römer damit bekannt gemacht. Plinius sagt von
ihm: „Der Anis (~anisum~) gehört zu den Speisen, welche Pythagoras
(aus Samos, siedelte 529 v. Chr. nach Kroton in Unteritalien über, wo
er als Gründer und Mittelpunkt des weit verbreiteten pythagoräischen
Bundes wirkte) besonders empfohlen hat, und zwar sowohl roh als
gekocht. Jedenfalls ist er, grün und getrocknet, an allen Speisen, die
gewürzt werden, gut. Er wird auch an die Bodenrinde der Brote getan.
Er gibt dem Atem einen guten Geruch, dem Gesicht ein jugendlicheres
Ansehen und erleichtert schwere Träume, wenn man ihn so über dem
Kopfkissen aufhängt, daß der Schlafende ihn riecht. Er bewirkt auch
tüchtige Eßlust; so hat man ihn denn auch wegen seiner vortrefflichen
Eigenschaften den Unübertrefflichen (~anicatum~) genannt.“ Sein
Zeitgenosse Columella gibt an: „Ägyptischer Anis dient als Gewürz beim
Einmachen der Oliven“, und Palladius im 4. Jahrhundert n. Chr. rät, ihn
im Februar oder März auf gut bearbeiteten, gedüngten Boden zu säen.
Durch die Römer wurden die Länder nördlich der Alpen mit ihm bekannt.
Heute wird er als sehr wichtiges Gewürz fast in allen Erdteilen
angebaut, so besonders in Deutschland, Böhmen, Mähren, Rußland,
Skandinavien, Holland, Frankreich, Spanien, Bulgarien, Syrien, Indien
und Chile. Er wird als Küchengewürz besonders zu Backwerk benutzt und
das daraus destillierte Anisöl wird zu Likören, speziell der Anisette,
verwendet. In Norddeutschland kocht man häufig Borsdorfer Äpfel mit
Anis. Sein Geruch ist den Tauben sehr angenehm, weshalb man sie mit
demselben leicht wieder auf den Schlag nach Hause lockt. Im Handel wird
der Anissamen zuweilen mit demjenigen des giftigen Schierlings (~Conium
maculatum~), dem sie sehr ähnlich sehen, vermischt, wodurch schon
wiederholt Vergiftungsfälle vorkamen.

An Geruch, Geschmack und Wirkung dem gemeinen Anis sehr ähnlich ist
der +echte Sternanis+, der von einem 6-8 m hohen, immergrünen, in
China, Japan und den Philippinen heimischen Baum aus der Familie
der Magnoliazeen (~Illicium anisatum~) gewonnen wird. Er wächst
vorzugsweise in den hohen Gebirgen von Jün-nan in Südwestchina,
wo er auch kultiviert wird und besitzt ziemlich große lederartige
Blätter, blaßgrünlichweiße Blüten und sternförmige, matt-graubraune
Kapselfrüchte von angenehm süß aromatischem, eigentlich mehr an
Fenchel als Anis erinnerndem Geschmack. In ihrer Heimat werden sie
schon lange als Heilmittel und Gewürz verwendet und wurden 1588 von
Sir Thomas Cavendish von den Philippinen zuerst nach Europa, und
zwar nach London gebracht; doch haben sie erst die Holländer als
Medikament und bei der Teezubereitung verwendet. Heute bilden sie
eine überaus wichtige Droge des Weltmarktes, da sie 5 Prozent des
farblosen ätherischen Anisöles enthalten und zu dessen Darstellung
benutzt werden. Letzteres ist namentlich für die Likörfabrikation ganz
unentbehrlich. Von diesem Baume kommt auch das Holz als Anisholz in
den Handel; es wird vielfach von Tischlern und Drechslern verarbeitet.
Dem echten Sternanis sehr ähnlich sehen die Früchte des +unechten
Sternanis+ aus, die von einem als ~Illicium religiosum~ bezeichneten,
weil um die buddhistischen Tempel in Japan angebauten und dort Sikimmi
genannten, dem echten Sternanisbaume nahe verwandten immergrünen Baume
stammen. Sie sind giftig und sind nur daran zu erkennen, daß sie nicht
wie jene nach Anis, sondern aromatisch nach Kardamomen oder Kampfer
riechen und zuerst sauer, dann bitter schmecken. Bisweilen werden sie
zur Verfälschung des echten Sternanis benutzt, wodurch wiederholt
Vergiftungsfälle vorkamen.

Neben Anis, Fenchel, Dill, Kümmel und Koriander war im Mittelalter
auch die durch einen reichen Gehalt an ätherischen Ölen aromatisch
duftende +Raute+ (~Ruta graveolens~) ein im Abendland sehr beliebtes,
in allen Bauerngärten angetroffenes Gewürz. Für Indien sehr wichtig
dagegen waren schon im Altertum wie heute die ebenfalls durch einen
reichen Gehalt an ätherischem Öl, das ihnen einen kampferartigen Geruch
und Geschmack verleiht, äußerst aromatisch schmeckenden +Kardamomen+,
die im Leben des gewürzeliebenden Südasiaten eine wichtige Rolle
spielen. Durch den Handel mit Indien wurden die Bewohner Westasiens
und schließlich auch die Mittelmeervölker mit ihnen bekannt. Der
griechische Arzt Dioskurides schreibt über dieses Gewürz, das den
reichen Griechen und Römern vornehmlich als Arznei diente: „Das beste
~kardámōmon~ wird über Komagene (nordöstlichste Provinz Syriens,
zwischen dem Euphrat und Amanosgebirge), Armenien und dem Bosporus
nach Italien gebracht, stammt aber aus Indien und Arabien. Man gibt
demjenigen den Vorzug, das nicht leicht bricht, voll und geschlossen
ist, einen angreifenden Geruch und einen scharfen, etwas bitteren
Geschmack hat. Es erwärmt und dient als Arznei.“ Sein Zeitgenosse
Plinius sagt: „Das ~cardamomum~ besteht aus länglichrunden Samen und
wird in Arabien gesammelt. Man unterscheidet davon drei Arten: eine
sehr grüne und fette mit scharfen Kanten, schwer zerreiblich, was man
vorzüglich schätzt. Die zweite Art ist rötlichweiß, eine dritte ist
kürzer und dunkler gefärbt; noch schlechter ist die gefleckte, leicht
zerreibliche, schwach riechende. Der Geruch des echten ~cardamomum~
muß demjenigen des ~costus~ gleichkommen. Diese Sorte wächst auch in
Medien. Das Pfund kostet 3 Denare (= 1.80 Mark).“ Im 6. Jahrhundert
n. Chr. erwähnt der römische Arzt Alexander Trallianus die Kardamomen,
dann 1154 der weitgereiste Araber Edrisi als Produkt Ceylons; 1259
waren sie in Köln zu haben. 1563 unterscheidet der Portugiese Garcia da
Orta eine Malabar- und eine Ceylonsorte. Auch der nach seiner Herkunft
von Bergzabern bei Straßburg als Tabernaemontanus bezeichnete Arzt am
kurfürstlichen Hofe von Heidelberg führt 1584 die Kardamomen in seinem
Arzneibuche an.

Noch heute kommen unter der Bezeichnung Kardamomen die Samen
verschiedener Arten ausdauernder Stauden aus der Familie der
Scitamineen oder Gewürzlilien in den Handel, um als Arznei, Gewürz und
zugleich zur Herstellung von Parfüm zu dienen. Weitaus die wichtigste
derselben, die in Deutschland und den anderen Kulturstaaten offizinell
ist, stammt von der echten +Kardamome+ (~Elatteria cardamomum var.
minor~), einer in den feuchten Bergwäldern Malabars an der südlichen
Westküste Indiens einheimischen Ingwerverwandten mit 2-3 m hohen
Stengeln, 40-75 cm langen, lanzettlichen Blättern und knolligen,
dichtgeringelten Wurzelstöcken. In den sich nach der Blüte bildenden
langen, dreifächerigen, gelben Kapseln finden sich 4 bis 5 mm lange,
braune, etwas eckige, rauhe Samen, die ihren würzigen Geschmack
einem flüchtigen, frisch in Wasser destilliert farblosen ätherischen
Öl, dem Kardamomöl, verdanken. Die Pflanze, die in ihrer Heimat an
Stellen abgeforsteter Wälder zahlreich aus dem Boden sprießt, wird
besonders in Malabar, aber auch in Ceylon, Cochinchina, Siam, Jamaika,
Deutsch-Ostafrika und anderen Orten des engeren Tropengürtels im
großen angebaut. Es geschieht dies teils durch Wurzelteilung, teils
-- was die Regel ist -- durch Samen, die in ziemlichen Abständen in
lockeren, humusreichen Boden gepflanzt werden. In einem Jahre sind
die Pflänzchen 30-40 cm hoch, geben im dritten Jahre die erste kleine
und im vierten Jahre eine Vollernte; dabei bleiben sie etwa sechs
Jahre tragbar. Vor der völligen Reife, wenn die grünen Kapseln in gelb
überzugehen beginnen, werden sie einzeln mit Scheren abgeschnitten und
zum Nachreifen zunächst einige Tage in einem Magazin auf Haufen gelegt.
Dann trocknet man sie vorsichtig in der Sonne, drischt die Samen
heraus und bringt sie zum Versand. Als Durchschnittsertrag rechnet man
an den Hauptproduktionsorten in Südwestindien und auf Ceylon 200 kg
marktfertige Ware auf das Hektar, ein Ergebnis, das unter günstigen
Verhältnissen und bei sorgsamer Pflege oft um die Hälfte und mehr
überschritten wird.

Von einer größeren, in Ceylon heimischen Kardamomart (~Elatteria
cardamomum var. major~) werden gelbrote, eckige, rauhe Samen von
eigentümlichem, starkem Geruch gewonnen und in kleinen Posten
nach England exportiert. In Siam, auf Sumatra, Java und einigen
anderen malaiischen Inseln wächst ~Amomum cardamomum~ mit vielen
keilförmigen Samen in Kapseln, die etwas kleiner als Kirschen sind.
Sie werden fast ausschließlich nach Südfrankreich exportiert. Als
Bastardkardamom kommen etwas stachlige, kleine Kapseln von Bangkok aus
in den Handel; auf Java dagegen ist der Javakardamom heimisch, der
von geringer Qualität ist. Besser ist der Nepal- und Bengalkardamom.
Wenig gekannt ist der auf Madagaskar an sumpfigen Standorten
wachsende schmalblätterige Kardamom. Sehr nahe verwandt damit ist der
Kamerunkardamom, der neuerdings nach Hamburg auf den Markt gebracht
wird und ein außerordentlich feines, wohlriechendes ätherisches Öl
liefert, kaum aber als Gewürz gebraucht wird. Eine andere äußerst
aromatische, nicht pfefferartig schmeckende Art ist der abessinische
Kardamom, der aber kaum nach Europa gelangt.

Mit schwachem Aroma, aber scharf beißend dagegen ist der Samen der in
Westafrika wachsenden ~Cardamomum malagetta~ mit rauher, brauner Schale
und weißlichem Kern, der als +Paradies+- oder +Guineakörner+ oder
+Malagettapfeffer+ in den Handel kommt. Die Pflanze, die von Oberguinea
bis Kamerun wild wächst, wird von den Negern vielfach angebaut, so daß
sie einem Distrikte den Namen Pfefferküste eintrug. Sie ist dann von
den als Sklaven dahingebrachten Negern auch in Westindien eingeführt
worden und wird dort häufig kultiviert. Auch sie besitzt einen
krautartigen Stengel mit schmalen, schilfartigen Blättern und einem
kurzgestielten Blütenschaft, der am Ende einen Schopf von prächtigen,
rosenroten, großen, an unsere Cannablüten erinnernden Blüten trägt. Die
Samen dieser Pflanze, die in England häufig dazu verwendet werden, dem
Brandy und Whisky einen schärferen Geschmack zu erteilen, wie ihn die
mit abgestumpften Geschmacksnerven ausgestatteten Gewohnheitstrinker
lieben, sind dem Neger Westafrikas für seinen faden, aus den
Wurzelknollen des Yams verfertigten, kleisterartigen Mehlbrei, genannt
~fufu~, ebenso unentbehrlich, wie der schwarze Pfeffer dem Hindu für
seine tägliche Reiskost.

Wie die Afrikaner bereiten sich die Inder ihre scharfe Pfeffersauce
mit den verschiedensten Zutaten zum schwarzen Pfeffer, so namentlich
auch mit der +echten+ oder +langen Kurkuma+ oder +Gelbwurzel+ -- auch
+gelber Ingwer+ genannt -- (~Curcuma longa~), einer nahen Verwandten
der Kardamomen, die im Hindustani Indiens ~haldi~, bei den Arabern
dagegen ~kurkum~ heißt, woraus sich unsere Bezeichnung Kurkuma bildete.
In Indien wird sie vielfach als Arznei, dann als Würze zu fast allen
Speisen, besonders aber als wichtiger Bestandteil des berühmten
Currypulvers verwendet. Schon im Altertum gelangte sie von dort aus mit
den Kardamomen zu den Kulturvölkern am Mittelmeer. Der griechische Arzt
Dioskurides sagt von ihr: „Es gibt eine Art Cypergras (~kýpeiros~), das
in Indien wächst, dem Ingwer ähnlich ist, aber beim Kauen safrangelb
wird und bitter schmeckt. Streicht man es auf ein behaartes Muttermal,
so gehen die Haare daselbst aus.“ Wie im Altertum hat die Kurkuma auch
im Mittelalter als Arznei bei den arabischen Ärzten eine gewisse Rolle
gespielt. Von Indien aus erstreckte sich damals der Handel mit ihr so
weit, als die arabische Herrschaft reichte. Ihre ursprüngliche Heimat
ist wahrscheinlich Hinterindien und der malaiische Archipel; doch ist
sie sehr früh nach Vorderindien gelangt, wo sie jetzt weit mehr als
anderswo kultiviert wird. Hingegen wächst in Vorderindien neben einer
Reihe Arten, die keinen Farbstoff enthalten, auch eine Art wild, die
einen gelben Farbstoff liefert, der allerdings weit weniger schön ist
und nur noch selten benutzt wird, sich aber für manche Zwecke, wie
z. B. zur Herstellung eines künstlichen Goldlacks, besser eignet wie
die gewöhnliche Kurkuma. Es ist dies die +runde Kurkuma+ (~Curcuma
aromatica~) mit birnförmigem Wurzelstock von 3-5 cm Länge und daran
befindlichen fingerdicken Ausläufern, die in Längsschnitten in den
Handel gelangt, aber kaum nach Europa kommt.

Von der vorhin genannten echten oder langen Kurkuma -- lang genannt,
weil sich der im Durchschnitt orangebraune Wurzelstock in eine Anzahl
mannsfingerdicker und -langer Seitentriebe verästelt -- gibt es mehrere
Spielarten, die nach ihren Produktionsländern benannt werden. Die
chinesische, die vorzugsweise auf der Insel Formosa erzeugt wird, gilt
für die beste, dann folgen an Güte diejenigen von Bengalen und Pegu,
die sich beide durch eine intensive Färbung auszeichnen. Auch die Sorte
von Madras wird als eine feine Qualität betrachtet, während diejenige
von Java wegen ihrer matten Farbe nur geringe Preise erzielt. Als die
geringwertigsten gelten diejenigen von Bombay und Scinde. Die Pflanze
treibt hohe, mit 30 cm langen, breit lanzettlichen Blättern besetzte
Schäfte, die in einen Blütenstand von dichtsitzenden, rahmgelben
Blüten enden, die von schön violett gefärbten Schaublättern überragt
werden. Da aber in der Kultur seit undenklicher Zeit die Blütentriebe
als nutzlose Kraftverschwendung der Pflanze ausgebrochen werden, so
hat sie die Fähigkeit, keimbare Früchte zu erzeugen, mit der Zeit
ganz eingebüßt, so daß sie jetzt ausschließlich durch Wurzelknollen
vermehrt wird. Diese werden in fruchtbaren, von Überschwemmungen
verschonten Boden in Abständen von 60 cm nach jeder Richtung im
April und Mai gepflanzt und im Dezember geerntet, wobei man als
Durchschnittserträgnis 5000 kg vom Hektar annimmt. Die Wurzelstücke
werden zunächst in heißes Wasser getaucht, um ihre Keimkraft zu
zerstören, dann 3-4 Tage an der Sonne getrocknet und schließlich in
Säcke verpackt.

Noch wichtiger und auch bei uns bekannter als sie ist ihr naher
Verwandter, der +Ingwer+ (~Zingiber officinale~), dessen etwa
daumendicke und in frischem Zustand fleischige Wurzelstöcke, die
2,2 Prozent eines hellgelben ätherischen Öles und ein brennend
schmeckendes Harz enthalten, wegen ihres aromatischen Geruches und
feurig gewürzhaften Geschmackes seit den ältesten Zeiten in ihrer
Heimat Ostindien als Medizin und Gewürz verwendet werden. Im Sanskrit
heißt er ~sringavera~. Früh schon wurde er durch den Handel nach Westen
gebracht und gelangte um die Wende der christlichen Zeitrechnung durch
das Rote Meer zu den Griechen und Römern, die ihn nach der arabischen
Bezeichnung ~zindschebil~, d. h. Wurzel von Zindschi, ~zingiberi~
nannten und als kostbares Gewürz und Medikament schätzten. Der
griechische Arzt Dioskurides, um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr.,
sagt in seiner Arzneikunde von ihm: „Der Ingwer (~zingíberis~) ist ein
eigentümliches Gewächs, das im troglodytischen Arabien sehr häufig
wächst. Das frische Kraut wird gekocht zu vielen Dingen, wie bei uns
die Raute (~pḗganon~) gebraucht, indem man es zu Tränken und gekochten
Speisen mischt. Die Wurzeln sind klein wie beim Cypergras (~kýpeiros~),
weißlich, wohlriechend und von pfefferartigem Geschmack. Man wählt zum
Gebrauch die nicht von Würmern zerfressenen Wurzeln. Weil sie leicht
verderben, werden sie eingemacht und in irdenen Gefäßen nach Italien
gebracht; sie sind dann zum Verspeisen fertig und werden samt ihrer
Brühe verbraucht. Der Ingwer erwärmt, befördert die Verdauung, ist dem
Magen gesund; er wird auch Gegengiften zugesetzt und hat in seiner
Wirkung Ähnlichkeit mit dem Pfeffer.“ Auch Plinius sagt in seiner
Naturgeschichte: „Der Ingwer, den man ~zimpiberi~ oder ~zingiberi~
nennt, hat einen pfefferartigen Geschmack, wächst in Arabien und bei
den Troglodyten. Das Pfund kostet 6 Denare (= 3.60 Mark).“

Das Ansehen des Ingwers wuchs im Abendlande noch bedeutend im Laufe
des Mittelalters, da er als eine der begehrtesten Spezereien des
Levantehandels durch die Vermittlung der Araber und Venezianer auf
den europäischen Markt gebracht wurde. Aus Italien kam er im 9.
Jahrhundert zuerst nach Deutschland und im 10. Jahrhundert nach
England. Scribonius Largus nennt ihn ~gingiber~ und die heilige
Hildegard von Rupertsberg bei Bingen im 12. Jahrhundert ~ingeber~.
Später ist er als ~imber~ allgemein bekannt und besonders auch von den
Ärzten angewandt. Er war damals als Gewürz und Arznei so angesehen,
daß in manchen Städten, wie beispielsweise in Basel, die Gasse der
Gewürzkrämer nach ihm als einem der wichtigsten Repräsentanten der von
jenen geführten Drogen einfach „Imbergasse“ hieß, eine Bezeichnung,
die sich hier bis auf den heutigen Tag erhielt. Immerhin wurde sein
übermäßiger Genuß von manchen gerügt. So sagt der württembergische
Dichter Bebel (1475-1516) von einem Bürgermädchen: „Wein und Gewürze,
Zimt, Pfeffer und Ingwer haben ihr Blut verdorben --“.

Die erste direkte Nachricht über die lebende Pflanze stammt vom
weitgereisten Venezianer Marco Polo (1256-1323), der 1295 aus China
nach seiner Vaterstadt zurückkehrte und später seine Erlebnisse und
Beobachtungen zusammenstellte. Um dieselbe Zeit beschrieb sie ein
anderer Italiener, Pegolotti, der 1292 bis nach Indien gelangte. Der
Spanier Mendoza brachte den Ingwer zu Anfang des 16. Jahrhunderts nach
Westindien, und schon 1547 sollen von dort, speziell von Jamaika, 1,1
Millionen kg exportiert worden sein. 1585 begann die Ausfuhr von San
Domingo und 1654 diejenige von Barbados nach Spanien. Noch heute wird
er in Westindien im großen angebaut; doch ist sein Hauptproduktionsland
nach wie vor seine alte Heimat Ostindien geblieben, wo er in ungeheurem
Maße verbraucht wird und an Wichtigkeit als Gewürz dem Pfeffer nur
wenig nachsteht. Er gilt dort als beinahe so notwendig als das tägliche
Brot, da man glaubt, die innern Organe des menschlichen Körpers
könnten ohne seine Mitwirkung ihre Tätigkeit nicht ausüben. Trotz dem
ungeheuren eigenen Verbrauche führt Ostindien noch jährlich über 5
Millionen kg Ingwer im Werte von 5 Millionen Mark hauptsächlich nach
England und seine Kolonien aus, wo er vorzugsweise zur Herstellung
des beliebten ~ginger-ale~, d. h. des Ingwerbieres, verwendet wird.
Cochinchina führt jährlich 4 Millionen kg Ingwer aus und China, das
selbst sehr viel davon konsumiert, beinahe ebensoviel, und zwar meist
mit Zucker eingemacht. Auch Jamaika und Sierra Leone exportieren große
Mengen. Auch in Afrika wird er vielfach von den Eingeborenen angebaut
und gedeiht vorzüglich.

[Illustration: Bild 39. Der Ingwer (~Zingiber officinale~).]

Der Ingwer verlangt neben ausgiebiger Sonnenwärme vor allem große
Luftfeuchtigkeit, kann aber keine allzugroße Nässe des Bodens ertragen.
Am besten gedeiht er auf lockerem, sandigem, nahrhaftem Lehmboden.
Hier wird er in derselben Weise wie die Kurkuma ausschließlich
durch Wurzelstöcke vermehrt, die zu diesem Zwecke in kleine Stücke
zerschnitten werden. Jedes mit Augen versehene Stück liefert ein neues
Exemplar der 1-2 m hohen Pflanze mit zwei Reihen langer, schilfartiger,
schmaler Blätter und kleinen, weißen, rotgestreiften oder
gelblichweißen und dann violett gefleckten Blüten, die aber infolge der
viele Jahrhunderte umfassenden, ausschließlich auf ungeschlechtigem
Wege durch Wurzelknollenableger bewirkten Fortpflanzung die Fähigkeit,
keimfähigen Samen hervorzubringen, vollständig eingebüßt haben.
Die Saatknollen werden im März in Abständen von 30 cm in den meist
gutgedüngten Boden gesteckt und liefern nach 9-10 Monaten, während
welcher Zeit sie von Unkraut rein gehalten werden müssen, eine
reichliche Ernte, die gleich wie bei den Kartoffeln erfolgt. Sobald die
Stengel vollständig verwelkt sind, werden die Wurzelstöcke ausgegraben
oder ausgepflügt, gereinigt und in Wasser gründlich gewaschen. Um
+schwarzen Ingwer+ zu bereiten, der seine Schale behält, werden sie
dann durch Kochen während einer Viertelstunde in Wasser ihrer Keimkraft
beraubt und abgetötet, dann in der Sonne vollständig getrocknet und
sind so versandfähig. Um aber +weißen Ingwer+ herzustellen, sucht
man aus den gewaschenen Wurzelstöcken die schönsten aus und schabt
mit einem Messer die dunkle Schale vollständig ab. Dabei werden alle
Auswüchse und dunkeln Stellen ausgeschnitten. Nach wiederholtem
Waschen in kaltem Wasser werden diese nunmehr weiß aussehenden
Ingwerknollen an der Sonne getrocknet, wobei sie, der schützenden
Schale beraubt, von selbst absterben. Der +gezuckerte Ingwer+, eine
beliebte Delikatesse, die in steigendem Maße nach Europa importiert
wird, wird aus den noch weichen, halbreifen Wurzelstöcken gewonnen,
kurz bevor die Blütenstengel austreiben. Diese werden nach sorgfältiger
Reinigung in lauwarmem Wasser mit heißem Wasser übergossen und dann
so lange gesotten, bis sie leicht mit einer Gabel durchstochen werden
können. Dann werden sie einen Tag in kaltes Wasser gelegt, mit einem
Messer geschabt, wiederum 2 bis 3 Tage in täglich erneutes frisches
Wasser getan und mit kochendem Sirup von 1 kg Zucker auf 2 Liter
Wasser zweimal in einem Zwischenraum von 2 Tagen übergossen, dann
auf Schüsseln oder Hürden gelegt und wie Zitronat getrocknet und
verpackt. In Indien und China kommt diese auf der Zunge etwas beißende
Spezerei seit sehr langer Zeit als beliebter Leckerbissen in mit
Bambus umflochtenen irdenen Töpfen in den Handel und gelangte wohl in
ähnlicher Verpackung schon zur römischen Kaiserzeit -- wie wir von
Dioskurides erfuhren -- nach Italien, wo allerdings nur die Reichen
seinem Genusse als sehr teure Arznei frönen konnten.

Eine andere Ingwerart Ostasiens, aus der nach dem als Botanikprofessor
1617 in Padua gestorbenen Italiener Prosper Alpini ~Alpinia~ genannten
Gattung der Liliazeen ist der +Galgant+ (~Alpinia officinarum~), dessen
bis 1 m langer und bis 2 cm dicker braunroter, angenehm gewürzhaft
riechender, aber ingwerartig scharf brennender Wurzelstock in 5-10 cm
lange Stücke geschnitten heute noch bei uns als aromatisches Mittel
zu Likören, Essig usw. dient. Seine ursprüngliche Heimat scheint an
der Süd- und Ostküste der chinesischen Insel Hainan zu liegen, wo die
Pflanze einzig wild angetroffen wird; doch wurde sie schon im Altertum
außer dort auch auf der gegenüberliegenden Halbinsel Leitschou und den
benachbarten Küsten, ebenso in Siam angepflanzt und in ganz China als
beliebtes Gewürz verhandelt. Auch in Indien wurde sie neben den vorhin
genannten Ingwerarten benutzt und erscheint im ~Ayur veda Susrutas~
als ~kula yoga~. Ob die alten Griechen und Römer diese Droge schon
kannten, ist höchst fraglich, wennschon einige Forscher -- wohl mit
Unrecht -- vermuten, der ~Cyperus babylonicus~ des Plinius sei unser
Galgant gewesen. Erst die arabischen Ärzte des früheren Mittelalters,
von denen der berühmte Razes (eigentlich Muhammed Ibn Zakkaria ar-Râzi,
lebte von 850-923 und stellte unter dem zweiten Kalifen aus dem
Stamme der Abbasiden, Mansur in Bagdad, das Gesamtgebiet der Medizin
dar), dann der ihm ebenbürtige, etwas jüngere Avicenna (eigentlich
Ibn Sina, 980-1037, der Verfasser eines Kanons der Medizin, der
wie der 9. Band des Werkes von Râzi bis ins 16. Jahrhundert an den
europäischen Hochschulen Gegenstand medizinischer Vorlesungen war),
ferner Alkindi und andere den Galgant als geschätztes Heilmittel
anführen, machten ihn im Abendlande bekannt. Der arabische Geograph
Ibn Khurdadbah im 9. und der sarazenische Reisende Edrisi aus Sizilien
im 12. Jahrhundert berichten über seine Einfuhr. Der bis nach Ostasien
gedrungene Venezianer Marco Polo, der die erste Kunde von der nach
ihm ~zipangu~ (verdorben aus dem chinesischen ~dschi-pon-kwo~, d. h.
Sonnenursprungsland, oder einfach ~Dschi-pon~, woraus die Japaner
~Nippon~ als die gebräuchliche Bezeichnung ihres Landes machten)
genannten und als sehr goldreich geschilderten „chinesischen Inselwelt“
Japan nach Europa brachte, schreibt nach seiner 1295 erfolgten Rückkehr
in seine Vaterstadt über den Anbau der Pflanze in China. Außer dieser
kleineren Galgantsorte kannte er bereits eine größere, aus Java
stammende, von ~Alpinia galanga~, mit doppelt so dickem, bis 4 cm
starkem, heller gefärbtem und weniger aromatischem Wurzelstock, die im
europäischen Handel nur wenig angetroffen wird. Auch der Portugiese
Garcia da Orta in Goa erwähnte 1563 diese beiden Sorten, eine kleinere
aus China und eine größere aus Java. Ähnliches berichten Acosta und
Linschotten. Die erste gute Abbildung veröffentlichte der Deutsche in
holländischen Diensten Rumphius im Jahre 1754.

Der von den 4-5-, besser aber 10jährigen Pflanzen gewonnene und an der
Luft getrocknete Wurzelstock des Galgants wurde etwa gegen das Ende des
8. Jahrhunderts durch arabische Vermittlung als arzneilich geschätzte
Pflanze in Deutschland bekannt. Der um die Mitte des 9. Jahrhunderts
lebende Bischof Salomo III. von Konstanz erwähnt in einem Formelbuche
den Galgant als ~calanganum~. Die heilige Hildegard, Äbtissin des
Klosters Rupertsberg bei Bingen im 12. Jahrhundert, behandelt die
~galgan~ benannte Wurzel ausführlich als Heilmittel. Die erste
Erwähnung des daraus gewonnenen ätherischen Öles findet sich in der
Arzneitaxe der Stadt Frankfurt am Main vom Jahre 1587. Erst 1870 wurde
durch den Engländer Fletcher Hancé durch das Auffinden der Stammpflanze
der kleinen Sorte die früher allgemein geltende Annahme berichtigt, daß
beide Sorten von demselben Gewächs abstammen. Die Bezeichnung Galgant
soll nach ihm aus dem chinesischen ~liang-kiang~ stammen, was so viel
bedeutet als „feiner oder milder Ingwer“. Hieraus wurde die arabische
Benennung ~khulendjan~ bzw. ~khalangian~ und aus letzterem unser
~galanga~.

Neben dem Galgant spielte auch der von den Deutschen als +Kostwurz+
bezeichnete +~Costus~+ besonders als Magenmittel im Mittelalter eine
große Rolle. Die Droge stammt von einer 1,5-2 m hohen Ingwerart
Ostindiens (~Costus speciosus~) mit großen, schönen, rötlichweißen wie
mit einem rostfarbigen Reif bestreuten Blüten, deren Wurzelstock aber
schärfer und bitterer schmeckt als derjenige des Ingwers. Schon im
Altertum wurde er neben dem Ingwer viel als Würze und Medizin in die
Kulturländer Vorderasiens und am Mittelmeer gebracht. Schon Theophrast
erwähnt ihn unter dem Namen ~kóstos~ als Gewürz. ~Dioskurides~ sagt:
„Der beste ~kóstos~ kommt aus Arabien, ist weiß, leicht und riecht
stark, aber angenehm. Ihm folgt an Güte der indische, der auch leicht,
aber dunkelfarbig ist. Die dritte Sorte ist der syrische, der schwer,
buchsbaumgelb und von stechendem Geruch ist. Man gebraucht ihn als
Arznei. Er wird auch durch Beimischung der stärksten Wurzeln des
Alants von Kommagene (in Syrien) verfälscht.“ In seiner Beschreibung
der Umschiffung des Roten Meeres sagt der griechische Schriftsteller
Arrianus im 2. Jahrhundert n. Chr., daß von Minnagara am Ausfluß des
Indus und der südöstlich davon gelegenen Hafenstadt Barygaza ~kóstos~
in den Handel gebracht werde. Im Mittelalter befaßten sich besonders
die Araber mit dem Zwischenhandel der in Menge nach Europa gebrachten
Droge, die heute für uns nur noch historisches Interesse besitzt.

Heute noch von einiger Bedeutung als Gewürz und Heilmittel ist dagegen
die +Kalmuswurzel+, die in derselben Weise wie der Ingwer kandiert
besonders in Persien und Arabien als äußerst beliebtes Konfekt gegessen
wird. Seit dem frühen Altertum wird der bitter aromatische Wurzelstock
des gegenwärtig überall bei uns an den Ufern der Weiher verwildert
angetroffenen Kalmus (~Acarus calamus~), in derselben Weise wie der
Ingwer mit Honig oder später Zucker eingemacht, aus Asien importiert.
Die Heimat dieser Wasserpflanze ist nach den neueren Untersuchungen
zweifellos Südostasien. Die Kalmuspflanze wird nämlich einzig in
Südchina und Hinterindien fruktifizierend angetroffen. Am Fuße des
Himalaja und von da an westlich setzt sie keinerlei Früchte mehr an
und pflanzt sich nur auf ungeschlechtigem Wege durch Wurzelausläufer
fort. Die wohlriechende aromatische Kalmuswurzel ist eines der
ältesten Gewürze und Heilmittel der südasiatischen Völker. Unter der
Sanskritbezeichnung ~vacha~ spielte sie in der altindischen Medizin
wie später in derjenigen des Morgenlandes eine große Rolle als die
Verdauung beförderndes und die Geschlechtstätigkeit anregendes Mittel.
Durch den morgenländischen Zwischenhandel gelangte die Droge als Arznei
zu den Babyloniern, Ägyptern, Juden und älteren Griechen, denen allen
jedoch die Pflanze selbst, von der sie herrührte, völlig unbekannt
blieb. Im alten Ägypten treffen wir die Kalmuswurzel unter der
Bezeichnung ~kanna~ oder heiliges Rohr, auch phönikisches Rohr, da die
Phönikier ihnen auf dem Handelswege diese orientalische Ware geliefert
zu haben scheinen. Sie wird in fast allen in den hieroglyphischen
Texten uns erhaltenen Parfümrezepten und in zahlreichen Arzneirezepten
erwähnt, ebenso gebrauchten sie die Juden unter demselben Namen
~kanna~; so wird sie schon in der von Jahve Mose um 1280 v. Chr. am
Sinai gegebenen Vorschrift zum heiligen Salböl erwähnt, das aus den
edelsten Myrrhen und Kassie zu 500 Sekel und Zimt und Kalmus zu 250
Sekel in einem Hin Olivenöl vermischt werden sollte. Damit sollte
die Bundeslade und sollten alle heiligen Geräte samt der Stiftshütte
gesalbt werden.

Noch der große Pflanzenkenner Theophrast sagt zu Beginn des 3.
vorchristlichen Jahrhunderts von ihrer Herkunft: „Der Kalmus
(~kálamos~, gleichbedeutend mit Schilf) wächst jenseits des Libanon
in einem großen Sumpf und erfüllt, wenn er trocken ist, die Luft mit
Wohlgeruch.“ Zu jener Zeit hatten die Griechen bei Gelegenheit von
Alexanders des Großen Siegeszug nach dem fernen Osten die damals
bereits in Westasien angesiedelte Pflanze kennen gelernt. Der aus
Kilikien gebürtige griechische Arzt Dioskurides und der römische
Naturforscher Plinius, die beide um die Mitte des 1. Jahrhunderts
n. Chr. lebten, kennen näher bei Europa gelegene Fundorte der Pflanze
als Syrien. Ersterer weiß einen Standort derselben in Kleinasien und
letzterer außer in Galatien auch auf Kreta. Plinius fügt dem hinzu:
„Der meiste Kalmus (~acoron~) wächst in Kolchis, sowohl am Flusse
Phasis, als auch überall in den Gewässern. Frisch hat die Wurzel
mehr Kraft als alt. Die kretische ist weißer als die pontische. Man
schneidet sie in fingerlange Stücke und trocknet sie im Schatten“,
und Dioskurides sagt, daß der aromatische ~kálamos~ Blätter wie die
Schwertlilie (~íris~) habe und daß der wohlriechende den Magen erwärme
und gegen viele innere Leiden gut sei.

Erst ums Jahr 1557 wurde der Kalmus in Mitteleuropa eingeführt. Die
erste Beschreibung und Abbildung der Pflanze, die er ~acorum~ nannte,
gab in einem 1565 erschienenen Buche der italienische Botaniker
Pierandrea Matheoli. Dieser hielt sich von 1554-1577 in Prag auf und
erhielt eine getrocknete Kalmuspflanze vom Gesandten des deutschen
Kaisers Ferdinand I. am türkischen Hofe in Konstantinopel, Ghislenius
Busbequius, die dieser in einem großen See bei Nicomedia in Bithynien
gesammelt hatte. Bald darauf wurde die Pflanze von dem damals als
Hofbotaniker in Wien lebenden Clusius (Charles de l’Ecluse), der sie
1574 aus Konstantinopel lebend erhalten hatte und in der Kaiserstadt
an der Donau kultivierte, an die verschiedenen botanischen Gärten
Mitteleuropas versandt und verbreitete sich von da aus überallhin, um
bald, der menschlichen Pflege sich entziehend, zu verwildern. Im Jahre
1588 gab Camerarius an, daß ~Acorus~ erst seit einigen Jahren in die
Gärten eingeführt sei, jedoch häufig in Lithauen und den pontischen
Ländern wachse. 1611 wird in der dritten Auflage seines Kräuterbuchs
von demselben Autor Pontus, Galatien und Kolchien als das Vaterland
der Pflanze angegeben. 1590 verpflanzte Kaspar Bauhins Sohn Johann
die Kalmuspflanze von Basel nach Montbéliard, und 1591 verbreitete
sie Sebitz bei Straßburg. Seitdem die Pflanze in Mitteleuropa gedieh,
machte man einen Unterschied zwischen asiatischer und europäischer
Kalmuswurzel. Erst am Ende des 17. Jahrhunderts erkannte man, daß die
Wurzel der bei uns wachsenden Pflanze der asiatischen gleichwertig
sei. Die erste gute Abbildung der Pflanze lieferte Rheede in seinem
von 1678 bis 1703 erschienenen ~Hortus malabaricus~. 1697 wird in der
Apothekertaxe des Rates von Halberstadt neben dem indischen Kalmus
auch der einheimische, und zwar beide zu gleichen Preisen, angeführt.
Das ätherische Öl findet sich zuerst 1582 in der Taxe der Stadt
Frankfurt am Main erwähnt. Heute findet sich der Kalmus nicht bloß in
ganz Europa, sondern auch in Nordamerika, wo er im 18. Jahrhundert
eingeführt wurde, wildwachsend und bringt überall seine zwitterigen
Blüten, niemals aber Früchte hervor. Diese rasche Verbreitung der
Pflanze hängt mit den offizinellen Eigenschaften ihrer Wurzel zusammen,
die noch von der heutigen Medizin gewürdigt werden. Sie enthält
außer ätherischem Öl einen Bitterstoff und zwei Alkaloide (Calamin
und Cholin) und wird außer als Magenmittel auch zur Likörfabrikation
verwendet.

[Illustration: Bild 40. Blütenzweig des echten Zimtbaums (~Cinnamomum
ceylanicum~).]

Eine sehr viel wichtigere Arzneidroge und sehr geschätztes Gewürz
Südasiens, das heute noch eine große Bedeutung für Europa hat, ist
der +Zimt+, der von einer in den Bergwäldern Ceylons heimischen
Lorbeerart gewonnen wird. Der Zimtbaum (~Cinnamomum ceylanicum~) ist
ein in der Wildnis, wo er nicht beschnitten wird, 6-10 m Höhe und
einen Stammdurchmesser von 45-52 cm erreichender immergrüner Baum von
unregelmäßigem Wuchs, dessen knotige Äste sich wagerecht ausbreiten. In
den Zimtgärten baut man ihn als 3-4 m hohen Strauch, weil die dünnen
Zweige der Sträucher einen feineren Zimt geben als die starken Äste
der Bäume. Die glatte Rinde ist außen graubraun, innen gelblichrot;
an jungen Schößlingen ist sie manchmal grün oder gelbgefleckt. Die
glatten, lederartigen, dunkelgrünen Blätter sind eiförmig, 10-15 cm
lang, stumpf zugespitzt und von fünf Hauptadern durchzogen. Bei ihrer
Entfaltung sind sie rot angehaucht, färben sich dann gelb, olivengrün
und schließlich dunkelgrün. Die in Rispen geordneten Blüten sind außen
seidenhaarig, weißlich und innen gelbgrün gefärbt und strömen zur
Blütezeit im Januar und Februar einen schwachen, nicht allen Menschen
angenehmen Geruch aus. Die Früchte sind einsamige, in reifem Zustande
braune Beeren mit einem dünnen Überzug von Fruchtfleisch.

Der Baum ist in allen seinen Teilen nützlich. Aus den Wurzeln kann
Kampfer gewonnen werden, das Holz nimmt eine schöne Politur an und
wird viel in der Tischlerei verwendet. Aus den Blättern, die wie
Gewürznelken schmecken und einen aromatischen Geruch ausströmen, wenn
sie zerquetscht worden, wird ein geschätztes Parfüm destilliert; ein
weniger beliebtes Parfüm liefern die Blüten. Durch Auskochen kann
aus den Früchten Pflanzentalg gewonnen werden. Die Rinde dient als
geschätzte Arznei und Gewürz. Aus den Schößlingen endlich werden
Spazierstöcke verfertigt.

In seiner Heimat Ceylon wurde der Zimt bis zum Jahre 1770
ausschließlich von wildwachsenden Bäumen gewonnen. Seitdem wird er
durch Samen oder Stecklinge in Plantagen kultiviert, die jährlich
behackt und sorgfältig von Unkraut freigehalten werden. Dadurch wird
eine viel bessere Qualität als die von Wildlingen erzielt; doch eignet
sich zu seiner Kultur nur ein 20 km breiter Küstenstreifen im Südwesten
der Insel bis zu 500 m Meereshöhe. Die Anbauversuche in anderen
Tropengebieten haben vielfach fehlgeschlagen; nur das Kamerungebiet
scheint in einer Höhe von 500-1000 m günstige Verhältnisse darzubieten.
Am besten geeignet zu seiner Kultur ist sandiger, mit Humus
vermischter, kieselsäurereicher Boden; nur auf ihm erzeugt er eine
hellfarbige, dünne, aromatische Rinde. Wie anderer, besonders zu fetter
und zu nasser Boden, so beeinträchtigt auch zu üppiges, ebenso ein
kümmerliches Wachstum die Qualität der Rinde, die dann dunkler, dick
und arm an Aroma wird. Meist geschieht der Anbau des rascheren Ertrages
wegen durch Stecklinge, die man 3 m weit auseinander in Reihen,
zwischen denen Gänge hindurchführen, pflanzt. Den jungen Sträuchern ist
eine leichte Beschattung nötig. Haben die Stämmchen nach 3-4 Jahren
eine Länge von gegen 3 m erreicht, so werden sie 10-15 cm über dem
Boden abgeschnitten. Diese Erstlingsernte steht an Menge erheblich und
auch an Güte etwas den folgenden Ernten nach. Aus dem Stumpf treibt
nun bald eine ganze Anzahl von Schößlingen aus, von denen man aber nur
vier bis sechs sich entwickeln läßt. Nach 1½-2 Jahren werden auch diese
geerntet, sobald die grünlichgraue Farbe der Rinde beginnt, einen
bräunlichen Ton anzunehmen. Die Arbeiter in den Zimtplantagen haben
auch sonst noch allerlei Merkmale, an denen sie den richtigen Zeitpunkt
der Ernte erkennen. Zweimal im Jahr, jedesmal nach der Regenzeit, wenn
der Saftumlauf in den Zimtbäumen den höchsten Grad erreicht hat, werden
die Pflanzungen besichtigt und ihre reifen Schößlinge ausgehauen. In
Ceylon sind Mai-Juni und Oktober-November die beiden Erntemonate für
Zimt, und zwar wird dem Mai der Vorzug gegeben, weil die Schößlinge
dann saftreicher sind und sich infolgedessen leichter schälen lassen.

Mit einem Haumesser bewaffnet durchsuchen die Arbeiter die
Zimtpflanzung nach reifen Schößlingen, die ungefähr 1,5 cm Durchmesser
besitzen. Bevor solche abgeschlagen werden, ritzt man die Rinde an
einer Stelle mit dem Fingernagel, um zu sehen, ob sie sich leicht vom
Holz löst. Bleibt die Rinde zäh am Holz hängen, so wird der betreffende
Schößling geschont, bis er, wenn möglich, das nächste Mal ein
befriedigenderes Resultat liefert, oder, falls dies nicht der Fall und
der richtige Zeitpunkt der Ernte überschritten ist, dennoch abgehauen
und als alte Rinde in die Destillerie gegeben wird.

Jeder Arbeiter schneidet soviel Stücke ab, als er in einem Bündel zu
tragen vermag. Dann werden die abgehauenen Schößlinge in der Plantage
selbst von den Blättern und kleinen Zweigen befreit und nach einem
Schuppen gebracht, wo sie in der Weise geschält werden, daß in ihre
Rinde zwei Längsschnitte an einander gegenüberstehenden Stellen und
außerdem in Abständen von 30-50 cm einige Rundschnitte gemacht werden.
Mit Hilfe eines kleinen, sichelförmigen Messers, das zwischen Holz
und Rinde geschoben wird, geht dann das Schälen leicht von statten.
Bleibt die Rinde an einer Stelle hängen, so reibt man sie an der
betreffenden Stelle auf der Außenseite mit dem Messerstiel so lange,
bis sie sich löst. Mehrere der Rindenstücke werden dann ineinander
gesteckt, diese Ruten dann zu dicken Bündeln zusammengeschnürt, diese
auf Haufen gelegt und mit Tüchern bedeckt, um wenigstens 24 Stunden
so zu verbleiben. Dadurch tritt eine Art Gärung ein, welche das
Abschaben der geruch- und geschmacklosen äußeren Rindenschicht oder
Borke sehr erleichtert. Dieses Abschaben geschieht vermittelst des
vorhin erwähnten gekrümmten Messers. Dabei werden die Rindenstücke
mit der Innenseite auf einen glatten Stab gelegt, der eine solche
Dicke hat, daß das Rindenstück glatt auf ihm aufliegen kann. Diese
Arbeit erfordert viel Geschicklichkeit und Übung; denn, wenn ein Rest
von Borke zurückbleibt, gewinnt der Zimt einen bitteren Geschmack.
Andererseits dürfen keine Löcher in die Rinde geschabt werden, trotzdem
sie oft auf nur ¼ mm Dicke gebracht werden muß. Nachdem die geschabten
Stücke oberflächlich getrocknet sind, werden sie zu etwa 1 m langen
Ruten zusammengesteckt (lateinisch ~canella~ Röhrchen genannt, weshalb
der Zimt die Bezeichnung Kaneel erhielt), oben und unten auf die
richtige Länge geschnitten, auf Regalen getrocknet, wobei sich die
einzelnen Rindenstücke zur Form eines Zylinders zusammenrollen und
die Rute einige Festigkeit erhält. Zuletzt wird der Zimt sortiert
und zur Verschiffung in ungefähr 45 kg schwere Ballen verpackt. Die
minderwertige Rinde und aller Abfall, bisweilen sogar die Blätter,
wandern in die Destillerie, um das als Heilmittel wichtige Zimtöl
daraus zu gewinnen. In Ceylon, dessen Zimtkulturen fast den gesamten
Zimtbedarf der Erde decken, rechnet man auf das Hektar etwa 180 kg
marktfertigen Zimt; doch kann dieser Betrag bei sorgfältiger Pflege
und Erntebereitung erheblich überschritten werden. Der Ceylonzimt
ist weitaus der beste, da der ceylonische Zimtbaum bei der Kultur in
anderen Ländern überall ausartet. Der nach dem Verschiffungshafen
Tellichery an der Malabarküste genannte südindische Zimt ist auch sehr
gut. Zweiter Güte ist der javanische und dritter der amerikanische Zimt
aus Französisch-Guiana und Brasilien. Bis jetzt haben die Anbauversuche
dieses Gewürzbaumes weder in Kamerun, noch in Deutsch-Ostafrika, wo er
ganz gut gedeiht, nennenswerte Erträge gebracht.

Die ceylonischen Zimtgärten nehmen ungefähr 13500 Hektare ein, und
liefern jährlich etwa 900000 kg Zimt im Werte von 9 Millionen Mark.
Von der Ausfuhr gehen 80-90 Prozent nach England. Cochinchina baut
nordwestlich der Stadt Taifu etwa 150000 kg Zimtrinde, die meist
die Chinesen an sich ziehen. Im ganzen dürfte die jährliche Ernte
echten Zimts 1,5 Millionen kg nicht überschreiten. Feiner Ceylonzimt
wird in London durchschnittlich mit 2 Schilling (2 Mark) das Pfund
bezahlt, während Zimt anderer Herkunft nur 10 Pence (0,85 Mark) gilt.
Kassienzimt ist um vier Fünftel billiger als Ceylonzimt.

Dieser letztere, meist nur +Kassia+ genannt, stammt von verschiedenen,
dem echten Zimtbaum sehr ähnlichen, nur etwas größer und kräftiger
werdenden Verwandten derselben Gattung ~Cinnamomum~, die in
Hinterindien und Südchina wild wachsen und dort, wie auch in
Ostindien und dem malaiischen Archipel, neuerdings auch in Süd- und
Mittelamerika kultiviert werden. Die häufigst angepflanzte Art ist
~Cinnamomum cassia~. Dieser Baum wird in derselben Weise, nur nicht
so sorgfältig wie der echte Zimt kultiviert. Er findet sich außer
in Cochinchina besonders in den südchinesischen Provinzen Kuang-si,
Kuang-tung und Kuei-tschou angepflanzt. Von hier stammt weitaus der
größte Teil der als chinesischer Zimt bezeichneten Kassia, den die
Kulturländer verbrauchen. Nächstdem kommt Bengalen und Malabar in
Britisch-Indien und Java und Sumatra in Holländisch-Indien. Gute Kassia
ist ein billigerer Ersatz des teuren, echten Ceylonzimts und wird
häufig unter dessen Namen in den Handel gebracht. Sie ist dicker und
kräftiger als Zimt, bricht kürzer, schmeckt beißender und ist ärmer an
Aroma. Diese Unterschiede verschwinden um so mehr, je feiner die Kassia
und je geringer der Zimt ist. Besonders in gemahlenem Zustand wird
Kassia sehr häufig als Zimt verkauft, oder kommt mit Zimt vermischt als
reiner Zimt in den Handel. Die +Kassiablüten+ haben einige Ähnlichkeit
mit den Gewürznelken, sind nur etwas kleiner. Sie stellen die in der
Sonne getrockneten, ganz jungen Früchte des besonders in Südjapan
kultivierten ~Cinnamomum dulce~ bald nach dem Verblühen der Blüten
dar und werden gleicherweise wie die Rinde als Arznei und Gewürze
verwendet. Als Zimtnägelein standen sie im Mittelalter hoch im Preise
und wurden besonders zur Herstellung des als Hippokras bezeichneten
Würzweins benutzt. Die Kultur und Ernte der Zimtkassia ist ganz analog
derjenigen des echten Zimts.

Die Kassia wird seit Urzeiten vom alten Kulturvolke der Chinesen
als geschätzte Arznei und Würze verwendet. Schon in einem auf den
chinesischen Kaiser Schen-nung ums Jahr 2800 v. Chr. zurückgeführten
Kräuterbuche wird sie unter dem Namen ~kwai~ angeführt, der sich in
China unverändert bis heute für Zimt erhalten hat. Sie ist es auch,
welche unter dem heute noch gebräuchlichen Namen ~kasia~ neben dem
echten Zimt schon im frühen Altertum auf dem Seewege an die Küsten
des Roten Meeres gebracht und von dort aus an die Kulturvölker im
Bereiche des östlichen Mittelmeerbeckens weiter verhandelt wurde. In
einem uralten, an der Wand des Laboratoriums des Tempels von Edfu (18.
Dynastie 1580-1350 v. Chr.) in Hieroglyphen eingemeißelten Rezept zu
heiligem Räucherwerk wird Zimt als ~kainamaa~ aufgeführt. Und als die
unternehmende Tochter und Erbin des ägyptischen Königs Thutmosis I.,
Hatschepsut, die mit ihrem Halbbruder Thutmosis II. verheiratet war
und nach dessen Tode von 1516-1481 v. Chr. selbständig über Ägypten
herrschte, im 9. Jahre ihrer Regierung eine Expedition von fünf
Schiffen nach dem Lande Punt (Südarabien) sandte, brachte diese außer
Weihrauch, Gold und Elfenbein auch Zimt in größerer Menge nach der
Residenz Theben mit. Da nun im Lande Punt kein Zimt wuchs, müssen ihn
indische Handelsschiffe dahin gebracht haben.

Zu Ende des zweiten vorchristlichen Jahrtausends war der Zimt als
kostbarer Handelsartikel Vorderasiens auch den Juden und den Phönikiern
unter dem Namen ~kinnamon~ bekannt. So lesen wir in dem zur Zeit der
israelitischen Könige, deren drei erste Saul (1055 bis 1033 v. Chr.),
David (1033-993) und Salomo (993-953) waren, verfaßten Pentateuch im
2. Mose 30, 22 u. f. welche Wertschätzung dieses ferne Produkt Indiens
bei den ältesten Juden besaß. Dort heißt es: „Und der Herr (Jahve)
redete mit Mose (am Sinai um 1280 v. Chr.) und sprach: Nimm zu dir die
besten Spezereien 500 (Sekel) und Zimt halb soviel, nämlich 250, und
Kalmus auch 250, und Kassia 500 nach dem Sekel des Heiligtums und Öl
vom Ölbaum 1 Hin, und mache ein heiliges Salböl nach der Apothekerkunst
und salbe damit die Hütte des Stifts und die Lade des Zeugnisses,
den Tisch mit all seinem Geräte, den Leuchter mit seinem Geräte, den
Räucheraltar, den Brandopferaltar mit all seinem Geräte und das Handfaß
mit seinem Fuß; und sollst sie also weihen, daß sie das Allerheiligste
seien, denn wer sie anrühren will, der soll geweiht sein. Und sollst
mit den Kindern Israels reden und sprechen: Dieses Öl soll mir eine
heilige Salbe sein bei euren Nachkommen. Auf Menschen soll es nicht
gegossen werden, du sollst auch seinesgleichen nicht machen; denn es
ist heilig, darum soll’s euch heilig sein. Wer ein solches (Öl) machet
oder einem andern davon gibt, der soll von seinem Volk ausgerottet
werden.“

Dann findet sich der Zimt in der den Sprüchen Salomos nachgeahmten
„Weisheit Jesu, des Sohnes Sirach“, die ein gelehrter jüdischer
Priester von angesehener Lebensstellung ums Jahr 180 v. Chr. in
Alexandrien in griechischer Sprache verfaßte, und in der im Jahre 68
auf 69 n. Chr. in Ephesus ebenfalls griechisch abgefaßten Offenbarung
des Johannes erwähnt, und zwar in letzterer Schrift dort, wo von den
Waren die Rede ist, die die Kaufleute Babylons verkaufen: Silber,
Gold, Edelstein, Perlen, Seide, Purpur und Scharlach, Zimt, Weihrauch,
Thymian, Salben, Wein, Öl, Weizen, Vieh usw.

Phönikische Kaufleute brachten den Zimt unter der von ihnen dafür
gebrauchten Bezeichnung kinnamon zu den Griechen und müssen
ihnen dabei recht abenteuerliche Geschichten über dessen Herkunft
und Gewinnung erzählt haben; denn gleich der erste griechische
Schriftsteller, der diese kostbare, als Gewürz und Arznei
gleich hochgeschätzte Droge erwähnt, der Vater der griechischen
Geschichtschreibung Herodot (484 bis 424 v. Chr.), der selbst Ägypten,
Syrien und Babylonien bereiste, schreibt über ihn: „Die Araber sind
nicht imstande anzugeben, in welchem Lande der Zimt (~kinnámōmon~)
wächst, doch vermuten einige, er wachse in den Ländern, in denen
Dionysos (der angeblich aus Indien stammende, über Kleinasien nach
Griechenland gekommene orientalische Gott des Natursegens und der
bei seinen Festen zum Ausdruck kommenden ausgelassenen Lebensfreude)
erzogen worden. Große Vögel brächten die Späne herbei, welche die
Phönikier ~kinnámōmon~ nennen, welchen Namen wir von ihnen entlehnt
haben. Die Vögel trügen den Zimt in ihre an unzugängliche Felsen
gebauten Nester. Um ihn nun von da zu bekommen, legten die Araber große
Stücke Fleisch von krepierten Rindern, Eseln usw. unter die Felsen
und versteckten sich dann. Die Vögel trügen die Fleischstücke in ihre
Nester und überlüden sich so damit den Magen, daß sie herunterstürzten,
worauf der Zimt gesammelt und nach den anderen Ländern hin verhandelt
würde.“

Noch Aristoteles (384-322 v. Chr.), seit 343 Lehrer Alexanders des
Großen, -- sein Vater Nikomachos war in Stagira in Makedonien Leibarzt
und Vertrauter des Königs Amyntas II. von Makedonien gewesen -- meldet
uns solche zu seiner Zeit herum gebotene und geglaubte Märchen, indem
er in seiner Naturgeschichte sagt: „Das Zimtvögelchen soll in den
Gegenden, wo es heimisch ist, Zimt zusammentragen und sein Nest daraus
auf den Zweigen hoher Bäume bauen. Die Bewohner des Landes sollen es
von da mit Pfeilen, deren Spitze von Blei ist, herabschießen und so
den Zimt gewinnen.“ Sein Schüler Theophrast (390-286 v. Chr.) weiß
uns, nachdem inzwischen Alexander der Große seinen Zug nach Indien
ausgeführt hatte, schon Positiveres über den Zimt, wie auch über Kassia
zu berichten. Er schreibt in seiner Pflanzengeschichte: „Über Zimt
(~kinnámōmon~) und Kassia (~kasia~) berichtet man folgendes: Beide
sollen Sträucher von unbedeutender Höhe, dabei dem Keuschbaum (~ágnos~,
~Vitex agnus castus~) ähnlich sein und viele holzige Zweige haben. Wenn
man den ganzen Zimtbaum fällt, so soll man ihn in fünf Teile teilen.
Die jungen Triebe sollen den besten Zimt geben und man schneidet davon
Stücke eine Spanne lang oder wenig länger. Was darunter folgt gibt
die zweite Sorte und wird kürzer geschnitten; dann folgt die dritte
und vierte Sorte. Die letzte Sorte ist der Wurzel am nächsten und die
schlechteste; denn da ist wenig Rinde. Überhaupt wird nur die letztere
gebraucht, nicht das Holz. Deswegen sind eben die Zweige am besten;
denn sie haben die meiste Rinde.

Andere behaupten ebenfalls, es seien Sträucher, aber es gebe eine
weiße und schwarze Sorte. Es geht auch die Sage, daß sie in Schluchten
wachsen, worin viele Schlangen leben, deren Biß tödlich ist. In diese
Schluchten gehe man zum Sammeln des Zimts mit geschützten Händen und
Füßen. Das Gewonnene teile man in drei Teile, bestimme den einen für
den Sonnengott und entscheide durch das Los, welchen er bekommen solle.
Gehen die Leute fort, so soll der dem Sonnengott zuteil gewordene Zimt
sogleich verbrennen. Das ist aber natürlich nur Fabel.

Von der Kassia sagt man, sie habe dickere Ruten, deren Rinde man
nicht abschälen könne. Deswegen verfahre man, da man auch von ihr nur
die Rinde will, folgendermaßen: Man schneidet die Ruten in Stücke,
welche zwei Finger lang oder etwas länger sind. Diese näht man in eine
frische, abgezogene Tierhaut; dann erzeugten sich aus der Fäulnis der
Haut und des Holzes Würmer, die das Holz wegfräßen, die Rinde aber
wegen ihres scharfen Geruches und ihrer Bitterkeit nicht anrühren.“

Um 50 v. Chr. berichtet uns der griechische Geschichtschreiber Diodoros
aus Sizilien in seinem Geschichtswerk: „In Arabien wachsen Costus,
Kassia, Zimt und andere Herrlichkeiten in solcher Menge, daß man dort
Dinge, die man bei uns nur sparsam auf die Altäre der Götter legt, zum
Heizen der Kochherde verwendet, und daß Dinge, die man anderwärts nur
in kleinen Proben sieht, dort als Streu für die Leute gebraucht werden.
Namentlich wächst in Arabien der sogenannte Zimt, ein ausgezeichnet
nützlicher Stoff, nebst Gummi und wohlriechendem Terpentin in
unermeßlichem Überfluß.“

Auch der 25 n. Chr. gestorbene griechische Geograph Strabon, der weite
Reisen durch das Römerreich machte, war noch im Wahn befangen, daß
das Glückliche Arabien, das doch nur den Zimt und die anderen Gewürze
von Indien her bezog, solchen selbst hervorbringe. Er sagt in seinem
Geographiebuch: „Im arabischen Gewürzland soll Weihrauch und Myrrhe
von Bäumen, Kassia aber von Sträuchern gewonnen werden, die meiste
Kassia jedoch, wie manche behaupten, aus Indien. Es wächst in diesem
Gewürzland auch Zimt und Narde; den meisten Wein gewinnt man dort
von Palmen.“ Und an einer anderen Stelle schreibt er: „Daß der Nil
zu der Zeit schwelle, wo das oberhalb Ägyptens liegende Negerland
von Platzregen überschwemmt wird, hat man von Leuten erfahren, die
im Arabischen Meerbusen bis zum Zimtlande geschifft sind, oder von
solchen, die von den Ptolemäern auf die Elefantenjagd ausgesandt
wurden.“

Der um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. lebende griechische Arzt
Dioskurides zählt verschiedene Sorten Zimt und deren Eigenschaften auf
und meint, die beste müsse eigentümlich wohlriechen und scharf, fast
beißend und erhitzend schmecken. Er werde als Arznei, als Parfüm für
Salben und sonst zu gar mancherlei Zwecken gebraucht. Sein Zeitgenosse
Plinius, der 79 n. Chr. beim Vesuvausbruch umkam, war schon besser
als seine griechischen Vorgänger unterrichtet. Er schreibt in seiner
Naturgeschichte: „Zimt (~cinnamomum~) und Kassia (~casia~) trägt
Arabien nicht. Übrigens haben die alten Schriftsteller und namentlich
Herodot über den Zimt allerlei Fabeln berichtet, so z. B. daß er in
der Heimat des Bacchus von unzugänglichen Felsen und Bäumen aus dem
Neste des Vogels Phönix teils durch das Gewicht hineingetragenen
Fleisches herabgestürzt, teils mit Pfeilen herabgeschossen werde.
Ferner müsse man an den dortigen Sümpfen, um die Kassia zu gewinnen,
gegen die Krallen gräßlicher Fledermäuse und gegen geflügelte Schlangen
kämpfen. Das sind nun lauter Fabeln, durch die man den Preis der
Ware zu steigern suchte. Es schließt sich an die genannte Sage noch
eine zweite, daß nämlich durch die Hitze der südlichen Sonne auf der
ganzen Halbinsel ein unbeschreiblicher Wohlgeruch erzeugt werde, in
welchem sich die Würze und Balsamdüfte so vieler Pflanzen vereinten,
daß z. B. die Flotte Alexanders des Großen auf hohem Meere die Nähe
Arabiens zuerst durch den Geruch entdeckt habe. Lauter Erdichtung!
Denn Zimt und Kassia wachsen im Lande derjenigen Neger, welche mit den
Troglodyten verwandt sind. Die Troglodyten kaufen den Zimt von ihren
Nachbarn und verhandeln ihn weithin übers Meer auf Flößen, welche weder
durch Steuerruder gelenkt, noch durch Ruder oder Segel in Bewegung
gesetzt, ja nicht einmal durch den Verstand der Menschen regiert
werden, sondern nur auf gut Glück drauflos fahren. Sie gehen übrigens
Mitte Winters in See, zur Zeit da vorzüglich Südostwinde wehen. Diese
treiben sie geradewegs durch die Meerbusen hin, und nach der Fahrt um
das Vorgebirge führt sie der Westsüdwest in den Hafen der Gebaniter,
welcher Ocilia heißt. So kaufen denn die Gebaniter vorzugsweise den
Zimt auf und sagen, die Zimtverkäufer kämen in fünf Jahren kaum
einmal und viele von ihnen verunglückten. Für den Zimt tauschen die
Troglodyten Glas- und Bronzewaren, Kleider, Spangen und Geschmeide ein.

Der Zimtstrauch wird höchstens 2 Ellen, mindestens aber 1 Hand hoch
und sieht wie vertrocknet aus. So lange er grün ist, hat er keinen
Wohlgeruch; er hat Blätter wie der Dosten (~origanum~), steht gerne
trocken, wächst bei starkem Regen schlecht, verträgt den Schnitt gut.
Er wächst in Ebenen, aber zwischen dichtem Dornengebüsch, so daß man
ihm schwer beikommt. Die Ernte wird nur vorgenommen, wenn ein Gott es
erlaubt, welchen die Eingeborenen Assabinus nennen, manche aber für
den Jupiter halten. Die Erlaubnis zur Ernte gibt der Gott nur gegen
ein Opfer von 44 Rindern, Ziegen und Widdern. Vor Aufgang der Sonne
und nach deren Untergang darf nicht geschnitten werden. Der Priester
des Gottes teilt die Zweige mit einer Lanze, sondert den Anteil des
Gottes aus; das übrige verpackt der Kaufmann. Nach anderen Angaben
bekommt jener Gott ein Drittel, ein anderes die Sonne, ein Drittel der
Kaufmann. Über die drei Teile soll zweimal gelost werden; der Anteil
der Sonne soll von selbst in Flammen aufgehen. Am höchsten im Preise
stehen die Zweigenden, welche in Stücke von Handlänge geschnitten sind;
für geringer gelten die hinter jenen stehenden, kürzer geschnittenen
Stücke. Am wenigsten werden die der Wurzel zunächst stehenden Teile
geschätzt; denn sie haben am wenigsten Rinde, und gerade in der Rinde
liegt der Wert. Das Holz des Zimtstrauchs wird verachtet, weil es
scharf und nach Dosten riecht. Man nennt es ~xylocinnamomum~ und
bezahlt das Pfund mit 10 Denaren (6 Mark).

Manche unterscheiden eine hellere und eine dunklere Sorte von Zimt.
Früher gab man ersterer den Vorzug; jetzt gilt die dunkle und sogar die
gefleckte für besser. Am sichersten kann man den Zimt für gut erklären,
wenn er nicht rauh ist und wenn gegeneinander geriebene Stücke nur
langsam zerbröckeln. Weiche oder mit loser Oberhaut überzogene Stücke
achtet man gar nicht. Den Preis des Zimts bestimmt einzig der König der
Gebaniter. Das Pfund galt sonst 1000 Denare (600 Mark). Jetzt ist er
um die Hälfte im Preise gestiegen, weil die Barbaren, wie man erzählt,
ganze Wälder abgebrannt haben; aus welchem Grunde weiß man nicht
sicher. Es gibt auch Schriftsteller, welche behaupten, daß die Südwinde
im Zimtlande so heiß wehen, daß sie im Sommer die Wälder versengen.

Kaiser Vespasian (geb. 9 n. Chr., wurde 69 nach Othos Sturz von seinen
Legionen zum Kaiser ausgerufen, bestieg den Thron, nachdem sein
Legat Antonius Primus den Kaiser Vitellius gestürzt hatte, schloß 71
den Janustempel, starb 79) ist der erste gewesen, welcher in allen
Tempeln des Kapitols und im Friedenstempel in Gold gefaßte Zimtkränze
aufhing. Ich habe auch eine sehr schwere Wurzel des Zimtstrauches
im Palatinischen Tempel gesehen, den Augusta (dritte Gemahlin des
Augustus, 38 v. Chr. von Tiberius Claudius Nero geschieden, übte großen
Einfluß auf Augustus aus, sicherte ihrem Sohne Tiberius die Nachfolge
durch Wegräumung mehrerer Glieder des julischen Geschlechts, hieß
eigentlich Livia Drusilla, erhielt aber 14 n. Chr. im Todesjahre des
Augustus den Namen Julia Augusta, d. h. „die erhabene Julia“, starb 29)
ihrem Gemahl Augustus erbaut hat. Die Wurzel lag auf einer goldenen
Schale. Jahr für Jahr drangen Tropfen aus ihr hervor und verhärteten,
bis der Tempel von einer Feuersbrunst verzehrt wurde.“ Weiter berichtet
Plinius:

„Auch die Kassia ist ein Strauch, der auf Ebenen neben dem Zimte
wächst, auf Bergen aber stärkere Triebe bildet. Die Schale ist dünn,
bildet keine eigentliche Rinde und wird um so höher geschätzt, je
zarter sie ist, was sich beim Zimt gerade umgekehrt verhält. Der
Strauch wird 3 Ellen hoch und hat 3 verschiedene Farben. Schlägt er
aus, so ist er einen Fuß hoch weiß, einen halben Fuß höher rot, weiter
hinauf dunkelfarbig. Dieser Teil wird am höchsten geschätzt, der rote
geringer, der weiße gar nicht. Am wertvollsten ist die frische Kassia,
welche einen sanften Geruch und mehr einen brennenden, als allmählich
erwärmenden und sanft beißenden Geschmack hat, an Farbe purpurbraun,
an Gewicht leicht ist und kurze, nicht zerbrechliche Röhrchen bildet.
Man nennt diese Sorte mit einem ausländischen Namen lada, eine andere
heißt von ihrem balsamischen Geruch ~balsamodes~; sie ist aber bitter,
wird mehr von Ärzten gebraucht, wie die dunkelfarbige zu Salben. Keine
andere Ware hat so verschiedene Preise. So kostet das Pfund bester
Kassia 50 Denare (30 Mark), geringere nur 5 Denare (3 Mark).“

Neben Zimt und Kassia hat übrigens schon das Altertum aus Indien die
wohlriechenden Blätter und wohl auch die Rinde einer von uns als
+Mutterzimt+ (~Cassia tamala~) bezeichneten Kassienart bezogen, die
als ~malabáthron~ bei den Griechen und Römern als kostbares Parfüm
sehr beliebt waren. Aus ihnen wurde auch eine viel begehrte Salbe
hergestellt, die an Beliebtheit fast die berühmte indische Nardensalbe
erreichte. Der griechische Schriftsteller Arrianus, der im Jahre 136
unter Hadrian Präfekt von Kappadokien war und unter Mark Aurel starb,
sagt in seinem Bericht über die Umschiffung des Roten Meeres, daß
viele Schiffe nach dem am Südwestufer Indiens gelegenen Handelsplatz
Nelecynda fahren, weil dort Pfeffer und ~malabáthron~ in Menge und
besonderer Güte zu haben seien.

Wie diese kostbaren Gewürze vom Persischen Golf nach Babylonien
gelangten, so wurden sie über das Rote Meer und Alexandrien nach den
Mittelmeerländern ausgeführt. Und als später die Droge durch die
Wirren der Völkerwanderung immer seltener und unerschwinglicher wurde,
bedienten sich besonders die Ärzte ihrer als wertvolle Arznei. So
ging durch sie das lateinische ~cinnamomum~ ins mittelhochdeutsche
~cinment~, weiter Zimmet und schließlich das neuhochdeutsche Zimt über.
Ein großer Teil der Ware muß aber zu Beginn des Mittelalters aus China
bezogen worden sein, welche Tatsache allein uns den bei den Persern und
Arabern üblichen Ausdruck dar ~Chini~ (Holz von China) für Zimt und
Kassia erklärlich macht. Später nannten die Venezianer und Portugiesen
den Zimt wie jede aromatische Rinde ~canella~, welcher Ausdruck dann
als ~canelle~ ins Französische überging.

Die Zimtwälder um Kolombo auf Ceylon werden erst im Jahre 1340 von
dem 1302 in Tanger geborenen, bis China und Südasien vorgedrungenen
arabischen Reisenden Ibn Batuta erwähnt, der 1352 auch Timbuktu
besuchte und 1377 in Fes starb. Im Jahre 1444 beschrieb der
venezianische Kaufmann Nicolo Conto die Zimtbäume der von ihm als
Saillana bezeichneten Insel Ceylon, teilte aber nichts über die
Ausfuhr des Gewürzes mit. Erst der Portugiese Lorenzo da Almeida, der
im Hafen von Point de Galle Schiffe mit Zimt und Elefanten verladen
sah, berichtete darüber eingehend im Jahre 1505. Die Portugiesen, die
sich an der Küste Ceylons niederließen, legten zunächst auf diesen
Handelsartikel keinen großen Wert, wurden aber bald eines anderen
belehrt. So unterschied bereits 1536 Garcia da Orta den Zimt von Ceylon
von demjenigen der Philippinen und Java; der erstere war damals 40mal
teurer als die letzteren, im Jahre 1644 aber nur noch 5mal teurer.
Im Jahre 1546 erfahren wir aus einem Briefe des Florentiners Filippo
Sassetti an Franzesco I. di Medici, daß die Zweige regelmäßig alle drei
Jahre geschält würden. Zur Erlangung von Stockausschlägen wurden die
Bäume einfach gekappt. Dies und das Einsammeln der Rinde der wilden
Bestände, die vorzugsweise durch eine Drossel vermehrt wurden, welche
die reifen Beeren verzehrte und die unverdaulichen Samen in noch völlig
keimfähigem Zustande von sich gab, besorgten Angehörige einer
besonderen Kaste, die Chalias oder Zimtschäler.

    Tafel 75.

[Illustration:

    (~Copyright by F. O. Koch.~)

Zimtbaum auf Ceylon.

    (~Copyright by F. O. Koch.~)

Das Schälen der Zimtrinde.]

    Tafel 76.

[Illustration: Muskatnüsse.

(Nach Photographie von H. Schenck in „Karsten u. Schenck,
Vegetationsbilder“.)

Gewürznelkenbäume (~Caryophyllus aromaticus~) auf Zanzibar.

(Nach Photographie von Busse in „Karsten u. Schenck,
Vegetationsbilder.“)]

Bis zur Ansiedelung der Portugiesen, die seit 1505 einen regelmäßigen
Verkehr mit der Insel unterhielten, war der Zimthandel ein
einträgliches Monopol der einheimischen Könige, deren Geschlecht aus
Nordindien stammte und seit 543 v. Chr. die Singalesen beherrschte.
Als die Portugiesen sich der Küste Ceylons im Jahre 1580 bemächtigten,
legten sie den Herrschern im Innern einen Tribut von 125000 kg Zimt
auf und versprachen ihnen dafür die Hilfe Portugals. Bald aber machten
sie sich so verhaßt, daß der König von Kandy die Holländer gegen
sie zu Hilfe rief. Diesen hatte schon Philipp II. den Handel mit
Lissabon untersagt; so versuchten sie, sich den Zimt auf direktem
Wege zu verschaffen. Im Jahre 1596 kamen die ersten wohlbewaffneten
holländischen Handelsschiffe in den Indischen Ozean und 1632 begann
die Verdrängung der Portugiesen von Ceylon, die 1658 eine vollständige
und dauernde war. Sofort erhoben die Holländer den Zimt zu ihrem
ausschließlichen Monopol. Die arme Kaste der Chalias oder Zimtschäler
wurde schwer bedrückt. Jedes Mitglied derselben mußte vom 12. Jahre
an einen Pingo, d. h. 28 kg Zimtrinde während einer Ernte abliefern
und im Laufe der Jahre stieg die Menge sogar auf 303 kg! Die
Gegenleistung bestand in Befreiung von Steuern und kleinen Rationen an
Reis. Begreiflicherweise suchten die Chalias sich dieser unwürdigen
Behandlung durch Flucht in die Berge zu entziehen. Dafür mußten die
Zurückbleibenden um so anstrengender arbeiten. Niemand sonst durfte
Zimtbäume pflanzen oder Zimt schälen. Jeder Grundbesitzer mußte es dem
holländischen Beamten melden, wenn er auf seinem Grund und Boden eine
Zimtpflanze entdeckt hatte. Verheimlichung wurde sehr strenge, unter
Umständen mit dem Tode bestraft. Die kleinsten Veruntreuungen beim
Einsammeln der Rinde brachten Täter wie Hehler unerbittlich den Tod.

Ein Jahrhundert lang zogen die Holländer aus dem Zimtmonopol einen
reichen Gewinn, der manchmal 7 Millionen Mark im Jahre überstieg. Die
meisten Zimtbäume befanden sich auf dem Gebiete des Königs von Kandy.
Wenn dieser aber feindselig auftrat, sank die Einnahme bedeutend und
brachte nur etwa 1 Million Mark ein. Um sich nun von den Launen dieses
Herrschers unabhängig zu machen, schlug ein Einnehmer des Distrikts
Kolombo namens de Koke dem holländischen Gouverneur Falk im Jahre 1765
vor, den Zimtbaum auf eigenem Gebiete zu pflanzen. Anfangs wies der
Große Rat in Batavia diesen Vorschlag zurück; doch waren die Vorteile
zu verlockend, so daß man sich endlich zu einer Einwilligung verstand.
Die Ausführung war indessen nicht leicht. Die Häuptlinge behaupteten,
daß kultivierter Zimt minderwertig sei; auf ihr Betreiben hin
widersetzten sich dieser Neuerung auch die Eingeborenen. Schließlich
drang die holländische Regierung mit ihren Forderungen doch durch, aber
die Eingeborenen suchten den Kulturen insgeheim zu schaden, indem sie
dieselben mit heißem Wasser begossen oder anderweitig die Pflänzlinge
zu ruinieren suchten. Nur drakonische Strenge sicherte das Unternehmen.
So wurde jedes Zerstören von jungen Pflanzen mit Abhauen der rechten
Hand bestraft. Bald versuchten die Holländer mit etwa 200000 kg
Zimtrinde, die sie aus den eigenen Kulturen gewannen, den gesamten
europäischen Bedarf zu decken, ohne Bezüge der Ernte aus dem Königreich
Kandy im Innern der Insel machen zu müssen. Dabei sorgten sie durch
gewaltsame Mittel dafür, daß die hohen Preise dieser Droge nicht etwa
durch Überproduktion herabgedrückt wurden. Vor allem beschränkten sie
die Kulturbäume auf eine bestimmte Anzahl und ließen in gesegneten
Jahren stets einen Teil der zu reichlichen Ernte ins Meer werfen oder
verbrennen. Auch im Mutterlande räumte man, um eine Preisdrückerei zu
verunmöglichen, im Übermaß sich ansammelnde Vorräte durch Verbrennen
hinweg; lieber sollte die Arbeit ganz umsonst gewesen sein, als daß man
sich selbst seinen Volksgenossen gegenüber zu einer Verbilligung der
Ware herabließ. So berichtet der Franzose Beaumaré, er sei im Juni 1760
Augenzeuge davon gewesen, wie man beim Admiralitätsgebäude in Amsterdam
zwei Tage nacheinander -- abgesehen von Muskatnuß -- für zusammen
etwa 16 Millionen Livres Zimt verbrannt habe, was einen köstlichen
Wohlgeruch über das ganze Land verbreitete.

Im Kriege mit den Holländern besetzten die nach den Zimtgärten jener
lüsternen Engländer 1795 Ceylon, das ihnen 1802 im Frieden von Amiens
regelrecht abgetreten wurde. Sie fanden die Zimtkulturen im blühendsten
Zustande und nutzten sie als Erben der alten Machthaber in derselben
Weise wie jene aus. Die englisch-ostindische Handelsgesellschaft
übernahm das höchst einträgliche Monopol und führte es im Sinne der
Holländer weiter. Der erste Gouverneur, North, erließ sogar eine
Verordnung, durch welche nicht nur Neuanlagen verboten wurden, sondern
auch die bereits bestehende Anzahl der Zimtgärten eine Einschränkung
erfuhr. 1815 kam nach Beseitigung des bis dahin noch regierenden
Eingeborenenfürsten die ganze Insel unter die Administration der
englischen Krone, die das Zimtmonopol bis 1833 aufrechterhielt, dann
aber aufgeben mußte, da der Zimtbaum inzwischen durch die Holländer
auf Sumatra, Java und Borneo und durch die Franzosen auf Isle de
France (dem heutigen Mauritius), Bourbon und in Cayenne angesiedelt
worden war, ohne allerdings dort das vorzügliche Produkt wie in Ceylon
zu geben, das heute mit seiner höchst aromatischen Rinde noch immer
den Weltmarkt beherrscht. Wenn nun auch die englische Regierung das
Zimtmonopol notgedrungen aufheben mußte, so belegte sie dafür den
Zimt 1833 mit einem sehr hohen Zoll von 200 Prozent; erst im Jahre
1853 wurde dieser aufgehoben und der Zimtbaum und der Handel mit
dessen Rinde freigegeben, worauf sich die Zimtgärten auf der Insel
wieder vermehrten. Doch haben neuerdings andere Kulturen den Zimt auf
Ceylon zurückgedrängt, so daß China, das schon zu Anfang des vorigen
Jahrhunderts durch Anbau von Zimt und Kassia im großen England scharfe
Konkurrenz gemacht hatte, jetzt den meisten Zimt liefert.

Erst in der Gegenwart ist diese Droge, die früher in der Arzneikunde
und feinen Küche eine sehr viel wichtigere Rolle spielte als heute,
billig und damit jedermann zugänglich geworden. Noch im späten
Mittelalter war dies nicht der Fall. Es sei hier nur an jene mehrfach
von Malern geschilderte Begebenheit erinnert, da Kaiser Karl V., „in
dessen Reich die Sonne nicht unterging,“ im Frühling 1530, von Italien
zurückkehrend, den in den Grafenstand erhobenen reichen Kaufherrn Jakob
Fugger in Augsburg besuchte. Dieser damals reichste Mann Deutschlands
hatte dem trotz seines gewaltigen Länderbesitzes und seiner reichen
Einnahmen nur zu oft in Geldnöten steckenden Kaiser gegen Schuldschein
eine sehr bedeutende Summe geliehen. Als dieser sich bei seinem Besuche
entschuldigte, daß er dem Kaufmanne das Geld noch nicht zurückerstattet
habe, fröstelte ihn und er begann über den Unterschied des deutschen
und italienischen Klimas zu sprechen. Da brachte der reiche Jakob
Fugger einige Bündel der überaus kostbaren indischen Zimtrinde herbei,
legte sie in den Kamin, des Kaisers Schuldschein darauf und zündete das
an. Das war in den Augen der Zeitgenossen nicht nur ein fürstliches
Geschenk, sondern die größte Ehre, die er dem Kaiser erweisen konnte;
denn damals kostete ein Lot (15 g) Zimt etwa 10 Mark.

[Illustration: Bild 41.

Blütenzweig und Frucht eines weiblichen Muskatnußbaums (~Myristica
fragrans~).]

Viel mehr geschätzt als heute war im Mittelalter neben Pfeffer und
Zimt auch die +Muskatnuß+, die von einem den Zimtbäumen weitläufig
verwandten, 10-15 m hohen, immergrünen, in allen seinen Teilen stark
aromatisch riechenden Baume (~Myristica fragrans~) stammt. Er wuchs
ursprünglich wild auf den Bandainseln in den Molukken und einem Kranz
darum gelegener kleiner Inseln. Heute existiert er jedoch nur noch
als Kulturform. Die sehr große Krone sitzt auf einem bis 70 cm dicken
Stamme, dessen schmutzig olivengrüne Rinde und rötliches Mark einen
Saft besitzen, der durch Berührung mit der Luft rot wird. Es gibt von
ihm männliche und weibliche Bäume, die an den reich verästelten Zweigen
bis 10 cm lange, länglicheiförmige, dunkelgrüne, glatte, lederige,
kurzgestielte Blätter tragen und aus den Blattwinkeln die unscheinbaren
Blüten hervorbrechen lassen. Die männlichen Blüten bilden Rispchen
mit einfacher weißer Blütenhülle, während die gelblichen weiblichen
einzeln stehen und innerhalb der etwas kleineren, dreizähnigen Hülle
einen einfächerigen Fruchtknoten besitzen, der eine einzige Samenanlage
umschließt. Die äußerlich einigermaßen einem Pfirsich ähnliche Frucht
ist eine kugelige, zuerst grüne, dann leuchtend ockergelbe, hängende
Beere von 3-7,5 cm Durchmesser, deren äußeres Fruchtfleisch sich bei
der Vollreife spaltet und den fleischigen, in längliche Lappen sich
teilenden, karminroten Samenmantel erblicken läßt, der den nußartigen
Samen umschließt und, getrocknet, wobei er allerdings seine schöne
Farbe einbüßt und goldgelb wird, als +Macis+ oder +Muskatblüte+ in
den Handel gelangt. Der darunter liegende nußartige Samen besitzt
unter einer dünnen, harten, holzigen Schale einen Kern, der getrocknet
die bekannte Muskatnuß bildet, die außer einem ätherischen Öl, dem
Muskatnußöl, ein Fett, die Muskatnußbutter enthält, die ausgepreßt
werden kann. Die Muskatnuß zeigt auf ihrer Oberfläche die Furchen,
die von den Lappen des Samenmantels hervorgebracht werden, und die
marmorierte Zeichnung in ihrem Innern rührt davon her, daß das
Nährgewebe des Samens tief zerklüftet ist; und gerade in diesen
Klüften befindet sich in einer bräunlichen Substanz das aromatische
Muskatnußöl, nebst der Butter, die zusammen 33 Prozent ihres Gewichtes
ausmachen. Sie werden durch Pressen der erwärmten Samen in Form einer
bräunlichen, stark muskatnußartig riechenden Masse gewonnen, die häufig
in den Apotheken Verwendung findet.

Nächst einer gleichmäßigen, hohen Temperatur verlangt der Muskatnußbaum
viel Feuchtigkeit im Boden und in der Luft und eine nährstoffreiche,
lockere Erde, wie sie der durch Verwitterung von trachytischer Lava und
vulkanischem Sande entstandene sandiglehmige, humusreiche Boden seiner
Heimat aufweist. Er verleugnet niemals seine Waldbaumnatur, indem er
sein ganzes Leben in der wasserdampfgeschwängerten Luft des Urwaldes,
oder wenigstens im Schatten von Nachbarbäumen stehen will. Auf den
Bandainseln gibt man ihm durchwegs den hohen gemeinen Canarienbaum
(~Canarium commune~) als schattenspendenden Gesellschafter. Dieser
ist auf den Molukken heimisch, seine Fruchtkerne werden wie süße
Mandeln gegessen und sein Harz dient zur Herstellung von Fackeln. Der
Muskatnußbaum wird in von Bananen beschatteten Beeten, die sorgfältig
von Unkraut und Ungeziefer rein gehalten werden müssen, aus den Samen
gezogen und, wenn er 0,8-1,0 m hoch geworden ist, in Abständen von
6-8 m an seinen bleibenden Standort versetzt, an welchem durch
vorheriges Pflanzen jener größeren Schattenbäume für die Abhaltung
allzu großen Sonnenbrandes gesorgt wurde. Dabei pflanzt man auf 20
weibliche Bäume, die ja einzig Frucht tragen, einen männlichen, der zu
deren Befruchtung dient. Die weitere Pflege und das Beschneiden des
Baumes, das nicht allzu ausgiebig erfolgen darf, da er sehr empfindlich
gegen Verwundungen ist, geschieht vollständig wie beim Kakaobaum. Bei
guter Pflege wird der Muskatnußbaum im achten Jahre tragbar, erreicht
aber erst im 14. bis 16. Jahre seine Vollkraft, die er ungefähr 30
Jahre lang bewahrt. Dann geht er seiner Erschöpfung entgegen, deren
rascherer oder kürzerer Verlauf von der Behandlung abhängt. Wenn
dieselbe mustergültig ist, kann der Baum seine Tragfähigkeit auf 80 und
sogar 90 Jahre ausdehnen. Gut gehaltene Bäume liefern mit Leichtigkeit
1500 bis 2000 Nüsse jährlich, doch rechnet man beim Plantagenbau meist
nicht mehr als 2,5 kg getrockneter Nüsse und ein Viertel dieses
Betrages für Macis.

Von der Blüte bis zur Reife der Früchte vergehen neun Monate. Wenn
nun auch das Blühen und Fruchttragen unabhängig von der Jahreszeit
beständig vor sich geht, so spricht man gleichwohl von zwei bis drei
Erntezeiten im Jahr, weil sich innerhalb derselben die Reife am meisten
häuft und man es nicht für lohnend hält, unausgesetzt einzelne reife
Früchte zu ernten. Daher läßt man, soweit es angängig ist, die Früchte
hängen, bis sie in Massen abgenommen werden können. Dies geschieht,
wenn die äußere Schale berstet, im April (beste Qualität), Juli (größte
Menge) und November. Zur möglichsten Schonung der tragenden Zweige
werden die Früchte mittels langer Bambusstangen, an denen vorn ein
Körbchen nebst Haken befestigt ist, gepflückt und zunächst ihres gelben
Fruchtfleisches beraubt, was -- weil die Hülle geborsten ist -- leicht
mit den Händen ausgeführt werden kann. Dieses Fruchtfleisch wird von
den Eingeborenen gegessen und gelangt eingemacht auch nach Europa; doch
wird es in den Plantagen meist weggeworfen. Die von der Macis umgebenen
Nüsse werden in Tragkörben nach Hause gebracht, daselbst der rote
Samenmantel behutsam abgestreift, an der Sonne getrocknet und dabei
mehrfach mit den nackten Füßen platt gestampft, bis er schließlich
dünn und gelb erscheint. Die Kerne dagegen werden ein bis zwei Monate
lang in einem Trockenhaus, in dessen Mitte ein offenes, rauchendes
Feuer unterhalten wird, bei schwacher Hitze getrocknet, indem man sie
jeden zweiten oder dritten Tag vermittelst platter Holzrechen umwendet.
Wenn sie soweit trocken sind, daß die Nuß in der Schale rasselt, wird
letztere mit einem Holzhammer aufgeschlagen und hernach die Muskatnüsse
ausgesiebt. Dann werden letztere mit den Händen sortiert, als Schutz
gegen Insektenfraß mit gepulvertem Kalk eingerieben und, sorgfältig in
Fässern verpackt, in den Handel gebracht. Früher wurden sie von den
Holländern extra eine Zeitlang in einem Kalkwasserbad liegen gelassen,
um in erster Linie ihre Keimfähigkeit zu zerstören und dadurch eine
Weiterverbreitung des Baumes zu verhindern, was wegen des von ihnen
ausgeübten Monopols sehr wichtig war. Doch weiß man jetzt, daß diese
Maßregel vollständig überflüssig ist und das Trocknen der geschälten
Nüsse allein schon genügt, um ihre Keimkraft zu vernichten. Die kleinen
und schadhaften Muskatnüsse werden jetzt gleichfalls meist nach Europa
exportiert, um in Fabriken gemahlen und, in Säcke gefüllt und in
warmem Zustande einer kräftigen Pressung ausgesetzt, das bräunliche,
aromatisch riechende Fett abzugeben, das als Muskatnußbutter in den
Handel gelangt.

Die alten Griechen und Römer scheinen die Muskatnüsse nicht gekannt
zu haben. Eine angebliche Erwähnung durch den griechischen, um die
Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. in Rom lebenden Arzt Dioskurides
ist unsicher. Die erste sichere Nachricht von ihnen findet sich
beim byzantinischen Arzte Aëtios um die Mitte des 6. Jahrhunderts.
Die Araber dagegen kannten sie im 9. Jahrhundert sehr gut, und der
gelehrte arabische Arzt Avicenna, eigentlich Ibn Sina aus Bochara
(980-1037), der Leibarzt mehrerer Sultane, spricht von ihnen als einer
gebräuchlichen indischen Droge. Die später heilig gesprochene Äbtissin
Hildegard im Kloster Rupertsberg bei Bingen (1098-1197) berichtet, daß
man zu ihrer Zeit die Muskatnüsse als kostbares Gewürz benutzte und
sogar davon ins Bier rieb. Diese Sitte blieb das ganze Mittelalter
hindurch gebräuchlich. Der byzantinische Hofarzt Joannes Aktuarius
in Konstantinopel erwähnt die Muskatnuß zu Ende des 12. Jahrhunderts
als ~nux unguentaria~, ~quam myristicam appellant~, d. h. die zur
Bereitung von Salben benützte Nuß, welche man ~myristica~ (griech. zum
Salben gehörig) nennt. Das ganze Mittelalter hindurch genoß man die
Muskatnuß, den verschiedensten Speisen beigemischt, als magenstärkendes
Mittel. Vielfach diente sie auch zu aromatischen Räucherungen, wie
z. B. bei der Krönung Heinrichs VI. im April 1191 in Rom, wo als
solche Balsama neben Weihrauch und Ambra auch die ~myristica~ genannt
wird. Albertus Magnus (1193-1280) schildert Muscata als einen sehr
schönen, lorbeerblätterigen Baum Indiens, dessen Blüte die Macis sein
sollte. 1158 treffen wir ~nuces muscatarum~ aus Alexandrien unter den
Handelsartikeln der Genuesen und 1180 befinden sich Muskatnüsse unter
den in Akkon im südlichen Syrien eingeführten indischen Spezereien. In
einem Festspiel zu Treviso 1214 warf man Muskatnüsse unter die Menge,
und 1228 wurde in Marseille auf die Einfuhr derselben und der Macis
bereits ein Zoll gelegt. Dieselbe Maßregel wurde 1380 von der Stadt
Brügge getroffen, in welcher die Einfuhr dieser Handelsware schon
ballenweise erfolgte.

Vom 12. Jahrhundert an werden die ~nuces moschatae~, d. h. nach Moschus
riechenden Nüsse, woraus unsere deutsche Bezeichnung Muskatnüsse
hervorging, in jeder abendländischen Aufzählung von Heilmitteln und
Gewürzen genannt; dabei findet sich vielfach die Bemerkung, daß sie
aus Indien eingeführt werden. Bald nach der Entdeckung des Seeweges
nach Ostindien um das Kap der Guten Hoffnung durch den portugiesischen
Schiffskapitän Vasco da Gama 1498 sahen auch schon die ersten Europäer,
und zwar Portugiesen, ums Jahr 1504 die ersten Muskatnußbäume auf
den Bandainseln. Dort trieben die einheimischen Fürsten einen
schwunghaften Handel mit den in den westlichen Kulturländern
vielbegehrten Muskatnüssen. Namentlich waren die Sultane von Ternate
und Tidor, zweier kleiner Inseln an der Westküste von Dschilolo in der
ostmalaiischen Inselwelt, wegen ihres durch den Handel mit jenen Nüssen
erworbenen großen Reichtums und ihrer dadurch bedingten königlichen
Prunkentfaltung berühmt. So gibt uns der englische Seefahrer Sir
Francis Drake (1540-1596), der bei einer Reise um die Erde 1579, also
bereits nach der Vertreibung der Portugiesen, Ternate besuchte, eine
eingehende Schilderung der dort entfalteten Pracht. Er schreibt. „Über
dem König wurde ein sehr kostbarer Baldachin von getriebener Goldarbeit
getragen, und zwölf Lanzenträger waren seine Beschützer. Vom Gürtel
bis auf den Boden waren alle Kleider von Gold und prächtig verziert.
In seinen Kopfputz waren verschiedene über einen Zoll breite Ringe
geflochtenen Goldes eingewebt, was ihm ein fürstliches Aussehen gab
und der Form nach einer Krone glich. Um den Hals trug er eine Kette
aus gediegenem Gold mit sehr großen Gliedern, zweimal herumgelegt. An
seiner Linken blitzten ein Diamant, ein Smaragd, ein Rubin und ein
Türkis und an seiner Rechten in einem Ringe ein dicker tadelloser
Türkis und in einem anderen viele Diamanten von geringerer Größe.“

Mit Waffengewalt setzten sich nun die Portugiesen zu Beginn des
16. Jahrhunderts auf den solch kostbares Gewürz hervorbringenden
Bandainseln fest und erhoben die Erzeugung und den Handel mit dieser
Droge zu ihrem Monopol. Fast ein Jahrhundert lang besaßen sie es
und übermittelten ausschließlich den Völkern des Abendlandes die
so geschätzten Muskatnüsse, Gewürznelken und den Zimt, was ihnen
reichen Gewinn brachte. Erst 1605 vertrieben sie die nach dem blutigen
Kampfe gegen die spanischen Habsburger als seefahrende Nation
erstarkten Holländer von den Gewürzinseln und erhoben den Handel
mit den obgenannten Gewürzen zu ihrem ausschließlichen Monopol,
das sie mit äußerster Strenge handhabten. Sie beschränkten die
Kultur des Muskatnußbaumes auf die Inseln Banda und Amboina, deren
Bevölkerung, soweit sie nicht geflüchtet war, zu Sklaven gemacht und
ihr Grundbesitz unter die holländischen Ansiedler verteilt wurde.
Diese mußten ihr ganzes Gelände mit Muskatnußbäumen bepflanzen und
die Ernten zu festgesetzten Preisen an die Regierung, d. h. an die
niederländisch-ostindische Kompagnie verkaufen. Diese machte natürlich
ausgezeichnete Geschäfte und geriet erst in den 1790er Jahren, als das
Monopol durchbrochen war, in Bedrängnis, so daß der holländische Staat
selbst jene Gewürzinseln in Regie nahm.

Da nun aber die auf den Molukken zahlreich vorkommenden, teilweise
bunt gefiederten Tauben aus der Gattung ~Myristicivora~, d. h.
Mußkatnußfresser, sich vorzugsweise von den Früchten des Muskatnußbaums
ernähren und dabei nicht selten die reife Frucht mit dem für sie
allein verdaulichen Fruchtfleisch verschlucken und mit dem Kote die
Nuß mit unverminderter Keimkraft wieder von sich geben, so konnten
sie es nicht verhindern, daß hin und wieder auf benachbarten Inseln
auf solche Weise verschleppte Muskatnußbäume auftauchten. Wer nun von
Eingeborenen das Vorhandensein solcher Bäume auf unerlaubtem Gebiete
verheimlichte und durch den Verkauf der Nüsse das von der holländischen
Handelsgesellschaft für sich in Anspruch genommene Gewürzmonopol zu
durchbrechen versuchte, der wurde erbarmungslos von den holländischen
Beamten mit dem Tode bestraft.

Um den Preis nicht zu drücken, sammelte man in Holland ungeheure
Vorräte der verschiedenen Gewürze in den Vorratshäusern der
holländisch-ostindischen Kompagnie an. Wurden diese mit der Zeit zu
groß, so verbrannte man lieber große Mengen davon, als daß man sie
billiger ans Volk abgab. So erzählt uns der Holländer Valmont de
Bornare, daß er Augenzeuge davon gewesen sei, wie einmal in Amsterdam
drei große Schuppen voll Muskatnüsse, von denen jeder hingereicht
hätte, mit seinem Inhalt eine Kirche zu füllen, verbrannt wurden. Nach
dem Brande habe das müßig zuschauende Volk förmlich in der durch die
große Hitze ausgeschmolzenen Muskatnußbutter gewatet. Aber niemand
durfte bei schwerer Strafe eine Nuß oder einen Tropfen Öl nehmen. Der
Franzose Beaumaré sah noch am 10. Juni 1760 in Amsterdam in der Nähe
des Admiralitätsgebäudes für 8 Millionen Livres Muskatnüsse verbrennen,
und der Engländer Wilkocks erzählt, wie er durchgereist sei, habe man
just bei Middelburg in Zeeland solche Mengen Gewürznelken, Zimt und
Muskatnüsse verbrannt, daß die Luft viele Meilen im Umkreise von dem
aromatischen Dufte erfüllt gewesen sei.

Von den Bandainseln brachten die Franzosen geheimerweise den
Muskatnußbaum zugleich mit dem Gewürznelkenbaum im Jahre 1770 nach
Isle de France (dem heutigen Mauritius) und Bourbon und 1773 nach
Cayenne. Auf der erstgenannten Insel wurde dann die vom französischen
Statthalter Poivre eingeführte Kultur durch den Deutschen Josef Huber
bedeutend gehoben. Derselbe hatte nämlich zuerst ermittelt, daß
ein einziger männlicher Muskatnußbaum zur Befruchtung von hundert
weiblichen vollständig ausreiche. Er ließ deshalb die überflüssigen
männlichen Bäume stutzen und Zweige von weiblichen Bäumen auf sie
pfropfen, ein Verfahren, an das die Holländer nie gedacht hatten.
Im Jahre 1796 nahmen die Engländer den Holländern die für sie als
praktische Geschäftsleute so begehrenswerten Molukken ab und siedelten
den Baum auf dem damals ebenfalls von ihnen besetzten Sumatra und 1798
auch in Singapur, Penang und Bengalen an. Obschon sie jene Inseln bald
wieder ihren früheren Eigentümern zurückgeben mußten, so war doch
damit endgültig das so lange eifrig gehütete holländische Monopol
durchbrochen, so daß der Preis der Muskatnüsse, von denen das Pfund
1790 noch 20 alte holländische Gulden gekostet hatte, wie auch der
übrigen indischen Gewürze nun auf einen für jedermann erschwinglichen
Preis sank. Infolge davon wurde ihre bis dahin mehr auf die Apotheken
beschränkte Verwendung als Arznei eine allgemeine und fanden sie bald
als beliebtes Gewürz selbst der ärmeren Klasse Eingang. Welche große
Bedeutung noch vor kaum mehr als drei Menschenaltern wie den übrigen
indischen Gewürzen, so speziell der Muskatnuß zugeschrieben wurde,
beweist die Tatsache, daß der Arzt Paullini ein 876seitiges Buch über
sie und ihre Wirkung auf den Menschen schrieb.

Heute ist die übermäßig hohe Schätzung all dieser Gewürze auf
ein sehr bescheidenes Maß zurückgegangen. Der Muskatnuß- wie der
Gewürznelkenbaum dürfen zwar auf allen den Holländern gehörenden
Inseln angepflanzt werden, aber die Früchte dürfen nur an die
holländische Handelsgesellschaft zu einem bestimmten, sehr niedrigen
Preise verkauft werden. Dafür stellt die Regierung den holländischen
Pflanzern Sträflinge zur Verfügung, die den Plantagenbau und die Ernte
besorgen. Außer in ganz Holländisch-Indien wird der Muskatnußbaum
heute auch auf der Halbinsel von Malakka, ebenso in beschränktem
Maße in Südindien, auf Reunion, in Brasilien, Guiana und Westindien
kultiviert. Doch liefern heute noch die Molukken die beste Sorte und
bringen damit den Holländern, die nach wie vor den Haupthandel mit
diesem Gewürz in Händen haben, viel Geld ein. Zwei Fünftel der gesamten
Weltproduktion stammen von den drei kleinen, insgesamt nur 44 qkm
großen Inseln Groß-Banda, Neira und Ay, die Pflanzungen von 3000-30000
Muskatnußbäumen aufweisen und jährlich von etwa 400000 tragenden
Bäumen durchschnittlich 600000 kg Muskatnüsse und 150000 kg Macis nach
Java bringen, von wo aus sie mit noch weiteren 100000 kg dort erzeugter
Muskatnüsse in den Handel gelangen. England allein führt aus Malakka
und Südindien etwa 400000 kg Muskatnüsse und rund 40000 kg Macis aus.
Europa kauft vorzugsweise die Muskatnüsse, Nordamerika dagegen die
Macis, die dort höher geschätzt wird.

In neuerer Zeit gelangen noch einige andere Arten von Muskatnüssen
als Ersatz der echten in den Handel. So wachsen in den nördlichen
Molukken, auf den Inseln Batjan, Tidor und Halmahera, zwei der
echten Muskatnuß sehr nahe verwandte Arten (~Myristica speciosa~ und
~succedanea~) wild, deren Nüsse gleichfalls gesammelt werden und billig
in den Handel kommen. Diese werden ebensowenig kultiviert als der
+Onin-Muskatnußbaum+ (~Myristica schefferi~), der wild im westlichen,
holländischen Teil von Neu-Guinea wächst und sehr wohlriechende Früchte
liefert. Wichtiger als diese ist eine andere Muskatnußart, die in nicht
unbedeutenden Mengen mit dem Namen +lange+ oder +Papua-Muskatnuß+ auf
den Markt gebracht wird. Sie ist länger als die gewöhnliche Muskatnuß
und stammt vom silberblätterigen Muskatnußbaum (~Myristica argentea~),
einem ebenfalls im westlichen holländischen Teil von Neu-Guinea wild
wachsenden, dem gemeinen Muskatnußbaum sehr nahe verwandten Baume.
Dieser wird ebenfalls nicht kultiviert, sondern in wildem Zustande
abgeerntet, weshalb es auch möglich ist, seine Früchte billig auf den
Markt zu bringen; doch stehen sie den echten Muskatnüssen an Qualität
durchaus nach. Leider hat man im deutschen Teile von Neu-Guinea, wo
ebenfalls mehrere wilde Muskatnußarten vorkommen, bisher keine einzige
dauernd aromatische und daher für den Handel brauchbare Nuß gefunden.

Der Name Muskatnuß wird auch für die Früchte einiger Bäume angewandt,
die ganz anderen Pflanzengattungen angehören, so namentlich für die
+Kalabassen-Muskatnuß+ von Westafrika, die die Frucht eines zur
Familie der Anonazeen gehörenden Baumes, ~Monodora myristica~, eines
entfernten Verwandten der echten Muskatnußbäume, bildet und seit dem
18. Jahrhundert auch auf Jamaika kultiviert wird, wohin sie durch
westafrikanische Negersklaven gelangte. Von Lorbeergewächsarten stammen
die +brasilianische+, +guianische+ und +madagassische Muskatnuß+,
von Bäumen aus der Familie der Monimiazeen die +peruanische+ und
+australische Muskatnuß+, von Nadelhölzern endlich die nach Terpentin
riechende +kalifornische+ und +Floridamuskatnuß+. Diese teilweise in
Form und Struktur ihrer Früchte einige Ähnlichkeit mit der echten
Muskatnuß aufweisenden Früchte riechen wohl auch aromatisch, sind
aber im übrigen grundverschieden von jener, so daß sie nicht mit ihr
konkurrieren können.

[Illustration: Bild 42. Blütenzweig eines Gewürznelkenbaums
(~Caryophyllus aromaticus~).]

Als Fälschungsmittel der echten Macis gelangt von Bombay aus
der schön rote, aber durchaus nicht aromatische Samenmantel des
Malabarmuskatnußbaums (~Myristica malabarica~) häufig in den Handel,
während die vom silberblätterigen Muskatnußbaum Neu-Guineas stammenden
sogenannten Macisschalen zwar wohlriechend, aber unansehnlich braun
gefärbt sind und daher sehr niedrig im Preise stehen.

Als letzte der vier von der Kulturwelt des Abendlandes während der
vergangenen Jahrhunderte übermäßig geschätzten und infolge davon für
die gesamte Handelspolitik jener Zeit höchst bedeutsamen indischen
Gewürze sind außer Pfeffer, Zimt und Muskatnüsse auch noch die
+Gewürznelken+ zu nennen. Gleich dem Muskatnußbaum ist auch der
Gewürznelkenbaum (~Caryophyllus aromaticus~) ein 10-12 m hoher,
immergrüner Baum der Molukken aus der Familie der Myrtengewächse.
Sein 30-55 cm dicker Stamm mit glänzender, glatter Rinde spaltet sich
schon in 1,3-1,6 m Höhe in einige gleichstarke Äste, die sich reich
verzweigen und eine schöne, kegelförmige Krone bilden. Doch läßt
man den Baum in den Pflanzungen meist nicht höher als 5 m werden,
damit seine Blüten leichter geerntet werden können. Die länglich
ovalen, langgestielten Blätter sind lederartig, mit zahlreichen
kleinen Öldrüsen versehen, und laufen spitz aus. Die in Trugdolden
stehenden Blüten sind klein, aber zahlreich, anfänglich grün, voll
entwickelt jedoch karminrot. Auch die Blütenknospen sind rot. Die
Früchte sind 2 cm lange und 1 cm breite Beeren von dunkelroter bis
dunkelvioletter Farbe, die meist einen, seltener zwei länglichrundliche
Samen umschließen. Letztere kommen getrocknet unter der Bezeichnung
+Gewürznelkenmutter+ in den Handel. Weit aromatischer als sie sind
jedoch die Blütenknospen, die, sobald sie sich hellrot zu färben
beginnen, geerntet werden und, getrocknet, die Gewürznelken bilden. Sie
bestehen aus einem etwa 1 cm langen, zylindrischen Blütenkelch, der in
vier etwas ausgebogenen Zipfeln endet und als halbkugelige Bekrönung
die an ihrer Spitze verwachsenen, bei der Blüte als zusammenhängende
Kappe abgestoßenen vier Blumenblätter trägt. Nach ihrer nagelförmigen
Gestalt nannte man sie im Mittelalter (wie die Nelken) Nägelein, woraus
sich dann im Neuhochdeutschen die Bezeichnung Nelke ausbildete. Sie
enthalten ein als Nelkenöl bezeichnetes ätherisches Öl, das zu allerlei
pharmazeutischen Produkten und zum Mikroskopieren gebraucht wird.

Der Gewürznelkenbaum ist weniger wählerisch in bezug auf den Boden und
nimmt auch mit etwas weniger Luft- und Bodenfeuchtigkeit vorlieb als
der Muskatnußbaum. Auch genügt ihm eine spärlichere Beschattung als
jenem; in späterem Alter bedarf er einer solchen überhaupt nicht mehr.
Nur die jungen Pflänzchen müssen vor zu ausgiebiger Sonnenbestrahlung
geschützt werden, wozu Bananen und Rizinusstauden dienen. Wie der
Muskatnußbaum, so verliert auch er rasch die Keimfähigkeit seines
Samens. Daher dürfen zur Aussaat nur ganz frische Samen verwendet
werden. An ihrem definitiven Standort werden die in Saatbeeten
gewonnenen jungen Bäume auf sehr fruchtbarem Boden 9, auf geringem
Boden dagegen 6 m auseinander gepflanzt. Der Boden muß namentlich
während der Erntezeit im September von Unkraut gesäubert werden. Da die
Nelkenbäume als Waldbäume nicht sehr widerstandsfähig gegen heftige
Winde sind, so pflanzt man am Rande der Gewürznelkenplantagen und
hin und wieder in Reihen quer durch die Pflanzungen als Windbrecher
Kokospalmen und Mangobäume, die beide dieselben Ansprüche an Boden
und Klima stellen wie die Gewürznelkenbäume. Ihre erste Ernte geben
die Gewürznelkenbäume vom 5. Jahre an und tragen während 10 bis 15
Jahren, wobei man von jedem Baum einen jährlichen Ertrag von 2,5-5 kg
getrockneter Nelken rechnen darf. Die Ernte beginnt, sobald sich die
Knospen voll entwickelt haben und sich hellrot zu färben beginnen. Die
auf leichten Bambusleitern vor dem Aufbrechen mit der Hand gepflückten
Blütenknospen werden, auf Matten dünn ausgebreitet, an der Sonne,
seltener auf engmaschigen Bambushorden in einem Trockenhaus durch
Einwirkung eines schwachen, rauchenden Feuers getrocknet, wobei sie
wiederholt umgewendet werden. Dabei nehmen sie eine dunkelbraune Farbe
an. Schließlich werden sie gesiebt und gelangen, in Säcke oder Kisten
verpackt, in den Handel.

Dem alten Kulturvolke der Chinesen waren die Gewürznelken schon im 3.
Jahrhundert v. Chr. bekannt und dienten ihnen teilweise als Kaumittel.
In die Mittelmeerländer gelangten sie erst in der römischen Kaiserzeit,
und zwar ist Plinius der erste römische Autor, der sie erwähnt. In
einem Zolltarif Alexandriens im 2. Jahrhundert n. Chr. werden sie
angeführt und von Aëtios, Alexander Trallianus und Paulus Aegineta,
griechischen Ärzten des 6. und 7. Jahrhunderts, erwähnt. Sie wurden
damals durch malaiische Schiffer nach der von den Griechen und Römern
Taprobane genannten Insel Ceylon gebracht und von dort durch indische
Kauffahrteifahrer in die Häfen des Roten Meeres verfrachtet, um dann
von Alexandrien aus als äußerst kostbare Arznei in den abendländischen
Handel zu gelangen.

Von Ceylon und dem Gewürznelkenhandel berichtet als erster Abendländer,
der uns einen Bericht über seine Reise dorthin hinterließ, der
griechisch-ägyptische Großkaufmann Kosmas Indikopleustes (d. h. der
Indienfahrer) aus Alexandrien -- ein Zeitgenosse des oströmischen
Kaisers Justinianus I. (483-565) --, der mit einem ebenfalls später
Mönch gewordenen Genossen die weite Reise machte. Er schreibt
darüber: „Taprobane ist eine große Insel im Ozean jenseits des
Pfefferlandes (Malabarküste Indiens), welche die Indier Sielediva
(richtig Sihaladipa, d. h. Löweninsel, später von den Persern und
Arabern in Serendib verdorben), die Hellenen (älteren Griechen)
Taprobane nennen. Dort findet man den Edelstein Hyakinthos (d. h.
Saphir und Rubin). Diese große Insel, sagen ihre Bewohner, habe 300
Gaudia (= 900 römische Meilen) Länge und ebensoviel Breite. Zwei
Könige beherrschen sie, welche sich aber gegenseitig befehden. Einer
hat das Land der Hyazinthen (das zentrale Bergland) inne, der andere
besitzt den übrigen Teil der Insel, in welchem das ~emporion~ (der
Handelsplatz) und der Hafen liegen. Dort an dieser Insel sammeln
sich viele Schiffe aus ganz Indien und Äthiopien, weil sie in die
Mitte der Länder gestellt ist und gleichfalls viele Schiffe nach
allen Weltrichtungen entsendet; namentlich aus den dahinterliegenden
Gewässern, so von Tzinitza (China) und anderen Stapelplätzen bringen
sie Metaxin (Seide), Aloë (Aloëholz zum Räuchern), +Gewürznelken+ und
Tzandana (Sandelholz) zum Austausch; auch noch andere Waren jener
Gegenden, die sie zu den Völkern des vorderen Meeres bringen, nämlich
nach Male (Mahe in Malabar), wo der Pfeffer wächst, und nach Kalliana
(bei Bombay), wo Erz gewonnen wird und Sesamholz (?) und was Gewebe
zur Kleidung gibt; denn auch diese Stadt ist ein großer Handelsplatz.
Auch mit Sind, wo es Moschus, Bibergeil und Narden gibt, verkehrt diese
Insel, ebenso mit Persien, dem Glücklichen Arabien und Adule (Zeila
in Massaua in der italienischen Kolonie Erythräa am Roten Meer). Von
diesen Handelsplätzen tauscht sie wiederum Waren ein, welche sie nach
dem hinteren Indien führt, zugleich die Ausfuhr der eigenen Produkte
besorgend.“

In Deutschland erwähnt die Gewürznelken zuerst die heilige Hildegard,
Äbtissin von Rupertsberg (1098-1179) als ~nelchin~. Der erste Europäer,
der die Stammpflanze sah, war der venezianische Reisende Marco Polo,
der sie 1272 auf den Sundainseln wachsen sah. Im Mittelalter besorgten
die Araber den Zwischenhandel mit den Indern und lieferten die
Gewürznelken mit Zimt und Pfeffer den Venezianern, die diese Gewürze
ihrerseits wieder den Völkern Europas vermittelten und reichen Gewinn
aus diesem Handel zogen. Erst als der Weg nach den Gewürzländern um
Afrika herum von den Portugiesen erschlossen war, rissen sie das
höchst einträgliche Gewürzmonopol an sich. Wie Spanien etwa 300 Jahre
lang, bis zum Beginn des vorigen Jahrhunderts, den Handel mit ihren
reich mit Pflanzenschätzen und teilweise auch Gold ausgestatteten
amerikanischen Kolonien für sich beanspruchte, taten es gleicherweise
ihre Konkurrenten, die Portugiesen, in Ostindien und der malaiischen
Inselwelt, die sie 1524 in Beschlag nahmen. Von 1529 an mußten alle
aus Ostindien zurückkehrenden Schiffe ihre Rückfracht ausschließlich
in der Casa da India in Lissabon löschen und mehr wie einmal ordnete
der König, der sich den stolzen Titel „Herr des indischen Handels“
beilegte -- wie später sein Nachfolger, die holländisch-ostindische
Handelskompagnie -- die Vernichtung der kostbaren indischen Gewürze
an, wenn deren Vorräte zu sehr anschwollen und die Preise zu drücken
drohten. Erst im Jahre 1599 sprengten die inzwischen in der Seefahrt
erstarkten Holländer diese von den Portugiesen ausgeübte Ozeansperre.
Nach der Eroberung der von den Portugiesen nicht mehr zu haltenden
Molukken im Jahre 1621 übernahm die holländisch-ostindische Kompagnie
das Gewürzmonopol, das sie bis zum Jahre 1796 zu behaupten vermochte.
Während dieser ganzen Zeit bestimmte sie den Preis der vielbegehrten
Gewürze. Das äußerst gewinnbringende Monopol wurde, so gut es ging,
auch von den Engländern während deren Okkupation von Holländisch-Indien
in den Jahren 1796-1802 und 1810-1816 aufrechterhalten. Als dann die
Gewürzinseln im letztgenannten Jahre definitiv an Holland zurückfielen,
nützte diesen das, wie auch die Zwangskultur, bis 1873 theoretisch
festgehaltene Monopol für Gewürznelken und Muskatnuß nur noch wenig.
Wie in der Sage der Lindwurm seinen Schatz in der Höhle, so hüteten die
Holländer ihre von den zu Sklaven gemachten Eingeborenen kultivierten
Gewürznelkenbäume auf den Inseln Amboina und Saparna, nachdem sie alle
anderen als die von ihnen dort beaufsichtigten Gewürznelkenbäume auf
sämtlichen Inseln der Molukken zerstört hatten. Auf ihren Streifzügen
durch die Nachbarinseln, die zu dem Zwecke unternommen wurden, um alle
aus durch Vögel oder Menschen verschleppten Samen hervorgegangenen
Gewürznelkenbäume zu vernichten, vollführten die rohen von der
holländisch-ostindischen Kompagnie dazu angestellten Soldaten die
unerhörtesten Grausamkeiten gegen die armen Eingeborenen, die dem Baume
fast abgöttische Verehrung erwiesen. Sie nannten ihn einen König unter
den Gewürzpflanzen und führten Gewürznelken als wirksames Mittel gegen
Zauberei bei sich, was bis auf den heutigen Tag der Fall ist. Ja,
Vornehme tragen sie als auszeichnenden Schmuck in Unterlippe, Nase und
Ohren.

Das so eifrig von den Holländern gehütete Gewürzmonopol erlitt den
ersten Stoß als es 1770 dem französischen Statthalter von Isle de
France (dem heutigen Mauritius) Poivre gelang, ungeachtet der auf die
Ausführung der Bäume gesetzten Todesstrafe durch eine auf zwei kleinen
Schiffen nach deren Erlangung ausgesandte Expedition sich aus Samen
kleine Pflänzchen des Gewürznelken- und Muskatnußbaumes zu verschaffen.
Die schlauen Franzosen überlisteten die Holländer und vermochten auch
mit ihren beiden Schiffen der Verfolgung des ihnen nachgesandten
Geschwaders zu entgehen. Sie brachten den Gewürznelkenbaum zuerst nach
Isle de France, dann auf die Seychellen, Réunion und Bourbon, von wo er
1773 nach Cayenne und den übrigen westindischen Besitzungen Frankreichs
gelangte, wo er gleichfalls gut gedieh. Von der Insel Isle de France,
die die Engländer 1810 von den Franzosen eroberten, um sie nach der
Bezeichnung der vorher die Insel innehabenden Holländer, die sie nach
dem Statthalter der Niederlande Prinz Moritz von Oranien (1567-1625)
benannt hatten, wiederum Mauritius zu heißen, verbrachten ihn die
Engländer nach der Halbinsel Malakka und den von ihnen vorübergehend
besetzten Inseln Java und Sumatra. Auch wurde er auf Sansibar und
Pemba, wo die Kultur 1793 durch den Araber Harameh ben Saleh von
Mauritius aus eingeführt wurde, und an anderen Orten mit solch gutem
Erfolge verpflanzt, daß mit der Zeit die Gewürznelkenproduktion
der Molukken ganz in den Hintergrund gedrängt zu werden vermochte.
Gegenwärtig ist die wichtigste Bezugsquelle der Gewürznelken
Sansibar mit der Nachbarinsel Pemba, obgleich in den 1860er Jahren
ein gewaltiger Sturm -- eine sonst dort verhältnismäßig selten zu
beobachtende Naturerscheinung -- fast alle Gewürznelkenbäume zerstörte
und auch die Qualität der hier gewonnenen Gewürznelken keineswegs als
die beste gilt. Die feinste Sorte liefert immer noch Amboina, deren
Menge aber zu gering ist, als daß sie auf dem Weltmarkte eine große
Rolle zu spielen vermöchte.

Als +Nelkenzimt+ (~Cassia caryophyllata~) werden nelkenartig riechende
Rinden verschiedener Bäume bezeichnet, so z. B. der indischen
~Sizygium caryophyllatum~, der westindischen ~Pimenta acris~,
beides Myrtengewächsen, sowie des brasilianischen ~Dicypellium
caryophyllatum~, eines dem Zimt näher verwandten Baumes aus der Familie
der Lorbeergewächse. Doch haben diese Rinden nur eine lokale Bedeutung
und gelangen kaum in den Welthandel. Dafür aber liefert ein naher
Verwandter des Gewürznelkenbaums das +Piment+ (vom mittellateinischen
~pigmentum~ Farbstoff) oder den +Nelkenpfeffer+, dessen Geschmack und
Geruch allerdings weniger an Pfeffer als an Gewürznelken erinnert.
Feinschmecker wollen erkennen, daß das Piment den Geruch und Geschmack
von Gewürznelken, Pfeffer, Zimt, kurz von allen Gewürzen in sich
vereinige. Das gab Veranlassung zur Bezeichnung ~allspice~, d. h.
Allgewürz, unter welchem Namen ihn die Engländer als ein äußerst
beliebtes Gewürz ihrer westindischen Kolonie Jamaika viel verwenden.
Die Welt ist darauf angewiesen, ihren Bedarf an Piment von dieser Insel
zu beziehen, weshalb man ihn vielfach auch +Jamaikapfeffer+ bezeichnet.
Nur dort in seiner engeren Heimat Jamaika und einigen Nachbarinseln
erzeugt der Pimentbaum das volle Aroma seiner Früchte. Wild kommt er
nur auf Kalksteinhügeln in der Nähe des Meeres vor, wird aber schon
lange im großen angepflanzt. Er ist aber so empfindlich für Boden
und Klima, daß es nicht einmal gelang, seine Kultur in nennenswertem
Umfange auf den nördlichen westindischen Inseln einzuführen.

Der Pimentbaum (~Pimenta officinalis~) ist ein immergrüner,
breitästiger, im Wuchse dem Apfelbaum ähnlicher Baum, der in Westindien
häufig zur Anpflanzung von Alleen benutzt wird. Alle Teile des Baumes,
besonders die unreifen Früchte, besitzen einen starken, feurigen, aber
angenehmen aromatischen Geschmack. Die nahezu weiße Rinde des 10-12 m
hohen Baumes, deren äußerste Schicht er alljährlich abwirft, ist ebenso
aromatisch wie die 10 cm langen tiefgrünen, glänzenden, länglich
ovalen, etwas lederigen Blätter. Aus den Blattwinkeln und Zweigspitzen
treten Rispen von zahlreichen, kleinen, weißen, starkduftenden
Blüten. In Westindien blühen die Bäume gewöhnlich zweimal im Jahre;
aber nur die Blüten, die im April und Mai erscheinen, sind fruchtbar
und erzeugen erbsengroße, kugelige, zweisamige Früchte von bei der
Reife purpurroter Farbe. Sie enthalten dann ein süßes, kleberiges
Fruchtfleisch, aus welchem allerdings das feine Aroma zum größten
Teil verschwunden ist, das während ihres unreifen Zustandes so stark
hervortrat. Sie werden deshalb unreif grün geerntet, sobald sie die
Größe von Pfefferkörnern erlangt haben, und dann an der Sonne oder in
Darröfen getrocknet, wobei sie eine gelbbraune Farbe annehmen. Ein
vollkräftiger Baum liefert bis zu 60 kg grüner oder 40 kg getrockneter
Früchte, die ein dem Gewürznelkenöl sehr ähnliches und auch als Ersatz
desselben verwendetes ätherisches Öl enthalten.

Das allgemein als Küchengewürz verwendete Piment wird zuerst von
Clusius (Charles de l’Ecluse, 1526 zu Arras in Nordfrankreich geboren
und 1609 als Professor der Botanik zu Leiden in den Niederlanden
gestorben) erwähnt. Der Pimentbaum wird vorzugsweise auf der Nordseite
der Insel Jamaika, neuerdings aber auch in anderen Tropengebieten, so
seit dem 17. Jahrhundert in Ostindien kultiviert, doch liefert er,
wie gesagt, nur in seiner engeren Heimat die besten, gewürzreichsten
Früchte.



XV.

Die berauschenden Getränke.


Es scheint dem Menschen das tiefgehende Bedürfnis inne zu wohnen, sich
bisweilen zu berauschen. Diese eigentümliche Neigung teilt er übrigens
mit der Tierwelt, die sich gerne, wo sie nur kann, über sich ihr
darbietende alkoholhaltige Getränke hermacht, um sich daran in einen
Rauschzustand zu versetzen. Wenn beispielsweise eine Eiche oder sonst
ein Baum infolge irgendwelcher Verletzung blutet und der austretende
Zuckersaft durch das Hinzutreten der allgegenwärtigen Hefepilze in
alkoholische Gärung gerät, so kommen die Hirschkäfer von weit und
breit angeflogen und feiern mit solcher Ausdauer ein Gelage, daß sie
oft dutzendweise völlig beduselt am Fuße des Baumes herumliegen. An
blutenden Birken mit gärendem Safte findet man stets eine Menge von
Trauermänteln, Hornissen, Fliegen und anderen Insekten, die durch ihr
absonderliches Benehmen erkennen lassen, daß ihnen die gefährliche
Flüssigkeit das Unterscheidungsvermögen geraubt hat. Gleicherweise
hat man Bienen an wässerigem und dann rasch in alkoholische Gärung
übergegangenem Honigtau sich dermaßen berauschen gesehen, daß sie den
Heimweg nicht mehr fanden und, betrunken, auf den betreffenden Bäumen
übernachteten. Wie Affen kann man bekanntlich auch Pferde und Hunde
leicht an geistige Getränke gewöhnen, so daß sie eine förmliche Sucht
danach bekommen, und selbst an frei lebenden Säugetieren, wie z. B. an
Eichhörnchen, die sich an gegorenem Eichensafte berauschten, lassen
sich derartige Neigungen beobachten.

Allerdings war es für den Menschen im Naturzustande äußerst schwierig,
sich solche Stoffe zu verschaffen, die ihn in einen derartigen Zustand
der Berauschung brachten. Beim zufälligen Genusse giftiger Pflanzen
lernte er diesen wohl zuerst kennen und suchte ihn gelegentlich später
freiwillig zu erneuern. So ist vielleicht die Tollkirsche einst bei
den Steinzeitvölkern Europas in der Weise gebraucht worden, wie heute
noch der Fliegenschwamm bei den ostsibirischen Mongolenstämmen. Wenn
diese auf niederer Kulturstufe stehenden Menschen ein Fest zu feiern
wünschen, so genießen sie eine Abkochung des giftigen Fliegenschwammes,
den sie in den Wäldern sammeln und trocknen, um ihn für solche
Gelegenheiten aufzubewahren. Dieser bringt sie in einen rauschartigen
Zustand, so daß sie taumeln und wie betrunken hinfallen. Den Weibern,
die nüchtern bleiben, da sie nichts von diesem Berauschungstranke
genießen dürfen, fällt dann die Aufgabe zu, die betreffenden Ehegatten
aufzulesen und sie unbeschädigt nach Hause zu bringen, wo sie ihren
schweren Rausch ausschlafen können. Um nun diesen mit schweren Träumen
und Delirien verbundenen Rauschzustand möglichst lange auszudehnen,
trinken jene Leute, aus dem Dusel erwachend, immer wieder ihren eigenen
Urin, in dem das Gift aus dem Körper ausgeschieden wird, bis endlich
nach mehrtägiger Vergiftung die Ernüchterung erfolgt.

Was für verschiedene Pflanzengifte die ältesten Menschen Europas zu
solchem Rausche verwandten, das steht völlig dahin. Nur das eine
wissen wir, daß der +berauschende Honigtrank+ mit der Zeit die anderen
weniger angenehmen Berauschungsmittel verdrängte und sich in späterer
vorgeschichtlicher Zeit allgemeiner Beliebtheit erfreute. Auch hier
führte der Zufall zur Entdeckung dieses Betäubungsmittels der Urzeit.
Überall sammelt der Mensch auf niederer Kulturstufe mit Vorliebe den
leckeren Honig wilder Bienen, den er, weil dessen starke Süße in
konzentrierter Form in größerer Menge seinem Geschmacke widerstand, in
Wasser verdünnt genoß. Blieb eine solche Honiglösung in einer als Gefäß
benützten dürren Kürbisschale oder sonst welchem Naturgefäß einige
Tage hindurch stehen, so begann sie durch spontane alkoholische Gärung
infolge von Hineingelangen der allgegenwärtigen Hefepilze berauschend
zu wirken. Als man diese Erfahrung gemacht hatte, stellte man
absichtlich in Wasser stark verdünnten Honig beiseite, um sich daraus
das älteste alkoholische Getränk, den +Met+, als sehr geschätztes
Berauschungsmittel zu bereiten.

Diesen Honigtrank liebten schon die Indogermanen, als sie zu Ende
der Steinzeit noch als +ein+ Volk in Norddeutschland hausten. Wie
im Sanskrit ~mádhu~ Honig und Honigtrank bedeutet, so bedeutet im
Griechischen ~méthy~ der berauschende Trank schlechthin und ~méthē~ die
Trunkenheit. Im Deutschen benutzen wir dafür das Wort Met, das wie
das altslawische ~medu~ sowohl Honig als den daraus bereiteten Trank
bedeutet. Den ältesten nachweisbaren Germanen war der aus Wildhonig
bereitete Met das beliebte Festgetränk, das noch in der Edda als die
Menschen und Götter gleicherweise erfreuend häufig genannt wird.
In einer der ältesten schriftlichen Aufzeichnungen aus Hellas, dem
orphischen Fragment 49, gibt die personifizierte Nacht dem Zeus den
Rat, den Vater Kronos, der seinerseits bereits seinen Vater Uranos
(d. h. Himmel) entthront und seine sämtlichen Kinder außer Zeus
verschlungen hatte, wenn er „honigberauscht“ unter den Eichen liege,
zu binden und zu entmannen. Es war also auch bei den Griechen, die
schon sehr früh mit dem Wein bekanntgemacht wurden, die Urzeit als
mettrinkend gedacht. Und noch in der klassischen Zeit Griechenlands
waren die in Südrußland wohnenden Skythen, wie die in Mitteleuropa
hausenden Barbaren den Griechen als Mettrinker bekannt. Bei diesen
letzteren, die uns später als Germanen entgegentreten, war es bis
ins Mittelalter hinein Pflicht des Häuptlings und Fürsten, seine
Dienstmannen, wie seine Gäste, reichlich mit diesem beliebten Getränk
zu bewirten.

Die Herstellung dieses Nationalgetränkes der Deutschen, wie Europäer
der Urzeit überhaupt, war bis in die merowingische Zeit einfach genug.
Man sott das Honigwasser, um die spätere Gärung zu beschleunigen,
und stellte es dann in offenen Gefäßen zur Ausgärung hin. Von der
Merowingerzeit an liebte man es mit würzigen Kräutern, besonders
Salbei, zu versetzen und etwas Hefe hinzuzufügen, welch letztere
nach erfolgter Wirkung wieder abgeschieden wurde. Erst im 12.
Jahrhundert hat dann das höfische Leben das bis dahin noch allgemein
herrschende Ansehen des Metes in Mitteleuropa zugunsten von Bier
und Wein herabgedrückt, bis derselbe schließlich in ganz Süd- und
Mitteldeutschland mit dem Ende des 15. Jahrhunderts völlig außer
Gebrauch kam. Nur in Norddeutschland, speziell Westfalen, und in
Rußland hat er sich als beliebtes Volksgetränk bis auf unsere Zeit
erhalten.

Etwas jüngeren Datums, wenn auch schon sehr lange im Gebrauch, ist das
+Bier+. Wie der aus Wildhonig bereitete Met vorzugsweise das Getränk
des Jägers und Viehzüchters war, so war das Bier das Getränk des
seßhaften Ackerbauers, das den Besitz von Getreide zu dessen Bereitung
voraussetzt. Nach der Ernte und zu sonstigen Festzeiten wurde dann
das, was man davon entbehren zu können glaubte, zur Herstellung dieses
beliebten Trankes verwendet, das damals noch, wie auch der Met, so
schwach an Alkoholgehalt war, daß erst größere Mengen davon berauschend
wirkten.

Das Bier wurde in der Weise hergestellt, daß man das Getreide erst
einweichte, bis die einzelnen Körner zu keimen begannen und aus dem
Stärkemehl derselben durch Fermentwirkung Zucker entstanden war. Dann
erst wurden die erweichten Körner auf der Handmühle zerquetscht und
an der Sonne oder, wie das Obst, auf einer Hürde über dem Herdfeuer
gedörrt, damit bei dem darauffolgenden Kochen kein Brei, sondern
ein zuckerreicher Extrakt entstehe. Die durch Kochen ausgezogene
Zuckerlösung wurde durch Hinzufügen des hefehaltigen Restes des
letztgebrauten Bieres zum größten Teil zu Alkohol vergoren und damit
war das Bier zum Trinken fertig.

Altgermanisch nannte man das Getränk ~alu~, was zweifellos mit ~alan~
groß, kräftig werden zusammenhängt, indem man ihm, wie dies noch in
geschichtlicher Zeit geschah, kräftigende Eigenschaften zuschrieb.
Daher heißt das Bier heute noch in Skandinavien und Dänemark Öl, wie
in England aus dem angelsächsischen ~ealu~ (altsächsisch ~alo~) ~ale~.
Bei den Engländern heißt ~alehouse~ das Bierhaus. Ein weit jüngerer
Name ist bei den Germanenstämmen das althochdeutsche ~bior~, aus
dem unsere Bezeichnung Bier sich ableitet, das durchaus nichts mit
dem lateinischen ~bibere~ trinken zu tun hat, wie manche Etymologen
fälschlicherweise heute noch annehmen.

[Illustration: Bild 43. Betrunkene Herren werden nach einem Gelage von
ihren Dienern heimgetragen.

Altägyptisches Wandgemälde in Beni Hassan bei Theben. (Nach Woenig.)]

Alle möglichen Getreidearten dienten und dienen heute noch den
verschiedenen primitiven Völkern zur Herstellung von Bier, das zum Teil
schon vor der Begründung des Ackerbaus aus wildwachsenden Getreidearten
und vor der Erfindung der Töpferei durch Erhitzen mit darein geworfenen
heißen Steinen bereitet wurde, wie letzteres beispielsweise bei den
Letten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts noch der Fall war. Erst mit
der Zeit traf man hierin eine Auswahl des Besseren und schließlich des
Besten. Wie anderswo Hirsebier, so trank man noch im 12. Jahrhundert in
Deutschland Hafer-, Weizen- und Gerstenbier. Wo aber schon frühzeitig
vorzugsweise oder allein Gerstenbier genannt wird, so ist eben auch
nur diese in Europa älteste Anbaufrucht die ursprünglich dazu benützte
gewesen. Solchen Gerstentrank brauten schon die ältesten für uns
nachweisbaren Ägypter. Sie nannten es ~haki~ und ließen zu seiner
Herstellung, wie auch wir heute noch tun, die Gerstenkörner keimen
und gewannen so aus dem Malz eine Zuckerlösung, die durch Hefegärung
einen mäßigen Gehalt an Alkohol aufwies. Jedenfalls tranken sie dieses
Erzeugnis gerne neben dem später aufgekommenen Wein. So mahnt der
Schreiber Ani (ums Jahr 1000 v. Chr.) seinen Sohn Chunsuhotep nach
einem auf uns gekommenen Papyrus: „Versitz nicht im Bierhaus die
Zeit, und Übles vom Nächsten darfst du auch im Rausche nicht reden...
Leicht fällst du zu Boden und brichst dir die Glieder, und keiner
reicht dir die Hand zur Hilfe. Sieh deine Genossen, sie trinken und
sagen. Geh heim, der du genug getrunken!...“ In einem in den Papyri
Sallier und Anastasi uns erhaltenen Briefwechsel zwischen mehreren
Schreibern rügt Kakabu das leichtsinnige Leben seines Kollegen Anana
mit folgenden Worten: „Es ist mir gesagt worden, du verlassest das
Schrifttum, du sehnst dich nach Lustbarkeiten, du gehest von Kneipe
zu Kneipe. Der Biergeruch, wohin führt er? Man meide den Biergeruch,
da er die Leute herunterbringt und ihren Geist benachteiligt.“ Trotz
aller weiser Mahnungen muß es aber in Ägypten oft recht toll zugegangen
sein und mancher schwere Rausch mit nachfolgendem Katzenjammer hat
altägyptische Gelage beschlossen; denn gleich dem viel älteren Herodot,
der ums Jahr 460 v. Chr. Ägypten bereiste, meldet uns der griechische
Geschichtschreiber Diodoros aus Sizilien, der in der zweiten Hälfte des
letzten vorchristlichen Jahrhunderts seine „Historische Bibliothek“
in 40 Büchern schrieb, daß das von den Ägyptern aus Gerste gebraute,
als ~zýthos~ bezeichnete Bier sie so lustig mache, als ob sie Wein
getrunken hätten. Und wir finden auch tatsächlich in den bildlichen
Darstellungen an den Grabwänden drastische Beispiele für die Wirkung
dieses Gerstensaftes. In Beni Hassan sehen wir zwei Sklaven ihren Herrn
als „Bierleiche“ davontragen, und eine zweite Leiche folgt hinterher.
In einem Wandgemälde des Gräberfeldes von Theben ist eine ägyptische
Dame so mit Bier gefüllt, daß sie den Überschuß des aufgenommenen
Getränks erbricht. Besonders ausgelassen muß es nach Herodot an den
großen Festen zugegangen sein, an denen bis tief in die Nacht zu Ehren
der zu feiernden Gottheit getrunken wurde. Die auf uns gekommenen
griechischen Papyrusurkunden lehren uns, daß aber auch noch in späterer
Zeit, als schon reichlich Wein gekeltert wurde, allenthalben in Ägypten
viel Bier gebraut und getrunken wurde. Unter den prunkliebenden
Ptolemäerkönigen war die Bierbrauerei sogar ein königliches Monopol,
was gewiß nicht der Fall gewesen wäre, wenn der Ertrag aus diesem
Gewerbe nicht sehr erklecklich gewesen wäre.

Ebensolche Biertrinker wie die Ägypter waren die nichtarischen
Urbewohner Spaniens und Italiens, die Iberer und Ligurer, ebenso die
arischen Stämme der Phrygier, Thrakier und Armenier. So sagt der um 25
n. Chr. verstorbene griechische Geograph Strabon: „Die Ligurer wohnen
an der Südseite der Alpen, leben großenteils von der Milch ihrer Herden
und trinken (bei Festlichkeiten) Gerstenbier (~kríthinon póma~).“
Ebenso an einer anderen Stelle: „Die Lusitanier (im heutigen Portugal)
trinken Bier und nur selten Wein; statt des Öls gebrauchen sie Butter.
Bei Trinkgelagen tanzen sie nach dem Takt der Flöte oder Trompete und
springen dabei in die Höhe.“ Plinius dagegen sagt: „In Spanien braut
man sogar ein Bier, das sich lange hält.“ Viel früher, nämlich schon
ums Jahr 700 v. Chr., berichtet uns der Grieche Archilochos, daß die
Phrygier und Thrakier aus Gerste und dem Würzkraut ~konýzē~ ein als
~brýton~ bezeichnetes Bier brauen und trinken. Ein anderer Grieche,
Xenophon aus Athen, ein Schüler Platons, der im Jahre 400 v. Chr.
als Vierzigjähriger die zehntausend Mann griechische Truppen, welche
dem jüngeren Kyros gegen dessen Bruder Artaxerxes Mnemon zu Hilfe
gezogen und geschlagen worden waren, durch das gebirgige Armenien ans
Schwarze Meer und nach Byzanz führte, um sie von da aus zu Schiff nach
Griechenland, ihrer Heimat, befördern zu lassen, berichtet in seinem
über jenen strapaziösen Rückzug geschriebenen Bericht, der jedem
Griechisch lernenden Schüler bekannten Anábasis, daß seine Leute,
vom Karduchischen Gebirge kommend, in Dörfern rasteten, wo sie außer
anderen Vorräten auch mit „Gerstenwein“ gefüllte Gefäße fanden. In
ihnen habe noch die Gerste herumgeschwommen; zum Trinken aus diesem
Gemisch dienten Rohrhalme, durch die man die Flüssigkeit einsog, ohne
die darin befindlichen Gerstenkörner in den Mund zu bekommen. Das
Getränk sei stark und berauschend gewesen, wenn man es nicht durch
Zusatz von Wasser verdünnte; im übrigen aber hätten alle, die sich
daran gewöhnten, diesem den weintrinkenden Griechen sonderbaren Tranke
Geschmack abgewonnen.

Auch von den alten Illyriern wird uns gemeldet, daß sie ein als
~sabaja~ oder ~sabajun~ bezeichnetes Bier tranken, und von den
Pannoniern berichtet uns Priscus, als er sie im Jahre 448 n. Chr.
gelegentlich einer Gesandtschaftsreise besuchte, daß sie aus Gerste
ein als ~camum~ bezeichnetes Getränk bereiteten. Den weitaus ältesten
Bericht über das Vorkommen von Bier bei den Mitteleuropäern verdanken
wir aber dem unternehmenden griechischen Kaufmanne Pytheas aus
Massalia, dem heutigen Marseille, der zu Ende des 4. vorchristlichen
Jahrhunderts auf seiner Fahrt um die Ostküste Europas nach dem
Bernstein liefernden Norddeutschland bis in die Nordsee vordrang
und uns von den dort lebenden Stämmen berichtet, daß sie kaum
Gartengewächse und Haustiere besäßen, sich aber, außer von Kräutern,
Beeren und Wurzeln, von angebauter Hirse nährten, aus der sie ein
Getränk brauten, das neben dem aus Honig erzeugten -- also dem Met --
im Gebrauch sei.

Dann berichtet der griechische Geschichtschreiber Diodoros aus Sizilien
von den Germanen, daß sie ein meist aus Gerste gebrautes Bier trinken.
Nach ihm sagt der römische Historiker Tacitus in seiner bekannten
Schrift über Germanien: „Das Getränk der Germanen wird aus Gerste und
anderem Getreide gebraut und ist weinartig. Die am Rheinufer Wohnenden
kaufen auch Wein. Sie trinken so gierig, daß man sie ebensogut durch
Lieferung berauschender Getränke, wie durch Waffengewalt überwinden
kann.“ Schon im Altertum muß die Freude am Bier- wie am älteren
Metgenuß allen Germanenstämmen gemeinsam gewesen sein und kein Fest
wurde ohne Gelage gefeiert, an welchem diese Getränke reichlich
getrunken wurden. So erfreuen sich auch in der Edda alle Götter daran,
und der Meergott Ägir ist zugleich auch himmlischer Braumeister in
Walhalla. Er besitzt -- als Symbolisierung des Meeresbeckens, dessen
Gott er ist -- einen Riesenkessel und alljährlich einmal ladet er alle
Asen zu einer feierlichen Kneiperei ein. Aber in derselben Sammlung von
altnordischen Volksliedern, die als ältere Edda im 12. Jahrhundert auf
Island vorgenommen und niedergeschrieben wurde, wird doch auch schon
vor den schädlichen Folgen des Trinkens solcher berauschender Getränke
gewarnt. So stammt aus Odins, des Göttervaters Sprüchen, der Ausspruch,
daß zu reichlicher Met- und Biergenuß „der Sterblichen Stamme“ nichts
tauge. Vor allzu schlimmen Wirkungen sollte das Legen der „Bierrune“
oder das Tragen der Wurzel des Zauberlauches (~Allium victoralis~)
als Amulett schützen. Damals war das Trinken von Bruderschaft, das
nicht mehr wie in der Urzeit mit Blut, sondern nur mit Met oder Bier
vorgenommen wurde, eine heilige Handlung, die gegenseitiges Eintreten
bis zum Tode bedeutete.

Selbstverständlich war das ganze Altertum und frühe Mittelalter
hindurch die Bereitung des Bieres, wie auch des älteren Metes, für
die kleinen Haushaltungen der Vorzeit Sache der Hausfrau, die das
Kochen und alle übrigen Hausgeschäfte besorgte. Wie der Met war auch
das Bier nicht nur Gesellschafts-, sondern auch Opfertrank. Als der
heilige Columbanus ums Jahr 600 zu den Alamannen kam, da opferten diese
dem Wodan noch regelmäßig Met oder Bier, indem sie ihm den ersten
Ausguß weihten und den Rest zu seinen Ehren tranken. Später wurde
der Zins an die Kirchen und Klöster vielfach in Form von Bier -- in
Norddeutschland Met -- bezahlt. Der römische Naturforscher Plinius der
Ältere berichtet, daß das Bier in Spanien ~caelia~ oder ~cerea~, im
keltischen Gallien dagegen ~cervisia~ genannt und in beiden Ländern
aus verschiedenen Getreidearten gebraut werde. Doch scheint es den
an den Genuß von Wein gewöhnten Römern nicht gemundet zu haben. Auch
Kaiser Julian der Abtrünnige, der es, als er während der Mitte des 4.
Jahrhunderts in Gallien weilte, hier versuchte, spottet darüber in
einem uns noch erhaltenen Gedicht.

Diese Kelten Galliens haben das Bier, wie auch den auch von ihnen
daneben noch häufig getrunkenen Met, zuerst in aus meist eichenen
Dauben hergestellten Holzbottichen bereitet und dann in aus demselben
Material hergestellten Fässern mit einer kleinen, oberen Öffnung
kurze Zeit aufbewahrt und transportiert. Bis dahin waren bei den
Römern und Griechen, wie bei den übrigen Kulturvölkern der alten Welt,
große Tonkrüge (griechisch ~píthos~, lateinisch ~dolium~) im Gebrauch
gewesen, und diese Neuerung nahmen die umwohnenden Völker als sehr
zweckmäßig bald an. So treten uns in den Darstellungen der römischen
Denkmäler des 3. Jahrhunderts n. Chr. in der Moselgegend Kufe und
Holzfaß der Kelten auch für Bereitung, Aufbewahrung und Transport von
Wein von seiten der Römer entgegen.

Jedenfalls würde das rohe „Gegorene“, das die Kelten und Germanen
in ihren Grubenwohnungen oder sonstigen primitiven Behausungen bis
ins Mittelalter hinein tranken, uns heutigen, so überaus verwöhnten
Europäern sehr wenig munden; denn, abgesehen von allem anderen, ist
die Bierbereitung mit Zusatz von +Hopfen+ als Würze erst nach der
Zeit der Völkerwanderung aufgekommen. Zwar war es -- wie wir sahen
-- schon bei manchen der verschiedenen bierbereitenden Völker des
Altertums gebräuchlich gewesen, dem Biere noch irgend ein würziges
Kraut oder herbe Eichenrinde zur Verbesserung des sonst etwas süßlichen
Geschmackes dem einfachen Malzauszuge beizufügen; aber Hopfen befand
sich sicher nicht darunter, obschon er damals in ganz Mitteleuropa
wildwachsend angetroffen wurde und durch seine aromatisch-bitteren
Fruchtähren schon früh auffallen mußte und jedenfalls auch als
Heilmittel diente.

Der Zusatz von Hopfen zu Bier, um den Gerstentrank würziger und
heilkräftiger, zugleich aber auch haltbarer zu gestalten, verdanken
wir nach den eingehenden Untersuchungen von Kobert wohl zuerst
finnisch-ugrischen Stämmen. Bei Finnen, Letten und Esthen finden wir
bereits in alten Traditionen und Sagen die Kenntnis und Anwendung
gehopften Bieres. So wird auch in ihrem Nationalepos Kalewala, das
jahrhundertelang durch mündliche Überlieferung erhalten wurde, bis
es Lönnrot sammelte und geordnet herausgab, der Hopfen als Bierwürze
genannt. Von diesen Stämmen der Ostsee drang die Sitte, das Bier
mit Hopfen zu würzen, langsam westlich vor. Zwischen der Zeit des
Abzuges der Angeln und Sachsen von der unteren Weser und Elbe nach
England im Jahre 449 und dem Aufkommen der Karolinger als Hausmeier
im Frankenreiche der Merowinger im 7. Jahrhundert muß dieser Gebrauch
nach Westeuropa gelangt sein. Zuerst tritt er uns in nordgallischen
Klöstern um die Mitte des 8. Jahrhunderts entgegen, und es klingt
wie eine verdunkelte Erinnerung an die Einführung einer solch
wichtigen Neuerung, wenn seit dem Mittelalter die Sage ging, daß in
der Landschaft Brabant ein König Gambrinus das Würzen des Bieres mit
Hopfen erfunden habe. Nun wissen wir aus den mittelalterlichen Urkunden
jener Gegend, daß die besonders in den Klöstern amtierenden Bierbrauer
mittellateinisch ~cambarii~ und ihre Werkstatt, das Brauhaus, ~camba~
hieß. Aus diesem ~cambarius~ hat die geschäftige Legende einen König
Gambrinus gemacht; aber dieser Erfinder des gehopften Bieres trug keine
Krone, sondern den geschorenen Scheitel und die wollene Kutte eines
Mönchs. Und bei den engen Verbindungen der Klöster untereinander ist es
nicht zu verwundern, daß das Hopfenbier mehr und mehr in Aufnahme kam
und das weniger schmackhafte und haltbare ungehopfte Bier allmählich
verdrängte.

Die erste nachweisbare Erwähnung einer Hopfenpflanzung befindet sich
unter der Bezeichnung ~humularia~ in einer Schenkung Pippins des
Kleinen, des Sohnes Karl Martells und Vaters Karls des Großen, aus
dem Jahre seines Todes 768; vierhundert Jahre später war die heilige
Hildegard, Äbtissin des Klosters Rupertsberg bei Bingen (1098-1197),
der erste Autor, der den Hopfen als würzenden Zusatz zu Bier nennt. Zu
ihrer Zeit pflanzte man schon ziemlich Hopfen in Bayern, Franken und
Niedersachsen, aber erst im 14. Jahrhundert wurde die Kultur dieser
Pflanze in Deutschland von größerer Bedeutung. Während des ganzen
Mittelalters trank man in den Klöstern Europas viel Bier in mancherlei
Sorten wie Gersten-, Weizen- und Haferbier; das letztere scheint nach
den Aufzeichnungen des Klosters St. Gallen im 10. Jahrhundert das
gewöhnliche Alltagsgetränk der Mönche gewesen zu sein, und erstere
müssen mehr Festgetränke gebildet haben. In den Klöstern, wohin die
leibeigenen Bauern den Zehnten ihres Gewinnes an Vieh und Frucht
abzugeben hatten, lernte das Volk dieses Getränk kennen und schätzen.
So bildeten sich mit der Zeit in Dörfern und Städten öffentliche
Bierbrauereien, deren Erzeugnisse teilweise weithin Ruf erlangten.

Neben dem Hopfen dienten damals noch alle möglichen anderen
Pflanzenstoffe als Bierwürze, so besonders die Blätter von Esche,
Porsch, Rosmarin und Myrte. So zählt das Hausbuch von Colerus aus dem
16. Jahrhundert an „medizinalischen Bieren“ auf: Rosen-, Wermut-,
Salbei-, Beifuß-, Polei-, Isop-, Rosmarin-, Wolgemut-, Nelken-,
Lavendel-, Lorbeer-, Melissen-, Kirsch-, Haselwurz-, Eichel-,
Schlehen-, Himbeeren- und Hirschzungenbier. Auch von einem Honigbier
melden uns bereits die Konzilienbeschlüsse von Worms aus dem Jahre 868
und Tribur 895.

Je mehr nun das Trinken des gehopften Bieres aus den Klöstern in die
Laienkreise überging und besonders unter der Bürgerschaft der Städte
Aufnahme fand, um so mehr suchte die Obrigkeit seine Herstellung
zu regeln. So enthalten bereits die Königsurkunden der Merowinger
Bestimmungen über Herstellung, Aufbewahrung und Verkauf von Bier. Nach
ihnen erließen die Karolinger und die verschiedensten Herrscher des
Mittelalters Verordnungen über die Fabrikation und den Ausschank dieses
wichtigen Volksgetränkes. In den freien Reichsstädten wirkte jeweilen
der Rat in diesem Sinne und schrieb vielfach die dazu zu verwendenden
Rohstoffe vor. So ließ beispielsweise eine Verordnung der freien
Reichsstadt Nürnberg vom Jahre 1290 einzig den Gebrauch der Gerste zur
Bereitung von Bier zu und verbot Dinkel, Weizen, Roggen und Hafer dazu
zu nehmen. Im 14. Jahrhundert taten sich die Bierbrauer in den Städten
zu Zünften zusammen und wählten den mythischen König Gambrinus von
Brabant zu ihrem Schutzpatron.

Während des späteren Mittelalters wurde das Bier wenigstens in
Süddeutschland mehr und mehr von dem als vornehmer geltenden Weine
verdrängt, bis später das haltbarere, nach besseren Braumethoden
bereitete norddeutsche Bier das verlorene Terrain wieder einigermaßen
eroberte. So hatte im 16. Jahrhundert das Einbeckerbier, das auch
Luther mit Vorliebe trank, einen besonderen Ruf und wurde weithin
versandt. Nach ihm wird das heutige Bockbier genannt. Im Jahre 1591
wurde das Münchener Hofbräuhaus eröffnet, und erst vom 17. Jahrhundert
an wandte sich die bis dahin Rebbau treibende und Wein trinkende
Bevölkerung Bayerns wiederum dem Biere zu. Lagerbier braut man in
Deutschland seit dem 13. Jahrhundert. 1492 erfand Christian Mumme in
Braunschweig das nach ihm benannte Bier, das später selbst nach Indien
exportiert wurde, und 1738 kam die Gose, ein obergäriges Bier, aus
dem Dessauischen nach Eutritzsch im Sächsischen. Hier erzeugte eine
einzige Brauerei 30000 Hektoliter jährlich und versorgte mit seinem
Erzeugnis das benachbarte Leipzig. Im Jahre 1541 wurde in Nürnberg das
erste Weißbier gebraut. Sonst war das Weizenbier besonders in England
beliebt, das während des ganzen 15. Jahrhunderts von dort viel nach
Hamburg ausgeführt wurde. 1526 begann man es in Hamburg selbst zu
brauen, ebenso seit 1572 in Berlin, wo es sich zum heutigen Weißbier
entwickelte.

In England war die Anwendung des Hopfens beim Brauen von Bier bis ins
15. Jahrhundert verboten. Noch im 17. Jahrhundert erhob die Bevölkerung
von London beim Parlament Beschwerde „gegen zwei der größten Übelstände
ihrer Zeit“ -- gegen den Steinkohlengebrauch, dessen Rauch die Luft
verpeste, und gegen den Hopfenzusatz zum Biere, weil dadurch der
angenehm süßliche Geschmack dieses Getränkes verdorben werde. Ale und
Porter werden in England seit kaum mehr als hundert Jahren gebraut.
Ersteres wurde vom Braumeister Harwood erfunden und ist hell, wird
wenig gekocht, aber stark gehopft, letzteres dagegen ist dunkel und
wird durch langes Kochen aus stark gedörrtem, dunkelm Malz gewonnen,
ist daher recht vollmundig. Beide enthalten bis 8 und 9 Prozent
Alkohol, während das gewöhnliche Bier nicht mehr als 3 bis höchstens 5
Prozent dieses Stoffes enthält.

Noch heute steht Europa unter den biererzeugenden Erdteilen mit
etwa 203 Millionen Hektolitern Jahreserzeugnis weitaus an erster
Stelle; dann folgen die Vereinigten Staaten von Nordamerika mit 65
Millionen Hektolitern, Australien mit 2,5 Millionen, Südamerika mit
1,5 Millionen, Asien mit 0,6 Millionen und Afrika mit 0,15 Millionen
Hektolitern. Von den europäischen Staaten überragt das Deutsche Reich
bei einer jährlichen Produktion von annähernd 74 Millionen Hektolitern
Bier -- also mehr als einem Drittel der Weltproduktion (!) -- die
übrigen Staaten bedeutend. Ihm folgen Großbritannien und Irland mit
58 Millionen Hektolitern, Österreich-Ungarn mit 22 Millionen, Belgien
mit 16,5 Millionen, Frankreich mit 14,5 Millionen, Rußland mit 6,6
Millionen, Schweden mit 3,3 Millionen, die Schweiz mit 2,6 Millionen,
Dänemark und die Niederlande mit je 2,5 Millionen Hektolitern jährlich.
Von den 74 Millionen Hektolitern Jahresproduktion des Deutschen Reiches
entfallen auf Norddeutschland 47 Millionen, auf Süddeutschland 27
Millionen, davon auf Bayern 18,4 Millionen Hektoliter. Wenn nun auch
Deutschland das meiste Bier erzeugt, so konsumiert es gleichwohl
nicht am meisten, sondern kommt darin, auf den Kopf der Bevölkerung
berechnet, erst an dritter Stelle. Mit einem gewaltigen Vorsprung
marschieren Belgien mit 222 Litern, dann England mit 146 Litern
Bierverbrauch pro Kopf der Bevölkerung jährlich. Deutschland mit 119
Litern folgen Dänemark mit 93 Litern, die Vereinigten Staaten von
Amerika mit 76 Litern, die Schweiz mit 65 Litern, Schweden mit 52
Litern, Österreich-Ungarn mit 41 Litern, Frankreich mit 34 Litern,
Norwegen mit 14, Rußland mit 5, Spanien mit 1,3 und Italien mit 1 Liter.

Bei den Völkern des klimatisch gesegneten Mittelmeergebietes hat von
jeher der +Wein+ den Vorzug vor dem Biere erhalten, wenn letzteres
überhaupt gebräuchlich war und die Bevölkerung nicht etwa noch am
altertümlicheren Mete hing. Wie den Syrern und Kleinasiaten galt
auch den Griechen der Wein als weitaus das edelste aller gegorenen
Getränke. Schon in homerischer Zeit, d. h. vor dem Jahre 1000 v. Chr.,
stand er bei den Völkern um das Ägäische Meer in allgemeinem Gebrauch
und wird als eine natürliche Gabe des Landes vorausgesetzt. Brot,
Wein und Kleider waren für die Menschen jener Zeit die drei ersten
Lebensbedürfnisse. In der Ilias wird besonders Phrygien durch das
kennzeichnende Beiwort ~ampeloéssa~, d. h. das rebenbepflanzte,
bezeichnet, und auf dem ehernen runden Schilde des Achilleus soll unter
anderem auch eine Weinlese dargestellt gewesen sein. In der Odyssee
werden die Gärten des Alkinoos, des Königs der Phäaken, wie auch des
Odysseus als durch eine Fülle von Trauben ausgezeichnet geschildert.
In seiner Heimat auf der Insel Ithaka besaß letzterer, nach den
Mitteilungen im Epos, selbst ausgedehnte Rebberge, von deren Ertrag
die Hirten und selbst ihre Unterknechte den Wein tranken. Und als
Odysseus nach seinen langen Irrfahrten in seine Heimat zurückkehrte,
wurde er von seinem getreuen „göttlichen“ Schweinehirten Eumaios mit
Ferkelbraten und Wein bewirtet.

Eine Menge alter Landschafts- und Städtenamen des alten Griechenland
sind vom Wein und vom Rebbau abgeleitet oder führen den kennzeichnenden
Beinamen der rebenreichen als Beweis dafür, wie populär die Kultur
dieser Nutzpflanze in diesem Lande schon in sehr früher Zeit war. Auch
in späterer Zeit waren besonders reich an Rebbergen die kleinasiatische
Küste des Ägäischen Meeres und das dahinter gelegene Land, besonders
Mysien, von wo, wie Herodot berichtet, die Kunst der Weinbereitung
in grauer Vorzeit zuerst zu den wilden Thrakern, den Verehrern des
Kriegsgottes Ares, gelangte.

Die edle +Weinrebe+ (~Vitis vinifera~) war ursprünglich nicht in diesen
Gegenden heimisch, sondern sie gelangte, wie der Gott des Weines und
des Natursegens überhaupt, Dionysos, dem der ferne Orient, ja Indien,
die Heimat sein sollte, aus Westasien dahin, wo sie in den ausgedehnten
Waldungen zwischen Kaukasus, Ararat und Taurus heute noch wildwachsend
gefunden wird. Dort schlingt sie ihre aus einem bis armdick werdenden
Stamme hervorsprossenden Zweige lianenartig von Baumkrone zu Baumkrone
und läßt ihre im Naturzustande kleinen und etwas herben Trauben reifen,
die der Mensch im Laufe der Jahrhunderte durch Kulturauslese größer,
saftiger und süßer gestaltete. Dies geschah wohl zuerst irgendwo in
ihrer Heimat im Berglande Armenien. Die Bezeichnung Wein, wie auch das
lateinische ~vitis~ = Rebe scheint zur urindogermanischen Wurzel ~uei~
oder ~ui~ „sich winden“ zu gehören. Nach S. Schraders einleuchtender
Vermutung wurzelt der Name speziell im Armenischen, von wo er sich
einerseits zu den Westsemiten, andererseits über Kleinasien zu den
Balkanvölkern und von da zu den Griechen verbreitete. So ist aus dem
älteren ~uainio~ einesteils das semitische ~jáin~ und arabische ~wain~,
andernteils das phrygische ~uaina~, daraus das griechische ~oinos~
und zuletzt das lateinische ~vinum~ entstanden, aus welchem dann die
verschiedenen heutigen europäischen Bezeichnungen dieses Getränkes
hervorgingen.

Wenn wir nun auch offenkundig den indogermanischen Stämmen
Vorderasiens die Verbreitung des Namens Wein verdanken, so muß doch
die Kultur des Weinstocks älter sein als sie und ist zweifellos einem
vorarischen Volke zu verdanken, das aber jedenfalls kein semitisches
war. Charakteristischerweise nennt auch die biblische Überlieferung
keinen Semiten, sondern den gemeinsamen Ahnherrn der Semiten, Hamiten
und Japhetiten als ersten Weinbauern. Es ist dies bekanntlich Noah, der
sich nach der großen Flut (Sintflut, d. h. allgemeine Flut) am Fuße
des Berges Ararat, unweit des armenischen Hochlandes, niedergelassen
haben soll. Hier nahm er den Weinstock in Pflege und trank von dessen
vergorenem Safte. „Noah aber fing an, ward ein Bauer und pflanzte
Weinberge. Und da er vom Wein trank, ward er trunken und lag in der
Hütte nackt.“ Da sah nun sein jüngster Sohn Ham seines Vaters Scham
und sprach davon zu seinen beiden Brüdern draußen. „Da nahmen Sem und
Japhet ein Gewand, legten es auf ihre beiden Schultern und gingen
rücklings hinzu und deckten ihres Vaters Scham zu; und ihr Gesicht
war abgewandt, damit sie ihres Vaters Scham nicht sahen. Als nun Noah
erwachte von seinem Wein und erfuhr, was ihm sein kleiner Sohn getan
hatte, so verfluchte er ihn und sprach: er sei ein Knecht aller Knechte
unter seinen Brüdern.“ 1. Mose 9, 20-23. Auch später gehörte der
Wein bei seinen Nachkommen zu den Bedürfnissen des Lebens. Als Jakob
Isaak segnete, sprach er: „Gott gebe dir vom Tau des Himmels und der
Fettigkeit der Erde und Korn und Wein die Fülle.“

Nach ihrer eigenen Geschichtserzählung fanden die Juden den Rebstock
als längst eingeführte Kulturpflanze in Palästina vor, als sie ums Jahr
1250 v. Chr. dieses Land eroberten. Es sei hier nur an die Kundschafter
erinnert, die Moses aussandte, und die dann mit Trauben von seltener
Größe beladen aus dem Lande Kanaan zurückkehrten. Dort heißt es
wörtlich: „Und sie kamen bis an den Bach Eskol und schnitten daselbst
eine Rebe ab mit +einer+ Traube und ließen sie zwei an einem Stecken
tragen, dazu auch Granatäpfel und Feigen.“ 4. Mose 13, 24. Ferner an
die Verheißung Jahves, die er seinem Volke durch Mose kundtun ließ:
„Denn der Herr, dein Gott, führet dich in ein gutes Land, worinnen
Bäche, Brunnen und Seen sind, die an den Bergen und durch Auen fließen,
ein Land, da Weizen, Gerste, Weinstöcke, Öl-, Feigen- und Granatbäume
darinnen sind, da es Öl und Honig gibt, ein Land, da du Brot genug zu
essen hast und dir nichts mangelt.“ 5. Mose 8, 7 u. 8.

Solange sie selbst noch nomadische Viehzüchter waren, hatten sie
für Milch und Honig als die für sie begehrenswertesten Nahrungs- und
Genußmittel geschwärmt und sich auf ihrem Zuge durch die Wüste einen
Wohnsitz gewünscht, der ihnen solche Herrlichkeiten in Fülle böte.
Da entdeckten sie in diesem ihnen von ihrem Gotte Jahve durch Moses
gelobten Lande die großbeerigen Trauben und die daraus gepreßten
Vorräte von Wein, den die älteren unter ihnen von Ägypten her kannten
und den sie auf ihrer langen Wüstenwanderung gewiß bitter entbehrt
hatten. Sie fuhren nun fort, die eroberten Rebberge zu kultivieren
und wiederum selbst, wie einst im Lande Gosen, Wein zu keltern und in
großen Tonkrügen mit Ölabschluß oder in Schläuchen aufzubewahren, wie
solches sie und ihre Vorfahren schon in Ägypten getan hatten. Denn im
Niltale war schon zu Ende des 4. vorchristlichen Jahrtausends neben dem
älteren Gerstenbier auch der Wein als Genußmittel bekannt, der, wie
die Wandmalereien in den Grüften der Vornehmen jener Zeit bekunden,
aus im Lande selbst gezogenen Reben gekeltert wurde. Zwar berichtet
der griechische Geschichtschreiber Herodot, der um 460 v. Chr. selbst
in Ägypten war, Ägypten besitze keine Weinstöcke und bringe keinen
Wein hervor; auch sollte derselbe nach demselben Gewährsmann dort
weder getrunken, noch zum Opfer verwendet worden sein. Aber das war
zweifellos eine unrichtige Beobachtung des Griechen, der wohl nicht
sehr weit im Lande herumkam und dort das gemeine Volk nur Gerstenbier
trinken sah.

Die zahllosen Darstellungen an den Grabwänden der altägyptischen
Totenstädte und das Bild der Weinrebe, ihrer Kultur und Ernte in den
ältesten Monumenten und Papyrustexten tun uns aufs unzweideutigste
kund, daß die Rebe bereits zu Beginn des 3. vorchristlichen
Jahrtausends in ausgedehntem Maße in Ägypten kultiviert wurde. Die
Rebe und die reife Traube hießen im Altägyptischen ~aruri~, der Wein
~arp~, während die unreifen Beeren ~gangani~ und die von den Trauben
gelesenen und an der Sonne getrockneten Beeren, die auch mit Vorliebe
den Toten mitgegeben wurden, ~ashep~ genannt wurden. Solche getrocknete
Weinbeeren haben sich häufig in den altägyptischen Gräbern gefunden
und wurden auch zu Opfern verwendet. Herodot berichtet uns, daß man
dem beim Opfer an die Isis verbrannten Stier außer Weihrauch, Myrrhen,
Honig und Feigen auch solche getrocknete Weinbeeren in den Bauch tat.

Schon durch eine der ältesten hieroglyphischen Inschriften erfahren wir
von Amten, dem Oberjägermeister des Königs Snofru aus der 3. Dynastie
(um 2900 v. Chr.), daß er inmitten eines großartigen Parkes einen
Weingarten anlegte und daraus sehr viel Wein gewann. Bereits im alten
Reiche (2980-2475 v. Chr.) werden nach den Inschriften vier Sorten Wein
angeführt und nach Farbe und Ursprungsort als schwarzer, roter, weißer
und nördlicher (aus dem Delta) bezeichnet. Aus dem Papyrus Harris I.
erfahren wir, daß Ramses III. aus der 20. Dynastie (1200-1090 v. Chr.)
nicht nur in Ober- und Unterägypten, sondern auch in den verschiedenen
Oasen westlich vom Niltal Weingärten „ohne Zahl“ anlegen ließ, und
namentlich dem berühmten Weinberg ~Ka-en-kêmet~, der den ausgedehnten
Gartenanlagen des großen Ammontempels in Theben angehörte, seine
besondere Fürsorge widmete.

Bis in die Ptolemäerzeit lassen sich die Spuren einer fleißigen
Kultur der Weinrebe in Ägypten verfolgen. Die meisten Weingärten
lagen im arsinoitischen Nomos (Gau), dem heutigen Fajûm, und im
Delta. So waren bei den Griechen und Römern verschiedene Weinsorten
aus jenen Gegenden sehr berühmt, so der mareotische, plinthinische,
taniotische, sebennitische, selonnytische, ekboladische und der von
Koptos und Anthylla. Man zog die Rebe an Spalieren, in Lauben oder
an Stangen. In den Wandgemälden sind die Rebstöcke rotbraun, das
Laub grün und die Trauben meist dunkelblau, seltener blaßrot oder
blaßviolett dargestellt. Auf einem der Gemälde in der Totenstadt
Theben begießt einer der Winzer die Stöcke des Weingartens; zwei
andere pflücken Trauben, noch andere tragen sie in großen Körben von
dannen und ein Knabe verscheucht mit einer Holzklapper die daran zu
naschen versuchenden Vögel. -- Die Trauben wurden durch Austreten
mit den Füßen in Holzkufen gekeltert und der ausgepreßte Saft floß
seitlich durch einen mit Hahn verschließbaren Auslauf in die daneben
gestellten Bottiche. Um den ausgetretenen Beeren die letzten Saftreste
zu entnehmen, tat man sie in grobe Leintücher oder Bastmatten und
drehte an den beiden Enden, an denen zur größeren Kraftentfaltung
Holzstäbe staken. Der dabei ausfließende Saft wurde in großen, nach
unten spitz auslaufenden Tongefäßen aufgefangen. Auf Grabgemälden in
Beni Hassan und an andern Orten finden wir sowohl Männer als Frauen
mit solchem Auspressen der Beeren beschäftigt. Zuletzt wurde der Most
filtriert und in große, oft mehr als 1,5 m hohe Tonkrüge geleert, darin
mit Deckeln verschlossen, versiegelt, von den Schreibern notiert und
in den Vorratskammern entweder auf besondere Holzgestelle oder den
Wänden entlang in langen Reihen nebeneinander aufgestellt. An diesen
umfangreichen, teilweise zweihenkeligen Tonkrügen von sehr gefälliger
Amphorenform wurde dann zum Schluß die Aufschrift ~arp~, d. h. Wein
angebracht. Wo verschiedene Sorten nebeneinander zur Aufbewahrung
gelangten, war genau notiert, ob sie ~abs arp~, d. h. Weißwein, ~tesr
arp~, d. h. Rotwein oder sonst eine Marke enthielten, damit keine
Verwechslung möglich war. Zum täglichen Bedarfe entnahm man ihn durch
Ansaugen vermittelst langer Heber und mischte ihn nach Belieben mit
andern Weinsorten oder Wasser. So sehen wir auf einer Darstellung
der Gräberstadt von Theben einen Schenken vermittelst dreier Heber
aus Metall Wein aus drei verschiedenen kleinen Krügen, die auf einem
Gestell von drei übereinander gereihten Lagen von je vier Krügen ruhen,
entnehmen, um sie in einer auf einem Taburett stehenden flachen,
zweihenkeligen Schale zu mischen und den Gästen beim Mahle als Trank zu
reichen.

Most und Wein scheinen den alten Ägyptern vortrefflich gemundet zu
haben. An einer Wand des großen Tempels zu Edfu ist der König mit
einem Becher in der Hand dargestellt und die erläuternde Inschrift
lautet: „Man tat Weinbeeren in das Wasser, davon trinkend sprach der
König...“ In manchen altägyptischen Gedichten wird der Wein als „Seife
der Sorge“ bezeichnet, und im „Liede des Harfners“ aus dem Grabe des
altthebanischen Königs Entufe heißt es ermahnend: „Mit strahlendem
Gesicht feiere einen frohen Tag und ruhe nicht an ihm; denn niemand
nimmt seine Güter mit sich und niemand kehret wieder, der dahingegangen
ist.“ Und daß man sich trotz des so weitgehenden Totenkultes die
Freude am vollen Lebensgenuß nicht nehmen ließ, das zeigen die häufig
zur Darstellung gelangten Trinkgemälde an den Wänden altägyptischer
Gräber. Andere weisen die Folgen solcher Trinkgelage auf. So tragen
in einem Grabgemälde von Beni Hassan zwei Sklaven ihren sinnlos
betrunkenen Herrn an Kopf und Füßen gefaßt von einem Trinkgelage heim.
Ihnen folgen drei andere, über deren Köpfen regungslos ausgestreckt
der Körper seines Kumpanen liegt. Der erste der Diener hält mit der
einen Hand das schwer herabhängende Haupt des Gebieters. Neben Gelagen
von Männern der obersten Gesellschaftskreise finden wir auch solche
von Damen dargestellt. So führt uns ein Wandgemälde zu El kab in
eine mit Lotosblüten geschmückte zahlreiche Damengesellschaft. Der
Knabe, welcher die munteren Schönen bedient, reicht einer derselben
eine flache, mit Wein gefüllte Trinkschale und spricht: „Trinke bis
zum Rausche und feiere einen guten Tag; merke auf die Worte deiner
Nachbarin. Werde nicht müde.“ Einer andern Dame braucht diese
Aufforderung nicht erst gesagt zu werden. Sie ruft dem kleinen Diener
zu: „Reiche mir 18 Becher mit Wein. Siehe, ich sehne mich nach einem
Rausche! Die Stätte, an der ich weile, ist von Stroh!“ Aus solchen und
andern Äußerungen des ägyptischen Volksgeistes ersieht man, daß man
damals selbst an der Stätte des Todes den derben Humor nicht scheute.

Auf einem Grabgemälde der Totenstadt Thebens werden bei einem Gelage
mehrere Weinsorten gemischt und wir sehen zur Entnahme des Weines
mehrere lange Heber in Funktion, deren einer vom Diener eben an den
Mund gesetzt wird, um durch Ansaugen die Luft darin zu verdünnen und
den Inhalt eines Kruges zum Herausfließen zu bringen. An den großen
Festen zu Ehren der Götter floß der Wein in Strömen, so besonders
bei der Techu(d. h. Volltrink)feier und an dem bacchanalischen
Bubastisfeste, das man mit großen Opfern, Schwelgereien und sehr
ausgelassenen, uns sittenlos vorkommenden Aufführungen beging und an
welchem, wie Herodot berichtet, an einem Tage mehr Wein getrunken
wurde, als während des ganzen übrigen Jahres zusammengenommen.

In den langen an den Tempelwänden verzeichneten Geschenklisten der
Pharaonen bilden unter den liegenden Gütern auch Weinberge und
Baumgärten, wie auch Krüge mit Wein eine nicht unbedeutende Rolle. So
schenkte nach dem Papyrus Harris Ramses VII. (um 1100 v. Chr.) den
Tempeln Ober- und Unterägyptens insgesamt 514 Weinberge und Baumgärten,
und während seiner 31jährigen Regierungszeit wurden von ihm 28080
Krüge Wein für die Priester außer 228380 Krügen Rebensaft für die
Opferfonds gestiftet. Gaben an Wein nebst Brot, Kuchen und Fleisch
von Haustieren, besonders Gänsen, fehlten keinem Opfer, sei es an die
Himmlischen, sei es an die Geister vornehmer Verstorbener. Solchen
Totenopfern verdanken wir auch die Reste von Weintrauben, die mehrfach
in Form von zusammengeschrumpften schwärzlichen Rosinen von holziger
Beschaffenheit, teilweise noch mit dem bläulichen Wachsüberzug bedeckt,
auf uns gekommen sind. In manchen derselben konnte noch der einst beim
Trocknen ausgeschiedene Traubenzucker nachgewiesen werden.

Wie der Weinbau bereits zu Ende des 4. vorchristlichen Jahrtausends aus
dem mesopotamischen Hochlande über Mesopotamien und Syrien nach Ägypten
gelangt war, so wanderte er etwas später durch ganz Kleinasien, und
gelangte schließlich an die Ostküste und auf die Inseln des Ägäischen
Meeres, wo er um die Mitte des 2. vorchristlichen Jahrtausends bereits
eingeführt war. Auch die Mykenäer pflanzten schon Reben, wie uns die
Traubenkerne beweisen, die in den Ruinen der mykenischen Burgen von
Tiryns im Peloponnes und von Troja am Hellespont aus dem 16. und 15.
vorchristlichen Jahrhundert gefunden wurden. Immerhin beweist uns
ihre auffallende Kleinheit, daß die damals von ihnen gepflanzte Rebe
noch recht kleinbeerig und wenig durch Kultur veredelt war. Dasselbe
beweisen auch die Reihen mächtiger, von den Griechen ~pithoi~ genannter
Vorratskrüge aus gebranntem Ton in den Palästen von Knosos und anderer
Herrensitze aus mykenischer Zeit auf der Insel Kreta, die außer für
Getreide und Öl jedenfalls auch ganz besonders zur Aufbewahrung von
Wein gedient haben werden.

Die Kultur der Rebe scheint auf zwei verschiedenen Wegen nach
Griechenland gelangt zu sein. Der eine, ältere ging, wie erwähnt, über
Kleinasien und Thrakien, von woher die Griechen den Weinbau und den
damit zusammenhängenden Dionysoskult erhalten haben wollen. Von solchen
Reben an der thrakischen Küste bereiteten Wein tranken nach Homer die
Griechen bei der Belagerung Trojas, die ihn nach den Angaben in der
Ilias beim Genusse nicht weniger als zwanzigfach mit Wasser verdünnt
genossen. Der andere, jüngere Weg führte der Südküste Kleinasiens
entlang über die Inseln Kreta, Naxos und Chios, die ebenfalls mit dem
Dionysoskult in engerer Verbindung standen, nach dem griechischen
Festlande. Auf diesem letzteren scheinen die schiffahrtkundigen
Phönikier in erster Linie die Vermittler gewesen zu sein.

Besonders berühmt war im alten Griechenland der pramnische Wein
vom Berge Pramne auf der Insel Ikaros und der maroneische von der
thrakischen Küste, dann diejenigen der Inseln Lesbos, Kos und Thrasos.
Doch würden sie wahrscheinlich unseren Beifall nicht ganz gefunden
haben, da man sie nach uralter Sitte durch Zusatz von Harz der
Aleppokiefer (~Pinus maritima~) haltbar zu machen suchte; deshalb
bildet ein Tannenzapfen den Knauf des rebenumwundenen Thyrsosstabes,
den die Bacchanten am Feste des Gottes Dionysos mit Weinlaub bekränzt
schwangen.

Schon bei den Griechen haben sich eine Menge Sitten und Gebräuche
an die geselligen, mit Weingelagen einhergehenden Zusammenkünfte
geknüpft. Das Präsidium besaß der ~symposiárchos~, der die Sitzung
leitete und das Zutrinken bewachte. Den ersten Schluck brachte man
dem Weingotte Dionysos selbst dar, den zweiten dem Göttervater Zeus,
den dritten der Gesundheit und den vierten dem Götterboten Hermes,
dem Herrn der Nacht, dem Spender des Schlafes und der süßen Träume.
Dabei bekränzte man sich mit Weinlaub und Rosen und erfreute sich
dabei der vollkommensten Redefreiheit, die denn auch bei dem witzigen,
geistreichen Volke gehörig ausgenutzt wurde.

Mit der ausgedehnten griechischen Koloniengründung kam der Weinstock
und sein Anbau sehr früh auch nach Sizilien und Unteritalien und von da
in der Folge zu den damals noch auf Mittelitalien beschränkten Römern,
die aus dem Akkusativ des griechischen ~oínon~ den Namen ~vinum~ für
Wein bildeten. Bevor die Römer durch die unteritalischen Griechen
mit diesem Getränke bekannt gemacht wurden, kannten sie als Getränk
außer Wasser nur die Milch der Herdentiere, welche auch die ältesten
uns bekannt gewordenen Opfersatzungen dieses Volkes den Göttern zu
opfern geboten. Wenn auch nicht besonders angeführt, wird auch Met bei
festlichen Anlässen getrunken worden sein, Bier dagegen fehlte. Während
aber noch Romulus den Göttern Milch als das vornehmste Getränk opferte,
verbot schon Numa Pompilius, der zweite König von Rom, der von 715-672
v. Chr. geherrscht haben soll, bei den Totenfeiern den Holzstoß,
auf dem die Leichen verbrannt wurden, mit dem aus Großgriechenland
importierten Wein zu besprengen.

In Unteritalien gedieh die Rebe so üppig, daß schon Herodot im 5.
vorchristlichen Jahrhundert diesem Lande die Bezeichnung Oinótria,
d. h. Land der Weinpfähle gab, weil hier die Weinstöcke an Pfählen
gezogen wurden, im Gegensatz zu den Landschaften, wo sie an Bäumen
emporwuchsen, wie in Etrurien und Campanien, dem Gebiete des alten
Kulturvolkes der Etrusker oder Tusker, oder ohne Stütze kurz und
niedrig gehalten wurden, wie im südlichen Gallien und Spanien, wohin
die Rebe vielleicht schon durch die handeltreibenden und ebenfalls
noch vor den Griechenstämmen Kolonien gründenden Phönikier gelangte.
In Latium, wo die Rebenkultur erst im Jahre 180 v. Chr. soll in
Aufnahme gekommen sein, untersagten die früheren römischen Gesetze
Frauen überhaupt und Männern vor dem 25. Jahre Wein zu genießen.
Später aber war man darin viel nachsichtiger, wie dies bei den
Griechen Sitte war. Zu Ende der Republik werden uns in Mittelitalien
die Landschaften Campanien und Picenum als besonders weinreich
geschildert. Auch in die Gegenden um die Pomündungen muß der Weinstock
mit dem griechischen Seeverkehr schon früh gekommen sein, so weit
der niedrige, leicht Überschwemmungen ausgesetzte Boden diese Kultur
gestattete. Mit Recht verwundert sich der im letzten vorchristlichen
Jahrhundert in Italien lebende griechische Geograph Strabon über das
merkwürdige Zusammentreffen der dortigen Sümpfe mit überaus reichem
Weinbau. Tatsächlich war der Wein zur römischen Kaiserzeit in Ravenna
wohlfeiler als Wasser, so daß der ums Jahr 102 n. Chr. verstorbene
bissige römische Dichter Martialis in einem bekannten Epigramm meinte,
er möchte daselbst lieber eine Zisterne mit Wasser als einen Weinberg
besitzen, und sich beklagt, ein betrügerischer Schankwirt jener Stadt
habe ihm einst reinen Wein, statt den von ihm verlangten mit Wasser
vermischten verkauft.

Es galt nämlich sowohl bei den Griechen, als auch bei den Römern
der früheren Zeit für unfein und war deshalb verpönt, den Wein,
weil ziemlich stark, pur zu trinken. Man verdünnte ihn deshalb
stets reichlich mit Wasser. Erst in späterer Zeit, als die Sitten
üppiger wurden, begann man vielfach unverdünnten Wein zu trinken.
Dabei kühlte man den Wein auf Eis, versetzte ihn gerne mit Gewürzen
und fing an nach alten Jahrgängen zu trachten. Bei den prunkvollen
Gastmählern der Vornehmen Roms mußte schon acht- bis zehnjähriger Wein
aufgetischt werden, um geschätzt zu werden. Aber noch viel älteren,
selbst zweihundertjährigen Wein gab es damals. So mundete dem im
größten Luxus aufgewachsenen Kaiser Caligula, der von 37 bis 41
n. Chr. regierte, vornehmlich Wein vom Jahre 121 v. Chr., dem besten
Jahrgange, den Italien jemals erlebt hatte. Dieser vor allen geschätzte
Wein wurde der opimische genannt, weil damals Opimius Konsul war. Es
war dies übrigens das verhängnisvolle Jahr, in welchem der letzte der
Gracchen, Gajus, wegen der mit seinem Bruder Tiberius veranlaßten
Äckerverteilungen zugunsten der ärmeren Bürger, einen gewaltsamen
Tod fand. Selbstverständlich war das kein billiger Wein; denn nach
dem Berichte des älteren Plinius kam eine Amphore solchen Weines auf
mehr als 240000 Mark zu stehen. Da nun die Amphore 20 Liter faßte, so
kostete also der Liter dieses berühmten opimischen Weines nicht weniger
als 12000 Mark. Ein Genuß, den sich allerdings nur die Allerreichsten
der reichen Römer leisten konnten. Daß es aber damals überhaupt so alte
Jahrgänge gab, beweist, daß man sich also im Altertum weit besser auf
die Konservierung von Wein verstand als im modernen Italien, dessen
Weine kaum eine einjährige Aufbewahrung zulassen. Zu solchem Zwecke
versetzte man ihn mit dem Harz der Strandkiefer, mit Gips oder Ton,
auch Marmor- und Kalkstaub -- letzteres, um ihm die Säure zu nehmen
--, oder man kochte ihn ein, vielfach mit Zusatz von wohlriechenden
Kräutern. Der ältere Plinius rühmt speziell das Anmachen des Weins mit
Seewasser als für den Magen besonders heilsam.

Hatte zunächst in der alten Kulturwelt Griechenland lange Zeit hindurch
ein Monopol mit seinen Weinen ausgeübt, so übernahm ein solches mit
dem Beginne der christlichen Zeitrechnung das durch die römische
Weltherrschaft mächtig gewordene Italien. Zur Zeit des älteren
Plinius um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. gehörten von den 80
berühmtesten Weinlagen der damaligen Kulturwelt mehr als zwei Drittel
der italienischen Halbinsel an, die durch diesen ihren Reichtum den
Sieg über die Pflanzenschätze aller Länder davontrug mit alleiniger
Ausnahme der Gewürzpflanzenländer. „Es ist aber,“ fährt Plinius fort,
„wenn der Weinstock in Blüte steht, kein Duft lieblicher als seiner.“
Der Dichter Horaz, den Maecenas, der Freund des Kaisers Augustus,
protegierte und dem er ein Gütchen im Sabinerlande schenkte -- woher
das Wort Mäcen die Bedeutung von Beschützer und Gönner der Künste und
Wissenschaften erhielt --, hat in seinen Gedichten, die von allen
gebildeten Römern gelesen wurden, dem Falernerwein vom ~ager Falernus~
im nordwestlichen Campanien, dessen vorzüglichste Marke der Massiker
war, eine Reklame gemacht, die dem wirklichen Werte des Weines durchaus
nicht entsprach. Nach allgemeinem Urteil des Gourmets des alten Rom war
der Cäcuber an der Küste besser; doch verschwand er zu ihrem Leidwesen,
als Kaiser Nero zwischen Bajä und Ostia einen Kanal graben ließ. Als
Tischwein zog Kaiser Augustus allen andern denjenigen von Setia vor,
den auch seine Nachfolger auf dem Throne der Cäsaren begünstigten „weil
die Erfahrung lehrte, daß man von diesem Wein keine üblen Folgen zu
befürchten hat“. Livia dagegen, die Gattin des Augustus, schrieb ihre
körperliche Frische, die sie bis zu ihrem 86. Lebensjahre bewahrte, dem
Umstande zu, daß sie sich täglich an Pucinerwein erlabte. Man rühmte
im alten Rom auch die Vorzüge des Weines von Surrentum (dem heutigen
Sorrent bei Neapel); doch erklärte Kaiser Tiberius diesen Wein für
einen ganz gemeinen Essig, der seinen Ruf nur der bezahlten Lobpreisung
einer Ärzteklique verdanke. Außer dem Surrentiner und Cäcuber erklärte
Columella den Massiker und Albaner für die edelsten Weine der damaligen
Welt. Der erstere wuchs in der Nähe Neapels, der letztere dagegen in
der Nähe Roms. Julius Cäsar soll der erste gewesen sein, der seinen
Gästen zu einer Mahlzeit vier verschiedene Weine vorsetzte. Seit jener
Zeit wollte jeder reiche Römer einen wohlassortierten Weinkeller
besitzen und suchte einer den andern mit feinen Marken zu überbieten,
für die teilweise, wie wir beim alten opimischen Wein sahen, fabelhafte
Preise bezahlt wurden.

Wie zu Ende der Republik Italien geradezu ein Weinland geworden
war, das Wein ausführte, aber Getreide einführte, so gedieh die von
kleinasiatischen Griechen schon im 7. vorchristlichen Jahrhundert nach
Spanien gebrachte Rebe auch in diesem Lande vortrefflich. Nach Plinius
war der hispanische Wein auch in Rom sehr beliebt, ebenso der aus dem
südlichen Gallien stammende. Um ihn haltbarer zu machen, pflegte man
die Tonkrüge, in denen man ihn aufbewahrte, nach orientalischer und
griechischer Sitte in Rauchkammern zu räuchern oder mit Terpentin
oder Mastix zu versetzen. Solchem Weine würden wir heute ebenso wenig
Geschmack abgewinnen, als solchem der mit Meerwasser versetzt war, wie
dies besonders in Kleinasien und Griechenland geschah, ein Verfahren,
das Plinius als für den Magen heilsam bezeichnete. Auch die uralte
Sitte, den Wein in innen geharzten Ziegenschläuchen zu transportieren,
würde kaum unsern Beifall gefunden haben, da er dadurch einen
widerlichen, bockigen Beigeschmack erhielt.

In Frankreich, dem heute vorzugsweise Weinbau treibenden Lande, hat um
die altgriechische Kolonie Massalia herum, der erste Rebberg gestanden.
Hierher brachten, wenn nicht schon die Phönikier, so jedenfalls die
Phokäer ums Jahr 600 v. Chr. die Rebe. Jedenfalls war die Art ihres
Anbaues, die aus der griechischen Mutterstadt in Kleinasien -- etwas
nördlich von Smyrna gelegen -- mitgebrachte ohne Stützen und Pfähle.
Von jener ältesten Pflanzstätte des Weinbaues in Gallien verbreitete
sich diese Kultur längs der Küste, zunächst um die befestigten
Ansiedelungen herum. Und bald waren die umwohnenden Ligurer auf dieses
neue, wohlschmeckende Genußmittel erpicht, das sie im Tauschhandel
gegen die Rohprodukte ihres Landes, hauptsächlich um Vieh, Häute und
Getreide erstanden. Aber nur die Wohlhabenden konnten sich diesen Luxus
gestatten, während die Ärmeren notgedrungen bei ihrem altgewohnten
Gerstenbier verblieben.

Von der Küste drang nun der Wein und seine Kultur, wie auch
gleichzeitig diejenige des ebenfalls von den Griechen angebauten
Ölbaumes, zunächst dem Rhonetal folgend, immer weiter ins Innere
Galliens vor, so daß die Römer, die nicht bloß ein Krieger-, sondern
auch ein höchst eigennütziges Kaufmannsvolk waren, bald für ihre
Ausfuhr an Wein und Öl in jenes Land zu fürchten begannen und den
von ihnen besiegten transalpinen Galliern die Enthaltung von Öl- und
Weinbau als Friedensbedingung auferlegten. Die Folge davon war, daß
immer noch eine starke Einfuhr von italischem Wein über das inzwischen
von den Römern unterjochte Massalia stattfand, als nach den Siegen über
die Allobroger und Arverner die Gegend zwischen Pyrenäen, Cevennen und
Alpen zur römischen Provinz ~Gallia narbonensis~ erhoben wurde. Als
dann Cäsar um die Mitte des letzten vorchristlichen Jahrhunderts das
ganze übrige Gallien bis zur Nordsee und zum Rhein eroberte, drang mit
der römischen Kultur auch der Weinbau immer mehr nach Norden und Westen
vor.

So war schon zu Ende des 1. christlichen Jahrhunderts nicht nur das
südliche Gallien im Gebiete der Rhone und Garonne, sondern auch das
nördliche im Bereiche der Saône und Mosel ein eigentliches Weinland
mit besonderen Trauben- und Weinsorten, welch letztere nicht nur bei
den Germanenstämmen, sondern vielfach auch in Italien selbst Anklang
fanden und in ziemlichen Mengen dahin exportiert wurden, obschon sie
durch künstliche Behandlung mit Harz zur besseren Haltbarkeit einen
nach unseren Begriffen jedenfalls nicht sehr angenehmen Geschmack
danach besaßen. Solche anerkannt gute gallische Weine waren nach dem
älteren Plinius diejenigen der ~Gallia narbonensis~, die schon Cäsar
rühmte, dann diejenigen der Bituriger (die Vorläufer des heutigen
Bordeauxweines), der arvernische (der Auvergne) und der bäternanische
(von Frontignac).

Um nun den italienischen Weinbau gegen die Konkurrenz hauptsächlich der
gallischen Weine zu schützen, erließ Kaiser Domitian, der von 81-96
n. Chr. regierte, eine Verordnung zur Einschränkung der Weinkultur in
den Provinzen; zugleich ließ er die Hälfte der gallischen Weinberge
zerstören. Erst Kaiser Probus, der von 276-282 die Herrschaft inne
hatte, hob im Jahre 280 diese Verfügung für Gallien, Spanien und
Britannien auf und ließ in Gallien, Pannonien und Mösien zu den alten
zahlreiche neue Rebberge anlegen. Unter Aurelian und den Antoninen
wurde die ~Côte d’or~ in Westfrankreich mit Reben bepflanzt, woher die
Weine jener Gegend noch heute nach den Römern ~Romané~ heißen.

Vom 2. nachchristlichen Jahrhundert an war die Moselgegend ein Zentrum
des Weinbaus im nördlichen Gallien, das das Erzeugnis seiner Reben in
Holzfässern, wie uns verschiedene Abbildungen aus römischen Denkmälern
jener Zeit lehren, auf Schiffen und Wagen weithin ausführte. Es war
dies gegenüber den sonst von den Römern gebrauchten tönernen Gefäßen,
den Dolien und Amphoren, in denen der Wein durch eine Schicht Olivenöl,
wie heute noch der Chianti, von der atmosphärischen Luft abgeschlossen
wurde, eine wichtige Neuerung, die seinem Transport in entferntere
Gegenden sehr zugute kam. Im 4. Jahrhundert entwirft uns der römische
Dichter Ausonius von Burdigala (Bordeaux) in seinem Gedichte Mosella
ein malerisches Bild von den rebenbepflanzten Hügeln der Moselgegend,
die ihn an die Umgebung seiner Heimat Bordeaux erinnern; sie trugen in
theaterartig ansteigendem Aufbau bis zum obersten Gipfel hinauf die
grünenden Ranken und süßen Früchte. Noch Venantius Fortunatus in der
zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts stellt dem in Wogen rauschenden
Rhein die traubenreiche Mosel gegenüber. Von Trier bis Koblenz scheinen
damals alle besseren, sonnigen Lagen mit Rebbergen bestanden gewesen zu
sein.

Unter den merowingischen Königen, die auf ein gutes und reichliches
Weinlager hielten und Naturlieferung von Wein als Steuer forderten,
wie uns der fränkische Geschichtschreiber Gregor von Tours (540-594)
berichtet -- so setzte König Chilperich fest, daß jeder Besitzer von
Grund und Boden eine Amphora Weines auf jede ~aripennis~ Land gebe --,
griff der Weinbau im nördlichen Gallien immer weiter um sich. Seit dem
6. und 7. Jahrhundert haben wir zerstreute Zeugnisse dafür, die mit den
Zeiten der Karolinger immer häufiger werden. So meldet Gregor von Tours
von Bischöfen, wie z. B. Nicetius von Lyon, und Herzögen, wie Chrodin
von Dijon, daß sie mit Anlegen und Verbessern von Weinbergen dem Volke
als leuchtendes Beispiel vorangingen. Das salische Gesetz schützte
solche bereits durch Strafbestimmungen und setzte für die Winzer, wie
für andere kunstfertige unfreie Diener, auch ein höheres Wergeld fest.

Von der Moselgegend erhielten wohl die Germanen zuerst den römischen
Wein und damit auch den lateinischen Namen dafür, der althochdeutsch
~vîn~ lautet und männlich ist, wie dies hier in Gallien der Fall war,
in dessen Sprachgebrauch das Neutrum früh verloren ging. Aber erst
nach dem Untergange der Römerherrschaft empfingen sie auch die Rebe
und alle Gerätschaften und Bezeichnungen, die die Römer für deren
Kultur besessen hatten. Vor allem aber diente ihnen die aus eichenen
Dauben hergestellte Kufe (~cupa~) und das Faß keltischen Ursprungs bei
der Weinbereitung. Solche Behälter sind aber, wie die Erfahrung der
Weinbauern lehrte, um so besser, je älter sie sind. Frisch hergestellt
sind sie nicht gut zu gebrauchen; sie müssen vielmehr zur ausgiebigen
Auslaugung der löslichen Bestandteile des Holzes, die dem Wein sehr
schlecht bekommen, zunächst ein halbes Dutzend mal mit kaltem Wasser,
das man geraume Zeit in ihnen stehen läßt, behandelt und dann ebenso
oft mit heißem Wasser ausgebrüht werden. Aber auch dann wird kein
guter Edelwein in solchen frischen Fässern aufbewahrt, sondern eine
minderwertige Sorte, mit der sich das Holz sättigen kann, wodurch es
erst die Fähigkeit verliert, noch irgend welche lösliche Bestandteile
an den in ihnen lagernden Wein abzugeben.

Form und Bestandteile, die das von den Kelten Galliens übernommene Faß
beim römischen Weinbau an der Mosel besaß, sind ihm später geblieben,
als der Weinbau und die Kunst der Weinbereitung in Gärkellern zunächst
von den Klöstern übernommen wurde. In ihnen blühte demgemäß auch die
Böttcherei. Der unter Abt Gozbert zwischen 816 und 832 angefertigte
Grundriß des Klosters von St. Gallen zeigt im Bier- und Weinhaus
große und kleine Fässer, die auf starken Balkenlagen liegen, und
der 973 verstorbene St. Galler Mönch Ekkehard I., der Verfasser
des auf alte deutsche Heldenlieder zurückgehenden, in lateinischen
Hexametern geschriebenen Walthariliedes und Onkel des aus Scheffels
Roman bekannten Ekkehard II., redet von einem Ordensbruder, der mit
geschwungener Axt die Reifen aus Weidenholz vom Fasse lösen wollte.
Aber unbequem waren diese alten Fässer insofern, als sie nur eine obere
Öffnung zum Ein- und Ausfüllen besaßen. Erst allmählich sah man ein,
daß es praktischer sei, auch dem Faßboden an seiner vorderen, unteren
Stelle eine kleine Öffnung zum Abfüllen zu geben. Dieses Loch wurde
mit einem Holzzapfen geschlossen. Erst im 15. Jahrhundert wurde zum
Ablassen eine hölzerne Röhre mit drehbarem Hahn gebräuchlich, eine
Vorrichtung, die sich ohne große Änderung bis heute erhielt. Für die
Leistungen der Böttcherei im 16. Jahrhundert, um dies hier noch zu
erwähnen, reden gewisse Riesenfässer, von denen das 1591 unter Kurfürst
Johann Kasimir erbaute große Faß auf der Burg in Heidelberg den größten
Ruhm erlangte. Der Kurfürst Karl Ludwig ließ 1664 ein neues Faß
aufstellen, das dann Karl Theodor 1751 durch das jetzt noch vorhandene
221726 Liter haltende berühmte Faß ersetzte.

Kehren wir nach dieser kurzen Abschweifung technischer Art zur
Einführung des Weinbaus in Deutschland zurück, so muß hier bemerkt
werden, daß ein solcher auf deutschem Boden im Rheintal zunächst nur
in der Umgebung der römischen Kastelle und späteren Pfalzen von Bingen
bis Sinzig am linken Ufer des Stromes betrieben wurde. Gregor von
Tours bezeugt uns zum Jahre 589 Weinberge bei Zabern und eine Urkunde
von 613 Weinbau um Straßburg. Später berichtet Venantius Fortunatus
von ausgedehnten Weinbergen bei Andernach, die auf dem rechten
Rheinufer gelegen haben müssen. Der Mönch Regino hebt im Jahre 885
Koblenz, Andernach und Sinzig als Stapelplätze für den einheimischen
Wein hervor. Später waren Regensburg, Nürnberg, Bacharach und Köln
bedeutende Weinhandelsplätze.

[Illustration: Bild 44. Treten der Trauben mit den nackten Füßen und
Weinkelter. Nach einem Baseler Holzschnitt von 1548.]

Schon im letzten vorchristlichen Jahrhundert war der Weinbau nach dem
Veltlin und Südtirol vorgedrungen. Die dort gekelterten rätischen Weine
waren nach dem Dichter Vergil, der ihnen nur den Falerner vorzog,
das Lieblingsgetränk des Kaisers Augustus. Kaiser Probus, der von
276-282 regierte, ließ griechische Reben nach Pannonien, Syrmien und
in die Südtäler der Karpathen bringen und dort anpflanzen. Von Rätien
wanderte die Rebe nach Noricum und Pannonien. In Noricum, südlich
der Donaulinie, erbaute sich der heilige Severin im 5. Jahrhundert
an einem entlegenen Orte, bei den Weinbergen genannt, eine Zelle, in
welcher er als Klausner lebte. Nördlich der Donau sind die ersten
Weinberge im 7. Jahrhundert bezeugt. Bis zum 10. Jahrhundert hatten
sie in Bayern eine ziemlich große Ausdehnung erlangt. Im Laufe des 8.
Jahrhunderts bürgerte sich der Weinbau im württembergischen Unterland
um Heilbronn ein, und im 9. Jahrhundert finden wir ihn in Franken
um die alte Bischofsstadt Würzburg, ebenso in Böhmen und Mähren
verbreitet. Im 10. Jahrhundert war er über Hessen nach Thüringen, wo
ihn im Hildesheimischen besonders der kunstsinnige Bischof Bernwart
begünstigte, und gegen Ende desselben bis in die Gebiete von Werra,
Saale und Unstrut vorgedrungen. Urkunden vom Jahre 973 melden uns an
letzteren Orten von Weinbergen. Im 11. Jahrhundert gelangte der Weinbau
nach Schlesien, Brandenburg und Pommern und im 12. durch die Ritter des
deutschen Ordens sogar nach Holstein und Ostpreußen, wo er allerdings
bald wieder als unrentabel aufgegeben wurde.

Erst im 10. und 11. Jahrhundert wurden nach den auf uns gekommenen
Urkunden die heute so berühmte Weinsorten liefernden Steilgehänge
am rechten Rheinufer zwischen Mainz und Bingen mit Terrassenbau für
die Rebenkultur in Angriff genommen. Von solchen darauf gewonnenen
Weinen wird besonders der Deidesheimer, Heppenheimer, Rüdesheimer,
Asmannshauser und Niersteiner hervorgehoben. Von Elsässerweinen, die
im Mittelalter sich in Deutschland besonderer Wertschätzung erfreuten,
wird von einem St. Galler Mönche der Sigoltsheimer als stark und
anfeuernd gerühmt. In der Förderung des Weinbaus gingen überall die
Klöster als Haupterben der altrömischen Kultur den Laienkreisen voran;
es geschah dies schon aus dem Grunde, weil sie den Wein zu rituellen
Zwecken benutzten. Da sie ihn zum Abendmahle nötig hatten, ließen sie
sich dessen Anbau überall, wo sie Fuß faßten, angelegen sein. Ihnen
folgten dann zunächst die großen Grundherren, die es vorzogen, den
Wein durch ihre Hörigen selbst zu erzeugen, statt ihn wie bisher zu
teurem Preise aus Gallien zu beziehen; und erst viel später begannen
auch Bürger der Städte wie Bauern, die sich bis dahin an Met und Bier
erlabt hatten, sich in geeigneten Lagen eigene Rebberge anzulegen, um
bei festlichen Anlässen wie die Vornehmen Wein trinken zu können; denn
bis dahin hatten sie schon wegen der hohen Transportkosten nicht daran
denken können, es hierin jenen gleich zu tun.

Aber dieses deutsche Eigengewächs war in den meisten Fällen recht herb
und sauer, im Gegensatz zum feuerigen, milden, ausländischen Weine.
Deshalb pflegte man solches das ganze Mittelalter hindurch durch
Zusatz von allerlei würzigen Kräutern trinkbarer zu machen. Als solche
aromatische Zusätze nennen uns schon die altrömischen Schriftsteller,
so Columella im ersten nachchristlichen Jahrhundert, Wermut, Isop,
Stabwurz, Thymian, Fenchel, Polei und Myrte. Im Mittelalter dagegen
sind Wermut, Rosmarin, Salbei, Alant, Lavendel, Pimpernell, Fenchel,
Pfeffer- und Frauenminze die gebräuchlichsten. Im Jahre 854 rät der
Mönch Wandalbertus, Diakon der Benediktinerabtei Prüm in der Eifel,
ein Rheinländer von Geburt, in einem kürzlich von ihm aufgefundenen
lateinischen Gedicht über den Kreislauf der Jahreszeiten „den herben
Wein mit duftigen Kräutern zu versetzen, die die Fluren zu allerlei
Arznei hervorsprießen lassen und sich damit im voraus gegen die
Giftkräutlein der tückischen Stiefmütter zu sichern“. So hat man das
ganze Mittelalter hindurch solchen +Kräuterwein+ als beliebten
Gesundheitstrank getrunken. Welche Wertschätzung derselbe genoß, zeigt
der Refrain eines einst viel gesungenen mittelalterlichen Trinkliedes,
der folgendermaßen lautet:

    „Er setzt das gleslein für sein mund, krauseminte, er trank es ausz
    bisz auf den grund, salveie, poleie, die blümlein an der heiden,
    krauseminte!“

Seit uralter Zeit war es im Orient, wo man Wohlgerüche auch in Speisen
überaus hochschätzte, Sitte gewesen, den Wein mit Würzkräutern und
duftigen Blüten zu versetzen. Die gebräuchlichsten solcher Zusätze, um
ihn zu parfümieren, waren Mastix und Myrrhen; später fanden besonders
Gewürznelken und Pfeffer Verwendung, die wie den römischen Zungen des
Altertums, so auch den deutschen des Mittelalters durch ihre Stärke
vornehmlich zusagten.

Die vornehmen Römer der Kaiserzeit ließen bei ihren Gastmählern die
von ihnen bevorzugten alten Jahrgänge des Falerners und Cäcubers
durch Rosenfilter gießen, um ihm den von ihnen so geschätzten Duft
nach jenen Blüten zu geben, wie im Orient mit Rosen parfümierter
Sirup und andere Süßigkeit von alters her beliebt waren. Und wenn die
vornehmen Römer und Griechen bei ihren Gelagen begannen berauscht zu
werden, so entblätterten sie den ihr Haupt schmückenden Rosenkranz,
um die wohlriechenden Rosenblätter in den Wein zu schütten. Mit den
aus Indien bezogenen Gewürzen bereiteten sie den ~vinum pigmentatum~
oder ~claratum~. Diese letztere Bezeichnung führte er von der Klärung
her, die man ihm zum Schlusse angedeihen ließ, um ihm ein recht
appetitliches Aussehen zu geben.

    Tafel 77.

[Illustration: Hydraulische Kelter zum Pressen des Weines.

Moderne Weinfässer aus Zement mit Glaswänden.

(Weingut Dürkheim der Weinhandlung Heinrich Eckel & Cie. in München.)]

    Tafel 78.

[Illustration: Faune im Geleite des Weingottes Bacchus.

(Nach einem Gemälde von P. P. Rubens in der alten Pinakothek in
München.)

Degorgieren des Champagners.]

Einen womöglich noch köstlicheren Blütennektar bereiteten sich die
Muhammedaner im Scherbet (vom arabischen ~scharab~ Trank so genannt),
den sie durch Abkochen von Rosen-, Veilchen-, Zitronen- und anderen
wohlriechenden Blüten in mit säuerlichem Limonensaft versetztem
Zuckerwasser bereiteten. Schon Muhammed hat einen solchen aus Honig und
wohlriechenden Blüten hergestellten Trank über alle anderen Genüsse
gestellt. Da er seinen Anhängern den Genuß des Weines als entnervend
verboten hatte, so hielten sie sich gern an dergleichen aromatische
süße Tränke, die bis heute in allen dem Islam verfallenen Ländern in
der verschiedensten Weise bereitet werden.

Überall, wo die Muhammedaner sich zu Herren des Landes aufwarfen,
konnte naturgemäß ein Produkt nicht mehr gedeihen, dessen Genuß das
Gesetz der Eroberer den Gesunden aufs strengste untersagte und nur
Kranken in mäßiger Menge als Arznei gestattete. So ging nicht nur in
Vorderasien, der Wiege der Rebenzucht und Weinkultur, sondern auch
in Nordafrika, Spanien und Sizilien der Weinbau nach dem Eindringen
der Araber stark zurück. Manche fanatische Kalifen duldeten seinen
Anbau überhaupt nicht. So befahl auch in Spanien Hakim II. den größten
Teil der Weinberge auszurotten; bloß etwa ein Drittel derselben ließ
er stehen zum Genusse ihrer Früchte als reife Trauben, frisch oder
getrocknet, oder zu Traubenhonig eingekocht, was zu genießen der
Prophet erlaubt hatte.

Was dem Islam in Spanien nicht ganz gelang, wie die heutigen Malaga-
und Xeresweine beweisen, das setzte er im gegenüberliegenden Marokko
durch. Die atlantische Küste des letztgenannten Landes war im Altertum
ein berühmter und ergiebiger Weinbezirk, dem die Rebe schon von den
Phönikiern zugetragen wurde. Dort lag das Vorgebirge Ampelusia, d. h.
Rebenkap (das heutige Kap Spartel), und die uralte Stadt Lix, die auf
ihren punischen und punisch-römischen Münzen die Traube als Wahrzeichen
führte. Noch im frühen Mittelalter, bei der Ankunft der Araber, muß
eine blühende Rebenkultur hier bestanden haben, da die an Stelle des
alten Lix gegründete muhammedanische Stadt den Namen El Araisch, d. h.
zum Weinberg, erhielt. Jetzt trägt das überaus fruchtbare Land infolge
der arabischen Herrschaft fast keine Weinpflanzungen mehr; nur unter
einigen unabhängig gebliebenen Stämmen der Küste konnte der altgewohnte
Trank nicht abgeschafft werden und ist deshalb einiger Rebbau zu finden.

Das heutige Griechenland, das einst vorzügliche Weine produzierte,
erzeugt mit wenigen Ausnahmen nur schlechten Wein. Der Ruhm der
Weine von Chios, Lesbos und Thasos ist längst dahin, und der nach
Harz schmeckende Resinato, über den schon der langobardische
Bischof Liutbrant von Cremona auf seiner Gesandtschaftsreise nach
Konstantinopel im Jahre 968 klagte, ist ein sehr schlechter Ersatz
dafür. Auch die heute daselbst angepflanzten +Korinthen+ -- so genannt,
weil sie von Korinth aus exportiert werden -- scheinen nur eine durch
Degeneration entstandene Varietät der Weintraube zu sein. Sie sollen
ursprünglich von der Insel Naxos gekommen und nicht vor dem Jahre 1600
in Morea bekannt gewesen sein. Heute sind sie wiederum gänzlich von
Naxos verschwunden und werden ausschließlich in Patras, auf Zante und
Kephalonia gepflanzt, von wo jährlich etwa 100 Millionen kg ausgeführt
werden.

Nur an zwei Punkten hat am Ausgang des Mittelalters die Hand des
Menschen den Bezirk der Rebe wirklich erweitert, nämlich auf
Madeira und den Kanarischen Inseln. Auf der ersteren Insel ließ
schon der portugiesische Prinz Heinrich der Seefahrer am Ende des
15. Jahrhunderts Rebenschößlinge vom Peloponnes und von der Insel
Kreta bringen, nach Teneriffe aber verpflanzte der Spanier Alonzo de
Lungo gegen das Jahr 1507 Weinstöcke von Madeira. Der dort also aus
griechischen Reben gewonnene Wein wurde in der Folge recht berühmt und
besonders von den auf weiten Bezirken der Erde angesessenen Engländern
gern getrunken, die auch die starken Weine der pyrenäischen Halbinsel,
den nach dem Exporthafen Xeres benannten Sherry und den nach dem
Einschiffungsorte Oporto geheißenen Portwein bevorzugen, wie sie auch
die starken Schnäpse und scharfgewürzten Biere -- man denke nur an das
Ingwerbier -- lieben.

Nach Ungarn waren italienische Reben unter König Stephan im 11.
Jahrhundert gelangt. Aus ihnen erwuchs dann der Tokayerwein, der seine
volle Berühmtheit allerdings erst vom Ende des 15. Jahrhunderts und
besonders seit 1560 erhielt, als man begann Ausbruch aus den dortigen
Reben herzustellen. Von diesen ungarischen, wie auch griechischen
und syrischen Reben brachten französische Ritter aus den Kreuzzügen
Ableger in ihre Heimat mit, um die einheimischen Sorten damit zu
veredeln. Denn als zu Beginn des 2. christlichen Jahrtausends das
Abendland durch die Kreuzzüge regere Verbindungen mit dem Morgenlande
anknüpfte, kam begreiflicherweise die Kenntnis und damit auch die
Wertschätzung der von den Christen in Palästina gezogenen starken,
edlen Weine nach Europa. Diese wurden bald von den Vornehmen, die
sich solch teuren Trunk leisten konnten, bevorzugt, bis schließlich
auch diese Gebiete wiederum von den Muhammedanern besetzt wurden,
wodurch der morgenländische Weinbau rasch ein Ende nahm. Damit hörte
auch der Import der palästinensischen Edelweine nach dem Abendlande
auf. Dafür bezog man, solange die muhammedanische Invasion dahin noch
nicht stattgefunden hatte, den griechischen Wein, der nach der Gegend
von Malvasia auf Morea Malvasier genannt wurde, oder als ~kipper~-,
auch ~ciperwîn~ von Zypern stammte. Besonders letzterer wurde so sehr
geschätzt, daß Gedichte der mystischen Richtung ihn selbst die Seligen
im Himmel trinken ließen. Den Charakter eines südlichen Weines trägt
auch der aus Ungarn, der unter dem Namen ~osterwîn~ nach Deutschland
verführt wurde.

Als diese beliebten Süßweine nicht mehr zu bekommen waren, begann
die Christenheit als Ersatz dafür die bis dahin üblichen +Würzweine+
mit Honig zu süßen und an Stelle der schwachwürzenden einheimischen
Kräuter die starken Gewürze Indiens zu verwenden, die die Venezianer
mit ihren Schiffen aus dem Morgenlande, speziell Ägypten, holten und
den Abendländern teuer verkauften. Von da brachten Säumer die kostbare
Ware über die Alpen nach den reichen deutschen Städten, wo diese
Gewürze trotz ihrer hohen Preise rasch Absatz fanden. Man benutzte
sie zur Herstellung von allerlei „~gepîmenteten wînen~“ -- aus ~vina
pigmentata~ verdeutscht -- wie die Würzweine damals hießen, deren Feuer
dadurch gehoben werden sollte.

Im 14. und 15. Jahrhundert erfreute sich der als ~clarêt~ bezeichnete
Würzwein besonderer Hochschätzung. In französischen Klöstern war er
zuerst aufgekommen und hatte mit der mittellateinischen Benennung
~claretum~ -- aus ~vinum claratum~, d. h. geklärter Wein -- in
deutschen Klöstern und dann auch in Laienkreisen gute Aufnahme
gefunden. Er wurde in der Weise hergestellt, daß man Pfeffer, Zimt,
Gewürznelken, Kardamomen und Ingwer pulverisiert in Beutelchen in den
mit Honig versüßten und, war es Weißwein, mit Safran vielfach gefärbten
Wein hing und bis zum völligen Ausgelaugtwerden und Abklären darin
beließ. So gewann der Trank, wie man hervorhob, die Stärke und den Reiz
des Weines, die Würze und den Duft der Spezereien und die Milde und
Süße des Honigs. Eine halbe Verdeutschung ist das mittelhochdeutsche
~clârtrank~, während das völlig deutsche Wort ~lûtertrank~ eine seit
dem 12. Jahrhundert in Deutschland zuerst aufgekommene Art mit Honig
gesüßten Würzweins von unbestimmter Zusammensetzung bezeichnete. Lange
gingen die beiden Ausdrücke ~clarêt~ und ~lûtertrank~ nebeneinander
für zwei verschiedene Begriffe, obwohl es sich dabei nur um durch die
Verschiedenheit der verwendeten Gewürze entstandene Spielarten eines
und desselben Stoffes handelte, bis schließlich keine Unterscheidung
mehr bei ihnen gemacht werden konnte.

Wahrscheinlich spielte die Farbe des Weines dabei keinerlei Rolle,
und Claret wie Lautertrank konnten ebenso von rotem, wie von weißem
Weine gemacht werden. Oft erscheint in den Schilderungen der
mittelalterlichen Gastmähler der ~lûtertrank~ hinter dem wîn genannt,
und gleichsam als Steigerung hervorgehoben. Jedenfalls war er oder der
~clarêt~ der Ehrentrunk, der bei festlichen Anlässen vornehmen Gästen
offiziell reichlich gespendet wurde. Für den gemeinen Mann und für
einfache Verhältnisse waren solche Luxusgetränke nicht bestimmt. So
verbot beispielsweise der Rat zu Magdeburg im Jahre 1505 bei einfachen
Verlöbnissen, ebenso beim Kirchgange der Braut ~clarêt~ zu schenken als
zu kostbar.

Eine besondere Sorte solchen Würzweins aus Rotwein bildete der
+Sinopel+, der bei manchen Dichtern, wenn auch nicht häufig, erwähnt
wird; so z. B. wenn gesagt wird: (sie genossen) „den ~lûtertrank~
und daz ~clarêt~, darzuo den roten ~sinopel~“. Im deutschen Epos
Parzival wird dieser rote Sinopel im heiligen Gral wie sonst der das
Blut Christi versinnbildlichende Rotwein beim Abendmahl der Christen
reichlich gespendet. Der Name rührt vom lateinischen ~cinnabaris~,
mittellateinisch ~cinnobris~, deutsch Zinnober her von seiner schön
hellroten Farbe, die an das von den alten Römern ~cinnabaris~ genannte
rote Drachenblut von der Insel Sokotra erinnerte. Das Wort hat also
nichts mit der von uns Zinnober genannten Quecksilberverbindung zu
tun, wie man ohne genaue Kenntnis der Drogenkunde der Völker des
Altertums glauben könnte, sondern bezieht sich auf die rote Lösung
von Drachenblut, mit der das Getränk Ähnlichkeit hatte. Die daneben
angetroffene Form ~siropel~ nimmt Bezug auf die Süßigkeit und knüpft an
~siropel~ im Sinne von Sirup an, das seinerseits vom arabischen Worte
~scharab~ für Trank abzuleiten ist.

Ein anderer ebenfalls aus Rotwein hergestellter Würzwein des
Mittelalters war der heute noch mancherorts bei festlichen Anlässen,
in Basel z. B. an Sylvester und Neujahr, aufgetischte +Hippokras+,
der seiner vermeintlichen heilkräftigen Wirkung wegen nach dem
angesehensten Arzte des Altertums, dem Vater der Heilkunde, Hippokrates
so genannt wurde. Der englische Dichter Shakespeare erwähnt ihn
mehrfach in seinen Dramen, und noch im 18. Jahrhundert war er auf der
französischen Tafel allgemein verbreitet. Auch er ist als ~hypocras~
wie der ~clarêt~ eine französische Erfindung, obschon der deutsche Arzt
Brunfelsz in seinem 1532 erschienenen Spiegel der Arzneikunde erklärt:
„Dieser tranck heißt Ipocras, wann Hypocras (gemeint ist natürlich
Hippokrates) hat in seer genützt (benutzt), und auch selbst erfunden.“
Man bereitete ihn in der Weise, daß man Rotwein in einer Terrine mit
Zucker, Zimt, Pfeffer, Gewürznelken, Muskatblüte, Ingwer und Schnitzen
des Reinetteapfels versetzte und diese Mischung einige Tage stehen
ließ, dann das Ganze seihte, klärte und in Flaschen abfüllte. Als
eine besonders feine Abart kam im 18. Jahrhundert in Frankreich der
~hypocras parfumé~ auf, dem außer geriebenen Mandeln besonders Bisam
(Moschus) und Ambra zugesetzt wurde. Auch dieser fand in Deutschland
bald Aufnahme und ein märkischer Chronist des 16. Jahrhunderts findet
ihn „recht anmutig und schleckerhaft“.

Neben dem Hippokras wurden eine Menge +medizinische Weine+ getrunken,
die meist nach ihrer Wirkung auf ein bestimmtes Organ oder einen
kranken Körperteil benannt wurden. So empfahl ein Gemminger Arzt,
mayster Thoman Rüsz, im Jahre 1479 der Gräfin Margarete von Württemberg
gegen ihr Milzleiden einen wahrscheinlich von ihm selbst bereiteten
Milzwein, dessen Zusammensetzung allerdings in dem uns erhaltenen
Briefe nicht angegeben wird. Wir wissen nur aus den Arzneibüchern, daß
die mannigfaltigsten Kräuter dazu verwendet wurden, so vornehmlich
je nach der beabsichtigten Wirkung Johanniskraut oder Boretsch oder
Augentrost, Salbei oder Isop.

Solchen Würzwein trank man wie den Wein überhaupt je nach Geschmack
und Bedürfnis warm oder kalt. Ersteren bevorzugte man in Fällen von
Krankheit und bei Kälte. So berichtet uns Gregor von Tours vom Jahre
590, daß sich Wächter einer Stadt Frankreichs im Winter an einem
offenen Feuer Glühwein bereiteten und sich daran berauschten; und von
Ludwig I., dem Frommen, dem dritten Sohne Karls des Großen von seiner
dritten Gemahlin Hildegard, berichtet uns sein Biograph, daß er sich
noch kurz vor seinem Tode im Jahre 840 bei Mainz einen Schluck warmen
Weines zur Stärkung geben ließ.

Die starken und kräftig schmeckenden gewürzten Weine unserer Vorfahren
sind heute außer Mode gekommen, bis auf den +Glühwein+ und die
verschiedenen Arten von +Bowlen+. Zu ersterem wird der Wein gewärmt,
mit Gewürznelken, Zimt und einem Zitronschnitz versehen, getrunken;
bei letzteren verwendet man mit Wasser oder Schwarztee verdünnte
gezuckerte Weine, denen durch duftende Früchte wie Erdbeeren,
Pfirsich, Ananas oder wohlriechende Kräuter wie Waldmeister mit Zusatz
von einigen Apfelsinenscheiben (Maitrank) oder Schalen bitterer
Pomeranzen (Bischof) ein angenehmes Aroma verliehen wird. In England
ist von solchen Getränken besonders der ~claret cup~ beliebt, der aus
Rotwein besteht, in den man grüne Gurkenscheiben geschnitten hat. Von
allgemeiner Wertschätzung ist der +Wermutwein+, der dadurch gewonnen
wird, daß man dem gärenden Moste Wermutkraut zusetzt, wodurch er einen
etwas herben Beigeschmack erhält, den viele lieben. Am bekanntesten ist
der norditalische ~Vermut di Torino~.

Außer dem Traubenwein, der nur den Wohlhabenden zugänglich war, und
auch von diesen nur bei festlichen Anlässen genossen wurde, trank
man von alters her durch ganz Europa die verschiedensten +Obst+- und
+Beerenweine+. Die Äpfel und Birnen, die man nicht frisch oder gedörrt
aufzubewahren vermochte, wurden im überreifen, weichen Zustande
gekeltert und +Most+ aus ihnen gewonnen, der angenehm schmeckte, durch
seinen geringen Alkoholgehalt kaum berauschte und durch seinen Reichtum
an Pflanzensäuren, besonders Apfelsäure, angenehm durstlöschend wirkte,
was besonders in der Sommerhitze von Vorteil war. Im Notfalle mußten
Holzäpfel und Holzbirnen zur Herstellung solchen Trankes dienen; selbst
aus den sauren Schlehen gewann man einen wegen seiner heilkräftigen
Wirkung beliebten ~slêhentranc~. Der aus Kirschen hergestellte
~kerswîn~ und der aus Quitten gewonnene ~kütenwîn~ wurden besonders
Kranken als Labetrunk gespendet. Reiche Leute taten sich an solchen
Obstweinen gütlich, die mit Honig gesüßt und auf verschiedene Weise
gewürzt waren.

Schon zur Merowingerzeit war ein Getränk aus zerquetschten wilden
Maulbeeren, worunter auch Brombeeren verstanden sind, beliebt, deren
Saft in einem gepichten Faß mit Honig und, nach Belieben, mit würzigen
Kräutern versetzt wurde. Ein offenbar romanischer Schreiber des 9.
Jahrhunderts gibt uns ausführliche Vorschriften über die Zubereitung
dieses als ~vinum moratum~ oder ~moraz~ bezeichneten Getränkes, das
sich namentlich in den Klöstern besonderer Beliebtheit erfreute.
Anfänglich nur aus Beerensaft bereitet, wurde er dann an den Höfen des
Mittelalters in der Weise gewonnen, daß man Maulbeeren beziehungsweise
Brombeeren in Wein ansetzte. Auch die Verwendung von Heidel- und
Preiselbeeren, wie auch Johannisbeeren für einen gegorenen Haustrunk
ist uralt. Schon das ~Capitulare de villis~ Karls des Großen aus dem
Beginne des 9. Jahrhunderts hat eine sorgfältigere Bereitung des
Beerenweins im Auge, wie es auch das Stampfen der Weintrauben mit
den nackten Füßen als unappetitlich verbot, was allerdings durchaus
fruchtlos blieb, da diese Sitte nach wie vor geübt wurde und sich
teilweise bis in die Gegenwart erhielt.

Die Erzeugung von +gebranntem Wein+ kam in Europa erst im 13.
Jahrhundert auf, und zwar durch die Vermittlung arabischer Ärzte, die
ein Destillat aus Wein und seinen Häuten und Trebern schon seit dem
10. Jahrhundert kannten und als ~al kehal~, d. h. das Feine, Edle
-- woraus dann unser Wort Alkohol wurde -- zu äußerlichem Gebrauche
bei Erkrankungen aller Art, besonders bei Gicht, verwendeten.
Die Kunst des Brennens gehört dem Orient an, wo sie zuerst im 9.
Jahrhundert in Persien, dann auch in Syrien, Kleinasien und den
Inseln des griechischen Archipels zur Gewinnung des wohlriechenden
ätherischen Rosenöles geübt wurde. Stets haben ja die Morgenländer
eine leidenschaftliche Vorliebe für Wohlgerüche gehabt, und da kann
es uns nicht wundern, daß sie Mittel und Wege suchten, den Blumenduft
zu konzentrieren. Dies gelang ihnen zuerst mit den Rosen, deren
Blumenblätter sie mit Wasser angemacht in einem geschlossenen Kessel
mit einem schnabelförmigen, langen Abzugsrohr erhitzten, um die Dämpfe
mit dem wohlriechenden ätherischen Rosenöl durch Abkühlung in einem
andern damit verbundenen Gefäß sich niederschlagen zu lassen. Ein
solches Destillat lernte man bald auch aus anderen duftenden Blumen und
Pflanzenstoffen aller Art gewinnen, die dann alle als äußere Heilmittel
wie auch der Weingeist zum Einreiben gegen mancherlei Krankheit sehr
geschätzt waren.

Als dann die Abendländer zur Zeit der späteren Kreuzzüge mit der
morgenländischen Methode des Destillierens bekannt wurden und diese
Kunst selbständig zu üben begannen, wurden aus sehr zahlreichen
Pflanzen alkoholische Wässer für Heilzwecke gebrannt. Diese Kunst
übten zunächst Laien, bis die später aufkommenden Apotheker sich ihrer
bemächtigten und sie technisch weiter ausbildeten. Sie erst begannen zu
Heilzwecken den gebrannten Wein als ~aqua vitae~, d. h. Lebenswasser,
in größeren Mengen unter das Publikum zu bringen. Während er vorher
nur äußerlich gebraucht wurde, begann man ihn im 14. Jahrhundert den
Kranken auch innerlich zu geben. Erst im 15. Jahrhundert begannen ihn
auch Gesunde angeblich „zur Erhaltung einer festen Gesundheit“ zu
trinken, und zwar „alle Morgen einen Löffel voll“; „wer dies tue“,
sagt uns ein Bericht des 16. Jahrhunderts, der „werde nimmer krank“.
Leider fand diese Sitte zum Zwecke der Vorbeugung gegen Krankheit nur
zu rasch Aufnahme bei den besser Situierten, die sich dieses teure
~aquavit~ oder ~aqua ardens~, weil es beim Hinunterschlucken brannte,
als Genußmittel leisten konnten. Schon zu Ende des 15. Jahrhunderts
und mehr noch im 16. Jahrhundert erließen die Räte mancher Städte,
wie z. B. als eine der frühesten Nürnberg 1496, die Verordnung, daß
man ~gebrant wîn~ weder Feiertags noch Alltags auf Straßen oder vor
Häusern feilhalten dürfe. Erst der dreißigjährige Krieg (1618-1648),
der so namenloses Elend über Deutschland brachte und zu allgemeiner
Sittenverwilderung führte, hat das Schnapstrinken, wie auch das
Rauchen, in weiteren Kreisen populär gemacht. Die zügellose Soldateska
tat sich damit groß, und in der allgemeinen Not der Zeit begannen
Bürgersmann und Bauer diese leidige Sitte nachzuahmen. Dabei fanden sie
bald genug Geschmack daran.

Auch in der Folgezeit waren es stets die Kriege mit der sich daran
knüpfenden Verrohung und Verwilderung der Sitten, welche wie die
Unmäßigkeit im Genusse geistiger Getränke überhaupt, so auch speziell
dem Schnapstrinken gewaltigen Vorschub leisteten. So waren es besonders
der Siebenjährige Krieg (1756-1763) und danach die napoleonischen
Feldzüge, welche diese für das Volkstum überaus verderbliche Unsitte
in hohem Maße förderten. Zugleich damit wurden die Verfahren zur
Herstellung konzentrierter geistiger Getränke immer mehr vervollkommnet
und besonders auch billige Rohmaterialien wie Korn und Kartoffeln zu
deren Gewinnung verwendet, wodurch der Preis natürlich mehr und mehr
sank, so daß selbst die Ärmsten sich für wenige Pfennige den Genuß von
Schnaps gestatten konnten. Die Folge davon war die „Branntweinpest“,
die besonders im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts eine bedenkliche
Verbreitung fand. Sie veranlaßte die erste antialkoholische Bewegung,
welche recht schöne Früchte zu zeitigen begann, als die Revolution von
1848 einsetzte und ihren verdankenswerten Bestrebungen ein vorzeitiges
Ende machte.

In der Folge nahm der Mißbrauch geistiger Getränke wieder bedeutend zu
und erreichte eine beängstigende Höhe als die moderne Temperenzbewegung
einsetzte und den Alkohol in jeder Form als Plasmagift feststellte, das
den Einzelnen wie auch seine Nachkommen vom Mutterleibe an zugrunde
richtet, die größten sozialen Schäden hervorruft und geradezu den
Kulturfortschritt bedroht. Ist es nicht eine geradezu beunruhigende
Tatsache, zu vernehmen, daß die Bevölkerung des Deutschen Reiches
nicht weniger als drei Milliarden Mark jährlich für den Kauf geistiger
Getränke ausgibt. Das macht pro Kopf, selbst die keine geistigen
Getränke zu sich nehmenden Säuglinge und Kinder mitgerechnet, +60 Mark
jährlich+. Es ist dies ein ungeheurer Luxus, der im Begriffe ist, die
bedenklichsten Folgen zu zeitigen! Gibt doch das deutsche Volk in
demselben Zeitraum eines Jahres nur wenig mehr, nämlich 3060 Millionen
Mark, für das wichtigste Lebensmittel, nämlich für Getreide, Brot, Mehl
und Backwaren einschließlich der Kartoffeln aus.

Unter diesen 3000 Millionen Mark, die das deutsche Volk jährlich für
geistige Getränke ausgibt, fallen fast zwei Drittel auf das Bier.
Der Bierkonsum hat durch alle Schichten der Bevölkerung eine solche
Ausdehnung erlangt, daß er trotz seines verhältnismäßig schwachen
Alkoholgehaltes die schlimmste Geißel des neu angetretenen Jahrhunderts
zu werden verspricht. Sein Konsum hat sich in den letzten 40 Jahren bei
uns geradezu vervierfacht und beträgt heute schon über 140 Liter auf
den Kopf der Bevölkerung jährlich. Davon entfällt mehr als das Doppelte
dieser Zahl an jeden Einwohner der eigentlichen Bierländer wie München,
wo das Bierherz und die Biernieren sehr gewöhnliche Erscheinungen der
Krankenhäuser sind.

Es ist durch sorgfältige statistische Erhebungen nachgewiesen, daß
heute im Deutschen Reiche nicht weniger als 1/15 des Ackerbodens
allein für die Gewinnung der Rohprodukte zur Bereitung alkoholhaltiger
Getränke verwendet wird, und daß jeder sechzehnte arbeitsfähige
Deutsche für die Erzeugung und den Vertrieb geistiger Getränke
arbeitet. Alle diese Leute erhöhen nicht im geringsten den
Volkswohlstand, sondern untergraben ihn vielmehr direkt, indem sie
unter vorzugsweiser Bereicherung des Großkapitals der Verarmung und
geistigen wie körperlichen Zerrüttung der großen Massen des Volkes den
denkbar größten Vorschub leisten, die Kranken- und Armenhäuser, die
Gefängnisse und Irrenanstalten füllen helfen und eine Unzahl sozialer
Übel heraufbeschwören.

Heute trinkt man nicht mehr die leichten, nicht haltbaren Biere,
wie dies unsere Vorfahren taten, die höchstens 2 Prozent Alkohol
enthalten, sondern solches von durchschnittlich 4,5 Prozent bis zum
schweren Exportbier mit 8 Prozent Alkohol. Diese nähern sich sehr dem
Wein, der zwischen 9 und 15 Prozent Alkohol enthält, während die mit
Branntweinzusatz haltbar gemachten Südweine bis 22 und 24 Prozent
Alkoholgehalt steigen können und allmählich zu den Likören führen,
die 30 und mehr Prozent daran enthalten. Diese +Liköre+ werden in der
verschiedensten Stärke und Zusammensetzung aus entfuseltem Branntwein
mit Zusatz von Zucker, der ihm den milden, öligen Charakter verleihen
soll, aromatischen Pflanzenextrakten und Wasser in verschiedener Menge
hergestellt und, mit den verlockendsten Phantasienamen versehen,
zum Kaufe angeboten. Diese führen unmittelbar zu den eigentlichen
Schnäpsen, deren schwerste bis zu 70 Prozent Alkohol enthalten und
ätzend wie Feuerwasser den Schlund hinabgleiten.

Von dem im Deutschen Reiche erzeugten Branntwein kommen abzüglich
des exportierten durchschnittlich etwa 12 Liter auf den Kopf der
Bevölkerung. Nicht weniger als 78 Prozent desselben werden aus
Kartoffeln, 16 Prozent aus Getreide, 3 Prozent aus Melasse, 2 Prozent
aus Wein, Weinhefe und Trebern und nur 1 Prozent aus Obst und
Obsttrebern hergestellt. Für die Gewinnung des gemeinen +Spiritus+,
der auch für die technische Verwertung große Bedeutung erlangt hat,
ist heute die stärkemehlreiche Kartoffel das wichtigste Rohmaterial,
wie sie auch im Speisezettel von uns Mitteleuropäern eine dominierende
Rolle spielt.

Da der muhammedanischen Welt der Genuß geistiger Getränke von ihrem
Propheten verboten wurde, benützt sie die Trauben, soweit sie
dieselben nicht frisch genießt, durch Einkochen von deren süßen
Saft zur Herstellung von Sirup und verwendet sie auch getrocknet
in Form von Rosinen. In Asien ist die Traubenkultur besonders in
Persien verbreitet, wo die einheimische Kischmischtraube, aber auch
die südspanische Malagatraube gezogen wird. Dort wird außer dem
Schire genannten Traubensirup auch ein von den weniger strenge an
den Satzungen Muhammeds hängenden Persern genossener würziger Wein
hergestellt, der als Wein von Schiras oft genug von den Dichtern
besungen wurde. Außerordentlich alt ist die Rebenkultur auch in
Ostasien, wo das sehr früh zu namhafter Kultur emporgestiegene
mongolische Volk der Chinesen außer dem jetzt dort einzig noch
gebräuchlichen Reisbranntwein schon vor 4000 Jahren den Wein kannte
und die heute noch in Nordchina wildwachsende Rebe mit herrlichen
Trauben zu dessen Herstellung fleißig anpflanzte. Am Wein labten
sich damals nicht nur die Menschen, sondern er diente wie im Orient
und bei Griechen und Römern gleicherweise als Opfertrank für die zu
ehrende Gottheit. Doch wurde später seine Gewinnung und Benutzung von
einsichtsvollen Regenten verboten, und auf ihre strenge Weisung hin
mußten die Weingärten unerbittlich ausgerodet werden. Auch als zur
Zeit der römischen Kaiser die von Seidenhändlern aus Westasien nach
China mitgebrachte Rebe angebaut und Wein daraus zu bereiten versucht
wurde, untersagte die Regierung dieses Beginnen abermals. So vermochte
der Weinbau selbst im nördlichen China, wo er sehr gute Bedingungen
fände, bis heute nicht aufzukommen. Doch haben seit 1890 Europäer
kalifornische und österreichische Reben in Tschifu in der Provinz
Schan-tung eingeführt, und auch die fortschrittlich gesinnte Regierung
von Japan hat seit 1880 sehr gut gedeihende Versuchsweinpflanzungen mit
französischen, deutschen und österreichischen Reben eingerichtet.

[Illustration: Bild 45. Die Reblaus (~Phylloxera vastatrix~).

~a~ geflügelte Reblaus (Geschlechtstier), ~b~ Wurzellaus von unten,
~c~ Wurzellaus, an der Wurzel saugend; ~d~ Eier; ~e~ durch Saugen
der Reblaus entstandene krankhafte Anschwellungen an den Wurzeln der
Weinrebe.]

Am Kap der Guten Hoffnung, von wo heute ein vorzüglicher Wein in großen
Mengen exportiert wird, begründeten französische Hugenotten im Jahre
1685 den Weinbau. In Nordamerika schlug 1620 ein Versuch, aus der
wilden Rebe Virginiens Wein zu bereiten, fehl. So mußte der Wein aus
Europa für die Liebhaber desselben in der Neuen Welt eingeführt werden,
bis Schweizer Kolonisten ums Jahr 1800 aus der einheimischen Fuchsrebe
(~Vitis labrusca~) einigermaßen trinkbaren Rotwein herstellten. Festen
Fuß faßte der Weinbau in den Vereinigten Staaten aber erst seit dem
Jahre 1821, als Adlum die der Fuchsrebe nahe verwandte, ebenfalls
rotbeerige +Catawbarebe+ vom Flusse Potomac nach Washington brachte.
Heute sind sie in vielen Varietäten im Norden der Vereinigten Staaten
zur Weinbereitung kultiviert, während im Süden der Union die mehr die
Wärme liebende +Büffelrebe+ (~Vitis rotundifolia~) gezüchtet wird.
Da diese amerikanischen Reben noch nicht durch Jahrtausende alte
Kultur verzärtelt sind, erweisen sie sich viel widerstandsfähiger
gegen die Reblaus, jene bei uns so überaus gefürchtete Wurzellaus
des Weinstocks (~Phylloxera vastatrix~), welche in Frankreich fast
sämtliche weinbautreibende Departements heimsuchte und seit ihrem
Auftreten im Jahre 1869 bis heute jenem Lande einen Schaden von über 20
Milliarden Franken brachte. In Deutschland trat dieser Schädling zuerst
im Jahre 1874 auf, zeigte sich im Jahre 1881 im Ahrtal und hat von da
aus dank seiner unglaublichen Fruchtbarkeit -- die Nachkommenschaft
eines einzigen Tieres beziffert sich nämlich im Laufe eines Sommers
nach Millionen -- in der Folge auch andere Gebiete ergriffen, so daß
man sich zu den strengsten Gegenmaßregeln verpflichtet sah. Vor allem
begann man in den von der Reblaus am meisten heimgesuchten Gegenden
die dagegen bedeutend widerstandsfähigeren amerikanischen Reben als
Unterlagen für die europäischen zu benützen.

In den Vereinigten Staaten, die nun auch die besseren europäischen
Rebensorten besitzen, entwickelte sich der Weinbau am günstigsten
im Staate Ohio, bis in den letzten Jahren Kalifornien wie in der
Anpflanzung sämtlicher Obstarten, so auch im Anbau von Reben den
größten Vorsprung gewann. Endlich kam die Rebenkultur im Jahre
1862 auch nach Australien, wo sie heute schon eine ganz erhebliche
Ausdehnung besitzt.

Was nun die Weinerzeugung in den verschiedenen Weinbauländern betrifft,
so steht Italien mit 52 Millionen Hektolitern jährlichem Ertrag obenan,
ihm folgt Frankreich auf dem Fuße nach, dessen Durchschnittsertrag
der letzten zehn Jahre 49 Millionen Hektoliter betrug. Im Jahre 1908
hat Frankreich 60 Millionen Hektoliter Wein hervorgebracht. (Außerdem
wird in diesem Land eine Milliarde Hektoliter Kunstwein gebraut und
konsumieren das Departement du Nord 300 Liter Bier und das Departement
Calvados 350 Liter Apfelwein, auf den Kopf der Bevölkerung berechnet.)
An dritter Stelle steht Spanien mit einer Produktion von 21 Millionen
Hektoliter Wein pro Jahr. In weitem Absatz folgt an vierter Stelle
Algerien mit 8,6 Millionen Hektolitern. Nach ihm kommen Portugal mit
4,5 Millionen, Österreich mit 3,5 Millionen, Ungarn mit 3,1 Millionen,
Rußland und Rumänien mit je 2,6 Millionen, Bulgarien und Chile mit
je 2,1 Millionen, Deutschland mit 1,9 Millionen, die Vereinigten
Staaten von Nordamerika mit 1,6 Millionen, die Türkei und Cypern mit
1,5 Millionen, Argentinien mit 1,3 Millionen, Griechenland mit 1,5
Millionen und endlich die Schweiz mit 0,9 Millionen Hektolitern als
durchschnittlichem Jahresertrag an Wein. Dabei beträgt der mittlere
Weinverbrauch auf den Kopf der Bevölkerung in Litern jährlich: in
Spanien 115, Griechenland 109,5, Bulgarien 104,2 Portugal 95,6, Italien
95,2, Frankreich 94,4, Schweiz 60,7, Rumänien 51,6, Österreich-Ungarn
22,1, Türkei 20,3, Deutsches Reich 5,7, Rußland 3,3, Belgien 3,2,
Holland 2,2, Vereinigte Staaten 1,9, Großbritannien 1,7, Dänemark 1,2,
Norwegen 0,9 und Schweden 0,5.

Dieselbe Rolle, die die Rebe als Lieferantin eines berauschenden
Getränkes bei den Kulturvölkern der Alten Welt spielt, kommt bei
denen der Neuen Welt dem in alkoholische Gärung gebrachten zuckerigen
Saft der Agave zu. Wie die Kakteen sind die zu den Amaryllisgewächsen
gehörenden +Agaven+ ausschließlich in Amerika zu Hause und wachsen
dort in etwa 80 Arten in den regenarmen Steppen im südlichsten
Teile Nordamerikas, besonders aber in Mexiko und teilweise noch
im Andengebiet Südamerikas. Die wichtigste unter ihnen ist die in
Mittel- und im nördlichsten Südamerika heimische ~Agave americana~,
in Mexiko ~maguey~, weiter im Süden ~metl~ genannt. Bei uns wird
sie fälschlicherweise wegen einer gewissen Ähnlichkeit mit der
afrikanischen Lilienart Aloë, deren bitteres Harz als Abführmittel
vielfach bei allen Kulturvölkern der Erde Verwendung findet, auch Aloë
genannt, und zwar im Gegensatz zu jener +hundertjährigen Aloë+, weil es
bei uns viele Jahrzehnte gehen kann, bis sie zur Blüte gelangt und mit
der Fruchtreife ihre Vegetationsperiode abschließt, ein Ziel, das sie
in ihrer heißen, fast regenlosen Heimat, wo die Sonne das ganze Jahr
hindurch mit ungeschwächter Kraft scheint, in wenigen Jahren erreicht.
Am kurzen Stamm sitzt eine Rosette von 1-3 m langen, am Grunde oft
über 40 cm breiten und bis 30 cm dicken, graugrünen, dorniggezähnten,
fleischigen Blättern, deren inneres Gewebe als Nahrungs- und zugleich
Wasserreservoir dient. Hat die Pflanze genug Reservematerial erworben
und in ihren Blättern aufgespeichert, was in ihrer tropischen Heimat im
Alter von 6-10 Jahren, in unsern Gewächshäusern jedoch erst nach 40-60
Jahren der Fall ist, so treibt sie einen an der Basis über armdicken,
bis 10 m hohen Blütenschaft, der oben kandelaberartig viele Hunderte
von einschließlich der Staubgefäße 12-13 cm langen, gelbgrünen Blüten
aufweist. Nach Befruchtung derselben durch bestimmte Immen reifen
die dattelartigen Früchte heran, wonach die Pflanze, die dabei all
ihre Vorräte erschöpft hat, abstirbt, nachdem sie noch zahlreiche
Wurzelschößlinge hervorgetrieben hat, die man auch neben dem Samen zur
Vermehrung verwendet.

Die Magueypflanze wurde schon von den alten Mexikanern zur Gewinnung
eines berauschenden Getränkes in Plantagen angebaut, wie dies heute
noch in jenem Lande geschieht. Sobald sie ihren Blütenschaft zu treiben
beginnt, schneidet man ihr die Gipfelknospe heraus und vertieft die
Wunde zu einer schüsselförmigen Mulde von 30 bis 50 cm Durchmesser.
Diese füllt sich 1-6 Monate lang täglich mit dem für die Blüten- und
Fruchtbildung bestimmten zuckerreichen Saft in der Menge von 4-5, ja
bei kräftigen Pflanzen 7 Litern im Tag, so daß eine Pflanze nach und
nach bis 1100 Liter Zuckersaft liefert. Täglich wird dieser vermittels
eines langen, hohlen Kürbisses durch Aufsaugen gesammelt und in lederne
Schläuche gefüllt, in denen man ihn vergären läßt. Er liefert dann, auf
Flaschen gezogen, ein stark moussierendes, erfrischendes, aber leicht
berauschendes Getränk, das in Farbe und Geschmack an Berliner Weißbier
erinnert und das Nationalgetränk der Mexikaner bildet, die unglaubliche
Mengen davon vertilgen. Bei den alten Azteken hieß er ~oktli~, die
heutigen Bewohner Mexikos dagegen nennen ihn +Pulque+ (sprich pulke).
Überall im Lande gibt es sogenannte Pulquerias, d. h. Lokale, die
ihn frisch aus den Lederschläuchen, in denen er vergor, ausschänken.
Es sind meist nur offene Schuppen, die gleichzeitig als Tanzböden
dienen, in denen das vom Pulque animierte Volk seine Feste feiert.
Aus dem Pulque wird durch Destillation ein als ~tequila~ bezeichneter
Branntwein gewonnen, während mit Wasser und Zucker vermischter
Agavensaft nach kurzer Gärung den leichten, nur wenig berauschenden
~tepache~ liefert.

Durch Röstung des zuckerreichen Gewebes der treibenden Knospe
und der jungen Blätter und nachherige Gärung erhält man den sehr
alkoholreichen ~mescal~. Schon die alten Mexikaner liebten den Pulque
leidenschaftlich, aber dessen Genuß war vorsorglich nur bei hohen
Festen oder bei harter Arbeit den Männern vom 30. Jahre an gestattet.
Die jüngeren Leute und Frauen mußten sich mit dem aus Maismehl mit
Zusatz von etwas Honig und teilweise Kakao bereiteten Bier begnügen.
Außer dem beliebten Getränk lieferte ihnen die Agave in ihren äußerst
zugfesten Fasern, welche die fleischigen Blätter durchziehen und auf
höchst einfache Weise gewonnen wurden, Bindfaden und Stricke, wie
auch das Rohmaterial für Kleidungsstoffe und Papier. Die saftigen
Blätter wurden und werden heute noch als Gemüse gegessen, dienen
teilweise auch zum Dachdecken, während die starken Dornen als Nägel
oder zu Pfeilspitzen und die dürren Blütenschäfte als Lanzenstangen
benutzt wurden. Wie einst, so wird auch die Wurzel heute noch
arzneilich verwendet, und zwar besonders gegen die Syphilis, die schon
in vorkolumbischer Zeit stark im Lande verbreitet war, wie wir auch
aus mexikanischen und peruanischen Gesichtsurnen mit den typischen
Erscheinungen der tertiären Lues entnehmen können. Die Begleiter des
Kolumbus müssen diese Krankheit nach Europa gebracht haben, wo sie
kaum vorhanden war, jedenfalls keine nennenswerten Erscheinungen bot.
Kolumbus landete am 15. März 1493 in Südspanien nach der Entdeckung
des neuen Weltteils, den er aber bis zu seinem Tode nicht als solchen
erkannte, sondern für Indien ansah. Und seine Matrosen verbreiteten
alsbald die Krankheit, die, von den laxen Sitten und der mangelhaften
Reinlichkeit der damaligen Zeit begünstigt, in den Jahren 1494 und
1495 als neue Krankheit besonders in dem von Karl VIII. von Frankreich
geführten Heere stark auftrat und durch die heimkehrende Soldateska
eine gewaltige Ausdehnung durch ganz Europa fand, so daß sie von den
höchsten bis zu den niedersten Schichten der Gesellschaft zahlreiche
Opfer forderte.

Erst lange nach der Lustseuche, nämlich im Jahre 1561, kam auch die
Agave durch die Spanier aus Mexiko nach Spanien und von da nach dem
übrigen Südeuropa, wo sie sich überall, wie auch durch ganz Nordafrika,
so leicht verbreitete, so daß sie heute eine Charakterpflanze der
Mittelmeerländer geworden ist. Auch in Mittel- und Nordeuropa wird
sie vielfach in großen Kübeln zur Zierde gezogen, muß aber in
trockenen, frostfreien Räumen überwintert werden. Aber nicht nur in
den Mittelmeerländern, über alle tropischen und subtropischen Gegenden
hat sich die Agave verbreitet und wird vorzugsweise als Heckenpflanze
und zur Befestigung von Flußsand angebaut. Überall ist sie mit einer
anderen Amerikanerin, der +Opuntie+ oder dem +Feigenkaktus+ (~Opuntia
ficus indica~) vergesellschaftet, die beide aus demselben Lande stammen
und infolgedessen dieselben Lebensbedürfnisse aufweisen.

Die Opuntien sind wie alle Kakteen amerikanischen Ursprungs und wurden
ihrer schmackhaften Früchte wegen schon von den Mexikanern angepflanzt.
Mit den Agaven repräsentieren die Kakteen die Sukkulenten, d. h. mit
den Nährstoffen auch Wasser, an Schleim gebunden, in ihren Geweben
aufspeichernde Pflanzen, wie solche in den trockenen Gegenden der
Alten Welt, speziell Südafrikas, die Euphorbiazeen darstellen, die
teilweise den Kakteen sehr ähnliche Formen aufweisen.

Die eigentümlichen Gestalten der Kakteen und Agaven erregten bei den
im Gefolge des Fernando Cortez im Jahre 1549 670 Mann stark mit 15
Geschützen zur Eroberung des Landes auf die trockene Hochebene von
Mexiko hinaufsteigenden Spaniern um so mehr Aufsehen, als sie bis
dahin noch keinerlei Art aus der Familie der Sukkulenten gesehen
hatten. Schon im Berichte des Mönches Hernandez, der die Eroberung des
alten Kulturlandes auf der Hochebene von Anahuac mit der 2282 m über
Meer gelegenen Hauptstadt der Azteken, Tenochtitlan -- dem heutigen
Mexiko -- schildert, werden die Opuntien noch mehr als die Agaven mit
Ausdrücken des höchsten Erstaunens erwähnt. Auf jener Hochebene, wo
diese Kaktusart ihre Heimat hat, unterschied jener Mönch schon neun
verschiedene, kultivierte Opuntienarten, von denen die +baumartige
Feigendistel+, auch +indischer Feigenbaum+ genannt (~Opuntia ficus
indica~) mit 50 cm langen und 30 cm breiten Gliedern wegen ihrer
wohlschmeckenden Früchte wohl am häufigsten angepflanzt wurde. Sie
war damals schon als willkommener Obstspender über ganz Mittel- und
Südamerika verbreitet und gelangte in der Folge nach allen warmen
Ländern der Erde.

Von den 150 Opuntienarten, die in allen Ländern Amerikas heimisch
sind, wo überhaupt Kakteen gedeihen, und zwar meist in gebirgigen
Gegenden mit heißem, trockenem Klima vorkommen, ist bald auch die
+gemeine Fackeldistel+ (~Opuntia vulgaris~) mit kürzeren Gliedern
und zitronengelben Blüten von den Spaniern aus den südwestlichen
Vereinigten Staaten nach den Ländern am Mittelmeer gebracht worden,
wo sie jetzt neben der Agave ebenfalls als Charakterpflanze der
Landschaft auftritt. Wie jene ist sie, sich selbst überlassen, überall
verwildert und überzieht nun mit ihren stacheligen Stengelgliedern
die unfruchtbarsten Felswände und Steingründe und bietet in ihren
Früchten monatelang ein geschätztes Nahrungs- und Erfrischungsmittel
für das Volk wie in ihrer Heimat. Weil sie im Geschmack ähnlich wie
Feigen sind, haben sie den Opuntien, die sie erzeugen, die Bezeichnung
Feigenkaktus oder indischer Feigenbaum eingetragen. Da sie über und
über mit feinen Stacheln mit Widerhaken versehen sind, die sich
ungemein leicht bei der leisesten Berührung in Finger und Lippen
beziehungsweise Zunge einbohren, müssen sie zuvor sorgfältig geschält
werden. Die Stengelglieder frißt das Vieh und die ganze Pflanze dient
mit Vorliebe zu Einzäunungen. In ihrer Heimat, den trockensten
Gegenden von Nordmexiko und Texas, sind sie als nahrhaftes Futter
und Wasserspender für das Vieh ungemein wichtig, so daß sich die
Verbindungswege durch die steinigen Wüsten danach richten, wo die
meisten Exemplare dieser Pflanzenart wachsen.

    Tafel 79.

[Illustration:

    (~Copyright by F. O. Koch.~)

Ein beinahe ausgewachsener Kokastrauch.

Indianer auf dem Hochlande von Anahuac in Mexiko bei der Gewinnung
des Zuckersaftes einer am Blühen verhinderten Magueipflanze (~Agave
americana~) zur Bereitung von Pulque.]

    Tafel 80.

[Illustration:

    (~Copyright by Underwood & Underwood.~)

Opiumrauchende Perser

Fruchtbeladener Feigenkaktus (~Opuntia ficus indica~) auf dem Hochlande
von Anahuac in Mexiko. (Nach Photogr. von ~Dr.~ H. Roß.)]

In seinem lateinischen Buche über die Gärten Deutschlands vom Jahre
1561 erwähnt der Züricher Naturforscher Konrad Gesner zum erstenmal
die Fackeldistel als Bürgerin Europas unter der Bezeichnung ~ficus
indica~, d. h. indische Feige. Sie muß damals in Spanien, Nordafrika
und Süditalien schon ziemlich häufig gewesen sein und hat sich seither,
wie die Agave, nördlich bis Bozen verbreitet. Seit etwa 50 Jahren
ist sie besonders in Neusüdwales und Queensland, wohin sie ihrer
Früchte wegen wie in die übrigen Länder der Tropen und Subtropen vom
Menschen verbracht wurde, dermaßen verwildert, daß sie Tausende von
Quadratkilometern Land für die Kulturen des Menschen entzogen und
wertlos gemacht hat. Alle Verteidigungsmaßregeln gegen ihr Überwuchern
blieben erfolglos.

Neuerdings ist es dem berühmten kalifornischen Pflanzenzüchter Luther
Burbank in Santa Rosa, der in seinen kostspieligen Versuchen teilweise
durch den in Schottland niedergelassenen einstigen nordamerikanischen
Stahlkönig Carnegie finanziell unterstützt wurde, gelungen, eine völlig
stachellose, großstengelige und überaus saftige Abart der Opuntie
zu züchten, die äußerst leicht durch Ableger sich fortpflanzt -- es
genügt dazu, einfach ein Stückchen der fleischigen Stengel in den
Boden zu stecken, wo es ohne weiteres anwächst -- und sowohl durch
die Stengelglieder, als auch durch die sehr wohlschmeckenden und
nahrhaften feigengroßen Früchte ein geradezu unschätzbar wertvolles
Geschenk für alle wasserarmen, wüstenhaften Gegenden, in denen sich der
Mensch niederläßt und durch künstliche Berieselung mit Hilfe von durch
Dämme gestautem Wasser sich Existenzbedingungen schafft, zu werden
verspricht. Im Jahre 1909 ist dieses einzigartige Züchtungsprodukt
des „Zauberers von Santa Rosa“ (wie Burbank von seinen Landsleuten
mit Vorliebe genannt wird), das so reiche Ernten wie kaum eine andere
Pflanze liefert, zum erstenmal in den Handel gelangt. Sein Anbau soll
sich nach dem hauptsächlichen Mitarbeiter von Burbank, ~Dr.~ Doud, auch
im südlichen Deutschland in wärmeren Lagen rentieren. Dabei soll die
Pflanze eine Durchschnittsernte von 50000 bis 75000 kg auf den Acre
(= 40,5 Ar) ergeben. Die Stengelglieder bilden ein wohlschmeckendes,
nahrhaftes Gemüse für Menschen und Tiere, das gekocht und roh, auch
als Salat, gegessen werden kann, und die ebenfalls stachellosen,
rötlichen Früchte sollen von unvergleichlichem Wohlgeschmack sein.

Wir können die Besprechung dieser für die künftige Besiedelung von
Wüstengegenden durch den Menschen eine geradezu unabsehbare Bedeutung
aufweisende Opuntie nicht verlassen, ohne hier noch kurz zu erwähnen,
daß die Opuntien zuerst unter dem mexikanischen Namen tuna in Spanien
bekannt wurden und von da, wie De Candolle meint, von den durch
Ferdinand V., den Katholischen, nach der Eroberung des letzten Restes
maurischer Herrschaft, nämlich Granadas 1492, vertriebenen Arabern --
tatsächlich aber erst später in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts
durch die Spanier selbst -- nach Nordafrika verbracht wurden, wo sie
unter dem Namen „Feigen der Christen“ allgemeine Verbreitung fanden.
Die Bezeichnung ~Opuntia tuna~ kommt heute einer baumartigen Verwandten
der ~Opuntia ficus indica~ mit roten Blüten zu, die in Mexiko und
in den Anden des nördlichen Südamerika wild wächst und neben der
~Opuntia pseudotuna~ mit roten Stengelgliedern und gelben Blüten und
dem Nopalkaktus (~Nopalea coccinellifera~) in Mexiko, der, nebenbei
bemerkt, im Wappen dieses Landes figuriert, früher als Weidepflanzen
für die einst zur Gewinnung von Karmin, das heute auf chemischem Wege
hergestellt wird, gezüchteten Cochenilleschildläuse diente. Dabei zog
man besonders solche Arten vor, die keine Stacheln trugen, weil man
sich in diesen Gebüschen beim Ablesen der den vormals sehr wichtigen
Farbstoff liefernden Tiere ungehinderter bewegen konnte. Besonders
blühte die Cochenillekultur zuletzt auf den Kanarischen Inseln, bis ihr
durch die Entwicklung der Teerfarbenindustrie ein jähes Ende bereitet
wurde. Auch die Früchte der birnförmigen, fleischigen Tunaopuntien sind
eßbar und werden in der Heimat der Pflanzen von der Bevölkerung sehr
gern verzehrt.

Zum Schluß sind hier der Vollständigkeit wegen noch zwei Arten
berauschender Getränke kurz zu erwähnen, denen eine gewisse Bedeutung
nicht abzusprechen ist. Das eine ist der in ganz Polynesien, besonders
den Samoa-, Sandwich- und Freundschaftsinseln beliebte +Kawa+, der von
der fleischigen Wurzel einer Pfefferart gewonnen wird. Es ist dies
der +Kawapfeffer+ (~Piper methysticum~), ein 2 m hoher Strauch mit
langgestielten, eiförmigen Blättern und dicker, fleischiger Wurzel.
Aus dieser letzteren wird der betäubende Trank in der Weise gewonnen,
daß Frauen und Jungfrauen in Scheiben geschnittene Stücke derselben
gehörig zerkauen und in Gefäße spucken, worin die Masse, mit Wasser
übergossen, eine kurze Zeit liegen bleibt, bis das Stärkemehl mit
Hilfe des diastatischen Speichelferments in Zucker und dieser durch
die allgegenwärtigen Hefepilze in Alkohol übergeführt worden ist. Der
wichtigste betäubende Stoff darin ist aber ein der Wurzel innewohnender
Stoff, der in besonderer Weise auf das Zentralnervensystem einwirkt,
indem der Trinker bei ausgiebigem Kawagenuß bei vollem Bewußtsein
die Herrschaft über seine Glieder verliert. Der in Polynesien wild
wachsende Kawapfeffer wird als geschätztes Genußmittel auch von
den Eingeborenen angepflanzt. So hat die deutsche Insel Samoa im
vergangenen Jahr nicht bloß ihren eigenen Bedarf gedeckt, sondern
auch noch 16900 kg im Werte von 25400 Mark nach den Nachbarinseln
auszuführen vermocht.

Wer in Samoa, der Perle der Südsee und wohl dem schönsten Stückchen
des ganzen deutschen Kolonialbesitzes reist, der darf überall,
wohin er kommt, bei der unbegrenzten Gastfreundschaft der Samoaner
der besten Aufnahme gewiß sein. In jedem Dorf ist eine Taupo
genannte Ehrenjungfrau vorhanden, der als Repräsentantin des
Dorfes die Unterbringung und Bewirtung des Fremden obliegt. Mit
untergeschlagenen Beinen läßt sich der Besucher auf den mit Matten
belegten Boden der sauberen, offenen Hütte nieder. Die Dorfältesten
folgen diesem Beispiel, und es beginnt die zeremonielle Bereitung
des Nationalgetränkes. Die Taupo, manchmal zusammen mit anderen
Mädchen, speit die durch längeres Kauen zerkleinerte Kawawurzel in
eine flache, auf mehreren Füßen ruhende Holzschüssel, gießt aus einer
hohlen Kokosnuß Wasser hinzu, läßt das Ganze etwas stehen, zieht zum
Schluß den ausgelaugten Brei zur Entfernung der holzigen Bestandteile
durch ein Bastsieb und die Bowle ist fertig. Lautes Klatschen des
Hausherrn zeigt die Fertigstellung der Kawa an. Die Taupo reicht den
Becher mit dem graugrünen, von den einen wie Pfefferminztee, von
andern wie Seifenwasser schmeckend angegebenen Getränk dem Gaste,
dessen Name verkündet wird und der ihn mit dem samoanischen Prosit
„~Manuia~“ leert und der Taupo zurückgibt. Das Trinkgefäß macht dann
die Runde bei allen Anwesenden, genau in der Reihenfolge ihrer Würde
und ihres Alters. Während des Rundtranks werden zahlreiche Reden
gehalten. Der Gast wird von den hervorragendsten Anwesenden begrüßt.
Man dankt ihm in wohlgesetzter Rede für seinen Besuch und bittet um
seine Freundschaft. Nach dem Bewillkommnungstrank werden die Speisen
aufgetragen: Bananen, Yams, Taro, Fische, Muscheln, Kokosnüsse, Hühner
und eventuell Schweine. Alles, auch das Obdach für die Nacht, soll der
Gast mit dem Wirte teilen. In derselben Hütte schläft auch die Taupo;
aber sie ist Tag und Nacht von zwei älteren Ehrendamen bewacht, die
auf ihre Reinheit acht haben. Denn im Gegensatz zu den gewöhnlichen
Mädchen Samoas, die sich in ihrem ledigen Stande alles erlauben dürfen,
ohne an Ansehen zu verlieren, muß die Taupo unantastbar bleiben, um
später die Frau irgend eines angesehenen Häuptlings zu werden. Wie zur
Begrüßung des Gastes spielen die Taupo und die Kawa bei allen Festen,
Versammlungen und sonstigen offiziellen Anlässen eine höchst wichtige
Rolle im samoanischen Leben.

Das andere berauschende Getränk gehört der Geschichte an und spielte
einst beim asiatischen Zweige der Indogermanen eine große Rolle. Es
ist dies der +Somatrank+ der alten Inder oder der +Haoma+ der alten
Perser. Von keinem berauschenden Getränke reichen die Urkunden so
weit zurück, keins ist durch seinen Gebrauch in ein so mystisches
Dunkel gehüllt und keins ist je höher gepriesen worden, als dieser
heilige, nicht nur belebende und beseligende, sondern Menschen und
Göttern Kraft und Gesundheit spendende Trank, mit dem auch Indra --
in der ältesten Zeit, von der wir hier sprechen, der oberste Gott der
Inder, der Schöpfer und Erhalter der Welt, der später zum Haupt der
niederen Götter wurde -- sich zum Kampfe gegen die Dämonen stärkte.
Nach den geschichtlichen Überlieferungen und den Angaben des Sâma-Veda
war dieser Somatrank eine Art Met, der aus einer in Gärung gebrachten
Honiglösung mit Zusatz von Gersten- oder anderem Mehl und Milch oder
Molken hergestellt wurde, wozu höchst sparsam als Würze der Saft einer
mit großer Sorgfalt in mondhellen Nächten auf Bergeshöhen gesammelten
Staude hinzugefügt wurde. Die blattlosen oder entblätterten Stengel
der als ~Soma-lata~ bezeichneten Somapflanze wurden dann unter dem
Gesange bestimmter Hymnen mit Steinen zerquetscht und ausgepreßt, um
den so hochgeschätzten Saft dem Gemisch von Gerstenmehl und Milch in
vergorener Honiglösung zu spenden. Sicheres über diese Pflanze wissen
wir nur so viel, daß sie auf dem Gebirge wuchs und Milchsaft führte.

Wie hoch die arischen Inder der vorgeschichtlichen Zeit ihren
heiligen Somatrank als Labung für Menschen und Götter priesen, mögen
folgende Stellen aus dem Sâma-Veda dartun: „Wir jauchzen dir zu, du
ausgepreßter Soma, dir, dem gerstengemischten Somatrank! Gar köstlich
schmeckend und von Milch strotzend, gehst du erhebend honigsüßer
Glanzstrahl. Du gehst, o Reiniger, unaufhaltsam strömend für Indra,
o Soma, ringsum flutbesprengt. -- Den schönen, gottersehnten Trank,
in Flut gereinigt und von Männern gepreßt, würzen mit Milch die Kühe.
-- Wie Vögel sitzen um dich her beim milchgekochten Met, dem süßen,
die Indra preisen. Ihm gebührt der milchgemachte Göttertrank. -- Wir
denken dein, Falbrossiger. (Damit ist Indra gemeint.) Im Opfer gedenke
unseres Lobgesangs in des Soma Rausch. -- Sprengt ringsum den Soma,
das wichtigste Opfer, das wir mit Steinen gepreßt haben. Diesen haben
wir, mit Gerste wie mit Milch ihn mischend, versüßt, o Indra, an diesem
Feste. -- Freue dich des kuhgemischten Trankes!“

Wie er im alten Indien bei keinem Opfer fehlte, so wurde bei den
alten Persern kein Gebet gesprochen, ohne ihn genossen zu haben. Von
ihm sollten sich die Götter ernähren. Der um 25 n. Chr. verstorbene
griechische Geograph Strabon aus Amasia in Pontos berichtet, daß
bei jedem Hause in Persien eine Haomapflanzung und in jedem Hause
ein Holzmörser mit Keule zum Stampfen und Auspressen des Saftes ein
unerläßliches, heiliges Gerät sei, welches gleich dem Feuer und dem
Bündel von Myrtenzweigen vor Entweihung geschützt werden müsse. Wie
in Indien so geschah auch in Persien die Bereitung des Haomatrankes
unter Lobgesängen und liturgischen Gebeten. Der in Rom als Lehrer der
Philosophie lebende griechische Schriftsteller Plutarchos (50-120
n. Chr.) beschreibt die Zubereitung des von ihm als Omomi (= Haomi)
bezeichneten Getränkes. Nach ihm wurde dazu der Saft einer in Armenien
und Medien wachsenden, dem Weinstocke ähnlichen Pflanze mit knotigen
Stengeln, Blättern wie Jasmin, Blüten wie Levkoje, traubenförmigen
Samen, duftend und von bitterem Geschmack genommen. Vielleicht ist der
auf assyrischen Bildwerken, in denen der König mit erhobener Schale
ein Trinkopfer darbringt, dargestellte, in seltsam verschlungener
Figur den heiligen Baum, die Dattelpalme, umrankende Gewächs, das
uns auch anderweitig auf Skulpturen, von geflügelten, adlerköpfigen
Gottheiten adorierend umstanden, entgegentritt, nichts anderes als
die Haoma der Alten. Und zwar glaubte man bis in die neueste Zeit
zwei nahe miteinander verwandte, in Indien und Persien einheimische
milchsaftführende Calotropisarten, die noch wildwachsend angetroffen
werden, für die heilige Somapflanze ansehen zu dürfen. Kürzlich hat
jedoch Joseph Bornmüller festgestellt, daß die indischen Parsen, die
die altiranischen Religionsgebräuche bis in die Gegenwart bewahrten,
zu ihren gottesdienstlichen Handlungen die auf felsigen Standorten
wachsende sehr ästige, blattlose und äußerlich einem Schachtelhalme
ähnliche Strauchart ~Ephedra vulgaris~ aus Persien beziehen. Man darf
also diese als die heilige Haomapflanze der Perser ansehen, die von
jeher als identisch mit der Somapflanze der Inder galt. Der aus ihr
ausgepreßte Saft, der später zum Gotte Soma erhoben wurde, erhielt
später bei den Ariern dieselbe Bedeutung wie der Wein im christlichen
Abendmahle.

Übrigens wird noch heute der Saft gewisser Calotropisarten von manchen
Stämmen des Sudans dem Hirsebrei zugesetzt, während andererseits manche
Tatarenstämme ihren aus Pferde- und Kamelmilch bereiteten Getränken
gern narkotische Säfte von Kräutern hinzufügen. Bei den alten Ariern
wird eben jenes ältere Genußmittel mit der Zeit durch bessere, jüngere
verdrängt worden sein, wodurch es bald in völlige Vergessenheit geriet,
bis auf die streng an den Gebräuchen ihrer Vorfahren hängenden Parsen,
von denen ja heute noch wie vor Tausenden von Jahren das Feuer als eine
Gottheit verehrt wird.



XVI.

Die betäubenden Pflanzenstoffe.


Ähnlich wie die geistigen Getränke, aber noch in weit stärkerem
Maße die Gehirntätigkeit in besonderer, vielfach krankhafter Weise
beeinflussend wirken andere narkotische Pflanzenstoffe, denen wir
nunmehr unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden haben. Bei der ungeheuer
wichtigen Rolle, die die hierher gehörenden Drogen spielen, sind die
sie erzeugenden Pflanzen von der größten kulturgeschichtlichen und
wirtschaftlichen Bedeutung. Denn, wie wir bereits zu Beginn des vorigen
Abschnitts sahen, sind die narkotischen Gifte dem Menschen vielfach
unersetzliche Genußmittel, die er sich schon auf niedriger Kulturstufe
unbedingt zu verschaffen sucht. Kein Volk der Erde ist so armselig
und primitiv, daß es nicht im Besitze irgend eines Mittels wäre,
dessen Genuß den Geist in einen Rauschzustand zu versetzen vermag. Und
zwar ist die Erlangung eines solchen Rauschmittels den Naturvölkern
vielfach wichtiger als der Besitz von Nahrung spendenden Pflanzen. So
bauen manche von Viehzucht lebende Negerstämme Tabak an, pflanzen aber
daneben keinerlei Getreide.

Unter diesen „Sorgenlösern“, die den Menschengeist in künstliche
Ekstase, d. h. in einen Zustand des Entrücktseins in andere Welten
versetzen, spielt der +Haschisch+ eine sehr wichtige Rolle. Sind doch
nicht weniger als etwa 250 Millionen Menschen in Asien und Afrika
Haschischesser oder Haschischraucher. Mit Vorliebe wird er in Konfekt
genossen, wie ja die Orientalen meist das Süße lieben. Dieser Haschisch
besteht aus einer ein ätherisches Öl, Harze und verschiedene Glykoside
enthaltenden Ausscheidung der in Ostindien heimischen und von dort sehr
früh schon in Persien eingeführten +Hanfpflanze+ (~Cannabis indica~).
Schon bei uns riecht diese mit dem Hopfen aufs engste verwandte, in
weiblichen und männlichen Exemplaren auftretende Krautart aromatisch
und betäubend. In noch viel höherem Maße ist dies in warmen Gegenden,
speziell im heißen Indien der Fall, wo sie allein ein gelblichgrünes,
aromatisch riechendes Gummiharz aus den Stengeln und namentlich den
Blütenständen ausscheidet. Dieses wird gesammelt, indem Arbeiter, in
der Regel nackt, nur ausnahmsweise mit einem Lederanzuge bekleidet,
durch die Hanffelder streifen. Dabei klebt ihnen die vom Hanf
ausgeschiedene harzige Masse an. Diese wird dann mit stumpfen Messern
abgeschabt und zu einem dem Opium ähnlichen Teig zusammengeknetet.
Wie dieses wird es in besonderen kleinen Pfeifen geraucht oder als
grünliches Extrakt mit allerlei meist parfümierten Kuchen, sogenannten
Fröhlichkeitskuchen, und in Form von Konfekt genossen. Die Wirkung des
Haschisch ist derjenigen des Tabaks ähnlich, nur viel stärker, indem er
rasch betäubt und Delirien erzeugt.

[Illustration: Bild 46. ~a~ blühender Sproß des weiblichen Hanfs
(~Cannabis indica~); ~b~, ~c~ einzelne Blüte, vergrößert; ~d~ Samen
von außen; ~e~ Durchschnitt durch denselben; ~f~ Harzdrüse, sehr stark
vergrößert. (Nach Hegi.)]

Besonders reich an diesem narkotischen, harzigen Gifte sind die
weiblichen Blütenstände, die deshalb auch getrocknet als solche
geraucht oder zur Extraktion von Haschisch verwendet werden. Von
der Anwendung des getrockneten Krautes, namentlich der weiblichen
Blütenstände als den am narkotischen Stoffe reichsten Teilen, zum
Rauchen wie Tabak, um eine beglückende Betäubung an sich hervorzurufen,
rührt der Name der Droge her; denn ~haschîsch~ heißt persisch das
Kraut. In Indien unterscheidet man zwei Sorten desselben: ~bhang~
oder ~siddhi~, die zur Blütezeit entnommenen, zerkleinerten Blätter,
die mit Wasser oder Milch, Zucker nebst schwarzem Pfeffer und anderem
Gewürz zu einer grünen Flüssigkeit zerrieben werden, und ~gânjâ~,
die getrockneten, jungen, weiblichen Blütentriebe, die, dem Tabak
beigemischt, in der Wasserpfeife geraucht werden. Letzterer gilt als
viel kräftiger und wird deshalb auch viel teuerer bezahlt. Während von
ersterem etwa 30 g für den daran Gewöhnten genommen werden müssen,
genügen von letzterem viel kleinere Mengen, um eine ausgiebige Wirkung
zu erzielen. In anderen Ländern bindet man die wirksamen Bestandteile
an Butter, mischt diese mit Gewürzen und formt aus der Masse Pillen,
die als beliebtes ~hadschi~ eingenommen werden.

Nächst Indien ist Persien das Hauptland der Erzeugung und des
Verbrauches von Haschisch. Hier ist, wie in Indien, die Kultur des
Hanfes als Rauschmittel uralt, und die altpersische Sprache bezeichnet
die Trunkenheit mit einem Worte (~banga~), das im Sanskrit Hanf
bedeutet. Von Persien drang die Hanfkultur früh schon westwärts vor
und gelangte schon um die Mitte des 2. vorgeschichtlichen Jahrtausends
nach Südrußland zu den Viehzucht treibenden Skythen. Der im Jahre 484
v. Chr. geborene griechische Geschichtschreiber Herodot nennt uns
den Hanf als Betäubungsmittel dieses Volkes. Nach ihm streuten die
Skythen, um sich zu betäuben, Hanfkörner auf glühend gemachte Steine,
die auf den Boden von kleinen Schwitzbadhütten gebracht worden waren,
und atmeten den so entstehenden Qualm ein. Dadurch wurden sie in einen
solchen Rausch versetzt, daß sie aus lauter Behagen laut brüllten.
Auch bei den Thrakern war sein Gebrauch damals schon üblich; außerdem
benutzten sie die Fasern des Hanfstengels, um Stoff daraus zu weben.
Beides war den Griechen, die die Pflanze noch nicht kannten, neu.
Ebenso bauten die Kelten bereits den Hanf an, um sich seiner sowohl als
narkotisches Genußmittel, als auch als Gespinstpflanze zu bedienen. Als
der König Hieron II. von Syrakus, der von 269-215 v. Chr. regierte,
ein ungeheures Prachtschiff baute, zu dessen Herstellung er aus allen
Ländern am Mittelmeer das Beste in seiner Art kommen ließ, wurden Hanf
zu Tauen und Pech von den Kelten des unteren Rhonetales im südlichen
Gallien bezogen. Also muß die Hanfkultur damals schon bei ihnen in
hoher Blüte gestanden haben. Von den römischen Schriftstellern ist der
ums Jahr 100 v. Chr. lebende Satiriker Lucilius der erste, der den Hanf
als Gespinstpflanze erwähnt und Plinius der ältere (23-79 n. Chr.)
berichtet in seiner Naturgeschichte, daß der Hanf um die Ortschaft
Reate im Sabinerlande Baumeshöhe erreiche.

Die alten Juden und Ägypter kannten den Hanf noch nicht. Erst die
Araber, die sich seiner vorzugsweise als Berauschungsmittel bedienten,
brachten dessen Kultur im Nilland, wie in Nordafrika in Blüte. Aber
noch am Ende des 18. Jahrhunderts wurde diese Pflanze nur zur Gewinnung
von Haschisch gepflanzt, der heute einen sehr großen Teil seiner
Anhänger in Afrika zählt. Als neuartige Gespinstpflanze erwähnt den
Hanf zum erstenmal in Palästina die jüdische Gesetzessammlung des
Mischna.

In geringen Dosen genossen bewirkt der Haschisch ein nicht
endenwollendes Lachen, zugleich wird die Phantasie mächtig angeregt
und entzückende Bilder ziehen am geistigen Auge vorüber. Die
Ideenverkettung wird durch ihn beschleunigt, die Sinneseindrücke
werden lebhafter und die Sexualsphäre wird erregt. Etwas größere Dosen
rufen ein traumhaftes Glückseligkeitsgefühl hervor, es entsteht ein
Gefühl der Körperlosigkeit, der für den Berauschten das Vorhandensein
von Raum und Zeit ausschließt. Noch größere Dosen lösen berückende
farbige Visionen aus, bewirken aber auch Delirien und Tobsuchtsanfälle.
Der Genuß dieses Mittels ist am größten bevor dessen Gebrauch zur
Gewohnheit wird. Sobald aber letzteres der Fall wird, stellen sich
hochgradige Schädigungen des Nervensystems und aller Körperorgane ein,
die eine zunehmende Melancholie mit fortschreitender Verblödung des
Geistes und körperlichem Verfall bewirken, bis schließlich der Tod
durch Schlaganfall oder Lähmung eintritt. Dieser durch Haschischgenuß
hervorgerufene Zustand einer Ekstase spielt bei manchen religiösen
Sekten des Morgenlandes eine große Rolle. Am bekanntesten unter ihnen
ist die heute nur noch in einigen hundert Familien im Libanongebirge
hausende Sekte der Assassinen, die von einem schiitischen Muhammedaner,
Hassan aus Chorasan, im Jahre 1090 gegründet wurde, indem er zunächst
eine Anzahl persischer Jünglinge um sich sammelte, die er durch
Haschischgenuß ihm völlig ergeben und zu willenlosen Werkzeugen seiner
fanatischen Ideen machte. Zur Zeit der Kreuzzüge waren die Assassinen
als Meuchelmörder von den Christen sehr gefürchtet. Die Burg Kahf im
Libanon war die Residenz ihres Häuptlings, des Scheich ul dschebel,
d. h. Oberhaupt des Gebirges, von den Europäern nur der „Alte vom
Berge“ genannt. In Syrien von den Machthabern namentlich im 12. und
13. Jahrhundert mißbraucht, sanken sie nach und nach zu gewöhnlichen
Meuchelmördern herab, die für Geld jedem dienten, so daß seither bei
den Romanen ~assassin~ so viel als Meuchelmörder bedeutet.

Bei uns sind alkoholhaltige Getränke die häufigsten, aber auch die
ärmlichsten Erreger der künstlichen Ekstase. Dazu dient im Orient,
dem der Alkohol nach dem Gebote des Propheten Muhammed in jeder Form
versagt blieb, außer dem Haschisch auch das +Opium+. Es ist dies
bekanntlich der eingetrocknete Milchsaft des +Schlafmohns+ (~Papaver
somniferum~), der ein Abkömmling des in den Mittelmeerländern,
besonders Kleinasien, heimischen ~Papaver setigerum~ ist, der sich
durch borstig behaarte Kelchblätter und Stengel von der kultivierten
Art unterscheidet. Dieser wilden Urform stand, nach der Beschaffenheit
der uns erhalten gebliebenen Samenkörner zu urteilen, noch der Mohn
sehr nahe, den die neolithischen Pfahlbauern der Schweiz in ihren wenig
sorgsam mit der Hacke bearbeiteten kleinen Feldern an den Seeufern
pflanzten. Wie andere vorgeschichtliche Völker werden sie sich der
Samen vorzugsweise als Ölspender, daneben aber auch noch als Heilmittel
zur Betäubung von Schmerzen bedient haben, wie dies heute noch bei der
Bauernbevölkerung auf dem Lande geschieht.

Bei den alten Griechen waren die jene Samenkörner bergenden
Fruchtkapseln des Mohns die sinnbildlichen Attribute des Schlafgottes
Morpheus. Also müssen sie schon früh die betäubende Wirkung dieser
Samen und überhaupt der ganzen Pflanze gekannt haben. Doch bauten auch
die Griechen der ältesten Zeit den Mohn nicht zur Opiumgewinnung,
sondern zur Ernte seiner ölreichen Samen, wie heute noch die
mitteleuropäische Bauernbevölkerung, an. Daneben mögen gelegentlich
die schmerzlindernden Eigenschaften der verschiedenen Produkte der
Pflanze benutzt worden sein; aber das waren große Ausnahmen. Der Mohn
war ihnen eine Ölpflanze. Zu diesem Zwecke muß er schon wenigstens
im 9. vorchristlichen Jahrhundert von Kleinasien her in Griechenland
eingeführt worden sein; denn der im 8. vorchristlichen Jahrhundert
in Böotien lebende Dichter Hesiod nennt uns in seiner Theogonie eine
Ortschaft Mēkṓne, d. h. Mohnstadt, wohl von der dort besonders intensiv
betriebenen Mohnkultur herrührend. Diese unweit von Korinth gelegene
Ortschaft wurde dann später infolge ihrer ausgedehnten Gurkenkultur
in Sikyon, d. h. Gurkenstadt umgetauft, als welche sie uns in
geschichtlicher Zeit entgegentritt.

Es ist bemerkenswert, daß noch Hippokrates von Kos, der von 460-364
v. Chr. lebende größte griechische Arzt, das Opium nicht kannte,
wenn er auch den Milchsaft opós der Blätter und Früchte als
Linderungsmittel bei Schmerzen anwandte. Auch der Schüler des großen
Aristoteles, Theophrastos (390-286 v. Chr.), kannte so wenig als die
Hippokratiker das Opium, und wo er von ~mēkóneion~ spricht, meint
er damit den betäubenden Milchsaft einer Wolfsmilchart (~Euphorbia
peplus~). Erst im 3. vorchristlichen Jahrhundert scheint in
Griechenland die Verwendung des durch Ritzen der unreifen Fruchtkapsel
des Mohns gewonnenen Milchsafts als Arzneimittel aufgekommen zu sein.
Wenigstens sind Diokles von Karystos und Herakleides von Tarent die
ersten griechischen Ärzte, von denen berichtet wird, daß sie diese
Droge zur Schmerzlinderung anwandten.

Das von der griechischen Bezeichnung dafür, nämlich ~opós~ Milchsaft,
abgeleitete ~ópion~ übernahmen dann die Römer mit der Droge, deren
Kenntnis ihnen die bei ihnen ihre Tätigkeit ausübenden griechischen
Ärzte vermittelten. Zu Beginn der römischen Kaiserzeit wurde außer
in Kleinasien besonders auch in Ägypten, später auch in Spanien und
Nordafrika Opium gewonnen, wie wir von den damaligen Schriftstellern
vernehmen. Zu Beginn des Mittelalters kam dann das Opium im Abendlande
fast ganz außer Gebrauch, während es die arabischen Ärzte noch
teilweise anwandten. Dafür wurden Abkochungen der Mohnkapseln, die für
weniger gefährlich galten, benutzt. Erst im späteren Mittelalter kam
das Opium im Abendlande wieder zur Benutzung, worüber das Nähere im
Abschnitt über die Heilpflanzen mitgeteilt werden soll.

Für jetzt genüge die Feststellung der Tatsache, daß, wie schon im
Altertum, so noch heute Kleinasien das beste Opium erzeugt. Dort wird
die Kultur des Schlafmohns und die Gewinnung des Opiums aus dessen
unreifen Fruchtkapseln in folgender Weise betrieben. Die einjährige
Pflanze mit den hübschen, weiß bis violett gefärbten Blüten wird nach
den Herbstregen in drei Perioden vom September bis März ausgesät, um
so den Wechselfällen des Klimas zu begegnen und die Arbeitskräfte
während einer längeren Periode auszunützen. Auf dem gut gedüngten
Boden wächst die Pflanze rasch heran, erreicht die Höhe von 1 m und
erzeugt durch reiche Verästelung 5-30 Blüten. Etwa 6-7 Tage nach dem
Abfallen der Blumenblätter bekommen die jungen, grünen Fruchtkapseln
einen bläulichweißen Anflug und sind zur Opiumernte recht. Nun muß die
Arbeit in 8-10 Tagen vollendet werden, da sie später keinen Milchsaft
mehr austreten lassen. Die Opiumgewinnung geschieht in der Weise, daß
die grünen Fruchtkapseln in den Nachmittagsstunden mit einem Messer,
dessen Klinge bis auf die Spitze mit Bindfaden umwickelt ist, mit
mehreren wagrechten Schnitten angeritzt werden. Der dabei aus den
Wunden austretende weiße Milchsaft gerinnt rasch an der Luft und nimmt
eine gelbrötliche und zuletzt bräunliche Farbe an. Am folgenden Morgen
wird er mit dem Messer vorsichtig abgelöst und auf ein Mohnblatt
abgestrichen. Ist eine größere Masse beisammen, so knetet man daraus
Kuchen von etwa 600 g Gewicht, die man in Mohnblätter einschlägt
und im Schatten gut trocknen läßt, damit sie nicht später auf dem
Transport faulen. Damit die Opiumbrote nicht zusammenkleben, werden
sie durch dazwischen gestreute trockene Rumex- oder Sauerampferfrüchte
getrennt. So werden sie in kleine Säcke und diese ihrerseits wieder
in Körbe gepackt, die nach Smyrna oder Konstantinopel ausgeführt
werden. Durchschnittlich produziert Kleinasien jährlich 400000 kg
Opium. Doch unterliegen Erzeugung, Ausfuhr und Preis desselben starken
Schwankungen, da der Ertrag der Fruchtkapseln an Milchsaft nach den
Jahrgängen sehr ungleich ist. Je reifer die Frucht wird, eine um so
geringere Saftmenge liefert sie. Doch hindert das Anschneiden der
Milchsaftröhren in den Kapseln, die nach dem Abfallen der Blumenblätter
prall gefüllt sind, die Früchte nicht am völligen Reifwerden; sie
fallen nur etwas kleiner aus. Die Samen werden dann nach deren Reife
geerntet und aus ihnen das Mohnöl als gutes Speisefett gewonnen.

Nach der Frühjahrsernte wird auf demselben Felde nach abermaliger
reichlicher Düngung eine zweite Mohnkultur angelegt und im Herbste
geerntet, und zwar erzeugt die Herbsternte den größten Teil des
Ertrages. Nach Flückiger liefert eine Mohnkapsel in Kleinasien in ein
bis drei Schnitten ungefähr 0,02 g Opium. Dabei ist es von Wichtigkeit,
die Schnitte nicht zu tief zu machen und die Kapselwandung nicht zu
durchschneiden, da sich sonst ein Teil des Milchsaftes ins Innere der
Kapsel ergießt und für die Opiumgewinnung verloren geht. Auch würden
derart geschädigte Kapseln keine Samen mehr reifen lassen. Zwischen dem
Einschneiden, wozu in Persien und Indien besondere Messer mit bis zu
fünf Klingen benutzt werden, und dem Sammeln des gebräunten Milchsaftes
dürfen nicht mehr als 24 Stunden verstreichen. Die getrockneten
Opiumkuchen sehen im Bruche zimtbraun aus, riechen stark narkotisch
und schmecken bitter. Vielfach werden sie mit Mohnkapselpulver, Mehl,
Aprikosen- und Feigenzusätzen, auch mit verschiedenen Gummiarten
verfälscht. Außerdem wird auch besseres mit schlechterem Opium
gemischt, um den medizinisch geforderten Morphingehalt von 10-20
Prozent aus dem gewöhnlich mehr davon enthaltenden Opium zu gewinnen.

Auch in Persien wird viel Opium erzeugt, das zum größten Teile im Lande
selbst verbraucht wird, und zwar in Kuchen und Konfekt gegessen, nicht
wie in China geraucht wird. Von der jährlichen Gesamtproduktion von
Opium im Betrage von 23 Millionen kg erzeugt China 14 Millionen kg und
Britisch-Ostindien 5,5 Millionen kg. Das Opium und seine Verwendung als
Mittel zur Betäubung von Schmerzen und, unabhängig davon, zur Erlangung
eines Zustandes von Entrücktsein, gelangte im frühen Mittelalter von
Kleinasien nach Osten, wo es die haschischrauchenden Perser und Araber
als ~afiun~ freudig aufnahmen und im 8. Jahrhundert weiter zu den
Hindus gelangen ließen, die diese Droge als wertvolle Bereicherung
ihres Arzneischatzes gern entgegennahmen. Durch die Inder, die dann
bald auch die Mohnkultur selbst bei sich einführten, gelangte das
Opium nach Hinterindien und in die malaiische Inselwelt und von da im
Laufe des 10. Jahrhunderts als ~o-pién~ oder ~o-fu-yung~ nach China,
wo es später eine außerordentliche Bedeutung erlangen sollte. Die
frühesten Nachrichten über die Versendung indischen Opiums nach China
verdanken wir dem Portugiesen Odoardo Barbosa, der bald nach Auffinden
des Seeweges nach Ostindien nach Kalikut an der Malabarküste fuhr, um
dort die Produkte Indiens an der Quelle einzuhandeln. Im Jahre 1516
berichtete er über die Erlebnisse seiner Reise und bemerkt, daß er
außer kleinasiatischem zweierlei Arten indischen Opiums auf dem Markte
von Kalikut vorfand. In demselben Jahre 1516 nennt der portugiesische
Apotheker Pires Opium aus Cambaia und solches aus Cous, der heutigen
Landschaft Kus Bahar im nordöstlichen Bengalen.

Die Sitte, Opium zu rauchen, erhielten die Chinesen aus Formosa, und
die Bewohner dieser Insel sollen ihr Opium aus Java bezogen haben.
Schon im 11. Jahrhundert soll in China selbst Mohn zur Gewinnung
von Opium angebaut worden sein, aber er wurde ausschließlich für
medizinische Zwecke verwendet. Im ~Pen-tsao-kung-mu~, einem zwischen
1552 und 1578 verfaßten chinesischen Kräuterbuche, wird die Gewinnung
des Opiums und seine Verwendung, aber nur eine solche als Medikament,
beschrieben. In den Jahren 1589 und 1615 wird das Opium in chinesischen
Arzneitarifen angeführt. Erst gegen das Ende des 17. Jahrhunderts kam
das Opiumrauchen in weiteren Kreisen der Bevölkerung in China auf,
wogegen 1729 von der Regierung aus ein strenges Verbot erlassen wurde.
Trotzdem erlosch diese Unsitte nicht, sondern blühte im geheimen
weiter und wurde bald wieder offenkundig betrieben. Die chinesische
Regierung, welche die unheilvolle, entnervende Wirkung dieser
Leidenschaft sehr wohl erkannte und ihr nach Möglichkeit entgegentrat,
verbot in den Jahren 1799 und 1800 das Opiumrauchen abermals im ganzen
Reiche aufs strengste und untersagte im Jahre 1820 auch die Einfuhr
des Stoffes. Diese Maßregel traf aber in erster Linie die ostindische
Handelskompagnie, die Opium in großen Mengen nach China importierte.
Um nun den für sie äußerst gewinnbringenden Handel nicht zu verlieren,
organisierte sie einen lebhaften Schmuggel dorthin. Die fortgesetzten
Reibereien zwischen China, das den Opium nicht zulassen, und England,
das um jeden Preis sein einträgliches Geschäft fortsetzen wollte,
führten endlich im Jahre 1841 den berüchtigten Opiumkrieg herbei,
durch dessen für England siegreiche Beendigung im Jahre 1842 durch
den Vertrag von Nan-king China zwar nicht offiziell der Einfuhr des
Opiums geöffnet wurde, doch aller von Indien gelieferter Opium in den
chinesischen Vertragshäfen zur Einfuhr zugelassen werden mußte.

Infolge zunehmender Feindseligkeiten, die der üppiger als je
emporblühende Opiumschmuggel nach China hervorrief, kam es im Jahre
1856 zu weiteren Feindseligkeiten und zu einer Intervention, wonach
China 1860 die Einfuhr von Opium in sein Reich völlig freigeben mußte.
Seither machten die Engländer mit ihrer Opiumausfuhr von Indien nach
China famose Geschäfte, obschon China selbst eine Menge davon erzeugte,
so daß allein die Provinzen Sze-tschwan und Yün-nan die Produktion
Indiens darin übertreffen sollen. Zu den 14 Millionen kg, die im
Lande selbst geerntet werden, liefert Ostindien noch über 5 Millionen
kg, dazu noch Persien und Kleinasien, dessen Produkte als ~kinni~,
d. h. goldener Kot, besonders geschätzt werden, eine unbestimmte
Menge. Das Hauptgebiet der indischen Opiumgewinnung ist Bengalen in
Nordindien am Mittellaufe des Ganges um die Städte Bihar und Benares,
wo über eine Million Bauern sich mit Mohnbau beschäftigen. Schon unter
den muhammedanischen Herrschern Indiens war der Anbau von Mohn zur
Gewinnung von Opium ein Monopol derselben, das diesen viel eintrug.
Durch den Sieg des englischen Generals Clives bei Plassey im Jahre
1757 kamen die Besitzungen des Großmoguls und damit das Opiummonopol
in die Hände der Engländer. Mit dem Jahre 1773 begann dann der
indisch-chinesische Opiumhandel der englisch-ostindischen Kompagnie,
den vorher die Portugiesen von Goa und die Holländer von Java aus
betrieben hatten. Da nun in Indien die Opiumgewinnung heute noch ein
Monopol der englischen Regierung ist, sind im ganzen Gebiete englische
Beamte angestellt, die sämtliche Vorgänge von der Pflanzung des Mohns
bis zur Ablieferung des fertigen Rohprodukts aufs strengste überwachen.
Die indischen Bauern sammeln den Milchsaft in irdenen Gefäßen, um ihn
an die Faktoreien der Regierung abzuliefern, wo er genau geprüft,
durchknetet und zu Kugeln von etwa 15 cm Durchmesser und 1,5 kg Gewicht
geformt wird. Diese werden auf Hürden getrocknet und, von einer dicken
Hülle von Mohnblumenblättern umgeben, in Kisten verpackt.

Das Opiummonopol soll der Regierung des britischen Indien früher
einen Reinertrag von 160 Millionen Mark jährlich gebracht haben.
Doch hat diese sich unter dem Druck der öffentlichen Meinung dazu
verstehen müssen, ihre Ausfuhr nach China in letzter Zeit immer mehr
einzuschränken. Die chinesische Regierung hat nämlich im Jahre 1906 für
das ganze Reich ein Gesetz erlassen, wonach von 1916 an kein Opium mehr
geraucht oder sonstwie genossen werden darf; nur Männer über 60 Jahren,
von denen man annimmt, daß sie dieser Gewohnheit nicht mehr entsagen
können, dürfen seinem Genusse bis zu ihrem Tode in gewohnter Weise
frönen.

Hier in China hat nämlich der Opiumgenuß allmählich ganz entsetzliche
Dimensionen angenommen, so daß dieser kaiserliche Erlaß höchst
notwendig war, sollte nicht die ganze Bevölkerung zugrunde gerichtet
werden. So berichtet ~Dr.~ Thwing, Sekretär des Kongresses, der durch
die Initiative des ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten,
Theodor Roosevelt, gegen das Laster des Opiumgenusses am 1. Februar
1910 in Shang-hai eröffnet wurde, daß für fünf Provinzen Chinas
genauere statistische Angaben vorliegen, wonach in ihnen auf eine
Bevölkerung von 58 Millionen Einwohner zwischen 20 und 80 Prozent
Opium rauchen und daß das dafür ausgegebene Geld 800 Millionen Mark
jährlich überschreitet. Und der englische Pfarrer Gregg berichtet, daß
in China jährlich eine halbe Million Menschen infolge Opiumvergiftung
zugrunde gehen. In manchen Provinzen dieses gewaltigen Reiches, wie
beispielsweise in Yün-nan, huldigt sozusagen jeder Erwachsene, vom
Mandarinen und Gelehrten bis hinab zum einfachsten Handwerker und Bauer
abends nach getaner Arbeit diesem Genusse. Alle Landleute pflanzen für
ihren Bedarf einen kleinen Acker voll Schlafmohn neben ihrem Hause und
bereiten sich den Opium selbst. Sie formen davon Kügelchen, die sie
in einen Pfeifenkopf mit winziger Höhlung bringen, dann in liegender
Stellung mit Hilfe einer glühenden Kohle zur Verdampfung bringen und
den Dampf rasch einatmen. So werden die Opiumdämpfe durch die Lungen
ins Blut gebracht.

Dem energischen Vorgehen der chinesischen Regierung gegen dieses
volkszerrüttende Laster des Opiumrauchens, dem dank dem durch den
Opiumkrieg von 1841 China auferlegten Zwang heute noch über 120
Millionen frönen, steht die 1842 festgelegte Klausel des Vertrages
von Nang-king mit England entgegen, wonach die ganze von Indien
gelieferte Opiumproduktion in den chinesischen Häfen zugelassen werden
muß. Nun haben die chinesischen Staatsmänner sich sowohl mit der
englisch-indischen Behörde in Kalkutta, als auch mit der englischen
Kolonie in Hong-kong, die zumeist das von Indien nach China gelieferte
Opium unter die Bewohner des Landes bringt, in Verbindung gesetzt, um
eine starke Verminderung der noch immer jährlich gelieferten 46000
Kisten mit diesem Gift gegen Konzessionen auf anderen Gebieten zu
erzielen. Hoffentlich gelingt es den chinesischen Staatsmännern bald,
den der Engländer unwürdigen Vertrag ganz aufzuheben und damit zu einem
schon längst von ihnen erstrebten absoluten Einfuhrverbot zu gelangen.

In neuester Zeit hat die chinesische Regierung in jeder Stadt eine
bedeutende Zahl von Opiumkneipen geschlossen, in größeren 1000 bis 7000
solcher. Man hat berechnet, daß auf diese Weise im ganzen Reich gegen 2
Millionen Häusern das Recht des Opiumvertriebes genommen wurde. Ferner
ist der Anbau des Mohns in sämtlichen Provinzen Chinas verboten worden.
Dies hat für viel kleine Landbesitzer, für die die Opiumkultur die
Haupteinnahme bildete, eine schwere Krise herbeigeführt und zahllose
Existenzen sind dadurch ruiniert worden. Doch sollen die ausgedehnten,
bisher zur Mohnproduktion benutzten Ländereien für den Getreidebau
verwendet und damit der angerichtete ökonomische Schaden wieder gut
gemacht werden. Endlich ist allen Persönlichkeiten, die irgend welche
öffentliche Stellung bekleiden, der Opiumgenuß absolut verboten worden.
Dieser Befehl betrifft in jeder Provinz mehr als tausend Funktionäre,
die mit ihrer Enthaltsamkeit vorbildlich auf den Rest der Bevölkerung
wirken sollen.

Alle diese von jedem rechtlich denkenden Menschen nur zu billigenden
Maßnahmen werden von der Regierung mit der größten Strenge
durchgeführt, vor allem in der Provinz Pe-tschi-li, in der die
Hauptstadt Pe-king liegt. Die erzielten Resultate reden schon heute
eine deutliche Sprache; und ist erst einmal der Einfuhr indischen
Opiums der Riegel geschoben, so dürften die Tage des Opiummißbrauchs im
Reiche der Mitte bald gezählt sein.

Bei den ganz unleugbaren schädlichen Wirkungen des gewohnheitsmäßigen
Opiumgenusses auf den menschlichen Organismus wirkt es geradezu
lächerlich, wenn jüngst eine von der englischen Regierung in Belang
in Bengalen eingesetzte, aus englischen, von der Regierung selbst
besoldeten Ärzten bestehende Kommission durch eingehende Studien zu
dem Resultat gekommen sein will, daß dieser gewohnheitsmäßige Genuß
vielmehr nur gute, die Leistungsfähigkeit der Betreffenden effektiv
erhöhende Wirkungen ausübe. Was macht nicht alles dieses christlich
sich gebärdende Krämervolk, das ja sonst unbestreitbar große Verdienste
um die Kolonisation ausgedehnter Länder der Erde sich erworben hat, um
ein gutes Geschäft zu machen und die außerordentlich hohen Gehälter
seiner höheren Beamten in Indien bezahlen zu können! Wenn es nur recht
verdienen kann, ist es skrupellos bis zum Exzeß. Auf denselben Dampfern
bringt es die Missionare und ganze Schiffsladungen von in England
hergestellten Götzenbildern nach Indien, und zwingt andererseits
Hunderttausende von Eingeborenen in Bengalen das China so verhaßte,
schädliche Opium zu erzeugen. Wenn auch Millionen der gelben Zopfträger
schmählich daran zugrunde gehen, das läßt die fühllosen Krämerseelen
kalt. Wenn nur ein gutes Geschäft für sie dabei abfällt.

Außer in China wird zurzeit wohl in Persien am meisten Opium geraucht.
Kaum sind es vierzig Jahre her, daß dieses Laster in jenem Lande
Eingang fand, und schon wird es in allen Städten in Menge geraucht,
nicht nur im geheimen in den Häusern, sondern öffentlich auf den
Basaren und Straßen. Ebenso sehr wie die Männer sind die Frauen dem
Opiumgenuß ergeben, dem sie daheim frönen, während ihre kleinen Kinder
neben ihnen liegen oder in ihrer Nähe sitzen und spielen. Oft sind
schon halbwüchsige Jungen an dieses Gift gewöhnt. Nun hat seit Beginn
des Jahres 1910 auch hier die neue Bakhtiari-Regierung den Kampf gegen
das Opium aufgenommen, indem Beamte unter militärischer Eskorte ohne
vorherige Warnung in die Karawansereien, Kaufläden, Kaffeehäuser usw.
eindrangen und die Herausgabe des Opiums erzwangen. Dieses Gift wird
nun in allen Ortschaften in besonderen Zentralniederlagen zu einem
höheren Preise an solche verkauft, die bis jetzt nicht ohne solches
Stimulans sein können und den hohen Preis desselben nicht scheuen.
Nach einigen Monaten soll der Preis dafür noch mehr erhöht werden,
bis schließlich die Leute gezwungen sind, es als Genußmittel ganz
aufzugeben. Allerdings umgehen viele Perser das Rauchverbot einfach
dadurch, daß sie das Opium essen, da es so in kleineren Dosen dieselbe
Wirkung wie das Opiumrauchen in größeren Dosen ausübt.

Aber auch wir Europäer haben unsere, immer weitere Kreise der
Gebildeten erfassende Opiumseuche. Statt dieses Gift zu rauchen,
wie die Chinesen, treiben es die diesem Laster frönenden Europäer
noch viel raffinierter, indem sie sich seit der Einführung der
sogenannten Pravazspritze in die Medizin in den 1870er Jahren das
wirksamste Alkaloid dieser Droge, das nach dem griechischen Schlafgotte
Morpheus genannte Morphin, in wässeriger Lösung unter die Haut
spritzen, von wo es rasch in den Kreislauf gelangt und seine den
Betreffenden bald unentbehrliche Giftwirkung ausübt. Dieses Morphin
war die erste Pflanzenbase, wissenschaftlich Alkaloid genannt, die
vom deutschen Apotheker Sertürner in Hameln (Hannover) 1805 aus dem
Opium gewonnen wurde. Zur fabrikmäßigen Morphingewinnung wird bei uns
hauptsächlich das über Smyrna verschiffte kleinasiatische Produkt
als das morphinreichste und daneben, als ihm sehr nahe kommend, das
in Makedonien, wo ebenfalls ausgedehnte Mohnkulturen angelegt sind,
gewonnene Opium verarbeitet.

So unschätzbare Dienste dieses in wässeriger Lösung eingespritzte
Morphin in der Hand des gewissenhaften Arztes der leidenden Menschheit
leistet, so schlimm wird sein gewohnheitsmäßiger Gebrauch bei den
an den Genuß dieses Betäubungsmittel Gewöhnten. Mit allen anderen
gewohnheitsmäßig genossenen Giften wie Alkohol, Nikotin, Haschisch,
Kokain usw. teilt es die verhängnisvolle Eigenschaft, daß der
betreffende Organismus sich mit der Zeit daran gewöhnt, weshalb die
Dosis zur Erreichung der gewollten Wirkung immer mehr gesteigert werden
muß. Dadurch wird der Organismus des Morphin- wie des Opiumsüchtigen
immer mehr vergiftet und die Gesundheit vollständig untergraben. Durch
dieses Narkotikum wird man scheinbar der irdischen Schwere enthoben,
man glaubt zu schweben. Während die Glieder wie gelähmt erscheinen,
wird die Denktätigkeit subjektiv erleichtert und angeregt. Traumartig
ziehen die wunderbarsten Bilder vor der Seele vorbei; besonders stellen
sich buntwechselnde Architekturvisionen ein, bis man schließlich mit
schwerem Kopf in elender Verfassung aus der Exstase aufwacht. Dieses
Gefühl des Katzenjammers wird am raschesten durch die Einverleibung
einer neuen Dose beseitigt. So gelangt man unwillkürlich in einen
unmäßigen Gebrauch des Giftes, das schließlich den Charakter verdirbt
und die Gesundheit vollkommen untergräbt. Die Folgen des Lasters
sind völlige Zerrüttung der Verdauung und dadurch bedingte starke
Abmagerung, Gliederzittern, Schlaflosigkeit und schließlich Verblödung
des Geistes.

Ein Abgehen vom Opium- beziehungsweise Morphingebrauch ist ganz
außerordentlich schwierig und nur vermittelst Anstaltsbehandlung mit
Erfolg durchzuführen, da bei den an das Gift Gewöhnten jegliche Energie
gelähmt ist und die besten Vorsätze, dasselbe zu lassen, vollständig
in die Brüche gehen. Zudem muß bei der Entwöhnung von diesem Gifte
vor allem eine absolute Enthaltung von allen geistigen Getränken, die
ebenfalls den Willen zur Durchführung der Morphinabstinenz lähmen,
durchgeführt werden, sonst ist eine Heilung von diesem Laster auch
bei der Anstaltsbehandlung nicht möglich, da die Betreffenden zu
Hause sofort wieder rückfällig werden. Besonders ausgedehnt ist der
Morphinismus in den Kreisen der Ärzte und Apotheker, denen das Mittel
jederzeit zu Gebote steht und die deshalb leicht der Verführung zu
dessen Gebrauch, der stets in Kürze einen Mißbrauch nach sich zieht,
erliegen. Daneben sind es vor allem die Kreise der Intellektuellen in
den großen Städten, die der Versuchung unterliegen und vielfach diesem
für sie bald unentbehrlichen Laster frönen. Weist doch die Stadt Paris
allein über 50000 Morphinisten auf. Da auch bei diesen die beruhigende,
anregende und beglückende Wirkung des gewohnheitsmäßig unter die Haut
eingespritzten Giftes nur anhält, wenn die Menge regelmäßig um etwas
gesteigert wird, so gelangen diese Unglücklichen zu enormen Tagesdosen,
die nicht daran Gewöhnten sicheren Tod bringen würden. Infolge ihres
Lasters verlieren die Morphinisten alle ihre ethischen Gefühle bald
vollständig, betrügen, lügen und stehlen, vorerst bloß, um sich das
unentbehrliche, so heiß ersehnte Gift zu verschaffen, dann aber auch
sonst aus dabei erworbener Perversität.

Außer dem Morphinismus zieht aber auch das ostasiatische Laster des
Opiumrauchens mehr und mehr bei den Europäern ein. Überall, wohin
die Chinesen aus ihrer übervölkerten Heimat auswanderten, brachten
sie die Unsitte des Opiumrauchens mit, die heute nicht bloß in
allen malaiischen Hafenplätzen, sondern auch in Kalifornien häufig
angetroffen wird. Aus dem Westen der Union hat sie sich bald über
die größeren Städte, besonders die Hafenstädte, verbreitet. Schon im
Jahre 1889 zählte Neuyork 10000 Opiumraucher. Von dort drang das
Opiumrauchen nach England und die englischen Kolonien vor, wo ihm
besonders in den Hafenstädten gefrönt wird. Denn überall sind es in
erster Linie die Matrosen, die sich auf ihren Reisen nach dem Osten
diese Unsitte in den von Chinesen bevölkerten Städten angewöhnen
und zu Hause nicht davon lassen können. In Frankreich gehören dazu
vielfach auch Soldaten, die in Tonking dienten. So sind nicht bloß
die Hafenstädte, besonders Marseille und Toulon, seit über 25 Jahren
in zunehmendem Maße vom Laster des Opiumrauchens verseucht, sondern
auch die größeren Städte wie Bordeaux, Lyon und vornehmlich Paris. In
Marseille allein soll nach zuverlässiger Quelle täglich für über 1000
Franken Opium von Weißen geraucht werden. Auf diese von den Chinesen
übernommene Unsitte hat der englische Romanschriftsteller Charles
Dickens zuerst durch einen seiner Romane die Augen der Welt gelenkt.

Neben dem Opiumrauchen ist in ganz Asien und auch in England das
Laster des Opiumessens, der sog. Opiophagie, sehr verbreitet, wobei
man gewöhnlich die in den Apotheken vorrätig gehaltene Opiumtinktur
genießt. Auch von ihr müssen schließlich horrende Mengen eingenommen
werden, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Während die einfache
Dosis der Opiumtinktur für medizinische Zwecke 15 bis höchstens 20
Tropfen beträgt, gelangt ein Opiumesser mit der Zeit bis zu 8000
Tropfen täglich, was jeden nicht daran Gewöhnten natürlich sofort
umbringen würde. So weit brachte es auch der begabte französische
Schriftsteller Thomas de Quincey, der 1821 seine Memoiren als
„Bekenntnisse eines Opiumessers“ herausgab. Höchst merkwürdig ist es,
daß von solchen Opiophagen sehr starke Dosen des äußerst giftigen
Sublimats nicht bloß ertragen, sondern auch dem Opium absichtlich
zugesetzt werden, wenn dessen Wirkung zu versagen beginnt.

Während die Alte Welt Haschisch und Opium als Mittel einer künstlichen
Ekstase benutzte, wandte man in Südamerika schon lange vor der
Entdeckung durch die Spanier zu solchem Zwecke die Blätter einer der
Leinpflanze sehr nahe verwandten Rotholzart, des +Koka+strauches
(~Erythroxylon coca~), an. Schon ums Jahr 1499 erfuhren die Spanier,
daß die Indianer des Andengebiets, speziell in Peru, die Blätter dieser
Pflanze, teils ohne Zusatz, teils mit dem aus gebrannten Muschelschalen
gewonnenen Kalk oder der Asche des als wichtige Nährfrucht
angepflanzten ~Chenopodium quinoa~ kauten und dadurch in bezug auf ihr
Nervensystem angeregt und befähigt wurden, außerordentliche Strapazen
bei den beschwerlichen Gängen über das Gebirge zu ertragen. Daß diese
Sitte schon recht alt gewesen sein muß, erwiesen die Funde auf dem
Gräberfelde von Ancon und anderer Orte in Peru, wo man sehr häufig
den in Hockstellung in Säcke eingebundenen Mumien der alten Inkas als
Totenbeigabe mitgegebene kleine Umhängetaschen mit Kokablättern findet.
Auch berichten die spanischen Geschichtschreiber zur Zeit der Eroberung
Perus durch Francisco Pizarro 1532-1533, daß die Inkas bei ihren
heiligen Götterfesten sich damit berauschten und auch die Menschen, die
sie dabei opferten, teilweise damit betäubten.

Der 1,5 +m+ hoch werdende Kokastrauch wächst wild in hochgelegenen,
milden, feuchten Bergwäldern in Peru, Ekuador und besonders Bolivia,
wo auch heute die größten Kokagärten, ~cocales~, sich finden. Sie
erstrecken sich vorzugsweise an den östlichen Abhängen der Anden
in einer Höhe von 1000-2000 m über dem Meer, und reichen heute vom
nördlichen Chile über Bolivien bis zur Sierra nevada da Santa Martha in
Kolumbien und geben einen jährlichen Ertrag von über 30 Millionen kg,
was bei dem geringen Gewichte der getrockneten Blätter eine ungeheure
Menge bedeutet. Die Blätter des Kokastrauches sind wechselständig,
5-8 cm lang, 3-4 cm breit, lanzettlich bis eiförmig, ganzrandig,
kahl, lederartig, oberseits olivengrün, unterseits gelblich graugrün.
Sie besitzen zuerst zarte grünliche, später hornartig und braun
werdende Nebenblätter und einen besonders an der Unterseite stark
hervortretenden Mittelnerv, zu dessen Seiten zwei zarte Längslinien
als Druckmarken der bei der Knospenanlage umgeschlagenen Blattränder
verlaufen. Sie riechen und schmecken wie Tee, besitzen aber einen
bittern Nachgeschmack. Am höchsten wird die bolivianische Ware
geschätzt, dann kommt die peruanische und an dritter Stelle erst
diejenige von Ekuador.

Bei der großen Bedeutung, die der Kokastrauch neuerdings für die
Medizin erlangt hat, wird er, um so mehr, als er sehr leicht auch in
andern Gegenden wächst, in zunehmendem Maße in den verschiedensten
Gebieten der Tropen, besonders in einigen Teilen des englischen
Kolonialreiches in Indien und auf Ceylon, außerdem auch auf Java
kultiviert. Seine Fortpflanzung geschieht am besten durch Samen, die
kurz vor der Regenzeit, dem besten Zeitpunkt für die Aussaat, geerntet
werden. Die Samen werden auf ein humusreiches, gut durchgearbeitetes
Beet gesät, das reichlich bewässert und durch ein Schutzdach aus Matten
vor den grellen Sonnenstrahlen beschützt wird. Wenn die Sämlinge 15 cm
hoch sind, wird letzteres entfernt. Bei Eintritt der nächsten
Regenzeit werden die dann etwa 30-50 cm hohen Pflänzchen auf fetten,
etwas trockenen Boden, der häufig durch Hacken gelockert und von
Unkraut gereinigt werden muß, in Reihen verpflanzt und Mais dazwischen
gesät, um ihnen den nötigen Schatten zu spenden und den Boden feucht zu
erhalten. 1½ Jahre nach dem Verpflanzen können zum erstenmal Blätter,
die nur etwa zu zwei Dritteln entfernt werden dürfen, geerntet werden.
Und zwar pflückt man nur reife Blätter, die man an ihrem Stich ins
Gelbliche erkennt. Sie müssen bei trockenem Wetter gesammelt werden,
da sie sehr dem Verderben durch Feuchtigkeit ausgesetzt sind. Kommen
sie in den Regen, so ist die ganze Ernte verdorben. Alle 2-3 Monate
wiederholen sich die Ernten bis zum 40. Jahre. Die geernteten Blätter
werden auf einer wärmeaufsaugenden schwarzen Unterlage aus Wolltuch
oder Schiefer, die zuvor gehörig von der Sonne durchwärmt wurde,
getrocknet und dann in Säcke aus Wolltuch zu Ballen von etwa 25 kg
Inhalt fest zusammengestopft, um das Eindringen von Feuchtigkeit zu
verhindern. Da die Blätter durch chemische Umsetzungen beim Transport
bis zu 50 Prozent ihres Gehaltes an Kokain verlieren, so müssen sie
möglichst schnell verschickt und verarbeitet werden. Die Indianer
halten die Kokablätter schon nach 5 Monaten für unschmackhaft und nach
7 Monaten für völlig wertlos. Deshalb wird ein großer Teil der Blätter
gleich an Ort und Stelle auf Kokain, das höchstens bis zu 1 Prozent in
ihnen enthalten ist, verarbeitet. 1 kg Blätter liefern dabei 2 g Kokain.

Die europäischen Ärzte wurden auf dieses das Nervensystem hochgradig
anregende Genußmittel, das über 8 Millionen Eingeborener Südamerikas
regelmäßig genießen, wobei der durchschnittliche Tagesbedarf
an Blättern 60-80 g beträgt, erst aufmerksam gemacht, als die
österreichische Weltumseglung der „Navarra“ ansehnliche Mengen
dieser Blätter zur Prüfung der darin enthaltenen Stoffe nach Europa
brachte. Das darin schon 1855 von Gädicke nachgewiesene, von ihm
Erythroxylin und erst 1860 von Nieman Kokain bezeichnete Alkaloid
wurde erst 1884 durch Freund und Koller als unempfindlich machendes
Mittel in den Arzneischatz eingeführt. Seither datiert auch der
Beginn des Mißbrauchs dieses als Arznei unschätzbaren Mittels. Wie
es äußerlich, in wässeriger Lösung auf die Schleimhäute gebracht,
dieselben sehr bald völlig unempfindlich macht und ein Abblassen
derselben durch Zusammenziehung der Blutgefäße bewirkt, regt es
innerlich schon in kleinen Mengen die seelischen und motorischen
Zentren der Großhirnrinde an und beschleunigt die Herztätigkeit.
Als Mittel zur geistigen und körperlichen Anregung, zur Erzeugung
einer künstlichen Ekstase, wozu es von den Europäern wie das Morphin
mit der Pravazspritze unter die Haut gebracht wird, um rasch in die
Blutzirkulation aufgenommen zu werden, erzeugt es wie die andern,
vorhin besprochenen Berauschungsmittel in kurzer Zeit die Sucht nach
dem täglichen Gebrauch und zunehmender Steigerung der Dosen. Also
ist es völlig ungeeignet etwa als Ersatz des Morphins, wie man es
anfangs anwenden zu können glaubte. Zudem treten die schlimmen Folgen
noch rascher als bei jenem ein. Die Persönlichkeit des chronischen
Kokainisten wird vollständig vernichtet. Er ist zu keiner anhaltenden
Arbeit mehr fähig, wird mehr und mehr gedankenschwach und vergeßlich,
seine moralischen Gefühle schwinden, Wahnideen stellen sich ein, es
tritt Schlaflosigkeit, Abmagerung und zunehmender Verfall des Körpers
auf, bis schließlich der Tod an Entkräftung erfolgt. Häufig sind
dabei Kokainpsychosen mit dem Gefühle, als ob es unter der Haut von
Ungeziefer wimmle, in Verbindung mit erschreckenden Bildern. Da in
den letzten Jahren ein zunehmender Mißbrauch mit diesem für Augen-,
Nasen- und Kehlkopfheilkunde, wie auch für die in der chirurgischen
Praxis äußerst wichtige Infiltrationsanästhesie der Haut bisher
unentbehrlichen Alkaloid stattfindet, ist davor von ärztlicher Seite
sehr zu warnen. Ebenso vor dem Einnehmen von Äther und Chloroform, die
an Stelle des keinen genügenden Reiz mehr auf sie ausübenden Alkohols
von manchen Lebemenschen männlichen und weiblichen Geschlechts in den
großen Städten eingenommen werden.



XVII.

Der Tabak.


Der Tabak als Genußmittel ist bekanntlich amerikanischen Ursprungs.
Die Indianer haben diese narkotische Pflanze schon lange vor der
Entdeckung Amerikas beinahe in ihrem ganzen Kontinent angebaut, um
die getrockneten Blätter derselben auf die verschiedenste Weise als
Genußmittel zu gebrauchen. Auf den westindischen Inseln, auf denen
Kolumbus zuerst landete, wurden sie fest zusammengerollt in ein dürres
Maisblatt gewickelt und am einen Ende angezündet wie Zigarren geraucht.
Diese Rauchrolle nannten die Indianer auf Befragen der Spanier
~tabaco~, woher sich der Name Tabak ableitet, der aber später auf das
Kraut selbst übertragen wurde.

Die Indianer behaupteten, dieses narkotische Kraut vom großen Geist
selbst erhalten zu haben und hielten es für heilig; deshalb kreiste
bei ihren Zusammenkünften die Friedenspfeife als ein Symbol des
Gottesfriedens, der dann unter ihnen herrschen sollte. Ursprünglich
werden die dürren Blätter der Tabakstaude mit anderen getrockneten
Kräutern zum Regenzauber gebraucht worden sein, indem man mit den in
die Luft geblasenen Rauchwolken befruchtendes Naß für die vor Dürre
schmachtende Vegetation, vor allem die nahrungspendenden Anpflanzungen
des Menschen aus den dadurch vermeintlich gebildeten Regenwolken
zaubern wollte, wie es heute noch die Primitiven in den verschiedensten
Ländern tun.

Zu solchem Regenzauber und zu ähnlichen Manipulationen haben auch
die Völker der Alten Welt in vorgeschichtlicher und geschichtlicher
Zeit die verschiedensten einheimischen Kräuter aus regelrechten,
teilweise aus Metall, und zwar meist Bronze, gegossenen und uns in
solchem dauerhaften Material erhalten gebliebenen Pfeifen geraucht.
Dabei entdeckte man sehr bald, daß der Rauch gewisser Pflanzen eine
narkotische Wirkung auf den Menschen ausübe. So betäubten sich bereits
die alten Babylonier durch Verbrennen von dürrem Hanf in Becken und
Einsaugen des dabei entstehenden Dampfes durch hohles Schilfrohr.
Von verschiedenen Barbarenstämmen Europas wird berichtet, daß sie
getrockneten Huflattich rauchten oder durch Rohrpfeifen den Rauch des
Cypergrases (einer ~kýpeiros~ genannten Binsenart) einsogen. Das sollte
ihnen nach Apollodoros (um 140 v. Chr.) Kraft und Widerstandsfähigkeit
verleihen. Ebenso ließen sich die Priester der alten Gallier und
Germanen durch das Einatmen von Dampf von verbranntem Hanf zum Zwecke
der Weissagung in Ekstase bringen, wie die Pythia in Delphi durch
das Kauen von Lorbeerblättern und das Einatmen betäubender, aus der
Erde hervordringender Dämpfe, über die der Dreifuß, auf dem sie saß,
gestellt war, gleichfalls in einem Zustande von narkotischer Verzückung
den Willen der Gottheit zu ergründen suchte.

Während die Völker der Alten Welt durch das Einatmen solchen Rauches
die narkotische Wirkung mancher Kräuter entdeckten, kamen diejenigen
der Neuen Welt auf die Entdeckung des Tabakes als Betäubungsmittel. In
welcher Gegend Amerikas dies geschah, läßt sich nicht mehr bestimmen;
doch scheint der Süden Nordamerikas und Mittelamerika der älteste Herd
des Tabakgenusses gewesen zu sein. Von da verbreitete sich derselbe
nach Süden und Norden, so daß diese der Alten Welt fehlende narkotische
Pflanze lange vor der Ankunft der Europäer von Chile bis Kanada von den
Indianern angebaut wurde, um als Zauber- und Genußmittel zu dienen.
Einzig im Gebiet des La Platastromes, in Uruguay und Paraguay wurde
der Tabak in keinerlei Weise gebraucht. Sonst bedienten sich seiner
alle amerikanischen Völker in irgend welcher Form, und zwar meist nur
die Männer, denen dieses Genußmittel auf ihren ausgedehnten Kriegs-
und Jagdzügen erlaubte, Hunger und Durst längere Zeit als ohne ihn zu
ertragen. Bei den zivilisierteren Stämmen, wie den Azteken Mexikos,
diente er als verfeinertes Reizmittel, dem sich die Männer nach
getaner Arbeit gerne hingaben. Alle feierlichen gottesdienstlichen
oder politischen Handlungen gingen bei diesen Völkern stets nur unter
dem Genusse von Tabak vor sich. Bei den nordamerikanischen Indianern
(von denen wir die beste Kunde haben), waren die Rauchgeräte heilige
Geräte, wie das Rauchen selbst eine Kulthandlung war, die bei keiner
religiösen Zeremonie fehlen durfte. An die symbolische, aus den
Indianergeschichten genugsam bekannte Friedenspfeife wurde bereits
erinnert. Und solche heilige Tabakspfeifen oder Calumets haben schon
die längst ausgestorbenen Vorläufer der nordamerikanischen Indianer
besessen, die Erbauer der gewaltigen Erdwälle und Grabhügel vielfach
in Tierform, die in den Tälern des Mississippi und seiner östlichen
Nebenflüsse, besonders des Ohio, dann aber auch in den Golfstaaten
in besonders dichter Menge gefunden werden und nach denen man sie in
der Wissenschaft mit einem englischen Worte als die Moundbuilders
bezeichnet. Sie müssen kulturell ziemlich hoch gestanden haben, da sie
mit vereinten Kräften vermittelst der höchst primitiven ihnen zu Gebote
stehenden Werkzeuge solche teilweise enorme Erdanhäufungen durchführen
konnten, deren Tierform mit Sicherheit beweist, daß sie dem heute noch
in jenem Kontinente so hoch ausgebildeten Totemismus huldigten. In
einem solchen Mound im Ohiotale hat man neben kalt geschmiedeten, d.
h. durch Hämmern mit Steinen gewonnenen Werkzeugen und Schmucksachen
aus Kupfer nicht weniger als 200 Tabakspfeifen gefunden, weshalb er
heute die Bezeichnung ~pipe-mound~ führt. Die in ihm, wie auch in
anderen solchen Grab- und Kulthügeln gefundenen Pfeifen sind alle, wie
auch derjenigen der späteren nordamerikanischen Indianer, aus einem
bestimmten, nur an einer einzigen Stelle im Staate Minnesota gefundenen
roten Pfeifenstein geschnitzt. Dieser wird nach dem amerikanischen
Maler und Ethnographen George Catlin (1796-1874), dem die Siouxindianer
als erstem Weißen nach Überwindung großer Schwierigkeiten den
Besuch des betreffenden Steinbruchs im Jahre 1832 erlaubten, in der
Wissenschaft als Catlinit bezeichnet. Dieser Stein ist dicht, aber
nicht sehr hart, so daß er sich mit dem Feuersteinmesser schneiden
läßt, und besteht hauptsächlich aus Kieselsäure und Tonerde mit einer
Beimischung von Eisen, das ihm die schöne rote Farbe verleiht. Beim
Polieren erhält er einen matten Glanz und erscheint dann blutrot.
Diese eine Fundstelle des Pfeifensteins war ein geheiligter, neutraler
Ort, wo sich die Indianer das nötige Material zur Herstellung ihrer
Tabakspfeifen entweder selbst holten oder von befreundeten Stämmen
eintauschten. Hier soll einst in grauer Vorzeit der „Große Geist“ die
verschiedenen indianischen Völkerschaften versammelt und sie in der
Anfertigung der Friedenspfeife unterwiesen haben, welchen Vorgang
der amerikanische Dichter Longfellow in seinem „Sang von Hiawatha“
beschrieb und dadurch in weiteren Kreisen bekannt machte. Erst zu
Beginn des 19. Jahrhunderts haben sich die Sioux oder Dakotas die
Herrschaft über den heiligen Steinbruch angemaßt, den sie noch heute
behaupten.

Wie die Moundbuilders und späteren nordamerikanischen Indianer haben
auch manche mittelamerikanischen Völker den Tabak aus solchen aus
weichem Stein geschnitzten Pfeifen geraucht, so unter den Mayastämmen
die Tarasken auf der mexikanischen Halbinsel von Yucatan, in deren
Skulpturen an den Tempeln wir diesem heiligen Gerät ebenfalls
begegnen. Sonst wurde bei den Mayas der Tabak in die feinen Hüllen
der Maiskolben eingewickelt unter der Bezeichnung ~zicar~, woraus
dann unsere Bezeichnung Zigarre entstand, geraucht, daneben auch zur
Erzielung von Rauschzuständen, in welchen man mit den Abgeschiedenen in
Verbindung treten zu können glaubte, gekaut und der mit dem betäubenden
Saft versetzte Speichel hinuntergeschluckt. Die südamerikanischen
Indianer dagegen kannten die Pfeife nicht, rauchten auch kaum
„Zigarren“, bildeten dafür aber das Schnupfen zu wahrer Virtuosität
aus. Sie benutzten dazu vielfach überhaupt keinen Tabak, sondern ein
wohlriechendes Pulver von unbekannter Zusammensetzung, das sie sich
gegenseitig durch hohle Röhrenknochen von Vögeln einbliesen. Auch die
Karaibenstämme der großen Antillen, deren Bezeichnungen für Mais,
Tabakrolle und Hängematte (~mahiz~, ~tabaco~ und ~hamaca~, aus welch
letzterem Wort das englische ~hammock~ und das deutsche „Hangmatte“
hervorging) mit den betreffenden Gegenständen in den Sprachschatz der
europäischen Völker übergingen, schnupften die zu Pulver zerriebenen
Tabakblätter; rauchten sie aber außerdem in Maiskolbenhüllen
eingewickelt. In solcher Weise rauchend traf der Genuese Christoforo
Colombi, besser unter dem Namen Kolumbus bekannt, die ersten
westindischen Indianer auf der Insel Guanahani (heute Watling-Island),
als er am 12. Oktober 1492 mit seinen drei mit spanischen Matrosen
bemannten Caravellen in Indien, wie er zeitlebens glaubte, landete.
Er starb ja bekanntlich ohne die geringste Ahnung davon zu haben,
eine neue Welt entdeckt zu haben. Und wie ihm und seinen Begleitern
das gefundene Land das ersehnte Gewürzland Indien war, so waren deren
Bewohner für sie Indiani, d. h. Indier, woraus die Bezeichnung Indianer
hervorging. Diese Indianer aus dem Volke der Aruak, die dort noch
nicht von den Karaiben verdrängt worden waren, rauchten sämtlich in
die dürren, feinen Hüllen von Maiskolben eingewickelte getrocknete
Tabaksblätter und nannten diese Rauchrollen ~tabaco~, eine Bezeichnung,
die, wie gesagt, erst nachträglich auf das Rauchkraut selbst überging.

Nach der zweiten Expedition, die Kolumbus nach „Indien“ unternahm,
blieb der ihn begleitende Mönch Romano Pane auf Haiti zurück, und von
ihm stammt aus dem Jahre 1496 die erste Beschreibung der Tabakpflanze
und die Schilderung der Rauchsitten der Indianer. Er erzählt, daß die
Indianer die getrockneten Blätter jenes Krautes aufgerollt in den Mund
nahmen, an der Spitze anzündeten und den eingezogenen Rauch aus dem
Munde bliesen, „um damit die lästigen Moskitos zu vertreiben,“ wie
er meinte. Außerdem erfuhr er, daß das Kraut auch als Arznei gegen
mancherlei Leiden verwendet werde. Gleich ihm schrieb der Missionar
Petrus Martyr in einer im Jahre 1532 erschienenen Schrift der Pflanze
auch Heilkräfte zu.

Die Spanier befreundeten sich bald mit der den Indianern abgelauschten
Sitte des Rauchens und begannen zuerst auf der Insel San Domingo Tabak
zu bauen. Bald folgten die Portugiesen in Brasilien und die Engländer
in Virginien ihrem Beispiel. Gonzalo Hernandes de Ovieda y Valdes,
der Statthalter von San Domingo, gab die erste genaue Beschreibung
der Pflanze; die ersten Samen der Pflanze aber brachte der Spanier
Hernandez Boncalo aus Toledo, der von König Philipp II. mit einer
Studie über die Pflanzenwelt Amerikas beauftragt war, mit in sein
Vaterland, wo, wie Nikolaus Monardes, ein berühmter spanischer Arzt
und Botaniker in seinem 1571 zu Sevilla gedruckten Buche über „Indien“
schreibt, die Tabakpflanze wohl ihrer schönen roten Blüten, nicht aber
ihrer betäubenden Eigenschaften wegen in einigen Gärten angepflanzt
wurde. So ward sie halb als Wunderkraut, halb als Arzneipflanze zuerst
in Spanien in Gärten gezogen. An das Rauchen ihrer getrockneten Blätter
dachte zunächst noch niemand.

Im Jahre 1560 brachte der französische Gesandte am königlichen Hofe in
Lissabon, Jean Nicot de Viblemain aus Lyon, Tabaksamen aus dem Garten
des portugiesischen Königs nach Frankreich mit, wo er ihn in seinem
eigenen Garten aussäte und daraus wiederum frischen Samen gewann.
Gleichzeitig gab er auch welchen an den Hof Franz II. ab, wobei er das
daraus hervorwachsende Kraut als gutes Betäubungsmittel gegen Schmerzen
aller Art rühmte. Ihm zu Ehren hat dann der französische Botaniker
Dalechamps in seiner im Jahre 1586 erschienenen ~Historia plantarum~
die Pflanze als ~herba Nicotiana~, d. h. Nicotsches Kraut bezeichnet,
und dieser Name hat sich dann in der von Karl von Linné aufgestellten
botanischen Bezeichnung ~Nicotiana tabacum~ bis auf den heutigen Tag
erhalten.

Die Sitte des Tabakrauchens kam erst ums Jahr 1570 durch spanische
Matrosen aus Westindien nach Spanien und wurde 1586 durch englische
Kolonisten aus Virginien auch nach England eingeführt. Als nämlich
der englische Schiffskapitän Walter Raleigh 1584 die zu Ehren der
jungfräulichen Königin Elisabeth Virginia genannte Kolonie gründete,
fand er das Rauchen, wie den Tabakbau bei den dortigen Eingeborenen
allgemein verbreitet. Während der Regierungszeiten Karls IX., Heinrichs
III. und Heinrichs IV. (1560-1610) kam dann das Tabakrauchen auch in
Frankreich als betäubendes Linderungsmittel besonders bei Zahnschmerzen
auf, und zwar wurde das Kraut damals aus einer Rohrpfeife mit
Metallknopf geraucht, wie sie Nicot aus Portugal mitgebracht hatte.
Erst unter der Regierung Ludwigs XIII. (1610-1643) kam das Rauchen
als Selbstzweck, auch ohne als Linderungsmittel bei Schmerzen zu
dienen, in Aufnahme, obschon viele Ärzte und Gelehrte gegen diese
„abscheuliche“ Unsitte mit allen Mitteln des Spottes zu Felde zogen.
Besonders in England wurde diese neue Mode heftig bekämpft, und König
Jakob I., Sohn der Maria Stuart, der von 1603-1625 regierte, war
selbst ein so heftiger Gegner derselben, daß er eine Schrift unter dem
Titel Misokapnos, d. h. Rauchfeind, dagegen verfaßte und zu beweisen
versuchte, daß das Tabakrauchen ein wahres Höllenwerk sei: „Erstens,“
sagt er darin, „ist es ein Rauch, und das sind nach dem Worte der
Bibel alle Eitelkeiten der Welt. Zweitens ergötzt es die, welche es
treiben, gleich andern Lüsten, welche den Menschen unfähig machen
ihnen zu entsagen. Drittens macht es trunken und toll im Kopfe; so tun
es auch die Eitelkeiten der Welt. Viertens, wer raucht, der sagt, er
könne es nicht lassen, er sei wie behext; gerade so ist es mit allen
weltlichen Lüsten. Fünftens, das Tabakrauchen ist der Hölle gleich
in seinem Wesen; denn es ist ein stinkendes, ekelhaftes Ding.“ Der
König schließt mit folgender Ermahnung an das englische Volk: „Wenn
endlich, o Bürger, noch Scham in euch ist, so gebt jenen heillosen
Gebrauch auf, der der Schande entsprungen, aus Irrtum aufgenommen,
durch Torheit verbreitet worden ist, durch den Gottes Zorn gereizt,
des Körpers Gesundheit zerstört, das Hauswesen zerrüttet, das Volk im
Vaterlande herabgewürdigt und auswärts verächtlich gemacht wird; einen
Gebrauch, der unangenehm in der Nase, dem Gehirn nachteilig, den Lungen
verderblich und, wenn ich es recht sagen soll, durch die schwarzen
Rauchwolken dem Höllendampfe vollkommen gleicht.“

Der Nachfolger Jakobs I., der schließlich vom Parlament hingerichtete
König Karl I. (1625-1649), sah die Tabakfrage nüchterner und
praktischer an; er wollte dieses Laster, wenn es sich nicht
ausrotten ließ, finanziell ausbeuten und machte den Handel damit zum
Staatsmonopol. Er ließ es sich wenig kümmern, ob die Leidenschaft nach
diesem neuen Genußmittel, die nahezu sein ganzes Volk ergriffen hatte,
sündhaft sei oder nicht -- wenn sich nur die Staatskassen, die auch die
seinigen waren, füllten!

Gleicherweise wurde auch in Frankreich, wo diese neue Sitte von England
aus Fuß zu fassen begann, von der Regierung dagegen agitiert. So
scheute man sich anfänglich öffentlich zu rauchen, deshalb entstanden
in den wichtigsten Städten Frankreichs, vor allem in Paris, besondere,
als ~tabagies~ bezeichnete Lokale für die Freunde des Tabakrauchens.
Ähnlich war es in den Städten Deutschlands, in denen dieser Name
bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts allgemein für öffentliche Lokale
gebraucht wurde. Noch bis zum Jahre 1848 wurde das Rauchen auf offener
Straße in den meisten Ländern Europas verboten. In Frankreich fand
das Rauchen bald solche Verbreitung, daß man sich nicht scheute,
diesem Vergnügen auch in der Öffentlichkeit zu huldigen. Und zwar nahm
merkwürdigerweise der Bürgerstand und die Bauersame vor dem Adel diese
Mode an, so daß es der Staat bald für gut befand, die Einfuhr des
Tabaks ebenfalls zu besteuern, was für ihn eine reiche Einnahmequelle
wurde. Ludwig XIII. (1610-1643) ließ gegen den Willen seines Leibarztes
Tabak unter das Kriegsvolk verteilen, und Ludwig XIV. (1643-1715)
befahl sogar während seines Krieges mit Holland im Jahre 1672, daß
sich jeder Soldat mit Rauchgerätschaften zu versehen habe. Bei den
höheren Ständen Frankreichs konnte sich das Rauchen zunächst nicht
recht einbürgern; dafür kam aber bei ihnen das Schnupfen auf, und der
Besitz einer kunstvoll verzierten Schnupftabaksdose wurde bald zu einem
wichtigen Requisit der Vornehmen, das ihnen allerdings die Bürgerlichen
bald genug nachahmten.

Die heute nur noch von manchen älteren Leuten geübte Sitte des
Tabakschnupfens verbreitete sich im 18. Jahrhundert durch alle
Volksschichten. Sie wurde zuerst in Frankreich unter Franz II.
(1559-60), und zwar von Spanien her eingeführt, das zu jener Zeit
die erste Schnupftabakfabrik in Europa erhielt, die Frankreich den
„Spaniol“ lieferte. Im Jahre 1636 führten spanische Geistliche
das Tabakschnupfen in Rom ein, was indessen den Papst Urban III.
so erboste, daß er eine Bannbulle gegen diese spanische Unsitte
erließ, die erst 1724 aufgehoben wurde. 1657 gab die Republik
Venedig die Fabrikation und den Verschleiß des Schnupftabaks auf
ihrem Territorialgebiete in Pacht. Das Tabakkauen indessen ist eine
europäische Erfindung, die durch die Matrosen aufkam und heute noch
unter diesen die meisten Anhänger zählt.

Gegen das Ende des 16. Jahrhunderts war das Rauchen bereits in Spanien,
Portugal, England und Holland durchaus populär. Nach Deutschland kam
die erste Tabakpflanze als Heilkraut 1565 aus Frankreich durch Occo
in Augsburg, und fünf Jahre später, 1570, gelangte sie ebenfalls aus
Frankreich nach Holland. Der holländische Arzt ~Dr.~ William van der
Meer in Delft schrieb ums Jahr 1590, daß er damals in Leiden englische
und französische Studenten zuerst habe rauchen gesehen. Sie rauchten
den Tabak aus irdenen Pfeifen, trotz der Warnung der ärztlichen
Fakultät, daß ihre Gehirne davon schwarz werden würden. Im Anfang des
17. Jahrhunderts begann dann der Gebrauch des Tabaks in den unteren
Ständen des holländischen Volkes allgemein zu werden. Das Kraut wurde
zunächst in großen Mengen aus Westindien eingeführt, bis man im Jahre
1615 es in Holland selbst zu pflanzen begann. So „trank“ bald jedermann
Tabak aus Gipspfeifen; selbst minderjährige Kinder taten es, trotz
immer wiederkehrender Proteste besonders der Theologen und Ärzte,
die zum größten Teil von diesem „teuflischen Kraute“ nichts wissen
wollten. 1617 wurde der erste Tabak in England, 1620 im Elsaß, 1625 in
Lothringen und seit der Mitte des 17. Jahrhunderts auch in Deutschland
gebaut, und zwar zuerst in Baden, wohin er vom Elsaß her über den Rhein
gelangt war.

    Tafel 81.

[Illustration: Blühende Stauden und ein einzelnes Blatt des auf Sumatra
kultivierten Tabaks (~Nicotiana tabacum~).]

    Tafel 82.

[Illustration: Das Anlegen einer Tabakpflanzung im Urwalde Sumatras.
Das Astholz ist verbrannt und dient als Dünger, während die Stämme zum
Verfaulen liegenbleiben. Um die Wohnung des Plantagenbesitzers sind als
Schattenbäume verschiedene Zuckerpalmen stehengeblieben.]

Nächst Holland war es besonders England, das die Sitte des Rauchens
rasch aufnahm. Durch englische Hilfstruppen, welche im Jahre 1620
nach Böhmen marschierten, wurde sie nach Deutschland gebracht, dessen
Bevölkerung sich ebenfalls verhältnismäßig rasch damit befreundete,
obschon auch hier Staat und Kirche das neue Luxus- und Genußmittel zu
bekämpfen suchten. Doch predigten die Moralisten umsonst gegen den
„holländischen Rauch“. Besonders dehnte sich dessen Gebrauch in der
Pfalz aus, wo 1622 englische und holländische Hilfstruppen sich längere
Zeit aufhielten und das Rauchen populär machten. Seit 1659 wurde zuerst
zu Suhl im Hennebergischen, dann seit 1679 in der Mark Brandenburg und
seit 1697 in der Pfalz und in Hessen Tabak angepflanzt. Im Laufe des
Dreißigjährigen Krieges, der von 1618-1648 dauerte, kam dann durch
den Einfluß der Soldateska und der verwilderten Sitten das Rauchen
in Deutschland allgemeiner auf. Seit jener Zeit half kein Verbot und
keine Strafe mehr gegen die überhandnehmende Unsitte. Dabei wurde der
Tabakbau immer weiter östlich gebracht, und zwar waren es die
Pfälzer, die nach der auf Befehl Ludwigs XIV. durch den französischen
General Graf von Mélac 1689 vorgenommenen Verwüstung ihrer Heimat
auswanderten und dabei den Tabakbau nach Thüringen, Sachsen und
Brandenburg brachten. Die Regierungen erblickten fortan im Tabakbau
eine ergiebige Finanzquelle und belegten den Konsum dieses neuen
Genußmittels mit hohen Steuern.

    Tafel 83.

[Illustration: Tabakplantage auf Sumatra. Links Malaie mit flachem
Korb zum Einsammeln der Tabakblätter, dahinter Trockenscheuer, rechts
Transport der getrockneten Blätter in die Fermentierscheune.]

    Tafel 84.

[Illustration: Reifer Tabak und Saatpflanzen desselben auf Sumatra.

Blick in eine voll Tabakblätter hängende Trockenscheune auf Sumatra.]

Manche Fürsten haben dann in der Folge diesem narkotischen Kraute
selbst gehuldigt. So führte der sonst so zeremonielle Kurfürst
Friedrich III., seit 1701 König Friedrich I. von Preußen (1688-1713),
Tabaksgesellschaften bei Hofe ein und ließ sogar von einem Künstler
das Bild einer solchen Zusammenkunft malen, bei welcher seine
Gemahlin Sophie Charlotte selbst dem Fürsten die lange holländische
Pfeife anzündet. Mit weniger Prunk, aber mehr Behagen widmete sich
Friedrich Wilhelm I. (1713-1740) seinem bekannten Tabakskollegium, in
welchem beim Bierkrug und bei langen holländischen Tonpfeifen derbe
Wachtstubenwitze und dick aufgetragene Schwänke erzählt und belacht
wurden. Die lustige Person, eine Art Hofnarr, in diesem Tabakskollegium
war jener vom Könige zum Freiherrn und spöttischerweise zum Präsidenten
der Akademie der Wissenschaften erhobene gelehrte Charlatan J. P.
von Gundling, der sich in der Trunkenheit bei Eimbecker Bier und
holländischem Tabak zu vielen derben Späßen mißbrauchen lassen mußte.
Sein Nachfolger Friedrich der Große (1740 bis 1786), der daran als
Kronprinz auch teilnahm, rauchte zwar nicht, schnupfte aber dafür nach
vornehmer französischer Sitte, der er eifrig anhing.

Wie England und Deutschland nahm auch Dänemark den Tabaksgenuß rasch
auf, während in der Schweiz die Obrigkeit denselben zunächst, wenn
auch umsonst, bekämpfte. Im Jahre 1661 erließ die Stadt Bern strenge
Verordnungen gegen den Gebrauch des Tabaks. Auch in der Türkei hatte
das Tabakrauchen, das 1605 zuerst in Konstantinopel auskam, anfänglich
große Schwierigkeiten zu überwinden, da die Muftis (Rechtsgelehrten)
erklärten, dieser neue Gebrauch widerspreche den Vorschriften des
Korans. Wer beim Tabakrauchen erwischt wurde, dem bohrte man als
abschreckendes Mittel das Pfeifenrohr quer durch die Nase. Doch selbst
diese grausame Strafe fruchtete nichts gegen die überhandnehmende
Rauchsitte, so daß Sultan Murad IV. im Jahre 1630 bestimmte, daß jeder,
der des Tabakrauchens überwiesen werden könne, geköpft werden solle.
Dadurch bewirkte er allerdings, daß die geängstigte Bevölkerung sich
notgedrungen vom Rauchen abwandte, dafür aber dem nicht verbotenen
Schnupfen des Tabaks huldigte. Sobald aber unter seinem Nachfolger
das Rauchverbot nicht mehr so streng gehandhabt wurde, kam auch das
Rauchen wieder auf und hat sich seither dermaßen bei den Osmanen
eingebürgert, daß bald der Türke mit seinem Tschibuk symbolisch auf
den Ladenschildern der Tabakverkäufer im Abendlande sich präsentierte.
Tabakrauchend und kaffeeschlürfend mit übereinandergeschlagenen Beinen
auf seinem Teppich zu sitzen und sich stundenlang dem träumerischen
Zustande des Kef hinzugeben, das ist heute das Paradies der Türken auf
Erden.

Ähnlich grausam wie in der Türkei ging man in Rußland gegen die neu
aufkommende Sitte des Tabakrauchens vor. Zar Feodorowitsch Romanow
bestimmte im Jahre 1641, daß, wer auch seiner Untertanen beim
Tabakrauchen betroffen werde, ohne weiteres getötet oder ihm wenigstens
die Nase abgeschnitten werden solle. Obschon diese strenge Maßregel
auch oft genug in die Tat umgesetzt wurde, ließ sich das russische Volk
so wenig als das türkische davon abbringen, schließlich doch diese
Unsitte anzunehmen. Erst Feodorowitschs Enkel, Peter der Große, dem
die Engländer 15000 Pfund Sterling (= 300000 Mark) anboten für die
Erlaubnis, den Tabak in Rußland einführen zu dürfen, willigte in diesen
wenig rühmlichen Handel ein, obwohl der Tabakverkauf vom russischen
Patriarchen verboten war und das Rauchen noch immer von der Kirche als
sündhaft und unrein verdammt wurde. Ja, dieser rohe Monarch versprach
den Engländern gegen solch reiche Bezahlung, dem Patriarchen selbst
das Rauchen beizubringen. Ob ihm solches gelang, wird allerdings nicht
berichtet; jedenfalls aber steht die eine Tatsache fest, daß bald
auch das heilige Rußland mit Hilfe der profitgierigen Engländer dem
Rauchteufel erlag, und heute wird in jenem Lande so gut wie in der
Türkei und in der Schweiz von vornehm und gering, selbst von vielen
Frauen dieser indianischen Unsitte gehuldigt.

Nach Japan brachten die Portugiesen schon im Jahre 1605 den Tabak,
der sich von hier aus ebenso schnell über ganz Ost- und Südasien
verbreitete. Obschon auch hier, so in Japan bereits 1612, von der
Obrigkeit sehr strenge Gesetze dagegen erlassen wurden, fand die
Sitte des Rauchens bald beim Volke Eingang. Ebenso war es unter den
europäischen Kolonisten in Nordamerika der Fall, wo noch im Jahre
1650 ein Rauchverbot, allerdings auch hier umsonst, erlassen wurde.
Aller Warnung zum Trotz fand das giftige Kraut seine Liebhaber, die
sich so an dasselbe gewöhnten, daß sie nicht mehr von ihm lassen
konnten. Auch heute noch fällt es dem daran Gewöhnten leichter, den
Genuß geistiger Getränke zu lassen, als sich das Rauchen abzugewöhnen.
Diese Leidenschaft beherrscht eben den Menschen ganz so wie der
gewohnheitsmäßige Genuß anderer narkotischer Mittel wie Opium, Morphin,
Kokain und dergleichen.

Es sei hier noch kurz bemerkt, daß bei allen Nationen das Rauchen
zuerst aus Pfeifen erfolgte und größtenteils noch heute so geübt wird.
Auch in Deutschland hat man im 18. Jahrhundert noch ausschließlich
aus Pfeifen geraucht. Nur reiche Leute konnten sich’s leisten, als
etwas Seltenes und Kostbares eine aus Holland, England oder Amerika
eingeführte Zigarre zu rauchen. Als diese Ausnahmen sich mehrten,
kam ein Hamburger, der in Spanien das Zigarrenmachen erlernt hatte,
im Jahre 1788 auf den Gedanken, in Hamburg eine Zigarrenfabrik zu
errichten. Doch hatte er zunächst keinerlei Erfolg. Er mußte seine
Zigarren verschenken, um seine Landsleute auf das Fabrikat aufmerksam
zu machen und ihnen die Überzeugung beizubringen, daß auch in
Deutschland hergestellte Zigarren gut schmeckten. Als trotz seiner
Bemühungen das fremdländische Fabrikat den Vorzug behielt, nahm er
seine Zuflucht zu einem Betrug, indem er seine Zigarren nach Kuxhaven
sandte, dort auf Schiffe verladen ließ, die aus Amerika kamen, und sie
dann als echte amerikanische in Hamburg in Empfang nahm. Als diese nun
zu billigen Preisen verkauft wurden, befreundete man sich mit ihnen und
rauchte später, als die Sache an den Tag kam, auch das einheimische
Fabrikat. So wurde nach und nach das Zigarrenrauchen in Deutschland
eingeführt.

Die +echte+ oder +gemeine Tabakstaude+ (~Nicotiana tabacum~) gehört mit
den Petunien, dem Stechapfel, dem Bilsenkraut, der weißen, besonders
am Abend stark duftenden Trompetenblume (~Datura suaveolens~), der
Tollkirsche, der Paprikapflanze, der Tomate, der Eierpflanze (franz.
~aubergine~, ~Solanum melongena~), dem Bittersüß und der Kartoffel in
die Familie der Nachtschattengewächse, deren Mitglieder meist durch
irgend ein Gift vor dem Gefressenwerden durch Tiere geschützt sind.
Sie ist ein einjähriges, bis 2 m hoch werdendes, aufrechtes Kraut,
das allseitig mit einfachen und drüsigen Haaren besetzt ist. Die
frisch unangenehm, betäubend riechenden und scharf bitter schmeckenden
Blätter sind länglichoval, ganzrandig und langzugespitzt. Sie sind oben
dunkel- und unten hellgrün. Jede Pflanze hat deren etwa 10 bis 20, von
denen die untersten bis 50 cm lang und 10-15 cm breit werden. Die
mit trichterförmiger, rötlicher Blumenkrone und fünfzähnigem, grünem
Kelche versehenen Blüten stehen in Rispen und erzeugen befruchtet eine
zweiklappige Kapsel mit zahlreichen, außerordentlich kleinen, eirunden
Samen, die außer Eiweißkörpern ziemliche Mengen eines Öles enthalten,
das in Südrußland ausgepreßt und zu Beleuchtungszwecken verwendet wird.

Der Stengel der Tabakpflanze ist während der ersten Periode des
Wachstums mit einem klebrigen Marke gefüllt und bricht sehr
leicht; später wird er holzig und besitzt ein ziemlich großes
Widerstandsvermögen gegen Bruch, was für die Kultur von großer
Wichtigkeit ist. Der runde Stengel verzweigt sich bei üppigem Wachstum
nur oben; zuweilen bilden sich aber für die Kultur sehr lästige
Seitenschosse in den Achseln der Blätter, die fast nicht oder nur
mit Aufopferung des Blattes, aus dessen Achsel sie entsprangen, zu
entfernen sind. Sobald die Pflanze sich ihrer Reife nähert, wird ihre
Lebenskraft hauptsächlich dazu verbraucht, Wurzelschosse zu treiben,
die alsbald entfernt werden, um die zu erntenden Blätter rascher zur
Reife zu bringen und ihnen auch eine heilere Farbe zu verleihen.

Ist die Tabakpflanze auch im wärmeren Amerika heimisch, so kann sie
gleichwohl an den meisten Orten der Erde gezogen werden; indessen
gibt sie nur in beschränkten Breiten bessere Produkte. Die dicken
und schweren Blätter, die sich schon bei uns entwickeln, sind nur
minderwertige Ware und die Pflanzen der höheren Breiten sind nicht
mehr zum genußreichen Rauchen zu verwenden. Aber auch in viel wärmeren
Gegenden gibt der Tabak nicht durchaus gleichwertige Blätter. Den
berühmtesten Tabak liefert Kuba, wo indessen, wie überhaupt auf allen
westindischen Inseln mit Ausnahme von Portoriko, die Tabakkultur
zugunsten der Kultur des Zuckerrohrs mehr und mehr abnimmt. Der
berühmte Havannatabak wird auf einer kleinen Strecke der Westküste, der
~vuelta abaja~, d. h. dem „niedrigen Land“ gebaut, das sich in 110 km
Länge und 30 km Breite als der beste Tabakboden der Welt zwischen dem
Gebirge im Norden und dem Meere im Süden erstreckt. Aller verfügbarer
Boden ist hier für die Tabakkultur verwendet, die in Plantagen von
etwa 13 Hektar Ausdehnung betrieben wird, auf der 20-30 Mann, Farbige
und Weiße, arbeiten. Der Tabak wird während des sogenannten Winters
gebaut, da der geringere Regenfall und der verminderte Sonnenschein,
sowie die gegen 10° C., gegenüber dem übrigen Teil des Jahres niedrigere
Temperatur günstig auf die Entwicklung des Aromas der Tabakblätter,
des Ruhms von Havanna, einwirken. Fast der ganze Ertrag wird in den
Fabriken von Havanna verarbeitet, die in der Regel jedes Jahr den
Ertrag derselben Plantage aufkaufen, wodurch sie in der Lage sind, ein
Produkt von möglichst gleicher Qualität zu liefern. Nirgends trifft man
so viel verschiedene Sorten Tabak wie in Havanna, wodurch natürlich
der Einkauf der Rohtabake sehr erschwert wird. Die am meisten dort
geschätzten werden noch ziemlich feucht geraucht, in einem solchen
Zustande, daß sie sich um sich selbst drehen und über den Finger biegen
lassen, ohne zu brechen. Manche Sorten haben im Fabrikationsorte
Havanna selbst einen Preis bis zu zwei Mark und darüber das Stück.

Andere berühmte Lagen sind in Brasilien, in Florida, auf Sumatra,
hauptsächlich im Distrikt von Deli und auf Neu-Guinea. Diese Tabake
sind besonders deshalb wertvoll, weil sie vorzügliche Deckblätter
geben, die dünn und dennoch fest wie Handschuhleder sind. Große
Mengen von Tabak werden auch in Mexiko, in den Staaten Maryland,
Virginia und Kentucky gebaut, obschon die letzteren, weil zu schwer,
nur minderklassig sind. In Europa erzeugt Ungarn große Mengen für
den österreichischen Bedarf. Vortrefflich ist auch der auf der
Balkanhalbinsel gezogene Tabak, an den sich die kleinasiatischen
Sorten anschließen. Hier wird auch eine andere Art, der mit
kleineren, runden Blättern und gelbgrünen, kürzeren Blüten versehene
sogenannte +Bauerntabak+ (~Nicotiana rustica~) angebaut, der einen
ganz ausgezeichneten dünnblätterigen Tabak liefert; dieser kommt als
türkischer Tabak in den Handel und wird nur, sehr fein geschnitten,
zu Zigarettentabaken verarbeitet. Besonders in Ägypten nimmt die
Zigarettenindustrie in Kairo und Alexandria ständig zu.

Die Tabakpflanze stellt sehr hohe Anforderungen an die Nährkraft des
Bodens, indem ihre grünen Teile, besonders die Blätter, ungemein
reich an mineralischen Bestandteilen sind; außerdem enthalten sie
die starken narkotischen Gifte Nikotin und Nikotianin, auf deren
Einverleibung im wesentlichen die Wirkung des Rauchens beruht. Durch
jene Gifte wird wohl das Nervensystem etwas beruhigt, das Empfinden und
Wollen angeregt, aber als ungünstige Nebenwirkung die Herztätigkeit
beschleunigt und der Blutdruck erhöht. Das Schnupfen des Tabaks ruft
weit weniger Allgemeinerscheinungen hervor, weil die bald eintretende
Verdickung der Nasenschleimhaut die Aufsaugung des Nikotins verhindert.

Der Tabak gehört also mit dem Alkohol zu den zweifellos schädlichen
Genußmitteln. Je besser die Sorte, um so geringer sind die
Giftwirkungen, da geringe Tabaksorten reicher an Nikotin zu sein
pflegen als die feinen. Dieselbe Beschaffenheit des Bodens und Klimas,
die die Bildung dieses Giftes begünstigt, wirkt zugleich ungünstig
auf die Entwicklung des Aromas. Deshalb ist eine stark nikotinhaltige
Tabakpflanze gleichzeitig weniger aromatisch, wie z. B. die Virginia
mit gegen 6 Prozent Nikotin, während ein geringer Nikotingehalt von
nur 2 Prozent, wie bei der Havanna, Hand in Hand mit der stärksten
Ausbildung des Aromas geht. Je größer der Abstand der Pflanzen
untereinander ist, je weniger Blätter ihnen gelassen werden, je höher
die Blätter am Stengel sitzen und je später sie gepflückt werden, desto
größer ist im allgemeinen ihr Nikotingehalt und desto geringer ihr
Aroma. Da nun ein möglichst geringer Nikotingehalt und ein möglichst
feines Aroma zu erstreben sind, müssen alle die Zunahme des Nikotins
begünstigenden Faktoren vermieden werden. Die Luft soll feucht sein und
die Pflanze soll zunächst viel Regen erhalten, bis sich die Blätter
zu entwickeln beginnen; dann schaden allerdings starke Regengüsse,
indem die Blätter ein geringes Aroma und unerwünscht dicke Blattnerven
bekommen, sich auch weniger günstig beim Trocknen und Gären verhalten.

Da stehendes Wasser dem Tabak sehr nachteilig ist, so muß der Boden,
auf dem Tabak gepflanzt werden soll, leicht durchlässig sein und darf
nicht im Überschwemmungsgebiet der Flüsse liegen. Am geeignetsten
ist etwas welliges Terrain. Kalk darf darin nur in geringen Mengen
enthalten sein, dagegen ist Kalireichtum günstig, da erfahrungsgemäß
die Güte des Tabaks durch einen hohen Gehalt an diesem Alkali bedingt
wird. Stickstoff- und Chlorreichtum vermindern die Brennbarkeit des
Tabaks und setzen sein Aroma herab. Das Gedeihen eines guten Tabaks ist
also unabhängig von Düngungsmitteln, im Gegensatz zu anderen Pflanzen,
z. B. Getreide und Gemüse. Ähnlich wie beim Weinbau bedingt die
Örtlichkeit zu einem großen Teil den Erfolg. Aber auch in der besten
Lage sind nicht alle Blätter einer Tabakpflanze von derselben Güte,
sondern die der Mitte des Stengels entnommenen sind, was Brennbarkeit
und Aroma anlangt, die besten; deshalb werden sie als „Bestgut“
bezeichnet.

Der erfolgreiche Anbau des Tabaks verlangt große Sorgfalt und Pflege.
Die Anzucht im Großbetriebe erfolgt in besonderen Saatbeeten, die
sowohl gegen übermäßige Sonnenbestrahlung als auch gegen die heftigen
Regengüsse, wie sie bekanntlich in den Tropen häufig sind, geschützt
werden müssen. Deshalb bedeckt man sie mit auf Stangen von 1-1,5 m Höhe
befestigten schrägen Dächern, die den Durchgang der nötigen Luft nicht
behindern. Nach drei Wochen werden die Keimpflänzchen möglichst schnell
an ihren definitiven Standort überführt und hier etwa zwei Wochen
lang, bis sie erstarkt sind, zum Schutze gegen Witterungseinflüsse mit
dütenförmigen Holzmützen bedeckt.

Nach etwa 75 Tagen ist die Pflanze ausgewachsen und wird geerntet,
wobei seltener die reifen Blätter, sondern meist die ganzen Pflanzen
abgeschnitten, in Bündel gebunden und entweder an der freien Luft oder
durch Feuerwärme in Trockenhäusern getrocknet werden. Sie verlieren
dabei ihren Stärkegehalt und erlangen die gewünschte braune Farbe.
Dann werden die Blätter vom Stengel abgebrochen -- wenn sie es nicht
schon waren -- und dabei zugleich nach ihrer Qualität sortiert, um
dann abermals zu Bündeln vereinigt und in geschlossenen Räumen zu
großen Haufen, sogenannten Stöcken, aufeinander geschichtet zu werden,
die 100-800 Zentner Tabakblätter umfassen. Hier machen sie eine von
besonderen Bakterien hervorgerufene Gärung durch, wobei diejenigen
aromatischen Verbindungen entstehen, durch welche der fertige Tabak
beim Rauchen den angenehmen Geruch und Geschmack erhält, weicher zum
Bearbeiten wird und gleichmäßiger gefärbt erscheint. Zugleich wird
der Gehalt an dem äußerst giftigen Nikotin um etwa 30 Prozent der
ursprünglich vorhandenen Menge desselben herabgesetzt. Dabei tritt
in einem feuchten Klima ein „Schwitzen“ genanntes Austreten eines
klebrigen Stoffes auf, was in einem trockenen dagegen unterbleibt. Den
Beginn der Gärung (Fermentation) erkennt man an einer Wärmezunahme,
welche im Innern des Stockes am bedeutendsten ist und daselbst bis
50° C. und mehr steigen kann. Sobald dies eingetreten ist, nimmt man die
Bündel auseinander und baut aus ihnen einen neuen Stock auf, in welchem
die bisher im Innern befindlichen Bündel an die Außenseiten gelegt
werden. Derartige Umlagerungen werden wiederholt vorgenommen, damit
jedes Bündel in annähernd gleicher Stärke fermentiert wird.

Ist dies geschehen, so werden die Stöcke je nach Sorten, Klima und
Witterungsverhältnissen entweder ganz auseinander genommen, um
weiter verarbeitet zu werden, oder abermals in kleineren Partien
zusammengelegt, wobei noch eine zweite Fermentation stattfindet.
Näheres über die Einzelheiten bei diesem Vorgang findet sich im
Abschnitt über die Gärungserreger. Nach der Fermentation werden die
Blätter gelüftet, getrocknet und schließlich in Fässer verpackt, um
in die Tabakmanufakturen zu gelangen, wo die schlechteren Sorten oft
noch zur weiteren Herabsetzung des Nikotingehaltes ausgelaugt und zur
Verstärkung des Aromas „gesaucet“, d. h. mit verschiedenen, meist
opiumhaltigen Brühen behandelt werden. Für Deutschland ist Bremen
ein Haupthandelsort für Tabak. Dort gibt es die größten Tabak- und
Zigarrenfabriken Europas.

Während heute überall in den Tabak produzierenden Ländern der rötlich
blühende echte oder gemeine Tabak gebaut wird, pflanzt man im Orient,
sowie in Nordafrika den nur 1 m Höhe erreichenden, gelblich blühenden
+Bauern+- oder +türkischen Tabak+ (~Nicotiana rustica~), der in Mexiko
seine Heimat hat. Wir sahen bereits, daß er den türkischen oder
Latakiatabak liefert. Die Kultur ist dieselbe wie beim echten Tabak,
und an ihm werden, gleicherweise wie bei jenem, gelegentlich eine Reihe
von durch winzige Spaltpilze hervorgerufene Krankheiten beobachtet,
unter denen der sogenannte „Spickel“, sowie der Blattfleckenrost und
eine dritte Blattfleckenkrankheit die wichtigsten sind.

Entsprechend dem großen Verbrauch des Tabaks ist sein Anbau ein ganz
bedeutender und beträgt auf der ganzen Erde wenigstens 550 Millionen
kg, wovon auf die Vereinigten Staaten von Nordamerika 225 Millionen
kg, auf Britisch-Ostindien 172 Millionen kg und auf Deutschland 40
Millionen kg entfallen. Außerdem führte Deutschland im Jahre 1906 für
120 Millionen Mark unbearbeitete Tabakblätter ein. Auf den Kopf der
Bevölkerung kommen daselbst jährlich fast 2 kg Tabak.

Was nun endlich die Verarbeitung des Tabaks betrifft, so beginnt man
beim Rauchtabak mit einer genauen Sortierung der Blätter nach der
Farbe, wobei man die Blätter mischt, um die gewünschte Qualität zu
bekommen. Darauf werden die Blätter angefeuchtet, um ihnen die nötige
Elastizität zu erteilen, und zwischen Walzen gepreßt, auf Rollen
gesponnen oder sofort geschnitten. Bei der Zigarrenfabrikation wird zum
Innenblatt eine geringere Qualität, zum Deckblatt dagegen eine bessere,
vielfach mit hellen Flecken versehene, genommen. Letztere entstehen
in der Natur durch Tautropfen, die den Sonnenstrahlen als Brennglas
dienen; dem Publikum zuliebe werden sie vielfach auch künstlich durch
Einwirkung von Salpetersäure erzeugt. Das Schneiden der Deckblätter
erfordert viel Übung und ein gutes Auge, da man trachten muß, aus einem
Blatt so viel Deckblätter wie möglich herauszuschneiden. Das Ganze
wird dann durch Maschinen gerollt. Danach werden die Zigarren an
der Sonne oder am Ofen getrocknet, je nach Farbe und Sauberkeit des
Deckblatts sortiert und in Kistchen verpackt.

[Illustration:

    Tafel 85.

Das Sortieren der Tabakblätter nach Länge und Farbe auf einer
Tabakplantage Sumatras.]

    Tafel 86.

[Illustration: Die zum Fermentieren in Haufen gelegten Tabakblätter auf
einer Tabakplantage Sumatras.

Blick in einen Arbeitsraum der Zigarettenfabrik Leopold Engelhardt in
Bremen.]

Die Zigarren müssen an einem trocknen Orte aufbewahrt werden, da sie
sonst leicht schimmeln. Im allgemeinen werden sie durch das Aufbewahren
besser, erstens, weil sie dabei vollkommen trocken werden, und
zweitens, weil in ihnen eine leichte Nachgärung stattfindet. Nach einer
bestimmten Zeit verliert aber die Zigarre wieder an Güte, weil sie
brüchig wird und das Aroma sich wieder verflüchtigt.

Die früher meist vom Raucher selbst gedrehten Zigaretten werden jetzt
meist mit Maschinen hergestellt. Zur Fabrikation des Zigarettenpapiers
werden gewöhnlich sehr feine leinene Lumpen verwendet, die sorgfältig
gereinigt werden. Statt des Papiers werden manchmal auch die
allerfeinsten Tabakblätter als Hülle verwendet. Diese sogenannten
Zigarillos haben vor den übrigen Zigaretten den Vorzug, daß bei ihnen
der unangenehme Papiergeschmack wegfällt.

Bei der Herstellung von Kautabaken werden die Blätter mit Salz, Sirup,
Zucker, Rum, Salmiak, dem Fruchtfleisch der Tamarinde, Anis, Gummi,
Dextrin, allerlei ätherischen Ölen usw. versetzt; dem Schnupftabak
setzt man meist nur Salmiak und Pottasche zu. Für die Fabrikation
des letzteren wählt man die schwärzesten Tabaksorten und von diesen
die dicksten und fleischigsten Blätter von nicht zu heller Farbe.
Nachdem die Blätter einen Gärungsprozeß von verschieden langer Dauer
durchgemacht und die betreffenden Zusätze erhalten haben, werden sie an
der Luft getrocknet, geschnitten und fein gestampft oder in Mühlen fein
gemahlen. Dann wird der Schnupftabak gesiebt, parfümiert und verpackt.

Die ersten Rauch- und Schnupftabakfabriken in Deutschland entstanden
in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die ersten Zigarrenfabriken
in Hamburg und Bremen gegen das Ende des 18. und den Beginn des 19.
Jahrhunderts. Die Stadt Bremen besaß 1851 bereits 281 Fabriken mit
5300 Arbeitern. In Sachsen entstand die erste Zigarrenfabrik 1825, in
Baden 1843. Als in den Jahren 1852 und 1854 Braunschweig und Hannover
dem Zollverein beitraten, wurden die hanseatischen Fabriken in das
Zollinland verlegt und in Hamburg und Bremen nur noch die besten Sorten
hergestellt. Seit der Mitte der 1860er Jahre wurden die Tabakfabriken
mehr und mehr aus den großen Städten auf das Land und in die kleineren
Städte verlegt.

Begreiflicherweise hat der Fiskus einen so allgemein beliebten
Luxusartikel ausgiebig besteuert. So bildet die Tabaksteuer eine
bedeutende Einnahmequelle aller Kulturstaaten. Einige Regierungen,
wie in Europa Österreich-Ungarn, Frankreich, Italien, Spanien,
Portugal, Serbien und Rumänien, haben sich sogar das Monopol auf die
Tabakindustrie und den Tabakverkauf reserviert, um auf diese Weise
einen möglichst großen Profit aus dem Tabak zu ziehen. In England,
Rußland und der Türkei steht der Tabak unter staatlicher Aufsicht; in
den übrigen Ländern dagegen ist er frei.



XVIII.

Die Gärungserreger.


Außer den größeren und kleineren Nutzgewächsen, die jeder zu sehen
imstande ist, gibt es solche von mikroskopischer Kleinheit, über
deren Vorhandensein, Lebensweise und Bedeutung wir erst seit wenigen
Jahrzehnten unterrichtet sind. Schon sehr lange kannte und verwandte
man zwar die verschiedenen Gärungen, ohne auch nur die mindeste Ahnung
davon zu haben, daß sie durch lebende Wesen, durch dem unbewaffneten
Auge unsichtbare winzige, einzeilige Pilze bewirkt werden. Schon im
Jahre 1680 hatte zwar der Holländer Leeuwenhoek beim Betrachten von
Hefe unter dem kurz vorher vom Middelburger Brillenmacher Zacharias
Jansen erfundenen Mikroskop die Hefezellen als winzige Kügelchen
erkannt und beschrieben, aber weder er noch andere seiner Zeitgenossen,
die dasselbe beobachteten, wußten irgend etwas von einem Zusammenhange
dieser winzigen Kügelchen mit der Gärung, die ihnen ein völlig
unerklärlicher Prozeß war. Bald hernach, nämlich schon im Jahre 1697
hat zwar als erster der deutsche Chemiker Stahl eine Erklärung des
Wesens der Gärung zu geben versucht, indem er dabei in innerer Bewegung
begriffene Körperchen annahm, die diese Bewegung dann auf jene Körper
übertragen, die dadurch der Gärung unterliegen und durch sie verändert
werden.

Mit dem Aufkommen der Wissenschaft der Chemie vermutete man beim
Gärungsprozesse einen bis dahin unbekannten chemischen Prozeß, dem man
auf die verschiedenste Weise beizukommen versuchte. Das Rätsel ließ
sich aber nicht lösen, so sehr man sich auch alle Mühe gab, dahinter
zu kommen. Vor allem suchten die hervorragenden Chemiker Frankreichs,
so Lavoisier, Dumas und Gay-Lussac, die bei der Gärung erzeugten
Zersetzungsprodukte festzustellen, ohne sich über die für sie noch
immer unergründliche Ursache derselben weitere Gedanken zu machen. Erst
im Jahre 1837 gelang es ganz unabhängig voneinander dem Deutschen
Theodor Schwann und dem Franzosen Cagniard-Latour die winzigen, nur
bei sehr starker Vergrößerung deutlicher sichtbaren Kügelchen, die
schon Leeuwenhoek beobachtet, aber nicht zu deuten gewußt hatte, als
einzeilige Lebewesen aus der Pflanzengattung der Pilze festzustellen
und in ihnen die Urheber der Gärung zu vermuten. Als dritter im Bunde
kam dann noch der Deutsche Kützing hinzu, der seine wesentlichsten
Feststellungen schon einige Jahre vorher gemacht hatte, aber seine
Beobachtungen erst nach der Veröffentlichung der Arbeiten der beiden
vorgenannten Forscher veröffentlichte.

Diese überaus wichtige Entdeckung von der belebten Natur der Hefe wurde
von den damals tonangebenden Chemikern, dem Schweden Berzelius und
den Deutschen Liebig und Wöhler, nicht nur nicht anerkannt, sondern
geradezu ins Lächerliche gezogen. Die Idee, daß lebende Keime und nicht
chemische Vorgänge der Gärung zugrunde liegen, wurde von ihnen und von
zahlreichen anderen leidenschaftlich bekämpft, bis nach zwanzigjährigem
Zweifel an dieser Tatsache der große Louis Pasteur 1857 die Entdeckung
Schwanns und seiner beiden Genossen mit aller Sicherheit bestätigte
und außer Frage stellte, daß alle Gärungen durch winzige Pilze bedingt
werden, deren Lebensprozeß jene chemisch festzustellenden Veränderungen
der von ihnen befallenen Massen auslöst, indem die Gärungserreger
bestimmte Fermente als chemische Produkte ausscheiden, die dann
losgelöst von den Zellen jene Veränderungen bewirken.

Dem Münchener Hygieniker Eduard Buchner gelang es als erstem nicht
nur das Ferment der Alkoholgärung in den Hefezellen selbst zu finden,
sondern es auch nach Zerstörung der Zellwände vermittelst Zerreibens
mit scharfem Sande und nachherigem Auspressen unter hohem Drucke in
einer hydraulischen Presse und Filtrieren durch Porzellanfilter, die
keine lebende Hefezelle hindurchlassen, zu isolieren und in feste Form
zu bringen, in der sie lange Zeit haltbar ist. Er wies auch nach, daß
es durch gewisse Gifte, wie beispielsweise Aceton, gelingt, die Hefe
mit Vermeidung einer vorhergehenden Schädigung der Zelle zu töten, ohne
daß das in der Zelle befindliche Ferment seine Wirksamkeit eingebüßt
hätte. Wie er zu zeigen vermochte, geht im allgemeinen das Ferment beim
Absterben während des Todeskampfes zugrunde. Nur bei Anwendung von
momentan tötenden Giften bleibt das Ferment in voller Wirksamkeit in
der Zelle erhalten, so daß sich auch auf diese Weise eine sogenannte
„Dauerhefe“ gewinnen läßt, die das Aussehen und die Wirksamkeit der
lebenden hat, obschon die Zellen, die sie erzeugten, tot sind und sich
nicht mehr wie sonst beim Gärungsprozesse weiter vermehren.

[Illustration: Bild 47 und 48. Hefen.

I. Gewöhnliche Bierhefe (Kulturhefe, ~Saccharomyces cerevisiae~). ~a~
Hefezellen mit Sporen im Innern, ~b~ Hefezellen in Sprossung.

II. Verschiedene sogenannte Wilde Hefen. ~a~ Hefezellen mit Sporen im
Innern, ~b~ Sprossende Hefezellen.

(Originalzeichnung von Dr. Schnegg in Weihenstephan.)]

Die +Hefepilze+ gehören seit den grundlegenden Untersuchungen von
Reeß im Jahre 1870 zu den Askomyzeten oder Schlauchpilzen, so
genannt, weil sie ihre als Endosporen bezeichneten Fruchtkörper
in Schläuchen bilden. Diese sind bei den einzelligen, sich für
gewöhnlich durch Sprossung vermehrenden und, nur bei Aufhebung der
Möglichkeit weiterzuleben, solche Sporen als äußerst widerstandsfähige
Dauerzustände hervorbringenden Hefepilzen kurz. Von ihrer Fähigkeit,
den Traubenzucker beispielsweise des Mostes in fast genau gleiche Teile
von Kohlensäure und Äthylalkohol zu spalten, nennt man sie nach Meyer
auch Saccharomyzeten oder Zuckerpilze. Von ihnen gibt es eine Unzahl
von Rassen, Varietäten und Spielarten, die wir erst nach Entdeckung
des Verfahrens der Reinkultur von Mikroben durch Robert Koch zu
Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts durch die überaus
mühevollen Untersuchungen des Dänen Emil Christian Hansen unterscheiden
lernten. Diese Neuerung ist für die Industrie von der weitgehendsten
Bedeutung, weil die verschiedenen Spielarten der Hefe durchaus nicht
alle gleich gut und für die Technik zu gebrauchen sind. Seit langem
weiß man, daß unter Umständen auch echte Hefen sich als unangenehme
und schädliche Gäste beim Gärungsprozesse einfinden können und durch
ihre Tätigkeit die Güte des Gärproduktes erheblich beeinträchtigen,
ja geradezu verderben können. Infolgedessen hat man vor allem in der
Bierbrauerei danach gestrebt, die einmal für gut befundenen Hefen
in ihrer Eigenart zu erhalten und sie frei von Verunreinigung durch
unerwünschte wilde Hefearten, wie sie sich überall in der Natur
vorfinden, weiter zu züchten. Erst durch die Arbeiten von Hansen sind
wir in den Stand gesetzt, aus einer einzigen Zelle der guten Hefe
eine immer gleichbleibende gute Rasse zu züchten, die mit Sicherheit
gute Gärprodukte liefert. Dadurch wurde die ganze Brauindustrie
revolutioniert, und auch bei der Weinbereitung und Brennerei fangen
Reinhefen an, eine immer größere Rolle zu spielen.

Die Hefepilze, deren für die technische Verwertung beste Sorten wie die
Bierhefepilze (~Saccharomyces cerevisiae~ und der etwas kleinere ~S.
ellipsoideus~) kugelig bis eirund und nur ausnahmsweise wurstförmig
langgestreckt sind wie der Pasteursche Zuckerpilz (~Saccharomyces
pasteurianus~), siedeln sich entweder am Boden der von ihnen zu
vergärenden Flüssigkeiten an wie die Unterhefen, oder sie verteilen
sich in der ganzen Flüssigkeit, können sich aber auch schließlich unter
gewissen Bedingungen als Haut auf der Oberfläche der gärenden Lösung
sammeln. Dies geschieht bei den echten Hefen besonders bei reichlicher
Luftzufuhr. Es gibt aber einige langgestreckte Schlauchpilze, bei denen
diese Wuchsform die Regel ist, wie beispielsweise bei dem sich auf Bier
und Wein ansiedelnden Kahmpilz (~Saccharomyces mycoderma~), der die
Gärfähigkeit überhaupt eingebüßt hat und den Zucker der Nährlösung, in
der er lebt, direkt in Kohlensäure und Wasser spaltet, wodurch er dem
Gärgewerbe schädlich wird.

Da den Hefepilzen als Schmarotzern das Chlorophyll oder Blattgrün
fehlt, können sie ihren Körper nicht wie die Pflanzen aus unorganischen
Stoffen aufbauen, sondern bedürfen dazu wie die Tiere komplizierter
zusammengesetzter, von mit Chlorophyll ausgestatteten Pflanzen im
Sonnenlichte aufgebauter „organischer“ Nährstoffe, die sich ihnen in
den in der Natur weitverbreiteten Zuckerlösungen darbieten. Diese
enthalten daneben stets auch etwas Eiweiß oder Abbauprodukte desselben,
sogenannte Aminosäuren, denen sie ihren Stickstoffbedarf entnehmen,
und Salze mit Kalium, Magnesium, Eisen, Phosphor und Schwefel, die zu
ihrem Gedeihen durchaus erforderlich sind. Daraus folgt, wie Pasteur
zuerst feststellte, daß die Hefe in reinen Zuckerlösungen nicht gärt,
sondern aus Mangel an stickstoffhaltigen Nahrungsmitteln und Nährsalzen
sehr bald zugrunde geht. In einer ihr zusagenden und für ihr Gedeihen
erforderlichen Nährlösung müssen aber durchaus alle jene Stoffe
enthalten sein, die zum Lebensprozesse der Zellen, zu ihrem Wachstum
und ihrer Vermehrung notwendig sind.

Eine besonders wichtige Rolle im Stoffwechsel der Hefepilze und
infolgedessen beim Vorgang der Gärung spielt der Sauerstoff, der ja
für den Lebensprozeß jeder Zelle und jedes Organismus überhaupt, sei
es Pflanze oder Tier, ein völlig unentbehrlicher Stoff ist, da nur er
die Oxydation, d. h. die Verbrennung in den Geweben ermöglicht, die die
Quelle aller Leistungen in den lebenden Körpern bildet. So verbrennen
auch die Hefepilze den ihnen in der Nährlösung dargebotenen Kohlenstoff
zu Kohlensäure wie es jeder lebende Organismus tut. Es geht also immer
ein Teil des von ihnen zersetzten Zuckers für die Umsetzung in Alkohol
verloren und wird damit die Ausbeute der Gärung bis zu einem gewissen
Grade beeinträchtigt. Pasteur, dem wir die grundlegenden Untersuchungen
über den Lebensprozeß der Hefepilze verdanken, behauptete, daß die Hefe
nur dann gäre, wenn ihr die Luft abgeschnitten werde. Bei genügender
Zufuhr von Sauerstoff habe die Hefe einen Stoffwechsel wie andere
Pilze, indem sie ausschließlich den dargebotenen Zucker verbrenne;
sobald aber der Sauerstoff fehle, müsse sie den Zucker, den sie nicht
mehr direkt verbrennen kann, durch Gärung, zu der Sauerstoff nicht
nötig ist, umsetzen, um ihn zu einer Energiequelle zu gestalten.

Über diese Pasteursche Theorie, wonach die Gärung ein Leben der Hefe
ohne Luft sei, wurde lange Zeit hindurch aufs heftigste gestritten, bis
man schließlich erkannte, daß diese Annahme falsch war und Hefe bei
Anwesenheit von Sauerstoff ebensogut gärt wie bei Abschluß desselben.
Daß andererseits der Sauerstoff zum Leben und zur Vermehrung der Hefe
absolut nötig sei, darüber hatte schon Pasteur keinen Zweifel gehabt.
Von seiner Theorie blieben an Tatsachen nur zwei übrig, nämlich
erstens, daß ganz junge Hefe bei reichlichem Luftzutritt tatsächlich
schlecht gärt, weil sie sich zu üppig entwickelt, und zweitens, daß
auch unter günstigeren Bedingungen bei Luftzutritt die einzelnen
Hefezellen etwas weniger Alkohol liefern als bei Abschluß der Luft.
Aber andererseits wird die Vermehrung der Zellen durch den Zutritt von
Luft so sehr gesteigert, daß trotz dieser verminderten Leistung der
Einzelzelle die Gesamtausbeute bei Anwesenheit von Luft besser ist als
bei Fehlen derselben.

Nun hat besonders Stoklasa in Prag nachgewiesen, daß die Fähigkeit,
bei Luftabschluß alkoholbildende Fermente zu erzeugen, nicht nur
verschiedenen Pilzen, speziell Schimmelpilzen aus der Gattung Mucor,
die ebenfalls gären, wenn auch schwächer als Hefe, zukommt, sondern
sich auch bei Rüben, Kartoffeln usw. nachweisen läßt. Diese Fähigkeit
scheint also eine weitverbreitete Eigenschaft der lebenden Substanz
zu sein. Dann wäre die einzige Besonderheit der echten Hefepilze nur
noch die, daß sie diese Tätigkeit auch bei Anwesenheit von Sauerstoff
fortsetzen. Wir dürfen also annehmen, daß diese sich aus Pilzen
entwickelten, die die Fähigkeit, gelegentlich auch bei Luftabschluß
Zucker zu spalten und Alkohol und Kohlensäure daraus zu bilden, in
weitgehendem Maße ausbildeten. Während aber diese Fähigkeit bei allen
weniger weit in diesem Prozesse vorgeschrittenen Pilzen, z. B. den
Mucorarten, bei Luftanwesenheit verschwand, ging die Anpassung an ein
solches Vermögen bei den Hefepilzen so weit, daß die Fähigkeit der
Spaltung von Zucker in Alkohol und Kohlensäure auch bei Anwesenheit von
Luft weiterbestand.

Die Bedeutung der Gärung für die Hefe selbst ist demnach die, daß
sie ihren Energiebedarf ohne Anwesenheit von Sauerstoff decken kann.
An Stelle der richtigen Verbrennung der Nährstoffe, wie sie sonst
bei allen Lebewesen, besonders den nichtgärenden Pilzen und Tieren,
herrscht, tritt hier als Energiequelle die einfache Aufspaltung ohne
Sauerstoff. Auf diese Weise rückt Pasteurs Theorie in ein ganz anderes
Licht. Die Gärung der Hefe ist zwar nicht an sich ein Leben ohne Luft,
wohl aber gewährleistet die Bildung dieses Fermentes der Zelle ein
Leben ohne Luft. Das ist zwar etwas sehr Ähnliches, aber es besteht
doch der wichtige Unterschied, daß die Hefepilze dieses Mittel auch
dann noch anwenden, wenn sie es nicht gerade brauchen, wenn ihnen also
Sauerstoff zur Verfügung steht.

Schließlich gehen die Hefepilze in ihrem eigenen Produkte, dem Alkohol,
wenn er in einer bestimmten Konzentration in der von ihnen besiedelten
Nährlösung gebildet ist, zugrunde. Ihre Empfindlichkeit dagegen ist
eine ziemlich große; denn durchschnittlich erlischt die Gärung, sobald
der Gehalt an Alkohol 12-15 Prozent erreicht hat. Den geringsten
Alkoholgehalt ertragen Obstwein- und Bierhefen, einen mittleren
Weinhefen; nur manche Südweinhefen vertragen eine Alkoholanreicherung
bis zu 18 Prozent und Brennereihefen bis 20 Prozent; einzig die
japanische Sakehefe, die ein starkes Reisbier mit weinigem Charakter
erzeugt, soll sogar bei 24 Prozent Alkoholgehalt noch gären. Dieses
wechselnde Verhalten der Hefen gegen den von ihnen gebildeten Alkohol
zeigt ihre überaus große Veränderlichkeit gegen die verschiedensten
Einflüsse, was ihrer technischen Verwendung in hohem Maße zugute
kommt. Je nach dem Zwecke, den der Gärtechniker verfolgt, kann er
die verschiedenartigsten Hefen in Anwendung bringen; und diese in
möglichster Vollkommenheit zu züchten, ist seine vornehmste Aufgabe.

Die beiden wichtigsten Funktionen der Hefe sind die +Vermehrung+, die
mit intensivem Sauerstoffverbrauch einhergeht, und die +Gärung+. Rasch
wachsende Hefen gären schlecht, langsam wachsende dagegen gut. Diesen
beiden Endzuständen entsprechen zwei Typen: einerseits die sehr rasch
wachsende, wie man sagt „geile“ +Lufthefe+, die zu Bäckereizwecken
verwendet wird. Ihr darin nahe kommt die schnell vergärende
Brennereihefe, die aber im Gegensatz zu jener eine hohe Temperatur
verlangt. Und andererseits die äußerst langsam wachsende, „faule“, aber
sehr ausgiebig vergärende bayerische untergärige Bierhefe, die aber
dazu im Gegensatz zur vorigen einer niederen Temperatur bedarf.

Auch gegen den Zuckergehalt ist die Resistenz der verschiedenen
Hefearten eine sehr wechselnde. Die meisten können schon bei 40 bis
50 Prozent Zucker nicht mehr vergären, andere, die schwere Süßweine
bilden, können noch 60 Prozent und darüber vertragen.

Neben der Zymase, welche die Gärkraft der einzelnen Heferassen bedingt,
enthalten alle Hefen noch andere Fermente, die auf verschiedene
Kohlehydrate spaltend wirken, mit dem Endziel, sie alle in vergärbaren
Zucker zu verwandeln. Bei den meisten sind nur diejenigen Fermente in
wirksamer Menge vorhanden, die die höheren Zuckerarten spalten, nämlich
die Maltase, die Malzzucker in Traubenzucker, und die Invertase, die
Rohrzucker in Traubenzucker und Fruchtzucker überführt. Spärlicher
sind die bisher auch weniger eingehend studierten Fermente, die die
Dextrine angreifen, und nur bei wenigen sind solche vorhanden, die den
Milchzucker einerseits und die Stärke andererseits angreifen. Letztere
Eigenschaft kommt besonders der tonkinesischen Hefe zu, die einen Pilz
(~Amylomyces rouxii~) enthält.

Schon lange unterscheidet man in der Praxis der Gärtechnik zwischen
+wilden Hefen+ und den +Kulturhefen+. Solche „wilde Hefen“ sind heute
noch in den allermeisten Fällen die Weinhefen. In der Urzeit aber,
bevor sich der Mensch weitergehende Erfahrung in der Gärtechnik
erworben und besondere Verfahren zur Gewinnung möglichst vollkommener
Produkte eingeschlagen hatte, war jede Gärung durch wilde Hefen
bedingt. Man überließ einfach die zuckerhaltigen Pflanzensäfte sich
selbst; dabei trat dann von selbst durch Ansiedelung und rasches
Wachstum von frei herumschwärmenden, wilden Keimen die Gärung ein,
die der Mensch nach seinen Wünschen zu leiten und, wenn nötig, zu
unterbrechen versuchte.

Die Lebensweise dieser wilden Hefen hat Hansen zuerst an ~Sacharomyces
apiculatus~ erforscht. Was von ihr gilt, das wird mit geringen
Änderungen auch für die anderen Hefearten Geltung haben. Den Sommer
hindurch sind überall Hefekeime im Staub vorhanden, die dann vom
Wind an verletzte Früchte irgend welcher Art verweht werden, wo
sie vortrefflich gedeihen und sich rasch vermehren. Zur Zeit der
Fruchtreife im Herbst sind sie besonders in Obst- und Weingärten
in ungeheurer Zahl vorhanden und gelangen mit den Früchten in den
gekelterten Most, in welchem sie die alkoholische Gärung verursachen.
Mit dem Regen und Wind und den herabfallenden, verderbenden Früchten
gelangen sie in den Boden, wo man sie bis zu 40 cm Tiefe nachgewiesen
hat. Hier überwintern sie, soweit sie als dickhäutige Dauerformen
vor dem Eingehen infolge von Kälte und Trockenheit geschützt sind,
um mit dem Frühjahre von neuem ihr Dasein an allerlei austretenden
Pflanzensäften und faulenden Massen fortzusetzen und mit dem Wind und
den zahllosen Insekten auf die sich bildenden Blattmassen und jungen
Früchte verschleppt zu werden, wo sie sich nach Möglichkeit, soweit
es ihnen gelingt, Nahrung zu erhalten, vermehren und immer weiter
ausbreiten, bis sie im Herbst abermals eine Hauptverbreitung erlangt
haben.

Aus ihnen hat dann der Mensch unwillkürlich im Laufe der Zeit besondere
Kulturrassen entwickelt, indem er mit Vorliebe gute Hefereste zur
Fermentierung der neuen zu vergärenden Nährlösung verwandte. So
hatten beispielsweise die Braumeister schon lange gemerkt, daß es
zweckmäßig ist, die Hefen, die einmal ein gutes Bier geliefert hatten,
sich nach Möglichkeit zu erhalten, und die große Geheimniskrämerei,
die lange Zeit die Kunst edles Bier zu brauen umgab, beruhte nicht
zum mindesten auf solchen alten Rezepten zur Erhaltung des „Zeuges“.
Indessen war dies alles reine Empirie, und Fehlschläge blieben dabei
nicht aus. So war trotz aller Sorgfalt das Brauen guten Bieres stets
eine Sache des Zufalls. Erst durch die planmäßigen Arbeiten Hansens
ist dies anders geworden, indem er zuverlässige Verfahren angab,
um jeweilen erstklassige Kulturen von Hefe zu erlangen und nach
Belieben weiter zu züchten. So ist man imstande, immer gleichmäßig
gute Heferassen, ohne Beimischung unerwünschter fremder Elemente
oder eine Degeneration befürchten zu müssen, in Anwendung zu ziehen
und damit stets sicheren Erfolg zu haben. Und hat man auf diese
Weise eine größere Menge einer vollkommen einheitlichen, weil aus
einer einzigen Zelle hervorgegangenen Hefe gewonnen, so kann man mit
dieser Gewöhnungsversuche an bestimmte, nach besonderen Richtungen
abgeänderter Nährböden machen, um damit neue, zu speziellen Zwecken
dienende Varietäten zu gewinnen.

Neben dieser „Einzellmethode“, die stets die klassische sein wird,
genügt für zahlreiche Zwecke auch ein anderes Verfahren, das man
als die „natürliche Reinzucht“ bezeichnet. Es beruht auf der
Erfahrungstatsache, daß eine Hefe, die in größerer Menge auf einen ihr
gut zusagenden Nährboden und unter günstigen Temperaturverhältnissen
eingesät wird, sehr bald alle anderen Organismen in solch energischer
Weise überwuchert, daß sie beinahe allein zurückbleibt. So kann man
beispielsweise untergärige gute Bierhefe von Beimengungen einerseits
obergäriger, andererseits kleiner, wilder Hefen dadurch trennen, daß
man bei 8-10° C. gären läßt, unter Bedingungen, die nur der gewünschten
Hefe günstige Verhältnisse zum Fortkommen gewähren. So kann man durch
Züchten auf mehrere Prozent Alkohol enthaltenden Nährböden aus einem
Gemisch von Brennereihefe und Unterhefe die letztere herausschaffen usw.

Wenden wir uns nach dieser allgemeinen Orientierung zu den wichtigsten
Nutzanwendungen der Hefegärung, unter denen an erster Stelle die
+Brotbereitung+ steht. In der Urzeit wurden die nahrhaften Samen der
wilden Grasarten und später diejenigen der aus ihrer Zahl zu immer
großkörnigeren Getreidearten gezüchteten Spezies gleich nach dem
Sammeln, solange sie noch nicht durch Eintrocknen hart geworden waren,
oder wenn dies wie bei den Vorräten der Fall war, nach vorhergehendem
kurzen Einweichen in Wasser, roh, oder noch häufiger durch Rösten
auf heißen Steinen schmackhafter gemacht, gegessen. Solch geröstetes
Getreide hat sich mit dessen natürlicher Würze, dem Salz, im äußerst
konservativem Kultus bei manchen Völkern, wie den Römern, als die
älteste Art von Opferspeise pflanzlicher Natur an die Gottheit bis in
die Spätzeit erhalten.

Als man aber mit dem Aufkommen des Hackbaus in neolithischer Zeit
Vorräte von Getreidekörnern anlegte, die stark austrockneten, war es
geboten, die hartgewordenen Körner ohne Aufweichen in Wasser zwischen
Steinen zu zermalmen. So kamen die immer zweckmäßiger gestaltenen
Mahlsteine als die primitivsten Mühlen der Menschheit auf. Anfänglich
geschah dieses Mahlen noch äußerst roh und ungenügend; so finden wir
in den als Vorläufer des Brotes mit Zuhilfenahme von Wasser bereiteten
Fladen der neolithischen Pfahlbauern der Schweiz ohne irgend welche
Poren neben abgeriebenen kleinsten Steinpartikeln, die beim Kauen
förmlich geknirscht haben müssen, noch halbe und ganze Getreidekörner
als Zeichen der sehr lässigen, wenig sorgfältigen Arbeit der solche
Speise bereitenden Frauen. Da man nun irdene Gefäße besaß, die man
immer besser durch gründlicheres Brennen zu härten verstand, so zog
man diesen unschmackhaften, trockenen Fladen bald allgemein den durch
Einrühren des grob zerkleinerten Getreidekorns in Wasser hergestellten
+Mehlbrei+ vor, der noch zu Anfang der christlichen Zeitrechnung
bei unseren germanischen Vorfahren an Stelle des ihnen unbekannten
getriebenen Brotes als Hauptnahrungsmittel gegessen wurde. Auch bei den
Kulturvölkern des Altertums, so besonders bei den in allem konservativ
gesinnten Römern, war er, von ihnen ~puls~ genannt, während ihn
die Griechen als ~maza~ bezeichneten, bis in ihre Blütezeit hinein
gebräuchlich. So sagt der ältere Plinius in seiner Naturgeschichte:
„Die Römer haben lange Zeit von Brei (~puls~) und nicht von Brot
(~panis~) gelebt; daher nennt man auch jetzt noch dasjenige, das
man zum Brote ißt, ~pulmentarium~. Ein Bissen solchen Breies hieß
~offa~, wie man z. B. aus Ennius (dem von 239 bis 168 v. Chr. lebenden
römischen Dichter) ersieht. Noch jetzt wird an Festen, die aus alter
Zeit stammen, namentlich an Geburtstagen, solcher Brei bereitet, den
man ~puls fritilla~ (gebackenen Mehlbrei) nennt.“ An einer anderen
Stelle gibt er an, daß man in Kampanien aus gemeiner Hirse (~milium~)
weißen ~puls~ und wohlschmeckendes Brot bereite. Und der unter Nero
aus Bilbilis in Spanien nach Rom gekommene, um 120 n. Chr. gestorbene
Epigrammendichter Martialis, ein Schmeichling und Günstling der
Kaiser, schrieb in einem uns erhaltenen Gedichte: „Komm zu mir, lieber
Turanius, und nimm vorlieb mit einem Würstchen (~botellus~), das auf
schneeweißem ~puls~ (Brei) liegt.“ Auch der römische Geschichtschreiber
im 1. Jahrhundert n. Chr. Valerius Maximus versichert: „Die alten Römer
lebten sehr mäßig, genossen mehr Brei (~puls~) als Brot (~panis~).
Von ihnen stammt auch der Gebrauch des Opferschrots, welches aus
geröstetem Spelt mit Zusatz von Salz besteht und womit man die (als
Opfer verbrannten) Eingeweide bestreut (während das Fleisch von den
Opfernden zu Ehren der Gottheit selbst verspeist wurde). Die jungen
Hühner (~pullus~), welche wahrsagen, werden mit ~puls~ gefüttert.“
Sonst wurden als Opferkuchen (~libum~) aus solchem Brei mit Zusatz
von einem Ei hergestellte und auf der heißen Herdstelle unter einer
Schüssel, wie uns der ältere Cato berichtet, langsam gebackene
Fladen hergestellt. Und Plutarch erzählt vom spartanischen Feldherrn
Pausanias, der mit Aristeides die Perser bei Platää (479 v. Chr.)
besiegte und später (467), des verräterischen Einverständnisses
mit ihnen beschuldigt, im Tempel der Athene in Sparta, wohin er
sich geflüchtet, durch Hunger umkam, er habe nach der Schlacht bei
Platää, wie er die mit Leckerbissen besetzten persischen Tafeln sah,
ausgerufen: „Wahrhaftig, die Perser sind merkwürdige Leckermäuler!
Sie haben vielerlei und verspüren doch ein Gelüste nach unserem Brei
(~maza~).“

Aus solchem frischen, ungesäuerten Mehlbrei durch Backen auf heißen
Steinen oder in der heißen Asche des Herdes hergestellte Fladen
bildeten das älteste +Brot+, dessen Herstellung in das hohe Altertum
zurückreicht. Wie bei den neolithischen Pfahlbauern war es, wohl in
etwas verfeinerter Form, zur mykenischen Zeit und auch noch bei Homer
gebräuchlich. So heißt es in der den homerischen Epen nachgedichteten
Aeneis des römischen Dichters Vergilius Maro (70-19 v. Chr.), das
Brot habe zuerst als Teller für die Zuspeise gedient und sei dann
selbst gegessen worden. Noch heute lebt die ländliche Bevölkerung
Vorderasiens, Ägyptens und Abessiniens von derartigem altertümlichem,
dichtem Brot, während die in bezug auf Kultur weiter vorgeschrittene
städtische Bevölkerung mehr modernes, gesäuertes, getriebenes Brot
genießt.

Die Erfindung des viel schmackhafteren und leichter verdaulichen
+gesäuerten Brotes+ schreibt man gemeinhin den Ägyptern zu, doch kann
sie ebensogut irgendwo in Vorderasien, wo die Rebe kultiviert wurde,
gemacht worden sein. Nach den alten Autoren bediente man sich nämlich
zum Lockern des Teiges durch Gärung dreitägigen Weinmostes, den man
mit Mehl mischte, wodurch die Hefekolonie haltbar gemacht wurde.
Besonders Hirse- und Weizenmehl wurde dazu verwendet, wie uns Plinius
berichtet. Solcher Gärstoff (~fermentum~) wurde nach ihm nur zur Zeit
der Weinlese bereitet und damit das zu backende Brot fermentiert. Und
jedesmal wurde beim Backen ein Stück des mit Hefe versetzten Teiges
aufbewahrt, um es das nächste Mal zum Treiben des frischen Teiges zu
verwenden. Durch diesen Hefezusatz wird nämlich eine alkoholische
Gärung mit Bildung von Kohlensäure bewirkt, das den sonst kleistrigen
Kuchen porös und so leichter durchbackbar macht. Heute benutzt man
dazu die sogenannten Bierhefen -- auch als Preßhefen bezeichnet --
die jetzt meist in besonderen Betrieben eigens gezüchtet werden.
Es sind schnellwachsende, möglichst gut durchlüftete Hefen, die nur
eine geringe Gärkraft besitzen. Diese reine Hefegärung wird vor allem
bei der Herstellung des Weißbrotes und der verschiedenen Kuchen
verwendet. Dagegen dient zur Bereitung des bäuerlichen Schwarzbrotes
der sogenannte Sauerteig, in welchem sich außer der Hefe noch
Milchsäurebildner und andere Bakterien finden. Ein besonders wichtiger
Pilz der Sauerteiggärung scheint das genauer bekannte ~Bacterium
levans~ zu sein, das neben Kohlensäure auch Wasserstoff bildet. Auch
Essigsäurekeime und unlösliches Eiweiß in lösliche Peptone verwandelnde
Bakterien sind im Sauerteige vorhanden. Auch wird durch die gebildeten
Säuren der Kleber des Mehles gelöst, wodurch letzteres die Eigenschaft
annimmt, sich beim Backen rasch dunkel zu färben, wodurch erst das mit
Sauerteig bereitete Brot eine dunklere Farbe als das mit Hefe bereitete
erhält.

Der Zweck, den diese Gärungserreger im Teige erfüllen, ist dreierlei
Art. Erstens wird durch sie die Stärke zum Teil gespalten und in Zucker
verwandelt, der von den Hefen dann teilweise zu Kohlensäure und Alkohol
weitergespalten wird, teilweise verbleibt er aber auch unangetastet
als solcher und verleiht dem Gebäck einen schwach süßen Geschmack.
Zweitens wird durch die Gasbildung der Teig stark aufgelockert, so
daß er beim Backen nicht zu einem zähen, schwerverdaulichen Kuchen
wird. Und drittens wird speziell dem Schwarzbrote der gewünschte
säuerliche Geschmack verliehen. Die spezifischen Erreger der Brotgärung
werden in der Praxis immer von einem Teig auf den andern übertragen.
Hat dann der „Vorteig“ eine Weile unter dem Einflusse der Gärung
gestanden, so wird er mit der Gesamtmenge vermischt und dann tüchtig
durchgeknetet. Darin, daß dies sehr sorgfältig und in der richtigen
Mengenverteilung geschieht, liegt die Kunst des Bäckers nicht weniger,
wie in der richtigen Leitung des Backprozesses, bei welchem die im
Teig entstandene Kohlensäure und der Alkohol zu entweichen suchen,
dies aber wegen der zähen Beschaffenheit desselben nur langsam und
unvollständig tun können, wobei sie ihn stark lockern und ihm eine
schwammige Beschaffenheit verleihen. Bei Herstellung eines Brotes von 5
kg entstehen etwa 25 g Alkohol, und Graham hat berechnet, daß allein in
London bei der Brotbereitung jährlich etwa 13 Millionen Liter Alkohol
in die Luft entweichen. Versuche, denselben zu gewinnen, sind bisher
erfolglos geblieben. Frisches Brot enthält noch immer 0,3 und altes
noch 0,1 Prozent Alkohol. Durch dieses Treiben vor dem Backen, das bei
einer Temperatur zwischen 250 und 300° C. vorgenommen wird, wobei nur
die Rinde 150-180° warm wird und eine oberflächliche Karamelbildung
erfährt, wird das Brot leichter zerkaubar, bietet den Verdauungssäften
eine größere Oberfläche zum Angriffe dar und wird infolgedessen
auch besser im Darme ausgenutzt als das feste, kleisterartige
Nahrungsmittel, das früher vor der Erfindung des Treibens als Brot
gegessen wurde.

Der Verlauf der Vorgänge im Innern des Brotes ist beim Backen ungefähr
folgender: Bei der zunächst noch immer andauernden Gärung bildet sich
bis 42° C. Kohlensäure, welche den Teig auftreibt; dann stirbt die Hefe
ab. Etwas längere Zeit bleiben die Bakterien am Leben; aber auch die
widerstandsfähigsten derselben, die Milchsäurebakterien, stellen noch
vor 75° ihre Tätigkeit ein und gehen bald zugrunde. Alle krankmachenden
Bakterien werden nach den Untersuchungen Ballands während des Backens
getötet, während der das Schleimigwerden des Brotes bewirkende
~Bacillus mesentericus vulgaris~ auch die Backtemperatur überdauert.
Durch die Backhitze verliert der Kleber seine Elastizität und die
Fähigkeit zu quellen und gibt dadurch dem Brot seine feste Gestalt.
Die Stärkekörnchen quellen in der heißen Flüssigkeit, verkleistern
dann und bilden lösliche Stärke. Dies ist ungemein wichtig, da die
Verdaulichkeit derselben eine ungleich größere ist, als die der
rohen Stärke. Ein Teil der Stärke geht bei der Hitze in Dextrin
beziehungsweise Gummi über, besonders in der Rinde. Einen diätetisch
wichtigen Vorgang beim Backen bildet das Abtöten der Gärungserreger.
Würde dies nicht geschehen, so würden sie auch nach Entfernung des
Brotes aus dem Ofen ihre Tätigkeit fortsetzen, das Gebäck weiter
verändern und selbst nach dessen Genuß im Verdauungskanal des Menschen
Gärungserscheinungen hervorrufen.

Um nun die beim Gären entstehenden Verluste an organischer Substanz,
die die Mikroorganismen für sich verbrauchen, zu umgehen, hat man
sich vielfach bemüht, die Lockerung des Mehlteiges durch Kohlensäure
aus mineralischen Salzen zu bewirken. Justus v. Liebig berechnete
seinerzeit, daß man bei Vermeidung der Verluste an organischer Substanz
in Deutschland täglich allein gegen 200000 Pfund Brot gewinnen könnte.
Deshalb schlug er vor, dem Teige kohlensaures Natron und Salzsäure
zuzusetzen, deren Mischung Kohlensäure entwickelt. Denselben Zweck
verfolgt die Zugabe des Horsford-Liebigschen Backpulvers, das aus
saurem phosphorsaurem Kalk und doppeltkohlensaurem Natron mit Stärke
vermengt besteht. Zurzeit finden sich eine ganze Reihe von Backpulvern
im Handel, bei welchen die Kohlensäurequelle stets dieselbe ist.

Großen Beifall haben diese Neuerungen allerdings nicht gefunden, zum
Teil wohl wegen des eigentümlichen Geschmackes, den sie der Backware
verleihen, zum Teil auch aus dem Grunde, weil es eine Neuerung war, der
das Bäckergewerbe überhaupt recht wenig zugetan ist. Kurz sei noch das
Treibeverfahren des englischen Arztes Dauglish erwähnt, der vorschlug,
die Kohlensäure, der man zur Auflockerung bedarf, in einem besondern
Apparate zu entwickeln, dann in Wasser einzupressen, letzteres in
einem geschlossenen Behälter innig mit dem Mehle zu einem Teig zu
mengen, diesen portionenweise austreten zu lassen und zu verbacken. Ein
Vorzug dieser Methode ist die absolute Sauberkeit; jedoch soll auch
die Schmackhaftigkeit eine geringere sein. Dieses ~aereted bread~ wird
besonders in England hergestellt.

Das Brot ist noch heute, wie bei den alten Kulturvölkern am Mittelmeer
vor 2000 und mehr Jahren, bei allen Nationen der gemäßigten Zone neben
der Kartoffel das wichtigste Nahrungsmittel für jedermann, für alt und
jung, für reich und arm, für hoch und niedrig. Es bildet die Grundlage
unserer ganzen Ernährung. Morgens, mittags und abends findet es sich
auf dem Tische; es begleitet den Arbeiter bei seinem Tagewerke, das
Kind zur Schule, den Reisenden auf seinen Wanderungen. Obgleich täglich
genossen, ist es stets in gleichem Maße begehrt und beliebt. Nie
entleidet es uns, obschon wir es immer wieder essen. Alle unsere Arbeit
gipfelt in der Beschaffung des „täglichen Brotes“ als des notwendigsten
Existenzmittels. „Gib uns heute unser tägliches Brot!“ lehrte
Christus die Seinen zu Gott beten, und ~panem et circenses~ „Brot und
Zirkusspiele!“ verlangte der von den Machthabern verwöhnte Pöbel in
Rom. Schon Platon, der große Schüler des Sokrates (439-347 v. Chr.),
legte seinem Idealstaate die Brotnahrung zugrunde, indem er sagt: „Die
Hauptnahrung der Republikaner soll aus Gerstenschrot und Weizenmehl
bestehen, welche mit Wasser vermengt gekocht und gebacken werden, so
daß ein tüchtiger Brei (~máza~) und Brot (~ártos~) entsteht und beides
in Körben oder auf reinen Blättern aufgetragen werden kann.“

    Tafel 87.

[Illustration: Elektrisch getriebene Knetmaschinen in einer größeren,
modern eingerichteten Bäckerei.

(Eingerichtet von Werner & Pfleiderer in Cannstatt.)]

    Tafel 88.

[Illustration: Backraum einer größeren Bäckerei mit Dampfbacköfen.

(Eingerichtet von Werner & Pfleiderer in Cannstatt.)]

Der jüdische Erzvater Abraham (um 2000 v. Chr.) kannte durch Gärung
getriebenes Brot noch nicht. Seine Nachkommen scheinen es erst in
Ägypten kennen gelernt zu haben, wo das Herstellen von Brot aus
Hefe und Sauerteig schon lange geübt wurde und, wie uns die alten
Grabdenkmäler lehren, vielerlei Brot und Gebäck hergestellt wurde.
Nur fiel es den später nach Ägypten gekommenen Griechen, so Herodot
und Strabon, auf, daß die Ägypter zwar den Lehm mit den Händen,
den Brotteig aber mit den Füßen kneten. Tatsächlich sehen wir auch
in einem großen Gemälde im Grabe Ramses’ III. aus der 20. Dynastie
(1198-1167 v. Chr.) zu Theben dargestellt, wie einst in der königlichen
Hofbäckerei das Brot auf diese Weise mit den Füßen geknetet wurde. Die
als ~er-aeiks~, d. h. Brotmacher, bezeichneten Knechte sind eifrig
an der Arbeit. Neben einem Korb mit gärendem Teig sind zwei junge
Bäckerknechte eben damit beschäftigt, in einem Holztrog die schon
gesäuerte Masse mit den Füßen zu kneten. Lustig scheinen sie dabei in
der zähen Masse herumzuspringen und, um das Gleichgewicht zu halten,
den Schwerpunkt ihres Körpers durch Holzstäbe zu unterstützen. Sonst
aber ist auf den bildlichen Darstellungen das Kneten des Brotteiges
mit den Füßen die Ausnahme und dasjenige mit den Händen die Regel.
Meist geschieht solches in schüsselartigen Körben oder auf flachen, auf
dem Tisch oder am Boden befindlichen Steinen. Bisweilen begegnen wir
abgeschrägten Knetsteinen, auf denen Teigballen von den davor hockenden
Arbeitern hin- und hergerollt werden. Auf einem weiteren Gemälde aus
dem Grabe Ramses’ III. tragen Knaben dem Teigformer in Krügen Wasser
und Teig herbei und dieser ist eifrig beschäftigt, einem vor ihm auf
dem Knetstein des Tisches liegenden Teigballen Gestalt zu geben. Rechts
davon schneidet ein Bäckerknecht den gerollten Teig in Streifen,
ein anderer bildet Ringel daraus, welche Spiralform aufweisen und
unserem Schneckengebäck ähneln. Hinter ihnen reinigt ein Arbeiter den
ausgebrannten Backofen von der Asche, während ein anderer Bäckergeselle
die garen Brote von der Außenseite eines andern Ofens abnimmt, auf
dessen Außenseite noch ein einziger runder Fladen zum Garwerden klebt.

Der altägyptische Backofen war etwa 1 m hoch, aus Lehm gebaut und
glich einem auf den Kopf gestellten bodenlosen Steinkruge. In seinem
Innern wurde ein Holzfeuer angezündet, dessen Flammen auf dem soeben
erwähnten Bilde über den Rand emporschlagen. Wenn er dann hinlänglich
erhitzt war, klebte man die flachen Brote außen hin und ließ sie
gar backen. Die ärmere Bevölkerung buk ihre Fladenbrote einfach auf
erhitzten Steinplatten oder in der heißen Asche. Auf der anschaulichen
Darstellung der Hofbäckerei Ramses’ III. ist abgebildet, wie einer
der Bäckerjungen die eben geformten runden, gelben Brote in einem
flachen Korbe dem Ofen zuträgt und zwei andere bereit sind, ihm die
Last abzunehmen; ein vierter bestreut das Gebäck mit einem Gewürz,
das vermutlich aus Sesamkörnern besteht. Endlich sehen wir einen
Bäckerknecht in einem sehr großen, flachen Korbe das fertiggestellte
Brot wegtragen, um es vermutlich dem in Inschriften erwähnten
„Wohnungsvorsteher“ zu bringen. Aus der Zeit des Aufenthaltes der
Juden in Ägypten -- also um 1300 v. Chr. -- stammt der in Paris
aufbewahrte Papyrus Rollin, in welchem des „Chefs der königlichen
Bäckerei“ Erwähnung getan wird, durch welchen allein 114064 Brote
in das königliche Magazin geliefert wurden. Derselbe gibt zugleich
auch genauen Aufschluß über Ämter und Verpflichtungen der Hofbäcker,
über die ihnen gelieferten Mehlmengen und wie sie beim Backen und
Brotverteilen vorgehen sollen.

[Illustration: Bild 49. Verschiedene Formen altägyptischer Brote. (Nach
Woenig.)]

Die altägyptischen Brote waren nicht über daumendicke, runde, ovale,
halbkugelige, dreieckige oder stumpfkantig viereckige Fladen mit
teilweise erhabenem Rand und mancherlei Verzierung wie Strichen,
Punkten, Bogen und Streifen. Letztere wurden, wie aus den Reliefs
deutlich hervorgeht, besonders aufgesetzt. Neben den fladenförmigen
finden sich ausnahmsweise auch kegelförmige Brote. Auf den Gemälden
sind sie weiß (mit Mehl bestreut), hellgelb oder gelbbraun gemalt.
Feineres Gebäck wurde auch zu allerlei Figuren, wie Sternchen,
Scheiben, Dreiecken, Triangeln, Cymbeln, Blumen, Ochsen, Kühen,
Kälbern, Schafen, Gänsen, Fischen usw. geformt; denn Gebäck in Tierform
wurde in Ermangelung von Opfertieren von den Armen den Göttern und
Verstorbenen dargebracht.

Nach Form und Güte unterschied man eine große Zahl verschiedener
Brotsorten, die in den Hieroglypheninschriften gewissenhaft vermerkt
wurden. So wird uns darin von Brotsorten das ~ak~, ~pes~, ~pesen~ und
~pesennu~ genannt. Das ~ak~ war in späterer Zeit der vergöttlichten
Prinzessin Berenike geweiht, führte einen besonderen Stempel und
stand als Geschenk für die Frauen der Priester hoch in Ehren. Eine
gewöhnliche Art hieß ~sens~, und das oben erwähnte spiralige Gebäck war
unter dem Namen ~uten-t~ beliebt. Außer den zahlreichen einheimischen
Brotsorten wurden dann besonders im neuen Reich (1580 bis 1205
v. Chr.) auch allerlei Backwerke aus Syrien, Kleinasien und
Mesopotamien importiert. So wird in den Inschriften als Speise für
die Götter das syrische Kamhbrot genannt; auch das Keleschet- und
Arupusabrot waren ausländische Produkte.

Interessante Aufschlüsse über die Brotarten und den gewaltigen
Brotkonsum des mit äußerst zahlreichem Gefolge reisenden Pharao liefern
auch einige Verproviantierungslisten, die dem Reisemarschall diktiert
wurden, wenn sich der königliche Hof auf Reisen begab. So erfahren
wir aus dem Briefwechsel des Schreibers Eunana mit seinem früheren
Lehrer und Vorgesetzten Kagabu, daß eine Stadt durch den Reisemarschall
strenge Order erhielt, für die Durchreise seiner Majestät bereit zu
halten: 16000 Stück gute Brote, und zwar in sechs Sorten, 13200 Stück
von andern Brotsorten, 4000 Stück Kuchen von allerlei Art usw. usw.

In dem aus der Zeit Ramses’ III. herrührenden großen Festkalender, der
an der südlichen Außenwand des Tempels von Medinet-Habu die riesige
Fläche von 62 m Länge und 4 m Breite einnimmt, wird bezüglich des
Apetfestes ein Extrageschenk für die Priesterschaft erwähnt und genau
berechnet, welche Mengen von Aanebnebgebäck, Hakgetränk, süßem und
frischem Rak- und Ukgetränk an den Tempel geliefert werden sollen; denn
Brot gehörte nicht nur zu den Hauptabgaben an die Tempel, sondern es
bildete auch in verschiedener Form und Güte einen Hauptbestandteil der
Opfer. Und wo wir auf den bemalten Flächen der Grab- und Tempelwände
Gabentische abgebildet finden, sehen wir zwischen dem bunten
Allerlei des Dargebotenen die flachen Brote oft in mehrfachen Lagen
übereinander abgebildet. Die alten Ägypter verstanden es auch, durch
testamentarische Verfügung in Form langer Opferlisten zur Speisung
ihres ~ka~ (Seele) auch für kommende Zeiten zu sorgen, und es ist
geradezu erstaunlich, was für Mengen von Brot, Kuchen, Krügen mit Wein
und Bier, Öl, Weihrauch und „Tausenden von allen guten, reinen und
süßen Dingen“ ein vornehmer Ägypter als stehende Totengabe für sich
beanspruchte. So steht schon in den Gräbern des alten Reichs, während
welcher Zeit auch die Lebenden viel bescheidener als zu derjenigen des
seine Herrschaft bis weit nach Vorderasien und Äthiopien erstreckenden
neuen Reichs lebten, daß sich der Tote für das Leben in den westlichen
Gefilden 10 verschiedene Arten Fleisch, 5 Arten Geflügel, 16 Arten
von Brot und Kuchen, 5 Arten Wein, 4 Arten Bier, 11 verschiedenerlei
Früchte, außerdem alle Arten von Süßigkeiten und viele andere Dinge
wünsche.

Auch die alten Kulturvölker des Orients aßen die verschiedensten Sorten
von getriebenem oder gesäuertem Brot. Nur an gewissen Festen wurde
etwa als Erinnerung an die Vorzeit das damals übliche ungesäuerte
Brot verspeist. So untersagte der in einem vornehmen ägyptischen
Hause erzogene Jude Moses seinen Volksgenossen, als er sie um 1280
v. Chr. aus Ägypten führte, den Genuß gesäuerten Brotes beim Passahfest,
ein Gebot, das bis auf den heutigen Tag von den Angehörigen jenes
Volkes befolgt wird. Bei dem mannigfaltigen Verkehr mit dem an Kultur
weit älteren Orient kann es uns nicht wundern, daß das getriebene
Brot schon sehr früh den Griechen bekannt wurde. In Athen galt der
aus dem Morgenlande über Kleinasien und Thrakien mit der Gabe des
Weinbaus nach Griechenland gekommene Gott des Natursegens, Dionysos,
als der Erfinder des Brotbackens und wurde darob hochgefeiert. An
seinem Feste, den Dionysien, wurden ihm zu Ehren große Schaubrote in
Prozession herumgetragen. Die Griechen der späteren Zeit scheinen
die Kunst des Backens wesentlich verfeinert zu haben. Aus den
verschiedenen Getreidearten, besonders aber aus Weizenmehl, stellten
sie mit Zuhilfenahme von Öl, Milch, Käse, Wein, Honig und Eiern die
mannigfaltigsten Arten von Backwerk her.

Von Griechenland kam dann die Brotbäckerei über die süditalischen
Kolonien zu den Römern nach Mittelitalien, die den griechischen Wald-
und Weidegott Pan als Erfinder der Kunst des Brotbackens feierten.
Nach ihm sollen sie das Brot ~panis~ (im italienischen ~pane~ und
französischen ~pain~ bis heute erhalten) genannt haben. Erst im Jahre
170 v. Chr. wurde der Gebrauch des Backofens, dessen sich die Griechen
schon lange vorher bedient hatten, in Latium bekannt, während man
vorher das neben dem Brei gegessene Brot auf heißgemachten Steinen oder
in der heißen Asche zu backen pflegte, und zwar jede Haushaltung für
ihren eigenen Bedarf. Damals bildete sich in Rom das Bäckerhandwerk
aus, und zwar wurden die Bäcker nach der Tätigkeit des Stampfens
des gerösteten Getreides ~pistores~ genannt. So schreibt der ältere
Plinius in seiner Naturgeschichte: „Bäcker (~pistores~) hat es in
Rom bis zum Kriege gegen Perseus (den König von Makedonien, der 168
von Lucius Ämilius Paullus bei Pydna geschlagen wurde und 166 als
Gefangener in Alba in Mittelitalien starb), also bis zum Jahre 580
nach Erbauung der Stadt nicht gegeben. Die Römer bereiteten sich ihr
Brot selbst, und dies Geschäft lag insbesondere den Weibern ob, was
noch jetzt bei den meisten Völkerschaften Sitte ist. Für Leckermäuler
pflegten Köche (~coqui~), die man aus den Garküchen mietete, das
Brot zu bereiten. Damals nannte man nur die Leute, die das Getreide
stampften, ~pistores~, nicht die Bäcker. Von den von ihnen gebrauchten
Werkzeugen sind die aus Pferdehaar geflochtenen Siebe (~cribra~)
in Gallien erfunden, die Mehl- und Staubbeutel (~excussoria~ und
~pollinaria~) aus Leinengewebe in Spanien, die aus Papyrus und Binsen
dagegen in Ägypten.“ Weiterhin sagt er: „Es scheint mir überflüssig,
die verschiedenen Arten von Brot (~panis~) ausführlich zu besprechen.
Manches davon hat seinen Namen von der Fleischspeise, die man dazu
ißt, z. B. das Austerbrot, anderes von seinem Wohlgeschmack, wie das
Kuchenbrot, anderes von der Schnelligkeit der Zubereitung, wie das
Schnellbrot, oder von der Art, wie es gebacken wird, wie das Ofen- oder
Topf- oder Pfannenbrot. Vor nicht gar langer Zeit haben wir auch durch
die Parther eine Brotsorte kennen gelernt, welche parthisches oder
Wasserbrot genannt wird, weil seine feinen, schwammartigen Höhlungen
Wasser einsaugen. Es gibt auch Völker, die Butter in den Brotteig
kneten. Den Picentinern verdanken wir das Graupenbrot. Neun Tage läßt
man die Graupen (~alica~) weichen; am zehnten knetet man die Masse mit
dem Saft getrockneter Trauben zur Gestalt eines Kuchens und bäckt sie
im Backofen (~furnus~) in Töpfen (~ollae~), die im Ofen platzen sollen.
Solches Graupenbrot verzehrt man nur, nachdem es eingeweicht ist,
was gewöhnlich in süßer Milch geschieht. -- Als noch Gerstenbrot im
Gebrauch war, wurde es durch Zutat von Erbsen und Kichererbsen gesäuert
und zwei Pfund davon genügten für fünf halbe Scheffel (~modius~, dieser
war das größte römische Maß für trockene Dinge und maß 8,75 Liter).
Jetzt gewinnt man das Gärungsmittel (~fermentum~) aus dem Brotmehl
selbst. Man knetet es nämlich, ehe Salz hinzukommt, kocht es dann wie
Brei (~puls~) ab und läßt es nachher stehen, bis es sauer wird. Noch
gewöhnlicher ist es aber, vom jedesmaligen Backen Teig aufzuheben und
ihn beim folgenden Backen als Sauerteig zu verwenden.“

Unerschöpflich ist besonders der biedere ältere Cato (234-149 v.Chr.)
in der Angabe der verschiedensten Rezepte für Brei, Fladen, Kuchen
und Brot aus allen möglichen Ingredienzen, unter denen Eier, Käse,
besonders Schafkäse, Honig, Anis, Kreuzkümmel, Mohnsamen und Schmalz
oder Olivenöl eine große Rolle spielen. Es würde uns aber zu weit
führen näher darauf einzugehen; es genüge hier zu bemerken, daß in
Pompeji die Backöfen allemal mit den Mühlen in einem Hause gefunden
wurden und wie die unsrigen aus einer stark ummauerten Höhlung
bestehen, welche unten wagrecht und eben, oben aber halbkreisförmig
gewölbt ist. Auch Brote haben sich noch darin gefunden, die kreisrund,
1 Fuß im Durchmesser, 15 cm hoch sind. Durch vom Mittelpunkt
ausstrahlende Schnitte sind sie in acht gleiche Teile geteilt, und
tragen vielfach mit einem Stempel den Namen des Bäckers in erhabener
Schrift aufgedruckt. Schon zur Zeit von Augustus gab es in Rom über
300 öffentliche Bäckereien; doch stellten damals noch die meisten
Haushaltungen ihr Brot selbst her.

Von den nördlicheren Völkern lernten die Gallier zuerst das Brot
kennen, das sie als erste mit Bierhefe trieben. Bei den Germanen kam
es erst zu Beginn des Mittelalters allgemein in Gebrauch. Vorher genoß
man statt seiner einen Brei oder eine zu einer zähen, teigartigen Masse
gar gesottene Mischung von Mehl und Wasser oder Milch, die in Stücke
gerupft und, in etwas Schmalz oder Butter gebraten, genossen wurde.
In Schweden kannte das Volk noch im 16. Jahrhundert kein anderes Brot
als ungegorene, dichte, harte Fladen, die aus Wasser und Mehl geknetet
und gedörrt waren. Erst seit dem 18. Jahrhundert fand das Weizenbrot
in Mitteleuropa außerordentliche Verbreitung. Teigknetmaschinen wurden
zuerst 1787 in Wien und Holland probiert, dann kamen sie 1789 in Genua
auf; aber weitere Verbreitung fanden sie erst seit 1810, da Lambert in
Paris eine brauchbare Konstruktion angab, die später in verbesserter
Gestalt durch Fontaine 1839 mit gutem Erfolg angewandt wurde.

In engstem Zusammenhange mit dem Backen des Brotes stand das Brauen
des +Bieres+, wie schon die Tatsache beweist, daß der Mehlbrei, aus
dem einst Brot und Bier bereitet wurde, im Althochdeutschen ~brôt~
und seine Bereitung ~briuwan~ hieß, aus welch letzterem Wort dann
brauen wurde. Den einst innigen Zusammenhang beider Tätigkeiten
beweist auch der Umstand, daß man heute noch in Nubien, manchen Orts
in Ostasien und zum Teil in Rußland das Bier aus zuvor verbackenem
Getreide, also Brot, bereitet. Dieses aus einem Brei gerösteter oder
verbackener Getreidekörner, der einfach der Gärung durch wilde Hefen
überlassen wurde und in dem natürlich auch zahlreiche Bakterien
ihr Wesen trieben, gewonnene Urbier, das wir uns süßlichsauer und
recht trübe vorzustellen haben, muß für unsere verwöhnten Zungen
sehr fade geschmeckt haben, weshalb die verschiedensten Würzen zu
seiner Geschmacksverbesserung zu Hilfe genommen wurden. So werden im
Sudan und in Kordofan dem aus den Samen der ~Penicillaria hirsuta~,
einer Verwandten der Negerhirse, hergestellten Bier Zweige einer
scharfen Wolfsmilchart ~Callotropis procera~ zugesetzt, wie man in
Norddeutschland, Dänemark und Skandinavien noch 1477 durch Zusatz der
zerquetschten Beeren von Sumpfmyrte (~Myrica gale~) und Wacholder das
Gruten- oder Gruysenbier bereitete. In Nordamerika erhielt man durch
Zusatz der Schößlinge der Schierlingstanne das Sprossenbier. In Island
und Irland wurden die Samen der wilden Mohrrübe als Bierwürze benutzt,
bis schließlich der Hopfen alle solchen verdrängte und heute in der
ganzen Kulturwelt ausschließlich zur Verwendung gelangt.

Wie aus dem mit Wasser verdünnten Honig durch einfaches Stehenlassen
mit Hilfe der hineingelangten allgegenwärtigen Hefepilze der Met als
das älteste der berauschenden Getränke entstand, so wurden allerlei
zuckerhaltige Pflanzensäfte wie Palm-, Agaven- und Obstsaft und
von tierischen die Milch auf dieselbe Weise zur Herstellung von
berauschenden Getränken, nach denen die Menschheit seit Urzeiten als
beliebtes Genußmittel lüstern ist, verwendet. Bald lernte man auch,
daß mehlhaltige Stoffe durch Einwirkenlassen von Speichel gärfähig
werden und zur Bereitung von Bier dienen können. So hat man jedenfalls
schon vor der Einführung des Hackbaus aus mehlhaltigen Samen von
allerlei Wildgräsern und später gepflanzten Gräsern, vielfach nach
vorhergehendem Aufkochen in Wasser, so lange man keine gebrannten Töpfe
besaß mit Hilfe darein geworfener Steine durch sogenanntes Steinkochen,
wie solches bei den Letten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts und in
Kärnten zum Teil heute noch bei der Herstellung von Steinbier üblich
ist, durch Kauen im Munde und nachheriges Ausspucken in Gefäße, worin
die Masse eine Zeitlang zur Fermentwirkung sich selbst überlassen
blieb, die ältesten Bierarten hergestellt. So wird heute noch die
Kawa der Südsee aus der Wurzel des Kawapfeffers, das Reisbier auf
Formosa, das Maisbier in Peru und Bolivia und ein in Argentinien bei
den Eingeborenen beliebtes Bier aus den Früchten einer Leguminose
hergestellt. Auch im nördlichen Europa muß einst ein solches Bier
bereitet worden sein, wie wir aus der Sage des Gottes Kwasir entnehmen
können, den die Asen und Wanen (Fruchtbarkeit spendende vergöttlichte
Naturkräfte) bei ihrem Friedensschlusse aus ihrem gemeinsamen Speichel
erschufen. Bei dieser recht urwüchsigen Bierbereitung verzuckerte der
Speichel das Stärkemehl und lieferte so eine gärungsfähige Zuckerlösung.

Appetitlicher nach unsern Begriffen ist es, worauf man später erst
verfiel, das stärkemehlhaltige Getreidekorn keimen zu lassen, wobei der
Embryo das Diastase genannte Ferment bildet, um die Stärke in löslichen
und damit für ihn assimilierbaren Zucker zu verwandeln. Dieses jüngere
Verfahren benützen wir bis auf den heutigen Tag in der Brautechnik.
So läßt der Bierbrauer die Gerste, die heute fast ausschließlich zur
Verwendung gelangt, keimen, bis sich reichlich Diastase gebildet hat
und durch teilweise Umwandlung der Stärke in Zucker das süßschmeckende
Malz entstanden ist. Dann wird die Keimung durch Trocknen und Erhitzen
unterbrochen, das Malz „gedarrt“. Je nach der Temperatur, die beim
Darren zur Anwendung gelangt, nimmt es dabei eine hellgelbe bis
dunkelgelbe Farbe an, die nachher für die Farbe des Bieres bestimmend
ist, und gleichzeitig bilden sich bei höherem Erhitzen aromatische
brenzliche Stoffe, die sogenannten Karamelstoffe, die auch für den
Biergeschmack wichtig sind. Die Darrtemperatur kann bei den ganz
dunkeln, karamelreichen Bieren, wie z. B. beim Kulmbacher, bis gegen
100° C. betragen.

    Tafel 89.

[Illustration: Malztenne der Löwenbrauerei in München.

Sudhaus der Löwenbrauerei in München.]

    Tafel 90.

[Illustration: Gärkeller der Löwenbrauerei in München. Aus den
gefüllten, oben offenen Bottichen quillt der Schaum der gärenden
Flüssigkeit hervor.

Lagerkeller der Löwenbrauerei in München.]

Dann wird das Malz zerkleinert, und durch Hinzugießen von Wasser
werden aus ihm die löslichen Bestandteile mit Einschluß der Diastase
herausgezogen, extrahiert wie der technische Ausdruck lautet. Bei auf
etwa 50° C. erhöhter Temperatur beginnt nun die Wirkung der Diastase
auf die noch unverzuckerte Stärke, welche in Malzzucker und Dextrine
übergeführt wird. Bei längerer Einwirkung werden dann auch die Dextrine
allmählich angegriffen. Von der Leitung dieses Maischprozesses, bei dem
die Diastasewirkung jederzeit durch Aufkochen unterbrochen werden kann,
hängt es also ab, ob man ein „vollmundiges“ Bier mit reichlicherem
oder ein „weinig schmeckendes“ Bier mit geringerem Dextringehalt haben
will. Ersteres lieben wir Deutschen, während die Engländer letzteres
bevorzugen. Dementsprechend wird in Deutschland die Maische meist nach
dem Kochverfahren hergestellt, d. h. die Masse bald aufgekocht und dann
wieder ungekochte neue Maische hinzugefügt, während sie in England
überhaupt ohne Aufkochen nur bei höherer Temperatur bereitet wird. Die
Maische wird hierauf von den festen Rückständen, den Trebern, befreit
und dann noch mit dem Hopfen zusammen einige Stunden gekocht. Nach
dem Absieben der Hopfenreste und der ausgeschiedenen Eiweißstoffe
wird sie in offenen Kühlschiffen oder neuerdings auch in besonderen
Apparaten gekühlt und dann zum Einleiten der Gärung in die Gärbottiche
übergeführt. Dieser Prozeß interessiert uns hier hauptsächlich.

    Tafel 91.

[Illustration: Das Hofbräuhaus in München.]

    Tafel 92.

[Illustration: Im Hof des Hofbräuhauses in München.]

Das ältere Verfahren bei der Herstellung von Bier ist die Obergärung,
die viel schneller verläuft und keine besondere Kühlhaltung verlangt,
dabei also bald trinkbares, billiges Bier liefert, das aber den
Nachteil besitzt, nicht so haltbar zu sein und meist durch Infektion
mit anderen Pilzen einen säuerlichen Geschmack aufzuweisen. Dieser
Gärprozeß, der bei einer Temperatur zwischen 15 und 25° C. erfolgt,
wobei die Hefe oben schwimmt und erst nach der Gärung teilweise nach
unten sinkt, wie man vom Weißbier her weiß, ist viel schwerer vor
Störungen zu schützen, die Qualität des Bieres also nicht leicht
gleichmäßig zu erhalten. Die Hauptgärung dauert nur wenige Tage;
dann wird die Nachgärung, die noch sehr lebhaft ist, auf den Fässern
eingeleitet. Ja bisweilen wird nach alter Vätersitte die ganze Gärung
gleich auf dem Faß eingeleitet und beendet.

Da solches Bier nicht leicht gleichmäßig zu erhalten ist und sich
außerdem nicht zum längeren Aufbewahren, also zum Lagerbier eignet, ist
diese obergärige Methode neuerdings ganz gegenüber der Untergärung, die
diese Nachteile nicht besitzt, in den Hintergrund getreten. Diese kann
nur im Winter oder in künstlich gekühlten Räumen vor sich gehen, da sie
bei einer Temperatur von 5-6° C. verläuft. Bei ihr setzt sich die Hefe,
sobald sie nicht mehr durch die entstehende Kohlensäure aufgewirbelt
wird, sobald also die Gärung etwas nachläßt, im Gegensatz zu der in der
Flüssigkeit schwebend bleibenden Oberhefe fest am Boden des Gefäßes ab.
Bei diesem Verfahren, dem alle deutschen Biere mit Ausnahme einiger
Spezialitäten, wie beispielsweise das Berliner Weißbier, die Leipziger
Gose und das Lichtenhainer Bier, unterworfen werden, wird die Würze,
sobald sie auf die erforderliche niedrige Temperatur abgekühlt worden
ist, in den Gärbottichen mit Reinzuchthefe in reichlicher Menge --
etwa ½ Liter dickflüssiger Hefe auf einen Hektoliter Bier -- versetzt
und mit Krücken gut durchgerührt. Bei der nun erfolgenden Hauptgärung
bedeckt sich die Oberfläche zuerst mit einem feinen und dann mit einem
immer dicker werdenden bräunlichen Schaum, der neben Hefezellen aus
ausgeschiedenen eiweißartigen und schleimigen Stoffen besteht. Da durch
die chemischen Umsetzungen während der Gärung die Temperatur stark
steigt, so muß dauernd für gute Kühlung Sorge getragen werden, damit
nicht eine Erwärmung über 11° bei dunklen und 9,5° bei hellen Bieren
eintritt. Allmählich läßt die stürmische Gärung nach, die Hefe sinkt
allmählich zu Boden und damit klärt sich die Flüssigkeit, die nun zur
Nachgärung in die Lagerfässer übergepumpt wird. Will man die Nachgärung
beschleunigen, so nimmt man viel Hefe mit, dann ist aber das Bier nicht
zu langem Lagern geeignet. Im Lagerkeller, dessen Temperatur nur etwa
1° C. betragen soll, ruht nun das „Jungbier“ 3-6 Wochen, wenn es zu
baldigem Ausschank bestimmt ist, und mehrere Monate, wenn es als Lager-
oder Sommerbier dienen soll. Dabei geht die Gärung langsam weiter
ihren Gang, es bildet sich reichlich Kohlensäure, die ihm den angenehm
prickelnden Geschmack verleiht, und der anfänglich noch scharfe
Vorgeschmack wird in einen immer wohlschmeckenderen umgewandelt, der
die Güte des reifen Bieres ausmacht. Mit der Vollendung der Nachgärung
ist das Bier völlig klar geworden, indem die Hefe am Boden liegt,
und wird, nachdem es zum Überfluß noch filtriert worden, in die
Transportfässer gefüllt und zum Verkauf gebracht.

Erst die technische Entwicklung der neuesten Zeit hat dieses
gleichmäßig gute, äußerst haltbare untergärige Bier zu brauen
ermöglicht, während das früher gebraute Bier sehr ungleich ausfiel,
weniger gut schmeckte, auch schwächer alkoholhaltig war und sich nur
kurze Zeit hielt, d. h. bald sauer wurde und in Essiggärung verfiel,
wenn es nicht durch Kahm-, Schimmel- und Spaltpilze verdarb. So
hat sich aus der bescheidenen Bierbrauerei der alten Ägypter, die
diese Erfindung ihrem obersten Gott Osiris zuschrieben, meist Gerste
zum Mälzen verwandten und an Stelle des ihnen unbekannten Hopfens
Safran und andere Pflanzenstoffe als Würze verwandten, im Laufe der
Jahrhunderte das kapitalkräftige moderne Braugewerbe entwickelt,
das eine enorme Ausdehnung erlangt hat. Welche volkswirtschaftliche
Bedeutung die Brauindustrie speziell in Deutschland besitzt kann man
ermessen, wenn man bedenkt, daß der Kaufwert der Braumaterialien in
diesem Lande bereits im Jahre 1900 etwa 400 Millionen Mark betrug, von
denen als nutzbare Abfallstoffe der Landwirtschaft zirka 50 Millionen
zurückgegeben wurden. Der Herstellungswert betrug gegen 900 Millionen
Mark. Demgegenüber war die Steinkohlenproduktion Deutschlands nur 800
Millionen und waren sämtliche Hüttenerzeugnisse 700 Millionen Mark
wert. Die Rübenzuckerindustrie verbraucht sogar nur für 225 Millionen
Mark Rüben und liefert etwa für 30 Millionen Mark Material an die
Landwirtschaft zurück.

Neben den echten Bieren, die also mit Zusatz von Hopfen gebraut
werden, erzeugt man da und dort noch eine Menge dem Urbier nahe
stehender säuerlicher Biere, unter denen der +Kwaß+, das russische
Nationalgetränk, in Europa das wichtigste ist. Es wird aus
allerlei Getreidearten, aus Mehl, Malz, aber auch aus Brot und
Zwieback hergestellt, die zuerst gekocht und dann einer spontanen
Milchsäuregärung überlassen werden, der sich eine geringfügige
alkoholische Gärung hinzugesellt. Daraus resultiert ein säuerliches,
moussierendes Getränk mit einem Alkoholgehalt von weniger als 1 Prozent
-- während unsere Biere meist etwa 4 Prozent davon enthalten --, das
in Unmengen von allen Bevölkerungsschichten Rußlands vertilgt wird.
Früher war es viel weiter verbreitet und wurde auch von den Arabern im
Mittelalter hergestellt, wofür Kobert, der ihm eine ganze Monographie
gewidmet hat, eine Menge Belege vorbringt.

Ihm ähnlich sind die säuerlichen Biere, die wir als +Hirsebiere+
nicht nur bei den Rumänen, sondern bei fast allen afrikanischen
Stämmen finden. Häufig findet man in ihnen eine bestimmte Hefe, den
~Schizosaccharomyces pombe~, der seinen letzteren Namen von einer
weitverbreiteten Abart dieser Negerbiere führt. Auch an manchen
Früchten haften bestimmte Hefearten in Gemeinschaft mit Bakterien, die
zur Erzeugung alkoholischer Getränke benutzt werden. So stellt man
in England vielfach aus Zuckerwasser und Ingwerwurzel mit Zusatz von
gewissen Früchten, die den Hefenpilz ~Saccharomyces piriformis~ neben
Bakterien enthalten, das moussierende +Ingwerbier+ her.

Von großem Interesse, weil ein bedeutendes Gewerbe darstellend,
ist die Herstellung des hellgelben, sherryähnlichen japanischen
Nationalgetränks +Saké+, das heiß in kleinen Porzellanschälchen
getrunken wird. Nach seiner Gewinnung aus Reis ist es zu den
bierähnlichen Getränken zu rechnen, nach seinem schließlich erzeugten
Charakter und seinem hohen Gehalt von 12-18 Prozent Alkohol hat es
mehr Verwandtschaft mit den Südweinen. Die Bereitung des Saké ist eine
uralte Kunst der Japaner, die sich in vier Teilprozesse gliedert.
Zuerst wird die spezielle Hefe, die Koji bereitet, indem gekochter
Reis mit sporenhaltigen Kolonien des Reisschimmelpilzes (~Aspergyllus
oryzae~) angesetzt wird, die zu diesem Zwecke in unvollkommener
Reinkultur immer weiter gezüchtet werden. Dieser Pilz enthält eine
kräftige Diastase, die die Stärke des Reises in gärfähigen Zucker
verwandelt, daneben noch andere Schimmelpilze, Bakterien und eine
echte Hefe. Dann wird der Moto, die eigentliche Maische, wiederum aus
gedämpftem Reis bereitet und ihm die Koji zugeführt. Es tritt nun in
der Masse eine Milchsäure- und Alkoholgärung ein. Indem zu diesem
Gemisch wieder gekochter Reis und Koji hinzugefügt werden, folgt die
Hauptgärung, bis schließlich der Prozeß nach fünf Wochen abgelaufen
ist. Nun wird die Flüssigkeit abgepreßt, geklärt und ist zum Konsum
fertig. Die Alkoholgärung wird durch wilde Hefen vollzogen. Der ganze
Prozeß, der rein empirisch nach alten Rezepten vorgenommen wird, ist
noch wenig geklärt, obschon die in Europa gebildeten japanischen
Gelehrten auch hier an der Arbeit sind.

Die Bereitung des +Weines+ geht noch in der alten Weise vor sich, wie
sie schon im alten Ägypten betrieben wurde, indem man den gekelterten
Most durch die an den Weinbeeren selbst sitzenden wilden Hefen gären
läßt. Nur ganz schüchtern machen sich Bestrebungen geltend, auch
diesen Vorgang durch Hinzufügen von reingezüchteten Hefen edler
Abstammung zielbewußt zu leiten. Da der ausgepreßte Traubensaft ein
außerordentlich günstiger Nährboden nicht nur für diese Hefe-, sondern
auch für die zahllosen darein geratenden Schimmelpilze und Bakterien
ist, muß die Hauptarbeit der Weinbereitung darin bestehen, die durch
letztere hervorgerufene abnorme Gärung zu verhindern nicht nur durch
peinlichste Sauberkeit in allen Dingen, sondern vor allem dadurch,
daß man für eine kräftig wachsende Hefe sorgt, die selbst der ärgste
Feind jener mit ihr zu konkurrieren versuchender Pilze ist. Durch die
kräftige Entwicklung der Weinhefe werden sie rasch überwuchert und in
ihrer Entwicklung gehemmt.

Mit Recht vertraut der Winzer im allgemeinen der Güte der an den
Traubenbeeren, besonders der durch Insekten oder sonstwie verletzten
wuchernden natürlichen Hefepilze, von denen an denselben Trauben auch
immer dieselben Rassen vorzugsweise sitzen, so daß man von vornherein
auf ein bestimmtes Gärungsprodukt rechnen darf. Um eine kräftige
Entwicklung derselben zu erzielen, setzt man bei hoher Temperatur,
etwa 28° C. an, und zwar in offenen Bottichen, die gehörig durchlüftet
werden. Nach Ablauf der ersten, stürmischen Gärung bringt man den
jungen Wein in die Gärfässer, die durch Ventile so verschlossen sind,
daß zwar die sich entwickelnde Kohlensäure leicht entweichen, aber
keine äußere Luft mit ihren Keimen hinzutreten kann. Die Gärung wird
bei 15-20° C. so lange fortgesetzt, bis sich nur noch spärliche Blasen
von Kohlensäure entwickeln. Nun beginnt die wichtigste Tätigkeit, die
Kellerbehandlung, die den Wein zur Reife bringen soll. Bei ihr muß um
so mehr auf peinlichste Sauberkeit Bedacht genommen werden, da nun
die Hefe ihr energisches Wachstum eingestellt hat und infolgedessen
die Spaltpilze leichter neben ihr aufkommen könnten. Um letzteres zu
vermeiden, werden die Fässer nicht bloß gründlich gereinigt, sondern
auch durch Verbrennen von Schwefelfäden in ihnen alle Keime zerstört.

In dem in sie übergeführten Wein wird der Zucker sehr langsam weiter
gespalten und nur eine sehr geringe Menge bleibt unversehrt. Ein
Teil der Kohlensäure bleibt im Wein und gibt ihm seinen prickelnden
Geschmack. Vor allem bilden sich aber jetzt langsam die für den Wein
charakteristischen Bukettstoffe aus, die die Nase und Zunge des
Genießenden besser würdigen können als die Analyse des Chemikers,
für den sie infolge ihrer minimalen Menge kaum greifbar sind. So
gehen unter dem Einfluß des durch die feinen Poren der Fässer
hindurchdringenden Sauerstoffs diese eigentümlichen Umwandlungen vor
sich, die den Wein edel und alt machen. Sie erstrecken sich über viele
Jahre, bis schließlich der Höhepunkt der Reife erreicht ist; dann aber
geht der Wein wieder zurück, er wird überreif und die Bukettstoffe
verlieren allmählich ihre Qualität. Wie lange das dauert, hängt von
den verschiedensten Umständen ab. Manche Weine sind schon nach wenigen
Jahren fertig; andere vertragen die Entwicklung mehrerer Menschenalter
und werden immer besser, wie namentlich einige zuckerreiche Südweine,
vor allem der Tokayer, bei dessen Herstellung den frischen Trauben
möglichst viel getrocknete Beeren derselben Sorte hinzugefügt werden,
um ihn recht süß zu bekommen.

Im Fasse senkt sich nun die Hefe nach Aufhören ihrer Vermehrung langsam
zu Boden und reißt die noch vorhandenen festen Bestandteile wie
Kalksalze, Farbstoffe usw. mit. Durch dieses Absitzen erst erlangt der
Wein seine volle Klarheit. Zu diesem Zwecke wird er öfter in frische
Fässer umgefüllt, wobei der Bodensatz zurückbleibt. Um diesen Prozeß
zu beschleunigen, verwendet man eine Reihe von Mitteln, wie besonders
Hausenblase oder Gelatine, die eine Fällung bewirken und so alles im
Weine Schwebende zu Boden reißen. Nur Rotweine kann man wegen des
Verlustes an Farbstoff nicht auf diese Weise klären; man begnügt sich
bei ihnen mit dem Filtrieren.

Ist so unter sorgsamer Pflege und bei Vermeidung der Spaltpilzinvasion
der Wein reif geworden, so wird er, wenn er von guter Qualität ist,
in Flaschen gezogen und entwickelt sich hier in ähnlicher Weise,
aber äußerst langsam weiter. Dieser Prozeß kann durch Steigerung der
Temperatur im betreffenden Keller bis auf 40° C. beschleunigt werden.
Geringe Weine dagegen vertragen das Altern nicht.

Zur Herstellung der vollmundigen, kräftigen +Südweine+ läßt man die
Trauben am Stocke trocknen und dickt dann den daraus erhaltenen Most
noch über dem Feuer ein. Dabei brennen sie stets etwas an, was ihnen
den sie auszeichnenden leicht brenzlichen Geschmack verleiht, der
besonders beim Malaga hervortritt. Beim Portwein wird die Gärung
mitten drin durch Zusatz von Alkohol unterbrochen und zur Erhöhung der
Farbe noch Holundermark hinzugesetzt. Ganz ähnlich werden die Weine
von Madeira, Marsala, von den Kanaren und vom Kap der Guten Hoffnung
hergestellt. Andere, wie der Zyperwein, erhalten noch eine Würze
von Quittensaft und Gewürzen aller Art und werden dann noch einer
Räucherungsprozedur unterworfen. So werden sie schließlich einem Likör
ähnlicher als einem Wein.

Die meist zu sauren +Obstweine+ werden wie die sauren Traubenweine
gallisiert, d. h. man verzichtet auf die direkte Abstumpfung
der überschüssigen Säure, sondern mildert sie durch Zusatz von
Zuckerwasser, wobei das Volumen bedeutend erhöht wird. Die
+Schaumweine+, die man fälschlicherweise Sekt nennt, da letzteres
historisch wie dem Sinne nach gerade das Gegenteil, nämlich einen
schweren, feurigen Südwein bedeutet, werden aus besonders geeigneten
leichten, bukettarmen Weinen durch eine spezielle Gärung in der Flasche
gewonnen. Zu ihrer Herstellung wird der geklärte, flaschenreife Wein
mit reichlich Rohrzucker -- 2,5-3 kg per Hektoliter -- und bestimmten,
sehr kräftigen Hefen zur weiteren Gärung in festverschlossenen Flaschen
angesetzt. Sobald sich der Zuckergehalt darin erheblich vermindert
hat und der Alkoholgehalt so hoch gestiegen ist, daß die Hefe nicht
mehr gären kann, beginnt sie sich abzusetzen, ein Prozeß, der durch
Rütteln an der Flasche systematisch gefördert wird, bis schließlich
in den umgekehrt aufgestellten Flaschen sich die Hefe auf den Korken
ansammelt und der Wein klar wird. Dann wird die Flasche geöffnet und
die Hefe herausgeschleudert, wie man sagt „degorgiert“. Nun setzt man
ihm den sogenannten Likör, bestehend in feinem Kognak mit Zucker und
besonderen, von jeder Fabrik geheim gehaltenen aromatischen Zusätzen
zu, verschließt die Flasche wieder und läßt sie noch einige Zeit
lagern, bis der Wein völlig reif geworden ist. Die Kraft des Schäumens
richtet sich nach der Menge Rohrzucker, und zwar erzeugen 4,5 g davon
per Flasche 1 Atmosphäre Druck. Bei guten Schaumweinen beträgt der
Druck gewöhnlich 4-5 Atmosphären; mehr wie 8 Atmosphären halten die
Flaschen nicht aus.

Die Herstellung der +Branntweine+ war den alten Kulturvölkern durchaus
unbekannt. Sie kam erst etwa mit dem 8. Jahrhundert mit dem Aufblühen
der chemischen und alchimistischen Wissenschaft unter den Arabern
auf, und der Arzt Gabir Ibn Hajjan, in Europa Geber genannt, gilt als
der Entdecker des Alkohols, dessen Name ja arabischen Ursprungs ist.
Als diese Neuerung im Abendlande bekannt wurde, bemächtigten sich vor
allem die Klöster derselben und begannen bald einen schwunghaften
Branntweinhandel. Im 14. Jahrhundert war Italien das Hauptexportland
des zunächst nur als Medikament verwendeten Schnapses, der aber bald
auch als Genußmittel solchen Beifall fand, daß schon ein Jahrhundert
später der Steuerfiskus in Deutschland das Getränk mit einer
Verbrauchsabgabe belegte. Damals wurde von stärkemehlreichen Früchten
fast ausschließlich das Korn zu Branntwein verarbeitet, und zwar bald
in solchem Maße, daß die Regierung die Herstellung des Kornschnapses
an manchen Orten ganz verbot, weil ein allzugroßer Teil der köstlichen
Brotfrucht dadurch ihrem eigentlichen Zweck entzogen wurde. Erst im
18. Jahrhundert kam die Verwendung der Kartoffel als Rohfrucht für die
Schnapsbrennerei auf und 1750 soll zu Monsheim in der Pfalz die erste
Kartoffelbrennerei errichtet worden sein. Jetzt wird vorzugsweise diese
Nährfrucht dazu verwendet, und zwar zur Herstellung von fuselölfreiem
Reinspiritus, der dann technisch als solcher verwendet oder mit Beigabe
von aromatischen Essenzen zu den mannigfaltigsten Schnäpsen verarbeitet
wird.

Die Kartoffeln werden zur Überführung der Stärke in Kleister gekocht
und, da sie nur sehr wenig Diastase zur Umwandlung des letzteren in
Zucker haben, bei einer möglichst hohen Temperatur von 45-50° C. mit
Malz versetzt. Nachdem die Verzuckerung der Stärke stattgefunden
hat, setzt man die Maische, wie wir dies bei der Bierbereitung
beschrieben haben, zur Gärung an, die bei 25° C. verläuft und nur etwa
drei Tage dauern darf. Und zwar verwendet man dazu nicht mehr wie
früher Bierhefen, sondern speziell die zu diesem Zwecke in besonderen
Anstalten in großen Mengen in Reinkultur gezüchteten obergärigen,
stark gelüfteten Brennereihefen. Ist nun durch Gärung der Zucker
der Maische zum größten Teil in Alkohol (und Kohlensäure, welche
entweicht) übergeführt, so wird das Gemisch im Destillierapparat mit
Dampf erhitzt, und der mit Wasserdämpfen und einigen Beimengungen in
gasförmigen Zustand übergehende Alkohol wird durch Kühlung wieder zu
einer Flüssigkeit verdichtet.

Meist wird in den Brennereien nur ein Rohspiritus dargestellt, der dann
zur weiteren Reinigung in die Raffinerien wandert. In diesen wird
durch nochmalige Destillation der Äthylalkohol mit nur 4-8 Prozent
Wasser als rektifizierter Spiritus gewonnen, wobei die schwerer
flüchtigen höheren Alkohole (besonders Amylalkohol), die sogenannten
Fuselöle, in der Destillierblase zurückbleiben. Letztere haben einen
durchdringenden Geruch und sind sehr giftig. Früher glaubte man, daß
sie durch die Tätigkeit irgend welcher Spaltpilze entstehen, und
beschrieb sogar einige solche Pilze, welche sie erzeugen sollten. Doch
ist neuerdings durch die eingehenden Untersuchungen von F. Ehrlich mit
Sicherheit erwiesen worden, daß sie Produkte der Hefen sind und durch
Umwandlung aus den Eiweißstoffen der Maische und ihren Abbauprodukten
entstehen. Da sie zur Herstellung schwertrocknender Öle und in der
Fabrikation künstlicher Riechstoffe verwendet werden, so hat die
Industrie selbst ein Interesse daran, sie möglichst vollständig aus dem
Weingeist, dessen Wert sie herabsetzen, zu entfernen.

Der reinste rektifizierte Spiritus wird als +Weinsprit+ bezeichnet
und wird vor allem in der Likörfabrikation verwendet. Die weniger
guten Marken, die aber auch noch so gut wie rein sind, dienen in der
Kraftindustrie und werden, da sie einer weit geringeren Steuer als
der zu Genußzwecken des Menschen verwendete Spiritus unterliegen,
durch Hinzufügen von Holzgeist und Pyridin denaturiert, um ihnen einen
widerlichen Geschmack und Geruch zu geben. Welch gewaltige Bedeutung
die Brennerei in der Volkswirtschaft besitzt, beweist die Tatsache, daß
in Deutschland allein aus 3 Milliarden kg Kartoffeln gegen 4 Millionen
Hektoliter Spiritus jährlich erzeugt werden, von denen 2½ Millionen
getrunken werden und der Rest zu gewerblichen Zwecken verbraucht
wird. Die Branntweinsteuer bringt dem Reiche jährlich 150 Millionen
Mark ein, und nur etwa für 6 Millionen Mark kommt zur Ausfuhr. Leider
hat die ausgedehnte Verwendung des Weingeistes als Kraftquelle noch
keine befriedigende Lösung gefunden, wenn er auch schon in großer
Menge bei der Industrie als Beleuchtungsmittel und zum Treiben kleiner
Motoren Verwendung findet. Speziell zum Treiben der Automobilmotoren
vermag er noch nicht das Benzin zu verdrängen. Hoffentlich aber wird
diese Neuerung nicht mehr lange auf sich warten lassen, da es aus
volkshygienischen Gründen höchst wünschenswert wäre, wenn der in
solchen Massen produzierte Schnaps statt vom Menschen getrunken, dem
er ein überaus schlimmer Feind ist, als Kraftquelle eine ausgedehntere
Verwendung finden könnte, und so dem Volke nützlich, statt wie bisher
verderblich sein würde.

In seiner Sucht nach starken Berauschungsmitteln hat der Mensch,
seitdem ihm die Kenntnis der Alkoholdestillation zuteil wurde, aus
allen möglichen zuckerigen oder in Zucker überzuführenden Stoffen
vermittelst wilder Hefen Alkohol gewonnen und Schnaps daraus
gebrannt, so nicht bloß aus Melasse, Roggen und Mais, sondern auch
aus Wurzeln wie Enzian, Früchten wie Holunder- und Vogelbeeren,
Kirschen und Zwetschen mit Einschluß deren ausgeklopfter Kerne, aus
Heferückständen, Trebern, Trestern usw. Unter diesen nehmen vor allem
die Getreideschnäpse, der +Kornbranntwein+, eine wichtige Stellung ein.
So wird das angloamerikanische Nationalgetränk, der Whisky in seinen
verschiedenen Spielarten bald aus Roggen-, bald aus Gerstenmalz mit
Hinzufügung von gekeimtem Mais hergestellt, während der in Ostindien,
besonders auf Java bereitete +Arrak+ aus Reis unter Zusatz von Melasse
und Palmwein gebrannt wird. In Westindien, speziell Jamaika, wird
dagegen aus den bei der Bereitung von Zucker aus Zuckerrohr abfallenden
Produkten der +Rum+ bereitet, der seinen eigentümlichen Geschmack
dem Vorhandensein von freien Säuren, wie Ameisen- und Buttersäure,
und deren Estern verdankt. Als vornehmster aller Branntweine gilt
der nach dem Zentrum seiner Bereitung, der westfranzösischen Stadt
gleichen Namens, als +Cognac+ bezeichnete Branntwein, der ein Destillat
aus Wein, meist Rotwein, ist und nur durch jahrelanges Lagern in
Fässern aus bestimmtem Eichenholz seine schöne Farbe und seinen
charakteristischen Geschmack erhält. Alle diese Schnäpse zeigen frisch
den brennenden Spritgeschmack, der erst durch möglichst langes Liegen
im Faß durch bisher noch nicht ganz erforschte chemische Vorgänge den
erwünschten zartmilden Geschmack erhält. Meist handelt es sich wohl
dabei um Oxydationsprozesse, indem Sauerstoff durch die feinen Poren
der Fässer hindurchtritt und die scharf schmeckenden Stoffe in milde
verändert. Dafür spricht vor allem, daß man den Vorgang des Alterns
durch Imprägnierung mit Sauerstoff beschleunigen kann. Dies ist ein
großes kaufmännisches Problem, da gerade durch das lange Lagern die
edlen Branntweine sehr verteuert werden. Indessen ist ein wirklich
gutes Mittel zum künstlichen Altmachen noch nicht gefunden worden.
Besonders lange Zeit brauchen die Branntweine, die man in der Flasche
alt werden läßt, weil sie wasserklar gewünscht werden, wie z. B.
Kirschwasser; denn aus dem Holz der Fässer nehmen die Destillate stets
Farbstoffe auf. Diese Branntweine müssen viele Jahre liegen, bis sie
wirklich reif geworden sind.

In der unüberwindlichen Sehnsucht nach berauschenden Getränken sind
die Nomadenvölker dazu gekommen, aus der Milch, dem einzigen ihnen
zu Gebote stehenden zuckerhaltigen Nährmittel, sich welches zu
bereiten. Das bekannteste dieser alkoholischen Getränke aus Milch
ist der +Kefir+, der in den Bergländern des nördlichen Kaukasus seit
undenklicher Zeit ein Hauptgenußmittel ist. Er ist ein säuerliches,
sehr wohlschmeckendes Getränk mit geringem Alkohol- und größerem
Milchsäuregehalt, das wegen seiner Leichtverdaulichkeit jetzt auch in
den Kulturländern vielfach hergestellt und als diätetisches Mittel
verordnet wird. Die meisten wilden Hefen vermögen nun nicht aus dem
Milchzucker die gärungsfähigen Kohlehydrate freizumachen. Nur einige
wenige, wie z. B. ~Saccharomyces fragilis~ im Käse, sind dazu imstande,
und solche in Kultur genommene Arten verwenden die tierzüchtenden
Nomaden zu dieser Fermentation. Doch sind dabei stets noch Spaltpilze
tätig, die mitgezüchtet werden und noch besser als die Hefen den für
letztere meist unangreifbaren Milchzucker spalten und zugleich eine
Milchsäuregärung bewirken. So haben wir in dem aus Schaf-, Ziegen-
und Kuhmilch hergestellten Kefir, dessen Fermentorganismen in gelben
Körnern in den Handel kommen, außer der Kefirhefe (~Saccharomyces
kefir~) zwei Kettenkokken und einen Bazillus, die, der Milch
beigemischt und mit derselben in geschlossenen Gefäßen aufbewahrt, in
drei Tagen das Getränk entstehen lassen, das „Wonnetrank“ bedeutet, als
Zeichen dafür, wie sehr ihn diese kaukasischen Bergstämme lieben.

Ganz ähnlich wird seit uralter Zeit in der südrussischen Steppe von
den dort wohnenden Nomaden aus Milch, auch Stutenmilch, der +Kumys+
gewonnen, dessen Name von dem bereits von Xenophon (um 440 v. Chr.
in Athen geboren und 355 in der Verbannung aus seiner Vaterstadt in
Korinth gestorben) erwähnten Volke der Kumanen stammen soll, von denen
es dann 1215 die Tataren bei ihrer Besitzergreifung dieser Länder
übernahmen. Jedenfalls war es unter ihnen schon allgemein bekannt, als
sie der Gesandte Ludwigs des Heiligen, Wilhelm Rubruck, im Jahre 1253
besuchte. Auch der um 1459 in Nürnberg geborene und 1507 in Lissabon
verstorbene Seefahrer und Geograph Martin Behaim, der, nach seiner
ersten Entdeckungsreise als Begleiter des Diego Câo 1490 in seine
Vaterstadt zurückgekehrt, den noch daselbst verwahrten großen Globus
anfertigte, kannte ein Chumis genanntes, bei den Tataren Südrußlands
hergestelltes Getränk, das heute gelegentlich auch in der Kulturwelt
Verwendung findet. Die Erreger der echten Kumysgärung sind noch
unbekannt, stecken aber in den Schläuchen, in denen Kumys gegoren hatte
und in die stets wieder Milch zur neuen Fermentation gegossen wird. Das
Getränk ist dem Kefir in Geschmack und Wirkung ähnlich.

Die Vereinigung von Hefen mit Bakterien haben wir auch in den
säuerlichen, schwach alkoholhaltigen Milchprodukten, der armenischen
Nationalspeise +Mazun+, dem +Leben+ der Ägypter und dem +Yoghurt+ der
Bulgaren, was alles „saure Milch“ heißt. Letzterer ist gleicherweise
wie der Kefir als geschätztes diätetisches Präparat bei uns
beliebt geworden, seitdem einer der Leiter des berühmten Instituts
Pasteur in Paris, Prof. Elias Metschnikoff, die Aufmerksamkeit der
wissenschaftlichen Welt auf ihn lenkte und ihn geradezu als Mittel zur
Verlängerung des menschlichen Lebens erklärte, da die ihn vorzugsweise
essende bulgarische Bevölkerung einen auffallend hohen Prozentsatz
sehr alter Leute aufweist. In ihm sind nun keine Hefen, wohl aber
ein Gemisch von drei Spaltpilzen, einem Ketten-, einem Doppelkokkus
und einem als Majabazillus bezeichneten langen Stäbchen von geringer
Beweglichkeit als die Gärungserreger nachgewiesen und in Kulturen
zur Herstellung dieses die Darmfäulnis herabsetzenden diätetischen
Präparates gezüchtet worden.

Endlich haben wir bei den Kalmücken auch einen als +Arakà+
bezeichneten, aus Milch hergestellten Branntwein, der zwar nur
einen sehr schwachen Alkoholgehalt, dafür aber einen reichen Gehalt
an flüchtigen Fettsäuren bei der Destillation empfängt, so daß er
schauderhaft nach ranzigem Fette schmeckt, was aber nicht hindert, daß
sich seine Erzeuger mit Wohlbehagen damit berauschen.

Seit uralter Zeit beobachtete man, daß alkoholhaltige Flüssigkeiten
bei längerem Stehen an der Luft ihren weinigen Geschmack verlieren und
sauer werden. Diese Säure, von den Römern ~acetum~, von den Deutschen
danach +Essig+ genannt, benutzte man sehr früh als Würze von Speisen,
besonders Salaten. Über die Ursache dieser Veränderung, die man bei
der Wein- und Bierbereitung als unliebsame Bildung fürchtete, war man
ebenso wie über diejenige der weinigen Gärung vollkommen im unklaren,
bis der berühmte Begründer der neueren Chemie, der 1743 in Paris
geborene und am 8. Mai 1794 daselbst guillotinierte Lavoisier die
Notwendigkeit der Sauerstoffzufuhr bei diesem Prozesse erkannte und
ihn folgerichtig als Oxydation des Alkohols zu Essigsäure auffaßte.
Erst der Jenaer Professor der Chemie Döbereiner (1780-1849) gab in den
1830er Jahren die genauere Formel desselben an. Als man bald darauf
erkannte, daß die Überführung von Alkohol in Essigsäure auch durch
fein verteiltes Platin bewirkt werden kann, glaubten die Anhänger der
chemischen Theorie der Gärung, vor allem Liebig, die Bildung von Essig
sei dadurch als ein rein chemischer Prozeß erwiesen. Dem traten aber
die Anhänger der biologischen Auffassung entgegen und es erhob sich
derselbe Streit wie bei der Hefegärung. Schließlich blieben auch hier
die letzteren Sieger. Wenn nun auch Kützing selbst vor Schwann die
Bakterien der Essiggärung gesehen und beschrieben hatte, so verdanken
wir doch Pasteur die grundlegenden Arbeiten über deren Eigenschaften
und Lebensgewohnheiten und das Vermögen, sie in beinaher Reinkultur zu
züchten. Es sind verschiedene Pilze der Gattung ~Bacterium~, die nur
in einem Sauerstoff enthaltenden Medium gedeihen, auch organisches,
stickstoffhaltiges Material zu ihrer Entwicklung brauchen und dann
auf der Decke der zu vergärenden Flüssigkeit ein Geflecht von langen
Fäden bilden. Nach der praktischen Bedeutung unterscheidet man vier
Hauptgruppen, nämlich die Schnellessigbakterien, die vor allem
technische Verwendung finden, dann diejenigen des Weines, des Bieres
und der Maische. Außer bei diesen speziellen Essigkeimen finden wir die
Fähigkeit, Essigsäure als Nebenprodukt zu bilden, bei sehr zahlreichen
anderen Mikroben, so daß sie in geringer Menge bei fast allen Gärungen
zu finden ist.

[Illustration: Bild 50-52.

I. Essigsäurebakterien: ~a~ kettenförmig angeordnete Bakterien aus
einer Hautvegetation, ~b~ einzelne Essigbakterien (Kurzstäbchen), ~c~
fadenförmige Essigbakterien in kettenförmige Kurzstäbchen zerfallend.

II. Milchsäurebakterien: ~a~ Kurzstäbchen aus Milch, ~b~ Langstäbchen
aus Bier.

III. Buttersäurebakterien: ~a~ unbewegliche Buttersäurebakterien
(Langstäbchen), ~b~ bewegliche Buttersäurebakterien (Spindelform). Nach
~Dr.~ Schnegg.]

Der eigentliche Vorgang der Essigbildung ist als eine Fermentwirkung
erkannt worden. Insofern behielt Liebig in gewissem Sinne mit seiner
chemischen Anschauung recht, wie wir dies bei der Alkoholgärung
schilderten. Die Gärung ist nicht als ein reiner Lebensprozeß der
Bakterien aufzufassen, sondern die lebenden Keime spielen nur eine
indirekte Rolle als Erzeuger des Ferments. Den Beweis dafür zu liefern
versuchte ebenfalls Buchner, der Entdecker der Zymase, der in den toten
Leibern der Essigbakterien ein Ferment auffand, das ganz analog der
Zymase, die die Zuckerarten in Alkohol und Kohlensäure spaltet, die
Überführung von Alkohol in Essigsäure vollzieht.

Zu einer rationellen Essigfabrikation gehört vor allem die Zufuhr von
möglichst viel Luft, deren Sauerstoff den Essigbakterien die Oxydation
des Alkohols ermöglicht. Früher stellte man den Essig ausschließlich
nach dem von der Natur gegebenen Beispiele aus Bier oder noch häufiger
aus Wein dar, wobei sich ein dicker Pelz von Essigsäurebakterien über
der Flüssigkeit bildet. Jetzt aber verwendet man dazu den in großen
Mengen zur Verfügung stehenden Reinsprit, den man nach dem 1823 von
Schützenbach erfundenen Schnellessigverfahren mit Wasser verdünnt
in hohen Fässern mit siebartig durchlöchertem Boden sehr langsam
über mit Essig durchfeuchtete Buchenholzspäne tropfen läßt. Das oben
einfließende Gemisch von etwa 10 Litern Alkohol, 40 Litern gewöhnlichem
Essig und 120 Litern Wasser, dem man etwas Mehlauszug oder dergleichen
als Nährboden für die Pilze zugesetzt hat, wird dabei oxydiert und
fließt als essigreichere Flüssigkeit unten ab, die dann noch ein
zweites oder drittes Faß passiert bis sie zu reinem Essig geworden
ist. Neuerdings bestrebt man sich, nach dem Vorgange von Henneberg,
Reinkulturen von Essigbakterien zur Imprägnierung der Holzspäne zu
verwenden.

Volkswirtschaftlich von ziemlicher Bedeutung sind auch die
+Milchsäurebakterien+, die den Milchzucker der Milch in Milchsäure
vergären, wobei das Kaseïn, der wichtigste Eiweißstoff der Milch, sich
in fester Form ausscheidet. Die Gewinnung der süßen Milch kann aber
auch durch das meist aus Kälbermagen gewonnene Labferment bewirkt
werden, wobei sofort das Kaseïn in einer Verbindung mit Kalk ausfällt.
Bei der sauren Gärung scheidet sich dagegen das Kaseïn in freier
Form, nicht an Kalk gebunden, aus. Bei der Gewinnung von +Butter+
aus dem abgeschiedenen Milchfett, dem Rahm, kann man die Vereinigung
der Fettkügelchen durch Schütteln erzielen, wobei die sogenannte
Süßrahmbutter entsteht, oder man läßt eine milchsaure Gärung des Rahms
vorhergehen. Bei letzterem Prozeß, der nicht nur viel leichter als der
erstgenannte vonstatten geht, sondern auch eine weit größere Ausbeute
liefert und deshalb vorzugsweise angewandt wird, überließ man den
Rahm ursprünglich einfach der Gärung durch von selbst hineingekommene
Bakterien, wobei die Säuerung meist schon in 18-24 Stunden eintritt;
später verwendete man dazu ganz einfach die bazillenhaltige Buttermilch
gut geratener Butter, um in einer kleinen Menge Rahm die Gärung in Gang
zu bringen. Falls diese gut war, infizierte man mit dieser Kultur, dem
„Sauer“, den ganzen Rahm. Als dann aber die Reinzucht von Bakterien
im Braugewerbe ihre Triumphe feierte, kam man bald darauf, dieselben
Methoden auch beim Buttern zur Anwendung zu bringen und kultivierte
eine Reihe von Bakterien aus guten Sauern in sterilisierter Milch, mit
denen man vorzügliche Erfolge hatte. Um ein einwandfreies Material
zu erlangen, sterilisierte man bald auch den Rahm und erzielte damit
unter Anwendung von Reinzuchtmikroben ein hygienisch einwandfreies,
von Zufälligkeiten unabhängiges Produkt. Natürlich machte man bei
diesen Studien auch allerlei Erfahrungen, so diejenige, daß nicht
alle in Reinkultur erhaltenen Milchsäurebakterien der Butter den
gewünschten guten Geschmack verleihen, daß es darunter auch solche
gibt, die ihr geradezu ein unangenehmes Aroma verleihen. Es sind
dies also ganz ähnliche Verhältnisse wie bei der Weingärung, bei der
gewisse Bukettstoffe auch auf Rechnung der betreffenden Gärungserreger
kommen. Man züchtet nun Reinkulturen mit verschiedenen Aromastoffen,
wie sie gerade die Konsumenten verlangen. Doch hat sich neuerdings
herausgestellt, daß das Aroma überhaupt nicht bloß vom Ausgangsmaterial
und der Milchsäuregärung abhängt, sondern durch die Anwesenheit von
manchen anderen Bakterien, vielleicht auch Hefen, bedingt wird, so daß
Mischungen solcher die besten Resultate liefern.

Schon in uralter Zeit sind die viehzüchtenden Nomaden auf die Bereitung
von Butter und Käse verfallen. So haben die Indier sicher schon um
1500 v. Chr. die +Butter+ gekannt, nicht aber die ältesten Juden,
deren ~chemah~ einen anderen Stoff darstellen soll. Überhaupt blieb
dieses Produkt im ganzen Bereiche der Ölbaumzucht ein fast unbekanntes,
nur etwa zu medizinischen Zwecken gewonnenes, das neben dem Olivenöl
nicht aufzukommen vermochte. Die nördlich davon hausenden Völker
aber schätzten die Butter, mit der sie sich vorzugsweise den Körper
eingerieben zu haben scheinen, während ihnen Schmalz und Schmer als
gebräuchlichste Beigabe zu den Mehlspeisen dienten. Wie den Römern
die Keltiberier und Germanen durch ihre Wertschätzung der Butter
auffielen, so waren den Griechen ihre thrakischen Nachbarn und die
weiter nördlich als Nomaden umherstreifenden Skythen, welch letztere
auch aus der Pferdemilch das begehrte Fett gewannen, als „Butteresser“
merkwürdig. Der weitgereiste griechische Geschichtschreiber Herodot
(484-424 v. Chr.) kennt noch keinen besondern Namen für Butter, sondern
umschreibt ihn durch das „was sich absetzt“, während sein etwas
jüngerer Landsmann, der berühmte Arzt Hippokrates (460 bis 364
v. Chr.), der auch Skythien und Libyen bereiste, hiefür die Bezeichnung
~bútyron~ anwendet, die als ~butyrum~ zu den Römern und schließlich
als Butter zu den Deutschen kam, deren ursprüngliches Wort hiefür
~anc~ (im süddeutschen ~anke~ noch erhalten) war. Im Mittelalter war
die Buttergewinnung namentlich in der Viehzucht treibenden Schweiz
ein wichtiges Gewerbe. Aus dem Jahre 1549 ist uns von dem Züricher
Konrad Gesner eine ausführliche Beschreibung der schweizerischen
Alpwirtschaft erhalten; noch genauere Aufschlüsse gibt uns 1705
sein Landsmann Scheuchzer. Sonst spielte die Butter als Genußmittel
noch keinerlei Rolle in Mitteleuropa, da bis ins 16. Jahrhundert
ausschließlich Schmalz zum Kochen verwendet wurde. Erst von etwa 1560
an wurde der „Butterschmalz“ in größerer Menge in der Küche benutzt
und fand im Laufe des 17. Jahrhunderts im feineren Haushalt mehr und
mehr Aufnahme. An Stelle der bis dahin üblichen Morgensuppe traten
schon in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Nachahmung der
vornehmen französischen Sitte in den reicheren Familien Kakao, Kaffee
oder Tee mit feinem Gebäck und Butter, was dann mit der Zeit auch die
Bürgerlichen bei sich einführten. Aber erst im 19. Jahrhundert hat
sich die mit der Milchwirtschaft zusammenhängende Buttergewinnung über
die ganze Erde verbreitet und ist neben der Käsebereitung eines der
wichtigsten landwirtschaftlichen Gewerbe, das viele Millionen jährlich
umsetzt. Führt doch England allein alle Jahre für 380 Millionen Mark
davon ein.

Noch wichtiger ist der +Käse+, dessen Bereitung die Nachahmung eines
Naturvorgangs ist. Indem der primitive Viehzüchter die geronnene Milch,
für die er augenblicklich keine Verwendung besaß, nicht verkommen
lassen wollte, suchte er den aus ihr gepreßten Käsestoff durch Zugabe
von Salz zu konservieren. So finden wir den Käse schon in sehr alten
Urkunden erwähnt, ja er scheint im allgemeinen sogar noch älter als die
Butter zu sein. Bei Homer spielt er schon eine große Rolle, auch die
alten Ägypter und Juden kannten ihn, ebenso die Griechen und Römer.
Der römische Ackerbauschriftsteller Columella im 1. Jahrhundert n. Chr.
gibt uns eine ausführliche Beschreibung seiner Bereitung, die im
wesentlichen nicht von der auch heute noch gebräuchlichen abweicht. Wie
er, so unterschied auch der ältere Plinius bereits viele Sorten von
Käse (~caseus~), unter denen die Schaf- und Ziegenkäse bei den Römern
die gebräuchlichsten waren. Damals begnügten sich die vornehmen Römer,
die „Herren der Welt“ als Feinschmecker schon lange nicht mehr mit den
Käsearten, die ihnen die heimische Landwirtschaft bescherte, sondern
importierten die wohlschmeckenden Sorten von überall her, besonders
aus dem rätischen Alpenlande und aus manchen Gegenden des südlichen
und mittleren Frankreich, die noch gegenwärtig durch ihre vorzüglichen
Produkte bekannt sind.

Heute ist die Käsebereitung über die ganze Erde verbreitet und der
Käse ist ein Großhandelsprodukt geworden, das in manchen delikaten
Spezialprodukten geradezu Weltruf wie gewisse Edelweine erlangt hat.
Überall, wo viel Milch produziert wird, die infolge erschwerter Abfuhr
wie auf den Alpen oder sonst von den Verkehrsstraßen abgelegenen
Gegenden nicht anders verwertet werden kann, wird Käse bereitet, und
zwar beträgt die Ausbeute von 100 kg Milch 12-15 kg weichen Fettkäses
wie Brie oder Camembert, 9-11 kg Weichkäses, 7-9 kg Hartkäses, 5-8
kg halbfetten und 4-6 kg mageren Hartkäses. Viel öfter als die
Milch einfach der Säuerung zu überlassen, bringt man sie durch
das Labferment zum Gerinnen, wobei die als Parakaseïn bezeichnete
Verbindung des Eiweißkörpers Kaseïn mit Kalk ausfällt. Da man es bei
der natürlichen Gerinnung der Milch durch die Milchsäurebakterien
mit dem Kaseïn zu tun hat, so ist also schon der Grundstoff bei der
Bereitung von Sauermilch- und von Labkäse ein verschiedener. Ferner
hat man es bei der Käsereifung in der Hand, den Grundstoff noch in
anderer Weise verschieden zu gestalten und dadurch nach Belieben Hart-
oder Weichkäse zu erzeugen. Läßt man nämlich die Gerinnung durch
das Labferment bei niedriger Temperatur langsam vor sich gehen, so
schließt die ausfallende Masse noch eine Menge Flüssigkeit ein, wird
davon schwammig und bleibt weich. Geschieht dagegen die Labgerinnung
sehr rasch, unterstützt von stärkerem Erwärmen, so scheidet sich der
Gerinnungskuchen in kompakter Form ab, enthält weniger Flüssigkeit
und wird hart. Selbstverständlich gibt es alle Übergänge von den
härtesten Käsen wie Parmesan über die mittelharten wie Emmentaler
bis zu den allerweichsten wie Brie und Camembert. Ferner ergibt sich
natürlicherweise ein Unterschied, ob man den Käse aus Magermilch oder
Fettmilch, aus Kuh-, Ziegen- oder Schafmilch herstellt. Aber auch der
Verlauf der Entwicklung bei der weiteren Behandlung ist von großem
Einfluß. Denn Hartkäse reifen durchaus anders als Weichkäse. Alle diese
Momente bringen es mit sich, daß es so viele verschiedene Arten von
Käse als Landstriche gibt. Gerade wie beim Wein die Beschaffenheit der
Traube den einen, und die Gärung den andern Faktor darstellt, so ist
es auch beim Käse; den einen Faktor bildet der Rohkäse, den andern die
Mikroben und die Behandlung bei der Reifung.

Daß die Käsereifung ein Gärungsvorgang im weiteren Sinne des Wortes
darstellt, hat zuerst der Breslauer Botaniker Ferdinand Cohn erkannt.
Seither ist dieser Vorgang eifrig studiert worden, nicht nur aus
wissenschaftlichem, sondern vor allem auch aus praktischem Interesse,
um durch Reinzüchtung guter Bakterien die Käserei auf rationelle
Grundlage zu stellen und die Produzenten vor Mißgriffen und Schäden zu
bewahren.

In jedem Käse haben wir eine äußerst komplizierte Anhäufung von
Bakterien, die in jedem verschieden sind und sich gegenseitig fördern
oder stören können. Sie spalten teilweise das Kaseïn, vergären den
Milchzucker in Milchsäure und bilden aus dieser und aus dem Eiweiß
Buttersäure und ähnliche fette Säuren. Ferner wird das Fett der Milch
gespalten und dabei werden spezifische Geruchs- und Geschmacksstoffe
erzeugt, die dem Käse sein spezifisches Aroma verleihen. Außer
Bakterien finden sich aber auch noch Hefen und Schimmelpilze im Käse;
letztere sind sogar bei der Reifung einiger Käse unentbehrlich; ja, in
dem nach einem Dorf im französischen Departement Aveyron im westlichen
Südfrankreich als Roquefort bezeichneten berühmten weichen Käse aus
Milch von Kurzschwanzschafen werden sie sogar, und zwar eine „edle“
Spielart des grünen Pinselschimmels (~Penicillium glaucum~), künstlich
zugesetzt und vermehren sich darin zu ganzen Nestern, die an ihrer
grünlichen Farbe zu erkennen sind.

Bei den Hartkäsen beginnt nach einer unbedeutenden ersten Phase der
Eiweißspaltung durch die Fermente zunächst eine allerdings nicht sehr
erhebliche Milchsäuregärung. Neben ihr und nach ihrem Ablauf beginnen
die eiweißabbauenden, sogenannten peptonisierenden Bakterien ihre
Tätigkeit, wobei sie durch die Milchsäure etwas in Schranken gehalten
werden, damit nicht eine übermäßige Zerspaltung des Eiweißes und
eine richtige Fäulnis durch die echten Fäulnisbakterien eintrete.
Diese unter Ausschluß von Sauerstoff vor sich gehende Gärung findet
in der ganzen Käsemasse gleichmäßig statt. In den Abbaustoffen des
Eiweißes finden wieder andere Bakterien, wie vor allem der ~Bacillus
nobilis~, günstige Wachstumsbedingungen und bilden neben Milchsäure die
charakteristisch riechende Buttersäure und die anderen Aromastoffe.
Ferner siedeln sich Schimmel- und andere Pilze an. So wird durch das
Ineinandergreifen der verschiedensten Mikroben eine Umwandlung der
geschmacklosen Rohstoffe bewirkt, die schließlich den reifen Käse mit
seinem spezifischen Wohlgeschmack hervorgehen lassen.

Anders verläuft die Reifung bei den Weichkäsen. Zugleich mit der Molke
enthalten sie viel mehr Milchzucker. Die infolgedessen sehr energisch
vor sich gehende Milchsäuregärung verhindert im Innern des Rohkäses
die Entwicklung aller anderen Keime. Alle diese Käse bleiben deshalb
anfänglich im Innern weiß, unvergoren und sauer, wie der Rohstoff,
aus dem sie bereitet werden. Nur von außen beginnen allmählich die
peptonisierenden Bakterien ihr Werk; so reift der Käse von außen nach
innen, bis er „durch“ ist. Dabei sind Pilze nötig, die die störende
Milchsäure verzehren, und dies tun vor allem die Schimmelpilze, die
dadurch den eiweißspaltenden und hernach wieder anderen Bakterien
Existenzbedingungen schaffen. Schimmelpilze bedürfen aber zu ihrem
Gedeihen unbedingt freien Sauerstoffs, und deshalb siedeln sie sich nur
außen herum an.

Ein gutes Beispiel für die Beteiligung von Schimmelpilzen an der
Reifung von Weichkäse bietet der Briekäse aus der Landschaft Brie
im nördlichen Frankreich zwischen Seine und Marne, der immer mit
einer dicken Schicht davon überzogen ist. Der Pilz ist ein naher
Verwandter des für den vorhin genannten Roquefort maßgebenden
grünen Pinselschimmels, nämlich ~Penicillium album~. In der für die
Herstellung des nordholländischen runden, innen schön gelben und außen
durch Orlean hübsch rotgefärbten Edamer Käses verwandten „langen Wei“,
einer fadenziehenden Molke, spielt ein Oidium eine wichtige Rolle.
Es stellt diese Flüssigkeit wenn nicht eine Reinkultur, so doch eine
sehr gute Kultur eines für die betreffende Käsereifung sehr wichtigen
Pilzes dar und bietet eines der wenigen Beispiele einer seit langem
geübten absichtlichen Beeinflussung des Reifungsvorganges von Käse. Ein
anderes stellt der bereits erwähnte Zusatz von ~Penicillium glaucum~
zum Roquefortkäse dar. Um nun dem Schimmelpilz ein von Bakterien
ungestörtes Wachstum zu verschaffen, wird der ganze Prozeß anders, vor
allem bei sehr niedriger Temperatur, in Felsenhöhlen, durchgeführt, und
um dem Pilz den für ihn unentbehrlichen Sauerstoff zuzuführen, wird der
Käse mit langen Nadeln durchbohrt und werden so Luftlöcher erzeugt.

Die wissenschaftliche Heranzüchtung +reiner Pilzkulturen für die
Käsereifung+ hat diesen alten Praktiken kaum neue an die Seite zu
stellen gewußt. Anfänge zu einer systematischen Benutzung edler
Käsebakterien sind allerdings bereits gemacht worden, doch begnügt man
sich in der Regel, heute wie vor Tausenden von Jahren mit der Gärung,
wie sie die natürliche Flora der betreffenden Käse mit sich bringt. Die
Bakterien gelangen aus der Luft und durch Verunreinigungen in die Milch
und wachsen dann im Käsekeller aus. Dabei bleibt vieles dem Zufall
überlassen, so daß es kein Wunder ist, daß auch dem geübten Käser
trotz aller aufgewandten Mühe und Sorgfalt manche Reifung mißlingt,
wenn sich Bakterien im Käse einnisten, die unerwünschte Gärungen
darin bewirken, so daß das Produkt bitter, fleckig, allzu faulig und
mit Gasblasen durchsetzt usw. wird. Wenn nun auch die uralte Empirie
meist mit überraschender Sicherheit die besten Bedingungen erkannt
hat, die solche fast unvermeidliche Nebengärungen auf ein Mindestmaß
beschränken, so wird auch das Käsegewerbe einmal dazu gelangen, von
sterilen Rohstoffen auszugehen und diesen die spezifischen Keime in
Reinkultur zuzusetzen, um stets ein mit Sicherheit tadelloses Produkt
zu erzielen, wie wir solches in idealer Weise bei der Bierbrauerei
verwirklicht sehen.

Übrigens werden in manchen Gegenden dem Käse auch gewisse aromatisch
riechende Kräuter beigemischt und dadurch Kräuterkäse erzeugt. Dies ist
besonders in Griechenland und im Orient der Fall, ebenso bei uns in
manchen Alpengegenden, so vor allem im Kanton Glarus in der Schweiz,
wo durch Beigabe von feinpulverisiertem getrocknetem Bisamhonigklee
(~Melilotus coerulea~), der aus Nordafrika stammt und dort angebaut
wird, der nach ihm duftende und durch ihn grünlich gefärbte
+Schabzieger+ hergestellt wird, der weithin exportiert wird. Diese
Käsesorte muß schon sehr lange dort fabriziert werden; denn sie wird
schon im 13. Jahrhundert als gebräuchliches Landesprodukt erwähnt.

Wie nun verschiedene Bakterienarten bei der Reifung des Hartkäses
und dazu noch gewisse Schimmelpilze bei derjenigen des Weichkäses
eine wichtige Rolle spielen, so tun es andere bei der Erzielung
anderer Nahrungsmittel. So haben wir die Kultur eines Schimmelpilzes,
des ~Aspergillus oryzae~, bei der Bereitung des japanischen
Nationalgetränkes Saké kennen gelernt. Dieser Pilz enthält ein sehr
kräftiges diastatisches Ferment, die sogenannte Takadiastase, die
Stärke energisch spaltet und in Zucker überführt. Bei der Sakébereitung
werden dann die Zuckerstoffe durch Saccharomyceten, die der Kojihefe
beigemengt sind, vergoren. Seit alters her aber macht man von demselben
Schimmelpilz in Japan noch eine andere, wirtschaftlich mindestens
ebenso wichtige Anwendung, nämlich zur Bereitung der dem Japaner
unentbehrlichen Würzmittel des Shoju und des Miso, die beide aus den
Sojabohnen, einer der Hauptkulturpflanzen Japans gewonnen werden. Da
diese Hülsenfrüchte selbst in gekochtem Zustande schwer verdaulich
sind, wird durch Beigabe solcher ebenfalls aus ihnen bereiteter Würze
die Absonderung der Verdauungssäfte zu ihrer leichteren Bewältigung
angeregt. Die Sojasauce Shoju wird, wie wir bereits früher mitteilten,
aus halbgar gekochten Sojabohnen mit Beigabe von geröstetem Weizenmehl
und Salz in der Weise gewonnen, daß man die auf gedämpftem Reis
gezüchteten Kulturen des ~Aspergillus oryzae~ hinzufügt. Nachdem der
Pilz drei Tage hindurch sich gründlich in dem Gemisch vermehrt und
dasselbe ganz durchwuchert hat, wird Salzwasser hinzugegeben und
die Masse in großen Holzkübeln bei möglichst geringer Temperatur
viele Monate, ja bis zu fünf Jahren, einer Gärung unterworfen, bei
der auch verschiedene andere Pilze als der vorhin genannte, so ein
milchsäurebildendes Bakterium und ein alkoholbildender Hefepilz
(~Saccharomyces soya~), eine wichtige Rolle spielen. Der Hauptvorgang
dabei ist eine weitgehende Aufspaltung sowohl der Kohlehydrate der
Samen wie ihrer Eiweißsubstanzen durch die Fermente des Schimmelpilzes.
Es finden sich tatsächlich in der schließlich resultierenden, ziemlich
dickflüssigen, braunen Shojusauce nur noch die Abbaustoffe der
Eiweißkörper, in ähnlicher Weise wie sie im Liebigschen Fleischextrakt
vorhanden sind. Sie geben ihm vorzugsweise den aromatischen Geschmack
und die die Absonderung der Verdauungssäfte anregende Wirkung der schon
durch den sehr hohen Kochsalzgehalt von etwa 15 Prozent sehr starken
Würze zu der an sich reizlosen, vorzugsweise aus Reis oder Sojabohnen
mit getrockneten Fischen bestehenden Kost der Japaner. Der Verbrauch
dieses neuerdings in der ganzen Kulturwelt Eingang findenden und
den wichtigsten Bestandteil der berühmten englischen Worcestersauce
bildenden Shoju beträgt in Japan rund 6 Liter auf den Kopf der
Bevölkerung.

Ebenfalls mit Hilfe der Kojihefe wird der dem Shoju ähnliche +Miso+ aus
einem Brei von gekochten Sojabohnen gewonnen; nur ist er ein weniger
durchgreifend vergorenes Produkt, das mehr unveränderte Stoffe enthält
und ebenfalls in sehr großen Mengen, etwa 30 Millionen kg jährlich,
in Japan verbraucht wird. Die in China gleichfalls viel gebrauchte
Sojasauce wird in etwas anderer Weise hergestellt. Man benutzt dazu
andere Varietäten der Sojabohne, die, gekocht und mit Blättern einer
Eibischart (~Hibiscus~) bedeckt, einige Tage sich selbst überlassen
werden, wobei sich dann spontan der als ~Aspergillus wentii~ bekannt
gewordene Schimmelpilz ansiedelt. Man läßt den Pilz sich nur kurze Zeit
in der Masse entwickeln, so daß nur eine sehr oberflächliche Gärung
eintritt, kocht dann auf und versetzt sie mit Sternanis und allerlei
aromatischen Kräutern. Eine eigentliche Zucht dieses Pilzes findet also
nicht statt.

Bei uns und in der ganzen von Europäern beeinflußten Kulturwelt sehr
wichtig und deshalb von volkswirtschaftlich großer Bedeutung sind die
vornehmlich durch die +Milchsäurebakterien+ hervorgerufenen sauren
Gärungen von Futtermitteln und Gemüsen, um sie haltbar zu machen
und ihnen gleichzeitig einen bestimmten Wohlgeschmack und größere
Verdaulichkeit zu verleihen. Dieses Verfahren der +Säuregärung+ als
sehr wirksames und bequemes Konservierungsverfahren für allerlei
sonst wenig haltbare Pflanzenprodukte ist von Osten, von den Slawen
zu uns nach Mitteleuropa gekommen. Die Slawen ihrerseits lernten sie
vermutlich von den Tataren kennen, welche die Milchsäuregärung von
der beim Aufbewahren gerinnenden Milch reichlich kennen zu lernen
Gelegenheit hatten. Noch heute spielen diese Konservierungsmethoden
in Rußland eine ganz andere Rolle in der Wirtschaft als bei uns.
Meist sind diese Verfahren noch Eigentum der Hausfrau und dann
wissenschaftlich noch wenig untersucht, zum Teil aber wie die
Sauerkraut- und Gurkengärung zu großen Industrien geworden und dann
etwas besser erforscht.

Ob es sich nun um Gras, Klee oder Rübenschnitzel zum Zwecke von
Bereitung von „+Sauerfutter+“ oder um Einlegen von Kraut, Gurken und
anderen Früchten zur Herstellung von +Sauerkraut+, +sauren Gurken+ usw.
handelt, die Hauptsache bleibt immer dieselbe: die Pflanzenteile werden
in größeren oder kleineren Stücken, mit oder ohne Wasser, mit oder ohne
Kochsalz, gekocht oder roh, fest zusammengepreßt und einer von selbst
einsetzenden, ganz oder fast ganz unter Luftabschluß vor sich gehenden
Gärung überlassen. Sobald dann die Pflanzenteile, meist infolge von
Luftmangel abgestorben sind, beginnen die daran haftenden Bakterien,
Hefen, Schimmel- und andere Pilze unabhängig voneinander ihr Werk.
Die mannigfaltigsten Zersetzungen, Eiweißzerfall, Gasgärung aus der
Zellulose, Alkoholgärung, Buttersäure-, Milchsäure- und andere Gärungen
gehen vor sich, bis schließlich wie so häufig, die Milchsäurebakterien
in dem Gemisch von winzigen Lebewesen Sieger bleiben und durch
zunehmende Bildung von Milchsäure, die dem ganzen Produkt den Stempel
der Säuerung aufdrückt, die anderen Organismen zurückdrängen. An
diese auf die vielseitige Vorgärung folgende Hauptgärung schließt sich
als dritter Akt die Nachgärung an, bei welcher die Milchsäurebildner,
zum Teil unter der Wirkung der von ihnen selbst gebildeten Säure
zurückgehen und die Hefen, Schimmelpilze und Oidien aufkommen. Alle
diese sind Säureverzehrer; als solche bringen sie die Milchsäure
langsam zum Schwinden und verleihen außerdem dem Gärgemisch besondere,
mehr oder weniger angenehme aromatische Stoffe, die den Geschmack
dementsprechend verändern. Geht der Prozeß weiter, so werden durch
das Verschwinden der Milchsäure wieder anderen Mikroben günstige
Existenzbedingungen geschaffen, und so können eiweißzerstörende
Fäulnispilze zur Entwicklung gelangen, die schließlich eine eigentlich
faulige Gärung bewirken und so die Konserve völlig für Mensch und Tier
ungenießbar machen. Dann geht das Produkt für den Konsum verloren.
Sache des Herstellers ist es also, die Vorgänge zu geeigneter Zeit
zu unterbrechen und es nicht zu einer eigentlichen Fäulnis kommen zu
lassen.

Diese großen Züge des Gärungsprozesses erfahren im ganzen nur
unwesentliche Veränderungen durch die mancherlei technischen
Abänderungen. Wurde das Leben der Pflanze durch Abkochen getötet,
so gehen zwar dabei viele der ihr anhaftenden Keime zugrunde, stets
aber bleiben die Sporen der die Milchsäuregärung erregenden Mikroben
erhalten, die dann beim späteren Auswachsen rasch eine solche
saure Gärung bewirken. Wird viel Kochsalz hinzugesetzt, das den
Hauptzweck hat, durch Wasseranziehung den Saft aus den Pflanzenzellen
herauszuziehen und diese zur besseren Konservierung zu durchdringen,
so wird damit auch gleichzeitig der Erfolg erreicht, daß gewisse
Organismen, die diesen Gehalt an Kochsalz nicht ertragen können,
ausgeschaltet werden. Wieder andere Bedingungen schafft es, wenn man
gar keine oder etwas Luft zuläßt, ob man die Gärung bei sehr hoher
oder niedriger Temperatur vor sich gehen läßt, beziehungsweise ob man
die starke Selbsterhitzung, die gewöhnlich als ein Zeichen der Gärung
eintritt, duldet oder vielmehr für Abkühlung sorgt.

Am besten ist die Gärung des Sauerkrautes studiert. Der zerschnittene
Kohl wird roh ohne Wasser, aber mit 0,5-2 Prozent Salz und etwas
Gewürzen eingestampft, festgepreßt und so unter Luftabschluß einige
Wochen vergoren. Bei der sonst ähnlichen Darstellung des russischen
Schtschi wird dagegen die Luft nicht völlig abgeschlossen. Die erste
Zersetzung, die sogenannte Schaumgärung, erfolgt vorwiegend durch
Hefepilze; dann folgt eine ziemlich reine Milchsäuregärung, bei der
sich keine flüchtigen Säuren bilden und die von der Temperatur ziemlich
unabhängig ist. Hierauf beginnt, und zwar meistens von außen her, das
Abnehmen der Säure unter dem Einfluß der nie fehlenden Kahmpilze der
Gattung ~Mycoderma~, die sehr viel Sauerstoff verbrauchen und hier wie
anderswo, z. B. beim Wein, leicht eine faulige Zersetzung bewirken. Es
muß deshalb ihr Dringen in die Tiefe durch hermetischen Luftabschluß
verhindert werden, soll nicht das Sauerkraut ungenießbar werden.

Ähnlich verhält sich der Prozeß bei den sauren Gurken; nur wirken
hier bei der starken anfänglichen Schaumgärung auch Mitglieder der
artenreichen Gruppe des ~Bacterium coli~ (d. h. Dickdarmbakterium,
so genannt, weil er als Fäulniserreger im Dickdarm eine große Rolle
spielt) mit. Wenn dann nicht bald eine kräftige Milchsäuregärung
einsetzt, so werden die Gurken schlaff, schmecken matt und gehen leicht
in Fäulnis über. Gegen diese gefürchteten Milchgärungen ist der Zusatz
von etwa 4 Prozent Kochsalz ein viel angewandtes Mittel. Auch wird
Zufuhr von Traubenzucker empfohlen, um die Milchsäurebildung durch den
dem Colibazillus nahe verwandten Milchsäurebazillus recht kräftig in
Gang zu bringen.

Auch sonst spielen Gärungserreger bei der Gewinnung der verschiedensten
Pflanzenprodukte eine große Rolle. So erhitzt sich nicht ganz trocken
eingefahrenes Heu oder Emd durch solche bis zur Selbstentzündung, was
schon sehr viele Brände und großen Schaden verursachte. Sehr wichtig
ist ihre Tätigkeit bei der Gewinnung der Rohprodukte für die Spinnerei
wie Flachs, Hanf, Jute, Manilahanf und ähnliche Stoffe, die gerottet
werden müssen, um die einzelnen Bastfasern voneinander zu trennen. Die
letztere verbindende Kittsubstanz besteht vorwiegend aus Pektinstoffen,
d. h. komplexen Kohlehydraten, ähnlich, aber aus anderen Zuckerarten
zusammengesetzt wie die Zellulose oder der Holzstoff der Pflanzenfasern
und am nächsten mit den Pflanzenschleimen verwandt. Indem man diese
bastliefernden Pflanzen zum Rotten in Bündeln in Teiche oder Gruben
mit Wasser versenkt, und mit Steinen beschwert, werden in ihnen zuerst
die Eiweißstoffe von den allgegenwärtigen Mikroben aufgezehrt und
verfaulen, die Kohlehydrate gehen in Milch- und Buttersäure über usw.
In dem Maße als das Nährmaterial für diese Pilze verschwindet, treten
sie zurück, um denjenigen Platz zu machen, die, wie die Granulobakter-
und Clostridiumarten die für jene unbrauchbaren Pektinstoffe durch ein
von ihnen ausgeschiedenes Ferment, die Pektinase, in die entsprechenden
Zuckerarten spalten und für sich verwenden. Seit dem Jahre 1852
wurde diese Erkenntnis von einigen Technikern ausgesprochen und dann
experimentell bestätigt. Seit einigen Jahren suchte man auch Gewinn
daraus zu ziehen, indem man Rohzuchten aus den Abfallwässern künstlich
den Rotten zusetzte, um die Wirkung zu beschleunigen. Indessen hat die
Verwendung wirklicher Reinkulturen, wie solcher des Granulobakter, noch
keine besonders günstigen Erfolge gebracht; anscheinend muß eine Art
Symbiose mit anderen Mikroben bestehen, die erst gute Resultate beim
Rotten erzielt. Man begnügt sich in der Praxis meist damit, die Rotte
so zu leiten, daß die Bedingungen für den Granulobakter und die übrigen
Pektinvergärer recht günstige werden. Dazu führt man die Gärung bei
relativ hoher Temperatur von etwa 25 bis 35° C. durch und wechselt das
Wasser öfter, um die Milchsäurebazillen usw. immer wieder zu entfernen.
Indem allen anderen Keimen allmählich die Nährstoffe ausgehen, erhält
man schließlich eine Reinkultur der +Pektinvergärer+.

Viel langsamer als diese Wasserrotte geht die Land- oder Taurotte vor
sich, bei welcher der Flachs oder andere solche Faserpflanzen auf
Wiesen ausgebreitet und der Befeuchtung durch Regen und Tau überlassen
bleiben. Bei diesem Vorgange sind es weniger die pektinvergärenden
Spaltpilze als höhere Pilze, namentlich Schimmelpilze der Gattung
~Mucor~ und Fadenpilze, welche durch Ausscheidung von Pektinase die
Pektinstoffe in Zucker auflösen, den sie für sich verbrauchen, dabei
aber auch die Zellulose angreifen, also die Fasern selbst beschädigen.
Neuerdings ist die moderne Industrie bestrebt, überhaupt die Tätigkeit
von Mikroben beim Gewinnen der Faserstoffe auszuschalten und die
Pektinstoffe durch erhitzten Wasserdampf oder auch Alkalien zu spalten.

Auch bei der Verarbeitung der Häute zu Leder spielen die
verschiedensten Mikroorganismen eine wichtige Rolle. Damit die rohen
Häute nicht von den die Eiweißstoffe derselben lösenden Fäulniserregern
aufgelöst und verdorben werden, trocknet man sie oder entzieht
ihnen das Wasser durch Kochsalz, Glaubersalz oder Gips. Neuerdings
sterilisiert man sie auch mit Formalin. Um die solchermaßen getrocknet
versandten Häute zu verarbeiten und die Haare aus ihnen zu entfernen,
kommen sie in die sogenannten Weichen, wobei die äußerste Schicht
von den gewöhnlichsten Fäulniserregern, den Proteusarten, zerstört
wird und die Haare ausfallen. Durch Halten der Felle bei niedriger
Temperatur, die 12° C. nicht überschreiten soll, sucht man zu verhüten,
daß die Fäulnis nicht zu weit greife und die eigentliche Haut verdorben
werde. Neuerdings aber ersetzt man diesen etwas gefährlichen Prozeß
der Bakterienwirkung durch chemische Mittel, indem man die Häute der
Einwirkung von Schwefelalkalien und ähnlichen Enthaarungsmitteln
aussetzt.

Die so enthaarten Häute werden dann gewaschen, um den Kalk aus ihnen
zu entfernen. Dabei greifen allerlei Bakterien die Plasmasubstanz
derselben an, was man bei manchen Häuten, die zu weichem Leder,
wie Oberleder, verarbeitet werden sollen, nicht ungern sieht.
Bei Kernleder, welchem solches schädlich ist, sucht man, um dem
entgegenzuwirken, das Auswaschen durch fleißiges Bewegen der Häute zu
beschleunigen und setzt, um den Kalk schneller zu beseitigen, etwas
Säure hinzu.

Dann folgt das Beizen, wozu man von alters her die aus Exkrementen
von Vögeln oder Hunden bereiteten +Mistbeizen+ benutzt. Manche
Naturvölker, wie die Eskimos, verwenden dazu faulenden Urin, den sie
zu diesem Zwecke sorgfältig in ihren Hütten sammeln und aufbewahren,
was allerdings den Aufenthalt in ihren Behausungen für die Europäer
wegen des damit verbundenen üblen Geruches nicht gerade angenehm
macht. Solche von Bakterien wimmelnden Mistbeizen dienen vor allem zur
Bereitung von weichen und geschmeidigen Ledersorten. Die Bakterien
dieser Beizen, unter denen Fäulnispilze und Säurebildner die Hauptrolle
spielen, sollen die Plasmasubstanz der Häute auflockern und den
Kalk vollständig ausziehen. Nun haben natürlich solche Beizen, ganz
abgesehen von ihrem scheußlichen Gestank, noch den großen Übelstand,
daß die unkontrollierbaren Bakteriengemenge unter Umständen durch
zu weitgehende Wirkung den Häuten schweren Schaden zufügen. Man ist
deshalb wie in anderen Gärungsindustrien, so auch in dieser dazu
geschritten, sie durch künstlich gezüchtete Nutzbakterien zu ersetzen.
Der erste Schritt dazu war die Züchtung der Gesamtkeime des Hundekotes
auf künstlichen, mit Fleischbrühe versetzten Nährböden, wobei man
wenigstens ein einigermaßen einheitliches, beständiges Mittel in die
Hände bekam. Man hat aber weiterhin auch schon eigentliche Reinkulturen
erhalten, so eine von einem ~Bacterium erodiens~, die als Erodin in den
Handel gelangt und von den Fachleuten günstig beurteilt wird.

Neben der Mistbeize benutzt man bei gewissen Ledersorten, z. B.
Handschuhleder, das vornehmlich aus Häuten junger Ziegen bereitet
wird, noch die +Kleienbeize+, in der ebenfalls ein bestimmter
Gärungserreger, der Kleiebazillus, die Hauptrolle spielt. Er erzeugt
eine Gasgärung, durch welche die Fasern des Leders gelockert werden.
Auch bei dieser Art von Beizung treten oft durch Milchsäure- und
Buttersäuregärung Schädigungen der Leder ein, oder es entsteht eine
solche durch Fäulnis oder durch eine eigenartige Schleimbildung, die
dem Leder dauernd den Glanz raubt und durch den großen ~Bacillus
megatherium~ verursacht wird. Bisweilen verwendet man +kombinierte
Beizen+, in denen Mist und Kleie gleichzeitig gären; in ihnen spielt
der Heubazillus (~Bacillus subtilis~) eine günstige Rolle.

Ist die Beizung vollendet, so kommen die Häute in die Gerbbrühen,
in denen wiederum ausgedehnte Gärprozesse vor sich gehen, da sich
darin trotz des reichen Gerbstoffgehaltes alle möglichen Bazillen
in sehr lebenskräftiger Verfassung vorfinden. Dabei haben auch
die Fäulnisbakterien ihre praktische Bedeutung, indem sie neben
der Lockerung des Gefüges der Haut aus den Eiweißkörpern etwas
lösliche Stickstoffsubstanzen abspalten, die nun den eigentlichen
Gärungsorganismen zur Nahrung dienen können. Neben einer geringen
Alkoholgärung durch Hefen bilden sich auch allerlei Säuren, besonders
Milch- und Essigsäure, die die Hautfasern zur Schwellung bringen, wobei
sie sich besonders reich mit Gerbstoff vollsaugen, also sehr energisch
gegerbt werden.

Auch das fertige Leder ist beim Lagern der Wirkung von allerlei
Mikroorganismen ausgesetzt, die eine Zerstörung durch Stockflecke
oder Vermoderung bewirken. Bei weichen Ledern kommt es zu einem
„Dumpfwerden“ oder einer Verschleimung, einem Prozesse, der mit
starker Erwärmung verbunden ist und in mäßigen Grenzen absichtlich
herbeigeführt wird, weil das Leder dadurch leichter festgestampft
werden kann und sich auch besser färben läßt. Natürlich muß dieser
Prozeß sorgsam überwacht werden, weil er sonst zu einer weitgehenden
Verschleimung des Leders und damit verbundener geringer Haltbarkeit
führt.

[Illustration: Bild 53-57. Sporenträger verschiedener Schimmelarten.

(Originalzeichnung von ~Dr.~ Schnegg in Weihenstephan.)

I. Traubenschimmel (~Botrytis~), II. Pinselschimmel (~Penicillium~),
III. Kopfschimmel (~Mucor~), IV. Kolbenschimmel (~Aspergillus~), V.
Tännchenschimmel (~Thamnidium~).]

Auch die für die Veredelung des Tabaks unbedingt notwendige
Fermentation der nach der Trocknung auf einen Haufen zusammengepackten
Tabakblätter wird durch mehrere hintereinander arbeitende Bakterien,
die man isoliert hat, bewirkt. Dabei steigt die Temperatur auf 50° C.
und mehr und stellt sich in einem feuchten Klima das „Schwitzen“
ein, das aber in einem trockenen unterbleibt. Dabei wird im Haufen
zuerst der Sauerstoff verbraucht, es verschwinden der lösliche Zucker
und einige Eiweißspaltprodukte, vor allem das Asparagin. Durch
chemische Umsetzungen verschwindet dann bei Sauerstoffabschluß auch
ein Teil -- etwa 30 Prozent -- des giftigen Nikotins und entwickeln
sich außer Buttersäure (nicht aber Milchsäure) die chemisch noch
völlig unbekannten Aromastoffe. Auf die Hauptfermentation folgt
teils vor, teils erst nach der Verpackung des Tabaks in Fässer eine
langsame Nachgärung, zu deren Einleitung er häufig durch Besprengen
mit zuckerhaltigen Saucen vorbereitet wird. Auch der Schnupftabak wird
vergoren, wobei die Temperatur so hoch steigt, daß die meisten Mikroben
darin absterben. Die dabei stattfindenden chemischen Umsetzungen sind
ebensowenig bekannt als diejenigen bei der Reifung des Kautabaks, bei
welcher ebenfalls Mikroben tätig sind.

Ganz ungeheuer wichtig sind die Umsetzungen zahlloser Mikroorganismen
bei den verschiedensten Prozessen der Landwirtschaft. Der lockere
Boden ist bis ziemlich tief hinab mit unvorstellbaren Mengen der
verschiedensten Bakterien erfüllt, die sehr zahlreiche Umsetzungen
bewirken, wodurch den höheren Pflanzen erst die Existenz ermöglicht
wird. Aus Ammoniak und Ammoniumsalzen oxydieren die durch die
Ausbildung von herumschwärmenden beweglichen Keimen charakterisierten
Nitrosomonaden Nitrite oder salpetrigsaure Salze, die von den
unbeweglichen Nitromonaden weiter mit Sauerstoff zu Nitraten oder
salpetersauren Salzen verbunden werden, die dann den Pflanzen als
Stickstoffquelle dienen. Alle in den Boden gelangenden organischen
Substanzen, seien es Ausscheidungen oder Leichen von Tieren und
Pflanzen, werden von den verschiedensten Bakterien immer weiter
gespalten und schließlich in einfache Verbindungen aufgelöst, die dann
von den Pflanzen als ihre Nahrung aufgenommen zu werden vermögen.
Neben solchen, die die Umsetzungen des Stickstoffs besorgen, haben wir
welche, die den Hauptanteil am Zerfall der Kohlenstoffverbindungen
haben und dahin arbeiten, daß die Kohlensäure wieder in den Kreislauf
der Natur zurückgegeben wird. Gleichzeitig werden bei diesen
Zerfallprozessen die wertvollen Aschenbestandteile, die fest in der
organischen Materie gebunden sind, herausgelöst und dadurch als
Nährsalze für die Pflanzen verfügbar.

Manche Bakterien, wie beispielsweise das mit den Buttersäurebazillen
verwandte ~Clostridium pasteurianum~, das für gewöhnlich anaerob, d.
h. ohne des Sauerstoffs der Luft zu bedürfen, lebt, aber auch bei
Gegenwart von sauerstoffliebenden Bakterien bei Anwesenheit von Luft
fortkommt, assimilieren den freien Stickstoff der Luft und führen
ihn in lösliche Verbindungen über. Diese Eigenschaft, die für die
Pflanzenwelt mit ihren beschränkten Stickstoffquellen von der größten
Bedeutung ist, kommt auch den Fadenpilzen zu, die sich mit grünen
Algenzellen zu Flechten vergesellschaften, wie auch den in den Wurzeln
der Leguminosen oder Schmetterlingsblütler in Symbiose mit diesen
lebenden Knöllchenbakterien. Es kann hier nicht der Ort sein, auf die
komplizierten, sich gegenseitig in die Arme arbeitenden Vereinigungen
der winzigsten, dem gewöhnlichen Auge vollkommen unsichtbaren Lebewesen
miteinander und mit den höheren Pflanzen einzugehen. Ich habe dies
an anderer Stelle getan und verweise die sich dafür Interessierenden
auf den achten Abschnitt des früher von mir erschienenen Buches:
+Das Leben der Erde+,[C] in welchem im achten Abschnitte, betitelt
Pflanzengenossenschaften, von Seite 561-586 diese wichtigen Symbiosen
und ihre Bedeutung für den Kreislauf des Stoffes in der Natur eingehend
besprochen wurden.



Sachregister.


    ~Abella~, 76.

    Acajoubaum, 214.

    ~Achras sapota~, 213.

    ~Adansonia digitata~, 205.

    Affenbrotbaum, 205.

    ~Agave americana~, 637.

    Aggurmelone, 336.

    Akeebaum, 208.

    ~Allium cepa etc.~, 320.

    ~Amygdalus communis~, 116.

    Ananas, 210.

    ~Andropogon sorghum~, 44, 439.

    -- ~saccharatus~, 47, 439.

    Anis, 551.

    ~Anona squamosa~, 215.

    Apfel, 72.

    Aprikose, 110.

    ~Araucaria imbricata~, 235.

    ~Areca catechu~, 178.

    Arekapalme, 178.

    ~Arenga saccharifera~, 185.

    Arrowroot, 355.

    ~Artemisia absinthium etc.~, 544.

    Artischocke, 330.

    ~Artocarpus incisa~, 201.

    -- ~integrifolia~, 204.

    ~Asparagus~, 326.

    Assaipalme, 187.

    ~Avena sativa~, 37.


    Backsteintee, 482.

    Bakterien, 730.

    Banane, 191.

    Batate, 360.

    Baum der Reisenden, 198.

    Baumwollöl, 417.

    Bergamotte, 253.

    ~Beta vulgaris~, 294.

    Betelnüsse, 179.

    Betelpfeffer, 532.

    Bier, 598, 686.

    Bierhefe, 686.

    Binkelweizen, 20.

    Birne, 80.

    Blumenkohl, 304.

    Bohne, 271.

    Bohnenkönig, 280.

    Bordighera, 163.

    Branntwein, 712.

    ~Brassica oleracea~, 296.

    Breiapfelbaum, 213.

    Brennessel, 304.

    Brotbereitung, 691.

    Brotfruchtbaum, 201.

    Buchweizen, 49.

    ~Butyrospermum parkii~, 404.


    ~Cannabis indica~, 647.

    ~Caryophyllus aromaticus~, 588.

    Cassave, 357.

    ~Castanea esculenta~, 217.

    ~Ceratonia siliqua~, 231.

    ~Ceroxylon~, 427.

    ~Chamaerops humilis~, 155.

    Champignon, 392.

    ~Cicer arietinum~, 263.

    ~Cinnamomum ceylanicum~, 565.

    ~Citrullus vulgaris~, 339.

    ~Citrus aurantium~, 251.

    -- ~bergamea~, 253.

    -- ~decumana~, 239.

    -- ~medica~, 246.

    -- ~nobilis~, 254.

    ~Cocos nucifera~, 167.

    ~Coffea arabica~, 465.

    Cohunepalme, 186.

    ~Cola acuminata~, 206.

    ~Colocasia~, 368.

    ~Copernicia cerifera~, 428.

    ~Cornus mas~, 100.

    ~Corylus avellana~, 228.

    ~Crocus sativus~, 537.

    Cubebenpfeffer, 531.

    ~Cucumis chate~, 336.

    -- ~melo~, 337.

    -- ~sativus~, 334.

    ~Cucurbita pepo~, 345.

    ~Curcuma longa~, 555.

    ~Cydonia vulgaris~, 91.


    Dattelpalme, 156.

    -- wilde, 166.

    ~Daucus carota~, 288.

    Demeter, 32.

    Dill, 550.

    Dinkelweizen, 21.

    Dioscorea, 363.

    Diospyros, 209.

    Dumpalme, 190.

    Durian, 205.


    Eberesche, 98.

    Eibisch, 285.

    Eichel, 216.

    Einkorn, 21, 24.

    ~Elaeis guineensis~, 172.

    ~Elatteria cardamomum~, 554.

    ~Eleusine coracana~, 48.

    Emmer, 26, 24.

    Endivie, 310.

    Erderbse, 414.

    ~Eriobotrya japonica~, 98.

    ~Ervum lens~, 269.

    Essig, 716.


    ~Fagopyrum esculentum~, 49.

    Fahantee, 499.

    Faulbrand, 15.

    Feigenbaum, 129.

    Feigenkaktus, 639.

    Feigenwespe, 137.

    Fenchel, 549.

    Fettbaum, 408.

    ~Ficus carica~, 129.

    -- ~sycomorus~, 140.

    Fisole, 279.

    Flaschenkürbis, 342.

    Flechten, 398.

    ~Foeniculum vulgare~, 548.

    Futterwicke, 267.


    Galgant, 566.

    ~Garcinia mangostana~, 199.

    Gartenerbse, 260.

    Gärung, 683.

    Gerben, 729.

    Gerste, 26.

    Getreiderost, 13.

    Gewürzapfel, 215.

    Gewürze, 516.

    Gewürznelken, 588.

    ~Glycine hispida~, 282.

    Götterpflaume, 209.

    Granatapfel, 93.

    Guajave, 115, 214.

    Guaranapaste, 513.

    Gurke, 334, 725.


    Hafer, 37.

    Hagebutten, 99.

    Handmühle, 16.

    Hanf, indischer, 647.

    Haschisch, 647.

    Haselnuß, 228.

    Hefepilze, 685.

    ~Hemileia vastatrix~, 471.

    Hibiscus, 285.

    Hirse, 40.

    Holunder, 100.

    Honig, 436, 597.

    Hopfen, 542, 604.

    ~Hordeum vulgare~, 26.

    ~Humulus lupulus~, 542.

    ~Hyphaene thebaica~, 190.


    ~Ilex paraguayensis~, 495.

    Ingwer, 555, 557.

    Icacopflaume, 213.

    ~Ipomaea batatas~, 360.

    Italien als Waldland, 85.


    ~Jambosa malaccensis~, 199.

    Johannisbrotbaum, 231.

    ~Jubaea spectabilis~, 188.

    ~Juglans regia~, 224.


    Kaffee, 454.

    Kakao, 500.

    Kakaobutter, 425.

    Kakibaum, 209.

    Kalabassenbaum, 344.

    Kalmuswurzel, 563.

    Kapern, 536.

    Kaprifikation, 138.

    Kardamomen, 553.

    Karnaubapalme, 428.

    Kartoffel, 372.

    Kartoffelkrankheiten, 380.

    Käse, 719.

    Kassia, 568.

    Kastanie, 216.

    Katappabaum, 235.

    Katstrauch, 474.

    Kawa, 642.

    Kelter, 125.

    Kerzen, 431.

    Kichererbse, 263.

    ~Kigelia africana~, 206.

    Kirsche, 103.

    Kitulpalme, 183.

    Knoblauch, 318.

    Kohl, 297.

    Kohlrabi, 302.

    Kokastrauch, 662.

    Kokospalme, 167.

    Kolabaum, 206.

    Kolbenhirse, 41.

    Koloradokäfer, 381.

    Korakan, 48.

    Körbelkraut, 314.

    Koriander, 550.

    Korinthen, 626.

    Kornelkirsche, 166.

    Kostwurz, 562.

    Kresse, 312.

    Krotonöl, 416.

    Kugelweizen, 20.

    Kümmel, 546.

    Kumys, 714.

    Kürbis, 345.

    Kurkuma, 556.


    ~Lagenaria vulgaris~, 342.

    Lampen, 434.

    Lattich, 308.

    Lauch, 316.

    Leberwurstbaum, 206.

    Liberiakaffee, 465.

    Linse, 268.

    ~Lodoicea seychellarum~, 189.

    Lotos, 350.

    Luffa, 344.

    Lupine, 267.


    Macahubapalme, 186.

    Macis, 582.

    Mais, 63.

    Mammeibaum, 213.

    Mandel, 116.

    -- indische, 200.

    Mandelöl, 424.

    Mangobaum, 200.

    Mangold, 296.

    Mangostane, 199.

    Manihot, 357.

    Mannaflechte, 398.

    Mannaesche, 437.

    Mate, 495.

    Maulbeerbaum, schwarzer, 126.

    -- weißer, 128.

    Maulbeerfeige, 126.

    ~Mauritia vinifera~, 188.

    Meerrettich, 293.

    Melone, 337.

    ~Mespilus germanica~, 97.

    Met, 597, 703.

    ~Metroxylon rumphii~, 181.

    Mirabelle, 109.

    Milchsäure, 717.

    Mispel, 97.

    -- japanische, 98.

    Mohn, 651.

    Mohnöl, 419.

    Mohrenhirse, 44, 439.

    Mohrrübe, 286.

    Morphin, 660.

    ~Morus nigra~, 126.

    -- ~alba~, 128.

    Moschushibiscus, 201.

    Mühlen, 17.

    Mumienweizen, 10.

    Mungobohne, 283.

    ~Musa paradisiaca~, 192.

    Muskatnuß, 579.

    ~Myristica fragrans~, 580.


    Negerhirse, 44, 48.

    Nelkenzimt, 593.

    ~Nelumbium speciosum~, 350.


    Okulieren, 87.

    Ölbaum, 142.

    Ölpalme, 172.

    ~Oenocarpus bacaba~, 187.

    ~Olea americana~, 153.

    -- ~europaea~, 142.

    Olive, 142.

    Olivenöl, 147.

    Opium, 651.

    Opuntie, 639.

    Orange, 250.

    ~Oryza sativa~, 52.


    Palmyrapalme, 183.

    Palmzucker, 183.

    ~Panicum italicum~, 41.

    -- ~miliaceum~, 40.

    Papai, 211.

    ~Papaver somniferum~, 651.

    Paprika, 533.

    Papyrus, 352.

    Paraguaytee, 495.

    Pastinak, 286.

    Pellagra, 66.

    ~Pennisetum spicatum~, 44.

    Petersilie, 314.

    Petroleum, 434.

    Pfefferrebe, 521.

    Pflaume, 107.

    Pfropfen, 87.

    ~Phaseolus vulgaris~, 279.

    -- ~lunatus~, 284.

    -- ~mungo~, 283.

    ~Phoenix dactylifera~, 156.

    ~Phylloxera vastatrix~, 636.

    ~Phytelephas macrocarpa~, 176.

    Pimentbaum, 594.

    ~Pimpinella anisum~, 551.

    Piniennüsse, 236.

    ~Piper betle~, 532.

    -- ~cubeba~, 531.

    -- ~nigrum~, 521.

    ~Pirus communis~, 80.

    -- ~malus~, 72.

    Pisang, 191.

    Pistazie, 229.

    ~Pisum arvense~, 261.

    -- ~sativum~, 260.

    Porree, 322.

    Prunus-Arten, 102 ff.

    ~Psidium guajava~, 214.

    ~Pulque~, 638.

    -- ~de mahiz~, 68.

    ~Punica granatum~, 93.


    Quitte, 91.


    Radieschen, 292.

    ~Raphanus sativus~, 290.

    ~Raphia vinifera~, 176.

    Raps, 421.

    Reblaus, 635.

    Reineclaude, 110.

    Reis, 52.

    Rettich, 290.

    Rispenhirse, 40.

    Rizinus, 415.

    Roggen, 35.

    Rosenäpfel, 199.

    Rosinen, 125.

    Rostpilz (des Kaffees), 471.

    Rotdorn, 99.

    Rübe, gelbe, 288.

    -- weiße, 294.

    Rübenzucker, 449.

    Runkelrübe, 449.


    ~Saccharum officinale~, 441.

    Safran, 537.

    Sagopalme, 180.

    ~Sambucus nigra~, 100.

    Saubohne, 271.

    Sauerkirsche, 106.

    Sauerkraut, 301, 725.

    Sawah, 61.

    Schalotte, 322.

    Scherbet, 101.

    Schibutter, 404.

    Schimmel, 722.

    Schlehe, 102.

    Schokolade, 507.

    ~Secale cereale~, 35.

    Seife, 429.

    Sellerie, 313.

    Senf, 534.

    Sesam, 400.

    Seychellenpalme, 189.

    Shoju, 283.

    Silphium, 315.

    ~Sinapis alba~, 534.

    -- ~nigra~, 534.

    Sojabohne, 282.

    ~Solanum tuberosum~, 372.

    Somatrank, 644.

    ~Sorbus aucuparia~, 98.

    -- ~domestica~, 98.

    Sorghum, 44, 439.

    Spargel, 326.

    Spelt, 20.

    Spierling, 98.

    Spinat, 306.

    Stearin, 432.

    Steinnußpalme, 176.

    Steinpilz, 394.

    Sternanis, 552.

    Sternapfelbaum, 214.

    Stinkbrand, 13.

    Sumach, 426.

    Süßkirsche, 103.

    Sykomore, 126, 140.


    Tabak, 665.

    Tahitinüsse, 178.

    Talipotpalme, 183.

    Tamarinde, 207.

    ~Tamarix mannifera~, 437.

    Tapioka, 359.

    Taro, 368.

    Tee, 475.

    Tef, 48.

    ~Theobroma cacao~, 500.

    Tomate, 347.

    Traube, 124.

    ~Triticum dicoccum~, 24.

    -- ~spelta~, 21.

    -- ~vulgare~, 5.

    Trüffel, 387.

    Tschakfruchtbaum, 204.

    Tuscarora-Reis, 53.

    ~Tylenchus scandens~, 14.


    Vanille, 517.

    Vicia, 268.

    ~Vitis vinifera~, 118.

    ~Voandzia~, 414.


    Wachspalme, 427.

    Wald, 85.

    Walnuß, 224.

    Wassermelone, 339.

    Weichselkirsche, 106.

    Wein, 607.

    Weinpalme, 176, 187.

    Weinbereitung, 708.

    Weinrebe, 118.

    Weißdorn, 99.

    Weizen, 5.

    Weizenälchen, 14.

    Wermut, 544.

    Würzweine, 627.


    Yams, 363.


    ~Zea mais~, 63.

    Zichorie, 310.

    Zimt, 565.

    Zitronatzitrone, 238.

    Zitrone, 245, 246.

    ~Zingiber officinale~, 557.

    Zuckerahorn, 438.

    Zuckerhirse, 47, 439.

    Zuckerpalme, 185.

    Zuckerrohr, 441.

    Zuckerwurzel, 289.

    Zwergpalme, 155, 198.

    Zwergweizen, 20.

    Zwetsche, 107.

    Zwiebel, 317, 320.



Verlag von Ernst Reinhardt in München

Auf der Weltausstellung 1910 in Brüssel mit dem „Großen Preis“
ausgezeichnet

    Vom Nebelfleck
    zum Menschen

    Eine gemeinverständliche Entwicklungsgeschichte des Naturganzen
    nach den +neuesten Forschungsergebnissen+ von

    =~Dr.~ Ludwig Reinhardt=

    4 starke Bände in eleg. Lwd. von zusammen 3000 Seiten mit über 1600
    Illustrationen im Text und gegen 80 Tafeln und Karten

    Preis M. 37.50

    :: :: :: Jeder Band ist in sich abgeschlossen und
                                               einzeln käuflich :: :: ::


    Bd. I: =Die Geschichte der Erde.= Mit 194 Abbildungen im Text,
    17 Volltafeln und 3 geologischen Profiltafeln, nebst farbigem
    Titelbild von +A. Marcks+. 600 Seiten Gr.-8^o. In elegantem
    Leinwandband =Preis M. 8.50=. (Erscheint soeben in zweiter
    verbesserter und vermehrter Auflage.)

    +Inhaltsverzeichnis+:

    I. Wie das Weltbild entstand. II. Die Sternenwelt. III. Unser
    Sonnensystem. IV. Die Erde und der Mond. V. Die Kometen und
    Meteore. VI. Die Erstarrungsgesteine der Erde. VII. Der
    Vulkanismus. VIII. Die Schichtgesteine. IX. Die Gebirgsbildung.
    X. Wasser und Land. XI. Der Kreislauf des Wassers. XII. Die
    Verwitterung der Erdoberfläche. XIII. Die Abtragung des Festlandes.


    Bd. II: =Das Leben der Erde.= Mit 380 Abbildungen, 21 Tafeln, 2
    Stammbäumen und farbigem Titelbild nach Aquarell von Prof. +Ernst
    Haeckel+. 650 Seiten Gr.-8^o. In elegantem Leinwandband =Preis M.
    8.50=.

    +Inhaltsverzeichnis+:

    I. Das Leben und seine Entstehung. II. Die Entfaltung des Lebens.
    III. Die Erscheinungen des Lebens. IV. Die Funktionen des Lebens.
    V. Die Entwicklung des Lebens. VI. Die Ausbildung der Tiere.
    VII. Die Ausbildung der Pflanzen. VIII. Das Ende des Lebens.
    IX. Der Schutz des Lebens. X. Die Abstammungslehre. XI. Über
    Symbiose. XII. Vergesellschaftungen von Tieren und Pflanzen. XIII.
    Pflanzengenossenschaften. XIV. Schmarotzertum.


    Bd. III: =Die Geschichte des Lebens der Erde.= Mit 424
    Abbildungen, 18 Tafeln, 7 Stammbäumen und farbigem Titelbild von
    L. +Müller-Mainz+. 560 Seiten Gr.-8^o. In elegantem Leinwandband.
    =Preis M. 8.50=.

    +Inhaltsverzeichnis+:

    I. Einführung in die Palaeontologie. II. Die ältesten
    fossilführenden Ablagerungen. III. Die frühpalaeozoischen
    Organismen. IV. Die Tierentwicklung während der Silurzeit. V. Die
    Entfaltung der höchsten Weichtiere. VI. Die ersten Besiedler des
    Festlandes. VII. Das Aufkommen der Wirbeltiere. VIII. Die Devon-
    und Kohlenformation. IX. Das Zeitalter der Amphibien. X. Die
    Triasformation. XI. Die Juraformation. XII. Die Kreideformation.
    XIII. Die Tertiärformation. XIV. Das Pleistocän.


    Bd. IV: =Der Mensch zur Eiszeit in Europa und seine
    Kulturentwicklung bis zum Ende der Steinzeit.= 2. +stark
    verbesserte und vermehrte Auflage+ (3.-7. Tausend). Mit 535
    Abbildungen, 20 Volltafeln und farbigem Umschlag von +A. Thomann+.
    950 Seiten Gr.-8^o. In elegantem Leinwandband =Preis M. 12=.--.

    +Inhaltsverzeichnis+:

    I. Der Mensch zur Tertiärzeit. II. Die Eiszeit und ihre
    geologischen Wirkungen. III. Der Mensch während der ersten
    Zwischeneiszeiten. IV. Der Mensch der letzten Zwischeneiszeit. V.
    Der Mensch der frühen Nacheiszeit. VI. Die Übergangsperiode von
    der älteren zur jüngeren Steinzeit. VII. Die jüngere Steinzeit
    und ihre materiellen Kulturerwerbungen. VIII. Die Germanen als
    Träger der megalithischen Kultur. IX. Die Entwicklung der geistigen
    Kultur am Ende der Steinzeit. X. Steinzeitmenschen der Gegenwart.
    XI. Niederschläge aus alter Zeit in Sitten und Anschauungen der
    geschichtlichen Europäer.


Urteile der Presse:

    =Geologisches Zentralblatt=: „Unstreitig das Beste, was über diesen
    Gegenstand vorhanden ist.“

    =Frankfurter Zeitung=: „Das Buch ist das beste
    allgemeinverständliche Werk, welches unsere Erde und ihre
    Geschichte behandelt. Seit Neumayrs Zeiten ist keine so
    sympathische Behandlung des spröden Stoffes mehr erschienen.
    Besonders Volksbibliotheken werden einen großen Leserkreis mit
    den Reinhardtschen Büchern anlocken können, und wenn erst das
    dritte Buch des Verfassers erschienen sein wird, auf welches
    ich mich schon jetzt freue, dann werden wir eine populäre
    Entwicklungsgeschichte der Erde und des Lebens besitzen, die für
    jeden nachdenkenden Menschen eine Quelle des Genusses und der
    Freude sein wird.“

    =Die Zeit=: „Ein angenehm geschriebenes Werk... eine
    empfehlenswerte, anschauliche Darstellung, die auch die Lücken
    unseres Wissens nicht allzusehr verschließt -- bekanntlich eine
    Hauptgefahr für populäre Werke.“

    =Gaea=: „Die vorzügliche wissenschaftliche und doch interessante
    Form der Darstellung werden demselben zahlreiche Freunde erwerben.“

    =Allgemeine Zeitung=: „Ein die weitesten Kreise interessierender
    Stoff, fesselnde, leicht verständliche Schreibweise, gepaart mit
    hohem wissenschaftlichem Ernst und umfassendem Wissen sind die
    charakteristischen Merkmale des Werkes, mit dem uns ~Dr.~ L.
    Reinhardt beschert hat. Er hat es verstanden, die in zahlreichen
    Zeitschriften und Monographien zerstreuten Ergebnisse der Forschung
    zu einem überzeugenden einheitlichen Bilde streng kritisch zu
    vereinigen.“



Fußnoten:

[A] Letztere bezeichnet der berühmte griechische Arzt Claudius Galenos
(geb. 131 n. Chr. in Pergamon, praktizierte daselbst, dann in Rom, wo
er ums Jahr 200 starb) als weich, saftig, süß; von ihnen wachsen die
besten Sorten in Syrien bei Jericho.

[B] Diesen Namen erklärt uns später der ums Jahr 200 n. Chr. in
Alexandrien und Rom lebende griechische Grammatiker Athenaios aus
Naukratis in Ägypten im 14. Buch seines Werkes, Deipnosophistai, indem
er schreibt: „Die Datteln, welche jetzt den Namen Nikolaen tragen und
aus Syrien kommen, haben diesen Namen dem Kaiser Augustus zu verdanken.
Er aß sie nämlich außerordentlich gern, und sie wurden ihm von seinem
Freunde Nikolaos, der aus Damaskus stammte, regelmäßig zugeschickt.
Dieser Nikolaos war ein stoischer Philosoph und schrieb ein dickes
Geschichtswerk.“

[C] Es ist dies der zweite Band der in demselben Verlage erschienenen
vierbändigen gemeinverständlichen Entwicklungsgeschichte des
Naturganzen nach den neuesten Forschungsergebnissen: +Vom Nebelfleck
zum Menschen+, betitelt: +Das Leben der Erde+, mit 380 Abbildungen und
21 Vollbildern, München 1908.





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Kulturgeschichte der Nutzpflanzen, Band IV, 1. Hälfte" ***

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