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Title: Über den Bildungstrieb
Author: Blumenbach, Johann Friedrich
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Über den Bildungstrieb" ***


by the Universitätsbibliothek Tübingen
(http://idb.ub.uni-tuebingen.de/digitue/tue/).



  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

    Der vorliegende Text wurde anhand der 1789 erschienenen Buchausgabe
    so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
    Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Rechtschreibung
    weicht teilweise stark von den heutigen Gewohnheiten ab; dennoch
    wurde die Original-Schreibweise beibehalten, solange der Text
    dadurch nicht missverständlich wird.

    Umlaute in Großbuchstaben (Ä, Ö, Ü) werden im Text als deren
    Umschreibungen (Ae, Oe, Ue) dargestellt. Die Fußnoten wurden der
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    versetzt.

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    Sonderzeichen gekennzeichnet:

        kursiv: _Unterstriche_
        gesperrt: +Pluszeichen+
        Kapitälchen: ~Tilden~

    Caretsymbole (^) stehen für hochgestellten Text; mehrere
    hochgestellte Zeichen werden dabei durch eine geschweifte Klammer
    zusammengefasst, z. B. 13^{ten}.

  ####################################################################



                               Ueber den

                            Bildungstrieb.



                          Joh. Fr. Blumenbach

               Prof. zu Gött. und Kön. Großbrit. Hofrath


                               über den

                            Bildungstrieb.

                            [Illustration]


                               Göttingen

                   +bey Johann Christian Dieterich.+

                                 1789.



Ich habe seit der Zeit, da ich den ersten Aufsatz über den
Bildungstrieb im Göttingischen Magazin bekannt gemacht, keine
Gelegenheit versäumt, diesen Gegenstand durch Beobachtungen und
Nachdenken weiter zu verfolgen und in helleres Licht zu setzen, glaube
auch alles Wichtige gelesen, geprüft und benutzt zu haben, was von
andern seitdem für oder wider denselben in Schriften geäusert worden,
und habe gesucht den Kern aus dem, was ich schon davon bekannt
gemacht, und die Resultate meiner fernern zeitherigen Untersuchungen
darüber, in diesen Blättern zusammen zu fassen: und sie bey diesen
wesentlichen Vorzügen auch gleich im Aeusern von den vorigen unreifern
Ausgaben gänzlich auszuzeichnen. Göttingen, den 28ten Jan. 1789.



_Deutung der Kupfer-Verzierungen._


1. Auf dem Titel, eine Brüt-Henne als Symbol des Bildungstriebes im
Thierreich.

2. Auf der Anfangsleiste S. 1. ein aufkeimend Saamenkorn als Bild
dieses Triebes im Gewächsreich. Nach einer alten silbernen Münze von
Reggio in Calabrien beym ~Goltz~.

3. Am Schluß S. 108. eine anständige und doch wie Naturkenner
wissen, sehr bedeutungsvolle Vorstellung des Genusses, der dann den
Bildungstrieb zur Folge hat.



[Illustration]



Erster Abschnitt.


    _Von den verschiednen Wegen die man eingeschlagen hat, zu einigem
    Aufschluß über das Zeugungsgeschäfte zu gelangen._

Was geht im Innern eines Geschöpfes vor, wenn es sich der süßesten
aller Regungen überlassen hat, und nun von einem zweyten befruchtet
einem dritten das Leben geben soll?

Nicht leicht wird eine Frage dieser Art genannt werden können, die so
allgemein und so zu allen Zeiten die heiße Neugierde des Menschen,
gereizt haben muß, als eben diese. Denn so abentheuerlich es auch sonst
scheint, die Betrachtungen und Reflexionen des ersten Menschenpaars
bestimmen zu wollen, so natürlich bleibt doch die Voraussetzung,
daß dieses uns allen eben durch die Befolgung jenes süßesten
unwiderstehlichsten Triebes so wichtig gewordne Paar sehr bald erst zum
Staunen und dann zum Nachsinnen gekommen seyn mag, wie es allgemach
bemerkte, was dieselbe für eine große Wirkung -- eine gleichsam
wiederholte Schöpfung -- nach sich ziehe. So geläufig ihm aber gar bald
diese Erfahrung werden mußte, so sehr demüthigt es das menschliche
Wissen, daß die Urenkel jenes Paars nach so langen Jahrtausenden
über die _Erklärung_ dieser Erfahrung noch so weniges befriedigendes
Licht haben verbreiten können, ungeachtet dieselbe in der Folge gar
bald der allgemeinste Gegenstand für Untersuchung der nachdenkenden
Köpfe geworden zu seyn scheint. Wenigstens betrifft das was noch
von Bruchstücken physiologischer Lehren und Meinungen der ältesten
Weltweisen und Aerzte[1] bey spätern Schriftstellern aufbewahrt
worden, großentheils Untersuchungen über das Geheimnis der Zeugung:
und seitdem vollends ist in der Litterargeschichte der Philosophie und
Arzneywissenschaft keine Periode, worin sich nicht immer andre Männer
auf die weitere Verfolgung derselben eingelassen haben sollten.

Selbst in den düstern Jahrhunderten des mittlern Zeitalters, wo sonst
aller übrige Forschungsgeist im tiefen Schlummer der Mönchsbarbarey
versenkt lag, wachte doch immer die rege Neugierde über diesen
Gegenstand, so daß uns von den geistlichen Herren jener Zeit noch
manche sehr fleischlich abgefaßte Bücher übrig sind[2], die zum Beweise
dienen, wie sehr sie sich auch die Theorie desselben haben angelegen
seyn lassen.

Kein Wunder also, daß sich auch die Generations-Systeme, die Versuche
das große Problem zu lösen, nach und nach fast ins Unendliche
mehrten, und kein Zugang unbetreten blieb, wenn man nur irgend wähnen
konnte, daß er zu einem Aufschluß hierüber führen werde, so daß dann
freylich auch der offenbarsten Irrwege in keinem andern Felde der
Naturwissenschaft so viele geworden sind, als eben hier.

Schon ~Boerhaave’s~ Lehrer, ~Drelincourt~, hat allein
262 grundlose Hypothesen über das Zeugungsgeschäfte aus den Schriften
seiner Vorgänger zusammen gestellt, -- und nichts ist gewisser, als daß
sein eignes System die 263^{te} ausmacht.

Inzwischen lassen sich doch diese unzählig-scheinenden Pfade die
man sich zu bahnen versucht hat, um zur Lösung dieses größten aller
physiologischen Räthsel zu gelangen, am Ende alle auf zwey Hauptwege
hinausführen, die neuerlich unter den Namen der Evolution und der
Epigenese allgemein bekannt worden.

Entweder nemlich man nimmt an, daß der reife, übrigens aber rohe
ungeformte Zeugungsstoff der Eltern, wenn er zu seiner Zeit und unter
den erforderlichen Umständen an den Ort seiner Bestimmung gelangt,
dann zum neuen Geschöpfe allmälig ausgebildet werde. Dieß lehrt die
Epigenese.

Oder aber man verwirft alle Zeugung in der Welt, und glaubt dagegen,
daß zu allen Menschen und Thieren und Pflanzen, die je gelebt haben
und noch leben werden, _die Keime_ gleich bey der ersten Schöpfung
erschaffen worden, so daß sich nun eine Generation nach der andern blos
zu _entwickeln_ braucht. Deshalb heißt dieß die Lehre der Evolution.

Allein die Art und Weise dieser Evolution selbst, hat man wieder durch
sehr verschiedne Theorien zu erklären versucht.

~Heraclit~ nemlich (mit dem Zunamen, _der Düstere_) und ~Hippocrates~
oder wer sonst der Verfasser der unter des letztern Werken befindlichen
Bücher von der Lebensordnung seyn mag, meinten, so wie manche
ihrer neuern Nachfolger, diese Keime seyen auf und in der ganzen
Erde verbreitet, wo sie so lange umherschwärmten, bis jeder die
Zeugungstheile eines seiner schon entwickelten Brüder von seiner Art
anträfe, in ihnen gleichsam Wurzel schlagen, seine bisherige Hülle
abwerfen, und nun selbst zur Entwickelung gelangen könne.

Diese Theorie hat aber außer dem (hier freylich am wenigsten
blendenden) Ansehen des ~Hippocrates~ so schlechterdings nichts
vor sich, sondern ist so ganz blos aus den abentheuerlichsten
willkührlichsten Voraussetzungen aufgebaut, daß man nicht absieht,
was für irgend eine Hypothese man sich als unwahrscheinlich versagen
dürfte, wenn man sich eine solche, wie diese sogenannte _Panspermie_,
erlauben wollte. -- Auch entschuldigt unser sel. ~Gesner~ den Aufwand
von Gelehrsamkeit, womit er diesen Roman beym ~Hippocrates~ commentirt
hat, blos mit dem Bonmot der Königin ~Christina~: daß die Grillen der
Alten immer doch eben soviel werth seyen, als die Grillen der Neuern.

Mehr Beyfall haben zwey andere Evolutionstheorien erhalten, nach
welchen beiden die Keime nicht umherschwärmen, sondern fein ruhig in
einander geschachtelt und bey der ersten Schöpfung gleich in die
ersten Stammeltern gelegt seyn sollten, so daß nun eine Generation
derselben nach der andern durch die Paarung oder Befruchtung zur
Entwickelung gelange. Der Unterschied zwischen beiden Theorien war blos
der, daß diese Keime nach der einen beym Vater, nach der andern aber
bey der Mutter liegen sollten.

Wie nemlich im vorigen Jahrhundert die Vergrößerungsgläser
erfunden waren, und sich hiedurch Aussichten in eine neue Welt von
microscopischen Geschöpfen öffneten, so war bey der Neuheit dieser
Erfindung und der Leichtigkeit ihres Gebrauchs nichts natürlicher als
daß man nun aufs gerathewohl tausenderley Objecte unters Microscop
brachte, das so sehr mannichfaltige große Ueberraschungen gewährte.
So besah auch unter andern ein junger Danziger ~Ludw. von Hammen~,
der damals in Leiden Medicin studirte im Aug. 1677 einen Tropfen
männlichen Saamen von einem Hahn, den er eben geöffnet hatte, unter
seinem Glas, und erstaunte diesen Tropfen als einen Ocean zu erblicken,
der von unzähligen flinken, raschen kleinen Thierchen belebt war.
Diese unerwartete Erfahrung bestätigte sich im reifen Saamen anderer
männlichen Thiere, und nun glaubte man in diesen Saamenwürmchen die
Keime zu künftigen vollkommnen Geschöpfen und mit ihnen folglich auch
den Schlüssel zum Geheimnis der Zeugung gefunden zu haben. Nun begreife
ich zwar nicht wie Naturforscher und Physiologen von Profession den
Saamenthierchen die willkührliche Bewegung und überhaupt die Animalität
haben absprechen können: aber noch weit unbegreiflicher ist es, wie
andre Männer diese in einem stagnirenden thierischen Safte, (so wie
ähnliche Infusionsthierchen in andern Säften) zu erwartenden Würmchen
zu beseelten Keimen künftiger Menschen und Thiere haben hinaufwürdigen
und erheben dürfen.

Ohne die längst bekannten, aber nie nur leidlich gehobnen Zweifel
zu wiederholen, die sich gegen eine so seltsame Behauptung empören,
so begnüge ich mich hier nur einige wenige Bedenklichkeiten
hinzuzusetzen, die doch auch ungelehrten Lesern diese vorgegebne Würde
der Saamenthierchen sehr verdächtig machen müssen. So z. B. daß die
Würmchen im Saamen der nächstverwandten Thiere in ihrer Bildung so
gänzlich von einander verschieden, und andre, von den unähnlichsten
Thieren einander so auffallend ähnlich sind! Es kan kaum eine
größere Unähnlichkeit geben, als die zwischen den Saamenthierchen
des Frosches beym Hrn. ~von Gleichen~ und denen vom Wassermolch
bey Hrn. ~Spallanzani~. Hingegen kan die Aehnlichkeit zwischen
zwey Wassertropfen nicht täuschender seyn, als die zwischen den
Saamenthierchen des Menschen und des Esels in den Kupfern des erstern
von jenen beiden Beobachtern.

Eben dieser neuerliche, und hoffentlich letzte Verfechter jener Würde
der Saamenthierchen, hat beym Frosche gar zweyerley Arten dieser
Würmchen zugleich im gleichen Tropfen gesehen -- und doch sind wiederum
beide von derjenigen Gattung die ~Rösel~ im Froschsaamen gesehen,
gleich weit verschieden! und jene haben sich noch dazu in den Nieren
so gut, wie in den Saamenbläsgen gefunden etc.

Lauter Erscheinungen, die die zufällige Unbestimtheit dieser fremden
_Gäste_ des männlichen Saamens so sehr erweisen, und die ihnen
aufgedrungene Würde so ganz vernichten, daß man wenigstens eben
so leicht hoffen darf mit dem sittsamen ~Paracelsus~[3] und dem
Mahler ~Gautier~[4] aus bloßem männlichen Saamen einen vollkommnen
menschlichen Embryo hervorzubringen, als ihn mit dem berühmten
Academisten ~Hartzoeker~[5] in jedem menschlichen Saamenthierchen
völlig schon so wie nachher im Mutterleibe krumm zusammen gebogen
sitzen zu sehen.

Schon vor Entdeckung der Saamenthierchen hatte ein sonst wenig
bekannter Mann ~Joseph de Aromatariis~ einen dritten Weg eingeschlagen,
das Zeugungsgeschäfte durch Evolution zu erklären, denjenigen nemlich,
der auf die vorgeblichen im mütterlichen Eyerstock längst vor der
Empfängnis zur Entwickelung vorräthig liegenden präformirten Keime
hinausläuft. Auch ~Swammerdam~ hat ihn betreten, doch blieb er im
ganzen, vollends seit nun die Saamenwürmchen das große Aufsehn machten,
wenig besucht, bis er mit einem Male in neuern Zeiten durch die
Bemühungen der großen Männer ~Haller~ und ~Bonnet~ am gangbarsten von
allen gemacht ward.

Nach _dieser_ Evolutionstheorie haben wir, so wie das ganze
Menschengeschlecht in den beiden Eyerstöcken unserer ersten
Stamm-Mutter in einander geschachtelt und wie im tiefsten Todesschlaf
versenkt beysammen gelegen. Zwar sehr im Kleinen, als Keime, aber,
versteht sich, als präformirte, völlig ausgebildete Miniaturen. Denn,
sagt Hr. ~v. Haller~, „_alle Eingeweide und die Knochen selbst waren
schon vorhero gebaut gegenwärtig, obgleich in einem fast flüssigen
Zustande_.“ Was man Empfängnis nennt, ist nichts als das Erwachen des
schlaftrunknen Keims durch den Reiz des auf ihn wirkenden männlichen
Saamens, der sein Herzchen zum ersten Schlage antreibt u. s. w. Auch
hat uns daher vor Kurzem einer der neuesten Verfechter dieser Theorie,
ein berühmter Genfer Naturforscher, mit nichts geringerm, als einem
Entwurf der Geschichte der organisirten Körper _vor ihrer Befruchtung_,
beschenkt, und uns darin belehrt, daß wir 1) alle weit älter sind als
wir geglaubt hatten; daß 2) alle Menschen in der Welt von gleichem
Alter sind, der Großvater nicht um einen Tag älter als sein neugeborner
Enkel etc. und daß sich 3) dieses ehrwürdige Alter aller Menschen, die
gegenwärtig auf dem Erdenrund leben, nahe gegen 6000 Jahre erstreckt.
-- Auch tritt er ganz der Meinung bey, die schon ~Bazin~ behauptet,
daß wir seit der lieben langen Zeit da wir mit Cain und Abel und den
200,000 Millionen übrigen Menschen zusammen steckten, die der gemeinen
Rechnung nach, seitdem vor uns dahin gegangen sind _quo pius Aeneas
quo Tullus diues et Ancus_, kurz seit der ersten Schöpfung, zwar
_incognito_ und schlaftrunken, aber doch nicht ganz ohne Bewegung brach
gelegen haben, und daß wir während der 57 Jahrhunderte eh uns die Reihe
traf, daß wir durch den oberwähnten Reiz entwickelt wurden, doch immer
nach und nach sachte gewachsen sind: wir konnten uns nemlich bey Cains
Schwester schon ein bißgen mehr ausdehnen, als bey ihrer Mutter, wo
sie selbst nebst ihren Geschwistern noch bey uns lag und uns den Raum
beengte; und so kriegten wir mit jeder neuen Entwickelung eines unsrer
Vorfahren ein geräumiger Logis, und das that uns wohl, da streckten wir
uns immer mehr und mehr, bis endlich die Reihe der Entwickelung auch an
uns kam!

So abentheuerlich romanhaft diese letztern Behauptungen scheinen
mögen, so fließen sie doch im Grunde ziemlich natürlich aus den
Grundsätzen jener Theorie. Für diese Grundsätze selbst aber führten
die Verfechter derselben, Hr. ~von Haller~, Hr. ~Spallanzani~ etc.
Erfahrungen und Beobachtungen an, die wir im nächsten Abschnitt näher
beleuchten werden, die aber auf den ersten Blick so einleuchtend und
entscheidend scheinen, daß sich der allgemeine Beyfall doch ganz wohl
begreifen läßt, womit, zumal in den letztern 30 Jahren, die Präexistenz
der präformirten Keime im weiblichen Eye lange vor ihrer Befruchtung
und Entwickelung, aufgenommen wurde. Auch ich habe ihr vorhin
beygepflichtet, habe sie gelehrt und in mehreren Schriften vertheidigt,
so daß in so fern hier diese Blätter das Geständnis eigner Irthümer
enthalten, denen ich nichts mehr wünsche, als was Hr. ~de Luc~ irgendwo
sagt: „ein verbesserter Irthum wird oft zu einer ungleich wichtigern
Wahrheit, als manche positive Wahrheiten, die unmittelbar als solche
anerkannt worden.“

Der unerwartete Erfolg eines kleinen Versuchs den ich doch recht in der
Absicht angestellt hatte, um die Richtigkeit jener Evolutionstheorie
und den Ungrund der allmäligen Bildung zu erweisen, brachte mich erst
zum Scheideweg zurück und öffnete mir bald eine neue der vorigen sehr
entgegengesetzte Bahn. Wer so wieder die Natur kämpft, dem geht’s doch
leicht bey einem unversehenen Blick in ihre enthülltern Reize, wie
dort dem Menelaus, da er ausgegangen war sein Schwerd gegen Helena zu
zucken: kaum sah sein Auge den Busen den er durchbohren wollte, so
sank sein gewaffneter Arm, und es war nun nicht um sie, sondern um ihn
geschehen[6].

Der Anlaß zu jenem Versuch war der: Ich fand, da ich einige Ferientage
auf dem Lande zubrachte, in einem Mühlbache eine Art grüner Armpolypen,
die sich durch einen langgestreckten spindelförmigen Körper, und kurze
meist steife Arme von der gemeinen grünen Gattung auszeichneten, und
mit deren Wundern ich meiner Gesellschaft einen Theil ihrer Zeit
vertreiben sollte. Theils das warme trockne Sommerwetter, noch mehr
aber die dauerhafte Constitution dieser Polypen begünstigte die
bekannten Reproductionsversuche die wir damit anstellten so, daß die
Wiederersetzung gleichsam zusehends von statten zu gehen schien. Schon
den zweyten, dritten Tag waren den verstümmelten Thieren wieder Arme,
Schwänze u. s. w. angewachsen; nur bemerkten wir immer sehr deutlich,
daß die neuergänzten Polypen bey allem reichlichen Futter, doch weit
_kleiner_ als vorher waren: und ein verstümmelter Rumpf, so wie er die
verlornen Theile wieder hervortrieb, auch im gleichen Maaße, recht
sichtlich einzukriechen, und kürzer und dünner zu werden schien
u. s. w.[7]

Einige Zeit nachdem ich wieder zur Stadt gekommen war, mußte ich einen
Menschen besuchen, der schon lange am Winddorn krank gelegen hatte.
Der Schade war über dem Knie, und offen, und auch die weichen Theile
zu einer tiefen Grube ausgeeitert. Es besserte sich nachher, aber so
wie die Lücke im Fleisch nach und nach wieder mit plastischer Lymphe
zur Narbe angefüllt wurde, so senkte sich auch[8] das benachbarte
gesunde Fleisch im gleichen Grade allgemach nieder, schien gleichsam
zu schwinden, so daß endlich die Narbe in der Grube und das Fleisch
am Rande derselben wieder fast gleich standen, und jene nur noch eine
breite aber ziemlich flache Delle machten. Also _mutatis mutandis_ der
gleiche Fall, wie bey meinen grünen Armpolypen aus dem Mühlgraben.

Ich habe seit der Zeit einen großen Theil meiner Muße auf die weitere
Prüfung und Untersuchung dieser damaligen Erfahrungen verwandt, und
alles was ich darin durch Beobachten und Nachdenken gelernt habe, führt
mich am Ende zu der Ueberzeugung:

    _Daß keine präformirten Keime präexistiren: sondern daß in dem
    vorher rohen ungebildeten Zeugungsstoff der organisirten Körper
    nachdem er zu seiner Reife und an den Ort seiner Bestimmung gelangt
    ist, ein besonderer, dann lebenslang thätiger Trieb rege wird, ihre
    bestimmte Gestalt anfangs anzunehmen, dann lebenslang zu erhalten,
    und wenn sie ja etwa verstümmelt worden, wo möglich wieder
    herzustellen._

    _Ein Trieb, der folglich zu den Lebenskräften gehört, der aber
    eben so deutlich von den übrigen Arten der Lebenskraft der
    organisirten Körper (der Contractilität, Irritabilität, Sensilität
    etc.) als von den allgemeinen physischen Kräften der Körper
    überhaupt, verschieden ist; der die erste wichtigste Kraft zu aller
    Zeugung, Ernährung, und Reproduction zu seyn scheint, und den man
    um ihn von andern Lebenskräften zu unterscheiden, mit dem Namen
    des_ Bildungstriebes (nisus formatiuus) _bezeichnen kan._

Hoffentlich ist für die mehresten Leser die Erinnerung sehr
überflüssig, daß _das Wort_ Bildungstrieb, so gut, wie _die Worte_
Attraction[9], Schwere etc. zu nichts mehr und nichts weniger dienen
soll, als eine Kraft zu bezeichnen, deren constante Wirkung aus der
Erfahrung anerkannt worden, deren _Ursache_ aber so gut wie die Ursache
der genannten, noch so allgemein anerkannten Naturkräfte, für uns
_qualitas occulta_ ist. Es gilt von allen diesen Kräften was ~Ovid~
sagt: -- _causa latet, vis est notissima_. Das Verdienst beym Studium
dieser Kräfte ist nur das, ihre Wirkungen näher zu bestimmen und auf
allgemeinere Gesetze zurück zu bringen.

~d’Alembert’s~ Nachfolger, der Hr. ~M. de Condorcet~ sagt in seiner
Lobrede auf unsern ~Haller~ bey Gelegenheit der Irritabilität: „Man
fing wie gewöhnlich damit an, daß man die Wahrheit der Sache läugnete;
-- und da das endlich doch nicht länger mit Ehren sich thun lies, so
endigte man damit, daß man nun sagte, das sey ja was altes längst
bekanntes!“

Da man nun neuerlich schon scharfsichtig genug worden ist, eben
die thierische Reizbarkeit schon im ~Homer~, und den Harveyischen
Blutumlauf im Prediger ~Salomo~ beschrieben zu finden, so müßte es
vollends nicht gut seyn, wenn sich nicht auch zur Noth der ganze
_nisus formativus_ aus allen den Werken über die Erzeugung, die seit
2000 Jahren geschrieben und nun zusammen zu keiner kleinen Bibliothek
angeschwollen sind, sollte herausdeuten lassen. Zumal da die _vis
plastica_ der Alten (besonders der peripatetischen Schule) bey der
Aehnlichkeit des Namens mit _nisus formativus_ zu einem solchen _qui
pro quo_ verleiten könnte.

Es soll mich aber freuen, wenn man mir einen einzigen dieser Alten
aufstellt, der von seiner plastischen Kraft auch nur einigermaßen
die bestimmten und den Phänomenen des Zeugungsgeschäftes so genau
entsprechenden Begriffe gäbe[10], wie ich sie in diesen Blättern,
(besonders im dritten Abschnitt) vom Bildungstriebe zu geben versucht
habe.

Ein sehr scharfsichtiger Physiologe Hr. ~C. F. Wolff~ in Petersburg hat
eine andre Kraft fürs Wachsthum der Thiere und Pflanzen angenommen,
die er _vis essentialis_ nennt: und die ebenfalls, wenn man sie blos
vom Hörensagen kennt, auf den ersten Blick mit dem _nisus formativus_
vermengt werden könnte.

Die gänzliche Verschiedenheit zwischen beiden muß aber einem jeden
einleuchten, sobald er sich die Mühe nimmt, den wahren Begriff den Hr.
~Wolff~ selbst von seiner _vis essentialis_ angiebt in seiner _theoria
generationis_ nachzulesen[11].

Ihm ist seine _vis essentialis_ blos diejenige Kraft, wodurch der
Nahrungsstoff in die Pflanze oder in das junge Thier getrieben wird.
Dieß ist folglich zwar ein Requisit _zum_ Bildungstrieb -- aber bey
weitem nicht der Bildungstrieb selbst. Denn jene _vis essentialis_
wodurch die Nahrungssäfte in die Pflanze gebracht werden, zeigt
sich auch bey den unförmlichsten, widernatürlichsten, wuchernden
Auswüchsen der Gewächse, (an Baumstämmen etc.) wo gar kein bestimmter
Bildungstrieb statt hat. Eben so bey Mondkälbern etc.

Umgekehrt kan die _vis essentialis_ bey schlecht ernährten organischen
Körpern sehr schwach seyn, dem eigentlichen Bildungstriebe übrigens
unbeschadet u. s. w.

       *       *       *       *       *

So leid es mir thut, so bringt es doch die Natur der Sache einmal
nicht anders mit sich, als daß ich den Gründen und Erfahrungen für den
Bildungstrieb eine Wiederlegung der theils so blendenden Argumente
vorausschicken muß[12], deren sich zumal Hr. ~von Haller~ zu
Gunsten der Entwickelung aus dem weiblichen Eye bedient hat. Was mir
indeß diese Abweichung von dem Manne, dessen Schriften und dessen
Briefwechsel ich so unendlich viel verdanke, erleichtern kan, ist
theils die Gewißheit, daß selbst ein großer Theil des etwanigen Guten,
welches irgend in diesen Blättern enthalten seyn mag, doch in so fern
ihm zu verdanken ist, als es durch Prüfung und weitern Verfolg seiner
Untersuchungen veranlaßt wurde, und theils die Ungewißheit, ob er
nicht selbst wohl schon auf andre Spuren gekommen, und in dem noch
nicht bekannt gemachten Theil seines letzten großen Werks[13] von
seiner vorigen Meinung wieder abgegangen seyn mag. Auf keinen Fall
wird aber ~Haller’s~ Ruhm das mindeste von seinem verdienten
Glanze verlieren, wenn Er auch dennoch die eingewickelten Keime ferner
behauptet, und sich der allmäligen Bildung noch weiter wiedersetzt
haben sollte; so wenig als es ~Harvey’s~ und ~Newton’s~
ewigen Nachruhm schwächen darf, daß Jener das Daseyn der Milchgefäße
im thierischen Körper, und Dieser die Möglichkeit der farbenlosen
Fernröhren geläugnet hat!


   [1] Wie z. B. des ~Orpheus~, des ~Pythagoras~, ~Anaxagoras~ etc.

   [2] Z. B. von Pabst ~Johann XX.~, von Bischof ~Albert~ dem Großen
       oder was sonst für ein ehrwürdiger Geistlicher der Verf. des
       schmuzigen Büchleins von den Geheimnissen der Weiber ist. So
       ~Mich. Scotus~ und viele a. m.

   [3] _Von Natur der Dinge an Johansen Winkelsteiner von Fryburg im
       Uchtland._ im VIten B. der Huserschen Ausg. seiner sämtlichen
       Werke. S. 263. u. f.

       Ein ähnliches Product beschreibt ~Amat. Lusitanus~ _curation.
       medicinal._ Cent. VI. curat. 53. schol. p. 612. „_Certo scimus
       chimico artificio puerum conflatum esse, et omnia sua membra
       perfecta contraxisse, ac motum habuisse: qui cum a vase, vbi
       continebatur, esset extractus, moueri desiit. Nouit haec
       accuratius_ ~Julius Camillus~, _vir singularis doctrinae
       et rerum occultarum et variarum hac nostra aetate magnus
       scrutator, et Hetrusca sua lingua scriptor diligentissimus et
       accuratissimus._“

   [4] Man sehe seine _Génération de l’homme et des animaux._ Par. 1750.
       12. wie auch die _Observ. sur l’hist. nat._ I Th. und seinen
       freylich etwas misgestalteten Fötus selbst mit lebendigen Farben
       vorgestellt. Taf. A. fig. 3.

   [5] _Essay de Dioptrique._ Par. 1694. 4. S. 230. wo der
       scharfsichtige Mann eine genaue Abbildung des in die Hülle
       eines Saamenthierchens eingewickelten und auf seine Befreyung
       harrenden Kindchens gibt.

   [6] ~Galenus~ von den Lehrsätzen des Hippocrates und Plato: im Vten
       Band der +Chartier+. Ausg. S. 147.

   [7] Es ist zwar ganz wohl begreiflich, wie ein solcher kleiner
       Umstand von manchen Beobachtern entweder in der Erwartung
       größerer Merkwürdigkeiten ganz übersehen, oder aber nicht
       anmerkenswerth gefunden wurde. Doch scheint der sorgfältige
       ~Rösel~ darauf geachtet zu haben. _Hist. der Polypen._ im III B.
       der _Insectenbelustig._ S. 490.

   [8] Eine gleichfalls schon anderwärts bemerkte Erscheinung. Man sehe
       die Abh. der Hrn. ~Fabre~ und ~Louis~, _des playes avec perte de
       substance_ in den _Mém. de l’ac. de Chirurgie. vol IV._ S. 64.
       u. 106.

   [9] So sagt z. B. ~Newton~ in den Quästionen an der 2ten Ausg.
       seiner Optik, S. 380. der +Clarkischen+ Uebers. „_Hanc vocem_
       attractionis _ita hic accipi velim, vt in vniuersum solummodo_
       vim aliquam _significare intelligatur, qua corpora ad se mutuo
       tendant; cuicunque demum_ causae _attribuenda sit illa vis._“

  [10] Noch am bestimmtesten druckt sich doch ~F. Bonamico~ der
       bekannte Aristoteliker darüber aus, _de formatione foetus_
       p. 528. „_Spiritus in aërea seminis substantia comprehensus,
       aspersus autem a calore caelesti, et vi a patre accepta, et ea
       quam a coelo participat, in vterum foeminae coniectus, concoquit
       materias a foemina infusas et pro ratione ipsarum variis modis
       afficiens efficit instrumenta. Dum vero ea fabricat appellatur
       Facultas_ διαπλαστικη seu δημιουργικη. _Sed vbi exstructa
       fuerint instrumenta, vt iis vti queat, quae prius erat vis
       formatrix, illis vtens degenerat in animam._“

  [11] So z. B. S. 12. „_Vis vegetabilium essentialis ea est vis, qua
       humores ex circumiacente terra, vel aliis corporibus
       colliguntur, subire radicem coguntur, per omnem plantam
       distribuuntur, partim ad diversa loca deponuntur, partim foras
       expelluntur._“

       S. 13. „_Quaecunque vero sit haec vis, sive attractrix, sive
       propulsiva, sive aëri expanso debita, sive composita ex omnibus
       hisce et pluribus; modo praestet enarratos effectus, et ponatur,
       posita planta et humoribus nutritiis applicatis, id quod
       experientia confirmatum est: sufficiet ea praesenti scopo et
       vocabitur a me vis vegetabilium essentialis_“

       und in Anwendung auf die Erzeugung der Thiere S. 73. „_Embryonem
       hoc tempore (ovo sc. 36 horas incubato) ex substantia ovi
       nutriri demonstrant illius volumen auctum, perfectiones
       acquisitae, absentia cuiuscunque alius materiae, consumtio
       albuminis et vitelli succedens, experimenta inferius recensenda;
       consequenter: transire particulas nutrientes ex ovo ad
       embryonem: et existere vim, qua id perficitur, quae non est
       systaltica cordis et arteriarum, neque hinc facta pressio
       in venas vicinas, neque harum compressio a motu musculorum,
       dirigentem absque canalibus, viam determinantibus, adeoque
       analogam illi (§. 1.) quam aeque vocabo_ essentialem.“

  [12] Doch übergehe ich dabey alle diejenigen, zum Theil ausnehmend
       scharfsinnigen Gegengründe, die schon in einer kürzlich unter
       folgendem Titel erschienenen, überaus witzigen und angenehmen
       Schrift der Evolution entgegen gestellt sind: _Zweifel gegen die
       Entwickelungstheorie. Ein Brief an Hrn._ ~Senebier~ _von_ L..
       P.. (~Patrin~). _Aus der französischen Handschrift übersetzt
       von_ ~G. Forster~, _Göttingen_, 1788. 8.

  [13] Er schrieb mir selbst d. 28. Aug. 1776. „Ich danke der
       Vorsehung, die mir so viele Lebenszeit gegeben hat, daß ich eine
       neue Auflage der Physiologie habe ausarbeiten können, ohne die
       ich der Welt viele Fehler würde zu wiederlegen gelassen haben.“



Zweyter Abschnitt.

    _Prüfung der Haupt-Gründe für die vorgegebne Präexistenz des
    präformirten Keims im weiblichen Eye, und Gegengründe zu ihrer
    Wiederlegung._


Am 13^{ten} May 1758. ward in der Versammlung der königlichen Societät
der Wissenschaften zu Göttingen die berühmte Abhandlung des Hrn. ~von
Haller~ ihres damaligen Präsidenten über die Bildung des Herzens im
bebrüteten Küchelgen abgelesen, worin man nachher das _argumentum
crucis_ zu Gunsten der präformirten Keime zu finden geglaubt hat. Ihr
Verfasser sagt nemlich, er habe gefunden, daß die Haut des Dotters im
bebrüteten Ey mit den Häuten des daran hängenden Küchelgens, und die
Blutgefäße des letztern eben so mit den Adern der sogenannten _figura
venosa_ des Dotters continuirten. Nun aber habe der Dotter mit seiner
Haut schon im Eyerstock der unbefruchteten Henne präexistirt, folglich
nach aller Wahrscheinlichkeit auch zugleich mit derselben, obgleich
unsichtbar das damit continuirende Küchelgen. -- Doch druckte sich der
vorsichtige Mann anfangs immer noch behutsam und gleichsam schwankend
über diese Schlußfolge aus[14].

Hr. ~Bonnet~ hingegen, der bald nachher seine Betrachtungen über die
organisirten Körper herausgab, und schon vorher für die Entwickelung
der präformirten Keime eingenommen war, faßte gleich die Hallersche
Bemerkung, erklärte sie für schlechterdings unwiederredlich, und hielt
durch sie die Wahrheit jener Hypothese für ganz ausgemacht erwiesen[15].

Und nun erst ließ sich auch Hr. ~von Haller~ immer mehr und mehr von
der Wichtigkeit dieser seiner Bemerkung einnehmen, so daß er in den
spätern Schriften kein Bedenken trug, sie für eben so entscheidend
auszugeben, als sein Freund ~Bonnet~.

       *       *       *       *       *

Da ich selbst ehedem in Schriften so gut wie hundert andre
Naturforscher und Physiologen auf diese berühmte Bemerkung als auf
den Grundpfeiler des Evolutionssystems gefußt habe, so darf ich um
so weniger Anstand nehmen, nun jetzt meine Verwunderung zu äußern,
wie in aller Welt wir allesammt einer im gegenwärtigen Falle so
schlechterdings nichts beweisenden Behauptung ein so vermeintlich
unwiederredliches Gewicht haben beylegen können!

Denn -- gesetzt auch, daß jene Continuation der Häute und Blutgefäße
des Dotters mit den Häuten und Blutgefäßen des bebrüteten Küchelgens
seine Richtigkeit hätte (-- gesetzt nemlich; denn die Sache selbst
ist, wie die sorgfältigste genaueste Beobachtung gelehrt hat, noch
ganz und gar zweifelhaft, und, wie jeder zugeben wird, der selbst
bebrütete Eyer untersucht hat, sehr schwer mit Gewißheit zu behaupten
--): so folgt ja daraus noch bey weiten nicht, daß diese Häute und
Gefäße, wenn sie auch wirklich nun mit einander _continuirten_, deshalb
auch von je zusammen _coëxistirt_ haben müßten! Genug Erscheinungen
an organisirten Körpern zeigen das erstere, ohne daß man sich wird
beykommen lassen, daraus das zweyte zu folgern. So aus dem Gewächsreich
gleich ein Beyspiel statt vieler: die sonderbaren Vegetationen die an
allerhand Pflanzen durch den bloßen Stich der Gallwespen verursacht
werden, vorzüglich die sogenannten Schlafäpfel oder Bedeguar[16] an den
wilden Rosenstöcken. Die Rinde des Rosenstocks überzieht auch diese
ganzen moosartigen aber _zufällig_ entstandnen Gewächse, und wenn man
frische oder einige Tage lang eingeweichte Schlafäpfel mit dem Aste,
an welchem sie sitzen, durchschneidet, so zeigt sich der Uebergang der
holzigen Gefäße des Rosenstocks in den holzigen Kern des Bedeguar aufs
sichtlichste, und zuweilen mit einer ausnehmenden Sauberkeit. Sollen
aber darum auch diese so zufälligen Producte einer kleinen Mücke von
je mit dem Rosenstocke _coëxistirt_, und in allen Aesten und Blättern
aller Rosenstöcke der Welt auch überall eingewickelte Keime für
zahllose Schlafäpfel _präexistiert_ haben, die alle aufs Gerathewohl da
gelegen hätten, bis endlich das tausendmal tausendste von ihnen durch
den wohlthätigen Stachel eines hinzufliegenden Cynips zur Entwickelung
angetrieben worden?

Und nun im Thierreich -- Wie oft werden nach den zufälligsten
Entzündungen von Eingeweiden etc. durch Ergießung plastischer Lymphe
neu erzeugte Häute und in diesen, oft binnen wenigen Tagen neue
Blutgefäße gebildet, die beiderseits mit den Häuten und Gefäßen
der benachbarten Eingeweide _continuiren_, ohne daß man daraus
ihre beständige _Coëxistenz_ mit denselben zu folgern, sich wird
einfallen lassen. Und damit man nicht etwa einwende, dieß seyen blos
widernatürliche Erscheinungen im krankhaften Zustande der Thiere,
so erinnere man sich der neuerlich so berühmt wordnen, sogenannten
_Hunterschen_ Haut, die jedesmal nach einer fruchtbaren Empfängnis den
künftigen Aufenthalt der nun zu erzeugenden Leibesfrucht und ihrer
Hüllen vom neuen auskleidet, und deren Blutgefäße, zumal da wo die
Adern der Nabelschnur in ihr Wurzel schlagen sollen, aufs sichtlichste
mit den Blutgefäßen der Mutter selbst continuiren.

In allen diesen angeführten Fällen wuchert gleichsam die neu erzeugte
Haut und ihre Gefäße aus den benachbarten Eingeweiden heraus, und so
würden in der Anwendung aufs bebrütete Hühngen auch seine Gefäße und
Häute erst aus des Dotters seinen ausgetrieben werden können.

Allein es läßt sich auch noch ein zweyter Fall gedenken, den auch schon
ein scharfsichtiger Naturforscher, Hr. ~Paul~[17] der Hallerschen
Demonstration entgegengesetzt hat. Gesetzt, daß jene Dotterhaut mit
ihren unsichtbaren Gefäßen schon im Eyerstock der Henne präexistirt
habe, so kan ja demohngeachtet das Küchelgen erst während des Bebrütens
erzeugt, und nur die Blutgefäße desselben in die Adern jener Haut
_eingepropft_, und so beide mit einander verbunden worden seyn.

Hr. ~von Haller~ hat diesen Einwurf laut und geradezu verworfen, und
es für schlechterdings _unmöglich_ erklärt, daß die unendlich zarten
Adern des dann noch microscopisch kleinen Küchelgens in die großen
Gefäße des riesenmäßigen Dotters eingepfropft werden könnten[18].

Nun und eben dieser unendlich verdienstvolle Mann, der diese
Einpfropfung beym Küchelgen unmöglich nennt, der ergreift hingegen im
nemlichen Werke[19], da wo er von der menschlichen Befruchtung handelt,
eine völlig gleiche Einpfropfung der Blutgefäße ohne alles Bedenken! Er
nimmt nemlich an, der unendlich kleine menschliche Keim der nun aus
dem Eyerstocke in die Mutterhöhle angelangt sey, der solle nun mittelst
seines Mutterkuchen an derselben befestigt werden. Und wie das? Nicht
anders als durch Einpfropfung seiner microscopischen Nabelgefäßgen in
die riesenmäßigen Blutgefäße der Gebärmutter. --

       *       *       *       *       *

Die neuern Verfechter der Evolution machten, wie wir gesehen haben, den
Eydotter zur Stütze ihrer Hypothese.

Weit früher schon hat man sich des _Froschlaichs_ zu gleichem Zweck
bedienen wollen.

~Swammerdam~ nemlich verkündigte vor mehr als hundert Jahren die
wunderbare Entdeckung, daß der schwarze Punkt im Froschlaich das in
allen seinen Theilen vollkommen ausgebildete Fröschgen sey, das auch
schon im Eyerstock obschon fast unsichtbar präformirt gelegen habe
u. s. w.[20]

Dem guten Mann scheint geahndet zu haben welch ein mißliches,
vergängliches Ding es mit aller zeitlichen eitlen Ehre solcher
Entdeckungen sey, und bekanntlich suchte er dafür bald hernach ein
solideres Glück der Mystik im Schooße bey Mamsell ~Bourignon~. Denn
wirklich hat nun jetzt die undankbare heutige Welt jene wunderbare
Entdeckung dem berühmten Hrn. Abt ~Spallanzani~ zugeschrieben, der
sie freylich in mehrern Schriften, zumal aber im zweyten Band seiner
Abhandlungen[21] mit vieler Umständlichkeit vorgetragen hat.

Auch er nennt nemlich das schwarze Fleckgen im befruchteten Froschlaich
geradezu Kaulquappe oder junges Fröschgen[22]. Und da nun dieses
Fleckgen im unbefruchteten Laich doch schon eben so aussieht, wie im
befruchteten[23], so ist nach seiner Logik nichts natürlicher, als
daß dasselbe auch im erstern und schon in Mutterleibe Kaulquappe oder
junges Fröschgen gewesen ist[24].

Ich weis nicht, was man von einem Chemiker urtheilen würde, dem es
beliebte, ein Klümpgen Silberamalgama deswegen einen Dianenbaum zu
nennen, weil doch wenn nun verdünnte Silberauflösung dazu käme, sich
allerdings so ein Baum daraus bilden würde, und da nun ein solches
Klümpgen außer der Silbersolution übrigens eben so aussähe, als nachdem
es so eben unter dieselbe gebracht worden, so müsse folglich auch in
jenem der _präformirte_ Dianenbaum präexistirt haben u. s. w.

Man muß sich schämen, eine Behauptung noch lange wiederlegen zu wollen,
von deren absoluten Ungrund sich jedes gesunde, präjudizlose und im
Beobachten nur nicht ganz ungeübte Auge alle Frühjahr überzeugen kan.
Wer sich je die kleine Mühe gegeben hat, das Froschlaich genau zu
untersuchen, der wird gestehen müssen, daß der Einfall, das schwarze
Fleckgen in demselben zum Kaulquappen zu demonstriren, die glücklichste
Anwendung von der Logik des Bruder +Peter+ im Mährgen von der Tonne
sey, der auch seinen Brüdern das hausbackne Brod für einen exquisiten
Hammelbraten andemonstriren wollte.

       *       *       *       *       *

Doch die Verfechter der mütterlichen Keime sind weiter gegangen. Sie
haben sich geradezu auf Fälle berufen, wo sogar _Mädgen_ in aller ihrer
jungfräulichen Unschuld durch die unzeitige Entwickelung eines solchen
kleinen Keims guter Hoffnung worden.

Wie doch die Dinge zuweilen sonderbar zusammentreffen müssen. Gerade
im nemlichen Jahre, da ~Swammerdam~ seine obgedachte Entdeckung im
Froschlaich kund that, ereignete sich, nach dem in den Tagebüchern der
kaiserlichen Akademie der Naturforscher von einem berühmten Leibarzt
seiner Zeit, dem Dr. ~Clauder~ gegebnen Bericht, in Sachsenland ein
_Casus_, der mit jener Entdeckung wie Schachtel und Deckel zusammen
paßte. Eine Müllersfrau kommt mit einem Mädgen in die Wochen, das
einen ungewöhnlich hohen Leib mit zur Welt bringt. Acht Tage hierauf
wird das kleine dickleibige Mädgen „mit großen Wehtagen und Unruhe
befallen, sehr weinend und ängstlich, daß alle die Umstehende nicht
anders vermeint, als es würde im Nu sterben. Immittelst gebieret das
kranke Kind ordentlicher Weise ein artiges, vollständiges, lebendiges
Töchterlein, in der Länge des mittlern Fingers, welches auch getauft
worden. Bey und während der Geburt ist alles an Afterbürde und andrer
Unreinigkeit abgegangen, beide Kinder aber sind kurz folgende Tage
hierauf gestorben.“[25]

Der Hr. ~von Haller~ setzt richtig diese Geschichte nebst einer anderen
aus den Schwedischen Abhandlungen, wo man bey der Section eines Mädgen,
Knochen, Zähne und Haare in einer Geschwulst des Gekröses gefunden,
unter die Hauptstützen der Wahrheit der mütterlichen Keime[26].

Aber auch in ~Schmucker’s~ vermischten chirurgischen Schriften
beschreibt ein ~Anonymus~ die Leichenöffnung eines Mädgen, bey dem man
_statt der Gebärmutter_ einen runden, harten mit Haaren bewachsenen
Körper einer starken Wallnuß groß gefunden, der ein misgestaltnes
Kinderköpfgen vorgestellt. Das Köpfgen habe zwey vollkommne Zähne und
in seiner Cavität etwas Gehirn-ähnliches gehabt etc.

Da die Verfechter der mütterlichen Keime immer so laut und dringend
protestiren, daß man doch ihren _Beobachtungen_ nicht bloßes
Räsonnement entgegen stellen solle, so enthalte ich mich auch hier
alles Räsonnements, sondern will ihnen blos Zug für Zug, Beobachtung
gegen Beobachtung vorlegen, nemlich von nicht minder merkwürdigen
und unterhaltenden und ungefähr eben so glaubwürdigen Fällen, wo
sich auch _Mannspersonen_ oder andre männliche Thiere in gesegneten
Leibesumständen befunden haben sollen, und ich hoffe nicht, daß diese
meine, den _mütterlichen_ Keimen gerade wiedersprechende Autoritäten,
der Gegenpartie ihren nachstehen dürfen.

       *       *       *       *       *

Dem Fall z. B. aus den schwedischen Abhandlungen setze ich einem aus
der Geschichte der königl. Akad. der Wissenschaften zu Paris entgegen,
da ein _Abbé_ mitten in einem Versuche über das Zeugungsgeschäfte sehr
zur Unzeit unterbrochen ward, und von Stund an in gewissen Theilen die
einmal ein andrer _Abbé_ der heil. ~Abaelard~ durch einen ähnlichen
Anlaß ganz eingebüßt hat, eine harte Geschwulst fühlte. Es kam zur
Operation, und sein Wundarzt versichert der königlichen Akademie,
dem Hrn. Patienten ein verhärtetes Kindgen[27] aus besagten Theilen
geschnitten zu haben.

Die Geschichte von der Müllersfrau in den Tagebüchern der kaiserlichen
Akad. der Naturforscher, denke ich mit einer andern in den
_Philosophical Transactions_ aufzuwiegen, da ein männliches Windspiel
ein lebendiges junges Hündgen _per anum_ von sich gegeben haben soll.
Statt der Hrn. ~Clauder~ und ~Otto~ die jene Geschichte bezeugen, nenne
ich zwey Gewährsleute, auf die England stolz seyn muß: Dr. ~Wallis~ und
~Edm. Halley~.

Endlich dem _anonymus_ bey ~Schmucker~ setze ich einen _anonymus_ beym
ehrwürdigen ~Fr. Ruysch~ entgegen, der diesem ein ähnliches Product,
nemlich eine knochichte Schaale wie eine halbe Wallnuß verehrte, die er
nebst vier vollkommnen Backzähnen und einem Knaul Haare vom Magen einer
männlichen Leiche losgeschnitten zu haben versicherte.

Das wäre denn also Autorität gegen Autorität. Ich glaube man kan nicht
gewissenhafter zu Werke gehn, als ich hier zu Werke gegangen bin; und
in so fern, dächte ich, wären wir wenigstens quitt. Doch riethe ich,
wenns gefällig wäre, überhaupt beym gegenwärtigen Streite, diese Art
von Hülfstruppen vor der Hand aus dem Spiele zu lassen; ich stellte die
meinigen blos darum auf, weil die Gegenpartie mit den ihrigen ins Feld
zu rücken für gut befunden hatte.

       *       *       *       *       *

Das ist das Hauptsächlichste, was ich den berühmtesten Beweisen, die
von den Vertheidigern der präformirten mütterlichen Keime für die
sinnlichst entscheidenden ausgegeben werden, entgegen zu setzen habe.

Diesen darf ich aber nun noch einige andere aus Erfahrung
bewiesene Gegengründe beyfügen, die ohnehin wohl den Werth jener
Einschachtelungshypothese bey unbefangenen und nachdenkenden Lesern zu
bestimmen, hinreichend seyn dürften.

So z. B. die durchgehends bestätigte Erfahrung, daß sich auch dem
bewaffnetesten Auge doch nie sogleich -- sondern immer erst eine
geraume, zum Theil beträchtlich lange Zeit, nach der Befruchtung die
erste Spur des neuempfangnen Menschen oder Thiers, oder Gewächses
zeigt. Es lohnt sich nicht der Mühe, jetzt noch die fabelhaften Sagen
des ~Hippocrates~ und so vieler nachherigen guten Alten zu rügen,
die in den ersten Tagen nach der Empfängnis schon völlig kenntliche
ausgebildete menschliche Leibesfrüchte gesehen zu haben meinten. Sie
werden bey den wenigen Hülfsmitteln und der seltnen Gelegenheit in
jenen Zeiten um so verzeihlicher, wenn man bedenkt, daß selbst neuere
Aerzte von ungleich mehr ausgebreiteter Erfahrung in diesem Fache, noch
ähnliche solche Behauptungen gewagt haben. So hat uns ~Mauriceau~ mit
Abbildungen von Leibesfrüchten von 3⅓ Tagen, von einem Tag u. s. w.
beschenkt, und so haben ~Malpighi~ und ~Croune~ schon im unbebrüteten
Ey einer getretnen Henne, und letztrer sogar in Windeyern von Hünern,
denen sich noch nie ein Hahn genaht hatte, das Küchelgen und seine
Theile gesehn zu haben, versichern dürfen.

Kein vorsichtiger und zuverlässiger Beobachter wird aber vor der
dritten Woche der Schwangerschaft einen ungezweifelt wahren,
menschlichen Embryo, oder im bebrüteten Hühnerey in den ersten
zwölf Stunden auch nur eine dunkle, und vor Ende des zweyten Tages,
eine deutliche Spur des Küchelgens gesehn haben. Vor diesem, einer
jeden Gattung von Thieren und Gewächsen von der Natur auf längere
oder kürzere Zeit vorgeschriebenen Termin[28], ist schlechterdings
ihre neuempfangene Brut nicht zu erkennen: ein Umstand, der bey der
Vollkommenheit unsrer Vergrößerungsgläser und andrer mechanischen
Hülfsmittel und Handgriffe der Theorie der präformirten Keime gewiß
nichts weniger als günstig seyn kan.

Eben so wenig ist abzusehen, wie in aller Welt die Gönner der
präformirten Keime, die unzähligen Fälle von Entstehung und Ausbildung
ganz zufälliger Weise neuerzeugter, im natürlichen Bau gar nicht
existirender organischer Theile mit ihrer Einschachtelungshypothese
zusammen reimen wollen.

Nur gleich wenige Beyspiele der Art statt vieler.

Eine Frau wird guter Hoffnung, aber ihr Kind ist nicht in dem
eigentlichen Ort seiner Bestimmung, sondern darneben in einer der
beiden Fallopischen Röhren empfangen worden, die berstet endlich bey
zunehmendem Wachsthum des armen verirrten Geschöpfes, und dieses fällt
nun in die Bauchhöhle der Mutter. Was thut die Natur? Sie ergießt
eine Menge plastischer Lymphe, die sich zu deutlich organisirten
Häuten bildet, und den Fötus incrustirt, wie eine Mumie einwickelt und
dadurch die der Mutter sonst tödliche Fäulung desselben verhütet; so
daß sie nun noch lange Jahre mit dieser zwar lästigen, aber doch nicht
gefährlichen Bürde herumgehen kan. Die nachherigen Leichenöffnungen
aber zeigen offenbar, daß diese durch einen Zufall veranlaßten
neuerzeugten Membranen mit zahlreichen Blutgefäßen durchwebt sind[29],
die doch wohl schwerlich im vermeinten Keime schon präexistirt haben
können?

Ein Mensch bricht beide Röhren im Vorderarm, hält sich bey der Heilung
nicht ruhig, so daß die Natur den Bruch nicht wie sonst durch eine
Beinschwiele zusammen leimen kan. Was thut sie dagegen? sie bildet im
Bruche für beide Röhren zwey neue Gelenke, im ganzen gleichsam einen
zweyten Ellnbogen, der für sich allein und ohne Hülfe der andern Hand
volle Beweglichkeit hat.

Ein anderer verrenkt den Schenkelkopf aus dem Hüftknochen und die Natur
bildet ihm in selbigem eine neue Pfanne[30].

Ein Kind kriegt im Mutterleibe durch den zufälligsten Anlaß, z. B.
blos durch unmäßige Liebesbezeugungen des Vaters gegen die schwangere
Mutter, einen Wasserkopf, wodurch die Hirnschaale ungeheur
wassersüchtig aufgetrieben wird, und mächtige leere Zwischenräume
zwischen den ausgedehnten flachen Knochen derselben entstehen. Die
Natur sucht zu helfen, und sprengt einzelne kleine Knochenkernchen
in diese Zwischenräume, die zu Zwickelbeinchen werden und diese
gefährlichen Lücken möglichst ausfüllen, die sonst so weit auseinander
stehenden Knochen miteinander verbinden, und die Hirnschaale schließen
helfen. Diese Zwickelbeinchen gehören aber nicht zum natürlichen Bau,
und finden sich daher auch nur sehr selten bey Thieren oder an den
Schedeln von wilden Völkern; können folglich auch wohl schwerlich im
Keime präformirt gewesen seyn. Und doch sind es wahre, einzelne,
abgesonderte Knochen, mit _ächten_ Näthen eingefaßt. Und zwar werden
sie nicht etwa blos von den benachbarten natürlichen Näthen der flachen
Knochen umschlossen, sondern oft liegen ihrer so viele dicht neben- und
untereinander, daß die mittlern darunter ganz offenbar auch ihre eignen
neuerzeugten Näthe bilden. Wie kunstreich aber ist nicht der Bau einer
ächten Nath mit ihren doppelten und dreyfachen Reihen von Zäpfgen und
Grübgen, die so bewundernswürdig in einander greifen.

Die Schlußfolgen aus allen diesen Beyspielen ergeben sich von selbst.
Können einmal vollkommne besondere Knochen, ganz neue ungewöhnliche
Gelenke, neue organische Häute mit eben so neuen Blutgefäßen, _da_
gebildet werden, wo an keinen dazu präformirten Keim zu denken ist,
wozu brauchts denn überhaupt der ganzen Einschachtelungshypothese?

       *       *       *       *       *

Allein auch selbst die Erscheinungen bey Zeugung der _Bastarde_
wiedersprechen allen Begriffen von Präexistenz eines präformirten Keims
so schlechterdings, daß man kaum absieht, wie bey einer reifen Erwägung
der erstern, die letztern noch ernstliche Vertheidiger haben finden
können. Mich dünkt eine einzige Erfahrung wie die, da Hr. ~Kölreuter~
durch wiederholte Erzeugung fruchtbarer Bastardpflanzen, endlich
die eine Gattung von Tabak (_+Nicotiana+ rustica_) so vollkommen in
eine andere (_+Nicotiana+ paniculata_) verwandelt und umgeschaffen,
daß sie nicht eine Spur von ihrer angestammten mütterlichen Bildung
übrig behalten hat, müßte doch die eingenommensten Verfechter
der Evolutionstheorie von ihrem Vorurtheil zurückbringen. Dieser
vortreffliche Beobachter hatte nemlich durch die künstliche Befruchtung
der erstern Gattung von Tabak mit dem Blumenstaube von der letztern,
fruchtbaren Bastard-saamen erhalten, und hatte dann die daraus
gezognen Pflanzen, (die in ihrer Bildung schon das Mittel zwischen
ihren beiden Stammeltern hielten), vom neuen und mit gleichen Erfolg
mit Blumenstaube von der _paniculata_ befruchtet. Da dieß wiederum
fruchtbaren Saamen, und dieser wiederum Pflanzen gab die von der
mütterlichen Gestaltung noch mehr abwichen, so hat er mit diesen
letztern den nemlichen Versuch noch einmal wiederholt, und so endlich
sechs Pflanzen erhalten, die sämmtlich, ihrer ganzen Bildung nach, mit
der natürlichen _paniculata_ vollkommen übereinstimmten, ohne sich im
mindesten weiter von derselben zu unterscheiden, so daß er in seinem
classischen Werke, der Nachricht von diesen berühmten Versuchen, mit
ganzem Rechte die Aufschrift giebt: _Gänzlich vollbrachte +Verwandlung+
einer natürlichen Pflanzengattung in die andere._

Ich weis sehr wohl, daß die Gönner der Evolution sich bey Erklärung
der Bastarderzeugung damit auszuhelfen suchen, daß sie dem männlichen
Zeugungsstoffe, außer der reizenden Kraft, womit er den schlafenden
mütterlichen Keim _erwecken_ soll, in diesem Fall auch noch _bildende_
Kräfte zugestehen, wodurch dann jene Keime freylich in etwas zur
väterlichen Gestaltung umgeformt würden etc. Was ist aber in aller
Welt eine solche Ausflucht anders, als ein stilles Geständnis der
gebrechlichen Unzulänglichkeit des Keim-systems und der Nothwendigkeit
zu Rettung desselben immer doch nebenher zu bildenden Kräften
Zuflucht nehmen zu müssen. Und wenn nun aber diese bildenden Kräfte
so stark sind, daß sie binnen wenigen Generationen die ganze Form des
mütterlichen Keims gleichsam vertilgen und in eine andere umschaffen,
so ist nicht abzusehen, wozu denn also überhaupt der Keim präformirt zu
seyn brauchte?


  [14] „_l’evolution commence à me paroitre la plus probable etc._“

  [15] Man sehe z. B. die Vorrede zu diesem seinen Werke S. ~IX~ u. f.
       der Ausg. v. 1768. „_Enfin cette découverte importante“ (que le
       Germe appartenoit à la Femelle, qu’il préexistoit ainsi à la
       Fecondation, et que l’Evolution étoit la Loi universelle des
       Etres organisés) „que j’attendois et que j’avois osé prédire,
       me fut annoncée en 1757. par Mr. le Baron_ ~de Haller~, _qui la
       tenoit de la Nature elle-même._“ -- „_La découverte de Mr._ ~de
       Haller~ _prouvoit d’une manière incontestable, que le Poulet
       appartenoit originairement à la Poule, et qu’il préexistoit à la
       Conception._“

       und in seinem Briefe an Hrn. ~v. Haller~ v. 30. Oct. 1758: „_Vos
       Poulets m’enchantent: je n’avois pas espéré que le secret de la
       Génération commenceroit sitôt à se dévoiler. C’est bien vous,
       Monsieur, qui avez sçu prendre la Nature sur le fait._“

  [16] Rosenschwämme, _spongiae cynosbati_.

  [17] In der Vorrede zum VIIIten Bande der _collection academique, P.
       étrangere_. pag. 22 sqq.

  [18] „_Nunquam fieri potest, vt inter tubulum millionesies minorem,
       et millionesies maiorem continuitas oriatur._“ _Elem. physiol._
       T. VIII. P. I. p. 94. vergl. mit den _prim. lin. physiol._ §.
       883. und den _operib. minorib._ T. II. pag. 419.

  [19] _Elem. physiol._ a. a. O. S. 257.

  [20] _Mirac. nat._ pag. 21. „_admiratione dignum est, nigrum illud
       punctum, quod in ovis ranarum videre est, ipsum ranunculum
       omnibus suis partibus absolutum; albicantem vero et circumfusum
       illum liquorem non nisi alimentum eius esse; quod ipsum sensim
       dilatatum ita attenuatur, vt exire cum velit possit_“ _etc._

       „_Magis mirum est, hunc ipsum ranunculum in ovario vsque adeo
       exiguum ortus et incrementi sui principium habere, vt fere visum
       effugiat, vtut ipsum animal sub hac tantula mole delitescat._“

       und bald hernach zieht er dann den allgemeinen Schluß: „_Nullus
       mihi in rerum natura generationi, sed soli propagationi
       vel incremento partium locus esse videtur, vbi casus omnis
       excludatur._“

  [21] _Dissertazioni di fisica animale, e vegetabile_ T. II. _in
       Modena_ 1780. 8.

  [22] „_a parlare filosoficamente l’uovo non è che il girino medesimo
       in se stesso concentrato, e ristretto, il quale mediante la
       fecondazione si sviluppa, ed acquista le fatezze di animale._“
       pag. II. §.XVII.

  [23] „_questi globetti non fecondati non sono per verun conto
       distinguibili dai fecondati_“ §. XVIII.

  [24] „_ma i globetti fecondati non sono che i feti ranini_ (§.
       XVII.): _adunque i globetti non fecondati lo saronno altresi; e
       conseguentemente nella nostra rana il feto esiste in lei pria
       che abbiasi la fecondazione del maschio._“ pag. 12. §. XIX.

  [25] Ich liefre die eignen Worte eines andern gleichzeitigen Arztes
       des Dr. ~Otto~, der von der Großmutter, nemlich von der
       Müllersfrau in ihrer Schwangerschaft consultirt worden, und
       dessen Enkel den ganzen Casus in einer besondern Abhandlung
       unter folgendem Titel gar gelehrt und subtil vindicirt und
       illustrirt hat. D. C. I. ~Aug. Ottonis~ _epistola de foetu
       puerpera s. de foetu in foetu. Weissenfels, 1748. 4._

  [26] In der _Yverduner Encyclopädie_ T. XVIII. art. FETVS. p.
       721. „_Il y a plus, on a vu dans une vierge constamment telle
       et reconnoissable par l’integrité de son hymen, des dents, des
       ossemens et des cheveux renfermés dans une tumeur du mésentere.
       Ce phenomene rapporté dans les Mém. de l’ac. de Suede, a été
       observé depuis peu en. Un_ fétus _femelle, incapable assurément
       d’admettre le mâle est né avec un fêtus formé au dedans de lui_.“

  [27] „_on y distinguoit la tête, les pieds et les yeux._“

  [28] So zeigt sich z. B. beym trächtigen Caninchen die erste Spur der
       neuempfangnen Frucht nicht vor dem 9ten Tage; bey der
       Schaafmutter nicht vor dem 19ten; bey der Hirschkuh nicht vor
       der 7ten Woche u. s. w.

  [29] Ich habe einen solchen Fötus, womit die Mutter 8 Jahr schwanger
       gegangen, und den das academische Museum von meinem würdigen
       Freunde dem Hrn. Hofr. ~Büchner~ in Gotha zum Geschenk erhalten,
       im VIII B. der _Commentation. soc. reg. sc. Gottingens._
       beschrieben.

  [30] Ich habe von allen solchen Fällen in der _Gesch. und Beschreib.
       der Knochen des menschl. Körp._ S. 43. Beyspiele gesammelt.



Dritter Abschnitt.

    _Erfahrungen zum Erweis des Bildungstriebes und zu näherer
    Bestimmung einiger Gesetze desselben._


Einreißen ist leichter denn aufbauen: und es ist ein alter Vorwurf,
den man manchen Reformatoren gemacht hat, daß ihnen das erstere mit
besserm Glück als das leztre von statten gegangen. Aber in der That
kan doch, wie Hr. ~Bonnet~ vortrefflich anmerkt[31], die Wiederlegung
eines Irthums wichtiger seyn, als die Erfindung einer neuen Wahrheit.
Und in so fern bliebe diesen Blättern immer einiges Verdienst, wenn
auch blos im vorigen Abschnitt der Ungrund einer neuerlich so beliebt
wordnen Hypothese erwiesen wäre. Allein ich hoffe, daß nun auch der
gegenwärtige würklich etwas der Natur angemeßneres an ihrer statt geben
soll.

Man kan nicht inniger von etwas überzeugt seyn, als ich es von der
mächtigen Kluft bin, die die Natur zwischen der belebten und unbelebten
Schöpfung, zwischen den organisirten und unorganischen Geschöpfen
befestigt hat; und ich sehe bey aller meiner Hochachtung für den
Scharfsinn, womit die Verfechter der Stufenfolge oder Continuität der
Natur ihre Leitern angelegt haben, nicht ab, wie sie beym Uebergange
von den organisirten Reichen zum unorganischen ohne einen wirklich
etwas gewagten Sprung durchkommen wollen. Allein dieß hindert nicht,
daß man darum nicht Erscheinungen im einen dieser beiden Haupttheile
der Schöpfung zur Erläuterung von Erscheinungen im andern benutzen
dürfte: und so sehe ich es für keins der geringsten Argumente zum
Erweis des Bildungstriebes in den organisirten Reichen an, daß auch
im unorganischen die Spuren von bildenden Kräften so unverkennbar
und so allgemein sind. Von bildenden Kräften -- bey weiten nicht vom
Bildungstriebe (_nisus formativus_) in dem Sinne den dieses Wort in der
gegenwärtigen Untersuchung bezeichnet, denn der ist eine Lebenskraft
und folglich als solche in der unbelebten Schöpfung nicht denkbar,
-- sondern von andern bildenden Kräften, von welchen sich in diesem
unbelebten Naturreiche die deutlichsten Beweise an so bestimmten,
überaus regelmäßigen Gestaltungen zeigen, die aus einem vorher
ungebildeten Stoffe geformt werden.

Man kan doch, um nur ein Paar Beyspiele anzuführen, nichts ausnehmend
eleganteres sehen, als gewisse metallische Crystallisationen, die
in ihrer äußern Form eine so auffallende Aehnlichkeit mit gewissen
organischen Körpern haben, daß sie ein sehr fügliches Bild geben, um
die Vorstellung von der Formation aus ungebildeten Stoffen überhaupt
zu erleichtern. So z. B. das gediegene sogenannte Farnkraut-silber
zwischen dem eingebröckelten Quarz aus Peru; und um was Gemeineres zu
nennen, das unbeschreiblich saubere moosförmige Stückmessing, so wie
es sich nach dem ersten Gusse auf dem Bruche ausnimmt u. dergl. m.

       *       *       *       *       *

Dieß wie gesagt nur als Beyspiele von bildenden Kräften im
unorganisirten Naturreiche.

Nun zum wahren Bildungstriebe in der belebten Schöpfung.

Für ein unbefangnes Auge weis ich kein sinnlicheres Mittel, sich das
Daseyn und die Wirksamkeit dieses Triebes anschaulich zu machen,
als die präjudizlose Beobachtung der Entstehung und Fortpflanzung
solcher organisirter Körper, die mit einer ganz ansehnlichen Größe ein
schnelles, so zu sagen zusehends merkliches Wachsthum und eine so zarte
halbdurchsichtige Textur verbinden, daß sie vollends in sattsamen
Lichte und unter einiger Vergrößerung aufs deutlichste, klarste
durchschaut werden können.

Ein Beyspiel der Art aus dem Gewächsreiche giebt die überaus einfache
Fortpflanzungsweise einer eben so einfachen Wasserpflanze[32], die,
zumal im Frühjahr gar häufig am Ausfluß der Röhrenwasser, an Quellen,
in Gräben, Teichen etc. zu finden ist, und deren sich auch wohl
unbotanische Leser leicht aus der bloßen Beschreibung werden erinnern
können.

Das ganze Gewächs besteht nemlich aus einem einfachen, (nie getheilten)
meist geraden, etwa einen halben Zoll langen, feinen Faden von
hellgrüner Farbe, der gewöhnlich mit seinem untern Ende im Schlamme
eingewurzelt ist. Da aber diese Faden meist zu vielen tausenden
dicht neben einander stehen, so kriegen sie dann das Ansehen eines
feinhaarichten Pelzes vom schönsten Grün, womit oft große Strecken an
den gedachten Orten unter Wasser bewachsen sind.

Ich habe die Fortpflanzung dieses so äußerst einfachen Wassermooßes,
in den ersten Frühlingswochen beobachtet, da sie unter meinen Augen
blos dadurch erfolgte, daß die Spitzen der Fäden zu kleinen Knöpfgen
anschwollen, die sich zuletzt von den Fäden trennten, sich in den
Zuckergläsern, worin ich kleine Klumpen dieses Mooßes in hellen Wasser
liegen hatte, zu hunderten an die Wände des Glases anlegten, und nun
im Kurzen selbst wieder eine kleine Spitze austrieben, die sich fast
zusehends immer mehr verlängerte, bis sie endlich zu einem neuen
vollständigen Wasserfaden ausgewachsen war. Binnen zweymal 24 Stunden,
von der ersten Spur des Knöpfgens auf einem alten Faden an zu rechnen,
hatte der nachher daraus erwachsene neue schon seine völlige Länge
erreicht.

Beides, sowohl das schnelle Wachsthum, als auch die durchsichtige
Textur des Gewächses, verschafften mir den Vortheil, seine völlige
Ausbildung ganz bequem abwarten und die mindeste in seinem Innern
vorgehende Veränderung aufs genaueste und deutlichste bemerken zu
können. Das innere Gewebe dieses Mooßes ist nemlich so einfach als
seine äußere Bildung. Auch bey der stärksten Vergrößerung und im
hellesten Lichte, ist in der ganzen Pflanze schlechterdings nichts
weiter als ein feines bläsriges Gewebe, (beynahe wie ein grüner Gescht
oder Schaum) zu erkennen, das durch eine äußerst feine, kaum merkliche
äußere Haut umschlossen wird.

Nun aber war bey aller dieser untrüglichen Deutlichkeit in allen grünen
eyförmigen am Glase anliegenden Knöpfgen, doch auch nicht eine Spur,
nicht ein Schatten irgend eines solchen als Keim eingewickelten Fadens,
als in Kurzen aus diesen Knöpfgen gebildet werden sollte, aufzufinden:
-- sondern, wenn jetzt der Knopf seine Reife erlangt hatte, so trieb
er aus einem seiner beiden Enden einen kleinen Auswuchs hervor, der
blos dadurch zusehends verlängert ward, daß das im Knopf ihm zunächst
liegende bläsrige Gewebe in ihn hinüber getrieben, und er so nach
und nach immer mehr zu einem cylindrischen Faden ausgedehnt ward. So
wie aber dieser Faden sich verlängerte, so ward im gleichen Maaße der
eyförmige Knopf, kleiner, kuglichter, blaßgrüner: so daß zulezt, wenn
das Gewächs nun seine bestimmte Größe erreicht hatte, nur noch ein kaum
merklicher kleiner Wulst am untern Ende übrig blieb, der nun dem neuen
Faden statt Wurzel diente.

Mit der gleichen anschaulichen Klarheit aber, womit sich bey dieser
Pflanze die würksame Thätigkeit des Bildungstriebes beobachten läßt,
kan sie auch bey Ausbildung mancher Thiere aufs deutlichste anerkannt
werden; besonders wiederum bey solchen, die so wie dieses Moos den
Vortheil eines schnellen Wachsthums bey einer meist durchsichtigen
Textur ihres Körpers gewähren. Dieß ist bekantlich der Fall bey den
Armpolypen, diesen wegen der Wunder die die Natur in ihnen gehäuft hat,
seit den vierziger Jahren so allgemein berühmt wordnen Geschöpfen.
Alle bekannte Gattungen derselben haben einen gallertigen Körper, der,
seine Farbe mag seyn welche sie will, grün, gelb, braun etc. doch
immer durchsichtig genug ist, um in behöriger Beleuchtung und hinter
einer guten Linse so gut wie jene Wasserfäden rein durchschaut werden
zu können. Dabey ist ihre Textur so einfach, homogen, besteht blos
aus gallertigen Körnchen, die durch eine zartere gemeinschaftliche
gallertige Grundlage zusammen gehalten werden, daß auch von dieser
Seite dem beobachtenden Auge nichts dunkel oder versteckt bleibt.
Nun und wenn denn diese Thiere lebendige Junge austreiben wollen,
so schwillt blos eine Stelle dieses ihres aus so einfachen Stoffe
gebauten Körpers ein wenig an, und aus dieser ungeformten, aber
durchsichtigen kleinen Geschwulst wird gleichsam unter unsern Augen
zuerst der cylindrische Leib des jungen Polypen und dann auch seine
Arme ausgebildet, wie von unsichtbaren Händen aus der durchsichtigen
körnichten, aber übrigens ungeformten Gallerte modelirt; und das alles
gleich in einer so ansehnlichen, schon dem bloßen Auge so deutlich
erkennbaren Größe, die, in Verbindung mit allen den angeführten
Umständen, doch auch keinen Schatten von wahrscheinlicher Vermuthung
eines präformirten Keims gestattet der da vorräthig gelegen habe und
sich nun entwickele etc.

Ich berufe mich dreist auf das innere Gefühl eines jeden, der nur
je die Fortpflanzung an so einfach gebauten Thieren und Pflanzen
beobachtet, und sich überdem von dem im vorigen Abschnitt erwiesenen
Ungrund der so decisiv behaupteten Präexistenz des Küchelgens am
Eydotter belehrt hat; daß er nun beym Uebergange zum Zeugungsgeschäfte
der sogenannten vollkommnern oder warmblütigen Thiere, (z. B. eben bey
der strengsten Untersuchung der Phänomene am bebrüteten Küchelgen,
des Anfangs und Fortgangs seiner Ausbildung, und überhaupt so vieler
neuentstehenden, im unbebrüteten Eye gar nicht existirenden Theile[33]
etc.), selbst entscheide, zu welcher von beiden Theorien ihn seine
Ueberzeugung führt, ob zum Glauben an Präexistenz eingeschachtelter
präformirter Keime -- oder aber an einen Bildungstrieb, der das neue
Geschöpf aus dem ungeformten Zeugungsstoff der alten ausbildet.

       *       *       *       *       *

Alles was bisher von Phänomenen des Zeugungsgeschäftes selbst zum
Erweis des Bildungstriebes gesagt worden, erhält nun aber vollends ein
neues großes Gewicht, wenn man nun zweytens auch die Phänomene der
_Reproduction_, -- dieser, zumal in unsern Tagen so berufen wordnen
merkwürdigen Kraft der organisirten Körper, zufällig verlorne Theile,
Verstümmelungen ihres Leibes, von selbst wiederum hervorzutreiben und
zu ersetzen, -- mit denselben vergleicht.

Generation und Reproduction -- Zeugung und diese Wiederersetzung, sind
beides Modificationen ein und eben derselben Kraft: die letztre ist
nichts anders, als eine partielle Wiederholung der erstern: und ein
Licht über die eine von beiden verbreitet, muß sicher auch die andre
zugleich mit aufhellen.

Ich habe die oben im ersten Abschnitt angeführte Erfahrung über die
Reproduction der grünen Armpolypen, seitdem oft, und immer mit dem
gleichem Erfolg wiederholt: d. h. allemal ward anfangs das kürzlich
verstümmelte Thier fast im gleichen Maaße um etwas kleiner, so wie es
seine neuen Arme oder seinen neuen Hinterleib hervortrieb. Man sah
offenbar, wie die Natur eilte, dem verstümmelten Geschöpfe nur sobald
als möglich seine bestimmte _Bildung_ wieder zu ersetzen: und daß in
der Kürze der Zeit, da unmöglich schon durch die Nahrungsmittel (die
ohnehin ein verletzter Polype nicht so häufig zu sich nimmt als ein
gesunder) sattsamer _Stoff_ zu den neuen Gliedern wieder gesammelt seyn
konnte, der Rumpf einen Theil seines noch übrigen Stoffes hergeben
muß, der sich dann mittelst des ihm beywohnenden _Bildungstriebes_ in
die Gestalt der verlornen Glieder formt, und so die zerstörte Bildung
wieder ergänzt.

Ich weis wohl, daß sich die Verfechter der präformirten Keime, hier mit
einer Hypothese durchhelfen wollen, die doch aber in der That von allen
unwahrscheinlichen Hypothesen wohl die allerunwahrscheinlichste und
gewiß abentheurlich genannt werden darf, nach welcher nemlich „in allen
Theilen jedes Polypen zerstreuete Keime so lange eingewickelt und im
erstarrenden Todesschlaf auf Reserve liegen sollen, bis sie nach der
Phantasie eines ihnen zu Hülfe kommenden Beobachters durch den Schnitt
einer Scheere ermuntert, aufgeweckt, aus ihrem Kerker befreyt, und zur
Entwickelung angereizt würden.“

Nun, mit dieser wunderbaren Erklärung vergleiche man den
nackten Augenschein bey dem obgedachten und vielen andern, an
den (glücklicherweise so leicht zu durchschauenden) Armpolypen
anzustellenden Versuchen, deren ich nur gleich ein Paar noch beysetze:
-- Wenn man zwey verstümmelte halbe Polypen verschiedener Art (z. B.
die vordere Hälfte eines grünen, und das Hintertheil eines braunen) im
Boden eines Spitzglases aneinander bringt, so heilen sie bekanntlich
zusammen, und stellen dann, fast wie die Chimäre der Mythologie, eine
aus verschiednen Thiergattungen zusammengesetzte Gruppe vor. -- Nach
der angeführten Theorie der Evolution, hätten aber in diesem Fall
durch den doppelten Schnitt aus den beiden verstümmelten Polypen, sich
neue Keime entwickeln müssen -- allein, dieß erfolgt nicht; sondern es
war natürlicher, daß sich zwey Hälften mittelst ihres Bildungstriebes
zusammen paßten, und in Kurzem ein gehöriges Ganzes ausmachten, als
daß jede dieser beiden Hälften erst auf die oben beschriebene Weise zu
einem besondern Thiere wieder hätte ausgebildet werden sollen.

Noch auffallender aber wird beides die Unwahrscheinlichkeit der
vermeynten präformirten Keime und hingegen die Würksamkeit des
Bildungstriebes bey dem bekannten Versuch, da man einen Armpolypen
nicht in Stücken oder entzwey zerschneidet, sondern ihm nur mit einer
feinen Scheere den Bauch der Länge nach aufschneidet und ausbreitet,
so daß er alsdann gar keine Bauchhöle mehr hat, und sein Körper keine
cylindrische Röhre, sondern ein flaches Streifgen Gallerte, wie ein
Riemgen, vorstellt. -- Statt daß nun alsdann durch den Schnitt an
beiden Seitenrändern dieses Riemgens zahlreiche vermeynte Keime in
Freyheit gesetzt werden, und sich entwickeln sollten, so erfolgt
hingegen blos einer von den beiden Fällen, die sich von selbst nach
der Würksamkeit des Bildungstriebes erwarten lassen -- entweder
nemlich, der aufgeschlitzte Polype _rollt_ sich wieder in seine vorige
Gestalt zusammen, so daß die wunden Seitenränder einander wieder
berühren und zusammen wachsen: oder aber wenn er als ein flaches
Riemgen ausgebreitet bleibt, so schwillt er nach einiger Zeit auf,
wird gleichsam aufgeblasen, und es bildet sich nach und nach in seinem
Innern eine neue _Bauchhöle_, so daß er auch dann binnen kurzer Zeit
seine angestammte Gestalt ergänzt erhält.

In diesen beiden angeführten und vielen andern Fällen, braucht gar
kein _neuer Stoff_ erzeugt, -- sondern nur die zerstörte _Bildung
wieder hergestellt_ zu werden: eine Art von Reproduction, die um so
sorgfältiger von den übrigen unterschieden und abgesondert werden
muß, je weniger sie sich mit den prätendirten Keimen vergleichen
läßt, und je größer hingegen das Uebergewicht ist, das die Lehre vom
_Bildungstriebe_ durch sie erhält.

Beym Menschen und andern warmblütigen Thieren, ist zwar die
Reproductionskraft bey der größern Mannichfaltigkeit des Stoffes woraus
ihr Körper gebaut ist, und bey der Verschiedenheit der Lebenskräfte
womit die verschiednen Arten von jenem Stoff belebt sind, und bey der
Einwürkung worin sie aufeinander stehen, ungleich eingeschränkter,
als freylich bey den Armpolypen. Und doch zeigen sich auch bey ihnen
zuweilen Reproductionsfälle, die alles das, weshalb die vorigen von
den Polypen hier angeführt waren, aufs unverkennbarste bestätigen.
Man hat z. B. mehr als einmal gesehen, daß bey Menschen die Nägel
der Finger, wenn auch selbst die vordern Gelenke von diesen amputirt
worden, nichts desto weniger sich an den verstümmelten Enden der
hintern Glieder wiederum erzeugt haben[34]. Es wäre eine starke
Zumuthung jemand überreden zu wollen, daß die Natur vorläufig auf
solche Amputationsfälle gerechnet, und daher längst der ganzen Finger
und Fuszehen Keime zu Nägeln auf solchen Nothfall ausgesäet hätte etc.
Und wie natürlich erklärt sich nicht hingegen die ganze Erscheinung
wenn man sie aus der Wirksamkeit des Bildungstriebes herleitet, dessen
Tendenz, die äußersten Extremitäten des Körpers, nemlich die Enden
der Finger und Fuszehen durch hornichte Nägel zu begrenzen, stark
genug ist, um sie im Nothfall auch sogar an ungewöhnlichen Stellen zu
reproduciren.

Eine andere eben so bekannte und hier eben so sprechende Erfahrung ist
die, wo die Natur den Verlust eines Glieds dessen mannichfaltigen
Stoff sie nicht vollkommen hätte ersetzen können, dennoch mittelst
einer einfachern etwa knorplichten oder knochichten Substanz zu
vergüten sucht, die durch die Kraft des Bildungstriebes in die Gestalt
des verlornen Glieds geformt, und so wenigstens zu einigen Gebrauch
geschickt gemacht wird. So hat der berühmte Wundarzt ~Morand~ einen
Hasen beschrieben, dem lange vor seinem Tode einmal der eine Vorderfus
war abgeschossen worden, den ihm die Natur wenn gleich nicht _quoad
materiem_ doch wenigstens _taliter qualiter quoad formam_ durch ein
Surrogat, nemlich durch eine pfotenförmige Knochenmasse, die sie
hervortrieb, zu ersetzen gesucht hatte[35].

Wenn, wie ich mir schmeichle, schon die wenigen ausgehobnen
Phänomene der Zeugung und Reproduction die unleugbare Existenz
des Bildungstriebes überhaupt darthun, so giebt es nun unter den
zahllosen übrigen verschiedene, die dann ferner dazu dienen können,
die Würkungs-_Art_ dieser wichtigen Lebenskraft und gleichsam einige
ihrer _Gesetze_ näher zu bestimmen; und so glaube ich lassen sich vor
der Hand wenigstens nachstehende, als simple Resultate ungezweifelter
Erfahrungen angeben:


I. _Die Stärke des_ Bildungstriebes _steht mit dem zunehmenden Alter
der organisirten Körper in umgekehrten Verhältnis._ -- Denn, so
ausgemacht es z. B. ist, daß es wie oben gedacht, immer eine bestimmte
Zeit braucht, bevor sich die erste Spur der neuempfangnen Frucht
zeigen kan, eben so ausgemacht ist es hingegen, daß auch sogleich nach
Verlauf dieser Zeit die Ausbildung derselben zum Erstaunen schnell
und eiligst vor sich geht. Insgemein werden zwar die frühzeitigen
menschlichen Embryonen sehr unförmlich abgebildet: allein die
Schuld mag wohl mehr an den Zeichnern, oder auch daran liegen, daß
dergleichen Abortus etwa äußere Gewalt erlitten, verdruckt, entstellt
und unkenntlich worden, oder schon angefangen in Fäulnis zu gehen, und
dadurch viel von der ausnehmenden Eleganz verloren haben, die man sonst
an ihnen bewundern muß. Ich besitze dergleichen so ungemein saubere
menschliche Leibesfrüchte aus den ersten Monaten der Schwangerschaft,
zumal einige, die ich der Güte meines theuren Freundes des Hrn.
Hofr. ~Büchner~ in Gotha verdanke, wo man z. B. bey einer aus der
fünften Woche und von der Größe einer gemeinen Werkbiene, die völligen
Gesichtszüge, jede Fingerspitze, jede Fuszehe, die Geschlechtstheile
etc. aufs deutlichste erkennen kan.

Und eben diese frühe Würksamkeit des Bildungstriebes erstreckt sich bey
weiten nicht blos auf die äußere Gestalt der Embryonen, sondern ist in
ihrem ganzen innern Bau fast noch auffallender merklich. Ich bin über
die frühzeitige Vollkommenheit der Eingeweide u. a. Theile erstaunt,
die ich bey der Zergliederung frischer menschlicher Leibesfrüchte
aus den ersten Monaten nach der Empfängnis, gefunden habe. Nur einen
Umstand anzuführen, so war im Kopf derselben, der ohngefähr die Größe
einer Zuckererbse hatte, und dessen Gehirn noch wie ein weicher Brey
war, schon der ganze knorplichte Boden der Hirnhöle (_basis cranii_)
mit allen seinen Gruben, Oeffnungen und Hügeln aufs schärfste und
deutlichste ausgewirkt, obgleich weder am Keilbein, noch am Felsenbein
etc. auch nur die mindeste Spur eines Knochenkerns zu finden war.

So wenig nun bey Voraussetzung der präformirten Keime abzusehen
ist, was sie so lange Zeit, nachdem sie an den Ort ihrer Bestimmung
angelangt, befruchtet, und zur Entwickelung angereizt sind,
demohngeachtet davon zurückhalten kan; eben so wenig steht zu
begreifen, warum sie nun nach dieser räthselhaften Pause mit einem
mal so plötzlich und gleich zu einer so ansehnlichen Größe sich
auswickeln sollen u. s. w. Hingegen hat es nach dem was oben von der
nöthigen Vorbereitung der Zeugungssäfte, bevor der Bildungstrieb in
ihnen rege werden kan, gesagt worden, nichts schwieriges, daß alsdann
dieser neu erregte Trieb in seiner vollen Stärke, in aller seiner noch
ungetheilten Thätigkeit die Grundlage der Bildung des neuen Geschöpfs
so schnell bewirken kan.

Wie aber auch selbst noch nach der Geburt das gleiche umgekehrte
Verhältnis zwischen der Stärke des Bildungstriebes und dem zunehmenden
Alter statt habe, ist aus der vorzüglichern Leichtigkeit der
Reproductionsversuche bey jugendlichen Thieren, jungen Wassermolchen
etc. bekannt.


II. _Wiederum ist dieser frühe_ Bildungstrieb _doch bey den
neuempfangenen Säugethieren noch ungleich stärker, als bey dem
bebrüteten Küchelgen im Eye._ Beym Hühnchen z. B. zeigt sich die
allererste Spur der neugebildeten Rippen erst in der 192ten Stunde
des Bebrütens. Dieser Termin aber, wenn die ganze Brützeit der Henne
mit der Schwangerschaft im Menschengeschlecht verglichen wird, fällt
ohngefähr mit der 16ten Woche derselben zusammen. Allein ich besitze
selbst menschliche Embryonen in meiner Sammlung, die nicht viel größer
als eine gemeine Ameise, die folglich höchstens in die 5te Woche
nach der Empfängnis zu setzen sind, und bey welchen sich dennoch die
knorplichte Grundlage der bogenförmigen scharfausgewirkten Rippen aufs
allerdeutlichste erkennen läßt. Es scheint die Natur eilt bey den
lebendig gebärenden Thieren der Frucht so früh als möglich gleich
bestimmte Ausbildung zu geben, und sie dadurch für vielen zufälligen
Verunstaltungen von gewaltsamen Druck u. a. dergl. Gefahren zu sichern,
denen hingegen das in seiner Eyerschaale festverwahrte Küchelgen bey
weiten nicht so leicht ausgesetzt ist.


III. _Aber auch bey Formation der einzelnen Theile des organisirten
Körpers ist der_ Bildungstrieb _bey manchen derselben von einer
festern, bestimmtern Wirksamkeit, als bey andern._ -- So hat z. B.
der alte, aber um die Physiologie unendlich verdiente ~Conr. Vict.
Schneider~ angemerkt, daß das Gehirn fast immer seine Bildung so
constant erhalte[36]. Wie unendlich häufiger sind hingegen die
Varietäten in der Gestaltung der Nieren, der Milchsaftröhre u. dergl.


IV. _Unter die mancherley Abweichungen des_ Bildungstriebes _von
seiner bestimmten Richtung gehört vorzüglich diejenige, wenn er bey
Bildung der_ einen _Art organischer Körper, die für eine_ andere _Art
derselben bestimmte Richtung annimmt._ -- So glaube ich mir einige
räthselhafte Phänomene erklären zu können, davon ich nicht absehe,
wie sie je nur irgend leidlich mit der Einschachtelungshypothese der
präformirten Keime sollten verglichen werden können. -- Bekanntlich
haben die Weiber nach dem ordentlichen Lauf der Natur zur Aufnahme
ihrer neuempfangnen Frucht ein einfaches Organ. Die mehresten übrigen
weiblichen Säugethiere hingegen ein doppeltes. Nun aber sind die Fälle
nicht selten, wo man auch bey Frauenzimmern einen förmlichen solchen
thierischen _vterus bicornis_ gefunden, so daß es dann von dieser
Seite geschienen, als wenn würklich die Iphigenia verschwunden, und
ein Reh an ihre Stelle gezaubert wäre. Irre ich nicht, so giebt hier
dieses vierte Gesetz des Bildungstriebes den Schlüssel dazu. -- Auch
die so oft bemerkten Beyspiele von gehörnten Haasen mit vollkommen
ausgebildeten kleinen Rehgeweihen auf dem Kopfe würde ich hieher
rechnen. Und vielleicht läßt sich eben dahin manche sonst räthselhafte
Abweichung im Bau gewisser Gewächse zählen, wie z. B. die von
~Gleditsch~ beschriebene Erle mit Eichenblättern etc.[37]


V. _Eine andre eben so merkwürdige Abweichung des_ Bildungstriebes
_ist, wenn bey Ausbildung der Sexualorgane, die beym_ einen _Geschlecht
mehr oder weniger von der Gestaltung des_ andern _annehmen._ Man hat in
unsern sceptischen Zeiten auch die Möglichkeit der Zwittergestaltung
beym Menschen u. a. warmblütigen Thieren zu bezweifeln beliebt. Und
doch hat Hr. ~von Haller~ hier in Göttingen und neuerlich Hr. ~Joh.
Hunter~ in London u. a. m. die genauesten Zergliederungen von Thieren,
zumal aus dem Ochsen- und Ziegengeschlechte gegeben, die über die
ausgemachte Würklichkeit solcher Zwittergestaltungen keinen Zweifel
mehr übrig lassen. In keinem dieser Fälle sind zwar würklich die
wesentlichsten Zeugungstheile der beiden Geschlechter, z. B. männliche
Geilen und weibliche Eyerstöcke, deutlich und vollkommen im gleichen
Individuo verbunden; sondern die Hauptbildung stellt immer die
Genitalien des einen von beiden Geschlechtern dar, offenbar aber zeigen
sich dabey im einen oder dem andern Theil die unverkennbarsten Spuren
von unvollkommnern Entwürfen zum Bau einiger Sexualorgane des andern.
Meist nemlich liegen inwendig wahre männliche Organe, und die äußern
hingegen haben dabey mehr oder weniger Aehnlichkeit mit den weiblichen.


VI. _Wenn aber endlich der_ Bildungstrieb _nicht blos wie in
den vorigen Fällen eine_ fremdartige, _sondern eine_ völlig
wiedernatürliche _Richtung befolgt, so entstehen_ eigentlich sogenannte
+Misgeburten+. -- Und dennoch ergiebt sich bey einer nähern Beleuchtung
aus der bewundernswürdigen Gleichförmigkeit die unter vielen Arten
von Monstrositäten herrscht, daß doch auch selbst die Ursachen, die
in diesen Fällen dem Bildungstriebe die falsche Richtung geben,
dennoch an sehr bestimmte Gesetze gebunden seyn müssen. Wer nur irgend
Gelegenheit gehabt hat, eine beträchtlichere Anzahl von Misgeburten
unter einander zu vergleichen, oder wer auch nur die sonst freylich so
schaalen compilirten Bilder-Bücher davon mit einiger Aufmerksamkeit
durchblättert hat, dem kan die auffallende Gleichheit nicht entgangen
seyn, mit welcher diese oder jene Art von Monstrosität sich immer
selbst bis auf Kleinigkeiten ähnlich bleibt, so daß die Stücke von so
einer Art alle wie aus einer Form gegossen scheinen.

Und hier nun noch zuletzt abermals ein Phänomen, bey dessen
Erklärung es wieder den Lesern selbst überlassen bleiben mag,
zwischen präformirten Keimen oder Bildungstrieb zu wählen. --
Manche thierische Misgeburten (z. B. die mit doppelten Leibern
und einem gemeinschaftlichen Kopf) sind von der Art, daß sie nach
der ausdrücklichen Behauptung des Hrn. ~von Haller~ und andrer
Verfechter der Keime nicht etwa durch das Zusammenwachsen zweyer
Keime und andere dergleichen Zufälle entstanden seyn, sondern in der
ursprünglich-monstrosen ersten Anlage eines einzelnen Keims ihren Grund
haben sollen: d. h. sie waren schon von je als Misgeburt präformirt.
Nun aber -- sind diese Misgeburten unter gewissen _Hausthieren_
so gemein, und doch unter den wilden Thieren _derselben Art_ fast
unerhört. Soll das also der Schöpfer so prädestinirt haben, daß von
den in einander geschachtelten Keimen einer Gattung von Thieren, z. B.
von Schweinen, die monstrosen gerade dann erst an die Reihe der
Entwickelung kämen, wenn der Mensch sich diese Thiere unterjocht haben
würde; und daß diese Keime zu Misgeburten dann auch gerade blos den
unterjochten und nicht den zu gleicher Zeit wild lebenden Individuis
zur Entwickelung anheim fallen müßten.

Hingegen hat es hoffentlich nichts wiedersinniges anzunehmen, daß nach
der Unterjochung der Hausthiere, wodurch ihr ganzes Naturel gleichsam
umgeschaffen worden, ihre ganze körperliche Oekonomie so viele
Veränderung erlitten; daß dann auch ihr Bildungstrieb etwas von seiner
sonstigen Bestimmtheit verloren hat, und daß folglich diese Thiere,
so wie sie dadurch in zahllose _Spielarten_ degeneriren, so auch den
Monstrositäten häufiger unterworfen seyn können.

       *       *       *       *       *

Dieß wären dann meines Bedünkens die vorzüglichern Beobachtungen
und Erfahrungen, die zum Erweis des Bildungstriebes und der nähern
Bestimmung einiger seiner Gesetze dienen können, und die mich immer
mehr und mehr von der sonst von mir beyfälligst bewunderten Theorie
der eingeschachtelten Keime zurückgebracht und eben auf diese ihr
sehr entgegengesetzte Bahn geführt haben. Mit aller Hochachtung für
den behutsamsten philosophischen Scepticismus, konnte ich bey einem
solchen Ueberwicht von augenscheinlichen Gründen doch unmöglich meiner
sinnlichen Ueberzeugung entgegen kämpfen; unmöglich bey solchen
Beobachtungen so wie dort die gute Matrone in den Erzählungen der
~Margarethe~ von Navarra, -- da sie auch eine unerwartete, und ihrem
sonstigen System wiedersprechende Beobachtung machte die auf den
Bildungstrieb einen sehr directen Bezug hatte, -- ausrufen: „Behüte
mich der Himmel, daß mein Herz nicht etwa glaubt, was meine Augen
sehen!“


  [31] „_Démontrer une erreur, c’est plus que découvrir une verité: car
       l’on peut ignorer beaucoup; mais le peu que l’on sait, il faut
       au moins le savoir bien._“ in der Vorrede zum _Ess. anal. des
       fac. de l’ame_.

  [32] Eine Gattung _Wasserfaden_, die ~Linné~ die _Brunnenconferve_
       (_+conferva+ fontinalis_) nennt.

  [33] Wie z. B. _nidus pulli_, _bulla_, _amnion_, _figura venosa_ etc.

  [34] ~Pechlin~ und ~Tulp~ haben dergleichen Fälle beschrieben.

  [35] „_c’etoit_“, wie er sich ausdruckt „_une espèce de jambe de
       bois, dont la nature seule avoit fait les frais_.“

  [36] „_In corpore humano_“ sagt er „_nulla pars faciem suam rarius
       mutat quam cerebrum._“

  [37] _+Betula+ alnus quercifolia._ s. ~Gleditsch~ _hinterlaßne
       Abhandl. das practische Forstwesen betreffend_.


[Illustration]





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