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Title: Holbein der jüngere
Author: Knackfuss, H. (Hermann)
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Holbein der jüngere" ***


  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

    Der vorliegende Text wurde anhand der 1896 erschienenen Buchausgabe
    so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
    Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und
    altertümliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original
    unverändert; fremdsprachliche Zitate wurden nicht korrigiert.

    Einige Abbildungen wurden zwischen die Absätze verschoben und zum
    Teil sinngemäß gruppiert, um den Textfluss nicht zu beeinträchtigen.

    Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt. Besondere
    Schriftschnitte wurden mit Hilfe der folgenden Sonderzeichen
    gekennzeichnet:

        Unterstrichen: _Unterstriche_
        Fettdruck:     =Gleichheitszeichen=
        gesperrt:      +Pluszeichen+
        Antiqua:       ~Tilden~

  ####################################################################



                          Liebhaber-Ausgaben

                            [Illustration]



                         Künstler-Monographien

                In Verbindung mit Andern herausgegeben

                                  von

                              H. Knackfuß

                                 XVII

                          Holbein der jüngere

                       =Bielefeld= und =Leipzig=

                    +Verlag von Velhagen & Klasing+

                                 1896



                          Holbein der jüngere

                                  Von

                              H. Knackfuß

          +Mit 151 Abbildungen von Gemälden, Zeichnungen und
                            Holzschnitten+

                            Zweite Auflage

                            [Illustration]

                       =Bielefeld= und =Leipzig=

                    +Verlag von Velhagen & Klasing+

                                 1896



Von diesem Werke ist für Liebhaber und Freunde besonders luxuriös
ausgestatteter Bücher außer der vorliegenden Ausgabe

_eine numerierte Ausgabe_

veranstaltet, von der nur 100 Exemplare auf Extra-Kunstdruckpapier
gedruckt sind. Jedes Exemplar ist in der Presse sorgfältig numeriert
(von 1-100) und in einen reichen Ganzlederband gebunden. Der Preis
eines solchen Exemplars beträgt 20 M. Ein Nachdruck dieser Ausgabe, auf
welche jede Buchhandlung Bestellungen annimmt, wird nicht veranstaltet.

    Die Verlagshandlung.


Druck von Fischer & Wittig in Leipzig.



[Illustration: +Bildnis eines Unbekannten.+ Deckfarbenmalerei.

Im königl. Kupferstichkabinett zu Berlin.]



[Illustration: Die Knaben +Prosy und Hanns Holbain+, gezeichnet von
ihrem Vater, Hans Holbein dem älteren; oben in der Mitte die Jahreszahl
1511, bei Hans die Altersangabe 14, die Altersangabe bei dem älteren
Bruder ist unleserlich geworden. Silberstiftzeichnung im königl.
Kupferstichkabinett zu Berlin.]



Hans Holbein der jüngere.


Man pflegt Dürer und Holbein nebeneinander zu nennen, wenn man von
dem Höhepunkt der deutschen Kunst der Renaissance spricht. Aber
man darf die beiden großen Meister nicht unmittelbar miteinander
vergleichen wollen. Das verbietet schon der zwischen ihnen bestehende
Altersunterschied von mehr als einem Vierteljahrhundert. Das ist
ein Unterschied, der sehr viel ausmacht in einer Zeit, die von
so starkem treibenden Leben erfüllt war, wie das Jahrhundert des
Übergangs vom Mittelalter zur Neuzeit. Auch liegt die Größe der beiden
Meister auf wesentlich verschiedenen Gebieten. Dürers schöpferische
Gestaltungskraft hat kein anderer deutscher Maler wieder erreicht.
An Erfindungsgabe, Geist, Gemüt und auch an Bildung steht Dürer weit
über Holbein. Aber dieser tritt uns, was Dürer nicht thut, als ein
echter Maler entgegen. Die Farbe ist ihm nicht ein bloßes Kleid seiner
Gestaltungen; sie ist ihm ein Wesentliches, Innerliches; sie ist
ihm Ausdrucksmittel seiner künstlerischen Empfindungen. Dürer ging
aus einer Schule hervor die noch halb der Gotik angehörte, und sein
Genius ließ ihn die Bahnen der neuen Kunst entdecken. Holbein dagegen
war durch nichts mit der Kunst des Mittelalters verbunden. Er wurde
durch seinen Vater ausgebildet, und dieser stand, als der im Jahre
1497 geborene Knabe fähig war, künstlerischen Unterricht aufzunehmen
und zu verarbeiten, schon ganz auf dem Boden der vollen, reifen
Renaissance. Darum brauchen wir uns in Holbeins Formensprache nicht
erst einzulernen; sie ist uns unmittelbar verständlich.

Nur selten ist künstlerische Begabung erblich. Hans Holbein aber besaß
den Kern von dem, was ihn groß gemacht hat, als angeborenes Erbteil
von seinem Vater her. Auch dieser hieß mit Vornamen Hans, und zur
Unterscheidung der beiden Maler fügt die Kunstgeschichte dem gleichen
Namen die Zusätze „der ältere“ und „der jüngere“ bei. Wenn von Hans
Holbein schlechtweg die Rede ist, so ist immer der jüngere gemeint.
Aber auch Hans Holbein der ältere nimmt einen sehr ehrenvollen Platz in
der Geschichte der deutschen Kunst ein. Geboren zu Augsburg, man weiß
nicht, in welchem Jahre, als der Sohn eines aus der Nachbargemeinde
Schönefeld eingewanderten Gerbermeisters, widmete er sich, ebenso wie
ein Bruder von ihm mit Namen Siegmund, der Malerei. Seine Werke sind
vom Jahre 1492 oder 1493 an nachgewiesen. Man gewahrt in denselben
den Einfluß der Arbeiten des großen und liebenswürdigen Meisters
Martin Schongauer, dessen Kupferstiche durch die Welt gingen, in
dessen vielbesuchter Werkstatt zu Colmar aber auch denkbarerweise der
Augsburger Maler in der Lehre gewesen sein könnte. Weiter erkennt man
darin eine entschiedene Aufnahme jener Richtung, die von den Werken
der Brüder van Eyck mit ihrer liebevollen Naturnachbildung und ihrer
tiefen Farbenpoesie ausgegangen war. Der Sinn für getreue Wiedergabe
des in der Wirklichkeit Vorhandenen äußerte sich bei dem älteren
Holbein am stärksten in der Lust und Befähigung, die Mannigfaltigkeit
der menschlichen Gesichter in der Besonderheit, wie ein jedes
sich zeigte, zu erfassen. Seine Kirchengemälde sind angefüllt von
Persönlichkeiten, denen man es ansieht, daß sie aus der Wirklichkeit
entnommen sind, daß sie die Abbilder von Menschen sind, die als
Zeitgenossen des Malers gelebt haben. Von besonderem Interesse für
uns ist eine Gruppe von Personen, die als Zuschauer bei der Taufe des
Paulus auf einem jetzt in der Augsburger Gemäldegalerie befindlichen
Bilde angebracht sind: da steht der Maler selbst mit zwei Knaben im
Alter von etwa fünf und sieben Jahren, seinen Söhnen Ambrosius und
Hans; jener, der ältere von beiden, durch das Schreibzeug am Gürtel
als Schulknabe gekennzeichnet, scheint lebhafteren Temperaments
zu sein; der kleine Hans macht den Eindruck eines ruhigen, still
beobachtenden Kindes, aus seinem rundlichen Gesicht blicken große,
aufmerksame Augen. -- Bildnisbestellungen waren damals in Augsburg
wohl noch etwas kaum Bekanntes. So gab der Vater Holbein seiner Lust
am Porträtieren dadurch Befriedigung, daß er die Personen seiner
Bekanntschaft, hoch und niedrig, in sein Skizzenbuch zeichnete. Eine
ganze Menge von solchen Skizzenbuchblättern hat sich erhalten, die
meisten davon bewahrt das Kupferstichkabinett des Berliner Museums.
Das sind Meisterwerke der Bildniskunst, sprechende Wiedergaben von
Persönlichkeiten, in klarer, lebensvoller Kennzeichnung und in feiner,
malerisch empfundener Ausführung mit dem Silberstift, bisweilen mit
Zuhilfenahme von Rötel und Weiß, leicht und sicher hingezeichnet.
Auch unter diesen Zeichnungen finden wir die Köpfe der beiden Knaben
wieder. Ein im Berliner Kupferstichkabinett befindliches Blättchen,
das mit der Jahreszahl 1511 bezeichnet ist, zeigt uns dieselben
einander gegenübergestellt, mit beigeschriebenen Namen. Der lockige
„Prosy“ erscheint hier schon als ein Jüngling; „Hanns,“ bei dem
die Altersangabe „vierzehn“ beigefügt ist, zeigt unter schlicht
herabgekämmtem Haar ein rundes Kindergesicht, in dem die Ähnlichkeit
mit jenem früheren Bildnis noch sehr groß ist. -- Der Vater Holbein
wendete sich bereits im ersten Jahrzehnt des XVI. Jahrhunderts mit
voller Begeisterung der neuen Kunstrichtung zu, die von Italien
herübergebracht wurde. Vom Jahre 1508 an sind Gemälde von ihm
vorhanden, die ganz dem Stil der „Renaissance“ angehören; nicht nur
in dem äußerlichen Sinne, daß in den Architekturen und Ziergebilden,
welche die Bilder einfassen, „antikische“ Formen an die Stelle der
gotischen getreten sind; sondern auch dem inneren Wesen nach, indem
die Gestalten eine vollere Rundung und Weichheit der Formen, die
Gewänder einen freieren, größeren Wurf und alle Linien einen belebteren
Schwung bekommen. Sein in der Münchener Pinakothek befindliches
Altarwerk, der „Sebastiansaltar“, gehört zu den Juwelen der deutschen
Renaissancemalerei.

Ungeachtet des Ansehens, das der ältere Holbein als Maler genoß, erging
es ihm in seinem Alter schlecht. Er verließ Augsburg im Jahre 1517
wegen unglücklicher Vermögensverhältnisse und starb 1524 zu Isenheim
im Elsaß.

[Illustration: Abb. 1. +Marienbild.+ Ölgemälde aus dem Jahre 1514.

Im Museum zu Basel.]

[Illustration: Abb. 2. +Die heilige Jungfrau Maria.+

Ölbild im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Seine Söhne, die er beide zu Nachfolgern seiner Kunst herangebildet
hatte, verließen die Vaterstadt schon früher und begaben sich nach
Basel. Hier ist die Thätigkeit von Hans Holbein seit 1515, diejenige
von Ambrosius seit 1516 bezeugt.

Ambrosius Holbein war ein bescheidenes Talent. Es sind nur wenige
Gemälde von ihm vorhanden; unter diesen nehmen zwei im Baseler Museum
befindliche Knabenbildnisse die erste Stelle ein. Ferner werden einige
Bildniszeichnungen von ihm in der nämlichen Sammlung und in der
Albertina zu Wien aufbewahrt. Dazu kommt eine Anzahl in Holzschnitt
vervielfältigter Zeichnungen, der Mehrzahl nach reich verzierte und mit
figürlichen Darstellungen ausgestattete Buchtitel. Ambrosius Holbein
muß früh gestorben sein. Seine Aufnahme in die Baseler Malerzunft wird
im Jahre 1517 beurkundet. Nach 1519 aber gibt kein Werk und keine
Urkunde mehr Zeugnis von seinem Dasein.

Hans Holbein lenkte gleich in der ersten Zeit seiner Anwesenheit in
Basel durch kecke und bedeutende Arbeiten die Aufmerksamkeit auf sich.

Das Museum zu Basel besitzt als das älteste bekannte Werk von der
Hand des jüngeren Hans Holbein ein kleines Marienbild, welches mit
der Jahreszahl 1514 bezeichnet ist (Abb. 1). Dieses Bildchen ist in
einem Dorfe in der Nähe von Konstanz aufgefunden worden, und die
Vermutung scheint begründet, daß der junge Maler dasselbe während
seiner Wanderschaft von Augsburg nach Basel angefertigt habe. Es
ist ein kindliches, aber ansprechendes Werk. Die Jungfrau Maria ist
sitzend, das Jesuskind auf dem Schoße haltend, dargestellt, als
Kniestück; sie trägt ein weißes Kleid und schwarzen Rock, das fein
gefältelte Kleid ist mit Goldstickereien verziert; Gesicht und Hände
und das Kinderkörperchen sind so licht gehalten, daß ihre Farbe dem
Weißen nahe kommt. Dieses Ganze von anspruchslosen Tönen hebt sich
von einem dunkelroten Hintergrund ab, der aber nicht unmittelbar das
Weiß des Kleides und das farblose Fleisch berührt, sondern durch die
Goldfarbe der Krone auf Marias Haupt und des über ihre Schultern
fließenden Haares davon getrennt wird. Um das Bildchen ist ein gemalter
Rahmen herumgeführt, wie ein Aufbau aus weißem Stein, in dem sich
kleine Englein, durch schwarze Füllungen in dem Architekturrahmen
hervorgehoben, bewegen; sie tragen die Leidenswerkzeuge Christi,
Musikgeräte und Inschrifttäfelchen. Aus dem oberen Querteil dieses
Rahmens hängt ein grünes Lorbeergewinde in den dunkelroten Grund
herab, der außerdem noch durch zwei Wappen belebt wird. Die Formen des
Rahmens gehören vollständig dem Renaissancestil an. Aus dem reizvollen
Zusammenklang, der in die wenigen Farben gebracht ist, spricht schon
eine große Feinheit des Farbengefühls.

Unter den von Holbeins Freund Bonifacius Amerbach gesammelten Werken
von dessen Hand, die den Grundstock des Baseler Museums ausmachen,
werden in dem ursprünglichen Verzeichnis mehrere Bilder ausdrücklich
als früheste Arbeiten des Malers bezeichnet. Diese müssen also dem
ersten Jahre seines Aufenthalts in Basel, 1515, angehören. Es sind
zwei Köpfe von Heiligen und einige Bilder aus der Leidensgeschichte
Christi. Die beiden Heiligen, eine Jungfrau mit Krone und losem Haar
(Abb. 2) und ein bartloser junger Mann mit lockigen Haaren (Abb. 3),
stellen wohl Maria und Johannes den Evangelisten vor. Sie haben goldene
Heiligenscheine und hellblaue Hintergründe. Die Töne sind auch hier gut
zusammengestimmt. In Form und Ausdruck aber verraten die sehr fleißig
gemalten Köpfe noch nicht viel von der hohen Begabung ihres Urhebers.

[Illustration: Abb. 3. +Der heilige Johannes der Evangelist.+

Ölbild im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

In höherem Maße sind die Passionsbilder geeignet, unsere Aufmerksamkeit
zu fesseln. Die aus der Amerbachschen Sammlung stammenden Stücke, denen
das alte Verzeichnis jenen Vermerk bezüglich ihrer Entstehungszeit
beigegeben hat, stellen das letzte Abendmahl und die Geißelung Christi
dar. Zu diesen sind durch spätere Erwerbung noch drei andere in das
Baseler Museum gelangt, welche augenscheinlich Bestandteile der
nämlichen, ursprünglich zweifellos noch größer gewesenen Folge bilden:
das Gebet am Ölberg, die Gefangennahme Christi und die Händewaschung
des Pilatus. Die Bilder sind nicht auf Holztafeln, sondern auf Leinwand
gemalt. Da dieses damals in Deutschland noch ganz ungebräuchlich war
bei Gemälden, auf welche man Wert legte, so ist mit Grund die Vermutung
ausgesprochen worden, dieselben seien zu einem vorübergehenden Zweck,
etwa zur Ausschmückung einer Kirche in der Karwoche gemalt worden.
Daraus würde sich auch die derbe und eilfertige Art der Ausführung
dieser Bilder erklären. Auch glaubt man, da die Bilder auf den ersten
Anblick nicht den Eindruck von Werken Holbeins machen, annehmen
zu müssen, daß er dieselben in der Werkstatt eines älteren Malers
als dessen Gehilfe ausgeführt habe. Nach dieser Annahme würden die
Kompositionen der Bilder wahrscheinlich nicht von ihm, sondern von
dem Meister der Werkstatt herrühren. Aber die Kompositionen sind
bedeutender, als man sie von einem der älteren damaligen Baseler
Maler erwarten dürfte, und in zwei Dingen kommen die besonderen
Begabungen Holbeins deutlich zum Ausspruch: in dem künstlerischen Wert
der Farbenstimmungen und in der Lebendigkeit und Natürlichkeit der
Gesichter; der Gesichtsausdruck ist überall außerordentlich sprechend,
und wenn er hier und da an die Grenze der Übertreibung streift, so
ist das leicht erklärlich in Bildern, bei denen die derbe Art der
Ausführung kein Eingehen in Feinheiten zuließ.

[Illustration: Abb. 4. +Das letzte Abendmahl.+ Ölgemälde auf Leinwand.

Im Museum zu Basel.]

[Illustration: Abb. 5. +Die Geißelung.+ Ölgemälde auf Leinwand.

Im Museum zu Basel.]

Die Darstellung des letzten Abendmahls (Abb. 4) verlegt den Vorgang in
einen Raum von spielender, bunter Renaissancearchitektur -- auch diese
Architektur ist echt Holbeinisch --; darin öffnen sich Durchblicke auf
die dunkelblaue Luft. Die Tafel ist auf zwei rechtwinklig aneinander
stoßenden Tischen gedeckt. An der Spitze des Winkels sitzt Christus
so, daß man ihn von der Seite sieht, und reicht dem gelb gekleideten
Judas das Brot über den Tisch herüber. Das Ganze hat eine sehr reiche
Farbenwirkung. In einer Art von Laube, die man im Hintergrund sieht,
ist als Nebendarstellung die Fußwaschung des Petrus zur Anschauung
gebracht. -- Das Gebet am Ölberg ist in einem düsteren Nachtstück
geschildert. Christus wirft die Arme in heftiger Bewegung empor, wie
es Dürer in seiner wenige Jahre vorher erschienenen Kupferstichpassion
vorgebildet hatte. Der Engel kommt, in kühner Verkürzung dargestellt,
köpflings vom Himmel herab; er ist in ein blaßrotes Renaissancekostüm
gekleidet. Die Gewänder des Heilandes und des im Vordergrund
schlafenden Petrus klingen in schwärzlichen Tönen mit der allgemeinen
Nachtstimmung zusammen. Am Horizont flimmert ein rötliches Morgenlicht
im Gewölk. Von den Fackeln der Männer, welche im Hintergrund das
Gartenthor durchschreiten, geht heller Schein aus. Wenn dieses Bild im
ganzen weniger ansprechend wirkt, als die übrigen, so macht dagegen die
Schilderung des folgenden Vorgangs, der Gefangennahme Christi, einen
wahrhaft großartigen Eindruck. Eine wilde Bewegung geht durch das Bild,
in dem, wie üblich, die drei Momente des Judaskusses, des Ergreifens
des Verratenen und des Schwerthiebes des Petrus zusammengefaßt sind.
Die eigentümliche Mächtigkeit des Farbeneindrucks beruht hauptsächlich
auf der Wirkung, in welcher der gelbe Rock des Judas und das graue
Eisen der Rüstungen und Waffen der Häscher zu einander stehen; das
Fackellicht ist nicht zu künstlichen Beleuchtungswirkungen benutzt.
-- In dem Pilatusbilde ist die linke Hälfte des Gemäldes, wo der
Landpfleger in dunkelolivengrünem Rock mit Hermelinpelz in einer
Nische aus verschiedenfarbigem Marmor thront und sich die Hände in
einer goldenen Schüssel wäscht, die ihm ein Diener in dunkelfarbiger
Kleidung hinhält, während ein anderer Diener, in einen hellgelben Rock
mit schwarzem Sammetbesatz gekleidet, aus goldener Kanne eingießt, zu
großer Schönheit der Farbenstimmung durchgebildet. Rechts von dieser
Gruppe sieht man den Heiland, der von einer Schergenschar zur Thür
hinausgeschleppt wird; die am meisten sprechende Farbe gibt hier der
dunkelblaue Christusrock. -- Die Geißelung ist in einer gewaltig
eindrucksvollen Darstellung mit wahrer Grausamkeit gemalt (Abb. 5). Der
entkleidete Christus, dessen Körper mit bedeutender Kenntnis gezeichnet
ist, ist mit einem Strick um den Leib an eine weiße Säule gebunden,
mit einem anderen Strick sind seine Hände hoch gezogen; unter der
Gewalt der Schmerzen klemmt er seine Beine krampfhaft übereinander. Die
helle Gestalt und die bunt gekleideten grimmigen Henker heben sich von
einer beschatteten grauen Steinwand ab; in der Wand sieht man eine
Thüröffnung, durch die Pilatus dem gräßlichen Schauspiel zusieht.

[Illustration: Abb. 6. +Bildnis eines Unbekannten.+ Ölgemälde von 1515.

Im Großherzogl. Museum zu Darmstadt.]

Beweglichen Geistes vermochte Holbein, der hier mit so eindringlicher
Vertiefung das herbste Leiden schilderte, sich ebenso ausdrucksvoll
auf dem Gebiete lustigen Humors zu bewegen. Davon gibt eine in
der Stadtbibliothek zu Zürich aufbewahrte Arbeit die erste Probe,
die in der ersten Hälfte des Jahres 1515 entstanden sein muß, da
der Besteller derselben, Hans Ber, im Sommer dieses Jahres als
Fähnrich mit den Baseler Truppen ausrückte und aus der zweitägigen
blutigen Schlacht bei Marignano nicht heimkehrte. Es ist eine mit
Verbildlichungen volkstümlicher Späße bemalte hölzerne Tischplatte.
Die Hauptdarstellungen zeigen einen eingeschlafenen Händler, dessen
Kram von Affen geplündert wird, und den „Niemand,“ der an allem, was
irgendwo Verkehrtes angerichtet worden ist, schuld sein soll und der
sich doch nicht verteidigen kann. Um diese Hauptbilder zieht sich ein
Rahmen, in dem allerlei Kurzweil dargestellt ist: Kampfspiele, Jagden,
Fischfang, Bad, Schmauserei und Mädchenfang. Dazu sind verschiedene
kleine Dinge, ein Brief, eine Brille, Schreibgeräte und dergleichen, so
auf den Tisch gemalt, als ob sie wirklich dort lägen. Diese Zuthaten
bezwecken den Scherz der Augentäuschung durch die Körperhaftigkeit
der Malerei. Noch im XVII. Jahrhundert war diese Tischplatte ein weit
berühmtes Werk; später in Vergessenheit geraten, wurde sie erst im
Jahre 1871 wieder entdeckt, leider in schwer beschädigtem Zustand.

Im Jahre 1515 trat Holbein auch schon als Bildnismaler auf. Das Museum
zu Darmstadt bewahrt das halblebensgroße Brustbild eines jungen Mannes,
welches mit dieser Jahreszahl und den Buchstaben ~H. H.~ bezeichnet
ist. Der unbekannte Jüngling ist in scharlachrotes Tuch gekleidet,
eine Mütze aus demselben Stoff sitzt auf seinem blonden Haar; den
Hintergrund bildet ein lichtblauer Luftton. In einem kühnen Wagnis hat
der junge Maler hier seine Farbenkunst auf die Probe gestellt; und es
ist ihm wohl gelungen (Abb. 6).

[Illustration: Abb. 7. Schlußbild zu Erasmus’ „+Lob der Narrheit+“.
(Die Narrheit steigt vom Katheder herunter.)

Federzeichnung in dem Handexemplar des Erasmus, im Museum zu Basel.]

[Illustration: Abb. 8. +Buchverzierung mit der Geschichte des
Tantalus.+ Im Text +Zierbuchstabe mit Simson und Delila+. Holzschnitte.]

[Illustration: Abb. 9. +Das Bücherzeichen des Johannes Froben.+

Holzschnitt.]

Eine andere, ganz eigenartige Arbeit Holbeins aus dem nämlichen Jahre
lehrt uns ihn als einen Meister schnell fertiger Erfindung kennen.
Das sind seine Randzeichnungen zu dem „Lob der Narrheit“ des Erasmus
von Rotterdam. Erasmus war im Jahr 1513 zum erstenmal nach Basel
gekommen, um mit dem berühmten Buchdrucker Johannes Froben über
die Veröffentlichung seiner Sammlung von Sprichwörtern und seiner
Ausgabe des Neuen Testaments zu verhandeln. Seitdem verweilte der
hoch gefeierte Gelehrte alljährlich längere Zeit in Basel. Bei Froben
erschien auch im Jahre 1514 das in lateinischer Sprache, aber in
volkstümlichem Sinne geschriebene scharf satirische Buch „~Encomion
morias~“ (Lob der Narrheit). In einem Exemplare dieses Buches, welches
für den eigenen Gebrauch des Verfassers bestimmt war, zeichnete
Holbein auf die etwa fünf Centimeter breiten Ränder 82 Bildchen. Er
führte diese Arbeit, wie in einem auf dem Titelblatt eingetragenen
Vermerk bekundet wird, in der Zeit von zehn Tagen aus, damit Erasmus
sich daran ergötze. Aus einer anderen Notiz erfahren wir, daß diese
Illustrationen gegen das Ende des Jahres 1515 angefertigt wurden.
Unbekannt bleibt, ob dieselben ihre Entstehung einem Wunsche des
Erasmus selbst verdanken oder ob etwa ein Freund sie als Geschenk für
diesen bestellte. Das kostbare Buch befindet sich jetzt unter den
Holbeinschätzen des Baseler Museums. Die Zeichnungen, mit der Feder
in flotten, sicheren Strichen ohne lange Überlegung hingeworfen,
illustrieren mit Witz und gesundem Humor die nebenstehenden Textstellen
oder die erläuternden Randglossen. Die Einleitung bildet eine
Darstellung der „Moria“ (Narrheit), die in Gestalt eines mit der
Schellenkappe bekleideten jungen Weibes den Lehrstuhl besteigt, um ihr
eigenes Lob zu verkünden. In der mannigfaltigsten Weise hat dann der
Zeichner aus dem Text und den Randbemerkungen herausgezogen, was ihm
gerade zur Verbildlichung geeignet erschien. Seine Einfälle erfaßten
nicht immer den Kern der Sache, sondern häufig gab ihm eine bloß
zufällig vorkommende Redensart den Gedanken zu einer Zeichnung ein; so
hat er zum Beispiel zu einer Stelle, wo der sprichwörtliche Ausdruck
„von einer Sache so viel verstehen, wie der Esel vom Lautenspiel“
gebraucht wird, einen Esel gezeichnet, der mit dem köstlichsten
Ausdruck einem ritterlichen Harfner gegenübersteht und dessen Spiel
mit seiner schönen Stimme begleitet. Die in den Glossen enthaltenen
Erklärungen zu den im Text vorkommenden mythologischen Anspielungen
haben ihn ganz besonders gereizt zu mutwillig launigen Darstellungen,
welche die Göttergeschichten ins Lächerliche ziehen. Eine sprechende
Probe von der Lebhaftigkeit des Geistes, mit welcher Holbein Bildstoffe
in den Worten fand, gibt die Zeichnung zu einer Stelle, wo der
mittelalterliche Theologe Nikolaus de Lyra erwähnt wird; hier hat der
bloße Name genügt, um ihm einen Bildgedanken einzugeben: der fromme und
gelehrte Herr sitzt mit einem Leierkasten neben seinem Pult. Einmal
nennt Erasmus seinen eigenen Namen im Text. Da hat Holbein auch ihn
in seiner Studierstube sitzend an den Rand gezeichnet und den Namen
Erasmus groß dazu geschrieben. Das Bildchen enthält nichts Boshaftes,
aber der Gelehrte hat sich doch an dem jungen Künstler für den Scherz,
das Abbild seiner eigenen Person unter die Witzbildchen gebracht zu
haben, gerächt: auf der folgenden Seite steht bei der Zeichnung eines
feisten Schwelgers, der bei Weib und Wein die Lehren des Epikurus
befolgt, der Name Holbein von der Hand des Erasmus beigeschrieben. Man
braucht aus diesem Scherz gegen Scherz nicht gleich zu folgern, daß
der junge Holbein ein besonderer Wüstling gewesen wäre; aber das folgt
daraus, daß zwischen den beiden Männern, von denen der eine auf der
Höhe des Ruhmes, der andere erst an der Schwelle seiner Laufbahn sich
befand, schon ein freundschaftliches Verhältnis bestand, das dem jungen
Künstler zur großen Ehre gereichen mußte. Die größte Mehrzahl der
Randzeichnungen beschäftigt sich natürlich mit den Thorheiten selbst,
die den Menschen aller Stände anhaften, und in diesen bildlichen
Verspottungen menschlichen Dünkels erweist der Künstler sich als dem
Verfasser der Satire ebenbürtig in Bezug auf treffende Darstellung.
Das Schlußbild zeigt wieder die Moria selbst, wie sie, nachdem sie den
Hörern Lebewohl gesagt, die ihr mit den verschiedensten Gesichtern
nachsehen, vom Lehrstuhl herabsteigt (Abb. 7). Das Überraschendste an
all diesen kleinen flüchtigen Zeichnungen ist neben ihrer frischen
Munterkeit die Schärfe der mit so wenigen Strichen gegebenen
Charakteristik.

[Illustration: Abb. 10. +Das Aushängeschild eines Schulmeisters.+
Ölmalerei von 1516.

Im Museum zu Basel.]

[Illustration: Abb. 11. +Das Aushängeschild eines Schulmeisters.+
Ölmalerei von 1516.

Im Museum zu Basel.]

Die Bekanntschaft mit Erasmus verdankte Holbein ohne Zweifel dem
Buchdrucker Froben. Dieser berühmte Verleger gab dem jungen Künstler
bald nach dessen Ankunft in Basel Beschäftigung, indem er ihn
Holzzeichnungen zur Druckausstattung von Büchern anfertigen ließ.
Eine mit Hans Holbeins Namen bezeichnete Titeleinfassung, bestehend
aus einem Renaissancegehäuse, das von Putten belebt ist, und auf
dessen Sockel Tritonen wie in Relief dargestellt sind, kommt in den
Ausgaben verschiedener Bücher aus dem Jahre 1515 und der Folgezeit
vor. Dann folgen von 1516 an verschiedene Umrahmungen, in denen
Figurendarstellungen die Hauptsache sind; da werden die Geschichten
von Mucius Scävola, von Marcus Curtius, von Kleopatra, die Sage von
Tantalus und Pelops (Abb. 8) und andere klassische Erzählungen, die
in jenem Zeitalter des Humanismus wieder neues Leben bekommen hatten,
dem Beschauer vorgeführt. Es ist bemerkenswert, daß Holbein hier
schon anstatt der Tracht seiner Zeit antikes Kostüm angewendet hat,
dessen Kenntnis die Kupferstiche des Mantegna ihm zutrugen. Dazu kommt
ein Titelrahmen mit der vom Mittelalter her beliebten Verbildlichung
von der Weibermacht; Paris, Pyramus, David und Salomon sind als
Beispiele der dem Weibe unterliegenden Männer vorgeführt. Außer
ganzen Titeleinfassungen zeichnete Holbein auch einzelne Zierleisten,
figurengeschmückte Alphabete und einzelne Buchstaben für den Buchdruck;
ferner die auf dem Titel oder am Schluß des Buches anzubringenden
Verlagszeichen (Signete), nicht nur des Froben, sondern auch anderer
Drucker. Das Verlagszeichen des Johannes Froben war ein von zwei
Händen gehaltener Merkursstab, auf dessen Knopf zwischen den Köpfen
der beiden Schlangen eine Taube sitzt. Auf dem großen Bücherzeichen
(~Ex-libris~) Frobens (Abb. 9) sehen wir dieses Signet auf einem
Schild angebracht, der von Putten in einem reichen Renaissancegehäuse
gehalten wird; leider wird das hübsch erfundene Blättchen durch die
mangelhafte Schnittausführung verunstaltet. Überhaupt ist der Schnitt
dieser frühen Holzzeichnungen Holbeins recht unvollkommen; der Strich
der Künstlerhand erscheint manchmal sehr entstellt. Bei mehreren der
Blätter, die keine Namensbezeichnung tragen, bleibt es zweifelhaft,
ob Hans Holbein oder sein auf demselben Gebiete thätiger Bruder
Ambrosius der Urheber ist. -- Das Frobensche Signet hat Hans Holbein
auch einmal in größerem Maßstab, sozusagen als Bild, ausgeführt,
in Wasserfarbenmalerei auf Leinwand. Dieses Blatt, das sich in der
Handzeichnungensammlung des Baseler Museums befindet, ist ein Muster
guten Geschmacks; in klarer, einfacher Zeichnung, die mit wenigen
Tönen angelegt ist, erzielt es die trefflichste dekorative Wirkung.
Der Stab mit Schlangen und Tauben schwebt, von Händen, deren Ursprung
in Wolken verschwindet, gehalten, hell vor einem dunkelblauen Grund,
unter einer Bogenarchitektur mit kurzen Säulen, deren Kapitelle die
korinthische Form haben und deren Schäfte, dunkelrot mit ausgesparten
Lichtern, den Eindruck glänzend polierten Marmors machen.

[Illustration: Abb. 12. +Der Bürgermeister Jakob Meyer zum Hasen.+

Zeichnung in Silberstift und Rötel. Im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Der junge Maler nahm jeden Auftrag an, der ihm geboten wurde. So
malte er im Jahre 1516 das Aushängeschild eines Schulmeisters (Abb.
10 und 11). Es war eine Tafel, die, am Schulhause herausgehängt, auf
beiden Seiten zu sehen war; jede Seite bekam daher Aufschrift und
Bild. Jetzt befindet sich die Tafel, in ihre beiden Seitenhälften
gespalten, im Museum zu Basel. Die Aufschrift, die, auf beiden Seiten
gleichlautend, jedem, der gern deutsch schreiben und lesen lernen will,
er sei Bürger oder Handwerksgesell, Frau oder Jungfrau, verspricht,
ihm dieses in kürzester Zeit gründlich beizubringen, unter der Zusage,
von demjenigen, bei dem die Unterweisung vergeblich sein sollte,
keinen Lohn nehmen zu wollen, und die für die jungen Knaben und
Mägdlein die übliche Schulzeit ansagt, nimmt in ihrer Ausführlichkeit
den größten Raum der Tafel ein. Für die bildliche Belebung dieser
Ansprache an die Vorübergehenden blieb je ein länglicher niedriger
Streifen frei. Holbein hat hier, begreiflicherweise ohne künstlerischen
Kraftaufwand, aber doch mit malerischer Lust und mit heiterer Laune,
zwei niedliche Bildchen gemalt, in denen er einerseits den Unterricht
der Kinder, andererseits denjenigen der Erwachsenen schildert. Dort
sieht man in ein kahles Zimmer mit Bretterboden und grauen getünchten
Wänden. An der Langwand steht unter den Butzenscheibenfenstern eine
ganz einfache Bank, eine zweite Bank steht genau in der Mitte des
Raumes; links und rechts befinden sich je ein Pult. An dem einen Pult
sitzt auf einer Kiste der Schulmeister, gelb und rot gekleidet, mit
einer roten Mütze auf dem Kopf; er berührt einen lesenden Knaben
in grünem Röckchen freundschaftlich mit der Rute. Gegenüber sitzt
die Frau Schulmeisterin in rotem Kleid und weißer Haube auf einem
Stuhl, mit dem Unterweisen eines blau und grün gekleideten Mädchens
beschäftigt. In der Mitte sitzen auf der Bank und auf einem daneben
stehenden Schemel zwei Knaben, die für sich lesen, der eine in blauem
Anzug, der andere in gelbem mit roter Mütze. Das Bildchen hat in
seiner großen Anspruchslosigkeit einen Reiz durch seine vollkommene
Naivetät; der Ausdruck, nicht nur in den Gesichtern, sondern auch in
den Bewegungen, ist ganz vortrefflich. Das andere Bildchen besitzt
noch mehr malerischen Reiz. Die naturgemäße Beleuchtung mit dem
durch die Fenster von hinten auf die Figuren fallenden Licht und den
nach vorn sich ausbreitenden Schlagschatten ist mit Entschiedenheit
angegeben. Die Stube ist ähnlich wie dort, wirkt aber doch etwas
wohnlicher. An der Wand sieht man eine Vorrichtung zum Waschen mit
einem sauberen Handtuch. In der Mitte steht ein Tisch mit Stühlen.
Da sitzt der Schulmeister, den man hier gerade von vorn sieht --
zweifellos ist er Porträt --, in der nämlichen Kleidung wie dort,
zwischen zwei erwachsenen jungen Männern, die nach der Landsknechtsmode
gekleidet sind, der eine bunt in Rot und Gelb, der andere grün. Der
Gesichtsausdruck ist wieder meisterhaft, namentlich wirkt die Miene
des Grünen, der sich mit der größten Mühe anstrengt zu fassen, was der
Lehrer ihm sagt, unbeschreiblich komisch.

[Illustration: Abb. 13. +Dorothea Kannengießer, Gattin des
Bürgermeisters Jakob Meyer.+ Zeichnung in Silberstift und Rötel. Im
Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 14. +Der Bürgermeister Jakob Meyer.+ Ölgemälde von
1516.

Im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Neben solchen bescheidenen Arbeiten von flüchtiger Ausführung malte
Holbein aber auch Bildnisse, in denen er den höchsten künstlerischen
Ansprüchen Genüge leistete durch eine meisterhafte Bethätigung der
Kunst, aus dem naturgetreuen Abbild eines Menschen ein wirkliches
Bild, ein in Formen und Farben in sich abgeschlossenes harmonisches
Kunstwerk, zu gestalten, und durch die vollendetste technische
Durchbildung. In eben dem Jahre 1516 gab der neuerwählte Bürgermeister
von Basel, Jakob Meyer, ihm den Auftrag, ihn und seine Gattin zu
malen. Das Baseler Museum besitzt nicht nur die in einem Rahmen
vereinigten Bildnisse des Ehepaares, sondern auch die Vorarbeiten,
welche Holbein zu denselben gemacht hat. Diese letzteren bestehen in
Zeichnungen der Köpfe, die in der nämlichen Größe, die sie im Gemälde
bekommen sollten, halb lebensgroß, mit der äußersten Sorgfalt und
Feinheit ausgeführt sind. Mit haarscharfen Linien des Silberstifts,
die so klar und bestimmt dastehen wie Federstriche, hat der Künstler
die Umrisse festgestellt; in leichter, zarter Modellierung hat er
mit demselben Stift die Rundung der Formen angegeben und dabei die
Verschiedenartigkeiten der Haut in ihrer Lage über festen und über
weichen Teilen treffend anzugeben gewußt; mit Rötel hat er dann die
röteren Stellen der Haut bezeichnet. Namentlich die Zeichnung des
Männerkopfes ist so vollendet in der Durchbildung, daß diese Vorarbeit
zu einem Gemälde den Wert eines selbständigen Kunstwerks in sich trägt.
Jakob Meyer, mit dem Beinamen zum Hasen -- solche unterscheidende
Beinamen wurden von den Wahrzeichen der Häuser der Betreffenden
hergeleitet --, zeigt sich uns als eine ehrenfeste Persönlichkeit,
in deren Zügen sich Milde und Entschiedenheit vereinigen. So können
wir uns den Mann wohl vorstellen, der, nachdem er mehrere Feldzüge
in Italien mitgemacht hatte, als der erste von bürgerlicher Herkunft
an die Spitze der Regierung von Basel berufen wurde und in einer
Reihe aufeinander folgender Amtsjahre tief eingreifende Neuerungen
in der Verfassung der Stadt mit Umsicht und Thatkraft durchführte
(Abb. 12). Die Gattin des Bürgermeisters, Dorothea Kannegießer,
erscheint jung und hübsch; sie war Jakob Meyers erst vor wenigen
Jahren heimgeführte zweite Frau (Abb. 13). -- Nachdem Holbein solche
Zeichnungen angefertigt hatte, in denen Form und Ausdruck schon
vollkommen fertig festgelegt waren, konnte er bei der Ausführung in
der Malerei sein ganzes Augenmerk auf die Farbe richten. Und auch um
der Farbe willen brauchte er seine Modelle nicht durch viele und lange
Sitzungen zu ermüden. Auf der Bildniszeichnung Jakob Meyers sehen
wir oben links in der Ecke einige schriftliche Bemerkungen von der
Hand Holbeins; das sind Notizen über die Farbe, z. B. „Brauen heller
denn das Haar.“ Wir ersehen daraus, daß der Künstler die Absicht
hatte und zweifellos auch durchführte, beim Herstellen der Gemälde,
im Vertrauen auf sein erforderlichenfalls durch solche Notizen
unterstütztes Farbengedächtnis, die Zeichnungen so viel wie möglich
aus dem Kopf in Malerei zu übersetzen. Dieses Verfahren hat Holbein
zeitlebens beibehalten. In die Art und Weise, wie er beim Malen zu
Werke ging, gewährt ein in den ersten Anfängen stehen gebliebenes
Damenporträt im Baseler Museum einen interessanten Einblick; da sind
innerhalb der genauen Zeichnung alle Farben mit ganz platten Tönen
angelegt, nur das Fleisch ist von vornherein ein wenig modelliert. --
Das gemalte Doppelbildnis des Meyerschen Ehepaares (Abb. 14 und 15) ist
ein ausgezeichnetes Meisterwerk. Von seinem Vater hatte Holbein die
Lust überkommen, Architekturen in dem neuen italienischen Geschmack,
im Renaissancestil, zu erfinden. So hat er auch die beiden Brustbilder
unter eine solche, seiner Phantasie entsprungene Architektur gesetzt.
Dieselbe ist als eine in beiden Bildhälften durchgehende gedacht. Sie
bringt Abwechselung in Formen und Farben in die Hintergründe; der graue
Stein ist buntfarbig belebt durch braunrote Marmorsäulchen, goldfarbige
Verzierungen und dunkelblaue Tönungen in den Kassetten der Wölbung. Bei
dem Bilde des Mannes bleibt ein schmaler, bei demjenigen der Frau ein
breiter Durchblick in die lichtblaue Luft frei. Jakob Meyer trägt einen
schwarzen Rock, ein weißes Hemd mit goldfarbiger Stickerei am Börtchen
und eine scharlachrote Mütze auf dem krausen braunen Haar; das Rot und
das Luftblau stehen ganz ähnlich zusammen wie in dem das Jahr zuvor
gemalten Bildnis im Darmstädter Museum. Das Bild der Frau ist womöglich
noch prächtiger in der Farbe, als das des Mannes. Kopf und Hals heben
sich in den lichten Fleischtönen einer Blondine, deren kühle Farbe
durch eine warme Tönung des mit goldfarbigen Verzierungen durchwirkten
Weißzeugs von Haube und Hemd noch gehoben wird, von der blauen Luft
ab; ein paar schmale Kettchen auf dem weißen Hals und glitzernder
Metallschmuck am Saum des Hemdes beleben die Helligkeitsmasse, die
unten kräftig abgeschlossen wird durch den breiten schwarzsammetenen
Besatz des scharlachroten Kleides.

[Illustration: Abb. 15. +Die Gattin des Bürgermeisters Jakob Meyer.+

Ölgemälde von 1516. Im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Ein mit der Jahreszahl 1517 bezeichnetes kleines Bild im Baseler
Museum zeigt Adam und Eva in Brustbildern (Abb. 16). Es ist eine mit
Ölfarbe auf Papier gemalte fleißige Naturstudie, deren malerischer Reiz
in der Verschiedenheit besteht, mit der sich helleres und dunkleres
Fleisch -- Adam ist brünett, Eva blond -- nebeneinander vom schwarzen
Grunde abheben.

[Illustration: Abb. 16. +Adam und Eva.+ Ölmalerei auf Papier, von 1517.

Im Museum zu Basel.]

Wie eingehend Holbein die Natur auch in Kleinigkeiten studierte,
davon legen ein paar niedliche Blättchen unter den Handzeichnungen
des Baseler Museums Zeugnis ab. Auf dem einen sehen wir ein Lamm und
den Kopf eines Lammes, mit entzückender Feinheit gezeichnet und mit
ganz leichter Anwendung von Wasserfarben zu völlig malerischer Wirkung
gebracht (Abb. 17). Auf dem anderen ist mit der nämlichen Sorgfalt
eine ausgespannte Fledermaus gezeichnet; die durch die Flughäute
durchschimmernden Adern sind mit roter Wasserfarbe nachgezogen, und
hierdurch und durch leichtes Anlegen einiger anderen Stellen mit dem
rötlichen Ton ist in überraschender Weise ein farbiger und malerischer
Eindruck erzielt (Abb. 18).

Im Jahre 1517 begab sich Holbein nach Luzern. Hier harrte seiner eine
umfangreiche Aufgabe der Wandmalerei.

Während im übrigen Deutschland damals den Malern wenig Gelegenheit
geboten wurde, ihre Kunst auf diesem besonderen Gebiet zu erweisen,
dem die gleichzeitigen Italiener die Freiheit und Größe ihres Stils in
erster Linie verdankten, hatte in den deutschen Städten in der Nähe des
Alpenrandes -- zuerst vielleicht in Augsburg, das ja vornehmlich den
Verkehr mit Italien vermittelte, -- die oberitalienische Sitte Aufnahme
gefunden, die Außenseite der Häuser mit Gemälden zu schmücken, anstatt
in der Anbringung gotischer Zierformen das Mittel zur Belebung der
Flächen zu suchen; die Mauern blieben zur Aufnahme solchen Schmuckes
ganz schlicht, und die Fenster erhielten schon früh eine einfach
viereckige Gestalt. Die Ausmalung der Innenräume der Bürgerhäuser mit
figürlichen Darstellungen war in diesen Gegenden bereits vor mehr als
einem Jahrhundert beliebt.

[Illustration: Abb. 17. +Naturstudie.+ Aquarellierte
Silberstiftzeichnung.

Im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

So hatte auch Holbein in Luzern das Haus des Schultheißen Jakob von
Hertenstein von innen und von außen mit Malereien zu schmücken. Im
Innern kamen in einem Gemache religiöse, in anderen Räumen genrehafte
Gegenstände zur Darstellung, dazu das Märchen vom Jungbrunnen, dessen
Wasser Alten und Gebrechlichen Jugendkraft und Jugendschönheit
wiedergibt. Außen wurden Historienbilder angebracht; der Stoff zu
diesen wurde jetzt, in einer Zeit, wo alles sich dem Studium des
klassischen Altertums zuwandte, nicht mehr aus den mittelalterlichen
Dichtungen, sondern aus der -- freilich mit späteren Sagen
untermischten -- Geschichte der Römer und Griechen geschöpft.

[Illustration: Abb. 18. +Naturstudie.+ Zeichnung in Silberstift und
Wasserfarben. Im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 19. +Das letzte Abendmahl.+ Ölgemälde im Museum zu
Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Das Hertensteinische Haus stand mit großenteils wohlerhaltenem
Gemäldeschmuck bis zum Jahre 1824; dann mußte es abgetragen werden, und
nur sehr ungenügende Kopien bewahren uns -- abgesehen von einigen kaum
nennenswerten Resten und von einer kleinen getuschten Skizze zu einem
der Bilder -- das Andenken an Holbeins erste monumentale Schöpfung.
Immerhin können wir uns nach den Kopien eine Vorstellung von den
Außenmalereien des Hauses machen: wenn auch nicht von der Schönheit
des Einzelnen, so doch von dem Geschmack der Gesamtanordnung. Das
Erdgeschoß war ungeschmückt gelassen. Im Hauptgeschoß, wo zahlreiche
und dicht beisammen stehende Fenster wenig Raum ließen, beschränkte
sich die Malerei auf drei einzelne weibliche Gestalten, je eine an
den Ecken und eine auf dem breiten Fensterzwischenraum in der Mitte.
Darüber sah man links Figurenornamente, welche sich den unregelmäßigen
Fensterbekrönungen anpaßten, und rechts, wo die Fenster in gerader
Reihe standen, einen Fries von kämpfenden Kindern. Zwischen diesen
grau in grau gemalten Darstellungen befand sich in der Mitte ein
größeres farbiges Bild, das mit seinem oberen Teil in den zweiten
Stock hineinreichte. Dieses Bild löste die Mauerfläche derartig auf,
daß es aussah, als ob ein halbrunder Erker aus der Wand herausträte,
durch dessen weite Säulenstellung man in einen inneren Raum blickte; in
diesen inneren Raum war die Verbildlichung eines Vorganges verlegt, zu
dem die Sage von den drei Prinzen, die vor der Leiche des alten Königs
beweisen sollen, wer von ihnen dessen rechter Sohn sei, den Stoff gab.
Rechts und links waren zwischen den Fenstern des zweiten Stockwerks
Ehewappen, von bekränzten Bogen umrahmt, angebracht. In dem Raum
zwischen den Fenstern des zweiten und denen des dritten Stocks war ein
Triumphzug zu sehen, durch Pilaster in einzelne Gruppen abgeteilt und
auf eine Bodenlinie gestellt, welche die Ungleichheit der Fensterhöhen
unberücksichtigt ließ. Diese Gruppen hatte Holbein den Kupferstichen
des Andrea Mantegna „der Triumphzug Cäsars“ entnommen; seinem Vorbilde
getreu hatte er hier antike Trachten zur Anschauung gebracht, während
er auf den übrigen Geschichtsbildern der Fassade die Figuren noch
in das Kostüm seiner Zeit kleidete. Die Bilder zwischen den bis zum
Dachgesims reichenden Fenstern des dritten Stocks zeigten Beispiele
antiker Sinnesgröße: da sah man die Zurückweisung des verräterischen
Schulmeisters von Falerii, die Athenerin Leäna, die sich die Zunge
abgebissen hat, um vor Gericht nicht gegen ihren Geliebten aussagen zu
können, Mucius Scävola vor Porsenna, den Selbstmord der Lucretia und
den Opfertod des Marcus Curtius. In dem letztgenannten Bilde war der
römische Ritter so dargestellt, als ob er sein Roß antriebe, um auf
die Straße herabzuspringen. Die Standhaftigkeit der Leäna ist dasjenige
von den Bildern, von welchem sich eine Originalskizze erhalten hat; in
dieser im Baseler Museum befindlichen Zeichnung sehen wir den schwer
zu verbildlichenden Gegenstand mit wenigen Figuren so deutlich, wie es
eben möglich war, erzählt und die unregelmäßige Bildfläche durch die
Architektur des Gerichtssaales geschickt ausgefüllt.

[Illustration: Abb. 20. +Bonifacius Amerbach.+ Ölgemälde im Museum zu
Basel.

    Aufschrift:

    „Bin ich auch nur ein gemaltes Gesicht, nicht weich’ ich dem Leben,
      Gleiche in jeglichem Strich meinem Besitzer genau.
    Wie ihn, da er achtmal drei Lebensjahre vollendet,
      Hat gebildet Natur, sag’ ich durch bildende Kunst.

    Den Bonifacius Amorbacchius malte Johannes Holbein im Jahre 1519 am
    Tag vor den Iden des Oktober.“

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Möglicherweise machte Holbein von Luzern aus einen Ausflug über die
italienische Grenze. Zwar wird in einer alten Lebensbeschreibung
ausdrücklich von ihm gesagt, er sei niemals in Italien gewesen. Aber
das schließt nicht aus, daß er das der Schweiz so nahe gelegene Mailand
besucht habe. Was dafür spricht, ist der Umstand, daß Holbein eine
Darstellung des letzten Abendmahls gemalt hat, die ganz unverkennbare
große Ähnlichkeiten mit dem berühmten Freskogemälde des Leonardo da
Vinci in S. Maria delle Grazie zu Mailand zeigt. Das Bild, dem die
Seitenteile fehlen, befindet sich im Baseler Museum. Es war schon
zu Amerbachs Zeit beschädigt und schlecht ausgebessert, ist später
nochmals ausgebessert und dabei hart und bunt übermalt worden, so
daß man von der ursprünglichen Farbenstimmung keine Vorstellung mehr
bekommt. Was man noch würdigen kann, ist der stark betonte sprechende
Ausdruck der Köpfe. Die Anordnung, die Figur des Heilandes und die
ganze durch die Versammlung gehende Bewegung erinnern so stark an
Leonardos Meisterwerk, daß man unbedingt annehmen muß, daß Holbein
dieses gesehen habe (Abb. 19).

Nach Basel zurückgekehrt, wurde Holbein am 25. September 1519 in die
dortige Malerzunft aufgenommen.

Wenige Wochen später vollendete er ein Meisterwerk der Bildniskunst in
dem Brustbild des Bonifacius Amerbach. Der gelehrte und kunstsinnige,
dabei durch große persönliche Liebenswürdigkeit ausgezeichnete Herr,
der später alles sammelte, was er von Arbeiten Holbeins auftreiben
konnte, und dessen Bildnis mit dieser ganzen Sammlung in das Baseler
Museum gelangt ist, zeigt sich uns hier in einer so sprechenden
Lebensfülle der Erscheinung, daß wir die Berechtigung der von ihm
für das Bild gedichteten Verse, in denen er die Vollkommenheit
der Ähnlichkeit preist, ohne den leisesten Zweifel anerkennen.
Ausgezeichnet ist die Farbenstimmung des Gemäldes. Der schöne Kopf,
warm von Hautfarbe und mit rötlichbraunem Bart und Haar, hebt sich im
Rahmen einer mit schwarzem Pelz besetzten schwarzen Kleidung, die ein
Unterwams von hellblauem Damast und den weißleinenen Hemdkragen sehen
läßt, von einer tiefblauen Luft ab. Das Blau der Luft wird leicht
belebt durch einen Fernblick auf beschneites Hochgebirge und kräftig
begrenzt und durchschnitten durch die warmen braunen und grünen Töne
von Stamm und Zweigen eines Feigenbaumes. An dem Baumstamm hängt in
hölzernem Rahmen die pergamentene Tafel mit der Inschrift, die außer
jenen Versen den Namen des Malers und des Abgemalten und das Datum (14.
Oktober 1519) trägt (Abb. 20).

[Illustration: Abb. 21. +Mutmaßliches Selbstbildnis Holbeins.+

Buntstiftzeichnung im Museum zu Basel.]

Am 3. Juli 1520 leistete Holbein der Stadt Basel den Bürgereid.
Wahrscheinlich um dieselbe Zeit vermählte er sich mit Frau Elsbeth,
einer Witwe. Erwerbung des Bürgerrechts und Verehelichung wurden
vermutlich von den Baseler Zunftordnungen ebenso ausdrücklich wie von
denjenigen anderer Städte von jedem verlangt, der sich als Meister
niederlassen wollte.

[Illustration: Abb. 22. +Madonna.+ Tuschzeichnung als Vorlage für
Glasmalerei, im Museum zu Basel.]

Wie der junge Meister aussah, mögen wir uns nach der schönen
Buntstiftzeichnung im Baseler Museum vorstellen, welche als sein
Selbstbildnis gilt (Abb. 21). Doch darf nicht verschwiegen werden, daß
die Berechtigung dieser Bezeichnung nicht ganz unzweifelhaft ist. Das
alte Amerbachsche Verzeichnis nennt dieses Bild eine „Conterfehung
Holbeins mit trocken farben,“ und aus diesen Worten ergibt sich
nicht ohne weiteres, daß es eine „Conterfehung“ seiner selbst sei.
Ähnlichkeit mit den vom Vater angefertigten Kinderbildnissen kann man
allerdings darin finden; aber die Ähnlichkeit zwischen einem Kind und
einem erwachsenen Mann ist immer nur eine unbestimmte und entfernte.
Mag nun das Bild den Meister selbst vorstellen oder eine andere
Persönlichkeit, jedenfalls ist sie ein hervorragendes Meisterwerk. Die
Ausführung ist eine ganz außerordentlich vollendete, völlig malerisch.
In die mit schwarzer Kreide gemachte Zeichnung sind die verschiedenen
Töne farbiger Stifte so dünn und sauber hineingewischt, daß der
Eindruck von Wasserfarbe dadurch erreicht wird. Nur im Gesicht sind
auch farbige Töne mit spitzigem Stift in Strichen gezeichnet. Dieses
sinnige Gesicht mit den klaren braunen Augen könnte wohl dasjenige
des die Außenwelt ruhig und sicher beobachtenden und im Innern regsam
schaffenden Malers sein. Auf dem kurzen dunkelbraunen Haar sitzt
ein breitrandiges rotes Barret. Die Farbe des mit schwarzem Sammet
besetzten Rockes ist ein helles bräunliches Grau. Auf dem am Hals zum
Vorschein kommenden Hemd sind die Lichter mit weißer Farbe aufgesetzt.
Für die Härte der Gesamtumrisse, welche die malerische Wirkung des
prächtigen Bildes einigermaßen beeinträchtigt, ist der Künstler nicht
verantwortlich; die Figur ist nachträglich am Kontur ausgeschnitten und
auf graues Papier geklebt worden.

[Illustration: Abb. 23. „+St. Anna selbdritt+“ (Mutter Anna mit
der Jungfrau Maria und dem Jesuskind). Getuschte Vorzeichnung für
Glasmalerei. Im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Sieben Jahre lang von seiner Aufnahme in die Zunft an blieb Holbein
ohne längere Unterbrechung seines Aufenthaltes in Basel und entfaltete
die reichste Thätigkeit.

Den besten Überblick über sein vielseitiges Schaffen gewährt uns der
kostbare Schatz von Handzeichnungen, den das Baseler Museum besitzt
und der sein Vorhandensein zum allergrößten Teil der von Bonifacius
Amerbach angelegten und von dessen Sohn Basilius bedeutend vermehrten
Sammlung verdankt, welche die Stadt Basel im Jahre 1661 als „ein
sonderbares Kleinod“ angekauft hat.

Da finden wir neben den köstlichen Bildniszeichnungen, welche in
einer einzig dastehenden Weise mit den allereinfachsten Mitteln, mit
Umrißlinien und ein paar hineingewischten oder gestrichelten Tönen
eine sprechende Lebendigkeit und ganz malerische Wirkung erreichen,
und neben sonstigen Studien und in sich künstlerisch abgeschlossenen
Zeichnungen auch Entwürfe zu größeren Werken und Vorbilder für
verschiedene Zweige des Kunstgewerbes.

Unter den letzteren stehen der Zahl nach die sogenannten
„Scheibenrisse,“ d. h. Vorzeichnungen für Glasmalereien, an erster
Stelle.

[Illustration: Abb. 24. +Die heilige Barbara.+ Getuschte Vorzeichnung
für Glasmalerei.

Im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 25. +Die heilige Katharina.+ Getuschte Vorzeichnung
für eine Fensterscheibe.

Im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Die Glasmalerei hatte ihren Vorrang unter den verschiedenen Zweigen
der Malerkunst schon längst eingebüßt; in der Renaissancezeit trat
sie völlig in Abhängigkeit von der Tafelmalerei. Sie gab ihren
teppichartigen Charakter auf, und mit Hilfe neuerfundener Mittel wußte
sie es jener in plastischer Modellierung und perspektivischer Wirkung
gleich zu thun. Auch hörte sie auf, eine rein kirchliche Kunst zu
sein; sie schmückte in den sonst farblosen Fenstern der Bürgerhäuser
einzelne Scheiben mit Wappen und mit figürlichen Darstellungen. Hier
traten ihre Gebilde dem Beschauer in nächster Nähe vor Augen, und auf
engem Raum entfaltete sich ein reiches Bild von kleinem Maßstab in
einem auf das Unentbehrlichste eingeschränkten Gerüst von Verbleiungen;
die feinste, zierlichste Ausführung war daher unbedingt notwendig. Daß
bei so gänzlich veränderten Anforderungen die Glaser sich die Entwürfe
zu ihren Arbeiten gern von Malern anderen Faches machen ließen, war
natürlich.

[Illustration: Abb. 26. +Marienbild mit Stifter.+ Getuschte
Vorzeichnuug für eine Fensterscheibe. Im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 27. +Der Erzengel Michael.+ Getuschte Vorzeichnung
zu einer Fensterscheibe. Im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 28. +Christus vor Kaiphas.+ Aus der Folge von
Tuschzeichnungen aus der Leidensgeschichte Christi (Vorlagen für
Glasmalerei), im Museum zu Basel.]

Sowohl zu Glasfenstern mit religiösen Darstellungen als auch zu
solchen mit Wappenbildern hat Holbein Entwürfe angefertigt. Dieselben
sind sämtlich in der Ausführungsgröße mit dem Pinsel gezeichnet und
ausgetuscht, mit kräftiger Angabe der Licht- und Schattenwirkung.
So war dem Glaser die Zeichnung der Umrisse und alles, was er mit
Schwarzlot zu machen hatte, auf das genaueste gegeben, die Wahl der
Farben aber blieb seinem Geschmack überlassen; nur in einzelnen Fällen
hat Holbein es für angezeigt gehalten, seine Farbengedanken durch ein
paar leichte Tönungen anzudeuten. Das erste Erfordernis bei diesen
Arbeiten war die dekorative Wirkung, die wohlgeordnete Verteilung
der Formen über die Fläche, deren Ausschmückung ihr Zweck war. --
Die ältesten dieser Holbeinschen Vorzeichnungen für Glasmalerei sind
mehrere Heiligenbilder. In den Gestalten, welche wir auf diesen Bildern
sehen, fällt ein befremdlicher Schönheitsfehler, der sich in Holbeins
früheren Werken mehrfach bemerklich macht, in besonders unangenehmer
Weise auf. Die Figuren haben fast alle viel zu kurze Beine. Aber
man hat auch den Eindruck, als ob der Künstler beim Entwerfen
dieser Blätter den Figuren kaum so viel Interesse entgegengebracht
hätte, wie der Umgebung derselben, in der er mit unerschöpflicher
Einbildungskraft reiche, phantastische Renaissancearchitekturen
schuf. Bisweilen bilden diese Architekturen rahmenartige Einfassungen
um die freistehenden Figuren; bisweilen vertiefen sie sich in das
Bild hinein zu einem thorartigen Gehäuse; oder sie ziehen sich, wie
Teile eines großen Bauwerks gedacht, auch in den hinter den Figuren
befindlichen Raum, den sonst eine landschaftliche Fernsicht füllt,
hinein. Diese letzteren, reichsten Architekturen, die zum Entfalten
einer bunten Mannigfaltigkeit in der Anordnung spielend ersonnener
Bauformen Gelegenheit gaben, finden wir in einer Folge von acht
zusammengehörigen Scheibenbildern (daraus die Abbildungen 22 bis 25)
derartig angewendet, daß jedesmal zwei der Bilder als Gegenstücke --
also in den zwei Flügeln eines Fensters angebracht -- gedacht sind und
daß darum ihre Architekturen einander symmetrisch entsprechen, doch
ohne daß sie deswegen in ihren Einzelheiten genau übereinstimmten (Abb.
23 und 24). Wenn man aus dem stärkeren Hervortreten des erwähnten
Schönheitsfehlers der Figuren einen Schluß auf die Entstehungszeit
ziehen darf, so müssen diese acht Fensterbilder die ältesten von
allen sein. Bei einem einzelnen Marienbild gibt der Umstand, daß die
landschaftliche Fernsicht die Stadt Luzern zeigt, Grund zu der Annahme,
daß dasselbe während Holbeins Aufenthalt in jener Stadt entstanden sei.
Auf einem sehr schönen Scheibenbilde, das, den guten Verhältnissen der
Figuren nach zu urteilen, einer späteren Zeit angehört, steht Maria,
eine anmutige Gestalt, die mit lieblichstem Gesichtsausdruck das Kind
in ihren Armen betrachtet, vor einer von Pfeilern eingeschlossenen
Nische, deren schöne Architektur viel einfacher gehalten ist, als es
sonst dem Jugendgeschmack Holbeins entsprach; die Figur ist wie ein
plastisches Bildwerk gedacht: sie steht auf einem verzierten Sockel,
und die Strahlen, welche sie als ein der Kunst geläufiges Abzeichen der
unbefleckten Empfängnis vom Kopf bis zu den Füßen umgeben, erscheinen
wie aus Metall gebildet. Seitwärts kniet der Stifter des Bildes in
ritterlicher Tracht, mit dem Ausdruck heißen Flehens im Gesicht und den
geöffneten Händen (Abb. 26). Im Gegensatz zu dieser verhältnismäßig
ruhigen Architektur, die mit ihren wohl abgewogenen Massen die Figur
in der Mitte so schön hervorhebt, finden wir die ausschweifendste
architektonische Phantastik in einem Blatt, welches Christus am Kreuz
zwischen Maria und Johannes darstellt. Die Bauformen das umrahmenden
Gehäuses lösen sich hier ganz in Ornamente auf, und der üppige Schwung
der Holbeinschen Renaissanceornamentik wirkt auf die Linienzüge und
selbst den Gesichtsausdruck der Figuren zurück. In einer reichen
Komposition, welche die Krönung der Jungfrau Maria als Himmelskönigin
darstellt, hat Holbein die Rahmenarchitektur ganz weggelassen und seine
Lust am Schaffen baukünstlerischer Gebilde nur an dem in den Wolken
stehenden Prachtgestühl bestätigt, auf dem die Gestalten von Gott Vater
und Gott Sohn sitzen. Gleichfalls ohne Einrahmung ist ein vorzüglich
schönes Bild des Erzengels Michael, der, wie ein Schnitzbild gedacht,
auf einer Art von Konsole steht; der Engel hält die Wage des Gerichts
und wägt die Sündenlast, die durch eine Teufelsfigur angedeutet wird,
gegen die durch das Christuskind verbildlichte Kraft der Erlösung ab
(Abb. 27). -- Eine vereinzelte Stellung hinsichtlich des Gegenstandes
nimmt unter den Glasbilderentwürfen ein treffliches Blatt ein, das
innerhalb einer rahmenartigen Einfassung den verlorenen Sohn als
Schweinehirten zeigt. In einer von Bergen begrenzten Landschaft drängt
sich die Schweineherde um einen Eichbaum, und ihr Hüter schreitet, wie
von innerer Unruhe getrieben, schnell vorwärts, mit dem scheuen Blick
eines verkommenen Menschen, in dessen Zügen sich aber ein solches
Unglücklichkeitsgefühl eingegraben hat, daß sein Anblick mehr Mitleid
als Abscheu erweckt.

[Illustration: Abb. 29. +Die Geißelung.+ Aus der Folge von
Tuschzeichnungen aus der Leidensgeschichte Christi (Vorlagen für
Glasgemälde) im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 30. +Die Verspottung Christi.+ Aus der Folge von
Tuschzeichnungen aus der Passion (Vorlagen für Glasbilder), im Museum
zu Basel.]

[Illustration: Abb. 31. +Die Händewaschung des Pilatus.+ Aus der Folge
von Tuschzeichnungen aus der Leidensgeschichte Christi (Vorlagen für
Glasmalerei), im Museum zu Basel.]

[Illustration: Abb. 32. +Die Kreuztragung.+ Aus der Folge von
Tuschzeichnungen aus der Leidensgeschichte Christi (Vorlagen für
Glasmalerei), im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 33. +Die Kreuzigung.+ Aus der Folge von
Tuschzeichnungen aus der Leidensgeschichte Christi (Vorlagen für
Glasmalerei), im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 34. +Das Wappen der Familie Holdermeier+, Vorlage
für eine Fensterscheibe. Tuschzeichnung aus dem Jahre 1518. Im Museum
zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 35. +Entwurf zu einem Wappenfenster.+
Tuschzeichnung im Museum zu Basel.]

Das inhaltlich Bedeutendste von allem, was sich an Vorlagen Holbeins
für Glasmalerei erhalten hat, ist eine Folge von zehn Darstellungen
aus der Leidensgeschichte Christi. Auch hier hat der Künstler seiner
Freude am Ersinnen reicher, kräftig gestalteter Bau- und Ziergebilde
im „antikischen“ Geschmack freien Lauf gelassen. Aber das Hauptgewicht
hat er doch auf die figürlichen Darstellungen gelegt, die sich im
Einschluß dieser Rahmen als vollendete Meisterwerke der Raumausfüllung
ausbreiten. Finden wir in diesen Kompositionen auch nicht die
unerreichbare Tiefe der Empfindung und die ergreifende Poesie Dürers,
so kommen sie dafür durch die ungemein anschauliche und naturgemäße
Schilderung der mehr vom menschlichen als vom religiösen Standpunkt
aus aufgefaßten Vorgänge und durch die schlichte natürliche
Schönheit der Formen, die alle Härten vermeidet, dem Verständnis und
dem Gefühl des modernen Beschauers um so unmittelbarer entgegen. Auch
der nebensächliche Umstand spricht dabei mit, daß sich nirgendwo das
zeitgenössische Kostüm hervordrängt, daß namentlich die Kriegerfiguren
großenteils in die antik-römische Tracht nach Mantegnas Vorbild
gekleidet sind. Freilich läßt sich nicht leugnen, daß mit diesem
Streben nach geschichtlicher Treue auch in den Äußerlichkeiten, mit
diesem Entrücken der Vorgänge in eine entlegene zeitliche Ferne,
der großen Menge der zeitgenössischen Beschauer gegenüber eine
Einbuße in Bezug auf die innerliche Wirkung verbunden sein mußte im
Vergleich mit dem Eindruck, den die Werke der älteren Meister dadurch
machten, daß in ihnen die Begebenheiten aus dem Leben des Heilandes
als für alle Zeiten geschehene Gottesthaten in die eigene Gegenwart
verlegt erschienen. -- Die Folge beginnt mit der Vorführung Christi
vor Kaiphas. Man sieht den Thron des Hohenpriesters, der in einer
schmuckreichen Halle aufgebaut ist, von der Seite. Ihm gegenüber
steht der gefesselte Heiland und wendet den Kopf mit einem wunderbar
ausdrucksvollen Blick der Frage und der Unschuld zu dem Kriegsknecht,
der ihn mit der Faust geschlagen hat (Abb. 28). Auch die Geißelung
ist in einen prunkhaften Raum verlegt, und die Erfindungslust des
Künstlers hat selbst die Martersäule mit Schmuckformen versehen.
Christus lehnt, mit den Armen angebunden, kraftlos, mit niedersinkendem
Haupt an der Säule, den Schlägen von drei Schergen preisgegeben und
von einer obrigkeitlichen Person beobachtet. Bei den Figuren der
Schergen fällt es auf, daß sie nicht ganz jene Fülle von Lebendigkeit
besitzen, welche Holbein sonst bewegten Gestalten zu geben vermochte
(Abb. 29). Um so lebendiger und eindrucksvoller ist die Schilderung der
Verspottung Christi, deren Schauplatz eine ausnahmsweise in gotischen
Formen komponierte Halle ist (Abb. 30). Das folgende Bild stellt die
Dornenkrönung dar. Man sieht den auf einem Stuhl sitzenden Heiland von
der Seite. Einer der Soldaten kniet spöttisch vor ihm nieder, während
er ihm das Schilfrohr als Scepter reicht; zwei andere drücken ihm
mit einem Stab die Krone auf den Kopf, und ein dritter schlägt mit
dem Stock darauf. Hinter dem Sitz steht Pilatus mit dem Richterstab
in der Hand als Zuschauer. Bei diesem Blatt ist die Einfassung, die
aus einem oben durch Ornamente verbundenen Pfeilerpaar besteht, nicht
mit der Raumarchitektur des Bildes im Zusammenhang gedacht, sondern
umgibt das Ganze als ein besonderer Rahmen. Auch bei allen folgenden
Blättern sind die Einrahmungen nur ein äußerer, mit dem Bilde nicht in
inneren Zusammenhang gebrachter Abschluß. Durch den Umstand, daß die
Darstellungen sich im Freien bewegen, war hier eine solche Anordnung
geboten; diese Einschränkung der architektonischen Zuthaten aber hat
Holbein nicht gehindert, in denselben auch hier den Reichtum seiner
Erfindungskraft in bunter Mannigfaltigkeit spielen zu lassen. In dem
auf die Dornenkrönung folgenden Bilde öffnet sich uns ein Stadtbild.
Wir blicken auf den freien Platz vor dem Gerichtsgebäude. Lärmendes
Volk, das der Künstler mit großem Geschick so anzugeben gewußt hat,
daß er durch wenige Figuren den Eindruck einer großen Menge erzielt,
erfüllt den Platz. Sein Geschrei ist die Antwort auf die von lebhaftem
Mienen- und Gebärdenspiel begleiteten mitleidig geringschätzigen
Worte, mit denen Pilatus den mit gesenkten Blicken neben ihm stehenden
Dulder dem Volke vorstellt. Auf dem nächsten Bilde sehen wir in einem
geräumigen Innenhof den von einem Baldachin überdachten Thron des
Landpflegers errichtet. Mit einer sehr ausdrucksvollen Entschiedenheit
führt Pilatus die sinnbildliche Handlung der Handwaschung aus, während
er, noch ein lautes Wort sprechend, dem Zuge nachsieht, der den
preisgegebenen Christus hinausführt. Christus schreitet im Vordergrunde
zwischen einer Schar von Kriegsknechten und sein Blick trifft mit einer
stummen Frage einen Geharnischten, dessen Eisenfaust seinen Arm umfaßt
hat (Abb. 31). Es folgt die Kreuztragung. Eine gedrängte Menschenmenge
durchschreitet das Stadtthor, das einen kleinen Durchblick in die
Straße gewährt, während man von außen ein Stück der turmbewehrten
Stadtmauer sieht. Vorn im Zuge schreiten, mit Stricken gebunden, die
beiden Schächer. Dem ihnen folgenden Christus brechen eben unter
der Last des Kreuzes die Kniee. Ein neben ihm schreitender Führer
der Kriegsleute faßt ihn scheltend und drohend an der Schulter, die
Knechte stoßen und schlagen auf ihn ein. Über die Köpfe der Figuren
ragen Waffen und Geräte, und der Eindruck der Vielheit der Menge wird
hierdurch wirksam gesteigert (Abb. 32). Das nächste Bild schildert
in lebendiger und eindrucksvoller Komposition die Vorbereitungen zur
Kreuzigung. Christus kniet auf dem am Boden liegenden Kreuz. Zwei
Schergen entkleiden ihn, indem sie ihm mit wüster Gewalt die Tunika
über den Kopf ziehen. Vorn ist ein Mann damit beschäftigt, die Löcher
für die Nägel in die Kreuzbalken zu bohren. Ein anderer hackt die
Grube zum Einpflanzen des Kreuzes aus. Im Hintergrunde sieht man viel
Volk, darunter einen der Schächer, der bereits entkleidet ist. -- Der
Darstellung der Entkleidung folgt diejenige der Annagelung an das
Kreuz. Auch dieser Vorgang ist mit großer Lebendigkeit geschildert. Die
geschäftsmäßige Roheit der Henker wird derb, aber ohne Übertreibung
zur Anschauung gebracht. Kalt und gelassen schauen eine Gerichtsperson
in Pelz und Mütze und ein auf einem Maultier reitender höherer
Beamter in morgenländischer Kleidung zu. Im Mittelgrund sieht man
die um den Rock Christi würfelnden Soldaten und weiter zurück eine
große Menschenmenge. -- Auf dem letzten Bilde sehen wir die drei
Kreuze aufgerichtet. Christus wendet den Kopf seitwärts nach seiner
Mutter herab, die, von Johannes aufrecht gehalten, dicht an den Stamm
herangetreten ist und nicht aufzublicken vermag. Ein Mann, der den
Aufschriftzettel angeheftet hat, steigt im Rücken des Kreuzes die
Leiter hinab. Man sieht den an eine Stange gesteckten Essigschwamm.
Vor den Kriegsknechten steht, dem gekreuzigten Heiland gerade
gegenüber, der römische Hauptmann und hebt, zu ihm aufschauend, die
Hand zur Beteuerung seines Glaubens empor. Was dieses Blatt besonders
bewunderungswürdig macht, ist die schlichte Einfachheit der Stellungen
und Bewegungen; wo es galt, lebendige Thätigkeit zu veranschaulichen,
wußte der Künstler die höchste Lebendigkeit zu entfalten, hier, wo
keine Handlung mehr vor sich geht, hat er jede gesuchte Lebendigkeit zu
vermeiden gewußt (Abb. 33).

[Illustration: Abb. 36. +Entwurf zu einer gemalten Fensterscheibe.+
Tuschzeichnung mit Farbenangabe.

Im königl. Kupferstichkabinett zu Berlin.]

[Illustration: Abb. 37. +Entwurf zu einem Wappenfenster.+
Tuschzeichnung im Museum zu Basel.]

[Illustration: Abb. 38. +Entwurf zu einem bischöflichen Wappen.+
Getuschte Vorlage für Glasmalerei.

Im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 39. +Das Wappen von Basel.+ Getuschter und leicht
mit Wasserfarben angelegter Entwurf zu einem Glasgemälde. Im Museum zu
Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 40. +Die Schutzheiligen von Freiburg.+ Holzschnitt
auf der Rückseite des Titels der im Jahre 1520 erschienenen
„Stadtrechte und Statuten der löblichen Stadt Freiburg im Breisgau“ von
Ulrich Zasius.

    Unterschrift:

    „Machtvoll nimm in den gnädigen Schutz, o Jungfrau, dein Freiburg,
      Daß keinen Schaden ihm thun Geister des höllischen Reichs.
    Zeige auch du, Lambertus, als Schirmer dich deinen Altären,
      Ritter vom heiligen Land, wehre dem unholden Heer.“

Die von Holbein angefertigten Vorlagen für Wappenfenster sind
Meisterwerke reichen Geschmacks. Auch unter diesen Blättern befindet
sich eins, das sich als aus der Zeit des Aufenthalts in Luzern stammend
zu erkennen gibt. Es ist mit der Jahreszahl 1518 bezeichnet und
zeigt das Wappen der Luzerner Familie Holdermeier. Der heraldische
Teil der Darstellung beschränkt sich hier auf den am Boden stehenden
Wappenschild; die Hauptsache ist eine Gruppe von drei Bauern, grotesk
aufgefaßten Gestalten, die in lebhaftem Gespräch hinter dem Schilde
stehen; der architektonische Rahmen, ein pfeilergetragener Bogen, als
Marmor gezeichnet, enthält in den Bogenzwickeln wieder Bauernbildchen,
Schnitter und Mäher darstellend (Abb. 34). Wenn es sich um Wappen von
Personen handelte, die auf kriegerischem Felde thätig waren, lag es
nahe, die heraldische Darstellung in ähnlicher Weise, wie es dort mit
Bauern geschehen war, mit Kriegerfiguren zu bereichern; die malerischen
Gestalten der Landsknechte in ihrer phantastischen Tracht mußten dem
Geschmack Holbeins ganz besonders zusagen. So finden wir in einer
Zeichnung einen grimmig aussehenden Kriegsmann mit einem mächtigen
Zweihänder auf der Schulter als Schildhalter verwendet; dabei ist
auch das obere Feld der Umrahmung mit einer Darstellung kämpfenden
Fußvolks geschmückt (Abb. 35). Auf einem anderen, sehr schönen Blatt
stehen zwei Landsknechte an den Seiten des Schildes (Abb. 37). Ein
ähnliches Blatt, mit der Zuthat von Heldenfiguren des Altertums und von
einem Kampf nackter Männer in der Rahmenarchitektur, befindet sich im
Berliner Museum (Einschaltbild Abb. 36). In den beiden letztgenannten
Zeichnungen sind die Schilde leer gelassen. Dieselben können darum
nicht für eine bestimmte Persönlichkeit angefertigt worden sein,
da eine solche vor allem ihr Wappen im Wappenschilde hätte sehen
wollen. Holbein hat sie also auf Vorrat gemacht, für sich oder für
den Glaser, der dann je nach der Person eines etwaigen Bestellers das
Heraldische auszufüllen hatte. Auch bei einem sehr prunkvollen großen
Entwurf eines Bischofswappens, der mit einer fast überschwenglichen
Formenfülle die Bildfläche überspinnt, ist der Schild und außerdem der
Platz für die Devise oder eine sonstige Inschrift leer gelassen (Abb.
38). Zwei ganz verschiedenartige reiche Kompositionen enthalten das
Wappen von Basel. Auf dem einen dieser Blätter steht der Wappenschild,
von Kindern gehalten, zu den Füßen der Jungfrau Maria; an den
Seiten stehen der heilige Kaiser Heinrich und der heilige Bischof
Pantalus; der einschließende Architekturbogen ist mit leeren Schilden
belegt und mit den Medaillonbildern römischer Imperatoren zwischen
Arabesken geschmückt. Das andere Blatt, dem ungewöhnlicherweise
die architektonische Umrahmung fehlt, zeigt das Baseler Wappen mit
Basilisken als Schildhaltern unter einem im Bau begriffenen Thorbogen,
der wieder den Kranz leerer Schilde zeigt; dahinter sieht man in eine
waldige Landschaft, und im Vordergrund fährt ein mit Kriegsleuten
besetzter Kahn vorbei. Der Oberste der Kriegsleute ist durch den Namen
Basilius kenntlich gemacht, und die ganze Darstellung bezieht sich
auf die sagenhafte Geschichte der Gründung von Basel (Abb. 39). Ein
Entwurf zu einem Ehewappen, wiederum mit leer gelassenen Schilden,
ist bemerkenswert durch die schwungvolle Ausarbeitung der zu üppigen
Ornamenten auswachsenden Helmdecken, durch die Anlehnung an den Stil
spätromanischer Prachtportale in der Gestaltung der architektonischen
Umrahmung und durch die Bezeichnung mit einer Jahreszahl: 1520. -- Es
scheint, daß die Wappenzeichnungen Holbeins, sowie seine sonstigen
Glasbilderentwürfe der größten Mehrzahl nach in den ersten Jahren nach
seiner Rückkehr aus Luzern und in noch früherer Zeit entstanden sind.

[Illustration: Abb. 41. +Entwurf zu einem Stück Fassadenmalerei, mit
der Figur Karls des Großen.+ Tuschzeichnung im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Eine seiner schönsten Wappenzeichnungen führte Holbein nicht als
Vorlage für ein Scheibenbild, sondern auf dem Holzstock aus. Das Blatt
stellt das Wappen der Stadt Freiburg im Breisgau dar und schmückt
den Titel des im Jahre 1520 erschienenen Buches „Stadtrechte und
Statuten der löblichen Stadt Freiburg im Breisgau.“ Hier dehnt sich das
heraldische Bild über das ganze Blatt aus; nur oben und unten ist ein
schmaler Raum gelassen für die Worte des Titels und ein paar Verse.
Auch die Rückseite dieses Titelblattes ist mit einem Holzschnitt von
Holbein geschmückt. Darauf sind die Schutzheiligen von Freiburg, die
Jungfrau Maria, der Ritter Georg und der Bischof Lambertus dargestellt;
an der Rahmenarchitektur ist nochmals das Wappen der Stadt, als
einfacher Schild mit dem Kreuz, und das Wappen des Staates, zu dem der
Breisgau damals gehörte, der „Bindenschild“ von Österreich, angebracht
(Abb. 40).

[Illustration: Abb. 42. +Vornehme Baselerin in reicher Tracht und
Federhut.+

Tuschzeichnung im Museum zu Basel.]

[Illustration: Abb. 43. +Vornehme Baselerin in Tuchkleid und gestickter
Haube.+

Tuschzeichnung im Museum zu Basel. (Nach einer Originalphotographie von
Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 44. +Baseler Bürgerfrau.+ Tuschzeichnung im Museum
zu Basel.]

Mehrmals wurde an Holbein, nachdem er sich in Basel niedergelassen,
die Aufgabe gestellt, seine in Luzern bewährte Kunst auch hier zu
bethätigen, die Straßenseite eines Hauses durch malerischen Schmuck
zu beleben. Von diesen Straßenmalereien hat sich nichts erhalten. Nur
ein paar Originalentwürfe zu einzelnen Stücken (Abb. 41) und einzelne
spätere Abbildungen geben uns eine Vorstellung von deren Art und
Weise. Mit kühner Phantasie und mit genialer Ausnutzung der durch
die unregelmäßigen Fensterstellungen gegebenen verschiedenartigen
Flächen umkleidete er die schlichten Häuser mit säulenreichen
Renaissancearchitekturen und belebte die gemalten Balkone und luftigen
Hallen mit geschichtlichen, mythologischen, sinnbildlichen und
volkstümlichen Gestalten. Am berühmtesten war die übermütig lustige
Darstellung eines Bauerntanzes, nach welchem das Haus, an dem sie sich
befand, „zum Tanz“ genannt wurde. Wie dieses Gebäude in seiner Bemalung
ausgesehen hat, davon gibt außer den erhaltenen Originalentwürfen
einzelner Stücke eine alte Durchzeichnung des Gesamtentwurfs Kunde.
Es war ein dreistöckiges Eckhaus; die Malerei erstreckte sich über
beide Seiten und war in ihrer Perspektive so angeordnet, daß sie
auf einen Standpunkt des Beschauers schräg der Ecke gegenüber, von
wo aus man beide Seiten sah, rechnete. Im Erdgeschoß war an der
Hauptseite eine von Säulen getragene Bogenlaube gemalt; mit großem
Geschick hatte Holbein die in der Wirklichkeit vorhandene gotische
Form von Thür und Fenstern in der Art verwendet, daß die in seinen
Stil nicht passenden Spitzbogen wie das Ergebnis der perspektivischen
Überschneidung, welche die jenem Standpunkt entsprechende schräge
Ansicht der gemalten Rundbogenwölbungen mit sich brachte, erschienen.
Darüber, in dem Raum unterhalb der nächsten Fensterreihe, sah man
die farbigen Gestalten der tanzenden Bauern, die sich vor der hier
scheinbar weiter zurücktretenden Architektur, ihre Schlagschatten auf
die Wand werfend, auf einem Bretterboden tummelten. An der anderen
Seite des Hauses war ein großer Teil der Wand so bemalt, als ob man in
einen hohen, den ersten Stock mit durchbrechenden Thorweg hineinsähe.
Jenseits desselben war wieder eine Bogenlaube gemalt; davor sah man
einen Stallknecht mit einem Pferde stehen; deren Füße waren, da es
nicht anging, das Aufstehen derselben auf der Straße zu malen, durch
eine die Straße entlang gehend gedachte niedrige Mauer verborgen.
Weiter oben, zwischen den Fenstern des ersten Stocks, sah man eine
farbige Figur des Bacchus. Die oberen Geschosse waren an beiden
Hauswänden mit einer phantastischen Architektur übersponnen. Bald
scheinbar hervortretend in Balkonen, auf denen sich bunte Gestalten
bewegten, bald tief zurückgehend, durchbrochen von Durchblicken
in die blaue Luft unter schattigen Bogen, mit Steinfiguren und
Medaillons geschmückt, zeigte dieses künstlerische Spiel eine Fülle der
mannigfaltigsten Formgedanken. Selbst die Unregelmäßigkeiten, welche
in der Stellung der Fenster vorhanden waren, wurden ausgenutzt, indem
der Anschein hervorgerufen wurde, als ob die Ungleichheiten durch
die Perspektive bedingt wären. Über dem gemalten Thorweg erblickte
man den Marcus Curtius, der, aus einer tiefen Halle hervorsprengend,
sich anschickt, mit seinem mächtigen, aufbäumenden Schimmel auf die
Straße hinabzustürzen. Es fehlte auch nicht ein kleiner Scherz des
Malers: ganz oben stand auf einem Gesims ein Farbentopf, wie wenn er
dort vergessen worden wäre und nun nicht mehr heruntergeholt werden
könnte. -- Eine bis zur Augentäuschung gehende Körperhaftigkeit war ein
Hauptwitz bei den Straßenmalereien Holbeins. Die alten Berichterstatter
haben verschiedene darauf bezügliche Geschichtchen der Aufzeichnung für
wert gehalten.

[Illustration: Abb. 45. +Christus im Grabe.+ Ölgemälde von 1521. Im
Museum zu Basel.]

[Illustration: Abb. 46. +Kopf des Totenbildes im Baseler Museum+ (s. d.
vorige Abb.).

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Die Stadt Basel muß durch die zahlreichen von Holbein bemalten
Hausfassaden förmlich etwas von dessen persönlichem Stil aufgedrückt
bekommen haben. Aber der Einfluß des jungen Malers mit seinem
ausgebildeten Geschmack beschränkte sich nicht auf den Schmuck der
Häuser, er erstreckte sich auch auf die äußere Erscheinung der
Menschen. Unter den Holbeinzeichnungen im Baseler Museum befindet
sich eine Anzahl von Entwürfen zu Damenanzügen. Es ist nicht recht
annehmbar, daß Holbein diese in sorgfältiger Tuschzeichnung ziemlich
groß ausgeführten Blätter gemacht haben sollte, um der Nachwelt zu
berichten, wie die Baselerinnen zu seiner Zeit sich kleideten; vielmehr
hat er seine Erfindungsgabe, die innerhalb des die Gotik verdrängenden
„antikischen“ Stils neue Bau- und Zierformen spielend gestaltete,
auch angewendet, um im Rahmen des herrschenden Modegeschmacks
Musterbilder weiblicher Kleidung zu schaffen. Und zweifellos haben
die jungen Damen sehr gut ausgesehen, welche diese Vorbilder durch
ihren Schneider in die Wirklichkeit übersetzen ließen. Die Trachten
bieten viel Abwechselung. Da sehen wir eine vornehme Dame in einem
Kleid aus reichem schweren Seidenstoff mit weiten Puffärmeln, unter
denen mehrfach gepuffte Unterärmel aus feinem Weißzeug hervorkommen,
mit einem breiten Hut, der ganz mit wallenden Straußenfedern besetzt
ist (Abb. 42). Dann eine Dame in häuslicher Festkleidung, mit einem
Tuchkleid, das mit breiten Sammetbesätzen und mit verschiedenartigen
Puffen und gefälteltem Weißzeug an Brust und Ärmeln verziert ist, mit
besticktem Unterrock und besticktem Häubchen, mit einer Menge von
Goldschmuck über dem durchsichtigen Stoff, der die Schultern leicht
verschleiert (Abb. 43). Weiter das sehr hübsche Bild einer Bürgerfrau
in gefälteltem Kleid und durchsichtiger Haube. Dann die sogenannte
Wirtin, eine junge Dame, die mit einem Humpen in der Hand dargestellt
ist, als ob sie eben des Amtes walte, einen Ehrentrunk zu überreichen;
dementsprechend trägt sie die häusliche Schürze, die aber in ihrer
feinen Fältelung auch ein Putzstück ist, über dem reichfaltigen
Schleppkleid, dessen Ärmel in mehrere weite, gefältelte Puffen
abgeteilt sind; auf dem Kopfe trägt sie einen schräg aufgesetzten
ganz flachen Hut, dessen Rand ein Kranz von Straußenfedern umgibt,
und den Ausschnitt des Kleides hat sie zum größten Teil unter einem
sammetbesetzten Schulterkragen, nicht unähnlich dem heutigen „Cape“,
verborgen. Die künstlerisch schönste unter all diesen Zeichnungen zeigt
eine Bürgerfrau in halber Rückenansicht, in verhältnismäßig einfacher,
aber darum nicht weniger kleidsamer Tracht; der einzige Schmuck des
Kleides von schwerem Tuch besteht in Sammetbesätzen am Ausschnitt und
an den glatten, nur an den Ellenbogen von Weißzeugpuffen unterbrochenen
Ärmeln; über Hals und Schultern schmiegt sich ein dünner gefältelter
Stoff, und das Haar ist unter einer ebenfalls halbdurchsichtigen
Haube verborgen; keinerlei metallener Schmuck, nur die am Gürtelband
hängende kunstreich gearbeitete Büchse für das Nähgerät (Abb. 44).
Bei einer sechsten Modezeichnung, welche ein ziemlich leichtfertig
aussehendes junges Mädchen im Federhut, mit unverschleiertem sehr
tiefen Ausschnitt des Kleides zeigt, erscheint der Holbeinsche Ursprung
zweifelhaft. Was bei all diesen weiblichen Trachtenbildern den heutigen
Beschauer so befremdlich berührt, das Zurückbiegen des Oberkörpers mit
stark ausgehöhltem Rücken, war eine modische Angewöhnung der Zeit,
die durchaus zum guten Ton gehörte, und die ihren thatsächlichen
Entstehungsgrund wohl in dem Umstand hatte, daß der mitunter sehr
schwere Rock, da er vorn ebenso weit auf den Boden hinabreichte wie
hinten, beim Gehen beständig vorn aufgehoben werden mußte.

[Illustration: Abb. 47. +Madonna von Solothurn.+ Ölgemälde von 1522. Im
Privatbesitz in Solothurn.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 48. +Die heilige Ursula.+ Ölgemälde von 1522.

In der Kunsthalle zu Karlsruhe.]

[Illustration: Abb. 49. +Der heilige Georg.+ Ölgemälde von 1522.

In der Kunsthalle zu Karlsruhe.]

[Illustration: Abb. 50. +Die Cebestafel.+ Buchtitelholzschnitt, zuerst
veröffentlicht im Jahre 1522. (Nach einem Druck von 1523 im königlichen
Kupferstichkabinett zu Berlin.)]

[Illustration: Abb. 51. +Erasmus von Rotterdam.+

Holzschnittbildnis, wahrscheinlich von Hans Lützelburger geschnitten.]

[Illustration: Abb. 52. +Erasmus von Rotterdam.+ Ölgemälde von 1523. Im
Louvre zu Paris.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

An den jungen Meister, von dessen Erfindungsgabe und Geschmack Basel so
vielfältige Proben sah, und dessen Handfertigkeit in der Wandmalerei
die Häuser an den Straßen bekundeten, wendete sich die Regierung von
Basel, als es sich darum handelte, das Innere des großen Sitzungssaales
im neuen Rathause mit Wandgemälden zu schmücken. Holbein übernahm
diese Arbeit im Juni 1521 und brachte dieselbe bis zum Spätherbst
des folgenden Jahres zu einem vorläufigen Abschluß. In dieser Zeit
bemalte er drei Wände des Saales. Als er damit fertig war, glaubte
er den für das Ganze vereinbarten Preis bereits verdient zu haben;
der Rat gab ihm hierin Recht und beschloß, „die hintere Wand bis auf
weiteren Bescheid anstehen zu lassen.“ -- Was für ein großartiges Werk
Holbein hier geschaffen hat, das können wir leider nur noch erraten aus
demjenigen, was uns die Kenntnis davon vermittelt. Die Malereien selbst
sind schon vor langer Zeit, wahrscheinlich durch Feuchtigkeit, zu
Grunde gegangen. Ihre Spuren wurden im Jahre 1817 bei der Beseitigung
einer alten Tapete wiederaufgefunden. Danach sind von drei Hauptbildern
Abbildungen angefertigt worden, die aber begreiflicherweise nicht
mehr als das Allgemeine der Kompositionen wiedergeben. Eine bessere
Vorstellung von der Formengebung der Gemälde bekommen wir durch eine
Tuschzeichnung Holbeins, welche als Entwurf zu einem der Bilder gedient
hat, und durch mehrere alte Kopien nach solchen Entwürfen. Wie herrlich
die Farbe gewesen sein muß, kann man nur nach ganz spärlichen kleinen
Resten ahnen, die aus dem zerbröckelnden Wandputz herausgenommen und
in das Museum gebracht worden sind. -- Der Künstler verfuhr bei der
Ausschmückung des Saales nach den nämlichen Grundsätzen, die er bei
der Bemalung der Außenseite von Häusern anwendete. Er verwandelte den
an sich einfachen Raum durch gemalte Säulenstellungen in eine weite
Halle. In diesen Rahmen ordnete er die Figurendarstellungen in der
Weise ein, daß man die in den Hauptbildern geschilderten Vorgänge in
breiten Durchblicken der Architektur, gleichsam draußen sich abspielen
sah, bald im Freien, bald in tiefen Säulensälen; in den Zwischenräumen
zwischen diesen großen Bildern sah man Einzelgestalten in vertieften
Nischen des Architekturrahmens. Diese Einzelgestalten waren zum Teil
geschichtliche Persönlichkeiten, zum Teil Allegorien der sogenannten
weltlichen oder Kardinaltugenden. Für die Hauptbilder gab, wie es die
Zeit mit sich brachte, die Geschichte des klassischen Altertums die
Stoffe; sie sollten in großartigen Beispielen zur strengsten Pflege
derjenigen Tugenden, welche die höchsten Pflichten der Herrschenden
sind, ermahnen. Da sah man die unbeugsame Gerechtigkeit und die
opfermutige Stärke in den Bildern zweier Gesetzgeber veranschaulicht:
Charondas, der sich selbst mit dem Tode bestraft, und Zaleukus, der
die Hälfte der von seinem Sohn verwirkten Strafe an sich selbst
vollstrecken läßt; ein Beispiel der Weisheit gab das Bild des
unbestechlichen Dentatus, und die Maßhaltung wurde gepredigt durch
das abschreckende Beispiel des Perserkönigs Sapor, der dem besiegten
Feinde noch Schmach anthut. Wie sprechend und lebendig Holbein die
Vorgänge zu erzählen wußte, das zeigen auch die unvollkommenen
Anschauungsmittel der vorhandenen Skizzen und schlechten Abbildungen.
-- Charondas von Catanea hatte in den Gesetzen, welche er der Stadt
Thurii gab, bei Todesstrafe verboten, in der Volksversammlung Waffen
zu tragen; und als es ihm widerfuhr, daß er, von einer Reise, ohne
sich umzukleiden, zur Versammlung eilend, erst dort gewahrte, daß er
noch mit dem Schwert umgürtet war, gab er sich selbst vor aller Augen
den Tod. Holbein hat die Sitzung der Volksvertreter von Thurii in eine
große, teilweise offene Säulenhalle mit reichem bildnerischen Schmuck
verlegt. Die Augen aller Versammelten heften sich auf Charondas,
und dieser vollführt seine überraschende That so schnell, daß die
meisten wie gebannt auf ihren Plätzen sitzen bleiben; nur wenige sind
aufgesprungen. Charondas richtet, indem er sich das Schwert in die
Brust stößt, den Blick zum Himmel, entsprechend der Angabe der antiken
Erzählung, daß eine Anrufung des Zeus zum Zeugen, daß das Gesetz Herr
bleiben solle, seine letzten Worte waren. -- Das Zaleukusbild schildert
mit grausiger Anschaulichkeit die Blendung zweier Menschen. In einer
Halle, die sich nach einem sonnenbeschienenen Platz hin öffnet,
sitzt vor einer großen Menge von Zuschauern ein junger Mann, dem der
Henker das linke Auge ausreißt. Ihm gegenüber sitzt ein würdevoller
Greis in fürstlicher Tracht auf dem Thron und bietet sein rechtes
Auge der Zange dar. Der Greis ist Zaleukus, Herrscher von Lokri in
Unteritalien. Seine Gesetze hatten die Strafe des Verlustes beider
Augen auf den Ehebruch gesetzt, und sein einziger Sohn war dieses
Verbrechens überführt worden. Die Lokrier baten ihn, Gnade zu üben; und
um ihren Bitten und seinem Vatergefühl Rechnung zu tragen, ohne daß
vom Gesetz abgewichen würde, bestimmte er, daß sein Sohn das eine Auge
verlieren, er selbst aber das andere hergeben solle. Wunderbar hat der
Künstler den Gegensatz geschildert zwischen dem Missethäter, der in
gräßlicher Qual seine Strafe erleidet, und dem Helden der Aufopferung,
der sich anschickt, freiwillig dasselbe zu erdulden. An jenem thut
ein Diener der Gerechtigkeit gefühllos, was seines Amtes ist. Bei
diesem untersucht der mit der Vollziehung des Befehls Beauftragte
vorher das Auge mit einer Lupe; man sieht, er wird sich bemühen, bei
der Operation so behutsam wie möglich zu verfahren. Das Volk blickt
zum Teil mit tiefer Bewegung auf den Fürsten, zum Teil sieht es mit
Schauder der Arbeit des Henkers zu. -- Das Blatt im Baseler Museum,
welches die alte Skizzenkopie des Zaleukus enthält, zeigt uns auch eine
der allegorischen Gestalten, die Holbein zwischen die Geschichtsbilder
einordnete. Es ist die Figur der Gerechtigkeit. Frau Justitia steht
in einer Architekturlaube und zeigt mit dem Schwert auf eine im
Bogen aufgehängte Tafel, auf der in lateinischer Sprache die Worte
stehen: „O ihr Herrschenden, vergeßt eure eigenen Angelegenheiten
und sorgt für die öffentlichen!“ Auch die übrigen Bilder waren durch
Inschriften erläutert. -- Von dem Bilde des Curius Dentatus ist leider
keine Skizze vorhanden, sondern nur die mangelhafte Abbildung der im
Jahre 1817 aufgefundenen Reste. Das Bild muß prächtig gewesen sein;
die Komposition ist sehr schön. Unter einer offenen Rundbogenhalle,
durch die man weit in die Landschaft hinaussieht, kniet Curius, mit
römischer Feldherrenrüstung bekleidet, am Kaminfeuer und ist im
Begriff, sich eigenhändig sein einfaches Mahl zu bereiten. Da treten
von der Seite die Gesandten der Samniter zu ihm herein; die beiden
vordersten der prunkhaft reich -- in Renaissancetracht -- gekleideten
Herren tragen einen großen goldenen Pokal und eine mit Goldstücken
gefüllte Schüssel. Der Römer aber wendet sich nur eben ein wenig nach
ihnen um und spricht, auf die vor ihm liegenden Rüben hinweisend,
die Worte, die in das Bild geschrieben sind: „Ich will lieber das da
aus meinem Irdengeschirr essen und denen, die Gold haben, gebieten.“
Unterhalb dieser Darstellung hat der Maler den übrigbleibenden Raum der
Wandfläche in eigentümlicher Weise ausgefüllt. Man sieht die steinerne
Unterwölbung des Fußbodens, auf dem sich der Vorgang abspielt; vor
dem Kellergewölbe steht der Baseler Ratsdiener, in die Wappenfarben
der Stadt, schwarz und weiß, gekleidet, mit dem Wappenschildchen auf
der Brust, und lüftet grüßend den Hut gegen den Beschauer. Von der
Originalausführung sind die Köpfe von einigen der Gesandten erhalten;
trotz des schadhaften Zustands kann man daran die prächtige Malerei
noch bewundern. -- Von dem Bilde des Sapor ist der eigenhändige
Entwurf Holbeins erhalten: eine getuschte Zeichnung, der durch einige
hier und da hineingesetzte Farbentöne ein lebhafteres malerisches
Aussehen gegeben ist. Der architektonische Rahmen, der die Darstellung
einschließt, zeigt reich verzierte Säulen auf rot marmorierten
Sockelgestellen. Dazwischen hindurch sieht man auf einen freien Platz,
den spätgotische Gebäude abschließen. Ritter und bewaffnetes Fußvolk
füllen den Platz. Im Vordergrund steigt der Perserkönig Sapor, in
stattliche Renaissancetracht gekleidet, auf sein von einem Stallknecht
gehaltenes Roß, indem er den Rücken des gefangenen Kaisers Valerianus,
der mit jammervollem Ausdruck am Boden kniet, als Schemel benutzt.

[Illustration: Abb. 53. +Die Gemahlin des Herzogs Jehan de Berry.+
Zeichnung in schwarzer und farbiger Kreide nach der bemalten Steinfigur
der Herzogin in der Kathedrale zu Bourges. Im Museum zu Basel. (Nach
einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E.
und Paris.)]

In den beiden Jahren, während deren Holbein im Rathaussaale malte,
schuf er verschiedene Ölgemälde, die der Nachwelt erhalten geblieben
sind. Mit der Jahreszahl 1521 ist ein eigentümliches Bild bezeichnet,
das im Baseler Museum den Blick des Beschauers unwiderstehlich fesselt:
Christus im Grabe (Abb. 45 und 46). Der Leichnam liegt ausgestreckt
in dem engen Sarg, dessen uns zugekehrte Seite fortgelassen ist, ohne
eine andere Unterlage, als ein weißes Tuch auf dem Boden. Das Innere
des Sarges ist warmgrün angestrichen, und dieser Ton stimmt wundervoll
zu den fahlen Fleischtönen des Toten. Über dem Sargdeckel sieht man
einen schmalen Strich tiefschwarzen Hintergrunds, und darüber ist, wie
mit Goldbuchstaben auf die Kante einer weißen Steinplatte geschrieben,
die Inschrift angebracht: „~Jesus Nazarenus, Rex Judaeorum.~“ Holbein
hat den Leichnam mit dem größten Fleiß nach der Natur gemalt; mit
vollkommener Treue hat er die Starre der Glieder, das Leblose der Haut,
das verfärbte Gesicht mit den blutleeren Lippen und dem gebrochenen
Auge wiedergegeben. Sein Modell war durchaus nicht schön, aber das Bild
ist unsagbar schön -- freilich nicht im landläufigen Sinne des Worts.
Es ist ein Wunderwerk der Malerei. Seine religiöse Bedeutung erhält
das Werk allerdings nur durch die Wundmale und durch die Überschrift;
von idealer Auffassung ist keine Rede, es war dem Maler sichtlich um
die volle Ausnutzung eines Studiums, das zu machen er wohl nicht oft
Gelegenheit fand, zu thun. Sehr richtig hat schon Basilius Amerbach das
Gemälde in seinem Verzeichnis aufgeführt als „ein Totenbild mit dem
Titel Jesus Nazarenus.“

Die Jahreszahl 1522 trägt ein Gemälde, das sich zu Solothurn in
Privatbesitz befindet und unter dem Namen „Madonna von Solothurn“
bekannt ist (Abb. 47). Zweifellos schmückte dasselbe ursprünglich
einen Altar in dem alten, im vorigen Jahrhundert durch einen Neubau
ersetzten Münster dieser Stadt. Später fand es sich unbeachtet und
verwahrlost in einer Dorfkirche der Nachbarschaft. Es zeigt in einer
Anordnung, die derjenigen des Holzschnitts mit den Schutzheiligen
von Freiburg (Abb. 40) sehr ähnlich ist, die Jungfrau Maria thronend
zwischen den stehenden Gestalten eines Bischofs und eines Ritters;
diese beiden sind die Schutzpatrone von Solothurn, der heilige
Martin, Bischof von Tours, und der heilige Ursus, einer der Märtyrer
von der thebäischen Legion. Der Kopf der Maria ist das holdeste und
lieblichste Frauengesicht, das Holbein ersonnen hat. Mit dem Ausdruck
der Bescheidenheit und Milde vor sich hinblickend, hält die Jungfrau
das köstlich lebenswahre nackte Kind, das den Kopf und die Händchen
und Füßchen bewegt, auf dem Schoß. Über ihr hellrotes Kleid wallt
in weiten Falten der blaue Mantel auf die Thronstufe herab, die ein
bunter, mit Stifterwappen geschmückter Teppich bedeckt. Der Kopf
hebt sich mit dem über die Schultern ausgebreiteten goldfarbigen
Haar, auf dem ein feiner, durchsichtiger Schleier liegt, und mit der
reichen, mit Edelsteinen und Perlen besetzten Krone von dem lichten
Blau der Luft ab, in die man durch einen Rundbogen hinausblickt.
Dieser graue Steinbogen ist gegen Holbeins Gewohnheit ganz schmucklos;
eiserne Stangen sind in ihn eingespannt, wie um ihn zusammenzuhalten.
Vermutlich hatte man durch solche Mittel die Wölbungen der alten Kirche
zu festigen gesucht, und Holbein brachte das Bild in Einklang mit dem
Bauwerk, welches dasselbe aufnahm. Die beiden Heiligen an den Seiten
sind herrliche Gestalten, bewunderungswürdig auch in der Durchführung
des Gegensatzes der Charaktere. Martinus ist ein vornehmer Herr und
frommer Priester mit einem feinen, geistreichen und liebenswürdigen
Gesicht; seine rote Mitra und seine violette Kasel sind mit prächtigen
Stickereien geschmückt, die der Maler bis ins einzelste ausgeführt
hat; in der linken Hand hält er mit dem Bischofsstab zugleich den
Handschuh der entblößten Rechten, die er gebraucht, um Geldstücke in
das Holzschüsselchen eines Bettlers zu legen. Der Bettler ist eine
zur Darstellung des heiligen Martin gehörende kennzeichnende Beigabe;
mit feinem Gefühl hat Holbein von dieser an und für sich nicht in die
Vereinigung von Heiligen passenden Gestalt nur das Notwendigste zum
Vorschein kommen lassen: das flehende, kümmerliche Gesicht und ein
Stück von der Hand, welche die Schüssel zum Empfang der Gabe emporhält.
Der heilige Ursus ist ganz Kriegsmann, ehrenfest und unerschütterlich;
von Kopf zu Fuß in eine Rüstung, wie sie zu des Künstlers Zeit getragen
wurde, gekleidet, umfaßt er mit der Linken den Schwertgriff und hält
in der Rechten eine rote Fahne mit weißem Kreuz, die sich in dem
glänzenden Eisen von Helm und Harnisch spiegelt.

Zwei Tafeln mit Einzelfiguren von Heiligen, die sich in der Kunsthalle
zu Karlsruhe befinden, augenscheinlich Stücke eines größeren
Altarwerks, gehören ebenfalls dem Jahre 1522 an. Das eine Bild,
auf dem mit dem Namen des Künstlers die Jahreszahl angebracht ist,
stellt die heilige Ursula vor. Gekrönt, mit goldenem Heiligenschein,
in fürstlicher Tracht nach dem Modegeschmack der Zeit, steht die
Glaubenszeugin, die als Zeichen ihres Märtyrertums eine Anzahl langer
Pfeile in den Händen trägt, vor einer weiten Landschaft und einer
blauen, von den Zweigen eines Feigenbaums durchschnittenen Luft (Abb.
48). Das Gegenstück zeigt den heiligen Georg, der in antiker Rüstung,
mit der Fahne in der Hand, auf dem erlegten Lindwurm steht (Abb. 49).

[Illustration: Abb. 54. +Das Leiden Christi+ in acht Bildern,
Altargemälde (Übersichtsblatt, vergl. die beiden folgenden
Doppelbilder). Im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 55. +Obere Hälfte der Passionstafel+ im Museum zu
Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 56. +Untere Hälfte der Passionstafel+ im Museum zu
Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

In dem nämlichen Jahr erschien zum erstenmal ein später noch oftmals
gedruckter berühmter Buchtitelholzschnitt von Holbein, die sogenannte
Cebestafel. Der griechische Philosoph Cebes -- entweder der von Plato
erwähnte Schüler des Sokrates oder ein Späterer gleichen Namens --
bringt in seiner Schrift „Das Gemälde“ eine ausführliche Beschreibung
eines figurenreichen Bildes, das ihm in einem Tempel gezeigt wurde;
darin war der Weg des Menschen zur wahren Glückseligkeit dargestellt.
Nach dieser Beschreibung hat Holbein das genannte Blatt entworfen (Abb.
50). Eine rings um das Bild laufende Mauer bezeichnet das begrenzte
Gebiet des menschlichen Lebens. Außerhalb der Mauer, unten am Bildrand,
sieht man eine Schar nackter Kinder. Das sind die Seelen der noch nicht
ins Leben eingetretenen Menschen; die Verbildlichung der Seele durch
eine Kindergestalt war eine im Mittelalter allgemein gebräuchliche und
auch der Zeit Holbeins noch geläufige Darstellungsform. Den ins
Leben Eintretenden empfängt an der Pforte der Genius, der Schutzgeist,
dargestellt durch einen würdevollen Greis, der dem Eintretenden
einen Zettel überreicht; als Inhalt des Zettels haben wir uns die
Mahnungen des Schutzgeistes für den Lebensweg zu denken. Gleich hinter
der Lebenspforte fährt die Glücksgöttin auf rollender Kugel daher,
Gutes und Schlimmes verteilend; und den Neuling im Leben erwartet
die Verführung, verbildlicht durch eine reich gekleidete Dame, deren
hilfsbereites Gefolge die trügerischen Vorstellungen bilden. Was
deren Lockungen bieten, sieht der Mensch, der nun in Jünglingsgestalt
erscheint, jenseits einer Mauer. Das Thor in dieser Mauer führt ihn in
das Gebiet der Wollust, der Habgier und der Unenthaltsamkeit. Nachdem
er die aus diesem Bereich führende Pforte durchschritten hat, harren
seiner am Wege der Schmerz und die Traurigkeit. Aus deren Bereich
wird er durch die Reue, die sich liebevoll seiner annimmt, geleitet.
Aber nun verfällt er der falschen Belehrung, die wieder als geputzte
Dame erscheint. Nur ein schmaler Weg und eine enge Pforte in steiler
Felswand führen aus diesem Gebiet hinaus; mit vielfacher Thätigkeit
eifrig beschäftigt, lagern die Scharen derer, die hier das Lebensziel
gefunden zu haben glauben, an der Felswand. Der Lebenswanderer
sieht die schöne Frau mit scheuer Bewunderung an -- diese kleine
ausdrucksvolle Rückenfigur ist ein wahres Meisterwerk --, und er
schreitet weiter. In der Entschlossenheit und der Stärke findet er die
hilfreichen Kräfte, die ihn durch die enge Felsenschlucht, in der sich
der Ausweg verliert, emporziehen. Und jetzt ist er im Gebiet der wahren
Belehrung angelangt. Diese steht wie ein Heiligenbild gestaltet auf
einem Steinsockel; Wahrheit und Überzeugung sind ihre Begleiterinnen.
Der Lebenswanderer kniet anbetend vor ihr nieder, und nichts trennt
ihn mehr vom Eingang zur Burg der wahren Glückseligkeit. Da wohnen
alle Tugenden, und in der Mitte thront die Glückseligkeit, eine von
überirdischem Strahlenschein umleuchtete Herrscherin; sie krönt den
Wanderer, der an allen Irrungen vorbei den Weg gefunden hat. --
Holbein hat seine Holzschnittzeichnungen nur selten mit seinem Namen
bezeichnet. Dieses Blatt aber hat er für wichtig genug gehalten, um auf
demselben seine Unterschrift in Gestalt eines doppelten ~H~ anzubringen.

Die erste Bestimmung von Holbeins Cebestafel war, den Titel der von
Erasmus von Rotterdam veranstalteten lateinischen Ausgabe des Neuen
Testaments zu schmücken. Daraus erklärt sich die kirchliche Gestaltung
der Figuren der wahren Belehrung und der Glückseligkeit. Die Anwendung
der Gedanken des griechischen Philosophen auf das christliche Buch
entsprach so recht dem Sinn des Erasmus.

In dem nämlichen Jahre 1522 erschien in Basel eine deutsche Ausgabe
des Neuen Testaments, ein Nachdruck von Luthers Übersetzung, und auch
zu diesem Buch zeichnete Holbein den Titel. Er brachte darauf als
Hauptfiguren an den Seiten die Apostel Petrus und Paulus an, in den
vier Ecken die Evangelistenzeichen, oben das Wappen der Stadt Basel und
unten das Druckerzeichen des Verlegers Adam Petri, ein auf einem Löwen
reitendes Kind.

Im März 1523 erschien bei Petri gleichzeitig mit einer neuen Auflage
dieser großen Ausgabe eine fein ausgestattete kleine (Oktav-) Ausgabe
des Neuen Testaments in der deutschen Übersetzung. Diese war außer mit
einem jenem großen Blatt ähnlich komponierten Titel mit den Bildern
der vier Evangelisten und mit vier Bildern zur Apostelgeschichte
von Holbeins Hand geschmückt. -- Im Dezember 1523 gab Petri einen
Nachdruck von Luthers Übersetzung des Alten Testaments heraus. Dieses
Buch brachte zwischen vielen Bildchen von anderen Zeichnern eine
Anzahl Zierbuchstaben und einige Bilder von Holbein, darunter ein
besonders schönes Kopfstück zum Anfang des Textes, die Erschaffung
der Eva inmitten der übrigen, vollendeten Schöpfung darstellend. --
Eine größere Reihe von Holzzeichnungen lieferte Holbein zu der Ausgabe
von Luthers Übersetzung des Neuen Testaments, welche der Drucker
Thomas Wolff ebenfalls im Jahre 1523 veranstaltete. Hier stellte er in
der Titeleinfassung eine ganze Anzahl von bildlichen Darstellungen,
meistens aus der Apostelgeschichte, zusammen. Dazu kamen einundzwanzig
Bilder zur Offenbarung Johannis. Daß es Holbein, trotz seiner sonstigen
künstlerischen Selbständigkeit, bei dieser Aufgabe nicht immer gelang,
sich von der Erinnerung an Dürers gewaltige Schöpfungen frei zu halten,
das kann man ihm nicht zum Vorwurf machen; und daß es ihm nicht gelang,
diesem übermächtigen Vorbild gleich zu kommen, namentlich in Bezug
auf das Phantastische, das ist begreiflich. Die Schnittausführung der
apokalyptischen Bilder ist schlecht. Dagegen ist das Titelblatt mit
den zahlreichen kleinen Figuren ein Meisterwerk der Holzschneidekunst.
Dasselbe trägt das Zeichen des Formschneiders Hans Lützelburger.

Hans Lützelburger, genannt Franck, stammte wahrscheinlich aus Augsburg.
Er scheint erst im Jahre 1523 nach Basel gekommen zu sein. Seine
Thätigkeit dort dauerte nur wenige Jahre; im Juni 1526 war er bereits
verstorben. In dieser Zeit aber schnitt er fast alles, was Holbein für
den Buchdruck zeichnete. Er verstand es meisterhaft, dem Striche des
Künstlers aufs genaueste gerecht zu werden, ganz besonders in feinen,
kleinen Sachen. Nur in den von ihm geschnittenen Blättern kommt die
Schönheit von Holbeins Holzschnittzeichnung voll zur Geltung.

Von ihm rührt zweifellos die wunderbar klare Schnittausführung des
kleinen Bildnisses des Erasmus von Rotterdam her, das Holbein für den
Frobenschen Verlag zeichnete (Abb. 51). Dieses Bildchen in Rundformat,
das uns das scharfe Profil und die feinen Züge des vorzeitig gealterten
gelehrten Herrn so lebenswahr vor Augen führt, daß die kleine Zeichnung
ebenbürtig neben großen Gemälden steht, wird im Jahre 1523 entstanden
sein.

[Illustration: Abb. 57. „+Rühre mich nicht an!+“ (Ev. Joh. 20, 17.)
Ölgemälde in der Sammlung des Schlosses Hamptoncourt. Aus dem ersten
Jahrgangsheft der Kunsthistorischen Gesellschaft für photographische
Publikationen.]

In diesem Jahre ließ Erasmus sich mehrmals von Holbein porträtieren.
In einem Briefe an Willibald Pirkheimer in Nürnberg erwähnt Erasmus
drei Bildnisse, die er ins Ausland an Freunde geschickt habe, zwei nach
England und eins nach Frankreich. Die beiden nach England gesandten
Porträts sind noch vorhanden. Das eine befindet sich in einer
englischen Privatsammlung. Das andere ist als Geschenk König Karls I.
von England an Ludwig XIII. nach Paris gekommen und befindet sich jetzt
im Louvremuseum. Dieses ist ein Meisterwerk allerersten Rangs. Erasmus
ist in zwei Drittel Lebensgröße schreibend dargestellt. Eben hat er
die Überschrift einer neuen Arbeit auf ein Blatt Papier gesetzt, das
auf einem Buch als Unterlage vor ihm liegt; sein Blick folgt dem Gange
des klassischen Schreibgeräts, des Calamus, dessen er sich anstatt
einer Feder bedient. Jede Form in dem Gesicht und in den Händen ist
die Lebenswahrheit selbst. Die Haut ist fahl, das Haar ergrauend. Die
Kleidung ist dunkel, Schwarz herrscht vor. Den Hintergrund bildet eine
dunkelgrüne, hellgrün und weiß gemusterte Stofftapete neben einem
Stück brauner Holzbekleidung. Der Zusammenklang der Farben ist das
Vollkommenste, was man sich denken kann (Abb. 52).

[Illustration: Abb. 58. +Die Geburt Christi.+ Altarflügel im Münster zu
Freiburg i. B.

(Nach einer Originalphotographie im Photogr. Kunstverlag von G. Röbcke
in Freiburg i. B.)]

Das Museum zu Basel besitzt die mit Ölfarbe auf Papier gemalte
und nachträglich auf eine Holztafel geklebte Vorstudie zu dem
letztgenannten Bildnis des Erasmus. Auch diese Vorstudie ist schon
ein fertiges Bild. Sie unterscheidet sich von dem Pariser Porträt,
abgesehen von der minder vollendeten Durchbildung der Malerei, nur
durch den schlichten Hintergrund und einige Verschiedenheiten in der
Kleidung, die für die malerische Wirkung des Ganzen weniger vorteilhaft
sind. Nicht ohne Grund ist die Vermutung ausgesprochen worden, daß das
Baseler Porträt dasjenige sei, welches Erasmus laut seinem erwähnten
Briefe nach Frankreich schickte, und daß der Empfänger desselben
Bonifacius Amerbach gewesen sei. Bonifacius hielt sich damals zu neuem
Studium in Avignon auf, und aus seiner Sammlung stammt das Baseler Bild
des schreibenden Erasmus. In jenem Briefe wird gesagt, daß Erasmus sein
Porträt durch den Maler selbst habe nach Frankreich bringen lassen.
Auch dieser Umstand bestätigt die Richtigkeit jener Vermutung, da
Holbein ebenso wie Erasmus ein persönlicher Freund Amerbachs war.

[Illustration: Abb. 59. +Die Anbetung der drei Weisen.+ Altarflügel im
Münster zu Freiburg i. B.

(Nach einer Originalphotographie im Photogr. Kunstverlag von G. Röbcke
in Freiburg i. B.)]

Es scheint, daß Holbein diese Gelegenheit zu einer weiteren Reise
durch Frankreich benutzte. Zwei Zeichnungen im Baseler Museum erzählen
von einem Aufenthalt des Künstlers in Bourges. Diese Zeichnungen
zeigen einen Herrn und eine Dame in der Tracht des ersten Viertels
des XV. Jahrhunderts, im Gebete knieend. Es sind Abbildungen der
Figuren des Herzogs Jehan de Berry († 1416) und seiner Gemahlin, die
sich in der Kathedrale von Bourges befinden; zu Holbeins Zeit standen
dieselben noch in der eigenen Kapelle der Herzöge von Berry; nach deren
Abbruch sind sie im Chorumgang aufgestellt worden. Holbein hat diese
Grabmalfiguren, von denen namentlich die weibliche sehr hübsch und
ausdrucksvoll ist (Abb. 53), so abgezeichnet, als ob er nach dem Leben
zeichnete, und hat mit schwarzer Kreide und ein paar Farbenangaben
mit Rot- und Gelbstift eine ganz lebendige, malerische Wirkung
hineingebracht.

[Illustration: Abb. 60. +Der Schmerzensmann.+ Ölgemälde braun in braun.
Im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 61. +Die Schmerzensmutter.+ Ölgemälde braun in
braun. Im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 62. +Entwurf zum linken Thürflügel der Orgel des
Baseler Münsters.+ Bräunlich getuschte Zeichnung, im Museum zu Basel.
(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Ein viertes Bildnis des Erasmus, das Holbein um dieselbe Zeit malte,
zeigte in einem Doppelbild den gelehrten Schriftsteller und seinen
verdienstvollen Verleger Froben. Als Geschenk für den letzteren wurde
es von Erasmus bestellt. Dieses Gemälde ist verschollen. Eine Kopie
des Ganzen befindet sich in England und eine Kopie des Brustbildes
Frobens allein im Museum zu Basel. Die letztere Kopie ist in Bezug
auf die Farbe sehr schlecht. Aber immerhin ist es interessant, aus
ihr das Aussehen des Mannes kennen zu lernen, der Holbein zu so
vielen Schöpfungen Veranlassung gegeben hat. Johannes Froben, der mit
übereinander geschlagenen Armen in einem schwarzen, mit braunem Pelz
gefütterten Überrock dasitzt, zeigt uns ein glattrasiertes, furchiges
Gesicht, dessen Formen ziemlich gewöhnlich sind, das aber durch den
Ausdruck von Wohlwollen und Klugheit fesselt; das spärliche braune Haar
fällt in mäßiger Länge über den Hinterkopf herab.

Die Jahreszahlen 1524 und 1525 finden sich auf keinem erhaltenen Werke
Holbeins. So mögen hier mehrere undatierte Gemälde genannt werden,
deren Entstehung in diese Zeit fallen kann.

[Illustration: Abb. 63. +Entwurf zum rechten Thürflügel der Orgel des
Baseler Münsters.+ Bräunlich getuschte Zeichnung. Im Museum zu Basel.
(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Als die Krone von Holbeins Schöpfungen galt jahrhundertelang eine
Zusammenstellung von acht kleinen Bildern aus der Leidensgeschichte
Christi in +einem+ Rahmen (Abb. 54, 55 und 56). Das Gemälde
wurde von jeher im Rathaus zu Basel aufbewahrt. Da es aber aller
Wahrscheinlichkeit nach nicht für das Rathaus, sondern für eine
Kirche gemalt worden ist, so nimmt man an, der Rat habe dasselbe an
sich genommen, um es vor der Beschädigung oder Vernichtung durch den
Bildersturm, den Basel im Jahre 1529 erlebte, zu retten. Kurfürst
Maximilian I. von Bayern, jener eifrige Kunstsammler, der von der Stadt
Nürnberg Dürers Apostel erhandelte, wollte die Passionstafel um jeden
Preis in seinen Besitz bringen. Aber die Baseler ehrten das Andenken
ihres großen Künstlers besser als die Nürnberger das Vermächtnis Dürers
und schickten die kurfürstlichen Abgesandten mit einem höflichen, aber
glatt abschlägigen Bescheid heim. Die Tafel verblieb im Besitz der
Stadt und erzählte jedem Besucher des Rathauses ihres Meisters Ruhm
und Ehre, wie Joachim von Sandrart in seiner „Teutschen Akademie“
(1675) sagt, als „ein Werk, darin alles, was unsere Kunst vermag, zu
finden ist,“ und das „keiner Tafel, weder in Deutschland noch Italien,
weichen darf.“ Das dauerte bis zum Jahre 1771. Da wurde das Gemälde
durch Ratsbeschluß an die Kunstsammlung, die sich jetzt im Museum
befindet, abgegeben. Bei dieser Gelegenheit verfiel es dem Schicksal,
daß es vor der Überführung einer „gründlichen Restauration“ unterworfen
wurde, bei der es des besten Teils seiner Schönheit beraubt wurde.
Der restaurierende Maler hat zwar die Zeichnung in anerkennenswerter
Weise geschont, aber die Farbe hat er zerstört. Gewiß hat er bei seiner
Auffrischungsarbeit das, was rot war, rot, was blau war, blau übermalt
u. s. w., aber er hat alle Töne verstimmt, und dazu durch seinen
glatten Auftrag den feinen Reiz von Holbeins malerischer Behandlung
vernichtet. Durch das bunte, harte Mißgetön von Farben hindurch ist
der Zauber Holbeinscher Farbenmusik nicht mehr zu vernehmen. Ein
schönheitsempfindliches Auge muß die Verletzung durch dieses entseelte
Kolorit erst überwinden, ehe es dazu gelangt, die sonstigen großen
Schönheiten der Tafel zu genießen. Was zunächst auffällt, ist die
bewunderungswürdige Art und Weise, wie die acht verschiedenen Bildchen,
die in zwei Reihen übereinander stehen, in der Quere durch gemalte
Goldornamente, senkrecht durch plastische Rahmenleisten getrennt,
als ein malerisches Ganzes zusammenkomponiert sind. Jede der acht
Darstellungen, die mit großem Geschick dem Hochformat der einzelnen
Felder angepaßt sind, ist ein in sich abgeschlossenes Bild, das seine
abgerundete malerische Wirkung von Hell und Dunkel besitzt, das ganz
für sich allein als Kunstwerk bestehen könnte. Zugleich aber geht eine
einheitliche malerische Wirkung durch das Ganze, die Helligkeiten und
Dunkelheiten sind so verteilt, daß auch die ganze Tafel sich dem Auge
als ein abgerundetes malerisches Kunstwerk darbietet. Im einzelnen
stellt sich jede Komposition als ein Meisterwerk von Leben und Ausdruck
dar. Verschiedenartige Beleuchtungswirkungen sprechen lebhaft mit. Auf
dem ersten Bildchen, Christi Gebet am Ölberg, erscheint der Engel
mit dem Kelch in einer Lichtöffnung des nächtlichen Himmels. In den
beiden folgenden, der Gefangennahme und der Vorführung Christi vor
den Hohenpriester, geht die Beleuchtung von Fackeln aus; auf jenem
überspielt das Fackellicht die unteren Äste eines Baumes, dessen Krone
in Finsternis verschwindet; auf diesem irrt es in den phantastischen
Formen einer Holbeinschen Renaissancearchitektur umher. Auch das vierte
und das fünfte Bild, die Geißelung und die Verspottung Christi, umgeben
die Figuren mit reichen Architekturphantasien. Bei den zwei nächsten
Darstellungen, der Kreuztragung und der Kreuzigung, sind die unteren
Hälften der Bilder ganz mit Figuren angefüllt; darüber sieht man dort
einen runden Thorturm der Stadtmauer und eine in hellem Tageslicht sich
ausdehnende Ferne mit Hochgebirge; hinter den aufgerichteten Kreuzen
dagegen ist der verfinsterte Himmel völlig schwarz. Den Schluß bildet
die Grablegung; die Männer tragen den heiligen Leichnam über eine grüne
Wiese zu dem in einem gelben Felsen sich öffnenden Grufteingang; Maria
steht weinend bei ihrer Begleitung an einem Tannenbäumchen, das in
einer Spalte des Felsens Wurzel gefunden hat.

[Illustration: Abb. 64. +Maria mit dem Kinde.+ Getuschte und mit Weiß
gehöhte Federzeichnung auf grau grundiertem Papier. Im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Diesen Passionsbildern ist in der Auffassung wie in der malerischen
Empfindungsweise ein kleines Gemälde nahe verwandt, das in der Sammlung
des Schlosses Hamptoncourt bei London vor kurzem sozusagen neu entdeckt
worden ist. Sein Gegenstand ist ebenfalls der Leidensgeschichte Christi
entnommen: die Erscheinung des Auferstandenen vor Maria Magdalena (Abb.
57). Es ist ein wunderbares Meisterwerk malerischer Poesie. Großartig
ist die landschaftliche Stimmung der „Frühe, da es noch finster war.“
Und ebenso großartig und ergreifend ist der Ausdruck der Figuren. „Da
wandte sie sich und sprach zu ihm: ‚Rabbuni!‘ Jesus aber sprach zu ihr:
‚Rühre mich nicht an!‘“ Seitwärts sieht man den vom Grabe weggewälzten
Stein. und durch die niedrige Grabesöffnung gewahrt man, was Maria
Magdalena, als sie gebückt hineinblickte, gesehen hatte, die zwei Engel
in weißen Kleidern, einen am Kopf- und einen am Fußende. In der Ferne
gehen die beiden Jünger, die vorher am Grabe gewesen waren, wieder
fort nach Hause; in der Art, wie die beiden miteinander sprechen, ist
die Verschiedenheit des Eindrucks, den der Befund des Grabes auf sie
gemacht hat, in treffender Weise gekennzeichnet, im genauesten Anschluß
an den Wortlaut der Erzählung im Johannesevangelium, wie alles in
diesem Bilde: Johannes „sah und glaubte,“ Petrus ist noch nicht von der
Thatsache der Auferstehung überzeugt, darum redet er so eifrig.

[Illustration: Abb. 65. +Heilige Familie.+ Tuschzeichnung mit weiß
aufgesetzten Lichtern auf rot grundiertem Papier.

Im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 66. +Die Kreuzschleppung.+ Tuschzeichnung mit weiß
aufgesetzten Lichtern auf grauem Grund. Im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 67. +Der kreuztragende Christus.+ Holzschnitt
(einziges Exemplar) im Museum zu Basel.]

In die Gruppe der in reicher malerischer Helldunkelwirkung komponierten
religiösen Bilder gehören ferner zwei Altarflügel, die sich im Münster
zu Freiburg im Breisgau befinden. Aus den Wappen der Geschlechter
Oberriedt und Zscheckapürlin, die auf ihnen neben den Bildnissen der
Stifterfamilie unterhalb der eigentlichen Darstellung angebracht
sind, ergibt sich, daß Holbein diese Gemälde im Auftrag des Baseler
Ratsherrn Hans Oberriedt, der mit einer Zscheckapürlin vermählt war,
malte. Aus der Form der Bilder ergibt sich, daß sie sich an den beiden
Seiten eines oben bogenförmig begrenzten Mittelbilds befunden haben,
das mit diesen Flügeln geschlossen werden konnte. Zweifellos wurde das
ganze Werk von dem Besteller in irgend eine Kirche Basels gestiftet.
Hans Oberriedt verließ infolge der wilden Religionsstreitigkeiten
des Jahres 1529 seine Vaterstadt und siedelte nach Freiburg im
Breisgau über. Wahrscheinlich war er es, der die Flügelbilder vor
dem Bildersturm, dem die größere Mitteltafel zum Opfer gefallen sein
muß, rettete, um sie mit in die neue Heimat zu nehmen und auch dort
wieder auf einem Altar aufzustellen. Damit kamen die Bilder aber
noch nicht zu dauernder Ruhe. Während des dreißigjährigen Krieges
wurden sie nach Schaffhausen geflüchtet. Kurfürst Maximilian I. von
Bayern ließ sie sich zur Besichtigung nach München bringen, und
Kaiser Ferdinand III. ließ sie sich in Regensburg zeigen. Im Jahre
1796 wurden sie von den Franzosen aus Freiburg entführt, 1808 aber
zurückgegeben. Sie fanden dann ihre Aufstellung auf dem Altar der
sogenannten Universitätskapelle im Chor des Freiburger Münsters. Es
sind dies die einzigen Kirchenbilder Holbeins, die noch an geweihter
Stätte zum Beschauer sprechen. Und dabei ist vielleicht gerade in
ihnen weniger religiöse Stimmung als in anderen; der Künstler hat
sich bei ihrem Gestalten mehr dem rein malerischen Reiz, als der
Innerlichkeit der Empfindung hingegeben. Die Gegenstände der beiden
Gemälde, bei denen ebenso wie bei der Passionstafel der Figurenmaßstab
sehr klein ist, sind die Geburt Christi und die Anbetung der drei
Weisen aus dem Morgenland. Die Geburt (Abb. 58) ist in die Ruine
eines antiken Prachtgebäudes verlegt. Die Beleuchtung geht von dem
Kindlein aus, das auf weiße Windeln gebettet liegt. Das übernatürliche
Licht bestrahlt mit weicher Helligkeit die Gestalten von Maria und
Joseph, die sich in Bewunderung und seliger Andacht über das Kind
beugen, und eine Schar kleiner Englein, die dasselbe umjubeln. Es
streift das Gesicht und die Schulter eines Hirten, der sich schüchtern
hinter eine Säule gedrückt hält, solange seine Gefährten noch nicht
da sind, denen draußen in der Ferne die Lichtgestalt eines Engels die
frohe Botschaft bringt. Mit unverminderter Kraft strahlt das Licht
über die nächste Umgebung des Kindes hinaus und läßt die marmornen
Glieder des Gebäudes bunt und vielgestaltig aus dem zerteilten Dunkel
hervortreten. Am Himmel steht der Mond. Aber er läßt seinen Schein
nicht in Widerstreit treten mit jenem heiligen Licht. Auch der Mond
huldigt dem als Kind geborenen Herrn der Welt, indem er sich vor ihm
verneigt: die Mondscheibe -- selbstverständlich ist der Mond als
Scheibe, nicht als Kugel gedacht -- wendet ihre Fläche nach unten, dem
Kinde zu, so daß sie sich dem Beschauer in der Verkürzung zeigt. Ein
anderer origineller Künstlergedanke ist der, bei den kleinen Englein
die Verbindung der Flügel mit der Menschengestalt dadurch naturgemäßer
zu machen, daß die Schwingen sich aus den Armen entwickeln, statt, wie
sonst, als besondere Glieder aus den Schultern hervorzugehen. Auf dem
anderen Gemälde (Abb. 59) bildet der Stern, der die drei Weisen geführt
hat, das Gegenstück zu dem Mond der heiligen Nacht; groß und goldig
strahlend steht er am hellen Mittagshimmel zwischen weißen Wolken.
Einer der Begleiter der Ankömmlinge hält sich die Hand über die Augen,
um nach seinem Glanz emporzusehen. Der Schauplatz des Vorgangs ist
wieder eine antike Ruine, aber hier von außen gesehen und schlichter
in den Formen. Eine malerisch prächtige Erscheinung ist der weiß
gekleidete Mohrenkönig, der als der jüngste von den dreien wartet, bis
die anderen ihre Gaben dargebracht haben. Der älteste, ein langbärtiger
Greis in rotem Rock und Hermelinkragen -- seine Gestalt ist merkwürdig
ungefällig gezeichnet --, überreicht knieend sein Geschenk dem auf
Marias Schoße sitzenden Kind, das aufmerksam herabsieht. Der zweite
der drei Weisen, ein dunkelbärtiger kräftiger Mann, der eine weiße
Binde mit wehenden Enden um die Krone geschlungen trägt, schickt
sich an, vorzutreten, um die Stelle des Greises einzunehmen, sobald
dieser aufgestanden sein wird. Es scheint, daß dieses Bild durch
Ausbesserungen stärker beschädigt ist, als das andere.

[Illustration: Abb. 68. +Nackte Figur von unbekannter Bedeutung.+
Tuschzeichnung auf rötlichem Papier, weiß gehöht. Im Museum zu Basel.
(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Während Holbein in den genannten Gemälden mit reichen Farben und
vollen Gegensätzen von Hell und Dunkel arbeitete, begnügte er sich in
anderen Fällen mit einfarbiger oder fast einfarbiger Ausführung, um
die beabsichtigte künstlerische Wirkung zu erzielen. Im Baseler Museum
befinden sich zwei kleine Ölgemälde braun in braun, die als Doppeltafel
zum Zusammenklappen miteinander verbunden sind und ein einheitliches
Ganzes bilden. Solche Klapptäfelchen dienten zum Aufstellen bei
häuslicher Andacht. Da sind in tiefer Empfindung und in feinster
Ausführung Christus als Schmerzensmann und Maria als schmerzenreiche
Mutter dargestellt. Die beiden Figuren befinden sich in einer
phantastisch reichen Renaissancehalle; die Luftdurchblicke zwischen
den Säulen dieser Architektur hat Holbein blau gemalt, und durch diese
mit feinem künstlerischen Geschmack verteilten blauen Flecken in dem
sonst einfarbigen Bild hat er in dasselbe eine reizvoll malerische
Belebung gebracht. Der nackte Christuskörper ist mit fleißigem Studium
ausgeführt. Maria, die sich mit erhobenen Händen nach ihrem duldenden
Sohne umsieht, ist in Kopf, Händen und Gewandung außerordentlich schön
(Abb. 60 und 61). Eigentümlich ist es, daß bei dieser Doppeltafel,
die bei ihrer Kleinheit doch nicht in großer Höhe aufgestellt werden
konnte, der Horizont unterhalb des Bildes angenommen ist. Vielleicht
muß man sie auf Grund dieses Umstands als Entwurf oder Wiederholung
einer Ausführung in großem Maßstab, die für eine hohe Aufstellung
berechnet war, ansehen.

[Illustration: Abb. 69. +Kampf von Landsknechten.+ Tuschzeichnung, im
Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Braun in braun ohne jede andere Farbenzuthat sind zwei große Bilder
ausgeführt, die, auf Leinwand gemalt, die Innenseiten der Thüren
bekleideten, durch die das Gehäuse der Orgel im Baseler Münster
verschließbar war. Die eigentümliche Form dieser Thüren hat Holbein
mit großem Geschick ausgefüllt; durch die Einordnung von mächtigen,
schwungvollen Ornamenten in die unregelmäßige Fläche einer jeden Thür
hat er sich ein annähernd symmetrisches Bildfeld geschaffen, in das er
an beiden Seiten je eine überlebensgroße Heiligenfigur stellte, während
er den zwischen diesen verbleibenden niedrigen Raum mit auf den Ort
bezüglichen Darstellungen füllte. In dem linken Flügel stehen Kaiser
Heinrich II., der Gründer des Baseler Münsters, und seine Gemahlin
Kunigunde; zwischen ihnen sieht man das Münster selbst. In dem rechten
Flügel steht einerseits die Jungfrau Maria, mit der Himmelskrone auf
dem Haupt und mit dem Jesuskind, das sich kosend an sie schmiegt, in
den Armen, andererseits der Bischof Pantalus; in der Mitte ein Konzert
von köstlichen Kinderengeln, die gleichsam die Klänge der Münsterorgel
mit Himmelsmusik begleiten. Auch in diesen Bildern liegt, wie es streng
genommen bei Gemälden, deren Aufstellungsplatz ihre Fußbodenlinie
über die Köpfe der Beschauer hinausrückt, immer der Fall sein müßte,
der Horizont unter der Bodenlinie; Holbein hatte diese sonst im
allgemeinen selten beachtete Rücksichtnahme auf die Gesetze des Sehens
wohl aus Werken des Mantegna, der in dieser Beziehung sehr gewissenhaft
war, gelernt. Die Orgelthüren haben den Bildersturm überdauert, wohl
weil die Zerstörer in ihnen keine Andachtsbilder, sondern lediglich
Schmuckstücke sahen. Sie sind erst in unserem Jahrhundert, als die
alte Orgel durch eine neue ersetzt wurde, von ihrem Platz entfernt
und in das Museum gebracht worden. Aber sie sind durch eine im XVII.
Jahrhundert vorgenommene Übermalung und durch Gebrauchsbeschädigungen
verunstaltet. Doch kann man sie noch voll würdigen, wenn man die unter
den Handzeichnungen des Museums befindlichen Entwürfe betrachtet, die
durch ihre Austuschung mit brauner Wasserfarbe auch den Farbeneindruck
der großen Ausführungen andeuten (Abb. 62 und 63).

[Illustration: Abb. 70. +Ein zur Abfahrt bereites Schiff mit
Bewaffneten.+ Tuschzeichnung, im Städelschen Museum zu Frankfurt a. M.]

[Illustration: Abb. 71. +Das Totentanzalphabet.+ Holzzeichnungen,
geschnitten von Hans Lützelburger. (Originalgröße.)]

Vielleicht darf man noch bei mehreren, mit großer Sorgfalt ausgeführten
Kompositionen, die sich unter Holbeins Zeichnungen im Museum zu
Basel befinden, annehmen, daß in ihnen Entwürfe zu Gemälden, die der
Bildersturm vernichtet hat, erhalten seien.

Da ist ein Bildchen der Jungfrau Maria, die dem Jesuskind die
Brust reicht, auf grau grundiertem Papier mit schwarzer und weißer
Wasserfarbe ausgeführt, in einem nur durch die Umrisse zweier Säulen
angedeuteten Architekturgehäuse (Abb. 64). Dann ein durch desto
prächtigere Ausarbeitung der Architektur ausgezeichnetes Blatt, in dem
eine heilige Familie dargestellt ist. Das Christuskind macht zwischen
der Mutter Maria und der Großmutter Anna seine ersten Gehversuche,
denen außer den beiden Frauen auch der alte Joachim zusieht. Die
Beleuchtung ist als schräg von hinten einfallend angenommen, und das
Spiel der vielen scharfen Lichter, die mit weißer Farbe in die auf
rotem Grund getuschte Zeichnung kräftig hineingesetzt sind, geben dem
Bild einen eigenen Reiz (Abb. 65). Bei diesen beiden Blättern liegt der
Horizont wieder unterhalb der Fußlinie. Vielleicht sind es Entwürfe zu
hoch angebrachten Wandmalereien; dafür scheint der dekorative Charakter
der Darstellungen zu sprechen und auch die schräge Perspektive, die
hier wie dort darauf schließen läßt, daß zu dem Bilde eine rechts
davon liegende, die Mitte von einem größeren Ganzen enthaltende
Hauptdarstellung gehörte. -- Wieder ein Bild aus der Leidensgeschichte
des Heilands, in Schwarz und Weiß auf grauer Grundierung ausgeführt:
die Kreuzschleppung. Christus ist unter der Last zu Boden gestürzt;
mühsam hält er sich auf den Händen, und stöhnend blickt er empor,
vergeblich nach Mitleid suchend unter der Schar der gefühllosen, teils
gleichgültigen, teils grausam rohen Begleiter (Abb. 66). Man mag mit
dieser Zeichnung den ergreifend schönen, nur in einem einzigen Exemplar
(im Baseler Museum) vorhandenen Holzschnitt vergleichen, in dem der
unter dem Kreuz zusammengesunkene Christus allein dargestellt ist,
nicht als eine Figur aus einem geschichtlichen Vorgang, sondern als ein
Mahner, der die bittere Klage, die aus seinen Augen spricht, an den
Beschauer richtet (Abb. 67).

[Illustration: Abb. 72. +Der Tod und der Kaiser.+

Aus der Holzschnittfolge „der Totentanz“.

(Originalgröße.)]

Unverständlich ist die Bedeutung einer Zeichnung, die in sorgfältiger
Tuschausführung auf rötlichem Papier ein nacktes Weib zeigt, das,
in lebhafter Bewegung neben einer Säule vortretend, in jeder Hand
einen Stein wie zum Hinabwerfen hält. Eine lediglich zur Belehrung
gemachte Naturstudie ist es, trotz der fleißigen Durcharbeitung der
einzelnen Formen, nicht; eine solche würde Holbein mit schärferer Treue
gezeichnet haben. Es muß auch eine Vorarbeit zu irgend einer Malerei
sein, in der die Figur wohl nur einen Teil einer größeren Komposition
bildete. Jedenfalls hat es an und für sich immer ein künstlerisches
Interesse, eine von Holbein entworfene nackte Gestalt zu sehen (Abb.
68).

[Illustration: Abb. 73. +Der Tod und der Schiffer.+

Aus der Holzschnittfolge „der Totentanz“.]

Wohl nicht zu einem bestimmten Zweck ersonnen, sondern nur aus Freude
an der Sache entworfen sind mehrere, in verschiedenen Sammlungen
befindliche Darstellungen aus dem Leben der Schweizer Landsknechte, in
leichter Ausführung mit höchster Lebendigkeit hingezeichnete Blätter.
Das Baseler Museum besitzt eine ganz wundervolle Schilderung eines
Zusammenstoßes zweier Landsknechthaufen; auf der einen Seite suchen die
Männer mit den langen Spießen eine geschlossene Verteidigungsstellung
zu behaupten, von der anderen drängen sie in wuchtigem Haufen heran,
in der Mitte raufen die Katzbalger, die verlorenen Gesellen. Das ist
mit einer so packenden Lebendigkeit zur Anschauung gebracht, als ob
der Zeichner Selbsterlebtes erzählte. Auch die Art der Ausführung
trägt zur Lebendigkeit des Eindrucks bei; in schneller und sofort
sicherer Führung des Tuschpinsels hat der Zeichner mit Strichen und
Tönen die vorderen Figuren in allem Gewühl und Getümmel klar erkennbar
auseinander gehalten, und die weiter zurückstehenden, die in der
Wirklichkeit ein Staubschleier dem Beschauer undeutlich machen würde,
hat er nur in flüchtigen, gleichsam zitternden Umrissen angedeutet
(Abb. 69). Zu den Landsknechtsbildern gehört auch die Abbildung eines
Schiffes, die sich im Städelschen Museum zu Frankfurt befindet. Das
augenscheinlich nach der Wirklichkeit gezeichnete Fahrzeug ist in
Bereitschaft, den Hafen zu verlassen, um eine Schar von Bewaffneten,
deren Tracht die des Schweizer Kriegsvolks ist, in die Ferne zu führen.
Der Hauptstrom der Schweizer Reisläufer ging damals nach Frankreich;
Holbein mag, wenn er in Avignon seinen Freund Amerbach besuchte, von
dort aus leicht Gelegenheit gefunden haben, einen solchen Vorgang,
wie er ihn hier schildert, zu sehen. Schon blähen sich die Segel des
Schiffes, eilig rudert zum letztenmal ein Boot heran, um, was nicht an
Bord gehört, zurückzuholen. Die Eingeschifften haben den Abschied vom
Lande kräftig gefeiert, jetzt gilt es, das Scheiden kurz zu machen.
Der Trommler und der Pfeifer lassen vom Heck die Marschmusik der
Landsknechte ertönen, der Fähnrich schwingt grüßend das große Banner.
Unter der Schiffsmannschaft kreist noch ein Abschiedstrunk in großen
Kannen, bis zum Mastkorb hinauf. Daß, nach der Bauart des Schiffes, die
Figuren im Verhältnis zu diesem etwas zu groß geraten sind, mag man dem
Zeichner gern verzeihen (Abb. 70).

[Illustration: Abb. 74. +Der Tod und der Ritter.+

Aus der Holzschnittfolge „der Totentanz“.]

Der Reichtum von Holbeins Erfindungsgabe und die Leichtigkeit seines
Schaffens fanden die dankbarste Verwertung in der Zeichnung für den
Holzschnitt. Diejenigen seiner Arbeiten für den Buchdruck, die am
weitesten in der Welt bekannt geworden sind, gehören fast alle der
Zeit von 1523 bis Anfang 1526 an. Wenn auch die meisten von ihnen erst
in späteren Jahren veröffentlicht worden sind, so beweist doch der
Umstand, daß sie von der Hand Lützelburgers geschnitten sind, ihre
Entstehung in jener Zeit.

[Illustration: Abb. 75. +Der Tod und das Ehepaar.+

Aus der Holzschnittfolge „der Totentanz“.]

Mit zu den ersten Schnittausführungen Holbeinscher Zeichnungen durch
Lützelburger gehört das sogenannte Totentanzalphabet. Einzelne
Buchstaben aus diesem erschienen schon in Drucken des Jahres 1524.
Holbein befolgte bei seinen Buchstabenzeichnungen, die den Zweck
hatten, die Texte gedruckter Bücher nach dem Vorbild der gemalten
Initialen in mittelalterlichen Handschriften zu schmücken, immer
eine gleiche Art der Anordnung. Den Buchstaben selbst, den er stets
in der eigentlichen Renaissancegestalt, das ist in der klassischen
Form der alten lateinischen Schrift, bildete, ließ er unverziert; die
Ausschmückung gab er ihm durch ein quadratisches Figurenbildchen, das
den Hintergrund für den Buchstaben bildet, ohne eine andere Verbindung
zwischen dem Bildchen und dem Buchstaben, als die des künstlerischen
Zusammenklangs der Linien. Gern zeichnete er ganze Alphabete in der
Weise, daß die 24 Bildchen -- für ~U~ und ~V~ gab es nur ein Zeichen,
ebenso wie für ~I~ und ~J~ -- eine in sich zusammenhängende Folge
bildeten. So hat er zum Beispiel ein Alphabet mit den verschiedenen
Berufsarten des Menschen, in Kinderspiel eingekleidet, ein anderes mit
den belustigenden Vorgängen einer Bauernkirmeß geschaffen. Den meisten
Beifall aber fand er mit dem Alphabet, in dem er die Gewalt des Todes
über alle Stände zum Thema der Bildchen nahm.

[Illustration: Abb. 76. +Der Tod und der Ackermann.+

Aus der Holzschnittfolge „der Totentanz“.]

Das Thema war sehr volkstümlich. Bis in das XIV. Jahrhundert
lassen sich die Anfänge der sogenannten Totentanzdarstellungen
zurückverfolgen. Es waren Bilder, die die Nichtigkeit alles Irdischen
dadurch veranschaulichten, daß sie den Gestalten Lebender die Gestalten
von Toten gegenüberstellten, die einst dasselbe gewesen waren wie jene
und jetzt nichts mehr besaßen als die nackte Häßlichkeit verwesender
oder eingetrockneter Leichname. Im XV. Jahrhundert ließen besonders die
Predigermönche oftmals ganze Reihen von solchen Paaren an geeigneten
Stellen, in der Vorhalle der Kirche, im Klostergang oder wo sonst sie
von vielen gesehen werden konnten, an die Wand malen; erläuternde
Verse, volkstümlich gefaßt, wurden dazu geschrieben. In den Versen
sprachen die Toten mit den Lebenden, in den Bildern reichten sie ihnen
die Hand. Das waren Bilderpredigten, die den Beschauer zum Denken an
das Ende mahnen sollten und dadurch, daß in den dargestellten Personen
alle Stände, geistliche und weltliche, von den höchsten bis zu den
niedrigsten, gekennzeichnet wurden, auf die Gleichheit aller im Tode
hinwiesen. Die Reihen von Paaren bildeten gleichsam einen Reigen.
Daraus entwickelte sich von selbst der Gedanke, die ganze Darstellung
als einen Tanzreigen aufzufassen; die Zeit liebte die Würze des Humors
auch in sehr ernsten Dingen. Beim Reigen durfte der Spielmann nicht
fehlen. Der aber hier zum Tanze fiedelte, war der Tod selbst, als
persönliches Wesen gedacht und ebenfalls in der Gestalt einer lebenden
Leiche gebildet. Diese Bilder waren die eigentlichen Totentänze. Auch
Basel besaß zu Holbeins Zeit einen berühmten Totentanz, der sich an
der Kirchhofsmauer des Predigerklosters befand und der eine freie
Nachbildung eines noch älteren Werkes im Nonnenkloster Klingenthal zu
Klein-Basel war. Der Name ist an dem ganzen Kreise von Darstellungen
haften geblieben, obgleich seit dem Beginn des XVI. Jahrhunderts die
Darstellungsweise sich wesentlich veränderte. In den entsprechenden
Bildern, welche die Künstler dieser Zeit, und so auch Holbein,
entwarfen, treten keine Toten mehr auf, und es wird auch nicht mehr
getanzt. An Stelle des Toten ist es der Tod, der in jedem Bilde sich
dem Lebenden gesellt.

[Illustration: Abb. 77. +Der Tod und die Spieler.+

Aus der Holzschnittfolge „der Totentanz“.]

Holbein stellte den Tod in der letzten zusammenhängenden Form, die eine
Leiche haben kann, als kahles Gerippe dar. Vereinzelt waren auch schon
andere auf diese Form gekommen, zum Beispiel Dürer in einer großartigen
Zeichnung vom Jahre 1505. Das war ein glücklicher Künstlergriff;
denn nichts konnte unheimlicher wirken, als wenn ein Knochengestell,
dem alle Mittel der Bewegung fehlten, sich dennoch bewegte, aus
eigener unerklärbarer Kraft. Holbeins anatomische Kenntnisse
waren freilich gering. Die Gerippe, die er zeichnete, wimmeln von
Unrichtigkeiten. Aber er schuf diese Darstellungen ja auch nicht, um
mit wissenschaftlichen Kenntnissen zu prunken. Den künstlerischen
Zweck erreichte er mit seinen fehlerhaften Gerippen so vollkommen,
wie kaum jemals ein anderer, der Ähnliches versucht hat. Er verstand
es meisterhaft, dem leeren Knochengerüst den Anschein eines lebenden
Wesens zu geben; die tiefen Schatten der leeren Augenhöhlen und das
scheinbare Grinsen der fleischlosen Kiefer gaben ihm die Mittel, einen
eigentümlich drastischen Gesichtsausdruck hervorzuzaubern, der in
seiner Mannigfaltigkeit alles Mienenspiel ersetzt.

[Illustration: Abb. 78. +Das Wappen des Todes.+ Aus der
Holzschnittfolge „der Totentanz“.]

Sein Totentanzalphabet (Abb. 71) beginnt im ~A~ mit einer Erinnerung an
die wirklichen Totentanzbilder: der Tod spielt auf zum Reigen; dabei
erscheint der Tod nicht als ein nur in der Einzahl vorkommendes Wesen,
es sind ihrer mehrere. Auch in vielen der folgenden Bildchen arbeitet
der Tod mit Gehilfen. Mit wilder Lust, oft mit grausig höhnendem Spott
fällt der Knochenmann über seine Opfer her, über die Menschen aller
Lebensstellungen. Er ergreift den Papst, den Kaiser, den König, den
Kardinal, die Kaiserin, die Königin, den Bischof, den Fürsten, den
Ritter, die Edelfrau, den Gelehrten, den Kaufmann, den Mönch, den
Soldaten, die Nonne, den Schalksnarr und die leichtfertige Dirne; er
gießt einem Säufer den letzten Trunk in die Kehle, springt hinter dem
Reisenden aufs Pferd, führt den Klausner freundlich von dannen, gesellt
sich in Begleitung eines Teufels zu Spielern und holt das Kind aus der
Wiege. Den Schluß bildet im ~Z~ das Jüngste Gericht.

[Illustration: Abb. 79. +Das Weltgericht.+ Aus der Holzschnittfolge
„der Totentanz“.]

Diese winzigen Bildchen sind in der That große Meisterwerke. Welcher
Reichtum der dichterischen Erfindung, welche Kraft der Kennzeichnung,
welche packende Lebendigkeit der Schilderung ist in jeder der in so
engen Raum gebundenen Kompositionen enthalten! Man begreift, daß der
Meister, der sich mit solcher Künstlerlust in den Gegenstand vertiefte,
das Verlangen empfinden mußte, dieselbe Sache auch einmal anders zu
behandeln, als in der beschränkten Gestalt von Buchstabenbildchen,
die noch dazu dem Publikum immer nur zerstreut, niemals in ihrem
durchdachten Zusammenhang zu Gesicht kamen. Er entwarf einen
„Totentanz“ zum Zweck der Veröffentlichung in einem selbständigen
Werk, in Zeichnungen, die zwar auch noch klein waren, ihm aber Platz
genug gewährten, um seine bildlichen Dichtungen weiter auszudichten und
ihnen durch Räumlichkeit und Landschaft, erforderlichenfalls auch durch
Hinzufügung von Nebenpersonen noch mehr Inhalt und Anschaulichkeit
zu geben. Die Zeichnungen wurden der größten Mehrzahl nach von
Lützelburger in mustergültiger Weise geschnitten.

Dieser Totentanz in Holzschnitten hat wie kein anderes Werk den Namen
Holbeins berühmt gemacht.

[Illustration: Abb. 80. +Jakob segnet Esau+ (1. Moses 27, 22). Aus den
Holzschnitten zum Alten Testament. (Originalgröße).]

[Illustration: Abb. 81. +Boas und Ruth+ (Ruth 2, 5). Aus den
Holzschnitten zum Alten Testament.]

[Illustration: Abb. 82. +Die betrübte Hanna+ (1. Samuel 1, 15). Aus den
Holzschnitten zum Alten Testament.]

[Illustration: Abb. 83. +Salomon segnet die Gemeinde+ (2. Chronica 6,
3). Aus den Holzschnitten zum Alten Testament.]

Merkwürdigerweise kam derselbe erst viele Jahre nach seinem Entstehen
zur Veröffentlichung. Nur fünf Probedruckexemplare sind vorhanden
(in den Museen zu Basel, Berlin und London, im Kupferstichkabinett
zu Karlsruhe und in der Nationalbibliothek zu Paris) von der ersten
beabsichtigten Ausgabe; die Zahl der Bilder beträgt hier vierzig,
und der Text beschränkt sich auf Überschriften in deutscher Sprache.
Von einer anderen Ausgabe, die ein Blatt enthält, welches dort fehlt
und die sich dadurch von jener unterscheidet, daß die Überschriften,
in denen auch einiges wenige anders gefaßt ist -- mit gotischen
(sogenannten deutschen) Lettern gedruckt sind statt mit den sonst
damals bevorzugten lateinischen, ist nur ein einziges Exemplar (in der
Pariser Bibliothek) vorhanden. Die erste wirkliche Veröffentlichung
erfolgte im Jahre 1538 zu Lyon durch die Druckerei der Brüder Caspar
und Melchior Trechsel. Diese Ausgabe enthält die 41 Bilder, jedes
von einer Bibelstelle in lateinischer Sprache und von französischen
Versen begleitet, mit einer Vorrede des französischen Herausgebers,
die der Äbtissin des St. Petersklosters zu Lyon gewidmet ist. In
späteren Auflagen, die auch mit ins Deutsche übertragenen Versen
erschienen, kamen noch acht Bilder hinzu, die in der ersten Ausgabe
weggeblieben waren, weil Lützelburger vor ihrer Vollendung vom Tode
hinweggerafft worden war, und weil -- nach den Worten des gelehrten
französischen Geistlichen, der die Vorrede verfaßte und in dieser,
mit Übergehung Holbeins, dem Formschneider alles Verdienst an den
Zeichnungen zuschrieb -- niemand an die unvollendeten Bilder die Hand
zu legen wagte, so wenig wie jemand den himmlischen Regenbogen berühren
könnte. Erst nach vielen Jahren fand sich eine andere Kraft, die der
hinterlassenen Aufgabe leidlich gerecht wurde. Diese nachträglich
geschnittenen oder im angefangenen Schnitt vollendeten sind Bilder,
die, ohne den Zusammenhang zu stören, weggelassen werden konnten; denn
sie reihen sich nicht der herkömmlichen Ordnung nach Ständen ein,
sondern enthalten -- wie die Bildchen der Buchstaben ~T~ bis ~X~ des
Todesalphabets -- frei erdachte Darstellungen sittenbildlicher Art
(Abb. 77). Von einigen Stücken, die erst in viel späteren Ausgaben,
lange nach des Künstlers Tode, eingeschoben worden sind, erscheint
es fraglich, ob ihre Einreihung in das Ganze von Holbein selbst
beabsichtigt war. -- Die drei ersten Bilder der Folge enthalten die
Einleitung des Bildergedichts: die Erschaffung der Eva, den Sündenfall
und die Vertreibung aus dem Paradies. Dann tritt der Tod auf; er hilft
Adam bei der Bearbeitung der Erde mit einem unbeschreiblichen Ausdruck
wilden Vergnügens. Die Freude des Todes darüber, daß die Menschheit
ihm verfallen ist, verkündet auf dem nächsten Blatt ein Konzert von
Gerippen, deren einige zum Hohn sich lächerlich aufgeputzt haben,
mit lärmendem Jubel. Und jetzt sucht der Tod alle Stände heim, vom
Papst und Kaiser angefangen bis zu dem Ärmsten und Geringsten und zum
unmündigen Kinde. Mit grausigem Humor mischt er sich in die Thätigkeit
der Menschen, bald heimlich, bald offen, unerkannt oder Entsetzen
verbreitend. Dem schmausenden König reicht er als Mundschenk den Wein,
als verbindlicher Kavalier geleitet er die Kaiserin und als tanzender
Narr ergreift er die Königin inmitten ihres Hofstaats. Höhnisch
trägt er Inful und Hirtenstab, da er den Abt hinwegzerrt; mit einem
Kranze geschmückt, wie ihn die jungen Stutzer bei Tanz und Gelagen
zu tragen pflegten, reißt er die Äbtissin über die Klosterschwelle;
als Mesner naht er sich dem Prediger. Bekränzt und tanzend verhöhnt
er, von einem lustig musizierenden Gerippe begleitet, eine alte Frau,
die rosenkranzbetend am Stabe dahinschleicht. Den Arzt sucht er als
Begleiter eines Patienten auf; mit fragender Miene reicht er dem
Gelehrten einen Schädel dar; dem Reichen raubt er sein Geld. Aus den
Wogen aufsteigend, zerbricht er den Mast eines Schiffes auf stürmischer
See (Abb. 73); von Panzer und Kettelhemd umschlottert, rennt er einem
Ritter den Speer durch Harnisch und Leib (Abb. 74). Er hilft beim
bräutlichen Schmücken der jungen Gräfin und schreitet als Trommler vor
dem vornehmen Ehepaar her (Abb. 75). Wie ein Wegelagerer überfällt er
den Krämer auf offener Landstraße; er treibt als übereifriger Knecht
das Gespann des Bauersmannes, der in reizvoll friedlicher Landschaft
hinter dem Pfluge herschreitet (Abb. 76). Welches der Bildchen man
auch betrachten mag, jedes einzelne ist eine beziehungsreiche,
geistvolle Schöpfung, in die man sich lange vertiefen kann. Als ein
bemerkenswertes Zeichen der Zeit sieht man in manchen der Blätter,
wie die humoristischen Züge sich in Satire verwandeln. Auch sieht man
die Zeitereignisse selbst sich wiederspiegeln; so sind bei dem Bilde
des Papstes, den der Tod aus einer Handlung höchster Machtentfaltung
herausreißt, während ein Teufel zum Empfang seiner Seele bereit
steht, die Anspielungen auf Leo X. († 1521) hinreichend deutlich; der
ehrenfeste alte Kaiser, der im Ausüben der Gerechtigkeit unterbrochen
wird (Abb. 72), ist unverkennbar Maximilian († 1519), und der König
trägt die Züge Franz’ I. von Frankreich, obgleich dieser damals noch
lebte; der Graf, dem der Tod in der Tracht eines Bauern entgegentritt,
um ihn mit dem eigenen Wappenschild niederzuschlagen, und der Ratsherr,
den der Tod abruft, während er sich weigert, einem geringen Mann Gehör
zu schenken, erinnern an den im Jahre 1525 bis an die Thore Basels
herantobenden Bauernaufstand und an die Ursachen seiner Entstehung.
Die Folge endigt mit dem allgemeinen Weltgericht (Abb. 78) und mit
einem Schlußblatt, welches das Wappen des Todes zeigt: ein Totenkopf
in zerfetztem Schild, eine Sanduhr und zwei erhobene Knochenarme als
Helmzier (Abb. 79); daß dem Herrscher Tod ein Wappen zustand, war
eine eingebürgerte Vorstellung, die ja auch Dürer einmal zu einem
Kupferstich angeregt hatte.

In demselben Verlage wie die Todesbilder, und ebenfalls erst im
Jahre 1538 erschien die größte von Holbein gezeichnete Bilderfolge,
seine Illustrationen zum Alten Testament. Daß auch diese Blätter in
den Jahren 1523 bis 1526, wenigstens der Mehrzahl nach, entstanden
sind, beweist der Umstand, daß die Schnittausführung der meisten die
Hand Lützelburgers erkennen läßt; diejenigen, welche von anderer
Hand geschnitten worden sind, fallen in sehr bemerklicher Weise
gegen die ersten ab. Die Trechselsche Veröffentlichung brachte die
Zeichnungen nicht, wie sie wohl ursprünglich gedacht waren, im Text
einer Bibelausgabe, sondern als selbständiges Bilderwerk. Jedem
Blatt wurde eine Anführung der betreffenden Schriftstelle und eine
kurze Erläuterung in französischen Versen beigegeben. Dazu kam eine
Vorrede in lateinischen Versen; in dieser wurde nicht, wie in der
Veröffentlichung des Totentanzes, Holbeins Name verschwiegen; vielmehr
wurde der Künstler, der sich freilich gefallen lassen mußte, daß sein
Name dem Versmaß zuliebe die verkümmerte Form Holbius annahm, über
Apelles und die anderen berühmtesten Maler des griechischen Altertums
erhoben. Der Verfasser der Vorrede hatte Holbein persönlich kennen und
bewundern gelernt. -- In demselben Jahre wie die erste Ausgabe des
später noch oftmals aufgelegten Bilderwerks erschienen die Zeichnungen
auch in einer lateinischen Bibelausgabe, die von einem anderen Drucker
zu Lyon, Hugo a Porta, veranstaltet wurde. In dieser seltenen Ausgabe
sind einige Bilder weggelassen; dafür aber ist eines, der Sündenfall,
vorhanden, das dort fehlt und das sonst nur in einem im Museum zu Basel
bewahrten Probedruckexemplar vorkommt. -- Holbeins Bilder zum Alten
Testament sind im allgemeinen viel weniger bekannt, als sein Totentanz.
Aber diese 91 Bildchen -- das Format ist auch hier ein kleines --
verdienen die allergrößte Beachtung. Während der Künstler in jenem
anderen Werk durch seine geistreichen Einfälle überrascht und fesselt,
schließt er sich hier schlicht und treu an das zu verbildlichende
Wort des Textes an. Er zeigt sich als ein Erzähler allerersten
Ranges, der in jeder Darstellung alles, worauf es ankommt, mit der
liebenswürdigsten Einfachheit und Natürlichkeit, in knappster Fassung
zu sagen weiß, nichts wesentlich zur Sage Gehöriges vergißt und alles
Überflüssige vermeidet (Abb. 80-85).

[Illustration: Abb. 84. +Die Heimkehr aus der babylonischen
Gefangenschaft+ (1. Esra 1, 5). Aus den Holzschnitten zum Alten
Testament.]

[Illustration: Abb. 85. +Der Prophet Amos+ (Amos 1, 1). Aus den
Holzschnitten zum Alten Testament.]

Zu den Schnitten Lützelburgers gehört auch ein in sehr wenigen
Exemplaren erhaltenes Bildchen, das offenbar als Kopfstück ein
fliegendes Blatt geschmückt hat, ein von reformatorischer Seite
ausgegebenes Spottblatt, das um seiner Schärfe willen von der Baseler
Obrigkeit unterdrückt worden sein mag. Dasselbe zeigt in seiner rechten
Hälfte einen geschmückten Saal, in dem die Leute sich drängen, um die
von dem thronenden Papste, dessen Person das allenthalben angebrachte
Mediceerwappen kennzeichnet, ausgegebenen Ablaßzettel zu kaufen; links
aber sieht man draußen im Freien David, Manasse und den armen Zöllner
als die Vertreter der wahren Bußfertigen, und diesen breitet Gott Vater
vom Himmel herab seine Arme entgegen. Eine Zeichnung ähnlicher Art, die
in der feinen Schnittausführung ebenfalls Lützelburgers Hand erkennen
läßt, erschien als Kopfstück des 1527 gedruckten „Evangelischen
Kalenders“ von ~Dr.~ Johannes Copp. Das Bildchen zeigt Christus als das
wahre Licht, das die Welt durchstrahlt und das gläubige Volk an sich
zieht, während der Papst und seine Geistlichkeit ihm den Rücken wenden,
um, von den heidnischen Philosophen Plato und Aristoteles angeführt, in
den Abgrund zu stürzen.

Der kirchliche Zwiespalt, in den der Künstler sich mit diesen
Blättern mischte, nahm in Basel scharfe Formen an. Alles entbrannte
in religiösem Parteieifer. Dabei froren die Künste, wie Erasmus
sich in einem Briefe ausdrückte. Es machte sich eine entschieden
bilderfeindliche Partei geltend. Im Januar 1526 richtete die
Malerzunft ein Bittgesuch an den Rat, er möge gnädiglich dafür sorgen,
daß sie, die eben auch Frau und Kinder hätten, in Basel verbleiben
könnten. Auch Holbeins Erwerbsverhältnisse gestalteten sich schlecht.
Wie wenig Verwendung die Regierung Basels für seine Kunst hatte, geht
aus den Ratsrechnungen hervor, die als einzige an Holbein in diesen
Jahren geleistete Zahlung einen geringfügigen Betrag nennen, den
er im März 1526 dafür bekam, daß er „etliche Schilde am Städtlein
Waldenburg,“ wohl das obrigkeitliche Wappen an öffentlichen Gebäuden
dieser zum Baseler Gebiet gehörigen Stadt, gemalt hatte.

[Illustration: Abb. 86. +Jakob Meyer zum Hasen.+ Zeichnung in schwarzer
und farbiger Kreide, Studie zu dem Madonnenbild in Darmstadt. Im Museum
zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Doch war es aller Wahrscheinlichkeit nach in eben diesem Jahre, daß
Holbein von seinem alten Gönner Jakob Meyer einen Auftrag bekam,
in dessen Ausführung er ein Werk schuf, das zweifellos unter allen
religiösen Bildern, die von ihm erhalten geblieben sind, das schönste
ist.

Jakob Meyer zum Hasen, der das Bürgermeisteramt zum letztenmal im
Jahre 1521 bekleidet hatte, hielt, während die Reformation in Basel
immer mehr die Überhand bekam, streng an der alten Kirche fest. So
ließ er gerade damals, wo die katholische Partei sich kaum noch im
Rat zu behaupten vermochte, ein offenbar zur Aufstellung auf einem
Kapellenaltar bestimmtes Gemälde anfertigen, in dem er gleichsam ein
öffentliches Glaubensbekenntnis ablegte. Er ließ sich selbst mit seiner
ganzen Familie abbilden, wie sie sich unter den Schutz und Schirm der
Jungfrau Maria stellen. In der Ausführung dieses Auftrags schuf Holbein
das herrliche Marienbild, das sich jetzt im Besitz des Großherzogs von
Hessen befindet und im großherzoglichen Schlosse zu Darmstadt bewahrt
wird.

Von den Vorarbeiten Holbeins zu diesem Gemälde haben sich die
Bildnisaufnahmen von Jakob Meyer, von Frau Dorothea und von deren
Tochter Anna erhalten. Diese drei Zeichnungen, in der bekannten Art
des Künstlers mit schwarzer Kreide unter Zuhilfenahme von ein paar
Buntstiften ausgeführt, befinden sich im Museum zu Basel. Der Kopf des
Mannes (Abb. 86) ist auf gelblich getöntem Hintergrund mit Schwarz
und Rot in ganz leichter Behandlung zu ganz sprechender Wirkung
gebracht; auch der Ausdruck, den er im Gemälde bekommen sollte, ist
schon angedeutet. Der Kopf der Frau (Abb. 87) ist durch das „Gebände“
stärker verhüllt, als es dem Maler später bei der Ausführung gut
schien; die Farbenangaben beschränken sich auf das Rot im Gesicht und
etwas Braun zur Bezeichnung des die Haube durchschimmernden Haares und
des Pelzfutters am Mantelkragen. Anna Meyer (Abb. 88), deren Alter
von etwa dreizehn Jahren für die Feststellung der Entstehungszeit des
Bildes mitbestimmend ist, ist gleich in halber Figur gezeichnet, die
Arme annähernd in der Haltung, die sie im Gemälde bekommen sollten;
von leicht grünlich angetuschtem Hintergrund heben sich das Gesicht
mit seinem zarten Fleischton, das goldbraune Haar, dessen Farbe mit
ineinander gezeichnetem Gelb und Braun erreicht ist, und die weiße
Kleidung, die durch einen roten Gürtel und durch gelb angegebene
Verzierungen am Halsband belebt wird, in fast schon völlig malerischer
Wirkung ab. Das junge Mädchen sieht in der Zeichnung entschieden
vorteilhafter aus, als im Gemälde; das liegt hauptsächlich daran, daß
das offene Haar sie viel besser kleidet, als der festliche, wohl bei
einer besonderen Veranlassung, etwa der ersten Kommunion, gebräuchliche
Kopfputz, der den größten Teil des in Zöpfen hochgesteckten Haares
verdeckt.

[Illustration: Abb. 87. +Jakob Meyers Ehefrau Dorothea Kannegießer.+
Zeichnung in schwarzer und farbiger Kreide, Studie zu dem Madonnenbild
in Darmstadt. Im Museum zu Basel. (Nach einer Originalphotographie von
Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und Paris.)]

Das Gemälde selbst (Abb. 89), in dreiviertel Lebensgröße ausgeführt,
ist eines der seltenen Kunstwerke, die gleich beim ersten Anblick den
Beschauer mit der ganzen Macht einer vollkommenen Kunst überwältigen
und die man, wenn man sie einmal gesehen hat, nie wieder vergißt.

[Illustration: Abb. 88. +Anna Meyer.+ Zeichnung in schwarzer und
farbiger Kreide, Studie zu dem Madonnenbild in Darmstadt. Im Museum zu
Basel.]

[Illustration: Abb. 89. „+Madonna des Bürgermeisters Meyer.+“ Im
großherzoglichen Schloß zu Darmstadt.]

[Illustration: Abb. 90. +Alte Kopie von Holbeins „Madonna des
Bürgermeisters Meyer.“+ In der königl. Gemäldegalerie zu Dresden.

(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)]

[Illustration: Abb. 91. „+Lais Corinthiaca.+“ Ölgemälde von 1526. Im
Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 92. +Liebesgöttin.+ Ölgemälde, im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]


[Illustration:

 Elisabeth Margareta   John   Thomas  John More,  Cäcilie  Alice, Thomas
 Dancy,    Gigs, eine  More,  Morus.  der Sohn.   Heron,   Morus’ zweite
 zweite    mit den     Thomas’                     jüngste  Frau.
 Tochter.  Töchtern    Vater.                      Tochter.
           erzogene       Anna Grisacre,    Henry      Margareta Roper,
           Verwandte.    Braut des Sohnes.  Paterson,  älteste Tochter.
                                           der Hausnarr.

Abb. 93. +Entwurf zu dem Familienbild des Thomas Morus.+ Federzeichnung
im Museum zu Basel.

Die Namensbeischriften auf dieser Zeichnung sind von der Hand Thomas
Morus’, die Notizen über einige Änderungen in der Anordnung von der
Hand Holbeins.]

[Illustration: Abb. 94. +Thomas Morus.+ Zeichnung in schwarzer und
farbiger Kreide, Studie zu dem More’schen Familienbild.

In der Bibliothek der Königin von England im Schlosse zu Windsor. (Nach
einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)]

[Illustration: Abb. 95. +Sir John More, Vater von Thomas Morus.+ Studie
zu dem More’schen Familienbilde, mit schwarzer und farbiger Kreide
gezeichnet. In der Bibliothek der Königin von England im Schlosse zu
Windsor.

(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Die Himmelskönigin erscheint hier nicht thronend, sondern sie steht
aufrecht mitten unter der Familie des Stifters, über die ihr Mantel
sich ausbreitet; das göttliche Kind schmiegt sein Köpfchen an die
Brust der Mutter und streckt das Händchen segnend über die Beter
aus. Auf der einen Seite kniet Jakob Meyer in inbrünstigem Gebet,
neben ihm sein etwa zwölfjähriger Sohn, dessen Andacht einigermaßen
gestört wird durch das jüngste Familienmitglied, ein entzückendes
nacktes Knäblein, das sich um himmlische Dinge noch gar nicht kümmert
und vom Bruder mit beiden Händen festgehalten werden muß. Gegenüber
knieen die erste und die zweite Frau des Bürgermeisters in stiller
ernster Andacht, sowie die einzige Tochter, deren Aufmerksamkeit
zwischen dem Rosenkranz in ihren Händen und dem niedlichen kleinen
Brüderchen geteilt erscheint. -- Etwas Wunderbares von Ausdruck ist
der Kopf Meyers: tiefste, aufrichtige Frömmigkeit eines Mannes, der in
vertrauensvollem Gebet Beruhigung sucht gegenüber den Bitterkeiten,
die ihm die Außenwelt und das eigene trotzige Gemüt bereiten; und
wie stimmen mit den gespannten Muskeln des Gesichts die ineinander
gepreßten Finger überein! Und wie wird dieser Ausdruck durch den
Gegensatz der unschuldigen Knabengesichter gehoben! Sehr eigentümlich
wirken die beiden Frauen nebeneinander: die eine, die so recht
mitten im Leben steht, deren gesundem, beweglichem Gesicht man die
unermüdliche Thätigkeit der waltenden Hausfrau ansieht, und die
längst verstorbene, die nicht mehr zu dieser Welt gehört, die in der
geraden Profilansicht von Kopf und Gestalt den Eindruck einer starren
Regungslosigkeit macht, und von deren Gesicht -- das Holbein nie
gesehen hatte -- nur ein kleines Stück aus dem verhüllenden Gebäude
wie aus Leichentüchern hervorschaut. Eigentümlich wirkungsvoll ist es
auch, daß man von den gefalteten Händen der Frauen, die Tochter mit
einbegriffen, nur Fingerspitzen sieht. Über den Menschengesichtern
in ihrer bewegten Mannigfaltigkeit steht das Antlitz der Gnadenmutter
in himmlischer Ruhe, ein Antlitz, das in seiner Schlichtheit von Form
und Ausdruck eine so ernst und innig empfundene Künstlerschöpfung
ist, daß es selbst mit den frommen Meisterwerken des XV. Jahrhunderts
den Vergleich aushält. Das Jesuskind blickt den Beschauer mit nur
halbzugewendetem Gesicht mit schmerzlichen Zügen, als ob es eben
geweint hätte, an. Das ist ein sicher nicht von dem Maler, sondern
von dem Besteller ausgehender Gedanke, den Erlöser in solcher Weise
seinem Kummer über die kirchlichen Zustände Basels Ausdruck geben zu
lassen. Auf Rechnung des Künstlers ist es zu setzen, daß das Jesuskind
mit der linken Hand segnet; hätte der Maler das Kind die rechte Hand
aufheben lassen, so hätte er auf das die Stimmung, die der Wunsch des
Bestellers angegeben hatte, so wesentlich steigernde Motiv verzichten
müssen, daß das Kind sich wie müde zurücklehnt. -- Im Jahre 1887 ist
das Gemälde, das an vielen Stellen von willkürlichen Übermalungen
bedeckt war, durch kundige Hand von diesen befreit worden, und es ist
unter der Schicht der Überarbeitungen in einem überraschenden Zustand
von Unversehrtheit zu Tage gekommen, so daß wir in diesem Meisterwerk
Holbeins die Pracht seiner Farbe ganz und voll bewundern können,
die sich hier in einer Frische zeigt, als ob das Bild eben erst die
Staffelei verlassen hätte. Der leuchtende Kernpunkt des Farbenzaubers
ist das Gesicht Marias, ganz hell, mit rosigen Wangen. Das blonde Haar,
das unter der goldenen, mit Perlen und einem violettroten Edelstein
geschmückten Krone dieses Gesicht umschließt, ist weich und wunderbar
fein; wie es lockig flimmert und mit seinen losen Enden auf dem Mantel
haften bleibt, das ist etwas Einziges; es ist mit künstlerischem
Wonnegefühl gemalt; Dürer hat niemals die einzelnen Härchen mit
größerer Feinheit gezeichnet, dabei ist aber hier zugleich das Haar
als Ganzes vollendet malerisch. Der Marienkopf mit seiner goldigen
Einfassung und mit dem krausblonden Kopf des Jesuskindes, dessen Körper
die Helligkeitsfarbe des Gesichts fortführt bis zu den Händen Marias,
so daß all diese zarten Fleischtöne eine geschlossene Lichteinheit
bilden, hat als Hintergrund den schimmernden Ton einer muschelförmigen
Nischenwölbung aus blank geschliffenem braunroten Marmor. Der übrige
Teil der Nische besteht aus einem grauen Stein, dessen kalte Farbe
mit anspruchslosen Tönen in das Blau der daneben sichtbar werdenden,
von grünen Feigenbaumzweigen durchschnittenen Luft hinüberleitet.
Marias Kleid ist dunkel grünblau, mit goldfarbigen Unterärmeln, in
denen, wie auch in allen Schmucksachen, wirkliches Gold beim Malen
angewendet ist; die große dunkle Masse des Gewandes, dessen Schatten
mit der unbeleuchteten Innenseite des grünlichgrauen Mantels ganz
zusammengehen, wird durch einen hochroten Gürtel unterbrochen; an den
Handgelenken kommt ein schmaler Weißzeugstreifen zum Vorschein, und am
Brustsaum liegt ein dünner, schleierartiger Stoff zwischen Kleid und
Hals. Die Gruppe zur Rechten Marias geht aus tiefem Schwarz, das in
Meyers Haar und seinem aus Moireestoff gefertigten, mit hellbraunem
Pelz gefütterten Überrock steht, in das Licht des dem Christuskörper
an Helligkeit gleichkommenden Fleisches des Kleinen über durch farbige
Mitteltöne hindurch, die die Kleidung des größeren Knaben gibt;
dieser braunlockige Knabe hat einen hellbraunen Rock mit braunrotem
Sammetbesatz, mit goldenen Hafteln und Nesteln, an dünnen blauen
Schnürchen und zinnoberrote Beinkleider an; an seinem Gürtel hängt eine
gelblichgrüne Börse mit mattblauen Seidenquästchen. Eine entsprechende
Abstufung geht durch die drei Gesichter: die kräftige Gesichtsfarbe
Meyers, mit blauen Spuren des rasierten Bartes, die frische Farbe
des Knaben und das zarte Kindergesicht. In der Gruppe der Frauen
stehen zwischen Schwarz und Weiß außer dem Gesicht der lebenden Frau,
das, ganz von Weiß umgeben, doppelt farbig wirkt, nur wenige kleine
Farbenflecken; das Kopfband von Anna Meyer besteht aus Goldstoff mit
reicher Perlenstickerei, karminrote Seidenquästchen hängen über dem
braunen Zopf, oben auf dem Band liegt ein Kränzchen von weißen und
roten Blumen mit wenigen grünen Blättchen; der Rosenkranz in Annas
Händen ist rot. Der Fußteppich, der nach vorn über eine niedrige Stufe
fällt, hat auf dunkelgelbem Grund rot und grüne Musterungen mit etwas
Weiß und Schwarz; sein Gesamtton ist sehr warm. -- Die Beschreibung der
Farben eines Bildes kann freilich von ihrer Stimmung keine Vorstellung
geben. Die Farbenstimmung des Darmstädter Gemäldes ist so, als ob man
Kirchenglocken läuten hörte.

[Illustration: Abb. 96. +Wilhelm Warham, Erzbischof von Canterbury.+
Zeichnung in schwarzer und farbiger Kreide, in der Bibliothek der
Königin von England im Schlosse zu Windsor. (Nach einer Photographie
von Franz Hanfstängl in München.)]

[Illustration: Abb. 97. +Wilhelm Warham, Erzbischof von Canterbury.+
Ölgemälde im Louvremuseum zu Paris.]

[Illustration: Abb. 98. +Johannes Fischer, Bischof von Rochester.+
Zeichnung in schwarzer und farbiger Kreide, in der Bibliothek der
Königin von England im Schlosse zu Windsor. (Nach einer Photographie
von Franz Hanfstängl in München.)]

[Illustration: Abb. 99. +~D.~ Stockesley, Bischof von London.+ In
der königl. Gemäldegalerie des Schlosses zu Windsor. (Nach einer
Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und
Paris.)]

In der Farbe und ihrem Eindruck auf das Gemüt des Beschauers liegt
der größte Unterschied zwischen dem Originalgemälde der „Madonna
des Bürgermeisters Meyer“ und der in der Dresdener Gemäldegalerie
befindlichen Kopie desselben, die, in unbekannter Zeit entstanden,
so geschickt gemalt ist, daß sie mehr als ein Jahrhundert lang für
das Original gelten konnte. Aber nicht in der Farbe allein. Auch die
photographische Abbildung zeigt, wieviel die Komposition an Innigkeit
verloren hat dadurch, daß der Kopist die Holbeinsche Gedrungenheit in
der Figur Marias durch schlankere Verhältnisse verbessern zu müssen
glaubte, und daß er, ebenfalls aus einem falschen Schönheitsgefühl, die
Nische höher gemacht hat; und auch, wie in den Köpfen die Charaktere
unter der Hand des Kopisten abgeschwächt worden sind (Abb. 90).

Wohl nicht auf Bestellung, sondern aus eigener Lust gemalt in
freier Zeit, die die bilderfeindlichen Verhältnisse des Jahres 1526
dem Künstler ließen, sind zwei idealisierende Bilder einer jungen
Dame, die sich im Museum zu Basel befinden, und von denen eines
diese Jahreszahl trägt. Die in kleinem Maßstabe -- etwa ein Drittel
Lebensgröße -- mit köstlicher Feinheit ausgeführten Gemälde zeigen
in fast übereinstimmender Farbenwirkung die blonde junge Frau,
deren helle Haut einen etwas matten Ton hat, in halber Figur, in
einem Kleide von dunkelrotem Sammet mit weiß ausgepufften und mit
goldenen Nestelschnürchen besetzten Schlitzen, mit weiten Überärmeln
von dunkelgoldfarbiger Seide; sie sitzt hinter einer Brüstung von
grauem Stein, in ihrem Rücken hängt ein dunkelgrüner Vorhang in
breiten Falten herab. In dem einen Bilde sieht man auf der Platte
der Steinbrüstung ein Häuflein Goldstücke liegen; die Dame streckt
ihre Rechte dem Beschauer geöffnet entgegen, wie um mehr einzunehmen,
während ihre Linke in den Falten eines über dem Schoß liegenden
blauen Mantels ruht; sie blickt mit gesenkten Augen vor sich hin,
und in dem Ausdruck des feinen Gesichts liegt eine stille, tiefe
Traurigkeit. Auf der Kante der Steinplatte stehen wie eingemeißelt die
Worte: „~Lais Corinthiaca.~ 1526“ (Abb. 91). In dem anderen Bilde,
das sich hinsichtlich der Kleidung dadurch von jenem unterscheidet,
daß auf dem Haar statt des Goldhäubchens, das man dort sieht, ein
schwarzes, mit etwas Gold verziertes Häubchen sitzt, und daß die
Unterarme unverhüllt aus den gelbseidenen Überärmeln hervorkommen,
blickt die Schöne den Beschauer lächelnd an, ihre Hand bewegt sich
zu einladendem Gruß; von ihren Knieen aus lehnt sich ein Amor über
die Steinbrüstung, ein allerliebster rothaariger kleiner Schelm, der
einen Pfeil im Händchen hält (Abb. 92). Der Sinn der beiden Gemälde
wird durch ihre Nebeneinanderstellung klar: das begehrte Gold vermag
das junge Weib nicht glücklich zu machen, aber die Liebe. Über die
Beziehungen Holbeins zu der so von ihm abgemalten Persönlichkeit läßt
die Unterschrift „~Lais Corinthiaca~“ kaum einen Zweifel. Die wegen
ihrer verführerischen Schönheit berühmte Hetäre Lais von Korinth war
eine Geliebte des Apelles; und Apelles genannt zu werden, daran war
Holbein ebenso wie andere von gelehrten Bewunderern umgebene Maler
jener Zeit gewöhnt. Den Namen der Dame verrät das alte Verzeichnis der
Amerbachschen Sammlung: sie war eine Tochter des Adelsgeschlechts von
Offenburg.

Schon im Jahre 1524 hatte Erasmus von Rotterdam daran gedacht,
seinem jungen Freund, dessen Einnahmen in Basel in keinem Verhältnis
standen zu seiner hohen Begabung, ein fruchtbareres Erwerbsgebiet
zu verschaffen, indem er ihn seinen Freunden in England empfahl.
Und Thomas Morus, der große Staatsmann und Gelehrte, der wenige
Jahre später Lordkanzler von England wurde, versprach in seinem
Antwortschreiben an Erasmus, er wolle sein möglichstes für dessen
Maler thun, den er aus den übersandten Werken als „einen wunderbaren
Künstler“ erkannt hatte. Unter den für die Kunst sich immer trüber
gestaltenden Verhältnissen Basels entschloß sich Holbein, dem Rate
seines Gönners zu folgen, und verließ Basel gegen den Herbst 1526, um
über Antwerpen nach England zu reisen.

Als Freund des Erasmus wurde Holbein im Hause des Thomas Morus in
Chelsea als ein lieber Gast aufgenommen. Als Künstler war er hier,
auch ehe Erasmus sein von ihm gemaltes Bildnis an Morus sandte, kein
ganz Unbekannter; denn in der Ausgabe von Morus’ in der ganzen Welt
gelesenem Buche „Utopia“, die Froben im Jahre 1518 veranstaltete, war
der Widmungstitel mit der von Holbein im Jahre 1515 entworfenen und mit
seinem Namen bezeichneten Einfassung geschmückt.

[Illustration: Abb. 100. +Sir Henry Guildford, Stallmeister König
Heinrichs VIII.+ Gemälde von 1527 in der königl. Gemäldegalerie des
Schlosses zu Windsor.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 101. +Bildnis eines Unbekannten.+ Im Pradomuseum zu
Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 102. +Nikolaus Kratzer, Hofastronom König Heinrichs
VIII. von England.+ Ölgemälde von 1528.

Im Louvremuseum zu Paris.]

[Illustration: Abb. 103. +Sir Thomas Goldsalve mit seinem Sohne John.+
Ölgemälde von 1528. In der königl. Gemäldegalerie zu Dresden. (Nach
einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Durch die Empfehlung seines hochstehenden Gastfreundes fand Holbein
reichliche Beschäftigung als Porträtmaler. Zunächst malte er natürlich
den Thomas Morus selbst. Von vielen auf diesen Namen getauften und
Holbein zugeschriebenen Bildnissen gilt ein in London in Privatbesitz
befindliches Bild in halber Figur, mit der Jahreszahl 1527 bezeichnet,
als das einzige echte. Die ganze Familie des Morus malte er in einem
umfangreichen Bilde lebensgroß mit Wasserfarben auf Leinwand. Dieses
bewunderte Gemälde ist spurlos verschwunden. Aber das Baseler Museum
bewahrt einen Entwurf zu demselben, eine geistreiche Federzeichnung
in Umrissen (Abb. 93). Thomas Morus schickte dieses Blatt, auf dem
er zu jeder der in den wenigen Strichen schon ganz porträtähnlich
angegebenen Personen den Namen beischrieb, durch den Künstler selbst,
als dieser heimkehrte, als Geschenk an Erasmus. Von den Zeichnungen
in Ausführungsgröße, in denen Holbein die einzelnen Köpfe des
Familienbildes aufnahm, sind glücklicherweise die meisten erhalten; sie
befinden sich in der Bibliothek des königlichen Schlosses zu Windsor
(Abb. 94 der Kopf des Thomas Morus und Abb. 95 derjenige von dessen
Vater). -- Wohl auch zu den ersten Personen, die Holbein in England
porträtierte, gehörten die hohen geistlichen Freunde und Gönner des
Erasmus: der Erzbischof Warham von Canterbury und der Bischof Fisher
von Rochester. Auch von diesen Bildnissen werden die Zeichnungen im
Windsorschlosse bewahrt (Abb. 96 und 98). Das Bild Warhams ist in zwei
eigenhändigen Ausführungen vorhanden, von denen sich die eine noch im
erzbischöflichen Palast in Southwark, die andere im Louvre befindet
(Abb. 97). Den Porträts der beiden greisen Kirchenfürsten reiht sich
dasjenige eines jüngeren Herrn, des Bischofs Stokesley von London an,
das sich in der Gemäldegalerie des Windsorschlosses befindet (Abb. 99).
In der nämlichen Sammlung prangt ein Hauptwerk des Jahres 1527, das
Porträt des Sir Henry Guildford, Stallmeisters König Heinrichs VIII.
Der mit Morus befreundete und auch mit Erasmus bekannte ritterliche
Herr, der in dem Feldzug gegen Frankreich das Banner seines Königs
in der Schlacht getragen hatte, steht in reicher Staatskleidung da,
mit Unterkleidern von Goldbrokat unter dem pelzbesetzten schwarzen
Überrock, mit der Kette des Hosenbandordens geschmückt und mit dem
Kammerherrenstab in der Hand (Abb. 100). Ein Prachtstück der Malerei,
das, wie man aus der Tracht schließen kann, während des ersten
Aufenthalts Holbeins in England entstand, ist das im Pradomuseum zu
Madrid befindliche Bildnis eines in Schwarz gekleideten alten Herren
mit sehr roter Gesichtsfarbe und ungewöhnlich großer Nase (Abb. 101).
Mit der Jahreszahl 1528 ist das treffliche Bildnis des königlichen
Hofastronomen Nikolaus Kratzer aus München, im Louvre, bezeichnet,
eine lebensgroße Halbfigur, von wissenschaftlichen Geräten, die mit
der äußersten Genauigkeit gemalt sind, umgeben (Abb. 102). Deutschland
besitzt ein Werk von 1528 in dem kleinen Doppelbildnis des Thomas
Goldsalve und seines Sohnes John in der Dresdener Galerie (Abb. 103).
Wahrscheinlich gehört auch das in der Münchener Pinakothek befindliche,
leider schlecht erhaltene Bildnis des Sir Bryan Tuke in diese Zeit, auf
dem der Abgebildete, wohl durch Holbeins Totentanzzeichnungen angeregt,
neben sich den Tod darstellen ließ, der als Gerippe mit der Sense in
der Hand von hinten herantritt und auf die ablaufende Sanduhr auf dem
Tische hinweist (Abb. 104).

[Illustration: Abb. 104. +Sir Bryan Tuke.+ Ölgemälde in der königl.
Pinakothek zu München. (Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in
München.)]

[Illustration: Abb. 105. +Bildnis einer englischen Dame.+ Zeichnung
in schwarzer und farbiger Kreide. Im Museum zu Basel. (Nach einer
Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und
Paris.)]

Holbein behielt in seiner Bildnismalerei jetzt und auch später das
Verfahren bei, das er von frühester Zeit her angewendet hatte. Er legte
den Grund zu dem Gemälde in einer auf Papier ausgeführten Zeichnung,
in der er mit Buntstiften einige Farbenangaben machte, für ihn
ausreichend, um danach das Bild so weit zu bringen, daß das Modell nur
zur letzten Vollendung zu sitzen brauchte. Unter den aus der Sammlung
Amerbachs herrührenden Blättern im Baseler Museum befinden sich auch
einige Bildniszeichnungen aus England, die der Maler mit nach Hause
gebracht hat, nach seinem ersten Aufenthalt in England oder bei seiner
zweiten Heimkehr. Da sind die in schneller Umrißzeichnung und leichter
Tönung des Fleisches angegebenen Porträts eines vornehmen Ehepaares,
das in etwas weitergehender Wirkung ausgeführte Porträt des königlichen
Stallmeisters Sir Nicolas Carew, und das vorzüglich schöne Bild einer
unbekannten Dame in der eigentümlichen Haube der damaligen englischen
Mode (Abb. 105). Neben diesen Bildniszeichnungen sei diejenige eines
unbekannten jungen Mannes erwähnt, der dem Schnitt seines Gesichtes
nach kein Engländer, sondern ein Deutscher ist, die schönste von
allen in Basel befindlichen Bildniszeichnungen Holbeins. In diesem
Prachtstück meisterhafter Zeichnung ist unter dem schwarz schraffierten
und gewischten breitrandigen Barett das Gesicht mit Schwarz und Rot,
auf die denkbar einfachste Weise, zu völlig malerischer, fleischiger
Wirkung durchgebildet; auf das Haar ist ein kräftiger brauner Ton
gezeichnet, der auch die Modellierung der Haarwellen angibt, und mit
demselben braunen Stift ist der Pelzbesatz des Rockkragens flüchtig,
aber treffend angedeutet (Abb. 106). Eine in andersartigem Verfahren,
in Deckfarbenmalerei, ausgeführte Bildnisaufnahme, die ebenfalls
ein Meisterwerk allerersten Ranges ist, besitzt Deutschland in dem
im Berliner Kupferstichkabinett befindlichen Kopf eines unbekannten
bärtigen Mannes (Titelbild).

Im Sommer 1528 war Holbein wieder in Basel. Von wie günstigen Erfolgen
die englische Reise begleitet war, geht daraus hervor, daß er
gleich nach der Heimkehr ein Haus kaufte; später kaufte er noch ein
anstoßendes kleineres Haus dazu.

[Illustration: Abb. 106. +Bildnis eines Unbekannten.+ Zeichnung in
schwarzer, roter und brauner Kreide. Im Museum zu Basel. (Nach einer
Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und
Paris.)]

Eine seiner ersten Arbeiten nach der Rückkehr in die Heimat mag das
Bildnis der Seinigen gewesen sein, das im Baseler Museum eines der
fesselndsten Stücke für den heutigen Beschauer ist. Darauf sehen
wir Frau Elsbeth mit zwei Kindern, einem blonden Jungen und einem
rothaarigen kleinen Mädchen (Abb. 107). Die Kinder sind jedenfalls die
beiden ältesten, Philipp und Katharina. Von Philipp erfährt man, daß er
ein „guter, frommer Junge“ war; er wurde Goldschmied, kam nach seiner
Lehrzeit in Paris weit in der Welt herum und ließ sich schließlich
in Augsburg nieder; von ihm stammt das durch Kaiser Matthias in den
Adelstand erhobene Geschlecht der Holbein von Holbeinsberg. Auf Philipp
und Katharina folgten noch zwei Kinder: Jakob, der als Goldschmied in
London starb, und Küngolt, die sich, ebenso wie ihre ältere Schwester,
in Basel verheiratete. -- Das Gemälde, in Lebensgröße mit Ölfarben
auf Papier gemalt, das dann an den Umrissen ausgeschnitten und auf
eine Holztafel geklebt worden ist, ist ein Meisterstück kostbarer
Malerei und ein Wunderwerk künstlerischer Naturnachbildung. In diesem
„Realismus“ ist die Einfachheit der Natur selbst erreicht. Es sieht
aus, als ob der Maler die drei Figuren so aufgefaßt hätte, wie der
Zufall sie ihm hinsetzte; und doch, wie wohl erwogen und abgemessen
ist das Kunstwerk! Eine verblühende Frau mit trübem Ausdruck, zwei
ganz hübsche und gesunde, aber keineswegs ungewöhnlich reizvolle
Kinder, alle drei in äußerst anspruchslosem Anzug -- das nach der
damaligen Baseler Mode tief ausgeschnittene, schmucklose Kleid der
Frau ist schwarzgrün, ein Streifen dünnen braunen Pelzes an einem
dem Kleid gleichfarbigen Obergewand und ein sehr feiner Schleier
über dem dunkelblonden, am Hinterkopf in einem rötlichbraunen
Mützchen versteckten Haar sind die einzigen Putzstücke, der Knabe hat
einen schwärzlich grünblauen Kittel und das Mädchen ein farbloses
hellwollenes Röckchen an --: daraus hat Holbein ein in den Helligkeits-
und Dunkelheitsverhältnissen, im Fluß der Linien und im Zusammenklang
der Farben vollendet schönes Bild geschaffen.

Man sollte denken, der Maler, der seinen Mitbürgern ein solches Bildnis
zeigen konnte, hätte mit Porträtbestellungen überhäuft werden müssen.
Aber die Baseler waren ganz und gar durch den Glaubensstreit in
Anspruch genommen, und in dem blinden Eifern der Parteien verhallte die
Mahnung des Rates, man solle „einander nicht papistisch, lutherisch,
ketzerisch, neu- oder altgläubig nennen, sondern einen jeden ungetrotzt
und ungeschmäht bei seinem Glauben lassen.“ Welcher Bürger hätte da der
schönen, friedlichen Kunst noch seine Aufmerksamkeit zuwenden können?

Die Jahreszahl 1529 auf einer Zeichnung des Baseler Museums weist uns
auf ein untergeordnetes, aber äußerst verdienstvolles Arbeitsfeld
Holbeins hin: seine Thätigkeit als Erfinder mustergültiger Vorbilder
für das Kunsthandwerk. Hatte er in seiner frühen Jugend vorzugsweise
das Glasergewerbe mit Mustern bedacht, so schuf er später mit Vorliebe
Entwürfe für Goldschmiedearbeiten. Jene Jahreszahl steht auf einem in
getuschter Federzeichnung ausgeführten Entwurf einer mit prachtvollen
Renaissanceornamenten bedeckten Dolchscheide (Abb. 108). Das Baseler
Museum besitzt außer dieser noch vier Vorzeichnungen Holbeins zu
schmuckreichen Dolchscheiden, wie Stutzer und vornehme Herren sie gern
trugen, eine schöner als die andere. Die eine, sehr reich und fein,
zeigt, nur in Umrißlinien mit der Feder skizziert, drei mythologische
Darstellungen in Gehäusen übereinander, das Parisurteil, Pyramus und
Thisbe und Venus und Amor, darunter einen Kopf zwischen Ornamenten
(Abb. 108). Auch die drei anderen sind mit Figurendarstellungen
geschmückt, und zwar, entsprechend der vielfach beliebten Sitte,
den Dolch in wagerechtem Hang am Gürtel zu tragen, in der Weise,
daß die Kompositionen sich in der Längsrichtung der Fläche, von der
Zwinge der Scheide nach dem Griff des Dolches hin bewegen. Da ist in
einer ebenfalls nur in Umrissen skizzierten Zeichnung ein römischer
Triumphzug dargestellt; in der anderen, die in zartester, unglaublich
feiner Durchmodellierung ausgetuscht ist, der Durchgang der Israeliten
durch den Jordan; die dritte zeigt einen Totentanz: König und Königin,
Kriegsmann und Mönch, Frau und Kind müssen den in höhnischer Lustigkeit
springenden Gerippen folgen (Abb. 109). -- Neben den Dolchscheiden
seien die Zierstreifen erwähnt, die, bald aufrecht stehend, bald
wagerecht liegend gedacht, auch für mancherlei andere Zweige des
Kunsthandwerks verwendbar, doch vorzugsweise auf Ausführung in
Goldschmiedearbeit berechnet sind. Davon finden sich im Baseler Museum
ein lustiger Fries mit nackten Kindern, ein anderer, mehr ausgeführter
mit jagenden und spielenden Kindern zwischen prächtig geschwungenen
Ornamenten (Abb. 110) und eine aufrechte Leiste, in der Bären gar
possierlich im Gerank einer Rebe emporklettern, von einem Spielmann mit
Trommel und Pfeife begleitet (Abb. 111).

[Illustration: Abb. 107. +Holbeins Frau und Kinder.+ Ölgemälde auf
Papier. Im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Holbeins Geschmack im Entwerfen von Ziergebilden, der sich schon früh
so reich und fruchtbar gezeigt hatte, war nicht stehen geblieben in der
Entwickelung. Das schönste Beispiel von seiner Geschmacksverfeinerung
und zugleich einen Beweis von seinem Mitgehen mit der vorschreitenden
Umwandlung des Renaissancestils gibt ein prächtiger Holzschnitt, der
in dieser Zeit entstanden sein muß (Abb. 112); „Erasmus Rotterdamus
in einem Gehäuse“ wird das Blatt in dem Amerbachschen Verzeichnis,
das sich auch auf Holzschnitte erstreckt, genannt. Dieses Gehäuse,
schmuckvoll und reich und zugleich rein und vornehm in den Formen,
ist vielleicht das Schönste, was die Zeit auf dem Gebiete der
Buchverzierungen überhaupt geschaffen hat. Aber ein ebenso großes
Meisterwerk wie die Umrahmung ist das von ihr eingeschlossene Bildnis
des Erasmus. Wir sehen den feingeistigen und gelehrten Mann hier in
ganzer Figur: eine schwächliche Gestalt, eingehüllt in talarartig
lange, pelzgefütterte Röcke, und dabei groß und bedeutend nicht
nur im Kopf, der den Blick dem Beschauer zuwendet, sondern auch in
der ganzen Haltung. Er lehnt die Rechte auf den Kopf einer beseelt
gedachten Herme, des „Terminus,“ und macht mit der Linken eine auf
diese Gestalt hinweisende Bewegung. Den Terminus, den Schutzgeist
der festgelegten Wege und Grenzen, hatte Erasmus zum Sinnbild
seiner schriftstellerischen Thätigkeit gewählt. Die volle Bedeutung
dieses Sinnbilds wird uns durch eine im Baseler Museum befindliche
Tuschzeichnung mitgeteilt, die Holbein einmal für Erasmus angefertigt
hatte, anscheinend zum Zwecke der Ausführung in Glasmalerei. Da steht,
von einem säulengetragenen Bogen eingerahmt, der Terminus in einer
weiten Landschaft, der ein paar grüne Farbenflecken ein wirkungsvoll
lebhaftes Aussehen geben; der von einem Strahlenkranz umgebene Kopf der
Bildsäule macht eine leichte Wendung und spricht scheinbar leichthin
und doch mit unantastbarer Bestimmtheit die Worte, die dabeigeschrieben
sind: „~Concedo nulli~“ (Ich mache niemandem Zugeständnisse). Holbein
verstand seinen gelehrten Freund. Das ganze Blatt wirkt eigentümlich
groß, und der sprechende Gesichtsausdruck des Terminus ist ein
Meisterwerk allerersten Rangs. -- Die Holzzeichnung „Erasmus im
Gehäuse“ war als Titelblatt zu den Werken des Erasmus bestimmt. Die
seltenen ersten Abdrücke sind unten mit einer zweizeiligen lateinischen
Inschrift versehen, die die Ähnlichkeit des Bildnisses preist. In
der späteren Ausgabe, die als Titel zu der von Johannes Frobens Sohn
Hieronymus Froben veranstalteten Gesamtausgabe von Erasmus’ Schriften
im Jahre 1540 erschien, sind an die Stelle des einen Distichons deren
zwei getreten, in denen des Zeichners mit ebenso rühmenden Worten
gedacht wird wie des Schriftstellers, der vier Jahre vor dieser
Veröffentlichung seiner gesamten Werke gestorben war.

[Illustration: Abb. 108. +Entwürfe zu metallenen Dolchscheiden.+

Federzeichnungen im Museum zu Basel.]

[Illustration: Abb. 109. +Dolchscheide mit Totentanz, Entwurf für
Silberarbeit.+

Tuschzeichnung im Museum zu Basel.]

Dieses Blatt war eines der letzten, die Holbein für den Baseler
Buchdruck zeichnete. In den seiner Abreise nach England vorausgehenden
Jahren hatte er noch einige sinnvolle Titel zu theologischen Schriften
gezeichnet. Jetzt ging, wie es scheint, die Bilderfeindlichkeit so
weit, daß auch eine solche Schmückung geistlicher Bücher Bedenken
erregte. Nur ein Blatt gehört noch dieser späteren Zeit an, eine
Darstellung des heiligen Paulus in einem Gehäuse von ähnlichem Stil wie
jenes des Erasmustitels.

[Illustration: Abb. 110. +Zierleiste.+ Tuschzeichnung, im Museum zu
Basel.]

Zum Malen kirchlicher Bilder gab es in Basel jetzt selbstredend gar
keine Gelegenheit mehr. Schon zu Ostern 1528 waren aus mehreren Kirchen
alle Bilder entfernt worden; im folgenden Jahre brach der wüsteste
Bildersturm los. Der Rat war nicht imstande, den Eiferern Widerstand
zu leisten. Das Aufstellen religiöser Gemälde in den Kirchen wurde
untersagt.

Dem feinen Empfinden des Erasmus, der von den damaligen Vorgängen
lebhafte Schilderungen hinterlassen hat, waren solche Roheiten ein
Greuel. Er entschloß sich mit schwerem Herzen, die Stadt, die ihm
als „der behaglichste Musensitz“ lieb geworden war und wo er seit
1521 sich dauernd angesiedelt hatte, zu verlassen. Er begab sich, von
Bonifacius Amerbach begleitet, nach Freiburg im Breisgau. Dort muß ihn
auch der befreundete Künstler aufgesucht haben. Denn ein von Holbein
gemaltes kleines Bildnis des Erasmus -- Kopf in Dreiviertelansicht,
die Hände auf einem geöffnet auf dem Tische liegenden Buche ruhend --
trägt die Jahreszahl 1530. Das Original dieses Bildes befindet sich
in der Gemäldegalerie zu Parma, Kopien davon gibt es in verschiedenen
Sammlungen. -- Die nämliche Ansicht des Kopfes zeigt ein kostbares
Rundbildchen von nur zehn Centimeter Durchmesser im Baseler Museum,
Brustbild in schwarzer Kleidung mit braunem Pelz auf grünlichblauem
Hintergrund (Abb. 114).

Wie ein Gegenstück zu dem Miniaturporträt des Erasmus erscheint ein
ebenso fein ausgeführtes Bildnis des Melanchthon (Abb. 113), das die
königliche Gemäldegalerie zu Hannover besitzt, und das sich noch in
der ursprünglichen, mit grau in grau gemalten Ornamenten verzierten
Schutzkapsel befindet.

Im Sommer 1530 besann sich der Rat von Basel endlich darauf, daß er
noch über eine Gelegenheit verfügte, einem Maler von der Bedeutung und
dem schon weit verbreiteten Ruhm Holbeins Thätigkeit zu verschaffen.
Er beauftragte ihn mit der Ausmalung der vor acht Jahren unbemalt
stehen gelassenen Wand im Rathaussaale. Die Gegenstände wurden
diesmal, der veränderten Geistesrichtung entsprechend, nicht aus
der klassischen, sondern aus der biblischen Geschichte gewählt. Das
eine der beiden großen Gemälde, mit denen Holbein die betreffende
Wand bedeckte, zeigte den König Rehabeam, wie er die Abgesandten des
Volkes, die um Erleichterung des Joches bitten, mit harter Antwort
zurückweist. Das andere zeigt den König Saul, wie er aus dem Feldzuge
gegen die Amalekiter heimkehrt und von Samuel hören muß, daß er wegen
seines Ungehorsams gegen Gottes Gebot verworfen sei. -- Wenn auch
die Wandgemälde selbst schon vor Ablauf des XVI. Jahrhunderts durch
die Feuchtigkeit zerstört wurden, so lassen uns doch die erhaltenen
Entwürfe zu beiden Bildern (im Baseler Museum) erkennen, in wie
großartiger Weise Holbein diese Aufgabe gelöst hat; sie zeigen, daß er
auch als Monumentalmaler den größten Meistern beizuzählen ist.

Rehabeam ist in einer reichen Halle thronend dargestellt; hinter
ihm sitzen zu beiden Seiten seine Räte, die alten, deren Mahnung er
unbeachtet gelassen hat, und die jungen, denen er zum Schaden des
Reiches folgt. Vor ihm stehen die würdevollen, bejahrten Abgesandten,
bestürzt über des Königs Worte und teilweise schon zum Gehen gewendet;
denn im höchsten Zorn hat er ihnen eben zugerufen: „Mein kleiner Finger
soll dicker sein als meines Vaters Lenden; mein Vater hat euch mit
Peitschen gezüchtigt, ich will euch mit Skorpionen züchtigen.“ Durch
ein mit der größten Unbefangenheit ersonnenes, höchst ausdrucksvoll
sprechendes Gebärdenspiel hat der Künstler diese Worte des Königs
verbildlicht: Rehabeam streckt an der den Abgesandten drohend
entgegengeworfenen Faust den kleinen Finger aus, und mit der anderen
weist er geringschätzig, ohne den Arm von der Thronlehne zu erheben,
auf die Geißel in der Hand eines an den Thronstufen stehenden
Pagen. Außerhalb der Halle sieht man im Hintergrunde die Folgen der
eigenwilligen Härte des Herrschers: den Abfall eines Teiles des Volkes,
verbildlicht durch die Krönung des Gegenkönigs Jerobeam (Abb. 115).
Von diesem Entwurf, der als Tuschzeichnung mit einigen Farbenangaben
-- in der Ferne und den Fensterdurchblicken in die Luft, im Fleisch
und an wenigen anderen Stellen -- ausgeführt ist, ist der Meister
bei der Übertragung ins Große wesentlich abgewichen. Das sieht man
an den spärlichen Resten des Wandgemäldes, die in einigermaßen
erhaltenem Zustand aufgefunden und in das Museum gebracht worden
sind. Unter diesen Resten befindet sich der Kopf und die erhobene
Hand Rehabeams mit dem ausgestreckten kleinen Finger; der Kopf, ein
Meisterwerk mächtigen Ausdrucks, ist nicht, wie in der Skizze, von
vorn, sondern scharf von der Seite zu sehen. Dieser Stellung des Königs
entspricht eine gleichfalls erhaltene, sehr schöne Gruppe von Köpfen
bedenklicher Zuhörer. Es ist keine Frage, daß der Künstler durch die
Gegenüberstellung des Sprechenden und der Angeredeten im Profil ein
Mittel zu lebhafter Steigerung des Eindrucks gewann; schon deswegen,
weil es ihm auf diese Weise möglich wurde, auch von denjenigen
Abgesandten, die sich noch nicht von dem König abwenden, die Gesichter
zu zeigen. -- Bemerkenswert ist, daß die kleinen Reste erkennen lassen,
daß Holbein auch bei der Wandmalerei die Anwendung von Vergoldung nicht
verschmähte.

[Illustration: Abb. 111. +Zierleiste.+ Tuschzeichnung im Museum zu
Basel.]

Die vorhandene Skizze zu dem anderen Wandgemälde ist etwas weiter
durchgebildet als jene, nicht maßgebend gebliebene des Rehabeambildes.
Die vollendete Abgewogenheit der Komposition, die sich durch keine
Änderung hätte besser machen lassen, berechtigt uns zu der Annahme,
daß sie im wesentlichen unverändert beibehalten worden sei. Es ist
ein wuchtiges Bild (Abb. 116). Wir sehen das siegreiche Heer, Reiter
und Fußvolk in antiker Rüstung, mit dem gefangenen Amalekiterkönig
heimkehren. Noch brennen die Burgen und Städte, die der Krieg verheert
hat. Aus der Ferne werden die Herden herbeigetrieben, um derentwillen
der Sieger den göttlichen Befehl übertreten hat. König Saul schreitet
an der Spitze seiner Streiter; er ist vom Roß gestiegen, um den
Propheten Samuel ehrerbietig zu begrüßen. Der aber tritt ihm mit
drohend ausgestrecktem Arm entgegen; man glaubt die gewaltige Stimme
vernehmen zu müssen, mit der er den Sieger niederschmettert: „Will
etwa der Herr Brandopfer und Schlachtopfer und nicht vielmehr, daß
man gehorche der Stimme des Herren? Weil du des Herren Wort verworfen
hast, hat dich der Herr verworfen, daß du nicht König seiest.“ Die
Gestalt des einen Mannes ist so mächtig aufgefaßt, daß sie dem ganzen
ihr entgegenmarschierenden Zuge das Gegengewicht bietet. Eine Tafel
zur Aufnahme der Worte Samuels, in denen der Inhalt und die mahnende
Bedeutung des Bildes ausgesprochen waren, ist in der Skizze angegeben.
Man hat sich die Inschrifttafel von dem Gebälk der umrahmenden
Architektur, von der eine Säule mit auf das Blatt gezeichnet ist,
herabhängend zu denken. Das Vorhandensein dieser Beiwerksangaben
spricht gleichfalls dafür, daß Holbein diesen Entwurf dem Gemälde
als maßgebend zu Grunde legte. Von der Farbe des Gemäldes bekommen
wir freilich auch hier keine Vorstellung. Denn die Farbenangaben des
Entwurfs beschränken sich auf Blau in der Luft, in den fernen Bergen
und in einem die Ebene durchziehenden Wasserlauf, auf Rot in den
Bränden und auf eine bräunliche Antuschung des Geländes, die sich an
gegebenen Stellen, wie in dem Bäumchen des Mittelgrundes, mit einem
blauen Ton zu Grün verbindet: Angaben, die kaum einen anderen Zweck
haben, als den, den Hintergrund zu lockern und die Figuren als etwas
Gesondertes hervortreten zu lassen. Die Figuren sind braun gezeichnet
und mit kaltgrauen Schattentönen ausgetuscht.

[Illustration: Abb. 112. +Erasmus von Rotterdam („im Gehäuse“).+

Titelholzschnitt zu den Werken des Erasmus.

    Nach dem seltenen ersten Druck mit der Unterschrift:

    Wenn einer von des Erasmus Gestalt noch kein Bild hat gesehen,
      Zeigt ihm ein solches dies Blatt, das nach dem Leben gemalt.

Für den Mangel an sonstigen Aufträgen konnte die eine große Arbeit den
Meister freilich nicht entschädigen.

Mit wie geringfügigen Arbeiten der große Künstler wieder vorlieb nehmen
mußte, beweist die Aufzeichnung in den Ratsrechnungen, daß ihm im
Herbst 1531 für „beide Uhren am Rheinthor zu malen“ vierzehn Gulden
ausbezahlt wurden. Der Betrag von vierzehn Gulden für eine solche
kleine Straßenmalerei erscheint allerdings verhältnismäßig hoch, wenn
man erfährt, daß für die beiden großen Rathausgemälde nur 72 Gulden
gezahlt worden waren.

Der Gedanke, sein Glück von neuem in England zu versuchen, mußte
Holbein um so verlockender nahe treten, als sein Gönner Thomas Morus
inzwischen das höchste Amt im Königreich erhalten hatte und als
Lordkanzler die Staatsgeschäfte leitete. So wandte er Basel abermals
den Rücken und reiste nach London. Als er fort war, schickte der Rat
von Basel ihm ein schmeichelhaftes Schreiben nach und bot ihm ein
festes Jahresgehalt an, wenn er zurückkehren wollte. Aber dieses
Anerbieten kam zu spät. Denn Holbein fand in London alsbald reichliche
und lohnende Thätigkeit.

Thomas Morus hatte im Mai 1532 -- das war wohl vor Holbeins Ankunft --
die Bürde seines hohen Amtes wieder niedergelegt. Der glänzende Kreis,
in den der Lordkanzler ihn würde eingeführt haben, öffnete sich dem
Künstler nicht gleich. Aber ein anderer Kreis nahm ihn auf, der ihm
Verkehr in Sprache und Sitten der Heimat und reichliche Verwertung
seines Könnens bot. Das waren die deutschen Kaufleute, deren sehr
viele in London ansässig waren und die miteinander eine geschlossene
Gemeinschaft bildeten. Ihr Vereinigungspunkt war der sogenannte
Stahlhof, ein Besitztum der Hansa, in dem sich um das alte Gildehaus
Warenlager und Wohnhäuser reihten, dem auch ein eigenes Weinhaus und
ein wohlgepflegter Garten nicht fehlten.

[Illustration: Abb. 113. +Philipp Melanchthon.+ Miniaturölgemälde.

In der königl. Gemäldegalerie zu Hannover.]

[Illustration: Abb. 114. +Erasmus von Rotterdam.+ Miniaturölgemälde. Im
Museum zu Basel. (Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément &
Cie. in Dornach i. E. und Paris.)]

In den Jahren 1532 und 1533 malte Holbein eine ganze Anzahl von
Bildnissen deutscher Kaufleute vom Stahlhof. Das schönste von diesen,
ein Juwel der Malerei, befindet sich im Berliner Museum. Der darin
abgebildete jugendliche, blondhaarige Mann heißt Georg Giße oder
Gyze, wie das Gemälde selbst uns mitteilt (Abb. 117). Wir sehen ihn,
bekleidet mit einem seidenen Wams von kalter roter Farbe und einem
Überrock von schwarzem Tuch, der vorn am Halse über dem Ausschnitt
der Unterkleidung das feingefältelte Hemd frei läßt, mit einer
schwarzen Tuchmütze auf dem Kopf, in seiner Arbeitsstube. Es umgeben
ihn all die kleinen Dinge des täglichen Gebrauchs, auf dem mit einem
prächtigen Teppich bedeckten Tische vor ihm und auf den an der grün
angestrichenen Holzwand angebrachten Bordbrettern so verteilt, wie er
gewohnt ist, sie zur Hand zu haben. An Leistchen, welche an der Wand
entlang gehen, stecken Briefe in großer Zahl, auch Briefpapier und
Verschlußstreifen für Briefe. Zu den Gebrauchs- und Geschäftsdingen
kommt ein zierliches Gefäß von feinstem venezianischen Glase, mit
Wasser gefüllt, in dem Nelken stecken; die Nelke bezeichnet in der
Blumensprache der Zeit den glücklich Liebenden, sie ist vorzugsweise
die Blume von Bräutigam und Braut. Georg Giße ist eben damit
beschäftigt, mit echt niederdeutscher Gemächlichkeit einen Brief aus
der Heimat zu öffnen, auf dem wir die Aufschrift lesen können: „dem
ersamen jergen giße to lunden in engelant, mynem broder, to handen.“
An der Wand steht mit Kreide angeschrieben: „~nulla sine merore
voluptas~“ (keine Lust ohne Kummer) und darunter die Unterschrift
„G. Gyze.“ Ein weiter oben an die Wand gehefteter Zettel enthält ein
paar das Bildnis lobende Verse, die Angabe des Alters von 34 Jahren
und die Jahreszahl 1532. Richtig ist das vom malerischen Standpunkt
aus ja nicht, daß man auf die Entfernung, in der die Wand hinter der
den Bildrand berührenden vorderen Tischkante liegt, eine so feine
Schrift noch entziffern kann. Aber wie das und wie alle die anderen
kleinsten Einzelheiten gemacht sind, das ist bewunderungswürdig; eine
vollendetere Ausführung hat kein Stilllebenmaler jemals erreicht. Gewiß
war dieses Bild eines der ersten, vielleicht das allererste, das er
für ein Mitglied des Stahlhofes malte. Da hat er sich durch eine Art
von Meisterstück empfehlen wollen und hat all die Kleinigkeiten in
das Bild hineingepackt, an denen er seine Geschicklichkeit glänzend
zur Schau stellen konnte. Denn Leute von so nüchternem praktischen
Sinne, wie er aus den Zügen dieses ehrsamen Kaufmannes spricht, sind
eher befähigt, die mit dem Verstande zu würdigende Geschicklichkeit
eines Künstlers zu bewundern und zu schätzen, als aus der nur dem
feineren Empfindungsvermögen zugänglichen Mitteilung der künstlerischen
Empfindung, der eigentlichen Kunst, den wirklichen Kunstgenuß zu
ziehen. Angesichts der äußersten Vollendung, mit der in diesem Bilde
alle Dinge zur körperlichen Erscheinung gebracht sind, begreift man
die Lobpreisungen derjenigen Zeitgenossen des Meisters vollkommen, die
an seinen Werken vor allem die Augentäuschung bewunderten. Daß aber
Holbein es fertig gebracht hat, durch all die haarscharf ausgeführten
Nebendinge die Hauptsache nicht erdrücken zu lassen, daß er es
vermocht hat, durch all den Kleinkram hindurch seine künstlerische
Empfindung, den großen Farbengedanken und das lebendig erfaßte
Wesen der Persönlichkeit, zu uns sprechen zu lassen, das ist das
Bewunderungswürdigste an diesem wunderbaren Bilde.

Die Jahreszahl 1532 tragen ferner das mit liebenswürdiger Einfachheit
aufgefaßte Bildnis eines jungen Mannes in der Gemäldesammlung des
gräflich Schönbornschen Palastes zu Wien (Abb. 118), und ein in
der Sammlung des Windsorschlosses bewahrtes Bild eines mit seinen
Briefschaften beschäftigten bärtigen Mannes (Abb. 119), in dem man
nach der nicht ganz deutlichen Briefaufschrift den Goldschmied Hans
von Antwerpen zu erkennen glaubt. Die Niederländer gehörten mit zu der
deutschen Kolonie in London.

[Illustration: Abb. 115. +König Rehabeam und die Abgesandten des
Volkes.+ Getuschte Zeichnung mit einigen Farbenangaben, Entwurf zu
einem Wandgemälde im Baseler Rathaus (1530). Im Museum zu Basel.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Unter den Bildnissen des Jahres 1533 seien dasjenige des Derich Tybis
aus Duisburg, in der kaiserlichen Gemäldegalerie zu Wien (Abb. 120),
und das eines unbenannten Mannes mit blondem Bart im königlichen Museum
zu Berlin (Abb. 121) hervorgehoben.

Ein Selbstporträt des Meisters aus diesem Jahr, in Miniaturformat
ausgeführt, soll sich zu Prag in Privatbesitz befinden.

Aber nicht Bildnisse allein malte Holbein im Stahlhof. Es wurde
ihm auch Gelegenheit zur Ausführung monumentaler Gemälde geboten.
Er schmückte den Festsaal des alten Gildehauses mit zwei großen
allegorischen Bildern, die er indessen nicht auf der Wand, sondern
mit Temperafarben auf Leinwand ausführte. Dieselben stellten in
figurenreichen friesartigen Zügen den „Triumph des Reichtums“ und den
„Triumph der Armut“ dar; ihr belehrender Inhalt war, daß der Reichtum
sowohl wie die Armut edler Tugenden bedürfen, um zum Guten geführt zu
werden. Wieder sind es nur Abbildungen und eine kleine, im Louvre zu
Paris bewahrte Skizze, nach denen wir uns einen ungefähren Begriff von
der Schönheit dieser Gemälde machen können, die selbst von Italienern
des XVI. Jahrhunderts ebenso hoch und höher geschätzt wurden als die
Schöpfungen Raffaels. -- Mit derselben Meisterschaft, mit denen er
monumentale Werke ausführte, entwarf Holbein gelegentlich Dekorationen,
die nur zur Verschönerung eines schnell vorüberrauschenden Festes
dienten. Als am 31. Mai 1533 Anna Boleyn im Krönungszuge vom Tower
nach Westminster fuhr, prangten die Straßen, welche der Zug berührte,
im reichsten und prächtigsten Schmuck. Den am meisten bewunderten
Glanzpunkt von allem bildete dabei die von Holbein entworfene
Festdekoration, welche die Kaufleute des Stahlhofes errichtet hatten.
Es war eine Schaubühne mit lebenden Bildern -- wie solche auch die
Antwerpener beim Einzuge Karls V. veranstalteten -- und zeigte auf
einem prachtvollen Renaissanceaufbau den Parnaß mit Apollo und den
Musen.

Die Beziehungen Holbeins zum Stahlhofe dauerten mehrere Jahre. Die
Jahreszahlen auf Bildnissen deutscher Kaufleute gehen bis 1536. Von
da an wurde er durch höhere Kreise in Anspruch genommen. Durch wessen
Vermittelung er in Beziehungen zum königlichen Hofe kam, wissen
wir nicht. Es gibt aus dieser Zeit keine anderen Lebensnachrichten
über ihn, als das, was seine Werke erzählen. Von Thomas Morus kann
seine Einführung bei Hofe nicht ausgegangen sein; denn der ehemalige
Lordkanzler stand wegen seiner entschiedenen Nichtbilligung der
Schritte, durch die König Heinrich VIII. den Bruch mit der römischen
Kirche vollzog, tief in Ungnade; als Märtyrer seiner Glaubensfestigkeit
endete er am 6. Juli 1535 sein Leben auf dem Schafott, im Verein mit
dem achtzigjährigen Bischof Fisher.

[Illustration: Abb. 116. +Samuel verkündet Saul den Zorn Gottes.+
Getuschte und teilweise kolorierte Zeichnung, Entwurf zu einem
Wandgemälde für den Baseler Rathaussaal. Im Museum zu Basel.]

[Illustration: Abb. 117. +Georg Giße, Kaufmann vom Stahlhof zu London.+
Ölgemälde von 1532.

Im königl. Museum zu Berlin.

(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Die erste Kunde von Holbeins Verkehr mit englischen Herren nach seiner
zweiten Ankunft in London gibt das Bild des königlichen Falkners Robert
Cheseman, vom Jahre 1533, in der Gemäldegalerie im Haag. Der nach
der Angabe auf dem Bilde im 48. Jahre stehende Mann ist in annähernd
lebensgroßer Halbfigur dargestellt, in rotseidenem Wams und schwarzer,
pelzbesetzter Oberkleidung; er trägt den Jagdvogel -- ein Prachtstück
von Malerei -- auf der behandschuhten linken Faust und streichelt ihn
beruhigend mit der Rechten; sein Gesicht mit den scharfen Zügen und
den ins Weite spähenden Augen hat selbst etwas von dem Wesen und dem
Ausdruck eines Edelfalken angenommen (Abb. 122). -- Aus dem Jahre
1537 sind bereits Bildnisse von Persönlichkeiten vorhanden, die König
Heinrich VIII. sehr nahe standen. Diese Jahreszahl trägt ein in der
Sammlung eines englischen Hauses befindliches Doppelbildnis, das
den Namen „die Gesandten“ führt und das als ein Hauptwerk Holbeins
gerühmt und in Bezug auf die Ausführung mit dem Porträt des Georg
Giße verglichen wird. In dem einen der in diesem Gemälde lebensgroß
in halber Figur abgebildeten vornehmen und gelehrten Herren erkennt
man des Königs Liebling, den „unvergleichlichen Ritter“ Thomas Wyat.
Ebenfalls in englischem Privatbesitz befindet sich das Bildnis des
Thomas Cromwell, das spätestens im Anfang des Jahres 1534 entstanden
sein muß; diese Zeitbestimmung ergibt sich aus dem auf einem
gemalten Briefe zu lesenden Titel des aus bescheidenen Anfängen zu
einflußreicher Stellung emporgestiegenen Mannes, der die Trennung der
englischen Kirche von der römischen in einem weitergehenden Sinne, als
es anfänglich vom König beabsichtigt war, durchführte.

[Illustration: Abb. 118. +Bildnis eines deutschen Kaufmanns in London+,
von 1532.

In der Schönborngalerie zu Wien.]

[Illustration: Abb. 119. +Ein Kaufmann vom Stahlhof zu London.+
Ölgemälde von 1532, in der Sammlung des Schlosses Windsor.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Im Jahre 1535 erschien eine Prachtausgabe der ganzen Heiligen Schrift
in englischer Sprache, übersetzt von Coverdale. Das Buch, das nicht
in England, sondern in Zürich gedruckt wurde, war König Heinrich
VIII. gewidmet. Sein Titelblatt schmückte eine sehr schöne Einfassung
von Holbein. Diese Titelzeichnung setzt sich aus einer Anzahl von
Bildchen zusammen, die nach mittelalterlichem Herkommen, aber in
neuer Auffassung Gegenüberstellungen von Begebenheiten des alten und
des neuen Bundes enthalten. In dem Kopfstreifen sind Sündenfall und
Erlösung dargestellt: hier Adam und Eva unter dem Baum, dort der dem
Grabe entstiegene Heiland, der über Tod und Hölle triumphiert; beides
Zeichnungen von überraschender Schönheit der Figuren. Dann folgen an
den Seiten herunter hier Moses, der auf dem Sinai die Gesetztafeln
empfängt, und Esra, der den aus der babylonischen Gefangenschaft
zurückkehrenden Juden das alte Gesetz vorliest, dort Christus, der
seine Jünger in alle Welt entsendet, und die predigenden Apostel. Unten
stehen der König David und der Apostel Paulus einander gegenüber.
Zwischen diesen beiden Einzelgestalten sieht man Heinrich VIII. im
königlichen Schmuck auf dem Thron sitzen; vor ihm knieen die Fürsten
und Bischöfe Englands, und er überreicht den letzteren ein Buch, die
Heilige Schrift in der Landessprache. -- Es ist bemerkenswert, daß der
König in diesem kleinen, übrigens -- vielleicht durch die Schuld des
Holzschneiders -- nicht sehr porträtähnlichen Bild bereits, entgegen
der bis dahin in England geltenden Sitte, einen Vollbart trägt, was
nach seinem Beispiel alsbald allgemeine Mode wurde.

[Illustration: Abb. 120. +Derich Tybis aus Duisburg, Kaufmann zu
London.+ Ölgemälde in der kaiserlichen Gemäldegalerie zu Wien. (Nach
einer Photographie von J. Löwy in Wien.)]

[Illustration: Abb. 121. +Bildnis eines in London ansässigen
Deutschen+, von 1533. Im königl. Museum zu Berlin.

(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Holbein führte in dieser Zeit wieder mehrere Holzzeichnungen aus.
In ein paar kleinen Blättern, die erst nach seinem Tode, in dem
Katechismus des Erzbischofs Cranmer zur Veröffentlichung kamen,
spiegelte sich die Stimmung wieder, welche das erschreckende Ergebnis
der von Cromwell veranstalteten amtlichen Besichtigung der englischen
Klöster hervorrief. In diesen Holzschnitten, die das Gleichnis
vom Pharisäer und Zöllner und Christus, den Besessenen heilend,
darstellen, sind die Pharisäer als Mönche gezeichnet. Das letztere
Blättchen hat Holbein, entgegen seiner Gewohnheit, mit seinem vollen
Namen unterschrieben. So auch einen ähnlichen kleinen Holzschnitt,
der in einer Flugschrift erschien, eine Darstellung des guten Hirten,
bei der der schlechte Hirt, der seine Herde im Stiche läßt, wieder
als Mönch erscheint. -- Eine in dem nämlichen Sinne, aber noch
schärfer gehaltene Folge kleiner Handzeichnungen, eine Darstellung der
Leidensgeschichte Christi in 22 Blättern, ist verschwunden. Sandrart,
dem sie der Graf von Arundel, ihr damaliger Besitzer, zeigte, erwähnt
sie in seiner „Teutschen Akademie,“ und von sechzehn derselben gewähren
Kupferstichnachbildungen aus dem XVII. Jahrhundert eine nur ungenaue
Anschauung.

Eine Bildniszeichnung auf Holz fertigte Holbein im Jahre 1535 an.
Der französische Dichter Nikolaus Bourbon von Vandoeuvre hielt sich
damals in England auf. Holbein malte sein Bild, und zwar stellte er ihn
schreibend dar; aber nicht, wie einst den gelehrten Erasmus, gesenkten
Blickes in die Schrift vertieft, sondern mit sinnendem Dichterauge
ins Weite schauend. Was der Dichter während der Sitzung schrieb, war
ein schmeichelhafter Ausdruck seiner Bewunderung für den Künstler.
Nach diesem Bildnis -- die Zeichnung desselben befindet sich in der
Sammlung des Windsorschlosses (Abb. 123) -- machte Holbein dann das
Holzschnittbild, das bestimmt war, eine Ausgabe von lateinischen
Gedichten Bourbons zu schmücken. Diese Ausgabe erschien zu Lyon im
Jahre 1538, und in demselben Jahre stattete Bourbon in seiner Kunst
dem Maler seinen Dank ab: er war der Verfasser der lobpreisenden
Einleitungsverse zu Holbeins Bildern aus dem Alten Testament.

Unter jenen Gedichten Bourbons trägt eins die Überschrift: „Auf ein
Gemälde des königlich britanischen Malers Hans, meines Freundes.“
Dieses besungene Gemälde war das Bildnis eines schlafenden Knaben von
der Schönheit eines Liebesgottes, gemalt auf ein Elfenbeintäfelchen. Es
war also ein Miniaturbild.

[Illustration: Abb. 122. +Robert Cheseman+, Falkner König Heinrichs
VIII.

Gemälde von 1533, in der königl. Gemäldesammlung im Haag.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Daß Holbein, der ja so überaus fein zu malen verstand und Ölbilder von
ganz kleinem Maßstab mit der höchsten Vollendung ausarbeitete, sich
in England in der eigentlichen Miniaturmalerei versucht habe, wird
auch von anderer Seite berichtet. Miniaturmalerei war damals nicht
mehr ausschließlich das, was die ursprüngliche Bedeutung des Wortes
besagt, farbige Ausschmückung von Handschriften, sondern das Verfahren
der Buchmalerei wurde auf selbständige Bildchen kleinsten Maßstabes
angewendet. Schließlich hat das Wort ja seine Bedeutung so verändert,
daß man heute jedes sehr kleine Gemälde als ein Miniaturgemälde
bezeichnet, einerlei in welcher Technik es gemacht sein mag.

[Illustration: Abb. 123. +Der Dichter Nikolaus Bourbon von Vandoeuvre.+
Zeichnung in schwarzer und farbiger Kreide. In der Bibliothek der
Königin von England im Windsorschlosse.

(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Holbein soll das Verfahren der Miniaturmalerei dem am englischen Hofe
angestellten Niederländer Lukas Horebout abgesehen haben, einem Bruder
jener Susanna, deren Kunstfertigkeit Dürer in Antwerpen bewundert
hatte und die jetzt als Gattin eines königlichen Bogenschützen in
London lebte. Holbein soll sein Vorbild nach kurzer Zeit der Übung weit
übertroffen haben.

Viele in englischem Besitz befindliche Miniaturbildnisse, zum Teil
auf Stücke von Spielkarten gemalt, gelten als Arbeiten Holbeins. Ein
unzweifelhaftes Werk seiner Hand ist das mit der Jahreszahl 1535
bezeichnete Bildchen des fünfjährigen Henry Brandon, Sohnes des Herzogs
von Suffolk: es befindet sich in der Bibliothek des Schlosses Windsor
(Abb. 124). Dann zwei im Besitze der Familie Seymour befindliche
zusammengehörige Bildchen von 1536: die Porträts von König Heinrich
VIII. und Jane Seymour, der jungen Königin, die im Mai dieses Jahres an
die Stelle der beklagenswerten Anna Boleyn getreten war.

Holbein stand im Jahre 1536 als angestellter Maler des Königs, der
ein festes Jahresgehalt bezog, im Dienste Heinrichs VIII. Die erste
sichere Bezeugung von seinem Eintritt in diese Stellung findet sich in
einem Brief, den Nikolaus Bourbon von der Heimat aus an einen Freund
am englischen Hofe schrieb; darin sendet der Dichter seine Grüße neben
anderen Herren vom Hofe an „Herrn Hans, den Apelles unserer Zeit“
und nennt denselben mit dem Titel „königlichen Maler“ -- wie in der
Überschrift des zwei Jahre später veröffentlichten Gedichts.

Von nun an finden wir Holbein fast ausschließlich als Bildnismaler des
königlichen Hofes und der höchsten Aristokratie des Landes thätig.

Den ersten Rang unter Holbeins Hofbildnissen nimmt das auch der Zeit
nach voranstehende Porträt von Jane Seymour ein, das sich in der
kaiserlichen Gemäldegalerie zu Wien befindet (Abb. 127). Die Königin
ist in nicht ganz lebensgroßem Maßstab in halber Figur dargestellt.
Sie trägt ein dunkelrotes Kleid über einem Rock von Silberbrokat, dem
Unterärmel aus dem nämlichen Stoff entsprechen. Ihre gepriesene rein
weiße Hautfarbe leuchtet klar und kühl aus dem Purpurton des Kleides
hervor, an dem schönen Hals und dem still und bescheiden blickenden
Gesicht von reichlichem Perlen- und Goldschmuck umsäumt, an den
feinen Händen, deren ruhiges Ineinanderliegen dem Gesichtsausdruck so
treffend entspricht, mit dem Weiß der in kostbarer Arbeit verzierten
Ärmelvorstöße wetteifernd. Es ist ein wahrhaft königliches Bild.

[Illustration: Abb. 124. +Heinrich Brandon, Sohn des Herzogs von
Suffolk.+ Miniaturbildchen von 1535. In der Bibliothek der Königin von
England im Windsorschloß. (Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl
in München.)]

Heinrich VIII. ließ sich von Holbein in einem Wandgemälde porträtieren,
im „Königsgemach“ des Schlosses Whitehall. Das Gemälde, das im Jahre
1537 fertig wurde, bestand aus einer Zusammenstellung von vier
stehenden Bildnisfiguren auf reichem architektonischen Hintergrund:
Heinrich VIII., seine Eltern Heinrich VII. und Elisabeth von York
und seine Gemahlin Jane Seymour; die beiden Könige rechts im Bilde
(also links vom Beschauer), die Königinnen links; die Vorfahren etwas
zurückstehend, die Lebenden im Vordergrunde. Wie alle monumentalen
Schöpfungen Holbeins ist auch dieses Wandgemälde untergegangen. Es
fiel dem Brande des Schlosses Whitehall im Jahre 1698 zum Opfer. Eine
kleine Kopie desselben, die König Karl II. anfertigen ließ, wird in
der Sammlung des Schlosses Hamptoncourt aufbewahrt. Wichtiger noch für
die Würdigung dieses Meisterwerkes Holbeins ist ein erhaltenes Stück
des Kartons, der zur Übertragung der Zeichnung des Gemäldes auf die
Wand gedient hat. Dieses Stück, das sich im Besitz des Herzogs von
Devonshire befindet, enthält die Figuren der beiden Könige; es ist
nicht nach der gewöhnlichen Art solcher Hilfszeichnungen mit Kohle,
sondern mit dem Pinsel in schwarzer und weißer Leimfarbe ausgeführt.
Das Münchener Kupferstichkabinett bewahrt die in der gewohnten Art
des Meisters nach dem Leben gezeichnete Studie zu dem Kopf Heinrichs
VIII. (Abb. 125). -- Wenn es des Königs eigenster Gedanke war, das
Aussehen seiner Person in einem Monumentalgemälde auf die Nachwelt
zu bringen und das ganze Gemälde nur aus seinem, seiner -- in diesem
Augenblick sicher wirklich von ihm geliebten -- Frau und seiner Eltern
Bildnissen bestehen zu lassen, so war Holbein der geeignetste Meister
dazu, um aus dem Porträtstück ein monumentales Geschichtsbild zu
machen. In den Gestalten des verstorbenen Königspaares hat er das, was
vorhandene Bildnisse ihm gaben, beseelt. Bei den Lebenden hat er in
den Abbildern der Wirklichkeit großartige Charakterbilder geschaffen.
Jane Seymour erscheint in der nämlichen Auffassung, wie in dem Wiener
Ölgemälde, als „die stille Königin.“ Heinrich VIII., in überreicher,
juwelengeschmückter Kleidung, steht mit gespreizten Beinen da, stark
und breitschultrig, mit einem Kopf von mächtigem Knochenbau und weichem
Fleisch, mit einem harten und doch fesselnden Blick aus kleinen Augen
unter hochgeschwungenen Brauen und mit einem wohlgeformten Mund von
sinnlich und zugleich thatkräftigem Ausdruck, das ganze Gesicht ein
Bild der Rücksichtslosigkeit, unter der die von Natur vorhandenen
ansprechenderen Züge verschwinden; die rechte Faust ist herausfordernd
auf die Hüfte gesetzt, die Linke spielt mit dem Gehänge des Dolches.
So steht er im Bilde dem Beschauer gegenüber als der Heinrich VIII.
der Geschichte. -- Die vorhandenen Ölgemälde, die das Bildnis des
Königs wiedergeben, sind sämtlich Nachbildungen des Freskogemäldes
von Whitehall. Keines derselben scheint von Holbeins eigener Hand
ausgeführt zu sein (Abb. 126).

Allem Anschein nach war Heinrich VIII. von der Auffassung, in der
Holbein ihn in Whitehall an die Wand malte, so voll befriedigt, daß er
es für unnötig hielt, ihm später noch einmal zu einem anderen Bilde zu
sitzen.

Ein Holzschnittbildnis des Königs -- dazu brauchte er keine Sitzung --
zeichnete Holbein als Titelblatt zu Halls Chronik. In diesem großen
Blatt ist Heinrich VIII. thronend dargestellt, von seinen Räten umgeben.

[Illustration: Abb. 125. +Heinrich VIII., König von England.+
Kreidezeichnung nach dem Leben.

Im königl. Kupferstichkabinett zu München.]

[Illustration: Abb. 126. +König Heinrich VIII. von England.+ Ölgemälde
in der Sammlung des Schlosses zu Windsor, übereinstimmend mit dem
untergegangenen Freskobild Holbeins zu Whitehall.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 127. +Jane Seymour, Königin von England.+ Ölgemälde
in der kaiserl. Gemäldesammlung zu Wien.

(Nach einer Photographie von J. Löwy in Wien.)]

[Illustration: Abb. 128. +Hubert Morett, Goldschmied König Heinrichs
VIII. von England.+

Ölgemälde in der Gemäldegalerie zu Dresden.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Das schönste Holbeinsche Porträt, welches Deutschland besitzt, muß
seiner Entstehungszeit nach dem Wandbild in Whitehall nahe stehen. Es
ist das Bild des Hubert Morett in der Dresdener Gemäldegalerie (Abb.
128). Dieser Mann gehörte zwar nicht zu den großen Herren bei Hofe,
aber er hatte doch sehr viel bei Hofe zu thun. Er war des Königs
Juwelier. Als er sich von dem Hofmaler in Lebensgröße porträtieren
ließ, hat er sichtlich den Wunsch zu erkennen gegeben, in ähnlicher
Haltung abgebildet zu werden, wie sein königlicher Gebieter. Wie dieser
hat er sich in gerader Vorderansicht hingestellt, die Rechte mit dem
ausgezogenen Handschuh unter dem Gürtel aufgesetzt und die Linke an
den Dolch gelegt. Es ist interessant, dieses Gemälde hinsichtlich der
Auffassung mit dem anderen in Deutschland befindlichen Meisterwerk von
Holbeins Bildniskunst, dem Giße in Berlin, zu vergleichen. Der deutsche
Kaufherr ist in seiner täglichen Geschäftsthätigkeit dargestellt; der
englische Goldschmied aber steht prunkend da. Er füllt mit seiner
stattlichen Persönlichkeit und seiner reichen Kleidung das ganze Bild.
Ein grünseidener Vorhang bildet den Hintergrund und erzeugt mit dem
warmen Ton des Fleisches und des rötlichen, grau gemischten Bartes,
mit dem Goldschmuck, mit dem schwarzen Atlas, dem braunen Pelz und dem
weißen Unterzeug der Kleidung eine so wunderbare Farbenwirkung, wie sie
auch von Holbein selbst niemals übertroffen worden ist.

[Illustration: Abb. 129. +Prinzessin Christine von Dänemark,
Herzoginwitwe von Mailand.+ Gemälde von 1538, im Besitz des Herzogs von
Norfolk.]

Morett mag damals oft Gelegenheit gehabt haben, mit Holbein in
nahen Verkehr zu kommen. Denn gewiß hat er manches Prachtstück in
Gold und Silber nach dessen Zeichnung ausgeführt. Der König machte
reichlichen Gebrauch von seines Malers Kunstfertigkeit im Entwerfen
kunstgewerblicher Dinge. Viele dahin gehörige Zeichnungen Holbeins
haben sich erhalten. Das meiste findet sich in zwei Skizzenbüchern,
von denen das eine im Britischen Museum zu London, das andere im
Baseler Museum bewahrt wird. In dem Baseler Buch steht bei einer
Zeichnung die Jahreszahl 1537. Da gibt es Entwürfe zu allen möglichen
Dingen, zu Gefäßen verschiedenster Art, zu Handspiegeln und anderem
Toilettegerät, zu Degengriffen, zu Ohrgehängen, Agraffen und sonstigen
Schmucksachen für Herren und Damen; jedes Ding ein Musterwerk edlen
Geschmacks in der Gesamtform und in der reichen, fast überall durch
Figuren belebten Ausschmückung. Eine Anzahl der Zeichnungen gibt bloß
figürliche Kompositionen, in zartester Durchbildung ausgeführt, die
augenscheinlich als Vorbilder für feine, zierliche Edelmetallarbeiten
bestimmt waren. Die Gegenstände der Darstellungen sind bald der
Mythologie oder der Geschichte des klassischen Altertums, bald der
Bibel entnommen; Religiöses und Allegorisches, auch Heraldisches
kommt hinzu. Häufig sind auch Sinnsprüche oder sonstige Aufschriften
angebracht, aus denen sich in einzelnen Fällen ein Schluß darauf
ziehen läßt, wem der König, der wohl meistens der Besteller war,
das Schmuckstück zugedacht hatte. Auch minder anspruchsvollen
Dingen, wie Knöpfen, Quasten, Borten und Stickereien, ließ Holbein
seine künstlerische Erfindungsgabe zugute kommen. Dabei wußte er
an die Stelle seines sonstigen malerisch-plastischen Stils einen
arabeskenhaften Flächenstil von ebenso reinem Geschmack zu setzen.
-- Ein Hauptwerk ist der in Federzeichnung mit Angabe des farbigen
Zusammenwirkens von Gold, Perlen und Edelsteinen ausgeführte Entwurf
eines großen, reich gegliederten Pokals. Das Blatt befindet sich in der
Universitätsbibliothek zu Oxford. Das Prachtgefäß war für die Königin
Jane Seymour bestimmt; es trägt deren Wahlspruch: „Zum Gehorchen und
zum Dienen verbunden“ und die aneinander geknüpften Buchstaben H
und J (Henry und Jane). -- Von keinem der berühmtesten Meister der
Zierkunst der Renaissance wird Holbein an Reichtum und Vornehmheit des
Geschmacks übertroffen. -- Als einen großen Meister baukünstlerischen
Schmuckstils offenbart er sich in einer im Britischen Museum
bewahrten Zeichnung, die den Entwurf zu einem Kamin enthält, einem
zweigeschossigen Säulenaufbau, der mit mannigfaltigem Zierwerk und mit
Figurendarstellungen reich geschmückt ist und sich durch die Anbringung
des englischen Wappens und des Namenszuges Heinrichs VIII. als für ein
königliches Schloß bestimmt zu erkennen gibt.

[Illustration: Abb. 130. +Eduard, Prinz von Wales.+ Ölgemälde in der
königl. Gemäldegalerie zu Hannover.]

[Illustration: Abb. 131. +Anna von Cleve.+ Ölgemälde auf Pergament, von
1539. Im Museum des Louvre zu Paris.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Im März 1538 reiste Holbein im Auftrag des Hofes nach Brüssel.
Als Jane Seymour, nachdem sie am 12. Oktober 1537 einem Prinzen das
Leben gegeben hatte, gestorben war, sannen des Königs Räte, vor allen
Thomas Cromwell, der jetzt die ganzen Staatsgeschäfte leitete, auf
eine möglichst baldige neue Ehe des Königs. Dieser selbst schien
anfangs abgeneigt. Als aber nach verschiedenen anderen festländischen
Prinzessinnen Christine von Dänemark, die Witwe des Herzogs Francesco
Maria Sforza von Mailand, genannt wurde, zog er die Sache ernstlich
in Erwägung. Die im Alter von dreizehn Jahren zur Witwe gewordene
Prinzessin war die Tochter des Königs Christian II. von Dänemark
und der Königin Isabella, der Schwester Kaiser Karls V. Politische
Gründe sprachen dafür, durch die Vermählung mit der Nichte des Kaisers
freundschaftlichere Beziehungen zu diesem anzubahnen, in dieser Ehe
ein Mittel zu suchen, daß der Kaiser die Schmach vergäße, die Heinrich
VIII. ihm durch die Verstoßung seiner ersten Gemahlin Katharina von
Arragon, der Tante Karls V., angethan hatte. Aber vor allem handelte
es sich darum, zu erfahren, ob die Prinzessin auch dem persönlichen
Geschmack des Königs behagte. Darum wurde Holbein abgesandt, um ihr
Bildnis zu malen. Am 10. März 1538 traf er, von einem Diener Cromwells
begleitet, in Brüssel ein, wo die Herzogin Christine bei ihrer
Tante, der Statthalterin der Niederlande, verweilte. Der englische
Geschäftsträger in Flandern, John Hutton, hatte inzwischen schon ein
für seinen König bestimmtes, von einem ungenannten Maler angefertigtes
Porträt der Herzogin abgeschickt. Aber als Holbein ankam, ließ Hutton
den mit dem Bild unterwegs befindlichen Boten durch einen Eilboten
zurückhalten; denn er war, wie er an Cromwell berichtete, der Meinung,
jenes Porträt sei „weder so gut, wie die Sache es verlangte, noch
wie Herr Hans es würde machen können.“ Am folgenden Tage bat er die
Herzogin um die Erlaubnis, daß der zu diesem Zweck vom englischen
Hofe hergeschickte Maler sie malen dürfe. Gleich am nächsten Tage,
am 12. März, gewährte die Herzogin Christine Holbein eine Sitzung.
„Der,“ so berichtete Hutton an Cromwell, „wenn er auch nur drei
Stunden Zeit hatte, erwies sich als Meister in der Kunst, denn das
Bild ist ganz vollkommen.“ -- Das Gemälde, welches Holbein nach jener
in drei Stunden gemachten Aufnahme, die wohl eine Zeichnung in seiner
bekannten Art war, ausführte, wurde ein Meisterwerk. Es befindet
sich jetzt im Besitze des Herzogs von Norfolk. Während jener andere
Maler die Prinzessin in großer Kleiderpracht abgebildet hatte, malte
Holbein sie so, wie sie ihm zuerst entgegentrat, in ihrer italienischen
Witwentracht. Er malte sie in ganzer Figur, um ihren schönen hohen
Wuchs zu zeigen. Wie die Sechzehnjährige, ein noch halb kindliches
Wesen, in der ernsten, schwarzen Kleidung ganz schlicht dasteht,
das ist mit der höchsten künstlerischen Größe aufgefaßt, einfach,
natürlich, vornehm und liebenswürdig (Abb. 129).

[Illustration: Abb. 132. +Katharina Howard, Königin von England.+
Miniaturbildchen in der königl. Bibliothek des Windsorschlosses. (Nach
einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)]

[Illustration: Abb. 133. +Thomas Howard, Herzog von Norfolk.+ In der
königl. Gemäldegalerie des Schlosses zu Windsor.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Im Sommer desselben Jahres schickte der König den Maler abermals nach
dem Festland, und zwar nach Hochburgund, -- wir wissen nicht mit
welchem Auftrag. Bei dieser Gelegenheit machte Holbein einen kurzen
Besuch bei den Seinen in Basel. Er traf um den Anfang des September
dort ein. Seine Mitbürger sahen den im Auslande zum großen Herrn
gewordenen Maler mit Verwunderung an. „Da er aus England wieder gen
Basel auf eine Zeit kam, war er in Seiden und Sammet bekleidet, da
er vormals mußte Wein am Zapfen kaufen.“ So wird über ihn berichtet;
es war in den Augen der Zeitgenossen ein überzeugendes Zeichen von
Dürftigkeit, wenn einer seinen Bedarf an Wein im Wirtshaus holen ließ.
statt vom eigenen Vorrat im Keller. Holbein hatte allen Grund, die
Verhältnisse in England glücklich zu preisen. In den Rechnungsbüchern
des englischen Hofes ist sein Gehalt seit dem Frühjahr 1538 ermittelt
worden; nach den damaligen Wertverhältnissen des Geldes wird berechnet,
daß sein Jahressold einem Betrag von 360 Pfund Sterling heutigen Wertes
gleichkam. -- Die Regierung von Basel bemühte sich wiederum, und zwar
sehr ernsthaft, den Meister an die Stadt zu fesseln. In einer am 16.
Oktober 1538 ausgefertigten Urkunde versprachen Bürgermeister und Rat
„unserem lieben Bürger Hans Holbein“ ein jährliches Gehalt in der für
die damaligen Baseler Verhältnisse ganz ansehnlichen Höhe von fünfzig
Gulden, „aus besonderem geneigten Willen, weil er seines Kunstreichtums
halber vor anderen Malern weit berühmt ist, in Erwägung ferner, daß
er uns in Sachen unserer Stadt -- Bauangelegenheiten und anderes,
dessen er Verstand trägt, betreffend -- mit seinem Rate dienstbar sein
könne, und daß er endlich, falls wir einmal bei Gelegenheit Malwerk
auszuführen hätten, uns dasselbige, jedoch gegen geziemende Belohnung,
getreulich fertigen solle.“ Da nach Holbeins Aussage zu erwarten war,
daß er innerhalb der nächsten zwei Jahre kaum in Gnaden vom Hofe des
Königs von England würde scheiden können, so wurde ihm ein zweijähriger
Urlaub nach England gewährt. In diesen zwei Jahren sollte anstatt
des ihm zugesicherten Dienstgeldes ein jährlicher Betrag von vierzig
Gulden an seine Hausfrau in Basel gezahlt werden. Wenn er nach Ablauf
des bewilligten Urlaubs sich wieder in Basel niedergelassen haben
würde, so sollte er durch den Bezug des städtischen Gehaltes keineswegs
in der anderweitigen Verwertung seiner Kunst behindert werden. „Da
wir,“ so lautet die hierauf bezügliche bemerkenswerte Stelle, „wohl
ermessen können, daß besagter Holbein mit seiner Kunst und Arbeit,
so weit mehr wert, als daß sie an alte Mauern und Häuser vergeudet
werden solle, bei uns allein nicht aufs beste zu seinem Vorteil kommen
mag, so haben wir deshalb besagtem Holbein gütlich nachgelassen, daß
er... um seiner Kunst und seines Handwerks willen... von fremden
Königen, Fürsten, Herren und Städten wohl möge Dienstgeld erwerben,
annehmen und empfangen; daß er außerdem die Kunstwerke, so er allhier
bei uns machen wird, im Jahre ein-, zwei- oder dreimal, doch jedesmal
mit unserer besonderen Erlaubnis und nicht ohne unser Wissen, in
Frankreich, England, Mailand und Niederland fremden Herren zuführen und
verkaufen möge. Doch darf er auf solchen Reisen nicht arglistigerweise
im Ausland bleiben, sondern soll seine Sachen jederzeit förderlich
ausrichten und sich darauf ohne Verzug wieder anheim verfügen und uns,
wie oben steht, dienstbar sein.“ -- Holbein nahm dieses Anerbieten
an und gelobte und versprach, die Bedingungen desselben zu halten.
Zweifellos war er damals fest entschlossen, wieder seinen bleibenden
Aufenthaltsort in Basel zu nehmen, sobald er in England ein genügendes
Vermögen erworben haben würde. Er soll die Absicht ausgesprochen haben,
die Rathausgemälde und andere Bilder auf eigene Kosten neu und besser
zu malen, da ihm von seinen Baseler Wandmalereien nur das Haus zum Tanz
„ein wenig gut“ vorgekommen sei. -- Aber er kehrte nicht heim.

Im Dezember 1538 befand sich Holbein wieder am englischen Hofe. Es
wurde ihm eine besondere Belohnung ausbezahlt für die unbenannten
Geschäfte des Königs, um derentwillen er in die Gegend von Hochburgund
geschickt worden war.

Zum Beginn des nächsten Jahres überreichte er Heinrich VIII. ein
Bildnis des kleinen Prinzen Eduard als Neujahrsgeschenk; als Gegengabe
erhielt er vom König einen goldenen Becher mit Deckel. Eine größere
Freude konnte Holbein seinem Herrn wohl nicht bereiten; denn Heinrich
VIII., dessen Hoffnungen auf einen Thronfolger so oft getäuscht worden
waren, war verliebt in sein Söhnchen, in dessen Nähe zu kommen er nur
bevorzugten Personen gestattete. Ein lebensgroßes Porträt in halber
Figur, das sich in der Gemäldegalerie zu Hannover befindet, könnte dem
Alter des Kindes nach wohl das genannte Bild sein. Der zweijährige
Prinz zeigt hier sein hübsches, rundliches Gesichtchen, auf dessen
Stirn unter dem Häubchen hervor dünne, blonde Haare fallen, und seine
dicken Händchen in der prächtigen Hervorhebung durch Rot und Gold;
er trägt ein rotes Sammetkleid mit goldenen Schnüren und goldfarbigen
Unterärmeln und über der Kinderhaube ein rotes Sammethütchen mit einer
Straußenfeder (Abb. 130). -- Eine allerliebste kleine Umrißzeichnung in
Form eines Medaillons, die das Kind in ganzer Figur, auf einem Kissen
sitzend und mit einem Hündchen spielend zeigt, befindet sich unter den
Blättern des früher erwähnten Skizzenbuchs zu Basel.

[Illustration: Abb. 134. +Bildnis eines Unbekannten+, von 1541. Im
königl. Museum zu Berlin.

(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)]

[Illustration: Abb. 135. +Karl Brandon, Söhnchen des Herzogs von
Suffolk.+ Miniaturbildchen von 1541. In der Bibliothek der Königin von
England im Windsorschlosse.

(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Im Juli 1539 wurde Holbein wieder „in gewissen Geschäften“ des Königs
auf Reisen geschickt. Der Plan der Vermählung Heinrichs VIII. mit der
Nichte des Kaisers war gescheitert. Jetzt wurde dem Kaiser zum Trotz
die Verbindung mit einer protestantischen deutschen Fürstentochter ins
Auge gefaßt. Die Schwester des Herzogs von Cleve und Schwägerin des
Kurfürsten von Sachsen, Anna, wurde dem Könige als eine wünschenswerte
Partie angepriesen. Mit dem Auftrage, deren Bild zu malen, reiste
Holbein nach Deutschland. Galanterweise schickte der König ihr sein
eigenes Bildnis gleich mit durch den Maler; dies besagt eine aus den
königlichen Haushaltungsbüchern geschöpfte Nachricht, daß Holbein
beauftragt war, ein von ihm selbst hergestelltes und mit ansehnlichem
Honorar bezahltes, aber weiter nicht benanntes Ding mitzunehmen.
-- Das Bildnis der neuen Königsbraut wurde Anfang August in einem
Schlosse des clevischen Gebiets aufgenommen. Am 1. September kam der
Maler nach London zurück. -- Wenn später die Fabel verbreitet wurde,
Holbein habe die Fürstin schöner gemalt, als sie in Wirklichkeit
war, und habe dadurch den König veranlaßt, eine Ehe einzugehen, die
ihm sehr bald leid wurde, so beweist das erhaltene Bildnis selber
die Grundlosigkeit dieser Behauptung. Das Gemälde befindet sich im
Louvre. Da sehen wir Anna von Cleve in halber Figur, steif geputzt,
mit einer Menge von Schmuck, das rötlichweiße Gesicht von einer
reichverzierten Haube eingeschlossen, in gerader Vorderansicht (Abb.
131). Man sieht, daß Holbein die Dame langweilig gefunden hat, und
seine künstlerische Ehrlichkeit hat sie so langweilig wie möglich
aufgefaßt. Keine Regung in der Gestalt, keine Regung in den Mienen.
Wie unvergleichlich treffend ist der Ausdruck der blöden deutschen
Jungfrau, die „nie vom Ellenbogen ihrer Mutter kam,“ wiedergegeben! In
einem Punkte steht Holbein höher als alle anderen großen Bildnismaler:
im Erfassen des Charakters auch in den Händen, nicht bloß in Bezug
auf die Form, sondern auch auf den Ausdruck. Man vergleiche nur die
ineinander gelegten Hände der drei Königsbräute: die in Zurückhaltung
ruhenden der Jane Seymour, die liebenswürdigen, kindlich tändelnden der
Herzogin Christine und die geistlosen der clevischen Herzogstochter!
Die Langeweile, die der Maler empfunden hat, spiegelt sich auch in
der Farbe. Gegenständlich war ihm hier ja alles zur Erzielung einer
herrlichen Farbenwirkung gegeben: blondes Fleisch, feines Weißzeug,
roter Sammet, Goldstoff, Gold und Juwelen, -- eine Farbenpracht, die er
durch einen dunkelgrünen Hintergrund passend hervorhob. Und dennoch hat
er mit diesen Mitteln hier keinen solchen künstlerischen Reiz der Farbe
erreicht, wie er ihn sonst zu entwickeln vermochte.

Daß Heinrich VIII. seinem Maler den ihm von den Geschichtschreibern
hinsichtlich dieses Bildnisses aufgebürdeten Vorwurf nicht machte,
geht schon aus den Gnadenbezeugungen hervor, die er ihm gerade in der
nächsten Zeit erwies. Holbein bekam im Jahre 1540 doppeltes Gehalt
ausbezahlt. Daß er unter diesen Umständen darauf verzichtete, zur
verabredeten Zeit nach Basel zurückzukehren, ist leicht zu begreifen.

Seinen Verstand in Bausachen, auf den man in Basel besonders rechnete,
zu bewähren, fand Holbein auch in London Gelegenheit. Wenigstens gilt
die zur Zeit der Königin Anna von Cleve ausgeführte schmuckreiche Decke
der Kapelle des St. James-Palastes als ein Werk seiner Erfindung.

[Illustration: Abb. 136. +Bildnis eines Unbekannten+, von 1541. In der
kaiserl. Gemäldegalerie zu Wien.

(Nach einer Photographie von J. Löwy in Wien.)]

[Illustration: Abb. 137. +Simon George aus Cornwall.+ Ölgemälde im
Städelschen Museum zu Frankfurt a. M.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Die Königin Anna wurde verstoßen, Cromwell, der mächtige, zielbewußte
Lenker des englischen Staatswesens, wurde enthauptet, die katholische
Katharina Howard wurde zur Königin erhoben und ihr Oheim Thomas Howard,
Herzog von Norfolk, einst ein Freund und Gesinnungsgenosse von Thomas
Morus, übernahm die Leitung der Staatsgeschäfte: alles wechselte
wieder einmal am englischen Hofe; aber Holbeins Gunststellung blieb
unverändert.

Von der Königin Katharina Howard ist kein anderes Bildnis von Holbeins
Hand bekannt, als ein Miniaturbildchen -- wie er deren auch eines
von Anna von Cleve als Gegenstück zu einem ebensolchen des Königs
gemalt hatte --; das Bildchen befindet sich in der Bibliothek des
Windsorschlosses (Abb. 132).

Ein großes Prachtbild, in der Gemäldesammlung des nämlichen Schlosses,
führt uns den Herzog von Norfolk auf der Höhe seiner Macht vor Augen
(Abb. 133). Der Herzog war 66 Jahre alt, als er sich von Holbein malen
ließ. Er zeigt uns ein hageres, verschlossenes Gesicht, glatt rasiert
nach der Mode der alten Zeit; über dem breit umgelegten Hermelinpelz,
mit dem sein Mantel gefüttert ist, trägt er die goldene Kette des
Hosenbandordens; in den feinen, fleischlosen Händen hält er den
weißen Stab des Lordkämmerers und den goldenen Stab des Großmarschalls
von England.

[Illustration: Abb. 138. +Bildnis einer unbekannten Dame.+ In der
kaiserl. Gemäldegalerie zu Wien.

(Nach einer Photographie von J. Löwy in Wien.)]

[Illustration: Abb. 139. +Sir Thomas Wyat.+ Zeichnung in schwarzer und
farbiger Kreide, im königl. Schloß zu Windsor.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Von 1541 ist das Miniaturporträt eines dreijährigen Knaben, in der
Bibliothek zu Windsor (Abb. 135). Es stellt Charles Brandon, den
zweiten Sohn des Herzogs von Suffolk, vor und bildet das Gegenstück zu
dem sechs Jahre früher gemalten Bild von dessen Brüderchen Henry.

Die Jahreszahl 1541 ist auch auf zwei Bildnissen von anscheinend nicht
zu den Hofkreisen gehörigen Herren zu lesen, von denen sich das eine,
ein mit der ansprechendsten Schlichtheit aufgefaßtes Brustbild eines
bärtigen Mannes (Abb. 134), im Museum zu Berlin, das andere, die
Halbfigur eines jungen Mannes, der, mit einem Buche in der Hand, hinter
einem Tische sitzt und den Beschauer anblickt (Abb. 136), im Wiener
Hofmuseum befindet.

Hier mögen zwei andere in deutschen Sammlungen bewahrte Meisterwerke
von kleinem Format Erwähnung finden, die Holbeins englischer Zeit
angehören, die aber keinen Anhalt zu näherer Zeitbestimmung bieten:
das Porträt einer hübschen jungen Frau -- Brustbild mit Händen -- im
Wiener Hofmuseum (Abb. 138), und das liebenswürdig aufgefaßte und mit
köstlicher Feinheit gemalte Profilbild eines Herrn Simon George aus
Cornwall im Städelschen Museum zu Frankfurt (Abb. 137).

[Illustration: Abb. 140. +Die Herzogin von Suffolk.+ Zeichnung in
schwarzer und farbiger Kreide, im königl. Schloß zu Windsor.]

Die Zahl der Porträts ohne Jahresangabe ist größer als die Zahl der
datierten. Seine Namensunterschrift hat Holbein nur ausnahmsweise auf
die Bilder gesetzt. Er hatte, wie Michelangelo, das Selbstbewußtsein,
daß seine Gemälde die Beglaubigung seiner Urheberschaft in sich selbst
trügen. Daher ist es wohl erklärlich, daß gar manches Bild später auf
seinen Namen getauft worden ist, das mit seiner Kunst nichts gemein
hat. Wie viele von Holbein in England gemalte Bildnisse noch vorhanden
sind, ist wohl überhaupt noch nicht festgestellt. Sie sind zu einem
großen Teil in englischem Privatbesitz zerstreut. -- Wenn es nirgendwo
Gelegenheit gibt, eine größere Anzahl Holbeinscher Bildnisgemälde
nebeneinander zu sehen, so findet sich dafür ein ganzer Schatz von
seinen herrlichen Bildniszeichnungen in der Bibliothek der Königin
von England im Windsorschlosse vereinigt. Diese in ihrer Art ganz
einzige, unschätzbare Sammlung enthält über achtzig Blätter, lauter
Meisterwerke. In diesen ersten Aufnahmen nach dem Leben, die bald
in wenig mehr als Umrissen alles Notwendige zu sagen wissen, bald
ganz malerisch ausgearbeitet sind, treten uns die Persönlichkeiten,
unbenannte und benannte -- viele, die in der englischen Geschichte
eine Rolle gespielt haben --, fast ebenso sprechend und lebensvoll vor
Augen, wie in ausgeführten Gemälden. Ja, es liegt in dieser ersten
Niederschrift von Künstlerhand, die, das Wesentliche schnell erfassend,
gleich alles vermerkte, was im Gemälde ausgedrückt werden sollte, ein
ganz besonderer Reiz. Daß mit so Wenigem so Vollkommenes gegeben wird,
ist das Wunderbare an diesen Zeichnungen, die, ohne etwas an und für
sich Fertiges sein zu wollen, doch ganze fertige Kunstwerke sind (Abb.
139-144).

[Illustration: Abb. 141. +Sir John Gage.+ Zeichnung in schwarzer und
farbiger Kreide, im königl. Schloß zu Windsor.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

In der nämlichen Sammlung befindet sich ein einzigartiges Werk
Holbeins, eine figurenreiche Komposition in Miniaturausführung;
getuschte Silberstiftzeichnung, mit Gold und einigen wenigen Farben
reizvoll belebt. Der Gegenstand der Darstellung ist der Besuch der
Königin von Saba bei König Salomo. Bemerkenswert ist die reife
Schönheit der Renaissancearchitektur auf diesem Blatt, die von Holbeins
jugendlichen Architekturphantasien weit verschieden ist (Abb. 145).

Im Jahre 1542 erschien eine Holzzeichnung Holbeins, die vielleicht
das letzte war, was er für den Buchdruck machte. Es ist ein Bildnis
in Medaillenform von Sir Thomas Wyat und schmückt die Rückseite des
Titels einer Schrift, die als „Nänia“ (Totenklage) das Andenken dieses
im Jahre 1541 im blühendsten Alter gestorbenen Lieblings des Königs
feiert. Mit der denkbar größten Einfachheit des Striches, der auch die
minder geübte Hand eines englischen Formschneiders folgen konnte, hat
Holbein hier ein sprechendes Porträt gezeichnet.

[Illustration: Abb. 142. +Elisabeth, Gemahlin von Sir Henry Parker.+
Zeichnung in schwarzer und farbiger Kreide.

In der Bibliothek des königl. Schlosses zu Windsor.

(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)]

[Illustration: Abb. 143. +Reskymeer+, ein Edelmann aus Cornwall.
Zeichnung in schwarzer und farbiger Kreide. Im königl. Schloß zu
Windsor.]

Im Jahre 1542 muß Holbein wieder ein Bild des Prinzen von Wales gemalt
haben. Zwar ist über das Gemälde selbst nichts bekannt, aber unter
den Zeichnungen im Windsorschloß ist eine, die das Kind in dem dieser
Zeit entsprechenden Alter zeigt (Abb. 146). Ein mit der Jahreszahl
1542 bezeichnetes Werk besitzt die Gemäldegalerie im Haag in den
trefflichen kleinen Porträt eines jungen Mannes, der einen Falken auf
der Faust hält. Ein Selbstbildnis Holbeins aus diesem Jahre wird als
im Privatbesitz vorhanden erwähnt.

[Illustration: Abb. 144. +Lady Baux.+

Zeichnung in schwarzer und farbiger Kreide. Im königl. Schloß zu
Windsor.]

Im folgenden Jahre fand Holbein die Muße, zweimal sich selbst zu malen,
das eine Mal in Miniatur, das andere Mal in halber Lebensgröße. Diese
Bilder sind beide verschollen. Aber von dem einen derselben gewähren
uns zwei Kupferstichnachbildungen aus dem XVII. Jahrhundert, eine
von Vorstermann (Abb. 149), die andere von Wenzel Hollar -- der auch
sonst viele von Holbeins englischen Arbeiten gestochen hat, -- eine
Anschauung. Der fünfundvierzigjährige Meister sieht hier sehr ernst
aus. Der allgemeinen Sitte folgend hat er sich nach König Heinrichs
Vorbild einen Vollbart wachsen lassen. -- Das in der Sammlung von
Malerbildnissen im Uffizienpalast zu Florenz hängende Selbstbildnis
Holbeins kann kaum noch als solches bezeichnet werden. Dasselbe ist
zwar ursprünglich eine Zeichnung Holbeins, anscheinend zu dem in jenen
Kupferstichen wiedergegebenen Gemälde; aber die Zeichnung ist durch
Übermalung verunstaltet und unähnlich gemacht worden.

Ein schönes Brustbild eines langbärtigen Herren im Pelz, mit Namen
Melchior Maag, das sich in der Sammlung des Herrn Huybrechts zu
Antwerpen befindet, trägt ebenfalls die Jahresbezeichnung 1543 (Abb.
147).

[Illustration: Abb. 145. +Die Königin von Saba vor Salomo.+
Miniaturartige Tuschzeichnung mit Farben und Gold.

In der Bibliothek der Königin von England im Windsorschloß.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 146. +Eduard, Prinz von Wales.+ Zeichnung in
schwarzer und farbiger Kreide, in der königl. Bibliothek im Schlosse zu
Windsor.

(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)]

In dieser Zeit arbeitete Holbein an einem großen figurenreichen
Gemälde, das er wohl nur nach und nach fertig machen konnte. Es
war ein Porträtstück, das zugleich einen geschichtlichen Vorgang
verbildlichte. Die vereinigte Chirurgen- und Barbiergilde zu London
ließ dasselbe malen zur Erinnerung an die Gewährung ihrer Zunftrechte
durch den König. Die Vertreter der Gilde, achtzehn an der Zahl,
wurden dargestellt, wie sie vor dem Throne Heinrichs VIII. knieen,
um aus dessen Hand ihren Freibrief in Empfang zu nehmen. Einzelne
der Vorstandsmitglieder malte Holbein nebenher auch in besonderen
Bildnissen. So den achtundachtzigjährigen ~Dr.~ John Chambers, der zu
den Leibärzten des Königs gehörte. Das schöne Bild des würdevollen
Greises befindet sich jetzt in der kaiserlichen Gemäldegalerie zu Wien
(Abb. 148). Das große Genossenschaftsbild hat sich auch erhalten;
es hängt noch im Zunfthaus der Londoner Barbiere. Aber es zeigt,
abgesehen von der Entstellung durch spätere Übermalungen, daß es auch
ursprünglich nur zum Teil von Holbein gemalt worden ist. Es war dem
Meister nicht beschieden, dieses Werk fertig zu sehen.

[Illustration: Abb. 147. +Melchior Maag.+ Gemälde von 1543. In der
Sammlung Huybrechts zu Antwerpen.]

[Illustration: Abb. 148. +John Chambers+, Leibarzt König Heinrichs
VIII. In der kaiserl. Gemäldegalerie zu Wien.]

Mitten in der reichsten Schaffensthätigkeit starb Hans Holbein in der
Blüte der Jahre und fern von der Heimat im Herbst 1543, wahrscheinlich
als ein Opfer der Pest, welche in diesem Jahre in London wütete.

Vom 7. Oktober ist sein Testament datiert. Von seiner Familie in
Basel ist darin keine Rede. Für diese hatte er augenscheinlich
schon vorgesorgt; die Familie lebte auch nach seinem Tode in guten
Verhältnissen. Die letztwillige Verfügung bezieht sich nur auf die
Ordnung seiner Londoner Verhältnisse. Sein Pferd und seine sonstige
Habe sollte verkauft werden zur Deckung der Guthaben einiger Freunde.

Am 29. November gab der Goldschmied Johannes von Antwerpen, einer der
Zeugen, die Vollstreckung des Testamentes ab.

König Heinrich VIII. erhielt ein Werk von der Hand seines Künstlers
noch nach dessen Tode. Zu Neujahr 1544 wurde ihm von einem seiner
Kämmerer ein Entwurf Holbeins zu einer Wanduhr verehrt, eine jetzt
im Britischen Museum befindliche große Zeichnung von prächtig
geschmackvoller Erfindung.

[Illustration: Abb. 149. +Holbeins Selbstbildnis aus seinem letzten
Lebensjahre.+

Nach Borstermanns Stich des verschollenen Originals.]





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