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Title: Gesammelte Werke in drei Bänden (2/3) Author: Dehmel, Richard Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Gesammelte Werke in drei Bänden (2/3)" *** #################################################################### Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der 1913 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und altertümliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Zitate wurden nicht korrigiert. Der Autor verwendet Elisionen, die vom nächsten Wort nicht durch ein Leerzeichen getrennt sind (z. B. ‚werd’ich‘, statt ‚werd’ ich‘). Das Inhaltsverzeichnis (‚Übersicht‘) wurde vom Bearbeiter an den Anfang des Buches verschoben. Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt. Besondere Schriftschnitte wurden mit Hilfe der folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet: Unterstrichen: _Unterstriche_ Fettdruck: =Gleichheitszeichen= gesperrt: +Pluszeichen+ Antiqua: ~Tilden~ #################################################################### [Illustration] Richard Dehmel Gesammelte Werke in drei Bänden Zweiter Band S. Fischer, Verlag, Berlin +22. bis 24. Tausend+ Alle Rechte vorbehalten, auch das der Übersetzung Copyright 1913 by S. Fischer Verlag A.-G., Berlin Übersicht (Die mit * bezeichneten Stücke sind neu aufgenommen) Seite +Weib und Welt+ Ins Weite 7 Die Erweckung des Herrschers 7 Das Ideal 10 Beichtgang 11 Narzissen 11 Drei Ringe 12 *Entrückung 19 Himmelfahrt 20 Der Stieglitz 20 Sinnige Fahrt 21 So im Wandern 22 Schutzengel 25 Begegnung 25 Unterm jungen Birnbaum 27 *Emporsturz 27 Verkündigung 28 Einst 28 Stimme des Abends 28 *Feierabend 28 Manche Nacht 29 Aus banger Brust 29 Helle Nacht 30 Aufstieg 31 Drückende Luft 31 Aufblick 32 Stiller Gang 33 Ein Grab 33 Klage 33 *Einst im Herbst 34 Der gesunde Mann 34 Befreit 35 Trost 36 Wunder 36 Kalte Frage 36 Winterwärme 36 Kein Bleiben 37 Heimweh in die Welt 37 Über frei Feld 38 Der Frühlingskasper 40 Entladung 40 Anbetung 42 Ausblick 43 Ideale Landschaft 43 Auf See 44 Gesang vor Nacht 44 Klarer Tag 44 Dunkle Gewalt 45 *Ballade von der wilden Welt 45 Herr und Herrin 47 *Ballade vom Kuckuck 47 Vorspiel 48 Wellentanzlied 48 Bewegte See 49 Der Sturm 50 *Verklärung 50 Das Schloß 50 *Der Schwimmer 51 Beschwichtigung 51 *Lied an den Mond 52 Gruß 52 *Aufglanz 53 Morgenstunde 53 Ruf 54 Berückung 54 Wirrsal 55 Nach einem Regen 55 Der gute Hirte 56 Stimme im Dunkeln 56 Über den Sümpfen 57 Erwartung 57 Im Reich der Liebe 58 Nun erst 59 Mannesbangen 60 Der weise König 60 Stilles Zeichen 61 *Die Kette 61 Ein Ring 62 Der Fluß 63 Nächtliches Zwiegespräch 63 Rückblick 64 Mein Wald 64 Die Harfe 65 Geheimnis 67 Am Scheideweg 67 Hoch in der Frühe 67 Immer wieder 68 *Die Frage 68 Im Zwielicht 69 Glückwunsch 69 Ein Blütenblatt 70 *Das Perlgewebe 70 Störung 72 Zukunft 72 Enthüllung 73 Beschwörung 74 Aus schwerer Stunde 75 Zuversicht 76 *Gleichnis 76 *Weihnacht im Krankenhaus 77 *Lied im Winter 77 Eva und der Tod 78 Verhör 80 Zur Genesung 81 Schneeflocken 82 Orientalisches Potpourri 83 Jesus bettelt 85 *Benedeiung 86 Erfüllung 86 Heilandswort 87 Zwischen Ostern und Pfingsten 88 Die Glücklichen 88 Erhebung 89 *Hochsommerlied 90 Mit heiligem Geist 90 Böser Traum 91 Leiser Besuch 92 Der Strauß 93 Finale 94 Einsiedler, Schmetterling und Tempelherr 95 Der Verbannte 97 Unterwegs 98 Heimatgruß 98 Hoher Mittag 100 Stimme im Licht 101 *Nachtgebet 101 Durch die Nacht 102 Masken 102 Nacht für Nacht 103 *Lied vor Tag 103 Gondelliedchen 104 Griechische Pfingsten 104 Eine Rundreise in Ansichtspostkarten 105 Wiedersehn 121 Siegerin 122 Letzte Bitte 122 *Zweier Seelen Lied 122 *Psalm zweier Sterblichen 123 Im Geiste 124 *Nachglanz 124 *Verewigung 125 Am Ufer 126 *Aufrichtung 127 Heilige Nacht 127 Evas Klage 129 Eines Tages 131 Eine Lebensmesse 134 *Zwiegesang überm Abgrund 141 Am Opferherd 142 +Zwei Menschen+ Leitlied 144 Eingang zum ersten Umkreis 145 Eingang zum zweiten Umkreis 191 Eingang zum dritten Umkreis 237 Ausgang 283 +Der Kindergarten+ Gärtnerspruch 286 *Muttersprache 287 Vatergruß 287 Der Vogel Wandelbar 287 Kutscher Tod 291 Triumphgeschrei 292 Schnurrige Predigt 293 Käuzchenspiel 293 *Fliegerschule 293 Der Reitersmann 294 *Geschäftsleutchen 294 Geburtstagsgeschenke 295 Abendgebet 295 Freund Husch 296 Das Maiwunder 297 Puhstemuhme 298 Das große Karussell 298 Aurikelchen 299 Der Schatten 299 *Morgenlied 300 Der kleine Sünder 301 Fragefritz und Plappertasche 302 Furchtbar schlimm 303 Fitzebutze 304 Käferlied 305 Die Reise 306 Die Schaukel 306 Das richtige Pferd 307 Die ganze Welt 308 Lazarus 309 Der kleine Held 310 Knecht Ruprecht und die Christfee 328 *Das Dichterspiel 340 Der Allerseelenspiegel 350 Tippel und Tappel 355 Der Sonnenstrahl 356 Die Pfauenfeder 357 Das Märchen vom Maulwurf 359 Die bekümmerte Löwenkröte 362 Der alte Wodtke und Michel Krist 369 Weib und Welt Ein Buch Gedichte Vierte Ausgabe Erster Teil Ins Weite Die du mir näher bist, als Sinne ahnen können, meine Erfüllerin, schlummernde: o träume dich ein in meine schmachtenden Adern, und fühle mein Herz aus meinen Augen brennen, und sieh die Sterne sich über mir verdoppeln, und schmecke das Mannah dieser grenzenlosen Nacht, die Düfte der Sehnsucht von Wiese zu Wald zu Wolke, und höre den Weltraum mein heiliges Lied mitatmen, mein Echo du! -- Die Erweckung des Herrschers Psychische Szene +Ein Geist im Schlaf+: Da thront sie wieder; thront, als ob sie warte. Was willst du, Traumbild, immer noch von mir mit deinem Gnadenblick? du bist doch tot! Zu oft bin ich von diesem Blick erwacht; ich fühls, ich träume nur! Was quälst du jetzt mit täuschender Erhörung meine Nächte und blicktest nie zuvor, zu keiner Stunde -- o doch: in einer, einer Stunde doch: in deiner Sterbestunde -- so mich an! Willst du den Mann, der ich in Schmerzen ward, durch deinen Hingang ward, noch büßen lassen, was dir der unbedachte Jüngling tat? Wars denn so schlechte Tat? Wars nicht Verehrung, daß ich mit meiner Lust an Ruhm und Rang auch Dir zu schmeicheln dachte? Warb ich nicht mit höchster Hoffahrt um dein stolzes Herz? Aus deiner stillen Welt, die mir nicht würdig genug für deine holde Würde schien, wollt ich ein klingend Sphärenspiel gestalten! Hab ich dich nicht gefeiert? Schmückt ich nicht dein jungfräuliches Haupt mit einer Krone? mit stetem Festglanz unsern Thron! Und gabst mir kaum eine Gunst dafür, kaum ganz ein Lächeln, nie einen vollen, seelenvollen Dank, nie -- +Antwort einer Seele+: Ich liebte dich -- +Der Geist+: Du? liebtest? mich? -- Und zeigtest mir das nie?! Und ließest mich, wenn deine sanfte Hand sich meiner ungestümen streng entzog, mich, der zu Füßen dir getaumelt wäre für nur den scheuesten Wink, ließest mich haltlos mit falschen Freunden dann von Rausch zu Rausch die irren Wege meines Unmuts gehn! Mußt ich nicht meinen, du verabscheust mich, du seist enttäuscht, sinnst Rache? Bis ich endlich, so immer werbend, immer unbelohnt und immer wieder auf Erhörung pochend, endlich den einen einzigen Gnadenblick, mit dem dein Auge brach, empfing und nun vor deinem starr gewordnen Antlitz mich in grausigem Zweifel fragte: galt er mir? mir? oder sahst du Sterbende ein Wesen, das +Du+ nur sahst, mit diesem Dankblick an, weil’s dich von mir befreite?! Sprachst du doch kein letztes Wort zu mir! O warum starbst du so stumm? +Die Seele+: Ich liebte dich -- +Der Geist+: Und quälst mich immer noch?! O deute mirs, du Unfaßbare: was bedrängst du mich? Ich sinne selbst am hellen Tag dir nach; du weißt, ich will das nicht, will nicht mehr träumen, ich ward zu klar dazu, dank deiner Drangsal, ich litt genug an dir, ich will nicht leiden, mir ziemt die Tat, drum lernt ich mich beherrschen, und will auch Dich, auch Dich beherrschen, denn ich +bin+ ein Herrscher -- und das ist, du weißt es, ein schwacher Mensch, der tausend fremde Kräfte unter ein starkes Werk einsammeln soll. Was also störst du meinen kurzen Schlaf? was gönnst du mir nicht Rast, mich selbst zu sammeln? was stachelst du mich in dem Lichtstrahl noch, der Mittags in mein halbgeschlossenes Auge sich eindrängt und an deinen letzten Blick mich gemahnt? +Die Seele+: Ich liebe dich -- +Der Geist+: Dann laß dich fassen! dann erhöre mich! bei deiner Seligkeit beschwor ich dich: laß mich vollkommen in dir ruhn! So will ich nicht mehr eitel mit dir ringen, will mein Gezweifel vollends niederzwingen, dir freudig deinen Willen tun! So wirst auch Du endlich zur Ruhe kommen, wirst stolz von meinen Kräften hingenommen erkennen, daß du mich nicht länger schreckst! So wird aus unserm Traumbund im Geheimen stark eine neue Seele keimen, durch die du mich schutzmütterlich zu immer stolzerem Tagwerk weckst, gern weckst -- und so -- +Die Seele+: So lieb’ ich dich -- -- +Der Geist des Herrschers+ erwachend: Und lebst mir so -- und wirst mir nie mehr sterben. Und all mein Volk wird unsre Liebe erben. Das Ideal Doch hab ich meine Sehnsucht stets gebüßt; ich ging nach Liebe aus auf allen Wegen, auf allen kam die Liebe mir entgegen, drum hab ich meine Sehnsucht stets gebüßt. Es stand ein Baum in einem Zaubergarten, mit tausend Blüten gab er Duft und Schein, und eine leuchtete vor allen rein; es stand ein Baum in einem Zaubergarten. Und aus den tausend pflückte ich die eine, sie war noch schöner mir in meinen Händen, sodaß ich kniete, Dank dem Baum zu spenden, von dem aus tausend ich gepflückt die eine. Ich hob die Augen zu dem Zauberbaume, und wieder schien vor allen Eine licht, und meine welkte schon -- ich dankte nicht; ich hob die Augen zu dem Zauberbaume. Doch hab ich meine Sehnsucht nie verlernt; ich ging nach Liebe aus auf allen Wegen, auf jedem glänzte mir ein andrer Segen, drum hab ich meine Sehnsucht nie verlernt. Beichtgang Ich war der Herr der Welt vor dir, im Traum; wie eine Sonne warst du mir, im Traum. Ich schmückte dich mit allen guten Glücksehnsuchtsgluten in diesem Traum, und hieß dich leuchten, ließ dich schweben. Und habe mich in den Staub gebogen vor dir, im Traum, und dich belogen und betrogen im Staub, im Traum -- komm, laß uns +leben+! Narzissen Weißt du noch, wie weiß, wie bleich in den Maiendämmerungen, wenn ich lag, von dir umschlungen, dir zu Füßen hingerissen, um uns schwankten die Narzissen? Weißt du noch, wie heiß, wie weich in den blauen Juninächten, wenn wir, müde von den Küssen, um uns flochten deine Flechten, Düfte hauchten die Narzissen? Wieder leuchten dir zu Füßen, wenn die Dämmerungen sinken, wenn die blauen Nächte blinken, wieder duften die Narzissen. Weißt du noch, wie heiß? wie bleich? Drei Ringe Elegie Ihr Ringe, drei Ringe, um Einen Finger, und jeder ein toter, gebrochener Schwur; und seid mir so heilig, ihr flimmernden Dinger, seid mir ein treuer, still wachsender, neuer, einziger, willig gesprochener Schwur. Was glühst du, Rubin, von versunkenen Stunden? Was blickst du, Perle, so bleich im Gold? Du Reif dazwischen, schlicht gewunden, was schimmerst du so scheu und hold? Ach! immer die Treue treuwillig versprochen, und immer treuwillig die Treue gebrochen. So hat es das Leben, das Leben gewollt. Ihr Ringe, drei Ringe, an meiner Linken, und dennoch ein neuer dämmernder Schwur? O Abendsonne, wie trüb dein Blinken, und Nebel winken, bald wirst du sinken. Du blasse Perle, wie wars doch nur? * * * * * War wohl ein Morgen, frühlingsmild; die alte Kirche stand voll Glanz. Blaß flammte ums Erlöserbild der Osterkerzen weißer Kranz. Der Orgel Hallelujah quoll; uns war das Herz von Gott so voll, das Kinderherz, voll Bebens. O Schwur des Glaubens! O Gebot: nun seid getreu bis in den Tod, dann wird euch die Krone des Lebens, die ewige Krone des Lebens. Und mit der Mutter still durchs Feld; wie glänzte weit, wie glänzte grün und war ein Sonntag all die Welt! Die Weidenbüsche wollten blühn; ein Zweiglein brach der Knabe. Doch feierlich im leeren Land als wie ein Kreuz die Mühle stand; und sinnend weiter still feldein. O Försterhaus am Eichenhain! O Vaterwort-und-Gabe! O Gartenzaun am Eichenhain! da nahm mein Vater meine Hand und legte einen Ring hinein, der hatte einen schwarzen Stein, drin eine goldne Krone stand, und sprach zu seinem Sohne, und all sein Blick war Ein Gebot: Nun sei dir treu bis in den Tod, dann wird dir die Krone zum Lohne, des Lebens Siegeskrone! * * * * * Ihr Ringe, drei Ringe, an meiner Linken, und jeder ein neuer, ein toter Schwur; was wird so zitternd euer Blinken? -- Du trübe Sonne, laß dein Winken. O weite Flur! Die Nebel gleißen wie blutende Wunden; ich habe die Freiheit, die Freiheit gewollt! O Sonnenblut. O gleißend Gold. Was glühst du, Rubin, von versunkenen Stunden? * * * * * Es war ein Mittag, frühlingswild. Von der Bergeskrone, rot zuckend, kroch die Wolkenschlange ins Gefild. Der Donner jagte von Joch zu Joch. Stürmisch weinte das Dunkel, ein stürzendes Meer. Triefend sausten die Bäume; und grell und spitz, Licht schleudernd, über uns, um uns her -- mein bebendes Mädchen, weißt du noch? -- flocht flatternde Netze Blitz auf Blitz. Und die Bäume bogen und schlugen sich, blendend nieder krachte der steile Strahl und warf im Taumel irr dich und mich zu Boden, glutschwer, ein flackernder Wall; und da lag im Taumel irr Brust an Brust, jung hing und glutschwer Mund an Mund und Auge in Auge im Moose, und rauschend schluchzte der Regen in unsre Lust, stumm lohte der feuergetaufte Bund. Und dann +auf+! Oh, standest du bleich und bang. Und da hab ich den Donner des Himmels bedroht, von der Faust mir peitschend das Wasser sprang, durch die sausenden Bäume mein Lachen klang: o lauter, mein Bruder, dein wild Gebot! Und riß mir vom Finger den Knabenring: ich bin mir selbst mein Herr und Gott! und nahm deine zitternde Hand, dran hing im Blitzlicht funkelnd der rote Rubin, und vom Himmel gebadet, vom Himmel umloht -- ich fühlte dich weinen, ich sah dich glühn -- schwur ich: gib her! sei treu! nimm hin! * * * * * Ihr Ringe, drei Ringe, um Einen Finger, und jeder ein doppelt gebrochener Schwur. Wie der Nebel raucht! ein brennender Zwinger vermauert die fliehende Sonnenspur. Noch glänzt ein stiller Streifen Gold; ich habe freiwillig die Freiheit verschworen. Was glimmst du schlichter Reif so hold? Die Freiheit verschworen, die Freiheit verloren. So hat es die Liebe, die Liebe gewollt. * * * * * Es kam ein Abend, frühlingsmild; bang steht, in Schleiern, bleich, die Braut. Ernst rauschen die Geigen; herb duftend schwillt der Myrte grünes, weißblühendes Kraut. Und Andacht wird, und Schweigen; nur durchs Fenster flüsterte der Mai. Und nun: nun will ich stolz und frei uns segnen -- da: voll Bebens, horch, die Stimmen der Freunde -- o Lied, o Schwur, o ihr rauschenden Geigen, o Gebot -- blaß zuckten die Kerzen im Abendrot --: Nun seid getreu bis in den Tod, dann wird euch die Krone des Lebens! Da flocht ich ihr still vom Haupt den Kranz, still küßte ich ihr dunkles Haar; glutüberhaucht vom fernen Glanz hielt ihre Hand ein Rosenpaar, still zitterten die Blüten. Und hoch ins schweigende Gemach hob ich den goldnen Ring und sprach und sprach -- wie war das Herz mir weit, von Glauben weit und Seligkeit --: Nun will ich Dein sein alle Zeit, Ein Leib, Eine Seele, in Glück und Leid dein Gott, meine Welt, dich hüten. Und draußen wiegte ein Lindenbaum goldgrün sein jung Gefieder; sanft glühte der Rosen rot schwellender Saum, und durch den Schimmer, den Duft, den Traum rauschten die Geigen wieder. Da gab sie mir an meine Hand, an meine Rechte zurück mein Pfand, den Ring mit der leuchtenden Krone. Stumm bat ihr Blick voll seliger Not: nun sei mir treu bis in den Tod, dann wird uns die Krone zum Lohne, des Lebens Friedenskrone. * * * * * Ihr Ringe, drei Ringe, an meiner Linken: was blickst du, Perle, so trüb im Gold? O Sonne, du müde, nun magst du sinken; o schwere Pflicht, wie schienst du hold! Gelb taucht ins Moor der letzte Funken, das Land wird fahl, der Nebel rollt. Ich habe die Wahrheit, +Klarheit+ gewollt. Ich war der Liebe so satt -- so trunken -- * * * * * Und eine Nacht kam, frühlingswild, kam schwül. Ums Licht der Lampe lag, vom lauten Regen dunstverhüllt, das Dunkel dumpf und dufterfüllt; hohl scholl und hart das Laubendach Es klang so einsam, was ich sprach von meinem großen Überdruß; es klang so bang, als ob ich log, als ich mich flüsternd zu ihr bog. Und ich hielt ihre Hand. Weißt du wohl noch, du blasse +Andre+?! Wolltest du’s? Wie war die Hand von Arbeit rauh! Wie saßest du so scheu und still mit deinen Augen groß und grau, als horchtest du dem Tropfentau, der durch die Epheublätter fiel. Und ich hielt deine Hand. Und es war so schwül. Was ließest du es denn geschehn?! Ich wollte dir nur ins Innre sehn, in diese Augen stolz und stumm. Du aber --? Und wir sanken um. Die Epheublätter zitterten. Ich nahm dein einziges Eigentum. Und dann: im dunkeln Grase hing und flimmerte etwas wie Gold. Das war dein lieber Perlenring, der war dir in den Sand gerollt. Und da hast du trotzig aufgelacht, von deinem Vater war auch er; blaß langtest du ihn zu mir her, aus deinen Augen sah die Nacht, und nahmst meine Hand -- besudelt glomm der Kronring dran -- und während hohl der Regen rauschte wie ein Strom, sprachst du: vergiß! nimm! gieb! leb wohl! * * * * * Ihr Ringe, drei Ringe, und doch der neue, aus scheuer Seele bang dämmernde Schwur? Dahin der Glaube, dahin die Treue; o dunkle Flur. Starr durch die kahlen Pappeln schauen die Sterne ins verhüllte Feld. Klarheit?? Im Moor die Nebel brauen. O ja: die Erde +ist+ voll Grauen. Doch -- voll von Sonnen steht die Welt! Raum! Raum! brich Bahnen, wilde Brust! Ich fühls und staune jede Nacht, daß nicht blos Eine Sonne lacht; das Leben ist des Lebens Lust! Hinein, hinein mit blinden Händen, du hast noch nie das Ziel gewußt; zehntausend Sterne, aller Enden, zehntausend Sonnen stehn und spenden uns ihre Strahlen in die Brust! Uns in die Brust ... Was willst du, Schweigen, du graue Erde, immer noch? Und ich sehe die Krone, die eine, steigen -- ihr Ringe, drei Ringe, wie war es doch? -- die Krone steigen, die Krone sinken, wie eine Sonne sinken, winken: mir nach! nichts ist vergebens! fest steht mein flammendes Gebot: aus Abendrot wächst Morgenrot! dem +bist+ du treu bis in den Tod, du +trägst+ die Krone des Lebens: die Schöpferkrone des Lebens! Entrückung O nein, mir wird es nicht zur Qual, so sehr es Dich und Andre quält, wenn du ins Grenzenlose blickst; ich bin wie du ein schlanker Stahl, und der sich immer strahlender stählt, je mehr du ihn durch Kämpfe schickst. Aus deines Auges innerm Ring flimmert ein sternglutweißes Licht durch Schwarz und Grau, du arge Frau; dies Licht, das mich seit je umfing, sieh, das entrückt mir dein Gesicht in mein geliebtes ewiges Blau. Himmelfahrt Schwebst du nieder aus den Weiten, Nacht mit deinem Silberkranz? Hebt in deine Ewigkeiten mich des Dunkels milder Glanz? Als ob Augen liebend winken: alle Liebe sei enthüllt! als ob Arme sehnend sinken: alle Sehnsucht sei erfüllt -- strahlt ein Stern mir aus den Weiten, alle Ängste fallen ab, seligste Versunkenheiten, strahlt und strahlt und will herab. Und es treiben mich Gewalten ihm entgegen, und er sinkt -- und ein Quellen, ein Entfalten seines Scheines nimmt und bringt und erlöst mich in die Zeiten, da noch keine Menschen sahn, wie durch Nächte Sterne gleiten, wie den Seelen Rätsel nahn. Der Stieglitz Die Sonne sticht; ein Distelfeld blitzt durch die stille Mittagswelt. Im starrgezackten Blättermeer glühn purpurlockig kreuz und quer die Blütenköpfe. Und durch den eisengrauen Busch: ein bunter Vogel, hupp, hup husch, hüpft durch das wilde Staudenheer, als ob es ohne Stacheln wär: ein junger Stieglitz. Wie wirr! wie wunderlich geschweift! Ein leichtes Lüftchen kommt und greift von Blütenspeer zu Blütenspeer und wirft die Schatten hin und her; weg ist der Stieglitz. Nun will ich stille weitergehn und mir die sonnige Welt besehn, und durch das Leben kreuz und quer, als ob es ohne Stacheln wär; das liebe Leben. Sinnige Fahrt An kleinen ruhigen Dörfern vorbei, durch eilende Felder und Leutegeschrei. Die Axen dröhnen; ich denke still an Eine, die mir treu sein will. Sie denkt wohl auch: was wohl die Welt so im stillen zusammenhält? Und plötzlich seh ich zwei Schafe stehn, die dem rollenden Zug nachsehn. So im Wandern Ein silbern klein Herze, von Gold einen Ring, die gab sie mir, als ich wandern ging, und tat in das Herze ihr Bild hinein; so einsam der Morgen, bin nicht allein. Arme Padde im Gleise, zerquetscht liegst du! Ich wandre meine Straße und wandre immer zu. Schon teilt sich der Nebel, nun schimmert die Welt; im Sonnenschein glitzert das Ährenfeld. Die Hummeln summen, die Lerchen klingen; die Birken wehen, die Zweige schwingen. Die Pappeln, die schütteln die Blätter im Wind; sie flüstern mir Grüße, die voll Erinnrung sind. Das Herzelein nehm ich vom seidenen Band und leg’s in das Ringlein in meiner Hand, so schreit ich und schau als ein Zeichen mir’s an: so will ich in Treuen ohne Ende Dich umfahn! -- Was rennst, Meister Lampe? heut jag’ich nicht. Ich wandre, ich schreite; die Sonne sticht. In Dorfes Mitten, wo sich der Friedhof hebt: wie wirds gar kühl sich ruhen, wenn man mich einst begräbt: zwei weiße Rosen biegen ums Grabkreuz die Äst, drauf steht mein Nam geschrieben, bis der Regen ihn löscht. Hinterm Kirchlein die Schenke heißt „Zu den drei Linden“; da wird sich wohl auch noch ein Ruheplätzchen finden. Ei Tausend, mein Schätzchen, so schmuck, und allein? Ei komm doch, rück näher; trink mit, schenk ein! Es sitzen zwei Spatzen im Lindenbaum; sie schnäbeln, sie schwatzen, es ist wie Traum. Auf’m Kirchhof stehn Kreuze, mehr als hundert, schwarz und weiß; aber Du hast zwei Lippen, die sind rot und heiß! Na Mädel, was weinst denn? Ja, die Welt ist hohl. Die Welt ist ein Weinfaß: trink aus -- leb wohl! -- Was wackelt der Pfahl da? der ist wohl betrunken! Ich wandre, ich schreite, in Sinnen versunken. Sie saß ja so alleine; und die Liebste wohnt weit! Ich will ihr Alles schreiben, bis sie mir verzeiht. Und am End meiner Reise steht mein elterlich Haus, da schaut mein lieb Mutterherz am Fenster nach mir aus; und drinnen sitzt mein Vater, wie’n König auf sei’m Thron, und wills nicht verraten, daß er wart’t auf sein’n Sohn. Nun will ich nicht sinnen, ob man glücklich kann werden; der Himmel ist hoch, und wir leben auf Erden! Sela! -- Schutzengel Nicht vom Kirchhof will ich Epheu pflücken, glänzt das ganze Dörfchen doch von Epheu; davon will ich pflücken für mein Kämmerchen! spricht der junge, junge Jägersmann. Guten Tag, du schönes, schönes Mädchen, gieb mir doch dein liebes, liebes Händchen! Weißt, ich suche Epheu für mein Kämmerchen; darf ich wohl von deinem Epheu pflücken? Komm herein, du schöner, schöner Jäger; will dir vielen, vielen Epheu geben. Hinten um mein Fenster, um mein Kämmerchen, schlingt sich dicht der dunkle, dunkle Epheu. Kommt das kleine Brüderchen gelaufen: Schwesterchen, was will der große Jäger?! Und ich küßt es auf die scheue Stirne und ging still nach Hause in mein Kämmerchen -- ich, der junge, junge Jägersmann. Begegnung Ich sah dich schon. Im Sonnenschein beim Roggenfeld am Wiesenrain stand wilder Mohn; die Kelche blühten blutrot breit, den Schooß voll blauer Dunkelheit, und jäh aus einer Knospe quoll ihr glühendes Seelchen, unruhvoll. So sah ich Dich, du knospiges Kind, erglühn, gestern im Feld am stillen Fichtenhain, als im Vorübergehn mein Blick dich küßte; mit allen Adern schienst du aufzublühn, so scheu und rein, als ob ich um Verzeihung bitten müßte. +War’s+ ein Erglühn? War’s nur ein Widerschein? das Rot des roten Sommerkleids um dich? das Abendrot, das fern verglomm im Tann? War’s ein Erglühn, das erste war es dann, das deine jungen Schläfen so beschlich; so bang, so schwer sahst du mich an, so fast voll Angst zurück nach mir, als du verschwandest sacht im dichten Gewühl der silbergrünen Fichten. Doch meine Seele folgte dir, dein blautief Auge blieb in mir. Ich sah dich schon, du flüchtendes Kind: heiß durch den Roggen strich der Wind und bebend neigte sich der Mohn. Ich hab eine rote Blüte verwehn, zwischen den Halmen zerflattern sehn, und habe den Blättern nachgeträumt; und immer ist mir noch, ich schaue in ihren Kelch, der glutumsäumt sich jäh vertieft ins Dunkle, Blaue ... Unterm jungen Birnbaum Unterm jungen Birnbaum standest du. An die ersten kleinen grünen Früchte rührtest du entzückt mit zartem Finger; letzte Blüten wehten um dich nieder. Unterm jungen Birnbaum stand auch ich. Meine harten Hände rührten nicht an die kleinen grünen ersten Früchte; letzte Blüten wehten um mich nieder. Emporsturz Einmal, Erde, wollt ich dich küssen: ein Weib in Armen, jach Schooß an Schooß, zu Boden stürzend in rasendem Tanz. Da winkte ein Mädchen mir zum Reigen, einen weißen Mantel um die Hüften, in den tiefblauen Augen einsamen Glanz. Glanz aus fern aufsteigenden Räumen, Glanz aus längst versunkener Zeit, Glanz des Mondes im stillen Meere, Glanz der Sterne über der Wüste: Lauterkeit. Und da lag ich im Staub und hüllte meine grauen Haare in ihr Gewand, wie einst Josef hin vor Miriam kniete, als er den heiligen Geist empfand. Verkündigung Du tatest mir die Tür auf, ernstes Kind. Ich sah mich um in deinem kleinen Himmel, lächelnde Jungfrau. Du sollst einst einen großen Himmel hüten, Mutter mit dem Kind. Ich tu die Tür mit ernstem Lächeln zu. Einst Ich ruhe; helle Wolken fliehn; mein Herz rauscht wie das weite Feld. Flügel leuchten -- und über die Wolken steigt ein Lied: Einst brauchst du keinen Menschen mehr, du Herz der Welt! -- Stimme des Abends Die Flur will ruhn. In Halmen, Zweigen ein leises Neigen. Dir ist, als hörst du die Nebel steigen. Du horchst -- und nun: dir wird, als störst du mit deinen Schuhn ihr Schweigen. Feierabend Geh nur, lieber Tag, freue dich der Nacht. Nichts bleibt unvollbracht; deines Lichtes Macht keimt im dunkeln Grund. Einst wird alles kund, hell von Mund zu Mund, was uns heut im Traum erst dämmern mag. Manche Nacht Wenn die Felder sich verdunkeln, fühl ich, wird mein Auge heller; schon versucht ein Stern zu funkeln, und die Grillen wispern schneller. Jeder Laut wird bilderreicher, das Gewohnte sonderbarer, hinterm Wald der Himmel bleicher, jeder Wipfel hebt sich klarer. Und du merkst es nicht im Schreiten, wie das Licht verhundertfältigt sich entringt den Dunkelheiten. Plötzlich stehst du überwältigt. Aus banger Brust Die Rosen leuchten immer noch, die dunkeln Blätter zittern sacht; ich bin im Grase aufgewacht, o kämst du doch, es ist so tiefe Mitternacht. Den Mond verdeckt das Gartentor, sein Licht fließt über in den See, die Weiden schwellen still empor, mein Nacken wühlt im feuchten Klee; so liebt ich dich noch nie zuvor! So hab ich es noch nie gewußt, so oft ich deinen Hals umschloß und blind dein Innerstes genoß, warum du so aus banger Brust aufstöhntest, wenn ich überfloß. O jetzt, o hättest du gesehn, wie dort das Glühwurmpärchen kroch! Ich will nie wieder von dir gehn! O kämst du doch! Die Rosen leuchten immer noch. Helle Nacht Weich küßt die Zweige der weiße Mond. Ein Flüstern wohnt im Laub, als neige, als schweige sich der Hain zur Ruh: Geliebte du -- Der Weiher ruht, und die Weide schimmert. Ihr Schatten flimmert in seiner Flut, und der Wind weint in den Bäumen: wir träumen -- träumen -- Die Weiten leuchten Beruhigung. Die Niederung hebt bleich den feuchten Schleier hin zum Himmelssaum: o hin -- o Traum -- -- Aufstieg Als Engel durch die Finsternis, so wollten wir zu höhern Sonnen; doch hab ich dich erst ganz gewonnen, als Gott uns aus dem Traume riß. Blau fuhr sein Blitzstrahl durch die Weiten und zwang uns zur Hinunterschau; da lag die Erde grell und grau mit allen ihren Wirklichkeiten. Wie lachte Satan auf zu mir, als du mich zu verlieren meintest. Wie schrie er selig, als du weintest: Sie träumt nicht mehr, sie lebt mit dir! Drückende Luft Der Himmel dunkelte noch immer; ich fühlte tief bis in mein Zimmer der fahlen Wolken vollen Schooß. Die Esche drüben drehte schwer die hohe Krone um sich her; zwei Blätter trieben wirbelnd los. Laut tickte durch die schwüle Stube, wie durch die stille Totengrube der Holzwurm ticken mag, die Uhr. Und durch die Türe hinter mir klang dünn und schüchtern ein Klavier über den Flur. Der Himmel lastete wie Schiefer; ihr Spiel klang immer trauertiefer, ich sah sie wohl. Dumpf rang der Wind im Eschenlaub, die Luft war grau von Glut und Staub und seufzte hohl. Und blasser tönten durch die Wände die tastenden verweinten Hände, sie saß und sang; sang sich das Lied, in sich gebückt, mit dem sie mich als Braut entzückt; ich fühlte, wie ihr Atem rang. Die Wolken wurden immer dumpfer, die wunden Töne immer stumpfer, wie Messer stumpf, wie Messer spitz; und aus dem alten Liebeslied klagten zwei Kinderstimmen mit -- da fiel der erste Blitz. Aufblick Über unsre Liebe hängt eine tiefe Trauerweide. Nacht und Schatten um uns beide. Unsre Stirnen sind gesenkt. Wortlos sitzen wir im Dunkeln. Einstmals rauschte hier ein Strom, einstmals sahn wir Sterne funkeln. Ist denn Alles tot und trübe? Horch --: ein ferner Mund --: vom Dom --: Glockenchöre ... Nacht ... Und Liebe ... Stiller Gang Der Abend graut; Herbstfeuer brennen. Über den Stoppeln geht der Rauch entzwei. Kaum ist mein Weg noch zu erkennen. Bald kommt die Nacht; ich muß mich trennen. Ein Käfer surrt an meinem Ohr vorbei. Vorbei. Ein Grab Das sind die Abende, die bleich verfrühten. Die Georginen, die im Sonnenscheine wie rot und gelbe letzte Rosen glühten, stehn fahl, Rosetten aus verfärbtem Steine. Der Nebel klebt an unsern Hüten. Komm, Schwester. Dort der Zaun von Erz umgittert Eine, die zu früh verblich. Komm heim; mich friert. Sie liebte mich. Sie hatte nichts vom Leben als ihr Herz; still tat sie wohl, still litt sie Schmerz. Klage In diesen welken Tagen, wo Alles bald zu Ende ist, sturmzerfetzte Sonnenblumen über dunkle Zäune ragen, Wolken jagen und den Boden flammenfarbne Blätterstürze schlagen: da müssen wir nun tragen, was wir uns mußten sagen in diesen welken Tagen. Einst im Herbst Durch den Wald, den ernsten alten Wald, sprangen drei Mädchenrangen; hatten Flammen von Abendglanz im Haar, schwangen Zweige mit rotem Herbstlaub, ließen sie prangen, ja prangen. Kam ein Herr, ein ernster alter Herr, durch den Glanz gegangen; bot ihm eine lachend ein Zweiglein dar, schönes rotes Herbstlaubzweiglein, lachend mit blutjungen Wangen. Stand er lächelnd, lächelnd im ernsten Wald, während sie weitersprangen; schwang sein rostrot Zweiglein im Abendglanz, sah die ihren drei flammengolden fern noch prangen, ja prangen. Der gesunde Mann Meine Frau ist krank, sie wird wohl bald sterben; dann kann ich lachen, dann werd’ich was erben. O, wie lieb mir das Leben im Leibe schlägt, wenn ihr Husten mir das Herz zersägt; hilf Gott. Da sitzt sie am Ofen und lächelt ins Feuer; die Flammen röcheln so ungeheuer. Es kocht die Glut, ein Scheit zerspringt, und eine ferne Glocke klingt: hilf Gott. Befreit Du wirst nicht weinen. Leise, leise wirst du lächeln; und wie zur Reise geb ich dir Blick und Kuß zurück. Unsre lieben vier Wände! Du hast sie bereitet, ich habe sie dir zur Welt geweitet -- o Glück! Dann wirst du heiß meine Hände fassen und wirst mir deine Seele lassen, läßt unsern Kindern mich zurück. Du schenktest mir dein ganzes Leben, ich will es ihnen wiedergeben -- o Glück! Es wird sehr bald sein, wir wissen’s Beide. Wir haben einander befreit vom Leide; so geb’ich dich der Welt zurück. Dann wirst du mir nur noch im Traum erscheinen und mich segnen und mit mir weinen -- o Glück! Trost Du sahst eine Sternschnuppe fallen; was hebst du scheu die Hand? Sieh, kein Stern verschwand: alle leuchten noch allen. Wunder Niemals war es mir ein Wunder, daß die Bäume, wenn die Blätter fallen, all schon wieder voller Knospen stehn. Immer wird nun, wenn die Blätter fallen, deine Frage mich bewegen: Kann man traurig auf dies Wunder sehn? Kalte Frage Wo bist du nun? Die Täler sind verschneit; es starrt der Fluß, der gestern noch sich regte. Ich staune in die bleiche Dunkelheit wie dort das Licht, das ferne, unbewegte. Winterwärme Mit brennenden Lippen, unter eisblauem Himmel, durch den glitzernden Morgen hin, in meinem Garten, hauch ich, kalte Sonne, dir ein Lied. Alle Bäume scheinen zu blühen; von den reifrauhen Zweigen streift dein Frühwind schimmernde Flöckchen nieder, gleichsam Frühlingsblendwerk; habe Dank! An meiner Dachkante hängt Eiszapfen neben Zapfen, starr; die fangen zu schmelzen an. Tropfen auf Tropfen blitzt, jeder dem andern unvergleichlich, mir ins Herz. Kein Bleiben Immer dichter flüchtet der Schnee. Ich steh und seh die Flocken treiben, um Straßenlichter, stumme Gesichter, immer dichter. Nur nicht bleiben: weiter, weiter, einsamer Schreiter! Heimweh in die Welt O wie lange litt ich’s nun, wie stumm! soll ich denn mein Herz, mein Herz noch töten? War doch dein, nur dein, in Glut und Nöten; weißt warum? Weil mein Herz so wild, weil es Meere braucht, wenn der Sturm ins Blut mir taucht, weil es deine Tiefen so gefühlt! Doch wenn nun der Frühling wieder sprießt -- o, ich fühls, ich fühls, so stumm ich blieb -- und im warmen Sturm der junge Trieb schwillt und schießt: wird mein Herz so wild, weil es Meere braucht, wenn der Sturm ins Blut mir taucht, weil es so in alle Weiten fühlt! Hast es doch gewußt. Damals im Mai: als uns auf der Bergwand der Blitz umlohte, als ich jauchzte und dem Donner drohte, adlerfrei: gabst mir deine Hand, mein in Glut und Schmerz, sankest mir ans wilde Herz, unten glänzte fern das deutsche Land. Und wenn nun der Frühling blühen will und die herrlichen Blitze wieder glühn und im Sturm die Meere wieder sprühn: dann -- oh still -- gieb mir deine Hand, Einmal noch ein Schmerz, Einmal noch ein deutsches Herz, dann leb wohl, mein Weib, mein Vaterland! Über frei Feld Über frei Feld, mein Hund und ich; die Frühlingsluft ist dunkel. Fern staut sich ein Gewitterstrich; mein Teckel knurrt, er fürchtet sich. Komm, Teckel. Er will nicht sehn die Himmelswand, die Sonne sticht durch Wolken; blendende Streifen ziehn durchs Land, ein Scherben blitzt wie Diamant. Komm, Teckel. Am Saum der Saat, von Stiel zu Stiel, schleicht ungewiß sein Schatten; ein Regen sprüht wie Mückenspiel, die Tropfen flimmern ohne Ziel. Komm, Teckel. Da: jäh am Horizont hin zuckt der erste Blitz im Jahre. Ein kurz entschlossner Donner ruckt; mein Teckel hat sich scheu geduckt. Hundsseele! Zweiter Teil Der Frühlingskasper Weil nun wieder Frühling ist, Leute, streu ich butterblumengelber Kasper lachend lauter lilablaue Asternblüten hei ins helle Feld! Lilablaue Astern, liebe Leute, Astern blühn im deutschen Vaterland bekanntlich blos im Herbst. Aber Ich, ich butterblumengelber Kasper, streue, weil nun wieder heller Frühling ist, tanzend tausend dunkelblaue Asternblüten hei in alle Welt! Entladung Ich kam mit meinem Alpenstocke und offner Brust vom Berg geschlendert; begegnet mir im Ordensrocke ein Zug von Nonnen, grau bebändert, zehn schwarze Paare. Den Blick zu Boden, steif und stumm, so kamen sie dahergestiegen; ich seh die Täler ringsherum in leichenhaftem Glanze liegen, Gewitter drohte. Fern unten, wo noch Sonne gährte, zog durch den wolkendunkeln See ein Dampfschiff seine blanke Fährte, und Tücher winken hell Ade; ich schau nach Oben. Wie sieht die Bergwand düster aus! Ein greller Kirchturm steht davor und fordert frech den Blitz heraus; die Tannen sträuben sich empor wie Warnungszeichen. Und herrisch kommt der Wind gesaust, die Straße her, mit Staub und Frische, und nimmt die Birken in die Faust und schüttelt sie wie Flederwische; es donnert schon. Die strengen Ordensröcke stieben; nur rasch vorbei, ihr armen Schwestern! ihr dürft nur tote Heilige lieben. Rasch! Eure stumpfen Blicke lästern Natur und Leben. Ah: wie die Gletscherkanten glühn! Vom Dampfer hör ich Juchzer klingen; der Regen klatscht ins wilde Grün, und mit dem Wirbelwinde ringen vierzig Nonnenwaden. Da hob ich meine Alpenstange und schlug ein Kreuz auf ihren Trott, und lachte laut und lachte lange, und herzlich herzlos, wie ein Gott -- sie +hörten’s+. Anbetung Letzter Schritt, und hoch mit mir strebt der Turm ins Licht; und vom Steigen auf zu Dir bebt mein heiß Gesicht. Hier, wo keine Menschen sind, sieh mich niederknien! Ums Gesimse saust dein Wind, und ich fühle ihn, wie er an das Steingerüst seine Hände legt und es schüttelt und es küßt und mein Haar durchfegt. Durch die Glocken unter mir rauscht sein Atemstrom. Sonne, Sonne, Schöpferin, Dir bebt der ganze Dom, den o Dein Dom überblaut, und den schaffensbang einst ein Mensch wie Ich gebaut, Mensch im Überschwang! Ausblick Jetzt einen Schritt, dann stürzt vom Rande mein Leben in die Schlucht hinab. Wie hängt die Sonne tief im Lande! Ich recke mich auf meinem Stande, und alle Sehnsucht fällt mir ab. Denn dort aus Wald-und-Wolkenkränzen ragt mir erreichbar Firn an Firn. Die Wirklichkeit ist ohne Grenzen! Wie nah die fernen Dörfer glänzen, der Strom dazwischen wie ein Zwirn! Ich lehne mich zurück mit Grauen: was ist hier groß, was ist hier klein. Da blüht ein Enzian: nun schauen zwei Menschenaugen in den blauen, einsamen, winzigen Kelch hinein. In gelben Pollen reift der Samen, Unendlichkeiten ahnen mir; und selig ruf ich einen Namen -- du Mutter meiner Kinder, Amen, mein Leben blüht, ich danke dir! Ideale Landschaft Du hattest einen Glanz auf deiner Stirn, und eine hohe Abendklarheit war, und sahst nur immer weg von mir, ins Licht, ins Licht -- und fern verscholl das Echo meines Aufschreis. Auf See Doch hatte niemals tiefere Macht dein Blick, als da du, Abschied fühlend, still am Ufer standest, schwandest. Nur der Blick noch blieb und bebte über den Wassern. Dunkel folgte der Schein den leuchtenden Furchen. Und ich sah den Schaum der tiefen Flut, sah dein weißes Kleid zerfließen: du Seele -- Seele -- -- Gesang vor Nacht Im großen Glanz der Abendsonne schauert die See; sacht steigt die Flut. Im großen Glanz der Abendsonne ergreift auch mich die weite Glut. Im großen Glanz der Abendsonne braust immer feuriger mein Blut: Noch steigt die Flut -- im großen Glanz der Abendsonne. Klarer Tag Der Himmel leuchtet aus dem Meer; ich geh und leuchte still wie er. Und viele Menschen gehn wie ich, sie leuchten alle still für sich. Zuweilen scheint nur Licht zu gehn und durch die Stille hinzuwehn. Ein Lüftchen haucht den Strand entlang: o wundervoller Müßiggang. Dunkle Gewalt Wieder! Da kommt sie durchs Gewimmel. An ihrem Busen, in der Rechten, wie Nachtgewölke ruhn am Himmel, die aufgerafften dunklen Flechten -- bestricken meinen Blick wie Schlangen, mir träumt von Paradiesesnächten -- Was ziehst du plötzlich so voll Bangen den Mantel, Weib, vor deine Flechten? Ballade von der wilden Welt Schöne stille Seele hatte einen Garten, rings um den Dornheckenwerk und Urwalddickicht starrten, einen Blumengarten. Schöne stille Seele saß in ihrem Zelt, bebte vor den Häßlichkeiten oh der wilden Welt, in ihrem seidnen Zelt. Schöne stille Seele sah gern Kolibris durch die Blütenbüsche huschen überm warmen Kies, die goldnen Kolibris. Und die bunten Schmetterlinge, und die blanken Schlangen; schöne stille Seele sah sie gern im Dickicht prangen, die sonneblanken Schlangen. Sah auch gern die blauen Blitze über den Wäldern jagen und die fernen schneebedeckten Kraterberge ragen; +schöne+ stille Seele! Schöne stille Seele erschrak auf einmal sehr: durch das Dornwerk drang ein hoher wilder Fremdling her. Seele bebte sehr. Fremder Weltumsegler, ich saß so schön allein; du wirst mich Schlange schelten, dann werden wir häßlich sein. Und stehst so schön allein. Schöne stille Seele konnt alldas nicht sagen, sah den Fremdling vor sich höher als die Berge ragen; konnt kaum Willkomm sagen. Konnt ihn nur empfangen endlich, Ihn -- o wilde Welt -- Blitze, Blüten, Kolibris jagten um ihr Zelt -- +schöne+ wilde Welt! -- Herr und Herrin Ein Mann: Da du so schön bist, darf ich dich beschwören, errege nicht mein leicht erregtes Blut. Da du so schön bist, kann ich dir nicht wehren, daß deine Hand zu sehr in meiner ruht. Da du so schön bist, muß ich dich begehren, denn alle Schönheit ist mir freies Gut. Da du so schön bist, will ich dich zerstören, damit es nicht ein Andrer tut ... Das Weib: Da du so stark bist, darfst du mich begehren, doch meine Schönheit bleibt mein freies Gut. Da du so stark bist, kannst du mich zerstören, wenn dir die Tat nicht selbst zu wehe tut. Da du so stark bist, mußt du mir beschwören, daß du beschützen wirst mein schutzlos Blut. Da du so stark bist, will ich dir nicht wehren, daß deine Hand in meiner ruht ... Ballade vom Kuckuck Du hast zwei schöne Kinder, Frau, sie spielen um unsre Füße im Gras; was schweift dein Blick in die Wolken? „Ich warte auf meinen Kuckuck, Mann; er ruft mir immer von fern was zu, immer zu, wenn die Kinder spielen.“ Was hat er dir zuzurufen, Frau? Was schweift dein Blick so fremd und bang, daß mir graut für unsre Kinder? „Unsre Kinder bleiben nicht unser, Mann; sie spielen mit Blume und Schmetterling, einst horchen sie auch auf den Kuckuck.“ So will ich den Kuckuck totschießen, Frau! Ich schoß schon manchen Habicht tot, der unser Hühnervolk schreckte. „Kam immer wieder ein Habicht, Mann; kommt immer wieder ein Kuckuck von fern. Horch -- nun schreckt dich selber sein Lockruf.“ Vorspiel Sie ist nur durch mein Zimmer gegangen und hat mir scheu von Träumen erzählt; und ich habe sie mit Trost gequält und saß und starb fast vor Verlangen. Sie hat geträumt von meinen Händen: sie aß von ihres Mannes Brot, da kam ich an und drückte sie tot, sie hielt ganz still ... Wie wird das enden ... Wellentanzlied Ich warf eine Rose ins Meer, eine blühende Rose ins grüne Meer. Und weil die Sonne schien, Sonne schien, sprang das Licht hinterher, mit hundert zitternden Zehen hinterher. Als die erste Welle kam, wollte die Rose, meine Rose, ertrinken. Als die zweite sie sanft auf ihre Schultern nahm, mußte das Licht, das Licht ihr zu Füßen sinken. Da faßte die dritte sie am Saum, und das Licht sprang hoch, zitternd hoch, wie zur Wehr; aber hundert tanzende Blütenblätter wiegten sich rot, rot, rot um mich her, und es tanzte mein Boot, und mein Schatten auf dem Schaum, und das grüne Meer, das Meer -- -- Bewegte See Noch Einmal so! Im Nebel durch den Sturm: das Segel knatterte, die Schiffer schrieen, am Bugspriet stand das Wasser wie ein Turm, ich fühlte deine Angst in meinen Knieen und sah dein stolz und fremd Gesicht. Noch Einmal wollte mir dein Auge drohn, wie eine Flamme stand dein Haar im Winde, doch in den Wellen rang ein Ton wie das Gewein von einem Kinde -- da wehrtest du mir nicht: Um meine Lippen lag dein naß wild Haar, um deine Schulter lag mein Arm gezogen, und unsern Kuß versüßte wunderbar der Schaum der salzigen Sturzwogen -- da schrie ich laut vor Freude auf. Noch Einmal so! Was tust du jetzt so kalt, hast du denn Furcht vorm offnen Meere? Es peitscht dich warm! Komm bald, komm bald! im Hafennebel tanzt die Fähre -- hinaus! hinauf! Der Sturm Der Sturm ging noch die ganze Nacht, ganz daß die Nacht dem Abend glich. Ich bin fortwährend aufgewacht: wie war der Abend schauerlich! Uns schnitt der Ton bis unters Herz; dann haben wir noch mehr gelacht -- Du, dein Mann, und ich. Verklärung Schwer sind dir die grauen Tage? Seele, komm: ich nehm dich ganz, wie du willst, du liebe Plage! Horch, der Regen rauscht wie Tanz, und die Windsbraut singt und geigt: Nichts ist schwer, sind +wir+ nur leicht! Schwingen wir nur erst im Reigen, hingerissen Spur in Spur, braucht kein Engel mehr zu geigen, Erde wird zur Himmelsflur. Tanze, leichte Seele, tanz: jeder Tag hat seinen Glanz! Das Schloß Ich bin arm, du bist reich, darum bau ich dir ein Schloß aus meinen purpurnsten Träumen. Das steht am grauen Nordseedeich, wo die funkelndsten Wellen schäumen. Denn unsre Liebe ist so groß, daß die ganze Welt mir ein Spiel ist; und alle Meere um unser Schloß staunen, was mein Ziel ist. Mein Ziel ist eine tiefe Nacht: wir schwimmen auf unserm Schlosse, und die Wellen springen an unsre Yacht wie trunken schreiende Rosse. Und ich lass ein wildrotes Nordlicht scheinen, du liegst vor mir in Flammen, und unser glühendes Schloß stürzt ein, und wir stürzen mit ihm zusammen und ertrinken -- -- Der Schwimmer Gerettet! Und er streichelt den Strand, um den er rang mit dem wilden Meer; noch peitscht der weiße Gischt seine Hand. Und er blickt zurück aufs wilde Meer. Und blickt um sich ins graue Land; das liegt im Sturm, wie’s vorher lag, fest und schwer. Da wirds nun sein wie jeden Tag. Und er blickt zurück aufs wilde Meer ... Beschwichtigung Die Nacht wird kühl; mein Schatten kriecht im Sand am Rand des Ozeans. Der Mond vergießt sein fremdes Licht und nimmt den Sternen ihren Glanz. Die See rauscht. Was quäl ich mich! Hier trieb vielleicht schon manches Paar sein loses Spiel, und sind erglüht und sind erbleicht, und sprachen dann vom Tode viel. Die See rauscht. Wenn alles Land gefroren ist, wenn übers eingeschneite Feld die Sonne ihren Glanz ergießt, dann wird dir fremd sein, was dich quält. Die See rauscht. Lied an den Mond Willkommen, weißer Mond im Blauen, allein! Laß mich in Deine Heimat schauen, sei mein! Ich sitz im Dunkeln voll Geduld, du scheinst! O leuchte jedem heim voll Huld, dereinst! Gruß Schlaflos lieg’ich, wie im Fieber starr’ich in ein Schattenmeer: endlich glänzt vielleicht ihr lieber Augenstern darüber her. Endlich -- und zwei Seelen brächten solchen Gruß sich durch die Welt, wie aus hohen Sommernächten Stern zu Stern vom Himmel fällt. Aufglanz Der Mond ist neu geworden, nun kommen die dunkeln Nächte; da klopft das Herz mit stärkerem Schlag und wünscht ein andres Herz herbei, an dem es erglühen möchte. Glühn bis ins ruhelose dunkelste Blut hinein: o Nacht, gib Licht, o Tag, erschein, die Welt ist neu geworden! Morgenstunde Ob du wohl auch so schlaflos liegst und dich in wachen Träumen wiegst vor Glück, wie sehr die Sehnsucht brennt? Ich schau ins dunkle Firmament: der Morgenstern, in großem Bogen, ist langsam längst heraufgezogen und läßt mich lächelnd fühlen, was uns trennt. Vor meinen schwachen Augen -- nun weiß ich doch, zu was sie taugen -- strahlt er, je höher her, je flimmernder Weihnächtig glänzt die graue Stille. O zögre, Alltag! Ohne Brille sieht man die Welt unendlich schimmernder. Schon aber glitzert sein Gezitter blasser; nun steh ich auf und geb der Lilie Wasser, die du mir gestern heimlich brachtest. Und wenn du mich dafür auslachtest: sanft nehm ich sie von ihrer Stätte und leg sie auf mein warmes Bette und fühle lächelnd, wie du nach mir schmachtest. Ruf Immer stiller stehn die Bäume, nicht ein Blatt mehr scheint zu leben, und ich fühle Wüstenträume durch den bangen Mittag beben, bis ins bange Blut mir zittern, bis ins Herz, wie Feuerpfeile. O, ich lechze nach Gewittern! Komm, Geliebte! eile! eile! Berückung Und du kamest in mein Haus, kamst mit deinen schwarzen Blicken; sah ich ferne Palmen nicken, und du gabst mir deinen Strauß. Gabst die zitternden Narzissen, die wir in der Wildnis pflückten; deine schwarzen Locken schmückten meines Diwans rote Kissen. Kehre wieder in mein Haus, laß die wilden Blumen blühen! Unsre jungen Lippen glühen; gieb mir, gieb mir deinen Strauß! Wirrsal Weine nicht, mein treues Weib! Jene Andre, die mich auch liebt, die beglückt wohl meinen Leib, aber Du hast meine ganze Seele. Und du bist ihr nicht verhaßt. Mußt du sie nicht mit mir lieben, die so innig zu mir paßt wie mein ganzer Leib zu meiner Seele? Sie beglückt doch diesen Leib, den sie liebt und der sie auch liebt, wie er Dich beglückt, mein Weib! Und dann hat sie meine ganze Seele ... Nach einem Regen Sieh, der Himmel wird blau; die Schwalben jagen sich wie Fische über den nassen Birken. Und du willst weinen? In deiner Seele werden bald die blanken Bäume und blauen Vogel ein goldnes Bild sein. Und du weinst? Mit meinen Augen seh ich in deinen zwei kleine Sonnen. Und du lächelst. Der gute Hirte Laßt uns endlich heiter wandeln durch die grillenvolle Welt! Wenn wir unbekümmert handeln, ist das Schwerste leicht bestellt. Glück macht jede Seele fromm; eil dich, Rahel! Lea, komm! Saht ihr je die Lämmer streiten, wen der Hirte lieber hab? Also laßt die Zwistigkeiten, zärtlich winkt mein Jakobsstab. Seht, schon zieht der Mond herauf: eil dich, Rahel! Lea, lauf! Mach ich euch nicht glücklich Beide, wenn auch meistenteils allein? Schmachtend schimmern Wald und Weide: wer wird heut die Einzige sein? O, wie lieblich riecht der Klee; eil dich, Rahel -- Lea, geh -- -- Stimme im Dunkeln Es klagt im Dunkeln irgendwo. Ich möchte wissen, was es ist. Der Wind klagt wohl die Nacht an. Der Wind klagt aber nicht so nah. Der Wind klagt immer in der Nacht. In meinen Ohren klagt mein Blut, mein Blut wohl. Mein Blut klagt aber nicht so fremd. Mein Blut ist ruhig wie die Nacht. Ich glaub, ein Herz klagt irgendwo. Über den Sümpfen Wo wohnst du nur, du dunkler Laut, du Laut der Gruft? Was rinnt und raunt durch Schilf und Duft und glüht wie Augen durch die Luft, durch Rohr und Kraut? Es lehnt die Nacht am offnen Tor und weint und winkt. Zwei graue Hunde stehn davor und lauschen mit geneigtem Ohr, wie’s klingt, lockt, blinkt. Erwartung Aus dem meergrünen Teiche neben der roten Villa unter der toten Eiche scheint der Mond. Wo ihr dunkles Abbild durch das Wasser greift, steht ein Mann und streift einen Ring von seiner Hand. Drei Opale blinken; durch die bleichen Steine schwimmen rot und grüne Funken und versinken. Und er küßt sie, und seine Augen leuchten wie der meergrüne Grund: ein Fenster tut sich auf. Aus der roten Villa neben der toten Eiche winkt ihm eine bleiche Frauenhand ... Im Reich der Liebe O Du, dein Haar, wie strahlt dein Haar, das ist wie schwarze Diamanten! O, weil wir uns als Herrscherpaar der ewigen Seligkeit erkannten, Du! Schmück mir die Stirn du, nackt und bloß, mit diesem Band aus blauer Seide! Das ging dir los von deinem Schooß, als wir noch strauchelten im Kleide jener Welt. Hier sind wir Gott gleich, sieh mich an: oh Gott, wie Eins sind wir geworden! Hier kannst du ruhig deinen Mann mit mir betrügen, für mich morden, Du -- -- Nun erst Hab Dank! wir waren Mann und Weib, es ist geschehn; nun laß uns wieder aufrecht gehn, allein und klar. Wir wollen uns nicht trüb geberden; wir können nun erst Freunde werden, ganz und wahr. Du weißt ja gut, wie’s enden kann; am Weg ins Tal, du sahst, da lag es, einsam, kahl, das alte Liebesgrab im Wald. Es war nicht Zufall, was dich führte: ich wollte prüfen, wie’s dich rührte: du lachtest kalt. Das tat mir wohl, das klang so frei aus dir heraus in mich herein. Doch unten lag im Abendschein der dunkle See. Im Wasser spielten lange Streifen; die schienen glühend sich zu greifen, der Nix die Fee. Die Sonne sank; die Wasserglut ist nun zur Ruh. Das war nicht Ich, das warst nicht Du, was uns bezwang. Denn ob wir unser mächtig waren, das soll sich nun erst offenbaren. Hab Dank! Mannesbangen Du mußt nicht meinen, ich hätte Furcht vor dir. Nur wenn du mit deinen scheuen Augen Glück begehrst und mir mit solchen zuckenden Händen wie mit Dolchen durch die Haare fährst, und mein Kopf liegt an deinen Lenden: dann, du Wehrlose, beb’ich vor dir ... Der weise König Ich will nicht immer küssen; ich will nur fühlen, du bist mein! Und wenn du noch viel nackter wärst, ich würde lieber zu Stein, als heut dich küssen. Gieb mir die stillste Stille, die du geben kannst. Dann will ich wie der Mondschein dort, der aus den Blättern tanzt, bei dir bleiben. So sprach der weise König. Da fiel ein Blatt in ihren Schooß, der Wind fuhr durch den Mondschein; sie aber nickte blos und küßte es. Er ist bei ihr geblieben, er riß ihr das Blatt vom Munde; er ist die ganze Nacht geblieben und hat sie -- Gott weiß wie still -- geküßt, wohl hundertmal die Stunde. Stilles Zeichen Mir war ein Rosenblatt im Haar geblieben. Ich saß und sann noch über die Geberde, mit der ich mich aus deinem Arm befreit, und sah zur Erde; da fiel das rote Blatt in meine Einsamkeit. Die Kette Du hast mir eine Kette geschenkt. Ich soll sie um meinen Nacken legen. Ich werde sie tragen, um meinen stolzen Hals, offen auf meiner Brust vor allen Leuten: Du hast mir ja die Kette geschenkt. Ich möcht auch heimlich mein Herz dran hängen; Himmel, mein Herz, woran hängt es schon? An den Blicken meiner treuen Frau, an den Locken manches treulosen Fräuleins, an den Schmucksachen, die sie zu Weihnachten wünschten, den Schmetterlingen, die wir im Hochsommer haschten, an den Zugvögeln, die jetzt über uns wegziehn, den fremden Blumen, die sich jenseits der Meere auf paradiesischen Bäumen schaukeln, an dem unvergeßlichen Horizont meiner Heimat und den feurigen Sternen nie erblickter Zenithe, an alldem, alldem hängt mein Herz, mein armes Herz. Sprecht, gütige Sterne: wie fass ich soviel Reichtum zusammen? -- Du hast mir eine Kette geschenkt! -- -- Ein Ring Ich trug einen Ring mit drei Opalen. Viel Märchen schuf der bleiche Stein; scheu wie das Glück sind seine Strahlen, Wasser soll ihren bunten Schein wie Gift zernagen. Ich kenn ein Weib, das hat all meine bleiche bunte Sehnsucht lieb; sie gab mir mehr als edle Steine, doch sollt ich alles wie ein Dieb heimlich tragen. Ich hab eine Frau, die schenkt mir klar, wie eine Quelle unverschlossen, ihren Frieden immerdar; sie weinte, ihre Tränen flossen auf die Opale. Ich trug den bleichen Ring zurück; aber das Märchen hat gelogen. Noch glänzt der Stein und glänzt mein Glück, glänzt wie der bunte Regenbogen im Wasserstrahle. Der Fluß In den abendgelben Fluß grub mein Ruder schwarze Trichter; ohne Wort und ohne Kuß sahn wir auf die Wellenlichter, sahn wir eine dunkle Bucht still das kahle Ufer spiegeln, sahn der Berge starre Wucht seine wirbelvolle Flucht vor uns, hinter uns verriegeln. Als wir dann um Mitternacht in der Stadt mit Flüsterlauten auf der hohen Brückenwacht standen und hinunterschauten, schienen uns die schwarzen Mauern in dem grauen Wasserschacht ihren Einsturz zu belauern. Still, die Sonne kommt herauf. Klar verfolgen meine Träume bis zum Meer hin seinen Lauf; fern durch morgenrote Bäume steigt der blaue Nebel auf. Nächtliches Zwiegespräch „Was sind das für Männer, die dort ins Dunkel zeigen?“ Ich sehe sie nicht. „Dort bei dem Feuer am Fluß die glänzenden Hände!“ Seltsam. „Der Brückenbogen steht voll Menschen!“ Totenstill. „Und dort, sieh dort: das leere Boot!“ Was bebst du -- „Oh, mein Geliebter, verlaß mich nicht!“ Rückblick In diesem Jahr verlor ich einen Freund. Hier unterm Nußbaum sprachen wir uns aus. Das Laub wird gelb; es wartet auf den Wind. Ist das der Schluß? Hier unterm Nußbaum gab mir eine Frau in diesem Jahr errötend ihre Hand. Still weht ein Blatt und treibt ins welke Gras. Ist das der Schluß? In diesem Jahr ... Vor meine Füße fällt ein dumpfer Schlag zu Boden und zerplatzt, und aus der Kapsel rollt die rauhe Frucht. Das ist der Schluß! Mein Wald Der Herbst stürmt seine Tänze. Durch dürre Blätter muß ich gehn; in meinen Wald. In meinem lieben Wald, wo nicht ein Baum mein eigen ist, gehn fremde Leute durch den Wind und sagen: es ist kalt. Und da steht auch mein Stein, auf dem ich manchmal sitze, wenn mein Herz stürmt. Die Harfe Unruhig steht der hohe Kiefernforst; die Wolken wälzen sich von Ost nach Westen. Lautlos und hastig ziehn die Krähn zu Horst; dumpf tönt die Waldung aus den braunen Ästen. Und dumpfer tönt mein Schritt. Hier über diese Hügel ging ich schon, als ich noch nicht den Sturm der Sehnsucht kannte, noch nicht bei euerm urweltlichen Ton die Arme hob und ins Erhabne spannte, ihr Riesenstämme rings. In großen Zwischenräumen, kaum bewegt, erheben sich die graugewordnen Schäfte; durch ihre grüngebliebnen Kronen fegt die Wucht der lauten und verhaltnen Kräfte wie damals. Und Eine steht wie eines Erdgotts Hand in fünf gewaltige Finger hochgespalten; die glänzt noch goldbraun bis zum Wurzelstand und langt noch höher als die starren alten einsamen Stämme. Durch die fünf Finger geht ein zäher Kampf, als wollten sie sich aneinanderzwängen; durch ihre Kuppen wühlt und spielt ein Krampf, als rissen sie mit Inbrunst an den Strängen einer verwunschnen Harfe. Und von der Harfe kommt ein Himmelston und pflanzt sich mächtig fort von Ost nach Westen. Den kenn ich tief seit meiner Jugend schon: dumpf tönt die Waldung aus den braunen Ästen: komm, Sturm, erhöre mich! Wie hab ich mich nach einer Hand gesehnt, die mächtig ganz in meine würde passen! wie hab ich mir die Finger wund gedehnt! die ganze Hand, die konnte Niemand fassen! Da ballt ich sie zur Faust. Ich habe mit Inbrünsten jeder Art mich zwischen Gott und Tier herumgeschlagen. Ich steh und prüfe die bestandne Fahrt: nur Eine Inbrunst läßt sich treu ertragen: zur ganzen Welt. Komm, Sturm der Allmacht, schüttel den starren Forst! schüttelst auch mich, du urweltliches Treiben. In scheuen Haufen ziehn die Krähn zu Horst. Gieb mir die Kraft, einsam zu bleiben, Welt! -- Dritter Teil Geheimnis In die dunkle Bergschlucht kehrt der Mond zurück. Eine Stimme singt am Wassersturz: O Geliebtes -- deine höchste Wonne und dein tiefster Schmerz sind mein Glück -- -- Am Scheideweg Ich wollt dir die Stirn küssen und dir sagen: hab Dank! Aber da war ein Licht in deinen Augen wie Morgenglut auf unerklommenen Bergwäldern; und dem haben wir folgen müssen, schweigend. Hoch in der Frühe Sieh, wie wir zu den Sternen aufsteigen! Unsern glückstrahlenden Augen leuchtet der Schnee der Gebirge, bald blitzt dort unten die Sonne durch. O! schon röten sich Tiefen und Höhen; durch den Rauch unsrer Atemzüge, bis über das fernste Fünkchen dort oben fern hinauf, schimmert die Nacht deiner Geburt, glänzt der Tag unsrer Himmelfahrt. Immer wieder Ehe wir uns trennen konnten, o, wie hielt mich dein Gesicht, sahen wir noch Einmal, dicht, dicht an deinem mein Gesicht, in den Winterwald zurück, wo die Bäume sich noch sonnten, wo die Abendwolken prangten, wo ins feuergoldne Licht die verworrnen Zweige langten, und wir baten Gott um Glück. Die Frage Kann ich dein Herz beglücken? liebreiche Seele, nein. Ich kann dich an mein Herz drücken, fühlen mußt du’s allein. Noch im glückhellsten Gesange schwebt ein dunkler Klang; lausch ihm nicht zu lange, sonst wird dir bang. Ob ich dir tausendmal sage: ich liebe dich -- immer doppelt bebt drin die Frage: liebst du mich? -- Im Zwielicht Laß uns noch die Nacht erwarten, daß wir alle Sterne sehn. Falt die Hände; in den harten Steigen durch den stillen Garten kommt das Heimweh auf den Zehn. Kommt und bringt die Anemone, die du einst ans Herzchen drücktest; kommt umklungen von dem Tone einst des Baums, aus dessen Krone du dein erstes Fernweh pflücktest. Und du streifst dir aus den Haaren, was dir an der Seele frißt; selig Kind mit dreißig Jahren, Alles wirst du noch erfahren, Alles, was dir heilsam ist. Glückwunsch Ich wünsche dir Glück. Ich bring dir die Sonne in meinem Blick. Ich fühle dein Herz in meiner Brust; es wünscht dir mehr als eitel Lust. Es fühlt und wünscht: die Sonne scheint, auch wenn dein Blick zu brechen meint. Es wünscht dir Blicke so sehnsuchtlos, als trügest du die Welt im Schooß. Es wünscht dir Blicke so voll Begehren, als sei die Erde neu zu gebären. Es wünscht dir Blicke voll der Kraft, die aus Winter sich Frühling schafft. Und täglich leuchte durch dein Haus aller Liebe Blumenstrauß! Ein Blütenblatt Von deinen Tulpen fiel das erste Blatt. Es liegt am Fuß der stolz geschwungnen Vase und lehnt sich auf am gletscherblauen Glase, und drüber flammt der Strauß mit dreizehn Bränden Und eine von den Blüten züngelt so in sich gekrümmt, als suche farbensatt ihr Leben eine kalte Ruhestatt und rette sich aus halbverbrannten Wänden. Doch eine andre ist so lichterloh geöffnet, daß wie zwischen Feuerwiegen die gelbgekrönte Samenpuppe prangt, die nach der Blüte nicht zurückverlangt, wenn alle Blätter abgefallen liegen. Das Perlgewebe Von Ida Dehmel Ich sitze dunkle Frau in meinem Zimmer, stille, dunkle, große Frau. Weiß ist das Zimmer, weit seine Wände; weiß ist mein Kleid, mein Webstuhl weiß. Und vor mir buntgehäuft ein Schatz Perlschnüre. Was will ich dunkle Frau denn weben? -- Mein Leben. Weiß, weiß und golden sind die Farben meiner Jugend, ein morgenblauer Himmel über mir. Himmelschlüssel blühn auf unsern Wiesen. Viele kleine Blumen will ich weben, zart ein glückliches Lachen dazwischen, Alles leuchtet dem spielenden Kind. Mutter starb. Die Farben werden blasser. Dunkle Trauerzweige sprießen auf, schwanke Linien aus flimmerndem Grund, Thränen glitzern, Sehnsuchtsthränen. Kind, ich große Frau möcht gern dich trösten; sieh, ich setz ein funkelnd Sternlein über dich. Und nun mischen sich die bunten Perlen: stolz und heftig schießt ein Blutrot hoch durch ein trotziges Gelb in schroffen Kanten, hell im Kampf mit strengen grauen Mächten bäumt die aufwärtsflammende Seele sich: rot und golden sind die Farben dieser Jungfrau. Und aus Not und Gold paart sich ein Schrei nach Liebe. Rosen blühn aus meinen Händen auf, jeder Kelch voll Tau und Sonnentraum; schwer in Büscheln rankt sich ein Klematisstrauch um die Rosen lilasanft ins Blaue; die Verheißung glüht aus allen Blüten. Die Erfüllung log. Nun wirren sich die Fäden. Fahl und grell verschlingen sich die Schnüre. Jeder Weg ein Irrweg, und kein Kreis geschlossen. Zuchtlos drängt sich wildes Gestrüpp über meine Wiesen, meinen Blumenteppich; und der Stern der Mutter birgt sich hinter Nebeln. Da -- ein klarer Klang: stark: eines Helden Ton. Schwarz wie der Ursprung, golden wie das Licht, und moosgrün wie der Wald, aus dem die ersten Menschen kamen. Auch blau sein Himmel, aber mittagsblau; auch rot sein Blut, doch nordlichtnächtig rot. Und über Alles breitet sich sein Glanz. O wie sich unsre Farben herrlich einen: Leere wird Fülle, und sie strömt wie Quellen, aus ihren Fluten steigt des Schöpfungstages Feste, mein Stern strahlt durch des Weltbaums Blütenäste -- So kann ich meine Träume und mein Leben zum Werk verwebt in Gottes Hände geben. Störung Und wir gingen still im tiefen Schnee, still mit unserm tiefen Glück, gingen wie auf Blüten, als die arme Alte uns anbettelte. Und du sahst wohl nicht, als du ihr die Hände drücktest und dich liebreich zu ihr bücktest, wie durch ihr zerrissenes Schuhzeug ihre aufgeborstnen blauen Füße glühten. Ja, ein Mensch geht barfuß im eignen Blut durch Gottes Schnee, und wir gehen auf Blüten. Zukunft Du reiche Frau, du edle Frau, mit deiner Hoffnung unterm Herzen, du möchtest jubeln und erschrickst; ich sehe dich in deinen Schmerzen, wie du beim Schein der Ambrakerzen die seidne Wiegendecke stickst. Du zählst die Fäden, silbergrau und schwarz und blutrot, und dir schweben viel tausend Hände vor, die weben, viel tausend graue Mutterhände, die weben, weben ohne Ende; ich seh dich, wie du grausig nickst und dunkel durch dein Zimmer blickst. Und tausend Kinder siehst du stehen, die still an einem Stricke drehen, früh alt vor Hunger und Gebrest. Und siehst die Väter sich erheben, alle, die häßlich müssen leben, damit es Schönheit könne geben, sie stürmen dein geschmücktes Nest: Madam! dies blutige Garn, wer spann es?! Da würdest Du in Todeswehen entzückt sein, könntest du dich sehen, wie sich zum mörderischen Fest die schmutzige Faust des Arbeitsmannes um deine weiße Kehle preßt. Enthüllung Du sollst nicht dulden, daß dein Schmerz dich knechte; du bist so gern vor Freude wild. Komm vor den Spiegel! -- O, wie schwillt dein düstres Haar, wie lebt dein Bild, wie blüht dein Mund --: als wenn durch Nächte der Blitze bläuliches Geflechte, der Honigduft der roten Disteln quillt! Dein weißes Kleid ist wie zum Hohne mit türkischen Märchenblumen toll durchzackt. Ich träume dich auf schwarzem Throne. Du bist verschleiert bis zur Krone. Doch wärst du keusch wie Magelone, wir Träumer sehen alles nackt! Gib her, gib her den Trauerschleier, ich reiß ihn lachend dir entzwei! Ich bin dein Einziger, dein Befreier, dein Herr! -- Was starrst du so ins Feuer, so schmerzhaft? -- O verzeih -- verzeih -- Beschwörung Du bist nicht hier. Ich fühle schwer, wie deine blasse Hand mich preßte; und wie Todfeinde sind mir plötzlich die lachenden Geburtstagsgäste. Immer verdrehter wird das Fest, die Blumen welken in den Kränzen. Um meinen Bart sind die Gerüche der Medizinen und Essenzen von deinem Krankenbette her; es ist vielleicht dein Sterbelager. Ich seh dein glanzlos Haar daliegen und dein Gesicht blutleer und mager. O sieh nicht so die Bäume hoch, warum sie mit den kahlen Zweigen so starr und schwarz vor deinem Fenster ins graue Himmelsdickicht zeigen. Sieh tief in deine Nacht hinab! da glänzt mein Bild mit Gottesfarben und läuft vom Blute derer über, die Dir zum Opfer in mir starben. O sieh, sieh, wie mein Blick dich tränkt und meine Lippen nach dir beben und meine Hände zu dir beten und dich beschwören: bleib mir leben! Aus schwerer Stunde Ich konnte nur noch lächeln; ich war so traurig im Grunde, daß meine eigne Stimme mir fremd klang. Da traf mich Deine Stimme, und ich konnte wieder lachen wie als Kind, und einmal weinten wir vor Glück. O, ich danke dir, in dieser schlaflosen Nacht, wo du fern von mir zwischen Tod und Leben liegst. Sieh, ich falte wie als Kind die Hände: bleib mir, laß mich nicht allein, ich habe Furcht bekommen vor den einsamen Nächten. Wenn du stürbest, nein, ich würde nicht weinen, meine Seele ist geübt im Trauern; aber ich würde nie mehr lachen können. Zuversicht Ich hab dich selig gemacht, mein Geliebter, und du mich, du bist mein, und darfst nicht bei mir sein in meinen furchtbaren Schmerzen. Bis in Mark und Bein bin ich dein, und darf nicht nach dir schrein vor den Menschen, wenn ich sterben muß ohne deinen Kuß. Nein nein nein, Du hast mich selig gemacht! Tag und Nacht fühl ich mich an deinem Herzen leben, das an +mein+ Herz schlug! Ja, ich fühls, ich bleibe leben, hab dir noch soviel zu geben, all mein Leben, gab dir nie, noch nie genug! Gleichnis Es ist ein Brunnen, der heißt Leid; draus fließt die lautre Seligkeit. Doch wer nur in den Brunnen schaut, den graut. Er sieht im tiefen Wasserschacht sein lichtes Bild umrahmt von Nacht. O trinke! da zerrinnt dein Bild: Licht quillt. Weihnacht im Krankenhaus Schönen guten Abend, ihr im Leidensgewand; neue frohe Botschaft hört aus Gnadenland! Wir haben lang gesucht nach einem heilsamen Sterne, bis er sich finden ließ in seiner nächtlichen Ferne. Da haben wir ihm gewunken, da ist er uns ans Herz gesunken. Dann haben wir ihn festlich mit Liebe umwunden und auf ein immergrünes Bäumlein gebunden. Nun seht ihn! hier glänzt er, samt anderen Schätzen; an denen mögt ihr euch später ergetzen. Erst sollt ihr Mut schöpfen aus seinem Schimmer, denn die Nacht ist lang, und dies Haus glänzt nicht immer. Hier kämpft oft das Todesgrauen schwer mit der Lebensröte um die Wiederkehr. Hier suchen oft Seelen nach gnädigen Sternen und finden nichts als lichtleere Fernen. Hier strahlt jetzt, o Wunder, ein heiliger Baum mitten im eisigen Weltenraum und spiegelt sich und euch und mich im warm aufquellenden Tränentau einer genesenden, lächelnden, liebenden Frau. Die Mutter des Heils ist überall zugegen, wo Menschen eine Hoffnung hegen. Lied im Winter Trüb sucht dein Blick: wann wird sie wieder blühn? Die harte Erde läßt mit kaltem Schweigen die Wipfel in den klaren Himmel zeigen um die verschneite Bank im Wald, auf der du einst ein Frühlingsglück umarmtest; nun sprießt Reif an den starren Zweigen. Dann willst du weitergehn den alten Gang, da schluchzt ein Vogelherz, du weißt nicht wo, die Stille klingt ihm nach: sie blüht, sie blüht! Lichtblüten glitzern über allen Steigen! Eva und der Tod Der Wintermorgen schien ein Frühlingsmärchen; der Reif der Zweige sproß im Sonnenschein zum blauen Himmel auf wie Blütenpärchen. Ein Lüftchen, das sich hob und stumm verfing, trieb Silberflocken von den hohen Ulmen des langen Weges, den ich einsam ging. Ich hörte noch, daß fern ein Schlitten schellte; dann wurde Schweigen auf dem schweren Schnee. Ich schritt und sann, und fühlte nichts von Kälte. Denn gestern war mir ein geliebtes Wesen nach heißer Seelennot und Leibesqualen von einem Sohn, nicht meinem Sohn, genesen. Und der das Kind von ihr entgegennahm, empfing ein Pfand des Lebens, nicht der Liebe; sie aber gab es mit zu später Scham. Ich suchte tief nach trübem Dankesworte, da sah ich fern am Ende meines Weges auf einmal eine schwarze Gitterpforte. Zu ihren Seiten dehnten sich zwei Mauern; die waren überwipfelt von Cypressen. Ihr starrer Wuchs bedrohte mich mit Schauern. Und aus der Pforte traten schwarz und groß und langsam nach einander sieben Männer; die kamen langsam, schweigsam auf mich los. Aus fremdem Lande schienen sie zu sein, so lange Mäntel, breite weiße Kragen. Und plötzlich rief ich außer mir: Nein! Nein! Denn aus der Pforte trat da noch ein achter, der war ganz dürr und größer als die andern, und stand und nickte, sacht, und immer sachter. Und eisig lief es mir durch Blut und Bein: die sieben wollen sich mein Liebstes holen. Ich stand und bettelte und bebte: Nein! Und seh durch Tränen, wie die schwarzen Schemen den Sonnenschein verdunkeln und den Schnee, und glaube fern ein Lachen zu vernehmen. Und als ich mir die Augen mühsam reibe, steht hoch ein nacktes Weib vor jenem Gitter, mit schwarzem Haar und Blick und braunem Leibe. Und lacht ganz hell und winkt dem dürren Mann und hebt im andern Arm ein zappelnd Kindchen und sieht mich fernher lebensselig an. O dieses Blickes Herrlichkeit und Hohn! Nur Einer hatte das wie ich empfunden: der Trotzigste der Dichter: Liliencron! Ich seh den Dürren ihr entgegenstelzen: er bückt sich -- widerwillig -- er verschwindet -- zu ihren Füßen scheint der Schnee zu schmelzen. Die ganze Landschaft schmilzt; das kleine Kind schwimmt riesengroß aus sieben schwarzen Strudeln und lacht -- lacht -- lacht mich aus. Was! War ich blind? Ich selber lache! meine Wimpern tropfen; die sieben sind ja nichts als Leichenträger, die sonst Schuh sticken oder Hosen stopfen! Und jenes Weib, das ist ja nur die Frau des Totengräbers, und ihr brauner Kittel ist keine Haut, ich seh es ganz genau! Du aber lebst mir, und der Himmel blaut, und bald ist Frühling, und du wirst mich küssen trotz deines Sohns, du meine braune Braut! Verhör Du liegst sehr blaß in deinen weißen Kissen, und deine matten Lippen sind zerbissen; hattest du sehr viel Schmerz? -- „Ich weiß nicht mehr.“ Du siehst sehr träumerisch zur Zimmerdecke, sieh nach dem Bettchen drüben in der Ecke: liebst du dein Kindchen sehr? -- „Ich weiß noch nicht.“ Schriebst du zuweilen, wenn die Wehen kamen, mit deinen irren Fingern meinen Namen auf deine Bettdecke? -- „Du weißt es ja.“ Kannst du noch immer, ohne hinzudenken, dein Kind und seinen Vater ruchlos kränken und mit mir selig sein? -- „Weißt du das nicht?“ Zur Genesung Steh auf, steh auf vom Meeresschooß! guten Morgen! ich will dich selig machen! Hörst du die Walfische lachen? hörst du das Weltkonzert schallen? Komm, kletter auf die Korallen: kuck, alle Engel sind los! Jetzt: hopp, einen kleinen Luftsprung! Auf doch! Guten Morgen! Hüh, meine Flügeldelphine: hoch, hoch, hoch, Aphrodite: in Abrahams Schooß! Ach du, +hilf+ mir doch lachen, bitte bitte, und guten Morgen und Unsinn machen! Denn du lagst sehr bleich, du schlechtes Weib, als du vom Meergott träumtest und meine Arme wie Seeschlangen zäumtest; das darfst du nie wieder machen, hörst du, nie wieder! Denn ich will dich ja selig machen, ja, du: seeelig! über und über! Und darum verbitt ich mir solche Sachen; hörst du! Denn dazu tut Uns Beiden kein Fieber mit Himmelsträumen etcetera not, denn du bist mir zehntausendmal lieber als der liebste liebe Gott! Also: Auf jetzt! O Gottes Wunder: hör doch die Vögel, wie die lachen: jeden Tag wird sie gesunder, und Vater Abraham ist tot! Ja: das ist +mein+ Schooß, und das ist +dein+ Schooß, und der Mensch will selig werden auf Erden -- weißt du noch, wie man das machen muß? Auf! -- O Liebste! -- O guten Morgen: sieh mal, da blüht schon bald der Flieder! Ach, weißt du noch? Ja, blick nur nieder: bald blühst du auch und tust mir wieder -- endlich wieder -- den Himmel auf! o Götterkuß! Schneeflocken Gnädige Frau, es schneit, es schneit! Tragen Sie heut Ihr weißes Kleid? Gnädige Frau, hier in der Ferne schneits bei helllichtem Tage Sterne. Und diese Sterne flimmern genau wie die Zähne der gnädigen Frau. Oder wie Blüten von weißem Flieder, gnädige Frau, an Dero Mieder. Oder die Blicke des Herrn Gemahls am Tage Ihres Hochzeitsballs. Nein, sie flimmern, ich kann mir nit helfen, gnädige Frau, wie tanzende Elfen. Hänseln jeglichen Parapluie; will man sie fassen, +zer+flimmern sie. Flimmern in Wirbeln, flimmern in Bildern, die sind wirklich nit zu schildern. Gnädige Frau, so wild, so mild wie ein opalisch flimmerndes Bild. Und, ach Gnädigste, diese Sterne tanzen auf manchermanns Nase gerne. Und auf solchermanns Nase, gnädige Frau, zertanzen sie zu Tränentau. Zertanzen flink wie kichernde Lieder: morgen, morgen tanzen wir wieder! Gnädige Frau, leb wohl! Schluß, Kuß! Frechheit -- aber wer muß, der muß. Orientalisches Potpourri Gestern Nachmittag, meine braune Geliebte, die du nach Ruhm begehrst vor allen Frauen deines Volkes, saß ich in einem Treibhaus, und von allen Palmen und andern Gewächsen flogen mir neue Gedichte zu. Hier ist eins von einem Agavenwildling: Meine Geliebte! Grau in staubiger Wüste stand mein dorniges Blattwerk jahrlang mit durstig schwellendem Fleisch. Plötzlich schoß über Nacht ein steiler Schaft, knospengekrönt, aus dem staubgrauen Schooß in die feurige Morgenluft. Schick mir zu Mittag, Geliebte, deine tausend durstigen braunen Bienen: viertausend goldgelbe Blütenglöckchen haben sich aufgetan und triefen, triefen, triefen von Honigsaft. Oder eins von einer verschulten Musa: Meine Geliebte! Wen mit deinen üppig langen Blättern willst du denn umfangen, die du überreichlich treibst? Fühlst du nicht den Abend glühen? Wenn du ohne Blüte bleibst, Schönste, kannst du nie verblühen, Ärmste, nie mit Früchten prangen. Oder von einer seltnen Wasserviole: Meine Geliebte! Mondblau steht mein Kahn, himmeltief der See; fern beim hellen Uferschilf ziehn zwei weiße Enten ihre Bahn. Sehnsüchtig und rot spiegelt sich mein Mund: tauche auf, Geliebte, Dunkle, aus dem blauen Grund, hol mich in den Himmel! Oder von einem gewöhnlichen Igelkaktus: Meine Geliebte! Ich bin so rund wie die Erde, mein Fleisch hat Heilkraft, und meine Blume ist zum Küssen schön. Aber hebe mich nicht aus meinem Erdreich: mein Fleisch hat Stacheln, und leicht entroll ich deiner Hand. Willst du mich küssen, bitte, knie nieder! Solche Gedichte, meine braune Geliebte, könnt ich dir noch viertausend und einige dichten an Einem Nachmittag; und die würden meine vielen verehrten neuen deutschen und neuesten jüdischdeutschen lyrischen Brüder sicher furchtbar rühmen -- Aber du bist mir zu lieb dazu ... Jesus bettelt Schenk mir deinen goldnen Kamm; jeder Morgen soll dich mahnen, daß du mir die Haare küßtest. Schenk mir deinen seidnen Schwamm; jeden Abend will ich ahnen, +wem+ du dich im Bade rüstest -- oh, Maria! Schenk mir Alles, was du hast; meine Seele ist nicht eitel, stolz empfang ich deinen Segen. Schenk mir deine schwerste Last: willst du nicht auf meinen Scheitel auch dein Herz, dein Herz noch legen -- Magdalena? Benedeiung Gestern hobst du verzweifelt die Hände, deiner heiligen Namenschwester gleich, als ihr ein Schwert durch die Seele ging. Heute breit’ich entzückt die Arme, allen Heiligen mich vergleichend, weil mir Dein Schwert durch die Seele ging. Neige dich zu mir, Maria, laß uns lauschen, wie die himmlischen Heerschaaren über uns jubeln! Erfüllung Daß du auch an Meinem Herzen, Herz, nur neue Sehnsucht fühlst und dich in die Menschenschmerzen schmerzlicher als je verwühlst: ist das nicht Erfüllung, du? Wenn die Erde schmilzt vom Eise, daß die Luft nach Frühling schmeckt, und in immer neuer Weise wild ihr Grün zum Himmel reckt: +ist+ das nicht Erfüllung, du? Wenn wir dann noch Ostern feiern, weil ein Mensch sein Leben ließ, der den Frevlern wie Kasteiern gleiche Seligkeit verhieß: ist das +nicht+ Erfüllung, du? Laß die tragische Geberde, sei wie Gott, du bist es schon: jedes Weib ist Mutter Erde, jeder Mann ist Gottessohn, +Alles+ ist Erfüllung, du! Heilandswort Ich trat in ein Haus, da gingen viel Sünder ein und aus, aber auf einer grauen Wand und mit leuchtenden Lettern stand: Nur selig! Ich sah eine Menschengestalt, mit Leidenszügen mannigfalt, aber im Gruß der blassen Hand und im Lichte der Augen stand: Nur selig! Ich ging bald fort, durch einen trüben, armseligen Ort, aber über dem ganzen Land und mit leuchtenden Lettern stand: Nur selig! Zwischen Ostern und Pfingsten Und jeden Abend kannst du so aufatmen: du horchst ins Dorf hin, was die Glocken wollen, du gehst ins Freie, der Rauch der Hütten umarmt die Eichenkronen: auf, Seele, auf! Dann raunt dir frühlingsheimlich ein Echohauch unter den knospenvollen Wipfeln zu: ins Freie auf -- so frei ins Freie, wie dort der Vater mit seinem Kindchen Ball spielt. Und über dir, lichtgrün im Blauen, spielt eine Birke mit einem strahlend blühenden Ahorn Braut. Die Glücklichen Nun will ich mir die Locken mit Birkenlaub behängen; der Frühling sitzt am Wocken, von dem er mit Gesängen um meine Wildnis grüne Schleier spinnt. Und du auf deinem Throne im Astwerk unsrer Linde, beglänzt mit deinem Sohne vom goldnen Mittagswinde, bist meine Jungfrau mit dem Wunderkind. Ein Lamm mit weißem Felle auf unserm Wiesenlande, mit einer Silberschelle und blauem Seidenbande, bringt uns zum Lachen, wenn wir traurig sind. So würden wir uns gerne mit aller Welt vertragen, nicht Sonne, Mond noch Sterne um unser Glück befragen, doch -- manchmal haben wir kein Brot im Spind. Drum stehn im jungen Schilfe mit aufgesperrter Miene, als schnappten sie nach Hilfe, zwei steinerne Delphine am Wasser, das um unsre Insel rinnt. Erhebung Gieb mir nur die Hand, nur den Finger, dann seh ich diesen ganzen Erdkreis als mein Eigen an! O, wie blüht mein Land! Sieh dir’s doch nur an, daß es +mit+ uns über die Wolken in die Sonne kann! Hochsommerlied Golden streift der Sommer meine Heimat, brotwarm schwillt das hohe reife Korn, wie in meiner goldnen Kinderzeit; habe Dank, geliebte Erde! Schwalben rufen mich hinauf ins Blaue, weiße Wolken türmen Glanz auf Glanz, wie in meiner blauen Jünglingszeit; habe Dank, geliebte Sonne! Mit heiligem Geist Liebe Mutter! mir träumte heute von der Insel der seligen Leute. Da saß auf einem Hügel der Au eine nackte gekrönte Frau; in ihrem Herzen stak ein Schwert, aber sie lachte unversehrt. Denn neben ihrem natürlichen Thron stand ihr lieber großer Sohn; in seinen Fingern, voll Sonnenglanz, hing ein blutiger Dornenkranz. Der begann sich mit grünen Spieren und raschen Blüten zu verzieren; und umringt von den seligen Leuten, die sich an dem Wunder freuten, suchte mir Er die Blumen aus zu einem leuchtenden Osterstrauß. Den umflocht er mit blauem Bande von seiner Mutter früherm Gewande und gab ihn mir und sprach dazu: Sag Deiner lieben Mutter du, +weil ihr auf Erden niemals wißt, wann die Zeit erfüllet ist, sollt ihr immer glauben und hoffen, der Tag sei endlich eingetroffen+. Und bis einst jedes Weib gewinnt den rechten Vater für ihr Kind, soll jede Irrende die Treue dem falschen brechen ohne Reue, soll ihre Sehnsucht nicht verfluchen, ihren Qualen den Heiland suchen und seinen liebenden Gewalten Leib wie Seele empfänglich halten. Wenn das mit heiligem Geist geschehn, wird sie die Heimsuchung bestehn, wie meine Mutter sie bestand, beseligt im Gelobten Land. Böser Traum Was kannst du gegen Träume, Mensch, die tückisch selbst auch den Männlichsten, mit Engelshänden oder mit Teufelsfäusten, in den Himmel samt Hölle seines Kinderglaubens führen? In solchem Traum erschien mir heute Nacht der böse Feind und sah mich furchtbar an. Er hatte das Gesicht von einem Freunde, dem ich sein Weib in aller Freundschaft nahm, und setzte auf mein wehrlos Herz ein Messer und sprach -- nein, was er sprach, vergaß ich schon. Er sah mit Wollust, wie die rostige Spitze auf meiner Haut im Takte meiner Pulse sich hob und senkte, sah mich gierig an. Ich aber bohrte meine blauen Augen in seine braunen tief empor und sagte: Wenn du mich kenntest, zögertest du nicht. Und als sein Blick ineins mit meinem sank und bläulich wurde, dacht ich: Wärst du nicht der böse Feind, so müßtest du mich lieben, ich habe dich von einer Last erlöst. Was ich dir nahm, ist niemals dein gewesen; was du mir nehmen kannst, war niemals mein. Drum, wenn du mußt, so töte mich! mein Tod wird dir viel weher tun als je mein Leben, das Keinem weher tat als Mir -- „Wach auf!“ -- Leiser Besuch Eine treue Seele lag still zuhaus mit krankem Leibe; zwischen ihren Fingern staken zwei drei blühende Weidenzweige, und die Sonne schien aufs Bett. Zögernd rührte sich die Hand, tastete nach meinem Haupt; aus den sanften Blütenfasern fiel der gelbe Samenstaub, wie am Morgen unsrer Liebe. Trat ein Mädchen blaß herein, brachte eine blasse Rose, legte die gebeugte Blume nieder neben meinem Schooße, wie zum Abend unsrer Liebe. Folgte eine hohe Frau; rot von Nelken eingefaßt duftete in ihrem Arme goldgelb eine Ananas, wie der Mittag unsrer Liebe. Und die treue Seele sprach: Sieh, aus allen Himmelsstrichen bringt mir heute deine Liebe Frucht und Blüten und Gerüche. Und ihr stiller Ausblick stach uns ins Herz. Der Strauß Nun nimm drei weiße Nelken du, mein Weib. Und du, Geliebte, nimm diese drei roten noch dazu. Und in die nickenden Nelken tu ich eine dunkelgelbe Rose. Seht: ist es nicht ein lockender Strauß, ganz Eins aus diesem schwarzen Tuch? Und sieht so farbenfriedsam aus. Und nur von doppeltem Geruch: die je drei Nelken und die Rose. Nein, laßt! entzweit den Stengelbund nicht! laßt! Sonst scheint so kalt und tot blos Gelb zu Weiß, und glüht so heiß und brennt so wild blos Gelb zu Rot; dann, ja, dann hass ich wohl die Nelken! Dann hass ich wild das zahme Weiß und hasse kalt die rote Glut, wohl bis zur Mordlust! Ja, es tut mir weh, daß von Geruch und Blut so reizend gleich sind alle Nelken! Was willst du so entsetzt? Nein, bleib, Geliebte, nimm, still seh ich zu: nimm jetzt die weißen Nelken Du! und die drei roten Du, mein Weib! und ich die dunkelgelbe Rose. Finale Da hast du dich von meiner Brust gelöst. Doch als ich fürchtete, das Fest sei aus, hobst du mir meinen Kranz auf, meinen Kranz auf. Vierter Teil Einsiedler, Schmetterling und Tempelherr Du weißt, Poet -- begann der Tempelherr und lächelte durch seinen weißen Bart -- ich las sie auf vom Weg, die jetzt mein Weib ist. Und daß sie, wider Sitte und Gesetz des Ordens, mitging nach Jerusalem und nicht den Weg zurückging, den sie kam, -- ich selber hieß sie mitgehn --: das ging +so+ zu. Wir trugen schon das Abschiedswort im Sinn, es war an einem heißen Frühlingstag, schier blendend flimmerte das junge Gras, und die Gefallne ließ es still geschehen, daß ich mit ihr den Pfad vom Schloß zum Ufer, wo andern Tags das Schiff anlegen sollte, gleichsam zur Herzensübung niederstieg. Der Pfad bog sehr abschüssig hin und her; ich brauchte sie, die stets wie ich gewillt war -- ihr Herzschlag geht dem meinen völlig gleich -- kaum mit der Hand zu stützen, so gefaßt vermied sie jeden lockern Stein im Gras, als sie auf einmal fest um meinen Arm griff. Dicht vor uns sonnte sich, beinah berührt von meinem Schuh, auf einem Blütenkelch des gelben Löwenzahns, ein saugender ganz trunkner Schmetterling, ein Trauermantel. Nun flog er taumelnd weg, zum nächsten Kelch, dicht vor uns her, wir sahn ihn weitersaugen, kaum atmend beide, wenn die bleichgesäumten tiefschwarzen Flügel vor Entzücken zuckten, und immer weiter so, von Kelch zu Kelch, dicht immer vor uns her den Pfad hinab, fast bis zum Fluß; da krigte ihn der Wind und blies ihn fort, wir blieben stehn im Wind. Und plötzlich sieht, durch diesen Schmetterling mir vorgerückt, vor meinem innern Blick ein jahrelang vergessner Tag: ein Herbsttag. Ich bin bei einem Freund, Einsiedler ist er; er war’s -- man wußte nicht warum -- geworden, an Jahren konnt er gut mein Vater sein. Wir sind verloren in Gedanken; draußen zerzaust der Bergwind seinen Blumengarten. Er macht sein Bett, ein seltsam ungeschlachtes, nach Bauernart bemaltes Ehebett; da klopft es an die Tür. Er geht und öffnet; und vor der Klause steht, bei seinen Blumen, zerzaust wie sie, in schlechter schwarzer Tracht, ein altes Weiblein, elend, scheu, verkommen, das blickt ihn bettelnd an. Ich seh ihn noch: auf seine große Stirne treten Flecken wie von Faustschlägen, seine Finger beben, die guten blauen Augen glänzen grausig, er sagt: geh weg! ich kenne dich nicht mehr. Er will die Tür zudrücken, sie versperrt sie: Ich hab nur Dich geliebet! bettelt sie. Er tritt zurück, die rote Stirn wird blaß, die Augen kalt, er sagt: geh weg, du lügst. Sie schleppt sich nach: Verzeih mir! bettelt sie. Er sagt noch kälter: ich verzeih dir, geh. Da faßt sie seine Hand, und wieder fliegt der grauenhafte Glanz durch seine Augen -- Du hast mich nit verstanden, Meiner! fleht sie: ich war -- Doch eh sie enden kann, erbebt der ganze breite Mann: Verstanden? schreit er und hebt die Faust, ich will zuspringen, da: laut schluchzend, Blut ausschluchzend vor ihn hin knickt sie zusammen, schluchzt sie auf zu ihm: ich war ein armer Schmetterling im Wind! -- Da hat er sich mit mir gebückt zu ihr und nahm das alte Weiblein an sein Herz und trug sie weinend in ihr altes Bett; drin ist sie lächelnd andern Tags verstorben. Nun weißt du -- endete der Tempelherr und lächelte durch seinen weißen Bart -- warum, Poet, trotz Sitte und Gesetz des Ordens, sie, die jetzt mein Weib ist, nicht den Weg zurückging, den sie zu mir kam. Ich sagte ihr am Morgen meiner Abfahrt, was mir in jenem stillen Augenblick, als wir am Fluß im Wind beisammenstanden -- sie hatte mich mit keinem Hauch gestört, ihr Atem geht dem meinen völlig gleich -- vor meinem innern Blick gestanden hatte, und hieß sie mitgehn nach Jerusalem. Der Verbannte Durch die fremde Stadt geht mir eisig der Wind nach, der die Birken bewegte, der die Schneeglöckchen schüttelte, als ich die Heimat verließ. Durch die fremde Stadt kommt mir sonnig ein Bild entgegen: eine Mutter mit ihren Kindern, die vor Frühlingsfreude glühn. Unterwegs Vor meinem Lager liegt der helle Mondschein auf der Diele. Mir war, als fiele auf die Schwelle das Frühlicht schon; mein Auge zweifelt noch. Und ich hebe mein Haupt und sehe, sehe den fremden Mond in seiner Höhe glänzen. Und ich senke, senke mein Haupt und denke an meine Heimat. Heimatgruß an Hans Thoma zu seinem 60. Geburtstag Wo die Heimat liegt, das ist mir erst aufgegangen im fremden Land. O, mit welchem Bangen schaue ich manchmal vom Fenster herunter durch die enge Hafengasse wie von einer Festungsterrasse auf den kahlen Inselrand da mitten in dem grauen Fluß! Doch geht die Sonne unter, dann steigen durch den Rauch und Ruß der lauten Dampfschiffe und dunkeln Schornsteine die Nebel wie reine Geister; und immer mahnt mich das an Deine Insel, Hans Thoma, du heimatseliger Meister. An die Insel, die du gemalt hast -- wie du mir selbst erzählt hast -- aus Heimweh, wo hold und heiter, ohne Heimweh, unter den schlanken, gen Himmel breiten, stillen Bäumen Deines Landes Frauen und Männer schlichten Gewandes in Eintracht mit stolzen Tieren schreiten, geweihten Hirschen, frei laufenden Pferden, und rings mit sorglosen Geberden schaukeln auf den wirbelnden Wogen Liebespaare, von Schwänen gezogen -- wirklich, dann glaub ich, so muß es wohl sein auf deiner Insel bei Frankfurt am Main, oder wo sonst deine Heimat liegt; denn daß der Schwarzwald dich großgewiegt, das ist mir nicht immer gleich im Klaren, denn auf einmal liegt dann zwischen den Stämmen meine eigne Heimat, der Wald von Kremmen, und ich schaue auf Wiesen, worüber sich fern im Nebel Himmel und Erde paaren, und suche kindlich den höchsten Stern -- bis mich das Heulen der Hafensirenen aufstört aus meinem Sinnen und Sehnen. Doch Einmal, ja, da +sah+ ich den Stern: -- noch war in der Luft kein Rauch und Lärm, die Morgenröte küßte den Fluß, und die kahle Insel schien aufzuleben -- da sah ich fern den Genius aller Heimat darüber schweben: leicht aus dem Wölkicht kam er einher mit ruhigen Flügeln durchs himmlische Meer, kaum die kräftigen Schwungfedern spreitend, auf einer durchsichtigen Kugel gleitend, drin spiegelte sich die bunte Erde samt meiner überraschten Geberde: den Stern, den trug er als Blume in Händen, kein Gewand um die hellen Lenden, eine Einsicht auf dem Jünglingsgesicht wie im Traum, im Halbtraum, ich weiß es nicht -- so flog er, ohne sich umzuwenden, an der fremden Insel vorüber, aus der Heimat in die Heimat hinüber ... Hoher Mittag Da ich nun in Einsamkeiten träume von dem goldnen Land, von den fernen Seligkeiten unerfüllbar schöner Zeiten, und der blaue Kreis der Weiten weiter sich und weiter spannt, rührt auf einmal mich ein Bangen: Sonne, welchem Ziele zu? tief und tiefer ein Verlangen: Urquell meiner Sehnsucht du! Stimme im Licht Dunkles Herz, dunkles Herz, was bebst du denn? Sieh doch die Nacht glänzen; dir lebt ein Licht in den Weiten, zu allen Zeiten, über Grenzen, da kann kein Mond, kein Stern hinan! Dulde nur deine Dunkelheiten ohne Schmerz: ein andres Herz möchte in deinem Schatten ruhn. Brauchst kaum durch seine Träume zu beben, alle Himmel fühlt ihr dann in euch schweben; dunkles Herz, dunkles Herz, wie strahlst du nun! Nachtgebet Du tiefe Ruh, laß deinen Schleier sinken, und schling dein dunkles Haar um meine Brust, und laß mich deinen Atem trinken, Du, bis alle meine Lust und letzter Schmerz in einen Hauch verschweben, den deine Lippen mir vom Herzen heben, dann laß mich deinen Kuß erleben, du tiefe Ruh. Durch die Nacht Und immer Du, dies dunkle Du, und durch die Nacht dies hohle Sausen; die Telegraphendrähte brausen, ich schreite meiner Heimat zu. Und Schritt für Schritt dies dunkle Du, es scheint von Pol zu Pol zu sausen; und tausend Worte hör ich brausen und schreite stumm der Heimat zu. Masken Du bist es nicht, du greiser Tempelritter im Panzerkleid, auf das die Kerzenstrahlen des bunten Saals mit täuschendem Gezitter geheimnisvolle Charaktere malen; dein Blick ist schwarz, laß das Visier nur zu! Du bist es nicht -- doch Ich bin Du. Du bist es nicht, Zigeuner mit der Geige, der wild sein Lied läßt in die Zukunft bluten. Dein roter Bart ist kraus wie Urwaldzweige, um die rauchprasselnde Frühfeuer gluten. Dein Blick ist grau; laß nur die Maske zu! Du bist es nicht -- doch Ich bin Du. Du bist es nicht, Traumkönigin. Seerosen trägst du im wolkendunkeln Haargeflechte, und keuschen Asphodellos, und Skabiosen, die sanfter blühn als purpursanfte Nächte. Dein Blick ist braun; laß deinen Schleier zu! Du bist es nicht -- doch Ich bin Du. Du bist es nicht, mein blonder Puck. Dein Röckchen ist viel zu kurz für deine Mädchenbeine; man sieht es doch, daß dein hell Klingelstöckchen ein Totenköpfchen krönt, du freche Kleine. Dein Blick ist stahlblau; laß dein Lärvchen zu! Du bist es nicht -- doch Ich bin Du. Und Du, bist Du’s, du Domino im Spiegel, in dessen Blick die Farben meerhaft schwanken, du masken+los+ Gesicht? Zeig +her+ das Siegel, das mir ausdrückt den Grund deiner Gedanken! Bin ich das selbst? Ausdruck, du nickst mir zu. Grundsiegel -- Maske -- Bin Ich Du? -- Nacht für Nacht Still, es ist ein Tag verflossen. Deine Augen sind geschlossen. Deine Hände, schwer wie Blei, liegen dir so drückend ferne. Um dein Bette schweben Sterne, dicht an dir vorbei. Still, sie weiten dir die Wände: Gieb uns her die schweren Hände, sieh, der dunkle Himmel weicht -- Deine Augen sind geschlossen -- still, du hast den Tag genossen -- dir wird leicht -- -- Lied vor Tag Was bewegt dich, stiller Himmel? Was beschwingt die schweren Wolken? Herz, wie kommt die helle Höhe übers tiefgraue Meer? Durch die Wolken schwebt ein Vogel; schwebt vorbei mit hellen Flügeln, trägt die goldne Morgenröte übers tiefgraue Meer. Komm zurück, du goldner Vogel! Nimm mich hoch in deine Höhe! Trag mein Herz, du helle Hoffnung, übers tiefgraue Meer! Gondelliedchen Bitte, bitte, Vögelchen: Schiffchen hat ein Segelchen, segelt übers Meer: Vögelchen, komm her! Komm und setz dich, laß dich wiegen, warum willst du immer fliegen, machst es dir so schwer! Singe, kleiner Passagier! Wenn die großen Wellen krachen, wird dein Lied uns ruhig machen; still vergessen wir Erde, Mensch und Tier. Griechische Pfingsten Wie anders nun! -- Ihr blumigen Auen, ihr wilden Berge: irrt mein Geist? Bin ich nicht jüngst mit heiligem Grauen durchs blaue Meer zu trunknem Schauen ins Land der Mythe hergereist? Nun grast hier hinter krüppligen Säulenstümpfen, vorbei an ausgegrabenen Götterrümpfen, mein müder Klepper mit Gestöhn. Man blickt noch manchmal zurück nach ihnen: man sieht, es sind und bleiben Ruinen -- aber +ihr+, ihr Berge, seid ewig schön! Drum still, du graue Mythe, mit deinem trüben Sinn! Ganz Hellas steht in Blüte, noch heut, so wahr ich bin! Hier lernt man heiter schreiten: über den Schutt der Zeiten geht immergrün die Zeit dahin. Eine Rundreise in Ansichtspostkarten 1. Straßburger Münster Der Ansicht aller Welt zum Trotz steht dieser Turm und krönt -- was? -- einen Klotz. Er stand beim jungen Goethe sehr in Gunst als Voll-und-Höchstbeweis echt deutscher Kunst. Er steht, wie ihn der alte Goethe sah, noch heut höchst unvollendet da. 2. Rheinfall bei Schaffhausen Blickst du ihn an, so wird dir wirr von all dem stürzenden Flutgeirr. Doch horch hinein, da steigt vom Grund klar ein steter Einklang und Aufklang. 3. Gotthard-Tunnel Klänge im Eilzug Über der Einfahrt grausen verquollen eisige Gipfel durch Wolken herab. Unter der Ausfahrt weisen die Schollen finstrer Felsen zu nebelvollen Schluchten und neuen Schachten hinab. Immer durchs Dunkel von Stollen zu Stollen fühlst du dich immer dem Licht zurollen, und so setzt dich endlich mit tollen Sprüngen der Himmel ins Blaue ab. 4. Isola Bella Das konnten wohl die seligen Inseln sein, wenn’s nicht auch hier, wenn’s regnet, regnete. Wie arme Sünder schaudern die Cypressen vor ihrem Spiegelbild im trüben See; und während sich des Himmels Gnade reichlich auf sie und mich und übers Schiff ergießt, steht, einem Engel ähnlich an Geduld, mit höchster Höflichkeit mein Haupt beschirmend, ein Doganiere neben mir und prüft bis auf den Grund mein zollpflichtschuldiges Herz. 5. Mailand Und ward dir vor den tausend Heiligen schwach, die, eitel Marmor, rings den Dom garnieren, dann steige auf sein flaches Dach, das neunundneunzig einzelne Türmchen zieren. Das wird dich, Alles Marmor, wie ein Hain kandierter Weihnachtsbäumchen delektieren -- auf einmal siehst du fern im Sonnenschein die Alpen -- -- 6. Certosa bei Pavia Schmuckkästlein schlichter Einsamkeit: hinter der Prachtwand der Fassade bat mancher Mönch in weiser Schweigsamkeit die Jungfraun Borgognones einst um Gnade. Jetzt möcht ich in den leeren Klausen mit dir, Geliebte, noch verschwiegner hausen. 7. Genua Kaufherrin stolze: immer strahlenbreiter trägt sie bergan die meerentnommene Krone, und ihr geringstes Frachtschiff fährt heut weiter als je die kühnste Doria-Traumgallione. 8. Campo Santo in Pisa Geisterhafter Bildertraum dehnt den schmalen stillen Raum. Sieh: das Viereck der Arkaden strebt den Himmel einzuladen. Horch: der Erde reinsten Hauch opfert stumm ein Rosenstrauch voller weißer Blüten. 9. Orvieto Willst du den Tag der Auferstehung sehn, den Signorelli sah? Komm, Seele: dort staun sich Gewitterwolken, schon ziehn Schatten. Bald werden um dies trotzige Felsennest durchs weite Talfeld der Chiana unten die schrägen Strahlen der verhüllten Sonne fahl wie aus Gräbern aufgescheuchte Schemen nach Zuflucht schweifen, taumelnd, und nun fährt der Blitz dazwischen -- o Erleuchtung -- ja: dort sah der Künstler, was er dann nur malte. 10. Campagna vor Rom Hier spannt sich alles, Landschaft, Bäume, Tiere, als habe sich die Welt zur Ruh gezwungen; erwartungsvoll ist jede Form geschwungen, die Hörner selbst der silbergrauen Stiere. Denn dort am Horizont hebt einsam groß, so einsam groß, daß auch die Berge nur Mitglieder sind der staunenden Natur, das Haupt der Ewigen Stadt sich zum Azur: die Peterskuppel Michelangelos. 11. Im Pantheon Wer faßt dein Innres, Rom: du Kirchhof der Kulturen: Verwesung glänzt darin mit immer frischen Spuren. Im Pantheon zumal, kraft göttlicher Beschlüsse, erlebt man wundersame Grundwasser-Überflüsse. Durch solch ein Wunder sah ich: auf einer Altarplatte saß eine magre Katze, die sich gerettet hatte. Kläglich miauend saß sie, begafft vom Fremdenstrom; da hast du deine Göttin, modernes Rom! 12. In den Abruzzen Endlich dem Bann der Museen entronnen, fand ich Italien auf eigne Faust schön; fand ohne Baedeker goldene Sonnen, silberne Monde, in Tälern, auf Höhn. Fand auch ein Räuberpaar, in einer Grotte, spät eines Abends, im wilden Wald, raubten sich Küsse, die haben geknallt: ~siamo felici nel cuor della notte~! 13. Pontinische Sümpfe Die Sterne flimmern; schwül schweigt das Moor längs der langen Straße zur Nacht empor. Längs der langen Straße, schwarz im Düstern, ragen und raunen die hohen Rüstern. Längs der langen Straße, wie aufgereiht von einer zur andern Unendlichkeit, raunen die Rüstern fiebertrunken: dreiunddreißig Städte ruhn hier versunken längs der langen Straße ... 14. Neapel „Neapel sehn und sterben“ -- in der Tat: dies Paradies des Pöbels ist zum sterben. Sehr sichtbar, echter Lazzaronistaat, liegt’s wie ein blendender Haufen Scherben am Riesenmaulwurfshügel des Vesuv, den Gott gewiß aus reinem Mordsspaß schuf. 15. Pompeji: Haus des tragischen Dichters Was klagst du, Menschheit! Sieh, allerseelenvollst lacht dir das Leben, und komisch nickt der Tod: Da steht zerbröckelt des Dichters Gastgemach, sein Werk und Name verbrannten im Lavaschutt, aber das Brautpaar seines Wandgemäldes entdeckt noch immer das Nest voll Liebesgöttchen, wie’s Tausende Paare noch entdecken werden, wenn dieses ausgegrabene Machwerk längst wieder in Lavaschutt versenkt sein wird. 16. Auf Capri Trotz aller reisenden christlichen Tugendbünde ist hier noch Raum für einige heitre Sünde. Trotz Badehose gleicht in der blauen Grotte ein schmieriger Fischer einem silbernen Gotte. Trotz Zeitung, Polizei und meckernder Ziegen kann noch an mancher Klippe ganz verschwiegen der Faun die Nymphe beim Schlafittchen kriegen. 17. Bergstraße von Amalfi nach Salerno Europas reichste Damen karriolen den Felsweg her, hoch zwischen Himmel und Meer; immerfort wechselt der Rahmen. Großartig wechselt der Rahmen; hoch zwischen Himmel und Meer erwartet ein Bettlerheer Europas reichste Damen. 18. Bahn nach Potenza Und keiner ist verächtlich und schwach genug, daß nicht auch ihn aufrüttelnd ein Stolz durchzuckt, wenn durchs Gebirg auf dröhnender Bahn der Zug hinstürmt von Viadukt zu Viadukt. Denn hier hat Menschenarbeit Bogen an Bogen, Triumphbogen durch die Natur gezogen. 19. Valle del Basente Straße und Brücke verfallen, das steinige Flußbett trocken; meine Schritte hallen laut auf Trümmerbrocken. Und erschüttert erbeben verdorrte Uferbäume -- Land, wo ist dein Leben? Volk, was träumst du für Träume? 20. Erster Klasse nach Brindisi ~Scusa, Signora e Monsignore!~ und ich nehme Platz im Coupé, con amore. Der Priester scheint auf Kohlen zu sitzen, die Dame strotzt von Juwelen und Spitzen. Der Priester rückt in die äußerste Ecke, die Dame bückt sich, und ich entdecke: sie versteckt ein besudeltes Dingrichs. 21. Corfu Also auch hier wühlen Hühner und Schweine in verwahrlosten Gärten und Auen. Aber wenn wir’s von ferne beschauen, läutert der Lichtgeist alles Gemeine. Weiter und weiter schreit’ich ins Reine, und der Oliven verwilderte Haine überrauschen das menschliche Grauen. 22. Pontikonisi Weiß steht das Kirchlein aus der blauen Flut, Cypressen laden ein zur Himmelsreise. Sacht naht der Fährmann mit der irdischen Speise; ein Glöckchen tönt, das Ruder ruht. Wärst Du, Geliebte, nicht auf Erden, ich könnte Mönch auf diesem Eiland werden. 23. Bergweg bei Patras Ein Schrei -- fast stürzt mein Pferd -- und aufgebäumt ums Felseck biegend seh ich: schluchzend reißt, im Staub knieend, mit aufgelöstem Haar, und schreiend -- oh, so schrie Medea einst, als Jason sie aus Überdruß verließ -- reißt sich ein schönes griechisches Bauernmädchen die türkische Jacke von den nackten Brüsten -- Papiergeld fliegt -- und weg von ihr bergab jagt im Galopp, in klirrender Kutsche hockend, ein schlotternder Stadtherr, häßlich wie ein Mops. 24. Olympia Apollon, der die Tiermenschen bezwang, jetzt als ein Giebelbruchstück ausgestellt, begleitet mich durchs Tempeltrümmerfeld und spricht gen Sonnenuntergang: Lapithen und Kentauren ruhn im Sumpf, Faustkämpfer preist die Menschheit auch nicht mehr, noch aber übermannt euch seelenschwer der Schatten selbst von diesem Säulenstumpf. 25. Tempel bei Bassä Wohl stehn noch stolz die morschen Säulenschäfte ob Steingeröll und niedern Krüppel-Eichen und sind, indeß Eidechsen und Blindschleichen den kletternden Hufen meines Gauls ausweichen, in dieser Höhenluft ein rührendes Zeichen himmlischen Aufbegehrs der irdischen Kräfte, doch rührender rings die tausend Nachtigallen, die durchs Geläut der käuenden Ziegen schallen. 26. Burg und Stadt Karytäng Schmettert, ihr Nachtigallenheere, helft meine Kavalkade befeuern! dort oben herrschte einst Ritterehre, schuf Herzogskronen aus Abenteuern! Aber die griechischen Rosse wollen nur noch zur Futterkrippe trollen. 27. Herberge vor Tripoliza Hier gibt es Alles: Wasser, Häcksel, Mist, Strohsack und Wanzen -- blos Laternen fehlen. Schon aber geht ein frommer griechischer Christ ein Licht aus der Dorfkirche stehlen. 28. Nauplia Ein toter Esel fault im Straßengraben, am Tor ein Hund. Ein Stadtsoldat schleckt sich an Honigwaben die Zunge wund. Mit schmachtenden Blicken hockt ein Rudel Knaben am Mauerwall. Und jedes Auge laben unzählige wilde Blumen, märchenbunt. 29. Wiesen bei Argos Das sind die Blumen aus dem Morgenland: Sie leuchten aus der Ferne wie durch Schleier, sie schimmern seidner als ein Festgewand, sie duften reiner als die Braut dem Freier. Sie scheinen in der Nähe dir bekannt; es glimmt in ihren Kelchen wie ein Feuer, das auch in Dir wohl einst, o einst gebrannt. Du pflückst davon. Doch scheu und scheuer stockt deine Hand: du träumst die Blumen heim ins Morgenland. 30. Mykenä Auf einmal schleppt mich Frau Historia durch wüst Gerümpel und beginnt zu melden: das Löwentor -- die Burg -- die Agora -- -- Was? Hier, hier hausten die homerischen Helden? Weg! In der Dichtung ists ein Göttersaal, hier wirds zum Hottentottenkraal. 31. Akrokorinth Stahlblau erfunkeln mir zwei Meere, Waffen funkeln durch meine Gedanken, wild sich kreuzend, alle die blanken Klingen der Krieger, die dort versanken, Griechen, Slawen, Türken, Franken, Landeskinder und Söldnerheere -- funkeln -- und um zerstürzte Paläste von Strand zu Strand über Tempelreste den Berg herauf zur verfallenden Feste brandet Begeistrung und füllt das Leere. 32. Bei Salamis Fischerlied Ruhe dich, Schiffchen: hier werfen wir Netze. Hier wurden vom Ahnherrn ertränkt die Barbaren. Drum schenkt uns das Meer heut fetten Fisch -- ruhe dich, Schiffchen ... Hundert Heilige wurden für uns gemartert. Fremde Lords sind gestorben für unsre Freiheit. Drum schenkt uns der Himmel heut weichen Wind -- ruhe dich, Schiffchen ... 33. Athen Die Muse spricht: Narrt mich ein Fiebertraum? Stellt nicht dort unten das Theater noch, der Felswand angeschmiegt am heiligen Abhang, traut wie ein Schwalbennest, den Weltkreis vor? Was sucht der Herr da, der den Staub beriecht, wo einst der Feldherr saß, der Opferpriester? Und hier, wo ehmals steilgestreifte Säulen, schwarz wie der Styx, rot wie geronnen Blut, dem blauen Äther, der sie bleichte, trotzten, hier steht gar einer und studiert den Schutt? O Wunder, daß noch Meer und Himmel leuchten! 34. Fahrt zum Parnassos Vom Dampf des Schiffes, den die Hitze ballt, verhüllt: was strahlt aus buntem Dunst herbei? so weiß! -- was träumte mir? -- ein Gipfel -- drei -- ein Kranz von Gipfeln strahlt den Dunst entzwei -- so weiß strahlt nur der ewige Schnee -- so frei -- +Ist’s+ der Parnaß?! -- Flieh, schwüle Träumerei! Hinauf! dort oben ist es kalt. 35. Delphi Mein Dämon spricht: Auf Delphi ruht ein Fluch, da laß uns still vorübergleiten. Mir deucht, wir hatten schon zu Olims Zeiten an dem Orakel in uns selbst genug. 36. Zwischen Leukas und Ithaka Durch dieses Meer trieb einst in irrer Not Odysseus seinem treuen Weib entgegen. Durch dieses Meer trieb wild im Liebestod Sapphos zerbrochner Leib der Nacht entgegen. Durch dieses Meer treibt nun im Morgenrot mein Herz, Geliebte, +Dir+ entgegen. 37. Albanische Küste Die Küste weicht; ich seh mein Schiff mit beiden Bugseiten durch die Flut, die tiefblau glatte, wie durch geschliffnen Stein sich vorwärts schneiden, so undurchsichtig glänzt die spiegelglatte. Ich wende mich und seh im Glanz auf beiden Kielseiten ferne Höhenzüge scheiden; da schwimmen sie wie sagenhafte satte Seekühe, die sich an der Bläue weiden. 38. Hafen von Ancona Zwischen zwei Vorgebirgen lauscht der Wind, der sanften Gruß bringt von der Abendsonne, ob Stadt und Hafen wohlgebettet sind. Er fragt ein Heiligtum, worob es sinnt, einst der Frau Venus Haus, jetzt der Madonne, und alle Glocken künden voller Wonne: In goldner Wiege ruht ein himmlisch Kind. 39. Assisi Wallfahrer haben mir den Weg gezeigt; im öffentlichen Garten rasten wir, und mancher blickt dem heiligen Dichter gleich beseligt auf zum lieben Bruder Himmel. Ein junges Weib nur blickt verstört ins Land, durch das ein Zug lobsingender Mönche wandelt. Am Rand des Gartenberges die Cypressen stehn wie erstarrte schwarze Flammen da, und plötzlich regt sich eine wie entsetzt vor dieses Himmels bleiglutblauer Last. 40. Perugia Sei gesegnet, ruhiger Ort! Frommer Ahnen Meistergilde schuf aus rauhem Felsgebilde für die Enkel dies Gefilde; kannst du zürnen, Gott der Milde, wenn sie nun ins Ewige fort unter den Akazien wandeln, nur noch schauen, nicht mehr handeln?! 41. Am Trasimenischen See Was wohl die Unken klagen dort um das alte Kastell? Daß da mal Römer lagen von Hannibal erschlagen? Daß da den Troubadouren von denen adligen Huren vertrommelt ward das Fell? Man muß nicht immer fragen, um was die Unken klagen; die Frösche lachen hell. 42. Florenz Du Allerschönste, Liebling aller Welt, einst manchem Herrn, jetzt jedem Gaffer feil, und immer noch von Zier und Reiz geschwellt, so lehnst du stolz auf hehrem Ruhebett, dein Haupt wie eines Turmes Zinne steil, dein Schooß wie offne Rosen lebensfroh, und gar den Busen schmückt als Amulett die heilige Kunst des Fra Angelico. 43. Ravenna Ravenna! rief die Inbrunst: gib mir Raum! was brütest du auf Gräbern Tag und Nacht? Und Grüfte wölbten sich zu Farbenhimmeln, in denen tausend Malerseelen träumen, und über denen Dante wacht. 44. Venedig: Punta della Salute Hier möcht ich sterben, alt, wie Tizian starb, doch in verhängter Gondel und allein. Durch einen Spalt nur glühn im Abendschein verwitterte Paläste glorienfarb. Schlaftrunken schaut die Wasserfläche drein und haucht mir eine Seelenruhe ein, die niemals um ein ewiges Dasein warb. So möcht ich sterben ... aber leben: nein! 45. Verona Auf des Amphitheaters höchstem Rand ruht nach vollbrachtem Tagewerk ein Kerl, die braune Stirn noch voller Schweißgeperl, und läßt sich trocken glühn vom Sonnenbrand. Ein simpler Steinmetz, der wohl kaum verstand, wozu sein Flickwerk an dem alten Loch, und hat wie Herkules geschuftet doch; jetzt aber faullenzt er ob Stadt und Land, als sei kein Gott so frei wie Er vom Joch. 46. Wanderstraße am Etsch Arbeitsleute schreiten vor mir schwer, immer schwerer dröhnt bergan ihr Schritt: aus der Ferne graut die Fremde her. Pfeifend halt ich ihnen gleichen Tritt, Strom und Straße schweigen immer mehr: aus der Ferne blaut die Heimat her -- und auf einmal pfeifen alle mit. 47. Sirmione am Gardasee ~Avanti!~ -- Heiter wie des Südens Luft soll dich mein Abschiedsgruß, du liebliche Halbinsel, die Catull besang, umwehn. Hell greifst du durch den blauen See nach Norden, gleich einer gastlich hingestreckten Hand gefüllt mit Veilchen, Immergrün und Frucht. Doch daß auch ernster Schmuck dir wohlsteht, zeigt gleich einer Spange am Gelenk das düstre Kastell, von dessen Söller mich der Ruhm des jungen Bonaparte grüßt -- ~Avanti!~ 48. Hochfeiler am Brennerpaß Heiß auf kalter Höhe mach ich Rast, von den Gletschern kommt ein leichter Hauch, kommt und geht, und lichter Rauch wird mir all die fremde Last, von der Völkerstraße her die Hast, und die Sehnsucht nach der Heimat auch. 49. Innsbruck Die Berge glänzen klar im Kreis, die Luft im Tal ist menschenheiß. Ich trete in den alten Dom, ich atme tief den Dämmerstrom. Erzbilder schimmern durch den Raum, ich träume einen Himmelstraum; und langsam neigen sich die Stirnen der ehernen Ritter vor den fernen Firnen. 50. Konstanz Im offnen Garten ist Konzert am See, der Geist Beethovens schwebt von Stern zu Stern; tief unter Brücken schweigt die Wasserfee, hoch über Türmen schweigt der Alpenschnee, schweigt Stern bei Stern, schweigt wie seit je; und immer noch Konzert, Konzert am See -- o Beethoven, wozu der Lärm?! -- 51. Spezgart bei Überlingen Von Schlucht und Halde weichen Morgenschleier, die Erde dampft der Sonne ihren Dank. Hier trieben wir, Geliebte, Frühlingsfeier; es herzte Trieb an Trieb sich frei und freier, bis über unsre Abschiedsfeier der pfirsichblütne Abend sank. Nun sind die Früchte reif zum Willkommtrank. 52. Stein am Rhein Klosterfrieden, Weltbehagen, lacht hier noch Italiens Glanz? Buntbemalte Giebel tragen frei Boccaccios Fabelkranz. Stromschnell naht das heimatstete Schiff, mit Gästen angefüllt. Wenn doch jetzt Gesang herwehte! Da: weiß Gott, man singt -- man brüllt die „Wacht am Rhein“ ... 53. Triberg im Schwarzwald Stimme der Heimkehr Urweltsprache dröhnt im Wasserfall, läßt kein Menschenwort herdringen; was denn hör ich durch den Schwall doch wie Muttersprache klingen? -- Nicht ein Vogelstimmchen hallt, nur die alten Wipfel schwingen; Welt, ich fühle wieder deutschen Wald, höre deutsche Quellen singen! -- 54. Heidelberg Das alte Schloß ... Man zankt sich wohlgesinnt im Akademischen Kulturverein: Ist’s zu erneuern? -- wie! -- halb? ganz? -- ja! nein! Der will das „Wesen“ wahren, Der den „Schein“, Jeder lügt Leben in den toten Stein und schilt die Andern wahrheitsblind. Ich sehne mich nach einem Menschenkind, das garnichts will als ganz natürlich sein. 55. Bingen am Rhein Du kleine Stadt am Strom, mir weltengroß, dir dank ich meine Mutter, dir das Weib, das mir so lieb ist wie mein eigner Leib, ich williger Pilgersmann von Schooß zu Schooß. Du Strom, du großer, spiegelst du mein Los? du kleine Welle, meinen Weltverbleib? Eilt nicht auch ihr mit Seel und Leib von Schooß zu Schooß, von Bergesschooß zu Meeresschooß?! -- Wiedersehn Eh du kamst, schienen mir alle Schiffe im Hafen Unheil zu brüten auf der steigenden Flut. Und nun lächelst du ihnen, weil mein Blick drauf geruht hat; und ich lache ihnen, weil Dein Blick drauf geruht hat; und alles ist gut. Siegerin Mit deinem Lächeln bewältigst du die Nacht: ich fühl’s um deine Lippen schweben und sehe Sterne aufgehn in meiner Seele. Mit deinem Lachen bewältigst du den Tag: ich seh’s aus deinen Augen strahlen und fühle die Sonne in mich versinken. Letzte Bitte Lege deine Hand auf meine Augen, daß mein Blut wie Meeresnächte dunkelt: fern im Nachen lauscht der Tod. Lege deine Hand auf meine Augen, bis mein Blut wie Himmelsnächte funkelt: silbern rauscht das schwarze Boot. Zweier Seelen Lied Lieber Morgenstern, lieber Abendstern, ihr scheint zwei und seid eins. Ob der Tag beginnt, ob die Nacht beginnt, findet euer Schein in uns Zweien die Liebe wach. Lieber Abendstern, lieber Morgenstern, hilf uns Tag für Tag eins sein, bis die letzte Nacht uns eint. Psalm zweier Sterblichen Von Ida und Richard Dehmel Der Mann: Göttin Zukunft, mit gefesselten Händen hältst du eine geschlossene Schriftrolle, drin mein Schicksal verzeichnet steht. Langsam, Tag für Tag, ringe ich deinen Fingern Zoll für Zoll die Urkunde ab, Zeile für Zeile. Bis der Augenblick kommt, wo das entrollte Papier, eh ich das letzte Wort noch las, meinem erschöpften Arm entfällt; und mit gefesselten Händen gibst du den Winden zur Sage anheim, was ich tat. Das Weib: Schicksalsgöttin, ich liege vor dir auf den Knieen. Du hältst in deinen, ach, gefesselten Händen eine goldene Tafel, drin die Namen nur derer eingegraben stehn, die Unvergeßliches taten. Auf den Knieen, Schicksalsgöttin, bitte ich dich: Laß mich nicht ins Namenlose versinken! Spreng deine Fesseln -- oder nur einen Augenblick reich mir die goldene Tafel, und neben die Runen der Helden und der Weisen schreibe ich hinsinkend: Ich liebte. Im Geiste Ich steh im Geiste an ein Grab geführt, wo Eine ruht, die so beseelend lebte, daß ich nicht glauben kann, ihr Geist entschwebte; ich steh wie einst vor ihr, so rein gerührt. Und dort steht Einer, dessen Auge schürt noch reiner an, was damals in mir bebte; er wars, der zart ihr Reinstes mir verwebte, und steht nun starr, als hätt er’s nie gespürt. Du Hüter dieses heiligen Grabes, wehre der Andacht nicht, die Geist dem Geist hier weiht; es bebt in dir wie mir das seelvoll Leere. Die wirren Zeiten haben uns entzweit; hier aber rührt uns Klarheit, und ich kehre vereint mit dir den Blick zur Ewigkeit. Nachglanz Einst geliebte Seele, immer noch empfundne, sternklar weist die Nacht mir Weiten, die auch dich umschließen, du entschwundne. Gütig glänzen wieder alle Lichter oben, die uns je zu gleicher Andacht von der trüben Erde auferhoben. Einsamkeit und Dunkel sind nun nicht mehr Qualen. Dankbar betet Seel in Seele: Sterne, all ihr Sterne, helft uns strahlen! Verewigung Freund in der Ferne, wer du auch seist, Flüchtling auf der Erde wie ich, die wir zwischen den Sternen hausen, du ein Unvergänglicher, ich ein Unvergänglicher, weil wir’s fühlen -- sieh, ich feire eine Seelenbefreiung. Ich sitze am Sarg einer lieben Gestalt, wie ich an manchem Sarg schon saß und an manchem noch sitzen werde: ich habe geweint, ich lächle. Diese liebe Gestalt wird bald zerfallen; nie mehr wird ihr Mund mir Rätsel aufgeben, ihre Hand mir die Stirnfalten lösen, nie wieder werden ihre Augen mir die Sonne ins Herzdunkel spiegeln. Nichts wird weiterleben von ihrer schlanken Erscheinung, nichts als ein Schemen in meinem Gedächtnis, bald verdrängt durch ihr Bild von fremder Malershand, durch viele andre Schattenbilder, und auch die werden alle zerfallen. Nur was sie seelvoll zusammenhielt, was uns zusammenhält noch beide, warum wir Blick in Blick einst erbebten: nur das wird bleiben zwischen den Sternen, wird immer neue Gestalt annehmen, wird warten, daß auch ich mich verwandle, bis wir einander wieder erscheinen in den Schaaren der Ätherdämonen, wieder erbeben. Dann werden wir uns wohl begrüßen wie einst auf Erden das erste Mal: uns nicht erkennend, nur beglückend, viel zu beseligt der neuen Gegenwart, als daß wir alter Zeiten gedächten. Und werden uns wohl wieder wundern, im stillen fühlend: das letzte Mal, da haben wir geweint zusammen, da mußten wir uns noch befreien -- jetzt lächeln wir, jetzt lächeln wir -- wir Unvergänglichen -- -- Am Ufer Die Welt verstummt, dein Blut erklingt; in seinen hellen Abgrund sinkt der ferne Tag, er schaudert nicht; die Glut umschlingt das höchste Land, im Meere ringt die ferne Nacht, sie zaudert nicht; der Flut entspringt ein Sternchen, deine Seele trinkt das ewige Licht. Aufrichtung Hörst du Nachts die leere Stille schallen? Tote Seelen rufen dich von fern. Eine aber war dir wert vor allen; o, nun möchtest du vor Schmerz ihr folgen, ihr und ihrem unsichtbaren Herrn. Und du kannst nicht fassen, daß du weiterlebst, daß du deinen Arm zur Abwehr hoch ins Dunkel hebst; und auf einmal schweigt es, und mit frommen Händen legst du deinen Schmerz auf einen Stern. Heilige Nacht Es steht ein Stern, der leuchtet klar, von Nacht zu Nacht, schon tausend Jahr. Es kommt ein trüber Wandersmann, an eine Stalltür klopft er an. Wer bist du, Mann? was suchst du hier? Ich suche Gott in Mensch und Tier. Dann tritt herein, hier kannst du sehn Ochs, Esel und ein Lämmlein stehn. Ein Lämmlein wie im Paradies; ein Knäblein streichelt ihm das Vlies. Das Knäblein sitzt auf Mutters Schooß, hat Augen wie der Stern so groß. Es sieht der trübe Wandersmann die stolze Magd, den Knaben an. Ja, sieh nur in die Augen sein, da siehst du Gottes Glorienschein! Ich ächzte wie ein Tier fürwahr, indeß ich lag und ihn gebar; nun krönt auch mich der Schöpferglanz, so schön ist keiner Jungfrau Kranz! Es steht der Wandersmann und sinnt; es lacht die Magd und herzt ihr Kind. Das Lämmlein leckt an ihr hinauf; Ochs, Esel stehn und horchen auf. O Mutter Gottes, höre mich an, mich vielversuchten Gottesmann! Vor deiner Schönheit könnt ich fliehn, vor deiner Wahrheit lieg’ich auf den Knien. Ich ging auf Erden hin und her: es hieß, daß Gott gestorben wär. Doch siehe da: von jeder Magd wird er aufs neu zur Welt gebracht. Nun bin auch ich ein Gottessohn; +o Mutter, nimm dies Lied zum Lohn+! Es steht ein Stern schon tausend Jahr und leuchtet noch wie einst so klar. Evas Klage Stern im Abendgrauen, laß dein bleich Erschauern; laß mich endlich ruhig heim gen Eden trauern. O Eden, mein Eden, Garten meiner Träume, warum gab mir Gott den Anblick deiner Frühlingsbäume! Deine Sommerfluren hat er nicht behütet; in den stolzen Garben hat der Blitz gewütet. In dein Herbstgefilde ist der Sturm gekommen, hat mir von den Ästen Frucht auf Frucht genommen. Warum sang der Frühling, sang von seligem Wandern nur auf Blumenauen, sang von einem seligen Andern! Ach, er kam, der Andre, kam mit Glut und Flammen; über meinen Blumen schlugen sie zusammen. Lachend aus der Asche hat er mich getragen. In der kalten Fremde hat ihn Gott erschlagen. Winter ist geworden. Ach, ich möchte weinen. Aber seine Seele lacht noch in der meinen. Still auf seinem Grabe will ich warten, warten; meine Kinder irren suchend nach dem Garten. O mein Garten Eden, verlornes Eden, o Eden, mein Eden, stehst du denn noch offen? Bis zur letzten Stunde will ich auf dich hoffen! Magst du, Gott, mich töten, mag mein Traum verglühen, aber meinen Kindern muß er neu erblühen! Laß dein bleich Erschauern, Stern im Abendgrauen! Endlich kann ich ruhig heim gen Eden schauen. Magst du, Stern, versinken, mag ich selbst vergehen: meine Kinder werden Eden wiedersehen. Eines Tages Phantasieen zweier Liebenden Morgen „Auf, mein schwarzer Zaubrer, auf, eile, spinne Gold, es tagt, schmücke deine stolze Magd! Laß die Strahlen nicht verwittern, die dem Morgenstern entsplittern! Heute Mittag muß die Erde sich entzücken am Geschnauf deiner wilden Siegespferde! Auf, mein goldner Zaubrer, auf!“ Laß mich träumen, Zauberin, sprich mir nicht vom Tag der Schlacht; nimm die Strahlen, spinn sie, spinn. Mich verstört das Marktgepränge, wo die Erze vor der Menge zur verstaubten Sonne dröhnen. Überirdisch ist die Nacht, wo die heimlichen Gesänge meiner zahmen Schlangen tönen; sprich mir nicht vom Tag der Schlacht, laß uns träumen, Zauberin, nimm den ganzen Himmel hin ... Mittag „Aber jetzt, mein Held, mein Sieger, komm, mein König, komm, mein Krieger, gib dich nicht den Gaffern preis! Wirf sie weg, die blanken Bälle, die so kalt, so gläsern klingen und vor Hitze fast zerspringen; führe mich an eine Quelle, dies Getümmel riecht nach Schweiß! Komm, was stehst du bei den Leuten, du ermattest nur im Schwarm; und bis Abend muß dein Arm noch ein drittes Reich erbeuten!“ Königin, du störst mein Spiel. Auf mein Volk herabzusehen, wahrlich, das war nicht mein Ziel. Schau: in diesem kleinen Ball, weiß man ihn nur recht zu drehen und das wird man bald verstehen, spiegelt sich das große All. Spiele mit! Komm, Siegerin, nimm den ganzen Erdball hin ... Abend „+Ist+ hier nicht das dritte Reich? ach, mein rascher Pilger, säume! Bannt dich nicht der dunkle Teich, über den die Lilienbäume ihren süßen Atem breiten? Und schon naht der Elefant, drauf der Buddha Ewigkeiten über unsre Seelen spannt. Ja, mein Zaubrer: spiele! träume!“ Pilgerin, mir kommt ein Bangen; siehst du nicht im bunten Laube jene großen Schlangen hangen, die mir fremd sind? und ich glaube, daß sie Träumern Unheil brüten. Ahnst du nicht, wonach ich suche? Nicht nach üppigem Geruche! laß uns wachen, Pilgerin! Brich dir eine dieser Blüten; und, im Haar die weiße Blume, folge mir zum Heiligtume, nimm die Ewigkeit da hin ... Nacht „Willst du mich denn +nie+ erhören? Nennst du dazu mich die Deine, um mich langsam zu zerstören? Ich zerfalle fast in Stücke; wohin führt nun diese Brücke, die der Mond in Schatten legt? Immer neue Meilensteine! ich bin müde! mich bewegt keine Liebe mehr zum Ruhme, auch zu keinem Heiligtume; nimm mir aus dem Haar die Blume -- sieh, mein Einziger, ich weine.“ Weine, weine, wein es aus! O, nun darf ich mich dir beugen, Weib, dort schimmert unser Haus. Hinter jener hellen Scheibe, nur noch Seele, nur noch Sinn, die du bist und der ich bin, werden wir mit nacktem Leibe einen neuen Menschen zeugen -- o du Meine, nimm mich hin! Eine Lebensmesse Dichtung für ein festliches Spiel Chor der Greise: Wenn der Mensch, der dem Schicksal gewachsen ist, sein zerfurchtes Gesicht vor der Allmacht der Menschheit beugt, nur noch vor der Menschheit: dann wird seine Seele wie ein Kind, das im Dunkeln mit geschlossenen Augen an die Märchen der Mutter denkt. Alle Sterne werden dann sein Spielzeug; durch das wilde Feuerwerk der Welt kreist er furchtlos mit den unsichtbaren mütterlichen Flügeln, sieht er innig und verwundert zu, wie das Leben aus der Werkstatt des Todes sprüht. Denn nicht über sich, denn nicht außer sich, nur noch in sich sucht die Allmacht der Mensch, der dem Schicksal gewachsen ist. Eine Jungfrau: Aber wenn auf Frühlingswegen durch den scheinbar dürren Hain alle Kräuter mir entgegen wachsen, wenn im Sonnenschein jedes Auge Osterkerzen aus sich ausstrahlt, Mensch und Tier, und mir geht das so zu Herzen, daß mich meine Brüste schmerzen: dann gerat ich außer mir! und ich werf mich zum Erbarmen in den rauhen Rasen hin, und ich möchte das Schicksal umarmen, dem ich doch gewachsen bin! Chor der Väter: Eine wandelnde Wage ist der Mensch. Mit Haupt, Herz, Händen wägt er sein Wohl; nur mit der Rechten gibt er den Ausschlag, und seine Zunge schreit nach Gleichgewicht. Fass festen Fuß, du hast die Macht der Wahl! Es kommen Viele vor Sehnsucht nie zum Ziel; gern bis zum Äußersten geht der Mensch in seiner Ohnmacht, und Tat wird Untat. Doch immer treibt ihn die Sehnsucht nach Ruhe: rastlos rast er von Brust zu Brust, Schooß zu Schooß, und sucht nichts als den Menschen, der dem Schicksal gewachsen ist. Ein Held: Kommt mir nicht mit Euerm Treiben, ich weiß kein Ziel, ich will kein Wohl! ich habe nur dies mein Herz im Leibe, das von jeher überschwoll. Ich hatte Freunde, ich gab Gelage, und manches Weib war mir zu Sinn; aber an einem Sommertage zeigte sich mit Einem Schlage, wozu Ich gewachsen bin. Das Spiel der Hörner und der Geigen verstummte plötzlich wüst und irr: mitten durch den Erntereigen kam ein losgerissener Stier. Und da riß mich mein Herz vom Platze, und man griff nach mir vor Schreck; aber mit Einem Satze schlug ich dem Freund in die Fratze, stieß ich das Weibsbild weg! Und jetzt reit ich von Sieg zu Siegen bahnfrei auf meinem Stier dahin, bis ich dem Schicksal erliege, dem ich gewachsen bin. Chor der Mütter: Mit Schweiß und Tränen und manchem Tropfen Blut setzen wir Kinder auf diese Erde und lehren sie Vorsicht und üben Nachsicht, bis sie sich selbst mehr lieben als uns. Und Schweiß und Tränen und Ströme von Blut vergießen die Kinder dieser Erde vor lauter Vorsicht und lehren Nachsicht und lernen nie, was Liebe ist. Denn Schweiß und Tränen und alles Blut vergessen wir entzückt, wenn Einer, den Blick der Sonne oder fernsten Sternen zugewandt, über die Erde hinstürmt ohne Vorsicht, ohne Nachsicht, über sich und Andre hin. Jeder Lehre zuwider, nur dem Leben zu Liebe, rühmen wir Kindern und Kindeskindern opferselig den Einen, schöpferselig den Menschen, der dem Schicksal gewachsen ist. Eine Waise: Ich kenne Keinen, der mich will leben sehn: ich möchte weinen, aber um wen! Bald kommt der Herbst mit seinen Stürmen, die Blätter schwirren; wo werd’ich irren, wenn sie den winzigsten Gewürmen Heimstätten türmen? Wohl stehn mir Hütten, Paläste offen; aber ich möchte mein Herz ausschütten, Einem ins Herz zu wachsen hoffen, und dann stehn die Menschen betroffen. Könnt ich noch weinen, wäre mir wohl zu Sinn; ich kenne Keinen, dem ich gewachsen bin. Zwei erfahrene Sonderlinge: Wenn uns Hilferufe schmerzen, können wir nicht abseits bleiben; eins und gleich ist unsern Herzen, was uns treibt und was wir treiben. Sei getrost! Der eine allein: Komm an meinen stillen See, wenn die Menschen dich nicht wollen. Der andre allein: Komm auf meinen wilden Strom! sieh, wie hell die Wellen rollen! Der Eine: Aber unten ist es dunkel; komm an meinen stillen See! Bis zum Grunde welch Gefunkel, wenn die Sonne taucht ins Feuchte; und in Nächten welch Geleuchte, Welten flimmern auf wie Schnee! Kannst du dich denn noch besinnen, wenn dir alle Himmel winken? wenn sie dir zu Füßen sinken und dich spiegeln und dich trinken! Lächelnd gehst du unter drinnen. Der Andre: O, du kannst dich noch besinnen; aber komm auf meinen Strom! Da rauscht und raunt der Urton drinnen, dem Wellen, Wolken, Wälder, Zinnen, Berge und Burgen entgegenrinnen, und orgelstürmisch Dom auf Dom: der Ton des Ursprungs aller Ziele, der Tropfenstürze um dich her, des Abgrunds unter deinem Kiele -- Und so gehst du mit klingendem Spiele lachend auf ins große Meer! Die Waise: Auf --! Ach --: weise -- lieb und weise lachen sie mich Beide an. Ach, wem dank ich für die Reise? Bin ich doch nur +eine+ Waise, die sich nicht zerreißen kann! Die zwei Sonderlinge: Hahahah, du liebes Kind! Ohne Einfalt ist am Ende alle Weisheit taub und blind. Komm: vereine unsre Hände -- Die drei Einigen: die dem Schicksal gewachsen sind! Der Held: Wenn ich Euch in Eintracht sehe, wird mir plötzlich kalt und heiß; durch mein Herz brandet ein Wehe, das sich nicht zu lassen weiß. Holt mir jene Jungfrau vom Wege, der das Land zu eng war hier! Schwillt mir Deren Herz entgegen, will ich sie an Mein Herz legen, und ich +schlacht+ ihr meinen Stier! Und wir steigen zu Schiff und lenken uns durch Wetter und Wasser und Wind; und sie soll mir Kinder schenken, die dem Schicksal gewachsen sind! Chor der Kinder: Dann wird ein Winter kommen, friert alles Wasser zu: da haben alle Wellen, alle Schifflein Ruh. Und ein stiller Weihnachtsengel geht von Haus zu Haus, hebt seine weißen Finger, dreht alle Lampen aus ... Bringt ein grünes Bäumchen mit, steckt neue Lichter auf; das glänzt wie Frühlingsblütennacht, und sind auch Früchte drauf. Du stiller Weihnachtsengel, mach uns geschickt wie Du! wir sind ja noch so klein, so klein, und wachsen immer zu ... Die Greise: -- +immer zu+ -- -- Alle Großen: Seele der Menschheit, immer wieder rührst du uns aus Kindermund. Die du alle Tiere in dir trägst und den Blumen ihre Farben sagst und mit jauchzenden Jammerlauten, daß sich Steine verwandeln, Götter gebärst: Warum suchen wir Dich, die du +in+ uns bist, uns in alle Welten schickst, uns mit Übergewalten, die den weisesten Mann empören, zu Kindern machst, die sich fromm in Alles schicken, Alles, Alles, die dem +Schicksal+ gewachsen sind?! -- Zwiegesang überm Abgrund Des Todes Stimme: Du pfadloser Sucher, ich will dich heimfinden lassen. Im Schneesturm, im Nebelbrodem, im Blitzstrahl, im Wolkenbruch, im berauschenden Wirbel des Lichts von Welle zu Welle sollst du dich schaukeln traumgewiegt, in jeder Luftspiegelung zuhause, in jedem Steinfunken, jedem Samenflimmer, ruhsamer Phönix im fliegenden Feuernest: tu nur den Schritt jetzt, vor dem dir graut, zu dem dein Grauen dich kniefällig lockt, den einen Sprung von deinem erkrochenen Gipfel in meine allbeschwingende, allverschlingende, unerschöpfliche Tiefe. Eines Menschen Erwiderung: Versucher, zielloser du, ich danke dir. Hab ich nicht schon, was du alles versprichst? Die Jagd durchs Luftmeer vom frühen Morgen an, die Entzückung, mich wie ein Baum zu fühlen, wenn ich die Arme ins Blaue strecke, vogelleicht atmend mit heißen Lungenflügeln, wurzelhafte Schwermut im Nerven- und Adern-Geflecht, Kopf, Herz, Schooß voller Keimtriebe! Und hab ein Ziel: bei der Heimkehr Abends in stiller Kammer den dunkeln Blick meiner lieben Frau, mit dem sie mir den Schlaftrunk reicht, einen irdnen Krug voll Milch oder Wein und voll Ruhe. Am Opferherd Komm an mein Feuer, mein Weib, es ist kalt in der Welt. Komm an mein Feuer und lege dein Ohr an mein Herz. Komm an mein Feuer und mache aus meinen Händen eine leuchtende Schale für die Wärme, die wir -- o +wir+, mein Weib -- verschwenden an die Welt. Zwei Menschen Roman in Romanzen Dritte Ausgabe Leitlied Öffne still die Fensterscheibe, die der volle Mond erhellt; zwischen uns liegt Berg und Feld und die Nacht, in der ich schreibe. Aber öffne nur die Scheibe, schau voll über Berg und Feld, und hell siehst du, was ich schreibe, an den Himmel schreibe: Wir Welt! Erster Umkreis -- Die Erkenntnis -- Eingang Steig auf, steig auf mit deinen Leidenschaften, tu ab die lauliche Klagseligkeit; lach oder weine, hab Lust, hab Leid, und dann recke dich, bleib nicht haften! Um den Drehpunkt des Lebens kreisen Wonne und Schmerz mit gleichem Segen; sieh, mit unaufhaltsamer Sehnsucht weisen die Menschen einander Gott entgegen! Stolpert auch Jeder über Leichen, schaudre nicht davor zurück! denn es gilt, o Mensch, ein Glück ohne gleichen zu erreichen. Vorgänge: I, 1-36 1. Zwei Menschen gehn durch kahlen, kalten Hain; der Mond lauft mit, sie schaun hinein. Der Mond läuft über hohe Eichen; kein Wölkchen trübt das Himmelslicht, in das die schwarzen Zacken reichen. Die Stimme eines Weibes spricht: Ich trag ein Kind, und nit von Dir, ich geh in Sünde neben dir. Ich hab mich schwer an mir vergangen. Ich glaubte nicht mehr an ein Glück und hatte doch ein schwer Verlangen nach Lebensinhalt, nach Mutterglück und Pflicht; da hab ich mich erfrecht, da ließ ich schaudernd mein Geschlecht von einem fremden Mann umfangen, und hab mich noch dafür gesegnet. Nun hat das Leben sich gerächt: nun bin ich Dir, o Dir, begegnet. Sie geht mit ungelenkem Schritt. Sie schaut empor; der Mond läuft mit. Ihr dunkler Blick ertrinkt in Licht. Die Stimme eines Mannes spricht: Das Kind, das du empfangen hast, sei deiner Seele keine Last, o sieh, wie klar das Weltall schimmert! Es ist ein Glanz um alles her; du treibst mit mir auf kaltem Meer, doch eine eigne Wärme flimmert von dir in mich, von mir in dich. Die wird das fremde Kind verklären, du wirst es mir von mir gebären; du hast den Glanz in mich gebracht, du hast mich selbst zum Kind gemacht. Er faßt sie um die starken Hüften. Ihr Atem küßt sich in den Lüften. Zwei Menschen gehn durch hohe, helle Nacht. 2. Die Sonne strahlt auf rauhen Reif; Baum bei Baum steht weiß, steht steif. Aus ihren Pelzen von Kristallen lassen die Zweige Tropfen fallen. Schon zeigt ein Wipfel nackte Spitzen, die feucht und scheu gen Himmel blitzen. Der Park will weinen, die Sonne lacht; zwei Menschen beschauen die schmelzende Pracht. Sie stehn auf eisernem Balkone. Ein Mann sagt innig, sagt mit Hohn: So, Fürstin, wars im blendenden Saale. So standest du bei deinem Gemahl in deinem Pelz von Silberbrokat, als ich, ein Lohnmensch, vor dich trat. Da: fühlst du’s noch? was war da ich, der hergeschneite Unbekannte -- und wie sich plötzlich außer sich dein Auge doch in meines brannte und immer nackter sich entspannte, als ob im glitzernden Gehölze das Schwarze aus dem Weißen schmölze. Ja, Fürstin, da beherrscht ich mich und küßte nicht, o Du, die Hand, die schon zu mir herüberfand, sonst hätt ich auch den Mund geküßt; so klar, so starr ergriff mich dein Gelüst, mit mir gleich zwei erschütterten Kristallen, die mächtig warm das ewige Licht beschlich, in Einen Tropfen zusammenzufallen. So bist du mir; so rein, so frei! -- Und ich?? Hoch steht der Park mit Eis befiedert. Die starren Wipfel, Trieb an Trieb, erschauern wirr. Das Weib erwidert: Ich weiß nicht, wie du bist -- du bist mir lieb -- Ein Windstoß stöbert durch den Park. Zwei Menschen fröstelt bis ins Mark. 3. Aus erleuchteten Fensterräumen tönt in die Nacht Musik und Tanz; jenseits der Straße verschwimmt der Glanz unter dunklen Trauerbäumen. Ein Kirchhof schweigt da, Grab an Grab. Das Licht prallt von den Leichensteinen, die schwarz durch weiß zu huschen scheinen; zwei Menschen wandeln auf und ab. Am winterlich durchnäßten Zaune tönt eines Weibes zögerndes Geraune: Schon Einmal wollt sich bei solchen Klängen Einer in mein Innres drängen; ich hatt ihn Jahr und Tag gekannt. Wenn er in meiner Nähe stand, ging mir das Blut in Feuerflüssen. Als er mich endlich wagte zu küssen, war alles in mir abgebrannt. Ich hörte nur die Tanzmusik: was er wie Sphärenklang empfand, war mir Gedudel und Gequiek. Ich konnt mir nit ein Wörtchen abringen. Jetzt -- hör ich Engelsharfen klingen. Von den goldig glänzenden Lettern der Gräber scheint der Glanz abzublättern, das Licht schielt um die nassen Gitter. Ein Mann gesteht, fast mit Gezitter: Wir haben einander sehr ähnlich gelebt. Unsre Liebe tanzt auf Leichen, die keine fromme Hand begräbt. Noch gestern sah ich ein Gesicht erbleichen: sie will vom Leben nichts als mich, ich konnt ihr nichts als Mitleid reichen, in das sich noch Verachtung schlich. Ich liebe dich. Das Licht lacht auf den blanken Steinen. Zwei Menschen möchten lachen und weinen. 4. Zwischen geputzten Herren und Damen, die durch Zufall zusammenkamen, wiegen zwei Menschen sich im Tanz; um sie rauscht des Saales Glanz. Bebend legt sich im Kreis der Kerzen sein dunkles in ihr schwarzes Haar, legt sich über zwei bebenden Herzen an ihr Ohr sein Lippenpaar: Ja, du: wiege dich, laß dich führen, und fühl’s, fühl’s: Niemand kann uns trennen! Laß uns nichts als Uns noch spüren, selig Seel in Seele brennen! Zehn Jahr lang glaubt ich, daß ich liebte; zu Hause sitzt mein Jugendglück, sitzt und starrt auf Einst zurück, als ich sie noch „ewig“ liebte. Nimm mich, wiege mich! -- Hingegeben bringt sie jetzt ihr Kind zur Ruh; ist auch +mein+ Kind! -- Nimm mich, Leben, wiege, wiege mich, führ mich Du! Taumelnd drängt sich im Kreis der Kerzen sein wirres in ihr wirres Haar, drängt sich über zwei taumelnden Herzen an sein Ohr ihr Lippenpaar: Ja, es wiegt uns! Nit erzählen! Führe mich sanfter! Nit uns quälen! du bist mir gut, ich bin dir gut. Hab doch auch die Seel voll Schmerzen: spür ein Kindchen unterm Herzen, und ist nicht von Deinem Blut. Sanfter noch -- mir braust vor Hitze; komm, sei lieb, mein wilder Tor, hüte deine Augenblitze -- nick mal -- lach mal -- mir ins Ohr! Ihr schwarzes Haar erschauert ganz. Zwei Menschen wanken; es stockt ihr Tanz. 5. Hitze schwingt. Ein Raum voll Schlangen strömt durch Glas und Gitterstangen Dunst; zwei Menschen stehn davor. Die gesättigten Gewürme hängen still in buntverflochtnen Strängen. Einem Manne haucht ein Weib ins Ohr: Du, die Schlangen muß ich lieben. Fühlst du die verhaltne Kraft, wenn sie langsam sich verschieben? Eine Schlange möcht ich mir wohl zähmen; möcht ihr nit ein Gliedche lähmen, wenn ihr Hals vor Zorn sich strafft. Eh sie noch vermag zu fauchen, werden ihre Augen nächtig -- Sterne tauchen wie aus Brunnenlöchern auf -- setz ich ein Rubinenkrönche auf ihr Stirnche: still, mei Söhnche, züngle, Jüngle -- Ringle, lauf, spiel mit mir! -- Du, Das wär prächtig. Hitze schwingt. In gleichen Zwischenräumen tippt ihr Finger an die Scheibe; ihre Augen stehn in Träumen. Während sich zwei Vipern bäumen, sagt ein Mann zu einem Weibe: Du mit deinem egyptischen Blick, bist du so wie die dadrinnen? Noch, du, kann ich dir entrinnen! Daraus knüpft man sein Geschick, was und wie man haßt und liebt. Komm: wir wollen uns besinnen, daß es Tiere in uns giebt! Hitze schwingt. Zwei Augen wühlen brandbraun in zwei grauen kühlen; doch die stählt ein blauer Bann. Und zwei Seelen sehn sich funkelnd an. 6. Durch stille Dämmrung strahlt ein Weihnachtsbaum. Zwei Menschen sitzen Hand in Hand und schweigen. Die Lichter züngeln auf den heiligen Zweigen. Ein Mann erhebt sich, wie im Traum: Ich kann zu keinem Gott mehr beten als dem in dein-und-meiner Brust; und an die Gottsucht der Propheten denk ich mit Schrecken statt mit Lust. Es war nicht Gott, womit sie nächtlich rangen: es war das Tier in ihnen: qualbefangen erlag’s dem ringenden Menschengeist. O Weihnachtsbaum -- o wie sein Schimmer, sein paradiesisches Geflimmer gen Himmel züngelnd voller Schlänglein gleißt! Wer kann noch ernst zum Christkind beten und hört nicht tiefauf den Propheten, indeß sein Mund die Kindlein preist, zu sich und seiner Schlange sprechen: du wirst mir in die Ferse stechen, ich werde dir den Kopf zertreten! Ein Weib erhebt sich. Ihre Haut schillert braun von Sommersprossen; ihr Stirngeäder schwillt und blaut. Sie spricht, von goldnem Glanz umflossen: Ich denk nicht nach um die Legenden, die unsern Geist vieldeutig blenden; ich freu mich nur, wie schön sie sind. „Uns ist geboren heut ein Kind“ -- das klingt mir so durch meine dunkelsten Gründe, durch die zum Glück, dank einer Ahnensünde, auch etwas Blut vom König David rinnt, daß ich mich kaum vor Stolz und Wonne fasse und deine Schlangenfabeln beinah hasse! Er lächelt eigen; sie sieht es nicht. Ein Lied erhebt sich, fern, aus dunkler Gasse. Zwei Menschen lauschen -- dem Lied, dem Licht. 7. Kaminfeuer und blauer Tag liebkosen ein hohes Damengemach, die Wärme scheint schier frühlingshell; zwei Menschen ruhn auf einem Eisbärfell. Der Mann bestarrt die meergrün seidnen Wände. Das Weib faßt zärtlich seine Hände: Quälst dich schon wieder mit Alltagssachen? Lukas! mein Traumprinz! sollst doch lachen! Sollst uns mit Märchennamen taufen: nit so hinterm Leben herlaufen, nit so häßlich auf deiner Hut sein. Weißt? wenn du lachst, Lux, muß alle Welt dir gut sein! Er lacht und küßt die schmeichelnden Fingerspitzen, fährt durch den dunkeln Haarbusch sich, und seine grauen Augen blitzen: Ja -- wenn ich traurig bin, hass ich mich; dann wird wohl auch die Welt mich hassen. Jetzt aber will ich dich beim Worte fassen, Lea: höchst wirklich tauf ich dich. Es tut nicht not, daß man dem Alltag trotzt; es gibt kein Wort, das nicht von Märchen strotzt. Drum bleibe nur das Wunder, das du bist, und ich bin Lukas dein Evangelist. Du bist die Fürstin Isabella Lea, die löwenkühne Gottbeschwörerin; aus deiner schwarzen Mähne, mea Dea, lauscht Mutter Isis, Mutter Gäa zum Lichtbringer Osiris hin. Denn hier thront Lukas Lux, dein Sekretär, das dunkle Raubtier mit den hellen Lichtern, der Große Geist-Luchs der Indianermär, verhaßt wie Lucifer den Blaßgesichtern. So tauf und krön ich dich mit neuem Sinn: komm, meine große Geistbeschwörerin! Er schlägt das weiße Fell um sie und sich. Zwei Menschen freun sich königlich. 8. Sylvesternacht. Viel Glocken läuten. Fern graut die Großstadt her. Zwei Menschen sehn den Dunst des Horizontes leuchten und drüber die Millionen Sterne stehn. Zwangvoll, um ein Weib nicht zu berühren, lehnt ein Mann auf eisernem Balkone, sagt mit trunknem, heiserm Ton, während im Hause Gläser klirren: Dort schläft im Dunst mein Eheweib, und Du -- besiehst mit mir die Sterne. Und hinter uns trinkt Jemand Haut-Sauternes, dem du gehörst mit deinem Leib, mit deinem hoffnungsvollen Leib. Himmel, Himmel, o könnt ich blind sein! Lea! blind sein! wirklich noch Kind sein! Nimm mir’s ab, dies eisige Grauen: klar und kalt wie Gott durchschauen: nur aus Leid ist Glück zu bauen. Alles Leid ist Einsamkeit, alles Glück Gemeinsamkeit -- Er stockt. Die Glocken rings verstummen; es ist, als ob die Sterne summen. Die Stirn erhebend sagt ein schwangres Weib: Nur mir, nur Gott gehört mein Leib. Mir steht ein andrer Himmel offen, als ihn die Leidenden ermessen. Hast du dein eignes Wort vergessen: Gott ist der Mensch, auf den wir hoffen?! Uns ging kein Paradies verloren, es wird erst von uns selbst geboren. Schon reift in manchem Schooß auf Erden ein neuer Menschensohn -- der sagt: so ihr das Himmelreich nicht in euch tragt, könnt ihr nicht wie die Kindlein werden! Es glitzern die Millionen Sterne; zwei Menschen schauen in die Ferne. 9. Ein Zimmer schwimmt voll Zigarettenduft, zwei Menschen hauchen Ringe in die Luft. Immer wieder blickt ein Weib einen Mann verstohlen an -- seine offne Stirn, den kurzgehaltnen Bart, den Mund von träumerisch verschlossener Art, Hiebnarben neben den heftigen Nüstern -- und fängt wie unwillkürlich an zu flüstern: Diese Nacht war furchtbar. Ich konnt nit schlafen: mich quälten die unausgesprochnen Dinge. Es war halb Traum halb Höllenstrafe. Wie auf der Jagd -- als stäke mein Hals in Schlingen; fern stand mein Gatte und schrie hetz-hetz! Plötzlich ein Ruck: es war, als klinge das Telephon am Kopfend’ meines Betts, als wolle die Frau mich Grauenhaftes fragen, die du -- o Lux: nit wahr? ich glaub, Dir kann ich Alles, Alles sagen; o furchtbar, sich mit Heimlichkeiten tragen! Nit, du? -- Du! Lukas -- Bist du taub?! Schweigen. Ihre Augen schauen nachtbraun seine morgengrauen durch den Rauch verschleiert an. Sacht die Lider schließend sagt ein Mann: Früher konnt ich schwer mit Leuten reden; jetzt sprech ich mit dem Fremdesten gern. Es geht ein Band von dir durch mich zu Jedem, als wenn wir Alle Engel wärn. Und doch: wer darf uns Teufeln trauen! Schon Eva hat zu klar erkannt: das Unerkannte ist es, was uns bannt. Denn eine tiefe Wollust schläft im Grauen. Sie lächelt eigen; er sieht es nicht. Sie hauchen wieder Ringe in die Luft. Das Zimmer schwimmt voll Zigarettenduft. Zwei Menschen horchen, was ihr Innres spricht. 10. Trüber Tag und dunkle Ahnenbilder, blinde Spiegel, rostige Wappenschilder; und hohe Aktenwände. Und inmitten sitzen zwei Menschen mit seltsam kalten Anstandsmienen da und halten Konferenz mit einem dritten. Dieser blickt korrekt gekleidet und gelangweilt in die Welt, während er verbindlichst leidet, daß ein Mann ihm folgenden Vortrag hält: Hoheit, ich fand in den Archivpapieren, die ich die Ehre habe zu registrieren, gewisse halb politische Dokumente, die mancher arg mißbrauchen könnte. Hoheit wissen, die Welt steckt heute voll explosibler Elemente; und da in Fürstenhäusern manchmal Leute antichambrieren, die andern in die Karten schauen, möchte ich lieber meinen Dienst quittieren, wenn Hoheit mir nicht voll und ganz vertrauen. Hoheit räuspert sich und blickt voll Schonung und gelangweilt in die Welt. Da sich hierauf alles still verhält, sagt ein Weib mit seltsamer Betonung: Herr Doktor, wir danken voll Verständnis. Und, um Vertrauen mit Vertrauen zu ehren: Hoheit mein Gatte huldigt der Erkenntnis, dem Lauf der Welt kann niemand wehren. Ihr rascher Abschied träfe uns empfindlich; ein Archivar von gleichen Qualitäten scheint mir zur Zeit ganz unauffindlich. Sie sind, Herr Doktor, voll und ganz vonnöten. Sie neigt das Haupt seltsam verbindlich; Hoheit verneigt sich, wie es Brauch. Zwei Menschen lächeln; der dritte auch. 11. Wolken flattern groß um den Mond; als ob in staubenden goldbraunen Lappen eine mächtige Zauberspinne thront. Die Schritte zweier Menschen tappen durch eine schattenflackernde Gasse. Ein Weib sagt mit entzücktem Hasse: Mein Herz darf Freiheit von diesem Menschen verlangen, der nichts als meine Mitgift hat gefreit, und der nichts liebt als ein alt Krongeschmeid, das Einzige, was Ich von ihm empfangen. Es ist sehr schön -- ein Nest von blinden Schlangen mit rauchtopasenen Stirn- und Rückenflächen; draus äugt, wie jetzt der Mond durchs Dunkel, ein großer bläulicher Karfunkel -- den möcht ich ihm, das würde mich rächen, über der Wiege meines Kinds zerbrechen! Wolken wühlen schwer um den Mond; als ob durch silbergraue Schollen mächtige Maulwürfe dringen wollen. Ein Mann entgegnet, sehr betonend: Was du von ihm empfangen hast, ist meiner Seele keine Last; auch nicht das Kind von seinem Blut! Aber ich hab ein unabwälzbares Grauen vor den Gelüsten schwangrer Frauen; die sind der Seele blindeste Brut. Vergleich mir nicht den Reiz von toten Steinen mit dem belebenden Licht, dem reinen; daß du jetzt arm bist, leite dich hinauf! Was buhlst du mit Topasen und Karfunkeln -- sei reicher --: hebe deine dunkeln Augen mit mir zum Himmel auf! Er staunt: sie steht jäh still im Schreiten: in ihren Augen und Mundwinkeln streiten Auflehnung, Pein, Verwundrung, Glück, Ermatten. Zwei Menschen werfen Einen Schatten. 12. Kälte glänzt auf den Feldern. Arm in Arm, Hand in Hand sehen zwei Menschen aus fernen Wäldern über das starrgefrorne Land die Sonne steigen. Ein Mann bricht das Schweigen: Und wärst du arm wie jetzt die nackte Natur, und wär ich jeder andern Empfindung bar und spürte nur den rauhen Maiduft aus deinem Haar, der wie das Moos- und Kienharz-Schwelicht meiner Heimatwälder mich beseligt, es wär mir Inhalt genug vom Leben: du hast mir den ewigen Frühling gegeben. Du bist mir blutlieb! -- blick nicht so kalt auf deinen Fuß, der meinem gleicht! Was tust du stolz, wenn mit Gewalt meine Seele sich deiner neigt? Komm, sei mein Leichtfuß! komm dort auf den Hügel, wo die zwei Rehe im Sonnenglanz ruhn; ich geh in deinen, du gehst in meinen Schuhn, und wenn wir wollen, haben wir Flügel! Das Weib blickt nach den scheuen Tieren. Dann weicht ein starrer Zug von ihren Lippen, als gebe sie etwas preis: Ja? tu ich kalt? -- Ja: kalt wie Eis, eh’s sacht zerschmilzt in warmer Menschenhand, daß sie heiß wird wie Feuerbrand. Ja --: Kalt oder heiß! nur nit lau! schwarz oder weiß! nur nit grau! das ist der Wahlspruch einer „armen“ Frau. Sie lacht; es klingt ihm hell wie Scherz und grell wie Schmerz im Sonnenscheine. Sie legt die Hand, groß wie die seine, aus seinem Arm fest auf ihr Herz. Zwei Menschen kämen gern ins Reine. 13. Der Tag hat aufgehört zu schnein. Der graue Eichwald reckt sich, weiß belastet, von einem letzten Licht betastet. Zwei Menschen waten querforstein. Tief Atem schöpfend sagt ein Weib und rastet: Ich bad so gern durch frischen Schnee, durch den noch Keiner gegangen ist. Wenn ich die reine Spur dann seh, die wie vom Himmel gefallen ist, dann kommt mein Pfad mir her aus einem Garten, wo ich als Kind in einer Schneenacht stand, weil ich den lieben Tag nit konnt erwarten, der mir zurückgab mein hell Heimatland, wo Wald und Berg und Tal nach allen Seiten in hundert lachenden Linien sich verzweigt, wo in die leuchtenden Ewigkeiten Rebhügel über Hügel steigt, und all die Höhen, die blauen, verflicht in Eins die tiefe grüne Schlucht des Rheins. Hier aber -- -- Sie erschauert, schweigt, ein Mann spricht wie voll jungen Weins: Hier graut im Schnee mein ernstes märkisches Land, dies Land, in dem sich Rußlands Steppen schwer zu Deutschlands Bergen hinschleppen. O, aber sieh’s erst im Sommergewand, wie’s dann drin summt und hummelt und tummelt und tut, wenn hoch im Abendsonnenbrand der alten Kiefern verschämte Glut sich aufreckt aus der Versunkenheit! Dann atmen die Wiesen Unendlichkeit. Dann blaut hinter den Bäumen her ein Duft wie fernes Meer aus tiefer Kluft. Dann ins Unabsehbare sieh ihn ziehn: in hundert Windungen, himmelhell, den Rhin! Er glüht; sie strahlt, küßt seine Hand. Zwei Menschen danken ihrem Vaterland. 14. Die Sonne scheint in einen Blumenladen, durch den ein Flor von Orchideen schwillt; ein Eishauch klärt die Stadt. Zwei Menschen baden sich in dem Duft, der durch die Scheiben quillt. Bunt lechzen Schooß an Schooß die fleckigen Blüten. Ein Mann bekennt aus innerm Brüten: Sonst graute mir vor schwangern Frauen, als wär ich einer Verwachsnen begegnet; Dich kann ich wie die Blumen beschauen und fühle wirklich, du bist „gesegnet“. Meine Vaterschaft war mir Zufallsmache, alle Vaterliebe Gewohnheitssache -- jetzt möcht ich beten: o wäre dein Kind von Mir! Und doch: auf diese reine Begier, Lea, aus der ich eben erwache, fällt mir das schamlose Blühen hier wie eine Befleckung: ich verübe nur Tierisches -- das ist das Trübe. Er will die Straße weiter, wie duftbeklommen; er fühlt sich heimlich beim Arm genommen, tief wird das Weib gegrüßt von irgendwem. Sie nickt kalt, lächelt angenehm. Dann folgt sie ihm, wie zu sich selbst gekommen: Vergleich dies Glück dem tierischen nicht! Einst meint ich zu sterben am Ekel der Begattung, und ich begriff das Wort „Beschattung“ -- jetzt leb ich wie die Pflanze dem Licht: mit einer Sehnsucht, Lukas, wie eine Blinde! Ich muß dir ja dies Fleisch und Blut noch wehren; aber würdest du’s nicht begehren, ich würde verkümmern, glaub ich, samt meinem Kinde. Was ist da trüb? Ich seh nicht, was. Wir leben, wir lieben -- wie klar ist das! Sie muß von neuem grüßen: Herren zu Pferde. Die lächeln mit galanter Geberde. Zwei Menschen blicken auf die kalte Erde. 15. Es wird dunkler; immer heller blitzen durch die Asche im Kamin die Kohlen. Am Klavier, an dem zwei Menschen sitzen, stockt ein halbverhaltnes Atemholen. Eine Wiegenweise bannt noch beide; aber endlich lacht das Weib und spricht, blau umrauscht vom Mutterhoffnungskleide: Du machst schon wieder dein russisch Gesicht. Was hast denn wieder Graues zu schleppen? Kannst denn nit +auch+ mal aufglühn wie deine Steppen, eh der Regen vom Himmel bricht?! Du sollst ja all mein, all mein Labsal noch schlürfen, darfst doch schon kosten, und sollst es dürfen: meine Kniee nehmen, die Schönheitsflecken auf meinen braunen Brüsten entdecken, meinem Mund, meinem Schooß deine Notdurft stammeln, all mein Schmachten auf deine Lippen sammeln -- ja fühlst denn nit, einfältiger Mann, wie vielfältig man küssen kann?! Halblaut greift sie Töne; sie hüpfen wie Bälle. Es wird dunkler; eine breite Welle Glut erlischt in seinem Bart. Und er sagt unsäglich zart: Du machst schon wieder zu deinen hellen Terzen Augen, die so verwirrend schimmern wie Spinnwebnetze in finstern Zimmern, wenn ein paar Streifchen Licht drauf fielen; ich ließ dich spinnen und weben von Herzen, nun willst du Fliege mit mir spielen. So spiel denn! spiele, Spinnchen -- und lerne fliegen: ich nehme dich mit: komm, Herz, ich weiß ein Land, wo wir den Blick des Kindes wiederkriegen, der gläubig eine Kachelofenwand, auf die der Schein des Nacht-Öllämpchens fällt, für einen Himmel voller Sterne hält! Und zwei Menschen vergessen die Welt. 16. Zwischen zwei Rappen jachtert ein Schimmel, Sonne glitzert auf Schneestaubgewimmel: ein Schlitten stiebt mit zwei Menschen dahin. Schwarz funkeln die Schellen der silbernen Bügel. Ein Weib schwingt die Peitsche, der Mann führt die Zügel. Jetzt reckt er das Kinn: Lea! seit meinen Jugendjahren bin ich nicht so im Fluge gefahren, so rasend noch nie. Aber noch rasender wars gestern Morgen, als ich im Sturm deinen Namen schrie und, als wäre mein Gott drin verborgen, mit ihm rang um dich, Knie an Knie: schleife mich, Sturmgott, um die Erde, sei sie unrein, sei sie rein! gönne mir nur kein Glück am Herde, hingerissen will ich sein! Sage mir -- Du! ich frage dich: schreit +Dein+ Gott +auch+ so Meinen Namen? Peitscht dich der Schnee auch wie Frühlingssamen? Kennst du den Wahnsinn dieser Seligkeit?! Er reißt ihr die Peitsche weg; die Rappen schäumen schon. Die Zügel schlackern, die Bügel bäumen schon. Das Weib umschlingt ihn fallbereit: Nenn’s nicht Wahnsinn! nenn’s lieber Ahnsinn! Lukas, ich hab in manchen furchtbaren Wochen dagelegen wie zerbrochen, und wußte doch: ich will, muß, willmuß fliegen! Ja, Lux: rase! laß brechen, laß biegen! Mir wiegt ein Gefühl der Erleuchtung die Brüste, als ob es die Sonne blindmachen müßte! Und wenn mir der Schneestaub die Augen zerstäche, und wenn mir dein Sturmgott den Atem bräche, ich lasse mich wiegen, du -- wiegen -- wiegen -- Sie starrt verzückt in das wilde Gewimmel. Zwei Menschen glauben sich im Himmel. 17. Ampelschatten hüllt vier bebende Lippen. Der Park wankt, als wühlten Geister drin; Nachtsturm reißt an den Fensterrippen. Die dunkeln Lebensbäume schwippen tief zur verschneiten Erde hin. Die bebenden Lippen atmen so schwer, wie Menschen atmen, um nicht zu stöhnen. Dumpf horcht der Mann nach den heulenden Tönen, die bald aufhimmeln, bald tierisch röcheln. Er preßt die Adern auf seinen Knöcheln; das Weib, stumm wie er, ist ihm zu Füßen vom Diwan gesunken, sie ringt die Finger auf seinen Knien. Ihre schwangern Hüften umschauern ihn. Sie stammelt trunken: So komm doch! nimm mich doch! trag mich weg! ich will ja blindlings Alles dir geben! Und wenns mich umbringt hier auf dem Fleck, ich will ja mein eigen Blut hergeben! Nur schau nicht so grauenhaft tot ins Leben! Sie klammert sich hoch an seinen Armen an seine Brust; die hämmert zum Sturmerbarmen. Er stöhnt. Sie schüttelt ihn: komm! Sie hört ihn betteln: ja komm! Sie liegt emporgerissen auf seinen entbreiteten Fäusten mit schwebenden Füßen, und --: verstört graben zwei Augen ihr aus den Eingeweiden eine Nacht von Entsetzen und Weh: Geh -- keucht er -- geh! Dein -- +sein+ Kind regt sich zwischen uns beiden! Er reißt sie an sich, reißt sich los; der Sturm heult wahre Trauer-Oden. Komm! ringen vier Hände Schooß an Schooß. Geh! holen zwei Arme riesengroß aus zum Stoß. Zwei Menschen winden sich am Boden. 18. In das Geräusch eines Bierlokals, in das Rauschen großstädtischen Straßenskandals mischt sich wie Kettengerassel ein Ton. Elektrisches Glühlicht kämpft in den Ecken mit blassem Taglicht und Schattenflecken. Ein Mann spricht horchend durchs Telephon: Lea! -- Hörst du? -- Was ist geschehn? Gestern Abend -- hörst du? -- es war eben zehn: dein Brief aus deinen großen Schmerzen lag mir wie Albdruck auf dem Herzen -- Auf Einmal: ich wagte kein Glied zu regen, so hatt ich die Angst des Unterliegens -- auf einmal kann ich mich frei bewegen: mich hebt ein Gefühl vollkommenen Fliegens wie über ein Ufer, über ein Meer -- Sag: hat meine Seele hellgesehen? bist du erlöst von deinen Wehen? Sprich doch! Was atmest du so schwer?! Er horcht. Durch das Geräusch des Lokals, durch das Rauschen des Straßenskandals, durch eine Stille hohlsausend und leer kommt eines Weibes Stimme her: Deine Seele hat hellgesehen: ich bin erlöst von meinen Wehen: mir lebt ein Kind. Es liegt wie Albdruck auf meinem Herzen. Es sieht nicht meine großen Schmerzen. Es -- ist -- blind -- -- In das Rauschen des Straßenskandals, in die Geräusche des Bierlokals mischt sich wie Kettengerassel ein Ton; ein Mann verläßt das Telephon. Er hört im Hintergrund einen Herrn „Kellner, mehr Licht auf Erden!“ schrein, und ein Gelächter hinterdrein. Zwei Menschen sind einander fern. 19. Mondlicht greift durch bleiche Gardinen, legt Flecke auf ein Himmelbette. Zwei Menschen sehn’s mit bleichen Mienen, sehn die Flecke in schleichender Kette grell ein Kind, das schläft, umkränzen: es schläft mit offnen Augenlidern. Die stillen Augensterne glänzen: glänzen weiß, wie blindes Eis. Ein Weib schluchzt auf mit allen Gliedern. Wie aus einem Abgrund gerissen starrt ihr schwarzes Haar aus den Kissen, haucht sie heiß: Mir lebt dies Kind, und nicht von Dir; ich lieg in Dankbarkeit vor dir. Ich lag bis heute wie unter Steinen, wie unter einer Sticklast Schnee: du bist gekommen, nun kann ich weinen. Jetzt aber -- geh! Ich will vor dir kein Klagweib sein; laß mich, solang ich lieg, allein. Der bleiche Mann im Vollmondlicht neigt sein unbewegtes Gesicht. Sein Blick weilt wie in weiten Fernen auf den blinden Augensternen. Und er spricht: Das Kind, das du geboren hast, sei deiner Seele keine Last: sieh, wie sein Schlaf das Helle trinkt! Es scheint ein Licht durch unsre Welt zu wehen, das alles andere, gröbere Licht beschwingt; in ihm wird dieses Kind aufgehen. Es wird die irdische Qual nicht sehen. Wir werden’s leiten wie auf Wolkenauen. Es wird das innere Weltlicht schauen. Er küßt sie, geht; sein Schatten streift das Kind. Zwei Menschen sehn, daß sie auf Erden sind. 20. Eisblumen und Hyazinthenduft ringen mit warmer Zimmerluft; weiße Seide umbauscht ein braunes Weib. Ein Mann sieht ihren genesenen Leib auf schmiegsamsten indischen Kissen ruhn; ihr Goldbrokatschuh streift den Boden. Er steht in blauen Segeltuchschuhn, seine Radfahrjacke von graugrünem Loden zuknöpfend, einen Brief in Händen, und fragt, indem er drin Kniffe zieht: Willst du dir auch die Augen blenden, weil du ein Kind hast, das nicht sieht?! Ich soll mit dir „ins Weite gehen“? Was gehn heißt, wirst du bald verstehen, wenn du mit deinen zarten Zehen erst barfuß für uns betteln mußt; ich glaube, da würde dir die Lust zur blinden Liebe sehr schnell +ver+gehen. Einst, ja, da nahm ich Kredit aufs Leben und schlug die Schulden in den Wind; aber als Vater lernt man eben, was wir dem Dasein schuldig sind. Das träumt nicht wie die grünen Seelen, die sich vorm Leben ins Blaue stehlen, bis die ergraute Welt sich rächt. Und klein beigeben mit großem Munde: dann gehn wir an uns selbst zu Grunde -- nit, Lea? das steht Uns Beiden schlecht! Er legt ihren Brief sehr zart auf ihr Knie; sie wiegt ihren Goldschuh. Dann antwortet sie: Du hast sehr blaue Schuh an, sehr blaue; du kommst wohl von einer -- „Wolkenaue“?! Aber ich dank dir; du sprachst sehr klar Ja ja: man träumt oft wunderbar! Ihr Goldschuh zieht im Teppich einen Strich. Zwei Menschen lächeln bitterlich. 21. Nur an den Eichen bebt noch braunes Laub; es bebt im Wind. Und wenn die Spechte klettern, dann weht der Schnee wie Kieselstaub und knistert in den abgefallnen Blättern. Zwei Menschen sehn im Park den Abend zaudern. Ein Weib bezwingt ein leises Schaudern: Heut hat ein Mensch mir leidgetan, der sonst mein Weichstes zur Erstarrung brachte. Er hat mir nie ein Leid getan seit jener Nacht, die mich zur Mutter machte; er ist fast stumpfer als ein Scherben. Heut aber, vor dem blinden Leibeserben, vergaß er selbst sein gnädiges Stottern: er saß nur da und ließ sich schlottern. Ich mußt ihn immerfort betrachten, ihn halb bedauern halb verachten. Der Mann an ihrer Seite nickt; er sieht im kahlen Park den Abend dämmern, er hört im hohlen Holz die Spechte hämmern. Er sagt, indem er einen Zweig zerknickt: Ich fühle jeden Tag mein Herz in Nöten, wenn eine Frau sich mit Erröten, und wie zur Abwehr blaß und zart doch, samt unserm Töchterchen an mich drängt, während vielleicht in meinem Bart noch der Hauch von deinen Küssen hängt. Ich kann sie nicht so flach bedauern; ich würde lieber mit ihr trauern, könnt ich wie sie mich sanft und klug besiegen und leidenswillig den Nacken biegen. Jawohl, wir sind von härterem Holz; von Eichen bricht man keine Gerten. Drum wolln wir nicht noch selber uns verhärten; denn daß wir Mitleid schenken, macht uns +stolz+. Er horcht: ein Rauschen stört das Spechtgekletter: zwei Menschen gehn durch abgefallne Blätter. 22. Die Nacht am Horizont gähnt Strahlen, als wolle der Himmel die Erde verzehren oder ein neues Gestirn gebären; zwei Menschen sehn ein Nordlicht prahlen. Sie stehn auf eisernem Balkone; sie sehn den Glanz elektrisch zucken, sich auf und ab ins Dunkel ducken. Ein Mann sagt schmeichelnd, sagt mit Hohn: Das, Fürstin, scheint mir recht ein Thron für deinen neuen Menschensohn. Ich möcht ganz lange Arme haben: dann setzt’ich dich mit deinem blinden Knaben dort auf die herrlichste Flackersträhne. Ich seh ihn, wie er deine Mähne schwarzstrahlig durch den Weltraum spannt, hoch über allen Sinn und Verstand. Du hast doch gar zu tolles Haar; für eine Mutter sonderbar! Dem Weib zucken die Augenbrauen; wo die schwarzen Bogen sich spalten, zittern zwei kleine quere Falten, wie ein zerbrochenes Kreuz zu schauen. Sie sagt verhalten: Du zielst fehl auf mein Mutterherz, Dir lacht es selbst beim bittersten Scherz. Ich gebe Nichts an mein Kind verloren. Ich fühle nicht: dies Kind ist Mein. Ich fühl: ich hab einen Menschen geboren zu seiner eigenen Lust und Pein! Ich geb ihm meinen Glückwunsch blos -- und trage noch manchen Wunsch im Schooß -- Weib sein ist +doch+ das herrlichste Los! -- Ihr dunkler Blick hat sich gefeuchtet. Der Mann streicht ihr wild Haar versonnen glatt wie zum Scheitel der Madonnen. Zwei Menschen sehn die Nacht erleuchtet. 23. Kaminfeuer und Morgenrotschimmer schmücken ein hohes Damenzimmer. Ein Weib erhebt aus meergrüner Seide ihre nackten Arme beide vor einem Mann breit in die Luft und lacht, umschwebt von Mandelduft: Ich glaub, ich bin noch immer schön; mein Kind hat mir nichts weggenommen. Und hättst mich eben baden sehn, du wärst mit mir gen Himmel geschwommen! Was stehst denn wieder wie im Schlaf? O Lux, was bist du für ein -- Schaf! Er lächelt eigen, sie merkt es nicht: er senkt, scheinbar grübelnd, sein scharfes Gesicht. Sein Fuß streichelt ein Eisbärfell. Er fragt halbhell: Schönheit? -- das ist mir nichts als Hülle um irgend eine Liebreizfülle. Der Reiz zur Liebe und zum Leben, wenn den die Reize einer Gestalt mir wie aus eigner Seele eingeben, dann bin ich -- schön in ihrer Gewalt; sonst sind sie angeflogne Schäume, Nachwehen toter Künstlerträume. Du würdest ja Raffael nicht entzücken: du bist zu kriegrisch ins Kraut geschossen. Deine dunkle Haut ist voll Sommersprossen. Dein Pferdshaar, dein herrischer Nasenrücken taugen zu keiner klassischen Ode; und dein klassisch Kinn ist garnit mehr Mode. Aber -- jetzt will ich die Augen zudrücken, will nichts mehr fühlen als deinen Bann, nichts küssen als deine Wildkatzenstirne; und wärst du die durchtriebenste Dirne, du wirst mir eine Heilige dann -- -- Prüfend blicken zwei Seelen einander an. 24. Die hohen Kiefern können noch nicht rauschen; sie schweigen schneebedrückt. Zwei Menschen lauschen, wenn manchmal durch den schwerbeladnen Wald das Eis der fernen Seeen knallt. Dann scheinen tiefer noch gesenkt die dunkeln, weißgesäumten Äste, um die das Frühlicht machtlos hängt. Ein Mann spricht mit ergriffner Geste: Das ist wie eine Versammlung von Greisen um ein fremdes Täuflingsbette. Keiner rührt mit seinen weisen Händen an die Schicksalskette. Sie lassen stumm das Unverwandte zwischen ihren Seelen schweben. Sie segnen fromm das Unbekannte es wehrt dem Überdruß am Leben. Sie schenken jedem Morgengrauen ohne Anspruch ihr Vertrauen. Durch den schwer beladenen Wald geht auf einmal ein Schattenwanken; von den Zweigen, die noch schwanken, fällt der Schnee, zu Schlacken geballt. Über ein Weib kommt ein Gedanke: Lieber, du sollst dich nicht verstellen! Wenn unter diesen starren Bäumen, so oft der Eisschreck draußen schallt, Echos wie aus schweren Träumen in mein warmes Leben kalt diesen Todesschauer bellen, daß wir unser Glück versäumen -- dann sollst du nicht mit solchen ausgedachten Bildern mich zu prüfen trachten, dann sollst du mit mir fühlen und denken: wir wollen Nichts, rein Nichts dem Schicksal schenken! Die hohen Kiefern können noch nicht rauschen. Zwei Menschen scheinen auf ihr Herz zu lauschen. 25. Jeder Hauch stockt. Aus den Mooren steht der Nebel wie angefroren, ob auch fern der Himmel loht; zwei Menschen schaun ins Abendrot. Einsam hebt ein Birkenstämmchen aus dem bleichen Rauch sein Reisig; in der Spitze zaudert eisig noch ein Blättchen wie ein Flämmchen. Und ein Weib bemerkt verloren: Das steht nun da wie’n Waisenkind, das weder Vater noch Mutter kennt, von aller Heimat abgetrennt; Stiefmutter Sonne stellt sich blind. Und ob auch fern der Himmel brennt, es sehnt sich nicht, es rührt sich kaum, leidlos wie der Geist im Raum. Jeder Hauch stockt -- sie erschrickt: von dem kahlen Birkenstämmchen ist das letzte Blatt geknickt. Zaudernd sinkt das fahle Flämmchen in das rauchverhüllte Land. Und ein Mann hebt Haupt und Hand: Liebe, du sollst dich nicht verstecken! Ich seh aus deinem tiefen Schrecken, wie dich der leere Raum bedrückt. So wills der Geist; wenn nur drei Birken das Grauen der Unendlichkeit bezirken, dann ist das Auge schon beglückt. Er will und kann nicht einsam sein: er lebt davon, sich umzuschauen. Drum sinne nicht zuviel in dich hinein! Denn eine schlimme Wollust schläft im Grauen. Jeder Hauch stockt. Rot und stumm starrt der Himmel wie eingefroren durch den Nebel auf den Mooren. Zwei Menschen kehren langsam um. 26. Über altersgrauen offnen Folianten, zwischen Schränken mit verstaubten Kanten, rostigen Waffen, bunten Wappenschildern, blinden Spiegeln, dunkeln Ahnenbildern, hängt ein goldner Streifen Licht. Sonnenstäubchen schweifen dicht um das Schnitzwerk hoher Stühle; kommen noch dichter ins Gewühle, denn ein Mann berührt ein Weib und spricht: Das hab ich mir als Kind beim Klettern im grünen Forst nicht träumen lassen, daß ich in diesen vergilbten Blättern einst suchen würde Boden zu fassen. Es ist für dich geweihter Boden, du willst einen uralten Wipfel lichten; ich seh nur tote Wurzelschichten, kaum noch wert sie auszuroden. Wie zur Erinnerung blüht da matt noch manch Blaublümlein Ehrenpreis; aber der morsche Stammbaum hat als letzten Sproß ein blindes Reis. Er will zuklappen. Er stockt. Die Funken der Sonnenstäubchen stieben wie trunken. Denn das Weib umschlingt ihn leis: Drücken dich wieder die blauen Schuh? Was mußt denn gleich so quer immer denken! Du mußt dich liebender versenken in diese stillen Dinge, du. Sonst drückst mir ja das Herz ganz zu; und gelt? das willst doch offen sehn. Ich soll mich dir doch blos gestehn! Ich wollt auch -- wollt dir längst schon sagen: mein Kind, Lux -- Nein: ich wollt dich fragen: ich möcht dein Töchterchen mal sehn! Sie klappt zu, hastig; es stiebt zum Blenden. Zwei Menschen müssen den Blick abwenden. 27. Unter taktvoll schreitenden Kostümen, die den Rausch vergangener Zeiten rühmen, überschaut ein Weib ein nächtlich Fest. Weiß verschleiert Haar und Ohr und Wange, vor der Stirn die goldne Isis-Spange, steht sie groß in starrem Asbest. Fast so groß wie jener Mann, der aus dunkler Magier-Augenbinde um sich blickt wie auf Gesinde. Und sie naht sich ihm und rührt ihn an: Zaubrer -- du kennst die Schlange, und kennst den Drachen, die den schweren Weg der Liebe auf Erden bewachen. Ich kenn eine Mutter in einer Not; die streckt allnächtlich zum Tag die dunkeln Hände, daß er ein Schicksal von ihrem Herzen abwende, mit dem ihr blindes Kind sie bedroht. Soll sie mit Augen der Schlange ihr Nest behüten? soll sie den Drachen bitten, darin zu wüten? -- Hell beginnt der wimmelnde Saal zu klingen, taktvoll läßt der Schwarm der Kostüme sich leiten, bis sie sich rauschend zu Paaren in Kreisen schwingen, die der Magier und das Weib umschreiten: Göttin, ich kenne die Schlange, und kenn auch den Drachen, die den schweren Weg der Liebe gen Himmel bewachen -- und kenn eine Mutter in andern Nöten; die würde mit ihren blassen Händen ihr Kind, ihr sehendes, lieber noch heute töten, als je ihr Herz von ihrer Brut abwenden. Mutter Isis, begreif deine Erde freier! horch, dein Magier lüftet den Gäa-Schleier: Sie träumt seit je das Ungeheuerliche, Unwirkliche, höchst Abenteuerliche, doch was er wirkt, der Traum, ist das Gewöhnliche, und was er birgt, das tiefst Versöhnliche. Er unterbricht ihr einsam Gewander; zwei Menschen tanzen miteinander. 28. Es schwebt ein Klingen übers Eis, wie ferne Frühlingsstimmen leis. Blaß starrt der See. Auf blitzenden Eisen fassen sich, fliehn sich zwei Menschen und kreisen. Jetzt kommt der Mann in scharfem Bogen vor das Weib herumgeflogen und faßt sie fester und bäumt im Sprung: Halt! -- Gelt, Frau Fürstin, das wär ohne Schwung: vom Schlittschuhlaufen zum Strümpfestopfen, vom Radfahren zum Steineklopfen, das wär doch gar zu harte Bahn? Ja, du: ich lief durch manchen Wahn, als mich das Jugendblut noch trieb, mit offner Hand an jedes Herz zu stürzen, bis mir am eignen Herd nichts übrig blieb als wenig Fleisch mit viel Gewürzen. Zwar, mir ist mancher zugetan so in der Welt, der wohl was opfern würde, beehrt’ich ihn mit dieser Bürde; aber -- -- Er läßt sich rückwärts kreisen. Blaß starrt der See. Sie folgt. Die Eisen blitzen schriller übers Eis. Sicher folgt und fragt sie leis: Und wenns für dich nun +keine+ Bürde wäre, Steine für deine arme Herrin zu klopfen? Und wenns für mich nun eine Würde wäre, Strümpfe für meinen reichen Herrn zu stopfen? Und wenn ich wähnte: das ist kein Wahn, so ganz bin ich dir zugetan -- und bin dir auch ganz aufgetan -- Sie schreit wild: Lukas! -- Ein Knall, ein Sprung, hoch hat der Mann sie an sich gerissen. Es donnert unter ihren Füßen, es klafft. Er bäumt mit ihr im Schwung. Es ist nur ein ganz schmaler Spalt. Zwei Menschen lachen, daß es schallt. 29. Nun scheinen selbst die Blumengewinde der indischen Kissen voll Frühlingssehnen; am Fenster schmilzt die letzte blinde Eisblume unter hellen Tränen. Ein Mann sieht die barocken Ranken mehr und mehr durchsichtig schimmern, gleißend Gold in Silber flimmern; er sitzt in drückenden Gedanken. Er neigt noch tiefer Stirn und Ohr: er hat ein Weib am Herzen liegen, mit Augen, die zur Sonne fliegen. Sie flüstert, glüht an ihm empor: Und heb mich wieder so herrlich hoch, und trag mich fort, o trag mich fort! Und wären die Berge noch so hoch, ich will dir folgen an jeden Ort; ich will dir alles, alles hingeben! Verkauf mein letztes bißchen Schmuck, nimm mir mein Eigenstes, nimm mir’s Leben; nur fort, nur fort aus diesem Druck! Und wenn wirs bis zum Bettelstab bringen, und wenn wir verlumpen, wenn wir verdrecken, dann wirds wohl überall noch gelingen, eine Schachtel Zündhölzchen zu erschwingen und den nächsten Wald in Brand zu stecken, und selig will ich mit dir zusammen wie eine Hindufrau stehn und flammen! Sie lächelt seltsam; er sieht es nicht. Sie hebt das Haupt -- sie sieht ein Gesicht heiß von bebenden Narben zerrissen; das starrt auf die gleißenden Fenster und Kissen mit dem Ausdruck eines Steins, der zerspringen will, und spricht mühsam: Und dein Kind? -- Und -- meins? Da sinkt ihr Haupt in seinen Schooß; zwei Menschen weinen fassungslos. 30. Der Himmel scheint blutunterlaufen. Fern graut die Großstadt her. Zwei Menschen sehn die Türme hoch in dunkler Rotglut stehn; die Stadt raucht wie ein Scheiterhaufen. Ein Weib lehnt an der Fensterborte, düster, wie aus Erz gebaut. Der Glanz macht ihre braune Haut glühender als eine Braut. So hört sie eines Mannes Worte: Dein Herr Gemahl? Nein: der ist nicht im Wege. Er hat ja Augen, und kann noch welche pachten. Und träf er mich in seinem Gehege, ich würd ihn mir sehr höflich betrachten: Hoheit, Sie dürfen mich verachten, Sie können, wenn Sie’s wagen, mich töten. Ich würde vielleicht, wer weiß, dabei erröten; das tut mein Körper leider noch, wenn ihm das Herzblut hochsteigt -- doch mein Geist ist +über+ diesen Nöten. Ja, Lea: begreifst du, was das heißt: ich will getrieben sein vom Geist!? Erst wenn der Geist von jedem Zweck genesen und nichts mehr wissen will als seine Triebe, dann offenbart sich ihm das weise Wesen verliebter Torheit: die große Liebe. Du bist noch nicht so zwecklos mein; du willst noch mich, ich soll noch dich befrein. Dies blinde Kind aus fremden Lenden, es scheint uns immer zuzuschauen, ob wir nicht sein Vertrauen schänden. Und siehst du: Das -- jawohl -- das macht mir Grauen! Er bebt; er zerrt an seinem Bart. Das braune Weib wird bleich, wird rot. Dann sagt sie leise, mühsam, hart: Das Kind, vor dem dir graut, ist tot -- -- Zwei Menschen schweigen wie erstarrt. 31. Der Mond bescheint ein steinernes Portal, durch kahle Zweige eine feuchte Schwelle. Die Zweige leuchten wie aus Stahl. Zwei Menschen stehn in einer Grabkapelle. Der Mond legt Schatten auf ein totes Kind; nur seine beiden offnen Augen glänzen. Sie glänzen wie die Blumen an den Kränzen, bleich und blind. Sie glänzen bleicher als der Vollmondschein. Ein Weib höhnt in die Nacht hinein: Ich hatt ein Kind, und nicht von Dir, ich steh in Freiheit neben dir; ich bin erlöst, wenn Du, wenn Du es bist! Ich bin die Fürstin Isabella Lea, die auf dem Weg der Liebe gen Himmel ist -- ich, Mutter Isis, Mutter Gäa, die willig ihre eignen Kinder frißt, der irdischen Gerechtigkeit entrückt. Ist nun mein Gott, mein Lucifer, beglückt?? Sie wankt; sie hat die Augen zugedrückt. Ein Mann legt ihr die Hand auf Stirn und Haare. Er spricht -- sein Blick verschlingt die dunkle Bahre: Das Kind, das du getötet hast, war meiner Seele nicht die Last auf unsrer Wallfahrt zu der Freiheit, die Einheit schafft aus aller Zweiheit. Aber du hast mich tief verwandelt; du hast für mich aus einem Geist gehandelt, der nichts mehr will als klar am Ziele ruhn -- so komm! -- ich weiß jetzt: du kannst schweigen. Ich habe Manches in der Welt zu tun, Lea; und Das -- nun ja, das wird sich zeigen. Im übrigen, Madam: es wohnen noch Krüppel genug auf Fürstenthronen! Er küßt ihr Stirn und Augen, wie zur Weihe. Zwei Menschen wenden sich ins Freie. 32. Hellblauer Himmel mit weißen Streifen läßt alle Saatfelder grüner prangen. Und den Bäumen am Wege muß wohl ein Bangen vor den mächtigen Roßschweifen des Windes durch die Knospen wehen: sie zittern. Aber zwei Menschen gehen ruhig einen Wiesenrain hinan. Einem Weibe erwidert ein Mann: Mein Töchterchen? -- Ja -- sonderbar: sie sagte -- sie meinte wohl dein Auge und Haar --: du sähst ganz schwarz aus, ganz schwarz und heiß, aber inwendig wärst du wohl weiß. Nun stehst du wieder, wie zur Erstarrung geneigt. Lea, sieh um dich! Sieh, wie alles sich ändert: wie jeder Baum sein Wachstum klarer zeigt, wie’s lichtbegehrlich aus Spitze an Spitze springt, wie er die Triebkraft, die alle zackt und rändert, mit eignem Umriß trotzig zum Ausdruck bringt! Dann preist dir jedes Hälmchen im Feld den Geist der körperlichen Welt. Dann sagt dir jeder Lebenshauch: wie du dich gibst, so +bist+ du auch! Er stutzt: Sie lächelt ins Blaue hinein. Sie steigt still über den Wiesenrain. Sie bricht sich einen Knospenzweig ab. Sie hebt ihn wie einen Zauberstab: Wenn ich nun aber nach jenen Wolken weise, die unter der Sonne den Abendhimmel streifen, und nun im Geist nach Morgenländern reise -- dann mögen sie noch so eigen anders schweifen, die ganze Landschaft versichert mir: wie du mich +nimmst+, so bin ich dir! Sie stutzt: Er weist still über die Wiesen: die sehn noch aus wie abgeweidet. Die Wolken werfen Schatten wie Riesen. Zwei Menschen merken, was sie scheidet. 33. Die Lerchen jubeln, daß die Sonne scheint; bis in den Wald herüber klingt es leise. Hell vor sich hin erwiedert eine Meise: ich fühls, ich fühls, wie lieb, wie lieb sie’s meint. Die Finken sind verstummt: ein Rappe schnaubt und schüttelt sein Geschirr. Zwei Menschen streichen dem edlen Tier die dampfend heißen Weichen. Nun hebt das Weib ihr dunkles Haupt: Als du vorhin so kerzengrad anhieltest, fiel mir ein Traum ein, der mir gestern träumte. Es war, als ob du fern die Laute spieltest; ich stand am Meer, in dem die Nacht noch säumte. Da kam, auftauchend mit dem Morgenrot, gerudert von zwölf tiefgebückten Herren, die Kronen trugen, ein gewaltiges Boot; ich sah die Herren wie an Ketten zerren. Am Steuer aber, über ihnen frei, stand Einer, der war nackt, und glänzte. Und -- sie stockt: der Rappe, zitternd, stampft den Grund, sie zittert mit -- sie hören auf zu streichen, der Mann nimmt ihr das Wort vom Mund: Und Er, der Glänzende, gab dir ein Zeichen und kam mit seinem Lautenspiel herbei. Und Du, du mußtest ihm die Hände reichen und folgtest ihm und seiner Melodei. Und wenn du staunst, wieso ich alldas weiß, dann staune auch, wieso dies Tier mitbebte, als meine Seele so in deiner lebte, wie seine Haut in unsrer Hand so heiß. Und staune, Seele, was dich so beschwingt, daß du die Meise zwitschern hörst: ich bin’s! und was dich lerchengleich zu jubeln zwingt! und wie’s dich wieder wie als Kind durchdringt, das Glück folgsamen Eigensinns! Die Lerchen jubeln, daß die Sonne scheint; zwei Menschen ahnen, was sie eint. 34. Fern in jungen Birken spielt der Wind, scheint das scheue Frührot anzuschüren. Von der zarten Glut umglänzt beginnt eine Mühle sich zu rühren; rosig schauert das grüne Feld. Wo der altersgraue Park sich lichtet, unweit einer Grabkapelle, grüßt ein Weib ins Freie, Helle, blitzt ein Stahlrad auf, blitzt und hält, schwenkt ein Mann die Rechte, heiß hochgerichtet: Frühling! -- endlich! -- wie drängt das, mitzutun! Mir war, als müßt ich über dies Saatenmeer mit meinen blauen Segeltuchschuhn wie die Schwalben hin und her! Herrlich: so schweben, fliegende Blicke werfen! Wie alle Sinne sich an einander schärfen! Man wird bis in die volle Brust seiner eignen Gotteskraft bewußt; und selbst aus Grabesfinsternissen lacht es „All Heil, Welt!“ dies neue Gewissen. Funkelnd streift sein Grußblick die Kapelle. Aber da, statt mitzugrüßen, bebt das Weib empor, Zorntränen quellen: Ich weiß nur Eins, und geb’s auch Dir zu wissen: mir lacht dein Weltall gar zu bunt! Mir ist mein Herz, hier dies mein Herz, zerrissen, und wär so gern, o Gott wie gern, gesund! Und quälte das Deinen Gott auch nur zum Teilchen wie Mich, du küßtest dir die Lippen wund und heiltest, heiltest mich! ja nick nur! Und -- ach, Lukas, sieh: das erste Veilchen! Sie steht auf einmal ganz beglückt, daß er, entzückt, sich bückt, es pflückt, es ihr an Herz und Lippen drückt und wie ein Junge lacht dazu. Zwei Menschen lassen Gott in Ruh. 35. Durch offne Fenster, lautlos, glänzt die Nacht. Es regt sich nur das Licht der tausend Sterne. Und Frühlingshauch. Und dunkelblaue Ferne. Und manchmal eine Fledermaus auf Jagd. Und Atemzüge, unterdrückt und schwer, voller Spannung, mehr und mehr. Jetzt rauscht ein Seidenglanz und bricht den Bann: ein Weib drängt sich an einen Mann: Lukas! was liegst du wie vom Alb gedrückt, als ob du nichts von meinem Dasein fühltest! Meinst du, mich hat die Zukunft +nicht+ bedrückt, wenn du mich Tag für Tag für Tag hinhieltest? Und jetzt, wo dieser Druck mich fast erstickt -- Du -- Lukas?! -- Wenn du -- wenn du mit mir spieltest -- Sie schüttelt ihn, ihr Augenglanz wird hart; er starrt hinein, wie vorher in die Ferne. Und wieder regt sich nur das Licht der Sterne, die Jagd der Fledermäuse. Und sie starrt: sie starrt wie er -- will drohn -- da wirkt sein Bann: sie zuckt, sie nickt, sie lacht ihn traumhaft an. Und traumhaft geht sein Wort ihr zu Gemüt: Fürstin, ich will nichts halb. Ich will dich sehn, in ganzer Schönheit, ganzer Häßlichkeit. Ich will vor dir, du sollst vor mir bestehn, vom Alb der scheuen Ahnungen befreit; ich will die nackteste Befreiung. Wenn dann die Male deiner Mutterwehn dich nicht dem Gott in meiner Brust verleiden oder dem Tier in unsern Eingeweiden, will ich nach soviel Sehnsucht und Kasteiung nicht wie ein Nachttier mich mit dir vergehn: ich will mit dir ins Licht der Menschlichkeit! Sei bereit! -- Er küßt sie wach; er drängt sie sanft zurück. Sie sitzt und sinnt, wie über Raum und Zeit. Zwei Menschen beten für ihr Glück. 36. Und lichter als der lichte Tag im Zimmer und immer lichter schauert ein Geflimmer von Kerzen über helle Blumen hin. Still schwebt um silberblau gestickte Kissen der Duft des weißen Flieders, der Narzissen. Und durch die Bläue, durch die Blumen hin zittert die Luft, als ob sich Herzen rühren: zwei Menschen stehn -- noch tönen still die Türen -- mit Augen, die den Himmel nahe spüren, enthüllt bis zu den Hüften da: ein Mann mahnt: du! -- ein Weib haucht: ja. Still sinkt ihr Arm von ihren braunen Brüsten, die Lichter schauern immer schimmernder; sein Blick erbebt, als ob sie lodern müßten. Die Blumen atmen immer flimmernder. Die Sterne an den silberblauen Wänden erstrahlen wie in keiner Nacht so blank. Still nestelt sie am Goldband ihrer Lenden; sein Körper spannt sich unter innern Bränden, wie eines Kämpfers straff und schlank. Still schaut sie auf. Er muß die Augen schließen. Still weht ein Flor zu Boden. Er will sehn! Er sieht nur, wie zwei Augen Licht ergießen, zwei dunkle Augen, die ihm zugestehn -- still -- was er will. Er will sie ganz mit seinem Blick erkennen; er sieht sie ganz nach seinem Blick entbrennen. Er will nichts mehr als stehn und stehn und still in ihre Seele sehn. Er steht und muß die Hände heben, als blende ihn das ewige Leben; und dunkel rauscht der Weltraum. Da mahnt +sie+ ihn: du -- da haucht er: ja -- und alles rauscht tief innerlich. Zwei nackte Menschen einen sich. Zweiter Umkreis -- Die Seligkeit -- Eingang Halt ein, halt ein -- weit über jenen Gleisen, wo man noch Höhen sieht und Tiefen; nun sollst du erst das wahre Leben umkreisen und sollst der Allmacht Deine Macht verbriefen. Sieh: zwei Adler steuern, vom Sturm getrieben, über allem Erdentrott! Du aber bist noch Mensch geblieben: du atmest und entatmest Gott. Willst du nicht das Ewige selbst erreichen? oh, dann laß auch Gott zurück! denn es gilt, o Mensch, dein Glück mit dem Weltglück zu vergleichen. Vorgänge: II, 1-36 1. Zwei Menschen reiten durch maihellen Hain, galopp, galopp, von Schatten zu Sonnenschein; alle Blätter sind grüne Flammen. Wenn der Himmel erscheint, wenn die Pferde aufschnauben, sehn sich die Beiden mit jauchzenden Augen immer wieder beisammen und werfen den Kopf wie die Tiere. Immer wieder streckt durch die goldnen Strahlen auf dem schmalen Moosweg zwischen den hohen Stämmen dann ein dunkler Schemen halb Chimäre halb Drache hopp alle Viere. Da müssen sie lachen und werfen dem Untier Kußhände zu. Und das Weib kann den Jubel nicht länger dämmen, laut scheucht ihr Ruf die Mittagsruh: Echo! Echo! stimm ein, stimm ein -- es wollt eine Seele sich befrein, da band das Glück ihr die Hände! O Meiner, hilf mir die Arme breiten! halt mich gefangen, du, ohne Ende! ach könnt ich ewig so weiter reiten! Und der Mann, plötzlich die Sporen gebend, in die Brusttasche greifend, im Sattel sich hebend, jagt vor ihr her fort: Komm, ich nehm dich beim Wort! Und wenn ich die Freiheit drüber verliere: hier -- es lebe die Tat -- ist das nöt’ge klein Geld! ~voilà, madame~: Banknoten! -- gelt: die sind doch mehr wert als Archivpapiere?! Er schwenkt die blauen Lappen in der Sonne; er lacht, daß ein fast schreckhaft Echo gellt. Sie hat kaum zugehört vor Frühlingswonne. Aufbäumend gleißt ihr Rappe in der Sonne; zwei Menschen reiten in die Welt. 2. Und sie machen Halt und lugen aus. Da liegt, von Epheu eingehüllt, im Kiefernhochwald still ein kleines Haus; die graue Lichtung ist erfüllt vom kühlen Duft des Morgentaus. Der Mann blickt lange auf die beiden Linden am moosbedeckten Zaun des alten Herdes. Dann greift er in die Mähne seines Pferdes und nimmt ein Haar und übergibt’s den Winden: Sieh, Meine, so werf ich hinter mich, was uns noch scheidet durch Erinnerungen. Dort halten Zwei in treuen Armen sich, die träumen jetzt vielleicht von ihrem Jungen, wie er sein Kind herzt, väterlich. Sie haben Alles in mir großgehegt, wodurch sich Menschenseelen glücklich schätzen; doch wüßten sie, welch Glück mich jetzt bewegt, und welches Leid es Andern auferlegt, sie würden sich vor ihrem Sohn entsetzen. Er blickt kalt weg, er lächelt befangen. Das Weib hebt sacht vom Sattelknauf die Hand. Sie hat das Haar im Flattern aufgefangen; sie hält’s wie zum Zerreißen gespannt. Nun reicht sie’s ihm zurück mit fröstelnden Wangen: Nein, Lux: so leicht verwirft man nicht. Was hilft dein Lächeln -- ich seh dein wahres Gesicht; uns scheidet Alles, was uns nicht gesellt. Du willst mir helfen, mich in mein Schicksal schicken; wohlan! so zeige mir mit immer wärmeren Blicken versöhnt die Zwietracht dieser Welt! Da fliegt ein Glanz rings übers Haidekraut: die Sonne kommt durchs Holz. Ein Hund gibt Laut; ein Ruf hallt jenseits des Geheges. Das Haar entweht. Hell dräut das Hirschgeweih vom grauen First der Försterei; zwei Menschen reiten eilends ihres Weges. 3. Und auf einer Landstraße begegnet ihnen eine Heerde Schafe, vom Abendrot beschienen; sie müssen durch den Staub. Der lahme Hirt hebt besorgt seinen Stecken, daß die Pferde wie rasend vor der Mißgestalt erschrecken, aus den Zügeln gehn, hussa, quer durch den Haufen. Hinter ihnen her lärmts blökend und blaffend, eine Weile -- dann stoppt der tolle Ritt; sie zwingen die Gäule zum spanischen Schritt. Und das Weib sagt lächelnd, die Schleppe raffend: Als ich gestern den Brief -- du weißt -- abschickte, da wurde mir auf einmal klar, wie dienlich der goldne Käfig mir war, in dessen Luft ich beinah erstickte. Wie hat diese Luft mir doch erst eingegeben, was es bedeutet, sich ganz ausleben: ganz in ein anderes Leben hin! Wie kann ich jetzt in jedem Baum aufgehen: das Wachstum jeder Blüte läßt mich sehen, was du mir bist, was ich dir bin. Wie glänzt mir selbst der Krüppel dort im Staube: er ist so eins mit seinen Hunden wie Gott mit seiner Welt! -- Ich glaube, das hätt ich früher nicht empfunden. Früher -- nickt der Mann, und klemmt die Kandare herunter, denn sein Blauschimmel halst nach ihrem Rappen, als wollten sie wieder durch die Lappen -- Aber weißt du: steig lieber nicht weiter hinunter in diese Welt der einfachen Seelen -- sonst möchte dir Eins an ihrem Gottglück fehlen: sie gehn nicht auf darin, sie gehn drin unter -- unwissend! -- Ja: gottlob: nicht Einen Tag wärst du im Stande, zwischen diesen Viehern dich auszuleben -- oder sag: möchtest du Tiere zu Erziehern? Zwei Menschen lachen; zwei Pferde wiehern. 4. Und es führt ein Wildsteg durch Farrenkraut bergan. Über Moos und Felsen schlüpft hüpfend das Licht und blitzt im Dickicht; fern ruft ein Kuckuk. Und es sprudelt ein Wasser durch tiefen, tiefen Tann; da sitzt ein nacktes Weib, das Kränze flicht, Kränze um einen glitzernden Mann. Der singsangt: Vor der Nixe vom Rhein kniet der Kobold vom Rhin und bringt schön bang seine Brautschätze dar: blaue Blumen, die nur im Freien blühn, Männertreu, Pferdefuß, Jungfer im Grün, und zur Hochzeit ein stumm Musikantenpaar: Unke, die munkelt nur, Glühwurm karfunkelt nur: Ellewelline, husch, tanze danach! Ein Herr Eidechs hatte einmal zwei Frauen, denen er sehr am Herzen lag: eine, der gab er sein tiefstes Vertrauen, darauf lief er der andern nach. Ellewelline, tanz Serpentine: schwarz ist die Nacht, und bunt ist der Tag! Und der Kuckuk ruft, und der Bergquell sprudelt; und das dunkle Weib bekränzt ihr schwarz Haar. Und sie summt -- und das Licht in der Welle strudelt kühl und warm, wirr und klar --: Ellewelline tanzt Serpentine, o ja, Herr Eidechs, sonderbar! Sie schwamm eines Nachts um den Nixenstein: da konnt sie den ganzen Tag Kobolde frein, jeden Tag ein paar, macht fast tausend im Jahr. Aber ans Ufer kam einfach ein Mann: der hatte blaue Schuh, blaue Himmelschuh an -- Amen! Und der Kuckuk ruft, als fänd’er kein Ende; da falten die zwei Menschen die Hände. 5. Und es liegt ein Strom im Tal, und Nebel steigen; der Strom glänzt gläsern und scheint stillzustehn. Aus grüner Dämmrung dehnen und verzweigen die Wälder sich zu hundert blauen Höhn. Ein dunkles Schloß wiegt zwischen seinen Giebeln den großen goldnen Mond; zwei Fenster glühn. Und drunter winden sich an Rebenhügeln die Lichter kleiner Städte hin. Dort -- sagt das Weib und weist mit der Gerte von ihrem Pferd ins Zwielicht hinab -- dort ging ich eines Nachts von Grab zu Grab und weinte bis zur Herzenshärte. In die Strudel im Strom, ins Gewirr der Bäume, zu den Sternen, die über die Berge starrten, verstieß ich meine Himmelsträume und verließ meine Toten, verschloß meinen Garten. Keine Seele fragte mehr nach meiner, kein Geist der Väter trat her zu mir; nur die reiche Erbin wollte manch einer. So ging ich ins Leben. So kam ich zu Dir. Lange schweigt der Mann. Die Pferde scharren. Ein Stein rollt zu Tal, ein Echo weckend. Und das Weib beginnt in den Mond zu starren. Da sagt er leise, den Arm ausstreckend: Komm -- es wollt eine Seele sich befrein, da band ihr die Sehnsucht die Hände. Was beschwörst du Schatten am grünen Rhein! Sieh dort in die Lichter mit mir hinein, in die Heimat ohne Ende! Sieh: ist nicht der Himmel herabgesunken, dein dunkles Tal wie von innen erhellt! Sternbildern gleich glänzt Funken neben Funken, vom Geist der Väter alle zusammengestellt. Und mild belebt das irdische Gräberfeld der tote Mond, vom Licht der Sonne trunken. Zwei Menschen atmen auf, in ihrer Welt. 6. Und wieder dämpft ein dumpfes Wiehern und Schnauben, das durch den Schatten stiller Büsche rauscht, im hohen Holz das Gurren der wilden Tauben; und das Weib lauscht. Der schlafende Mann in ihrem Schooß hat schwer gestöhnt; soll sie ihn rütteln? Da öffnet er die Augen -- grauengroß. Er sieht die Blumen blühn im schwülen Moos. Und jäh, als wollt er einen Wurm abschütteln, macht er sich los: Das war, weiß Gott, ein Teufelstraum! Ich saß mit dir in einem alten Park; zuweilen ritten Leute hin am Saum. Und plötzlich kam ein Reiter, jung und stark; der fing uns an im Zirkel zu umtraben, in immer gleichem, ziellos gleichem Kreise, und doch so eifrig wie auf einer Reise, als möcht er Ruhe, endlich Ruhe haben. Er schien uns beide garnicht zu beachten. Und langsam übermannte mich ein Schauer: er wurde immer älter, immer grauer. Ich mußt ihn immer sinnender betrachten, mit immer tiefer angestrengten Blicken. Dann sah ich Roß und Reiter gräßlich nicken, mit Augen, die mich immer irrer machten; ich wollte schrein vor sinnloser Beschwerde. Und als mich deine Hände zu mir brachten, fühlt ich mit Grauen: das war der Geist der Erde. Er küßt ihr dankbar die Rechte. Sie nickt und lauscht. Er sieht die Blumen blühen im stillen Moos. Er hört den Wald antworten; es gurrt und rauscht. Er fühlt zwei Augen schweigen. Die sinnen blos: ich weiß einen Himmel -- grauen+los+ -- und er schließt die Arme um einen Schooß. Da rauscht es wieder: zwei Pferde stecken die Köpfe durchs Dickicht. Zwei Menschen erschrecken. 7. Und endlich kommt eine Hütte in Sicht. Es regnet, daß sich an den Wegen die Halme in den Schlamm der Berge legen; er spritzt den Reitern ins Gesicht. Sie müssen immer mehr die Köpfe neigen: Kirschbaum bei Kirschbaum, immer tiefer, spritzt Blütenfluten von den Zweigen, sie kleben fest wie Ungeziefer. Das Weib spricht: Mir ist, als ritten wir zum Jüngsten Gericht; der liebe Gott weint seine dicksten Tränen. Ich triefe wie die Pferdemähnen, und paradiesisch riecht mein Rappe nicht! Sie wischt sich heftig den Brei von Hals und Hut. Der Mann will längst ein Lächeln verbeißen. Aber endlich zwingts ihn: er muß den Mund aufreißen und lacht in hellem Übermut: Ei ei, Frau Fürstin! Gott ist gut! er merkt, Ihr wollt in den Himmel kommen; drum kommt uns der Himmel höchstselbst entgegengeschwommen -- o Meine, sei keine Martersäule! Allons, was starrst du! mein Schimmel hat Eile: komm, im nächsten Pfarrdorf verkaufen wir die Gäule, das wird unsrer Pilgerkasse frommen! Dann rollst du zu Rade vor mir her, wie Frau Fortuna erlaucht im Traum der Ahnen. Kein Schmutz, kein Stallgeruch befleckt uns mehr, kein Kohlenrauch von Eisenbahnen. Dann reisen wir nur noch bei Sonnenschein und lassen unsre Herzen brennen. Und dann will ich nie mehr, ich schwör’s, dich Frau Fürstin nennen und doch -- dein ergebenster Diener sein. Sie machen vor der Hütte Halt. Er wischt den Schmutz von seinen und ihren Händen; sie wehrt mit sanfter Gewalt. Zwei Menschen steigen von den Tieren. 8. Und im Glanz, im bebenden blauen Glast um zwei strahlende Stahlmaschinen wiegt der Bergwind Blumen und Bienen; traumhaft halten zwei Menschen Rast. Traumhaft haucht ein Birkenstrauch Duft und Dunkel um sie her. Im Laubwerk spielt die Luft, bald sanft, bald sehr. Die Gräser zittern zwischen ihnen. Ein Mann summt: Nun laß die goldnen Schatten durch deine Locken gleiten; ich will dir eine Krone aus lauter Licht bereiten. Wiege mich, wiege mich: du sollst mir Alles sein: wie ein klein Kindchen bedarf ich dein! -- Siehst du den freien Himmel dort aus den Klüften steigen? ich seh eine Freifrau thronen, ihrem Freiherrn tief leibeigen. Wecke mich, wecke mich! ich will dir Alles sein: ich kann dir Gott aufwiegen, bedarfst du mein. Traumhaft blickt das Weib den Weg zurück. Um zwei strahlende Stahlmaschinen wiegt der Bergwind Blumen und Bienen; jede taumelt auf gut Glück. Eine Stimme zittert hin zu ihnen: Siehst du an deiner Krone auch, Kind, die schroffen Zinken? Ich sah den freien Himmel, Herr, in den Klüften versinken. Hebe mich, halte mich, ich war so tief allein; laß uns zusammen Alles sein! Traumhaft haucht der Birkenstrauch taumelnde Schatten um sie her. Im Laubwerk wogt das Licht, unendlich sehr. Himmelluft hüllt zwei Menschen ein. 9. Und es wird immer freier. Von den Bergen weichen die Morgenschleier. Noch wanken Wolken in den Spalten; aber aus allen grauen Falten quellen und strahlen wie Diamant Schneeadern nieder ins grüne Land, die sich unten in klaren Bächen Bahn zum dunkeln Strom hin brechen, steil von Halde zu Halde schäumend. Das Weib steht säumend: Wie strebt das alles weg von sich -- o Meiner, Meiner: wohin, wohin! Jeder Sturzbach zeigt mir, wie dein ich bin; und doch lockt jede Wolke mich. Mir ist so federleicht, zum Fliegen -- was will dies Bangen, es ist kein Grauen: jeden freien Abgrund möcht ich hinunterschauen, zwischen Tod und Leben mich wiegen. Zeig mir das Dorf, wo unsre Räder stehn: ich kann’s ohne Wanken liegen sehn! Sie will sich über die Tiefe neigen. Sie steht auf einmal tief erschrocken: hohl erdröhnt das Tal von Glocken. Sie weicht zurück. Der Mann lächelt eigen: Wohin -- nun fühlst du’s: nicht hinab! da droht ein Gott: die Welt ist Mein. Und nicht hinauf: da gähnt sein Grab. Nur hin, nur hin -- dann ist sie Dein! Dann wird sie dir das Ziel enthüllen, zu dem der Gießbach stürzend springt: mit Willigkeit den Willen zu erfüllen, der alles Leben zu Todeslüsten beschwingt: du wirst dir selbst, in weltlichen Parabeln, der unbekannte Gott der alten Fabeln. Er winkt ihr, hält sie, läßt sie schweben; zwei Menschen sehn ins ewige Leben. 10. Und sie steigen den bleichen Firnen zu, von dem fernen stummen Blitzdunst umhaucht, der die schwülen Almen, die Pfade, die dunkle Fluh, die Hütten, die Heerden in Geisterlicht taucht -- wie verzaubert staunt der Blick einer Kuh. Groß voll Ruhe, weitauf trunken, schlürft das Auge die Himmelsfunken, reglos ragt das Hörnerpaar -- Wie die Götterfürstin starrte, wenn sie auf den Gatten harrte, dessen Gruß der Blitzschlag war -- raunt der Mann dem schauenden Weibe seltsam zu und macht sich frei. Ein erstickter Schrei -- sausend zuckt sein Bergstock an ihr vorbei -- und ein Schritt, und funkelnd mit peitschendem Leibe speit unter seinem knirschenden Schuh eine Viper den letzten Blick ihr zu, noch tötlich lauernd. Schützend, schauernd naht ihr seine Stimme: Du -- innig bis ins bangste Mark: Lea! meine Löwin! sei stark! Sie hat die großen Augen geschlossen; wie ein klein Mädchen steht sie da mit ihrer Haut voll Sommersprossen, bleich vom Glanz der Blitze umflossen. Wie verzaubert nickt sie: Ja -- ich weiß nit, wie mir eben geschah -- halt mich noch ein Weilchen umfangen, du warst so ruhig, bleib mir nah -- ich wußt ja nicht: mir +graut+ vor Schlangen -- bis unters Herz ist mirs gegangen -- o geh mit deiner Löwin, du: ich glaub, ich bin -- lach nit -- dei’ Kuh -- Und zwei Menschen segnen ihr Todesbangen. 11. Und sie seufzen auf aus Sturm und Nacht; ohne Grenzen fühlt sich Arm in Arm. Durch die rauschende Hütte, unendlich warm, wogt und weht das Dunkel hin. Und der Schacht des Rauchfangs funkelt so sternenweiß wie auf den Bergen das schmelzende Eis. Das Weib flüstert heiß: Und brächen da jetzt Lawinen herein, ich würd aufjubeln: wir leben, leben! Nicht Leib, nicht Seel mehr fühl ich Mein, wenn ich mich dir entgegenhebe und du dringst immer tiefer in mich ein. Noch rauscht dein Blut mir, dein Herzschlag, durch alle Poren! o sag mir, sag mir: solche Sekunden hast doch auch Du nie früher empfunden?! Ach, hätt ich dich doch selber geboren!! Sie breitet die Hände zum Firmament. Pulsend wogt das Dunkel, unendlich warm. Mit suchenden Fingern umglüht sie ein Arm, ein Mann bekennt: Ja, greif nach den Sternen, als ob sie wüßten, was Menschenherzen Reinstes verlangen! Du hast mich geheilt von allen Lüsten, die nicht der Einen Lust entsprangen, die ganze Welt im Weib zu umfangen; du bist es, bist mir, was mich gebar. Du tauchst mich wieder in die Erde, als sie noch Eins mit dem Himmel war; in Dir fühl ich ihr feuerflüssig Werde dem kreisenden Weltraum noch immer sich entwühlen, und hingenommen von den Urgefühlen bringt ihre Glut uns der ewigen Inbrunst dar. Er nimmt sie an sich wie ein Riese. Durchs Dach der Hütte funkelt die Nacht des Sturms mit überirdischer Pracht. Zwei Menschen nahn dem Paradiese. 12. Und sie schweben in steiler Gletscherspalte; die Seile knirschen, der Atem raucht. Aus dämmernden Grabesgründen taucht die blaue Klarheit, die schneidend kalte. Und sie finden Halt. Der Mann horcht und haucht: Da kommen die großen Ströme her, wo die Tiefen weinen vor eisigem Grausen. Hörst du die tausend Tropfen brausen? die fernen Wasserstürze? das Meer? Hörst du im Brausen das Todesschweigen aus den leuchtenden Grüften steigen? sieh: es scheint, ein Wanken weitet Allvaters Hallen! Lea -- wenn jetzt die Wand zerrisse und wir würden einsam ins ungewisse Reich des ewigen Daseins fallen: wärst du im Sturz noch meine Göttin der Freude? oder wieder die Fürstin Herzeleide? Er sucht ihren Blick; er sieht blaue Kreise, er faßt fester Fuß -- der Gletscher schreit. Dumpf dröhnt’s im fern zerreißenden Eise; meergrün furcht sich die Dunkelheit, die starre Wand bebt. Das Weib fragt leise: Bist du des Todes so kalt gewahr? Allmutter sieht in Allvaters Hallen einen heimlichen Brunnen überwallen, drin dämmert’s warm und wunderbar. Es scheint, Opale schmelzen auf seinem Grunde. Da entsprießt dem märchenfarbenen Schlunde eine rosige Knospe, morgenklar. O, die möchte Allmutter Herzeleide blühn sehn voll göttlicher Augenweide; und ihr Schooß erbebt, des Lebens gewahr. Sie starrt beklommen. Es starrt der Mann, als ob er selbst Tod und Leben erschuf. Da schallt von oben der Führerruf; zwei Menschen schweben himmelan. 13. Und es ist keine Erde mehr zu sehn. Über Meeren von Dampf, Schatten, Wolkenschaum dehnt und wölbt sich der reine Raum. Höher als die Sonne stehn zwei Menschen in gärendem Wetterbrodem, führerlos vom Glanz umbrandet, der von Berghaupt wild zu Berghaupt strandet; alle Gipfel wogen. Das Weib zürnt zu Boden: Lukas, wir haben uns verstiegen. Lächle nicht! War Das dein Ziel? mich in stolze Mutterhoffnung zu wiegen, um dem irren Zufall zu erliegen? Du bist zu ernst für solch ein Spiel! -- Du kannst in deinem Schwerpunkt ruhn, du brauchst nicht bodenlos zu gären; es ist nicht Flugkraft, wenn Opale tun, als ob sie Seifenblasen wären. Sie sucht seinen Blick. Der folgt dem Dampfe. Zuckend glühn die Narben in seinem Bart; seine Nüstern spannen sich wie zum Kampfe. Er fragt sehr zart: Sprach das die Frau, die einst fliegen wollte? Nun, der Morgennebel wird bald zergehn; dann wirst du die Straßen wiedersehn, auf denen gestern da unten dein Glücksrad rollte. Auch die Felswände stehn noch unverrückt, die meine freie Ebne vermauern -- Lea! Lea! soll ich bedauern, daß ich Seelen verließ, die +Mein+ Glück beglückte?! Steht der Himmel dir nur im Gleichnis offen? Mutter Isis! -- Ah: nun lächelst auch Du! Ja, dann +juble+, Seele: im Himmel herrscht keine Ruh -- und du wirst noch viel stolzer, viel göttlicher hoffen! O sieh die Adler dort, die beiden, wie sie strahlend den Dunst zerschneiden -- Strahlend blicken zwei Menschen der Sonne zu. 14. Und es blaut eine Nacht, rings von Monden hell: der Gießbach braust in elektrischer Glorie vom Berg. Der Mond des Himmels krönt das Menschenwerk; einem Zauberschloß gleicht das stille Hotel. Fern schwebt silbern die eisige Gipfelkette, gleißt in jedes Fenster herein, beglänzt ein seidnes Himmelbette. Wirr entsinnt sich der Mann: er träumte ein Schreien. Auf der schimmernden Lagerstätte liegt das Weib, ein Bild starrer Pein. Lea! -- er reißt sie aus dem Schlaf -- Du! wach auf! komm! was hat dich bedroht? Du machst ja Lippen, blaß wie zum Tod. Küsse mich! lebe! sei Meine! sei brav! sei wieder braun! sei ringe-range-rot! Er richtet sie hoch mit schmeichelndem Zwange. Sie versucht ein Lächeln zum Erbarmen. Sie horcht in das Brausen hinaus, lange, bange. Klagend greift sie nach seinen Armen: Es wollt eine Seele sich befrein, da band ihre Tat ihr die Hände! Ich sah in zwei blinde Augen hinein; die starrten mich an ohne Ende. Sie starrten weiß, wie dort das Eis. Eine Kälte wehte; es kam eine Mauer von Särgen. O Lux, führ mich weg von diesen Bergen! hilf mir dies tote Leben versenken! Lux, du +darfst+ nicht mehr an dein Töchterchen denken! o wär’s doch Mein! o wär’s! -- Nein! nein: ich will mich wehren, wehren mit allen Gelenken! schüttle mich! bis mirs vom Herzen schmilzt! Ich will dir ein viel schöner Kind schenken! Ich will mich in Dein, ganz in Dein Herz versenken! Nimm mich! führ mich, wohin du willst! Sie umschlingt ihn, schlotternd, vor Wonne schluchzend, vor Grausen; zwei Menschen hören die Mondnacht brausen. 15. Und sie kehren zurück auf bestaubte Bahnen, Rad an Rad im Fluge durch graue Schlüfte, durch Blütenmatten ohne Düfte. Immer dunkler blaut das Moos von Enzianen; als wolle der glühende Tag die Lüfte tief an himmlische Nächte mahnen. Immer finstrer schaut das Weib in die Klüfte: Lukas, mich peinigt schon seit Stunden ein Ahnen, als habest du versucht dort oben, meine Weibesohnmacht zu erproben; tu das nie wieder, ich bitte dich! Wie du heut dich über den Abhang bücktest und mir das einsame Edelweiß pflücktest, kam eine Empörung über mich: ich hätt dich hinunterstoßen können, blos um dich keiner Andern zu gönnen. Sie wirft die Blume wild hinter sich. Ein Ruck: sein Rad bäumt. Sie wankt, schreit auf: er scheint zu stürzen im Rückwärtslauf. Nein: er greift zu Boden in blitzendem Schwunge, ist wieder bei ihr mit lachendem Sprunge, in der Hand die Blume, und steht, fängt sie auf: Ja! Ja, du: das +hab+ ich versucht dort oben! und wills immer wieder, immer wieder erproben, weil du Mein bleiben sollst, weil du stark sein kannst! Du +sollst+ nicht an deine alten Sünden denken, wenn du mit mir durchs heilige Leben rollst, dem du ein Kind von mir geben sollst! Nein, die göttliche Unschuld wolln wir ihm schenken; und das Edelweiß hier wird zum Andenken in deine schwarze Seele gepflanzt, bis der Heiland mit den Engeln drum Ringelreih tanzt! Sieh, mein ganzes Herz lacht: du Weib, ich Mann, o selig, wer dein Gott sein kann! Er steckt ihr den blühenden Stern ins Haar; bräutlich glüht der Tag um ein Menschenpaar. 16. Und der Himmel eilt über Täler und Tau. Und im Haar einen Kranz von Windenranken, rollt durch den Glanz voll Wundergedanken eine irdische Frau. Wie die weißen Blüten ins Herz ihr schwanken! wie die Straße mitfliegt mit den schlanken stählernen Rädern, den sonneblanken! Und der Mann jauchzt ins helle Morgenblau: Heia! All Heil, Welt! jetzt gehts bergab! Achtung! gleich wird dein Herz was erleben. Flügel, Frau Göttin! Füße heben, Augen schließen! hei, ich schwebe, alle Sterne sprühn in mein Dunkel herab. Das lenkbare Luftschloß ist erfunden, Wolken fallen mir in den Schooß; und an keine Erdaxe mehr gebunden, läßt dein Herrgott auch noch die Lenkstange los. Los! frei weg! gradaus ins Blaue, wie Herr Andree der Nordpolfahrer! Sieh, wie saust die Welt gleich klarer! Aufgepaßt: da kommt ein wahrer Eisbär! huh, ein griesegrauer! Er schwingt beide Hände, ein Hökerweib grüßend, das brummend durch den Straßenstaub zieht, wütend die lachende Dame besieht. Die ruft blütenumflattert vorüberschießend: Aber Lux! Mann! Mensch! die stirbt ja vor Schreck! Halt! mein Kranz! na wart du: ich hol dich schon ein, du Unmensch! dann renne Ich dir weg -- Und --: ein Stoß, als stürze das Weltall ein: Sterne sprühn: nachtwolkenbedeckt kommt sie zu sich aus Stahl, Staub, Stein: da liegt er blutend hingestreckt. Und oben steht das Hökerweib und lacht und schlägt sich vor den Leib. Zwei Menschen stimmen stöhnend ein. 17. Und ein Regen perlt an zitternde Scheiben; ein Bahnzug stampft durch sanfte Gelände. Ins Polster gedrückt, verbunden Arme und Hände, sieht der Mann die Tropfen rinnen und treiben. Seine Augen werden immer grauer; er scheint die Frau, die neben ihm lehnt, nicht zu fühlen. Sie sagt voll Trauer: Du hast dich in die Ebne gesehnt, nun kommt sie, und -- du sprichst kein Wort; als wär dir die ganze Seele verbunden. Und ich -- ja, ich weiß, ich stieß dir die Wunden; aber sie werden wieder gesunden; soll ich denn mitleiden fort und fort? -- Fühl’s doch endlich, wie Ort bei Ort und Tal an Tal sich zur Ernte kränzt! das feuchte Korn, wie’s brotgelb glänzt! die Obstalleeen, die weidenden Pferde -- sieh: tausend Freuden wachsen aus der Erde! Und immer sanfter rinnt das Gelände; wilder stampft der Zug und schüttelt die Frau. Unwillkürlich hebt der Mann die Hände. Sein grauer Blick wird dunkelblau: Ja, ich fühls, ich sehs! sehr, sehr genau! seh schon die Arme der Schnitter sich regen, und muß die meinen erbärmlich zur Ruhe legen, weil ich mich gehen ließ -- ich! -- ja: Ich -- meine ganze Seele beschuldigt mich. Zu jeder Handlung braucht sie die Hand, für unser Wort selbst als Unterpfand; wehe dem Menschen, der das vergißt! Wie dies Stampfen mich höhnt! Das Gangwerk der Maschine, das unsrer Glieder lenksames Nachbild ist, mir kann es jetzt als Vorbild dienen! Er verstummt mit selbstbeherrschter Miene. Der Regen rinnt von den zitternden Scheiben. Zwei Menschen bedenken ihr Tun und Treiben. 18. Und ein Lichtstreif schielt von getünchten Wänden nach blitzenden Messern zwischen Verbänden; dunkle Rosen glühn über frischem Blut. Ohnmächtig ringt der Duft des Straußes mit der Luft des Krankenhauses; und lähmend sticht die Mittagsglut durch die verhängte Fensterscheibe. Ein Mann eröffnet einem Weibe: Also -- die Ärzte haben befunden, meine rechte Hand wird +nicht+ wieder gesunden. Ich werde sie wahrscheinlich verlieren, oder man wird sie mir lahm kurieren, was ungefähr dasselbe sagt; kurz, ich hab mich für immer zur Schandgestalt gemacht. Nach unserm Gottrausch lieg ich da, hilfloser als der Urmensch. Ja: stelle dich nur recht aufrecht hin! Bei jeder Umarmung wirst du’s erkennen, daß ich meiner, deiner nicht mehr mächtig bin. Das ist kein Mann mehr nach deinem Sinn -- auch nicht nach meinem --: wir müssen uns trennen. Geh! machs kurz! sei Du! schon seit gestern mahnt mich dein Wesen an eine Andre; sie würde für mich durch jedes Fegfeuer wandern; uns aber schaudert vor barmherzigen Schwestern. Geh! Noch kannst du zurück in dein Leben. Du sollst einst nicht davor erröten, dein Kind einem Krüppel ans Herz zu heben. Auch nach Klarheit brauchst du nun nicht mehr zu streben; die wird das Kind dir auf jeden Fall geben, auch falls du wieder geruhst, es zu -- töten. Er lächelt eisig; er glüht. Sie schweigt. Sie steht wie über ihr Innres geneigt; ohnmächtig duftet ihr Rosenstrauß. Sie hebt die Stirn, sie schreitet hinaus, ohne Gruß, ohne Blick. Zwei Menschen erbeben. 19. Doch von fernen Höhen springt das Licht über Land und Stadt durch den trüben Morgen; zwischen rings aufglitzerndem Grün verborgen, hebt der Mann sein verwachtes Gesicht. In dem einsamen Garten knirschte der Sand. Er lauscht noch, ob er träumte, ob wachte -- eine Meise huscht um den Laubenrand -- da steht sie vor ihm, an die er dachte. Sie nimmt die lahme, vernarbte Hand. Er will sie ihr entreißen, entringen; aber heiße Tränen dringen über ihr und sein Gesicht, er kann es nicht -- Nein, Meiner! -- und würdest du jetzt mich schlagen, was wär mirs gegen dies Wiederfinden! O, ich wär ja am liebsten mit vier Wagen nach allen vier Winden auseinandergejagt, dir endlich zu sagen: was Du kannst, kann auch Ich ertragen! alle, alle Weibeskraft sollst du in mir finden! -- Sieh: hier hast du +zwei+ Hände statt der einen. Ich bin ja nicht mehr wie früher. Schau: da mußt ich mein Menschlichstes verneinen, um der Welt und mir etwas vorzuscheinen. Jetzt +bin+ ich etwas: Deine stolze Frau! -- Ja: sieh auf! mir ist, als müßt ich ersticken, bis die Leute mit menschenfreudigen Blicken uns wieder nachschaun: welch strahlend Paar! Und schlichest du, so die Stirne hebend, an Krücken, ich hör ihr Geflüster: Wunderbar, wer muß das sein, was für ein Mann, dem solch ein Weib gehören kann! Sie lacht: seine Hand bebt auf ihrem Haar. Von den fernen Höhen lacht der Morgen. Um die Laube lachen die Vögel gar. Zwei Menschen fühlen sich geborgen. 20. Und ein Abend rötet die Dächer alle. Eine Taubenschaar kreist mit flammenden Schwingen, als habe sie dem schwülen Tale eine Himmelsbotschaft herabzubringen. Da erklärt das Weib mit einem Male: Lukas, nun muß ich dir etwas sagen: ich hab einen Brief an dich unterschlagen. Ich mußt endlich wissen, was du triebst, wenn du zuweilen Nachts heimlich schriebst -- du brauchst dein Erblassen nicht zu verstecken: auch mich kam Furcht an, Schmerz, Verwirrung, fast Schrecken. Ich konnt die sonderbaren Chiffern zwar nit ganz und gar entziffern; aber dieser Freund benutzt dich als Helfershelfer zu Zwecken, die lichtscheu sind! er spricht von deinem Leben, als wärst du gewohnt, falsche Karten zu geben. O Lux, vertrau mir! Ich hab nichts, nichts zu verlieren als Dich! Ich will mich in jede Armut finden; selbst verachtet zu werden, könnt ich verwinden. Nur: laß dir nicht für Geld die Hände binden! Sag mir --: was ists mit den Archivpapieren? -- Kalt blickt der Mann nach den flammenden Tauben. Seine Rechte hat versucht, sich zu ballen. Er sagt, und seine Worte fallen wie metallen: Es ist Nichts! ich fordre von dir Glauben. Und bis du +reif+ bist, Näheres zu erfahren, und um dir weiteres Mißtraun zu ersparen, wird dieser Briefwechsel einfach unterbleiben; denn ja -- ich kann jetzt nicht mehr heimlich schreiben. Einstweilen aber sollte dein eigen Treiben dir die Erleuchtung innerst nahe legen: kein Licht kommt anders als auf dunklen Wegen! -- Hier: blick mir in die Augen hinein: sag, meinst du wirklich, Ich kann lichtscheu sein?? Zwei Menschenseelen schimmern sich entgegen. 21. Und Wolke über Wolke kommt gekrochen und drückt das offne Land in dumpfe Schranken; es liegt im Halblicht wie gebrochen, der Bergforst steht gesträubt. Der Donner brodelt schon, und Blitze wanken; und wenn die Funken fahl durchs Dunkle kochen, dann ists, als atmeten des Tales Flanken. Der Mann macht Halt wie dunstbetäubt: So sind wir rings umhüllt vom Unbekannten; dem Qualm der Niederungen kaum entklommen, stehn wir vom Schwall der Höhen schon benommen und gehn vielleicht erst recht der Tiefe zu. Und wenn der Bann, dem unten wir entrannten, hier oben uns ereilt mit glühendem Schuh, wenn dann im letzten taumelgrellen Nu die eine Frage noch in uns entbrannte: ist nicht des Lebens Mißgeschick nur unsres Wesens Ungeschick -- dann wirbelt noch durch unsre tiefste Ruh als einzige Antwort aus der Ewigkeit des Daseins grausige Unsicherheit. Und drohender erschallt das Lichtgebebe, die hohen Tannen fangen an zu schauern. Bis ganz ins Land hängt alles in der Schwebe; es ist, als ob das Tal die Flügel hebe. Das Weib zeigt in die rollenden Wolkenmauern: Wenn sonst die Blitze so den Raum durchschossen, war mir so grenzenlos, so haltlos bange wie damals vor der Todeswut der Schlange; jetzt scheint durch jeden mir der Himmel erschlossen. Ich brauche blos mit dir ins Licht zu schauen und habe vor nichts, vor nichts mehr Grauen. Und jählings reißt sich aus der Dunkelheit blendend und knatternd der erste klare Strahl. Mit prasselnder Sohle springt der Regen ins Tal. Zwei Menschen atmen wie befreit. 22. Und sie schreiten durch verwüstete Fluren. Von Hügel nieder zu Hügel hingeschwemmt ziehn sich des Wolkenbruches Spuren. Die Bäume stehn noch wie gekämmt. Das reife Korn am Weg ist wie geplättet. Fern am durchbrochnen Bahndamm hängen, Strickleitern gleich, Reste von Schienensträngen; die Brücke liegt zerrissen im Fluß gebettet. Die Sonne blitzt aus hundert Spiegelflächen. Des Weibes Blick folgt den gefüllten Bächen: Wie wird nun nach dem ersten Staunen und Grauen der Mensch hier rings mit doppelt mächtigem Mut bahnen und bauen, bis die Natur ihm seinen Willen tut! So stand ich einst -- o endlich kann ichs sagen -- nach frischer Tat vor meinem getöteten Kind. Im Garten draußen stöhnte die Nacht, der Wind. In meinem Innern sah ich Blutstürme jagen. Ein Paradies reifer Hoffnungen lag mir zerschlagen. Aber ein Glaube schwoll draus auf, so groß, als bebe die Erde vor Drang, mich hochzutragen: o, unerschöpflich ist der Mutterschooß! -- Gib mir die Hand, Lux; jedes Mißgeschick macht uns geschickt zu neuem Glück. Sie greift nach seiner gelähmten Rechten, eine Himmelsklarheit im dunkeln Augenpaare gleich den glanzgefüllten Bächen. Er will noch wehren. Er möchte sprechen. Da --: ein Schauer reckt sie -- seine Finger umflechten ihre stolzen Hüften, ihn zieht das Unsagbare -- er steht und stammelt, kaum bewußt: du Liebe, Schöne, Gute, einzig Wahre! du Mörderin aus Lebenslust! du Kind, du Engel an meiner Brust! -- Der Himmel glänzt aus jeder Wasserrinne; zwei Menschen sehn’s wie eines Wunders inne. 23. Und schwarz aus dunklem Erntefeld bäumt sich das Denkmal einer Schlacht. Tief hinter den Garbenreihen hält der große Mond im Dunst blaßrote Wacht. Es tränkt ein Duft die weite warme Nacht, der jeden Busch zur Wolkenblume schwellt. Die Wiesenraine sind wie Geistergleise. Ein Mann sagt leise: Es wollt eine Seele sich befrein, da band ihr die Freiheit die Hände. Nun sinnt sie in Tod und Leben hinein; da schließt eins innerst das andre ein, aller Zwang hat willig ein Ende. Sieh dort: wie stehn, wie schimmern die vollen Ähren! als ob sie stolz die Opfer verklären, die einst hier fielen für fremdes Glück. Kein Denkmal ruft die Tausende zurück, die noch als Leichen Kindeskinder nähren; auf diesem Hügel aber stand der Feldherr und fühlte sich im Siegesglück als Weltherr. Er hat den Arm wie zum Befehl gehoben. Da schmiegt das Weib ihr Haupt in seine Hand und Brust an Brust, und raunt ins dunkle Land, als höre sie das Mordgewühl noch toben: Und fühlte doch vielleicht sein Herz erbeben, und hätte gern die Tausende geschont, wenn nicht auch Er bereit war, Blut und Leben so rückhaltlos der Welt zurückzugeben, wie dort sein Licht vergießt der rote Mond. Glaub’s, Meiner, glaub’s: kein Glücklicher fühlt einsam: was ihn beglückt, er geht drin auf, gemeinsam! Und warm und wärmer schließt im Nebelkreise sich Herz an Herz mit überströmender Macht. Die Erde schwillt gen Himmel, leise, leise. Die Wiesenraine werden Göttergleise. Zwei Menschen sinken in den Duft der Nacht. 24. Und aus verwildert stillen Gärten steigt ein altes Städtchen in die Mittagsglut. Um die zerborstenen Mauerwehren zweigt sich Epheu, Hexenbart, Pfaffenhut; weiße Rosen blühn am Tore. Im Schatten ruht ein Mann und träumt und schweigt zur Giebeluhr hinauf, die nicht mehr zeigt. Ein Weib zupft ihn am Ohre: Du machst ja Augen, so voll entlegener Wonnen, als sähst du die Jahrhunderte sich sonnen auf den Ruinen. Ja: die steinernen Jungfraun hoch am Tor, die beten gar „reif“ um ihr Stündlein empor mit ihren verwitterten Mienen. Wir aber -- o -- wir haben Zeit; sehn wir nicht auf zu ihnen voll ewiger Seligkeit?! Der Träumer hat den zarten Spott vernommen. Sein Blick ist freudig aufgeglommen. Die Gärten glühn. Er lächelt sonderbar. Er sucht nach Worten, Blick in Blick gegründet. Er spricht, als säh er tief ein Licht entzündet, das früher nicht in ihrer Seele war: Vielleicht sah ich in meinen entlegenen Wonnen ein kommendes Jahrhundert schon sich sonnen, nicht auf romantischen Ruhestätten zwar. Ich sah nach dem edlen Ritter im Fries, der seinen Mantel weiland den Bettlern ließ, um hilflose Blößen zu decken. Vielleicht ist heimlich nach Bettlerart mancher edlere Ritter heut auf der Fahrt, Helfershelfer zu wecken zu jetzt noch „lichtscheuen“ Zwecken -- Er schweigt. Die Gärten glühn. Es ist, als schliefe verstohlenes Leben hinter allen Hecken. Zwei Menschen sinnen in die Tiefe. 25. Und hoch durch Hallen, die fast blenden, braust Dampf; und dumpf donnert Rad bei Rad. Hohl durch die offenen Bogen-Enden schweelt wie ein Herd mit tausend stillen Bränden die Lichter-Dunstnacht einer großen Stadt. Bahnzüge dröhnen rhythmisch hinaus, herein, hin am Wirrwarr der scheinbar ziellosen Menge. Zwei Menschen überschaun das stete Gedränge. Ein Mann weist nach den fernen Häuserreihn: Ists nicht, als wärens Äonen seit ehemals, seit wir vom Haus deines Herrn Gemahls die finstern, lichtdurchfurchten Mauern auch so am Horizont sahn kauern? Und ists nicht wieder, nicht immer noch, als lauern die roten Fensterhöhlen auch hier wie Augen, die alle trüben Begierden einsaugen, auf Habsucht Notdurft speichern, und Haß zum Neide? Und treibt doch Alle die Liebe, wie uns Beide, sich Geist an Geist mit seelenvollen Händen zu gleichen Lebenszwecken zu vollenden! Wärs da nicht not, daß Freunde des Lebens sich fänden, nur zu dem einen Endzweck auserlesen, klar Alle dem Willen Aller zuzuwenden?! bis einst der Geist, von jedem Zweck genesen, nichts mehr zu wissen braucht als seine Triebe, um offenbar zu sehn das weise Wesen verliebter Torheit wie der großen Liebe?! Und einer Seherin gleichend steht das Weib, und näher drängt um sie das Köpfegewimmel. Sie fragt, und hält die Hände in das Getümmel, als schütze sie den Mutterleib: Und wenn nun Einst und Jetzt auch Mir sich einen, sodaß ich furchtlos deine Freundin bleib, trotz meiner Eheschuld und trotz der deinen?! Sie schweigt, als ob sie heimlich etwas versprach. Zwei Menschen sinnen der Menschheit nach. 26. Und sie stehn vor einer Domfassade. Unvollendet hockt der eine der hohen Türme im Kranz der gotischen Höllengewürme, als bitte er den andern um Gnade. Aber vor vermessenem Himmelsverlangen scheint die irdische Tragkraft ihnen ausgegangen; unten gähnen wie Grüfte die kunstgerechten Pforten. Demütig Gebeugte nahen von allen Seiten. Und das Weib winkt dem Mann, auch hineinzuschreiten. Und die Orgel erbraust zu ihren Worten: Komm, laß uns einmal wieder voller Kindheit sein. Horch, wie die alten Lieder Alle benedein. Da spürt kein Herz mehr Sünde; die Mutter mit dem Kinde schließt ja auch Uns die Gründe der Welt und Menschheit auf und ein. Doch die Orgel verstummt. Dumpf tönen Gesänge einer verborgenen Priesterschaar. Und über dem weihrauchumdampften Altar sehn sie bleich einen Gekreuzigten hängen mit gräßlich wahr gemalten Wunden und schrecklich schön geformtem Munde -- Da neigt fromm der Mann dem Weibe sich dar: Vor deinem künftigen Kinde könnt ich dir beichten, den Heiligen gleich: ich suchte einst ein bißchen Sünde und fand das ganze Himmelreich. Hier aber dünkt es ein Wortspiel mich, wie dieses Schauspiel stimmungsgeil durchtrieben. Komm! Draußen steht’s von Grund auf in Stein geschrieben, das schwere Wort: Vollende Dich! Und die Orgel braust wieder. Er sucht einen Pfad ins Freie, scheu umkauert von Betern. Ein feister Küster im Ornat blickt ihnen nach wie frechen Spöttern. Zwei Menschen fliehn vor fremden Göttern. 27. Und ein wüster Traum scheint Wirklichkeit geworden: durch grabesstille Säle tobt ein Farbenmeer: Nackte Leiber hängen an den Wänden umher, und geputzte Damen, Tiere, Bäume, Herren mit Orden. Neben blühenden Feldern sieht man arme Leute jammern. Aus vergoldeten Rahmen stieren elende Kammern. Endlich seufzt der Mann und lächelt schwer: Ich segne wahrhaftig meine gelähmte Hand, wenn soviel gesunde auf käuflicher Leinewand mit ihrer natürlichen Ohnmacht Stimmung machen. Ob diese Künstler nicht über sich selber lachen, wenn sie mit kindischer List vom vollen Leben den Schaum abschöpfen? -- Aber eben: Stimmung -- die Sprache sagt es -- läßt sich „machen“, Gefühl und Geist sind Wenigen voll gegeben. Sieh dort: in all dem Schwall das schmale Bild, von dem wir hier nur eine Klarheit erkennen, die kühn aus tiefem Grau ins Blaue schwillt: und magst du’s arm vielleicht an Farbe nennen, du fühlst doch, daß da Einer spricht, der innerlich so reich ist wie das Licht, und der drum Schatten wirft auf das Gelichter dieser dürftigen Flunkerwichter. Sie treten näher. Sie sehn am Strand des Nachtmeers schlafend einen Knaben liegen: ein großer Stern scheint seinem Atem entstiegen, in dessen Glanz sich alle Wellen wiegen. Endlich nimmt das Weib des Mannes Hand: Und stimmt das nicht zum Frieden deinen Geist? Mir deucht, vom sichern Ufer kann man dreist auch einem Irrlichtschwarm Reiz abgewinnen. Ich glaube, dir ist das Herz durch Andres schwer. Ich hab auf einmal Sehnsucht nach dem Meer; uns fehlt wohl nur der freie Himmel hier drinnen. Sie lächelt: komm! Er stutzt. Dann nickt er nur. Zwei Menschen folgen ihrer Natur. 28. Und es rauscht nur und weht. Es liegt eine Insel, wohl zwischen grauen Wogen. Es kommen wohl Vögel durch die Glut geflogen, die blaue Glut, die stumm und stet die Dünen umschlingt. Da gebiert die Erde im Stillen wohl ihr Empfinden und nimmt ihre Träume und giebt sie den Wellen, den Winden. Die Seele eines Weibes singt: O laß mich still so liegen, an deiner Brust, die Augen zu. Ich sehe zwei Wolken fliegen, die eine Sonne wiegen; wo sind wir, du? -- Und es rauscht und weht. Es liegt eine Düne, wohl zwischen tausend andern. Es werden wohl Sterne den blauen Raum durchwandern, der über den bleichen wilden Hügeln steht und golden schwingt. Die Seele eines Mannes singt: Still, laß uns weiter fliegen, Beide die Augen zu. Ich sehe zwei Meere liegen, die einen Himmel wiegen. O Du -- es rauscht, es weht; über die heißen Höhenzüge geht höher und höher der goldne Schein ins Blaue hinein, wo das Dunkel schwebt. Und aus dem Dunkel herüber, auf großen Wogen, kommt die Einsamkeit gezogen. Und zwei Seelen singen: Eine Seele lebt, wohl zwischen den Sternen, den Sonnen, den Himmeln, den Erden, die will uns wohl endlich leibeigen werden: es schwellen die Wogen herüber, wie Herzen klingen, Menschenherzen! -- Zwei Seelen singen -- -- 29. Und sie sehn fünf Sonnen im Nebel stehn, von Glanz umzingelt vier blasse kleine im Kreise um die große eine; der stille Kreis scheint den Nebel zu drehn. Und im Dünensand hat im Windeswogen jeder Halm um sich einen Kreis gezogen. Plötzlich lacht der Mann zu dem Phänomen: Ists nicht, als will uns der Himmel aus seinen Schätzen rings deinen verkauften Perlring ersetzen, von dem wir die tolle Überfahrt bezahlten! O, wie deine Augen herzehell strahlten, deine dunkeln Augen im Sturm neben mir, daß michs trieb, dich auf offnem Schiff zu umarmen! Und da lagen diese Mitmenschlein zum Erbarmen und waren seekrank! -- Hah: da dankt ich dir, Du, für deine wellenwild schwungvolle Körperschwere, die mich auf den Grund aller irdischen Rhythmen tauchte! Da fühlt ich wie ein sintflutlich Tier unsre Urverwandschaft mit dem Meere! Ja, meine Erlauchte: Was +ist+ denn diese äußere Welt, dies öde Eiland um uns her? nur was die Seele davon hält: ein Ufer für das innre Meer! Er hat sich erhoben. Der Dünensand fegt singend über den feuchten Strand. Die vier Sonnen im Nebel verschwimmen zu blassen Axen, die sacht der leuchtenden Mitte zuwachsen. Das Weib streckt die Hand: Zieh mich hoch! -- ja, rück es mir ins reinste Licht, daß deine Welt meine umspannt! O, wie schmückt unsre Sonne mein schlicht Gewand! Und jeder Flimmer, jeder kleinste, verflicht uns mit ins Allgemeinste und hat doch hell für sich Bestand -- sieh! -- Zwei Menschen umschlingt ein Strahlenband. 30. Und sie stehn von Morgenschauern erfaßt, nackt. Die Küste glüht perlmutterfarben. Die Ebbenrillen furchen den Glast wie rosige Narben; in der See wühlt die Windsbraut und jauchzt und tost. Und das Weib erschauert bis in den Schooß und wirrt ihr naß Haar vom Nacken los und breitet die Arme: Jetzt kommt die Flut, ich möcht ihr gleich wieder entgegenschwimmen! Pulst sie dir auch so heiß ins Blut? dies Branden, dies Glimmen! Wie sie Kraft schöpft -- bis zum Horizont, himmelan schwellend aus ihrem Rauch, schwarzzottig, silberkraus übersonnt, voll Spannung wie ein hochschwangerer Bauch, und der Odem der Allmacht kreist drüber her: O Mutter See! o Meer! mein Meer! Und von Segeln der Morgenröte umschlossen, schau -- lacht der Mann und knipst ihr ein Muschelchen ab -- kommt ihr liebster Sohn durch den Raum geschossen: mein Schiff hat Regenbogenflossen und holt dich ins Raumlose ab, wo die fünf Sonnen noch immer am Himmel stehn! Und da wollen wir eine zum Ballspielen nehmen, einen Knäuel zum Glanzweben, eine Kugel, aus der wir Lichtbrot rollen, eine, in der wir einander spiegeln wollen, und die fünfte bleibt stehn! Die bleibt stehn, damit die Menschen es sehn können, wie wir über die hohen Wellen gehn und den freien Sternen dahinter entgegenrennen, um die unsre Sonnen und alle sonnigen Herzen sich drehn auf Wieder-Immerwiedersehn! Und da weist das Weib nieder: hell wie aus Ätherhöhn spiegelt ein Ebbentümpel ihre Geberde -- zwei Menschen sehn den Himmel durch die Erde. 31. Und sie schaukeln im Boot. Die Nacht kommt. Sturm droht. Die Wogen gehn hohl wie das Segeltuch. Grell im Westen ringt noch und schwingt ein Streifen. Die Möwen kreischen. Der Mann stemmt sich hoch, visiert den Bug: Zieh die Leine straffer! so! setz dich fest! Hast du Furcht? Ja lache, dann jauchzen die Böen! Sahst du mich nicht im Traum einst so stehn, über Herren mit Kronen, die Rechte ums Steuer gepreßt? Jetzt tut’s die Linke! Los! Freiherr Nord pfeift zum Fest wie auf meinen großen Heimatseen! Sieh, das Grenzband drüben wird schon blasser; nun ruft er die Geister übers Wasser. Holla! keine Geister, die jenseits hausen: das sind Meine Geister, allseits brausen sie! Da: die schäumenden Wonnen mit den sprühenden Haaren. Da das tiefschwarze Wehe treibt sie zu Paaren, von den grauen Sehnsüchten überrannt. Bis die schimmernde Liebe alle hinreißt und außer sich spannt und deinen trunknen Blick ins Weiteste lichtet: da entspringt dir, vom Odem der Brünste entbrannt, deine eigne Inbrunst, zur Gestalt verdichtet -- halt ihr Stand!! Denn: fühlst du selber dich Geist genug, dann verschwindet der sinnliche Spuk: übern Erdrand auf flüchtendem Wasserbogen kommt die Kraft deines Ursprungs hochgezogen, und du streckst deine Hand aus, von Toden umbellt, und schreist in den Aufruhr: O Meine Welt! Meine Welt -- mein Traum! -- o nicht einst -- allerwegen seh ich dich so! -- stammelt, jubelt das Weib --: Aus mir selbst -- letzte Nacht -- hoch durch stürzenden Regen -- mit mir selbst -- ja, ein Geist -- stieg dein lichter Leib: Himmelfahrt! Ja, fahr zu! Ich fahr mit! allerwegen Dein! -- Zwei Menschen steuern dem Sturm entgegen. 32. Und es tönt aus der Brandung wie Schalmein; helle Nacht versilbert den fremden Strand. Langsam wälzen die Wellen den Mondschein ans Land, in die dunkelroten Kliffe hinein; da stürzen sie sich die Stirnen ein, um zurück immer wieder verklärt zu sein -- Es wollt eine Seele sich befrein, sieh -- entfaltet das Weib die Hände --: Da ward Tod und Leben ihr zu Schein, nur der Liebe ist kein Ende. Ja; so sah es meine Seele im Traum: es ging Deine Seele wie leuchtender Schaum aus meinem Körper deinem entgegen. Ich sah voll Angst, wie ihr doppelt standet: Ein Haupt hell, Ein Haupt dunkel umströmt von Regen. Bis ihr, Leib in Geist, ineinander euch fandet und mich ergriffet. Da sprachst du ein Wort; wie ein Wirbel klang es. Und über mich fort stiegen wir, strömten wir lichtflutvermählt hin in deine, meine, unsre Welt! Es tönt aus der Brandung wie Geraun -- Horch -- raunt der Mann -- das Zauberwort: Ja, es hieß wohl: +Wir+ Welt! Nicht Schein! nicht Traum! horch, wie’s wirbelt: WIRWelt -- o Urakkord! WIRWelt murmeln die Ströme, die großen, wenn sie zusammenkommen im Meere! WIRWelt jubeln die Sternenchöre, WIRWelt die Stürme im Uferlosen! WIRWelt stammelten die Menschen, als sie noch reine Tiere waren; stammeln’s wieder, alle wieder, die als reine Götter sich paaren, rein, wie Wellen mit Mondlichtschleiern spielend ihre Freiheit feiern, die Freiheit, die voll Eintracht spricht: o gieb uns, Welt, Dein Gleichgewicht! Es tönt aus der Brandung wie Gesang um ein Menschenpaar im Überschwang. 33. Und sie wirbeln im Tanz: glühend im Glanz mächtiger Feuer bei heller Sonne, in Feiertagslust: Männer und Weiber mit offner Brust, mit brennenden Backen, stampfenden Hacken, auf offner Tenne, um eine Tonne: die paukt ein Fischer voller Wonne, um die Wette mit einem Hirten, der bläst Klarinette, und fernher braust den Takt die See. Und nun reihn sich rings die Kinder zur Kette. Und es wogt ein Herz: Meine Flammenfee -- weißt noch? damals? unser Tanzen zwischen den Modepuppen und Schranzen! wie du mir wehrtest: nit erzählen -- wie du mich lehrtest: nit uns quälen -- und mich schürtest, wie einen Herd, aus dem statt Wärme Feuerwerk sprang! Und er schwingt sie derber die Tenne entlang, unverwehrt; singend schüren die Kinder den Feuerkreis. Zur Sonne singend. Und in den Pausen macht die See die Seelen erbrausen. Das Weib lacht heiß: WIRWelt, Meiner! sei Kind! dann steigt deine Fee herab von ihrem Stern. O, sie hätt wohl längst von Herzen gern vor Mann und Weib den Damen und Herrn die Zähne und die Zunge gezeigt: Seht, hier tanz ich in selbstgestopften Strümpfen und kann noch immer die Nase rümpfen! ich habe seit Wochen nichts zu Tische als Salz, Brot, Ziegenmilch und Fische, aber bin Mutter Isis, die Herrin der Welt -- gelt, mein lieber Herr Gott: deine liebe Frau Welt! Es braust die See; es braust ihr Blut. Zwei Menschen jauchzen vor Übermut. 34. Und sie sehn sich schimmern, ruhend vom Bade. Und schimmernd ruht das öde Gestade im warmen Wind. Sie lauschen ihm nach: lauschen, wie die Weiten sich rühren, wie alle Tiefen zu Höhen führen -- wie die Möwen zwischen den Wellen schwimmend auf und nieder schnellen -- Und des Weibes Lächeln wird zur Sprache: Lux, mein Leuchtender, wenn wir so liegen, ich mit meinem schwarzen Windsbrauthaar, du wie ein Flußgott der See entstiegen, und jeder Wogenkamm bringt uns Liebreize dar, und mir versinkt die letzte Schranke, die zwischen Leib und Seele noch blieb, denn dein kleinstes Härchen ist mir so lieb, so wert wie dein größter Gedanke -- und ich denk an gestern und strahle vor Ehren, daß ich dir Haar und Bart durfte scheren -- ach, und heut Nacht, du, hört ich dich schnarchen wie einen braven Patriarchen und konnt nit lachen -- Herr meines Lebens, es war mir lieb als Äußerung Deines Lebens -- und ich sag dir dann mit fröhlichem Mut: ich bin auch deinem Töchterchen gut -- und frag dann ohne ein Lächeln des Spottes: bin ich nun „reif“ zur Mutter Gottes, reif zur Lebensmeisterschaft, tauglich, tüchtig, tugendhaft --? Dann, mein himmlisches Freudenmädchen du, -- reckt sein narbiger Arm sie der Sonne zu -- dann sag ich lachend ohne Spott: wir Götter brauchen keinen Gott! Er läßt sie thronen auf seinen Knien; und sie, mitlachend, schaukelt ihn, die Brüste zum Triumph gestrafft. Zwei Menschen schwelgen in ihrer Kraft. 35. Und es rauscht nur und glüht. Es liegt eine Düne im schwülen Licht der Fernen. Es füllt ein Geflimmer wie von sprießenden Sternen die stille Wildnis; das Sandmeer sprüht. Es loht die hohle Hügelwand, wie auf ewig vor Schatten behütet, ein Nest, in dem der Himmel brütet. Und der Mann wiegt das Weib im Mittagsbrand: Aufgewacht, Seele, aufgewacht! Wunderland liegt aufgetan! In uns, Seele, da träumt die Nacht; aber hier, ein Hauch meines Mundes macht diese dürre Insel -- ja, schau sie an -- zum Paradies und Kanaan, wo Adam sündlos bei Eva ruht, wo der Tag glüht wie unser Fleisch und Blut, wo Alles Frucht ist am reinen Leib der Liebe, selbst der Halm dort im Sandgetriebe! selbst der Salzgeruch, der von der Küste herquillt an deine braunen Brüste und Milch aus deinem Mutterblut braut! selbst deine honigwabengoldne Haut, und deines Schooßes glückstrotzender Schwung, und meiner Mannheit Verkörperung! Und wenn die Seele noch so schreit: sie führt zum Wahnsinn, diese Seligkeit: dann, du, dann -- er stammelt plötzlich, lauscht -- das Weib in Sonnetrunkenheit jauchzt berauscht: dann ist der Wahnsinn eben Seligkeit -- -- und fährt zusammen: ein Schatten fällt in ihre nackte Glut herab wie aus einer fremden Welt: Sand rutscht, und übern Hügel tappt ein Herr in Reisetracht, steht starr -- o Graus: zwei Menschen lachen einen aus. 36. Und bis in ihre Leuchtturmklause sucht das Walten der Welt sie auf. Unten pocht und schwebt im Dunkeln des Meeres Gebrause; und den kleinen Tisch deckt bunt ein Haufen Briefe aus aller Herren Ländern. Der Mann steht lesend; das Weib spielt zaudernd mit den abgerissenen Rändern. Endlich sagt sie, wie planlos plaudernd: Lux, ich glaube: könnten die Menschen erraten, mit welcher Eintracht wir uns beglücken, ja, ich glaube, sie teilten unser Entzücken, +die+ selbst, denen wir Leides taten. Denn gelt: auch Dir doch würd’ es gelingen, diesem Glück alles Andre zum Opfer zu bringen? Er schweigt -- sie sucht seinen Blick -- ihr graut: sein Mund bewegt sich, aber die bleichen Lippen geben keinen Laut. Er starrt auf ein Blatt mit seltsamen Zeichen. Die Chiffern schwanken. Ihr dröhnt das Meer. Fremd tönt seine Stimme zu ihr her: Es hat eine Seele sich befreit -- ich hielt ihr Glück einst in Händen. Ich versprach ihr lauter Seligkeit -- das ist nun alles zu Ende. In williger Demut schien sie’s zu dulden; es war Stolz -- stolz schwieg sie zu meinem Verschulden. Ja: hier steht es von Helfershand geschrieben: ich habe sie in den Tod getrieben. Ich ließ die Verzweiflung über sie kommen. Ich hab meinem Kind die Mutter genommen! Verlangst du noch Opfer? -- Ich glaube: nit! Mir scheint, Mutter Isis: wir sind quitt. Er setzt sich, sonderbar gelassen. Unten schwebt und pocht im Dunkeln des Meeres Gebrause. Stechend bebt das Licht der einsamen Klause. Zwei Menschen suchen sich zu fassen. Dritter Umkreis -- Die Klarheit -- Eingang Schweb still, schweb still, triebseliger Geist, und dehne dich über alle Kreise aus! sieh: mit der Sehnsucht der gespannten Sehne greifst du nun ein ins Weltgebraus. Sie schnellt zurück, zurück zu ihrem Bogen, berührt ihn, schwirrt noch, deckt ihn nie -- doch was sie mußte, wirkte sie: der Pfeil ist frei zum Ziel geflogen. Such’s nicht etwa bei Deinesgleichen, sehne dich nicht in Dich zurück! denn es gilt, o Mensch: das Glück, oh das Weltglück zu erreichen. Vorgänge: III, 1-36 1. Zwei Menschen gehn durch nebelnassen Hain; er faßt einen alten Friedhof ein. Die feuchten Blätter hängen schwer herab, so schwer, als möchten sie die Zweige brechen; sie hängen um ein frisches Grab. Ein Mann beginnt sich auszusprechen: Nach diesen Trennungstagen, die einen Andern aus mir machten, will ich mein wahres Trachten nicht länger halb im Dunkeln vor dir tragen. Eh ich die Leiche liegen sah, hatt ich den Traum, ihr stilles Antlitz trüge den Mut der Tat zur Schau; der Traum war Lüge. Ich sah in ihre zerlittenen Züge: dem Wahnsinn schien die starre Maske nah. Ich habe vor dem Anblick nicht gebebt: da lag ein Herz, der Einsamkeit erlegen. Ich stand und fühlte das Gesetz: wer lebt, hilft töten, ob er will ob nicht. Und aus dem gramvollen Gesicht schlug kalt die Mahnung mir entgegen: Keinen zu brauchen, gottgleich allein williges Herz der Welt zu sein! Er neigt sich, um die tropfenschweren Blätter von sich abzuwehren. Mitwehrend spricht ein Weib in ihn hinein: Wie du gestanden hast an ihrer Bahre, erkenn ich aus dem Büschel grauer Haare, der früher nicht an deiner Schläfe drohte. Wozu nun noch verstorbnes Leid auffrischen! Das Leben wird dir’s ebenso verwischen wie hier dies Zeichen -- sieh: ich geb’s der Toten. Sie legt ihre Hand wie segnend auf das Grab: sie drückt sich tief im feuchten Erdreich ab, ein Tropfen schimmert in dem schwarzen Ballen. Zwei Menschen stehn, als sei ein Schwur gefallen. 2. Durch hohe Pappeln fingert grell der Mond, legt harte Schatten vor ein kleines Haus; fern hockt der Großstadtdunst, glanzüberthront. Zwei Menschen sinnen in die Nacht hinaus. Der Dunst der Felder schleicht, das Mondlicht dämpfend. Ein Weib sagt zögernd, mit sich kämpfend: Die Frau, die du bestattet hast, hat uns befreit von einer Last; ich weiß ihr Dank! und will ihn offenbaren. Wo ist ihr Kind! Dein Kind! -- gib mir’s bei Zeiten; noch können wir’s zu unserm Glück anleiten. Was planst du immer wieder Heimlichkeiten! soll’s etwa so ein Freund dir aufbewahren? Der Mann am Fenster blickt ins bleiche Land; er wirrt in seinen grauen Schläfenhaaren. Er spricht verhalten, abgewandt: Vorläufig darfst du dir den Dank ersparen. Auch wird kein Freund in deinem Glück dich stören; die Tote wußte nichts von diesen Leuten. Mein Kind wird meine Mutter mir verwahren; ich schwieg nur, um dein freies Wort zu hören -- nun laß dir Eins dazu bedeuten: Mir haben mehr als eure beiden Seelen ihr ganzes Glück geoffenbart; in jeder schien ein Stück zu fehlen, es lag in mir wie aufgespart. Wohl band an Jene mich ihr Leidensfrieden, wohl riß zu Dir mich deine Lebenslust, doch immer blieb mir frei bewußt: mir hat die Welt ein reicheres Glück beschieden. Vielleicht entdeckst auch Du dies Glück bei Zeiten und lernst mein Kind zu +seinem+ Glück anleiten! Er kehrt seine Stirn brüsk gegens Licht; fern hockt der Großstadtdunst, glanzüberthront. Sie lächelt eigen; er sieht es nicht. Zwei Menschen blicken einsam in den Mond. 3. Sonne lacht; die Stoppelfelder schimmern. An verfärbten Blättern zupft der Wind, Früchte lüpfend. Heimlich Leben spinnt weiße Fäden; rings im Blauen flimmert’s. Scheinbar tändelnd hat ein Mann einem Weibe solch ein zart Geflechte um ihr schwarzes Haar gewunden -- nun streckt er seine narbige Rechte: Was doch die Seele brav lernen kann, hats nur der Körper erst für gut befunden! Kaum hab ich mir die eine Hand lahm geschunden, schon stellt sich meine Linke geschickter an als je die Rechte. Selbst auf der Jagd: wie hat mein Vater mich neulich ausgelacht, als ich so schießen wollte -- und dann: keinen Fehlschuß tat ich beim Kesseltreiben. Ich kann auch wieder heimlich schreiben; falls dirs vielleicht mal zuviel Mühe macht, Frau Fürstin, meine Sekretärin zu bleiben -- Leichthin hat er das Spinngewebe wieder ihrem Haar entnommen, leichthin hält er’s in der Schwebe; bis es wegschwebt, flimmernd, wehend. Wie mit Willen nicht verstehend sagt sie, nur ihr Atem geht beklommen: Du tust sehr glücklich mit deinem Spiel. Fast wie Gaukler, die sich schämen, Lux, ein Unglück ernst zu nehmen. Scheint +diese+ Müh dir +nicht+ zuviel? -- Doch den reichen Seelen muß das Glück wohl fehlen, das sie Andern zeigen als ein Ziel -- gelt? -- Er schweigt. Rings lüpft der Wind Früchte; heimlich Leben spinnt weiße Fäden über Zaun und Dach. Zwei Menschen schaun dem fliehenden Sommer nach. 4. Abendröte ruht auf alten Wegen. Stille Mühlen stehn im kahlen Land wie gebannt; hohe Bäume glühn der Nacht entgegen. Wo der dämmergraue Park sich lichtet, unweit einer Grabkapelle, gehn zwei Menschen, Hand in Hand. Und als sei ein Streit geschlichtet, weist ein Weib ins Freie, Helle: Du mußt nit meinen, ich sei so schicksalsblind, daß ich am Himmel niemals Wolken seh. Hier birgt noch jeder Strauch mein einsam Weh: hier sahst du kalt auf mein getötetes Kind. Jetzt aber, wo dein Leben mich durchrinnt, so warm, als klopfe unter meinem Herzen Dein Herz mit allen Wonnen, allen Schmerzen, jetzt will ich kämpfen, bis ich vor dir steh so lauter wie ein wolkenloser Tag. Wer +sind+ nun deine dunkeln Freunde? sag! Abendröte ruht auf alten Wegen; durch die glühenden Kiefernkronen graut der Nacht ein fahles Haus entgegen, hoch mit eisernem Balkone. Ein Mann sagt willig, sagt mit Hohn: So laß dir denn erwidern: schon bist du selbst im Bunde. Von allen seinen Gliedern ist keins so reif wie du zur Stunde. Denn diesen Bund hat nur die Sehnsucht gestiftet, nichts wider Willen mehr mitanzusehen. Man darf sogar Verrat begehen; das Schlimmste ist, man wird vielleicht vergiftet. Es folgen alle nur dem einen Satze: dort, lieber Freund, scheint Ihre Kraft am Platze. Abendröte ruht auf alten Wegen; Wolken glühn zwei Menschen wirr entgegen. 5. Morgennebel brodelt auf fernen Seeen. Gelbes Laub tanzt über abgemähte Wiesen und zerfahrne Chausseen zur Musik der Telegraphendrähte; sturmbetroffen stockt ein Menschenpaar. Jäh ist eine Wanderschaar Schwalben durch die brausenden Pappeln und die Drähte hingeschossen, unbekümmert um die zerfetzten Genossen, die im Grase abgestürzt zappeln. Der Mann kürzt ihre Qual mit einigen Streichen. Nun weist er auf die kleinen Leichen: Ja, Mutter Isis: blick nur betroffen her! kannst du noch fliegen, Seele? und allein!? Dein Auge hat sehr stolzen Schein -- dann ist es gut: dann brauchst du mich nicht mehr. Zugvögeln gleich: da ziehn sie, planvoll verbunden, und denkt doch keiner an Ich und Du -- schon sind sie, schau nur nach, im Nebel verschwunden, von einer Heimat der andern zu -- zum jammervollsten Tod bereit in ihrer Sehnsuchtsherrlichkeit -- -- komm weiter! Er winkt in den Sturm, sein Stock zuckt wie ein Degen. Da tritt das Weib ihm voll entgegen: Lukas! Nun hast du deutlich genug gesprochen! kennst du das Wort Selbstherrlichkeit? Hältst du die Fürstin Lea für so gebrochen, daß sie sich umsieht, was ihr Halt verleiht? Nun will ich frei sein! frei auch vom letzten Band, das mich noch fesselt an jene Welt der Gecken. Frei, weil mirs ziemt; nicht Dir zum Unterpfand. Dann biet ich dir vielleicht die Helfershand. Warum nicht früher, das wirst du bald entdecken. Sie nimmt seinen Arm; sie sieht, er lächelt eigen. Zwei Menschen fühlen, wie’s stürmt, und schweigen. 6. Trüber Tag und dunkle Ahnenbilder, Gaslichtflammen, rostige Wappenschilder, und hohe Spiegelwände. Und inmitten stehn zwei Menschen mit höflich kühlen Mienen neben den steifen Stühlen und begrüßen einen Dritten. Dieser nickt und sieht voll Schonung und gelangweilt in die Welt. Und nachdem man Platz gewählt, sagt ein Weib mit merklicher Betonung: Hoheit, ich danke für Ihr Entgegenkommen. Und da Sie gütigst in die Scheidung willigen, und da uns das Geschick den Erben genommen, und um Verwickelungen zuvorzukommen, möchte ich fragen, ob Sie’s völlig billigen, daß mir auch jetzt, das heißt nach Bruch der Ehe, die Hälfte meiner Mitgift noch zustehe; sonst will ich mich trotz meines Anspruchs verpflichten, so weit wie möglich zu verzichten. Jener wehrt mit gnädiger Bewegung; hierauf hört man nur das Gaslicht raunen. Und nach flüchtigem Erstaunen nimmt ein Mann das Wort, fast mit Erregung: Hoheit, auch mich verlangt es, Dank zu sagen -- ich leg ihn nicht mit leeren Händen nieder; hier bring ich die Archivpapiere wieder, die ich gewillt war zu unterschlagen. Ich möchte aber nicht, daß Hoheit glauben, ich sei aus Leichtsinn zu der Tat geschritten; ich trat mein Amt an mit dem Zweck, zu rauben. Ich möchte nur, daß Hoheit mir erlauben, als Mensch den Menschen um Verzeihung zu bitten. Er legt errötend ein Bündel auf den Tisch; Jener wehrt, als ob er Staub wegfächelt. Wieder hört man nur das Gasgezisch Zwei Menschen fühlen: der Dritte lächelt. 7. Ein Stübchen schwimmt voll Zigarettenduft; zwei Menschen hauchen Ringe in die Luft. Immer umwölkter blickt und sinnt der Mann das Weib an: ihren herrischen Wuchs, ihr sorgsam schlicht Gewand, ihr schwer zu glättendes Haar, die große Hand, den kühnen Hals, das sanft geschwungene Kinn -- Endlich wirft er gezwungen hin: Du hast es äußerst talentvoll angestellt, dich mir als reiche Frau zu entpuppen; ich hoffe, daß mirs immer öfter wie Schuppen von den verliebten Augen fällt. Ich bin dir dankbar für das charmant posierte Schauspiel der Armut, das du mir geboten; beinah so dankbar wie der Toten, die mir zu Liebe Demut simulierte. Nur glaube nicht, mit allerhand geschickten Künsten sei Klarheit zu erzielen; im Leben führt das Rollespielen zu arg verwirrenden Konflikten. Da wird die Wahrheit denn statt Ziel ein offenherzig Lügenspiel. Sein Blick wird schärfer; sie hält ihn aus. Sie scheucht den Rauch weg, sie sagt klar heraus: Wundert dich das, du freier Mann? Du wolltest doch, ich sollt dir zeigen, ob ich verstünde, planvoll zu schweigen; du schuldigst deine eignen Künste an! Was unterschied mich denn von einer Dirne, bevor ich glauben durfte, wir sind Eins? Der Schutz des Reichtums! nicht des schönen Scheins: ich biete aller Welt die Stirne. Die Tote aber lehre uns fürs Leben: nur volles Selbstgefühl kann voll sich selbst hingeben! Sie blickt ins Freie; er hat die Augen geschlossen. Zwei Menschen sitzen rauchumflossen. 8. Die Georginen schütteln sich im Wind; gefallnes Obst liegt auf den Gartensteigen. Am Straßenzaun steht scheu ein armes Kind unter den brausenden Pappelzweigen vor einer Frau; sie schenkt ihm von den Früchten. Selig rennt’s weg, als müßt es flüchten. Sie tritt zu einem Mann, sie sagt gelind: Jetzt stand gewiß dein Töchterchen vor dir, ob ich wohl reif sei, ihm zuzureden zu seinem Glück -- o glaube mir: ein rechtes Kind vergißt für jeden Apfel den ganzen Garten Eden, drum ist es glücklicher als wir. Wir schwelgen ewig im Geist und putzen zu Vorbildern einander aus, Einbildung träumt von ihrem Nutzen, bis wir verdutzt im Lebensbraus zum Sinn des alten Gebots erwachen: du sollst dir kein Bildnis noch Gleichnis machen! Statt uns getrost an allen neuen Reizen wie Götter frei zu freuen -- Ein fallender Apfel macht sie stocken. Er liegt zerplatzt. Der Mann sagt trocken: Du hast sehr reizend gepredigt -- aber mich sticht nicht mehr der Götterhaber. Im Geist zwar gehts schön glatt vom Fleck auf dem beliebten hohen Pferde; aber der Leib liebt halt die Erde, und eh mans denkt, liegt man plattweg -- pardon -- im Dreck. Bis wir nicht lenkbare Lufthäuser bauen, wohnen wir nicht auf Wolkenauen; inzwischen zeigt uns jeder Kinderdrachen, der Mensch muß +Alles+ zum Gleichnis machen. Die Georginen schütteln sich im Wind. Zwei Menschen spüren: der Herbst beginnt. 9. Die Sonnenblumen beugen sich im Regen; zuweilen rauscht’s vom Dach wie Geisterklopfen. Der wilde Wein hängt schlaff dem Sand entgegen, die roten Blätter scheinen Blut zu tropfen. Der Mann steht trommelnd an der Fensterscheibe. Plötzlich sagt er zu dem Weibe: Ich will dir einen Traum erzählen. Wir standen feierlich in einem Saal, als sollten wir vor Zeugen uns vermählen. Ich hielt und bot dir einen vollen Pokal, um durch den Trunk den Trauschwur zu besiegeln. Mit einem Mal seh ich tief unten in dem dunkeln Wein, wie hoch von oben her, vollkommen rein ein lächelndes Gesicht sich spiegeln: die Tote lebt. Sie schwebt. Sie lächelt wieder. Sie nimmt ein Fläschchen Gift aus ihrem Mieder. Sie träufelt es in unser Kelchglas nieder. Und ich: ich lächle mit -- und lass dich trinken -- und trinke selbst -- mir weiten sich die Glieder -- ich fühle fern mich in die Welt versinken. Und ich -- beginnt das Weib zu überlegen und starrt abwesend in den rauschenden Regen -- ich stand heute Nacht allein im Traum; ich war ein leuchtender Schneeglöckchenbaum. Aber fern kam furchtbar ein Funkeln an, als wollt’s mich zerstören: ein sturmgesträubter Tann, ein Wald wilder Lichter, braungolden, grün, blau, wie ein riesenhaft sich spreizender Pfau, und mir gehts bis ins Mark, so eilt das Ungeheuer. Da wird aus mir ein einziges Blütenfeuer; von weißen Flammen stiebt die ganze Au und flammt frei hoch mit mir, hoch, immer freier -- und unten prasselt der verbrennende Pfau. Und wieder rauscht’s vom Dach wie Geisterklopfen. Zwei Menschen hören’s wie Herzblut tropfen. 10. Licht kämpft mit Wolken über Forst und See. Durchs Wasser jagen Schatten, gleich Kentauern aufbäumend an den düstern Kiefernmauern, die rings im Bodenlosen schauern; durchs Uferdickicht rauscht ein flüchtendes Reh. Zwei Menschen treten aus der Waldesruh. Innig schaut ein Weib dem Lichtkampf zu. Ich fange an, dein märkisches Land zu lieben; es liegt wie wartend, was der Himmel bringt. Und wenn ich seh, wie dort die Winde stieben und hier die Stille mit sich selber ringt, und wie sich all die Sehnsucht nach dem Licht, die aus dem grauen Wasserspiegel bricht, paart mit der Sehnsucht in die Nacht des Weltenschooßes, drin die Sonne wacht, und selbst die Bäume beben, als ob sie ringen den Umschwung der Gestirne mitzuschwingen: dann geht mir auf, was uns ans Leben bannt und doch uns lockt, dem Tod anheimzufallen, und immer freier streckt sich meine Hand nach deinen Freunden, nach den Menschen allen. Und gleißend öffnet sich ein Wolkenspalt; den See durchfährt ein schlangenhaftes Blenden, hinschillernd an den starren Kiefernwänden, die rings ins Bodenlose enden -- ein Mann sagt kalt: Jawohl, es ist im Himmel wie auf Erden. Was sich noch unfrei fühlt, das sehnt sich frei und möchte immer freier werden; für mich ist dies Gelüst vorbei. Ich lernte meine Sehnsucht stillen; ich bin so gotteins mit der Welt, daß nicht ein Sperling wider meinen Willen vom Dache fällt. Grell greift ein Sonnenstrahl ins Waldesgrauen; zwei Menschen müssen zu Boden schauen. 11. Die Nacht der Großstadt scheint ins Land zu wogen: Laternen lauern bleich den Fluß entlang. Gleich trunknen Nixen zucken schwank die Widerscheine unterm Brückenbogen, vom Takt der Strömung hin und her gezogen; zwei Menschen bleiben stehn am Uferhang. Ein Mann, wie von dem Zerrspiel mitgezwungen, weckt schwanke Erinnerungen: Ellewelline tanzt Serpentine -- o, wie war der Maitag wunderbar! als der Herr Eidechs im Sonnenschein erwarmte, als ich im Weib noch die Welt umarmte; da hatt ich noch kein graues Haar. Da hatt ich blaue Himmelschuh an und war ein schön feuriger Reitersmann; jetzt zieh ich durch die Nacht im Hundetrott. Und könnt doch spornstreichs, wie rüstige Witwer dürfen, aus „allen neuen Reizen“ Freude schlürfen -- gelt, Fürstin? freier als ein Gott! Er lacht. Er lacht sie an. Sie rührt sich nicht. Es zuckt wie buhlend in den Wassergrüften. Sie wills nicht sehn -- wegblicken -- Nein, nicht -- o Licht: heilig strömt’s über -- sie flammt, sie spricht, schauernd bis in die schwangern Hüften: Ich bin nicht mehr Fürstin! ich bin dein Weib! ich trage dein Blut in meinem Leib! Du wirst Mein bleiben! du wirst mich nicht schänden! du hältst mein nacktes Leben in Händen! Das ist die tötlichste Schmach für ein Weib, verschmäht ein Mann ihren willigen Leib! Das wars, was Jene zum Äußersten trieb; was ihr nicht ahntet, wie Wir jetzt, Wir! drum gingst du pflichtlos, schuldlos von ihr. Mich aber hast du blutpflichtig lieb! Sie zittert; sie will seine Hände fassen. Er starrt; er wehrt ihr. Zwei Menschen erblassen. 12. Der Mond erleuchtet scheu ein kleines Zimmer; das Licht durchranken Schatten, viele, viele. Ein Mann umschreitet schweigend, wie zum Spiele, die schwarzen Fensterkreuze auf der Diele. Doch nun, als löse sich ein Blatt vom Stiele, bebt eines Weibes Stimme durch den Schimmer: Ich trag ein Kind -- von Dir, von Dir -- ich tu meine Wonne auf vor dir -- o trag sie mit mir! gemeinsam! grenzenlos! Du mußt ja; fühl’s doch! ich weiß es und ich sag’es, mit jedem Pulsschlag sagt mirs Herz und Schooß: Wir Beide, wir sind Eines Schlages! -- Was quälst du uns! o denk an die Nacht zurück, als sich’s erfüllte, dein Weisheitswort vom Glück! Ja: alle Torheit, alles Leid sind Ausgeburt der Einsamkeit. Die Stimme schweigt; der Raum schweigt mit, wie leidend. Die Fensterkreuze flehn ins kahle Feld; doch drüber schwebt die fremde fahle Welt. Der Mann sagt schneidend: O, ich denke an viele Nächte zurück; jede war voll Wonne -- doch Glück? ist Das Glück? Dein Schooß, ich hab ihn nicht erschlossen: ein Andrer hatte ihn vor mir genossen. Und dein Herz -- ich wollt mich nicht danach fragen, aber wieder und wieder mußt ich mir sagen: die reinste Glückseligkeit zwischen Uns Beiden ist die zwischen Heiden -- und daß dein Leib dir nicht heilig gewesen ist, das zu vergessen vermag nur ein Christ! Er stiert plötzlich: es war, als flog jäh ein Glanz hoch, überirdisch schlank. Da machts ihn aufschrein: Lea! -- Sie wankt -- will fliehn -- Er -- Licht, Schatten, Alles schwankt -- er schwankt ans Herz ihr: ich log, ich log! -- Zwei Menschen weinen -- o Glück! -- o Dank! -- 13. Nun krümmt das welke Laub sich sacht zum Falle; nun bringt’s die lange verhüllten Früchte alle in Feld und Garten voll zu Ehren. Die Eberesche schwenkt die hundert schweren hochroten Büschel kühn vorm Ziegeldache. Nur des Hollunders purpurschwarze Beeren betrauern sich am dunkelgrünen Bache, zu dem sie lastend niederschwellen. Ein Mann verfolgt die Bilder in den Wellen: Eins greift ins andre -- keins ruht -- nichts ruht -- o hilf ein Ziel sehn! -- wie’s lockt, wie’s warnt, dies Drängen! Es bringt kein Glück, du, still Brust an Brust zu hängen; so trieb’s die Tote -- das fraß an ihrem Blut. Ich war ihr Vampyr. Du wirst der meine, wenn ich noch länger in dir ruh. Schon immer bannender werfen deine Augen mir ihre Blicke zu. Dann kreist die Welt mir, als will sie mich befreien, als sind auch Wir nur einsam zu zweien. Im dunkeln Wasser kreist Bild in Bild. Er faßt das Weib an, wie innerst aus den Gleisen. Sie neigt sich zu ihm, muttermild: Du Ungestümer -- so laß die Welt doch kreisen -- sie kreist durch mich wie dich; was wehrst du ihr! Bald wirst du dankbar das Wunder preisen, daß dir die Tote aufersteht in mir. O Du! wie lag ich einst voll Grauen, vom Geist der Unterwelt durchwütet; da lehrtest Du mich, ihm vertrauen, der Lust wie Leid zur Reife brütet. Nun sieh, wie dort ums Dach die Früchte lachen, rot uns ins Herz, still wirkende Gebote! Heute fühlst du nur das Rote; morgen wirst du froh erwachen. Leis umweht ihr Haar ihm Bart und Wangen. Zwei Menschen sehn die Welt gen Himmel prangen. 14. Doch bei Halblicht, grau um etwas Dunkles, hocken Menschen in einem Raum, der dumpf ist, wie Kaninchen um eine Schlange. Denn da läßt von allen möglichen Geistern ein berühmtes Medium sich bemeistern, und man lauscht ihm immer neugierbanger. Und nun zuckt die Schlafende, wimmert, röchelt; und ein Weib, das eben stolz noch lächelte, rauscht zum Saal hinaus, blaß, fliehend, hastig einen Mann mitziehend. Draußen, tief ausatmend, haucht sie glühend: Empörend -- schamlos -- diese entmenschten Augen! Nun weiß ich, daß ich nicht zum Vampyr tauge; verzeih mein Bitten, dies Schauspiel zu besehn! Erniedrigend! Noch fühl ich mein Herz mitpochen mit diesem Weibsbild, als könnt’s mich unterjochen -- und Dich? Auch? Sprich doch! -- Sie späht ihn an im Gehn; um sie braust die Weltstadt, zur Nacht auf, lichtdurchbrochen. Mich? fragt er ruhig und bleibt hell stehn: Was schiert mich diese feile Verzückte, was diese geflissentlich Verrückten, die wichtig tun mit dem Geschäfte, den überirdischen Geist zu fassen, um dann vom Dunst der irdischen Säfte ihr bißchen Geist noch benebeln zu lassen. Hol sie der Teufel, die hirnschwachen Tröpfe, die mit dem Anspruch gottgleicher Geschöpfe vor lauter Tiefsinn danach gieren, zurückzukehren zu den Tieren! Ein Pferd, das Nachts die Ohren spitzt, wo Wir, die’s lenken, froh sind Nichts zu hören, weiß mehr von derlei Geisterchören als solch ein Mensch, das Od ausschwitzt. Komm, fasse dich! Das Unfaßbare bedeutet nur: bring +Dich+ ins Klare! Zwei Menschen schreiten weiter, lichtumblitzt. 15. Windfackeln lodern. Rot rauschen die Bäume um scharrende Pferde, bunt blinkernde Zäume; hoch leuchten die Blätter in der Umnachtung. Hoch Wimpel und Seile! und drüber die Sterne! so zeigen die fahrenden Leute gerne die Künste ihrer Todesverachtung. Froh staunt das Dorfvolk unten im Kreise. Abseits lehnt ein Paar. Ein Mann rühmt leise: Ja, sie tun mir wohl, diese Vogelfreien, mit ihrer Geistesgegenwart. Als ob eine uralte Mannszucht sie feie: jeder Griff bedacht, zielbedacht, willenshart. Nur auf sich bedacht -- klar im Wirbel des Traums der Mitgefühle: nur die Tat gilt, die Tat! So üben sie auf schwankem Draht, im Flitter der Armut Beherrscher des Raums, die großen Tugenden der Zeit: Gefaßtheit und Gelassenheit! Und erregt, als ob er mitschwingen möchte, umspannt sein Blick ihr Spiel immer funkelnder. Und des Weibes Blick schwankt immer verdunkelter. Heftig faßt sie seine vernarbte Rechte. Lux! was schwärmst du! -- Scheinen dir deine Ziele auf einmal nur noch Träume und Spiele? bin Ich’s, die dein Gefühl entzweit? Ich denke anders von deinen Handlungen! Mir winkte strahlend aus all deinen Wandlungen die große Tugend der Ewigkeit: die Kraft, den Willen der Welt zu fassen und nichts, rein nichts beim Alten zu lassen! Und da ist mein Stern still dem deinen genaht: wie du mich fühlst, ist das nicht meine Tat?! Und da schmettern Trompeten und Trommelton, und das Volk klatscht Beifall den kühnen Springern; und sie bitten stolz um den kleinen Lohn. Zwei Menschen geben mit hastigen Fingern. 16. Rauch und Funken flüstern im Kamin: Unruh ist, wo Feuergeister hausen, Unruh, wo die kühlen Wolken ziehn -- horch, die halbentlaubten Pappeln brausen. Horch -- da legt sich das Gemurr der Flammen, ein Weib nimmt all ihr Selbstgefühl zusammen: Mir sagt der Geist, wir wollen Ruhe haben! Und sperr ich dir den Weg zur Tat, nun gut: du sollst nicht sagen, ich sei dein Wankelmut: geh hin, sei frei! und nimm mein Hab und Gut in deinen Dienst wie andre Freundesgaben! -- Was stehst du nun und staunst mich lächelnd an? Lukas! -- welch Rätsel bist du, Mann -- Sie will in seinen Augen lesen; es blaut ein Glanz darin wie nie zuvor. Die Flammen geistern hell und laut empor. Ein Mann bekennt sein stillstes Wesen: Ja, staun ihn an, den Mann -- hier steht er, lacht, der einst mit furchtbar heiligem Ernst gedacht: ich bin bös gut, ich bin ein Geist, an dem die Überlebten sterben, verführt von ihm, sich vollends zu verderben, damit der Weltlauf schneller kreist -- so macht sich der gebrechlichste Verbrecher im Handumdrehn zum Richter und zum Rächer, bis ihn die Welt in seine Schranken weist. Das wars; drum hatt ich Helfershelfer vonnöten. Drum steh ich jetzt und beichte mit Erröten: Gewichtige Mittel zu nichtigen Zwecken, das ist die Taktik der Gaukler und Gecken; ein einzig Fünkchen neue Tugend wecken frommt mehr, als tausend alte Sünder töten. Und bist du jetzt noch mein mit Hab und Gut, dann, Fünkchen, sieh: hell lacht die Glut! Die Flammen murmeln eine Wunder-Erzählung: zwei Geister feiern ihre Vermählung. 17. Und sie staunen ins Land: es atmet Glanz ohne Ende. Mittagsnebel wandern und weiten alle Grenzen; aus jedem der tausend Schleier scheint die Sonne zu glänzen. Und der Mann berührt des Weibes gefaltete Hände: Also morgen geh ich uns mein Töchterchen holen. Du wirst dich wundern, Lea -- vielleicht auch nicht: sie wird dein Ebenbild -- Gang, Haltung, Gesicht -- nur daß sie blond ist wie ein Goldfuchsfohlen. Ja, Meine, du hast mir schon im Geist geschlafen, bevor sich unsre wachen beiden Körper trafen; und nun begreifst du wohl mein Mannesbangen. Der Geist, der Alles antreibt, in Eins zu gehören, der strebt das Einzelgeschöpf zu zerstören; denk, wie wir todeslüstern am Meer uns umschlangen! Da jauchzten wir den irresten Lebenstrieben; da hätte die Liebesgier uns aufgerieben, hätt ich nicht Botschaft von der Toten empfangen. Jetzt seh ich dort die Nebelgeister walten und freu mich unsrer festeren Gestalten. Es wogt; und blaß, wie ferne Inseln, erscheinen die Wälder durch die leuchtend wehenden Falten. Das Weib legt schwer die Hände in die seinen: So laß uns denn den Leib recht heilig halten; die Seele weiß sich schon allein zu frommen. Mir ahnt ohnehin, uns wird von deinen alten Geistesfreunden noch Unheil kommen. Nimms nicht für Furcht! O, umso stolzer bin ich, daß du nicht loskonntest von mir. Und umso demutwilliger weiß ich innig, daß ich nicht lassen kann von Dir. Und so, leibhaftig, ist dein Kind auch mein; ich will ihm eine Mutter sein, als hätt’s in meinem Schooß geruht, es ist ja Blut von Deinem Blut. Und blaß und blasser wehn die Nebel ins Leere. Zwei Seelen segnen ihre Erdenschwere. 18. Doch funkeln Sterne wie von je. Der Nachtwind irrt ums Haus mit Sehnsuchtsrufen und rüttelt an den morschgewordenen Stufen; die Pappeln brausen wie die See. Ergriffen lauscht das Weib den hohen Bäumen, ein Mädchenseelchen ruht vor ihr in Träumen; sie dämpft besorgt das Lampenlicht. Sie tritt ans Fenster zu dem Mann. Sie spricht: Lieber! wir müssen nun wohl streben, dem kommenden Geschlecht zu leben. Wenn meine schwere Stunde naht, dann ist kein Raum hier. Noch kann ich reisen, und -- gelt? uns wird auf jedem Pfad das Wunder der Ehe sich neu erweisen, beim alleroffenherzigsten Treiben uns doch ein reizend Geheimnis zu bleiben -- und drum: frei heraus, Lux: ich möcht, wir fahren nach den Inseln, wo wir +selig+ waren! Da kann keine fremde Hand uns hindern, ein Paradies zu bauen mit unsern Kindern. Und deine alten Eltern, so sehr sie jetzt grollen, ich glaube, dann werden sie mitbauen wollen. Die Sterne funkeln wie von je. Der Nachtwind rauscht ums Haus wie Wogenrollen. Der Mann blickt lächelnd auf die dunkle Chaussee: Und wenn die alten Eltern nun niemals wollen? kannst du die Welt zu Deinem Glück bekehren? Willst du den kommenden Geschlechtern lehren, man brauche Inseln, um selig zu sein? Ja, komm, wir reisen! hoch steht dein Schloß am Rhein! Da rauscht das Leben rings kreuz und quer, an dem alles Menschenstreben sich mißt! Wer in der weiten Welt nicht selig ist, der wirds auf einer Insel nimmermehr. Und horch: da dehnt ein Hauch den engen Raum -- zwei Menschen sehn: ein Kind lächelt im Traum. 19. Und es glänzt ein Strom im Tal; Rebhügel steigen von kleinen Städten zu Berg und Burg empor. Herbstfeierlich in letzter Prunksucht umzweigen die Wälder sie mit hundertfarbigem Flor. Am Schloßteich spielt ein Mädchen im Sonnenschein und schmückt sich mit den sterbebunten Blättern; ihr goldrot Haar huscht durch den alten Hain -- Husch -- lacht der Mann -- gleich wird’s ein Eichkätzchen sein und über uns im Efeu klettern. Und der Himmel, schau, wie hochzeitsblau! ich möcht am liebsten, wir gingen beide in edlem Sammet und lautrer Seide, wie deine Ahnen einst hier schritten. Wir dürftens wagen, aus diesem Freiherrnbau die Toten alle heraufzubitten zur Feier der Freiheit, die Unsern Bund umschwebt: Vivat, ihr Herrn! wie schwarz das Grab auch nachtet, Erinnrung schimmert, und wer’s recht betrachtet, der hat das Leben hundertmal gelebt; hier soll der Odem eines Glückes wehn, das Macht hat, tausend Tode zu bestehn! Das Weib lächelt; sie hat das Wappen besehn, das unterm Efeu nistet überm Tor. Sie weist empor: Schau dort: da lugt dasselbe Glück hervor: für diesen Sternschild hat manch Herz gelodert, das einst die Welt zu stürmen sich verschwor, und das jetzt unter unsern Füßen modert. O Lux, hier rührt mich jeder Strauch und Baum, und jeder raunt mir doch: die Welt ist Traum. Nur Du, du bist wie ich so wirklich mir; du lebst, du leibst, du liebst mit mir. Da raschelt’s. Blätter flattern; durchs Buschwerk schlüpft das Kind, den Lockenkopf umrankt mit Reben. Bin ich nicht schön?! jubelt’s und hüpft es. Zwei Menschen öffnen beide Arme dem Leben. 20. Und Kerzen schimmern; und still ins Schlafgemach dürfen die Träume Ewigen Lebens treten. Rings im gebräunten Schnitzwerk beten Engel aus Erz und hüten immerwach die Sterne auf den silberblauen Tapeten. Die hohen Spiegel stehn gleich Lichtportalen, aus denen, in verklärte Schatten getaucht, die Leiber zweier seliger Geister strahlen -- das Weib haucht: Bin ich nicht schön? O wie das liebreizend klang, als unser Eichkätzchen so vor uns sprang; ich sah uns nackt vor Gott in Wonne stehn -- wie jetzt. O Meiner! Uns hat mit Urgewalt das Meer getraut! Und diese Muttergestalt, nicht wahr, du kannst sie fromm beschauen wie Meister Dürers benedeiete Frauen, und sie darf jubeln: in Himmelshöhn brennt keine Scham mehr! -- sag: Bin ich noch schön? -- Die Schatten beben; die Kerzenflammen wehn. Es flimmern Menschensterne rings im Blauen. Des Mannes Blick scheint über weite Auen hinzugehn: Als du auf wildem Meer mit mir wogtest im Boot, sahst weg von mir, sahst unter uns das Grab hinschwanken und über uns den grauen Himmel wanken und bebtest nicht -- da warst du schön. Jetzt aber, hier, vor diesem klaren Spiegel, wo jeder deiner Makel mir ein Siegel auf meine eignen Häßlichkeiten drückt, und siehst mich an und fühlst nun, wie wir rangen, bis wir das wüste Element bezwangen, und bebst beglückt -- o Du, jetzt sind wir mehr als schön! Es schimmern Erzengel aus Lichtportalen. Zwei Menschen strahlen. 21. Und Kerzen wehn noch in den hellen Tag; entzückte Lippen glühn, verschämte Wangen. Geburtstagsblumensträuße prangen. Das Kind hat seinen Glückwunsch aufgesagt; nun darf’s mit Gärtnersmann und Magd und mit dem riesigen Rosinenkuchen wohlgemut das Weite suchen. Und während draußen Tanz und Trubel lacht, nimmt zart der Mann des Weibes Blick gefangen: Komm, Seele -- weißt du noch? heut jährt sichs grad, als ich, ein Lohnmensch, vor dich trat und deinen Blick empfing, der Ketten sprengte. Und nun, in diesem freien Turmgemach, an diesem lichterloh gekrönten Tag, der dir und mir dein Leben schenkte, der jedes Wort belebt zum Dankausruf, daß uns die Welt zu denkenden Wesen schuf, daß wir uns nicht mehr dumpf im Urnebel drehn, daß wir zu weinen und zu lachen verstehn, nicht mehr in Sümpfen uns ungetümlich plagend, nicht mehr wie Brüllaffen mondsüchtig klagend, auch nicht mehr wie solch Kindlein handelnd, das sich, von jeder Laune betört, sein eignes Himmelreich verstört -- wir, Adam und Eva, gen Eden wandelnd -- Komm --: Siehst du dort den Schieferberg im Tann? da ließ dein Ururahn sechs Knechte henken! Willst du mir diesen kahlen Berg heut schenken, der hundert freie Menschen nähren kann, wenn wir sie mitmenschlich zum Werk anlenken?! Sie blickt den Berg, sie blickt den Himmel an: er scheint sich auf ein Zukunftsland zu senken. Sie blickt zu Tal, wie übermannt vom Denken -- sie lacht: hab Dank, mein Herr und Lehensmann! Und talher prangt voll Sonnengold der Fluß. Zwei Menschen tauschen einen Festtagskuß. 22. Und eine Mondverfinsterung beginnt; den blanken Ball beschleicht ein scharfer Schatten. Der Schatten schwillt und macht mit seinem matten Erdschwarz den Himmelskörper blind. Der kahle Burghain steht um Turm und Erker wie ein Gespensterschwarm um einen Kerker. Das Weib sinnt: Es hat eine Seele sich befreit: sie band sich selber die Hände. Da kam die Ruhe: Nun bist du gefeit. Ich halt dich umfangen wie Raum und Zeit: unser Band hat nicht Anfang noch Ende. Nun seh ich ohne Sehnen und Bangen um unsre Sterne das ewige Dunkel hangen; wir wissen ungeblendet heimzufinden. Und selbst der Mond, der alte Bösewicht mit seinem unheimlich geborgten Licht, kann uns das Sonnenband nicht mehr entwinden. Im Mond der Schatten schwillt und schwillt; im dunkeln Weltraum blinkt immer befreiter das Licht, das von den Sternen quillt. Der Mann sinnt weiter: Und man erkennt: Verbindlichkeit ist Leben, und Jeder lebt so innig, wie er liebt: die Seele will, was sie erfüllt, hingeben, damit die Welt ihr neue Fülle giebt. Dann wirst du Gott im menschlichen Gewühle und sagst zu mir, der dich umfangen hält: du bist mir nur ein Stück der Welt, der ich mich ganz verbunden fühle. Bei Tag, bei Nacht umschlingt uns wie ein Schatten im kleinsten Kreis die große Pflicht: wir alle leben von geborgtem Licht und müssen diese Schuld zurückerstatten. Im Mond der Schatten schickt sich an zu weichen; zwei Menschen sehn den Himmel voller Zeichen. 23. Und immer kühner greift der Morgenwind durch Wolken in die nebelvollen Täler; die Wolken flüchten immer schneller, die Nebel eilen stromgeschwind. Von Berg zu Berg wehn breite Sonnensträhnen. Der Mann steht auf von Rechnungen und Plänen: Sieh, jetzt im Zwielicht kannst du deutlich sehn, wie mächtig unser Zukunftsland sich streckt; wenn wir im Frühjahr an den Schachtbau gehn, ist schon zum Herbst das Lager aufgedeckt. Dann soll mein Grubenvölkchen bald verstehn, daß freies Land noch freiere Leute heckt, auch +ohne+ die soziale Republik; und unsern Kindern wird ein Licht aufgehn, wozu sich da vom Schornstein der Fabrik die Rauchfahne der Arbeit reckt, wenn hier zum Turm her Sonntags längs des Flusses von Hütte zu Hütte auf allen Höhn die bunten Wimpel des Genusses um dein Sternenbanner wehn. Gelt, das wird schön? und mehr als schön! Er legt beide Fäuste auf seine Pläne. Die Nebel eilen stromgeschwind. Die Sonne streift mit ihrer Strahlenmähne die kleinen Städte unten, Schiffe, Kähne. Mit strahlt das Weib, hell lacht der Wind: Es wird! Wo kreisend die Sterne sich rühren, da greift jeder Bannkreis in andre ein! Und wenns statt Hundert nur ein Dutzend spüren, dann wird das Dutzend unermeßlich sein! Und mitgebannt mit dir in alle Sphären, o Mann, ich helf dir Freiheit gebären! Sie lehnt sich an ihn muttergroß. Die Berge schwellen im Morgenduft. Es ragt sein Haupt, es wogt ihr Schooß. Zwei Menschen schaun wie Götter in die Luft. 24. Doch erdschwer stockt die weiche Luft und läßt noch manch verblichnes Blatt zu Boden schauern; der alte Hain steht bis ins Mark durchnäßt, der Nebel trieft vom Moos der Mauern. Das Weib, die Hände unters Herz gepreßt, unterdrückt ein fröstelnd Trauern: Du meinst, du hast mehr Willen als ein Baum? Und lernte nun dein eigen Kind uns hassen mit unserm herrischen Freiheitstraum? Lux -- unser Eichkätzchen -- dir zeigt sie’s kaum -- weiß sich vor Heimweh nicht mehr zu lassen! Ich hätt’s im zehnten Jahr +auch+ schlecht ertragen, so jählings in ein ander Land verschlagen; wir aber können allerorten bestehn. Du kannst jedwedem Erdfleck Zukunft spenden; und halt ich erst mein Mutterglück in Händen, dann laß uns heim in Deine Heimat gehn! Sie sieht, er nickt -- schwer, ohne aufzusehn; er streicht den grauen Fleck in seinen Haaren -- Meinst du, mir sei dies Leid nie widerfahren? Bei deinen Worten hört ich fern am Rhin die Schnitter ihre Sensen dengeln und sah zum Hammerschlag gleich Engeln die Nebel durch die Haide ziehn. Ich lief vor Heimweh noch mit fünfzehn Jahren fünf Meilen weit in einer Nacht nach Haus. Da, Morgens, trat mein Vater zur Tür heraus: Du?? Marsch, zurück! -- Und da: ich habs halt müssen: da lernt ich zähneknirschend mit wunden Füßen in jedem Straßenbaum die Heimat grüßen; und so -- so muß auch +mein+ Kind durch die Welt! Ihr kleiner Wille möge sich nur bäumen; dann wird sie einst wie Wir so herrisch träumen, so frei von Weiberlaunen -- gelt?! Er sieht, sie nickt -- sie atmet auf im stillen. Zwei Menschen baun auf ihren Willen. 25. Und rauher wetterts über die Berge herab. Die hohen Tannen fangen den Wind und juchen; aus den Taltiefen langen die kahlen Buchen, als ob sie oben Kräfte zu schöpfen suchen, so sehnig schlank. Der Mann weist hinab: Da sieh, wie’s wächst, wo Leidenschaften sich drängen! Hier reckt sich jeder Baum mit kühnerer Kraft; wie riesige Schlangen, die sich im Kampf hochzwängen. O, ich erfuhr’s, wie man nach Raum ringt im Engen, immer bestärkter vom Leid der Leidenschaft! Wer’s aber zu ersticken versucht, dies tierisch Trübe, göttlich Klare, von Lust und Liebe Unlösbare, der ist von Anfang an verflucht: verdammt zur Ohnmacht: verrückt, verrucht, wird er an jedem Glück zum Diebe, zu schwach zum Haß selbst -- aus Liebe zur Liebe. Er rührt das Weib an, weiter zu schreiten. Sie steht wie wehrend; und sonderbar bäumt sich im Wind ihr schwarz schlängelnd Haar. Sie glättet’s. Ihr Blick flammt wie vor Zeiten: Wem sagst du das? Kam mir je ein Leid, das ich nicht hinnahm mit rüstigen Händen?! Wußt ich nicht jedes in Lust zu wenden, seit wir einander eingeweiht: derselbe Geist eint und entzweit -- ich seh ihn walten nun aller Enden. Ich sehe im Geist sogar die Zeit, da wird sich Menschenwitz getrauen, die Erde aus ihrer Axe zu biegen und anders um die Sonne zu fliegen -- ich sehe das Eis der Pole tauen, der Blitz wird uns auf Wolken wiegen -- doch bis in alle Ewigkeit wird Haß und Liebe alldem obsiegen! Zwei Menschen schüttelt ein Wonnegrauen. 26. Doch ruhig geht der Schein der Sonne unter. Durchs Rebgelände kriecht der Abendrauch der kleinen Talstadt und der Moderhauch des welken Laubes wie verzagt. Ein Baum wirft sacht ein letztes Blatt herunter. Das Weib fragt: Doch die dort unten? sind sie je zu belehren, daß ihnen unser herrischer Wandel dient? Einst ritt der Held gepanzert und geschient; heut muß sich Jeder wie ein Handelsjud wehren. Ich will an deinem menschlichen Zukunftsglauben nicht mit Zweifelsfingern klauben, aber gläubiger hüt ich unser göttlich Glück. Die Welt befeindet’s. Denk dich zurück: dein nächster Freund, wie hat er’s uns erschwert! Scheint er dir jetzt nicht hassenswert? Ihre Stirn treibt Schatten in die Flucht; in ihrem dunklen Blick zuckt erwachend ein Irrlicht alter Eifersucht. Der Mann sagt lachend: Er ist mir doch zu gottvoll zum Hasse: ein so urdeutscher Menschheitstyrann, daß nur der Vollblutjude Liebermann ihn malen könnte: so schön voll Rasse. Was sind denn hassenswerte Kreaturen? Vorwand für unser eigen häßlich Wesen! Der Deutsche reißt am Zopf des Chinesen, den Britten wurmt der Eigennutz des Buren. Du fühlst, wir leben widersittig -- doch laß uns drum den Gott nicht schmähen, mit dem die Sittsamen sich blähen; uns treibt er zum Aufschwung mit seinem Fittig. Wir haben durch ihn den Weg zur Liebe gefunden! Ich hasse nur in meinen schwachen Stunden. Da glänzt ihre Stirn auf wie die Abendflur. Zwei Menschen schweben über ihrer Natur. 27. Und an fernen Dächern und Kirchen hin wie an Särgen fliegt der Morgen mit phönixgoldnem Schweif. Die Nebel lösen sich von den kalten Bergen und schmücken die Tannen mit reinstem Reif. Und im Geist aufgehend in den verklärten Landen, sagt der Mann dem Weib, als sei aller Kampf überstanden: Sieh, Seele: so werd ichs immer wieder spüren, und bin ich noch so menschenmüd, Du: nur dein Blick braucht sonnig mich anzurühren, dann fliegen mir Gotteskräfte zu. Nicht so wie damals, als wir uns noch hochtrabende Götternamen gaben -- die hab ich mit der Toten begraben; jetzt tragen wir willig das Menschenlebensjoch. Jetzt weiß unser Wille erst recht die Flügel zu breiten, jeden Augenblick kann er hinaus über Räume und Zeiten; denn selig Seel in Seele ergeben begreifen wir das Ewige Leben, das Leben ohne Maß und Ziel, selbst Haß wird Liebe, selbst Liebe wird Spiel. Dann ist der Geist von jedem Zweck genesen, dann weiß er unverwirrt um seine Triebe, dann offenbart sich ihm das weise Wesen jedweder Torheit -- durch die Liebe. Er sucht ihren Blick; er will ihr Dunkelstes lesen. Sie steht, als höre sie ferne Glocken klingen. Sie spricht, als sei sie in der Zukunft gewesen: Dann wird uns Segen aus jedem Werk entspringen. Dann lebst du nicht mehr mit dem Leben in Streit. Dann kann uns ganz die Lust der Allmacht durchdringen. Nicht Mann, nicht Weib mehr wird um die Obmacht ringen. Klar über aller Menschenfreundlichkeit steht Mensch vor Mensch in Menschenfreudigkeit! Sie öffnet die Arme, als will sie die Welt umschlingen. Fern flammt der Himmel in goldner Herrlichkeit. Mit flammt ein Seelenpaar auf Geistesschwingen. 28. Doch weit und hoch und funkelnd spannt die Nacht ihr Grauen aus um Turm und Hain und Garten. Im Tal bezeugt ein Lichtlein ihre Macht. Die Stadt schläft, von den Sternen bewacht. Und über die Wipfel deutend, die frosterstarrten, fragt das Weib mit Vorbedacht: Doch wenn nach unsern göttlichen Augenblicken die menschlichen Stunden das Herz beschleichen? können wir uns wie diese Eichen mit sichern Wurzeln in jedes Schicksal schicken? Das Kind kanns noch -- da sprachst du wahr; sie denkt schon dran, hier Spielgefährten zu finden. Sie kann ihr Herz noch frei an Alles binden; selbst ihren Büchern bringt sie’s dar. Wir aber, die wir nicht mehr einsam sind und doch den Zwiespalt dieser Welt empfinden, dürfen wir träumen wie ein Kind? Das Licht im Tal erzittert; sie sehn’s verschwinden. Des Mannes Lächeln wird seltsam wild. Es ist ein Lächeln, das allem Schicksal gilt. Sein Blick erhebt sich in die nächtigen Fernen, als lese er die Antwort aus den Sternen, seltsam mild: Es ist in uns ein +Ewig+ Einsames -- es ist Das, was uns Alle eint. Es tut sich kund als Urgemeinsames, je eigner es die Seele meint. Sie wurzelt rings im grenzenlos Alleinen; sie liebt es, sich im Weltspiel zu entzwein, um immer wieder selig sich zu einen durch Zwei, die grenzenlos allein. So lebt die Liebe; das ist kein Traum. So, Herz, erlebst du’s mit am dürrsten Baum, was ihm wie dir wohl oder wehe tut; nur leiser, ferner, nicht so nah dem Blut. Zwei Menschen lächeln über Zeit und Raum. 29. Und der Wald schweigt wie von Andacht gepackt; der erste Schnee liegt tief und schwer. Aus Höfen und Scheunen vom Talgrund her tönt gedämpft der Dreschertakt. Fern, groß, im weißen Sonnenglast, steht eine Bäurin und worfelt Korn; zuweilen blitzt ihr Sieb auf wie voll Zorn, dann flattern Spatzen. Der Mann macht Rast: Dieses Schauspiel ergreift mich immer, als sei’s der Mutter Menschheit Bild. Da steht das riesige Frauenzimmer, ihre Worfel schüttelnd, wild, schaffenswild, die Körner hütend mit harten Tatzen, vor Eifer glühend, vor Freude rot: tanzt auch manch leichtes zu den Spatzen, die schweren geben Menschenbrot. Und jetzt auf einmal fühl ich’s mit Beben: deines Schooßes Frucht ist der Allmacht vonnöten! Und käme auch dieses Kind blind ins Leben und du hast nicht wieder die Kraft, es zu töten, dann will ich glauben, du hast die höhere Kraft, die Licht aus tiefstem Dunkel schafft. Er will sie küssen -- ihm stockt das Herz: sie steht wie weit hinweggetragen. Ihrem Blick entquillt ein Licht in sein Herz: das stillt alle Wonne, allen Schmerz: ein Licht goldner Ruhe -- er hört sie sagen: Bei deinen Worten hat dein Kind die Augen in mir aufgeschlagen -- es wird nicht blind. Es sah mich an wie aus tiefem Bronnen. Seine Augen waren zwei blaue Sonnen. Es wird wie Du durchs Leben gehen. Ich hab’s gesehen. Traumhaft flüstert sie: Dein Kind und meins. Traumhaft schauern zwei Herzen in eins. 30. Und die Sonne küßt den Schnee vom Dach, und leise summt die Glut in den Kaminen. Lächelnd tritt das Weib ins Turmgemach; breit vom Morgenglanz beschienen sinnt der Mann auf seine Arbeit nieder. Er blickt nicht auf. Sie lächelt wieder. Leise naht sie ihm in heller Freude, weich umwogt vom Mutterhoffnungskleide: Lukas -- mir war so fröhlich eben: ich saß und dachte in dich hinein: der Name, den wir unserm Kind bald geben, soll auch der Name deines Bergwerks sein. Und mir kam ein Wort, das wie vom Himmel nimm all dein Schicksal als Kinderspiel! Denn gelt: den reichen Seelen darf das Glück +nicht+ fehlen, das sie Andern zeigen als ein Ziel -- Da blickt er auf -- sie fühlt sich erbleichen: seine Augen gleißen, Spott nistet drin. Seine Hand weist auf einen Bauplan hin: da liegt ein Brief mit seltsamen Zeichen. Die Chiffern wogen ihr wie ein Meer. Rauh kommt seine Stimme zu ihr her: Ja, ein Spiel -- nenn’s Schicksal, nenn’s Glück, Gott, Welt -- nur: lerne verlieren, willst du gewinnen! Ich werde mein Werk hier nicht beginnen. Du wirst bald allein hier auf Namen sinnen; was du ahntest, hat sich eingestellt. Hier: aus alter Freundschaft hat man mir diesen gnädigen Wink „von oben“ verschafft: binnen vier Wochen bin ich verhaftet oder verbannt -- auf amtsdeutsch: landesverwiesen. Nun heißt es, stolz an neue Arbeit gehn, damit wir vor dem Gott in uns bestehn! Aus seinen Augen weicht aller Spott. Zwei Menschen beugen sich vor Gott. 31. Und es tanzt der Schnee; kalt flimmern die Flocken wie Sterne im schwachen Sonnenschein. Immer stiller starrt das Weib landein. Aber wärmer immer, als will er sie feien, streicht der Mann ihre schwarzen Locken: Wir haben einst als Menschen gefehlt, nun kommt die Menschheit und will uns strafen. Aber sieh: ihr Geist hat uns so beseelt, daß wir wie Kinder, wenn Mutters Schläge trafen, nur umso lieber an Mutters Herzen schlafen, der eignen Unvollkommenheit entrückt, vom Glück aller Seelen mitbeglückt. Und gleich den Flocken, die irrend vom Himmel tanzen und findet doch jede ihr irdisch Ziel, laß uns nun hingehn, als seis zum Spiel, und in fremdes Land deutsche Edelsaat pflanzen. Denn im blutigen Ernst deiner schweren Stunde -- o, ich fühls, ich sehs: dann liegst du allein -- aber eilend winkt dir jede Sekunde: bald wirst du wieder bei mir sein, wie unsre Kinder mit leichtem Schritt, und bringst mir die Heimat in jede Ferne mit. O schweig nicht länger -- ja blick mich an: sieh, hilfebittend steht hier ein Mann, den keine Einsamkeit mehr quält, langsam durch heißen Haß zur Liebe gestählt, und dem nun heimlich die Heimwehwunde klafft -- o sage mir ein Wort voll tiefer Kraft! Und er sieht, er fühlt: er muß niederknien -- und ein Blick, eine Stimme, so unermessen wie rings die Stille, kommt über ihn: Hast du das Machtwort „Wir Welt“ vergessen? -- Und es tanzt der Schnee, und die Flocken wehn wie Saat des Lichts von Himmel zu Erden. Keine Grenze mehr. Zwei Menschen sehn ihr Vaterland unendlich werden. 32. Doch eine Nacht kommt, da drohn die Weiten; da hat der Mond Macht. Grausig rein erleuchtet sein erlauchtes Licht den Hain. Und das Weib schluchzt auf, wild auf, wie vor Zeiten: Ich trag ein Kind -- o Du, von Dir -- ich tu meine Schwachheit auf vor dir! Du hast meine Seele von mir befreit, nun kommt leerer als je die Einsamkeit! Wenn du gehst, und ich taste nach einer Hand in meiner jammervollen Stunde -- Und sie wirft sich an ihn mit stammelndem Munde, und mit schmerzgekrümmten Fingern umspannt seine lahme Rechte sie hart wie Stahl und rafft sie auf aus ihrer Qual: Dann laß mein Töchterchen bei dir stehn! Dann wirst du stark sein! laß sie es sehn! sehn, wie das Mutterwehe dich schüttelt! daß sie’s mit heiligem Schrecken durchrüttelt! daß sie bei Zeiten lernt, sich dem Leben opferherrlich hinzugeben! daß unsre Kinder einst einfach handeln, wo wir noch voller Zwiespalt wandeln, einfältig lieben oder hassen, mit ganzem Willen die Welt umfassen, sich heimisch fühlen selbst zwischen den Sternen und mit jedem Feuer spielen lernen! Und wehrt mir der Tod, euch wiederzusehn, dann laß mich in dir verklärt auferstehn! Und lebt dir ein Sohn, dann lehr ihn mit Lachen aus jeder Not eine Tugend machen! Und unsre Mädchen, die leite an: das Recht der Frau ist der rechte Mann! Allen Beiden aber leg ins Herz die Macht der Liebe über den Schmerz! Und es leuchtet wie seines ihr Gesicht. Zwei Menschen sehn sich eins mit allem Licht. 33. Und es sprießen wohl Sterne aus der Erde, so strahlt der Schnee im Mittagsglanz, so sind die Berge Ein Silberkranz. Aber strahlender noch als all der Glanz wird nun des Mannes Blick und Geberde: Nun schau und lausche, ganz wie wir sind, ganz Geist in Leib, nicht trunken blind, klar aufgetan bis ins Unendliche, Unüberwindliche, Unabwendliche, bis wir im Schooß alles Daseins sind: und du wirst sehn, Herz, daß die Erde noch immer mitten im Himmel liegt, und daß Ein Blick von Stern zu Stern genügt, damit dein Geist zum Weltgeist werde. Es ist ihm eingefügt jeder Leib, vom kleinsten Stäubchen bis zum herrlichsten Sterne, verknüpft noch in verlorenster Ferne, Weltkörper alle, auch wir, mein Weib! Und so, schon jetzt durchkreist vom Schwung der einst im Tod uns ureins wirrenden Triebe, aus innerster Erinnerung im Leben eins durch wissende Liebe, sieh mich nun stehn in ferner Nacht, allein, vom Anschaun der Gestirne so durchglutet, wie wenn die Wonnewelle zwischen uns flutet: in diesem Anschaun bin ich Ewig Dein und kann dir treuer als je mir selber sein. Ja, neige dich her -- o Mein -- o wunderbar: nun schmückt auch Dich ein erstes graues Haar -- Er schlingt es los aus ihrer Lockennacht; ihm scheint kein Schnee so zart und rein wie dieses Silberfadens Schein -- Sie nickt und flüstert wie erwacht: es ist bis in die Seele Gottes Dein -- -- Und Sterne sprießen, soweit die Sonne scheint. Zwei Seelen wissen, was sie eint. 34. Doch die Stunde des Scheidens naht und naht, wie wenn die Zukunft eilender rollte. Und sie gehn noch einmal den steinigen Pfad, wo das Werk ihres Geistes wachsen sollte. Und inmitten der kahlen, vereisten Flächen muß das Weib einen alten Zweifel aussprechen: Wenn ich spüre, wie’s wächst, mein Fleisch und Blut, und still neuen Sinn ins Dasein tut, als fasse der Mensch das Göttliche nur kraft seiner tierischen Natur, als hülle, was wir reden, nur Handlungen, die wir im Grunde nicht verstehen, und was wir lehren, nur Verwandlungen, die währenddem mit uns geschehen -- dann frag ich mich: blickt nicht der blödeste Tor gottvoller noch als wir zu Gott empor? Und schauernd sinnt sie nach: zu Gott -- Da sagt der Mann mit mildem Spott: Zu welchem? Zu dem biblischen Erdaufseher? Ja, dem tats not, Weltweisheit zu verbieten; die Hunde meines Vaters sind ihm näher als alle Priester und Leviten. Wir aber, wir Menschen der wachsenden Einsicht, kennen ihn anders, den Gott in unsrer Brust, dank jenem Geist allrühriger Liebeslust, den ich nicht wage „Gott“ zu nennen. Gott ist ein Geist, der klar zu Ende tut, was er zu Anfang nicht gedacht hat -- dann sieht er Alles an, was Ihn gemacht hat, und siehe da: es ist sehr gut! -- Und beugst du dann vor ihm das Knie und weihst ihm willig deinen Menschenschmerz; dann spricht der heilige Geist des Fleisches: sieh, so spielt Gott mit sich selbst, o Herz! Und kindlich lächelnd, göttlich klar, schweigt Herz an Herz ein Geisterpaar. 35. Und Seel in Seele neu begnadet umschreiten sie die alte Ahnengruft. In den verschneiten Wäldern badet ein goldenblauer Morgenduft. Und Hand in Hand vorbei an Baum und Baum erzählt der Mann dem Weib einen Traum: Es war, als ging ich irr auf Schicksalswegen, und nur das Eine wußte ich: ich kam vom Tod und ging dem Tod entgegen -- da fand ich in der dunkeln Wüste Dich. Dein Haupt beschirmend hob zur Sternenzone ein Palmbaum seine starre schwarze Krone; doch eins der Blätter neigte sich, als sollten wir’s auf einen Friedhof bringen. Und da wir’s nun zu uns herniederzwingen, da fängt es an zu knistern und zu glühen, und seine zitternden Adern sprühen ein leuchtendes Gefäßnetz aus. Und von dem Ätherglanz mit dir umschlungen, entschweb’ich, aller Irrsal hell entrungen, still heimathin durchs Weltgebraus. Und Hand in Hand vorbei an Baum und Baum erzählt das Weib: Es muß dein Traum in meinen Schlaf geleuchtet haben: Ich schwebte über einem breiten Graben, und jenseits, hoch am grauen Himmelssaum, stand deine strahlende Gestalt, doch schlief, bewacht von sieben dunklen, die sich beugten. Und während sie im Wasserspiegel tief mir ihre Ähnlichkeit mit dir bezeugten, begannen sie in dich hinein zu schwinden. Und du, erwachend, sprachst, mir beigesellt: wir sind so innig eins mit aller Welt, daß wir im Tod nur neues Leben finden. Und ringsher träumt die Waldung, weiß verkleidet. Zwei Menschen fühlen, daß der Tod nicht scheidet. 36. Und Tal und Berge ruhn in bleicher Pracht; groß blühn die Sterne durch die Bäume, und lautlos über Raum und Räume erdehnt ins Leere sich die blaue Nacht. Und nun ist bald das Schwere vollbracht; schon rührt sich fern durchs Land, als schlüge ein Herz im Schnee mit dumpfer Macht, eisern das Bahngeräusch der Züge. Und heiß, mit einem Lächeln heiliger Lüge, haucht das Weib: Nun magst du gehn -- hier, wo wir noch durch unsern Himmel schreiten, sag ich dir ruhig -- -- Sie bleibt jäh stehn, ihre Stimme bricht, ihre Hände gleiten ihr schützend unters Mutterherz, ihre Lippen zwingen sich zum Scherz: in guter Hoffnung auf Wiedersehn -- Da muß weit der Mann die Arme breiten: Nicht aber so! -- ja weine, weine -- o sieh: aus tiefster Quelle klar quillt meine Träne heiß in deine -- und mich verklärend mit dem Glorienscheine um dein nachtentsprossen Haar, steh ich hier vor dir und schwör dir: Nie wird diese Klarheit enden! -- Sieh: es legt das Dunkel sich in meine Hände, als ob es Zuflucht suchte und nun fände: zu Sternen heb’ich meinen sichern Blick! Da -- o Glück: ahnst du sie, die Pflicht der Welt? Ja: von Sphären hin zu Sphären muß sie Saat aus Saaten gebären, bringt sie uns das Licht der Welt: rieselnd wie aus dunklem Siebe sät es Liebe, Liebe, Liebe von Nacht zu Nacht, von Pol zu Pol -- -- Zwei Menschen sagen sich Lebwohl. Ausgang Leb wohl, leb wohl -- du hältst dich selbst in Händen. Du sahst, o Mensch, zwei Wesen deinesgleichen im kleinsten Kreis Unendliches erreichen. Auch Dein Glück wird ins Weltglück enden. Der Kindergarten Gedichte, Spiele und Geschichten Auswahl Gärtnerspruch Alle Frucht der Welt ist nur des Keims Gewand. Pflege das Land, auf das dein Same fällt! Mag Gott es hüten vor tauben Blüten. Muttersprache Kindersinn und Vätergeist: Muttersprache ist ihr Band. Wirket, daß es nicht zerreißt, all ihr Geister, Hand in Hand! Vatergruß Wandre, wandre, Seelenklang: Berge werden Hügel. Wird die Wandrung dir zu lang, gibt mein Herz dir Flügel. Gibt dir Flügel wundergut, die kann niemand hindern: meinen ganzen Lebensmut! bring ihn meinen Kindern! Der Vogel Wandelbar Ein Märchen War einst ein Vöglein Wandelbar, an dem fast alles seltsam war. Ein rechter Wildfang wollt es sein und hatte doch ein Humpelbein und viel zu krumme Flügel. Allein die Flügel sah man kaum, so schön war sein Gefieder; das schimmerte wie Purpurschaum, und auf der Brust der weiche Flaum wie ein Perlmuttermieder. Vom vielen Zwitschern eigner Art bekam’s ein Schnäblein silberzart; und Augen trug’s im Köpfchen so lieblich-launisch-glitzerblau wie morgens die Tautröpfchen. Das gab dem Vöglein Wandelbar ein Aussehn, sonderlich fürwahr. Doch was das Sonderlichste war: tief innen trug’s +un+wandelbar ein Herz von lautrem Golde. Und Alles war dem Vöglein gut, wie’s humpelte und glänzte; und Jeder nahm’s in seine Hut, solang es brav im Hofe saß, der hoch sein Nest umgrenzte. Bis unser Vöglein endlich ein Vogel wurde; ei der Daus, da lief es aus dem sichern Haus allein ins weite Land hinaus, und da ergings ihm schändlich. Die Andern liefen gar so schnell, das Ihre zu erjagen; da kommt mit seinem Wackelschritt solch armes Entlein nicht gut mit, und muß den Spott noch tragen. Sie stießen es und traten es und rupften es gescheit; und in dem wilden Drängen blieb bald sein schönes Schimmerkleid an Busch und Dornen hängen. Zwar mancher blieb auch stehen; vermahnten dann und schalten den ungeschickten Wandelbar, und wußten doch, wie lahm er war, und -- blieben selbst die alten. Doch schließlich war es ihm geglückt, mit letzten Kräften, arg zerpflückt, ein Bäumlein zu erschwingen; da dacht er heimlich auszuruhn und sich in Schutz zu bringen. Verwandelt war nun ganz und gar der arme Vogel Wandelbar; nur hier und da noch glänzte ein zerschlissnes Purpurfederlein in seinem grauen Kittel. Und auch der Augen helles Licht war blaß, wie welk Vergißmeinnicht nur noch das Silberschnäbelein war ihm geblieben, blank und rein, wenn’s auch recht kläglich zirpte. So saß er weitab vom Gewühl und fragte sich voll Wehgefühl, warum er so verlassen; und wußte doch, daß Lahme nicht zu soviel Schnellen passen. Ein Rabe aber kam vorbei; den ärgerte die Melodei und auch das Silberschnäbelein. Er schrie: „Ich mag nicht solch Geschrei! marsch, lamentier wo anders! Ich will mir hier mein Nest her baun, und für uns Beide ist kein Raum!“ und stieß das Vögelchen vom Baum und riß ihm aus dem Kleide auch noch sein letzt Geschmeide. Da war ihm aller Mut dahin, der Mut sogar zum Klagen. Mit seinem müden Humpelbein lief’s weinend in die Nacht hinein und dachte voll Verzagen: Jetzt ist rein garnichts mehr an mir, jetzt kann ich nur gleich sterben; jetzt will ich in die Wüstenei, wo Keinen ärgert mein Geschrei, und still für mich verderben. Ja, garnichts, garnichts mehr war sein von all dem schönen bunten Schein; sogar das Schnäblein hatte ganz verloren seinen Silberglanz von all den vielen Tränchen. Und als das Vöglein Das gesehn, ist fast sein Herz gebrochen. Zum Sterben hat sich’s hingesetzt. Da kam der goldne Mond zuletzt und hat zu ihm gesprochen: „Du armes Vöglein Wandelbar, was grämst du dich denn immerdar um deine paar Juwelen? Du dummes Vöglein Wandelbar, vergaßest du denn ganz und gar, was Keiner dir kann stehlen! Hast du denn nicht viel mehr in dir als diese ganze Lust und Zier, worauf die Andern sinnen? Was weinst du denn und machst dir Schmerz? denkst du denn garnicht an dein Herz von lautrem Gold tief innen!“ Da ward dem Vogel Wandelbar auf einmal alles licht und klar, und lebte gerne weiter; da pfiff er bis an seinen Tod auf allen Spott, auf alle Not, unwandelbarlich heiter. Kutscher Tod In einem Wagen, einem schönen Wagen, fahren zwei Menschen seit vielen schönen Tagen. Sie fahren bei Regen wie bei Sonnenschein immer gradaus ins Blaue hinein. Auch das schlechteste Wetter ist ihnen nicht grau; hell lacht der Mann, warm lächelt die Frau. Sie schaukeln das Glück auf ihren Knien, und an einem Sommertag fragt sie ihn: Wenn wir so immer weiter reisen und lassen den Weg uns einzig vom Himmel weisen, kümmern uns um kein irdisch Ziel, treiben nur mit dem Glück unser Spiel, aber endlich wird’s uns vom Kutscher Tod weggenommen -- was meinst du wohl, wohin wir kommen? Der Mann blickt nach den milchweißen Kühen, die den bunten Wagen ruhig ziehen, er blickt nach dem Kutscher, der Augen macht so unergründlich schwarz wie die Nacht -- dann sagt er heiter: Ich meine, wir kommen immer weiter! Der Kutscher nickt. Der Himmel ist blau; warm lächelt der Mann, hell lacht die Frau. Und die weißen Kühe sagen sich beide: zwei Menschen fahren auf lebensgrüner Weide. Triumphgeschrei Alle kleinen Kinder schrein Hurrah, Hurrah. Mutterchen liegt still zu Bett, Kindchen schreit Hurrah. Vater steht daneben, steht und brummt: ja ja, ist ein schweres Leben. Kindchen schreit Hurrah. Mutterchen brummt garnicht, selig liegt sie da. Denn das kleine Menschenkind schreit Hurrah, Hurrah. Schnurrige Predigt Na lach doch, Kind! Dein Zuckerschneckchen, schwarz Sammetjäckchen, rote Bäckchen, dein ausgestopftes Häschen, dein Mäulchen, Händchen, Näschen hat all der liebe Gott gemacht. Ei, Herzekindchen, rasch: zerbeiß, zerreiß, zerschmeiß -- hei, wie der liebe Gott nun lacht! -- Käuzchenspiel Kinder, kommt, verzählt euch nicht, Jeder hat zehn Zehen; wer die letzte Silbe krigt, der muß suchen gehen. Suche, suche, warte noch, Käuzchen schreit im Turmloch, macht zwei Augen wie Feuerschein, die leuchten in die Nacht hinein, fliegt aus seinem Häuschen, sucht im Feld nach Mäuschen, husch, husch, huh, das Käuzchen, das -- bist -- du! -- Fliegerschule Kommt, wir lernen fliegen! Woher denn Flügel kriegen? Von den achtzig Winden. Wo sind die zu finden? Überm ewigen Eise. Wer bezahlt die Reise? Da oben steht ein goldner Stern, der belohnt die Sieger gern; holt euch nur die Preise! Der Reitersmann Von Paula und Richard Dehmel Schimmel, willst du laufen, will ich dir was kaufen! Heißa, lauf nach Mexiko, da kaufe ich dir Bohnenstroh; laufe nach der Mongolei da kauf ich mir ein Oster-Ei. Eile, Schimmel, eile, oder du krigst Keile! Hopßa, lauf nach Hindostan, da kaufe ich mir Marzipan; laufe nach Kap Morgenrot, da kauf ich dir ein Dreierbrot. Geschäftsleutchen Lottchen will Jahrmarkt spielen, Musik ist schon bestellt. Nur ach, es fehlt die Warenbude; der Peter hat kein Geld. Ach, hab dich nicht! sagt Lottchen; als ob das nötig wäre. Wir nehmen Vaters Sorgenstuhl, jetzt sind wir Millionäre. Geburtstagsgeschenke I Lieber Vater! ich kann dir garnichts schenken, blos mein kleines Herz und alle meine Küsse, und -- eins, zwei, drei, vier, fünf Haselnüsse, dabei kannst du dir was Wunderschönes denken. Du kannst dir denken, jede Nuß hat ein kleines Herz, noch kleiner als das meine; und hätte sie auch zwei kleine Beine, liefe sie auf dich zu und gäb dir einen Kuß, einen wundervollen, herzhaften Geburtstagskuß! II Liebe Mutter! Du zählst sie gerne, alle deine vielen Geburtstagssterne. Hier stehn sie strahlend; und daneben siehst du zwei silberne Halbmonde schweben. Das sind zwei Lampen fürs Klavier, eine von Vater, die andre von mir. Kommt nun der Abend mit müden Beinen, dann läßt du deine Monde scheinen und spielst; und wir, wir hören und träumen von den hohen himmlischen Räumen, von deinem Sternenringelreihn -- Vater wacht noch, ich schlafe ein. Abendgebet Müde bin ich, geh zur Ruh; lieber Himmel, deck mich zu! Laß die Sterne alle dein meines Schlafes Hüter sein! Schick im Traum ihr Licht mir zu, daß mein Herz in Reinheit ruh! Flecken, die der Tag gemacht, lösch sie gnädig aus, o Nacht! Amen. Freund Husch Von Paula und Richard Dehmel Husch, husch, husch, ich putze meinen Busch. Der Mond ist da, der Mond ist hell; der Mond, der ist mein Spielgesell, husch. Husch, husch, husch, ich schlüpfe aus dem Busch. Ich stecke mein Laternchen an, ich zünde uns die Sternchen an, husch. Husch, husch, husch, ich schüttel meinen Busch. Die Kinderchen sind all zur Ruh, ich schüttel ihnen Träume zu; die haben wir vergangne Nacht, der Mond und ich, uns ausgedacht, husch. Husch, husch, husch, ich schlüpfe in den Busch. Ich puhste mein Laternchen aus, ich suche mir ein Sternchen aus, das lass ich droben Wache stehn, nun kann ich ruhig schlafen gehn, husch, husch, husch, im Busch. Das Maiwunder Von Paula und Richard Dehmel Maikönig kommt gefahren, in seinem grüngoldnen Wagen, mit Saus und Gesinge. Seine Zügel sind Sonnenstrahlen; große blaue Schmetterlinge ziehn ihn über Busch und Bach, daß die weißen Blütenglocken in seinen Locken schwingen und springen. Und Hans kuckt ihm nach und hört sein Lied: wer zieht mit? zieht mit? Kommt das Maienweibchen, trägt ein weißes Kleidchen, trägt ein grünes Kränzchen, sagt zu unserm Hänschen: Eia, Hans, komm zum Tanz! Einen Schritt Frau Nixe, einen Schritt Herr Nix, Ringeldireih, Ringeldireih, Dienerchen, Knix! Puhstemuhme Krause, krause Muhme, alte Butterblume, Puhsterchen, nanu? Wo hast du denn dein Hütchen, dein gelbes Federschütchen? worauf wartest du? „Warte aufs Kindchen, auf ein lieb Mündchen, ich alte griese Trauerliese, puh, puh, puh. Ach bitte, puhst mich doch rasch in den Himmel hoch: tausend kleine Nackedeys spielen da im Gras, tausend kleine Nackedeys lachen sich da was.“ Das große Karussell Im Himmel ist ein Karussell, das dreht sich Tag und Nacht. Es dreht sich wie im Traum so schnell, wir sehn es nicht, es ist zu hell aus lauter Licht gemacht; still, mein Wildfang, gib Acht! Gib Acht, es dreht die Sterne, du, im ganzen Himmelsraum. Es dreht die Sterne ohne Ruh und macht Musik, Musik dazu, so fein, wir hören’s kaum; wir hören’s nur im Traum. Im Traum, da hören wirs von fern, von fern im Himmel hell. Drum träumt mein Wildfang gar so gern, wir drehn uns mit auf einem Stern; es geht uns nicht zu schnell, das große Karussell. Aurikelchen Aurikelchen, Aurikelchen stehn auf meinem Beet, und sehn den blauen Himmel an, wo schon den ganzen Morgen die goldne Sonne sieht. Aurikelchen, Aurikelchen, was guckt ihr denn so sehr? Ihr seid ja selbst so gelb wie Gold, und habt ein hellrot Herzchen, was braucht ihr denn noch mehr! Der Schatten Nach R. L. Stevenson Ich hab einen kleinen Schatten; der geht, wohin ich geh. Aber wozu ich ihn habe, ist mehr, als ich versteh. Er ist ganz ebenso wie ich, blos nicht ganz so schwer; und wenn ich in mein Bettchen hüpfe, dann hüpft er hinterher. Das Sonderbarste an ihm ist, wie er sich anders macht; garnicht wie artige Kinder tun, hübsch alles mit Bedacht. Nein, manchmal springt er schneller hoch als mein Gummimann; und manchmal macht er sich so klein, daß Keiner ihn finden kann. Neulich ganz früh, da stand ich auf, noch eh die Sonne schien, und ging spazieren durch den Tau, im Gras, und suchte ihn. Aber mein kleiner fauler Schatten, als wenn er Schnupfen hätt, lag wie ein altes Murmeltier noch fest im Bett. Morgenlied Tapp tapp, wer kommt da querfeldein? Nur rasch, nur rasch, Herr Morgenschein, trab trab! Die Jungfer Tauduft putzt sich hier; sie schlägt den Schleier auf vor dir, klapp klapp! Klapp klapp, sie lädt dich ein zum Tanz; nur hol erst deinen goldnen Kranz, trab trab! Wer zu ihr will, muß früh aufstehn; wers tut, dem patscht sie auf die Zehn, schwapp! Der kleine Sünder Von Paula und Richard Dehmel Gestern lief der Peter weg, spinnefix verstohlen; setzt sich Mutter den Bänderhut auf: wart, ich will dich holen! Sausepeter, Flausepeter, kleiner Sünder, wo bist du? Hahnematz steht auf der Wiese, „kiek ins Grüne!“ kräht er; sag mir, bunter Kickeriki, wo ist unser Peter? Bummelpeter, Schummelpeter, kleiner Sünder, wo bist du? Wie sie sich im Garten umkuckt, ist er nicht zu sehen; bleibt sie neben dem Spargelbeet unterm Pflaumbaum stehen. Aber Peter, nirgends steht er; kleiner Sünder, wo bist du? Hört sie etwas lachen, horch, oben aus dem Baume; sitzt der Peter seelenvergnügt, pflückt sich eine Pflaume. Wirft ein Steinchen, schwenkt die Beinchen, wupptich --: Mutter, da +bin+ ich! Fragefritz und Plappertasche Von Paula und Richard Dehmel Fritz, ich möcht den Spaten haben. „Mutterchen, warum?“ Möchte eine Grube graben. „Mutterchen, warum?“ Möchte drin ein Bäumchen pflanzen. „Mutterchen, warum?“ Wird mein Fritze drunter tanzen. „Mutterchen, warum?“ Wird das Bäumchen Kirschen tragen. „Mutterchen, warum?“ Ei, du mußt die Spatzen fragen, die sind nicht so dumm! -- Kommt die kleine Plappertasche: „Mutterchen, nicht wahr, ich bin klüger als der Fritze, bin schon bald sechs Jahr! Mutterchen, nicht wahr, der Fritze ist ein Schaf, o jee! Ich kann schon bis zwanzig zählen und das A-B-C!“ I, du kleine Plappertasche, laß den Fritz in Ruh! Plappertasche, wische wasche, halt das Mäulchen zu! Übermorgen in acht Wochen kommt der Weihnachtsmann; wenn du dann noch immer plapperst, was bekommst du dann? Einen großen Maulkorb! -- Furchtbar schlimm Vater, Vater, der Weihnachtsmann! Eben hat er ganz laut geblasen, viel lauter als der Postwagenmann. Er ist gleich wieder weitergegangen, und hat zwei furchtbar lange Nasen, die waren ganz mit Eis behangen. Und die eine war wie ein Schornstein, die andre ganz klein wie’n Fliegenbein, darauf ritten lauter, lauter Engelein, die hielten eine großmächtige Leine; und seine Stiefel waren wie Deine. Und an der Leine, da ging ein Herr, ja wirklich, Vater, wie’n alter Bär, und die Engelein machten hottehott; ich glaube, das war der liebe Gott. Denn er brummte furchtbar mit dem Mund, ganz furchtbar schlimm! ja wirklich! und -- „Aber Detta, du schwindelst ja; das sind ja wieder lauter Lügen!“ Na, was schad’t denn das, Papa? Das macht mir doch soviel Vergnügen! „So? -- Na ja.“ Fitzebutze Lieber ßöner Hampelmann, deine Detta sieht dich an! Ich bin dhoß, und Du bist tlein; willst du Fitzebutze sein? Tomm! Tomm auf Haterns dhoßen Tuhl, Vitzlibutzki, Blitzepul! Hater sagt, man weiß es nicht, wie man deinen Namen sp’icht. Pst! Pst, sagt Hater, Fitzebott war eimal ein lieber Dott, der auf einem Tuhle saß und sebratne Menßen aß. Huh! Huh, sei dut, ich bin so tlein und will immer a’tig sein. Fitzebutze, du bist dhoß; kleine Detta spaßt ja blos. Ja? Ja, ich bin dir wirktlich dut! Willst du einen neuen Hut? Tlinglingling: wer b’ingt das Band? Königin aus Mohrenland! Tnicks! Tnix, ich bin F’au Tönidin, hab zvei Lippen von Zutterrosin; Fitzebutze, sieh mal an, ei, wie Detta tanzen kann! Hoppß! Hopßa, hopßa, hopßassa: Tönigin von Af’ika! Flitzeputzig, Butzebein, wann soll unse Hochzeit sein? Du! Du! Mein tleiner lieber Dott! Du?! sonst geh ich von dir fo’t! -- Ach, du dummer Hampelmann, siehst ja Detta garnicht an! Marsch! -- Käferlied Maiker, Maiker, surr, bleib schön sitzen, burr! Breite deine Fühler aus, mach zwei kleine Fächer draus, schwing sie kreuz und quer, zähle mir was her! Zähle, ich will mit dir zählen, wieviel noch Minuten fehlen, bis Herr Heuschreck wuppt und mir auf die Nase huppt. Maikäber, Maiker, sonst holt dich der Deiker. Die Reise Tipp, tapp, Stuhlbein, hüh, du sollst mein Pferdchen sein! Klipp, klapp, Hutsche, du bist meine Kutsche, wutsch! Wipp, wapp, zu langsam; hott, wir fahren Eisenbahn! Alle meine Pferde, um die ganze Erde, rrrutsch! Tipp, tapp; zipp, zapp; halt, wann geht das Luftschiff ab? Fertig, Kinder, eingestiegen! wollen in den Himmel fliegen! futsch! Die Schaukel Auf meiner Schaukel in die Höh, was kann es Schöneres geben! So hoch, so weit: die ganze Chaussee und alle Häuser schweben. Weit über die Gärten hoch, juchhee, ich lasse mich fliegen, fliegen; und alles sieht man, Wald und See, ganz anders stehn und liegen. Hoch in die Höh! Wo ist mein Zeh? Im Himmel! ich glaube, ich falle! Das tut so tief, so süß dann weh, und die Bäume verbeugen sich alle. Und immer wieder in die Höh, und der Himmel kommt immer näher; und immer süßer tut es weh -- der Himmel wird immer höher. Das richtige Pferd Von Paula und Richard Dehmel Wer schenkt mir ein lebendiges Pferd, mein Schaukelpferd ist garnichts wert, es hat so steife Beine. Es stampft nicht, frißt nicht, wiehert nicht, und macht solch ledernes Gesicht; es weiß nicht, was ich meine. Wenn mir der Weihnachtsmann ein Pferd, ein wirklich richtiges Pferd beschert, dann reit ich über die Brücke, und reite durch den Kiefernforst nach Vehlefanz und Haselhorst, und noch fünf große Stücke. Dann bin ich mitten in der Welt; da such ich mir ein Haberfeld und lasse meine Pferdchen grasen. Und dann, dann reit ich ans Ende der Welt, wo der Riese den Regenbogen hält, und -- schick euch ’ne Ansichtspostkarte. Die ganze Welt Wo hängt der größte Bilderbogen? Beim Kaufmann, Kinder! ungelogen! Man braucht blos draußen stehn zu bleiben, kuckt einfach durch die Ladenscheiben, da sieht man ohne alles Geld die ganze Welt. Man sieht die braunen Kaffeebohnen; die wachsen, wo die Affen wohnen. Man sieht auf Waschblau, Reis und Mandeln Kameele unter Palmen wandeln, und einen Ochsen ganz bepackt mit Fleischextrakt. Man sieht auch Zimmt und Apfelsinen, und Zuckerhüte zwischen ihnen. Man sieht auf rot lackierten Blechen Matrosen mit Chinesen sprechen; und manchmal steht ein bunter Mohr, der lacht, davor. Am Eingang aber lehnt ’ne Leiter mit Hasen, Hühnern und so weiter. Und manchmal hängt an ihren Sprossen ein großer Hirsch, ganz totgeschossen; dann kommt so’n kleiner Hundemann und schnuppert dran. Lazarus Nach R. L. Stevenson Ich bin der kleine Lazarus, der still zu Bette liegen muß; die Nacht ist immer schrecklich lang, ich bin schon sieben Tage krank. Ich weiß, im ganzen Hause gehn die großen Leute auf den Zehn; ich mach mir aber garnichts draus, ich packe sacht mein Spielzeug aus. Ich schicke mein Soldatenheer durch meine Kissen kreuz und quer, von Tal zu Tal, bergauf bergab, und manchmal kommt ein tiefes Grab. Und auf dem Laken weiß wie Schnee ziehn meine Schiffe über See; und um die Wellen geht ein Wall, da bau ich Burgen überall. Ich bin der Riese groß und still, der Alles tun kann, was er will, vom Bettberg bis zum Lakenstrand im Reich der weißen Leinewand. Der kleine Held Eine Lehrjungen-Dichtung Allen braven Trotzköpfchen zugedacht. Bengels, daß ihr Kerls aus euch macht! Inhalt: Wie ein ganz armer Junge sich sagt was er alles werden kann. Anfang „Du bist ein armer Junge“ sagt Mutter oft und weint, wenn ich Herr Rittersmann spielen will. Aber Vater hat gemeint: „er ist ein kleiner Held!“ Neulich nahm ich ganz einfach meinen Drachen mit als Schild, und dem reichen Kurt sein Schwesterchen hat mich geküßt wie wild: „du bist ein kleiner Held!“ Ich ließ meinen Drachen steigen, dann ging es in die Schlacht; ich wollt meinen Schild blos +zeigen+, ich hab ihn selbst gemacht, ich bin ein kleiner Held! Ich wills schon machen, daß Mutter nicht mehr weint um mich. O! sie soll mal sehn und lachen, was ich alles werden kann, ich kleiner Held! -- Ein Zimmermann Ich kann ein Zimmermann werden, dann zimmr’ich mir ein Haus; hoch überm höchsten Giebelbalken krönt meinen Richtfeststrauß -- Achtung! -- mein Meisterhut. Dann zimmr’ich noch viele Häuser; meine Richtschnur knippst und knappst, die Spähne schießen vor Angst kobolz um meine blanke Axt, und hurr, wie knirscht meine Säge! Meine Säge knirscht mit den Zähnen: mir ist kein Holz zu hart, ich werd’s schon kirre kriegen, wart nur, wart nur, wart! So knirscht meine große Säge. Fertig! Nun fix nach oben, wo der Wind mich kämmt und küßt; und mag er rütteln und toben, ich fall nicht vom Gerüst, ich bin ein kleiner Held! Ein Dachdecker Ich kann ein Dachdecker werden, denn ich bin schwindelfrei. Ich kletter bis auf den Kirchturmhahn, und die Dohlen und Krähn schrein: ei, was will der Herr denn hier? Der will die Kirchtürme flicken, es tut schon lange not! Die Glocken, wenn mein Fahrstuhl kommt, brummen: ßapperlot, da baumelt ’ne Himmelsleiter! Und unten kribbeln die Leutchen, und steigt kein Laut mir nach. Blos mein Freund, der Schornsteinfeger, ruft manchmal vom nächsten Dach: Komm, Bruder, es gibt ein Gewitter! Aber dann bleib ich lieber ruhig auf meinem Sitz und hör, wie der Donner losbrüllt: Bravo! Sieh, Bruder Blitz, das ist ein kleiner Held! Ein Feuerwehrmann Ich kann Feuerwehrmann werden; kaum daß die Brandflamme prasselt, kommt schon galopp mit Fackelgesprüh unser Wagen angerasselt, alle Mann wie auf Sprungfedern stehend. Wie mit Donner und Blitz um die Wette: unsre Fackeln sind Rettungszeichen! Meine Pfeife gellt: beiseit, beiseit! und alle Menschen weichen uns voll Ehrfurcht aus. Denn dort die glühenden Fenster -- horch: durch den Qualm ein Schrei! Da wird nicht lange gefackelt mehr: rasch den Rauchhelm auf, die Spritzen in Reih, und mit Beil und Seil wird gerettet! Vielleicht ein schönes Mädchen; das wird dann meine Braut. Oder ein kleiner Betteljunge; der schießt dann wie ich ins Kraut und wird ein kleiner Held. Ein Schmied Ich kann Schmiedemeister werden; knuff! sagt mein Hammer und saust, dann springen die Funken vor Freude um meine rußige Faust bis an den Blasebalg. Herr Blasebalg, was stöhnst du? Nur zu! die Glut geschürt! Und laß die Schlacken nur spucken, wenn meine Zange drin rührt; gut Eisen will auf den Ambos! Dem soll ich den Rücken klopfen, dann lacht er und trällert ein Lied: Lieb Hammergeläut, lieb Hammergeläut, gut Eisen dankt dem Schmied, er klopft es hart zu Stahl. Drum streut’s vor Freude Funken und hüpft bei jedem Streich; die Heuchler und Halunken, die klopft er windelweich, knuff, der kleine Held. Ein Maschinenbauer Ich kann Maschinbauer werden; da sträubt sich manchem das Haar. Das ist viel toller als Märchenspuk, da hausen wirklich wahr tausend Zauberkräfte. Die toben, wirbeln, krachen mit Kolben, Kurbeln, Gelenken, mit feuerschnaubenden Rachen, man muß an die Hölle denken, an die großen Tiere der Urzeit. Und sind viel stärker als Riesen; was können sie alles tun! Bergwerke bohren, Dampfschiffe treiben, Bahn brechen mit eisernen Schuhn; weh dem, der ihnen zu nah tritt! Schnurstracks reißt Schwungrad und Riemen die täppische Hand in Fetzen. Mit solchen Ungetümen auf guten Fuß sich setzen lernt nur ein kleiner Held. Ein Eisenbahner Ich kann Eisenbahn-Zugführer werden; nein, Lokomotivführer lieber. Dann bin ich kleiner Menschenknirps der größten Maschine über, die tausend Pferdekraft stark ist. Und tausend andre Menschen regiert Ein Griff meiner Hand, tagein tagaus, bei Nacht, bei Nebel, im Sturm von Land zu Land; Bahn frei! schreit meine Maschine. Bahn frei -- was schreit da wider? im Dunkeln welch Gestampf? Woher, wohin? Vorwärts, zurück? Halt! bremsen! Gegendampf! jetzt gilts, Mensch: Einer für Alle! Und fliegt der Kopf vom Kragen, so stirbt sichs ohne Grämen; dann braucht man sich doch wenigstens des Lebens nicht zu schämen! So denkt ein kleiner Held. Ein Weltreisender Ich kann Weltreisender werden, wo keine Eisenbahn geht: wo überm ewigen Eismeergrab die Nordlichtkrone steht, die Krone der ganzen Erde. Oder wo heiß die Wildnis nur Grüße Gottes haucht, und wo die liebe Seele keinen andern Wegweiser braucht als Sonne, Mond und Sterne. Und treff ich mal auf Menschen, die sind wohl nicht wie ich; ihr Gott, der heißt wohl Fitzebutze, ihr Häuptling Duckedich -- hurra, das gibt einen Hauptspaß! Ich ducke sie noch ein bißchen tiefer zum Schabernack; und wollen sie’s übel nehmen, dann los! habt Mut, ihr Pack! hier steht ein kleiner Held! Ein König Ich kann ein König werden; nicht etwa bei uns, i wo! Bei uns, da muß man Kronprinz heißen, dann wird man’s sowieso. Ich werd bei den Negern König! Die fragen nicht nach dem Taufschein, wenn man nur orndtlich regiert. Erst zähm ich mir ein Dutzend Löwen, dann komm ich ankutschiert, acht Zebras vorgespannt: Was lauft ihr weg wie die Affen? Mein Reich ist vogelfrei! Wer stark ist, darf’s erobern helfen; die Klugen sind stark für zwei! Kommt, Kinder, dankt euerm Herrgott! Ihr habt einen König und Priester, der braucht keinen Polsterthron, keinen Feldherrn, Hofherrn, Minister und sonstige Dienstperson; euch führt ein kleiner Held! Ein Tierbändiger Ich kann Tierbändiger werden, ich bin den Bestien gut; sie würden gerne Menschen sein, nur Qual ist ihre Wut, drum sind ihre Augen so traurig. So wie in Wahnsinn versunken, so gläsern manchmal, so stier. Aber man braucht sie blos zu lieben, das fühlen sie ganz wie wir und lernen Vernunft annehmen. Neulich am Raubtierkäfig bot ich dem Tiger die Hand. Er sah mich lange schnurrig an, bis er mein Herz verstand; dann ließ er sich ruhig tatzeln. Er gähnte wie im Zirkus und bog die Schwanzspitze sacht. Ich wette, den dürft ich karbatschen, er dachte: Du hast die Macht, du bist ein kleiner Held. Ein Kunstreiter Ich kann ein Kunstreiter werden, das kann nicht jedermann; nur wer bis in die Zehenspitzen sich selber bändigen kann, bis in die Turnschuhspitzen! Hei, wenn beim großen Luftsprung meine stolzen Pferde sich bücken! Die Herren Leutnants lächeln vor Neid, die Damen vor Entzücken; ich lächle immer mit. Ich lächle, ihr schönen Damen: Klatscht Beifall! still, Musik! freut euch, gleich kommt der Doppel-Luftsprung, vielleicht brech ich’s Genick! Ich werde auch dann noch lächeln. Dann kommt ihr angefahren mit Kränzen und Trauermärschen; ich aber lächle noch im Sarg, ich kann mich selbst beherrschen, ich bin ein kleiner Held. Ein Jägersmann Ich kann ein Jägersmann werden, ich hab eine sichre Hand; ich werde von der Schießbudenfrau immer „klein Tell“ genannt. Ich hab auch kaltes Blut. Ich zucke nicht mit der Wimper, drück ich die Knallbüchse ab. Mir soll kein Wilddieb ins Handwerk pfuschen; ich bringe ihn auf den Trab, und wär er schlau wie ein Teckel. Ich würde wohl selber wildern, hätt ich kein eigen Revier. So aber, Kerl: Mann gegen Mann, ich schütze den Forst vor dir, das ist meine Pflicht, Halunke! Gewehr her! oder -- gib Feuer! Auge in Auge! Laß sehn: piff paff, wen’s trifft, dem wird noch sein ärgster Feind gestehn: da liegt ein kleiner Held. Ein Gärtner Ich kann ein Gärtnersmann werden, mit allen Pflanzen vertraut. Mir schadet keine Treibhausluft und auch kein giftiges Kraut; ich bin so zäh wie ein Buchsbaum. Ich nutze die giftigen Kräuter, ich züchte Heilkräuter draus, mitunter auch Küchenkräuter; nur die Unkräuter reiß ich aus oder veredle sie. Und meine Baumschule, Leute, schmückt alle Landstraßen, seht! Jawohl, Herr Nachbar, es lohnt sich, wenn man noch mehr versteht als schöne Sträuße zu binden! Mein Garten wird nicht verschmachten, gefällt er manchem schlecht. Er kann euern Beifall verachten, und euer Schimpfen erst recht; ihn pflegt ein kleiner Held. Ein Ackersmann Ich kann ein Ackersmann werden; auch der muß tapfer sein. Mit Himmel und Erde muß er kämpfen, daß seine Felder gedeihn, ein Kriegsmann Schritt für Schritt. Um Haus, Hof, Heimat kämpft er, potz Hagel, Blitz und Brand! Mit Gleichmut ist sein Herz gepanzert, mit Schwielen seine Hand, hart wie das Korn, das er sät. Und wills daheim nicht fruchten, um Deutschland geht kein Zaun; noch manchen Urwald gibts zu lichten, da kann man Blockhütten baun und neue Heimat schaffen. Vielleicht stößt doch das Heimweh langsam das Herz ihm ab? Dann aber rauschen die Ähren weithin um sein Grab: hier ruht ein kleiner Held. Ein Seemann Ich kann ein Seemann werden, Kapitän oder Steuermann. Den macht sein Steuerrad so stark, wie der Pflug den Ackersmann; kommt nur, ihr Wolken und Wellen! Der Wind pflügt tausend Furchen von einem zum andern Strand. Nur Eine Furche pflügt mein Schiff: die bricht unserm Vaterland nach allen Erdteilen Bahn. Ob noch so undurchdringlich ringsum der Nebel graut, daß selbst die Sonne durch den Dunst wie’n blindes Auge schaut: unser Kompaß kennt den Weg. Wenn wir die Flagge hissen, du fremde Hafenstadt, soll jeder Matrose wissen, der Ehre im Leibe hat: dir naht ein kleiner Held! Ein Lotse Ich kann auch Lotse werden; da, wo die Schiffbrüche drohn. Ich darf das Sturmboot kommandieren, wenn vor der Wachtstation plötzlich der Notschuß dröhnt. Los, Jungens! an die Riemen! Und in den schwarzen Braus sprüht der Raketen-Apparat Leuchtschnur auf Leuchtschnur aus; grell klafft die Nacht ums Wrack. Mit brüllendem Rachen schnappen die Sturzseen über Deck. Die Mannschaft reißt die Passagiere vom krachenden Mastbaum weg; der Gischt fegt ihn von Bord. Und in den bleichen Haufen prasselt mein Rettungstau; da kriegen auch die Feigsten Mut, und manche schwache Frau wird ein kleiner Held. Ein Taucher Ich kann ein Taucher werden, einsam auf Meeres Grund. Da könnt ihr Stürme nicht hinab; still wie in Todes Schlund tu ich mein kühnes Werk. Lautlose Wirbel schauern über und unter mir; mit dunklen Fangarmen lauert heimtückisches Getier zwischen den grauen Riffen. Da muß ich die Schätze heben, die für die Menschen taugen; gespenstische Wesen schweben mit bunten Phosphor-Augen um meine Glocke hin. Und hab ich sie gehoben, dann sperrt wohl noch ein Hai sein schiefes Maulwerk nach mir auf. Dem bringt’s mein Fußtritt bei: hier schwebt ein kleiner Held! Ein Goldgräber Ich kann ein Goldgräber werden und des Erdgrunds Schätze schürfen. Mutter Erde spendet immer mehr, je mehr die Menschen bedürfen; mein Lehrer hats gesagt. Wohl kostets Schweiß in Strömen, den Bergschutt auszuschmelzen, oder tief aus unterirdischen Flüssen den Schlamm heraufzuwälzen, der die paar Goldkörner birgt. Aber endlich ists ein Klumpen, blitzblendeblank gewaschen! Nun kann ich Vater, Mutter und Alle zum Geburtstag überraschen; auch den reichen Kurt! Mutter Erde soll sich wundern, wie meine Schatztaler springen: Hand auf! nehmt hin den Plunder, ich kann mir mehr erringen, ich bin ein kleiner Held! Ein Bergführer Ich kann ein Bergsteiger werden, der die andern alle führt. Pfade, wo nie ein Schritt erklang: wer hat sie aufgespürt! Das tat meine Herzenslust! Die treibt mich hin zu den Gipfeln, über Schnee, durch Wetterschlag, am Sturzbach hin, am Gletscherrand, hinauf! Nun klettert nach, ihr andern Wagehälse! Mir nach mit glühendem Herzen, hinauf ins freie Eis! Wer stürzt, den schmückt im Paradies die Blume Edelweiß! Kommt! jauchzend grüß ich euch. Aber am liebsten steh ich hoch oben ganz allein, mitten im stillen Himmelskreis, und höre die Adler schrein: grüß Gott, du kleiner Held! Ein Luftschiffer Ich kann ein Luftschiffer werden, immer höher schlägt mein Herz: da fliehn die Flüsse unter mir wie dünne Adern Erz, meine Gondel steigt und steigt. Die Luft wird immer reiner; das wirre Erdgewühl wird alles klein und kleiner, wird alles wie ein Spiel. Ich gleite drüber hin. Hin, wo die Wolken schweigen; kaum noch ein Berghaupt blinkt. Ich fühle mich nicht mehr steigen, nur die Erde sinkt und sinkt; mir träumt ein Schaukellied. Ich schwebe nur und schwebe, in die blaue Welt hinein. Wer weiß wohin -- ade, ade -- der Himmel wiegt mich ein: fahr wohl, du kleiner Held. Ein Dichter Ich kann ein Dichtersmann werden, ich weiß schon, was das heißt; das ist ein Mensch auf Erden mit einem himmlischen Geist, und der auf Leben und Tod pfeift. Er pfeift: mir lacht das Leben, weil ich unsterblich bin! Er pfeift: ich lache aufs Sterben, mir lebt ein Lied im Sinn, das geht so weit wie die Welt! So einen Dichter kenn ich; er streicht mir manchmal die Stirn, und wie ein Fernrohr rührt sein Blick hell an mein Gehirn, dann seh ich den Himmel offen. Da tanzen die Sterne und singen: Nur wen wir auserwählt, dem kann das Lied gelingen; wird er’s wohl fertig bringen, unser kleiner Held? Ein Engel Ich kann ein Engel werden, wenn ich gestorben bin. Dann jagt wohl mit Wolkenpferden, die wir nicht sehn auf Erden, meine Kraft durchs Luftmeer hin. Meine Flügel sind wohl die Stürme, der Blitzstrahl wohl mein Pfad. Ich weiß es nicht, ich leuchte nur; mich treibt ein Geist zur Tat, der braucht wohl meine Kraft. Ich leuchte in tausend Gestalten, vielleicht wo die Sonne loht, vielleicht wo Sterne erkalten, die bleich noch Nachtwache halten, vielleicht im Morgenrot. Da darf ich überall wirken; und bin doch vor dem Geist, der mich und all die andern Engel zu Seinem Werk hinreißt, nur ein kleiner Held. Schluß Ich kann noch manch andres werden, solang ich kein Engel bin. Aber immer trag ich armer Junge die eine Frage im Sinn: was wirst du auf jeden Fall? Und trage in meinem Herzen manch eines Mannes Bild, der so beherzt war, daß er uns als +großer+ Held nun gilt: Wilhelm Tell, König Fritz, der Herr Jesus. Dazu gehört nicht Reichtum noch lange Lebensfrist. Mir hat mein Dichtersmann gesagt: jedes Kind auf Erden ist ein kleiner Welterobrer. Das will ich an jeder Stelle sein, so sehr ich kann. Dann werd ich auf alle Fälle ein ganzer Mann -- und dann vielleicht ein ganzer Held. Knecht Ruprecht und die Christfee Ein Weihnachtsspiel Knecht Ruprecht und die Christfee treten in die Weihnachtsstube, während am Klavier die Chorweise „Tochter Zion, freue dich“ aus Händels „Judas Makkabäus“ ertönt. Ruprecht zu den Kleinen, nachdem es still geworden ist: Ich bin der alte Weihnachtsmann, ich hab ein’n bunten Wunderpelz an; mein Haar ist weiß von Reif und Eis. Ich komm weit hinter Hamburg her, mit langen Stiefeln durchs kalte Meer, meinen Mummelsack huckepack. Er nimmt den Sack von der Schulter und stellt ihn vor sich auf den Boden. Da sind viel gute Sachen drin, Nüss und Äpfel und große Rosin’n; ich bin ein lieber Mann, seht an! Er öffnet den Sack und langt dabei verstohlen die Rute aus dem Gürtel. Ich kann aber auch böse sein. Dann fahr ich mit der Rute drein und schüttel den Bart: na wart’t! Nein, seid nicht bang; seid lieb und fein, seid wie mein schön gut Schwesterlein! Ist die euch hold, schenk ich, was ihr wollt. Die Christfee in weißem Kleid und Schleier, mit Engelsflügeln und Sterndiadem, in der Linken einen Tannenzweig haltend, wendet sich an die Großen: Ich bin aus einem hellen Lande; da wächst und blüht ein Baum, um den wir all in strahlendem Gewande mit silberweißen Flügeln stehn. Der Baum ist grün, grün ohne Ende, und seine Höhe mißt kein Sinn; und seine Zweige sind wie Hände, die strecken sich nach Jedem hin. Der Baum trägt viele tausend Kerzen, und jede ist der andern gleich; und ihre Flammen sind wie Herzen, die leuchten klar und warm und weich. Er hängt voll Gold bis an die Spitze, und seine Jahre zählt kein Mund; und seine Wurzeln sind wie Blitze, die dringen in den härtesten Grund. O komm, komm! Tausend Früchte warten, dein goldner Apfel pflückt sich leicht; denn Jedem öffnet sich der Garten, wer sinnt, wie man den Baum erreicht. Kommt, seht ihn schimmern! Heut aufs neue erfüllt sich, was die Schrift verhieß: Einst pflanzte, daß der Mensch sich freue, Gott einen Baum ins Paradies. Ruprecht hat inzwischen die Teller der Kinder mit Pfefferkuchen, Nüssen, Äpfeln gefüllt und tritt nun zu der kleinen Veradetta: Möchtest du wohl in den Garten, wo so schöne Äpfel warten? Ja? -- Dann mußt du fein sittsam sein. Mußt dich nicht so wild geberden, mußt so wie die Christfee werden. Es ist garnicht schwer; kuck mal her! Muß dir nur recht viel dran liegen, auch zwei Flügelchen zu kriegen. Wenn du groß bist, ah: dann sind sie da. Die Christfee zum kleinen Peter-Heinz, eindringlich: Und Du, mein kleiner Heinzelmann, machst dich gern zu wichtig. Sieh dir mal den Ruprecht an: siehst du, +der+ machts richtig. Jedem schenkt er was und lacht, aber höchst bescheiden; daß man dumme Witze macht, kann er garnicht leiden. Und wer mault, den haut er sehr, und dann sagt er: schade! -- So, nun sag uns auch was her, und halt den Kopf hübsch grade! Heinz sagt mit seiner verschmitztesten Miene folgende Schnurre (von Paula und Richard Dehmel) auf: Der Esel, der Esel, wo kommt der Esel her? Von Wesel, von Wesel, er will ans schwarze Meer. Wer hat denn, wer hat denn den Esel so bepackt? Knecht Ruprecht, Knecht Ruprecht mit seinem Klappersack. Mit Nüssen, mit Äpfeln, mit Spielzeug allerlei, und Kuchen, ja Kuchen aus seiner Bäckerei. Wo bäckt denn, wo bäckt denn Knecht Ruprecht seine Speis? In Island, in Island, drum ist sein Bart so weiß. Die Rute, die Rute, die ist dabei verbrannt; heut sind die Kinder artig im ganzen deutschen Land. Ach Ruprecht, ach Ruprecht, du lieber Weihnachtsmann, komm auch zu +mir+ mit deinem Sack heran! Ruprecht lachend, indem er in den Sack langt: Na! dann muß der Ruprecht wohl seine Rute rasch verstecken; denn er hat die Jungens gern, die nicht gleich vor ihm erschrecken. Hier, mein kleiner tapfrer Mann, schenk ich dir ein Spiel Soldaten. Noch eine Schachtel herausnehmend: Und in diesem Kasten steckt Handwerkzeug zu andern Taten. Peter Heinz! Soldat sein heißt: fürcht dich nit und lern brav hauen! Aber noch viel braver ist es, lernst du recht was Schönes +bauen+. Jedes Werkzeug sagt dir: lerne festen Griff mit Fug und Fleiß -- Die Christfee neckend: denn das hat der Ruprecht gerne, daß man zuzugreifen weiß. Dann den andern Heinz anredend: Und Heinz Lux -- sieh blos mal her: Rehe, Hirsche und ein Bär, Hühner, Hasen, Füchse, Raben: gelt, die möchtest du wohl haben? Ja? Dann mußt du aber balde wie der Jägersmann im Walde aufmerksam und achtsam werden, darfst dich nicht wie’n Tapps geberden. Sonst wird gleich der Eber hier dreimal größer als die Tür, kommt und stößt dich mausetot, ißt dich auf zum Abendbrot. Wenn du aber orndtlich bist, bleibt das alles, wie es ist; und dann kannst du mit den vielen wilden Tieren ruhig spielen. Ruprecht: Na, und Du, Prinzeßchen da, Veradetta, ganz in Seide, kannst wohl auch ein Liedchen? ja? Ei, dann mach uns mal die Freude! Detta die Hände faltend: Ihr Kinderlein, kommet, o kommet doch all, o kommet zur Krippe in Bethlehems Stall, und seht, was in dieser hochheiligen Nacht der Vater im Himmel für Freude uns macht! O seht, in der Krippe, im nächtlichen Stall, seht hier bei des Lämpchens still glänzendem Strahl in reinlichen Windeln das liebliche Kind, viel schöner, viel holder, als Engel wohl sind. Da liegt es, ach Kinder! auf Heu und aus Stroh; Maria und Josef betrachten es froh, die redlichen Hirten knien betend davor, hoch oben schwebt jubelnd der himmlische Chor. Ruprecht hat dem alten Lied mit Andacht zugehört, nickt und sagt: Das war wirklich wunderschön, ja, das muß ich sagen! Ein Geschenk vorholend: Dafür krigst du, sieh mal, den reizenden Kinderwagen. Die Christfee: Und in lauter Silberflaum, ei, welch Engelspüppchen! Und da unterm Tannenbaum, sieh nur, steht ein Stübchen. O, wie wird sich Püppchen freun, wenn du’s da wirst wiegen! braucht nicht wie arm Jesulein in einem Stall zu liegen. Liegt und lacht, o sieh doch, ganz wie klein Liselotte, Schwesterchen im Lichterglanz, träumt vom lieben Gotte. Träumt von einer andern Welt, die wir hier nur ahnen; da sät Gottes Mutter hell ihren Sternensamen. Ruprecht: +Euer+ Mutting aber krigt diese bunte Schürze, drin ein Bündel Scheren liegt jeder Läng und Kürze. Damit soll sie säuberlich Vaters Dichterflügel putzen und ihm, übereilt er sich, seine wilden Federn stutzen. Er legt das Geschenk auf den Weihnachtstisch, greift dann weiter in den Sack: Und für Onkel Mombert hab ich einen Leuchter aufgegabelt, in Gestalt des rasenden Drachens, über den die Sage fabelt, daß er einst das ewige Licht losriß aus den finstern Gründen; mag er nun dasselbe Licht dir im Kämmerlein entzünden! Dann eine Flasche Benediktiner auspackend: Onkel Scheerbart -- ha! -- der krigt diesen Seelenwärmer; seht, schon macht er ein Gesicht wie’n religiöser Schwärmer! Hier können, je nach Mehrbedarf, weitere Bescherungsreime eingestickt werden; wie überhaupt die Einzelheiten der Bescherung nur als Anleitung zu ähnlichem Mummenschanz gemeint sind. Tante Lisbeth, brumm brum brumm, will ich lieber meiden; denn die kann, Gott weiß warum, den Weihnachtsmann nicht leiden. Aber unsre Guste hier, unser Hausmamsellchen, daß sie nicht beim Ausgehn frier, krigt ein warmes Fellchen. Er nimmt sich die Pelzjacke von der Schulter und hängt sie dem Dienstmädchen über. Steht nun in einem abgetragenen blauen Arbeitskittel da und sagt zur Christfee: Na, und jetzt, mein Schwesterlein, können wir wohl gehen. Oder fällt dir noch was ein? Siehst mir gar so ernsthaft drein. Warum bleibst du stehen? Die Christfee: Ich hab ein Wort vernommen, das läßt mich nimmer los. Ich mag zum Ärmsten kommen, und sei er ganz beklommen, ich sage immer blos: liebe! O -- dann atmet Jeder wärmer; war doch Er noch viel, viel ärmer, der das Wort einst sprach. Selbst die stummste Menschenseele, ob ihr jeder Laut sonst fehle, stammelt heimlich nach: ich liebe. Aller Orten, aller Zungen, Jedem ist es schon erklungen, selig oder scheu. Jedem wohnt das Blümlein inne, dem ich jetzt ein Lied beginne, Lied so alt wie neu: Nachdem auf dem Klavier die Weise angeschlagen ist, spricht die Christfee jede Zeile einzeln vor und Alle singen Zeile für Zeile nach: Es ist ein Reis entsprungen aus einer Wurzel zart; wie uns die Alten sungen, vom Himmel kam die Art. Und hat ein Blümlein bracht, mitten im kalten Winter, wohl zu der halben Nacht. Das Blümlein war so kleine und doch von Duft so süß; mit seinem milden Scheine verklärt’s die Finsternis. Und blüht nun immerdar, tröstet die Menschenkinder, holdselig, wunderbar. Ein Stern mit hellen Gleisen hat es der Welt verkündt, den Kindlein und den Weisen, wie man dies Blümlein findt. Nun ist uns nicht mehr bang, seit aus der dunklen Erde solch leuchtend Reis entsprang. Ruprecht nach kurzem Schweigen: Amen! -- Ja, geliebte Kinder, voller Wunder ist die Welt; solch ein Lied ist doch noch schöner als das schönste Spielzeug, gelt?! Die Christfee zu den Großen gewendet: Fühlt denn, wie aus zweien Landen Bruder sich und Schwester fanden; Ruprecht, gib mir deine Hand! Ich aus Morgen, Er aus Abend, Ich im Silberkleid, Er trabend in verwittertem Gewand. Beugt euch Ihm, dem Überlegnen: er kann wirken, ich nur segnen, er bringt Frucht, ich will nur Licht. Ich aus Süden, Er aus Norden, seine Welt ist stark geworden -- Ruprecht ihr den Mund zuhaltend: ja, daß sie mich fast unterkrigt; Schwesterherz, blamier mich nicht! -- Dann wieder zu den Kleinen: Und nun wüßtet ihr wohl gerne, wer das ist, der Weihnachtsmann -- sich den weißen Bart und alten Hut abnehmend: das ist euer lieber Vater, schaut ihn euch nur näher an! Und die Christfee mit den Flügeln -- ihr den Schleier und das Diadem abnehmend: das ist eure Mutter, seht! Und so ists mit all den Wundern, die ihr anfangs nicht versteht. All das Schöne auf der Erde, das ihr einzusehn begehrt, wird von Vater oder Mutter, wenn es Zeit ist, euch erklärt. Auch die Englein, Mond und Sterne, und das liebe Jesuskind, und der gute Gott im Himmel, und was sonst für Märchen sind. Denn das alles, Kinder, alles, was die Erde schöner macht, ist von lieben, guten, klugen Menschen langsam ausgedacht. Ist drum aber nicht gelogen; nein, was Haupt und Herz verklärt, Abglanz ist es einer wahren Zauberkraft, die ewig währt, die von Stern zu Stern geheime Lichtbefehle traumhaft schickt und euch weihnachtshell begeistert, wenn ihr gläubig aufwärts blickt. Nachdem er seine Kinder der Reihe nach auf die Stirn geküßt hat: So, nun spielt und freut euch sehr! Übers Jahr erzähl ich mehr. Vom Klavier ertönt aufs neue die Chorweise „Tochter Zion, freue dich!“ Das Dichterspiel Jedes Jahr am Sylvesterabend machte die kleine Ursula bei Tante Li und Onkel Ri Besuch, und diesmal hatte sie ihren Vetter Heinz Peter und seinen Freund Heinz Lux mitgebracht, die beide schon etwas größer waren. Es sollte das Dichterspiel gespielt werden; und die Ursel, die nun bald dreizehn Jahre alt wurde, war ganz aufgeregt vor Spannung, ob sie wohl auch einen Preis kriegen könnte, oder ob ihr die großen Bengels, die immer alles besser wußten, wieder eine lange Nase drehn würden. „Zu dem Dichterspiel“, erklärte der Onkel Ri, „gehört nichts weiter, meine Herrschaften, als die nötige Menge Papier und Bleistifte, ein bißchen Zeit und ein bißchen Grips. Jeder von uns sagt zwei Hauptwörter, und die schreiben wir alle auf. Dann muß jeder um diese Wörter herum eine kurze Geschichte dichten und natürlich auch aufschreiben, innerhalb einer bestimmten Frist. Da wir fünf Dichter sind, kommen zehn Wörter ins Spiel; setzen wir also zehn Minuten Frist! Nachher liest jeder seine Geschichte vor, und wir stimmen ab, wer die beste ersonnen hat; der darf sich als Preis ein Licht vom Weihnachtsbaum holen. Wer den Abend über die meisten Lichter gewinnt, der ist Sieger und krigt den Sternpreis, wenn der Weihnachtsbaum geplündert wird.“ Der Sternpreis, das war ein Stern mit fünf Zacken, der in jedem Jahr auf der Baumspitze stak; und an den Zacken hing immer allerlei Süßes, wie die Ursel aus Erfahrung wußte. Ach, ob sie wohl heute siegen würde? Wäre sie blos nicht so dumm gewesen, die zwei Bengels mitzubringen, statt wieder ein paar Freundinnen. Grips genug hatte sie selbstverständlich, aber an Fixigkeit waren die Buben ihr über. Was für ausgefallene Wörter sie gleich bei der ersten Aufgabe nahmen! +Krauskopf+, +Bewußtsein+, +Element+, +Sportkostüm+. Dann sagten die Tante und der Onkel: +Ufer+, +Brücke+, +Jagd+, +Pfeil+. Und zuletzt die Ursel: +Spitze+, +Stern+. Und o weh: als die zehn Minuten vorbei waren, hatte sie richtig ihre Geschichte höchstens erst dreiviertel fertig. Aber ein Trost war es wenigstens, daß nach der Abstimmung keiner der Heinze das erste Licht vom Baum holen durfte, sondern einstimmig gewann Tante Li. Ihre Geschichte lautete: Ich stand einmal vor einer Brücke. Über diese Brücke jagte auf einem Rappen eine junge Negerin, umflattert von einem weiten buntwollenen Mantel. Hoch in der rechten Hand, über ihrem Krauskopf, hielt sie einen langen Pfeil. Ihr ganzer Körper war Aufgeregtheit. Sie trieb ihren Gaul zu rasender Hetzjagd an, und als sie die Brücke hinter sich hatte, stürmte sie den Fluß entlang und ließ endlich ihren Pfeil in den Ufersand sausen. Sie hob ihn auf, und wieder gings wie ein entfesseltes Element über die Brücke zurück, dann jenseits ein Stück das Ufer entlang, und als Ende der Jagd: der Pfeil in den Sand. Es war in diesem verbohrten Treiben eine so schrecklich sinnlose Wildheit, daß ich immer noch stand, als sie noch einmal über die Brücke herüberkam und wie beim ersten Mal umkehrte und abermals zurückstürmte. Da, als sie grad auf der Mitte der Brücke war, geht mit ruhigen Schritten eine Dame ihr nach, ebenso jung, aber weißhäutig, mit maisgoldnem Haar, sehr hoch und schlank, gekleidet in ein schlichtes, schwarzes, eng anliegendes Sportkostüm. Sie trug auch einen langen Pfeil in der Hand, aber ganz leicht und unauffällig. Als sie dort angekommen war, wo vor ihr her die Wilde jagte, hielt sie an, zielte einen einzigen Augenblick, aber mit äußerstem Bewußtsein, schleuderte ihren Pfeil, und dieser flog, scharf über dem Kopf der Wilden hin, schneller als deren Pfeil, erst gradaus, dann im Bogen über die Brückenecke, aber nicht in den Sand des Ufers, sondern ihr Ziel war ein fünfzackiger Stern, der auf der Spitze eines Bootmastes stak. Die Ursel war ganz blaß geworden und strich sich ihr blondes Haar aus der Stirn; sie hatte gemerkt, worauf die Tante anspielte, und nahm sich vor, bei der nächsten Aufgabe vielviel ruhiger nachzudenken. Aber sie wurde doch wieder nicht fertig, und das zweite Licht gewann der Heinz Lux. Diesmal hießen die Hauptwörter: +China+, +Bahnhofsuhr+, +Teppich+, +Karaffe+, +Kachel+, +Gardine+, +Elefant+, +Neptun+, +Schlafzimmer+, +Büffett+ -- und dazu hatte der freche Lux folgende Geschichte erfunden: Im Kaiserreich China befindet sich eine seltsame Bahnhofsuhr. Sobald sie zwölf zu schlagen anfängt, springt aus dem Zifferblatt eine flache Kachel, gemustert wie ein persischer Teppich, und darauf steht ein weißer Porzellan-Elefant. Wenn du dich auf den Elefanten setzt, trägt er dich so schnell im Kreise um die große Uhr herum, daß du die Besinnung zu verlieren glaubst; bis er auf einmal stehen bleibt und dich in einer Meergrotte absetzt. Nach dem ersten Erstaunen erkennst du, daß du im Schlafzimmer Neptuns bist, des Gottes der Ertrunkenen -- und der Betrunkenen. Denn wenn du die Gardine zurückschlägst, stehst du einem unübersehbaren Büffett gegenüber, in dem Karaffe neben Karaffe glänzt, und jede Karaffe enthält einen Likör, worin der tolle Gott die Träume jeder ertrunkenen Seele aufbewahrt. Davon mußt du natürlich mal kosten; und in dem Augenblick, wo du den ersten Tropfen schmeckst, kommst du wieder zur Besinnung, und die Uhr tut den letzten der zwölf Schläge. Nur die Ursel hatte dagegen gestimmt und bei dem Wort „Betrunkenen“ pfui gerufen; wofür ihr der Peter Heinz einen Puff versetzte, wofür ihm der Onkel Ri das Punschglas entzog. „Jetzt wollen wir aber,“ fuhr der Onkel fort, der bis dahin auch noch nichts fertig gebracht hatte oder vielleicht auch blos so tat, „die Sache ein bißchen schwerer machen. Jedes der aufgegebenen Wörter darf nur Einmal gebraucht werden; dafür darf aber jeder drei Wörter aufgeben, und die Frist dauert fünfzehn Minuten.“ Dabei plinkte er der Ursel zu, sodaß sie guten Mut faßte. Es kamen folgende Wörter ins Spiel: +Schehresade+, +Karamelle+, +Zitadelle+, +Abenteurer+, +Prophet+, +Gazelle+, +Winternacht+, +Sommermittag+, +Paradies+, +Wüstensand+, +Palast+, +Feuer+, +Braut+, +Lied+, +Quelle+ -- aber die Ursel wurde wieder nicht fertig. Doch diesmal machte sie sich nichts draus, denn Onkel Ri hatte jetzt in Versen gedichtet, da konnte natürlich kein Andrer siegen; und wenn der Onkel oder die Tante den Sternpreis bekamen, dann würden sie ihn nachher doch ihr schenken. Nun las er vor: „Morgenländisches Preislied“ -- und indem er die Tante sonderbar ansah, schob er erst noch die Bemerkung ein, daß ihm am heutigen Abend ein Hymnus auf die orientalische Phantasie sehr angebracht scheine, weil ja das Weihnachtsfest und die Neujahrsfeier aus dem Morgenland zu uns gekommen seien. Hierauf deklamierte er: O Schehresade, Fee der Nacht, in der die Wunderschelle klingt, o Fee, welch Lied ist hold genug, die hohe Wonne anzustimmen, die uns zu deiner Schwelle zwingt -- so hold, wie durch den Palmenhain im Frühling die Gazelle springt, so hold, wie aus dem Wüstensand am dürren Sommermittag plötzlich durchs Dorngestrüpp die Quelle dringt -- so hold, wie durch die Winternacht die Glut der Feuerstelle singt, wenn unterm dichtverhängten Zelt dem heimgekehrten Abenteurer die Braut die Lagerfelle bringt -- so hold, wie der Prophet den Mond aus Allahs Zitadelle schwingt und dann beim goldnen Sternetanz feucht aus dem Mund der schönsten Huri die Honigkaramelle schlingt -- so, Fee der tausendzweiten Nacht, die uns zu Deiner Schwelle zwingt, so hält uns dein Palast im Bann, bis deinen bunten Zauberteppich die rosige Morgenhelle schminkt -- bis uns das ganze Firmament wie eine Wunderschelle klingt, bei deren Ton das Paradies samt allen Wonnen dieser Erde in jede ärmste Zelle sinkt! -- Aber der Onkel bekam den Preis nicht. Tante Li erklärte mit strenger Miene das Gedicht für „unverständlich“; und die Ursel merkte, wie sich die beiden Heinze unterm Tisch mit den Beinen anstießen, und daß der Lux dem Peter was ins Ohr flüsterte, worin das Wort „unanständig“ vorkam. Da fuhr sie aber entrüstet dazwischen: „Was! Ihr? Erst vorgestern hab ich euch alle beide an meinem Bonbon mitlutschen lassen, und das hat euch sehr nach mehr geschmeckt! Und überhaupt sind die Gedichte von Onkel Ri genau so verständlich, wie die von Onkel Goethe und Schiller! Und Tausendundeine Nacht hab ich auch gelesen!“ Die Heinze waren krebsrot geworden, und der Peter brummelte: „dummes Jöhr!“ Aber die Tante legte ihm die Hand auf den Mund, und mit der andern Hand fuhr sie der Ursel liebkosend über die heißen Backen. Dann sagte sie zu Onkel Ri, der still in sein Punschglas hineinlachte: „Es ist aber gegen die Spielregel, daß du uns hier mit Versen den Kopf verdrehst; also hat diesmal keiner gewonnen. Von jetzt an wird wieder blos zehn Minuten gedichtet, und in ebenso einfacher Sprache, wie Schehresade gedichtet hat. Ich glaube, das Einfache ist das Schwerste; andre Schwierigkeiten sind überflüssig. Wers am einfachsten kann, krigt das nächste Licht.“ Die zehn Hauptwörter lauteten nun: +Trauerweide+, +Vogel+, +Rock+, +Hütte+, +Arbeit+, +Spieldose+, +Kinderjubel+, +Pfauenauge+, +Prinz+, +Bettler+. Und wirklich: die Ursel wurde zur rechten Zeit fertig, sogar schon eine Minute zu früh, während Onkel Ri mit gerunzelter Stirn noch allerhand verbesserte und die beiden Buben noch lauter Unsinn klierten. O, wie sie die Bengels verachtete! besonders aber den frechen Heinz Lux! Freilich, das Licht gewann sie drum doch nicht. Sondern, wie sie sichs schon gedacht hatte, da der Onkel sich solche Mühe gab: die Tante holte ihm selbst das Licht, er hatte eine richtige Fabel gedichtet: Neben einer Hütte stand eine Trauerweide; darunter saß ein alter Mann und flickte seinen zerlumpten Rock. Da flog ein Pfauenauge vorüber, ohne daß der Mann es bemerkte; und aus der Krone des Baumes kam ein Vogel und verfolgte den Schmetterling. Zugleich begann im Innern der Hütte eine Spieldose zu klingen, so entzückend wie ferner Kinderjubel, sodaß der Mann von seiner Arbeit aufsah, und da verschlang der Vogel den Schmetterling. Der Mann aber, der das mitansah, dachte: Weil ich ein alter Bettler bin, möchte ich sterben wie dieses Pfauenauge; wenn ich ein junger Prinz wäre, wollte ich leben wie dieser Vogel. Die nächste Aufgabe hörte sich lustiger an. Sie bestand aus den Wörtern: +Löwe+, +Strohwisch+, +Strumpfband+, +Tür+, +Bart+, +Igel+, +Hampelmann+, +Tintenwischer+, +Badehose+, +Käsestulle+. Da machte die Ursel sich wenig Hoffnung; da würde gewiß der ulkige Peter gewinnen. Er kam auch gleich als erster zum Vorlesen dran, und seine Geschichte war wirklich gelungen: Einst schlief ich am Weihnachts-Heiligabend über meinen Spielsachen ein. Nach etlicher Zeit erwachte ich und sah das Zimmer in sehr verändertem Licht. Die Wände waren blutrot tapeziert, und durch den Fußboden floß ein blanker, durch und durch himmelblauer Fluß, an dem lauter knallgrüne Bäume standen, einer genau wie der andere. Auf einmal öffnete sich die Tür, und mein alter Hampelmann trat mir entgegen, in einer nagelneuen Uniform, und hinter ihm her ein ganz Regiment Soldaten. Die Soldaten waren aber nicht etwa Bleisoldaten, sondern Igel in Kürassier-Uniform, die auf gepanzerten Löwen ritten. Es sollte großes Manöver sein; darum hatte sich jeder Igel an seiner Waffe einen Tintenwischer oder auch Strohwisch angebracht, um nur ja niemand zu verletzen. Jeder Löwe hatte außer dem Panzer noch eine Badehose an, von der ein Strumpfband als Ordensband herabhing. Nun gab der Hampelmann ein Zeichen, und die Soldaten stellten sich zu beiden Seiten des Flusses auf, schlugen sich und schossen sich und machten kolossal viel Musik dazu. Bald darauf war Frühstückspause, und jeder aß eine Käsestulle. Ich hatte mich immerfort geärgert, daß mein Hampelmann als Soldat keinen Schnurrbart trug. Jetzt in der Pause bemerkte ich plötzlich, daß ihm aus seinen Nasenlöchern ein riesenhafter „Es ist erreicht“ wuchs. Davon krigte ich solchen Schreck, daß ich nun wirklich aus meinem Traum erwachte. Die beiden Heinze sahen sehr siegesbewußt aus, denn Onkel Ri hatte mehrmals Beifall genickt, und der Lux war natürlich sofort bereit, dem Peter seine Stimme zu geben. Aber ihre Gesichter veränderten sich, als jetzt die Tante ihre Geschichte vorlas: Mitten in der Nacht, denkt mal, erscheint neulich bei verschlossener Tür ein Hampelmann vor meinem Bett. Kinder, Kinder, wie sah der aus! Ein grüner Bart -- denkt nur: ein grüner Bart -- hing ihm von den Augenwimpern bis auf sein gelbes Strumpfband herab, das er aber nicht ums Bein, sondern um den Hals trug. Von seiner übrigen Kleidung läßt sich wenig erzählen, denn er hatte nichts weiter an als eine weiße Badehose. Und auf was kam das Männlein dahergeritten? Ihr denkt auf einem Strohwisch? Falsch. Ihr denkt auf einem Igel? Noch falscher. Auf einem Löwen kam er daher! Aber der Löwe war so sanft, als hätte er niemals Menschen und Tiere gefressen, sondern als wäre er mit Käsestullen großgefüttert worden. So glich denn auch sein Haarschmuck mehr einem Tintenwischer, als einer königlichen Mähne. Aber jetzt öffnete er seinen Rachen; sogleich riß der Hampelmann auch seinen Mund auf, beide rollten wie rasend die Augen, sie verknäulten sich ineinander, und ich wüßte meiner Treu nicht zu sagen, ob der Löwe den Hampelmann oder der Hampelmann den Löwen verschlungen hat, denn schon im nächsten Augenblick war von Beiden keine Spur mehr übrig. Heinz Peter erklärte ritterlich, dagegen sei seine Geschichte ein Quark; und nun stimmte der Lux auch für Tante Li. Aber da sagte Onkel Ri, indem er lächelnd sein eignes Blatt zerriß: „Aber Peters Geschichte ist einfacher!“ Worauf die Tante ebenso lächelte und ihre Stimme dem Peter gab. Also stand die Entscheidung bei der Ursel, und sie ging schon mit sich zu Rate, ob sie wirklich großmütig sein und als dritte für ihn stimmen sollte, als er plötzlich großspurig auftrumpfte, er wolle nicht aus Gnade gewinnen. Worauf der Onkel ihm erst die Schulter klopfte und ihm dann das Punschglas gefüllt zurückgab. „Da also“, fügte der Onkel hinzu, „wieder keiner gewonnen hat, wollen wirs jetzt noch einfacher machen, d. h. so schwer wie irgend möglich. Außer den ausgegebenen Wörtern darf kein anderes Hauptwort benutzt werden; jedes aufgegebene Wort darf nur einmal verwendet werden und nur in der vorgeschriebenen Reihenfolge. Je knapper die Sätze sind, desto besser.“ Die Ursel war nahe daran, zu weinen; der Onkel Ri hatte sicher gemerkt, daß sie den Bengels den Sternpreis nicht gönnte, darum stellte er so verschmitzte Spielregeln auf, die ihr den Kopf ganz wirblig machten. Und noch dazu wurden auch diesmal wieder lauter Ulkwörter vorgeschlagen; sogar sie selber nannte solche, sie wußte garnicht wieso eigentlich. Die zehn Wörter standen in folgender Reihe: +Elefantenküken+, +Ballettdame+, +Aquavit+, +Hundekuchen+, +Stricknadel+, +Menschenfeind+, +Rosenkranz+, +Pfropfenzieher+, +Monokel+, +Kiste+. Da konnte doch wirklich kein artiges Mädchen, das eine richtige Dame werden wollte, einen vernünftigen Sinn hineinbringen. Trotzdem brachte sie zu ihrem Erstaunen eine ganz hübsche Schnurre zustande, worin das Elefantenküken, die Ballettdame und der Menschenfeind mit all den andern Dummheiten in eine große Kiste gepackt und so lange geschüttelt wurden, bis der Menschenfeind sich zu bessern versprach. Sowohl der Onkel wie die Tante waren sehr zufrieden damit; blos das Wort Menschenfeind hatte sie zweimal gebraucht. Und das Licht gewann doch der Peter Heinz, er trug im Leutnantston Folgendes vor: Äh, wissen schon? Elefantenküken. Äh: verliebt in Ballettdame. Sie abjeschnappt, er sich in Aquavit besoffen und Hundekuchen dazu jefressen; äh, mit Stricknadeln notabene, janz verrückt. Menschenfeind dabei jemimt: äh, Rosenkranz jebetet, Pfropfenzieher jeschluckt, Monokel injeklemmt, krepiert. Dolle Kiste. Da mußten sie alle so kreuzvergnügt lachen, daß er einstimmig das vierte Licht bekam. „Und nun,“ sprach der Onkel Ri mit erhobenem Zeigefinger, „nachdem wir nun zur Genüge gelernt haben, worauf es bei dem Dichterspiel ankommt, darf sichs jeder wieder so leicht machen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, nur muß es nachher auch allen Andern ebenso leicht in den Schnabel passen; das nämlich ist das Allerschwerste. Und deshalb darf sich diesmal jeder zwanzig Minuten Zeit lassen.“ Aber das ließ die Ursel nicht gelten; was sollte denn der Lux von ihr denken! „Höchstens fünfzehn Minuten,“ rief sie beharrlich; denn sie wußte sehr wohl, daß Onkel Ri blos ihretwegen zwanzig vorschlug, und daß die Buben sie beim Nachhauseweg immerfort damit foppen würden. Und dann nahm sie sich so mächtig zusammen, daß sie garnicht mehr an den Sternpreis dachte und schon nach neuneinhalb Minuten als allererste fertig wurde. Die ausgegebenen Wörter hießen: +Bücherschrank+, +Drehorgel+, +Roastbeef+, +Schnapsflasche+, +Radieschen+, +Blauschwänzchen+, +Kirchturm+, +Gemüsewagen+, +Puppentheater+, +Glasfabrikation+. Und siehe da: das fünfte Licht wurde auf Antrag der beiden Heinze einstimmig der Ursel zugesprochen. Ihre Geschichte lautete: Ein Blauschwänzchen hatte Freundschaft mit einem Radieschen geschlossen. Sie waren aber beide sehr arm, und das Blauschwänzchen litt manchmal großen Hunger. Das Radieschen, dessen Kusinen öfters auf dem Gemüsewagen zur Stadt gefahren waren, sagte zu dem Blauschwänzchen: Fliege doch auch mal in die Stadt, da gibt es Roastbeef und Leipziger Allerlei. Aber das Roastbeef war zu grob für das Blauschwänzchen, und das Leipziger Allerlei war versalzen. Da wollte es sich bei einem Puppentheater als Singvögelchen anstellen lassen; aber es kam nur ein Mann mit einer Schnapsflasche, und eine Drehorgel wurde gespielt, und auf der Bühne stand ein Bücherschrank, aber zu essen gab es nichts. Der Mann war der Theaterdirektor und sagte zu dem Blauschwänzchen: Ich rate dir die Glasfabrikation zu erlernen, dabei kann man viel Geld verdienen und sich die feinsten Sachen kaufen. Aber die Glasfabrikation war für das Blauschwänzchen eine viel zu heiße Arbeit. Da flog es auf den Kirchturm hinauf und sah sich nach allen Seiten um und flog wieder zurück aufs Feld; und weil es noch immer hungrig war, fraß es das kleine Radieschen auf. Als es aber damit fertig war, fiel dem Blauschwänzchen plötzlich ein, daß das Radieschen sein Freundchen gewesen war; und nun grämte es sich so sehr, daß es wie unsinnig hin und her flog und sich endlich zu Tode flog. Dicht bei dem Kirchturm in der Stadt ist es aus der Luft heruntergefallen. Die Ursel konnte es garnicht fassen, daß die Andern die Geschichte so lobten. Und kaum hatte der Heinz Lux ihr das Licht geholt, als die Uhr Mitternacht zu schlagen anfing, und draußen auf der Straße wurde „Prost Neujahr“ gerufen. Nun stießen sie alle mit den Punschgläsern an, und da fiel der Ursel der Sternpreis wieder ein, denn nun wurde ja gleich der Weihnachtsbaum geplündert. Merkwürdig, daß ihr jetzt auf einmal garnichts mehr an dem Leckerkram lag; es war doch eigentlich das Schönste, daß schließlich jeder gesiegt hatte. Aber da sprach der Onkel Ri: „Jeder von uns, meine Herrschaften, hat heute Abend ein Licht gewonnen, aber die Ursula ist die Jüngste und weiß noch am wenigsten von der Welt; also hat sie am meisten aus sich selbst ersonnen, und deshalb gebührt der Sternpreis ihr.“ Und als nun die Heinze ganz ehrlich Beifall klatschten, da stieg ihr die Glückseligkeit so siedend heiß in die Augen hoch, daß sie der Tante Li um den Hals fiel, damit die Andern das Tränchen nicht sehen sollten. Und sie nahm sich vor, die leckersten Zacken beim Nachhauseweg den Buben zu geben, besonders aber dem frechen Heinz Lux, den sie doch eigentlich garnicht leiden konnte. Der Allerseelenspiegel Eine Traumgeschichte Es fing schon an dunkel zu werden, und Liselotte saß noch immer ganz alleine in dem großen Hause, in dem es so schaurig nach Essig roch und weißen Blumen. Denn vorgestern Nacht war der Großvater gestorben, und jetzt waren Alle hinaus nach dem Friedhof, um ihn begraben zu helfen; darum saß sie allein. Sie fürchtete sich aber garnicht. Denn sie war schon fast sieben Jahre alt, und Großvater hatte immer gesagt: wer sich fürchtet, der kommt nicht in’n Himmel. Blos hungern tat sie ein bißchen. Aber von Tante Agathens Topfkuchen, der in der dunklen Stube stand, mochte sie lieber nichts nehmen heute: weil alles so sehr nach Essig roch. Also sah sie zum Fenster hinaus. Sie traute sich aber nicht aufzumachen: weil sonst auch der schöne Blumengeruch mit wegging. Darum legte sie nur das Kinn auf das Fensterbrett, und sah hinunter über den Fluß, und drüben den schwarzen Bergwald hinauf, wo oben der runde Mond schon glänzte, ganz still wie ein Spiegel. Wenn der nun auf einmal herunterrollte! den hohen Berg und ins Wasser. Denn Großvater hatte immer gesagt, es sei gar kein Spiegel; es sei eine schwere steinerne Kugel, viel schwerer als ein Zentner. Die würde dann also alles totschlagen: die Bäume, die Schiffe und die Häuser, und Großvaters Lehnstuhl, in dem sie saß. Und Liselotte machte die Augen zu: weil sie sich doch nicht fürchten wollte. Denn er konnte ja garnicht herunterrollen. Er war ja festgebunden an den Himmel, vom lieben Gott, mit unsichtbaren Ketten. Wenn er nun aber +doch+ herunterrollte? -- Da faltete sie die Hände zusammen, und machte die Augen noch fester zu, und betete heimlich ein Lied, das Großvater ihr gedichtet hatte: Ich heiße Liselotte, ich will zum lieben Gotte. Ach, Mondchen, leuchte mir empor und öffne mir das Himmelstor, ich bin so sehr alleine! Ich will dir auch was schenken: lila Bulabenken. Die wachsen hinter Wundertal alle hundert Jahre mal; such, dann sind sie deine! Und als sie das gebetet hatte, kam ihr der Mond auf einmal so wunderlich vor, daß sie die Augen garnicht mehr aufmachen mochte, wie im Traum. Ganz hell und offen stand der goldne Kreis da oben, daß man nur einfach hineinzugehn brauchte, dann war man im Himmel. Blos großen Hunger mußte er auch wohl haben; noch größeren als sie selber. Denn solchen großen dunkeln Mund, wie er in seinem blanken Gesicht jetzt machte, hatte sie nie im Leben gesehen. Aber von Tante Agathens Topfkuchen konnte sie ihm doch wirklich nichts bringen; da waren ja nicht einmal Mandeln drin. Also nahm sie ihr neues Handkörbchen mit, das silberne, und ging durch den Garten die Gasse hinunter, wo der Konditor Friedrich Zerwes wohnte, und kaufte zwei Stückchen frische Nußtorte; davon wollte sie ihm eins abgeben. Als sie nun immer weiter wanderte, über die Brücke den Berg hinauf, kam sie auch an dem Friedhof vorbei, in dem der Großvater begraben lag; dicht neben Mutterchen, hatte Vater gesagt. Und auch ihr Schwesterchen Liselore lag da; das hatte sie aber nicht mehr gekannt. Und als sie durch das dunkle Gittertor sah, da brannten lauter Lichter auf all den Gräbern, und weiße Blumen blühten dazwischen, denn es war Allerseelentag. Da wollte sie schnell noch erst nachsehen, ob Großvaters Seele wirklich noch lebte; denn neulich hatte er ihr erzählt, daß man die Seele nicht mitbegraben könne. Aber da suchten schon so viel fremde Leute nach Seelen, daß sie sich zwischen den tausend Lichtern verirrte; und als sie endlich müde beiseite ging, da war auch der Mond oben weggegangen, und Keiner kümmerte sich um sie. So stand sie traurig mit ihrem Körbchen im Dunkeln, da wo die Gräber der Armenkinder sind, und wollte fast schon zu weinen anfangen, so sehr alleine war ihr zumute. Auf einmal regte sich etwas hinter ihr, und als sie erschrak und sich umdrehte, kam zwischen den Gräbern ein kleines Mädchen auf sie zu, mit einem geflickten Röckchen an und einer lila Schürze darüber. Das hatte solche goldigen Augen, daß Liselotte im stillen dachte: noch schöner als mein silbernes Körbchen. Das arme Mädchen aber sprach leise: ich habe nichts weiter für mein Schwesterchen -- und dabei holte es unter der Schürze einen kleinen kreisrunden Spiegel hervor und stellte ihn auf ein kahles Grab. Da wollte doch Liselotte sie trösten, und streichelte freundlich den kleinen Hügel und kniete wie sie vor dem Spiegelchen nieder. Als sie nun aber hineinblickte so: siehe, da waren die tausend Lichter des ganzen Friedhofs darin zu sehen, und alle die weißen Blumen dazwischen, daß ihr das Körbchen fast hinfiel vor Staunen, und war Ein Glanz und Eine Herrlichkeit. Das arme Mädchen aber lächelte nur und nickte Liselotten still zu; und ganz glückselig zeigten sich beide, wie reich nun das Grab des Schwesterchens war, viel reicher als irgend ein anderes. Und manchmal kamen auch fremde Leute vorbei; die merkten, wie sehr sie sich freuten zusammen, und wollten nun sehen, warum und wieso, und bückten sich neugierig über das Hügelchen. Aber mit ihren dicken Köpfen, sobald sie dem Spiegel zu nahe kamen, sahen sie nichts als ihr eignes Gesicht, als ob sie selbst da im Grabe säßen, bis an den Hals. Da krigten sie Furcht vor dem armen Mädchen, und alle liefen rasch wieder weg. Blos Liselotte, die niemals sich fürchtete, blieb wie im Himmel neben ihr sitzen, und strich ihr das Röckchen glatt und sagte: Wie wird sich nun aber dein Schwesterchen freuen, daß alle Seelen vom ganzen Friedhof in ihrem Spiegel beisammen sind! Mein Großvater ist auch darunter! und Mutterchen! Dann machte sie heimlich ihr silbernes Körbchen auf und wollte die Nußtorte mit ihr teilen, und dabei fragte sie: Wie heißt du denn? Da lächelte wieder das arme Mädchen, und blickte noch goldiger vor sich hin, und sagte leise, als ob sie träumte: Ich heiße Liselore. Ich komm vom Himmelstore. Ich sah mein Schwesterchen hier stehn, es wollte in den Mond hingehn, es stand so sehr alleine. Es wollt dem Mond was schenken: lila Bulabenken. Komm, Schwesterchen, nach Wundertal in den Allerseelensaal: sieh, nun sind sie deine! Und während sie das sagte, war sie aufgestanden, und hatte ihr lila Schürzchen abgebunden, und schwenkte es hoch im Kreise mit beiden Händen über sich. Und plötzlich war sie gar kein kleines Mädchen mehr, sondern eine große lila Blume; die neigte sich tief zu Liselotte hernieder und nahm sie mit den Blättern zu sich hoch und setzte sie sanft in ihren Blütenschooß. Und als nun Liselotte nach dem Spiegelchen sah, da wurde es größer und immer größer, viel größer als der Mond vorhin, und stand weit offen wie ein goldener Saal, und drinnen bewegten sich leuchtende Säulen; die waren durchsichtig wie Lichter im Wasser, viel tausend tausend und immer mehr, als ob sie mit einander tanzten. Und plötzlich schrie sie laut auf vor Schreck und mußte weinen vor Seligkeit; denn ganz weit hinten kam auch ihr Mutterchen her und leuchtete heller als alle die andern. Und als sie die Augen noch weiter aufmachte, stand Vater im Mondschein neben Großvaters Lehnstuhl, und Tante Agathe wischte die Tränchen vom Fensterbrett, und Alle lobten die kleine Liselotte, wie schön allein sie zuhause geblieben war, und daß sie sich garnicht gefürchtet hatte. Kleinkindergeschichten 1) Tippel und Tappel Ist euch schon einmal langweilig zumute gewesen? Dann paßt mal auf, wie lustig man mit sich selber spielen und sich die Zeit vertreiben kann! Auf dem Dachsfell vor Großvaters Schlafstube saß der kleine Peter, und hatte seine Schuhchen ausgezogen, und besah sich seine dicken, drallen, rosablanken Beinchen mit den blau und rot gestreiften Socken dran. Auf einmal aber waren es gar keine Beinchen mehr, sondern er legte sich auf den Rücken und hob sie in die Luft, da waren es zwei große richtige Soldaten, und der eine hieß Tippel, der andere Tappel. Tippel hatte eine rote Nasenspitze, und Tappel eine blaue; denn sie waren eben erst von draußen gekommen, und draußen war es furchtbar kalt. Nun kommandierte der kleine Peter: rrührt euch, marrsch -- ganz wie der große Herr Leutnant auf dem Exerzierplatz. Und da schwenkte erst Tippel die rote und dann Tappel die blaue Nasenspitze hin und her, und hatten wunderschöne blau und rot gestreifte Jacken an, und Peter kommandierte immerfort: rrechts schwenkt, llinks schwenkt -- rechts schwenkt, marsch! -- Das ging so eine ganze Weile lang; bis Tippel und Tappel wütend wurden. Denn sie waren währenddem warm geworden, und waren nun beide eigentlich müde, und wollten dem kleinen Peter nicht mehr recht gehorchen. Also fingen sie an zu zappeln und zu strampeln. Halt! schrie da plötzlich der kleine Peter, ganz wie der große Herr Leutnant auf dem Exerzierplatz. Denn er war nun auch warm und wütend geworden und wollte Großvaters lange Flinte aus der Schlafstube holen und die beiden faulen Soldaten totschießen. Aber da krigten die solchen Schreck, daß sie bautz zurück auf das Dachsfell fielen; und da waren es wieder zwei kleine dicke Beinchen mit blau und rot gestreiften Socken dran. 2) Der Sonnenstrahl Ganz hoch oben über den Wolken wohnte einmal ein Sonnenstrahl, ein richtiger Spinnefix; dem war die Zeit zu lang, und deshalb ging er immer mit den Wolken spielen. Ich sage euch, ganz prachtvoll kann man damit spielen! Morgens spielte er Ball mit ihnen, oder Greifen, und Abends Schaukelpferd; und manchmal ließ er seine langen gelben Beine bis auf den Mond herunterbaumeln, oder er schoß kobolz, quer über die blaue Himmelsrutschbahn. Und wenn er einmal hinpurzelte, dann tat es garnicht weh; denn wißt ihr, Wolken sind noch viel, viel weicher als ein Federbett. Eines Tages aber purzelte er nicht auf eine Wolke, sondern zwischen zweien mittendurch, und fiel auf die Erde, in den Potsdamer Schloßpark; da lag er unter einer großen Kastanie, nachmittags um sieben, ganz blaß und schmal, im grünen Gras. Doch weil es ringsherum sehr still war, bekam er wieder Mut und fing ein lustiges Liedchen zu summen an, das seine Mutter Sonne ihm eingelernt hatte: Ich bin so blank wie Butter, ich hab eine goldne Mutter, ich laufe schneller als alle Pferde, und manchmal fall ich auf die Erde; kribbel, krabbel, kringel, was wird nun aus dem Schlingel? Auf einmal kam der Bäckermeister Paul Lommatsch anspaziert, der die schönen gelben Prezeln zu backen versteht, und sah den blanken Sonnenstrahl so durch den grünen Schatten krabbeln, und blieb stehen. Na! dachte der Sonnenstrahl: was will denn +der+ von mir? und machte sich ganz klein vor Angst. Der dicke Herr Lommatsch aber sah ihn doch und brummelte vergnügt: „Ei, was für’n schöner gelber Sonnenstrahl! Da wolln wir mal ’ne Prezel draus backen; und wenn so’n rechter braver Goldbub in meinen Laden kommt, dann krigt er die.“ Und grips-graps hob er den Sonnenstrahl auf und steckte ihn in die Tasche. Nun braucht ihr aber nicht traurig zu sein, weil einer von euch die Prezel vielleicht geschenkt bekommt und den schönen Sonnenstrahl dann mit aufißt. Denn seht ihr, ich kenne den Herrn Lommatsch, und der hat mir neulich ins Ohr gesagt: das schad’t dem blanken Spinnefix nix. Denn wenn ihr dann recht fröhlich hinaufguckt in den blauen Himmel, dann wird der Sonnenstrahl wieder lebendig und kommt aus euern hellen Augen herausgekrabbelt und springt mit Einem Blutz auf die nächste weiße Wolke hinauf und fliegt zurück zu seiner goldenen Mutter. 3) Die Pfauenfeder Jetzt will ich euch aber eine ganz, ganz wahre Geschichte erzählen; die fängt auf einem Heuwagen an und hört im obersten Himmel auf. Der Heuwagen nämlich kam von der Wiese; und obendrauf, da saß der kleine Richard, mitten zwischen dem frischen Heu, das süßer roch als Tee und Honigkuchen, und hatte eine grüne Sammtmütze auf, mit einer herrlichen Pfauenfeder dran. Die hatte seine liebe Mutter ihm selbst angenäht; und deshalb, und weil sie gar so herrlich grün und blau und goldbunt aussah, war seine Mütze ihm schrecklich lieb. Auf einmal, als er in dem süßen Heu schon beinah einschlafen wollte, kam hui ein Wind übers Feld, nahm ihm die Mütze mir nichts dir nichts aus den Locken und warf sie auf die Erde. Der kleine Richard, der immer schon ein großer Wildfang war, bekam erst einen mächtigen Schreck, dann sprang er schnurstracks seiner lieben Mütze nach, bautz von dem hohen Wagen herunter. Eine Weile lang sah er nichts als schwarze Nacht und hörte immerfort den Himmel brausen. Die Erde fühlte er überhaupt nicht mehr, blos einen furchtbaren Ruck im Kopf, der garnicht aufhören wollte, als ob ein hohles Faß mit ihm durch einen dunkeln Keller rollte, und seine Beine lagen ganz weit weg von ihm. Endlich wurde es wieder etwas heller: viel tausend silberne Sterne tanzten durch die schwarze Nacht. Und zwischen den Sternen sah er seine Pfauenfeder fliegen, und sah sie größer und immer größer werden, und immer grüner, blauer und goldbunter funkeln, wie eine große goldbunte Schaukel. Und plötzlich saß auf dieser großen Schaukel seine liebe Mutter, und hatte hellblaue Engelsflügel an, und flocht sich ihre langen schönen Haare, und schwebte immer höher vor ihm her. Da fing der wilde Richard an zu weinen, weil seine liebe Mutter ihn garnicht dabei ansehen wollte; und so sehr weh war ihm ums Herz, daß er die kleinen Arme hochheben mußte, immer höher, bis über die silbernen Sterne hoch -- und da auf einmal wurde der ganze Himmel hell, denn seine liebe Mutter hatte ihn angesehen, so tief ins Herz, daß er die Augen zumachen mußte. Und wie er sie schüchtern wieder aufmachte, da hatte Mutter ihn auf dem Schooß und streichelte seine heißen Locken, und sagte weinend: du böser, böser Junge du! Im Grase aber, neben ihr, lag seine schöne Sammetmütze mitsamt der Pfauenfeder; und als er nun verwundert danach langte, da sah die liebe Mutter gleich wieder ebenso selig aus, wie oben über den Sternen, und küßte ihn. Und seht ihr, da merkte der kleine Richard, daß er vom Heuwagen ’runtergefallen und dann im obersten Himmel war, und daß der auf der Erde liegt. Das Märchen vom Maulwurf Vor vielen tausend Jahren, als die Menschen noch keine Kleider trugen, lebte mitten in der Erde ein Zwerg, so tief unten, daß kein Mensch etwas von ihm wußte. Und er selber wußte von den Menschen auch nichts; denn er hatte sehr viel zu tun. Er war ein König über die andern Zwerge, und schon fünf mächtige Höhlen hatte er sich ausputzen lassen, und war ganz alt und grämlich dabei geworden, so viel hatte er zu befehlen. Es war aber nicht dunkel da unten in den Höhlen, sondern eine glänzte immer bunter als die andre, so viel Diamanten und Opale hatte das Zwergvolk drin aufgebaut, und die Wände waren von blankem Kristall, jede in einer besonderen Farbe. Und da saß nun der König der Zwerge, in seinem Mantel von schwarzem Sammet, auf einem großen grünen Smaragdstein, und faßte sich an seine spitze Nase und überlegte mit seinen alten Fingern, ob auch alles hell genug wäre. Er fand es aber durchaus nicht hell genug. Da machten ihm die andern Zwerge eine sechste Höhle zurecht, mit Wänden von lauter Rubinen, die wie ein einziger Feuerschein glühten, und das dauerte tausend Jahre; aber er fand auch Das noch nicht hell genug. Als er nun immer trauriger wurde in seinem schwarzen Sammetmantel, kamen die andern alle zusammen, und die Jüngsten sagten zu den Alten: kommt, laßt uns eine +blaue+ Höhle machen! Dafür wären sie beinahe totgeschimpft worden, denn bis dahin hatte das Zwergvolk die blaue Farbe nicht leiden können. Weil aber alle andern Farben in den sechs Höhlen schon durchprobiert waren, sagten endlich auch die ältesten Zwerge ja und gaben den jungen die Hände. Dann gingen alle an die Arbeit und putzten heimlich eine siebente Höhle aus, mit Wänden von echten Türkisen, die so hell und blau wie der Himmel waren, und das dauerte wieder tausend Jahre. Die gefiel nun dem König wirklich, und der allerälteste Zwerg, der fast so alt wie der König selbst war, schoß vor Verwunderung einen Purzelbaum. Darauf trugen sie den großen Smaragdstein in die neue Höhle hinein, und der König setzte sich auf ihn und freute sich, wie schön sein schwarzer Sammetmantel zu den hellblauen Wänden paßte. Nachdem er aber fünfhundert Jahre so gesessen hatte, fand er auch Das nicht mehr hell genug; er wurde trauriger als je zuvor und seine Nase immer spitzer. Fünfhundert Jahre saß er noch und überlegte seinen Kummer, sodaß er schon ganz fett zu werden anfing. Endlich ertrug er das nicht länger, ließ sich die jüngsten Zwerge kommen und sagte: macht mir eine Höhle, die ein Licht hat wie alle Farben in +eine+ verschmolzen! Das aber verstanden auch die allerjüngsten nicht, und glaubten, ihr König sei verrückt geworden. Da beschloß er, sie zu verlassen und selbst nach seinem hellen Lichte zu suchen. Er stieg herunter von seinem Smaragdstein, und schnitt den schwarzen Sammetmantel etwas kürzer, sodaß er Hände und Füße frei bewegen konnte, und fing an zu graben. Weil aber unten in der Erde die Andern schon alles abgesucht hatten, so meinte er, das Licht, wonach er solche Sehnsucht fühlte, müsse wohl weiter oben liegen, und grub sich in die Höhe; und weil das Zwergvolk damals den Spaten noch nicht erfunden hatte, so mußte er die Finger zum Wühlen nehmen. Das tat ihm nun sehr weh, denn er war das nicht gewohnt; aber er hatte solche Sehnsucht nach dem Licht. Dreitausend Jahre wühlte der König der Zwerge und grub sich höher und höher hinauf. Die Haut um seine Finger war schon ganz dünn davon geworden, sodaß die kleinen Hände ganz rosarot aus seinem schwarzen Sammtmantel kuckten; aber immer sah er das Licht noch nicht. Nur tief von unten schimmerte noch ein blaues Pünktchen zu ihm herauf, aus seiner siebenten Höhle her; aber um ihn und über ihm war alles schwarz. Auch etwas magerer war er geworden, und die Nase noch spitzer. Da überlegte er, ob er nicht lieber zu seinem Volk zurückkehren sollte; aber er fürchtete, dann würden sie ihn absetzen und wirklich in ein Irrenhaus sperren. Also ging er aufs neue an die Arbeit mit seinen rosaroten Zwerghänden, und grub nochmals dreitausend Jahre lang, und es wurde immer dunkler um ihn her, bis schließlich auch das blaßblaue Pünktchen tief unten hinter ihm verschwand. Als er nun garnichts mehr sehen konnte, hörte er auf zu wühlen und sprang in die Höhe und wollte sich den Kopf einstoßen, so furchtbar traurig war ihm zumute. Da ging auf einmal die Erde entzwei über ihm, und er schrie laut auf vor Entzücken und schloß die Augen vor hellem Schmerz, so viele Farben gab es da oben, als ob ihn tausend bunte Messer stachen, bis ins Herz. Denn hoch im Blauen über der Erde, viel höher als er gegraben hatte, so hell wie alle Farben in +eine+ verschmolzen, stand eine große strahlende Kugel, und Alles war Ein Licht. Als er es aber ansehen wollte und seine Augen wieder aufschlug, da war er blind geworden und fiel auf die Stirn. Und er fühlte, wie schwach sein Königsherz war, und wie sein schwarzer Mantel vor Schreck mit ihm zusammenwuchs, und daß er kleiner und kleiner wurde und seine Nase immer spitzer, und plötzlich rutschte er zurück in die Erde. Seit dem Tage gibt es Maulwürfe hier oben, und darum haben sie ein schwarzes Sammetfell und rosarote Zwerghände und sind blind. Und manchmal, wenn die Sonne recht kräftig scheint, dann stoßen sie ein Häufchen Erde hoch und stecken die spitze Nase an die Luft, vor Sehnsucht nach dem Licht. Die bekümmerte Löwenkröte Ein Märchen für kleine und große Leute Nun will ich euch eine Geschichte erzählen, die mir einmal vor einem Schaufenster eingefallen ist, als ich eine kleine chinesische oder vielmehr koreanische Porzellandose betrachtete, die in sonderbarer Verschnörkelung einen schwermütigen Löwen vorstellte. Ich tue es nur, damit ihr Lust kriegt, euch bei merkwürdigen Dingen, die ihr seht, selber allerlei Neues zu denken. Wenn ihr das dann mit rechter Lebendigkeit Andern mitteilt, kommt ihr in den Ruf, daß ihr furchtbar tiefsinnig seid und schreckliche Dinge in euerm Herzen beherbergt, die ihr nur deshalb den Leuten aufbinden wollt, damit sie euch für ein Wundertier halten. Und außerdem habt ihr noch das Vergnügen, daß ihr so klug bleibt, wie ihr wart, während die Andern sich so die Köpfe über euch zerbrechen, daß sie manchmal rein dumm davon werden. Also paßt auf! In einem asiatischen Urwald lebte zu Olims Zeiten ein großes Tier, wie vorher noch keins zur Welt gekommen war und wohl auch nie mehr eins wiederkommen wird, von so erstaunlicher Mißgestalt. Es hatte den Kopf eines Löwen und den Leib einer Kröte, das heißt einer Riesenkröte, sodaß es noch größer war als ein gewöhnlicher Löwe. Dabei war es nicht etwa ein bösartiges Tier, obwohl es mit seinem gewaltigen Rachen und seiner dicken Panzerhaut allgemeines Entsetzen erregte; sondern weil es eben den Magen einer Kröte hatte, nährte es sich wie alle Kröten von unnützen kleinen Kriechtieren. Besonders den Giftschlangen stellte es nach, trieb sie aus ihren Schlupflöchern und ließ sich ihre Eier schmecken. Sonst machte es von seinen Raubtierkräften nur dann Gebrauch, wenn irgend ein anderes großes Tier sich einmal gar zu dreist aufspielte; dann brachte es ihm Mores bei, war also im ganzen den Urwaldbewohnern recht nützlich. Auch war es durchaus kein häßliches Tier. Seine harte runzlige Krötenhaut schimmerte goldbunt wie ein Paradiesvogelsittig, mit großen tiefblauen Tupfen gesprenkelt, wovon sich die hellbraune Löwenmähne in majestätischen Locken abhob. Nur etwas schwerfällig war es gebaut; der breite Leib war zwar nicht so plump wie bei den gewöhnlichen Riesenkröten, drückte aber die mächtigen Löwentatzen beim Gehen doch etwas zu Boden, und das bekümmerte sein Gemüt. Es gelang ihm wohl, riesige Sprünge zu machen, die selbst die Sprünge der Löwen übertrafen, aber richtig rennen konnte es nicht und gemächlich laufen auch nicht recht; und das traurige Untier meinte immer, wenn es das könnte, würde es lustig werden. Je älter es wurde, umso bekümmerter wurde es, weil es immerfort drüber nachdachte, was es wohl mit sich anstellen solle, um einmal recht lustig lachen zu können. Besonders wenn es frühmorgens hörte, wie der ganze Urwald vom Gelächter der Affen und Papageien zu schallen begann, stierte es eifrig aus seiner Höhle nach den Zweigen hinauf in den blauen Himmel, als müsse ihm dorther die Erleuchtung kommen. Aber so sehr ihm der Himmel auch in die Augen lachte: jedesmal wenn es meinte, nun werde das Herz ihm vor Freude schwellen, und lustig ins Grüne hinausrennen wollte, dann konnte das langsame Krötenherz mit dem raschen Löwengehirn nicht mit, und der ganze Tag war ihm verleidet. Endlich fragte die Löwenkröte einen alten Papageien um Rat, der klüger als die andern zu sein schien und nur in seltenen Fällen lachte, dann freilich umso kräftiger. Weil sie sich aber nicht verraten wollte, da sie befürchtete ausgelacht zu werden, stellte sie ihre Frage so: Wie kommt es denn, daß du so selten lachst? und warum lachst du dann so kräftig? Weiß nicht! krächzte der Papagei; frag mal das heilige Kameel! Und dann lachte er wie besessen. Daraus merkte die Löwenkröte, daß der alte Papagei närrisch war. Denn von dem heiligen Kameel war allgemein im Urwald bekannt, daß es nicht im geringsten lachen konnte, nicht einmal lächeln; und lächeln konnte die Löwenkröte, wenn auch nur ziemlich mühsam. Bei näherer Überlegung bedachte sie aber, daß die Narren mitunter gescheitere Einfälle haben, als sie selber in ihrer Narrheit wissen. Vielleicht verstand sich das heilige Kameel im stillen wirklich sehr gut aufs Lachen und hatte sich’s nur abgewöhnt aus irgend einem triftigen Grunde. Also begab sie sich auf den Weg nach dem Tempel, wo das Kameel sich verehren ließ. Das heilige Tier erschrak nicht wenig, als es das fremde Untier erblickte. Dann jedoch witterte es wohl, daß sich das bunte Riesenvieh in freundlicher Absicht näherte, dachte wohl auch an das schützende Gittertor, steckte daher den Kopf heraus und fragte von oben herab feierlich: Was wünschen Sie? Die Löwenkröte, da sie nicht zu befürchten brauchte, von dieser ernsten Person belächelt zu werden, erwiderte treuherzig: Ich möchte gern wissen, Euer Hochehrwürden, wie ich wohl lachen lernen kann. Das heilige Kameel, das wohl nicht recht gehört zu haben glaubte, oder nicht wußte, ob es die Frage ernst nehmen sollte, steckte den Kopf noch ein bißchen weiter heraus und fragte noch feierlicher: Wie meinen Sie? Da brüllte die Löwenkröte: +lachen+! ich will +lachen+ lernen, Ehrwürden! Und nun zog das Kameel rasch den Kopf zurück; denn nun wußte es, daß es ernst gemeint war. Es besah sich durch die Gitterstäbe die unwirsche Mißgeburt genauer, nahm eine teilnehmende Miene an, wobei es seinen höckrigen Rücken noch etwas krummer machte als sonst, und bog und wiegte den langen Hals nachdenklich hin und her. Dann sagte es noch viel feierlicher: Besänftige dich, betrübte Seele! Da wird uns der Himmel auf meine Bitte wohl an den Weg der Erleuchtung führen. Da wirst du entweder ganz ein Löwe oder ganz eine Kröte werden müssen. Das hab ich schon selbst gewußt -- knurrte die Löwenkröte. Aber wie hab ich das anzufangen?! Das heilige Kameel bog nochmals den Hals gewichtig hin und her, machte den Buckel noch krummer und sagte: Auch dazu wird uns das himmlische Licht den rechten Weg der Erleuchtung weisen. Da wirst du aber dem gütigen Himmel erst eine kleine Opfergabe darbringen müssen. Du darfst sie einstweilen zu meinen Füßen, der ich der Diener des Lichtes bin, vor diesem Gittertor niederlegen. Die Löwenkröte besann sich ein bißchen, was sie dem Himmel wohl Wohlgefälliges darbringen konnte, und fragte dann schüchtern: Willst du vielleicht ein paar Giftschlangenköpfe? ich habe heut Mittag ein ganzes Nest voll getötet. Nein -- sagte das heilige Kameel und schüttelte sich von oben bis unten -- Giftschlangen sind hier nicht am Platze, insonderheit keine getöteten; denn des Himmels Gnade läßt auch die Giftschlangen leben. Aber zuweilen sollen sich in den Nestern der Schlangen kostbare Edelsteine finden; wenn du deren vielleicht eine kleine Portion geraubt haben solltest, die würden dem Himmelslicht angenehm sein! -- Und ganz verklärt verdrehte das heilige Tier bei diesen Worten seine Augen. Da fiel der Löwenkröte ein, daß ihr am Mittag, als sie den Schlangen die Köpfe abbiß, etwas sehr Hartes ins Maul geraten war, das sie nicht hatte zerknacken können, und das ihr noch immer im Rachen steckte. Das spie sie nun schleunigst durch das Gitter dem Diener des Lichtes vor die Füße. Das Kameel, als ihm der heftige Strahl so plötzlich entgegengeschleudert wurde, tat erst wieder einen entsetzten Satz. Als es aber vor sich im nassen Sande den großen Edelstein funkeln sah, gewann es seine Fassung zurück, nahm wieder eine würdige Haltung an und sprach mit gnädiger Halsneigung: Es ist zwar nur ein einziger Edelstein, aber dem Himmel ist auch Geringes willkommen, wenn es aus willigem Herzen kommt; ich werde für deine Erleuchtung beten. Also werd’ich nun endlich Antwort kriegen? brauste die Löwenkröte auf, die schon vor Ungeduld zitterte. Sobald ich gebetet habe -- sprach das Kameel und zog sich etwas tiefer in seine Zelle zurück, den Edelstein mit dem Fuß an sich scharrend. Dann ließ es sich umständlich, wie die Kameele zu tun pflegen, auf beide Vorderkniee nieder, den Höcker so krumm wie nur möglich machend, und die Löwenkröte mußte warten, obgleich ihr die Mähne schon schwoll vor Zorn. Endlich erhob sich das heilige Tier, blieb weihevoll im Hintergrund stehen und sagte mit prophetischer Stimme: Der Himmel hat mein Gebet erhört. Er läßt dir durch seinen Diener sagen: wenn du wissen willst, wie dein Leib sich verwandeln soll, damit deine Seele zum Preise des Lichtes lachen lerne, dann mußt du dich auf den Weg machen und entweder die Löwen oder die Kröten danach fragen -- Aber das wollt ich ja grade nicht! brüllte die Löwenkröte verzweifelt. Warte, du ruppiges buckliges Biest! Und damit sprang sie in voller Wut gegen das Tor der Tempelzelle. Aber auf solche Überfälle mußte dies wohl schon eingerichtet sein; denn trotz ihrer Riesenkräfte vermochte die wütende Löwenkröte das eiserne Gitter nicht zu sprengen, nur ein paar Stäbe verbogen sich. Und das Kameel blieb ruhig im Hintergrund stehen, besah sich das rasende Ungetüm, als könne es dessen Grimm nicht begreifen, und sagte nur mit tiefster Entrüstung: du undankbare Kreatur! Dann wandte es langsam dem Gitter den Rücken zu, und die Löwenkröte hatte den Eindruck, als ob sich’s nun wirklich im stillen die Hucke voll lachte. Das brachte sie wieder zur Besinnung. Und da ihr nichts andres mehr übrig blieb, faßte sie jetzt in der Tat den Entschluß, bei den gewöhnlichen Löwen und Kröten so höflich wie möglich ihr Glück zu versuchen. Ihr braves Krötenherz schämte sich schon des löwenhäuptigen Wutanfalls, und sie verzieh dem gekränkten Kameel seine unerträgliche Redseligkeit. Vielleicht hatte es doch sein dummes Getue von A bis Z völlig ernst gemeint und hielt sich nur in seiner Dummheit für einen Ausbund von himmlischer Weisheit. Mit solchen Gedanken kam sie an den Sumpf, in dem die Riesenkröten hausten, und hörte richtig schon von ferne ihr glucksendes Lachen durchs Röhricht tönen. Halt! sagte sie sich in ihrem Löwensinn: da brauch ich vielleicht erst garnicht zu fragen, sondern sehe, was sie so fröhlich macht. Vorsichtig schlich sie im Röhricht näher und spähte durch die dichten Halme. Da saß eine ganze Krötengesellschaft um ein riesiges Wasserpflanzenblatt, auf dem es von kleinen Schnecken und Würmern, Maden und Schlammkäfern wimmelte, und die Kröten glucksten vor Vergnügen über die fette Abendmahlzeit und patschten sich die feisten Bäuche, daß der Sumpfboden davon wackelte. Nein! dachte unser trauriges Untier in seinem vornehmen Löwensinn: Wenn +das+ ihre ganze Freude ist, dann will ich lieber darauf verzichten; das ist denn doch zu ekelhaft! -- Also beschloß es, die Löwen aufzusuchen. Inzwischen war die Nacht angebrochen, und im Urwald herrschte bereits tiefe Stille, sodaß die Löwenkröte schon meinte, den Besuch bis morgen aufschieben zu müssen. Aber es war eine helle Mondnacht, und plötzlich erscholl durch die Dämmerung ein so gewaltig donnerndes Lachen, daß es nur von mehreren Löwen herrühren konnte, und zugleich ein jämmerliches Geschrei. Unser Untier kroch durch das dunkle Dickicht so rasch wie möglich der Stelle zu, wo der seltsame Lärm sich erhoben hatte, und kam an eine schmale Lichtung, die ganz verklärt vom Mondschein war. Da sah es nun, wie vier große Löwen einen armen Affen an Händen und Beinen gepackt hielten und ihn so bei lebendigem Leibe in vier Stücke zerreißen wollten. Der schnitt natürlich mit seinem Gesicht die fürchterlichsten Grimassen dabei, und das machte den Löwen solchen Spaß, daß sie wieder ihr brüllendes Lachen ausstießen und so den Gequälten ein wenig locker ließen; der schrie dann natürlich noch jämmerlicher, worauf sie noch gräßlicher an ihm rissen und dazwischen wieder laut loslachten. Unser Untier konnte nicht länger still zusehn; sein gutmütiges Krötenherz empörte sich schließlich bis in sein wildes Löwengehirn, und plötzlich sprang es mit einem Gebrüll, wie noch nie eins im Urwald erschollen war, mitten hinein in den scheußlichen Knäuel. Erst schlug es den armen Affen tot, daß der sich nicht länger zu quälen brauchte; dann fuhr es mit seinen klotzigen Tatzen auf die verdutzten Löwen los. Der eine hatte vor Schreck gleich Reißaus genommen; die andern drei merkten nach einigem Katzbalgen, oder wußten auch schon von Hörensagen, daß sie der bunten Panzerhaut der Löwenkröte nichts anhaben konnten, und zogen sich nach etlichen Maulschellen, die sie weniger ausgeteilt als empfangen hatten, mit respektvollem Grunzen ins Dickicht zurück. Da saß nun das siegreiche Ungetüm in der vom Mondschein verklärten Lichtung neben der blutigen Affenleiche; und da auf einmal -- wie ihr euch denken könnt -- ging ihm durch Herz und Hirn zugleich eine unendliche Erleuchtung. Es konnte zwar immer noch nicht lachen; aber mit einem Lächeln gen Himmel, das jeder Traurigkeit hellen Hohn sprach, ergab es sich in sein Untierschicksal, gern eine Löwenkröte bleibend. Und auch die Affen sind Affen geblieben, die Papageien Papageien, und das heilige Kameel ein Kameel. Die Geschichte vom alten Wodtke und Michel Krist oder der Weg über den Balken Eine Geschichte die wirklich einmal geschehen sein soll Nämlich, Jungens -- die Leute waren schon jahrelang unzufrieden mit dem alten Wodtke, alle Leute in der ganzen Gegend. Er aber saß oben auf seinem Berge, in seinem einsamen Wärterhäuschen, und kümmerte sich nicht darum. Eigentlich hätte er tun müssen, was die Leute unten im Land verlangten; so wenigstens meinten diese selber, besonders die reichen unter ihnen, denn die hatten ihn angestellt. Er sollte die große Wasserleitung in Ordnung halten, die oben auf dem Berge lag, und deren Röhren hinabliefen in alle Felder und Wiesen und Bauernhöfe, um alle richtig mit Wasser zu versorgen. Und er hielt sie auch ganz gut in Ordnung; aber wenn einer mal viel Wasser brauchte, dann meinte der Nachbar, er kriege zu wenig, oder wenn dieser nun nachbekam, dann schrieen alsbald die andern Nachbarn, das sei die reine Überschwemmung, und schließlich wars keinem recht gemacht. Darum hatte der alte Wodtke sich eines Tages anders besonnen: hatte den Leuten den Zutritt versperrt zu seinem amtlichen Gebiet und kümmerte sich um Niemandes Wünsche mehr. Sondern er saß da hinter seinem Zaun, zwischen den mächtigen Wasserbecken, die in Terrassen über einander lagen; und auf der obersten Terrasse, mitten im größten der großen Becken, stand wie ein Turm sein steinernes Häuschen, zu dem nur ein langer schmaler Balken über das stille Wasser führte. Von dort aus besah er mit seinem einen Auge -- denn auf dem andern war er blind -- durch ein Fernrohr die ganze Gegend, die Dörfer und das flache Land, bis dahin wo die Wälder anfingen und bläulich in den Himmel verschwanden, und ließ zu jedermann soviel Wasser laufen, wie’s ihm von oben gut und nötig schien. Das gab nun zuerst einen wahren Aufstand unter den Leuten ringsherum, obgleich sie im ganzen nicht schlechter versorgt wurden, vielleicht sogar etwas besser als früher; doch weil sie nicht mehr dreinreden durften, fühlte sich jeder zurückgesetzt, und kamen in hellen Haufen herauf und wollten das Wärterhäuschen stürmen. Je näher sie aber an den Zaun kamen, umso stiller und stiller wurden sie; die großen Wasserbecken, die alle den Himmel spiegelten, lagen da so feierlich, daß sich keiner mehr laut zu reden traute. Blos etwa ein Dutzend der ärgsten Murrer, die kletterten dennoch über den Zaun und näherten sich dem einsamen Turm. Der alte Wodtke stand ganz ruhig in seiner weitgeöffneten Türe, blickte erst auf die Leute drüben, dann auf den langen Balken vor sich, und lachte in seinen grauen Bart; hinter ihm blitzten die hundert Hähne und Drehklinken der Leitungsröhren. Da merkte das Dutzend Störenfriede, daß man nur einzeln hinüberkommen könne; und wie der Alte sein eines Auge funkelnd von Mann zu Mann richtete, hatte keiner den Mut dazu. Und plötzlich erhob sich in dem Turm ein seltsames Kreischen und Gekrächze, daß jeder verwirrt in den Himmel glotzte; worauf der Alte ihnen den Rücken wandte und schließlich alle froh waren, daß sie zum Zaun zurücklaufen konnten. Dort sagten sie den Wartenden, es gehe hier nicht mit rechten Dingen zu, der alte Wodtke habe den Zauberblick und stehe mit bösen Geistern im Bunde; und also zog der ganze Haufen wieder hinunter ins flache Land. Es gab aber doch verschiedene Schlauköpfe, die an den Geisterspuk nicht recht glaubten, und meinten, sie würden den Alten schon unterkriegen; das waren natürlich die Unzufriedensten. Die schlichen jetzt öfters allein um den Zaun, weil keiner dem andern das Wasser gönnte, und dachten jeder dem alten Bären einen besonderen Vorteil abzuluchsen. Sie hatten auch bald herausgekundschaftet, daß er Nachmittags gewöhnlich ein Schläfchen machte, und was es mit dem Gekreisch und Gekrächze für eine einfache Bewandtnis hatte. Vollkommen einsam nämlich lebte der alte Wodtke nicht. Sondern er hatte sich zwei Vögel gezähmt, einen weißen und einen schwarzen, eine Möwe und eine Krähe. Die saßen meistens bei ihm im Turm; nur wenn er bei der Arbeit war oder bei seinem Nachmittagsschläfchen, dann flogen sie über den großen Wasserbecken wie eifrige Wächter hin und her. Sie flogen dann ganz leise und lautlos, immer im Zickzack schwarz und weiß, als ob sie Tod und Leben spielten. Ich habe sie selbst mal so fliegen sehen, als ich vorbeiging und über den Zaun kuckte; doch braucht ihr drum nicht etwa zu denken, ich hätte hinüberklettern wollen, denn ich bin mit dem alten Wodtke niemals unzufrieden gewesen. Die unzufriedenen Schlauköpfe aber, wenn sie sich auch bei Nacht nicht hinauftrauten, weils ihnen mit den wachsamen Vögeln doch nicht recht geheuer schien, die wollten sich seine Nachmittagsruhe heimtückisch zunutze machen und ihn dabei überrumpeln und zwingen. Wenn dann so einer -- ich habe von weitem mal zugesehen und sage euch, es war sehr komisch -- vor den langen Balken kam, dann stand er zuerst wie angewurzelt und sah sich furchtsam um wie ein Dieb. Er faßte sich aber doch ein Herz und setzte einen Fuß vor den andern, bis etwa in die Mitte des Balkens. Wenn er dann aber ins glatte Wasser sah, wo sich tief unten der Himmelkreis spiegelte, und sah sich selbst da im Wasser hängen, den Kopf nach unten, am schmalen Balken, und nirgends ein Halt im tiefen Luftraum, und plötzlich kamen die stillen Vögel mit Kreischen und Krächzen herbeigeschossen, ihm immer kreuz und quer um den Kopf, und unten im Himmel ebenso, bis alles ihm drunter und drüber ging und ihm vorm Tod wie vorm Leben schwindelte: da wollte er wohl die Augen schließen, lag aber plumps schon drin im Wasser. Und während er pruhstend mit Mühe und Not ans Ufer des Beckens zurückschwamm, erschien der alte Wodtke wieder in seiner weitgeöffneten Türe, und lachte daß das Echo dröhnte, und streichelte seine beiden Vögel, die sich auf seine Schultern setzten. Ein Einziger hat es einmal versucht, bei Nacht über den Balken zu kommen; das war der dicke Herr Landgendarm. Der hatte eigentlich gar kein Recht, sich um die Wasserleitung zu kümmern, besonders da der alte Wodtke selbst eine Art Polizeiperson war und ohne Aufseher über sich. Aber der dicke Herr Landgendarm hatte die Andern immer gefoppt, wenn sie so pudelnaß vom Berge kamen, und wollte den Bauern mal beweisen, daß er der schlauste von allen sei; dachte vielleicht auch eine Belohnung zu kriegen, wenn er den alten einäugigen Kerl mal orndtlich bei den Ohren nähme und ihm die Hochmutsmucken austriebe. Also faßte er den Plan, nicht aufrecht über den Balken zu gehen, sondern rittlings bei Nacht hinüberzurutschen, indem er meinte, dann schliefen die Vögel. Die Vögel schliefen aber nur abwechselnd; und als er mit seinen dicken Beinen in der Mitte des Balkens saß, weckte die Möwe den alten Wodtke. Schwapp, kippte er den Balken ein bißchen. Und der erschrockene Herr Gendarm, den seine enge Uniform und der schwere Säbel am Schwimmen verhinderten, wäre beinahe elendig ertrunken, wenn nicht im letzten Augenblick der alte Wodtke den Hahn gedreht und das Wasser des Beckens hätte ablaufen lassen; da konnte der zappelnde Reitersmann, naß wie er war, zurückwaten. Seit der Zeit meinten die Leute im Ernst, die Möwe und Krähe seien zwei böse Geister, und da begann erst der Schabernack arg zu werden. Wenn der Alte bei seiner Arbeit war, gingen sie hinterrücks an den Zaun und warfen mit Steinen nach seinen Vögeln. Die Vögel konnte zwar keiner treffen, weil sie zu hoch und zu schnell im Zickzack flogen; aber die Steine fielen herunter und schlugen in seine Gartenbeete, die rings um die Wasserbecken lagen. Anfangs nahm er es ruhig hin und warf sie einfach zurück übern Zaun; das machte die Leute aber nicht friedlicher, sondern im Gegenteil nur noch erboster, und sie ließen sich einen Geisterbeschwörer kommen, der ihm die Vögel wegfangen sollte. Na! den bespritzte der alte Wodtke so gründlich mit einem kalten Strahl, daß er schleunigst wieder nach Hause reiste; und nun erging es den Bauern schlimm. Denn der Alte vom Berge -- so nannten sie ihn jetzt -- war durch die ewige Einsamkeit allmählich menschenfeindlich geworden, und beschloß es ihnen mal einzutränken. Er ließ auf einmal am nächsten Tag so mächtig viel Wasser ins Land laufen, daß nun wirklich eine Überschwemmung entstand, und die dauerte von Ostern bis Pfingsten. Mancher bekam dadurch ein Einsehn, aber grade die reichsten nicht; denn die meinten, sie hätten den größten Schaden, und warfen ihm Briefe über den Zaun, worin sie drohten ihn abzusetzen, trotzdem sie ihn lebenslänglich angestellt hatten. Worauf er einfach sofort den Haupthahn abstellte und gar kein Wasser mehr laufen ließ, sodaß eine schreckliche Dürre eintrat. Und Niemand wußte mehr aus noch ein, denn in der ganzen Gegend war Keiner, der von der Wasserleitung genug Verstand, um rasch sein Nachfolger werden zu können. Da lebte nun dort in einer Hütte ein armer kleiner Hirtenjunge. Seine Eltern stammten aus einer fremden Gegend und hatten deshalb kein eigen Land, und er mußte den Bauern die Schafe hüten. Er war an Heiligabend geboren und letzte Weihnacht zwölf Jahre alt geworden; und mit Namen hieß er Michel Krist. Es konnte ihm eigentlich gleichgiltig sein, daß es den Bauern jetzt so schlecht ging; denn er war das Hungern und Dursten gewohnt, auch wenn sie gute Ernten hatten. Aber es tat ihm trotzdem leid, wenn Menschen und Tiere jammerten, besonders wenn seine Schafe blökten auf den vertrockneten Weidefeldern. Dem war es nun immer ein Rätsel gewesen, warum sich der alte einäugige Mann so einsam auf seinem Berge hielt, und warum die Leute ihn schimpften und ärgerten, und warum er sie dann noch ärger ärgerte. Denn Michel Krist hatte zwei helle Augen, die in jedermann etwas Gutes entdeckten; und wen er mit diesen Augen anlachte, der mußte unfehlbar mitlachen, selbst wenn man ihm vorher böse sein wollte. Drum hatte er auch vor bösen Geistern nicht die geringste Furcht im Leibe; ihm waren noch niemals welche begegnet, obwohl er sehr oft im Dunkeln allein war, und kannte alle Vögel des Himmels, wie sie bei Tag und bei Nacht herumfliegen. Und über einen Balken zu gehen, schien ihm erst recht kein gefährliches Kunststück; denn er war von klein auf barfuß gegangen, und an den breiten Wiesengräben, wo seine Heerde am liebsten weidete, lief er tagtäglich zum Zeitvertreib, ohne daß ihm je schwindlig wurde, über die längsten Brückengeländer. Als die Gräben nun immer mehr austrockneten, kam er zuletzt auf den Gedanken, den Alten vom Berge mal zu besuchen und ihn einfach zu fragen und zu bitten, ob er nicht wieder gut sein wolle. Also begab er sich eines Morgens in aller Frühe auf den Weg; ging aber erst auf einen Acker und grub sich einen Engerling aus. Den wollte er der Krähe mitbringen; denn unser kleiner Michel wußte, daß Krähen die Engerlinge gern essen. Und aus einem Gemüsegarten nahm er sich eine recht fette Schnecke mit; die sollte für die Möwe sein. Damit sie ihm nicht die Tasche beschmutzten und unterwegs nicht etwa erstickten, wickelte er die zwei kleinen Tiere säuberlich in ein großes Kohlblatt und trug sie behutsam in der Hand. Natürlich, Jungens, wie ihr euch denken könnt, tat es ihm auch etwas leid um sie, daß sie lebendig aufgefressen werden sollten. Aber der kleine Michel wußte, daß alles Lebendige einmal sterben muß auf Erden; und seine halbverdursteten Schafe und die vielen unzufriedenen Menschen taten ihm doch noch etwas mehr leid als so ein häßlicher Engerling und eine schleimige Gartenschnecke. Und er wollte doch auch den Vögeln was zukommen lassen. So kam er oben auf dem Berge an und brauchte garnicht erst über den Zaun zu klettern, weil er die Pforte offen fand; denn die hatte neulich der Geisterbeschwörer mit seinen Geheimschlüsseln glücklich aufgekrigt, und der alte Wodtke hatte vergessen, sie nach der Bespritzung wieder zu verriegeln. Michel Krist sah die beiden Vogel fliegen, und als er an den Balken kam, wickelte er das Kohlblatt auf, nahm den Engerling in die rechte Hand, die Schnecke in die linke, und ging mit ausgebreiteten Armen ruhig der Tür des Türmchens zu. Als die Vögel in seinen flachen Händen die fetten Gewürme kribbeln sahen, vergaßen sie ihren Zickzackflug, womit sie den Leuten immer die Köpfe verwirrt hatten, dachten auch nicht an Kreischen und Krächzen, sondern freuten sich über die Leckerbissen, und die Krähe flog rechts, die Möwe links neben dem kleinen Michel entlang, bis er auf einmal drüben stillstand und ihnen die kribbligen Dinger reichte. Dann trat er in das Wärterhäuschen. Der alte Wodtke war grade dabei, seine Leitungshähne und Klinken zu putzen, und wunderte sich natürlich nicht wenig, als plötzlich der barfuße Junge vor ihm stand, begleitet von seinen zahmen Vögeln. Und ehe er noch den Putzlappen weglegen konnte, gab Michel Krist ihm schon die Hand und sagte dazu mit lachenden Augen: Guten Morgen, lieber Vater Wodtke! Vater Wodtke brummte guten Morgen, legte den Lappen an seinen Platz, sah sich mit seinem einen Auge den kleinen Michel durch und durch an, griff dann in seinen weißen Bart und fragte etwas weniger brummig: Was willst du denn hier oben bei mir? Unser Michel hatte den funkelnden Blick mit ruhigem Herzen ausgehalten und gab ganz einfach und wahr zur Antwort: Ich wollte blos fragen, warum du böse bist, und warum du von den Menschen nichts wissen willst, und ob du nicht wieder gut sein möchtest?! Ich will dir auch helfen die Hähne putzen. Der alte Wodtke lachte grimmig, und sein Blick wurde dunkler, während er sprach: Sie wollens nicht besser haben, die Menschen! Wenns ihnen zu gut geht, werden sie übermütig! genau so wie deine Schafe im Frühling. Eine Weile wußte Michel Krist auf diese Worte nichts zu erwidern und ließ den Kopf ein bißchen hängen. Dann aber hob er wieder die Stirn und blickte mit seinen zwei hellen Augen den Vater Wodtke groß an und sagte: Ja aber, ich lasse doch meine Schafe, wenn sie verbiestert sind, ruhig blöken, und treibe sie nicht weg von mir, und laufe auch nicht weg von ihnen! Laß doch die Menschen zu dir kommen, und wehre ihnen nicht zu reden; du kannst ja nachher doch tun, was du willst! -- Und dabei mußte er leise lachen. Und als Vater Wodtke nun mitlachen mußte, nahm Michel Krist ihn wieder beim Arm und fuhr mit rechter Bitte fort: Und wenn du’s ihnen nicht selber gestehen willst, dann laß mich hinuntergehen zu ihnen und ihnen sagen, du bist wieder gut! Ich werds schon alles so ausrichten, daß sie sich gerne mit dir vertragen -- genau so wie meine Schafe mit mir. Da mußte der alte Vater Wodtke so furchtbar laut und herzlich lachen, daß seine beiden zahmen Vogel verschüchtert zum kleinen Michel hüpften. Und während er sich heimlich ein Tränchen aus seinem einen Auge wischte, schrie er und schlug mit der andern Faust an seine größte Leitungsröhre: Junge, du sollst mein Nachfolger werden! -- Und Michel Krist ging hinunter ins Land und richtete alles richtig aus. Und Sonntags kam er immer herauf und durfte die Hähne putzen helfen, bis er sich bald auf die Wasserleitung so gut verstand wie sein Lehrvater selber. Und als der schließlich sterben mußte, zog er wirklich statt seiner hinauf in das Wärterhäuschen, und die Leute sind heut noch zufrieden mit ihm. Den alten einäugigen Wodtke aber, trotzdem sie sich mit ihm versöhnt und ihn in Ehren begraben haben, halten sie doch noch für einen Hexenmeister; und manche behaupten, er lebe noch heimlich. Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig *** End of this LibraryBlog Digital Book "Gesammelte Werke in drei Bänden (2/3)" *** Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.