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Title: Der Trinker - Roman
Author: Botsky, Katarina
Language: German
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made available by the HathiTrust Digital Library.)



  Katarina Botsky

  Der Trinker

  Roman


  [Illustration]


  Albert Langen, München


  =Copyright 1911 by Albert Langen, Munich=



Erstes Kapitel


Es war ein Frühlingsnachmittag voll Melancholie und Windesraunen, so recht
geeignet für trübe Gedanken. Die Hände auf dem Rücken, die Mütze im Nacken,
lehnte _John_ an einem Lastwagen auf dem stattlichen Hofe seines Vaters,
dem verworrenen Liede des Windes lauschend. Sein schönes Gesicht war von
der Trunksucht aufgedunsen, sein schwarzes Haar dünn und halb ergraut,
obgleich er erst siebenundzwanzig Jahre wurde, seine hohe elegante Figur
verriet Schlaffheit und Hinfälligkeit. John sah wie ein verworfener junger
römischer Kaiser aus, der sich in die Tracht eines jungen Mannes von
heute gekleidet. Mit einem trüben Imperatorenlächeln auf seinem feisten,
bartlosen Gesicht wiegte er den Kopf hin und her nach einer inneren Melodie
und nach dem Rhythmus des Windes. Seine beiden jüngeren Brüder, Knaben von
dreizehn und vierzehn Jahren, standen am Fenster und beobachteten ihn. Der
ältere sagte: »Er wackelt schon wieder mit dem Kopf wie ein Mummelgreis.«

»_Rodenberg!_« schrie John plötzlich, seine beiden schlaffen Hände wie ein
Schallrohr gebrauchend.

Rodenberg, der alte Kutscher, streckte seinen rothaarigen Kopf aus der
dritten Etage des Ziegelspeichers heraus und fragte, was es gäbe.

Alsbald brüllte John, daß es über den ganzen Hof schallte: »Wissen Sie, was
der Doktor gesagt hat, Rodenberg?! Meine Leber ist kaputt, hat er gesagt.
Ich hab's durch die Tür gehört.«

»Glauben Se doch das nich!« tönte es von oben zurück, und bald klapperten
ein Paar Holzpantoffeln hurtig die letzte Treppe herunter, und gleich
darauf tauchte ein hünenhafter alter Germane mit einem langen, fuchsroten
Bart im Rahmen der nächsten Speichertür auf. »Was hat'r jesacht, der
Schafskopp?« fragte der Kutscher.

»Kaputt, hat'r jesacht,« kicherte John, sich auf den Bauch tätschelnd.

Rodenberg entblößte sein Pferdegebiß und lachte, daß es dröhnte. Dabei
hüpften die großen, kugelrunden Warzen, die wie Erbsen über sein geräumiges
Gesicht verstreut waren, munter hin und her. »Nei sowas! Nei sowas!« schrie
er, sich aufs Knie schlagend. »Wie will so'n Schafskopp das wissen?!«

John lächelte so listig und so kindisch, wie einst vielleicht Caligula
gelächelt hatte. »Hier,« sagte er, dem Alten verstohlen eine Flasche
reichend, »holen Sie mir meine Mischung. Auf sowas muß man einen trinken.
Meinen Se nich auch?«

Rodenberg meinte auch. Er war immer dabei, wenn es galt, Johns Mischung zu
holen, denn er liebte sie selbst leidenschaftlich.

»Mama!« riefen die beiden Jungen am Fenster wie aus einem Munde, »jetzt
läßt er sich schon wieder von Rodenberg Schnaps holen.«

»Mein Gott,« sagte eine larmoyante Frauenstimme im Nebenzimmer, »laß er
schon trinken! Jetzt ist ja doch schon alles gleich!«

Der blondlockige jüngere der beiden Brüder sah wie ein eingebildeter Engel
aus, der ältere glich John. Der Engel öffnete seine roten Lippen und sagte,
während seine großen blauen Augen verträumt durchs Fenster blickten: »Wenn
er doch erst tot wäre!«

»Pfui, Leo, wie kannst du nur, es ist doch immer dein Bruder!« verwies ihn
dieselbe larmoyante Stimme in traurigem Tone.

»Ich muß ihn mir doch schon immer als Leiche vorstellen,« murmelte der
ältere Junge.

Fast die ganze Familie _Zarnosky_ zeichnete sich durch Roheit und ein
ungewöhnliches Maß von Phantasie aus. Durch eine Phantasie, die nichts
als Unheil stiftete, da sie das Unglück hatte, einer rohen und dumpfen
Kaufmannsfamilie zu gehören, die nicht wußte, was sie mit ihr anfangen
sollte. Es gab Zarnoskys, die vom Morgen bis zum Abend, sich und andern zum
Verderben, die seltsamsten Lügen zur Welt brachten, weil ihre brachliegende
Phantasie, derer sie sich indessen kaum bewußt waren, sie unwiderstehlich
dazu trieb. Anstatt Bücher zu schreiben, verkauften sie Getreide;
allerdings weder aus Neigung noch aus Betätigungsdrang. Johns Großvater,
der Sohn eines reichen Bauern, hatte, um etwas Besseres zu sein als sein
Vater, den Handel mit Getreide begonnen, und nun setzten ihn seine Söhne
eben fort, weil ihnen das am bequemsten schien. Denn sie waren sehr faul
und gegen alle Neuerungen; sie wollten bleiben, was sie waren. Da ihnen das
Glück, trotz ihrer Trägheit, gewogen blieb, so meinten sie, daß Trägheit
zum Erfolge notwendig sei, saßen mit den Stiefeln knarrend in ihren
Kontoren, ließen die Daumen ihrer meistens gefalteten Hände umeinander
schwirren -- gewöhnlich unter mehr oder weniger märchenhaften Behauptungen
und Erzählungen -- und taten nie mehr, als durchaus notwendig war. Aber
es gab keinen Trinker in der ganzen Familie. Man wußte nicht, wie John zu
diesem Laster gekommen war, und zerbrach sich manchmal die Köpfe darüber.

Ein Teil der Familie meinte, daß man ihm zu oft und zu viel zu trinken
gegeben, als er zart, fett und weich wie ein kleines Schwein mit einem
Gesichtchen wie vom Konditor in der Wiege lag und von allen angebetet
wurde. John schien schon damals beständig an Durst zu leiden; er konnte nie
genug zu trinken bekommen. Die halbe Familie Zarnosky stand oft in heller
Begeisterung um die Wiege, wenn das »Marzipanschweinchen«, halb entblößt,
mit einer großen Milchflasche im Arm, den Lutschpfropfen wie eine Zigarre
in seinem purpurroten kleinen Mundschlitz, sog und sog, bis die Flasche
leer war und dann, wie ein junger Löwe brüllend, nach mehr verlangte.

John wollte trinken oder zerbrechen, zerreißen, zerstören; sein
Zerstörungsdrang war ebenso groß wie seine Trinkgier. Schon in der Wiege
verdarben seine kraftvollen kleinen Fäuste alles, was sie zu fassen
bekamen. Später nahm er die Uhren herunter, sah gierig in sie hinein
und zertrümmerte sie dann. Seinem ersten Schaukelpferde riß er schon
am Weihnachtsabend das Fell ab. »So sieht es gerade fein aus,« sagte er
befriedigt. Doch was war der Körper eines Schaukelpferdes gegen seinen
eignen, den er bald mit dem Eifer eines hungrigen Raubtieres zu zerstören
begann. Mit seinem ersten Taschenmesser brachte er sich lange, heftig
blutende Risse an beiden Armen bei. »Da seht!« Blut und Stolz auf dem
Gesicht, stellte er seine Wunden zur Bewunderung aus. John war vielleicht
wirklich dazu imstande, sich ein Auge auszureißen, »wenn es ihn ärgerte«.
Er stürzte sich mit Wollust in die schwersten Gefahren; denn seine
Phantasie berauschte sich am Anblick von Blut, Fetzen und Trümmern.

Als er sechzehn Jahre alt war, spielte er mit Fünfzigpfundgewichten wie mit
Gummibällen. Sein Körper war so weiß wie der eines Mädchens, von der Stärke
und Elastizität eines Tigers. Lernen wollte er nichts wie alle Zarnoskys.
Anstatt zu lernen, ging er eiserne Zäune verbiegen, durchgehende Pferde
aufhalten, armen Leuten Holz kleinmachen, trinken und lügen. Ein Überschuß
an Kraft und Phantasie, brachliegend und ungezügelt, trieb ihn mit Gewalt
dem Verderben entgegen.

Mit siebzehn kam er ins väterliche Geschäft, wie sein um ein Jahr älterer
Bruder _Eugen_. (Die Physiognomie dieses Zarnoskys war etwas hämisch
ausgefallen, und er stand vernünftigen Neuerungen nicht ganz feindlich
gegenüber.) Anstatt fleißig zu sein, ließ John die Daumen umeinander
schwirren und log im Kontor, daß es förmlich ein Vergnügen war, ihm
zuzuhören. Er log fast soviel als er trank, die ganze Welt, selbst seine
nächsten Angehörigen verleumdend, wenn er so recht beim Aufschneiden war.
Den Anlagen und dem Charakter nach war er einem seiner Onkel, der auch John
hieß und allgemein »der Märchenerzähler« genannt wurde, viel ähnlicher als
seinem eignen Vater.

Es nützte nichts, daß man John sowohl mit neunzehn wie mit einundzwanzig in
eine Anstalt schickte, in der er von der Trunksucht geheilt werden sollte;
er verfiel seinem Laster immer wieder. Doch wollte er lieber sterben, als
noch ein drittes Mal in diese Anstalt gehen. Mit der Geschwindigkeit eines
Bergrutsches ging es nun moralisch und physisch mit ihm herab. Sein Umgang
wurden die Arbeiter seines Vaters, zum Lieblingsaufenthalt erwählte er sich
die Kneipe, in der sie einen Teil ihres Lohnes zu vertrinken pflegten. Er
sprach ihre Sprache und nahm ihre Sitten an. Man konnte ihn nicht länger
im Familienkreise ertragen. Er bekam eine kleine Wohnung im Hofgebäude und
eine Wärterin, die ihn gewöhnlich am Abend zu Bett bringen mußte. Er begann
an Krämpfen zu leiden, und Krankheit und Laster entstellten ihn nach und
nach bis zur Unkenntlichkeit. Einer Vogelscheuche ähnlich, die im Winde
schwankt, so schwankte er über den Hof, wenn er morgens nach der Kneipe
ging, wenn er abends von dort kam. Und er hatte den Gang eines jungen
Triumphators, als er sechzehn Jahre alt war. Es war wirklich schade um ihn.
Besser, er wäre nie geboren worden; denn weder sein Vater noch seine Mutter
gehörten zu denen, die ihn auf seinem abschüssigen Wege hätten aufhalten
können. Der Vater war viel zu ungebildet und zu träge dazu, und die Mutter,
eine schwächliche und überaus nervöse Pfarrerstochter, verstand nur, die
Hände zu falten und alles dem lieben Gott anheimzustellen. Sie brachte
noch mehr Phantasie in die Familie Zarnosky, dazu Melancholie und
Sentimentalität, die zusammen mit der Roheit ihres Mannes bei den Kindern
eine sonderbare Mischung ergaben. All der Überschuß in Johns Natur war viel
stärker als Vater und Mutter und sein eigner unerzogener Wille. John
folgte nur seiner Natur, John gehorchte nur dem Stärksten, wenn er seinen
Lebensweg herunterraste wie ein wütender Stier.

Es war ein Frühlingsnachmittag voll Melancholie und Windesraunen, so recht
geeignet für trübe Gedanken. John lehnte noch immer an dem Lastwagen,
voller Sehnsucht auf Rodenberg wartend, der ihm den Schnaps besorgte. Mit
einem trüben Imperatorenlächeln auf seinem gelben, bartlosen Gesicht wiegte
er den Kopf hin und her nach einer inneren Melodie und nach dem Rhythmus
des Windes. Als er den Kutscher kommen sah, verließ er schwerfällig seinen
Platz und ging ihm voraus in den Pferdestall. Dort setzte er sich auf den
Futterkasten, die Augen wie ein Verschmachtender auf die Tür gerichtet.

»Her, Rodenberg, her damit!«

»Ich werd erst Licht machen, jung' Herr.«

»Ach, geben Sie schon her! Ich kann nicht mehr warten!« Und er setzte die
volle Flasche an den Mund und leerte sie gleich bis zur Hälfte.

Aus einem Winkel des Stalles kam jetzt ein niedliches Meckern. Dort stand
ein kleiner schwarzer Ziegenbock mit weißen Beinen und weißer Kehle, den
John für fünfzig Pfennige von einem Bauern gekauft hatte. Das Tierchen
wollte zu ihm, als es seine Stimme erkannt hatte. Rodenberg mußte es
losmachen.

Wie der Wind stürzte es nun zu seinem Herrn, legte die Vorderhufe auf seine
Knie und sah ihm lieb und einfältig ins Gesicht. Von Rodenberg unterstützt,
zog John es auf den Schoß. »Mein trautster Junge,« sagte er zärtlich, das
Böckchen an sich drückend.

In John war trotz aller Verkommenheit der Vater erwacht, ein sehr
zärtlicher, sehr fürsorglicher, verliebter junger Vater. Den Frauen
gegenüber war er zurückhaltend und jungenhaft geblieben. Er mied sie nicht
gerade, aber er suchte sie auch nicht; sie flößten ihm zuviel Scheu ein.
»Es geht ja auch ohne Weiber,« erzählte er Rodenberg. Und doch war trotz
seiner Verdorbenheit der Vater in ihm erwacht, er hatte sich mit Inbrunst
ein Söhnchen erkoren, und das war Peter, der kleine Ziegenbock. John hegte
Zuneigung zu allem, was Tier war, und Abneigung vor den meisten Menschen.
Man muß sehr hoch oder sehr tief stehen, um das zu empfinden. John stand
recht tief, und das Laster machte ihn scheu, darum waren ihm die Tiere
lieber als die Menschen. Er nannte ein Tier »mein Söhnchen«. Und der kleine
Ziegenbock hatte einen guten Pflegevater in ihm gefunden. John fütterte
ihn mit Leckerbissen, er machte ihm ein weiches Bettchen, er kämmte ihn, er
bürstete ihn und hielt ihn wie ein Kind auf dem Schoß.

Rodenberg hatte die nächste von der Decke herabhängende alte Stallaterne
angezündet und brachte nun eine zweite Flasche zum Vorschein. »Prosit!«
sagte das Väterchen auf dem Futterkasten, und Herr und Kutscher taten einen
tiefen Zug, jeder aus seiner Flasche. »Se müssen auch mal absetzen, jung'
Herr,« bemerkte Rodenberg väterlich, da John dies zu vergessen schien.

John hielt die geleerte Flasche gegen das Licht. Es war auch nicht ein
Tropfen mehr darin. John ließ die Unterlippe hängen und sah Rodenberg wie
ein bittendes Kind an. »Holen Sie mir mehr!« stotterte er.

»Ich trau mir nich,« wandte der Kutscher ein, die hingehaltene Flasche aus
seiner nachfüllend.

»Sie haben wohl Angst vor den beiden am Fenster, vor Paul und Leo, was?«

»Na ja, die petzen doch immer jleich.«

»Ich hasse sie,« stammelte John mit zuckendem Gesicht. »Ich hasse sie!
Weißt du, Rodenberg,« fuhr er fort, »sie würden sich freun, wenn ich stürbe
-- morgen -- heute. Was dieser Leo für Augen hat! Hast du schon mal solch
gräßliche Augen gesehen, Rodenberg? Ich könnte sie ihm ausreißen, denn
sie jagen mich von überall fort. Ich soll machen, daß ich vom Erdboden
verschwinde. Ich soll krepieren. Gleich auf der Stelle.« Er weinte.

»Regen Se sich nich auf, jung' Herr, regen Se sich doch man bloß nich
auf,« bat der Kutscher erschreckt. Aber John hub an, Schimpfworte und
Verwünschungen gegen seine Brüder auszustoßen, indem er unaufhörlich die
Fäuste ballte. Doch plötzlich packte ihn ein Krampfanfall, und er glitt
stöhnend mit seinem Ziegenbock zur Erde.

Rodenberg kniete bei ihm nieder und hielt ihm wie gewöhnlich Arme und Beine
fest, während Peter seinem Herrn das Gesicht leckte. Die beiden jungen
Rappen, Johns Lieblinge, die allein im Stall standen, wandten unruhig die
Köpfe herum, und ihre großen schönen Augen schienen voll Tränen zu glänzen.
Unser Johnche, dachte Rodenberg, die Pferde anblickend, das wird wohl auch
bald jewesen sein. Als der Krampf vorüber war, hob er den ganz Erschöpften
auf und trug ihn, seufzend und stöhnend, denn er war noch ziemlich
schwer, in seine Wohnung. Peter folgte ernst und gravitätisch wie ein
Leidtragender.

_Dore Kalnis_, Johns Wärterin, ein bewegliches Weibchen von
siebenundvierzig Jahren, empfing den Zug mit Scheltworten. »Sie sollten
sich was schämen, Rodenberg,« fuhr sie ihn zornig an, »natirlich haben Se
ihm wieder Schnaps jeholt! Aber ich werd's dem Herrn erzählen, der muß Sie
endlich an die Luft setzen.«

»Krämpfe hat'r doch jehabt,« blubberte der Alte, John auf das Sofa bettend.
Dann trollte er sich mit einem bösen Blick und einem ganz betretenen »'n
Abend«.

John lag mit geschlossenen Augen da und wackelte rhythmisch mit einer Hand.
»Wollen Se was, junger Herr?« fragte die Wärterin.

»Peter,« flüsterte John.

»Oa,« seufzte sie, »der is auch wieder da! Neineinei, is das hier 'ne
Wirtschaft! Lassen Se ihn doch man jetzt im Stall jehen, junger Herr, Sie
müssen doch jetzt ins Bett.« Dabei suchte sie den Bock nach dem Ausgang zu
drängen; aber John stieß ein zischendes »nein!« hervor, und Peter senkte
seinen schmalen Kopf und stieß mit seinen jungen Hörnern gegen Dores spitze
Knie.

Das schlug dem Faß den Boden aus. Die Wärterin hielt den Angreifer fest und
verabreichte ihm eine Reihe wohlgezielter und gutsitzender Maulschellen.

John drehte seine Augen mit Gewalt nach der Szene. »Dore,« flüsterte er
heiser, »wenn du nicht gleich mit Schlagen aufhörst, so verkürze ich dein
Leben.«

Frau Kalnis lachte spöttisch auf, und dann sagte sie maliziös: »Wenn Se
mich duzen, junger Herr, dann sind Se doch wie jewehnlich betrunken.«

Das Väterchen auf dem Sofa schien vor Zorn bersten zu wollen. Plötzlich
zerrte es die Uhr aus der Westentasche und warf sie nebst der schweren
Kette nach Dores dünnbehaartem Kopf. Aber die Wärterin machte nur einen
ironischen Knicks und fing das Ganze mit den Händen auf. »Was nun?«
fragte sie, ärgerlich lachend. Und dann in eine andre, gemütliche Tonart
übergehend: »Was wollen Herr Johnche zu Abendbrot essen?«

Herr Johnche war besänftigt. Er faltete die Hände, ließ die Daumen
umeinander schwirren und sah nachdenklich zu der verräucherten Decke auf.
»Heringssalat,« entschied er hoheitsvoll.

»Scheen,« nickte Dore mit einem giftigen Blick nach dem Ziegenbock.
Darauf schritt sie hurtig zum Fenster, öffnete es und rief: »Ama--lie ...
Ama--lie« ... Da keine Antwort erfolgte, bewaffnete sie sich mit einem
Teppichklopfer und schlug damit feierlich auf das Fensterblech.

Im Vorderhause tat sich jetzt ein Fenster auf, und langsam kam ein
kugelrunder dunkler Frauenkopf zum Vorschein. »Wa--as wollen Se, Frau
Kalnis?«

Dore bestellte den Heringssalat und außerdem belegtes Brot und
Bratkartoffeln.

»Wa--as fir Jetränke?« rief Amalie durch den Frühlingswind.

»Tee,« erwiderte Dore hurtig, obgleich John etwas andres sagte.

»Scheen,« kam die langgezogene Erwiderung, und das Fenster wurde
phlegmatisch geschlossen.

»Für den Tee muß ich danken,« brummte John, das Böckchen streichelnd und
seine Stiefel an der niedrigen Lehne des Sofas scheuernd. In seinem Zimmer
sah es recht wohnlich aus, obgleich es, seiner häufigen Zerstörungswut
wegen, nicht allzuviel enthielt. Der große Spiegel mit der Marmorplatte,
der zwischen den beiden Fenstern hing, wurde von John nur deshalb
respektiert, weil er von den Eltern seiner Mutter stammte. Alles, was von
den verstorbenen Großeltern mütterlicherseits stammte, war ihm heilig.
Merkwürdigerweise. Er begnügte sich damit, dem Spiegel mit der Faust zu
drohen, wenn er betrunken war, und an Großmutters riesengroßem, grünblauem
Plüschsofa wischte er sich dann höchstens die Stiefel ab. Dieses
altmodische Möbel stand vorn an der rechten Wand, vor sich einen runden
Tisch. =Vis-à-vis= an der linken Wand stand nichts als ein brauner
Kleiderschrank. Den Hintergrund füllte ein breites dunkles Bett und eine
Waschtoilette, die nur wie ein Kasten aussah. An den Fenstern hingen
rot- und weißgestreifte Vorhänge, und über dem Sofa hing eine überaus
altmodische farbige Landschaft, die ebenfalls von den respektierten
Großeltern stammte. Außerdem gab es nur noch einen Bettvorleger und ein
zerrissenes Papiertelephon im Zimmer. Dieses Wohn- und Schlafgemach war
mittelgroß und mittelhoch und lag zwischen dem der Wärterin und der Küche,
aus der es auf die Treppe ging.

Dore machte sich daran, die Lampe anzuzünden, und deckte dann den Tisch mit
einer bunten Baumwolldecke. Als das Abendbrot gebracht wurde, nahm John den
Heringssalat an sich und sah Dore spitzbübisch an. »Jesägnete Mahlzeit,«
sagte sie fromm, ihm gegenüber Platz nehmend und leckrig nach dem
Heringssalat blickend. »Schweig!« entgegnete er gereizt auf ihren
freundlichen Wunsch. Sie nahm ihren Tee, ihre Kartoffeln und ein belegtes
Brot und ging gekränkt in ihr Zimmer. Dort machte sie Licht und setzte die
Brille auf. Um sich zu beruhigen und um den Heringssalat, den sie zu gern
aß, würdiger verschmerzen zu können, guckte sie rasch in eins ihrer vielen
Erbauungsbücher. Nachdem sie drei liebliche Strophen gelesen hatte, seufzte
sie wie eine Märtyrerin und ließ sich ergeben zu ihren Bratkartoffeln
nieder.

Dore war wirklich fromm, und wenn sie log, geschah es nur unter geistigem
Vorbehalt. In ihren jungen Jahren war sie Wirtschafterin auf großen Gütern
gewesen. Tüchtigkeit und Heißblütigkeit waren damals ihre hervortretendsten
Eigenschaften. Mit vierzig besaßen ihre listigen kleinen Augen noch die
Kraft, einem ältlichen Gutsbesitzer den Kopf zu verdrehen. Er ließ sich von
seiner Frau scheiden und heiratete die unschöne brustkranke Wirtschafterin
mit den vielen Erbauungsbüchern und der liebevollen Vergangenheit. Aber
die Ehe währte kaum ein Jahr, denn die erwachsenen Kinder trieben die ihnen
verhaßte Stiefmutter bald aus dem Hause. Dore mußte wieder in Stellung
gehen, und das war hart für sie, denn der Husten plagte sie mehr und
mehr. Immerhin gelang es ihr, einen leichten Dienst zu finden -- bei den
reichsten Zarnoskys, als Pflegerin der kränklichen alten Großmutter. Dore
verstand es, sich bei Zarnoskys unentbehrlich zu machen, darum behielt man
sie auch nach dem Tode der Großmutter im Hause. Und eines Tages wurde dann
John ihr Pflegling, der immer ihr heimlicher Liebling gewesen.

Dore fand, daß der Heringssalat doch schwer zu verschmerzen war. Sie guckte
schließlich durch die Tür, um zu sehen, wie weit John damit war. »Frau
Kalnis,« rief er versöhnlich, »es ist noch eine Menge Heringssalat für
Sie.«

Die Wärterin machte ein dummes Gesicht, weil sie nicht wußte, ob sie ihm
trauen durfte. Aber ihre Leckrigkeit war groß. »Wollen Se mich auch nich
zum Narren machen?« fragte sie zuerst.

John schwur, die Lippen prunzelnd, daß er nicht daran dächte. Dore rückte
an, wünschte noch einmal »jesägnete Mahlzeit« und setzte sich dann an den
Tisch. Sie trug ein kaffeebraunes, selbstgewebtes altmodisches Kleid mit
einem dunkelroten Samtstreifen um den Rock und kleinen Samtklappen an
den Ärmeln. Ihren vertrockneten Hals zierte ein selbstgehäkeltes weißes
Tüchlein. Über dem flachen Leibe hatte sie eine schwarze Schürze, die den
Rock sowohl zieren als schonen sollte. Frau Kalnis glich einer ältlichen,
glattgescheitelten Chinesin in europäischer Kleidung. Peter betrachtete sie
genau so aufmerksam wie sein Väterchen, aber man konnte seinen einfältigen
Augen nicht anmerken, ob er sie hübsch oder häßlich fand.

»Na, hat'r geschmeckt?« fragte John mit unwiderstehlich verschmitzter
Miene, als die Wärterin die Schale auskratzte.

»Wird nich schmecken?! Scheenes Essen,« entgegnete sie unter verschämtem
Lachen.

Peter bekam das letzte Butterbrot und dann sollte er in den Stall. Frau
Kalnis ging hinaus, um Rodenberg zu rufen, der unten im Hause mit seiner
gichtkranken Frau und einer überaus frommen Schwester wohnte. Rodenberg
brachte Peter in den Stall, wenn er nicht betrunken war. Heute kam die
fromme Schwester statt seiner. Jette mußte feierlich versprechen, daß Peter
auch wirklich sein Abendbrot erhalten würde, dann erst durfte sie ihn am
Halsband nehmen.

John war jedesmal sehr sanftmütig, wenn er sich wieder mit Dore vertragen
hatte. Er war dann wie ein Kind, das ungezogen gewesen und nun durch
besondere Artigkeit versöhnen will. Er ließ sich wie ein Lamm von ihr zu
Bett bringen und suchte sie dabei durch eine gefällige Unterhaltung zu
erfreuen. »Wir werden morjen ein reines Hemd anziehen,« sagte die Wärterin,
sobald sie ihren Pflegling bis auf dieses letzte Kleidungsstück entblößt
hatte. John machte ein liebliches Gesicht, obgleich er nicht gern ein
reines Hemd anzog. »Und wir werden wieder mal de Fieße waschen,« setzte sie
hitzig hinzu, als ihr Blick auf seine unsauberen Gehwerkzeuge fiel. John
lächelte wie ein Engel, obgleich er wasserscheu war.

Er legte sich schwerfällig ins Bett, und Dore deckte ihn sorgfältig zu.
»Lesen Sie mir was vor, ich kann jetzt doch noch nicht schlafen,« sagte er
nervös, als sie ihn mit warmen Augen betrachtete. Er war immer schlaflos
und sehr erregt, wenn er Krämpfe gehabt hatte, und wenn sie stark gewesen,
stärker als diesmal, so ging er danach tagelang wie ein Gestörter umher.

Die Wärterin eilte zu ihrem Bücherschatz, um eine passende Lektüre zu
suchen -- und kam sobald nicht wieder. Der Husten hatte sie gepackt
und schüttelte sie, wie eine kräftige Faust einen leichten Gegenstand
schüttelt. Nach einigen Minuten war der Anfall vorüber und Dore ganz
erschöpft. Sie saß noch eine Weile mit hängendem Kopfe und hängenden Armen
auf ihrem Stuhl und starrte stumpfsinnig zu Boden, dann stand sie auf: »Nun
komm ich, Herr Johnche. Wenn erst abjehust' is, dann is wieder gut,« sagte
sie resigniert.

Und sie begann mit belegter, schwacher Stimme, die allmählich klarer und
kräftiger wurde:

  »Fest jemauert in der Erde
  steht die Form aus Lehm jebrannt.
  Heute muß die Glocke werden,
  frisch, Jesellen, seid zur Hand ...«

»Hör auf mit deiner dämlichen Glocke!« schrie John, die Geduld verlierend.
»Du weißt doch, daß ich die olle Glocke nicht mehr hören will.«

»Scheen, dann her ich auf, dann les ich gar nich.«

»Dorchen,« sagte schmeichelnd der Kranke und wies süß nach der Bibel hin,
der alten, vergilbten, die sie auch mitgebracht hatte. Da konnte sie nicht
widerstehen, da tat sie, wie ihr geheißen ward. Sie schlug die Offenbarung
des Johannes auf und las mit schöner Dorfschulbetonung: »Ich sah einen
neien Himmel und eine neie Erde. Denn der erste Himmel und die erste Erde
verjing und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilije Stadt, das
neie Jerusalem von Gott aus dem Himmel herabfahren, zubereitet als eine
jeschmickte Braut ihrem Manne.«

»Noch einmal,« flüsterte John, und seine Phantasie arbeitete mächtig.

Die Litauerin wiederholte und las dann weiter, es kam die Schilderung des
neuen Jerusalems. Und John sah bei ihren Worten das neue Jerusalem, die
Stadt der goldenen Gassen mit den Toren aus Perlen und den Mauern aus
Edelsteinen. »Blau, gelb, grün, rot ...« flüsterte er, »o Dore, alle
Regenbogenfarben! Alles aus Edelsteinen, aus Gold und Perlen!« Sie
war verstummt, und er fuhr fort, die Augen auf die verräucherte Decke
gerichtet.

»Da ist ein Schloß, Dore, das wird mir gehören, wenn ich erst tot bin. Die
Mauern sind aus Amethyst und die Fenster aus Rubin. Und in allen Zimmern
sind Flaschen, Flaschen in allen Regenbogenfarben -- und ich darf aus allen
trinken. Das schmeckt, Dore, was in den Flaschen ist! Und man wird nie
davon betrunken, man kann ewig, ewig trinken!«

Die Wärterin lachte und John sprach weiter:

»Jeder Schluck aus den Flaschen ist wie mildes, knisterndes Feuer und
fließt wie flüssige Edelsteine in den Magen hinab. Dort sprudelt er weiter
und durchglüht den ganzen Magen. Was sag ich: den ganzen Magen? Nein, den
ganzen Körper. Und man wird durchsichtig wie eine helle Flamme, wenn
man aus den Flaschen getrunken hat, man gleicht dann einer hellen,
durchsichtigen Flamme ...« Er wandte den Blick von der verräucherten Decke
und sah die Wärterin spitzbübisch an. »Man könnte in dich hineinsehen,
Dore, wenn du aus den Flaschen getrunken hättest, dein ganzer Körper wäre
dann durchsichtig.« Er grinste wie ein Faun. »Ich möchte nicht in dich
hineinsehen, Dore!«

»Sie missen nich anzieglich werden, junger Herr,« sagte Frau Kalnis
gekränkt, und nachdem sie eine Weile nach einer schärferen Entgegnung
gesucht hatte, setzte sie mit frommem Hohn hinzu: »Wer eine kranke Leber
hat, sieht innen immer noch schlechter aus, als einer, der se nich hat.«
Darauf las sie hurtig weiter und gelangte bald zu der Strophe: »Und der
Geist und die Braut sprechen: Komm! Und wer es höret, der spreche: Komm!
Und wen dürstet, der komme, und wer da will, der nehme das Wasser des
Lebens umsonst.«

»Halt, halt!« rief John erregt nach diesen Worten, »mich dürstet, mich
dürstet immer! Wohin soll man da kommen, Dore? Ich geh' gleich dahin.«

»Na, nach's neie Jerusalem doch wohl,« meinte die Wärterin. Und dann
maliziös: »Aber Sie heren doch, junger Herr, daß da nichts als Wasser
anjeboten wird.«

Der Trinker verzog das Gesicht. »Wasser -- brr ... Aber Wasser des Lebens,
Dore, das schmeckt vielleicht besser als die feinste Mischung, das stillt
vielleicht für immer den Durst.«

»Kann sein! Aber wollen Se jetzt nich schlafen, Herr Johnche?«

»Ich kann nicht.«

»Na versuchen Sie's doch man erst.«

»Nein ... Ich möchte wissen, wozu ich gepaßt hätte, wenn ich nicht immer
den Durst gehabt hätte?«

»Das fragen Se mich immer, wenn Se einen jetrunken haben.«

»Und Sie wissen nie eine Antwort darauf. Was ihr sagt, ist alles falsch.«

»Wozu bekam ich den ewigen Durst? Ich möchte wissen, wozu ich ihn bekam?«
schrie er wild.

»Das will ich wissen!?« brüllte er, und sein ganzes Gesicht zuckte.

»Jetzt sollten Se zu schlafen versuchen, mein Lieberche, und nich so was
Unnitzes fragen.«

»Zum Schlafen kommt schon noch Zeit genug,« stammelte John. »Ich möchte
wissen, ob ich denn bloß zum Saufen auf die Welt kam?«

»Aber nei! Sie hätten doch e feiner Kaufmann werden können, oder auch e
studierter Herr, wie d'r Großvaterche.«

»Sprich doch nicht dummes Zeug!« brummte er gereizt. »Du verstehst von gar
nichts! Keiner versteht was! Und alles ist so verdreht, so verdreht« ...

Die Wärterin war zu der Überzeugung gelangt, daß John heute abend ein
Schlafpulver bekommen müsse. Sie holte das Tischchen herbei, das zur Nacht
an sein Bett gestellt wurde, und rührte ihm dann rasch ein Pulver ein.

»Dies trinken Se man und dann werden Se schon schlafen, mein Lieberche.«

Erst wollte er nach dem Glas stoßen, aber dann riß er es plötzlich an
sich und leerte es gierig. Er plumpste wie ein ermatteter Maikäfer auf den
Rücken, als das Schlafmittel zu wirken begann. Dore nahm die Brille ab und
betrachtete ihn mit einfältiger Miene. »Dummer Äsel,« brummte sie, »wärst
verninftig jewesen, hätt dir die janze Welt offen jestanden. Aber nu --
was hast? Gar nuscht.« Da John die Augen geschlossen hatte, löschte sie
die Lampe aus und zündete dafür ein Nachtlämpchen an. Sie setzte ein paar
Flaschen Selterwasser auf sein Tischchen, die er im Laufe der Nacht zu
leeren pflegte, um das fortwährende innerliche Brennen zu lindern, und
verfügte sich dann in ihr Zimmer, um geräuschlos zu Bett zu gehen.



Zweites Kapitel


John stand vor dem Spiegel und legte seine Orden an. So nannte er die
blauen, an Bändchen hängenden, parfümierten Oblaten, mit denen er seine
Jacke zu schmücken pflegte, wenn er »zu Zarnoskys« ging. Er trug sie dann
seiner jüngeren Brüder wegen, die immer behaupteten, sie könnten seinen
Geruch nicht ertragen. John roch wirklich nicht schön, was auch weiter
nicht verwunderlich war, und seine Kleider verbreiteten die Luft der
Arbeiterkneipen. Aber er verschmähte es, sich mit Parfüm zu begießen, er
fand es männlicher und stilvoller, mit den blauen Oblaten auf der Jacke
zu gehen. Obgleich sie lange nicht die Wirkung ausübten, die ein starkes
Parfüm getan hätte. John war noch so kindisch. Mit strahlenden Augen war er
eines Morgens, die Oblaten auf der Brust, bei der Mutter erschienen: »Sieht
das nicht fein aus? Sieht das nicht jroßartig aus? Und nun werde ich auch
nicht mehr schlecht riechen. Nicht wahr, ich rieche jetzt fein? Paul, Leo,
rieche ich jetzt nicht fein?« Sie hatten es aus Mitleid bejaht, und die
Mutter hatte sogar behauptet, daß sie noch nie einen schlechten Geruch
an ihm bemerkt habe, Paul und Leo seien nicht klug. Das hatte den jungen
Alkoholiker bis zu Tränen gerührt. An diesem Tage trank er keinen Tropfen.

Während sich John noch vor dem Spiegel bewunderte -- es war Sonntag:
Palmsonntag -- kam etwas trapp, trapp, trapp, wie auf kleinen
Jungenstiefeln, die Treppe herauf und hämmerte dann energisch an die
Küchentür. Das Väterchen stürzte hin, um dem Söhnchen zu öffnen. Peter trat
ein und schob seine kleine weiche Nase zur Begrüßung in Johns ausgestreckte
Hand. Peter wollte seinen Morgenzucker haben, und den erhielt er auch
reichlich. John hätte seine Uhr verkauft, um Peter mit Zucker füttern zu
können.

Der Ziegenbock mußte auf dem Hof bleiben, als John ins Vorderhaus zu seinen
Eltern ging. Er bedeutete ihm, auf dem Hof herumzuspringen, solange »Papa«
auf Besuch war.

Papa setzte sich im elterlichen Eßzimmer an den warmen Ofen, verschämt
»guten Morgen« stotternd. Paul und Leo verzogen sich rasch nach seinem
Eintritt, und Eugen begrüßte ihn mit den spöttischen Worten: »Na, wieder
mal betrunken gewesen, alter Ziegenbockvater?«

»Betrunken gewesen? Wer? Ich doch nicht?« stotterte der Trinker. Er hatte
die Hände gefaltet und ließ die Daumen langsam umeinanderlaufen, indem er
auf die Mutter blickte, die mit einer Handarbeit am Fenster saß.

»Ach John,« sagte sie traurig, »kannst du es denn gar nicht lassen?«

»Nein,« platzte er naiv heraus.

Sie seufzte und verstummte.

»Was gibt's zu Mittag?« fragte er verlegen in die Stille hinein. John war
ein Feinschmecker und hielt sich gern in der Küche auf. Dort, bei Amalie,
war ihm auch viel wohler als bei Vater und Mutter. »Muß mal sehen, was
gekocht wird,« sagte er, sich wieder erhebend, da niemand auf seine Frage
antworten wollte.

In der Küche stand eine Kiste, die der Faktor zur Bahn tragen sollte.
Auf dem Deckel lagen dreißig Pfennige Trinkgeld für ihn. John vergaß das
Mittagessen und blickte wie gebannt auf das Geld. Sein Portemonnaie war
leer; denn der Vater gab ihm immer weniger und weniger Taschengeld, um ihm
das viele Kneipenlaufen unmöglich zu machen. (Das Resultat davon war,
daß John auf Kredit trank und die Faktore anpumpte.) Die dreißig Pfennige
lockten ihn, wie den Igel das Blut. »Wissen Sie was, Amalie,« sagte er zu
der kugelrunden ältlichen Köchin, »das da kann ich selbst verdienen! Die
Kiste trag ich noch allemal!« Damit nahm er sie auf und wandte sich nach
dem Ausgang.

»Sie werden doch nich!« rief Amalie. »Der Friedrich wird doch jleich
kommen. Aber, junger Herr, das schickt sich doch nich fir Sie. Wenn das der
Herr sieht!?«

»Aber ich schlepp' sie doch bloß so lange, bis ich einen Jungen treffe, der
sie mir für fünf Pfennige trägt.«

»Lassen Se ihr stehen, ich jeb Ihnen dreißig Pfennige,« sagte Amalie
zärtlich.

»Geben Sie her,« brummte John, »dann sind es sechzig.« -- »Her damit!«
beharrte er mit dem Eigensinn des Alkoholikers, da die Köchin unter diesen
Umständen nicht mit dem Gelde herausrücken wollte.

Es blieb ihr schließlich nichts andres übrig, als ihm den Willen zu
tun. Sie öffnete zwei Knöpfe ihrer karierten Taille und zog ein rot- und
braungestreiftes Beutelchen hervor, das von der Wärme ihres gewaltigen
Busens Zeugnis ablegen konnte. »Na machen wir uns auf die Socken,« sagte
John kurz, als er das Geld hatte. »Ist mir ein Kinderspiel, diese Kiste zu
tragen.«

Die Köchin wollte es bestreiten, und das reizte John, weil es seinen Stolz
verletzte. Nun ging er mit der Kiste, kostete es, was es wollte. Einen
flotten Gang erzwingend eilte er nach der Tür.

»Adieu, Amalie.«

Die Dicke sah ihm sorgenvoll nach. »Kommen Se gut nach Hause, junger Herr.«

Das Zarnoskysche Haus stand =vis-à-vis= einer Querstraße, die sich in
langer enger Windung vor ihm auftat. Die Straße hieß Grätengasse. Eugen
stand gerade am Fenster, als John mit der Kiste aus dem Hause trat und
nach der Grätengasse steuerte. »Was soll das heißen?« rief er, das Fenster
aufreißend. »Holla! John! Du kommst sofort zurück!«

Der Angerufene drehte ihm sein gelbes Gesicht zu und schnitt ihm eine tolle
Grimasse, dann trollte er weiter.

Eugen knickte vor Lachen zusammen. Johns Anblick war überwältigend komisch
gewesen, so tragisch er im Grunde auch war. Und nun schwankte er auch schon
die Grätengasse hinunter, er hüpfte und torkelte, die Kiste unterm Arm,
von rechts nach links. »Mutter, Paul, Leo!« rief Eugen in das nach hinten
gelegene Eßzimmer hinein. »Kommt doch bloß mal her!«

Frau Zarnosky war entsetzt, als sie John in dem Kistenträger erkannte.
Eugen sollte ihn sofort zurückholen, weil sie fürchtete, daß John hinfallen
könne. Aber Eugen machte Einwendungen: er werde ihm nicht gehorchen und
Streit anfangen, er werde auch nicht gleich hinfallen. Der Faktor könne ihm
ja nachlaufen.

Aber der war noch immer nicht da, Amalie versicherte indessen, daß er nun
gleich kommen müsse. Alle stellten sich ans Fenster und blickten gespannt
in die Grätengasse, die beiden Jungen voll heftigster Lachlust.
Plötzlich prusteten sie los; denn John hatte sich umgedreht und die Zunge
herausgehängt.

In der Grätengasse standen viele alte Speicher. Einer von ihnen hatte an
der Front eine steinerne Ruhebank. Als John diese Bank erreicht hatte,
stellte er die Kiste herauf, setzte sich pustend daneben und faltete
ergeben die Hände. So traf ihn Onkel John, der des Weges daherkam, um
irgendwo Märchen erzählen zu gehen.

»Was tust du da? Was hast du da für eine Kiste?« fragte er mit heftig
angeregter Phantasie.

Der Neffe tat verschämt. »Der Vater braucht Geld. Ich muß unser Silberzeug
verkaufen gehen. Eugen tut es nicht,« erwiderte er so gedrückt als er
konnte.

Onkel John kicherte wild in sich hinein. »Armer Junge,« sagte er bedauernd,
und als habe er durchaus nichts Merkwürdiges gehört, »die Kiste ist wohl
sehr schwer?«

»Ja,« hauchte der Neffe mit schwermütigem Augenaufschlag.

Der Onkel pustete stark, um nicht lachen zu müssen, dann sagte er: »Deine
Eltern tun unrecht, wenn sie dich bei deinem Gesundheitszustand mit einer
solchen Kiste schicken. Indessen soll man Vater und Mutter ehren. Doch« --
Onkel John weitete furchtbar die Augen -- »wenn sie dich noch einmal mit
einem solchen Monstrum heraushetzen ... heraushetzen,« wiederholte er mit
erhobener Stimme, »dann kommst du zu mir, und das Weitere wird sich dann
schon finden.«

Der Trinker nickte ganz ergriffen. »Gib doch was, damit ich sie mir
wenigstens tragen lassen kann,« stammelte er, die Hand ausstreckend, in
kläglichem Tone.

»Hast du denn gar kein Geld?« fragte Onkel John, bis zu Tränen gerührt.

Der Neffe kehrte hurtig die leeren Hosentaschen heraus. »Und sie lassen
mich nächstens verhungern,« brummte er, dem Himmel ein Paar feuchte
Pudelaugen zeigend.

Onkel Johns Phantasie schwoll mächtig an. Die Eindrücke arbeiteten so
gewaltig in ihm, daß er einen Augenblick ganz sprachlos blieb. Und wenn er
auch genau wußte, daß sein Neffe ihn aufs albernste belog, gelang es ihm,
bei seiner Einbildungskraft, doch ganz vortrefflich, sich die Unwahrheit
als Wahrheit vorzustellen. Sein fuchsgelber Schnurrbart zitterte, denn er
befand sich in angenehmster Aufregung, und seine grellblauen Lügneraugen
glitzerten wie Katzenaugen im Dunkeln. »Zunächst,« sagte er, hoheitsvoll
das Portemonnaie ziehend, »zunächst sind hier fünf Mark, damit du nicht
ganz ohne Pfennig herumläufst -- mein armer Junge.«

John nahm dankend die gereichten zwei Mark. Er wußte, daß es immer nur zwei
Mark waren, wenn Onkel John fünf Mark sagte.

»Und nun gehe ich zu deinen Eltern,« fuhr dieser fort, »um für dich das
Notwendigste anzuordnen. Schlimmstenfalls« -- er rollte die Augen -- »wird
die Polizei meinen Worten Nachdruck verleihen. -- Holla!« rief er dem
Faktor entgegen, der der Kiste wegen gelaufen kam, »tragen Sie das da! Ich
übernehme die Verantwortung, verstanden?«

John lehnte es ab, den Onkel zu begleiten, weil er ein unreines Gewissen
hatte. Der Onkel ging auch lieber allein, um je nach Empfang mit seinen
Märchen herauszurücken. Es war ein hellgrauer Sonntagvormittag, und die
Grätengasse lag still und leer und sauber da. Onkel John eilte wie mit
Flügeln am Mantel davon, während sein Neffe auf der Steinbank sitzen blieb,
die Daumen umeinander drehte und sich seine Mischung wünschte.

»Guten Tag, meine Lieben,« sagte der alte Fuchs mit wärmster Innigkeit,
als er bei Zarnoskys ins Eßzimmer trat. Paul und Leo reichten ihm die Hand,
seine Schwägerin unterließ es, Eugen und Herr Zarnosky brummten etwas,
Onkel Chlodwig war nicht da.

»John sitzt am Traumannschen Speicher und weint,« hub der gute Onkel an.
»Die Kiste war doch wirklich zu schwer für ihn.«

»Wer hat ihm befohlen, mit der Kiste zu gehen?!« sagte ärgerlich der Vater.

»Das wollen wir nicht untersuchen,« versetzte Onkel John sanft und
schlicht. »Apropos (»Jetzt geht's Schwindeln los,« flüsterte Paul hinter
Eugens Rücken) was ich sagen wollte« -- er hob die eine Fußspitze ein wenig
in die Höhe und besah sich versunken den Stiefel -- »ja, richtig; es
gehen über dich merkwürdige Gerüchte in der Stadt herum, ganz merkwürdige
Gerüchte, mein lieber Richard.«

»Phantasiere doch nicht immer!« unterbrach ihn sein Bruder in wegwerfendem
Tone. Richard Zarnosky log nicht mehr als andere Kaufleute, und seine
Phantasie hielt sich in bürgerlichen Grenzen.

»Du solltest -- du solltest nicht so zu mir sprechen -- in -- in einer Lage
wie der deinigen, mein lieber Richard.«

»In was für einer Lage bin ich denn, mein lieber John?«

»In keiner angenehmen, sollte ich meinen. Es gehen Gerüchte in der Stadt,
daß« -- --

»Daß?«

»Daß es mit dir schief stände, mein lieber Richard.«

»Wer sagt das?« fragte Herr Zarnosky amüsiert.

Onkel John entblödete sich nicht, eine Reihe von Namen zu nennen, wobei
er ab und zu die Augen schloß, als ob ihm angst und bange würde. »O Gott!«
rief er plötzlich. »Richard, Richard, bring nur nicht Schande über deine
angesehene Familie, über mich und meine unschuldige Tochter, über unsern
armen Bruder Chlodwig!«

»Erster Akt, erste Szene,« sagte Eugen lachend.

Herr Zarnosky tippte mit einer nicht mißzuverstehenden Gebärde an seine
Stirn, indem er den Bruder bedeutungsvoll anblickte. Aber Onkel John
übersah die Beleidigung, weil er noch lange nicht fertig war. Sich seinem
ältesten Neffen zuwendend sagte er: »Mein lieber Eugen, du solltest dich
schämen, deinen alten Onkel zu hänseln. Aber ich weiß ja, du ehrst auch
nicht Vater und Mutter. Du schämst dich, in ihrem Interesse zu handeln. Du
schämst dich, Schritte zu tun, die ihre mißliche Lage verbessern könnten.«

»Nu wird's Tag,« brummte Eugen belustigt.

Herr Zarnosky öffnete die Tür und sagte gelassen: »Mein lieber John, hier
hat der Zimmermann das Loch gelassen.«

Der Märchenerzähler fauchte wie ein schwergereizter Kater, seine grellen
Augen rollten hin und her. »Richard,« brachte er angestrengt heraus, »ich
kündige dir hiermit ein für allemal meinen Speicher.«

»Schön,« erwiderte Herr Zarnosky, »mir ist dein ew'ges Künd'gen auch über.
Es gibt mehr Speicher in unserer Gegend.«

»Geh nur hin!« krähte Onkel John. »Es dürfte dir keiner so passen wie
meiner.«

»Und wenn auch! Schlimmstenfalls behelfen wir uns eine Weile mit einem. Wir
räumen zum ersten Juli, du kannst dich darauf verlassen.«

Das kam dem Märchenerzähler weder erwartet noch erwünscht. Wer weiß, ob ihm
ein andrer die hohe Speichermiete zahlen würde, die ihm sein Bruder zahlte,
ganz abgesehen von allerhand Vorteilen, die er daraus zu ziehen verstand,
daß sein Speicher dem Bruder so sehr gut paßte. (Onkel John zog es schon
lange vor, den Speicher zu vermieten, anstatt ihn selbst zu benutzen, weil
er zuviel mit Prozessen zu tun hatte. An denen gewöhnlich seine Märchen
schuld waren.) »Richard,« flüsterte er, das Gesicht in schelmische Falten
ziehend und aufs versöhnlichste loskichernd, »du kannst nicht Scherz von
Ernst unterscheiden. Das war doch bloß Spaß mit der Kündigung. Benutzt ihn
in Gottes Namen weiter. Mir genügt der Schuppen.«

»Bis zum ersten Juli und nicht länger,« versetzte Herr Zarnosky schroff.

»Es ist nicht recht, daß du dem Bruder den Verdienst nehmen willst, um ihn
vor einen Fremden zu werfen,« predigte Onkel John in salbungsvollem Tone;
aber seine Augen funkelten böse. »Unser Bruder Chlodwig wird es auch nicht
wollen,« setzte er theatralisch hinzu.

»Dein ew'ges Künd'gen paßt uns schon längst nicht mehr!« schrie Herr
Zarnosky, die Geduld verlierend. »Und es paßt uns auch nicht, daß du deine
fünfzig Puten tagtäglich von unserem Getreide mästest!«

»Erstens sind es nur vierzig,« stotterte Onkel John, »und zweitens haben
sie noch nie in ihrem Leben auch nur ein Körnchen von deinem Getreide
bekommen. Und außerdem sind nur noch sechs am Leben.«

Alle lachten. Von vierzig auf sechs war selbst für Onkel John ein kühner
Sprung.

»Wißt ihr denn nichts von dem Unglück, das vergangenen Montag bei uns
passierte? Nein, ihr wißt wohl noch nichts?!« rief nun der Märchenerzähler,
froh wie ein Kind über den guten Einfall, der ihm gekommen, und über die
versöhnliche Stimmung, die sich anzubahnen schien. »Richard, Anna, Eugen,
Kinder, laßt euch erzählen, was vergangenen Montag bei uns passierte. Da
fuhr mir doch ein Wagen mit durchgehenden Pferden in meine jungen Putchen
hinein. Die Hälfte wurde totgefahren, die Hälfte kreuzlahm getreten. Dem
Truthahn Fritz, meinem Liebling -- ihr kennt ihn ja -- dem armen Tier war
das linke Beinchen gebrochen. Ich habe ihn dann selbst geschlachtet ...«

»Aber Onkel!« platzte Paul lachend heraus. »Den Fritz habe ich doch noch
gestern nachmittag gefüttert.«

Onkel John zuckte zusammen wie jemand, den unerwartet ein Insekt gestochen.
»Paul,« begann er eindringlich, die lachenden Zuhörer mit hoheitsvollen
Blicken messend, »besinne dich recht, mein Junge! Du hast -- gestern
nachmittag -- den Fritz gefüttert? War es nicht vor acht Tagen?«

»Gestern war es.«

Onkel John blickte auf Paul wie auf einen armen Schwachsinnigen, dann
wandte er sich seiner Schwägerin zu. »Liebe Anna, ich habe es Ihnen -- ich
habe es euch allen noch immer verbergen wollen, was ich seit einem halben
Jahre an Paul beobachte. Der arme Junge -- aus unsrer Familie hat er das
nicht -- das arme Kind weiß nämlich nie, wann sich ein Ereignis zugetragen,
ob es gestern, vorgestern oder sonstwann war. Er verliert das Gedächtnis.
Ist euch das noch nie aufgefallen?«

»Nein, du alter Schwindler,« sagte Herr Zarnosky mit Nachdruck.

»Alter Schwindler?« sprühte der Märchenerzähler, seinen Speicher
vergessend. »Statt mir zu danken, daß ich dich auf eine Krankheit deines
Kindes aufmerksam mache, beleidigst du mich? Du bist mir ein netter Vater!
Den einen lassen sie verlumpen, den andern verblöden!«

Herr Zarnosky ging ruhig zur Tür und öffnete sie ein zweites Mal. »Soll
ich vielleicht den Faktor rufen, damit er dir den Ausgang zeigt?« fragte er
grob.

»Ich gehe,« schnaubte Onkel John, »und ich komme nicht eher wieder, als bis
ihr mich auf Knien und Ellbogen darum bitten werdet.«

Es erfolgte ein Gelächter, in das nur Paul und Frau Zarnosky nicht
einstimmten. Paul machte ein ängstliches, beinahe verstörtes Gesicht. Frau
Zarnosky erhob sich erregt und sagte: »Onkel John, wenn Sie jetzt hingehen
und etwa in der Stadt erzählen, daß Paul anfängt, schwachsinnig zu werden,
so werde ich Sie nie mehr in meinem Hause dulden.«

Der gute Schwager verklärte sich. »Aha,« sagte er, »diese Tatsache ist
Ihnen also doch nicht entgangen?! Aus unsrer Familie hat er das jedenfalls
nicht ...« Dabei schlüpfte er aalgeschwind nach der Tür, um sich von dort
mit einer spöttischen Verbeugung zu empfehlen. Die angenommene Kündigung
hatte er total vergessen.

Richard Zarnosky zuckte nur die Achseln, als sein angenehmer Bruder
hinausschlüpfte. Die ganze Familie war an derartige Auftritte mit Onkel
John gewöhnt. Frau Zarnosky war meist die einzige, die sich dabei aufregte.

Paul ging auf den Hof, um über das nachzudenken, was der Onkel von ihm
behauptet hatte. Da er die Sensibilität seiner Mutter und eine große
Phantasie besaß, so hatte ihn die seltsame Behauptung in Unruhe und Angst
versetzt.

»War es nicht gestern vor drei Wochen, daß Vater die beiden Rappen kaufte?«
fragte er Rodenberg.

»Ja, das is nu all drei Wochen her,« erwiderte der Kutscher.

»Am ersten wurden sie beschlagen, nicht wahr?«

Rodenberg kratzte sich den Kopf. »Kann sind. Ich weiß nich mehr jenau,« und
er trollte sich.

Paul setzte sich auf eine Wagendeichsel und versank in angestrengtes
Grübeln; er stellte die schwierigsten Daten in seinem Kopfe fest. Eine
der vielen Speicherkatzen sprang ihm auf den Schoß und rieb sich
schmeichlerisch an seiner Jacke. Der Junge wollte sie vertreiben, weil ihn
das beim Nachdenken störte; aber die Katze klammerte sich fest, freundlich
schnurrend und vergnügt mit dem Schwanze wippend. Paul streichelte sie mit
abwesender Miene, bis ihm der wippende schwarze Katzenschwanz plötzlich
zwischen die Lippen geriet. Da sprang er auf und ließ das Tier fallen, die
klebengebliebenen Haare ärgerlich vom Munde wischend.

»Was ist los?« fragte Onkel Chlodwig hinter ihm.

»Ach nichts. Ich bekam Katzenhaare in den Mund,« erzählte der Junge.

Chlodwig Zarnosky (eine Art Kompagnon seines Bruders Richard) war ein
kleiner, gelblicher Junggeselle mit großen Ohren und großen weißen Händen.
(Außerdem gab es noch einen vierten Zarnosky, den die Brüder seiner
»eigentümlichen Anlagen« wegen nach Amerika verpflanzt hatten.)
»Katzenhaare!« rief Onkel Chlodwig, die großen weißen Hände mit gespieltem
Entsetzen zusammenschlagend. »Paul, Junge, du hast doch wohl keins
hinuntergeschluckt?«

»Ich weiß nicht,« sagte Paul verwirrt.

»Kind, dann müßtest du ja sterben,« flüsterte Chlodwig mit großen
geheimnisvollen Augen. Und nun ging seine Phantasie mit ihm durch.
Er sprach dem schon erschreckten Jungen von einem schweren Tode, den
heruntergeschluckte Katzenhaare öfters zur Folge hätten. Er schilderte
dessen Qualen so genau, als habe er sie schon einmal durchgemacht. Paul
lächelte gezwungen. Schwachsinn und Tod, das waren ja nette Aussichten.
»Onkelchen, du schneidest auf,« sagte er mit unsicherer Stimme.

Für gewöhnlich gab es keinen liebevolleren Onkel, als den kleinen Chlodwig,
den jüngsten der vier Zarnoskys. War er es einmal nicht, dann lag das
nur an seiner großen Phantasie. Sobald er merkte, daß er seinen Neffen
erschreckt hatte, brach er in lautes Lachen aus. »Paulemännchen,« rief er,
»was bist du für ein gläubiger Thomas?! Komm, jetzt trinken wir zusammen
Rotwein, das ist das beste Mittel gegen Ängstlichkeit und Katzenhaare!«

       *       *       *       *       *

John hockte noch immer mit gefalteten Händen auf der Steinbank in der
Grätengasse. Aber er dachte nicht mehr an seine Mischung, er hatte sich
angelehnt und lauschte den lieblichen dünnen Tönen, die aus einem kleinen
stillen Hause kamen. Dort blies ein Pfeifer zu seiner Sonntagserbauung:

  Nachtigall, Nachtigall,
  wie sangst du so schön,
  sangst du so schön ...

Es war ein Herbstlied, aber es brachte John seinen ganzen Frühling zurück.
Seine Kindheit erhob sich bei dieser halbvergessenen Melodie aus ihrem
Grabe und zog licht und herrlich an ihm vorüber. »Das warst du einmal,«
klang es in ihm. »Warst du einmal,« schien die Pfeife zu wiederholen.
Die Erinnerung nahm ihn bei der Hand und ging mit ihm vergessene Wege
zu vergessenen Herrlichkeiten. John war aufs neue geboren. Der einsame
Lauscher in der Grätengasse war eine leergewordene Hülle.

Da brach der Pfeifer plötzlich ab -- und die auferstandene schöne Zeit
sank langsam ins Grab zurück. Die Hülle auf der Steinbank bekam wieder eine
Seele. Der Trinker schlug langsam die Augen auf. Wo war alles geblieben?
Ein trauriges Grinsen verzerrte sein Gesicht, als sein suchender Blick auf
die blauen Oblaten auf seiner Jacke fiel. Das war er jetzt! Und das war
kein Traum; es war nicht zu vertreibende Wirklichkeit. Er riß die Oblaten
ab und schleuderte sie wild auf die Straße. Aber dann erhob er sich bald
und suchte sie wieder auf. Er konnte sie heute nicht entbehren. Beschmutzt
waren sie seiner auch noch würdiger.

Die Leute kamen aus der Kirche. Die Grätengasse belebte sich. John setzte
sein Imperatorenlächeln auf und machte sich auf den Heimweg.

»Guten Tag, Herr Zarnosky.«

»Diener, Herr Zarnosky.«

John erwiderte die Grüße, indem er jedesmal zwei Finger nachlässig an die
Mütze hob. Als er einen toten Sperling auf der Erde liegen sah, hob er ihn
auf und betrachtete ihn. Das Tierchen war so jung, so niedlich und noch
ganz warm. Ein Gruß vom Tode, dachte der Trinker, und seine Hand bebte, und
seine Orden bebten. »Ich komme bald,« schien eine Stimme zu flüstern.

»Bald?« fragte seine Angst.

Der Osterwind raunte eine tonlose Antwort.

»Ich will nicht!« schrie es gewaltig in John, denn ihm war, als habe er
soeben sein Todesurteil vernommen. Und er hob den Arm und schleuderte den
Sperling über den nächsten Zaun. Er wollte nichts vom Tode wissen, nichts
mit ihm zu tun haben; er amüsierte sich höchstens über ihn. Sein Leben
konnte hundert Jahre währen. Doch die Angst sprach anders in ihm, und ihm
war, als stände der Tod schon irgendwo hinter einem Mauervorsprung
der Grätengasse, seinen knöchernen Arm ausstreckend, um ihn für immer
aufzuhalten. Er torkelte auf den Fahrdamm, um den Mauervorsprüngen
auszuweichen; er trabte nach Hause und setzte sich neben die lebenswarme,
liebevolle dicke Amalie. Aber die Köchin wurde bald ins Eßzimmer gerufen
und kehrte mit der unangenehmen Botschaft zurück, daß ihn der Vater zu
sprechen wünsche. John machte ein betretenes Gesicht und schlich wie ein
armer Sünder hinein.

»Wer hat dich geheißen, mit der Kiste zu gehen?« fragte ärgerlich der
Vater.

»Es hat mir Spaß gemacht,« stotterte John.

»Unterlaß diese Späße in Zukunft, hast du verstanden?«

»Ja,« sagte John wie ein artiges Kind.

Herr Zarnosky schneuzte sich, um eine freundlichere Miene zu verbergen.
»Was hast du mit Onkel John gesprochen?« fragte er dann.

»Ich -- ich weiß nicht mehr.« John lachte blöde.

»Du weißt nicht mehr? Dann hast du wieder geschwindelt! Ich will wissen,
was du zu ihm gesagt hast?«

»Guten Tag hab ich gesagt -- und -- und in der Kiste wären Patronen.«

Der Vater versetzte ihm gereizt eine Ohrfeige, die mit stiller Tücke
hingenommen wurde.

»Wie kannst du nur?!« rief Frau Zarnosky in vorwurfsvollem, klagendem Tone.
»Wie kann man nur einen erwachsenen, schwerkranken Menschen schlagen?!«

»Schwerkrank?« wiederholte John entsetzt, die Ohrfeige vergessend.

Wenn Frau Zarnosky eine Roheit ihres Mannes rügen oder gutmachen wollte,
hatte sie häufig das Pech, nicht minder roh oder wenigstens sehr taktlos
zu sein -- ohne sich ihres Fehlers immer bewußt zu werden; denn sie war ein
wenig denkträge und hielt sich auch für die Vollkommenheit selbst. Johns
angstvolle Frage blieb unbeantwortet, weil die Eltern ins Streiten geraten
waren, ob der Vater einen erwachsenen Sohn schlagen dürfe oder nicht.

John dachte mit Sehnsucht an Amalie. Die machte ihm keine Vorwürfe, die
schalt ihn weder aus, noch erschreckte sie ihn. Die schenkte ihm Geld,
wenn er Durst hatte, und tröstete ihn, wenn er traurig war. Die hatte
sogar seinen Peter ins Herz geschlossen. Zwar die Mutter war auch gut; aber
Amalie war doch noch besser. Still drückte er sich hinaus.

»Herr Johnche trautstes,« sagte die Köchin innig, »haben se inne Stub
wiedermal auf Ihnen jepucht?«

Der Trinker schlug mit der Hand. »Die müssen doch immer was haben!«

Er ließ sich auf die Küchenbank fallen, daß es krachte. »Bin müde,« sagte
er düster.

»Hätten Se der Kiste doch bloß stehen lassen, junger Herr!«

»Glauben Sie wirklich an Gott?« fragte John, ins Herdfeuer starrend.

Die Köchin machte ein dummes Gesicht, weil sie nicht gleich wußte, was sie
auf diese unerwartete Frage antworten sollte.

»Ob Sie wirklich an Gott glauben?« wiederholte der Trinker.

»Na jewiß. Natirlich. Ich werd nich?! Wieso fragen Se, Herr Johnche?«

»Fiel mir so ein.«

»Glauben Se man auch,« predigte Amalie, »dann werden Se auch wieder jesund
werden. Bloß nich zuviel trinken!«

John schien voller Angst einer andern Stimme zu lauschen. »Hörten Sie
nicht?« fragte er plötzlich.

»Wa--as? Wa--as?«

»Vorher sagte es der Wind. Jetzt sagte es das Feuer.«

»Die können doch nichts sagen.«

»›Ich komme bald,‹ sagte es eben.«

»Ich hab nichts nich jehert.«

»Der Tod will kommen,« flüsterte John mit großen angstvollen Kinderaugen.

»Haben Se man keine Angst!« tröstete die Köchin. »Sie können noch Ihre
ganze Familie iberleben. Sie allemal!« Dann öffnete sie die Bratofentür und
sagte: »Kommen Se man sehn, junger Herr, wie fein se braten.«

Zwölf Täubchen lagen in Reih und Glied in der Bratpfanne, zwölf angenehm
duftende, kleine braune Körperchen, die Amalie mit Stolz und Schweiß auf
der Nase vorwies. Johns Miene erheiterte sich beim Anblick der Tierchen.
Er ergriff eine Gabel und prüfte, ob sie schon weich waren. Da es sich so
verhielt, riß er der größten ein Beinchen aus, blies ein wenig herauf und
benagte es dann mit der Miene eines Menschen, der hat, was er braucht. Die
Köchin hatte die fetten Hände überm Bauch gefaltet und sah ihm wohlgefällig
zu.

»Schmeckt gut?« fragte sie.

»Ja,« sagte er.

»Vielbeliebt und anjenehm zu heren.«



Drittes Kapitel


Auf dem Zarnoskyschen Hof stand ein uralter Birnbaum. Sein Stamm war so
stark wie vier feiste Mönche zusammen, und seine mächtige Krone bildete
eine Art chinesisches Dach über einem großen Teil des Hofes. Um den Stamm
lief ein Tisch und um den Tisch eine Bank; beide wurden viel zum Sitzen
benutzt, der Tisch noch mehr als die Bank.

Wieder ging ein Frühlingstag zu Ende. John saß unter dem Birnbaum auf dem
Tisch, die Füße auf der Bank, und starrte nachdenklich und versunken in die
Abendsonne. Sie schwebte über einem sehr alten rosa Häuschen, das mit dem
Giebel an den Hof stieß. Dieser Giebel hatte nur ein einziges Fenster und
sonst nichts als seine rosa Farbe. John war froh. Er hatte beschlossen,
noch ein drittes Mal in die Heilanstalt für Trinker zu gehen, und dieses
dritte und letzte Mal sollte ihn für immer kurieren; denn: er wollte
hinterher nie mehr einen Tropfen Alkohol über seine Lippen bringen, das
hatte er sich mit den heiligsten Eiden zugeschworen. Und darum hoffte er
nun, eines Tages wieder gesund, stark und schön zu sein, er hoffte, einst
wieder zu den glücklichsten Menschenkindern der Welt zu gehören. (Mit
siebenundzwanzig Jahren hofft man noch leicht, hält man das Wunderbarste
für möglich.) Bald nach Ostern wollte er seinen Entschluß kundtun und zur
Ausführung bringen. Peter sollte ihn in die Anstalt begleiten.

Der Ziegenbock sprang vor seinem Herrn herum und tanzte auf den
Hinterbeinen. Plötzlich öffnete er seine kleine schwarze Schnauze, zeigte
eine dicke rosa Zunge und schrie aufgeregt: »Mämämämä« ...

»Ich bin deine Mama,« sagte John zärtlich, »deine Mama und auch dein Papa.«

Das Giebelfenster des rosa Häuschens sprang klirrend auf, und ein brauner
Christuskopf lugte heraus. »John,« rief er, »soll ich auf den Hof kommen?«

»Ja, komm!« sagte der Trinker.

Der Mensch mit dem Christuskopf war der Bruder von Onkel Johns Frau,
achtunddreißig Jahre alt und schwachsinnig. Sein verstorbener Vater war
Superintendent gewesen, und darum bildete er, Johannes, sich ein, zum
mindesten Pfarrer zu sein. Die Verwandten unterstützten seine Torheit,
indem sie ihn »Pfarrer« nannten. Sie sagten Pfarrer, anstatt Johannes, sie
gebrauchten den Titel wie einen Vornamen. Johannes hatte noch einen Bruder,
der weit schwachsinniger war als er selbst. Die beiden Brüder lebten ganz
allein mit einer mürrischen Haushälterin in dem alten rosa Häuschen, das
ihr Eigentum war. Und sie lebten dort in ziemlicher Dürftigkeit, trotz
guter Vermögensverhältnisse; denn Onkel John verwaltete ihre Zinsen, und
zwar mehr zu Nutz und Frommen seines Geflügelhofes, als zu dem seiner
einfältigen Schwager.

»Friede sei mit dir!« sagte Johannes würdevoll, als er John die Hand
reichte.

»Und der Stock regiere dich!« witzelte dieser wie gewöhnlich, trotz der
abwehrenden Geste des frommen Idioten.

»Hast nich ein Stummelchen? Hast nich, hast nich?« fragte Johannes,
sich fröstelnd die hageren Hände reibend. Er trug wie John eine dunkle
Sportmütze, die sich auf seinem lockigen Christuskopf seltsam genug
ausnahm. Um den Hals hatte er ein schwarzes Halstuch geschlungen. Sein
blauer Anzug war fleckig und abgetragen, die Jacke zu weit, die Hose zu
kurz; denn beides hatte einst Onkel John gehört, der stärker und kleiner
war.

»Kein Stummelchen?« sagte Johannes, traurig den Kopf senkend, als John die
Frage verneinte. Und wie er so die Mütze abnahm, um sie mit ergebungsvoller
Miene ein wenig abzustäuben, da glich er ganz Christus, und John, der
ebenfalls die Mütze abgenommen hatte und voll Mitleid von seinem Platz auf
ihn herabsah, konnte wohl Pontius Pilatus vorstellen: Christus vor Pontius
Pilatus.

»Stummelchen habe ich keine,« wiederholte der Trinker, »aber eine Zigarre
habe ich heute für dich.«

Johannes rauchte für sein Leben gern. Er ließ einen Zigarrenstummel nicht
früher aus dem Munde, als bis er ihm Bart und Lippen versengte. Man machte
ihm jedesmal eine große Freude, wenn man ihm eine ganze Zigarre schenkte;
denn für gewöhnlich mußte er sich mit den Stummeln begnügen, die Johns
Vater (der einzige Raucher unter den Zarnoskys) für ihn aufhob. Er selbst
konnte sich keine Zigarren kaufen, da er kein Taschengeld bekam. Sein und
seines Bruders Taschengeld verwaltete die Haushälterin, und zwar mehr zu
Nutz und Frommen ihres Sparkassenbuches, als zu dem ihrer schwachsinnigen
Pflegebefohlenen. Zuweilen schenkte ihnen die Schwester Zigarren und
Delikatessen; aber nur Johannes rauchte, und die Delikatessen aß die
Haushälterin auf.

Johannes begann vor Wonne zu stammeln, als John ihm eine schöne lange
Zigarre unter die Nase hielt. »Riech mal,« sagte der Trinker. Dann lehnte
er sich zurück: »Und nun fang sie auf.«

Der Schwachsinnige hob die Hände, die Zigarre erwartend. Aber John narrte
ihn immer wieder, indem er nur so tat, als ob er werfen wolle. Schließlich
forderte er den Idioten auf, Gott zu lästern, oder er bekäme sie nicht.
John hatte nämlich herausbekommen, daß man Johannes wohl zu diesem und
jenem verleiten konnte, aber nicht dazu, Gott zu lästern. »Ein Pfarrer darf
das nicht,« entgegnete er dann stets.

Das entgegnete er auch diesmal; doch John ließ es nicht gelten. Er zog eine
Schachtel Streichhölzer aus der Tasche und drohte, die Zigarre selbst zu
rauchen, wenn Pfarrer es nicht gleich täte. »Liebes gutes Johnche,« flehte
der Unglückliche, »gib, gib! Darf ich nich. Darf ich nich.«

Der Trinker biß die Spitze von der Zigarre ab, indem er Johannes wie ein
Folterknecht angrinste. »Na, wird's bald?« fragte er zwischen den Zähnen.

Die Abendsonne legte einen roten Heiligenschein um den lockigen
Christuskopf des Idioten. Er stand da, die Hände um die Mütze gefaltet,
die Augen wie ein Verschmachtender auf die Zigarre gerichtet. Seine Lippen
bewegten sich; aber es kam kein Ton. Er hatte schon tagelang nichts zu
rauchen gehabt, und eine ganze Zigarre hatte er schon seit Wochen nicht
sein eigen genannt; er zitterte vor Gier nach dem so lange entbehrten
Genuß. Dieser Zigarre gegenüber unterlag er der Versuchung, das fühlte er.
»Johnche,« flüsterte er mit versagender Stimme, »hab schon was jesacht.
Hast bloß nich jehört, hast bloß nich jehört.«

»Das ist nichts. Das gilt nicht,« grinste der Trinker.

Pfarrer bebte wie Espenlaub, und seine Zähne schlugen leise klirrend
zusammen. »Er -- er -- ist, ist -- ein Esel!« stieß er plötzlich ganz
kreidebleich hervor, als John schon dabei war, ein Streichholz zu
entzünden, und fast schreiend setzte er hinzu: »Aber nur ein ganz kleiner,
nur ein ganz kleiner!«

John wollte lachen und konnte nicht. »Das war noch nichts Rechtes,« sagte
er beinahe verlegen, »aber für diesmal wollen wir es gelten lassen. Hier!«

Johannes pflanzte die Zigarre glückselig in den Mund. John gab ihm Feuer.

Obgleich dieser mit den beiden Schwachsinnigen gern allerhand seltsame und
boshafte Experimente vornahm, tat er doch mehr für sie als ihre nächsten
Anverwandten. Wenn sie sich bei ihm über die Haushälterin beklagten, ging
er auf der Stelle hin und stellte sie unter den heftigsten Drohungen zur
Rede. Die sonst sehr unerschrockene Person hatte einen gewaltigen Respekt
vor John, ja, sie zitterte förmlich vor ihm, da sie ihn zu allem fähig
hielt. Zweimal in jeder Woche ging er im rosa Häuschen das Essen kosten.
War es nicht gut, dann bekam die Haushälterin die Drohung zu hören, daß er
sie wegen Veruntreuung und Diebstahl anzeigen werde. Johannes und Markus
bewunderten Johns Mut aufs tiefste; er war ihr Held, ihr Ideal. Und da er
sie, die ewig Hungrigen, oft satt machte, darum liebten sie ihn wie einen
Vater und nahmen seine Neckereien und Quälereien so ruhig und ergeben hin,
wie der Türke die Schicksalsschläge.

Die Abendsonne glitt langsam am glasblauen Himmel herab, glutrot und groß.
Johannes hatte sich neben John auf den Tisch gesetzt und dampfte wie ein
Pascha. Er wäre jetzt der glücklichste Mensch der Welt gewesen, wenn er
nicht die Gotteslästerung hinter sich gehabt hätte. »Johnche,« fragte er
leise, »meinst, er hat jehört? Meinst? Meinst?«

»Was wird er nich jehört haben?!« entgegnete dieser. »Der hört doch alles!«

»Johnche, du lachst ...?«

»Na, vielleicht hat'r auch nich jehört. Vielleicht schlief'r auch schon. Is
doch'n alter Mann.«

»Hast recht! Hast recht!« sagte aufatmend der Idiot.

Sie starrten beide nach den roten Abendwolken, die ganz seltsame,
phantastische Formen hatten. Springenden Pferden mit Hörnern und Krallen
ähnlich, wandelten sie langsam durchs Himmelsblau.

»Möchtest du da reiten?« fragte John mit einer Kopfbewegung nach oben.

»Jefährlich, jefährlich,« meinte Johannes.

»Wenn es aber ins Paradies ginge, Pfarrer?«

In die Augen des Schwachsinnigen kam ein sehnsüchtiger Ausdruck. »Ins
Paradies?« wiederholte er verträumt. »Ach ja, Johnche, da möcht' ich jleich
hin.«

»Ei, wenn es da nichts zu rauchen gibt?«

Johannes kicherte blöde los. »Wird schon, wird schon,« meinte er, »da
jibt's doch alles umsonst. Zigarren -- Bratäpfel -- Glacéhandschuhe ...«

»Weißt du was?« sagte der Trinker, die Frühlingsluft schlürfend. »Ich werde
wieder gesund werden. Ich geh nach Ostern in eine Anstalt und komm gesund
zurück.«

Pfarrer sah ihn ehrfurchtsvoll an. »Ja? Ja?« Und dann ließ er nachdenklich
den Kopf hängen, hüllte sich in Rauchwolken und schwieg.

Nachdem er geraume Zeit still vor sich hingebrütet hatte, bat er John
verlegen und zaghaft, ihn doch in diese Anstalt mitzunehmen.

»Wieso?« fragte John.

Der Schwachsinnige errötete wie ein junges Mädchen und wollte nicht mit dem
Grunde herausrücken. Endlich kam es halb gestammelt, halb geflüstert: Er
möchte auch gern gesund werden: klug werden. »Nich mehr Idiot, nich mehr
Idiot!« rief er klagend. Darauf senkte er das erblaßte Gesicht wie jemand,
der die Wirkung seiner Worte nicht abzuwarten wagt.

Schweigen.

»Das geht nicht,« sagte John kurz. »Oder -- du müßtest sterben. Die Toten
sind alle klug.«

»Sterben?« stotterte Johannes erschreckt und enttäuscht. »Neinein! Lieber
nich, lieber nich! Noch e bißche warten, noch e bißche warten!«

John lachte kurz auf. Und seine Lippen brannten rot in der sinkenden Sonne.
Er legte den Kopf auf eine Seite und begann leise zu pfeifen. Es klang, als
ob ein Vogel lockte. Es klang nach Frühlingslust und Lebensgier. Es war ein
Lied von der einzigen Wonne -- zu leben.



Viertes Kapitel


Die beiden Ausreißer sahen sich an und lachten. Es war nicht leicht
gewesen, die Reise zu unternehmen, da sie im geheimen vor sich gehen mußte;
denn man hätte John, krank wie er war, nie gestattet, mit Johannes einen
Ausflug zu unternehmen. Nun freuten sich beide, daß alles so wohl gelungen,
und daß sie nun da waren, wo sie hingewollt. Obgleich die Fahrt nur eine
Stunde gedauert hatte, fühlte sich John doch sehr angegriffen, als er
mit seinem Gefährten aus dem Zug stieg. Hinter dem ersten Zaun mußte ihm
Johannes die große Flasche Kognak reichen, die sie mitgenommen hatten, und
nun goß er Kognak wie Wasser in sich hinein. Darauf lachte er wieder über
das ganze Gesicht, und Johannes wieherte aus vollem Halse, weil er das für
schicklich hielt, wenn sein Ideal fröhlich war. John faßte ihn unter und
schritt würdevoll mit ihm weiter. Sie waren ein seltsames, auffallendes
Paar. Der Trinker hatte sich in der Eile mit einem alten hellgelben
Winterüberzieher bekleidet, der übermäßig kurz war und stark nach
Naphthalin roch. Sein dicker Schädel schien die Kopfbedeckung sprengen zu
wollen. Das kleine, steife, schwarze Hütchen saß da, als müsse es jeden
Augenblick herunterhüpfen oder bersten. Pfarrers lange, hagere Figur zierte
ein großkarierter alter Reisemantel von Onkel John. Auf dem Kopf trug er
die unvermeidliche Sportmütze, da er keinen Hut besaß. Halb Engländer, halb
Christus schleppte er eine umfangreiche Reisetasche, die die Kognakflasche
und eine Menge Mundvorrat enthielt -- für den Amalie im geheimen gesorgt
hatte.

Der Apriltag war so warm und golden wie ein Maientag. Es schien nicht
Ostern, es schien Pfingsten zu sein; die Natur war so weit, wie sonst nur
im Mai. Die Obstbäume blühten schon hier und dort, und die Butterblumen
glänzten überall wie kleine Sonnen im Gras. Das junge Birkenlaub glich
flachen, goldgrünen Blüten, die ein leise wehender Wind in fortwährendem
Zittern erhielt. Das sah nun aus, als hingen zahllose, lautlos schwingende
Glöckchen an den Birkenzweigen. John und Johannes schritten durch eine
Allee solcher Glöckchenbäume. Niemand begegnete ihnen. Hier und dort
blickten bunte Strandvillen über nahe und ferne grüne Hecken. Johannes
hatte in seiner Brusttasche ein Paar weiße Glacéhandschuhe, die er für sein
Leben gern aufgezogen hätte; aber John erlaubte es ihm nicht. Die beiden
schwachsinnigen Brüder schwärmten einträchtig für weiße Glacéhandschuhe --
und Bratäpfel, besonders aber für weiße Glacéhandschuhe. Die ihnen jetzt
niemand mehr schenken wollte. Als der Vater noch lebte, hatten sie solche
Handschuhe zu Dutzenden bekommen; aber jetzt -- --! Immer wieder mußten sie
alte Paare mit Benzin reinigen, wenn sie das sehnsüchtige Verlangen hatten,
sich irgendwo mit weißen Glacéhandschuhen zu zeigen.

Die Allee endete auf der Düne, von der eine uralte Treppe aus breiten
Steinen und mit wackligem Holzgeländer durch eine lange, winklige,
baumreiche Schlucht zum Strand hinabführte.

»Steigen wir 'runter?« fragte John.

»Jefährlich, jefährlich,« meinte Johannes.

Sie standen Arm in Arm und blickten mit Scheu und Bewunderung über die
halbdunkle Schlucht hinweg auf die weite, weite, blaue See.

»Große bunte Käfer, schöne bunte Käfer,« sagte Johannes, mit vergnügtem
Lachen auf die Osterausflügler zeigend, die bienenemsig am Ausgang der
Schlucht auf der Mole herumkrabbelten.

»Erst essen wir etwas und dann steigen wir auch herunter,« sagte John und
setzte sich auf die nächste Bank.

Pfarrer folgte ihm mit verklärter Miene. »Essen« war und blieb doch das
Schönste für ihn. Seine langen, hageren Hände sofort in die Tasche grabend,
brachte er Päckchen auf Päckchen zum Vorschein. Der Trinker griff zuerst
nach der Kognakflasche und tat aufs neue einen langen, tiefen Zug. Johannes
entkapselte für sich einen Zitronensprudel, zu dem er eine Serie harter
Eier genoß. John hatte wenig Appetit, da das Mittagessen noch nicht weit
zurücklag. Bei Johannes machte das nichts aus; der konnte schon wieder
wie ein Drescher einpacken. Er stieß ein unwilliges Knurren aus, als John
»genug!« ausrief. Was war ihm Schlucht, was war ihm See, wenn neben ihm
eine Tasche mit den schönsten Eßwaren stand.

Arm in Arm, langsam und ängstlich wie der Lahme mit dem Blinden, begann das
Paar den Abstieg. Auf der halben Treppe mußten sie schon rasten, weil John
die Luft ausging. Mit bläulichem Gesicht sank er auf die Stufen nieder,
und Johannes mußte ihm wieder die Kognakflasche reichen. »Da haben wir den
Salat,« sagte John, melancholisch ins Grüne spuckend. Der Schwachsinnige
nahm ein paar Stufen tiefer Platz und zog sich heimlich einen weißen
Handschuh auf. Jeden Augenblick konnten Leute die Treppe herauf- oder
herunterkommen, Leute mit neugierigen Augen -- ohne weiße Glacéhandschuhe.
Pfarrer wollte ein bißchen »feiner Mann« spielen. Es dauerte auch nicht
lange, so kamen zwei junge Mädchen die Treppe heruntergekichert. Helle
Kleider, flatterndes Haar. »Scheene Kinder,« schmunzelte Pfarrer, die weiße
Hand wie einen Fächer bewegend. John fuhr fort, ins Grüne zu starren. Was
gingen ihn diese Mädchen an?! Ja, wenn Peter gekommen wäre -- --! Es tat
ihm sehr leid, daß »der Junge« zu Hause sein mußte. Die Mädchen girrten
wie Tauben, als sie an dem seltsamen Paar vorübersprangen. Gleich danach
platzten sie los. Ihr Lachen rieselte die Schlucht herauf und herunter, und
das Echo gab es verhaltener wieder.

Und die Vögel sangen, und die Wellen riefen, und es duftete das Laub. Es
war ein Frühlingstag, wie es nicht viele gibt; die Welt war so schön wie
ein Traum. Selbst Johannes empfand das. Unwillkürlich nahm er die Mütze ab
und saß barhäuptig da, als sei er der Natur diese Ehrfurcht schuldig.

Nach einer halben Stunde waren sie unten und schritten Arm in Arm bis
zum Ende der Mole, wo es ganz menschenleer war, und nur die Wogen, gleich
wilden Pferden, mit lautem Geschrei und hochflatternden weißen Mähnen
dahergestürmt kamen. Die Mole war schmal und kroch wie eine graue Schlange
am Fuß der steilen, beinahe ockerfarbenen Dünenwand entlang, von der hier
und da der gelbe Sand, leise klirrend, herunterrieselte. Auf der Höhe
standen große Bäume, und einer von ihnen neigte sich weit über die Düne,
als müsse er herunterschauen oder als sei er im Begriff herabzustürzen. Der
Himmel war afrikanisch blau über dem leuchtenden Gelb der steilen Sandwand.

John war, als fahre die Mole unter ihm davon, als sie stehen geblieben
waren und auf das Wasser blickten; sich auf Johannes stützend, schloß er
erschreckt die Augen. Nun fuhr er mit; die Mole und die ganze Welt schien
langsam mit ihnen davonzufahren. John hielt sich an Johannes, wie der
Schiffbrüchige am Mast, und auf einmal glitt er lautlos zu Boden. Ein
Schwindelanfall, der nur langsam vorüberging. »Ich bin schläfrig,« sagte er
schließlich auf Pfarrers angstvolles Fragen mit seiner gewöhnlichen Stimme,
und er streckte sich aus und ließ die Sonne auf seinen gelben Wintermantel
brennen.

Der Schwachsinnige strich ratlos seinen Christusbart, er blickte scheu auf
das große Wasser, dem er nun ganz allein gegenüberstand; am liebsten
wäre er nach Hause gelaufen. Nach einer Weile hockte er sich neben seinem
bereits schnarchenden Freunde nieder, der See den Rücken zudrehend, und sah
unentwegt auf die Reisetasche: ihr Anblick war ihm eine Oase in der Wüste.
Den Handschuh hatte er längst wieder abziehen müssen. John hatte ihm vor
allen Leuten mit einer Backpfeife gedroht, wenn er es nicht auf der Stelle
täte. Es war ihm nichts anders übrig geblieben, als zu gehorchen.

Pfarrers Phantasie sah auf der Tasche einen Mädchenkopf mit großen,
lachenden Augen. Pfarrer hatte sich wieder einmal verliebt. Das eine der
beiden Mädchen, die auf der Treppe an ihm vorübergesprungen, hatte es ihm
angetan. Und nun glaubte er, sie immer wieder kichern zu hören; es war aber
nur der Sand, der so klirrend von der Düne rieselte.

Es rieselte ... es rieselte, und die Wogen warfen sich mit eintönigem
Geschrei gegen die Mole. Pfarrer legte das Gesicht auf die Reisetasche, da,
wo er sich den Mädchenkopf dachte, und brummelte sich in den Schlaf.

Die Wellenpferde kamen laut herangejagt, sprangen an der Mole hoch und
brachen fauchend zusammen; neue kamen, sprangen an der Mole hoch und
brachen fauchend zusammen; neue kamen ... und die Sonne sah ihnen strahlend
zu und segelte majestätisch ihren Weg.

Es war gegen halb sechs, als John endlich aufwachte. »Dore! Kaffee!
Kaffee!« brummte er.

»Kaffee! Kaffee!« echote der Idiot.

John sah sich betreten um. »Pfarrer,« stotterte er, sich die Augen reibend,
»was ist das hier?«

»Ostsee! Ostsee! Ostsee!«

Der Kranke verzog das Gesicht. »Ich säße jetzt lieber zu Hause,« sagte er
mißmutig.

»Ich auch! Ich auch!« sagte Johannes.

»Da hinauf komm' ich heut' nicht mehr,« murmelte John, auf die Düne
zeigend.

Johannes verfärbte sich. »Bleib nich! Bleib nich!« rief er entsetzt.
»Graurig hier! Graurig hier im Dunkeln!«

»Ich werde schon Mittel und Wege finden, daß wir vor acht auf dem Bahnhof
sind,« versetzte der Trinker mit seinem Imperatorenlächeln.

Und der Schwachsinnige vertraute seinem Ideal. »Is gut! Is gut!« sagte er
beruhigt.

John versuchte nun fröhlich zu sein; aber es wollte ihm nicht recht
gelingen, und je näher der Abend kam, desto stiller wurden sie alle beide.
Johannes begann wieder zu essen; doch diesmal ohne Genuß: die große Nähe
des weiten, lärmenden Wassers bedrückte zu sehr sein Gemüt. Und John
bedrückten Todesgedanken. Er kam sich vor wie ein Sterbender, der sich noch
einmal in die Sonne gesetzt, der das Meer und die Sonne noch einmal sehen
wollte, um von ihnen Abschied zu nehmen. Das Gebrüll der Wogen hatte
seine Fröhlichkeit verloren. Sie klagten jetzt immer lauter und lauter
und hohler: eine tragische Musik. John lehnte sich schwer an die kalte
Dünenwand mit dem rieselnden Sande. Er hatte einen Ton im Ohr, der aus der
Ferne zu kommen schien, aus einer Ferne, die nicht auf Erden war. Der Tod
schlug mit der Sichel an. »Ich komme bald!« klang's aus der Ferne.

»Ich verreise nächstens,« sagte John plötzlich.

»Weiß! Weiß!« murmelte Johannes.

»Nicht in die Anstalt,« sagte der Trinker.

Der Schwachsinnige wieherte geheimnisvoll, so, als wisse er über alles
Bescheid.

»Weißt du, zu wem?« fragte John.

»Zu wem? Zu wem?« stotterte Johannes.

»Zum Tode -- Pfarrer.«

Der Idiot lachte verblüfft und ängstlich. »Ach ja --?!« sagte er mit
ungläubiger Miene. Und dann halb scherzhaft, halb wißbegierig: »Hat er
einen Garten? Einen Garten?«

»Einen großen,« erwiderte John, »mit einer hohen, blutroten Mauer herum.«

»Äpfel? Äpfel im Garten?«

»Nee! Mohnblumen, nichts als Mohnblumen.«

»Was tust mit Mohnblumen?!« sagte Johannes in wegwerfendem Tone.

»Du riechst sie,« murmelte John, »und dann vergißt du das Leben: alles, was
dich geplagt hat.«

»Will nich verjessen! Will nich!« brummte Johannes trotzig.

»Aber eine Zigarre würdest du wollen, was?«

»Ja,« sagte der Schwachsinnige, treuherzig wie ein Kind.

Er bekam eine und sog wie ein Rasender an dem dicken, etwas feucht
gewordenen Stengel, ohne ihn in ordentliches Glimmen zu bekommen. John
lachte über Pfarrers verzweifelte Anstrengungen, aber seine Augen sahen
nach Tränen aus; denn seine Schmerzen meldeten sich, und es begann ihn auch
zu frieren, da die Sonne hinter großen Wolken verschwunden war. Die Wolken
waren, kaum bemerkt, herangezogen und standen nun wie Elefanten am Himmel,
See und Land beschattend und die Mole mit den beiden traurigen Träumern.

»Warum ließen sie mich zum Säufer werden?« stieß John nach langem Schweigen
zwischen den Zähnen hervor.

Der Schwachsinnige wieherte kläglich.

»Warum ließen sie es zu?« wiederholte John fast schreiend in
herzzerreißendem Tone.

»Iß! Iß!« stammelte Johannes in ratloser Bestürzung.

Die Elefanten schickten einen kurzen, klingenden Hagelgruß herunter, auf
den ein harter, rascher Regen folgte. Die Tropfen tanzten zischend über die
Frühlingssee und klapperten rhythmisch auf der Mole. Dann wurde es wieder
still. Die Sonne schob ihr gelbes Kinn um die Ecke einer Wolke, und ein
Regenbogen flammte groß und strahlend am dunkeln Himmel auf. Das war das
Finale des kurzen Konzertes.

Auf John und Johannes wirkte der Regenbogen wie Regimentsmusik. Sie reckten
sich die Hälse nach ihm aus und machten frohe Augen und schüttelten lachend
den Regen ab, dem sie ganz regungslos standgehalten. »Es ist Zeit, daß wir
aufbrechen,« sagte John nach einem tüchtigen Schluck aus der Kognakflasche,
und nun mußte Johannes die Tasche nehmen, und dann ging es zu seinem
Erstaunen von der Mole herunter, immer weiter in die Fremde hinein. Es
war nicht leicht, durch den nassen Sand zu wandern, über diesen schmalen
Strand, den von der Düne gestürzte Bäume und große Steinblöcke versperrten.
Johannes wurde immer kleinlauter; John lachte, obgleich ihm die
Schweißtropfen auf der Stirn standen. Doch der Schwachsinnige vertraute
auch jetzt seinem Ideal. Er fragte nicht einmal: Wohin gehen wir
eigentlich? Gehen wir hier zur Bahn? Er trabte schweigend mit, die tote
Zigarre im Munde.

So ging's bis zur nächsten Ecke der Dünenwand, hinter der zu Pfarrers
Freude die Bodenerhebung sich senkte. Man hatte die Düne auf dieser Stelle
bis zu einer sanft ansteigenden schiefen Ebene erniedrigt, eine Ebene,
die die Fischerkinder dazu benutzten, um darauf in Purzelbäumen zur See
herunterzuschnellen.

Drei Jungen waren eben dabei, auf diese Art den Abstieg zu machen, als
John und Johannes, fremdartig wie die Weisen aus dem Morgenlande, auf der
Bildfläche erschienen. »Ziert euch nicht!« rief der Trinker. »Immer runter
was die Büxen halten!«

Sechs braune Beine schnellten hurtig durch die Luft, und bald standen
drei sommersprossige, weißblonde Bengels in blauen Hosen auf dem Strande.
»Jungens, habt ihr nicht einen Handwagen?« fragte John leutselig.

Es kam heraus, daß die Eltern von Tiburzigs Franz einen hatten, einen ganz
neuen, auf dem ein Mensch bequem sitzen konnte. Tiburzigs Franz versprach,
ihn zu holen, und für fünfzig Pfennige wollten die Jungen das Paar in die
Höhe fahren.

Johannes zog es vor, zu Fuß zu gehen, und nur John stieg in die
Kutsche, stolz und gelassen wie ein Triumphator. Ein Dutzend schmutziger
Fischerkinder schrien hopsend »huhraaah«, als die Fahrt losging. John
lächelte huldvoll nach allen Seiten, und manchmal sah er nach der
Regenbogenbrücke auf, und manchmal sah er nach dem Meer zurück. Die
Wogen schwankten bacchantisch ihren Weg; sie schwankten, hoch und voll,
schwarzgrün und gläsern, mit weißem Schaum und roten Flecken unter dem
breiten Lächeln der sinkenden Sonne dem stillen Strand entgegen.

Und das Grün der Gärten schimmerte wie Smaragd nach dem Osterregen, und
der Flieder duftete schon vor dem Blühen. Es war ein Frühlingsabend, wie es
nicht viele gibt; die Welt war so schön wie ein Traum.



Fünftes Kapitel


Peter war verschwunden. Am zweiten Osterfeiertag, als John und Johannes
an der See waren. Das war ein Herzeleid für John. Er schickte immer wieder
Leute auf die Suche nach ihm aus, er annoncierte seinen Verlust immer
wieder in den Zeitungen; es nützte alles nichts: Peter blieb verschwunden.
Und die Frühlingstage kamen und gingen, und John dachte nicht mehr daran,
in die Anstalt zu gehen; er dachte nur an seinen verlorenen Liebling. Er
betrauerte ihn wie einen Sohn, er fand nicht Ruh bei Tag und Nacht, wenn er
sich das Tier in schlechten Händen vorstellte. Seine Liebe zu Peter wuchs
ins Grenzenlose, ins Abnorme. Und er trank vom Morgen bis zum Abend, um
seinen Kummer zu betäuben.

Doch eines Morgens erwachte er mit heiterer Miene. Sein Gesicht war ganz
naß von Tränen; aber seine Augen strahlten. Noch vor dem Aufstehen
schickte er nach Johannes, weil er ihm etwas sehr Schönes und Merkwürdiges
mitzuteilen habe.

Der Schwachsinnige trat mit weißen Glacéhandschuhen an und war so neugierig
wie hungrig. Doch beim Anblick von Johns Frühstück verließ ihn die Neugier
und nur der Hunger blieb; er vermochte kein Auge von dem besetzten Tablett
zu lassen. John sah ein, daß Johannes nicht imstande sein würde »das
Wunderbare« zu würdigen, ehe er nicht gefrühstückt hatte. Rasch auf das
Tablett zeigend, hieß er ihn essen, so schnell er konnte.

Der Schwachsinnige griff zu, als habe er schon tagelang fasten müssen. John
heftete die verschwimmenden Augen auf die verräucherte Decke und wartete,
die wachsgelben Hände wie zu einem Dankgebet auf der Decke gefaltet, bis
Johannes mit dem Frühstück fertig war. Dann hub er an:

»Mir träumte, daß wir beide auf den Kirchhof gingen. (Johannes nickte
beifällig. Auf den Kirchhof ging er gern. Ohne daß John es merkte, hob er
mit angefeuchteten Fingerspitzen Krümel auf, um sie heimlich in den Mund zu
stecken.) Ein herrlicher Traum!« flüsterte der Trinker. »Der ganze Kirchhof
war bunt von Blumen -- und wir suchten Peters Grab. Er sollte dort begraben
sein. Und als wir zu dem Winkel kamen, wo jetzt die vielen Vergißmeinnicht
blühen, da stand er plötzlich vor uns. Viel größer als früher und so schön,
so schön! Sein Fell strahlte wie schwarzes Metall, und seine Augen waren
wie kleine blaue Monde, und am Halse trug er eine große Passionsblume. Wir
hatten Angst, ihn anzufassen; aber da kam er auch schon auf mich zu und auf
einmal -- auf einmal sagte er: ›Vater!‹«

Johannes wieherte ganz verdutzt. »Wirklich wahr? Wirklich wahr?« fragte er
ungläubig.

»Er sagte Vater -- ich höre es noch. Und dann sagte er, es gehe ihm gut; er
sei nun tot und habe alle Quälereien hinter sich. Und ich soll mich nicht
mehr um ihn grämen.«

Johannes blickte John ratlos an. Verlegen seinen Christusbart streichend,
bemühte er sich schweigend mit der Zunge nach einem Krümel in einem hohlen
Zahn: er sah recht einfältig dabei aus. »Jehn wir heut spazieren?« fragte
er demütig.

»Ja,« sagte John, die Augen wieder nach oben richtend, »wir gehen heute auf
den Kirchhof. Nach dem Vergißmeinnichtwinkel. Vielleicht erscheint er uns
dann noch einmal -- noch einmal ...« Es sprach eine solche Sehnsucht aus
diesen beiden Worten, daß selbst Johannes ergriffen war. --

Aber der Winkel blieb leer. Kein Peter kam, so sehr ihn John auch rief. Da
ließ er sich auf eine Bank fallen und weinte wie ein Kind. Und es war ein
so lieblicher Maiennachmittag. Auferstehung, Auferstehung glänzten Blätter
und Blumen, und die Vögel, die über den Kirchhof flogen und auf den Bäumen
saßen, erzählten zwitschernd und singend von der Süße des Lebens.

Nicht weit von dem traurigen Paar saß ein kleiner, buckliger Mann. Er
saß auf einem Holzgestell vor einem Kreuz, dessen Inschrift er frisch
bronzierte. Er pfiff langsam und selbstgefällig ein Kirchenlied, wobei er
seinen runden schwarzen Kopf wie eine Kugel zwischen den hohen Schultern
hin- und herrollte.

»Hör' schon auf!« brüllte John, als das fromme Lied kein Ende nahm.

»Na nu', Gott geb! Man wird doch wohl noch pfeifen dürfen!« brummte der
Bucklige, und dann brummte er noch einiges, was unverständlich blieb, und
dann versank er in tückisches Schweigen. Doch von Zeit zu Zeit spie er
heftig auf die Erde, wodurch er John seine Verachtung ausdrücken wollte.

Das reizte den Trinker und zog ihn von seinem Kummer ab. Er begann, dem
Buckligen Prügel anzubieten, wie er es in früheren Jahren so rasch zu tun
pflegte. Er prahlte mit Kräften, die er schon lange verloren. Er stärkte
sich mit Kognak und wischte sich ärgerlich die Tränen vom Gesicht.

Warum heulte er denn noch immer? Peter ging es doch gut, und er hatte ihn
doch selbst gebeten, sich nicht länger um ihn zu grämen. Es war allerdings
entsetzlich schwer, das Tier zu entbehren -- (große Tränen kamen aufs neue)
-- aber die Hauptsache war doch, daß es ihm gut ging. Und es ging ihm gut.
Peter hatte es ja selbst gesagt.

Nun standen sie auf, um nach Hause zu gehen. Peter konnte wohl doch
nicht erscheinen. Als sie an dem Buckligen vorüberkamen, gab John dem
Holzgestell, auf dem er saß, einen heimlichen Stoß, und der kleine Mann
kollerte zeternd herunter. Das erheiterte John und stimmte ihn versöhnlich.
»Wie kam das nur?« fragte er, sich unschuldig stellend. Und dann setzte er
sein Imperatorenlächeln auf und sagte mit herablassender Herzlichkeit: »Na
lassen Se sich mal ordentlich abstäuben.« Nachdem er es mit aller Sorgfalt
getan hatte, verließ er mit Johannes den Kirchhof.

Am alten, grauen, zweistöckigen Offizierkasino blieben sie stehen und
lauschten. Innen erklang eine elegische Musik. Im zweiten Stock standen
einige Fenster offen, und aus dem einen ergoß sich plötzlich der feuerrote
Vorhang wie ein breiter Blutstrom.

»Sieh,« flüsterte John, »eben dacht ich, wie rot Peters Blut wohl gewesen
sein mag. Da kam der Vorhang heraus.«

Johannes wollte weitergehen, aber John stand und starrte wie gebannt auf
den roten Strom. »Mir ist ganz sonderbar,« sagte er, »mir ist, als gehöre
ich gar nicht mehr zu euch, als bin ich schon von einer andern Welt ...
Weißt du, Pfarrer, ich seh' und höre nicht mehr wie früher; ich seh' und
höre andre Dinge als ihr. Und was ich weiß, das wißt ihr nicht, und ich
vermag es euch auch nicht zu sagen.«

»So? So?« stotterte der Schwachsinnige.

Und John fuhr fort, nach oben zu starren, grelles Sonnenlicht auf dem
fahlen Gesicht. Aber da wurde der Vorhang hereingezogen, und die Musik
verstummte. »Geh'n wir!« sagte er nun in alltäglichem Tone.

Die Straße war breit und alt und auf der einen Seite mit großen
Kastanienbäumen besetzt. An einem Gartenzaun hüpfte ein junger Spatz
herum, der noch nicht fliegen konnte und jämmerlich piepste. »Hände weg!«
herrschte John die beiden Jungen an, die um den Vogel herumsprangen, und
er bückte sich und fing ihn ein. »Den zieh ich auf, bis er fliegen kann,«
sagte er, voller Freude über die unerwartete Aufgabe.

Frau Kalnis stellte er den Spatz als Peters Brüderchen vor. Doch dann
entdeckte er, daß das Brüderchen ein Schwesterchen war. Er gab ihm einen
Kuß und taufte es Mimi. Mimi sollte gleich zu essen haben. John wußte,
wie man junge Vögel fütterte. Aber er fühlte sich so schwach nach dem
Spaziergang, daß er sich hinlegen mußte. Dore fütterte Mimi unter großem
Wortschwall mit angefeuchteten Kuchenkrümeln. John meinte, wenn Dore einmal
stürbe, würde es wohl notwendig sein, ihr Mundwerk noch extra mit einem
Waschholz totzuschlagen, wenn man es still kriegen wollte. Dann lag er ganz
apathisch da, den Vogel auf der Hand, schwermütig an Peter denkend.

Mimi senkte den Kopf ins Federmäntelchen und schlief ein. Ihr Figürchen
hockte wie ein kleiner grauer Pompon auf Johns Hand. Es dauerte indessen
nicht lange, so wurde sie wieder munter und begann, sich mit dem kleinen
Schnabel die kleine Brust zu kratzen. »Flöhchen hat du auch?« sagte John
entzückt, an Peter denkend. Er wollte ihr beim Kratzen helfen, doch Mimi
mochte es nicht; John war ein Herr und sie ein Fräulein.

Gegen Abend zeigte Mimi durch eifriges Schnabelaufsperren an, daß sie schon
wieder Hunger habe. Der Trinker erhob sich willfährig wie ein junger
Vater, der ein hungriges Baby zu füttern hat. »Kuchen mit Milch tut's nicht
allein,« dachte er, »ein bißchen frischer Braten ist ihr notwendiger.«
Eifrig machte er sich ans Fliegenfangen, und es gelang ihm auch, ein halbes
Dutzend Fliegen zu erwischen. Mimi aß sie alle auf, indem sie nach Johns
Dafürhalten vor Vergnügen schmatzte.

Und nun galt es, ihr ein hübsches weiches Nest zu machen. Es sollte ein
Nest sein, das dem Spätzlein die Illusion zu geben vermochte, es schliefe
unter einem schönen Blätterdach. John formte zuerst das Nest aus einem
weichen, grünen Tuch, in einem friedlichen Winkel seines Zimmers, und
dann umzingelte er Dores Fächerpalme mit der Schere, um das Blätterdach zu
ergattern. Die Fächerpalme war Dores elegantestes Möbelstück, sie liebte
und pflegte sie wie ein Kind; niemand durfte sie berühren. Dessenungeachtet
gelang es John, ihr ein herrliches Blatt abzuknipsen, das er dann gleich
einem Schirm über Mimis Ruhestätte befestigte. Dore raste, als sie die Tat
entdeckte, Dore ärgerte sich die halbe Nacht darüber. Aber Mimi schlief gut
unter ihrem grünen Thronhimmel.

Auch John schlief gut in dieser Nacht. Er träumte nicht wie gewöhnlich, daß
ihm der Tod in der Ferne eine traurige und eintönige Musik vorspiele, oder
daß ihn dunkle Männer schon hinaustragen wollten; er träumte von Mimi, von
Fliegenbraten und Vergißmeinnicht. Doch einmal träumte er auch, daß Mimi
in einem Winkel totgetreten läge. Da fuhr er auf -- und freute sich,
erwachend, daß es nur Trug gewesen.

Als Dore früh am Morgen ihre Tür öffnete, sah sie John im Hemd auf der
Diele liegen und den Vogel füttern. »Sie hatte schon Hunger,« flüsterte er,
seinen Spatz mit zärtlichen Blicken betrachtend.

»Sie werden sich aber erkälten,« wandte Dore ein.

»Was tut's,« murmelte er, ganz hingerissen von der Lieblichkeit des kleinen
Vogels.

Mimi begann, auf der Diele herumzuhüpfen und zierliche Flugversuche zu
unternehmen. John stieg wieder ins Bett und sah ihr herzinnig zu. Sie
hüpfte herum, sie flatterte ein bißchen, und manchmal stieß sie niedliche
Tönchen aus. »Hörten Sie, Frau Kalnis?« fragte John jedesmal entzückt, wenn
Mimi einen kleinen Zwitscher tat.

Draußen musizierten die Vögel auf dem Birnbaum, was sie konnten, jeder
auf seine Art. Mimi übte sich im Fliegen und ließ, antwortend, ihr
feines Stimmchen ertönen. Dore ging geschäftig hin und her, ihr Zimmer
reinmachend. John schloß die Augen, um besser lauschen zu können, und
schlummerte dabei gegen seinen Willen ein. Als er sie wieder öffnete, war
alles still im Zimmer; von Mimi nichts zu hören, nichts zu sehen. »Frau
Kalnis,« rief er ängstlich, »seh'n Sie doch mal nach, wo der Vogel ist! Ich
war eingeschlafen.«

Dore erschrak, denn sie hatte den Vogel über ihrer Arbeit ganz vergessen.
Als sie suchend umherblickte, sah sie ihn still und steif auf ihrer
Schwelle liegen. »Herrgott, den werd' ich wohl betreten haben!« rief sie
bestürzt.

»Aber doch nicht sehr?« schrie John, an seinen Traum denkend.

»Er ist tot,« flüsterte Dore, aufrichtig betrübt.

John sprang aus dem Bett und packte sie erregt an den Schultern. Dore
wollte den Spatz, erschreckt, durchs Fenster werfen, aber John riß ihn an
sich und ging mit ihm ins Bett. Dort hielt er Mimi, so still er konnte, auf
seiner zittrigen Trinkerhand, und seine Tränen fielen dicht und warm neben
den sterbenden Vogel. Mimis kleiner Schnabel stand weit offen, und aus dem
Halse quoll Blut. Das eine Auge hing wie ein kleiner, bläulicher Globus
ganz und gar aus dem Kopf heraus. Das Körperchen zuckte noch ein paarmal,
und dann streckte es sich langsam aus: Mimi war tot. Draußen zwitscherten
die Vögel, was sie konnten; aber kein feines, dünnes Stimmchen gab mehr
Antwort im Zimmer.

John begrub seinen Vogel eigenhändig in einem schönen Kästchen unter dem
Birnbaum. Er tat es selbst, damit es so gut wie möglich geschah. Und ihm
war, als begrabe er in dem Kästchen seine allerletzte Freude auf Erden, als
sei nun alles, auch alles für ihn zu Ende. Die Sonne schien so schön, und
der Birnbaum regnete weiße Blüten -- alles für andere, für ihn nichts mehr;
keine Schönheit und keine Freude: seine Zeit war abgelaufen. Mit hängendem
Kopf humpelte er in seine Wohnung und legte sich schweigend ins Bett.

Dore kam leise mit der Bibel zu ihm herein. Ohne zu fragen, begann sie mit
gedämpfter Stimme sein Lieblingskapitel: das Hohe Lied. John schwieg, das
Gesicht nach der Wand gedreht. Aber als Dore den Vers gelesen hatte:

Ich bin hinab in den Nußgarten gegangen, zu schauen die Sträuchlein am
Bach, zu schauen, ob der Weinstock grünete, ob die Granatäpfel blüheten ...
da sagte er: »Wie schön ist das nur! Das lies mir vor, wenn ich sterbe.«

»Sie werden ja nich sterben.«

»Dumme Trine.«

»Aber Herr Johnche ...«

»Schweig!«



Sechstes Kapitel


Heute war Onkel Johns Geburtstag, und darum hatte er seine Sportmütze mit
einer kurzen Pfauenfeder geschmückt. Die Mütze auf einem Ohr, ging er mit
strahlender Miene in seinen großen Blumengarten, hinter dem Hause. Neben
ihm trippelte ein Tier, das weder ein Hund noch eine Katze war, sondern ein
gewaltiger, goldroter Hahn, den Onkel John »Kakao« nannte, weil der Hahn
dieses Wort so schön sagen konnte. Heute hingen tonnengroße Lampions an den
Akazien und Fliederbäumen des Gartens, und die Wege waren frisch mit Kies
bestreut. In dem kleinen, künstlichen Teich, den ein Kranz von großen rosa
Muscheln umschloß, schwammen ganz wunderliche, dunkle Fische herum, die
sich Onkel John für schweres Geld selbst zum Geburtstag geschenkt hatte.
Und ihre großen, hervortretenden Augen beglückten ihn. Er hob Kakao in die
Höhe, damit er sie auch bewundern konnte. Aber Kakao interessierte sich nur
für sein Spiegelbild, mit gesträubten Federn darauf losstrebend. »Dummer
Junge,« sagte der Onkel, ihn mit einem zärtlichen Klaps zur Erde
setzend. Die beiden Johns, der ältere wie der junge, hatten nebst andern
Eigentümlichkeiten auch die gemeinsam, daß sie den Tieren freundlicher
gesinnt waren als den Menschen, daß sie die Tiere liebten, wie die Bibel
befiehlt, den Nächsten zu lieben, und daß sie die Menschen gern wie Tiere
behandelten.

Hinter dem Blumengarten lag der Obst- und Nußgarten, in dem dumpf und emsig
ein Bienenvolk brauste. Manchmal kam von dort ein Bienchen zu Onkel John
geflogen und kroch zutraulich auf ihm herum. Die Bienen taten ihm nichts;
sie kannten ihn. Gleich einem glücklichen König stolzierte er in seiner
Blumenwildnis herum. Die Moosrosen, seine Lieblinge, hatten Knospen
getrieben, die Asphodelos, die goldnen, grüßten ihn mit ihren schönen
Häuptern, wohin er seine Blicke auch wandte. Es war ein Blühen überall,
umflattert von bunten Schmetterlingen. Onkel John liebte seinen Garten wie
eine schöne Frau. Seine Gattin war ihm nie, was ihm sein Garten im Frühling
war.

»Willkommen, mein Prinz!« rief er heiter, als sein Lieblingsneffe
dahergestolpert kam.

John torkelte ihm gerührt in die Arme und küßte ihn, gratulierend, auf den
fuchsgelben Schnurrbart. Dann ging er gleich zu den wunderlichen Fischen,
die ziemlich matt in ihrem hellen Wasser standen.

»Rat' mal, was sie gekostet haben!« sagte der Onkel und blies die Backen
auf.

Der Neffe meinte: »Hundert Mark.«

»Was, hundert Mark?« Der Onkel rollte die grellblauen Augen. »Sag
dreihundert und du hast es getroffen.«

Hundertfünfzig also, dachte John, aber er sprach es nicht aus. Nun
seinerseits die Augen rollend, flüsterte er: »Dreihundert? Donnerwetter
noch mal!«

Das gefiel dem Onkel, das schmeichelte seinem Protzentum. Er zog das
Portemonnaie aus der Tasche und schenkte dem Neffen wie einem Bedienten
zehn Mark, damit er den Tag auf seine Art feiern könne. John kicherte und
bedankte sich. Für die zehn Mark wollte er zwei Flaschen Kognak kaufen:
zwei Flaschen Lethe gegen seinen Kummer -- und seine Schmerzen. Von
denen er niemals sprach, über die er niemals klagte: er trug sein
selbstverschuldetes Leiden mit stolzem Schweigen; kein Mensch, außer dem
Arzt, ahnte, wie groß die Qualen waren, die ihm sein zerrütteter Körper
bereitete. Der Onkel holte ihm einen Stuhl an den Teich, weil er sah, mit
welcher Mühe er sich aufrecht erhielt. Kakao stand gelangweilt umher. »Er
sehnt sich nach seinen Damen,« sagte schmunzelnd der alte John. Nach einer
Weile zog er mit dem Hahn ab, weil er »dem Tier sein Vergnügen gönnte«, wie
er sich ausdrückte.

John stand schwerfällig auf und nahm eins der schönsten Lampions herunter,
eine feuerrote Tonne, auf der Kraniche nach dem Mond schwebten. Er
versteckte es hinter einem Baum im Gras, um es später mitzunehmen, wenn es
sich unbemerkt machen ließ.

Wie strahlend herrlich war der Garten! Welche Fülle von Blumen und
Schmetterlingen! John sah sich seufzend um und sank dann wieder auf den
Stuhl zurück, die Arme auf die Lehne drückend und den Kopf melancholisch
darüberhängend. In seinen Ohren tönte der Vers aus dem Hohen Lied, den er
so sehr liebte:

  Ich bin hinab in den Nußgarten gegangen,
  zu schauen die Sträuchlein am Bach,
  zu schauen, ob der Weinstock grünete,
  ob die Granatäpfel blüheten ...

Voll Neid dachte er an die, die sich am Nachmittag im Garten vergnügen
würden. Das waren seine Eltern, seine Brüder, alle übrigen Verwandten und
noch viele, viele Leute, -- nur er nicht, nur er nicht. Sein Kopf sank noch
mehr gegen den Wasserspiegel, und eine Träne rann über sein gelbes Gesicht
zu den wunderlichen Fischen herab.

Herrlich würde es sein im Garten -- gegen Abend, wenn der Mond erst schien
und all die bunten Lampions leuchteten. Lachende Leute würden am Teich
sitzen und roten und gelben Wein trinken, Leute, die weder Kummer noch
Schmerzen hatten und vor sich ein schönes, langes Leben sahen. Das
Mondlicht würde auf ihren fröhlichen, roten Gesichtern glänzen und auf den
Weingläsern in ihren Händen. Sie würden anstoßen und scherzen und lachen
und singen ...

Und er? Und er? Er lag dann im Bett und lauschte voll Grauen auf die
eintönige Musik in seinen Ohren, diese Musik, die immer schauerlicher,
immer todestrauriger wurde. Dann die Schmerzen -- und die Träume, die
schrecklichen Träume ...

Und das alles, das alles durch eigne Schuld, durch eigne Schuld; er durfte
sich nicht beklagen, er durfte niemand dafür verantwortlich machen.

Onkel John war unbemerkt zurückgekommen und stand nun laut lachend da.
»Was, wir blasen Trübsal? Heut', an meinem Geburtstag? Noch schöner!«

John machte seine Miene steif und seine Stimme hart. »Fällt mir nicht ein,«
brummte er. »Ich seh mir bloß die Biester aus nächster Nähe an.« Und dann
lehnte er sich zurück und erzählte dem Onkel, daß Frau Kalnis mitunter in
seinen Nußgarten gehe, um dort heimlich junge Sträuchlein auszureißen, die
sie dann verkaufe.

Ein verblüffender Junge, dachte der Onkel entzückt, den Neffen mit
Hochachtung betrachtend. »Diese Person!« schmetterte er los, sich das
Lachen verbeißend. »Na warte! Die kauf ich mir!«

Johns Gesicht war plötzlich noch fahler geworden. »Hörst du das auch?«
flüsterte er, in halb entsetztem, halb seligem Lauschen.

»Ich höre nichts,« sagte der Onkel; aber seine Miene widersprach seinen
Worten, und seine verlogenen Augen suchten den Boden.

»Da wieder!« schrie John.

»Da wieder! Von dort! Jetzt noch lauter!«

»Laut, lauter, am lautesten!« rief der Onkel, schallend in die Hände
klatschend. »Was ist dir, mein Sohn?« fragte er neckisch. »Hast du
Halluzinationen? Bist du meschugge geworden? Aber setz dich doch bloß. Ich
lasse Wein bringen. Warte!«

Aber John riß sich los und stürzte fort. Er eilte, so rasch er konnte, nach
dem Hintergarten. Der Onkel folgte ihm mit steinerner Miene. Mochte kommen,
was wollte, er war zu jeder Lüge bereit.

Mit einer Kraft, die ihm niemand mehr zugetraut hätte, riß John die
verhakte Tür nach dem Hintergarten auf. Seine Augen fuhren wie Blitze durch
den ganzen Garten und blieben rechts an einem Häuschen hängen. Das Häuschen
hatte er noch nie gesehen.

»Hab mir da einen Stall bauen lassen. Für meine Ziegen,« sagte nachlässig
der Onkel.

»Seit wann hast du Ziegen?« stammelte John, bis zum Wahnsinn enttäuscht.

»Seit Monaten schon.«

»Warum sagtest du denn, du hörtest nichts? Warum sagtest du denn das? Du?«

»Was ist das für ein Ton? Was -- was erlaubst du dir?« schnaubte der Onkel,
eine neue Maske auf dem falschen Gesicht.

»Mämämämä ...« tönte es aus dem Stall.

»Das ist Peter!« schrie John, nach dem Stall stürzend. Der Stall war
verschlossen; aber sein leichtes Türchen gab unter einem wilden Fußtritt
nach -- und wie ein Rasender stürzte ein schwarzundweißer Ziegenbock heraus
und auf seinen richtigen Herrn zu.

»Mein Junge!« stammelte John, ihn ganz außer sich an sich drückend.

Der Onkel stand mit angestrengter Heiterkeit daneben. »Na, ist mir die
Überraschung gelungen?« fragte er frech.

John sah ihn mit rollenden Augen an. Er trat, die Faust hebend, auf ihn zu
-- doch da verließen ihn seine Kräfte, und er mußte sich am Zaun halten.

Peter versuchte, seinem Herrn die Glatze zu lecken, und eine schöne
weiße Ziege, seine junge Frau, stand neugierig neben ihm. Der Gärtner
kam herbeigeeilt und fragte, was geschehen sei. »Ach nichts,« sagte Herr
Zarnosky ganz ruhig, »mein Neffe behauptet, daß es sein Bock sei.«

»Das kann ja stimmen,« erwiderte der Gärtner, »wechjelaufen is er doch von
irjendwo.«

»Ich muß einen Bock anschaffen. Zerline hat sich an den Gefährten gewöhnt,«
sagte Herr Zarnosky mit Gemüt.

John stieß die Hände des Onkels zurück, als dieser ihm ein Glas Wein
hinhielt. Aber als er ihm das Lampion brachte, dessen Verschwinden dem
alten Fuchs nicht entgangen war, da lächelte er wie ein Kind und nahm es
hastig an sich. Der Onkel schickte ihn in seinem Wagen nach Hause, und der
Gärtner ging mit Peter hinterher.

Frau Kalnis mußte das Lampion an die verräucherte Decke hängen, und abends,
als John im Bett lag, mußte sie es erleuchten. Der Trinker war im siebenten
Himmel mit seinem Peter, seinem eigenartigen Beleuchtungskörper und den
geschenkten zehn Mark, für die er »herrlichen« Kognak kaufen wollte.
Beneiden tat er jetzt niemand, weder die Gäste im Garten des Onkels, noch
sonst wen. Er hielt die weiche Nase seines Peters, der auf dem Bettvorleger
lag, in der Hand, und die Augen hielt er entzückt auf die glühende
Papiertonne gerichtet: auf die Kraniche, die nach dem Mond schwebten,
während er auf das lauschte, was Dore ihm vorlas. Sie las ein Märchen von
Andersen: Die Schneekönigin.

Das Märchen schließt mit den Worten:

  Rosen, die blühen und verwehen,
  wir werden das Christkind sehen.



Siebentes Kapitel


John hatte seinen herrlichen Kognak bis auf den letzten Tropfen genossen,
und nun wollte er alles tun, um wieder gesund zu werden. Daß Peter wieder
bei ihm war, flößte ihm neuen Lebensmut ein. Mit ihm zusammen sollte es nun
auch wirklich in die Heilanstalt gehen.

Die Mutter begann zu weinen, als er ihr eines Morgens, stotternd und
stammelnd, von seiner Absicht sprach. »Siehst du, siehst du,« sagte sie,
»jetzt kommst du endlich zur Vernunft. Wie du dich gründlich ruiniert
hast.«

»Meinst du, ich kann nicht mehr gesund werden?« fragte John mit
schwankender Stimme.

»Was wirst du nicht wieder gesund werden können?!« versetzte sie etwas
gewaltsam. »Wir müssen mit dem Doktor reden. Ich werde mit dem Doktor
reden, was der zu deinem Plan meint.«

»Was warst du für ein gesundes Kind!« fuhr sie in vorwurfsvollem Tone fort.
»Wie haben sie mich um dich beneidet! Du wogst neun Pfund, als du geboren
warst.«

Diese Tatsache war John nicht neu, denn die Mutter erzählte sie mit
Vorliebe. Doch selbst heute versäumte er nicht zu fragen, was er danach
immer fragte: »Hatte ich auch schon Haare auf dem Kopf, als ich geboren
war?«

Frau Zarnosky dachte siebenundzwanzig Jahre zurück, und ein naives Lächeln
trat langsam auf ihr verweintes, immer etwas ängstlich blickendes Gesicht,
dessen einstige Anmut die Jahre vergewöhnlicht hatten. »Ob du Haare
hattest!« sagte sie stolz. »Dein ganzes Köpfchen war mit langen schwarzen
Haaren bedeckt. Und die waren wie Seide. Und sie hatten dir einen Scheitel
gemacht, als sie dich zu mir brachten. Einen Scheitel ...«

John lachte unter Kopfschütteln, so wie ein Mensch lacht, wenn er etwas
höchst erstaunlich findet. Und doch kannte er die Geschichte von seinem
ersten Scheitel schon über zwanzig Jahre. Er wie seine Mutter hatten
die glückliche Gemütsanlage, daß sie sich mit solchen und ähnlichen
Nichtigkeiten über den Ernst einer Situation hinwegtäuschen konnten. Sie
waren wie Kinder: die vor Dunkelm die Augen schließen und am Rande des
Abgrunds ahnungslos mit Blumen spielen. Und sie waren auch so leicht wie
Kinder zu trösten.

»Wie ist es, hast du Schmerzen?« fragte Frau Zarnosky, noch ganz verträumt.

»Nur selten,« log John.

»Na siehst du!« sagte die Mutter beruhigt. »Dann ist es also nicht so
schlimm. -- Du bist ja jung,« setzte sie hinzu. »In deinem Alter --!
Herrgott, da kann sich auch noch alles bessern! Ich werde gleich morgen mit
dem Doktor reden, was er dazu meint.«

»Und wenn er sagt, ich soll nicht?« fragte John mit nervösem Lachen.

Frau Zarnosky fuhr sich erschreckt über ihr dünnes, glatt gescheiteltes
Haar. »Dann wird er etwas andres wissen,« beruhigte sie sich und ihn.

Johns Miene wurde heller und heller. »Hast du nicht ein bißchen Kaviar?«
fragte er verschämt.

»Wenn du nur noch immer Appetit hast,« sagte die Mutter und lächelte, »dann
ist noch alles nicht so schlimm.«

»Wo wird es auch schlimm sein!« brummte der Trinker.

Aber der Arzt war anderer Meinung. »Nicht daran zu denken!« sagte er sehr
ernst, als ihm Frau Zarnosky Johns Entschluß mitteilte. Sie starrte ihn
an, als rede er dummes Zeug, denn sie hatte sich bereits den schönsten
Hoffnungen hingegeben und schon dieses und jenes für die Reise vorbereitet.
»Bei seinem Zustand? Nicht daran zu denken!« wiederholte der Arzt.

Frau Zarnosky verlor gleich alle Selbstbeherrschung. »Muß er denn sterben,
Herr Doktor?« weinte sie laut heraus, obgleich sie sich hätte denken
können, daß John an der Tür lauschte.

»Nur ein Wunder könnte ihn retten,« sagte leise der Arzt.

In den Ohren des Lauschenden erhob sich ein Brausen, das alle Geräusche
um ihn verschlang. Er vernahm nicht mehr, was der Arzt und die Mutter noch
weiter sprachen, einem Betrunkenen gleich taumelte er hinaus auf den Hof
und begab sich in seine Wohnung. Dort warf er sich auf das Sofa, drehte
sich nach der Wand und blieb so regungslos bis zum Abend. Kein Bitten, kein
Klagen, kein Trost und keine Vorwürfe vermochten ihm ein Wort zu entlocken.
Der Wasserfall, der in seinen Ohren zu brausen schien, ließ keinen Laut
zu ihm dringen, und die Verzweiflung, die ihn gepackt hatte, lähmte seinen
Körper und seinen Willen. Schließlich ließ man Peter zu ihm herein, der
kläglich meckerte, weil man ihn tagüber zu füttern vergessen. Mit einem
kecken Satz sprang das Tier auf den Tisch, mitten unter die Teller, einen
zertretend, einen herunterwerfend, und machte sich an Johns Abendbrot. Da
wandte sein Herr zum erstenmal den Kopf um. »Peter,« flüsterte er, »haben
sie dir nichts zu essen gegeben?«

»Mämämämä ...« erwiderte klagend der Bock.

Sie werden ihn hungern lassen und werden ihn schlagen und fortgeben, wenn
ich erst tot bin, dachte John entsetzt, und seine Willenskraft kehrte
langsam zurück, und das Brausen in seinen Ohren schien schwächer zu
werden. In seinem Kopfe reifte hastig ein Entschluß -- der ihm ganz seltsam
erschien, wie er das lebensvolle Tier so vor sich auf dem Tisch sah.

Peter sollte getötet werden, ehe sein Herr starb. John wollte eigenhändig
diesem kräftigen jungen Leben ein Ende machen.

Sein Vorhaben entsetzte ihn beim Anblick des gierig fressenden Tieres. Wer
gab uns die Erlaubnis, fragte er sich, mit dem Leben dieser Geschöpfe zu
verfahren, wie es uns beliebt? Was ist der Mensch für eine Bestie! Aber
Peter mußte sterben, wenn sein Herr einen ruhigen Tod haben sollte. Das
Todesurteil war unwiderruflich gefällt. Zum Wohl des einen wie des andern.

»Junge,« flüsterte John, »sieh mich mal an!«

Der Bock hob den Kopf und sah seinem Herrn dumm und lieb ins Gesicht.

»Wenn du wüßtest, was über dich beschlossen ist!« dachte John.

Der Bock war mit dem Abendbrot fertig und sprang zu seinem Herrn aufs Sofa.
Dore wagte heute nicht zu schelten. »Wollen Se nich auch was essen? Soll
ich nich noch was holen?« fragte sie.

John sah sie an und wies stumm nach der Tür. Da ging sie leise hinaus.

Es wurde ganz still im Zimmer; Peter schlief ein, und sein Herr blickte
regungslos durch das Fenster. Der Himmel war abendblau und doch noch hell.
Die Sichel des Neumonds schwebte gleich einem silbernen Schmuckstück mit
erikafarbenem Schimmer über dem Hof, auf dem ein paar Arbeitspferde des
Ausspannens harrten, große, braune Pferde mit schönen, glasklaren Augen.
Eine Menge Schwalben kreiste mit langen, süßen Schreien in der Luft;
manchmal so tief, daß sie fast die hohen Köpfe der Pferde streiften. Aber
die Pferde verharrten in majestätischer Ruhe, die großen klaren Augen
friedlich geradeaus gerichtet. Das mußt du alles verlassen, dachte John,
vielleicht, wenn der Mond rund geworden -- ist das Trauerspiel schon aus.
Er schauderte.

Gab es einen Gott und ein ewiges Leben? Unnütze Frage! Die Toten konnten
keine Antwort geben und die Lebendigen nur darüber fabeln. Beides: Gott und
ewiges Leben, das waren doch wohl nur Märchen -- die schönsten Märchen, die
die Menschheit sich erfunden. Zum Trost erfunden.

Märchen zum Trost! War das nicht zum Lachen und zum Weinen?! Und da wurden
hohe Häuser gebaut und Lieder gesungen, um dieser Märchen willen, für
diesen eingebildeten König, der nur schweigen konnte.

»Wenn du existierst, dann rufe!« flüsterte John, auf das Sofa schlagend.
»Ich will's hören. Ich hab's nötig.«

-- -- -- --?

-- -- -- --?

Seine Hand erhob sich noch einmal; aber nicht mehr beschwörend:
resignierend. Er seufzte.

»Die Macht des Todes kann niemand bezweifeln,« sagte er darauf laut. »Wenn
Gott existiert, dann ist er ein Krüppel, denn er kann nicht sprechen; dann
ist er unglücklich, denn er kann nicht helfen ... Der Tod -- das ist ein
andrer Kerl!«

Und ihm war, als sähe er den Tod auf sich zukommen, aus dem Dunkel einer
Abendwolke, ähnlich einem Mann mit einem Lasso, der bereit ist, die
Schlinge zu werfen. John schloß angstvoll die Augen und duckte sich auf
dem Sofa zusammen. Es war aber nicht der Tod, der über ihn kam, der Schlaf
übermannte ihn plötzlich.

Und ihm träumte: er stände lauschend auf einem weiten, dunkeln Feld, auf
dem es nichts gab, was ihm zur Deckung dienen konnte -- wenn der Tod kam.
Denn der sollte kommen, der würde kommen, das fühlte John mit einer Angst,
die ihm Tigerstärke gab. Eine unwiderstehliche Gewalt hatte ihn in das Feld
des Todes getrieben, und nun stand er und wartete auf ihn mit angestrengtem
Gehör und schreckensweiten Augen. In der Ferne erklang eine schauerliche
Musik -- die Musik seiner Nächte --, die ihm das Herz mit Angst und Grauen
zu zerreißen drohte. Und plötzlich begann die Erde zu dröhnen von einem
riesigen Gespann, das windgeschwinde herangebraust kam. Der Wagen war aus
Erz, und aus Erz waren die hohen Räder und aus Erz die Füße der dunkeln
Pferde. Und auf dem Wagen stand der Tod mit einer eisernen Sichel in der
Hand, eine Flöte am Munde. Und die Räder und die Füße der Pferde waren rot
vom Blut der Zerstampften und Überfahrnen, und die Sichel war rot vom Blut
der Gemähten.

John sprang mit einem lauten Angstschrei auf den Rücken der Pferde und sah
dem Tod ins Gesicht, nach einem Schimpfwort suchend, das all sein Entsetzen
und seinen Abscheu zusammenfaßte. Der Knochenmann grinste und hob elegant
die Sichel. Wie ein Balletmeister, dachte John, ihm in den Arm fallend und
mit ihm ringend.

Wo der Tod hingriff, brannte es los wie Feuer, und brachen die Knochen
wie dürre Halme. Ein Flammen und Splittern! John raffte seine letzte Kraft
zusammen und brach seinem Gegner den Arm mit der Sichel ab. Dabei erwachte
er.

»Ich verbrenne! Wasser! Wasser!« stöhnte er, nach Luft ringend. Peter
meckerte kläglich.

Dore stand schon mit Selterwasser da und gab ihm zu trinken. John zeigte
ihr stumm, was er in der Hand hielt. »Sein Arm,« flüsterte er, noch
immer nach Luft ringend. »Ich hab ihn besiegt. Er wird so bald nicht
wiederkommen.«

»Das is doch ein Stick Horn vom Ziegenbock,« murmelte die Wärterin mit
schadenfrohem Lächeln. Aber John begriff nicht, was sie sagte.



Achtes Kapitel


Frau Kalnis setzte die Brille auf ihr schlaues, gelbes Chinesinnengesicht
und öffnete mit zitternden Händen den großen, blauen Brief, den ihr der
Briefträger soeben gebracht hatte. Die Buchstaben verneigten sich vor ihren
Augen, tanzten spöttisch hin und her und wollten sich durchaus nicht fangen
lassen. Es währte geraume Zeit, bis sie des Inhalts habhaft wurde.

»Herrjeses!« schrie sie da. »Hat ein Mensch schon mal sowas erläbt?!
Neineinei! Ich zieh! Ich zieh!« Wie von der Tarantel gestochen, stürzte
sie mit dem Brief in Johns Zimmer, um ihn zur Rede zu stellen. John lag mit
gefalteten Händen auf dem Sofa.

»Herrr!« brach sie los, mit »Rs« wie Trommelwirbel. »Wer kann mir das
einjebrockt haben als Sie?! Wer kann mir das sonst schreiben als Ihr
verdrähter Onkel?! Ich kenn seine Handschrift. Da schreibt er: Man
beobachtet mich. Und ich soll meine langen Finger doch im Zaum halten,
sonst krieg ich's mit der Polizei zu tun ... Gott, das muß ich mir, mir
sagen lassen! Für nuscht, für rein gar nuscht! Ich zieh! Ich bleib nich
unter solche Menschen! Ich ...« Hier verlor sich ihre Rede in einem
heftigen Hustenausbruch.

John versuchte eine scheinheilige Miene zu machen, aber er war viel zu
kindisch, um über Dores Zorn nicht lachen zu müssen. Bald kicherte er wie
ein dummer Junge.

»Sie Hottentott!« stöhnte Dore. »Ich laß Sie im Stich! Ich werf Ihnen
hin! Wer bleibt bei einem Menschen wie Sie?! Was möjen Se doch bloß wieder
aufjebracht haben?!«

»Zügle dich,« sagte John vornehm und mit einem sehr spitzen »Ü«.

»Ziejiln Sie sich man lieber!« brauste Dore auf.

»Übrigens,« sagte John, das Sofakissen betrachtend, »möchte ich wissen,
weshalb ich Ihnen das gerade eingebrockt haben soll?«

»Kein andrer,« knurrte sie.

»Verklagen Sie doch Onkel John, wenn Sie meinen, daß er den Brief
geschrieben hat.«

»Ich? D'n Onkel John verklagen?« Dore lachte grimmig. »Eher nähm ich meine
sieben Sachen und mach mir auf die Sohlen. Nei! Mit dem bind ich nich an!
Der kann e unschuldjen Menschen durch seine Märchen ins Zuchthaus bringen.«

»Wissen Sie was?« flüsterte der gute Neffe. »Er hat doch ein
durchgegang'nes Reitpferd eingefangen und dann vor Gericht geschworen, daß
es seins ist.«

»Nanana!«

»Wahrhaftig Gott!«

»Eins, was wahr ist,« sagte Dore feierlich, »daß es mit dem noch mal ein
schlechtes Ende nimmt, das steht fest. Sie und d'r Onkel, ihr wißt ja gar
nicht, was ihr anjeben sollt? Wozu ihr auf der Welt da seid?!«

»Weißt du vielleicht, wozu du da bist?« näselte er.

»Na, jewiß weiß ich.«

»Das bild'st du dir ein!«

Dore schlug nur stumm mit der Hand, denn der Husten überfiel sie aufs neue.
»Was muß e Mensch sich ärjern,« hub sie dann wieder an. »Solche Jemeinheit!
Mir zittert alles! Aber der liebe Gott wird ihn schon finden! Der wird ihn
schon strafen!«

»Was weißt du von Gott?« sagte John spöttisch.

»Daß er Sie und Ihren Onkel strafen wird,« entgegnete sie wild.

»Dann ist dein Gott ein Teufel!« rief er, gereizt werdend, denn er dachte:
bin ich nicht schon elend genug?!

»Mein Gott ist ein Teifel?« wiederholte Dore entsetzt. »Daß Ihnen nich der
Blitz erschlächt!«

John lachte. »Er kann nicht blitzen. Er ist doch nur ein Märchen.« --
»Gott,« sagte er und sah zur Decke auf, »das sollte etwas sein, wie
Blumenduft, wie Harfenspiel und Sonne; nichts als Süße und Herrlichkeit.
Strafe und Gott? Blitz und Gott? Das sollte nicht zusammenpassen.«

Er schloß die Augen und sein ganzes Gesicht arbeitete. »An Gott denken,«
stammelte er, »das sollte sein, wie an silberne Quellen denken in tiefen
grünen Märchenwäldern, wie an frische Wiesen denken, neben rauschenden
blauen Strömen, das sollte sein, wie ein Versinken in etwas himmlisch
Weiches und Beruh'gendes.«

»Bring mir Papier und Bleistift,« sagte er dann barsch und verlegen, »ich
habe zu schreiben.«

»Sie wollen schreiben?« fragte Dore, die Augen noch weiter aufreißend. »Das
haben Se ja noch nie jetan.«

»Das Personal hat seine Meinung für sich zu behalten.«

»Sie werden d's Schreiben verlernt haben.«

Nun lag Papier und Bleistift vor ihm, und John machte ein dummes Gesicht,
weil er nicht wußte, wie er anfangen sollte.

»Was wollen Se doch bloß schreiben, mein Lieberche?« fragte Dore, immer
neugieriger werdend.

Der Trinker rieb sich mit wichtiger Miene das Kinn und schwieg. »Wie
schreibt man Dienstag?« fragte er dann. »Mit langem oder rundem S?«

Frau Kalnis entschied sich mit Energie für das runde.

»Etwas scheinst du ja jelernt zu haben,« bemerkte John herablassend.

Dore fühlte sich geschmeichelt. »Etwas?« wiederholte sie. »O! ich hab
scheen jelernt. Ich war immer die Erste in meine Klass'.«

John war müde, als er Dienstag und das Datum geschrieben hatte. »Schwer!«
sagte er mit dem Kopfe wackelnd und sich einen Kognak eingießend.

»Ja,« sagte Dore, »d's Schreiberhandwerk is nich so ohne ... Was haben Se
doch bloß zu schreiben, Herr Johnche?«

Der Gefragte machte ein verschmitztes Gesicht, indem er die Wärterin leise
pfeifend angrinste. Er brannte darauf, das Geheimnis mitzuteilen; aber
wiederum war es auch hübsch, die neugierige Dore zappeln zu lassen. »Holen
Sie erst das Frühstück,« gebot er gravitätisch.

Frau Kalnis war von Natur so neugierig, wie die Nachtigall es sein soll.
Das Frühstück stand in fünf Minuten auf dem Tisch. »Nu?« fragte sie
gespannt, den linken Arm in die Seite gestemmt.

»Erst essen,« grinste John.

Dore errötete vor Ärger und Enttäuschung. »Sie sind mir erst e Koboldche,«
sagte sie vorwurfsvoll.

»Ich bin Ihnen erst e Koboldche,« spöttelte er.

Die Litauerin wurde noch röter und ging stracks in ihr Zimmer, die Tür
hinter sich zuknallend.

Nach einer Stunde bekam sie das große Geheimnis zu wissen. John
beabsichtigte, ein Schriftstück zu verfassen, in dem er die ganze Welt
vor dem Trinken warnte. All seine Qualen wollte er darin schildern und all
seine Todesangst. »Wer das lesen wird,« sagte er, »der wird nie, nie mehr
zuviel trinken, das kannst du mir glauben, Dore. In allen Zeitungen soll es
stehen, auch in den kleinsten.«

»Das is mal scheen,« sagte Frau Kalnis, bis zu Tränen gerührt, »Sie werden
auch noch im Himmel kommen.«

»Will ich gar nicht,« brummte er. »Hier will ich bleiben und gesund werden.
Und was ich zu schreiben beabsichtige, das soll hier, rot gedruckt, über
dem Sofa hängen.« Er klatschte mit der Hand auf die Wand. »Du sollst mal
sehen, Dore, wie mir das gut tun wird, wenn ich das so tagtäglich vor Augen
haben werde. Das wird mir schon das Trinken abgewöhnen.«

»Vel--leicht« ... zerrte sie unter krampfhaftem Gähnen heraus.

»Aber für heute wollen wir es genug sein lassen,« sagte er dann, das Papier
mit dem schief und zittrig geschriebenen Datum von sich schiebend. »Sowas
will erst ordentlich überlegt sein.«

»O -- ja!« erwiderte Dore, langsam mit dem Kopfe nickend, und warf sich
einen geheimnisvollen Blick im Spiegel zu.



Neuntes Kapitel


Die Fenster des Eßzimmers standen offen, und der Regen trommelte eintönig
auf den Blechen. Die vielen Blumentöpfe, die Frau Zarnosky auf der Veranda
stehen hatte, erweckten im Zimmer den Glauben, daß draußen ein schöner
Garten sei. John hockte fröstelnd am kalten Ofen, drehte die Daumen
umeinander und ließ keinen Blick von der halbvollen Flasche Kognak, die auf
dem Büffet stand. Außer ihm war niemand in der Wohnung als Amalie, die in
der Küche saß und Kartoffeln schälte. Frau Zarnosky war aus, und die Jungen
waren in der Schule. John drehte die Daumen umeinander, wie gebannt auf
die Flasche starrend. Was für eine Seligkeit müßte es sein, dachte er, jene
Flasche auf einen Zug leeren zu dürfen!

Alles, was er an Spirituosen besaß, stand jetzt in Dores Schrank; so
hatte er es haben wollen. Frau Kalnis hatte ihm schwören müssen, fest und
unerbittlich zu bleiben, wenn er mehr Alkohol von ihr verlangte, als er
sich selbst zum langsamen Abgewöhnen zudiktiert hatte. Den Schlüssel zum
Schrank mußte sie entweder bei sich tragen oder so verwahren, daß er
ihn nie entdecken konnte. Auch sein Taschengeld wanderte jetzt in jenen
Schrank, und Dore sollte das Ganze behalten dürfen, wenn es ihr gelang,
ihrem Herrn das Trinken abzugewöhnen.

Es war ein stiller, kühler Sommertag. Der Regen klopfte eintönig auf den
Blechen, und langsam und feierlich begannen die Glocken der nahen Kirche zu
läuten. »Trink, trink ...« sagte der Regen. »Nein -- nein ...« sagten
die Glocken. John glaubte, den größten Durst seines Lebens zu verspüren.
Langsam erhob er sich.

Doch dann ging er zur Verandatür, um angestrengt hinauszustarren. Aber er
sah kaum, was vor ihm lag, er sah immer nur die Flasche; sie schien überall
zu stehen, wohin er auch blickte.

Das war eine Versuchung, wie sie schlimmer nicht auszudenken war. Wenn
er nicht unterliegen wollte, so mußte er sich schleunigst aus dem Staube
machen, fliehen. Doch er floh nicht. Ja, er blickte sich um und lächelte
die Flasche an, wie ein krankes Kind.

Ach, es war ja schon einerlei, ob er jenen Kognak austrank oder nicht,
sterben mußte er ja doch. Mit einem Satz war er am Büffet und riß die
Flasche an sich.

»Nein -- nein ...« sagten die Glocken. Sie klangen so furchtbar ernst, so
düster warnend. John merkte, daß sie zu einem Begräbnis läuteten und setzte
die Flasche wieder hin.

Er wollte nicht sterben -- nein, nein! -- -- Wie der Kognak glänzte! -- --
Nur einen Schluck ...

»Trink, trink ...« sagte der Regen.

Die Flasche glich einem Magnet, der seine Hand unwiderstehlich an sich zog.
Ehe er sich's versah, hatte er sie schon wieder in der Hand.

»Nein -- nein ...« sagten die Glocken.

»Still!« brummte John. »Ich will doch bloß mal riechen.« Mit zitternden
Händen bemühte er sich, die Flasche zu entkorken, nicht merkend, daß jemand
ins Zimmer trat.

»John, was machst du da?« rief lachend Onkel Chlodwig.

Der Ertappte zuckte heftig zusammen. »Nichts,« stammelte er in nervöser
Bestürzung. »Ich zähl' nur die Gläser -- ob alle da sind. Hier wird jetzt
so viel gestohlen. Amalie will ja nächstens heiraten.«

»Amalie will heiraten?« kicherte der Onkel. »Wen denn?«

»Einen -- einen Bierkutscher.«

»Amalie!« rief Onkel Chlodwig, die Tür nach dem Korridor öffnend. »Sie
wollen einen Bierkutscher heiraten? Das nenn ich mir eine treffende Wahl.«

»Was? E Bierkutscher soll ich heiraten?« brummte es in der Küche. »Lieber
Ihnen, Herr Zarnosky,« grunzte die Köchin.

Der kleine Junggeselle klatschte vor Vergnügen laut in die Hände. »Da täten
Sie recht!« rief er heiter. Dann ging er zum Büffet und goß sich einen
Kognak ein. »Du willst wohl keinen, John?« fragte er mit zwinkernden Augen.

»Nein, danke,« sagte dieser fromm. Bei dem Schreck war seine Gier
verflogen.

»Da tust du recht,« lobte Onkel Chlodwig und zog seinen Schnurrbart zur
Säuberung durch die Lippen, um dann erst das Taschentuch zu benutzen.

Es regnete nicht mehr, und die Sonne schimmerte schon gelb durchs Gewölk.
John ging auf den Hof, um nach Peter zu sehen. Der Ziegenbock kniete wie
ein Götzenbild am Rande des Torwegs, als habe er den Eingang zu bewachen.
Seine Miene war die eines alten Philosophen, der über rätselhafte Dinge
nachdenkt. Als er John erblickte, erhob er sich gelassen und kam mit Würde
auf ihn zu. Mit derselben Würde nahm er die drei violetten Orden aus seines
Herrn Knopfloch zu sich.

»Schmeckt's?« fragte dieser.

Peter nickte fortwährend gemessen mit dem Kopf, was er immer tat, wenn
er etwas zu sich nahm. Seine Kiefer bewegten sich dabei wie Mahlhölzer
gegeneinander. »Er setzt das Mühlchen in Bewegung,« sagten Paul und Leo,
wenn Peter zu fressen begann. -- --

Gegen Abend ging Frau Kalnis, ausnahmsweise, zu einer Verwandten, die
Geburtstag hatte. John begann Andersens Märchen zu lesen, weil er nicht
beständig an die halbe Flasche Kognak denken wollte; aber er konnte sie
durchaus nicht vergessen. Seine Augen versagten auch bald den Dienst, und
die immer größer werdende Unruhe in seinem ganzen Körper machte ihm das
Sitzen unerträglich. Er stand auf und nahm Baldriantropfen.

Um sieben brachte Amalie das Abendbrot. Sie sah sehr ärgerlich aus, denn
man hatte sie den ganzen Tag mit ihrer Heirat aufgezogen. Mit dieser
Heirat, von der sie doch nichts wußte.

»Warum machen Sie ein so böses Gesicht?« fragte John sofort.

»Ach,« brummte sie, »der Onkel Chlodwig läßt mich heite gar nich
zufrieden.«

»Heiraten Sie ihn doch, Amalie.«

»Ach, heren Se schon auf mit das Ganze!«

»Aber der Onkel Chlodwig schwärmt Ihnen an! Sie können mir's glauben,
Amalie! Wahrhaftig Gott!«

Die Köchin verzog ihren dicken Mund zu einem breiten, halbverschämten,
schweigenden Grinsen. Ihre steifen Wangenhügel, die so ruppig waren wie
ein Hahnenkamm, glühten um die Wette mit ihrer Nase, die einer feurigen
Kräuterbirne nicht unähnlich sah. Amalie war eine Freundin von Bier und
Schnäpsen, und gegen Abend konnte man ihr diese Freundschaft nur zu sehr
vom Gesicht ablesen. »Sie knirbelt kräftig,« pflegte John zu sagen.

»Na, wie ist's?« fragte er, durch ihr Schweigen gereizt. »Wollen Se meine
Tante werden oder nich?«

»Uzen Se mir auch noch?«

»Ich denk' gar nicht dran! Onkel Chlodwig geht schon lange mit der Absicht
um, Ihnen zur linken Hand zu heiraten.«

Amalies dicker Mund weitete sich noch einmal, und dann verschwand sie mit
einer großen, ganz neuen Hoffnung im Herzen.

Das Abendbrot wollte John nicht schmecken; ihm war noch schlechter als
gewöhnlich. Die eine Flasche Bier, die vor ihm stand, reizte ihn so lange
mit ihrer Kümmerlichkeit, bis er sie wütend vom Tisch stieß. John fühlte
sich plötzlich so furchtbar unglücklich, daß er sich am liebsten das Leben
genommen hätte. Sein ganzes Wesen verzehrte sich in Sehnsucht nach Alkohol:
nach jener halben Flasche Kognak. Er konnte sich nicht länger beherrschen
und er wollte es auch nicht. Nicht länger zögernd, eilte er zu Dores
Schrank, in dem seine Flaschen standen. Er bearbeitete die verschlossene
Tür mit Fußtritten, um zu seinem Eigentum zu gelangen; aber das alte Möbel
war aus gutem Holz, es widerstand allen Stößen. Auch das Schloß widerstand,
als er es mit dem Taschenmesser aufzubrechen versuchte. Nun zerfetzte er
vor Wut Dores Fächerpalme, ihr Stuhlkissen, ihre Nachtmütze. Aber als
ihm das grüne Staubtuch in die Hände fiel, aus dem er einst für Mimi ein
Nestchen gemacht hatte, da ließ er den Kopf hängen und weinte.

Er weinte über sein verfehltes Leben, das ihm ebenso zerfetzt schien wie
die Fächerpalme. Wie anders hätte er jetzt dastehen können! Er bereute, er
bereute ... Zu spät! Nun war nichts mehr zu ändern.

Ach, er fühlte sich so unsagbar verlassen, so kalt dem Tode preisgegeben.
Rodenberg war sein einziger wahrer Freund. Durfte er sich überhaupt noch zu
den Lebenden rechnen? Er fühlte sich schon so fern von allem, was lebte und
lachte und genoß. Der Tod war seine einzige Aussicht.

Nur jene halbe Flasche Kognak wollte er noch leeren.

Der Glanz der Abendsonne war ihm aufs tiefste zuwider. Er stach ihm so
mitleidslos in die Augen. John stieß eine Verwünschung aus und drohte mit
der Faust nach der Sonne. Er trocknete sich mit dem Staubtuch die Augen und
beroch es dann von allen Seiten wie ein armer, hungriger Hund.

Es roch nicht nach Mimi, es roch nach Petroleum. Trotzdem stopfte er es
in die Tasche, um es öfters ansehen zu können. Mimi war doch eine hübsche
Erinnerung, trotz ihres schrecklichen Todes.

Und nun ging er sich den Kognak holen; er hielt es nicht mehr aus ohne
Alkohol, er hielt es einfach nicht mehr aus. Seine Mütze war nicht zu
finden. Er setzte den kleinen, steifen Hut auf, den er auf jenem Ausflug
mit Johannes getragen.

Die Hand auf die linke Seite gepreßt, arbeitete er sich langsam und atemlos
die Treppe herunter. In seinen Ohren war ein dumpfes Sausen, und sein Herz
schien sehr weit und ganz still. Die Treppe war immer ein Kunststück für
ihn. Bis zu seiner Haustür hatte er die feste Absicht, in die elterliche
Wohnung zu gehen, um sich den Kognak zu holen; aber an der Tür besann er
sich anders. Er wollte doch lieber in die Kneipe gehen und sich dort
etwas geben lassen, als etwa im Eßzimmer Paul und Leo antreffen, die ihn
vielleicht daran hindern würden, die Flasche zu nehmen. Und sicherlich
würden sie ihre Bemerkungen machen, ihn verspotten. Nein, nein, er ging
lieber in die Kneipe.

Sein Herz arbeitete jetzt wie wild nach der Treppe, es zitterte und sprang
in seiner Brust, daß ihm vor Angst der Schweiß ausbrach. Öfters stehen
bleibend, um Atem zu schöpfen, begab er sich über den Hof nach der kleinen
Kontortür im Torweg und öffnete sie. »Vater!« rief er herein, »gib mir doch
etwas Geld, ich will zum Barbier gehen.«

»Jetzt abends noch?« brummte Herr Zarnosky.

»Komm herein, Kronensohn!« rief Onkel John, der dasaß und Märchen erzählte.
»Wir wollen mal sehen, was dein Bart für eine Farbe hat.«

John trat ein und wiederholte seine Bitte. Herr Zarnosky knurrte, daß der
Gang zum Barbier eine Finte sei. Er kenne das. Johns Barbier hieße Suttkus.
Der Märchenerzähler hatte schon das Portemonnaie in der Hand; aber dann
steckte er es rasch wieder ein. Es war ihm noch rechtzeitig eingefallen,
daß sein lieblicher Neffe in einer Kneipe erzählt haben sollte, daß er,
der Onkel, ein Reitpferd eingefangen und dann geschworen habe, daß es seins
sei. Und es war doch nur ein weggelaufener Ziegenbock gewesen, dem er um
Zerlines willen freundliche Aufnahme gewährt hatte, weil er doch nicht
wissen konnte, wem er gehörte. Tiere sind sich ähnlich, hatte Onkel John
gedacht, und es war seiner Phantasie bald gelungen, aus dem Bekannten
einen Fremdling zu machen. Ganz im tiefsten hatte er auch noch gedacht: Er
schenkt ihn mir ja sowieso, ehe er stirbt.

»Der Vater hat hier zu entscheiden,« bemerkte er würdevoll, nachdem er
das Portemonnaie wieder eingesteckt hatte. Und dann mit selbstgefälliger
Anzüglichkeit: »Man muß sich auch hüten, seine Wohltaten an Leute zu
verschwenden, die es einem mit Undank lohnen.« Darauf mußte er lachen, weil
er diesem seiner Neffen nun einmal nicht böse sein konnte.

»Junge, halt' die Ohren stramm!« rief Onkel Chlodwig vergnügt, indem er
eine Bewegung mit den Armen machte, als wolle er John, wie einst als Kind,
an den Ohren in die Höhe heben.

Der Trinker ging schweigend hinaus und warf schmetternd die Tür zu. Und
die Brüder lachten und ließen ihn ruhig gehen. In ihren Köpfen war die
Finsternis der Unbildung und der Gedankenlosigkeit.

John begab sich stracks in den nächsten Gewürzladen und ließ sich einen
Kognak geben. Und noch einen, und immer wieder noch einen. Nach einer Weile
wurde der Verkäufer in die Bierstube gerufen und ließ ihn im Laden allein.
John stand vor der Tombank und lächelte dumm. Seine Stimmung begann sich
zu heben. Er fühlte sich wohl in dieser Atmosphäre voll von Käse- und
Biergeruch, in dieser sauren Luft, die so wertlos war wie er selbst. Hier
wäre er gern für immer geblieben.

Der Laden war nicht groß. Ein gemütlicher, alter Laden mit ausgetretenen
Dielen und kleinem Schaufenster. Unter der niedrigen, rauchgeschwärzten
Decke brauste ein Heer von Fliegen. Fette Brummer segelten gemächlich über
die drei Käseglocken des düsteren Repositoriums. Auf der klebrigen Tombank
stand in einsamer Schönheit eine Flasche Rum.

John studierte aus der Ferne die Etikette: Jamaika-Rum. Er trat einen
Schritt näher: Jamaika-Rum. Noch näher: Jamaika-Rum. Dann verwirrten sich
seine Gedanken; er glaubte, wieder, wie am Vormittag, zu Hause vor dem
Büffet zu stehen, und nahm die Flasche in die Hand.

Läuteten nicht die Glocken? Ihm war so. Er stellte die Flasche wieder hin.

Das Summen der Fliegen klang ihm jetzt wie fernes Meeresbrausen, und
der Fußboden schien sich langsam hinter ihm in die Höhe zu heben. John
klammerte sich an die Tombank. Nun schien sich auch die Flasche in
Bewegung zu setzen, schien langsam davongleiten zu wollen. Da packte er
das lockende, glitzernde Ding voller Angst mit beiden Händen und stolperte
damit nach der Tür.

»Möchten Sie wohl die Flasche zurückgeben?!« erscholl eine grobe Stimme
aus dem Gang zur Bierstube, und ein großer, stiernackiger Handwerker,
ein geschworener Feind der Familie Zarnosky, der John heimlich beobachtet
hatte, sprang vor und zischte: »Schämen Sie sich nicht?! Ich werd' Sie
anzeigen!«

John ließ die Flasche fallen und sank vor Schreck halb in die Knie. Und
der wütende Tischler riß ihn in die Höhe und hielt ihn fest. »Wer holt den
Schutzmann?« brüllte er.

»Machen Sie keinen Unsinn!« flüsterte der herbeieilende junge Mann. »Er
hätte sie schon bezahlt. Oder wir hätten die Rechnung geschickt. Ein guter
Kunde ...«

»Ein Dieb!« schmetterte der Sargtischler. »Schutzmann! Schutzmann!«

John begriff nicht ganz, was um ihn vorging; aber das Festgehaltenwerden
unter Rufen nach dem Schutzmann flößte ihm ein solches Entsetzen ein, daß
er sich wie ein Rasender losriß und davonstürzte.

Mit dem schrecklichen Gedanken, er müsse sich jetzt etwas Entsetzlichem
wegen das Leben nehmen, rannte er die Straße herunter. Sie war nicht lang
und lag am Ende der Stadt. Bald stand der arme Dieb am Rande des tiefen
Teiches, zu dem er ganz instinktiv geeilt war. Jenseits des Wassers war ein
dunkles Wäldchen, in dem sehr laut die Nachtigallen sangen. Auch über dem
Kopf des Verzweifelten flöteten die Vögel in den Zweigen der Kastanien, mit
denen der Weg zu beiden Seiten besetzt war. Hinter seinem Rücken flammte
die Abendsonne in ihrer ganzen Glorie. Sie thronte gleich einer mächtigen
Feuerkugel dicht über dem langen, flachen Dach eines alten, hölzernen
Getreideschuppens, der wie ein riesengroßer schwarzer Sarg auf grünem
Wiesenlande stand, unter einem rostgelben Himmel. Doch John sah in das
glitzernde Wasser und beriet sich flüsternd mit seinem Schicksal.

»Muß ich? Muß ich?« fragte er, voller Angst an seine Eltern denkend.

»Aber sofort!« schien der Tischler zu rufen.

John sah sich furchtsam um; aber es war niemand außer ihm auf dem Wege.
Er setzte sich auf die Erde, weil er vor Müdigkeit nicht länger zu stehen
vermochte, und sein Denken wurde allmählich klarer.

»Was hab' ich denn getan?« stammelte er wie ein Kind. »Ich hab' doch nichts
getan. Ich hatte sie auf einmal in der Hand, ich weiß nicht wie. Ich hätte
sie doch bezahlt.«

Der Tischler hatte ihm das eingebrockt -- dieser gehässige, heimtückische
Kerl. John wußte: der Tischler ging jetzt von Haus zu Haus und erzählte.

Es bohrte ein Wort in seinem Kopf, dessen Klang und Bedeutung er auf dem
ganzen Weg gesucht hatte. Nun war es da; es hieß: Schande.

»Schande,« flüsterte er, »Schande,« wiederholte er laut, und schon wurde
es ihm zur Gewißheit, daß das etwas war, was ihm nicht mehr viel anhaben
konnte. Seine Rolle auf Erden ging zu Ende. Was tat ihm noch Schande?

Aber seine Familie, seine Familie und die Leute -- -- --?

Seine Angehörigen sollten sich damit abfinden -- sie durften ja leben,
während er -- --

Ja, was tat ihm noch Schande? Ihm? Er kicherte mit zuckendem Munde. Und auf
einmal warf er sich vornüber und krallte die Hände in die warme Erde.

Er wollte alle Schande der Welt tragen -- wenn er nur leben durfte! Er
liebte das Leben trotz allem und allem, trotz seiner Schmerzen, trotz
seiner qualvollen Nächte. Er wollte alle Schande der Welt tragen -- nur
nicht sterben!

Die Frösche quakten, und die Vögel flöteten, und ein Wagen kam gefahren.
John richtete sich langsam auf; er wollte nach Hause. Es war nicht
notwendig, daß er dem Schicksal vorgriff: das Ende des Trauerspiels kam
schon von selbst. Und alles Auflehnen war vergebens.

Der sich nähernde Wagen, ein gewöhnlicher Einspänner, hielt an, als John
dem Kutscher ein herrisches »Halt!« zurief. »Helfen Sie mir herauf,« befahl
er ihm. »Ich will in die Stadt.«

»Ach, Sie sind es, Herr Zarnosky,« sagte der Kutscher.

»Hab' jefischt,« bemerkte John sehr hochmütig.

»Und wo haben Sie Ihre Angel?«

»Fortgeworfen. Kann mir eine neue kaufen.«

Kurz vor der Stadt, da, wo es in das dunkle Glaciswäldchen hineinging, sah
man jetzt hurtig Liebespaare verschwinden. Der Kutscher schnalzte mit der
Zunge und machte seine Bemerkungen. John saß ganz still da und wunderte
sich. Er wunderte sich, daß es noch immer Liebespaare gab, daß die Welt
noch immer so war wie damals, als er mit seiner ersten und einzigen Flamme,
einer jungen Putzmacherin, dort spazieren ging -- vor hundert Jahren. So
lange schien ihm das wenigstens her. Wie ein Greis sah er den Paaren nach
und drehte verwundert die Daumen umeinander.

Er hätte den gewöhnlichsten Kognak der hübschesten Putzmacherin vorgezogen.

Am alten Stadttor leuchtete eine Gasflamme wie ein grüner Stern durch die
helle, rote Dämmerung. Als der Wagen durch das Tor rollte, begann John
vor Angst zu frieren. Beim Auftauchen eines Schutzmannes zuckte er heftig
zusammen. Der Mann grüßte freundlich und ging vorüber.

Nun überkam ihn ein wilder Trotz. Erstens hatte er nichts begangen, und
selbst wenn er etwas begangen hatte, so war ihm das ganz gleichgültig.
Mochte man ihn anzeigen. Ihm war schon alles gleich. Nur um die Mutter tat
es ihm leid. Um die tat es ihm leid, um die andern nicht ... Seine Zähne
schlugen zusammen, als sich der Wagen dem väterlichen Hause näherte.

Rodenberg stand, nach ihm ausspähend, am Torweg und half ihm vom Wagen
herunter. »Geben Sie ihm was,« sagte John, nachlässig über die Schulter
zeigend. Der Kutscher nahm seinen Herrn unter den Arm, weil dieser allein
nicht zu gehen vermochte. »Was machen Sie für ein Gesicht?« fragte ihn
John. »Lachen Sie doch, Rodenberg! Ich hab keine Angst! Für was soll ich
auch Angst haben?«

»Der Beese war hier,« erzählte der Kutscher, »und nu is der Herr
fuchswild.«

»Pah!« sagte John. »Was ich mir daraus mach!«

»Er sitzt oben und wartet auf Ihnen.«

»Der Vater?«

Rodenberg nickte.

John wurde kreidebleich. Er versuchte zu lachen; doch plötzlich bekam er
einen Krampfanfall. Rodenberg schleppte ihn in seine Wohnung hinauf.

Herr Zarnosky saß mit der Reitpeitsche in der Hand. Sein sonst so frisches,
großzügiges Gesicht war blaß, und seine Zähne bearbeiteten unablässig die
starken Lippen. Als die Tür geöffnet wurde, stand er auf.

»So betrunken?« fragte er den Kutscher.

»Krank,« sagte Rodenberg rauh, indem er seinen jungen Herrn mit liebevoller
Ungeschicklichkeit aufs Bett trug.

Herr Zarnosky setzte sich wieder aufs Sofa und räusperte sich erregt. Frau
Kalnis kam in diesem Augenblick nach Hause, wie eine erschreckte Fledermaus
ins Zimmer schwirrend, und schlug stumm die Hände zusammen.

»Herr Zarnosky trautstes, was is los? Was is jeschähn? Ich will man bloß
rasch d'e Umnahme abnähmen ...« sie huschte in ihr Zimmer. »Herrjeh,
herrjeh, mein Palmbaum! Und d's Kissen! Jerechster Vater, was is hier
jeschähn? Nu hatte er sich doch schon einije Tage so scheen jehalten.«

Herr Zarnosky räusperte sich schweigend weiter. Rodenberg schlich still
hinaus, weil er meinte, daß John in Dores Gegenwart keine Prügel bekommen
werde. Frau Kalnis kam mit einer Decke angeflogen, die sie mit zitternden
Händen über den unbedeckten Tisch warf. Dann ging sie zu John. »Wasser,«
murmelte er leise.

Herr Zarnosky trat mit der Reitpeitsche ans Bett. »Besinne dich,« sagte er
heiser, »was hast du heute abend getan?«

»Nichts,« stammelte John angstvoll, »nichts.«

»Da geht doch dieser Lümmel hin und stiehlt!« stieß der Vater erbittert
hervor, und die Reitpeitsche sauste nieder.

Ehe sich's der Alte versah, war der Junge plötzlich aufgesprungen und hatte
ihn an der Kehle gepackt. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn Rodenberg --
durch Dore und den Lärm herbeigerufen -- sich nicht des Wütenden bemächtigt
hätte. Er schaffte ihn wieder ins Bett und beruhigte ihn, so gut er konnte.
Herr Zarnosky rang keuchend nach Atem. So träge und ruhig er für gewöhnlich
war, so wild und zügellos konnte er im Zorn werden.

»Warte!« knirschte er, sobald er sich von seinem Schreck erholt hatte. »Du
wirst dich an mir vergreifen? An deinem Vater?« Und nun begann er John erst
recht zu züchtigen.

Doch die meisten Schläge bekam Rodenberg, der sich mit ausgebreiteten Armen
über seinen Liebling legte, und der nicht von ihm wich, so wütend es ihm
auch befohlen wurde. Zu sagen wagte er nichts, ja, er wagte nicht einmal zu
stöhnen. Die Zähne zusammenbeißend hielt er tapfer stand, bis sein Herr mit
Schlagen aufhörte.

Als Herr Zarnosky ohne ein Wort gegangen war, richtete sich der Kutscher
auf und sah Dore an, und dieser Blick war die einzige Kritik, die er sich
über seinen Herrn erlaubte.

Dore probierte, ob sie noch sprechen konnte. »Gott! -- nei! -- pfui ...«
Das war anfänglich alles, was sie herausbekam. Sie schüttelte den Kopf
und schlug stumm mit der Hand, und dann sagte sie: Das sei von jeher die
Zarnoskysche Erziehungsmethode gewesen.

John lag ganz still da, und seine langen Wimpern drückten sich so tief
in die Wangen, als ob sie sich nie mehr heben wollten. Doch mit der Zeit
begann er aufgeregt zu flüstern, Schreie auszustoßen und mit den Armen zu
fuchteln. Frau Zarnosky kam heraufgestürzt und setzte sich weinend an sein
Bett. Sie nannte ihn bei seinem Kindheitsnamen, sie glättete sein Kissen,
sie streichelte ihn. Wohl eine Stunde saß sie an seinem Bett und weinte;
aber ihr Weinen, dieses monotone Weinen, vermehrte nur seine Unruhe.
»Nicht, nicht,« flüsterte er von Zeit zu Zeit. Doch Frau Zarnosky ließ sich
nicht stören; sie war es nicht gewohnt, ihren Gefühlen Zwang anzutun, und
sie wäre empört gewesen, wenn ihr jemand diese Tränen zum Vorwurf gemacht
hätte.

John schlief ein und ging im Traum unzählige Male in den Laden und wurde
dort unzählige Male von Schutzleuten umringt, weil er jedesmal eine Flasche
mitgenommen haben sollte. Doch es gelang ihm immer noch zu entkommen. Und
einmal stellte es sich heraus, daß er die Flasche bereits bezahlt hatte.
Die Schutzleute verneigten sich vor ihm, und er schritt stolz wie ein
Triumphator davon --: um an der Tür auf den Tischler zu prallen, der
ihm, »Dieb!« brüllend, eine ungeheure Flasche aus der Tasche zog. Die
Schutzleute packten ihn, soviel Rodenberg auch für ihn bat; aber er riß
sich los und stürzte sich, von seinem Vater verfolgt, in ein großes,
schwarzes Wasser. Das schlug dumpf über ihm zusammen, sein Herz setzte aus,
und dann sank er ohne Ende in die Tiefe.



Zehntes Kapitel


Der Zarnoskysche Landauer rollte lautlos die gerade, sonnige Chaussee
entlang, die nach einem Gasthaus im Walde führte. Die neuen Rappen waren
angespannt, und Rodenberg ließ sie mit stolzer Miene dahinbrausen. Sein
langer, roter Bart glänzte in der Sonne wie ein Feuerchen auf seinem engen,
schwarzen Mantel. John saß neben Dore auf dem Rücksitz des Wagens gegenüber
seinen Eltern, zwischen denen sein Bruder Paul einen bescheidenen Platz
einnahm. Diese Ausfahrt nach dem Walde war Johns sehnlichster Wunsch
gewesen, und sein Vater erfüllte ihm seit einer Woche jeden Wunsch, weil es
ihn noch immer reute, daß er sich dem Kranken gegenüber im Zorn vergessen
hatte. Zudem war John auch sein Liebling, trotz allem und allem.

Nun blickte er stumm und schläfrig, den Strohhut ins Gesicht gezogen, auf
die grünen Felder, die wie stille Seen zu beiden Seiten der Chaussee lagen.
Frau Kalnis interessierte sich für die Häuschen hier und dort, Paul für die
Windmühlen. Herr und Frau Zarnosky interessierten sich für ihre Mittagsruh,
indem sie die Augen geschlossen hielten und schwiegen. Halbnackte
Landkinder warfen Kornblumensträuße in den Wagen und liefen dann mit offnen
Mäulern und ausgestreckten Händen nebenher, auf die Bezahlung erpicht. Es
machte John Spaß, sie recht lange darauf warten zu lassen. »Wie heißt ihr?
Wie alt seid ihr?« fragte er zunächst. Erst als seine Fragen beantwortet
waren, ließ er langsam Pfennige regnen.

Ein freundliches Dörfchen mit vielen Storchnestern auf den Dächern und
vielen bunten Blumen in den Gärten glitt rasch vorüber. Dahinter kreuzte
die Chaussee eine Bahnstrecke. Dann kamen wieder Wiesen und Felder und
Roßgärten mit weidendem Vieh. Und schließlich kam der Wald, der alte
Tannenwald, nach dem sich John so sehr gesehnt hatte. »Ah!« machte er
lächelnd, als der Wagen aus der grellen Helle in den Schatten der Bäume
rollte.

»Wie es duftet!« murmelte Herr Zarnosky, die Augen öffnend.

»Nicht wahr?« sagten die Söhne wie aus einem Munde.

»Aber die vielen Bremsen!« seufzte Frau Zarnosky, an die Pferde denkend.

Nach einer halben Stunde hielt der Wagen vor dem Waldgasthaus. Hier war die
Chaussee zu Ende und ein tiefer Sandweg begann. Das Gasthaus lag breit
und weiß am Wege mit grünen Fensterladen und zwei Storchnestern auf dem
bemoosten Schindeldach; es sah ehrbar und freundlich aus. Der hagere Wirt
stand vor der Tür und hieß die Herrschaften etwas still willkommen.

Hinter dem Hause streckte sich ein langer, verwilderter Garten mit zwei
Holzkolonnaden und einem großen Grasplatz, auf dem ein paar Turngeräte
standen. Die Familie Zarnosky setzte sich in eine Tannenlaube am Rande des
grünen Platzes. John lehnte sich an, faltete die Hände, ließ die Daumen
umeinander laufen und lächelte krank und müde. Ein alter, krummbeiniger
Kellner erschien und säuberte gewissenhaft den Tisch.

»Es riecht schon nach Heu,« sagte Herr Zarnosky, mit der Nase schnuppernd.

»Und irgendwo müssen Linden blühen,« stotterte John.

»Wenn der Kaffee hier nur nicht so gräßlich wäre,« versetzte Frau Zarnosky
in unwirschem Ton.

»Du darfst ja nur eine kleine Tasse trinken,« erwiderte ihr Gatte.

»Ist mir auch noch zu viel,« nörgelte sie.

Herr Zarnosky bestellte Bier, Selterwasser, Kaffee und Kuchen. Der alte,
krummbeinige Kellner dienerte und verschwand. Bald kam das Bestellte und
wurde genossen. Frau Zarnosky und Paul nippten nur ein wenig an ihrem
Kaffee, und Dore nahm sich dann der beiden Tassen an, nachdem sie die
eigene mit Vergnügen geleert hatte. An Sonntagen war das Waldgasthaus immer
sehr besucht, heute am Alltag war es leer. Mit der Zeit fanden sich noch
drei andere Familien ein, die auch mit eigenem Fuhrwerk kamen. Mehr Besuch
erschien nicht. Der hagere Wirt ging an den leeren Tischen vorüber und rieb
sich mit abwesender Miene die Hände. Paul beobachtete ihn durch die Tannen.

»Der macht nicht mehr lange,« sagte er plötzlich.

»Wer?« fragte John erschreckt.

»Der Wirt,« brummte der Junge.

»Gehen wir in den Wald?« fragte der Vater, sich im Kreise umblickend.

»Ich bleibe hier,« sagte John. »Aber ihr andern könnt ja gehen. Auch Frau
Kalnis.«

»Ich bleib' bei Ihnen, Herr Johnche,« versetzte Dore beflissen.

»Dann bleiben wir doch schon alle hier,« entschied der Vater.

Paul sprang auf, um zu den Turngeräten zu gehen, weil ihm das ewige
Sitzen unerträglich wurde. Und dann war ihm auch, als säße der Tod in
der Tannenlaube und als ginge der Tod durch die Gänge des Gartens. Paul
wünschte häufig, daß John bald stürbe. Er empfand keine Liebe für diesen
Bruder, der, so weit er zurückdenken konnte, schon immer als Taugenichts
galt. Pauls Gefühle für John schwankten zwischen Abneigung und
verächtlichem Mitleid. Ebenso erging es Leo. Die beiden Jungen hatten
nichts Böses begangen, als er auch sie überall zu verleumden begann. Das
verziehen sie ihm nie, hart wie Kinder sind, und sie verziehen ihm auch nie
sein herabgekommenes Äußere. Sie mieden ihn jetzt wie einen Aussätzigen,
sie sahen fremd über ihn hinweg, wo sie ihn trafen. Und das kränkte John,
da er sie im Grunde sehr lieb hatte, das reizte ihn zu Roheiten ihnen
gegenüber und zu immer neuen Verleumdungen über sie.

Paul rannte auf dem Schwebebaum hin und her, zur Aufbesserung seiner
Stimmung wie eine Dampfmaschine pustend. Er versuchte an dieses und jenes
zu denken; aber John beherrschte seine Gedanken.

Wie einem Todkranken wohl zumute war?

Paul schielte eine Weile nach dem gelben Gesicht in der Tannenlaube und
blickte dann rasch nach der strahlenden Sonne. Jetzt glaubte er zu wissen,
wie einem Todkranken zumute war; aber aussprechen hätte er es nicht können.
Und er konnte auch seine gedrückte Stimmung nicht loswerden, obgleich er so
tat, als sei er vergnügt, indem er auf dem Schwebebaum hin und her sprang,
bald mit den Armen, bald mit der Mütze schlenkernd.

»Seht bloß Paul an!« murmelte John, der sich schlechter und schlechter
fühlte, mit zuckenden Lippen.

»Der Junge ist vergnügt,« schmunzelte der Vater.

»Er ist gräßlich,« dachte John, die Zähne zusammenbeißend.

Die Mutter ahnte, was in John vorging. »Paul!« rief sie mit scharfer
Stimme, »benimm dich vernünftig! -- Denkt der Bengel denn gar nicht an
seinen Bruder?!«

John zuckte zusammen. »Warum soll er an mich denken?« fragte er rauh.

Frau Zarnosky machte ein wehleidiges Gesicht. »Laß nur gut sein,« sagte sie
tröstend, »es kommt auf den, auch auf jenen; es kommt auf jeden einmal. Du
kannst auch noch gesund werden.«

John hätte am liebsten losgeheult. »Ich möchte hier gern ein bißchen allein
sitzen,« stieß er hastig hervor, als er seiner Stimme die nötige Festigkeit
zutraute.

»Wird das gehen?« fragte die Mutter besorgt. »Soll Frau Kalnis nicht
wenigstens bei dir bleiben?«

»Ich will sie nicht sehen!« brach er los. »Ich bin kein kleines Kind! Ich
kann allein sitzen! Ihr ärgert mich bloß!«

»Wir ärgern dich?«

»Ja!!!«

»Man darf es ihm nicht übel nehmen,« sagte die Mutter, »er ist so furchtbar
nervös.«

John winkte nur stumm mit der Hand, sie möchten verschwinden, und diese
Geste hatte etwas so Verzweifeltes und so Zwingendes, daß sich die Eltern
denn auch ziemlich rasch mit Paul und Frau Kalnis auf den Weg machten.
Aber Dore wurde nach wenigen Schritten auf einem versteckten Platz
zurückgelassen, damit sie auf John, ungesehen, achtgäbe.

Paul sprang seinen Eltern, aufatmend, voraus. Er meinte, es müsse heller
werden, sobald er John und den Garten hinter sich hatte. Anfangs schien's
ihm auch so; aber dann mußte er immer wieder an ihn denken und sich
vorstellen, wie er so allein in der Tannenlaube saß. Dazu bewölkte sich der
Himmel, und ein kaum wahrnehmbarer Wind zog mit geisterhaftem Seufzen durch
die Tannenkronen. Ein Waldvogel stieß eine Reihe schmerzlicher Töne aus und
wiederholte sie dann immer aufs neue.

»Ich könnte weinen,« sagte die Mutter, als eine Krähe krächzend über den
Wald flog. Der Vater schwieg mit gleichmütiger Miene.

»Wir wollen lieber umkehren und nach Hause fahren,« stieß Paul leise
hervor, doch die Eltern gaben keine Antwort und gingen wie im Traume
weiter.

Der Junge blieb hinter ihnen zurück und sah sich mit großen Augen um.

Wie die Bäume standen und starrten! Wie sein Herz klopfte! Wie die Stille
im Walde sauste! Oder war es das Blut in seinem Kopf? Er steckte die Finger
in die Ohren; aber da wurde das unheimliche Sausen noch stärker. Er reckte
sich mit einem zitternden Seufzer und spuckte beklommen auf den Weg.

»Wenn ein Ast sich vom Stamm lösen will,« ging es plötzlich durch seinen
Kopf, »dann merkt es der ganze Baum.«

Und der Wald stand da wie erstarrt, wie versteint, und alle Bäume schienen
feindlich und erwartungsvoll auf ihn zu blicken. Paul stieß einen langen,
hellen Ton aus, um den Bann zu brechen, der wie über ihm auch über dem Wald
zu liegen schien.

Und er erschrak. Denn ein Echo gab den Ton so seltsam wieder; er kam als
ein Klagelaut durch die Stille zurück.

Paul graute es plötzlich. Er sprang seinen Eltern nach, um ihrem traurigen
Wandern ein Ende zu machen. Die Mutter war bei seinem Ton erschrocken
stehen geblieben und sah sich um. »Wollen wir nicht umkehren?« rief er ihr
mit forcierter Munterkeit zu. »Kehren wir doch lieber um! Hier ist es ja so
langweilig!«

»Ja, wir wollen umkehren,« versetzte sie mit Hast und Bestimmtheit. Sie
schien den Sinn dieses Wortes erst diesmal zu fassen. »Komm!« sagte sie
rasch zu ihrem Mann.

»Schon umkehren?« brummte er. »Nanu?«

»Hier ist es gräßlich,« murmelte sie. »Man geht ja hier wie in die
Verbannung. -- Wer weiß, was ihm noch im Garten passiert?!«

»Was kann ihm da passieren?!« erwiderte er spöttisch, obgleich er ebenso
gern umkehrte wie sie und der Junge.

Paul machte mehrmals den Weg, den seine Eltern nur einmal machten, weil
er wie ein junger Hund immer hin und zurück lief. Als sie schon bald am
Gasthaus waren, kam er ihnen mit rotem Gesicht entgegengestürzt: »Vater,
Mutter, John sitzt bei den Kutschern und spielt Karten! Wir müssen durch
die Seitentür gehen.«

Herr Zarnosky wollte sofort hineilen, um John vom Kutschertisch
fortzuholen, doch seine Frau stellte sich ihm in den Weg, aus Furcht
vor einem Skandal. Sie überredete ihn so lange, bis er ihnen durch die
Seitentür folgte; aber er war so wütend, daß er fast keine Antwort gab.

Frau Kalnis saß friedlich auf ihrem Platz, John noch immer in der
Tannenlaube wähnend.

»Er sitzt bei den Kutschern!« herrschte Herr Zarnosky sie an.

Die Augen aufreißend, schlug sie die Hände zusammen. »Bei die Kuhtschers?«
wiederholte sie erbleichend.

Der Kellner kam und fragte, ob etwas gefällig sei. Frau Zarnosky hatte
einen Einfall. »Es gibt ja Krebse,« sagte sie rasch. Und leise zu ihrem
Mann: »Bestell welche! Dann wird er bald hier sein.«

John hatte seine Eltern nicht so rasch zurück erwartet, sonst wäre er
beizeiten auf seinem Platz gewesen. Und nun wagte er sich nicht in die
Tannenlaube, aus Angst vor dem Vater. Als Frau Kalnis ihn in den Garten
bitten kam, wurde er aus Angst frech: er käme nicht, er amüsiere sich hier
besser. Als sie für Rodenberg zwei Krebse brachte, die John leckrig machen
sollten, riß er den Teller an sich und zeigte den wiehernden Kutschern,
unter unfeinen Redensarten, wie man Krebse äße. Die Kraft dazu holte er
sich fleißig aus Rodenbergs Seidel, das Braunbier mit Rum enthielt. Der
alte Kutscher redete ihm zu, mit Frau Kalnis zu gehen; aber John rührte
sich nicht. Hier sei es gemütlich. Hier ärgere ihn niemand. Er sei hier
unter ehrlichen Menschen.

Der Kutschertisch stand dem Gasthaus gegenüber, jenseits der sandigen
Landstraße neben einer alten Eiche. An ihrem bemoosten Stamm hing eine
hölzerne Tafel mit Worten, die schon lange nicht mehr zu lesen waren; aber
man wußte, daß sie den Heldenmut eines im Kriege gefallenen Brüderpaares
priesen. Frau Kalnis ließ ihren schwarzen Rock wieder im Sande schleppen,
als sie den Kutschertisch verließ, aus Furcht, John könne ihr etwas
Häßliches nachrufen, wenn sie ihn aufzuheben wagte. Ihre Backen glühten,
und der Veilchenhut saß schief aus ihrem dünnbehaarten Kopf.

Sobald John mit den Krebsen fertig war, griff er wieder nach den Karten.
Rodenberg stand auf und machte sich an den Pferden zu schaffen, in der
Hoffnung, daß John dann gehen werde. Vergebens. Herr Zarnosky junior
bot den fremden Kutschern jetzt Brüderschaft an, und wenn er eine Karte
ausspielte, so knallte er sie wie die andern mit der Faust auf den Tisch.
Die Kutscher hatten die Röcke ausgezogen und saßen in Hemdsärmeln da.
Der Kopf des einen war wie eingeschroben in einen mächtigen, feuerroten
Fleischwulst, der rings um seinen Hals lief. John mußte immer wieder auf
diese rote, faltenschlagende Masse starren. Schließlich bat er den Kutscher
um die Erlaubnis, sie betasten zu dürfen. Der Mann hatte nichts dagegen und
ließ es gutmütig geschehen. In den Zweigen der Eiche hub ein Vögelchen zu
zwitschern an: »Züzüzüzüühe« ... Die Kutscher achteten nicht darauf;
aber John legte den Kopf auf die Seite, machte ein liebliches Gesicht und
erwiderte: »Zekü, zekü, zekü« ... Und die Poesie des einsamen Platzes an
der Waldstraße überwältigte ihn plötzlich so, daß er erblaßte.

Frau Kalnis kam abermals durch den Sand gestiefelt, um Rodenberg zu
bestellen, daß er sofort an der Seitentür vorzufahren habe. John erhob sich
wie im Traum. »Schon? Schon nach Hause?« stammelte er erschreckt.

Als die Familie aus dem Garten trat, sah sie ihn wie einen armen Sünder,
der sich nicht zu nähern wagt, mit hängendem Kopf am Zaune stehen. Die
Mutter war sofort gerührt. Sie eilte zu ihm hin und führte ihn unter
sanften Vorwürfen zum Wagen. Der Vater blickte ihn flüchtig an: »Wir
sprechen uns später,« sagte er hart und kurz.

Der Wind schien eingeschlafen zu sein, und der Himmel war klar geworden.
Er hing gleich einer riesengroßen, blauen Glasglocke überm Walde. Die Bäume
standen hoch und still, und das taktmäßige Trappeln der Rappen zog wie
Musik durch den schweigenden Forst. John atmete laut und hastig. Sein Kopf
sank beim Fahren bald nach rechts, bald nach links. Der Vater erhob sich
und wies ihm kurz seinen Platz an, weil er sich dort besser anlehnen
konnte. Diese Fürsorge rührte den armen Sünder bis zu Tränen. Sich
schneuzend begann er nachzudenken, wodurch er sich der erwiesenen Güte
würdig zeigen konnte. Er sah mit abbittender Miene vom Vater zur Mutter,
und das Denken fiel ihm furchtbar sauer, weil Rodenbergs Mischung bei ihm
zu wirken begann. Plötzlich griff er mit aufleuchtenden Augen in die Tasche
und zog zwei sandige, bleierne Teelöffel heraus, die er mit triumphierender
Miene im Kreise herumzeigte. »Für Frau Rodenberg,« sagte er mit Augen, die
um Beifall baten.

»Die hat er aus dem Gasthaus mitgenommen,« rief Paul erblassend.

»Aber dort gefunden,« schmunzelte stolz der Betrunkene.

Der Vater riß ihm die Löffel aus der Hand und warf sie aus dem Wagen. »Wir
sprechen uns schon zu Hause,« sagte er wieder.

John ließ die Unterlippe hängen wie ein arg enttäuschtes Kind, das
weinen will. »Sie trieben sich doch unterm Kutschertisch im Sande herum,«
stotterte er.

Paul hob die Augen zum Himmel auf. »Er gehört ganz einfach in eine
Anstalt,« murmelte er, den Kopf schüttelnd.

»Ja, du!« blubberte John gekränkt.

»Wenn es die Kutscher nun gesehen haben?« jammerte Frau Zarnosky.

»Nichts jesehn,« stammelte John. »Und sie sind doch nur für Frau
Rodenberg.«

Er begriff die Menschen nicht mehr, und sie gefielen ihm ganz und gar
nicht. Das Leben war eine einzige sonderbare Scheußlichkeit. Und er hatte
nichts als Feinde.

Paul hatte sich vorgebeugt und hielt sich das Taschentuch vor die Nase,
weil er Johns Alkoholatmosphäre nicht anders ertragen konnte. Von Zeit zu
Zeit stieß er indigniert die Luft aus. John beobachtete ihn mit wachsendem
Grimm; aber die Stille im Wald zügelte ihn gegen seinen Willen. Frau Kalnis
begann schüchtern und wenig erwünscht von der Schönheit des Sommertages zu
sprechen und von der Schönheit der hohen Tannen. Niemand erwiderte etwas.
Sie verstummte.

Der Wald wich zurück, und die Felder begannen. Paul entfaltete das
Taschentuch und fächelte sich seufzend und pustend frische Luft zu. John
ließ ihn schweigend gewähren; doch seine Augen weiteten sich vor Wut, seine
Hände zuckten krampfhaft hin und her, und auf einmal, noch ehe der Vater
es hindern konnte, versetzte er seinem Bruder einen heftigen Schlag in den
Rücken.

Frau Zarnosky, die mit geschlossenen Augen dagesessen hatte, schrie laut
los, als Paul plötzlich auf ihren Schoß kippte. Die Kalnis schlug die Hände
zusammen und klagte es stürmisch ihrem »jerechsten Vater«. John verteidigte
sich mit heftigen Worten. Der plötzliche Tumult im Wagen war so groß, daß
die Rappen ängstlich die Ohren spitzten und dann ein Tempo begannen, dem
der erschreckte und angetrunkene Rodenberg nicht gewachsen war.

»Die Pferde gehen durch,« flüsterte Paul, der es zuerst bemerkte.

»Was? Was?« wiederholte entsetzt die Mutter, und nun verfiel sie in
ein angstvolles Weinen und Jammern, das die jagenden Pferde noch mehr
erschreckte.

Dampfend und zischend brauste von links ein Zug daher. Wie das Unheil
selbst, so glitt er in großem Bogen unaufhaltsam der Chaussee entgegen,
die er vor dem Dörfchen zu kreuzen hatte. Und die Pferde ließen sich nicht
zügeln, obgleich Rodenberg, den das Entsetzen rasch ernüchterte, seine
ganze Kraft aufbot; sie jagten jetzt dahin, als wollten sie mit dem Zug um
die Wette laufen. Die Mutter hielt Paul mit geschlossenen Augen umschlungen
und merkte nicht, daß John angstvoll und zärtlich ihre Hand zu fassen
suchte. »Ruhe, nur Ruhe!« sagte Herr Zarnosky, der sich erhoben hatte und
nach Hilfe umherspähte. Paul hörte schon in seiner Phantasie das Krachen,
das erfolgen mußte, wenn der Zug über Wagen und Pferde ging, und vor
diesem Krachen graute ihm fast am meisten. Gleichzeitig dachte er mit
der Lebensfülle der Jugend: ich kann nicht sterben -- und die andern auch
nicht; es wird nichts passieren.

John lehnte sich wieder zurück und schloß mit ergebener Miene die Augen:
seine Angst war plötzlich verflogen. Er dachte: nun brauchst du nicht
allein durch die dunkle Pforte zu gehen; nun geht ihr alle zusammen. Er
sagte sich gar nicht, daß er an dem, was vorging, schuld war. Ihn quälte
nur eins: daß er Peter in der Welt zurücklassen mußte.

Seine Todesergebenheit ging in Ekstase über: es dünkte ihn schön, an diesem
wundervollen Sommernachmittag mit Vater und Mutter zu sterben. Ja, ihm war,
als flögen sie schon alle zusammen durch den Himmelsraum, einem gewaltigen
Ereignis -- Gott entgegen. Er hörte bereits eine seltsame Musik, die ihn
schon aus dem Jenseits dünkte. Wie aus der Ferne vernahm er Dores leises
Beten, und er faltete die Hände, um ihr nachzutun, aber er konnte sich auf
das, was er sagen wollte, auf das »Vaterunser« gar nicht besinnen.

»Festgemauert in der Erde ...« Nein, das war kein Gebet. Doch da ihm nichts
Besseres einfiel, ließ er ruhig noch ein paar Reihen des Gedichtes folgen,
weil er plötzlich fühlte, daß es auf die Worte nicht ankam, daß die
Empfindung, die zum Beten treibt, das Wichtigste ist.

Nun ging er nicht allein in das große ungewisse Land, nicht ohne Schutz,
nicht ohne Verteidiger: Vater und Mutter kamen mit -- wie beruhigend das
war. Und wie seltsam es war, daß er nun bald wissen würde, was hinter dem
Tode kam.

Vor der herabgelassenen Barriere scheuten die Rappen zurück und
bäumten wild in die Höhe. »Haltet sie!« schrie Herr Zarnosky ein paar
herbeieilenden Männern zu; denn nun wollten die Tiere nach der Seite, um
durch den Graben ins Feld zu jagen oder auch auf die Schienen, und der Zug
tauchte hinter dem nächsten Gehöft auf. »Haltet sie!« schrie Herr Zarnosky
noch einmal, weiß wie der Tod im Gesicht, und alle standen jetzt im
Wagen, bereit, im letzten Augenblick herauszuspringen. Aber es gelang den
kräftigen Männern, die Pferde zum Stehen zu bringen.



Elftes Kapitel


Unförmige Wolken zogen wie seltsame Tiere durchs Himmelsblau. Es war Nacht,
und die Mondsichel lugte gleich einem gelben, schielenden Auge über die
Wolkentiere herüber. »Er scheint; aber ich kann ihn hier nicht sehen,«
murmelte John, der im Nachthemd am Fenster saß und Selterwasser trank. Sein
Wohn- und Schlafzimmer war jetzt der Saal in der elterlichen Wohnung, weil
er die Treppe zu seiner eignen nicht mehr hinaufsteigen konnte, und dann
war es auch oben zu heiß für ihn geworden.

Im Saal war fast alles rot. Tapete, Türen, Vorhänge, der Samtüberzug der
Möbel, die Teppiche, alles war rot. Rote Stoffe deckten auch den schwarzen
Flügel und den dunkeln Tisch. Auf den großen, düsteren Ölgemälden, die
allerdings goldene Rahmen hatten, war die rote Farbe die vorherrschende.
Das war Zarnoskyscher Geschmack. Dann gab es noch zwei vergoldete, weiße
Vasen im Saal, die mit roten Blumen gefüllt auf schwarzen Ständern standen,
es gab da noch einen dunkel gerahmten großen Spiegel und einen alten
Messingkronleuchter in roter Musselinhülle.

Neben dem roten Sofa stand jetzt Johns Bett, sein niedriges, breites,
dunkles Bett, das in Form und Farbe ganz gut in den Saal hineinpaßte. John
graute es in der Nacht beim Anblick der vielen roten Sessel, die so still
und leer um den Tisch und an den Wänden standen, und am meisten graute ihm
dann vor den geflügelten schwarzen Drachen, die die Tischplatte trugen. Er
sah die Drachen im Traum auf seinem Deckbett kauern und ihn bedrohen, oder
er hörte sie, nach ihm suchend, durchs Zimmer schwirren, während er sich
in wilder Angst hinter einem Sessel zu verbergen suchte. Wachte er auf, so
glaubte er ihre großen, schrägen Augen böse und lauernd auf sich gerichtet
zu sehen. Der Tisch war eine Qual mehr für seine Nächte; aber das verriet
er niemand, dazu war er viel zu stolz.

Der Saal hatte drei dicht verhängte Fenster mit purpurnen Übergardinen.
John thronte auf einem roten Sessel an dem Fenster, das sich seinem Bett
zunächst befand, vor sich ein Tischchen mit Selterwasser besetzt. Er hatte
die Gardine ein wenig zur Seite geschoben und blickte mit traurigen Augen
bald nach dem Himmel, bald in die totenstille Grätengasse. Von Zeit zu Zeit
beugte er sich vor und lauschte angestrengt nach der letzten Saaltür hin,
die in das Schlafzimmer seiner jüngeren Brüder führte. Dort wurde noch
geflüstert und halblaut gelacht. Auf seine Kosten, dünkte es John. Wenn er
seinen Namen zu verstehen glaubte, machte er jedesmal eine Bewegung mit dem
Kopf, als ob er ein Insekt verscheuchen müsse.

Das Licht des Mondes erhellte die linke Seite der Grätengasse mit einer
matten, geisterhaften Helle. Die alte, enge Straße, in der nur noch wenige
Laternen brannten, mündete gleich einem Rohr auf einen breiten, tiefen
Strom, in den schon manch Betrunkener in dunkler Nacht hineingetorkelt
war. Johns Züge belebten sich, als ein einsamer Wanderer vor dem Fenster
auftauchte und über die Straße nach der Grätengasse ging. Den Sargtischler
erkennend, zog er sich hinter die Gardine zurück, um seinen Todfeind
ungesehen zu beobachten. Der Tischler blieb auf der gegenüberliegenden
linken Ecke neben der Laterne stehen und grinste höhnisch zu Johns Fenster
herüber. Die wenigsten wußten, warum er die Familie Zarnosky so haßte, und
die Zarnoskys wußten es selbst nicht; außer Onkel John: der Märchenerzähler
und Verleumder wußte es.

Nach einer Weile löste sich der Tischler von dem Laternenpfahl und ging
torkelnd die Straße herunter. Jetzt erst bemerkte John, daß er stark
betrunken war und sich nur mit Mühe aufrecht erhielt. Am nächsten
Laternenpfahl sah er ihn wieder stehen bleiben und mit der Faust
herüberdrohen. John lachte; aber seine Zähne schlugen vor Begier zusammen,
wenn er sich vorstellte, er besäße noch seine alte Kraft und könne jetzt
hinlaufen, um den Kerl durchzubläuen.

Die linke Seite der Grätengasse hatte noch immer ihre geisterhafte
Mondbeleuchtung, doch schon trieben große Wolken heran, um den blanken
Halbmond zu verschlingen. Der Tischler war weitergetorkelt und bei seinem
Häuschen angelangt, ohne es zu bemerken, wie es schien. John sah, wie er
ohne zu zögern daran vorbeischwankte. Zwei Häuser weiter drehte er um und
ging auf die andere Seite der Straße, und dann ging er wieder vorwärts.
Darauf wurde es recht dunkel, denn nun hatten die Wolkentiere den Mond
verschlungen.

Als der Mond wieder hervorbrach, war von dem Tischler nichts mehr zu sehen.
Die Grätengasse lag starr und still wie eine Leiche da, und die Laternen
hielten die Totenwacht. John nahm an, daß der Betrunkene entweder nach
Hause gefunden hatte, oder daß er seinen Rausch in irgendeinem offenen
Torweg ausschlief. Daß er verunglückt sein könne, hielt er kaum für
möglich.

Das Starren in die leere Straße hatte ihn müde gemacht, er stand auf und
legte sich ins Bett. Aber der Schlaf wollte trotzdem nicht kommen. Immer
wieder mußte er an den schönen Nachmittag denken, als er zusammen mit Vater
und Mutter zu sterben glaubte. Nun sollte er wieder allein in das große
ungewisse Land. Und er wollte nicht, es graute ihm zu sehr davor. Alle
sollten ihn begleiten, seine ganze Familie.

Und das war doch nicht möglich ...

Gegen Morgen erwachte er nach einem schönen Traum und ganz ohne die
traurige Musik, die stets beim Erwachen in seinen Ohren zu klingen pflegte.
Ihm hatte geträumt, er küsse große, weiche, violette Blumen, und das war
so angenehm gewesen, so schön, so beruhigend. Ihm war so wohl gewesen im
Traum, und auch noch viel besser war ihm als sonst. Er sehnte sich jetzt
nur nach Blumen, nach vielen weichen, kühlen Blumen, in die er sein Gesicht
hineinbetten konnte wie in seinem Traum.

Um sieben klopfte es. Frau Kalnis brachte einen Rosenstrauß, den Onkel John
geschickt hatte.

Wunder über Wunder, dachte John entzückt, und wie ein Rausch überkam ihn
die Hoffnung, er könne vielleicht doch noch gesund werden.

Da er sich so wohl fühlte, stand er bald auf, um sich auf die Veranda zu
setzen. Als er heraustrat, wurde er sofort von Peter entdeckt, der schon
Turnübungen auf den Rollwagen vollführte. Fröhlich meckernd kam das Tier
dahergestürmt, warf die Vorderbeine hoch in die Luft und fiel seinem Herrn
buchstäblich in die Arme.

»Herr Johnche!« rief Rodenberg vom Pferdestall her. »Se sollen mal jleich
was Neies heren kommen!«

Johns Herz begann vor Neugier zu klopfen. Vielleicht kommt noch mehr Gutes,
dachte er. Peter am Halsband nehmend, humpelte er so schnell er konnte über
den Hof. »Na?« fragte er den strahlenden Kutscher.

»Der Beese is diese Nacht besoffen im Wasser jefallen und ertrunken.«

»Das ist gut! Das ist gut!« rief John mit triumphierender Miene und den
zuckenden Bewegungen eines Hampelmannes.

»Ich frei mir ja auch,« sagte Rodenberg bieder.

»Ich hab' ja zugesehen, wie er in der Nacht durch die Grätengasse nach dem
Wasser ging,« stammelte John, den die Neuigkeit förmlich elektrisierte. »Er
war mächtig im Tran. Und alle Augenblicke ist er stehen geblieben und hat
nach unserm Hause gedroht.«

»Die Wichse, die uns der Schuft damals beide einjetragen hat, was?« fragte
Rodenberg mit zwinkernden Augen.

John lachte bereitwillig mit. Wie ein Rausch war aufs neue die Hoffnung
über ihn gekommen, er könne -- wenn so viel Unerwartetes geschehen konnte
-- auch noch gesund werden.

Aber als er wieder auf der Veranda saß, da wußte er plötzlich nicht mehr,
ob das, was er soeben gehört zu haben glaubte, Traum oder Wirklichkeit
gewesen war, und ihm wurde ganz sonderbar und schwindlig. Die Wirklichkeit
schien sich langsam von ihm zu entfernen, alle Geräusche wurden leiser,
alle Farben matter, und er wurde immer schläfriger, je weiter alles von
ihm fortwich. Mit einem angstvollen Lachen griff er nach Peter, der wie ein
treuer Hund an seiner Seite stand.

Alles geht von dir, dachte John, aber der verläßt dich nicht.

Wie warm Peter war. Und wie voll von klopfendem Leben. Und das wollte er
töten?!

Das Tier sah seinem Herrn vertrauensvoll ins Gesicht. John wandte den Blick
zur Seite und reichte ihm allen Zucker, den er bei sich hatte. Dann stand
er auf. »Wir müssen frisches Öl auf die Lampe gießen,« murmelte er, »sonst
geht sie aus.« Er schob Peter auf den Hof und begab sich hinein zu der
großen Flasche, aus der er tagtäglich Beruhigung und Kräfte bezog.

Seit jenem häßlichen Abend im Gewürzladen erinnerte John diese Flasche
immer wieder an den Ölkrug der biblischen Witwe, denn sie wurde wie einst
dieser niemals leer. John konnte aus der Flasche trinken, soviel er
wollte; unsichtbare Hände füllten sie immer aufs neue voll. Aber der Kognak
schmeckte ihm nur noch selten wie früher, und er vertrug auch nicht mehr
viel. Er trank jetzt weniger zum Vergnügen, er trank, um existieren zu
können, um nicht vor Schwäche, Unruhe und Schmerzen zu vergehen.

Im Saal war es angenehm kühl nach der Hitze draußen. Frau Kalnis saß
strickend und hustend an einem der Fenster und sagte kein Wort, als John
ein Wasserglas bis zur Hälfte mit Kognak füllte, das er dann, in seinen
Sessel gelehnt, langsam leerte. Sein Gedächtnis kehrte zurück. »Wissen Sie
das Neuste?« fragte er Dore.

»Daß der Tischler ins Wasser jefallen is? Ja, das weiß ich.«

»Na, was sagen Sie dazu?«

»Is gut. An dem war nichts dran. Die Frau wird froh sein.«

»Er ist ins Wasser gefallen, weil ich es wünschte,« prahlte der Trinker.

»Stuß!« murmelte Dore.

»Hier hab' ich in der Nacht gesessen und zugesehen, wie er nach dem Wasser
torkelte. Und da hab' ich gewünscht, was ich konnte, er möchte reinfliegen
-- und da is'r reingeflogen.«

»Pfui! Dann sind Se ja e Mörder!« krähte Dore.

»Stuß!« echote John.

Nun hatte er wieder Kraft und Unternehmungsgeist, die Schläfrigkeit war
gewichen. Die Neuigkeit von heute morgen hatte ihn sensationslüstern
gemacht, neugierig spähte er durch die Gardine die Grätengasse herunter
nach dem kleinen, braunen Häuschen, das dem Tischler gehörte. Und je länger
er nach dem Häuschen blickte, desto mehr verlangte es ihn, hinzugehen und
die Leiche zu sehen. Er liebte es, Leichen zu betrachten, er konnte sich
nicht satt sehen an ihren stillen Gesichtern; das Geheimnisvolle in der
Ruhe des Totenantlitzes zog ihn immer aufs neue an. Er gab seiner
Mutter nur kurze Antworten, als sie sich liebevoll nach seinem Befinden
erkundigte; er wollte fort und sobald wie möglich. Kaum hatte man ihn nach
dem Frühstück allein gelassen, so stand er auf und verließ den Saal, um
seiner Sehnsucht zu folgen.

Auf der Grätengasse lag das Sonnenlicht so schwer wie ein Alp. Die Straße
war wenig belebt, und die meisten Fenster waren verhängt, was den Häusern
ein blindes, totes, abweisendes Aussehen gab. Auf einem Hof spielte eine
verstimmte Leier eine unschöne Melodie. Die Töne zogen rauh und schrill
durch die stille, trockne Luft. Von Zeit zu Zeit sprang die Melodie wie
toll vor Hitze in die Höhe, um dann jedesmal mit einem häßlichen Schnarren
zu enden. John biß die Zähne zusammen, denn er konnte keine Musik hören,
ohne nicht weinen zu müssen. Es fror ihn bald vor Unbehagen, trotz der
Hitze, und die Musik erpreßte ihm Schweißtropfen. Er hatte schon Lust
umzukehren; aber das kleine braune Haus lockte ihn unwiderstehlich.

Auch dort waren alle Fenster verhängt, so daß von außen nichts zu erspähen
war. Scheu wie ein Dieb trat John in den Flur und sah durch das kleine
Fenster in der Stubentür. Es war von innen mit einem roten Gardinchen
verhüllt, durch dessen gehäkelte Spitze man bequem hindurchblicken konnte.
John sah die Frau des Tischlers still und vergrämt an einem Tisch sitzen
und nähen. Auf dem Fußboden kauerte ihre schwachsinnige kleine Tochter und
spielte, unaufhörlich die Lippen bewegend und die Zähne fletschend, mit
einer zerrissenen Puppe. Das Bild war unschön und traurig -- und von einer
Leiche war nichts zu sehen. Entweder befand sie sich in der Hinterstube,
oder sie war auch gar nicht im Hause. John wandte sich hastig ab und
verließ rasch den Flur.

Vor der Haustür blieb er wieder stehen und starrte, gegen seinen Willen
gefesselt, auf das große, schmutzige Schild des Verunglückten.

Solch einen Holzsarg wie da auf dem Schild bekam er nicht, er bekam
natürlich einen schönen, weißen Zinksarg, -- und der wurde über ihm
verlötet, so daß er nicht mehr heraus konnte.

Er wollte nicht verlötet werden. Er wollte lieber so, wie er ging und
stand, zur Hölle fahren, als verlötet werden.

Was dachte er immer ans Sterben?! Er konnte ja auch noch gesund werden.

Die Hitze verursachte ihm Schwindel und Herzklopfen, es wurde ihm bald
heiß, bald kalt. Dazu schossen noch immer die schrillen Leiertöne wie
Raketen durch die Luft, und es roch nach qualmendem Pech, das in einiger
Entfernung auf der Straße gekocht wurde. John wurde es so übel und so
wirr im Kopf; er wußte nicht mehr, wo er war. Die gellenden Töne schienen
schadenfroh gegen ihn anzuspringen, schienen ihn umwerfen zu wollen. Es sah
aus, als wolle er tanzen, so drehte er sich plötzlich um sich selbst.

»Solch eine Frechheit,« stammelte er. »Ich ...,« er griff in die Luft und
fiel besinnungslos zur Erde.



Zwölftes Kapitel


Es brannte eine Lampe im Saal, und Johannes saß bei John am Bett und
unterhielt sich mit ihm in ängstlichem Flüsterton; denn draußen zog ein
schweres Gewitter herauf. Es war drei Tage her, daß man John bewußtlos in
der Grätengasse fand. Seitdem lag er fest zu Bett.

»So schwarz, schwarz ist der Himmel,« wisperte Johannes, sich schüttelnd.

Wenn die Welt doch untergehen möchte, dachte der Kranke, wenn die Erde sich
doch auftun möchte und uns alle miteinander verschlingen!

»So schwarz wie Onkel Chlodwigs Sofa,« setzte Johannes hinzu.

»Ja,« sagte John, »und dahinter steht vielleicht noch glänzend die Sonne.
Zu denken!«

Der Idiot knackte verlegen mit seinen mageren Fingern. »Hab Angst, hab
Angst,« stammelte er.

John blickte starr vor sich hin. »Erst alles schwarz,« murmelte er, »alles
trüb und dunkel. Aber dahinter kommt vielleicht die Sonne -- die nie
mehr untergeht.« Plötzlich fuhr er heftig in die Höhe. »Hörst du, wie es
bröckelt?« flüsterte er erregt. »Sie machen mich entzwei, ohne daß sie mich
anrühren, ohne die Hände zu bewegen.«

»Wer? Wer?«

»Dort!« John zeigte nach der Tür, die in das Zimmer seiner Brüder führte,
und dann nach der Tür zum Eßzimmer. »Dort und überall!« stöhnte er.

Und nach einer Pause: »Sie wünschen mir den Tod, damit ich sie nicht länger
geniere. Sie füllen mir immer wieder die Flasche voll, damit ich mich
nur rasch totsaufe. Aber ich nehm' welche mit, ich geh' nicht allein. --
Hier ...,« er zog mit zitternden Händen unter dem Laken ein Päckchen hervor
und zeigte es Johannes. »Schlafpulver, die ich nicht genommen habe, die
ich für andre aufsparte. Ja ...« und er lachte wie ein Blöder, und der
Schwachsinnige lachte mit.

Die ins Entree führende Saaltür wurde ungeschickt aufgerissen, und Markus,
Johannes' Bruder, stürmte aufgeregt herein. »Tante Anna, Tante Anna, ein
Küßchen, bloß ein Küßchen!« rief er mit schmelzender Stimme, indem er sich
verschämt das eine Auge mit der Hand verdeckte.

»Idiot!« knurrte Johannes, der sich gegen Markus die Klugheit selbst dünkte
und diesen immerfort schalt und berief, wenn ein Dritter zugegen war, aus
Furcht, man könne ihn sonst für ebenso einfältig halten wie seinen Bruder.
»Scher dich raus!« herrschte er ihn an.

Der baumlange Markus prallte einen Schritt zurück; denn obgleich er eine
ungeheure Kraft besaß, hatte er doch ziemlich viel Respekt vor seinem
älteren und klügeren Bruder. »Johnche erlaubst, Tante Anna, Tante Anna
sprechen?« fragte er bescheiden, den unförmigen Kopf auf eine Seite gelegt.

»Das muß ich mir erst eine Stunde überlegen,« scherzte John.

Markus verzehrte sich fast in Liebe zu Tante Zarnosky. Dieser
heimtückische, wenig folgsame Idiot wurde unter ihren Blicken ein sanftes,
aufs Wort gehorchendes Kind. Für Frau Zarnosky hätte Markus sich kreuzigen
lassen. Er stieß einen Freudenschrei aus, als seine Angebetete in den
Saal trat. »Tante Anna, Tante Anna,« schrie er erregt, »neue Stiefel, neue
Stiefel!« Und dabei hob er den einen Fuß, um die neuen Stiefel zu zeigen,
so hoch in die Höhe, daß er beinahe das Gleichgewicht verlor.

Frau Zarnosky lud ihn ein, zu Paul und Leo ins Eßzimmer zu gehen, da sein
lautes Wesen den Kranken angriff. Markus drehte sich indessen so lange
seufzend an der Tür herum, bis sie ihm vorausging.

Johannes sah seinem Bruder mit rollenden Augen nach. »Idiot, Idiot!«
schimpfte er, ganz rot im Gesicht.

»Und dieser Idiot,« sagte John bedeutungsvoll, »wird deine ganze
Gesellschaft sein, wenn ich erst tot sein werde.«

Johannes verstand das nicht; aber es ängstigte ihn trotzdem. »Willst
wirklich sterben?« fragte er leise.

Der Kranke seufzte. »Es wird mir nichts anders übrig bleiben,« entgegnete
er.

»Johnche,« wisperte Pfarrer, »wenn's nich sehr weh tut, komm ich auch.«

John verzog das Gesicht. »Soll ich dir meine Pistole geben?« fragte er
freundlich.

»Neinei! Spaß jemacht! Spaß jemacht!« stammelte Johannes erschreckt.

»Tut ja nicht weh,« scherzte John. »Ein Knall -- und du bist weg und gleich
im Himmel, wo es Zigarren und Bratäpfel und Glacéhandschuhe haufenweis
gibt.«

Der Schwachsinnige senkte bestürzt den Kopf. »Im Sommer ...,« begann er auf
einmal, und dann stockte er ratlos.

»Was ist im Sommer?« fragte John.

»So schön! So schön!«

»Und da möchtest du nicht weg! Was?«

»Nein,« flüsterte Johannes.

»Aber wenn ich nun sterbe,« fuhr John mit erzwungener Ruhe fort, »kann
morgen, kann übermorgen sein, dann wirst du es schlecht haben. Für die
andern bist du doch nur ›der Idiot‹. Wer wird sich mit dir unterhalten?
Und eure Marie, die wird für euch noch miserabler kochen als jetzt, wenn
ich nicht mehr schmecken kommen werde. Sie wird euch hungern und frieren
lassen ...«

»Neineinei!« winselte Johannes. »Wirklich wahr? Wirklich wahr?« jammerte
er.

»Gewiß,« entgegnete John. Aber dann tat ihm der arme, bestürzte Bursche
leid. »Na,« sagte er, sich zu einem Lachen zwingend, »vielleicht gibt es
auch noch einen andern Ausweg, als -- ich will mal nachdenken, was ich noch
für euch beide tun kann.«

»Ach ja! --« sagte Johannes, und seine ganze Todesangst und seine ganze
Lebensgier war in dem Zittern seiner Stimme.

»Nun geh!« flüsterte John. »Ich bin müde, ich will schlafen. Das Gewitter
kommt noch nicht so rasch.«

»Und du wirst? Wirst ...?«

»Ja, ja ...«

Als der Schwachsinnige gegangen war, schloß John die Augen und weinte.

Auch der wollte nicht sterben. Selbst so ein hilfloser, von allen
verspotteter, armer Idiot hing am Leben -- -- es war so schön im Sommer ...

Und seiner Familie wünschte er den Tod. Und Peter wollte er erschießen.
Nein! Nein! Mochte Onkel John Peter nehmen. Mochte alles leben, was da
leben durfte. Es war so schön im Sommer ...



Dreizehntes Kapitel


Der Vater kam und saß an seinem Bett, Onkel John kam, Onkel Chlodwig, auch
Eugen saß oft bei ihm. Die Mutter war vom Morgen bis zum Abend um ihn, und
der Arzt erschien jeden Tag. Paul und Leo betraten den Saal nur selten. Auf
ihre Fragen nach seinem Befinden erhielten sie auch nur selten eine Antwort
von John, und doch war er auf ihre Besuche am stolzesten. Meistens lag er
ganz ruhig da, und die Fliegen umsummten seinen Mund.

Einmal, während niemand bei ihm war, ergriff ihn entsetzliche Todesangst.
Sich wild aufrichtend, umklammerte er krampfhaft den Bettstollen und rief:
»Ich geh' nicht fort, eh' ich nicht weiß, wohin es geht!« Frau Zarnosky
hörte es bis auf der Veranda; aber sie vermochte sich vor Schreck und
Entsetzen nicht von der Stelle zu rühren. Sie schickte Onkel Chlodwig zu
ihm, und dann schickte sie zum Pfarrer, damit er John von Gott und dem
ewigen Leben spräche.

Die Nachmittagssonne strömte ihren Glanz durch die purpurnen
Fenstervorhänge, als der Geistliche, hoch und würdevoll, in den Saal trat.
Er war der Sohn eines Bauern und trat auch in Krankenstuben nicht leise
auf. Als er durch den stärksten der roten Lichtströme ging, flammte
sein rötlichbrauner Vollbart wie Zunder auf, und sein starkknochiges,
fanatisches Gesicht schien in diesem feurigen Rahmen zu übermenschlichen
Dimensionen anzuschwellen. Er war großartig anzusehen, wie er so durch den
Glanz schritt mit der Zuversicht seines Dünkels und seines Glaubens. Er
fixierte John so lange, bis dieser verlegen die Augen niederschlug. »Wie
geht's, mein lieber Konfirmand?« fragte er liebevoll und pathetisch,
während sein Bart erlosch und sein Gesicht zusammenschrumpfte.

John schob seine zitternde Trinkerhand mit Anstrengung in die ausgestreckte
feste Rechte des Pfarrers, murmelnd, daß es ihm schlecht ginge.

»Wir haben den lieben Herrgott und unsern Herrn Christus vergessen, nicht
wahr?« fragte der Geistliche in eindringlichem Flüsterton.

»Ja,« stotterte der Trinker mit einem kindischen und albernen Lachen.

»Wir haben vergessen, was wir vor dem Altar gelobten, nicht wahr, mein
lieber John?«

»Ja.«

»Und wir sind böse und gottlos gewesen?«

»Ja.«

»Und wir bereuen jetzt, ist es nicht so?«

»Ja.« -- John war bereit, zu allem »ja« zu sagen, was der Pfarrer ihn
fragte. Es ging eine faszinierende Macht von diesem Bauernsohn aus, der er
in seiner Schwachheit nicht gewachsen war. Vergebens suchte er seine Blicke
aus denen des Fragenden zu reißen; er zog sie immer wieder an sich. John
lag wie gefesselt da, und seine Seele kämpfte erfolglos gegen den Starken
an seinem Bett.

»Ist Ihre Reue auch aufrichtig? Fühlen Sie aufrichtige Reue?« fuhr der
Geistliche noch eindringlicher fort.

»Große Angst,« stammelte der Kranke.

»Wir wollen beten!« -- Das klang wie ein gedämpfter Posaunenstoß, wie der
selbstbewußte Ruf eines bevorzugten Vasallen um Audienz bei seinem Herrn.
John schloß ermüdet die Augen und ließ ihn reden, was er wollte. Er hörte
kaum zu; aber seine Verzweiflung wurde doch stiller unter dem warmen Strom
von Glauben und Zuversicht, der sich mit den Worten des Betenden über ihn
ergoß.

»Hören Sie auch zu?« fragte plötzlich der Pfarrer.

»Ja,« sagte John leise.

»Beten Sie auch mit?«

»Ja.«

»Wird Ihnen leichter ums Herz?«

»Ja.«

»Und Sie bereuen? Voll Vertrauen auf einen barmherzigen und gnädigen Gott?«

»Ja.«

»Der Glaube kann Berge versetzen!« rief der Pfarrer, daß es dröhnte. Und
dann leiser: »Wenn Sie von ganzem Herzen bereuen, dann wird der Herr Ihre
Sünden auslöschen, und Sie werden eingehen zur ewigen Seligkeit.«

»Zur ewigen Seligkeit?« flüsterte ungläubig der Trinker.

»Ja! Zu den Asphodill- und Lilien-Fluren, zu den Scharen der Seligen mit
den goldenen Harfen.« Die Augen des Sprechers leuchteten verzückt.

»Asphodill- und Lilien-Fluren?« wiederholte John wie ein Kind. »Und darüber
ein Osterhimmel, nicht wahr?«

»Nein! Gott darüber!« sagte laut und feierlich der Geistliche.

John zuckte in plötzlicher Ergriffenheit zusammen, und der Pfarrer erhob
sich.

»Der Herr lasse sein Antlitz über dir leuchten und schenke dir seinen
Frieden!« murmelte er voller Inbrunst, die große, feste Hand segnend über
den Todgeweihten gereckt. Und dann ging er mit festen Schritten von dannen,
umflossen von der Pracht seines Dünkels und der Zuversicht seines Glaubens.
Frau Kalnis öffnete ihm, demütig wie ein Hund, die Tür. Als er ihr die Hand
hinstreckte, durchfuhr sie diese Herablassung wie ein Blitzstrahl.

John dachte an die Asphodill- und Lilien-Fluren; seine Phantasie
schuf Bilder auf Bilder. O ja, er hatte schon Lust, nach jenen Fluren
auszuwandern, nur glaubte er nicht, daß sie existierten. All das waren
schöne Märchen für Kinder und Schwachsinnige.

»Na, wie ist Ihnen jetzt?« fragte Frau Kalnis, noch ganz heiß von dem
Händedruck.

John machte mit Gewalt ein verschmitztes Gesicht. »Wissen Sie was,«
entgegnete er, »der Mövius hat direkte Telephonverbindung mit dem lieben
Gott.«

»Oa!« rief sie enttäuscht. »Is das alles, was d'r Mann bei Ihnen
ausjerichtet hat?«

»Ich bin schon angemeldet auf den Asphodill- und Lilien-Fluren,« spöttelte
er weiter, »und eine goldne Harfe ist auch schon für mich bestellt. Bei
Petrus und Kompanie. Aber nobbel, sag ich dir!«

»Schämen Sie sich!« schalt die Wärterin. »Sie verdienen nich, im Himmel zu
kommen! Sie werden auch nich!«

»Ich will auch gar nicht,« brummte er, »ich will hier bleiben und gesund
werden. Es ist mir noch lange nicht genug!«

»Noch nich jenuch jetrunken, was?«

»Alles noch nicht genug,« murmelte John, unnatürlich die Augen aufreißend.

»Wenn der Mövius mein Vater gewesen wäre,« sagte er nach einer Weile, »dann
würde ich jetzt nicht hier liegen; dann wäre schon was aus mir geworden.«

»Sie beleidjen Ihren Vaterche!« zeterte Dore. »Hat er nich alles für Sie
jetan, was sein muß und sein kann?!«

»Er hat es nicht verstanden,« murmelte John.

»Was sagt er?« fragte Frau Zarnosky, mit geröteten Augen ins Zimmer
tretend.

»Er phantasiert e bißche,« half sich die Wärterin.

Frau Zarnosky ließ sich am Krankenbett nieder und ergriff still und mit den
Tränen kämpfend ihres Sohnes Hand. »Heul doch nicht immer!« hätte John am
liebsten gerufen; aber er wollte die Mutter nicht kränken und auch nicht
zeigen, daß ihm ihre Tränen eine Qual waren. Er schloß die Augen und tat,
als wolle er schlafen.

Als sie ihn eingeschlafen glaubten, ließ Frau Zarnosky ihren Tränen freien
Lauf und sagte flüsternd zu Dore: »Lange wird es nicht mehr dauern.«

»Neinei,« entgegnete diese.

»Ich darf mir wohl keine Vorwürfe machen,« fuhr die Mutter fort. »Ich hab'
wohl für ihn getan, was in meinen Kräften stand.«

»Das haben Se,« bestätigte die Wärterin.

John tat sich Gewalt an, um sein Wachsein zu verbergen; aber es wollte ihm
nicht gelingen: sein Herz zersprang vor Zorn und Angst. »Ihr könnt mir alle
gestohlen bleiben!« stieß er verzweifelt hervor.

Frau Zarnosky sprang bestürzt auf. »Aber lieber Junge -- --« stotterte sie.

Dore beruhigte Mutter und Sohn. Sie gab John Medizin ein und glättete seine
Kissen, wobei ihr Mundwerk auch nicht einen Augenblick stillstand. Trotzdem
überhörte sie nicht das schüchterne Klopfen an der Tür. »Das is der
Pfarrerche,« sagte sie, resolut »herein« rufend.

Und es war der Pfarrerche. »Wie geht's? Wie geht's?« fragte er, unter
Verbeugungen näher tretend.

»Besser natürlich,« erwiderte Frau Zarnosky, und ihre weinerliche Stimme
stand in lächerlichstem Gegensatz zu ihren Worten. John hätte aus der Haut
fahren mögen.

Johannes schlingerte sich unter verlegenem Händereiben bis zum Bett, setzte
sich auf die Kante des Stuhls, den Frau Zarnosky verlassen hatte, und
machte hungrige Augen. »Schon Abendbrot, Abendbrot jejessen?« fragte er
verschämt im Kreise herum.

»Gib ihm doch was!« sagte John rasch zu seiner Mutter.

»Sie sind immer bei App'tit, Herr Pfarrerche liebes, nich wahr?«
schmunzelte Dore.

Johannes sah sie unwillig an. »Wirst jefracht? Wirst jefracht?« versetzte
er indigniert.

Er bekam ein großes Schinkenbrot, das er mit stummer Wollust ergriff.
Seine langen, nicht ganz sauberen Finger umklammerten es fest und zärtlich.
»Schön, schön ... Danke, danke!« stammelte er mit halbgeschlossenen Augen.

»Na, Pfarrer, wie ist's mit dem Himmel?« fragte ihn John ganz leise.

Der Schwachsinnige lächelte leer und ängstlich. »Noch e bißche warten;
nächstes Jahr, nächstes Jahr.«

»Na, ich weiß was,« fuhr John ebenso leise fort, »Frau Kalnis soll zu euch
ziehen, wenn ich tot bin.«

Johannes warf Dore ganz von untenauf einen unbeschreiblichen Blick zu.
»Meinst, meinst?« entgegnete er ziemlich zerstreut, denn das Schinkenbrot
nahm seinen ganzen Menschen in Anspruch.

»Ich möchte mit dir tauschen,« flüsterte John, die Augen schließend.

Und er öffnete sie nicht mehr an diesem Abend. Doch im Geiste sah er sein
ganzes Leben an sich vorüberziehen: Sommer und Winter, Lenze und Herbste;
eine lange Kette von Tagen, die einst gewesen. Dabei wurde er schläfrig und
schlief ein. Und seine Träume waren nicht schrecklich, wie in den meisten
Nächten; sie hatten etwas Stilles, Wehmütiges und Fernes, und manchmal
waren sie auch schön. Einmal ging er im Traum über die Asphodill- und
Lilien-Fluren, auf denen weiße Schafe im Sonnenschein grasten und ein
Hirte auf einer Schalmei ein weltfremdes Lied ertönen ließ. John hörte ganz
deutlich eine wunderbare Melodie, die ihn so packte, daß er erwachte; aber
er öffnete nicht die Augen und schlief bald wieder ein.

Nun flog er durch die Nacht unter lauter Schattengebilden; selbst ein
Schatten: das Leben lag hinter ihm. Und das gab ihm ein Gefühl, als sei
eine Tür hinter ihm zugefallen, die sich nie mehr öffnen würde, soviel er
auch bitten, flehen und schreien würde. Doch diese Empfindung erweckte
nur ein ganz mattes, unklares Entsetzen in ihm. Er flog über meilenweite
Schneefelder, auf denen sich dunkle Ungeheuer wanden, tief, tief unter ihm.
»Wir können dir nichts mehr tun,« klang es zu ihm herauf, »denn du bist
ja schon tot.« Peter (den er erschossen zu haben glaubte) kam ihm
entgegengestürmt und begrüßte ihn mit lautloser, schattenhafter Freude.
Sobald er ihn fassen wollte, zerfloß das Tier, um sich dann wieder zu
einem nebelhaften Gebilde zusammenzusetzen. John bereute bitter, daß er ihn
getötet hatte. Das kümmerlichste Leben, dachte er, ist tausendmal besser
als tot sein.

Es wurde sehr früh Tag im Saal, weil das mittelste der Fenster auf seinen
Wunsch unverhängt geblieben war: er wollte doch das Licht genießen, solange
er noch konnte. Und nun kam schon früh die Sonne zu ihm herein und weckte
ihn ganz leise auf. Die Augen öffnend, sah er sich ratlos um: war er denn
nicht gestorben? Ihm wurde so feierlich zumute in dem totenstillen, hellen
Raum, er mußte plötzlich die Hände falten, und obgleich er nicht betete,
war seine Stimmung so fromm wie ein Gebet.

Kam er von Gott, dieser feierliche Frieden, den er plötzlich empfand?
War es Gott, der die Verzweiflung von ihm genommen? Der ihn ohne Worte
tröstete?

Vielleicht ... vielleicht ... Wenn es einen Gott gab!

Wie hatte der Pfarrer doch schon gesagt: »Der Herr lasse sein Antlitz über
dir leuchten und schenke dir seinen Frieden.«

Vielleicht kam er von Gott.

Die Sonne, die durchs Fenster schien, dünkte ihn schon eine andere Sonne,
und alles dünkte ihn schon so anders als gestern. Ihm war, als sähe er auf
das Leben wie von einem Berg zurück, den er im Traum erstiegen hatte --
und nun wollte er nichts mehr von ihm, auf einmal hatte er genug, war
lebenssatt und todesbereit. Und sie war nicht ohne Wollust, diese Hingabe
an den Tod, sie war ein ungeahnter Genuß, ein so großer, daß er Mitleid zu
fühlen begann für alle, die zurückbleiben mußten und noch weite Strecken
auf den gefährlichen, staubigen Wegen des Lebens zu wandern hatten.

Und jetzt war er überzeugt, daß er den Weg gegangen, den sein Schicksal,
das heißt seine Anlagen ihm bestimmten, daß es kaum in seiner Macht
gelegen, einen andern zu gehen, und daß er darum eher zu beklagen als zu
verdammen war. Weder er noch seine Eltern trugen schwere Schuld an seinem
Los, weder sie noch er waren im Grunde dafür verantwortlich zu machen.
Seine Anlagen waren ihm zum Verderben geworden, das war es! Und seine
Anlagen waren eine Laune der Natur, für die niemand verantwortlich war,
auch nicht Vater und Mutter, und sie waren stärker gewesen als sie alle
zusammen. Laune der Natur war Gutes wie Böses, und das mußte hingenommen
werden wie Sonne und Regen, wie Stille und Sturm -- denn wer konnte die
Natur zur Verantwortung ziehen? Nach Willkür brausten die Winde, nach
Willkür traf der Blitz, es gab keinen Herrscher über den Launen der Natur.
Aber vielleicht, vielleicht gab es doch etwas Liebes und Gutes im All:
einen Gott, nicht zum Herrschen, zum Trösten da.

Der Morgen rückte vor. Die Sonne wurde von grauen Wolken bedeckt; Regen
fiel. Ein trauriger Wind zog leise klagend an den Fenstern vorüber. Dore
saß jetzt am Krankenbett, strickend lauschte sie dem Wind und dem seltsamen
Schnarchen des Kranken; in ihren Augen war eine dumpfe Angst vor der
Zukunft. Plötzlich erwachte John und sah sie an -- und verstand. »Du ziehst
zu den Idioten, wenn ich tot bin,« flüsterte er. »Du kannst dir ja ein
Mädchen halten. Der Vater wird dir ein Drittel meines Erbteils geben.«

»Aber Herr Johnche trautstes ...«

»Ruf ihn! Er soll es mir versprechen.«

Die Wärterin mußte gehorchen, und Herr Zarnosky kam, den Kamm in der Hand,
herbeigestürzt. Er versprach alles, was John wollte, sich in der Bestürzung
mechanisch weiterkämmend. Hustend und sich räuspernd, um seinen Schmerz und
seine Rührung zu verbergen, starrte er dem Sohn wie gebannt ins Gesicht.
»Möchtest du nicht was trinken?« fragte er einmal über das andere.

John schüttelte mit einem fremden Lächeln den Kopf.

»Champagner, wie?«

»Ich kann nicht mehr.«

»Na, es wird schon alles wieder besser werden,« sagte Herr Zarnosky mit
rauher Stimme, und in diesem Augenblick hätte er alle seine andern Kinder
hingegeben, wenn er John dafür zurückbekommen hätte, wie er vor zehn Jahren
war. Sein Gewissen regte sich zum ersten Male laut und heftig diesem Ende
gegenüber, er fühlte sich nicht mehr frei von aller Schuld beim Anblick
seines sterbenden Sohnes. Und obgleich er sich sagte, daß vielleicht auch
ein Stärkerer als er John gegenüber versagt hätte, so schien ihm nun doch
nicht genug, was er um ihn getan hatte. »Nicht genug, nicht genug ...« das
erhob sich wie ein Klingen in seinen Ohren, das nicht mehr enden wollte.
»Hab' ich dich nicht immer gewarnt?« stieß er wie zu seiner Verteidigung
unsicher hervor.

»Besser werden,« murmelte John, die Augen schließend.

Herr Zarnosky streckte die Hand aus und fuhr ihm mit ungeschickter,
verzweifelter Zärtlichkeit über das Gesicht, dann drehte er sich wortlos um
und ging, die Zähne zusammenbeißend, hinaus.

Abends gegen zehn verlangte John mit klaren Augen Champagner, und Dore
beeilte sich, ihm das Gewünschte zu holen. Während des Trinkens riß er sich
immer wieder am Halse, weil ihm das Schlucken sonderbar schwer fiel. »Will
nicht mehr rutschen,« sagte er mit einer traurigen Grimasse. Dann legte
er sich zurück, faltete die Hände und ließ wie in alten Tagen die Daumen
umeinander laufen. Frau Kalnis holte ihr Strickzeug und setzte sich zu ihm
ans Bett.

»Dore,« sagte er plötzlich, »war das alles: geboren werden, saufen und nun
sterben?«

»Wie meinen Se, Herr Johnche?«

»Ich meine, ob das alles war, was ich erleben sollte?«

»Na--e ...« und mehr wußte sie nicht.

»Dann war mein ganzes Leben fünf Pfennige wert!« stieß John zwischen den
Zähnen hervor.

»Aber vielleicht kommt doch noch etwas,« murmelte er dann. »Etwas muß doch
noch kommen, es war doch noch so gar nichts, so gar nichts -- -- Vielleicht
ist der Tod eine angenehme Überraschung,« setzte er mit Humor hinzu. Darauf
sah er starr vor sich hin und sagte: »Vielleicht ist der Tod das einzige
große Erlebnis im Leben der meisten Menschen.«

»Denken Sie auch an Gott?« fragte Frau Kalnis.

John hatte die Augen geschlossen und schwieg.

»Hörst du? Ach, hörst du?« murmelte er nach einer Weile.

»Ich her nichts,« entgegnete die Wärterin.

»Musik!« flüsterte er. »So traurig und so schön! Wie von vielen Wassern
-- -- Wie von großen Wäldern -- -- Wie von Stürmen -- -- So schwer und so
tief und so traurig schön!« Nach diesen Worten öffnete er rasch die Augen
und sagte wie in einer plötzlichen Erleuchtung: »Weißt du, wozu ich gepaßt
hätte, Dore?«

»Na?«

»Ich hätte Musik machen können.«

»Jewiß,« bestätigte die Wärterin, »was konnten Se doch bloß scheen d'n
Flohwalzer spielen.«

John kicherte nervös vor sich hin; ein Kichern das wie ein Schluchzen
klang. »Du hast es getroffen,« flüsterte er, »auf d'n Flohwalzer kommt es
an.« Dann seufzte er tief und schloß die Augen.

Die Wärterin ließ ihr Strickzeug in den Schoß sinken und sah ihn an. Und
es kam ihr vor, als verändere sich sein Gesicht, während sie ihn unverwandt
anblickte. Sie saß wohl eine halbe Stunde so, das Strickzeug im Schoß. »Er
jefällt mir gar nich,« murmelte sie, als Frau Zarnosky ans Krankenbett kam.

»Er schläft doch so schön,« sagte die Mutter.

Und die beiden Frauen standen und blickten stumm auf den Schläfer.
Sie glaubten eine Ewigkeit so zu stehen, wie von unsichtbaren Mächten
festgehalten. Draußen plätscherte der Regen, draußen war das Leben. Und im
Zimmer war der Tod, das fühlten sie nun alle beide. John lag ganz still.
Doch plötzlich wurde er unruhig: und während ein krampfhaftes Zucken durch
seinen ganzen Körper lief und sein Gesicht sich verzerrte, schlug er die
Augen auf und suchte mit großen, angstvollen Blicken die Mutter; er schien
etwas sagen, etwas rufen zu wollen. Frau Zarnosky beugte sich tief zu ihm
herab; aber er sagte nichts, konnte nichts mehr sagen. Sein Kopf sank
ein wenig zur Seite, die Lider schlossen sich zur Hälfte über den glasig
werdenden Augen -- ein Röcheln, ein Ausstrecken, der Gesichtsausdruck wurde
friedlicher -- starr: John war tot.



Deutsche Romane und Erzählungen


Lily Braun, Memoiren einer Sozialistin, Roman

    Geheftet 6 Mark, gebunden 7 Mark 50 Pf., in Halbfranz 9 Mark


Alexander Castel, Der seltsame Kampf, Drei Novellen

    Geheftet 3 Mark 50 Pf., in Pappband 5 Mark, in Halbfranz 6 Mark 50 Pf.


Max Dauthendey, Lingam, Asiatische Novellen

    Geh. 2 Mark 50 Pf., geb. 3 Mark 50 Pf., in Halbfranz 5 Mark 50 Pf.


Hermann Gottschalk, Gerhard Frickeborns Freiheit, Roman

    Geheftet 5 Mark 50 Pf., gebunden 7 Mark, in Halbfranz 8 Mark 50 Pf.


Otto Gysae, Die Schwestern Hellwege, Roman

    Geheftet 3 Mark, gebunden 4 Mark

  Edele Prangen, Roman

    Geh. 3 Mark 50 Pf., geb. 4 Mark 50 Pf.

  Die silberne Tänzerin, Roman

    Geheftet 3 Mark 50 Pf., gebunden 4 Mark 50 Pf., in Leder 6 Mark 50 Pf.


Max Halbe, Der Ring des Lebens, Novellen

    Geheftet 3 Mark, gebunden 4 Mark, in Halbfranz 6 Mark


Karl Borromäus Heinrich, Karl Asenkofer, Roman

    Geheftet 3 Mark 50 Pf., gebunden 5 Mark, in Halbfranz 6 Mark 50 Pf.

  Karl Asenkofers Flucht und Zuflucht, Roman

    Geheftet 3 Mark, gebunden 4 Mark, in Halbfranz 6 Mark

  Menschen von Gottes Gnaden, Roman

    Geheftet 3 Mark, in Pappband 4 Mark, in Halbfranz 6 Mark


Hermann Hesse, Gertrud, Roman

    Geheftet 4 Mark, in Pappband 5 Mark 50 Pf., in Halbfranz 7 Mark


Korfiz Holm, Thomas Kerkhoven, Roman

    Geh. 5 M., geb. 6 M.


Richard Huldschiner, Die Nachtmahr, Roman

    Geheftet 3 Mark 50 Pf., in Pappband 5 Mark, in Halbfranz 6 Mark 50 Pf.


Adolf Köster, Die zehn Schornsteine, Erzählungen

    Geheftet 3 Mark 50 Pf., gebunden 5 Mark, in Halbfranz 6 Mark 50 Pf.


Gustav Meyrink, Wachsfigurenkabinett, Sonderbare Geschichten

    Geheftet 4 Mark, in Halbfranz gebunden 6 Mark

  Orchideen, Sonderbare Geschichten

    Geh. 2 M., geb. 3 M.


Otto Soyka, Der Fremdling, Roman

    Geheftet 3 Mark, in Pappband 4 Mark, in Halbfranz 6 Mark


Ludwig Thoma, Andreas Vöst, Bauernroman

    Geheftet 3 Mark, gebunden 4 Mark, in Leder 6 Mark

  Kleinstadtgeschichten

    Geh. 3 Mark, geb. 4 Mark, in Leder 6 Mark


Albert Langen Verlag in München


Druck von Hesse & Becker in Leipzig

Papier von Bohnenberger & Cie., Papierfabrik, Niefern bei Pforzheim

Einbände von E. A. Enders, Großbuchbinderei, Leipzig



[ Hinweise zur Transkription


Der Schmutztitel wurde entfernt.

Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.

Darstellung abweichender Schriftarten: _gesperrt_, =Antiqua=.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden
Ausnahmen,

  Seite 80:
  "erikafarbenen" geändert in "erikafarbenem"
  (mit erikafarbenem Schimmer über dem Hof)

  Seite 92:
  "sie" geändert in "Sie"
  (Da täten Sie recht!)

  Seite 95:
  "uud" geändert in "und"
  (ließ er den Kopf hängen und weinte) ]





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