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Title: Die Abenteuer des Fliegers von Tsingtau: Meine Erlebnisse in drei Erdteilen
Author: Plüschow, Gunther
Language: German
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  | Eine Liste der Änderungen befindet sich am Ende des Buchs.       |
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[Illustration: Ullstein

Kriegsbücher]



Die Abenteuer des Fliegers von Tsingtau



                           Die Abenteuer des
                         Fliegers von Tsingtau

                  Meine Erlebnisse in drei Erdteilen

                                  von

                            Kapitänleutnant

                           Gunther Plüschow

                         [Illustration: 1916]

                     Verlag Ullstein & Co, Berlin


Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.

Amerikanisches Copyright 1916 by Ullstein & Co., Berlin.



Inhalt


  Fliegerfreuden und Fliegerleiden            11

  Herrliche Tage in Tsingtau                  28

  Kriegsalarm -- Meine Taube                  37

  Allerhand Scherze der Japs                  61

  Meine Kriegslist                            70

  Hurra!                                      79

  Der letzte Tag                              86

  Im Schlamm des chinesischen Reisfeldes      98

  Die Fischvergiftung des Mr. McGarvin       108

  Sie haben mich!                            135

  Hinter Mauern und Stacheldraht             148

  Die Flucht                                 188

  Schwarze Nächte an der Themse              196

  Ein blinder Passagier                      237

  Der Weg in die Freiheit                    239

  Wieder im Vaterland!                       243



Fliegerfreuden und Fliegerleiden


Es war im August des Jahres Neunzehnhundertunddreizehn, als ich in
meiner Heimatstadt Schwerin anlangte. Mehrere Wochen hatte ich mich in
England aufgehalten, hatte mich vor allen Dingen in London dem Studium
der dortigen reichhaltigen Kunstschätze hingegeben und mich tagelang in
London und seiner Umgebung herumgetrieben. Damals ahnte ich nicht, wie
wertvoll mir diese Streifzüge zwei Jahre später werden sollten.

Eine gewisse innere Erregung und Unruhe hatte mich schon auf der ganzen
Reise befallen, und als ich in Schwerin ankam, wagte ich nicht, meinem
Onkel, der mich abholte, die Frage, die mir seit Tagen auf der Seele
gebrannt hatte, zu stellen. Denn in diesen Tagen sollten die neuen
Herbstkommandierungen der Marine herauskommen, und für mich handelte es
sich darum, ob mein seit Jahren genährter Wunsch endlich in Erfüllung
gehen sollte.

Die Frage meines Onkels: „Weißt du, wo du hinkommst?” traf mich wie ein
elektrischer Schlag.

„Nein.”

„Na, dann herzlichen Glückwunsch, Marine-Fliegerabteilung!”

Vor Freude hätte ich am liebsten mitten auf der Straße einen Handstand
gemacht, doch die guten Schweriner Mitbürger wollte ich nicht zu sehr
in Aufruhr versetzen.

Endlich war also mein Wunsch erfüllt!

Die letzten Tage des Urlaubs vergingen wie im Fluge, und froh
kehrte ich zur Marineschule zurück, um die letzten Wochen meiner
anderthalbjährigen Tätigkeit als Inspektionsoffizier zu vollenden, und
wohl noch nie habe ich mit größerer Freude meine Koffer gepackt, um
meiner neuen Bestimmung entgegenzufahren.

Gerade einige Tage vor meiner Abfahrt kam einer meiner Kameraden zu mir
und rief mir zu:

„Wissen Sie schon das Neueste, wo Sie hinkommen sollen?”

„Ja, Flieger.”

„Mensch, Sie ahnen ja noch gar nicht Ihr Glück, Sie kommen ja nach
Tsingtau!”

Ich war sprachlos und muß ein ziemlich dummes Gesicht gemacht haben.

„Ja, Tsingtau, und zwar als Flieger! Sie Glückspilz, Sie sollen der
erste Marineflieger in Tsingtau werden!”

Es war wohl kein Wunder, daß ich dieses nicht glauben wollte, bevor ich
die offizielle Bestätigung erhielt. Es war Wirklichkeit. So viel Dusel
sollte ich tatsächlich haben.

Drei Monate Wartezeit noch in Kiel, und endlich brach der erste Januar
Neunzehnhundertundvierzehn an, und ich befand mich im geliebten Berlin.

Und die Unruhe! Gar nicht zu bremsen war ich. Und schon am zweiten
Januar stand ich in Johannisthal und dachte, sofort mit dem
Fliegen anfangen zu können. Aber mir ging es wie wohl den meisten
Flugschülern. Zum ersten Male erfuhr ich den alten Erfahrungssatz der
Fliegerei: Nur die Ruhe kann es machen, wer fliegen will, muß vor allen
Dingen warten lernen!

Warten, warten und immer wieder warten. Achtzig Prozent der ganzen
Fliegerei besteht nur aus Warten und Sich-klar-Halten.

Es hatte nämlich Frau Holle gefallen, ihre Daunenkissen auszuschütteln,
und das ganze Flugfeld war unter einer tiefen Schneeschicht begraben.
Fliegen unmöglich. Und wochenlang kam ich jeden Morgen wieder und
dachte: Nun muß doch der Schnee fort sein! Aber enttäuscht kehrte ich
nachmittags wieder nach Hause zurück.

Im Februar endlich wurde es schön. Und am ersten Februar saß ich
glücklich vorn in meiner Taube, und auf ging es zum ersten Male in die
herrliche kalte Winterluft hinauf. Das Wetter meinte es gut in diesen
Tagen, und unermüdlich wurde Tag für Tag geschult.

Die Fliegerei lag mir, das hatte ich bald heraus. Und ich war
ganz stolz, als ich schon am dritten Tage allein fliegen durfte.
Zwei Tage war ich gerade allein geflogen, da kam an einem schönen
Sonnabendnachmittag mein unermüdlicher Lehrer Werner Wieting zu mir und
sagte: „Na, wie wär's, Herr Oberleutnant, wollen Sie nicht gleich Ihr
Pilotenexamen machen? Das wäre doch ein netter kleiner Rekord!”

„Ja, natürlich, ich bin klar!”

Zehn Minuten später saß ich bereits in der Maschine, und lustig
drehte ich mit meinem Täubchen die vorgeschriebenen Kurven. Es war
eine wahre Lust, sich in der herrlichen Winterluft herumzutummeln. Und
als die letzte Prüfungslandung tadellos geglückt war, und als mein
Lehrer mir stolz zum Glückwunsch die Hand reichte, da war mir so recht
wohl zumute, und ein Gefühl der inneren Befriedigung und des Glücks
beschlich mich.

Nun war ich also Pilot. Die Schulzeit war vorüber, und frei und allein
konnte ich von jetzt ab täglich eine der großen hundertpferdigen
Maschinen nach Herzenslust fliegen.

Ein Sonderunternehmen sollte mir damals viel Freude bereiten.
Rumpler hatte einen neuen Eindecker herausgebracht, der besonders
auf gutes Steigen gebaut war. Es galt nun, mit diesem Flugzeug
den Welthöhenrekord zu erringen. Der bekannte Flieger Linnekogel
sollte dieses Flugzeug steuern, und er bat mich, als sein Beobachter
mitzufliegen. Was war selbstverständlicher, als daß ich ja sagte!

An einem der letzten Tage im Februar starteten wir zum ersten Versuch.
Dicht eingehüllt zum Schutz gegen die große Kälte saßen wir in unserem
Flugzeug, und voll Neid blickten uns viele Menschenaugen nach, als
sich leicht wie eine Libelle schon nach kurzem Anlauf der Vogel
erhob. Mit der Uhr in der Hand beobachtete ich die Höhe, und schon
nach fünfzehn Minuten waren zweitausend Meter erreicht, damals eine
außerordentliche Leistung. Nun ging es aber langsam. Die Luft wurde
sehr unruhig, und wie eine Feder wurden wir durch die heftigen Fallböen
auf und ab geworfen. Nach einer Stunde hatten wir endlich viertausend
Meter erreicht, als mit einem Fauchen und Spucken der Motor anfing
zu streiken und nach wenigen Sekunden mit einem Ruck stehenblieb. In
Spiralen glitten wir mit großer Geschwindigkeit dem Boden zu, und
wenige Minuten später stand das Flugzeug wohlbehalten auf dem Flugplatz.

Die Kälte war zu groß gewesen, der Motor war einfach eingefroren und
dieses Hindernis nicht bedacht worden. Emsig wurden Verbesserungen
eingebaut. Schon einige Tage später starteten wir zum selben Versuch,
und dieses Mal schienen wir mehr Glück zu haben.

Ruhig und sicher gewannen wir stetig an Höhe.

Viertausend Meter, viertausendzweihundert, viertausendfünfhundert
Meter, Gott sei Dank, der Rekord vom letzten Male war gebrochen! Die
Kälte war fast unerträglich, und ich glaube, selbst die dickste Pelle
hätte bei dem scharfen Luftzug nichts geholfen.

Viertausendachthundert, viertausendneunhundert Meter! Nun fehlten nur
noch vierhundert Meter, dann war das gesteckte Ziel erreicht. Aber
wie verzaubert weigerte sich das Flugzeug, auch nur einen Meter höher
zu klettern. Es half nichts. Der Betriebsstoff ging auf die Neige,
und wiederum setzte der Motor plötzlich aus, diesmal in Höhe von
viertausendneunhundert Metern.

Ohne einen Tropfen Benzin langten wir wohlbehalten unten an, fast zu
einem Eisklotz erfroren.

_Alles_ hatten wir nicht erreicht, aber doch einen schönen Erfolg: der
deutsche Höhenrekord war glänzend gewonnen!

Der Erfolg spornte uns aber dazu an, auch das letzte Ziel zu erreichen.
Und Anfang März endlich war das Wetter wieder so weit, daß ein neuer
Versuch unternommen werden konnte. Noch dicker eingehüllt wie das
letztemal, mit Thermometer versehen, aber ohne Sauerstoffapparat
verließen wir zu einem dritten Versuche den Flugplatz.

Die ersten Höhen wurden wieder spielend gewonnen. Große Wolken
schwebten am Himmel, die Temperatur war eisig. Als wir durch die
Wolkendecke nach oben in den strahlenden Sonnenschein durchstießen,
hatten wir ein herrliches Erlebnis. Plötzlich sahen wir nämlich vor uns
von der Sonne wunderbar beleuchtet ein Zeppelin-Luftschiff, welches
ebenfalls zu einer Höhenfahrt aufgestiegen war.

Welch wunderbare Begegnung in über dreitausend Metern Höhe! Weitab von
allem Menschengetriebe, hoch über des Alltags Sorge und Last trafen
sich die beiden Maschinen, die so beredt von Deutschlands Kraft und
Können zeugten.

Wir umkreisten den großen Bruder einige Male und winkten ihm mit den
Händen ein stummes „Glück ab” zu!

Dann fing der Ernst für uns wieder an. Und unermüdlich mußten
wir arbeiten, um unser Ziel zu erreichen. Nach einer Stunde
hatten wir viertausendachthundert Meter erreicht, dann kamen
viertausendneunhundert, mein Barograph zeigte bald fünftausend, und
immer noch brummte der Propeller seine gleichmäßige Melodie. Ruhig und
sicher zog Linnekogel seine Kreise. Das Thermometer zeigte bereits
minus siebenunddreißig Grad Celsius, aber wir achteten der Kälte
nicht. Nur die Luft wurde etwas knapp. Ein leises Gefühl der Müdigkeit
beschlich mich, und die Lungen arbeiteten nur noch in ganz kurzen
schnellen Stößen. Jede Bewegung war beschwerlich. Und selbst das
einfache Umdrehen nach dem hinter mir sitzenden Führer war mit großer
Anstrengung verbunden.

Der Himmel war inzwischen herrlich geworden. Die Wolkenbänke hatten
sich verzogen, und wunderbar klar lag unter uns Berlin und seine
Umgebung. Nur so groß wie eine Handfläche sah die Weltstadt aus
dieser enormen Höhe aus. Ein schwarzer Fleck, in dem man aber klar
und deutlich die Straße Unter den Linden und die daran schließende
Charlottenburger Chaussee verfolgen konnte.

Von diesem wunderbaren Anblick gänzlich hingerissen, hatte ich längere
Zeit nicht auf Uhr und Barograph acht gegeben, und voll Schrecken
entsann ich mich meiner Pflichtvergessenheit. Zwanzig Minuten waren
etwa vergangen, seitdem ich das letztemal nachgesehen hatte, daß mein
Barograph auf fünftausend Meter stand, und jetzt mußte eigentlich das
Ziel erreicht sein. Aber wie wurde ich enttäuscht, als mein Zeiger
immer noch auf fünftausend stand. Dabei fing Linnekogel an, mir Zeichen
zu machen, den Flugplatz zu suchen, und deutete mit der Hand nach
unten. Nein, das war mir doch zu arg. Ärgerlich drehte ich mich um,
und als Linnekogel dieses nicht sah, versetzte ich ihm einen nicht
gerade sanften Tritt gegen sein Schienbein. Dabei hielt ich ihm meine
gespreizten fünf Finger vor die Nase und deutete mit der Hand nach
oben. Das sollte heißen: Höher, höher, wir sind ja erst fünftausend
Meter!

Linnekogel lachte nur, er ergriff meine Hand, schüttelte sie kräftig
und zeigte mit der Rechten zweimal fünf. Ich dachte erst, der hat
einen Klaps. Und dies wurde noch bestärkt, als Linnekogel den Motor
abstellte und in einem steilen Gleitfluge (wir waren senkrecht über
Potsdam) in gerader Linie dem Flugplatz Johannisthal zuraste. Nun hieß
es für mich aufpassen, den Flugplatz finden. Und glücklich standen wir
sechzehn Minuten später vor den Rumplerwerken, freudig begrüßt von den
Zuschauern.

Es war erreicht! Der Welthöhenrekord war mit fünftausendfünfhundert
Metern gebrochen.

Eine Stunde fünfundvierzig Minuten hatte im ganzen die Fahrt gedauert.
Stolz standen wir unter unseren untengebliebenen Mitmenschen.
Linnekogel hatte doch recht gehabt; mein Barograph war eingefroren,
der Linnekogels, der besser und wärmer eingepackt war, hatte richtig
durchgehalten.

Die Tage vergingen, und für mich kam die Zeit, wo ich die Heimat
verlassen mußte.

Meine für Tsingtau neu gebaute Taube näherte sich ihrer Vollendung,
und mit einem ganz seltsamen Gefühl flog ich mein zukünftiges Flugzeug
ein, nachdem es die Abnahmebedingungen bestanden hatte. Mich dünkte es
damals das schönste Flugzeug der Welt!

Doch mein Ehrgeiz war damit nicht gestillt. Und unbedingt mußte ich vor
meiner Abreise nach dem fernen Osten einen größeren Überlandflug in
Deutschland ausführen.

Ich hatte Glück. Meine Bitte fand bei Herrn Rumpler Gehör, und er
überließ mir eines seiner Flugzeuge, um mehrere Tage in Deutschland
herumzufliegen. Mein Feldpilotenexamen war schnell gemacht, und
Ende März saß ich an einem Tage früh um sieben Uhr in meiner voll
ausgerüsteten Taube, vor mir als Beobachter mein Freund, der lange
Oberleutnant Strehle von der Kriegsakademie.

Dieser saß heute zum erstenmal in einem Flugzeug. Aber an diesen Flug
wird er, glaube ich, sein ganzes Leben lang denken.

Glänzend war der Start. Und stolz zog ich meine Kreise, bis ich in
fünfhundert Meter Höhe in nördlicher Richtung davonflog. Alles klappte
famos. Die Havelseen wurden überquert, Nauen kam in Sicht, als es
plötzlich anfing, diesig zu werden, und keine zehn Minuten später
war das Pech auch schon da. Dichter Nebel umhüllte uns. Vom Boden war
nichts mehr zu sehen. Das war für den ersten Überlandflug, den ich in
meinem Leben machte, eine etwas harte Prüfung. Aber sorglos, wie man
eben nur als junger Flieger ist, dachte ich bei mir: Nur Mut, die Sache
wird schon schief gehen. Und ruhig flog ich in dem dichten Nebel, mich
nach meinem Kompaß richtend, nach Norden zu, denn Hamburg war unser
Ziel. Nach zwei Stunden konnte ich endlich in dreihundert Metern Höhe
den Boden unter mir wieder sehen, und wer beschreibt meine Freude,
als ich einen großen schönen Acker bemerkte. Im stolzen Gleitfluge,
just als ob ich über dem Flugfelde wäre, glitt ich nieder und stand
bald wohlbehalten mitten auf dem Sturzacker. Leute kamen zu Dutzenden
herbei, und groß war meine Freude, als ich erfuhr, daß ich mich auf
gutem mecklenburgischem Boden befand und vor allen Dingen dort, wo wir
uns nach meines Beobachters und meiner Berechnung befinden mußten.
Es war Feiertag, und so hatten wir den guten Leuten ein schönes
Sonntagsvergnügen bereitet. Als es aufklarte, wollten wir weiter. Aber
der weiche Boden hielt die Räder so fest, daß an ein Hochkommen nicht
zu denken war. Unter Freude und Gelächter, unter Hü und Hott und unter
manchem derben Scherzworte, welches wir über uns ergehen lassen mußten,
zogen die willigen Zuschauer den Riesenvogel über den Acker.

Und nachdem einige Bäume gefällt waren, ging es dann noch über einen
Graben hinüber und auf ein hartes Feld.

Trotzdem wir starten wollten, ließ man uns erst weg, nachdem wir uns an
vorzüglichem Kaffee und Napfkuchen gestärkt hatten.

Nach reichlichem Händeschütteln und vielem Hurrageschrei und
Tücherwinken beim Start waren wir wieder oben und zogen nördlichen Kurs
ein.

Die Freude dauerte nur kurze Zeit. Und schon fünfzehn Minuten später
waren wir wieder in graue Nebelschichten eingehüllt. Nach zwei Stunden
wurde die Sache ungemütlich, denn mit einem Male fing der verdammte
Motor an zu spucken und zu fauchen. Bald machte er dreihundert Touren
zu wenig, bald zweihundert zu viel!

Ich untersuchte alle meine Apparate und Ventile und bemerkte zu meinem
Schrecken, daß der Benzinvorrat rasend abnahm. So gut es ging, hielt
ich mein Flugzeug fest und glitt auf dreihundert Meter herunter.

Aber, o Schreck! Der Nebel verzog sich etwas, und wo war ich? Mitten
über der Alster! Und dabei ein aussetzender Motor und nur dreihundert
Meter hoch und keine Ahnung, wo der Flugplatz Fuhlsbüttel lag. Nun
gab's nur eins: Ruhe und Entschlossenheit. Ein Gedanke durchzuckte
mich: Raus aus der Stadt, und keine unschuldigen Menschenleben
gefährden! Auf einen Zettel schrieb ich meinem Beobachter: „Wir müssen
in fünf Minuten gelandet sein, sonst haben wir keinen Betriebsstoff
mehr und gehen baden!” Suchend spähte mein Beobachter nach unten, und
plötzlich zeigte er freudig erregt mit der Hand nach einem unter uns
liegenden Kirchhof. Der gute Kamerad! Er ahnte ja nicht, in welcher
Lage wir uns befanden und welch ein Hohn eigentlich aus seiner
Armbewegung sprach.

Wir waren bereits zweihundert Meter herunter. Der Motor ruckte
ungleichmäßig, die Benzinuhr zeigte zehn Liter. Ich aber war froh.
Aus der Stadt waren wir glücklich heraus, und wenn auch an eine
glatte Landung in dem Gartengewirr für uns nicht zu denken war,
fremde Menschenleben konnten wir wenigstens nicht mehr gefährden. In
solchen Situationen ist jede Sekunde eine Ewigkeit, und Gedanken und
Überlegungen jagen sich in unheimlicher Geschwindigkeit. Wer da nicht
ruhig bleibt, eisernen Willen zeigt, der ist verloren. Mein Beobachter
fing plötzlich an mit der Hand zu schwenken und nach vorn zu zeigen.
Und ich sehe jetzt noch im Geiste seine strahlenden Augen vor mir, die
mir durch seine Fliegerbrille entgegenleuchteten.

Vor uns schimmerte, von den Strahlen der untergehenden Sonne durch den
Nebel matt beleuchtet, die Luftschiffhalle von Fuhlsbüttel.

Hurra! Unser Ziel war erreicht.

Wer beschreibt meine Freude! Mit dem letzten Liter Benzin machte ich
noch eine Ehrenrunde um den Flugplatz, und nach steilem Gleitfluge
setzte die Taube leicht und sicher auf dem Platze auf.

In der ersten Freude wäre ich meinem Beobachter am liebsten um den
Hals gefallen. Der gute Kerl hatte ja gar nicht geahnt, in welcher
Gefahr wir uns befunden hatten, und war höchst erstaunt, als ich ihm
davon erzählte. Noch jetzt, wo ich wirklich weiß, was fliegen heißt,
überläuft es mich kalt, wenn ich an diesen ersten Überlandflug denke!
Der Versager war bald festgestellt. Der untere Teil des einen Vergasers
war abgebrochen, und das Benzin floß durch die Bruchstelle ab, so oft
durch die Erschütterungen des Motors der Riß erweitert wurde. Daher
auch das schnelle Fallen des Benzins und der ungleiche Gang des Motors.
Daß kein Vergaserbrand entstand, ist mir heute noch ein Rätsel.

Nachdem wir drei Tage bei liebsten Freunden in Bremen zugebracht
hatten, kam endlich der neue Vergaser in Hamburg an. Nun wollen wir
weiter.

Nächstes Ziel: Schwerin in Mecklenburg.

An einem regnerischen, stürmischen Nachmittage setzte ich mich in meine
vollbeladene Maschine. Ein Zug am Hebel, und mit Vollgas schwirrten wir
los.

Heutzutage würde ich bei solchem Wetter nur fliegen, wenn es unbedingt
nötig wäre. Damals besaß ich aber die Naivität und vor allen Dingen
die Begeisterung eines jungen Fliegers. Das Glück im Unglück ließ
auch nicht lange auf sich warten. Das schwergeladene Flugzeug wollte
nicht hoch, die Böen warfen es hin und her wie einen Spielball, und
ich wäre gerne umgedreht. Aber daran war bei der geringen Höhe nicht
zu denken. Nun kamen auch schon die ersten Häuser von Hamburg. Darüber
hinwegzukommen unmöglich! Ich war sechzig Meter hoch, unter mir sah
ich ein kleines Feld. Also kurz entschlossen: Gas weg! Landen! Im
selben Augenblick faßte mich eine Fallbö, ich fühlte, wie das Flugzeug
unter mir weggezogen wurde, und da ich dachte: Jetzt zerschellst du
auf dem Boden, gab ich Vollgas und riß das Höhensteuer hoch, um den
Anprall abzuschwächen. Aber im selben Moment fühle ich einen Ruck unter
mir, und die Maschine stellte sich steil auf den Kopf, als wenn eine
unsichtbare Hand das Fahrgestell festgehalten hätte.

Das Folgende war nur noch ein Werk von Bruchteilen von Sekunden. Ich
riß an meinem Höhensteuer, nahm Gas weg, und schon erhielt ich einen
schweren, harten Stoß. Krampfhaft hielt ich mein Steuerrad fest und
flog mit meinem Kopf hart gegen die Karosserie.

Totenstille um mich herum.

Tiefe Finsternis und furchtbares Schweigen. Durch einen Strom beißender
Flüssigkeit, der über mein Gesicht herabfloß, kam ich wieder zu mir.

Mit den Beinen nach oben, den Körper zusammengepreßt und das Gesicht
gegen meine Brust gedrückt, lag ich still da. Da durchzuckte es mich:

Du bist ja abgestürzt, das Flugzeug kann jeden Moment anfangen zu
brennen, und du bist mit deinem Beobachter verloren! Tastend suchte
ich in meiner zusammengequetschten Stellung nach dem Zündhebel und war
froh, ihn endlich gefunden und die Zündung ausgeschaltet zu haben.
Dann kam langsam das Bewußtsein der Wirklichkeit zu mir zurück, und
ich dachte an meinen armen Beobachter. Der saß ja vorne, hatte den
ersten Anprall abzuhalten und mußte bereits zerquetscht sein, wenn
die Karosserie den Stoß nicht ausgehalten hatte. Als sich vorn nichts
rührte, fragte ich endlich mit gepreßter Stimme, denn ich war so
zusammengequetscht, daß ich kaum noch Luft bekam: „Strehlchen, leben
Sie noch?”

Pause, entsetzliche Stille.

Auf meine zweite Frage vernahm ich dann:

„Ja! Was ist eigentlich los? Hier ist es so dunkel, ich glaube, es muß
etwas passiert sein.”

O, wie frohlockte ich da. Ich schrie förmlich vor Vergnügen:
„Strehlchen, Mensch, Sie sind ja am Leben, das ist die Hauptsache! Sind
Ihre Knochen eigentlich noch heil?” Der gute lange Kerl war in dem
kleinen Raum schrecklich zusammengequetscht, und ich hörte nur noch
sein: „Ja, ich weiß nicht, das wird sich hoffentlich später feststellen
lassen.”

Dann war es wieder still. Das Benzin floß noch aus dem mit
hundertsiebzig Litern gefüllten Tank in Strömen aus, und nach einer
Zeit, die mir die Ewigkeit dünkte, klopfte jemand draußen an, und von
weither erklang eine Stimme:

„Na, lebt da noch jemand drin?”

„Und ob,” rief ich, „nun man dalli, sonst ersticken wir hier noch drin!”

An dem Flugzeugrumpf wurde gehoben. Ich hörte mit Spaten graben, und
endlich drang frische Luft zu uns herein.

„Halt”, rief Strehle, „anderen Weg anlüften, ihr brecht meinen Arm ab!”

Die Helfer versuchten es von der anderen Seite, und endlich wurde mir
mein Sitz abgelüftet, und ich lag frei und weich auf einem wunderbar
duftenden Mistbeet. Da kroch auch schon der lange Strehle hervor, und
nicht oft habe ich einem Menschen so glücklich die Hand geschüttelt wie
diesem treuen Begleiter.

Donnerwetter! Sah das böse aus. Die Maschine vollkommen überschlagen,
ungefähr ein Meter in den weichen Düngerhaufen tief hineingebohrt. Der
Rumpf dreimal gebrochen, die Tragflächen nur noch ein Knäuel von Holz,
Leinwand und Drähten.

Und diesen Absturz hatten zwei Menschen heil und glücklich überstanden!

Strehle hatte sich nur das Rückgrat etwas verstaucht und ich mir zwei
Rippen gebrochen. Das war alles. Nie in meinem Leben schimpfe ich
wieder über einen Misthaufen. Möge ihm und seinen Nachfolgern ewiges
Gedeihen beschieden sein!

Traurig und etwas hinkend legten wir den Rest der Abschiedsreise per
Bahn zurück.

Aber dann kamen Tage voll Sonnenschein und Licht, voller Wärme und
Glückseligkeit und voller Blumen, wunderbarster Blumen in unerhörtester
Schönheit und Fülle.

Und dann kam die Pflicht, und die Fahrt begann.



Herrliche Tage in Tsingtau


Tagelang ging's in der Eisenbahn durch Rußlands Steppen und Wüsten
hindurch der Bestimmung, dem fernen Osten, entgegen.

Endlich Mukden! Peking war bald vorüber ... Tsinanfou! Die ersten
deutschen Laute klangen mir entgegen, dann kamen die letzten zehn
Stunden der Eisenbahnfahrt durch wunderbares blühendes Ackerland voller
Gärten, Felder und Blumen; und endlich lief der Zug langsam auf dem
Hauptbahnhof von Tsingtau ein.

Tsingtau sah ich nun nach sechs Jahren wieder!

Nun war ich wieder auf deutschem Grund und Boden, in einer deutschen
Stadt im fernen Osten.

Meine Kameraden holten mich ab. Unter schnellem Trippel-Trappel zogen
mich die kleinen mongolischen Steppenpferdchen der neuen Heimat zu.

Zuerst ging es auf den Iltis-Platz, welcher unsere Rennbahn war
und gleichzeitig mein Flugplatz werden sollte. Festlich prangte
der Ort, und ganz Tsingtau war hier versammelt. In der Mitte der
weiten Rasenfläche hatte sich ein ungeheurer Kreis von Zuschauern
gebildet, welche den Fußballplatz umgaben. Heute war Festtag, und ein
großes Fußballwettspiel wurde zwischen den deutschen Matrosen und
ihren englischen Kameraden vom englischen Flaggschiff „Good Hope”
ausgetragen.

„Good Hope” weilte zu Besuch in Tsingtau. Es wurde ein glänzendes Spiel
und endete 1: 1.

Wer hätte das damals geahnt! Knapp sechs Monate später traten sich
dieselben Gegner gegenüber, aber dann war es ernstes, furchtbares
Spiel, bei dem es nur Siegen oder Sterben gab. Es war bei der
Seeschlacht von Coronel, in der die deutschen Blaujacken in
siebenundzwanzig Minuten das englische Flaggschiff „Good Hope” in die
furchtbare Tiefe des Stillen Ozeans hinabsandten.

Heute wußte noch keiner etwas von den kommenden Ereignissen, und
froh bewegt und in bester Kameradschaft vereint nahmen die deutschen
Matrosen ihre englischen Gäste mit nach Hause. Zwei Tage später lief
das englische Geschwader aus, kurz hinterher unser Kreuzergeschwader
unter der Führung des Admirals Grafen von Spee.

Und lustig flatterten die Flaggen im Winde, die das Signal der beiden
Geschwaderchefs überbrachten, welches lautete: „Leben Sie wohl, auf
Wiedersehen!”

Wer ahnte es: Bei Coronel sollte es geschehen.

Gleich nach meiner Ankunft und nachdem die dienstlichen Meldungen
erledigt waren, sah ich mich nach meinem Flugzeug um und hoffte schon
in den nächsten Tagen den erstaunten Tsingtauern meinen Riesenvogel
vorführen zu können. Aber Mahlzeit! Ruhig konnte ich wieder einige
Wochen warten, denn mein Flugzeug schwamm noch quietschfidel um Indien
herum, und der Dampfer wurde erst im Juli erwartet.

Na, denn nicht, liebe Tante, sagte ich und hatte nunmehr vollauf
Zeit, mich in Tsingtau umzusehen und mir eine Wohnung zu suchen. Eine
entzückende kleine Villa war bei meinem Flugplatze gerade frei, und
schleunigst wurde diese gemietet, und ich bezog dieses entzückende Heim
mit meinem neuen Kameraden Patzig.

Alles, um mich wirklich glücklich zu fühlen, war vorhanden. Mein
schönes Kommando, das Landkommando der Marine; ich war in Tsingtau,
dem Paradiese auf Erden, meine dienstliche Tätigkeit war die schönste,
die ich mir wünschen konnte, und dabei diese entzückende Villa, hoch
auf einer Anhöhe gelegen mit wunderbarer Aussicht auf den Iltis-Platz
und das weite tiefblaue Meer. Außerdem gehörte ich zur berittenen
Truppe, drei wunderbare Jahre lagen vor mir. Wer sollte glücklicher
und zufriedener sein als ich? Jetzt ging's an die Inneneinrichtung der
Wohnung. Ich hatte eine ganze Anzahl Bilder über Wohnungseinrichtungen
aus der „Kunst”, und mit diesen zog ich zu unserem tüchtigen
Chinesentischler und bestellte danach eine Einrichtung. Es ist geradezu
erstaunlich, mit welcher fabelhaften Geschicklichkeit die Chinesen
alles nachmachen können, und dabei in unglaublich kurzer Zeit und ganz
besonders billig. Als vier Wochen später alles angelangt war, die Möbel
an dem richtigen Platz standen und das Haus von oben bis unten glänzte
und leuchtete, da zogen wir frischgebackenen „Villenbewohner” stolz
und freudig in unser neues Heim. Nichts fehlte. Und besonders war
auch das erforderliche Dienstpersonal vorhanden. Damit der Europäer im
fernen Osten Ansehen vor den Chinesen gewinnt, muß er sich mit viel
chinesischem Dienstpersonal umgeben, und es ist fast eine moralische
Pflicht jedes Europäers, dies zu tun.

Moritz, der Koch, in seinem schönen blauseidenen Ischang; Fritz, der
Mafu (Pferdeknecht), stets grinsend, dafür aber um das Wohl der Pferde
sehr bedacht; Max, der Gärtner, faul wie die Sünde, und endlich August,
der freche kleine Laufjunge, bildeten das Heer unserer dienstbaren
Geister.

Dazu kamen „Herr” Dorsch und „Herr” Simon.

Diese beiden „Herren” waren unsere Burschen, die von der Sitte
des fernen Ostens, daß der Europäer im Beisein der Chinesen nicht
körperlich arbeiten _darf_, redlich Gebrauch machten.

Ein großer Garten umgab unser Haus, in dem sich auch noch der
Pferdestall mit Wagenremise, Autogarage und Chinesenwohnungen befanden.
Das Wichtigste aber war: mein Hühnerstall. Schon zwei Tage nach meiner
Ankunft hatte ich mir eine Bruthenne gekauft, ihr ein Dutzend Eier
untergelegt, und als wir die Wohnung bezogen, hatte ich bereits sieben
lebendigen Küken das Leben geschenkt.

Geflügel ist billig in China. Das Huhn kostet zehn Pfennig, eine Ente
oder Gans eine Mark, und so hatte ich auch bald einen Geflügelhof von
fünfzig Tieren zusammen.

Ja, richtig, ich war ja „Reiter” geworden! Also ein Pferd beschaffen!
Einer der Kameraden hatte einen entzückenden kleinen Fuchs. Wir wurden
handelseinig, und bald darauf stand „Fips” in meinem Stall. „Fips” war
ein entzückendes Tier, gutes Dienstpferd, dabei tadellos für Jagdreiten
und Polospielen. Aber Wamse bekommt er doch, wenn ich ihn mal
wiedersehen sollte; denn während der Belagerung ließ der Lümmel mich
am Tage vor der Einschließung einfach im Stich, als ich ins Vorgelände
geritten war. Da einige Schrapnells in seiner Nähe krepierten, riß er
sich los und lief zum Feinde über.

Das ganze Leben in Ostasien ist für den Europäer recht eintönig. Wenig
Geselligkeit, keinerlei Theater, keine Musik, nichts von alledem, das
man so ungern vermißt. Die einzige Erholung und der einzige Trost sind
eben, daß man etwas besser lebt wie unter den gleichen Verhältnissen zu
Hause, und der Pferdesport. In Tsingtau blühte letzterer ganz besonders.

Mit Begeisterung widmete ich mich dem Poloreiten, und nachdem ich mich
einigermaßen an die ungewohnten Schlinger- und Stampfbewegungen meines
Pferdes gewöhnt hatte, ging die Kiste herrlich.

[Illustration: Der erste Absturz in Tsingtau.]

Mitte Juli wurde endlich meine Sehnsucht gestillt. „Der” Dampfer war
da und hatte die Flugzeuge mitgebracht. Kaum standen die riesigen
Kisten auf dem Kai, als ich auch schon mit meinen Leuten dabei war und
die armen Vögel, die zum Fluge durch Luft und Sonne geboren waren, aus
ihren dunklen Gefängnissen befreite, in denen sie monatelang gesessen
hatten. Da die Kisten zu schwer waren, mußten die Flugzeuge an Ort
und Stelle ausgepackt werden. Hei! Das Hallo unter den chinesischen
Gaffern. Als alles schön ausgepackt war, wurde der Triumphzug
angeordnet. Erst kamen die beiden Flugzeuge, dann kamen drei Wagen mit
den Tragflächen und dann zwei Wagen mit den Zubehörteilen. Die Pferde
zogen an, und stolz durchfuhren wir Tsingtau und zogen im Triumphe in
die Flughalle auf dem Iltis-Platz ein.

[Illustration: „August”, der freche Laufjunge.]

Nun gab es keine Ruhe mehr. Tag und Nacht arbeiteten wir am
Zusammensetzen und Verspannen, und zwei Tage später, ganz in der Frühe,
als noch kein Mensch es ahnte, stand mein Flugzeug klar am Startplatz,
und als die Sonne aufging, gab ich Vollgas und schoß in die wunderbare
reine Seeluft hinaus.

Den ersten Flug in Tsingtau werde ich nie vergessen. Der Flugplatz war
außerordentlich klein, nur sechshundert Meter lang und zweihundert
Meter breit, voll von Hindernissen und rings umgeben von Hügeln und
Felsen. Wie klein der Platz aber wirklich war und wie ungeheuer schwer
zum Starten und Landen, das sollte ich bald noch zur Genüge erfahren.
Mein Freund Clobuczar, ein früherer österreichischer Fliegeroffizier,
der jetzt auf der „Kaiserin Elisabeth” war, sagte mir mal: „Ein
Flugplatz soll das hier sein? Höchstens ein Kinderspielplatz! In meinem
ganzen Leben habe ich noch nicht gesehen, daß ein Mensch in einem
solchen Platze fliegen soll.” Mir ging's ähnlich so. Und ich würde mir
in Deutschland ein solches Plätzchen höchstens mal als Notlandungsplatz
aussuchen.

Aber zu machen war nichts. Es war dies der einzige Platz im ganzen
Schutzgebiete, alles andere war wild zerklüftetes Gebirge, durchzogen
von tiefen Ravinen. Doch an diesem wunderbar sonnigen Morgen kümmerte
ich mich nicht darum, und froh bewegt zog ich über Tsingtau meine
Kreise und scheuchte durch das Gebrumm meines Propellers die gänzlich
überraschten Tsingtauer aus ihrem Schlafe. Als ich zum Landen schritt,
wurde mir doch ein bißchen komisch zumute! Donnerwetter, war der Platz
klein! Und unwillkürlich drehte ich immer länger meine Kreise und
verschob immer wieder den kommenden kritischen Moment der Landung.

Doch ewig oben bleiben konnte ich ja nicht. Und endlich gab ich mir
einen Ruck, nahm Gas weg und stand einen Augenblick später nach
einer tadellosen Ziellandung auf meinem Platz. Nun war ich meiner
Sache sicher. Und den ganzen Morgen bin ich kaum aus meinem Flugzeug
herausgekommen.

Jetzt gings aber wieder an die Arbeit. Das zweite Flugzeug, auch
eine Rumpler-Taube, welches von meinem Kameraden vom Seebataillon,
Leutnant Müllerskowski, geflogen werden sollte, mußte zusammengebaut
und verspannt werden. Nach zwei Tagen, am einunddreißigsten Juli
Neunzehnhundertvierzehn, nachmittags war alles in Ordnung.

Müllerskowski stieg in sein Flugzeug, und nachdem ich ihm einige
Erfahrungen, die ich mit diesem Flugplatz nun schon gemacht, mitgegeben
hatte, zog er Vollgas und schwirrte los.

Das Glück blieb meinem Kameraden nicht hold.

Sein Flugzeug war eben einige Sekunden in der Luft und befand sich
zirka fünfzig Meter hoch gerade an der kritischen Stelle, wo Flugplatz
und gleichzeitig das Land endet und mit steilen Felsen ins Meer
abfällt, als es sich plötzlich zur Seite neigte und wir mit Schrecken
sehen konnten, wie es in sausender Fahrt mit dem Kopf vorneweg in die
Felsen hineinstürzte.

So schnell wir es vermochten, liefen wir zur Unfallstelle. Da sah es
bös aus. Das Flugzeug war vollständig zertrümmert, und zwischen diesen
Trümmern lag Müllerskowski. Schwer verletzt brachten wir ihn ins
Lazarett, wo er bis kurz vor Ende der Belagerung liegenbleiben mußte.
Das Flugzeug war vernichtet.

Inzwischen hatte sich auch in Tsingtau manches zugetragen. Der Juli mit
all seiner Schönheit und Pracht, mit wunderbarstem Sonnenschein und
tiefblauem Himmel war ins Land gezogen. Es ist der schönste Monat für
Tsingtau.

Das Badeleben stand in vollster Blüte; es waren besonders viele
und nette Fremde, in erster Linie Damen, aus den europäischen und
amerikanischen Niederlassungen Chinas und Japans herbeigeströmt, um
sich an Tsingtaus Schönheit zu erfreuen und in dem „Ostende des fernen
Ostens” das Badeleben zu genießen.

Es war eine ganz herrliche Stimmung. Auto- und Reitpartien, Polospiel
und Tennis füllten die dienstfreien Stunden aus, und besonders schön
waren abends die Reunions, bei denen Terpsichore voll zu Ehren kam.

Wie auch in den früheren Jahren waren die Engländerinnen unter den
Gästen am stärksten vertreten, und bald entwickelte sich ein reizender
Verkehr.

Anfang August sollte ein Polowettspiel stattfinden, zu dem wir als
Gegenspieler den englischen Poloklub in Schanghai eingeladen hatten.

Da, am dreißigsten Juli, traf wie ein Blitz aus heiterem Himmel der
Befehl der „Sicherung” in Tsingtau ein!



Kriegsalarm -- Meine Taube


Ich weiß es noch wie heute.

In aller Frühe kam eine Ordonnanz in unsere Villa und überbrachte
Patzig und mir den Befehl, umgehend zum Abteilungskommandeur zu kommen,
es wäre Sicherung befohlen. Wir dachten natürlich, es sei nur eine
Übung, und redlich brummend ob der Störung der Morgenruhe begaben wir
uns an den befohlenen Ort. Hier erhielten wir die Bestätigung der kaum
faßbaren Kunde. Und im Inneren fest daran zweifelnd, daß es Krieg geben
würde, eilten wir auf unsere Gefechtsstationen und begannen mit den
notwendigen Arbeiten.

Der Befehl: „Drohende Kriegsgefahr!”, der am nächsten Tage eintraf,
brachte endlich Gewißheit.

Und dann kam der erste August, die Mobilmachung wurde befohlen. Der
zweite August brachte die Kriegserklärung gegen Rußland und der dritte
die gegen Frankreich.

Diese Tage zu beschreiben, ist kaum möglich.

Man stelle sich bloß vor: Hier war deutsche Kolonie, deutsche Festung,
der größte Teil der Tsingtauer waren Offiziere und Soldaten. Dabei war
Tsingtau aber in seinem äußeren Gepräge international geworden. Russen,
Franzosen und Engländer befanden sich als Gäste mitten unter uns. Es
war ein Gegeneinanderwogen von Meinungen und Gefühlen, ein Zustand, wie
er wohl kaum wo anders auf der Welt angetroffen werden konnte.

Die Hauptfrage, ich möchte sagen, die Frage, die uns alle beschäftigte,
war: Gibt es Krieg mit England?

Nur der, der im fernen Osten gelebt hat, wird ermessen können, was
diese Frage bedeutete.

Am zweiten August wurde gerade unser Angebot an England bekannt, ich
ritt am selben Tage mit einer englischen Dame spazieren, und es war
nur selbstverständlich, daß dieses Thema unsern Hauptgesprächsstoff
bildete. Die Ansicht meiner Begleiterin deckte sich mit der all ihrer
Freunde und Freundinnen, daß ein Krieg zwischen England und Deutschland
undenkbar wäre, sonst würde auch besonders im fernen Osten das Prestige
der weißen Rasse vorüber sein und der gelbe Japs lachend die Früchte
unserer Zwietracht einheimsen können.

Auch uns Deutsche beschäftigte selbstverständlich nur dieser eine
Gedanke, und besonders bei uns Seeoffizieren war von nichts anderem
mehr die Rede. Eine Spannung, schlimmer als vor und während der ersten
Mobilmachungstage, beherrschte uns. Und wie eine Erlösung kam für uns
alle am vierten August die Nachricht:

Der Krieg gegen England ist erklärt!

Nun waren also in Europa die Würfel gefallen.

Daß wir uns alle sehr glücklich fühlten, kann ich nicht behaupten. Ganz
im Gegenteil. Immer und immer wieder sagten wir uns: „Nun sitzen wir
hier in dem fernen Tsingtau, zu Hause da sind unsere Brüder, unsere
Kameraden; die Glücklichen dürfen die wunderbaren Tage der Mobilmachung
miterleben, sie dürfen ausziehen gegen eine Welt von Feinden, sie
dürfen unser heiliges geliebtes Vaterland, dürfen Weib und Kind
verteidigen, und wir Armen sitzen hier und können nicht helfen!”

Schon der Gedanke, wie es in diesen Tagen zu Hause aussähe, konnte
uns rasend machen. Denn das wußten wir: Die Engländer, Russen und
Franzosen, die uns hier draußen an Zahl weit überlegen waren, würden
nicht den Mut finden, uns hier anzugreifen.

Und doch hatten wir immer wieder den einen Funken von Hoffnung: Sie
kommen doch noch!

Ach, wie hätten wir die empfangen!

An Japan dachte selbstverständlich niemand!

In all der Arbeit der Mobilmachungstage wurden unsere Gäste nicht
vergessen. Sie waren zwar fast alle unsere Feinde, aber sie blieben
unsere Gäste.

Die Aufregung unter ihnen ist wohl begreiflich. Vor allen Dingen, da
bereits Nachrichten über die geradezu bestialische Behandlung der
Deutschen durch die Engländer in den englischen Kolonien zu uns kamen.

Daß unser Verkehr mit den Fremden abgebrochen wurde, war
selbstverständlich, aber ebenso selbstverständlich war auch, und das
möchte ich an dieser Stelle ganz besonders den Engländern gegenüber
hervorheben, daß die vielen Angehörigen der feindlichen Staaten mit
einer Rücksicht behandelt wurden, wie es eben nur bei uns „Barbaren”
möglich war.

Den Fremden wurde bekanntgegeben, daß sie sich nach Belieben weiter
in Tsingtau aufhalten oder aber abfahren könnten, ohne irgendwelchen
Zwang, und daß das Gouvernement rechtzeitig ankündigen würde, wenn alle
Fremden die Kolonie räumen müßten. Verlangt wurde nur, daß keiner das
Stadtgebiet verließe und niemand sich mehr den Befestigungen näherte
oder Spionage triebe. Man halte sich hiergegen das Benehmen unserer
lieben Vettern in Hongkong und in so vielen anderen Orten der Welt vor
Augen!

Die, die es miterlebt haben, könnten Bände darüber schreiben.

Ein Trost war für uns: Wir erhielten täglich drahtlose Nachrichten von
Hause!

Den Jubel und die Freude kann man sich kaum vorstellen, die wir beim
Eintreffen der Nachrichten empfanden. Meist kamen die Telegramme
abends, und wir Offiziere saßen zusammen in unserem kleinen Kasino,
selbstverständlich von nichts anderem als vom Kriege sprechend. Und
wenn die herrlichen Siegesnachrichten eintrafen, dann war ein Jubel
ohnegleichen, aber doch empfanden wir dabei eine ganz unendliche
Traurigkeit, denn:

Wir konnten nicht dabei sein!

Dann kam der fünfzehnte August, und wir hielten eine Nachricht von
solcher Ungeheuerlichkeit in der Hand, daß wir an der Wahrheit des
Gelesenen zweifelten.

Die Ankündigung war folgende:

                              _Extrablatt_

  „Wir betrachten es als äußerst wichtig und notwendig, in der
  jetzigen Lage Maßnahmen zu treffen, um die Ursachen aller Störungen
  des Friedens im fernen Osten zu beseitigen und die allgemeinen
  Interessen zu schützen, die im englisch-japanischen Allianzvertrag
  festgelegt sind, mit dem Zweck, festen und dauernden Frieden
  in Ostasien zu sichern. Dieser Zweck ist die Grundlage des
  Übereinkommens. Die kaiserlich japanische Regierung glaubt, daß es
  ihre Pflicht ist, der kaiserlich deutschen Regierung zu raten, die
  folgenden Vorschläge anzunehmen:

  Erstens, die deutschen Kriegsschiffe sofort von den japanischen
  und chinesischen Gewässern zurückzuziehen, ebenso die bewaffneten
  Schiffe aller Art und diejenigen Schiffe, die nicht sofort
  zurückgezogen werden können, zu entwaffnen.

  Zweitens, das ganze Pachtgebiet von Kiautschou alsbald, nicht
  später als am fünfzehnten September, den kaiserlich japanischen
  Behörden ohne Bedingung und ohne Entschädigung zu übergeben, mit
  der Aussicht auf evtl. Rückgabe an China.

  Die kaiserlich japanische Regierung kündigt zugleich an, daß, im
  Falle sie bis zum dreiundzwanzigsten August Neunzehnhundertvierzehn
  keine Antwort von der kaiserlich deutschen Regierung erhalte,
  in der sie die unbedingte Annahme der Vorschläge übermittelt,
  die japanische Regierung gezwungen sein wird, ihre Maßnahmen zu
  treffen, die sie in Anbetracht der Lage für notwendig erachtet.”

Darunter stand von unserem Gouverneur geschrieben:

„Es ist selbstverständlich, daß wir niemals darauf eingehen können,
Tsingtau an Japan ohne Schwertstreich auszuliefern. Nach der ganzen
Frivolität der japanischen Forderung kann man sich schon vorher
sagen, welche Antwort allein darauf erfolgen wird. Das aber bedeutet
natürlich, daß wir mit Ablauf der für die Beantwortung gesetzten Frist
auf die Eröffnung der Feindseligkeiten rechnen müssen, und das wird
natürlich ein Kampf bis zum Äußersten sein.

Angesichts des Ernstes der Lage darf jetzt selbstverständlich mit der
Fortschaffung von Frauen und Kindern keinen Augenblick länger gezögert
werden, das Gouvernement wird deshalb heute, Freitag vormittag,
auch noch einen Dampfer nach Tientsin abgehen lassen, der bereits
für die Aufnahme von rund sechshundert Personen vorbereitet ist. Es
ist dringend zu raten, daß von diesen Gelegenheiten, die Züge der
Schantungbahn verkehren ja auch weiter, nun auch von allen Gebrauch
gemacht wird, die nicht hierbleiben wollen.

Tsingtau macht klar zum Gefecht!”

Nun wußten wir, woran wir waren!

Über die Art und Schwere des Kampfes und über seine Aussichten waren
wir uns klar, aber wohl nie ist freudiger und unermüdlicher gearbeitet
worden. Eine Titanenarbeit wurde in diesen Wochen vollbracht. Und vom
ältesten Offizier bis zum jüngsten fünfzehnjährigen kriegsfreiwilligen
Automobilfahrer setzte jeder sein ganzes Können und sein ganzes
Denken, seine ganze Vaterlandsliebe darein, Tsingtau in den
Verteidigungszustand zu setzen.

Ich selber hatte bereits besonderes Pech gehabt. Drei Tage nachdem
Müllerskowski abgestürzt war, startete ich bei herrlichstem
Sonnenschein zu meinem ersten großen Erkundungsfluge und kehrte,
nachdem ich das ganze Schutzgebiet und Hunderte von Kilometern darüber
hinaus aufgeklärt hatte, froh der getanen Arbeit, nach Tsingtau zurück.

Ich war tausendfünfhundert Meter hoch, und die Landung war infolge der
Luftverhältnisse ganz besonders schwierig. Als ich mitten über dem
Platze in ungefähr hundert Metern Höhe noch mal Vollgas gab, um die
letzte Runde zu fliegen und dann gegen den Wind zu landen, sprang der
Motor eine Sekunde lang wieder voll an, fing aber im selben Moment an
zu spucken und versagte ganz. Nur Sekunden brauchte ich, um meine
Apparate nachzusehen, aber die genügten, daß die Maschine bereits so
weit war, daß an ein Landen auf dem Platze nicht mehr zu denken war.

Auch nach rechts oder links konnte ich nicht abdrehen. Rechts war das
Poloklubhaus und ein tiefer Graben, links das Strandhotel und die
Villen.

Daß nichts mehr zu machen war, wußte ich, und nur eins dachte ich:
Halte den Motor heil!

Vor mir war ein kleines Wäldchen, und da hinauf hoffte ich die Maschine
noch setzen zu können. Ich zog das Höhensteuer, aber in der heißen
dünnen Tropenluft sackte die Maschine wie ein Klotz schwer durch. Ich
kam mit dem Kopf gerade noch an Telegraphendrähten klar, dann zog ich
die Knie an und stützte unwillkürlich die Füße nach vorn ab, und schon
gab es einen mächtigen Stoß, ich hörte Krachen und Splittern um mich
herum und flog mit Kopf und Knien recht unsanft gegen den Benzintank.
Dann war es still.

Und als ich mich, selber heil und gesund, im Kreise umsah, da lag meine
Taube mit der Nase im Straßengraben, streckte das Schwänzchen hoch in
die Luft, und die Flügel und das Fahrgestell bildeten ein Knäuel von
zerbrochenen Holzstreben, Leinwand und Drähten.

Ach, mein armes Täubchen! Ausgerechnet am dritten Tage der Mobilmachung
ließ es mich im Stich. Mir war ganz unsäglich hoffnungslos zumute. Ohne
jedoch den Mut ganz sinken zu lassen, schaffte ich die Trümmer in den
Schuppen. Ich hatte ja noch Reservepropeller und Reservetragflächen von
Hause mitbekommen.

Wenn nur der Motor heil geblieben war! Ersatzteile für diesen besaß ich
nicht, und sie wären auch beim besten Willen nicht herbeizuschaffen
gewesen.

Voller Hoffnung ging ich an die Reservekisten und öffnete zuerst die,
worin die Tragflächen lagen. Aber o Schreck! Ein widerlicher Moderduft
schlug mir entgegen, und Böses ahnend, öffneten wir den inneren
Zinkeinsatz.

Der Anblick, der sich uns bot, war geradezu fürchterlich. In der Kiste
befand sich nur ein Haufen von moderndem Gerümpel. Die ganze Bespannung
der Tragflächen war verfault. Die einzelnen Rippen und Spanten und die
Holzklötzchen, die vorher tadellos geleimt und bewickelt waren, lagen
regellos durcheinander, und alles war von einer dicken Schimmelschicht
bezogen.

Ein trauriger Anblick!

Nun wurde die Propellerkiste geöffnet. Da drinnen sah es ähnlich aus.
Die fünf mitgenommenen Reservepropeller hatten sich ebenfalls in
Wohlgefallen aufgelöst oder sich so stark verzogen, daß sie nicht mehr
zu gebrauchen waren. Wenn zu Hause der Propeller mehr als vier bis fünf
_Millimeter_ an den Spitzen ausschlägt, denkt kein Mensch daran, ihn so
zu fliegen. Meine schlugen bis zu zwanzig _Zentimetern_ aus! Nun war
guter Rat teuer.

Aber unverzagt ging mein hervorragender Monteur, der
Obermaschinistenmaat Stüben, an die Arbeit, und am selben Nachmittage
saß ich mit Stüben und meinen beiden Heizern Frinks und Scholl und
noch acht Chinesen von der Werfttischlerei an der Arbeit und baute die
vermoderten Flügel wieder zusammen.

Dann ging ich mit meinem am wenigsten verbogenen Propeller zur Werft,
und hier half mir der treffliche Modelltischler R. aus meiner Not und
ließ unter seiner Anleitung von den Chinesen einen neuen Propeller
bauen.

Das war geradezu eine Glanzleistung.

Man stelle sich folgendes vor:

Sieben Eichenbohlen wurden mit gewöhnlichem Tischlerleim
zusammengeleimt. Dann gingen zwei Chinesen mit Äxten her und schlugen
nach Lehren, die der Modelltischler angefertigt hatte, mit den Äxten
aus dem Bohlenklumpen einen tadellosen Propeller aus. Die Arbeit war,
obwohl mit der Hand ausgeführt, so genau und sorgfältig, wie sie nur
von Chinesen geleistet werden kann.

Mit diesem Propeller habe ich dann meine sämtlichen Flüge während der
Belagerung von Tsingtau ausgeführt!

Auch wir im Schuppen waren nicht untätig geblieben. Tag und Nacht
arbeiteten wir mit äußerster Anspannung, und bereits am neunten Tage
nach meinem Absturz stand frühmorgens bei Sonnenaufgang mein Täubchen
an der Startstelle klar zum Probeflug.

Es ist wohl begreiflich, wenn mir vor diesem Fluge meine Aussichten
nicht im rosigsten Lichte erschienen.

Meine Tragflächen hatte ich aus einem vermoderten Haufen wieder
zurechtgebaut. Verspannen mußten wir sie, da wir nirgends eine ebene
Fläche hatten, so gut es ging; der Propeller war, wie oben beschrieben,
entstanden und machte über hundert Umdrehungen zu wenig. Dabei waren
die Flugplatzverhältnisse so überaus ungünstig und schwierig, daß
bei jedem Start nur ein sofortiges Gelingen oder ein unweigerliches
Abstürzen in Frage kam.

An all das durfte ich nicht denken. Es war Krieg, ich war der einzige
Flieger, und meine Aufgabe mußte ich erfüllen. Und ich hatte Glück!

Alles irgendwie Entbehrliche hatte ich zur Erleichterung aus dem
Flugzeug herausgerissen, und anfangs etwas unwillig meiner Faust
gehorchend erhob sich mein großer Vogel doch in die Luft, und bald
hatte ich ihn wieder vollkommen in meiner Gewalt. Da zog ich denn
wieder froh meine Kreise, und stolz warf ich vor dem Hause unseres
Gouverneurs die Meldung ab: „Flugzeug ist wieder klar!”

Und dann begannen meine großen Aufklärungsflüge. Das ganze Schutzgebiet
durchkreuzte ich, und weit, weit draußen, Hunderte von Kilometern vom
Schutzgebiet entfernt, überflog ich das weite Land und bewachte die
Anmarschstraßen und flog längs der wild zerklüfteten Küste und schaute
aus, ob nicht irgendwo der Feind sich näherte oder landete.

Es waren mit die schönsten Flüge meines Lebens.

Die Luft war so klar und durchsichtig, der Himmel so wunderbar blau
und schön, und die Sonne strahlte mit so inniger Liebe auf das
herrliche Land, auf die wild zerklüfteten hohen Gebirge und auf das
alles einrahmende tief-, tiefblaue Meer herab. Das waren Stunden
hinreißendster, erhabenster Schönheit, die ich überquellenden Herzens
und mit nach Schönheit lechzender Seele genoß.

Aber die Sorgen blieben nicht aus. Bereits nach dem zweiten
Aufklärungsfluge stellte sich heraus, daß die Leimfugen des Propellers
auseinander gespalten waren, und daß der Propeller nur wie durch ein
Wunder nicht auseinandergerissen war. Nun mußte er abmontiert und
wieder frisch geleimt werden. Dieses Schauspiel hat sich von nun
ab nach jedem Fluge wiederholt. Sobald ich zurück war, wurde „der”
Propeller abgenommen, ich fuhr mit meinem Auto zur Werft, dort wurde er
schnell geleimt, in eine Presse geschraubt, und spät abends holte ich
ihn wieder ab, setzte ihn auf, und dann ging's damit am nächsten Tage
wieder los.

Und als der Propeller immer wieder aufplatzte, da beklebte ich seine
ganze Eintrittskante mit Bespannungsstoff und Heftpflaster, und da
hielt wenigstens diese Kante einigermaßen!

In Tsingtau hatte ich auch noch einen zweiten Dienstzweig zu versehen,
und zwar war ich Führer der Fesselballonanlage, meiner „aufgeblasenen”
Konkurrenz.

Vor meiner Ausreise hatte ich in Berlin einen Luftschifferkursus
durchgemacht, bestehend aus einer Freiballonfahrt und etwas Exerzieren
am Fesselballon nebst Ballonflicken.

Die gesamte vollständig neue Fesselballonanlage in Tsingtau bestand aus
zwei je tausend Kubikmeter großen Ballons, einem Ballonsack und allem
nötigen Zubehör zum Gaserzeugen und zur Bedienung des Ballons.

Ein Unteroffizier der Marine, der kurze Zeit bei den Luftschiffern
ebenfalls zur Ausbildung gewesen war, und ich waren die einzigen,
die vom Ballon eine Ahnung hatten. Nachdem wir die ganze neue Anlage
ausgepackt und aufgestellt hatten, gingen wir äußerst gewissenhaft und
vorsichtig ans Füllen des Ballons. Und wie stolz waren wir, als die
erste gelbe Wurst dick und prall, wohlgefesselt dicht über der Erde
lag. Dann knüpfte ich mit meinem Unteroffizier persönlich jede einzelne
Leine an, und bald darauf hing das gelbe Ungetüm leise hin und her
pendelnd am Himmelszelt. Dann wurde es wieder heruntergeholt, und ich
kletterte zum ersten Aufstieg allein in den Korb. Beinahe hätte ich
schon bei diesem Aufstieg meine verzwickte Reise nach Deutschland
antreten können, denn als „Los” kommandiert wurde, hatte das Haltetau
versehentlich reichlich lose gehabt, und mit einem mächtigen Satz
sprang der Ballon senkrecht zirka fünfzig Meter in die Luft und ruckte
dann mit Macht in das Haltekabel ein. Mich durchzuckte dabei der
Gedanke: Jetzt geht er ab! Es gab einen ganz gewaltigen Stoß, und viel
hätte nicht gefehlt, so wäre ich aus meiner Gondel herausgeschleudert
worden. Da das Drahtseil aber ebenfalls ganz neu war, hielt es gottlob,
und ich war um eine Lehre reicher. Dann begann das systematische
Ausbilden und Einexerzieren meiner Mannschaft, und bald funktionierte
der Laden, als wenn wir von Kind auf Luftschiffer gewesen wären.

Auf den Fesselballon waren vom Gouvernement sehr große Hoffnungen
gesetzt worden. Allgemein versprach man sich durch ihn große Hilfe
beim Beobachten des heranrückenden Feindes und zur Beobachtung der
feindlichen Artillerie. Leider haben sich diese Hoffnungen in keiner
Weise erfüllt, und meine Befürchtungen, die ich in bezug auf den Nutzen
der Ballonanlage gehabt hatte, bewahrheiteten sich in jeder Beziehung.

Trotzdem ich den Ballon sogar bis auf eintausendzweihundert Meter
gebracht hatte, gelang es uns nicht, von ihm aus hinter die unseren
befestigten Stellungen vorgelagerten Höhenzüge zu sehen und damit
die Bewegung des Feindes und vor allen Dingen die Stellungen seiner
schweren Belagerungsartillerie zu beobachten.

Das aber war wiederum für die Verteidigung Tsingtaus von
fundamentalster Bedeutung.

Um dieses und überhaupt die ganze überaus schwierige Lage, in der wir
uns in Tsingtau befanden, einigermaßen verständlich zu machen, muß ich
folgendes vorausschicken:

Das ganze Schutzgebiet Kiautschou liegt auf einer langgestreckten
Landzunge, auf deren äußerstem, südwestlichem Zipfelchen wiederum
die Stadt Tsingtau liegt. Von drei Seiten vom Meere umschlossen,
wird die Stadt im Nordosten durch die halbkreisförmige Hügelkette
der Moltke-, Bismarck- und Iltisberge, die sich von Meer zu Meer
hinziehen, eingerahmt. In diesen Bergen lagen unsere Hauptbefestigungen
eingenistet, und am nordöstlichen Fußrande dieser Kette lagen die
fünf Infanteriewerke mit dem Hauptdrahthindernis. Dann kam ein
breites Tal, welches zum Teil vom Haipo-Fluß durchzogen wurde, und
daran schlossen sich wiederum halbkreisförmig die ebenfalls von Meer
zu Meer sich hinziehenden, für uns kritischen und uns Verderben
bringenden Hügelketten des Kuschan, des Taschan, der Waldersee-Höhen
und der Prinz-Heinrich-Berge, von denen die Prinz-Heinrich-Berge
eine so wildromantische Form hatten, als wenn sie dem Monde direkt
entnommen wäre. Hinter diesen Höhen schloß sich wiederum ein breites
Tal an, und daran türmten sich die wild zerklüfteten Steinmassen des
Lau-Hou-Schan, des Tung-Liu-Schui und des Lauschan zum Himmel empor.

Da uns vor allen Dingen daran lag, zu wissen, was geht im Vorgelände
vor, und, als wir vom siebenundzwanzigsten September ab hinter unserem
Drahthindernis vollkommen eingeschlossen waren, zu sehen, _wo_ baut
der Feind seine Belagerungsartillerie auf, da wir ferner in unseren
Hoffnungen, die wir in dieser Beziehung auf den Fesselballon gesetzt
hatten, vollkommen getäuscht wurden, blieben uns zur Erreichung unseres
Zieles nur noch: gelegentliche schneidige Erkundungen und -- -- mein
Flugzeug!

Unter unermüdlicher Arbeit gingen die Tage des August dahin. Tsingtau
und vor allem das Vorgelände waren kaum wiederzuerkennen. Artillerie
und Verteidigungsstellungen wurden ausgehoben, und was das traurigste
war, die entzückenden Wäldchen, die mit so viel Mühe und Liebe
angepflanzt waren, der Stolz Tsingtaus, mußten zum Freimachen der
Schußfelder unter Beilhieben fallen. Wieviel Kulturarbeit, wieviel
unendliche Mühe und Liebe ist da mit einem Schlage vernichtet worden!

Der dreiundzwanzigste August, der Tag des Ablaufs des Ultimatums an
Japan, kam heran, und es war wohl selbstverständlich, daß der gelbe Jap
überhaupt keiner Antwort gewürdigt wurde. Die Parole an diesem Tage
lautete:

                        „Immer feste druff!”

Das war uns allen aus dem Herzen gesprochen.

Ich weiß noch, wie ich am folgenden Morgen von meinem Balkon aus über
das unendliche blaue Meer schaute und in der Entfernung von einigen
Seemeilen mehrere schwarze Schatten bemerkte, die sich langsam hin
und her bewegten. Durch das Doppelglas konnte ich dann Torpedoboote
erkennen. Auch Patzig, der herbeieilte, überzeugte sich davon. Richtig,
heute war ja der Vierundzwanzigste. Nun hatte die Bande die Blockade
gegen uns eröffnet.

So war es also wirklich wahr, die Japaner wagten es, das Deutsche Reich
anzugreifen!

Der Kampf eines gelben Kaiserreiches, unterstützt von einem Häuflein
Engländer, gegen ein kriegsstarkes deutsches Regiment hatte begonnen.

Gleich nach Ablauf des Ultimatums rückte ein Trupp von tausend Mann
ins Vorgelände ab, um dieses und die Anmarschstraßen auf Tsingtau
zu so lange als möglich zu verteidigen. Dieses kleine Häuflein
hat seine Aufgabe hervorragend gelöst. Eine Strecke von dreißig
Kilometern Breite, dann von zehn Kilometern mit gänzlich ungenügender
Artillerieausrüstung war zu verteidigen. Da, wohin zwei Armeekorps
gehört hätten, standen nur tausend Mann. In zähem, unerschrockenem
Kampf, oft nur Patrouillen ganzen feindlichen Bataillonen
gegenüberstehend, wichen sie langsam der zwanzigfachen Übermacht.
Erst am achtundzwanzigsten September wurde die tapfere Schar hinter
das Haupthindernis zurückgedrängt, welches sich nun für uns bis nach
Austoben des Kampfes für immer schloß.

In den ersten Tagen der Belagerung hielten die leitenden Kreise in
Tsingtau von dem Nutzen meines Flugzeuges, wie von der ganzen Fliegerei
überhaupt, nicht viel.

Nach allem, was sie bis jetzt von uns hier draußen gesehen hatten, war
dies ja auch nicht weiter zu verwundern.

Das wurde bald anders!

An einem der ersten Tage der Belagerung überflog ich wiederum die
Südküste der Schantung-Halbinsel, um nach feindlichen Schiffen und
besonders nach feindlichen Truppenlandungen Ausschau zu halten. Die
Küste war wie ausgestorben, auch nicht das geringste war zu sehen
gewesen. Ganz beruhigt, daß wir von dieser Seite aus sicher waren, flog
ich nach Hause zurück. Nur so nebenbei ging ich an diesem Abend noch
auf das Gouvernement, um einem Kameraden Guten Tag zu sagen. Zufällig
traf ich hier mit dem Chef des Stabes zusammen, der große Eile hatte,
da er eine wichtige Sitzung beim Gouverneur für einen Augenblick
verließ, um sich ein Buch zu holen.

Im Vorbeigehen rief er mir noch zu: „Na, Plüschow, sind Sie wieder mal
geflogen?”

„Jawohl”, sagte ich, „ich komme eben zurück. Ich habe mehrere Stunden
lang die Küste nach feindlichen Truppenlandungen abgesucht, habe aber
nichts vom Feinde gesehen.”

Ich sehe noch heute das überraschte Gesicht unseres Chefs.

„Was? Die Küste sind Sie abgeflogen, und das sagen Sie erst jetzt?
Wir sitzen seit zwei Stunden und beraten, wie wir die großen
Truppenlandungen in der Dsin-Dsia-Kou-Bucht, die uns heute durch unsere
Kundschafter gemeldet wurden, abwehren können. Und Sie kommen gerade
daher und können so einwandfreie Meldung bringen? Nun aber hinein zum
Gouverneur und Ihre Beobachtung gemeldet!”

Mit einigen Worten konnte nun die ganze Beratung erledigt werden. Die
Kundschafter-Aussagen waren selbstverständlich erfunden.

Ich aber war froh; die Ehre und das Ansehen der Fliegerei hatte ich
gerettet!

Und nun begann für mich die schwerste, aber auch schönste Fliegerzeit.

Meine Feuertaufe im Flugzeug empfing ich schon bald. Es war in den
ersten Tagen des September, als ich weit, weit draußen das Vorgelände
abgraste und mich in eintausendfünfhundert Metern Höhe so recht des
schönen Sonnenschein-Sonntages erfreute. Unter mir gewahrte ich
plötzlich eine im Anmarsch befindliche größere japanische Truppenmasse,
die mich mit lebhaftem Infanterie- und Maschinengewehrfeuer begrüßte.
Mit zehn Schußlöchern in den Tragflächen kehrte ich stolz nach Hause
zurück. In Zukunft blieb ich aber immer in zweitausend Meter Höhe,
wodurch eventuelle Gewehr- und Maschinengewehrtreffer in meinen Motor
und Propeller wesentlich ungefährlicher wurden.

Die Feuertaufe an Land ließ auch nicht lange auf sich warten.

An einem der nächsten Tage fuhr ich mit meinem Auto nach Schatsy-Kou,
wo wir vorgeschobene Posten besaßen. Ohne an Böses zu denken, hielt
ich vor dem Hause an. Zu meinem Erstaunen lagen alle Offiziere und
Mannschaften längs einer nach See zu geschützten Böschung, winkten
lebhaft mit den Armen, was ich selbstverständlich als Begrüßung
auffaßte und durch ebensolches Winken erwiderte. Ich saß noch in meinem
Auto, als ich dicht über meinem Kopfe ein lautes Pfeifen und Zischen
und einen Augenblick darauf bereits ein ohrenbetäubendes Krachen
vernahm. Nur zehn Schritt von uns entfernt war mitten im Mauerwerk des
Hauses die erste Granate krepiert, und ehe ich mich auch nur besinnen
konnte, langten auch schon die folgenden Geschosse an.

Nun wir aber raus aus dem Auto und die Beine in die Hand genommen und
schnell zu den anderen an die allerdings nur fragliche Deckung gelehnt.
Meine Kameraden bogen sich schier vor Lachen, denn so ernst die
Situation auch war, so ulkig muß der Anblick gewesen sein.

Nun erfuhren wir auch, was los war.

Eine japanische Torpedoboots-Flottille lag vor uns und versuchte
durch ihr Geschützfeuer Schatsy-Kou zu zerstören. Zwei volle Stunden
lagen wir, ohne etwas sehen zu können, ohne jede Deckung und ohne
uns rühren zu können, im Granatfeuer. Dann schien die Mittagspause
für den Jap zu kommen, und er stellte das Feuer ein. Als wir die
Schäden des Hauses besichtigten, waren die kleinen Chinesenjungens
schon längst dabei, die Granatsplitter zu sammeln. Und als wir uns
einen Augenblick zu einer Tasse Kaffee hingesetzt hatten, kamen drei
kleine Chinesenstifte freudestrahlend an, in ihren schmutzigen kleinen
Fingern drei Blindgänger haltend, die sie in aller Ruhe vor uns auf den
Tisch warfen. Na, wenn die losgegangen wären, das hätte ein schönes
Schützenfest gegeben!

Nun mußten wir zurück, und als das Auto in das erste Felsental einbog,
krepierten hinter uns schon wieder die Granaten der neu einsetzenden
Beschießung.

Einige Zeit darauf mußte ganz Schatsy-Kou mit dem ganzen übrigen
Schutzgebiet geräumt werden, und am achtundzwanzigsten September wurden
wir hinter das Haupthindernis eingeschlossen, und gleichzeitig setzte
von See aus die erste große Beschießung ein.

Das war eine Ballerei!

Am frühen Morgen dieses Tages saß ich quietschfidel in meiner
Badewanne, um mich zu einem größeren Fluge zu erfrischen, als plötzlich
ein schier ohrenzerreißender Lärm einsetzte. Da unsere Geschütze
bereits tage- und nächtelang gedonnert hatten, achtete ich nicht weiter
auf den verstärkten Lärm, sondern schob ihn auf das Feuern unserer
Achtundzwanzig-Zentimeter-Haubitzen der Bismarck-Batterie, die, um
Munition zu sparen, bis jetzt geschwiegen hatte, und an deren Fuß meine
Villa lag.

Ich schickte meinen Burschen noch zu meinem Flugzeug, um nachzusehen,
ob alles klargemacht würde. Aber schon nach einigen Minuten kam
er atemlos und etwas blaß zurück und meldete: „Herr Oberleutnant,
wir müssen schnell die Villa verlassen, wir werden von vier großen
Schiffen beschossen. Eine der schweren Granaten ist eben ganz dicht
beim Flugzeugschuppen krepiert, aber Gott sei Dank ist das Flugzeug
heil geblieben, und niemand ist verletzt. Nur ich habe mir die Finger
verbrannt. Da lag so ein schönes großes Sprengstück, und das wollte ich
doch als Andenken mitnehmen; na, und das war so heiß, aber mitgebracht
habe ich es doch!” Und dabei hob er freudestrahlend ein halb
verbranntes Taschentuch hervor, in dem ein zirka armlanges furchtbares
Sprengstück einer Dreißigeinhalb-Zentimeter-Granate lag. Nun war ich
aber raus aus meinem Bad! Kaum zwei Minuten später stand ich bei meinem
schwer gefährdeten Flugzeug, und mit vereinten Kräften schoben wir den
teuren Vogel in eine andere Ecke des Platzes, wo er hinter einem Abhang
etwas geschützter stand. Dann lief ich auf den Küstenkommandeurstand,
um mir das Schauspiel der Beschießung anzusehen.

Dieser Kommandeurstand lag auf einem Hügel, von dem man einen geradezu
idealen Überblick über Tsingtau hatte. Von hier aus konnte man jede
einzelne Granate einschlagen sehen, und wenn ich nicht flog, saß ich
während der ganzen nächsten Wochen hier oben in freier Luft, um dem
Kampf zuzusehen.

Die erste Beschießung von Tsingtau an diesem achtundzwanzigsten
September war besonders eindrucksvoll.

Das Krachen und Krepieren der Granaten und das Gedröhne
wurden durch die rings herumliegenden Berge bedeutend
verstärkt. Schlag auf Schlag folgten die Einschläge der langen
Dreißigeinhalb-Zentimeter-Schiffsgeschosse, und wir hatten den
Eindruck, daß ganz Tsingtau in einen Trümmerhaufen verwandelt werden
würde. Ein unheimliches Gefühl, an das man sich aber schnell gewöhnt.
Man ist ja doch den einschlagenden Granaten gegenüber vollkommen
machtlos und kann nichts weiter tun als warten, bis alles vorbei ist.

Man soll nur Glück haben, nicht gerade da zu stehen, wo solch ein
unheimliches Ding niedersaust.

Wie schmachvoll müssen diese und die folgenden Beschießungen für die
Engländer gewesen sein!

Die feindlichen Schiffe dampften so weit draußen, daß unsere Geschütze
sie nicht erreichen konnten. Also in vollster Sicherheit. Vorneweg
fuhren drei japanische Schlachtschiffe und als letztes Schiff hinterher
unter japanischem Befehl: das englische Linienschiff „Triumph”.

Wie stolz sich diese Engländer wohl bei solcher Henkersarbeit
vorgekommen sind!

Gott sei Dank war der Schaden, den das Bombardement angerichtet
hatte, nicht groß gewesen, und von nun ab sahen wir den kommenden
Beschießungen mit größter Ruhe entgegen.

Am Abend dieses Tages war ich Zeuge einer besonders traurigen
Begebenheit.

Unsere Kanonenboote „Cormoran”, „Iltis” und „Luchs” wurden von uns
versenkt, nachdem sie ihre ganze Bewaffnung abgegeben hatten.

Es war ein ganz trostloser Anblick.

Die drei Schiffe, hintereinander festgemacht, wurden durch einen
Dampfer in tiefes Wasser geschleppt, dort angezündet, dann gesprengt
und verbrannt. Es sah aus, als ob die drei Schiffe wüßten, daß sie zur
Schlachtbank geführt wurden. So unendlich traurig und hilfesuchend
reckten sie ihre kahlen Masten zum Himmel empor; und unter den Flammen
wanden sich die Schiffsleiber, als wenn sie noch Leben in sich gehabt
hätten, bis endlich die Wogen über ihnen zusammenschlugen und sie von
ihren Leiden befreiten. Wie krampfte sich mir das Seemannsherz zusammen
bei diesem Anblick! Diesen drei folgten „Lauting” und „Taku” und kurz
vor der Übergabe der kleine „Jaguar” und der österreichische Kreuzer
„Kaiserin Elisabeth”, nachdem diese beiden letzteren Schiffe uns
unendliche Dienste geleistet hatten. Die Arbeit dieser beiden Schiffe
füllt ein Ruhmesblatt in der Geschichte von Tsingtaus Kampf und Tod.



Allerhand Scherze der Japs


Die Tätigkeit der japanischen Belagerungsarmee war für uns ein großes
Rätsel. Nach der ersten großen Beschießung dachten wir alle, die
Japaner würden versuchen, die Festung sofort zu stürmen, aber nichts
dergleichen geschah. Wir begriffen den Feind einfach nicht, der mußte
doch wissen, wie schwach wir waren, und daß sie nur ein einziges
Drahthindernis zu überwinden brauchten, um in der Festung zu sein.

Dann tauchten bei uns die wildesten Gerüchte auf.

„Die Japaner wagen nicht, uns anzugreifen, die Sache steht in Europa
zu gut für uns!” Dann wieder: „Die Amerikaner schicken uns ihre Flotte
zu Hilfe; die Japaner werden abziehen müssen!” Und dann: „Die Japaner
wollen uns nur aushungern, sie wollen, daß Tsingtau so heil wie möglich
in ihre Hände fällt!”

Aber alles blieb nur Vermutung.

Ruhig und systematisch und ohne daß wir sie daran hindern konnten,
landeten die Japaner ihre Truppen, bauten Wege und Eisenbahnen,
schafften die schwersten Belagerungsgeschütze und Munition heran,
gruben sich unseren Hindernissen gegenüber ein und arbeiteten sich
vorwärts gegen unsere Verteidigungslinie.

Jetzt begann für mich meine Hauptarbeit: das Erkunden der feindlichen
schweren Batterien.

Und Tag für Tag, wenn das Wetter und _der_ Propeller es erlaubten,
stand ich früh im ersten Morgengrauen bei meinem Flugzeug.

Und auf ging es, einem ungewissen Schicksal entgegen. Und wenn die
Sonne aufging, dann schwebte ich hoch am blauen Firmament, umkreiste
stundenlang die feindlichen Stellungen und spähte hinab auf das
geliebte Schutzgebiet, in das sich ein frecher Feind einnistete, um uns
Tod und Verderben hinüberzusenden.

Schwer war meine Arbeit, aber schön, und sie wurde durch den Erfolg
reichlich belohnt.

Und _daß_ ich Erfolg hatte, das merkte ich am besten aus den
Anstrengungen, welche der Feind machte, um mich herunterzuholen und
mich unschädlich zu machen.

Wie ich bereits vorher erwähnt habe, war ich jetzt der einzige Flieger
in Tsingtau, „der Vogelmaster von Tsingtau”, wie mich die Chinesen
nannten, und hatte auch nur diese eine Taube zur Verfügung. Nun galt
es aufpassen und nichts kaputt machen, sonst war es vorbei mit der
Fliegerei.

Ganz außerordentlich wurde das Fliegen erschwert durch den kleinen,
von hohen Bergen wie ein Kessel eng umschlossenen Flugplatz und die
ganz außerordentlich schwierigen Luftverhältnisse. Durch die hohen,
schroffen Gebirge, durch den Wechsel von Land und Wasser und durch die
starke Sonnenbestrahlung war die Turbulenz der Luft ganz ungewöhnlich
stark und die Luftverhältnisse schon morgens um acht Uhr so ungünstig,
wie sie in Deutschland während der heißesten Jahreszeit um die
Mittagsstunden kaum vorkommen. Nur der kann wohl einen Begriff von den
Schwierigkeiten des Fliegens in einem solchen Gelände sich bilden, der
das selbst durchgemacht hat.

Hinzu kam, daß mein Flugzeug, welches für normale Verhältnisse zu Hause
gebaut war, in dieser dünnen Luft zu schwer war, mein Motor hundert
Umdrehungen zu wenig machte und ich mit einem Propeller flog, der auf
die oben angeführte Weise entstanden war.

Kein Wunder also, daß ich nicht daran denken konnte, jemals einen
Beobachter mitzunehmen. Alles irgend Entbehrliche riß ich aus meinem
Flugzeug heraus, um es zu erleichtern. Benzin und Öl wurden so
bemessen, daß ich eben auskam, ja oft ließ ich sogar meine Lederjacke
zu Hause, nur um mit dem Flugzeug aus dem Platz herauszukommen.

Der Start, der war ja das Verhängnisvolle!

Jeder Start mußte glücken; mißlang er, dann war es um mich und mein
Flugzeug geschehen.

Der Abflug war wirklich ein jedesmaliger Kampf auf Leben und Tod, und
wie oft hat es nur an einem Haar gehangen, daß das Flugzeug nicht
zerschellte.

Manchmal, wenn ich nach Süden zu startete, setzten am Ende des Platzes,
ungefähr da, wo das Fort Hu-Tchuen-Huk mit dem Meere zusammenstößt,
enorme Fallböen ein, das Flugzeug fiel direkt unter mir weg, ich
riß es eben noch über die Geschützrohre des Forts frei, dann fiel
das Flugzeug wieder schwer durch, und oft handelte es sich nur um
Handbreiten, daß ich es über dem Meeresspiegel wieder abfing, wo es
sich langsam erholte und zu klettern anfing.

Der Start nach Norden zu (andere als diese beiden Richtungen kamen
nicht in Frage) war furchtbar, und im ganzen habe ich ihn nach dieser
Richtung hin auch nur sechs- bis siebenmal gemacht; aber an diese Male
denke ich dafür mein Leben lang.

Im äußersten Südzipfel des Platzes mußte ich dann starten. Und in
einer geraden Linie ging es über den nur wenige hundert Meter langen
Platz hinweg, über meinen Schuppen, über mehrere Villen und über
unseren Kirchhof, der bereits an einem zirka einhundertundfünfzig Meter
hohen schmalen Sattel lag, der von beiden Seiten von den Felsmassen
des Bismarck-Berges und der Iltis-Berge eingeschlossen wurde. Sowie
ich links den Bismarck-Berg hinter mir hatte, kamen die ersten
Seitentäler, und aus diesen setzten scharfe Böen ein, mein Flugzeug
bekam einen mächtigen Stoß und legte sich schwer nach Steuerbord über,
und trotz voller Verwindung konnte ich das Flugzeug nicht wieder
aufrichten. Seitensteuer durfte ich nicht geben, um nicht in die Felsen
hineinzurennen.

[Illustration: Das Dienstpersonal des Verfassers in Tsingtau.]

So raste denn mein Flugzeug in dieser Stellung mit der rechten
Flügelspitze nur wenige Zentimeter von den unter mir liegenden
Baumkronen und Felsmassen entfernt durch dieses Höllental hindurch, und
ich konnte nichts weiter tun, als mein Steuer mit eiserner Ruhe führen,
um nicht unten zu zerschellen. Bis ich dann endlich auf der anderen
Seite über dem Wasser der Kiautschou-Bucht schwebte und mein Flugzeug
wieder vernünftig wurde.

[Illustration: Kapitänleutnant Plüschow.]

Ich will's gestehen, heiß und kalt hat's mich bei jedem Start
überlaufen, und ordentlich froh war ich, wenn ich ihn hinter mir hatte
und mich höher und höher schraubte, bis ich endlich meine zweitausend
Meter erreicht hatte. Das war allerdings eine Geduldsprobe. Manchmal
kam ich in einer Stunde hinauf. Gewöhnlich aber dauerte es bis zu
einunddreiviertel Stunden. Während dieser ganzen Zeit flog ich weit,
weit draußen über See, um den Schrapnells, die die Japaner nach mir
sandten, zu entgehen.

Was konnte ich noch lange darüber nachdenken, daß ich ein Landflugzeug
hatte, und daß ich bei der geringsten Motorpanne ertrinken mußte. Es
wäre ja doch dasselbe gewesen, als wenn eine Panne oder womöglich ein
Volltreffer mich über dem Lande erreicht hätte. Im ganzen Schutzgebiet
gab es nur Felsen, Schluchten und außer meinem Flugplatz nicht ein
einziges Plätzchen, wo ich hätte heil landen können.

Die Gedanken daran kamen mir wohl ab und zu in den ersten Tagen, aber
da sie doch zwecklos waren, gab ich sie wieder auf.

Während der ganzen Zeit dieses Emporkletterns erfreute ich mich dann an
dem herrlichen Sonnenschein, an dem wunderbaren Anblick der schroffen
Felsenküsten und an dem tiefblauen Meer. Meist sang oder pfiff ich
ein Liedchen, und wenn der Höhenmesser zweitausend Meter zeigte, dann
brummte ich ein Gott sei Dank, und auf dem kürzesten Wege schoß ich der
feindlichen Linie zu und begann meine Beobachtungen.

Diese führte ich dann folgendermaßen aus:

Sobald ich über dem Feinde war, drosselte ich den Motor so, daß das
Flugzeug die Höhe von selber hielt. Dann hängte ich meine Karte
vor mich an das Höhensteuer, nahm einen Bleistift mit Notizheft
zur Hand und beobachtete nach unten, zwischen Tragfläche und Rumpf
hindurchsehend, den Feind. Das Höhensteuer ließ ich ganz los, und die
Seite steuerte ich mit den Füßen.

Eine Stellung umkreiste ich dann so lange, bis ich alles ausgemacht, in
die Karte eingetragen, mir genau aufgeschrieben und eine ganz genaue
Skizze angefertigt hatte. Ich hatte bald eine solche Übung darin, daß
ich oft, ohne überhaupt aufzusehen, einundeinhalb bis zwei Stunden nach
unten beobachtete und alles genau aufschrieb.

Und wenn mir dann das Genick steif wurde, drehte ich mich um und sah
nach der anderen Seite hinunter. Bis ich dann endlich mit meinen
Aufzeichnungen zufrieden war und ein Blick auf die Benzinuhr mich
belehrte, daß es höchste Zeit sei umzukehren, um noch meinen Platz zu
erreichen.

Der Rückflug war jedesmal derselbe. In stolzem Bogen umkreiste ich die
Werft und die Stadt, und über meinem Platz angekommen, stellte ich den
Motor ab, und in rasendem Kurven-Gleitflug ging es der Erde zu, und
vier Minuten später stand ich wohlbehalten unten.

Die Eile war nötig!

Mein Flugzeug wurde natürlich während der ganzen Stunden, die ich über
den feindlichen Stellungen schwebte, auf das heftigste mit Gewehren
und Maschinengewehren beschossen. Und als das nichts half, kamen die
Schrapnells. Die waren allerdings eklig.

Und immer wieder neue Überraschungen hatten die Japaner für mich. Als
ich zum Beispiel an einem herrlichen Morgen mit prächtigem blauem
Himmel von einer Aufklärung zurückkam und landen wollte, schwebten
über meinem ganzen Landungsplatz lauter kleine weiße Wölkchen in etwa
dreihundert Meter Höhe, die von oben ganz allerliebst aussahen.

Aber bald merkte ich, daß die Japaner sich wieder einmal einen
Scherz mit mir erlaubten, denn die Wölkchen waren Sprengwolken von
Zehneinhalb-Zentimeter-Schrapnells.

Aber was half es -- Zähne zusammen und durch!

Und vier Minuten später stand meine Maschine aus zweitausend Meter
Höhe im Sturzflug kommend, wohlbehalten auf dem Platz, und so schnell
ich konnte, rollte ich mit ihr in den Schuppen, dessen Dach durch Erde
geschützt war.

Nun galt es für mich, List anzuwenden.

Und manchmal, wenn ich noch über den feindlichen Stellungen war,
stellte ich plötzlich den Motor ab und sauste senkrecht auf eine Ecke
meines Platzes zu, so daß die Japaner glaubten, ich sei abgeschossen,
und sie so überrascht wurden, daß ihre Schrapnells über dem Platz erst
ankamen, als ich bereits zum Schuppen rollte.

Als ich aber immer wiederkam, da verlegten die Japaner zwei ihrer
Zehneinhalb-Zentimeter-Batterien so weit nach hinten und nach der
Seite, daß ihre Schrapnells mich bequem erreichten, während ich die
Stunden über ihren Stellungen kreiste. Das war das Unangenehmste, und
oft wäre mein Schicksal auch beinah besiegelt gewesen, wenn ich nicht
durch eine plötzliche scharfe Wendung das Getroffenwerden vermieden
hätte.

Die Schrapnells krepierten dann so nahe, daß ich trotz des
Motorengeräusches das häßliche Bellen der Detonation hörte, den
heftigen Luftdruck im Gesicht verspürte und mein Flugzeug so stark
wie eine alte Kuff im Seegang zu rollen anfing, was mich bei meinen
Beobachtungen stark belästigte.

Ich muß offen sagen, sobald ich jedesmal glatt gelandet war, spürte ich
ein herrliches Gefühl der Freude und der Genugtuung nach vollbrachter,
schwerer Arbeit, ja meist stieß ich vor lauter Freude einen kräftigen
Jauchzer aus.

Zu denken auch:

Nur vier Minuten früher war ich zweitausend Meter hoch gewesen, hatte
Stunden höchster Anstrengung und Gefahr hinter mir und rollte nun
trotz Geschoß und Schrapnell auf Gottes schöner Erde und hatte wieder
festen Grund unter den Füßen!

Sobald ich aufgesetzt hatte, kamen meine vier braven Leute, die des
Schrapnellhagels nicht achteten, herangelaufen und halfen mir die
Maschine bergen. Mit freudigem Gekläff wurden sie umsprungen von meinem
treuen Hund Husdent.

Und während die vier das Flugzeug zum nächsten Male wieder klar
machten, saß ich längst am Steuer meines Autos, in der Brusttasche
meine Karten und Meldungen, neben mir Husdent, und raste nochmals durch
das Schrapnellfeuer über den Platz und zum Gouvernement, wo bereits auf
meine Meldungen gewartet wurde.

Ich glaube, man wird meine Freude und meinen Stolz verstehen können,
wenn ich meine Aufzeichnungen auspacken konnte. Hatte ich doch manchmal
an einem Tage fünf bis sechs neue feindliche Batterien entdeckt, und
oft füllten meine Beobachtungen vier Seiten der Berichtsformulare aus.

Der warme Händedruck des Dankes meines Gouverneurs und des Chefs des
Stabes sagte mir genug.

Und während ich dann nach Hause fuhr, um zu frühstücken und mich
zu erholen, da donnerten bereits unsere Geschütze und warfen ihren
Eisenhagel in die von mir neu erkundeten Stellungen hinein.



Meine Kriegslist


Wie traurig sah es jetzt in meinem Häuschen aus, so einsam und
verlassen!

Gleich zu Beginn der Belagerung mußte der gute Patzig
sein Heim aufgeben und als Batteriekommandeur zu seiner
Einundzwanzig-Zentimeter-Batterie eilen. Nur vier Wochen hat er etwas
von seiner schönen Wohnung gehabt, dann saß er in seiner Kasematte
und tat seine Pflicht, bis seine letzte Granate verschossen war und
die Japaner mit ihren Achtundzwanzig-Zentimeter-Haubitzen seine ganze
Batterie zu einem wüsten Trümmerhaufen verwandelten!

Treulos verließ mich aber, als der erste Schuß fiel, mein Chinesenkoch
Moritz, und eines Abends waren auch Fritz, Max und August spurlos
verschwunden.

Nach einigen Tagen kam ein neuer Chinesenkoch, Wilhelm genannt, der mir
mit großen Gebärden erzählte:

„Du, Vogelmaster, ich gute Koch sein, ich nicht weglaufen wie die
schlechte Kerl, die Molitz, iche nicht Angst haben, ich ~plenty~ gut
chau-chau mache.”

Ich glaubte es, versprach ihm fünf Dollars mehr, und es ging auch ganz
gut, bis eines Tages die ersten feindlichen Granaten in der Nähe meines
Hauses krepierten und Herr Wilhelm ebenso spurlos verduftete wie seine
Vorgänger.

Nun saß ich mit meinem treuen Burschen Dorsch in dem verwaisten Hause
allein.

Wir beide waren jetzt die einzigen Bewohner des ganzen Villenviertels
der Iltis-Bucht.

Angenehm und sicher war der Aufenthalt gerade nicht, denn die Villen
waren an die Hügel gebaut, die unsere Hauptbatterien trugen, und die
feindlichen Granaten, die bei diesen vorbeigingen, trafen mitten in uns
hinein. Wir beide waren aber sehr vorsichtig. Wir zogen nämlich aus dem
oberen Stockwerk aus und richteten uns im Erdgeschoß häuslich ein. Zum
Überfluß stellten wir beide noch unsere Betten so in eine Ecke, daß wir
nicht unmittelbar am Fenster lagen, und das war dann Sicherheit genug.
Gut, daß kein dicker Koffer uns zu einem Versuch herausforderte.

In der Luft blieb ich nicht lange allein.

Am Vormittag des fünften September, bei unfreundlichem Wetter, mit
tiefhängenden Wolken, hörten wir plötzlich das Brummen eines Motors,
und ich lief aus dem Hause, um zu sehen, was los sei. Und schon schoß
dicht über unseren Köpfen ein riesiger Doppeldecker aus den Wolken. Ich
war sprachlos. Und wie gebannt schaute ich dem Gespenste nach. Bald
jedoch krachten die ersten Bombenexplosionen, und nun gewahrte ich auch
die großen roten Bälle unter den Tragflächen des Flugzeuges.

Also ein Japaner!

Ich muß sagen, mir war eigenartig zumute, als ich den riesigen
feindlichen Kollegen so dicht über meinem Kopfe dahinschweben sah. Das
konnte ja für die Zukunft eine heitere Geschichte werden!

Für Tsingtau war das Erscheinen des feindlichen Fliegers eine höchst
unangenehme Überraschung. Daß die Japaner auch Flugzeuge mitbringen
würden, das hatte keiner erwartet.

Im ganzen hatten die Japaner im Laufe der Belagerung acht Flugzeuge,
darunter vier ganz hervorragend große Wasserdoppeldecker, um die ich
die Japse herzlichst beneidete.

Wie oft habe ich in den nächsten Wochen, wenn die wunderschönen, neuen,
großen Wasserdoppeldecker der Japaner die Stadt umkreisten, sehnsüchtig
nach oben geschaut und mir solch ein Ding herabgewünscht.

Fliegen taten die Japaner sehr gut, und mit außerordentlichem Schneid,
das muß man ihnen lassen.

Ein Segen, daß ihr Bombenwerfen nicht ebensogut war, sonst hätte es bös
was für uns abgegeben.

Die japanischen Fliegerbomben waren stark, neuester Konstruktion und
von ganz bedeutender Sprengwirkung.

Einen gewaltigen Vorteil hatten die feindlichen Wasserflugzeuge. Sie
konnten weit draußen, gänzlich ungestört durch uns, ohne Rücksicht auf
Windrichtung, in aller Ruhe starten, hatten so viel Anlaufstrecke vor
sich, wie sie nur irgend wünschen konnten, Windrichtung war gänzlich
egal, und wenn sie dann in größter Sicherheit ihre dreitausend Meter
erreicht hatten, kamen sie zu uns herüber, und dann pfiffen sie auf
unsere Schrapnells und unser Maschinengewehrfeuer.

Eins der Hauptziele der feindlichen Fliegerbomben war mein
Flugzeugschuppen.

Die Sache wurde für mein Flugzeug bald so ungemütlich, daß ich eines
Tages auszog und beschloß, meine feindlichen Kollegen ganz gründlich
anzuführen.

Mein richtiger Schuppen lag auf dem Nordende des Platzes, war von oben
wundervoll zu sehen und den Japanern natürlich zur Genüge bekannt. Nun
baute ich in aller Stille genau am entgegengesetzten Ende des Platzes
einen neuen Schuppen, den ich direkt an einen Bergabhang anlehnte und
mit Erde und Gras so bedeckte, daß von oben tatsächlich nicht das
geringste zu sehen war. Dann bauten wir mit vieler List und Tücke aus
Brettern, Segeltuch und Blech ein Scheinflugzeug, welches von oben
gesehen meiner Taube täuschend ähnlich sah. Sowie nun in Zukunft die
feindlichen Flieger kamen, wurde Theater gespielt.

An einem Tage waren die Tore meines alten Schuppens auf, und davor saß
im schönen grünen Gras, breit und behäbig, mein Simulaker. An einem
anderen Tage waren die Tore geschlossen und nichts zu sehen. Wiederum
an einem Tage saß mein Scheinflugzeug an einer anderen Stelle des
grünen Rasens, wo es sich besonders gut abhob, und so ging es fort.
Nun kamen die feindlichen Flieger und warfen Bomben auf Bomben und
bemühten sich, diesen unschuldigen Vogel zu treffen. Wir dagegen, mit
unserem richtigen Flugzeug, saßen quietschfidel und durch unser Dach
wohlgeschützt am anderen Ende des Platzes und hielten uns den Bauch
vor Lachen, wenn wir sahen, wie die Bomben ihr unschuldiges Opfer
heimsuchten.

Eines Tages, als wieder besonders viele Bomben gefallen waren, nahm
ich ein schönes Sprengstück einer japanischen Fliegerbombe, befestigte
daran meine Visitenkarte und schrieb darauf: „Den feindlichen Kollegen
besten Gruß! Warum werfen Sie mit so harten Gegenständen? Wie leicht
kann das ins Auge gehen! Und das tut man doch nicht!”

Diesen Brief nahm ich bei meinem nächsten Fluge mit und warf ihn vor
der japanischen Wasserflugstation nieder.

Das war aber nur die Ankündigung meines Besuches.

Im Artilleriedepot hatte nämlich einer der Herren inzwischen
Bomben für mich angefertigt. Ganz großartige Dinger! Große
Zweikilogramm-Blechbüchsen, auf denen schön zu lesen war: Sietas,
Plambeck & Co., bester Java-Kaffee, wurden mit Dynamit, Hufeisennägeln
und Eisenstücken gefüllt. Unten wurde eine Bleispitze angebracht und
oben ein Zünder, der daraus bestand, daß ein spitzer Eisenkern beim
Aufschlagen auf das Zündhütchen einer Gewehrpatrone schlug und dadurch
die ganze Bombe zur Explosion brachte. Etwas unheimlich waren mir ja
diese Dinger, und wie ein rohes Ei faßte ich sie an, und ich war immer
herzlichst froh, wenn ich sie abgeworfen hatte. Viel Schaden haben
sie nicht angerichtet. Einmal habe ich ein Torpedoboot getroffen,
und da ging das Ding nicht los; mehrere Male hätte ich beinahe einen
Transportdampfer erwischt, und einmal habe ich gemäß japanischen
Nachrichten eine Bombe mitten in eine japanische Kolonne geworfen und
damit dreißig Gelbe zum Hades befördert.

Bei einer Gelegenheit hatte ich mich ganz besonders geärgert, und das
war, als ich eines frühen Morgens das Lager unserer lieben Vettern
erkundet hatte und ihnen zu ihrem Morgenkaffee meinen echt javanischen
Kaffee beisteuern wollte. Die Bombe fiel nach englischen Berichten
auf ihr Küchenzelt, und da dieses stark federte, prallte sie leider
wirkungslos ab.

Das Vergnügen des Bombenwerfens habe ich mir bald verkniffen. Ich hatte
sowieso schon, wo ich immer allein war, genug zu tun. Die Wirkung
rechtfertigte auch nicht die mit Bombenwerfen verschwendete Zeit.

Mit meinen feindlichen Fliegerkollegen habe ich mich dann öfters in der
Luft getroffen. Suchen tat ich diese Begegnung nicht, denn ich allein
mit meiner langsam steigenden, schwerfälligen Taube konnte gegen die
großen Doppeldecker, die drei Mann Besatzung an Bord hatten, nichts
ausrichten. Und vor allen Dingen hatte ich die verdammte Pflicht,
aufzuklären und dann das Flugzeug Tsingtaus heil nach Hause zu bringen.

Einmal war ich in meine Beobachtungen ganz vertieft, als mein Flugzeug
sehr stark anfing zu schlingern und zu stampfen. Ich dachte, es wären
wieder einmal Luftstörungen, die durch die vielen steilen und schroffen
Gebirge hervorgerufen wurden und ja das ganze Fliegen in dieser Gegend
so außerordentlich erschwerten. Ohne also aufzusehen, beobachtete ich
weiter und erfaßte nur mit der einen Hand das Höhensteuer, um das
Flugzeug zur Ruhe zu zwingen.

Nach meiner Rückkehr wurde mir zu meinem Erstaunen erzählt, daß eins
der feindlichen Flugzeuge dicht über mir weggeflogen wäre, und alles
dachte schon, ich würde von diesem heruntergeschossen werden.

Das nächstemal paßte ich besser auf. Und als ich einen meiner
feindlichen Landkollegen dicht unter mir erblickte, verfolgte ich ihn
und schoß ihn mit meiner Parabellum-Pistole mit dreißig Schuß herunter.

Kurze Zeit hinterher wäre es mir fast selbst so ergangen. Ich war nur
eintausendsiebenhundert Meter hoch, und trotz der größten Anstrengung
kam und kam ich nicht höher. Ich war gerade über dem feindlichen
Wasser-Fliegerlager, und einer der großen Doppeldecker startete
soeben. Ich führte nun meine Erkundungen weiter aus und dachte: Na,
der kann ja lange krebsen, bis er so hoch ist wie du!

Aber schon nach vierzig Minuten, als ich nach links über die
Tragflächen hinwegschaute, da schwebte der Feind nur wenige tausend
Meter entfernt in derselben Höhe wie ich. Donnerwetter, nun hieß es
aufpassen und höher steigen. Aber wie verhext streikte mein Vogel.
Nicht einen Meter gewann ich mehr, und schon nach fünfzehn Minuten war
der andere ein ganzes Stück höher als ich, kam schräg auf mich zu, und
ich merkte seine Absicht, mir den Weg nach Tsingtau abzuschneiden.

Jetzt ging's um die Wette, wer zuerst ankam und sich zuerst über
Tsingtau befand.

Ich gewann das Rennen.

Und als ich über meinem Platz war, da ging's im steilsten Sturzfluge
nieder, und als ich eben auf dem Platze aufsetzte, da krepierten auch
schon die ersten feindlichen Bomben dicht hinter mir.

Wie wunderbar manchmal so eine Bombe trifft!

In Tsingtau war strenger Befehl, daß bei Annäherung der feindlichen
Flieger jedermann sofort in Deckung zu gehen hätte, wodurch es
ermöglicht wurde, daß keine Verluste eintraten. Nur einmal ist ein
Unteroffizier verletzt worden und einmal ein Chinese. Und das war
wunderbar genug! Auf meinem Platze arbeiteten ungefähr hundert
Chinesen, und bei Annäherung der Flieger brachten sie sich schleunigst
in Sicherheit.

Nur so'n brauner Geselle blieb an einem Tage mitten auf dem Platze
mutterseelenallein sitzen und sah sich erstaunt den großen Vogel an.
Bums! ging eine Bombe nieder, und wo krepierte sie? Ausgerechnet einige
Schritte neben diesem armen Teufel, und verletzte ihn schwer.

Ja, ich sage, man muß nur Pech haben und gerade da stehen, wo Granaten
und ähnlich schwerverdauliche Gegenstände herniederfallen.



Hurra!


Und wie sah es nun inzwischen in Tsingtau aus? Die Beschießung von
See setzte täglich ein, und bald kamen auch die ersten Landbatterien
und halfen mit bei dem höllischen Spiel. Außer in den bombensicheren
Räumen und Kasematten gab es keinen sicheren Platz mehr in ganz
Tsingtau. Die Beschießung wurde heftiger und immer heftiger,
und an manchen Tagen wurden allein von See aus mehrere hundert
Dreißigeinhalb-Zentimeter-Schiffsgranaten in das kleine Tsingtau
hineingeschossen.

Am vierzehnten Oktober fand eine besonders heftige Beschießung
unseres Seewerkes Hu-Chuin-Huk statt. Weit draußen fuhren die
feindlichen Schiffe, und schon nach der zweiten Salve deckten die
Dreißigeinhalb-Zentimeter-Granaten das kleine Werk. Nun folgte Salve
auf Salve. Das ganze Werk war in Wassersäulen, Flammen und Rauch
eingehüllt, und das Krachen und Dröhnen der krepierenden Granaten ließ
die Erde erbeben.

Wie immer, so stand ich auch an diesem Morgen auf dem
Küstenkommandeurstand nur rund tausend Meter seitlich von dem
beschossenen Fort ab und erlebte so das grausige Schauspiel aus
nächster Nähe.

Oft flogen die scharfen, bis über einen Meter langen Sprengstücke der
Granaten pfeifend und surrend und unheimlich zischend über unsere
Köpfe weg, ohne daß wir darauf achteten, da uns der Anblick des
beschossenen Forts zu sehr gefangennahm. Das Gesehene war so gewaltig,
daß es sich nicht beschreiben läßt.

So etwas kann man nur erleben.

Wir dachten mit Schmerzen an die tapfere Besatzung und an ihren
sicheren Untergang, aber mitten im tollsten Feuer schoß die eine
alte Vierundzwanzig-Zentimeter-Kanone einen Schuß, und voll Spannung
richteten sich sofort alle unsere Doppelgläser auf die feindlichen
Schiffe.

Und da plötzlich ein Hurra! So jubelnd und froh entrang es sich unsern
Kehlen, und drüben beim englischen Linienschiff „Triumph” saß unsere
Sprenggranate mitten an Deck. „Triumph” drehte sofort ab und lief mit
äußerster Kraft davon, und als kurze Zeit darauf unsere zweite Granate
ankam, konnte sie nur noch fünfzig Meter hinter seinem Heck ins Wasser
einschlagen.

„Triumph” dampfte dann nach einigen Signalen, die er mit dem
japanischen Flaggschiff wechselte, ab und ging zur Reparatur nach
Yokohama.

Die drei japanischen Schiffe setzten ihre Beschießung fort, aber
nunmehr in noch respektvollerer Entfernung, so daß es zwecklos war, mit
unseren alten Kanonen, die längst nicht so weit reichten, zu feuern.

Mittags um zwölf Uhr hörte die Beschießung endlich auf, nachdem der
Feind sowohl wie wir mit Recht der Überzeugung sein konnten, daß das
Fort zerstört und die Insassen getötet seien.

Sofort eilte der Stab des Küstenkommandeurs zum Fort Hu-Chuin-Huk, und
auch ich folgte mit meinem Auto.

Gewärtig eines furchtbaren Anblicks, waren wir bei unserer Ankunft
höchst erstaunt, die gesamte Besatzung froh und vergnügt umherspringen
zu sehen, Sprengstücke sammelnd und die riesigen Krater, die die
feindlichen Granaten in den Boden geschlagen hatten, bewundernd.

Das war eine Freude! Kein einziger der Leute verletzt, kein Geschütz
beschädigt, kein bombensicherer Raum durchschlagen!

Der Erfolg der schweren Beschießung war: eine Keksschachtel zerschlagen
und ein Mannschaftshemd, welches zum Trocknen gehangen hatte, zerrissen.

Und dazu unter anderem Einundfünfzig- bis
Dreißigeinhalb-Zentimeter-Geschosse.

Durch eine der dünnen Panzerkuppeln war eine schwere Granate glatt
durchgeschlagen und war als Blindgänger friedlich auf den Eisenplatten
neben dem Geschütz liegengeblieben.

Nun löste sich auch das Rätsel unseres eigenen Schusses: Unsere
Geschütze hatten eigentlich nur eine Reichweite von hundertsechzig
= hundert. Aber da war die Bedienung dabeigegangen und hatte es mit
unendlichen Mühen fertig gebracht, daß das Geschütz einige Sechzehntel
Grade höher gerichtet wurde und dadurch wieder zwei- bis dreihundert
Meter weiter schießen konnte.

Und, das Geschützrohr in höchster Erhöhung fertig geladen, hatte die
wackere Besatzung und ihr tapferer Batterieführer, Oberleutnant zur
See Haßhagen, trotz des furchtbaren Granatfeuers ruhig am Geschützrohr
ausgeharrt, bis endlich eines der Schiffe in Reichweite kam.

Und der erste Schuß, der saß gleich!

Und das schönste war: er traf den Richtigen.

Schade, daß beim zweiten Schuß der „Triumph” schon so weit weggelaufen
war, sonst hätte ihn schon an diesem Tage sein Schicksal ereilt.

Aber er entging ihm nicht!

Und was wir nicht mehr vollbringen konnten, hat einige Monate später
unser Hersing ausgeführt. Im Frühjahr Neunzehnhundertfünfzehn hat er
uns Tsingtauer gerächt, als er mit seinem U-Boot vor den Dardanellen
denselben „Triumph” auf den Meeresboden hinabsandte.

Wir Tsingtauer wissen ihm dafür Dank!

Mit den Offizieren und der Besatzung des Forts Hu-Chuin-Huk verband
mich ein besonders inniges Verhältnis.

Von Rechts wegen gehörte ich überhaupt zu ihnen, denn erstens grenzte
mein Flugplatz an das Fort, und zweitens waren sie jedesmal Zeugen
meiner Starts und vor allen Dingen meiner Bemühungen, von ihren Kanonen
frei zu kommen. Und mehr als einmal standen die Leute klar, um ins
Wasser zu springen und mich zu retten, da sie glaubten, ich stürze mit
dem Flugzeug hinein.

Und so oft ich Gast des hervorragenden Fortkommandanten,
Kapitänleutnants Kopp, war, malten wir uns in den schönsten Farben
unseren Einzug in Deutschland nach beendetem Kriege aus, und da wurde
selbstverständlich ausgemacht, daß ich mit bei der Besatzung vom Fort
Hu-Chuin-Huk marschierte.

Am siebzehnten Oktober spät abends stand eine Gruppe von Offizieren in
atemloser Spannung auf dem Küstenkommandeurstand. Wir wenigen hier oben
wußten, worum es sich handle. Das alte Torpedoboot ~S~ 90, Kommandant
Kapitänleutnant Brunner, sollte auslaufen.

Schon zwei Abende vorher war er zu kühner Nachtfahrt in See gegangen
und hatte dort, von wo aus die japanischen Schiffe uns beschossen,
Minen gestreut.

Heute sollte er nun seine schwerste und letzte Aufgabe erfüllen: die
Linie der feindlichen Torpedoboots-Zerstörer durchbrechen und eins der
feindlichen Schiffe angreifen.

Es war eine helle Nacht, und der Mond ging gegen zehn Uhr unter. Nun
sollte das Boot auslaufen.

Es wurde zehn Uhr, zehn Uhr dreißig, die Spannung wuchs unerträglich.
Nichts von ~S~ 90 war zu sehen.

Da -- um elf Uhr gewahrten wir einen langen, grauen Schatten, welcher
sich vorsichtig auf dem Wasser unterhalb des Perlgebirges dahinbewegte.
Und bald erkannte auch das scharfe Seemannsauge die Formen des
Torpedobootes.

„Glückliche Fahrt, ihr wackeren Leute!”

Unser aller Herzen sandten ihnen die heißesten Wünsche nach. Nun
verschwand das Boot unseren Blicken, und bald kam der gefährliche
Moment, wo es die feindliche Zerstörerlinie durchbrechen würde.

Gebannt starrten unsere Augen nach dem offenen Meere, jeden Augenblick
das Aufblitzen der Scheinwerfer und das Mündungsfeuer der feindlichen
Geschütze erwartend.

Alles blieb still.

Es wurde zwölf Uhr, endlich zwölf Uhr dreißig, ein Alp wich von uns
allen. Die feindlichen Zerstörer hatten nichts gemerkt. Nun mußte aber
das Boot am feindlichen Gros heran sein!

Die Minuten wurden uns zu Stunden. Keiner wagte zu sprechen.

Da plötzlich um ein Uhr, ganz fern im Süden, draußen auf weiter See,
eine riesige Feuersäule und dann von allen Seiten tastende, grelle
Finger von Scheinwerfern, und ganz leise kam nach einiger Zeit ein
dumpfes Grollen und Beben zu uns herüber.

Hurra! Das war ~S~ 90's Arbeit!

Und schon um ein Uhr dreißig hatten wir folgenden Funkspruch in der
Hand:

„Habe feindlichen Kreuzer mit drei Torpedos angegriffen, alle Torpedos
getroffen. Kreuzer ist sofort in die Luft geflogen. Ich werde von
feindlichen Zerstörer-Flottillen gejagt, Rückweg nach Tsingtau
abgeschnitten, versuche nach Süden zu entkommen und sprenge, wenn
nötig, das Boot in die Luft. Unterschrift: Brunner.”

Dieses Telegramm allein dürfte wohl für den Kommandanten, seine
Offiziere und Besatzung genug sprechen.

Wenige Wochen drauf, ohne vorher daran gedacht zu haben, traf ich
in Nanking die ~S~ 90-Besatzung wieder. Doch das ist eine spätere
Geschichte.



Der letzte Tag


Die Belagerung nahm ihren planmäßigen Fortgang. Immer näher gruben
sich die Japaner an uns heran, immer mehr schwere Geschütze hatten
sie in Stellung gebracht, und mehrere Male hatten größere japanische
Infanteriemassen nächtliche Sturmversuche auf unsere Infanteriewerke
gemacht, wobei sie allerdings gründlich abgeschlagen wurden. Nun wurden
die Infanteriewerke und besonders die davor liegenden Drahtverhaue
unter einem ständigen feindlichen Artilleriefeuer gehalten, und auch
unsere Geschütze schwiegen kaum noch. Leider waren wir gezwungen, mit
der wenigen Munition, die wir besaßen, sparsam umzugehen.

Die außerordentliche Länge der Belagerung, das dauernde Artilleriefeuer
und die furchtbare Spannung, in der wir lebten, fing allmählich an zu
wirken.

Auch meine Nerven begannen zu streiken.

Zum Essen konnte ich mich kaum noch zwingen, und schlafen konnte ich
bald überhaupt nicht mehr. Wenn ich nachts die Augen schloß, dann
hatte ich sofort im Geiste meine Karte vor mir und sah unter mir
das Schutzgebiet liegen, zerrissen von den feindlichen Gräben und
Stellungen. Und dazu brummte mir der Kopf und sausten mir die Ohren von
dem Radau des Propellers, und dazwischen hörte ich immer wieder die
Worte des Chefs des Stabes:

„Plüschow, denken Sie daran, daß Sie jetzt für Tsingtau wichtiger
sind als das tägliche Brot! Kommen Sie mir ja zurück und halten Sie
das Flugzeug heil! Und dann denken Sie daran, wie wenige Granaten wir
haben, und daß wir sie auf Ihre Beobachtungen hin verschießen. Seien
Sie sich der Verantwortung bewußt!”

Ja, weiß Gott, das war ich mir!

Und ich hatte nichts mehr weiter im Kopfe als die feindlichen
Stellungen, und stundenlang überkreuzte ich sie im Geiste immer wieder
und ging mit mir zu Rate, ob ich das, was ich gemeldet, wirklich
gesehen, ob ich mich nicht vielleicht getäuscht hätte, und ob nicht
dadurch die wenigen Granaten, die wir besaßen, durch meine Schuld
nutzlos verschossen wurden.

Und wenn ich dann mein Hirn stundenlang zermartert hatte, schlief ich
manchmal gegen drei Uhr morgens, an Geist und Körper zerschlagen, ein.
Und kaum, daß ich eingeschlafen war, da kam die Pflicht, und mein
Monteur stand vor mir und meldete mir mein Flugzeug klar.

Da gab's dann kein Zögern mehr.

Und bald stand ich an meiner Taube und prüfte alle Teile noch einmal
genau.

Oft wollten mir dann meine Nerven noch schnell einen Streich spielen,
und auch mein Magen klappte zusammen.

Aber wenn ich erst auf meinem Führersitz saß, den Gashebel in der Hand
hatte und meinen Leuten mit dem Kopfe ein Lebewohl zugenickt hatte,
dann gab's nur eins für mich: Ruhe und den eisernen Willen, meinen
Auftrag auszuführen.

Und wenn erst der Start hinter mir und ich glücklich einige hundert
Meter hoch war, dann war alles wieder in schönster Ordnung.

Eins kam hinzu, was mich besonders niederdrückte: das war die
furchtbare Einsamkeit, das ewige Alleinsein in meinem Flugzeug. Ja,
hätte ich einen Kameraden mit mir gehabt, und wäre es auch nur gewesen,
um ihm ab und zu zunicken zu können, das würde für mich eine wahre
Erleichterung gewesen sein.

Und wenn ich mehrere Tage des schlechten Wetters oder meines Propellers
wegen nicht hatte fliegen können und wieder über den feindlichen Linien
schwebte, dann hatte sich so furchtbar viel verändert.

Eine wahre Verzweiflung packte mich dann oft in der Luft.

Wo sollte ich bei dem vielen Neuen, das es da unten gab, bloß anfangen?
Wie sollte ich mich aus dem Gewirr von Gräben, Zickzacks und Stellungen
herausfinden? Ganz mutlos ließ ich dann die Karte sinken.

Aber das waren nur Sekunden.

Dann raffte ich mich zusammen, nahm meinen Bleistift zur Hand und sah
nach unten. Und bald darauf hörte und merkte ich nichts mehr um mich
herum und sah nur noch den Feind und meine Aufzeichnungen.

Der siebenundzwanzigste Oktober war für uns ein Jubeltag. Da traf von
Seiner Majestät dem Kaiser folgendes Telegramm ein:

„Mit Mir blickt das gesamte deutsche Volk voll Stolz auf die Helden
von Tsingtau, die getreu den Worten ihres Gouverneurs ihre Pflicht
erfüllen. Seien Sie alle Meines Dankes sich bewußt!”

Da gab es wohl keinen in Tsingtau, dem das Herz nicht höher schlug.
Unser Oberster Kriegsherr, der zu Hause so schwer zu arbeiten hatte,
vergaß seine getreue kleine Schar hier im fernen Osten nicht.

Da gelobte sich wohl ein jeder in seinem Innersten nochmals, so zu
kämpfen und seine Pflicht bis zum letzten zu tun, daß sein Kaiser mit
ihm zufrieden sein könnte.

Bald rückte der einunddreißigste Oktober, der Geburtstag des Mikado,
heran. Durch Kundschafter hatten wir erfahren, daß die Japaner an
diesem Tage Tsingtau bestimmt nehmen wollten. Den Tag zu beschreiben
ist unmöglich.

Die Japaner hatten bis zu dieser Nacht ihre sämtlichen Landbatterien
fertig gebaut, und in der Frühe um sechs Uhr dieses einunddreißigsten
Oktober Neunzehnhundertvierzehn donnerten auf einmal von Land und See
sämtliche feindlichen Geschütze und warfen ihren furchtbaren Eisenhagel
auf uns herab.

Als erstes schossen die Japse die Petroleumtanks in Brand, und bei
dem herrlichen blauen Himmel mit vollkommener Windstille stand die
riesige, dicke Qualmsäule wie ein drohendes Rachezeichen aufrecht da.
Die Japaner schossen von Land in erster Linie mit schweren Haubitzen
bis zum Achtundzwanzig-Zentimeter-Kaliber hinauf, und von See krachten
die schwersten Schiffsgeschütze. Das Fauchen und Herabsausen der
Haubitzgeschosse, das Zischen der Flachbahngeschosse, das Aufschlagen
der Granaten und Sprenggranaten und die Detonation beim Krepieren,
dann das Bellen der zerplatzten Schrapnells und das Dröhnen unserer
eigenen schweren Geschütze -- das war ein Lärm, als ob die Hölle selbst
losgelassen wäre.

Und wie wurden die Werke und all das in der Nähe liegende Gelände
mitgenommen! Ganze Bergkuppen wurden abgetragen, tiefe Krater
ausgestampft.

Endlich kam der Abend, und die Heftigkeit des feindlichen Feuers ließ
nach. Wir sowohl wie der Feind glaubten bestimmt, daß unsere sämtlichen
Werke niedergekämpft seien, denn sie glichen zum Teil nur noch
Trümmerhaufen. Aber als unsere braven blauen Jungens an ihre Kanonen
eilten, die zum Teil aus Erd- und Steinmassen förmlich herausgegraben
werden mußten, fanden sie fast sämtliche Geschütze noch heil oder nur
gering beschädigt.

Da fingen plötzlich mitten in der Nacht, als wir hören und sehen
konnten, wie die feindlichen Sturmkolonnen sich sammelten, unsere
sämtlichen Eisenschlünde an zu feuern und überschütteten die
feindlichen Batterien und die heranrückenden Feinde mit ihrem
vernichtenden Feuer. Die Wirkung dieser Beschießung muß für die Japaner
verheerend gewesen sein.

Es erfolgte kein Sturm, wie beabsichtigt, und am nächsten Tage setzte
das feindliche Artilleriefeuer erst gegen Mittag sehr flau wieder ein.
Allerdings war es noch so kräftig, daß das kleine Fort Hu-Chuin-Huk
allein fünfzig Volltreffer aus schwersten Haubitzen erhielt.

Die Japaner zogen aus dieser Nacht ihre Lehren. Und acht furchtbare
Tage und Nächte folgten für uns, an denen das feindliche
Artilleriefeuer auch keine Minute mehr stockte.

Bei diesem furchtbaren Feuer hätte nach menschlicher Berechnung kein
Einziger von uns am Leben bleiben dürfen. Aber wie durch ein Wunder
blieben unsere Menschenverluste gering. Die japanische Artillerie
schoß vorzüglich, was auch nicht überraschte, da ein Teil ihrer
Artillerieoffiziere bei uns in Jüterbog auf Schießschule gewesen war.
Aber ihre Munition war schauderhaft. Und das war unser Glück.

Trotz des starken Feuers und der schweren Steilfeuergeschütze ist
es ihnen keinmal gelungen, eine Kasematte, einen der bombensicheren
Räume oder ein Infanteriewerk zu durchschlagen. Dieses und eine enorme
Anzahl von Blindgängern war der Grund unserer geringen Verluste. Und
_den_ Nörglern in Deutschland, die ich leider getroffen habe, die
meinten, der geringen Verlustzahl wegen wäre Tsingtau nichts Rechtes
gewesen, möchte ich eines vor Augen halten: Wir hatten nur eine
Verteidigungslinie mit fünf kleinen Infanteriewerken, einer Brustwehr
und einem kümmerlichen, schmalen Drahthindernis.

Und diese Linie war sechstausend Meter lang und wurde von dreitausend
Mann gehalten. Eine zweite Stellung und eine zweite Linie, und vor
allen Dingen Menschen, die diese hätten besetzen können, gab es nicht
mehr, denn wir waren ja im ganzen nur etwas über viertausend Mann!

Und als daher nach diesem achttägigen, schwersten Artilleriefeuer das
Drahthindernis weggeblasen war und die Brustwehr weggeschossen, da war
es den dreißigtausend Japanern, denen wir wochenlang standgehalten
hatten, ein leichtes, durchzustoßen und Tsingtau zur Übergabe zu
zwingen.

In den ersten Tagen des November bereiteten wir uns auf den Endkampf
vor.

Am ersten November nachts wurde unser treuer Bundesgenosse, der
österreichische Kreuzer „Kaiserin Elisabeth”, nachdem er seine letzte
Granate verschossen hatte, von seiner wackeren Besatzung in die Luft
gesprengt und versenkt.

Einige Tage darauf folgte ihm unser letztes Schiff: das tapfere kleine
Kanonenboot „Jaguar”.

Dann folgten unser Dock und unser Riesenkran, und bald darauf war die
Werft ein Trümmerhaufen.

Unsere Geschütze hatten sich verschossen, einige waren durch das
feindliche Artilleriefeuer vernichtet, die meisten sprengten wir selbst
in die Luft, nachdem sie ihre Pflicht erfüllt hatten.

Am fünften November Neunzehnhundertvierzehn mußte auch ich ans
Zerstören gehen, und zwar galt es diesmal meinem Doppeldecker. Durch
mühsamste Arbeit hatte ich mit Hilfe des früheren österreichischen
Fliegerleutnants Clobuczar und der Werft einen wundervollen, großen
Wasserdoppeldecker gebaut. Dieser war nun fertig geworden, und ich
wollte ihn jetzt einfliegen und mit ihm meine Erkundungen fortsetzen,
da ich meinen Landflugplatz, der, nur vier- bis fünftausend Meter vom
Feinde entfernt, von diesem dauernd unter Artilleriefeuer gehalten
wurde, nicht mehr benutzen konnte.

Nun wurde doch nichts mehr aus meinem Doppeldecker.

All unsere Arbeit und Mühe war leider vergebens gewesen.

Dann am Nachmittage, da stand ich vor meinem Gouverneur, und er sagte
zu mir:

„Wir erwarten stündlich den Hauptsturm der Japaner! Sehen Sie zu,
daß es Ihnen gelingt, morgen früh die Festung auf Ihrem Flugzeuge zu
verlassen. Ich fürchte allerdings, der Japaner wird Ihnen keine Zeit
mehr dazu lassen.

Und nun, Gott befohlen, und kommen Sie gut durch. Und haben Sie Dank
für die Arbeit, die Sie für Tsingtau leisteten!”

Und damit gab er mir die Hand.

„Ich melde mich gehorsamst aus der Festung!”

Damit war ich entlassen.

Und nun folgte ein kurzes Abschiednehmen von meinen Vorgesetzten und
Kameraden, und ein großer Stoß Privatbriefe wurde mir mitgegeben.

Dann ging ich zum letzten Male in meine Villa und nahm Abschied von
meinen Räumen, von vielen liebgewordenen Gegenständen, machte meine
Stalltür auf und ließ mein Pferdchen und meine Hühner laufen, und
dann ging's runter zu meinem Flugzeug, um es zu seinem letzten Fluge
klarzumachen.

Dann saß ich über meine Karte gebeugt, lernte sie fast auswendig und
rechnete und rechnete.

Und dann ging ich nachts hinauf zum letztenmal zu der Punkt-Kuppe, wo
mein guter Freund, der Oberleutnant zur See Aye, seit Wochen trotz
schwersten Artilleriefeuers bei seiner kleinen Batterie ausharrte,
und von wo aus man einen herrlichen Ausblick über ganz Tsingtau und
das gesamte Vorgelände hatte. Überwältigt von dem Anblick, der sich
hier bot, blieb ich lange Zeit wie gebannt auf der höchsten Felsspitze
sitzen. Unter mir wogte ein züngelndes Heer greller Blitze, die
von den Mündungsfeuern der wütend hämmernden feindlichen Geschütze
herrührten; und wie ein goldenes Band zog sich von Meer zu Meer das
Gewehr- und Maschinengewehrfeuer, welches unsere Leute dort unten im
Tale abgaben. Dicht über meinem Kopfe da war ein Fauchen, Zischen
und Sausen von Tausenden der schwersten Geschosse, welche ganz dicht
über diese Kuppe hinwegfegen mußten, damit sie ihr Ziel noch erreichen
konnten. Hinter mir dröhnten unsere eigenen Haubitzen ihre allerletzten
Grüße herüber, und von ganz weither, vom letzten Südzipfel Tsingtaus,
grollten die Einundzwanzig-Zentimeter des Forts Hsiauniwa ihren ehernen
Schwanengesang.

Zerwühlt im Innersten meiner Seele kehrte ich zu Aye zurück, und nach
einem herzlichen kameradschaftlichen Abschiede, bei dem er mir zu
meinem kommenden Fluge alles Gute wünschte, drückten wir uns kräftig
die Hand und trennten uns.

Ich war der letzte Offizier in Tsingtau, der ihm die Hand geschüttelt
hat. Wenige Stunden später fiel er in heldenmütigem Kampfe gegen
dreißigfache japanische Übermacht samt seiner kleinen Schar, als sie
die Geschütze nicht übergeben wollten.

Ein leuchtendes Beispiel edlen Heldentums.

Die mir jetzt noch bleibende Zeit blieb ich mit meinen vier braven
Leuten bei meinem Flugzeuge klar stehen, um jeden Augenblick, falls die
Japaner stürmen und durchstoßen würden, meinen Auftrag ausführen zu
können.

Am sechsten November Neunzehnhundertvierzehn frühmorgens, als der Mond
noch hell schien, stand mein Flugzeug klar am Start, und vergnügt
brummte der Propeller sein Morgenlied.

Zeit war nicht mehr zu verlieren. Der Platz war dadurch, daß er von
den Japsen unter Granat- und Schrapnellfeuer gehalten wurde, höllisch
ungemütlich geworden. Kurz prüfte ich nochmals meine ganze Maschine,
dann gab's noch einen kräftigen Händedruck meiner vier braven Leute
zum Abschied, und noch einmal streichelte ich den Kopf meines treuen
Hundes, dann gab ich Vollgas, und wie ein Pfeil schoß die Taube in die
Nacht hinaus.

Da plötzlich, als ich eben dreißig Meter hoch und etwa über der Mitte
des Platzes war, erhielt mein Flugzeug einen furchtbaren Stoß, und nur
mit eiserner Faust konnte ich die Maschine zur Ruhe zwingen und vor
dem Absturz bewahren. Eine feindliche Granate war gerade unter mir
krepiert, und der Luftdruck der Detonation hätte mich beinahe zu Boden
geschleudert.

Aber gottlob! Außer einem faustgroßen Loch, das ein Granatsplitter in
meine linke Tragfläche gerissen hatte, war kein Schaden angerichtet.

Nun kamen nur noch die üblichen Schrapnells hinter mir her. Das
waren die letzten Abschiedsgrüße der Japaner und ihrer englischen
Bundesbrüder für mich.

Als ich hoch genug war, drehte ich noch einmal um.

Da lag das liebe, kleine Tsingtau, das so viel durchgemacht und so viel
noch auszuhalten hatte, unsere geliebte zweite Heimat, das Paradies auf
Erden!

Bis in meine einsame Höhe drang das Dröhnen der Geschütze, das Krachen
der Granaten und das Knattern der Gewehre und Maschinengewehre.

Ein unendliches Meer von aufzuckenden Blitzen ließ deutlich die beiden
Kampflinien erkennen. Das alles waren die Anzeichen des begonnenen
Sturmangriffes und der verzweifelten Gegenwehr.

Ob wir diesen dritten Sturmangriff auch noch aushalten würden?

Mit der Hand winkte ich nach unten. Lebwohl, Tsingtau! Lebt wohl, ihr
treuen Kameraden, die ihr dort unten kämpft!

So unendlich schwer wurde mir dieser Abschied, es würgte mir etwas in
der Kehle, und schnell riß ich mein Flugzeug herum und nahm Kurs auf
Kap Jäschke.

Und als die Sonne in all ihrer Pracht aufging, schwebte ich schon hoch
oben im blauen Äther und über südlich liegenden wilden Gebirgen.

Der modernste „Blockadebruch” war mir gelungen!



Im Schlamm des chinesischen Reisfeldes


Hinter dem Perlgebirge lag die feindliche Flotte vor Anker. Da konnte
ich's mir nicht versagen. Ich umkreiste die Schiffe noch einmal.

Dann ging es weiter und immer weiter mit fast geradem Kurs dem
südlichen China zu, einem unbekannten Lande und einem ungewissen
Schicksal entgegen. Ich kam über zerklüftete, wilde Gebirge, über
Flüsse und weite Ebenen, dann zeitweise über das offene Meer und über
Städte und Dörfer.

Nach einer handgroßen Karte und meinem Kompaß orientierte ich mich.
Und schon um acht Uhr früh hatte ich die zweihundertfünfzig Kilometer
hinter mir und mich glücklich nach meinem Bestimmungsort Hai-Dschou in
der Kiangsu-Provinz zurechtgefunden.

Suchend spähte ich in die Tiefe nach einem geeigneten Landungsplatz.
Doch damit sah es bös aus.

Durch die furchtbaren Regengüsse der letzten Zeit war das Land weit und
breit überschwemmt. Die einzigen trockenen Fleckchen waren mit Häusern
oder chinesischen Grabhügeln bedeckt. Endlich hatte ich ein kleines,
etwa zweihundert Meter langes und zwanzig Meter breites Feld entdeckt,
das aber auf beiden Seiten von tiefen Gräben und hohen Mauern, vorn und
hinten vom Fluß eingeschlossen war.

Die Landung war verdammt schwer.

Aber was half es, ewig oben bleiben konnte ich doch nicht. Außerdem
befand ich mich ja mitten in China und nicht in Deutschland und war
froh, überhaupt noch diesen Platz gefunden zu haben.

Jetzt ging ich hinunter in großen Spiralen, und nach einem steilen
Gleitfluge, bei dem die Maschine infolge der erhitzten Luft schwer
durchsackte, stand ich um acht Uhr fünfundvierzig Minuten früh mitten
auf dem morastigen Reisfeld.

Der Lehm war aber so weich und zäh, daß mein Fahrgestell glatt versank
und die Räder festgehalten wurden; und mit einem mächtigen Stoß sauste
meine Maschine auf die Nase, sich im letzten Moment beinahe noch
überschlagend.

Der Propeller flog in Stücke, aber meine Glieder waren trotz des Stoßes
Gott sei Dank heil geblieben.

Die Ruhe jetzt um mich herum berührte mich ganz eigenartig. Seit Wochen
endlich wieder kein Dröhnen der Geschütze, kein Krachen krepierender
Granaten, kein Fauchen und Bellen zerplatzender Schrapnells.

Mit dem Schwänzchen hoch in der Luft und dem Schnabel tief im Dreck
stand friedlich und ruhig mein Täubchen im Sonnenschein.

In weiter Entfernung drängten sich Haufen von Chinesen: Männer, Weiber
und viele, viele Kinder, in angsterfülltem Staunen.

Sie alle, wie auch alle anderen Chinesen, deren Land ich überflogen
hatte, konnten das Wunder kaum fassen, denn ich war ja der erste
Flieger hier, und alle dachten, der böse Geist käme in eigenster
Person, um nun Unheil zu stiften.

Als ich gar aus meiner Maschine kletterte und versuchte, einige
Menschen heranzuwinken, war kein Halten mehr. Schreiend und heulend
lief alles davon, die Männer voran, ihre hingefallenen Kinder nach
ihrer Meinung dem Teufel als Opfer zurücklassend. Wirklich, mein
Erscheinen könnte im dunkelsten Afrika keinen größeren Schrecken
hervorgerufen haben.

Kurz entschlossen lief ich hinter der Horde her und griff mir drei,
vier Chinesen bei ihren Zöpfen und schleppte die Heulenden an mein
Flugzeug heran, um ihnen zu zeigen, daß der große Vogel keinem was täte.

Nach einiger Zeit half das, und als ich ihnen sogar einige Geldstücke
gab, da meinten sie, es wäre doch wohl ausnahmsweise mal ein guter
Geist angeschwirrt gekommen, und willig halfen sie mir, das Flugzeug
wieder in horizontale Lage zu bringen. Als die anderen das merkten,
da kamen sie gleich in solchen Massen, daß ich mich wunderte, daß die
Maschine nicht zerdrückt wurde.

Das Staunen der Chinesen! Das Antasten und Befühlen! Das Schnattern und
Lachen!

Nur wer die Chinesen kennt und weiß, wie kindlich sie sein können, kann
sich vorstellen, in welch köstlicher Situation ich mich befand.

Umtost von einer Horde Naturkinder saß ich quietschfidel in meinem
Führersitz auf meinem Blechkasten mit den Geheimdokumenten, neben mir
zur Sicherheit die Mauser-Pistole, und wartete der Dinge, die da kommen
sollten.

Jeder Versuch, mich mit den Chinesen zu verständigen, war aussichtslos.
Die Kerls grinsten fröhlich oder lachten mich einfach aus.

Aus dieser heiteren Lage befreite mich nach einiger Zeit ein kräftiges:
~„Good morning, Sir!”~ und neben mir stand ein Herr, der sich als ~Dr.~
Morgan von der Amerikanischen Mission vorstellte. Nach herzlicher
Begrüßung und festem Händedruck klärte ich ~Dr.~ Morgan schnell über
meine Lage auf und bat ihn, besonders da er fließend Chinesisch sprach,
um seine Hilfe.

Ich merkte bald, daß ich mich in gutem und sicherem Schutz befand.

Mein riesiger chinesischer Paß, den ich aus Tsingtau mitbekommen
hatte, wurde sofort zum Mandarin geschickt; nach einer Stunde kam ein
Trupp von vierzig Soldaten aus der nur zehn Minuten entfernt gelegenen
Kaserne und wurde zur Bewachung um mein Flugzeug aufgestellt.

Jetzt nahm ich die Einladung ~Dr.~ Morgans zum Frühstück gern an, und
mit allen Sachen, die nicht niet- und nagelfest waren, zog ich mit ihm
zur Mission.

Ich wurde hier aufs reizendste aufgenommen und lernte Frau Morgan,
ferner Frau Rice, die Gattin des amerikanischen Missionars, und einen
Herrn G. kennen, die sich alle auf das liebenswürdigste um mich
bemühten.

Ich saß gerade beim Frühstück, als mir ein chinesischer Offizier
gemeldet wurde, der mir sagte, daß eine Ehrenwache von einer Kompagnie
für mich vor dem Hause aufgezogen wäre, und daß er Befehl hätte von
seinem Mandarin, sich nach meinen Wünschen und meinem Wohlbefinden zu
erkundigen, und endlich, daß der Mandarin selbst in einer halben Stunde
seinen Besuch persönlich bei mir abstatten würde.

Ich war erfreut über so viel Aufmerksamkeit.

Bereits nach zehn Minuten kam wiederum Besuch, und diesmal waren es die
Stadtoberhäupter von Hai-Dschou, die mir ihre Grüße überbringen wollten.

Die Situation war einzig. Ich saß inmitten dieser alten, ehrwürdigen
Chinesen, nachdem vorher unendlich viele tiefe Verbeugungen unter
Gemurmel und Gezisch ausgetauscht waren. Die Unterhaltung wurde bald
recht lebhaft. Als Dolmetscher arbeitete dabei Herr Morgan.

Und nun ging das Gefrage los: Woher ich käme, wie es in Tsingtau
aussähe, ob es _wirklich_ wahr sei, daß ich durch die Luft gekommen,
wie lange ich gebraucht hätte, und was für ein Zauber es erwirkt
hätte, daß ich fliegen könne. All die vielen Fragen ließen sich kaum
beantworten, und trotzdem der Dolmetscher sich die größte Mühe gab,
viel verstanden haben die guten Söhne des Landes der Mitte nicht.

[Illustration: Mein chinesischer Paß]

Ein kleiner Zwischenfall ereignete sich auch.

Noch während wir bei der Unterhaltung saßen, wurde der Haus_frau_
ein Besuch angekündigt, und vorbei huschten und trippelten zehn bis
zwölf allerliebste kleine Chinesinnen, in prachtvollste, buntseidene
Höschen und Gewänder gehüllt. Zwei, drei dieser Geschöpfchen blieben
vor Neugier und Schrecken an der offenen Tür des Zimmers, in dem
wir Männer saßen, stehen und guckten mich mit offenen Mäulchen und
großen, erstaunten Augen an. Ein kurzer Zuruf von Frau Morgan ließ
sie erschrocken auseinanderfahren und fortlaufen. Den Grund dieses
eigenartigen Verhaltens erfuhr ich später. Für eine vornehme Chinesin
ist es ein großer gesellschaftlicher Fehltritt, wenn sie durch ihre
Neugier und durch ihren Anblick einen männlichen Gast beleidigt!

Die drei Sünderinnen erhielten auch eine ernste Strafpredigt. Ich muß
sagen, daß ich über diese Sitte nicht erfreut war, denn gern hätte ich
mir diese allerliebst aufgeputzten Dämchen recht genau angesehen.

Meine Wirtin erzählte mir auch, wie sie von den Chinesinnen mit Fragen
bestürmt worden wäre. Vor allem wollten diese wissen, was das heute
morgen für ein böser Geist gewesen wäre, der so schreiend und brummend
ihre Stadt bedroht hätte. Als ihnen gesagt wurde, daß darin ein
Mensch gesessen hätte, der aus Tsingtau käme, da lachten sie einfach
und meinten: nein, wenn sie auch dumm wären und die Weißen sie immer
anführten, so dumm wären sie doch nicht, solch einen Unsinn zu glauben!

Jedenfalls, versicherte mir Frau Morgan, würden sämtliche Fehlgeburten,
Mißernten und Fehlschläge der nächsten zwei Jahre von den
abergläubischen Chinesen dem Erscheinen meines Flugzeuges zugeschrieben
werden, und besonders die Medizinmänner würden die Sache für sich
ausnutzen.

Gegen elf Uhr vormittags erschien unter großem Tamtam, Getrommle
und Getute der Herr Mandarin in eigenster Person. Außerordentlich
wohlgenährt, den Kopf tadellos rasiert, in prachtvollem seidenen
Gewande schritt er mit großer Würde einher. Die Begrüßung war äußerst
feierlich. Die tiefen, fast bis zur Erde reichenden Verbeugungen
wollten kein Ende nehmen.

Nachdem der Mandarin sich nach meinem Befinden und nach meinen Wünschen
erkundigt hatte, sicherte er mir in liebenswürdigster Weise seine
vollste Unterstützung zu und verabschiedete sich.

Sein Heimweg geschah in gleich feierlicher Weise.

Sobald ich meinen amtlichen Gegenbesuch gemacht hatte und vom Mandarin
zum Abendessen eingeladen worden war, ging ich an das Abmontieren
meines Flugzeuges.

Doch das war leichter gesagt als getan. Ich selber hatte nur einen
Schraubenschlüssel mit und suchte nun nach Werkzeugen. Ach, ich
befand mich ja in China, in einer Gegend des Landes, wo es noch
genau so aussah wie vor tausend Jahren und Schraubenschlüssel und
Schraubenzieher etwas Unbekanntes waren.

Endlich entdeckte ich in der Amerikanischen Mission eine Axt und ein
kümmerliches sägenähnliches Ding.

Damit ging es an die Arbeit, und da ich wenigstens meinen treuen
hundertpferdigen Mercedesmotor vor der Vernichtung retten wollte, hieb
und sägte ich ihn vom Rumpfe ab. Jetzt zeigte sich, was gute deutsche
Arbeit war. Ganze vier Stunden brauchte ich, ehe der Motor abgeschlagen
dalag, so fest war alles gebaut.

Um den Gesetzen der Neutralität nachzukommen, gab ich den Motor dem
Mandarin zur Aufbewahrung ab.

Dann kam das Traurigste.

Da das übrige Flugzeug selbst mit abgenommenen Tragflächen in kein
Stadttor und in keine Straße der Stadt hineinpaßte, mußte ich es dem
Flammentod übergeben. Ich übergoß es mit Benzin, zündete es an, und
sofort ging es in hellen Flammen auf und verbrannte restlos.

Mir war zumute, als ich meine wackere Taube brennen sah, wie wenn ich
einen lieben, treuen Kameraden verlöre.



Die Fischvergiftung des Mr. McGarvin


Am Abend ging's zum Mandarin.

Als ich aus meiner Tür trat, strahlte der ganze Hof von Fackeln und
unzähligen großen Lampions. Die Wache war ins Gewehr getreten und
präsentierte, die Trommeln wirbelten, und die Musikanten machten ihre
wohl nur für Chinesenohren angenehm klingende Musik. Ja, der Mandarin
hatte mir sogar seine eigene Sänfte zur Benutzung gesandt.

Ich werde diesen Abend niemals vergessen.

Ich saß in meiner mit blauer Seide und Fenstern mit Vorhängen
ausgestatteten Sänfte, die von acht prächtigen Burschen getragen wurde.
Vorneweg, an den Seiten und hinter der Sänfte marschierten Soldaten mit
aufgepflanztem Gewehr und Dutzende von Läufern mit riesigen Lampions.
Sanft wiegte die Sänfte auf und ab bei den kräftigen Schritten der
Träger. Alle zehn Minuten gab der vorderste von ihnen ein Signal durch
lautes Aufklopfen seines Stabes auf die Erde, die Sänfte hielt, die
Träger hoben die Tragstangen auf die andere Schulter, und weiter ging's
im Geschwindschritt.

Nach vierzig Minuten waren wir vor dem Palast des Mandarins
angelangt. Ohrenbetäubende Musik, Kommandorufe und heller Lampion-
und Fackelschein empfingen mich auch hier. Die mittleren Türen der
riesenhaften Tore flogen vor mir auf, und vor dem letzten Tor kam mir
der Mandarin persönlich zum Empfang entgegen.

Mehrere hohe Würdenträger und einige Generale waren bereits versammelt,
und nach zeremonieller Begrüßung gab es den üblichen grünen, dünnen
Willkommenstee, bei welcher Gelegenheit ich dem Mandarin zum Zeichen
meines Dankes meine Mauser-Pistole nebst Munition als Geschenk
überreichte.

Der Mann war sichtlich erfreut, und wohlgemut setzten wir uns zu Tisch.
Eine riesige, runde Tafel, bedeckt mit einigen fünfzig Schüsseln, in
denen die größten chinesischen Leckerbissen schwammen, empfing uns.
Um mich als Gast auszuzeichnen, erhielt ich Messer und Gabel, und
dann ging die Arbeit los. Nur sechsunddreißig Gänge habe ich zählen
können. Und was gab es da alles! Von den zartesten Schwalbennestern
zu den feinsten Haifischflossen, vom Zuckerrohrspitzensalat bis zum
delikatesten Hühnerragout war nichts vergessen. Von allem mußte ich
kosten. Und der Mandarin war unermüdlich mir aufzulegen. Ja, manchmal,
wenn er einen guten Bissen auf seinem Teller hatte, faßte er ihn mit
seinen Fingern und legte ihn mir auf meinen Teller. Zu trinken gab
es Flaschenbier, welches doch schon seinen Weg in die hiesige Gegend
gefunden hatte, dazu Reisschnaps.

Die schwerste Arbeit hatte wieder Herr Morgan, welcher die lebhafte,
oft der Komik nicht entbehrende Unterhaltung zu verdolmetschen hatte.

Die Kämpfe um Tsingtau, die Verluste der Japaner und Engländer und die
Fliegerei interessierten die Chinesen am meisten. Das Fragen nahm kein
Ende.

Äußerst herzlich und dankbar verabschiedete ich mich von meinem
Mandarin, und am nächsten Tage mußte ich auch von meinen
liebenswürdigen Gastgebern Abschied nehmen.

Als ich im Flugzeug landete, hatte ich nur eine Zahnbürste, ein
Stück Seife und meinen Fliegeranzug, aus Bordjackett mit Schärpe
und Gamaschen bestehend, bei mir. Einen Zivilsportanzug hatte ich
außerdem im Flugzeug mitgenommen. Diesen Anzug legte ich jetzt an. Das
fünfjährige Töchterchen des Missionars schenkte mir dazu ihr altes
abgeschabtes Filzhütchen als Ersatz für meine Sportmütze, die mir ein
Chinese, während ich mein Flugzeug abtakelte, gestohlen hatte, und
gegen Abend wurde ich unter wiederum großen Zeremonien zu der kleinen,
mir vom Mandarin zur Verfügung gestellten Dschunke geführt.

Meine Begleitung und gleichzeitig Ehrenwache auf der kommenden Fahrt
bestand aus dem chinesischen General Liu, der sich als Piratenbekämpfer
bereits einen Namen geschaffen hatte, aus zwei Offizieren und
fünfundvierzig Mann außer dem Bootspersonal. Zum Umfallen müde nach
all dem Durchgemachten, ging ich in mein kleines Holzkämmerchen, wo
ich zu meiner Überraschung und Freude statt einer Holzpritsche einen
herrlichen Schlafsack mit Decken und Matratze vorfand, den mir die
fürsorgliche Missionarsfrau an Bord gesandt hatte. Ohne diese Sachen
wäre es mir wohl schlecht ergangen in meinem dünnen Sportanzügelchen.
Es herrschte grimmige Kälte, durch große Ritzen und Löcher pfiff der
Wind, und durch die Decke konnte ich den Sternenhimmel sehen.

Und während meine Gedanken weit nördlich bei meinen tapferen Kameraden
in Tsingtau weilten und sich mit deren und Tsingtaus Schicksal
befaßten, und ich darüber nachdachte und dem gütigen Schicksal dankte,
daß es mir vergönnt gewesen war, durch all die schweren Kämpfe und
Gefahren und all das Erlebte unversehrt durchzukommen, um meine Aufgabe
bis zum letzten Tag zu erfüllen, kam endlich der Schlaf und schloß mich
in seine sicheren Arme.

Die Fahrt ging nur langsam vorwärts. Die Dschunken wurden von zwei
Kulis mit einer Leine, die oben an der Mastspitze befestigt war, längs
des Ufers stromaufwärts gezogen. Die erste Strecke bis Bampu, die ich
in meinem Flugzeuge in knapp zwanzig Minuten zurückgelegt hätte, wurde
in eineinhalb Tagen bewältigt! Später ging es besser, und besonders
als der Wind günstig wurde und wir segeln konnten. Fünf volle Tage hat
diese Reise gedauert, um von Hai-Dschou bis Nanking zu gelangen.

Die Fahrt war außerordentlich interessant für mich. Sie führte durch
ein Netz von Flüssen bis zum alten berühmten Kaiserkanal und durch
diesen zum Jangtsekiang bis nach Nanking. Wir durchfuhren eine Gegend,
die wegen des Piratenunwesens berüchtigt war, und passierten Städte,
die niemals ein europäischer Fuß betreten hatte. Am Tage, während die
Dschunke getreidelt werden mußte, ging ich mit meinem General und der
Hälfte der Wache am Ufer nebenher und sah mir besonders eingehend die
äußerst interessanten Städte und darin das von keiner europäischen
Kultur berührte chinesische Gewühl an. Zu hellen Haufen liefen die
chinesischen Männer, Weiber und Kinder aus ihren Häusern, sahen
mich, der ich meist ohne Hut ging, voll Verwunderung an, ja einzelne
berührten mich, um sich davon zu überzeugen, daß ich wirklich ein
Mensch sei.

Meine hellblonden Haare und blauen Augen schienen ihnen das größte
Rätsel zu sein.

Meine Spaziergänge und der Aufenthalt auf der Dschunke verliefen
ziemlich schweigsam. Mein liebenswürdiger General war zwar recht gut
europäisch angezogen, aber um die Hosen an den Fußgelenken hatte er
sich doch die typischen chinesischen Bänder gewickelt, und von seinem
Hinterkopf baumelte ein prächtiger langer Zopf, der kokett durch den
Gürtel des Jacketts gesteckt war. Außer Chinesisch verstand der gute
Mann auch nicht ein Wörtchen einer anderen Sprache, und mir ging es so
mit dem Chinesischen. Bei unseren Mahlzeiten, die recht opulent waren,
nur furchtbar nach Zwiebel und Knoblauch schmeckten, saßen wir beide
uns in dem kleinen Dschunkenkämmerlein gegenüber, lachten uns ab und zu
freundlich an, und das war die ganze Unterhaltung.

Endlich, am elften November, langten wir in Jang-dschou-fou an, und
man kann sich wohl vorstellen, mit welcher Gier ich mich auf die erste
Zeitung stürzte.

Voll Erregung, endlich etwas über das Schicksal Tsingtaus zu erfahren,
durchflog ich die Seiten der „Shanghai Times”. Da, auf der zweiten
Seite der Name Tsingtau! Aber nein, das war doch gar nicht möglich, so
etwas konnte es doch nicht in der Welt geben! Und voll Ekel und Abscheu
gegen diese gemeine englische Lügenbrut las ich:

                      Tsingtaus feige Übergabe.

  Die Festung ohne Schwertstreich genommen.

  Die ganze Besatzung betrunken und plündernd.

Und dann kam so viel unflätiger Dreck, so viel gemeine Lüge, daß ich
voll Verachtung die Zeitung fortwarf. So etwas wagten die Engländer,
die sich so unrühmlich vor Tsingtau benommen hatten, über unsere
tapferen Verteidiger zu behaupten?

Ach ich kannte ja die englischen Zeitungen noch nicht! Später habe ich
mich in Schanghai und dann in Amerika bei den amerikanischen Zeitungen
an ganz was anderes gewöhnen müssen; von England ganz zu schweigen.
Nun hatte ich aber wenigstens Gewißheit über Tsingtaus Schicksal,
das unvermeidlich kommen mußte. Auch nicht einen Augenblick zu früh
hatte ich die Festung verlassen, kurze Zeit darauf mußte sie sich der
Übermacht ergeben.

Am Nachmittage dieses elften November Eintausendneunhundertvierzehn
trafen wir glücklich in Nanking ein.

Auf dem Bahnhof wurde mir vom Kapitänleutnant Brunner, dem Kommandanten
des Torpedobootes ~S~ 90, und von seinen Offizieren ein herzlicher
Empfang zuteil.

In Wagen fuhren wir zu dem Gebäude, in dem die Offiziere und
Mannschaften von ~S~ 90 untergebracht waren, und wo zu meinem
allergrößten Erstaunen auch für mich schon eine Koje klar gemacht
war. Auf mein erstauntes Fragen wurde mir dann von meinen Kameraden
mitgeteilt, daß ich ebenfalls interniert werden sollte und alle sich
schon gefreut hätten, den vierten Mann zum Skat zu haben. Erstens
mal spiele ich keine Karten, was ich auch laut zum Ausdruck brachte;
zweitens dachte ich über die Frage der Internierung ganz anders, was
ich aber für mich behielt.

So zog ich denn mit meinem General Liu zu dem Palast des Gouverneurs
von Nanking. Leider, oder vielmehr zu meinem Glück, war der Herr
Gouverneur nicht zu sprechen. Ein alter chinesischer Arzt empfing mich
sehr freundlich, wünschte mir ein weiteres Wohlergehen, und daß ich
mich in Nanking wohl fühlen möchte.

Ich dankte ihm für das Wohlergehen, hatte aber meine eigene Ansicht
über das Wohlfühlen!

Nun verabschiedete ich mich mit meinem General Liu, der sichtlich froh
war, seine Mission erfüllt zu haben, und als ich in meinen Wagen stieg,
da setzte sich ein chinesischer Soldat in vollem Dienstanzug zu mir.

Auf meine erstaunte Frage, was das zu bedeuten habe, antwortete er mir
in leidlichem Deutsch: Er sei mein „Ehrenposten” und wäre mir zu meinem
_Schutze_ beigegeben, und er würde mich von nun ab auf allen meinen
Wegen begleiten.

Na, der Tobak war doch ein bißchen zu stark!

Das war gegen die Verabredung!

In Hai-Dschou war mir ausdrücklich versichert worden, daß die Fahrt
nach Nanking lediglich eine Formsache wäre und ich dann vollständig
frei sein würde.

Hier wollte man mich also internieren?

Da mußte ich schnell handeln, bevor mir einer der Chinesen etwas
über Internieren sagen konnte und mich meiner Freiheit beraubte. Das
unangenehmste war der „Ehren”-Posten, aber Mittel und Wege mußte ich
finden.

Am Abend dieses Tages waren wir Offiziere alle bei einem deutschen
Bekannten eingeladen. Mein Plan stand fest. Nach einigen gemütlichen
Stunden, während deren ich immer wieder von Tsingtaus letzten Tagen
erzählen mußte, brachen gegen zehn Uhr abends die Offiziere bis auf
meine Wenigkeit auf und gingen, gefolgt von ihren treuen Posten, nach
Hause. Eine halbe Stunde später war es auch für mich die höchste Zeit
zu verschwinden, wenn ich noch entkommen wollte.

Als mein Gastgeber aus der Haustür heraustrat, wer stand da vor ihm?
_Mein_ gelber Wächter!

Nun war Holland in Not! Aber kurz entschlossen schickte ich unseren
Boy zu dem Wächter und ließ ihn fragen, was er eigentlich hier wolle,
die Herren wären ja längst weg, er solle nur laufen, um sie noch
einzuholen, sonst würde er womöglich wegen seiner Unaufmerksamkeit
bestraft werden.

Und während dieser arme Kerl mit hängender Zunge den anderen nachlief,
fuhr ein verschlossener Wagen vor, in dem ich Platz nahm und mit
äußerster Kraft zum Bahnhof fuhr, wo der neueröffnete Expreßzug
bereitstand. Das letzte freie Bett konnte ich gerade noch erhaschen.
Mein Schlafkupee war bereits verschlossen, und auf mein energisches
Klopfen öffnete ein langer Engländer, der wegen der Störung ein
wütendes Gesicht schnitt. Ich behandelte ihn natürlich wie Luft, und
eins, zwei, drei war ich in der oberen Koje, drehte das Licht aus und
tat so, als ob ich mich auszöge. In Wirklichkeit verkroch ich mich
recht tief in meine Decken und Kissen, fest entschlossen, wenn jemand
etwas von mir wolle, nicht aufzuwachen. Nicht einen Augenblick habe ich
während dieser achtstündigen Fahrt geschlafen.

So oft der ~D~-Zug hielt, kroch es kalt über meinen Rücken, und ich
dachte: Ha, jetzt holen sie dich! Und wenn gar draußen viele Stimmen
laut wurden, dann war ich überzeugt, daß meine letzte ~D~-Zug-Fahrt in
diesem Kriege gekommen wäre.

Nichts ereignete sich. Den Gebrauch des Telegraphen zu Verhaftungen
schienen die Chinesen Gott sei Dank noch nicht zu kennen, und so lief
planmäßig um sieben Uhr früh der Zug in Schanghai ein. Jetzt kam noch
die gefährliche Klippe der Bahnsperre; sie wurde überwunden.

Dann kam eine schnelle Fahrt im Rickschah durch den chinesischen
Stadtteil, in dem die chinesischen Behörden noch Gewalt über mich
hatten, und endlich bog mein Wägelchen in die Europäerstadt ein.

Hurra, ich war frei!

Nun konnte keiner mehr von mir was wollen.

Hocherfreut fuhr ich zu einem deutschen Bekannten, der mich in
liebenswürdigster Weise aufnahm.

Drei volle Wochen blieb ich in dieser Stadt, ehe es mir nach vielen
Mühen gelang, meine Reise fortzusetzen.

Drei volle Wochen voller Erlebnisse und voller Gefahren des
Gefangenwerdens, voll von Versteckspielen.

Was war natürlicher, als daß ein Oberleutnant zur See P. nicht bekannt
war und auch der Herr Meyer, der einige Tage da gewohnt hatte,
abgereist war?

Daß ein Mr. Scott für einige Tage gute Bekannte besuchte, das ging doch
keinen was an. Aber ich mußte nun vorsichtig sein. Besonders, da ich
außerordentlich viel Leute in Schanghai kannte, zum Teil noch Engländer
usw., die noch kurz vor dem Kriege mit mir in Tsingtau zusammen gewesen
waren.

Vier bis fünf Namen hatte ich abwechselnd und logierte abwechselnd bei
meinen Bekannten.

Da konnten die Chinesen einmal suchen!

Das Schwierigste war: wie nach Amerika kommen? Alles hatte ich
versucht, nichts hatte Erfolg. Nur einmal wäre ich beinahe mit einem
_englischen_ Schiff fortgekommen. Das war eine lustige Begebenheit.
Einer meiner Freunde kannte den Reedereibesitzer, einen englischen
Juden, Mr. Penny, sehr gut. Mit diesem Bekannten zog ich eines Tages zu
Herrn Pfennig und versuchte mein Glück. Ich hatte einen einfachen Anzug
angezogen, sah ziemlich verwahrlost aus und machte einen ängstlichen,
verprügelten Eindruck. Mein Freund ließ uns anmelden, und nach einiger
Zeit durften wir vor dem strengen Gesicht des Herrn Pfennig, eines
dicken, fetten Frosches, erscheinen. Die beiden Herren schienen sich
gut zu kennen, und die Begrüßung war dementsprechend.

Ich blieb ganz bescheiden an der Tür stehen, sah beschämt auf meine
zerrissenen Schuhe und drehte mein Hütchen in der Hand und verstand
_selbstverständlich_ von der ganzen englisch geführten Unterhaltung
kein Wort.

Mein Freund fing an:

„Herr Pfennig, ich komme mit einer großen Bitte zu Ihnen, ich habe
hier einen Lausebengel mit mir, dessen Vater ich gut kenne, und der
früher ein guter Geschäftsfreund von mir gewesen ist. Dieser Bengel
nun, der erst siebzehn Jahre alt ist, kniff seinem Vater wegen einer
Mädelgeschichte aus und hat sich als Schiffsjunge herumgetrieben,
bis er hier gänzlich mittellos und sein Unrecht einsehend bei mir
strandete. Ich möchte nun den Jungen, der übrigens Schweizer ist
und kaum ein Wort Englisch versteht, nach Europa zurückschicken
und wollte Sie fragen, ob Sie nicht auf einem Ihrer Dampfer einen
Platz als Küchenjunge frei hätten. Damit ihm ein für allemal seine
Flausen vergehen, wäre ein grober Kapitän ganz angebracht und ebenso
entsprechende Arbeit.”

Herr Pfennig würdigte mich während dieser Zeit kaum eines Blickes,
nur ab und zu sah er mich verächtlich an, und ich schien unter seinen
Blicken sichtlich zu zerknirschen. „Ja”, sagte er, „für so was habe ich
gerade was. Heute nachmittag fährt der Dampfer ‚Goliath’ direkt von
hier nach San Francisco (jetzt spitzte ich aber die Ohren!), da kann er
mit. Eine Tracht Prügel wird es dann und wann auch setzen, die schadet
ihm aber nichts. Ich lasse Ihnen nachher gleich telephonisch Bescheid
sagen, wann der Dampfer geht. Sechs Wochen Kartoffelschälen werden dem
Jungen wohl gut tun.”

Wir waren entlassen.

Draußen kniff ich meinem Freunde so toll in den Arm, daß er vor
Schmerzen aufschrie, und als wir endlich auf der Straße waren, da
hielt ich es nicht mehr aus. Und heraus platzte ich mit einem
Lachen, so herzhaft und froh, daß unwillkürlich die Leute, die an uns
vorbeigingen, mitlachen mußten. Daß ich während der durchgemachten
Szene ruhig bleiben konnte, war ein Wunder. Am Nachmittag erfuhr ich
leider, daß der Dampfer wegen der Flut zwei Stunden früher abgegangen
wäre. Nun war's Essig, und die Arbeit begann von vorn. Dampfer gingen
ja genug, aber das Üble war dabei, daß sie alle über Japan fuhren und
sich dort mehrere Tage aufhielten.

Das durfte ich nur im äußersten Notfalle wagen.

Aber das Glück ließ mich nicht im Stich. An einem Tage traf ich
zufällig einen Freund, mit dem ich vor Jahren manch lustige Nacht im
fernen Osten durchgebummelt hatte. Der war gleich bei der Hand. Und
schon nach einigen Tagen hatte er mir die nötigen Papiere besorgt,
und mir genaue Verhaltungsmaßregeln erteilt. Aus einem Mr. Scott,
Meyer oder Brown war plötzlich ein steinreicher vornehmer Engländer
geworden mit dem schönen Namen McGarvin. Dieser Herr war Vertreter von
Singers Nähmaschinen und reiste von Schanghai zu seinen Fabriken nach
Kalifornien.

Was war natürlicher, als daß Mr. McGarvin den nächsten großen
amerikanischen Postdampfer benutzte!

An Bord dieses Schiffes gab es nur zwei prachtvolle Luxuskabinen.
In der einen wohnte ein amerikanischer Milliardär, in der anderen
der Oberleutnant zur See Plüschow, o Verzeihung, was sage ich da,
ich meine natürlich der Singer-Nähmaschinen-Fabrikant McGarvin. Eine
Schwierigkeit war noch zu überwinden: das unbemerkte Entkommen aus
Schanghai.

Da halfen mir wieder meine Bekannten aus. Drei Tage bevor der Dampfer
ging, nahm ich überall offiziell Abschied und verbreitete, daß ich
mich in Schanghai nicht mehr sicher fühlte und nun nach Peking reiste,
um bei der Deutschen Gesandtschaft tätig sein zu können. Tatsächlich
fuhr ich auch in meinem Wagen um elf Uhr abends zum Bahnhof. Daß der
Kutscher allerdings einige Straßen vorher abbog und in scharfem Trab
nach Süden fuhr und aus der Stadt heraus, konnte ich nicht wissen.

Woher sollte ich auch Schanghai kennen?

Nach ungefähr zwei Stunden, während deren der Wagen längs des
Wusungflusses gefahren war, hielten wir. Zwei mit Revolvern bewaffnete
Männer traten an den Wagen heran, eine kurze Parole, ein Händedruck,
dann küßte ich voll Ehrerbietung und Dankbarkeit zwei schlanke weiße
Frauenhände, die sich mir aus dem Wageninnern entgegenstreckten, und
fort sauste das Gefährt. Meine beiden Freunde nahmen mich in ihre
Mitte, auch ich zog meinen Revolver, und wortlos stiegen wir in eine
bereitliegende Dschunke.

Die Nacht war stockfinster, der Wind heulte, und unheimlich gurgelte
das schmutzige dunkle Wasser, welches, von der Ebbe mitgenommen, an
uns vorbeischoß.

Mit aller Kraftanspannung wriggten vier dunkle Chinesengestalten an
ihren Riemen, und nach etwa einer Stunde hatten wir viele Kilometer
stromabwärts unseren Bestimmungsort am jenseitigen Ufer erreicht.

Lautlos legten wir an, lautlos verschwand die Dschunke, und ebenso
lautlos schritten wir einem dunklen Gebäude zu, welches inmitten eines
kleinen Gartens in der Nähe von riesigen Fabrikgebäuden lag.

Der helle Glanz elektrischer Lampen, der uns entgegenstrahlte, nachdem
die Eingangstüren sorgfältig verschlossen waren, blendete grell meine
Augen.

Bald sah ich aber, daß ich mich in einer gemütlich eingerichteten
Junggesellenwohnung befand. Ein Tisch war gedeckt, und wacker langten
wir den köstlichen Speisen zu. Nun wurde der Kriegsplan ausgeheckt.

Die Wohnung gehörte den beiden jungen Leuten, die am Tage in der Fabrik
zu tun hatten. Die Bedienung im Hause war selbstverständlich rein
chinesisch, und das war gut.

Mein Aufenthalt in diesem Hause mußte unter allen Umständen geheim
bleiben, besonders da hier auch noch ein unangenehmer Mann wohnte, der
zur „Entente” gehörte.

Die Angst der Chinesen vor bösen Geistern und besonders den Aberglauben
vor Verrückten wollten wir ausnutzen. Meine Aufgabe war einfach die:
drei volle Tage den wilden Mann zu spielen.

Ich erhielt ein Zimmerchen, in das ich eingeschlossen wurde. Der Boy
wurde von seinem Herrn eingehend instruiert und eingeschüchtert, und so
konnte ich sicher sein, daß nichts verraten würde.

Donnerwetter! Ich habe nicht gedacht, daß es so schwer ist, einen
Verrückten zu simulieren. Drei Tage blieb ich in diesem Zimmer
eingesperrt, tobte herum, und nur ab und zu beruhigte ich mich und saß
stumpfsinnig in meinem Sessel.

Sobald der Boy, der draußen Wache ging, diese Beruhigung merkte, machte
er vorsichtig die Tür auf und schob noch vorsichtiger sein Tablett,
auf dem Essen stand, hinein und setzte es auf ein daneben stehendes
Tischchen. Und wie der Blitz zog er den Arm wieder zurück, und ich
konnte ordentlich fühlen, mit welcher Erleichterung er den Schlüssel im
Schloß von außen umdrehte. Wenn ich dann manchmal laut herauslachte,
weil ich eben einfach platzte vor Vergnügen, dann glaubte sicher der
brave Gelbe, ein neuer Anfall habe mich gepackt.

Am Abend des dritten Tages schlug endlich meine Befreiungsstunde.

Ebenso vorsichtig und geräuschlos wie bei der Ankunft verließen wir
wieder das Haus.

An der Landungsstelle lag ein großes Dampfboot, ein kurzer herzlicher
Abschied, und stromabwärts ging die Fahrt auf die Wusung-Reede, wo der
riesige Dampfer „Mongolia” lag.

Es war schlechtes Wetter, starker Seegang, und nicht mal das Fallreep
war gefiert. Nach vielem Rufen und Schreien bemühte sich endlich
jemand, das Fallreep herabzulassen, und mit „_dem_” Koffer in der Hand
bestieg Mr. McGarvin das Schiff.

Kein Mensch kümmerte sich um mich. Das Deck war nur halb erleuchtet,
und schließlich ging ich an einige Schiffsoffiziere heran und fragte
sie nach meiner Kabine. Ein unwilliges Gebrumm, welches auf deutsch
hieß: Laß mi mei Ruh', antwortete mir. Aber als ich diesen Herren mein
Billett unter die Nase rieb, da änderte sich die Situation mit einem
Schlage. Tiefe Verbeugungen und Entschuldigungen. Ein Pfiff aus der
Batteriepfeife eines Offiziers, und herbei rauschten mehrere Stewards,
voran der weiße Obersteward. Die Deckslampen flammten hell auf. Die
Stewards rissen sich um „den” Koffer, und voll Dienstbeflissenheit
geleitete mich der Obersteward in meine Luxuskabine. Er floß förmlich
über vor Höflichkeit.

„O, Mr. McGarvin, warum kommen Sie denn heute schon, der Dampfer geht
doch erst übermorgen früh, das ist doch heute mittag in Schanghai
überall bekanntgegeben worden!” Ich machte ein wütendes Gesicht und
tat empört darüber, daß mir als Inhaber einer Luxuskabine das nicht
mitgeteilt worden sei.

Dann kam mein feister chinesischer Kabinensteward. Die Ruhe und die
Vornehmheit in eigenster Person. Beinahe hätte er mich in Verlegenheit
gebracht. Durch einen seiner Unterboys ließ er meinen Koffer
hereinbringen und fragte im zweifelnden Tone, ob das denn das ganze
Gepäck wäre.

„Ja”, sagte ich.

„Oh,” meinte er, „da sind die anderen Gepäckstücke wohl schon im
Gepäckraum?”

„Aber natürlich, meine schweren Koffer sind bereits gestern verladen
worden, und ich hoffe sehr, daß der Lademeister gut auf meine
wertvollen Strandkoffer achtgeben wird.”

Ach der gute Chinaxe, wenn der geahnt hätte, daß ich schon stolz war,
diesen einen Koffer zu besitzen, und selbst dieser war bedenklich
leicht!

Endlich, am fünften Dezember Neunzehnhundertvierzehn, abends setzte
sich der Dampfer „Mongolia” in Bewegung.

Trotz des schönen Wetters und des guten Essens erkrankte plötzlich am
nächsten Tage Mr. McGarvin. Was es war, konnte er selbst nicht genau
sagen. Wahrscheinlich eine schwere Fischvergiftung, und schleunigst
wurde der Schiffsarzt geholt. Dies war ein glänzender Mann, Sportsmann
durch und durch und für jeden köstlichen Scherz sofort zu haben.
Seine anfangs besorgte Miene nahm schnell einen erstaunten Zug an,
als ihm aus der Koje des vermeintlich Todkranken ein blühendes, braun
verbranntes Gesicht entgegenleuchtete.

Ich hatte Vertrauen zu ihm, und in kurzen Worten schilderte ich ihm
meine Lage. Selten habe ich ein paar Augen so erfreut aufleuchten sehen
wie die des Arztes, nachdem ich ihm meine Sünden gebeichtet hatte. Ein
schallendes Gelächter und ein kräftiger Händedruck sagten mir, daß ich
an den richtigen Mann gekommen war. Der Steward klopfte an.

Besorgte Amtsmiene des Arztes, Stöhnen des Patienten.

Vorsichtig huschte der Steward hinein, und mit leiser, eindringlicher
Stimme sagte ihm der Arzt: „Du, Boy, dieser Master sehr krank sein, gar
nicht stören, vor zehn Tagen Aufstehen unmöglich, das beste Essen, vom
Koch sorgfältig ausgewählt, stets ans Bett bringen, wenn Master Wünsche
hat, mich sofort holen.”

Bei dieser Rede hatte ich bereits einen Bettzipfel im Mund, und
wenn's länger gedauert hätte, würde ich wohl noch die ganze Bettdecke
verschlungen haben. Ich war wieder mal im Bilde.

Drei Tage Seefahrt, dann kam der erste der drei gefürchteten
japanischen Häfen. Friedlich lief der Dampfer in Nagasaki ein,
und sofort stürzte sich eine Flut von Zollbeamten, Polizisten und
Kriminalbeamten an Bord. Die Glocke tönte durchs Schiff und der
Ruf: Alle Passagiere und alle Mann antreten zur Musterung! Und nun
ging die Untersuchung und das Gefrage los. Die Passagiere waren im
Salon versammelt. Jeder einzelne wurde namentlich aufgerufen, ganz
gleichgültig ob Mann, Frau oder Kind, wurde von einer Kommission aus
Polizeioffizieren und Kriminalbeamten vernommen, die Papiere genau
revidiert und dann von einem japanischen Arzt genau auf ansteckende
Krankheit untersucht. Vor allen Dingen wollten sie genau wissen, wer
derjenige wäre, der aus Tsingtau käme! Der fünfunddreißigste Name, der
aufgerufen wurde, war McGarvin. Alles sah sich um, keiner hatte diesen
natürlich gesehen. Da trat der Arzt heran, machte ein sehr bedenkliches
Gesicht und flüsterte seinem japanischen Kollegen unter bedauerndem
Achselzucken eine schreckliche Geschichte ins Ohr.

Eine Viertelstunde darauf hörte ich viele Stimmen vor meiner Kammer,
es wurde ganz vorsichtig die Tür geöffnet, und herein ging der
amerikanische Arzt und schlichen sich zwei japanische Polizeioffiziere
und der japanische Arzt. Fest zusammengerollt und leise stöhnend lag
der arme Fischvergiftete da, nichts war von ihm zu sehen, als etwas vom
Haarschopf.

Der Amerikaner trat ans Bett und berührte vorsichtig meine Schulter,
was mir scheinbar fürchterliche Schmerzen verursachte. Sofort trat
der Arzt vom Bett zurück und sagte halblaut: ~„Oh, very ill, very.”~
Die Japaner, welche sich von Anfang an voller Scheu in der wundervoll
eingerichteten Kabine umgesehen hatten, schienen froh zu sein, aus
dieser ihnen ungewohnten Umgebung schnell wieder rauskommen zu können.
Mehrere tiefe Bücklinge, ein zischendes Geräusch durch die Zähne,
welches ihre besondere Ehrerbietung ausdrücken sollte, ein leise
gemurmeltes: ~„Oh, I beg your pardon!”~ und raus war die ganze gelbe
Gefahr.

Ich glaube, während dieser ganzen Szene und besonders vorher hatte ich
doch etwas Schüttelfrost, der sich aber schnell wieder legte.

Am Nachmittage riskierte ich doch einen Augenblick aufzustehen, um mir
vom Schiff aus Nagasaki, das ich von früher her kannte, anzusehen.

[Illustration: Die Landung in Hai-Dschou (China).]

Der Anblick, der sich mir bot, trieb mich schnell wieder in die Koje.
Der Hafen war mit unzähligen Dampfern besät, welche unter reichstem
Flaggenschmuck zu Anker lagen. Ein außerordentliches Leben herrschte
an Bord dieser Schiffe, überall wurden Truppen, Pferde und Geschütze
ausgeladen, alle Soldaten waren festlich geschmückt, die Häuser der
Stadt verschwanden fast unter Girlanden und Fahnenschmuck, eine
unabsehbare, froh bewegte Menge strömte durch die Straßen und nach
der Festwiese, wo Parade und Truppenschau abgehalten wurde. Nun wußte
ich's. Das waren ja die _Sieger_ von Tsingtau! In ganz Japan wurde
heute die Niederwerfung und Bezwingung des _ganzen Deutschen Reiches_
gefeiert. In den japanischen Zeitungen, die in Englisch erschienen,
konnte ich an diesem Abend unter anderem lesen, daß es den Engländern,
Franzosen und Russen nicht gelungen sei, Deutschland zu besiegen,
aber _sie_, die Japaner, _sie_ hätten es fertiggebracht und wären damit
jetzt ohne Zweifel das beste und stärkste Heer der ganzen Welt. Doch
genug von diesen Lächerlichkeiten, die Amerikaner und Engländer haben
sich ganz ähnliche Sachen geleistet.

[Illustration: Verbrennen des Flugzeuges nach der Landung auf
chinesischem Boden

  × Der Verfasser
]

Noch zweimal legte der Dampfer während dieser Tage in japanischen
Häfen an. Sowohl in Kobe wie in Yokohama spielte sich in meiner Kammer
derselbe Vorgang ab wie in Nagasaki -- Mr. McGarvin blieb krank und
-- -- -- unbehelligt. Fünf volle Tage blieben wir im ganzen in Japan.
Aber endlich, nachdem ich acht ganze Tage im Bett gelegen hatte,
ohne daß mir etwas fehlte als eben die Krankheit, verließen wir die
gefährlichen Gewässer, und als die japanische Küste hinter uns am
Horizont verschwand, da soll es auf dem Dampfer einen jungen Mann
gegeben haben, der wie unsinnig vor Freude herumsprang und sein kleines
Hütchen, welches ehemals einem fünfjährigen Mädchen im fernen China
gehört hatte, in der Richtung nach Japan schwenkte und lachend rief:
~„Good bye, Japs, good bye, Japs!”~

Unter allerlei Unterhaltungen, wie sie eben an Bord eines so großen
Dampfers gepflogen werden, zogen die Tage dahin. An Bord waren auch
mehrere deutsche Herren, die der Krieg aus ihrer bisherigen Heimat
vertrieben, dann einer meiner Kameraden, der bis jetzt in Schanghai zu
tun gehabt hatte, und ein Kriegskamerad von mir: der amerikanische
Kriegsberichterstatter Mr. Brace, welcher als einziger Ausländer die
ganze Belagerung Tsingtaus mitgemacht hatte.

Neptun sorgte für Abwechslung. Kurz vor Honolulu bekamen wir einen
starken Taifun auf den Kopf, der zwei Tage andauerte, und bei dem der
Dampfer ernstlich in Gefahr schwebte.

Als wir in Honolulu bei strahlendem Sonnenschein ankamen, da traute ich
meinen Augen kaum. Da vorne, da wehte ja die deutsche Kriegsflagge! Es
war kein Zweifel.

Und als wir festgemacht hatten, lag neben uns winzig wie eine Nußschale
der kleine Kreuzer „Geier”, welcher sich, wie wir später erfuhren, von
der Südsee aus in mehrmonatiger Reise bis nach hier durchgeschlagen
hatte und interniert worden war. Welch ein eigentümliches
Zusammentreffen! Liebe Kameraden, von denen ich lange nichts mehr
gehört hatte, traf ich hier mitten im Kriege, fern der Heimat nach
großen Erlebnissen. Da gab's ein Fragen und Erzählen, das wollte kein
Ende nehmen.

Der „Geier” hatte sich bei Ausbruch des Krieges fern unten in
der Südsee zwischen dem Gewirr der Koralleninseln befunden. Die
Mobilmachung mit Rußland hatte er noch erfahren, dann war seine
Funkentelegraphie entzweigegangen, und er schwamm ohne Nachrichten
im Stillen Ozean herum. Erst vierzehn Tage später erfuhr der „Geier”
etwas vom Kriege mit England und noch später den mit Japan. Da hieß es
aufpassen. Und umstellt und gehetzt von einer Schar von Feinden ist
es dem kleinen Kreuzer gelungen, wochenlang segelnd oder im Schlepp
eines kleinen Dampfers sich die Tausende von Seemeilen bis nach
Honolulu durchzuschlagen. Und als der große japanische Kreuzer, der
bei der Einfahrt von Honolulu auf ihn lauerte, sich an einem Morgen
die Augen rieb, da lag das kleine Nußschälchen schon wohlgeborgen im
Hafen, und stolz wehte die Flagge am Mast, und der gelbe Aff' mußte mit
eingezogenem Schwanze nach Hause laufen.

Nach der Abfahrt von Honolulu hatte ich noch ein ernstes Hühnchen mit
meinem Kriegskorrespondenten zu rupfen. Dieser brachte mir nämlich
freudestrahlend die „Honolulu Times” und zeigte mir stolz das erste
Blatt, auf dem in riesigen Lettern mein Name, meine Stellung und
meine Herkunft zu lesen waren und darunter ein spaltenlanger Artikel,
der alle Schandtaten aufzählte, die ich in und nach der Belagerung
Tsingtaus vollbracht hatte.

Also echt amerikanisch; nach dem, was über einen in der Zeitung steht,
wird man erst beurteilt.

Mir war die Sache äußerst peinlich, denn ich hatte allen Grund zu
befürchten, daß die amerikanischen Behörden mich auf dieses Schreiben
hin in San Francisco festnehmen würden. Doch alle Amerikaner an
Bord beruhigten mich in dieser Beziehung, und meinten, ich würde in
Amerika vollständig unbelästigt herumgehen können, denn, was ich
gemacht hätte, wäre ein ~„good sport”~, dafür hätten die Amerikaner
Sinn. Sogar im Gegenteil, der Amerikaner würde sich kolossal darüber
freuen, und wenn ich vernünftig wäre und von meinen törichten
deutschen Offiziersansichten abließe, dann könnte ich in Amerika ein
ordentliches Stück Geld verdienen. Ich solle mich bloß an eine richtige
Zeitung wenden, und die würde die Sache an der Hand ihrer Reklame
ordentlich inszenieren, und dann könnte ich, möglichst mit Musik
vorneweg, von Stadt zu Stadt ziehen und Vorträge halten und ~plenty
dollars~ einheimsen. Ja, es waren überhaupt Gemütsmenschen, die Herren
Amerikaner. Einer dieser Herren, ein ganz famoser netter Mann, der eine
reizende Tochter mit an Bord hatte, kam eines Tages zu mir, nahm mich
beiseite und sprach im vollsten Ernste:

„Sehen Sie mal, Mr. McGarvin, Sie gefallen mir, ich habe Interesse an
Ihnen. Was wollen Sie jetzt anfangen? Geld haben Sie wahrscheinlich
nicht, in Amerika kennt Sie niemand, und gute Arbeit findet sich dort
sehr schwer!”

„Nun, ich will nach Deutschland und will für mein Vaterland kämpfen,
ich bin doch Offizier!”

Ein mitleidiges Lächeln seinerseits.

Er: „Aus Amerika herauszukommen, ist ausgeschlossen, und dann, Ihr
Vertrauen und Ihre Begeisterung in Ehren, aber glauben Sie mir, ich
habe gute Verbindungen; in wenigen Monaten wird Deutschland vernichtet
sein, und da wird es dann für Sie keine Arbeit und keine Bleibe mehr
geben. England wird keinem deutschen Offizier erlauben, nach dem Kriege
in Deutschland zu bleiben. Sie alle werden exportiert, das Deutsche
Reich aufgeteilt und der Deutsche Kaiser von seinem eigenen Volke
abgesetzt werden. Also seien Sie doch vernünftig, suchen Sie sich jetzt
schon eine neue Heimat zu gründen, bleiben Sie in Amerika, ich werde
Ihnen gern helfen.”

Das war mir zu viel. Und eine Antwort habe ich dem Herrn gegeben und
eine Belehrung, was eigentlich ein deutscher Offizier sei, und wie
es wirklich in Deutschland aussähe, daß der gute Mann fast selbst
mit in Begeisterung über Deutschland geriet. Von nun ab war er noch
liebenswürdiger zu mir, und öfters bin ich nachher bei ihm in San
Francisco und New York zu Gast gewesen.

Am dreißigsten Dezember liefen wir in San Francisco ein.

Typisch amerikanischer Zustand.

Dutzende von Zeitungsreportern und Photographen rannten an Deck herum,
kamen in Salons, ja ließen einen nicht mal in den Kabinen zufrieden.
Von mir hatten die Kerls schon Wind bekommen. Von allen Seiten
stürmten diese Herren herbei, von allen Ecken wurde man geknipst, es
war geradezu widerlich. Schließlich wandte ich das einzige Mittel an,
welches hilft: ich wurde grob und schrie: „Ich habe überhaupt nichts zu
sagen, und wenn Sie mich weiter belästigen, hole ich die Polizei!” Mein
Kriegskorrespondent aus Tsingtau hatte mich vorher instruiert, mit
seinen Kollegen so zu verfahren.

Nur ein windiger gelber Japaner schlich sich wie eine Katze an mich
heran, machte tiefe Verbeugungen, zischte durch die Zähne und sagte
falsch lächelnd, er käme vom Japanischen Konsulat (das auch noch!) und
wolle mich begrüßen und mir Glück wünschen, daß ich so gut aus Tsingtau
herausgekommen wäre. Im übrigen hätte ich ja gar nichts zu befürchten,
ich wäre auf amerikanischem Boden, aber er würde so furchtbar gerne
einen kleinen Bericht seiner Zeitung nach Japan schicken, das würde
seine japanischen Brüder freuen.

Den gelben Jap ließ ich durch den chinesischen Steward hinausbefördern.

San Francisco!



Sie haben mich!


San Francisco!

Diese riesige wunderschöne Stadt!

Das beste war: ich wurde _nicht_ verhaftet. Keine offizielle
Persönlichkeit kümmerte sich um mich, und ich blieb einige Tage dort
trotz des Entsetzens auf dem Deutschen Konsulat, wo man mich schon
verhaftet sah. Ich habe selten in meinem Leben eine so wahnsinnige,
tolle Nacht erlebt wie die Silvesternacht in San Francisco.

Alles was mir darüber schon vorher erzählt war, war nichts gegen die
Wirklichkeit. Die ganze Stadt schien wie in ein Tollhaus verwandelt.
Und all die Menschen, rassig bis zum letzten Blutstropfen; schön
und kräftig die Männer, hinreißend die blonden Frauen und Mädchen.
Ich war von meinem Bekannten in eins der schönsten und größten
Vergnügungslokale eingeladen. Unerschwingliche Eintrittspreise und das
Publikum das beste vom besten. In dieser Nacht schien alles erlaubt.

Und dann die Musik und der Tanz so hinreißend und schön und wild, es
ist „die” Nacht von San Francisco!

Am zweiten Januar Neunzehnhundertfünfzehn galt's wieder Abschiednehmen,
und zufällig traf ich mit meinem Kameraden und mehreren Deutschen,
mit denen ich auf dem Dampfer zusammengewesen war, in demselben
Eisenbahnwagen wieder zusammen.

Das wurde eine frohe Fahrt, zumal die Zeitungen gute Nachrichten aus
Deutschland brachten, einige der älteren Herren und Damen direkt zur
Heimat fuhren und wir beiden Offiziere fest daran glaubten, daß auch
wir unserem Ziele nicht mehr fern wären.

Bei den Grand Canons von Arizona wurde ein Zug überschlagen. Das
mächtige Naturwunder zeigte sich uns in wunderbarster Schönheit.
Dann ging's weiter, tagelang raste der Zug durch die Prärien,
Knabenerinnerungen an den Lederstrumpf und an die Mohikaner tauchten in
uns auf, dann trennten wir uns in Chicago und ich fuhr nach Virginien,
um liebe Freunde zu besuchen und um zu sehen, wie ich die Weiterreise
nach Europa ermöglichen könnte.

Nach zwei, drei Tagen reiste ich nach New York weiter, um hier mein
Glück zu versuchen.

Drei volle Wochen mußte ich in New York bleiben, drei volle Wochen, in
denen ich viel von New York und den Menschen dort und von dem dortigen
Leben kennenlernte.

Drei volle Wochen, während deren ich oft nicht wußte, was vor Wut
anfangen. Das überstieg alles, was ich bis jetzt in dieser Beziehung
erlebt hatte. Kaum ein Bild, kaum eine Zeitung, kaum eine Reklame,
die nicht gegen Deutschland hetzte, die nicht die tapferen deutschen
Kämpfer in den Dreck zogen.

Der Tipperary-Gesang schien auch in New York zum Nationallied
gestempelt worden zu sein.

Gab es denn keinen, der diesen Leuten die Augen öffnete, _wollten_
diese Menschen die Wahrheit nicht hören und nicht sehen?

Ja, die meisten kannten ja Deutschland überhaupt nicht, wußten kaum,
wo Deutschland lag, und doch urteilten sie so. Da konnte man fühlen,
welche ungeheure Macht die gemeine englische Lügenpresse besaß, und
wie urteilslos und dumm der Amerikaner auf diesen groben Schwindel
hineinfiel.

Ich habe gewirkt, was in meinen Kräften stand.

Ich habe geredet und erzählt und zu überzeugen versucht, überall
dieselbe Antwort: „Ja, daß Sie persönlich all diese Greueltaten nicht
tun würden, das glauben wir Ihnen, aber die anderen Deutschen, die
Hunnen und Barbaren, die tun's. Hier steht's ja schwarz auf weiß in den
Times! Da muß es ja wahr sein, denn es ist undenkbar, daß ein so großes
Blatt die Unwahrheit sagt.” Ein großer Trost war mir die rührende Art,
wie ich von meinen Bekannten und deren Freunden aufgenommen wurde,
und ich bin ihnen aufrichtig dankbar dafür. An einem Abend war ich
besonders wütend. Ich war in der Metropolitan Opera gewesen, es wurde
unter anderem ein Akt aus „Hänsel und Gretel” gegeben. Deutsche Musik,
deutsche Worte und deutscher Gesang!

Mein Herz tat sich auf und quoll über vor wahnsinnig schmerzender
Sehnsucht nach dem geliebten Vaterlande; meine Seele trank in vollen
Zügen das deutsche Lied. Hingerissen, berauscht, trat ich auf die
Straße und wurde jäh in die Wirklichkeit zurückgerufen.

Auf dem großen Platz vor dem Theater, wie allabendlich, eine riesige
Volksmenge. Drüben an einer kahlen Hauswand leuchtete wie an jedem
Abend in großen Buchstaben der neueste Kriegsbericht auf, der von einem
Kinematographen-Apparat auf die Wand geworfen wurde.

Natürlich: Rußland hatte wieder mal einen großen Sieg errungen, die
Engländer hatten die deutsche Kronprinzen-Armee vollkommen vernichtet!

Die Menge johlte vor Freude.

Dann kamen einige Schlachtenbilder. Erst einige englische und
französische Kriegsschiffe, dann plötzlich der deutsche Kreuzer
„Goeben”.

Die Menge raste, ein Pfeifen, ein Zischen und Pfui-Rufen, welches kein
Ende nehmen wollte.

Das waren die _neutralen_, um Menschenrechte und Gerechtigkeit so
besorgten Amerikaner!

Vergebens waren bis jetzt meine Bemühungen gewesen, nach Europa zu
gelangen. Ich hatte mir die Sache doch einfacher vorgestellt.

Um ein Haar wäre es mir einmal gelungen.

Ich hatte eine Heuer auf einem norwegischen Segelschiff gefunden und
sollte sofort meinen Dienst als Matrose antreten. Da mir aber dringend
geraten wurde, diesen Kasten nicht zu benutzen, da mehrere englische
Matrosen an Bord wären, ließ ich die Gelegenheit fahren und suchte
weiter.

Endlich hatte ich, was ich wollte.

Durch Zufall lernte ich einen Mann kennen, der ein recht bewegtes Leben
hinter sich hatte. Er hatte sich jahrelang in der Welt herumgetrieben
und lebte nun schon lange in New York. Was er eigentlich tat, habe
ich nie recht herausbekommen. Eines konnte er jedenfalls sehr
geschickt, und das war: alte Pässe frisch aufgarnieren. So waren wir
bald handelseinig. Nach wenigen Stunden hatte ich meinen Reisepaß,
meine Photographie war sauber eingeklebt, alle An- und Abmeldungen
vorschriftsmäßig vorhanden.

Und so stieg am dreißigsten Januar Neunzehnhundertfünfzehn der
Schweizer Schlossergeselle Ernst Suse an Bord des neutralen
italienischen Dampfers „Duca degli Abruzzi” und verschwand im
Zwischendeck.

Zwei Stunden später passierten wir die Freiheitsstatue. Fünf Seemeilen
vor dem Hafen von New York lagen zwei englische Kreuzer und bewachten
die Hafeneinfahrt. Ein leuchtendes Beispiel für die Freiheit der Meere!
Die Dampferfahrt war fürchterlich.

Trotzdem ich als Seeoffizier und alter Torpedobootsfahrer an manchen
Kummer gewöhnt war, so etwas hatte ich mir nicht träumen lassen.

Das Schiff topplastig und mit so wahnsinnigen Schlinger- und
Stampfbewegungen, daß ich als Fachmann überzeugt war, der Kahn würde
bei mehr aufkommender See kentern. Und die Wanzen! Doch das ist
ein Kapitel für sich. Am dritten Tage unserer Fahrt stand ich eines
Vormittags an Deck und schaute sehnsüchtig nach der ersten Klasse, von
wo zwei allerliebste Gesichtchen über die Reling sahen. Da trat ein
Herr zu ihnen heran, und beinah hätte ich laut seinen Namen gerufen!

Den kannte ich doch, das war doch -- -- -- --

Ja, es war kein Zweifel möglich. Es war mein Kamerad T., der mit mir
aus Schanghai gekommen war. Nun gewahrte er mich auch, nur daß er
mich erst erkannte, nachdem er mit seinen Damen einige recht laute
Bemerkungen über den schmierigen Gesellen (das war ich) dort unten
gemacht hatte. Plötzlich wurde er stumm, seine Augen weiteten sich,
dann glitt ein Lächeln des Verständnisses über seine Züge, er machte
kehrt, und weg war er.

Am Abend bei vollständiger Dunkelheit hatte ich einen Augenblick
Gelegenheit ihn zu sprechen. Er fuhr als vornehmer Holländer
(selbstverständlich konnte er kein Wort Holländisch sprechen) und
wollte ebenso wie ich nach Neapel und von da nach Hause.

Aber das beste war doch das: beide waren wir in New York täglich
zusammengewesen, beide wußten wir gegenseitig, daß wir alles versuchen
würden, um nach Hause zu kommen, aber wie es sich jetzt herausstellte,
hatten wir beide unseren entsprechenden Unterstützungsmännern das
Versprechen geben müssen, zu niemandem ein Wörtchen zu sagen, und das
hatten wir beide so gut gehalten.

Aber der Schlager kam noch: Beide waren wir bei demselben Mann gewesen!

Einige Tage nach dem Verlassen von New York erkrankte ich plötzlich,
bekam hohes Fieber und mußte mich in die Koje legen. Was es war, wußte
ich selber nicht, wahrscheinlich ein Malariaanfall, und dieser Ansicht
schien auch der italienische Arzt zu sein und gab mir eine blödsinnige
Dosis Chinin. Der Erfolg trat auch sofort ein: ich wurde noch kränker
denn zuvor und hatte mehrere Tage fast vierzig Grad Fieber. Diese
Tage waren unbeschreiblich. In unserem Loch von einer Kammer wohnten
wir zu vieren zusammen. Über mir lag ein Franzose, der mit Schnattern
und Futtern nur aufhörte, wenn er seekrank war. Neben mir lag bleich
und gefaßt ein Schweizer (das war schon verdächtig). Dieser Mann
war so seekrank, daß ich glaubte, er würde Europa niemals lebend
erreichen. Links über mir aber lag ein ganz rabiater Engländer, der
trotz der geschlossenen Bullaugen Tag und Nacht seine Navy Cut-Pfeife
nicht ausgehen ließ, fast immer betrunken war und kaum einen Moment
sein Grölen und sein Schimpfen auf Deutschland unterbrach. Meine
Ruhe kann man sich denken. Außerdem lag meine Koje direkt neben der
Rudermaschine, und dann kam das Schlimmste: die Wanzen!

Ich habe so etwas nie für möglich gehalten!

Diese furchtbarsten Plagegeister kamen nicht einzeln, sondern gleich zu
Dutzenden.

Ach, was war der ganze Radau, der unerträgliche Gestank und die
seekranken Menschen gegen diese Plage! Trotz des furchtbaren
Schwächezustandes, in dem ich mich befand, versuchte ich die braunen
Gesellen zu töten oder zu verjagen. Ich merkte aber nur zu bald, daß
ich gegen sie machtlos war.

Und dann wurde mir alles gleichgültig. Die Fahrt konnte ja nur noch
einige Tage dauern, dann waren wir im schönen Italien, dann nur noch
kurze Tage der Erholung, und ich wäre in meinem geliebten Vaterlande
gewesen. Mit aller Energie wehrte ich mich gegen meine Krankheit, und
die Gedanken an Deutschland ließen mich so weit genesen, daß ich am
achten Februar, als der Dampfer in Gibraltar einlief, wieder aufstehen
konnte.

Gibraltar!

Wie oft war ich an diesem Felsen früher schon vorbeigefahren, wie hatte
ich dem grauen Stein froh bewegt zugewinkt, wenn ich, vom Auslande
zurückkehrend, durch die Meerenge fuhr, der treuen Heimat entgegen!

Was hatte ich dieses Mal zu erwarten?

Trotzdem das Anlaufen von Gibraltar nicht auf dem Fahrplan vorgesehen
war, fuhr der Dampfer ohne irgendwelche Aufforderung zur Untersuchung
in den Hafen ein und ankerte dort. So weit also waren die Italiener
schon Sklaven der Engländer geworden!

Sobald das Schiff still lag, kamen zwei Kriegsschiffsbarkassen
längsseit, denen ein englischer Seeoffizier, einige Polizeibeamte und
mehrere bis an die Zähne bewaffnete englische Matrosen entstiegen.

Ein Glockensignal wurde durch das Schiff gegeben und der Befehl:
Sämtliche fremden Passagiere, die nicht Italiener und nicht Engländer
sind, auf die Kommandobrücke kommen! Die Stewards gingen herum, suchten
alle Räume und Kammern ab, und wie eine Hammelherde, umringt von
englischen Matrosen und italienischen Stewards, wurden wir auf die
Brücke getrieben.

So ganz wohl war mir dabei nicht zumute!

Aber immerhin hatte ich etwas Vertrauen, da ich, wie ich bald
feststellte, der einzige war, der mit einem richtigen Paß mit
Photographie ausgerüstet war. Zu meinem großen Unbehagen stellte ich
fest, daß wir im ganzen fünf Schweizer waren, von denen mir drei immer
schon wegen ihres zurückgezogenen stillen Wesens verdächtig vorgekommen
waren. Nur einen Schweizer, den hatte ich noch nicht gesehen, der sah
aber auch so dreckig und schmierig aus, daß ich vorsichtshalber etwas
zur Seite trat, als er sich neben mich stellte.

Nach ungefähr einer Stunde, nachdem die Passagiere erster Klasse recht
oberflächlich und sehr höflich untersucht worden waren, kam die Reihe
an uns.

Sechs arme Sünder standen wir da. Der erste war ein
italienisch-schweizerischer Arbeiter, dem der rechte Arm fehlte, seine
Frau, eine typische Italienerin, warf sich unter Heulen dem Engländer
zu Füßen. Ihren ganzen Anhang aus dem Zwischendeck hatte sie mit
heraufgebracht. Alles heulte, und verächtlich sah der Engländer auf die
Leute herab. Nach kurzem Verhör wurde der Mann entlassen und war frei.

Nun kamen wir.

Der größte von uns Schweizern stand am rechten Flügel. Der englische
Offizier trat auf ihn zu und sagte: „Sie sind deutscher Offizier!”

Natürlich laute Entrüstung und Proteste von dessen Seite. Der Engländer
reagierte gar nicht darauf, und das Unglückswurm mußte beiseite treten.
Wir anderen vier schienen ihm schon echter auszusehen.

Wir wiesen auf unsere Pässe hin, und jeder von uns gab eine
Mordsgeschichte zum besten. Nach kurzer Zeit sagte er: „Schön, die vier
können gehen, aber den einen nehme ich mit!”

Mir schlug das Herz vor Freude bis zum Halse. Da kam der Verräter.

Ein windiges Bürschchen in tadellosem Zivil trat an den Offizier heran
und sagte ihm mit aufgeregter Stimme: „Es ist ausgeschlossen, daß die
vier so ohne weiteres freikommen, ich bin überzeugt, alle vier sind
Deutsche; es müssen unbedingt noch ihre sämtlichen Sachen untersucht
werden.”

Von unserer Seite lauter Protest, aber es half nichts. Zwar widerwillig
und voller Verachtung gegen diesen Schurken folgte der englische
Offizier doch, und nun begann die Untersuchung in der Kammer. Alles
wurde durchwühlt. Überall schnüffelte der Schurke herum, nichts konnte
er finden, was verdächtig war. Kein Namenszug, nichts. Plötzlich drehte
sich der Kerl um, riß mir die Jacke auf, krempelte mir die Brusttaschen
um und sagte dann triumphierend zu dem Offizier, der neben ihm stand:

„Sehen Sie, auch hier kein Namenszug und kein Name, das ist ein
Zeichen, daß er ein Deutscher ist, denn er hat alle Monogramme vorher
vernichtet.”

Ach, hätte ich diesem Hund seine Hirnschale einschlagen können!

Wie wir bald erfuhren, war dieser Zivilist der Vertreter der Firma Th.
Cook & Brothers in Gibraltar und versah auf den Dampfern Dolmetscher-
und schurkische Spionendienste. Er sprach ein so reines Deutsch, daß er
zweifellos viele Jahre in Deutschland Gastfreundschaft genossen haben
mußte. Wie viele Unglückliche mochte diese Schlange wohl schon ins
Verderben gebracht haben!

Wiederum wurden wir fünf wie Vieh auf der Brücke zusammengetrieben.
Dann näherte sich auch schon der zweite Judas Ischarioth, welcher von
Cooks Vertreter herbeigeholt war. Dieser zweite war ein Schweizer
Passagier erster Klasse, und auf Veranlassung des Schurken sollte er
uns in Schwyzer Dütsch prüfen.

Wir versagten alle fünf.

Kein Protest half. Nichts nützte, daß ich den Leuten die tollsten
Geschichten erzählte, wie: Ich könnte ja überhaupt gar kein Deutsch!
Schon als Kind von drei Jahren hätte ich mit meinen Eltern die Schweiz
verlassen und sei mit ihnen nach Italien gezogen. Dann sei ich nach
Amerika verschlagen worden.

In gutem Italienisch und Amerikanisch redete ich wie um meinen Kopf.
Beinahe kam ich frei, da zischelte die Schlange wieder, und -- -- --
aus war es!

Der englische Offizier ließ sich auf nichts mehr ein, er sagte bloß, es
seien bereits so viel Schweizer durch Gibraltar durchgefahren, so viele
gäbe es in der ganzen Welt nicht.

Mit einer innerlichen Wut, die mich fast zum Wahnsinn brachte, wurde
ich abgeführt.

Schnell hatte ich ein paar Habseligkeiten zusammengerafft, ich konnte
einer deutschen Dame noch unbemerkt einen Zettel in die Hand drücken,
den sie auch treulich meinen Verwandten gesandt hat, und mit einem
groben Stoß eines Seemanns flog ich das Fallreep hinunter und in die
Barkasse, in der die vier anderen Unglückswürmer bereits gänzlich
zerknickt saßen. Dann kam der englische Offizier mit seinem Schurken
und fort ging's.

An der Reling des Dampfers stand der Schweizer Verräter und sah
schadenfroh herab. Da konnte ich nicht mehr an mich halten, ich sprang
auf und drohte ihm mit der Faust und brüllte ihm ein Schimpfwort zu.

Ein hysterisches Verräterlachen antwortete mir.

Und ganz vorne von der Steuerbordreling, da grüßten stumm ein paar
traurige deutsche Augen einen letzten Abschiedsgruß zu mir herüber.

Leb' wohl, du glücklicher Kamerad, grüß' mir die Heimat, die du in
einigen Tagen wiedersehen wirst!



Hinter Mauern und Stacheldraht


Der englische Offizier beruhigte mich: „Seien Sie versichert,” sagte
er mir, „Sie können heute noch in Gibraltar Ihren Schweizer Konsul
sprechen; wenn der die Richtigkeit Ihres Passes bestätigt, dann sind
Sie am selben Tage frei.”

Was es damit auf sich hatte, erfuhr ich nur zu bald. Die Dampfbarkasse
rauschte dem Lande zu, und bald legte sie am inneren Teil des
Kriegshafens an.

Zehn Soldaten mit aufgepflanztem Seitengewehr standen an der
Anlegestelle bereit. Einige kurze Befehle, die paar Sachen, die wir
mitgenommen hatten, nahmen wir selbst auf den Buckel, dann mußten wir
uns in zwei Reihen aufstellen, die zehn Soldaten umringten uns, und auf
das Kommando: ~„Quick marsh”~ setzte sich der traurige Zug in Bewegung.

Alles mit mir und um mich herum geschah wie im Traum. Ich war überhaupt
kaum fähig, einen Gedanken zu fassen, so war ich niedergeschmettert.

Gefangen!

War es wirklich wahr? Gab es so etwas überhaupt?

Es war entsetzlich, unfaßbar! Wie ein Verbrecher wurde man hier entlang
geführt, und wie Verbrecher wurden wir von der Bevölkerung, an der
wir vorbeigehen mußten, angesehen. Die Soldaten trieben uns zur Eile
an. Ich war schwach zum Umsinken, da ich das Fieber noch nicht ganz
überwunden und seit drei Tagen außer Chinin nicht das geringste in den
Magen bekommen hatte. Die Sonne brannte auf die Felswände herab, und
dann der seelische Zustand, die Hoffnungslosigkeit!

Trostlos!

Immer höher ging's durch schmale, erhitzte Gassen, bald verschwanden
die Häuser unter uns, steile, nackte Felsen an beiden Seiten. Nach
einer Stunde hatten wir die höchste Spitze des Gibraltar-Felsens
erreicht. Kommandorufe erschollen, Drahthindernisse und eiserne Tore
wurden geöffnet, dumpf schlugen sie wieder ins Schloß, Ketten und
Riegel klirrten.

Gefangen!

Nun wurden wir zuerst zur Polizeiwache gebracht und einem Verhör
unterzogen. Ich protestierte energisch und verlangte, umgehend vor
meinen Konsul geführt zu werden, wie mir von dem englischen Offizier
ausdrücklich zugesichert war. Ein bedauerndes Lachen war die Antwort.
Ach, wir waren ja nicht die ersten, die so heraufgebracht waren und
dasselbe Ansinnen gestellt hatten. Wie unendlich viele haben wohl hier
oben gestanden und endgültig ihre Hoffnungen begraben müssen!

Jetzt begann die körperliche Untersuchung.

„Hat jemand von den Gefangenen Geld bei sich?”

Keiner antwortete selbstverständlich. Wir mußten uns ausziehen,
und jedes Kleidungsstück wurde eingehend auf Geld, Doppelgläser,
Photographenapparate und besonders auf Schriftstücke untersucht. Ich
kam als dritter an die Reihe, mein Hemd durfte ich anbehalten.

„Haben Sie Geld?”

„Nein!”

Der Feldwebel tastete an meinem Körper herum, plötzlich klimperte etwas
in der linken Brusttasche meines Hemdes.

„Was ist das?”

„Ich weiß nicht!”

Nun griff er in die Tasche hinein, und was holte er heraus?: ein
wunderschönes Zwanzigdollarstück aus bestem amerikanischem Golde
und außerdem ein kleines Perlmutterknöpfchen, welches mich durch
das Gegenschlagen gegen das Geldstück bei der Untersuchung verraten
hatte. Ich sage ja, das hat man von der Ordnungsliebe! Hätte ich
das Knöpfchen zwei Tage früher fortgeworfen, statt es sorgfältig
aufzubewahren, wäre dies nicht passiert. Der englische Soldat freute
sich, derlei Scherzchen schienen recht oft vorgekommen zu sein. Doch
nun untersuchte er genauer. Und zu meinem Kummer holte er mir auch
aus der anderen Hemdentasche und aus den beiden Hosentaschen noch je
ein schönes Goldstück heraus; und dazu leider auch noch meine kleine
Browningpistole, die mich nun schon so treulich all die Monate lang
begleitet hatte.

Als ich fertig ausgeplündert war, durfte ich mich wieder anziehen und
zu den anderen Leidensgenossen in den Gefängnishof treten.

Dann ging's in unsere zukünftigen Quartiere. Etwa fünfzig
zivilgefangene Deutsche empfingen uns mit lautem Hallo. Diese saßen
schon seit Beginn des Krieges hier und hatten ihren Humor scheinbar
vollständig wiedergefunden. Unsere neuen Kameraden luden uns gleich zum
Essen ein, und wie die Wilden stürzten wir auf den von den Gefangenen
selbst hergestellten Brotpudding.

Dann ging's an die Arbeit.

Erst mußten wir Kohlen und Wasser schleppen. Wir wurden ungefähr der
Größe nach verteilt, und durch Zufall kam der schmierige Schweizer, vor
dem ich mich auf dem Dampfer schon geekelt hatte, mit mir zusammen. Es
stellte sich heraus, daß er auch Schlosser war, also denselben Beruf
wie ich erwählt hatte.

Später, wo wir beide dann dauernd zusammen waren, korrigierten wir
etwas unseren Beruf, und zwar waren wir dann nicht mehr Schlosser,
sondern Schloß_herr_.

Damit übervorteilten wir keinen, und die Sache hatte vor allen Dingen
den Vorteil der Billigkeit, und daß sie sich durch eine einfache
Änderung in der Aussprache bewerkstelligen ließ.

Vorläufig aber schleppten wir noch Kohlen, und daß die einzelnen Kiepen
nicht zu voll wurden, dafür sorgten wir schon. Wir waren ja auch so
schwächlich!

Nachdem wir Kohlen und Wasser genügend geschleppt hatten, empfingen
wir unsere dreiteiligen Soldatenmatratzen, hart wie Stein, dazu zwei
wollene Decken. Dann hatten wir für diesen Abend Ruhe. Das erste jetzt
war das Waschen. Ich sehe die Szene heute noch.

Mein schmieriger Kollege von derselben Fakultät setzte sein
Waschbecken neben das meine und zog in aller Seelenruhe sein Hemd aus.
Donnerwetter, so viel Sauberkeit hatte ich doch nicht erwartet, und ich
musterte ihn kritisch. Tadellos gewachsener Körper und sogar sauber, ja
blitzsauber! Aber Kopf, Hals und Hände, brrr! Mitten im Waschen hörte
ich plötzlich auf. Mein Gesicht wurde immer länger, mein Erstaunen war
groß. Das Waschwasser meines Kollegen war schwarz wie Brühe, aber er?
Das war ja ein ganz anderer, der jetzt neben mir stand. Die vorher
schwarzen und schmierigen Haare leuchteten in hellstem Blond, das
Gesicht war frisch und weiß und zeigte feine Züge, und die Hände waren
schlank und wohlgebaut. Und, war es möglich? Quer über die Backen und
über die Schläfen da zogen sich Schmisse, richtige, echte deutsche
Studentenschmisse hindurch. Das Hallo, und das Gefrage und Erzählen,
das nun folgte. Mein Kollege war ein echter deutscher Student gewesen,
hatte jetzt in Amerika eine schöne Automobilfabrik sich gegründet
und hatte dort drüben alles stehen und liegen gelassen, um als
Reserveoffizier seinem Vaterlande zu helfen. Schnell schlossen wir uns
aneinander an und sind treue, unzertrennliche Freunde geblieben durch
viele Wochen der Gefangenschaft, bis das Schicksal uns leider wieder
trennte. Wir beiden Schloß_herren_ waren aber bald bekannt.

Abends um zehn Uhr wurde Zapfenstreich geblasen, Licht aus in allen
Räumen.

Ich hatte meine Schlafstelle an einem Fenster aufgeschlagen, welches
bis dicht auf den Fußboden herunterreichte. Auf der Erde liegend konnte
ich bequem aus dem Fenster heraussehen.

Der Tag hatte so viel Neues gebracht, jetzt erst kam ich zur Ruhe und
zur Überlegung.

Die Kaserne, in der wir untergebracht waren, lag hoch oben auf der
höchsten Spitze von Gibraltar, da wo die Felsen steil nach Süden zu ins
Meer herabfallen.

Durch das Fenster erblickte ich jetzt tief unter mir das wunderbar
blaue Wasser der Meerenge von Gibraltar.

Drüben, ganz fern am Horizont, grüßte fein und hell die Küste von
Afrika herüber.

Da unten war die Freiheit, Schiffe fuhren hin und her, auf denen
Menschen lebten, freie, ungebundene Menschen, die fahren konnten, wohin
sie wollten, und -- -- -- nicht wußten, wie wunderbar und kostbar
Freiheit war!

Es war zum Wahnsinnigwerden!

Die Gedanken jagten sich, die Ereignisse des Tages zogen im Geiste an
mir vorüber, und wenn ich daran dachte, daß ich jetzt auch dort unten
auf einem der Dampfer schwimmen könnte, dann hätte ich am liebsten
aufbrüllen mögen vor Wut.

Ach ja, heute war der achte Februar, mein Geburtstag, _den_ Tag hatte
ich mir allerdings anders vorgestellt!

Wie ein Irrsinniger wälzte ich mich auf meinem Lager herum, und wenn
ich nachsann, wie jetzt alles hätte sein _können_, was ich alles von
diesem Tage erhofft hatte und wie ich mir die Zukunft ausgemalt hatte,
dann packte mich die wilde Verzweiflung, und vor ohnmächtiger Wut
liefen mir die Tränen aus den Augen, ohne daß ich es verhindern konnte.

Sehnsucht, o du furchtbare Sehnsucht!

In dieser Nacht war ich nicht der einzige, dem es so ging.

Aus vier anderen Lagern sahen bleiche Gesichter heraus, weitgeöffnete
Augen starrten zur Decke, und manch unterdrücktes Schluchzen biß
sich in die Decken hinein. Am nächsten Morgen um vier Uhr wurden wir
plötzlich alle geweckt. Die englischen Unteroffiziere gingen die
Räume entlang, und es wurde der Befehl gebrüllt, daß alle deutschen
Gefangenen sich sofort klar zu machen hätten, in zwanzig Minuten
abzumarschieren und mit einem bereits klar liegenden Dampfer nach
England zu fahren.

Nach England? Das war doch gar nicht möglich, wir waren doch Schweizer,
wir sollten doch heute unseren Konsul sprechen!

An der stoischen, unerschütterlichen Ruhe der Engländer prallten alle
unsere Versuche ab. Nun schnell alles zusammengerafft, und genau eine
halbe Stunde später marschierten wir sechsundfünfzig Zivilgefangene,
umringt von hundert schwer bewaffneten englischen Soldaten, in den
leuchtenden Morgen hinein und den Felsen von Gibraltar hinab.

Aber daß unser Stolz nicht gebrochen war, das wollten wir den
Engländern beweisen. Und schmetternd und hell, verstärkt durch die Wut,
die in uns kochte, jubelte „Die Wacht am Rhein” und „O Deutschland hoch
in Ehren” zum Himmel empor.

Unten lag ein riesiger Transportdampfer, bis an den Rand gefüllt mit
englischen Truppen. Durch die Menge der Abschiedgebenden und der
Abschiednehmenden wurde eine schmale Gasse gebahnt, und im Gänsemarsch
liefen wir Spießruten. Doch das muß ich sagen, es gab niemanden, der
uns belästigte, nicht einen einzigen, der uns etwas zurief. Stumm wurde
uns Platz gemacht, stumm ließ man uns passieren, ja hier und da traf
sogar ein Blick des Bedauerns und des Mitleids diesen traurigen Zug.

An Bord war vorne in der ersten Abteilung im Ladedeck notdürftig
ein Raum gezimmert worden. Bänke und Tische und Hängematten waren
vorhanden, alles wie an Bord eines Truppentransportschiffes.

In dem Raum befanden sich zwei Posten mit aufgepflanztem Seitengewehr,
oben am Luk standen ebenfalls zwei Posten, das Luk wurde von außen
dicht gemacht und verschlossen, und drinnen saßen wir in der Falle. Die
Bullaugen unseres Aufenthaltsraumes waren mit eisernen Blenden fest
verschlossen, damit ja keiner von uns heraussehen oder womöglich aus
einem geöffneten Bullauge Lichtsignale geben könnte. Nach kurzer Zeit
schon ging ein leises Zittern durch das Schiff, die Maschinen setzten
sich in Bewegung, und dann fing unser schwimmendes Gefängnis an, sich
sanft und leise zu heben und zu senken.

Wir waren in freier See.

Tagelang ging es so weiter. Wir saßen streng bewacht, eingeschlossen
in unserem Raum, einmal am Tage wurden wir hinaufgelassen und
durften für eine Stunde frische Luft schöpfen. Eine recht primitive
Bedürfnisanstalt war auf dem Vordeck aus ein paar Brettern
zusammengeschlagen worden, und wer diese benutzen wollte, mußte sich
beim Posten melden. Zwei Soldaten mit aufgepflanztem Seitengewehr
geleiteten ihn dann und behielten ihn auch die ganze Zeit über im Auge.
Mehr als einer gleichzeitig durfte dazu nicht an Deck erscheinen. Das
Essen war gut, richtige Schiffskost, besonders gut war das Brot, die
Butter und der überaus reichliche, vorzügliche Jam. Die Zeit vertrieben
wir uns, so gut es ging, mit Lesen oder Erzählen, und vor allen
Dingen wurde die Frage unserer Zukunft und das, was uns in England
erwartete, lebhaft erörtert. Die beiden Posten, die ständig unten im
Raum standen, freundeten sich bald mit uns an, und wir haben den armen
Tommies mit unseren Erzählungen, wie es an der Kampffront in Frankreich
aussähe, ganz furchtbare Angst gemacht.

In der Biscaya bekamen wir sehr schlechtes Wetter.

_Das_ war ein Zustand! Zu sechsundfünfzig in dem kleinen Raum
eingepfercht, ohne Licht und Luft, und dazu der größte Teil seekrank.
Am schlimmsten seekrank waren aber unsere englischen Posten und die
Soldaten, die uns das Essen brachten. Sie boten ein Bild des Jammers.
Als wir in die Nähe des Englischen Kanals kamen, bemächtigte sich eine
allgemeine Nervosität und Unruhe der englischen Schiffsbesatzung.
Täglich wurde Musterung mit Schwimmwesten abgehalten. Unsere
Erholungsstunden an Deck fielen aus, und die englischen Soldaten hörten
mit ihrem ängstlichen Gefrage nach unseren U-Booten überhaupt nicht
mehr auf. Was haben wir denen die Hölle heiß gemacht!

Endlich nach zehn Tagen lief der Dampfer in Plymouth ein. Als die
Ankerkette rasselte und wir, sicher vor U-Booten, in dem schützenden
Hafen lagen, konnten wir durch die Schottür sehen, wie die englischen
Soldaten auf die Knie sanken, und hörten, wie sie kirchliche Lob-
und Danklieder sangen zum Dank für die Errettung aus deutscher
U-Boots-Gefahr.

Gleich nach der Ankunft kam ein Tender längsseit und nahm uns Gefangene
mit selbstverständlich der doppelten Anzahl der Bewachung auf und
brachte uns an Land.

Auf die Ankunft _so vieler_ Gefangenen schien man nicht vorbereitet zu
sein. Die Engländer waren einfach kopflos. Kein Mensch wußte, was mit
uns geschehen sollte, kein Mensch, der Rat schaffen konnte.

Endlich wurden wir in einen Zug verladen, ich selber kam allein in ein
Abteil, rechts und links von mir und mir gegenüber je ein Unteroffizier
mit aufgepflanztem Seitengewehr, die den strengen Befehl erhalten
hatten, mich scharf zu bewachen. Der Grund zu dieser besonderen Ehre
war folgender:

Als ich eingesehen hatte, daß es gänzlich ausgeschlossen war, daß
ich jemals wieder freigelassen würde oder man mich als Schweizer
anerkannte, hatte ich mich auf dem Dampfer ebenso wie die anderen
Gefangenen dem führenden Offizier zu erkennen gegeben und verlangt, daß
ich meinem Range entsprechend behandelt würde. Der englische Offizier
erklärte mir, mich sofort in die erste Klasse aufzunehmen, wenn ich
mein Ehrenwort geben würde, niemals einen Fluchtversuch zu machen
und in diesem Kriege nicht mehr mitzukämpfen. Da ich dieses Ansinnen
selbstverständlich mit Entrüstung ablehnte, wurde ich wieder in den
Laderaum geschickt. Der einzige Erfolg war die strengere Bewachung.

Abends bei Dunkelheit kamen wir in Portsmouth an. Auf dem Bahnhof
und auch sonst wußte keiner, was mit uns anzufangen. Auch hier
schien alles durch die ungeheuer große Gefangenenzahl (wir waren
sechsundfünfzig Männekens) vollständig den Kopf verloren zu haben.

Schließlich wurden wir in das Arresthaus (ein etwas besseres Gefängnis)
geschafft. Auch hier große Überraschung und Verwirrung. Das Arresthaus
ist dazu da, betrunkene Soldaten und Matrosen, die nachts auf den
Straßen oder im Lokal aufgesammelt werden, unterzubringen, um sie
ihren Rausch ausschlafen zu lassen und dann am nächsten Tage, nach
Verabfolgung einer gehörigen Tracht Prügel, ihren Kommandos wieder
zuzustellen. Ein alter, widerlicher Gefängniswärter und zwei ebenso
alte, aber gemütliche und biedere Soldaten hatten die Aufsicht. Auf
drei Zimmer wurden wir verteilt. Die Räume waren vollständig leer, eine
elende Gasflamme erhellte sie notdürftig. Die Fenster waren zum großen
Teil zerbrochen, es herrschte eine grimmige Kälte, und die Kamine
hatten selbstverständlich kein Feuer. Den ganzen Tag hatten wir nichts
zu essen bekommen, und hungrig wie die Wölfe hatten wir uns auf die
Abendkost gefreut.

Abendbrot? Auch nicht vorhanden!

Da gingen wir denn zu den beiden alten Soldaten, und in kurzer Zeit
hatten wir mit ihnen Freundschaft geschlossen. Ein kleines Trinkgeld
bewirkte Wunder. Die alten Knacker rissen sich fast die Beine für
uns aus. Wir gaben ihnen Geld mit, und schon nach einer halben
Stunde keuchten sie schwer beladen mit Brot, Butter und Aufschnitt
herein. Zwei riesige Töpfe Tee, mit Milch und Zucker gemischt, wurden
aufgesetzt, Holzkohle konnten wir uns selber holen, und bald prasselte
in allen drei Kaminen ein wundervolles Feuer. Die Eßvorräte waren ganz
ausgezeichnet und so reichlich, daß selbst wir Ausgehungerten etwas
übrigließen.

Unsere gute Laune erreichte ihren Höhepunkt, als die Soldaten uns
einige englische Zeitungen zusteckten. Der geistige Hunger war ja noch
größer gewesen als der körperliche, denn seit Wochen hatten wir nicht
das geringste von dem, was in der Welt vorging, gehört. Wenn auch
in den Zeitungen natürlich _nur_ von englischen, französischen und
russischen Siegen berichtet wurde, so wußten wir doch wenigstens, wo
was los war.

[Illustration: Der Verfasser (in Zivil) mit dem abgeschlagenen Motor
seines Flugzeuges beim Mandarin von Hai-Dschou]

Streng verboten war uns auch der Alkohol. Doch auch in England schien
ein Verbot nur zum Übertreten da zu sein. Einer von unseren Posten
war nämlich Mitglied einer in England und Amerika weit verbreiteten
Freimaurerloge, in der zufällig auch mein Freund, der andere
Schloß_herr_, Meister war. Als der Soldat das Freimaurerabzeichen
im Knopfloch meines Freundes erkannte, da war die Freundschaft
besiegelt. Im Erdgeschoß unseres Gefängnisses war eine kleine Kantine,
und einer nach dem anderen von uns wurde von dem guten Logenbruder
heruntergeführt, stärkte sich unten und konnte auch seine Tasche mit
Bierflaschen gefüllt heraufbringen,

[Illustration: Donington Hall, Leicestershire, England, wo die
gefangenen deutschen Offiziere interniert sind.]

Das Beste war, daß unsere Posten, die mit aufgepflanztem Gewehr vor
unserer Tür Wache gingen, uns ruhig weggehen ließen und uns sogar
baten, wir möchten ihnen einige Flaschen Bier mit heraufbringen. Um
neun Uhr abends waren unsere Posten bereits so weit, daß wir mit ihnen
zusammen Gewehrgriffe übten, um elf Uhr abends ließ der eine Posten
sogar sein Gewehr fallen und kippte selber mit dem ganzen Kohlenkasten,
auf dessen Rand er sich gesetzt hatte, um.

Wenn ich damals schon _die_ Erfahrungen besessen hätte, die ich mir
nach fünfmonatiger Gefangenschaft angeeignet hatte, ich wäre da schon
ausgerückt.

Sowohl in diesem Gefängnis wie auch in allen anderen Lagern, wo wir mit
den englischen Tommies zusammenkamen, war deren erste Bitte, nachdem
wir uns etwas angefreundet hatten, ihnen einen Zettel zu überlassen
mit unserer Adresse und womöglich noch der Adresse von Bekannten in
Deutschland und der Bescheinigung, daß der englische Soldat Soundso
uns gut behandelt hätte. Diese Zettel wurden von ihnen wie Heiligtümer
aufbewahrt, damit sie sie vorzeigen könnten, wenn sie an die Front
kämen und in deutsche Gefangenschaft gerieten.

Zum Schlafen erhielten wir winzige Zeltstrohsäcke, die so kurz waren,
daß unten die Füße von den Waden ab herausragten, und so schmal,
daß nur ein ganz geschickter Zirkuskünstler mit dem Rücken darauf
balancieren konnte. Dazu gab's zwei wollene Decken. Wie die Bären
haben wir geratzt. Allerdings lagen wir am nächsten Morgen alle neben
den Matratzen. Am nächsten Morgen, es war Sonntag, erschien ein hoher
Armeeoffizier, um uns zu besichtigen. Er fragte nach unseren Wünschen.
Ich berief mich nochmals darauf, daß ich Offizier wäre und als solcher
das Recht hätte, zu verlangen, als kriegsgefangener Offizier behandelt
zu werden. Der Mann war sehr liebenswürdig, versprach mir alles, wenn
wir erst am nächsten Tage an unserem Bestimmungsort angelangt wären,
und -- -- hielt nichts.

Endlich am Montag wurden wir aus unserem Gefängnis befreit. Wie immer
dicht umringt von unserer Wachmannschaft, marschierten wir zum Hafen,
nahmen auf einem kleinen Dampfer Platz und fuhren auf die Reede hinaus.

Nach einer einstündigen Fahrt legten wir an einem riesigen Dampfer
an, der als Gefangenenlager diente. Nach einer längeren Verhandlung
mußten wir wieder ablegen, da der Kommandant des Dampfers erklärte, er
wüßte von uns nichts und hätte außerdem keinen Platz. Bei dem nächsten
Dampfer, es war der Cunard-Liner „Andania”, dasselbe Schauspiel. Ob nun
der englische Offizier, der uns führte, ein englischer Major, besser
schimpfen konnte als der Lagerkommandant, oder woran es lag, jedenfalls
gingen wir nach einer halben Stunde an Bord.

Ein dicker aufgeblasener englischer Armeeleutnant, der die Stellung
des Lagerkommandanten und gleichzeitig Dolmetschers auf diesem Schiff
bekleidete, nahm uns in Empfang.

Als ich an der Reihe war, gemustert zu werden, brachte ich in
höflichem Tone mein Anliegen vor und verlangte energisch, daß ich den
Bestimmungen gemäß in ein Offizierslager gebracht würde. Die Antwort
dieses Gentleman war unerhört und zeigte seinen gemeinen Charakter
recht deutlich.

„Sie werde ich ganz besonders schlecht behandeln, ich habe schon von
Ihnen gehört, Sie sind aus Tsingtau ausgekniffen und haben mehrere Male
Ihr Ehrenwort gebrochen; wenn Sie noch einen Ton hier sagen, sperre
ich Sie ein und lasse Sie so lange hungern, bis Sie überhaupt nicht
mehr reden können. Die englischen Offiziere werden in Deutschland so
schlecht behandelt, das sollen Sie jetzt büßen.”

Das waren mir nette Aussichten. Was sollte ich dagegen machen?

Auf dem Dampfer waren über tausend Gefangene. Die Unterbringung das
Schamloseste, was ich jemals gesehen. Ohne Licht und Luft saßen die
Leute in den unteren Räumen des Schiffes zusammengepfercht, und die
einzige körperliche Bewegung bestand im Aufundablaufen auf dem schmalen
Vor- und Achterdeck. Als wir in den für uns bestimmten Raum geführt
wurden, packte mich ein wahres Grauen. Ich glaube, ich wäre verrückt
geworden, hätte ich da längere Zeit hausen sollen. Unser englischer
Unteroffizier schien ein vernünftiger Mann zu sein. Ich hatte sogar
das Glück, durch ihn mit meinem Schlosserkameraden eine kleine Kabine
an der Bordwand zu erhaschen, die sogar ein Bullauge besaß. Das Leben
an Bord war höchst eintönig. Morgens um sechs Uhr Wecken und abends um
zehn Uhr Licht aus. Vor- und nachmittags mußten wir je zwei Stunden
an Oberdeck herumstehen, und jeden Mittag war Appell. Die Mahlzeiten
nahmen wir in den riesigen Speisesälen des Dampfers ein. Wir saßen
zu zwölf an einem Tisch, und genau wie alle anderen ging ich meinen
Stubendienst, holte aus der Kombüse das Essen für den ganzen Tisch und
wusch auch das ganze Speisegeschirr mit ab.

Unser Kommandant hieß übrigens Maxstedt; er war Whiskyreisender von
Zivilberuf und hatte dabei wohl so viel Geld verdient, daß er sich
sein Offizierspatent kaufen konnte. Über eins hatte er sich besonders
geärgert. Gleich nach unserer Ankunft wurden wir gefragt, wer von uns
täglich zwei Mark fünfzig Pfennig bezahlen wolle. Dafür könnten die
Betreffenden in einem Raum für sich allein und etwas Besseres essen und
brauchten ihr Eßgeschirr nicht selbst abzuwaschen. Daß keiner von uns
auf diesen Schwindel hineinfiel, hatte ihn besonders erbost.

Am zweiten Tage hatte ich meinen englischen Bericht an die englische
Regierung fertig und stieg damit zum Herrn Maxstedt hinauf. Höhnisches
Grinsen seinerseits. „Sie wissen doch, Ihr Gesuch gebe ich weiter, aber
was ich dazu schreibe, das können Sie sich wohl denken. In Deutschland
müssen die englischen Generale wie die Pferde vor dem Pflug hergehen,
_das_ sollen Sie jetzt büßen.”

Es war vergeblich, ihn von der Torheit seiner Behauptungen zu
überzeugen. Jeden Abend bei der Ronde nach dem Zubettgehen kam er extra
in meine Kammer, drehte das Licht an und sagte: ~„Still here?”~ Zu
kindisch!

Eines Tages wurde uns fünfzig Zivilgefangenen von Herrn Maxstedt
befohlen, das Deck der ersten Klasse zu scheuern und die dortigen
Bullaugen zu putzen. Unser Streik war selbstverständlich. Als wir bei
unserer Weigerung blieben, wurden wir mit zweimal Mittagessenentbehren
und abends um neun Uhr Zubettgehen bestraft. Dabei war der Maxstedt
so feige, daß er nicht wagte, bei der Musterung an unserer Front
vorbeizugehen und uns die Strafe selbst aufzubrummen. Vielmehr blieb
er in respektvoller Entfernung und sandte nur seinen Unteroffizier als
Herold.

Maxstedt schäumte.

„Natürlich”, sagte er, „ist wieder dieser ~flying man~ dran schuld, der
stachelt noch die ganze Besatzung zur Meuterei auf, aber ich werd's ihm
eintränken, ich werde ihn schon vor das Kriegsgericht bringen.”

Die Sache wurde mir doch zu bunt, ich war vollständig unschuldig und
schrieb Maxstedt einen recht energischen Brief, in dem ich unter
anderem betonte, ich hoffte, er sei nur ~temporary lieutnant~, nicht
aber auch ~temporary gentleman~. Das half!

Maxstedt behauptete, mit diesem ~flying man~ nichts mehr zu tun haben
zu wollen, und schon am nächsten Tage lag ein Dampfer längsseit und
führte mich mit noch einigen Leidensgenossen von der „Andania” und
seinem gemeinen Gefängniswärter fort.

Wie wohl war mir da zumute! Mit der Eisenbahn ging es wieder
stundenlang westwärts. Ich natürlich wieder in einem Kupee allein,
diesmal außer den drei Unteroffizieren auch noch von einem Offizier
bewacht.

Abends langten wir in Dorchester an.

Hier wehte eine andere Luft, das merkte man gleich. Ein englischer
Kapitän namens Mitchell vom Gefangenenlager trat auf mich zu und fragte
mich höflich, ob ich Offizier sei.

„Ja!”

„Dann wundert es mich aber sehr, daß Sie in ein Mannschaftslager
gebracht werden. Bitte verzeihen Sie, daß ich Ihnen keinen Offizier zu
Ihrer Begleitung stelle, ich gebe Ihnen aber meinen ältesten Feldwebel,
wollen Sie dann bitte allein hinter den anderen Gefangenen hergehen.”

Ich war sprachlos.

Als wir durch das entzückende, saubere Städtchen hindurchmarschierten,
da erscholl plötzlich hinter uns frisch und hell und klar und mit
Begeisterung geschmettert „Die Wacht am Rhein”, dann schönste
Soldatenlieder und „O Deutschland hoch in Ehren”. Wir wähnten zu
träumen, und als wir uns verwundert umsahen, marschierte hinter uns ein
Trupp von zirka fünfzig strammen deutschen Soldaten, die von dem Lager
zum Bahnhof kommandiert waren, um unser Gepäck abzuholen.

O wie schwoll einem das Herz! Mitten in Feindesland, trotz Wunden und
Gefangenschaft diese helle Begeisterung, dieser schmetternde Gesang!
Das muß ich den Engländern lassen, sie waren außerordentlich tolerant,
und die Bevölkerung hat sich stets mustergültig betragen. Stumm stand
sie dicht gedrängt zu beiden Seiten der Straße, aus allen Fenstern
schauten blonde Köpfchen hervor, nirgends eine verächtliche Bewegung,
nirgends ein Schimpfwort. Ja zum Teil schien man den alten deutschen
Melodien wie einem Wunder zu lauschen.

Im Lager erhielten wir Zivilgefangene zu je dreißig eine kleine
Holzbaracke angewiesen, die unseren Schlaf-, Wohn- und Eßraum bildete.
Ein winziger Zeltstrohsack, der direkt auf dem Fußboden lag, und zwei
wollene Decken bildeten unseren Schlafplatz. Mein Kapitän bat mich, mit
dem zur Verfügung Stehenden vorliebzunehmen, da er leider für mich aus
Platzmangel kein Extrazimmer frei hätte.

Das Lager von Dorchester faßte rund zwei- bis dreitausend Gefangene
und bestand zum Teil aus alten Rennställen und aus Holzbaracken. In
denselben Ställen hatten bereits vor hundert Jahren deutsche Husaren
gelegentlich des Besuchs des Feldmarschalls Vorwärts in England als
Gäste gehaust!

Die Gefangenen fühlten sich hier sehr wohl, das Essen war gut und
reichlich, die Behandlung einwandfrei, und für sportliche Betätigung
war gut gesorgt.

Besonders der Kapitän Mitchell und der Major Owen haben sich um das
Wohlergehen unserer Leute verdient gemacht. Beide waren prächtige alte
Soldaten von echtem Schrot und Korn, hatten viele Kriege und Kämpfe
mitgemacht und wußten den Soldaten richtig anzufassen. Diese beiden und
der englische Arzt haben dann auch unseren Leuten eine Musikkapelle,
Turngeräte und Sportspiele geschenkt und, wo sie konnten, den Leuten
Gutes getan. Ein ganz hervorragendes Verdienst hat sich der älteste
deutsche Gefangene, ein Feldwebelleutnant X. aus München, erworben.
Er war Kaufmann von Zivilberuf und sprach fließend Englisch. Ein ganz
hervorragender Mann! Eigentlich war er die Seele des Ganzen, die
richtige Mutter des Lagers. Auch nicht das geringste wurde gemacht, was
er nicht vorher bestimmt hatte. Er war die rechte Hand des englischen
Lagerkommandanten, und ohne ihn wären, glaube ich, die Engländer, die
auch nicht den leisesten Schimmer von Organisationstalent besaßen,
vollends durchgedreht. Es war geradezu erstaunlich, wie dieser
Feldwebelleutnant es verstand, für das Wohlergehen unserer Leute zu
sorgen und zwischen unseren Leuten und den Engländern zu vermitteln.
Allerdings wußten auch die englischen Offiziere sehr gut, was für
eine Stütze sie an ihm hatten. Schon am Tage nach meinem Eintreffen
in Dorchester reichte ich nochmals mein Gesuch um Überführung in ein
Offizierslager ein, denn wie ich vorausgesehen hatte, war mein erstes
Gesuch von Herrn Maxstedt nicht weitergegeben worden. Nach vierzehn
Tagen kam das Gesuch vom Kriegsministerium zurück mit der Anfrage, ob
ich nicht jemand in England namhaft machen könne, der mich kenne. Nun
entschloß ich mich zu dem schweren Schritt, schrieb meinen englischen
Bekannten, und schon nach drei Tagen kam von ihnen die Nachricht
zurück, daß sie mich kennten und mich sehr gern legitimieren würden.
Nun ging das Ganze nochmals an das ~War office~, und geduldig harrte
ich meiner Versetzung.

Wenn es nach dem alten Spruch gegangen wäre: Mit Geduld und Spucke
fängt man eine Mucke, hätte ich Milliarden dieser Fliegerkollegen
erlegen können. Vorerst blieb ich noch in Dorchester, und als vierzehn
Tage nach unserer Ankunft die übrigen Zivilgefangenen wieder weiter
transportiert wurden, da konnte ich es erwirken, in dem Soldatenlager
Dorchester bleiben zu dürfen.

Aus meiner Baracke zog ich aber aus und siedelte in ein Stübchen des
Stalles über, in das ich vom Feldwebel N. liebevoll aufgenommen wurde.

Das Leben in diesem Stübchen war einzig und von bester Kameradschaft
beseelt. Außer aus dem Feldwebel bestanden meine Kameraden aus einem
riesigen bayerischen Infanteristen vom Leibregiment, der den Spitznamen
Schorsch hatte und gleichzeitig unser Koch war, aus einem fixen und
gewandten Husaren-Gefreiten, gebürtigen Lothringer, von Zivilberuf
Schutzmann, und endlich aus zwei prächtigen Gardeschützen, hünenhaft
von Gestalt, echten blonden Friesen. Nach acht Tagen kam noch ein
siebenter Gast hinzu, und zwar war dieser der Fähnrich zur See H.,
der als Flugzeugbeobachter mit seinem Flieger von den Engländern in
der Nordsee aufgefischt war, nachdem sie über vierzig Stunden auf dem
wracken Flugzeug herumgetrieben waren.

Das Verhältnis auf der Stube war geradezu ideal. Die Mannschaften waren
alle bei dem großen Rückzug nach der Marneschlacht gefangengenommen
worden und, wie es bei diesen prächtigen Burschen nicht anders zu
erwarten war, nur schwerverwundet in Feindeshand gefallen. Eine
vornehme Gesinnung, eine Begeisterung und glühende Vaterlandsliebe
besaßen diese Leute, daß mir vor Stolz ordentlich das Herz schwoll.
Besonders nett waren die Abende. Man hätte uns nur sehen sollen, mit
welcher Begeisterung und kindlichen Freude wir abends stundenlang
auf einem selbst konstruierten Brett mit selbst hergestellten
Korkenpferdchen unserem Pferdchenspiel oblagen.

Und wenn erst das Erzählen anging!

Alles war mir ja neu, und ich war glücklich, endlich aus bester Quelle
von unseren herrlichen Kämpfen und Siegen etwas zu erfahren.

Jeden Nachmittag wurden drei- bis vierhundert Gefangene,
selbstverständlich von englischen Soldaten eng umgeben, spazieren
geführt. Sehr oft bin ich mitgegangen. Es ging mitten durch das
reizende Städtchen, dann im großen Bogen durch die schöne Umgebung.
Die ganze Zeit über wurden Soldatenlieder gesungen, beim Hin- und
Rückmarsch durch die Stadt mit besonderer Kraft und Begeisterung „Die
Wacht am Rhein” und „O Deutschland hoch in Ehren”. Man stelle sich bloß
vor, drei- bis vierhundert unserer besten Kerls, unserer Sieger unter
General Kluck! Die englische Bevölkerung benahm sich auch hierbei stets
einwandfrei. In dichten Reihen stand sie an den Seiten der Straßen,
nirgends ein Schimpfwort, nirgends eine Drohung. Eine sehr nette
Episode erzählte mir der Feldwebel: Als der Major Owen und Kapitän
Mitchell neu zum Lager kommandiert waren, wurden sie von ihren Frauen
inständigst gebeten, sich ja nicht ohne Bewachung und ohne schwerste
Bewaffnung unter die deutschen Barbaren zu begeben. Die beiden alten
Soldaten ließen sich jedoch in ihrer Meinung nicht irremachen, kamen
ohne Waffen und wurden -- -- nicht aufgefressen. Nach einiger Zeit
sagten sie zu ihren Frauen: sie sollten doch auch einmal in das Lager
kommen und sich davon überzeugen, daß die deutschen Soldaten nicht
_das_ wären, zu dem sie in englischen Zeitungen gemacht würden, sondern
daß sie wirklich ganz normale Menschen seien.

Die Damen fielen natürlich zunächst in Ohnmacht. Nach vielem Zureden
aber, und nachdem ihnen versichert war, daß sie von einer starken
Wache umgeben werden würden, wagten sie es, die Dienstzimmer ihrer
Männer zu betreten und von oben aus dem Fenster herab dem Treiben der
deutschen Soldateska zuzusehen. Der Besuch war bekanntgeworden, und
stillschweigend hatte sich unser Männergesangverein unter der Leitung
eines jungen talentierten Musikers unter den Fenstern eingefunden
und fing an, seine schönsten Lieder zu singen. Die Damen sollen vor
Ergriffenheit nicht fähig gewesen sein zu reden, sie traten ans Fenster
und weinten bitterlich vor tiefstem Weh. Von nun ab kamen sie öfters,
und viel Gutes ist durch sie unseren Leuten getan worden.

Eine andere Geschichte ist auch recht bezeichnend. Ein neuer Oberst
kam ins Lager. Bei seiner ersten Besichtigung war er bis an die
Zähne bewaffnet und hatte vor und hinter sich einen Soldaten mit
aufgepflanztem Bajonett. Als er den Major und den Kapitän vollkommen
unbewaffnet und unbegleitet traf, machte er ihnen wegen ihrer
Unvorsichtigkeit die größten Vorwürfe.

Er hat sich aber bald gebessert.

An einem Tage ließ dieser neue Kommandant die beiden anderen Herren
kommen und sagte ihnen voll Entsetzen: „Ja, denken Sie sich, da sind
gestern einige neue Gefangene gekommen, und mir ist gemeldet worden,
sie hätten Läuse! So etwas Schreckliches kann doch nur bei diesen
Deutschen vorkommen.” Darauf drehte sich der Kapitän ganz ruhig zu
dem daneben stehenden Major um und sagte ihm: „Sie, Owen, wissen Sie
noch, wie wir beide das letztemal im Feldzuge so voller Läuse steckten,
daß wir uns nicht rühren konnten?” Der Oberst war sprachlos. Ich muß
allerdings hinzufügen, daß der Oberst zwar Oberst war, aber nie in
seinem Leben irgendwo militärisch zu tun gehabt hatte. Das gibt's auch
nur in England!

Gegen Ende März hielt ich endlich die erste Nachricht aus der Heimat
in der Hand. Im Juli Neunzehnhundertvierzehn, kurz vor Ausbruch des
Krieges, hatte ich von den Meinen die letzte Nachricht erhalten, die
vom Juni stammte. Nun endlich, nach fast neun Monaten, wieder die
ersten Zeilen.

Man kann sich vorstellen, wie mir zumute war, als ich den ersten Brief
in der Hand hielt und anfangs zögerte ihn zu öffnen. Alle meine Brüder
und Verwandten waren Offiziere, sie alle standen seit Kriegsbeginn im
Felde; was für Nachrichten brachten mir diese ersten Zeilen? Die eine
Freudennachricht enthielt der kurze Bogen, daß meine Brüder trotz Kampf
und Gefahr am Leben waren. Aber auch eine Trauerbotschaft, die mich
schwer traf, daß mein geliebtes holdes Schwesterlein, mein treuester
Freund und Kamerad, durch die Wirkung des Krieges gestorben war.

Kriegsschicksal!

An einem der letzten Tage des März kam endlich der Befehl, daß ich als
Offizier anerkannt worden wäre und in ein Offizierslager übergeführt
werden sollte. Mein Bündelchen und mein Hockeystock waren bald
zusammengepackt, und nach herzlichem Abschied von den braven Kameraden
marschierte ich in meinem besten Päckchen mit dem Major Owen zusammen
zum Tore hinaus und zum Bahnhof.

Das feine Taktgefühl des alten Haudegens hat mir besonders wohlgetan.
Nach mehrstündiger Fahrt langten wir endlich in Maidenhead in der Nähe
von London an, wo ich von einem neuen englischen Offizier in Empfang
genommen wurde. Und hier, o Wunder, traf ich alte liebe Bekannte
wieder. Fünf blanke runde amerikanische Goldstücke, die seinerzeit
einem Schlossergesellen, später Schloßherrn Ernst Suse abgenommen
waren, wurden meinem neuen Begleiter übergeben, und dieser durfte sie
mir jetzt, da ich ja nun wieder Offizier war, ohne weiteres aushändigen.

Die Wiedersehensfreude!

Im Auto ging's jetzt zum Offizierslager Holyport. Die Posten
präsentierten, das Drahthindernis wurde geöffnet, und schon war ich von
einer freudigen Schar von Kameraden umringt.

Ja, wer hätte das gedacht.

Sie, die ich fast vor dreiviertel Jahren in Tsingtau zum letzten
Male gesehen hatte, die Sieger von Coronel, die wenigen überlebenden
Tapferen von den Falklandinseln traf ich hier wieder. Die Freude
kann man sich kaum vorstellen. Das Fragen und Erzählen! Kein Ende
wollte es nehmen. Und dann geschah für mich ein Wunder. Ich wurde in
ein Zimmer geführt, und da standen wahrhaftig sechs bis acht Betten,
richtige schöne Betten, weiß und sauber bezogen. Fast acht Wochen war
ich gefangen, nun das erste Bett, das ich zu Gesicht bekam. Kann man
da verstehen, mit welcher Scheu und Andacht ich mich an diesem Abend
hineinlegte?

In der ersten Zeit kam ich mir wie im Paradiese vor. Besonders da ich
hier endlich wieder als Mensch behandelt wurde. Ich war wieder unter
meinen Kameraden, fand liebe Freunde und viel geistige Anregung.

Die Behandlung im Lager war gut. Der englische Kommandant ein
verständiger Mann, bemüht, uns das Leben zu erleichtern.

Das Gebäude selbst war ein altes Kadettenhaus, im ganzen waren hundert
kriegsgefangene Offiziere im Lager, und wir waren auf Stuben bis zu
acht oder zehn Offizieren untergebracht.

Diese Stuben waren gleichzeitig unser Schlaf- und Aufenthaltsraum.
Außerdem gab es noch eine große Reihe von Messe-, Lese- und
Speiseräumen, in denen wir uns, wenn wir nicht an der frischen Luft
waren, meist aufhielten. Das Essen war echt englisch, also dadurch den
meisten Deutschen wenig zusagend, aber gut und reichlich. Es wurde eher
dadurch verbessert, daß wir am Anfang eigene Meßführung hatten, welche
später leider vom englischen ~War office~ aufgehoben wurde.

Den ganzen Tag über waren wir ziemlich ungestört. Wir konnten uns im
Gebäude und in einem mäßig großen Garten, der das Haus umgab, frei
bewegen; morgens um zehn Uhr Musterung und abends um zehn Licht aus und
Ronde.

Dem Stacheldrahthindernis, welches das Ganze umgab und Tag und Nacht
streng bewacht und beleuchtet war, durften wir uns selbstverständlich
nicht nähern, geschweige denn dieses Gehege verlassen. Nur vor- und
nachmittags wurde das Hindernis für uns geöffnet, und wir konnten durch
ein Spalier von englischen Soldaten zu einem zweihundert Meter entfernt
liegenden Sportplatz gehen. Für unseren Sport war mustergültig gesorgt.
Zwei prachtvolle Fußball- und vor allen Dingen Hockeyplätze standen
uns zu unserem ausschließlichen Gebrauch zur Verfügung, und wir haben
da gespielt, daß selbst den Engländern die Augen übergingen. Daß auch
dieser Platz selbstverständlich mit Stacheldraht und Posten umgeben
war, brauche ich wohl nicht zu erwähnen.

Sehr angenehm war es, daß wöchentlich zweimal ein sehr guter Schneider
und ein Wäschelieferant mit vorzüglicher Wäsche in das Lager kam und es
uns dadurch ermöglicht wurde, uns wieder anständig anzuziehen.

Als Gehalt bekamen wir monatlich einhundertundzwanzig Mark, wovon
gleich sechzig Mark monatlich für unsere Verpflegung einbehalten
wurden. Die übrigen sechzig Mark konnten wir für uns ausgeben, außerdem
konnte man sich von Hause Geld schicken lassen. Die Post funktionierte
tadellos. Die Briefe von Deutschland kamen im allgemeinen regelmäßig
an und gebrauchten im ganzen sechs bis acht Tage. Pakete gingen
ebensolange.

Mit unseren eigenen Briefen war es allerdings knapp bestellt.
Wöchentlich durften wir nur zwei kurze vorgeschriebene Zettelchen
schreiben, und wie gerne hätten wir dabei stundenlang unseren Lieben
daheim erzählt! Die Briefpost, die war ja unser ein und alles. Nach
der Briefausgabe berechneten wir die ganze Tageseinteilung, nach den
Briefen richtete sich unser ganzer Seelenzustand, überhaupt hing die
ganze Stimmung im Lager von der Post ab.

Jeden Morgen wiederholte sich dasselbe Schauspiel. Wenn der
Dolmetscheroffizier mit den Briefen kam, blieb alles stehen und liegen,
alles war vergessen. Von einer lautlosen Menge Harrender war der
englische Offizier umgeben. Jeder hatte in seinem Herzen den heißesten
Wunsch, daß ihm der heutige Tag einen Gruß aus der Heimat, eine Zeile
von lieber Hand geschrieben bringen möge. Und dann die Freude, wenn was
da war, und die Trauer und Niedergeschlagenheit, wenn man mit leeren
Händen abziehen mußte. Im letzteren Falle sagten wir immer: „Wieder
mal ein Tag verloren!”

Als ich rund zwei Monate später in Deutschland war und von vielen
Seiten gefragt wurde, womit man dem Kriegsgefangenen eine Freude machen
könne, habe ich immer nur gesagt: „Schreibt, schreibt, so viel ihr
könnt; die Briefe sind das, wonach der Gefangene sich am meisten sehnt.”

Unser Zusammenleben war den Umständen entsprechend ein äußerst
kameradschaftliches. Besonders nett waren die Abende, an denen wir
in Gruppen um die schönen großen Kamine saßen. Mächtige Holzkloben
brannten, und dann hub ein Erzählen an von Schlachten und Siegen, von
Not und Tod und von wilden abenteuerlichen Erlebnissen. Viele gute
Bücher, ein Streichquartett und ein Gesangverein, den wir uns gegründet
hatten, trugen wesentlich zur Unterhaltung bei.

Auch mancher Ulk wurde getrieben, und wenn man sich endlich wieder
einmal so recht herzhaft ausgeschüttet hatte vor Lachen, dann atmete
man erleichtert auf, und für kurze Zeit wich dann der furchtbare Druck
der Gefangenschaft von uns.

Unser kameradschaftliches Zusammensein wurde Ende April plötzlich
gestört.

Eines Abends kam der Befehl, daß fünfzig von uns hundert Offizieren am
nächsten Morgen zu dem Offizierslager in Donington Hall übergeführt
werden sollten. Die Aufregung bei uns war groß, denn keiner wollte weg.
Es half kein Bitten und kein Sträuben, es hieß einfach, Koffer packen
und abmarschieren. Der einzige Seeoffizier, der mit wegkam, war leider
ich, und zwar auf besonderen Befehl des englischen Lagerkommandanten,
da ihm die Nähe Londons für mich zu gefährlich schien.

Da ich fort kam, schloß sich auch der zweite Flieger von der Armee,
mein treuer Freund Siebel, an. So blieben wir beiden Flieger wenigstens
zusammen.

Am ersten Mai ging's also los. In Autos zu je fünf wurden wir zum
Bahnhof Maidenhead gefahren, wo zwei Extrawagen für uns bereitstanden.
In den Abteilen blieben wir ungestört für uns allein, die Wagen selbst
wurden aber von Soldaten streng bewacht.

Stundenlang rollten wir nun durch die Gegend nach Norden zu. Die Menge
auf den Bahnhöfen sah zwar neugierig in unsere Kupeefenster, jedoch
verhielt sie sich vollkommen ruhig. Nur hin und wieder streckte uns
ein altes Weib, wahrscheinlich Suffragette von Zivilberuf, ihre wenig
schöne Zunge aus. Am Nachmittage langten wir endlich auf der Station
Donington Castle, in der Nähe von Derby, an, stiegen aus und mußten in
Gruppenkolonnen auf dem Bahnhof antreten. Umringt von zirka sechzig
bis siebzig Soldaten, marschierten wir auf das Kommando ~„Quick
marsh”~ ab. Außerhalb des Bahnhofs empfing uns eine johlende Menge.
Fast alles Weiber und halbwüchsige Burschen und Kinder, nur wenige
Männer. Den meisten von uns war von Frankreich her dies unwürdige
Benehmen der Bevölkerung reichlich bekannt, in England war es etwas
Neues. Die Weiber und jungen Mädchen, der niedrigen Bevölkerung
angehörend, benahmen sich wie die Wilden. Heulend und pfeifend
liefen sie neben und hinter uns her, ab und zu flog ein Stein oder
Straßenschmutz in unsere Reihen. Aber im großen und ganzen lachten
sich die Demonstrantinnen halbtot dabei und schienen sich bei ihrem
Gejohle köstlich zu amüsieren. Bei der ersten Straßenbiegung kam ein
Automobil hinter uns her gefahren. Am Steuer saß fett und hochnäsig
unser englischer Dolmetscher-Offizier, Mr. Meyer, den wir später noch
zur Genüge kennenlernen sollten. Herr Meyer wollte sich uns so recht
zeigen und schon -- -- -- hatte er einen seiner eigenen Leute, die uns
eskortierten, umgefahren. Ein allgemeines Geschrei und Geschimpfe, kein
Mensch, der irgend etwas veranlaßte. Schließlich sprangen zwei von
uns „Barbaren” hinzu und zogen den unglücklichen Tommy unter dem Auto
hervor.

Nun richtete sich die ganze Wut der Weiber gegen Herrn Meyer, und
wenn der nicht schleunigst weitergefahren wäre, hätten sie ihn
womöglich noch verprügelt. Daß sie es nicht taten, war ein Jammer.
Der Zwischenfall war bald vergessen, und weiter johlte die Menge.
Immer frecher wurde sie, immer mehr Schmutz wurde auf uns geworfen,
als plötzlich -- ruhig und behäbig, mit gesenkten Köpfen nachdenklich
wiederkäuend vier, fünf Kühe uns entgegenkamen, die an beiden Seiten
bei uns vorbei wollten. Was nun folgte, war so komisch, daß wir alle
samt unseren englischen Tommies stehenblieben und uns vor Lachen bogen.
Kaum daß die bisher so mutigen Weiber die Kühe sahen, fingen sie
auch schon an, furchtbar aufzuschreien, machten kehrt und liefen in
wildester Flucht davon. Rücksichtslos wurden die Schwächeren von den
Stärkeren umgestoßen, und bald lag ein wild strampelndes Knäuel vor
Angst kreischender Weiber zu beiden Seiten der Straße im Graben.

Von nun ab hatten wir Ruhe, und unbelästigt setzten wir in ziemlichem
Geschwindschritt unseren Weg fort.

Bei dem ganzen Marsch paßte ich scharf auf die Wege und einzelne
besonders markante Punkte auf. Man konnte ja nie wissen, wozu einem das
mal gut sein würde!

Die Sonne brannte glühend vom Himmel herab, und in Schweiß gebadet
langten wir nach anderthalb Stunden in unserem neuen Heim Donington
Hall an.

Hier herrschte Disziplin.

Die Tore und Drahthindernisse öffneten sich, die ganze Wache stand
unter präsentiertem Gewehr angetreten, der Wachtkommandant und zwei
Leutnants auf dem rechten Flügel mit der Hand an der Mütze.

Nachdem wir vom englischen Lagerkommandanten empfangen waren, wurden
wir auf unsere Stuben verteilt, und es glückte mir, mit vier anderen
Kameraden, darunter selbstverständlich meinem Freunde Siebel, eine sehr
nette kleine Stube zu erhaschen.

Auch hier traf ich eine große Anzahl alter Bekannter wieder. Da waren
die Geretteten vom „Blücher”, von Torpedobooten und kleinen Kreuzern
und mehrere Armee- und Marineflieger.

Donington Hall stellte das Mustergefangenenlager von England vor.
Nach allem, was wir bereits wochenlang in englischen Zeitungen
darüber gelesen hatten, mußte es ein Paradies sein. Täglich fand
man spaltenlange Artikel in den Zeitungen, in denen die Regierung
angegriffen wurde, daß sie die deutschen Gefangenen zu luxuriös
untergebracht habe. Wie immer, so gebärdeten sich die Frauen dabei am
wildesten und hatten sogar die Erzwingung der Räumung Donington Halls
zu einer Frauenfrage Englands gemacht! Selbst das Parlament mußte sich
wiederholt mit diesem Thema beschäftigen. Da sollten Spielsäle sein
und mehrere Billards, das Gebäude wie ein Schloß eingerichtet sein,
ein besonderer Wildpark sollte für die Offiziere gehegt und für die
deutschen Gefangenen sogar Fuchsjagden veranstaltet werden.

Nichts von alledem war wahr. Wohl war Donington Hall ein großes altes
Schloß, aus dem siebzehnten Jahrhundert stammend, umgeben von einem
prächtigen alten Park, doch waren die Räume vollständig kahl und die
Einrichtung so primitiv und kümmerlich wie nur irgend denkbar. Von
Billard und Spielsälen und Fuchsjagden keine Spur. Aber tadellos sauber
war alles, und dafür sorgte der englische Kommandant mustergültig. Nach
unserer Ankunft waren wir im ganzen rund einhundertzwanzig Offiziere
und wohnten schon dicht gepökelt. Das Lager war aber für vier- bis
fünfhundert Offiziere berechnet worden. Das hätte ja eine feine Sache
gegeben, da jetzt schon die Speiseräume und die Kochgelegenheit, Bade-
und sonstige Einrichtungen nicht langten.

Besonders angenehm war der schöne Park für uns.

Unser ganzer Aufenthaltsraum war in zwei Zonen eingeteilt, in die
sogenannte Tag- und in die Nachtgrenze. Diese Gebiete wurden begrenzt
durch mächtige Drahthindernisse, die zum Teil elektrisch geladen waren,
nachts durch mächtige Bogenlampen erhellt und Tag und Nacht durch
Posten scharf bewacht wurden.

Das Drahthindernis der Nachtgrenze umschloß das Haus und die
davorliegenden Tennis- und Sportplätze; die Taggrenze erstreckte sich
auch noch auf den Park.

Abends um sechs Uhr war große Musterung, und nachdem alles anwesend
und zur Stelle war, wurde die Taggrenze geschlossen, die sich erst am
nächsten Morgen um acht Uhr wieder öffnete. Das Leben in Donington Hall
war fast das gleiche wie in Holyport, nur daß wir hier durch den Park
sehr viel mehr Bewegungsfreiheit hatten, fast noch mehr Sport trieben,
falls es überhaupt möglich war, und drei sehr gute Tennisplätze
besaßen. Die Verpflegung war auch hier echt englisch und schmeckte sehr
vielen nicht, aber gut und reichlich. Der englische Oberst war recht
vernünftig. Zwar knurrte er oft und war ziemlich kommissig, aber ein
vornehmer, verständiger Mann, tadelloser Soldat vom Scheitel bis zur
Sohle, und das war die Hauptsache. Er hat alles mögliche getan, um uns
das schwere Los zu erleichtern, und hat sich ganz besonders für unsere
Sportspiele interessiert. Und das war gut.

Ein unangenehmer Vertreter war der englische Dolmetscher, der Leutnant
Meyer (der pampige Autofahrer), ein würdiges Gegenstück zu meinem
Freunde Maxstedt von der „Andania”; ebenfalls nicht nur ~„temporary
lieutnant”~, sondern auch ~„temporary gentleman”~. Er stammte aus
Frankfurt am Main, war vor dem Kriege Schmierendirektor gewesen und
tat nichts, um seinen niederen Charakter zu verbergen. Ich glaube,
der englische Oberst verachtete ihn geradezu; und die englischen
Sergeanten, mit denen wir gelegentlich einige Worte in der Kantine
sprachen, sagten uns wörtlich: sie hofften sehr, daß wir nicht
glaubten, daß alle englischen Offiziere so wären wie dieser Mr. Meyer.

Eines Abends gegen Ende Juni hatten wir ein köstliches Erlebnis.
Draußen, außerhalb des Stacheldrahtes, war sehr viel Reh- und Damwild
oft in Rudeln bis zu Hunderten zusammen, die zahm wie die Ziegen
herumliefen.

An diesem Abend nun lief ein allerliebstes kleines Kitzlein, welches
seine Mutter verloren hatte, am Stacheldraht vorbei, und auf unser
Locken und Rufen kroch es geschickt durch das Hindernis hindurch und
gelangte in das Lager. Unsere Freude war groß. Geradezu eine Sensation
für uns. Das Kitzlein wurde umringt und gestreichelt und geliebkost
(die Jäger knurrten), und schließlich wurde es im Triumph auf den Armen
eines Leutnants in die Burschenstube getragen, wo sich einer unserer
Jäger befand, der es großziehen sollte.

Woher der Meyer davon Wind bekam, weiß ich nicht, jedenfalls ließ
er sich plötzlich den deutschen Lageradjutanten kommen, und mit vor
Schrecken bebender Stimme fragte Meyer:

„Leutnant S., ist es wahr, es ist ein Tier im Lager?”

„Ja, ein Tier!”

„Und ist durch das Stacheldrahthindernis gekommen?”

„Ja, es ist einfach durchgekrochen.”

„Oh, das ist ja schrecklich!” meinte Mr. Meyer, und dabei schien ihm
die Stimme zu verlöschen.

„Ich muß gleich sehen, wo das Loch ist, wo das große Tier
hindurchgekrochen ist, sicher haben die deutschen Offiziere den
Stacheldraht zerschnitten, um zu fliehen; das Tier muß auch sofort
entfernt werden!”

Und so geschah es.

Und, es ist kein Scherz, zwanzig Mann der Wache mit aufgepflanztem
Seitengewehr wurden gepfiffen, der eine deutsche Soldat mit dem
unschuldigen winzigen Kitzlein wurde von ihnen in die Mitte genommen,
und auf ~„Quick marsh”~ marschierte der ganze Zug zu dem inneren Tor
des Hindernisses. Dann wurde dieses geöffnet, die zwanzig Mann mit dem
einen deutschen Soldaten und dem Kitzlein traten in den Zwischenraum,
die sogenannte Schleuse, das innere Tor wurde sorgfältigst
abgeschlossen, dann erst das äußere geöffnet, der Soldat mußte das
Kitzlein ins Freie setzen, und dann wurde die ganze Prozession
zurückgemacht. Oh, Mr. Meyer, wie hast du dich blamiert!

Nun wurde das ganze Hindernis sorgfältigst untersucht, und trotzdem
nicht die geringste Lücke gefunden werden konnte, durch die ein Mensch
hätte kriechen können, wollte Meyer sich tagelang nicht beruhigen.

Außer der Post bildete täglich der Zeitungsempfang den Hauptmoment des
Tages. Die „Times” und „Morning Post” durften wir uns halten, und wenn
sie auch fast nur von Ententesiegen berichteten, so kannten wir die
Zeitungen bald so gut, daß das, was wir zwischen den Zeilen lasen, uns
ein ungefähr genaues Bild der Sachlage gab.

Und die Wut in den Zeitungen, als die „Lusitania” sank, und _der_
Ärger, wenn die Russen, selbstverständlich nur aus strategischen
Gründen, weiter zurückgingen!

Wir hatten mehrere riesig große, bis ins kleinste genaue Karten der
Kriegsschauplätze angefertigt, und jeden Morgen um elf Uhr waren unsere
„Generalstäbler” bei der Arbeit und steckten die Fähnchen um. Und oft
stand selbst der englische Oberst davor und schüttelte bedenklich den
Kopf.



Die Flucht


Mit der Zeit wurde die Gefangenschaft unerträglich. Keine Briefe von
Hause, nicht die vielen herrlichen Pakete, die mir von lieber Hand
gesandt wurden, halfen mir; auch nicht die treuen Kameraden, nicht das
Hockeyspiel, dem ich mich mit einem derartigen Eifer hingab, daß ich
abends wie tot vor Müdigkeit hinsank.

Nichts half, alles war vergebens.

Endlich hatte auch mich, wie so unendlich viele vor mir, schon die
Gefangenenkrankheit gepackt.

Die Krankheit der furchtbarsten Verzweiflung, der vollständigsten
Hoffnungslosigkeit.

Trostlos!

Stundenlang lag ich wie viele andere im Grase und starrte mit weit
geöffneten Augen den blauen Himmel an, und meine ganze Seele sehnte
sich empor zu den weißen Wölkchen dort oben und wanderte mit ihnen nach
der fernen, lieben Heimat. Und wenn gar ein englischer Flieger ruhig
und sicher am blauen Firmament vorbeiflog, dann krampfte sich das Herz
zusammen, und wilde verzweifelte Sehnsucht schüttelte mich. Der Zustand
wurde immer schlimmer, ich wurde gereizt und nervös und unfreundlich
gegen meine Kameraden und kam seelisch und körperlich herunter. Und
dabei konnte ich doch eigentlich noch zufrieden sein, ich hatte
wenigstens was mitmachen können und viel erlebt! Aber so viele andere
waren schon in den ersten Gefechtstagen verwundet in Feindeshand
gefallen, und die unglücklichsten waren die, welche bei Beginn des
Krieges aus Amerika gekommen waren, dort ihr Hab und Gut, ihr alles
hatten stehen und liegen lassen, um ihrem Vaterland zu dienen, um dann
durch den Verrat der Engländer, bevor sie überhaupt die Heimat gesehen
hatten, gefangengenommen zu werden.

Unsere Stimmung wurde sehr beeinträchtigt dadurch, daß wir keinerlei
Kriegsnachrichten aus Deutschland erhielten. Und wenn wir auch
selbstverständlich den englischen Lügenmeldungen nicht Glauben
schenkten, es hatte mit der Zeit doch gewaltigen Einfluß auf uns, daß
wir wochen- und wochenlang nichts als Gemeinheit gegen Deutschland und
nichts als Niederlagen, Revolution und Hungersnot über Deutschland
lasen. Die Ungewißheit war auch hier das Schrecklichste, und ganz
besonders traf uns die Nachricht von dem gemeinen Verrat Italiens.

Das Triumphieren in den englischen Zeitungen!

Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Es mußte etwas geschehen, wenn
ich nicht gänzlich verzweifeln wollte.

Tag und Nacht hatte ich geplant, gegrübelt und überlegt, wie ich dieser
elenden Gefangenschaft entrinnen könne. Pläne über Pläne hatte ich
entworfen und wieder verwerfen müssen. Mit größter Ruhe und Überlegung
mußte hier ans Werk gegangen werden, falls etwas gelingen sollte.

Stundenlang ging ich nun an den verschiedenen Seiten der Hindernisse
auf und ab, dabei unauffällig jeden Draht und jeden Pfahl beobachtend.
Stundenlang lag ich im Grase in der Nähe einzelner Stellen, die mir
günstig schienen, tat als ob ich schliefe, beobachtete dabei aber
scharf jeden einzelnen Gegenstand und die Wege und die Gewohnheiten
jedes einzelnen Postens.

Die Stelle, an der ich über den Stacheldraht wollte, stand bei mir
fest. Nun handelte es sich bloß noch darum, wie weiterkommen, wenn erst
das Hindernis überwunden war. Wir besaßen weder Karte von England,
noch Kompaß oder Fahrplan, noch irgendein Hilfsmittel. Sogar die
genaue Lage von Donington Hall war uns gänzlich unbekannt. Den Weg bis
Donington Castle kannte ich, den hatte ich mir ja auf dem Hinmarsche
gründlich eingeprägt. Durch einen Offizier, der zufällig statt von
Donington Castle von Derby im Auto gefahren war, erfuhr ich, daß
seiner Schätzung nach Derby etwa fünfundzwanzig bis dreißig Kilometer
nördlich von Donington Hall liegen müsse und daß er, bevor das Auto
in das Dorf eingebogen wäre, eine große Brücke passiert hätte. Nun
freundete ich mich mit einem alten biederen englischen Soldaten an,
schenkte ihm gelegentlich auch einige Zigarren und lud ihn ab und zu
zu einem Glase Bier in die Kantine ein. Nachdem wir schon mehrere Male
zusammengesessen hatten, sagte ich ihm, es müsse doch sehr langweilig
sein, dauernd in Donington zu sitzen, ob er denn gar keine Abwechslung
habe. O ja, meinte er, ab und zu führe er Rad, und manchmal führe er
auch damit zum Kientopp nach Derby.

„Was, Derby?” fragte ich, „das ist ja viel zu weit für Sie, dazu sind
Sie ja viel zu alt!”

„Ich und zu alt? ~No, Sir!~ Da kennen Sie einen englischen Tommy
schlecht, wenn ich auf meinem Rade sitze, da nehme ich es mit jedem
Jungen auf, und in drei bis vier Stunden habe ich die Strecke nach
Derby schon zurückgelegt.”

An diesem Tage hatte ich genug erfahren. In der nächsten Woche traf
ich meinen alten Freund wieder. Wir begrüßten uns, und ich drückte ihm
ein paar Zigarren in die Hand, die ich, trotzdem ich Nichtraucher bin,
stets bei mir führte.

„He, sag mal, Tommy,” fing ich plötzlich an, „da habe ich gestern eine
Wette mit einem Kameraden gemacht. Ich behaupte, Derby liegt nördlich
von uns, mein Kamerad behauptet, es läge südlich. Wenn ich gewinne,
kriegst du einen ordentlichen Topf Bier mit ab.”

Das Whiskyauge meines Freundes glänzte freudig auf, und er versicherte
mir mit heiligen Eiden, daß ich recht habe, und daß Derby ganz bestimmt
nördlich von Donington Hall läge.

Nun war ich klar.

Und mit einem meiner Marinekameraden, dem Oberleutnant zur See Trefftz,
der vorzüglich Englisch sprach und England genau kannte, beschloß ich,
gemeinsame Sache zu machen.

Der vierte Juli Neunzehnhundertfünfzehn war zu unserer Flucht
festgesetzt, alles dazu einexerziert und klappte, alle Vorbereitungen
waren getroffen.

Am vierten Juli früh meldeten Trefftz und ich uns krank.

Bei der Frühmusterung um zehn Uhr wurde beim Aufrufen unserer Namen
„krank” gemeldet, und nach beendeter Musterung kam der wachthabende
Sergeant auf unsere Stuben und fand uns krank in den Betten vor.

Alles in schönster Ordnung.

Der Nachmittag und die Entscheidung rückten heran.

Gegen vier Uhr zog ich mich an, nahm alles, was ich zur Flucht
mitzunehmen nötig erachtet hatte, an mich, aß noch einige dicke
Butterbrotstullen und nahm dann Abschied von meinen Stubenkameraden
und besonders von meinem treuen Freunde Siebel, den ich leider nicht
mitnehmen konnte, da er nicht Seemann war und kein Englisch sprach.

Draußen war ein heftiges Gewitter im Gange, und wolkenbruchartig
strömte der Regen vom Himmel herab. Die Posten standen naß und
frierend in ihren Schilderhäuschen, und daher fiel es auch keinem auf,
daß trotz des Regens noch zwei Offiziere Lust verspürten, im Park
spazierenzugehen. Im Park befand sich eine von Büschen umgebene Grotte,
von der aus man den ganzen Park und den Stacheldraht übersehen, selbst
aber nicht gesehen werden konnte.

Hier hinein verkrochen sich Trefftz und ich.

Ein kurzer Abschied noch von S., der uns mit Gartenstühlen zudeckte,
und wir waren allein.

Nun konnte nur noch die Vorsehung und unser Glück für uns weitersorgen.

In atemloser Spannung warteten wir. Die Minuten wurden zu Ewigkeiten,
doch langsam und sicher verstrich eine Stunde nach der anderen. Als die
Turmuhr laut und vernehmlich sechs Uhr schlug, klopfte uns gewaltig
das Herz. Wir hörten, wie zur Musterung geklingelt wurde, das Kommando
„Stillgestanden!”, dann wurde mit lautem Geräusch das Drahthindernis
der Taggrenze geschlossen. Bange Viertelstunden durchlebten wir. Wir
wagten überhaupt nicht zu atmen. Jeden Augenblick erwarteten wir, bei
unseren Namen gerufen zu werden. Es wurde sechs Uhr dreißig, nichts
ereignete sich. Ein Alp wich von unseren Herzen. Gott sei Dank, der
erste Akt war geglückt. Denn nachdem bei der Musterung bei unseren
Namen wiederum „krank” gemeldet war und die Offiziere wegtreten
durften, liefen ein Kamerad für mich und ein anderer Kamerad für
Trefftz so schnell wie möglich hinten ums Gebäude herum und legten
sich in unsere Betten. Und als der Feldwebel kam, konnte er zufrieden
feststellen, daß die beiden Kranken anwesend wären. Da also alles in
Ordnung war, wurde wie an jedem Abend das Nachthindernis geschlossen,
ja sogar die Posten vom Taghindernis eingezogen, und damit waren wir
uns selbst überlassen. Der außerordentliche Regen kam uns sehr zu
statten, denn sonst pflegten die englischen Soldaten abends in unserem
Park herumzutollen, wobei ein Entdecktwerden sehr leicht möglich
gewesen wäre.

Stunde um Stunde verrann. Stumm lagen wir da, nur ab und zu stießen wir
uns gegenseitig an und nickten uns zu vor Freude, daß bis jetzt alles
so gut geklappt hatte.

Um zehn Uhr dreißig abends wuchs unsere Erregung aufs äußerste. Die
zweite Probe mußte bestanden werden. Deutlich hörten wir das Signal zum
Schlafengehen, und aus dem geöffneten Fenster meines früheren Zimmers
erscholl kräftig „Die Wacht am Rhein”. Das war das Zeichen für uns, daß
alles auf dem Posten wäre.

Der wachthabende Offizier mit einem Sergeanten schritt sämtliche
Stuben ab und überzeugte sich, daß keiner fehlte. Durch wochenlange
Beobachtungen hatte ich festgestellt, daß die wachthabenden Offiziere
stets denselben Weg wählten, um nach der Ronde auf dem kürzesten Wege
in ihre Behausungen zu gelangen. So war es auch heute. Die Ronde fing
in dem Zimmer an, wo Trefftz fehlte. Es war selbstverständlich, daß ein
anderer bereits in dessen Bett lag.

~„All present?”~

~„Yes, Sir!”~

~„All right, good night, gentlemen!”~

Und so ging die Ronde weiter. Kaum war sie um die Ecke gebogen, als
auch schon zwei der anderen Kameraden in entgegengesetzter Richtung
herum und in mein Zimmer liefen, und so war es selbstverständlich, daß
auch hier alles ~„present”~ war.

Die Aufregung und die gespannteste Erwartung, in der wir uns während
dieser Zeit befanden, kann man sich kaum vorstellen. Im Geiste erlebten
wir ja alles mit, und da es merkwürdig lange still blieb, befürchteten
wir schon, daß alles verloren sei. Mit eiskalten Händen, kaum atmend,
das Gehör bis auf das äußerste angespannt, lagen wir da.

Endlich um elf Uhr abends erscholl ein lauter Jauchzer. Das war unser
verabredetes Signal, daß alles geglückt war.



Schwarze Nächte an der Themse


Nun blieb um uns alles ruhig. Der Regen hörte Gott sei Dank auf zu
strömen. In vollständige Dunkelheit gehüllt, lag der Park da, und matt
schimmerte das Licht der riesigen Bogenlampen, womit das Nachthindernis
beleuchtet war, zu uns herüber. Dumpf hallte der regelmäßige Tritt
der in ihren Schutzhäuschen auf und ab marschierenden Posten, und
unheimlich klang ihr Zuruf, womit sie sich alle Viertelstunde
gegenseitig anriefen. Um zwölf Uhr nachts war Wachtablösung, die ich
mit gespanntester Aufmerksamkeit verfolgte. Dann kam der wachthabende
Offizier und leuchtete mit einer Lampe das Taghindernis -- also unseres
-- ab, und um halb ein Uhr war wieder tiefste Ruhe.

Nun war der Moment des Handelns gekommen.

Leise kroch ich aus meinem Versteck wie eine Katze, schlich durch den
Park und zu dem Drahthindernis, um mich zu überzeugen, daß wirklich
keine Posten mehr ständen. Als alles in Ordnung war und ich die Stelle,
über die wir rüber wollten, wiedergefunden hatte, schlich ich zurück
und holte Trefftz ab. Nun machten wir den Weg gemeinsam noch einmal.

Am Hindernis angekommen, gab ich leise noch einmal die letzten
Verhaltungsmaßregeln und dann Trefftz mein kleines Bündelchen. Als
erster fing ich an zu klettern. Der Zaun war zirka drei Meter hoch
und alle zwanzig Zentimeter von Draht mit unheimlich langen Stacheln
bezogen.

Bis zirka fünfundsiebzig Zentimeter über dem Boden waren elektrisch
geladene Drähte gesetzt, deren Berühren genügte, um sie zu entladen
und ein Klingelwerk auszulösen, wodurch selbstverständlich das ganze
Lager alarmiert worden wäre. Zum Schutz gegen die Stachel hatten wir
Ledergamaschen an und um die Knie Wickelgamaschen gebunden und trugen
außerdem noch Lederhandschuhe. Doch die Stacheln waren länger und sie
haben ganz fürchterlich gepikst. Aber das hatte den Vorteil, daß wir
nun nicht ausrutschen konnten, um dadurch den elektrischen Draht zu
berühren. Den ersten Zaun überwand ich leicht. Dann gab mir Trefftz
unsere beiden Bündel, und ebenso schnell wie ich überstieg auch er
den Zaun. Nun kam ein zirka zehn Meter breites und ein Meter hohes
schweres Drahthindernis, nach den neuesten Schikanen erbaut. Wie die
Katzen liefen wir beide über dieses hinweg. Dann kam wiederum ein hoher
Stacheldrahtzaun, genau so beschaffen wie der erste und ebenfalls mit
elektrisch geladenen Drähten versehen. Auch hierüber kamen wir beide
glatt, nur daß ich mir an den verflixten Stacheln einen Teil meines
Hosenbodens ausriß, den ich mir erst wieder herunterholen mußte, um ihn
später wieder einzusetzen. Gott sei Dank, das Hindernis war überwunden!

Stumm drückten Trefftz und ich uns kräftig die Hand und stumm sahen wir
uns an. Was wir durchgemacht hatten, wußten wir beide.

Nun begann erst die Hauptschwierigkeit.

Vorsichtig schlichen wir uns in der Dunkelheit weiter, überquerten
einen Bach, erkletterten eine Mauer, sprangen in einen tiefen Graben
und mußten uns dann an dem Wachthaus, welches am Eingang zum Lager lag,
vorbeischleichen. Dann endlich waren wir im Freien!

Auf der großen Landstraße, die nach Donington Castle führte, liefen
wir ohne Aufenthalt entlang. Nach einer halben Stunde machten wir
halt und entledigten uns der zerfetzten Gamaschen und Handschuhe.
Na, die inneren Handflächen sahen ja fein aus, ganz zu schweigen von
den Fußsohlen und von der Sitzgelegenheit. Noch wochenlang haben die
Andenken an den englischen Stacheldraht gejuckt.

Jetzt öffneten wir unsere Bündel, zogen unsere grauen Zivilregenmäntel
an, verstauten die übrigen Kleinigkeiten, und untergehakt wanderten wir
frohgemut die Straße weiter, als wenn wir von einem späten Nachtgelage
kämen. Als Donington Castle in Sicht kam, mußten wir uns vorsehen. Und
alles, was wir tun würden, wenn wir jemandem begegnen sollten, hatten
wir verabredet.

Da, als wir eben in die Dorfstraße einbiegen wollten, kam uns ein
englischer Soldat entgegen. Wie auf Kommando zog mich Trefftz an sich,
und so wie wir es verabredet hatten, markierten wir ein Liebespaar.
Verlangend nach uns hinschauend und mit der Zunge schnalzend ging
der Engländer vorüber. Als er an uns vorbei ging, erkannte ich
ihn mit einem Schlage. Auf seinem Ärmel leuchteten matt die drei
Feldwebelswinkel, und diese dicke, gedrungene, auffallende Figur konnte
nur unserem englischen Lagerfeldwebel gehören.

Nun schritten wir weiter. Und nachdem das Dorf passiert war, fanden
wir glücklich die angegebene Brücke. Doch hier wurde es kritisch. Drei
große Chausseen führten von hier aus ab, und es war unmöglich, uns ohne
Wegekenntnisse weiterzufinden. Endlich entdeckten wir in der Dunkelheit
einen Wegweiser, etwas äußerst Seltenes in England. Zum Glück war es
ein eiserner. Und als Trefftz hinaufgeklettert war, konnte er durch
Befühlen der erhaben gegossenen Buchstaben das Wort „Derby” lesen.

In äußerstem Geschwindschritt uns nach dem Polarstern orientierend,
marschierten wir tüchtig darauf los. Sobald uns Leute entgegenkamen
oder Autos, und besonders wenn solche hinter uns her fuhren,
versteckten wir uns im Chausseegraben und warteten ab, bis die
Gefahr vorüber war. Es war doch zu natürlich, daß wir bei jedem Auto
glaubten, es sei unseretwegen unterwegs und uns nachgehetzt worden.
Als wir Hunger verspürten, aßen wir etwas mitgenommenen Schinken
und Schokolade. Aber leider war das eine zu salzig und das andere
so süß, daß ein furchtbarer Durst uns plagte. Dieser wurde bald so
unerträglich, daß wir kaum noch weiter kommen konnten. Dazu kam, daß
wir durch die durchgemachte Aufregung und den anstrengenden Marsch
außerordentlich viel Schweiß verloren hatten. In unserer Not stellten
wir uns dann an den Chausseegraben, und wie die Ziegen leckten wir die
dicken Regentropfen von den Blättern der Büsche ab, bis wir endlich
an einer Stelle eine schmutzige Wasserpfütze fanden, über die wir uns
gierig trinkend warfen. O, das war gut.

Langsam wurde es hell. Und gegen vier Uhr morgens, als wir die ersten
Gartenhäuser von Derby erreichten, stieg in wundervollster Pracht
blutigrot die riesige Sonnenkugel über den Horizont. Wie gebannt
blieben wir stehen, hingerissen von diesem herrlichen Schauspiel, und
dann schüttelten wir uns die Hände und winkten freudig der Sonne zu.

O sie, sie kam ja aus Deutschland, direkt aus der Heimat, hatte sich
rotgefärbt beim Durcheilen der blutigen Schlachtfelder und brachte uns
nun die treuesten Grüße unserer Lieben daheim. Ein gutes Omen!

Nun schlichen wir uns beide in ein kleines Gärtchen, und hier wurde
große Toilette gemacht. Die mitgenommene Kleiderbürste vollbrachte
Wunder. Die Schuhlappen hatten schwere Arbeit, und mein Hosenboden
wurde mit der mitgenommenen Nähnadel geflickt. In Ermangelung von
Rasiercreme benutzten wir unseren Speichel, und dann wurden die
armen Gesichter mit den mitgenommenen Gilette-Apparaten bearbeitet.
Zum Schluß banden wir uns „den” Kragen und „_den_” Schlips um und
überließen Kleiderbürste und Stiefellappen dem Gartenbesitzer. Und
schick fast wie Dandies mit einem koketten Kniff in dem weichen Hut
betraten wir Derby.

Zu unserem Glück fanden wir bald den Bahnhof, trennten uns unauffällig
und hatten den unerhörten Dusel, daß bereits in einer Viertelstunde ein
Zug nach London ging. Ich löste ein Retourbillett dritter Güte nach
Leicester, und mit einer dicken Zeitung bewaffnet bestieg ich den Zug.
In Leicester stieg ich aus, löste mir ein Billett nach London, und
als ich in das Kupee einstieg, saß zufällig mir gegenüber ein Herr,
ebenfalls im grauen Mantel, den ich irgendwo mal gesehen haben mußte,
von dem ich aber selbstverständlich keine Notiz nahm. Ich glaube, sein
Name fing früher mal mit T. an.

Gegen Mittag lief endlich der Zug in London ein.

Als ich durch die Bahnsperre ging und mein Billett abgab, war mir doch
nicht ganz wohl zumute, und so etwas hat meine Hand doch gezittert.
Doch der gestrenge Blick des Kontrolleurs bedeutete weiter nichts, und
einige Minuten darauf war ich im Gewühl der Großstadt verschwunden.

Wie gut war es jetzt, daß ich vor zwei Jahren in London gewesen war
und es so genau kennengelernt hatte. Das erste, was ich tat, war,
daß ich in vier verschiedene Frühstücksstuben ging und in jeder von
diesen so viel aß und trank, daß es noch eben nicht auffiel. Dann ging
ich an die Themse hinunter, rief mir alle Straßen und Brücken und
Dampferanlegestellen durch persönlichen Augenschein in die Erinnerung
zurück und sah mir besonders an, wo neutrale Dampfer lagen.

Ich hatte mir die Sache doch einfacher vorgestellt. Ich hatte gehofft,
sofort einen Dampfer finden zu können, doch nun sah ich zu meiner
Besorgnis, daß alle Werften und Ladeplätze und die meisten neutralen
Dampfer ebenfalls streng bewacht mitten auf dem Strome lagen.

Die ungewohnte Umgebung, die Unsicherheit, in der ich mich in der
ersten Zeit befand, und vor allen Dingen das dauernde Gefühl während
der ersten Tage, daß ich stets glaubte, daß jeder Mensch wissen
müßte, wer ich wäre, und daß jedermann es mir an der Nasenspitze
ablesen könnte, daß ich aus Donington Hall entwichen wäre, taten das
ihre. Dazu kam noch die durchgemachte Aufregung und Überanstrengung
der letzten Nacht und die trostlose Verlassenheit in der riesigen
Feindeshauptstadt. Auch hatte ich mich vergebens bemüht, irgendeine
Zeitung zu erwischen, aus der die Abfahrt von Dampfern ersichtlich
wäre; das war für mich eine besonders herbe Enttäuschung.

War es da ein Wunder, daß ich ganz entmutigt und müde zum Umsinken um
sieben Uhr abends wie verabredet vor der St. Pauls-Kathedrale stand,
um auf Trefftz zu warten? Bis neun Uhr habe ich gewartet, kein Trefftz
kam.

Fest überzeugt, daß es Trefftz bereits gelungen wäre, einen günstigen
Dampfer zu fassen, und daß er womöglich London schon verlassen habe,
schleppte ich mich gänzlich deprimiert zum Hydepark. Zu meiner
Enttäuschung war dieser entgegen früherer Gewohnheit geschlossen. Was
sollte ich nun tun, wo sollte ich schlafen? Auf der Straße durfte ich
nicht bleiben, um nicht aufzufallen. Und in eine Herberge durfte ich
erst recht nicht gehen, da ich keinen Paß besaß, den jetzt in England
selbst jeder Engländer besitzen mußte, und ohne den kein Gastwirt bei
schwerster Strafe jemanden aufnehmen durfte.

In einer elenden Bar, in der ich mich etwas stärken wollte, bekam ich
nur warmen Stout und nur noch eine einzige Rolle Keks. Alles andere war
vertilgt. Und als auch in der Bar Feierabend geboten wurde, saß ich
wieder auf der Straße. Ich bog in eine der vornehmsten Alleen ein, wo
prächtige Paläste von schön gepflegten Vorgärtchen umgeben waren. Ich
konnte mich kaum noch auf den Beinen aufrecht halten, und als die Luft
rein war, sprang ich schnell entschlossen über einen dieser Gartenzäune
und hatte mich kurz darauf in der dichten Buchsbaumhecke, nur einen
Schritt vom Bürgersteig entfernt, verkrochen. Meine Gemütsstimmung läßt
sich nicht beschreiben. Wild hämmerten mir die Pulse, und wild jagten
sich die Gedanken in meinem Hirn. In meinen Gummimantel gehüllt, wie
ein Dieb zusammengekrochen, lag ich in meinem Versteck.

Wenn man mich jetzt hier fände, in dieser Lage, mich, einen deutschen
Offizier? Wie ein Verbrecher kam ich mir vor. Und im Inneren war ich
fest entschlossen, nie jemand etwas von der unwürdigen Lage, in der ich
mich befand, zu erzählen. Ach, hätte ich _den_ Abend schon gewußt, wo
ich mich zwei Tage später nächtelang herumtrieb, und das dabei sogar
ganz natürlich fand, ich wäre hoffnungsvoller gewesen.

Als ich ungefähr eine Stunde in meinem Versteck lag, öffnete sich in
meinem Hause die große Flügeltür einer herrlichen Veranda, und mehrere
Damen und Herren in tadelloser Abendtoilette traten heraus, um die
prachtvolle Abendluft zu genießen. Von meinem Versteck aus konnte ich
alles beobachten und jedes Wort verstehen. Nach einiger Zeit wurde
drinnen ein Flügel angeschlagen und bald ertönte ein prachtvoller
Sopran, und wunderschönste, sehnsuchtsvolle Schubertlieder zerwühlten
meine Seele.

Endlich übermannte mich die gänzliche Erschlaffung, und wie ein Toter
schlief ich ein, in meinen Träumen von schönsten Zukunftsbildern
umschwebt.

Der gleichmäßige feste Tritt eines Polizisten, der auf der Straße,
nur einen Schritt von mir getrennt, auf und ab ging, und die hell
strahlende Sonne weckten mich am nächsten Morgen auf. Also hatte ich
doch die Zeit verschlafen; nun Vorsicht! Stumpfsinnig pendelte der
Polizist auf und ab, er wollte nicht weichen. Endlich kam das Glück.
Ein allerliebstes Kammerzöfchen öffnete die Türe, und schon war mein
Polizist bei ihr und schäkerte vertraulich mit dem taufrischen Käfer.

Ohne von beiden gesehen zu werden, war ich mit einem Satz über den Zaun
und auf der Straße. Es war schon sechs Uhr früh und der Hydepark gerade
geöffnet worden. Da noch keine Untergrundbahn fuhr, ging ich in den
Park und legte mich lang auf eine Bank zu mehreren anderen Vagabunden,
die es sich dort bereits bequem gemacht hatten. Dann zog ich den Hut
übers Gesicht, und fest schlief ich bis neun Uhr weiter.

Frisch gestärkt mit neuem Mut bestieg ich die Untergrundbahn und fuhr
zur Hafengegend. Am „Strand” erweckten riesige gelbe Plakate meine
Aufmerksamkeit.

Und wer beschreibt mein Staunen, als ich darauf dick und fett gedruckt
las, daß:

1. Mr. Trefftz bereits am Abend vorher gefangengenommen worden war und,

2. daß Mr. Plüschow ~„still at large”~ sei, aber,

3. man ihm bereits auf der Spur wäre.

Das erste und dritte waren mir neu, das zweite war mir bekannt.

Schnell kaufte ich mir nun die „Daily Mail”, ließ mich in einer
einfachen Frühstücksstube nieder und las mit großem Interesse folgenden
Steckbrief:

                      ~Extra Late War Edition.~

  ~_Hunt for Escaped German. High-Pitched Voice as a Clue._~

  ~Scotland Yard last night issued the following amended description
  of Gunther _Plüschow_, one of the German prisoners who escaped from
  Donington Hall, Leicestershire, on Monday~:

  ~Height 5 ft., 5½ in, weight 135 lb.; complexion fair; hair blond;
  eyes blue; and tattoo marks: Chinese dragon on left arm.~

  ~As already stated in the „Daily Chronicle”, Plüschow's companion,
  Trefftz, was recaptured on Monday evening at Millwall Docks. Both
  men are Naval Officers. An earlier description stated that Plüschow
  is 29 years old. His voice is high-pitched.~

  ~He is particularly smart and dapper in appearance, has very
  good teeth, which he shows somewhat prominently when talking or
  smiling, is „very English in manner”, and knows this country well.
  He also knows Japan well. He is quick and alert, both mentally and
  physically, and speaks French and English fluently and accurately.
  He was dressed in a grey lounge suite or grey and yellow mixture
  suite.~

[Illustration: Der erste Steckbrief]

Also der arme Trefftz, nun hatten sie ihn doch gekitcht. Mein
Entschluß, was nun zu tun sei, stand bei mir fest, und der Steckbrief
leistete mir dabei vorzügliche Dienste. Zuerst mußte ich meinen grauen
Gummimantel los werden. Ich ging zur „Blackfriars Station” und gab
meinen Mantel dort im Gepäckaufbewahrungsraum ab. Als ich das graue
Ding dem Beamten übergab, fragte dieser mich plötzlich: ~„What's your
name, Sir?”~ (Wie ist Ihr Name?).

Wie ein Schreck fuhr mir diese Frage in die Glieder, auf diese Frage
war ich nicht gefaßt. Mit zitternden Knien fragte ich: „Meinen?”, im
Inneren natürlich denkend, daß der Mann wüßte, wer ich wäre, und vor
Schrecken sogar deutsch antwortend.

~„Oh, I see, Mr. Mine, M. I. N. E.”~ und damit übergab er mir das
Zettelchen für Mr. Mine.

Daß dem Beamten mein Schrecken nicht aufgefallen ist, war ein Wunder,
und mir war etwas übel zumute, als ich durch die beiden wachthabenden
Polizisten am Eingang des Bahnhofes, die mich scharf musterten,
hindurchschritt.

Bei meiner Flucht hatte ich einen blauen Zivilanzug angezogen, den
ich mir seinerzeit in Schanghai hatte machen lassen, und den schon
in Schanghai Herr Brown und Scott, später der Millionär McGarvin
getragen hatte, der dann an einen gewissen Schlosser, später
Schloß_herr_ Ernst Suse vermacht worden war, dann wieder bessere
Tage erlebte, als ein deutscher Seeoffizier ihn anzog, und nun sein
Dasein auf dem Leibe des Dockarbeiters George Mine beendete. Unter
dem Jackett hatte ich einen blauen Mannschaftssweater, den eine
unserer gefangenen Matrosenordonnanzen in Donington Hall mir geschenkt
hatte. In der Tasche trug ich eine alte zerfranste Sportmütze, ein
Taschenmesser, Taschenspiegel, Rasierapparat, ein Stück Bindfaden und
zwei Taschentücher vorstellen sollende Lappen. Ferner besaß ich das
stolze Vermögen von hundertzwanzig Schilling, die ich mir erspart und
zusammengepumpt hatte. Pässe und Papiere, die jetzt in England selbst
jeder Engländer haben mußte, habe ich niemals besessen.

Nun ging ich an die Themse zu einer entlegenen Stelle. Mein schöner
weicher Hut flog durch Zufall von der London-Bridge ins Wasser,
Kragen und Schlips folgten an einem anderen Orte nach, ein schöner
vergoldeter Knopf prangte herrlich vorne in der grünen Hemdprise (Marke
Knopfzwang), dann wurden die Haare schwarz und schmierig von einer
Mischung aus Vaseline, Stiefelwichse und Kohlenstaub, die Hände sahen
bald aus, als wenn sie niemals mit Wasser in Berührung gekommen wären,
und zu guter Letzt wälzte ich mich auf einem Kohlenhaufen tüchtig
herum, und schon war der streikende Dockarbeiter G. Mine fertig.

So konnte man in mir wirklich keinen Offizier vermuten, am
allerwenigsten aber von ~„smart”~ und ~„dapper”~ sprechen. Ich glaube
meine Rolle gut gespielt zu haben, und nachdem ich erst den inneren
Ekel vor meiner Umgebung und soviel Dreck überwunden hatte und mich
erst sicher fühlte, konnte ich wirklich nur als das angesehen werden,
wofür ich mich ausgab: als fauler, dreckiger Dockarbeiter oder
Segelschiffsmatrose.

[Illustration: Steckbrief, eine Woche nach der Flucht]

Mit meiner Mütze frech im Genick, vor Schmutz starrend, die Jacke
offen, den blauen Seemannssweater und als einzige Zierde den
Kragenknopf zeigend, mit den Händen in den Taschen, pfeifend und
spuckend und mich überall herumlümmelnd, wie ich es zu tausenden Malen
in allen Hafenstädten der ganzen Welt von den Matrosen gesehen hatte,
trieb ich mich tagelang in London herum, ohne auch jemals nur den
leisesten Verdacht bei irgendeinem Menschen zu erwecken, daß ich etwas
anderes sei, als wonach ich aussah.

Darauf beruhte überhaupt mein ganzer Plan.

Die einzigste Möglichkeit, unentdeckt zu bleiben, war _die_, mich _so_
zu benehmen und _so_ auszusehen, daß ich niemals den leisesten Verdacht
erweckte. Es durfte überhaupt niemals so weit kommen, daß ein Mensch
auf mich aufmerksam wurde, und wenn ein Polizist mich erst gefragt
hätte, wer ich sei, hätte ich nur meinen richtigen Namen angeben
können. Daher war es auch vollkommen unnötig, daß meine Steckbriefe
meine Tätowierung auf dem Arm immer wieder als Schlüssel zur Entdeckung
erwähnten. Wenn es erst so weit kam, dann war längst vorher schon alles
verloren.

Am zweiten Vormittage hatte ich unerhörtes Glück.

Ich saß auf dem Verdeck eines Autobusses, hinter mir zwei Kaufleute in
angeregter Unterhaltung. Plötzlich fing ich die Worte auf: „Tilbury,
holländischer Dampfer abfährt”; und nun hörte ich scharf zu.

Ich mußte mein Herz festhalten, sonst hätte es Freudensprünge gemacht.
Die beiden unvorsichtigen Gentlemen erzählten nichts weniger, als
daß jeden Morgen um sieben Uhr ein holländischer Schnelldampfer nach
Vlissingen führe und jeden Nachmittag der Dampfer vor Tilbury Docks zu
Anker ginge.

Mit einem Satz war ich raus aus dem „Bus”.

Schnell zur „Blackfriars Station”, ein Billett gelöst, und eine gute
Stunde später stieg ich bereits in Tilbury aus. Es war Mittagszeit,
die Arbeiter strömten in ihre Stampen. Ich ging zuerst zur Themse
runter und erkundete mein Operationsgebiet und überzeugte mich,
daß mein Dampfer noch nicht da wäre. Da ich Zeit und kräftigen
Hunger hatte, ging ich nach Tilbury zurück und trat in eine der
vielen Speisewirtschaften, wo ich besonders viel Dockarbeiter hatte
hineingehen sehen. In einem großen Saale saßen etwa hundert Arbeiter
an langen Tischen und vertilgten riesige Schüsseln. So wie es die
übrigen taten, ging ich auch an eine Klappe, legte acht Pennies auf den
Tisch und empfing einen großen Teller gehäuft mit Kartoffeln, Gemüse
und einem mächtigen Stück Fleisch. Dann ging ich an die Bar, kaufte
mir ein großes Glas Stout, und in aller Gemütsruhe setzte ich mich zu
den anderen Arbeitern an den Tisch, deren Eßweise und Haltung beim
Essen genau nachahmend, wobei mir das Essen der Erbsen mit dem Messer
besondere Schwierigkeiten verursachte.

Mitten im besten Stauen wurde ich plötzlich von hinten auf die Schulter
getippt. Eisig durchfuhr es mich durch alle Glieder. Als ich mich
umdrehte, stand der Besitzer da und fragte mich nach meinen Papieren.
Ich dachte natürlich, er meinte meine Ausweise, und schon gab ich alles
verloren. Da ich natürlich nichts vorweisen konnte, mußte ich dem Wirt
folgen, und voll Schrecken gewahrte ich, wie er an den Fernsprecher
ging, um zu telephonieren. Mit einem Blick schielte ich schon nach
der Tür und wollte eben fortlaufen, als der Wirt, der mich durch ein
Glasfenster beobachtete, wieder zu mir trat und mir sagte: „Ja, da Sie
Ihre Papiere vergessen haben, kann ich Ihnen nicht helfen; übrigens wie
heißen Sie und wo kommen Sie her?”

„Ich bin George Mine und amerikanischer Leichtmatrose auf der
Viermastbark ‚Ohio’, die oben auf Strom liegt. Ich bin eben hier
hereingegangen und habe doch schon mein Essen und mein Bier bezahlt,
meine Papiere habe ich natürlich nicht mit!”

Dann er: „Dies ist ein geschlossener sozialdemokratischer Verein, hier
dürfen nur Mitglieder essen, das sollten Sie doch wissen, doch wenn Sie
Mitglied werden wollen, stehen Ihnen die Räume stets frei.”

Natürlich war ich damit einverstanden. Ich zahlte meine drei Schilling
Eintrittsbeitrag, erhielt ein knallrotes Seidenbändchen ins Knopfloch
gebunden und eine Mitgliedskarte, und damit war ich nun jüngstes
Mitglied des sozialdemokratischen Dockarbeitervereins von Tilbury!

Als wenn nichts geschehen wäre, ging ich wieder an meinen Tisch, trank
mit einem Zug, um mich von dem durchgemachten Schrecken zu erholen,
verließ aber bald den Raum, da mir offengestanden der Appetit vergangen
war und das Essen mir so recht nicht mehr schmecken wollte.

Nun ging ich ans Flußufer hinunter, legte mich ins Gras, tat, als ob
ich schliefe, und paßte auf wie ein Luchs.

Dampfer an Dampfer zog an mir vorüber. Meine Erwartung wuchs unendlich.
Um vier Uhr nachmittags lief stolz und majestätisch ein holländischer
Schnelldampfer ein und machte direkt vor meiner Nase an einer Boje
fest. Und erst mein Glück und meine Freude, als ich vorne am Bug in
weißen, leuchtenden Buchstaben den Dampfernamen:

                      „_Mecklenburg_”

las. Das war für mich als Mecklenburger und Schweriner das beste
Vorzeichen.

Nun fuhr ich mit der Fähre nach Gravesend hinüber, von wo aus ich
den Dampfer unauffälliger beobachten konnte, und bummelte, die Hände
in den Taschen, sorglos ein Liedchen pfeifend, möglichst bummlig und
schlaksig im Seemannsgang am Ufer entlang, in Wirklichkeit aber scharf
beobachtend.

Mein Plan war folgender:

Nachts schwimmend die Boje, an der der Dampfer lag, zu erreichen, dann
an der Stahlleine hochklettern, mich an Deck zu schleichen und als
blinder Passagier nach Holland zu fahren.

Meine Operationsbasis hatte ich bald gefunden.

       *       *       *       *       *

Als ich mich vergewissert hatte, daß ich unbeobachtet war, kletterte
ich in ein Holz- und Gerümpellager, welches bis ans Wasser der Themse
reichte. Unter einigen Brettern lagen mehrere Bündel Heu, und in diese
verkroch ich mich und wartete die Nacht ab.

Dieses Heubündel ist dann auch für sämtliche übrigen Nächte mein
Aufenthaltsplatz geblieben.

Gegen zwölf Uhr nachts stieg ich aus meinem Versteck. Am Tage hatte
ich mir alle in der Nähe liegenden Gegenstände, sämtliche für mich
notwendigen Peilungen, genau eingeprägt. Vorsichtig schlich ich über
Haufen von Gerümpel, alte Balken; der Regen rauschte, und in der
pechschwarzen Nacht konnte ich kaum die beiden Kuffs wiederfinden, die
ich am Tage neben dem Holzlager gesehen hatte.

Auf allen vieren kriechend, immer wieder angespannt lauschend, mit
den Augen versuchend, die Dunkelheit zu durchbohren, näherte ich mich
meinem Ziel.

Zu meinem Schrecken gewahrte ich, daß die beiden Kuffs, die am
Nachmittage noch im tiefen Wasser gelegen hatten, jetzt fast trocken
lagen. Aber hinten am Heck, da schwabberte Gott sei Dank noch ein
kleines Dinghi im Wasser.

Kurz entschlossen wollte ich zu dem Boot hinlaufen, aber ehe ich wußte,
was mit mir geschah, gab der Boden unter mir nach, und blitzschnell
versank ich bis an die Hüften in eine zähe, schlüpfrige, übelriechende
Schlammasse. Mit den Armen schlug ich um mich, und gerade konnte ich
mich noch mit der linken Hand an einer Planke festkrallen, die vom Ufer
zu dem Segelschiff hinüberführte.

Mit äußerster Kraftanstrengung befreite ich mich aus der eklen Masse,
die beinahe ein furchtbares Grab für mich geworden wäre, und gänzlich
erschöpft schleppte ich mich zu meinem Heubündel zurück.

Als am dritten Morgen meiner Flucht die Sonne aufging, hatte ich den
Lattenzaun bereits wieder übersprungen und lümmelte mich auf einer Bank
der Parkanlagen von Gravesend herum. Pünktlich um sieben Uhr früh warf
meine „Mecklenburg” von der Boje los und rauschte stromabwärts dem
freien Meere zu.

An diesem ganzen Tage trieb ich mich, wie auch später, in London
herum. Stundenlang stand ich auf den Brücken wie so viele andere
Tagediebe und merkte mir genau die Lage der neutralen Dampfer und vor
allen Dingen den Stand ihrer Ladungsarbeiten, um jederzeit, wenn ich
einen glücklichen Augenblick erhaschen konnte, unbemerkt an Bord zu
schleichen.

Essen tat ich in allen diesen Tagen in den gewöhnlichsten
Arbeiterstampen von London-East; ich sah so verkommen und dreckig
aus, torkelte oder hinkte oft absichtlich, machte ein blödes, stieres
Gesicht und ging so krumm und schlaksig, daß kein Mensch von mir Notiz
nahm. Ich vermied zu sprechen und merkte mir genau die Aussprache und
die Art und Weise, wie die Arbeiter ihr Essen bestellten. Bald hatte
ich eine solche Sicherheit und Fertigkeit und wurde so frech, daß ich
niemals mehr auf den Gedanken kam, ich könnte entdeckt werden.

Am Abend war ich wieder in Gravesend.

Da lag wirklich wieder ein Dampfer, und diesmal war es die „Prinzeß
Juliana”.

Nun paßte ich besser auf und studierte alles so eingehend und genau,
besonders die Beschaffenheit des Flußufers, daß ich meiner Sache sicher
war.

Nachts um zwölf Uhr war ich an meinem ausgewählten Platz. Das Ufer war
steinig, und die Ebbe fing eben erst an zu laufen. Leise zog ich meine
Stiefel, Strümpfe und Jacke aus, verstaute meine Strümpfe, meine Uhr,
Rasierapparat usw. in meine Mütze, setzte diese samt dem teuren Inhalt
auf den Kopf und band sie fest.

Dann versteckte ich Jacke und Stiefel unter einem Stein, zog den
Ledergürtel meiner Hose fest an, und so angezogen wie ich war, kroch
ich leise ins Wasser und schwamm nach der Richtung meines Dampfers
hinaus.

Die Nacht war regnerisch und dunkel. Bald konnte ich auch nicht mehr
das Ufer erkennen, das ich eben verlassen hatte. Matt konnte ich jetzt
eben die Umrisse eines Ruderbootes vor mir ausmachen, welches verankert
lag. Ich strebte darauf zu, und trotz furchtbarster Anstrengung kam
und kam ich nicht näher. Meine voll Wasser gesogenen Kleider wurden
immer schwerer und drohten mich herabzuziehen; die Kräfte fingen an zu
erlahmen, wie Schatten huschten an mir einige Ruderboote vorüber, die
in Wirklichkeit aber verankert lagen, und an denen ich durch die starke
Strömung vorbeigerissen wurde. Krampfhaft, mit meiner ganzen Energie
schwamm ich weiter und versuchte den Kopf über Wasser zu halten.

Bald jedoch schwanden mir die Sinne, und als ich wieder zu mir kam, lag
ich hoch und trocken auf glatten, von Seetang überwucherten Steinen.

Ein gütiges Geschick hatte mich an einige der wenigen steinigen Stellen
des Strandes getrieben, da, wo der Fluß einen scharfen Knick machte;
und durch das bei Ebbe schnell fallende Wasser lag ich nun auf dem
Trockenen.

Zitternd und bebend vor Kälte und Überanstrengung raffte ich mich auf
und wankte am Ufer entlang, und nach einer Stunde fand ich meine Jacke
und meine Stiefel wieder. Dann kletterte ich über meinen Bretterzaun
und lag zitternd und zähneklappernd auf meinem Strohhaufen.

[Illustration: Noch ein Steckbrief]

Der Regen strömte, und ein eiskalter Wind fegte über mich weg. Als
einzige Decke hatte ich meine nasse Jacke und meine beiden Hände,
die ich flach und schützend auf meinen Magen hielt, um diesen
wenigstens in Takt zu halten und dadurch für die nächsten Tage die
nötigen Kräfte zu behalten. Nach zwei Stunden, ohne ein Auge zugetan zu
haben, hielt ich es vor Kälte nicht mehr aus, verließ mein Versteck und
lief herum, um wenigstens etwas warm zu werden.

Meine nassen Kleider sind erst wieder trocken geworden, als sie mehrere
Tage darauf in Deutschland am Ofen hingen! Tagsüber trieb ich mich
wieder in London herum. Ich besuchte mehrere Kirchen, in denen ich
sicher den Anschein eines frommen Beters erweckt habe, in Wirklichkeit
aber ein Stündchen schlief.

An diesem Tage wäre ich beinahe ein englischer Soldat geworden. Wie an
allen Tagen stand auf einem der vielen Plätze auf einer errichteten
Tribüne ein Redner und sprach zum Volk. Natürlich Rekrutenfang!

In den glühendsten Farben, in höchster Ekstase schilderte er der
lauschenden Menge, wie es aussehen würde, wenn die deutschen Soldaten
erst ihren Siegeseinzug durch London hielten. „Die Straßen Londons”,
sagte er, „werden von den Tritten der Barbaren widerhallen. Eure Frauen
werden von den deutschen Soldaten vergewaltigt und mit ihren kotigen
Stiefeln getreten werden. Wollt ihr das, ihr freien Briten?”

Ein entrüstetes „Nein!” war die Antwort.

„So gut, dann kommt und -- -- ~join the army now~!”

Ich erwartete einen allgemeinen Sturmlauf. Der Mann hatte wirklich
packend geredet. Keiner rührte sich. Nicht einer, der sich meldete und
glaubte, daß Kitchener gerade _ihn_ haben wollte. Nun fing der Redner
von vorne an, aber seine flammenden Worte verhallten ungehört.

In der Zwischenzeit gingen englische Werbeunteroffiziere durch die
Menge. Überall begegneten sie Kopfschütteln, keiner der wackeren Söhne
Albions wollte anbeißen. Plötzlich kam ich an die Reihe.

Ein baumlanger Sergeant stand vor mir und befühlte prüfend meine
Oberarme. Er schien von seiner Musterung höchst befriedigt zu sein,
denn nun fing er mit allen Mitteln an, mich davon zu überzeugen, daß
der Soldat ausgerechnet in Kitcheners ~army~ das Schönste wäre, was es
auf der Welt gäbe. Ich lehnte ab.

„Nein”, sagte ich, „es geht nicht, ich bin erst siebzehn Jahre alt.”

„Oh, das macht nichts, da machen wir einfach eine Achtzehn draus, und
alles ist ~all right~.”

„Nein, es geht wirklich nicht, ich bin übrigens Amerikaner und habe
auch keine Erlaubnis von meinem Schiffskapitän.”

Nun holte der lästige Bursche eine Mappe hervor, in der in den
leuchtendsten Farben die englischen Uniformen abgebildet waren. Der
Kerl ließ einfach nicht locker. Um ihn endlich los zu werden, sagte
ich ihm, er möchte mir eins der Heftchen überlassen, ich würde dann
abends mit meinem Steuermann reden und am nächsten Tage würde ich ihm
mitteilen, welche Uniform mir am besten gefiele.

Daß ich von da ab in großem Bogen um diesen Platz herumging, war wohl
selbstverständlich.

Nun hatte ich aber allmählich so viel Sicherheit gewonnen, daß
ich trotz meines schmutzigen Päckchens ins Britische Museum ging,
mir einzelne der größten Gemäldegalerien ansah, ja sogar die
Nachmittagsvorstellungen der Varietés besuchte, ohne jemals nach
dem Woher und Wohin gefragt zu sein. In den Varietés waren oft die
allerliebsten blonden Garderobefräuleins besonders freundlich zu mir
und schienen sogar mit dem armen ~„sailor”~, der sich sicherlich in das
feine Varieté verirrt hatte, Mitgefühl zu haben.

Am ulkigsten war es, wenn ich auf einem Verdecksitz der Autobusse Platz
nahm und die Damen und Dämchen naserümpfend und entrüstet von mir
abrückten und mich nicht selten verachtende Blicke trafen. Wenn _die_
gewußt hätten, wer neben ihnen saß! Daß ich nicht gerade nach Parfüm
roch, war bei meiner Nachtarbeit und den nassen schlammbeschmutzten
Kleidern kein Wunder.

Am Abend war ich wieder in meinem Gravesend. In dem kleinen Park, der
direkt ans Themseufer stieß, spielte Militärmusik und mehrere Stunden
saß ich ruhig auf einer Bank direkt am Strand, lauschte den Klängen der
Musik und beobachtete wie ein Luchs.

Meinen Plan, zum Dampfer hinüberzuschwimmen, hatte ich endgültig
aufgegeben, da ich einsah, daß die Strecke zu weit und die Strömung
viel zu reißend war.

Jetzt kam es für mich nur noch darauf an, irgendwo unauffällig ein
Ruderboot zu requirieren, um damit zum Dampfer gelangen zu können.

Vor mir lag gerade ein passendes; doch war dieses an einer Schleuse
festgemacht, die von einem Posten Tag und Nacht bewacht wurde.

Doch gewagt mußte es werden!

Nachts um zwölf Uhr bei wiederum stockfinsterer Nacht schlich ich
durch den Park und kroch an die zirka zwei Meter hohe Ufermauer heran.
Ein Sprung über einen Gartenzaun, und schon lag unter mir leise
schaukelnd mein Boot. Atemlos lauschte ich. Der Posten, nur zehn
Schritt entfernt, schlenderte schlaftrunken auf und ab. Meine Stiefel
hatte ich ausgezogen und mit den Schuhlitzen um den Hals gebunden, das
offene Messer zwischen den Zähnen. Leise wie ein Indianer glitt ich an
der Mauer hinunter. Mit den Fußspitzen konnte ich gerade das Dollbord
des Bootes angeln, lautlos glitten meine Hände an dem harten Granit
entlang, und eine Sekunde darauf saß ich zusammengekauert im Boot.
Atemlose Spannung. Mein Posten ging unter seinen hellen Bogenlampen
ungestört auf und ab. Mit meinem Boot lag ich Gott sei Dank im Dunkeln.
Meine durch nächtliche Torpedobootsfahrten geübten Augen sahen jetzt
trotz der schwarzen Nacht fast wie am Tage. Vorsichtig tastete ich die
Riemen ab. Verdammt, sie waren von einer Kette umschlossen. Zum Glück
war diese aber nicht stramm angezogen, und leise zog ich erst den
Bootshaken, dann einen Riemen nach dem anderen aus der Kettenschlinge
heraus. Knirschend durchschnitt nun mein Messer die beiden Taue, mit
denen das Boot an der Mauer festgemacht war, und unhörbar tauchten
meine Riemen in das Wasser ein und trieben das Boot vorwärts.

Als ich in das Boot gestiegen war, hatte es schon sehr viel Wasser
gehabt. Nun gewahrte ich zu meinem Schrecken, daß das Wasser im Boot
mit großer Geschwindigkeit stieg. Schon überspülte das Wasser die
Ducht, auf der ich saß, immer schwerer und unhandlicher wurde das große
Boot, mit verzweifelter Kraft warf ich mich in meine Riemen. Plötzlich
knirschte der Kiel, und das Boot lag eisern fest. Kein Pullen, kein
Absetzen mit Riemen und Bootshaken half, das Boot blieb unbeweglich,
und rasend schnell fiel das Wasser um das Boot herum, und schon nach
wenigen Minuten saß ich fest und trocken im Schlick, dafür aber zum
Trost das Boot innen bis an den Rand voll Wasser. Ich habe eine so
schnelle Veränderung der Wasserhöhe bei Ebbe und Flut noch nie vorher
in meinem Leben erlebt. Wenn auch die Themse in dieser Beziehung
berüchtigt war, _das_ hatte ich doch nicht für möglich gehalten.

Ich befand mich wohl in der kritischsten Lage der ganzen Flucht.
Ringsherum war ich umgeben von weichem, stinkendem Schlick, dessen
Bekanntschaft ich zwei Abende vorher beinahe mit dem Leben bezahlt
hatte. Schon der Gedanke daran machte mich schaudern. Nur zweihundert
Meter entfernt ging der Posten auf und ab, und ich selbst befand mich
mit meinem Boot zirka fünf Meter von der zwei Meter hohen granitenen
Ufermauer entfernt.

Kühl überlegend saß ich auf meiner Ducht. Eins stand fest: die
Engländer durften mich hier nicht finden, denn wie einen tollen Hund
hätten sie mich totgeschlagen.

Vor dem nächsten Vormittage stieg aber das Wasser nicht wieder. Also
gab's nur eins: alle Energie zusammengerafft, Zähne zusammengebissen
und versucht, den Schlick zu überwinden. Ich zog auch noch meine
Strümpfe aus, krempelte die Hosen so hoch hinauf, als es irgend
ging, dann legte ich die Bootsplanken und die Riemen nebeneinander
auf den quillenden und glucksenden Schlammboden, dann benutzte ich
den Bootshaken als Sprungstange und setzte ihn mit der Spitze auf
eine Planke auf, stellte mich auf das Dollbord des Bootes, dann alle
Kraft zusammengenommen, mit einem mächtigen Satze schwang ich mich im
Stabhochsprung um meinen Bootshaken und ... mit einem lauten Platsch
langte ich nur einen Meter von der Mauer entfernt an und sank bis
weit über die Knie in den zähen Brei, dann aber festen Grund unter
den Füßen spürend. Nun arbeitete ich mich an die Mauer heran, legte
meinen Bootshaken als Kletterstange an, und einige Sekunden darauf war
ich oben und saß mitten auf dem Rasen des kleinen Parkes, in dem ich
einige Stunden vorher der Musik gelauscht hatte. Um mich herum lautlose
Stille. Ein Alp wich mir von der Brust. Niemand, auch der Posten nicht,
hatte etwas gemerkt.

Mit ziemlichem Mißbehagen betrachtete ich mir meine Beine. Bis über
die Knie klebte eine dicke, stinkende, graue Schicht. Wasser zum
Waschen war nirgends in der Nähe. Aber so konnte ich unmöglich meine
Strümpfe und meine Stiefel wieder anziehen. Mühsam strich ich daher mit
den Fingern die Schlickmasse, so gut es ging ab, und als die kleben
gebliebene Kruste einigermaßen trocken war, gelang es mir, Schuhe und
Strümpfe anzuziehen und die aufgekrempelten Hosen herabzustreifen.

Der erste Plan war zwar mißglückt, aber immerhin hatte ich dabei so
viel Glück gehabt, daß ich voller Mut einen zweiten Versuch machen
wollte.

Mit den Händen in den Taschen, einen betrunkenen Matrosen markierend,
torkelte ich der kleinen Brücke, die von meinem Posten bewacht war, zu.
In meiner Betrunkenheit rempelte ich den Posten sanft an, dieser schien
solche Anblicke gewöhnt zu sein, und mit einem gemütlichen: ~„Halloh!
Old Jack, one Whisky too much!”~ klopfte er mir auf die Schulter und
ließ mich passieren.

Einige hundert Schritte weiter war ich wieder der Alte. Nach kurzem
Suchen fand ich die steinige Uferstelle wieder, an der ich den Abend
vorher den beinahe mißlungenen Schwimmversuch unternommen hatte.

Es war ungefähr zwei Uhr nachts, und im Nu hatte ich mich ausgezogen,
und sofort sprang ich, diesmal leicht und unbehindert, so wie mich
der liebe Gott geschaffen hatte, ins Wasser. Der Himmel war zum
erstenmal umwölkt, und schwach hoben sich die Umrisse mehrerer zirka
zweihundert Meter vom Ufer entfernt verankerter Ruderboote ab. Das
Wasser phosphoreszierte ganz ungewöhnlich stark; nur in den Tropen
habe ich Ähnliches erlebt. Wie in einem Meer von Gold und Silber
schwamm ich daher. Zu einer anderen Zeit hätte mich dieses Naturwunder
höchst entzückt, jetzt befürchtete ich, daß das helle Aufleuchten
meines nackten weißen Körpers in dem hellen Goldstrom mich verraten
würde. Zuerst ging alles nach Wunsch. Sowie ich aber die links vor mir
liegende schützende Uferecke passiert hatte, faßte mich der Strom,
und nun gab es wieder ein Ringen mit dem Element auf Leben und Tod.
Als meine Kräfte zu ermatten drohten, erreichte ich das erste Boot.
Die letzte Kraft zusammengenommen, und nach einem mächtigen Klimmzug
polterte ich in das Innere des Bootes hinein. Verhängnis! Das Boot
war leer. Kein Riemen, kein Haken, mit dem ich mich hätte vorwärts
bewegen können. Nach kurzer Pause glitt ich wieder ins Wasser hinab und
ließ mich nun von dem Strom gegen das nächste dahinter liegende Boot
treiben. Auch dieses Boot ... leer. Und so ging's noch mit drei anderen
Booten. Bis ich schließlich beim letzten leeren anlangte, und nachdem
ich mich verschnauft hatte, ging es wieder hinein in das glitzernde,
jetzt aber unangenehm kalte Element. Und zwei Stunden, nachdem ich
abgeschwommen war, langte ich wieder bei meinen Kleidern an.

Da ich vor Kälte wie Espenlaub zitterte, machte es mir besondere
Arbeit, naß wie ich war, in die ebenfalls noch nassen und klebenden
Kleider zu gelangen.

Eine halbe Stunde darauf lag ich, an meinem Glücksstern zweifelnd, in
meinem Heuhaufen.

War es mir übelzunehmen, daß ich etwas mutlos wurde? Und vor allen
Dingen gleichgültig? Ja, ich war so herunter, daß ich am nächsten
Morgen nicht die Energie fand, rechtzeitig mein Versteck zu verlassen,
und erst über den Bretterzaun setzte, als schon der Besitzer des
Holzlagers mehrere Male dicht an meinem Versteck vorbeigeschritten
war. Diesen kommenden Tag ging ich zu Fuß von Gravesend nach London
hinauf und von London zu Fuß auf der anderen Themseseite nach Tilbury
hinunter. Alles nur, um ein Boot finden zu können, das ich mir
unbemerkt leihen konnte. Es war ja gar nicht zu glauben, mehrere lagen
da, aber die nur gut bewacht von ihren Besitzern. Mutlos gab ich das
Rennen auf.

An diesem Abend ging ich in ein Varieté in der festen Absicht, die
zwanzig Schilling, die ich noch besaß, zu verjubeln, dann in einer
Nacht alles auf eine Karte zu setzen und zu versuchen, in die Docks
zu gelangen und mich auf einem neutralen Dampfer zu verstecken. Und
wenn das, wie es Trefftz gegangen war, mißlang, wollte ich mich der
Polizeibehörde stellen.

Ich stand auf der obersten Galerie des größten Londoner Varietés
und folgte dem Spiele. Eine innere Stimme raunte mir immer zu:
Du gehörst nach Gravesend zur Arbeit, deine Pflicht ist es, die
Schlappheit zu überwinden, sonst bist du kein deutscher Seemann mehr!
Als lebende Bilder gestellt wurden, Szenen aus dem Schützengraben
und Verherrlichungen des zukünftigen Sieges und Friedens, bei
denen selbstverständlich die Deutschen nur fliehend und geschlagen
dargestellt wurden, ja als sogar auf dem Hauptbild Britannia
dargestellt wurde im strahlenden Sonnenglanz, die Siegespalme in der
Hand, mit ihrem rechten Fuß auf einem gefesselt daliegenden feldgrauen
deutschen Soldaten, da packte mich der heilige Zorn, und fluchtartig
trotz Protestes meiner Nachbarn verließ ich das Theater und faßte
gerade noch den letzten Zug nach Tilbury.

Jetzt war mir wieder wohl zumute. Und ich war in meinem Innern so fest
überzeugt, daß mir heute mein Plan gelingen würde, daß es gar nicht
anders kommen konnte.

Als ich die ersten Fischerhütten von Gravesend passierte, fand ich
einen kleinen Bootsriemen. Zur Sicherheit nahm ich diesen mit. Mitten
in der Hafenstraße, da, wo in den Kaieinschnitten die Fischkutter
direkt anlegten, schaukelte ein kleines Dinghi. Nur zwanzig Schritt
davon entfernt saßen auf einer Hausbank gemütlich plaudernd die
Besitzer der Fischkutter und des dazugehörigen Dinghis. Da die guten
Seeleute mit ihren Geliebten zärtlich kosten, war von meiner Gegenwart
nichts bemerkt worden.

Riskant war es, aber: Nur dem Mutigen gehört die Welt, brummte ich
in mein Inneres hinein. Und dank meiner erworbenen Übung, kroch ich
unhörbar in das Boot, ein scharfer Schnitt, und leise glitt die winzige
Nußschale am Fischkutter entlang, auf dessen Achterdeck eine Frau ihr
Kind in den Schlaf wiegte.

Da keine Dollen im Boot vorhanden waren, setzte ich mich achteraus
und wriggte nun mit aller Kraft vom Ufer fort. Kaum hatte ich
jedoch ein Drittel des Weges zurückgelegt, als mich plötzlich mit
unwiderstehlicher Gewalt die Ebbströmung faßte, mein Boot wie einen
Kreisel herumwirbelte und alle meine Versuche, Kurs zu halten,
vergeblich machte. Jetzt galt's seemännische Geschicklichkeit zeigen.
Mit eiserner Faust brachte ich das Boot in meine Gewalt, und genau
mit dem Strom schwimmend, steuerte ich flußabwärts. Jetzt kam ein
gefährlicher Moment. Eine mächtige, quer über den Fluß reichende und
von Soldaten streng bewachte militärische Pontonbrücke kam mir in den
Weg. Ein Moment kalter Ruhe, schärfster Anspannung, ein Anruf eines
Postens, und unverwandt geradeaus sehend und nur auf meinen Riemen
achtend, schoß der Nachen durch zwei Pontons hindurch. Nur wenige
Sekunden darauf erhielt das Boot einen kräftigen Stoß, und schon war
ich an den Ankerketten eines mächtigen Kohlenleichters gestrandet. Wie
der Blitz hatte ich mein Bootstau um die Ankerkette festgemacht, nur
Bruchteile von Sekunden, in denen das Boot beinahe gekentert wäre.
Jetzt war ich in Sicherheit. Wie rasend schoß das Wasser gurgelnd an
meinen Bootsplanken vorüber, der volle Ebbstrom, verstärkt durch das
Flußgefälle, mußte schon eingesetzt haben.

Mir blieb jetzt nichts anderes zu tun übrig, als geduldig warten.

An meiner Steuerbordseite lag mein Dampfer. Ich wollte abwarten, bis
wieder Stauwasser eingetreten war, um dann herüberzuwriggen. Innerlich
frohlockte ich schon vor lauter Übermut, als schnell der nötige Dampfer
kam. Der Morgen fing an zu grauen, immer heller traten die Umrisse der
verankerten Schiffe hervor, endlich ging die Sonne auf, und immer noch
rauschte das Wasser so kräftig an mir vorbei, daß an ein Fortkommen
für mich nicht zu denken war. Die Flucht war sowieso in dieser Nacht
unmöglich. Glücklich aber, daß ich wenigstens das lang gesuchte Boot
besaß, ließ ich mich mit dem letzten schwachen Ebbstrom stromabwärts
gleiten, und nach zirka einer Stunde machte ich an einer alten
zerfallenen Brücke am rechten Themseufer fest. Mein Boot versteckte
ich unter der Brücke, die beiden Riemen nahm ich zur Vorsicht mit an
Land und verstaute sie im hohen Gras. Dann legte ich mich selbst in
die Nähe und beobachtete. Um acht Uhr früh rauschte mein Dampfer stolz
an mir vorüber. Es war die „Mecklenburg”. Nun kam noch eine harte
Geduldsprobe. Sechzehn Stunden blieb ich im Grase liegen, bis abends um
acht Uhr die Befreiungsstunde schlug.

Da bestieg ich wieder mein Boot. Vorsichtig ließ ich mich durch die
eben einsetzende Flußströmung wieder stromaufwärts treiben und machte
am selben Leichter fest, an dem ich die Nacht vorher gestrandet war.
Querab von mir, nur fünfhundert Meter entfernt, lag die „Prinzeß
Juliana” an ihrer Boje.

Jetzt hatte ich Zeit, legte mich lang in das Innere meines Bootes und
versuchte vergebens ein Nickerchen zu machen. Der Flutstrom schwoll,
und bald war ich wieder von brausendem Wasser umgeben.

Nachts um zwölf Uhr wurde es still um mich herum, und als um ein Uhr
das Boot ruhig im Stauwasser schlingerte, warf ich los, setzte mich
achtern dwars in mein Boot und wriggte in größter Gemütsruhe, als wenn
ich mich auf einer Sonntagspartie im Kieler Hafen befände, zum Dampfer.

Unbemerkt gelangte ich an die Festmacherboje.

Haushoch türmte sich über mir der scharfe schwarze Vorsteven meines
Dampfers. Ein kräftiger Ruck, und oben war ich auf der Boje. Nun
gab ich meinem treuen Schwan einen tüchtigen Fußtritt, und schnell
wurde der von der eben wieder einsetzenden Ebbströmung stromab
geführt. Mäuschenstill lag ich mehrere Minuten auf der Eisentonne.
Dann kletterte ich, von eiserner Ruhe erfüllt, wie eine Katze an der
mächtigen Stahltrosse zur Klüse empor. Vorsichtig steckte ich den Kopf
über den Wassergang und spähte.

Die Back war leer.

Ein kurzes Aufstemmen, und oben war ich.



Ein blinder Passagier


Jetzt kroch ich auf dem Deck entlang zum Ankerspill und versteckte mich
zuerst mal in der Ölwanne unter der Kettentrommel.

Als alles um mich ruhig blieb, kein Mensch sich zeigte, kletterte ich
aus meinem Versteck, zog meine Stiefel aus und verstaute sie unter
einem Bund Stammwerk in einer Ecke der Back. Auf Strümpfen schlich ich
jetzt zur Rekognoszierung. Als ich von Achterkante Back vorsichtig zum
Ladedeck hinunterschaute, prallte ich plötzlich zurück, und atemlos,
ohne mit der Wimper zu zucken, blieb ich an einen Ventilator angelehnt
stehen. Unten auf dem Ladedeck standen zwei Posten, die scharf nach der
Back heraufsahen.

Nachdem ich über eine halbe Stunde in meiner halb geduckten Stellung
gestanden hatte und mir die Knie den Dienst versagen wollten, kamen
unten aus dem Mitteldeck zwei Stewardessen, die scheinbar vom
Nachtdienst abgelöst worden waren. Meine beiden Posten ergriffen
die günstige Gelegenheit, waren bald in eine Unterhaltung mit ihnen
vertieft und achteten nicht weiter auf das, was um sie herum vorging.

Der Morgen fing bereits an zu dämmern, jetzt mußte ich handeln, wenn
nicht noch zu guter Letzt alles verloren sein sollte.

Ich rutschte an der den beiden Liebespaaren entgegengesetzten Seite
der Back an der Gillung herunter und befand mich auf dem Ladedeck.

Ohne auch nur eine Sekunde zu zaudern, ging ich leise weiter,
schlich unbemerkt an den beiden Posten vorbei, erreichte glücklich
das Promenadendeck, und dann kletterte ich an den Außenkanten einer
Deckstütze hoch und befand mich kurz darauf an der Außenkante eines
Rettungsbootes.

Mich mit der einen Hand eisern festhaltend, da zwölf Meter unter mir
das Themsewasser gurgelte, reihte ich mit der anderen Hand und mit
den Zähnen einige Bänzel des Bootsbezuges los, und mit der letzten
Kraftanstrengung kroch ich durch die kleine Lücke und befand mich
wohlgeborgen im Bootsinnern.

Jetzt holte ich von Innen die gelösten Bänzel wieder an, und kein
Mensch hätte auf den Gedanken kommen können, daß sich ein blinder
Passagier im Rettungsboot befand.

Nun war es allerdings vorbei mit mir. Die ungeheuerlichen körperlichen
Anstrengungen, die seelischen Aufregungen und nicht zum mindesten der
nagende Hunger bewirkten, daß ich mich der Länge nach auf den Planken
ausstreckte und im selben Moment nicht mehr wußte, was um mich geschah.



Der Weg in die Freiheit


Aus einem totenähnlichen, traumlosen Schlaf wurde ich durch schrilles
Sirenengeheul aufgeweckt.

Vorsichtig öffnete ich ein Bänzel meines Bezuges, und am liebsten hätte
ich laut Hurra geschrien, denn eben lief der Dampfer in den Hafen von
Vlissingen ein.

Nun war mir alles gleich. Ich zog mein Messer, und mit einem Schnitt
durchtrennte ich die Bänzel des Bezuges, diesmal aber auf der Seite, wo
das Bootsdeck lag.

Aufatmend stand ich mitten auf dem Bootsdeck und erwartete nun, jeden
Moment gefangengenommen zu werden.

Kein Mensch, der sich um mich kümmerte. Die Schiffsbesatzung war beim
Anlegemanöver, die Fremden waren mit ihrem Reisegepäck beschäftigt.

Nun stieg ich zum Promenadendeck hinunter. Entrüstet wurde ich ob
meines Drecks und meiner zerrissenen blauen Strümpfe, die alles andere
als appetitlich aussahen, von einigen Passagieren angesehen.

Aber ich muß so glückliche, strahlende Augen gemacht haben, und die
helle Freude leuchtete wohl aus meinem schmutzigen, eingefallenen
Gesicht, daß manch erstaunter Frauenblick mich traf.

In diesem Aufzug konnte ich nicht weiter rumlaufen. Ich ging auf die
Back, holte mir meine Stiefel herunter (meine besten Hockeystiefel,
englische Liebesgaben), und, trotzdem ich von einem holländischen
Matrosen barsch angeschnauzt wurde, zog ich mir in Seelenruhe meine
Lieblinge an und wanderte zum Fallreep.

Der Dampfer hatte direkt am Kai festgemacht.

Die Passagiere verließen das Schiff, von dem Kapitän und den
Schiffsoffizieren Abschied nehmend. Erst hatte ich ernstlich vor, mich
dem Kapitän zu erkennen zu geben, um die holländische Dampferkompanie
nicht zu schädigen. Dann aber gewann die Vorsicht die Oberhand, und
mit den Händen in den Hosentaschen, mich recht lumpig benehmend,
schlingerte ich im Seemannsschritt das Fallreep hinab.

Kein Mensch nahm von mir Notiz. Ich tat so, als wenn ich zur
Schiffsbesatzung gehörte, und half beim Festmachen der Stahlleinen.

Dann mischte ich mich unter das Volk, und während die Passagiere einer
scharfen Kontrolle unterzogen wurden, sah ich mich um und entdeckte im
Gitter eine Tür, an der groß „Ausgang verboten” stand.

Die führte sicher in die Freiheit!

Im Nu war dieses für mich kinderleichte Hindernis überwunden, und
draußen stand ich.

Frei!

Mit meiner ganzen Energie mußte ich mich zusammennehmen, um nicht vor
Freude wie ein Tollhäusler herumzuspringen. Zwei wackere Landsmänner
nahmen mich auf. Glauben wollten sie es allerdings nicht, daß ich
Offizier sei, und vor allen Dingen nicht, daß mir die Flucht aus
England gelungen wäre.

Hui, sah das Badewasser aus!

Für drei Personen habe ich an diesem Abend gegessen.

Nachdem ich mir am nächsten Tage einige Kleinigkeiten eingekauft hatte,
stieg ich mit meinem Arbeitsgewande in den ~D~-Zug nach Deutschland.

Als sich der Zug eben in Bewegung setzen wollte, tippte mir ein Mann
von hinten auf die Schulter (wie ich diese Begrüßungsart verabscheute!)
und fragte mich:

„Wo sind Ihre Papiere?”

„Wer sind Sie überhaupt?” sagte ich.

„Ich bin Geheimdetektiv.”

„Das kann jeder sagen.”

„Jawohl, mein Herr, hier ist meine Marke.”

Nun wurde mir doch blümerant zumute!

Ich erklärte dem Herrn äußerst liebenswürdig, daß ich keine Papiere
besäße, übrigens direkt nach Deutschland führe und der holländischen
Regierung keinerlei Unannehmlichkeiten bereiten würde.

„So”, sagte er, „aus England kommen Sie und haben keine Papiere, na das
war wohl recht schwer?”

„Ach ja, ziemlich”, meinte ich.

„Na dann wünsche ich Ihnen weiter glückliche Reise!”

Wir schüttelten uns die Hand, und schon setzte sich der Zug in
Bewegung.



Wieder im Vaterland!


Auf meinem Sitz konnte ich es nicht lange aushalten. Ich war allein in
meinem Kupee erster Klasse, und von Gedanken und Hoffnungen, die mein
Hirn durchrasten, überwältigt, lief ich wie ein wildes Tier in seinem
Käfig im Abteil auf und ab.

Endlich, endlich, es schien ja eine Ewigkeit zu sein, fuhr der Zug
langsam über die deutsche Grenze.

Der schwarz-weiße Pfahl grüßte zu mir herüber, und weit lehnte ich mich
aus dem Fenster heraus, und jubelnd schrie ich zweimal Hurra!

Das dritte Hurra blieb mir in der Kehle stecken, und überwältigt von
Dankbarkeit, von Freude und Glück schluchzte ich laut auf und konnte es
nicht verhindern, daß mir die Tränen aus den Augen liefen.

War das Schlappheit?

Der Zug hielt in Goch, die ersten Feldgrauen, die ich in meinem Leben
sah, standen auf dem Bahnsteig, und unbesorgt sprang ich aus dem Zug.

Ein harter Griff packte mich am Rockkragen, und ein mächtiger
preußischer Wachtmeister mit grimmigem Blick unter leuchtendem Helm,
hielt mich in seiner stählernen Faust.

„Ha, da haben wir das Bürschchen!”

Ich wäre dem braven Feldgrauen am liebsten um den Hals gefallen. Noch
nie habe ich mich in meinem Leben so sicher gefühlt wie in diesem
Augenblick.

Ich versuchte zu erklären, wer ich sei, ein Lächeln, welches einem
anderen wenig Trostvolles gesagt hätte, war die Antwort.

Von zwei biederen Landsturmleuten wurde ich am nächsten Morgen nach
Wesel transportiert.

Auf dem Geschäftszimmer war noch niemand zu sprechen. Kleine Jungens
waren mir nachgelaufen, warfen mit Steinchen und riefen: „Sie haben,
sie haben ihn, einen Spion!” Diese prächtigen Blondköpfe!

Eine Ordonnanz nahm mich in Empfang.

„Na setzen Sie sich mal hin, mit solchen Leuten wie Sie machen wir
kurzen Prozeß, wenn erst der Herr Kapitänleutnant F. kommt, dann gibt's
nur ein kurzes Verhör und Sie baumeln!”

Nach einiger Zeit kam der Gestrenge, natürlich ein Kamerad von mir.
Das Erstaunen und die Freude waren nicht zu beschreiben. Aber erst das
dumme Gesicht meiner liebenswürdigen Ordonnanz! Diese mußte jetzt sogar
laufen und mir Frühstück holen.

Eine besondere Freude machte mir noch hier in Wesel ein englischer
Steckbrief aus der ‚Daily Mail’ vom zwölften Juli, also aus einer Zeit,
wo ich bereits längst in Sicherheit war, der damit endete, daß ich
wahrscheinlich versuchen würde, mich auf einem neutralen Dampfer als
Matrose anwerben zu lassen, und daß:

                    ~his recapture should be but a matter of time!~

Nach einer Stunde saß ich, immer noch in meinem Arbeiteranzug, mit
einem Paß in der Tasche im ~D~-Zug nach Berlin und fuhr natürlich -- --
-- erster Klasse.

Endlich war ich am Ziel! Fast neun Monate hatte ich gebraucht, um mich
von Tsingtau bis nach Deutschland durchzuschlagen.

Deutschland, o du mein geliebtes Vaterland! Nun war ich da.

Wunderbar strahlte die Sonne an diesem dreizehnten Juli
Neunzehnhundertundfünfzehn vom Himmel herab, trunkenen Auges nahm ich
die herrlichen Heimatbilder in mich auf.

In meinem Abteil erster Klasse saß ich alleine und hatte mich zu beiden
Seiten des Fensters breit gemacht und fing an, in Blei meinen Bericht
zu schreiben.

In Münster stieg eine alte Exzellenz in voller Uniform in mein Abteil.
Höflich stand ich auf, räumte den einen Fensterplatz frei und fragte:
„Darf ich Eurer Exzellenz gehorsamst den einen Fensterplatz einräumen?”
Ein wütender Blick seiner stahlharten Augen, dann entrang sich ein
verächtliches „Brrrr” seiner Kehle, und schwupp schlug er die Türe zu
und ließ mich alleine.

Sollte Seiner Exzellenz durch Zufall dieses Büchlein in die Hand
fallen, so bitte ich gehorsamst, mir zu verzeihen, daß ich damals
vergaß, in welchem Anzug ich steckte!

Abends um sieben Uhr lief der Zug im Bahnhof Zoo ein.

Feucht schimmerten zwei herrliche blaue Augensterne, ein riesiger
Strauß wunderbarster roter Rosen lag in meinem Arm, und vor Glück und
Wiedersehensfreude nicht mächtig ein Wort zu sagen, verließen wir den
Bahnhof.

Die nächsten Tage durchlebte ich wie im Traum.

Als ich den Admiralstab betrat, wollte mich natürlich der Portier
zuerst nicht hereinlassen, und auch in den großen Geschäften, wo ich
mir schleunigst Sachen kaufen wollte, da ich von meinem ganzen Hab und
Gut nichts mehr besaß als den Arbeiteranzug, den ich auf dem Leibe
trug, wollten mich natürlich zuerst die Türhüter hinauswerfen.

Einige Tage hatte ich im Reichsmarineamt zu arbeiten, dann erhielt ich
meines Kaisers Dank.

Und mit dem Eisernen Kreuz erster Klasse geschmückt fuhr ich stolz zu
den Meinen.

Nach einigen Wochen Erholung kam dann die größte Belohnung.

Ich wurde wieder Flieger und durfte mitarbeiten an dem großen Werk von
Deutschlands Kampf und Sieg.

Und als an der östlichen Kampffront mein allergnädigster Kaiser
und Herr die Seeflugstation besichtigte, die unter meinem Kommando
stand, und mir die Hand drückte und mir persönlich seine kaiserliche
Anerkennung aussprach, da blickte ich ihm fest in die Augen, und
flammend stand in meiner Seele:

                _Mit Gott für Kaiser und Reich!_



Ullstein-Kriegsbücher


Zeppeline über England

von ***

Aus dem Inhalt:

Sturmfahrt * Im Luftschiffhafen * Auf der Werft * Harte Tage
* Kleinkrieg * Nach England * Ueber London * Von Norfolk bis
Northumberland * Im Kampf mit Fliegern * Invasion * Denket an Baralong.


Die Fahrt der Deutschland

von Kapitän Paul König

Kapitän König selbst hat dieses Werk über die „Deutschland” verfaßt,
dem seine während der ersten Fahrt aufgezeichneten Beobachtungen
zugrunde liegen. Mit großer Anschaulichkeit, in einer Sprache, in
der noch die ganze Unmittelbarkeit des Erlebnisses nachklingt, gibt
er die Geschichte dieser für alle Zeiten denkwürdigen Tat. Vom Bau
der „Deutschland” erzählt er, von der Ausreise, vom Kampf mit den
Elementen, von der Verfolgung durch die Feinde, von der Ankunft in
Baltimore, von der glücklichen Heimkehr. Eine Seemannsnatur von
prachtvoller Frische spricht aus dieser Schilderung, die überall
gelesen werden wird, wo man froh und dankbar den Namen Paul König nennt.


Jeder Band 1 Mark


Ullstein-Kriegsbücher


Skagerrak!

Von ***

Zum ersten Male ist in diesem Buche ein umfassendes, klares und
übersichtliches Bild der gewaltigsten Seeschlacht aller Zeiten
gegeben. Der Verfasser, ein Seeoffizier, dessen Name aus bestimmten
Gründen nicht genannt werden kann, schildert in ungemein packender und
lebendiger Weise den Verlauf des furchtbaren Kampfes. Er führt uns auf
den Kommandoturm, an die Batterien, in die Höllenglut der Heizräume,
und er läßt uns den Jubel der Mannschaft miterleben, wenn das
Sprachrohr immer wieder das Sinken eines feindlichen Schiffes meldet.


Als U-Boots-Kommandant gegen England

von Kapitänleutnant Freiherrn v. Forstner

Zum ersten Male berichtet hier ein deutscher Unterseebootskommandant
von dem, was unserem schlimmsten Feind Angst und Schrecken einjagt, uns
selbst aber stolz macht auf beispiellos kühne Taten, von den Erfolgen
im Handelskrieg gegen England. Seit im Februar 1915 zur Abwehr des
Aushungerungsplanes die Blockade der englischen Küste erklärt wurde,
ist der Verfasser dieses Buches zu manch erfolgreichem Beutezug
ausgefahren.


Jeder Band 1 Mark


Ullstein-Kriegsbücher


An der Spitze meiner Kompagnie

von Paul Oskar Höcker


Kriegsfahrten eines Johanniters

von Fedor von Zobeltitz


Nach Sibirien mit hunderttausend Deutschen

von Kurt Aram


Reise zur deutschen Front

von Ludwig Ganghofer


Landsturm im Feuer

von Ernst von Wolzogen


Die stählerne Mauer

von Ludwig Ganghofer


Aus einer deutschen Festung im Kriege

von Heinz Tovote


Die Front im Osten

von Ludwig Ganghofer


Die Helden von Tsingtau

von Otto von Gottberg


Jeder Band 1 Mark


Ullstein-Kriegsbücher


Kreuzerfahrten und ~U~-Bootstaten

von Otto von Gottberg


Meine Kriegsfahrt von Kamerun zur Heimat

von Emil Zimmermann


Der russische Niederbruch

von Ludwig Ganghofer


Das deutsche Volk in schwerer Zeit

von Rudolf Hans Bartsch


Im Auto durch Feindesland

von Paul Grabein


Aus den Urwäldern Paraguays zur Fahne

von Ernesto Freiherrn Gedult v. Jungenfeld


Von New York nach Jerusalem und in die Wüste

von Th. Preyer


Der Krieg im Alpenrot

von Karl Hans Strobl


Wir Marokko-Deutschen in der Gewalt der Franzosen

von Gustav Fock


Jeder Band 1 Mark


Wir draußen

Zwei Jahre Kriegserleben an vier Fronten von Colin Roß


Zwei Jahre des Weltkrieges umfassen die Berichte des Oberleutnants
Colin Roß, der an allen Fronten selbst gekämpft hat. Ungeheure
Wirklichkeiten folgen aufeinander und werden zur fernen Erinnerung, zum
blassen Traum. Landschaftsszenen voll Duftes, voll zarter Lieblichkeit
unterbrechen die Bilder der Schlachten. Ein freies, stolzes Menschentum
spricht aus diesen Schilderungen.

                        Preis 3,50 Mark broschiert. 4,50 Mark gebunden


Drei Straßen des Krieges

von Dr. Max Osborn

Auf drei Hauptstraßen des Krieges an der Westfront führt Osborns Werk:
nach dem Artois, Frankreichs „schwarzem Land”, nach der Champagne
und nach Flandern. Fortreißend in ihrer Wucht ist Osborns Sprache,
einer Begeisterung geboren, die jedes Pathos verschmäht. Menschen und
Landschaft -- alles macht sie in persönlicher, dichterischer Formung
lebendig.

                              Preis 2 Mark broschiert. 3 Mark gebunden


Kernworte des Weltkrieges

von Rudolf Rotheit

Rotheits Werk ist ein in glänzender Form abgefaßter, klar geordneter
Büchmann des Weltkrieges. Alle die Schlagworte weist er nach, die
bis zur zweiten Jahreswende des Völkerringens entstanden, die
zuversichtlichen deutschen Worte des Kaisers, des Kanzlers, der
Reichstagsführer, die hämischen oder großspurigen Kundgebungen aus
dem Lager unserer Feinde. Politische Zusammenhänge, die jetzt schon
dem Bewußtsein sich entziehen, werden von Rotheit in dieser Chronik
der Jahre 1914 bis 1916 aufgehellt. Nicht nur den Zeitgenossen, auch
der Nachwelt dient seine aus der unmittelbaren Berufstätigkeit des
Journalisten heraus gebotene Arbeit.

                                                       Preis 1,50 Mark


Verlag Ullstein & Co · Berlin


[Illustration]

  Ullstein & Co
  Berlin SW 68



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  | Anmerkungen zur Transkription                                  |
  |                                                                |
  | Inkonsistenzen wurden beibehalten, wenn beide Schreibweisen    |
  | gebräuchlich waren, wie:                                       |
  |                                                                |
  | Bahnhofes -- Bahnhofs                                          |
  | Dolmetscher-Offizier -- Dolmetscheroffizier                    |
  | Iltis-Berge -- Iltisberge                                      |
  | Neunzehnhundertundvierzehn -- Neunzehnhundertvierzehn          |
  | unseren -- unsern                                              |
  |                                                                |
  | Interpunktion wurde ohne Erwähnung korrigiert.                 |
  | Im Text wurden folgende Änderungen vorgenommen:                |
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  | S. 9  „Mc Garvin” in „McGarvin” geändert.                      |
  | S. 55 „eventuell” in „eventuelle” geändert.                    |
  | S. 139 „toppslastig” in „topplastig” geändert.                 |
  | S. 155 f. „Luck” in „Luk” geändert.                            |
  | S. 204 „an mich” in „an sich” geändert.                        |
  | S. 236 „Elbströmung” in „Ebbströmung” geändert.                |
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