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Title: Die Koralle: Schauspiel in fünf Akten
Author: Kaiser, Georg
Language: German
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  |                                                                  |
  | Gesperrter Text ist als _gesperrt_ dargestellt.                  |
  | Eine Liste der Änderungen befindet sich am Ende des Buchs.       |
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[Illustration]



                              DIE KORALLE

                       SCHAUSPIEL IN FÜNF AKTEN


                                  VON

                             GEORG KAISER


                    S. FISCHER -- VERLAG -- BERLIN
                                 1917


  DEN BÜHNEN UND VEREINEN GEGENÜBER ALS MANUSKRIPT
  GEDRUCKT. ALLE RECHTE VORBEHALTEN, BESONDERS DIE DER
  ÜBERSETZUNG. DAS AUFFÜHRUNGSRECHT IST VON S. FISCHER,
  VERLAG ZU ERWERBEN. COPYRIGHT 1917 S. FISCHER, VERLAG.



PERSONEN


  Milliardär
  Sohn
  Tochter
  Sekretär
  Museumsdirektor
  Arzt
  Kapitän
  Sängerin
  der Herr in grau
  der Mann in blau
  die Dame in schwarz
  die Tochter in schwarz
  das Fräulein in Taffet
  der erste  }
  der zweite } Richter
  der Geistliche
  die beiden Diener
  der Schreiber
  die beiden Wärter
  der gelbe Heizer
  der farbige Diener
  Matrosen



ERSTER AKT


  Ein ovaler Raum: »das heiße Herz der Erde«. In sehr heller
  Wandtäfelung liegen die Türen unsichtbar: zwei hinten, eine links.
  Nur zwei runde Sessel aus weißem Elefantenleder stehen mitten in
  großem Abstand gegenüber; der rechte mit einem Signalapparat an der
  äußeren Wange.

  In diesem Sessel sitzt der Sekretär: das Profil ist auf eine
  unbestimmte Art von scheuer Energie. Straffes rötliches Haar steigt
  in schmalem Streifen bis gegen das Kinn nieder. Der Körper im
  Anzug von gröbstem Stoff ist klein; doch holt er aus irgendeiner
  fortwährenden angreiferischen Bereitschaft, die mit Anstrengung
  gebändigt wird, Wucht und Bedeutung.

  Im andern Sessel das Fräulein in Taffet.

    SEKRETÄR

Würden Sie nun --

    DAS FRÄULEIN IN TAFFET

O ich verstehe Sie: -- mich kurz fassen. Ich bin nicht die einzige,
die angehört sein will. Im Vorzimmer drängen sich die Menschen -- und
vielleicht sind ihre Wünsche berechtigter. Wer will das wissen? Es gibt
Elend an allen Ecken der Erde. Ob meine Ecke, an die das Schicksal mich
zu stellen für passend befunden hat, eine besonders windige ist --

    SEKRETÄR

Um das zu beurteilen, muß ich Ihr Schicksal kennen.

    DAS FRÄULEIN IN TAFFET

Die Hölle, mein Herr! -- Jawohl, die Hölle. Ich verwende keinen
extremen Ausdruck. Das ist meine Art nicht. Oder kann man das besser
bezeichnen, wenn -- -- Man ist Mensch -- man hat eine Mutter -- an
Gott glaubt man -- -- Nein, mein Herr, diese Fähigkeit ist mir nicht
abhanden gekommen -- im Großen und Ganzen nicht! -- -- und -- ich kann
es nicht laut sagen --: kaufe mir mein Brot mit meinem Leib!

    SEKRETÄR

Suchen Sie Aufnahme in ein Asyl?

    DAS FRÄULEIN IN TAFFET

Wo Blumenstöcke hinter den Fenstern leuchten --!

    SEKRETÄR

  zieht einen Schreibblock aus der Tasche und schreibt.

Sie haben zwei Jahre Zeit, um über die Grundlage einer neuen Existenz
nachzudenken.

    DAS FRÄULEIN IN TAFFET

Zwei -- --

    SEKRETÄR

  gibt ihr das Papier.

Jedes Magdalenenheim steht Ihnen heute offen.

    DAS FRÄULEIN IN TAFFET

  zugleich seine Hand fassend und küssend -- hysterisch.

Ich hatte meinen Kinderglauben nicht verkauft -- Gott war mir nicht
feil -- nun sucht er mich mit seinem Boten -- meines Gottes Bote --
ich grüße Sie -- kniend nehmen Sie meinen glühenden Dank. Mehr --
mehr, Gott selbst geht wieder unter uns -- wir sind alle gerettet --
halleluja amen!

    SEKRETÄR

  drückt auf das Signalbrett.

  Sofort kommen von links zwei Diener -- herkulische Figuren -- in
  gelber Livree. Sie heben das Fräulein in Taffet auf und führen es
  nach der Tür zurück.

    DAS FRÄULEIN IN TAFFET

  ekstatisch.

In ein Magdalenenheim -- ich werde ein neuer Mensch -- ein neuer Mensch
-- --! (Die drei ab).

  Der Mann in blau wird von den Dienern eingelassen und in den Sessel
  geführt. Diener ab.

    SEKRETÄR

Würden Sie --

    DER MANN IN BLAU

  mit stoßender Sprechweise.

Die Brust --

    SEKRETÄR

Suchen Sie Aufnahme in eine Heilanstalt?

    DER MANN IN BLAU

  den Kopf in die Hände vergrabend.

Weggeschickt bin ich, nachdem ich mich von Kräften gearbeitet habe! --
Bin ich ein alter Mann? Ich stehe in den besten Jahren -- und sehe wie
ein Greis aus. Der Anzug schlottert um mich, den ich einmal ausfüllte
bis in die Nähte. Das System hat mich ruiniert --

    SEKRETÄR

Sie sind Arbeiter?

    DER MANN IN BLAU

Jeden ruiniert das System -- die unmenschliche Ausnützung der
Leistungsfähigkeit. Der Andrang ist ja groß genug -- darum muß man
schnell verbraucht werden, um Platz zu schaffen.

    SEKRETÄR

Sie finden keine Beschäftigung in Fabriken?

    DER MANN IN BLAU

Schon am Fabriktor werde ich abgewiesen. Seit zwei Wochen irre ich in
den Straßen herum und habe das Letzte aufgezehrt, was ich hatte. Jetzt
--

    SEKRETÄR

Wir haben Landkolonien.

    DER MANN IN BLAU

Die haben wir -- ja. Die liegen drin im Land. Ich kann nicht so weit
wandern.

    SEKRETÄR

Die Kolonien sind mit der Bahn zu erreichen.

    DER MANN IN BLAU

Ich -- habe das Fahrgeld nicht!

    SEKRETÄR

  zieht den Schreibblock und schreibt. Ihm das Blatt gebend.

Zeigen Sie draußen die Anweisung.

    DER MANN IN BLAU

  liest -- sieht auf.

Das ist mehr -- als das Fahrgeld! (Stammelnd.) Ich habe Frau und Kinder
-- -- ich kann sie mit mir nehmen -- -- ich wollte sie verlassen!

    SEKRETÄR

  drückt auf das Signalbrett.

  Die beiden Diener kommen.

    DER MANN IN BLAU

  schon nach links laufend.

Meine Frau -- -- meine Kinder! (Ab.)

  Die Diener schließen hinter ihm die Tür -- öffnen und lassen die
  Dame in schwarz mit der Tochter ein. Die Tochter trägt einen
  Violinkasten.

    DIE DAME IN SCHWARZ

  zu den Dienern.

Danke -- ich stehe.

  Die Diener ab.

    SEKRETÄR

  steht auf.

Würden Sie --

    DIE DAME IN SCHWARZ

  ruhig.

Ich entschloß mich zu diesem Gang als Mutter meiner Tochter. Vor
einigen Monaten verlor ich meinen Mann. Er hinterließ mir so gut
wie nichts. Es ist mir gelungen, eine Stellung zu finden, die mich
ernährt. Allerdings würde ich niemals hinreichend verdienen, um für
die Ausbildung meiner Tochter zu sorgen. Ich habe Grund zu der Annahme,
daß das Talent meiner Tochter ihr eine Zukunft sichert. Ich habe davon
abgesehen mir Atteste und Gutachten zu verschaffen. Das beste Zeugnis
ihrer Befähigung ist ihr Spiel. Darf sie spielen?

    SEKRETÄR

Ich denke, daß es auch Ihrer Tochter noch größeres Vergnügen nach
vollendeter Ausbildung bereitet.

    DIE DAME IN SCHWARZ

Darf ich aus diesen Worten --

    SEKRETÄR

  schreibt.

    DIE DAME IN SCHWARZ

  zur Tochter.

Küsse die Hand.

    SEKRETÄR

  gibt der Dame in schwarz das Blatt.

Erheben Sie das monatlich bis zum Schluß des Studiums.

    DIE DAME IN SCHWARZ

  ohne zu lesen.

Dank wird Ihnen lästig sein, Sie hören ihn zu oft. Die Menschen müssen
Ihnen erbärmlich erscheinen, Sie machen zuviele glücklich. Uns bleibt
nur das Staunen vor dem Wunder: daß es jemanden gibt, der sich nicht
vor uns verschließt, wenn wir mit unserm Kummer zu ihm kommen. Uns alle
anzuhören, das ist größerer Mut -- als die Erfüllung unserer Bitten
schon unsagbare Güte ist!

    SEKRETÄR

  drückt auf das Signalbrett.

  Die Diener kommen und führen die Dame in schwarz mit der Tochter
  weg.

  Auf dem Signalbrett schnarrt eine Schelle.

    SEKRETÄR

  drückt sofort nochmals auf einen anderen Taster.

  Nur ein Diener von links.

    SEKRETÄR

  zu ihm.

Warten!

  Der Diener ab.

  Aus der Tür rechts hinten, die eine dichte Innenpolsterung zeigt,
  tritt rasch der Milliardär ein. Jene früher gegebene ausführliche
  Beschreibung des Sekretärs zielte nach dem Milliardär: der Sekretär
  ist bis auf die geringste Einzelheit nur sein Widerspiel. Noch in
  Sprache und Geste ist die Übereinstimmung vollkommen.

    MILLIARDÄR

Die Bordliste der »Meeresfreiheit«. Nach der Ausfahrt gestern
aufgenommen und heute morgen mit Funkspruch hier gemeldet. Mein Sohn
ist nicht unter den Passagieren genannt.

    SEKRETÄR

  liest das Blatt.

Nur sein Begleiter.

    MILLIARDÄR

Die Liste ist unvollständig!

    SEKRETÄR

Die Bordmeldungen pflegen genau zu stimmen.

    MILLIARDÄR

Wo ist mein Sohn, wenn sein Begleiter auf dem Dampfer ist? Er muß mit
der »Meeresfreiheit« reisen. Ich habe es gewünscht. Die Zeitungen
hatten die Namen der Passagiere, die die erste Klasse belegt haben,
gebracht, meinen Sohn an erster Stelle!

    SEKRETÄR

Ich glaube nicht an einen Irrtum.

    MILLIARDÄR

Er muß an Bord sein. Es gibt nur dies Schiff, auf dem er reisen kann.
Es war mein ausdrücklicher Auftrag, den ich dem Begleiter schickte,
diesen schnellsten und schönsten Dampfer zu benutzen! Die Meldung ist
fehlerhaft. Setzen Sie sich mit dem Schiffahrtskontor in Verbindung.
Fragen Sie an, wo der Fehler gemacht ist. Ob an Bord -- oder bei der
Herstellung der Liste!

    SEKRETÄR

  zögert.

    MILLIARDÄR

Warten Sie am Telephon auf die Antwort.

    SEKRETÄR

Es wird mich aufhalten --

    MILLIARDÄR

Worin?

    SEKRETÄR

Es ist heute der »offene Donnerstag« -- --

    MILLIARDÄR

  nachdenkend.

Der »offene Donnerstag« -- --

    SEKRETÄR

  wartet.

    MILLIARDÄR

  kurz.

Fragen Sie an. Ich werde solange hier sein.

    SEKRETÄR

  gibt ihm noch den Schreibblock.

    MILLIARDÄR

Machen Sie die Auskunft dringend und kommen Sie gleich mit dem Bescheid.

    SEKRETÄR

  durch die Tür links hinten ab.

    MILLIARDÄR

  setzt sich in den Sessel, drückt auf das Signalbrett.

  Die Diener lassen den Herrn in grau ein: von mächtigem Wuchs,
  in weitem hellgrauen Anzug, dessen Taschen mit Zeitungen und
  Broschüren vollgestopft sind. Runder roter Kopf, das Haar
  weggeschoren. Sandalen.

    DER HERR IN GRAU

  nach den Dienern, die ihn in den Sessel weiterführen wollen, mit
  der Reisemütze schlagend.

Langsam. Pause. Atem holen. (Da die Diener warten.) Sorgen Sie draußen
für Ruhe -- ich nehme mir hier Zeit. (Gegen den Milliardär.) Sie wird
mir bewilligt werden. Mit drei Worten halte ich Ihre Aufmerksamkeit
gebannt. (Zu den Dienern.) Ich bin kein Raubtier.

  Die Diener auf einen bezeichnenden Wink des Milliardärs ab.

    MILLIARDÄR

Würden Sie --

    DER HERR IN GRAU

  sich umblickend.

Also dies ist der gelobte Raum -- die Quelle des großen Mitleids --
das Heiligtum, von dem Liebe und Hilfe ausgehen -- (Mit beschreibender
Gebärde.) Geschwungenes Rund -- bedeutsame Form -- »das heiße Herz der
Erde«!

    MILLIARDÄR

Äußern Sie jetzt --

    DER HERR IN GRAU

Eindrucksvoll die Kahlheit: zwei Sessel -- und Platz für Klagen und
Jammerworte. Wunderlich, daß die Täfelung nicht nachgedunkelt ist von
den Notschreien, die gegen sie anprallen.

    MILLIARDÄR

  tastet nach dem Signalbrett.

    DER HERR IN GRAU

  bemerkt es.

Schellen Sie nicht nach den Dienern. Ich weiß es: dieser »offene
Donnerstag« ist kostbar für alle, die warten. Jede vergeudete Minute
besiegelt ein Menschenschicksal.

    MILLIARDÄR

Wobei suchen Sie meine Hilfe?

    DER HERR IN GRAU

Ich -- (Sich weit vorlehnend.) -- will Ihnen helfen!

    MILLIARDÄR

  greift unwillkürlich nach dem Taster.

    DER HERR IN GRAU

Kein Signal. Ich bin gesund -- und was ich sage, ist lange überlegt.
Ich habe den Stoff studiert -- verarbeitet -- und bin zu Ergebnissen
gekommen -- zu einer Lösung von lächerlicher Einfachheit. Der ganze
Streit -- dieser gigantische Kampf, der mit einem ungeheuren Aufwand
von Mitteln und Gegenmitteln geführt wird -- fällt hin -- verrinnt --
ist weg!

    MILLIARDÄR

Was für ein Streit?

    DER HERR IN GRAU

Der einzige, der dauernd tobt: zwischen arm und reich!

    MILLIARDÄR

Den --

    DER HERR IN GRAU

-- will ich schlichten!

    MILLIARDÄR

  sieht ihn mit aufblitzendem Interesse forschend an.

Warum kommen Sie zu mir?

    DER HERR IN GRAU

Es hat Sie überrascht. Aber ich mußte Sie im ersten Augenblick fesseln.
Sonst ging die Gelegenheit verloren. Ein zweites Mal hätten mich
Ihre Diener nicht vorgelassen. Mit den beiden ist nicht zu spaßen.
(Zeitungen und Zeitschriften aus den Taschen wühlend.) Jetzt will
ich das, was ich vorhin auf den kürzesten Ausdruck gebracht hatte,
entwickeln. Das ist das Material, das die erschöpfende Feststellung
verschafft. Sozialistische Zeitungen, Zeitschriften, Broschüren -- das
ganze Arsenal des kämpfenden Proletariats. Aufrufe -- Anpreisungen von
Mitteln, die den Erfolg verheißen -- Tarife -- Tabellen -- Statistik:
eine Sintflut von Literatur. Literatur -- weiter nichts. Es bringt
keinen Schritt weiter -- die Kluft klafft nur immer breiter, denn auf
die Feindschaft bis aufs Messer ist es aufgebaut. (Alles wieder in
die Taschen schiebend.) Schade um die Mühe. Zwecklose Wanderungen in
Sackgassen. So wird das nichts. Verstehen Sie es?

    MILLIARDÄR

Ich verstehe Sie nicht.

    DER HERR IN GRAU

Was tun Sie hier? Sie schenken mit beiden Händen. Wer bittet, wird
befriedigt. Im großen und im kleinen. Ihr Milliardenreichtum gestattet
es. Sie machen diesen »offenen Donnerstag«. Jeder kommt und empfängt.
Das Elend kriecht über diese Schwelle und tanzt als Glück hinaus.
Dieser ovale Raum wird im Mund der Bedrückten zum Paradies: hier pocht
das Herz der Erde -- heiß und erbarmend. Keine Minute stockt der
Pulsschlag -- er spendet und spendet. Warum tun Sie das?

    MILLIARDÄR

Mein Milliardenreichtum --

    DER HERR IN GRAU

Nein!

    MILLIARDÄR

Sondern?

    DER HERR IN GRAU

Ihr Reichtum ekelt Sie an!

    MILLIARDÄR

  hebt eine Hand auf.

    DER HERR IN GRAU

Nicht, daß es Ihnen so bewußt wäre -- aber es gibt für mich keine
andere Erklärung. Nehmen Sie sie von mir an. Ich habe das nicht von
gestern auf heute gefunden. Ich bin in allen Sackgassen mühselig
gelaufen -- bis ich hier die offene Straße entdeckte, die allein zum
Ziel führt.

    MILLIARDÄR

Was für ein Ziel ist das?

    DER HERR IN GRAU

Das Ende des Kampfes zwischen reich und arm. Was keine Partei -- keine
Parole zuwegebringt, das machen Sie mit einem Federstrich wirklich.
Alles andere wird dadurch überflüssig: Ihr »offener Donnerstag« --
»das heiße Herz der Erde« -- die Versammlung des Elends im Vorzimmer.
Es bleiben ja doch nur Tropfen, die Sie in das Meer von Jammer
schütten. Aber mit diesem Federstrich künden Sie den ewigen Frieden an.
Unterschreiben Sie diese Erklärung!

    MILLIARDÄR

  nimmt das Papier nicht.

Was soll ich erklären?

    DER HERR IN GRAU

Daß Sie die Bereicherung des Einzelnen für die unerhörteste Schmach
ansehen!

    MILLIARDÄR

Daß ich --

    DER HERR IN GRAU

Sie müssen es sagen. Sie -- der Milliardär der Milliardäre. In Ihrem
Munde erhält es Gewicht. Das beleuchtet blitzklar das Schlachtfeld,
auf dem sich die Parteien bis an die Zähne bewaffnet gegenüberstehen.
Das ist die weiße Parlamentärflagge, die hochgeht. Verhandlung --
Verständigung. Der Kampf wird überflüssig, der Kriegsgrund ist
beseitigt: Sie wollten nicht reich sein -- Sie sind nur durch die
Umstände gezwungen, reich zu werden. Jetzt kann man über die
Abänderung dieser Zustände beraten -- man findet die Lösung, weil man
sie brüderlich sucht!

    MILLIARDÄR

Ich bin schwerlich --

    DER HERR IN GRAU

Sie allein sind es! -- Sie wollen schenken weil Sie müssen. Etwas in
Ihnen zwingt Sie dazu. Jetzt tun Sie es im kleinen -- nun kennen Sie
das größere: jetzt werden Sie mit Freuden unterschreiben!

    MILLIARDÄR

  steht auf.

    DER HERR IN GRAU

Sie werden doch nicht die Diener rufen?

    MILLIARDÄR

Ich -- (Er steht nachdenkend hinter dem Sessel.)

    DER HERR IN GRAU

Ich wußte es doch!

    MILLIARDÄR

-- will Ihnen eine Erklärung geben.

    DER HERR IN GRAU

Ihre Unterschrift!

    MILLIARDÄR

  wehrt wieder ab.

Und Sie sollen mir sagen, ob ich unterschreiben kann.

    DER HERR IN GRAU

Sie müssen es ja!

    MILLIARDÄR

  kommt in den Sessel zurück.

Da Sie ja so etwas wie die Weltordnung umstürzen wollen, muß ich meine
Weltordnung vor Ihnen aufzubauen suchen. Kennen Sie meine Anfänge?

    DER HERR IN GRAU

Aus eigener Kraft!

    MILLIARDÄR

Aus eigener Schwäche!

    DER HERR IN GRAU

  sieht ihn verdutzt an.

    MILLIARDÄR

Oder sagen wir: Furcht -- Angst. Schwäche und Furcht bedingen sich ja.
Aber Sie werden es mit zwei, drei Worten nicht verstehen können. Mein
Werdegang -- so sagt man ja wohl -- ist bereits in die Schulbücher
übergegangen. Ich wiederhole also nur eine bekannte Erzählung. Ich
gebe dieselben Daten -- nur sind meine Deutungen anderer Natur. Mein
Vater war Arbeiter in demselben Werk, das mir jetzt gehört. Ob er einen
Kessel geheizt hat oder Lastträger war, weiß ich nicht. Viel Geld hat
er wohl nicht verdient, denn wir existierten erbärmlich. An einem
Montag -- am Lohntag -- kam er nicht nachhause. Er war gekündigt, weil
er verbraucht war -- und hatte sich mit dem letzten Geld auf den Weg
gemacht. Uns hätte er ja nicht mehr ernähren können. An diesem Abend
nahm sich meine Mutter das Leben. Ich hörte irgendwo im Hause einen
Schrei -- ich lief nicht hin -- ich wußte alles -- ich war acht Jahre
alt. In dieser Minute pflanzte sich mir das Entsetzen ein. Es stand
vor mir wie eine graue Wand, über die ich hinweg mußte, um vor dem
Furchtbaren zu fliehen. Das Furchtbare, das aus dem Ausbleiben des
Vaters mit der Löhnung und dem Schrei der Mutter zusammenfloß, das
brachte mich auf den Weg -- das trieb mich zur Flucht. Es stand hinter
mir, wenn ich arbeitete -- ich fand Arbeit beim Werk! -- Es ließ mich
keine Sekunde los -- ich floh und floh -- -- -- -- und fliehe, weil es
heute noch irgendwo hinter mir dasteht!

    DER HERR IN GRAU

Sie haben sich verblüffend schnell hinaufgearbeitet.

    MILLIARDÄR

Rastloser Fleiß -- rastlose Flucht. Mehr nicht. Immer weiter mußte ich,
um den Abstand zwischen den Furchtbaren und mir zu verlängern. Es gab
keine Gnade, das hatte ich gesehen. Es hetzte mich vorwärts. Die Angst,
die mir in den Gliedern fror, machte mich erfinderisch. Da stehen
Maschinen, die haben meinen Vater ausgesaugt -- die haben meine Mutter
an den Türhaken geschnürt -- die werden mich zermalmen, wenn ich sie
nicht unter mich zwinge. Das Werk -- mit seinen Maschinen -- mit seinen
Menschen zwischen mich und das Furchtbare gestellt -- das hat mir die
erste Ruhe gegeben!

    DER HERR IN GRAU

  fährt sich über die Stirn.

Was wollen Sie denn damit -- -- Ein Erlebnis, wie hundertmal täglich es
vorkommt -- der Vater verschwindet -- die Mutter -- --

    MILLIARDÄR

Mich schlug es nieder, weil ich besonders schwächlich war. Ich mußte es
sein, sonst hätte ich besser standgehalten. Aber ich lief davon, was
ich laufen konnte. Sagt Ihnen das genug?

    DER HERR IN GRAU

  verwirrt.

Ich sträube mich --

    MILLIARDÄR

Gegen den Schwächling vor Ihnen?

    DER HERR IN GRAU

Sie müssen ja erbarmungslos gegen Ihre Mitmenschen sein!

    MILLIARDÄR

Wer flieht, will nicht sehen, über wen er tritt!

    DER HERR IN GRAU

  sieht ihn an -- froh.

Und widerlegen sich selbst: -- »das heiße Herz der Erde«!

    MILLIARDÄR

Ja -- ich will von dem Elend nichts hören, das mich an das Furchtbare
zu stark erinnern kann. Deshalb habe ich einen Tag im Monat bestimmt:
den »offenen Donnerstag«. So weiß ich, wann ich mich zu verstecken habe.

    DER HERR IN GRAU

Sie sitzen doch selbst hier und hören alles an!

    MILLIARDÄR

Irrtum --: mein Sekretär sitzt hier.

    DER HERR IN GRAU

  nach einer Pause -- scharf.

Ist das Ihre Weltordnung?

    MILLIARDÄR

Nicht meine -- es ist _die_ Weltordnung.

    DER HERR IN GRAU

Die Klassen sind kürzer oder weiter vorgekommene Flüchtlinge?

    MILLIARDÄR

Alle sind auf der Flucht.

    DER HERR IN GRAU

Und die am raschesten Fliehenden -- die --

    MILLIARDÄR

Die verstörtesten Feiglinge --

    DER HERR IN GRAU

Triumphieren!

    MILLIARDÄR

Wie meinesgleichen!

    DER HERR IN GRAU

  stöhnt. Dann ironisch.

So muß ich erst auf eine Menschheit hoffen, die keine Feiglinge mehr
unter sich zählt.

    MILLIARDÄR

Es werden immer wieder Menschen geboren, die sich tiefer erschrecken.
Es kommt auf den Anlaß nicht mehr an. Es ist immer der Hebel gewesen,
der sich selbst ansetzte. Fortschritt -- es gilt nicht: wohin --
sondern: fort wovon! -- -- Wird Ihnen jetzt mehr verdächtig? Ich
spreche Ihre Vermutungen unumwunden aus. Mir sind diese Gedankengänge
ja geläufiger. Woher stammen die Großen, die eine Welt erobern? Aus
dem Dunkel steigen sie herauf, weil sie aus dem Dunkel kommen. Dort
erlebten sie das Furchtbare -- auf diese oder jene Weise. Schaurige
Meteore sind sie, die grell aufflammen -- und fallen!

    DER HERR IN GRAU

  spöttisch.

Und wann -- fallen Sie?

    MILLIARDÄR

  schüttelt lächelnd den Kopf.

    DER HERR IN GRAU

Wie haben Sie sich gegen das Meteorschicksal versichert?

    MILLIARDÄR

Ich habe einen Sohn.

  Der Sekretär kommt zurück.

    MILLIARDÄR

  aus dem Sessel -- dem Sekretär entgegen.

Ist jetzt der Irrtum berichtigt?

    SEKRETÄR

Das Verzeichnis war vollständig.

    MILLIARDÄR

Ohne meinen Sohn?

    SEKRETÄR

Er befindet sich nicht auf der »Meeresfreiheit«.

    MILLIARDÄR

Aber sein Begleiter reist doch mit der »Meeresfreiheit«!

    SEKRETÄR

Er muß sich von ihm getrennt haben.

    MILLIARDÄR

Der keinen Schritt von seiner Seite weichen durfte?

    SEKRETÄR

  schweigt.

    MILLIARDÄR

Ich will Aufklärung. Ich weiß ja in dieser Stunde nicht, wo mein
Sohn ist! -- Setzen Sie sich mit seinem Begleiter durch Funkspruch in
Verbindung. Er soll berichten was vorgefallen ist. Es muß doch etwas
vorgefallen sein. Ich begreife nicht, wie er ohne meinen Sohn reisen
konnte!

    SEKRETÄR

Ihr Sohn ist jung --

    MILLIARDÄR

  lächelnd.

Zarte Fesseln, die ihn --? Wir werden den Grund bald kennen.

    SEKRETÄR

  wieder ab.

    MILLIARDÄR

  in den Sessel zurückkehrend.

Habe ich Sie vorhin so stark erschüttert?

    DER HERR IN GRAU

  war beim Eintritt des Sekretärs aufgesprungen. Er starrt noch nach
  der Tür, durch die der Sekretär weggegangen ist. Dann wendet er
  sich zum Milliardär.

Bin ich doppelsichtig? Sitzen Sie hier? Sind Sie nicht eben da aus der
Tür? Haben Sie mit sich selbst gesprochen?

    MILLIARDÄR

Nein, ich habe mit meinem Sekretär verhandelt.

    DER HERR IN GRAU

Der Sekretär --! Sind Sie Brüder? Aber es wäre auch das --

    MILLIARDÄR

Sie sehen, es ist möglich.

    DER HERR IN GRAU

  sich in den Sessel fallen lassend.

Grauenhaft!

    MILLIARDÄR

Ein Scherz, den sich die Natur vielfach leistet. Sie werden für jeden
Menschen eine Wiederholung finden. Wenn Sie suchen, heißt es. Ich habe
suchen lassen und und ich gebe zu, daß ich vom Glück begünstigt wurde.

    DER HERR IN GRAU

Vom Glück --?

    MILLIARDÄR

Es verschafft mir große Annehmlichkeiten. Ich kann da und dort sein,
ohne mich selbst zu bemühen. Und auch an diesem »offenen Donnerstag«
bin ich mit meiner gutbekannten Gestalt hier -- und angle vielleicht zu
meiner Erholung an einem entfernten Gewässer.

    DER HERR IN GRAU

Wissen Sie denn selbst noch, wer Sie sind?

    MILLIARDÄR

Ich denke doch.

    DER HERR IN GRAU

Und sonst nimmt jeder den Sekretär für Sie?

    MILLIARDÄR

Bis auf die beiden Diener, die über meine persönliche Sicherheit wachen.

    DER HERR IN GRAU

Kein Mensch könnte den Unterschied entdecken?

    MILLIARDÄR

Deshalb ist auch ein kleines unauffälliges Abzeichen angebracht. Eine
Koralle, die der Sekretär an seiner Uhrkette trägt. Wer die Koralle
hat, ist der Sekretär.

    DER HERR IN GRAU

Und nur die Diener wissen es?

    MILLIARDÄR

Es sind Detektivs.

    DER HERR IN GRAU

Und wenn ich Ihr Geheimnis verrate?

    MILLIARDÄR

Wer wird Ihnen glauben? Ein Märchen mehr über mich.

    DER HERR IN GRAU

  schüttelt heftig den Kopf.

Sie haben die Koralle nicht an der Kette -- oder, ich habe nicht darauf
geachtet, trugen Sie vorhin --

    MILLIARDÄR

Nein, ich habe Ihnen von Anfang an Rede gestanden. Und wenn Sie noch
den Schluß hören wollen --

    DER HERR IN GRAU

  lachend.

Das Ende Ihrer Flucht Hals über Kopf vor dem Furchtbaren! Oder gibt es
keins?

    MILLIARDÄR

In meinem Sohn. Ich habe auch eine Tochter, aber zum Sohn hat man die
tiefere Beziehung. Haben Sie Kinder? Nein. Dann müssen Sie mir schon
glauben. Im Sohn findet man seine Fortsetzung -- während er selbst
ein Anfang ist. Das ist ein Gesetz, das im Blut liegt. Ich weiß mit
stärkster Gewißheit, daß es besteht! -- Es wünscht doch jeder Vater:
mein Sohn soll es einmal besser haben. Das ist so der landläufige
Ausdruck.

    DER HERR IN GRAU

Er soll das Furchtbare, wie Sie es nennen, nicht kennen.

    MILLIARDÄR

Soll ich noch mehr sagen? Das ist ja alles so verständlich.

    DER HERR IN GRAU

Und Sie haben ihn bewahrt?

    MILLIARDÄR

Ich lasse ihn ein helles Leben leben. Er hat keine Berührung mit dem,
was in Ihren Broschüren schreit und jammert. Ich habe ihn abseits
geführt.

    DER HERR IN GRAU

Wo halten Sie ihn versteckt?

    MILLIARDÄR

Ich halte ihn nicht verborgen. Die Erde hat so viele sonnige Küsten!

    DER HERR IN GRAU

Wo man das Furchtbare verträumt!

    MILLIARDÄR

Wo man sich eine glücklichere Vergangenheit schafft.

    DER HERR IN GRAU

Von der Flucht in seligem Frieden rastet!

    MILLIARDÄR

Im Paradies!

    DER HERR IN GRAU

Sie haben den äußeren Doppelgänger gefunden -- den Sekretär.

    MILLIARDÄR

Erregt es Sie noch?

    DER HERR IN GRAU

Nein, es ist Methode darin.

    MILLIARDÄR

Inwiefern?

    DER HERR IN GRAU

Jetzt formen Sie sich noch den inneren Doppelgänger -- Ihren Sohn.

    MILLIARDÄR

Vielleicht ist es meine Leidenschaft mich auszutauschen.

    DER HERR IN GRAU

Wenn man so triftige Gründe hat.

    MILLIARDÄR

So furchtsam ist.

    DER HERR IN GRAU

Und so mächtig!

    MILLIARDÄR

Wollen Sie mir jetzt noch helfen? Mit Ihrer Erklärung, die ich
unterschreiben soll?

    DER HERR IN GRAU

  stößt seine Zeitungen usw. noch tiefer in die Taschen, atmend.

Sie haben mich verwirrt gemacht. Die Luft ist hier dick. Es preßt einem
den Schweiß durch die Poren.

    MILLIARDÄR

Überdenken Sie es in Ruhe.

    DER HERR IN GRAU

Es ist zu toll: das »heiße Herz der Erde« -- -- der »offene Donnerstag«
-- -- -- Die Konsequenzen!

    MILLIARDÄR

Welche Konsequenzen?

    DER HERR IN GRAU

Das Chaos tut sich auf!

    MILLIARDÄR

Es ist aufgetan -- darum rette sich auf einen festen Fleck, wer kann.

    DER HERR IN GRAU

  fast schreiend.

Sie retten sich nicht!

    MILLIARDÄR

Ich habe einen Sohn.

    DER HERR IN GRAU

Lassen Sie mich weg. Schellen Sie nach Ihren Dienern. Ich sehe die Tür
nicht. Schellen Sie doch!

    MILLIARDÄR

  drückt den Taster.

  Die beiden Diener kommen.

    DER HERR IN GRAU

  mit drohender Gebärde nach dem Milliardär.

Sie haben meine Welt zertrümmert -- noch unter dem Schutt begraben
verfluche ich Sie -- -- verfluche ich Sie! (Die Diener packen ihn hart
an und führen ihn hinaus.)

    SEKRETÄR

  tritt wieder ein.

Ein Funkspruch von Ihrem Sohn.

    MILLIARDÄR

Vom Kontinent?

    SEKRETÄR

Nein -- von Bord.

    MILLIARDÄR

Reist er --

    SEKRETÄR

  liest.

Soeben abgefahren --

    MILLIARDÄR

Doch mit der »Meeresfreiheit«?

    SEKRETÄR

  schüttelt den Kopf.

    MILLIARDÄR

Verkehrt denn ein Schwesterschiff, das Luxuskabinen wie die
»Meeresfreiheit« hat?

    SEKRETÄR

  liest weiter.

Auf dem »Albatros«.

    MILLIARDÄR

»Albatros«? -- Was ist das für ein Schiff?

    SEKRETÄR

Ein -- Kohlendampfer.

    MILLIARDÄR

Ein -- -- Kohlendampfer -- --? Gibt er eine Erklärung?

    SEKRETÄR

  zögert -- reicht ihm das Telegramm.

    MILLIARDÄR

  liest zu Ende.

-- -- Als Heizer! -- -- (Gegen den Sessel taumelnd.) Was bedeutet das:
mein Sohn -- -- auf einem Kohlendampfer -- -- Heizer?!



ZWEITER AKT


  Unter dem Sonnensegel auf der Milliardärsjacht. Hinten ein Stück
  der Reeling. Heißflimmernde Meeresstille.

  In weißlackierten Rohrsesseln: Milliardär, die Tochter, der
  Museumsdirektor, der Arzt, der Kapitän -- alle in weiß. Ein Neger
  stellt Eisgetränke hin.

  Die Stimme der Sängerin in einiger Entfernung.

    SÄNGERIN

  den letzten Ton der Arie aushaltend und dämpfend kommt hinten und
  richtet ihren Kodak auf die Gruppe. Aufhörend und zugleich knipsend.

Danke. (Die anderen sehen nun erstaunt auf.) Für Reklamezwecke. Auf
hoher See -- an Bord der glänzendsten Jacht der Welt -- und dies
Publikum: das mußte ich auf die Platte bringen. Sämtliche Opernhäuser
der Erde überbieten sich mit Verträgen. (Sich in einen Sessel neben den
Milliardär niederlassend.) Wenn _Sie_ mir hingerissen zugehört haben --
oder täusche ich mich? Sagen Sie doch die Wahrheit. Das Bild habe ich
ja im Apparat!

    MILLIARDÄR

  etwas verlegen.

Nein, nein, wirklich außerordentlich --

  Die anderen klatschen Beifall.

    SÄNGERIN

  photographiert schnell.

Aufnahme zwei: der Applaus. (Dem Neger das Glas zurückgebend.) Heiße
Limonade.

    ARZT

Das wollte ich Ihnen eben empfehlen.

    SÄNGERIN

Sehen Sie, Doktor, ich bin alles in einem: Sängerin, Impresario,
Leibarzt.

    MUSEUMSDIREKTOR

Damit machen Sie zwei Menschen brotlos.

    SÄNGERIN

Ist das nicht überhaupt das Geheimnis des Aufstieges?

    MUSEUMSDIREKTOR

Sie haben gesunde Nerven!

    SÄNGERIN

Die schlechtesten?

    ARZT

Wollen Sie mir, als Arzt, das einmal näher erklären?

    SÄNGERIN

Ich sehe Gespenster.

    ARZT

Was für Gespenster?

    SÄNGERIN

Gespenster!

    ARZT

Ja, ich habe noch keine gesehen.

    SÄNGERIN

Weil Sie keine erregbare Natur sind. Und Künstler sind erregbare
Naturen -- und da sehen sie Gespenster.

    ARZT

Also nur Künstler sehen Gespenster.

    SÄNGERIN

Wir können ja eine Umfrage veranstalten. Das ist ein unterhaltsames
Spiel auf See. Der Reihe nach. (Zum Milliardär.) Sehen Sie Gespenster?

    MILLIARDÄR

Ich glaube, wir haben nicht die Zeit mehr -- (Zum Kapitän.) Müßte jetzt
nicht der »Albatros« gesichtet sein, Kapitän?

    KAPITÄN

Diese Dampfer halten keine gleichmäßige Fahrt.

    MILLIARDÄR

Bitte.

    KAPITÄN

  ab.

    ARZT

Was für ein Schiff ist eigentlich dieser »Albatros«?

    MILLIARDÄR

Mein Sohn hat ihn entdeckt. Er muß besondere Vorzüge haben. Vielleicht
die Jacht eines Freundes, den er sich auf seiner Reise erworben hat.

    TOCHTER

Wir arrangieren mit dem »Albatros« eine Wettfahrt.

    SÄNGERIN

Fabelhaft aufregend. Soviel Films habe ich gar nicht.

    TOCHTER

Wer verliert, wird gerammt.

    ARZT

Mit der Besatzung?

    TOCHTER

Fünf Minuten sind zum Einsteigen in die Motorbarkasse bewilligt. (Zum
Milliardär.) Soll ich den Kapitän instruieren, daß er sich auf das
Rennen vorbereitet?

    MUSEUMSDIREKTOR

Und wenn wir dem unbekannten »Albatros« unterliegen?

    TOCHTER

Ich bleibe auf der Brücke. Ich gebe die Befehle zur Maschine hinunter.
Es wird Dampf aufgesetzt bis zum äußersten.

    ARZT

Bei dieser Temperatur.

    TOCHTER

Auf der Brücke pfeift der Luftzug, in dem wir jagen.

    ARZT

Ich dachte an den Maschinenraum.

    TOCHTER

  aufstampfend.

Ich kenne nur das Verdeck!

    MILLIARDÄR

Ich glaube nicht, daß der »Albatros« schneller ist als wir. Damit
verliert der Kampf seinen Reiz.

    TOCHTER

Wenn mein Bruder mit ihm reist?

    MILLIARDÄR

Wir wollen es ihn entscheiden lassen, er kennt ja den »Albatros« und
uns.

    KAPITÄN

  kommt zurück.

    MILLIARDÄR

Gesichtet?

    KAPITÄN

Noch nicht.

    MILLIARDÄR

  zur Tochter.

Du siehst, er läuft langsam. (Zu den anderen.) Vertreiben wir uns
wieder die Zeit.

    SÄNGERIN

Also das Gespensterspiel.

    MILLIARDÄR

  lebhaft zum Museumsdirektor.

Hat der Tintoretto wirklich keine Qualitäten?

    MUSEUMSDIREKTOR

Große -- größte.

    MILLIARDÄR

Sie lehnten meine Schenkung ab.

    MUSEUMSDIREKTOR

  nickt.

Die Kreuztragung.

    SÄNGERIN

Stoßen Sie sich an dem Gegenstand?

    MUSEUMSDIREKTOR

Wenn ich ihn zum Prinzip erweitere -- ja.

    ARZT

Dann werden Sie aus der Galerie ungefähr die ganze alte Kunst
auszuschalten haben.

    SÄNGERIN

Dozieren Sie, Direktor, ich knipse auf dem Höhepunkt Ihres Vortrages
Ihr Publikum.

    MUSEUMSDIREKTOR

In diesem neuen Museum, das ich leiten soll, propagiere ich den Bruch
mit jeder Vergangenheit.

    ARZT

Und was bleibt übrig?

    SÄNGERIN

Leere Wände.

    MUSEUMSDIREKTOR

Leere Wände, für deren Bedeckung ich so gut wie nichts habe.

    ARZT

Ein originelles Museum.

    TOCHTER

Tennishallen.

    MUSEUMSDIREKTOR

Es soll eine Verlockung zur neuen Leistung werden. Ein betonter Anfang.
Das bedeutet durchaus keine abfällige Kritik des vorhergegangenen
-- die Anerkennung ist sogar maßlos. Wir sitzen alle noch in seinem
Schatten. Das quält uns irgendwie. Wir müssen wieder in das volle
Licht hinein -- und abschütteln diese Kreuztragung. So stellt es sich
mir dar. Wie eine Kreuztragung lastet das auf uns -- diese Masse der
Vergangenheit, von der wir nicht wegkommen ohne Gewalt und Verbrechen
-- wenn es sein muß!

    ARZT

Ist das möglich -- ohne Selbstbetrug?

    MUSEUMSDIREKTOR

Das weiß ich nicht.

    ARZT

Ich fürchte, die Kreuztragung ist unabwendbar.

    MUSEUMSDIREKTOR

Man muß die Zukunft fest wollen.

    ARZT

In Ihrer Galerie mag es gelingen.

    MUSEUMSDIREKTOR

Weiter setze ich auch meine Ansprüche nicht.

    ARZT

Im Leben, denke ich, wird niemand über seinen Schatten springen können.

  Ein Matrose kommt und macht dem Kapitän Meldung. Ab.

    KAPITÄN

  steht auf; zum Milliardär.

Der »Albatros« ist dicht auf von steuerbord.

    MILLIARDÄR

  erregt.

Schicken Sie das Motorboot hinüber! (Kapitän ab.)

    ARZT

Da wird sich ja gleich zeigen, was an dem Märchenschiffe ist.

    SÄNGERIN

Der Matador.

    MUSEUMSDIREKTOR

Meine Neugierde ist auf das Höchste gespannt.

    TOCHTER

Ich funke ihm die Aufforderung zum Rennen.

    MILLIARDÄR

  hält sie zurück. Zu den anderen.

Gehen Sie voran, wir folgen Ihnen nach.

  Sängerin, Museumsdirektor und Arzt ab.

    MILLIARDÄR

Ich habe mit Dir etwas zu besprechen.

    TOCHTER

Jetzt?

    MILLIARDÄR

Nur eine Frage, die ich an Dich richten will.

    TOCHTER

Was denn?

    MILLIARDÄR

Würdest Du Dich entschließen -- den Museumsdirektor zu heiraten?

    TOCHTER

Das -- weiß ich nicht!

    MILLIARDÄR

Ich dränge auf Deine Entscheidung, weil --

    TOCHTER

Ich kenne ihn doch kaum.

    MILLIARDÄR

Ich selbst --

    TOCHTER

Wie kannst Du mir dann zureden?

    MILLIARDÄR

Als er vorhin sprach, machte er mir Eindruck, wie ich ihn noch nicht
von einem Menschen hatte.

    TOCHTER

Er wies die Schenkung zurück. Hat Dir das imponiert?

    MILLIARDÄR

Seine Anschauungen haben mir gefallen. Diese innere Unabhängigkeit, die
er hat -- daß es für ihn nur die Zukunft gibt -- die die Vergangenheit
auslöscht --

    TOCHTER

Ich habe ihm nicht zugehört.

    MILLIARDÄR

Du würdest mir eine Freude --

    TOCHTER

Das macht meine Überlegung überflüssig!

    MILLIARDÄR

  schüttelt ihre Hände.

Jetzt wollen wir Deinen Bruder erwarten. (Beide ab.)

  Schiffsglocke und hohe Sirene. Matrosen öffnen hinten die Reeling
  und winden die Schiffstreppe hinab.

  Alle kommen zurück, sich über die Reeling beugend: Tücherschwenken
  und Hallorufe.

    ARZT

  unter das Sonnensegel tretend.

Das ist ja ein ganz schwerfälliger Kasten.

    MUSEUMSDIREKTOR

  ihm folgend.

Er macht eben seinem Namen »Albatros« Ehre.

    ARZT

Haben Sie sonst noch Passagiere drüben entdecken können?

    MUSEUMSDIREKTOR

Das ist vielleicht der Reiz der Reise gewesen.

    ARZT

Ich danke.

    SÄNGERIN

  tritt zu ihnen, den Kodak im Rücken haltend.

Diskretion -- Familienszene!

  Sohn -- in einem grauen Anzug -- steigt die Schiffstreppe empor und
  wird von der Tochter stürmisch begrüßt. Kapitän steht salutierend.

    SOHN

Ihr habt mir aufgelauert?

    TOCHTER

Seit zwei Tagen kreuzen wir auf dieser Stelle. Die Langweile war
fabelhaft.

    MILLIARDÄR

Ich wollte Dich überraschen.

    SOHN

Das ist Dir vollständig gelungen. Deine Gäste?

    MILLIARDÄR

Nur der engste Kreis.

    SOHN

  geht von einem zum anderen, begrüßt wortlos. Dann steht er bei
  einem Sessel.

  Es herrscht eine verlegene Stille.

    TOCHTER

  wirft sich in einen Sessel.

Mir ist das zu feierlich.

    MILLIARDÄR

  auf die Sessel einladend.

Bitte.

  Alle setzen sich -- Sohn folgt zögernd.

    KAPITÄN

  kommt und setzt sich.

    SOHN

  verwundert zu ihm.

Fahren wir denn nicht?

    MILLIARDÄR

Ich habe gedacht, daß wir noch drei, vier Tage auf See bleiben.

    SOHN

Wenn es Dein Wunsch war --

    MILLIARDÄR

Deinetwegen.

    SOHN

Warum?

    MILLIARDÄR

Nach dieser Reise --

    TOCHTER

Der »Albatros« -- ich habe ihn in der Aufregung nicht gesehen. Ist er
große Klasse? Wieviel Meilen?

  Museumsdirektor und Arzt lachen.

    SOHN

Was gibt es denn mit dem »Albatros«?

    TOCHTER

Wir wollten ihn nämlich herausfordern. War er ein scharfer Gegner?

    SOHN

Darüber lachen Sie. -- Nein, Schwester, ein Gegner in diesem Sinne ist
der »Albatros« nicht.

    TOCHTER

  erstaunt.

Warum reist Du denn nicht auf der »Meeresfreiheit«?

    MILLIARDÄR

  unruhig, ablenkend.

Von Deinen Eindrücken in den großen Städten der Erde --

    SÄNGERIN

Haben Sie überall die Oper besucht?

    SOHN

Wir können doch den Charakter des »Albatros« feststellen: er ist ein
Kohlendampfer! -- Kapitän, Sie müssen doch die Schiffe kennen, die
verkehren?

    KAPITÄN

Auf diesen »Albatros« hätte ich nicht geraten.

    SOHN

Weshalb nicht?

    KAPITÄN

  lächelt.

    SOHN

  an die anderen.

Ist das so wunderbar? Fahren nicht andere Menschen auf solchen Schiffen?

    KAPITÄN

Für Passagiere sind sie nicht eingerichtet.

    SOHN

Für die nicht -- aber die Matrosen, Heizer sind doch Menschen?

    MUSEUMSDIREKTOR

  nach einer Stille.

Sie verstehen sich die Genüsse mit einigem Raffinement zu verschaffen.

    SOHN

Welche Genüsse?

    MUSEUMSDIREKTOR

In diesem Gegensatz von Kohlendampfer und dieser Jacht bietet sich erst
die rechte Möglichkeit ihren Luxus zu genießen.

    SOHN

Oder zu -- -- (Abbrechend und sich an den Milliardär wendend.) Hat Dir
mein Begleiter berichtet?

    MILLIARDÄR

Ich habe nicht mit ihm gesprochen.

    SOHN

Er muß doch seit zwei Tagen angekommen sein?

    MILLIARDÄR

Zwei Tage liege ich hier draußen.

    SOHN

Bist Du mit ihm unzufrieden? Die Schuld trage ich. Er hat sich gewiß
jede Mühe gegeben.

    MILLIARDÄR

  ausweichend.

Willst Du Dich jetzt nicht umkleiden?

    TOCHTER

Du trägst ja einen Straßenanzug.

    SOHN

Er schützt besser gegen Kohlenstaub, der wirbelte. Außerdem war er
weniger auffällig -- und klugerweise paßt man sich an.

    MILLIARDÄR

So passe Dich uns an -- und stecke Dich von Füßen bis zum Hals in weiß.

    SOHN

Du mußt mir schon mein Vergnügen lassen.

    SÄNGERIN

  mit dem Kodak.

Sehr interessante Bildwirkung.

    SOHN

Weiter ist das für Sie nichts?

    ARZT

Bei dieser überstiegenen Temperatur empfiehlt sich weiße Bekleidung aus
gesundheitlichen Rücksichten.

    MILLIARDÄR

Da hörst Du unsern besorgten Doktor.

    SOHN

  mit unterdrückter Schärfe.

Würden Sie Ihrem ärztlichen Rat auch im Maschinenraum Geltung
verschaffen?

    ARZT

Schwerlich.

    SOHN

Weil Sie damit nicht durchdringen. Aus Gründen der Beschäftigung mit
schwarzer Kohle.

    ARZT

Gewiß.

    SOHN

Also darf die Gesundheit dort unten leiden -- und hier oben sich
pflegen?

    MUSEUMSDIREKTOR

Sie haben wohl mehr auf Ihrer Reise gesehen, als Sie --

    SOHN

Wenn man zum erstenmal unterwegs ist, sperrt man die Augen weiter auf.

    TOCHTER

Bist Du mit Fürsten zusammengetroffen?

    SÄNGERIN

Erzählen Sie doch.

    SOHN

Täglich.

    TOCHTER

Hast Du Freundschaft geschlossen? Besucht Dich wer?

    SOHN

Auf meinem Kohlendampfer könnte ich Dir fünf, zehn vorstellen. Komm'
das nächste Mal mit.

    MUSEUMSDIREKTOR

Wollen Sie nochmal --

    SOHN

Genüsse mir raffinieren?

  Ein Matrose kommt, meldet dem Kapitän. Der Kapitän geht zum Arzt
  und flüstert mit ihm. Die drei ab.

    SOHN

Fahren wir doch?

    MILLIARDÄR

Ich habe nichts angeordnet.

    SOHN

Warum ging der Arzt mit dem Kapitän?

    SÄNGERIN

Vielleicht ein Unfall unter der Mannschaft.

    SOHN

Wollen Sie nicht eine Aufnahme machen?

    TOCHTER

Wir könnten wirklich fahren, um Luft zu bekommen. Die Hitze drückt
unerträglich.

    SOHN

Und wir wohnen auf dem Verdeck!

    SÄNGERIN

Ist es anderswo kühler?

    SOHN

Nein -- aber heißer.

    SÄNGERIN

Gibt es das?

    SOHN

Steigen Sie zu den Heizern hinunter!

    MILLIARDÄR

Jetzt werde ich veranlassen, daß wir fahren!

    MUSEUMSDIREKTOR

  ironisch.

Schonen Sie doch die Heizer.

    SOHN

Wissen Sie, was es heißt, vor den Feuern stehen?

    MUSEUMSDIREKTOR

Ich habe die Gelegenheit nicht gesucht.

    SOHN

Und für eine Schilderung bringen Sie keine Interesse auf?

    MUSEUMSDIREKTOR

Durch einen Fachmann anschaulich gemacht --

    SOHN

Ich bin Fachmann!

    MILLIARDÄR

  zur Tochter.

Sage doch dem Kapitän --

    TOCHTER

Volle Fahrt!

    SÄNGERIN

Die Damen übernehmen das Kommando!

    TOCHTER

Wir stellen einen neuen Rekord auf. Heute abend wird er an die
Zeitungen gefunkt und die Welt platzt morgen vor Neid! (Mit der
Sängerin ab.)

    SOHN

Verhinderst Du nicht den Unfug?

    MILLIARDÄR

Die Jacht hat ihre volle Schnelligkeit noch nicht gezeigt.

    SOHN

Dann bitte ich Dich mich vorher von Bord zu lassen.

    MUSEUMSDIREKTOR

Sie sind an Schnelligkeit seit dem Kohlendampfer nicht mehr gewöhnt.

    SOHN

An Leichtsinn!

    MILLIARDÄR

Du hast immer Gefallen an solchen Spielen gefunden.

    SOHN

Ich schäme mich, so spät zur Besinnung gekommen zu sein.

    MILLIARDÄR

Was heißt das?

    SOHN

Daß ich -- -- (Nachdrücklich.) Ich kann diese Rekordfahrt nur vor den
Kesseln mitmachen!

    MILLIARDÄR

  zum Museumsdirektor.

Lassen Sie die Damen nicht auf der Brücke warten.

    MUSEUMSDIREKTOR

  Ab.

    MILLIARDÄR

  langsam.

Bist Du wirklich auf jenem Dampfer als Heizer gefahren?

    SOHN

Ich war nicht ausdauernd genug -- und mußte Passagier bleiben.

    MILLIARDÄR

Hat es Dich gereizt --

    SOHN

Der Dampfer ist ja das Unwichtigste.

    MILLIARDÄR

Du hast Dich auf Deiner Reise über manches gewundert?

    SOHN

Wie Schuppen ist es mir von den Augen gefallen. Das ganze Unrecht, das
wir begehen, wurde mir offenbar. Wir Reichen -- und die andern, die
ersticken in Qualm und Qual -- und Menschen sind, wie wir. Mit keinem
Funken Recht dürfen wir das -- weshalb tun wir es? Ich frage Dich,
warum? Sage mir eine Antwort, die Dich und mich entschuldigt?

    MILLIARDÄR

  starrt ihn an.

Das fragst Du?

    SOHN

Ich frage Dich -- und höre nicht wieder auf zu fragen. Ich bin Dir
heute wie noch nie in meinem Leben dankbar. Du hast mir diese Reise
geschenkt -- ohne die ich blind geblieben wäre.

    MILLIARDÄR

Du wirst wieder vergessen.

    SOHN

Was in mir ist -- mich erfüllt durch und durch? Erst müßte ich mich
selbst auslöschen.

    MILLIARDÄR

Was -- ist in Dir?

    SOHN

Das Grauen vor diesem Leben mit seiner Peinigung und Unterdrückung.

    MILLIARDÄR

Deine Reiseerlebnisse genügen nicht --

    SOHN

Genügen nicht?

    MILLIARDÄR

Du übertreibst flüchtige Erfahrungen.

    SOHN

Im Blute brennen sie mir! Nach allem anderen das schlagendste Bild:
Da am Kai liegt die »Meeresfreiheit«. Bewimpelt, Musik. Auf Deck
spazieren die Passagiere in hellen Kleidern, schwatzen -- sind lustig.
Wenige Meter tiefer die Hölle. Da verbrennen Menschen zuckenden Leibes
in heißen Schächten vor fauchenden Feuerlöchern. Damit wir eine
schnelle und flotte Fahrt haben! -- Ich hatte meinen Fuß schon auf die
»Meeresfreiheit« gesetzt -- aber ich mußte umkehren -- und erst auf
diesem »Albatros« schlug mein Gewissen ruhiger!

    MILLIARDÄR

Und jetzt hast Du diese Erschütterungen überwunden?

    SOHN

Hier erhalten sie die äußerste Steigerung! Hier -- auf Deiner
Luxusjacht! Scham preßt mir das Blut unter die Stirn! In Sesseln liegen
wir träge -- und jammern über die Hitze, die von der Sonne kommt.
Eiswasser schlürfen wir und sind von keinem Staube im Halse gereizt! --
Hier unter den weichen Sohlen Deiner weißen Schuhe brodelt das Fieber.
Halbe Dunkelheit herrscht! -- Reiße diese Wand von Holzplanken auf --
die so dünn ist und so grauenhaft trennt! -- und sieh hinab -- seht
alle hinab -- und erlebt es auch: daß euch das Wort im Munde stockt,
mit dem ihr euch vor einem da unten brüsten wollt!

  Arzt schlendert herein.

    SOHN

  rasch zu ihm.

Was hat es gegeben, Doktor?

    ARZT

Ein gelber Heizer ist zusammengebrochen.

    SOHN

Tot?

    ARZT

  schüttelt den Kopf.

Hitzschlag.

    SOHN

Wohin haben Sie ihn gebracht?

    ARZT

Ich habe ihn vor den Luftschacht unten legen lassen.

    SOHN

Nicht auf das Verdeck geschafft?

    ARZT

Nein.

    SOHN

  kurz.

Warten Sie hier. (Ab.)

    ARZT

  läßt sich in einen Sessel fallen -- zum Neger.

Eiswasser. (Zum Milliardär.) Ich finde, daß sich die Nerven
außerordentlich bei diesem längeren Stilliegen auf See beruhigen. Ich
möchte Ihnen das zweimonatlich je fünf Tage verordnen.

    MILLIARDÄR

  steht unbeweglich.

    ARZT

Ich verspreche mir gute Erfolge für Sie von dieser Diät.

    MILLIARDÄR

  stumm.

    ARZT

Allerdings wird der besondere Reiz, Ihren Sohn zu erwarten, später
fehlen, aber Ihre Tochter wird sich erfinderisch in Überraschungen
gemäßigterer Art zeigen. Ich werde mit ihr in diesem Sinne sprechen.

  Stimmen und Schritte nähern sich.

    ARZT

  stellt das Glas hin.

Ein Bordspiel im Gange?

  Matrosen bringen den halbnackten gelben Heizer.

    SOHN

Hierhinein!

    ARZT

  aufstehend.

Was ist das?

    SOHN

Sessel zusammenrücken. Doktor, fassen Sie an. Es geht um ein Leben.
(Zu den Matrosen.) Niederlegen. (Zum Neger.) Eiswasser. (Zum Arzt.)
Vorwärts, Doktor, Sie verstehen das besser als ich. Waschen Sie die
Brust ab. (Zum Milliardär.) Du erlaubst doch, daß Dein Leibarzt hier
Hand anlegt? (Zum Arzt.) Besteht Gefahr?

    KAPITÄN

  kommt -- gedämpft zum Milliardär.

Ich habe nichts verhindern können.

    MILLIARDÄR

  schüttelt heftig den Kopf.

  Tochter und Sängerin kommen.

    SOHN

  zur Tochter.

Willst Du uns nicht helfen, Schwester? Ein Mensch kann hier sterben!

    TOCHTER

  tritt heran.

    SOHN

Tauche Deine Hände in das Eiswasser und lege sie ihm auf die heiße
Brust. Es ist Deine Pflicht, zu der ich Dich aufrufe!

    TOCHTER

  tut es.

    SOHN

  außer sich zum Arzt.

Doktor, Sie müssen ihn retten -- sonst bin ich ein Mörder!

    MILLIARDÄR

  starrt auf die Gruppe -- bewegt den Mund -- murmelt endlich.

Das Furchtbare!

    SÄNGERIN

  stellt den Kodak ein -- zum Museumsdirektor.

Solche Aufnahme habe ich noch nicht gemacht. (Sie knipst.)



DRITTER AKT


  Quadratischer Raum, dessen Hinterwand Glas ist: Arbeitszimmer des
  Milliardärs. Rechts und links auf den Wänden, vom Fußboden bis an
  die Decke hoch, mächtige brauntonige Photographien, Fabrikanlagen
  darstellend. Breiter Schreibtisch mit Rohrsessel; ein zweiter
  Sessel seitlich. Draußen Schornsteine dicht und steil wie erstarrte
  Lavasäulen, Rauchwolkengebirge stützend.

    MILLIARDÄR

  vorm Schreibtisch.

Wieviel Tote?

    SEKRETÄR

  neben dem Schreibtisch stehend.

Die genaue Zahl der Opfer ließ sich nicht feststellen, da die
Geretteten, zu Tage gebracht, davonliefen und sich bis gestern nicht
meldeten.

    MILLIARDÄR

Warum entfernten Sie sich?

    SEKRETÄR

Sie müssen in der dreitägigen Eingeschlossenheit unter der Erde
Entsetzliches erlebt haben.

    MILLIARDÄR

Vor dem sie weiter und weiter fliehen?

    SEKRETÄR

Sie kamen wie aus Gräbern verstört herauf, mit Schreien und Schütteln.

    MILLIARDÄR

Wer bis übermorgen sich an der Arbeitsstelle nicht einfindet, wird
nicht wieder angenommen.

    SEKRETÄR

  Notizen machend.

Bis übermorgen.

    MILLIARDÄR

Wie verlief die Versammlung? Wurde ich mit Widerspruch gesehen? Ließ
man mich ungestört sprechen?

    SEKRETÄR

Nein.

    MILLIARDÄR

War ich in Lebensgefahr?

    SEKRETÄR

Allerdings.

    MILLIARDÄR

Wie schützte ich mich?

    SEKRETÄR

Ich hatte Militär requiriert, das schußbereit sich vor mir aufstellte.

    MILLIARDÄR

Kam es zu Zwischenfällen?

    SEKRETÄR

Ein einzelner machte stärkere Zwischenrufe.

    MILLIARDÄR

Was sagte er?

    SEKRETÄR

Mörder.

    MILLIARDÄR

War er nicht zu finden?

    SEKRETÄR

Die Menge deckte ihn.

    MILLIARDÄR

Er muß festgestellt werden. Drohen Sie mit Maßnahmen, falls er nicht
ausgeliefert wird.

    SEKRETÄR

  notiert.

    MILLIARDÄR

Herrscht jetzt Ruhe?

    SEKRETÄR

Der Schacht ist heute wieder befahren.

    MILLIARDÄR

Welches Mittel wendete ich an?

    SEKRETÄR

Ich kündigte die Stillegung des ganzen Betriebes an.

    MILLIARDÄR

Danke. (Eine grüne Lampe brennt auf dem Schreibtisch auf. Milliardär
nimmt den Hörer. Erstaunt.) Wer? -- Meine Tochter? -- Hier? --
Ja, ich erwarte sie. (Zum Sekretär.) Vertreten Sie mich in der
vierundzwanzigsten Fabrik. Es hat eine Explosion stattgefunden, ich
habe mich für den Nachmittag angemeldet.

    SEKRETÄR

  notiert.

    MILLIARDÄR

Danke.

    SEKRETÄR

  links durch eine in der Photographie unsichtbare Tür ab.

    MILLIARDÄR

  steht auf, tut einige rasche Schritte gegen die Wand rechts,
  besinnt sich -- kehrt auf seinen Sessel zurück und vertieft sich in
  Arbeit.

  Einer der Diener öffnet rechts eine unsichtbare gepolsterte Tür.
  Tochter tritt ein. Diener ab.

    MILLIARDÄR

  sich umsehend.

Dein erster Besuch im väterlichen Geschäftshaus.

    TOCHTER

  sich umsehend.

Ja -- zum erstenmale sehe ich das.

    MILLIARDÄR

Eine fremde Welt! -- Ist es so dringend, daß Du es Dir nicht bis zum
Abend vor dem Kamin aufsparen willst?

    TOCHTER

Ich kann es Dir nur hier erklären.

    MILLIARDÄR

Soll ich mich auf die froheste Nachricht vorbereiten?

    TOCHTER

Welche ist das?

    MILLIARDÄR

Ich bat Dich damals um etwas, als wir Deinen Bruder erwarteten. Auf der
Jacht.

    TOCHTER

  kopfschüttelnd.

An das habe ich nicht mehr gedacht.

    MILLIARDÄR

  seine Unruhe unterdrückend -- heiter.

Wirklich nicht?

    TOCHTER

Auf der Jacht gab es mir den Anstoß.

    MILLIARDÄR

Zu Deinem hellsten Glück?

    TOCHTER

Zu meiner unabweisbaren Pflicht!

    MILLIARDÄR

  hebt abwehrend eine Hand gegen sie hoch.

Nein -- -- nicht das!

    TOCHTER

  ruhig.

Als ich meine Hände von der kochenden Brust des gelben Heizers
aufhob, waren sie gezeichnet. Das Mal ist in meinem Blut bis zum
Herzen zurückgesunken. Ich habe nicht mehr eine Wahl. Ich fühle die
Bestimmung. Ich unterwerfe mich auch willig. Den Platz sollst Du mir
anweisen, wo ich es erfülle.

    MILLIARDÄR

Was willst Du tun?

    TOCHTER

Schicke mich zu den Elendesten, die krank liegen. Die in Deinen
Fabriken verunglückten. Ich will sie pflegen.

    MILLIARDÄR

Du weißt nicht, was Du sagst.

    TOCHTER

Ja, Du kannst erst meiner Tat Glauben schenken. Ich will zum Schacht,
in dem sich die Katastrophe ereignete.

    MILLIARDÄR

Was ist das für eine Katastrophe?

    TOCHTER

Du hast den Aufruhr selbst beschwichtigt.

    MILLIARDÄR

Wer trägt Dir das zu?

    TOCHTER

Berichte in Zeitungen sind unterdrückt. Du bist ja mächtig.

    MILLIARDÄR

  starrt sie an. -- Nach einer Pause.

Laß es. (Er steht auf, tritt dicht vor sie.) Mit Worten will ich Dich
nicht bitten. Du hast hundert Worte gegen meine. Es ist ein ungleicher
Streit. Vater und Tochter -- damit ist der Ausgang entschieden. (Er
nimmt ihre Hände, betrachtet sie.) Nein -- nein. So schmal -- so
schwach. (Ihrer Widerrede kopfschüttelnd begegnend.) Ja, ja -- stark
und hart, ich weiß allein, wozu: -- einen Turm zu stürzen -- Trümmer zu
häufen -- Opfer zu verschütten. Soll ich Dir sagen, wer das Opfer ist?

    TOCHTER

Ich verstehe Dich jetzt nicht.

    MILLIARDÄR

Willst Du mich opfern?

    TOCHTER

  sieht verwundert zu ihm auf.

    MILLIARDÄR

So kehre um. Du findest Deine Aufgabe, die Dir näher liegt. Erscheint
sie Dir gering -- mich dünkt sie wichtig, weil sie Deinem Vater gilt.

    TOCHTER

  entzieht ihm ihre Hände.

Ich habe kein Recht, während andere --

    MILLIARDÄR

Vater und Tochter -- nicht den Streit! Nur Bitte um Bitte!

    TOCHTER

Ich danke Dir heute für Jahre heller Jugend --

    MILLIARDÄR

Mit heller Zukunft!

    TOCHTER

  stark.

Die in meiner neuen Pflicht leuchtet! (Sie steht auf, reicht ihm die
Hand.) Mein Entschluß ist mir so leicht geworden. Willst Du es mir
schwer machen, wenn ich ihn ändern soll?

    MILLIARDÄR

  nimmt ihre Hand nicht.

Wohin gehst Du jetzt?

    TOCHTER

Zu meinen Schwestern und Brüdern.

    MILLIARDÄR

  tonlos.

Dahin gehst Du -- --

    TOCHTER

Wirst Du mich bei den Ärmsten der Armen kennen?

    MILLIARDÄR

  gegen den Schreibtisch gestützt.

Dahin -- --

    TOCHTER

  zögert noch -- wendet sich zur Tür.

  Der Diener öffnet.

  Tochter ab.

    MILLIARDÄR

  stockend -- mit scheuer Geste.

Dahin -- -- dahin -- -- dahin -- -- -- -- (Dann rafft er sich auf --
klingelt.)

    SEKRETÄR

  tritt ein.

    MILLIARDÄR

Der Schacht soll geschlossen werden!

    SEKRETÄR

  notiert.

    MILLIARDÄR

Nein! (Sich an die Stirn greifend.) Hier oder da -- man kann es nicht
wegblasen -- die Macht hat keiner! (Fest zum Sekretär.) Meine Tochter
wird sich Samariterdiensten widmen. Sie werden ihr auf dem Schacht
begegnen und überall, wo es in meinen Fabriken Unfälle gab. Verleugnen
Sie sie -- ich kenne meine Tochter nicht!

    SEKRETÄR

Ist Ihre Tochter von der Koralle unterrichtet?

    MILLIARDÄR

Nein, außer den beiden Dienern niemand. (Sachlich.) Wir hatten vorhin
unterbrochen.

    SEKRETÄR

  liest von seinem Notizblock.

Am Nachmittag vertrete ich Sie in der vierundzwanzigsten Fabrik.

    MILLIARDÄR

Morgen Mittag nehme ich an der Versammlung der Missionsgesellschaft in
der ersten Hälfte selbst teil, in der man mich zum Ehrenpräsidenten
ernennt. Sie kommen um 2 Uhr im Automobil. Ich werde unter dem
Vorwande, eine Mappe zu holen, die Sitzung verlassen. Sie kehren dann
für mich zurück und verlesen die Stiftungen, die ich mache. Ich gebe
Ihnen die Mappe. (Er sucht sie in einer Schreibtischlade.)

  Die grüne Lampe flammt auf.

    SEKRETÄR

Ein Anruf.

    MILLIARDÄR

  rasch hoch -- starrt auf die Lampe.

    SEKRETÄR

Soll ich die Mappe nachher --

    MILLIARDÄR

  heftig.

Bleiben Sie hier! -- Gehen Sie. Ja -- später.

    SEKRETÄR

  ab.

    MILLIARDÄR

  nimmt langsam den Hörer auf.

-- -- Wer? -- -- -- -- (Er läßt ihn aus lockeren Fingern auf die
Tischplatte fallen. Mit unsicherem Munde.) Mein -- Sohn.

  Der Diener läßt rechts den Sohn ein. Diener ab.

    MILLIARDÄR

  richtet sich straff auf und geht ihm entgegen.

Ich habe Dich in den letzten Tagen nicht gesehen.

    SOHN

Seit --

    MILLIARDÄR

Ich frage nicht, wo Du Dich aufhältst. Die Zeit ist vorbei, wo ich Dich
beaufsichtige. Rechtfertige Dich vor Dir selbst in jedem, was Du tust.
Du bist erwachsen.

    SOHN

Du machst es mir leicht --

    MILLIARDÄR

Vielleicht war es wichtig, Dir das zu sagen. Kommst Du deshalb?

    SOHN

Der Anlaß --

    MILLIARDÄR

So will ich auch hier nicht in Dich dringen. Setze Dich. Es ist in
diesem werktagstrengen Raum --

    SOHN

Von dem Du mich eifersüchtig ferngehalten hast.

    MILLIARDÄR

Reizt es Dich meinen Platz einzunehmen?

    SOHN

Nicht Deinen --!

    MILLIARDÄR

Ich biete ihn Dir nicht an. Ich bin noch nicht müde. Die Fäden liegen
straff in meinen Fingern. Ich will -- ich kann arbeiten. Der Nachfolger
meldet sich zu früh. Du wirst mich heute und morgen nicht entthronen.

    SOHN

Die Absicht bringe ich nicht mit.

    MILLIARDÄR

Aber es wird Dir helfen, Dir Dein Leben einzurichten.

    SOHN

Du engst mir das Gebiet ein.

    MILLIARDÄR

Es bleibt Dir nur diese Möglichkeit. Die Arbeit ist mein Teil.

    SOHN

Ich weiß, wie Du fortfahren willst.

    MILLIARDÄR

Du siehst, die Tore sind fest verrammelt.

    SOHN

Und weil ich gezwungen bin, beruhige ich mein Gewissen?

    MILLIARDÄR

Auch Dir ist ein Zwang auferlegt!

    SOHN

(nach einer Pause.) Willst Du mir auf Fragen, die mich brennen,
antworten?

    MILLIARDÄR

Nachdem wir eben unsere Grenzen scharf gezogen haben -- ja.

    SOHN

So tiefe Widersprüche klaffen in Deinem Handeln.

    MILLIARDÄR

Mit mir hast Du Dich beschäftigt?

    SOHN

Ich kann mich nur noch mit Dir beschäftigen.

    MILLIARDÄR

Wodurch wurde ich Dir unversehens interessant?

    SOHN

Dieser ungeheure Reichtum, den Du angesammelt hast --

    MILLIARDÄR

Ich erwähnte schon meine Arbeitskraft.

    SOHN

Das ist nicht Arbeitskraft, das ist --

    MILLIARDÄR

Wo liegt da das Rätsel?

    SOHN

Hier die rücksichtslose Ausbeutung -- und dort die unbeschränkte
Mildtätigkeit, die Du übst. Das »heiße Herz der Erde« -- -- und dieser
Stein, den Du in Deinem Innern tragen mußt!

    MILLIARDÄR

Das Rätsel möchte ich Dir nicht lösen.

    SOHN

Weil Dich die Scham abhält, es Dir einzugestehen!

    MILLIARDÄR

Es soll mein Geheimnis bleiben.

    SOHN

Ich zerre an dem Schleier, hinter dem Du Dich versteckst. Du kennst
den Frevel Deines Reichseins und betäubst Dich mit diesem »offenen
Donnerstag«!

    MILLIARDÄR

Die Erklärung würde nicht genügen.

    SOHN

Nein, diese Gaben sind lächerlich, die Du austeilst. Du bezahlst damit
nicht das Blut --

    MILLIARDÄR

Vergieße ich das?

    SOHN

Nein, das sind Unglücksfälle. Aber Du drohst mit Blutvergießen, wenn
sie einmal aufschreien!

    MILLIARDÄR

Sahst Du das?

    SOHN

Jetzt muß ich Dir bekennen, wozu es mich gestern fast hingerissen hat!

    MILLIARDÄR

Was war gestern?

    SOHN

Ich war im Hof am Schacht, als Du sprachst. Du mußtest ja selbst
auftreten, um den Aufruhr zu unterdrücken. Ich war unten in der fahlen
Menge -- und sah Dich oben hinter den drohenden Gewehren dastehen. So
kalt und fern. Deine Worte klatschten wie Eisstücke auf die Versammlung
nieder. Keiner wagte mehr einen Ausruf. Bis Du die Schließung des
Betriebs androhtest, die Tausende -- Frauen und Kinder -- dem Hunger
auslieferte. Da tat einer den Mund auf!

    MILLIARDÄR

Du warst es, der --

    SOHN

Der Mörder rief! -- Das ist noch nicht das letzte.

    MILLIARDÄR

Ich hörte nichts weiter.

    SOHN

Hätte ich vergessen können, daß da oben mein Vater stand -- (Er greift
in die Tasche und legt einen Revolver auf den Tisch.) Ich will mich
nicht zum zweitenmal versuchen lassen.

    MILLIARDÄR

  schiebt den Revolver beiseite.

Du hättest mich nicht getroffen.

    SOHN

Ich wollte treffen.

    MILLIARDÄR

  kopfschüttelnd, lächelnd.

Mich nicht. So kann dies nicht als Schatten zwischen uns stehen. (Er
streckt ihm die Hand hin.) Es braucht Dich nicht zu quälen.

    SOHN

  starrt ihn an.

Bläst Du das fort wie ein Staubkorn, das auf Deinen Rock wehte?

    MILLIARDÄR

Nicht auf meinen Rock.

    SOHN

Vergessen und vergeben?

    MILLIARDÄR

So habe ich Dir auch nichts zu vergeben.

    SOHN

Nein, Du nicht. Das kann ja auch ein anderer nicht. Das nicht. Die Buße
wählt man sich selbst. Ich will sie mir so schwer machen, daß ich am
letzten Tage vielleicht die Augen wieder aufschlagen kann.

    MILLIARDÄR

Zu mir?

    SOHN

Nein. Du nimmst mich heute schon auf. Du willst keine Zeit verlieren.

    MILLIARDÄR

Wen setzt Du Dir zum Richter?

    SOHN

Den letzten Deiner Arbeiter.

    MILLIARDÄR

Was soll das heißen?

    SOHN

Bis noch einer durch Not schuldig werden kann, stehe ich da unten!

    MILLIARDÄR

Im Aufruhr?

    SOHN

Im Frieden, der sich ausbreitet, wenn ich nicht mehr sein will, als
andere!

    MILLIARDÄR

  schiebt ihm den Revolver hin.

Jetzt ist es Zeit! (Er dreht das Gesicht von ihm weg.)

    SOHN

  springt auf und läuft zu ihm.

Sage mir doch, warum alles so ist! -- -- Sage es mir doch!

    MILLIARDÄR

Komm mit. (Er führt ihn vor die Photographien.) Siehst Du das? Graue
Fabriken. Enge Höfe! (Zum großen Fenster hinten tretend.) Siehst Du
das? Schlote -- Schlote. Wo ist Erde -- Grashalme -- Gesträuch? -- --
Daher komme ich! -- -- Kennst Du mein Leben? -- -- Ich habe es Dir
unterschlagen. In den Schulen wird es gelesen. -- Ich habe Dir ein
anderes Leben gegeben. Ich habe Dich in allem ein anderes Leben leben
lassen. Nicht meins! -- -- Aus nichts bin ich geworden, so schreiben
sie in den Büchern! -- Aus jeder Not habe ich mich aufgeschwungen, so
erzähle ich Dir jetzt. Ich habe es nicht vergessen. Ich habe mich keine
Stunde einschläfern lassen. Mit diesen Bildern habe ich mich umstellt
-- diese Wand habe ich offen gehalten, damit es sich nicht verdunkeln
kann --: es soll mich aufscheuchen aus Ermüdung und Rast. Das gellt mir
Mahnung und Warnung ins Blut: nur nicht dahinab -- -- nicht dahinab!

    SOHN

  von ihm zurücktretend.

Du -- --

    MILLIARDÄR

Ich kann Dich warnen. Mir wirst Du glauben. Mir hat es Vater und Mutter
verschlungen -- nach mir wollte es greifen -- -- ich bin entlaufen!

    SOHN

Du kennst -- --

    MILLIARDÄR

Dich hat ein Augenblick verstört -- mich hat es ein Leben lang
geschüttelt. So furchtbar ist das Leben! -- -- Willst Du dahinab?

    SOHN

Das letzte reißt Du mir aus den Händen --

    MILLIARDÄR

Was ist das?

    SOHN

Was Dich entschuldigt: die Qual der anderen wäre Dir fremd!

    MILLIARDÄR

Den Schrei trage ich in meiner Brust!

    SOHN

Bist Du -- ein Tiger?! Mehr --: der weiß nicht, was er tut. Du kennst
die Qual Deiner Opfer -- -- und -- -- -- -- (Er faßt den Revolver --
legt ihn wieder hin.)

    MILLIARDÄR

Ich oder ein anderer --

    SOHN

Jeder ist --

    MILLIARDÄR

Sei mir dankbar.

    SOHN

Für die Täuschung?

    MILLIARDÄR

Daß Du nicht werden mußt, wer ich bin!

    SOHN

  ruhig.

Dein Blut ist meins --

    MILLIARDÄR

Fühlst Du es auch?

    SOHN

Es macht die Aufgabe lohnend.

    MILLIARDÄR

Mich vor dem Furchtbaren zu retten!

    SOHN

Die furchtbare Begierde zu unterdrücken -- und neben dem niedrigsten
Deiner Arbeiter auszuharren!

    MILLIARDÄR

  steht steif.

    SOHN

Du kannst mich abweisen lassen. Ich nehme Arbeit, wo ich sie sonst
finde.

    MILLIARDÄR

  bricht an ihm zusammen.

Erbarmen -- -- Erbarmen!!

    SOHN

  kalt.

Mit wem?

    MILLIARDÄR

Erbarmen -- --!!

    SOHN

Vielleicht wird es mein Schrei zu Dir, wenn Du mir und meinen Kameraden
einmal das Brot verweigerst! (Er geht nach rechts. Ehe der Diener die
Tür ganz öffnen kann, ab.)

    MILLIARDÄR

  endlich sprunghaft auf. Er sucht den Revolver -- stößt ihn in die
  Tasche.

Hier nicht! -- -- Im Walddickicht! -- -- Brechendes Auge sieht grünes
Gezweig -- -- Stück blauen Himmels flutet herab -- -- kleiner Vogel
klingt! (Mit schrägen Blicken nach den Wänden.) Gestellt? -- --
Abgeschnitten? -- -- Die Flucht mißlungen? -- -- Eingeholt? -- --
(Die Arme schwenkend.) Laßt mich los -- -- faßt nicht nach mir --
-- ich fürchte mich doch vor Euch wie ein Kind!! (Keuchend an den
Photographien entlang laufend und mit Händen anschlagend.) Ein Ausweg
-- -- ein Ausweg -- -- (Schreiend.) Ein Ausweg!!

    SEKRETÄR

  von links -- fragend.

    MILLIARDÄR

  sieht ihn an.

    SEKRETÄR

  verlegen.

Die -- Mappe?

    MILLIARDÄR

  stumm.

    SEKRETÄR

Sie wollten mir noch eine Mappe aushändigen.

    MILLIARDÄR

  an den Schreibtisch wankend und in den Sessel zusammenbrechend.

Tochter und Sohn -- -- hinab -- -- hinab -- -- -- -- Mich haben meine
Kinder verlassen!!

    SEKRETÄR

  schweigt.

    MILLIARDÄR

  zu ihm aufblickend.

Verstehen Sie das, was es heißt: ein Lebenlang für seine Kinder
arbeiten -- und sie treten vor ihren Vater hin und schlagen ihm den
Gewinn von der Hand?

    SEKRETÄR

Ihr Sohn --?

    MILLIARDÄR

  aufschreiend.

Wer deckt jetzt zu, woher ich keuchend komme?! -- Wer hilft jetzt Berge
in Abgründe stürzen -- um _das_ zu verdecken?!

    SEKRETÄR

  sieht ihn fragend an.

    MILLIARDÄR

Holt mich keiner -- aus dem Dunkel meiner Vergangenheit?!

    SEKRETÄR

Weil Ihre Leistung so riesenhaft ist, braucht man Ihre Vergangenheit
nicht zu beschönigen!

    MILLIARDÄR

Nicht zu -- --?!

    SEKRETÄR

Ihr Werk steht nur größer da!

    MILLIARDÄR

Ich gebe es hin -- -- ich zahle mit meinem Reichtum -- -- ich
verschenke mein Leben für ein anderes Leben!! (Inbrünstig.) Wer leiht
mir seins, das hell ist vom ersten Tage an?! -- -- Im Sohn finde ich es
nicht mehr -- hinab! -- -- -- -- Wo winkt nun der Tausch, um den ich
buhlte -- im Fieber der Arbeit -- in der Wut des Erwerbs -- auf dem
Berg meines unzählbaren Goldes?! -- -- -- -- In wen gehe ich unter --
und verliere diese Angst und tosenden Aufruhr?! -- -- -- -- Wer hat
ein Leben -- glatt und gut -- für meins?!!

    SEKRETÄR

  mit wachsender Ergriffenheit auf ihn niederblickend.

Ihr Sohn geht andere Wege. Die Enttäuschung ist bitter wie keine.
Aber da es sich so tausendfach wiederholt, mutet es fast wie ein
Gesetz an. Vater und Sohn streben voneinander weg. Es ist immer ein
Kampf auf Leben und Tod. -- -- -- -- (Nach einer Pause.) Ich habe
mich auch gegen meinen Vater aufgelehnt. Und obwohl ich fühlte, wie
ich ihm wehetat, mußte ich ihn verletzen. -- -- -- -- (Wieder nach
einem Warten.) Ich erkenne jetzt noch nicht, was mich trieb. Ich
wollte mein Leben selbst versuchen -- das wird schließlich wohl der
Anlaß. Der Drang nach Unabhängigkeit wirkt stärker als alles andere.
(Nun lebhafter fortfahrend.) Ich hatte ein Elternhaus, wie es selten
zu finden ist. An eine wundervolle Jugend kann ich zurückdenken. Ich
war einziger Sohn. Mutter und Vater teilten mir aus ihrem unendlichen
Schatz von Liebe schrankenlos mit. In ihrer Hut sah und hörte ich
nichts von den Widerwärtigkeiten eines groben Alltags. Es lag immer
ein Lichtschein von Sonne in den stillen Stuben. Auch der Tod trat
nicht zu uns. Die Eltern -- für mich leben sie heute noch. Dann zog
ich auf die kleine Universität -- und der Trieb zur Selbständigkeit
fing an, über mich Gewalt zu gewinnen. Ich löste mich los und ging in
die Welt. -- -- Manche dunkle Stunde habe ich erlebt -- es warf mich
hierhin und dorthin -- aber im Grunde konnte mich nichts erschüttern.
Ich besaß ja das größte Gut, von dem man ohne Maß zehren kann: die
lebendige Erinnerung an eine glückliche Jugend. Was später kam, wurden
nur Wellen, die über einen See streichen, der klar den blauen Himmel
spiegelt. So glatt und ungetrübt liegt meine reine Vergangenheit in mir
ausgebreitet!

    MILLIARDÄR

  hat das Gesicht gegen ihn gehoben. Mit stärkster Gespanntheit hört
  er ihm zu.

    SEKRETÄR

  blickt vor sich hin.

    MILLIARDÄR

  sucht auf dem Tisch.

Die -- -- Mappe. (Er gibt sie ihm. Hervorstoßend.) Gehen Sie!

    SEKRETÄR

  nimmt die Mappe -- wendet sich zur Tür.

    MILLIARDÄR

  zieht den Revolver aus der Tasche und drückt ab.

    SEKRETÄR

  in den Rücken getroffen -- fällt.

    MILLIARDÄR

  steht unbeweglich.

-- -- -- -- Mein Leben -- -- für ein anderes Leben -- -- das hell
ist -- -- vom ersten Tage an -- -- -- -- (Langsam geht er hin, bückt
sich zum Liegenden -- -- und streift die Koralle von der Uhrkette.
Er hält sie auf der offenen Hand vor sich.) -- -- -- -- Dieses Leben
-- -- nach dem ich dürste -- --! -- -- jeder Tag dieses Lebens -- --
um das ich buhle -- --! (Tief den Kopf im Nacken.) Sie sollen mich zu
meinem Glücke zwingen -- -- -- -- sie werden mich ganz beschenken --
-- (Er streift die Koralle auf seine Kette.) -- -- -- -- wenn sie mich
überführen müssen! -- -- -- -- (Er reißt rechts die Tür auf und schießt
nochmal in die Luft.)

  Die beiden Diener stürzen herein. Einer bleibt in der Tür -- der
  andere beugt sich über den Sekretär.

    DER ERSTE DIENER

  in der Tür.

Die Koralle?

    DER ZWEITE DIENER

  richtet sich auf, schüttelt den Kopf.

Nehmen Sie den Sekretär fest!



VIERTER AKT


  Untersuchungsraum: blaues Viereck mit vielen Zugängen, die Türen
  von Eisenstäben haben, hinter denen sich enge Gänge verlieren.
  Eine Bogenlampe in klarem Glas beleuchtet überall. Nur ein kleiner
  eiserner Tisch, an dem der Schreiber -- mit Augenschirm -- sitzt.

  Der erste Richter steht nachdenklich.

  Die beiden Diener links.

  Wärter kommt von rechts.

    DER ERSTE RICHTER

  zu ihm.

Schalten Sie aus.

    WÄRTER

  hantiert am Schaltbrett; die Bogenlampe verlöscht. In den Ecken
  glühen matte Lampen auf.

    DER ERSTE RICHTER

  tritt an den Tisch, nimmt den Hörer auf.

Ich bitte um Ablösung. (Zu den beiden Dienern.) Sie können jetzt --
(Sich besinnend.) Oder warten Sie noch. (Er läßt sich vom Schreiber das
Protokoll geben, liest -- schüttelt den Kopf. Zu den Dienern.) Niemals
hat der Sekretär die Koralle -- (Rasch.) Es könnte doch sein, daß auch
die Koralle gelegentlich ausgetauscht wurde, um --

  Der zweite Richter kommt hinten.

    DER ZWEITE RICHTER

Kein Resultat?

    DER ERSTE RICHTER

  gibt ihm das Protokoll.

Höchstens das, daß mir Zweifel kommen.

    DER ZWEITE RICHTER

  liest -- läßt das Blatt sinken.

Er bestreitet doch nicht, daß die Koralle bei ihm gefunden ist.

    DER ERSTE RICHTER

Aber er will nicht der Sekretär sein.

    DER ZWEITE RICHTER

Wie erklärt er denn die Koralle an seiner Kette? (Lesend.) Auf die
wiederholt gestellte Frage läßt der Vernommene jedesmal die Antwort aus.

    DER ERSTE RICHTER

  zu den beiden Dienern.

Sollte nicht zu einem besonderen Zweck auch Ihre Irreführung geplant
gewesen sein?

    DER ERSTE DIENER

Nein. Es wäre damit unsere Aufgabe unmöglich geworden.

    DER ZWEITE DIENER

An der Bewachung seiner Person lag dem Getöteten viel.

    DER ZWEITE RICHTER

Es ist ja durchsichtig. Natürlich, es geht um Kopf und Kragen. Da
sträubt man sich ein bißchen. Aber wir haben ja die Aussage, die der
Sohn gemacht hat. In der Unterredung, die zwischen Vater und Sohn kurz
vorher stattgefunden hatte, entsagte der Sohn dem väterlichen Reichtum.
Auch die Tochter hatte verzichtet. Der Sekretär hat das erregte
Gespräch nebenan gehört und konnte der Versuchung nicht widerstehen,
sich zum Nachfolger zu setzen. Da drückte er kurzer Hand los. Nur die
Koralle konnte er nicht mehr austauschen. Das hätte er vielleicht noch
gern getan. (Zu den Dienern.) Aber auf den Schuß kamen Sie schon hinzu.

    DER ZWEITE DIENER

Ich nahm ihn fest, als er aus der Tür wollte.

    DER ZWEITE RICHTER

Wollte er flüchten?

    DER ERSTE DIENER

Nicht wir, sondern er hatte die Tür aufgemacht.

    DER ERSTE RICHTER

Warum läuft er davon, wenn er sich für den ausgibt, auf den ein Angriff
unternommen ist?

    DER ZWEITE RICHTER

  legt das Protokoll hin.

Schon dieser Fluchtversuch beweist. Die Detonation, die der Schuß
verursachte, war zu kräftig, damit hatte er nicht gerechnet. In der
Verwirrung hoffte er zu entkommen, doch an der Umsicht der Diener
scheiterte die Absicht. Jetzt besinnt er sich wieder auf die Rolle, die
er spielen wollte.

    DER ERSTE RICHTER

Die Ähnlichkeit ist allerdings fabelhaft. Ich habe einen solchen Fall
von Doppelgängertum noch nicht erlebt.

    DER ZWEITE RICHTER

Ja, wenn wir die Koralle nicht hätten, müßten wir unrettbar im Dunkeln
tasten! (Nach dem Protokoll greifend.) Übrigens dieser Angriff, der vom
vermeintlichen Sekretär verursacht sein soll, wie begründet er den?

    DER ERSTE RICHTER

Er schweigt.

    DER ZWEITE RICHTER

Weil er nicht stattgefunden hat.

    DER ERSTE RICHTER

Sie sagten doch, daß er sich an die Stelle des Getöteten setzen wollte?

    DER ZWEITE RICHTER

  stutzt.

    DER ERSTE RICHTER

So findet sich doch eine Begründung?

    DER ZWEITE RICHTER

Die ihn zur Tötung angestiftet hat!

    DER ERSTE RICHTER

Er handelte also in Notwehr!

    DER ZWEITE RICHTER

  erregt.

Aber er ist doch der Sekretär!

    DER ERSTE RICHTER

  sich die Augen reibend.

Ich bin wirklich abgespannt. Das scharfe Licht -- die Gelassenheit des
Mannes, der sich kaum verteidigt --

    DER ZWEITE RICHTER

Ich denke Mittel anzuwenden, die ihn beweglicher machen. Fruchtet die
Vorlegung der Koralle nicht -- (Er nimmt sie vom Tisch auf.) Wie ein
Blutstropfen sieht das Ding aus, der am Täter hängen blieb --! (Er legt
sie hin. Zu den Dienern.) Ich brauche Sie nicht mehr.

    DER ERSTE DIENER

Wann morgen?

    DER ZWEITE RICHTER

Hoffentlich war es genug. Zehnmal dieselbe Litanei. Ich lasse Sie sonst
bestellen.

  Die beiden Diener ab.

    DER ERSTE RICHTER

Versprechen Sie sich in dieser Nacht besseren Erfolg?

    DER ZWEITE RICHTER

Nicht mehr als ein volles Geständnis!

    DER ERSTE RICHTER

  verblüfft.

Wie wollen Sie ihn dazu bringen?

    DER ZWEITE RICHTER

Er will der Milliardär sein. Gut, so führe ich ihm seine Kinder vor.
Jetzt soll die Natur Richter spielen. Stutzt er eine Sekunde, sich
ihnen zu nähern, die der Vater nach der Bekundung von Sohn und Tochter
über alles liebte, so hat er soviel wie gestanden. Vor der Koralle
kann er sich sträuben, das ist ein toter Gegenstand -- -- aber vor der
Wucht des Anblicks von Sohn und Tochter seines Opfers wird sich kein
Individuum behaupten. Und da er kein berufsmäßiger Verbrecher ist,
bricht er mir in beide Knie!

    DER ERSTE RICHTER

Tatsächlich bin ich ausgepumpt.

    DER ZWEITE RICHTER

Strecken Sie sich auf dem Sofa aus und schlafen Sie gut. Wenn ich Sie
stören darf, rufe ich Ihnen unsere Erlösung von der Marter dieser
vierzehn Nächte hinüber.

    DER ERSTE RICHTER

Ich fahre dann gleich eine Woche aufs Land.

    DER ZWEITE RICHTER

Und ich schreibe ein Buch für Massenauflage über den Fall!

    DER ERSTE RICHTER

  hinten ab.

    DER ZWEITE RICHTER

  geht nach links und drückt auf eine Klingel neben einer Tür.

  Von einem Wärter geleitet, Sohn und Tochter -- in schwarz -- von
  links.

    DER ZWEITE RICHTER

Es wird nun doch notwendig, daß ich die Gegenüberstellung ausführe.
So gern ich Ihnen diese Peinlichkeit erspart hätte, das hartnäckige
Ableugnen, von dem ihn mein Kollege nicht abbringen konnte, zwingt zu
dieser Maßnahme. Ich sehe keinen anderen Weg mehr, um ein Geständnis zu
erhalten. Und das Geständnis brauchen wir unbedingt!

    SOHN

Geben Sie uns Anweisungen, wie wir uns verhalten.

    DER ZWEITE RICHTER

Ich beabsichtige, einen überraschenden Schlag zu tun. Zu einer
Überlegung darf ihm nicht die mindeste Zeit gelassen werden. Ich bitte
Sie, vollständig geräuschlos zu kommen und Ihre Anwesenheit hier nicht
zu verraten. Vorläufig halten Sie sich dort im Hintergrund des Ganges
auf, der Wärter bleibt in der Nähe der Tür. Das ist unauffällig. (Zum
Wärter.) Ich werde es im Verlauf des Verhörs einrichten, daß ich auf
diese Seite trete, sodaß der Vernommene Ihre Tür im Rücken hat. Sobald
ich mein Taschentuch hervorziehe, lassen Sie die Dame und den Herrn ein.

    SOHN

Mit dieser Konfrontierung ist unsere Aufgabe erfüllt?

    DER ZWEITE RICHTER

Selbstverständlich beschränke ich auch diese auf die kürzeste Dauer.
Versuchen Sie jedoch, ihn fest anzusehen. Das ist wichtig. Besonders
Sie, gnädiges Fräulein, möchte ich darauf aufmerksam machen. Halten Sie
sich aufrecht. Sie erleben vielleicht das Grauenhafteste, was einem
widerfahren kann. Sie werden Ihren Vater zu erblicken glauben, der tot
ist.

    SOHN

Eine Unterscheidung muß doch möglich sein!

    DER ZWEITE RICHTER

Dann hätten wir leichtes Spiel gehabt. Die Übereinstimmung ist
vollkommen. Ein körperliches Merkmal existiert nicht. Die Natur spielt
uns schon den Streich.

    SOHN

Nur diese Koralle gibt Aufschluß?

    DER ZWEITE RICHTER

Den unumstößlich. Darum vergessen Sie nicht, daß Sie den Sekretär vor
sich haben!

  Sohn und Tochter mit dem Wärter links ab. Der Wärter kehrt hinter
  die Türstäbe zurück.

    DER ZWEITE RICHTER

  zum ersten Wärter.

Führen Sie vor.

  Der Wärter schaltet wieder die Bogenlampe ein. Rechts ab.

    DER ZWEITE RICHTER

  Setzt sich eine Brille mit blauen Gläsern auf.

  Wärter läßt den Milliardär vor sich eintreten und bleibt an der Tür.

    MILLIARDÄR

  Seine Hände sind nach vorn mit dünnem Stahlseil geschlossen. Er
  stellt sich auf, wie er nun schon gewohnt ist, dazustehen -- ohne
  Zeichen von Erregung.

    DER ZWEITE RICHTER

  beachtet ihn vorläufig nicht. Dann nimmt er den Revolver vom Tisch
  und tritt -- nur für die Waffe interessiert -- zum Milliardär.

Wo kauft man denn diese Marke?

    MILLIARDÄR

  schweigt.

    DER ZWEITE RICHTER

Das Modell hätte ich gern. Aber ich kann mir doch nicht ein vom Gericht
beschlagnahmtes Objekt zustecken.

    MILLIARDÄR

  lächelt dünn.

    DER ZWEITE RICHTER

  sieht ihn an.

Ein streng gehütetes Geheimnis?

    MILLIARDÄR

Ein Geschenk.

    DER ZWEITE RICHTER

Von wem denn?

    MILLIARDÄR

  schüttelt den Kopf.

    DER ZWEITE RICHTER

Von zarter Hand doch nicht?

    MILLIARDÄR

Von zartester.

    DER ZWEITE RICHTER

Ach was, das ist ja unnatürlich.

    MILLIARDÄR

Ja -- unnatürlich war das.

    DER ZWEITE RICHTER

Sollten Sie sich selbst bedienen? Wenn Sie untreu werden?

    MILLIARDÄR

Ich war das Ziel.

    DER ZWEITE RICHTER

Wer wollte denn auf Sie schießen?

    MILLIARDÄR

  nickt langsam.

    DER ZWEITE RICHTER

Rissen Sie ihm die Waffe aus der Hand?

    MILLIARDÄR

Er legte sie auf die Schreibtischplatte nieder.

    DER ZWEITE RICHTER

  rasch.

Der Milliardär?

    MILLIARDÄR

  schweigt.

    DER ZWEITE RICHTER

  nickt befriedigt und stellt sich rechts auf.

Nun wollen wir die Situation rekonstruieren. Drehen Sie sich nach mir.

    MILLIARDÄR

  tut es.

    DER ZWEITE RICHTER

Warten Sie mal. Das Metall ist angelaufen, damals blinkte es
jedenfalls. (Er zieht sein Taschentuch heraus und reibt die Waffe.)

  Der Wärter links zieht sich von der Tür zurück.

    DER ZWEITE RICHTER

Daß das Schießzeug auf dem Tisch herumgelegen hat, ist natürlich
Humbug. Ihre Erzählung ist ja auch reichlich verworren, es lohnt
nicht da nachzutasten. Der Vorgang ist einfach der: unter irgendeinem
Vorwand machen Sie sich hinter Ihrem Opfer zu schaffen -- die Waffe aus
der Hosentasche -- genau so, wie ich hier, standen Sie bereit -- die
Distanz ist dieselbe --

  Der Wärter ist mit Sohn und Tochter gekommen: die beiden stehen
  unbeweglich.

    DER ZWEITE RICHTER

-- und jetzt zeigen Sie mir auch Ihren Rücken!

    MILLIARDÄR

  dreht sich um: ohne zu stocken, geht er auf Sohn und Tochter zu.

Kinder -- in schwarz? Ist ein Trauerfall, der uns nahegeht? -- --
Wundert Ihr Euch, daß ich nichts davon weiß? Ja, ich habe keine
Verbindung mit Euch. Ich werde vorläufig streng abgeschlossen gehalten.
Ein unleidlicher Irrtum, der sich erst aufklären muß. Ich gebe mir alle
erdenkliche Mühe, diesen schweren Verdacht zu zerstreuen. Aber die
Gerichte sind peinlich. Jede Kleinigkeit erhält Gewicht. Eine Koralle,
die bei mir gefunden ist -- der Revolver da, den ich bei mir getragen
haben soll. (Zum Sohn.) Willst Du nicht seine Herkunft mit einem Wort
feststellen?

    SOHN

  seine Erschütterungen beherrschend.

Herr Richter, die Waffe ist mein Eigentum.

    DER ZWEITE RICHTER

Wie gelangt sie in den Besitz des Sekretärs?

    SOHN

Ich legte sie vor meinen Vater auf die Tischplatte.

    DER ZWEITE RICHTER

Das ist immerhin wertvoll. Der offen daliegende Revolver stiftete zur
Tat an. Warum überließen Sie Ihrem Vater ihn?

    SOHN

Darauf -- kann ich nicht antworten.

    MILLIARDÄR

Ich habe Dich auch nicht verraten.

    SOHN

  scharf.

Weil Sie nichts wissen können!

    MILLIARDÄR

Kein Du? Bin ich Euch fremd geworden, weil ich verdächtigt wurde? (Mit
eigentümlich lauerndem Ausdruck.) Glaubt Ihr denn, daß ich der Sekretär
bin? Ihr -- meine eigenen Kinder-- seht mich für den Sekretär an?

    SOHN

  mühsam.

Herr Richter, brauchen Sie meine Schwester und mich hier noch?

    TOCHTER

  schreit auf -- schlägt die Hände auf's Gesicht.

    DER ZWEITE RICHTER

Ich danke.

  Sohn -- die Tochter stützend -- links ab.

    DER ZWEITE RICHTER

  hin- und hergehend.

Das ist unerhört. Das ist der Gipfel der Verstocktheit! -- Schämen Sie
sich nicht? (Verblüfft.) Lächeln Sie?

    MILLIARDÄR

Ich habe meine Kinder gesehen --

    DER ZWEITE RICHTER

Stimmt Sie die Qual anderer vergnügt?

    MILLIARDÄR

-- meine Kinder haben mich nicht gesehen!

    DER ZWEITE RICHTER

Den Mörder ihres Vaters haben sie gesehen. Der sind Sie. Sie -- sein
Sekretär. Tischen Sie uns das alberne Märchen nicht nochmals auf. Und
hätte die Koralle nicht die mächtige Beweiskraft, die sie hat, dies
entlarvt Sie: die Sie mit so dreister Stirn für Ihre Kinder ausgeben,
die stoßen Sie als einen Fremden zurück!

    MILLIARDÄR

  undurchdringlich.

Das -- genügt nicht.

    DER ZWEITE RICHTER

Wissen Sie das sicher? Weil Sie kein Geständnis ablegen? Das erlassen
wir Ihnen jetzt. Hüllen Sie sich weiter in Ihr monumentales Schweigen.
Jetzt werden wir gesprächig! (Er winkt dem Wärter.)

  Wärter führt den Milliardär rechts ab.

    DER ZWEITE RICHTER

  telephoniert.

Ich bitte um Ablösung. (Laut.) Jawohl -- Ablösung! (Aufgeregt auf und
ab. Aufstampfend.) Das ist doch --!

    DER ERSTE RICHTER

  rasch von hinten.

    DER ZWEITE RICHTER

Sie glaubten wohl, sich verhört zu haben? Nein, es geht so weiter.
Dem Mann ist nicht beizukommen. Ohne Zucken erträgt er die
Gegenüberstellung -- und beklagt sich noch, daß man ihm das Du
verweigert!

    DER ERSTE RICHTER

  liest im Protokoll.

    DER ZWEITE RICHTER

Ich denke, wir sind fertig!

    DER ERSTE RICHTER

Nein! -- Das lockt mich. Ich rücke ihm auf den Leib. (Sich vor die
Stirn schlagend.) Das ist ja auch ganz einfach!

    DER ZWEITE RICHTER

Wurden Sie im Schlaf erleuchtet?

    DER ERSTE RICHTER

Wütend bin ich!

    DER ZWEITE RICHTER

Erfinderisch macht dieser Zustand schwerlich.

    DER ERSTE RICHTER

In den Milliardär hat er sich eingelebt.

    DER ZWEITE RICHTER

Das steht fest.

    DER ERSTE RICHTER

Also muß er aus dem Milliardär wieder heraus --

    DER ZWEITE RICHTER

Hokuspokus eins zwei drei.

    DER ERSTE RICHTER

-- und in den Sekretär hinein!

    DER ZWEITE RICHTER

Der Kunstgriff, den Sie dazu anwenden?

  Wärter kommt von rechts und schaltet die Bogenlampe aus.

    DER ERSTE RICHTER

Er muß ganz neu geboren werden! -- Ja ja, ich lege ihn wieder in die
Wiege und lasse ihn vergnügt strampeln und krähen. Der Milliardär ist
noch gar nicht in seine Existenz getreten -- das ist ein späteres
Kapitel, das ich mit keiner Silbe erwähne. Ich baue ihm sein Leben bis
zu diesem Punkte lückenlos auf und wickle ihn in Jugenderinnerungen so
sanft und allmählich ein, daß er ganz vergißt, warum er hier steht.
(Nach einem Schriftstück greifend.) Das Material haben wir da -- es
ist bis in Kleinigkeiten zusammengetragen. Seine Vergangenheit bietet
ein auffallend helles Bild -- so ist auch der Kern nicht verhärtet.
Der Mann wird windelweich, wenn ich ihm das Buch seiner guten Zeiten
aufschlage!

    DER ZWEITE RICHTER

Er hat sich vor den Kindern seines Opfers nicht gescheut --

    DER ERSTE RICHTER

Kinder stehen außerhalb. Zuletzt lebt man nur sich selbst.

    DER ZWEITE RICHTER

Ich würde ja auch ungern das Protokoll ohne Ergebnis abliefern.

    DER ERSTE RICHTER

Mein Versuch kann, wie jeder andere bisher, scheitern -- aber in
solchem Zurückgreifen liegt eine suggestive Kraft.

    DER ZWEITE RICHTER

Wollen Sie die Brille?

    DER ERSTE RICHTER

Diesmal bei gedämpftem Licht. (Zum Wärter.) Schalten Sie nicht ein.
Bringen Sie ihn. (Wärter rechts ab.) Schon das wird ihm eine Wohltat
sein. Und für das andere finde ich den rechten Großmuttermärchenton.

    DER ZWEITE RICHTER

Und der böse Wolf kommt zum Schluß.

    DER ERSTE RICHTER

Der muß den Mörder packen!

    DER ZWEITE RICHTER

  hinten ab.

  Wärter führt den Milliardär ein.

    DER ERSTE RICHTER

  in das Schriftstück vertieft.

Diese Tierliebhaberei ist köstlich. (Aufblickend zum Milliardär.) Hatte
es denn das schwarze Fleckchen mitten auf der Stirn?

    MILLIARDÄR

  hebt horchend den Kopf.

    DER ERSTE RICHTER

  Das Hündchen, das Sie vom Ersäufen gerettet haben?

    MILLIARDÄR

  biegt sich auf.

    DER ERSTE RICHTER

War der Fluß an dieser Stelle seicht? Mit zehn Jahren wagt man sich
doch nicht weit ins Wasser.

    MILLIARDÄR

  atmet rauschend.

    DER ERSTE RICHTER

Das Flüßchen wird wohl keine reißende Strömung gehabt haben, das am
Städtchen vorübertreibt. Oder gab es im Frühling Hochwasser?

    MILLIARDÄR

  wiegt eigentümlich den Oberkörper.

    DER ERSTE RICHTER

Dann schossen die Fluten mit allerlei Fracht von entwurzeltem Gesträuch
und Grasbüscheln dahin. Manchmal traten sie über die Ufer und drangen
in die Keller. Da hieß es die Vorräte bergen. Das gab immer ein
lustiges Rettungswerk. Was da alles zum Vorschein kam! Vater und Mutter
griffen zu -- und der Sohn leistete natürlich die wichtigste Hilfe. Er
stand überall im Wege! Aber von Ihrer Unentbehrlichkeit waren Sie fest
überzeugt?

    MILLIARDÄR

  nickt langsam.

    DER ERSTE RICHTER

Ja -- solch ein kleines Städtchen hat seine Katastrophen. Jeden Tag
etwas anderes. Der Wind reißt einem die Mütze weg und fährt damit um
die Ecke -- (Rasch.) Hatten Sie grüne Schulmützen?

    MILLIARDÄR

  mit rieselndem Lächeln.

Ich -- --

    DER ERSTE RICHTER

Erinnern Sie sich nicht mehr deutlich an die Farbe?

    MILLIARDÄR

-- -- habe so viel vergessen!

    DER ERSTE RICHTER

  beobachtet ihn scharf. -- Nach einer Pause.

Dauert Sie das nicht? Ich meine, man denkt doch gern an freundliche
Eindrücke, die man einmal gehabt hat. Die sind doch schließlich
unverwüstlicher Besitz. Und gerade Sie haben doch allen Grund, sich
an hellen Bildern der Vergangenheit zu erquicken. Ja, Sie haben eine
beneidenswerte Jugend genossen. (Das Schriftstück aufblätternd.) Da
liest man mit Vergnügen!

    MILLIARDÄR

  sieht hin.

    DER ERSTE RICHTER

Da ist alles Licht -- Sonne, Sonne -- Licht. Kein Schatten richtet
sich auf. (Aufblickend.) Sie müssen doch Ihren Eltern unaussprechlich
dankbar sein?

    MILLIARDÄR

  mit fast singender Stimme.

Meine Eltern -- --

    DER ERSTE RICHTER

Die breiteten ihre Hände über ihr einziges Kind! Haben Sie jemals einen
Schlag erhalten?

    MILLIARDÄR

Habe ich -- -- niemals einen Schlag erhalten?

    DER ERSTE RICHTER

Ja, das müssen Sie mir sagen!

    MILLIARDÄR

Ja -- -- Sie müssen es mir sagen!

    DER ERSTE RICHTER

  sieht ihn erstaunt an. Dann humoristisch.

Schlagen wir also das Buch der Vergangenheit auf. Kapitel eins:
Elternhaus. Freundliche Kleinstadt -- in grün gebettet. Vater --
Pfarrer. Sehen Sie ihn vor sich?

    MILLIARDÄR

  vor sich hintastend.

-- in grün gebettet -- -- Vater -- -- Pfarrer -- --

    DER ERSTE RICHTER

Kapitel zwei: der Sohn wird geboren und ist Mittelpunkt des
pfarrhäuslichen Lebens. Mit jeder Sorge ist man um ihn bemüht. Er
gedeiht gesund. -- An diese früheste Kindheit werden Sie sich kaum
erinnern?

    MILLIARDÄR

Jetzt -- -- kenne ich sie!

    DER ERSTE RICHTER

Aber mit dem nächsten Abschnitt kommen Sie ins Fahrwasser. Die
Schulzeit. Das Gymnasium ist nicht groß -- wenige Schüler, unter denen
Sie der beste sind. Das Lernen fällt Ihnen leicht -- Sie stoßen nicht
auf Widerstände -- und so hat auch diese Epoche keinen Stachel für Sie.
-- Oder gibt es eine dunkle Wolke?

    MILLIARDÄR

Wenn -- -- Sie es nicht wissen!

    DER ERSTE RICHTER

Schön, es gibt also keine. Weiter. Damit war der Rahmen gezeichnet,
in dem Sie sich damals bewegten. Es wurde Ihnen von Hause aus wie
selten einem jungen Menschen leicht gemacht -- und Ihre Anlagen kamen
den Absichten Ihrer Eltern auf halbem Wege entgegen. Sie entwickelten
in selten hohem Maße die Fähigkeit, ein glücklicher Mensch zu sein.
Kein schöneres Bild, als diese vollkommene Übereinstimmung von Mensch
und Umgebung. Da gibt es kein erschütterndes Erlebnis, das das Blut
vergiftet. Tag reiht sich an Tag wie die Blumenkette, die Kinder
binden! -- -- -- -- (Eindringlich.) Flutet es nicht warm über Ihr
Herz, wenn Sie dies Evangelium Ihrer Vergangenheit von mir erzählen
hören? Es muß doch ein sehnsüchtiges Verlangen in Ihnen wach werden
-- nach diesem Paradiese, in dem Sie -- bevorzugt vor so vielen --
wandeln durften? Behütet und geliebt -- vor jedem Stoß, den andere
schon in diesem Alter erleiden, bewahrt. Blicken Sie nicht in einen
kristallklaren See, dem man bis auf den Grund sieht -- und auch da
nichts findet als runde und blanke Kiesel? -- Sagen Sie zu Ihrer
glücklichen Vergangenheit ja -- und retten Sie sich das beste, was man
besitzen kann!

    MILLIARDÄR

  wie unter Schauern von Glück zitternd.

-- -- das beste -- -- was man besitzen kann -- --

    DER ERSTE RICHTER

  in Erregung geratend.

Sagen Sie ja zu dieser Vergangenheit?

    MILLIARDÄR

  hinhauchend.

-- -- ja -- -- ja -- -- ja -- --!

    DER ERSTE RICHTER

Jetzt unterschreiben Sie Ihre Bekundung!

    MILLIARDÄR

  schon die Hände aufhebend.

Ja!

    DER ERSTE RICHTER

  zum Wärter.

Befreien Sie die Hand! (Zum Milliardär.) Ihre Zustimmung hat Sie
überführt, diese Vergangenheit gehört dem Sekretär. Sie sind der
Sekretär. (Da der Milliardär zögert.) Ich sage Ihnen das, damit Sie die
richtige Unterschrift leisten: die des Sekretärs!

    MILLIARDÄR

  schreibt in die Luft.

    DER ERSTE RICHTER

Was machen Sie denn? Sind Ihnen Ihre eigenen Schriftzüge nicht mehr
erinnerlich?

    MILLIARDÄR

  unterschreibt.

    DER ERSTE RICHTER

Die Untersuchung ist abgeschlossen. Ich hoffe, daß Sie zu dem früheren
Ableugnen Ihrer Person nicht wieder zurückkehren. Es wäre von jetzt an
zwecklos! (Er gibt dem Wärter ein Zeichen.)

    MILLIARDÄR

  vom Wärter nach rechts geführt.

-- -- das beste -- -- das beste -- -- (Ab.)

    DER ERSTE RICHTER

  steht noch nachdenklich. Dann telephonierend.

Umfassendes Geständnis!

    DER ZWEITE RICHTER

  kommt hinten.

Das klingt wirklich wie ein Märchen! (Er liest im Protokoll.) Das ist
ja glatt gegangen. Hatte er denn die Falle nicht gesehen, in die Sie
ihn lockten?

    DER ERSTE RICHTER

  grübelnd.

Finden Sie nicht, daß das merkwürdig ist?

    DER ZWEITE RICHTER

Er war übermüdet.

    DER ERSTE RICHTER

Den Eindruck hatte ich nicht: er lebte förmlich auf, als ich ihm seine
Vergangenheit erzählte!

  Wärter kommt rechts.

    DER ERSTE RICHTER

  rasch.

Hat er mir eine Mitteilung zu machen?

    DER ZWEITE RICHTER

Will er nicht schon wieder der andere sein?

    WÄRTER

Nein.

    DER ZWEITE RICHTER

Ist er zusammengeklappt?

    WÄRTER

Er steht aufrecht und sieht nach oben und murmelt etwas.

    DER ERSTE RICHTER

Wie er hier stand -- -- im Traum -- --

    DER ZWEITE RICHTER

  nach einem Schweigen.

Jedenfalls wird es für ihn ein scheußliches Erwachen geben!



FÜNFTER AKT


  Kleines Hofgeviert: auf den Schachtgrund umstehender
  Gefängnismauern gesenkt. Karge Grasnarbe mit fester Eisenbank in
  der Mitte. Eine niedrige Tür links und eine schmale hohe Tür hinten.

  Wärter führt den Milliardär -- nun Sträfling in schwarzem
  Leinenkittel mit rotem Halsrand -- von links ein.

    MILLIARDÄR

Der Vorhof des Todes?

    WÄRTER

Sie haben hier noch eine Stunde.

    MILLIARDÄR

  nickt.

Das letzte Stündchen hat geschlagen. (Sich umsehend.) Milde
Gepflogenheit -- -- über Grün tappen die Füße -- -- und oben strömt
Himmels Blau! Erst schwerste Strafe öffnet Beglückung. (Er steht
reglos.)

    WÄRTER

Sollen Besucher kommen?

    MILLIARDÄR

Sind Neugierige da? Ich sträube mich nicht.

    WÄRTER

  links ab.

    MILLIARDÄR

  setzt sich auf die Bank.

    WÄRTER

  läßt den Herrn in grau ein. Wärter ab.

    DER HERR IN GRAU

  hat eine offensichtliche Wandlung durchgemacht: Sein Anzug -- in
  Farbe wie früher -- ist von tadellosem Schnitt; helle Gamaschen
  über Lackstiefeln, grauer stumpfer Zylinder, weiße Glacés mit
  schwarzen Raupen. -- Rasch auf den Milliardär zugehend und ihm die
  Hand hinstreckend.

Noch nicht zu spät. Das ist ein wahres Glück. Ich wäre gern früher
erschienen, aber die Geschäfte --! Schwefelgrube -- wuchtige Sache.
Ausbeute jährlich -- -- Von Rentabilität und Dividende sind Sie ja
wohl augenblicklich einigermaßen entfernt. Das ist auch nicht der
Gegenstand, von dem ich Sie zu unterhalten beabsichtige -- ich wollte
Ihnen danken!

    MILLIARDÄR

Ich wüßte nicht --

    DER HERR IN GRAU

Sie gestatten, daß ich neben Ihnen Platz nehme -- auf dem
Armesünderbänkchen. Man hat doch wenigstens einmal ein ruhiges
Viertelstündchen. Also von ganzem Herzen Dank -- Dank -- und Dank!

    MILLIARDÄR

Wenn Sie mir sagen würden --

    DER HERR IN GRAU

Ich bin der Herr in grau, dem Sie damals die Unterschrift verweigerten
unter ein Manifest, das mit einem Schlage der Welt die Harmonie
schenken sollte. Sie ließen sich herbei -- daß Sie sich die Zeit
nahmen, bewundere ich heute am meisten -- ich hätte sie nicht! -- mir
die Aussichtslosigkeit meines beglückenden Projektes zu demonstrieren.
Ihre Argumente trafen mich wie Keulenhiebe -- und ich verließ »das
heiße Herz der Erde«, einen Fluch nach Ihnen schleudernd, kräftig
genug, um einen Stier zu fällen. Dämmert es?

    MILLIARDÄR

  mit dünnem Lächeln.

Sie irren sich.

    DER HERR IN GRAU

Ich verwünschte Sie schnurstracks in den Höllenpfuhl!

    MILLIARDÄR

Mich nicht --

    DER HERR IN GRAU

Fühlten Sie sich nicht getroffen?

    MILLIARDÄR

Weil Sie jene Unterredung mit dem Milliardär hatten.

    DER HERR IN GRAU

  lacht unbändig.

Vor mir brauchen Sie Ihre Rolle nicht zu spielen. Stecken Sie den
Sekretär in die Tasche. Oder haben Sie keine in diesem Schlafrock für
die ewige Nacht? (Ihm auf die Schulter klopfend.) Sie bleiben mein Mann
auf der Flucht vor dem Furchtbaren!

    MILLIARDÄR

  erschrocken.

Sprechen Sie leise!

    DER HERR IN GRAU

Keine Angst, ich will Sie weder verraten noch befreien. Zu solcher
Undankbarkeit hätte ich nicht den mindesten Anlaß. Sind Sie mit mir
zufrieden?

    MILLIARDÄR

Sie sind der einzige --

    DER HERR IN GRAU

Ihr Prozeß hat mir Vergnügen gemacht. Um keinen Preis hätte ich Sie
gestört. Das war ein Geniestreich, sich in den Sekretär bugsieren zu
lassen und den süßen Teller seiner blanken Vergangenheit zu schlecken.
Ich habe Sie ordentlich schmatzen hören, als man Ihnen endlich die
herrliche Mahlzeit einflößte. Ist Ihnen jetzt wohl im Magen?

    MILLIARDÄR

Es war die Rettung --

    DER HERR IN GRAU

Als der Sohn -- diese erhoffte schönere Wiedergeburt in Friede und
Freude -- sich abwärts bewegte!

    MILLIARDÄR

Still davon!

    DER HERR IN GRAU

Aber Sie haben doch nichts mehr zu fürchten. Und vom festen Ufer blickt
man doch mit einer gesunden Schadenfreude auf das tobende Meer unter
sich zurück. Sie haben sich geborgen -- und in wenigen Minuten kann es
Sie den Kopf nicht mehr kosten. Davor sind Sie ganz sicher!

    MILLIARDÄR

Weshalb danken Sie mir?

    DER HERR IN GRAU

Sagt Ihnen das ein flüchtiger Blick auf meinen äußeren Menschen nicht?

    MILLIARDÄR

Sie sind mit einiger herausfordernder Feinheit gekleidet.

    DER HERR IN GRAU

Nur zur Illustrierung inneren Aufbaus. Ich bin auf der Flucht.

    MILLIARDÄR

Wovor -- Sie?

    DER HERR IN GRAU

Vor Ihrer Weltordnung!

    MILLIARDÄR

Wollen Sie mich nicht wieder verwünschen?

    DER HERR IN GRAU

Ich segne Sie. Aus rosenroten Wolken haben Sie mich auf die platte
Erde gestellt. Auf beiden Füßen wuchte ich kerzengerade. Ihr Gesetz
herrscht: wir fliehen! Wehe dem, der strauchelt. Zertreten wird er --
und über ihn weg tobt die Flucht. Da gibt es keine Gnade und Erbarmen.
Voran -- voran! -- hinter uns das Chaos!

    MILLIARDÄR

Und erreichten Sie schon einen Vorsprung?

    DER HERR IN GRAU

Ein folgsamer Schüler war ich. Reichtum häufe ich und stelle diesen
blinkenden Berg zwischen mich und die anderen. Ungeheure Energien sind
entwickelt, wenn man das Gesetz weiß. Man rennt noch im Schlafe und mit
fertigen Projekten springt man morgens vom Bett. Es ist die wilde Jagd.
Gott sei Dank, daß Sie Ihr Geheimnis nicht mit hinübernehmen -- jetzt
kann ich der Menschheit das wahre Heil verkünden!

    MILLIARDÄR

Wollen Sie das tun?

    DER HERR IN GRAU

Es ist geschehen. Mein Abfall wirkt aufrüttelnd. Alle Verbände sind
gesprengt, der Kampf wütet auf der ganzen Linie. Jeder gegen jeden
schonungslos!

    MILLIARDÄR

Und sehen Sie ein Ziel, nach dem Sie stürmen?

    DER HERR IN GRAU

Lächerlich, es gibt keins!

    MILLIARDÄR

Es gibt schon eins.

    DER HERR IN GRAU

  sieht ihn verblüfft an.

Foltern Sie mich nicht!

    MILLIARDÄR

Das liegt am Anfang!

    DER HERR IN GRAU

  lacht dröhnend.

Ja -- Sie sind ein Glückspilz. Sie können sich über uns lustig machen.
Sie haben allerdings die Ursache beseitigt, die zum Rennen aufscheucht.
Aber es bleibt ein Einzelfall: so komplette Doppelgänger können sich
nicht alle leisten! -- Außerdem, ich will Ihnen etwas verraten. (Eine
Geste rund um den Hals vollführend.) Die meisten würden auch die Kosten
scheuen!

    MILLIARDÄR

Nennen Sie diesen Preis hoch?

    DER HERR IN GRAU

  aufstehend.

Das veranschlagen Sie wohl am besten nach eigenem Ermessen. Zimperlich
sind Sie ja nie gewesen, wenn man Ihnen eine Rechnung präsentierte!
-- Ich würde mich gern länger aufhalten, aber -- auch Ihre Zeit ist
beschränkt. Jedenfalls macht es Ihnen eine kleine Freude, daß Ihre
große Entdeckung nicht mit Ihnen verschwindet. (Er streckt ihm beide
Hände hin.) Also Kopf hoch!

    MILLIARDÄR

Solange es dauert.

    DER HERR IN GRAU

  lacht -- seinen Hut schwenkend.

Auf Wiedersehen!

    MILLIARDÄR

Wo?

    DER HERR IN GRAU

Allerdings -- für diesen Fall hat man die Grußformel nicht gleich zur
Hand!

  Wärter öffnet hinten, Herr in grau ab.

    MILLIARDÄR

  sitzt unbeweglich -- das Kinn auf den Handrücken.

  Wärter läßt den Sohn ein. Wärter ab.

    SOHN

  zögert -- geht dann rasch zum Milliardär, streckt ihm die Hand hin.

Ich bin gekommen -- um Ihnen zu verzeihen.

    MILLIARDÄR

  sieht langsam zu ihm auf.

    SOHN

Erkennen Sie mich nicht?

    MILLIARDÄR

-- Doch.

    SOHN

Mein Entschluß überrascht Sie. Vielleicht ist es sonderbar, daß ein
Sohn das tut. Es ist das geringste. Ich will Sie retten.

    MILLIARDÄR

Halten Sie Strickleiter und Steigeisen bereit?

    SOHN

Ich will Sie als meinen Vater anerkennen!

    MILLIARDÄR

  steht auf und geht hinter die Bank.

    SOHN

Machen Sie es mir nicht schwerer, als es mich schon drückt. Ich bin
schuldig wie Sie. Weil ich die Waffe auf ihn gerichtet hatte. Die Kugel
hatte ich für ihn bestimmt. Wer abdrückte, blieb gleich.

    MILLIARDÄR

Das ist mir unverständlich.

    SOHN

Glauben Sie an meine Schuld -- und lassen Sie mich nicht in diesen
gräßlichen Dingen wühlen.

    MILLIARDÄR

Haben Sie einmal gedacht -- was ich getan habe?

    SOHN

Was jeder tun muß, wenn er den Wahnsinn in Macht tanzen sieht.

    MILLIARDÄR

War Ihr Vater wahnsinnig?

    SOHN

Macht ist Wahnsinn!

    MILLIARDÄR

Ja -- er war mächtig.

    SOHN

Und schuldig! Hinter Ihrer Schuld steht seine -- riesengroß und
unauslöschlich. Sie sind sein Opfer, wie ich es bin -- wie alle mit
irgendeinem Gedanken!

    MILLIARDÄR

Wollen alle töten?

    SOHN

Sie müssen es, der Zwang ist unabweislich. Die Versuchung ist von
denen, die sich emporwerfen, geschaffen. Mit Gewalt erheben sie sich --
mit Gewalt werden sie heruntergerissen!

    MILLIARDÄR

Sie machen es sich leicht --

    SOHN

Empfing ich nicht die letzte Bestätigung von Ihnen? Ich kenne Ihr Leben
-- ich habe atemlos die Berichte gelesen. Die reinste Kindheit und das
freundlichste Jünglingsalter haben Sie gelebt -- wo zeigt sich eine
Anlage zur Gewalttätigkeit?

    MILLIARDÄR

Auch Sie haben die reinste Kindheit --

    SOHN

Und griff zur Waffe. Ich wollte aus aufwallendem Gerechtigkeitsgefühl
strafen -- Sie sich bereichern. Erst der Anblick von Gewalt riß Sie
hin. Das Beispiel hatte Ihnen mein Vater, der immer rücksichtslos
handelte, gegeben -- und solange es solche Beispiele gibt, werden wir
versucht!

    MILLIARDÄR

Wollen Sie die bösen Beispiele ausrotten?

    SOHN

Mit Ihrer Hilfe!

    MILLIARDÄR

Was kann ich dazu tun?

    SOHN

Sie sollen auf Ihren Platz, der Sie über andere stellt, verzichten und
zu uns herabsteigen!

    MILLIARDÄR

Dazu müßte Ihr Vater leben.

    SOHN

Ich werde zum Richter gehen und erklären, daß ich Sie nach dieser
Unterredung als meinen Vater erkannt habe!

    MILLIARDÄR

Und die Koralle?

    SOHN

Nichts darf im Wege stehen. Die Aufgabe ist ungeheuer. Es gibt kein
Bedenken. Es dreht sich um das Schicksal der Menschheit. Wir vereinen
uns in heißer Arbeit -- und in unserem unermüdlichen Eifer sind wir
verbunden wie Vater und Sohn!

    MILLIARDÄR

  schüttelt den Kopf.

Nein -- so kann ich mich nicht verleugnen.

    SOHN

Wenn es um Ihr Leben geht?

    MILLIARDÄR

Weil es um _das_ Leben geht, das Sie mir anbieten!

    SOHN

Überwindung fordert es. Mich hat es Kämpfe gekostet, Sie aufzusuchen.
Ich ging um der hohen Sache willen. Den Schatten meines Vaters, der
hinter Ihnen steht, bannen Sie, wenn Sie diesem Werk dienen!

    MILLIARDÄR

So gelingt das nicht.

    SOHN

Ich gelobe es Ihnen --

    MILLIARDÄR

Was?

    SOHN

Ihnen Sohn zu sein, der seinen Vater nicht verlor!

    MILLIARDÄR

  tritt nahe vor ihn.

Soll ich Ihnen meine Bedingung stellen?

    SOHN

Jede!

    MILLIARDÄR

Wollen Sie mir der Sohn sein, den Ihr Vater sich wünschte?

    SOHN

Was heißt das?

    MILLIARDÄR

Richte Du Dich wieder auf dem sonnigen Ufer ein -- dann könnte ich mich
Deinem Wunsche fügen!

    SOHN

  starrt ihn an.

    MILLIARDÄR

Sonst läßt sich der Schatten -- der hinter mir steht! -- nicht bannen!

    SOHN

Wie sprechen Sie?

    MILLIARDÄR

Wie Ihr Vater. Erschüttert Sie die erste Probe?

    SOHN

  betrachtet ihn mit scheuen Blicken.

    MILLIARDÄR

  legt ihm die Hände auf die Schultern.

Es ist schön, daß Sie noch einmal gekommen sind. Gern ruht das Auge
auf Menschen, die jung sind. Haben Sie nicht eine Schwester? Wollte
sie mich auch als Vater annehmen? -- Lockvögel seid ihr, aber dahin
springen keine Brücken mehr. Sie haben mich nur fester überzeugt.
Lassen Sie mich in meinem Hof. Grünt es hier nicht? -- Suchen Sie Ihr
Schlachtfeld. Der Frieden verleitet vielleicht zum Krieg -- aber wer
aus dem Blutbad auftaucht, der sucht sich zu retten. Sie wollten mir
nicht helfen -- da nahm ich mein Schicksal selbst in die Hand. Dürfen
Sie mir nun zürnen, wenn ich Ihnen die Unterstützung verweigere?
(Er führt ihn nach links.) Schelten Sie mich in keiner Stunde Ihres
tatenreichen Lebens -- Sie haben ja kühne Pläne -- und mißlingt
Ihnen das eine oder das andere -- und am Ende alles! -- opfern Sie
dem Andenken Ihres Vaters nicht mit Zorn und Vorwürfen: er hätte
Sie vor Enttäuschungen bewahrt -- -- aus Gründen, die zu enthüllen
begreiflicherweise hier zu weit führen würde. (Da der Geistliche kommt,
zum Sohn.) Da sehen Sie, es fehlt uns am nötigsten: Zeit!

    SOHN

  ab.

    MILLIARDÄR

  sieht ihm noch nach.

  Geistlicher ist zur Bank getreten und betrachtet den Milliardär.

    MILLIARDÄR

  kehrt sich zu ihm.

Der dritte und letzte Gast?

    GEISTLICHER

Nach dem Anblick, der sich mir bot, ist meine Aufgabe schwer. Sie
erhielten die beste Tröstung, die von Menschen zu vergeben ist: die
Versöhnung mit dem Sohn des unglücklichen Vaters.

    MILLIARDÄR

Nein, Sie irren: wir sind im Streit auseinander gegangen. Und wenn ich
ihn zur Tür geleitete, so geschah es, weil ich der Kräftigere war. Ich
stützte den Unterlegenen.

    GEISTLICHER

Suchte er Sie nicht auf?

    MILLIARDÄR

Er legte mir eine Schlinge, in die ich mich verfangen sollte. Aber ich
war auf der Hut.

    GEISTLICHER

Er hat Ihnen vergeben?

    MILLIARDÄR

Hatte er dazu Anlaß?

    GEISTLICHER

Sie nahmen ihm seinen Vater!

    MILLIARDÄR

  setzt sich.

Glauben Sie an das Recht der Vergeltung?

    GEISTLICHER

Der irdischen muß ihr Lauf gelassen werden.

    MILLIARDÄR

Ich habe nur Vergeltung geübt.

    GEISTLICHER

Womit hatte er Sie beleidigt?

    MILLIARDÄR

Die Wahl fällt schließlich blindlings. Dieser oder ein anderer. Man hat
mir Mutter und Vater getötet.

    GEISTLICHER

  zuckt die Achseln.

Das Leben Ihrer Eltern beschloß ein friedlicher Tod.

    MILLIARDÄR

Warum hatte ich dann Grund zu töten?

    GEISTLICHER

In unbegreiflicher Verwirrung streckten Sie die Hand nach fremdem
Reichtum.

    MILLIARDÄR

  nickt.

In unbegreiflicher Verwirrung -- das stempelt eure Weisheit. Ich lehne
mich nicht mehr auf. Ihr wölbt den Himmel über mich, unter dem ich
freudig atmen soll. Überreich beschenkt ihr mich!

    GEISTLICHER

  nach einer Pause.

Sie haben den Wunsch nach der Koralle geäußert, ich bringe sie Ihnen.

    MILLIARDÄR

  nimmt und betrachtet sie.

    GEISTLICHER

Sie können mich abweisen -- oder Ihr Ohr meinen Worten verschließen.

    MILLIARDÄR

Sprechen Sie.

    GEISTLICHER

  setzt sich zu ihm.

Von der Zuflucht, die uns geöffnet ist, wenn wir aus diesem Leben, das
wie ein Haus mit schwarzen Fenstern ist, treten --

    MILLIARDÄR

Erzählen Sie von diesem Haus mit schwarzen Fenstern.

    GEISTLICHER

Könnte das Licht breiteren Einlaß finden --

    MILLIARDÄR

  nickt.

Das ist es.

    GEISTLICHER

Aber es gibt kein Zuspät. In einer Sekunde kann der unendliche Schatz
erworben werden!

    MILLIARDÄR

Was ist das für ein Schatz?

    GEISTLICHER

Das neue Sein hinter dieser Frist!

    MILLIARDÄR

Liegt es in der Zukunft?

    GEISTLICHER

Die aufnimmt, wer mit demütigem Finger klopft!

    MILLIARDÄR

  kopfschüttelnd.

Es bleibt der alte Irrtum.

    GEISTLICHER

Gültige Verheißungen sind uns gegeben!

    MILLIARDÄR

Flucht in das Himmelreich. Das wird keine Erlösung von Kreuz und Essig.
Am Ende findet man es nicht -- im Anfang steht es da: das Paradies!

    GEISTLICHER

Wir sind vertrieben --

    MILLIARDÄR

Verdunkelt das die Erkenntnis? -- -- Ich will Sie nicht erschüttern und
Ihnen Ihr Werkzeug aus den Händen schlagen. Aber die tiefste Wahrheit
wird nicht von Ihnen und den Tausenden Ihresgleichen verkündet -- die
findet immer nur ein einzelner. Dann ist sie so ungeheuer, daß sie
ohnmächtig zu jeder Wirkung wird! -- Sie suchen eine Zuflucht -- ich
könnte Ihnen sagen, daß Sie einen falschen Weg einschlagen. Das Ziel
überspringt Sie hundertmal -- und jedesmal versetzt es Ihnen einen
Keulenschlag in den Rücken. Weiter rast Ihre Flucht zur Zuflucht. Sie
kommen niemals an. Dahinaus nicht -- dahinaus nicht!

    GEISTLICHER

So sprechen Sie zu mir: was gibt Ihnen -- ich muß es ja so ausdrücken
-- diese feierliche Ruhe?

    MILLIARDÄR

Ich habe das Paradies, das hinter uns liegt, wieder erreicht. Ich bin
durch seine Pforte mit einem Gewaltstreich -- denn die Engel zu beiden
Seiten tragen auch Flammenschwerter! -- geschritten und stehe mitten
auf holdestem Wiesengrün. Oben strömt Himmelsblau!

    GEISTLICHER

Denken Sie jetzt an Ihre freundliche Kindheit?

    MILLIARDÄR

Ist es nicht einfach zu finden? Deckt es sich nicht mit schon gesagten
Worten: werdet wie die Kinder? Zur Weisheit braucht es ja nur ein
Wortspiel.

    GEISTLICHER

Warum können wir Menschen nicht Kinder bleiben?

    MILLIARDÄR

Das Rätsel lösen Sie heute und morgen nicht!

    GEISTLICHER

  blickt vor sich hin.

    MILLIARDÄR

-- -- -- -- Sehen Sie das?

    GEISTLICHER

Die Koralle, nach der Sie zuletzt verlangten.

    MILLIARDÄR

Wissen Sie, wie das vom Boden des Meeres wächst? Bis an die Fläche
des Wassers -- höher reckt sie sich nicht. Da steht sie, von Strömen
umspült -- geformt und immer verbunden in Dichtigkeit des Meeres.
Fische sind kleine Ereignisse, die milde toben. Lockt das nicht?

    GEISTLICHER

Was meinen Sie?

    MILLIARDÄR

Ein wenig die Kapsel lüften, die das Rätsel verschließt. Was wird das
beste? Nicht aufzutauchen und in den Sturm verschleppt zu werden, der
an die Küsten fährt. Da brüllt Tumult und zerrt uns in die Raserei des
Lebens. Angetriebene sind wir alle -- Ausgetriebene von unserm Paradies
der Stille. Losgebrochene Stücke vom dämmernden Korallenbaum -- mit
einer Wunde vom ersten Tag an. Die schließt sich nicht -- die brennt
uns -- unser fürchterlicher Schmerz hetzt uns die Laufbahn! -- -- -- --
Was halten Sie in der Hand? (Er hebt die Hand des Geistlichen mit dem
schwarzen Kreuz hoch.) Das betäubt nur den Schmerz. (Er hält die rote
Koralle in seinen beiden Händen vor seine Brust.) Das befreit vom Leid!

  Die hohe schmale Tür wird hinten geöffnet.

    MILLIARDÄR

  steht auf.

    GEISTLICHER

Ich -- kann Sie nicht begleiten!

    MILLIARDÄR

  geht sicheren Schrittes auf die Tür zu.


                                _ENDE_



WERKE VON GEORG KAISER


DIE JÜDISCHE WITWE

Biblische Komödie in fünf Akten


KÖNIG HAHNREI

Drama in fünf Akten


DIE BÜRGER VON CALAIS

Bühnenspiel in drei Akten


EUROPA

Spiel und Tanz in fünf Aufzügen


VON MORGENS BIS MITTERNACHTS

Stück in zwei Teilen


DIE SORINA

Komödie in drei Akten


DIE VERSUCHUNG

Tragödie in fünf Akten


_Weimar._ -- _Druck von R. Wagner Sohn._



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  |                                                                |
  | Inkonsistenzen wurden beibehalten, wenn beide Schreibweisen    |
  | gebräuchlich waren, wie:                                       |
  |                                                                |
  | anderen -- andern                                              |
  | auf's -- aufs                                                  |
  | meines -- meins                                                |
  | seines -- seins                                                |
  | unserem -- unserm                                              |
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  | Im Text wurden folgende Änderungen vorgenommen:                |
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  | S. 9 »Mench« in »Mensch« geändert.                             |
  | S. 13 »heutemorgen« in »heute morgen« geändert.                |
  | S. 37 »weißlakierten« in »weißlackierten« geändert.            |
  | S. 40 »garnicht« in »gar nicht« geändert.                      |
  | S. 61 »gechafft« in »geschafft« geändert.                      |
  | S. 92 »bischen« in »bißchen« geändert.                         |
  | S. 112 »Ableugen« in »Ableugnen« geändert.                     |
  | S. 112 »erinnnerlich« in »erinnerlich« geändert.               |
  |                                                                |
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