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Title: Da Buch der Novellen. Erster Band
Author: Rosegger, Peter
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Da Buch der Novellen. Erster Band" ***


  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

    Der vorliegende Text wurde anhand der 1906 erschienenen Buchausgabe
    so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
    Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute
    nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen sowie Schreibvarianten
    bleiben gegenüber dem Original unverändert, sofern der Sinn des
    Texts dadurch nicht beeinträchtigt wird. Passagen in Dialekt wurden
    ohne Korrektur übernommen.

    Umlaute in Großbuchstaben (Ä, Ö, Ü) wurden im vorliegenden Buch
    in deren Umschreibung (Ae, Oe, Ue) dargestellt, mit Ausnahme der
    Buchwerbung am Ende des Bandes. Das Inhaltsverzeichnis wurde der
    Übersichtlichkeit halber vom Bearbeiter an den Anfang des Buches
    versetzt.

    Besondere Schriftschnitte wurden mit Hilfe der folgenden
    Sonderzeichen gekennzeichnet:

        unterstrichen: _Unterstriche_
        Fettdruck:     =Gleichheitszeichen=
        gesperrt:      ~Tilden~

    Das Caret-Symbol steht für ein nachfolgenes hochgestelltes Zeichen
    (8^o).

  ####################################################################



                                  Das
                          Buch der Novellen.

                                  Von

                            Peter Rosegger.

                             Erster Band.

                       Einundzwanzigste Auflage.

                            [Illustration]

                               Leipzig.
                       Verlag von L. Staackmann.
                                 1906.



                       Alle Rechte vorbehalten.

                   Druck von C. Grumbach in Leipzig.



Inhalt des ersten Bandes.


                                   Seite

    Die Harfenspieler                  3

    Felix der Begehrte                36

    Das Haus auf der Höhe            109

    Der Geldfeind                    142

    Das Holzknechthaus               216

    Das Reich Gottes                 242

    Das Felsenbildniß                308

    Das Viktel                       328

    Das Leben siegt                  364



Die Harfenspieler.


Die Gegend ist fremd, der Wald ist finster und abendlich, die Wege
verrinnen in den Schluchten, an den Hängen, in den Dickichten -- und
wir haben keine Zuflucht. Ueber den Almen und Felswänden hängen die
Wolken, die schweren, hochsommerlichen Wolken. Die Bäume wagen sich
nicht zu rühren, denn in ihren Zweigen schlafen die Vögel.

In den Tiefen rauscht der Waldbach; -- wenn in den Tiefen so sehr der
Waldbach rauscht, sagen die Leute, dann kommt ein Sturm.

Wir wollten hinüber zum Kirchlein des heiligen Hubertus, das im Walde
steht und den Waldleuten am Tage des Herrn als Versammlungsort dient.
Nun ist keine Zeit dazu. Laßt jetzt auch das Suchen nach Himbeeren und
Alpenrosen -- es fallen schon die schweren, eiskalten Tropfen.

Ein mattes, plötzliches Hinleuchten zwischen den Stämmen -- da beginnt
es hoch oben zu rollen, rauh und schwer, wie das Aufathmen des Himmels,
dem der Alp auf der Brust sitzt. Jetzt werden die Bäume wach. Sie
schlagen mit den Aesten um sich, das Gevögel schreckt auf. Der Wald
rauscht, hoch in den Wänden tost der Widerhall -- über den Wipfeln
kreist der Habicht, der bringt den Sturm.

An uns Eilenden huscht ein Mann vorüber, eine schwarze, verwilderte
Gestalt mit einer Flinte. Plötzlich steht er wie gebannt, lauert,
kauert sich zu Boden und richtet den Lauf des Gewehres in die Luft.
Wie von seinem glühenden Auge entzündet, kracht der Schuß -- aus den
Lüften nieder stürzt der Habicht. Das Thier fällt an den Bäumen langsam
von Ast zu Ast herab und bleibt endlich hängen über dem Haupte des
Schützen. -- Am Felshange fliegen die Wolken herab. Der Mann klettert
auf den Baum wie eine Wildkatze, faßt mit den Zähnen den todten Vogel,
springt zur Erde und eilt durch Wald und Wettersturm der Hütte zu.

Die Hütte steht zwischen uralten Fichten; vor derselben sind rauchende
Kohlenmeiler, der Bretterbarren und der Ziegenstall; hinter ihr der
brausende Bach.

Und aus dieser finsteren Hütte schimmert zu den kleinen Fenstern Licht
heraus in die große, wilde Welt. Die Thüre ist verschlossen, der Mann
rüttelt: „Kilian! Mach’ auf, die Räuber und Mörder sind da!“

„Erschreck’ Du einen Andern,“ sagt hierauf eine Stimme von innen, „ich
kenne Dich wohl, Du bist der Hans.“

„Und darf der Hans in dieser Nacht bei Dir sein?“ fragte der
Ankömmling. Die Thüre ging auf, der Kohlenbrenner stand da und sagte:
„Bist gern gesehen.“

„Sollst es nicht umsonst thun, ich geb’ Dir ein paar Pfeifen Tabak.“

„Die paar Pfeifen Tabak nehme ich,“ sagte der Kilian, „aber für das
Dableiben wirst nichts schuldig. In so einer ungestürmen Nacht ist’s
kurzweiliger, wenn Zwei sind. Die Brautleut’ sind nach Feichtau
gegangen und noch gar nicht daheim, die stecken sich bei dem Gewitter
heilig unter einen Tannenbusch.“

Der Köhler, der das sagte, war eine große, derbe Gestalt, deren
Gesichtszüge unter dem dichten Kohlenruß kaum zu erkennen waren. Seine
Augen schauten offen und sanft. Er stak in einem weiten Lodenkittel,
die Schenkel umspannte eine verschlissene und versengte Lederhose, vom
Knie abwärts waren die Füße nackt bis auf die Holzschuhe. Er warf Aeste
und Kohlen in sein prasselndes Herdfeuer, welches den vorderen Raum der
Hütte durch den Rauch mit flackerndem Roth erhellte. Zu Fuß des Herdes
war ein beweglicher Holzbalken, und so oft der Mann auf denselben trat,
sprühte und lohte das Feuer in heftiger, blauer Flamme auf. An der
berußten Holzwand hingen unter Haus- und Küchengeräthen große Hämmer,
Zangen und Hacken, und neben dem Herde stand ein kleiner Amboß.

Der Köhler ist hier auch Schmied. Er schmiedet den Holzleuten im
Edelwalde ihre Aexte, Beile, schärfte ihre Steigeisen und Sägen -- er
ist der Geschicktesten, Fleißigsten und Wichtigsten einer im Walde.
Auch ist ihm was dafür geworden.

Hinter seiner Werkstatt und Küche -- das ist Eins -- hat er eine recht
geräumige Stube, da drin steht ein halb Dutzend Lehnstühle um einen
langen Tisch herum. An der Wand sind Reh- und Hirschgeweihe, von denen
des Köhlers Töchterlein seiner Tage meinte, sie wären aus dem Holze
herausgewachsen. In der Tischecke ist das übliche Heiligthum -- ein
rauhgeschnitztes und hellbemaltes Muttergottesbild. Darüber ist allweg
ein Kranz von Tannenzweigen oder Preißelbeersträuchern gewunden, im
Frühjahre auch von Eriken, im Sommer von Farrnkräutern und Alpenrosen,
im Herbst aus Enzianen und Edelweiß -- im Winter schmiegt sich ein
kunstvolles Gewebe von farbigen Moosen um des Hauses Heiligthum.

In dieser Stube treibt Kilian ein drittes Gewerbe. Dort im
rauchgeschwärzten, aber reichgeschnitzten Kasten -- der ist aus alten
Tagen, heute schnitzt man weder in den Städten, geschweige im Walde so
kunstreiche Möbel -- stehen große volle Flaschen und ringsumher, wie
durstige Zicklein um die Mutter, kleine Trinkgläschen.

Agnes, des Köhlers Töchterlein, ist in den Herbsttagen durch Gehege und
Geschläge gegangen, hat Vogelbeeren und andere Beeren und Steinobst und
Gewurzel gesammelt, und der Vater hat neben den Meilern einen kleinen
Ofen gebaut, einen Thonkessel mit langem Rohre darüber eingemauert
und in diesen Kessel die Waldfrüchte gethan, hat Alles fest verklebt
und verschlossen, darunter Feuer gemacht, vor das Rohr eine Flasche
gestellt und gerufen: „Jetzt, wenn ein guter Geist drinnen ist, so
komme er heraus, ich beschwöre ihn!“ --

Also ein Geisterbeschwörer? Nein, ein Branntweinbrenner. Aus dem langen
Rohre begann es vorerst zu dunsten, dann zu tropfen und endlich floß
ein helles Brünnlein in die Flasche. Das war Kilian’s drittes Gewerbe.

Und wenn dann die Holzer, die Pecher, die Hirten, die Wurzner und
Kräuterer, die Jäger und auch die Wilderer kamen, so setzten sie sich
an den Tisch und redeten von Dem und Dem, was da im Walde war und nicht
sein sollte, oder nicht war und sein könnte, oder auch was recht war,
daß es war, oder recht war, daß es nicht war. Kam dann allemal der
Kilian herbei und fragte: „Mögt’s Einen?“ Und sie darauf: „Gieb her
Einen.“

Dann schlugen sie für das funkelnde Gläschen auf den Tisch die Münze
hin, so fest, als wollten sie dieselbe vor dem Weggehen noch in Holz
abprägen. Und das Wirthsgeschäft war Kilian’s viertes Gewerbe.

In der Köhlerhütte, Schmiede, Branntweinbrennerei und Schenke ging’s
denn auch immer recht lebhaft zu. Da saßen sie stundenlang, nächte-,
ja oft tagelang zusammen, die rauhen wildbärtigen Wäldler; jeder hatte
sein Griesbeil neben sich lehnen und in der rechten Hosentasche ein
langes, blitzendes Messer stecken. Manchem davon wäre auf entlegenem
Waldweg nicht gut begegnen, sagen die Jäger. Der rechte Waldmensch
mag unter allen Raubthieren den Jäger am wenigsten leiden. Der
schießt ihnen den Braten vor der Nase weg und läßt, wenn er kann, die
so Benachtheilten noch einsperren. Der Wäldler beichtet und betet,
arbeitet und fastet, ist ein guter Kerl, aber dem Jäger trotzt er bis
auf’s Messer. Gegenseitig mögen sie sich aus purem Jähzorn erschlagen,
aber den Jäger morden sie mit Vorsatz. Wildschützen sind sie, und ginge
es um Erd’ und Himmel.

Jetzt, da Kilian den Hans in die Stube führte, war sie leer. Der Köhler
nahm dem Gast die Flinte ab und verbarg sie unter einer Diele des
Fußbodens.

„Magst Einen, Hans?“

„Hast einen rechten Beißer, so gieb ihn her.“

Der Köhler steckte einen brennenden Span in den dazu bereiteten
Wandhaken, brachte Schnaps und sagte: „Ich glaube schier, Du hast Dir
heute keinen verdient.“

„Wesweg meinst das?“ fragte der Andere.

„Weil Du nichts, als wie den Wettergeier bei Dir hast.“

„Glaubst Du,“ sagte der Hans, „man fängt die Rehböcke und Gemsen so
unter den Steinen heraus, als wie die Regenwürmer? Ei ja, wenn diese
kreuzverfluchten Jäger nicht wären! Aber heut’ sind sie Dir wieder
den ganzen Tag im Wald herumgestreift wie räudige Füchse. Und wenn
Einer einmal sechzehn Jahr’ im Kotter sitzt, wie ich, nachher fährt
er nicht mehr so hitzig drein. Probir’s nur selber. Wär’ Dir heute
recht gut zu Schuß gekommen. Steht so etlich sechzig Schritt vor mir
ein Vierzehnender, ein sakrisch Thier! Ich mich gleich hinter den
Busch niederlassen und zur Wange fahren, ist das Erste. Paff! schnalzt
es auf der anderen Seite und der Bock stürzt hin. Vermaledeit! denk’
ich -- grad daß ich nicht geflucht hab’ -- muß ein Jäger da sein.
Sehe ich auch schon den Franzinger, wie er dem Thiere zuläuft. Jetzt,
Franzinger, jetzt kommst mir zurecht, denk’ ich, jetzt zahl’ ich,
daß Du mich in den Arrest hast geschickt! -- und leg’ den Finger an
den Hahn. Weiß der Teufel, wie mir gäh sein Kathel einfällt und die
Kinder, zittert mir der Finger am Hahn. -- Kathel, denk ich, Dich
hab ich einmal gern gehabt, und ist Dir auch der flott’ Jägerbursch’
lieber gewest wie der arme Hans, ich trag Dir’s nicht nach, ich hab
Dich einmal gern gehabt. -- Und schieße nicht. Bin durch den Anwachs
gefahren, als hätte ich das wilde G’jaid hinter mir. Was schieß’ ich
heut’, daß mir die Kugel im Rohr nicht faul wird? Da seh’ ich den Geier
und brenn’ ihn herab. Sollt’ eigentlich der Franzinger sein. Magst ihn
haben, Kilian, nagle ihn auf Deine Hauswand, wenn Du willst, nur die
paar Federn behalte ich mir, und noch was.“

„Ein sauberer Vogel,“ meinte der Köhler und wendete das Thier über und
über, „ich mag ihn schon; mein Hühnervolk wird sich freuen, wenn es den
Geier einmal auf die Wand genagelt sieht. Dank Dir Gott, Hans.“

Als der Köhler hinaus zu den Meilern nachsehen ging und der Hans allein
in der Stube war, zog er sein Messer aus der Tasche, stach dem Habicht
die Augen aus und verzehrte sie.

„Hast auch den Glauben,“ sagte später Kilian, „daß gegessene Geieraugen
dem Schützen einen recht scharfen Blick machen?“

„Ich habe gar keinen Glauben,“ versetzte der Hans, „ich weiß es;
Geieraugen sind allemal ein sicheres Mittel für so was, aber gut müssen
sie sein.“ Er führte die Sache nicht weiter aus, er warf den Vogel
unter die Bank; dann zündete er die Pfeife an, ließ sie aber wieder
ausgehen. Er starrt finster auf den Tisch. Die Spanflamme schüttelte
sich hin und her, als sei sie nicht recht einverstanden mit dem, was
der Wilderer denkt.

Draußen braust der Wettersturm. Man hört die Bäume rauschen und die
Wipfel krachen -- die Wände des Hauses ächzen; der Bach rauscht und bei
dem Leuchten der Blitze sieht man sein wachsendes Fluthen und Anprallen
an die Steine und Ueberquellen aus dem Ufer. Die Donnerschläge mögen
bald verhallen, die Regen versiegen, die Wetter vergehen -- als Herr
bleibt der Wildbach. Wer hat dem Köhler erlaubt, hier seine Hütte
aufzustellen? Fort damit! Eine Felswand nimmt sich noch der armen
Köhlerei an; der Rasende zerschellt an ihr und schäumt wüthend dahin,
hier einen Baumstrunk, dort ein Stück Erde mit sich reißend.

„Der Mensch wird rauschig, wenn er zu viel Branntwein trinkt, der Bach,
wenn er zu viel Regen trinkt,“ sagt der Kilian. Er weiß es, morgen ist
das Bächlein wieder klar und klein und hilft ihm die Kohlen löschen und
den Schnaps kühlen und leugnet Alles, was es heute gethan.

Der Kienspan verlosch, aber im Herzen des Hans brannte es fort.

Draußen wurden mehrere Stimmen vernehmbar. Der Kilian ging, um zu
sehen, und rief: „Seid Ihr endlich da, Ihr verdankten Leut’ Ihr! Gott
Lob und Dank, daß Ihr da seid.“

Ein junges, heiteres, erwachsenes Mädchen und ein eben solcher Bursche
kamen in triefenden Wettermänteln hereingestolpert.

„Na, heut’ wohl, Agnes!“ rief der Kilian, „heut’ hat’s Dir den
Brautkranz wohl aufgefrischt. Was hab’ ich denn gesagt zu Mittag?
Hab’ ich nicht gesagt, es kommt was? Es sind die Gelsen so in’s Feuer
geflogen. Jetzt macht Euch zurecht, Ihr Lotterer Ihr! Die Dirn’ weiß
Bescheid; und Du, Baldl, häng’ da Deinen Wettermantel über den Herd;
wie Deine Haut trocken wird, sieh’ selber zu.“

„Aber nein,“ rief das Mädchen, „aber so was, da ich bin ganz
zusammengeschlagen vor Schreck!“

„Was hast denn Du wieder für einen Schreck gehabt?“ fragte der Vater.

„Geistern thut’s schon wieder oben bei der Huberts-Kapelle. Daß ich
Euch nur sag’! ’s ist die Nacht und der Regen da, wie wir vorbeigehen.
Stehen wir unter’s Dach, sagt der Baldl. Ist mir nicht lieb, sage ich,
bei der Kapelle thut’s gern einschlagen. Hat der Uebermuth d’rauf noch
gesagt, ein bissel Feuer wär ihm lieber, wie so viel Wasser -- so eine
Sündhaftigkeit sagen! Und wie wir unter das Dach springen wollen, sag’
ich: bleib’ stehen, Baldl! Hab’ ich so ein Summen und Klingen gehört in
der Kapelle, gerade wie wenn von weitem Posaunen thäten blasen. Hab’
den Baldl zu mir gerissen und sind durch’s Wetter herabgefahren wie
nicht gescheidt. Und jetzt verspür’ ich erst den Schreck.“

„Ihr seid’s zwei Kinder und wollt’s schon heiraten,“ sagte der Köhler,
„wo habt Ihr aber den Pechhacker gelassen?“

„Der ist zu seinem Mardereisen nachschauen gegangen, muß bald da sein.“

Die zwei Leutchen, die hier so naß geworden waren, hatten heute einen
sehr schönen Feiertag gehabt. Sie waren in Begleitung des Pechhackers
drüben in der Feichtau beim Pfarrer gewesen. Der Baldl ist unter den
Holzleuten im Edelwald der Meisterknecht oder Vorarbeiter. Er ist im
Holz geboren und kennt sich in demselben aus, wie ein Borkenkäfer. Wie
er Vorarbeiter wird, fällt’s ihm auf einmal ein, er will auch eine
Vorarbeiterin haben, und geht in die Köhlerhütte und schürt Kohlen, und
geht in die Schmiede und schmiedet das Eisen, so lange es warm ist. Da
ist lange hin und her geredet worden, haben etliche Gläschen Branntwein
dabei getrunken und der alte Pechhacker, des Kilian Gevatter, hat
bei diesem Reden und Rathen vor lauter Sinnen und Grübeln ein neues
Pfeifenrohr zerbissen.

Endlich ist Alles richtig worden; in einer Woche ist der Ehrentag in
der Feichtau beim Wirth, da, verhoff’ ich, wird der Gevatter wieder zu
einem neuen Pfeifenrohr kommen.

In der Luft war es endlich wieder still geworden, nur von den Bäumen
rieselte es nieder. Die Meiler draußen, die waren nach dem Regen
schwarz, wie vor demselben. Nur der aufsteigende Rauch ist jetzt in der
Nacht schier weißer als sonst.

Endlich kam der Pecher heim. Aber er kam nicht allein, hinter ihm
humpelten ein Mann und ein Weib in fast fremdartiger Kleidung; mit
den seltsamen Päcken, die sie mit sich schleppten, stießen sie an die
Thürpfosten, daß es klirrte.

„Holla ho, Hochzeitsleut’!“ rief der lange, hagere Pechhacker, „lustig
sein, ich bring’ die Musikanten mit!“ Damit warf er einen breiten
Filzhut auf die Bank, daß es spritzte.

„Was hast denn Du für zwei Fledermäuse bei Dir?“ fragte ihn der Hans,
auf die abenteuerlich aussehenden Fremden deutend.

„Die hab ich’ da oben in der Kapelle aufgestöbert -- über und über naß,
unter und unter schier erfroren. Haben im Gebirg’ den Weg verloren,
sagen sie, und in der Kapelle übernachten wollen. Das geht nicht, hab’
ich gesagt, ich hab’ ein großes Vertrau zu dem heiligen Hubertus, aber
ich glaub’, bei Menschenkindern thut Euch diese Nacht besser. Es geht
ein eiskalter Wind, weil es auf der Scharnhöh’ gehagelt hat, und das
Weibel, sag’ ich, schaut ohnehin schier einer kranken Henn’ gleich. Der
Kilian da unten, sag’ ich, nimmt Euch über die Nacht schon in sein Haus
und kocht Euch eine warme Suppe -- wird keine Schwierigkeit setzen.“

„Eine warme Suppe können sie schon haben,“ meinte der Kilian, „aber mit
der Liegerstatt wird’s heut’ schlecht ausschauen.“

„Nein, nein,“ murmelte jetzt der Mann in fremder Kleidung -- er war
betagt und hatte eine heisere Stimme -- „für mich ist Alles gut, auch
auf dem Fußboden da schlaf’ ich; aber die Meinige da, die ist mir krank
worden, für sie thät ich wohl um ein warmes Nestlein bitten, wenn es
sein könnte.“

„Wohl um Gotteswillen!“ flehte das Weib und faltete ihre bebenden Hände.

Das war schon durch und durch ein nasser Abend, auch in den schönen
veilchenblauen Augen der Agnes gab’s jetzt Wasser. „Das ist ja leicht,“
sagte hierauf das Mädchen, „die Frau schlaft oben auf dem Dachboden in
meinem Bett, und den Bärenpelz drauf; dafür bleibt der Mann bei uns in
der Stube und zieht dem Ding da die Pfaid ab.“

Sie hatte bemerkt, daß der Alte in seinem Sack eine Harfe stecken
hatte. Der Baldl sah seinen Vortheil und unterstützte den Antrag des
Mädchens. Und so wurde es. Das fröstelnde Weib trank aus der hölzernen
Schale warme Ziegenmilch, dann barg es mit Sorgfalt sein Instrument, es
war eine zweite Harfe, in die Ecke, sagte Allen eine gute Nacht, ließ
sich auf den finsteren Dachboden führen und legte sich in’s Bett unter
den Bärenpelz. Der Alte hatte seinem Weibe noch nachgeschaut und dann
gesagt: „Was ich froh bin, daß sie zum Schlafen kommt; ich thue, was
Ihr wollt.“

Für’s Erste wollten sie, daß er sich in ein trockenes Gewand stecke,
dann, daß er ein Glas Branntwein trinke. Dann zündeten sie einen
frischen Span an und setzten sich um den Tisch.

„Na, Hans, was ist’s mit Dir?“ polterte plötzlich der Pecher den
finsteren Gesellen an, der wortkarg in seiner Ecke kauerte, „was
meinst, wann erwürgen wir den Franzinger? Mir hat der Scherg’ das
Mardereisen ausgehoben. Will er Einem auch das Raubthierfangen nicht
mehr vergunnen. Der giebt nicht Ruh, so lang’ er nicht die Bohne im
Leib hat.“

Der Hans ließ unter der tief in die Stirne gedrückten Hutkrempe hervor
einen Blick schießen. „Ja,“ murmelte er, „’s ist Einem verteufelt
langweilig am Abend, wenn man nichts geschossen hat.“

Mittlerweile war Agnes in Unterhandlung mit dem fremden Mann -- der
Harfe wegen. Es war ihr so wunderlich in den Füßen, just als hätte sie
auf jeder Zehe ein loses Rädchen. Und kaum legte der Mann die Finger an
die Saiten, haschte Agnes nach ihrem Baldl. Aber -- die Saiten wollten
nicht klingen. Der Regen hatte sie heiser gemacht.

„Sie werden schon trocken, derweil trink’ Branntwein,“ sagte Kilian zum
Fremden, „mit Verlaub zu fragen, von wo seid Ihr denn her?“

„Wo wir hin wollen, meint Ihr,“ versetzte der Mann, „wir sind alt,
wir kommen aus der Fremde und gehen der Heimat zu. Im Böhmerland sind
wir daheim, nach dort sind wir jungerweise aus Preußen eingewandert.
Jetzt ziehen wir schon über vier Jahr’ in der Welt herum und musiciren
den Leuten was vor, weil uns von Heim der Jammer vertrieben hat. Wo
es lustig zugeht, da bleiben wir; wollen sie tanzen, so spielen wir;
wollen sie hören, so singen wir -- die Meinige hat eine gute Stimme
gehabt, letzt’ Zeit freilich, da ist ihr der Stimmstock umgefallen.
Jetzt geht’s nicht mehr recht, und wenn wir singen, so geben uns die
Leute Geld, daß wir aufhören sollten. Ist auch recht, sag’ ich, so
brauchen wir keine Saiten zu stimmen; aber der Meinigen hat’s das Herz
abdrücken wollen -- das Singen ist ihr noch der Trost gewesen, seit der
Junge todt ist.“

„Trinkt wacker,“ sagte der Köhler, „ich füll’ nach. Ihr müßt auch harte
Sach’ durchgemacht haben.“

„Ja, das glaube ich!“ lachte der Musikant überlaut auf.

Dann schwieg er. Dem Kilian that’s leid, daß die Erzählung des Mannes
verstummen wollte, er sagte denn nach einer Weile: „Böhmen soll ja ein
schönes Land sein.“

„Ein schönes Land,“ antwortete der Fremde.

„Was giebt’s denn Neues dort?“ fragte der Köhler äußerst ungeschickt.

„Ich bin schon lang’ nicht mehr dort gewest. Dazumal hat’s Neues genug
gegeben. Sind unsere Landsleut, die Preußen gekommen, haben uns das
Haus niedergebrannt und unsern Sohn todtgeschossen. D’rauf sind wir
fort. Gehen wir vor den deutschen Leuten nicht mehr sicher, sag’ ich zu
der Meinigen, so müssen wir halt in’s fremde Land! und sind über das
Gebirge in’s Wellische hinein.“

„Jetzt soll ja schon lang’ wieder Alles gut sein,“ sagte der Köhler.

„Das haben wir auch gehört und so reisen wir wieder heimwärts.“

„Und was hört man sonst Neues?“ fragte nun der Pecher und stopfte sich
aus einem Blasenbeutel Tabak in die Pfeife.

„Die Franzosen sollen wieder anrücken,“ sagte der Harfner.

Ueber dieses Wort richteten Alle ihre Köpfe auf; auch der finstere Hans
den seinen.

„Die Franzosen wieder anrücken?“ meinte der Köhler, „das ist ’leicht
doch eine Lug, Vetter!“

„Wird hübsch wahr sein, der Napoleon will uns wieder haben.“

Jetzt hörte man nichts, als den Wildbach draußen. Plötzlich aber schlug
der Pecher mit seiner knochigen Faust auf den Tisch, daß die Gläser
emporsprangen. „Sakra,“ fluchte er, „wenn sie wieder kommen, so setzt’s
was! Sie sind schon dagewest und unsere Vatersleut haben sich treten
lassen, daß es schon ganz hündisch ist gewest. Aber wir raiten anders,
wir! Mit Hacken und Messern fahren wir drein und klieben ihnen die
Schädel auseinand. Edelwaldleut, wir sind keine Hundsfötter, wir sind
freie Leut. Kreuzsakerment!“

Der Mann war aufgesprungen und hatte sein langes Messer mit einem
schweren Fluch in den Tisch gestoßen.

„Was hat er denn,“ fragte der Baldl.

„Er wird allemal so wild, wenn von den Franzosen die Rede ist,“ sagte
Kilian, „sie haben seinen Großvater erwürgt.“

„So haben sie ihn erwürgt in des Teufelsnamen!“ rief der Pecher, „sie
sind Feinde gewest. Aber daß sich hernach mein Vater von ihnen zu einem
Knecht hat brauchen lassen, zu einem Spion und Schurken, das verzeih’
ich ihnen nimmer, und wenn’s mir den Himmel kostet!“

So redeten und schrien sie hin und her, es war ja zur Zeit des
deutsch-französischen Krieges, wo auch die Waldleute tief im Gebirge
aufgeschreckt worden sind, wo sie alles Weh, das sie vier Jahre früher
erfahren, vergessen hatten und nur vom Franzosen-Erschlagen die
Rede war. -- Zur solchen Zeit that eine gemüthliche Musik wohl. Und
in diesem Augenblick, da die verwilderten Gemüther entbrannten zum
Vergelten und Schlachten, legte der alte Harfner seine Finger in die
Saiten....

Sie klangen noch ein wenig trüb, aber sie klangen und spielten ein
fröhlich Lied. Agnes legte den Arm um den jungen Bräutigam -- es begann
der Reigen.

Und als das Paar anmuthsvoll und geschmeidig durch die Stube walzte, da
pfiff Kilian die lustige Weise mit und schnalzte mit den Fingern den
Takt dazu und trillerte in seiner bäuerlichen Art:

    Wan ma zithernschlogn,
    So schlogn ma stoansteirisch[1],
    Wan ma steirisch tonzn,
    Tonzn ma stoansteirisch,
    Thoan ah stoansteirisch kegelscheibn.

    Wan ma Dirndl liabn,
    So liabn ma stoansteirisch,
    Will der Feind in’s Lond,
    So zoagn ma’s stoansteirisch,
    Daß ma stoansteirisch wölln bleibn!

        [1] Stoansteirisch = ursteirisch.

Die beiden Anderen schlugen dazu mit ihren knochigen Fäusten auf dem
Tisch die Trommel.

Der Harfner brach sein Spiel ab und sagte: „Es thut mir doch das
Brautpaar leid, daß man ihm eine solche Kriegsmusik macht.“

„Möglicherweise fangt ihnen jetzt der dreißigjährige Krieg an,“ lachte
Kilian.

„Hätte ich hier was d’reinzureden,“ versetzte der Harfner und
schüttelte seinen grauen Kopf, „so wollte ich sagen: So ein Spaß gehört
sich nicht. Wenn man jungen Eheleuten allemal das Schlechte voraussagt,
so meinen sie nachher, es muß so sein, und suchen und finden überall
Schlechtes. Wie ich vor zweiunddreißig Jahren die Meinige genommen, ist
auch Gefahr gewesen, aber ihre Mutter hat frisch gesagt: Ihr mögt thun,
was Ihr wollt, Ihr Zwei gehört zusammen; Ihr mögt voneinander fliehen
und Euch verfolgen und Leid anthun, es wird vergebens sein, Ihr werdet
Euch lieb haben. Ihr werdet auswendig Elend und Kümmerniß haben, Ihr
werdet miteinander weinen, aber Ihr werdet glücklich sein. -- So hat
sie gesagt, so ist es geworden und so will ich es auch Euch wünschen.“

Dieser Worte wegen schauten sie mit Wohlgefallen auf den alten Harfner;
nur der Hans nicht, der lugte durch das kleine Fenster hinaus. Draußen
über den finsteren Tannen standen jetzt die Sterne des Himmels;
ihretwegen blickte der Mann wohl nicht hinaus. Ob er nicht an das Weib
des Jägers Franzinger dachte? Er möchte sie fliehen, verfolgen, möchte
ihr Leid anthun und muß doch an sie denken...

Jetzt zog der Hans ein Horn aus der Tasche, ließ daraus Pulver in seine
Hand rinnen, that dasselbe in das Rohr seiner wieder aus dem Verstecke
geholten Flinte, ließ dann eine Bleikugel hineinrollen und verstopfte
das Rohr mit Papier, das er mit dem Ladestock hineinstieß. Dann prüfte
er den Hahn und starrte wieder zum Fenster hinaus.

„Jetzt sollt Ihr uns aber auch Eins singen,“ sagte Kilian zum Harfner.

Der Alte schaute besorgt drein und that hernach die Frage: „Nicht wahr,
Ihr guten Leute, die Meinige hat eine warme Decke?“

„Den Bärenpelz, der inwendig mit Schafspelz gefüttert ist,“ antwortete
der Köhler. „Unter solchen Thierhäuten kann Keiner erfrieren.“

„Dann singe ich gern und sing’ Eins für die liebe Jugend,“ sagte der
Alte, griff in die Saiten und begann zu singen:

    „Auf dem Bergl steht a Hüttel,
    Bei dem Hüttel steht a Bam,
    Und so oft ich dort vorbei geh’
    Find ich gar nimmer ham.

    In dem Hüttel ist ein Dirndl,
    Ist frisch wie ein Reh,
    Und so oft ich das Dirndl anschau,
    Thut mir’s Herzerl so weh.

    Und das Dirndl hat zwei Aeugerln,
    Wie am Himmel die Stern’,
    Und je öfter ich hineinschau,
    Um so mehr hab ich’s gern.

    Hab a Freud mit dem Dirndl
    Ob ich wach oder tram,
    Denk ich alleweil an’s Dirndl
    Und’s Hütterl beim Bam --“

Jetzt schrillte die Harfe und war still. Was ist das? Drei Saiten auf
einmal gesprungen....

Dem Alten war die Stimme auf den Lippen erstorben. Der Pecher meinte,
das hätte was zu bedeuten.

„Der Nässe wegen,“ sagte Kilian, „nasserweise angespannt, dann trocknen
sie zusammen und springen. Gießen wir noch zu guterletzt Eins nach!“
Und er füllte das Gläschen des Harfners wieder voll.

Der Baldl, dem eigentlich noch nicht genug getanzt war, versuchte die
Saiten zu knüpfen.

„Laß’ es sein,“ sagte der Alte lächelnd, „was hin ist, ist hin.“

Kilian ging zu seinen Kohlstätten, um etwaige Gluthausbrüche zu
dämpfen. Der Pecher meinte, für ihn wäre es Zeit, daß er seine Klause
aufsuche, sie stand oben am Waldhang, wo morgen Früh wieder die
Pechbrennerei angehen sollte.

„Da, Vetter,“ sagte er, „da habt Ihr was für’s Aufspielen,“ und warf
für den Musikanten ein Silbergröschlein auf den Tisch hin.

Und der Hans? Der hatte während des Gesanges sein Gewehr unter die
Jacke genommen und still und finster die Hütte verlassen.

So wollte sich auch der Sänger anschicken, auf den Dachboden zu seinem
Weibe zu gehen.

„Nachher wären wir doch ganz allein,“ sagte das Mädchen besorgt.

„Das macht nichts,“ meinte der Baldl.

„Die Kinder sollen auf dem Stroh liegen,“ befahl hernach der Köhler.

„Nein,“ rief Agnes, „das thu’ ich nicht.“

„Wo willst denn also schlafen?“

„Da gehe ich lieber zur fremden Frau hinauf,“ versetzte sie und war
roth im Gesicht.

„Ist auch recht,“ meinte Kilian, „so mag der Herr Musikant beim Baldl
auf dem Stroh liegen.“

So geschah es. Der grauhaarige Harfner und der junge braunlockige
Meisterknecht legten sich in die Stube auf das Bettstroh und der Baldl
sagte: „Ja, Vetter, wir Zwei sind auch noch niemalen beisammen gelegen.“

„Und ~werden~ vielleicht auch niemalen mehr beisammen liegen,“
entgegnete der Alte, „gute Nacht, jetzt!“

Beide rückten manierlich in sich zusammen, Keiner wollte den Andern
drücken. Ist es das erste- und letztemal, so soll Keiner über den
Andern zu klagen haben. Der Alte schlummerte bald ein; der Baldl
dachte: nächst’ Wochen lieg’ ich schon bequemer.

Agnes war über die Leiter in den Dachraum hinaufgeklettert. Kilian
arbeitete mit seiner Schaufel an den kohlenden Meilern. Es heißt
wachsam sein.

Wenn die Flamme aus der schwarzen Decke des Kohlenmeilers schlägt, so
brennt sie dem Köhler in den Geldbeutel hinein. Was lichterloh brennt,
das wird zu Asche, was still und im Innern glüht, das ist das Rechte.
Es soll ja auch beim Menschen so sein.

Nachdem die Arbeit geschlichtet ist und der weiße Rauch still zu den
Wipfeln aufsteigt, stützt sich Kilian auf den Schaufelstiel und schaut
vor sich hin. Es ist jetzt Alles so still, selbst das Rauschen des
Baches ist feierlich -- dem Mann ist wie zum Einschlafen.

Da geht leise die Thüre der Hütte auf. Eine weiße Gestalt huscht heraus
-- Agnes im puren Nachthemdchen.

„O Kind,“ sagte Kilian, „was laufst Du herum in der kalten Nacht?“

„Vater,“ flüsterte das Mädchen, „es ist was geschehen. Ich getraue mich
nicht mehr hinein.“

„Er soll Dir Ruh’ geben!“ sagte der Vater strenge.

„Mir nicht,“ schluchzte sie, „mir thut kein Mensch was, aber -- das
fremde Weib wird gestorben sein. Es liegt ganz kalt und starr im Bett
und ist nicht aufzuwecken.“

Jesus und Maria! denkt sich der Köhler, jetzt ist diese Frau gestorben.

Er eilt mit seiner Tochter auf den Dachboden -- ganz still machen sie
es, daß Niemand aufwacht. Dann schlägt er mit Schwamm und Stein Feuer,
und bei diesem matten Glimmen sieht er’s, mit seinen zitternden Händen
fühlt er’s -- die Harfenspielerin ist todt. --

Jetzt saßen sie lange am Bett, der schwarze Köhler und sein weißes
Töchterlein, und beriethen, was zu machen sei.

„Wenn ich an den armen Mann denke, will mir das Herz abspringen,“ sagte
das Mädchen.

„Jetzt lassen wir ihn schlafen,“ sagte Kilian, „er mag sich ausruhen
und stärken. Wenn er des Morgens wach wird, da müssen wir ihn halt in
Gottesnamen vorbereiten. Kannst mir’s glauben, Agnes, ich weiß wie das
thut! Lieber einen Finger von meiner Hand, als ihm das sagen! Es ist
ein hartes Kreuz!“

Sie hüllten eine Leinwanddecke über den Leichnam, wie es sonst ist,
wenn der Mensch schläft. Dann stiegen sie vorsichtig über die Leiter
und dann gingen sie hinaus zu den Meilern und arbeiteten. Sie sagten
kein Wort und arbeiteten.

Und als allmählich ein kühlerer Lufthauch wehte, und als es nach und
nach lebendig wurde in den Bäumen und der Morgenstern aufging, trat
der Baldl aus dem Hause, ging zum Bach und wusch sein Gesicht. Und
als dieses Gesicht recht frisch und heiter war, ging er hin zu den
Arbeitenden und sagte: „Was giebt’s denn da in aller Früh zu thun, daß
Ihr den Hahn um den Weckerlohn bringt?“

Agnes eilte zu ihm heran, als wollte sie seinen Mund verhalten: „Sei
still, Baldrian, es ist heute Nacht ein Unglück geschehen in unserem
Haus. Da oben unter dem Dach liegt eine Leiche.“

„Die Musikantenfrau?“

„Ist gestorben. Geh’ jetzt hinauf auf den Steinkogel, und mach’ ein
großes Feuer, damit die Holzleute und die Almer wissen, daß wir einen
Todten haben.“

Der Bursche schüttelte den Kopf, als könne er die Sache nicht sobald
fassen.

„Ja, mein Sohn, so sterben sie wieder auseinander,“ sagte Kilian. „Geh’
und bete unterwegs Dein Morgengebet.“

Der Baldl ging auf den Steinkogel, wo man über die Wälder hinaussieht
in das weite Thal und auf die Berge und Almen. Dort trug er Reiser
zusammen, und als die Morgenröthe aufging, brannte auf der Höhe ein
großes Feuer.

Die Menschen, die es von ferne sahen, sagten zu einander: „Dort brennt
ein Todtenlicht!“ und beteten für die abgeschiedene Seele.

Agnes und ihr Vater arbeiteten noch immer auf der Kohlstätte, da gab es
stets zu thun, und wäre das nicht gewesen, so hätten sie sich heute zu
thun gemacht. Sie wollten nicht in das Haus gehen, damit der alte Mann
nicht in seiner Ruhe gestört werde. „Er soll schlafen, so lange es ihn
freut,“ sagte Kilian, „es kommt für ihn ein schwerer Tag.“

Aber als die Sonne aufging, steckte der Harfner sein graues Haupt zum
Fenster heraus und rief: „Guten Morgen!“

„Guten Morgen,“ sagte der Köhler.

„Ihr seid schon so fleißig und ich faullenze in den Tag hinein. Aber es
ist gut schlafen in Eurem Haus.“

Sie gingen zu ihm in die Stube. Agnes machte auf dem Herd Feuer und
kochte das Frühstück. Kilian nahm die Harfe in die Hand und sagte: „Das
wird sich schwer machen lassen, drei Saiten auf einmal.“

„Mein Weib hat neue,“ antwortete der Musikant. „Aber das gottlos lange
Schlafen von ihr! Sie ist doch recht müde geworden auf dem weiten Weg.“

„Jetzt esset mit uns eine gute warme Suppe,“ sagte Kilian und theilte
die Holzlöffel aus.

Der Harfner blickte durch das Fenster und fragte: „Sind das die Hirten,
die da oben auf dem Berg das Feuer gemacht haben?“

„Das Feuer habe ich auch schon gesehen,“ meinte der Köhler, „Hirten
sind es nicht, es ist ein Todtenfeuer.“

„Ein Todtenfeuer, wie ist denn das?“ fragte der Musikant.

„Wenn in unserem Walde wer stirbt, so zündet man da oben ein großes
Feuer an, damit es die Leute wissen. Es geschieht nicht selten; im Wald
ist oft ein Unglück; Alte und Junge trifft’s, der Mensch muß d’rauf
gefaßt sein.“

So sagte Kilian und jetzt erst bemerkte der Harfner das ernste Gehaben
des gestern so fröhlichen Kohlenbrenners und die verweinten Augen des
Mädchens.

„Wo ist der junge Mann?“ fragte der Musikant, „der Bräutigam?“

Der wäre eben auf den Berg gestiegen, um das Feuer zu machen, sagten
sie.

Der Harfner hatte den Löffel schon in der Hand gehabt, jetzt legte er
ihn langsam weg, stand auf und tastete unsicher nach der Thürklinke.

„Wo wollt Ihr hin, Vetter?“ fragte Kilian, aber der Mann stolperte,
ohne Antwort zu geben, über die Schwelle, und mit dem Rufe: „Susanna!“
kletterte er hastig die Leiter hinan.

Kilian eilte ihm nach. „Susanna!“ rief der Harfner oben in der
finsteren Dachkammer.

„Müßt nicht zu sehr erschrecken, es ist des lieben Gottes Willen so!“
sagte Kilian, nahm den Musiker bei der Hand und führte ihn zur stillen
Bettstatt.

Ein Blick in’s starre, fahle Antlitz, dann sank der verwaiste Greis zu
Boden.

Wenige Fuß darüber, auf dem sonnigen Dachgiebel jubelten die
Schwalben....

       *       *       *       *       *

O du schöner, frischer, fröhlicher Wald! O du klingender Vogelsang,
du duftiges, thauiges Blumenleuchten! Du sonnige Himmelsrunde, du
erquickender Schattenschoß mit deinem unendlichen Leben, wie bist du
gräßlich! Gräßlich, wenn durch dich der Weg zum Todtengräber führt.

Das ist der Weg, den der alte Harfenspieler wandelte.

Der Todtengräber zu Feichtau saß in seiner dumpfigen Stube und klopfte
mit einem Hammer verbogene und verrostete Sargnägel zurecht und nagelte
dann damit für seinen Kleinen einen Kinderwagen zusammen.

„Braucht Ihr was?“ fragte er murrend den eintretenden Musiker.

„Ein Grab,“ antwortete dieser, „mir ist mein Weib gestorben.“

„Ist schon recht, werden es wohl machen. Seid Ihr beim Pfarrer gewest?
Nicht, dann geht jetzt zu ihm. Ich krieg’ nachher meinen Gulden.“

Der Harfenspieler ging zum Pfarrer, der in seinem Garten mit dem Spaten
ein Blumenbeet umstach, und klagte ihm sein schweres Anliegen.

„Sie sind wohl fremd in der hiesigen Gegend?“ fragte der Pfarrer.

„Freilich wohl, Hochwürden, und so wollt’ ich höflich gebeten haben --“

„Es war Euer angetrautes Weib?“

„Mein Gott, ja.“

„Und katholischer Religion?“

„Ja, sonst schon,“ meinte der Alte, „aber wir sind von Preußen in’s
Böhmerland eingewandert und sind dem Glauben unserer Eltern treu
geblieben.“

„Also protestantisch?“

„Evangelisch, ja.“

„Das ist schlimm,“ sagte der Priester, lehnte seinen Spaten an einen
Kirschbaum und ging neben dem Alten her mit verschränkten Armen durch
den Garten.

„Das ist sehr hart, lieber Mann,“ versetzte er dann und blieb stehen,
„ich als Mensch, das mögt Ihr mir glauben, mache keinen Unterschied;
wenn ich Euch dienen kann, ich thue es gern. Aber -- wir in Feichtau
haben keinen evangelischen Friedhof, und Personen von nicht
katholischer Confession auf dem katholischen Kirchhofe zu beerdigen,
ist mir strenge verboten. Eben in dieser Zeit, wo der Kampf zwischen
Kirche und Staat wieder heftig entbrannt ist, hat das Consistorium
die Satzung verschärft und ich als katholischer Priester muß danach
handeln.“

Der alte Mann stand rathlos da. Und fast ebenso rathlos stand der
Pfarrer neben ihm.

„Wenn Ihr heute schon vom Edelwald herauskommt,“ sagte jetzt der
Priester, „so werdet Ihr einer kleinen Stärkung bedürfen. Ich darf Euch
wohl ein Glas Wein vorsetzen?“

„O, vergelt’s Gott!“ rief der Harfner, „wie könnt’ ich trinken, wenn
für mein Weib keine Raststatt ist. Weit und breit kein evangelischer
Friedhof. Soll ich sie denn im Wald vergraben?“

„Und ~wenn~ es darauf ankäme!“ versetzte der Pfarrer, „die Erde
ist überall Gottes. Kann ich zu Eurem Troste kommen und beten? Ich thue
es gern.“

Der alte Mann wankte wortlos davon.

Er ging durch das grüne Thal den Wäldern zu, er stieg über den Berg in
die Schlucht hinab, wo das Haus des Kilian steht. Und als er dort in
die Stube trat, stand er vor einem Heiligthum.

Es war nicht mehr die Zechstube, wie in der vorigen Nacht, wo hier im
Tisch das lange Messer stak und auf dem Fußboden die derben Schuhe
des jungen Paares reigten -- es war anders. An der vorderen Wand der
Stube, von zwei Oellichtlein milde bestrahlt, lag sein Weib aufgebahrt
zwischen Waldblumen und wilden Rosen. Zu Haupten stand ein kleines,
hölzernes Kreuzbild und ein Weihwassergefäß mit einem Sprengzweiglein.
Auf der Brust der Leiche lagen papierne Heiligenbildchen und zwischen
den Fingern stak ein Vergißmeinnichtsträußchen und eine Wachskerze.
Die Stirne war mit einem grünen Lärchenzweig umwunden. Der Körper war
bedeckt mit einem weißen Tuche und zu Füßen der Bahre lehnte die Harfe.

„Susanna,“ sagte der Harfner und legte seine Hände an ihr Haupt, „wie
sie es herzensgut mit Dir meinen. Schau herab vom Himmel auf dieses
Haus. Sie haben Dich zwischen Rosen gelegt -- schau herab.“

Hinter dem Hause war der Köhler beschäftigt, mit Erlstrauchbändern zwei
Stangen zu einer Bahrtrage aneinander zu binden.

Der Harfenspieler fiel ihm um den Hals und weinte.

„Ist recht,“ sagte der Köhler, „weint Euch aus, dann wird Euch
leichter.“

„Eurer Gutheit wegen,“ schluchzte der Musikant, „Eure Gutheit schlägt
mir so an’s Herz. Aber die Tragbahre, lieber Mann, die haben wir nicht
vonnöthen.“

„Den Sarg wird uns der Zimmersepp morgen Früh bringen.“

„Wenn ich bei Kraft wäre, wie ich einstmals bin gewesen,“ sagte der
Harfner, „ich wollt’ mein Weib hernehmen wie ein kleines Kind und sie
so weit tragen, bis ich einen evangelischen Friedhof fände.“

„Seid Ihr ’leicht evangelische Leut?“ fragte der Köhler.

„Gottswegen, ja, und deswegen kann sie der Pfarrer auf dem Feichtauer
Kirchhof nicht begraben.“

Der Kilian stand eine Weile sprachlos da, dann machte er mit der Hand
einen Schlag in die Luft und rief: „Das sind Dummheiten! -- Nein,
Vetter, laßt Euch das nicht anliegen. In unserm Wald hat Euch das
Unglück getroffen, wir Waldleute verlassen Euch nicht. Bleibt jetzt da
und hütet mir das Haus. Ich gehe zu meinen Nachbarn, Euer Weib wird
mit Ehr’ und Lieb’ bestattet werden.“

Der Harfenspieler ging in die Stube, setzte sich an die Bahre und sah
in das blasse, ernste Antlitz seines Weibes. Und er träumte hier bei
den Rosen und Todtenlichtern die liebe Lebenszeit, die er mit ihr
zugebracht....

Der Köhler ging hinan durch den Wald gegen die Hütte des Pechers, und
dann ging er in den hinteren Edelwald zu den Holzarbeitern und ging auf
die Alm zu den Wurzelstechern und Hirten.

Auf seiner Rückkehr unterwegs sah er hinter dem Moosstein im Gebüsche
einen Mann kauern.

„Wer ist es?“ rief Kilian.

Ein unverständliches Gebrumme. Er erkannte den Hans.

„Was machst Du da, Stromer?“ fragte ihn der Köhler.

„Ich,“ murmelte der Andere, „hin werde ich. Es haben mich die Jäger
erschlagen wollen.“

„Und warum haben sie es nicht gethan?“

„Weil ich mich zu früh todt gestellt hab’.“

„Und warum hast Du sie nicht niedergeschossen?“

„Schieß’ nur, schieß’, wenn sie Dir das Brenscheit (Gewehr) stehlen,
während Du den Rehbock ausdärmst! -- Fett ist er, denk’ ich, und heut’
hat’s gerathen. Stehen sie Dir auf einmal da, ihrer Drei, und hauen
mit dem Griesbeil auf’s Messer, bis es entzweispringt. Mit was wehrst
Dich? Kaum daß ich dem Einen noch die Faust in’s Gesicht werfen kann,
fangen die andern Zwei schon an, loszudreschen. Ein Schaft ist in
Scherben gegangen -- da schau Dir die Trümmer an -- bis sie mich zu
Boden gebracht haben. Der Franzinger ist auch dabei gewesen. Halt,
denk’ ich mir, für Dich muß ich mich noch aufheben, und hab’ die Zung’
herausgereckt und mich nicht mehr gerührt. Der steht nimmer auf, haben
sie gesagt, nachher sind sie fort mit meinem Gewehr und dem Thier. Aber
aufsteh’ ich noch! Schau mich an, Kilian, aufsteh’ ich noch, und ehevor
ich noch einmal auf den Erdboden fall’, ehevor fällt ein Anderer!“

Der Wilderer war etwas arg zugerichtet. Er bewegte sich mühsam weiter.
Der Köhler wollte ihn stützen, aber er schlug es trotzig aus; er
brauche keine Krücke.

„So komm’ in mein Haus, wir legen Hasenschmalz auf Deine Wunden.“

Der Verwundete hinkte neben dem Köhler her und knirschte. Plötzlich
rauschte es im Gebüsch. „Wildtauben!“ zischelte der Hans, hob einen
Stein auf und schleuderte ihn in’s Dickicht. Etliche flogen davon,
eine flatterte auf und stürzte wieder zu Boden. Ohne Gewehr hatte der
verwundete Wilderer ein Thier erlegt. Dann schlug er sich mit der Beute
seitab.

Als der Köhler zurück in sein Haus kam, saß der Harfner noch an der
Bahre und sah in das blasse, ernste Antlitz seines Weibes.

Langsam und still verging der Tag. Am Abende, als Agnes vom Walde
heimkam, machte sie auf dem Herd ein lebhaftes Feuer, holte aus den
Schränken Mehl und Fett und begann zu kochen und zu backen. Und in der
Nacht kamen der Pecher und sein Weib im Sonntagsstaate, es kam der
Zimmersepp mit dem Sarge und es kamen andere Leute, wilde, narbige
Bursche, struppige und gutmüthige Greise, Weiber und Kinder. Jedes
kniete, als es in die Stube kam, vor der Bahre nieder und betete still,
dann stand es auf und sprengte mit dem Tannenzweige Weihwasser auf den
Leib der Todten. Dann blickten sie theilnehmend auf den fremden Mann
hin, der im Winkel saß, und Einer oder der Andere suchte ihn mit Worten
zu trösten: man müsse es nehmen, wie es Gott schicke, sterben müßten
wir Alle einmal, Keiner bleibe übrig, und die Abgestorbene hätte es
überstanden, für sie sei es so am besten, sie hätte gewiß nicht viel
Gutes gehabt auf dieser Welt. Gott tröste ihre Seele.

Sie wachten die ganze Nacht, und dann kam Agnes und trug Krapfen auf
den Tisch, und Kilian, der sich heute allen Ruß vom Leibe gewaschen und
in seinen Sonntagsanzug gesteckt hatte, lud die Leute ein, sich an den
Tisch zu setzen und zu essen, wie es Gott gesegne.

Sie setzten sich hin und aßen. Der Harfner blieb in seinem Winkel und
aß nicht.

Nach dem Mahle gab der Köhler Jedem eine Wachskerze in die Hand. Dann
machte er die Thür auf und sie trugen den Sarg herein. Derselbe war aus
neu geschnittenen Brettern gezimmert und zu Haupten lagen Hobelspäne
als Kopfkissen.

Nun kamen Alle zum Sarge heran und besprengten ihn. Dann hoben drei
Männer die Leiche und legten sie hinein. Das geschah, indem Alle
schwiegen. Jetzt trat ein Mütterlein zum Harfner und sagte: „Wollt Ihr
sie noch einmal anschauen, so kommt. Ihr seht sie dann nicht mehr, bis
zum jüngsten Tage.“

Der Greis sank hin über den Sarg. An der Wand schellte die Harfe.

Jetzt erhoben sie ihre Stimme und sangen den Grabgesang:

    „Fahr’ hin, o Seel! zu Deinem Gott,
    Der Dich aus Nichts gestaltet,
    Zu dem, der Dir durch seinen Tod
    Den Himmel offen haltet.

    Fahr’ hin zu dem, der in der Tauf’
    Die Unschuld Dir gegeben;
    Er nehme Dich barmherzig auf
    In jenes bess’re Leben.“

Nach diesem Liede legten sie den Deckel auf den Sarg und nagelten ihn
fest. Da zitterten die Herzen. Es giebt keinen Schall auf Erden, der
das Menschenherz so eigen erschüttert, als der Hammerschlag auf den
Sargnagel.

Agnes legte einen Kranz aus Weißdornzweigen auf den Sarg, dann wurde
er gehoben. Die Menschen hatten ihre Kerzen angezündet und so trat der
Zug nun aus dem Waldhause. Er ging den Weg entlang, der am Waldbache
aufwärts führt. Die Bäume säuselten, auf den kahlen Höhen glühte das
Morgenroth. Voran, hochgehoben, schwankte der Sarg, hinter demselben
ging Kilian, der ein hölzernes Kreuz trug. Dann gingen Agnes und ihr
Baldrian, das bräutliche Paar. Dann folgten alle Anderen und beteten
laut.

Ganz zuletzt ging der Pecher und an seinem Arm, die Harfe schleppend,
der alte Sänger.

So gingen sie aufwärts durch das Gebüsche, zwischen Wildfarrn und
Haidekraut. Und sie gingen am Felshange hin und kamen auf eine stille,
thauige Wiese; sie gingen über graues, moosiges Gestein, sie gingen
über eine klangvolle Höhe und sie gingen durch einen schattigen
Tann. Die Sonne war aufgestiegen und spann ihre goldigen Fäden durch
den grünen Wald. Da war’s, als zittere in der Luft der Klang eines
Glöckleins.

Da sie tiefer in den Hochwald kamen, war kein Sonnenstrahl und die Luft
wehte sehr kühl. Vernehmlicher wurde das weiche Klingen des Glöckleins.
Und endlich in der Wildniß, durch welche nur ein schmaler Steig über
den Berg gegen die Feichtau führt, eingefriedet von Felsen und alten
Bäumen, auf einem Anger stand das Kirchlein des heiligen Hubertus. Es
war aus Holz gezimmert, roth angestrichen und auf seinem Bretterdache
wucherte das Moos. Ueber dem Eingange, aus welchem brennende Lichter
des Altars schimmerten, erhob sich ein Thürmchen und aus diesem klang
es milde und ruhevoll, als klänge es aus der Ewigkeit herüber.

Aus der Ewigkeit mit einem Gruße an die Menschen auf Erden, und
dann wieder in die Ewigkeit verzitternd. -- Am Kirchlein wuchs der
Schlehdorn und die Hagebutte und anderes Gesträuche mit rothen und
weißen Rosen. Daneben war braunes Erdreich aufgeworfen, und hier war
das Grab.

Der Zug stand still und bildete einen weiten Kreis. Die Träger setzten
die Bahre ab, lösten den Sarg von den Stangen los und ließen ihn
langsam hinabgleiten in die Tiefe.

Und als er hinabrollte, sangen sie den Grabgesang:

    „Dein Leib geht jetzt der Erde zu,
    Woher er ist genommen,
    Der Seel’ wünscht man die ewige Ruh’
    Bei Gott und allen Frommen.

    Wann durch des letzten Tages Flamm’
    Die Welt zu Grund’ wird gehen,
    So bitte Gott, daß wir beisamm’
    Zu seiner Rechten stehen.“

-- -- Das Lied verscholl, das Glöcklein schwieg. Der Harfenspieler saß
in tiefer Traurigkeit auf dem Erdhügel.

Die Kerzen loschen aus und nur die blauen Bändchen des Rauches an den
Dochten wehten hin wie Trauerfahnen. Die Erde rollte auf den Sarg;
Kilian nahm den armen Witwer an der Hand und sagte: „Nun wißt Ihr,
wo sie ruhen wird. Ihr werdet mit Eurem Saitenspiel wieder zu frohen
Menschen gehen, Gott giebt Euch auch selber noch manchen heiteren Tag.
So will ich Eins sagen: So lange Einer von Allen, die heute beisammen
sind, im Edelwald lebt, wird dieses Grab in Ehren gehalten werden. Hier
auf den Hügel pflanze ich dieses Kreuz. Der liebe Herr Jesus sei mit
ihr und mit Euch und mit uns Allen.“

So hat er gesprochen, der schlichte, wackere Mann. Dann gingen sie
auseinander nach verschiedenen Richtungen. Der alte Harfner gab Kilian
noch einen Händedruck: „An Deinen Kindern wird’s vergolten -- gewiß,
gewiß!“ Noch einen kurzen Blick auf das Grab -- dann ging er davon, dem
Thale zu, wo die Landstraße war.

An der Kapelle war es wieder still geworden, nur ein leises Lüftchen
wehte, säuselte in den Zweigen und summte in den Saiten der
zerbrochenen Harfe, die an einem Baume lehnen geblieben war.

Gegen Abend desselben Tages kam der Wilderer Hans, schlich hinter die
Kapelle, steckte sein Gewehr zusammen, lud, untersuchte es und lauerte.
Bald darauf schritt den Fußsteig, langsam und gemächlich, der Jäger
Franzinger heran. Er war in schmucker Tracht mit grünem Federhut,
war ausgerüstet mit Waidtasche, Pulverhorn, dem Hirschfänger und dem
Doppelstutzen, der lässig über seiner linken Achsel hing. Jetzt stand
er still und zündete sich eine Pfeife an.

Hans legte den Lauf seiner Büchse an einen Baumast, da er die linke
Hand in der Binde trug, und zielte gegen den Jäger. Dieser hatte eine
kleine Mühe, der Wind löschte ihm immer die Streichhölzchen aus. Nun
griff er zu Schwamm und Feuerstein.

„Mein lieber Franzinger,“ murmelte der Wilderer bei sich, „Dein
Feuermachen ist umsonst, Du mußt jetzt sterben.“ Er tastete mit dem
Finger nach dem Hahn -- da hört er ganz nahe neben sich etwas, wie
Harfenspiel. Hans fuhr zusammen, da fiel das Gewehr auf den Boden und
entlud sich in die Luft. Der Jäger stieß einen Fluch aus, sah den
Wildschützen und verfolgte ihn. Beide verloren sich in den Dickichten
des Waldes.

Nach einigen Tagen, als Baldrian, der junge Meisterknecht, und
seine anmuthsvolle Braut auf ihrem Hochzeitsgange an der Kapelle
vorüberkamen, lehnte am Baume neben dem Grabe noch die Harfe und ein
niederhängender Zweig, der im Windhauche sich bewegte, spielte sacht’
in den Saiten.

Im nächsten Frühjahre wucherte es neu und üppig um die Kapelle und wob
das Grab in ein reiches, dichtes Geranke von immergrünen Blättern. Die
alte Harfe mit den drei zerrissenen Saiten hing im Kirchlein an der
Wand und hängt noch heute dort. Ueber derselben hat Jemand folgende
Inschrift anbringen lassen:

    „Unser Herz ist eine Harfe,
    Eine Harfe mit zwei Saiten.
    In der einen jauchzt die Freude,
    Und der Schmerz weint in der zweiten.
    Und des Schicksals Finger spielen
    Kundig drauf die ew’gen Klänge,
    Heute frohe Hochzeitslieder,
    Morgen dumpfe Grabgesänge.“

Drei Jahre nach dieser Begebenheit hat sich Folgendes zugetragen:

Kam an einem stillen, friedlichen Herbstabende der alte Kilian spät vom
Walde heim in sein Haus, nahm sein Enkelein auf den Arm, herzte es,
küßte es, sah es an und immer wieder an und hatte Wasser in den Augen.
Von diesem Tage an war er ernst und in sich gekehrt, aber noch milder
und gütiger gegen die Seinen als sonst.

So fragte ihn Agnes einmal, warum er nicht mehr so lustig sei wie
sonst, ob ihm was fehle?

„Ich weiß mich gesund,“ sagte der Kilian, „aber einmal wird’s wohl auch
für uns zum Urlaubnehmen sein.“

„Vater, wie kommt Ihr auf solche Gedanken?“

„Ich will Dir’s wohl sagen, Kind. Wie ich das letztemal oben an der
Hubertskapelle vorbeigehe, denke ich, sollst einen Augenblick weilen
und ein Vaterunser beten für Deine Verstorbenen. Und wie ich in der
Kapelle niederkniee -- es dunkelt schon, ’s ist recht still und ich
bin der einzige Mensch weit und breit -- und wie ich bete, da hebt auf
einmal ganz von selber die Harfe an zu spielen. Sie spielt ganz voll,
spielt auch mit den drei zerrissenen Saiten, spielt ein Lied, wie ich
es meiner Tage nicht gehört hab’. -- In Gottesnamen, denke ich, das ist
mein Zeichen. Ich habe nämlich dazumal, wie wir die Harfnerin begraben,
bei mir den Gedanken gehabt: Wenn ich mir für den Christendienst Eins
könnte wünschen, so wäre es das, es möchte mir einige Zeit vor meinem
Sterben eine Weisung zukommen, daß ich nicht so unverhofft fort müßte,
wie die arme Frau. Das Zeichen habe ich vernommen. Jetzt, mein liebes
Kind, weißt Du es.“

Darauf stand es noch an sechs Wochen lang, und der gute Mann war
eingegangen in das Reich, wo die Seligen den Harfenklängen des
gesalbten Sängers David lauschen.

[Illustration]



Felix der Begehrte.

    =Beim Winzer an der Seim,
    Ist der Felix daheim.=


Weinles’jubel im Land!

Sang und Klang, Schwänke und Späße, Springen und Eilen. Die Sonne als
die Festgeberin legt Goldschein über die Gegend; der Himmel hat sein
Sonntagsgewand an, den schönen blauen Mantel, der durchsichtig ist wie
Glas und dennoch die Geheimnisse der Unendlichkeit verdeckt. Wer auch
frägt danach, was oben, so lang’ die Erde Trauben beut!

Alle Schornsteine der Höfe, der Winzerhäuser hingegen plaudern in
bläulichem Athemhauch das Geheimniß des Herdes aus und andere Umstände
lassen vermuthen, daß in den Kellern alle Spundlöcher und Pippen offen
sind.

„Jetzt giebt’s wieder was zu trinken für ein ganzes Jahr!“ so jauchzt
die Welt auf und deswegen das heitere Treiben und der Weinles’jubel im
Lande.

In den Reben der Hügel und Hänge an der Seim ist’s alllebendig.
Weißärmelige Burschen, knappgeschürzte Mädchen mit krummen Messern,
mit Körben und Kübeln schlüpfen herum, schier zu sehen, wie ein
gegenseitiges Verstecken und Fangen in den Büschen. Und die
Dorfmusikanten versuchen in hellen Stößen ihre Trompeten oder
kochen erst ihre heiser gewordenen Clarinetten in Rindsfett aus,
damit diese Pfeifen für den Abend glatte, weiche Stimme kriegen. Und
die Schäker der Gegend sinnen heimlich auf Possen und Schabernack,
sinnen auf Vermuthungen und tolles Gespiel; den Mädchen rieselt schon
das leichtlebige Blut in den Füßen um; -- nimmer mögen sie es von
Astronomen gehört haben, daß Alles in der Welt tanzt und kreist --
es leuchtet ihnen selber ein und sie besonders halten gerne mit, bei
dieser trefflichen Weltordnung.

Die Seim, die aus dem Gebirge und den finsteren Wäldern kommt, thut
weit ihr blaues Auge auf über ein so fröhliches Land. Aber dieses
Völklein schert sich um das schöne klare Wasser nicht -- es hat ja den
Wein.

Hei! Zwei Rößlein traben die Straße von oben heran.

Zwei Rößlein und ein Wagen dran. Der Wagen ist gut lackirt und hat
einen prächtigen Polstersitz für Zweie. Sitzt aber nur Eines drauf.
Thut nichts, der Mensch ist ein bevorzugtes Wesen, kann sich behelfen,
dehnen und breiten, zumal, wenn es die genügende Anzahl gut gestärkter
Röcke am Leibe hat.

Im Wagen sitzt eine wohlbehäbige und doch wieder rührsame Frau und ihr
Angesicht blüht wie eine Pfingstrose im Juli. Wohl, auch im Juli kann
eine solche Rose noch sehr schön sein; ein paar Mückenstiche in den
Blüthenblättern, ein paar Runzelchen, so fein wie ein Spinnwebfaden --
ei, wer wird so genau gucken! -- Goldfarbiges Haar ferner -- ich meine
die Frau im Wagen -- und goldfarbige Brauen über den kecken Aeuglein
sind nicht zu verachten, und der Wohlduft -- ich spreche wieder von der
Rose -- kann im Juli ganz bestrickend sein. Sie hat -- es handelt sich
um die Frau -- ein schwarzseidenes Kopftuch über, aber nicht am Nacken
geknüpft, wie es die Weiber der oberen Gegend tragen, sondern unter dem
runden Kinn leicht zusammengebunden, so daß über der glänzenden Stirne
das Goldhaar und am Halse die Silberkette mit der vornehm gearbeiteten
Schnalle noch zu sehen ist. Ein flammend-rothseidenes Schultertuch mit
fliegenden Fransen geht in Form eines ungeheueren Herzens nieder über
den ausgebreiteten Busen -- ein sinniger Schild vielleicht dessen, was
drinnen lebt und webt. --

Wir würden es zwischen den gestauten Kleidern durch kaum bemerken, daß
die Frau ein Paar sehr feingestickte, aber fingerlose Handschuhe trägt,
wenn sie mit den Händen jetzt nicht auf dem Rücken des alten Kutschers
zu trommeln anfinge: „Sind sie denn gar zu nichts nutz, Deine großen
Ohren! Aber Michel! Michel! hörst! langsam fahren sollst! Das beutelt
Einem ja gottswahrlich die Seel aus dem Leib!“

„Die Seel’?!“ wiederholt der Alte gedehnt, „die Seel’ meinst, Bäuerin?
-- Ja so, geschlachter fahren soll ich.“

Und es ging langsam.

Da konnte die Frau im Wagen die Arbeiten in den Weinbergen bequemer
betrachten. Mancher heiteren Gruppe von Winzern, die nahe der Straße
war, grüßte sie mit leutseligem Kopfnicken zu, und wenn Einer seine
Mütze schwang, winkte sie sogar mit den Händen.

Jetzt kam glatt neben dem Weg und nahe dem schönen Flusse ein Häuschen
mit weißer Mauer und grünen Fensterbalken. Durch die enge Thür eilte
Groß und Klein geschäftig aus und ein, wie Bienen bei ihrem Korb. Mit
Butten und Plutzern gingen die Erwachsenen die Kellerstiege auf und ab
und die Kinder nippten und naschten aus kleinen Töpfchen den trüben,
süßen Most der Traube. Unter einem Dachvorsprung des Häuschens ächzte
der Preßbaum und man hörte das Rieseln des Saftes. Daneben in einer
riesigen Kufe sprang und hüpfte ein Bursche um. Es war ein hübscher
Junge voll Leben und Lust. Das dunkle Gelocke seines munter gehobenen
Hauptes, der helle Blick -- die Farbe des Auges kann für’s erstemal
nicht so genau besehen werden -- die frischen Wangen, der zarte Flaum
an der Oberlippe und die milchweißen Zähne spielten gut zusammen. Nur
mit Hemd und Leinenhose war er bekleidet; das Hemd war bis über die
Ellbogen, das Beinkleid bis über die Kniee aufgeschlagen.

Die schlanke Gestalt paarte Kraft und Geschmeidigkeit in sich, man
sah’s an den kecken und anmuthigen Bewegungen, die der Bursche tanzend
und schwingend in der Kufe ausführte. -- ’s hat aber auch nicht jeder
den Tanzboden so wie dieser Jüngling -- er tanzte auf schwellenden
Trauben und hochauf spritzte bisweilen ein Tropfen zu dem behendigen
Körper.

Aus dem Hause kam ein betagter Mann mit gebeugtem Nacken und grauenden
Locken; „Felix,“ brummte er, „das darf nicht sein!“

Das Hupfen und Springen verwies er dem Burschen. Bedachtsam und
vorsichtig müssen die Trauben zertreten, zerquetscht werden, ehe sie in
die Presse kommen. Das war aber nicht die Sache des lustigen Jungen,
der sich lieber in eitel Wein gebadet hätte, als mit den Zehen träge
die vollen Beeren zu zerdrücken.

An diesem Winzerhäuschen war’s, wo die aus oberen Gegenden
heranfahrende Frau ihre ganze, gar nicht schwache Stimme zusammennahm,
um dem Kutscher zu bedeuten, er möge die Pferde anhalten. Erst hatte
sie dem Keltern und besonders dem Traubentreter mit Wohlgefallen
zugesehen, war dann mit Hilfe des alten Michel aus dem Wagen
gestiegen, hatte freundliche Worte an die Kinder gerichtet und war
hernach rauschend in das Haus getreten.

„Wie heißt’s bei Euch?“ hatte sie gefragt.

„Im unteren Viertel.“

„Das weiß ich gleichwohl,“ sagte sie, „das ist die Gegend; wie es da
bei Eurem Hause heißt, möchte ich wissen.“

„Beim Froschreiter,“ war die Antwort.

„Beim Froschreiter? Aber na, das ist schon gar!“ kicherte sie, „na,
macht nichts. Ich höre, der Froschreiter hätt’ Wein zu verkaufen.“

„So!“ versetzte der Alte mit dem gebeugten Nacken, „da hört die Frau
nicht gut. Ich kann keinen Wein verkaufen.“

„Warum denn nicht?“

„Weil ich keinen habe.“

„Ich höre aber doch dort unter der Presse den Brunnen rinnen.“

„Den höre ich auch,“ sagte der Alte, „’s ist der Wein meines Herrn in
Zollau.“

„Wer ist denn Euer Herr?“

„Der Herr Baron, der auf dem Schlosse wohnt.“

„Ist schön,“ versetzte die Frau, „und da am Flusse habt Ihr für den
Most das Wasser nicht weit zu holen.“

„Diesen Spaß haben mir schon Viele gesagt“, entgegnete der Winzer, „wer
meint, daß man ohne Wasser Wein machen sollt’, der weiß nichts.“

„Aber schade, daß der Wein nicht Euer ist,“ sagte sie im Tone des
Bedauerns.

„Gehört halt dem Herrn Baron,“ antwortete der Alte.

„Ei, und die vielen herzigen Kinder hier!“

„Gehören mir.“

„Gehören Euch; wie viel sind ihrer denn?“

„Du, Franz!“ rief der Winzer hinaus, „bring’ der Frau einen Stuhl zum
Sitzen. Guido, schieb’ dieweilen die Kellerthür vor, daß die Kleine
nicht hinabrutscht. Und Du, Bärbel, sag’s der Hanne, sie soll gehen
das Fritzel locken, es schreit ja wie ein Zahnbrecher; der Anton hat’s
wachgejohlt mit seinem lauten Maul. -- Wie viel ihrer sind?“ -- Er
zählte die Namen an den Fingern ab. „Daheim hab’ ich bislang nur achte.
Die anderen sind im Dienst herum.“

„Segen Gottes!“ lachte die fremde Frau.

„Und Jedes hat ein Schock gesunder Zähne! Das muß man nehmen. Und jeder
Zahn will was zu beißen haben.“

„Der da draußen,“ fuhr die Frau fort und ließ sich knisternd auf den
gebotenen Sitz nieder, „der da in der Kufe, ist das auch Euer Sohn?“

„Denk wohl,“ antwortete der Winzer.

„Ein netter Bursch’.“

„In soweit just nit übel. Werden ihn bald einspannen jetzt.“

„Einspannen? Wieso?“

„Auf’s Jahr ist er bei der Stellung (Assentirung),“ murmelte der Alte,
und nach einer Weile setzte er bei: „Den räumen sie mir.“

Die Frau verstand wohl den Ausdruck, entgegnete aber nichts darauf,
sondern sagte zu einem der kleinen Mädchen: „Wie heißest Du? Bärble
heißt -- schau, da hast einen Groschen. Und willst mir dem Fuhrmann da
draußen sagen gehen, er sollt’ die Rösser in den Schatten führen und
ihnen Heu geben. Mußt ihm’s aber recht in’s Ohr schreien -- verstehst!“
Dann zum alten Froschreiter: „Na, ich hätt’ doch gemeint, Ihr gäbet der
Ländhoferin vom oberen Viertel ein Fäßlein Heurigen.“

Jetzt lugte der Alte die Frau eine Weile an, kraute dann in seinen
dünnen Haaren: „Und das wäre die Ländhoferin? Die groß’ Bäuerin von der
grünen Länd? Ist mir eine rechte Ehr’, das.“

„Freilich,“ sagte die Frau und fühlte sich recht behaglich im Stübchen,
„bin die Bäuerin von der Länd’, fahr’ Wein kaufen aus; wisset, im
Haus braucht man für’s Jahr so sein Tröpfel. Seit mein Alter -- Gott
tröst’ seine Seel’ -- todt ist, muß ich halt selber fahren. ’s ist viel
Gescher für eine Frau.“

Von der Küche kam die Winzerin herein, sie breitete für das Mittagsmahl
eine blaue Schürze über den Tisch. „’s ist gar zum schämen,“ murmelte
sie für sich, aber so laut, daß es die Fremde wohl hören konnte, „hell
zum schämen -- das Tischtuch liegt im Waschtrog.“

„Nein,“ erinnerte der kleine Anton treuherzig, „Mutter, in’s Tischtuch
hast Du ja den Fritzel eingewickelt!“

Eine große Schüssel mit dampfenden Erdäpfeln kam auf den Tisch; da
polterte schon zu allen Löchern der Kinderschwarm herein. Unter diesen
in Holzschuhen jetzt, aber immer noch mit aufgestrecktem Beinkleid der
lustige Traubentreter, der Felix. Er bot der Frau kurz einen guten Tag
und wollte sich des Weiteren nicht um sie kümmern, aber der Alte sagte:
„Du, das ist die Ländhoferin. Dem Bärbel hat sie schon Geld gegeben.“

Da lächelte der Bursche ein wenig gegen die Frau hin und das war die
ganze Ehrenbezeigung.

„Meinetweg’, Leut’, setzt Euch nur zusamm’, wie’s bei Euch der Brauch,
und esset!“ rief leutselig die Großbäuerin und blickte mit wachsendem
Wohlgefallen auf den jungen Mann, Felix geheißen, der jetzt in seiner
feinen und kecken Gestalt mitten unter den Kleinen stand und das
Tischgebet sprach. War ihm leicht anzusehen, daß er dabei an alles
Andere eher denken mochte, als an den Sinn des Gebetes. Auch schnitt er
während des Gemurmels Schwarzbrot auf, vertheilte die Beinlöffel und
zog einigen Erdäpfeln die Haut ab.

„Wart’ nur, Du!“ verwies ihn hernach seine Mutter, die Winzerin, „hast
zum Beten nicht Zeit zur rechten Stund’, so wird der Herrgott auch
nicht Zeit haben, wenn Du ihn brauchst!“

Felix saß schon am Tische und schlug seine Erdäpfel mit der Faust zu
Trümmern, daß sie gehörig ausdampfen konnten.

„Wenn wir halt unsere Einladung machen dürften!“ sagte der alte Winzer
und schob einen Löffel gegen die Großbäuerin, „viel haben wir nicht
aufzuwarten, aber ein warmer Bissen ist gut für einen Reisenden.“

Die Ländhoferin nahm die Einladung an.

„Ruck’, Felix, daß sie Platz hat!“ gebot der Alte.

Da rückte der Bursche in den Tischwinkel hinein, die Bäuerin setzte
sich an seine Stelle und lachte: „Das ist mir schon recht, ist die Bank
noch warm, krieg’ ich Deine Kraft.“

Auf dieses Sprichwort lachten sie Alle und die Kinder wurden bald
bekannt mit den Seidenfransen der Gastin.

Nach den Kartoffeln und einem Suppengerichte kam gebratenes Fleisch
mit Kreenmus. Da machten sie einmal Augen und Mund auf; und selbst dem
Alten zuckten die dürren Finger nach der Gabel, doch war er so höflich,
der Großbäuerin den Vortritt zu lassen.

Als dann jedes sein Stück Braten auf dem Teller kleinschneiden wollte,
war nur ein einzig Messer bei Tisch; dieses -- das Brotschneidmesser
-- machte die Runde. Den Kindern wurde beim Zuwarten die Zeit zu lang
und sie zerrissen ihre Stücke mit den Zähnen. Der Felix klappte sein
Taschenmesser auf und machte des Weiteren nicht viel Umstände mit dem
Schweinernen, das heute vom Zollauer Schloß gekommen war.

„Na, schmeckt’s?“ fragte die Ländhoferin ihren Beisitzer.

Dieser gab die Antwort durch die That; ’s ist nicht Schwätzenszeit, ’s
ist Essenszeit -- so aß er.

„Alle Jahre vier- oder fünfmal, daß wir Fleisch essen,“ bemerkte der
Alte.

„Wirst jeden Tag Dein Stück haben, bei den Soldaten,“ meinte die große
Bäuerin und sah auf den Burschen hin.

„Brauch’ es nicht,“ war die Antwort.

„Das glaub’ ich schon,“ sagte sie, „Soldatenfleisch wär’ auch mein
letztes.“

„’s wird Keinem darnach lüsten.“

„Eine harte Sach’, Soldatenleben,“ versetzte die Großbäuerin,
„auskaufen!“

„Ja -- ha -- ha!“ lachte der Alte auf, „mit Haselnussen.“

„Oder auf Haus und Hof heiraten,“ schlug die Ländhoferin vor.

Diese Geschichte trug sich nämlich noch zur Zeit der alten Einrichtung
zu, unter welcher der Jüngling durch Erlegung einer gewissen Geldsumme,
oder durch den Besitz eines steuerbaren Hofes vom Wehrdienste
entpflichtet werden konnte.

Als vom Heiraten die Rede war, nagte Felix mit seinen frischen Zähnen
an einem Knochen, daß es scharrte.

„Schade,“ sagte die Großbäuerin fröhlich lachend, „wär’ ich ein etlich
Jährchen älter, thät’ Dich gleich zum Sohne annehmen, Felix, und Dir
den Ländhof verschreiben. Hab’ ohnedies kein Kind.“

„Na, wär’ gut gemeint,“ versetzte der alte Froschreiter.

„Bedank’ Dich, Bub’,“ mahnte die Mutter.

„Was bedanken, wenn die Ländhoferin noch zu jung ist,“ murmelte der
Bursche in seinen Knochen hinein.

Dieses Wort schien auf die Großbäuerin einen durchaus angenehmen
Eindruck zu machen.

„Freilich,“ sagte sie, „was ich zu jung bin zur Mutter, bist Du zu alt
zum Kind. Da wollt’ ’leicht der Sohn heiraten und die Mutter möcht’
etwan auch noch Hausfrau sein -- wie das schon geht.“

Der kleine Anton, der bisher, mit hellen Aeuglein lugend, ernsthaft
dem Gespräche zugehört hatte, machte nun plötzlich den noch von
Schweinsfett glänzenden Mund auf und that den Vorschlag: „So sollen die
Ländhoferin und der Felix zusammenheiraten.“

Ein überlauter Auflacher, ein Rippenstoß von Seite der Mutter dem
kleinen Antragsteller -- dann Alles still.

Der kleine Anton war hoch erröthet. Seinem älteren Bruder, dem Felix,
ging’s nicht besser; der saugte mit aller Macht aus seinem Knochen das
Mark. Dann wischte er die Finger an dem Schürzentischtuch, den Mund
am Hemdärmel ab und noch vor dem Dankgebet ging er hinaus zu seinen
Trauben.

Er war ärgerlich. Er hatte sich so lange schon auf den heutigen Braten
gefreut -- und nun ist es sehr ungemüthlich dabei zugegangen.

Die Kinder waren auch bald davon. Die Großbäuerin jedoch war, da sie
gerade so bequem saß, bei dem alten Froschreiter noch am Tische sitzen
geblieben.

„Na, wahrlich, ich bin sonst nicht so,“ sprach sie, „aber da bei
Euch ist mir schon ganz heimisch geworden. Ihr lebt recht zufrieden
mitsammen.“

„Dasselb’ wohl, dasselb’,“ versetzte der Alte, „aber halt die Sorgen,
die Sorgen. Alleweil schickt mir der Herr Baron keinen Braten,
Ländhoferin, das ist nur zur Weinles’. Sind froh bei unseren Erdäpfeln
und beim Kukuruzbrot, ei ja wohl, sind häufig froh dabei! Wär’ nur
~das~ fort genug, Ländhoferin, wär’ nur das genug!“

„Na, im Spaß und im Ernst,“ sagte jetzt die Bäuerin, „Winzer, gebt
mir den Felix auf meinen Hof. Mit dem Dienstvolk ist’s ein Kreuz; man
braucht Einen, auf den man sich verlassen kann.“

„Wär’ schon recht,“ wendete der Alte ein, „aber die Ländhoferin kann ja
nicht wissen, ob auf meinen Buben auch ein Verlaß’ ist.“

„Ei ja,“ versetzte sie lebhaft, „das merkt man Einem gleich an.“

„Und nachher --“ sagte der Froschreiter kleinlaut, „nachher hätt’
ich noch erst den Großen weg, der mir ohnehin auch daheim sein Essen
verdient. Und auf’s Jahr zur Stellung müßt’ ihn die Ländhoferin doch
wieder fortlassen.“

„Davon red’ ich ja,“ rief sie, „und deswegen geht er auf den Hof,
daß er nicht zu den Soldaten müßt’, das bring’ ich zuweg; wisset,
Froschreiter, Unsereins weiß da schon aus.“

„Ja!“ seufzte der Winzer wie erleichtert auf, „da thät der Bub’
freilich sein Glück machen!“

„Thut Euch’s überlegen,“ sagte die Großbäuerin, „ich fahr’ heut’ nach
Zollau hinaus und vielleicht noch weiter in’s untere Viertel hinein,
bin dort daheim und will was Rechtes suchen. Wisset, Froschreiter, in
meinem Hause muß fort ein guter Tropfen sein. Ah na, abgehen lassen
wir uns nichts auf der Länd’, das hat’s bei mir nicht noth. -- Nu, in
ein paar Tagen mag ich von unten zurück sein, da frag’ ich bei Euch zu
und der Felix kunnt gleich mitfahren. Thut Euch’s überlegen.“

Als sie dann ging, reichte sie jedem von den Kleinen, die sich
herandrängten, um ihr nach der Eltern Weisung die Hand zu küssen, eine
Kupfermünze. Nur der kleine Anton nahm wahr, daß sein Geschenk ein
glänzendes Silbergröschlein war.

„Der Felix, der kriegt nichts, weil er so stolz ist!“ rief sie gegen
die Kufe hin. Das Lächeln aber, mit dem sie die Worte sprach, schätzt
der Erzähler dieser Ereignisse gut über einen Silbergroschen.

Der alte Michel hatte sich, nachdem er den Pferden das Ihre gegeben --
unter einem Birnbaum an drei großen Aepfeln und einer Traube geatzt,
die ihm vom Felix zugekommen waren.

Als er mit seiner Herrin wieder auf dem Wagen saß und die Pferde
fröhlich hintrabten, wendete er sich auf dem Bock nach rückwärts und
sagte:

„Das ist ein recht kamod’s Bürschel, der Traubentreter.“

„Gelt, Michel!“ rief die Großbäuerin leuchtenden Auges, „was meinst,
wenn wir statt jungem Wein einen jungen Winzer mit auf den Ländhof
brächten!“

„Jungen, sagst?“ entgegnete der Kutscher unsicher, „ist damit um diese
Zeit noch nichts anzufangen; zersprengt die Fässer.“

Die Bäuerin lachte; der schwerhörige Fuhrmann hatte sie wieder einmal
mißverstanden.


    Wagen und Weib eilen davon;
    Mit ihnen der Sohn.

Unter dem Birnbaum, auf dem Rasen, wo zur Mittagszeit der alte Michel
geruht hatte, saß am Abend der hohe Rath des Froschreiterhauses.

Der Felix hatte sich schon einen gewaltigen schafwollenen Schnurrbart
zubereitet gehabt, gesinnt, denselben an diesem Abende an seine
Oberlippe zu kleben, sich dergestalt bei den Weinlesefesten der
Nachbarschaft einzufinden und den schönsten Mädchen der Gegend beim
Tanze keck das Ding an die Wangen zu reiben. Nun überließ er den
bereits scharf gewichsten Bart dem kleinen Anton, der sich damit sofort
auch ein ganz martialisches Aussehen beilegte.

Felix hatte an Anderes zu denken. Lag er denn unter dem Birnbaum auf
dem Bauch, stützte die Ellbogen in den Erdboden und sein Haupt auf die
Fäuste und starrte in’s Gras hinein.

„Sollten es uns überlegen,“ meinte der Alte, welcher ebenfalls auf
dem Rasen lag und seinen krummen Nacken streckte, „sollten es uns
überlegen, hat sie gesagt.“

„Hab’ nichts zu überlegen,“ antwortete Felix, „ich fahr’ mit auf die
Länd’!“

Da brach die Mutter in Schluchzen aus. „Jetzt verlangst auf einmal weg.
Sag’ es, Felix, was Dir daheim nicht recht ist.“

Auf dieses Wort kugelte sich der Bursche über und sagte: „So nicht,
Mutter, so müßt Ihr Euch nicht denken. Mich gefreut’s ja daheim, aber
wenn man sich’s besser machen kann -- Jeder thut’s.“

„Und wenn sie ihn vom Soldatenleben sicher macht,“ versetzte der
Froschreiter, „das wär’ ja ein ewiges Glück!“

„Ja freilich wär’ das ein Glück,“ gab die Mutter bei und trocknete mit
der Schürze die Augen.

„Mutter,“ rief der kleine Anton jetzt, „das ist so ein Räthsel: geht er
fort, so bleibt er daheim, und bleibt er daheim, so muß er fort, was
ist das? Das ist der Felix.“

„Du Schlingel, Du kleiner,“ schmunzelte der Vater. „Du mußt schon ein
Doctor werden. Dann muß aber der Schnurrbart weg. Den Schnurrbart
lassen sich nur die Starken stehen, die Gescheidten den Backenbart.“

„Und wie weit wird’s denn sein bis auf die grüne Länd’?“ warf Felix
ein, „in Einem Tag kommt ein guter Geher leicht hin und zurück.“

„Du nicht, Du kommst mir nicht in Einem Tag zurück!“ schluchzte die
Mutter.

„Aber zu den heiligen Zeiten kann ich doch heimgehen. Das will ich mir
ausdingen.“

Und als der Vollmond aufging über den Weinbergen und als in der Seim
das Zickzack seines Widerscheins zitterte, war es beschlossen unter dem
Birnbaum: der Felix geht mit der Großbäuerin auf die grüne Länd’.

Der kleine Anton drehte zur Feier dieses Beschlusses den schafwollenen
Schnurrbart auf.

„Wenn’s nur nicht gefehlt ist!“ sagte des anderen Tages die
Froschreiterin, „mich deucht allerweil, es soll nicht sein.“

„Geh, geh,“ rief der Alte, „Ihr Weiber habt fortweg so Flausen. -- Auch
mir geschieht nicht leicht, daß ich den Buben weggeb’; ja, wenn sich
Eins immer nachgeben wollt! -- Junge Leute müssen hinaus in die Welt,
müssen was probiren. Das leidig’ Soldatenleben nehm’ ich aus, aber das
muß ich sagen: wär’ ich weiter gekommen, als vom Tisch bis zum Ofen,
’leicht ging’s mir besser. -- Und die Ländhoferin,“ setzte er bei,
„die Großbäuerin, scheint mir, ist eine brave, respectirliche Frau.“

Einen Tag später trabten die zwei Rößlein wieder heran und -- einen
Stich im Herzen gab’s dem Burschen -- er glaubte schon, der Wagen
wollte nicht halten. Der Wagen hielt aber. Die Großbäuerin stieg aus
und that noch freundlicher gegen Alle und sie war in ihrer Rührsamkeit
und Heiterkeit fast jung.

An den rothgeweinten Augen der Mutter sah sie’s gleich: der Felix geht
mit ihr. Sofort machte sich die Ländhoferin an das betrübte Weib und
sprach über die Kinder, über den Garten, über die Hühner und Alles,
woran eine rechte Hauswirthin Freude hat. Da wurde die Froschreiterin
ganz zutraulich und band unter neuerlichem Schluchzen ihren Aeltesten,
ihren liebsten Buben, der Großbäuerin recht an’s Herz....

Und nach einer Weile kam der Felix aus seiner Dachkammer
herabgestiegen. Der Felix im Staate! Die Tuchkleider waren just
nicht zu geschlacht, aber nett und nach gutem Geschmacke geformt.
Alles hübsch schlicht, nur das hellrothe Halstuch flatterte vor dem
breitüberschlagenen Hemdkragen wie ein keckes Kirchweih-Doppelfähnchen.
Der Hut war etwas in die Stirne gedrückt, nur ließ er noch die beiden
Haarbüschel sehen, die an den Schläfen herunterstanden.

Eines der kleinen Mädchen bringt einen Strauß von Rosmarin und
Vergißmeinnicht: „Felix, den Wanderbuschen geb’ ich Dir mit!“ Jedes
will dem scheidenden Bruder etwas geben; der kleine Anton nur sagt:
„Felix, ich habe gar nichts als das schwarze Lämmchen, aber das gehört
dem Vater.“

Die Mutter hatte das Bündel gebunden -- es war nicht groß.

„Das macht nichts,“ sagte die Ländhoferin, „auf meinem Hof wird ihm
nichts abgehen. -- Kannst das auch noch daheim lassen, Felix, meinetweg
gar Deinen Rock. Der liebe Gott -- hat mein Vater fort gesagt -- schaut
nicht auf die Kleider, schaut nur auf’s Herz. Der Ländhof macht’s auch
so.“

Wird wohl rechtschaffen gut auszukommen sein mit der Bäuerin, dachte
sich der alte Froschreiter.

„Bleib mir nur brav, Bub’,“ sagte er, „und mach’ uns und Deiner
Dienstfrau keine Schand’. Thu’ fleißig arbeiten und kriegst was, so sei
dankbar und allerweil sparsam. Denk’ auf den Bettelstab, Felix!“

„Was nicht noch!“ rief die Bäuerin, „Bettelstäbe wachsen nicht auf der
grünen Länd’.“

„Und vergiß nicht auf’s Beten,“ fiel die Mutter ein, „da hast einen
Rosenkranz mit, ist noch von meiner Mutter selig.“

„Ja, ja, Samstags -- Samstags wird auf dem Ländhof Rosenkranz gebetet,“
unterbrach die Großbäuerin ein bischen gereizt, „und zur Christenlehr’
kann er Sonntags gehen.“

Dann setzten sie sich zu einem kleinen Mahle. Aber es wurde nicht viel
gegessen.

Der eigentliche Abschied war kurz. Die Ländhoferin hatte plötzlich
anspannen lassen und die Pferde waren ungeduldig. Noch hatte die
Bäuerin der Winzerin ein Papier in die Hand gedrückt: „Seh’, seh’,
nicht fallen lassen!“ noch hatte sie dem Froschreiter versichert: „Wird
Euch nicht reuen, daß er mitgeht, wird Euch nicht reuen!“ Dann saß sie
mit Felix schon auf dem Wagen.

Einen Händedruck dem Sohne, noch ein väterliches Wort -- und das Zeug
rasselte davon.

Der Bursche winkte mit der Hand, mit dem Hut noch zurück, die Eltern
und Geschwister winkten, weinten ihm nach. Da war der Wagen auch
schon um die Reide und sie sahen von dem Gefährte nichts mehr als den
aufgewirbelten Staub.

Nach einer Weile, da es im Winzerhäuschen wieder still geworden und
Jegliches bei seiner Beschäftigung war, nur die eine Lücke, wo der
älteste Sohn gewaltet, unausgefüllt -- stand die Winzerin am Herd,
um die Pfanne auszuscheuern, in der sie vorhin das Abschiedsmahl
gekocht hatte. Sie hielt noch das Papier in der Hand, welches ihr die
Ländhoferin zugesteckt. Sie entfaltete es -- eine Geldnote. Da war ihr
zu Muth, als hätte sie ihr Kind verkauft. Rüstige Arbeit half ihr über
den argen Gedanken hinweg. Plötzlich hielt sie ein und sagte laut zu
sich selber: „Na, Jesu Christi, vergessen hab’ ich doch was. Eins hätt’
ich ihm noch sagen mögen. -- -- Es ist ein gutherziger Bub. Mein Gott,
das Kinderweggeben thut weh. Und man kennt die Leut’ nicht --“

„Mutter,“ sagte der kleine Anton, der ihr heute fortweg an der
Kittelfalte hing, „Mutter, der Felix wehrt sich schon, wenn es gilt,
o, der ist stark! Ich hab’s gesehen, es wachst ihm schon ein wenig der
Schnurrbart.“

Sie küßte den Knaben -- ei ja, sie hatte noch liebe Kinder daheim.


    Wie traben so lustig die Rösselein,
    Mein Junge, mußt nicht so blöde sein!

Und wie ging’s auf dem Wagen zu?

„So, mein lieber Unterviertler,“ sagte die Ländhoferin zu Felix, „jetzt
sitzen wir Zwei beisammen. Mach’ Dich nur bequem. Wir haben eigentlich
noch gar nichts miteinander gesprochen.“

„Ich schwätz’ nicht gern viel,“ gab der Bursche zur Antwort, „mir wird
die Zeit lang werden, bis wir auf die Länd’ kommen.“

„Geh!“ rief die Großbäuerin, „das ist nicht fein. So ein properer
junger Mann muß sich die Zeit überall zu vertreiben wissen.“

„Wenn ich’s gerad’ sagen wollt’,“ versetzte Felix nach einer Weile, „am
liebsten wär’ mir’s schon, ich dürft’ da vorn beim Kutscher sitzen.“

„Auf des Michel’s Schoß ’leicht, Du Lapp!“ lachte das Weib ärgerlich,
„siehst doch, daß sonst kein Platz ist.“

„So kann sich der Michel zur Ländhoferin setzen und ich kutschir’.
Versteh auch was bei den Rössern.“

„So! Dann will ich Dich auf dem Hofe zu den Pferden stellen, Felix --
ei, der Kukuk hinein, jetzt muß ich Dir gleich was sagen. ~Felix~,
der gefällt mir, ist ein schöner Name, aber den Froschreiter laß’ im
Unterviertel. Auf der grünen Länd’ giebt’s keine Frösche, da reitet man
auf hohem Roß -- verstehst?“

Für’s Erste ist ihr mein Name nicht recht, dachte sich der Bursche, es
mag ein schwerer Dienst werden.

„Na, so strecke doch einmal die Beine ordentlich aus, Felix,“ rief die
Bäuerin, „Du hockst ja da wie eine Eichkatz’.“

Da dehnte sich der Bursche und rieb dabei unversehens an ihren
bauschigen Kleidern.

„Das macht nichts,“ bedeutete die Bäuerin, „das wird Alles wieder
gebügelt.“

Gar nicht zu bestreiten, die Ländhoferin ist eine leutselige Frau.
Haben bislang noch lauter Schönes von ihr vernommen. Sie ist in den
besten Jahren, hat eine große Wirthschaft auf der Länd’ und will dem
jungen kerngesunden Burschen über das Soldatenleben hinweghelfen.

Felix, da magst Du Dir bisweilen schon Einiges gefallen lassen. Und
Deine Herrin ist sie jetzt! Darum, so oft sie’s haben wollte, rückte
er, streckte sich und gab nicht Acht auf ihr Kleid.

„Und meinst, ich bin nicht auch von unten herauf?“ sagte die Bäuerin
plötzlich, „Felix, so wie ich Dich heute auf dieser Straße in’s obere
Viertel fahre, so hat mich vor elf Jahren -- was sag’ ich denn, es ist
nicht so lang’ -- der alte Ländhofer auf dieser Straßen heimgeführt.
Ist Witwer gewesen -- ein rechter Hascher. In Weißenbach unten, da
bin ich daheim, und da ist er einmal im Pferdehandel hingekommen und
hat mich kennen gelernt. Bin nicht reich gewesen von Heim aus, Felix,
hätt’ aber der Liebhaber genug gefunden. Aus reiner Barmherzigkeit, das
kann ich wohl sagen, bin ich mit dem Großbauer gefahren und hab’ ihn
geheiratet. Wenn’s Dich zu stark schüttelt, so halt’ Dich mit der Hand
an dem eisernen Ring; der ist dazu da.“

Fand’s nicht praktisch, der Bursche, der eiserne Ring war so, daß er,
um denselben zu fassen, seinen Arm über die Schultern der Beisitzerin
hätte legen müssen.

„Finde es,“ fuhr sie fort, „bei einer Heirat gar nicht einmal nöthig,
daß der Mann älter ist als die Frau; ich weiß Fälle, wo es gerade
umgekehrt war und doch die beste Ehe ist gewesen. Ja -- und daß ich’s
erzähl’, mein Mann ist Dir um vierunddreißig Jahr’ älter gewesen als
ich; wie ich’s gesagt: aus reiner Barmherzigkeit hab’ ich ihn gepflegt.
Vor etlichen Monaten erst ist er gestorben -- tröst’ Gott sein’
Seel’. Ich hab’ groß’ Haus und Hof am Hals und dazu ist sich oft die
tüchtigste Frau völlig zu wenig. Was hast denn Du für eine Schramme an
Deinem Finger?“ Sie faßte prüfend seine Hand.

„Im Auswärts beim Rebenschneiden ist das Messer hineingesprungen,“
berichtete der Winzerssohn. Sie ließ aber die Hand nicht mehr los,
tändelte mit derselben und fuhr fort zu reden: „Mein Gott, man wehrt
sich lang’, aber das Haus muß einen Herrn haben, man kann’s wenden wie
man will. Die Mannsleut’ im oberen Viertel, das kannst mir glauben, ich
hab’ meine Noth, wie sie sich bei mir einspinnen wollen. Aber ich hab’
kein Zusammensehen mit ihnen; sind lauter so ungeschlachte, langweilige
Gesellen und hätten bei den Nachbarleuten auch nicht den Respect, den
ein Ländhofer wohl haben muß. Ich will einen aus dem Weinland, von wo
ich selber bin. Rauchst Du nicht Tabak, Felix?“

„Wüßt’ nicht warum,“ versetzte der Bursche.

„Sonst hätt’ ich Dir gern eine silberbeschlagene Pfeife von meinem
Seligen spendirt zum Andenken. Lieber Gott, ich kann ihn hart
vergessen; ist ein gutes altes Kind gewesen. Das aber sag’ ich, nach
einem Reichen und Vornehmen lug’ ich nicht; g’rad zu alt darf er mir
nicht sein und frisches Blut muß er haben, daß eine Schneid’ in’s Haus
kommt.“

Jetzt machte Felix große Augen. -- „Die heiratet mich!“ -- Just, daß
er’s nicht laut hinausrief in den Herbstnachmittag. Und daran spann er
folgende Gedanken: Wenn sie mich heiratet, dann ist’s freilich aus mit
dem Soldatenleben, dann bin ich der Ländhofer, der reiche Ländhofer,
und kann mir gut geschehen lassen und kann meine Eltern in’s Haus
nehmen und die Geschwister versorgen und den kleinen Anton studiren
lassen. Das macht sich ja fein -- „juch!“

Er jauchzte wirklich laut auf, der gute Junge, und er glaubte, nun wäre
er mit sich und Allem in Richtigkeit.

„Das ist recht!“ rief die Bäuerin nach seinem Juchschrei, „nur lustig
wohlauf und keck d’ran, mein lieber Landsmann! jungen Männern gehört
die Weltkugel und der Sack dazu. Ich bitt’ Dich, Felix, jetzt ist mir
die Haarnadel in den Nacken gerutscht!“

Das war nun eine heikle Sache; je mehr der Bursche ihr seidenes
Halstuch lockerte, desto tiefer rollte das Drahthäkchen hinab und
schließlich verschwand es in den Tiefen. Blieb demnach diese Aufgabe
einstweilen ungelöst und deß’ schämte sich Felix insgeheim. Ihm, dem
die Weltkugel gehört, soll eine Haarnadel entgehen?

Zwecklos ist nichts auf der Welt; zwecklos war auch dieser kleine
Zwischenfall nicht gewesen. Als Felix’ Finger den Nacken der Bäuerin
berührte, hatte diese ein Gefühl, das sie höher anschlug, als die
hinabgeglittene Nadel.

Für die Gegend, die sie durchfuhren, können wir unter solchen Umständen
kein Auge haben. Im Allgemeinen nahm die Landschaft allmählich einen
ernsteren Charakter an; das Hügelgelände wurde zum Bergland, die Wein-
und Obstgärten verschwanden, die Nadelwälder begannen. Zur Linken
hatten die Reisenden ein sich allgemach höher bauendes Gebirge, über
dessen Häuptern schon die Abendnebel des Herbstes lagen. Zur Rechten
war stets der schöne Fluß mit den grünen oder felsigen Ufern. Hie und
da stand ein Dorf; die Einzelnhöfe wurden immer seltener.

„Schau, dort ist wieder einmal ein Wirthshaus,“ sagte Felix plötzlich.

„Da im Wagen auch,“ entgegnete die Großbäuerin und zog einen
gutgeräucherten Schinken und einen erdenen Plutzer hervor. Sie aßen
vom Geräucherten und sie tranken Beide aus dem Plutzer. Trank sie, so
hielt er ihr das Gefäß zurecht; sie erwies ihm denselben Dienst, nur
hielt sie den Krug stets so, daß dem Burschen jedesmal viel mehr durch
die Gurgel rann, als er eigentlich beansprucht hätte. Es wäre ihm aber
ein Trunk auf bequemer Wirthsbank lieber gewesen. Nichtsdestoweniger
fand er sich aufgelegt zum Singen und jetzt hielt er sich auch wacker
am Eisenring, der jenseits seiner Genossin an der Wagenwand angebracht
war. Das Weib hinwiederum war genöthigt, sich an dem Burschen
festzuhalten, denn das Schütteln des Wagens wurde auf der Bergstraße
immer ärger.

So weit kam’s, daß der gutmüthige Winzerssohn die Worte sagte: „Ich
krieg’ keinen Athem mehr, Bäuerin!“

Als ob es ihr viel besser ergangen wäre! Ein arges Fieber war in ihr,
ein Zucken in den Gliedern, ein Pochen im Herzen.

Die Erdenwege sind so herbe; der arme Pilger muß leiden und entbehren,
kein Mensch kann’s glauben, was mitunter Eins in den Dreißigern
aussteht!

Zum Glücke waren sie, als die Sonne unterging, auf der letzten Anhöhe.
Da rief die Großbäuerin dem alten Michel „Halt!“ zu und raffte sich
zusammen.

„So, Felix,“ sagte sie, „jetzt schau einmal hinab in dieses Thal, das
ist die grüne Länd.“

„Wie heißt denn das Dorf dort mitten in den Bäumen?“ fragte der Bursche.

„Ein Dorf, meinst Du?“ lächelte die Bäuerin, „mein Lieber, das ist kein
Dorf. Die Gebäude gehören alle zusammen, es ist der Ländhof!“

„Der ist groß!“ rief Felix aus.

„Ich denk’, wir werden Platz darin haben. Nicht wahr? Na, gelt!“

„Der ist groß!“ wiederholte Felix, „da kenn’ ich mich rein gar nicht
aus.“

„Nu, paß’ einmal auf, Junge,“ sagte sie selbstgefällig, „dort das
weiße Gebäude mit den zwei Fensterreihen ist das Wohnhaus. Unter den
Bäumen hin rechts sind die Stallungen und Scheunen. Weiter rückwärts
-- man sieht ja die Funken aus dem Schornstein -- ist die Schmiede und
daneben mit dem Schindeldach die Mühle; sind drei Laufer; ich mahl’
für das halbe Oberviertel. Links vom Wohnhaus siehst Du die Dächer von
einem zweiten Hause; in demselben sind die Vorrathskammern und die
Gesindestuben. Das untermauerte Gebäude dahinter ist der Pferdestall;
stehen fortweg sechs Rösser d’rin. Dann fangen die Obstgärten an, bis
zum großen Anger hin, wo die Leinwandbleiche ist. Das Häusel daneben
ist die Flachsbrechstube.“

Felix staunte und schwieg.

„Die grünen Wiesen,“ fuhr die Bäuerin fort, „die dort bis zum Wasser
hingehen, geben dem Thal den Namen: die grüne Länd. Sie gehören alle
zum Hof. Und dort der Birkenschach -- die Schafweide -- und die Felder
bis hinauf zum Wald und die ganze Waldung, die dorthin liegt -- und
hinter ihr sind wieder Wiesen und Felder und Viehweiden und weiter
hinauf die Alm -- Alles gehört zum Ländhof. Ich hab’ achtzig Stück
Rindvieh und über hundert Schafe, ich hab’ die Pferde und das Kleinvieh
-- im Ganzen wie viel -- aufrichtig muß ich’s sagen -- ich weiß es
selber nicht. Nachher dort über dem Hof ist die Ueberfuhr über die Seim
-- kannst Du den gespannten Strang noch sehen? -- Hast gute Augen. Und
wenn Du mit der Plätten hinüberfährst an’s andere Ufer, so bist immer
noch auf meinem Grund, Bis über den Bergschlag hin -- Alles gehört zum
Ländhof!“

Felix that einen Pfiff; das war ein Zeichen seines großen Staunens.

„Und dort,“ sagte er hierauf, „neben dem Schachen steht noch ein
kleines Haus, das wird wohl nimmer dazu gehören.“

„Gehört Alles dazu!“ rief die Bäuerin, „ist aber nicht der Müh’ werth,
ist das Ausnahmsstübel für die alten Leut’.“

„So wie in Zollau das Spital?“

„Auf ein Gleiches. Die alten Leut’, das sind die alten Besitzersleut’
vom Hof, welche die Wirthschaft den Jungen übergeben haben. Na, die
haben im Häuserl dort ihr Ableben.“

„Nachher kommt die Ländhoferin auch einmal hinein,“ bemerkte der
Winzerssohn, um zu beweisen, daß er die Sache begriff.

Darauf schwieg sie eine Weile.

Die Pferde trabten weiter.

Ein paar Bauersleute kamen des Weges und grüßten die Großbäuerin.

„Ja, ist schon recht,“ gab diese als Gegengruß, des Weiteren blickte
sie gar nicht seitab.

Die Ländhoferin war überhaupt, je näher sie dem Gehöfte gekommen, desto
gemessener, ernsthafter, ja fast herrisch geworden. Der Hirt, der eben
die große Heerde vom Felde trieb und gerade noch lustig seine Schalmei
geblasen hatte, machte ein mißmuthiges Gesicht, als er Roß und Wagen
der heimkehrenden Bäuerin sah.

Felix grüßte ihm freundlich zu, als wollte er sagen: „Ich komm’ zu Euch
und wir werden jetzt mitsammen leben und uns schon vertragen; ich bin
ein lustiger Bursch!“

Als sie hernach in die Hofgasse einbogen und an der Leinwandbleiche
vorüberrasselten, wo an einer Stange Garnsträhne zum Trocknen hingen,
kam ein erwachsenes, aber zart gebautes, blasses Mädchen auf den Wagen
zu und sagte in bescheidenem Tone: „Grüß’ Gott, Mutter!“

Die Bäuerin zerrte am Rockschoß des Kutschers: „Halten!“ Dann wendete
sie sich gegen das anmuthige, helläugige Mädchen und rief: „Was,
Du bist schon aus dem Nest, Du dalkete Dirn’! Und laufst um die
Zeit auf der Gassen um? Du fragst einen Klenkas danach, was mir der
Doctor kostet, wenn Dich wieder Dein Schönheitsfieber überkommt, Du
unbesinntes Ding, Du! Und bist schon wieder so wohl und toll, so
arbeit’ was! Siehst nicht, daß die Garnsträhne noch auf der Stang’
hängen? Sollen sie verfaulen?“

Tief erröthend und niedergesenkten Hauptes wendete sich das Mädchen und
ging den Strähnen zu. Der Wagen rasselte in den Hof.

Da Felix nach solchem Auftritte die Bäuerin fragend angesehen hatte,
so murmelte diese: „Ein einfältig Wesen das. Na ja, just, daß man sie
nicht fortschaffen will, weil sie das Kind von meinem ersten Mann ist.“

Von meinem ersten Mann -- so rutschte es ihr von der Zunge; war ihr
doch, sie sitze eng neben dem zweiten.

Als der Wagen auf dem Standplatze vor dem großen Wohnhause still stand,
kamen ein paar Weiber herangerannt, um die Herrin zu bedienen.

Einige Knechte, die abseits am Scheunenthor standen, glotzten nur so
herüber und waren baß verwundert über den jungen Menschen, der mit der
Bäuerin aus dem Wagen stieg.

Ein alter, einäugiger Kerl war unter ihnen, der knackte mit der Zunge,
blinzelte mit dem einen Aeuglein und schnürfelte: „Hab’ ich’s nicht
gesagt?! Hab’ ich’s nicht oft gesagt, der Alte dazumal hat die Birn
nicht vom Baum brockt, sie ist schon auf der Erden gelegen. Heut’
bringt sie ihren ältesten Sohn; ’leicht hat sie noch etlich im unteren
Viertel.“

„Mag wohl sein, das,“ gab ein Anderer bei, „im oberen Viertel
~kann~ sie keinen haben.“

Sie blinzelten gegenseitig, als ob sie sich verstünden.

„Wie viel Röck’ mag sie heut wieder am Leib tragen?“ warf der Einäugige
aus, als die Bäuerin mit dem Burschen gegen den Eingang rauschte.

„Mag’s ein Anderer zählen.“

„Ist ein ganz prächtiger Kerl, der Junge. Schau wie fein! Jetzt läßt
sie ihm gar den Vortritt in’s Haus.“

„Du, ihr Sohn, der kommt erst nach!“ bemerkte ein Anderer.

Da sahen sie sich vor dem Scheunenthor groß an und darauf murmelte der
Einäugige: „Unsere Bäuerin ist gescheidt! -- Das heißt Wein kaufen
gehen!“

Es war gut, daß die Glocke zum Abendessen rief, da wurden die losen
Mäuler mit Klößen gestopft.


    Sie erglüht in Liebespein,
    Er ist kalt wie Marmelstein.

Und erst das Weibervolk! Das war heute nachgerade verwirrt.

„Für mich und den Herrn das Essen auf’s Zimmer!“ hatte die Bäuerin
befohlen.

„Der da,“ sagten sie in der Küche zu einander, „der mit dem geflickten
Spenser-Ellbogen soll ein Herr sein? ~Zerrissen~ ist herrisch,
geht das Sprichwort, aber geflickt ist bäuerisch.“

„Laß’ Zeit, laß’ Zeit,“ sagte eine Andere, „vielleicht hat er
zerrissene Socken.“

„Ihr redet Alle wie nicht gescheidt,“ versetzte eine Dritte, „das muß
man schon anders nehmen. Das ist nicht ein Herr, das ist ~der~
Herr! Versteht’s mich?“

Es wurde im Hofe die Suppe versalzen am selbigen Abend -- so sehr war
das Küchengesinde in Gedanken.

„Mir hat er gefallen,“ vertraute die Abwaschdirn’ der Köchin und rieb
mit aller Macht an dem Milchzuber; -- der Zuber wurde blank, aber das
Wort war nicht mehr wegzulöschen.

Mittlerweile saß Felix, der junge Winzer, in der Stube der Bäuerin
auf einem Ding, das wie eine gepolsterte Lehnbank war. Er saß sehr
unbehaglich, denn das Polster gab keine Ruhe, schwoll auf und sank ein,
schnellte hin und schnellte her, so oft sich der Bursche nur ein wenig
bewegte.

Die Stube war hübsch ausgetäfelt, hatte einige Schränke mit uralten
Verzierungen, mehrere Heiligenbilder und einen großen Spiegel mit
vergoldetem Rahmen. Verschiedene andere Gegenstände zierten das
geräumige Gemach, auf der Thüre waren die Zeichen der heiligen drei
Könige geschrieben, die gar so segensvoll sind und sonderlich in keinem
Frauengemache fehlen sollten. Der Bursche hatte noch selten eine so
vornehme Wohnung gesehen.

Die Bäuerin commandirte mit der Stubenmagd und Allen, die sie ansichtig
wurde, wie ein Wachtmeister herum; that dazwischen gefällige Blicke
gegen Felix: ob er’s wohl merke, wer sie ist und wie ihr Alles hier
dienet!

Auf dem Tische wurden zwei Kerzen angezündet; aufgetragen Braten mit
Salat und Wein.

„Und jetzt troll’ Dich in Dein Nest; morgen heißt’s bei Zeiten auf’s
Rübenfeld!“ Das war der letzte Befehl, den die Herrin der Aufwärterin
gab.

Rübenfeld statt Weingarten! -- Felix merkte, daß er nicht daheim. War
es ihm aber im Weingarten jemals so gut geschehen als hier? Daheim zum
Trank nur Apfelmost, den Wein verkaufen die Leute zumeist in’s obere
Viertel. Im oberen Viertel wird er getrunken zum Braten. Zum Braten,
der gemacht wird aus den Erdäpfeln und Rüben, die man den Schweinen in
den Trog schüttet. Es kommt nicht darauf an, wie es der Boden giebt,
sondern wie es der Mensch nimmt. -- Das waren jetzt die Gedanken des
jungen Winzers.

„So, mein Freund,“ sagte nun die Bäuerin zum Burschen. „So, jetzt pack’
an, da Dein Messer und Gabel. Nur allerweil flink und frisch, das mag
ich leiden. Bist jetzt daheim. Aber so wirf doch Deine Joppe weg!“

Ist wahr, dachte sich Felix, wenn sie mir’s schon so gut meint, warum
soll ich’s nicht vorwärtsgehen lassen!

Den Braten aß er ohne Salat, für den Durst vermißte er den Obstmost.
Die Bäuerin, die an seiner Seite saß, schenkte ihm das Weinglas voll.

„Siehst Du,“ rief sie heiter, „ich selber trink’ aus Deinem Glas, wir
wollen recht gut Freund werden!“

~Werden?~ Dachte der Bursche doch, sie ~wären~ es schon; viel
dicker läßt sich’s nicht mehr auftragen. Sie machte einen langen Zug --
bewies es gründlich, daß ihr an seiner großen Freundschaft gelegen sei.

Des Weiteren -- sie war ja auch daheim -- lockerte sie die Kleider
in etwas und löste ihr Haar, das schön und reich war, und strich mit
zarter Hand seine Locken zurück.

„Ihr seid aber recht verschwenderische Leut’ im oberen Viertel,“
bemerkte Felix, „zwei Kerzen auf einmal brennen lassen -- grad’ wie
beim Altar.“

„Ist auch wahr,“ rief die Bäuerin und blies ein Licht aus.

Vielleicht war die Stube geheizt -- im oberen Viertel ist das niemals
sehr überflüssig -- dem Burschen wurde warm, er knöpfte seine Weste
auf, es macht nichts, er hat heute ja ein weißes Hemd am Leibe.

Die Bäuerin hatte in der Stube Einiges zu ordnen; ’s ist doch der
Brauch, daß zur Nacht die Fenstertücher vorgezogen sind. Sie strich am
Ofen, strich an der sittig verhüllten Bettstatt, strich an der Thür
vorüber. Mit dem Ellbogen schob sie unversehens den Riegel vor und
sagte: „Weißt, Felix, die heiligen drei Könige da mußt Du mir auch
einmal frisch aufzeichnen.“

„Ja,“ sagte der Junge, „wenn ich’s nur kann, wie es die Ländhoferin
haben will.“

Die Ländhoferin strich am Kasten hin und betastete ein erst kürzlich
in der Webstube fertig gewordenes Leinwandfach. „Nein,“ sagte sie
ärgerlich, „gar Schad’! nicht einmal webern können sie im oberen
Viertel! Da habt ~Ihr~ daheim eine andere Leinwand! Jetzt schau
einmal den Unterschied an!“ -- Sie betrachtete das Fach und wollte dann
auch den Brustlatz am Hemde des Burschen befühlen.

„Oha!“ lachte Felix abwehrend.

„Warum denn, Du närrischer Bub, wenn ich wissen will, was Du für eine
Leinwand trägst!“

Je nun, wenn sie’s wissen will, was ich für eine Leinwand trage...
warum soll sie’s nicht wissen?

„So trink’ was, Felix, Du nippest ja wie eine schwindsüchtige
Jungfrau!“ sie schenkte ihm aber das Glas schon zum drittenmal voll.

„Oho, Ländhoferin,“ sagte der junge Winzer, „zwischen mir und einer
Jungfrau ist ein Unterschied im Trinken.“

„Das möcht’ ich doch wissen, ob Du’s zuweg’ bringst und das Glas auf
einen Zug leerst!“

Dabei trat sie ihm neckisch auf die Schuhspitze. Er faßte frisch das
Glas und führte es zum Munde. -- In demselben Augenblicke klang unten
im Hofe ein Glöcklein.

„Was ist denn das?“ fragte Felix mit gehobenem Glase.

„Du Närrchen, wirst Dich doch vor dem Abendläuten nicht schrecken?“

„Ist das Abendläuten, so muß man beten,“ sagte der Bursche und stellte
das volle Glas auf den Tisch zurück.

„Geh’, Du langweiliger Klosterbruder!“ flüsterte das Weib und hastig
hob sie ihm den Becher zu.

„Nein,“ sagte Felix, „ich will das Mutterwort nicht gleich am ersten
Tage schon vergessen.“

Er stand auf, trat an ein Fenster, zog den Vorhang ein wenig beiseite,
sah in’s Freie hinaus und betete still.

Der Mond schien ihm in’s Gesicht.

Die Ländhoferin blickte hin und erschrak wirklich.

Vor Jahren, etliche Tage nach der Hochzeit hatte sie ihr Mann in die
Residenz geführt. Sie hatten Alles besucht, was ihnen als merkwürdig
bezeichnet worden war. Die Bäuerin erinnerte sich besonders noch an
jenen hüllenlosen Jüngling aus schneeweißem Stein gehauen -- eine
einzig schöne Gestalt. Man hatte ihr gesagt, es sei das Bild von Gott
Apollo. Sie hatte danach viele Nächte lang von diesem Bilde geträumt.

Und nun, da sie gegen das mondhelle Fenster hinblickte, wo der Jüngling
stand, sah sie dasselbe blasse, einzig schöne Antlitz.

Wie ein kühler Lufthauch wehte es plötzlich durch die Stube. Die
Bäuerin erhob sich langsam vom Sofa, stand still und sann.

Er will das Mutterwort nicht gleich am ersten Tage brechen! -- Recht
schön. -- Es kommen der Tage noch mehrere. -- Auch giebt es Leute,
denen der erjagte Hase besser schmeckt, als der geschenkte. -- Wollen
es danach einrichten .....

„Na, Junge!“ rief die Bäuerin in entschiedenem Tone, „ich denk’, ’s ist
Schlafenszeit!“

Da kehrte sich der junge Unterviertler um und sagte: „Mir ist’s recht,
Bäuerin. Und morgen -- was hab’ ich denn zu thun?“

„Der Altknecht wird Dich weisen,“ beschied sie kurz.

Hierauf brannte sie die zweite Kerze wieder an und öffnete eine
Seitenthür. Diese führte in eine Stube, die fast so schön und bequem
eingerichtet war und auch ein so hochgeschichtetes Bett enthielt als
das Zimmer der Bäuerin.

„Die heutige Nacht schlafst im Zimmer von meinem seligen Mann,“ sagte
sie, „in der Knechtestube ist noch kein Bett gerichtet.“

„Ja, gute Nacht, Bäuerin,“ sagte Felix und trat in sein Gemach.

Sie blickte ihn noch einmal an. „Und gieb Acht, was Dir die erste Nacht
träumt -- ’s ist bedeutsam. Gute Nacht, Froschreiter.“

Sie zog die Thüre zu, er war allein in der Stube.

Eine Weile stand er völlig unbeweglich da und starrte d’rein. „Ist
seltsam, das!“

Es ist nicht sein Dachkämmerlein im Winzerhause. Das ist die Wohnung
des Großbauers auf dem weit berühmten Hof, genannt die grüne Länd. Wie
oft hatte Felix davon gehört. Im Ländhof dienen, das war eine Ehr’. Im
Ländhof werden die Thaler nach Scheffeln gezählt! ging der Spruch.
Vor einem Ländhofer wird sogar der Amtmann höflich. Einen Rinderschlag
giebt’s im Land: mattbraun, mit kurzen Hörnern und gar feinfleischig --
er wird die Ländhofer-Race geheißen. Der Schullehrer in Zollau hat eine
Landkarte, darauf ist auch die grüne Länd verzeichnet.

Und nun, der Felix, der arme Winzerssohn -- er stand mitten in der
Herrnstube des Ländhofes, er sollte im Bette des Großbauers schlafen
und im Hofe verbleiben und --

-- Und --?

Und sie wollt’ ihm über das Soldatenleben hinaushelfen. Und anstatt
ein gemeiner Soldat der Ländhofer sein.... Sapperlot! -- Na, für heut’
legen wir uns schlafen.

Flink warf er seine Kleider von sich, löschte das Licht aus und sprang
in das Bett. Schier einen Hilferuf ließ er fahren, denn er meinte, er
versinke auf der Stelle in den hochgeblähten Polstern.


    Ein stiller Gang in kühler Nacht
    Hat Manchen schon um’s Herz gebracht.

Ein feines Bett ist nicht immer ein gutes Bett. Daheim im Winzerhause
legte sich Felix auf’s Maisstroh und schlief. Hier nach diesem
vielbewegten Tage sank er in die Federn und wachte; wälzte sich hin,
wälzte sich her, zog die weiche Decke über die Achseln, warf sie wieder
zurück -- und wachte.

Wohl wahr, das sanfte Ruhekissen eines guten Gewissens lag ihm unter
dem Haupte -- aber wenn allerlei Gedanken tanzen im Kopf -- Gedanken
von Macht, von Reichthum -- so ist’s mit dem Schlafe vorbei. Der
Gedanke daran allein schon kann das Glück eines süßen Schlummers
zerstören.

Zum Ueberflusse fing auch das Herz zu sprechen an; doch hatte es
keinen anderen Wunsch als den: wäre ich lieber daheim! -- Wie es
nur so öde sein kann in einem so großen Hof! -- Sonst hörte er vom
Schlafkämmerlein aus das leise Rauschen der Seim, das Schnarchen des
Vaters und dann wieder das Wimmern der kleinen Geschwister. Hier Alles
so still -- auch die Stockuhr rastet, wer weiß, wie lange schon. Und
nur die Begierden und hochmüthigen Wünsche sollen ruhlos sein in diesem
Hause?

Fast unheimlich wurde dem Burschen. Er richtete sich im Bette auf und
sah nichts als die mondhellen Fenster, und hörte nichts als das Pochen
in seinen Schläfen. Endlich stand er auf, ging an’s Fenster und blickte
hinaus in den Baumgarten, auf dessen Büschen der Reif des Mondlichtes
lag. Dann schlich er in der Stube umher und suchte ein Wassergefäß;
ihn dürstete. Doch fand er keinen Krug, keine Lobe. In einem Hause mit
solchem Ueberfluß vergessen sie auf das liebe Wasser nicht bedenkend,
daß Alles, was der Wein entzündet, nur das Wasser wieder löschen kann.

Was blieb ihm übrig, als in den Hof hinabzugehen, wo er bei seiner
Ankunft den sprudelnden Brunnen sah. Leise -- mit großer Vorsicht,
daß er die in der nachbarlichen Stube ruhende Bäuerin nicht wecke --
kleidete er sich an. Als er nun aber das Zimmer verlassen wollte, fand
er die Thür, die in den Vorgang zu führen schien, fest verschlossen.

Er versuchte den Eisenriegel mit der freien Hand zurückzuschieben --
nicht möglich, das starre Federschloß hatte einen Blechmantel über.

Felix machte vor Ueberraschung einen gedämpften Pfiff, dann murmelte
er: „Jetzt hat sie mich eingesperrt.“

Er suchte lange nach einem Schlüssel und fand keinen. Rathlos stand er
da. Der Durst wäre schließlich noch zu verwinden, aber eingesperrt
will er nicht sein. -- Was hat sie ihn einzusperren!

Die Fenster sind groß genug, um durch dieselben hinauszusteigen, haben
aber Gitter. Es ist ja begreiflich, daß sich der Ländhof gegen außen
hin absperrt, doch, die redlichen Bewohner einschließen? Das ist keine
Mode. -- Traut man ihm nicht, dem Unterviertler? Oder will man ihm
zeigen, daß er unter Herrschaft ist? Seine Herrschaft ist der Kaiser.

Dem Burschen kam der Trotz. „Weiß noch einen andern Weg in’s Freie,“
sagte er zu sich, „und ehvor ich mich gefangen halten laß’ wie ein
erhaschter Vogel --! Wenn nur nicht etwa auch ~diese~ Thür --“

Er legte die Hand an die Klinke der Thür, durch die er gekommen war.
Sie gab nach -- Felix stand im Schlafgemache der Ländhoferin. -- Der
Mond schien auf die weißen Linnen ihres Bettes. Sie ruhte in einer
anmuthigen Stellung. Nur einen kurzen, aber seltsamen Blick warf Felix
auf sie hin, um dann auf Zehenspitzen der gegenüberliegenden Thüre
zuzueilen. Diese öffnete er mit leichter Müh’ und schlüpfte in den
finsteren Vorgang.

Es dauerte lange, bis er sich über die Stiege hinabgriff. Das Hausthor
war ungesperrt.

Vor dem Brunnen kniete er hin und trank. Die Nacht war so schön und
mild. Er schritt weiter hinaus zwischen den Stallungen, hörte hier
ein Rind blöken, dort eine Ziege meckern, oder ein Pferd wiehern,
oder einen alten noch wachen Knecht poltern. Vielleicht schritt der
gute Junge auch an Geheimnissen vorüber. Ein solcher Hof ist reich an
nächtlichen Thaten und Begebenheiten; denn nur die Nacht gehört dem
Gesinde für sein eigen Leben, am Tage muß es dienen. In der Nacht hat
manche Magd die Pfaid ihres Freundes auszubessern; in der Nacht muß der
Knecht die schadhaften Schuhe seiner Liebsten besohlen; denn das Nähen
versteht ~sie~ und das Schuhflicken ~er~, und so ist auch im
Bauernhofe die Theilung der Arbeit eingeführt.

Auf die grüne Länd schien derselbe Mond, wie daheim über die Weinberge
-- so ging Felix zur stillen nächtlichen Weile ein wenig spazieren.
Er wendete um den Hof und ging am Ufer der Seim entlang. Der Fluß
war auch hier nicht viel kleiner als im unteren Viertel. -- Diese
Wellen, in welchen der Mond schimmert, wann können sie am Winzerhause
vorbeifließen? Ja, bishin wird die Sonne schon hoch am Himmel sein und
da steht vielleicht der kleine Anton am Ufer und wirft Steinchen in das
Wasser. „Warum gehen keine Schiffe auf dir, du liebe Seim?“

Auf dem Rückweg schritt Felix durch den Baumgarten. Manch’ schwarzen
Balken, wie sie auf dem thaunassen Boden umherlagen, überstieg er mit
vorsichtigem Fuße, und lachte sich selbst aus, wenn es schließlich
kein Balken war, sondern blos der Schatten eines Baumstammes. Ueber
den Laden der Kugelbahn, den er für einen Schatten gehalten hatte,
stolperte er. Eine Kugelbahn und daneben in der Rinne die Kugel! besser
könnte sich doch gar nichts schicken, um die Grillen zu vertreiben.
„Wenn’s auch Nacht ist, probiren wir’s einmal! Stehen Kegel auf dem
Kreuz, so werden sie wohl fallen.“

Mit frischem Knabenmuth hob er die Kugel, wog sie in der Hand, schupfte
sie kunstgerecht mehrmals aus der Lage, um sie sicher zu fassen,
stellte sich an, schwang etlichemale den Arm -- auf dem schmalen Laden
glatt und scharf rollte die Kugel hinaus, und in der Laube stürzten
klingend die Kegel.

In demselben Augenblicke huschte eine Gestalt aus der Kegellaube und
wollte abseits eilen.

„Oho!“ rief Felix munter, „hat sich ein Schelm versteckt gehalten?“ Er
verfolgte das Wesen und erjagte es.

„Laß’ mich weg!“ hauchte die Gestalt und brach in Schluchzen aus.
Er sah ihr in’s Angesicht; jenes blasse Mädchen war’s, das bei der
Heimkehr der Bäuerin das treuherzige: „Grüß Gott, Mutter!“ gerufen
hatte.

„Du Närrle, Du, was ist Dir denn geschehen?“ fragte der Bursche
theilnehmend. Sie weinte noch mehr, und ihr Bestreben, aus seinem Arm
zu entkommen, war fruchtlos.

„Jetzt will ich’s just wissen!“ fuhr er fort, „und jetzt komm’ und
setze Dich da mit mir in die Laube. -- Siehst Du, alle Acht’ hab’ ich
getroffen -- nur Einer steht noch. Und jetzt mußt Du mir’s redlich
erzählen, was Dir geschehen ist.“

„’leicht hast es selber gesehen,“ antwortete sie leise, „gelt, Du bist
ja der junge Unterviertler, den die Mutter mitgebracht hat?“

„Auf’s Haar derselbe.“

„Und gerade Deinetweg -- daß sie es so vor einem fremden Menschen
gesagt -- hat mir’s noch zu allermeist weh gethan.“

„Ich bin kein fremder Mensch, Dirndl, ich gehör’ jetzt auch zum
Ländhof. Felix heiß’ ich, und wie heißest denn Du?“

„Seit mein Vater todt ist,“ entgegnete das Mädchen, „hat mich kein
Mensch noch so gutherzig gefragt, was mir weh thut, als Du. Und weil Du
die grobe Red’ von der Mutter schon gehört hast, und Du Dich doch noch
nach mir umschaust, so vertraue ich Dir. -- Ich heiße Constanze und bin
das Kind vom Hause.“

„Von diesem Hause da! vom Ländhof?“

„Das einzige Kind.“

„Und die Bäuerin, die ist gewiß Deine Stiefmutter, Constanze?“

„Als meine Mutter gestorben ist,“ sagte das Mädchen, „bin ich sechs,
und als mein Vater die Unterviertlerin geheiratet hat, bin ich sieben
Jahr’ alt gewesen.“

„I, dann freilich,“ versetzte der Bursche, „eine Stiefmutter ist des
Teufels Unterfutter.“

„Das darfst nicht sagen,“ verwies sie, „die Mutter hat auch ihr Gutes.
Ich könnte sie gewiß recht lieb haben -- ich mag keinem Menschen böse
sein -- aber sie peinigt mich.“

Die letzten Worte wollten fast ersticken. „Und jetzt,“ fuhr sie unter
Schluchzen mühsam fort zu sprechen, „jetzt, da ich vom Krankenbett
aufgestanden bin, wird es ’leicht noch ärger.“

„Bist krank gewesen, Constanze?“ fragte der Bursche in gar mildem Tone
und legte seine Hand auf ihre Achsel.

„Es hat mich wer in den Keller eingesperrt,“ sagte das Mädchen,
„sie hat mich hinausgeschickt in’s Kellerhaus, daß ich von den
Sauerkrautkübeln das Wasser abschöpfe. Wie ich damit fertig bin und
davon will, ist die Thür im Schloß. -- Wenn Du einmal in den Keller
gehst, so wirst es sehen, selber kann die Thür nicht zufallen. --
Gerufen hab’ ich, bis mir die Stimm’ ist gebrochen. Kein Mensch hat
mich gehört; das Kellerhaus steht ja oben beim Schachen. Die ganze
Nacht bin ich im Gefängniß gewesen, erst am Morgen haben sie mich
erlöst. Die Mutter ist am selben Tag nach Breitenschlag gefahren;
die Leut’ haben gemeint, ich wär’ mit ihr. Ganz zufällig haben sie
mich gefunden. Ja, und da habe ich mich so verkältet, daß ich in eine
Krankheit gefallen bin.“

„Jetzt, wer hat Dich denn eingesperrt?“ rief der Winzer.

„Ja, dasselb’ wollt’ ich --“ sie unterbrach sich und flüsterte: „ich
kann gar nichts sagen.“

„Du!“ sagte Felix, „vielleicht ergründ’ ich’s, wer im Ländhofe die
Leut’ einsperrt. -- Und jetzt, Constanze, bist wohl wieder brav gesund?“

„Wie vor etlichen Tagen die Mutter in’s Weinland gefahren ist,“
erzählte das Mädchen, „da bin ich noch im Bette gelegen, arg krank.
Ist darauf aber schleunig besser geworden; und jetzt, wie die Mutter
heimkommt -- denk’ ich mir -- da will ich ihr eine Freud’ machen, und
daß sie gleich sieht, ich bin schon wohlauf, laufe ich ihr entgegen. --
Wie groß ihre Freude über mein Gesundwerden gewesen ist, hast Du selber
gesehen.“

„Thät man ihr’s ansehen?“ entgegnete Felix nach einem Weilchen, „gewiß
nicht. -- So möcht’ ich doch wissen, Constanze, was hat sie denn gegen
Dich?“

Das Mädchen neigte traurig das Haupt.

„Und von Dir ist’s auch nicht recht,“ sagte der Bursche, „daß Du,
kaum erst aus dem Krankenbett, jetzt in der kühlen Nacht da auf der
Kugelbahn hockest!“

Felix selber war überrascht, daß er jetzt so gescheidt gesprochen
hatte. Sein Vater und seine Mutter zusammen konnten kaum vernünftiger
reden, als er es heute vor diesem Mädchen that. Und dabei fühlte er
sich so gesetzt und bereit zum Beistand, er hatte selbst nicht gewußt,
daß er so sein konnte.

„Das ist freilich wahr,“ entgegnete Constanze auf obigen Vorwurf, „aber
ich hab’ mir nicht zu helfen gewußt, ’s ist mir so um’s Weinen gewesen,
und da habe ich mich aus der Mägdekammer davon gemacht. In der Kammer
spotten sie mich aus, wenn ich traurig bin. Sie haben es besser als
ich; sie können davon gehen, wenn das Jahr aus ist, ich muß bleiben.“

„Ruck nur recht glatt an mich, daß Dir nicht kalt wird,“ sagte der
Bursche. -- „Aber die Bäuerin! So möcht’ ich doch wissen, was sie gegen
Dich hat.“ -- Völlig aufbrauste er.

Constanze schwieg. Sie hätte gern gesprochen, ihr ganzes schweres Herz
ausgesprochen vor diesem guten Menschen. Aber die Klugheit gebot ihr
Zurückhaltung; bislang wußte sie doch nicht, wer er eigentlich war und
in welchem Verhältnisse er zur Bäuerin stand.

„Jetzt muß ich wohl in’s Haus,“ flüsterte sie und machte sich
allmählich los von seinen Armen, die sie -- sie wußte nicht wie --
umgarnt hatten.

Felix hatte nicht mehr Lust weiterzukegeln. Er ging mit dem Mädchen bis
zum Hause. Am Thore, wo sie sich trennten, gab er ihr das Wort: „Wenn
ich eine Zeit lang im Ländhof verbleibe, Constanze, an mir sollst einen
guten Freund haben.“

Dann schlich er die Stiege hinan, den Vorgang entlang, drückte alle
möglichen Thürklinken nieder, bis endlich eine nachgab.

Unabwendbar durch das Gemach der Bäuerin ging sein Weg; behend huschte
er an aller Anmuth vorbei und in seine Stube.

Er mußte sich gestehen, die Ländhoferin war ihm nun nicht mehr ganz
gleichgiltig.

Bald schnarchte er in seinen Federn -- und sie?

Sie seufzte im Traume.


    Du sitzest auf weichem Loden,
    Der Hof ist Dir bereit;
    Du springst auf harten Boden,
    O Junge, Du bist nicht gescheidt.

Am nächsten Morgen sprach die Bäuerin zum Altknecht: „Jetzt will ich
Dir eins sagen, wenn ich Dir nicht zwei sag’.“

„Ja,“ antwortete der Knecht.

„Der Bub’, den ich vom Unterviertel mitgebracht hab’, ist ein
Geschwisterkind von mir. Der wird dableiben, und wenn er sich heut’ die
Wirthschaft ansehen will, so geh’ ihm zu Handen. -- Jetzt weißt es, und
jetzt rühr’ Dich wieder vom Fleck, Du alter Scherben.“

Der Knecht aber blieb vor ihr noch stehen, pfusterte mit der Nase und
sagte dann mit ganz gutmüthiger Stimme die Worte:

„Bäuerin, zu Neujahr hab’ ich gesagt, wenn ich mir die Grobheiten
gefallen lassen muß, die seit des Bauers Tod im Hof herumfliegen wie
die Gelsen, so verlang’ ich um zehn Gulden mehr Jahrlohn. Heut’ sag’
ich, um zehn Gulden thu’ ich’s nicht und die Bäuerin soll sich für
nächst Jahr um einen andern Altknecht schauen.“

Dann ging er langsam davon und war schier um ein paar Zoll länger als
sonst.

Die Ländhoferin war nicht einmal erbost. Sie dachte an einen jungen
Altknecht.

Felix ging am selben Tag zu seiner eigenen Ueberraschung auf der grünen
Länd’ um, wie der Gutsherr selber. Die Arbeiter grüßten ihn höflich,
munkelten aber allerlei Ungereimtes, sobald er wieder davon war.

Er ging in den Wald, sah dem Baumfällen, Brennholzbereiten und
Streusammeln zu. Er ging auf die Wiesen, wo Herbstmahd war; er ging
auf die Felder, in die Gärten, wo die Spätfrüchte eingethan wurden. Er
ließ sich über den Fluß führen, um die jenseitigen Flachsarbeiten zu
sehen. Dort wurde der auf freier Au gebleichte Flachs gehoben und in
Büschel zusammengebunden.

Felix verstand von Allem nichts -- er verstand nur, wie man die Reben
zieht und die Trauben preßt. Eine Magd aber war doch so dienstbar,
ihn zu fragen: „Bauer, wird der Haar (Flachs) auch heuer wieder mit
Strohbändern gebunden?“

„Ja freilich,“ gab der Winzerssohn zur Antwort; er sah nicht ein, warum
gerade heuer die Regel unterbrochen werden sollte.

Das Mißliche war, daß -- wenn man ihn so hoch hielt -- er den
Würdevollen spielen mußte und nicht in seiner kecken, lustigen Weise
jauchzen und singen durfte. Er ließ es gar so hart. Die Lustigkeit
steckte in seinem Blute, wie der Geist im Weine. Aber wenn es schon ist
oder werden wird, wie es aussieht, so --

Kurz, der Ländhofer muß ein gesetzter, ernsthafter Mann sein. Beim
hellen Tag sah ja Alles anders aus, als in der Nacht -- wer wollt’
nicht Großbauer sein!

Als Felix von seinen Besichtigungsgängen in den Hof zurückkehrte,
harrte seiner der Schneider. Für den jungen Mann ein neuer Anzug war
bestellt. Die Bäuerin stand dabei und leitete das Beginnen, als der
Meister das Maß nahm. Das Maß um den Oberkörper des Burschen, die
Breite der Brust, der Achseln, die Länge der Arme; dann die Weite der
Hüfte, die Höhe vom Stiefelabsatz bis zur ersten Rippe und die Höhe der
Schenkel.

„Ist mir nicht bald Einer vorgekommen, so bildsauber gewachsen, als der
da!“ murmelte der Schneider in den Maßfaden hinein, den er zwischen
die Zähne genommen hatte. Die schönheitssinnige Ländhoferin nicht
minder freute sich der Wohlgestalt.

Am Nachmittage nahm die Bäuerin den jungen Günstling in die
Vorrathskammer mit. Korn und Obst, Gemüse und Fleisch, Speck und Fett
in unerhörter Fülle. Der Sohn des armen Winzers that den Mund auf --
aber nicht vor Hunger heute, sondern vor Staunen. Die Bäuerin hielt
ihn fest am Arm und zerrte ihn weiter und jener Kammer zu, wo riesige
Ballen von Flachs und Leinwand, Wolle und Lodentuch aufgeschichtet
waren.

„Da such’ Dir einmal Eins aus,“ sagte die Ländhoferin, „’s ist lauter
Winterstoff; ich denk’, Du nimmst dunkelgrau, das wird mit grün fein
ausgeschlagen und steht gut! -- Ei, setzen wir uns ein wenig nieder, da
können wir’s bequemer überlegen.“

Sie setzten sich auf ein braunes Lodenbündel.

„Nun,“ fragte sie hierauf lächelnd, „Felix, was sagst Du zum Ländhof?“

„Da kann man gar nichts sagen, als: den möcht’ ich haben,“ versetzte
der Bursche.

Die Bäuerin wartete eine Weile auf ein weiteres Wort, aber Felix
befühlte das grobe Schafwollentuch, wie dick es sei und wie weich und
dachte: Das wär’ mir schon recht für den Winter.

„Mit dem Ländhofe wärst zufrieden?“ fragte die Bäuerin lauernd.

„Wollt schier mit ihm zufrieden sein.“

„Und -- die Ländhoferin, meinst, wär’ nicht vonnöthen?“

„Gehört freilich auch dazu,“ versetzte der Bursche und zupfte am
Lodentuch.

Dann schwiegen sie Beide -- schwiegen so lange, daß sich ein Mäuschen
versucht fand, aus seinem Versteck zu lugen. Hastig schreckte das
Thierchen zurück, denn es hatte plötzlich die glühenden Augen des
Weibes gesehen.

„Felix,“ sagte nun die Ländhoferin unter einem seltsam schweren Athem,
„Felix -- ~Felix~, weißt Du, daß ich Dich unbändig gern hab’?“

Der Unterviertler sah sie an mit großem, klarem Auge. Ohne ein Lächeln
und ohne ein Erröthen sah er ihr in’s Antlitz und -- schwieg.

Da haschte sie nach seinen Händen, zog dieselben hastig an sich:
„Herzensbub! Du bist mir angethan, und bei meiner Seel’, ich mach’ Dich
zum Ländhofer! Du ~lieber~ Bub, Du Herzensbub!“

Beide Arme schlang sie um seinen Nacken, mit heißer Leidenschaft küßte
sie seine Stirne, seine Locken, seine Augen, seinen Mund.

Er ließ es geschehen, bis sie vor Liebkosung wie erschöpft war. Dann
zog er sein rothes Sacktuch hervor und wischte sich damit das Angesicht
ab. Sie meinte, es wäre ihm so heiß.

Wieder ein Weilchen verstrich.

„So rede auch Du was!“ rief plötzlich die Bäuerin fast zu laut, „Du
sitzest da wie ein hölzerner Heiliger, gerade, daß Du noch keinen
Schein hast. Weißt nicht, daß ich Dich um was gefragt hab’?“

„Gefragt hat mich die Bäuerin um was?“ entgegnete verwundert der junge
Unterviertler.

„Magst denn nicht der Ländhofer sein?“

„Wohl, wohl,“ sagte er, „wenn’s Euer Ernst ist, Bäuerin.“

„So sag’ doch Du zu mir, Du langweiliger Mensch. Und muß ich Dich denn
geradeaus ~fragen~, Felix: ~magst mich~?“

„Ei -- wohl, wohl, Bäuerin,“ entgegnete der Bursche zerstreut, „aber
schau doch, wie sie sich plagen muß.“

Er blickte durch das nahe Fenster hinab in den Hof, wo Constanze bei
einem Obstwagen bemüht war, einen vollen Aepfelsack abzuladen. Die
Kraftanstrengung des Mädchens schien vergeblich. Da sprang Felix vom
Lodenballen auf, schrie: „Wart’, ich helf’ Dir!“ schwang sich zum
Fenster hinaus und sprang auf die Erde hinab. Mit einem kräftigen Ruck
warf er den Sack auf seine Schulter: „Wohin damit?“

Constanze ging voraus auf die Obstschütte; Felix folgte ihr mit den
Aepfeln.

Und die Bäuerin in der dunklen Kammer schleuderte wüthend die Wollen-
und Leinwandbündel durcheinander.

Und dem Mäuschen war beklommen in seinem Neste.


Herrschaft -- Knechtschaft.

Mit in die Seiten gespreizten Armen stand die Ländhoferin vor
Constanze: „Dirn’, es ist aus der Weis mit Dir, Du gehst vom Hof!“

„Warum soll ich denn vom Hof gehen, Mutter?“ sagte das Mädchen, die
Bäuerin traurig anblickend.

„Weißt Dich nicht schuldig? Natürlich nicht,“ höhnte die Herrin, „bist
allerweil die brave, fromme, folgsame Dirn’, Du -- Schau, wie Du Dich
verstellen kannst, Du Schlange! Heimtückisch bist! Stiftest die Leut’
auf! Der Altknecht geht! Weißt es schon, daß er geht? Deinetweg’ geht
er! Den Anderen ist die Kost zu schlecht. Bist ’leicht Du die Erst’,
die ihnen in die Ohren pfeift, früherer Zeit wär’ sie besser gewesen?
Beim Tisch flink und bei der Arbeit faul, das ist Dein Gaul! Und
andere Leut’ ziehst damit von ihren Geschäften und Pflichten weg!“

„Ich, Mutter?“ wagte Constanze einzuwenden.

„Wer ~denn~ staßt (stolzirt) leer voraus, wie eine Prinzessin
und läßt sich die etlichen Aepfel nach in den Schüttboden tragen? --
Und nachher ~noch~ ein Wörtel, meine Gnädige!“ Die Bäuerin that
einen Schritt vor und stemmte die Arme noch fester in die Seiten: „Wer
stiehlt sich denn des Nachts aus dem Hause und läßt den Dieben das
Thor offen und streicht in den Büschen um und macht Zusammverlaß mit
lüderlichen Lottern --?“

„Mutter!“ schrie Constanze auf.

„Leugnen willst!“ rief die Bäuerin, „bist gesehen worden, Du Saubere,
mit dem Liebsten in der Kugelbahnlauben. Möcht’ ich ihn gern kennen,
den Lumpen!“

Der Felix, der zufällig des Weges gekommen -- es war in dem Hausflur
-- und ein wenig abseits stehen geblieben war, um nicht durch sein
Erscheinen die Verlegenheit des Mädchens noch zu steigern, trat jetzt,
da der „Lump“ aufmarschirt kam, vor und sagte: „Bäuerin, da red’ ich
auch was mit.“

„Du!? -- weißt was? Geht Dir heut’ einmal der Mund auf?“

„Auf der Kugelbahn -- Unrechtes ist nichts geschehen.“

„Wer kann’s denn sagen, bist etwa dabeigestanden, Felix?“

„Freilich, Bäuerin,“ lachte der Bursche, „ich bin ja der Lump selber
gewesen! -- Na, Bäuerin, meinetweg’ macht’s nichts. Mag nur über die
Constanze nichts aufkommen lassen.“

„Was kümmert denn Dich die Dirn’?“ fuhr ihn die Ländhoferin an, „Du sei
still! -- und die Dirn’ geht!“

Constanze schlich weinend davon. Felix ging seiner Wege. Er ging dem
Schachen zu und sang ein Vierzeiliges:

    „Schatzerl klein,
    Mußt nit traurig sein,
    Eh’ das Jahr vergeht
    Bist Du mein.

    Eh’ das Jahr vergeht
    Grünt der Rosmarin,
    Sagt der Pfarrer laut:
    Nehmt’s Euch hin.

    Grünt der Rosmarin,
    Grünt der Myrtenstrauß,
    Und der Nagerlstock
    Blüht im Haus.“

Und bald darauf folgendes:

    „Ich hab’ a liab Dirndl,
    Just reich is ’s nit;
    Was brauch’ ih a Reiche?
    ’s Geld hals’ ih nit.

    ’s Geld hals’ ih nit
    ’is mir all’s z’kalt;
    Will ih Eine, nimm
    Die mir g’fallt!“

Und lebendig, alllebendig war’s in ihm. Es war ihm heiß -- und doch war
der Sommer schon vorbei; es war ihm kalt -- und doch der Winter noch
nicht da. Wo kommt das Fieber her?

Jetzt wußte er’s gewiß, der Unterviertler, die Ländhoferin war ihm
nicht gleichgiltig. Sein Puls ging rascher, wenn er an sie dachte. Er
haßte sie. -- Und sie will ihn in die Schürze fangen wie einen jungen
Gimpel, der aus dem Nest gefallen ist?

„Oho, vornehme Ländhofbäuerin,“ trillerte er vor sich hin, „so gut
soll’s Dir nicht gehen -- Dir schon lange nicht. Du hast einen großen
Hof, aber ich bin dafür nicht feil. Deinen Hof, den mag ich nicht --
mag ihn nicht. Und bei Dir bleib’ ich nicht. Mit der Constanz’ geh’ ich
weg und die laß’ ich nicht.“

Der Schneidermeister trippelte des Weges: „Je, schönen Tag, Bauer,
morgen bring’ ich Hosen und Rock.“

„Brauch’ sie nicht!“ sagte Felix trotzig und schritt weiter und pfiff
und sang und brummte, und lachte laut mit sich selber.

Das Lachen verging ihm bald.

Vom Walde heran schleppten zwei Landwächter einen gefesselten
Bauernburschen. Dieser wehrte sich nach allen Kräften, stemmte sich,
stieß und biß -- und er war schon über und über blutig geschlagen.

„Na, mit Verlaub schön, der hat sicher wen umgebracht?“ fragte Felix
einen am Feldraine stehenden Knecht.

„Bei Leib’ nicht,“ antwortete dieser, „umbringen thut der Keinen, das
weiß ich. Ich kenn’ ihn. Ein Soldatenflüchtling ist es, hat Vater und
Mutter daheim und ’leicht auch sein Mädel nicht vergessen mögen; ist
dem Regiment durchgegangen. Nun, jetzt haben ihn die Sakra wieder in
den Krallen. Ist verteufelt, so was! Dem geht’s nicht gut, der muß
gassenlaufen. Wird geschlagen wie ein Hund. Dem hängt übermorgen das
Fleisch vom Rücken. -- Ist verteufelt, so was!“

Kein Wörtel sagte Felix. Er blickte noch lange der widerlichen Gruppe
nach, dann schritt er weiter und hatte schwere Gedanken.

Winzerssohn, so wie diesem kann’s dir auch ergehen. Bleibst mit der
Bäuerin nicht gut Freund, so bist auf’s Jahr um diese Zeit beim
Soldatenleben, bist im fremden Land, mußt dich mißhandeln lassen von
harten Menschen. Sollt’ ein Ehrendienst sein, der Soldatendienst;
wolltest dich davor ja nicht fürchten. Das liebe Heimatsland muß seine
Wächter haben -- aber ’s ist ein Hundedienst. -- Und Vater und Mutter
daheim! Und thät dir gar der Gedanke an’s arme verlassene Mägdlein
kommen! -- Felix, so wie diesem kann’s Dir auch gehen.

„Meinetweg geht’s wie’s will!“ rief der Bursche laut, „die Ländhoferin
mag ich nicht.“

Mag ich nicht! stimmte der Wald bei. Und zum Trotze einen hellen
Juchschrei stieß Felix aus. Der Juchschrei gellte hin über die grüne
Länd, hin über die blinkenden Dächer des Hofes und über die Seim.


    Wie wollt’ ich gern ein Lied Euch singen
    Von holder Minne süßen Dingen.

Hinter dem Hofe, wo die weißen Steine lagen und die weißen Birken
standen, war die Schaftränke. Constanze saß auf dem Kopf des
Wassertroges und sprach in menschlichen Worten zu den Lämmern.

Nicht in allen Fällen ist es Einfalt, wenn der Mensch menschlich mit
den Thieren redet. Dichter thun es in ihrer Art, und man nennt sie
deswegen gerade nicht einfältig. Jäger unterhalten sich mit ihren
Hunden; alte, oft sehr geistreiche Jungfrauen mit ihren Katzen. --
Ah, hast angebissen, Kerlchen! ruft selbst der Angler der gefangenen
Forelle zu, und er muß es doch wissen, daß sie stocktaub ist.

Um wie viel erklärlicher ist es, wenn ein armes, einsames Menschenkind
seine Zuflucht nimmt zu irgend einem Wesen, das ihm nie etwas Böses
zugefügt hat, das es -- wenn auch durch kein Menschenauge -- treuherzig
anblickt zu jeder Stunde -- recht ergeben und recht vertrauend! Was
Wunder, wenn das von seinem Geschlechte verlassene Menschenkind, das
mittheilsame, sein volles Herz aufthut und sich ausspricht, ausweint
vor dem guten Thiere, das so theilnehmend, so verständnißvoll zuzuhören
scheint und gerade dadurch richtig das zu geben im Stande ist, was der
Mensch sucht: Erleichterung und Trost.

Und wie viele Lebenslagen giebt es nicht, in welchen das vernunftarme
Thier uns gerade so wesentlich zu trösten weiß, als der vernunftstolze
Mensch! Und wenn man keinen Freund zu haben glaubt unter dem
„gottbegnadeten Geschlechte“ -- dann wendet man sich nicht allzu selten
an den treuen Hund, an die geschmeidige Katze, an das gute Schaf.

Constanze saß am Troge, hielt ein fünf Wochen altes schwarzes Lämmchen
auf dem Schoße und sagte zu diesem: „Heut’ und morgen kann ich dich
noch lieb haben -- heut’ und morgen noch.“ Sie küßte das Thier auf das
Schnäuzchen. „Uebermorgen geh’ ich davon. -- Es schmerzt mich hart,
daß ich vom Heimatshaus muß fort. Aber denk’ dir selber, was hilft
mir das Heimatshaus, wenn keine Mutter und kein Vater darin ist, und
kein Bruder und keine Schwester. -- Die Obermagd giebt mir den Rath,
ich sollt’ streiten um meine Sach’. Das mag ich nicht. Ehvor ich
streit’, eh’ lass’ ich Alles. Gut und Geld macht nicht glücklich. Wie
geht’s mit dir? Du hast keinen Groschen und wirst dein Lebtag keinen
kriegen; Du hast kein eigen Dach, und wächst dir eine Wolle, wirst es
sehen, so scheeren sie dir die Leute ab. Und schau, ich hab’ noch
Keines so lustig und froh herumhüpfen gesehen auf der grünen Länd,
als gerade dich. Das will ich mir fort bedenken und so wie du recht
zufrieden sein. Das Wünschen hab’ ich schon lang’ verlernt auf dem
Ländhof und bin froh, wenn mich die Leut’ nicht spotten und schmähen.
-- Dich möcht’ ich wohl gern’ mitnehmen, mein feines, gutes Lämmchen.“
Wieder küßte sie das traute Thier, und dieses leckte ihre zarten,
rosig angehauchten Lippen. -- „Dich, Lämmlein, und den jungen Buben
auch; der ist gar lieb mit mir und kennt mich doch erst seit ein paar
Tagen. Ja du, den hab’ ich gern -- wollt’ ihn halsen wie dich.“ Und
zärtlich schmiegte sie den Kopf des Lämmchens an ihre erglühenden
Wangen und herzte und küßte es mit solcher Hast, daß ihr die Locken
über die Stirne glitten und sie den Mann nicht sah, der ganz nahe am
Brunnentroge stand.

Schon drei- oder viermal während der wenigen Tage auf der grünen
Länd ist unser Felix ganz verdächtig genau zu rechter Zeit am Platz
gestanden. Es könnte das uns, seine Freunde, gewissermaßen in
Verlegenheit setzen. Aber die Bäuerin hatte dem Burschen doch förmlich
aufgetragen, er solle fleißig Umschau halten in allen Weiten und
Winkeln des Hofes und unter den Leuten, daß er die Dinge und Zustände
baldigst kennen lerne. Und so war Felix denn auch hinter dem Hofe,
wo die weißen Steine lagen und die weißen Birken standen und wo das
Mädchen am Troge das schwarze Lämmchen koste.

Er hatte die letzten Worte vom „jungen Buben“ gehört. Nicht weiter
überlegte er -- über ihre Achsel neigte er sachte sein Lockenhaupt vor,
und Constanze schmiegte und koste und herzte -- und jählings, aber zu
spät wurde sie gewahr, es war nicht mehr das Lämmlein allein, das sie
geherzt -- es war auch der schöne, lächelnde Kopf des „jungen Buben“
dabei gewesen.

Sofort wollte sie sich in den Wassertrog stürzen, aber Felix hielt sie
fest umschlungen und sagte: „Constanze, jetzt ist alle Rederei nicht
mehr vonnöthen, wir haben uns gern und wir gehören zusammen.“

Es brauchte aber Zeit, bis sie sich von ihrem Schreck erholt hatte. Es
war gut, daß die Schaftränke so dicht mit Erlen und Birken umgeben war.

Schließlich -- das Lämmchen war längst aus dem Arm gesprungen -- ließ
Constanze es gelten: sie hätten sich gern und gehörten zusammen.

„Und jetzt merk’ wohl, Mädel!“ sprach Felix mit Nachdruck, „jetzt wird
Dir im Hof kein ungeschaffen Wörtel mehr gesagt, oder die Leut’ kriegen
es mit mir zu thun! Auch die Bäuerin schreckt mich nicht! -- Ich möcht’
nur wissen, was sie gegen Dich hat!“

„Das kann ich Dir jetzt wohl sagen, Felix,“ versetzte sie. „Da hab’ ich
eine Schrift, die ist an Allem Schuld.“

„Das muß ein höllischer Wisch sein!“ rief der Bursche, „verbrennst ihn
denn nicht?“

„Ja,“ entgegnete Constanze, „gottswahrhaftig, das thät ich am liebsten.
Aber das Papier hat mein Vormund und mein Vormund ist in Breitenschlag
drüben.“

„Jetzt möcht’ ich doch beim Himmelherrgottskreuz wissen, was auf dem
Papier Sauberes steht!“

„Es ist das Testament von meinem seligen Vater,“ sprach das Mädchen
traurig, „mein Vormund hat es mir einmal vorlesen wollen; ich kann’s
nicht hören, ’s thut mir mein Herz weh, denk’ ich an den armen Vater.“

An Felix’ Brust brach sie in ein krampfiges Schluchzen aus.

„Constanze, mein lieb’ Dirndl,“ versetzte der junge Mann, „Du bist
allzu weichherzig. Schau, das soll man nicht sein auf der Welt.“

„Den Vater hat sie so hart behandelt, auf dem Todbette noch. ’s ist
nicht zu sagen, was er neben ihr hat leiden müssen.“

„Kann mir’s jetzt wohl denken,“ entgegnete Felix, „aber schau,
Constanze, so weinen mußt nicht. Wenn Eins da auch noch einmal leiden
wollt’, was Andere schon gelitten haben -- Dirndl, wohin thät Eins da
kommen! -- Fest auf die Füß’ stellen muß man sich und der Welt die
Zähn’ zeigen! -- Mußt mit dem Vormund ~reden~, Constanze.“

„Das will ich thun; in der Sonntagsfrüh will ich nach Breitenschlag
hinübergehen.“

„Warum erst in der Sonntagsfrüh, warum nicht morgen?“

„Ja, der Vormund ist Waldmeister und Werktags selten daheim. Und morgen
möcht’ ich noch den Flachs einbringen helfen.“

„Daß sie Dich vom Haus jagen kann, steht gewiß nicht im Testament!“
sagte der Unterviertler.

„Ganz was Anderes soll darin zu lesen sein, wie mir der Vormund zu
verstehen gegeben hat,“ entgegnete das Mädchen, „was auch der Will’, es
bleibt eine böse Sach’, weil so viel Unfried’ daraus wird. -- Nur den
lieben Frieden wünsch’ ich mir, und ein wenig gern haben sollten mich
die braveren Leut’ -- sonst brauch’ ich nichts.“

„Gern haben,“ sagte hierauf der Winzerssohn in frischer Schalkheit,
„gern haben, Constanze, will ich Dich schon sakrisch; doch ob ich Dich
immer in Fried’ laß’, das kann ich Dir nicht versprechen.“

Hierauf wollte das Mädchen sein Lämmlein wieder, da dieses aber nicht
mehr zu erwischen war, so mußte es sich bescheiden und den Burschen
kosen.


    Um Bräutigam und Haus
    Spielt sie die letzten Karten aus.

Das Bett in den Knechtestuben war immer noch nicht fertig. Felix
schlief immer noch im Zimmer des seligen Ländhofers.

Heute am Samstagmorgen klopfte der Winzerssohn höflich an die Thüre der
Bäuerin.

„Na freilich, die läppischen Geschichten wirst auch noch treiben,“ rief
die Ländhoferin von innen, „weißt ja, daß es aufgeht, sei nur kein
solcher Blödling.“

Drückte der Bursche keck an und stand in der Stube.

Die Bäuerin saß auf ihrem Bette und war mit dem Ankleiden zum geringen
Theile erst fertig.

„Thut nichts,“ sagte sie in ihrer Leutseligkeit, „wird nicht so heikel
sein -- ’s selb’ denk’ ich.“

Felix blieb in einer dem Knechte anständigen Entfernung stehen und
sprach: „Hätt’ mit der Bäuerin nur ein klein Wörtel zu reden.“

„Was hättest?“ fragte sie, obwohl sie die Worte recht gut verstanden
hatte, „wenn Du’s nur so in den Bart hinein murmeln willst -- hast gar
keinen -- so mußt näher kommen.“

Er trat um einen Schritt näher und sprach um einen Ton höher: „Bäuerin,
ich hab’ keinen Leihkauf (Angeld) auf einen Dienst im Ländhof
angenommen, hab’ auch noch nichts gearbeitet und könnt’ mich ’leicht
nicht schicken in die große Wirthschaft. Bäuerin, ich möcht’ wieder
weggehen.“

Auf die Mittheilung befliß sich die Ländhoferin, eine sehr
gleichgiltige Miene zu machen, die ihr annähernd auch gelang, und dann
entgegnete sie: „So, weggehen willst wieder? Ist auch recht. Ich häng’
Niemanden an, und wer sich’s anderswo besser zu machen weiß, als er’s
auf dem Ländhof hat, dem steht die Hausthür gern offen.“ Mittlerweile
jedoch wurde der innere Sturm so mächtig, daß sie folgendermaßen
ausbrach: „Ist das der Dank, Du Hungerleiderbub, der Dank dafür, daß
man’s Dir so gut meinen wollt’? -- Ich denk’ mir’s wohl, Du Stromer,
mit der lüderlichen Dirn’ willst fort!“

„Dasselb’ ist fehlgerathen, Ländhoferin,“ versetzte Felix gelassen,
„mit der lüderlichen Dirn’ nicht, die kenn’ ich nicht; aber -- daß
ich’s recht sag’, mit der Constanze will ich morgen nach Breitenschlag
hinüber.“

Jetzt war’s offen. Die Ländhoferin tastete mit einer Hand nach der
Bettwand; sie empfand einen plötzlichen Schwindel, sie meinte, es
treffe sie der Schlag. Doch sammelte sie sich bald wieder insoweit, daß
sie den Rock überwerfen und aus dem Bette springen konnte.

Da war Felix schon davon.

Die Ländhoferin trank viel kaltes Wasser an demselbigen Morgen. Drei
Brände hatte sie zu dämpfen: die Liebe, den Haß und die Eifersucht.

Gegen Mittag hin wurde sie der Ueberlegung fähig. -- Er will mit der
Dirn’ fort? -- Nimmermehr. -- Wer kann ihn halten? -- Niemand. -- Aber
die Dirn’ bleibt im Hause. Na, so herumlungern, das leichtfertige
Volk, das wär’ das Rechte! -- dagegen ist noch ein Herr da. Man ist
verantwortlich für die Dirn’. Unter die Zuchtruthe gehört sie. Sie
bleibt im Hause. -- Dann wird auch er bleiben. Er muß weg von dieser
Schlange. Sie müssen auseinander gebracht werden. Er muß fort.

Er fort? ein heißer Stich im Herzen der Bäuerin.

„Nein!“ sagte sie, „so weit ist’s nicht gekommen. Er ~kann~ nicht
vernarrt sein in dieses blöde Schulmädchen -- vor mir, ~mir~,
dem mannbaren Weibe --“ Sie blickte in den Spiegel. Wie vortheilhaft
sah sie aus im Vergleiche zu diesem „ödweiligen, bleichsüchtigen
Geschöpfe!“ -- Und war sie nicht die Hausfrau, die Befreierin aus dem
Soldatenjoch -- hatte sie nicht gleichsam eine Krone zu vergeben?
-- Der Bursche ist schlauer, als er aussehen mag; er will sie, die
Bäuerin versuchen, auf daß er rascher zum Ziele komme. -- Gut. Wenn’s
schon anders nicht mit ihm zu schaffen ist -- zu Martini soll die
Hochzeit sein. -- Die Froschreiterleut’ im Unterviertel, das sind
arme Schlucker, denen schickt sie für Allerheiligen einen Wagen mit
Lebensmitteln. Und ausgemacht wird’s heute Abend noch -- dann ist er
festgebunden und die Dirn’ muß doch fort. Sie ist die Unheilstifterin
im Hof -- um Haus und Bräutigam geht der Streit. Diese unselige Creatur
-- weit muß sie weg -- auf immer muß sie fort, und das heute besser,
wie morgen!

An diesem Samstage wurde der vor Kurzem am jenseitigen Ufer der Seim
aus der Bleiche gehobene Flachs eingeheimst. Der Strang der Ueberfuhr
ächzte, der Endring des Seiles rollte hin und her und die Plätte --
eine schwimmende Holzbrücke -- glitt über das Wasser bis an’s andere
Ufer und stets mit voller Flachsladung wieder zurück. Die Arbeitsleute
waren in guter Laune, beim Flachs giebt es ein lustiges Hantiren --
jetzt kommt er in den Dörrofen und nach wenigen Tagen ist das Brecheln.
Das Brecheln ist ein Hochfest für den Hof. Da ~muß~ sie gerngebig
sein, die Bäuerin, sonst fährt ihr Name schlecht von Mund zu Mund in
der ganzen Gemeinde um. Und der hübsche Unterviertler, da wird er wohl
auch beim Tanzen mitthun, wird gewiß recht fein tanzen -- so manches
Mägdlein im Hofe denkt daran.

Auch die Bäuerin denkt an das Brechelfest. Da wird sie das erstemal
mit Felix in den Reigen treten, und das soll die große, öffentliche
Kundgebung sein: die Ländhoferin heiratet den jungen Unterviertler!

Nur Acht haben, daß der Flachs trocken unter Dach kommt! -- Es will --
scheint es -- grob’ Wetter werden. Im Gebirg’ d’rin hatt’s tagelang
schon gestürmt und geregnet, das merkt man am Wasser. Wird auch auf
der Länd nicht lange warten lassen, der Himmel sticht in’s Bleigraue.
Windstöße rütteln an den Bäumen und die gelben Blätter flattern zu
Hunderten hin über den Hof, über die Wiesen und in den Fluß. Das sind
die Schwalben des Spätherbstes.

Felix ging in den Wirthschaftsgebäuden um und war heiter. Heute war er
noch der junge Herr auf dem großen Hof; heute konnte er noch -- die
Hände am Rücken -- spazieren, in die Vorrathskammern und in die Keller
gehen und mit den Leuten schaffen. Und er schaffte wirklich mit ihnen
und ordnete an, wie man dies und das zu machen habe. Er wußte es gut
genug, daß er von den Dingen bislang noch nichts verstehen konnte, aber
die Leute thaten nach seinen Worten -- das war ~ihre~ Schuld und
dem Burschen machte es Spaß.

Die Bäuerin kam an ihm vorbei. Er grüßte sie besonders frisch und
artig. Sie lächelte, klopfte ihm auf die Achsel: „Bist ja gescheidt,
Felix!“ und eilte davon.

Sie hatte ein großes Küchenmesser in der Hand und ging damit dem
Krautgarten zu, um den Kohlbeeten die letzten Köpfe abzuschlagen.

Hinter dem Gebäude begegnete ihr Constanze, welche, als die Einzige zu
dieser Arbeit, emsig beschäftigt war, die letzte Ladung Flachs von der
Plätte in die Dörrstube zu schaffen.

„Stanze!“ rief ihr die Bäuerin zu, „bleib’ stehen!“ -- „Hab’ gehört, Du
wolltest morgen nach Breitenschlag hinübergehen?“

„Die Mutter hat ja gesagt, daß ich fort soll,“ entgegnete das Mädchen.

„Du bleibst!“ rief die Ländhoferin scharf.

„Vielleicht kann ich wieder zurückkommen,“ sagte Constanze gutmüthig,
„aber zum Vormund will ich morgen doch hinübergehen.“

„Dirn’, Du bleibst daheim!“

„Den Sonntag hab’ ich für mich, Mutter!“

„Freilich, ’leicht zum Umflankiren mit dem Lotter?“

„Daß ich zu meinem Vormund geh’, laß ich mir nicht wehren!“

„Und zerrst den Jungen mit!“

„Wenn der Felix morgen auch nach Breitenschlag gehen will, ich kann
nichts dagegen haben.“

Constanze eilte der Plätte zu. Sie erschrak selbst über das trotzige
Wort, das sie gesagt hatte. Es war das erste in ihrem Leben. Sie hatte
eben an den Ausspruch des Unterviertlers gedacht: „Fest auf die Füß’
stellen muß man sich und der Welt die Zähne weisen.“ Aber sie bangte
jetzt; ein Lamm hatte dem Wolfe die Zähne gewiesen. Sie stieg mit ihren
Tragbändern hastig in die Plätte hinab, die auf den bewegten Wellen
schaukelte.

Die Bäuerin stand ganz sprachlos da und zum erstenmal ohnmächtig fühlte
sie sich diesem Geschöpfe gegenüber. -- Mit dem Burschen zum Vormund
will die Dirn’? Dabei schaut für die Ländhoferin nichts Gutes heraus.
-- Die Bäuerin war blaß, wie die Steine am Ufer. Haß und Wuth wogten
in ihrer Brust mit voller Gewalt. Sie fieberte, sie klapperte mit den
Zähnen. -- Was soll sie der Dirn’ anthun?

In den Bäumen brauste der Sturmwind und die Wellen des Flusses wogten
hoch und schlugen gischtend an die Ufer und an die schaukelnde Plätte,
daß hoch an die Flachshaufen das Wasser spritzte.

Hinter den Schichten kauerte, schwindlig durch das mächtige Schaukeln,
Constanze. Der Strang der Ueberfuhr dröhnte, das Seil, an dem das
Fahrzeug hing, spannte sich stramm, dehnte sich und klang im Sturme wie
eine Saite. -- Die Bäuerin sah es, und in diesem Augenblicke zuckte der
wilde Gedanke auf. -- Einen kurzen, funkelnden Blick in die Runde warf
sie. Hier die Bäume, die Büsche, hier die morschende Scheunenwand, hier
das Wasser -- kein Mensch zugegen. -- Mit glühender Kraft schwang sie
das lange Messer, das sie in der Hand hielt, und schleuderte es gegen
das gespannte Seil. Knallend riß dieses entzwei, hoch auf wallte die
Plätte und schoß davon. -- --

Schon kauerte die Bäuerin im Gebüsche; von diesem aus starrte sie auf
die hochgehende, trübe Seim, starrte dem rasch hinwogenden Fahrzeuge
nach. -- „Wirst morgen nicht mit ihm zum Vormund gehen....“

Sie hatte, als das Seil gerissen war, hinter den Flachsschichten den
Schrei gehört; -- auch sie -- die Bäuerin hatte einen Laut ausgestoßen
-- doch war’s wie Jauchzen.

Und nun -- nun war ihr kühl und wohl, das Seil zerrissen -- wer kann
dafür! Die Plätte zerschellt am Felsen -- die Dirn’ ist hin. Der
Streit um Hof und Bräutigam ist aus....

Nach einer Weile, als unten an der Biegung, wo die Klamm angeht, das
schwimmende Brücklein verschwunden war, athmete die Ländhoferin noch
einmal auf, ging dann in den Hof zurück und schaffte wie gewöhnlich,
nur daß sie mit den Leuten etwas freundlicher that als sonst.

Nach und nach hieß es: „Wo steckt denn die Dirn’, die Constanze so
lang’?“

Da kam eine Magd herangeschossen: „Jesus Maria! Die Plätten, die
Plätten ist weg!“

„Jesus Maria!“ schrie die Bäuerin noch viel lauter und schlug die Hände
zusammen.

„Das Seil ist ab! Die Plätten ist fort! Die Dirn’ ist hin!“

„So geht doch, so eilt doch um tausend Gotteswillen!“ jammerte die
Bäuerin und lief scheinbar in großer Aufregung im Hofe herum. „So
läutet um Hilfe! So spannt doch die Pferde ein! Kann denn Keiner
schwimmen? Jesus, mein Kind, das liebe Kind! -- Wo ist denn der Felix?“

„Der Felix nicht da?“ riefen sie in alle Stuben hinein.

„Der Felix nicht da?“ schrieen sie in den Scheunen um.

„Wo ist denn der Felix?“ lärmten sie durch das ganze Gehöfte.

„Felix!“

Nicht im Hause, nicht in den Wirthschaftsräumen, nicht im Baumgarten
war der Felix. Da kam der Halterbub und berichtete, den Felix hätte er
voreh auf die Plätte steigen gesehen.

Jetzt war die Ländhoferin still und blaß bis in den Mund hinein. Jetzt
wankten ihre Kniee -- am Antrittstein der Hausthür sank sie nieder.

Verspielt. Der Felix ist bei der Dirn’!


    In Graus und Todesbann
    Steht fest und treu der Mann.

Ja, der Felix ist bei der Dirn’. Und wie ist er zu ihr gekommen?

Nichts leichter als das. Der Ursachen zum Stelldichein giebt es bei
jungen Leuten, die sich gerne haben, übergenug. Der Flachs, der noch
vor Abends von der Plätte geschafft werden muß, ist auch eine Ursache.

Felix, lange genug umhergeschlendert im Hofe, war gegangen, um dem
Mädchen den Flachs abladen zu helfen. Constanze war dabei ja völlig
allein und sollte noch vor dem Dunkeln fertig werden.

Doch ging die Arbeit auch zu Zweien nicht sonderlich von statten.
Das Mädchen war gewiß fleißig und eilte mit den Bündeln flink in die
Dörrstube und war um’s Handumdrehen auch wieder zurück auf der Plätte.
Der Felix aber, das war heute ein fauler Schlingel, er legte sich hin
zwischen die Flachsschichten und reckte alle Viere von sich. Dieses
Bett schaukelte ja so prächtig, und Constanze hüpfte neben ihm hin und
her. Und ihr waren die Flachsbündel so leicht, und ihr war so frisch
zu Muthe, wie nie noch zuvor, und es that ihr jetzt fast wohl, nun der
Stiefmutter einmal ein selbstbewußtes Gesicht gezeigt zu haben.

Constanze sprang auf die Plätte; Felix wollte sich aus dem Flachse
erheben.

„Bleib’ liegen,“ flüsterte ihm das Mädchen zu, „dort hinten steht just
die Bäuerin.“

„Was frag’ ich nach der Bäuerin!“ versetzte er, „von der laß’ ich mir
das Aufstehen schon lang’ nicht verbieten.“

In demselben Augenblicke schwirrte das Seil, die Plätte schnellte empor
und schoß davon.

„Heiliger Gott!“ schrie Constanze und taumelte zu Boden.

„Der vermaledeite Strick ist gerissen!“ sagte Felix, setzte aber sofort
bei: „Macht nichts, jetzt fahren wir lustig in’s untere Viertel hinab.“

„Und ist es nicht gefährlich, Felix?“ fragte das Mädchen zitternd und
hörte im Sausen und Brausen das eigene Wort kaum.

„Wie kann denn das gefährlich sein!“ rief er laut; „wenn man über das
Meer mit Schiffen fahren kann, so wird sich’s wohl auf der Seim auch
thun. Höchstens, daß dieses Wasser zu klein wäre, dann trägt’s uns
ohnehin an’s Land.“

„So will ich ganz ruhig sein,“ entgegnete Constanze.

„Setz’ Dich nur da an den Flachs und halte Dich fest an mich,
Constanze, es kann uns nichts geschehen.“

Mittlerweile flogen die Auen, Büsche und Bäume der grünen Länd rasch
zurück, und die Wogen umbrandeten mit Gischten und Brausen das
Brücklein, das wie ein Kartenblatt auf den Wellen dahinglitt.

Felix that sich nach einem Ruder um, es gelang ihm nur ein paar
schwache Stänglein vom Geländer der Plätte loszumachen. Constanze
schlang ihre beiden Arme um den Nacken des jungen Mannes und barg
ihr Angesicht an seiner Brust. Da die Ruderarbeit mit den nichtigen
Holzstücklein zu nichts dienen konnte, so saß Felix lehnend am
Flachshaufen, von welchem das Wasser ganze Theile fortspülte. Fest
stemmte er seine Beine, seine Arme an die Balken des Floßes; mit
trotzig geschlossenen Lippen starrte er hinaus auf den brausenden Fluß,
auf die Ufer, die immer steiler und wilder wurden, bis endlich an
beiden Seiten die schroffen Wände dräuten. Zum Glücke war das Gefälle
hier geringer und das Wasser floß langsamer. Felix aber wußte nicht,
welche Stellen noch kommen würden, er ahnte auch nicht, wie groß die
Gefahr war, in der sie schwebten. Und so hub er, als ihm die Lage
vertraulicher war, in seinem Uebermuthe an, hi! und hott! zu rufen, als
wären ein Paar Rößlein gespannt an das Fahrzeug, und als habe er dieser
Rößlein Leitriemen in den Händen.

Da richtete auch das Mädchen allmählich das Auge gegen ihn auf und
fragte: „Felix, was wird das werden?“

„Wenn die Schimmel so fortmachen, so sind wir in zwei Stunden daheim,“
versetzte der Bursche, „~Die~ werden schauen, wenn wir angefahren
kommen!“

„Und können wir halten?“

„Vor dem Haus steht immer Eins am Wasser, das wird uns schon sehen, und
wenn wir nur wollen, überall kommen wir leicht an’s Land hinaus.“

„Ich bitte Dich, Felix,“ sagte Constanze, „wenn’s geht, fahren wir
gleich an’s Land!“

„Je, was fällt Dir ein, Dirndl!“ rief er, „hier an’s Land! Ist ja kein
Haus und kein Weg weit und breit; wie kämest denn heut’ noch in’s
Unterviertel? Hier auf dem Wasser geht’s am geradesten. Hi, Schimmel!“

Waren freilich recht lebhafte Schimmelchen, die schäumenden Wellen zu
allen Seiten -- schwer zu bändigen.

„Wenn’s nur nicht Nacht wird!“ wendete Constanze ein.

„Nacht wird’s schon!“ sagte der Bursche.

Und thatsächlich begann es unter dem trüben Himmel bereits zu dämmern.
Der Wind stieß von verschiedenen Richtungen her, bald schob er im Bunde
mit den Wellen die Plätte nach vorwärts, bald prallte er von den Seiten
an, dann wieder stemmte er sich dem Flusse und dem Fahrzeuge entgegen.
Das Brücklein drehte und wendete sich, ging im Kreise um sich selbst,
kam nicht von der Stelle, und dann wieder schwamm es sausend voran und
bohrte -- was immer noch das Gefährlichste war -- wie ein wilder Stier
die Hörner in die Erde, die Ecken in das zischende Wasser.

Felix mußte häufig seinen Platz wechseln, um möglichst das
Gleichgewicht zu schaffen. Constanze zitterte, schluchzte und betete
und sah in der Gefahr eine Strafe für die Unehrerbietung, die sie heute
der Mutter entgegengesetzt hatte. In welcher Weise jedoch ihr kühnes
Benehmen gegen die Bäuerin mit dem Losreißen der Plätte zusammenhing,
konnte sie wohl nicht ahnen.

„Du sollst Dich in den Flachs hinein vergraben, Constanze,“ schlug der
Bursche vor, „Du wirst sonst allzu naß.“

Es wäre ihm angenehm gewesen, ihr so die Gefahr zu verhüllen, die er
wachsen sah. Das Mädchen aber richtete sich plötzlich auf und sagte
gefaßt: „Bist Du so mannbar, Felix, so will ich auch nicht verzagt
sein....“

Felix hatte, um dem Nahen seiner Gegend gewärtig zu sein, den Wechsel
der Landschaften beobachtet. Waldberge, Felspartien, Wildniß zumeist.
Nur einmal hatte er hoch an einem Hange die Straße gesehen, auf welcher
er vor wenigen Tagen mit der eroberungssüchtigen Großbäuerin gegen das
obere Viertel gefahren war. Gar bald lenkten ihn von diesem Gegenstande
die Klippen ab, an welche die Plätte zuweilen prallte, um sofort
wieder seithin geschnellt zu werden. Die Brücke hielt fest zusammen.
Felix hatte mit den dünnen Stangen des Geländers wiederholt das Rudern
versucht. Die Gewalten der Fluth spotteten eines solchen Werkzeuges.

Allmählich war es nun finster geworden. Und so saßen die zwei jungen,
lebensdurstigen Wesen im Dunkel der Nacht, mitten im brandenden
Elemente.

„Das ist ein unglücklicher Samstagabend!“ murmelte Constanze, und
dankte andererseits insgeheim der heiligen Jungfrau Maria, daß nicht
sie allein, oder nicht er allein auf der Brücke gewesen, als das Seil
gebrochen war.

Felix spähte durch die Dunkelheit in die Gegend hinaus, die sich
geweitet hatte und nun schier dem unteren Viertel glich. Es wuchs sein
Hoffen und sein Bangen. Ihm war, als ~müsse~ seine Heimat Hilfe
bieten, als ~könne~ es gar nicht sein, daß sie an dem Häuschen der
Eltern vorübertrieben, und es streckten ihnen nicht Vater und Mutter
die Arme rettend entgegen.

Er that nun manchen lauten Schrei. Aber an den Ufern blieb es öde; nur
von der Ferne her glühten zuweilen Lichter eines Hofes, eines Dorfes.

Da die Plätte nahe am Ufer trieb, so dachte Felix auch an das
Hinausspringen, oder an das Erfassen eines Strauches. Doch ging die
Fahrt zu schnell.

Wenn nun aber kein Anker ist und sie müssen an der lieben Gegend vorbei
-- dann --

„Dann heißt’s Testament machen,“ murmelte Felix. Gut, daß in dem
Rauschen und Rollen das Mädchen die Worte nicht gehört hatte. --
Constanze soll es nicht wissen, daß eine halbe Stunde unter dem
Heimatshäuschen des Winzers die große Wehr ist, die auch den Hammerbach
nach Zollau ableitet, eine hohe Wehr, an der schon Mancher zugrunde
gegangen und an der auch der Plan gescheitert war, den unteren Gegenden
durch Floßfahrten das Waldholz des Gebirges zu vermitteln.

Viele Leute aus Nah und Fern kamen alljährlich zur „Zollauer Wehr“, um
den großartigen Wasserfall zu sehen. Nicht Menschen hatten die Wehr
gebaut; hier senkte sich plötzlich die Gegend tiefer und daher der
Abgrund. Von all’ dem braucht Constanze nichts zu wissen.

Allmählich wurde der Lauf des Wassers sachter; die Gegend verflachte
sich. Felix erkannte einzelne Hügelformen, einzelne Baumgruppen,
einzelne schimmernde Häuschen -- er nahte seinem Heim.

Wieder erhob er seine Stimme. Ein ferner Widerhall antwortete ihm --
aber Niemand kam an’s Ufer und die Plätte glitt weiter und weiter.
-- Plötzlich stieß der Bursche ein „Ah!“ aus. Er sah das beleuchtete
Fenster seines Hauses. Das rothe Scheibchen rückte näher -- Felix
schrie nach allen Kräften seiner Lunge -- gar vergebens war’s, es kam
Niemand an’s Ufer.

In Feierabendruhe stand das Winzerhäuschen da. Am beleuchteten
Fensterchen glitten Schatten vorüber -- die Schatten der Personen, die
in der Stube hin- und herwandelten. Sie beteten vielleicht eben die
Samstagandacht, wobei der Vater mit der Betschnur gerne langsam in der
Stube auf- und abschritt. Und die Mutter kniete wohl vor dem schlichten
Hausaltare und gedachte des Sohnes, der fort von Heim in einen reichen
Hof gegangen war, um dort sein Brot und Glück zu suchen. Sie ahnte
gewiß nicht, daß dieser Sohn in Todesnoth auf dem Flusse vorbeizog.

Und der Schiffer rief vergebens. Das traute Haus blieb zurück und das
Brücklein schwamm nun ruhig auf der breiten Seim dahin. Dahin und
geradewegs den Schrecken der Zollauer Wehr zu.

Im Haupte des Burschen flogen, schwirrten, stürzten in Verwirrung
die Gedanken durcheinander. -- Jetzt kommt kein Ort, kein Haus mehr
bis zur Wehr -- Schiffer, Du bist auf Dich selbst gestellt. -- Die
losgerissenen Stangen erfaßte er und band sie mit den Strohbändern
der Flachsballen aneinander. Dann zwängte er auf der Plätte einen der
langen Eisennägel locker und riß ihn in Ermanglung einer Zunge mit den
Zähnen aus dem Holze. Diesen Nagel schlug er vermittelst eines losen
Balkens in das eine Ende der aneinander gebundenen Stangen.

Constanze verfolgte mit steigender Angst das fieberartig hastige
Arbeiten des Burschen.

Am Ufer ging ein Weg entlang. Auf diesem Wege flimmerte jetzt ein
Lichtlein, klang ein Glöcklein. Beim Scheine zu sehen waren zwei
Gestalten, wovon die eine ein Priester im Chorrock, an der Brust das
Heiligste tragend. Ein Gang in tiefer Nacht zu einem Schwerkranken.

Felix schrie nicht mehr um Hilfe; vom Ufer aus zu retten, war alle Zeit
vorbei. Aber zu dem Mädchen sagte er die Worte: „Constanze, dort tragen
sie das hochwürdigste Gut. Sie gehen zu einem Sterbenden, ’leicht magst
Du beten....“

Da ahnte sie, daß es sich um Leben und Sterben handle. Sie fiel auf
ihre Kniee, und ihr blasses Antlitz matt beschienen von dem am Ufer
vorbeizitternden Lichtlein, betete sie....

Felix fuhr, ohne weiter aufzublicken, in seiner Arbeit fort. Brachte er
diese in den nächsten Minuten fertig, so konnte es vielleicht noch zum
Guten sein -- sonst Alles verloren. -- Schon hatte er den Eisennagel
durch das Holz getrieben, da barst die Stange, der Nagel war wieder
locker. Keine Kleinmuth jedoch war in diesem bedeutsamen Augenblicke
an dem Burschen bemerkbar. Rasch kehrte er die Stange um, schlug den
Nagel am anderen Ende ein -- da engte sich schon der Fluß -- die letzte
Enge vor der Wehr -- die Plätte trieb ein wenig gegen das Strauchwerk
des rechten Ufers. Der Nagel saß fest -- sachte, daß er nicht breche
-- bog ihn Felix zu einem Haken um, und nun, mit bebender Gier, warf
er diesen Anker gegen das Strauchwerk aus. Die Stange war zu kurz.
Schon hub die Plätte an, sich wieder vom Ufer zu entfernen; da erfaßte
Constanze einen der kurzen Balken, stieß ihn als Ruder in’s Wasser,
lenkte so ein paar fußbreit das Fahrzeug nach rechts, und Felix hatte
sich mit dem Anker festgehakt im Buschwerk.

Unschwer war nun auf dem hier fast ruhigen Wasser die Plätte an’s Ufer
zu ziehen; Constanze und Felix sprangen oder wanden sich vielmehr durch
das Gebüsche an’s Land. -- Der Bursche stieß einen hellen Juchschrei
aus; das Mädchen sank auf die liebe feste Erde hin und weinte
Freudenthränen.

Genau um diese Zeit des späten Abends schimmerte im Gewölke, das über
der weiten Ebene stand, ein matter Schein. Höher und höher strebte er
auf in seiner milden Röthe, einen weiten rosigen Bogen beschrieb er in
den Wolken des Himmels.

Es war der Mond.


    Die Ohren klingen, die Katzen röhren,
    Als müßt’ ich bald was Neues hören.

Für die Froschreiterleut’ im Winzerhause war das eine seltsame Nacht.

Zuerst der geisterhafte Ruf beim Abendgebete. Dann ging der Priester
mit dem Sterbesacramente vorbei. Ein alter Mann im Johannesthal lag auf
den Tod. Man hatte vor dem Einschlafen für ihn noch etliche Vaterunser
gebetet. Aber es war keine Ruhe. -- Um Mitternacht kamen sie an.

Die Mutter hatte den Felix schon am Klopfen an die Thür erkannt. Der
Vater hingegen hatte es nicht glauben wollen, daß dieser Mensch mit der
jungen Genossin sein Sohn sei.

Zuerst hatten sie bei dem schlechten Schein des Oellämpleins die
weibliche Gestalt für die Ländhoferin gehalten; und jetzt war es eine
ganz andere und noch dazu eine blutjunge Person; und die Leutchen --
man sah’s gleich -- waren recht gut mitsammen bekannt.

Der alte Froschreiter schoß in die Nebenkammer, schlug dort die Hände
über den Kopf zusammen und jammerte: „Sonst ein so braver Bub gewesen
und jetzt auf einmal zerrt er mir die Weiber in’s Haus!“

„Wir können niemand Fremden über Nacht behalten!“ sagte die Mutter
scharf, einen Blick auf Constanze werfend.

Der kleine Anton war auch aufgestanden, der bot der Fremden sein eigen
Bett an; die gefiel ihm viel besser als die dicke Ländhoferin.

Constanze blickte verzagt zu Felix auf.

„Ja, regnet’s denn draußen?“ rief die Froschreiterin, „Ihr seid bigott
allzwei waschnaß!“

Und nun erzählte Felix die schöne Fahrt auf der Seim und die Rettung
vor der Zollauer Wehr. Da ging es bald aus einem andern Ton im
Winzerhause. Die Mutter packte den Sohn am Halse: „Nicht umsonst hat
mir die letzt’ Nacht so geträumt! Allerweil bin ich auf der Hochzeit
gewesen -- und das ist das sicherste Zeichen, daß wer stirbt.“

„Ist ja Niemand gestorben!“ sagte der Felix.

„Aber sein hätt’s können, Du Narr! -- Ach, Du liebes Kind!“ und fiel
ihm wieder um den Hals.

„Beim Flachsabladen, hast gesagt, beim Flachsabladen wär’s geschehen?“
fragte der alte Winzer mit tief vorgebeugtem Haupte, und mit etwas
unsicherer Stimme setzte er bei: „Was ist denn heut’ für ein Tag?“

„Heut’ ist gar kein Tag, heut’ ist die Nacht,“ erklärte der kleine
Anton.

„Weil ich sagen will, wir müssen alle Jahr’ an diesem Tag eine
Kirchfahrt auf den Schutzengelberg machen, aus Dankbarkeit für das
Mirakel, das heut’ ist geschehen.“

„Eine warme Suppe wär’ mir noch lieber,“ sagte Felix; und da schrie die
Mutter: „Weil Eins gar nicht weiß, wo Einem der Kopf steht! Ja freilich
werden sie zu essen auch was haben müssen!“

Mitten in der Nacht knatterte das Feuer auf dem Herde. Ein Bund
Maisstroh wurde in die Stube geschleppt und von jedem Bette des Hauses
das beste Stück: vom alten Winzer das Leintuch, von seinem Weib’
die Decke, von der Tochter das Kopfpolster, vom kleinen Anton der
Fußwärmerziegel wurde herbeigebracht, um davon der armen Dirn’ aus dem
Ländhofe ein gutes Bett zu bereiten.

Dann aßen sie, dann gingen sie schlafen.

Noch bevor der Felix in seine Dachkammer hinaufstieg, sagte er zum
Mädchen ein so warmherziges Wort, daß dem Alten, der es unversehens
hörte, der Athem stehen blieb.

Nach all’ der Anstrengung und Angst schliefen die Schiffbrüchigen bald
ein. Der alte Froschreiter wachte noch lange und murmelte ein- über’s
anderemal: „Ist was dahinter bei diesen zwei Leuten! Ist was dahinter!“

Auch die Winzerin schlief nicht. Es klang ihr so in den Ohren und
hinter dem Herde spann die Hauskatze -- „’s ist noch nicht richtig!....“

Noch ehe der Tag anbrach, klopfte es am Fenster des Winzerhauses
und eine rauhe Stimme rief von außen: „He, Leute, auf, ’s ist was
geschehen! -- Hat gestern spät Abends oder in der heutigen Nacht
Niemand von da wahrgenommen, daß auf der Seim ein Floß herabgefahren
wär’?“

Constanze sprang von ihrem Lager auf: „Der Vormund! Das ist ja mein
Vormund!“

„Was höre ich denn!“ rief der von außen, „die Constanze? Und da d’rin
wäre sie? O Du mein Gott! O Du lieber Gott!“

Bald war das ganze Haus wach. Der Mann draußen führte sein Pferd unter
Dach, denn es stürmte, regnete und schneite; dann schritt er in die
Stube.

Es war ein rauhgestaltiger, vollbärtiger Mann -- es war Constanzens
Vormund, der alte Freund des Ländhofer’s, der Waldmeister aus
Breitenschlag.

„Mit dem bist gefahren? mit dem da?“ fragte er das Mädchen und
versetzte dem Winzerssohn einen Handschlag auf die Achsel. Und hierauf
mußten sie ihre Wasserreise und ihre Rettung wieder und wieder
erzählen. -- Der Waldmeister war froh, daß auf seinem Angesichte so
viel Bart wucherte, in welchem sich ein paar unberufene Augentropfen
leicht verstecken konnten.

„Jetzt aber, Ihr Leute,“ sagte endlich der Mann von Breitenschlag,
„jetzt habe ich etwelches vom Ländhofe zu erzählen. Dort ist die Nacht
nicht so glücklich abgegangen, als da im untern Viertel. -- Ich darf’s
auch Dir sagen, Constanze -- die Ländhoferin ist gestorben.“

Ein mehrstimmiger Ausruf.

„Was hab’ ich nicht gesagt!“ rief die Froschreiterin, „mir hat frei so
viel von der Hochzeit geträumt, und das hat kein gut Vorbedeuten. --
Aber na, wie hat denn ~das~ mögen sein?!“

„Will’s wohl erzählen,“ sagte der Waldmeister. „Gestern in
Breitenschlag -- ’s ist schon dunkel worden -- will mich just stät
für den Sonntag einrichten -- kommt ein Bot’ von der grünen Länd:
groß Unglück geschehen, die Constanz’ und den jungen Unterviertler
das Wasser vertragen -- die Bäuerin auf den Tod krank. -- Der Schlag
hätt’ sie troffen in hellem Schreck, vor der Hausthür wär’ sie
zusammengesunken und ich sollt’ eilends mitkommen. Ich frag’ nicht
erst, wer der junge Unterviertler ist, spring’ auf mein Rössel und in
einer Stund d’rauf bin ich im Ländhof. -- Mit der Bäuerin ist’s vorbei,
das seh’ ich gleich; blaß wie das Leintuch, liegt sie auf dem Bett,
kann nimmer viel reden.“

„O Gott, meine arme Mutter!“ weinte Constanze.

„Geh’ Dirn’, sei jetzt still,“ sagte der Vormund, „hast Ursach’ zu
klagen, so ist später auch noch Zeit dazu. Jetzt hör’ auf meine
Red’. -- Bäuerin, sag’ ich und geb’ ihr die Hand hin, was ist Dir
so jäh widerfahren? -- Ist’s der Waldmeister? fragt sie, wenn’s der
Waldmeister ist, so möcht’ ich ein paar Wort’ allein mit ihm reden.
-- Drauf gehen die Leut’ aus der Stube. -- Ländhoferin, sag’ ich zu
ihr, hast ein Anliegen? -- Ich möcht’ weinen, giebt sie zur Antwort,
möcht’ weinen und kann nicht. Ein Teufel ist in mir. Waldmeister, ich
verspür’s, ’s ist mein End’, auf einmal jetzt mein End’. Mein Herrgott
wird mich nicht verlassen. Ich will Alles sagen. Waldmeister, ich kann
ja nicht’s dafür, daß ich den Burschen so lieb hab’ gehabt. Geeifert
hab’ ich mit der Dirn’, und ich hab’ sie wollen aus dem Weg schaffen.
Ich selber hab’ das Plättenseil abgeschnitten --“

Wieder ein Schrei des Schreckens und Constanze rief: „Nein, Vormund,
das kann nicht sein, das hat sie im Fieber gesagt.“

„Du bist eine gute Seel’, Mädel,“ versetzte der Waldmeister, „und das
hat sie in der letzten Stund’ noch eingesehen. Um Verzeihung bitten
läßt sie Dich für Alles; sollst recht glücklich sein auf dieser Welt.
Das ist ihr letztes Wort gewesen.“

Constanze schluchzte bitterlich. Alle waren ergriffen.

„So hat sie mir’s anvertraut,“ fuhr der Waldmeister fort, „wie sie
Alles gemeint hat, das muß ich erst von Euch erfahren. -- Nun, und die
Leut’ sind an der Seim dahingeeilt, und um Mitternacht, da die Bäuerin
verschieden war, bin auch ich auf mein Pferd gesprungen und dem unteren
Viertel zugeritten, daß ich doch eine Spur von Euch könnt’ entdecken.
’s ist mir gut gerathen, Gott sei Lob, ’s ist mir gut gerathen.“

„O, arme Mutter,“ klagte Constanze, „sie ist gewiß eine brave Frau
gewesen und hat’s nicht bös’ mit mir gemeint!“

„Den Todten nichts Uebles, aber die Wahrheit muß an’s Licht,“ sagte
der Vormund. „Kind, die Bäuerin hätte Dich vielleicht lieb gehabt,
wenn nicht Deines Vaters Testament vorhanden gewesen wäre. Sie hat es
gewußt, daß Du mit dem Eintritte Deiner Großjährigkeit der Herr auf dem
Ländhofe sein wirst.“

„Ich bitt’ Euch, laßt mir jetzt diese Dinge weg!“ rief das Mädchen, „es
hat uns erst der Tod die Hand gegeben.“

„Wohl, wohl, aber jetzt kommt wieder das Leben d’ran,“ versetzte der
Waldmeister, „ich bin der Vormund und mir ist darum zu thun, daß Du
jetzt weißt, wie es steht und was Du zu thun hast. Von heut’ an werden
alle Schriften über den Ländhof auf Deinen Namen lauten. Ich bin ein
betagter Mann und hab’ auch auf mein Haus zu denken, aber ich werde
Dir in der Wirthschaft helfen, bis Du einen anderen, jüngeren Vormund
wirst gewählt haben.“

Felix nieste. „Helf’ Gott!“ sagte er für sich selber, „und wahr soll’s
sein, was ich mir jetzt gedacht hab’!“


    Felix kommt auf die Länd’
    Und die Geschichte ist zu End’.

Den Erzähler könnten wir jetzt verabschieden; wir wissen doch, wie es
kommt. Weil der Vormund schon betagt ist und auf sich selber zu schauen
hat, so muß die junge Ländhoferin -- denn das Erbe des Vaters kann sie
nicht ablehnen -- dazuthun, daß sie bald einen Wirthschafter findet.
Auch muß die Weltordnung so bestellt sein, daß, wenn die Froschreiterin
von der Hochzeit träumt, es auch wirklich eine Hochzeit bedeutet. --
Zu Martini, wie es die selige Bäuerin vor hatte, ist es wohl etwas zu
früh, denn Constanze will der unglücklichen Stiefmutter etliche Wochen
stillen Gedenkens weihen. -- Aber nach Neujahr, zum Fasching, wenn’s
anständig ist, Felix! -- Warum denn nicht, der Felix ist allzeit bereit.

Einen seltsamen Gedanken hatte der alte Froschreiter. Unten in der
Tiefe der Zollauer Wehr kreisten nämlich tagelang die Trümmer der
Plätte und mehrere der Flachsbündel. Und da sagte der alte Winzer zu
seinem Sohne: „Weißt, Felix, was ich an Deiner Stell’ thät’? Ich thät’
da unten den schönen Oberviertlerflachs aus dem Wasser fischen und fein
brecheln, spinnen und weben lassen -- ich sag’, das müßt’ ein gutes
Bettzeug geben!“

[Illustration]



Das Haus auf der Höhe.


Auf sonniger Bergeshöhe steht ein Haus. Zur Morgenstunde leuchtet es
mit seinen röthlichen Holzwänden und seinen hellen Fensterscheiben
freundlich nieder in das thaufrische Thal, wo zwischen den Wiesen und
silberweiß schimmernden Weidenbüschen der dunkle Forellenbach hinzieht,
und wo das Dorf liegt. Zur Morgenstunde hängt stets ein bläulicher
Aetherschleier über dem Dorfe, aber die schlanke Kirchthurmspitze ragt
heraus und läßt ihr vergoldetes Kreuz in der Sonne funkeln. Und wer
nicht Augen hat, diesen Strahlengruß zu sehen, der hat wohl Ohren, das
Morgenlied der Glocke zu vernehmen.

Zwei Männer, die aus dem Thale langsam gegen das Haus auf der
Bergeshöhe emporsteigen, hören den Glockenklang und ziehen ihre
spitzigen Hüte ab. Ein vorgeneigtes Greisenhaupt und ein nach rückwärts
strebender strohlichter Lockenkopf sind es, die im Gehen ihre
Morgenandacht verrichten und sich fromm einschließen in des Pfarrers
Messe, deren Beginn die Glocke eben verkündet hat. Die beiden Männer
haben mit einander eben nichts zu sprechen, und so überläßt sich jeder
seinem Gebete. Der Alte ist demüthig, blickt zur Erde, zuweilen auch
ein wenig nach rechts und links, denn es verlangt ihn zu wissen, wie
die Saaten grünen. Der Kopf mit den Strohlocken richtet seine großen
Glotzaugen und seinen halboffenen Mund geradewegs zum Himmel hinauf;
da oben fliegen und zwitschern die Meisen und die Amseln, und er, der
Strohlockenkopf erwirbt sich durch Vögelfangen sein Kegelschiebgeld und
seinen Bruderschaftsbeitrag zum Jünglingsverein.

In solcher Andacht versunken, langten sie endlich oben am Hause an.

Das Haus stand auf freier Höhe und lehnte sich rückwärts an einen sanft
abfallenden Tannenwald. Es war weder Stall noch Scheune da; ein kleiner
Garten umgab den Bau und gegen die Morgenseite hin blühten Büsche und
ragte eine Eiche. Das Haus war in dieser Gegend ganz seltsam: es war
weit geschmackvoller als andere Menschenwohnungen der Gegend, und
doch wieder viel einfacher als die Landhäuser der Reichen. Es war mit
keiner dieser Gattungen vergleichbar. Das Haus ragte hoch, hatte an den
Fenstern und Thoren feingeschnitzte Zieraten, nach Art korinthischer
Säulen mit schön durchbrochenen Gesimsen. Die Fenster waren schmal und
hoch, das Dach aus glatten Schindeln flach und luftig; gegen Mittag
hin stand ein erkerartiger Söller hervor, mit festen Seitenwänden wohl
verwahrt, mit einem Kranzgesimse in dorischer Form überbaut. Das Haus
stand wie ein Tempel.

Wie die beiden Männer bisher ihr Haupt entblößt hielten, so bedeckten
sie es jetzt, da sie in diesen Tempel traten.

War aber doch kein Tempel, war theils ein bequem und zweckmäßig
eingerichtetes Wohnhaus, theils eine Künstlerwerkstätte.

An den Wänden standen Statuen aus Holz in allen Gestalten und Größen;
mitten im Raume ragten Klötze, halbfertige Schnitzwerke, ihrer völligen
Vollendung harrend.

An einem solchen Klotz stand der Bildner, ein schier gebeugter,
aber doch behendiger Greis mit schneeweißen Locken, starken weißen
Augenbrauen und mit frischrothen Wangen. Auf diesem Antlitze hatte der
Meißel des Schicksals den Ausdruck stiller Freude und Befriedigung,
aber auch den Zug einer schweren Vergangenheit und den ehernen Hauch
eines starken selbstbewußten Geistes eingegraben.

Als die beiden Männer aus dem Thale eintraten und einen christlichen
Gruß sagten, zog der Bildner sein Käppchen vom Haupte. Aber die
Ankömmlinge thaten nicht desgleichen, diese ziehen ihre Hüte nur vor
dem lieben Herrgott und vor dem Herrn Pfarrer.

Der Bildner wies ihnen in der Nähe der Wandfiguren Sitzplätze an; das
Grauhaupt nahm den seinen sofort in Beschlag, der junge Gelblockenkopf
aber stand ganz verlegen und wendete sich und wußte nicht, wo er sein
erröthendes Gesicht hinthun sollte.

„Nu, Steff!“ sagte das Grauhaupt, und das Wort war ein Ermahnen zum
Platznehmen.

„Na,“ versetzte der Bursche, weinerlich lächelnd, „da setz’ ich mich
nicht hin, ich nicht. Das ist schon gar aus der Weis’! -- So -- hell
mutternackt!“

Wie konnte nur Meister Eman dem jungen unverdorbenen Kirchensteff,
der zur Bruderschaft des heiligen Aloisius zählte, zumuthen, neben
der capitolinischen Venus Platz zu nehmen! Indeß bemerkte der Bildner
lächelnd sein Fehl, und in der Nähe einiger Kobolde und ziegenfüßiger
Faunen fand sich eine prächtige Sitzstelle für den jungen Mann.

„Was verschafft mir nur heute den Besuch?“ fragte der Bildner.

„Gelt, das ist zum Verwundern!“ rief das Grauhaupt und rieb sich
vergnüglich einigen Erdstaub von seinem Zwilchärmel, denn er war der
Todtengräber. Aber nicht in dieser Eigenschaft war er heute zu dem
Hause des Bildners emporgestiegen, sondern in jener seines zweiten
Amtes, denn er war auch Kirchenvater, d. h. der Mann, der nebst dem
Pfarrer die Aufsicht über die Dorfkirche führte und an Sonn- und
Feiertagen als Meßner waltete.

„Schaut, Meister Eman,“ sagte er schmunzelnd, „ein Grabkreuz brauch’
ich diesmal nicht, und redlich herausgesagt, Meister, die Grabkreuze
macht Er nichts nutz. Mehr Blut muß auf die Herrgötteln kommen, viel
mehr Blut; und die armen Seelen im Fegfeuer läßt Er ganz und gar
aus. Hätt’ Ihm auch sagen mögen, daß sich ein Bildniß, wie Er es auf
Seiner Gottseligen Grab gestellt, in einen christlichen Friedhof gar
nicht reimt. Geht mich aber insoweit nichts an; und wir wissen es
allmiteinand’, der Meister kann Seine Sach’ schon auch gut machen, wenn
Er nur will. Wir bringen Arbeit, Meister.“

Der Meister lächelte ein wenig über den bevormundenden Ton des
Kirchenvaters, und da er von den Leuten vollständig unabhängig war,
so ließ er sich derlei Bemerkungen um so gleichgiltiger gefallen. Nun
hatte er seinen Schnitzer beiseite gelegt und sich dem Grauhaupte
gegenübergesetzt.

„Ja, ja,“ sagte der Kirchenvater und schlug seine flache Hand auf
die Lederhose des Oberschenkels, daß es klatschte, „das ist eine
verzweifelte Geschichte, jetzt; wir brauchen eine neue schmerzhafte
Mutter Gottes auf unseren Hochaltar. Die alte ist schon caput über
und über. In drei Tagen ist Frohnleichnam, mag Er uns bishin eine
schaffen?“

Der Meister zwinkerte mit den buschigen Brauen, hob langsam seine
Stirne empor, daß sich das Gesicht erklecklich verlängerte und über die
Schläfe scharfe Runzeln zog.

„Drei Tage arbeitet der Schneider an einer Joppe,“ sagte er hierauf.

„Halt nu,“ brummte der Kirchenvater, „wenn der Meister meint, daß Er
in drei Tagen nicht fertig werden kann mit der Schmerzhaften, so hat’s
’leicht wohl Zeit bis zum Sonntag.“

„Mein sehr guter Vetter,“ entgegnete der Meister in der landesüblichen
Redensart, „unfertig kommt nichts aus meinen Händen, denn die Dinge,
die wir als Bildnisse aufstellen, halten länger als ich, als Ihr,
als das jüngste Knäblein Eurer Gemeinde. Und wehe Dem, der Aergerniß
giebt einem kommenden Geschlechte! Wenn ich bereit bin, die Arbeit zu
übernehmen, so kann das Frauenbild bis zur Weinachtszeit hin fertig
werden.“

Schier sprachlos war der Kirchenvater. Da ergiff sein Sohn, der Steff,
das Wort, und meinte, gut Ding brauche Weile, und man müsse halt
einstweilen den Fastenschleier über die Mutter Gottes hüllen, denn
es sei schon gar alles Gold weg von ihrem Rock, und von den sieben
Schwertern in ihrer Brust seien fünf schon armselig abgebrochen; in
solchem Zustande, das sei wohl einzusehen, könne sie sich nicht mehr
länger ansingen lassen.

„Liebe Leute,“ sagte nun der Bildner, „wenn ich das Bildniß schnitze,
so soll es, so weit das in meinen Kräften steht, ein Kunstwerk
werden. Ein einfaches, würdiges Bild, die Gestalt einer glorreichen
Himmelskönigin und demüthigen Jungfrau zugleich; ein Bild, das die
frommen Beter mit Andacht und Liebe erfüllt.“

„Und der sieben Schwerter wegen wollt’ ich noch sagen,“ meinte das
Grauhaupt, „wenn sie halt thäten vergoldet werden; die Ottenkircher
haben es auch so.“

„Soll ~ich~ das Bild verfertigen,“ sagte der Meister nicht ohne
Nachdruck, „so werden die Schwerter ganz wegbleiben. Der Schmerz der
Gottesmutter soll in der Stellung der Gestalt und auf dem Antlitze
ausgedrückt sein.“

„Eine Schmerzhafte ohne Schwerter!“ rief der Kirchenvater aus.

„Wohl,“ sagte der Meister, „die alte Darstellung mit den sieben Messern
in der Brust ist albern und lächerlich, abgeschmackt im höchsten Grade
-- läßt sich mit der Kunst nimmer vereinen.“

„Thäten aber doch bitten,“ versetzte das Grauhaupt, „thäten ja die
Ueberkosten gern extra bezahlen --“

„Eine solche Bestellung lehne ich dankend ab,“ sagte der Bildner und
erhob sich; „wollt Ihr Fratzen haben auf Euren Altären, so seid Ihr bei
mir am unrechten Mann.“ Sein Gesicht war dunkelroth, das Künstlerthum
in seiner Seele war beleidigt.

Die Männer aus dem Dorfe schlichen achselzuckend davon.

Der Meister meißelte an seinem Lindenholze weiter. Aber nicht lange.
Sein Arm zitterte, er legte das Werkzeug aus der Hand und starrte
auf die Statuen hin, die an den Wänden aufgestellt waren. Der ganze
sinnenlebendige Mythus der Griechen war hier verkörpert. Aber des
alten Mannes Blick hing heute nicht an der lieblichen Eos, nicht an
der hehren Pallas Athene, nicht an dem ehrwürdigen Zeus, nicht an den
heiteren Gestalten der Musen; etwas länger weilte er an den finsteren
trotzigen Recken der deutschen Göttersagen. -- Tretet aus Eurer
Starrniß und stürzet die Götzen der Nachkommen! -- Das war vielleicht
des Greises Gedanke. Endlich verließ er die Werkstätte und ging in das
Freie.

An der schattigen Rückseite des Hauses, gegen den sonnengoldigen
Tannenschachen gekehrt, stand ein anderes Bild. Es war eine junge,
lieblich schöne Gestalt, halb noch Knabe mit frischen, vollen,
trotzigen Lippen, mit aufgeweckter, stolzer Körperhaltung; halb
Jüngling mit zarten, weithin gegossenen Locken, mit großen,
schwärmerisch seligen Augen. Die Gestalt, in ein sich gefällig
schmiegendes Schäferkleid gehüllt, war ein wenig vorgebeugt; am linken
Arme trug sie eine Tafel, in der rechten Hand hielt sie einen Stift.
So stand sie in ihrer Unbeweglichkeit da und betrachtete den herrlich
leuchtenden Wald.

Die finstere Wolke verschwand auf des Meisters Stirn; er hielt seinen
Schritt an und blickte wohlgefällig auf dieses freundliche Bild.

Nach einer Weile rief er den Namen: „Aladar!“

Da löste sich die Unbeweglichkeit der Gestalt, sie hüpfte heran und
sagte mit heller Stimme:

„Vater, jetzt habe ich es erfaßt, was in den Wipfeln der Tannen ist.
Aber sag’, hab’ ich es wohl auch ~ganz~ erfaßt?“

Mit dieser zweifelumschatteten Zuversicht hielt der Knabe die Tafel
seinem Vater hin.

Der Meister betrachtete die Zeichnung; dabei wurde sein Angesicht fast
furchenlos und er sagte die Worte: „Es ist gut. Aber höre: ganz hast Du
es nicht erfaßt, was in den Wipfeln der Tannen ist. So geht es immer.
Der Junge rechtet mit der Gegenwart, der Alte mit der Vergangenheit;
der Junge mit der Natur, der Alte mit der Kunst; aber mich will es
zuweilen bedünken, beide ringen vergebens. Wohl, mein Sohn, und es ist
gut. Der Künstler darf in seinem Werke nie die volle Befriedigung
finden; steht das Ideal seines Zieles nicht über dem Erreichbaren, so
steht es zu tief. Das gilt besonders in der bildenden Kunst. Aus dem
Nichtbefriedigtsein entspringt das ersprießliche Streben. Komm, Aladar,
Du sollst das Gedeihen meines Helios schauen.“

Sie gingen in das Haus und standen vor dem Lindenklotz, an dem der
Alte vorhin gearbeitet hatte. Aus dem rauhen Holze starrte ein Antlitz
hervor, zwar noch herb und eckig, aber in seinen Hauptpartien doch edel
und scharf markirt.

Der Bildner schien den bösen Eindruck des Morgenbesuches nun vergessen
zu haben. Sein Blick lag freudig auf der allerdings noch sehr
unvollendeten Arbeit und auf dem Jüngling, der die Holzsäule still und
eingehend betrachtete.

„Der Gedanke in mir, das Sinnbild des Licht- und Flammengottes
darzustellen, ist vielleicht dreimal so alt, als Du, mein Junge,“
sagte der Meister. „Aber das Geschick meines Lebens hat mich niemals
zu jener Ruhe und Klärung kommen lassen, die zu einem solchen Versuche
durchaus nöthig ist. Nur die kurzen Tage, die mir an Deiner Mutter
Seite zu leben gestattet waren, hätten dazu vielleicht die Helle
und Begeisterung geboten, nicht aber die Ruhe. Es ist in Stunden
hochwogender Glückseligkeit, sowie in Tagen wilder Qual noch kein
Kunstwerk geschaffen worden. Mir sind solche Zeiten nun vorüber und
in diesen stillen Nachsommertagen habe ich mich endlich an meinen
Lieblingsgedanken gemacht. Der Gottheit, die uns das Licht gegeben
hat und von deren flammendem Wagen Prometheus das Feuer geholt -- das
göttlichste und wunderbarste der Elemente -- dieser Gottheit will ich
das letzte Werk meines Schaffens weihen, ehe ich eingehe zur ewigen
Nacht.“

Die letzten Worte waren in großer Gefühlsbewegung gesprochen. Aladar’s
dunkle Augen sogen jedes Wort von den Lippen des Vaters und sie
entflammten in Begeisterung. Der Jüngling legte seinen Arm um die
Statue, und als der Meister aufgehört zu reden, sagte er: „Mein Vater,
Du hast heute wieder ein Wort gesprochen, das ich nicht recht verstehen
kann. So erzähle mir endlich von Deiner Vergangenheit und von meiner
Mutter.“

„Du wirst noch zu jung dazu sein,“ antwortete der Greis.

„Ich weiß das nicht. Ich bin erwachsen und schon ein Mann; ich werde
morgen sechzehn Jahre alt.“

Nach einer Weile entgegnete der Vater: „Daß man aufblühende Blumen
nicht in den Schatten stellen soll, das weißt Du. So hätte ich Dich
gern verschont, mein Kind, und Dich blühen lassen im Sonnenlichte. Ich
wollte Dich nicht vorzeitig aus dem Arkadien Deiner Kindheit verstoßen,
so sehr es mich oft gedrängt hat, mich ganz und voll Dir mitzutheilen.
Nun, ich sehe, Du wendest Dich freiwillig von den kindlichen Freuden
und bist ernst und männlich geworden schier vor der Zeit. So will
ich Dir auf Dein Begehr, und da es doch einmal sein muß, zu Deinem
sechzehnten Geburtstage das Angebinde des Schmerzes machen. Morgen zur
Nachmittagszeit, wenn die Sonne hinter die Wipfel des Tannenwaldes wird
gezogen sein, wollen wir mitsammen niedersteigen in das Thal.“

Ein Weiteres von dieser Sache wurde heute nicht mehr gesprochen. Jeder
ging an seine Arbeit. Der Meister meißelte an seinem Helios, und Aladar
-- das Bedürfniß des Tages ist stets der Herr im Hause -- wirthete in
der Küche.

Und am anderen Tage, als die Sonne hinter die Wipfel des Tannenwaldes
gezogen war, wurde das einsame Haus auf der Bergeshöhe verschlossen und
der Greis und der Jüngling stiegen niederwärts gegen das Thal.

Aladar hatte vom Hause weg kein Wort mehr gesprochen; auch der alte
Mann schritt stumm dahin. Gar die Waldvöglein schwiegen zu dieser
Tageszeit; nur daß zuweilen vom Tanne her das eintönige Hacken eines
Spechtes vernehmbar war. „Selbst im Walde ist kein Sang mehr, ist nur
das harte Pochen der Arbeit!“ sagte der Bildner. Eine Hummel summte
über das grüne Heidekraut; da stand der alte Mann still und flüsterte:
„Hörst Du die Glocken läuten?“

Der Bursche gab keine Antwort. Und als sie weiterschritten, hub der
Mann an zu reden:

„In einem Thale jenes Gebirges, welches das weite Ungarland gegen
Mitternacht hin begrenzt, bin ich geboren worden. Mein Vater war
Hirt und hütete die Pferde des Gutsherrn. Auf wilden Pferden bin ich
gesessen und habe sie gebändigt. Den Gutsherrn habe ich unsäglich
gehaßt, denn er hatte einmal meinen Vater schlagen lassen bis auf’s
Blut. Gewesen ist’s des einen Wortes wegen, das mein Vater gesprochen:
Herr, unsereins ist auch ein Mensch, und es ist himmelschreiend, wie
wir unterdrückt werden! So ein Wort hat früher schwerer gegolten, wie
drei Todtschläge. Dazumal -- Aladar, und das ist noch nicht lange
her, diese junge Eiche hier ist noch in den Tagen der Knechtschaft
aus der Erde gesprossen -- dazumal hat der Gutsbesitzer willkürlich
verfügt, nicht blos über seine Pferde und Schweine, sondern auch und
weit rücksichtsloser noch über seine Unterthanen. Meine Mutter soll
ein schönes Weib gewesen sein; als sie starb, war ihr letztes Wort
zu mir: „Emanuel, und halte Deinen Nährvater in Ehren!“ -- Mich hat
dieses Wort in eine große Wirrniß gesetzt; aber meinem Vater, dem
armen schutzlosen Hirten, bin ich treu gewesen, und zutiefst im Herzen
habe ich geschworen mitten unter den wiehernden Rossen: „Die blutigen
Streiche sollen nicht vergessen sein!“ -- Gar bald bin ich von dem
alten Manne gerissen worden, ich weiß heute noch nicht wie; nur das
weiß ich, mit meinem Willen ist es damals nicht geschehen. Ich mag wohl
irgend welche geistige Anlage gehabt haben; ich erinnere mich nur, daß
ich nicht mit meinen Genossen hielt, daß ich sie aber beeinflußte. Auch
schwebt es mir noch vor, daß ich als Hirte aus dem Lehme der Heide
allerlei Gestalten formte. War das die Ursache, oder war es, weil ich
unter meinen Standesgenossen mehrmals Aufwiegelungsversuche gegen den
Gutsherrn gewagt hatte, die indeß stets armselig zu Schanden geworden
sind -- oder war es ein anderer Grund, kurz, ich wurde entfernt und
bestraft, wie so großmüthig noch kein Thunichtgut bestraft worden ist.
Der Gutsbesitzer ließ mich in die Hauptstadt Pest bringen und dort in
eine Lehranstalt stecken. Anfangs war ich hier wie vom Himmel gefallen,
wußte gar nicht, was das Alles zu bedeuten. Bald aber sah ich die gute
Wendung ein.

„Ich habe lange und mit Liebe studirt. Nach wenigen Jahren schon war
ich aus mir herausgewachsen. Ich sog den Geist der Alten ein und auch
die Ideen der Neuen; das entzweite mich anfangs, ich empfand die
Nothwendigkeit, daß hier eine Brücke gebaut werden müsse, und ich
fand, daß nach den Gräueln zweier finsterer Jahrtausende sich die
Welt wieder anschickt, in die Fußstapfen der Alten einzulenken. In
dieser Zuversicht atzte ich mein Herz an dem ewigen Schönheitsidole
des alten Hellas und seiner heiteren Weisen, und in diesem Bewußtsein
habe ich mich mit jauchzender Seele der bildenden Kunst ergeben. Nach
zwölf Jahren arbeitete ich in klingendem Marmor. Meine Bilder wurden
aufgestellt in Palästen.

„Jetzt wäre ich glücklich gewesen, aber das Wort der sterbenden Mutter
hat mir im Herzen gebrannt. Und wehe dem Kinde, vom Verhängnisse
berufen, seine Mutter etwa an seinem Vater rächen zu müssen!“

Der Greis schwieg. Sie gingen durch jungen, duftenden Anwuchs hinab,
der dichter und höher wurde und endlich die Wandelnden in seine
Schatten hüllte. Der Boden war steinig und von Wurzelarmen durchzogen.
Da sagte der Vater zu seinem Sohne: „Habe Acht, daß Du nicht
strauchelst!“

Endlich fuhr er in seiner Erzählung fort:

„Einst zur Sommerszeit kehrte ich in mein Heimatsthal zurück. Der
alte Hirt -- mein Vater -- war begraben, seine Hütte verfallen.
Aber ich wohnte ja im Schlosse und der Gutsherr ging mit mir Arm in
Arm. Ich empfand stets, ich hatte durch das Studium meinen Beruf
glücklich getroffen, aber ich fühlte gegen meinen Wohlthäter nicht die
begeisterte Dankbarkeit, die ich wohl schuldig gewesen sein mochte.
Mehrmals wollte ich den Herrn Arm in Arm auf den Kirchhof führen und zu
einem Mauerwinkel hin, wo Nesseln wuchsen -- unter denen meine Mutter
lag. Er folgte mir nicht. -- Zerstreuung, oder was man so nennt, gab
es genug; der Gutsherr war ein Meister des Vergnügens. Würfeln und
Schwelgen wußte er hoch zu betreiben; auch die Prügelbänke und den
Galgen zählte er zu den Gegenständen seines Ergötzens. Einst ließ
er zu Ehren eines erlauchten Gastes drei eingefangene Korndiebe ohne
gesetzliche Aburtheilung an den Platanen des Lustgartens hängen. --
Wohl, mein Sohn, es ist schade um Deine rothen Wangen, die ich jetzt
verblassen sehe; aber sei ein Mann und höre mich weiter. -- Eines
Tages während meiner Anwesenheit im Thale war große Hirschjagd. Die
Treiber waren schon zwei Tage und Nächte ununterbrochen bei Sturm
und Regen in ihrem über Berg und Thal gezogenen Kreise gestanden, um
das zusammengedrängte Hochwild einzuschließen. Die Jagd begann, wir
durchbrachen auf unseren Rossen den Kreis; die Hörner schrillten, die
Schüsse knallten von allen Seiten und das Johlen der leidenschaftlichen
Jägerrotte gellte fast unheimlich durch die Waldung. Ich hielt mich
abseits, mir war nicht um Schuß und Wild zu thun; ich band das Roß an
eine Eiche und lagerte mich auf einen stillen, schattigen Anger und
lauschte einer Quelle. Einen unsäglichen Ekel hatte ich vor dem Treiben
dieser rohen, der crassen Willkür ergebenen Gesellen, die sich die
Großen des Landes nannten. Unter den Schatten jener Eichen beschloß
ich, keinen Tag länger in der Gegend zu verbleiben, sondern wieder
dem geistigen Leben der Hauptstadt zuzueilen. Da hastete keuchend
ein Mädchen durch das Dickicht heran, wild aufgeregt, mit zerfetzten
Kleidern, blutenden Gliedern und angstglühenden Augen. Ein junges,
kaum erwachsenes, schönes, merkwürdiges Mädchen, Aladar! -- Vor meinen
Füßen ist es zu Boden gestürzt, hat mich angefleht um meinen Schutz.
Es war seiner Schönheit willen verfolgt von Jägern, eingeschlossen
von dem Kreise der Treiber. -- Das Kind hat seine Noth noch kaum
in Worte gefaßt, so durchbrechen Pferde das Gestrüppe, zwei Reiter
sprengen lachend auf das Mädchen zu; einer davon ist mein Gutsherr.
Ich erraffe mein Doppelgewehr: „Hat ~solches~ Wild Vater Nimrod
gejagt? Ihr Buben, wollt Ihr’s wagen, das Kind ist in meiner Hut!“ --
Lachend ritten sie davon, aber ich sah es wohl, wie mein Gutsherr in
stiller Wuth erblaßt war. Das Mädchen geleitete ich in sein Haus; es
war sehr armer Leute Kind, das jeden Tag in den Wald ging, um wilde
Früchte zu sammeln. Ich sah die Gefahren, die von diesem Tage ab
doppelt über dem schönen Wesen schweben würden, und ich beschloß, es zu
schützen. Allein noch an demselben Abend ließ mich mein edler Gönner
und Gastherr in ein Gemach führen, das nur von außen zu schließen ist.
Es war gar fest und sicher eingewölbt und das Fensterchen kräftigst
vergittert; aber der Blick meiner Augen flog doch hinaus, und über
der Hofmauer dämmerte der Bergwald herein -- der Bergwald, in dem
die Klause der armen Leute stand. Ich bin aber nicht lange in dieser
Kammer gesessen. Die Zeit, mein Junge, war das Jahr des Heiles. Der
Aufruhr wogte auch in das Bergthal hinein und da hat sich gewaltig viel
Zündstoff gefunden. Die Vasallen, sonst feig und blöde wie eine Heerde
von Mauleseln, wurden wach und verstanden die Stunde. Menschenmassen
versammelten sich um das Schloß und ein langer hagerer Mann rief:
„Mach’ uns auf, Du übermüthiger Schloßherr, in Deinem Hause ist unser
gutes Recht vergraben, das wollen wir uns holen!“ Da flog ein Schuß aus
des Magnaten Fenster und streckte den drohenden Waldmenschen nieder.
Dieser Schuß hat dem Gutsherrn Schloß und Schlag gekostet. Das Gebäude
wird gestürmt, bald brennt es an allen Enden, und der Gutsherr, für
sein Leben zitternd, sucht ein sicheres Gewahrsam, stürzt in mein
Kerkergewölbe und schutzflehend mir zu Füßen. -- „Was steigst Du in
den Kerker, in den Du mich geworfen hast!“ rufe ich bebend; „weißt Du
es wohl, warum Du mich gefangen hältst, und weißt Du, Tyrann, vor wem
Du liegst? Vor dem Sohne des Mannes, den Du mißhandelt! Heute giebt
das Volk den Streich zurück!“ -- „Erbarmen!“ stöhnte er, „Emanuel,
vielleicht fleht in diesem Augenblicke Dein leiblicher Vater Dich an um
sein Leben --“

„Ich habe den Mann vor der wüthenden Rotte beschützt; es gelang mir,
ihn auf kurze Zeit in Sicherheit zu bringen. Bald aber ist er dem Zorne
seiner sich selbst befreienden Unterthanen erlegen. -- Ich habe in
jenen Tagen nicht geruht, habe mitgerungen den wilden Befreiungskampf,
der empörenden Unthaten gedenkend, die meinem Volke waren angethan
worden. Das erste Opfer dieses Kampfes, der durch des Gutsherrn Kugel
hingestreckte Mann war Nella’s Vater gewesen. Nella, freilich, so
hat sie geheißen, die ich im Walde ihren Verfolgern entrissen. Nella
-- mein Sohn, Du kennst ihr Bild, es steht in unserem Hause und ist
jene Büste, die ich Dir bisher Eos genannt habe. Nella ist mein Weib
geworden.“

„Fast zur selben Zeit aber wird der Aufstand durch Schwert und Strick
gebändigt und den Aufrührern werden lichte Pfähle zum Denkmal gesetzt.
Mir hat es mein Gewissen laut genug gesagt, was ich gethan, ich habe
für mein Volk gestritten. Wäre ich los und ledig gewesen, ich hätte
mich ja hingestellt meinen Blutrichtern: „Da habt Ihr mich, Ihr
Menschenschänder, mordet mich hin, wie Ihr Tausende gewürgt habt; ich
bin ein redlicher Kämpfer meines guten Rechtes!“ -- Aber ein geliebtes
Weib an der Seite, bin ich geflohen. Ueber die Landesgrenze konnten
wir nicht; wir wären verloren gewesen. Doch es hat auch brave Magnaten
im Ungarlande gegeben. Ich sage das von dem Manne an der Theiß nicht,
weil er uns in seine Burg nahm und beschützte, das that er vielleicht
dem Künstler zuliebe, den er in mir verehrte. Ich sage das von jenem
Manne, weil er den Geist der Zeit verstanden und ihm Rechnung getragen
hat. Dieser Magnat hat seine Leibeigenen freigelassen ~vor~ den
Tagen der Gewalt; so haben die Leute freiwillig sein Haus und sein
Leben beschützt vor den wilden Stürmen der Revolution. -- Ein Jahr
lang haben wir unter fremden Namen in seinem Hause gewohnt. Hier hatte
Nella Gelegenheit, ihren eigenen Geist zu bilden, auf daß er ihrem
großen Frauenherzen ebenbürtig wurde. Ich habe in dieser Zeit unserem
Schirmer aus Dankbarkeit ein Marmorbildniß gestaltet, von dem der gute
Mann so entzückt war, daß er mich bittend zwang, eine Summe anzunehmen,
die mir die Sorge für die Zukunft meiner Familie mit einemmale löste.
Freilich kam rasch eine andere größere Sorge auf mich angestürmt.
Unser Schützer starb an einem Herzleiden, und wir waren obdachlos. Und
wir waren mitten im Lande, das mich in Acht und Bann gelegt hatte.
-- O, mein geliebtes Kind! der heißeste Vatersegen vermag es nicht,
des Lebens allumfassendes Ungemach von Deinem Haupte zu scheuchen,
aber niemals möge ein Tag Dir kommen, an dem Du heimatlos mit einer
jungen Gattin die Menschen meiden mußt und friedlos Nächten und Wüsten
entgegenfliehest, um für die zermarterten Glieder eine kurze Ruhestatt
zu finden!“

Der alte Mann beugte tief sein Haupt und die schneeweißen Brauen seiner
Augen wogten auf und nieder.

Der Wald war gar hoch und finster geworden. Die beiden Menschen
schritten rasch. Auf Aladar’s Antlitz hatten während der Erzählung
Gluthröthe und Marmorblässe gewechselt. Jetzt preßte er die Lippen fest
aneinander. Plötzlich aber stand er still und rief in erregtem Tone:
„Vater, laß meine Eltern nicht so lange in der Noth!“

„In Bettlerlappen gehüllt, sind wir gegen den Untergang der Sonne
gezogen,“ fuhr der Greis fort, „sind endlich in das grüne Bergland
gekommen, dessen Alpenkronen den Satzungen der Menschen nicht unterthan
sind, in dessen sangeslebendigen Wäldern blutdürstige Bannflüche
spurlos verhallen. -- Wir sind frei gewesen. Im Kreise des ewigen
Menschenrechtes sind wir leichten und frohen Gemüthes langsam weiter
gezogen, um in den deutschen Landen eine bleibende Stätte zu suchen. --
Siehe, mein Sohn, nun lichtet sich der Wald; wir sind im Thale und vor
uns liegt das Dorf mit den friedlich rauchenden Schornsteinen.“

„So ist es auch an jenem Abende gelegen, als ich und meine Gattin --
das liebe treue Weib -- des steinigen Weges gegangen kamen. Vor Freuden
haben ihre schönen süßen Augen geweint, als sie zu dieser Stunde die
traulich umfriedeten Menschenwohnungen gesehen. Allein, als wir durch
die Dorfgasse schritten, da sind an den Häusern alle Thüren zugegangen.
Ja, ich glaube es, die Bettlerlappen! Aber ich habe mein Schärflein
wohl gewahrt gehabt an der linken Brust, unter einem häßlichen
Filzpflaster. Und auf meinen Ruf, daß wir getreulich Alles bezahlen
wollten, hat uns das Wirthshaus des Ortes aufgenommen. Und nun war es
in derselbigen Nacht --“

Die Stimme des Alten wurde tonlos, wollte versagen. Tüchtig räuspern
mußte er sich, dann schlug er mit beiden Armen in die Luft hinein und
rief: „Ei, geh, das ist albern; hätt’s längst schon verwunden gehabt!
-- In derselbigen Nacht, da -- ja, Freuden, Freuden hat’s gegeben! --
Ein Kind hat mir mein Weib geboren. -- -- O, Du armer, armer Knabe,
daß Du das Mutterherz nicht hast empfunden in Deinen Kindestagen! All’
die Liebe und Freude und Sorge und Sehnsucht und Treue des Vaters ist
nimmer im Stande, das Mutterherz zu ersetzen. Am Tage Deiner Geburt ist
Deine Mutter gestorben. -- Komm, Junge, wir wollen an dem Kirchhofe
nicht vorübergehen; Du weißt ja den Hügel unter dem Ginster.“

Sie traten in den kleinen Friedhof, schritten still zwischen den armen
Holzkreuzen hin, einer grauen Statue zu, die im Dunkel eines Strauches
ragte. Diese Marmorstatue stach ganz wundersam ab von den stümperhaften
und abgeschmackten Darstellungen des Gekreuzigten, der „Schmerzhaften“,
und Insonderheit von den bildlichen Menschengerippen mit Stundenglas
und Hippe, wie sie auf dem Kirchhofe zu sehen waren.

Die Marmorstatue stellte eine Frauengestalt dar, die in ernstem Sinnen
an einer Urne stand, die linke Hand leicht an die Stirn legte und mit
der rechten eine gesenkte Fackel hielt. Ein schönes Ebenmaß lag in dem
Bilde, man fühlte Beruhigung und Frieden, wenn man es betrachtete.

Als sie vor der Statue standen, ergriff der Greis des Jünglings Hand
und sagte: „Hier, Aladar, habe ich Deine Mutter begraben.“

Und nach einer Weile banger, schmerzlicher Stille brach der Bildner
in den Ruf aus: „O, du göttliches Volk der Hellenen! Du hast deine
Todten der heiligen Flamme gegeben und ihr Aschenschnee hat deine
Wohnungen zu Tempeln geweiht. Uns Heilverlassene fesselt die Liebe an
eine Erdscholle und unsere Herzen müssen zu des Gedächtnisses Feier
niedersteigen in die Grauen der Gräberfäulniß. -- -- Vielleicht, mein
Junge, habe ich an Dir gefehlt, daß ich Dich einer städtischen Bildung
entzogen; aber es ist mir unmöglich gewesen, dieses Grab zu verlassen.
Ich war noch nicht an die vierzig Jahre, und dennoch, mein Schicksal
ist erfüllt gewesen. Meine ganze Welt lag in diesem umwaldeten Thale.
Dort oben auf der Bergeshöhe kaufte ich ein Stück Erde und baute das
Haus. Das Waldland ist Deine Wiege geworden, mein Kind, der Frieden
der Berge hat Dich gehütet, Dein einsamer Vater hat das wenige Gute,
das in ihm selber zu finden, in Dich gelegt. Ich hoffe, Du hast nichts
verloren dadurch, daß Dir die Welt, oder was sie so heißen, bisher
fremd geblieben. An der Kunst erfreut sich Deine junge Seele, so
wie die meine noch; und können wir unsere Ideen hier auch nicht in
Marmor gießen, so hauen wir unseren Olymp aus den Stämmen des Tanns
und meißeln unsere Götter aus dem weißen Holze der Linde. -- Ueber
ein Kurzes, und meine Zeit wird ja erfüllt sein. Und ist sie erfüllt,
dann mein Kind bette mich hier an die Seite Deiner Mutter. Vergiß es
nicht, Aladar, und lasse mir das zum Troste sein. Das Menschengemüth
siegt über die Schrecken des Todes und in dem Gedanken der Vereinigung
läßt sich’s freudig sterben. Und hast Du mich begraben, so verkaufe
das Haus auf der Bergeshöhe und ziehe mit Deiner jungen frischen Kraft
in die Welt. Ziehe nicht gegen Mitternacht, dort herrscht die kalte
herztödtende Vernünftelei; ziehe nicht gegen Abend, dort waltet die
schale Phrase und die stolze Ichsucht. -- Ziehe gegen den sonnigen
Mittag hin und küsse mir den Boden der Hellenen.“ -- --

Diese feierliche Stunde ist aber auf eine recht widerliche Weise
unterbrochen worden.

Es lag schon das Abendroth auf dem Marmorbilde, welches das Grab unter
dem Ginster hütete. Der alte Mann wendete sich zum Gehen.

Eine Magd trieb drei meckernde Ziegen heran und gerade dem
Kirchhofsthore zu. Als Aladar sah, daß die Thiere Miene machten, in den
heiligen Garten zu trippeln, stellte er sich sofort vor den Eingang.

„Weg davor!“ rief die Magd, „wirst aber gleich weggehen, Du vertrackter
Bub’, Du!“

„Was wollt Ihr denn?“ sagte Aladar, „die Ziegen gehören nicht auf den
Gottesacker.“

Da hub die Magd gewaltig an zu keifen, und bald eilte aus dem nahen
Pfarrhause ein junges kugelrundes Frauchen herbei; das stemmte seine
Arme in die Seiten und konnte gar possirlich schwatzen. -- „Du
Lotterbub!“ rief sie hell, „die Gaisen laß durch, hörst Du?“

„Nein,“ sagte Aladar gelassen, „die Gaisen laß’ ich nicht durch, und
sollte ich bis zum jüngsten Tag da stehen müssen. Ich habe ein Grab in
diesem Garten und habe das Recht, dasselbe vor Entweihung zu schützen.“

„O du nichtsnutzig Volk!“ schrie das Frauchen, „ansonsten sind sie
Heidenkerle über und über, verlästern die Mutter Gottes ihrer heiligen
sieben Schwerter wegen, schnitzen Weibsbilder, rein wie sie Gott
erschuf --“

Ueber ihre eigene Wendung erschrocken, hielt sie inne.

„Ja wohl,“ lachte der Jüngling, „wie sie Gott erschaffen in der Schöne
und in der Unschuld.“

„Ei ja, spott’ nur zu: Du kannst lange spotten, bis Du unserm lieben
Herrgott ein Ohr abspottest. Euch ist schon gar nichts heilig, als
etwan der schwarz’ Bub’ mit den Hörnern. Wollt’ aber einmal so ein
unschuldig Zickel da drin ein paar Halme nagen, gleich fiele Euch der
Himmel ein. Ja, der Herrgott ist um eine Klafterlänge barmherziger als
so ein hergelaufen Gesindel, der läßt auch im Kirchhof Futter wachsen.
Für wen denn? Fressen die Todten Gras? Gut, Du Neidhammel, so laß es
den Ziegen, und trotz’ nicht und mach’ Dich fein bald auf die Socken,
Du Vagabund, Du!“

Der Greis hatte sich bei dieser Angelegenheit jeglichen Wortes
enthalten. Nun hielt es auch Aladar für überflüssig, noch einmal den
Mund aufzuthun. Er verscheuchte die Thiere, schlug das hölzerne Thor zu
und nahm den Schlüssel mit sich. Das Frauchen zeterte noch, daß es im
ganzen Dorfe nachklang.

Der Bildner suchte den Kirchensteff, um ihm den Schlüssel zu
übermitteln. Er fand den Strohlockenkopf in der Futterkammer seiner
Stallung, unweit der Kuhmagd, und zwar in einem Zustande, der sich
nicht ganz zu jener Entrüstung reimen wollte, die den Steff gestern
abgehalten, bei der capitolinischen Venus Platz zu nehmen. Die Beiden,
der Steff und die Magd, führten nämlich in dieser Verborgenheit
ein behend Tänzchen auf, zu welchem der Brunnen draußen den Takt
plätscherte. Das eben ist das Mißliche bei den Mitgliedern der
Aloisiusbruderschaft, daß sie öffentlich kein Tänzchen und kein Küßchen
halten dürfen.

„Der Freithofschlüssel ist das?“ stotterte der Bauernbursche nun
vor dem Alten, „ja, dann muß ich ihn aber gleich der Pfarrerköchin
schicken, sie kunnt ja die Gaisen nicht unterbringen über Nacht, und
der Ziegenstall ist noch nicht fertig.“

Als unsere Bildner wieder durch den abendlichen Wald hinaufgingen,
sagte der Greis zum Jüngling:

„Was meinst Du, mein Junge, wirst Du noch einmal den Anwalt der Todten
spielen?“

„Das werde ich,“ versetzte Aladar trotzig.

„Du Schwärmer, ich will Dir ein Wort sagen.“

„So sage es.“

Der Alte blieb stehen und sagte gelassen: „Der ~Lebende~ hat
Recht.“

       *       *       *       *       *

Das Frohnleichnamsfest war pomphaft abgehalten worden. Die Gemeinde
war mit Fahnen und Kränzen durch das Thal gezogen; der Weihrauch stieg
empor und verschwamm in dem Sonnenäther des Morgens. Weiße Jungfrauen
trugen das dicht verschleierte Bild der „Schmerzhaften“ mit den
Schwertern. Kerzenlichter flimmerten und zwei Glöcklein begleiteten
den Zug. Der Kirchenvater hatte einen rothen Mantel um und trug mit
noch drei anderen ehrenhaften Männern den „Himmel“, unter welchem der
Priester ging. Der Steff trug die Aloisiusfahne und seine Augen schlug
er fromm zum Himmel auf oder züchtig zur Erde nieder.

Der alte Eman stand auf dem Söller seines Hauses und blickte in das
Thal und auf den Gottesdienst unter freiem Himmel. Er hörte die
Glöcklein, er sah das Flimmern der Lichter.

„Wohl,“ lispelte er, „die Trophäe des Prometheus tragen sie auch mit
sich. Noch lebt ein Funken der Lichtsehnsucht unter den Menschen.“

Aladar hatte den kirchlichen Auszug von der Nähe besehen, als er nach
Hause kam, war er kleinlaut und schwermüthig.

„Du bist ergriffen, Aladar,“ bemerkte der Alte, „ja, es liegt etwas
unendlich Rührendes in dem Gedanken, wie heiß die Menschen aller Länder
in ihrer Art nach dem Reiche Gottes ringen.“

Aber der Jüngling wendete sich ab und schwieg. Und sein sonst so
freundlich offenes Gesicht war betrübt.

Das blieb tagelang so, und Meister Eman kam schon auf den Gedanken, es
sei in seines Sohnes Herz jener Funken gefahren, der ewiglich aus Eros’
Fackel sprüht, alle Jugend durchlodert und die Welt vor Erstarrniß
wahrt.

Aber es war etwas Anderes, und seines Jungen Schwermuth sollte der Alte
auch an sich selbst erfahren. Eines Tages, als Eman wieder das Grab
seines Weibes besuchte, fand er die Marmorstatue zertrümmert. Jedes
der Stücke, die auf den Hügel lagen, trug die Spur einer gewaltsamen
Zerstörung. Eman fragte nicht, wer es gethan. Er wankte nach Hause,
that einen Blick nach der Büste der Eos, stieg empor die Treppe, setzte
sich auf den sonnigen Söller und starrte hinaus in die Himmelsweite.

In seiner Werkstatt hatte er von diesem Tage ab nichts mehr angerührt.
Helios’ schönes, kunstreich vollendetes Haupt ragte fast dämonenhaft
aus dem starren Holzklotze; kein Schnitt wurde an dem Bilde mehr
gethan. Der alte Mann saß, selbst eine Bildsäule geworden, auf dem
Söller und blickte unverwandt in den lichten Sommer hinaus. Er war im
Herzen getroffen.

Aladar war Tag und Nacht bei seinem kranken Vater. Einmal hatte er es
versucht, ihn zu trösten, da lächelte der alte Mann und sagte: „Des
Menschen Werk wird vergehen, aber sein Ideal lebt. Und es lebt die
Treue. Laß mich, mein Kind, das Auge noch im Lichte weiden, ehe es in
den Schatten des Grabes vermodert.“

Als in den nahen Tannen die reinen Lüfte des Herbstes zu rieseln
begannen, war der alte Eman in dem Tempel seines Hauses entschlummert.

Aladar, der schöne Jüngling mit dem stolzen freundlichen Lockenhaupte,
stand vor dem Schläfer und ließ sein umschattetes Auge ruhen auf
dem lieben alten Antlitze, das die Silbersträhne des Haares und
des Bartes ehrwürdig umrankten. Das war ein freundliches Bild, die
Furchen der Stirn waren völlig geglättet, auf den schmalen Wangen lag
ein mildes Weiß und auf den Lippen lag die Güte und das Lächeln des
Entschlummernden versteinert.

Aladar umarmte den Todten und küßte mit Innigkeit das Angesicht. Dann
ließ er ihn auf dem wohlverwahrten Söller sitzen, das Antlitz nach dem
Aufgange der Sonne gewendet.

Und dann verschloß er das Haus. Im Freien stand er still und blickte
rings um sich. War das sein heiteres Heimatsthal? Nein, das war die
kalte Fremde.

Zum Dorfe stieg er hinab und im Pfarrhofe klopfte er an.

Das Frauchen ließ ihn unzähligemal klopfen und war gar außerordentlich
vergnügt, daß es jenen verweigerten Eingang in den Kirchhofsgarten an
diesem Thore vergelten konnte. Endlich kam der Pfarrer selbst, um zu
öffnen.

Aladar berichtete den Tod seines Vaters und bat den Pfarrer, das Grab
für den Verstorbenen an der Seite jenes seiner Gattin bereiten lassen
zu wollen.

„Lieber junger Herr,“ entgegnete der Seelsorger, „selbst der beste
Christ kann bei uns die Stelle seines Grabes nicht wählen; wir begraben
die Leute nach der Reihe.“

„Irre ich nicht, Hochwürden, so ist in dieser Zeit die Reihe ungefähr
am Grabe meiner vor sechzehn Jahren hier verstorbenen Mutter. Der
Todtengräber hat mir gesagt, daß der Kreis auf dem Kirchhof von
sechzehn zu sechzehn Jahren vollendet wird. Der Preissatz wird für
beide Gräber sofort bezahlt werden.“

Der Pfarrer ging langsam die Stube auf und ab und barg seine Hände in
den Taschen seines Taffet-Talars.

„Es ist gar sehr die Frage, junger Mann,“ entgegnete er nun, „ob es
überhaupt statthaft ist, Ihren Vater in unserem katholischen Friedhofe
zu begraben. Wie stand es mit seiner Religion?“

„Ich kann den Taufschein aufweisen,“ sagte Aladar.

„Ei jerum!“ machte der Pfarrer, „auf den Taufschein kommt es nicht
an; einen solchen hat der Luther auch gehabt. Es sind ganz andere
Bedenken. Ihr Vater hat lange Jahre in unserer Gemeinde gelebt; ist
er aber jemals in der Kirche gesehen worden? Hat er nicht mit unseren
altehrwürdigen Bildnissen gehadert? Hat er nicht zum Aerger der ganzen
Gemeinde eine stockheidnische Darstellung mitten in unseren Kirchhof
gesetzt? Und sein Haus dort oben, ist es nicht ein wahrer Götzentempel
voll gottloser unzüchtiger Bildnisse? Der Künstler hat sein Talent von
Gott; wehe Dem, der es zu Gottes Schmach mißbraucht!“

„Mein Vater hat sein Künstleramt gewissenhaft erfüllt!“ versetzte
Aladar mit Nachdruck.

„Leider hat er diesen frevelnden Stolz bewahrt,“ entgegnete der
Priester mit leiser Stimme und blieb vor dem jungen Manne stehen;
„Verirrungen sind menschlich, und Gott, der ein verlorenes Schaf mit
Schmerzen sucht, hat Ihrem Vater durch eine wochenlange Krankheit
reichliche Gelegenheit zur Bekehrung und Buße gegeben. Hat er die
Gnadenzeit benutzt? Hat er auch nur ein einzigmal die Tröstungen der
Religion verlangt? In vorsätzlicher Unbußfertigkeit ist er gestorben.“

„Herr!“ unterbrach hier Aladar, aber er kämpfte seine Aufwallung
nieder.

„Junger Mann,“ sagte der Pfarrer, „rufen Sie Ihr „Herr“ auf der Gasse,
wo Ihresgleichen ziehen. Im Pfarrhofe haben Sie Ehrerbietung zu
beobachten. Verstehen Sie mich?“

„Ich bitte um Verzeihung, Hochwürden, aber die Vorwürfe, die Sie gegen
meinen Vater schleudern, sind sehr ungerecht; er war ein Ehrenmann.
Auch ~er~ hat Ehrerbietung zu fordern.“

Der Seelsorger schwieg einen Augenblick, dann sagte er etwas gedämpft:
„Mag sein, darüber wird Gott im Himmel richten. Was aber das Begräbniß
Ihres Vaters anbelangt, so thut es mir leid, Ihnen mittheilen zu
müssen, daß die Kirche einem solchen Mann ihren Segen und die geweihte
Erde nicht gewähren kann.“

Aladar erblaßte.

„Und Sie wollen meinem Vater ein Grab auf dem Kirchhof verweigern?“
sagte er fast tonlos.

Der Priester zuckte die Achseln:

„Ich verweigere es nicht, ich bin ein Diener der Kirche. Und die
Kirche kann einen Menschen, der so weit entfernt war, der Unsere zu
sein, der so böses Aergerniß gegeben -- sie kann schon aus Rücksicht
für die Gemeinde einen solchen Menschen nicht in die Gemeinschaft der
Christgläubigen aufnehmen.“

„Und wissen Sie, daß mein Vater, als er sein Weib hier begraben hatte,
auf die Welt, auf ihre Güter und Ehren, auf die Künstlerlaufbahn
verzichtete, in dieser Gegend verblieb, Entbehrung, Schmach und
Kränkung in aller Weise erduldete, nur um den Grabhügel seiner Gattin
zu hüten und dereinst an ihrer Seite ruhen zu können? Aber nein, Ihr
wißt ja nicht, was Gattenliebe heißt, was Herzenstreue bedeutet --“

Diese unüberlegte Aeußerung traf.

„Jetzt hab’ ich genug!“ rief der Geistliche mit dunkelrothem Gesicht,
„lästern Sie den Satan! Wir sind fertig und der Todte wird hinter der
Kirchhofsmauer begraben.“

„Das wird er nicht, mein Herr!“ sagte Aladar und legte seine rechte
Hand auf die Brust.

Ruhigen Schrittes verließ er den Pfarrhof. Durch das Küchenfenster
grinste ein volles Gesichtchen heraus und ahmte das Meckern einer Ziege
nach.

Zur selben Stunde läuteten die Kirchenglocken, sie läuteten alle vier,
sie läuteten lange. Es waren Todtenklänge; ein reicher Bauer der
Gemeinde war verschieden.

Aladar schritt in den Kirchhof. Der Kirchenvater und sein Sohn, der
strohlockige Steff, arbeiteten am Ginsterstrauch und gruben ein Grab.
Sie gruben es nicht für den fremden Mann, der oben im fremden Hause
verschieden war; sie gruben es für den reichen Bauern.

Aladar blieb entsetzt stehen und starrte auf die Arbeiter hin. Sie
gruben in den Grabhügel seiner Mutter ein. Schon wollte er hinstürzen
und ihnen den Spaten aus der Hand reißen, da besann er sich: „Ei, sie
haben ja Recht, sie sind an der Reihe. Das Weib, das sie vor sechzehn
Jahren zur ewigen Ruhe bestattet, hat nur zur Miethe hier gewohnt. Die
Zeit ist aus, die Schaufel klopft an....“

Er trat an das Grab heran und blickte hinab. -- Moder des Sarges, fahle
Lappen, Knochen, Haarlocken -- Jüngling, das war ein grauenhafter
Anblick, der hat dir das lieblich schöne Bild der Mutter, wie es dir
dein Vater in der Erzählung und in dem Bildnisse der Eos als Erbe
hinterlassen, ganz und gar zerstört. Das Grab wurde durchwühlt, die
Gebeine herausgeworfen auf den Rasen. Aladar erfaßte das Knochenhaupt
mit beiden Händen und seine thränenschweren Augen starrten in die
tiefen Höhlen.

So hat das Kind seine Mutter zum erstenmal gesehen. -- --

Als Aladar zu seinem Hause zurückkam, stand der Todtenbeschauer vor der
Thür. Er beschaute kopfschüttelnd den ehrwürdig schönen Greis, der auf
dem Söller saß, und er beschaute die vielen Bildnisse in der Werkstatt
und er beschaute das Haus.

„Werden Sie hier verbleiben?“ fragte er den Jüngling.

„Ich werde nicht hier verbleiben,“ war die Antwort.

„So werden Sie das Haus und diese Statuen verkaufen?“

Aladar sann, dann entgegnete er: „Das weiß ich nicht.“

Der Dorfarzt stand noch eine Weile da, dann zuckte er die Achseln und
ging davon.

Und als Aladar wieder allein war, ging er auf den Söller und setzte
sich zu seinem todten Vater. Fast so regungslos wie dieser saß er da
und richtete sein Auge in die weite blaue Himmelsglocke hinaus. Es war
so still und mild. Das Laub der gegenüberstehenden Eiche wollte schon
ein wenig gilben. In der Luft spannen die Fäden des Herbstes. Ein
einzigesmal läutete eine Waldbiene vorbei, dann war es wieder still.
Gegen Abend hob sich unten aus dem Gebüsche ein hellrothes Flämmchen,
es flackerte und schwamm empor gegen den Söller und hin über das Haus.

Ein verspäteter Aurorafalter war es gewesen.

Als auf der fernen Felsenhöhe, die hinter den Wäldern hervorleuchtete,
die Gluth der Abendsonne verlosch, stand Aladar auf, erfaßte die kalte
blasse Hand seines Vaters und sagte: „Sie wollen Dir das Grab an der
Mutter Seite verweigern. Aber Dein Kind wird Dich verstehen und die
Treue erfüllen.“

Als der Mond aufging, stieg Aladar nieder zum Dorfe und ging in
den Friedhof hinein. Er ging zwischen den Kreuzen hin bis an die
finsterstarrende Grube. Auf dem thaufrischen Rasen lagen noch die
Knochen. Der Jüngling hub sie auf, schlug sie in ein Tuch und trug sie
davon.

Am Thore schritt ein Mann vorüber, der hielt ihn an: „Was tragt Ihr da?“

„Einen Auferstandenen.“

Der Mann schauerte und eilte weiter.

Aladar stieg mit seiner seltsamen Last langsam den Berg hinan. Auf der
Höhe leuchtete das Haus im Mondenscheine.

       *       *       *       *       *

Am anderen Tage war ein völliger Feiertag im Dorfe. Die Kirche war in
Trauer gehüllt. Stille Messen und laute Gebete wechselten ab und am
Nachmittag rüstete sich Alles zum Begräbnisse.

Der verstorbene Bauer war ein sehr angesehener Mann gewesen, und in
seinem Testamente stand ein Satz, der seiner christlichen Gesinnung
wegen dem Pfarrer so gefiel, und dessentwillen er schon eine ganze
Stunde vor dem Begräbnisse wieder alle Glocken läuten ließ. Die Kirche
konnte ja doch wohl füglich klagen, sie gehörte mit zu den Erben.

Der Arzt des Ortes stand auf der Gasse und plauderte mit dem
Kirchenvater. Beide waren gar ernsthaft und in würdiger Trauerkleidung.

„Hätten auch den alten Kauz da oben in den Kirchhof tragen lassen
können,“ sagte der Arzt, gegen das Haus auf der Bergeshöhe weisend.
„Der Mann war mehr Narr als Heide. Und auch sein Sohn tritt in die
Fußstapfen des Alten. Der hat mir gestern gesagt, daß er fortziehen
will. Gut, mag es thun, das ist die Narrheit nicht. Bin heute wieder
bei ihm gewesen: ob er sein Haus verkaufe. -- Nachbar, wie hoch
schätzest Du dieses Haus?“

„Den Heidentempel!“ versetzte der Kirchenvater, „wer kann ihn denn
brauchen? Ich achte das ganze Holz, das darin steckt, auf zwei
Kohlenmeiler; das sind kaum hundert Gulden.“

„Da habe ich allerdings anders gerechnet,“ entgegnete der Arzt, „mir
gefällt der Bau, es ist Geschmack daran und die Holzschnitzereien
sind nicht ohne Werth. Ich habe dem Burschen eine Tausendernote dafür
geboten.“

„Bader, Du bist ein Narr!“

„So ist dieser Junge ein noch größerer,“ rief der Arzt, --
„verzehnfacht die Summe, hat er gesagt, und dann kommt und ich werde
Euch dafür das Haus meines Vaters noch nicht verkaufen.“

Der Kirchenvater lachte laut auf, und das hatte sich schier nicht
geschickt, denn es nahte schon der Leichenzug.

Die Menschen der ganzen Gegend waren beisammen, es wurde fast
der Kirchhof zu klein. Die Windlichter flackerten hell in die
Abenddämmerung hinein. Drei Priester im Ornat standen an dem Grabe und
schwangen Sprengwedel und Weihrauchgefäße.

„Morgen kommt der Jude dran, oder was er ist,“ flüsterte ein Weib der
Nachbarin zu, „hast Du die Grube hinter der Mauer schon gesehen?“

Die Antwort wurde abgeschnitten durch das Rollen des Sarges, der in
die Tiefe glitt. Der Sarg war bunt bemalt. Jetzt gossen sie Weihwasser
darauf hinab, da die Thränen mangelten. Der Verstorbene hatte weder
Weib noch Kind hinterlassen; und fremde Erben weinen nicht. Der Pfarrer
nahm die Schaufel, streute Erde hinab und rief in seiner todten Sprache
die Worte:

„Ruhe Deiner Asche!“

Der Spruch war einem Anderen nachgerufen.

In demselben Augenblicke ging ein Getöse durch die Menge und Feuerrufe
wurden laut. An der Wand des Kirchthurmes und auf den Dächern der
Häuser lag ein mattzitternder Schein. Das Haus auf der Bergeshöhe stand
in Flammen.

Die Leute drängten aus dem Gottesacker; an der finsteren Grube gab
es nun für sie nichts mehr zu thun und zu schauen. Einsam steht der
Sarg im tiefen Grabe, der Verwesung harrend, die nun naht mit ihrem
jahrelangen Grauen.

Durch die hell erleuchteten Dorfgassen wogten die Menschen; einige
eilten den Berg hinan.

Das Haus auf der Höhe war zu einer herrlichen Flammensäule geworden;
senkrecht stieg sie in den Abendhimmel auf und die anstrebenden Funken
schienen sich mit den Sternen des Himmels zu vereinen.

Aladar stand unter der Eiche und sah dem brennenden Hause zu. Seine
Seele loderte vor Begeisterung mit den Flammen um die Wette.

Ein halb Stündlein früher war es gewesen, da hatte Aladar den
brennenden Span in eine Spalte der Heliosstatue gesteckt. Er hatte
gesehen, wie die glühende Zunge aufflackerte zu dem Bilde des
Lichtgottes, wie die hellen Flüglein emporflatterten zu den übrigen
Kunstgestalten und an der Wand hin, mit Begier wachsend und sprühend.
Bald war die Werkstatt zu einem Flammentempel geworden und nur
einzelne Häupter der hellenischen Mythe ragten aus dem wogenden
Feuerbrodem. Gar bald brachen die Flammen zu den Fenstern heraus und
flutheten die sonnengebrannte Holzwand hinan und züngelten gegen die
Erker des Söllers. Das Feuer krachte, brüllte, durchbrandete das Haus
nach allen Ecken hin, und von allen Seiten kam es nun mit wilder
Gewalt gegen den Söller gebrochen, wo der alte todte Mann saß, wo
vor dem Bildnisse der Eos ein Häufchen Friedhofsknochen lag. Aladar
blickte durch Rauch und Flammen noch hin auf des Vaters Angesicht. Mit
einer blühenden Röthe hatte dieses des Feuers Widerschein übergossen.
Da sprühten von dem Haupte des Todten plötzlich Strahlen aus -- wie
Regenbogenstrahlen -- und es loderten die Locken, ein Gluthmantel
schleuderte sich über den Leichnam, über den Söller, über das ganze
Haus.

Wie versteinert, aber mit leuchtenden Augen stand der Jüngling unter
der Eiche und sah den Opfertisch seines Erbes in unbeschreiblicher
Herrlichkeit verlodern.

Leute aus dem Dorfe waren herangeschlichen, aber als sie den Leichnam
verbrennen, als sie im rothen Scheine die Bildsäule unter dem Baume
sahen, da zogen sie sich mit Entsetzen zurück.

Als der Mond aufging, war das Haus auf der Höhe bereits in sich
zusammengebrochen. Aus den einstürzenden Bränden sprühten noch die
Funkenschwärme, entfachte sich noch ein letztes Aufleuchten, und als
der Morgen dämmerte und dort auf den Wipfeln des Tanns die Vögel
zwitscherten, war Alles und auch der letzte Strunk zu Asche verzehrt.

Aladar suchte am Rande der Brandstätte, wo der Söller niedergebrochen
war, nach Knochen. Er fand keine. Der Morgenwind fachte und wirbelte in
der weißen Asche und trug manches Stäubchen hin über die Häupter der
Tannen zum Aether empor.

Und als die Sonne aufging, blickte Aladar noch einmal in die Runde des
Waldlandes, in das Wiesenthal mit den Weidenbüschen und dem Dörfchen.
Und noch einmal richtete er sein überthautes Auge auf die Aschenstätte
-- dann wendete er sich und zog davon.

Er zog durch schattige Wälder, er zog über Berg und Thal, er zog über
Meere. Er zog gegen den sonnigen Mittag, um den Boden der Hellenen zu
küssen.

[Illustration]



Der Geldfeind.


Zwei Untergäuer.

An der Thorschranke, wo das Untergäu aufhört und das Obergäu beginnt,
standen zwei wunderliche Gesellen. Der eine war ein behäbiger
schrötiger Mann, der bis an die stämmigen blaubestrumpften Waden hinab
einen grünen Rock trug und eine ziegelrothe Weste anhatte, an welcher
mitten herab wohl über dreißig haselnußgroße Silberknöpfe funkelten.
Um den Bauch spannte sich ein breiter Ledergurt, in welchem mit weißem
Geschnüre allerlei Zierat und die zwei Worte „hohe Weid“ gestickt waren.

Unter dem niederen, aber breitdachigen Hut des Mannes hingen Strähne
schon ein wenig grauender Locken über den steifen Rockkragen; die
Nase sprang wie ein mächtiger Keil aus der derben Stirn herab, die
sorgfältig rasirten Backen standen kräftig vor; alle Züge waren rauh,
aber ausdrucksvoll, etwa wie die Gesichtsformen eines Marmorbildes,
bevor sie der Künstler glättet.

Der zweite Geselle war ein schwarzer, etwa vierjähriger Stier mit
massigen Gliedern, einem ungeheueren Haupte, an dessen beiden Ecken
zwei kurze Hörnchen hervorstanden. Um diese Hörner war ein Strick
geschlungen, den der Mann mehrfach um seine rechte Hand gewunden hatte,
während die Linke einen tüchtigen Haselstock hielt.

So standen sie da und sahen einander an. Die großen pechschwarzen Augen
des Stieres glotzten voll Trotz, die ungeheueren Nüstern pusteten
stoßweise. Der Mann streichelte dem Rinde den steifen Nacken und die
mächtige Fahne, die von dem Unterkinn bis zum Brustblatt zurückging;
„sei gescheidt, Schwarzer, sei gescheidt und geh,“ sagte er gelassen,
während er bei sich murmelte: „Hätte ich dich nur erst daheim in meinem
Hof, du stetiges Rindvieh, ich wollt’ dich schon lehren, wer dein Herr
ist!“

Aber als er nun den Strick anzog und mit dem Stock sachte an des
Thieres Hinterbeine klopfte, um doch endlich durch die Wegschranke zu
kommen, da zog der Stier sein Haupt ein und stieß ein dumpfes Gebrüll
aus.

Auf diese Aeußerung verhielt sich der Mann wieder eine Weile ruhig,
knirschte aber vor Zorn mit den Zähnen; eine solche Widerspenstigkeit
war er nicht gewohnt. Er sah aber auch die Gefahr ein, die ein
wildgewordener Stier bringen kann. So blickte er rathlos in die Runde.

Nichts als Heidekraut, Erlsträuche und Föhrenbäume.

Als jedoch die Beiden eine lange Weile vor der Wegschranke so gestanden
waren, da kam die Richtung aus dem Untergäu ein Bursche des Weges. Die
Kleidung desselben war ärmlich, aus blaugefärbter Grobleinwand; über
den rothbraunen Locken trug er eine bunt gestreifte Zipfelmütze. Das
runde Gesicht war noch bartlos, aber stark geröthet. Das Haupt tief
nach vorn gesenkt, so daß die Zipfelmütze gerade emporstand, die beiden
Hände in den Hosentaschen, so schlenderte der Bursche heran.

„He, Du!“ rief ihm der Mann im grünen Rocke zu, „geh’ her, hilf’ mir
den Stier treiben!“

Der Zipfelmützenkopf hob sich empor.

Wer ist denn Der, daß er einem Fremden auf der Straße so mir nichts dir
nichts Befehle giebt? Ich habe meines Wissens keinen Herrn, nunmehr gar
keinen. -- Na, der Bauer von der hohen Weid! Ei, das ist was Anderes,
der ist der reichste und angesehenste Mann im ganzen Gäu, und der
höchste obendrein, denn der Hochweidhof steht auf dem Rochusberg und
blickt hoch über alle Dachgiebel und über Berg und Thal hin in’s Land.
So ein Mann kann freilich auf allen Wegen und Stegen sein herrisch
„Geh’ her! pack’ an!“ sagen.

„Ja,“ rief nun der Bursche, „ich will schon helfen.“ Er brach einen
Weidenzweig. „Mit dem Stock wird das Vieh nur wild, Hochweidhofer.“

Nun der Stier sah, es wären ihrer Zwei, änderte er sein Verhalten, ging
ruhig durch die Thorschranke und zwischen den beiden Männern behäbig
einher.

„Bist Du vom obern Gäu, daß Du mich kennst?“ fragte jetzt der Bauer.

„Nein,“ antwortete der Bursche, „den Hochweidhofer kennt man auch im
untern Gäu.“

Da schmunzelte der Andere. Der Bauer von der hohen Weid war eigentlich
ein Großhirt. An Feldfrüchten nur spärlich Halme wuchsen auf den
Höhen des Rochusberges; aber ein paar hundert Stück Vieh hatten
jahraus jahrein ihr gutes Fortkommen auf den fetten Weiden und
sonnigen Almen. Nur wurde es, rein wirthschaftlich genommen -- und der
Hochweidhofer nahm es immer so -- zuweilen nothwendig, daß Blut aus
den unteren Gegenden in das Rindvieh kam, und darum war der Bauer
auch heute herabgestiegen, um einen gesunden und kräftigen Zuchtstier
heimzuführen. Er hatte einen solchen im Thale gekauft und dabei
geglaubt, es würde auch so ein Rind vor dem Hochweidhofer etwas mehr
Respect haben, als vor anderen Leuten; jedoch der Stier bedeutete nur
zu bald, daß er weder auf Geld, noch auf Rang sehe; er benahm sich
sehr störrig, und als sie an die Wegschranke kamen, die den untern
Gäu von dem obern trennt, weigerte sich der Schwarze, wie wir sahen,
entschieden, sein Vaterland zu verlassen.

Nun der Zweite da war, folgte er willig und den Bauern wurmte es nicht
wenig, daß das Thier sich erst durch die Gegenwart eines stockfremden
Jungen veranlaßt fand, zu gehorchen.

„Wo willst Du eigentlich hin und was willst Du verrichten?“ fragte der
Bauer den neuen Gefährten.

„Ich helf’ dem Hochweidhofer den Stier treiben,“ war die Antwort.

Jener sah den Burschen näher an. Ein Junge von siebzehn oder achtzehn
Jahren, gut gewachsen, frischen Aussehens, mit ein paar großen,
nußbraunen Augen, die fest und treuherzig blickten; vielleicht
verwahrlost ein wenig, aber sonst kein übler Bursche.

„Bist Du ein Knecht von irgendwo?“ fragte ihn der Bauer.

„Ich bin Herr.“

„Also ein Grundbesitzer?“

„Der Herr über mich selber.“

Der Bauer sah ihn noch fester an. Ist das Trotz, oder will er hänseln?
Troll Dich davon, Du! wollte der Mann schon losfahren, aber er sah ein,
er bedurfte des Jungen. Es war dem Herrischen nicht gar behaglich in
Gesellschaft der beiden Trotzköpfe.

„Du -- wie muß man Dich heißen?“ sagte der Mann vom Rochusberge.

„Melchior.“

„Und -- Dein Schreibname?“

„Der gilt nichts mehr.“

„Jetzt möchte ich aber wissen, wo Du daheim bist!“

Ein wenig schwieg der Bursche auf diesen fast gebieterischen Ausruf.
„Ist das schon das obere Gäu?“ fragte er hierauf.

„Seit der Schranke her.“

„So bin ich im obern Gäu daheim.“

Der Bauer wollte jetzt stillstehen, aber der Stier erlaubte es nicht,
trottete seinen gleichen Schritt.

„Mich däucht, Du bist ein Vagabund!“ rief der Hochweidhofer dem
Burschen zu.

„Mich däucht auch,“ war die Antwort. Hierauf fuhr der Nirgendsdaheim
mit seiner Hand streichelnd über den Rücken des Thieres, über den ein
hellgrauer Streifen ging. „Der Schwarze wird weiß,“ sagte er halblaut,
„ist er nur erst ein Ochse geworden.“

„Ja, verstehst Du denn vom Vieh was?“

Das Gespräch wurde unterbrochen. Zwei Gerichtsdiener mit bespießten
Gewehren führten einen jungen Mann vom Berge herab und an unseren
Dreien vorüber. Der Gefangene war in guter und geschmackvoller
Gebirgstracht und eine schwere, silberne Uhrkette gängelte an
der Weste. Die Arme hielt er über der Brust gekreuzt, durch ein
Stahlkettchen aneinander geschlossen. Den grünen Hut, auf welchem keck
Gemsbart und Hahnenfedern prangten, hatte er vorn schier bis zur
Nase herabgedrückt; das Gesicht war etwas blaß und hatte ein leichtes
Schnurrbärtchen.

Der Gefangene hatte bei der Begegnung seinen Kopf sogleich beiseite
gewendet, aber Melchior war stehen geblieben, hatte ihn angestarrt, bis
er vorüber war. Ein wunderliches Gröhlen stieß der Bursche aus, dann
stand er noch eine Weile still und blickte der Gruppe nach.

„Der Forstadjunct Kilian, kennst Du ihn?“ sprach der Hochweidhofer.

Der Bursche nickte mit dem Haupte, auf seinem Gesichte spielten
Todtenblässe und Dunkelröthe.

„Der hat sich sicherlich ein paar schwere Rehböcke zu Schulden kommen
lassen,“ meinte der Bauer, „war aber sonst ein ordentlicher Mensch.“

„O du verfluchtes, o du vermaledeites Geld!“ stöhnte der Melchior, dann
ging er wieder hinter dem Stiere her und sagte kein Wort mehr, was der
Bauer vom Rochusberge auch fragen mochte.

So waren sie einige Stunden mitsammen gegangen, waren durch Gesträuche
und Wälder gekommen und endlich auf einer Hochblöße angelangt, von der
aus man den ersten freien Blick in’s Land hatte. Die Gegend ist zumeist
Wald- und Haideland; nur selten steht an den sonnigen Hängen oder in
den Wiesenthälern ein Haus, dann aber liegt ein Kornäckerchen und ein
Krautgarten dabei. Der Blick geht so weit, bis die Waldhöhen blau
werden und endlich an sonnigen Tagen die Berge und die Wölklein nicht
mehr von einander zu unterscheiden sind.

„Sooh, mein Schwarzer!“ rief der Hochweidhofer gedehnt, „wir sind
daheim! das ist schon meine Wiese -- wenn’s gefällig!“

Der Stier ließ sich’s nicht zweimal sagen und hub an zu grasen.

„Halte den Strick dieweilen!“ sagte der Bauer zum Burschen, dann zog
er eine große, rothlederne Brieftasche hervor, faltete sie langsam
auseinander, blätterte in den Banknoten, während er in halb singendem,
höhnischem Tone folgende Sprache führte: „Nu, wollen sehen -- mein
vornehmer Herr Stromer, was sich findet --; sollst dem Bauer von der
hohen Weid -- nicht umsonst -- nachgelaufen sein --.“

„Nachgelaufen bin ich nicht!“ sagte der Melchior.

„Je, nur nicht gleich so hitzig, Junge! -- sollst es nicht umsonst
gethan haben -- wird morgen zwar -- vertrunken -- verspielt sein. --
Nichtsnutzig Volk, das! -- Lauft am hellen Werktag in der Lunger herum
-- stiehlt dem Herrgott seinen Tag. -- Seh, da hast, das gehört Dein,
Du Vagabund Du!“

Er hatte sich schon lange den Berg heran gefreut, wie er, des Burschen
nicht mehr bedürftig, seine Meinung würde sagen können. Nun war’s
heraus; aber auch eine noch nagelneue Zweiguldennote war heraus: „Seh,
das gehört Dein!“

Der Bursche hatte dem Bauer gleichgiltig zugehört, ihn aber mißtrauisch
angesehen. Als er nun die Banknote vor sich flattern sah, wendete er
sich hastig weg und rief: „Nein, ich rühr’s nicht an, mein Lebtag
nicht. Mein heiliger Gott wird mich hüten.“

Der Mann von der hohen Weid stutzte. „Nun, ist es vielleicht zu wenig?“

„Ich sag’ vergelt’s Gott!“ sagte darauf der junge Mann, „aber Geld
nehm’ ich nicht. -- Hunger hätt’ ich!“

„Ei, das ist was Anderes. ’s ist keine halbe Stunde mehr bis zu meinem
Haus, komm halt mit, und jetzt mach Dein Geld weg!“ Des Bauers Stimme
war ein weniges milder geworden.

„Habt Ihr’s denn nicht gesehen, wie sie ihn davon getrieben?“ hastete
der Bursche heraus, „ich nehm’s nicht! bei meiner Seel, ich nehm’s
nicht!“

„Also, Du Bettelbub,“ versetzte der Bauer und stemmte seine Arme in die
Seiten und streckte seinen Hals vor: „Du willst dem Hochweidhofer ein
Almosen geben?“

Jetzt haschte der Andere nach der Geldnote und mit bebenden Händen
zerfetzte er sie in viele Stücke.

Der Bauer starrte wunderlich drein und sagte kein Wort. Als er hierauf
den Strick wieder in die Hand nahm, murmelte er: „Ja, wenn es so mit
ihm steht, dann ist er freilich ein armer Teufel!“ Hierauf hob er seine
Stimme zum Befehl: „Du kommst mit!“


Falsches Geld.

Der Hof auf der hohen Weid ist eine Almerei im Großen. Die silberweißen
Schindeldächer des vielfältigen Gebäudes leuchten weit hinaus in
die Gegend, sie sind von keinem Schutzbaume beschattet, sie liegen
frei in einer sonnseitigen Mulde des Rochusberges. Im Hofe giebt es
Schellengeklingel, Rindergebrüll und Ziegengeblök zu allen Tageszeiten.
Wenn auch im Sommer große Heerden auf dem Hochboden und den Hinteralmen
weiden, in Gegenden, die noch ein gut Stück höher liegen, als der Hof,
so sind auch in diesem immer noch Kühe, Ochsen, Ziegen, Schafe und
Schweine zur Genüge vorhanden, und ein prickelnder Duft, wie er zum
Entsetzen der Recensenten häufig in Dorfgeschichten zu spüren sein
soll, verleiht der großen Almwirthschaft erst den rechten Nimbus.
Ein zahlreiches Gesinde, theils schläfrig, theils lustig, ist dem
Viehstande beigemengt. Hinkende und bekropfte Schafhirten, alte,
träge Ochsenwarte, aber auch flinke und ewig jodelnde Käserinnen,
Buttermädchen, stets barfuß und hochgeschürzt und stets mit ihren Kühen
und Kalben plaudernd, weil ihnen das Mannsvolk zu langweilig. Schuhe
und Strümpfe tragen zur Sommerszeit nur die Großbäuerin und der Bauer
und ihre zwei Söhne. Diese zwei Söhne sind junges, lustiges Blut;
aber der Aeltere war so hoffärtig, daß er in die Stadt studiren ging;
und der Jüngere ist seiner Schulzeit noch so nahe, daß er kaum erst
den Katechismus wieder vergessen hat. Er beschäftigt sich viel mit
Forellenfischen und Spatzenfangen, reitet den Ziegenbock, neckt die
alten Kühe, bis sie ausschlagen, und ist somit dem Weibervolke auf der
hohen Weid ein Gräuel.

Kein Wunder, die Langweile auf so einem Almhof, an dem keine Straße
vorüberführt, auf dem man des Jahres außer den Viehhändlern kaum
drei Fremde sieht. Gar kein Wunder, daß an diesem Tage, von dem wir
erzählen, eine gewisse Stimmung des Hangens und Erwartens auf den
Gemüthern lag. Der Stier kommt! Gestern ist der Bauer in das Untergäu
gegangen, heute, längstens bis zum Nachmittagsbrot kommt der neue
„Jodel“.

Die Stalldirnen fegten alle Spinnweben von den Winkeln, den Kehricht
vor den Thüren weg, striegelten die Rinder glatt und sauber, und die
Oberkäserin ging mit dem Gedanken um, zu Ehren des Ankömmlings einen
Schottenkuchen zu beizen, der so groß wäre, wie ein Melkzuber.

Endlich, zur Stunde, als die Giebel des Gehöftes schon lange Schatten
legten über die frischgemähte Wiese hinab, erhob sich eine lebhafte
Bewegung, und Alles rief oder flüsterte: „Er kommt!“

Dröhnend und mit heftig hin- und herschlagender Halsfahne trottete
der Stier raschen Schrittes in den Hof. Daß der Bauer mit dabei war,
verstand sich von selber, aber daß auch noch ein Anderer -- -- ein
junger, hübscher Bursche, manierlich über und über! -- Mit der Zunge
hat er geschnalzt, als sie zum Thore hereinkamen. Jetzt hält er den
Stier an den Hörnern, während der Bauer Anordnungen trifft. Will
sich’s aber nicht recht gefallen lassen, der Schwarze, schnaubt und
pustert und plötzlich macht er einen Sprung. „Laß aus, laß aus!“ rief
man dem Burschen zu, aber dieser läßt nicht ab von den Hörnern, wird
mit fortgeschleift. Das Weibervolk kreischt auf, ruft den Namen Jesu
an; da läßt der Bursche mit der Rechten los, ballt sie zur Faust und
versetzt dem wilden Rinde einen Schlag hinter dem Auge. Der Schlag war
weit zu hören, der Stier stand still, wendete langsam das Haupt; es
war ihm nicht wohlgemuth. Sie standen wieder ruhig beisammen. Das Heer
der Knechte nahte. Die Butter-Toni war gar ein weichherzig Mägdlein,
die wäre für ihr Leben gern dem jungen Menschen zugesprungen, um ihn
zu fragen, ob er sich wohl nirgends weh gethan; aber ihre Scheu vor
dem Schwarzen war doch zu groß. Erst als der Stier in seinem Stalle
war, kam sie mit Nadel und Zwirn herbeigerannt, um dem Fremdling
das Beinkleid zu schlichten, das am Knie einen großen Riß bekommen
hatte. Der so freundlich erwartete Stier aus dem untern Gäu hatte die
Zuneigung der Bewohnerschaft von der hohen Weid verscherzt; hingegen
war dieselbe im vollen Maße dem tapfern Fremden zugefallen, der nun in
die Gesindestube geführt wurde, wo ihm der Hausvater reichlich zu essen
auftragen ließ.

Durch die Thürfugen, durch die Fenster guckten die Mägde in die Stube,
um den jungen Mann sitzen und essen zu sehen, bis der Bauer plötzlich
den Ruf that: „Sakra! heißt das arbeiten?“ Da zogen sich die Augen
zurück.

Jetzt ging die Thür auf, ein langer, hagerer Mann trat ein und sagte
mit heiserer Stimme: „Glück herein, Unglück hinaus, der Herrgott
beschütze dieses Haus!“

„Dank’ schön, dank’ schön,“ versetzte der Hochweidhofer und wendete
seinen Kopf zum Fenster hinaus. Den alten Hirtengruß hörte er gern,
aber den Mann, der ihn jetzt gesprochen hatte, mochte er nicht recht
leiden.

Der Eintretende sah aber auch nicht just danach aus. Er hatte mattgraue
Tuchkleider am Leibe, die aber schon recht abgetragen und an allen
Enden zu kurz und schlottrig waren. Der obere Theil der Gestalt war
stark nach links geneigt, so daß der dünne, schlanke Mann aussah wie
ein geknickter Zaunpfahl. Die rechte Achsel war emporgezogen und auf
derselben lehnte der kleine Kopf, der mit seiner niedern, breiten
Stirn und dem scharfspitzigen Kinn eine dreieckige Form hatte. In
diesem Dreiecke waren für’s Erste zwei wassergraue schielende Aeuglein,
eine scharfe, aber zu kurz gerathene Nase mit weiten Nüstern, und ein
erklecklich breiter Mund, an dem die Oberzähne so weit hervorstanden,
daß sich die Unterlippe bequem hinter denselben bergen konnte. Zuckend
hob der Mann den Arm, um seine braune Pelzmütze abzuziehen, denn artig
war der Remini Dreihand immer, und die braune Pelzmütze trug er auch
immer; diese war so zu formen, daß sie entweder ein Sonnendächelchen
für das Auge, oder zur Winterszeit ein paar Schutzlappen für die Ohren
gab.

So schlich der Remini nun durch die Stube, auf den Bauer zu, legte
diesem eine Hand auf die Achsel und sagte gedämpft, aber hastig:
„Hochweider! Hochweider! ’s ist schauderlich -- ’s ist gar zum
Närrischwerden!“

„Was denn?“

„Ach, ’s ist schauderlich! -- Meine Mutter, wenn sie das gewußt,
richtig, sie hätt’ mich mitgeschickt in die neue Welt hinüber. Und
jetzt -- Hochweider! -- ist mir da in der alten herüben das passirt,
~Das~, und ~mir!~ mir, dem guten, armen Remini, der ohnehin
nicht weiß, wovon er leben soll in seinen alten Tagen --“

„Ei, geh mir!“ unterbrach ihn der Bauer, „Du bist das alte Klageweib,
heut, wie immer, Du hast zu leben genug.“

Der geknickte Zaunpfahl schwieg einen Augenblick. Dann kramte er mit
zitternder Hast in seiner Brusttasche. -- „Hochweider,“ hub er wieder
an und wickelte einen neuen Zehnguldenschein hervor, „Hochweider,
hast schon einen falschen Zehner gesehen? -- Nicht? -- nu, da kann
ich aufwarten; -- ist nett gemacht, nicht wahr? -- nett, fein --“;
dann brach er los: „Fünf schwere Thaler hab ich ihm dafür gegeben, dem
Lumpen, dem Schurken! -- Und ich verliere mein gutes Geld, der Wisch
ist falsch! Schau einmal, Hochweider, was das für ein Wasserdruck ist;
mit Sauschmer ist er gemacht. -- Aber heut’ haben sie den Fuchs aus dem
Loch gezogen; weiß der Himmel, wie lange er’s schon getrieben!“

„Ja, wer denn? wer denn?“ rief der Bauer, „das ist ja ein ganz
verrücktes Schwätzen!“

„Den Herrn Forstadjuncten Kilian Ehrlich haben heut’ die Schandarm’
abgeholt. Hochweider, einen Falschmünzer haben wir mitten unter uns
gehabt. Aber ich sag’s, wenn er gehenkt wird, da laß ich mir was
kosten, da muß ich dabei sein. Na ja, jetzt weiß man, wo die vielen
nagelneuen Banknoten herkommen. Schau nach, Hochweider, ’leicht hast Du
auch ein paar in Deinem Sack.“

Der Bauer fuhr gegen seine rothe Brieftasche, ließ sie aber im Rock
stecken und murmelte: „Ich nicht. Der Bauer von der hohen Weid kennt
sein Geld.“

Gut so, der Mann von der hohen Weid giebt sich nie eine Blöße, am
wenigsten noch vor einem Menschen, wie dieser Remini Dreihand. Der
Geizhals soll nicht die Freude haben, den Großmann des Berges auf der
Stelle um ein paar Dutzend Gulden ärmer werden zu sehen.

Erst als der Geknickte mit weinerlichem Gesichte seine falsche Banknote
mit derselben Sorgfalt wieder eingesteckt hatte, als wäre sie eine
echte gewesen, und als er hierauf klagend wieder davongeschlottert war,
ging der Bauer in die Stubenecke, in welcher neben dem letzten Fenster
der braune Uhrkasten stand, und sichtete seine Banknoten. „Sakra,
sakra!“ rief er plötzlich, „eine ganze Kuh ist hin! Fünf falsche
Zehner!“

In zwei Minuten darauf war er wieder der Alte, schritt langsam gegen
den Tisch und rief: „Nun, Herr Landstreicher, schmeckt’s nicht?“

Der Melchior hatte Messer und Gabel längst aus der Hand gelegt. Schon
der falsche Zehner des Remini Dreihand hatte ihm den Appetit verdorben.
Seitdem war er bewegungslos und blaß dagesessen.

„Gott vergelt es, ich bin satt,“ sagte er und stand auf, „aber ich
wollt fragen, Bauer, könnt Ihr mich in Euren Dienst nehmen?“

Der Hochweidhofer maß den Burschen vom Kopf bis zum Fuß, und zwar mit
einer hochfahrenden Kälte, als wäre er ein alter Recrutenrevisor. --
Gefällt mir übrigens von Dir! -- tauglich! wollte er schon sagen,
anstatt dessen entgegnete er langsam und trocken: „Der Bauer auf der
hohen Weid nimmt Keinen in seinen Dienst, den er nicht so gut kennt,
wie seinen Thürstock da, Keinen!“

„Mein Tauf- und Heimatschein liegt beim Müller im Untergäu,“ sagte der
Andere, „ich bin die Zeit her beim Müller gewesen.“

„Wird beim Müller im Untergäu das Dienstjahr zu Jakobi aus?“ fragte der
Bauer scharf.

„Beim Müller nicht, aber bei mir,“ antwortete der Bursche, „der Müller
hat mich an der Ehre beleidigt, da bin ich ihm davongegangen. Ich
bin ein ~ehrlicher~ Mensch, und wenn Ihr mich aufnehmt, Bauer,
so mögt Ihr mir die schwersten Arbeiten schaffen, mögt mich scharf
behandeln wie Ihr wollt, aber das merkt Euch, ~ich bin ein ehrlicher
Mensch~!“

Mit gehobener Stimme, fast drohend waren diese Worte gesprochen worden;
der Sprecher hatte dabei die Fäuste geballt.

„Hm, hm,“ meinte der Bauer kleinlaut, „das laß ich ja wohl gelten. Mußt
ihn nicht gleich so aufnehmen, meinen Landstreicher.“

„Der bin ich auch, und bin es so lang’, bis ich Arbeit gefunden hab’.
Zum Müller bringen mich vier Rösser nicht mehr zurück.“

Der Hochweidhofer ging langsam in der Stube auf und ab und hielt die
Hände am Rücken. Er trat fest auf, daß die Dielen knarrten. Dieser
fremde Junge wollte Recht behalten vor ihm, dem Mann von der hohen
Weid! Konnte er so Einen in seinem Hause dulden? Aber der Mensch
schien einen Kern in sich zu haben; und lauter Hundsfötter im Gesinde,
das thut auch kein gut.

„Weißt Du was, Melchior,“ sagte der Bauer und blieb vor dem Burschen
stehen, „wir machen dieweilen noch nichts aus. Bleib’ Du ein paar Tage
auf der hohen Weid. Gefall’ ich Dir und gefällst Du mir, dann spannen
wir auf weiteres an. -- Ist Dir das recht, so paß jetzt auf. Du und
der neue Stier, Ihr seid zwei Bekannte, Du sollst den Schwarzen heut’
noch auf die Hinteralm führen. Der kleine Bub wird Dir treiben. Bei
dem Sennermägdle auf der Hinteralm wirst Du über Nacht bleiben. Morgen
wirst Du den Stier an die Heerde lassen und so lang dabei bleiben, bis
Du siehst, er ist angewohnt. Nachher kommst wieder heim.“

Kommst wieder heim! Das Wort hat dem Melchior wohlgethan.


Das Andenken in der Zipfelmütze und das Sennermägdle.

Der Schwarze hatte dieweilen auch sein Willkommbrot genossen. Als
hierauf die kleine Karawane gerüstet war, schoß noch die flinke
Butter-Toni herbei und steckte dem Melchior kichernd ein weißes
Päckchen in die Hand. Seine Zipfelmütze war’s, die er bereits vermißt
hatte; sie war vorhin im Kampfe mit dem Rind in den Wust gefallen und
mußte gewaschen werden. Als sie der Bursche nun über den Kopf ziehen
wollte, fand er ganz hinten im Zipfel ein schwammiges Dingelchen.
Was kann denn da drin stecken? Ein niedliches Lebkuchenherz und ein
papiernes Bildchen darauf, und auf dem Bildchen ein goldenes Körblein,
und im Körblein ein Nest von rothen Rosen und in den rothen Rosen ein
Liebespärchen, das sich die Hand reicht, und darüber die Worte gedruckt:

    „Zu einem treuen Angedenken
    Will ich Dir mein Herzlein schenken.“

Da wollte sich des Burschen Gesicht schier zu einem Lächeln ziehen; er
blickte um sich, sah kein Mägdlein, hörte aber Kichern im Gestalle.

Der kleine Bub, der als Treiber ging, war gewiß noch nicht zehn Jahre
alt, aber er hatte einen so großen Filzhut auf dem Haupte, daß er
das kleine Gesicht sehr hoch empor halten mußte, wollte er aus der
ungeheueren Krempe hervor den schwarzen Stier und den blauen Knecht mit
der Zipfelmütze noch sehen.

So zogen sie die Höhe hinan, über die Steinhalden und Grasblößen
dahin, die schönen Matten des Hochboden entlang bis gegen die Hütten
der Hinteralm. Der Kleine war Wegweiser. Sie hatten unterwegs manchen
Strauß zu bestehen.

Dort und da waren in einem Schocke Rinder beisammen, die sich sehr für
den vorüberziehenden Blutsfreund interessirten. Der Schwarze selbst
wollte mit den Standesgenossen anbinden, und besonders, wo er Kühe und
Kalben wahrnahm, da wollte er zu ihnen, oder er war kaum vom Flecke zu
bringen. Die kräftige Hand Melchior’s gehörte dazu, um ihn zu bändigen,
und der kleine Junge schlug stets einen solchen Lärm sowohl mit seiner
Riemenpeitsche als auch mit seiner hellen Stimme, daß das Rindvieh
ordentlich Respect davor bekam.

Endlich sahen sie die Hütte, aus welcher dünner Rauch in die Abendluft
aufstieg und in welcher Melchior bei dem Sennermägdle übernachten
sollte.

Es wurde dem Burschen ganz seltsam auf dieser Höhe; da war’s so still,
so weit, so frei. Seine Glieder waren munter, sein Herz war andächtig
und übermüthig zugleich.

Vor der Hütte weideten einige Schweinchen; am Brunnen trank eine
betagte Kuh, im Hollerstrauch daneben schäkerten ein paar Ziegen. Die
Hüttenthür war offen, aber die untere Hälfte derselben war durch einen
Gadern gesperrt, auf daß die vorerwähnten Thiere nicht freien Eintritt
hatten in die menschliche Behausung, in welcher das Sennermägdle
wirthete.

Der Melchior lugte schon von weitem auf die Thür. Er sah innerhalb
derselben in der Dunkelheit und dem Rauch des Herdfeuers eine Gestalt
stehen, die gemächlich den Stab eines Butterrührkübels auf- und
niederzog und dabei ein Pfeifchen schmauchte. Das Gesicht war runzelig
und gar verdorrt, die kurzgeschorenen Haare waren dünn und grau. Die
Dreie nun bemerkend, ließ diese Gestalt den Rührstab ruhen und machte
einen langen Hals, der rechtschaffen gebräunt und an dem die Adern wie
ein Knäuel rauher Stricke ineinandergingen.

„Gelt, Nickerl, es wohnen mehr Leute in der Hütten als Einer?“ fragte
Melchior den Knaben.

„Nein,“ antwortete dieser.

„Wer ist denn nachher das, was dort Butter rührt?“

„Das ist das Sennermägdle.“

Der Bursche schwieg, that aber einen so heftigen Ruck an dem Strick,
daß ihn der Schwarze fragend anglotzte, was er doch schon wieder
mißgangen haben könne?

„Mägdle, der neue Stier ist da!“ rief der Nickerl. Da kam denn die
Gestalt mit den kurzgeschorenen Haaren und dem Tabakspfeifchen sofort
herangetrippelt, und ihr Anzug, ein grauer, schwarzgestreifter
Wiflingkittel mit der gleichfarbigen Schürze und dem einmal blau
gewesenen Busentuch ließ keinen Zweifel mehr übrig: es war ein Weib, es
war das Sennermägdle.

Der Stier wurde in eine bereitete Klause gethan und mit Bocksbart und
Süßklee gefüttert. Der Nickerl war wieder davongehüpft, und man hörte
ihn über die Almen hinaus lange noch lärmen; der Kleine suchte die
Gespenster, vor welchen er sich in der Nacht fürchtete, durch helles
Geschrei zu vertreiben.

Der Melchior saß völlig schwermüthig vor dem dürftigen Herd,
auf welchem ihm das „Mägdle“ das Abendbrot kochte. Als sie die
„Mehlspatzen“, die sehr fett waren, verzehrt hatten, ging die Alte den
Burschen an um ein Pfeifchen Tabak.

„Weibel,“ entgegnete Melchior treuherzig, „ich hab’ meiner Tag nicht
geraucht.“ Er redete weiters nicht viel, aber Eines ging ihm nicht aus
dem Sinn; das Ding war auch ganz unerklärlich, es war gar nicht zu
lachen darüber, es war geradezu ein Unding, ein neues Unding in seiner
Welt. Das kleine Köpflein sah ja schier kahl und gerupft aus. Er war
sonst nicht neugierig, aber nun that er doch den Mund auf: „Ist es des
Herdfeuers wegen, daß Ihr Euch die Haare habt schneiden lassen?“

„Was brauch ich denn die Fetzen!“ fuhr sie ihn an; bald aber setzte
sie, wie selbstgefällig, grinsend bei: „Ich verkaufe mein Haar!“

„Verkaufen!“

Der Melchior war von seinem umgestülpten Milchzuber aufgesprungen.
„Geld und wieder Geld!“ rief er, und im Munde kaute er die Worte herum:
„Herr je, was muß die nicht schon Alles verkauft haben, wenn die paar
armseligen Haarweben nicht mehr sicher sind auf ihrem Schädel!“

„Wie sagst?“ fragte die Alte.

„Ist schon recht,“ sagte der Bursche.

„Mein Gott, wo nähm’ unsereins sonst das Tabakgeld?“

„Ist schon wieder recht!“ rief der Melchior, „Sennin, ich möcht
schlafen gehen!“

Auf dem Dachgeschoß der Klause, in welcher der Stier seine Nachtruhe
hielt, lag frisches Heu; da hinein warf sich der Bursche aus dem
Untergäu und streckte die Glieder weit von sich.

Geld! im Untergäu das Gift, im Obergäu das Gift -- überall! -- Mich
bringst du nicht um, ich bin ehrlich, so steht’s in meinem Taufschein
-- und ich will’s verbleiben. Du kleines Ledertäschlein da, von meinem
Pathen hab’ ich dich, für Geld wärest du gemacht. Nicht einen Pfennig
kriegst mir hinein. Wart einmal, sollst nicht leer bleiben -- sollst es
gut haben -- so!

Das Lebzeltenherz steckte er in den Geldbeutel. Dann barg er diesen
tief in seinen Hosensack, dehnte sich noch einmal im weichen Heu und
schlief ein.

Das Gegröhle der Schweine war es am andern Morgen, das unsern Melchior
zu dem herrlichsten Alpensommertag erweckte. Der Bursche hatte nur
einige Rispenhälmchen aus seinen Hosen und Haupthaaren wegzuzupfen,
dann war er angekleidet und herausgeputzt. Kaltes Brunnenwasser goß er
sich noch in das Gesicht und eine warme Molkensuppe in den Magen, dann
war er bereit.

Er ging mit der Heerde auf die Weide. Es waren lustige Kühe und flinke
Kalben da, und der Schwarze war Lebemann. Melchior sah es gleich, daß
sich der Untergäuer hier nicht langweilen werde; er hätte denn sofort
in das Gehöfte zurückkehren können. Allein auf der sonnigen Matte war
es so wohlig zu liegen, die Augen zu schließen und dem Glockengeschelle
zuzuhören. Er that’s und dachte dabei an das Lebkuchenherz, das er in
seiner Geldtasche trug, dachte an die kleine Magd, die ihm das Ding
zugesteckt hatte. Sie hatte ein kurzes rothes Kittelchen an und gelbe
Haare auf dem Kopfe, das war Alles, was er von ihr wußte. Und es war
genug, häufig genug. Er riß die Augen auf und sah in die Heerde hinein.

Dort nicht weit stand ein Wassertrog, der war aus Föhrenholz, es
klebte noch die dicke, gefurchte Rinde daran. Melchior ging zum Troge,
trat mit der Schuhferse ein Stück Rinde davon und begann mit seinem
Taschenmesser an diesem Stücke zu schnitzen.

Er schnitzte, murmelte, pfiff, sang dabei Schelmenlieder aus dem
Untergäu. Und endlich war das Ding fertig. Er hub es mit der rechten
Hand ein paar Schuh weit von sich in die Luft hinaus, drückte ein Auge
zu und mit dem andern lugte er so d’rauf hin. Gut gerathen war’s,
ein Vögelchen spitzte die Stoßfedern, hob das Köpfchen, sperrte das
Schnäbelchen auf. Ja, so schnitzen aus Föhrenrinden, das hat er schon
als Knabe gelernt, das bringt Keiner so zu weg, wie der Melchior.
Aber die kleine Magd mit dem gelben Haar, wird sie ihn schließlich
nicht gar ausspotten, daß er ihr für das nette Lebkuchenherz nichts zu
bieten weiß, als so ein hölzernes Dingelchen da? Sie kichert und lacht
so gern, das hat er schon gesehen... Sie soll aber nicht kichern und
lachen über ein Andenken, das ihr Melchior giebt, sie soll sehen, wie
tief in’s Herz hinein ihn ihr Lebkuchen gefreut hat, sie soll merken,
wie er das Lebkuchenherz verstanden hat, sie soll wissen --

Was nur soll sie wissen?

Der Melchior hat an seiner Halsschnur ein messing Marienbildchen und
ein silbernes Ringlein hängen. Das Marienbildchen hat er von seiner
Mutter -- Gott schenk’ ihr die himmlische Freud’. Das Ringlein hat er
von einem frommen Kapuziner, der einmal mit einer großen Blechbüchse
in’s Haus gekommen ist und dem die Mutter um Gotteswillen einen
schweren Klumpen Rindschmalz in die Blechbüchse gelegt hat. Der Pater
hatte mancherlei Schätze bei sich und aus Dankbarkeit für den Klumpen
steckte er dem Knaben ein funkelndes Silberringlein an den Finger. Der
Finger war bald zu groß gewachsen, da kam der Ring an die Halsschnur.

Der Melchior dachte daran, nahm seinen geschnitzten Vogel wieder zur
Hand und schlitzte ihm den Bauch auf. Eine tiefe Spalte nämlich schnitt
er in das hölzerne Thier; dann that er das Ringlein von der Schnur,
rieb es ein Weilchen an der blauen Leinwandhose, bis es in der Sonne
wie Gold funkelte, that es dann in den Spalt und verklebte diesen
sorgsam mit Splitterchen.

„Jetzt, Rothkröpfel, ist auch ein Herz in dir!“ rief er lustig, „jetzt
bist schon recht für die Rothkitteldirn!“

That das Vöglein in seinen Hosensack, rief der grasenden und
scherzenden Heerde zu: „Viel Glück auf der Hinteralm und stoßt euch
kein Hörndel ab und -- das Sennermägdle, das laß’ ich von weitem schön
grüßen!“ und ging davon.

Ueber die stundenlange Schneide des Rochusberges ging er hinaus.

Hier auf der Höhe -- wo ihm nicht der geizige und nergelnde Müller
mit seinem ewigen Brummen und Befehlen zur Seite war, wo er seine
schlanken Beine einmal fest und sicher in den Boden setzen, seine
hohe Brust einmal ordentlich hervorkehren, sein Haupt einmal keck in
die Höhe heben konnte, wo er seinen klaren Augenblick einmal trotzig,
lebensfreudig in’s Weite schießen lassen wollte, wo jeder Athemstoß ein
Jauchzen wurde -- machte er Halt. „Es ist Platz für mich, und wenn ich
einmal doppelt werde, Platz genug!“ -- da hätte man’s sehen können, was
der ganze Bursche für ein prächtiger Kerl war.

Das dünne, weiche Leinenkleid that nichts dagegen, daß man seinen
drallen, echt älplermäßigen Gliederbau durchaus kennen lernen konnte;
zudem stand zu vermuthen, daß der Melchior gar kein Hemd anhatte.
Die Hände hielt er stets in den Hosentaschen; in der rechten hielt
er das Beutelchen mit dem Lebkuchenherz, in der linken den Vogel. So
schlenderte er fürbaß und der weißrothe Haubenzipfel schlug am Nacken
bei jedem Schritte wie ein Pendel hin und her.

Je näher der Bursche aber gegen den Hochweidhof kam, desto mehr
verging ihm die Lustigkeit. Unter den Menschen war er wieder der arme
Schelm. Und vielleicht hat es der Bauer schon erfahren, weß Stammes
und Namens er, der Melchior, ist und wird ihn gleich aus dem Hause
weisen. Die Menschen gehen alle nach dem Schein, alle! Der Bauer von
der hohen Weid, sagt man zwar, der gehe schnurgerade der Nase nach und
dem Kern zuleibe. Dann freilich wär’s gewonnen. -- Heute oder morgen
muß der Melchior doch den Mund aufmachen, will er auf der hohen Weid
verbleiben. Heute ist’s besser als morgen.

„Nu, Melchi, wie steht’s auf der Alm?“ fragte der Bauer sogleich, als
der Bursche vor sein Auge trat.

„Könnt’ gar nicht besser stehen,“ antwortete der Melchior.

„Was schafft das Sennermägdle?“

„Nicht einmal scheu ist er worden,“ sagte der Bursche.

„Wer?“

„Der Stier.“

„Vor wem?“

„Vor der alten Vettel.“

Jetzt that der Bauer einen ganz gewaltigen Lacher. „Bist ein rechter
Sakra, Du!“ rief er, dem Burschen die flache Hand auf die Achsel
werfend, „ein Höllsakra übereinand! Und nun schau, daß Dir die Bäuerin
Dein Mittagsmahl giebt, die Leut’ haben schon abgegessen. -- Hast denn
noch was auszurichten?“

„Bauer,“ sagte nun der Untergäuer stockend, „meine Mutter hat fort
gesagt, wenn das Herz voll ist, so hat im Magen nichts Platz. Mir
gefällt’s schon auf der hohen Weid und ich möcht was reden mit Euch,
aber ganz allein.“

„Mit mir was reden willst? Lug einmal, Junggesell, seit wir Zwei uns
kennen, giebst Du mir ja einen Befehl um den andern! Willst Du was
reden, so hast mich fein zu fragen, ob ich was hören will. Nu, für ein
andermal. Kannst jetzt mit mir gehen.“

Er führte den Burschen über eine Stiege in eine rückseitige Kammer
empor. Hier hingen, lehnten und lagen allerlei Werkzeuge, Messer,
Hacken, Sägen, Feilen, Bohrer und andere Dinge, deren Zweck gar nicht
zu errathen war. Des Bauers Werkstatt, in der er die Halsjöcher seiner
Ochsen zimmerte, die Melkzuber und Milchbutten band, die Haarstriegel
schärfte, die Messer schliff, mit denen den Rindern die Hörner und
die Klauen beschnitten wurden, und allerlei andere Dinge schuf und
verrichtete, die in der Wirthschaft nöthig waren.

Der Bauer setzte sich nun sofort auf die Hanselbank, zwängte einen
Balken unter den hölzernen Haltkopf, begann mit einem Reifmesser daran
zu schneiden und sagte: „Melchi, jetzt kannst was reden mit mir.“

Der Bursche setzte sich auf einen Ahornblock, schlug mit den Händen auf
die Oberschenkel, daß es klatschte, zuckte die Achseln und stieß das
Wortlein: „Ja!“ heraus. Dann schwieg er und trampelte mit den Schuhen.

Der Hochweider schnitt gelassen an seinem Balken.

„Bauer,“ sagte nun der Melchior kleinlaut, „möcht Euch sagen, wie’s mit
mir steht. ’s ist eine schwere Sach’, weiß nicht, wo ich anfangen soll.
Mein Vater, der ist im Gefängniß gestorben, weil er sich unredlich Gut
zugelegt hat; meinen Bruder haben die Gendarmen weggeführt, weil er
Banknoten gefälscht; mich hat der Müller im Untergäu verjagt, weil ich
kein Schurke hab sein wollen; seht, das ist meine ganze Geschichte.“

Der Bauer hatte beim „Schurken“ sein Messer still gehalten. Nun schnitt
er wieder; als er aber sah, der Bursche wollte nicht mehr weiter reden,
blickte er mit scharfem Auge auf: „Der paar Worte wegen hast mich über
die Stiegen herauf gehetzt?“

„Habt Ihr den Ehrlich-Schmied vom Untergäu gekannt, Bauer?“

„Den ~Alten~ noch, hat mir ja im Eismonat meine Ochsen beschlagen,
wenn ich Fuhrwerk im Thal gehabt!“ sagte der Hochweider, „hat seinen
Namen nicht umsonst getragen, ist ein Ehrenmann gewesen.“

Der Melchior stieß einen tiefen Athemzug aus der Brust. -- „Ah!“ sagte
er sich aufrichtend, „jetzt Bauer, jetzt red’ ich mich leichter. Der
Ehren-Schmied, der alte, von dem Ihr da sagt, der ist mein Großvater
gewesen. Als so ein Bübel bin ich noch auf seinem Knie gesessen. Alle
Leut’ haben mich den Ehren-Schmied-Buben geheißen, in der Schul’ bin
ich der Ehren-Schmied-Melchi gewesen, wir haben uns ja auch Ehrlich
geschrieben. D’rauf, wie mein Vater die Wirthschaft übernommen
hat, ist’s abwärts gegangen. Meine Mutter, die ist gut gewesen,
rechtschaffen gut, sie hat mehr an die Armen verschenkt, als es hätte
sein sollen, und das hätt’ sie doch nicht thun sollen, daß sie von der
Wirthschaft heimlich Korn und Speck und Fleisch verkauft hat. ’s ist
bitter für mich, zu sagen, der paar Groschen wegen ist’s ihr zu thun
gewesen. Wie das Sprüchel sagt: das Weib kann mit der Schürze mehr aus
dem Haus tragen, als der Mann mit dem Erntewagen einfährt. Ganz und
gar sind wir verarmt. Mein Vater ist mit traurigem Gesicht im Hause
umhergegangen, die Arbeit hat ihm nicht mehr schlaunen wollen; wär’
sie schon umsonst, so hätt’ er keine Freud’ mehr zu ihr. Ein Terno in
der Lotterie gewonnen, könnt’ wohl noch retten! Hat viel simulirt,
mein Vater, wie er nur wieder zu Geld kommen könnt’. Da ist einmal
ein mühseliger Hausirer in unserm Hause über Nacht geblieben, in
derselben Nacht erkrankt und so hat mein Vater den armen Mann, um den
sich sonst Niemand hat wollen annehmen, unter seinem Dach behalten und
meine Mutter hat ihn wohl um Gotteswillen fleißig gewartet. Nach vier
Monaten ist der alte Mann bei uns gestorben. In aller Still’ haben
wir ihn auf den Kirchhof getragen, wie ein Bettelmann schon begraben
wird. D’rauf, wie mein Vater das Sterbebett aus dem Stübel tragen
will, findet er im Strohsack in ein blaues Tüchlein gewickelt -- Geld.
Ich, der junge Bub, hab’s erst viel später erfahren, es sollen an die
neunzig Gulden gewesen sein. Jetzt Hochweider, wenn Einen die Gnad’
Gottes jah verläßt!... Baargeld! Wer hätt’ so was beim Bettelmann
gesucht? Wer frägt danach! Keine Schrift, kein einzig Wort ist laut.
Und die Krankenpflege hat Müh’ gemacht und die Kost und die Medicin hat
Geld gekostet, wie kann’s denn eine so große Sünd’ sein, die kleine
Baarschaft da in aller Still’ für’s Haus zu verwenden! -- So wird’s
meinem Vater halt in den Kopf gekommen sein. Auf das geht eine Weile
hin, steigt der Gerichtsdiener in die Ehren-Schmiede. Ja, der ist wohl
auch sonst zuweilen gekommen, aber diesmal wird mein Vater todtenblaß.
Er muß vor’s Gericht, muß sich ausweisen, was es mit dem Gelde ist,
das er im Strohsack des Hausirers gefunden! -- Eine Magd in unserm
Haus, die dahinter gekommen, hat’s verrathen; mein Vater hat auf das
erste Wort Alles gestanden, er hätt’ nicht vorgehabt, den Fund beim
Amte anzuzeigen, hätt’ ihn für die Mühen und Auslagen im Haus behalten
wollen. Jetzt, Hochweider, haben sie den Ehren-Schmied eingesperrt.“

Diese letzten Worte hatte der Melchior nur so vor sich hingemurmelt
und hatte dabei stark mit den Schuhen auf den Fußboden geklopft. Seine
Wangen waren hochroth, seine Augen blinzelten und richteten sich zu
Boden. Der Bauer von der hohen Weid saß ruhig auf seiner Hanselbank und
schnitt und hobelte und hielt den Balken wagrecht vor sein prüfend Auge
hin, ob er wohl schon gleich und glatt genug sei.

„Mit dem Andern,“ sagte der Bursche jetzt, „will ich warten, bis Euer
Holz fertig ist, Bauer.“

Da ließ dieser von seiner Arbeit ab und versetzte: „Wie Du siehst,
bearbeite ich das Holz mit den Händen und nicht mit den Ohren.“

„Der Ehren-Schmied-Sohn muß es leiden, ~wie~ man ihm zuhört,“
sagte der Melchior und schlug wieder auf seine Schenkel. „Mein Vater,
der ist nach wenigen Wochen im Gefängniß gestorben, nicht lange darauf
auch meine Mutter. Die Schmiede ist in fremde Hände gekommen. Meinen
älteren Bruder, viel gescheidter und anstelliger als andere junge
Leut’, hat der Oberförster Tarnwald zu sich genommen. Der Kilian,
hat es geheißen, hätt’ lieber studiren und ein Baumeister oder Maler
werden sollen, er hat manchmal allerhand so Zeichnungen gemacht. Um
mich, den einfältigen und noch kleinen Jungen hat sich Niemand kümmern
wollen und Verwandte wissen wir in der ganzen Gegend keine aufzuweisen.
Da hat mich der Müller genommen. Beim Müller hab ich gezogen wie ein
Ochs, getragen wie ein Esel, sieben Jahr’ lang. Das ist auch in der
Ordnung gewesen, ich hab’ meine geraden Glieder und ich will gern
arbeiten. -- Da geht Euch vor etlichen Tagen auf einmal das Gerede,
die neuen, falschen Banknoten, die in der Gegend umliefen, hätt’ der
Forstjung Kilian Ehrlich gemacht! -- Keiner hat gefragt, ob’s wahr,
Jeder hat’s geglaubt auf’s erste Wort. Ehrlich! haben sie geschrien und
hell gelacht -- die braven Ehren-Schmiedleut! Das Weib hat den Mann
bestohlen, der Mann hat den armen Hausirer ausgeraubt, der Sohn ist ein
Fälscher geworden -- ist eine nette Bande. -- -- Die Ehrabschneider!
die Teufelsleut’!“ Die Worte blieben dem Burschen im Halse stecken,
seine Fäuste bebten auf den Knieen und der Hochweider, der nur so
hinblinzelte auf sein Gesicht, sah das schäumende, knirschende Antlitz
eines Rasenden.

„Und ganz recht haben sie,“ sagte später der Melchior scheinbar ruhig,
„der Wahrheit kann man nicht auf den Mund schlagen. -- Nur daß Ihr’s
wißt, Bauer, wie wir zugrunde gerichtet sind. -- Und --“ jetzt sprang
er auf, „das verfluchte ~Geld~ ist Schuld an meiner Mutter, an
meines Vaters, an meines Bruders Verderben. Und gestern, wie uns
der Kilian zwischen den Gendarmen unten an der Leuten begegnet ist,
da hab’ ich bei mir den Schwur gethan: ~mein Lebtag nicht einen
Heller will ich haben von dem vermaledeiten Geld, das die braven Leut’
umbringt~!“

Der junge Mann schlug sich die beiden Hände in das Gesicht und kam in
ein Schluchzen, das den ganzen Körper schüttelte.

Der Hochweidhofer erhob sich langsam und sagte, „Melchi, Du bist ein
braver Bursch! Dich wird auch das Geld nicht verderben, wenn Du nur
erst eins hast.“

„Wie der Will,“ fuhr der Melchior dazwischen, „den Geldleuten, den
Rechtschaffenen, wie den Lumpen, allen will ich zeigen, wie man ohne
einen einzigen Pfennig in der Tasch’ durch die Welt kommen und der
Ehrlich bleiben kann. Und die Untergäuer sollen sehen, daß das Blut vom
~alten~ Ehren-Schmied noch lebt!“

Solcher Sinn gefiel dem Bauer von der hohen Weid. Er hätte aber nicht
geglaubt, daß dieser Junge, dem er manchen Vagabunden an den Kopf
geworfen hatte, so denken und seine Worte so gesetzt und rechtschaffen
vorbringen konnte. Er hätte ihm mögen die beiden Hände fest drücken,
doch besann er sich noch früh genug, er sei der Bauer von der hohen
Weid, und so sagte er nur: „Melchi, bist ein wackerer Bursch; aber
was Du mir da erzählt hast, das weiß ich schon seit drei Stunden. Ich
hab’ vom Müller im untern Gäu Deine Siebensachen und Deine Papiere
holen lassen und da ist mir gesagt worden, wie’s mit Dir und den
Deinigen steht. Der Müller hat mir freilich berichten lassen, daß einem
Menschen, der eine solche Verwandtschaft weist --“

„Nicht zu trauen ist!“ ergänzte der Melchior. „Ja, das wird er gesagt
haben, ich kenne den Müller. Will’s Euch nur noch erzählen, Bauer,
warum ich ihm aus dem Haus gegangen bin, ~das~ hat er Euch sicher
nicht berichten lassen. Gestern in aller Frühe, weit ehe noch die
Sonne auf ist, kommt er in die Kleienkammer, wo mein Bett steht. Ich
will gleich aufspringen, ’s giebt viel Arbeit im Tag. -- Nu, nu,
Melchior, sagt der Müller, was wirst denn schon jetzt aus dem Nest
steigen, ’s ist ja Zeit, schläft noch das ganze Haus. Hab’ Dir nur was
sagen wollen, Melchior. Wirst es wissen, vor ein paar Wochen, in der
Mariaheimsuchungnacht, ist dem Gutsverwalter unten der Fischbehälter
ausgeplündert worden. Und jetzt ist die Sach’ so angestellt, daß ich
auch in die Schmier hineinkommen soll. Ich will die vielen Laufereien
zu Gericht nicht haben und deswegen, Melchior, ’s kann sein, daß Du
gefragt wirst -- weißt Melchior, ich muß einen Zeugen haben, daß ich in
der Mariaheimsuchungnacht zu Haus gewesen bin. -- Den Zeugen muß halt
die Frau Müllerin machen, sag’ ich. -- Geht nicht, sagt der Müller,
Eheweiber werden nicht angenommen. Aber bei Dir ist’s was Anders, Du
wirst es ja wohl wissen, daß ich in derselben Nacht daheim gewesen bin.
Du brauchst ein neues Paar Stiefel, Melchior, soll gar keinen Umstand
haben, und es bleibt jetzt dabei, Du bist mein Zeug’, daß ich in der
Heimsuchungnacht in der Mühl’ gewesen bin. -- Ich kann der Zeug’ nicht
sein, Müller, sag’ ich, ich weiß ja gar nicht, ob Ihr daheim gewesen
seid, ich hab’ fest geschlafen. -- Bist sieben Jahr’ in meinem Haus
gewesen, sagt drauf der Müller, hab’ Dich als armen Waisen aufgenommen,
wie Dein Vater im Arrest gestorben ist; hab’ Dich allerweil wie mein
eigen Kind lieb gehabt, wirst mir nicht undankbar sein, Melchior.
-- Ein falsches Zeugniß geb’ ich nicht! schrei ich auf. Da thut der
Müller einen Lacher: -- Schau das Galgenbandl! will den Gewissenhaften
spielen! -- Hochweider, wie ich das gehört -- hell mutternackt bin ich
aus dem Bett gesprungen. -- Weil sich die Meinen vergangen haben, so
willst ~mich~ auch zum Schurken machen, Müller! ruf’ ich aus. -- Marsch
aus meinem Haus! schreit er aufgebracht. -- Heut’ lieber wie morgen,
sag’ ich, werf’ meine Kleider über und lauf davon. Er ruft mir noch
viele gute Worte nach, ich sollt’ nur bleiben, ’s wär Alles vergessen.
Hab’ davon nichts mehr verstehen mögen; bin fortgesprungen, bin
herumgegangen auf der Haid, Hochweider, dann habt Ihr mich angerufen.“

Der Bauer hatte längst nicht mehr am Holze geschnitten.

„Melchi,“ sagte er jetzt, „’s hat Alles den rechten Schick, wenn Du von
Deinem alten Dienstherrn noch was wissen willst: den Müller haben heut’
die Gendarmen geholt.“

„Der Müller geht mich nichts mehr an,“ sagte der Bursche trotzig, „hab’
mit mir selber zu thun. Jetzt sagt es, Bauer, wollt Ihr mich in Dienst
nehmen oder nicht?“

„Wie Du bist,“ versetzte der Bauer, „so wirst Du Dienstplätze überall
finden. Willst auf der hohen Weid verbleiben, so ist’s abgemacht, bin
ich mit meinem Knecht zufrieden, so soll’s auch er mit mir sein; da
hast dieweilen Dein Angeld.“

„Bauer! ich leiste was ich kann und Ihr gebt mir, was ich brauch!“

Nicht einen einzigen Blick warf er auf das ihm vorgehaltene Geld, der
Hochweidhofer mußte es wieder einstecken.

Hierauf ging der Melchior in die Gesindestube, um sein Mittagsmahl zu
verzehren.

Der Bauer kam ihm nach: „Noch was will ich Dir sagen, Melchi, meine
Leut’ wissen es nicht, daß Du der Bruder vom Forstadjuncten bist, sie
brauchen es auch nicht zu wissen.“

In demselben Augenblick wankte draußen vor den Fenstern die geknickte
Gestalt des Remini Dreihand vorüber. Unter der rechten Achsel, wie man
sonst die Regenschirme trägt, trug er heute ein Schießgewehr bei sich.
Der Bauer lachte laut über diese Figur, da krächzte der Remini durch
ein Fenster: „Hab mich bezahlt gemacht. Vom Forstadjuncten ist’s; ein
feiner Doppelstutzen! Ist mehr werth als der falsche Zehner!“

„Ha, das glaube ich!“ rief der Bauer, „Mancherlei wiederum ist keinen
Schuß Pulver werth. Gieb acht, Remini, daß der Stutzen auf Dich selber
nicht losgeht!“

Die Wirthschaft auf der hohen Weid wird hier nicht näher beschrieben.
Die Thiere pflegen und hüten, die Ställe in Stand halten, die Scheunen
mit Heu und Streu füllen, die Milch, Butter und Käse bereiten, das
waren die Hauptbeschäftigungen der Leute, die daran jahraus jahrein
übergenug zu thun hatten.

Es ist eine seltsame Stimmung im Hirtenhause. Lustigkeit,
Leichtlebigkeit, Uebermuth, Trotz, Unbändigkeit und Ungezwungenheit
allerwärts -- wie’s eben geht, wo Mensch und Vieh zusammen sich des
Lebens freuen. Den Hochweidbauer ficht das nicht an; wenn nur die
Wirthschaft ihren guten Lauf hat und Jeder seine Arbeit thut, alles
Andere mag gehen, wie Gott es will. Der Herr Pfarrer im Untergäu hat
freilich einmal zu verstehen gegeben, er, der Bauer auf der hohen Weid,
wie überhaupt jeder Hausvater, sei nicht allein für das leibliche Wohl
seiner Hausgenossen, sondern auch für deren Seelenheil verantwortlich.
Darauf hatte aber der Bauer in seiner vollen Ungeschlachtheit
geantwortet: „Ja, sakra! wenn jeder Hausherr selber Seelsorger sein
soll, wozu brauchen wir dann die Pfaffen! -- Ich laß meine Leut’
in die Kirche und zur Beicht’ gehen, so oft das vorgeschrieben
ist, das Weitere geht mich nichts an.“ Gleichwohl that der Mann in
seiner Gewissenhaftigkeit ein Uebriges, er sah immer darauf, daß die
Mannspersonen seines Hofes stets um fünfundzwanzig Jahre älter waren,
als die Weibsleute. Dadurch regelte sich Vieles. Ferner hatte der Mann
von der hohen Weid auch die Vorsicht, des Nachts stets einen oder zwei
Rundgänge durch und um das Gebäude zu machen, schon des Feuers, der
Diebe, der Ordnung in den Stallungen wegen. Auch wurden zur Nachtszeit
die zwei großen Kettenhunde losgelassen.

Ob der Bauer, als er den noch nicht neunzehnjährigen Melchior Ehrlich
in’s Haus genommen, seine Regel vergessen hatte, oder sie absichtlich
umging, läßt sich nicht bestimmen. Er fand eben Gefallen an dem
kernigen Burschen und dachte, es könne nicht schaden, daß in sein
schläfriges oder leichtfertiges Gesinde einmal ein wenig Sauerteig käme.

Dem Melchior jedoch, dem ging es ganz eigen. In den Geschäften, denen
er zu obliegen hatte, stellte er seinen Mann, mitunter sogar seinen
doppelten; auch war er sich bewußt, daß er stets gute Courage in der
Brust fand, wollte er was durchsetzen. Und trotzdem -- und dennoch --
er war nun schon drei Wochen im Hof auf der Weid und er wußte noch
immer nicht, was die kleine Buttertoni eigentlich für ein Gesicht
hatte. Wenn sie an ihm vorüberlief, oder er an ihr hinstreifte, oder
wenn sie sich von einer Futterkammer in die andere irgend einmal ein
paar schalkhafte Worte zuriefen, so glitt sein Blick wohl an ihren
stets sauber gehaltenen Barfüßchen hin, an den Waden, am rothen
Kittelchen empor, bis wo die Masche des Schürzenbandes ist, kam aber
nicht höher, als bis zum obersten Busenhäklein, wo zuweilen auch
eine kleine, wilde Rose stak, mit sammt den Dörnchen aber, so daß der
alte Ochsenwart, wenn er, anmaßender als der Melchior, mit seinen
kartoffelbraunen Knochenfingern nach derselben langen wollte, sich
allemal recht tüchtig stach.

Und von dieser Unkenntniß ihres Angesichtes stammten die unsinnigen
Träume, die den jungen Untergäuer fast jede Nacht umgaukelten. Er
sah die glatten, runden Füßchen, das schmiegsame Kittelchen, die
strammgespannten Busenhäklein, das gelbe Lockenhaar, welches gern in
wilden Strähnen niederhing über den Nacken -- sah das Alles fein und
genau, aber das Gesicht hatte eine ellenlange Nase, auf welcher graue,
kurzgeschnittene Haare standen, wie auf dem Haupte des Sennermägdle.

Als nun aber der Melchi, wie er im Hofe stets genannt wurde, an der
Butterkammerthür ein Bohrloch entdeckt hatte, und mehrmals des Tages,
wenn ihn sein Weg just vorüberführte, davor stehen blieb und durch
dasselbe die junge Butterin betrachtete, auch vom Busenhäklein aufwärts
betrachtete, da gestalteten sich die Träume freundlicher.

Die kleine Buttertoni, die Rothkitteldirn, hatte ein gar nettes
Lärvchen. Die frischrothen Lippen legten sich nach oben und unten ein
wenig heraus, wie die Blättchen einer Rose anfangs thun, ehe sie sich
erschließen; sie waren immer ein bischen offen, und wenn das Mädchen
kicherte, da sah man, was es für frische Zähne hatte. Das Näschen war
hübsch aufgeschweift, die Augensterne duckten sich halb unter den
langen Brauen, als wollten sie mit wem Verstecken spielen. Wenn die
Brauen aber doch mitunter emporgezogen wurden, so zitterte ein ganz
seltsamer Thauglanz über den blaugrauen Augen, vor dem der Melchi
erschrak. Die kleine Toni verhielt sich selbstverständlich durchaus
ungenirt in ihrer Butterkammer, das Kübeltreiben macht warm; da that
sie das Jöppchen mehrmals so weit auseinander, daß der Melchi durch das
Bohrloch alle Flicken ihres Pfaidleins gesehen hätte, wäre er nicht
rechtzeitig mit einem Stöpsel aus Fichtenmoos in das Loch gefahren, um
dieses seinen und auch anderen Augen gründlich zu verstopfen.

Daß der Bursche unter so ängstlichen Stimmungen bisher nicht dazu
gekommen war, der kleinen Toni als Gegengabe für das Lebkuchenherz den
föhrenrindenen Vogel anzubieten, ist erklärlich. Oft genug wollte er’s
thun, hatte aber nicht die Schneid dazu. Da fiel es ihm eines Tages
ein: die Rothkitteldirn solle sich den Vogel selber nehmen, wenn er ihr
gefiele. Er stellte ihn auf ihr Kammerfensterchen; aber da blieb er
stehen und sie sah ihn nicht. Hingegen bemerkte ihn der kleine Nickerl
und dieser verband sich mit dem Fritz, dem jüngern Sohn des Hauses, um
den possirlichen Vogel vom Fenster abzunehmen. Noch rechtzeitig kam
der Melchi der Verschwörung dahinter, steckte den föhrenrindenen Vogel
wieder in seinen Hosensack und trug ihn herum wie vor und eh.

Da trug es sich zu, daß der Bursche einmal beim Erlbuschhacken zur
Stallstreu ein Loch in seine Hose riß, gerade über den Hüften. Er kam
des Abends heim mit der Bitte: „Du, kleine Toni, gelt, Du bist so gut
und heilst mir den Riß da mit Zwirn und Nadel zu?“

Sie lachte hell und kam sogleich mit dem Werkzeug herbei. „Na, Du mußt
Dich auf die Kübelbank setzen, sonst wackelst mir allzuviel hin und
her. So! und jetzt halt still und rühr’ Dich nit. Bübel weißt, die
Nadel beißt.“

„Stich zu,“ sagte der Bursche, und jeder Stich ging ihm heiß durch Mark
und Bein, es war ihm gerade, als nähe die Rothkitteldirn sein Herz an
das ihrige fest.

„Wirst einmal ein sauberer Soldat, Du,“ sagte die Butterdirn.

„Mag keiner werden,“ versetzte er trotzig, „mir steht das Leutumbringen
nicht an. Schau um, Leut’ sind zu wenig, Geld ist zu viel.“

„Grad verkehrt hast es gesagt,“ bemerkte die Butterdirn.

Der Melchior schwieg und gab sich der ganzen wohligen Empfindung des
Zunadelns hin.

„Uh Jesses, mein Lebertag!“ rief das Mädchen plötzlich und brach in
ein so heftiges Lachen aus, daß der Athem gar nicht mehr zurückkehren
wollte und der gute Melchi mit beiden Fäusten auf ihrem Rücken
trommelte, um sie vor dem Ersticken zu retten.

„Mein Lebertag!“ röchelte sie wiederholt und kam stets neuerdings in’s
Lachen, „was ist denn das für ein spaßiger Brocken da drin?“

Sie hatte den föhrenrindenen Vogel entdeckt.

„Das da?“ entgegnete der Bursche, „das ist ein Rothkröpfel. Gefällt es
Dir?“

Von Neuem ging das Röcheln des Lachens los und als sie endlich zu
sich gekommen war, fragte sie ganz heiser: „Na, Du dalkerter Bub, das
hast gewiß selber gemacht und kann mir’s wohl denken, das willst Du
Deiner Schönen geben! ’leicht einer sauberen Untergäuerin! Na wart, das
kriegst mir nimmer zurück!“

Den Vogel aus dem Sack hinter ihr Busentüchlein stecken war eine rasche
That, dann kicherte und schäkerte sie noch eine Weile lustig fort.

Der Melchi war überglücklich.

„Der ist ja für Dich, Toni,“ flüsterte er und wußte dabei nicht, wohin
mit seinen Augen, „für das schöne Lebzeltenherz, Toni, weißt? Und paß
nur recht auf, ’leicht legt der Vogel einmal ein Ei, das soll auch Dein
sein...“

Neuer Lachkrampf. Der hölzerne Vogel legt ein Ei! So was Possirliches
hatte die Rothkitteldirn all ihr Lebtag nicht gehört.

„Melchi!“ rief jetzt der Bauer von draußen.

Die Beiden waren mäuschenstill. Der Bauer entfernte sich wieder.

„Ein dummes Hocken da!“ rief der Bursche plötzlich und sprang zornig
auf. „Was ist denn Heimliches dran, wenn mir die Dirn das Loch
zuflickt!“

Er eilte dem Hausherrn nach.


Schlechtes Geld.

Der Forstadjunct Kilian war nicht mehr zurückgekehrt. Es hieß, er sei
auf lebenslang in einen tiefen Kerker geworfen worden.

Der Melchior war darüber sehr traurig, aber der Hochweidhofer tröstete
ihn: „Ein junger, das erstemal ertappter Falschmünzer auf lebelang, das
wäre unerhört, das ist gar nicht wahr.“

„Und ein zum zweitenmal Ertappter?“ rief der Bursche erregt; „mir ist
hart um’s Herz, denk ich an meinen Bruder; aber sie sollen ihn nur im
Kotter behalten; wenn er auskommt, der laßt’s nimmer.“

Dann wieder simulirte er, wie er seinem Bruder etwas Gutes thun könnte,
unterdrückte aber den Gedanken und rief sich zu: „Melchior, halte dich
an ehrliche Leut’!“

Zur Herbstzeit, als der Abtrieb von den Almen kam, war der warmblütige
Bursche längst wieder bei Lust und Uebermuth.

Der Herbst bringt im Gebirge immer die schönsten Tage des Jahres. An
einem solchen Tage war es, als sie herabkamen gegen den Hochweidhof,
die braunen, weißbesprenkelten Rinder mit den Schellen und mit den
Kränzen aus Rhododendronlaub, Enzian und Zirmgesträuche. Um die Stirn
hatte Jedes seinen Strauß; die hoffnungsvolleren Kühe hatten auch
Kränze um den Hals, grünes Gezweige um die Hüften geschlungen. Und
der Stier aus dem Untergäu schon gar! Der mußte sich zu allseitiger
Befriedigung aufgeführt haben, er sah schier aus wie ein wandelnder
Rosenstrauch. Waren diese blauen, weißen und gelben Blumen und Rosen,
die er um seinen Leib gewunden trug, denn alle auf der herbstlichen Alm
erblüht?

Ein paar schäkernde Ziegen machten sich viel um ihn herum zu thun
und erhaschten dann und wann ein Maul voll Bocksbartkraut und wilden
Thymian, mit welchem der Stier geschmückt war.

Zahlreiche Senninnen, junge und minder junge aus der ganzen Gegend
waren dabei und Jede hatte vorne ihre Schürze zu einem Sack aufgebunden
und aus diesem Sacke vertheilten sie an die Mannsleute kleine
Käsekuchen und Butterkrapfen. Mancher von den Mannsleuten war freilich
so keck, sich mit ~eigener~ Hand das Kräpflein aus der Schürze zu
holen, was aber nicht Jede ungestraft geschehen ließ. Auch einige der
Almerinnen hatten freundliche Rosmarinkränzchen auf den Locken; blos
das Sennermägdle von der Hinteralm hatte nichts als einen ungeheuren
Strohhut auf ihrem geschorenen Haupte. Auch sie hatte Krapfen im
Vortuch, doch wollte Keiner d’rum kommen, nur der alte Remini Dreihand
fand sich ein und aß ihr den ganzen Schürzeninhalt auf. Die Alte ließ
es geschehen und machte dieweilen Feuer mit Stein und Zunder und paffte
aus ihrem Pfeifchen.

„Dieses Weib wär’ mir nicht halb so widrig, wenn es nicht das
Sennermägdle heißen thät,“ vertraute der Melchior dem höckerigen und
kropfigen Ochsenwart.

„Je!“ rief dieser, „der Name ist noch das Beste an ihr.“

„Das schon, aber probir’s nur Du und heiße das schöne Hänschen; Alles
wird Dich auslachen und spotten; und so Du der alte, bucklige Hans
bist, geht Jeder ernsthaft an Dir vorbei. Aber sag’ mir doch, wer hat
denn der Alten den närrischen Namen gegeben?“

„So viel ich weiß,“ sagte der Ochsenwart, „hat sie den selber mit
sich gebracht, als sie vor vierzig oder fünfundvierzig Jahren aus dem
Kärntnerland zu uns auf die hohe Weid gekommen ist. Sie ist eine gar
brave Almerin, Melchi! Du, die kann mit dem Vieh umgehen! Nicht drei
Stückel sind ihr verdorben, so lang’ sie bei uns auf der Alm ist. Nu,
das Sennermägdle ist ihr verblieben aus Gewohnheit. Vor drei oder vier
Jahren hat sie der Bauer einmal die alte Froni genannt, so heißt sie.
Hat auf das hin aber den Dienst wollen aufsagen auf der Stell’. Ist sie
seitdem halt wieder das Sennermägdle.“

Als der Bauer von der hohen Weid an diesem Tage gesehen hatte,
wie frisch, glatt und wohlgenährt seine Heerde von der Hinteralm
zurückgekommen war, da hieß er das Sennermägdle zu sich in den
Streuschupfen treten und drückte ihm drei funkelnagelneue Thaler in die
Hand.

Der geknickte Zaunpfahl war nicht weit davon gestanden; und als das
Mägdle hierauf in die Graskammer ging, und in das Milchgelaß, und
endlich auf den Rübenacker hinaus, wo es in seiner Arbeitsamkeit
überall Geschäfte fand, schlich ihr der Alte nach und sein dreieckiges
Gesicht grinste süßlich d’rein.

Später stieg das Mägdle in die Krautgrube hinab, wie solche bei
den meisten Alpenwirthschaften jener Gegend zur Aufbewahrung des
Kohlkrautes als ein mehrere Klafter tiefer Schacht sich vorfindet. Die
Alte war tief unten und trat mit ihren breiten Füßen die früher durch
heißes Wasser eingeweichten Krautköpfe fest. Auch zu dieser Grube,
die ein wenig abseits vom Hofe an einem Hagebuttenstrauche war, kam
der alte Schleicher nach. Eine Weile lugte er, am Rande des Schachtes
stehend, nach allen Richtungen um sich, dann zog er seine Pelzhaube an,
duckte in die Tiefe hinab und sagte: „Sennermägdle!“ Seine Stimme war
so schmiegsam und weich, als wäre sie über und über mit Fuchsschmalz
geschmiert worden. „Sennermägdle,“ sagt er, „Du bist so viel fleißig
und Dir schlaunts besser, wie drei anderen Weibsleuten im Hochweidhof
zusammen. Bist erst von der Alm gekommen und machst Dir da schon wieder
zu schaffen. Du, Sennermägdle!“

„Jetzt hab’ ich keine Zeit zum Schwätzen!“ rief die Alte von der Grube
herauf und trat wacker auf die Köpfe los.

„Freilich nicht,“ entgegnete der Remini, „aber Deine guten
Butterkrapfen vorhin, die haben mir frei so viel taugt. Gern, daß ich
Dir auch einmal einen Gefallen thun möcht.“

„Ist schon recht,“ sagte das Mägdle.

„Ich hätt’ wohl noch ein Anliegen, Sennermägdle,“ schnürfelte der Alte,
„ist aber nit schicksam, thät’s auch nit, hätt’ ich die Sach’ nit gar
so nöthig.“

Die Magd stand still und blickte auf: „Wirst doch nit Noth leiden
müssen, Remini!“

„Das dieweilen just nit, Gott sei Lob und Dank! gleichwohl man’s nit
wissen kann, wie’s Einem in seinen alten Tagen noch gehen wird. Aber --
nu, siehst Du, Mägdle, wohlthätig sein will Einer doch auch ein wenig,
wie man halt kann und mag. Und da hab’ ich im Untergäu ein Pathenkind,
ein armes Waiserl, und dem möcht’ ich recht gern ein klein Ding
schenken, so zum Andenken was, daß Unsereiner auch nit ganz vergessen
ist, wenn so ein Mensch einmal in die Welt wachst. Ich hab’ gesehen,
Sennermägdle, Dir hat heut’ Dein Bauer für Deine Bravheit drei Thaler
zugesteckt; wenn Du nichts dagegen hättest, die möcht’ ich Dir zu gern
auswechseln. Thät’ Dir frei einen Zehnerbanknoten geben.“

„Du meine Zeit!“ rief die Magd in der Grube und hüpfte beständig auf
den platten Kohlköpfen umher, „meine drei Schimmel werden wohl so viel
nicht werth sein; und herausgeben kann ich nicht.“

„Fünf Gulden mögen sie just decken,“ fiel der Alte rasch ein, „und die
andern fünf will ich Dir gern bis auf Deinen Jahreslohn zu Weihnachten
borgen. Mägdle, wir machen’s gleich ab.“

Noch einmal blickte der Remini mißtrauisch um sich. Dort auf dem Zaun
sitzt eine Krähe! Na, kindisch, ’s ist doch nur eine Krähe. So kann
er die Banknote schon hervorholen. Das Sennermägdle beginnt auch die
Thaler aus der Joppe zu nesteln; ei, thut’s ja gern, wenn dem Alten
damit gedient ist; bleibt eh kein Geld, ob’s von Silber ist, oder von
Papier -- bleibt kein Geld bei einer Almerin.

„Vetter!“ rief in demselben Augenblick der Hagebuttenstrauch. Der Alte
wäre vor Schreck schier in die Krautgrube gefallen.

Der Melchior kroch hervor: „Nicht als ob ich zu horchen gekommen
wär’,“ sagte er, „ich hab’ dahinten dem kleinen Fritz ein paar
Kranabetherschlingen aufgerichtet. -- Seid so gut, Remini!“ Er langte
mit kecker Hand nach der Banknote und sah sie an. „Schau, noch ein
falscher im Land! -- Remini, das ist derselbe, den Ihr vorig Sommer
vom Forstadjuncten bekommen. Was habt Ihr denn das Papier gar so
abgeknittert? ’s ist doch ein neuer. Geht, Remini, zerreißt den Fetzen;
Ihr habt Euch ja schon entschädigt durch den Doppelstutzen.“

Der Bursche war so boshaft, zu diesen seinen Worten ein lächelndes
Gesicht zu machen. Im Dreieck des Alten aber zuckte jede Muskel, und
er zog seine scharfe Unterlippe weit hinter den schartigen Oberkiefer
zurück.

„Anschmieren hat er mich wollen?“ zeterte die Alte im Loch, „Du
Spitzbub, Du schlechter! -- Dank Dir Gott, Melchi! -- Wart, Du
vertrackter Galgenstrick, Du! Dir will ich noch einmal Butterkrapfen
schenken! -- Ein falsches Geld für meine guten Thaler! -- Dank Dir
Gott, Melchi! -- Dein Glück, Du alter Schleicher, daß ich nicht
oben bin, Dir wollten ein paar Tüchtige nicht schaden auf Dein
Ohrfeigengesicht! -- Hell betrogen hätt’ er mich, der Kerl da! Na,
schaut’s aber da her, schaut’s den Lumpen an! -- Vergelt’ Dir’s
tausendmal Gott, Melchi!“

So zeterte das zornige und das dankbare Sennermägdle.

Der Alte trollte sich sachte davon und murmelte: „Nichts als Malheur!
’s ist des Teufels! Ach, hätt’ mich meine Mutter lieber in die neue
Welt geschickt!“ Dann schoß er nur noch ein paar giftige Blicke auf
Melchior zurück.

Jetzt erst kam diesem die Wuth. Die Banknote riß er mitten auseinander,
dann ging er, ohne noch ein Wörtchen mit dem Sennermägdle zu wechseln,
in den Hof zurück.

Der alte Dreihand schlich, doppelt geknickt, die Lehne hinab gegen
seine Klause, die in einer Schlucht stak und in welcher wilde Früchte
für den Winter, als dürre Beeren, Holzäpfel, Holzbirnen, Pilze u. s.
w., in großen Haufen geschichtet lagen. Die Hütte war ganz erbärmlich
und gar nichts Nennenswerthes darin, als etwa der Doppelstutzen, der
hinter dem Bettstroh ruhte und in welchem immer noch die Ladung stak,
mit der sie der Alte zur Hand bekommen hatte. Der Remini hätte manches
Reh, das in der Schlucht lief, von Herzen gern damit niedergeschossen,
aber er kam nicht dazu. „Am Ende,“ meinte er, „treff’ ich das tolle
Thier nicht und dann ist auch das Pulver hin.“

Doch war dem Alten das Schußgewehr ein angenehmer Geselle in den
langen, öden Nächten. Hieß es ja, der Remini Dreihand berge Geld in
seiner Klause.


Die Liebe blüht.

Im Winter ging es auf dem Hofe noch lebhafter zu, als im Sommer. Da
war Alles von den Almen beisammen auf der hohen Weid. Auch kamen die
Viehhändler, die Fleischhauer von den Ortschaften herauf, und zur
Weihnachtszeit kam mancher neue Dienstbote und mancher alte ging.

Zur Weihnachtszeit war es auch, als der Hochweider den Melchior mit in
sein Stübchen nahm: „Bist mir zwar zu Jakobi erst in’s Haus gekommen,
aber ist der Bauer von der hohen Weid mit Einem zufrieden, so giebt’s
beim Auszahlen kein halbes Jahr. Haben nichts Festes ausgemacht, also
siebzig Gulden für’s vergangene Jahr.“

Er zählte das Geld auf den Tisch.

„Ich frag’ nur Eins, Bauer,“ sagte der Melchior, „muß ich fort, oder
soll ich dableiben?“

„Ich denk, Melchi, bis auf weiteres weißt, wo Du daheim bist. Und
willst schon Deine besondere Ehr’ haben, auch recht, so sag ich: sei
so gut, Melchior, und bleib mir noch für’s nächste Jahr auf meinem Hof.“

„Ist recht, Bauer. Habt Ihr sonst was anzuschaffen? Nicht, so geh ich
wieder an meine Arbeit.“

Er ging und das Geld blieb liegen auf dem Tisch. Keinen Blick hatte der
Bursche nach demselben geworfen.

„Seit die Welt steht, ist so ein Knecht noch nicht herumgegangen auf
der hohen Weid!“ brummte der Bauer, „und früher sicherlich auch nicht.
Wie der Will, das Geld werd’ ich ihm aufbewahren. Wart, Junge, ’s kommt
eine Zeit, wo Du danach fragen wirst!“

Und der Melchior ging in den Stall zu den zwanzig Ochsen, die ihm
anvertraut waren, und er redete in’s Heu hinein: „Geld? Geld hat
er wollen geben. Und nicht einmal die fünfzig Gulden hätt’ er mir
abgezogen, um die ihn die fünf falschen Zehner von meinem Bruder
betrogen haben. Ich nehm’ ~gar~ nichts. Ich hab’ mein Essen und
ich hab’ meine kleine Toni. Ich leb’ wie ein König, aber nicht so
unruhig. Wenn ich mir schon was wünschen möcht’, eine neue Zipfelmütze.“

Und wie es schon manchem Menschen gegeben ist, daß jeder seiner Wünsche
in Erfüllung geht: als der Dreikönigstag kam, hatte der Melchior
seine neue Zipfelmütze. Es war ein Angebinde zum Namenstag von -- der
Rothkitteldirn.

Wohl hatte dieselbe nicht immer dasselbe rothe Röcklein an, aber
dadurch verlor sie natürlich nicht an Werth in Melchior’s Augen.
Wäre in dem vielbelebten Hofe nur öfter Gelegenheit gewesen, mit ihr
heimlich zu plaudern! Wohl löste sich zuweilen ein Knopf von Melchi’s
Kleidern, den die kleine Toni anheftete; wohl kam beim Heuschütteln
manchmal ein Splitterchen in des Mädchens Auge, das der Bursche sofort
mit vielem Geschick herauszubekommen wußte, oder er zog ihr mit seiner
Taschenveitelspitze ein eingetriebenes Holzspaltchen aus der Hand --
aber das wollte den Leutchen allweg noch zu wenig Unheil sein.

Nur gegen den April hinaus wußte die Toni den Burschen einmal
unversehens in ihre Butterkammer zu bekommen. Sie wartete ihm sofort
mit einem über und über bebutterten Brotschnitten auf. Da sah sie der
Melchi groß an: „Toni, weiß es der Bauer?“

„Gut keine Red’,“ kicherte das Mädchen, „desweg magst ganz und gar
ruhig sein.“

„Der Bauer weiß es nicht, daß wir da von seinem Brot und Butter
naschen wollen? Dirn, Du mußt -- gescheidt sein!“ -- ehrlich hatte er
eigentlich sagen wollen.

Die kleine Toni hub gewaltig an zu lachen, und als sie damit fertig
war, aß sie das Butterbrot selber.

Eine nachhaltige Mißstimmung hatte diese kleine Meinungsverschiedenheit
nicht zur Folge.

Der junge Knecht wußte wohl, daß die Toni sonst ein braves, fleißiges
und auch sparsames Mädchen war, welches viel auf die Wirthschaft und
den Erwerb hielt, so verzieh er gern das kleine Fehl. Und sie selber
hatte ja ein Recht zum Verkosten; mußte doch wissen, wie ihre Butter
schmeckte.

Mit den Veilchen, mit den Maaßliebchen, mit den ersten Schwalben kam
den beiden jungen Leutchen neue Wärme in’s Herz. Sie waren sich gar
sehr zugethan und Eins vertrat im Hofe die Vortheile des Andern; war es
in der Arbeit, die sie theilten, oder bei Tische, wo sie einander die
besten Bissen zuschmuggelten. -- Die Liebe solch’ armer Dienstboten hat
einen gar seltsamen Reiz, sie wird durch das Beisammensein, durch das
Mitsammenleiden, durch das heimliche Verlangen nach Gegenseitigkeit,
durch das hingebende Vertrauen zu dem einen Menschen stets neu entfacht
und muß sich doch im Verborgenen halten, sich vor dem Hausherrn, vor
den Hausgenossen verleugnen, soll sie nicht Gefahr laufen, zerstört zu
werden. „So warm ist kein Feuer, keine Gluth ist so heiß, als heimliche
Liebe...“

Der Melchior war denn endlich auch recht zutraulich geworden, er lugte
dem Mädchen längst nicht mehr durch das Bohrloch in die Augen. Und er
hatte auch mehrmals sich schon erkundigt, ob der föhrenrindene Vogel
das Eierchen noch nicht gelegt habe, worüber die kleine Butterdirn
stets in ihren Lachkrampf verfiel.

Der Melchior war nun volle neunzehn Jahre alt geworden und er empfand
es, was das für ein Unterschied ist, ob man achtzehn oder neunzehn
zählt. Auch nahm er bereits den Schnurrbart wahr, was die Toni nicht
recht glauben wollte, bis er sein Gesicht einmal recht tapfer an ihren
rothen Wangen rieb.

Die kleine Buttertoni behauptete bei jeder Gelegenheit, daß sie auch
schon gegen die Zwanzig ginge; doch zählte sie in Wahrheit erst über
siebzehn ein halb Sommer, deßohngeachtet sprang im Laufe dieses Sommers
ein Busenhäklein um’s andere auf.

Es kam der Mai. Die Heerden zogen mit frischgeputzten Schellen angethan
wieder in’s Freie und mit ihnen die Halter und Halterinnen, die
Kühjungen, die Ochsenwarte, die Senninnen.

Der Melchi trieb jeden Morgen seine Ochsen und Kälber zu den jungen
Matten des Hochbodens hinan. In einer Thalung derselben stand ein
Schachen mit sehr alten Fichtenbäumen und einigen Föhren, welche den
Hirten in Zeiten böser Wetter als Schirmbäume dienten. An diese
Baumgruppe schloß sich auch ein junges, grünes Wäldchen aus Tannen
und Lärchen, das sehr dicht und dunkel war und auf dessen sanftem
Moosboden der Melchi gern ein wenig ruhte, wenn ihm auf der freien Höhe
zu sengend, oder auch der Wind zu scharf wurde. Nicht drei Schritte
sah man von sich, wenn man in diesem Dickicht lag, sah auch nicht ein
groschenbreites Scheibchen von dem blauen Himmel. Kohlschwarze Amseln
schwirrten durch das Reisig und riefen: Tack, tack! zir, zir, hast was
bei Dir?

Mitten d’rin in diesem jungen, dichten Gestämme fühlte sich unser
braver Hirt wieder einmal ganz als sein eigener Herr. Da konnte er
auf dem Rücken liegen, oder auf dem Bauch, auf den Füßen stehen oder
auf dem Kopf, wen ging’s was an? Da zog er wohl auch mitunter sein
Geldbeutelchen heraus und sah das lebkuchene Herz an und betrachtete
das Bild mit dem Pärchen, das im Rosenkörbchen saß, und las die
Ueberschrift, die längst überholt war, und schleckte endlich ein wenig
an dem süßen Kuchen.

Die kleine Toni hatte es nicht so gut; sie mußte, wenn in der
Butterkammer nichts zu schaffen war, unten auf der Heukehr die Ziegen
weiden und hatte außer den paar Johannisbeersträuchen und Erlstauden
gar keinen Schatten. Sie nähte, sie strickte für sich und für ihn. Aber
die Sonne brannte heiß auf die Finger. Mehr als einmal sehnte sie sich
nach dem Schirmschachen.


Was sich im Schirmschachen zugetragen.

Am Pfingstmorgen war’s. Alles, was aus dem Gehöft fortkonnte, war hinab
in den untern Gäu zur Kirche gegangen. Der Melchi und die kleine Toni
führten wie gewöhnlich ihre Heerden auf die Weide.

Auf dem Anger, bevor sie sich trennten, blieb der Bursche stehen,
bohrte mit seinem Peitschenstock einen Grashalm in die Erde und sagte,
stets auf den Grashalm blickend: „Toni, sind Deine Ziegen recht
überschwenglich? Halten sie sich gern auf in der Heukehr?“

„Das ist gewiß,“ lachte das Mädchen, „sie suchen Dir alle Sträucher ab
und es fangen die Sträucher erst an zu blühen.“

„So, sonst hätt’ ich gemeint, Toni, Du könntest sie heut’ ein wenig
gegen den Hochboden hinauftreiben.“

„Du, das ist aber auch wahr,“ versetzte das Mädchen ernsthaft, „Du
meinst der Hexen wegen? Nicht? Ja, hast Du noch nichts erzählen gehört,
daß am Pfingstsonntag die Hexen auf die Weide kommen und die Kühe und
die Ziegen ausmelken? Ja, das hab’ ich oft gehört und die Kühe und
Ziegen thäten nachher das ganze Jahr eine blutige Milch geben. Ja,
es ist gar kein Spaß und ich fürcht’ mich frei. Und dann sollt’ Eins
heut’, kommt man schon nicht in die Kirche, einen Rosenkranz beten.“

„Freilich, und das können wir thun,“ sagte der Bursche, „und oben im
Schirmschachen ist ein schöner Platz dazu. -- So um die Zeit, wenn’s
Neun schlägt, wirst wohl beim Schachen sein können...“

Der Grashalm unter dem Peitschenstock war gründlich zerquetscht. Einen
heißen, aber scheuen Blick noch gegen das Mädchen und der Melchi
leitete seine Ochsen dem Hochboden zu.

Die Sonne stand erst einige Spannlängen hoch über den fernen Bergen,
hinter denen sie hervorgekommen war. Sie schien so freundlich und warm
und sog den Thau der jungen Gräser auf. Die Glocken der Heerde klangen
hell und langsam die Höhe hinan. Die Ochsen schritten gar feierlich
d’rein, die Kälber hüpften und scherzten.

Der neunzehnjährige Hirte ging hinterher und steckte seine Hände in die
Hosentaschen. Er spitzte den Mund und wollte ein Liedchen pfeifen. Da
versagte ihm heute der Athem dazu; in seiner Brust war ein heißes Regen
und Bewegen. Er schritt hastig, aber mäuschenstill über den weichen
Rasen, dann schüttelte er zuweilen das Haupt mit den aufquellenden
Ringellocken und mit der Zipfelmütze, und dann riß er plötzlich seine
Hand aus dem Sack, schlug sie dem nächsten Mannkalb auf den Rücken und
rief: „Ja, mein lieber Scheck, so geht’s uns! Hätten wir Zwei Geld im
Sack, ’leicht wär’ uns allerhand verboten.“

Als sie auf dem Hochboden angekommen waren, hub die Heerde sogleich
an zu grasen. Der Melchior ging gegen den Schachen hin, an dessen
Schattenlänge er merkte, daß es bereits acht Uhr vorüber. Langsam
schlenderte er zwischen den alten Bäumen hin und her und lugte und
spähte. Da roch er plötzlich Tabaksrauch und wie von einem Wipfel
gefallen, wackelte das Sennermägdle daher.

„Was hat die Alte da zu suchen?“ fuhr sie der Bursche an.

„Ich? Einen Junggesellen,“ wisperte sie grinsend. „Kann mir’s denken,
daß ich Dir unbequem bin -- da im Schachen.“

„Gar nit, gar nit,“ sagte der Melchior trotzig.

„Nit? nu, nachher kunnt’ ich ja helfen, Rosenkranz beten!“

Der Bursche sah sie wild an.

„Melchior!“ versetzte nun die Alte, in der einen Hand das Pfeifchen
haltend, mit der andern den Arm des Burschen fassend, „Du hast mir
im vorig’ Herbst eine Gutthat erwiesen. Hast mir meine drei Thaler
behütet; das gedenk ich Dir; Du hast keine Mutter und keinen rechten
Freund auf der Welt, und desweg möcht’ ich Dir gern was Rechtschaffenes
erzeigen. -- Wär’ mir lieb, wenn Du Dich ein wenig da zu mir auf den
Stock setzen wolltest.“

„Warum denn nit!“ sagte der Hirt, der durch den ernsten und weichen Ton
der vorigen Worte völlig besänftigt war, „ich setz’ mich schon, aber
Euren Stinktiegel müßt Ihr wegthun. Ein rauchendes Weibsbild kann mir
gestohlen werden.“

„Hast schon Recht,“ antwortete die Alte, „aber bei mir ist’s halt was
Anderes; ich darf das Feuer nicht ausgehen lassen! -- Und das muß ich
Dir erzählen, Melchior; gelt, Du wirst mir deswegen nicht bös sein?“

„Wenn’s was Gescheidtes ist, so hör’ ich zu.“

„Wirst mir’s nit glauben: ich bin einmal jung und schön gewesen,“ hub
sie an. „Das Wörtl: Sennermägdle ist mir noch davon geblieben, sonst
gar nichts. Zu derselben Zeit und in derselben Gegend ist ein lustiger
und sauberer Tirolerbursch gewesen, dem haben meine seidenen Haare so
gefallen. Ja, die seidenen Haare und wohl auch, was daran gehangen
ist. Haben uns leiden mögen. Zu mir auf die Sennerei ist er oftmals
gekommen; vor der Hütte im Schatten sind wir gesessen die längste Zeit,
und was haben wir gethan? Aus meinen Lockenhaaren hat er Bänder und
Zöpfe geflochten. Allbeide haben wir gemeint, wir wären brav; aber
einmal sind wir doch zu lang gesessen. -- Wie der Tiroler, was nenn’
ich seinen Namen! später wiederum in die Sennhütte kommt, sag’ ich zu
ihm: Du, ich muß Dir was anvertrauen! und heb’ vor ihm zu weinen an.
-- Hat’s verstanden. Eine gute Weile sitzt er da an der Bank, stopft
seine Pfeife und schlägt Feuer, bläst an und raucht. Er raucht, daß ich
sein Gesicht gar nicht seh’, und sagt nicht ein einzig Wörtl. Da steht
er jählings auf und geht gegen die Thür. -- Wo willst hin? schrei ich
auf. -- Ein wenig hinaus, sagt er, bleib Du da! -- Und wie er’s schon
öfter so gemacht, wenn er was Eiliges zu thun gehabt hat, giebt er mir
die Pfeife in die Hand: Froni, da, schau, daß mir dieweil das Feuer nit
ausgeht. -- Ich will auch nicht die Verzagte sein, nehm’ die Pfeife und
thu’ ein paar Züge, daß sie nicht auslischt, bis er wieder hereinkommt.
-- Melchior,“ sie klopfte dem Hirten auf die Achsel, „Melchior, bis auf
den heutigen Tag ist der brave Tiroler noch nicht hereingekommen, und
so ist mir halt das Pfeiflein im Mund verblieben.“

„Ja,“ meinte jetzt der Bursche, „wie ist denn das gewesen?“

„Verlassen hat er mich!“ sprach das Sennermägdle; „damit ich ihm
nicht nachlauf zur Thür hinaus, hat er das mit der Pfeife gethan. In
sein Tirol wird er gegangen sein; ich hab’ ihn nicht mehr gesehen. In
der größten Noth -- das kannst nimmer glauben -- hab’ ich das Kind
geboren. In der Armuth, in der Verlassenheit, im Spott der Leute hab’
ich gelebt in einer Köhlerhütte; ich bin völlig allein, hab’ keine
Hilf; mein Kind ist mir verdorben, und -- Gott Dank, Gott Dank! --
gestorben! -- Jetzt hab’ ich die Tabakspfeife noch gehabt vom Tiroler,
und verrückt, wie ich gewesen bin, hab’ ich gesagt: Ich will mein
Wort halten und das heiße Feuer soll in Deiner Pfeife brennen, bis
Du mir wieder zurückkommst. -- Wär’ er gekommen, ich hätt’ ihm Alles
verziehen; aber allein und unglücklich hat er mich gelassen. Mein
schwarzes Haar, das mich zuerst in’s Unglück gezogen hat, das hab’ ich
mir vom Haupte geschnitten, und alle Jahre hab’ ich das gethan zum
traurigen Angedenken. Und auch er selber, gleichwohl er ehrlich und
brav gewesen ist in seinen jungen Tagen, kann kein ruhiges Gewissen
mehr gehabt haben. Einer einzigen Stunde wegen sind wir elend geworden
Allbeide. -- Die Pfeife -- ja, es ist noch die seine -- die hab’ ich
mir angewohnt, und wie ich den Tiroler nimmer vergessen kann, so soll
auch, so lang’ ich leb’, das Feuer da d’rin nicht ganz verlöschen. Und
vielleicht kommt er doch noch einmal zur Thür herein; meine größte
Freud’ im Himmel und auf Erden, wenn ich ihm könnt’ sagen: Da, mein
Herzallerliebster, da nimm Deine Pfeife, sie brennt noch!“

Der Melchior war aufgestanden. „Ihr seid brav,“ sagte er heiser, „aber
ich bin ein schlechter Mensch, ich hab’ mich mehr als einmal lustig
gemacht über Eure Pfeife und über Euer geschorenes Haupt.“

„Da hast ja Recht gehabt, Du Tropf!“ rief die Alte. „Ich lach’ mich
selber aus, aber ich halt’s; ich kann meine Reu und Treu nicht besser
beweisen.“

Nach diesen Worten faßte sie wieder des Burschen Hand: „Melchior, jetzt
wird’s bald Neun schlagen unten auf der Kirchenuhr. Sei mir ja nicht
bös, daß ich da bin, aber ich wollt’ Dich nicht verlassen; es ist Deine
gefährliche Stund’. -- Hast mich nicht gesehen unten am Hof? Wie Du
die Toni da zum Schachen her hast beschieden, bin ich nicht weit von
Euch gestanden. -- Jetzt will ich aber wieder davongehen; Du bist Dein
eigener Herr. Nur das sag’ ich Dir, Melchior, gieb Acht, daß Du das
Unglück nicht aufweckst, für Dich und für sie; es geht dann nimmer
schlafen! -- Und das ist der Dienst, den ich Dir erweisen kann; nimmst
ihn, oder nicht. Jetzt behüt’ Dich Gott! Behüt’ Dich Gott!“

Sie hastete davon. Der Melchior Ehrlich stand allein im Schatten der
alten Bäume.

Nicht lange hernach hörte er die Schellen der Ziegen. Die kleine Toni
huschte dem Schachen zu.

„Hast Du sie auch gesehen, Melchi?“ rief sie dem jungen Hirten zu.

„Wen?“

„Die Hexe, die Pfingsthexe! Da über die Höhe ist sie hingelaufen, gegen
die Hinteralm.“

„Das ist das -- Sennermägdle gewesen,“ antwortete der Bursche zerstreut.

Sie gingen eine Weile zwischen dem Gestämm hin und wußten nicht, was
sie einander sagen sollten. Beide blickten auf das braune Moos des
Bodens.

„Daß aber da keine Pilzlinge wachsen!“ bemerkte endlich das Mädchen.

„’s ist noch zu früh an der Zeit,“ entgegnete der Bursche.

„Vielleicht dort im jungen Anwachs d’rin,“ sagte die Butterdirn.

Aber der Melchi wandte sich hinaus gegen die Lichtung, zog langsam die
Mütze vom Kopf: „Ich denk’, Toni, wir heben an mit dem Rosenkranz.“


Falsches Geld.

Pfingsten war glücklich vorbeigegangen.

„Brav sein, dieweil!“ sagte sich der Melchior, „sie kann arbeiten, ich
kann arbeiten; ’s wird geheiratet.“

Da stand wenige Wochen nach Pfingsten an einem Samstag-Abend die kleine
Toni am Brunnentrog und wusch ihr rothes Röcklein. Am andern Ende des
Troges saß der Melchior und rieb mit kräftiger Hand Ochsenfett in seine
Sonntagsschuhe. Kam der alte, bucklige Hans mit seinen Kühen heim und
brummte, weil ihn der Feierabend lustig machte, das Liedchen:

    „Ein Einser und ein Zweier,
    Die machen just ein’ Dreier,
    Und die Henne, die auf’s Feld geht,
    Die frißt gern der Geier.“

Man weiß nicht, ob es der alte Schalk mit diesem Vierzeiligen auf
Jemanden abgesehen hatte, oder ob er thatsächlich an eine unvorsichtige
Henne dachte. Die Buttertoni kicherte, plätscherte mit dem rothen
Kittelchen, daß das Wasser bis zum Melchi hinspritzte, und sang:

    „Und die Henne, die auf’s Feld geht,
    Die frißt gern der Geier;
    Und die föhrenrindenen Vögel
    Legen packfong’ne Eier.“

Der Melchi horchte auf. Er hatte es sofort verstanden, der hölzerne
Rothkropf hatte das Ringlein endlich ausgebrütet, oder vielmehr, das
Mädchen hatte es in dem Vogel entdeckt.

„Sollt’s -- nicht von Silber sein, Toni?“

„Hi, hi,“ lachte diese, „das Ringlein hat schauderlich die Gelbsucht.“

„Von Packfong?! O Du verdangelter Kapuziner, auch Du gehst um, Leut’
betrügen!“

„Ja, ja,“ rief die Toni und lachte nicht dabei, „was kann der Kapuziner
dafür, wenn Du dummerweise seine Hergab’ für Silber hast gehalten. Du
hättest aber auch so Einer werden sollen von der Gattung Kutten, die
kein Geld im Sack haben dürfen, weil ihnen ohnehin all’ gut’ Sach’, die
sie brauchen, zugesteckt wird.“

Sie ließ das Wasser gischten: der Bursche rieb doppelt heftig an seinem
Schuh und war gar roth im Gesicht.

„Hätt’st mich nimmer gern, Toni?“ sagt er nun halblaut.

„Ei ja,“ sagte sie, „hast mir ja nichts gethan.“

Sie sah nicht mehr auf den Burschen hin, hub an, mit ihrem rothen Rock
zu schwätzen, daß er ihr jetzt „weiß“ genug sei und daß sie ihn auf die
Stange spannen werde.

Und als sie mit dem Waschkörbchen davon ging, schlug sie ihre Stimme
über und sang:

    „Im Beutel a Geld
    Und im Herzen an Schatz,
    Und a Schneid muaß da Bua hab’n,
    Sunst g’hört er der Katz.“

Nun war’s doch wahrhaftig deutlich genug, die Butterdirn war
aufgebracht.

Worüber nur? Weil der Ring im Vogel nicht von Gold oder Silber
gewesen? Weil der Melchi kein Geld in der Tasche trug und ihr kein
Taffetschürzchen kaufen konnte? -- Nein, so klein denkt die kleine
Toni nicht. Oder -- hätte sie doch der Rosenkranz am Pfingstsonntag
verdrossen?

Es verging eine Woche um die andere, die Butterdirn gab sich mit
dem Melchior nicht mehr und nicht weniger ab, wie mit den anderen
Mannsleuten, sie war lustig und lachte wie immer, aber ihr Lachen --
wer ihm aufgepaßt hätte -- scholl lauter und härter als sonst.

Der Melchior befliß sich zu zeigen, daß er ganz so sei, wie immer, und
brummte seinen Ochsen zuweilen auch wohl das Liedchen vor:

    „Wegen oan Dirndl traurig sein,
    Däs follt ma gor nit ein,
    Brauch’ nit erst ’s Dutzend z’ zähl’n,
    Krieg’s nach der Ell’n.“

Aber dann guckte er doch wieder einmal durch das Bohrloch in die
Butterkammer hinein.

An Sonntagen, wenn die Toni zur Kirche hinabgegangen war, kam sie
nun häufig später nach Hause als sonst, und im Hof gingen allerhand
Neckworte herum vom Leisten, von der Ahle, von Schmier und Pech u. s.
w., die auf die Butterdirn gemünzt waren und die der gute Melchior
Ehrlich nachgerade nicht begriff.

Da stand der Bursche in einer Nacht aus seinem Bette auf und schlich
gegen das Kammerfenster der Toni.

„Mein Dirndl!“ flüsterte er und klopfte an die Scheibe.

Sie schlief.

„Toni, hast mich denn nimmer gern?“

Sie schlief fest.

„Hätt’ ich Dir was Leids gethan, Toni, thu mir’s nicht verschweigen.
Schau, ich bin Dir von Herzen treu.“

Jetzt öffnete sich das Fensterchen, aber anstatt aller Antwort kam der
föhrenrindene Vogel mit dem Ringlein heraus. Das war auch eine Antwort.

Der Melchior sagte kein Wort mehr; er steckte das kleine Schnitzwerk in
seinen Hosensack und ging langsam seinem Bette zu.

Am nächstfolgenden Sonntag wurde in der Untergäuer Kirche von der
Kanzel verkündet: „Der Bräutigam Mirtel Gegerle, Schuhmacher in der
Gemeinde Sterzen; die Braut Antonia Schwanner, bisher Dienstmagd im Hof
auf der hohen Weid im obern Gäu...“

Man beglückwünschte die Braut, die als einfache Dienstmagd eine so gute
Partie mache. Der Schuster Gegerle hatte ja Geld. Jung und schön war er
zwar nicht, der Meister, hatte auch schon drei Kinder von seiner ersten
und zweiten Frau im Hause; aber er kaufte seiner zukünftigen Dritten
ein grünes Seidenkleid und gab ihr obendrein ein Antraugeld, das mehr
ausmachte als ein ganzer Jahrlohn auf der hohen Weid.

„Ist auch gut,“ meinte der Melchior, „sie heiratet das Geld! mein Weib
muß mich heiraten.“ -- Einmal aber, als der Knecht die Sache so recht
überdacht hatte, war er doch wild geworden, hatte sich in seinem Zorne
die Zipfelmütze vom Haupt gerissen und sie mit den Füßen getreten. --
„Geld!“ schrie er laut, „Geld! Wiederum ist es dieses Best, das mich
will zugrunde richten. Meinen Vater, meine Mutter, meinen Bruder, meine
Herzliebste hat mir das Geld gefressen!“

Der Bauer hatte es gehört. „Geh, Melchi,“ sagte er, „sei kein Narr.
Geld muß der Mensch mit Geld wett machen! Wirst auch noch einmal was
anfangen können, Junge; Du weißt, was Du bei mir liegen hast.“

„Mag nichts hören davon!“ schrie der Bursche und stampfte den Fuß auf
den dröhnenden Boden.

Bei der Hochzeit der Butterdirn war der halbe Hochweidhof mitgewesen,
auch der geknickte Zaunpfahl hatte nicht gefehlt, war sogar auf
einem Ehrenplatz gesessen und hatte unerhört viel Braten und Krapfen
verzehrt. Der Remini Dreihand war ein guter Freund des Bräutigams.

Der Melchior war am Hochzeitstage auf der Alm wie ein wildes Thier
herumgerannt. Ueber die Heukehr war er gelaufen, wo die kleine Toni so
oft die Ziegen gefüttert hatte. Aber als er am Schachen des Hochbodens
vorüberging, da lachte er hell auf und die Bäume lachten mit. Eilig
ging er der Hütte auf der Hinteralm zu, nahm das Sennermägdle bei der
welken Hand und sagte: „Vergelt’ Euch Gott den Pfingstsonntag!“


Die Liebe blutet.

Jetzt gingen der Jahre eines und zweie und etliche dahin.

Der Melchior blieb auf der hohen Weid und war fleißig und verläßlich
und arbeitete für Zwei.

In den ermüdendsten Bewegungen, im Heumähen, im Streutragen, im
Brennholzspalten ging er voran und war thätig vom frühen Morgen bis in
die späte Nacht. Der junge Mann meinte, das, was ihn immer so sehr in
seinem Herzen drücke, sei nichts als dickes Blut, und das Blut müsse
durch Bewegung und Schweiß gereinigt werden.

Er war völlig anders als sonst, er war nicht mehr heiter und gesellig,
er war still und oft traurig, hielt’s mit Niemandem; ganz allein ging
er um.

Vor dem Soldatenleben, das dem frischen Burschen bevorstand, hatte er
sich sonst gescheut, nun wollte er am liebsten „ziehen fort auf’s weite
Feld und streiten mit dem Feind“, wie’s im Liede heißt.

Den Bauer respectirte er stets als seinen Dienstherrn, des Weiteren
hielt er seine Selbstständigkeit aufrecht.

Nur bei dem Sennermägdle saß er zuweilen in der Hütte. Jetzt mochte er
auch ihre Tabakspfeife leiden. Andere Leut’ rauchen und wissen nicht
warum; aber beim Sennermägdle hat’s eine Bedeutung. Und wie sie sich
seit vielen Jahren ihr Haar vom Haupte schnitt als Zeichen der Reue
und Treue, so wollte auch er, der Melchior Ehrlich, an seiner Satzung
halten: keinen Heller von dem verfluchten Gelde besitzen sein Lebtag
lang’.

Was war mit dem Lebkuchenherz geschehen?

Das trug der Bursche stets noch in seinem Geldbeutel. Was konnte auch
das Herz für die Butterdirn!

Auch den föhrenrindenen Vogel ließ er nicht mehr aus seinem Sack, so
lange er die blauleinene Hose trug; später, als er vom Bauer eine
grauleinene bekam, mußte mit dem Burschen freilich auch das hölzerne
Rothkehlchen übersiedeln. Das Rothkehlchen mitsammt dem Lebkuchenherz,
das bereits eingetrocknet war wie die Mumie eines lieben Abgestorbenen.

So lebte und so trieb es der Knecht aus dem untern Gäu. Der schwarze
Stier, der einst mit ihm heraufgekommen war, erfreute sich längst schon
einer zahlreichen Nachkommenschaft auf der hohen Weid. Der Melchior war
Junggeselle.

War es und wollte es verbleiben.


Der Jude wird verbrannt.

Auf dem großen Almhofe hatte sich die Zeit her Manches gewendet. Der
kleine Fritz war zu einem Jungen herangewachsen, der für die Zuchtruthe
des Vaters zu alt, für den Ernst der Wirthschaft noch zu jung war.
Seinetwegen hatte das ganze junge Weibsvolk aus dem Hause müssen.

Der ältere Sohn des Bauers hatte es in der Stadt richtig zu einem
Medicindoctor, und zwar zu einem Militärarzt gebracht, und sandte den
Eltern allerlei Recepte nach Hause. Half aber nichts gegen das Alter.
Die Bäuerin starb; der Bauer hatte nicht mehr die Spannkraft in sich,
wie vorher.

Den Melchior hatte er längst zum Oberknecht gemacht und mehr und
immer mehr kam die Wirthschaft der hohen Weid auf die Schultern des
jungen Mannes zu ruhen. Nur alle Verkäufe und Einkäufe mußte der Bauer
besorgen, weil sich der Melchior thatsächlich vor den Geldstücken
scheute, wie ein gebrannter Hund vor glühenden Kohlen.

Zuweilen hinkte auch der alte Remini in den Hof; er machte sich immer
irgend welche Geschäfte, entweder hatte er eine Botschaft auszurichten,
die nirgends von geringerer Wichtigkeit war, als im Hofe; oder er
fragte in seinen Angelegenheiten um Rath, den er hernach sicherlich
nicht befolgte; oder er hatte dieses oder jenes auszuborgen oder
zurückzubringen. In Wahrheit aber kam er nur, um Bissen und Brosamen,
die in dem großen Hause abfielen, zu erschnappen oder zu erbetteln,
rostige Nägel vom Boden aufzulesen und sonstige kleine Dinge, die man
im Hofe für unbrauchbar hielt, mit sich zu nehmen. Er löste daraus
stets ein paar Kreuzer und wollte so allmählich die Sorge „für seine
alten Tage“ verringern, ein Bestreben, welches einem Remini Dreihand
nimmer gelingen wird. „Ach,“ seufzte er oft, „mancher Mensch ist
wahrhaftig zum Elend geboren. Mit mir stünd’s anders, hätt’ mich meine
Mutter nach Amerika gehen lassen.“

„Ja, und warum hat sie denn das nicht gethan?“ fragte ihn der Melchior
einmal zornig.

„Weil -- weil sie mich nicht mitgenommen haben,“ antwortete der
Geknickte und zog seinen dreieckigen Kopf ein, „purer Neid ist es
gewesen, heller Neid von den Leuten, die dazumal ausgewandert sind. Die
haben längst ihre Goldsäcke voll. Unsereiner muß bitter darben.“

Die Goldsäcke voll! Das war sein Denken und Streben, sein Glauben und
sein Himmelreich.

O, Dir thät ich’s wünschen, alter Gauch, Du hättest die Goldsäcke voll
und müßtest sie fortweg auf Deinem Höcker schleppen, daß sie Dich derb
ritten und drückten! Das wären die Sorgen für die alten Tage! -- So
dachte der Melchior dem Alten einmal nach.

Nun, er, der Melchior selber, bot freilich Alles auf, um sich vor einer
solchen Last zu bewahren.

Der Hochweidhofer wurde immer kränklicher; seine hohe Weid, die seine
Kraft, sein Stolz, sein Leben war, wurde ihm immer gleichgiltiger. So
ging er denn d’ran, das Gut seinem jüngsten Sohne zu verschreiben.

Zuvor aber beschied er den Melchior in seine Stube. Dieser nahm gar
seine Mütze ab, denn der Bauer schien ihm blaß und krank zum Versterben.

„Melchi,“ sagte der Kranke, „wir Zwei haben noch was auf gleich zu
bringen miteinand. ’s ist vier Jahr’ und drüber, daß Du in meinem Haus
bist. Bist brav und ordentlich, bist letzt’ Zeit her meine rechte Hand
gewesen. -- Der Fritz merkt wohl auch, was er an Dir hat, und mir
wird’s noch in der letzten Stund’ taugen, wenn ich weiß, Du wirst auch
auf hinfür noch im Haus verbleiben. Hätt’s auch gern gesehen, daß Dich
mein Sohn, der Doctor, des Soldatenlebens wegen untersucht und für
untauglich erklärt hätt’, ’s wär’ leicht gegangen. Nu, wenn Du nicht
willst! -- Aber die alt’ Sach’ muß jetzt richtig gemacht werden, ’s
könnt’ sonst leicht Anständ’ geben, wie’s schon geht bei den Leuten.“

Der Hochweidhofer richtete sich im Bette auf und that unter dem
Kopfpolster ein kleines Packetchen hervor, das er schon früher bereitet
haben mochte. Es war in weißer Leinwand und mit einer blauen Schnur
umwickelt. Er hob es mit der Hand und schaukelte damit ein paarmal auf
und ab, als ob er seine Schwere prüfen wollte. Dann sagte er mit leiser
Stimme: „Melchi, das ist Dein Eigenthum.“

Der junge Mann erschrak fast und that seine Hände hinter den Rücken,
daß sie ja nicht angreifen konnten.

„Melchi!“ fuhr der Kranke fort, „mach’ jetzt keine Albernheiten,
jetzt ist keine Zeit dazu. Die Sache gehört Dein, Du hast sie redlich
verdient und Du wirst sie noch brauchen! -- Greif an, laß’ mich nicht
so lang’ reden, Du siehst wohl, daß es mich aufregt.“

Der Melchior war gegen das Fenster gegangen und starrte nun in
das Freie hinaus. -- Draußen auf herbstlichem Gras hüpften gelbe
Laubblätter umher; in der Stube lag ein todtkranker Mann, und da wird
noch von Geld und Gut gesprochen...

Der Bursche schüttelte traurig den Kopf, er nähme nichts.

„So,“ sagte der Bauer darauf mit einer Gelassenheit, hinter der Wuth
steckte, „so, also schenken, schenken willst Du’s dem Bauer von der
hohen Weid!“

„Ich hab’ nichts zu schenken,“ versetzte der Melchior, „ich hab’s gut
bei Euch gehabt; bei Euch im Hof ist meine schönste Zeit gewesen;
’s kommt keine solche mehr. Jetzt, wenn Ihr ~auch~ wollt
versterben...“

Er wendete sich ab; die Zipfelhaube hatte er fest in die Faust geballt,
jetzt fuhr er sich damit rasch über das Gesicht.

„Melchi,“ sagte der Alte, „geh’ her zu mir. Gieb mir die Hand. So, ’s
thut mir gut, daß Du da bist. Mein Sohn, der streift in den Weiten
herum. Der ist leichtfertig und unerfahren, ich will Dich bitten, daß
Du ihm fort recht zur Seite bist. Uebrigens -- kann’s auch mit mir
besser werden; hätt’ ich nur erst den Winter überdauert! -- Nu, wie’s
Gott will. -- Jetzt, Melchi, nimm das! Kränk’ mich nicht, nimm das. --
Denk’ halt, ’s wär kein Geld d’rin -- nur ein Angedenken --“

„Kein Geld!“ murmelte der Bursche. Darauf stand er eine Weile
unentschlossen da und schließlich nahm er das Päckchen.

Aber beklommen verließ er die Stube. Er ging in die Kammer, dort
öffnete er mit zitternden Händen das Packet.

Als der Inhalt offen dalag, schüttelte er den Kopf und lächelte trüb:
„Hab’ mir’s gedacht, hab’ mir’s gedacht!“

Fünf Stück Hunderterbanknoten hatte er in der Hand.

Er sah sie blinzelnd an und begann so mit dem Papier zu reden: „Jetzt
seid ihr da! jetzt seid ihr auch bei mir da? Wollt ihr mich auch
haben? O, der Melchi, das ist der Unrechte! -- Der Krug, der geht so
lang’ zum Brunnen, bis er bricht -- kennt ihr’s nicht, das Sprüchel?
-- Geld, wo ist meine Mutter, mein Vater? Geld! Du hast mir meinen
Bruder verdorben, hast mir meine Liebste weggenommen! Du hast schon
viele Leute zum Galgen geführt oder zum Narren gemacht. -- Mein Leben
und meinen Namen hast du zugrunde gerichtet, du verfluchtes, du
vermaledeites Geld.“

Und während er knirschend diese Worte sprach, ballte er die Banknoten
mit krampfigen Fingern zusammen; schon hob er den Arm, um den Ballen
weit von sich zu schleudern, da hielt er plötzlich ein und ein Lächeln
flog über sein bleich gewordenes Gesicht.

Er entwirrte die Blätter, legte sie glättend in Ordnung aneinander und
steckte sie in seine Hosentasche.

Er hatte vorhin den alten Remini um den Hof schleichen gesehen; diesen
wollte er nun aufsuchen.

Er eilte durch den Gemüsegarten und über die Matte quer hinab gegen den
Waldrand. Und am Waldrande hockte der Alte bei einem frisch knisternden
Feuer und schob Kartoffeln in die Gluth.

„Nu, Vetter,“ redete ihn der Bursche an, „wo habt Ihr heut’ die
Erdäpfel gestohlen?“

„Ich? die Erdäpfel!“ stotterte der Geknickte, „gefunden --“

„Ha, ha, da drüben auf dem Acker unter der Erde, gelt! -- Je nu, Gott
gesegne sie Euch für die alten Tage. Ich hätt’ Euch nur fragen mögen,
Remini, da, der Dinger wegen. Wißt, ich hab’ heut’ vom Hochweidhofer
meinen Lohn erhalten, beiläufig so für vier oder fünf Jahr. Jetzt aber
-- Ihr wißt, man muß fort auf der Hut sein -- bin ich so ängstlich und
möcht’ genau wissen, ob die Banknoten da wohl auch gut und echt sind?“

„Na, na, das kennst Du gar gut!“ zischelte der Alte, aber als der
Bursche das Geld hervorzog, da zuckten jenem die Finger, daß sie schier
klapperten. „Laß ’mal sehen!“ Mit Hast und Gier erfaßte er die Papiere:
„Drei -- vier -- ~fünf -- hundert~!“ er rang nach Athem, seine
grauen, schielenden Aeuglein thaten, als wollten sie heraushüpfen
auf die vornehmen Ziffern. „Blitz ’nein, Blitz ’nein,“ murmelte er
fortwährend, „das ist viel!“

„Und echt wären sie?“ fragte der Bursche, indem er den Geknickten so
recht von der Seite anlugte, um zu beobachten, wie die Leidenschaft in
ihm wüthete.

„Echt, das ist gewiß, wie das Silber, wie das Gold, das dafür bezahlt
wird!“ stieß der Remini fast fiebernd heraus, „ein schönes Geld, das!
ein schönes Geld! -- Der Tausend, Melchior, weit hast es gebracht,
weit! -- fünfhundert -- auf einmal! das ist viel! -- ist viel!“

„Wie man’s nimmt,“ versetzte der Bursche wegwerfend und langte wieder
nach den Scheinen, „könnt’ auch ~mehr~ sein. Von fünfhundert
aufwärts ist weiter, als von fünfhundert abwärts; könnt’ auch
~mehr~ sein. -- Werdet aber wissen, Remini, ich bin kein Freund
davon, brauch’s auch nicht.“

Bei diesen Worten zuckte gleich der lustigen Flamme des Feuers, vor
dem er kauerte, eine Freudengluth über das aschenfarbige Gesicht des
Alten. -- Er ist kein Liebhaber davon? Braucht es nicht?... Der Remini
ließ das Papier nicht aus den Augen.

„~Echtes~ Geld, meint Ihr, Remini?“

„Wie nur was echt sein kann!“ krächzte der Geknickte begeistert.

Der Melchior schüttelte ungläubig den Kopf: „Will’s doch lieber
versuchen. -- Paßt auf!“

Hoch hob er die zusammengedrehten Banknoten und mit einem kräftigen
Schwung warf er sie in das Feuer hinein.

Der Alte stieß einen gräulichen Schreckruf aus, dann tastete er mit
beiden Händen in die Flammen, zog sie aber stöhnend wieder zurück. Das
Papier zuckte, wand und ringelte sich in der Gluth, ein brauner Hauch
zog über die weißen Blätter, jetzt brannten sie lichterloh, jetzt
flatterte der graue Aschenflaum, jetzt zuckten die schwarzen Flöckchen
zusammen und vergingen im Gluthpfuhl.

Der Melchior war mit gekreuzten Armen dagestanden; nicht lächelnd,
sondern mit zuckenden Zügen und funkelnden Augen hatte er dem
Verbrennen der Banknoten zugesehen.

Als die letzte Spur davon vergangen war, sog er einen langen, schweren
Athemzug in seine Brust und hauchte: „Jetzt bist du gerichtet. Gott
Lob, Gott Lob!“

Der Remini war einer Ohnmacht nahe gewesen. Aber auf einmal sprang er
auf wie besessen, schlug seine Hände zusammen und schrie: „Du Narr!
Du Wahnsinniger! Du Bösewicht! Jesus im Himmel, jetzt hat er das
~Geld~ verbrannt!“

„Das Geld? Nu, das Geld eigentlich nicht,“ versetzte der Bursche, „nur
das Papier.“

„Vier lange Jahre gearbeitet mit schwerer Müh’!“

„Das wohl,“ sagte der Melchior, „aber die hätten diese Fetzen doch
nicht mehr leichter gemacht. Und, Remini, jetzt sag’ mir einmal, wo ist
denn der Schaden? Ist ein Stück Gut weniger auf der Welt, seit da die
Asche fliegt? Ist meine vierjährige Arbeit auf der hohen Weid desweg
verloren? Nicht ein einziger Nagel, den ich eingebohrt hab’, ist darum
aus der Wand gesprungen.“

„Du hunderttausendfältiger Narr, Du selber hast den Schaden!“ rief der
Remini.

„Das ist nicht bewiesen,“ sagte der Melchior, „ich hätt’ das Geld
vielleicht in die Stadt geschickt, daß es Zinsen sollt’ tragen, ich
wär’ ein Hirt gewesen auf der Alm wie vor und eh’ und hätt’ gelebt,
wie die anderen Hirten leben, und wär’ zuletzt gestorben, wie die
anderen Hirten sterben. Jeder Mensch braucht kein Geld, mein lieber
Vetter Remini, und das Essen und Trinken und die Kleider wachsen aus
dem Erdboden auf, und dem Erdboden ist das Geld zu schlecht, der muß
Mist haben, Mist und fleißige Hände. Meine Scheidemünzen sind die
Arbeitstage, mit denen ich der Welt das tägliche Brot abkaufe.“

„Jetzt hat der Mensch das Geld verbrannt!“ klagte der Alte noch immer,
„ist aber das eine Schande, wo ja ohnehin das Geld gar so rar ist. --
Du, Melchior! vor’s Gericht kommst! Aufhängen werden sie Dich!“

„Ha, das werden sie sicherlich bleiben lassen!“ lachte der Bursche. „O,
gäb’ es nur mehr solcher Leut, die ihr Papiergeld thäten verbrennen
dem Land zulieb! Das Land glaub’ ich, hat ja Nutzen davon, wenn man
Papiergeld verbrennt. Ihr könnt es freilich nicht verstehen, wenn ich
sag: dahier am Waldrand, unter dem freien Himmel hätte der Melchior
Ehrlich, der Ehrenschmiedsohn, von seiner Jugend vier Arbeitsjahre
seinem Vaterland geschenkt. Und er weiß, warum er’s gethan hat. -- So,
Vetter, und jetzt laßt Euch die Erdäpfel schmecken und denkt dabei: sie
müssen echter sein, als die Banknoten; die sind verbrannt, die Erdäpfel
sind nur gebraten.“

Der Melchior steckte seine Hände in die Hosentasche und trottete
langsam davon.

Der alte Remini Dreihand hatte gar keinen Appetit mehr nach den
Kartoffeln; endlich aber verzehrte er sie sammt den Schalen. Vielleicht
war darauf doch noch irgend ein Aschenstäubchen von den verbrannten
Hundertern kleben geblieben.


Die Liebe reift.

Der Bauer von der hohen Weid war noch im selben Herbste verstorben.
Kaum lag er zwischen den sechs Brettern des Sarges, so dehnte sich der
Junge aus -- der Fritz. Er polterte und commandirte fürchterlich herum
im Gehöft und nannte den „Bauer von der hohen Weid“ noch öfter, als
sein Vater es gethan hatte.

Den Melchior beachtete er anfangs gar nicht; dann aber hieß er ihn
nie anders, als den Halbnarren. Im ganzen Ober- und Untergäu war es
offenbar, daß der junge Knecht aus Narrheit und Uebermuth seinen
mehrjährigen Arbeitslohn zu eitel Asche verbrannt habe.

Viele kamen auf die hohe Weid, blos um den Narren zu sehen.

„Ist er schon selber zu dumm für ein Geld, so hätte er’s den Armen
geben sollen!“ Das mußte der arme Bursche hundertmal hören.

Die Armen, die lagen ihm nun allerdings auf dem Gewissen. Er hätte
Manchen aus Noth und Hunger retten können. -- Ja, war’s denn aber seine
Schuldigkeit, daß just er, der Dienstknecht, arme Leute aus Noth und
Hunger retten sollte? -- Aber er hätte es doch gethan, wäre sein Herz
besser gewesen, als sein Kopf.

Ja, so rechten die Menschen vom Tage.

Keiner im ganzen Gäu hatte geahnt, was das Herz des jungen Mannes
erfüllte und daß am Waldrande ein Gedächtniß- und Sühnopfer geschehen
war für Eltern und Bruder. --

Auch in die Kreisstadt war die Banknotengeschichte gedrungen und die
Folge davon war, daß der „Narr“ Melchior Ehrlich aus der Rekrutenliste
gestrichen wurde.

Und so sind dem braven Burschen für die vier verbrannten „Arbeitsjahre“
elf andere geschenkt worden.

Der Melchior sah bald ein, daß unter der neuen Herrschaft seines
Bleibens als „Narr“ auf der hohen Weid nicht länger mehr sein könne.
Er nahm seine paar Sächelchen, schnitt einen guten Stecken aus dem
Lärchenanwuchs des Schirmschachens und zog fürbaß.

Er zog in die Gegend von Sterzen hinab; dort kehrte er beim Schuhmacher
ein.

Er hätte es nicht gethan, aber er hatte es gehört, was im
Schuhmacherhause geschehen war. Der Meister Gegerle war an der
Auszehrung gestorben. Darauf war ein Mann gekommen mit einem großen
Schuldbrief und vielen Zinsbögen und hatte alles Hab und Gut der Witwe
davonschleppen lassen. Dieser Mann war der Freund des Verstorbenen
gewesen und hieß Remini Dreihand.

Jetzt stand die arme Toni da, hatte nichts als ein leeres Haus und die
drei unmündigen Kinder ihrer Vorfahrinnen. Ihr grünes Seidenkleid war
auch dahin; ihre Augen waren roth; oft in den langen Nächten, wenn sie
im Bette saß und nähte, dachte sie an die schöne Zeit, da sie beim
Bauern Butterdirn gewesen.

Trat denn eines Tages in dieses Haus der Melchior Ehrlich ein. Die Toni
that einen hellen Schreckruf, der auf der hohen Weid für ein lustig
Jauchzen gegolten haben würde.

Darauf stand sie wie versteinert still und wußte nicht, sollte
sie rückwärts treten und sich verbergen in der leeren, finsteren
Lederkammer ihres Mannes, oder vorwärts, und dem guten alten Bekannten
die Hand schütteln.

„Melchi,“ sagte sie endlich leise, „Du suchst mich heim?“

„Such’ Dich nicht heim,“ antwortete der Bursche. „’s führt mich nur
mein Weg vorbei, und weil ich hungrig geworden bin, so hab’ ich mir
gedacht, klopfst an um ein klein Stückel Brot.“

Jetzt sprang das Weib mit Ungestüm über ihn her, nahm ihn um den
Hals und rief: „Melchi! Alles, was mein Tisch kann bieten, soll Dir
aufgewartet sein. Mich freut’s zu tausendmalen, zu tausendmalen!“

Der Melchior saß fröhlich bei Tisch und aß ein weniges von der Milch.
Sie strich ihm Butter auf ein Stück Brot.

Er nahm’s und sagte: „Für das ganz extra mein Vergelt’s Gott! Gelt, das
ist ~eigene Wirthschaft~, das wird schmecken.“

Und er steckte bedächtig den Mund voll, daß er für eine Weile stumm war
und die Toni Zeit hatte, sich aus ihrer kleinen Verlegenheit wegen
der Erinnerung an eine abgelehnte Butterschnitte auf dem Hochweidhofe
wieder zu erholen.

Zwei halb erwachsene Mädchen und ein kleiner Knabe waren im Hause.
Dieser war bald mit Melchior gut Freund, stieg auf die Bank, auf
welcher Letzterer saß, ließ die Quaste der Zipfelmütze tanzen,
zupfte gleichwohl noch vorsichtig und sachte an dem Ringellockenhaar
des Mannes, an seinem falben Schnurrbärtchen endlich, und zuletzt
entschloß sich der Kleine nach langem Saugen am Zeigefingerchen zu dem
verlockenden Wagestück, in den Kleidertaschen des Gastes ein wenig
Sichtung zu halten.

Die junge Hausfrau suchte Alles aufzubieten, um die Armuth des Hauses
möglichst zu verbergen -- aber das böse Gespenst lugte doch aus allen
Winkeln hervor. Der Melchior bemerkte nichts und war lustig. Und die
Toni kam aus einer Verlegenheit in die andere; sie wollte mehrmals
versuchen, so frisch und keck wie einst aufzulachen, aber es ging nicht
mehr.

Plötzlich jedoch stieß ihrerstatt der kleine Knirps ein mächtiges
Gejohle aus und hoch in seinen Händen schwang er -- den föhrenrindenen
Vogel.

Diese trautsame Erscheinung veranlaßte jedoch vorläufig nicht viel
Heiteres. Die Toni legte ihr Haupt an Melchior’s Brust und schluchzte.

„Wie lang’ ist’s her, daß Dein Mann gestorben?“ fragte der Bursche.

„Gut über ein halbes Jahr.“

„Na, nachher wird das Flennen, mein’ ich, nicht mehr nöthig sein,“
versetzte der Schalk. „Und was meinst Du, Toni, weil denn dieser
närrische Vogel allweg noch lebt -- was meinst, wir fingen ihn noch
einmal ein?“

Jetzt war das Lachen da. Es war wieder da, es war so hell und weich wie
einst, es wollte nicht enden, und die Augen standen in hellen Thränen.

„Nein, das ist wahr!“ schluchzte sie endlich, „Du bist ein herzensguter
Bub!“

„Weißt, Toni,“ sagte der Melchior, und war auch selbst verlegen
geworden, so daß er mit seinen Schuhspitzen viel zu laut am Trittbrett
des Tischschragens klöpfelte, „ich weiß jetzt mit meiner Zeit nichts
anzufangen. Auf der hohen Weid freut’s mich nimmer und zu den Soldaten
wollen sie mich auch nicht nehmen.“

„Hast einen Fehler?“ fragte sie theilnahmsvoll.

„Hier drin, meinen sie, müßt’s hinken,“ versetzte der junge Mann und
stemmte seine beiden Zeigefinger auf die Stirn.

„Ich hab’ gehört, daß Du so theures Brennholz heizen thätest,“ bemerkte
das Weib und machte sich mit dem Kleinen zu schaffen, den sie nach und
nach mit Ernsthaftigkeit und Liebkosungen aus dem Stübchen schob.

„Festweg, Toni, brauchst Dir keine Sorg’ zu machen, das ist vorbei,“
sagte der junge Mann und klöpfelte; „unser Häusel thäten wir schon mit
Scheiterholz auswärmen. -- Wohl wahr, wir hätten die fünf Hunderter
leicht anwenden können; aber für’s Erst’ hab ich meinen Zorn auslassen
wollen gegen das Geld, das mir allerlei böse Tage gemacht und zuletzt
gar mein Herzlieb davon geführt hat. Und für’s Zweit’, Toni, möcht’ ich
gern wissen, was denn wohl der Melchior -- frisch und gesund und bald
dreiundzwanzig Jahr’ alt, bisher Halter auf der hohen Weid, just für
sich, nach der Elle oder nach dem Pfund gemessen -- werth sein kann.“

Er schwieg ein wenig, sie wußte auch nichts zu sagen. Nein, sie hätte
schon was gewußt. Es war ihr wohl heiß um’s Herz.

Der Bursche zog sein Geldbeutelchen aus der Tasche; „’s ist nicht ganz
leer, Toni,“ sagte er. Das Lebkuchenherz war drin.

„Und nachher, weißt,“ rief er und stemmte seinen Ellbogen fest auf den
Tisch, „weil’s vorbei ist, was vorbei ist, so seh’ ich jetzt wohl ein,
daß der Mensch ohne Geld halt doch einmal nicht recht wachsen will.
Mir thut das in die Länge wachsen nimmer noth, aber in die Breite
gehen möcht ich. Jetzt wär’ das schon recht, hätt’ ich mir vor Zeit
das Geld nicht abgeschworen für all’ mein Lebtag. Was man schwört, muß
man halten, und jetzt denk’ Dir, Toni, so steh’ ich da. -- Hab’ mir
aber schon was ausgetipfelt, Toni, wollt’ mir nur wer dabei helfen. --
Heiraten muß ich, ’s giebt sonst kein Mittel für mich. Ich will auf dem
Gütel arbeiten, oder im Tagelohn, oder draußen im Dorf, oder drin im
Wald, oder auf der Alm. Ich schick mich in Alles, und mein Weib, das
wird das Geld dafür in die Hand nehmen und damit machen, was sein muß.
-- Was meinst, Toni, ist der Rath zu brauchen?“

„Ja,“ sagte das Weib und räumte den Tisch ab, „zu brauchen -- -- zu
brauchen ist er schon.“

„Und -- und willst Du mein Geldbeutel werden?“ fuhr es dem Burschen
heraus.

Wieder das Lachen und die Thränen -- viele Thränen -- lautes
Schluchzen, so daß der Knabe draußen erschrocken zu seinen Schwestern
lief: „Geht geschwind, der fremde Mann, der thut der Mutter was!“


Gutes Geld.

So hat sich’s zugetragen mit dem Geldfeind, mit dem Melchior Ehrlich
-- dem Ehrenschmiedsohn. Er hat sein altes Lieb, die Rothkitteldirn,
geheiratet.

Ueber der Thür des Häuschens war ein hölzerner, grün angestrichener
Stiefel gehangen; der mußte herab. Es wohnte kein Schuster mehr im
Hause. Ein paar Gärten und Aecker waren dabei und die Wirthschaft
war ein Bauerngütchen geworden. Die Leute drin arbeiteten mit Lust
und Fleiß, und nach und nach füllten sich die Räume wieder, die der
geknickte Zaunpfahl so hämisch ausgeleert hatte.

Von den Kindern des verstorbenen Gegerle ist auch nur Gutes zu sagen.

Die beiden Jungfrauen verheirateten sich, der Knabe kam auf die hohe
Weid als Hirtenjunge, mit dem leichtlich die Idylle wieder anhebt.
Es ist das alte leichtherzige Leben im Hofe auf dem Rochusberge, nur
schier noch ungebundener als unter dem alten Bauer. Das Familienleben
zwischen Mensch und Vieh wird einträglich fortgeführt. In der
Butterkammer wirthet manch’ heitere Magd, über die Weiden der Heukehr
springen und scherzen die Ziegen und die Kälber. Auf dem Hochboden
steht noch der Schirmschachen und der Anwachs ist höher geworden und
spendet noch immer den freundlichsten Schatten. Freilich wackelt das
Sennermägdle allzu selten vorüber.

Aber es ~lebt~ noch, das Sennermägdle auf der Hinteralm. Es waltet
die Heerden, es ist völlig frisch; es wartet immer noch auf den Tiroler
und saugt und saugt an dem Pfeifchen, auf daß das Feuer nicht sollt
verlöschen.

Einen traurigen Ausgang hat es mit dem alten Remini Dreihand genommen.
Der ist eines Tages todt in seiner Klause gefunden worden; er hing
am Staffel seines Bettes. Man wußte nicht, weiß es heute noch nicht,
ob sich der alte Geizhals aus Sorge um „seine alten Tage“ selbst
erhenkt hat, oder ob er durch Mörderhand erdrosselt worden. In dem
wurmstichigen Schrank der finsteren Klause fand man nicht einen Heller
Geld, aber unter der Bettstatt, tief in die schwarze Erde gegraben,
wurde bei der Untersuchung ein Ledersack entdeckt, in dem altes,
schweres Silber lag.

„~Der~,“ sagten die Leute, „~der~ ist der Geldfeind gewesen;
er hat es lebendig begraben.“

„Und der Menschenfeind dazu!“ riefen Andere.

Da erhob bei der Bestattung des alten Mannes der Pfarrer das Wort:
„In jedem Menschenherzen schlummert ein Dämon. Möge Jeder denselben
bekämpfen mit seiner Kraft und wachen! Des Herrn Gnade sei mit uns
Allen!“

Das ehemalige Schuhmacherhäuslein auf der Sterzen mit den dazu
gehörigen Grundstücken heißt jetzt das Ehrengut, nach dem Namen des
Besitzers Melchior Ehrlich. ’s geht fröhlich drin zu; ein kleiner
Melchi und ein kleines Tonerle purzeln auf dem Boden herum und schlagen
johlend die Beinchen in die Luft und streiten wohl auch zuweilen mit
Händen und Füßen um des Vaters bunte Zipfelmütze. Das Lebkuchenherz und
das föhrenrindene Rothkröpfchen möchten sie auch wohl gern haben; aber
diese Dinge hängen hoch oben im Winkel des Hausaltars, und die Mutter
sagt: „Kinder, das kriegt Ihr erst, wenn Ihr groß seid!“

Die Toni weiß das Geld, welches ihr der Mann stets redlich in’s Haus
schickt, prächtig zu handhaben und damit für die Familie allerhand
Gutes und Liebes zu stiften. Da kommt der Melchior wohl auch zur
Ueberzeugung, das Geld kann nur auf zweierlei Weise Unheil stiften:
erstens, wenn es in die Hand des Boshaften und des Leichtfertigen
geräth, zweitens -- wenn es der Brave nicht hat.

Eines Tages -- ’s ist noch nicht lange her -- hat der Melchior eine
sehr überraschende Nachricht aus der Hauptstadt erhalten. Der Sohn des
Hochweidbauers, den er einst auf dem Hofe kennen gelernt hatte, theilt
ihm mit, daß die Strafzeit des vormaligen Forstadjuncten Kilian Ehrlich
zu Ende gehe und daß beschlossen worden sei, den talentvollen Mann in
„des Kaisers Geldwerkstätte“ aufzunehmen.

„Juchhe!“ jauchzt der Melchior, „jetzt ist’s gut. Mein Bruder selber
macht echte Banknoten. Her damit, ich kann sie brauchen!“

[Illustration]



Das Holzknechthaus.


Wahrhaftig, wenn um die Hütte nicht einzelne, gelbe geringelte
Ahornblätter herumgelegen wären, man hätte gemeint, es sei ein
Juni-Abend.

Dieser Flechten- und Moosteppich, der sich über Erde und Gestein hinzog
und sich an alle Glieder des Waldes schmiegte, mußte von den fleißigen
Rosenfingern des Mai gewoben sein. Die hohen Fichten und Tannen hatten
noch keine einzige ihrer Millionen Schmucknadeln, die sie vom Frühling
erhalten, weggeworfen; sie standen gar stolz da in ihren dunkelgrünen
Mänteln, jede hatte eine Krone auf, und sie standen so nahe beisammen,
daß sie ihre Arme in einander verschlingen konnten. Selbst die kahlen
Stämme hatten bis zu den ersten Aesten hinauf ihren Schmuck; ihre
grauen und braunen Rinden waren so nett und verschiedenartig gezeichnet
und geschnitzt, daß man meinte, die ganze Weltgeschichte sei in
Holzschnitt da. Die kleine Wiese zwischen den hohen Bäumen, die rechts
am Bache liegt und bis zur Hütte herausgeht, wollte auch noch Gutes
thun; sie trieb mehr des jungen Grases, als die zwei weidenden Ziegen
verzehren konnten, und am Rande des Wassers hatte sie einen zierlichen
Wald von Farrnkräutern. Wie war denn dem kleinen Acker jenseits
am Rain, den der Mirtl (Martin) durch Axt und Brand der Wildniß
abgerungen, bis er, sorglich gepflegt, statt wilden Gesträuches volle
Garben gab? Ihm war, als habe er noch zu wenig gespendet, und er trieb
neue Keime.

Es war, wie an einem Juni-Abend, nur viel stiller und feierlicher; man
konnte es weithin hören, wenn ein Ast seufzte. -- Ein alter Ahorn stand
auch im Gebirgsthal, aber der hielt sich hinter den drei Tannen, welche
die Hütte, Mirtl’s Daheim, beschützten, verborgen, weil er keine grünen
Blätter mehr hatte; diese waren ihm gestorben und abgefallen und nun
hüpften sie in allen Farben und Ringelformen herren- und obdachlos im
Thale aus und ein. Es kam heute dann und wann ein leiser Windstoß in
das Thal, die Wolken waren weiß und „lämmerlich“ und gingen über das
kleine, von hohen Bergen begrenzte Stück Himmel dahin, und vom Hochwald
hernieder rauschte es.

Im Thale begann es bereits zu dämmern und der Mirtl saß auf dem
Bänklein vor der Hütte und schärfte seine Axt mit einem Schiefer
und befestigte sie dann an der Kraxen (Trage von Holz), auf welche
bereits Mehlsack, Schmalzbutte, Hafen, Pfanne und verschiedene andere
Gegenstände, wie sie der Holzknecht die Woche hindurch auf dem „Schlag“
benöthigt, gebunden waren. Mit dieser Beschäftigung fertig, stellt
Mirtl die Kraxe in die Hütte, setzt sich behaglich auf die Bank und
schlägt Feuer für sein Abendpfeifchen.

Mittlerweile hat sein Weib die Ziegen, die schon lange um die Hütte
herum und sogar rückwärts auf das schiefe Rindendach gestiegen waren,
in den Stall gethan, und war eben beim Melken für Abendsuppe und
Frühstück, wenn der Mirtl morgen fortgehe. Dabei sang es einen „Almer“,
den der Holzknecht vor dem Häuschen mit einer nicht unebenen Baßstimme
schmunzelnd begleitete, bis ihm derweil sein Pfeifchen ausging.

Plötzlich klopfte es von innen an das kleine Fenster und hinter dem
Glas wurde das gemüthliche Gesicht eines alten Mütterchens sichtbar:
„He, Mirtl, wo sind denn heut’ die Kinder so lang’; geh’ schau ein
wenig und bring sie heim; ’s geht auf einmal der Wind rechtschaffen
kühl.“

„Nun, wird Euch schon zeitlang, Mutterl?“ entgegnete der Angesprochene,
indem er aufstand, die Finger in den Mund steckte und pfiff. Nur der
Wald gab Antwort, sonst blieb es still, bis Mirtl den Ruf wiederholte.

„Was hast denn, Mirtl, sind ’leicht die Kinder noch nit da?“ schrie
die Melkerin vom Stall hervor; aber der Mann war schon auf und fort,
er erinnerte sich, daß die Kleinen seit frühem Nachmittag nicht mehr
um die Hütte waren. Es war schon dunkel. Auf der Wiese stand er still
und blickte umher und horchte. Vom Lahmkogel hörte er das Bellen eines
Rehes und im Hochwald rauschte der Wind. Sonst war Alles ruhig.

Dem Mann wurde bang, er pfiff noch einmal, dann rief er: „Hansl! --
Julerl!“

Ach, der Wald, wie er immer höhnend nachsprach und wie er so schwarz
und finster dalag, als berge er Unglück in sich.

Mirtl eilte weiter, er lief gegen die Schlucht und rief in Einem fort
die zwei Namen. Vergebens. Es wurde finster. Der Holzknecht betete:
„Jesus Maria!“ in seinen Gedanken, und dann wurde ihm leichter und
er dachte, es werde doch nicht sein. Aus der Schlucht hörte er das
Rauschen des Bächleins, das dort einen Wasserfall bildete.

Und mit dem Wasserrauschen schlug plötzlich der Laut einer Kinderstimme
an sein Ohr. Dann horchte er und pfiff und schrie und hörte nichts
als Wind- und Wasserrauschen. Mirtl eilte in die Schlucht, und auf
einmal -- o, welch’ freudiges Aufwallen! -- ganz nahe hörte er die
wohlbekannten, fröhlichen Kinderstimmen. Sie saßen am Bach, waren
beschäftigt, aus den Steinchen und Holzstückchen ein Häuslein zu bauen
und eine Mühle, wie sie der Anbauer weit draußen im Dorfe hatte, bei
dem sie schon einmal waren mit dem Vater, als er Korn hinaus- und Mehl
hereintrug. Jetzt wollte der Knabe auch noch das Wasser in die Mühle
leiten, er war ja Müller und das Schwesterchen, das war der Vater, der
das Korn brachte -- „He da!“ rief er, da stand er vor ihnen. „Wart’ ich
werd’ Euch helfen, wenn Ihr nit heimgehen wollt; marsch, gleich auf der
Stell’; wißt Ihr nit, wann es Zeit ist und wo Ihr hin g’hört -- ich
möcht’ gleich die Ruthen nehmen!“

So zürnte der Vater und die Kinder rafften sich erschrocken auf. Sie
hatten früher seine Stimme ja nicht gehört, weil das Wasser rauschte,
und jetzt sahen sie es erst, daß es bereits dunkel war. Sie hatten
~ihn~ böse gemacht, wußten sich keinen Rath und schluchzten. Aber
der Mann hob jetzt die Kleinen an seine Brust, und ohne ein Wort mehr
zu sprechen, hielt er sie fest -- fest. -- Sie waren ja sein Alles --
sie waren sein Alles auf Erden!

So trug er sie nach Hause, und daheim am Herdfeuer wurden die nassen
Kleider der Kleinen und das Auge des Mannes bald wieder trocken.

Der Wind rüttelte am Fenster, und bei der Abendsuppe, die den Kleinen
heute doppelt schmeckte, weil ja auch der Vater wieder gut war, meinte
nun Mirtl, es würde schlecht Wetter machen, dann werde es diese Woche
zum Holzen.

„Das ist mir schon allemal zuwider, wenn es zum Holzen ist!“ sagte
das Weib halb wehmüthig, halb unmuthig, „man muß sich die ganze Woche
grämen; ’s vergeht halt doch kein Jahr, daß nit ein Unglück geschieht.“

„Geh, geh, Waberl (Barbara), denk auf den Oberen!“

„Vergiß das Zellerkreuzl (ein Kreuzchen aus Maria-Zell) nit, Mirtl!“
mahnte die Großmutter, während sie die Kinder auszog und dieselben dann
in’s gemeinsame Bettchen an der Ofenbank brachte.

„Und sonst fehlt nichts daheim?“ fragte der Holzknecht, indem er die
braune Schwarzwälderuhr aufzog; -- „daß ich nichts vergeß, morgen muß
ich zeitlich auf -- ein Salz ist noch?“

„Na, das werd’ ich schon machen, Mirtl; schau, daß Dir nichts abgeht.
Nimm den Lodenrock und ein wenig Branntwein mit. Da steck’ ich Dir
einen englischen Balsam und eine Kräutersalben ein, daß Du zum Fall
doch was nehmen kannst. Den Tabak hast?“

„Bei Leib, den vergiß ich nit. Wenn ich nur einen Tabak hab’, um’s
Andere frag’ ich nit viel. Eines muß ich Dir noch sagen, Waberl: gieb
auf die Kinder acht -- schau, ich bin heut so sterbens erschrocken, wie
ich sie nit gleich gefunden hab’, ’s kann bald was sein! Und noch was,
diese Wochen ist ~Niklo~, draußen im Kasten unter’m Korn hab’ ich
Aepfel und ein paar Lebzelten, die steckst den Kindern in die Schuh,
und der Mutter hab’ ich ein Kopftuch gekauft, das legst ihr auf’s
Fenster neben ihrem Bett. -- Und Du, Waberl, kriegst zum Niklo erst
Samstag was, wenn ich heimkomm’,“ setzte der Mann schelmisch hinzu und
strich seinen Schnurrbart.

Bald darauf war der Kienspan im Holzknechthäusel verloschen. --

Julerl wurde zuerst wach. Sie sah, wie es so licht war in der Stub’ und
draußen, und Alles so weiß. Sie wußte es gleich, sie sah es ja, wie
sie noch immer herabfielen die weißen Vögelchen. Sie hüpfte vor Freude
im Bettchen und zwickte den Hansl, daß er auch erwache, und flüsterte
ihm in’s Ohr: „A Schneewerl hat’s g’schneibt, a Schneewerl hat’s
g’schneibt!“

Und als die Kinder angezogen waren -- Julerl durfte heute das neue
Lodenjöppel, das sie von der Pathin im Dorf erhalten hatte, tragen --
warteten sie gar die Suppe nicht ab, so eilten sie in den schneienden
frostigen Tag hinaus. Der Knabe wollte des Vaters Griesbeil nehmen,
weil es spitzig war, und mit demselben allerhand Dinge auf den feinen
Schneegrund zeichnen; aber das war schon in aller Früh mit dem Vater
fort, weit hinaus in den großen Raitschlag, wo heuer der Baron Wald
schlagen ließ und dreißig Holzknechte beschäftigte. Das war ein wahres
Vergnügen für die Kleinen, wie sich ihre Fußtrittchen und Finger so
rein und nett in den weichen Schnee eindrückten und wie sich aus
demselben allerlei Männlein formen ließen, die sie auf die Bank
stellten, wo sonst der Vater so gerne saß. Viel Spaß machten die großen
Flocken, die langsam um die dunklen Tannen tanzten, und von denen
Julerl kaum erwarten konnte, bis sie herabkamen. Dann langte sie mit
den Händen nach denselben oder hielt wohl gar das Gesicht so, daß die
kalten, wunderlichen Blättchen auf ihre rothen, warmen Wangen fallen
konnten, bis Großmutter sagte, daß das gar nicht gesund wäre. „Mußt die
Flankerln in Ehren halten, Kind,“ sagte sie dann, „das sind Brieflein,
die der liebe Herrgott im Himmel oben schreibt und zu den Menschen
herabfallen läßt, daß sie auf ihn nit vergessen!“

Das fand nun das Mädchen so merkwürdig und lieb, daß sie es gleich dem
Hansl sagen ging, worauf dieser nach einer recht großen Flocke haschte,
um einmal ordentlich zu untersuchen, was denn darauf stünde; aber sie
zerging ihm in der Hand, und er hatte nur einen hellen Wassertropfen.

Als die Mutter auf den Mittag Feuer anmachte und über das Dach des
Häuschens blauer Rauch stieg, dachte sich Julerl, daß das eigentlich
nicht sein sollte, weil ja die Himmelsbrieflein schwarz würden.

Das Schneien hielt an und die Kinder waren schon ganz naß, als sie die
Großmutter zu Mittag in die Hütte brachte. Sie selbst fühlte Frost und
bat die Waberl, ihr die Suppe heute an ihr Ofenbänklein zu bringen.

Nach dem Essen, als Waberl im Stall und am Herd fertig war, brachte
sie einen Strohschaub und einen Bund Weidenruthen in die Stube. Daraus
flocht sie Brot-, Zeug-, Näh- und Strickkörbe, die sie recht geschickt
und zierlich zu formen verstand und welche für den Winter ihren Erwerb
bildeten. Weit draußen, wo die hohen Berge aufhören und die Mürz
fließt, wachsen die Weiden, und Mirtl brachte, wenn er von der „Rait“
kam, immer einen Bund davon mit.

Die Kinder mußten Späne klieben und das Mädchen versuchte sich mitunter
auch im Flechten, was aber immer viel zu locker wurde, weil seine
Finger noch zu schwach waren. Der Hansl machte sich an die Großmutter;
sie sollte wieder Märchen erzählen, oder sonst was, sie konnte so
schön, daß man sich gar nicht satt hörte, und die Kinder aufjubelten
oder sich nach Umständen wohl gar zu fürchten anfingen.

Die Großmutter wußte Sachen, die sich in der Gegend zugetragen hatten.

Wie’s ~draußen~ aussah, das wußte sie freilich nicht; sie war ihr
ganzes Leben in diesem Thale und kam nie weiter, als in’s Dorf und
zur Kirche hinaus. Nur einmal, als sie noch jung war und in Zell eine
„Ehrmesse“ (Primiz) gehalten wurde, war sie mit ihrem Manne dort. Das
war so weit, daß sie unterwegs einmal bei fremden Leuten über Nacht
bleiben mußten. Sonst hatte Großmutter von der Welt nichts gesehen
und meinte, es werde auch nirgends so schön und gut sein als daheim
im kleinen Thal bei den hohen Bergen. -- Ihr Vater soll das kleine
Haus vor der Schlucht, deren Felsen vor Wind und Wetter schützten,
erbaut und sich von Wurzelgraben ernährt haben. Als er starb, erhielt
sie das Häusl und heiratete einen jungen Mann, der oft in die Gegend
kam, allerlei Kräuter sammelte und aus den Ameishaufen den „Waldrauch“
herauszog; mit letzterem trieb er Hausirhandel und setzte dieses
Geschäft fort bis zu seinem Tod. Es war schon manches Jahr um, seitdem
man ihn aus der Hütte fortgetragen hatte, da übernahm der einzige Sohn,
der Mirtl, die Wirthschaft.

Aber der Mirtl befaßte sich nicht mehr mit den Wurzeln und Kräutern,
sondern machte ein Flecklein Wald urbar, worauf Korn und Erdäpfel
wuchsen. Am Bache, wo Wachholder- und Hagebuttensträuche wucherten,
haute er diese aus und verbrannte sie an der Stelle, damit durch das
Feuer auch die Wurzel getödtet werde. Darauf grub er den schwarzen
Grund um und legte Gras- und Kräutersamen hinein, so daß in zwei Jahren
fußhohes Futter wuchs. Jetzt brauchte er die Ziegen nicht erst in den
Wald fortgehen zu lassen und sie den Gefahren vor Jägern und wilden
Thieren oder eines Absturzes auszusetzen.

Wie Mirtl nun seine kleine Wirthschaft im Gedeihen sah, heiratete er
ein armes Mädchen von Marwänden herüber, und die junge Hausfrau legte
auch noch einen Gemüsegarten an und putzte das Häuschen heraus, daß es
eine Freude war.

Da kam eines Tages der herrschaftliche Förster in das Thal und sah sich
die Sache an und fragte den Mirtl, wer ihm denn erlaubt habe, hier auf
fremdem Grund und Boden so zu wirthschaften. Der Wald und das Thal und
Alles gehöre dem Baron von Scharfenthal und die Hütte stände nur aus
Duldung da. Wolle er, der Mirtl, hier anbauen, so habe zwar der Baron
nichts dagegen, nur müsse er sich zu Robot in den herrschaftlichen
Waldungen verpflichten. Das hatte Mirtl zusagen müssen, sonst wäre ihm
Alles weggenommen und zerstört worden.

Da nun aber draußen an der Mürz, wo der Baron Werke und Hämmer hatte,
viel Holzkohlen verbraucht wurden, nahm der Waldherr Holzleute auf und
schickte sie mit glänzenden Aexten in seine Hochwälder.

So hatte auch Mirtl -- der nun nicht mehr gezwungen war, bei der
alten Mutter zu Hause zu bleiben, weil sie und auch das Hauswesen die
arbeitsame Waberl versorgte -- im „Schlag“ Arbeit erhalten und erhielt
Taglohn. Es that den Leuten daheim in der Hütte recht weh, wenn sie
an den Hausvater dachten, der mit Schweiß und Lebensgefahr bei karger
Kost die langen Tage draußen waltete und sich opferte für die wenigen
Groschen, die er seinem Daheim brauchte, und zum Vortheile eines
reichen Mannes, der mit dem abgekargten Lohn des Arbeiters seine Hunde
fütterte.

Waberl blickte trüb in den schneienden Nachmittag hinaus. Sie ließ ihr
Flechtwerk ruhen, sie flocht und wob ihre Gedanken in den Winter, in
die traurige Zeit, die heuer so lang’ ausgeblieben und doch gekommen
war.

„An was denkt Ihr denn, Mutter? denkt Ihr, daß der Winter viel schöner
ist, wie der Sommer?“ Das sinnende Weib gab dem Knaben, der so fragte,
keine Antwort. Es ging nun, der Großmutter ein Strohpolster unter das
Haupt zu legen, weil diese bei ihrer Ofenbank eingeschlafen war.

Nun mußten die Kinder mäuschenstill sein, und sie schlichen auf den
Zehenspitzen in das Vorhaus, wo sie wieder laut plaudern und scherzen
durften.

Am nächsten Tag blieb die Großmutter im Bett, weil sie in Folge einer
kleinen Verkühlung ein wenig unwohl war. Sie war aber recht heiter und
unterhielt die Kleinen, die heute doch nicht mehr ausgehen konnten,
denn der Schnee war schon so tief geworden.

Die langen Aeste der Tannen hingen schwer nieder und die Zaunstecken
des Gärtchens hatten hohe Hauben auf. Nur zur Noth ließ sich der Schnee
noch ausfassen, wenn Waberl vom Bächlein Wasser holen wollte. Das
Bächlein war auch schon so verschneit, daß man es gar nicht sah und
hörte, sondern es wie durch einen Kanal still dahin sickerte. Sonst war
das Wetter nicht kalt, und es ging auch kein Wind, nur war der Himmel
fortwährend grau und schwer.

„Aber die Knecht’ werden ja völlig nit arbeiten können,“ meinte Waberl
zur Großmutter, indem sie mit einem Besen den Schnee von den Schuhen
kehrte. „Dann kommt der Mirtl noch vor dem Samstag heim,“ entgegnete
diese, „das Holzen geht doch nit.“

Großmutter blieb im Bett, es wäre ihr nur ein bischen kühl und schwach,
und versäumen thäte sie ja nichts. --

So verging der erste Theil der Woche, und als es Donnerstag Morgens
wurde, war eine große Freude in der Hütte.

Die Kinder konnten in die Schuhe nicht hinein.

Oh, sie hatten gar nicht daran gedacht, oder hatten geglaubt, er könne
in diesem Wetter doch nicht kommen. Es war Niklo, und der heilige
Bischof war in der Nacht da gewesen und hatte Aepfel und Lebzelten in
die Schuhe gethan und der Großmutter ein schönes, buntes Kopftuch auf
das Fenster gelegt. Julerl getraute sich die rothen Aepfel gar nicht zu
essen, sie meinte, es sei schade, weil sie im Paradies gewachsen wären.
--

Allein, so selige Freude heute auf den frischen Gesichtchen der Kleinen
glänzte, so schwerer Kummer lag auf dem Herzen der Hausfrau. In Sorge
stand sie mit der Schale Hollunderthee vor der kranken Großmutter
und bot ihr zu trinken. Diese trank ein wenig und mußte immer wieder
einschlafen, wenn sie geweckt wurde. Sie war so müde. Mitunter lispelte
sie leise, daß ihr Sohn kommen möge, und daß ihr kühl sei. Dabei hatte
sie eine glühende Stirne und heiße Hände. Waberl legte der Kranken
Sauerteig auf, daß die Hitze vergehe. Die Großmutter ließ es geschehen,
und einmal sagte sie, wie im Träumen, jetzt werde sie wieder jung und
habe rothe Wangen wie vor vielen Jahren, als sie den Josl zum Mann
genommen. Er sei zwar schon gestorben, aber sie werde ihn doch wieder
nehmen.

Ueber Nacht war sie so geworden, und Waberl wußte sich vor Angst nicht
zu helfen, und sie ging in den Ziegenstall und weinte und betete, daß
ein Schreckliches doch nicht über ihr Haupt kommen möge. Mit Angst
und Hoffnung sah sie dem Samstag entgegen. Wenn doch nur das Schneien
aufhörte, daß nicht etwa alle Wege und Pfade -- sie wagte das Weitere
gar nicht zu denken, -- und der Schneefall dauerte fort.

Es waren keine großen, breiten Flocken mehr, die da fielen, nein, es
war wie ein dichter Nebel und Staub, was nun niederging, daß man selbst
die nächsten Bäume kaum sehen konnte. Das Bänklein vor der Thür war
längst unter Schnee, und Waberl meinte bei sich, jetzt müsse es doch
bald aufhören, denn über das Bänklein sei der Schnee sonst auch in
dem tiefsten Winter selten gegangen. Die zwei Nebenfensterchen in der
Stube, die gegen die Schlucht sahen, waren bereits verschneit, und
wenn man durch die anderen hinaussah, hatte man die gleiche Schneehöhe
mit den Fenstern, so daß der Hansl einmal verwundert ausrief: „Mutter,
unser Haus ist in die Erden gesunken!“

So war es Freitag Abend geworden und das Schneien hatte endlich
aufgehört. Nun, da man wieder klaren Blick hatte, sah man erst
die ungeheueren Schneemassen, die im Sonnenuntergehen gar rosig
schimmerten. Fremde Vögel flatterten auf den Bäumen umher, wie man sie
sonst nie in der Gegend sah, und sie hatten ein gar eigenes Gezwitscher.

Später wurde es ruhig und es ging der Mond auf. Auch die Sterne sah
man; es war eine heitere Nacht.

Waberl saß am Bette der Kranken und blickte traurig auf die
abgespannten Züge. Sie schlummerte, nur als jetzt der Mondschein
langsam auf ihre Wangen rückte, erwachte sie und lächelte. -- „Er sieht
mich schon an,“ lispelte sie, „aber er hat ein bleiches Gesicht. --
Die Sonne, die möcht’ ich wohl auch noch einmal sehen!“Die Großmutter
sagte dieses mit einem Ton, der die arme Waberl schier zum Tode
erschreckte. Waberl verhüllte darauf das Fenster mit einem blauen
Tuche, daß der Mond nicht so hereinscheinen konnte.

„Gelt, die Kinder schlafen schon?“ fragte dann die Kranke vollständig
wach.

Sie ruhten neben in ihrem Bettchen, wie zwei Engelchen hold, und
hielten sich umschlungen.

Die Großmutter griff nach der Hand ihrer Schwiegertochter: „Waberl, sei
nit traurig; ’s geht Alles gut aus. Noch verlaßt Euch die alte Mutter
nit, schau, ich hab Euch ja Alle gern. Bleibt nur so und schaut auf die
Kinder, das bitt’ ich Euch! --“

Waberl schluchzte, die Kranke blickte ihr starr in’s Gesicht, dann
lispelte sie: „Trinken!“

Die Tochter reichte ihr das Preißelbeerwasser, das kühlend und stärkend
wirkt, und die Greisin nahm ein paar gierige Züge. „Jetzt ist mir
besser, viel besser,“ hauchte sie, auf das Polster zurücksinkend --
„geh, leg’ Dich nieder, Waberl, bist auch müd; ich werd’s schon sagen,
wenn ich was will.“

Bald darauf schlief sie ruhig ein.

Waberl horchte dem Athem, er war viel ruhiger und geregelter. ’s wird
doch wohl, dachte sich das besorgte Weib, mich deucht’, ’s wird ein
wenig besser, -- nein, da wär ich aber froh! ’s wird doch wohl; und
morgen kommt ja der Mirtl. -- Sie besprengte nun die Schlafenden mit
Weihwasser und machte ein Kreuz über alle Drei. Bald darauf war der
Kienspan im Holzknechthäusel verloschen.

Wie sie nun ruhten die vier Menschenherzen und träumten freudig und
bang -- und die Wanduhr tickte und der Mond strahlte still durch die
Fensterlein; da zog ein Engel durch die Stube, drückte einen Kuß auf
die Lippen der schlummernden Greisin und verhüllte das Antlitz. --

Ein leiser Windstoß, der am Fenster klirrte, weckte Waberl auf. Sie
machte Licht, um nach der Kranken zu sehen. Diese schlummerte.

In der Stube war’s kühl geworden und Waberl wollte der Großmutter ihre
Decke bringen. Die Großmutter hatte jetzt einen leichten Schlaf, keine
Beschwerde im Athemholen.

So süß hatte sie schon lange nicht geruht, nie in ihrem Leben. Sie war
eingegangen zur großen Ruhe.

Der Kienspan flackerte roth und düster, als wollte er ein bleich
gewordenes Antlitz wieder färben....

Julerl lächelte im Traum und schmiegte sich an den Hals des
Brüderleins. Und Waberl war hingesunken auf den Lehnstuhl und verbarg
ihr Gesicht. Ihre Lippen zuckten, sie hatten keinen Laut, ihr Auge
hatte keine Thräne -- Alles, Alles im Herzen! --

Der Kienspan verlosch, aber die Kohle glimmte noch lange wie das
Gedenken der Liebe an ein verblichenes Herz. --

       *       *       *       *       *

An den Fenstern blühten wundervolle Eisblumen und durch dieselben
schimmerte die Morgenröthe.

Waberl ging und machte Feuer in dem Ofen und molk die Ziegen zur
Suppe für die Kinder. Die Ziegen gaben heute weniger Milch als sonst;
vielleicht weil Waberl nicht sang? Als die Kinder erwachten, sagte
sie, sie sollten heute still sein und beten, es sei die Großmutter
gestorben. Darauf durften sie die Leiche ansehen und Hansl sagte, sie
sei nicht gestorben, sie sei ja noch da und schlafe nur. Dann küßte
Waberl ihre Kinder und konnte endlich weinen.

Nun holte sie ihren Wachsstock aus dem Kasten hervor, und als sie die
Leiche mit einem Linnen überdeckt hatte, zündete sie den Wachsstock
an und stellte das kleine Crucifix dazu, das sonst auf dem Hausaltar
stand. Dann that sie ihre Arbeiten, wie sonst jeden Tag, und dachte
fortwährend an den Abend, wenn er kommen und es sehen werde.

Draußen ging ein kalter Wind und fegte an den Schneemassen und wehte
ihn in alle Fugen und an die Fenster, daß es ganz dunkel wurde im
Häuschen und das Wachslicht einen gar eigenen Schein an die Wand warf.

Die Kinder fürchteten sich und gingen zur Mutter in die kleine Küche.
Dort kauerte sie am Herdfeuer und betete, und die lustig flackernde
Flamme heimelte sie an und erleichterte ihr Herz.

So erwartete sie den Abend. Er kam, aber -- Mirtl kam nicht. --
Lange war die Stunde schon vorüber, um welche er sonst an die Thür
klopfte, sein Weib und sein Mütterlein begrüßte und die Kleinen an den
Schnurrbart drückte. Heute war diese Stunde schon längst vorüber. Er
konnte ja nicht kommen, es war unmöglich; der Schnee lag klaftertief
und vom Schlag bis zur Hütte hatte man im Sommer gute drei Stunden.

Vielleicht hatte er’s versucht, und er ist weiter gewatet und weiter,
bis er immer mehr einsank, ermüdet ein wenig ausruhen wollte und
einschlief und -- verweht wurde. -- --

Sie todt, und begraben mit ihr im Schnee, getrennt von ~ihm~ und
von aller Hilfe und von allem menschlichen Trost!

Solche Gedanken folterten das arme Weibesherz. Waberl stürzte zum
Fenster, riß es auf, als wollte sie zu Hilfe rufen die Bäume, den
ganzen Wald und Erde und Himmel! Dann schwankte sie wieder zur
Herdlehne und zog die Kinder an die stürmende Brust, als seien sie
nunmehr ihr Einziges und Allereinzigstes, an dem sie Gattentreue und
Mutterverehrung, in unendlicher Kindesliebe vereinigt, zu verschwenden
habe! --

Die Herdflamme war ausgegangen. Sie sah es nicht, sie hielt die Kinder
in den Armen und barg ihr Gesicht in die jungen Locken. -- Da klopfte
es an der Thür.

Waberl sprang auf: „Da ist er, Gott sei Lob und Dank!“

Sie zündete einen Span an und ging zu öffnen. Die Thüre wollte nicht
aus den Riegeln; von außen drückte eine zu große Schneelast an
dieselbe. Jetzt wich sie: „Endlich bist Du da, Mirtl, grüß Dich zu
tausendmal Gott!“ jubelte sie dem Eintretenden klagend entgegen. Dann
stieß sie einen Schrei aus und der Span entfiel ihrer zitternden Hand.

Es war nicht Mirtl; es war ein fremder Mann.

Dieser sagte: „Beruhigt Euch, gute Frau; ich bitt’ Euch nur um ein
Lager für diese gräßliche Nacht.“

„Ja, bleibt, aber mein Mann, -- kommt er auch? Habt ihn nit gesehen;
wißt nichts von ihm? Ich bitt’ Euch!“ jammerte Waberl.

„Ich kenn’ ihn nicht.“

„Ihr kennt ihn nit, meinen Mann, den Holzknecht Mirtl; ja, seid Ihr nit
vom Dorf herein?“

„Mirtl! der Holzknecht Mirtl ist Euer Mann?“

„Nit wahr, ’s hat ihn nit verschneit! -- oder hat’s ihn? sagt es nur
gleich heraus, ich ertrag’ es schon -- ich ertrag’ Alles! -- Alles!“

Die Kinder weinten. Der Fremde suchte das aufgeregte Weib zu beruhigen
und sagte, daß Mirtl nicht todt sei, daß er kommen werde, er habe ihn
gesehen, auch gesprochen -- im Schloß -- im Dorf draußen, aber heute
könne er nicht mehr kommen, heute nicht mehr. Grüßen ließ’ er sie. --
Dabei war der Mann selbst aufgeregt und schüttelte mißmuthig den Schnee
von den Kleidern, lehnte den Stock und ein Gewehr an die Wand und warf
den Hut mit seinem hohen Federbusch auf die Bank, die ihm das nun etwas
beruhigte Weib zum Niedersitzen hinstellte.

Der Fremde war ein großer, schöner Mann in eleganter Jagdkleidung und
mit langem Knebelbart, an dem noch Eis hing. Die Kleinen fürchteten
sich vor ihm, bis er jedem ein freundliches Wort gab.

Waberl stand am Herd und blies die Glut an. „Mögt Ihr doch eine Suppe?“

„Dank Euch; hab ein bischen Schnaps bei mir. Aber das ist Euch eine
verdammte Geschichte, hab’s noch nicht erlebt so. Soll der Teufel alle
Jägerei holen! -- ’s war aber nicht so arg heut’ Morgens, und neuer
Schnee, sagt man, ist des Hasen Weh’; ’s ging auch ganz vortrefflich
bis in den Mittag hinein -- schieß’ sogar ein Thier. Verlier’ ich Euch
mein Gefolge und finde in diesem Höllengestöber die Spur von keinem
Teufel. Meint Ihr, der Hund käm’ mir nach, oder ich hört’ wenigstens
’nen Schuß? -- Nein. Ich geb’ Nothschüsse und verpuff mein Pulver bis
auf den letzten Kern. Umsonst! Als ob sie alle die Erd’ verschlungen
hätt’, die Sakramenter. Gab Euch ein gut Stück Arbeit, bis ich da vom
Kamm ’rab komm! Ist doch der Schnee bald mannstief! Fall ein Dutzendmal
bis unter die Arme ein und wie’s nun gar finster wird -- mein’ schon,
’s ist aus mit mir -- seh’ ich zum Glück das Licht Eurer Hütte. -- Wie
weit rechnet Ihr bis da zur Schlucht ’nein, Frau?“

„Mein Gott, hat unsere alte Mutter nit mehr braucht, als eine kleine
Viertelstund. --“

„Und ich wat’ Euch gute zwei Stunden da ’raus. Sakra! Ich spür’ ja gar
keinen Finger und keine Zehe mehr!“

„Zieht Euere Schuh aus und setzt Euch auf den Herd da -- ich bring Euch
Schnee herein, der zieht die Gefrür aus -- so! Aber zieht doch den Rock
aus, er ist ja pritschlnaß. ich geb’ Euch eine Joppen von mein’ Mann.
-- Mich deucht, wann der Mirtl doch nur auch da wär!“

„Kommt morgen! Ein paar Schneereif’, Frau, sind gewiß im Haus? sonst
könnt ich kaum fort; es werden aber schon meine Leut’ kommen.“

So wurde geholfen und gesprochen und berathen. Hernach aßen die Drei
ihre Suppe und beteten laut ihr Tisch- und Abendgebet. Dem Fremden kam
das recht eigen vor, und wie die Kleinen so unschuldig aufblickten und
noch ein Vaterunser für die Großmutter, die gestorben, und für den
Vater, der nicht gekommen sei, beteten, bekam’s ihn wie ein Zittern im
ganzen Leib, und als müsse er fort, in der Nacht noch, augenblicklich,
und befehlen und erlösen. --

Nach dem Gebet fragte Waberl den Fremden, ob er gleich schlafen zu
gehen wünsche, sie trage ihm Stroh in die Küche; oder ob er mit in die
Stube gehen wolle, sie und die Kinder würden heute durch die Nacht
aufbleiben, weil sie einen Todten hätten.

Das war eine neue Ueberraschung für den Mann und er wollte den Todten
sehen.

Der Mann stand, fern von seinen Prachtgemächern und seinem Ueberfluß,
in der Wildniß, mitten in einer Hütte voll Armuth und Noth und Grauen,
und starrte in das stumme Todtenantlitz der Greisin und in die
abgehärmten Züge seiner Wirthin und in die frommen Engelsgesichtchen
der beiden Kinder.

Es war ein tiefes Schweigen, ein allgewaltiger Augenblick -- der Mann
sank wie gebrochen auf einen Stuhl und verdeckte mit den Händen seine
Augen, daß er nichts, gar nichts mehr sehe.

Aber draußen um die Hütte herrschte ein fürchterlicher Sturm, ähnlich
dem in seinem Herzen. Das Rauschen der Tannen, das Tosen an den Pfählen
und Wänden der schutzlosen Hütte drang schauerlich an ein ungewohntes
Ohr.

Aber Waberl hörte von all’ dem nichts. „Gelt, guter Herr,“ sagte sie,
als sie die Erregung des Fremden gemerkt hatte, „gelt? Mein lieber
Gott, er hat sie noch so gesund und wohlauf verlassen und im Fortgehen
noch gesagt: Werdet mir nit älter derweil, Mutterl, und bleibt alleweil
lustig! -- Und jetzt ist ’s so. Nein, der wird aber hausen (sich
grämen)!“

Hansl war auf dem Stuhl eingeschlafen und Waberl brachte die Kinder
in’s Bett.

Der Fremde kauerte im Winkel hinter dem Ofen und horchte dem
nächtlichen Sturm. Die Fenster waren verweht und verfroren. Waberl bat
den Mann, daß er schlafen gehe und nicht etwa auch noch krank werde, er
sehe so unwohl aus. Aber der Fremde sagte, daß er doch nicht schlafen
könne.

Nach Mitternacht ließ der Sturm nach und man hörte ihn nur mehr von der
Ferne wie ein dumpfes Nachdonnern nach einem Gewitter.

Dem Manne waren endlich die Augen zugefallen; aber Waberl saß bei der
Leiche und betete. Die Lider waren ihr schwer -- sie verlor sich und
träumte unzusammenhängende Bilder aus heiteren Zeiten. Da hörte sie aus
Fernem gleichmäßige Schritte, die immer näher und näher kamen. Waberl
fuhr plötzlich auf. Sie hörte nichts sonst, als das Ticken der Uhr.

Das Weib schaute auf die schlummernden Kleinen und drückte auf die
Wangen einen Kuß, in welchem alle Freude und aller Schmerz des
Mutterherzens aufgelöst waren.

Der Fremde mußte schwere Träume haben, er war sehr unruhig und seufzte.
Waberl war besorgt um ihn und dachte bei sich, wie es doch gut sei,
daß er gekommen. Er war ihr ein Trost in diesen Schrecknissen, die sie
allein wohl kaum zu ertragen vermeint. War es wer immer, er werde das
ja endlich wohl sagen, er sei nun Hausfreund und müsse helfen, helfen,
bis Mirtl da und Alles wieder besser wäre.

Es mußten dicke Wolken am Himmel hangen, es wollte in solchem Wetter
nicht recht Tag werden.

Der fremde Mann erwachte auf seiner Bank, rieb sich die Augen und
entsann sich seiner Lage. „Will denn diese gottverdammte Nacht kein
Ende nehmen?“ murmelte er aufspringend und auf seine Uhr sehend. Sie
mußte von der Nässe gelitten haben und stand. Die Wanduhr zeigte im
düsteren Schimmer des Wachslichtes die achte Morgenstunde.

Waberl, die an der Wand herum gegangen war und die Fenster geprüft
hatte, rang sprachlos die Hände.

„Was habt Ihr denn schon wieder?“ fuhr sie der Fremde an, „ob’s nicht
licht wird in diesem Loch, frag’ ich Euch!“

Da wankte das trostlose Weib auf ihn zu: „Flucht nit, wir sind
verschneit und verweht.“

„Verschneit? Was habt Ihr da gesagt! Verschneit und verweht?“

Er rannte wie wahnsinnig zu den Fenstern. Verschneit und verweht!
Abgeschlossen von aller Menschenhilfe, gehüllt in ewige Nacht --
lebendig begraben, -- verhungernd -- zerschmettert, wenn das Dach
seiner unberechenbaren Last weicht und einstürzt. Verschneit und
verweht! --

Und es blieb Nacht in der Hütte.

Der Fremde hatte sich ausgetobt. Jetzt saß er am kleinen Tisch und
starrte sprachlos in die Flamme des Kienspans. Waberl mußte ihn
trösten. Sie sagte, daß man durch den Rauchfang Tag schimmern sehe, und
daß Mirtl schon kommen werde, um sie Alle zu erretten.

Da lachte der Mann auf. Es war fürchterlich, wie er auflachte und das
Weib und die Kinder erschreckte. „Heute noch nicht,“ murmelte er dann.

Nun machten sie Versuche, ob denn nirgends ein Ausweg. Sie öffneten
die Thür; eine Schneemasse stürzte in das Haus, aber es blieb dunkel
über derselben. Sie mußten tief liegen. -- Durch den engen Rauchfang
hinauszukommen, war unmöglich. Alles Rathen und Anstrengen vergebens.

Die Kinder hatten zuerst ihren Spaß, daß es heute finster bleibe; sie
löschten in der Küche den Span aus und spielten „blinde Kuh“. Als aber
die Mutter sagte, daß sie beten sollten zum lieben Gott um Hilfe und
Errettung, sonst müßten sie Alle mitsammen sterben, da wurden sie denn
doch ein wenig traurig.

Waberl war ein starkes Weib und hatte sich Fassung errungen. Sie
ordnete Alles neu an und dachte nach, wie es jetzt werden müsse.
Lebensmittel waren im Hause, sie müsse nur sehr sparsam damit umgehen.
Die Ziegen geben ja täglich Milch, und wenn’s darauf ankäme, auf
ein paar Wochen Fleisch. Brennholz lag im Vorhaus, und wenn dieses
verbraucht, wolle sie die Wand zwischen Stall und Futterkammer
angreifen. Und endlich müsse doch ihr Mann und Hilfe vom Dorfe kommen.

Vor allem beschloß Waberl, die Leiche der Großmutter mit Hilfe des
Fremden auf den kühlen Vorboden zu schaffen.

Nach alldem schmeckte bei Tisch die Erdäpfelsuppe recht gut, aber der
Fremde aß nichts, sondern versuchte nur einmal aus seiner Pfeife,
welche reich und zierlich beschlagen war, zu rauchen. Dabei hing er
seinen Gedanken nach. -- Wird er wohl kommen? Nein, vor drei Tagen
gewiß nicht. O Hohn des Schicksals! Das ist zu viel! Laß’ mich doch
nicht so elendiglich verderben. -- Wird man mich nicht suchen? Hunderte
werden es, aber sie werden mich in diesem Schneegrabe nicht finden.

Den andern Tag war der Fremde endlich heiter und spielte mit den
Kindern und sagte, sie sollen ihn den Vetter Franz nennen; zu Hansl
sagte er besonders, er werde noch sein Firmpathe werden. Waberl
versicherte er, daß Mirtl in einigen Tagen ganz gewiß kommen werde und
sie möge in der Weile nur auf das Feuer Acht geben und wohl nachsehen,
daß das Wachslicht am Vorboden nicht Schaden thue.

Der Mann aß nun auch, wenngleich wenig, von der Milchsuppe und den
Kartoffeln und trank zu Durst mit den Anderen Wasser von aufgelöstem
Schnee. Dabei lächelte er wehmüthig und sagte, die Kinder streichelnd,
sie würden mitsammen schon noch einmal was Anderes bekommen. Fluchen
hörte man ihn nicht mehr.

So ging wieder ein Tag dahin und die Bewohner der Hütte gewannen den
„Vetter Franz“ recht lieb. Er wußte Geschichten zu erzählen und wie
es draußen in der Welt und bei den reichen Menschen zugehe. Er zeigte
ihnen seine Sackuhr und sagte, daß das, woraus das Gehäuse gemacht,
Gold wäre. Sein Gewehr mußte er ihnen auch zeigen und erklären, und er
fragte, ob denn der Vater keines habe. Die Kinder sagten Nein, aber
Waberl erzählte, daß Mirtl wohl einmal eines gehabt habe, als noch
Wölfe im Gebirge waren und böse Leute in der Gegend herumstrichen.
Da sei aber der herrschaftliche Förster gekommen und der habe es mit
fortgetragen, weil Unsereins, der mit der Jagd nichts zu thun, kein
Gewehr haben dürfe. Zwar aufrichtig: Der Mirtl hätte wohl noch eins.

„Es giebt ja eine solche Unmasse von Wild in diesen Bergen herum; Euer
Mann wird doch die Gelegenheit so dann und wann benützen?“ fragte der
„Vetter“.

„Zu brauchen hätten wir schon was,“ meinte das Weib.

Der Fremde sah dem Span zu, dessen Kohle sich so merkwürdig ringelte.
Hansl war noch im Anschauen und Untersuchen der Uhr begriffen und
fragte, „ob’s denn mehr solche Sachen in der Welt gäbe?“

„Bei allen reichen Leuten, mein Kind,“ gab der Mann lächelnd über diese
junge Einfalt zur Antwort.

„Ei, so sag’ mir einmal, Vetter Franz, wie wird man denn ein reicher
Mann?“

Was sollte der Fremde wohl darauf antworten? Aber Julerl that’s für
ihn. „Ein reicher Mann, Hansl?“ meinte sie, „wenn man ein Schloß nimmt
und braucht die Leut’ zum Roboten.“

Der „Vetter“ war ernst und nahm die Kinder auf seinen Schoß. Er küßte
sie und that im Herzen ein heiliges Gelöbniß.

Seitdem es Nacht in der Hütte war, hatte der Zeiger der Wanduhr zehnmal
seine Runde gemacht. Das Stückchen Himmel, das durch den Rauchfang
hereinlugte, war trüb, so trüb wie die Gemüther der Hüttenbewohner,
deren letzte Hoffnung im Erlöschen war. Aber sie waren ruhig und
ergeben. Nur der „Vetter“ war wieder einmal wie rasend, er müsse fort,
er ~könne~ hier nicht umkommen.

Und am sechsten Tag, als der Himmel blau durch den Rauchfang blickte,
wurde es anders.

Waberl hatte es zuerst gehört und athemlos in der Stube verkündet. Dann
waren sie Alle in’s Vorhaus gelaufen und hatten es wieder gehört. Dann
wurde der Schnee vor der offenen Thür, der früher schwarz war wie die
Wand, grau und licht und lebendig, eine Gestalt brach aus demselben
hervor und im rosigen Tag stand ~Er~ da und fiel seinem Weibe um
den Hals. -- --

Es war ein freudiges Tagen! -- bis Mirtl’s Blick bang umher zu irren
begann. -- Oben im Vorboden lag sie und vom Wachsstock brannte das
letzte Stümpfchen. -- Todt schon seit acht Tagen.

Der Holzknecht kniete an der Bahre und hielt die harte, kalte Hand fest
umfaßt und starrte lange in das weiße Antlitz: „Mutterl! Das Wildpret
war Euch vermeint gewesen, das ich in voriger Woche geschossen; hab’
Euch so lieb gehabt, und jetzt seid’s mir gestorben!“

Und wie der holde Tag durch die Thür strahlte und das harte Weh im
Herzen sich aufgelöst hatte in Thränen, gedachte Waberl auch des
Fremden. Der stand im Winkel hinter dem Herd. Als ihn der Mirtl sah und
wieder ansah und sich die Augen rieb, hat sich das ereignet, was im
Schlosse draußen noch heute durch ein großes Gemälde dargestellt wird.

Im Gemälde kniet der reiche und hochedle Baron Franz von Scharfenthal
vor einem braunen, bärtigen Holzknecht und umfaßt dessen Kniee und
blickt flehend auf in’s rauhe, treue Gesicht.

So hat es der Künstler dargestellt.

Auf der Rückseite des Gemäldes ist ein Fach und in demselben liegt die
Urkunde. Sie lautet:

„Im Jahre des Heiles 1846, als der strenge Winter war, hat sich der
Freiherr Franz von Scharfenthal auf der Jagd verirrt und sechs Tage
und sechs Nächte in einer Holzknechthütte des Hochgebirges bei einer
armen Familie, mit welcher er förmlich eingeschneit wurde, zugebracht.
Er wäre alldort Todes gestorben, wenn nicht noch zu rechter Zeit der
Vater der Familie und Besitzer der Hütte, vulgo Holzknecht-Mirtl,
den der Baron einige Tage früher, als dies geschehen, ~wegen einer
kleinen Wilderei auf zehn Tage einsperren ließ~, von seiner Haft
frei geworden wäre und mit anderen Gebirgsleuten die Bewohner der Hütte
gerettet hätte.“

So hatte es der Baron aufschreiben lassen und das ist die Geschichte
von dem Holzknechthaus. --

Draußen im schönen Thal, wo auf einem Hügel das prächtige Schloß
steht, liegt heute zwischen wohlbearbeiteten und fruchtbaren Feldern
ein stattlicher Bauernhof, und Knechte und Mägde schaffen in und um
denselben. Der Bauer trägt einen tüchtigen Schnurrbart und arbeitet
wacker mit, obwohl er’s nicht Noth hätte. Wenn er Abends heimkommt,
halst er sein Weib und sagt: „Waberl, Du Herztausendschatz, grüß Dich
Gott!“

Den Bauernhof hat der Baron dem Mirtl gekauft, und dieser braucht keine
Robot mehr zu entrichten. Julerl, die Tochter hat einen Gutsbesitzer
geheiratet und Hans ist Oberförster.

Für den Hof daheim sind schon noch Jüngere.

Der Baron hat viele graue Haare. Man sagt, er habe die ersten vom
Holzknechthaus mitgebracht. Er ist auch sonst seit jenem Ereignisse
anders geworden. Wenn er irgendwo eine arme Familie weiß, so hilft er
und erkundigt sich, wie tief um ihre Hütte im Winter der Schnee liege.
Und wenn er am Sonntagmorgen bei den Seinen auf dem Söller steht und
den Mirtl und seine Gattin und Kinder festlich gekleidet mit den zwei
Hengsten thaleinwärts fahren sieht, so grüßt er sie schon von weitem.

Wo fahren sie hin?

D’rin im Gebirg ist ein Dorf und eine Kirche und ein kleiner
Gottesacker dabei, dort halten sie und pflanzen Blumen auf ein Grab und
geben einem alten mühseligen Weiblein Geld, damit es dieselben ferner
pflege. Dann setzt sich Mirtl mit den Seinen wieder auf das Gefährte
und läßt’s weiter gehen -- tiefer hinein in das Hochgebirge. Der Weg
ist holperig und neben demselben rauscht und schäumt der Waldbach.
Endlich kommen sie in ein enges Thal, wo das Wasser ruhig durch eine
kleine Wiese läuft und zwischen den Tannen ein Stück graues Gemäuer
steht.

Auf dem Gemäuer wächst wunderschöner blauer Enzian und anderes
medicinisches Kraut. Davon pflückt sich der Mirtl ab und nimmt mit
in’s große Thal hinaus. Es soll gut sein. Auch der Baron Franz von
Scharfenthal braucht davon. Er kennt nunmehr in seinen alten Tagen
kein heilsameres Kraut, als diesen blauen Enzian von der Stätte des
Holzknechthauses.

[Illustration]



Das Reich Gottes.


Dort auf dem Hochpaß, wo der Waldweg vom freien, sonnigen Hügelland
hinüber und abwärts in schattige Schluchten des Hochlandes führt, steht
unter einer grauen, zerklüfteten Felswand ein hundertjähriger Lärchbaum.

Er steht einzeln auf einer kleinen umwaldeten Rasenweide. Sein
knorriges Geäste strebt nach allen Seiten weit hinaus, als sei
es in Wettstreit mit den sich unter dem Rasen hinschlängelnden
hundertfältigen Wurzeln.

An der rauhen, vielfach zerklüfteten, harzigen Rinde des Stammes ist
ein verwittertes Crucifix angebracht; es wächst schon Moos an den Armen
und an der Brust des Gekreuzigten.

Auf dieses Crucifix richten sich die Augen eines Mannes, der im
Baumschatten auf dem Rücken liegt, die rechte Hand als Kopfkissen
gelegt, mit der linken einen Rosmarinstamm zerknitternd. Die Augen des
Mannes sind groß und dunkel, auf seinen bleichen Wangen und Lippen
liegt es wie ein schweres Leid. Der junge, schwarze Bart ist ungepflegt
-- über die langen Haare kriecht eine Kreuzspinne.

Der Mann gewahrt es, er hält den Rosmarinstamm gegen die Stirne und
das Thier kriecht über denselben auf seine linke Hand. Diese zittert,
es entfällt ihr die Pflanze. Das Thier krabbelt gegen den Elbogen und
endlich auf die Brust.

„Ein großes Glück kommt zu mir, denn eine Kreuzspinne sitzt mir am
Herzen!“ murmelt der Mann und seine Brust wogt hoch auf.

Aber die Spinne krabbelte darüber hinaus und verkroch sich wieder im
Grase.

Der Mann richtete sich etwas empor, strich sich die Locken aus der
Stirne und that einen Blick gegen die Himmelsbläue und abwärts gegen
das heitere Hügelland, wie es da lag im lichten Spätherbsttag.

Dort über die bewaldeten Anhöhen herauf und über die Felder und die
Wiesenau war er gegangen. Hinter jenem bläulichen Waldstrich ragt eine
funkelnde Nadel empor -- die Thurmspitze des Städtchens.

Dort war der Wurzelgraber ~Martin~ heute gewesen, dort hatte er
seine Wurzeln und Kräuter verkauft und einen guten Erlös eingezogen.
Dort war heute Kirchweih und auf dem Kirchhof waren am Vormittag viele
Menschen versammelt, an der Mauer des Pfarrhofes hatte ein junger
Priester gepredigt. Er predigte von dem Frieden und von der Liebe
-- von dem Reiche Gottes auf Erden. Und dort im Städtchen war Lust
und Musik an allen Ecken und Enden und beim „goldenen Rößl“ hatte
Martin die Nothburga zum Tanze geführt, und dort hatten sie heute den
Wegmacher Niklas erschlagen.

Niklas ging gestern mit Martin über das Gebirge, auf daß er heute im
lustigen Städtchen seinen zwanzigsten Geburtstag feiere; -- jetzt liegt
er starr und einsam beim Wirth in der Scheune und hat über der Stirne
eine lange Wunde. Vom Tanzboden klingen Pfeifen und Geigen und Jauchzer
und Jodler herüber, dort winden und flechten sich die Reigen, Herzen an
Herzen -- sie leben und sind fröhlich.

Es möge klingen und schallen und freudig sein -- der junge Priester
predigte vom Reiche Gottes auf Erden. --

All’ das ist für den Mann unter dem Lärchbaume nun vorbei und
versunken, nur die funkelnde Nadel der Thurmspitze ragt noch empor über
dem fernen, bläulichen Wald.

Niklas war Martin’s Freund und Nothburga’s Bruder; Nothburga war
Martin’s -- Freud und Leid.

Die Sonne sank hinter die Felsen, auf der Hochweide war es schattig,
nur draußen auf dem Hügellande war es noch goldig und auf den weißen
Straßen zogen Wagen und festlich geschmückte Menschen. Ueber einzelnen
Gehöften wehten Fahnen des abendlichen Rauches und die Thurmspitze
funkelte und funkelte, als wäre sie ein lebendiges Flämmlein, und weit
draußen hinter all dem zog sich das bläulichgraue Band der Hochebene
hin.

Viel Leben wogte und athmete da unten, aber kein Ton und kein Schall
drang herauf zum einsamen Hochpaß. Nur ein gezogenes, gleichmäßiges
Ticken zitterte in der Luft, das kam von der hölzernen Uhr der
Waldkapelle, welche in der nahen, von jungem Dickicht bedeckten
Schlucht stand. Die Uhr hatte vor zehn Jahren Martin’s Vater, der alte
Veit, geschnitzt; es war sein letztes Werk.

Das erzähle ich, weil Martin wohl daran gedacht hatte, als er so da lag
unter dem Lärchbaum und sein trübes Auge zum Kreuzbild wendete.

Jetzt erhob er sich, griff nach seinem grünen Filzhut und dann machte
er einige rasche Bewegungen mit den Händen, daß er die Trägheit
abschüttle.

Martin war ein schöner junger Mann in Alpentracht. Aber -- wie die
Natur schon oft spielt -- er war ein Anderer als Andere. Es lag eine
besondere Kraft in ihm -- in seiner Seele. Er fühlte diese Kraft, aber
er wußte nicht, wie sie in ihm entstanden war und was sie wollte. „Aus
mir wär’ was geworden, wenn mich mein Vater in die Schul’ geschickt
hätt’!“ Das sagte er oft und mit Bitterkeit. So wie er heute dalag
unter dem Baum, so lag er oft, und da hatte er schwere tiefe Gedanken,
wie sie sonst der Alpensohn nicht hat; er suchte nach der Kraft, die
irgendwo in seiner Seele lag, wie nach einem Schatz, und er wollte
sie heben. Sie lag drückend auf ihm, er rang mit ihr, aber er konnte
sie nicht fassen, nicht lenken und leiten. -- Dann hielt er oft seine
beiden Hände lange vor die Stirne und rief aus: „Ich werde noch
wahnsinnig!“

Oft war er schon ausgelacht und ausgespottet worden, und wenn er von
Zeit zu Zeit gar Einen fragte: „Sag’, hast Du denn noch nie darüber
nachgedacht, wie das ist, da sind so viele Millionen Menschen in der
Welt und keiner ist glücklich? Ein klein wenig glücklich ist Mancher,
aber Keiner ganz; bei Manchem fehlt gar nicht viel, aber es fehlt.“
Wenn er so fragte, so erhielt er die Antwort: „Narr, so schlaf’!“ oder:
„Narr, so sauf’ Dir einen Rausch!“ -- Und die so antworteten, waren
noch nicht die Dümmsten.

Indeß, Martin schlief nur wenig und einen Rausch hatte er sich noch
gar nie getrunken. Er zog nur im Gebirge umher und grub Wurzeln und
Kräuter. Und wenn er sich auf einen Stein setzte, um auszuruhen, so
kamen ihm immer wieder die Gedanken und er murmelte: „Es liegt wo -- es
muß wo liegen!“

Als sein Vater auf dem Todbett schwer danieder lag, stand er an
demselben Tag und Nacht und that Alles, um ihn zu trösten und zu
erquicken. Er war betrübt, aber er sagte: „Es muß einmal so sein und da
kann Niemand dafür.“

Und als sich Martin einst einen Splitter in den Arm gestoßen hatte und
sich in Schmerzen wand Tag und Nacht, und als die Leute sagten: „Ach,
der arme Wurzelgraber Martin, ’s ist zum Todterbarmen, wie der leiden
muß!“ rief er aus: „Wer kann dafür? Deswegen fällt die Welt ja nicht
zusammen und Euch hindert gar nichts, daß Ihr lustig seid!“

Später aber, als von einem blutigen Krieg, der draußen gewüthet
hatte, die Krüppel heimhinkten, da stieß Martin einen Fluch aus:
„... du Gotteskreuz in der Mörderhöhle! Dafür, daß diese jetzt ein
unglückseliges Leben tragen müssen, die Bettler -- dafür kann wohl
Jemand! Das haben die Menschen angestiftet! -- -- Wo liegt denn das
Mittel, daß sie Alle in Fried’ und Freud’ zusammen leben? Die Erde
wäre doch groß und schön genug dazu und Liebe ist auch da, es käme nur
darauf an, sie auf das Rechte zu lenken.“

Der Wurzelgraber ging einsame Wege.

Als Martin einmal an einem Sonntagsmorgen der Nothburga begegnete,
die, das Gebetbuch und einen Blumenstrauß in der Hand, zur Kirche ging
und ihn im Vorübergehen mit ihren blauen Augen heiter anblickte, da
blieb er stehen, sah dem Mädchen nach und sagte zu sich: „In ~der~
könnte es liegen, in der!“

Seitdem sah er Nothburga oft, bis er einmal zu ihr hintrat und sie
fragte: „Nothburga, hast Du mich so lieb wie alle anderen Menschen?“

Darauf sagte das Mädchen: „Du einfältiger Wurzelgraber, ich hätte Dich
gar lieber, wenn...“

In diesem Augenblick flog hinter dem Gebüsch ein Wildhuhn auf und die
Rede der Nothburga kam nicht zu Ende. --

Heute zur Kirchweih waren sie unten im Städtchen und zusammen beim
Tanz. Als Martin das Mädchen an die Brust drückend sich durch den
Tanzboden wand, dachte er bei sich: Ich hätte es, jetzt mögen auch die
Anderen schauen, daß sie fertig werden!

Da entstand im Vorhaus ein Streit zwischen mehreren Burschen wegen
einer Tänzerin, er wuchs und wuchs, Wein und Eifersucht waren auch
im Spiele, -- ein schwerer Keil sauste hin und der Wegmacher Niklas,
der Bruder Nothburga’s, taumelte und stürzte an der Treppe nieder.
Sein Schwesterlein rief er noch, aber als dieses kam und seinen
blutströmenden Kopf in die Arme faßte, da starrten es seine Augen wohl
noch an, aber diese waren steif und bewegten sich nicht mehr.

Nothburga hatte einen frischen Rosmarinstamm an der Brust, den gab sie
nun ihrem Tänzer Martin: „Da, nimm ihn, er ist nicht für mich -- sie
haben meinen Bruder erschlagen!“

Und Martin nahm ihn, ging fort aus dem Haus und aus dem Städtchen
und über Thal und Hügel -- immer aufwärts gegen den Hochpaß. Er war
verwirrt.

Dort, unter dem Lärchbaum brach er erschöpft zusammen, als ob auch ihn
ein Keil getroffen hätte, dann starrte er zum bemoosten, verwitterten
Crucifix auf und flehte im Herzen: „Vater unser, zu uns komm’ Dein
Reich!“

Dann zerknitterte er den Rosmarinstamm und dann kroch die Kreuzspinne
über sein Haupt und zu seinem Herzen.

       *       *       *       *       *

Es begann bereits zu dunkeln und vom Hügelland herauf zogen verlorene
Klänge einer Gebetglocke.

Martin brach sich vom Lärchgeäste einen Stock, schritt über den Paß
und langsam abwärts gegen die Waldschlucht. Plötzlich stand er still
und horchte. Ein Uhu krächzte. Der junge Mann schauerte und eilte
schnell weiter durch den Hohlweg. Wieder blieb er stehen und that einen
gebrochenen Aufschrei. Unten in der Schlucht sah er Lichter flimmern
und diese bewegten sich und kamen des Weges entlang ihm entgegen.

Martin verbarg sich unter dem Hang, er zitterte und betete leise.

Und die Lichter kamen näher -- ein Gemurmel zitterte durch die
Abendstille. Menschen zogen den Hohlweg heran und einer unter ihnen
trug auf dem Arm einen kleinen Sarg. Sie sprachen mit gedämpften
Stimmen ein Gebet.

Den Letzten, der vorüber kam, fragte Martin, wer die kleine Leiche sei?

Sie war das Kind einer fremden Bettlerin, vor wenigen Stunden erst in
einer Waldhütte geboren. Weil der Wurm starb, bevor man ihm Wasser auf
das Haupt gegossen, hatte es kein ander’ Begräbniß.

Sie gruben nun in weichem Moosgrund ein Gräblein und legten das Kind
der Bettlerin hinein. --

Martin eilte hinaus durch die Schlucht.

Das war heute ein wunderlicher Tag! -- Wenn je ein Mensch das Reich
Gottes auf Erden entdecken wollte, so müßte er so suchen und sehnen und
forschen und verlangen wie der bleiche Bursche, der durch die dunkle
Waldschlucht wandelt.

-- Ein großes Glück kommt zu ihm -- das Glück für ~alle~ Menschen,
sonst ist es auch kein’s für den Einzigen, der es mit Allen gut meint.

Nie noch rang Martin so mit seinen Gedanken und Gefühlen, als heute; in
seinem Herzen glühte es, in seinem Kopfe glühte es. Heim eilte er in
seine Hütte und als er die Thür fest hinter sich verschlossen hatte,
zündete er einen Kienspan an.

Unter dem Tische der Hütte lagen ein paar Ballen von getrockneten
Wurzeln und Kräutern. Diese hatte Martin gesammelt, untersucht und
ausgeforscht, aber das, was er suchte und immer suchte, er fand es
nicht unter den Gewächsen. Und doch soll ein Kräutlein wachsen auf
Erden, in dem es ruht, tief verwahrt und verschlossen, das Heiligthum
-- denn es ist ja für Alles, für Alles ein Kräutlein gewachsen, nur
nicht für den Tod. Unmittelbar neben dem Tisch war ein verworrenes
Strohlager, fast zu breit und weit für einen einzigen Müden; es hat
auch schon Nächte gegeben, wo dem Burschen auf demselben einsam war.
Ueber diesem Bett hingen Heiligenbilder unter Glas und daneben war eine
Bretterstelle, auf welcher große, dickbändige Bücher lagen und lehnten
-- Bücher mit seltsamen Worten und Zeichen aus alten Zeiten.

Martin war in stillen Sommertagen und in wüsten Winternächten oft
stundenlang vor diesen Bänden gesessen und hatte geblättert und
nachgesonnen über die Zeichen und Geheimnisse, doch keine Lösung und
Erlösung hatte er gefunden.

Martin kannte ja keinen einzigen Buchstaben, das s ausgenommen, welches
aussieht wie eine Ringelnatter unter den Tannen- und Fichtennadeln des
Waldbodens.

Martin hatte gehört, daß ein Buch geschrieben worden sei auf Erden, in
dem es ruhe, was er suchte.

Martin legte den Arm auf ein Buch, sein Kopf sank auf denselben nieder
und er begann bitter zu weinen.

So weint der ringende Menschengeist, dem das Wissen verschlossen und
das Forschen verboten ist!

Endlich stieß Martin das vergilbte Buch in die Ecke, sprang auf, raffte
nach Hut und Stab und verließ die Hütte.

Es war der Mond aufgegangen und im dunklen Waldesgrund lagen silberne
Tafeln und Fäden und Punkte. Martin schritt darüber hinweg -- in diesen
bleichen Strahlen lag es doch nicht, was er suchte. Er hatte sie schon
gefragt in stiller Mitternacht; er hatte die Sterne angerufen; hatte
am Tag der Sonnwende aus dem Windröschen und dem Sesamkraut ein Feuer
gemacht und durch den aufsteigenden Rauch in die Sonne geblickt -- aber
verschlossen blieben die Himmel. Und doch träumte ihm einmal, es gäbe
ein Lichtlein im Weltenraum, und das Licht führe zum Heiligthum, das er
suchte. --

Und siehe, als der Bursche so durch Wald und Hag dahinschritt, da sah
er auf der Haide ein Lichtlein.

Er eilte ihm träumend zu. Eine Hütte stand dort; Martin sehnte sich
nach Menschen.

Und als er zur Hütte kam, da fand er in derselben ein Weib einsam und
verlassen auf einem Strohbund liegen; das schluchzte gar sehr, weil man
ihm sein Kind fortgetragen hatte hinaus in ein fremdes Grab.

Martin setzte sich an die Thürschwelle.

Der Kranken that es wohl, daß ein Mensch bei ihr war, zu dem sie reden
und klagen konnte.

Sie war ein armes Weib, war an der Seite ihres Mannes herumgezogen fast
schon in der halben Welt; das Volk gab Brot und die Lebensluft dazu gab
Gott. Vor einundzwanzig Jahre hatte sie ihrem Manne das erste Kind
geboren und in zwei Jahren darauf auf geheimnißvolle Weise verloren.
Der Knabe spielte am Wiesenraine, als sie vor dem Schloßthore eines
reichen Mannes Lieder sang, und als sie ihn rief, kam er nicht, und als
sie ihn suchte auf der Wiese, auf dem Felde, im Walde -- in der halben
Welt suchte, fand sie ihn nicht.

Er blieb verschollen bis auf den heutigen Tag; wer ihn fände, am linken
Fuß fehlt ihm eine Zehe, das wäre das Wahrzeichen.

Ihr Mann war auch schon zur Ruhe gegangen. Aber bald nach dem Begräbniß
des Gatten merkte sie das neue Leben unter dem Herzen; bangend und
hoffend zog sie weiter und bettelte sich durch mancher Herren Länder.
Hier in der Waldhütte übernachtend, kam die Stunde, das Weib gebar und
verlor wieder, und Holz- und Köhlerleute trugen das Kind in den Wald
und legten es in ein Grab.

„Und jetzt geh’ ich,“ schloß das Weib ihr Erzählen, „und singe, wo ich
Witwen und Waisen finde, meine Gesänge.“

„Gutes Weib,“ entgegnete Martin, „wenn ich singen könnte, ich ging’ mit
Euch, vielleicht läge das, was ich suche, im Singen.“

„Im Singen, lieber Mann, liegt Lust und Noth! -- Ihr sucht ein
glückliches Leben, ein Weib, eine Kinderschaar, ein friedliches Alter;
o, bleibt daheim, das Alles liegt in Euren Bergen, bleibt daheim!“

„Daß Ihr mich versteht, Weib, ich suche nicht mein Glück, ich suche das
Glück der ganzen Welt -- das Reich Gottes auf Erden!“

„Das Reich Gottes auf Erden!“ rief die Bettlerin auflachend und sich
emporrichtend, „ei, da sucht wieder einmal ein Blinder nach der Sonne,
die ihn einst geblendet hat. -- Glaubt das einer armen Bettlerin: das
Weltglück, wir wissen nicht, wie es aussieht, darum ist alles Suchen
vergebens.“

„Aber ich hab’ einen Priester predigen gehört, der sagte von einem
Reiche Gottes auf Erden.“

„Es ist auf Erden, ja, und ich weiß auch wo: es ist in dem Herzen eines
Kindes, das schlummert.“ --

Wer jetzt den Mond betrachtet hätte! Langsam zog er hinter ein Wölklein
und statt der lichten, freundlichen Scheibe sah man am Himmel ein
dunkles Herz mit silbernen Rändern. Und das Herz wurde ein scharfes
Dreieck und zackte sich aus, -- es wuchsen Arme und Glieder und diese
streckten sich nach allen Seiten und -- jetzt kroch über das dunkle
Himmelsgewölbe eine riesige Spinne dahin.

Und wer jetzt in Martin’s Herz geblickt hätte!

Dort wurde ein Märchen wach, wie es einst in einer stürmischen
Herbstnacht die Großmutter erzählt hatte. -- Im Herzen des Kindes! --
Ja, hier liegt ein Geheimniß, eine Zaubermacht -- im Herzen des Kindes
liegt Himmel und Glückseligkeit -- Alles. Und darum hat jener Zauberer,
von dem die Großmutter erzählte, ein Kindesherz geraubt und verzehrt
sammt dem Geheimniß und der Macht, und er ist allmächtig geworden bis
auf Eines. -- Ei, dieses Eine -- seinen eigenen Namen hat er vergessen
und nicht mehr gefunden -- er war namenlos. -- Vielleicht auch das
nicht, wenn er das Geheimniß zu Nutz und Frommen der Menschheit
angewendet hätte. -- --

Endlich, endlich gefunden, du bleicher Bursche -- im Herzen des Kindes!

Ach, Martin, das Märchen der Großmutter war lehrreich; der Zauberer war
namenlos geworden, er hatte den Namen Mensch verloren, er hatte ja eine
unmenschliche That begangen. Martin, und wie hast Du es so unglücklich
falsch verstanden mit Deinem einfältigen Wesen!

Martin bebte, er hielt sich an dem Thürpfosten und wie im Lippenkampf
preßte er die Worte hervor: „Auch im Herzen eines Kindes, das todt ist?“

„Auch in dem,“ sagte die Bettlerin.

Der Wurzelgraber erhob sich und ging über die Haide.

       *       *       *       *       *

Der Mond stand wieder frei und klar am Himmel, als Martin mit einem
kleinen Spaten, den er zum Ausgraben von Wurzeln und Kräutern zu
verwenden pflegte, von dem Hochpaß, wo der Lärchbaum steht, niederstieg
durch den jungen Wald gegen die Schlucht.

Es ist drückend zu erzählen, wie der Mann gekämpft hatte mit seiner
Muthlosigkeit, mit seiner Gespensterfurcht, wie er die Stunde beschwor
und sich einsegnete mit allen Kreuz- und Wunderzeichen.

Dort stand die Kapelle.

Der Mond war hinter die Felsen gezogen.

Behend und geräuschlos, wie sonst nie, eilte der Wurzelgraber.
Plötzlich trat er auf lockeres Moos und sein Fuß stieß an ein
Kreuzlein, das im Boden stak. „Hier!“ sagte er und kauerte sich nieder.
Fester faßte er den Spaten in die Hand und noch einmal rief er alle
guten Geister an. Aber in dem Augenblick, als er das Eisen in den Boden
graben will, beginnt es auf dem Thurme der nahen Kapelle zu rasseln und
zu klappern, als ob hundert Todtengerippe tanzten.

Martin sprang auf und floh in das Gebüsch.

Das Geräusch währte eine Zeit fort und wiederhallte seltsam im Walde.
Endlich war es wieder still.

Vielleicht ist das Uhrwerk abgelaufen, -- kam es dem Wurzelgraber in
den Sinn, aber er zitterte an allen Gliedern und die Kniee wollten ihm
zusammenbrechen. Er beschloß nun, mit seinem Werk zu warten, bis der
Tag anbreche.

So blieb er im Gebüsch versteckt, bis der erste Vogelsang wach wurde,
bis es graute und sich lichtete und bis über den Ebenen das Morgenroth
aufging.

Jetzt begab sich Martin wieder an die Stelle, wo das Kreuzlein stak. --
Hier liegt das Kind der Bettlerin begraben ... Das Herz eines Kindes,
das schlummert, -- das Geheimniß, die Zaubermacht, das Reich Gottes.

Emsig warf Martin das Moos und die Erde aus, mit dem Spaten und mit
allen Fingern grub er und endlich stieß er auf den kleinen Sarg.... Den
scharfen Spaten stemmte er zwischen die Fugen -- es krachte und der
Deckel sprang ab.

Da lag es nun, in Lumpen, winzig und bleich und steif, das
Menschenkindlein, zusammengekauert, die Händchen über die Brust
gekreuzt, wie im Mutterschoß.

Leise rauschte es in den Blättern und Nadeln, auf allen Wipfeln sang
und klang es -- das Morgenroth strahlte in das Gräblein.

Martin’s Antlitz war fahl, seine großen Augen rollten unstet, zum
erstenmal war es ihm, als sei das, was er nun begehen wolle, eine
ungeheuerliche That.

Aber im Herzen des Kindes liegt es, und jener Zauberer nahm es heraus
und wurde allmächtig! Und die Großmutter hatte die Geschichte so oft
erzählt und im Gebirge wurde viel von derlei gesprochen.

Im Beinkleid, am rechten Oberschenkel hatte der Wurzelgraber seine
Messerscheide stecken. Nach dieser griff er nun und zog ein schmales,
langes Messer hervor, wie es die Gebirgsbewohner als Taschenklinge bei
sich tragen.

Als Martin die zarten Händchen der Leiche von der Brust wegziehen
wollte, fiel es ihm ein, daß auch die Finger eines neugebornen Kindes
etwas Wunderbares an sich haben. Diebe brauchen das; wenn sie in irgend
einem Hause, wo sie sich zur Nachtzeit zum Raube eingeschlichen, so ein
Fingerchen anzünden, so brennt das wie ein Kerzlein, und so lange es
brennt wird kein Mensch im ganzen Hause wach.

Aber nein und nein, Martin war kein Dieb, er schauerte vom bloßen
Gedanken; er wollte ja nichts sonst von der armseligen Leiche als das
Herz, in dem das Reich Gottes liegt.

Zu diesem Zwecke nun schiebt er die steifen Händchen zurück. -- --

Zwei Holzhauer, die von ihrer Hütte zum Tagewerk an der Kapelle vorüber
kamen, fanden den Mann so.

Zuerst sahen sie ihm von der Ferne zu, wie er in der Grube kauerte und
die Erde auswarf. Endlich erkannten sie den Martin und meinten, er
grabe Wurzeln; aber so tief gräbt kein Wurzelgraber ein.

„Er hebt wohl gar einen Schatz!“ sagte Einer zum Andern.

„Wäre schon recht, dann müßte er mit uns theilen.“

Jetzt zog er das Messer aus der Scheide; die beiden Männer schlichen
näher hinzu und da sahen sie neben dem Erdhaufen das Grabkreuzlein
liegen.

„Heiliger Gott!“ lispelte einer der Holzknechte, „der scharrt ja ein
Grab auf!“

„Dummes Zeug! Wer läg’ denn da begraben?“

„Wohl gar das Bettlerkind, das sie gestern bestattet haben. Ich hör’
sie trugen es in den Wald. Doch, was wollt’ er damit? -- Dieser Martin
ist ein sonderbarer Mensch!“

„He, Martin!“ riefen sie laut, „was machst denn da?“

Dieser fuhr zusammen, lehnte sich dann über das Särglein und stotterte:
„Ich? -- machen? -- Wurzelgraben.“

Aber die Holzhauer hatten es bemerkt, was hier vorging, und sie
verständigten sich schnell, was nun zu thun sei.

Der Bursche wollte entfliehen, aber die Männer hielten ihn fest und
sagten: „Martin, Du hast da was angestellt und jetzt kommst Du mit uns,
wir treiben Dich in die Stadt.“

Da fiel Martin auf die Kniee und beschwor, daß er nichts Böses gewollt
und gethan, er werde es schon sagen, warum er das Grab aufgescharrt --
es sei vielleicht verboten gewesen, das sei ihm selbst so vorgekommen,
aber er meine es nicht schlecht und sie möchten ihn nur machen lassen,
es geschehe zu Aller Nutz und Frommen.

Aber die Holzknechte sagten: „Du bist ein schlechter Mensch, Martin,
oder ein Narr, und Du mußt mit uns.“

Einer löste einen Strick von der Trage, auf der er den Lebensunterhalt
für die Woche gepackt hatte, und wollte damit dem Wurzelgraber die
Hände binden, allein dieser bat weinend, daß man ihm das nicht anthue,
er gehe schon auch so mit wenn er Strafe verdient habe, so leide er sie
auch.

Und nun führten sie den bleichen Burschen abwärts gegen das Städtchen.

Das Grab im Walde blieb einsam; es ging die Sonne auf und erhob sich
über die Wipfel, und als die Mittagsstunde kam, schien sie auf das
Särglein.

       *       *       *       *       *

Es war nach Tagen.

Martin saß traurig in einer Kammer und zählte die kleinen, sechseckigen
Scheiben am Fenster. Die Kammer war wohl größer und wohnlicher wie
seine Hütte daheim im Walde, aber die Thür war verschlossen.

Eine Kreuzspinne war ihm zum Herzen gekrochen -- und nun saß er im
Gefängniß!

Er mußte einen großen Fehler begangen haben, das war ihm jetzt klar,
aber, wenn er nur beweisen könnte, daß er kein schlechter Mensch sei!
Wenn doch nur die Thür nicht versperrt wäre, damit er zeigen könnte,
daß er auch freiwillig bliebe und seine Strafe leide.

Ein Mann brachte ihm täglich Suppe, Gemüse und Brot, machte ihm das
reinliche Strohbett, und als es einmal draußen regnete und der Wind
im Hollunderstrauch vor dem Fenster schwirrte, feuerte er gar in den
kleinen Blechofen. Es kamen die ersten Wintertage, wüster und heftiger
schlug der Wind an das Fensterchen und pfiff schrill durch die Fugen;
endlich wurde es ganz grau vor den Scheiben und Flocken tanzten und der
Schneestaub legte sich in die Fensterwinkel. Da kam der Wärter öfter
und machte Feuer in dem Ofen. Das kam dem Burschen liebreich vor, so
arg mußten es denn die Menschen doch nicht haben auf ihn.

Und dennoch schlug Martin seine rauhen Hände oft heftig vor die Stirne
und stampfte in Verzweiflung mit dem Fuß. -- Wenn ein Mann im Gebirge
arbeitet, tagtäglich von seiner Kindheit an arbeitet -- und mit
einemmale muß er ruhen und unthätig sein, müßig bei gesunden Gliedern,
muß dasitzen zwischen den Mauern, und draußen harret die Arbeit -- das
ist eine Pein für den an Thätigkeit gewöhnten Mann.

Martin litt diese Folter.

Sein ganzes Wesen ging dahin, daß er wieder daheim auf seinen Höhen
sei, dort wolle er arbeiten und graben und seine Hütte vergrößern, und
Nothburga zum Weib nehmen. Alle Welt möge gehen, wie sie geht, sie sei
des Glückes nicht werth.

Einmal bat Martin den Wärter, dieser möge ihm Stroh bringen, er wolle
Strohschuhe flechten, aber der Wärter brachte ihm keinen Halm. Da
weinte der Bursche und klagte: „Das thun sie mir zur Pein an; mir wär’
es tausendmal lieber, sie gäben mir nur Brot und Wasser, aber Arbeit
dazu!“

Eines Tages wurde es anders. Ein Gerichtsdiener trat mit dem
Gefangenenwärter ein und befahl dem Wurzelgraber, daß er folge. Martin
that es freudig, denn nun durfte er wohl wieder heim in seine Wälder.
Aber in der Vorhalle nahm der Gerichtsdiener ein Kettenschloß vom
Gesimse und legte es dem armen Burschen an die Hände. So führte man ihn
in das Freie, wo es so blendend weiß und licht war, und wo doch der
düstere Winter lag. Sie führten ihn durch einige Gassen der Stadt und
über den Marktplatz. Menschen drängten sich heran, daß schier der Weg
versperrt wurde, aus allen Fenstern sahen Leute und Viele zeigten mit
Fingern auf den Wurzelgraber und riefen: „Dort geht er, das ist der
Leichenräuber!“

Leichenräuber! -- In seinem Leben war dem unglücklichen Aepler kein
plötzliches Leid so zu Herzen gedrungen, als dieses schreckliche Wort.
Jetzt erst ging ihm das Licht auf und sein Todesurtheil hatte er jetzt
gehört. Nun war Martin überzeugt, daß dieser Gang in Ketten sonst
nirgends hinführe, als hinaus vor die Stadt zum Hochgerichte.

Er wäre zusammengebrochen mitten auf dem Marktplatz -- aber der
Gefängnißwärter stützte ihn.

Sie kamen am Hause vorüber, wo Martin vor wenigen Tagen mit Nothburga
getanzt hatte, wo sie den Niklas erschlugen. Ach, das war ein
unheilvoller Tag und eine unglückselige Nacht!

Ja wohl, unglückselig, wenn Einer das Reich Gottes sucht und er findet
das Hochgericht!

Ein Wegweiser ist geschrieben und aufgerichtet, aber gar Mancher hat
ihn übersehen und Mancher kann ihn nicht lesen und deuten und geht den
Weg des Verderbens! --

Endlich führten sie den Wurzelgraber in ein Haus und über eine
breite, steinerne Treppe in einen großen Saal. Der Saal war durch ein
Eisengeländer in zwei Räume abgetheilt. In einem dieser Räume standen
und drängten viele Menschen, in dem andern saßen an einem langen,
grünen Tisch ernste Männer in dunkler Kleidung. Einige Fenster des
Saales waren durch Vorhänge verhüllt. Auf dem grünen Tisch stand
zwischen zwei brennenden Wachskerzen ein Crucifix. Vor dem Tisch war
ein einzeln dastehender Stuhl ohne Lehne. Zu diesem Stuhle wurde Martin
geführt und dort nahm ihm der Gerichtsdiener das Schloß von den Händen.

So stand er da, der bleiche Bursche mit den großen, dunklen Augen,
den wirren Haaren und dem ungepflegten Bartanflug. Das Zittern seiner
Mundwinkel verkündete einen unendlichen Schmerz und das Auge flehte die
Männer in dunkler Kleidung an, daß sie diesen Schmerz von ihm nehmen
möchten.

Aber die Richter blieben kalt, nur sagten sie zu einander: „Noch so
jung, noch so jung!“

Da lag ein Stoß von Papierblättern und auf diesen stand Alles
geschrieben. Der gerichtliche Befund der kleinen Leiche, die Aussage
der beiden Holzhauer, wie sie ihn an jenem Morgen an der Waldkapelle
neben der Leiche trafen, von dem Wahne des Mannes, das Reich Gottes zu
suchen, und von noch Anderem stand auf den Blättern. Da wurde jetzt aus
diesen vorgelesen, dann wurde gesprochen, und es sprachen Einzelne und
sie sprachen durcheinander, laut und leise, und Martin stand da und
verstand von Allem kaum ein Wort.

„Wie alt ist Er jetzt -- Er?“ fragte der Vorsitzende plötzlich, „hört
Er nicht, ich frag’ wie alt?“

Der Wurzelgraber schrak aus seinem Brüten auf. „Wie alt,“ stotterte er,
„das weiß ich gar nicht recht, ich soll in die Welt gekommen sein in
dem Jahr, wie der große Sturmwind gewesen ist.“

„Hat Er noch Eltern?“

Martin schüttelte den Kopf.

„Nicht also?“

„Meine Mutter hab’ ich nicht gekannt und meinen Vater hat vor zehn
Jahren der Brand umgebracht.“

„Was hat Er denn immer gemacht?“ fragte der Richter.

„Was wird Unsereiner auch machen! Mein Vater hat mir nichts lernen
lassen können, nur die Wurzeln und Kräuter hat er mir angesagt, und
sobald ich stark genug gewesen, bin ich das Wurzelgraben angegangen.“

„Kann Er davon leben?“

„Das just wohl!“

„Ist Er militärpflichtig? -- Ich meine, ob Er sich schon einmal hat
stellen müssen?“

„Ja, ich war wohl einmal, aber da haben sie mich wieder heimgehen
lassen.“ --

So ging es fort. Oft war Martin verwirrt und antwortete gar nicht, und
als das Verhör zur betreffenden That an der Waldkapelle kam, zitterte
er und rief: „Ja, ich hab’s gethan, aber ich hab’s nicht schlecht
gemeint.“

Endlich fragte man ihn gar nicht mehr und der Staatsanwalt stellte den
Antrag: schweren Kerker auf zehn Jahre!

Da stand ein Mann mit langem, braunem Vollbart auf, der abgesondert an
einem Tischchen saß und bisher nur wenig gesprochen hatte. Dieser hielt
nun eine lange Rede. Er legte noch einmal den Thatbestand dar, sprach
dann von dem unbescholtenen Vorleben, von der nichtigen Erziehung, der
Erscheinung und den Verhältnissen des Wurzelgrabers und schloß endlich
seine Rede:

„Wir haben, meine Herren, keinen Verbrecher vor uns, sondern ein
unglückliches Opfer des Aberglaubens, das wir wohl tief bedauern,
aber nicht richten können. Wir Alle, die wir uns heutzutag’ der
Humanität und Bildung, des lichteren Geisteslebens erfreuen, ständen
ohne Erziehung und Schule auf ~der~ Stufe, auf welcher unser
Angeklagter steht. Der Unglückliche hier wäre durch eine entsprechende
Ausbildung ein herrlicher Mensch geworden, edler und besser vielleicht,
als einer. Der Mann hier trägt viel Menschenliebe im Herzen, das zeigt
sein Streben, ein Weltbeglücker werden zu wollen. -- Wer unter uns
hat als begeisterter Junge in den Studentenjahren diesen Wahn nicht
getheilt, freilich mit weniger Consequenz, weil wir bald sahen, daß
es ein Ideal ist und unter den leidenschaftsvollen Menschen auf Erden
nicht verwirklicht werden kann. Diese Aufklärung aber in dem Sinne ist
unserem Manne hier nicht geworden, weil er keine Ausbildung und keine
Lebensschule genoß, und so hielt er starr und fest an dem Wahne und
verfolgte sein ideales Ziel mit Aufopferung seines eigenen Wohles.
-- Dazu kam der Aberglaube. Auch wir haben als Kinder Fabeln und
Märchen geglaubt und würden sie noch glauben, wenn wir nicht durch
ein Aeußerliches, durch die Schule und die Erfahrung eines Anderen
überzeugt worden wären, denn die eigene Vernunft arbeitet sich aus
dergleichen gar schwer heraus. Der Mann aber ist nicht durch ein
Aeußeres eines Anderen überzeugt worden, im Gegentheile, seine Umgebung
hat den Aberglauben in ihm nur noch mehr bestärkt und bestätigt. -- Sie
geben mir zu, meine Herren, daß ein Verbrechen, wie Mord, Brandlegung
u. s. w., von einem Ungebildeten aus Aberglauben begangen, nicht so
schwer in die Wagschale fällt, als wenn dasselbe von einem Gebildeten
aus Haß und Rache verübt wird. Nun ist aber der gegenwärtige Fall kein
Mord und keine Brandlegung, er ist kein Akt des Hasses und der Rache,
nicht einmal der Eigenliebe. An einem Todten hat sich der Angeklagte
vergriffen, in dem Wahne, den Lebendigen das Glück zu geben. Wollen Sie
das, meine Herren, sühnen, wie ein Verbrechen? Wohl heißt es: Laßt die
Todten ruhen! Aber machen Sie einmal dem anatomischen Kabinet einen
Besuch, dort wird die sogenannte Ruhe auch gestört und entehrt -- die
Todten werden zergliedert, zerstückt -- zum Vortheile der Lebendigen.
-- Ich behaupte nicht, daß es kein Verbrechen ist, die Gräber zu
öffnen; es ist Leichenschändung und Leichenraub geschehen, diesen die
vollste Strenge des Gesetzes! Der gegenwärtige Fall ist ein anderer und
in Bezug auf das bereits Gesagte zu entschuldigen. -- Erwägen Sie den
Fall noch einmal, meine Herren, und erwägen Sie meine Worte, die ich
aus der Tiefe meines Herzens für den unglücklichen Mann hier gesprochen
habe. Richten Sie über das Vergehen eines Verirrten nicht, wie über ein
Verbrechen. Die hier in Verhandlung stehende That ist nichts als ein
unwissentliches Vergehen gegen die Sitte; betrachten Sie dieselbe als
solches, meine Herren, und lassen Sie den armen Mann nun gewitzigt sein
und heimziehen in seine Berge!“

Nach dieser Rede war es still im ganzen Saale. In Martin’s Auge hing
eine große Thräne; er stürzte hin vor den Vertheidiger, umschlang seine
Füße und rief: „Der ist mein einziger Freund in der Welt!“

Aber dieser wehrte kühl ab und ohne noch ein Wort zu sagen, setzte er
sich an seinen Tisch. --

Die Richter erhoben sich von ihren Sitzen und traten in ein
Nebenkabinet.

Der Staatsanwalt und der Vertheidiger, die sich anscheinend eben
feindlich gegenüber standen, gingen jetzt zusammen und plauderten
in einer Fensternische. Das Volk war unruhig und erging sich in
Muthmaßungen über das zu erwartende Urtheil. Die Kerzen brannten matt
und ruhig neben dem Kreuzbild und Martin saß auf seinem Schemel und
starrte zu Boden.

Endlich, nach einer geraumen Zeit öffnete sich die Thür des Kabinets,
die Richter traten heraus und der Vorsitzende verkündete das Urtheil.

       *       *       *       *       *

Da Sturm und heftiges Schneegestöber wütheten, so wurde dem
Wurzelgraber gesagt, er könne noch einen Tag in dem Hause bleiben,
in welchem er in der Untersuchungshaft war, und man wies ihm eine
wohnliche Stube an. Ein Mann brachte auch Stroh und Bindwerk in die
Stube, daß er, wenn er wolle, Strohschuhe flechten könne. Aber Martin
ließ das stehen, er sah immer nur durch das Fenster in das grau
verschwommene Wehen und Wogen des Schneegestöbers hinaus. Das Fenster
hatte kein Gitter, die Thür war nicht verschlossen, der Ofen war warm.
Er war kein Gefangener, er war Gast und morgen lichtet sich der Himmel
und es geht heim zu.

-- Aber wenn doch eine Schuld in dir läge, Martin, und wenn sie dich
morgen von dieser Stube wieder in den Kerker führten? -- Daheim steht
deine Hütte, daheim harrt Nothburga; die Hütte ist verlassen, Nothburga
denkt deiner in Lieb’ und Schmerzen. Und all die Menschen halten dich
für einen Missethäter! Wer soll da noch säumen eine ganze lange Nacht,
wer soll da nicht heim und wenn Spieße vom Himmel fielen? --

So sann Martin, als er durch das Fenster sah.

Und als es zu dämmern begann, da hielt es der Bursche nicht mehr aus,
fest zu knöpfte er seinen Rock, tief in die Stirne drückte er seinen
Hut, dann schlich er fort aus der Stube, aus dem Hause wie ein Dieb.

Die Gassen des Städtchens waren leer, überall lag hoher, lockerer
Schnee, ein schneidender Wind wehte dem Dahineilenden Flocken und
Eisnadeln in das Gesicht. Aus den Fenstern strahlten Kaminfeuer und
Abendlichter, Martin eilte davon, so gut es ging. Außerhalb des
Städtchens war bald kein Weg und kein Steg mehr zu erkennen, aber der
Wurzelgraber schritt rüstig über den Schneeboden dahin, gleichgiltig,
ob auf Weg oder Feld oder Haide, die Richtung wußte er ja und er wußte
auch wohin.

Stundenlang irrte er durch die Gegend und er kam nicht weiter; noch die
Mitternachtsstunde hörte er von der Thurmuhr des Städtchens schlagen.
Aber Martin war muthig, es ging ja heimwärts. Endlich kam er zum Wald
und auf demselben lag ein Schneegewölbe und das gab einigen Schutz
gegen den Sturm. Freilich war es gar finster unter den Aesten und die
Wipfel rauschten unheimlich und hie und da fielen Schneeklumpen zu
Boden, aber Martin achtete das nicht, er war ein Sohn des Waldes und
hatte so manchen unwirthlichen Winterabend im Freien zugebracht. So
ging’s fort zwischen den Stämmen und Sträuchern über Stock und Wall.
Plötzlich aber kreischte Martin auf und sank fast in den Boden.

An seinem rechten Arm hatte ihn eine Hand gefaßt.

„Ei, das ist wohl gar der Leichenräuber!“ rief eine Stimme.

Eine männliche Gestalt stand vor ihm -- wie aus der Erde aufgetaucht
war sie gekommen.

„Beruhige Dich, Bruder,“ lachte die Gestalt, „ich kenne ja Deine
Geschichte und ich weiß, daß Du unschuldig bist. Steh’ auf, Narr,
wir halten uns zusammen, daß wir aus dieser Mördergrube kommen, ich
hab’ Frost und Hunger. Wir wollen einander beistehen, wir haben das
gleiche Geschick. Solltest Du mich noch nicht gesehen haben, so sage
ich Dir, daß wir die letzten Wochen her in ~einem~ Hause gewohnt
haben. Ich ließ mir von Dir erzählen und hätte nur gewünscht, mit Dir
zusammen zu wohnen. Ich bin ein ehrlicher Kerl und unschuldig haben
sie mich hingehalten, alberner Händel wegen, an denen ich mich gar
nicht betheiligt habe. Erst in den letzten Tagen kam meine Unschuld
an’s Licht und man ließ mich frei. Jetzt freilassen, jetzt zur rauhen
Winterszeit! Was soll ich anfangen, ich bin nicht von hier und ich habe
keinen Erwerb. Kaum die nöthige Kleidung habe ich, so daß sie mich im
Zwilchrock fortgehen ließen. Was soll’s nun werden mit mir, wenn ich
nicht gute Menschen finde!“

Wie diese Worte mit Lachen begonnen hatten, so hörten sie mit Weinen
auf.

Martin hatte sich von seinem Schreck erholt -- das war ja kein
Bösewicht, der ihn überfallen wollte -- ein armer Nothleidender war’s,
ein Hungernder, ein Frierender. Brot hatte der Wurzelgraber keines,
aber einen dichten Lodenrock, und den bot er dem Fremden bereitwillig
an.

„’s ist eine Gewissenlosigkeit,“ sagte dieser, „wenn ich von Dir Rock
und Hut nehme, aber wenn mir der Frost nicht schon bis an’s Herz
ginge und wenn ich nicht wüßte, daß Deine Güte zu mir aus wahrer,
christlicher Liebe kommt, so würde ich die Kleider nicht annehmen.“

Der Fremde nahm Martin’s Rock und Hut und warf dem Wurzelgraber die
leichte Zwilchjacke und die Wollenhaube dafür hin, wie er sie aus dem
Arrest mitgebracht hatte. Martin zog diese Kleider ruhig an, dann lud
er den Fremden ein, daß er mit ihm gehen möge, er kenne die Gegend,
er führe ihn aus dem Wald und in eine Herberge. So gingen sie weiter,
Beide sprachen wenig. Ueber ihren Häuptern krachten die Aeste, einzelne
brachen sogar und stürzten rauschend nieder.

Endlich kamen sie auf einen freien Platz, der mitten im Walde lag. Der
Sturm hatte ein wenig nachgelassen, es war der Mond aufgegangen und er
senkte sein Halblicht durch das graue Gewölke, das über den Baumwipfeln
dahinjagte.

Der Fremde zog den Lodenrock eng zusammen und lehnte sich an einen
Baum, er war erschöpft. Der Mond schien einen Moment in sein Gesicht,
das war noch jung, aber sehr bleich. Martin stand neben seinem
Gefährten und hauchte sich in die Hände.

Plötzlich horchte der Mann am Baume auf. Von der entgegengesetzten
Seite des Angers war es zu hören, wie Pferdetraben.

Martin fiel wieder in Angst, aber der Fremde murmelte in sich hinein:
„Geköpft wie gehangen, ~ein~ Teufel!“

Das Pferd trabte langsam heran, auf demselben saß eine von Schnee halb
eingehüllte Gestalt.

-- Da reitet ein nächtlicher Wanderer durch den Wald -- das geht sehr
langsam, das Roß ist müde, der Reiter schläft wohl gar.

Der Mann am Baume lauerte. „Sieh’ einmal,“ sagte er dann leise zu
Martin, „ist das ein Leichtsinn von dem Mann, jetzt schläft er auf
dem Pferd und erfriert. Man muß ihm beistehen und wecken, doch früher
müssen wir sehen, mit wem wir’s zu thun haben. Jetzt, wenn das Pferd
ganz nahe gekommen sein wird, so fasse Du es vorsichtig beim Zügel, ich
werde den Mann wecken, daß er doch nicht erstarrt.“

Und als das Pferd ganz nahe war, faßte es Martin am Zügel und in
demselben Augenblick stürzte sein Gefährte herbei und riß den Reiter
nach rückwärts zu Boden.

Ein Hilferuf, ein Pistolenschuß, ein Aufschrei. Zwei Männer lagen im
Schnee und rangen, ein Dritter lag in seinem Blute. Das Pferd wieherte,
schlug aus und herum in einem weiten Halbkreis lief es, daß der Schnee
hoch aufstaubte und der Boden dröhnte.

Endlich gelang es einem der Ringenden sich aufzuraffen, den andern von
sich zu schleudern, sich auf das Pferd zu schwingen und im vollsten
Galopp davon zu rennen.

Auch der Zweite erhob sich, schüttelte den Schnee von Kleidung und
Bart, sah dann dem dahin eilenden Pferde nach und schüttelte den Kopf.
„’s ist ein Glück, daß mich der Hallunke nicht erwürgt hat,“ brummte
er, „das Knie preßte er mir lang’ genug in den Hals. Die Uhr mag er
denn haben und mein Brauner, der wird mir schon wieder kommen. -- Ach
Gott, da hab’ ich ja Einen erschossen!“ rief er aus, als er unseren
Martin auf dem Boden liegen und sich winden sah.

„Gerade durch’s Bein,“ wimmerte Martin, „und jetzt kann ich gar nicht
weiter!“

„Du Allmacht, das ist ja der Wurzelgraber Martin!“ sagte der beraubte
Mann, „aber wie kommst Du doch um des Himmels Willen unter die
Straßenräuber?“

Der Arme jammerte und that den lauten zitternden Ruf: „Jetzt, was ist
geschehen?“

Der Andere stand einen Moment sinnend da. „Martin,“ sagte er dann
gedämpft, „steht’s so mit Dir? Nein, wenn ich gewußt, daß Du es bist,
ich hätte nicht geschossen, aber sei nur ruhig, ich werde Dir das Blei
schon wieder herausziehen. Mit dem Verbinden aber müssen wir’s schnell
machen, dann nehm’ ich Dich mit hinaus in das Dorf.“

„Nein, in’s Dorf nicht, wenn ich Euch bitten darf, tragt mich hinein in
die Stadt zum Gericht, sie werden Euch’s lohnen!“

„Zum Gericht später, jetzt komm’, ich trag’ Dich schon in’s rechte
Haus.“

„Aber, ich weiß nicht, wie das ist; seid Ihr angefallen worden? Zuletzt
ist wohl gar -- ach, ich weiß nicht und ich versteh’s nicht -- Jesus,
ich bin wahnsinnig geworden!“

„Ruhig, wir müssen eilen, Dein Blut fließt in den Schnee und in
Hochdorf liegt Jemand in Sterbensnoth!“

Als dieser Mann dem Unglücklichen das rechte, verwundete Bein verbunden
hatte, hüllte er ihn in seinen Mantel, faßte ihn auf den Rücken und
trug ihn durch den Wald.

„Ihr seid gar der Arzt von Dernau?“ fragte Martin unterwegs einmal.

„Ja, Martin.“

„Dann kenn’ ich Euch. Aber das werdet Ihr Euch von dem Martin nicht
gedacht haben, das! Doch bei Gottes Kreuz und Leiden, ich hab’s nicht
gewußt und nicht gewollt -- --“

Er sprach nicht weiter; so heftig war der Schmerz, den er litt, daß er
kaum die Kraft hatte, sich an dem Nacken seines Trägers festzuhalten.

Bergauf und thalab ging’s, über Hügel und durch Schluchten; kaum daß
der Arzt in Nacht und Schnee den unsichern Fußsteig traf. Auf den
Anhöhen hatte der Sturm Bäume geknickt, und man konnte es von nah’
und ferne noch hören, wie sie zusammenbrachen. In den Schluchten lag
tiefer Schnee und die Aeste der Bäume drückte er nieder, daß sie
den Wandelnden mit seiner Last oft und oft den Weg versperrten. Der
Wolfswald ist eine unwirthliche Gegend, die Leute gehen nicht gerne
durch denselben in solchen Stunden. Nur der Arzt von Dernau, der fast
täglich in’s Hochdorfer Armenhaus jenseits des Waldes muß, hat den
nächtlichen Ritt schon unzählige Male gemacht; freilich das, wie heute,
ist ihm früher noch nie begegnet.

Der Arzt stand oft still und stellte seine Last auf einen Baumstock,
dann trocknete er sich die Stirne. Es war ihm heiß trotz des eisigen
Schneewehens.

„Ihr richtet Euch zugrunde!“ sagte Martin einmal leise, „lehnt mich da
unter die Tanne und wenn Ihr nach Hochdorf kommt, so schickt mir ein
paar Männer herüber, ich werde derweilen nicht erfrieren.“

„Martin, da würdest Du sehr krank werden!“ entgegnete der Arzt und
schleppte seine Last weiter und weiter. Er zwang und kämpfte sich über
Gestock, Gefälle und zusammengewehten Schnee und erreichte endlich die
Lichtung, wo die Felder beginnen.

Und als er über die Felder hinschritt, da wurde es im östlichen
Gewölke lichtgrau und auf dem Boden, wo der Wind den Schnee weggefegt
hatte, sah man immer deutlicher die Steine und Halme. Und wenn Wind
und Schneewehen für Augenblicke ruhig waren, so konnte man vor sich
im Thale einzelne Lichter sehen und das Geklapper des Korndreschens
vernehmen.

Als der Arzt gegen das Dorf kam, begegneten ihm Männer mit Aexten und
Sägen.

„Grüß Gott, Doctor! heut’ zu Fuß?“ sagten Einige und hoben ein wenig
ihre hohen Filzhüte.

„Dank Euch Gott!“ entgegnete der Mann, „geht schon in’s Holz?“

„’s wird wohl sein. Du heiliger Josef, was schleppt Ihr denn auf Euerem
Rücken daher?“

„’s ist ein Kranker aus dem Walde,“ sagte der Arzt und schritt langsam
weiter.

Warum hat er’s den Leuten nicht alles erzählt, daß sie den Räuber
verfolgt hätten? -- Der Mann kannte sein Pferd.

Im Dorfe selbst begegnete ihm Niemand. In einigen Bauernhäusern hatte
man Licht in der Stube, in anderen war es dunkel. Hie und da krähte ein
Hahn.

Der Wind hatte nachgelassen, aber Schneeflocken fielen nieder und
legten sich dicht und dichter auf die Strohdächer auf alle Pfähle,
Brunnentröge und Zaunstangen. Und was sich an den Rücken des mühsam
einherschreitenden Mannes schmiegte -- kaum war es unter dem Schnee
mehr zu erkennen, was es war.

Endlich, gegen Ende des Dorfes, etwas abseits vom Weg, stand ein altes
Gebäude aus Stein mit Erker und Thürmchen. Das Dach stand an einzelnen
Stellen weit hervor, die Fenster waren groß, aber vergittert. Ueber
dem weiten, doch geschlossenen Thor an der Mauer war ein Gemälde, den
barmherzigen Samariter darstellend, wie er den unter Straßenräuber
gefallenen Mann auf die Schulter ladet.

Diesem Hause ging der Arzt zu und zog am Eingange die Glockenstange.

Bald öffnete sich das Thor und die Schließerin, ein altes Mütterchen,
streckte dem Ankömmling die Hand entgegen: „Gott sei Dank, weil Ihr
doch endlich nur da seid!“

„Gibt’s was?“

„Ach sonst nichts, aber --“

„Was macht die Kranke?“

„Mein, die ist rechtschaffen passabel, seit Mitternacht hat sie einen
guten Schlaf; aber Ihr, was ist Euch denn geschehen? Nein, dieser
Schreck, da kommt das Roß allein...“

„Das Roß? Mein Pferd ist gekommen?“

„Jesus Christus, wer hockt Euch denn auf dem Nacken, Doctor?“

„Laßt mich nur erst in die warme Stube und richtet Eis,“ sagte der Arzt.

Jetzt kamen auch andere Leute herbei, Männer, Frauen, theilweise in
Binden und an Krücken. Alle schrieen: „Nu schaut’s, da ist er ja; Gott
sei Lob und Preis, weil er nur da ist!“ --

Und als der Mann im Zimmer war, ließ er seine Last auf ein Ledersofa
gleiten und sagte: „So, Martin, jetzt sind wir daheim. Schau, für
dieses Haus hast Du mir oft die Wurzeln und Kräuter gesammelt. Wie ist
Dir, hast Du großen Schmerz?“

Martin zitterte und der Arzt nahm ihm den schneeigen Mantel und die
nasse Zwilchjacke ab, dann rief er in ein Nebenzimmer, daß man frische
Decken und ein Glas Wasser bringe.

„Aber,“ murmelte Martin, „das war doch ein höllischer Lump! Meinen Rock
hat er auch!“ Dann nahm er einen Schluck Wasser.

Später sagte er zum Arzt: „Da habt Ihr mich jetzt so weit hergetragen
und seid doch um zwanzig Jahr’ älter als ich.“

Und der Morgen, der durch die Fenster strahlte, zeigte es, der Arzt
hatte viele graue Haare auf dem Haupte und im Vollbart; sein Gesicht
war etwas durchfurcht und sehr gebräunt, und wenn er sprach oder
lächelte, so lag auf demselben ein Zug -- eigen und merkwürdig -- eine
wunderbare Handschrift der Seele. Die Gestalt des Mannes war groß und
trug ein bequemes Winterkleid aus grauem Loden. Der Nacken war etwas
gebeugt -- wohl noch von der Last, die er in’s Asyl getragen! --

Im hohen, geräumigen, etwas alterthümlich eingerichteten Zimmer
stand ein brauner Kasten. Diesen öffnete nun der Arzt und zog eine
Lade heraus, in welcher viele Instrumente aus Messing und Stahl und
verschiedene andere Gegenstände waren. Dann verlangte er von den
zu- und abgehenden Personen noch dies und das und nahm hierauf dem
Wurzelgraber die Binde ab, schnitt das Beinkleid auf und untersuchte,
wie es mit dem Fuße aussah, welche Verheerungen sein Schrotschuß
angerichtet hatte.

„Drei Körner stecken d’rin, Martin, aber wir werden sie schon heraus
kriegen; ein wenig schmerzen wird’s wohl, aber ’s ist gleich vorüber.“

„Schmerzen, meint der Herr? Nein, wenn ich an Anderes denke, schmerzt
sonst gar nichts. Ich thu’ Euch’s nur früher erzählen, wie’s gekommen
ist, Doctor!“

„Hernach, hernach, lieber Freund, jetzt ist hohe Zeit, daß wir daran
gehen.“

„Werdet das wohl selbst am besten verstehen, aber wenn’s nun so gäh mit
mir sollt’ gar werden! -- Ich will’s doch früher erzählen.“

„Wirst mir noch Alles erzählen, Martin, aber jetzt mußt Du ruhig sein.“

„So glaubt mir doch, daß ich Euch nicht angefallen hab’. Ich weiß gar
nicht, wie das gewesen ist.“

Der Arzt reichte dem Wurzelgraber die Hand, dann begann er die
Operation.

Sie war lang und mühvoll. Martin klammerte seine linke Hand krampfhaft
an die Lehne des Sofas und die rechte hatte sich tief in seine Locken
eingegraben. So lag er da, starr und ruhig -- er bebte nicht, er klagte
nicht; nur einmal, als das Eisen im Beine krachte, zuckten seine
Lippen, aber dann drückte er sie fest zusammen, bis Alles vorüber war
und der Arzt sagte: „Jetzt, mein Lieber, wird’s gewonnen sein; hast
Dich brav dabei gehalten. Jetzt wirst Du eine Suppe essen und dann
schau, daß Du einschlafen kannst, bis Mittag komm’ ich wieder zu Dir.“

Nach diesen Worten ging er und schrieb einen Brief an das Kreisgericht,
den er sogleich durch einen eigenen Boten absandte.

       *       *       *       *       *

„Schläft sie immer noch?“ fragte später der Doctor.

„Vor einer halben Stunde hat sie die Augen aufgeschlagen und nach Euch
gefragt,“ berichtete die Wärterin, „seitdem schläft sie wieder. Aber
jetzt sagt uns doch, das Roß hat Euch wohl abgeworfen? Gerade wie der
Tag anbricht, kommt es allein in den Hof, es ist halb wild und der
Peter mag’s völlig nicht in den Sattel bringen.“

Sofort erzählte der Doctor, wie er gestern im Laufe des Nachmittags
dringende Krankenbesuche gehabt habe, wie er erst am Abend nach
Dernau kam, dort ein paar Stunden ruhte, und wie er gegen Mitternacht
aufbrach, um nach Hochdorf zu reiten, der Kranken wegen, die in der
Krisis liegt. -- Wie er nun im Schneesturm, fest in den Mantel gehüllt,
durch den Wolfswald so dahin traben läßt, dabei schier einschlummert,
bleibt das Pferd plötzlich stehen und er wird nach rückwärts zu Boden
gerissen. Noch schießt er sein Pistol gegen eine Gestalt ab, aber
schon drückt ihn ein Mann fest in den Schnee, entreißt ihm die Börse
und die Uhr und flieht mit dem Pferde davon. Erst jetzt gewahrt der
Beraubte den Verwundeten, den Martin, der vor einiger Zeit wegen einer
sonderbaren Geschichte in den Arrest kam. Wie das zusammenhängt und wie
der arme Bursche in die Hände von Spitzbuben gefallen ist, das müsse
sich erst aufklären.

So erzählte der Doctor und dann ließ er mehrere Bauern von Hochdorf
entbieten, in den Wolfswald zu gehen und die Gegend zu durchsuchen.

Im ersten Stock des alten Hauses war eine große Stube mit vielen
Schränken und Betten und zwei grünen Kachelöfen, in welchen es recht
lebendig knisterte.

Die Betten waren einfach, aber sehr reinlich und zu dieser Morgenstunde
alle bereits geschichtet. Neben den Betten auf Lederstühlen saßen alte,
krüppelhafte Männer und Weiber und sie sprachen leise zusammen und
Jedes hatte eine kleine Beschäftigung.

Ein einziges Bett an einer Ecke war mit einer weißen Blache verhangen,
daneben stand ein Tisch mit Tassen und Fläschchen.

In diese Stube ging nun der Doctor, nachdem er unten eine Fleischbrühe
zu sich genommen hatte.

Wie er eintrat, humpelten Alle von ihren Plätzen herbei und gaben ihm
die Hand. Er drückte jede und sprach freundliche Worte. Dann ging er
zum Bett, das mit einer Blache verhangen war.

Langsam zog er diese seitwärts.

Im Bette lag ein Mädchen. Es lag da wie eine Leiche, eine Hand über der
Brust, bleich das junge, liebliche Antlitz, mit geschlossenen Augen und
losen, reichen Haaren. Das Mädchen, wie es dalag im Dunkeln, war schön
wie eine weiße Blume in der Waldschlucht -- wie eine Mondnacht.

Lange hielt der Doctor den Vorhang seitwärts und sah hin, und endlich
beugte er sich langsam nieder zur Schlummernden, zu ihrem Mund, um zu
fühlen, ob sie athme.

Und sie athmete.

Jetzt faßte er sanft ihre Hand und jetzt bewegte sich diese und das
Mädchen schlug halb die Augen auf.

„Nothburga, hast Du jetzt geschlafen?“ sagte der Mann leise.

„Ah,“ hauchte die Kranke überrascht, „jetzt seid Ihr doch wieder da.
Nein, ich hab’ nur so geträumt, -- es kommt mir immer noch vor, ich
seh’ ihn liegen mit der großen Wunde.“

„Ich werde Dir eine Schale Mandelmilch reichen, das beruhigt; schau, Du
wirst jetzt bald wieder gesund sein.“

Nothburga richtete sich mit Hilfe des Arztes auf und trank einige
Tropfen von der Mandelmilch. Dann blickte sie den Mann treuherzig an
und sagte: „Und jetzt hätt’ ich Euch wohl wieder gern gebeten, daß Ihr
Zither spielt.“

Der Doctor lächelte. Sogleich lächelte die Kranke auch, denn sein
Lächeln war für die Menschen immer das, was ein Sonnenstrahl für die
Veilchen ist.

„Ja, wenn ich Dir, liebes Kind, damit eine Freude mach’, so werde ich
spielen. Mutter Anna, Ihr holt mir wohl gerne die Zither von meiner
Stube, sie hängt neben dem Bücherschrank; der Schlüssel steckt an der
Thür.“

Und ein altes Mütterlein, das nur die rechte Hand hatte -- die linke
nahm ihm vor Jahren der Doctor ab -- humpelte jetzt fort und kam bald
wieder mit dem Instrument zurück.

Auch alle Anderen waren leise herbeigekommen und stellten sich um
das Bett und das Tischchen, an dem nun der Doctor saß und die Saiten
stimmte.

Endlich tönten diese zusammen in harmonischem Vielklang, und als ein
Liedchen zu Ende war, fragte der Mann etwas schalkhaft: „Gefällt das
der Nothburga?“

Die Kranke lächelte und er spielte weiter.

Aber plötzlich brach er das Spiel wieder ab und heiter zu den alten
Männern und Frauen gewendet, sagte er: „Was thätet Ihr sagen, wenn die
Nothburga Frau Doctorin würde?“

Da lachten sie Alle und meinten: „Der Nothburga wäre das schon zu
gönnen.“

„Ei, das wäre wohl kein Glück für die Nothburga. Ich bin ein Vierziger
und bin grau und griesgrämig; ich gehöre hin, wo die Krankheit ist,
und Nothburga blüht erst auf und gehört zum Leben. ’s wird schon Einer
kommen, der das mitbringt, werde nur erst gesund, Nothburga!“

„Ach, so lang’ ich ihn noch liegen seh’ mit der großen Wunde,“
entgegnete das Mädchen leise und langsam, „und so lange sie den Martin
nicht wieder zurückgeben und sagen: er ist unschuldig, so lang’ kann
ich nicht mehr gesund sein.“

Der Doctor griff wieder in die Saiten, sang ein heiteres Lied und einen
Jodler dazu, so recht derb und lustig, daß die Weiber sagten: „Na, und
jetzt ist er wieder wie ein Bauernbursch oben im Gebirg.“

Nur das Ende war nicht so. Das letzte Ausklingen eines Jodlers hat ein
so eigenartig, innig Lustiges, daß es nur der geborene Aelpler recht
hervorsprudeln und austrillern kann; ein Anderer kann es nicht, das
letzte Ausklingen gelingt ihm nicht.

Endlich erhob sich der Doctor und sagte zu Nothburga: „Und jetzt muß
ich ein wenig arbeiten; die Josefa bleibt bei Dir. Bevor ich fort nach
Dernau geh’, komm ich schon noch einmal. Wenn Du dann endlich etwas
stärker bist, werde ich Dir was Lustiges sagen. Die Mutter Anna trägt
mir wohl wieder die Zither auf meine Stube?“

Dann ging er, um sich nach Martin umzusehen.

Als er die Treppe hinabstieg, eilte ihm schon die Schließerin entgegen:
„Ach, man meint, man findet Euch gar nicht, Herr, kommt doch gleich
hinab in den Hof, sie haben einen Todten gebracht!“

Und als der Doctor hinab kam in den Hof, da standen unter einem Vordach
Leute, die lebhaft miteinander sprachen und Alle nach einem Fleck
hinsahen.

Dort, auf zwei ineinander geflochtenen Baumästen lag der Todte. Es war
das Leichentuch noch darauf, das der Wald und der Winter ihm geschenkt
hatte; man wollte nichts an der Leiche anrühren, nicht einmal den
Schnee herabfegen, so lange nicht der Arzt kam.

Als dieser nun dastand, traten drei Bauernbursche, wie sie ihm am
Morgen im Walde begegnet waren, heran und sagten: „Haben heut’ einen
traurigen Fund gemacht!“

„Wir sammeln dürres Gefälle zu Brennholz,“ erzählte einer der Burschen,
„und waten so im Schnee herum. Sagt auf einmal der Georg -- Du, sagt
er, da liegt auch ein nutzes (beträchtliches) Stück, das müssen wir
heraus ziehen. Und wie er den Haken in den Schnee haut, sagt er: Das
ist ja gar kein Holz! -- Nein sag’ ich, was wird’s denn sonst sein?
und hau auch in den Schnee. Jesus, schreit d’rauf der Georg, eine
Menschenhand! und -- ’s war nicht anders. Rechtschaffen g’schreckt
hat’s uns und wir haben Keiner wollen angreifen. Sagt noch der Poldl:
Ziehen wir ihn nur in Gottesnamen heraus, muß halt erfroren sein;
zuletzt ist er gar nicht todt, er ist noch völlig weich. Und so haben
wir ihn aus dem Schnee gezogen, haben ihm gleich Schuh’ und Strümpf’
herab gerissen und die Füße gerieben. Und wir haben ihn gerüttelt und
noch stärker gerieben -- nein, was wir gearbeitet haben! Aber ’s war
halt aus und vorbei. ’s ist ein wildfremder Mensch, wohin sollen wir
ihn denn tragen als in’s Armenhaus? Wir haben noch gerathen und hin und
her geredet; der Doctor ist heut’ dort, haben wir gesagt, und der wird
schon wissen, was zu machen ist. Ein rechtschaffen trauriges Geschäft!
-- Und da haben wir ihn jetzt.“

Sofort besichtigte der Doctor die Leiche. Es war ein junger Mann mit
langen blonden Locken. Augen und Mund waren halb offen, von dem linken
Mundwinkel über die Wange war eine röthlich braune Eiskruste -- der
Verunglückte mußte aus dem Mund geblutet haben. Hände und Füße waren
blau angelaufen. Das Beinkleid war von grauer Leinwand, der Rock aus
Loden. Um den Hals hing der Leiche eine Sackuhr mit zerbrochenem Glase.

Ohne ein Wort zu sagen, löste der Doctor die Uhr ab und legte sie
nebenhin auf ein Brett. Dann untersuchte er Schädel und Hals.

„Erfroren ist der Mann nicht,“ sagte er, „es zeigt auf einen Fall, es
ist das Genick gebrochen.“

„Du ewiger Heiland!“ schrie die Beschließerin plötzlich, „Doctor, das
ist ja Euere Uhr und der ist gewiß Euer Räuber!“

„Mag wohl sein,“ sagte der Mann ruhig, „tragt jetzt die Leiche in die
Todtenkammer, alles Andere werde ich schon besorgen. Den Gotteslohn für
das Hertragen aber müßt Ihr Euch wohl beim Gericht holen.“

Und die Bursche hoben die Leiche und trugen sie in die Todtenkammer.

Der Arzt ging in das Zimmer, wo Martin war. Dieser lag in mehrere
Decken eingehüllt auf dem Ledersofa und schlief.

Der Doctor stand sehr lange vor dem Schlafenden und sah ihn an. --
Beide, die noch vor wenigen Stunden gemeinsam auf Verbrecherpfaden
wandelten, schlafen nun. Beide sind gerichtet. Der Eine wird nicht mehr
erwachen; sein Staub, der den Menschen einst Uebles gethan, wird Blumen
und Rosen bringen. -- Der Andere wird wieder erwachen zu seinem alten,
elenden Leben, und sein Leben wird noch elender sein, als bisher.
Elend am Geist, ist er nun auch elend am Körper -- elend zum Erbarmen,
unglücklich und immer unglücklich, bis zum Sterben. Und hat er nicht
das Recht zu einem hellen, freudigen Leben wie jeder Andere? --

Langsam schritt der Doctor über die Treppe, ging in seine Stube und
schloß sich ein. Zitternd klangen die Saiten in das Gemüth des Mannes:

    Ihr führt in’s Leben ihn hinein,
    Ihr laßt den Armen schuldig werden.
    Dann übergebt ihr ihn der Pein...

Der Mann sah durch das Fenster hinaus in den Wintersturm. Das ist die
Erde. -- -- --

-- -- -- Und Nothburga ist so jung und schön, sie ist eines besseren
Schicksals würdig. Und Martin ist ein Narr, er sucht das Reich Gottes
unter den Menschen. Noch ist er jung -- in seinem ferneren Leben
wird er’s immer mehr einsehen, daß er vergebens gesucht, daß sein
Jugendstreben eitle That eines Träumenden war, daß sein Leben ein
verlorenes ist. Allen Halt einer Erziehung und geregelten Ausbildung
entbehrend, wird er mit sich und Allem zerfallen. Das empfindsame,
weiche Gemüth, sonst die erste Bedingung eines guten Menschen,
wird diesem Manne zum materiellen und moralischen Verderben, denn
es hat von seiner Umgebung doppelt tief die Eindrücke fanatischer,
vorurtheilsvoller Gebilde aufgenommen, das Gegengewicht aber, eine
freie, planmäßige Ausbildung entbehren müssen. -- So ist er das
geworden, was er ist, ein edles Wollen ohne Plan, eine redliche Seele
im Wahn, eine Kraft auf falscher Bahn. -- Zu sehr befangen in sich,
wird alle äußere Einwirkung auf ihn erfolglos bleiben -- er fährt einen
seltenen Weg, aber er fährt rasch und rettungslos in’s Verderben. -- ’s
wär’ ein Glück für ihn, wenn’s aus wär’. -- --

An diese Gedanken des Doctors reihten sich noch andere, schwerere,
dunklere -- endlich fuhr er rasch in die Saiten der Zither. Dann
öffnete er einen Fensterflügel und ließ eisige Luft herein strömen.
Eine große Schneeflocke fiel auf die Saiten und löste sich langsam und
sanft auf dem klingenden Tonbrett...

       *       *       *       *       *

Der Doctor schrieb Briefe an das Bezirksamt und das Kreisgericht. Dann
ging er in seine Apotheke, die neben der Bücherstube war, und arbeitete
eine Zeit.

Als es Mittag wurde, stieg er hinab zur Stube Martin’s. Dieser saß
bereits auf seinem Lager und blickte wirr und verloren umher.

„Hab’ schier nicht gewußt, wo ich bin,“ sagte er zum Doctor und
lächelte ein wenig. „Es ist mir gewesen, als hätt’ ich es schon
gefunden; ich hab’ immer zu hoch geschaut, wo die Blumen sind und wo
die Menschen lachen und weinen. Aber es liegt tiefer, Herr, es liegt
tiefer, es liegt dort, wo die Blumen ihre Wurzeln haben. -- Da schaut
nur, ich liege unten, aus meiner Brust schlägt ein Keim hervor und
dieser wächst herauf. Da wird er grün und weiß und roth und mitten im
Kelche liegt ein Samenkorn. Da kommt ein Vöglein und dieses trägt das
Samenkorn hinaus zu den Menschen; diese lachen und werfen es unter das
Gestein. Aus dem Gestein wächst nach tausend Jahren ein Kraut, und das
ist das Kraut für das Menschenglück. -- In meinem Leben hab’ ich nicht
so wunderlich geträumt! Wenn’s wahr wär’ und wenn’s halt doch wahr
wär’, so möcht’ ich Euch wohl bitten, laßt mich hinab legen!“

Der Arzt faßte die linke Hand Martin’s und forschte nach dem Blutlauf,
dann ließ er dem Kranken ein kühlendes Getränk bringen.

Später untersuchte er das wunde Bein, es war in Ordnung. Dann als
Martin ganz wach und ruhig geworden war, sagte der Doctor: „Nun,
Martin, magst Du mir erzählen, wie Dir’s bei Gericht ergangen ist und
wie Du in den Wald und vor meinen Schuß kamst?“

Das Leben des Wurzelgrabers bis zu jenem Kirchweihfeste war dem Doctor
bekannt; Martin erzählte also sein Schicksal von seiner Gefangennahme
durch die Holzknechte bis zur Stunde, wo er veranlaßt durch den Fremden
im Walde in der Absicht, den Reiter vor dem Erfrieren zu retten, das
Pferd anhielt.

Sein Erzählen war ziemlich zusammenhängend und ruhig, und als er damit
zu Ende war, sagte er heiter: „So und nicht anders war’s, und jetzt
mein’ ich, ist mein Fuß auch gut.“

Der Doctor war nachdenkend. ’s ist auch nicht begreiflich, warum man
Dem Bleikörner in das Bein jagen muß, der Einem das Leben retten will?

„Ich werde jetzt nach Dernau gehen, komme aber morgen wieder, um zu
sehen, wie es Dir geht,“ sagte der Arzt, „sei schön ruhig und thue so,
wie es die Pflegerin verlangt, dann wirst Du bald gesund sein, und wenn
Du gesund bist, so werden wir zusammen vielleicht einmal was Fröhliches
erleben.“

„Ich hätt’ Euch wohl noch um was bitten mögen, Doctor!“

„So sag’s nur gleich, Martin, sei zu mir ganz offen.“

„-- Da hab’ ich auf der Kirchweih mit einem Mädl getanzt -- Nothburga
heißt es, und ich kenn’ es schon länger, es war die Schwester von
Dem, den sie auf der Kirchweih erschlagen haben. Nothburga wird gewiß
glauben, ich bin noch im Gefängniß und ich bin wirklich so schlecht,
weil sie mich in’s Gefängniß geworfen haben. Wir haben sonst gar nichts
miteinander, ich und die Nothburga, aber ich mag nicht, daß sie so
schlecht von mir denkt, und da hab’ ich Euch halt bitten wollen, daß
Ihr ein paar Zeilen für mich an die Nothburga schreibt; sie wohnt oben
im Freiwaldgraben beim Wegmacher Hans, der ihr Vater ist.“

Der Doctor versprach, das zu besorgen, und verließ dann den Kranken.

Noch ging er in den Saal hinauf, wo viele Betten standen, und zu
Nothburga. Sie lag ruhig auf ihrem Polster und hatte ein Gebetbuch in
der Hand.

„Ich werde jetzt fortgehen und erst morgen am späten Mittag
wiederkommen; sei immer hübsch ruhig, Nothburga, und thue, wie es die
Pflegerin verlangt.“ Das sagte der Doctor noch zum Mädchen, faßte milde
dessen linke Hand und hielt sie lange in der seinen, um den Blutlauf zu
beobachten.

Dann gab er der Pflegerin, der Schließerin und Anderen Befehle über das
ganze Hauswesen, besonders nachdrückliche über den Wurzelgraber und die
Nothburga.

„Sollen diese hier genesen,“ sagte er, „so darf Eines von dem Andern
vorläufig nichts wissen!“

So bestieg der Doctor seinen Braunen und ritt durch das Dorf. Das
Schneien hatte aufgehört, Nebel lag über der ganzen, winterlichen
Landschaft.

Der Doctor ritt nicht mehr durch den Wolfswald -- dort waren ja
alle Pfade verschneit und verweht -- sondern er machte einen Umweg
die Fahrstraße entlang. Diese war einsam und öde; nur dann und wann
begegnete ihm ein Holzkarren, sonst wollte heute Niemand fahren.

Der Doctor ließ das Pferd langsam hintraben, hüllte sich dicht in
seinen weiten Mantel und hing seinen Gedanken nach.

Seine Gedanken waren im Armenhaus zu Hochdorf, in seiner einsamen Stube
zu Dernau und bei seinen Kranken in den zerstreuten Bauerngehöften im
Gebirge, dann wieder waren sie draußen in der großen Welt und weit
zurück in den längst entflohenen Jahren seiner Jugend.

       *       *       *       *       *

Das Geschlecht der Grafen Preisheim war alt und berühmt, es hatte viel
für das Vaterland geleistet. Als aber die große Zeit der deutschen
Befreiungskriege kam, da konnte das Geschlecht seinen Mann nicht
stellen; es war Niemand mehr davon da als ein achtzigjähriger Greis und
dessen Enkel, ein Knabe mit goldigen Locken. Der Knabe war sehr kräftig
und aufgeweckt und eines Tages nahm er das Schwert seiner Väter und
wollte fort in den Krieg. Sein Großvater aber sagte: „Bleibe, Ludwig,
Du bist noch ein Kind! Bis Du groß geworden sein wirst, werden schon
noch andere Zeiten kommen, daß Du dem Vaterlande nützen kannst, bis
dahin will ich Dich dazu erziehen.“

Der Knabe hing das Schwert in dem Waffensaale wieder auf, und dort hing
es viele Jahre -- Ludwig nahm es nicht mehr herab.

Bis in das zwölfte Jahr blieb Ludwig in dem Schlosse seiner Väter und
genoß die Erziehung des Großvaters, dann ging er in eine ferne Stadt
und lernte die Weltweisheit, die in den Büchern steht.

Neben ihm auf den Schulbänken saßen auch noch viele andere junge
Menschen, die dasselbe lernten, aber von geringerer Abstammung waren
als er. Nur noch Einer saß in der Schule, der sich Freiherr nennen ließ.

Als Ludwig vierzehn Jahre alt war, erhielt er von seinem Großvater
einen Brief, in welchem folgende Worte standen: „Mein geliebter
Enkel! Die schweren Kriegszeiten haben unser Vermögen zerrüttet und
den größten Theil desselben verschlungen. Lerne mit Fleiß und Ernst,
daß Du im Stande bist, durch Dich selbst was zu werden. Dein treuer
Großvater.“ --

Ludwig las den Brief, legte ihn dann in sein Schreibfach und studirte.

Ein Jahr später kam wieder ein Brief und dieser enthielt folgende
Kunde: „An Seine Edelgeboren, den Grafen Ludwig Preisheim. Mir obliegt
die traurige Pflicht, Ihnen den Tod Ihres Großvaters, des Herrn Grafen
Roderich Preisheim anzuzeigen. Derselbe entschlief gestern nach einem
kurzen Krankenlager selig in dem Herrn. P. Johannes, Pfarrer.“

Ludwig las den Brief, stützte lange den Kopf auf seine Hand, legte das
Papier in sein Schreibfach und rüstete sich zur Abreise.

Als er nach Tagen heimkam in seine Vaterburg, ging er in das Zimmer
seines Großvaters, sah den Stuhl an, wo er oft gesessen, und das Bett,
in welchem er gestorben war. Dann ging er auf den Kirchhof, wo die
Ahnengruft war, dort kniete er lange auf dem breiten Stein.

Dann entließ er alle Leute, die im Schlosse waren, verkaufte dasselbe
und deckte die auf dem Gute liegenden Verpflichtungen. Weit drin im
Gebirge besaßen die Preisheimer noch ein kleines, altes Schloß mit
einigen Grundstücken; das verkaufte Ludwig nicht, sondern stellte einen
Verwalter in dasselbe.

Als nun Alles so geschlichtet war, reiste Ludwig wieder in die ferne
Stadt und studirte. Er wählte sich die Naturwissenschaften und die
Medicin.

Zeit und Zeit ging nun ruhig dahin und wenn die Ferien kamen, lud er
immer einen oder den andern seiner Collegen ein, mit ihm in die Gegend
zu reisen, wo das Schloß stand.

Als Ludwig in das achtzehnte Jahr ging, da trug sich mit ihm was zu,
was sich mit allen Studenten zuträgt, wenn sie in das achtzehnte Jahr
gehen.

Er verliebte sich.

Und gerade um dieselbe Zeit verliebte sich auch der Freiherr, der mit
Ludwig in einer Classe saß. Beide suchten in den freien Stunden einsame
Wege, dachten an ihre Herzenskönigin und besangen sie durch selbst
erfundene Verse.

Auf solchen Wegen trafen die beiden Jünglinge einmal zusammen,
gestanden einander, daß sie liebten, und schlossen als Schicksalsbrüder
engere Freundschaft. Aber diese Freundschaft war von kurzer Dauer,
bald klärte es sich auf, daß die Mädchen, welche sie liebten, zusammen
nur ~ein~ Herz hatten und daß dieses Herz einer Gärtnerstochter
gehörte, die sehr schön war.

Als sich dieses aufgeklärt hatte, trat der Freiherr hin vor Ludwig und
sagte: „Wir wollen uns duelliren!“

Darauf entgegnete Ludwig: „Wenn das Dein Ernst ist, so bist Du ein
Narr, wie Alle, denen derlei Ernst ist. Das Mädchen selbst soll sagen,
ob es Einen von uns nehmen mag, und welchen; demgemäß wollen wir dann
ruhig handeln.“

Auf diese Worte schrie der Freiherr: „Graf Ludwig, Du bist ein
Feigling!“ Da der Graf von sehr schöner Gestalt und allerorts beliebt
war, so glaubte der Baron voraussehen zu können, daß das Mädchen
denselben ihm vorziehen würde.

Von dieser Zeit an mußte Ludwig immer allein gehen. Seine Collegen
wollten nichts mit ihm zu thun haben, sie grüßten ihn kaum auf der
Gasse, in Gelagen stieß Keiner mit ihm an und auf der Bank des
Lehrsaales, wo er saß, saß sonst Keiner, als er. „Ein gräflich Blut und
solche Feigheit!“ flüsterten sich die Jungen hinter seinem Rücken zu.

Das that dem Jungen weh, weil die Collegen ihn mieden und sein gräflich
Blut beschimpften und weil er die Gesellschaft bedauerte, die von
derlei falschen Grundsätzen noch so allgemein beherrscht wurde, die
aber die gebildete und maßgebende heißen wollte und von der er lernen
sollte. -- Was der Bauer im Jähzorn thut und nach eingetretener
Nüchternheit bereut, thut der Duellirende in kalter Ueberlegung und
mehr noch -- weil er glaubt, sein gegebenes Ehrenwort rufe ihn, schießt
er todt. Ehrenhalber wird Einer wegen nichtsbedeutender Albernheiten
der Flegeljahre zum Krüppel gemacht oder zu Tode geschossen.

Dergleichen dachte unser junger Gelehrter oft und oft und dergleichen
gab ihm nach und nach eine andere Richtung.

Er sonderte sich immer mehr und mehr von dem Menschenkreis, in
dem er lebte, und begann mit demselben zu zerfallen. Er widmete
sich ausschließlich seinen Studien und als sich aus denselben ein
vorzügliches Resultat ergab, kam er zum Entschluß, seinen Wirkungskreis
als Mensch und Staatsbürger auf ein Feld zu stellen, das unbeleckt von
der Aftercultur, einen dankbaren Boden für würdige Mannesthaten bietet.

Wohl nahm er nach seinen vollendeten Studien in einem großen Lazareth
der Stadt eine Assistentenstelle an, erwarb den Doctortitel, lebte
im Allgemeinen aber abgeschlossen ganz seinen wissenschaftlichen
Forschungen und den Nothleidenden.

Da stand aber gegenüber dem Armen- und Siechenhaus ein großes Palais,
in welchem tagtäglich glänzende Mahlzeiten, Bälle, Ballete, Concerte u.
s. w. wechselten und die reiche, moderne Welt ihre Orgien feierte.

Die Gegenüberstellung dieser beiden Häuser verleitete unseren jungen
Doctor zum Nachdenken und zu Reflexionen, die für ihn quälend waren.

So wahr und ernst die Aufopferung des jungen Arztes für die leidende
Menschheit war, so dachte er doch endlich auch an sich selbst, wie sich
seine Zukunft gestalten müsse, daß sein Leben und Wirken auch zu seinem
eigenen Wohle werden könnte.

-- Für dich, du Schwärmer -- sagte er dann oft in Gedanken zu sich
selbst -- wäre eine Dorfgemeinde recht, draußen in irgend einem
Bergwinkel bei einfachen Landleuten. Da könntest du ruhig leben,
der Menschen Freund sein und sie dir zu Freunden machen, und da
würdest du in Einheit mit der Natur dein Leben und Können und Wissen
vervollständigen. Den Grafen ließest du hübsch hier in der Stadt, nur
den Menschen nähmest du mit. Man meint, es müßte ja gehen! --

Und es ging.

Eine Zeitung brachte die Nachricht, daß in Dernau, einem großen Dorfe
am Fuße der Alpen, eine Chirurgenstelle zu besetzen sei. Preisheim
reiste in die Gegend, in welcher auch das Schloß lag, das ihm von den
großen Besitzungen seiner Ahnen geblieben war, bewarb sich um die
Stelle in Dernau, erhielt sie und zog nach wenigen Wochen für immer
fort von der großen Stadt und gründete sein Haus und Heim unter den
Bauern am Fuße der Alpen.

So lebte er nun in seinem kleinen Hause und in den ersten Jahren
hatte er sehr viel Zeit zum Studiren. Es kam selten Jemand, der ihn
zu einem Kranken holte; die Leute gingen lieber zu Winkelärzten und
Curpfuschern, wie sie in der Gegend lebten, als zum fremden Doctor aus
der Stadt, der immer einen schwarzen Rock anhatte.

Als aber die Zeit kam, in welcher der schwarze Rock seine Dienste nicht
mehr versehen konnte, ersetzte ihn der Doctor durch einen grauen, wie
ihn die Bauern und die Winkelärzte trugen.

Jetzt erst kamen sie -- zuerst für einen Kranken, der von anderen
Aerzten aufgegeben war, und als dieser genaß, auch für andere; bald
wurde er zu Lungenentzündungen und zum Typhus gerufen. Und Preisheim
hatte Glück; den Kranken gewann er das Vertrauen ab und den Gesunden
die Herzen. Er war sehr gewissenhaft; er gab nicht allein den Kranken
die Mittel, zu gesunden, sondern auch den Gesunden, um nicht zu
erkranken. Freilich sagte der alte Todtengräber einmal, als ihm der
Doctor einen heilsamen Trank gegen das Fieber zu bereiten lehrte: „Ja,
da bringt sich ja der Herr selbst um’s Brot!“

Aber der Herr hatte immer ein’s zu essen; für Zwei hätte es auch noch
ausgelangt, aber der Mann schien ganz darauf zu vergessen. -- Ja,
vielleicht wenn jene Gärtnerstochter da gewesen wäre! Unmittelbar vor
seiner Abreise aus der Stadt hatte er sie noch einmal gesehen: wie er
aus dem Siechenhaus trat, trug man sie hinein. Der Freiherr hatte sie
geschickt. --

So klein und niedlich das Häuschen des Doctors war und so viel Arbeit
es gab im Garten, in der Studirstube, in der Apotheke, die sich der
Doctor selbst eingerichtet hatte, so schlug die Schwarzwälderuhr an
der Wand doch Stunden, in denen es ihn schmerzte, daß er allein war. Da
ging er wohl oft, die Hände auf dem Rücken, durch das Zimmer und dachte
so nach über sich und über den Weltgang, und endlich ging er gar in das
Stübchen seiner alten Haushälterin und sagte: „Hat die Barbara denn gar
keine Arbeit für mich? Wenn nicht, so spiel’ mir die Barbara ein wenig
was auf der Zither!“

Sie waren schon recht steif und ungelenk, die Finger der Alten, sie
hatten schon viel gefaßt und gegraben im Leben, darum sagte Barbara auf
des Doctors Bitte auch immer: „Mein’, das wird Euch aber gefallen, wenn
ich klimpere! Lernt es doch selbst, Euere Finger sind noch gelenkig
dazu.“

Und Doctor Preisheim lernte das Zitherspielen. Er spielte wohl die
Lieder der Bauern, die Jodler und Almer, aber er spielte sie anders;
er spielte schön, aber nicht ganz so lustig und frisch wie Andere im
Dorfe, die es konnten. Es ließ sich bei seiner Zither nicht recht
tanzen und aufjauchzen, man mußte zuhören, wie man dem Bachrauschen und
dem Waldsäuseln zuhört, wenn man auf der Au ruht und träumt. Es war
eigen beim Doctor, man sagte später, mit diesem Saitenspiel habe er
Todtkranke kerngesund und Kerngesunde todtkrank gemacht. --

Das Schloß des Doctors lag nur wenige Stunden von Dernau im Orte
Hochdorf. Der Mann ging öfters den Fahrweg, oder auch den Fußsteig
durch den Wolfswald nach Hochdorf und sah das alte Mauerwerk von außen
und von innen an. Außer dem Verwalter und einigen Dienstboten, welche
die dazu gehörigen Felder bearbeiteten, wohnte Niemand im Schlosse.
Düster und öde stand es da.

Der Doctor dachte oft nach, was damit anzufangen sei.

Ein Bauer wollte einen Theil des Gebäudes zu einer Heuscheune pachten,
aber der Doctor war nicht damit einverstanden. Der Bauer sagte noch:
„Nu, viel zu gut, mein’ ich, wär’ die Rumpelkammer just nicht dazu; es
gehen ohnehin die Geister drin um!“

Und richtig, kaum ein Jahr vorüber war, gingen im alten Schlosse die
Geister um -- mitsammt den Leibern.

Sie waren dem Doctor auf seinen Wegen und Stegen nur zu oft begegnet
mit ihren bleichen Gesichtern und hohlen Augen, zähnegeklappert hatten
sie in kalten Wintertagen und an düsteren Abenden huschten sie um die
Häuser herum und klopften an Thür und Fenster. Diesen Geistern hatte
der Doctor das Schloß einrichten lassen, und das Schloß hieß nicht mehr
Schloß, es hieß Armenhaus.

Da war ein Arbeitssaal und ein Schlafsaal und ein Speisesaal und eine
Erheiterungsstube, und es waren noch andere Räume, wie sie für ein
solches Haus nothwendig sind. Außerdem hatte sich der Doctor in der
neuen Anstalt ein Studirzimmer und eine Apotheke eingerichtet.

So kam er nun oft des Wegs von Dernau her und wenn ein Krankes im Hause
war, so kam er fast täglich.

Und nun, da der Doctor zwei Häuser hatte, mußte er auch zwei Zithern
haben; denn die Bewohner seines Schlosses schenkten ihm’s nicht. Da
kamen sie stets Alle um ihn herum und bestürmten ihn, daß er spiele;
die Greise und die Mütterlein baten wie die Kinder, bis die Saiten
klangen. Selbst der taube Josef, der nicht einen Ton hören konnte,
erbaute sich und war heiter, wenn er dem Spielenden und den Hörenden
zusah. „’s ist, wie wenn Ihr in der Kirche säßet,“ sagte er einmal, „so
fromm schaut Ihr Alle drein. Kann er denn keine Tanzmusik?“ --

In heiteren Sommertagen, wenn es die Kranken zuließen, ging der Doctor
gern in’s Gebirg.

Auf einer solchen Wanderung begegnete er einmal einem Knaben, der
Kräuter sammelte und sie in große Bündel zusammenschichtete.

„Was machst denn Du mit diesen Blumen und Wurzeln?“ fragte er den
Knaben.

„Die trag’ ich in die Stadt und verkaufe sie.“

„Willst Du sie nicht mir verkaufen? Ich bin der Arzt von Dernau.“

„Wohl, wenn Ihr der Arzt von Dernau seid, kann ich Euch die Kräuter
schon verkaufen, aber Ihr müßt mir gleich das Geld geben.“

„Das versteht sich ja, aber was machst Du denn mit dem Geld?“

„Ich muß allerlei kaufen, es liegt mein Vater krank daheim, er hat im
Finger den Brand.“

„Wie heißt Du denn?“

„Martin.“

„Nun, Martin, wenn Dein Vater nicht zu weit von hier ist, so will ich
mit Dir gehen und ihn heimsuchen.“

„Da thäten wir Euch wohl ein Vergeltsgott sagen,“ entgegnete der Knabe
gutmüthig, „aber mehr, als diese Kräuter kann ich Euch nicht dafür
geben.“

„Närrchen, für das Mitgehen wirst Du mir nichts geben, die Kräuter
zahl’ ich Dir schon.“

„Ja, was seid Ihr denn nachher für ein Arzt?“ rief der Kleine
verwundert aus, „der Roßhardl, der Salben und Mirakelpflaster macht,
hat für das Mitgehen zu meinem Vater zwei Gulden verlangt; aber wo thät
ich zwei Gulden nehmen?“

Unterwegs zur Hütte des Vaters sagte der Doctor: „Ich wüßte ein Haus,
Martin, in welchem Dein Vater bald gesund sein würde, und wenn es Euch
recht wäre, so ließ’ ich ihn in dasselbe bringen, es thät Euch keinen
Kreuzer kosten.“

„Und dürft’ ich auch mitgehen?“

„Ei freilich, bis er gesund wieder mit Dir in die Berge gehen könnte.“

„Herr Arzt!“ rief der Knabe treuherzig, „wenn Ihr uns das thätet, all
mein Leben brächt’ ich Euch die Wurzeln und Kräuter und ich thät keinen
Kreuzer von Euch nehmen -- he, steigt da nicht auf das Frauenhaar,
sonst bekommt Ihr Kopfweh!“

Der Knabe zog den Doctor, der eben im Begriffe war, auf Laubfarn zu
treten, bei dem Aermel seitwärts.

Endlich kamen sie zur Hütte. Als aber der Doctor den Mann sah, wie er
dalag auf dem kahlen Stroh in Armuth und Schmerzen, wie der kranke
Finger dunkelbraun und die ganze Hand mit Blut unterlaufen war und wie
es in der Brust des Armen zuckte und tobte, da sagte er nichts von dem
Fortbringen nach jenem Hause, da sagte er nur: „Recht viel neugemolkene
Milch trinken, guter Mann, recht viel Milch trinken! Und Du Martin,
bleib’ heut’ und morgen schön beim Vater und reiche ihm Labniß. Da hast
Du das Geld für den Kräuterbund.“

Dann saß er noch eine Zeit auf dem Holzstockel neben dem Lager, reichte
endlich dem Kranken und dem Knaben die Hand, nahm den Kräuterbund und
ging.

Als hierauf der Doctor unterwegs zu einer Kohlstatt kam, rief er dem
Köhler zu: „Köhler, wenn Ihr Zeit habt, so geht hinauf in die Hütte zum
kranken Mann, ’s ist nur der Knabe bei ihm und er wird sterben.“ --

Und siehe, nach wenigen Tagen trug man aus jener Hütte und durch den
Wald einen Sarg. Der Knabe, der ihm folgte, weinte nicht, er blickte
nur immer auf die Baumwurzeln.

Nach all dem vergingen Jahre. Martin wuchs auf und der Doctor begegnete
ihm oft auf seinen Wanderungen im Gebirge.

Martin wohnte allein in der Hütte seines Vaters, er durchzog die
Alpengegend und sammelte Wurzeln und Kräuter, welche er theilweise
dem Doctor verkaufte, theilweise in das Städtchen trug. Wenn der
Bursche dann Abends heim in seine Hütte kam, hatte er nicht selten
ein sonderbares Geräthe bei sich, oft gar ein Buch -- und er konnte
doch nicht lesen. Wenn sich irgendwo im Gebirge ein Unglück zutrug und
wenn ein Leid geschah, das sich die Menschen einander selbst angethan
hatten, so bekam er immer Kopfschmerz und Brustleiden. Am liebsten
ging er einsam durch den Wald, da trat er immer auf Steine und erhöhte
Baumwurzeln, daß er keinen Käfer und keine Ameise und kein anderes
lebendes Wesen zertrete.

Zum Doctor sagte er einmal: „Herr, Ihr seid studirt in der Arzneikunst,
giebt es kein Mittel, das Blut im Menschen so zu machen, daß keine
Wildheit und keine Falschheit in demselben liegen könnte?“

Der Doctor schwieg lange nach dieser Frage, endlich aber antwortete er:
„In der Arzneikunst giebt es keines, aber es sind noch viele andere
Künste auf Erden, vielleicht liegt es doch in einer.“ --

Die Fragen des Burschen waren überhaupt oft derart, daß der Doctor
keine Antwort darauf hatte und sagen mußte: „Martin, sinne nicht an
derlei Geschichten, das taugt nichts und es sind dadurch schon Leute
verrückt geworden.“ --

Besser erging’s dem Doctor, wenn er auf seinen Spaziergängen zum
goldlockigen Geismädchen kam. Das war eines Wegmachers Töchterlein,
welches die Ziegen seines Vaters weidete. Als ihm der Doctor auf seinen
Bergfahrten das erstemal begegnete, sagte er: „Kleine, wem gehörst Du
denn zu?“

Aber die Kleine gab keine Antwort, wendete das Gesicht und lenkte gar
mit ihren Ziegen vom Wege ab.

Bei der zweiten Begegnung sagte der Doctor: „Ei sapperlot, jetzt sag’
mir aber gleich, wie Du heißt und wer Dein Vater ist!“

„Nau,“ entgegnete drauf das Mädchen, „Nothburga heiß ich halt und der
Wegmacher Hansl ist mein Vater!“

Seit dieser Zeit war die Bekanntschaft zwischen dem Doctor und dem
Geismädchen. Und seit dieser Zeit versorgte Nothburga den Doctor mit
Himbeeren, Erdbeeren und anderen Früchten, wie sie auf den Bergen
wachsen und ein Arzt für seine Apotheke brauchen kann.

Jetzt, wenn sie sich im Walde oder auf der Au begegneten, rief schon
immer das Mädchen den Doctor zuerst an: „Nu, wann führt Ihr mich denn
wieder einmal zum Tanz? Wann schenkt Ihr mir denn wieder einmal einen
Strauß aus Eurem Garten?“ Oder sie sagte: „Bader, Euer Zithernschlagen
ist recht langweilig, wenn Ihr einmal heiratet, diese traurigen Lieder
wird Euch Euere Frau nicht gelten lassen; aber jetzt müßt Ihr bald
heiraten, sonst mag Euch Keine mehr!“

Wenn der Doctor dann nach derlei Begegnungen und Aeußerungen nach Hause
kam, übte er sich in lustigen Alpenweisen, aber so frisch und freudig
sie auch anfingen, nie gingen sie lustig aus, es war, als ob die Saiten
mitten im Jodeln und Jauchzen auf einmal tief herzkrank würden.

Dann ließ er das Instrument ruhen, stand auf und sah so einmal in den
Spiegel.

-- Grau? -- Ei, damit hat’s schon noch gute Weile. Zwar hier,
~das~ Haar säh beinah’ so aus! Je nu, so jung können nicht alle
Haare sein wie die ihren. --

-- Ja, Doctor, jetzt mußt Du Dich bald entschließen! ’s mag Dir wohl
thun und ’s mag weise sein, wenn Du Eine von der Stadt nimmst, die
frischt das Glatte, Feine wieder in Dir auf und Du kannst mitten auf
dem Lande das Leben der Gebildeten haben, wie es einem Doctor ja doch
ansteht. Hast Du aber der städtischen Gesellschaft wirklich entsagt,
gut, so nimm Dir ein Weib aus dem Walde, da bekommst Du gleich die
Treue und die Güte frisch von der Natur weg. Red’ mit der Nothburga
einmal, Doctor?!

Und darauf, als der Doctor einmal mit der Nothburga reden wollte,
sprang ihm diese schon freudig entgegen und plauderte: „Meinem Vater
~darf~ ich’s nicht sagen, meinem Bruder und meiner Gespannin, der
Marie, ~kann~ ich’s nicht sagen, weil sie oben im Grubschlag sind
und erst Samstag heimkommen, und jetzt, sagen muß ich’s doch wem und so
sag’ ich’s Euch, aber plaudern müßt Ihr nicht!“

„Nun?“

Da zupfte sie am Halstuch und ganz leise sagte sie: „Einen Liebsten
hab’ ich und einen recht schönen und großen noch dazu. Aber jetzt --
schäm’ ich mich.“

Nothburga wurde roth und sah zu Boden.

„Nun?“ sagte der Doctor nochmals, dann schlug er mit seinem Stocke ein
Steinchen hin und her, das am Wege lag.

„Ihr kennt ihn gar, er hat ein braunes Haar und gräbt Wurzeln!“

„Der Martin also?“

„Und das will ich meinen! -- Aber er weiß es noch selbst nicht ganz --
der klein’ Finger wird ihm’s aber schon sagen!“

Das Mädchen plauderte weiter und eilte endlich seinen Ziegen nach. Es
war ein sehr wildes, ein sehr schönes Kind. --

An einem der nächsten Tage kaufte sich der Doctor ein Pferd, denn die
Krankenbesuche mehrten sich und er hatte auch nicht mehr so oft Zeit,
in das Gebirge zu gehen. --

Drei Tage nach der Kirchweih brachte man Nothburga in’s Armenhaus; sie
war sehr krank und der Doctor mußte ihr zur Ader lassen. Sie hatte ein
großes Unglück erlebt. Auf der Kirchweih erschlugen sie ihren Bruder
und einen Tag später führten sie Martin in’s Gefängniß.

Diese Fälle hatten das arme Mädchen so aufgeregt, daß es in die schwere
Krankheit fiel. Der Wegmacher-Hans war rath- und thatlos und so trug
man die Kranke in’s Armenhaus zu Hochdorf.

Dort lag sie einige Tage im Typhus hoffnungslos danieder. Aber der
Doctor kam täglich und war stundenlang am Lager der Kranken, bis
endlich die Krisis vorüber und Nothburga gerettet war. In der letzten
Nacht war’s, als Preisheim im Walde angefallen wurde und Martin in’s
Armenhaus brachte. -- --

An das Alles mochte der Mann gedacht haben, bis sein Brauner plötzlich
im Dunklen stehen blieb.

Da schreckte er auf und haschte nach der Pistole, aber er ließ sie
wieder zurücksinken in den Sack seines Mantels, er war ja mitten im
Dorfe Dernau, gerade vor seinem Hause.

Leute nahten, die ihn herzlich begrüßten und ihn gar vom Pferde hoben.
Sie standen mit Lichtern herum, da es schon finster geworden war, und
sie fragten, wie das gewesen sei; sie hatten schon Kunde von dem Anfall
im Walde. --

So warm und wohnlich die Stube auch war, so traulich die Lampe
leuchtete auf dem gedeckten Tisch und so lustig die alte Haushälterin
auch fragte und plauderte -- der Doctor blieb wortkarg und verstimmt
und ging bald zur Ruhe.

„Glücklich wär’ er da,“ sagte dann in der Küche die Haushälterin zu
den Nachbarinnen, die sich noch spät nach dem Doctor erkundigt hatten,
„aber ’s ist ihm doch was, ’s ist ihm was! Mein’, der Schrecken muß
Einem ja frei die Seel’ aus der Haut jagen!“

       *       *       *       *       *

Den andern Tag, als der Doctor seine Geschäfte in und seine Besuche um
Dernau beendet hatte, ritt er wieder nach Hochdorf. Der Tag war heiter,
der Schnee an einzelnen Stellen geschmolzen.

In Hochdorf befanden sich Männer aus dem Städtchen, die auf den Doctor
warteten. Sie hatten die Nachricht gebracht, daß aus dem Strafhause ein
gefährliches Individuum entsprungen sei, welches man erst vor wenigen
Wochen eines Raubmordes wegen eingeliefert hatte. Mit diesen Männern
ging nun der Doctor in die Todtenkammer und nach kurzer Untersuchung
stellte es sich heraus, daß der im Walde gefundene Todte niemand
Anderer sei als der entsprungene Sträfling.

Man wollte auch von Martin den Hergang der Dinge hören und verlangte,
daß er zur Leiche gebracht werde, aber der Doctor sagte: „Wenn er noch
fiebert, so kann ich es heute nicht gestatten.“

Er begab sich zu Martin, den er auf dem Sofa sitzend und an einem
Kienholzstück schnitzend fand.

-- So bei einer leichten Handarbeit kommen Einem allerlei Gedanken,
heitere und alberne und vernünftige, aber nie so traurige und finstere
wie in unbeschäftigten Stunden.

Martin dachte beim Schnitzen an Nothburga. -- Ja, die Nothburga, wenn
ich die einmal bekäm’, das wär’ schon recht und das wär’ ein großes
Glück für mich. Und die Nothburga thät’s doch wohl begreifen, wenn ich
ihr’s gut meinen wollte. Und wenn wir -- wenn wir dann einmal kleine
Leut’ kriegen sollten, dann ließ ich alles Andere draußen gehen und
thät mir selbst so eine Welt einrichten und ’s müßt erlogen sein,
daß ich da nicht das Glück hinein brächt’. Schön wär’s wohl und ich
mein’ das wär’ für den Martin das Rechte; ja, die Nothburga! -- Nein,
wenn diese dumme Geschichte jetzt nicht mit mir wär’, ich thät sie
zuletzt gar noch kriegen; mit ihrem Vater bin ich gut an. Die Nothburga
freilich, die mag mich nicht, weil ich simulir’, das hat sie mir schon
gesagt, aber ich mein’, wenn sie mich nähm’, ich thät an gar nichts
mehr denken als an sie und ich ~könnt’~ auch sonst an gar nichts
mehr denken. Ja, die Nothburga! --

So dachte Martin und schnitzte.

Als er den Doctor eintreten sah, freute er sich und sagte: „Eine Arbeit
muß ich doch haben und da schnitz’ ich halt einen Pfeifenkopf.“

„Wie geht’s mit dem Fuß?“

„Rechtschaffen gut, nur schmerzen thut er zu Zeiten und brauchen kann
ich ihn nicht.“

„Das sollst Du auch nicht; Du sollst jetzt bei mir da ruhig gesund
werden und dann in Deine Hütte heim gehen.“

„Ja, gesagt ist’s freilich leicht, gethan ist’s schwerer, ich muß in’s
Gefängniß.“

„In’s Gefängniß wirst Du nicht müssen, Martin, es sind eben Herren von
dem Gericht da, die Alles begleichen und mit Dir reden wollen. Und dann
noch was, hast Du Scheu vor Leichen?“

„Sonst just nicht, aber Kindesleichen möcht ich nicht gern sehen.“

So ließ der Doctor den Wurzelgraber in das Speisezimmer tragen, wo die
Gerichtspersonen versammelt waren. Martin gab ruhig Antwort auf die
Fragen, die man ihm stellte.

„Ein Krüppel werd’ ich wohl bleiben,“ sagte er zuletzt, „aber ich
gäb’ gerne meinen ganzen Fuß hin, wenn sie nur diesen Menschen wieder
erwischen thäten; meinen Rock und meinen Hut hat er auch.“

„Um das hat er Dich geprellt, um seine Flucht zu begünstigen,“ sagte
Preisheim, „denn dieser Mensch, mußt Du wissen, war ein entsprungener
Sträfling.“

Der Wurzelgraber schlug die Hände zusammen. Da sucht er das Reich
Gottes und geht mit Verbrechern um und entführt sie der Strafe!

Nun führten sie Martin in die Todtenkammer, und als man die Leiche vor
ihm aufdeckte, sahen ihm die Männer in das Gesicht. Nach der ersten
Ueberraschung war der Bursche ruhig und er sagte leise: „So schaut’s
jetzt aus mit ihm?“

„Ist das der Mann, der Dir im Walde begegnete und Dich zum Anhalten des
Pferdes verleitete?“ fragte einer der Beamten.

„All mein Lebtag, freilich ist er’s und meinen Rock hat er auch noch
an!“ sagte Martin.

Nun erzählte der Doctor mit wenigen Worten, wie man den Flüchtling todt
im Wolfswalde fand und daß er sich wahrscheinlich durch einen Sturz
vom Pferd, das unter dem fremden Reiter wild geworden war, das Genick
gebrochen habe.

Martin horchte, aber er hatte andere Gedanken; er hatte bemerkt, daß
die Leiche an dem linken Fuß nur vier Zehen habe. Dieser Umstand hatte
Sinnen und Brüten in ihn gebracht.

„Es ist gut,“ sagte einer der Gerichtsmänner, und der Doctor ließ
Martin wieder zurückführen in seine Stube. Dann traf man Anstalten zur
Fortschaffung der Leiche.

Der Doctor rechnete gut, wenn er Menschengemüther berechnete. Er
glaubte, daß auf eine grübelnde, nach Gerechtigkeit schmachtende Seele,
wie die Martin’s war, der vorliegende Fall irdischer Sühne einen
günstigen Eindruck machen müsse.

Diesmal aber hatte er sich getäuscht.

Martin arbeitete nicht weiter am Pfeifenkopf, er hielt seine Hände über
das eingebundene Knie und sah vor sich hin. „’s giebt denn doch ein
Reich Gottes auf Erden!“ murmelte er, „der Uebelthäter entgeht nicht
dem Gerichte. -- Und wenn es über den Menschen eine Macht giebt, die
auf Erden das Böse bestraft, so muß es auch eine Macht geben, die auf
Erden das Gute belohnt. Wo ist diese Macht? -- Und, Martin, hat dir
nicht Jemand gesagt, daß Einem am linken Fuß eine Zehe fehle? Wer hat
dir das gesagt und von wem?“

Der Bursche sann und sann. Endlich fiel es ihm ein; jene Bettlerin in
der Köhlerhütte hatte vor Jahren ein Kind verloren, welches dieses
Merkmal trug. „Vielleicht,“ so murmelte er wieder, „war dieser Mörder
der Bruder jenes Wesens, das sie im Walde begraben und in dessen Herzen
ich das Reich Gottes gesucht habe. Freilich, freilich lag’s darin, weil
es ein Kindesherz war. Und ich Narr hab’ das anders verstanden -- --
die Kreuzspinne und der Zauberer im Märchen -- ach Gott, ja, nun seh’
ich’s wohl, daß ich den Verstand verloren hab’, nun seh’ ich’s wohl!“

Der Arme begann heftig zu weinen und als gegen Abend der Doctor wieder
kam, lag er im Fieber. --

Heiterer war es am Lager der Nothburga. Als das Mädchen den Arzt sah,
lächelte es und sagte: „Jetzt werd’ ich doch noch einmal gesund, mir
hat vom Martin geträumt, daß er ein schneeweißes Kleid anhat und daß er
zu uns kommt.“

Der Doctor faßte ihre Hand: „Wie steht’s mit dem Puls, Nothburga? Ei,
recht gleichmäßig. -- Wenn er aber doch nicht käme, Nothburga?“

„Wer, der Martin? In Gottes Namen, wenn er nur unschuldig ist. Und Euch
habe ich auch lieb.“

In derselben Nacht that der Doctor kein Auge zu. Er saß in seiner
Stube und ließ die Sterne durch das Fenster scheinen. -- Nothburga ist
schöner als je.

-- Nothburga wird gesund, sie wird leben und blühen, sie wird einen
Mann glücklich machen, sie wird die Freude und die Weihe seines Hauses
werden, sie wird ihm junge Menschen schenken, die seinen Namen weiter
tragen. -- Das Alles keimt in ihr, die jetzt durch mich der Gesundheit
entgegen geht. Ich habe sie gerettet -- wem gebührt nun das?

-- Martin! Er ist nichts -- nichts als arm, arm bis tief hinein in
die Seele. Aber er ist jung und war Nothburga’s Spielgenosse und sie
hat ihn lieb. Nothburga ist treu, sie wird ihn lieb haben, so lang’
er ist, aber sie wird mit ihm unglücklich werden, denn seine Seele
ist voll Grübeln und Zweifeln und sein Herz hat kein Gefühl außer für
seinen Wahn. Und er selbst wird fürchterlich darunter leiden, wird
körperlich und moralisch zugrunde gehen und vielleicht ist es endlich
gar der Selbstmord, in dem er sein Reich Gottes sucht. -- Das Beste
wäre, der Arme hätte es überstanden. -- Giebt es nicht Fälle für den
Arzt, in welchen es seine Pflicht wird...

Es wurde an die Thüre geklopft.

Wer mag das sein um Mitternacht?

„Herr Doctor, wacht auf!“ rief eine Stimme, „kommt zum Kranken!“

Der Doctor machte Licht und ging über die Treppe.

Martin lag in heftigem Fieber und in einer Art Fraisen bebte er am
ganzen Körper. Der Arzt ließ ihm Eibischthee bringen, dann befahl er,
daß man den Burschen zudecke und bei ihm bleibe.

Hierauf ging er in die Apotheke und bereitete einen Trank.

Später nahm er ein großes Buch und blätterte in demselben und sann. --
Haben es die Berufsgenossen denn nirgends aufgeschrieben, wen sie still
hinüber führen dürfen? -- --

Und wie das heiß war in der Stube!

Der Doctor riß einen Fensterflügel auf. Kalte Winterluft strömte herein
und löschte das Licht aus. Er zündete es nicht mehr an, mit gekreuzten
Armen schritt er über den Boden.

Leben und Sterben! Wer ist Herr und Richter über die Geschicke der
Menschen? --

Was flattert doch jetzt durch das Fenster herein? Es ist ein kleines,
buntes Wesen, wie ein verlorenes Blumenblatt, dem fernen Maien
entführt. Still kreist es um das Haupt des Mannes und läßt sich endlich
nieder auf dessen Hand, die über der Brust liegt.

Ein Sphinx?!

Der Doctor erhascht das Thier, macht Licht und betrachtet es. --

„_Deilephila Euphorbiae!_“ rief er überrascht aus -- „und du
flatterst noch? Ja, weißt du nicht, daß wir morgen in den November
gehen? ’s hat dich wohl schon recht gefroren da draußen und du hast
doch noch nicht wollen schlafen gehen. Ei, du kleiner Falter, was
willst du denn über den Winter auf der Erde? Ja freilich, leben willst
du, und da bist du in mein Stübchen gekommen, daß ich dich bewahre.
Nun, wollen ja sehen.“

Der Mann schloß das Fenster und ließ den Schmetterling frei.

-- Und ist’s noch so kalt und spät, leben und nur leben! --

Der einfältige, geistesarme Martin ist bereit, sich aufzuopfern für das
Glück der Mitmenschen. Ich geschulter, erfahrener Mann, den man den
Gelehrten und Guten nennt, soll das ja auch können müssen! Preisheim,
Du hast dem Geburtsadel Deiner Ahnen entsagt, gründe Dir einen eigenen
in Deiner Mannesbrust! -- Wohlan, es möge denn sein, ich entsage --
ich opfere mich dem Reiche Gottes auf Erden. Martin wird geheilt und
frei sein und in Nothburga’s Wesen wird seine Seele zur Ruhe kommen,
in ihr wird er sich und sein Ziel finden. Und das wird die Auflösung
sein, zu der ich ein umschleiertes, nach Glück und Frieden ringendes
Menschenwesen führen will. Es leite mich der große Geist! --

Der Doctor zog am Glockenzug, eine Wärterin kam und holte den Trank für
Martin.

Hierauf schickte sich der Mann an, zu Bette zu gehen. Als er das
Licht auslöschen wollte, fand er vor demselben auf dem Tisch den
Schmetterling mit verbrannten Flügeln.

       *       *       *       *       *

Es war am Morgen des elften November, als der Doctor Preisheim in die
Stube trat, wo Martin Holzlöffel und Pfeifenköpfe schnitzte.

Er wünschte dem Wurzelgraber Glück zu seiner Genesung und zum Namenstag.

Diesem wurden die Augen naß und er sagte: „Doctor, das ist mir noch
mein Lebtag nicht passirt, daß mir wer zum Namenstag einen Glückwunsch
gesagt hätte. Vergelt’s Euch Gott, daß Ihr mir diese Freude gemacht
habt.“

„Und da hab’ ich Dir noch ein Angebinde zu übergeben.“ Der Doctor hielt
einen zusammengelegten Brief in der Hand, den er dem Burschen hinhielt.

Dieser wollte nicht angreifen: „Wüßte nicht von wem, wer thät denn mir
einen Brief schreiben?“

„Das Gericht, Martin, ei, so sei ruhig, das Gericht schreibt Dir, daß
Du frei bist von Schuld und Verdacht.“ Er öffnete das Schreiben und las
es laut, dabei mußte er seine freie Hand hinter den Rücken halten, denn
Martin wollte sie unzähligemale küssen.

Es war eine große Freude in der Stube.

„So wärest Du gesund und frei, Martin, was wirst Du nun machen?“

„Ja, ich werd’ halt jetzt hinauf in meine Hütte gehen und werde über
den Winter schnitzen und Strohschuh’ flechten. Vielleicht thu’ ich dann
einmal was Anderes auch noch, ’s mag wohl sein und man kann’s nicht
wissen, aber Euch sag’ ich’s schon früher und Ihr müßt für mich reden.
Schaut, ich möcht’ halt mit der Nothburga was anfangen. Da thät’ ich
Euch wohl bitten, daß Ihr mein Brautwerber wäret und sonst auch -- bin
Euch viel schuldig geworden! Doctor, sagt’s jetzt, was Ihr verlangt,
nach und nach werd’ ich Euch das Geld schon schicken!“

„Ich verlange nichts,“ sagte der Arzt; „mit dem Weltglück aber,
lieber Martin,“ der Doctor faßte die Rechte des Wurzelgrabers, „mit
dem Weltglück laß es gut sein. Es mag Jeder für sich sehen, daß er’s
findet. Und wenn Du denn einmal durchaus beglücken willst, so thue es
an einem Einzigen, besser ist es, ~einem~ Verschmachtenden den
Trunk Wasser zu reichen, als Allen das Himmelreich schenken zu wollen.
Und selbst, wenn Du dieses auch hättest, die Menschen würden es von Dir
nicht nehmen, sie thäten Dich nur steinigen. Merke Dir das und arbeite
für Dich und Deine Hütte; baue Dir ein festes, friedliches Daheim und
mache es, unbekümmert um alle Stürme draußen, zu einem Reiche Gottes.
-- Sollte Dir aber doch wieder einmal ein schwerer Gedanke kommen, so
geb’ ich Dir dagegen ein Mittel mit, das Dein Gemüth erleichtern und
erfreuen und Dir helfen wird. Komm’ mit mir in meine Stube!“

Und als sie in seine Stube kamen, da saßen in derselben auf der
Ofenbank -- die Nothburga und ihr alter Vater.

       *       *       *       *       *

Am Abend, als in dem großen Zimmer des Armenhauses die Lichter
brannten, als Alle, die Lahmen, die Tauben und die Blinden um den Tisch
herum saßen, und als die Verlobung vorüber war und Martin, hübsch
herausgeputzt, seinen Arm um Nothburga schlang, sagte der Bursche:

„Jetzt erst weiß ich, warum mir damals auf dem Hochpaß die Kreuzspinne
zum Herzen gekrochen ist!“

       *       *       *       *       *

Am andern Morgen ging Martin mit seiner Braut und mit seinem
Schwiegervater in’s Gebirge; er hinkte wohl noch ein wenig, aber er
stützte sich, wo es über Wurzeln und Gestein ging, ein bischen auf
Nothburga.

„Magst Dich schon recht anhalten,“ sagte diese, „ich bin wieder
kernfrisch und halt’ schon was aus!“

Der Doctor sah den Dreien lange nach, hernach gab er noch einige
Anordnungen im Armenhaus und ritt dann einsam die Straße entlang gegen
Dernau.

       *       *       *       *       *

Diese Geschichte hatte eines Tages ein alter Mann erzählt. Ein junger
Mensch schrieb sie auf, bevor er sie vielleicht noch recht verstand.
Der gehörte zu denen, die -- um in seinem Pathos zu reden -- mit
verbundenen Augen und auf Umwegen dem Reiche Gottes zustreben -- den
Idealen des Guten und Schönen.

[Illustration]



Das Felsenbildniß.


In einem kleinen Thale der Wildniß stand eine einzige Hütte verlassen
und verloren. Die gewaltigen Hochwaldbäume, aus denen die Hütte
gezimmert war, trugen zum Theil noch ihre Rinden, unter welchen
behende Käfer und nagende Würmchen hausten. Aber das Holz war hart
geworden; länger als vierhundert Jahre war es her, daß dieser Hütte
Gezimmer emporgesprossen war als junger, grünender, säuselnder,
wohldufthauchender Wald. Das flache, steinbeschwerte Dach war vermoost,
es wuchs ein hellgrüner Filz darüber, es wuchs Wildfarrn darauf und
dort und da guckte ein Tannenwipfelchen hervor, das als beflügelt
Samenkörnchen auf das Dach gehüpft war. Das wollte hier auf dem Dache
verbleiben und gegen Himmel wachsen zu einem großen Baum.

Das Wild- und Waldleben hatte wieder Besitz genommen von dem
Menschenbaue und flocht und wob ihn ein und zog ihn wieder sanft zurück
in den Schoß der Natur.

Das Kostbarste an der Hütte waren die Glasscheiben an den kleinen
Fenstern. Aber diese Scheiben waren altersgrau und schon erblindet; und
längst vergangene Bewohner des Häuschens hatten etwa mit einem scharfen
Nagel Kreuze oder Herzen in die Scheiben eingegraben, auf daß sie auch
ein Denkmal hinterließen an dieser Stätte, die sie lebelang ihr Daheim
genannt.

Ueber der sehr niedrigen Thür an der Wand war mit einer Kohle in einem
dreieckigen Umriß das Auge Gottes gezeichnet. Dem lieben Herrgott war
die ganze Sach’ anheimgestellt.

Felsmassen schlossen die Hütte ein. Seit die Welt steht, war kein
Sonnenblick gefallen in dieses Thal, und wie der Morgen und der Abend
auch glühen mochten oben an den luftigen Zinnen und Alpenhörnern, es
war in dieser Tiefe nicht zu sehen.

Hier lebten und starben Leute, die außer dem Lichte an den Felstafeln
all ihrer Tage keinen Sonnenstrahl gesehen hatten.

Einst standen sechs Hütten in der Thalschlucht. Sie waren da seit
undenklichen Tagen, die Menschen wußten ihr Beginnen nicht. Die
Bewohner dieser Hütten nährten sich durch einige Aeckerlein, die von
den Vorfahren zwischen den grauen Felsblöcken und Schuttriesen waren
ausgereutet worden, und sie nährten sich von den Ziegen, die auf den
Matten des kleinen Thales Futter fanden.

Ihrer Tage mochten unzählige gewesen sein, aber sie vergingen und es
kamen andere.

Da war -- so haben die ältesten Leute des Alpenthales erzählt -- ein
weißlockiger Kräuterer niedergestiegen von Gestein zu Gestein bis in
das schattige Thal. Die schneeweißen Haare dieses Mannes waren so lang
gewesen, daß sie weit hinter ihm nachgewallt über Wände und Risse.
Unten bei den Hütten hatte der Greis um Nachtherberge gebeten, aber
die Leute hatten ihn hell ausgelacht und übermüthig geschrieen: „Geh,
Du alter Eisbär, wickle Dich in Deine Haare ein, so hast Du Dach und
Fach wohl für jegliche Sturmnacht!“ -- Darauf hatte der Kräuterer
nichts entgegnet, sondern war wieder aufwärts gestiegen von Gestein zu
Gestein. Aber er war kein Kräuterer, er war ein Berggeist gewesen, der
die Menschen hatte prüfen wollen, und als darauf die Nacht gekommen
war, da ist er wieder herabgefahren gegen das Thal und seine langen
Haare haben Felsen gesprengt, haben mächtige Furchen und Schründe
gerissen im Gebirg -- und Eis- und Schneelawinen sind niedergebrandet,
und alle Wände ringsum haben gellend laut gelacht, und der größte Theil
ist verschüttet worden mitsammt seinen Hütten und Bewohnern. -- Und wie
die übermüthigen Leute zuerst den Berggeist lachend verhöhnt haben, so
hat der Berggeist zuletzt sie allsammt ausgelacht. -- So die Sage.

Eine wilde Natur-Revolution muß wohl gewesen sein; ein graues Sandmeer
lag nun im Thale und durch dasselbe hin wälzte sich der Gletscherbach,
breit und zerrissen, und schwemmte nach allen Seiten hinaus. Heute
ging da sein Bett, morgen dort, das ganze früher so bräutliche Thal
gehörte dem Wildbach. Auf den Vorhügeln, wohl auch einst aus Schutt
aufgebaut, blühten freilich noch die Eriken und wucherte das Gesträuch
des Wachholders und der Alpenkiefer, aber mitten hinein hatte der
Berggeist Felsstücke geschleudert, über die nun die Flechten woben
und Eidechsen glitten. Von den schwindelnden Wänden nieder gingen
schneeweiße Sandriesen und graue Schutthalden, in denen es allfort
leise rieselte und rieselte. Wie viel tausend Jahre, bis das ganze,
gewaltige Hochgefelse niedergerieselt sein wird in die Tiefen! Allein,
wer rechnet hier mit Jahrtausenden, wenn sich die ungeheure Burg der
Alpen nachbaut herauf aus dem Urgrunde der Erde!

Zwischen den Schutthalden zog sich wohl hie und da ein Streifen
Erdgelände hinan, auf welchem Sträuche und verknorrte Fichten
und Lärchen mühsam fußten. Und am unteren Ende einer solchen
Wildwachszunge, die einige kleine Wiesenhänge wahrte, nicht weit von
dem Thalsande des Wildbaches, duckte sich das alte, moosbewachsene
Häuschen. Das allein war übrig geblieben von der kleinen Hüttengemeinde
im Felsenthale, und das war die einzige und letzte Menschenwohnung
weit und breit. Von zwei Wänden nieder lag und sickerte ein breiter,
schwerer Schuttstrom; er würde längst niedergetost sein auf das arme
Häuschen, wenn er nicht ziemlich hoch über demselben von einem Felshorn
aufgehalten und nach links und rechts seitwärts geleitet worden wäre,
so daß auf dem Hange unter dem Felshorn das Wildgesträuche wuchern und
die Hütte stehen konnte. Diese Lehne war wie eine grüne Insel mitten in
dem Steinstrome des Gerölles, und das Felshorn darüber war der Hort.

In der Hütte wohnten vier Menschen, das waren der Schründenhans, dem
die Hütte gehörte, sein Weib, sein Kind und sein Bruder.

Sein Weib hatte sich der Schründenhans vor wenigen Jahren erst vom
Waldgelände hereingeholt. Dort war es eine Köhlerdirn gewesen, deren
Mutter eines Tages in die Gluten des Meilers gebrochen und jämmerlich
zugrunde gegangen war. Ihr Vater war ein Wilderer gewesen, aber
alljährlich kaum mehr, als ein einziges Reh hatte er sich angeeignet
von den Hunderten, die im Walde mit ihm lebten, auf daß er und sein
Weib und sein Kind das gut’ Stücklein Fleisch nicht ganz entbehren
durften. Aber ein Wilderer war er dennoch, und einmal in der Mondnacht
gerieth er mit den Jägern zusammen. Sie fielen über den Kohlenbrenner
her, es entbrannte ein wildes Ringen, und zuletzt warfen sie ihn die
Felswand hinab, daß der Stürzende den Wipfel eines Baumes knickte, der
unten in der Tiefe stand. Keinen Athemzug hat der Kohlenbrenner mehr
gethan. Der Mond ging nieder und die Sonne ging auf, und das Mädchen
daheim sah allfort zum Fensterchen hinaus und wartete auf den Vater.

Da ging langsamen Schrittes der Schründenhans vorbei, der wußte von der
Geschichte und sollte der Waise die Nachricht überbringen.

Aus dem Meiler zuckte ein blaues Flämmchen heraus. „Verlösche es nicht,
Hilda,“ sagte der Hans, „es brennt auf der Welt sonst kein Licht für
ihn.“

Hilda hat das Wort verstanden, hat nicht mehr nach dem Vater
ausgesehen, hat sich verschlossen im Köhlerhause und hat geweint.

Nach Tagen kam der Hans wieder und sagte: „Hilda, ich habe mir gedacht,
da Du jetzo keinen Vater mehr hast, so sollst Du einen Mann haben.“

Und nicht lange hernach zog Hilda mit Hans in sein Haus unter den
Wänden. Ein Jahr hierauf hatte Hilda ihrem Manne einen Knaben geboren,
der zur Zeit dieser Geschichte seine Nahrung noch an der Mutterbrust
genoß.

Der vierte Hüttenbewohner nun war Hansens Bruder, der Jok. Der Jok
war ein armer Mensch. Er wußte es aber nicht, wie sehr arm er war, er
war blödsinnig. Er war ein Krüppel mit kurzem Halse und sehr langen
Händen. Er war schon über die zwanzig Jahre alt und konnte noch nicht
reden. Seine Stimme war wie ein Stöhnen und Röcheln. Das einzige Wort
„Hans“ konnte er halbverständlich sagen. Mit seinem Bruder war er
seit seinem ersten Lebenstage beisammen gewesen in der Hütte ihres
Vaters. Mit seinem Bruder hatte er die ersten Forellen aus dem
Wildbache gefischt; mit seinem Bruder hatte er die letzte Thräne der
in Armuth und Kümmerniß sterbenden Mutter gesehen und die Segensworte
des verscheidenden Vaters gehört. Diesen Bruder, der nun sein Alles
und Einziges war, mußte der Jok unsagbar lieb haben, ihm nahm er im
Tagwerke die schwersten Arbeiten unter der Hand weg; ihm schob er beim
kaum erklecklichen Mahle, das sie gleich auf dem Lehmgrunde des Herdes
zu sich nahmen, die besten Bissen zu. Und als der Hans das Weibchen
in’s Haus brachte, lächelte der Jok glückselig, und als der Jok das
neugeborne Knäblein sah, da stöhnte er vor Freude und haschte gleich
mit beiden Händen nach dem kleinwinzigen Wesen.

Das Aufrechtgehen auf zwei Füßen hatte der Jok auch nicht gelernt,
aber gern und behendig kletterte er mit allen Vieren wie die Ziegen
und Gemsen. Ein Jägersmann verglich ihn einmal scherzhaft mit einem
Ziegenbock. Darüber grinste der Jok freundlich; er hielt den Spott für
eine Schmeichelei, denn mit den Thieren hielt er’s immer gern. Aber dem
Schründenhans that der Schimpf weh, dem zuckte sein Herz und sein Auge
und seine Faust: „Du Jäger, wen geht das Elend meines Bruders was an?“

Der Jägersmann schlich von dannen und brummte: „So Leut’ verstehen
keinen Spaß.“

Wenn Gottes Sonntag war und die Beile der Holzhauer ruhten, ging der
Schründenhans mit seinem Weibe hinaus gegen das ferne Walddorf, wo
die Kirche stand. Zuweilen redeten sie gern ein wenig mit dem lieben
Herrgott. „Vater unser,“ sagte der Hans, und legte seine rauhen,
waldharzigen Hände recht innig zusammen, „nicht meinetwegen red’ ich,
aber unser Bübel laß aufwachsen frisch und gesund, und daß es ein
braver Mensch mag werden.“

Aber die Hilda wendete sich zum Frauenaltar: „Gegrüßt seist Du, Maria,
und ein warm Pelzlein für den heurigen Winter thät mein Bübel wohl
brauchen!“

Der Jok aber ging nie hinaus in das Walddorf; er hütete daheim stets
das Haus und die Ziegen, und kletterte an den Hängen hin auf allen
Vieren, und pfiff wie die Gemse, und bellte wie das Reh.

Von all’ den Bewohnern der wilden Oede war es seit jeher keinem bewußt
geworden, daß sie mitten lebten in der Größe und Herrlichkeit der
Natur, und daß um sie eine Gottheit in der Schöpfungswerkstatt ewig
meißelte. Sie hatten kein Auge für die wilde Erhabenheit ringsum.
Nur zu dem Felshorn, das dem Schuttstrom wehrte, blickten die armen
Leute zuweilen auf, aber auch nicht, weil dieser Thurm als Wall ihr
Beschützer war, sondern einer anderen Ursache wegen. Das Felshorn
stellte nämlich in seiner Auszackung und Durchfurchung ein kolossales
Bildniß vor, eine sitzende Frauengestalt mit einem Kinde auf dem Schoße.

„Da ist Unsere liebe Frau mit dem Christkinde herausgewachsen aus der
Erden,“ so lautete der alte Glauben der Bewohner des Felsthales, den
auch der Schründenhans in seinem Herzen pflegte.

Und wahrlich, allzu große Einbildungskraft gehörte nicht dazu, der
Felsthurm war die Himmelskönigin mit dem Scepter und der zackigen
Krone; von der Tiefe aus gesehen saß sie auf dem Throne und hielt das
Kind.

Das Bild war etwas vorgebeugt und blickte gerade hinab in die
Thalschlucht. Das Bild war den Bewohnern der Hütte der Hausaltar, zu
dem sie gerne beteten. Die Leutchen konnten nicht daran denken, daß die
sonderbare Felsstatue vielleicht Jahrtausende vor der Erwartung des
Erlösers und der Geburt Mariens hier oben in den Stürmen der Urzeit
gestanden haben mochte.

Nun aber war an dem Felsenbilde noch eine andere Merkwürdigkeit. Zur
frühen Morgenstunde, wenn es oben in den hohen Wänden graute und
sich die Tafeln sanft zu röthen begannen, klang von dem Marienbilde
ein Ton herab wie das ferne Läuten einer Glocke. „Die Himmelschöre
singen Unserer lieben Frauen den englischen Gruß,“ sagten da die
Hüttenbewohner, und erhoben sich von ihrem Lager und beteten.

Der Ton kam von einer Spalte, welche zwischen dem Throne und dem
Marienbilde klaffte und durch welche der Morgenwind blies. Das war
nicht seit ewigen Zeiten so, erst seitdem die Hütten waren zugrunde
gegangen im Felsenthale, sangen die Chöre.

Sollten aber nicht immerdar so singen und läuten. Da kam nun ein Sommer
und ein Herbst, in welchem das liebliche Klingen der Aveglocke in ein
tiefes Dröhnen und in ein klägliches Stöhnen übergegangen war.

„Hans,“ sagte da die Hilda einmal, „die Engel läuten nimmer. Was ist
Unserer lieben Frau angethan, daß sie so bitterlich thut weinen?“

„Wohl, das hab’ ich auch schon bedacht,“ antwortete der Hans, „ich hab’
herumgesucht in meinem Gewissen, bin wohl recht sündig, aber dasselb’
kann ich sagen, schlechter bin ich nicht, wie eh’ vor Zeit. Leicht hab’
ich mein Bübel zu gern und thu’ es in allzu großer Lieb’ verderben.“

„Etwa ist es meines Vaters arme Seelen, die so thut weinen,“ meinte das
Weib, „ich will neun Tag’ fasten und das Essen der blinden Bachwabi
hinausschicken in das Waldland.“

Sie that das Buß- und Liebeswerk, auf daß ihr ermordeter Vater erlöst
sein sollte, aber das Marienbild oben weinte und weinte.

Da sagte die Hilda einmal, am Ende sei gar die Zeit nahe, in welcher
nach Prophezeiung der Vorfahren der Drache wieder hervorbreche, der in
irgend einer Höhle der Felsen lauere.

An das dachte Hans nicht, obwohl der klägliche Ton von dem Bilde, der
zur Morgenfrühe und gar zuweilen auch mitten in der Nacht zu hören war,
ihm eine tiefe Besorgniß verursachte. Oft, wenn er nach der Tageslast
im Schlummer ruhte, oder ein liebliches Bild aus Kindeszeiten träumte,
erwachte er plötzlich und hörte das schauerliche Weinen.

Und eines Tages, da stieg der Hans die Halde entlang und kletterte
hinan bis zu dem Felshorn, und an demselben empor, so weit es ging,
und prüfte das Gestein. Die Hilda stand vor der Hütte, hielt die
flache Hand über die Augen und blickte hinauf. Wie wenn über den Arm
der Mutter Gottes und über dem Haupte des Jesuskindes eine Fliege
krabbelte, so war von dieser Ferne ihr Mann zu sehen.

Als der Hans hierauf wieder herabkam zur Hütte, war er sehr schweigsam.
Er setzte sich zur Wiege seines Kindes und wiegte. Er sagte dabei kein
liebkosend Wort wie sonst; er sang kein Liedlein. Still und schier
wehmüthig blickte er den lächelnden Kleinen an. Der Jok grinste zum
Fensterchen herein und kicherte und that unverständliche Laute. Der
Hans glaubte ihn zu verstehen und reichte ihm ein Stücklein Brot durch
das Fenster.

Aber nicht Brot wollte der Jok, viel lieber an der Wiege wollte er
sein; allweg wollte er das Büblein tragen und herzen.

Das Weib saß am Herdwinkel und sonderte in Körben die gesammelten Pilze
und Kräuter, die für den Winter bereitet waren.

Als sie lange so still gesessen waren, sagte der Hans halblaut: „Da
oben schaut’s nicht gut aus. Mein Großvater hat oft erzählt, er hätte
nicht einmal seine flache Hand in die Felsenspalte legen können. Mein
Vater hat schon leicht die Faust hindurchgebracht, und jetzt --“ der
Mann brach ab, das Weib ließ die Hände in den Schoß sinken und blickte
ihn fragend an.

„Jetzt,“ fuhr er endlich fort, „das muß schon ein flinkes Gemslein
sein, will es die Spalte übersetzen.“

Die Hilda war bei diesen Worten rasch aufgestanden und hinaus zur Thüre
gegangen. Bald kam sie zurück und setzte sich schweigend an die Arbeit.

       *       *       *       *       *

Es kam der Herbst. Stetig rieselte der Bach hin über die Sandfläche;
er hatte hier stellenweise Schluchten gerissen, Felsblöcke
angeschwemmt, als wollte er ein neues Gebirge gründen im Thale. Im
Sande funkelten hier und da winzige Sternchen, als hätten treue Körner
die Sonnenstrahlen von den lichten Höhen mit herniedergebracht in
die ewigen Schatten. Ein Wassersturz rauschte in einer der hinteren
Schluchten. Der Jok stand zuweilen am Bache und sah hinein, und
wunderte sich vielleicht, daß ewig das alte Wasser und doch ewig ein
neues -- und wo es denn herkommt, und wo es denn hingeht? Er lachte die
Wellen aus. Dann legte er sich auf den Sand und starrte schnurgerade in
den blauen Himmel hinein, so viel er davon zwischen den Berghäuptern
sehen konnte. Dann lachte er wieder. Sagte die Hilda einmal: „Der Narr
lacht und weiß es nicht, warum.“

„Wenn er nur lacht,“ antwortete der Hans, „der gescheidteste Mensch auf
der Welt kann nichts Besseres thun als lachen.“

Freilich, der Hans selber lachte selten.

Es kam der Winter. Oben in den Felskanten und durch die Schluchten her
brausten die Stürme. Es toste und wogte und stöberte in den Lüften, und
die grauen Felswände ragten in den Nebel hinein. Es sauste der Wind
um die Ecken der Hütte und er winselte an den Fensterchen; aber die
Töne des Marienbildes waren verstummt. Alle Spalten und Schründe waren
gefüllt mit Schnee. Kalte, trockene Luft rieselte nieder von den Mulden
der Wände, und mit ihr manches Steinchen, das nicht just festgefroren
war. An den steilsten Sandriesen hielt sich kein Schnee.

In der Hütte war Dämmerung und die längste Zeit Nacht. Das Herdfeuer
knisterte, die Spanlunte im Eisenhaken flackerte und wollte nimmer
ruhig brennen. Warm und trotz aller Einsamkeit traulich war es in dem
Stübchen. Die Hilda pflegte ihr Kind; sie sagte ihm Worte von dem
Vater, der für sie im Waldlande arbeite und allfort sein Kindlein
liebe. Sie sagte dem Kleinen Worte von Gott Vater, der im Himmel lebe
und seine Englein sende, daß sie den Vater auf Erden beschützten.

Da lächelte das Kind zu den Worten; und schloß es die Aeuglein, so sah
es selbst den Himmel und Gott Vater darin, und die Englein flogen an
den goldenen Felswänden hin und her.

Der Mannbruder pflegte stets die Ziegen und erzählte ihnen in seiner
Weise seine Freude und sein Leid, wie er’s empfinden konnte. Die Ziegen
nahmen Theil an Allem und gaukelten ihm mit ihren Hörnern vor und
beleckten seinen Hals. Das that dem guten Burschen gar wohl.

Der Hans war im Tagelohn und half Holz schlagen draußen in den
Herrschaftswäldern. Er wollte am liebsten Tag und Nacht arbeiten und
immer ein doppeltes Tagewerk machen; er wollte sich ein Häuschen
erwirthschaften im Walddorfe, wo kein grauenhaftes Felsgebilde ewig
drohend schwebe über dem Scheitel seiner Familie.

Wie karg ist der Tagelohn im Walde, und jede Woche nur einen einzigen
Stein, nur einen einzigen Baum zum neuen Heim konnte sich der Hans
erwerben. Am Sonnabend, wenn er sich durch die Eisschluchten und
Schneewehen seinem Felsenthale zukämpfte, that er immer einen scheuen
Blick hinauf zum Frauenbilde am Hang über seinem Hause. Freilich war
es da häufig schon dunkle Nacht und er konnte es nicht sehen, wie sich
„Unsere liebe Frauen“ immer mehr und mehr von ihrem Throne nach vorn
neigte.

„Es ist zum Erbarmen, Hilda, wie Du die ganze Woche in der Einschicht
bist,“ sagte der Hans einmal.

„In der Einschicht bin ich nicht,“ versetzte das Weib, „ich hab’ das
Kind, und der Jok thut uns hüten. Gieb Du nur Acht im Walde, daß Dich
kein Baum mag letzen, und die Stege sind auch so vermorscht, gehst Du
aus und ein in den Schluchten.“

„Warte nur, Hilda, zur Auswärtszeit (im Frühling) über’s Jahr heb’ ich
an mit dem Hausbau; hernach leben wir draußen im Dorf bei den Leuten.“

Als ob er’s verstanden hätte, so jauchzte jetzt der Kleine und zappelte
mit den Füßchen. Gar dem Weibe selbst zitterte das Herz; so klagend,
sehnend, so eigen waren die Worte gesprochen -- -- -- und leben bei den
Leuten!

Es kam der Frühling. Wochenlang blies der Föhn und von den
Bergschluchten hervor kam der „Maibrunn“, wie die Schneewässer des
Frühjahres geheißen werden. Eine Schneelawine um die andere fuhr nieder
von den Karmulden der Berge und begrub die größten Bäume unter ihrem
Schutt.

Zur selben Zeit verfolgte der blöde Bursche ein Gemslein. Es war
niedergestiegen bis unter das Muttergottesbild und nagte dort an
einigen Fichtenreisern. Dann erhob es seinen Kopf, daß die krummen,
scharfen Hörnchen gar nach rückwärts standen, und lugte herab auf das
Hüttendach, unter welchem es die Ziegen meckern hörte. Es wollte ihm
schier einsam werden zwischen den Schneelehnen und Felsen, es wollte
niedersteigen zu Genossen. Das sah denn der Jok, und rechtschaffen
flink, wie wenn er selbst eine Gemse wäre, kletterte er hinan, um das
Thier heimzuholen. Es war nicht das erste, das er auf diese Weise
heimgeholt hatte, und die Thiere mochten sich denken: der Jok da, der
ist gut, der gehört mehr zu uns als zu den mörderischen Geschöpfen, die
auf zwei Füßen gehen; der Jok, der thut uns nichts.

Und der Jägersmann hinwiederum durfte dem Jok nichts thun, holte sich
dieser auch manches Stück Wild; denn was man mit den Händen fängt in
der Wildniß, das verschreibt Gott dem Erwerber zu eigen.

Heute aber machte das Gemslein, als es den Burschen gewahrte, lange
Füße die Lehne hinan; das Thierchen gestand es ja zu: der Jok mag ein
ehrlicher Kerl sein, aber es traute nicht; wollte man es wirklich für
den Ziegenstall oder vielleicht gar zu etwas weit Unerquicklicherem?
Wer konnte es wissen!

Die Gemse war fort und der Jok stand oben beim Felshorn und starrte
verdrießlich drein. Zuletzt kletterte er auf den Felsen, wie er es von
seinem Bruder einmal gesehen hatte, und guckte durch die klaffende
Spalte, in welcher Schnee und Eis und niedergebrochene Steine lagen.
Er guckte eine lange Weile, und legte dabei den Kopf auf die rechte
Achsel und auf die linke, und er röchelte und ballte die Fäuste zuletzt
und war glühroth im Gesicht.

Als er hierauf zurückkam in’s Thal, wich er der Schwägerin aus; sie
sollte es nicht merken können in seinen Augen, was er oben gesehen.
Wozu der Schreck und die Angst, wenn die Sache verhütet wird? Er
schlich in den kleinen Bretterschuppen, nahm Scheiter und Balken und
eine schwere Axt, trug sie hinan auf den Hang und schlug die Blöcke
durch Schnee und Gestrüppe in die Erde.

Was mag dem Jok wieder eingefallen sein? dachte das Weib bei sich, aber
sie ließ den Burschen gehen und schaffen. Es wurde Abend, die Ziegen
meckerten im Stalle; wo denn heut’ der Jok sei? Gar das Büblein in der
Wiege ließ klug seine Aeuglein lugen, wo denn der Jok sei, der sonst
gern daneben saß und mit den kurzen dicken Fingern Schattenspiele und
sonst allerhand Schwänke mache, daß es recht zu lachen war. Der Jok war
oben am Hang; die Hilda sah ihn nicht in der Dunkelheit, aber sie hörte
die Schläge auf die in den Boden zu treibenden Blöcke. Die Schläge
hallten in den Felsen, und als die Hilda rief: „Jok!“ so hallte es
wieder nur in den Felsen, und das Pochen da oben währte die ganze Nacht.

       *       *       *       *       *

Wanderer, die in das Walddorf kamen, erzählten, daß draußen in den
weiten Thälern das Getreide schon hoch in Aehren schieße und die
Apfelbäume blühten. Im Hochgebirge aber brausten die fahlgrauen,
reißenden Fluthen des Wassers, und sie wälzten Eisstücke und Bäume und
Steinblöcke aus den Schluchten. In den Schutthalden war es lebendiger
als je; in die Mulden sickerten immermehr die Schneelasten der Kare
und Schründe zusammen, und Wässerlein rieselten von allen Hängen in
zitternden Schleierfällen, bis die ungeheuren Schneelasten in den
Mulden in’s Schieben und Rutschen kamen und mit einem gewaltigen
Donnern, Alles vor sich niederwerfend und mitwälzend, in die Tiefen
fuhren.

Da hielten die Holzschläger draußen im Waldland ein bei ihrer Arbeit
und horchten dem dumpfen Gedonner, das hier und dort durch die
Felsschluchten brandete und an den hohen Wänden widerhallte.

Und an einem milden, leuchtenden Maitag war’s. Der Hans hatte am
selbigen Morgen unter vermorschtem Gefälle das erste Vergißmeinnicht
gesehen und es gleich auf seinen spitzigen Hut gesteckt. -- Es
knatterte da, es donnerte dort, aber das Waldland war sicher, und
die Vöglein haben nie fröhlicher gesungen als an diesem Maitag.
Gegen die Mittagsstunde hin erhob sich im Gebirge ein Krachen und
Dröhnen, von allen Mulden stürzten Schnee- und Erdlawinen nieder,
manche Felszacke löste sich von ihrem Grund, manches Gemslein wurde
begraben in Schnee und Schutt, und aufgeschreckt von dem wüsten Lärm
flatterten grauschimmernde Habichte und Steinadler durch die Luft und
schwammen dem ruhigeren Waldlande zu. Wie lichtgraue oder bläulich
schmutzige Ströme, sich untergrabend und überstürzend, in breiten,
wogenden Tüchern oder in schmalen, schlüpfenden Schlangen, glitten
die Lawinen nieder. Kein Baumwall hielt sie auf, die hundertjährigen
Stämme brachen, ehe die Lasten noch kamen, blos von dem Drucke des
Sturmhauches; nur an mächtigen Felsnasen schäumten die Schneewogen
empor, daß das ganze Kar in eine Staubwolke gehüllt war; aber weiter
unten sammelten sie sich wieder und fuhren mit eherner Gewalt unter dem
Beben der Vesten dem Abgrunde zu.

Da blieben im Waldlande die Wildbäche aus, aber nur für kurze Zeit,
bald hatten sie die Hochwälle der Lawinen durchbrochen und überfluthet
und kamen nun wie Ungeheuer herangewogt mit Schutt und Eisblöcken, und
Holzstämmen und Felsmassen.

Die Holzhauer schüttelten die Köpfe; das ist ein schlimmer Tag! --
Etwan ist im Felsgebirge der Drache losgeworden!

Der Hans hatte lange ruhsam Scheiter gespalten und sich gedacht: ’s ist
eben böse Auswärtszeit, aber über’s Jahr heb’ ich an in Gottesnamen,
und im Dorfe ist keine Gefahr mehr, und bislang wird die liebe Frauen
schon Hüterin sein. -- Als aber das Getöse ärger wurde, da lehnte er
die Axt aus der Hand und horchte; und endlich, als die Erde zu beben
anhub von den tobenden Gewalten im Gewände, da that der Hans plötzlich
einen großen Sprung und eilte über Stock und Stein hin gegen sein
Felsenthal.

Schuttwälle und Gießbäche schnitten ihm oft den Weg ab, dann starrte er
zuweilen in die Fluthen und vermeinte in den heranwogenden Holzblöcken
Theile von seiner Hütte zu erkennen. Das Donnern auf den Höhen und
das Tosen in den Tiefen wollte ihn betäuben, aber die Hutkrempen tief
über die Ohren gedrückt und mit halb geschlossenen Augen wand er sich
ruhelos weiter bis zu dem schroffen Felsenthore, das in sein kleines
Thal mündete. Er bog um die Wand, er sah in den Felskessel -- da
wollten ihm plötzlich seine Füße und sein Athem versagen. Er sah am
Hange das Frauenbild nicht mehr. Eine ungeheuere Sandriese ging nieder
von den höchsten Gewänden und schnurgerade der Stelle des kleinen
Hauses zu. Und das Haus stand nicht mehr da.

Der Hans stand, als wäre er selbst ein Steinbild geworden.

Erst nach einer Weile begann es wieder zu zucken und zu zittern
in seiner Brust. Wie verloren wankte er dahin -- er suchte die
zerschmetterten Leiber der Seinen, er suchte die Trümmerstätte seiner
Heimat.

Auf dem Platze, wo das Häuschen gestanden, lag ein Berg aus Schnee und
Schutt still und starr, als ob er in Ewigkeit so dagelegen wäre. Aus
ihm hervor ragte das niedergebrochene, kantige Felshorn.

Daneben hüpften ein paar Ziegen auf und ab und meckerten. Aber an dem
Schuttberg in der Tiefe nagte schon der Wildbach, und jenseits des
Wildbaches -- der Hans fuhr sich mit beiden Händen über die Augen, er
träumte doch nicht, er stand ja mit wunden Füßen im Gestein -- aber
jenseits des Baches stand sein Häuschen.

O Gott, da dachte der Hans wohl an keine Gefahr, er setzte über
Gefelse, er sprang durch die Fluthen, er stand vor seiner Hütte. Sie
war ein wenig schief und verschoben und einige Balken waren geborsten,
aber sonst war sie unversehrt. Die Thür war offen.

Den Athem an sich haltend, trat der Hans ein. Die Hütte hatte kein
Flötz (hölzerner Fußboden) und keinen Herd, und keinen Ofen mehr, nur
die in sich zusammengefügte Zimmerung stand da. Und siehe, an der Wand
kleppte das Wiegenbettchen, und darin schlief, sorgsam verhüllt und
eingeschichtet, das Kind. Es erwachte nun vor dem hellen Schrei, den
der Mann ausstieß; da faßte der Hans den Knaben in wildem Ausbruche des
Gefühles und preßte ihn derb an seine Brust; den Gewalten der Elemente
entgangen, wäre der Kleine schier von der Liebe des Vaters erdrückt
worden.

Bald aber ließ der Mann das Kind wieder auf das Bettchen sinken, und
sein Auge starrte, und seine Wangen erblaßten. Dort hinter der Thür,
sich noch fest an einen Balken klammernd, kauerte sein Weib. Hilda war
unversehrt aber -- leblos.

So hatte es der arme Hans gefunden.

Hierauf kamen die Leute des Waldes zusammen, um das Wunderbare zu
sehen. Jeder gab sein Erachten ab, wie das geschehen sein mochte. Viele
meinten wieder, es sei der Drache endlich losgebrochen aus seiner Höhle
und habe das Unheil angerichtet. Andere glaubten, daß das Häuschen
und das Kind erhalten geblieben, sei ein Mirakel von dem steinernen
Marienbilde, das jetzt im Lawinenschutte begraben lag. Ein alter Hirte
sagte, nach seiner Meinung sei es so geschehen: Von den hohen Mulden
sei eine große Lawine niedergegangen, habe das schon lockere Felshorn
mit sich fortgerissen und sei ihre gerade Straße weitergefahren.
Daraus habe sich nun ein mächtiger Luftdruck entwickelt, welcher der
Lawine vorausgeströmt sei und das Häuschen durch einen plötzlichen
Ruck an das jenseitige Ufer gesetzt habe. Das Kind sei wahrscheinlich
durch die Wände geschützt gewesen, das Weib an der offenen Thür aber
durch den Luftdruck erstickt worden. Es hätte sich bei Lawinenstürzen
schon mehrmals auf ähnliche Weise zugetragen; der Luftdruck bei großen
Abrutschungen vermöge ja ganze Urwälder vor sich niederzuwerfen und die
größten Bäume und Felsklötze über tiefe Abgründe zu schleudern.

Die Leute sagten, es werde schon so gewesen sein, und gingen
auseinander.

Der arme Hans blieb bei seinem todten Weibe und bei seinem lebendigen
Kinde in der Hütte. Oft ging er vor die Thür hinaus und rief nach dem
Jok. Die Ziegen kamen herbei und blickten ihn mit ihren eckigen Augen
an: sie wüßten auch nicht, wo der Jok sei.

Wenn dann der Knabe schlief, saß der Hans still und einsam in der
Hütte. Die erblindeten Glastäfelchen an den Fenstern waren nicht
zerbrochen; der Hans betrachtete die dürftigen Zeichen der Vorfahren.
Kreuze und Herzen, von sonst haben auch die Alten nichts gewußt, und
dieses Erbe haben sie allen Nachkommen im Felsenthale hinterlassen.

Nach zwei Tagen kamen die Leute des Waldes wieder zusammen und trugen
das Weib des Holzers fort aus dem Hause unter den Wänden und hinaus
durch die Felsschluchten auf den kleinen Gottesacker des Walddorfes.

Hans stieg hierauf tagelang in dem Felsenthale umher und suchte seinen
Bruder.

Er fand ihn nicht. Da schloß er sich einzig und ganz an seinen Knaben.
Im Waldlande, in der Nähe der Holzgeschläge, in welchen der Hans
arbeitete, haben sie sich aus dicken Baumrinden eine Klause gebaut.

In dem unwirthlichen Felsenthale hatten sie nichts mehr zu suchen.
Drei Jahre nach dem Naturereignisse, im Hochsommer, verschmolzen und
verschwemmten die letzten Reste der niedergestürzten Schneelawine, und
da fanden sich neben dem zackigen Felshorn im Schutt halb begraben die
Gebeine des armen Jok. Neben ihm lag noch die Axt und ein zugespitztes
Scheit, und der Block, mit dem er in den letzten Tagen vor dem Unglücke
an dem Hang Pfähle in den Boden getrieben hatte. Die treue Seele hatte
das drohende Unheil geahnt und wollte durch solche Schutzpfähle das
Haus des Bruders noch retten. Da sind die wilden Gewalten, die keine
Lieb’ erkennen, über das Bruderherz hingefahren.

Im Felsenthale wächst heute kein einzig Hälmlein mehr -- Alles
Schutt und Gestein. Von dem letzten und einzigen Hause haben tosende
Gießströme längst die letzten Reste davongeschwemmt, und an den
Hochmulden steigen immer tiefer und tiefer die Gletscher nieder.

So sind aus diesen verlorenen Schründen die letzten Menschen verdrängt
worden. Im Waldland draußen lebt heute noch der Hans als alter Mann.
Er lebt still in sich und ist ergeben; nur im Frühjahre, wenn im
Hochgebirge die Lawinen stürzen, hebt er an zu zittern und umfaßt
seinen Sohn mit beiden Händen.

Sein Sohn, nun, das ist ein hübscher kräftiger Bursche geworden; vom
frühen Morgen bis in die späte Nacht arbeitet er im Walde. Aber der
Hausbau im Dorfe ist heute noch nicht begonnen. In der Dürftigkeit
muß auch der junge Holzer sein Leben verbringen, darf vielleicht gar
sein Herzenslieb nicht freien, weil er kein Daheim hat. Wen soll er
darob anklagen? Etwa die hohen Berge? Er ging einmal von ihnen fort
in’s Flachland hinaus, aber die bösen, die lieben Berge, sie zogen ihn
zurück und grüßten ihn wieder mit ihrer Mühsal und Gefahr.

Wenn der Bursche daran denkt, wird es ihm manchmal schier krampfig im
Herzen. Aber hinschleudert er den Gram, daß er in die Tiefe fährt wie
eine Schneelawine, und hell aufjauchzt der Mann, daß es im grünen Walde
und in den sonnigen Hochwänden des Gebirges vielfach widerhallt.

[Illustration]



Das Viktel.

(Eine Hofgeschichte.)


Die Hofgeschichte beginnt mit demselben Hofe, auf welchem es an diesem
Sonntage so geruhsam und still ist.

Man heißt ihn den Leeshof.

Die Musik klang nicht herüber vom Breitegger-Wirthshause, denn es lagen
drei Berge dazwischen. Die Musik wurde dort im Thale aufgefangen von
hundert leblustigen Menschen und frischweg vertanzt und verstrampft.
Kirchweih- und Erntefest zugleich -- da waren Alle dabei, um Gott zu
danken in Lust und Jubel, und der Wirth goß Wein dazu.

Im Leeshofe war es das Viktel, welches haushüten mußte. Das Viktel
hatte nichts gesäet und nichts geerntet, was soll es beim Tanz? Sie
war erst neunzehn Jahre alt, ein Waisenkind ohne Kalbslederschuhe und
ohne Liebhaber -- was soll sie beim Tanz? Oder -- sie wird doch nicht
etwa so verdorben sein und einen Liebsten haben wollen, und sich von
ihm Wein und was Warmes zahlen lassen, und mit ihm walzen wollen bis
tiefnächtig?! Also, was soll sie beim Tanz?

Sie sitzt im leeren Hause allein in der Meierstube auf einem
Betschemel, und die Sitzbank ist ihr Tisch, da bessert sie säuberlich
ihre Werktagskleider aus und denkt so dabei an die vergangenen Zeiten,
und draußen rieselt der Brunnen. Auf den weiten Feldern um den Hof
stehen in langen Reihen hin die Garbenschöberchen des geschnittenen
Kornes, weiter hin stehen zwischen grünen Gründen weißstämmige
Birkenwäldchen bis an den Wockenberg, der sich breit und waldig erhebt,
sich in dunkle Schluchten faltet und hoch zu Häupten eine kahle
Felsenzinne trägt, welche eine große Fernsicht bietet und von vielen
Touristen bestiegen wird. Heute ragt der Berg still, denn Alles, was
jodeln und jauchzen kann, ist im Wirthshause zu Breitegg. Die Sonne
scheint warm und hold vom nachmittägigen Himmel herab und die Vögel
haben Feierabend gemacht.

Und die Viktel saß mitten in der Welt und nähte. Den falben Hanfzwirn
hatte sie mit Pfannenruß gefärbt, weil die Joppe grau war, und ihre
nußbraunen Augen waren feucht geworden, weil sie an traurige Sachen
sann. Sie dachte an ihrer Mutter Sterben. Es war ja heute derselbige
Tag wie vor einem Jahre -- dazumal ist’s der Samstag gewesen. Die
betagte Magd hatte noch die Garbe herausgeschnitten aus dem wallenden
Korn. Dann setzte sie sich plötzlich auf die Garbe und rief: „Viktel,
geh’ geschwind ein wenig her!“ Die Tochter steckte die Sichel in das
Gehalme und kam herbei. -- „Viktel,“ sagte die Magd und nahm sie hastig
bei der Hand, „Viktel, Dir mag nichts an auf der Welt, Du kannst
arbeiten und bist leicht zufrieden. Nur eine Gefahr stellt Dir nach.
Meine Mutter hat’s oft und oft gesagt, unser armer Stammen hätt’ so
viel heißes Blut -- thät’ das Leben verbrennen und oftmalen auch die
ewige Seligkeit. Viktel, das Mannerleut’ Gernhaben! hüte Dich und laß
Dich nicht verführen. -- Jetzt wird’s mir ganz blau vor den Augen -- --
Kind! -- wo bist denn? -- Kind!“

Da schrie das Viktel schon nach Hilfe, bis die Schnitter alle
zusammenliefen -- aber der ~ewige~ Schnitter hatte den Menschenhalm
geknickt....

Das Mädchen ließ jetzt die Nadel ruhen, legte die Hände gefaltet in den
Schoß und betete ein Vaterunser.

Und während diese Ruhe war, verstummte draußen plötzlich das Rieseln
des Brunnens. Das Viktel blickte durch’s Fenster hinaus und erschrak.
Am Brunnen lehnte, mit einer Hand den Ständer umarmend, mit der andern
sich auf den Rand des Troges stützend, der Graber-Schorsch und trank an
dem hervorsprudelnden Quell. Das Mädchen schlich auf den Zehenspitzen
rasch zur Hausthür und schob den zweiten Riegel vor und duckte sich
an den Fenstern, daß sie der Mann, der draußen war, nicht bemerken
konnte. Vor dem Graber-Schorsch verschlossen sich die Häuser; er betrat
nur solche, deren Thüren er erbrach. An die vierzig Jahre mochte er
alt sein, an die zwanzig war er im Arrest gesessen. Diebstähle und
Einbrüche leugnete er nicht, denn er war zu verkommen, um darin ein
Unrecht zu erkennen. Auch der Mutter des Viktel hatte er aus dem
Bettstroh einst das wenige Silbergeld fortgenommen, welches sie von
ihrem Vater für das Kind überkommen hatte. Er leugnete es nicht, aber
er gab es nicht zurück, weil er es verspielt und vertrunken hatte, er
saß es ab, und das Land bezahlte sein Sitzen und die Dienstmagd hatte
nichts. Nur eines einzigen Raubmordes konnte er überwiesen werden,
und den entschuldigte sein Vertheidiger mit Hunger und Noth und
mangelhafter Erziehung und mit Dingen, die sich in solchen Fällen eben
gar so schön sagen lassen. So ging der Graber-Schorsch seit einigen
Wochen wieder frei herum und suchte Brot und Unterstand, wurde aber
überall abgewiesen. Wie er zu dem respektirlichen Anzug kam, den er
trug und in welchem er einem Förster ähnlich sah, wurde von den Leuten
wohl besprochen, aber nicht näher untersucht. Die Haare waren heute gut
geschnitten, der Backen- und Kinnbart glatt rasirt, der Schnurrbart
in Hörnchen aufgedreht. Es war ein großer, sehniger Mann, die lange
Rast im Arreste hatte seine Glieder behender gemacht, als sie etwa in
mühevoller Arbeit geworden wären.

Als er sich in einem langen Zuge satt getrunken hatte, schien er auch
etwas zu Essen haben zu wollen. Er schritt zur Thüre und rüttelte. Dann
schlich er spähend um’s Haus, lugte zu den Fenstern hinein und prüfte
mit Kennerauge die Vergitterungen. Das Viktel hatte sich aus Angst in
den dunkelsten Winkel gekauert und sann auf allerlei Mittel, dem Hause
zu entkommen und in der entfernten Nachbarschaft Hilfe zu suchen. Denn,
daß die Leute vor Abend vom Tanzfeste nicht nach Hause kehren würden,
das wußte sie.

Als der Graber-Schorsch das Einsteigen in’s Haus aufgegeben zu haben
schien, blickte er eine Weile in die Richtung gegen Breitegg hin, wo
das Wirthshaus war. Dann zog er eine große Brieftasche aus dem inneren
Rocksack, durchsuchte alle Fächer, und da er sie leer fand, schleuderte
er die Tasche mit einem Fluch zu Boden. Hernach setzte er sich auf eine
Bank und sah das Haus an. Als er eine Weile so gesessen war und wer
weiß was ausgesonnen hatte, kam des Feldweges ein Fremder heran. Ein
junger, schlanker Mann, im Anzuge des Aelplers, aber mit einem zarten
Angesichte, auf welchem das Gebirgswetter nicht viel zu verspüren war.
Die Brauen und Wimpern der großen, blauen Augen waren so scharf, daß
es gar dem Viktel, welches an einer Fensterecke herauslugte, auffallen
wollte. Das Haar wucherte in halbgeschnittenen Locken unter dem
Jägershute hervor und verlor sich an den Backen herab in einen zarten
Flaum. Ein dunkles Schnurrbärtchen umrahmte weich die vollen, rothen
Lippen, und die Hände waren so fein und weiß wie die des Herrn Kaplan
zu Breitegg, nur noch kleiner. Dieser hübsche „Jägersmann“, der aber
kein Gewehr bei sich hatte, sondern ein leichtes Spazierstöckchen, ging
rasch auf den Graber-Schorsch zu und fragte, ob hier nicht ein Führer
zu haben sei auf den Wockenberg.

Der Schorsch stand auf, musterte den Fremden mit unstetem Auge und
antwortete: „O ja.“

„Wie lange Zeit braucht man von hier bis zur Höhe?“

„Drei Stunden.“

„Gut,“ sagte der Fremde, „so kann man bis Sonnenuntergang bequem oben
sein, und auf dem Rückweg leuchtet der Mond. Der Führer trägt mir das
Seitentäschchen hier, dann wünsche ich einen Bergstock. Ich bin nur für
einen Landritt eingerichtet und für die Partie etwas unvorbereitet.
Allein, da ein so schöner Abend zu werden verspricht --“

„Werden das Nöthige schon finden,“ sagte der Schorsch und streckte
seine Hand nach der Tasche aus, ohne dem Fremden in’s Gesicht zu sehen.

„Wollt Ihr selbst mit mir gehen?“

„Ja,“ murmelte der Schorsch.

„Ihr seid wohl der Besitzer dieses schönen Gehöftes?“

„Geht mich nichts an. Wenn der Herr wünscht.... den Stock schneide ich
im Walde.“

Die Beiden gingen weiter -- der Graber-Schorsch voran, der junge Fremde
hinten d’rein.

Das Viktel stand hinter dem Fenster und zitterte. Sie hatte jedes
Wort vernommen, sie hatte dem Fremden in’s Gesicht geschaut so lange,
bis derselbe plötzlich seinen Blick gegen das Fenster hin wandte; am
schimmernden Glase prallte dieser Blick zurück, und doch schoß er wie
ein Blitz in das Herz des Mädchens, dem es heiß bis in alle Finger- und
Zehenspitzen fuhr...

Eine Weile war sie wie betäubt dagestanden, dann sprang sie hin, riß
die Thür auf und eilte den beiden Männern nach. Erst draußen auf
freiem Stoppelfelde holte sie dieselben ein. Der Schorsch schleuderte
ihr einen wilden Blick zu, aber sie griff nach der Hand des Fremden,
daß dieser still stand und fast erschrocken war vor dem schönen,
blondlockigen Mädchen, das so plötzlich neben ihm stand.

„Halt’ mir’s der Herr nicht für übel,“ sprach sie heftig athmend,
„kennt Ihr ihn nicht?“

„Wen, mein Kind?“

„Den da!“ sie streckte ihren Finger gegen den Schorsch aus und rief:
„Zu tausend Gottes Willen, Herr, mit ~dem~ geht nicht auf den
Berg!“

„Du Luder, Du verdammtes!“ knirschte der Schorsch und wollte über das
Mädchen herfallen.

„Halt!“ rief der Fremde und stieß ihn zurück; da fuhr der Andere
wuthentbrannt in sein Kleid, im nächsten Augenblicke knallte ein
Pistolenschuß und der Graber-Schorsch floh in wilden Sprüngen hin gegen
das Birkengehölze. -- Als der Rauch verflogen war, stand der Fremde
todtenblaß, so daß das Mädchen aufschrie: „Heiliger Gott, hat er Euch
was gethan?“

Er war heil, aber ihr war der Aermel zerrissen und sie blutete am Arm.
Als der Fremde das sah, riß er sein Halstuch los, um die Wunde zu
verbinden.

„Na freilich, als ob’s was wäre!“ rief das Mädchen, „laßt’s ein
wenig bluten, ist gut für das Kopfweh. -- Aber so ein Lump da! Ja,
gleichschauen thut’s ihm -- der hat schon Leut’ umbracht! Schaut, da
ist eine Brieftasche, die hat er früher weggeworfen. Ich will was
Schlechtes heißen, wenn das nicht ein Blutflecken ist da d’rauf!“

Selbstverständlich, die Partie auf den Wockenberg war aufgegeben. Der
Fremde kehrte mit dem Mädchen zum Hofe zurück, dort setzte er sich
an den Kopf des Brunnentroges und mußte trotz ihres Sträubens die
Wunde sehen, und legte ein schneeweißes Taschentuch darüber, daß kein
Tröpfchen mehr hervorfloß. Hierauf stellte er allerlei Fragen an das
Viktel, das mit jeder Antwort verlegener wurde, bis es endlich tief zu
Boden sah und schwieg.

Und als es so war, zog der Fremde ein Ringlein vom Finger, steckte es
an ihre zitternde Hand und sagte: „Wir sehen uns heute nicht das letzte
Mal. Einstweilen trage dieses Kleinod als Andenken an den Mann, dem Du
aller Wahrscheinlichkeit nach das Leben gerettet hast. Ich habe heute
sonst nichts, um es Dir zu lohnen, mein schönes Kind. Gott mit Dir!“

Rasch ging er davon, schritt zum Thale, bestieg sein Pferd und ritt
fürbaß.

Die Leute kamen heim vom Tanze, waren schläfrig, suchten das Bett und
begannen am andern Tag die Woche wie immer. Auch das Viktel arbeitete
wieder auf dem Felde und war die Emsigste und war die Stillste. Zur
großen Verwunderung des Hofes kam ein Arzt aus dem Bezirksstädtchen
angefahren, der sich nach dem verwundeten Mädchen erkundigte und sich
überzeugte, daß der Arm des Viktel fast heil war. Hingegen trug sie den
Herzfinger der linken Hand in einer Binde.

Was ihr daran geschehen sei? fragte sie eine Genossin.

„In die Sichel hab ich närrischer Weise gegriffen,“ antwortete das
Mädchen, „ist aber nichts.“

Da streifte sich beim Garbenbinden zufällig einmal die Hülle vom Finger
und die Genossin sah daran keine Wunde, sondern ein goldenes Ringlein
mit einem funkelnden Steine. So mußte es die Viktel nun wohl gestehen,
daß ihr jener fremde Mann, welchen sie dem Schorsch abgejagt hatte,
einen Ring an den Finger gesteckt, den sie nicht mehr herabbringe. Aber
sie gestand nicht, daß sie fort und fort an den Fremden denken mußte.
So gut und so lieb hatte noch kein Mensch mit ihr geredet, als dieser
Mann. Er hatte mit einer so wunderlich weichen Stimme ihren Namen
ausgesprochen und kein Mensch auf der Welt hat solche Augen wie er;
seitdem sie in dieselben hineingesehen, kamen ihr alle anderen Augen
vor wie von trübem Glase. Sie hatte keine ruhige Nacht; so lange sie
wach war, dachte sie nur an ihn, und als sie schlief, sah sie ihn. Sie
sah es, wie er von dem Graber-Schorsch den Wockenberg hinangeführt,
beraubt und in den Abgrund gestürzt wurde; bei seinem Sturze zuckte sie
auf und erwachte. Dann wieder legte er seinen Arm um ihre Gestalt und
sie fühlte, wie er den Ring an ihren Finger schob.

Ein Knecht war im Hofe, der flüsterte dem Mädchen einmal zu, er habe
gehört, sie bringe den fremden Ring nicht vom Finger. Er wolle ihr ihn
herabziehen. Sie fragte scharf, was ihn ihr Ring kümmere?

„Ah, nichts,“ war die Antwort.

„So gehe weiter!“

Er war abgewiesen.

Da kam eines Tages an die Viktoria Zimmermann eine Zuschrift. In
gar seltsam höflicher Weise, wie man etwa zu einer vornehmen Frau
sprechen mag, wurde sie eingeladen, in die Residenz zu reisen und in
der Schloßstraße Nummer Eins vorzusprechen und ihren Namen zu nennen.
Reisegeld lag dabei, welches fünfmal so viel ausmachte, als was eine
Hin- und Rückfahrt kosten konnte.

„Viktel, Viktel!“ sagten die Leute, „da steckt was dahinter. Du
machst Dein Glück. Es wird vom fremden Mann sein, ganz gewiß. Das war
kein gemeiner Mensch, der Ring ist vom feinsten Gold und hat einen
Karfunkel, der auch in der finstern Nacht, wenn Du die Hand unter der
Decke hast, glänzen muß wie ein Stern. -- Wann fährst denn schon in die
Stadt?“

„Wer hat gesagt, daß ich fahre?“ antwortete sie. „Will wer mit mir
reden, so hat er nicht weiter zu mir, als wie ich zu ihm. Ich geh’
Keinem nach; mir brennt das Geld in der Hand; thät’ ich nur seinen
Namen wissen, daß ich es kunnt zurückschicken.“

„Hast schon recht, Viktel,“ sagte der Leeshofer, „hast ganz Recht, wie
Du denkst. Der Mensch muß sich selber werth machen.“

Und sie ging nicht. Um so größer aber war in ihr die Unruhe; und
es war, als ob jeder Tropfen Blut in ihr immer wieder dem linken
Herzfinger zurieselte und am Ringlein neu erglüht zurücksprang.

Der Graber-Schorsch war seit jenem Sonntage in der Gegend nicht
mehr gesehen worden, doch hörte man, er zöge mit allerlei Strolchen
und werbe eine Bande. Andere wollten wissen, er sei schon wieder
eingefangen worden und man werde ihn ehbaldigst hängen. Am Frauentage
im September auf dem Kirchplatze ging der Gerichtsbote auf den
Leeshofer zu und fragte, ob in seinem Hause nicht eine sichere Viktoria
Zimmermann wohne? Dieselbe habe unverzüglich in die Residenz zu fahren
und sich in der Schloßgasse Nummer Eins zu melden. So stand es auch in
der gerichtlichen Zuschrift, die der Bote übergab.

„Ah so?“ meinte der Leeshofer, „jetzt kann ich mir denken, um was es
sich handelt. Ein Zeugenverhör, gewiß des Graber-Schorsch wegen. Ei ja,
Viktel, da mußt Du freilich gehen, da bleibt nichts Anderes übrig.“

Das Mädchen war innerlich tief enttäuscht. Also nur zu Gericht sollte
sie und aussagen, wie der Schorsch den Fremden führen wollte und auf
sie geschossen hat. -- Und wenn man sie auch des Ringes wegen verhören
wollte? Der geht nimmer vom Finger.

Man wünschte ihr viel „Glück und Gesund“, sie fuhr in die Residenz.
Sie hatte in ihrem Leben noch keine Stadt gesehen, und als sie auf dem
großen Bahnhofe ausstieg und die schwere Pracht um sich sah, und die
Menge von Menschen und Wagen, und den Lärm hörte, da blieb sie stehen
wie eine Bildsäule, schloß die Augen und dachte: „Jetzt, Viktel, jetzt
nimm Dich zusammen.“

Die Schloßstraße erfragte sie leicht, es war die vornehmste Straße,
die mit ihrer Herrlichkeit und mit ihrem bunten Leben mitten durch die
Stadt zog.

„Jetzt möchte ich nur wissen,“ sagte der Mann, den sie sich als Führer
gedungen hatte, „was das schön’ Dirndl in Numro Eins zu thun hat?
Gewißlich den Liebsten aufsuchen, der etwan dort auf der Wacht steht?“

„Ich muß zum Gericht,“ beschied das Viktel, das mit dem rothen
Handbündelchen neben ihm herging.

„Zum Gericht? Ei so, so. Da wirst Dich aber im Weg irren, Dirndl; in
Numro Eins weiß ich kein Gericht.“

„Was ~denn~?“

„Numro Eins ist das Schloß, wo der Prinz drinnen wohnt.“

„Na, sei so gut!“ rief das Mädchen und blieb stehen. Als jedoch der
Führer die Vorladung las, sagte er: „Es ist richtig, Du mußt in’s
Schloß!“

Sie gingen weiter -- das Viktel stets mitten auf der Straße, so daß es
fortweg in Gefahr war, von den Wagen niedergefahren zu werden. Sie sah
und hörte kaum, was um sie vorging; sie dachte nur an das Schloß und an
den Prinzen und an ein Märchen vom Prinzen und der Schäferin, welches
sie von ihrer Mutter gehört hatte. Und sie seufzte auf: „Wer weiß, wie
das mit mir ausgeht!“

Plötzlich weitete es sich und der Führer geleitete das Landmädchen über
einen großen Platz, der mit viereckigen Steinplatten gepflastert war.
Vor ihnen erhob sich ein Palast mit hundert Fenstern und gemeißelten
Figuren an den Wänden und Zinnen. Sie schritten durch das weit offene
Flügelthor eines hohen, vergoldeten Gitters in den innern Hof, wo an
der Pforte die Wache mit aufgepflanzten Gewehren stand, so daß das
Viktel davor erschrak und anfangs glaubte, diese Soldaten stünden da,
um Jeden niederzumachen, der in das Schloß treten wolle. Sie bedankte
sich beim Führer und bezahlte ihn; dann nahm sie ihre Vorladung in die
Hand und hielt dieselbe, langsam vorschreitend, der Wache entgegen.
Die Männer standen da, wie von Holz geschnitzt. Im inneren Thorbogen
erschien jetzt etwas, bei welchem dem Viktel zum Erschrecken und zum
Lachen zugleich war. Ein Mann, der das Gesicht voll Bart hatte und
einen versilberten Pelz trug und einen goldenen Stab mit einem mächtig
funkelnden Knopf in der Hand hielt. Dieser Mann -- das Mädchen war
ungewiß darüber, ob es nicht schon der Prinz wäre, daher machte es
einen tiefen Knix -- besah das Papier und wies das Mädchen über eine
breite Treppe hinauf, die mit einem buntfarbigen Teppich belegt war.
Die junge Dienstmagd aus dem Leeshofe wußte nicht recht, wo man da
gehe, einestheils that ihr der weiche Teppich leid, darauf zu treten,
anderntheils waren an beiden Seiten die Steinstufen so glatt, daß man
ausgleiten konnte. So stieg sie mit einem Fuß auf den Teppich und mit
dem andern auf den nackten Marmor. Ihr Herz pochte heftig, aber sie war
entschlossen, sich durch nichts irre machen zu lassen und aufrichtig
zu sein. Wenn der Mensch -- so dachte sie -- nichts Schlechtes auf dem
Gewissen hat, so kann ihm auch im Prinzenschloß nichts geschehen.

Im Saale trat ihr ein dickes, schwarz gekleidetes Herrchen entgegen,
das eine sehr hohe Glatze und einen kurzgeschnittenen weißen Vollbart
hatte. Sein Gesicht war roth und blatternarbig, seine Nase weidlich
kupfern, aber seine grauen Aeuglein blickten klug und sanft. Er blieb
vor dem Mädchen stehen, setzte die Füße mit den funkelnden Stiefeln
ein wenig auseinander, legte die Arme auf den Rücken und sagte mit
freundlicher, aber immerhin etwas schnarrender Stimme: „Also Sie sind
die Lebensretterin! Die Viktoria Zimmermann aus Breitegg!“

„Ich heiße so und bin aus der Breitegger Pfarr’,“ antwortete das
Viktel, „aber wenn der Herr Du zu mir wollt’ sagen, so wär’s mir
lieber.“

„Kann gern’ geschehen, Du fein’ Mädel,“ lächelte das Herrchen, „und
jetzt komme einmal mit mir da herein; kannst ein wenig Toilette machen,
wenn Du willst, ich werde Dich hernach zu Seiner Hoheit führen.“

„~Was~ soll ich da machen?“ fragte sie, als sie mit ihm in ein
schönes, lichtes Zimmer trat. Plötzlich blieb sie mitten auf dem Boden
stehen und starrte auf ein Gemälde hin, das an der Wand hing. Es
stellte in Lebensgröße das Haupt jenes Mannes dar, der ihr vor ein paar
Wochen den Ring an den Finger gesteckt hatte.

„Meiner Tag!“ hauchte sie, „jetzt was ich derschrocken bin! G’rad wie
lebig! G’rad wie lebig! -- ~Wer ist er denn?~“

„Der da auf dem Bildniß? Den sollst Du ja kennen; hast ihm doch das
Leben gerettet. Deshalb ließ er Dich kommen. Es ist der Prinz.“

„Jesus, Maria und Josef!“ rief sie, „’leicht will er mich heiraten
gar!“ -- Es war ein Aufschrei. Aber der kleine Herr schmunzelte und
streichelte ihre bebende Hand, mit der sie sich an einer Stuhllehne
stützte. --

Eine Viertelstunde später stand das junge Bauernmädchen auf dem
Teppiche des fürstlichen Gemaches. Wohin sie blickte, goldene Pracht,
dazwischen Vasen mit üppigen Rosen und aufrankendem Laubwerk und in
allen Wänden, aus Goldrahmen schauend, sah sie ihr ärmliches Bild. Ihr
war angst und bang. Da erschien der Prinz. Er war in Militäruniform und
hatte an der Brust ein Sternchen. Das sah sie nicht, sie sah nur sein
Angesicht -- es war dasselbe mit dem süßen Blitz des Auges, mit dem
tiefen und weichen Laut des Mundes. Er schritt rasch auf sie zu, faßte
ihre Hand und sagte: „Willkommen! Wir sind ja alte Bekannte, aber Sie
müssen nicht übel von mir denken, mein Kind, daß ich Sie amtlich holen
ließ, sonst wären Sie ja nicht erschienen und ich bin doch so sehr Ihr
Schuldner geworden.“

Sie entgegnete nichts, schlug das Auge zu Boden und nur einmal zuckte
es glühend zu ihm auf.

„Nun erzählen Sie mir einmal,“ sagte der Prinz und machte eine leichte
Geste mit der Hand, wobei er die ihre losließ, „erzählen Sie mir,
Viktoria, wie geht es Ihnen, ist die Wunde am Arm schon ganz heil? Habt
Ihr noch so gutes Wetter zu Breitegg? Ich hoffe, jener Mensch wird doch
wieder in Gewahrsam sein.“

Sie sah ihn fragend an, worüber sie ihm eigentlich zuerst Antwort
geben solle. Aber ohne eine solche abzuwarten, bat er, daß sie in ein
Nebengemach trete, und begleitete sie. Im Nebengemache rauschte eine
junge, schlanke Dame in rosaseidenem Kleide.

„Hier, meine Theure,“ sagte der Prinz zur Dame, „stelle ich Dir das
Bauernmädchen, den Schutzengel Deines Emerich vor!“

„Grüß’ Sie Gott, meine Liebe!“ sagte die Dame mit einem glockenreinen
Stimmchen, warf einen flüchtigen Blick auf die rauhe Hand des Mädchens,
an welcher der Ring funkelte, schritt, die beiden Arme vorstreckend,
auf das Viktel zu, und neigte ihr Haupt leicht gegen deren Wange, daß
es von Ferne aussah wie ein Kuß. „Ich habe Ihnen viel, sehr, sehr viel
zu danken. O, nehmen Sie Platz.“

Blaß, wie eine Sterbende, sank das Mädchen auf einen rothen Sammtsitz;
das hohe Paar richtete die freundlichsten Worte an sie; plötzlich aber
stand sie auf; „ich hab’ da nichts zu suchen,“ hauchte sie und wollte
davon.

Die Dame hielt sie zurück. Dem Prinzen wurde ein Besuch gemeldet. „Ich
sehe Sie noch, meine Gute!“ sagte er, drückte ihr rasch und fest die
Hand und ging aus dem Gemache.

Das arme Mädchen hätte ihm mögen nachrufen: Bleib’, laß’ mich hier
nicht allein! --

„Das, was ich Ihnen schulde, wackeres Kind, ist nicht mit Gold zu
bezahlen,“ sprach nun die Dame, „Sie sind wohl arm, wie Alle Ihres
Standes; Sie haben von mir eine sorglose Zukunft zugute; dieselbe ist
Ihnen durch eine für Sie hinterlegte Summe bereits gesichert. Vor allem
bin ich bewogen, Ihnen den Ring abzulösen, den Ihnen mein dankbarer
Gemahl als Pfand gegeben hat. Nehmen Sie als erstes und heiligstes
Zeichen meiner Erkenntlichkeit dieses Kreuz.“ --

Sie wollte dem Mädchen ein goldenes Kreuzchen um den Hals hängen,
dieses wehrte mit beiden Händen ab und rief: „O Gott, nein! Was brauch’
ich noch voran ein Kreuz, hab’ eh hinten eins.“

Die Dame machte ein Lächeln, weil sie glaubte, die Bauernmagd rede
im Spaß; bei dieser jedoch war es harter Ernst. „Ich bin kein Prälat
nicht,“ sagte sie trotzig, „ich bin eine dienende Dirn und weiß es
gleichwohl, daß es nicht kann sein, aber den Ring, den er mir einmal
hat angesteckt, den geb’ ich nimmer her.“

„Ich bitte zu bedenken, meine Liebe,“ hauchte die Dame, „daß mir gar
viel an dem Kleinode liegt!“

„Mir auch,“ stieß das Mädchen heraus und biß die Lippen zusammen.

„Daß es der Verlobungsring ist, den mein Emerich von mir erhalten hat.“

„Das kann schon sein,“ versetzte das Viktel, „aber Euer Mann ist er
nicht. Ich weiß es recht gut, daß unser Prinz noch nicht geheiratet
hat.“

„Ich muß bitten!“ sagte die Dame und erhob sich. Das Mädchen blieb
sitzen, richtete sein Gesichtchen ernst und traurig zu dem blassen
Antlitze der Fürstin und sprach: „Es ist nicht recht, daß ich es
sage, aber es ist auch nicht recht, daß Ihr unverheirateter Weise so
beisammen lebt. So gut wie Ihr, kann ich ihn jetzt auch lieb haben, und
--“

Die Dame strich rauschend durch das Gemach; dem Mädchen knickte sein
Haupt ein, es verdeckte das Gesicht mit beiden Händen und rief: „Es
kann nicht sein! Ich hab’ ihn so viel lieb!“ und schluchzte laut.

Die Fürstin eilte auf sie zu, legte ihr weiches Händchen auf die
Schulter der Weinenden und sagte mit Beklommenheit: „Thörichtes Kind!“

In ihren Augen selbst glänzte eine Thräne. Wie fand sie die Liebe zu
dem Manne, der ~ihr~ Glück war, begreiflich, verzeihlich! Hier
liebte nicht das Bauernmädchen den Prinzen, sondern das Weib den Mann.
Die Fürstin haßt ja alle Nebenbuhlerinnen, wie es jedes Weib thut und
nicht anders kann -- aber das kindliche Geständniß dieses armen, jungen
Wesens, das unter seinem Schmerze zusammenschauert, rührte sie.

„Viktoria,“ sagte sie sanft, aber im Tone, wie man zu einem Kinde oder
zu einem Irrsinnigen spricht: „Du hast einen schönen Namen, Du wirst
siegen über eine Leidenschaft, die Dich zugrunde richten müßte. Du
wirst einen braven Mann finden, der Dich glücklich macht, wie Du es
verdienest.“

„Ich bitte tausendmal um Verzeihung, wenn es ungeschickt war,“
versetzte das Mädchen und wischte sich die Thränen aus den Augen, „bin
gleichwohl so gescheidt, daß ich weiß, ein armes Dienstbot kunnt nicht
taugen für so einen Herrn. Nur den Ring geb’ ich nimmer.“

„Aber, meine Gute --“

„Wenn ich ihn nur nicht wieder gesehen hätt’! Ich bin in Euer Haus
gekommen zu meinem Verderben!“

„Ich sage Dir noch einmal, Du sollst von heute an ein sorgenfreies
Leben haben, sollst nicht mehr in den harten Bauerndienst, sollst
selbst eine wohlhabende Bäuerin sein. Nur denke nicht, mein Kind, und
vergesse für alle Zeit -- ich wünsche es -- und streife das fremde Gold
von Deinem Finger, dann wirst Du froh sein.“

„Nein!“ schrie das Mädchen, „den Ring gebe ich nicht mehr. Der Ring ist
verwachsen mit meinem Fleisch und Blut.“

Die Fürstin, ihrer kaum mehr mächtig, hastete bebend nach der Linken
des Mädchens. Dieses riß aus und rief: „Und wenn Ihr mir den Finger
abschneidet, ich kann ihn nicht lassen!“ Da trat der Prinz wieder ein
und traf beide Frauen weinend. Das Viktel aber sprang auf, wies mit
dem Finger auf den Eintretenden und sagte: „Den hätten Sie gefunden
ermordet auf dem Wockenberg, wenn ~ich~ nicht wär’ gewesen. Aber dafür
verlang’ ich nichts; daß ich ihn abgehalten, ist Christenpflicht
gewesen. Nur der Ring ist’s! Weil ~er~ mir ~den~ gegeben hat, gehört er
mein. Ich kann mir nicht helfen!“ -- Mit diesen Worten stürzte sie dem
Ausgange zu.

Die Fürstin sank auf einen Fauteuil und hauchte: „Das ist mein Unglück.“

„Was ist vorgefallen?“ fragte er.

„Sie giebt ihn nicht zurück!“

„Lasse sie, Angela, lasse sie,“ beschwichtigte der Prinz, „es ist ein
albernes Wesen.“

„So sprichst Du heute, Emerich. Weiß ich aber, was war und was kommen
kann? Ach, der Verlust dieses Ringes ist mir eine böse Bedeutung.“

„Was war, meine Einzige, das habe ich Dir schon zur Genüge
mitgetheilt,“ versetzte er.

„Ich finde es nicht gut für einen Fürsten, sich allzu harmlos unter das
Volk zu begeben,“ sagte sie.

„Ich stimme Dir bei, Angela, nur dünkt es mich langweilig, immer und
immer den Herrscher spielen zu sollen. Ich sehne mich zuweilen, Mensch
zu sein draußen in der Natur. Ach, warum soll der Fürst immer gefangen
sein, umringt und bewacht! Die Krone, die sie mir in kurzer Zeit auf’s
Haupt drücken wollen -- ich gebe sie wohlfeil!“

Unmuthig sprach er diese Worte; die Fürstin streichelte ihn: „Du bist
so gut, Emerich, aber Du bist ein Schwärmer. Blicke mir doch wieder
einmal in’s Auge!“

Er that’s mit einem hastigen Blick und sagte: „Warum soll ich Dir nicht
in’s Auge sehen können, meine Liebe! Ich hoffe, daß ich Alles, was ich
persönlich thue oder lasse, jederzeit werde verantworten können.“

„Warum siehst Du so eilig wieder in die leere Luft hinein, Emerich?
Genirt Dich mein Blick?“

„Ja, Angela, ja! Wenn ich in Dein schönes Auge schaue, so kann ich
nicht denken und sprechen; der Gedanke ertrinkt in diesem See,
verbrennt in dieser Sonne.“

„Galanter Mann! Indeß würde ich von Deiner Liebe noch tiefer überzeugt
sein, wenn Du an meiner Seite bliebest, anstatt wie ein Waldmann im
Gebirge herumzustreifen und Dich verschiedenerlei Gefahren auszusetzen.“

„O laß’ mir doch meine Freude an den Bergen, oder theile sie mit mir,
mein Kind.“

„Ich begreife das Vergnügen nicht, zwischen den Bergen zu sein und auf
Mörderhände zu warten.“

Der Prinz lächelte und versetzte nicht ohne Schalkheit: „Diesmal
macht weniger der Mörder, als der Schutzengel meiner Theuersten
bange. -- Nein, nein, jener Landritt war nicht der erste und wird
nicht der letzte sein. Daß ich einmal in Gefahr war, Verbrecherhänden
anheimzufallen, wird mich nicht ängstlich machen. Wenn der Mann
wirklich eine böse Absicht hatte -- was allerdings unstreitig ist --
so hatte er sie nicht gegen den Fürsten, sondern einfach gegen die
Geldtasche.“

„Ich begreife, mein Herz, das Gefühl der Dankbarkeit, das Du zu jener
Stunde der Befreierin aus der Gefahr entgegengebracht hast, auch ich
werde der Vorsehung mein lebelang danken, jedoch bedauere ich, daß Du
der Magd den Ring verpfändet.“

„Mein süßer Engel,“ versetzte nun der Prinz und legte ihr Händchen
zwischen die seinen, „Du weißt nicht, wie mir damals zu Muthe war.
Hätte ich Der, die mich dem Leben, die mich Dir erhielt und die für
mich blutete, Geld geben sollen oder die Taschenuhr? Nein, nein. Nur
das Theuerste, was ich bei mir trug, war gut genug.“

„Du solltest nicht belehrt werden dürfen darüber, was es bedeutet, wenn
ein Mann einem Weibe den Ring an den Finger steckt. Nun belehrt Dich
die Bauernmagd.“

„Angela!“ sagte der Prinz sehr leise, aber ernst.

Sie sah ihn scheinbar ruhig an und entgegnete: „Welch’ ein
vorwurfsvoller Ton! -- Ich begehre von ihr den Ring zurück.“

Sie verließ das Gemach. Er stand und blickte ihr nach und murmelte:
„Ich liebe die eifersüchtige Frau; aber ~Deine~ Eifersucht,
Angela, ist niedrig. -- Wäre es möglich! Wäre es denkbar, daß Du recht
hättest? So wärest Du es selbst, die meinen Sinn nach dem armen Mädchen
wendet. -- Sieh Dich vor, Angela, Ringe sind zu ersetzen, Herzen nicht!
-- Ich gab ihr den Reifen, so sei und bleibe er ihr Eigenthum.“

       *       *       *       *       *

Das kleine blatternarbige Herrchen, mit welchem das Viktel bei der
Ankunft im Schlosse gesprochen hatte, war Geheimsecretär des Prinzen
und hieß Magister Flaus. Er war Meister in Welt- und Hofkünsten, die
rechte Hand des Prinzen, die linke der Fürstin, und die Schnürchen der
meisten beweglichen Puppen ringsum gingen in seiner Faust zusammen.

Bei Magister Flaus sprach nun so höflich und unterthänig, als in der
Eile möglich, der Leibkutscher des Prinzen vor, ein strammer, kräftiger
Kerl, der eben erst von den Uhlanen für den fürstlichen Privatdienst
ausgehoben worden war.

„Was soll mit ihr geschehen?“ fragte dieser.

„Mit wem?“ fragte der Magister.

„Mit der Bauerndirn. Vor etlichen Minuten ist eine Bauerndirne die
Treppe herabgelaufen; sie muß in den Gemächern der Hoheiten gewesen
sein. Sie that gar absonderlich und kam mir nicht recht richtig vor.“

„Sie soll angehalten werden.“

„Habe ich gethan.“

„Warum Er?“

„Ist mir gerade angesprungen.“

„Wo ist sie jetzt?“

„In der Wachtstube.“

Magister Flaus gab Befehl, daß die junge Bauernmagd einstweilen bewacht
werde; er würde dann die Sache untersuchen.

Und eine Stunde später trat der Magister aus den Appartements der
Fürstin, wohin er gerufen worden war, und beschied den Kutscher zu sich.

„Er heißt Jonas Strigel?“ fragte der kleine Herr.

„Allemal,“ antwortete der Bursche und pflanzte seinen Schnurrbart auf.

„Sag’ Er mir einmal, Jonas Strigel, wieso hat Er die fliehende
Bauerndirne abgefangen?“

„Ist mir eingefallen, sie könnte ’leicht was gestohlen haben.“

„War das der einzige Grund? Weiß Er nicht, daß dafür die Wache am Thore
steht?“

„Das Mädel hat ganz getaumelt, wär’ arg zu Boden gestürzt, wenn ich sie
nicht hätte gehalten.“

Aber der Herr Magister war auch mit dieser Begründung nicht zufrieden;
er lugte so schief und zwinkernd in das Gesicht des Kutschers und sagte
schmunzelnd: „Die Kleine ist nicht übel!“

„Sauber ist sie!“ stimmte der Bursche hastig bei.

„Das wär’ Eine --“

„Ja!“ rief der Kutscher.

„Zum heiraten.“

„Wohl, wohl, Herr Magister. Sie nähme mich, ich sah ihr’s an.“

„Der tausend, da seid Ihr ja schon im Reinen. Na, gratulir’! Hat auch
Geld, das Mädel. Hat Er an ihrer Hand den Brillantenring gesehen,
Jonas?“

„Der Teufel hol’ mich, nein. Ich hab’ nur alleweil in die Larve
’glotzt.“

„Ganz vernünftig,“ gab der Magister bei, „der Ring ist auch nicht ihr
Eigenthum; sie erhielt ihn als Pfand von einem Herrn. Aber nicht so,
wie Er denkt, Er schlechter Junge, Er! Wird’s schon noch erfahren, wie
das war. Nun will die Landschöne den Ring nicht mehr vom Finger lassen,
während dem Verpfänder daran liegt, ihn zurück zu erhalten. -- Jonas,“
das Herrchen klopfte dem stattlichen Burschen, so gut er gelangen
konnte, auf die Achsel. „Er ist ein gescheidter Mann und genießt unser
Vertrauen. Wollt’ Er’s übernehmen, dem Mädel den Ring vom Finger zu
kriegen?“

Der Kutscher drehte an seinem Barthörnchen, lugte mit halb
geschlossenen Augen so vor sich hin und antwortete endlich: „Warum
nicht!“

„Bis morgen müßte es geschehen sein und hat Er mir den Ring persönlich
zu übergeben. Begriffen?“

„Ganz wohl, Herr Magister!“

„Und reinen Mund gehalten!“

„Verstatte mir, ist sie noch in der Wachtstuben?“

„Ei, Närrchen, wer wird so ein laubfrisch Ding in der Wachtstube
lassen! Sie befindet sich im Untergebäude in den Kammern der
Küchenmädchen.“

„Die weiß ich!“ Der Kutscher machte seinen militärischen Gruß und ging.

„Apropos, Jonas!“ rief ihm der Magister Flaus nach, „aber ~nur~
den Ring.“

       *       *       *       *       *

Das arme Viktel, die junge Magd aus dem Leeshofe, saß in einem kahlen
Zimmer des fürstlichen Schlosses, stützte die Ellbogen auf ihr
Handbündel und starrte wie verloren auf den Boden hin. Kaum wußte
sie, wie sie aus der Wohnung der schönen jungen Frau hierhergekommen
war. Ihr wirbelten vor den Augen alle Farben, sie erinnerte sich nur
dunkel, daß sie unterwegs auf der Treppe von einem baumlangen Menschen
angehalten und gekost worden war, und daß sie in der Soldatenstube
Einem die Faust in’s Gesicht geschlagen habe. Was es in einem solchen
Schloß für sündhafte Leute giebt! -- Dann war sie in dieses Zimmer
gebracht worden. Ein Tisch stand da; sollte sie heute hier essen? Sie
hat keinen Hunger. Ein Bett war hier; sollte sie die heutige Nacht
darin schlafen? Das Fenster ging in einen Hof hinaus, ringsum lauter
Mauern. Schon dämmerte der Abend.

Sie kam sich vor wie eine Gefangene. Was wollte man mit ihr? War der
Fremde, den sie damals am Leeshofe gesehen hatte, also der Prinz? Und
er hat eine Geliebte und diese will den Ring von ihr zurück haben? --
Auch der Trotz ist jetzt da. Und wenn sie ihr den Kopf abschneiden, so
macht sie die Hand zur Faust, daß der Ring nicht herabgeht. -- Was hat
diese Frau für ein giftiges Auge! Und er hat sie, das Viktel, wieder so
freundlich angesehen und schier so lieb mit ihr gesprochen wie dazumal.
Sie verlangt, sie mag von ihm nichts, als den Ring. --

So waren ihre Gedanken. Dann kam ihr zu Sinn, es warte in diesem
Palaste nichts Gutes und sie solle trachten, hinauszukommen. Am Thore
stehen Soldaten mit langen Messern. Wenn sie nur ein einziges Wort mit
dem Prinzen sprechen könnte, sie glaubt es nicht, daß er ihr Böses
anthun lassen will. Ihre Brust strebt lebhaft nach Athem; die Luft ist
hier gerade so wie laues, faules Wasser -- man erstickt.

Als es finster geworden, wurde das Zimmer von der Laterne beleuchtet,
die zum Fenster hineinschien. Um diese Zeit war’s, daß das Viktel sein
Bündelchen fester band und leise das Zimmer verließ.

Am dunklen Gange begegnete ihr Jemand, der sie fragte: „Wer ist das?“

„Ka Mensch braucht Spinat! mannig’s Tag’s ist’s just, wie wann’s
verhext wär’!“ rief das schlaue Mädchen und fand als Gemüseverkäuferin
richtig den Weg in’s Freie.

Sie lief weit die Straße hin und sie athmete auf. Die zahllosen Lichter
wollten sie blenden, hier stieß sie an eine Mauer, dort an einen
Laternenpfahl oder an einen der ruhelos hin- und herwogenden Menschen.
So taumelte sie hin. Sie fragte nicht, nach welcher Richtung, nach
einer Seite mußte die Straße doch aus der Stadt führen -- und sonst
wollte sie nichts. Je öder und dunkler die Gassen wurden, desto freier
fühlte sie sich; endlich lief sie zwischen langen Gartenmauern hin,
hier noch ein Haus und dort noch eines, hier noch eine Laterne, dort
noch ein Fensterschein, hier noch ein Fußgänger, dort noch ein Wagen,
dann von all’ dem nichts mehr, und sie stand auf freier nächtiger
Heide, über sich den weiten Himmel mit Mond und Sternen.

Sie setzte sich auf einen Stein, um zu rasten, und sagte: „So, jetzt
weiß ich’s, wie’s in der Stadt ausschaut.“

Sie nahm Brot aus ihrem Bündel und aß es; es war noch Brot von daheim.
Im Steine des Ringleins glühte das Mondlicht, fast funkelte er
lebhafter als das Gestirn des Himmels.

„Wie finde ich jetzt heim?“ fragte sie sich.

Dann stand sie wieder auf und ging und ging. Nur weit weg von der
Stadt, wohin sie kam, deß fragte sie sich nicht. Plötzlich sah sie
neben der Straße eine hohe schwarze Gestalt. Sie blieb stehen und
blickte d’rauf hin; auch die Gestalt schien gegen sie gerichtet zu
sein, regte sich aber nicht. So lange standen Beide, bis es dem Mädchen
endlich einfiel: Gespenst, du bist zuletzt gar nicht lebendig! Sie nahm
sich ein Herz und trat auf die Wiese hinaus und stand vor einem Schober
getrockneten Klees, wie solcher an Stangen aufgespießt zu werden pflegt.

Das ist mir gerade recht, dachte das Viktel, der Klee gehört zwar
nicht mein, aber ich werde ihn auch nicht fressen, ich werde nur darin
liegen, bis es Tag wird. -- Sie zerstörte den Schober mit kundiger Hand
und machte sich ein Bett, legte sich auf Klee und hüllte sich mit Klee
ein und sagte: „So, in Gottesnam’!“

Allein nach solchem Tage ging das Einschlafen nicht so leicht wie
daheim nach dem Heuen oder Kornschneiden. -- Morgen, so dachte sie,
hab’ ich ja wieder mein gutes Bett. Aber eine närrische Fragerei wird
das sein von den Leuten. Was ich Neues thät’ wissen? Zu was sie mich
gebraucht hätten? Ob ich was kriegt hätt’? Nichts werde ich erzählen;
braucht’s kein Mensch zu wissen, daß sie mir den Ring wieder haben
wegnehmen wollen. -- Geld, weiß Gott, wie viel Geld, hat sie mir geben
wollen. Ich brauch’ kein’s, ich verdien’ mir meine Sach’ schon selber,
und jetzt schlaf’ ich. --

Der Schlaf läßt sich nicht befehlen. Das Mädchen drückte die Augen fest
zu, aber sie gingen immer wieder auf und schauten in den Sternenhimmel
hinein. Eine Sternschnuppe um die andere flog hinab. „Gott tröst’ alle
Sterbenden!“ sagte die Ruhende. -- Im Grase zirpten noch Heimchen.
Hunderte von Thierchen waren auf der Wiese und umkreisten das Mädchen;
das Viktel ahnte nichts von dem, was für diese Nacht in den Mauern des
Prinzenpalastes ihretwegen geplant worden war. -- Da fiel ihr jetzt
ein: Wenn schlechte Leute des Weges kämen und sie mich hier gewahrten
im Klee! In der Nähe einer solchen Stadt giebt es gewiß allerlei
Gesindel. Wenn der Graber-Schorsch daherginge! .... Sie faltete ihre
Hände über die Brust und flüsterte das Gebetchen, welches sie als Kind
von ihrer Mutter gelernt hatte: „In Gottesnam’ schlafen, sechs Engel
werden mir wachen, zwei zu Haupten, zwei zu Füßen, zwei zur Seiten,
Unsere liebe Frau wird ihren Schutzmantel ausbreiten. Amen.“

Bald nachher erschraken die Heimchen vor ihrem Schnarchen.

       *       *       *       *       *

Der Peter fuhr früh in der Morgendämmerung aus, um Klee einzuheimsen.
Schon von weitem sah er die kahle Stange ragen und fluchte über das
Gestrolche, welches ihm schon wieder einen Schober auseinandergeworfen
habe. Als er dem Haufen in die Nähe kam, wurde es in demselben lebendig
und ein bildhübsches Dirndl sprang aus dem Klee hervor und lief davon.

Der Peter sprang ihr nach, erwischte sie, und das Viktel hatte glühende
Augen und rief: „Wann Du nicht auslaßt, so kratz’ ich!“

„Kratz’ zu, kleine Hex’! Was hast Du denn in meinem Klee gemacht?“

„Geschlafen.“

„Weißt Du’s, daß der Peter in seinem Klee nicht umsonst schlafen läßt?
Komm! Wir wollen zu zweit suchen, ob ein vierblätteriger dabei ist!“

„Laß aus, sag’ ich, Du großmäuliger Dingling, Du! Ist denn in dieser
Gegend jedes Mannsbild vom Teufel besessen! Auslaß’!“

Der Peter hatte einen Biß in der Hand; eine so ungemüthliche Dirn ließ
er laufen.

Als er den Klee auf den Leiterwagen faßte und wahrnahm, wie derselbe
noch warm war, wollte er dem Mädchen neuerdings nachlaufen; zum Glück
war es schon weit davon.

Sie blickte rings um und sah von Ferne die Thürme der Stadt. Sie fragte
an Häusern nach dem Wege in ihre Gegend und fand sich bald zurecht.

Als es schon Mittagszeit war und ihr Schuhwerk schneeweiß vor
Staub, sah sie vor sich auf der Straße einen Mann am Stocke mühsam
dahinschreiten. Er war in bäuerlicher Kleidung, trug aber eine
Soldatenmütze, hinter welcher das dunkle Haar kurz und glatt
geschnitten und der Nacken frisch rasirt war. Bald sah sie: ein noch
junger Mann mit falbem Schnurrbärtchen, aber abgehärmt und blaß im
Gesichte.

„Kein gutes Wandern, wenn’s so heiß ist!“ redete sie ihn an. „Wie weit
denn?“

„Bis Wernsdorf, wenn’s geht,“ war seine Antwort.

„So, da gehen wir ja eine Weil’ miteinander.“

„Werde wohl nicht mitkommen können,“ sagte er, sein blaues Auge blickte
sie gar offen und traurig an.

„Ich gehe ja auch gerne langsam, wenn ich einen Kameraden habe,“ meinte
sie, „hat Er im Fuß was?“

„Jetzt nicht mehr,“ antwortete er, „ist aber eine Bleikugel drinnen
gesteckt, vom Feldzug her -- und das thut Einen höllisch geniren.“

Sie sagte nichts darauf, ging still und langsam neben ihm her und
dachte allerhand.

-- So ist’s, wenn der Mensch großen Herren dient, der Eine geht mit
Schand und Spott aus, der Andere mit einer Blessur.

Sie mußte so laut gedacht haben, daß es der Invalide hören konnte, denn
er sagte nun: „Welcher hohe Herr hätte denn einen Nutzen an meinem
durchschossenen Fuß? Ich bin freiwillig gegangen, wie ich gesehen hab’,
der Feind wollt’ in unser Land einbrechen. Und wenn ich ein Bettelmann
sollt’ bleiben mein Lebtag lang, so wird’s mich nicht gereuen, daß ich
gegangen bin.“

Sie blieb stehen, schaute ihn an -- es war ein schöner Kopf, seine
Augen brannten nicht, wie der Blitz, sondern wärmten, wie Sonnenschein.

„Narrheiten,“ sagte sie, „wer wird denn ein Bettelmann bleiben! Wo ist
Er denn daheim?“

„Ja,“ antwortete er, „daß weiß ich selber nicht recht. Gebürtig bin
ich in Wernsdorf, und seit neun Jahren habe ich in Oberkirwald als
Holzknecht und auch sonst herum gearbeitet, und da hab’ ich gehört,
wollten mich die Wernsdorfer nicht mehr gern behalten, weil sie sagen,
das Heimatsrecht wäre verjährt.“

Das gab ihr wieder zu simuliren, denn, wie wir schon bemerkt haben
mögen, das Viktel war kein Weibsbild, welches blos sprechen, sondern
welches auch denken konnte. Schau, dachte sie, das ist auch spaßig, der
hat keine Heimat und hat sich doch für seine Heimat anschießen lassen.

„Geh,“ versetzte sie jetzt, „bist schon nicht bös’, wenn ich ~Du~
sag’ -- geh’, häng’ Dich ein in meinen Arm, thust Dich gleich leichter.“

„Wenn Du schon so gut bist,“ sagte er und hing sich ein wenig an ihren
Arm, „mich lust’s zwar gar nicht nach Wernsdorf, aber Deinetwegen gehe
ich gern mit Dir, weil wir schon so Bekanntschaft machen. Wie heißt
denn, Dirndl?“

„Viktoria Zimmermann heiß’ ich und bin Dienstmagd auf dem Leeshof in
Breitegg, wenn Du’s weißt.“

„Recht gut weiß ich’s, bin letzt Jahr dort im Pfarrhof Knecht gewesen.
Wenn Du etwan vom Johann Schmied einmal was gehört hast.“

„Ja Du, vom Sehen aus kommst mir eh bekannt vor,“ versetzte sie, „und
sind des Pfarrer-Hansels wegen nicht einmal zwei Weibsbilder raufend
worden?“

„Hast auch gehört davon? Na, Dummheiten waren es. Ich hab’ von all
zweien gar keine mögen. Und jetzt, denk’ ich, werden sie meinetwegen
nicht mehr viel raufen. Den Krüppel mag Keine.“

„Na, das wär’ nicht schlecht!“ rief das Viktel und war recht roth im
Gesicht, dann setzte sie leiser bei: „Du kriegst leicht Eine.“

„Sapperlot,“ sagte er jetzt, „was Du für einen vornehmen Ring am Finger
hast! Da ist ja gar ein Edelstein drinnen!“

„Ist mir nichts drum,“ antwortete das Viktel, „wenn er Dir gefällt,
Hans, so zieh’ ihn herab...“

       *       *       *       *       *

Was doch die Menschen thöricht sind, gerade oft, wenn ihnen das
schönste Glück lacht.

Ein junger Prinz zu sein, dem man alsbald die Krone aufsetzen will,
eine schöne maienfeine, liebesglühende fürstliche Braut zu haben --
ich wollte mir nicht viel Besseres wünschen. Prinz Emerich wollte es
eigentlich auch nicht, aber eben, weil der Mensch nicht Herr seiner
Wünsche ist, so ist er nicht Herr seines Glückes. Prinz Emerich war
sich’s vielleicht gar nicht bewußt, was er wollte, oder gestand sich’s
nicht ein. Das half ihm aber nichts, er fühlte sich unbehaglich,
unzufrieden.

Mit erneuter, erzwungener Lebhaftigkeit wandte er sich zu Angela, der
Eifersüchtigen, Leidenschaftlichen, dem Weibe mit diesen zwei Fehlern,
die sonst den liebenden Mann zu entzücken pflegen.

Ihre Eifersucht hatte zuerst das Gespenst genannt, das seither nicht
mehr ganz von ihm gewichen war. Es neckte und ängstigte ihn mit
lieblichen Träumen. Er sagte es laut und sagte es still, er habe nur
die Fürstin lieb, aber sein Herz loderte an ihrer Glut nicht auf, wie
sonst, er dachte an --

Ja wohl, er dachte an jenes Wort seiner Braut, der hingegebene Ring
hätte kein gutes Bedeuten. Jenes einfältige Kind -- es ist ja doch noch
ein Kind -- kennt nicht einmal den Geldeswerth des Ringes, der ihr an
Gold zehnmal aufgewogen wird, und es giebt ihn nicht vom Finger. Sie
denkt nicht an den Mann, aber sie will seinen Ring, und ahnt es nicht,
was von ihm an diesem Ringe hängen geblieben ist...

Als der Winter vorbei war mit seinen glänzenden Festen und glänzenden
Qualen, mit dem starren goldenen Joche des höfischen Lebens, unter
welchem Mancher seufzt, aber Alle lächeln müssen -- jene in Rosen
maskirte Last, welche der Menschheit ewiger Dämon, der Keinen
wahrhaftig glücklich sein läßt, tückisch dem Reichen aufgebürdet hat
-- als die „Saison“ vorbei war und der Frühling hereinlächelte über
die Mauern der Stadt, da fühlte Prinz Emerich in sich die Sehnsucht
erwachen nach den Bergen. Hinaus in die stille, einfache, große Natur
und zu jenen schlichten Menschen, deren Tugenden größer sind, als die
der Vornehmen, weil sie selbstloser sind; deren Fehler und Laster
unschädlicher sind, als die der Großen, weil es ihnen an Macht gebricht.

Und eines Tages bestieg er sein Roß und ritt incognito davon. Warum
er gerade die Richtung nach Breitegg einschlug? War es die von Ferne
blauende Höhe des Wockenberges, die ihn reizte? Als er unterwegs
auf den Fluren die jungen, anspruchslosen Blümlein sah, da dachte
er wieder an das Viktel. Das war jenes von Eifersucht erweckte,
liebliche Gespenst. Aber sie hatte für ihn geblutet. -- Die Zeit her
nicht allzu selten, wenn sein Sinnen unbewacht war und er sich dem
stillen Hinschwärmen übergab, war ihm das Bauernkind eingefallen,
das seinen Ring trug. Allmählich hatte seine dichterische Seele ihr
anmuthiges Bild umgestaltet und vervollkommnet zu einer jener reizenden
Schäferinnen, von denen die alten Sänger erzählt haben, und für die er
schon als Knabe eine wunderliche Zuneigung gefühlt hatte.

Das schwarze Hengstlein trabte flink dahin, als wüßte es den Weg,
den sein Herr meinte. Die Hügel erhöhten und bewaldeten sich und der
Wockenberg kam immer näher; das Blau seiner Wälder bräunte sich und
seine Felsenzinnen wurden schärfer und schärfer. -- Oft sehnte sich
Prinz Emerich nach einsamen Höhen. Die gesellschaftliche Höhe, auf der
er stand, wollte ihn nicht befriedigen; es schien ihm, als wäre von ihr
aus der Blick auf das Leben ein gar umnebelter und verschobener. Ihm
verlangte nach freier, reiner Höhe, um mit dem klaren Auge des Denkers
und dem warmen Herzen des Menschen die Welt zu betrachten. Er kannte
den hohen Werth der Kunstblume: Civilisation, aber er suchte und liebte
auch das verborgene Veilchen und das Dornröschen in der Wildniß.

Hinter der mit jungen Buchen besetzten Schlucht, welche aus der
Hügelgegend in das Bergthal von Breitegg führt, sah unser Reiter neben
dem Wege einen Mann, der auf dem Feldhange mit einer Haue emsig in die
Erde Löcher schlug und in jede dieser Vertiefungen etwas hineingleiten
ließ. Der Mann trug eine Soldatenmütze.

„He,“ rief der Reiter dem Arbeiter zu, „was macht Ihr da?“

Der Andere zog seine Mütze und antwortete: „Ackerbohnen setzen.“

„Gehört der Acker Euch?“

„Das nicht. Hab’ ihn in Pacht, bis die Bohnen zeitig sind.“

„Und seid Ihr ein Freund von Bohnen?“

„O, das wohl, wenn sie nicht von Blei sind.“

Das Pferd war ungeduldig, aber der Reiter zähmte es, daß es stand,
und er sagte zum Arbeiter: „So scheint, daß Ihr auch mit Bleibohnen
Bekanntschaft gemacht habt?“

„Mag wohl sein, Herr. Da drinnen“ -- er deutete auf den Schenkel --
„hat eine gesteckt. Habe den letzten Feldzug mitgemacht.“

„Ei, da sind wir ja Waffenbrüder!“

„So! Auch dabei gewesen? Gewiß bei den Dragonern. Na, das freut mich.
Wollt’ der Kamerad nicht ein wenig Rast halten? Da, wie die Straße
um den Berg biegt, steht gleich mein Häusel. Meine Alte kann Ihm mit
Buttermilch aufwarten und der Rapp -- ei ja, ein sauberes Thier! -- mag
’leicht einen Schippel Heu; ich komme bald nach, will voreh just mit
der Handvoll fertig werden.“

Der Reiter nahm die Einladung an, bog um den Berg, hielt vor dem
Häuschen und sprang vom Pferde. Als er sich bückte, um durch die
niedrige Thür einzutreten, stand das Viktel vor ihm. Er erschrak, sie
nicht.

„Herr Hochheit,“ redete sie ihn an, „das gefreut mich, daß Er uns auch
einmal heimsucht.“

„Wie!“ rief der Prinz, „da finde ich ja meinen Schutzgeist!“ Sein
erster Blick war auf ihre Hand, sie trug ein Ringlein, aber nicht das
seine.

„Ist vorbei,“ entgegnete sie, „wer wird denn von so Sachen so lang’
reden! Wenn der Herr Hochheit niedersitzen möcht’! Ist halt Alles
so viel ungeräumt bei uns. Jetzt muß ich aber geschwind meinen Mann
herheißen.“

„Wenn es der Bohnensetzer ist,“ sagte er, „der kommt bald nach, hab’
schon mit ihm gesprochen. -- Also, verheiratet, Viktel!“ Er sagte das
Wort leise und weich und blickte ihr in’s Auge. Aber jetzt that ihr
sein Blick nichts mehr.

„Ich hab’ einen braven Mann kriegt,“ entgegnete sie, „von Wernsdorf ist
er gebürtig. -- Ja, und jetzt fällt mir was ein.“

Sie eilte in eine Nebenkammer, kehrte bald wieder zurück und hielt
zwischen den Fingern einen in weißes Papier gewickelten Gegenstand.

„Das gehört dem Herrn,“ sagte sie, „ich brauch’ es nicht.“

Er nahm den Gegenstand und schälte ihn aus dem Papier, es war der
Brillantring. -- Er verbarg seine innere Bewegung und sagte ganz
gelassen: „Sie giebt mir das zurück und denkt nicht daran, daß es mich
kränken könnte?“

„Bitt’ halt um Verzeihung,“ antwortete das Viktel, „ich red’, wie
ich’s versteh’, aber ich sag’, auf’s Kränken darf man nicht allemal
schauen. Es ist recht närrisch von mir gewesen und ich will es dem
Herrn Hochheit seiner Frau Braut tausendmal abbitten, daß ich dazumal
den Ring nicht hergegeben hab’. Wenn Ihr Euch miteinander einmal
versprochen habt, so gehört der Ring dem Herrn und der Herr gehört ihr
und da hilft Alles nichts. -- Thu’ ihn jetzt der Herr Hochheit nur
einstecken, daß Er ihn nicht verliert, und ich bedank’ mich für den
guten Willen.“

Bei Hofe lernt man ein gutes Benehmen für allerlei Gelegenheiten und
Verhältnisse. Aber in dieser Sache wußte der Prinz nicht, was er sagen
und thun sollte. Er hielt den Ring lange in seiner Hand und betrachtete
das Viktel. Nun aber war’s seltsam. Ein unsichtbarer Faden, der sich so
allmählich gesponnen, der bisher sein Herz so eigenartig beunruhigt und
ihn in diese Gegend gezogen hatte, war nun plötzlich wie abgeschnitten.
Er begriff nicht, wie er an dieses Bauernmädchen so oft hatte denken
müssen. Es war, wie alle anderen hübschen Dirnchen auch sind. -- Aber
-- und das fiel ihm nun ein -- die ~Eitelkeit~! Wie maßlos muß die
Eitelkeit eines Mannes sein, wenn sie selbst einem Fürsten gefährlich
werden kann, welcher weiß oder zu wissen glaubt, daß eine Bauerndirne
in ihn verliebt ist! -- Ob denn nicht doch die Eitelkeit ein gutes
Theil zur wirklichen Liebe beiträgt? -- Nun sie einen Andern nahm,
ist’s in ihm kühl. Er sah sie an und gestand sich nur noch das Eine:
Konnte sie auch nicht so schön sein, als sie in ihrer Abwesenheit ihm
die Phantasie gestaltet hatte, so war sie doch eigentlich schöner als
vor einem Jahre. Die Farbe ihres Gesichtes war zarter und ein wenig
weißer, ihr Auge schien größer und noch milder, ihre Lippen lächelten
weicher und ihre Locken schmiegten sich noch ungezwungener um das
Köpfchen, wie damals. Auch waren die Formen ihres Körpers gerundeter.

Dann betrachtete der Prinz das ärmliche, aber reinlich gehaltene
Häuschen und sagte nun: „Warum habt Ihr nur keinen größeren Hof
gekauft?“

„Das Kaufen ist leicht gesagt,“ meinte sie.

„Ihr zieht es vor, das Geld auf Zinsen liegen zu lassen.“

„Wir haben keins.“

„Es ist doch bekannt, daß bei Eurem Gerichtsamte eine Summe für Dich
hinterlegt wurde?“

„Ich bedank’ mich recht,“ sagte sie, „aber für den Rath, daß der Herr
nicht mit dem Schorsch auf den Berg gehen sollt’, will ich nichts
nehmen. Unsereins braucht auch oftmals guten Rath und kann ihn nicht
zahlen.“

„Doch für den Blutstropfen.“

„Ist lang’ verheilt. Gießen ja auch die Soldaten ihr Blut aus und
kriegen nichts dafür.“

„Also für den Ring, den Du hier zurückgiebst.“

„Schon gar nicht,“ rief sie und ging einige Schritte von ihm weg, „für
den Ring schon gar nicht.“

Nun trat mit seinem steifen Fuß der Hans ein, der Bohnensetzer.

„Das Roß steht draußen in der Sonn’ und hat nichts zu fressen,“ verwies
er, „das hätt’ beim Militär nicht sein dürfen! -- Na, Herr Kamerad,
thu’ Er sich kamod machen, den Rappen will ich schon besorgen. Hast
keinen Wachholdernen mehr daheim, Viktel?“

Er meinte Branntwein, sie aber war erschrocken über seine Rede und
sagte leise: „Kennen wirst ihn doch, den Herrn! Nicht! Jesus und Josef,
das ist ja der Herr Hochheit, der Prinz!“

Jetzt starrte der Hans auf den Reitersmann, dabei zog er langsam seine
Mütze ab.

„Laßt das,“ versetzte der Prinz, „wir haben Anderes zu besprechen.“

„Ist mir eh gleich so rar gewesen!“ rief nun der Hans drein, „hab’ ja
beim Tambach-Defilé die hohe Ehr’ gehabt; haben sich aber Eure Hochheit
seither den Bart weggeschnitten! Na, bitt’ gehorsamst.“

Sie redeten noch ein Weilchen hin und her. Der Prinz genoß eine
Schale Ziegenmilch. „Besseres,“ meinte das Viktel, „können wir nicht
aufwarten.“

„Ihr beschämt mich tief, wenn ich mich erinnere, welche
Gastfreundschaft der Viktoria in meinem Hause zu Theil geworden ist.
Ein bischen ist sie jedoch selbst daran Schuld, sie lief auch so davon.“

„O heilige Maria, wie bin ich froh gewesen, als ich vom Schloß draußen
war!“

„Ich hatte die Absicht, Dich zu bewirthen --“

„Um’s gute Essen ist mir nicht viel.“

„Und Dich den Herrschaften vorzustellen.“

„Na, na, die Schloßherrschaften, die kenn’ ich schon,“ eiferte das
Viktel, „den Herrn Hochheit nehm’ ich aus, aber die andern Männer sind
all’ nicht viel werth.“

Es ist hierauf Einiges angedeutet worden, wobei Prinz Emerich Mühe
hatte, seinen Zorn zu unterdrücken. Dann aber sagte er, das junge Weib
an der Hand fassend: „Du bist eine vernünftige Frau, so wirst Du den
Hof nicht nach seinen niedrigen Elementen beurtheilen. Es giebt auch im
Palaste gute Menschen, die Euch schlichten Landleuten näher stehen, als
Ihr glaubt, weil sie ganz wie Ihr streiten und leiden, weil auch dort,
trotz aller goldenen Pracht, nur zwei Dinge sind, die glücklich machen
können, das gute Gewissen und die Liebe. -- Euch, Ihr lieben Menschen,
ist wohl Beides beschieden; ein Drittes ist wünschenswerth, und ich
wünsche daher, daß Ihr es annehmt. Will diese hübsche und stolze Frau
ihre gute That nicht für Geld gethan haben, so wird es der Mann, der
wacker für sein Vaterland stritt und davon ein Wundmal durch sein Leben
trägt, nicht hindern dürfen, wenn ihm sein Fürst eine Ehrengabe reicht.
Freut Euch die Landwirthschaft, so hoffe ich, daß ich im nächsten Jahre
auf meiner Wanderung in Euern Großbauernhof einkehren kann.“

Der Hans sagte zum Viktel: „Wenn er es uns schon so gut meint, warum
sollen wir es nicht dankbar annehmen? Brauchen wir es nicht, so wird’s
unserem Bübel taugen, wenn es ein Großbauernsohn ist.“

Sie nahmen es an. Der Prinz schüttelte Beiden wacker die Hände, bestieg
sein Roß, ritt heimwärts und liebte seine Fürstin.

[Illustration]



Das Leben siegt.


In den schattenfrischen Thalgründen des oberen Jiller steht so
manches alte Mauerwerk, an dem bedächtige Geschichtsforscher, magere
Sagensammler und langhaarige Maler hin und her klettern wie Steinböcke
und Gemsen im Gefelse, nur daß sie nicht ganz so behendig sind.
Ritterburgen und Räubernester! ’s ist ein gar so dankbarer Stoff
allerwege, zumal, da diese Dinge heutzutage nicht mehr so herrisch und
gefährlich sind, wie voreinst in der guten alten Zeit -- Gott habe sie
selig!

Da giebt es aber doch in den schattenfrischen Gründen des oberen
Jiller eine Ruine, die völlig unbekannt und verlassen ist. Sehr viel
Haselnußgebüsch umwuchert das graue, zerklüftete und zerbröckelnde
Mauerwerk, und wenn die Haselnüsse reifen, so sind zumeist die Spechte
und anderen Knacker schon davon und die Dingelchen fallen nieder durch
das gilbende Blätterwerk und kollern auf das Gestein und bleiben liegen
im Schutt und in den Rissen: „Ist Niemand da, der Haselnüsse mag?“

-- ’s ist Niemand da. Die schönen jungen Frauen, die voreinstmal,
als hier noch der große stolze Bau stand, darin gelebt haben, hätten
gerne bisweilen ein wenig so Nüsse geknackt, aber da sind solche noch
nicht gewachsen an den Wänden, in den Höfen, in der Kapelle und in
den Zellen des Nonnenklosters Taubenzell. Und wollten die gottseligen
Jungfrauen dergleichen wilde, aber deswegen doch süße Früchte nagen,
so durften sie sich den kleinen Gang hinaus in den Hirschwald nicht
verdrießen lassen. Da oben war Haselnußgesträuche so dicht und voll als
man es nur wünschen konnte, und der Thierlein gab es auch so manche,
die im Moose krochen, im Strauchwerk raschelten, in den Lüften flogen
und den gottseligen Jungfrauen zur Kurzweil waren.

So war es auch einmal am Tage der heiligen Edeltrudis; die
Haselnußbüsche setzten erst ihre kleinen Knösplein an, denn es war
der Rosenmonat und zum Reifen lange noch Zeit. Aus dem Engthale, in
dem das Kloster stand, stieg ein halb Dutzend Nönnlein hinan gegen
den Hirschwald; -- jede hatte ihren dunkelgrauen Habit mit der weißen
Busenbinde und dem braunen Rosenkranz; jede hatte ihren Capuchon,
den sie aber heute über den Nacken hinabhängen ließen oder gar als
Sack für die Sammelfrüchte benutzten. Und jede hatte auch einen recht
zierlich geflochtenen Korb an die Seite gebunden, denn sie gingen
aus, um Schwämme zu suchen und Erdbeeren zu finden. Sie hatten von
der Oberin die Grenze vorgeschrieben, über die sie nicht hinaus
durften, um nicht etwa in das Revier der Ritter von Karnguld, oder
in ein Bereich zu gelangen, dessen Schwämme und Erdbeeren nicht mehr
zum Kloster Taubenzell gehörten. Es waren derlei Maßregeln gar nicht
überflüssig, denn die Früchtesammlerinnen waren lauter unerfahrenes
Blut, jung, lebendig und wohl auch hübsch. Nur eine war dabei, die
einen ganz kleinen Schaden hatte. Dieser Schaden bestand in einem
winzigen Härchen; das Härchen stand mitten aus einem Wärzchen hervor,
das Wärzchen hinwiederum stand zuhöchst auf der Spitze des Näschens,
das sehr anmuthig gewesen wäre, wenn es nicht ein wenig allzu kühn in
die Welt hineingeragt hätte, der die junge Nonne doch in Form Rechtens
entsagt hatte. -- Es steht zwar nicht in den Kloster-Annalen zu lesen,
daß dieses Härchen aus dem Nasenwärzlein der hochehrsamen Jungfrau
Natalia vormals den jungen Männern so sehr in die Augen gestochen habe,
daß sich diese sofort geschlossen, oder anderen Dingen zugestrebt, bis
Natalia sich von dem Irdischen zu dem Himmlischen wendete und in die
friedsamen Mauern von Taubenzell flüchtete; -- aber von der boshaften
Welt war derlei thatsächlich behauptet worden. Sei dem wie immer,
hoffen wir, daß desweg’ der Jungfrau Lohn im Himmel nicht geschmälert
ist.

Wir könnten nun auch noch von den übrigen Früchtesammlerinnen
manch’ Erbauliches erzählen, doch möge sich der Leser zumal mit der
Versicherung begnügen, daß sie allsämmtlich sehr hübsch und heiter
waren.

Eine Einzige jedoch insonderheit; Gudwella hieß sie, die hatte kaum
fünfzehnmal gesehen, wie die Kirschen blühen; die war auch noch gar
nicht eingemummt in den dunklen Habit der Genossinnen, war erst
kurze Zeit als Novize im Kloster Taubenzell. Sie trug ihr luftiges,
lichtbuntes Kleidchen, in dem sie wie ein kleiner Schmetterling neben
den grauen Puppen flatterte. Sie hüpfte über jede Hecke, stieg auf
jeden Stein, predigte, äffte hierin den alten Klosterkaplan, so daß
die Genossinnen in die Händchen klatschten. Dann wieder beugte sie
sich zu einem Waldmeisterblümchen, hob davor den Finger und sprach:
„Ich könnt’ es wohl, aber merk’, ich brech’ dir nicht den Hals. Wachse
brav, bist du groß, so wirst mein Mann, will einen Waldmeister han!“
Auch spielte die Kleine Versteckens und wußte wie ein Rehlein hinter
jegliches Laubwerk zu schlüpfen, und während sie die Anderen etwa unter
dem Erlbusch suchten, war sie längst hinter dem Hagebuttenstrauch, oder
in den Haselstauden, oder hinter den Johannisbeerblüthen. Plötzlich
rief sie aus einer Bachweide her: „Schwester Natalia lobesam, komm’ mal
her und hol’ Dir diesen schönen Blattpilz!“ -- Und als die Schwester
herbeieilte, um sich nach der Gabe Gottes zu bücken, da that sie
jählings einen kreischenden Schrei und huschte hintan. Der Blattpilz
war ein junger Laubfrosch gewesen, und der wäre dem tugendsamen
Mägdlein schier mit allen Vieren in das Antlitz gesprungen. Die
Genossinnen lachten laut und Gudwella kicherte hinter den Weiden.

So kamen sie immer tiefer in den schattendunkeln Wald hinein, und zu
allem rieselte der laue Sommerhauch in den Blättern, die in Millionen
Scheibchen und Herzchen auf dem Gezweige wiegten, da und dort ein
übermüthiger Falter, ein schalkhaft Vöglein darunter. Das Haidekraut
mit seinen lieblichen Blüthenkrönchen und winzigen Staubgefäßen wurde
auch immer höher und die Nonnen mußten mit ihren weißen Händchen die
grauen Kutten baß emporheben, wollten sie nicht hängen bleiben im
Gestrüppe. Gudwella, welche in solchen Fällen immer die Anschicksamste
war, hatte ihr ohnehin nicht sehr langes Kleidchen ein- für allemal mit
einem buchenzweig’nen Gürtel so hoch hinangeschnallt, daß nachgerade
jegliche Gefahr für den Saum beseitigt war. Bald thaten ihr das auch
die Anderen nach, und nun hatte jede ihren flatternden Laubkranz um die
Hüften, und manch’ Eidechslein unter dem Kraut stand verwundert still,
die neue handsame Tracht der Nonnen von Taubenzell betrachtend.

Der Schwämme wollten sich nur wenige finden und so hüpften die Nönnlein
immer weiter waldeinwärts und kamen endlich gegen eine Schlucht, in
der ein Wasser rauschte, und in der es so finster war, daß die paar
Sonnenpunkte, die sich doch durch die dichten Laubkronen Bahn gebrochen
hatten, auf dem braunen Moosboden dalagen wie blinkende Dukatlein.

Gudwella, der sich in der Hitze der lustigen Waldwanderung das
Gesichtchen geröthet und das goldfarbige Haar gelöst hatte, war immer
die Erste voran. Jetzt aber stand sie plötzlich vor einem blühenden
Dornstrauch still, legte ein Händchen an den Mund und winkte mit
der anderen Hand ihren nachfolgenden Gefährtinnen, daß sie leise
herankommen und keinen Laut von sich geben sollten. Das hielten sie
denn auch so und schlichen ganz behutsam gegen den Dornenstrauch,
begierig auf ein Vogelnestchen, das sie darin zu sehen hofften.

Indeß meinte Gudwella ganz etwas Anderes. Sie guckte in den Strauch,
und zwischen den Blättern und Rosen desselben auf der anderen Seite
wieder hinaus, sie sah in die Schlucht hinab, in der das Wasser
rauschte. Und dort war zwischen bemoostem Gestein, welches in Wänden
den schattigen Raum umfriedete, eine Stelle, an der das Wasser ganz
ruhig stand, und sehr klar und tief zu sein schien. Und in diesem
versteckten Wasser war etwas, weswegen Gudwella so angelegentlich in
den wilden Rosenstrauch lugte.

In dem Wasser, das zwischen dem Gestein ruhig stand, plätscherten
die schlanken weißen Glieder eines schönen Knaben, der sich badete.
Die Mädchenschaar riß ihr ganzes Dutzend Augen auf und spähte in die
Schlucht und ergötzte sich höchlich an dem schönen Haupte mit den
kohlschwarzen Augen, in denen etwas ganz Unbeschreibbares, fast wie
Thau und Feuer lag, ergötzten sich an den dunkeln Lockenschlangen, die
sich völlig bis zu den breiten Schultern hinabschlängelten, ergötzten
sich an den ein bischen aufgeworfenen kirschrothen Lippen, hinter
welchen zuweilen das Schneeweiß der Zähne hervorblinkte, an dem feinen
Kinne, an den zarten, schier fraulichen Wangen, an der kühnen weißen
Stirne; ergötzten sich endlich an den behendigen Armen, an der hohen,
ebenmäßig schönen Brust, über die ein dunkles Schattchen ging. Jählings
aber plätscherte es heftig im Wasser und die Jungfrauen stoben zurück.

Wie eine erschreckte Taubenschaar waren sie auseinander gefahren und
drehten sich jetzt schier verwirrt im Kreise und wußten nicht, wohin
mit den Augen. Keine brachte ein Wort hervor. Jede hub eilig an,
Schwämme zu suchen im Gebüsche, wo seit der Welt Erschaffung kein
einziger noch gewachsen. Vor jedem grünen Heupferdchen und vor jedem
Käfer im Grase schraken sie zurück. Hernach huben sie selbander an zu
kichern und schließlich schlichen sie wieder gegen den Dornstrauch,
um doch die schönen lichten Röslein zu betrachten, und die gelben
klebrigen Fädchen, die inmitten derselben hervorstanden und im
Lufthauche gar leise wiegten. Auch waren die kleinen länglichen Blätter
so frisch grün und hatten so fein gezackte Ränder, und am holdseligsten
waren doch noch die Knöspchen, aus denen schon ein wenig das Roth der
Blüthe guckte. -- Ja, so ein Dornstrauch ist eigentlich ganz wunderbar
schön, wer ihn recht mag besehen! Und die braunen schlanken Zweige, und
die scharfen, halb verborgenen Dörnchen daran -- man muß sich ja nicht
immer davon stechen lassen! --

Der Edelknabe Rodam hatte wohl nicht geahnt, daß Liebhaberinnen des
Dornstrauches so nahe waren; er hatte sich in aller Behaglichkeit und
Lust im Wasser gewiegt, gerenkt, gehoben, hatte seine geschmeidigen
Glieder gestreckt nach allen Seiten, hatte selbst ein paar prächtige
Purzelbäume geschlagen in der krystall’nen Fluth -- bis er endlich, des
Vergnügens satt, auf den Moosteppich des Ufers sprang und dort noch
unterschiedliche Kurzweil trieb, ehevor er in seine schmucken Kleider
schlüpfte.

Und als er nun so in seinem grauen, stets knapp geschnittenen Tuche,
das kirschrothe Seidenwamms und das blaue Mäntelchen um sich geworfen,
das Sammtbaretlein keck in die Stirne gedrückt und selbst einen
zierlichen Degen schon an den Lenden, dahin sprang über Gestein und
Gebüsch, wie ein junger Hirsch, der sich an der Quelle gelabt hat --
da gab es nichts Besonderes mehr am Dornenstrauch, da blickten die
Nönnchen dem flinken und heiteren Jungen nach, bis er, im Dickichte
verschwunden, dem Schlosse der Ritter von Kernguld zueilte.

Und da sonach nichts mehr zu sehen war ringsum, als das aufquellende
und webende Leben der Wildniß und das dunkle Wasser in der Schlucht,
da schrie Gudwella: „Jetzt weiß ich’s, jetzt geh’ ich in’s Wasser und
lern’ das Schwimmen!“ Da jauchzten ihr alle Anderen zu und sagten
dasselbe; allein das Mädchen war bereits davon gehüpft, hatte flugs
sein Röcklein hingeworfen und war mit einem hellen Juhschrei in den
Dumpf gesprungen, in welchem kurz vorhin der Edelknabe geplätschert
hatte. Sie wogte lustig hin und wieder, streckte die zarten Arme nach
den Wellen aus, die sie selbst geschlagen hatte, und goß diese Wellen
über ihr Haupt. Nun kamen auch die Genossinnen herbei, da schrie
Gudwella: „Nichts, da ist nur Platz für Eins, geht ihr dort unten!“
Und sie schlug so heftig um sich, daß die Anderen dem Gischten nicht
nahen konnten, wollten sie nicht mit pudelnassem Habit in’s Kloster
zurückkehren.

Das hat die fünf Jungfrauen gewaltiglich verdrossen, denn just hier
in diesem Dumpfe hätten sie sich an der weichen Kühle zu erquicken
gewünscht.

„Wißt Ihr was, Schwestern“, sagte nun Natalia, die Jungfrau mit dem
Härchen, „jetzt wollen wir Anderen gar nicht baden. Und es schickt sich
auch nicht, und wir wollen es der Oberin sagen, was diese Gudwella für
ein ungesittig Mädchen ist. Jetzt aber eilen wir fürweg, sie mag allein
sehen, wie sie ihre Schwämme findet.“

Deß waren die Uebrigen einverstanden. Sie waren nicht sonderliche
Freundinnen der toll-heiteren Gudwella, die Jeder gern ein Schnippchen
schlug und trotzdem vor der Oberin der Hahn im Korbe war, gleichwohl
sie noch ein Küchlein im Ei und lange noch nicht genug Fähigkeit hatte,
ja vielleicht niemals haben würde, wie solche von einer tugendsamen
Schwester im Kloster Taubenzell wohl verlangt wird.

Die Nonnen von Taubenzell hatten keine Obliegenheiten, die sie noch
mit der Welt verbunden hätten, sie lehrten nicht etwa verwahrlosten
Bettelkindern das Lesen und Schreiben, noch weniger drängten sie sich
an die Betten verwundeter Krieger oder anderer Kranken, trieben auch
nicht Ackerbau, noch anderes Gewerbe, wie solche Dinge so gerne den
Geist vom Himmlischen ablenken. Das Kloster war von einem frommen
Könige gestiftet worden, der selbst zuweilen nicht ungerne durch die
neu angelegten Gärten und Lauben schritt und die sittsamen Jungfrauen
mit väterlichem Wohlgefallen betrachtete, Gott dankend, daß er nicht
in jener heidnischen Religion geboren war, in welcher die Könige ihren
wohlgearteten Frauen nicht Klöster, sondern Harems anlegen. -- Es war
eine hohe Grundsumme für die Anstalt hinterlegt worden; außerdem mußte
jede eintretende Novize ihr gutes Schärflein mitbringen, und nebstbei
waren alle Güter und Höfe in weiter Runde dem Kloster gabpflichtig,
alljährlich gingen der älteren Schwestern dreie mit großen Körben und
Säcken hausiren, um die Gaben einzuheimsen. Was ferner Gott in den
Gärten und im Hirschwalde wild wachsen ließ, das sammelten die in so
vieler Hinsicht bienenfleißigen Nonnen auch ein -- und so ließ sich auf
bequeme Weise ein recht frommes Leben führen und mit Gebet, Gesang und
erbaulichen Betrachtungen dem Himmel zustreben.

Es waren wohl auch strenge Satzungen aufgeschrieben, um die
Sittsamkeit, sonderlich die Keuschheit zu hüten, die indeß, wie jedes
Meistergesetz, nach Bedarf und Umständen gewendet werden konnten. Das
Bedenkliche dabei war nur, daß zu Sittenrichtern und Vollstreckern
der Strafurtheile stets die älteren Jungfrauen, die Patriarchinnen
sozusagen, bestimmt waren. Die irdische Gerechtigkeit kennt keine
strengeren und unerbittlicheren Richter, als derlei gottselige
Matronen, die niemals gefallen zu sein glauben, oder den Fall zu
verheimlichen wissen, oder desselben selbst vergessen haben.

Es lebten an die dreißig Jungfrauen in den Mauern zu Taubenzell, die
der Sage nach thatsächlich so unschuldig wie die Tauben gewesen sein
sollen.

Doch hatte sich einmal -- es war etwa sechzehn Jahre vor den hier
erzählten Begebenheiten -- etwas sehr Besonderes ereignet. Der Wolf im
Hag genannt, das war der Besitzer der Hageburg, eines großen Gehöftes
jenseits des Berges, ein kräftiger herrischer Mann, hatte eine Nonne
aus Taubenzell entführt. Es war dabei keine Vermummung und keine
Strickleiter und kein Mauerdurchbruch in Anwendung gekommen, denn
die Nonne ging gern, ging von selbst, kam ihm schon auf dem halben
Wege entgegen. Sie hatte es bei Zeiten eingesehen, daß ihr jung’
Fleisch und Blut nicht just ausschließlich für’s Beten und Singen
gemacht, sondern auch für Gottes liebe Geschöpfe tauglich war; und
da war es ihr einmal in den Sinn gekommen, unseren Herrgott könnte
es leichtlich verdrießen, wenn sie ihre Talente vergrabe und nicht
anwende und ausnütze, wie andere Leute die ihren. Ließ sie sich denn
von dem Wolf im Hag gern entführen, und bald war auch die Hochzeit
vorbei. Als aber das erste Kind, ein Mädchen, zur Welt kam, da starb
das Weib; und als dieses Kind gegen das jungfräuliche Alter schritt,
da erfaßte den Mann und Vater jählings der Geist der Frömmigkeit. Er
war einer langwierigen Krankheit verfallen, und da er in derselben die
Nächte hindurch oft schlaflos in seinem einsamen Bette lag, gleichwohl
von jeglichem Ungeziefer verschont, hub doch das Gewissen an, ihn zu
beißen. Er kam sich gar entsetzlich lasterhaft vor. Insonderheit quälte
ihn der Gedanke, daß er sein verstorbenes Weib dem Kloster entlockt
und es dergestalt leichtlich der ewigen Verdammniß zugeführt habe. Und
wenn der Kranke doch in einen Schlummer fiel, so war er in demselben
sehr unruhig und es erschien ihm im Traume sein Weib in einer Gestalt,
welche die Muthmaßung von der Verdammniß nur bestätigte. Darüber fragte
der Wolf im Hag einen Priester, und dieser gab ihm zu verstehen, zu
Beider, seines und seines Weibes Seelenheil und Sicherheit sei es
allerdings räthlich, daß etwas gethan, daß nämlich dem lieben Gott ein
ihm geraubtes Schäflein wieder zurückgegeben werde. Das verstand der
Wolf und er entschloß sich, sein einzig Kind, sein Töchterlein Gudwella
in jenes Kloster zu stellen, aus welchem er sein Weib gezogen hatte.
Das heitere, tollwitzige Kind, das trotz einem Knaben den Finken und
Goldamseln nachstöberte, die Forellen und Krebse mit bloßen Händen
aus dem Waldbache fing, dem kein Graben zu tief und keine Hecke zu
hoch war, das mit allen Wesen der Erde seinen Schabernack trieb, sich
selbst dabei zum Pfande einsetzte und in allen Lagen seine unbändige
Lebhaftigkeit und gutmüthige Lustigkeit bewahrte -- dieses Weltkind
sollte nun in’s Kloster gehen. Doch war es beschlossen, und daraus
machte sich Niemand weniger etwas, als Gudwella selber. Das Mädchen
freute sich ordentlich auf das viele Beten und Singen, weil es mit
seiner schallenden Stimme alle anderen Klosterfrauen leichtlich
zu überschreien hoffte. Das Mädchen nahm sich vor, im Kloster mit
beiden Händen fromm zu sein, und zeitweilig auch noch mit den Füßen
nachzuhelfen, kurz, in den Mauern zu Taubenzell ein recht lustiges
Leben zu führen.

Hat’s auch so gehalten, die kleine Jungfrau Gudwella, und gleichwohl in
Zucht und Strenge gehalten, zu ernsten Betrachtungen und trübseligen
Dingen angeleitet, war doch nichts, wovor Gudwella zurückschreckte;
sie war in Allem dabei und mitten d’rin, und sie verstand Allem die
leichte und heitere Seite abzugewinnen, und war immer vergnügt, oft
ausgelassen, während sie sonst Jegliches zur Zufriedenheit der Oberin
verrichtete.

Wir haben ihre Art heute auf dem Waldwege bereits ein wenig kennen
gelernt.

Als Gudwella sich nun einsam in dem dunklen stillen Wasser sah, in
welchem vorhin der Edelknabe geschwommen war, da trat sie etwas Eigenes
an, sie wußte nicht, wie ihr war, was sie sollte; es kam ihr vor, als
müsse sie in dem Gewässer noch die Wärme empfinden, die der Knabe in
ihm zurückgelassen hatte. -- Ihr Uebermuth war völlig geschwunden, es
ging ihr durch’s Mark, schier als ob ein seltsam Gift in den Tropfen
wäre. Sie rang mit den Wellen, an ihren Busen wollten diese sich legen
wie Blei und Glut. Sie war in Gefahr unterzusinken, da schrie sie
plötzlich: „Dieses Wasser ist verhext!“ und schwang sich an das Ufer.

Zitternd zog sie die Linnen an, die vom Gischten naß geworden waren,
so daß dieselben sich nun glatt und weich um die Formen ihrer Glieder
schmiegten und dermaßen wohl auch das Wandeln erschwerten.

Sie irrte im Walde umher und war in sich verloren; sie horchte
dem Wasserrauschen und erschrak wieder vor demselben. Ein weißes,
verlaufenes Kaninchen fing sie ein, setzte sich damit auf das Gras und
hub es auf ihren Schoß. Das Thierchen glotzte sie mit seinen rothen
Augen treuherzig an und zog fortwährend sein Näschen aus und ein. Dann
erhob sie sich, stellte das Kaninchen auf ihre linke Achsel und sagte:
„Pst, da oben bleibst jetzt hocken und muckst dich nicht!“ Darauf
fand sie reife Erdbeeren, pflückte dieselben in ihr Körbchen, und das
Thierchen saß wirklich ganz ruhig auf ihrer Schulter, nur daß es ein
klein wenig an dem feuchten Lockenhaar nagte und zupfte und dabei recht
aufgeweckt seine langen Ohren spitzte.

Als Gudwella endlich dem Thale des Klosters zuhüpfte, hatte sie ihre
tollwitzige Laune vollständig wieder gewonnen und versuchte, ob das
Kaninchen zur Feier ihres Einzuges in die geweihten Mauern denn nicht
auf dem Scheitel ihres Hauptes hocken wolle. Und richtig, mit solch’
lebendigem Haarschmucke schritt nun das Mädchen schalkhaft bedächtig in
das Refectorium ein, in welchem die graue Gemeinde der Nonnen bereits
beim Mahle zusammen saß.

Jetzt aber erhob sich eine ältere Schwester von ihrem hochlehnigen
Sessel, winkte, ohne auch nur ein einziges Wörtchen zu sagen, dem
Mädchen zu, umzukehren, und trieb dieses in wahrer Form zur Thür
hinaus.

Einige Stunden später saß Gudwella auf dem Sünderbänklein in der grauen
Halle; und alle Schwestern waren in diesem Raum versammelt, aber jede
hielt sich fern von der weltlustvollen Tochter des Wolf im Hag, über
die nun das Gottesgericht hereinbrechen sollte.

Bald kam die Oberin herangeschwebt; sie hielt ihr betagtes Haupt
aufrechter, als sonst; ihre linke Hand legte sie an die Brust, über
welche ein goldenes Kreuz hing, die Rechte hielt sie etwas gehoben, um
mit derselben den Gruß zu winken. Gemessen und streng stand sie nun
da. Noch hatte sie keinen Blick auf das Mädchen geworfen, das auf der
Sünderbank saß und nicht recht wußte, was es heute für ein Gesichtchen
ziehen, ob es ausnahmsweise einmal ganz ruhig und feierlich sitzen
bleiben, oder ob es sich behendig erheben und der Aebtissin ihre
heiteren und zierlichen Grüße machen sollte.

Die Oberin wendete sich an die Reihen der Nonnen und hub an so zu
reden: „Liebwerthe Schwestern! Wir hatten gehofft, eher in das Grab
steigen zu dürfen, als ein Unglück zu erleben, wie ein solches über
unser gottgeweihtes Haus hereingebrochen ist. Wohl war uns seit
geraumer Zeit schon bekannt, daß ein Weltkind in unseren Mauern weile,
für dessen Heil wir stets den Segen des Himmels erflehten; aber wir
haben nicht gewußt, daß eine gefährliche Sünderin in unserer Mitte
lebe, die, weil mit mancher bestechenden Eigenschaft ausgestattet,
leichtlich Verderben und das schrecklichste Unheil über unsere
theuere Gemeinschaft bringen könnte. Gottes Rathschluß hat uns aber
die Gefahr gnädigst aufgedeckt, freilich durch ein Vorkommniß, das
wir tief bedauern, durch ein Aergerniß, das uns erschüttert hat.
Möge das gedachte Wesen Gott danken, daß es noch nicht die ewige,
sondern vormal nur die irdische Strafe ist, der es anheimgefallen.
Die Satzungen unseres heiligen Ordens haben für eine so gröbliche
Uebertretung der Tugend kaum eine Sühne, sondern den unmittelbaren
Ausstoß aus unserem Hause. Da wir aber zu Gott hoffen, daß er das so
junge, leichtfertige Weltgeschöpf noch erleuchten werde, so wollen
wir demselben Gelegenheit geben, sein schweres Fehl in unseren Mauern
zu büßen. Wir ordnen zu Recht, daß die Novize, Gudwella genannt, die
Tochter des Wolf im Gehage, vom Feste der Apostelfürsten Petrus und
Paulus an drei Tage und drei Nächte hinter zweifachen Thüren in die
stille Herberge verschlossen werde.“

Ein Schauern ging durch den Kreis der Schwestern, und selbst Natalia,
die Jungfrau mit dem Härchen, erblaßte.

Die stille Herberge, das war kein trauter Ort, das war eine Kammer
unten im alten, verlassenen Meierhofe, der am Rande des Gottesackers
stand, in dem die alten Rüst- und Folterwerkzeuge aufbewahrt lagen,
in dem das Beinhaus und auch die Wohnung des Todtengräbers war. Die
stille Herberge, die zudem noch mit gar seltsamen Geräthen ausgestattet
war, diente dem Kloster Taubenzell zur Bußkammer. Der Meierhof stand
eine Strecke abseits vom Kloster in einem verwilderten Hain von Erlen,
Birken und blassen Weiden.

Als Gudwella gemerkt, daß sie der Gegenstand der Versammlung im
grauen Saale war, hatte sie sofort sehr aufmerksam der Rede der
Oberin zugehört, und war wirklich ein wenig erschrocken, als von
einer Sünderin verlautet wurde, die in die stille Herberge müsse. Sie
kannte die stille Herberge vom Vorübergehen; da hatte sie einmal durch
das Gitterfensterchen hineingeguckt und aus Vorwitz laut gefragt, ob
Niemand daheim sei, bis sie einen offenen Sarg gesehen, der für die
Büßerinnen als Bettstatt bestimmt war.

„Je, dies Bett wär’ mir viel zu klein!“ hatte sie hierauf hell gerufen
und war davongehüpft. --

„Ist das, weil ich mich oben im Wald gebadet habe?“ fragte jetzt die
verurtheilte Novize eine Nebenstehende, die aber sogleich zurückwich
und keine Antwort gab.

„Ehrwürdige Frau Oberin“, sagte Gudwella hernach zur Aebtissin, die auf
ihrem Platze noch stehen geblieben war, „warum zu Peter und Pauli erst?
Muß es schon sein, so will ich gleich in den Kotter hinein, daß ich
bald wieder herauskommen kann.“

Ueber diese Bemerkung war ein großer Theil der Schwestern entrüstet.
Die Oberin richtete sich noch höher auf. Sie hatte erwartet, daß das
Weltkind einen Fußfall thun und um Gnade flehen werde, die sie denn
vielleicht bereit war, auch zu geben. Nun ihr aber diese neuerliche
Leichtfertigkeit, dieser schier gotteslästerliche Trotz entgegentrat,
war sie sofort fest entschlossen, das strenge Urtheil, wie es noch
selten zu Taubenzell gefällt worden, an Gudwella auszuführen.

Nun vergingen noch der Tage sechs, da war Peter und Paul. Von den
betagtesten drei Schwestern wurde die Tochter des Wolf im Hag zum
Meierhof geleitet, von dem nur das finstergraue Giebeldach über das
hochwuchernde Baum- und Buschwerk emporragte.

Der Todtengräber, ein alter, vierschrötiger Mann, mit Knochen so
knorrig und wuchtig, als hätte er dieselben im alten Beinhause eigens
für sich herausgemustert, hatte bereits von Allem Kenntniß, über Alles
Auftrag. Der nahm nun die Jungfrau an der Hand, blickte ihr mit seinen
grauen, alterstrüben Aeuglein in das Antlitz und murmelte: „Beim Kreuz,
das ist einmal eine Sünderin, die sich gewaschen hat!“ Und er führte
sie durch einen niedrigen Thorbogen, an dem der Epheu rankte, führte
sie durch einen öden Hof, in welchem dort und da ein Fensterlein mit
eisernen Balken war, aus dessen weiten Fugen aber nichts als graue
Heuhalme hingen. Dann führte er das Mädchen einen finsteren Gang
entlang, schloß ein Thor auf und hinter sich wieder zu, führte das
Mädchen durch einen zweiten Gang, in welchem Holzmodergeruch wehte,
schloß endlich wieder ein Thor auf und sagte: „Nichts für ungut, ich
hab’ das Stüblein recht gelüftet; da sind die Bücher, da ist der
Betschemmel, da ist das Lager, da ist das Brot; das Wasser werde ich
noch bringen.“

Die Flügelfenster mit den kleinen, sechseckigen Scheibchen standen
offen; vor dem Eisengitter fächelten die thauigen Zweige einer Birke,
zwischen denselben war die Aussicht auf begraste Hügel, über welchen
braune und graue Holzkreuzlein ragten. Die Bücher, welche auf einem
altarartigen Tischchen lagen, bestanden aus Erbauungsschriften, geziert
mit Kupfern aus der Leidensgeschichte der Heiligen. Der Betschemmel
war ein eckiger Stein, der aus dem Boden ragte. Als Bettstatt diente
ein Sarg, der so grau und wurmstichig war, daß man auf die Vermuthung
kommen konnte, er habe schon drei Jahre lang unter der Erde gestanden.
Das braune Laibchen des Brotes war das Einzige, was freundlich an das
Leben gemahnte. Der irdene Wasserkrug war nun auch herbeigeschafft
worden; der Todtengräber sagte: „Drei Tage werden vergehen, wie die
siebenundvierzig Jahre vergangen sind, die ich in diesem Hause verlebe.
Hab’ manch’ Andere hier hereingeführt, in deren Haut nicht Jede stecken
möchte; Ihr ergötzt Euch leichtlich mit Euch selber, luget in den
Wasserkrug.“ Sagte es, verschloß die Pforte und schlich durch den
hallenden Gang davon.

Kaum war Gudwella allein, so streckte sie die Hand aus dem Fenster,
riß einige Birkenzweige ab und schmückte damit ihr Haar sowohl, als
auch ihre unheimliche Lagerstatt. Dann blickte sie im Gemache umher,
fand aber nichts als die grauen Wände; auf dem bestaubten Ofen lag
ein bestaubter Todtenschädel, den schlug sie mit einem Birkenzweig
herab, daß er über den Boden kollerte, dann rief sie: „Oho! Hast dir
weh gethan!“ Sie wollte den Schädel zum Fenster hinauswerfen, allein
das eng geflochtene Gitter ließ ihn nicht durch; da sagte Gudwella:
„Siehst du, jetzt haben sie dich auch eingesperrt, und jetzt halten wir
zusammen.“

So hatte das Mädchen in der stillen Herberge die erste Bekanntschaft
gemacht. Ihr natürlicher Humor, der gute Geselle, war mit ihr in
das Gefängniß gegangen; freilich hatte er eine etwas andere Farbe
und Tonart, wie da draußen im freien Wald; aber der Schalk war es
doch noch immer. -- Schließlich wand Gudwella dem Knochenschädel ein
Birkenkränzlein um die Stirne: „Könntest ja mein Bräutigam geworden
sein, wenn du nicht wahrscheinlich eine tugendsame Klosterfrau gewesen
wärest....“

Aber für die Länge unterhält sich’s mit einem Todtenkopf nicht recht
possirlich, und als der Tag vorüberging und von der reichen, heiteren
Welt draußen nicht einmal eine Mücke zum Fenster hereingeflogen war,
dachte Gudwella an das Wort des Todtengräbers: „Ihr ergötzt Euch
leichtlich mit Euch selber, luget in den Wasserkrug!“ -- Im Wasserkrug
war Wasser: sie lugte doch hinein, ob der gute Mann nicht etwa süßen
Meth in denselben gethan habe. Es war Wasser, jedoch, im dunklen
Spiegel desselben war ein rosig’ Köpfchen gezeichnet und gemalt -- ihr
eigen’ Angesicht lächelte ihr entgegen und zeigte die weißen Zähnchen
und die hellen Aeuglein und das zierliche Näschen, das glatt und
sauber war über und über, und auf dem kein böses Haar stand. -- Das
machte ihr vielen Spaß, und sie blies in den Wasserspiegel, daß alle
Theile des Gesichtchens wie Quecksilber zitterten, und darüber lachte
sie hell und ergötzte sich.

So war der erste Tag vergangen. Aber die erste Nacht? Im Sarge lag
Stroh: Gudwella warf es nicht heraus, um sich auf dem kalten Boden ein
Lager zu bereiten. „Vor dir fürchte ich mich schon lange nicht“, hatte
sie zum Sarge gesagt, „du bist auch im grünen Walde gewachsen, wie ich.“

In der Abenddämmerung blickte sie noch hinaus in das Freie, wo
Fledermäuse flatterten und Johanniswürmchen schimmerten. Zwischen den
Kreuzen huschte es wie eine dunkle Gestalt dahin....

Gudwella schloß das Fenster.

       *       *       *       *       *

Der Edelknabe hieß Rodam. Er war ein Sohn der ritterlichen Krimburger
und hatte sich bislang im Kerngulder Schlosse als Page der Jugend
erfreut. Er hatte hier die Feinheit und Sittigkeit der Frauen und die
Tapferkeit und den Edelmuth der Männer gesehen. Er hatte der schönen
Schloßfrau den Becher goldbraunen Methes kredenzt, er hatte dem Herrn
das funkelnde Schwert an die Seite geschnallt. Er hatte die Armbrust
im Walde geführt, er hatte gelernt, das feurige Roß zu zähmen. So
hatte es sein Herr Vater gewollt und freute sich seines kräftigen und
wohlgestalteten Sohnes, der nun im Kerngulder Schlosse zum Ritter
geschlagen in die heimatliche Burg zurückkehren sollte.

Inzwischen jedoch ereignete sich die Geschichte, die hier erzählt wird.

Am Vortage seiner Ritterweihe zog Rodam noch durch den Wald, durch
den er so oft gewandelt und geritten war, und von dem er nun Abschied
nehmen sollte. So kam er auch zur schattigen Schlucht und zur
Wassertiefe, in die er seinen Leib so oft getaucht hatte. Das wollte er
auch heute noch einmal thun: die Knabenschaft soll weggeschwemmt, der
junge Ritter soll getauft sein in den kalten Fluthen des Waldes.

Am andern Tage aber, kaum eine Stunde danach, als das breite Schwert
auf seine Schulter niedergesunken war, vernahm es Rodam bei festlichem
Mahle wie eine Mär’, daß im Kloster Taubenzell eine wunderholde
Jungfrau zur Gefangenschaft im Todtenhause, die stille Herberge
genannt, verurtheilt worden, weil sie sich im Walde gebadet habe an der
Stelle, wo vor ihr ein Jüngling im Wasser geschwommen sei.

Als Rodam diesen Bericht vernommen hatte, setzte er seinen silbernen
Humpen an den Mund und trank ihn aus.

Und ehe er noch zurückkehrte in seiner Väter Burg, durchstreifte er
die Gegend, um die Wahrheit des Gerüchtes zu erproben, umkreiste das
Kloster, um die Jungfrau, wie sie ihm beschrieben war, zu sehen. Er
sah sie nur von ferne, aber er erfuhr genau die Tage und Nächte ihrer
Gefangenschaft. Da sagte er zu sich: „Minnedienst ist Ritterthat! Die
Jungfrau, die vielleicht meinetwegen duldet, soll nicht verlassen sein.“

Er faßte der Pläne mehrere. Vor dem Fenster stehen und Lautenspielen
zur nächtlichen Weile war ihm zu knabenhaft. Den alten Wart bestechen,
wollte ihm nicht recht möglich scheinen; denn der Alte war ein
ehrlicher Klotz, der brachte selbst die goldenen Ringlein, so an den
ausgegrabenen Gebeinen hingen, den Erben zurück. Aber ehrliche Leute
sind ja leichtgläubig, und weil sie nicht betrügen, so müssen sie
betrogen werden, damit auch an ihnen des Lebens Gleichgewicht zur
Geltung komme. --

Als jedoch am Peter- und Paulitag der Abend nahte, für den Rodam
schon so Manches vorbereitet hatte, da stieg eine Nonne nieder vom
Klosterhügel und begehrte bei dem alten Gräber Einlaß zur Büßerin, um
dem jungen Blute die nächtlichen Stunden zu mildern und ihm Litaneien
und Psalmen vorzubeten, so wie es die Oberin befohlen habe.

„Ist einmal ein vernünftig Gebaren das“, brummte der Alte, „sollte
es ihr schon nach dem Psalm nicht verlangen, so wird ihr gewiß ein
Plauderstündchen willkommen sein.“ Und er geleitete die Schwester
durch die Gänge und Pforten in die Zelle der Jungfrau. Dann drehte er
knarrend wieder die beiden rostigen Schlösser ein und schritt langsam
und schier erleichterten Herzens in sein Stübchen am Haupteingange
zurück.

Gudwella, die am Fenster saß, war eben beschäftigt gewesen, aus
Brotkrümelchen einen Edelknaben zu kneten; nun hatte sie das Gebilde
sofort zwischen sich und der Mauer hinabsinken lassen und blickte
verwundert auf die eingetretene Nonne, die im Dunkeln stand und sich
kaum regte.

„Ei,“ fragte Gudwella endlich, „habt Ihr auch die Tugend verletzt, daß
Ihr hier seid?“

„Ich habe mich auch im Waldwasser geatzt,“ versetzte die Schwester,
„und darum bin ich hier.“

Gudwella stutzte. Was war das für eine Stimme? Die kannte sie nicht,
die hatte sie im Kloster nie gehört; ein solcher Ton geht nicht aus
Frauenmund.

„Jungfrau, ich bitt’ Euch, woll’t mich nicht verdammen,“ sagte
jetzt die fremde Gestalt, „wenn es so ist, daß Ihr meinetwegen hier
schmachtet, so will ich Euch zur Gesellschaft sein an diesem rüchigen
Ort, der für ein so junges und schönes Frauenbild nicht will geschaffen
sein. Ich bin Rodam, der Sohn der ritterlichen Krimburger, und selbst
zum Ritter geschlagen vor wenigen Tagen im Schlosse der Kerngulder.
Ich bin der Knab’, den Ihr in der Bergschlucht mögt gesehen haben, dem
Ihr nachgefolgt seid und dessentweg’ Ihr der Freiheit beraubt worden.
Jungfrau, ich bitt’ Euch um die Gunst, lasset mich Euer Wächter sein.“

Bei diesen Worten war der Nonnenhabit von der Gestalt niedergesunken
und ein junger Rittersmann stand da in herrlicher Schönheit des Leibes
und im stolzen Schmucke seiner Würde.

Die Jungfrau saß unbeweglich am Fenster. Es war in der Dunkelheit nicht
zu sehen, wie sie erblaßte, wie sie zitterte und wie ihr Aug’ im Zorne
glühte. Sie wollte den kühnen Eindringling von sich weisen, sie wollte
um Hilfe schreien, allein in ihrer Brust wüthete ein Kampf, den sie
bisher noch nie empfunden, und ihre Zunge war wie gelähmt. Endlich sank
ihr Haupt und sie hub heftig zu schluchzen an.

Da sank der Ritter auf sein Knie und sagte: „Jungfrau, was soll das
bedeuten? Ich versteh’ es nimmer. Ich habe mich verleiten lassen,
vielleicht durch Uebermuth, vielleicht durch Eitelkeit, die dem Ritter
nicht geziemt; vielleicht wohl auch, weil ich Euere holdsame Gestalt
im Garten erblickt. Wie sehr Ihr angelegen mir seid -- daß ich um
Euretwillen der Ritterehr’ vergessen, zur List gegriffen hab’, das
mag’s Euch weisen. Nun bin ich da; am Morgen, wenn der erste Fink
wird singen und die Grasmücke zirpen, wird nach der Verabredung der
Pförtner wieder erscheinen und die Nonne von dannen geleiten. Rodam
aber wird hier auf seinem Knie ruhen die ganze Nacht und Euch anflehen
um Verzeihung.“

So sprach der Jüngling. Gudwella aber hatte sich erhoben und das
Lichtlein angezündet auf der rostigen Lampe. Rodam hatte eine Kohle
aus der Ofennische genommen. „Jungfrau,“ sagte er, „hier mit diesem
Griffel ziehe ich einen Kreis auf dem Boden um mich herum; und wenn ich
einen Schritt aus diesem Kreise trete, bevor der Pförtner erscheint,
so soll mich der große Gott verdammen auf Erden und bei seinem letzten
Gerichte!“ Und er zog mit der Kohle einen schwarzen Ring um sich.

Das Mädchen sah ihm dabei zu, dann sagte es leise: „Ist schon recht,
das ist der Zauberkreis, und wenn Ihr über denselben hinausspringt, so
holt Euch auf der Stell’ der Andere mit den schwarzen Hörnern und mit
der glühenden Kette!“

Es war schon wieder die Schalkheit in ihr.

So lebten sie nun; Gudwella saß am Fenster und blickte in die Nacht
hinaus auf den stillen Friedhof, der von den hohen Weiden und Birken
des Haines umgeben war, und über den die Sternlein des Himmels
funkelten. Rodam stand in seinem Kreise wie eine Statue aus Erz; die
Linke hatte er an seinen Gürtel gestemmt, in der Rechten hielt er das
entblößte Schwert, das er auf den Boden stützte. Die Locken wallten ihm
wild um das jugendzarte Gesicht; seine Lippen, über welchen kaum noch
der schattende Hauch der Männlichkeit zu verspüren war, hielt er fest
geschlossen, sein großes Auge wendete er nicht von dem Mädchen, das zu
hüten und zu schützen er gekommen war.

Endlich wollte Gudwella ein wenig ruhen, und als sie sich in den Sarg
niederließ, rief sie lustig wie einst durch das Fenster herein: „Je,
dies Bett ist mir viel zu eng!“

Das Licht wurde nicht ausgelöscht; da könnte, schloß das Mädchen, der
Rittersmann ja seinen Kreis nicht sehen und möchte leichtlich aus
Zufall die Grenze überschreiten.

Draußen stand nun der Mond über den schwarzen Wipfeln des Haines, und
die Kreuze warfen ihre Schatten über die thaublassen Grashügel, und es
war, als ging ein silbernes Spinnengewebe über Alles.

„Geht,“ rief die Jungfrau plötzlich aus ihrem Schreine hervor, „geht,
Herr Ritter, laßt Eure schauerliche Weis’ und legt das Schwert aus der
Hand, das kann ich nicht leiden.“

Gelassen lehnte Rodam das Schwert an die Mauer, stand aber nichts
destoweniger nach wie vor bewegungslos auf seiner Stelle.

Als es aber gegen den Morgen ging und Rodam merkte, daß Gudwella
nicht schlummere, sagte er: „Jungfrau, habt Ihr Euch in dieser Nacht
gefürchtet?“

„Wovor hätte ich mich fürchten sollen?“ entgegnete das Mädchen, „nicht
vor den Todten habe ich mich gefürchtet, weil ~Ihr~ dagewesen; und
nicht vor Euch habe ich mich gefürchtet, weil die Todten nahe sind.“

„So werde ich in der nächsten Nacht wiederum kommen, um bei Euch zu
wachen.“

Auf dieses Wort hatte das Mädchen nichts entgegnet.

Nun mußte draußen schon der Fink singen und die Grasmücke zirpen, im
Gange hallten die Schritte des Thorwarts. Rodam hüllte rasch den grauen
Habit um, that die dazugehörige Kapuze über das Haupt, und als der
Schlüssel im Schlosse knarrte, stieg er aus seinem Kreise und machte
eine schier minnesame Verneigung vor der Jungfrau, die sich in ihrem
leichten Kleidchen halb auf dem Lager erhoben hatte.

Der schlaftrunkene Alte führte hierauf die Nonne hinaus, schloß die
Pforten; und als die letzten Schritte in den Gängen verhallt waren, da
fand es Gudwella gar einsam und öd in der Kammer, genannt die stille
Herberg.

       *       *       *       *       *

Am zweiten Tag versuchte es die junge Büßerin, einen großen, roth und
blaugefleckten Schmetterling durch das Fenster zu locken, was ihr aber
nicht gelang; der schöne Falter setzte sich wohl an ein Birkenreis und
lugte ein wenig in das Gemach; der goldlockige Mädchenkopf mochte ihm
gefallen, aber die Kammer war ihm zu dunkel und so flatterte er wieder
davon. Bald darauf sah Gudwella auf einem Birkenblatte eine schwarze
Puppe mit hellrothen Sternchen kleben. „Wart,“ sagte sie freudig,
„jetzt bekomme ich aber doch noch einen herein!“ Sie löste das Blatt
behutsam ab und legte es in der Kammer auf das Tischchen. Sie legte
auch noch andere Blätter dazu, deren sie vom Fenster aus habhaft werden
konnte; und sie verwahrte das Püppchen sorgfältig zwischen all’ dem
Grünen, und wartete nun, bis das Ding flügge werden sollte.

Es verging der Tag, es kam frisches Brot und frisches Wasser; es ließ
sich die Oberin erkundigen, ob die Novize ein besonderes Bedürfniß
oder ein Seelenanliegen habe; sie sandte bei dieser Gelegenheit ein
Fläschchen erfrischenden Getränkes, welches die Büßerin aber mit einer
etwas störrigen Bemerkung zurückschickte. Es kam auch sonst der Alte
noch mehrmals in die Kammer, aber der Schmetterling schlüpfte nicht aus.

Und zur späten Abenddämmerung meldete sich wieder die Schwester bei
dem Pförtner und verlangte Einlaß zur Büßerin, um dem jungen Blut
die nächtlichen Stunden zu mildern und ihm Litaneien und Psalmen
vorzubeten, wie es die Oberin befohlen habe.

Der Eintritt war ganz wie in der ersten Nacht, nur daß Gudwella
diesmal den Ritter schon erwartet zu haben schien. Sie hatte ein
Schnürchen in Bereitschaft, das sie vom Henkel des Fensters bis an die
gegenüberliegende Wand so ziehen wollte, daß es die Kammer in zwei
Theile schnitt, den einen für Gudwella, den andern für den feinen
Rittersmann. Der Kohlenkreis, meinte sie bei sich, sei doch zu eng
gezogen und könne gar so leicht übersehen werden in der nächtlichen
Dunkelheit, wenn etwa das Oel der Lampe ausginge und das Licht
verlösche.

Rodam hatte nichts dagegen einzuwenden. Er legte die Vermummung ab und
konnte sich nun in dem ihm angewiesenen Raume etwas freier bewegen, als
in der vorigen Nacht.

Gudwella blickte wieder zum Fenster hinaus und sagte auf einmal: „Ei,
das ist doch schön, jetzt steigen aus den Gräbern die Funken auf.“

Rodam eilte, um zu sehen. Glühende Johanniswürmchen schwebten über den
Hügeln. Gudwella lachte, daß sie durch ihren bildlichen Ausdruck den
Ritter an’s Fenster gelockt habe. Der Jüngling, dem Mädchen einmal so
nahe gekommen, wahrte seinen Vortheil, ohne jedoch im Geringsten an die
Grenzschnur zu streifen.

Das Mädchen hub an zu schwätzen, erzählte vom Walde, vom heimatlichen
Hofe, mischte allerlei kleine Schwänke darunter; dann aber begann es
auch an den jungen Rittersmann in recht zierlicher Art unterschiedliche
Fragen zu stellen, die er mit Freundlichkeit und Minne beantwortete.
Dann sagte sie, wie ihm doch das schwarze, weite Wamms mit den
hellrothen Schlitzen über der Brust so gut lasse, aber die obere
Schleife, achte sie, müsse er etwas knapper ziehen. Rodam stellte sich
an die Schnur und sagte: „Jungfrau Gudwella, ich kann es mit meinen
Augen nicht sehen, wie mir die Schleife am Halse steht; ich bitt’ Euch
daher, daß Ihr mir sie nach Eurem Ermessen zurechtrücken wolltet.“

Da hob das Mädchen die zarten Hände bis gegen das Kinn seines jungen
Hüters, zog die Sammtschleife knapper, ließ sie wieder locker, daß
der weiße schlanke Hals ein wenig herauslugte, und band sie dann um
so fester und enger zusammen. Rodam versäumte nicht den Augenblick,
als nach vollbrachtem Werke die Händchen sanken, um dieselben mit den
seinen aufzufangen und minniglich zu küssen. -- Dabei nun strich er
freilich ein wenig an die Schnur, daß dieselbe bis an ihre Enden hin
erzitterte.

Ueber den Wipfeln des Haines stand wieder der Mond und goß, trotz
des trübflackernden Lämpchens das weiße Bild des Fensters mit seinen
dunklen Rahmen und Gittergewinden auf den Boden der Kammer.

„O nein, Mond“, sagte da Gudwella, „mit dem bloßen Schein bin ich nicht
zufrieden, ich will dein ganzes kugelrundes Leiblein bei mir im Kämmerl
haben.“

Sofort stellte sie den vollen Wasserkrug an’s Fenster. „Gucket, Herr
Ritter,“ rief sie, „da d’rin hockt er jetzt, der Schelm; nur zum
Trinken muß man ihm was vorsetzen, gleich ist er da.“

Die ganze Mondscheibe blinkte aus dem schwarzen Grunde des Wassers.

„Ja, der hat’s gut,“ entgegnete Rodam, „der braucht nicht erst die
Kleider abzulegen, wenn er badet.“

Gudwella schwieg diesmal. Sie entfernte sich ein wenig von der Schnur,
und der Jüngling wog erst jetzt das ausgesprochene Wort, und es war
ihm weh’, das reizende Kind verscheucht zu haben. Es war ihm jählings
gar schwül in seiner Brust, er schlug den Fensterflügel auf und lehnte
sich an die Brüstung.

„Warum thut Ihr das?“ sagte Gudwella, „Ihr müßt das Tuch über’s Haupt
legen, wenn Ihr zum Fenster geht.“

„Es schreit der Nachtvogel so stark,“ sagte der Jüngling.

„Der Nachtvogel? Herr Ritter, vielleicht fliegt er herein, daß wir ihn
füttern könnten,“ versetzte das Mädchen, welches alles Gethier und
selbst die Nachteule um sich versammelt haben wollte. Sie eilte an das
Fenster, um zu horchen; und jetzt waren da die beiden Häupter so nahe
beisammen, daß Gudwella fühlte, der Rittersmann habe eine heiße Wange,
daß Rodam vernahm, wie der Jungfrau das Herzchen schlug. Und da war es
plötzlich dem jungen Edelmann, der rechts stand, als ob er den Vogel
nur mit seinem linken Ohre höre, dem Mädchen hinwiederum schien es,
als ob derselbe zur Rechten schreie -- sie wendeten ihre Köpfe, und so
fügte es sich, daß jählings die zwei Paar Lippen aneinander glitten....

In demselben Augenblicke hallten draußen im Gange die Schritte eines
Nahenden. Es sang noch nicht der Fink, es war erst Mitternacht. Rodam
schlüpfte nicht in seine Vermummung, er griff nach dem Schwerte.
Gudwella aber erhaschte ein Psalmenbuch, schlug es auf und betete laut
im gewohnten Litaneienton:

„Mein Leben wollten sie vertilgen in der Grube, sie legten einen
Stein auf mich. Schon schlug das Wasser über meinem Haupte zusammen,
ich dachte, es ist aus mit mir. Da rief ich aus des Abgrundes Tiefe,
Jehova, Deinen Namen. Du nahtest Dich am Tage, als ich Dich um Hilfe
flehte, und sprachst: Fürchte Dich nicht! Du, Herr, führtest die Sache
meiner Seele, Du rettetest mein Leben!....“

Als der alte wachsame Todtengräber vor der Thür hörte, daß die Büßerin
so bete, und also Alles seine Ordnung haben werde, ging er wieder
davon. Gudwella aber erschrak baß über das Klagelied des Jeremias,
durch welches sie zufällig ihre eigene Herzensstimmung dem Rittersmanne
vorgesungen hatte. -- Ihre Seele zitterte, ihr Gemüth war schwer. Ohne
noch ein Wort zu sagen, legte sie sich in ihren Schrein.

Rodam stand an der Markschnur, die von der Bewegung bei dem vorigen
Ereignisse kaum noch zur Ruhe gekommen war, und seine Gestalt sah
wieder einer ehernen Statue gleich; nur sein offenes Antlitz war
geröthet, und sein großes, dunkles Auge glühte und wollte sich von der
lieblichen Schläferin nimmer wenden.

Draußen jauchzte noch zweimal die Nachteule; des Mondes blasse Tafel
auf dem Boden hatte sich gar seltsam gegen den Sarg hin verschoben. Das
matte Licht der Lampe war verloschen.

Endlich sang der Fink, zirpte die Grasmücke; der alte Wart kam und
geleitete die fromme Schwester von dannen. Und als Gudwella erwachte,
war sie allein.

       *       *       *       *       *

Am dritten Tage ließ die Aebtissin der jungen Novize sagen, sie und
alle ehrwürdigen Schwestern seien erfreut, daß Gudwella so geduldig und
standhaft in ihrer Buße verharre, und man bete für sie, daß sie auch
noch den letzten Tag und die letzte Nacht in christlicher Ergebenheit
zubringe, auf daß sie rein und gerechtfertigt in die heiligen Mauern
des Klosters zurückkehren könne.

Es war dem Stifte viel gelegen an diesem Weltkinde, welches, wenn
auch launig, übermüthig und ausgelassen, doch sein irdisch’ Gut der
himmlischen Gemeinde zum Opfer brachte. Die bösen Begierden erachtete
man durch die stille Herberge wohl als gebrochen; und so wurde
erwartet, daß Gudwella, die in dieser Sache weder an ihrem strengen,
gottesfürchtigen Vater, noch an einem anderen Freund oder Verwandten
eine Zuflucht hatte, nach Verlauf des Probejahres den bindenden Segen,
der sie bis zum Tode an das Haus des Friedens fesseln soll, dankbar
annehmen werde.

Darum wurden dem Mädchen am dritten Tage seiner Gefangenschaft die
obigen gütigen Worte gesagt. -- Zwei Schwestern hatten sie gebracht,
waren aber bald wieder aus dem unheimlichen Gemache davongegangen. --
Die haben es eiliger, als die brave Nonne, die zur Nachtzeit kommt, um
der armen Büßerin christliche Beistandschaft zu leisten -- hatte sich
der Pförtner gedacht.

Dann hatte der Alte der Gefangenen wieder die nöthigen Dinge gebracht,
und hatte schließlich gefragt, ob noch Oel in der Lampe, worauf
Gudwella „ja“ geantwortet, und hatte die Zelle verlassen.

An diesem Tage waren zwei Hummeln in das Kämmerlein geflogen, hatten
um das Haupt des Mädchens eine Weile herumgeläutet, hatten hierauf
Hochzeit mit einander gehalten.

Der Schmetterling unter den Birkenblättern aber hatte sich noch immer
nicht entpuppt, und das Mädchen blickte sehnsüchtig in den sonnigen,
blühenden Tag hinaus, in welchem überall das Leben spann und klang. Die
Hügelchen schienen sich nach und nach zu ebnen, selbst die hölzernen
Kreuze morschten und sanken der Erde zu, während aus dieser Halm um
Halm, Blüthe um Blüthe in reicher Fülle sproßte.

Endlich kam auch des dritten Tages Abend und mit ihm die Nacht. Bei dem
Pförtner meldete sich wieder die Klosterfrau, im Kämmerlein erschien
der Ritter.

Er grüßte minniglich, sie dankte fein. Er hob ihre weiche Hand zu
seinen Lippen, sie lächelte mild. Sie war heute nicht übermüthig und
sie war nicht verzagt; sie war der Jungfrauen holdeste -- sie dankte
süß, daß er gekommen.

Sie hatte heute keine Schnur gezogen, und auch der Kohlenkreis war
verwischt. Als sie die Lampe wollte anzünden, war kein Oel darin. Also
bat sie den jungen Rittersmann, daß er auch in dieser Nacht, wie in den
vorhergehenden Nächten, ihr tugendsamer und treuer Hort verbleiben möge.

„Meine liebholde Jungfrau,“ antwortete der Jüngling, „Rodam hätte Euch
Folgendes zu sagen: Seines Vaters Landgüter sind groß, aber sie haben
ihre Grenzen ringsum, und diese Grenzen sind mit Marksteinen besetzt,
auf daß der Landmann und der Hirt und der Jäger weiß, wie weit sich das
Reich erstrecke. Und so muß auch, schöne Jungfrau Gudwella, Rodam’s
Reich in Euerem Gemache eine sichtbare Schranke haben, über die er
nicht greifen darf, innerhalb derselben er aber schalten und walten
mag nach Lieb’ und Lust. -- Ihr seht, mildreiche Maid, dort über den
Weiden steht der Mond; er legt seine lichte Tafel auf den Boden dieses
Kämmerleins; wollet Ihr es erlauben, daß ich Besitz nehme von diesem
hellen Viereck und darin verbleibe die ganze Nacht, und darin schalte
und walte nach meinem Belieben?“

„Das will ich Euch gerne gestatten, mein höflicher Rittersmann,“
versetzte Gudwella gemessen, „die Zelle ist nicht groß, und es mag mich
daher sehr freuen, daß Euere Ansprüche so bescheiden sind.“

Sie hatte erwartet, daß sich wieder Gelegenheit bieten würde, an seiner
vielleicht etwas lockeren Bekleidung Einiges zu ordnen. Nun er dort am
Ofen wie eine Bildsäule stand und stehen sollte, war an derlei nicht zu
denken.

Gudwella hatte von seiner und ihrer Tugendlichkeit einen hohen Begriff,
und dachte an nichts, und wußte von nichts, was es außer derselben
etwa noch geben könnte. Aber darin war ihre Weltanschauung im Klaren,
daß allzu große Bescheidenheit den Rittersmann nicht ziere. Sie that
schweigend ihr Oberkleid ab und legte sich in das bereits völlig
traulich gewordene Bettlein. Sie löste ihr Haar, sie legte ihren
Arm unter das Haupt; dann rührte sie sich nicht mehr, betete still,
träumte, schlief endlich ein. --

Rodam aber stand, stets seines Ritterwortes eingedenk, auf dem silberig
schimmernden Viereck. Gar still war es im Kämmerlein und draußen, und
das freundliche Rund des Mondes zog so langsam über den Wipfel des
Haines dahin.

Einmal bewegte sich die Jungfrau ein wenig und hauchte träumend ein
süßes Wort.

Rodam sah zum Boden nieder, auf dem sein helles Reich sich still und
sachte der mitternächtigen Himmelsgegend zu bewegte.

Es war eine schwüle Nacht; Rodam mußte am Kinne seine Schleife lockern
und sein schwarzes Wamms mit den hellrothen Schlitzen über der Brust.
Die reichen Locken seines Hauptes waren ein wenig feucht; einzelne
Härchen regten sich und zitterten wie im Hauche eines südlichen
Lüftchens. Wer es gesehen hätte: aus den Spitzen dieser Lockenhaare
haben blaue, glanzlose Flämmchen gezuckt zur selbigen Stunde.

Rodam dürstete nach einem Schluck Wassers, allein von seiner Stelle
aus konnte er den Krug nicht erreichen. Die Spitzen seiner Finger
waren kalt, er legte sie an die Stirne, an die glühenden Wangen, an die
lechzenden Lippen.

So verging Stunde um Stunde in heißer Glut und in stiller Ruh’. Und
als die Mitternacht und ein halb’ Stündchen noch verflossen war, da
ereignete es sich, daß Jungfrau Gudwella plötzlich vom Schlummer
emporfuhr und einen schweren Schreckhauch that.

Die Augen schlug sie auf, da sah sie über sich das helle silberperlende
Rad -- und die Tafel des Mondes lag auf ihrem Schreine....

In demselben Augenblicke aber schob sich ein Wolkenstreifen, der lange
schon am nächtlichen Himmel stand, vor den Planeten; tiefer Schatten
stand im Kämmerlein allerwärts. -- Der Jüngling hatte keinen eigenen
Boden mehr unter seinen Füßen. Das lichte Bereich war verloren. -- -- --

Am Morgen, als Rodam wieder davon war, flatterte ein buntes Flämmchen
im Kämmerlein umher. Der Schmetterling hatte sich entpuppt.

Und als die Sonne aufging und das Glöcklein schallte oben in der
Kapelle des Klosters, da kamen der Schwestern sieben, um die standhafte
Büßerin aus ihrem düsteren Gewahrsam zu befreien.

Gudwella schritt mit blassem Antlitz und gelöstem Haar aus der Zelle,
und ihr Auge senkte sich demuthsvoll zur Erde.

Da war es zur Stunde, daß der alte Thorwart und Todtengräber einen
heiseren Ruf der Ueberraschung ausstieß.

Auf einem hohen, wildschnaubenden Hengste kam herangeritten, genau nach
Mannesart im Sattel sitzend, die Schwester im grauen Habit, welche die
drei Nächte hintereinander gekommen war, um der Büßerin, dem jungen
Blut, die nächtlichen Stunden zu mildern.

Und in einem kühnen Satze sprang diese Nonne jetzt vom Roß, weithin
flatterte der Habit auf den Sand und ein schmucker Ritter stand da, dem
Alten drei schwere Goldstücke in den Hut werfend -- als Schlüsselgeld.

Dann, als die sieben ehrwürdigen Frauen mit der jungen Büßerin
herankamen, stellte sich der Rittersmann trotzig ihnen in den Weg,
begehrte in kühner Sprache, daß man anhalte und ihn höre, und warb dann
schön und minniglich um die junge Maid Gudwella.

Und die junge Maid schlug entzückt ihr Auge auf und sah im strahlenden
Tageslichte die Anmuth und Herrlichkeit ihres vielgetreuen Hüters. Mit
züchtigem Schritt abwendete sie sich von den sieben würdigen Schwestern
und legte ihre Hand in die des Ritters.

Im Niedergange stand die blasse Scheibe des Mondes; im Aufgange aber
loderte das Flammenrad der Sonne, voll ewiger Majestät verkündend:
„~Das Leben siegt!~“

[Illustration]



Verlag von L. Staackmann in Leipzig.


Peter Rosegger.

Ein Beitrag zur Kenntnis seines Lebens u. Schaffens.

~Von Hermine und Hugo Möbius.~ Ca. 9 Bogen in Lexikon 8^o, reich
illustriert mit verschiedenen Beilagen; elegant kartoniert. Preis M.
3.50.

Der Inhalt zerfällt in: I. =Roseggers Leben= (Jugendzeit in
Alpl, Handwerkerzeit in der Waldheimat, Studienzeit in Graz; sein
Leben in Graz und Krieglach, Rosegger als Vorleser, seine religiösen
Anschauungen, die Heilandskirche und das Waldschulhaus, Roseggers
60. Geburtstag). II. =Roseggers Werke=: Charakteristik des
Dichters, Einführung in seine Werke (Besprechung der Hauptwerke, der
kleineren Erzählungen und Schilderungen, der Schriften in steirischer
Mundart). III. =Aufzählung der Werke= und =vollständiges
Inhaltsverzeichnis= derselben (alphabetische Reihenfolge der
mehr als 1300 verschiedenen Erzählungen etc.) -- =Eine Fülle von
interessanten Illustrationen=, die zum Teil noch nie veröffentlicht
wurden, werden dem Werk zur besonderen Zierde gereichen; der Preis ist
ein außergewöhnlich niedriger.

=Leipz. N. N.= sagen u. a.: Ein zuverlässiger Führer ist das
vorliegende Buch in jedem Falle. Und es liest sich gut. Auch zu
Geschenkzwecken dürfte es sich seiner geschmackvollen Ausstattung wegen
gut eignen.

=Pädagog. Brosamen=: Das ist ein wunderhübsches Buch nach Inhalt
und Ausstattung, ein höchst empfehlenswertes Geschenk! Wie sehr mir
das Buch gefallen hat, erhellt wohl daraus, daß ich das Buch ohne
abzusetzen, durchgelesen habe.

=Neues Wiener Tageblatt=: Reich an Schilderungen und
Charakteristik ist dieses Rosegger-Buch und wert, von jedem gelesen zu
werden, der den Dichter liebt, so wie er es verdient, geliebt zu werden.


Peter Rosegger und die steirische Volksseele

von ~Ernest Seillière~. Autorisierte Übersetzung von ~J. B. Semmig~.

In eleganter Ausstattung M. 2.50.

Diese kritische Studie, die zuerst in der angesehensten Monatsschrift
Frankreichs, der _Revue des deux Mondes_, erschien, hat in
literarischen Kreisen berechtigtes Aufsehen erregt. Sie beschäftigt
sich mit der Person und den Werken des Dichters in so eingehender
und liebevoller Weise, wie dies bisher überhaupt noch nie geschehen,
und zwar nicht blos vom poetischen und moralischen, sondern ganz
besonders vom religiösen Standpunkte aus. =In Deutschland wird
diese Schrift um so mehr interessiren, weil es gerade ein Franzose
ist, der Rosegger mit solcher Hingebung studiert hat.= Noch mehr,
Seillière ist überzeugter Katholik, und trotzdem liebt er den Dichter,
von dem er selbst zu seinem Leidwesen bekennen muß, daß er in vieler
Hinsicht auf einem ganz anderen Standpunkt steht als er. Das Eintreten
des bedeutenden französischen Literarhistorikers für den steirischen
Poeten wird diesem sicher zu weiterer Anerkennung verhelfen und ihm die
=Bahn für seinen Eintritt in die Weltliteratur ebnen=.



Verlag von L. Staackmann in Leipzig.


Schriften von Otto Ernst

Letzte Erscheinung:

Vom geruhigen Leben

Humoristische Plaudereien

über große und kleine Kinder. Buchschmuck von ~Max Dasio~.

~=Dreizehntes Tausend=~

175 Seiten auf imitt. Büttenpapier

    Preis brosch.    M. 2.50
    In Originalband  M. 5.50

[Illustration: Verkleinerte Einbandzeichnung.]

Preßstimmen-Auszüge:

=Victor Blüthgen in der „Deutschen Monatsschrift“=:.... Eine
behaglich idyllische Stimmung liegt drüber, und man verfolgt eine
sichere, vornehm formende Poetenhand, die gutlaunig-breit mit
Hausweisheit und Kindern spielt... vor allem das mittelste gehört zu
dem drolligsten und anmutigsten, was je aus dem Kinderleben in die
Literatur übergegangen ist....

„=Leipziger Lehrerzeitung=“:.... Und nun kommen die Plaudereien,
wie sie bis jetzt nur Ernst geschrieben hat, herzerquickende
Plaudereien über einfache Vorgänge und Beobachtungen in der Familie....
Das Werk ist reich an eigenen Gedanken; Herzblut pulsiert in den Worten
und ein wahrer Humor gibt überall die rechte Würze....

=„Die Woche“, Berlin=, schreibt in Nr. 23 vom 6. Juni u. a.: Ein
köstliches kleines Wesen (Appelschnut) leibhaftig und wirklich bis in
die Fingerspitzen, hat der Dichtervater in dieser Gestalt, getroffen. --

„=Berliner Zeitung=“: Ein neues Buch von Otto Ernst ist mir wie
ein froher Festtag. Ich glaube, wir haben heute gar keinen besseren
Humoristen und Satiriker als wie Otto Ernst.


    =Offenes Visier!= Gesammelte Essays aus Literatur, Pädagogik
    und öffentlichem Leben.

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    Bände.

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    Bd. 2 brosch. M. 4.--, geb. M. 5.--.

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    =Ein frohes Farbenspiel.= Humoristische Plaudereien. 11. u.
    12. Taus.

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    =Gedichte.= Der neuen Gedichte 2., der. Ged. 3. Aufl. Br. M.
    2.50, geb. M. 3.50.

    =Stimmen des Mittags.= Neue Dichtungen. Brosch. M. 2.50, geb.
    M. 3.50.

    =Otto Ernst.= Eine literarische Studie von ~Johannes
    Schumann~. M. 1.--.



Verlag von L. Staackmann in Leipzig.


Weihnachts-Novitäten 1905:


    =Ernst, Otto, Besiegte Sieger.= Novellen u. Skizzen. 3.
    vielfach veränderte Auflage der „Verborgenen Tiefen“. Brosch. M.
    3.--, Gebund. M. 4.--.

    =Ertl, Emil, Die Leute vom blauen Guguckshaus.= Roman. Brosch.
    M. 4.50, eleg. geb. M. 6.--.

    =Geissler, Max, Hütten im Hochland.= Roman. Mit Buchschmuck
    von Felix Schulze. Brosch. M. 4.--, eleg. geb. M. 5.--.

    =Ginskey, Franz Carl, Das heimliche Läuten.= Gedichte. Mit
    Buchschmuck von Alfred Keller, Wien. Brosch. M. 2.--, eleg. geb. M.
    3.--.

    =Greinz, Rudolf, Im Herrgottswinkel.= Lustige Tiroler
    Geschichten. Brosch. M. 3.--, eleg. geb. M. 4.--.


Im Laufe des Jahres erschienen:

    =Ernst, Otto, Asmus Sempers Jugendland.= Der Roman einer
    Kindheit. 16.-20. Tausend. Broschiert M. 3.50, eleg. geb. M. 4.50,
    in ~Liebhaberhalbfranz~ M. 6.--.

    =Ernst, Otto, Der süsse Willy.= Geschichte einer netten
    Erziehung. 8.-12. Taus. Mit Umschlagzeichnung v. Arpad
    Schmidhammer. Kartoniert M. 1.--.

    =Ertl, Emil, Opfer der Zeit.= Novellen. 2. Auflage. Brosch. M.
    3.50, eleg. geb. M. 4.50.

    =Geissler, Max, Das Moordorf.= Ein Kulturroman. 3. und 4.
    Tausend. Mit Federzeichnungen von J. v. Eckardstein. Brosch. M.
    5.--, eleg. geb. M. 6.--.

    =Greinz, Rudolf, Marterln und Votivtaferln= des Tuifelemalers
    Kassian Kluibenschädel. Mit vielen launigen Zeichnungen von Arpad
    Schmidhammer. Eleg. kart. M. 3.--.

    =Nora, A. De, Sensitive Novellen.= Umschlag von Ad. Münzer.
    Brosch. M. 2.50, eleg. geb. M. 3.50.





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