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Title: Kulturgeschichte der Nutztiere
Author: Reinhardt, Ludwig
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Kulturgeschichte der Nutztiere" ***


                    Kulturgeschichte der Nutztiere



                        Die Erde und die Kultur

                   Die Eroberung und Nutzbarmachung
                      der Erde durch den Menschen

                    In Verbindung mit Fachgelehrten
                  gemeinverständlich dargestellt von

                        _Dr._ Ludwig Reinhardt

                                Bd. III

                    Kulturgeschichte der Nutztiere

                                München

                     ~Verlag von Ernst Reinhardt~



                    Kulturgeschichte der Nutztiere

                                  von

                        _Dr._ Ludwig Reinhardt

            Mit 67 Bildern im Text und 70 Kunstdrucktafeln

                            [Illustration]

                             München 1912

                     ~Verlag von Ernst Reinhardt~



                        Alle Rechte vorbehalten


                 Roßberg’sche Buchdruckerei, Leipzig.



Vorwort.


Im Jahre 1862, also vor genau 50 Jahren, wurde die auf
wissenschaftlicher, nämlich vergleichend-anatomischer Grundlage
beruhende Haustierkunde von meinem ehemaligen Lehrer, Professor Ludwig
~Rütimeyer~ in Basel, durch die Publikation seiner berühmten „Fauna der
Schweizer Pfahlbauten“ begründet. Zehn Jahre vorher, bei Gelegenheit
eines ungewöhnlich niedrigen Wasserstandes des Zürichsees, waren
bei Meilen die ersten Reste von Pfahlbauten entdeckt worden, denen
sich in rascher Folge andere Fundstellen an den übrigen Voralpenseen
anschlossen. An Hand des umfangreichen, ihm zur Bestimmung überwiesenen
Knochenmaterials konnte Rütimeyer die Zahl der von den Neolithikern
der Schweiz gehaltenen Haustiere bestimmen und in unzweifelhafter
Weise an ihrem Knochenbau die Merkmale der Haustierschaft gegenüber
dem Wildstande feststellen. Woher sie aber kamen und welchen Ursprungs
sie waren, auch welche Beziehungen sie zu den Haustieren der
geschichtlichen Europäer hatten, das vermochte er allerdings nicht
herauszubringen, weil das damals hierfür nötige wissenschaftliche
Material fehlte. Doch haben sich in der Folge verschiedene seiner
Vermutungen bestätigt. Was er kühn begonnen, führten bedeutende Männer
wie Theodor Studer, Konrad Keller, Hermann von Nathusius, Alfred
Nehring, Jeitteles, Woldrich u. a. weiter. Und wenn wir auch noch
weit davon entfernt sind, die Geschichte der Herkunft, der Abstammung
und Wanderung der Haustiere durch die Jahrhunderte genau zu kennen,
so haben wir doch so viel erreicht, daß wir wenigstens die Grundzüge
derselben ziemlich klar zu überblicken vermögen. Den Stand unseres
heutigen Wissens darüber im Zusammenhange zu geben und das Interesse
weiterer Kreise, die sich bis jetzt diesem wichtigen Tatsachenmaterial
gegenüber gleichgültig verhielten, zu wecken, soll der Hauptzweck
dieses Buches sein, das dem Titel gemäß außer den eigentlichen
Haustieren auch alle Nutztiere des Menschen in den Kreis seiner
Betrachtung einbezieht. Wie bei der zuvor publizierten Kulturgeschichte
der Nutzpflanzen wurden besonders die literarischen Zeugnisse des
Altertums als für uns wichtig gewürdigt. Dabei wurde wiederum mit
derselben Sorgfalt für die Beschaffung von gutem, noch nirgends
publiziertem Illustrationsmaterial als einem wesentlichen Bestandteil
des hier in Betracht kommenden Urkundenmaterials gesorgt. Möge das Buch
dieselbe freundliche Aufnahme wie seine Vorgänger finden.

~Basel~, im November 1911.

    =_Dr._ Ludwig Reinhardt.=



Inhalt.


                                                                   Seite

    Einleitung                                                         1

    1. Der Hund                                                        3

    2. Rind und Büffel                                                47

    3. Die Ziege                                                      94

    4. Das Schaf                                                     116

    5. Das Schwein                                                   145

    6. Der Esel                                                      161

    7. Das Pferd                                                     180

    8. Das Kamel                                                     212

    9. Das Lama                                                      222

    10. Das Renntier                                                 228

    11. Der Elefant                                                  238

    12. Kaninchen und Meerschweinchen                                270

    13. Die Katze                                                    280

    14. Das Huhn                                                     300

    15. Perlhuhn, Pfau, Fasan und Truthuhn                           322

    16. Gans, Ente und Schwan                                        338

    17. Die Taube                                                    361

    18. Die Sing- und Ziervögel                                      384

    19. Kormoran und Strauß                                          400

    20. Die Nutzfische                                               412

    21. Die Nutztiere unter den Wirbellosen                          449

    22. Die Honigbiene                                               488

    23. Der Seidenspinner                                            521

    24. Die Geschichte der Jagd                                      531

    25. Die wichtigsten Jagdtiere                                    596

    26. Nützliche wilde Vögel                                        638

    27. Pelz-, Schmuckfedern- und Schildpattlieferanten              671

    28. Die Transpender                                              702

    29. Tiere als Spielzeug                                          728



Tafelverzeichnis.


    Tafel                                                          Seite

     1.   Wolf; Pariahund                                             16

     2.   Eskimohunde; Schäferhund                                    16

     3.   Molosser; pompejanischer Hund                               32

     4.   Assyrische Doggen                                           32

     5.   Altägyptischer Hund                                         32

     6.   Ägyptischer Windhund; römischer Hund                        32

     7.   Banteng; Zebubulle                                          56

     8.   Zebuherde                                                   56

     9.   Luxusgespann von Zebu                                       56

    10.   Hissarzebu; griechischer Stier                              56

    11.   Assyrische Urjagd                                           64

    12.   Zuchtstier Walo                                             64

    13.   Schwyzerkuh                                                 64

    14.   Wisent; Bison                                               64

    15.   Büffel im Reisfeld                                          80

    16.   Milchbüffel; Yack                                           80

    17.   Toskanisches Hausrind; kirgisisches Rind                    96

    18.   Ägyptisches Relief mit Ziegen                               96

    19.   Assyrische Herden von Tiglatpilesar III.                    96

    20.   Markhor; Angoraziege                                        96

    21.   Mähnenschaf; Muflon                                        120

    22.   Schieferplatte der Negadazeit                              120

    23.   Ägyptische Stiere und Widder                               120

    24.   Steppenschaf; Mykenische Schafe                            120

    25.   Assyrische Fettschwanzschafe                               128

    26.   Kirgisische Fettschwanzschafe; Karakulschaf                128

    27.   Widderkampf; Fettschwanzschaf in Chiwa                     128

    28.   Widder des Fettschwanzschafes                              128

    29.   Orientalischer Esel; Ägyptischer Esel                      128

    30.   Abessinischer Esel; Sartische Eselin                       128

    31.   Eselhengst; Maultier                                       176

    32.   Zebroid; Grevy-Zebra                                       176

    33.   Zebra und Fohlen; Zebragespann                             176

    34.   Weidende Zebraherde                                        176

    35.   Assyrische Wildpferdjagd; Przewalskis Pferd                184

    36.   Assyrischer Streitwagen                                    184

    37.   Rennwagen                                                  208

    38.   Reiter vom Parthenon                                       208

    39.   Shetlandpony                                               208

    40.   Mongolenpferd; Araberpferd                                 208

    41.   Hochzeitszug mit Pferden und Kamelen                       216

    42.   Trampeltier                                                216

    43.   Pflügende Kamele                                           216

    44.   Kamelkarawane in Biskra; Kirgisen auf dem Marsch           216

    45.   Lama                                                       224

    46.   Renntiere                                                  224

    47.   Kleiner afrikanischer Elefant; 2 erlegte afrikanische
            Elefanten                                                240

    48.   Ceylonelefant                                              240

    49.   Ägyptische Hauskatze                                       288

    50.   Jagdleopard; Frettchen                                     289

    51.   Schwan; Ägyptische Wildgänse                               353

    52.   Stockente; Truthuhn                                        353

    53.   Kormorane                                                  400

    54.   Strauß                                                     400

    55.   Lachs                                                      432

    56.   Hecht; Barsch                                              432

    57.   Aal; Schmetterlingsfische                                  432

    58.   Spiegelkarpfen; Karpfenteich in Böhmen                     432

    59.   Seidenraupen 1. und 2.                                     528

    60.   Seidenraupen 3. und 4.                                     528

    61.   Assyrerkönig Assurbanipal zu Pferd                         544

    62.   Windhunde des Khans von Chiwa                              544

    63.   Wildfanggruben; Wasserjagd                                 576

    64.   Hirschjagd mit Leithunden; Vogeljagd                       576

    65.   Schottisches Moorhuhn                                      640

    66.   Waldschnepfe                                               640

    67.   Junge Robben in Kalifornien                                688

    68.   Biber; Biberbau                                            688

    69.   Römisches Mosaik                                           736

    70.   Ochsenhatz in Nürnberg; Derbyrennen                        736



Einleitung.


Unter den Nutztieren des Menschen sind weitaus die wichtigsten seine
~Haustiere~, an die zunächst jeder denkt, wenn von solchen die
Rede ist. Ohne diese Nutztiere wäre es ihm vollkommen unmöglich
gewesen, die Kulturhöhe zu erreichen, auf der wir ihn heute angelangt
sehen. Welche bedeutende Rolle sie im Haushalte des Menschen spielen,
ist genugsam bekannt, so daß wir hier nicht näher darauf einzugehen
brauchen. Es genüge ein kurzer Überblick über die Verbreitung der
Haustiere auf der Erde. So hat das Ackerbauministerium der Vereinigten
Staaten kürzlich eine Statistik aufgestellt, wonach man die
Haussäugetiere der gesamten Erde auf anderthalb Milliarden schätzt;
davon sind 580 Millionen Schafe, 95 Millionen Pferde, 9 Millionen Esel,
2 Millionen Kamele, 21 Millionen Büffel, 100 Millionen Ziegen, 150
Millionen Schweine und 900000 Renntiere. Dabei besitzen die Vereinigten
Staaten von Nordamerika die größte Anzahl von Schweinen, nämlich 50
Millionen, und Pferden (25 Millionen). In bezug auf die Zahl der Pferde
werden sie beinahe von Rußland eingeholt. Für die Schafzucht kommt an
erster Stelle Australien mit 88 Millionen, dann Argentinien und an
dritter Stelle die Vereinigten Staaten mit 57 Millionen. Die Hälfte
aller Maulesel der Erde gehört den Vereinigten Staaten und ein Drittel
aller Ziegen wird in Indien angetroffen. Diesem Lande gehört auch die
erste Stelle in bezug auf den Besitz von Großvieh mit 70 Millionen
Zebus oder Buckelochsen. Die Zahl der kleineren Nutztiere, vor allem
der Hühner, Enten, Gänse, Tauben festzustellen, ist vollkommen
unmöglich, geht aber jedenfalls in die vielen Milliarden.

Im folgenden wollen wir nun in der chronologischen Reihenfolge, wie
sie unter die Botmäßigkeit des Menschen gelangten, die Zähmung der
verschiedenen Haustiere und die Geschichte ihrer Verbreitung über die
Erde vor unserem geistigen Auge entrollen. Den Anfang dabei macht der
Hund, der weitaus der älteste Genosse des Menschen aus dem Tierreich
ist, und infolge dieser überaus langen Domestikation auch am meisten
intellektuell vom Umgange mit seinem ihm geistig so sehr überlegenen
Herrn profitiert hat.

Die ältesten Nutztiere des Menschen waren alle diejenigen, die ihm
in ihrem Fleisch zur Speise und in ihrem Felle als Wärmeschutz gegen
die Unbill der Witterung, besonders die Winterkälte, dienten. So
lange der Mensch als Jäger genug Beutetiere zur Verfügung hatte, kam
es ihm durchaus nicht in den Sinn, sich etwa gefangene Beute als
lebenden Proviant zu reservieren und in eingehegten Bezirken zu seiner
Disposition zu halten. Und wenn er auch einmal ein junges Tier, das in
seine Gewalt geriet, lebend nach Hause brachte und es angebunden oder
in irgend welchem Verschlag gefangen hielt, so tat er dies nicht aus
Nützlichkeitsgründen, sondern zu seinem und seiner Kinder Vergnügen.
So halten die südamerikanischen Indianer und andere Jägerstämme auf
niederer Kulturstufe nicht selten die verschiedensten Tiere um ihre
Wohnstätten herum in Gefangenschaft, aus dem einfachen Grunde, weil sie
ihnen Unterhaltung bieten. Sie wollen durchaus keinen Nutzen von ihnen
ziehen und halten sie als große Kinder bloß zu ihrem Vergnügen.

In der Regel pflanzen sich solche gefangene Tiere überhaupt nicht
fort, so daß schon dadurch keine Kontinuität in der Gefangenhaltung,
die zur Haustierschaft hätte führen können, möglich ist. Und pflanzen
sie sich auch ausnahmsweise fort, so fehlt dem Menschen dennoch
zunächst die Erkenntnis, daß in der Zähmung dieser oder jener Tierart
ein wirtschaftlicher Fortschritt liegen könne. Er erstrebt von diesen
Genossen überhaupt keinen Nutzen, sondern nur Unterhaltung; und als
er weiterhin dazu kam, auch einen Nutzen aus ihnen ziehen zu wollen,
war es meist nicht der für uns Menschen einzig in Betracht kommende
materielle Nutzen, der sie ihm angenehm machte, sondern ein ideeller
Nutzen als nützliche Vermittler zwischen ihm und der von ihm so
gefürchteten, ihn überall umgebend gedachten Geisterwelt. So sind, wie
wir bald sehen werden, verschiedene, und zwar die ältesten Haustiere,
zunächst aus solchen Gründen der Geisterfurcht, also des Aberglaubens,
wie wir es auffassen, in ein innigeres Verhältnis zum Menschen
getreten.



I. Der Hund.


Der unstet als Jäger lebende paläolithische Mensch hat noch keinerlei
Haustiere sein eigen genannt; erst zu Beginn der jüngeren Steinzeit
gelangte der Mensch in den Besitz von solchen. Unter diesen ist weitaus
das älteste der ~Hund~, der uns in Europa zum erstenmal zu Beginn der
neolithischen Zeit, vor etwa 12000 Jahren in sehr loser Verbindung
mit dem Menschen, der an den Küsten der Ostsee in den Muschelhaufen
die Abfälle seiner Nahrung anhäufte, entgegentritt. Dieser Hund der
frühneolithischen Muschelesser an den Küsten des nordischen Meeres,
speziell Dänemarks, war zum größten Teil noch ein Wildhund, und zwar
ein zutraulicher Schakal, der sich freiwillig dem Menschen anschloß,
um an der von ihm übriggelassenen Beute den knurrenden Magen zu füllen
und sich in der warmen Asche der von ihm verlassenen Lagerfeuer zu
wärmen. Junge dieses wenig scheuen und überaus gesellig veranlagten
Wildhundes wurden gelegentlich gefangen und an den Lagerplatz der Horde
gebracht, um hier als Spielzeug und Gefährten der heranwachsenden
Jugend freiwillig Futter und ein warmes Plätzchen am Feuer zu
erhalten. Von den Erwachsenen werden besonders die mitleidvollen
Weiber diese drolligen Wesen gehätschelt und, wie dies heute noch sehr
häufig bei kulturell niedrig stehenden Menschen vorkommt, die der
Mutterbrust entbehrenden allzu jungen, hilflosen Gäste an ihrer Brust
gesäugt haben. Durch solchen überaus engen Verkehr mit dem Menschen
faßte der Wildling bald Zutrauen zu ihm und trat in ein besonderes
Freundschaftsverhältnis zu den Kindern und Weibern, die sich seiner
freundlich annahmen, während die Männer diese neuen Familienglieder
häufig genug mit Fußtritten und Prügeln regaliert haben werden.
Letztere sorgten auch sonst dafür, daß es ihm nicht zu wohl wurde in
ihrer Mitte, und schlugen ihn häufig genug tot, besonders in Zeiten, da
die Muschellese, der Fischfang oder die Jagd aus irgend welchen Gründen
unergiebig war und der grimmige Hunger sich bei ihnen geltend machte.
An verschiedenen auf uns gekommenen Bruchstücken von Hundeschädeln
aus den dänischen Kjökkenmöddings oder Muschelabfallhaufen können
wir erkennen, daß sie mit Holzknütteln eingeschlagen und dann weiter
aufgebrochen wurden, um außer dem Fleisch, das als Speise diente, auch
das warme Gehirn als besondere Delikatesse dieser Menschen zu verzehren.

Daß es diesem die größte Ähnlichkeit mit dem Schakal aufweisenden
Wildhunde bei diesen unkultivierten Muschelessern im Ostseegebiet in
jeder Beziehung schlecht genug ging, das beweist schon sein stark
verkümmertes Knochengerüst. Es muß schon eine rührende Anhänglichkeit
gewesen sein, daß dieses durch Hunger und Entbehrungen der schlimmsten
Art herabgekommene Geschöpf bei solch schlechter Behandlung es in
der wenig verlockenden Gesellschaft dieser rohen Menschen aushielt
und es nicht vorzog, das ungebundene Leben der viel besser genährten
freien Verwandten zu führen. Es liegt eben im gesellig lebenden
Hundegeschlechte eine überaus treue Anhänglichkeit an die Umgebung, der
die Einzelindividuen durch Aufnahme und Gewöhnung in jugendlichem Alter
angepaßt wurden. Das können wir heute noch in den zoologischen Gärten
beobachten, wo wir häufig genug sehen, wie sich jung eingefangene
und unter einigermaßen guter Behandlung frei aufgezogene Schakale
oder Wölfe mit Freudensprüngen, schweifwedelnd, den Körper zur Seite
gekrümmt, sich an den Pfleger herandrängen und dessen Hand liebkosen.
Mit vollem Recht schreibt der erfahrene Tierzüchter, _Dr._ Heck, der
Direktor des Berliner Zoologischen Gartens über den Hund: „Wer wissen
will, woher unser liebenswertestes Haustier, das nicht bloß seines
körperlichen Nutzens halber vom Menschen unterjocht worden ist, sondern
sich ihm freiwillig, von ganzem Herzen und mit ganzer Seele zu eigen
gegeben hat: der Hund, stammt, der komme mit mir bei meinem mächtigen
rumänischen Wolfsrüden vorbei und beobachte ihn, wenn ich nur mit den
Fingern schnalze oder gar ein paar freundliche Worte mit ihm spreche!
Die Liebe zum Menschen steht diesen Tieren auf dem Gesicht geschrieben,
sie ist ihnen angeboren.“

Daß diese halbzahmen Hunde der Muschelesser Dänemarks dem Menschen
außer als Fleisch- und Pelzlieferanten irgend welchen Nutzen gewährten,
oder von ihm gar zum Aufspüren der Beute auf der Jagd verwendet wurden,
ist zweifellos ganz ausgeschlossen. Jedenfalls blieben sie vorzugsweise
in Gesellschaft der Frauen und Kinder an den Lagerplätzen und erhielten
dort von jenen, die ihnen in erster Linie freundlich gesinnt waren,
allerlei unvollständig abgenagte Knochen und sonstige Speiseabfälle
zu essen. Diese Aufmerksamkeiten belohnten sie durch ihre Wachsamkeit.
Mit einem außerordentlich feinen Geruchssinn und scharfem Gehör
ausgestattet, meldeten sie alle sich dem Lagerplatze nähernden Menschen
und Tiere lange bevor die dort weilenden Menschen ihrer gewahr wurden.
Diese ihre Dienste waren besonders in der dunkeln, unheimlichen Nacht,
in der ein Überfall durch bösgesinnte Menschen und wilde Tiere doppelt
zu befürchten war, von größtem Vorteile für ihre menschlichen Genossen,
da sie im Gegensatz zu diesen, in einen sehr tiefen Schlaf verfallenden
Wesen nur einen äußerst leichten Schlaf besitzen, durch das geringste
Geräusch erwachen und dann ihre Umgebung durch Lautgeben auf allfällige
Ruhestörer aufmerksam machen.

Wie die Wildhunde werden auch sie noch geheult haben statt zu bellen,
wie dies übrigens viele, nur sehr unvollständig domestizierte Hunde
von Naturvölkern und auch die herrenlosen, mit dem Islam, der den Hund
als unreines Tier verachtet, bis nach Europa gebrachten Pariahunde
des Orients, wie überhaupt alle verwilderten und aus der Botmäßigkeit
des Menschen entlaufenen Hunde heute noch tun. Erst später haben sie
das sie als Haustiere kennzeichnende Bellen gelernt, „was“ -- wie
der vorgenannte _Dr._ Heck sich ausdrückt -- „so im Hundeblut drin
liegen muß, daß selbst manche zahme Vollblutwölfe und Schakale es sich
angewöhnen!“ Jedenfalls besaßen sie auch noch wie ihre wilden Vorfahren
Stehohren und einen hochgetragenen, noch nicht geringelten Schwanz
und haben wie sie und ihre Verwandten, Wolf und Fuchs, beim Traben
„geschnürt“, d. h. die vier Füße bei gerade in der Bewegungsrichtung
gehaltenem Körper in eine gerade Linie hintereinander gesetzt, und zwar
immer einen Hinterfuß in die Spur eines Vorderfußes derselben Seite.
Später dagegen gewöhnte sich der Hund als Genosse des Menschen an zu
„schränken“, d. h. beim Trabe den Körper schief zur Bewegungsrichtung
zu stellen und Vorder- und Hinterfuß derselben Seite schief
nebeneinander zu setzen. Auch in seinem anatomischen Bau nahm der Hund
als Haustier gewisse Eigentümlichkeiten und Merkmale an, die ihn von
seinen wilden Verwandten unterscheiden, von denen wir hier nur den
verhältnismäßig starken Stirnabsatz erwähnen wollen.

So weit wir dies nachweisen können, ist der afrikanisch-südasiatische
graue ~Schakal~, der nachts, zu Meuten vereinigt, die Ansiedelungen
des Menschen nach Aas und eßbaren Abfällen aller Art absucht und den
Schafen und Lämmern sehr gefährlich wird, der älteste vom Menschen zu
seinem Gesellschafter erhobene Wildhund. Als Verzehrer von Leichen nahm
er, nach dem auf niedriger Kulturstufe allgemein verbreiteten Glauben,
mit dem Fleisch und den Eingeweiden auch die Seele des betreffenden
Wesens in sich auf. Durch dieses Beherbergen eines Geistes wurde er von
selbst zu einem Geistwesen, einem Fetischtier erhoben, das dem Menschen
von größtem Nutzen sein konnte, wenn er es gut behandelte. So galt noch
den alten Ägyptern der Schakal als Wüstengott Anubis, der über die in
der westlich vom Niltal gelegenen Wüste beerdigten Toten Wache hielt,
für heilig und nahm man eingefangene Exemplare dieser Wildhundgattung
in Pflege und Wartung. Dies geschah auch anderwärts, und so mußte sich
unwillkürlich aus diesem in Größe und Aussehen, besonders aber in der
Kopfbildung mitten zwischen Fuchs und Wolf stehenden Wildhunde mit der
Zeit ein Haustier entwickeln.

Das Gekläff dieser futterneidischen Tiere, welche schon in frühester
Vorzeit wie heute noch die Niederlassungen des Menschen nächtlicher
Weile umschwärmten, um dort etwas aufzustöbern, mit dem sie ihren
allzeit regen Hunger stillen konnten, warnte den Menschen vor einem
Überfall durch übelgesinnte Menschen oder Raubtiere irgend welcher Art.
Ja, scheinbar ganz unmotiviert ausgestoßen, sollte es nach dem Glauben
aller auf niedriger Kulturstufe lebender Stämme, ihm den Besuch der
die Lebenden allseitig umgebend gedachten Geister der Abgeschiedenen
anzeigen. Wenn sie auch der Mensch selbst nicht sah, so glaubte er
nichtsdestoweniger felsenfest an deren Vorhandensein und wunderte sich
durchaus nicht darüber, daß diese Wildhunde als Leichenesser und damit
als mit Geistwesen beseelt erachteten Tiere solche sahen, er dagegen
nicht.

Diese überaus unheimliche, aber höchst wichtige Eigenschaft, besonders
die nächtlichen Unholde aller Art erspähen zu können und von ihrem,
dem Menschen unsichtbaren Vorhandensein durch Heulen und später Bellen
Kunde geben zu können, war wohl die älteste Nutzungseigenschaft, die
der Hund dem Menschen bot. So wurde er für ihn mit der Zeit nicht nur
ein wohlgelittener Begleiter, sondern geradezu ein sich immer mehr
unentbehrlich machender Genosse, der ihm die trefflichsten Dienste
leisten konnte wie kein anderes Wesen.

Diese höchste Wertschätzung des Hundes spricht schon zu Ende des 2.
vorchristlichen Jahrtausends das altpersische Gesetzbuch aus, das
von diesem Tiere geradezu behauptet, durch seinen Verstand bestehe
die Welt. Wer eine solche uns ganz paradox erscheinende Behauptung
aufstellt, muß schon gute Gründe dazu haben; nur ein Volk, dem der
Hund ein unentbehrlicher Begleiter und Freund geworden war, konnte
einen solchen Ausspruch tun. Diesem damals noch vorzugsweise Viehzucht
treibenden arischen Volksstamme, dessen Vorfahren einst an der Ostsee
gehaust hatten, waren außer dem gleicherweise wie der Hund die
Unholdgeister der Nacht vertreibenden Feuer später auch der aus Indien
bezogene Hahn schützende Fetische, deren Stimme, nächtlicherweile als
Zeugnis der Wachsamkeit und des Kampfesmutes erhoben, die Erlösung von
den dunkeln Sorgen der Nacht ankündigte. Das altpersische Gesetzbuch
Bun-Dehesch sagt auch vom Hahn, wie vom Hunde, seine Stimme zerstöre
das Böse; dadurch sei er den Dämonen und Zauberern feind, ein
Gehilfe des Hundes. Er solle Wache halten über die Welt, als ob kein
Herden- und kein Haushund (also schon damals wurden in Persien zwei
verschiedene Arten von Haushunden unterschieden!) erschaffen worden.
Das Gesetz sage: wenn Hund und Hahn gegen die Unholde streiten, so
entkräften sie dieselben, die sonst Menschen und Vieh plagen. Und
deshalb sage man: durch den Hund und den Hahn würden alle Feinde des
Guten überwunden.

Noch der altgriechische Dichter Homer gibt zu Beginn des letzten
vorchristlichen Jahrtausends für den damals allgemein verbreiteten
Glauben Zeugnis, daß der Hund als Wächter am Herdfeuer die bösen
Unholdgeister, die, Übles sinnend, lautlos durch das Dunkel der Nacht
schleichen, durch sein Gebell verscheuche. Und als später aus diesen
Ahnengeistern vergöttlichte Wesen wurden, so verblieb dem Hund auch
dann noch die Fähigkeit sie zu sehen und als solche zu erkennen, wo der
Mensch mit seinen stumpfen Augen nichts sah. So wird beispielsweise
in der Odyssee erzählt, wie Pallas Athene den Menschen unsichtbar in
Ithaka erschien. Weder Odysseus, noch sein Sohn Telemachos bemerkten
irgend etwas von ihrem Erscheinen:

    „Denn nicht allen sichtbar erscheinen die seligen Götter;
    ~Nur die Hunde sahen sie~ und bellten nicht, sondern entflohen
    Winselnd und zitternd vor ihr nach der andern Seite des Hofes.“

Diese uralte Vorstellung lebt im Volksglauben heute noch fort. So
bedeutet beim Landvolke das nächtliche Heulen des Hundes einen
Todesfall in der betreffenden Richtung, d. h. der Hund sieht
vermeintlich die Annäherung des Geistes, der als Todesursache
betrachtet wird, und zeigt dies dem Menschen, der solches nicht zu
sehen vermag, auf seine Weise an.

Als eigentliches Haustier tritt uns der Hund in Europa zuerst bei den
neolithischen Pfahlbauern entgegen, und zwar zunächst nur in einer
einzigen, aber weit verbreiteten Form. Es ist dies der ~Torfhund~
(_Canis familiaris palustris_), so bezeichnet, weil man seine Knochen
mit der übrigen Hinterlassenschaft dieser neolithischen Volksstämme von
den Humussäuren der Moorerde durchtränkt und so aufs beste konserviert
in den heute meist vertorften ehemaligen Seegründen findet. Dieses
Tier, das uns bereits, wenn auch mehr als gelittener Kommensale
oder Tischgenosse, denn als eigentlicher Freund und Begleiter der
ältesten Neolithiker der Kjökkenmöddingszeit in den Ufergebieten
an der Ost- und Nordsee entgegentritt, war ziemlich klein, bot das
Aussehen eines Spitzes mit kurzen, aber kräftigen Beinen und langem,
jedenfalls buschig behaartem Schweif. Der zwischen 13 und 15 _cm_ Länge
schwankende Schädel zeigt eine gefällige Rundung der Gehirnkapsel,
deren Kämme nur schwach entwickelt sind, außerdem eine relativ starke
Bezahnung und ein auffallend enges Nasenrohr, wie solches dem Schakal
eigentümlich ist. Diese Tatsache in Verbindung mit der andern, daß
die Pfahlbauspitze in den Niederlassungen der älteren Steinzeit durch
ganz Europa hindurch eine auffallende Einförmigkeit aufweisen, deutet
mit Sicherheit darauf hin, daß der in Westasien heimische ~kaukasische
Schakal~ die Ursprungsform dieses ältesten Haushundes war.

[Illustration: Bild 1. Als Amulett getragener, und deshalb zum
Aufhängenkönnen an der Wurzel durchbohrter Eckzahn eines Hundes aus dem
Pfahlbau von Wangen am Bodensee (⅔ nat. Größe).]

Diesem altertümlichen Torfhund der ältesten Neolithiker Europas am
nächsten steht von noch heute gehaltenen Hunden der im Mittel 40
_cm_ große, gelbweiß, gelbrot bis graubraun gefärbte, kurzhaarige,
nur bellende und nicht beißende ~Battahund~, der uns durch die
Schilderungen des Baslers Max Siber zuerst eingehender bekannt
wurde. Die Battas sind durch die Malaien von den Küsten verdrängte,
ab und zu noch Menschenfraß ausübende, auch am Lande in richtigen
Pfahlhäusern wohnende Stämme, die außer gute Jäger und namentlich
Fallen- und Schlingensteller auch bereits erfahrene Viehzüchter und
leidliche Hackbauern sind, ganz so wie die Pfahlbauern Mitteleuropas in
neolithischer Zeit. Mitten zwischen den schwarzen Schweinen, Ziegen,
Büffeln, Hühnern und Menschen lebt in deren mit Palisaden umgebenen
Ansiedlungen, Kampongs genannt, der kleine Battahund, der durch und
durch Haushund ist und das Vorrecht genießt, als einziges Tier mit dem
Menschen zusammen in den Hütten selbst zu übernachten. Der vorgenannte
Basler schreibt über den kleinen Spitzhund der Battas, er genieße zwar
von seiten seines Herrn wenig Freundlichkeit, habe jedoch von allen
in Kampong friedlich nebeneinander hausenden Tieren das Vorrecht, in
den Räumen der hohen Pfahlbauhäuser neben seinem Herrn zu wohnen.
„Er gehört wie die Hühner, Ziegen und Schweine zum Departement der
Frau, der er auch anhänglicher ist als dem Manne und an die man sich
auch wenden muß, wenn man einen der Hunde erwerben oder zu Eßzwecken
präparieren lassen will. Die Dienste des Hundes sind mannigfach,
sein vornehmster ist der als Wachhund. In dieser Hinsicht ist der
immer wache, scharf hörende Spitz den Battas bei ihren unaufhörlichen
Fehden und den dabei häufigen nächtlichen Überfällen der Kampongs von
unerhörtem Wert. Manch Battamädchen, manche Battafrau wurde durch des
Hundes rechtzeitig erschallendes heftiges Gebell vor der Gefangenschaft
und dem damit verbundenen Verkauf in die Sklaverei gerettet, mancher
Krieger entrann dadurch dem Tod oder der Gefangennahme, die mit dem
eventuellen Schicksal verbunden ist, gemästet und aufgefressen zu
werden. Ferner leistet er leidliche Dienste als Jagdhund, indem er
teils in Meuten als Treibhund, teils als Leithund zur Bestätigung
des Hirsches und zum darauf folgenden Treiben desselben in angelegte
Schlingen und Netze benutzt wird. Ferner ist er von großem Wert für die
hühnerzüchtende Battafrau, da er Tag und Nacht um die Reisfeldhäuser,
bei denen die Mehrzahl der Hühner gehalten wird, herumlungernd einen
guten Schutz gegen den Hühnerräuber ‚Mussang‘ (eine Art Zibetkatze)
und die im Battaland allerdings seltenen Leguane bildet. Doch, _last
not least_, ist seiner auch als Nahrungsmittel zu gedenken, indem
er an gewissen Orten geradezu für Speisezwecke gezogen wird. Er
bildet nicht nur ein gesundes, wohlschmeckendes Nahrungsmittel, das
im fleischarmen Lande nicht zu unterschätzen ist, sondern auch eine
gewisse Erwerbsquelle für den Züchter, da junge Hunde im Preise ebenso
hoch stehen wie Hühner, bald erwachsen aber bedeutend teurer sind als
solche. Auf der Speisekarte der Battas figuriert nach den Angaben
eines Raiafürsten der Hund an dritter Stelle. Am wenigsten geschätzt
ist Huhn, mehr Hirsch, dann Hund, dann Babi oder Schweinebraten, als
allerbestes aber gilt Menschenfleisch, vertraute mir der alte Sünder
mit schmunzelndem Gesicht.“

Sieber ließ sich wiederholt Hundebraten in einheimischer Zubereitung
servieren und fand es in der Mitte stehend zwischen Hühner- und
Kalbfleisch; es sei weiß und saftig, ohne fett zu sein. Auch die
Battahunde fressen gerne davon, während europäische Hunde sich mit
allen Zeichen des Abscheus von solchem Fraße abwenden. Entsetzt
schrecken diese Spitzhunde vor dem Europäer zurück und weichen heulend
seiner Fährte aus. „Wo nicht eigentliche Fütterung mit Reis, Mais,
Gemüse, Früchten oder Fleischabfällen stattfindet, nährt sich der
Battahund von den Abfällen der kargen Mahlzeit der Frau, aber auch von
den Käfern, Schnecken, Mäusen und sonstigen kleinen Tieren, die er
unterwegs fängt, sowie von den Brocken und Knochen, die ihm bei der
Mahlzeit der Männer zugeworfen werden, ja selbst von Exkrementen. Wo
viele Hunde sind, da hat er schlechte Zeiten, denn seine Herren haben
gewöhnlich auch nicht viel; wo wenige gehalten werden, gedeiht er gut,
wird dick und groß, bekommt ein prächtig glänzendes Fell und einen
munteren Charakter.“

„Wie bereits gesagt, gehört der Hund zum Departement der Frau. Wenn er
nicht dazu bestimmt ist, in deren Abwesenheit das Haus zu hüten, so
ist er ihr ständiger Begleiter auf Schritt und Tritt. Morgens früh,
vor Tagesanbruch, sitzt er schon neben der armen Frau, die den Männern
den Reis stampfen muß, auf dem erhöhten Gestell, auf dem sie dieses
Geschäft ausführt, sorgsam jedes Körnchen aufschnappend, das nebenaus
fällt, und in der ausgeschütteten Spreu nach solchen Körnern suchend,
hier wie überall erbitterte Gefechte mit den frechen Hühnern führend,
die ihm den Reis unter der Nase wegzustehlen suchen. Er begleitet die
Frau zum Bade, getreulich am Ufer bei den Kleidern bleibend, während
die Frau (Herrin kann man nicht sagen, denn solch ein armes Battaweib
hat in keiner Beziehung etwas von einer Herrin) sich im Flusse kühlt.
Im Kampong des Battafürsten von Bander passierten, während wir eben im
sogenannten Rathaus, dessen Veranda nach dem Weiberbadeplatz schaut,
mit dem Häuptling unterhandelten, an 30 seiner Nebenweiber, meist
Kriegsgefangene oder durch Schulden in Sklaverei geratene Mädchen,
vorbei, um nach dem Ablegen aller Kleider im nahen Fluß zu baden. Jede
war begleitet von einem oder mehreren ihrer Hunde, die sich am Ufer in
langer Reihe neben die Kleider (Sarongs) der Weiber setzten, um diese
zu bewachen, bis jene das Bad wieder verließen.

Ebenso begleitet der Hund die Frau zur Arbeit in den Ladang (das
Haus, in welchem die Bewohner der kleinen, mitten im Tschungel
geöffneten Kulturfläche bis zur Ernte hausen) und ins Reisfeld, durch
rechtzeitiges Bellen sie auf die Annäherung jedes Fremden aufmerksam
machend.“

Die Battawohnungen sind 2-5 _m_ über dem Boden errichtet; zu ihnen
führen sehr steil gestellte Leitern mit 40-60 _cm_ auseinander
stehenden Sprossen. Diese lernen die Hunde erklettern, um in die
Wohnungen zu gelangen, in denen sie sich mit Vorliebe aufhalten. Die
jungen Hunde legen sich mit Vorliebe in die heiße Asche und weisen
von dieser ihrer Gewohnheit sehr häufig versengte Haare und größere
Brandwunden auf.

Kräftiger als dieser Spitz der Battas auf Sumatra, auf dessen
Lebensweise wir näher eingingen, weil er uns wichtige Fingerzeige für
diejenige des Spitzhundes der ältesten Pfahlbauern in Mitteleuropa
gibt, ist der ostasiatische ~Tschau~ -- besser ~Kau~ ausgesprochen
--, der Lieblingshund der Chinesen, der ebenfalls zu Nahrungszwecken
gehalten und gemästet wird. Dieses schwarz bis rotbraun gefärbte
Tier mit kurzer, dichter Behaarung hat einen langgestreckten Körper
auf ziemlich kurzen Beinen, eine plumpe, dicke Schnauze und aufrecht
stehende Ohren. Eine Abart desselben von geringer Größe und mit kurzen
Beinen ist der als Luxushund in China und Japan gehaltene zierliche
~Dschin~. Seine seidenartige lange Behaarung ist schwarz mit Weiß
untermischt. Er ist als eine hochgezüchtete Mopsform des Spitzes
aufzufassen, an dessen Schädel die Nasenwurzel eingeknickt und die
Kiefer so nach oben verschoben sind, daß die oberen Schneidezähne fast
horizontal stehen und die Nasenöffnung nach oben zu liegt. Dieser
in seiner Heimat hochgeschätzte Luxushund ist bei uns nicht leicht
fortzubringen, da es ihm in Mitteleuropa zu kalt ist.

Dem alten Torfhund oder Pfahlbauspitz stehen auch die nordasiatischen
Spitzhunde sehr nahe, der graue mit Schwarz gemischte ~Tungusenspitz~,
der weißlichgraue ~Samojedenspitz~ und die als einziges, für sie
höchst wichtiges, ja geradezu unentbehrliches Haustier gehaltenen
spitzartigen Hunde der zirkumpolaren Völker, die man in ihrer
Gesamtheit als ~Eskimohunde~ bezeichnet. Es sind dies keine reinen
Schakalabkömmlinge mehr, sondern vielfach Kreuzungsprodukte derselben
mit dem arktischen Wolf. Peary bezeichnet sie als derbe, prächtige
Tiere, ohne deren Mithilfe er niemals den Nordpol erreicht hätte. „Es
mag größere Hunde geben als sie und hübschere. Andere Hunde mögen auch
ebensogut arbeiten oder ebenso schnell und weit laufen, wenn sie gut
gefüttert sind, aber es gibt keinen Hund in der Welt, der so lange in
niedrigsten Temperaturen ohne Nahrung arbeiten kann. Die männlichen
Hunde wiegen durchschnittlich 34 bis 45 _kg_, die weiblichen sind etwas
leichter. Ihre besonderen Merkmale sind: spitze Schnauze, große Breite
zwischen den Augen, scharf gespitzte Ohren, sehr dickes, pelziges
Fell, kräftige, stark muskulöse Beine und buschiger Schwanz, der Rute
des Fuchses sehr ähnlich. Es gibt nur eine Rasse von Eskimohunden,
aber sie sind verschieden gezeichnet, schwarz, weiß, grau, gelb,
braun und gesprenkelt. Trotzdem sie von den armen Eingeborenen sehr
vernachlässigt und außerordentlich schlecht gehalten werden, sind sie
ihren Herren gehorsam wie unsere Hunde zu Hause. Ihre Nahrung ist
Fleisch und nur Fleisch. Von anderer Nahrung können sie nicht leben.
Statt Wasser zu saufen, fressen sie Schnee. Sie bleiben im Freien,
gleichgültig welche Jahreszeit es ist. Sommer wie Winter werden sie
beim Zelt oder dem Iglu (der Schneehütte) irgendwo angebunden. Frei
herumstreifen dürfen sie nicht, damit sie nicht fortlaufen. Manchmal
wird ein besonderer Liebling oder eine Hündin, die Junge hat, zeitweise
in das Iglu genommen. Sind die Kleinen aber nur einen Monat alt, so
sind sie schon so hart, daß sie dem strengen Winterwetter standhalten
können.“

Diese Hunde, die eine Schulterhöhe von 50-60 _cm_ aufweisen, sind den
nordischen Völkern als Lasttiere und zum Schlittenziehen durchaus
unentbehrlich. Mit einer Last von 10-15 _kg_ beladen, begleiten sie
ihre Herren, wenn diese zu ihren langdauernden Jagdzügen aufbrechen.
Zu 6, 8 oder 10 Stück vermittelst eines an einen höchst einfachen Kumt
befestigten und zwischen den Hinterbeinen durchgezogenen Riemens werden
sie an leichte, niedere Schlitten gespannt, welche 300-400 _kg_ zu
tragen vermögen, und durchlaufen mit ihnen unter günstigen Umständen
bis 50, und bei leichter Last bis 80 _km_ im Tag. Spüren sie unterwegs
ein Wild auf, so rennen sie ihm, ausgehungert wie sie sind, rasend
nach, verwirren dabei oder bei gelegentlichen Beißereien ihre Riemen,
so daß auch die mit Macht geschwungene Peitsche des Schlittenführers
keine Ordnung mehr in den Haufen zu bringen vermag. Es bleibt nichts
anderes übrig, als das zu einem undurchdringlichen Knäuel gewordene
Gespann, in welchem alles knurrt, bellt, beißt und durcheinander
wütet, nach Möglichkeit zum Halten zu bringen, die Tiere aus der
Verschlingung zu lösen und von neuem einzuspannen. Natürlich kann bei
solch ungestümer Fahrt von einer Lenkung des Schlittens nach unseren
Begriffen von seiten des Menschen keine Rede sein. So gut es eben
geht, weist man den Leithunden durch Peitschenhiebe den Weg, den sie
nicht gehen sollen.

Diese genügsamen, abgehärteten Schlittenhunde sind nicht nur den
grönländischen Eskimos und den kanadischen Pelzjägern, sondern auch
allen nordasiatischen Volksstämmen als Zugtiere völlig unentbehrlich.
Tungusen, Samojeden, Tschuktschen, Kamdschadalen und wie sie sonst
heißen mögen, fallen geradezu in Hungersnot, wenn ihnen ihre Hunde
durch eine Seuche hinweggerafft werden, weil sie ohne diese sich
weder das nötige Brennholz verschaffen, noch dem sie ausschließlich
ernährenden Fischfang und der Jagd, auch der für sie höchst wichtigen
Pelzjagd, genügend obliegen können. Über die Hunde, die einzigen
Haustiere der Kamtschadalen, schreibt der alte Steller: „Ohne diese
Hunde kann jemand hier so wenig leben wie an andern Orten ohne Pferd
und Rindvieh. Die kamtschatkischen Hunde sind verschiedenfarbig,
hauptsächlich aber dreierlei: weiß, schwarz und wolfsgrau, dabei
sehr dicht- und langhaarig. Sie ernähren sich von alten Fischen.
Vom Frühjahr bis in den späten Herbst bekümmert man sich nicht im
geringsten um sie, sondern sie gehen allenthalben frei herum, lauern
den ganzen Tag an den Flüssen auf Fische, welche sie sehr behende und
artig zu fangen wissen. Wenn sie Fische genug haben, so fressen sie,
wie die Bären, nur allein den Kopf davon; das andere lassen sie liegen.
Im Oktober sammelt jeder seine Hunde und bindet sie an den Pfeilern
der Wohnung an. Dann läßt man sie weidlich hungern, damit sie sich des
Fettes entledigen, zum Laufen geschickt und nicht engbrüstig werden
mögen, und alsdann geht mit dem ersten Schnee ihre Not an, so daß
man sie Tag und Nacht mit gräßlichem Geheul und Wehklagen ihr Elend
bejammern hört. Ihre Kost im Winter ist zweifach. Zur Ergötzung und
Stärkung dienen stinkende Fische, welche man in Gruben verwahrt und
versäuern läßt. Das andere Futter besteht in trockenen Speisen von
verschimmelten und an der Luft getrockneten Fischen. Damit füttert man
sie des Morgens, um ihnen unterwegs Mut zu machen.

Man kann sich nicht genug über die Stärke der Hunde verwundern.
Gewöhnlich spannt man nur vier an einen Schlitten; diese ziehen drei
erwachsene Menschen mit 1½ Pud (24,5 _kg_) Ladung behende fort. Auf
vier Hunde ist die gewöhnliche Ladung 5-6 Pud (82-98 _kg_). Ungeachtet
nun die Reise mit Hunden sehr beschwerlich und gefährlich ist, und man
fast mehr entkräftet wird, als wenn man zu Fuß ginge, und man bei dem
Hundeführen und Fahren so müd wie ein Hund selber wird, so hat man
doch dabei diesen Vorteil, daß man über die unwegsamsten Stellen damit
von einem Ort zum andern kommen kann, wohin man weder mit Pferden,
noch, wegen des tiefen Schnees, sonst zu Fuß kommen könnte.

Der andere Hauptnutzen der Hunde, weshalb sie auch häufig gehalten
werden, ist, daß man sowohl den abgelebten Schlittenhunden als den
zur Fahrt untauglichen die Häute abnimmt und zweierlei Kleider daraus
macht, welche in dem ganzen Lande von großem Nutzen und von großem
Werte sind.“

Eine ähnliche Lebensweise wie diese kamtschadalischen und überhaupt
nordasiatischen Hunde führen diejenigen Islands, die dort in
übergroßer Zahl (auf fünf Menschen drei Hunde!) untätig herumlungern,
zu gewissen Jahreszeiten aber beim Trieb der Schaf- und Pferdeherden
doch wesentliche Dienste leisten. Verwandt damit ist auch der Spitz
der skandinavischen Lappen und westrussischen Finnen, der sogenannte
~Elchhund~, und der russisch-sibirische ~Laika~, d. h. Beller, die
beide, ähnlich wie unsere Bracken, zum Aufstöbern und Treiben des
Wildes dienen.

Ein etwas veränderter, vor allem durch bessere Ernährung kräftiger
gewordener Abkömmling des alten Torfhundes der neolithischen
Mitteleuropäer, der noch zur Römerzeit am Rhein und in Helvetien (so
in Vindonissa) lebte, ist unser einheimischer ~Spitz~, dessen etwas
grobes Fell weiß, grau, schakalfarbig, gelb oder ganz schwarz ist.
Dank seiner außerordentlichen Wachsamkeit, die kein Geräusch und keine
fremde Erscheinung unbeachtet läßt, ist er der Haus- und Wachthund
in des Wortes eigentlichster Bedeutung. Tag und Nacht hütet er mit
derselben Aufmerksamkeit den Hof oder das Fuhrwerk seines Herrn, das
er nie verläßt, um sich wie andere Hunde gerne herumzutreiben. Mit
wütendem Gekläff und seine scharfen Zähne weisend empfängt er jeden
Fremdling, der ihm verdächtig erscheint. Als die beste Rasse gilt der
Pommer, weil er bei unwandelbarer Treue und Anhänglichkeit besonders
aufmerksam und lebhaft ist, dabei weder Regen, noch Kälte scheut, ja
gewöhnlich im Hause oder Hofe dort am liebsten zu liegen pflegt, wo der
Wind am stärksten pfeift. Nur als Kettenhunde taugen die Spitze infolge
ihres großen Dranges zur Freiheit nicht. Unter ihnen gibt es auch
Zwergformen, die besonders in England als Schoßhündchen der Modedamen
sehr beliebt sind und bei einem Gewicht von nur 1,26 _kg_ bis 1800 Mark
kosten.

Ein noch weitergehend veränderter Abkömmling des Torfhundes ist der
dem Spitz an Wachsamkeit und Mut kaum nachgebende ~Pinscher~, ein
höchst munteres, kluges und jagdfreudiges Tier, dessen besondere
Liebhaberei es ist, Mäusen, Ratten und Erde aufwühlenden Maulwürfen
nachzuspüren und sie zu verfolgen. Die Mäuse und Ratten frißt er bis
zu seiner Sättigung, die übrigen wirft er weg; die Maulwürfe dagegen
frißt er nicht, sondern begräbt sie. Wie der Spitz zum ländlichen
Gehöft gehört, pflegt der Pinscher im bürgerlichen Wohnhaus gehalten
zu werden, obschon er wegen seiner steten Unruhe dem Herrn oft mehr
Verdruß als Freude macht. Aus diesem Grunde eignet er sich mehr für
Leute, welche reiten oder mit schnellen Pferden fahren; denn am
allerliebsten begleitet der Pinscher seinen Herrn, wenn er tüchtig
rennen und laufen muß. Doch selbst bei den schnellsten Ritten hat er
immer noch Zeit, bald hier, bald dort ein Mauseloch zu untersuchen oder
einen Maulwurf beim Auswerfen seiner Haufen zu stören. Die Nase hoch
gegen den Wind getragen, späht er nach allen Seiten hin, und wo etwas
raschelt, naht er sich vorsichtig und leise, um Beute zu machen. In
England wird er mit Vorliebe zur Abhaltung von Rattenjagden benutzt,
wobei es allerdings ohne oft recht hohe Wetten der Teilnehmer nicht
abgeht. Auch von ihm gibt es Zwergformen, häßliche, aber muntere und
unterhaltende Tiere, die höchst zutraulich und anhänglich an ihre Herrn
sind und gleichfalls zur Rattenjagd, außerdem auch zur Kaninchen- oder
Wachteljagd verwendet werden.

Der heute beliebteste Abkömmling des Pinscherstammes ist der durch die
Engländer überall eingeführte und populär gewordene ~Foxterrier~, der
jetzt auch in Deutschland überall angetroffen wird. Übersprudelnd von
Temperament, ist er von einer Beiß- und Rauflust ohnegleichen, die sich
in Ermangelung von Besserem an Teppichen, Gardinen, Tischdecken und
Möbelüberzügen Luft macht. Wie von der deutschen Jägerei der Dachshund,
wurde er von der englischen zum Aufsuchen von Fuchs und Dachs in ihren
Erdbauen verwendet. Terrier, altenglisch _terrar_, heißt so viel wie
Erdhund. Für die Arbeit in der Erde wurde auch diese kurzhaarige
Pinscherart gezüchtet und besaß schon vor einigen Jahrhunderten einen
gewissen Ruf. Als dann die Fuchsjagd zum reinen Sport der Vornehmen
wurde, sanken diese in der Erde wühlenden Hunde zu nebensächlichen
Handlangern für diese herab, die den unterirdisch verschlieften Fuchs
wieder hervorzutreiben hatten. Von diesen Terriers wurde zuerst der
Name Foxterrier gebraucht und dann in der Folge auf die ganze Sippe
übertragen.

Seine Hauptbedeutung hat aber der Foxterrier längst als Luxushund
erlangt, ebenso die übrigen Terrierformen Englands, die man bei uns
kaum kennt. Einige davon, wie der kleine, langleibige, kurzbeinige
~Yorkshireterrier~ mit prächtigem Seidenhaar, sind besonders bei den
Damen als Schoßhunde beliebt.

Andere Schakalabkömmlinge, die der hier besprochenen Spitzhundgruppe
nahestehen, sind die West- und Südasien, den indomalaiischen Archipel
bis zu den Philippinen, dann Neuguinea, Australien und Neuseeland, aber
auch Nord- und Mittelafrika und Madagaskar bewohnenden ~Pariahunde~.
Sie wurden von den Engländern so genannt, weil sie kaum oder nur
schlecht domestizierte Hunde von häßlichem Aussehen sind, die als
herrenlose Geschöpfe in der Nähe der menschlichen Wohnungen leben, um
sich vom Wegwurfe des Menschen kümmerlich genug zu ernähren. Tagsüber
liegen sie faul oder schlafend in der Sonne, um wie ihre Ahnen,
die Schakale, gegen Abend lebhaft zu werden und auf Eßbares irgend
welcher Art zu fahnden. Wie die Schakale machen sie sich des Nachts
in orientalischen Städten durch ihr Geheul sehr unangenehm bemerkbar,
indem sie bei den nicht daran Gewöhnten keinen rechten Schlaf aufkommen
lassen. Sie haben einen schlanken Leib, ziemlich hohe Beine, einen
schmalen Kopf mit zugespitzter Schnauze und aufrecht stehenden Ohren.
Das Gesicht verrät nur geringe Intelligenz. Der lange, nicht gedrehte
Schwanz wird bald hängend getragen, bald ist er gekrümmt. Die Behaarung
ist meist kurz und von rostroter oder fahler Färbung, ähnlich dem
Schakal. Auch der Schädelbau zeigt Ähnlichkeit mit diesem, und zwar am
meisten mit dem indischen Schakal.

[Illustration:

  Tafel 1.

Wolf im Tierpark Hellabrunn zu München.

(Nach einer Photographie von M. Obergaßner.)]

[Illustration: Pariahund vom weißen Nil.

(Nach Keller, Die Abstammung der ältesten Haustiere.)]

[Illustration:

  Tafel 2.

Eskimohunde in Nordgrönland.

(Nach einer Photographie von _Dr._ Arnold Heim.)]

[Illustration: Schottischer Schäferhund in Deutschsüdwestafrika.

(Nach einer Photographie im Besitz der deutschen Kolonialschule in
Witzenhausen.)]

Wie heute noch allgemein im Orient besorgte dieser Pariahund hier
schon in der Urzeit neben den Hausschweinen die Straßenreinigung.
In altbabylonischen Texten wird er als _kalbu siguu_, d. h.
umherschweifender Hund bezeichnet, der manchenorts den Schafherden
lästig wurde, weil er sich zur Stillung seines übermächtigen Hungers
an die jungen Schafe heranmachte. Da er sich für gewöhnlich von Aas
ernährte, mied man ihn so viel als möglich als unheimliches Geistwesen
und schützte sich vor seinem, wie man glaubte, krankmachendem
Einflusse durch das Tragen von Amuletten, die, wie die Labartu,
selbst hundeköpfig, sonst menschenähnlich, an der einen Brust ein
Schwein, an der andern einen Hund, oder wie die Daua an beiden
Brüsten Hunde säugend dargestellt wurden. Vielfach hing man sich auch
Hundenachahmungen um. Alle Krankheitsdämonen wurden hundegestaltig
dargestellt. So begreifen wir, wie bei den Semiten und durch sie bei
allen Völkern des Morgenlandes der Hund eine verachtete Stellung
einnahm, auch dann, als höher gezüchtete Formen desselben eingeführt
wurden.

Wie die west- und südasiatischen Pariahunde, deren südlichster
Zweig als ~Dingo~ schon in frühvorgeschichtlicher Zeit mit den dem
altdravidischen Volkselemente Südasiens nahe verwandten Australiern
in Australien einwanderte und hier in der Folge wiederum gänzlich
verwilderte, vom ebenfalls in rostroter Färbung vorkommenden
indischen Schakal abstammen, ist dies auch bei den meisten nord- und
mittelafrikanischen Pariahunden der Fall. Dagegen leben im Nilgebiet
und weiter westlich in Nordafrika Formen, die im Schädelbau stark
von jenen abweichen und offenbar vom nubischen ~Schakalwolf~ (_Canis
anthus_) abstammen. Der breite Kopf mit großen, aufrechtstehenden
Ohren, der selbst im weiblichen Geschlecht stark entwickelte
Scheitelkamm, die aufgetriebene, breite Stirn und der derbe,
kräftige Schnauzenteil stimmen vollkommen mit diesem überein. Auch
physiologische Gründe sprechen für diese Ableitung, so vor allem die
Gewohnheit beider, im Boden Löcher zu graben und Aas hervorzuscharren.
Bei den südafrikanischen Pariahunden dagegen scheint der dort
einheimische ~Schabrackenschakal~ (_Canis mesomelas_) der eigentliche
Stammvater zu sein.

~Wie die kleineren, spitzartigen Haushunde vom Schakal, so stammen
alle größeren vom Wolf in seinen verschiedenen Abarten ab.~ Der
älteste dieser Wolfsabkömmlinge ist der in spätneolithischer Zeit in
Mitteleuropa auftretende _Canis familiaris inostranzewi_, von Anutschin
nach Inostranzew so genannt, der die Überreste desselben zusammen mit
denjenigen des Torfhunds in Kulturschichten der jüngeren Steinzeit
Rußlands am Ladogasee zuerst entdeckte. Später wurde er dann auch in
Pfahlbauten des Neuenburger- (Font) und Bielersees (an der Schüß) mit
einigen Kupfergegenständen gefunden. Dieser an Größe einem mittleren
Fleischerhunde entsprechende Hund besaß einen durchaus wolfähnlichen
Schädel von 17,7 _cm_ Länge und näherte sich sehr dem in Nordrußland
und Sibirien verbreiteten, bereits besprochenen Eskimohund, von dem
wir konstatierten, daß er eine starke Blutmischung mit dem nordischen
Wolfe aufweise. Gegenüber dem Schädel des Torfhundes erscheint der
seinige langgestreckt, niedrig, mit stark entwickelter Scheitelleiste
und überhaupt ausgeprägten Muskelansätzen. Von der breiten Stirne setzt
sich der lang ausgezogene, vorn sich verjüngende Gesichtsteil deutlich
ab.

Durch die Kreuzung dieses wolfähnlichen Hundes mit dem Pfahlbauspitz
von Schakalabstammung entstand der ~Aschenhund~, so genannt, weil
seine Überreste vom Archäologen Grafen von Wurmbrand zuerst in
Aschenschichten bei Weikersdorf in Niederösterreich gefunden wurden.
Woldrich beschrieb sie im Jahre 1877 und nannte das Tier _Canis
familiaris intermedius_. Weitere Überreste desselben fanden sich in
Pulka und Ploscha in Böhmen. Mit einer Basilarlänge von 16,4 _cm_ steht
sein Schädel in der Mitte zwischen dem größeren wolfartigen Hund der
Bronzezeit und dem kleineren Torfhund und war durch die bedeutende
Stirnbreite und die Kürze der Schnauze ausgezeichnet.

Von diesem eigentlichen Jagdhund der Bronzezeit, der uns in einer
bereits hängeohrigen, also hochgezüchteten Form auf einer Platte mit
Tierdarstellungen von Hierokanopolis in Ägypten aus vorpharaonischer
Zeit Antilopen und Steinböcke jagend entgegentritt, stammen die
Laufhunde sowie die Vorstehhunde mit ihren verschiedenen Unterrassen
ab. Und zwar schließt sich nach den eingehenden Untersuchungen
von Prof. Theodor Studer in Bern der Schädel des schweizerischen
~Laufhundes~ in seiner Gestalt direkt an denjenigen des Aschenhundes
an, dessen wesentliche Merkmale er bis in alle Details wiederholt,
nur ist die Schädelhöhle bei ihm bedeutend geräumiger geworden,
als Zeichen, daß er inzwischen bedeutend an Intelligenz zugenommen
hat. Die Schädellängen schwanken zwischen 16,2 und 18,4 _cm_. Die
größte Ähnlichkeit mit demjenigen des _Canis intermedius_ zeigt der
Schädel eines Laufhundes aus der helvetischen Station La Tène am
Neuenburger See aus vorrömischer Zeit. Er stammt aus Kulturschichten,
die neben zahlreichen eisernen Waffen und Geräten nebst bronzenen
Schmuckgegenständen und Utensilien zahlreiche Knochen von Haustieren,
wie Pferden, Rindern und Schweinen, lieferten. Schon bei ihm ist die
Schädelkapsel etwas geräumiger, die Schläfenenge weniger eingeschnürt
und die Stirne breiter und seitlich mehr gewölbt als beim Aschenhund,
ein Prozeß, der sich im Laufe der Zeit noch steigerte bis zu den
heutigen Laufhunden.

Schon in der Ilias ist vom Laufhund die Rede, der den Hirsch oder die
Hirschkuh und deren Junges durch Täler und Schluchten verfolgt. Ein
solcher Laufhund war der treue Argos, der einst zur Jagd auf wilde
Ziegen, Rehe und Hasen gedient und das Aufspüren des Wildes trefflich
verstanden hatte; kein Wild sei ihm je entkommen, wird in der Ilias
von ihm gesagt. In der Folge hielten ihn die Griechen und Römer, aber
auch die Völker nördlich der Alpen. So waren zur Zeit des Julius Cäsar
die Gallier durch ihre Laufhunde berühmt, die sich vortrefflich zum
Aufspüren und Verfolgen der Beute bei der Jagd bewährten. Bei ihnen
waren besonders die nach dem gallischen Stamme der Segusier zwischen
Saône, Rhone und Allier von den Römern als _segusii_ bezeichneten
Hunde hoch geschätzt. Nach den Schilderungen der alten Schriftsteller
Ovid, Plinius und Gratius waren es rauhhaarige Tiere, die nicht nur
bei den Römern, sondern nach dem Berichte von Flavius Arrianus im
Jahre 130 n. Chr. auch in Griechenland Aufnahme fanden. Noch bis
in das 6. und 7. Jahrhundert werden sie als _segusii_ angeführt,
später aber erhielten sie nach ihrer hauptsächlichen Züchtung in der
französischen Landschaft Bresse die Bezeichnung _chiens de Bresse_.
Doch waren neben ihnen schon in römischer Zeit glatthaarige Laufhunde
sehr verbreitet, wie uns verschiedene antike Darstellungen zeigen. Daß
bei den Galliern verschiedene Rassen von Laufhunden vorkamen, beweist
ein im Jahre 1735 in den Ruinen des alten Aventicum (Avenches), der
Hauptstadt des römischen Helvetien, aufgefundenes Mosaik, das leider in
den Stürmen der Revolutionszeit 1798 zugrunde ging; doch besitzt das
historische Museum in Bern die 1794 in Farben ausgeführte Originalkopie
von Ingenieur Ritter, der im Auftrage der Berner Regierung damals die
in Avenches zutage geförderten Altertümer untersuchte und kopierte.
Wir sehen darauf, wie der wahrscheinlich helvetische Besitzer seine
geliebten Jagdhunde und sein bevorzugtes Wild neben einer durchaus
nicht dazu passenden Darstellung des auf dem Pegasus reitenden Perseus,
Tubabläsern, Bären und Delphinen wiedergeben ließ. Zu oberst springt
ein glatthaariger, langgestreckter Hund von graugelblicher Färbung,
in dem wir unschwer einen Hirschhund erkennen, einer Hirschkuh nach.
Darunter verfolgt ein großer Laufhund, weiß mit braunen Platten
mit hoher, stumpfer Schnauze -- M. Siber vergleicht ihn mit dem
dreifarbigen Berner Laufhund --, ein nicht mehr erhaltenes Wild. Im
dritten Feld verfolgt ein schwerer, breitköpfiger und untersetzter
Jagdhund einen Eber, im vierten läuft ein kleiner, gefleckter Jagdhund,
in welchem M. Siber den Hasenhund _par excellence_, den gewöhnlichen
weiß und gelben Schweizer Laufhund sieht, einem Hasen nach. Also muß
schon im 1. Jahrhundert n. Chr. der von uns als Laufhund bezeichnete
eigentliche Jagdhund bei den Helvetiern in einer ganzen Anzahl dem
verschiedenen Wilde, das er verfolgen sollte, angepaßte Rassen
zerfallen gewesen sein.

Auch bei den Germanen scheinen Laufhunde unter dem Namen _segusu_,
_seusii_, _seuces_ -- wohl von Gallien importiert --, ferner Bracken
(_braccones_) in kleineren und größeren Formen vorgekommen zu sein. Sie
alle werden in den alamannischen und bajuvarischen Volksgesetzen, die
etwa um 700 n. Chr. verfaßt wurden, erwähnt. Eine besonders wichtige
Rolle spielte bei den alten Deutschen der ~Leitihund~ (Leithund),
dessen Verletzung mit den schwersten Strafen bedroht wurde. Nach der
Abbildung Ridingers war dies ein stämmiger, mittelgroßer Hund mit
untersetztem Körperbau, breiter Brust, starkem, breitstirnigem Kopf
und hoher Schnauze, mit langem, breitem Behang, glatthaarig, vom
Aussehen eines plumpen Laufhundes. Derselbe wurde bei der Jagd an
der Leine geführt und erhielt seinen Namen davon, daß er den Jäger,
den Spuren des Wildes folgend, zum Jagdobjekt leitete. Diese Rasse,
die anscheinend zu Anfang des 19. Jahrhunderts ausstarb, war schon
zu Anfang des Mittelalters bei den germanischen Völkern aus den
gewöhnlichen, laut jagenden Treibhunden als bestimmte, selbständige
Rasse hervorgegangen. Später diente er dazu, einen ganz bestimmten
jagdbaren Hirsch auf der Vorsuche vor der eigentlichen Jagd auszumachen
und auf einem bestimmten Standorte zu bestätigen.

Wie die Laufhunde auf primitiver Stufe verbliebene Jagdhunde sind,
die dem aufgespürten Wilde laut bellend nachsetzen, so sind die
~Vorstehhunde~ eine weit höher gezüchtete Form des alten Jagdhundes.
Dieser darf nicht mehr seine alte Raubtiernatur zum Vorschein kommen
lassen, sondern muß allen seinen angeborenen Instinkten entgegen
das von ihm durch sein feines Geruchsorgan aufgestöberte Wild durch
unbewegliches Stillsitzen vor ihm, den Kopf nach ihm hingewendet,
das Hinterteil etwas gesenkt und einen Vorderlauf erhoben, dem Jäger
anzeigen. Dieses „Vorstehen“ ist tatsächlich auch die einzige Arbeit
des modernen Setters und Pointers, die, wie der Name schon andeutet, in
England aus dem altspanischen Vorstehhund in teils kurzhaarigen, teils
langhaarigen Formen hochgezüchtet wurden.

Das deutsche Gegenstück zu diesen glänzenden englischen Virtuosen,
dem besten Gehilfen des sportmäßigen _shooting_, ist der kurzhaarige
~deutsche Vorstehhund~, der beste Freund und Genosse des deutschen
Weidmannes. Schon im 15. und 16. Jahrhundert besaß man in Deutschland
kurzhaarige Vorstehhunde zur Habicht- und Falkenbeize auf Feldhühner
und Hasen. Die ältesten Feuergewehrjäger des 17. Jahrhunderts, die
mit ihren schwerfälligen „Schroth-Büxen“ nur auf ruhende oder
langsam sich bewegende Ziele zu schießen vermochten, verwendeten
diese Jagdhunde wesentlich nur zum Apportieren. Erst nachdem durch
die französische Erfindung des Feuersteinschlosses und selbsttätigen
Pulverpfannendeckels das Gewehr genügend verbessert war und damit
die Periode der Schießjagd ihren Anfang nahm, kam im 18. Jahrhundert
der Vorstehhund bei den fürstlichen Jägern wieder zu Ehren und
verdrängte bei diesen den bis dahin üblichen „englischen“ Hatzhund.
Bei den regen Verbindungen des Fürstenhauses von Hannover mit England
kann es nicht verwundern, daß dann der deutsche Vorstehhund mit dem
hochgezüchteten englischen Typus verbessert wurde, bis schließlich
unsere unübertrefflichen vielseitigen ~Gebrauchshunde~ hervorgingen,
die zu den verschiedensten jagdlichen Verrichtungen verwendet werden
können.

Einem glatthaarigen Vorstehhund ähnelt an Größe und Gestalt der
~Schweißhund~ der deutschen Weidmänner. Die kräftig gebauten, lohbraun
bis fahlgelb gefärbten Tiere mit schwärzlichem Anflug an Schnauze
und Ohren besitzen einen breiten, wenig gewölbten Kopf. Die Lippen
der stumpfen Schnauze fallen breit über und bilden im Mundwinkel
eine starke Falte; die breitlappigen Ohren sind mittellang und unten
abgerundet. Er ist ein kaum zu entbehrender Gehilfe bei Ausübung
der Jagd auf Hochwild, indem er die Fährte angeschossener Tiere zu
verfolgen hat. An der Leine gehalten, führt er bei der Nachsuche den
Jäger still durch Busch und Wald zu der Stelle, wo das weidwunde Tier
sich niedergelegt hat. Ist er freigelassen und hat er das Wild verendet
gefunden, so „verbellt er es tot“, ist dieses aber noch flüchtig
geworden, so hetzt er es laut und stellt es, bis der Herr herankommt
und die Jagd mit einem Fangschuß beendet.

Nicht zu verwechseln mit diesem wichtigen Jagdgehilfen ist der
~Hirschhund~, der sich durch sein scharfes Spürvermögen und seine
außerordentliche Schnelligkeit auszeichnet. Gegenwärtig befinden sich
nur noch wenige im Besitz des englischen Königs. Früher war dieses Tier
ein wichtiges Inventarstück am britischen Hofe, das bei den großen
Hirschhetzen, an denen besonders Georg III. als leidenschaftlicher
Liebhaber dieses Sportes oft persönlich teilnahm, eine sehr wichtige
Rolle als Parforcehund spielte. Nicht selten hetzte man mit solchem
Eifer, daß von den 100 berittenen Jägern, die anfangs hinter dem
Hirsche dreinritten, zuletzt nur noch 10 oder 20 übrig waren, wenn
das flüchtige Wild von der Meute der Hirschhunde gepackt wurde. Man
durchritt dabei in Windeseile unglaubliche Entfernungen und setzte die
Jagd oft so lange fort, bis ein großer Teil der Pferde und selbst viele
Hunde dabei zugrunde gingen.

Diese Hirschhunde waren namentlich bei den alten keltischen
Völkerschaften als Jagdhunde sehr verbreitet und wurden noch im
Mittelalter auf dem mitteleuropäischen Festlande viel gehalten. Nach
dem bereits erwähnten Berner Professor Th. Studer sind sie die wenig
veränderten Nachkommen des als _Canis familiaris leineri_ bezeichneten
Wolfabkömmlings, dessen Überreste bisher in einem einzigen Exemplar im
neolithischen Pfahlbau von Bodmann am Überlinger See gefunden und nach
dem nunmehr verstorbenen Direktor des Rosgartenmuseums in Konstanz,
_Dr._ Leiner, von Studer so genannt wurden. Die Eigentümlichkeit dieser
Rasse besteht in einer langgestreckten, gewölbten Hirnkapsel mit mäßig
entwickelter, gerader Scheitelleiste an dem an der Basis gemessen
20 _cm_ langen Schädel. Die stumpf abgerundete Schnauze ist vor den
Eckzähnen noch 3,5 _cm_ breit. In seiner schlanken Form erinnert der
Schädel an den des Windhundes und in seiner geraden Profillinie an
den gleich zu besprechenden Bronzehund. Das unvermittelte Auftreten
dieses Tieres weist auf den zunehmenden Handelsverkehr jener Gegenden
mit dem Süden, von wo es zweifelsohne eingeführt wurde. Sein Entdecker
wies nämlich nach, daß es jedenfalls auf den ~indischen Wolf~ (_Canis
pallipes_) zurückgeht, der viel kleiner ist als der europäische Wolf,
nämlich bei einer Schulterhöhe von 65 _cm_ nur eine Gesamtlänge von
130 _cm_ erreicht, wovon übrigens 40 _cm_ auf den Schwanz entfallen.
Von Indien aus erstreckt sich sein Verbreitungsgebiet bis nach
Ostpersien. Sein gewöhnlicher Aufenthaltsort scheint das offene Gelände
zu sein, während er das Waldgebiet möglichst meidet. Nach den Angaben
der Eingeborenen haben die indischen Wölfe die Gewohnheit, weidende
Antilopen oder Schafe nach einer günstigen Fangstelle zu treiben,
was einen Fingerzeig dafür gibt, wie bei seinen gezähmten Nachkommen
dieser Instinkt zum Bewachen und Zusammentreiben von Herdetieren durch
zielbewußte Erziehung weiter ausgebildet wurde. Jeitteles nimmt Persien
als den Ort der ersten Domestikation des indischen Wolfes an. Von dort
kam dann dieses Tier nach seiner Zähmung als Haustier über Kleinasien
und der Donau entlang ins Herz von Europa, um hier bald neben dem
Torfhund recht beliebt zu werden.

Von dieser südlichen Haushundrasse leitet sich zweifellos der
~Bronzehund~ ab, den Jeitteles 1872 in einer vorgeschichtlichen
Ablagerung der Stadt Olmütz entdeckte und unter dem Namen _Canis
familiaris matris optimae_ -- seiner Mutter zu Ehren so genannt --
beschrieb. In der Folge entdeckte man diesen an neun verschiedenen
Orten Mitteleuropas in Kulturresten der Bronzezeit, so daß man
annehmen darf, daß er zur Bronzezeit neben dem kleineren Torfspitz
von Schakalabstammung ziemlich verbreitet war. Sein Schädel von
durchschnittlich 18 _cm_ Basislänge hat eine weniger gewölbte
Hirnkapsel und eine längere und spitzere Schnauze als derjenige des
Torfhundes. Diesen _Canis familiaris matris optimae_ möchte neuerdings
M. Hilzheimer in Stuttgart von einem kleinen Wolf ableiten, der
nach seinen Untersuchungen Südschweden und die gegenüberliegenden
Küstenländer Rußlands bewohnte. Damit stimmt überein, daß Th.
Studer in Bern diesen von einem Hund ableiten will, der in einer
jungsteinzeitlichen Ablagerung Nordwestrußlands gefunden und von ihm
_Canis putiatini_ genannt wurde. Was nun die Funktion der beiden
Haushunde Mitteleuropas zur Bronzezeit betrifft, so nimmt Naumann an,
daß der Torfspitz damals wie früher mehr zum Bewachen des Hauses, der
Bronzehund dagegen mehr zum Bewachen und Hüten der Herden, besonders
von Schafen, benutzt wurde. Letzteres ist sehr wohl möglich, um so
mehr die Großviehhaltung zur Zeit der Bronzekultur gegenüber der
Kleinviehzucht entschieden zurücktrat und besonders die Aufzucht des
Schafes zur Gewinnung der damals zuerst in größerer Menge beliebt
werdenden Wollkleidung einen großen Umfang annahm.

Jedenfalls sind unsere ~Schäferhunde~ die direkten Abkömmlinge des
Bronzehundes. In allen Formen des Schädelbaues stimmen sie mit
denjenigen des Bronzehundes vollkommen überein. Allerdings ist der
Schäferhund, wie wir ihn heute kennen, kaum 200 Jahre alt. Seine
Ausbildung begann erst mit der Ausrottung des Wolfes. Bis dahin war
seine Stelle vom hatzhundähnlichen, mit Stachelhalsband bewehrten
„Schafrüden“ eingenommen worden, der nur das Raubzeug, also vor
allem den Wolf, abzuhalten hatte, gewöhnlich aber vom Hirten am
Stricke geführt wurde, während dieser seine Herde selbst hütete
und, die Schalmei oder den Dudelsack blasend, vor ihr herging. Als
dann in England zuerst der Wolf ausgerottet wurde, entwickelte sich
dort aus den klugen und wetterharten wolfähnlichen Landhundschlägen
ein Schäferhund in unserem Sinne, dessen sich dann die Liebhaber
bemächtigten, um aus ihm schließlich den hochedlen Rassenhund zu
züchten, der uns heute im ~Collie~ oder ~schottischen Schäferhund~
entgegentritt. Wie der englische ist dann später auch der ~deutsche
Schäferhund~ aus wolfähnlichen Landhunden herausgezüchtet worden; nur
wurde er nicht so verfeinert, um nicht zu sagen überfeinert, sondern
blieb ein derber, wetterharter und genügsamer Gesell.

Aus kleinen Schäferhundformen ging schließlich im Mittelalter der
~Pudel~ hervor, der Artist unter den Hunden. Er erscheint nach Studer
zuerst in den Abbildungen der geduldigen Griselda von Pinturicchio
als solcher. Seine Ursprungsform ist der Hirtenhund früherer Zeiten,
der alte „Schafbudel“, der früher auch als Jagdhund verwendet wurde.
Vermutlich hat er im Laufe der Zeit eine ziemliche Beimischung
von Blut des vom _Canis familiaris intermedius_ der Bronzezeit
abstammenden Jagdhundes erhalten, da er früher viel für die Jagd,
besonders die Wasserjagd, verwendet wurde. Später wurde er dann dank
seiner Intelligenz und Gelehrigkeit zum persönlichen Gesellschafter,
Begleit- und Stubenhund erhoben und durch zielbewußte Zucht zu einer
Kulturrasse von besonderer Ausprägung erhoben. Wo dies zuerst geschah,
wird schwer zu entscheiden sein. Die ersten Darstellungen desselben
beziehen sich auf Burgund. In jener Zeit des Mittelalters war der
Jagdsport so allgemein und der Austausch der tierischen Jagdgehilfen so
international -- man denke nur an den massenhaften Bezug von nordischen
Jagdfalken aus Island und Grönland, die für ganz Europa den Bedarf
deckten --, daß es fast unmöglich sein wird, festzustellen, wo eine
bestimmte Rasse zuerst erzeugt wurde. In Deutschland sollen größere
Pudelformen erst im 16. Jahrhundert aufgetreten sein.

Sowohl mit Rücksicht auf ihren Körperbau als ihre geistige Eigenart
bilden unter allen Hunden die ~Windhunde~ die am schärfsten
umschriebene Rassengruppe. Der schlanke, zierliche Körper mit schmalen,
hoch hinaufgezogenen Lenden und geräumiger Brust ruht auf hohen,
sehnigen Gliedmaßen und trägt einen fein gebauten Kopf mit lang
vorgezogener Schnauze, indem der Gesichtsschädel stark verlängert,
dabei schmal und hoch ist, so daß die Lückenzähne auseinandergerückt
sind. Die aufrecht gestellten Ohren sind an der Spitze gewöhnlich
umgebogen. Der lange, dünne Schwanz wird hängend getragen und ist
bisweilen am Ende nach oben gekrümmt. Die Behaarung ist in der Regel
sehr kurz und dicht anliegend. Nur in den mehr nach dem kalten Norden
gelegenen Wohngebieten entwickelt sich als Wärmeschutz ein längeres
Grannenhaar.

Diese kurze Behaarung, die in unserem kühlen Klima leicht Veranlassung
zum Frieren gibt, deutet auf die Herkunft der Windhunde aus dem Süden,
und zwar weist das unruhige, ungemein bewegliche Wesen und das leichte
Orientierungsvermögen, das ihnen eigentümlich ist, wie auch der
schlanke Bau mit der stark entwickelten Brust mit geräumigen Lungen auf
die tropische Steppe als ursprünglichem Wohngebiet dieser Tiere. Dort
sind ja auch die ähnlich gebauten Antilopen zu Hause.

[Illustration: Bild 2. Darstellungen verschiedener Hunderassen auf
altägyptischen Denkmälern.

(Nach den Wandmalereien zusammengestellt von Wilkinson.)

2 u. 6 Jagdhunde mit Hängeohren als Beweis einer weitgehenden
Einwirkung der Domestikation, 3 Weibchen einer dachshundartigen Rasse,
1, 4, 5 u. 7 Windhunde.]

In Europa erscheinen die dieser Rasse angehörenden zahmen Hunde spät.
Noch zur Bronzezeit fehlten sie hier gänzlich. Auch in Asien vermissen
wir sie in den ältesten für uns nachweisbaren Kulturperioden, so auch
in der altbabylonischen Zeit. Im alten Ägypten dagegen finden wir schon
zur Zeit der 4. Dynastie (2930-2750 v. Chr.) neben dem auch hier die
ursprünglich verbreitete Hunderasse darstellenden Torfhund, dem Spitz
von Schakalabstammung, einen hochbeinigen, glatthaarigen, stehohrigen
Windhund auf den alten Grabdenkmälern abgebildet. Die aufrechtstehenden
Ohren weisen darauf hin, daß die Domestikation noch nicht allzusehr
auf ihn eingewirkt hatte. Zuerst vermutete der Pariser Zoologe
Geoffroy St. Hilaire und nach ihm der Züricher Konrad Keller, daß der
langbeinige, spitzschnauzige ~abessinische Wolf~ (_Canis simensis_)
der Stammvater des altägyptischen Windhundes sei. Er sei schon zu Ende
des 4. vorchristlichen Jahrtausends irgendwo in Nubien gezähmt und
zum Haustier erhoben worden. Dem entgegen machen die meisten Autoren
geltend, daß die Windhunde, die uns allerdings in Ägypten zuerst
entgegentreten, nicht einheitlichen Stammes sein können, daß die
größeren und kleineren Formen verschiedenen Ursprungs seien. Letztere
stammen zweifellos aus dem Niltal; doch meint neuerdings M. Hilzheimer,
daß nicht der abessinische Wolf, sondern eine auffallend schlanke
Schakalart, _Canis lupaster_, der Ausgangspunkt dieser Rasse sei.
Dieser Schakal sei dem schakalköpfig dargestellten altägyptischen Gotte
Anubis, dem Geleiter und Schützer der Toten, heilig gewesen, und man
habe in Assiut Schädel bei Hundemumien gefunden, die denjenigen dieses
schlanken Schakals außerordentlich ähneln. Diese aus Nubien stammenden
kleineren Windhunde der Ägypter werden auf den Grabdenkmälern mit
dünnem, teilweise geringeltem Schwanze abgebildet. Sie wurden dann
durch die Phönikier nach Syrien gebracht und gelangten von da wohl
über Kleinasien zu den Griechen, dann auch nach Mittelitalien zu den
Etruskern und später durch die Römer in die Länder nördlich der Alpen.

Die größeren Windhunde dagegen führt M. Hilzheimer auf einen im
Nordwesten des Schwarzen Meeres heimischen hochgestellten ~Steppenwolf~
zurück, der vom Menschen gezähmt und zu seinem Jagdgehilfen erhoben
wurde. Noch heute ist er als solcher für die Jagd in der Steppe
unentbehrlich. Auf diesen Wolf sei der als ~Barsoi~ bezeichnete
langhaarige russische Windhund, wie auch die gleichfalls für die Jagd
benutzten großen Windhunde, der persische ~Tasi~ und der durch ganz
Nordafrika verbreitete ~Slughi~, zurückzuführen. Der westlichste
Vertreter derselben ist der englische ~Greyhound~, der in ganz
ähnlicher Gestalt schon auf etruskischen Grabdenkmälern erscheint. Also
muß diese Windhundart schon frühe aus Westasien nach Südeuropa gelangt
sein.

Der älteste stehohrige Windhund Altägyptens ist aus ganz Nordafrika
verschwunden. Nach Keller hat er sich nur noch auf den Balearen östlich
von Spanien im ~Ibizahund~ erhalten, so genannt, weil er nach den
Kennern von der Insel Ibiza stammt, wohin er wohl von Nordafrika her
durch die Karthager gebracht wurde. Auf die Frage, weshalb sich der
Pharaonenwindhund ganz abseits vom Niltal auf den spanischen Inseln
des Mittelmeeres bis heute erhalten konnte, während er sonst überall
verschwand, antwortet Keller: „Es ist das Kaninchen, das uns diesen
alten Windhund gerettet hat. Die Balearen waren schon im Altertum ihres
Kaninchenreichtums wegen berühmt. Die dort angesiedelten römischen
Kolonisten wandten sich, wie Plinius berichtet, an ihr Mutterland,
damit dieses Soldaten schicke, um die Kaninchenplage zu beseitigen.
Aber viel wirksamer erwiesen sich die von den Pityusen eingeführten
Ibizahunde, die dem schädlichen Nager mit großem Geschick zu Leibe
gehen. Dieser ausgesprochene Jagdinstinkt hat sich vererbt, und wir
erfahren ja durch das bekannte Gemälde, das Prisse d’Avennes unter
dem Titel ‚Rückkehr von der Jagd‘ aus der Nekropole von Theben
veröffentlicht hat, daß die altägyptischen Windhunde zur Jagd auf Hasen
verwendet wurden.“

Derselbe Autor hat, wie 1906 den Ibizahund auf den Balearen, so später
auf der Insel Mallorka auch einen stehohrigen dachsartigen Hund, wie er
im alten Ägypten gezüchtet wurde, gefunden. Diesen führt er, wie alle
~Dachshunde~ überhaupt, auf den altägyptischen Windhund zurück, der
durch vererbte Rachitis die ihm eigentümlichen kurzen, gekrümmten Beine
erhielt. Nun sind allerdings schon im 3. vorchristlichen Jahrtausend
niedrige, langgestreckte, stehohrige Hunde unter dem Namen _trqu_, was
etwa Feuriger, Heißer bedeutet, zur Jagd gebraucht worden. Doch ist es
durchaus nicht sicher, wie Keller annimmt, daß unser deutscher ~Teckel~
auf diesen zurückgeführt werden darf. Leider ist die Geschichte dieses
letzteren durchaus noch im dunkeln. Heute haben die Dachshunde, die den
feinen Spürsinn der Jagdhunde besitzen, daneben sehr intelligent und
bei der Jagd äußerst ausdauernd sind, als Zeichen einer uralten Kultur
typische Hängeohren.

Weit besser geklärt als die Geschichte der Wind- und Dachshunde ist
diejenige der ~Doggen~. Kann man erstere ihrem geistigen Wesen nach
als Sanguiniker bezeichnen, so sind letztere mehr die Choleriker unter
den Hunden. Ihr vehementer Angriff ist zu fürchten und zeugt von
bissigem Wesen, das dem Feinde gefährlich wird; aber dem eigenen Herrn
gegenüber sind sie fügsam und treu. Auch im Körperbau sind sie in ihrer
massigen Erscheinung das reine Gegenstück zu den zierlichen, schlanken
Windhunden. Ihre gedrungene Gestalt mit ungemein kräftiger Muskulatur
trägt einen schwergebauten Schädel mit relativ langem Gehirn- und
kurzem, breitem Schnauzenteil. Am Kopf erscheinen die Ohren hoch
angesetzt und am verkürzten Gesichtsteil legt sich die Haut gern in
Falten, welche in den Lippen schlaff herabhängen. Auch die Augenlider
sind vielfach schlaff und kehren unten die rote, nackte Bindehaut
heraus, was dem Gesicht einen eigentümlichen Ausdruck verleiht. An den
kurzen Hals schließt sich eine breite Brust an, die Weichen sind wenig
hoch aufgezogen, die Beine mittelhoch und mit kräftiger Muskulatur
versehen. Ursprünglich war die Körperbehaarung lang, fast zottig, als
Beweis, daß diese Hunderasse von einer in einem kalten Klima lebenden
Wolfsart abstammt. Auch der Schwanz war buschig. Doch sind später aus
diesen langhaarigen auch kurzhaarige Doggen entstanden, deren Schwanz
auch nur kurz behaart ist.

Im vorgeschichtlichen Europa und im alten Ägypten fehlen diese
gewaltigen Hunde vollständig, dagegen treffen wir sie schon in
kurzhaarigen Formen in Vorderasien bei den alten Assyriern in der
ersten Hälfte des letzten Jahrtausends v. Chr. an. Und zwar scheinen
die Assyrier diese Hunde aus Indien erhalten zu haben, das sie
seinerseits aus dem Hochlande von Tibet bezog. Nach Prof. Konrad Keller
ist zweiffellos der auffallend große, schwarze ~Tibetwolf~ (_Canis
niger_) der Stammvater dieser mächtigen, ebenfalls zottig schwarz
behaarten Hunde, die im warmen Indien und Vorderasien ihre lange
Behaarung bald verloren und kurzhaarig wurden. Der große, schwarze
Wolf -- den Sclater 1874 zuerst als reichlich 1 _m_ langen Wildhund
beschrieb --, der im durchschnittlich Mont Blanc-Höhe aufweisenden
Hochlande von Tibet neben dem gemeinen grauen Wolfe vorkommt, ist in
den kräftig bemuskelten Beinen auffallend tief gestellt, hat an Hals
und Brust eine auffallend lange Behaarung von schwarzer Farbe, alles
Merkmale die auch die Tibetdoggen aufweisen, nur daß diese neben dem
schwarzen Haarkleid häufig einen weißen Bruststern und weiße Pfoten
aufweisen. Von den Abkömmlingen dieser Hunderassen waren nach den
vorliegenden literarischen Quellen auch die altassyrischen Doggen und
die von diesen abzuleitenden Molosserhunde der Griechen und später
der Römer vorwiegend schwarz, teils einfarbig, teils auch mit weißen
Flecken. Die späteren davon abweichenden Färbungen sind offenbar erst
sekundär erworben worden.

Die großen Tibetdoggen sind heute noch in Europa wenig bekannt.
Die ältesten Angaben über dieselben findet man in der chinesischen
Literatur, nämlich im Schu-king, demzufolge 1121 v. Chr. ein
Tibethund, der auf die Menschenjagd dressiert war, als Geschenk an den
Kaiser von China gelangte. Heute bringen tibetische Händler solche
häufig nach dem chinesischen Reich. Nach Europa gelangte die erste
Kunde von diesen gewaltigen Tibethunden zu Ende des 13. Jahrhunderts
durch den Venezianer Marco Polo, der erzählte, daß er die Größe
eines Esels erreiche und zur Jagd auf wilde Ochsen (Yaks) verwendet
werde. Fünf Jahrhunderte hindurch hörte man nichts mehr von ihm, bis
der Engländer Samuel Turner um 1800 auf einer Gesandschaftsreise im
Auftrage der Ostindischen Kompanie nach Tibet diese starken Hunde
von 70-80 _cm_ Schulterhöhe antraf, die er als bösartig bezeichnet.
Nach ihm gab Bryan Hodgson eine genauere Beschreibung von ihnen. Er
bezeichnet die Hunde von Tibets Hauptstadt Lhassa als die schönsten;
sie seien von schwarzer Farbe mit braunen Beinen. Nach Hooker wird
diese Dogge bei den Karawanen der Tibeter vielfach zum Lasttragen
benützt. Diese Rasse, die nur vereinzelt über Tibet hinausgeht und
z. B. in den Vorbergen des Himalajas vereinzelt angetroffen wird, steht
schon durch die ziemlich wenig verkürzte Schnauze der Stammform am
nächsten.

Die Geschichte der Doggen ist kurz folgende: Der Bildungsherd, in
welchem durch Zähmung des großen, schwarzen Tibetwolfes die ältesten
Doggen hervorgingen, ist Tibet. Von hier drangen diese durch ihre
Stärke geschätzten Nutztiere nach Nepal und Indien, vereinzelt auch
nach China vor. Von Indien aus gelangten sie frühe nach Persien und
von da bereits in einer kurzhaarigen Form in der ersten Hälfte des
letzten vorchristlichen Jahrtausends nach Assyrien und Babylonien,
wo wir sie mehrfach als Jagdhunde, teils an einem Riemen geführt,
teils frei dahinstürmend, abgebildet finden. So finden wir eine
höchst charakteristische Darstellung der assyrischen Dogge auf einer
Topfscherbe aus Birs Nimrud. Noch viel wahrheitsgetreuer sind die auch
künstlerisch viel höher stehenden Basreliefs von dem aus dem Jahre
668 v. Chr. stammenden Palast Asurbanipals in Kujundschik, die nun
ebenfalls im Britischen Museum sind. Auf der einen Darstellung sehen
wir den Auszug zur Jagd. Einige Jäger schreiten mit den Fangnetzen
voran; ihnen folgen andere, eine kampfbegierig vorwärtsstürmende
Dogge an der Leine führend. Auf der andern erblicken wir, wie vier
bissige Doggen mit kräftigen Halsbändern ein Wildpferd anfallen und es
niederzureißen versuchen.

Später erwähnt Herodot um die Mitte des 5. vorchristlichen
Jahrhunderts, ein Satrap von Babylon habe die Einkünfte von vier
Städten auf den Unterhalt solcher Hunde verwendet, was auf eine größere
Zahl derselben schließen läßt. Zu seiner Zeit gab es ähnlich große
Hunde auch in Epirus, wohin sie nach Keller aus den Euphratländern
durch den Zug des Xerxes gekommen sein sollen. Nachschübe dieser
Doggen erfolgten durch den Eroberungszug Alexanders des Großen nach
Indien, indem dieser makedonische König ihm vom Könige Porus und
andern indischen Fürsten geschenkte gewaltige Hunde nach seiner Heimat
Makedonien sandte. Über die Leistungsfähigkeit dieser indischen
Hunde, die nur Tibeter gewesen sein können, erzählt der römische
Geschichtschreiber Curtius Rufus auf griechische Quellen gestützt
folgendes: Nach Überschreitung des Hydaspes und nach Besiegung
des Porus kam Alexander ins Gebiet des Königs Sopites. „In diesem
Lande gibt es sehr vortreffliche Jagdhunde, die, wie man sagt, beim
Anblick eines Wildes sogleich zu bellen aufhören und besonders für
die Löwenhatz sehr gut sind. Um Alexander davon zum Augenzeugen zu
machen, ließ Sopites einen außerordentlich großen Löwen bringen und
ihn bloß von vier Hunden hetzen, die sogleich den Löwen anpackten. Ein
Hatzknecht nahm hierauf einen dieser Hunde, die am Löwen hingen, bei
einem Bein und suchte ihn loszureißen. Als er nicht loslassen wollte,
hieb er ihm dieses ab. Da er aber auch dies nicht beachtete, hieb er
ihm ein zweites Bein ab, und, weil er noch immer den Löwen festhielt,
schnitt er ihm ein Glied nach dem andern vom Rumpfe, und trotzdem hielt
der Hund, obschon inzwischen tot, noch den Löwen mit den Zähnen fest.
So hitzig sind diese Tiere von Natur auf die Jagd!“

Etwas abweichend von diesem Berichte erzählt der griechische
Geschichtschreiber Diodorus Siculus zur Zeit Cäsars und Augustus: „Der
indische König Sopites kam aus seiner Residenz dem Alexander entgegen,
bewirtete dessen Soldaten einige Tage hindurch aufs glänzendste und
schenkte ihm außer vielen andern wertvollen Dingen 150 Hunde von
außerordentlicher Größe und Stärke. Um nun eine Probe von ihren
Heldentaten zu geben, ließ er vor Alexander einen großen Löwen in
ein Gehege bringen, und ließ dann auch zwei der schwächlichsten der
geschenkten Hunde hinein. Diesen war der Löwe überlegen. Jetzt wurden
noch zwei andere Hunde hineingelassen, und bald hatten die vier Hunde
den Löwen so gepackt, daß sie ihn überwältigten. Darauf schickte
Sopites einen Mann ins Gehege, der ein großes Messer trug, um einem der
Hunde das rechte Bein abzuschneiden. Als Alexander das sah, schrie er
voll Entsetzen auf, und Leute seiner Leibwache eilten hin, dem Inder
Einhalt zu gebieten. Sopites aber versprach dem Alexander, er wolle ihm
drei andere Hunde für den einen geben; und so schnitt denn der Inder
dem Hunde ganz langsam das Bein ab, ohne daß dieser sich muckste. Er
hielt im Gegenteil den Löwen mit seinen Zähnen so lange fest, bis er
sich verblutet hatte und starb.“ Nebenbei bemerkt kommt es auch heute
nicht selten bei Sauhatzen vor, daß sich Hunde so fest in das Beutetier
verbeißen, daß sie von selbst nicht wieder loskommen können. Für diesen
Fall muß der Hatzmeister dem Hunde einen stets bei sich geführten
fußlangen Holzknebel von der Seite in den Mund schieben, indem er
diesen behutsam öffnet.

Einen weiteren Bericht über die außerordentliche Leistungsfähigkeit
dieser indischen Doggen hat uns der ältere Plinius in seiner
Naturgeschichte überliefert. Er schreibt nämlich: „Als Alexander (der
Große) nach Indien zog, hatte ihm der König von Albanien einen Hund
von ungeheurer Größe geschenkt. Das gewaltige Tier gefiel ihm, und er
ließ erst Bären, dann Eber und endlich Antilopen zu ihm; aber der Hund
blieb ruhig liegen und blickte sie mit Verachtung an. Erbittert über
dessen Faulheit ließ ihn der Eroberer töten. Dies erfuhr der König von
Albanien und sandte ihm einen anderen, mit der Aufforderung, ihn nicht
an schwachen Tieren, sondern an Löwen und Elefanten zu versuchen; er
habe nur zwei solcher Hunde gehabt und dieses sei der letzte. Ohne
sich lange zu besinnen, ließ Alexander einen Löwen los; diesen machte
der Hund augenblicklich nieder. Darauf befahl er, einen Elefanten
vorzuführen, und nie sah er ein Schauspiel mit größerem Vergnügen
an als das, das sich ihm jetzt darbot: Der Hund sträubte alle seine
Haare, bellte furchtbar donnernd, erhob sich, sprang bald links, bald
rechts gegen den Feind, bedrängte ihn und wich wieder zurück, benutzte
jede Blöße, die er sich gab, sicherte sich selbst vor dessen Stößen
und brachte es so weit, daß der Elefant vom immerwährenden Umdrehen
schwindelig niederstürzte, so daß bei seinem Falle die Erde erdröhnte.“
Jedenfalls waren diese indischen Hunde von einer den Griechen bis dahin
für unmöglich gehaltenen Tapferkeit und Stärke.

In Griechenland erfreuten sich die großen epirotischen Hunde neben
den lakonischen von ägyptischer Windhundabstammung, die zur Jagd
dienten, und den vom westasiatischen Schakal stammenden Spitzhunden,
die als getreue Wächter des Hauses gehalten wurden, in der klassischen
Zeit der größten Wertschätzung. Der 389 v. Chr. verstorbene attische
Dichter Aristophanes berichtet, daß die starken epirotischen Hunde von
fürsorglichen Ehemännern zur Hut der Frauengemächer benutzt wurden. Wie
grimmig diese dreingeschaut haben müssen, beweist die Tatsache, daß der
finsterblickende Höllenhund Kerberos von den Dichtern zum Stammvater
der epirotischen Zuchten erklärt wurde.

Von den Griechen erhielten dann die Römer die hochgeschätzte
epirotische Dogge, die sie ~Molosser~ (_canis molossus_) nannten.
Eine eingehende Beschreibung des Tieres gibt der römische
Ackerbauschriftsteller Columella um die Mitte des 1. Jahrhunderts n.
Chr., und hebt den mächtigen Kopf des Tieres hervor. Diesen gewaltigen
Hund, den sie mit Vorliebe bei den blutigen Tierhetzen im Amphitheater
verwendeten und mit dem sie gewiß bei den Helvetiern und Germanen
Aufsehen erregten, brachten die Römer zu Beginn der christlichen
Zeitrechnung auch in ihre Kolonien nördlich der Alpen. So fand man vor
einem Jahrzehnt im römischen Standlager von Vindonissa (dem heutigen
Windisch am Zusammenfluß von Aare und Reuß) auf mehreren offenbar an
Ort und Stelle hergestellten Tonlämpchen ein vollständiges Hundebild,
das gut auf den antiken Molosser paßt. Es stellt einen sehr kräftig
gebauten, hängeohrigen Hund dar, dessen Kopf eine dicke Schnauze
aufweist. Der Körper erscheint langhaarig und der starkbehaarte Schwanz
erinnert lebhaft an denjenigen unserer Bernhardinerhunde. Bemerkenswert
und ebenfalls für den Doggencharakter sprechend ist der Umstand, daß an
der Hinterpfote eine deutliche Wolfsklaue gezeichnet ist. Später kam
eben dort auch ein wohlerhaltener Molosserschädel zum Vorschein, der
nun in der Landwirtschaftlichen Sammlung in Zürich aufbewahrt wird.

[Illustration:

  Tafel 3.

„Vor dem Hunde wird gewarnt.“

Mosaik aus einem Hausflur in Pompeji.]

[Illustration: Tonlampe mit Molosserhund aus Vindonissa.

(Nach Keller, Die Abstammung der ältesten Haustiere.)]

[Illustration:

  Tafel 4.

Jäger des Assyrerkönigs Assurbanipal (668-626 v. Chr.) mit Jagdhunden
und Fangnetzen.

(Nach einer Photographie von Mansell & Cie. in London.)]

[Illustration:

  Tafel 5.

Darstellung eines altägyptischen Hundes der Windhundrasse.

Im Museum des Louvre.]

[Illustration:

  Tafel 6.

Altägyptische Windhunde.

Aus dem Ti-Grab in Sakkarah. 5. Dynastie, 2750-2625 v. Chr.

(Nach Konrad Keller.)]

[Illustration: Die Hündin von Gabii. Römische Marmorfigur im Louvre zu
Paris.]

Daß nun bei dem wiederholten Import einzelne Exemplare des Molossers
in verschiedene entlegene Alpentäler Helvetiens gelangten und hier vor
Kreuzung mit anderen Rassen und damit vor Vernichtung bewahrt blieben,
ist weiter nicht wunderbar. Ebenso begreiflich ist es, daß sie hier
vortrefflich gediehen. Boten doch die Alpenländer Verhältnisse, die
klimatisch denen ihrer Urheimat in Tibet sehr ähnlich sind. So wurde in
den abgeschiedenen Hochtälern der Alpen die alte Rasse weitergezüchtet
und lieferte die in den Alpen und Voralpen gehaltenen ~Sennenhunde~
von ziemlich primitivem Charakter. Durch sorgfältige Reinzucht aber
ging aus diesem Material der nach dem Hospiz des großen St. Bernhard
benannte edle ~Bernhardinerhund~ hervor, der seiner vortrefflichen
Eigenschaften wegen unter allen Doggen am höchsten geschätzt wird.
Dort, auf dem Simplon- und Gotthardhospiz, auf der Grimsel usw., wurde
der durch guten Spürsinn ausgezeichnete Hund, dessen Gutmütigkeit
und Treue fast sprichwörtlich geworden ist, zum Aufsuchen verirrter
Wanderer benutzt. Der berühmteste aller Hospizhunde war Barry vom
Hospiz auf dem Großen St. Bernhard, der im ganzen 44 Personen das Leben
gerettet hat und nunmehr ausgestopft im Naturhistorischen Museum zu
Bern zu sehen ist.

Gegenüber dem von den Römern in das Alpenland importierten Molosser
ist der Schädel wie der ganze Körper des Bernhardinerhundes größer,
was wohl als Folge der besseren Haltung und Pflege durch den Menschen,
unterstützt von dem ihm sehr zusagenden Hochgebirgsklima, erklärt
werden kann. Von diesem prächtigen Hunde sind aus den früheren
Jahrhunderten in der Schweiz keine schriftlichen Mitteilungen auf uns
gekommen, weil er offenbar dort so bekannt war, daß man ihn nicht zu
erwähnen brauchte; nur als Helmzier und als Wappen schweizerischer
Edelleute tritt uns sein prächtiger Kopf entgegen. Im schweizerischen
Landesmuseum in Zürich befindet sich eine Wappenrolle aus dem 14.
Jahrhundert mit zahlreichen Bernhardinern, die uns den Beweis liefern,
daß die schönen Hunde besonders beim Adel gehalten wurden. Noch
heute lassen sich manche seiner Zuchten von den Hunden der Grafen de
Rougemont, de Pourtalès, von Graffenried, von Judd usw. ableiten.
Später kamen sie dann im schweizerischen Tiefland in Vergessenheit,
wurden aber nicht nur auf dem Hospiz des Großen St. Bernhard in von den
Mönchen für ihre menschenfreundlichen Zwecke geschenkten und rasserein
gehaltenen Exemplaren, sondern auch auf anderen Alpenpässen und in
vielen Alpentälern gezüchtet.

Die ersten, die in der Neuzeit die Bedeutung dieses Hundes erkannten,
waren die Engländer. Sie lernten ihn, wie wir zuerst aus dem Jahre
1778 erfahren, auf dem Hospiz des St. Bernhard kennen und exportierten
ihn schon in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts nach England.
Hier tauften sie ihn _holy breed_, d. h. heilige Zucht. Da ihn
ein allerdings verdienter Nimbus umgab, wurde aus verständlichen
Gründen der von einem Heiligenschein umschwebte Name Bernhardiner
der am schärfsten ausgeprägten und berühmtesten Familie der gesamten
Rasse beigelegt. Im Jahre 1863 wurde zum erstenmal in England ein
Bernhardiner prämiiert. Offenbar wurde er zunächst in der Absicht, die
einheimischen Mastiffs zu verbessern, nach England eingeführt. Später
wurde er auch direkt gezüchtet, so daß er dort heute einen besonderen,
von dem schweizerischen abweichenden Rassentypus darstellt.

Durch die Erfolge der Engländer, dann auch Franzosen und Deutschen
aufmerksam geworden, begannen einige Schweizer Züchter, an ihrer
Spitze Schuhmacher in Holligen bei Bern, in letzter Stunde bestes
Zuchtmaterial vor der Auswanderung nach dem Auslande zu retten und
treffliche einheimische Rassen hochzuzüchten, die die früheren weit
übertreffen. Und zwar wird eine kurz- und langhaarige Bernhardinerrasse
gezüchtet, deren getrennter Bestand sich bis zum Anfang des vorigen
Jahrhunderts zurückverfolgen läßt. In der Ebene wird dem langhaarigen
Typus der Vorzug gegeben, während die Hospizmönche den kurzhaarigen
ziehen, dessen Behaarung sehr dicht ist. Der letztere besitzt bei einer
Schulterhöhe von 70 _cm_ beim Rüden und von 65 _cm_ bei der Hündin
einen in richtigem Verhältnis zum kräftigen Körper stehenden Kopf mit
verhältnismäßig schwachem Gebiß. Der Hals wird steil getragen, ist im
übrigen kurz und breit, der Rücken gerade, der Bauch weit aufgezogen.
Die weiblichen Tiere sind feiner als die männlichen gebaut. Bei den
langhaarigen Bernhardinern ist der Körper gestreckter, die Brust etwas
tiefer, der Schwanz lang und etwas buschig behaart. Die Behaarung
ist schlicht oder leicht gewellt und stimmt in der Färbung (weiß
mit rotgelb) mit dem vorigen Typus überein. Gekräuseltes oder stark
gelocktes Haar gilt als fehlerhaft. Erst in neuerer Zeit sind die
großen Formen des Bernhardiners gezüchtet worden.

In bezug auf äußere Erscheinung schließen sich auch die ~Neufundländer~
eng an die Tibethunde an. Sie erreichen eine Schulterhöhe von 63-69
_cm_, sind kräftig gebaut, mit breitem, langem Kopfe, etwas verdickter
Schnauze, ziemlich hohen, starken Beinen und sehr dichter Behaarung von
äußerst feinen, weichen, tiefschwarz bis rotbraun gefärbten Haaren.
Die Behaarung des Kopfes ist kurz, am übrigen Körper, auch am Schwanz
buschig. Die Zehen der breiten Pfoten sind durch Bindehäute verbunden,
so daß das Tier gewandt und ausdauernd zu schwimmen vermag. Es schwimmt
leidenschaftlich gern und mit der größten Leichtigkeit, taucht wie ein
Wassertier und kann stundenlang im Wasser aushalten. Schon oft wurden
durch den Neufundländer Menschen vor dem Tode durch Ertrinken gerettet.
Mit größter Treue und Anhänglichkeit verbindet er bedeutenden Verstand
und außerordentliche Gelehrigkeit, ist sehr gutmütig, sanft und dankbar
für empfangene Wohltaten. Die Stammrasse ist in England gezüchtet
worden und scheint mit der Insel Neufundland, die ihr den Namen gab,
gar nichts zu tun zu haben. So wenig wie im Jahre 1622, als die
Engländer nach jener Insel gelangten, ist später dieser Hundetypus dort
einheimisch gewesen. Wie er aber in England gezüchtet wurde, das konnte
bis jetzt nicht in Erfahrung gebracht werden.

Schlanker gebaut, mit höheren Beinen und weniger plumpem Kopf als
die echten Doggen sind die ~deutschen~ und ~dänischen Doggen~,
die vermutlich Kreuzungsprodukte von großen Windhunden mit echten
Doggen darstellen; denn in Gestalt und Eigenschaften halten sie die
Mitte zwischen beiden inne. Namentlich die deutschen Doggen bieten
in edlen Vertretern eine wahrhaft wunderbare Vereinigung an sich
widerstreitender Eigenschaften dar, nämlich Größe und Flüchtigkeit mit
Kraft und Eleganz. Wie schon der selbstverständlich vom englischen
_dog_ sich ableitende deutsche Name Dogge beweist, so führt auch die
Geschichte der deutschen Dogge wie diejenige der edlen Jagdhunde auf
die „englischen Hunde“ zurück, die seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts
von den jagdliebenden deutschen Fürsten und Adligen besonders für
die Sauhatz von England importiert wurden. Im 17. Jahrhundert wurden
sie auch in Deutschland gezüchtet, hießen aber noch zu Beginn des
vorigen Jahrhunderts bei uns „englische Hunde“ zum Unterschied von den
leichteren, spitzschnauzigen „Rüden“ einheimischen Schlages, die, unter
die Bevölkerung verteilt, von dieser auf höheren Befehl unterhalten und
während der Jagdzeit den Herren zur Verfügung gestellt werden mußten.
Zu großen Meuten vereinigt, hatten diese ungefügigen, bissigen Köter
die Wildschweine rege zu machen und zu treiben, während die größeren
und schwereren englischen Hunde, die Doggen, durch gepolsterte, mit
Fischbein gesteifte „Jacken“ geschützt, bei den Herrenjägern blieben
und, auf ein bestimmtes Stück losgelassen, dieses an den Ohren fingen
und festhielten, bis es mit der „Saufeder“ gestochen und so getötet
war. Dafür waren sie auch die Lieblinge ihrer hohen Herren, mit denen
besonders auserwählte Exemplare der Gattung als „Leib- und Kammerhunde“
immer zusammen sein und sogar das Schlafgemach teilen durften. Als
sie dann später durch Umgestaltung der Jagd bei dieser überflüssig
wurden, wandte sich die Liebhaberei ihnen zu und züchtete aus ihnen
herrliche Tiere, die mit Recht den Stolz ihres Besitzers darstellen.
Die lichtgelbe Färbung mancher deutscher Doggen ist jedenfalls auf den
Einfluß des Windhundblutes zurückzuführen.

Den Übergang zu ausgesprochen schweren und breitköpfigen Doggenformen
bildet die echte ~dänische Dogge~, so genannt, weil sie seit etwa 50
Jahren mit einer gewissen Vorliebe in Dänemark gezüchtet wird, zumal
in Gestalt des gelben, schwarz maskierten Broholmers. Auch dieser ist
von englischer Abstammung und wurde in seiner ursprünglichen Heimat im
englischen ~Mastiff~ zu einem wahren Klotz von Hund gezüchtet, der dank
seiner Größe und Stärke einen geradezu unüberwindlichen Schutzbegleiter
darstellt. Solche Schutz- und Kampfhunde hat es ja bereits im Altertum,
wenn auch nicht in solchen gewaltigen Ausmaßen, gegeben. Man denke
nur an die Hunde der Zimbern und Teutonen, die mit den Weibern die
Wagenburg der Auswanderer aufs getreuste bewachten und mit denen die
Römer nach Besiegung der Männer in offener Schlacht noch einen harten
Strauß zu bestehen hatten.

Ebenfalls Produkte englischer Zucht sind die dem Mastiff nahe stehenden
~Bullenbeißer~, deren ausgezeichnetste Rassen heute noch in Irland
hervorgebracht werden. Zu ihrer Stärke und Entschlossenheit besitzen
sie einen geradezu unglaublichen Mut, so daß sie sich zu schwerer und
gefährlicher Jagd, wie auch zu Kämpfen mit wilden Tieren besonders
eignen. Ihre geistigen Fähigkeiten sind nicht so ausgezeichnet wie die
der übrigen gescheiten Hunde, keineswegs aber so tiefstehend, als man
gemeinhin glaubt; denn jeder Bullenbeißer gewöhnt sich leicht an den
Menschen und opfert ohne Bedenken sein Leben für ihn. Er eignet sich
vortrefflich zum Bewachen des Hauses und verteidigt das ihm Anvertraute
mit wirklich beispiellosem Mute. Als Reisebegleiter in gefährlichen,
einsamen Gegenden ist er gar nicht zu ersetzen. Man erzählt, daß
er seinen Herrn gegen fünf bis sechs Räuber mit dem besten Erfolge
verteidigte, und kennt Geschichten, in denen er als Sieger aus solchen
ungleichen Kämpfen hervorging, trotz unzähliger Wunden, welche er
dabei erhielt. Auch als Wächter bei Rinderherden wird er verwendet und
versteht es, selbst den wildesten Stier zu bändigen, indem er sich
alsbald in die Oberlippe seines großen Gegners einbeißt und so lange
dort fest hängt, bis der Riese sich der Übermacht des Hundes gefügt
hat. Auch zum Kampfe gegen große Raubtiere, wie Bären, Wölfe usw., läßt
er sich abrichten. Früher waren Tierhetzen sehr beliebt, indem solche
Hunde gegen gefangene Bären oder wilde Stiere in Bären- oder Hetzgärten
genannten geschlossenen Räumen gehetzt wurden und das Volk sich an
dem beispiellosen Mute dieser verhältnismäßig kleinen Hunde ergötzte.
In England spitzten sich diese öffentlichen, gegen Eintrittsgeld
zugänglichen Schaustellungen später so zu, daß gegen einen angeseilten
Stier nur ein einziger, kleiner Hund losgelassen wurde, der ihn an der
Nase zu fassen hatte.

Auf dem plumpen, kräftigen Körper des Bullenbeißers sitzt auf kurzem,
dickem Hals der dicke, runde, hinten sehr breite, zwischen den Augen
eingesenkte Kopf mit stumpfer, aufgeworfener Schnauze. Infolge der
starken Verkürzung des mittleren Teiles der Oberlippe und Nase
hat sich die Gesichtshaut in Falten gelegt und sind die vorderen
Zähne unbedeckt, während die Lippen seitlich davon überhängen und
von Geifer triefen. In den extremsten Fällen ist der Hund zu einer
wahren Karikatur gezüchtet worden, die in ihrer Vierschrötigkeit und
grinsenden Mine mehr Mitleid als Freude erweckt.

Eine große Bullenbeißerrasse richtete man früher dazu ab, Menschen
einzufangen, niederzuwerfen und sogar umzubringen. Schon bei der
Eroberung Mexikos wandten die Spanier derartige Hunde als Mitkämpfer
und Aufspürer gegen die Indianer an. Unter ihnen war besonders
Beçerillo berühmt, dessen Kühnheit und Klugheit außerordentlich waren.
Er wurde unter allen seinen Genossen ausgezeichnet und erhielt doppelt
so viel Futter als die übrigen. Beim Angriff pflegte er sich in die
dichtesten Haufen der Indianer zu stürzen, diese beim Arme zu fassen
und sie so gefangen wegzuführen. Gehorchten sie, so tat ihnen der
Hund weiter nichts, weigerten sie sich aber, mit ihm zu gehen, so riß
er sie augenblicklich zu Boden und würgte sie. Indianer, welche sich
unterworfen hatten, wußte er genau von Feinden zu unterscheiden und
berührte sie nie. Noch im Jahre 1798 benutzte man solche „Bluthunde“
zum Fangen von Menschen, und zwar waren es nicht Spanier, sondern
Engländer, welche mit ihnen die Menschenjagd betrieben.

Die deutsche Bulldogge ist der ~Boxer~, der noch nicht zu solchem
Zerrbild wie _the old english bulldog_ überzüchtet wurde. Auch er hat
eine breite Brust und einen muskulösen Körper, aber sein Kopf ist nicht
so extrem verkürzt, so daß er seine Kiefer vortrefflich zum Beißen
verwenden kann. Ungemein bissig und herrschsüchtig, ordnet er sich
seinem Herrn gegenüber unter und zeigt ihm Treue und Anhänglichkeit;
doch muß er diesen vollkommen kennen gelernt und erfahren haben, daß
dessen geistige Energie seine leibliche Kraft unter allen Umständen
unterjochen kann und sich unbedingten Gehorsam zu erzwingen versteht.
Was der Boxer einmal gefaßt hat, läßt er so leicht nicht wieder los.
Hat man ihn in einen Stock oder in ein Tuch beißen lassen, so kann man
ihn an diesem Gegenstande in die Höhe heben, auf den Rücken werfen
oder andere Dinge mit ihm vornehmen, ohne daß er sein Gebiß öffnet. Es
gibt von ihm auch Zwergformen, die uns zum ~Mopse~ hinleiten. Dieser
ist ein Bullenbeißer im kleinen, mit ganz eigentümlich abgestumpfter
Schnauze und schraubenförmig gerolltem Schwanz. Auch zeigt er das
mißtrauische, mürrische Wesen der Bulldoggen, wurde aber dennoch früher
gerne von alten Jungfern mit großer Zärtlichkeit gehätschelt und als
Schoßhund gehalten, wobei er eine oft sprichwörtliche Fettleibigkeit
entwickelte. Diese einst sehr verbreitete Form ist jetzt fast
ausgestorben; dagegen sind neuerdings edlere Rassen dieses Luxushundes
aufgekommen, die sich wiederum großer Beliebtheit erfreuen, obschon
auch sie launenhaft und im ganzen wenig angenehme Gesellschafter des
Menschen sind.

Wie in den Alpen kommen auch in den Abruzzen, bei den Basken in den
Pyrenäen und bei den Albanesen in Nordgriechenland große Hunde vor,
die zweifellos in verwandtschaftlicher Beziehung zum alten Molosser
stehen, aber Kreuzungsprodukte mit anderen Hunden sind. Überhaupt sind
im Laufe der Jahrhunderte so viele Kreuzungen bei den Gebrauchshunden
vorgekommen, daß sich ihre Abstammung im einzelnen nie mehr feststellen
läßt.

Neuerdings will Hilzheimer die Doggen von einem im mittleren Schweden
heimischen mächtigen, dickköpfigen und kurzköpfigen Wolf mit starkem
Stirnabsatz ableiten. Diese Annahme ist jedoch nicht genügend
begründet, um die ältere, viel wahrscheinlichere zu verdrängen.
Immerhin darf zugegeben werden, daß ein solcher starker nordischer
Wolf den Ausgangspunkt der von den eigentlichen Doggen zu trennenden
~Hirtenhunde~ bildet, denen im Gegensatz zu den Schäferhunden, die
die Herde hüten, nur die Bewachung der Herde gegen den Angriff
starker Raubtiere oder böswilliger Menschen obliegt. Sie zeichnen
sich gegenüber den Doggen durch kaum verkürzte Schnauze und geringen
Stirnabsatz aus. Sie sind langhaarig, weiß, grau oder braun gefärbt,
vielfach auch gescheckt, und kommen in verschiedenen Ländern Europas in
typischen Vertretern vor. Früher aber waren sie, solange es reißende
Tiere von den Herden abzuhalten gab, weit verbreiteter als heute, da
sie sich nur noch in zerstreuten Inseln vorfinden. Nach Hilzheimer
soll Blut von diesem nordischen Wolfe auch in den Pudel übergegangen
sein, dem früher besprochenen Abkömmlinge des Schäferhundes, der
wahrscheinlich auch Blut vom Laufhunde in sich aufgenommen hat.

Wie in der Alten Welt so sind auch in der Neuen durch Zähmung
verschiedener Wildhunde Haushunde von den Indianern gewonnen worden,
soweit sie sich über die primitive Stufe der Sammler und Jäger
erhoben hatten und zu einiger Ansässigkeit als Hackbauern gelangt
waren. So fanden die Europäer bei ihrer Ankunft bei verschiedenen
Volksstämmen zahme Hunde. Alle Indianersprachen an der Westküste von
Südamerika hatten eigene Bezeichnungen für den Hund, und der spanische
Geschichtschreiber Garcilasso de la Vega berichtet, daß in der ältesten
Zeit das Volk der Huanca, bevor es noch von den Inkas unterjocht wurde,
ein Hundebild anbetete und leidenschaftlich gerne Hundefleisch aß. Der
St. Galler J. J. von Tschudi fand als Beweis der Urexistenz des Hundes
in Peru in alten, vorkolumbischen Gräbern Skelette und Mumien von
Hunden, welche meist quer vor den Füßen der mitbestatteten sitzenden
Menschenkadaver lagen. Identisch mit diesen Mumienhunden ist der heute
noch in den Ansiedelungen des Gebirges der Anden bei den Hirten und
in den Indianerhütten verbreitete ~Inkahund~, der als ein bissiges,
einen besonderen Widerwillen gegen die Europäer zeigendes Tier von
ziemlich kleiner Gestalt mit rauhem Pelz von dunkelockergelber Farbe,
am Bauch und auf der Innenseite der Beine heller, geschildert wird. Der
zierliche Kopf ist scharf zugespitzt, die Ohren sind aufrecht, spitz
und klein, der Schwanz ist stark behaart und gerollt. Auf Grund der
Gräberfunde besonders von Ancon vermochte Alfred Nehring nachzuweisen,
daß schon bei den alten Inkas drei verschiedene Rassen des Inkahundes
gezüchtet wurden, die als Wacht-, Hirten- und Jagdhunde Verwendung
fanden, und daß der Stammvater dieser südamerikanischen Hundeart der
~nordamerikanische Wolf~ (_Canis occidentalis_) war. Es ist also
dieser Hund mit dem Volk von Norden her nach Süden eingewandert und
kam auch in den Tropen in den kühlen Höhenlagen recht gut fort.
Interessant ist, daß das recht hoch kultivierte Volk der alten Peruaner
bereits Rassenzucht trieb und aus dem ursprünglichen Wolfshunde, den
verschiedenen Zwecken, zu denen er verwendet wurde, entsprechend, eine
schäferhundartige, eine dachshundartig durch erblich gewordene Rachitis
verkümmerte und eine bulldoggähnliche mit verkürztem Oberkiefer
züchtete.

Von demselben nordamerikanischen Wolfe stammt der ihm sehr ähnelnde
Hund der Indianer Nordamerikas ab. Diese verbessern ihre Zuchten von
Zeit zu Zeit durch Kreuzung mit Wölfen, wobei die Halbzuchtwölfe im
allgemeinen leicht zähmbar sind. Der eigentümliche Hasenindianerhund
mit kurzem Gesicht und kurzen Läufen ist dem ~Präriewolf~ (_Canis
latrans_) nahe verwandt und wurde zweifellos durch Zähmung aus diesem
gewonnen.

In Südamerika gibt es Hunde, die dem ~Maikong~ (_Canis cancrivorus_)
gleichen und jedenfalls auch von ihm abstammen. Die Kreuzung derselben
mit der wilden Stammart kommt häufig vor.

Auf den westindischen Inseln, in Mexiko und an den Küsten des
nördlichen Südamerika lebt ein kleiner, fuchsartiger Hund, dessen
schwärzlicher bis dunkelgrauer Körper fast haarlos ist. Es ist dies der
~Karaibenhund~, den schon Kolumbus bei seiner Ankunft antraf und der
von den Altmexikanern Xoloitzcuintli genannt wurde. Sein Stammvater
ist eine kleine Schakalart der Antillen, die durch spezielle Zucht ihr
Haarkleid im warmen Klima mehr und mehr reduzierte. Wichtig sind den
Feuerländern ihre Hunde, da sie ihnen beim Fang der Seeotter helfen.
Darwin sagt daher von ihnen, „sie wollten in der Not lieber ihre alten
Weiber als ihre Hunde töten und essen“. Übrigens wußten auch diese
niedrig stehenden Wilden die Vorzüge der europäischen Hunde zu schätzen
und trachteten danach, sie mit den größten Opfern anzuschaffen.

Mit dem Vordringen der Europäer nach der Neuen Welt gelangten
selbstverständlich auch die verschiedensten altweltlichen Hunde dahin
und fühlten sich dort sehr bald heimisch. Dabei mischten sie sich
vielfach mit den vorgefundenen zahmen Hunden und gaben zu den buntesten
Mischrassen Veranlassung. Solche unentwirrbare Kreuzungsprodukte
gibt es ja auch in der Alten Welt genug. Sie gehen immer wieder,
meist ungewollt, hervor und machen sich überall, oft unliebsam genug,
bemerkbar; doch wird von den Kennern stets das reine Blut diesen
Mischlingen vorgezogen werden.

Schon bei den Schriftstellern des Altertums finden wir gelegentlich
Geschichten, die uns die hohe Wertschätzung des Hundes als Haustier und
Gefährten des Menschen beweisen, die auch zeigen, wie sich dieses Tier
oft für seinen Herrn opferte und ihm Treue über den Tod hinaus hielt.
So berichtet u. a. der ältere Plinius in seiner Naturgeschichte: „Man
erzählt von einem Hunde, der für seinen Herrn gegen Räuber kämpfte
und, obgleich selbst schwer verwundet, dessen Leichnam doch nicht
verließ, sondern gegen Vögel und Raubtiere verteidigte. Einen König
der Garamanten holten 200 Hunde aus der Verbannung zurück und schlugen
dessen Widersacher in die Flucht. Die Kolophonier und Kastabalenser
hielten ganze Meuten von Hunden, die im Kriege die erste Schlachtreihe
bildeten und sich nie feig erwiesen; sie waren die treusten
Hilfstruppen und dienten ohne Sold. Als die Zimbern erschlagen waren,
verteidigten noch Hunde ihre auf Wagen stehenden Zelte. Als der Lycier
Jason getötet war, wollte sein Hund nicht mehr fressen und hungerte
sich zu Tode. Ein Hund, den Duris (ein griechischer Schriftsteller
aus Samos zur Zeit des Ptolemäos II. Philadelphos, 285-247 vor Chr.)
Hyrkanus nennt, stürzte sich in die Flammen, als König Lysimachus
verbrannt wurde. Dasselbe tat der Hund des Königs Hiero. Bei uns wurde
Volcatius, ein Edelmann, der zu Pferd von seinem Landhaus zurückkehrte,
als er abends von einem Räuber angefallen wurde, durch seinen Hund
verteidigt; ebenso der Senator Coelius, als er zu Placentia (dem
heutigen Piacenza) krank lag und von Bewaffneten überfallen wurde. Erst
als der Hund erschlagen war, erhielt er eine Wunde. Über alles erhaben
ist aber folgender Zug, der zu unserer Zeit in den Jahrbüchern des
römischen Volkes, als Appius Junius und Publius Silius Konsuln waren,
aufgezeichnet wurde: Als Titius Sabinus samt seinen Sklaven wegen des
an Nero, dem Sohn des Germanicus, begangenen Mordes zum Tode verurteilt
war, konnte der Hund eines dieser Unglücklichen nicht vom Gefängnis
weggetrieben werden, verließ auch dessen Leiche nicht, als sie auf die
Straße geworfen wurde, heulte kläglich und trug, als einer aus der
versammelten Volksmenge ihm ein Stück Fleisch hinwarf, dieses zum Munde
seines toten Herrn. Als dann die Leiche in den Tiber geworfen wurde,
schwamm er mit ihr und suchte sie über Wasser zu erhalten, während das
Volk am Ufer seine Treue bewunderte.

Der Hund ist das einzige Tier, das seinen Herrn kennt, Bekannte von
Unbekannten unterscheidet, auf seinen Namen hört und seine Hausgenossen
schon an der Stimme kennt. Die längsten Wege finden sie wieder, wenn
sie sie einmal gemacht haben, und überhaupt ist ihr Gedächtnis nach dem
des Menschen das beste. Wenn sie auch noch so wütend sind, kann man
ihnen doch Einhalt tun, wenn man sich auf die Erde niedersetzt (was
nach Schatter tatsächlich von Erfolg begleitet ist). Der Mensch hat an
ihnen schon viele nützliche Eigenschaften aufgefunden; am nützlichsten
werden sie aber durch ihren Eifer und ihren Spürsinn auf der Jagd. Sie
suchen und verfolgen die Fährte des Wildes, ziehen den Jäger an der
Leine hinter sich her, zeigen das Wild heimlich und schweigend, indem
sie zuerst mit dem Schwanze, dann mit der Schnauze ein Zeichen geben.
Selbst alt, blind und schwach leisten sie noch Dienste, indem man sie
auf dem Arm trägt und durch den Geruch das Lager des Wildes aufsuchen
läßt.

Die Hündin bekommt zweimal jährlich Junge. Dieselben werden blind
geboren und werden um so später sehend, je reichlicher sie gesäugt
werden, doch nie vor dem 7. oder 21. Tage. Die Weibchen von der
ersten Hecke sollen die Eigenschaft haben, Faune (Waldgeister) sehen
zu können. Unter den Jungen ist dasjenige das beste, das zuletzt zu
sehen beginnt oder das die Mutter zuerst ins Lager trägt. (Noch heute
gilt dieser Glaube bei manchen Hundeliebhabern. Diese nehmen der
Hündin die Jungen, legen sie in einiger Entfernung nieder und halten
das für das beste, das von ihr zuerst ins Lager zurückgetragen wird.)
Die Alten hielten saugende junge Hunde für eine so reine Speise, daß
sie dieselben sogar den Göttern als Sühnopfer darbrachten. Noch jetzt
opfert man der Göttin Genita Mana ein Hündchen und trägt, wenn die
Götter bewirtet werden sollen, Hundefleisch auf. Man glaubt auch, daß
Hundeblut das beste Mittel gegen Pfeilgift ist.“

Der um die Mitte des ersten christlichen Jahrhunderts von Spanien nach
Rom gekommene Ackerbauschriftsteller Columella schreibt in seinem
Buch über den Landbau: „Der Hund liebt seinen Herrn mehr als irgend
ein anderer Diener, ist ein treuer Begleiter, unbestechlicher und
unermüdlicher Wächter und beharrlicher Rächer.

Der Wachthund für ein Landhaus muß sehr groß sein, gewaltig und laut
bellen, so daß er nicht bloß durch seinen Anblick, sondern auch durch
seine Donnerstimme den Dieb erschreckt. Man wähle dafür einen solchen
mit einfacher Farbe, am besten schwarzer. Bei Tage fürchtet sich der
Dieb mehr vor dem schwarzen Hund, bei Nacht sieht er ihn nicht und wird
leichter von ihm gepackt. Der Hund des Hirten soll dagegen weiß sein,
damit er bei Tag und Nacht leicht vom wilden Tiere unterschieden werden
könne, also beim Kampf von seinem Herrn nicht so leicht verwundet
werde. Der Wachthund des Landhauses soll ferner weder zu sanft sein,
denn sonst schmeichelt er selbst den Spitzbuben, noch allzuscharf,
sonst ist er selbst den Hausbewohnern gefährlich. Die Hauptsache bleibt
immer, daß er wachsam ist, sich nicht herumtreibt, keinen falschen
Lärm macht, sondern nur dann anschlägt, wenn er sicher etwas Fremdes
merkt. Der Hirtenhund soll so stark sein, daß er den angreifenden Wolf
bekämpfen, und so schnell sein, daß er den fliehenden einholen und
ihm die Beute abjagen kann. -- Die Hauptnahrung der Hunde ist Brot,
am besten aus Gerste gebackenes. Den Wacht- und Hirtenhunden gebe man
zweisilbige Namen. Für Männchen paßt z. B. Skylax, Ferox, Laco, Celer,
für Weibchen Spude, Alke, Rome, Lupa, Cerva, Tigris.“

Der Grieche Arrian im 2. Jahrhundert n. Chr. rühmt in einem längeren
Passus seine kluge, anhängliche und schnelle Hündin Horme, die er
geradezu als göttlich bezeichnet; sie nehme es bisweilen mit vier Hasen
auf. Sie sei immer guter Laune, verlasse ihn und seinen Jagdgefährten
Megillos nie und gebe ihnen alle ihre Wünsche zu verstehen. Seitdem sie
einmal die Peitsche zu kosten bekommen habe, ducke sie sich gleich,
wenn man die Peitsche nur nenne, komme schmeichelnd herbei, springe an
einem in die Höhe und höre nicht eher mit ihren Liebkosungen auf, als
bis man wieder freundlich mit ihr tue.

Schon im Altertum wurden die Hunde auf verschiedene Weise dressiert
und zu Kunststücken abgerichtet. So erzählt der griechische
Geschichtschreiber Plutarch: „Folgendes habe ich mit eigenen Augen
gesehen. In Rom war ein Tausendkünstler, der im Theater des Marcellus
einen merkwürdig dressierten Hund zeigte. Dieser führte erst allerlei
Kunststückchen aus und sollte zuletzt zum Schein Gift bekommen, davon
betäubt werden und sterben. Er nahm also das Brot, worin das Gift
verborgen sein sollte, an, fraß es auf, begann dann zu zittern, zu
wanken, senkte den Kopf, als ob er ihm zu schwer würde, legte sich
endlich, streckte sich, schien tot zu sein, ließ sich hin und her
schleppen und tragen, ohne sich zu regen. Endlich rührte er sich wieder
ein wenig, dann allmählich mehr, tat wie wenn er aus tiefem Schlafe
erwache, hob den Kopf, sah er sich um und ging endlich freundlich
wedelnd zu dem, der ihn rief. Alle Zuschauer waren gerührt; unter ihnen
befand sich auch der alte Kaiser Vespasian.“

Älius Spartianus schreibt, daß der römische Kaiser Hadrian Pferde
und Hunde so lieb hatte, daß er ihnen Grabdenkmäler setzen ließ, was
ja auch heute von den Reichen vielfach geübt wird, so daß um die
Städte London und Paris geradezu Hundefriedhöfe entstanden sind. Der
Geschichtschreiber Lampridius berichtet, daß der römische Kaiser
Heliogabal seine Hunde mit Gänselebern fütterte, auch vier große Hunde
vor seinen Wagen spannte und mit ihnen in seiner königlichen Wohnung
und auf seinen Landgütern herumkutschierte. Wie im Leben, so spielte
der Hund auch in den Sprichwörtern der Alten eine wichtige Rolle; doch
würde es uns zu weit führen, darauf einzutreten. Die schon damals bei
diesem Tiere auftretende Tollwut wurde nach dem Arzte Celsus am besten
so behandelt, daß man das Gift mit Schröpfköpfen herauszog, die Wunde
dann brannte oder, wenn die Stelle dazu nicht passend schien, mit
Ätzmitteln behandelte. Nachher ließ man die Gebissenen schwitzen und
gab ihm drei Tage hindurch tüchtig starken Wein zu trinken. Lauter
törichte Sympathiemittel gibt dagegen Plinius an.

Heute ist die Tollwut dank der scharfen staatlichen Kontrolle auf
ein Minimum eingeschränkt und kann zudem nach Übertragung durch Biß
eines tollen Hundes auf den Menschen dank der wertvollen Entdeckung
von Louis Pasteur in fast allen Fällen leicht geheilt werden, ohne
daß sie zum Ausbruch gelangt. Jedenfalls ist sie für den Menschen
weit weniger gefährlich und verhängnisvoll als der winzige, nur 4
_mm_ lang werdende Hundebandwurm (_Taenia echinococcus_), dessen
Finne eine ganz bedeutende Größe aufweisen kann. Aus seinen Eiern
entwickelt sich nämlich der von stecknadelkopf- bis kindskopfgroße
Hülsenwurm (_Echinococcus_), der sich in den verschiedensten Organen
des Menschen, am häufigsten aber in der Leber festsetzen und die
schwersten Erkrankungen, ja selbst den Tod herbeiführen kann. Überhaupt
gilt für alle Hundefreunde wegen ihres großen Parasitenreichtums, der
unter Umständen für den Menschen sehr verhängnisvoll sein kann, der
alte vielfach in Mosaik an der Türschwelle angebrachte römische Zuruf:
_cave canem_, d. h. hüte dich vor dem Hund! allerdings in anderem Sinne
als einst. Man sei freundlich, aber nicht zu intim mit ihm, da man
solches vielleicht mit langem Siechtum und Tod zu büßen hat. Lieber als
einen rasselosen Köter mit allen möglichen Untugenden halte man sich
einen gut gezogenen wertvollen Rassehund, der geistige und körperliche
Vorzüge besitzt, die dem Bastard versagt sind. Es gibt ja deren, die
allen möglichen Ansprüchen, sei es solchen der Jagd, des Schutzes, sei
es denen des Land- oder beengteren Stadtlebens sehr gut angepaßt sind
und sich darin seit vielen Generationen bewährt haben.

Andere Wildhunde als die hier aufgezählten sind nicht dauernde
Gesellschafter des Menschen geworden. Es hätte dies aber sehr wohl der
Fall sein können, da auch solche, jung eingefangen und vom Menschen gut
behandelt und gezähmt, sich an den Umgang mit diesem leicht gewöhnen.
Wie heute noch in Syrien, Ägypten und Nordafrika wurden schon bei den
alten Ägyptern jung eingefangene wilde ~Schakale~ wie Haushunde erzogen
und so direkt in die Haustierschaft übergeführt. In den Grabgemälden
des alten Reiches in der ersten Hälfte des 3. Jahrtausends v. Chr. ist
mehrfach dargestellt, wie gezähmte Schakale die Stelle von Haushunden
bei dem noch als lebend dargestellten Grabinhaber einnehmen oder sich
als gute Freunde unter dessen Hunde mischen. In einer Darstellung eines
Grabes zu Beni Hassan aus der 12. Dynastie (2000-1788 v. Chr.) sieht
man einen solchen gezähmten Schakal sogar an der Jagd teilnehmen.
Solche direkte Überführungen aus dem wilden in den gezähmten Zustand
sind aber schon damals eben solche Ausnahmen gewesen, wie in unserer
Zeit die Zähmung eines jung eingefangenen Wolfes zum Freunde und
Begleiter seines Herrn.

Selbst der ~Hyänenhund~ (_Canis pictus_), jener heute noch vom
südlichen Nubien an in großen Teilen Afrikas vorkommende Wildhund mit
buschigem Schwanz und weißen bis ockerfarbigen, stets schwarz umsäumten
Flecken auf kurz- und glatthaarigem Fell, wurde von den alten Ägyptern
in den Haustierstand übergeführt, ohne sich allerdings längere Zeit
darin zu erhalten. Dieser in hohem Grade anziehende Steppenhund, der
in Meuten bis zu 60 Stück mit ungeheurer Ausdauer allerlei Wild,
besonders Antilopen jagt, so daß selbst die größten Tiere ermatten
und von ihm überwältigt werden, wird von Brehm als für die Zähmung
vielversprechendes Raubtier bezeichnet, das einen vortrefflichen
Spürhund abgeben würde. Georg Schweinfurth sah in einer Seriba im
Bongolande ein in hohem Grade gezähmtes Stück, das seinem Herrn
gegenüber die Folgsamkeit eines Hundes an den Tag legte. Brehm, der
einige derselben gefangen hielt, bezeichnet sie als ungestüm mutwillig
mit einem unbezähmbaren Drang zum Beißen. Er ist ungemein regsam
und lebhaft und frißt vom erwürgten Wild fast nur die Eingeweide.
Seine Vorzüge für die Antilopen- und Gazellenjagd veranlaßte schon
die Ägypter des alten Reiches (2980 bis 2475 v. Chr.) ihn vielfach
unter ihrer Meute von Jagdhunden zu halten. An den Wänden zahlreicher
Gräber finden wir ihn als gezähmtes Tier nebst andern Jagdhunden
abgebildet, so in denjenigen des Nub hotep und des Ran ken der 4.
Dynastie (2930-2750 v. Chr.), dann des Aseskef ank und des Pta hotep
der 5. Dynastie (2750 bis 2625 v. Chr.). In des letzteren Grabe in
Sakkara sehen wir die Jagddiener des Verstorbenen mit der gemachten
Beute von der Jagd zurückkehren. An ihrer Seite sehen wir als Chef
derselben einen als Num hotep bezeichneten Mann mit zwei Windhunden und
zwei Hyänenhunden an der Leine schreiten, bereit, sie auf allfällig
angetroffenes Wild loszulassen. In demselben Grab des Pta hotep, das
uns den Hyänenhund gezähmt und im Dienste des Menschen zeigt, sehen
wir an der gegenüberliegenden Wand den wilden Hyänenhund mitten unter
Antilopen in der Steppe lebend und von Windhunden angegriffen. Man
sieht, daß der Künstler die Szene nach eigener Anschauung wiedergegeben
hat. Später wurde weder im mittleren noch im neuen Reiche je wieder der
Hyänenhund, sei es wild oder gezähmt, abgebildet, so daß wir annehmen
dürfen, daß er damals weder als Haustier gehalten wurde, noch auch in
den Gegenden, in denen die Großen des Reichs zu jagen pflegten, wild
vorkam. Er muß sich damals schon mit der Abnahme der Antilopenherden
weiter südlich gehalten haben; denn auch der Römer Pomponius Mela, der
dieses Tier unter der Bezeichnung _lycaon_ genau beschreibt, kennt ihn
nur aus Äthiopien. Heute trifft man ihn erst in den obersten Nilländern
und von da an südwärts bis zum Kap der Guten Hoffnung.



II. Rind und Büffel.


Wie der Hund, so ist auch das Rind zunächst nicht aus Nutzungsgründen,
sondern infolge abergläubiger Vorstellungen vom Menschen unterjocht
und in seinen Dienst genommen worden, um dann, als man später seinen
Nutzwert erkannte und auszubeuten begann, vorbildlich für die Zähmung
der übrigen Haustiere zu werden. Die Gewinnung eines so großen, starken
Tieres, wie es das Rind ist, war durchaus nichts Einfaches und sich
von selbst Verstehendes. Alte, entwickelte Individuen dieser Tierart
gefangen zu halten und gar zur Fortpflanzung zu bringen, ist schon
für uns unmöglich, wie viel mehr für den in seinen Vorstellungen,
Erfahrungen und Hilfsmitteln so sehr beschränkten vorgeschichtlichen
Menschen der jüngeren Steinzeit!

Ohne Zweifel haben sich die meisten alt, etwa in Fanggruben gefangenen
Tiere, wenn sie ausnahmsweise nicht sofort als willkommene Beute zur
Fleischgewinnung getötet und verspeist wurden, einfach totgerast. An
eine Fortzucht wäre bei Tieren solcher Art, die am Leben blieben, in
keiner Weise zu denken gewesen. Junge Tiere dagegen, die am leichtesten
lebend zu bekommen und zu zähmen gewesen wären, konnte man ohne fremde
Milch nicht am Leben erhalten. Da es nun an dieser völlig gebrach
und die weiblichen Tiere, abgesehen von ihrer selbstverständlichen
Unfruchtbarkeit in der Gefangenschaft und der dadurch bedingten
Milchlosigkeit, auch nicht zum Melken oder zum Zulassen fremder Kälber
an ihr Euter zu bringen waren, so konnte auch nicht durch solche in
jugendlichem Alter gefangene Kälber an eine Zähmung dieses starken
Wiederkäuers gedacht werden.

Für die erste Gefangenhaltung, Eingewöhnung und Züchtung des Rindes
waren andere Gründe maßgebend als diejenigen der Nutzung für sich
selbst. Solche der allertriftigsten Art waren aber religiöse, auf
die der verstorbene Alfred Nehring in Berlin vom Katheder aus und
Eduard Hahn in seinem Haustierbuche vollständig überzeugend hinwiesen,
so daß wir jedenfalls hierin das tatsächliche Motiv der Gewinnung
des Rindes als Haustier zu erblicken haben. Ihr Gedankengang ist
folgender: Eine uralte, hier nicht näher zu verknüpfende Anschauung,
die ich bei Besprechung des Mondkultus in meinem Werke: Der Mensch
zur Eiszeit in Europa und seine Kulturentwicklung bis zum Ende der
Steinzeit eingehend gewürdigt habe, schreibt bei allen Völkern auf
niedriger Kulturstufe, so auch bei denjenigen des südasiatischen und
westasiatisch-europäischen Kulturkreises, dem die hier in Betracht
kommenden Stämme angehörten, dem Mond einen weitgehenden Einfluß auf
Wachstum und Gedeihen aller Lebewesen aus Pflanzen- und Tierwelt mit
Einschluß des Menschen zu. Von jeher hat er durch seinen schwankenden
Lauf in Verbindung mit seinem den Primitiven unerklärlichen
Gestaltwechsel von der feinsten Sichel bis zum glänzenden Vollmond
die Aufmerksamkeit des Menschen viel eher auf sich gezogen und sie zu
Grübeleien aller Art veranlaßt, als die täglich in derselben Gestalt
ihre Bahn am Himmel zurücklegende Sonne. War diese ihm in ihrer
machtvollen, Hitze bis zur Dürre erzeugenden Erscheinung das männliche
Prinzip, so war ihm der in sanftem Lichte strahlende Mond, der mit dem
Tau und dem Regen der Erde und allem auf ihr Lebenden Fruchtbarkeit
spendete und ein für den Ackerbauer wichtiger Zeitmesser war, das
weibliche Prinzip -- auch bei den alten Germanen trotz des später
vertauschten Geschlechts. Schon auf niedriger Kulturstufe mußte es
dem Menschen auffallen, daß die Menstruation des Weibes, die wir im
Deutschen als monatliche Reinigung bezeichnen, wie die Schwangerschaft
und Fruchtbarkeit überhaupt völlig in Verbindung mit dem Mondlaufe
stand, von jenem geheimnisvollen Gestirn geregelt und also auch -- nach
primitiver Anschauung -- bedingt wurde.

[Illustration: Bild 3. Idol in Mondgestalt mit einfachen geradlinigen
Ornamenten, sogenanntes „Mondhorn“, vom Ebersberg, aus einer Station
der Bronzezeit am Irchel im Kanton Zürich.]

Was nun die Darstellung dieses vergöttlichten Wesens der Fruchtbarkeit
anbetrifft, so hat man von jeher den Mond als Sichel im Gegensatz zur
als Scheibe und später als scheibenförmiges Rad dargestellten Sonne
abgebildet. Diese Sichelgestalt des Mondes wiesen in auffallender Form
die gerade abstehenden Hörner des Wildrindes auf. Aus diesem Grunde
war es naheliegend, ja nach der Denkweise aller Menschen auf niedriger
Kulturstufe geradezu selbstverständlich, daß eine engere Beziehung
zwischen dem Wildrinde und der Mondgöttin bestand und ersteres zum
heiligen Tiere der letzteren erklärt wurde. Heischte nun die Göttin
Opfer, damit sie dem Hackbauern und seiner Frau Fruchtbarkeit spende
und seine Feldfrüchte gedeihen lasse, so war offenbar dasjenige des
ihr durch die Sichelgestalt der Hörner engverbundenen und ihr heiligen
Tieres ihr weitaus das liebste. Deshalb brachte man es dar, um sich
ihr Wohlgefallen und ihren Schutz zu erringen. Am allernotwendigsten
waren diese Opfer zur Zeit der schreckhaften Mondfinsternisse, wenn
die so überaus wichtige, ja unersetzliche Göttin der Fruchtbarkeit von
irgend welchen bösen Dämonen verschlungen zu werden drohte. Wie nun
heute noch die Chinesen bei solchen Fällen mit allen ihnen überhaupt
zur Verfügung stehenden Instrumenten einen gewaltigen Lärm verursachen,
um diese vermeintlichen bösen Dämonen zu vertreiben, so glaubten die
Stämme des südasiatischen Kulturkreises dieses Ziel der Befreiung der
Fruchtbarkeitsgöttin aus der Gewalt böser Mächte, die sich durch die
sonst ganz unerklärliche Verfinsterung dokumentierte, noch besser durch
schleuniges Opfer eines Exemplars der ihr heiligen Tiere zu erreichen.
Da aber lag die Schwierigkeit! Man wußte nicht von vornherein,
wann solche Zustände des Überfalls, der Schwäche und Krankheit der
Mondgöttin eintraten. Es war dies nur in ganz ungleichen, unbestimmten
Zwischenräumen der Fall, und dann, wenn es am nötigsten war, hatte man
just kein frischerbeutetes Wildrind zum Opfer bereit, konnte somit der
bedrängten Göttin nicht beistehen, ihr nicht helfen und verscherzte
damit ihr Wohlwollen. In der Urzeit war überhaupt kein Gebot für den
bequemen und arbeitsscheuen Menschen so dringend als eine Kultpflicht,
der er sich durchaus nicht entziehen konnte, wenn ihm überhaupt an
seiner und der Seinigen Existenz gelegen war. Es galt also, da die
Mondfinsternisse ganz plötzlich eintraten, sich nicht auf den Ertrag
der Jagd zu verlassen, sondern die Opfertiere für alle Fälle vorrätig
zu halten, um im Falle der Not sie zum unerläßlichen Opfer bei der Hand
zu haben. Das erreichte man am einfachsten dadurch, daß man kleine
Herden des Wildrindes in durch in den Boden geschlagene Holzpfähle
eingezäunte Reviere trieb und sie dort in halber Gefangenschaft hielt,
in der sie sich innerhalb des gewohnten Familienverbandes ruhig
fortpflanzten.

Auf diese Weise war der schwierige Übergang des Wildlings vom
Freileben zur Knechtschaft des Menschen ein unmerklicher geworden und
konnte allmählich zur Gewinnung des Rindes als Haustier führen. Von
frühester Jugend an häufiger mit dem Menschen in Berührung kommend,
gewöhnte es sich nach und nach an diesen und seinen Geruch, der ihm
im wilden Zustande Schrecken einflößte. Als der Gottheit geweihtem,
heiligem Tiere ließ man ihm innerhalb der Umhegung volle Freiheit
und suchte es nicht nur vor allfälligen Feinden, sondern auch, wenn
nötig, vor Futtermangel zu schützen. Solcher Dienst von seiten des ihm
wohlwollenden Menschen wurde von ihm bald dankbar empfunden. An den
Verkehr mit dem Menschen immer mehr gewöhnt, ließ es sich schließlich
mit zunehmendem Zahmwerden berühren, ja schließlich sogar melken; doch
wurde die Milch als Produkt des ihr heiligen Tieres der Mondgöttin
geopfert und erst sehr viel später riskierte der Mensch das zunächst
wohl als strafbaren Frevel empfundene Wagnis, dieses geheiligte Produkt
selbst zu genießen. Er trotzte kühn dem Zorne der Gottheit, um sich
vielleicht mit dem Genusse dieses heiligen Kultobjektes direkt, ohne
Vermittlung jener, einen Vorteil irgend welcher Art, besonders aber die
Fruchtbarkeit betreffend, zu erringen. So wurde die Milch, indem der
Mensch die Scheu vor diesem heiligen Produkt immer mehr ablegte, von
einem Opfertranke schließlich ein geschätzter Haustrank, den man sich
auch zu nichtrituellen Zwecken zu verschaffen versuchte.

Durch gegenseitige Gewöhnung aneinander zog sich das Band der
Freundschaft zwischen Rind und Mensch immer enger, bis schließlich
das von der Mutter entwöhnte Kalb, durch Anbieten von Salz zum
Lecken angezogen, in engere Verbindung mit seinem Herrn trat und
langsam der eigentlichen Zähmung unterworfen wurde. Solch heiliges
Tier wurde selbstverständlich nur als Opfer an die bedrängte oder um
Hilfe angerufene Mondgottheit geschlachtet und dessen Fleisch nur als
Opferspeise auch vom Menschen gegessen. Je mehr aber die Domestikation
dieses Tieres fortschritt und sich sein Nützlichkeitsverhältnis dem
Menschen gegenüber offenbarte, um so schwerer entschloß sich letzterer,
solch nützliches Tier der Gottheit zu opfern. Es konnte ihr anderweitig
im Leben noch mehr als mit seinem Tode dienen, indem es beispielsweise
das heilige Kultgerät der Fruchtbarkeit spendenden Göttin, ihr Idol in
Kuhhorngestalt, auf dem mit massiven Rädern versehenen Wagen bei dem zu
ihren Ehren abgehaltenen festlichen Umzuge zog. Dazu wurden zunächst
die größeren Kälber und später von den geschlechtsreifen Tieren nur
die fügsameren Kühe verwendet. Der unbotmäßige starke Stier konnte
dazu nicht in Betracht kommen, schon weil man zu schwach war, ihn bei
solcher Dienstleistung zu bändigen und in seiner Gewalt zu behalten.
Zudem konnte er nach weitverbreitetem Glauben primitiver Völker nur
als Kastrat Diener einer weiblichen Gottheit werden. So wurde das
Tier, um zum Gottesdiener gemacht und als solcher bei den Umzügen bei
Gelegenheit der Feste der Mondgöttin zum Ziehen von deren heiligem
Wagen mit dem Kultbild verwendet werden zu können, durch Abschneiden
der Hoden -- was sich ja sehr leicht bewerkstelligen ließ -- entmannt.
Die Folgen dieses Eingriffs machten sich bald bemerkbar durch
Verleihung einer sanfteren Gemütsart und Neigung zu Fettwerden, was
die Mastfähigkeit erleichterte, alles Eigenschaften, deren Auftreten
der Mensch als Nachwirkungen jener Operation nicht voraussehen und so
zielbewußt herbeiführen konnte.

Als Kastrat, d. h. geschlechtslos gemachtes Wesen, war nun der ~Ochse~
der vorzugsweise, ja später ausschließlich der Göttin geweihte Diener,
während ihm gegenüber auch die Kuh als Geschlechtstier zurücktrat.
Ein grausam-wollüstiger Zug haftet nun einmal dem Dienste der
Fruchtbarkeitsgöttin an und verlangte wie vom menschlichen Diener, der
sich ihr völlig geweiht hatte, auch von dem von jenem ihr geweihten
Tiere die freiwillige beziehungsweise erzwungene Geschlechtslosigkeit,
von ihren Dienerinnen aber, die nicht kastriert zu werden vermochten,
wenigstens das Zölibat, wenn nicht die Prostitution, d. h. das sich
anderen Preisgeben im Dienste der Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit,
wie dies in den semitischen Kulten Vorderasiens allgemein üblich
war und in Südasien, speziell Indien, heute noch üblich ist. Bis in
die Gegenwart haftet den Kastraten ein Beigeschmack von Heiligkeit
an. So sind es Eunuchen, die seit der ältesten Zeit den zum Fetisch
erhobenen Meteorstein der Kaaba in Mekka und das Grab des Propheten
Mohammed in Medina hüten. Eunuchen sind es, die nicht nur den Harems
der mohammedanischen Großen vorstehen, sondern auch den Dienst in
den Gemächern des „Sohnes des Himmels“ in Peking besorgen und in der
Privatkapelle des „Heiligen Vaters“ in Rom singen.

Eine noch viel größere Bedeutung als der Wagen mit dem heiligen
Kultbild der Göttin der Fruchtbarkeit erlangte als heiliges Gerät im
Dienste der Mondgottheit der Pflug. Viel ausgiebiger als mit der von
beiden Händen geführten Hacke ließ sich mit dem hakenförmig gekrümmten
Holze mit später erz- beziehungsweise eisenbewehrter Spitze der Boden
zur Aufnahme der Ackerfrucht aufreißen. Dieser Pflug wurde zunächst von
kriegsgefangenen Knechten, dann aber noch erfolgreicher durch den zum
Diener der Fruchtbarkeitsgöttin gemachten Ochsen gezogen. Er war ein
heiliges Werkzeug, mit dem man den Schoß der Allmutter Erde aufriß,
um sie zur Fruchtbarkeit zu zwingen, wie das Pflügen eine heilige
Handlung, die wie vor vielen Jahrtausenden, so heute noch vom Kaiser
von China, vom feierlichsten Zeremoniell umgeben, zur Eröffnung des
Ackerbaues seiner Untertanen vor allem Volke vollzogen wird. Wie die
Heiligkeit des Gerätes, so zieht sich die Heiligkeit des Gottesdieners
durch die ganze menschliche Kulturgeschichte. Bei vielen Völkern, so
in den meisten Gebieten Asiens, ist heute noch der den Pflug ziehende
Ochse ein Tier, dessen Fleisch nicht gegessen wird. Wie die Chinesen,
Inder und Westasiaten, hatte noch der gebildete Römer Cicero die
Anschauung, das Rind sei zum Pflügen und nicht zum Gegessenwerden da;
und Die Chrysostomus berichtet, daß in Cypern derjenige, der einen
Pflugochsen getötet hatte, als Mörder mit dem Tode bestraft wurde. Wie
bei den Juden, so wurde auch bei den alten Griechen ursprünglich die
Tötung eines Ochsen bestraft. Gleicherweise war sie bei den nüchternen
Römern verpönt, weil der Ochse ein Genosse des Mannes und ein Diener
der Ceres sei. Der Grieche Plutarch bekennt, daß er es nicht über sich
bringe, einen im Dienst alt gewordenen Ochsen auch nur zu verkaufen.
Erst nach und nach schwand wenigstens bei einem Teil der Menschen das
Vorurteil der Heiligkeit und Unantastbarkeit des Gottesdieners und
wurde der Ochse als Mastvieh ebensogut in Benutzung von Seite des
Menschen gezogen wie die milchende Kuh, deren Milch nicht mehr Opfer,
sondern profanes Genußmittel war.

In der hier angegebenen Weise muß das Rind schon vor etwa 10000 Jahren
als Genosse des Menschen gewonnen worden sein, und zwar zuerst in
Südasien, das überhaupt die meisten Wildrinder beherbergt, die für die
Domestikation von Seite des Menschen in Frage kommen. Zuerst hat der
Baseler Zoologe Ludwig Rütimeyer, auf genaue vergleichend anatomische
Untersuchungen des ihm zur Verfügung gestellten Materials gestützt,
nachgewiesen, daß das älteste Hausrind der Neolithiker Mitteleuropas,
die ~Torfkuh~ der Pfahlbauern -- wie der bereits besprochene Torfhund
so genannt, weil ihre Überreste in den inzwischen meist vertorften
Kulturschichten jener vorgeschichtlichen Periode der Pfahlbaubewohner
gefunden werden --, nicht von einem einheimischen Wildrinde gezähmt
wurde, sondern als fremder Import von Süden her zu den Stämmen
Mitteleuropas in der jüngeren Steinzeit gelangte. Afrika kommt wegen
Mangel an entsprechenden Wildrindern nicht in Betracht, sondern nur
Südasien. Von den hier lebenden Wildrindern fällt der ~Yak~ (_Bos
gruniens_) als Stammvater des ältesten Hausrindes wegen allzustarken
Abweichungen im anatomischen Bau, wie auch wegen der 14 Rippenpaare,
die er im Gegensatz zu den 13 des Hausrindes besitzt, außer Betracht.
Zudem ist dieses Tier ein ausgesprochener Bewohner des Hochgebirges,
dessen kaltem Klima und eisigen Stürmen entsprechend, er das zottige
Pelzkleid trägt. Als solches vermag es sich dem heißen Tieflande
durchaus nicht anzupassen. Gegen einen Zusammenhang mit dem indischen
~Gayal~ oder ~Stirnrind~ (_Bos frontalis_) spricht außer den ebenfalls
14 Rippenpaaren die gewaltige Ausdehnung der Stirnfläche des letzteren
und die abweichende Gestalt und Richtung des Gehörns. Auch dieses ist
übrigens ein Bergtier, das im Gebirge östlich vom Brahmaputra bis nach
Birma hinein in Herden lebt, fast so geschickt wie der Yak klettert,
gern das Wasser aufsucht und sich vor der drückenden Mittagshitze in
die dichtesten Wälder zurückzieht, wo es wiederkäuend im Schatten ruht.

[Illustration: Bild 4. Ein aus der Elle einer Torfkuh gespitzter, sehr
gut in die Hand passender Dolch aus einem neolithischen Pfahlbau der
Schweiz. (⅓ nat. Größe.)]

Auch der ~Gaur~ oder das ~Dschungelrind~ (_Bos gaurus_), das den
undurchdringlichen Buschwald ganz Südasiens vom Himalaja bis in die
indonesische Inselwelt bewohnt, kommt, obschon es 13 Rippenpaare
besitzt, aus anatomischen Gründen als Stammvater des Hausrindes nicht
in Betracht. Sein Schädel verbreitert sich nach oben zu, statt sich wie
bei diesem in dieser Richtung zu verschmälern; auch ist er im Stirnteil
auffallend konkav. Hinter dieser Konkavität erhebt sich ein mächtiger
Stirnwulst, der beim Stier einer schiefen Wand vergleichbar ist, beim
weiblichen Tier allerdings etwas niedriger, aber immer noch recht hoch
ist.

Der ~Banteng~ der Malaien oder das ~Sundarind~ (_Bos sondaicus_)
dagegen erfüllt nach den eingehenden Untersuchungen von Prof. Konrad
Keller in Zürich und anderen Zoologen alle Bedingungen dazu, so daß wir
ihn mit Sicherheit als Stammvater des ältesten Hausrindes ansprechen
können. Der ganze Schädelbau, die eigentümliche Beschaffenheit der
Hornzapfen, die bei beiden wie wurmstichiges Holz aussehen, die
Gestaltung und Richtung des Gehörnes, die 13 Rippen usw. deuten mit
aller Bestimmtheit darauf, daß irgendwo im südlichsten Asien der
Banteng gezähmt und aus ihm die ältesten Hausrinder gewonnen wurden,
bei denen sich der Gesichtsteil mit der Zeit etwas verkürzte.

Dem scheuen, am liebsten in wasserreichen bis moorigen Waldesteilen
seinen Stand nehmenden und deshalb vorzugsweise flache Bergtäler
mit langsam strömenden Flüssen bewohnenden Banteng steht in allen
körperlichen Merkmalen von allen Hausrindern das indische ~Zeburind~
am nächsten. Dieses ist offenkundig ein domestizierter Banteng. Die
anatomische Übereinstimmung beider ist auffallend. Beim Zeburind wie
bei der Bantengkuh ist der Schädel lang und schmal, das Gehörn nach
hinten ausgelegt, die Stirn seitlich abfallend, die Schläfengrube breit
und flach, sind die Augenhöhlen fast gar nicht hervortretend, ist der
Nasenast des Zwischenkiefers kurz und sind die Backenzähne schief
gestellt. Brehm sagt in seinem Tierleben, „daß erwachsene Bantengs
sich nicht zähmen lassen, Kälber desselben hingegen sich in der
Gefangenschaft leicht an den Menschen gewöhnen und völlig zu Haustieren
werden, da das Wesen des Tieres sanfter und milder zu sein scheint als
das aller übrigen bekannten Wildrinder.“

Der wilde Banteng ist ein verhältnismäßig leicht gebautes Rind von
braunroter bis kastanienbrauner Farbe bei den Kühen und jungen
Stieren, dagegen schwarz bei alten Stieren. Weiß dagegen sind bei
beiden Geschlechtern die untern Enden der Beine bis oberhalb der Knie-
und Hackengelenke, ein großer ovaler Bezirk auf der Hinterseite der
Schenkel, ein Streifen an der Innenseite der Beine, die Lippen und die
Innenseite der Ohren. Bei den Kälbern, deren Beine in ihrer ganzen
Ausdehnung außen kastanienbraun gefärbt sind, trägt der Rücken einen
dunkeln Längsstreifen. Die Schulterhöhe eines ausgewachsenen Stieres
beträgt 1,6-1,7 _m_, die Körperlänge etwa 2,6 _m_ und die Schwanzlänge
0,9 _m_. Die bei jungen Tieren walzigen, bei ausgewachsenen an der
Wurzel abgeflachten Hörner richten sich zuerst nach außen und oben,
aber gegen die Spitze zu etwas nach rückwärts und innen. Seine Nahrung
besteht hauptsächlich aus Gras. Gewöhnlich frißt es von vormittags 9
bis nachmittags 4 Uhr und geht dann trinken. Nachts legt es sich zum
Ruhen nieder. Es meidet angebaute Gegenden so viel als möglich, stellt
sich aber gelegentlich auf Äckern mit junger Saat zum Weiden ein. Es
lebt meist in kleinen Herden von 5 oder 6 bis 20 Stück, die von einem
großen Bullen geführt werden. Alte Stiere sollen sich gerne von der
Herde trennen und einsiedlerisch leben. Werden diese verwundet, so
greifen sie den Menschen, den sie sonst fliehen, ohne Zaudern an.

In diesem Banteng oder Sundarind hat nun der Südasiate nicht bloß das
gefügigste, sondern auch das schönste Wildrind zum bildsamen Haustier
herangezogen und damit alle weitere Haustiergewinnung vorbereitet.
Dieser südasiatische Stamm der Hausrinder hat sich dann, weil sein
großer Nutzen einleuchtete, sehr bald über weite Gebiete ausgedehnt.
In der ostasiatischen Inselwelt reicht es bis Bali und Lombok, weiter
nördlich bis China und Japan; hier überall macht ihm heute der später
domestizierte Hausbüffel starke Konkurrenz. Nach Westen zu treffen
wir ihn zuerst in Persien und Mesopotamien, dann auch sehr früh schon
im Niltal an, wo uns auf einer der noch der neolithischen Negadazeit
angehörenden skulptierten Schieferplatte von Giseh (s. Tafel),
und noch deutlicher auf einer gleichzeitigen Platte im Louvre das
charakteristische bantengähnliche Hausrind der ältesten nachweisbaren
Zeit Ägyptens entgegentritt. Als Büffelfigur, sagt Keller, könne dieses
Bild schon der Kopfbildung wegen nicht aufgefaßt werden. „Der Stier auf
der Platte des Louvre zeigt vielmehr im Verlauf des Gehörns, in der
auffallenden Stirnbreite und in der Kürze der Schnauze die typischen
Kennzeichen eines alten Bantengstiers. Wir sind daher zu der Annahme
gezwungen, daß das Hausrind der frühägyptischen, vorpharaonischen Zeit
der Bantengstammform noch sehr nahe stand.“

Vom Niltal aus hat sich dieses Hausrind südasiatischer Herkunft
weiter südlich zu den Hamiten verbreitet, die lange Zeit allein von
den außerägyptischen Afrikanern in seinem Besitze waren. Erst später
haben es dann die intelligenteren Stämme der Negerbevölkerung in Süd-
und Westafrika übernommen. Madagaskar mit seiner starken Rinderzucht
hat das Tier von Ostafrika her erhalten. Von Äthiopien gelangte
schon vor der Zeit des alten Reiches im 4. Jahrtausend v. Chr. ein
großgehörnter Rinderschlag von Bantengabstammung, der heute nur noch
in Zentralafrika gefunden wird, nach Ägypten, wo er bald mit Vorliebe
gezüchtet wurde. Dieser buckellose Schlag, aus dem meist der heilige
Apis (altägyptisch _hapi_) genommen wurde, besaß ein ungewöhnlich
langes, leier- oder halbmondförmiges oder auch gerade nach oben außen
gerichtetes Gehörn und war von weißer, schwarz- oder rotbunter Färbung.
Der nach Älian dem Mondgotte heilige Apis war nach Herodot schwarz,
trug auf der Stirne ein weißes Viereck, auf dem Rücken das Bild eines
Adlers, am Schwanz zweierlei Haare und auf der Zunge einen Käfer. Diese
Färbung wird noch häufig beim Duxerschlag, namentlich aber bei den
Eringerschlägen des südlichen Wallis angetroffen.

[Illustration: Bild 5. Einfangen eines wild gewordenen Rindes mit einem
bolaartigen Wurfseil im alten Ägypten. (Nach Wilkinson.)]

[Illustration:

  Tafel 7.

Banteng (_Bos sondaicus_).

(Nach Keller, Die Abstammung der ältesten Haustiere.)]

[Illustration: Guzerat-Zebubulle, von Karl Hagenbeck in Stellingen
importiert.]

[Illustration:

  Tafel 8.

Herde von Guzerat-Zeburindern aus dem Besitz eines indischen Fürsten.
(Nach einer Photographie von Karl Hagenbeck.)]

[Illustration:

  Tafel 9.

Luxusgespann von Guzerat-Zebuochsen eines indischen Fürsten mit reicher
Ausstattung.

(Nach einer Photographie von Karl Hagenbeck.)]

[Illustration:

  Tafel 10.

Hissar-Zebubulle, von Karl Hagenbecks Tierpark importiert.]

[Illustration: Stier. Griechische Marmorfigur im britischen Museum zu
London.]

Neben Langhornrindern wurde schon im alten Reiche (2980 bis 2475 v.
Chr) eine hornlose Rasse gehalten. Daß diese nicht gerade selten war,
geht nach Erman aus der Angabe hervor, daß auf dem Gute des Chefre
noch neben 835 Langhornrindern 220 hornlose Rinder vorhanden waren.
Gleicherweise sind uns Darstellungen von Höckerrindern, wie sie uns
in typischer Gestalt im indischen Zebu entgegentreten, schon in
Abbildungen des alten Reiches erhalten geblieben. Diese Zeburasse,
die sich am deutlichsten in Südasien ausprägte, hat einen Fettbuckel
entwickelt und eine lang herabhängende dünne Wamme am Hals. Das meist
kurze, höchstens mittellange Gehörn verläuft in der Flucht der Stirn
nach hinten. Das Ohr hängt meist stark herab. Die Farbe ist weiß,
grau, gelb, rotbraun oder gescheckt. Neben gewaltigen Schlägen kommen
auch zwergartige vor. Diesem indischen Zebu steht das ostafrikanische
Buckelrind am nächsten, das am reinsten im Sangarind Abessiniens
vertreten ist. Es hat sich heute vom abessinischen Hochland aus bis
zum oberen Nil und zum Tschadsee ausgebreitet. Das Gehörn ist bei
ihm größer als beim nahe verwandten indischen Zebu, im allgemeinen
leierförmig und nicht mehr so stark nach hinten ausgelegt, sondern
aufgerichtet. Der schlanke, hochgestellte Körper weist dieselben
Farben wie das indische Zebu auf. Es spielt als Zug- und Fleischtier
eine große Rolle, doch ist sein Milchertrag ein geringer. Aus ihm ist
offenbar als besondere Zuchtrasse das Langhornrind hervorgegangen,
das schon im alten Ägypten eine wichtige Rolle spielte, aber,
weil wirtschaftlich nicht hervorragend, im Laufe der Zeit stark
zurückging, in Ägypten ganz ausstarb und heute nach dem Innern Afrikas
zurückgedrängt wurde. Es findet sich heute im Seengebiet bei den
ackerbauenden Kolonien abessinischer Abstammung als Watussirind; doch
gibt es Bestände von ihm auch in Südabessinien. Es ist mittelgroß,
einfarbig kastanienbraun oder dunkelbraunfleckig und hat ein über
meterlang werdendes Gehörn von der Gestalt desjenigen des Sanga. Im
neuen Reich Ägyptens (1580-1205 v. Chr.) tritt dieses Langhornrind
zurück und dafür tritt ein kurzhörniges, meist buckelloses Rind
offenkundig südasiatischer Bantengabstammung in den Vordergrund. Auf
einem in Wasserfarben ausgeführten Wandgemälde in Theben aus der Zeit
der 18. Dynastie (1580-1350 v. Chr.) bemerkt man einzelne gefleckte
Exemplare mit Kennzeichen, die nur dem Zebu eigentümlich sind.

[Illustration: Bild 6. Äthiopische Prinzessin in einem von Ochsen einer
hornlosen Rasse gezogenen Wagen. (Nach Wilkinson.)]

Auch in Mesopotamien ist das älteste Hausrind ein unverkennbarer
Bantengabkömmling. Das auf einem sehr alten chaldäischen Siegelzylinder
bereits vor den Pflug gespannt dargestellte Rind gleicht vollkommen
einem kleinen indischen Hausrind. Aus der assyrischen Zeit treffen
wir häufigere und bessere Darstellungen des Hausrindes. Auf einem
Quarzzylinder, dessen Reproduktion Layard gibt, ist ein typisches,
langhörniges Zeburind mit umfangreichem Fettbuckel und starker Wamme
säugend dargestellt. Das auf den Skulpturen der Königspaläste häufig
abgebildete Beutevieh wird stets mit gewölbtem Rücken oder mit
eigentlichem Fettbuckel wiedergegeben, so daß auch dessen Abstammung
von indischem Blute außer Zweifel steht. Nirgends begegnet uns eine
Rinderart, die auf Abstammung des jedenfalls auch in Vorderasien einst
lebenden ~Urs~ (_Bos primigenius_) hindeutet.

[Illustration: Bild 7. Altägyptische Darstellung zweier miteinander
kämpfender Stiere, die von Hirten getrennt werden. (Nach Wilkinson.)]

An der Peripherie des Areals, das die ältesten Hausrinder von
Bantengabstammung bewohnen, d. h. im äußersten Osten Asiens, wie auf
Bali und Lombok, dann in Westasien, Nordafrika und vor allem in Europa,
begegnen wir einem kleinen, zierlich gebauten Rinderschlage von meist
dunkler Färbung, mit kleinem, nach außen und aufwärts gebogenem Gehörn,
zwischen den vortretenden Augenhöhlen eingesenkter Stirn und feiner
Schnauze. Das Hinterhaupt erhebt sich bei ihm in einen deutlichen,
steil abfallenden Höcker und seine Ecken sind nur ganz ausnahmsweise
wie beim Zebu -- so beim sardinischen Hausrind -- zu Hornstielen
ausgezogen. Das ist der Schlag, den wir überall in den Kulturschichten
der neolithischen und späteren Bewohner Europas, so auch in den
Pfahlbauten in den Seen und Torfmooren um die Alpen herum begegnen,
wie er sich auch in der Urzeit in Mesopotamien und Ägypten nachweisen
läßt. Es ist dies das bereits erwähnte ~Torfrind~ der Pfahlbauern,
das in der Vorzeit überall in Europa als Haustier gehalten wurde und
wahrscheinlich teils schon der Milchgewinnung diente, teils auch den
Pflug zog, wie uns verschiedene Felsenzeichnungen von Nordafrika bis
Skandinavien aus der Metallzeit zeigen. Rütimeyer nannte diese Rasse,
die er aus den Überresten der Pfahlbauten der Schweiz kennen lernte,
~Kurzhornrind~ (_Bos brachyceros_), während der englische vergleichende
Anatom Richard Owen sie als ~Langstirnrind~ (_Bos longifrons_)
bezeichnete.

Dieses zierliche Hausrind mit zarten Gliedern und langem, schmalem
Schädel mit breiter Stirne, die über die Hälfte der Schädellänge mißt,
tritt uns von Anfang an in Europa in ihren charakteristischen, alle
Zebumerkmale außer dem Fetthöcker aufweisenden anatomischen Merkmalen
und Eigenschaften entgegen, so daß wir mit Bestimmtheit von ihm sagen
können, daß es vollkommen domestiziert hier eingeführt wurde, und
zwar nach Konrad Keller vorzugsweise aus Nordafrika. Er stützt sich
dabei nicht bloß auf die Tatsache, daß sich eine dem alten Torfrind
ganz nahe stehende Rasse hier bis nach Marokko hinein auffallend rein
erhielt, sondern besonders darauf, daß die Annäherung des afrikanischen
Zeburindes an unsere europäischen Braunviehschläge um so größer ist,
je mehr man in Afrika nach Norden hin vorschreitet. Schon Nubien
besitzt eine feinköpfige und kurzhornige Rasse, die dem algerischen und
marokkanischen Rind auffallend nahe steht. Außerdem haben die kleinen
beweglichen Zeburinder noch eine zweite direktere Wanderstraße aus
ihrer Heimat Südasien nach Europa eingeschlagen, die über Mesopotamien,
Kleinasien und durch die Donauländer ins Herz unseres Kontinentes
führte. Keller hielt diesen direkten Import aus Asien für sekundär
und nicht sehr ausgiebig, was wir nicht ganz unterschreiben möchten,
da alle übrigen Kulturerrungenschaften der europäischen Neolithiker
viel mehr nach Westasien als nach Nordafrika hinweisen. Jedenfalls
hat der rege Handelsverkehr der Mittelmeerländer schon frühe wichtige
Erzeugnisse Nordafrikas, zumal Ägyptens, nach Norden gebracht. Der
bevorzugte Weg wird dabei aus dem Niltal über die ägäische Inselwelt
nach dem Schwarzen Meer und von da donauaufwärts gegangen sein.

Überreste dieses Torfrindes von Bantengabstammung haben sich in den
Braunviehschlägen der Zentralalpen ziemlich rein, am reinsten um
das Gotthardmassiv herum beim sogenannten Schwyzervieh, erhalten.
Die Haarfärbung wechselt vom dunkeln Braun bis zum hellen Mäusegrau.
Als Rassekennzeichen gilt das dunkle Flotz- oder Rehmaul mit heller
Umrahmung und ein heller, als Aalstrich bezeichneter Rückenstreifen.
Diese Merkmale finden sich auch bei ostasiatischen und indischen
Rindern. Auch ist der als Spiegel bezeichnete umfangreiche weiße Fleck
am Hinterteil des Banteng als ein Rückschlag in Gestalt einer heller
gefärbten Stelle am Hinterbacken nicht selten bei den einfarbigen
braunen Kühen um das Gotthardmassiv herum zu sehen. In Südeuropa gehört
dazu das dunkle sardinische, illyrische und albanesische Rind, im Osten
das weitverbreitete polnische Rotvieh, das sich auch über das nördliche
Rußland ausdehnt und im Nordwesten das hochgezüchtete und seiner
Milchergiebigkeit wegen berühmte Jersey- oder Kanalrind.

[Illustration: Bild 8. Rinder im alten Ägypten werden mit einem
eingebrannten Eigentumsstempel versehen.

1. Das Eisen wird glühend gemacht, 2. u. 4. die gefesselten Rinder
werden gebrannt. (Nach Wilkinson.)]

Diese kleinen Rinder haben, wie auch das Zebu, von dem sie sich
ableiten -- man denke nur an das hornlose altägyptische, das heutige
Somalirind, die Rinder von Unjoro und Berta -- schon sehr frühe auch
hornlose Formen hervorgebracht, die sich bereits in der neolithischen
Pfahlbauzeit nachweisen lassen. Hornlose Rinder sollen auch die Skythen
besessen haben. Jetzt sind sie außer in Zentralafrika, wo die meisten
Rinder hornlos und ohne Fettbuckel sind, hauptsächlich über Nordeuropa
verbreitet, so in Nordrußland, Skandinavien, Island, Schottland,
England, Wales und sporadisch in Oldenburg. Auch in Irland scheint
diese Rasse früher sehr verbreitet gewesen zu sein, da man in alten
Ansiedelungen viele ungehörnte Schädel derselben fand. Die Haarfarbe
dieses hornlosen Viehs ist vorzugsweise weiß, doch kommen auch
gelbrote, braunrote und schwarze Nuancen vor.

Mit der Kurzhornrasse von Zebuabstammung, dem Torfrind, eng verwandt
und durch künstliche Züchtung offenbar auf europäischem Boden
entstanden, ist das durch auffallende Kürze des Kopfes ausgezeichnete
~Kurzkopfrind~ (_Bos brachycephalus_). Bei ihm ist die Stirne zwischen
den Augen sehr breit und unten stark eingezogen, das drehrunde Gehörn
ist stark, oft sehr groß und leierförmig, meist weiß mit schwarzer
Spitze. Die Haarfarbe ist braun bis gelb, selbst weiß und rot bis
schwarz, häufig mit weißem Abzeichen. Wie beim Braunvieh läßt sich bei
dunkeln Varietäten häufig eine weiße Einfassung des Flotzmaules, eine
weiße Innenseite des Ohres und ein ebenso gefärbter Aalstrich auf dem
Rücken erkennen.

[Illustration: Bild 9. Pflügen mit einem Ochsengespann im alten
Ägypten. (Nach Wilkinson.)]

Nach Keller tauchen die Kurzkopfrinder zuerst auf dem Boden Italiens
auf und wurden dann vermutlich durch römische Kolonisten nach Norden
gebracht. Er glaubt, sie ließen sich ihrer Abstammung nach auf das
altägyptische Langhornrind zurückführen und seien wahrscheinlich schon
in vorgeschichtlicher Zeit nach Europa gelangt und hier umgezüchtet
worden. Diese Ansicht kann nach den bisher bekannt gewordenen
Tatsachen nicht aufrecht erhalten werden. Das Kurzkopfrind war schon
in vorgeschichtlicher Zeit, nämlich zu Ende des 3. Jahrtausends v.
Chr., nördlich der Alpen an den Schweizerseen zu finden. Dürst glaubt
es bereits auf babylonischen Siegelzylindern aus dem Beginne des 3.
vorchristlichen Jahrtausends nachweisen zu können. Auch im alten
Ägypten wurde es bereits gehalten, ebenso in Arabien und Nordafrika,
wo man teilweise Knochenüberreste von ihm fand. In Südeuropa muß es
im letzten Jahrtausend v. Chr. allgemein verbreitet gewesen sein. Die
Reste desselben aus der helvetisch-römischen Zeit in Vindonissa und
Aquae weisen auf ein sehr stattliches Tier hin, wie es sich heute noch
im Südwesten von Europa auf der iberischen Halbinsel in stärkster
Entwicklung vorfindet. In Deutschland gehört dazu das ebenfalls
stattliche Rind des bayerischen Allgäu. Kleiner ist das gleicherweise
hierher gehörende Eringerrind aus dem südlichen Wallis, das meist
einfarbig, schwarz oder dunkelbraun mit rötlichem Anflug gezüchtet
wird. Verwandt damit ist der Zillertaler, der Pustertaler und der Duxer
Schlag, dann der Voigtländer und der Egerländer Schlag, das Devonrind
in den englischen Grafschaften Devonshire, Sussex und Hereford, wie
auch das Rind der Kanalinseln (Jersey u. a.). Noch näher scheint der
Urrasse das Albanesenrind zu stehen. Jedenfalls hat sich diese uralte
Rinderrasse am besten in den entlegenen Gebirgstälern erhalten und
stellt so gewissermaßen die Gebirgsform des Rindes dar.

Zu diesen Rindern von südasiatischer Abstammung kommen meist
großgehörnte Formen von schwerem Körperbau, die anatomisch durchaus
nicht auf den Banteng, sondern auf den ~Ur~ (_Bos primigenius_)
zurückzuführen sind. Dieses neben dem ~Wisent~ (_Bison europaeus_)
seit der diluvialen Zeit bei uns lebende Wildrind war teilweise
größer als unsere Hausrinder und besaß einen Schädel von auffallend
geradlinigem Umriß, mit schief nach vorn gerichteten Augenhöhlen und
schief aufsteigendem Unterkieferast. Der Gesichtsschädel zeigt eine
verhältnismäßig starke Entwicklung; die Stirnbeine sind flach und
stoßen in rechtem Winkel mit der Hinterhauptsfläche zusammen. Das
mächtige Gehörn besaß im ganzen Leierform, wandte sich zuerst nach
außen, dann nach innen oben mit aufwärts gerichteten Spitzen. Während
sich also bei ihm das ziemlich lange Gehörn gegeneinander krümmte,
war es beim Wisent nicht nur kürzer, sondern auch nach einwärts und
rückwärts gekrümmt. Dabei besaß letzteres einen dreieckigen Kopf,
starke Mähne und abfallenden Rücken, während der Ur, dem Hausrinde
ähnlich, einen länglichen Kopf, keine Mähne und einen geraden Rücken
besaß. Außerdem war es schwarz und nicht dunkelbraun wie jenes gefärbt.

Das Verbreitungsgebiet des Ur erstreckte sich außer durch ganz Europa,
wo er sich am längsten im nördlichen Rußland erhielt, auch über
ganz Nordasien bis zum Altaigebirge und reichte nach Süden bis zum
Bergland von Armenien und Nordbabylonien. Die Assyrier kannten ihn
sehr wohl unter dem Namen _rimu_, was identisch mit dem biblischen
_reem_ ist. Nach einem Relief des um 884 v. Chr. durch Asurnasirpal
erbauten Nordwestpalastes in Nimrud, auf welchem dieser König einem
Ur das Messer ins Genick stößt, bildete dieses gewaltige Tier damals
noch ein geschätztes Jagdobjekt für die Fürsten von Assur. Auf dieser
Darstellung hat der Künstler, der dieses Tier genau gekannt haben muß,
nicht nur das starke Gehörn, sondern auch den schief aufsteigenden
Unterkieferast in sehr naturgetreuer Weise dargestellt, so daß wir
unverkennbar einen Ur -- früher auch Auerochse genannt -- vor uns
haben. Daß diese Tiere damals noch in größerer Menge in Nordbabylonien
vorkamen, beweist die Tatsache, daß dieser König nach einer Inschrift
auf einer Jagd deren nicht weniger als fünfzig erlegte und acht
gefangen nahm. Diese letzteren werden im Wildparke des Königs Aufnahme
gefunden haben. Auch anderweitig berichten uns assyrische Texte, daß
junge Ure gefangengenommen und in der Gefangenschaft weitergezüchtet
wurden. So scheint in Nordbabylonien der Ur zuerst gezähmt und für den
Haustierstand in der Obhut des Menschen vorbereitet worden zu sein.
Dies geschah zweifellos schon weit früher als zu Beginn des letzten
Jahrtausends v. Chr., da wir urähnlichen Rindern schon auf den ältesten
babylonischen Siegelzylindern und in Form prächtig modellierter Köpfe
aus Bronze, die noch in die sumerische Zeit ins dritte Jahrtausend v.
Chr. zurückreichen, begegnen. Dabei scheinen die Assyrier offenkundig
diese gezähmten Rinder von Urabstammung zu opfern bevorzugt zu haben.
Wenigstens werden sie in ihrer charakteristischen Erscheinung bei
assyrischen Opferszenen, z. B. am Palast von Balawat, dargestellt,
während wir unter den ebendort abgebildeten Rindern als Tribut fremder
Völker ganz anders gekrümmte Hörner finden, die stark an ägyptische
Darstellungen erinnern. Letztere waren zweifellos Hausrinder von
Bantengabstammung.

Aus geschichtlicher Zeit haben wir mehrfache Zeugnisse über das
Vorhandensein dieses mächtigen Wildrindes in Europa, so von Julius
Cäsar, der in seinem Buche über den gallischen Krieg schreibt, daß im
hercynischen Wald -- worunter jener römische Autor das Waldgebirge
Mitteldeutschlands vom Rhein bis zu den Karpaten verstand -- ein _urus_
genanntes Wildrind lebe, das äußerlich einem Stier gleiche, aber
an Größe nur wenig hinter dem Elefanten zurückstehe. Mit letzterer
Angabe hatten ihm seine germanischen Gewährsmänner einen „Bären
aufgebunden“, wie sie ihm auch sagten, die Beine des Elches (_alces_)
seien stocksteif und hätten keine Gelenke. „Deshalb legen sich die
Tiere, wenn sie ruhen wollen, nicht nieder, können auch nicht wieder
aufstehen, wenn sie zufällig hinfallen. Um zu schlafen, lehnen sie sich
also an Bäume. Solche Plätze merken sich die Jäger, machen heimlich
einen Einschnitt in jeden Baum, so daß er an sich stehen bleibt, aber
umfällt, wenn sich das Tier daranlehnt.“ Noch manch anderes solch
altdeutsches Jägerlatein hat der große römische Stratege und kluge
Staatsmann als baare Münze entgegengenommen.

Nach Cäsar spricht dessen Zeitgenosse Vergil im zweiten Gesang seiner
Verherrlichung des Landbaues vom Ur, indem er sagt, man solle die
Weinberge einzäunen, damit das Vieh (_pecus_) ihnen nicht schädlich
werde. Darunter zählt er außer den Schafen und dem Jungvieh die Rehe
und die wilden Ure aus den Wäldern (_silvestres uri_). Das Landgut,
das dieser Darstellung zugrunde liegt, war höchst wahrscheinlich
des Dichters eigenes, das väterliche Gut in Andes bei Mantua, in
welchem er am 15. Oktober 70 v. Chr. geboren wurde. Also müssen
noch im letzten vorchristlichen Jahrhundert die Ure von den dichten
Wäldern an den Vorbergen der Alpen weit in die lombardische Ebene
hinein gewechselt sein. Im dritten Gesang wird von Vergil eine
schwere Seuche, anscheinend Milzbrand, geschildert, die den ganzen
Viehstand der Krainer Alpen vernichtet hatte. Als danach das Fest
der Göttermutter herankam, hatte man keine Ochsen (_boves_), um mit
ihnen den Prozessionswagen der Göttin zu bespannen, und mußte statt
ihrer (kastrierte) Ure nehmen (Vers 531). Also muß es damals neben
den wilden auch zahme Ure gegeben haben, die man als eine besondere
Tiergattung vom Rindvieh unterschied. Allem nach scheinen auch diese
zahmen Ure seuchenfester als die echten Rinder gewesen zu sein. Das
mag mit ein Grund gewesen sein, daß in der Folge in manchen Gegenden
Südosteuropas das Vieh vom Primigeniusstamme, also vom Ur abgeleitet,
die Oberhand über die älteren, gegen Seuchen empfindlicheren Rassen von
Bantengabstammung gewann.

[Illustration:

  Tafel 11.

Der Assyrerkönig Assurnasirpal auf der Urjagd.

Ein Ur ist mit Pfeilen erlegt, ein anderer, wohl in Netzen gefangen,
wird vom König lebend eingebracht.

(Nach einer Photographie von Mansell & Cie. in London.)]

[Illustration:

  Tafel 12.

Zuchtstier „Walo“, der Schwyzerrasse angehörig, auf der Gutswirtschaft
der Maggi-Gesellschaft in Kempttal.]

[Illustration:

  Tafel 13.

Mehrfach prämiierte Kuh der Schwyzerrasse auf der Gutswirtschaft der
Maggi-Gesellschaft in Kempttal.]

[Illustration:

  Tafel 14.

Wisent aus dem Kaukasus im Zoologischen Garten von Berlin.]

[Illustration: Amerikanischer Bison im Zoologischen Garten von Berlin.

(Beide nach einer Photographie der Neuen photogr. Gesellschaft in
Steglitz.)]

Im 1. Jahrhundert n. Chr. schreibt dann der ältere Plinius in seiner
Naturgeschichte: „Germanien ist durch das Vorhandensein von zwei
Arten wilder Rinder merkwürdig, nämlich durch den mit einer Mähne
geschmückten Bison (Wisent) und den Ur, der sich durch Kraft und
Schnelligkeit auszeichnet.“ Tacitus weiß in seinen Annalen von einem
römischen Steuerbeamten zu berichten, der die Friesen dadurch zum
Aufstand trieb, daß er ihnen für die Entrichtung ihres in Ochsenfellen
bestehenden Tributs Urfelle als Muster vorschrieb. Solche in größerer
Menge zu beschaffen mochte ihnen schwer fallen. Wie Plinius
spricht auch das Nibelungenlied von zwei in Germanien hausenden
Wildrindern, dem Wisent und dem Ur. Letzterer wurde noch im 10.
Jahrhundert in der Umgebung des Klosters St. Gallen gejagt und sein
Fleisch an der Klostertafel nebst dem des Bibers und anderer dort heute
längst ausgerotteter Tiere verspeist, wie wir den Benediktionen oder
Tischgebeten des dort lebenden und 973 verstorbenen Mönches Ekkehard
I. entnehmen können. Nach Alfred Nehring wurde in Bromberg ein aus
dem 12. oder 13. Jahrhundert stammender Urstierschädel aufgefunden,
der auf der Stirne noch Spuren von drei Lanzenstichen aufweist, als
Beweis dafür, daß er um jene Zeit dort noch gejagt wurde. Noch ums Jahr
1550 erhielt der österreichische Gesandte und Freiherr von Heberstain
auf einer diplomatischen Reise nach dem Königreiche Polen in Masovien
vom König Sigismund August von Polen einen dort getöteten Ur als
Geschenk. Das Tier war damals freilich nicht mehr zahlreich, sondern
auf einen kleinen Bestand in Masovien zusammengeschmolzen. Später
erhielt der Züricher Zoologe Konrad Geßner von einem seiner Schüler,
Schneeberger, und von Johann Bonar zuverlässige Nachrichten über den
in Polen lebenden und dort Thur genannten Ur und berichtete darüber
1560. Zuletzt hat August Wrzesniowski in einer 1878 in der Zeitschrift
für wissenschaftliche Zoologie veröffentlichten Arbeit an Hand der
polnischen Quellen nachgewiesen, daß schon im 13. Jahrhundert die Jagd
auf den „Thur“ ein ausschließliches Vorrecht der Herzoge von Masovien
war, er bereits im 16. Jahrhundert selten zu werden begann und nur noch
in den Forsten von Jaktorowka (etwa 55 _km_ westlich von Warschau)
vorkam. Hier wurde er zuletzt, wie heute der Wisent im urwaldähnlichen
Riesenforste von Bjelowjesha im russisch-litauischen Bezirke Grodno,
förmlich gehegt und über die noch vorhandenen Exemplare Buch geführt.
1564 zählte man nur noch 30 und 1599 24 Stück. 1602 ging der Bestand
auf 4 Thure zurück und 1627 starb die letzte Urkuh.

[Illustration: Bild 10. Zeichnung eines Urstiers aus der Höhle von
Combarelles.

Breite der Originalzeichnung 90 _cm_.

(Nach Capitan und Breuil.)]

Außer verschiedenem Skelettmaterial aus Torfmooren -- so einem nahezu
vollständigen Skelett, das 1887 am Schwielochsee im Kreise Lübben in
der Niederlausitz aufgefunden wurde und sich jetzt im Museum der
Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin befindet -- besitzen wir
auch noch leidliche Bilder von diesem gewaltigen Wildrinde Europas.
Heberstain, der letzte Zeuge, der den Ur noch sah, ließ eine Abbildung
herstellen, die durch Konrad Geßner in weiteren Kreisen bekannt wurde.
Daneben existiert noch ein vom Engländer Hamilton Smith bei einem
Augsburger Kunst- und Antiquitätenhändler entdecktes Urstierbild, das
im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts in Öl auf Holz gemalt wurde,
1827 in Griffiths „Animal Kingdom“ zur Veröffentlichung gelangte und
seither im Original verschollen ist. Eine weit bessere Darstellung gibt
das bereits erwähnte alte Jagdbild vom Palaste des assyrischen Königs
Asurnasirpal aus dem Beginn des 9. Jahrhunderts v. Chr., besonders
aber die aus bester mykenischer Zeit Griechenlands, aus der Mitte
des zweiten Jahrtausends vor Chr. stammenden Rinderfiguren auf den
Goldbechern von Vaphio, dem alten Amyklai. Es sind dies die weitaus
besten Urbilder, die wir besitzen. Diese in einem prähistorischen
Kuppelgrab 1888 gefundenen beiden Goldbecher, die offenbar aus der
gleichen Werkstätte hervorgingen, zeigen in einem Basrelief den Fang
und die Zähmung des wilden Urs. Der eine Becher (I) stellt dar, wie
ein Ur sich in einem von starken Stricken verfertigten Netze fängt
und dabei überkugelt, während zwei andere in gestrecktem Galopp
aus dem Bereiche des Netzes flüchten, wobei der eine zwei sich ihm
entgegenstellende, mit Wams und Hosen bekleidete Männer über den Haufen
rennt, den einen derselben auf die Hörner nimmt und davonschleudert.
Der andere (auf Tafel II) stellt vier gezähmte Ure, drei Männchen und
ein Weibchen dar, welch letzteres sein Haupt in Profilstellung dem ihm
zunächst stehenden Stier zuwendet. Davor steht ein mit Wams und Hosen
bekleideter Mann, der einen laut aufbrüllenden Urstier mit einem dicken
Strick am linken Hinterbein gefesselt hält.

[Illustration: I.]

[Illustration: II.

Bild 11 u. 12. Darstellungen in getriebener Arbeit auf den beiden
massiv goldenen Bechern aus dem Kuppelgrabe von Vaphio, dem alten
Amyklai, aus bester mykenischer Zeit (Mitte des 2. vorchristlichen
Jahrtausends) aufgerollt, um das Einfangen und die Zähmung des
Wildrindes der Primigeniusrasse zu zeigen.]

Diese unschätzbar wichtigen Darstellungen von überaus hohem
künstlerischem Wert zeigen uns, wie in vorgeschichtlicher Zeit
neben dem von Südasien gezähmt eingeführten Torfrind das stärkere
einheimische Wildrind gefangen und unter des Menschen Botmäßigkeit
gebracht wurde, um aus ihm ein nützliches Haustier zu machen. Wie
dies noch nach der Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends
in Griechenland geschah, was uns der Becher von Vaphio beweist,
dessen Darstellung nur von einem Manne geschaffen worden sein kann,
der persönlich beim Fange dieses Wildrindes mit Hilfe von starken
Jagdnetzen zugegen war und den Vorgang aus eigener Anschauung, nicht
nur vom Hörensagen schildert, so ist dies wahrscheinlich schon mehr
als tausend Jahre früher in Nordeuropa, außerdem auch in Westasien,
speziell Nordbabylonien, und vielleicht an anderen Orten gemacht
worden und hat zur Gewinnung eines sehr kräftigen Rinderschlages
geführt, das uns, dem Wildrinde noch recht nahestehend, bereits in den
jüngeren Pfahlbauten entgegentritt. Diesem gezähmten Primigeniusrind
des vorgeschichtlichen Europa, das uns weder in Asien östlich von
Mesopotamien, noch in Afrika entgegentritt, steht von heute lebenden
das großhörnige schottische Hochlandrind von schwärzlicher bis
grauer Haarfärbung am nächsten. Ferner das ebenfalls großhörnige
weiße englische Parkrind, das schon bei den alten Kelten in hohem
Ansehen stand. Berichten doch die etwa aus dem 11. Jahrhundert
stammenden Gedichte des angeblichen gälischen Barden Ossian, des
Sohnes König Fingals, aus dem 3. Jahrhundert n. Chr., daß zwei
Häuptlinge wegen eines weißen Stieres in eine erbitterte Fehde
gerieten, die erst mit dem Tode des einen beigelegt wurde. Ebenfalls
ein Primigenius-Abkömmling ist das in gleicher Weise wie die vorigen
einfarbige, großhörnige, überaus wetterharte und genügsame, aber nur
geringe Milchergiebigkeit und Mastfähigkeit aufweisende Steppenrind
Podoliens und Südrußlands. Als „graues Steppenrind“ finden wir es in
Ungarn und in der römischen Campagna. Dieses silbergraue Vieh der
römischen Campagna wurde nicht erst, wie man noch vor kurzem annahm,
durch die Langobarden in Mittelitalien eingeführt, sondern ist hier
schon in vorgeschichtlicher Zeit nachweisbar. So finden wir es deutlich
auf der der La Tènezeit angehörenden Situla (Eimer) aus der Certosa
von Bologna noch mit vorwärts zeigendem Gehörn dargestellt, als
Beweis dafür, daß dieses Rind dem Ur sehr nahestand und nur geringe
Veränderungen infolge von Domestikation aufwies. Über die Niederungen
Rußlands finden wir das Steppenrind von Primigeniusabstammung durch
ganz Sibirien, aber nicht mehr überall in reiner Rasse. So weist
beispielsweise das Kirgisenrind eine beträchtliche Beimischung von
Zebublut zum Primigeniusblut auf. Solche Kreuzungen wurden jedenfalls
bereits in vorgeschichtlicher Zeit in ausgedehntem Maße vorgenommen,
wozu die einheimischen Hausrinder genugsam Gelegenheit gaben. Nicht
selten werden aber auch die zahmen Ure auf der Weide von wilden
Urstieren belegt worden sein, wie es heute noch in Hinterindien häufig
genug vorkommt, daß zahme Zebukühe von wilden Bantengstieren befruchtet
werden, was die Malaien als eine willkommene Blutauffrischung gerne
sehen.

Von Mischungsprodukten zwischen Torfrind und Primigeniusabkömmlingen
sind wohl die meisten spurlos untergegangen und andere sind durch
künstliche Züchtigung stark umgebildet worden. Eine solche durch
Umzüchtung aus der älteren Primigeniusrasse ohne bedeutende
Torfrindblutbeimischung hervorgegangene Rinderart ist nach L. Rütimeyer
das von Nilsson als Frontosusrasse bezeichnete ~Großstirnrind~ (_Bos
frontosus_), das zur Bronzezeit neben dem kleinen, zierlichen Torfrind
zuerst in Nordeuropa, und zwar in Südschweden auftritt. Von da drang
es erst sehr spät weiter nach Süden vor, um allerdings nur eine sehr
lokale Verbreitung zu erlangen. Diese Rasse, die auch noch recht
schwer, wie das reine Primigeniusrind, werden kann, zeigt einen Schädel
mit unregelmäßigem Umrisse, zwischen den Augen verbreiteter Stirne,
dachiger Hinterstirn, gestielten Hornzapfen und gewölbten Augenhöhlen.
Die Färbung ist rot- oder schwarzscheckig mit scharf begrenzten
Flecken; der Nasenspiegel ist fleischfarben. Noch jetzt wird diese
Rasse im südlichen Schweden gehalten und hat die einst in England
weitverbreitete, jetzt aber dort verschwundene Langhornrasse aus sich
hervorgehen lassen, deren letzte Reste sich in Südschweden in dem Vieh
der Insel Gotland erhielten.

Wichtiger als sie ist das durch kurze Hörner und schwarze oder
rotscheckige Farbe ausgezeichnete Marschrind der Nordseeküste, zu dem
auch das holländische Rind gehört. Es ist durch seine Milchergiebigkeit
berühmt und scheint hier bis ins Altertum zurückzugehen. Wir wissen
wenigstens, daß schon zur Zeit der Römer am Niederrhein ein ähnlich
großes Rind gezogen wurde. Die größte Bedeutung aber erlangte das
Großstirnrind in der Westschweiz im hochgezüchteten rotscheckigen
Simmentaler- und im schwarzscheckigen, neuerdings stark im Rückgang
begriffenen Freiburger Schlag. Dieses ebenfalls überaus milchergiebige
schweizerische Fleckvieh, das bis zum Bodensee verbreitet ist, scheint
erst zur Zeit der Völkerwanderung in Mitteleuropa eingewandert zu sein
und kam nach Keller vermutlich mit den vom Niederrhein gekommenen
Burgundern nach der Westschweiz. Nicht nur in den westschweizerischen
Pfahlbauten, sondern auch in den helvetisch-römischen Niederlassungen
der Schweiz, z. B. in Vindonissa, fehlen alle Spuren von ihm
vollständig. Keller meint, diese Tatsache sei sehr schwerwiegend; denn
die Römer, die beispielsweise in Vindonissa eine starke Besatzung
zu unterhalten hatten, würden ohne Zweifel vorgezogen haben, die
milchreichen Fleckviehrinder aus der Westschweiz zu holen, falls
solche damals vorhanden gewesen wären, statt die schweren, wenig
Milch liefernden Kurzkopfrinder aus dem Süden über die Alpenpässe in
Helvetien einzuführen, da das kleine einheimische Torfrind den Bedarf
nicht deckte.

Derselbe Autor meint in seinem Werke über die Abstammung der ältesten
Haustiere: „Über das Verhältnis der Freiburger Schwarzflecken zum
rotbunten Simmentaler Schlag müssen noch eingehendere anatomische
Untersuchungen angestellt werden. Sie gehören zwar nach den
osteologischen Merkmalen zur Frontosusrasse, dagegen ist das
Gehörn steiler aufgerichtet und nach meiner Beobachtung häufig
primigeniusähnlich. Daher die Behauptung, daß das Freiburger Vieh
Einwirkungen von niederländischem Vieh erhalten habe. Andere
vermuten eine Vermischung mit Braunvieh. Leider war es mir bei dem
starken Rückgang dieses Schlages bisher nicht möglich, ausreichende
Schädelserien zu beschaffen, wie denn überhaupt die Erwerbung von
Haustiermaterial auf kaum glaubliche Schwierigkeiten stößt.“

Das ziemlich verwahrloste Rind Sibiriens repräsentiert nach den
Untersuchungen von Okulitsch einen unvermischten Primigeniustypus. Die
Färbung desselben ist vorwiegend rot; doch gibt es in der Umgebung
von Tomsk auch graue Rinder dieses Schlages. Die Milchergiebigkeit
der sibirischen Kühe ist gering; dennoch ermöglicht der bedeutende
Viehstand eine starke Ausfuhr von Produkten der Milchwirtschaft. So
wurden schon im Jahre 1901 27 Millionen _kg_ Tafelbutter von Sibirien
nach Europa exportiert und seither hat sich diese Ausfuhr durch bessere
Bahntransporte bedeutend erhöht. Der Regierungsbezirk Tomsk allein
weist einen Rinderbestand von gegen 2 Millionen Stück auf.

Alle weiter südlich in Asien gehaltenen Rinder sind dagegen Abkömmlinge
des gezähmten Banteng, so auch diejenigen Chinas, die oft sehr
klein sind und manchmal einen Fetthöcker aufweisen. Sie werden dort
vorzugsweise zum Pflügen benutzt, ihre Milch überhaupt nicht und das
Fleisch wenig genossen. Ebenso gering ist die wirtschaftliche Rolle des
Rindes in Japan, wo es als Reit- und Lasttier dient und die wenigen
im Lande verkehrenden Wagen zieht. Einen schönen Rinderschlag besitzt
Korea, dessen Bewohner wohl dessen Fleisch, nicht aber die Milch
genießen.

Wie die meisten Nutztiere hat Amerika auch das Rind durch die
Vermittlung der Europäer erhalten. Auf seiner zweiten Reise brachte es
Kolumbus 1493 nach San Domingo, von wo es sich rasch über die Antillen
verbreitete. Hier verwilderte es teilweise und lieferte in dem an
der Luft und über dem Feuer getrockneten Fleisch, der _carne secca_,
und in den Häuten bald das hauptsächlichste Ausfuhrprodukt dieser
Inseln. Von diesen verwilderten Rinderherden lebend bildete sich im
16. Jahrhundert aus Franzosen und Engländern an der Westküste von San
Domingo der Freibeuterstaat der Flibustier -- entweder aus dem Worte
_freebooters_, d. h. Freibeuter, oder aus _fly boaters_, d. h. auf
rasch fahrenden Schiffen Segelnde entstanden --, die den das Monopol
des amerikanischen Handels besitzenden spanischen Schiffen auflauerten
und sie ausplünderten. Als diese durch Zuzug von allerlei Abenteurern
und der Hefe aller Nationen zu Anfang des 17. Jahrhunderts zu einer
furchtbaren Macht in den westindischen Gewässern geworden waren, die,
bald von der einen, bald von der andern Regierung begünstigt oder
gar in Sold genommen, später nicht nur gegen die Spanier, sondern
gegen alle Besitzenden kämpften, sahen sich die europäischen Staaten
genötigt, gegen diese bedrohliche Macht einzuschreiten. Vor allem
gründete Frankreich, da sich ein großer Teil der Flibustier aus
Franzosen zusammensetzte, in diesem westlichen Teil von San Domingo
eine Kolonie, die bald durch ausgezeichnete Gouverneure zur Blüte
gelangte. Mit dieser Gründung verloren die wilden Rinder der Insel
bald ihre Bedeutung; doch exportiert der spanische Teil immer noch
stark Fleisch und Häute derselben nach der jetzt dort errichteten
Negerrepublik.

Ums Jahr 1525 gelangte das Rind nach Mexiko, wo sich seine Zucht an den
grasreichen östlichen Abhängen der Anden stark ausbreitete. Neuerdings
haben sich dort auch edlere europäische Rassen, wie die Holländer und
das hellfarbige, meist rotfleckige, kurzhörnige Vieh der englischen
Grafschaft Durham, eingebürgert.

Mittelamerika hatte im 17. Jahrhundert eine starke Viehzucht in
Honduras. Auch Kolumbien erhielt im 16. Jahrhundert sein Vieh von den
westindischen Inseln. In die Grassteppen von Venezuela brachte es
Christobal Rodriguez 1548. Hier gedieh es vortrefflich und verwilderte
bald. So begegnete schon der sogenannte Tyrann Aguirre 1560 in der
Nähe von Valencia wilden Rinderherden. Um 1800 führte Venezuela ohne
die zahlreichen geschmuggelten etwa 170000 Rinderhäute jährlich aus.
Von der Kapverdeninsel San Vincente aus brachten die Portugiesen das
Rind 1581 nach Brasilien, wo es sich der brasilianischen Indolenz
entsprechend recht langsam von der Küste nach dem Innern ausbreitete.
Nach den Angaben von Southeys Geschichte von Brasilien kam es erst
1720 nach Goyaz, 1739 nach Matto Grosso und 1788 in das Gebiet des
oberen Amazonenstroms. Gegenwärtig besitzen die Provinzen Minas
Geraes, Matto Grosso, San Paulo und Rio Grande do Sul eine ausgedehnte
Viehwirtschaft. Wiederholt sind Zebus aus Indien als Zuchtmaterial
in Matto Grosso eingeführt worden, und Bastarde derselben mit den
aus Europa eingeführten Rassen sind stark verbreitet. Durch großes
Gehörn ist die ursprünglich in San Paulo heimische Franqueirorasse
ausgezeichnet. Nur in Minas Geraes wird Milchwirtschaft getrieben
und ein grober, schlechter Käse gewonnen, der nur im Lande selbst
gebraucht werden kann. Der Brasilianer ißt diesen Käse gern mit
eingedicktem Zuckerrohrsaft zusammen, ähnlich wie die Helden Homers
eine Mischung von Honig, Käse und Wein tranken. Sonst wird überall
in Brasilien das Vieh bloß zur Gewinnung von Häuten und Hörnern für
den Export nach Europa und zur Herstellung von getrocknetem Fleisch
für den einheimischen Verbrauch gehalten. Dies war auch in den Pampas
Argentiniens der Fall, wo vom 17. Jahrhundert an große halbwilde
Viehherden vorhanden waren. Diese nahmen ihren Ursprung von 7 Kühen
und einem Stier, die Kapitän Juan de Salazar 1546 von Andalusien nach
Südbrasilien brachte, von wo aus sie ein gewisser Gaeta in seinem
Auftrage über Land nach Paraguay trieb. Er entledigte sich dieser
schwierigen Aufgabe vorzüglich und erhielt als Belohnung eine von den
Kühen geschenkt, was für ihn jedenfalls einen sehr wertvollen Besitz
darstellte.

Von Paraguay drang das Rind bald südwärts in die Pampas von Argentinien
vor, von wo schon 1580 die erste Ladung Häute von dem damals eben
gegründeten Buenos Aires nach Spanien ausgeführt wurde. Hier vermochte
es in der Steppe überall leicht zu verwildern, während in den mehr
waldigen Gebieten Paraguays dies wegen des Vorkommens einer sehr
lästigen Aasfliege, die ihre Eier in jede Wunde legt, nicht möglich
war. Da für diese Fliegen der Nabelstrang des neugeborenen Kalbes eine
sehr willkommene Ablagestelle für die Eier bot, die eine Entzündung
und schließlich den Tod des Kalbes herbeiführten, so gingen jeweilen
alle Kälber zugrunde, bei denen nicht menschliche Hilfe fürsorgend
eintrat. So weit also der Bezirk dieser Fliege reichte, gab es keine
wilden Rinder. Im Süden aber, wo sie im offenen Graslande fehlte,
vermehrten sich die halbwilden Viehherden dermaßen, daß das einzelne
Stück fast wertlos und im 18. Jahrhundert nach Dobrizhoffer für
einen Real, d. h. etwa fünf Groschen zu haben war. So wurden sie
nur zur Gewinnung der Haut und etwa noch der Zunge als Delikatesse
getötet, und nur ausnahmsweise das saftigste Fleisch von den Lenden
zur Gewinnung von _carne secca_ verwendet. Um diesen Reichtum
wenigstens einigermaßen auszubeuten, wurde im vorigen Jahrhundert an
der Küste nördlich von Buenos Aires, in Fray Bentos, die Liebigsche
Fleischextraktfabrik eingerichtet, die heute noch das meiste Fleisch
auf dieses ihr Spezialprodukt hin verarbeitet, daneben aber auch
konserviertes Fleisch, Fett und Knochen gewinnt, die sie mit den Häuten
auf den europäischen Markt bringt. Neuerdings suchen die Kulturstaaten
Europas mit dem Fleischüberfluß Argentiniens die Fleischnot in
ihrem eigenen Lande zu bekämpfen, und dies mit bestem Erfolge. In
besonderen Schiffen mit Kühlräumen wird das Fleisch gefroren, wie
das schon seit längerer Zeit von Australien nach England gebrachte
Schaffleisch, aus Argentinien zu uns gebracht und findet überall willig
Absatz. Jedenfalls ist Argentinien mit seinen grasreichen Ebenen vor
andern Ländern dazu berufen, in der Viehhaltung eine führende Rolle
zu spielen. Auch in Chile hat es einst eine bedeutende Rinderzucht
gegeben. So fand v. Tschudi noch 1858 in Santiago das Straßenpflaster
aus den Hüftknochen von Rindern gebildet, die man mit den Gelenkköpfen
nach oben gesetzt hatte. Auch in Peru und Bolivien ist die wilde oder
halbwilde Zucht jedenfalls die wichtigste. Milch geben die Kühe nur
wenige Tassen voll, und auch das nur kurze Zeit. Bei den Indianern ist
keine Neigung zur Haltung des Rindes vorhanden. Letzteres tritt demnach
gegen Patagonien hin, wo die weiße Bevölkerung mehr oder weniger
aufhört, zurück. Auf den Falklandinseln ist es verwildert.

In Nordamerika ist das erste Vieh zu Ende des 16. Jahrhunderts von
England an die Ostküste nach Virginien gekommen. 1624 brachten es
die Puritaner nach Plymouth in Massachusetts und ein Jahr später die
Holländer nach dem von ihnen auf der Manhattaninsel an der Mündung
des Hudson gegründeten Neu-Amsterdam, dem heutigen New York, mit.
Diese guten Rassen wurden später mit dem wegen der bequemen Verbindung
billigeren spanischen Vieh aus Westindien gekreuzt. Mit den Weißen
verbreitete es sich westwärts, während schon früh vor seiner Ankunft
mexikanisches Vieh nach Texas und Kalifornien gelangt war. Kanada besaß
ursprünglich das Bretagnerind, das die Franzosen 1608 einführten.

Was die heutige Rinderhaltung in den Vereinigten Staaten anbetrifft,
so geht die Züchtungspraxis der Amerikaner darauf aus, einzelne
ausschließliche Leistungen der Tiere zu bevorzugen; daher werden
die hervorragendsten englischen Fleischrassen und die europäischen
Milchrassen stark bevorzugt. Von letzteren wurden außer südenglischen
Rindern besonders das friesische, dann das Schweizer Braunvieh
eingeführt. Dieses hat nun mehr und mehr das früher ausschließlich
gezogene Texasvieh spanischer Abstammung, das seinerseits wiederum sich
vom hochbeinigen, langhörnigen iberischen Rinde ableitet, auch in den
Südstaaten der Union verdrängt.

Im Jahre 1788 wurde das Rind von den Engländern nach Australien
eingeführt, wo jetzt Queensland die stärksten Bestände aufweist. Auch
Neuseeland mit seinen weidereichen Alpen hat eine starke Rinderzucht.
Dort gibt es über 1½ Millionen Rinder; daher ist die Ausfuhr an Butter
und Käse bedeutend. Auch in Ozeanien ist das Rind auf den meisten
Inseln eingeführt, spielt aber meist eine sehr untergeordnete Rolle im
Haushalte des Menschen. Stellenweise, wie z. B. auf der Insel Tinian,
ist es verwildert.

Außer in Syrien und Kleinasien wird das Rind in ausgedehnten
Gebieten Afrikas als Last- und Reittier verwendet. Schon Herodot
erwähnt Lastochsen aus Nordafrika und Älian hornlose Reitochsen aus
Mysien. Wie die Kirgisen, Kalmücken und viele Kurden, so reiten die
Gallastämme, die Einwohner von Wadai, von Angola und Südafrika auf
besonders dressierten ~Reitochsen~, die in allen Gangarten gehen und
in schwierigem Terrain durch kein anderes Tier zu ersetzen sind.
Ohne sie könnte man die ausgedehnten Handels- und Jagdzüge durch die
streckenweise oft gänzlich wasser- und futterlosen Einöden gar nicht
unternehmen.

So sehr sein geistiges Wesen im allgemeinen durch die Knechtschaft
und Bevormundung durch den Menschen abgenommen hat, so ist das Rind,
besonders wenn es in Freiheit aufwächst, nicht so stumpfsinnig wie
unsere in Ställen aufgewachsenen Individuen. Sie lassen sich unschwer
zu allerlei Kunststücken abrichten. So berichtet schon der ältere
Plinius in seiner Naturgeschichte: „Ich habe Ochsen gesehen, welche auf
Befehl kämpften, auf die Hörner fielen und wieder aufstanden, sich auf
die Erde legten und wegtragen ließen, und sogar auf schnellrennenden
Wagen wie Kutscher standen. -- Zur Zeit unserer Vorfahren kam oft das
Wunderzeichen vor, daß Ochsen sprachen; wurde dies angezeigt, so mußte
die Senatsversammlung unter freiem Himmel gehalten werden.“ Wie einst
der Apis im alten Ägypten, ist heute noch das Rind im allgemeinen dem
Hindu ein heiliges Tier, so daß er lieber verhungern würde als auch
nur Rindfleisch anrühren. Die Europäer sind ihm geradezu verächtlich,
daß sie dieses für ihn unantastbare Tier schlachten und sein Fleisch
verzehren. Als nützliches Haustier stand es noch bei den Kulturvölkern
des Altertums in hohem Ansehen. So schreibt der gelehrte Römer Varro
im letzten Jahrhundert v. Chr.: „Das Rindvieh dient dem Menschen beim
Landbau, dient der Göttin Ceres, wurde daher seit Menschengedenken
unter den Schutz der Gesetze gestellt und in Attika, wie im Peloponnes,
wurde derjenige sogar mit dem Tode bestraft, der ein Stück Rindvieh
mutwilligerweise getötet hatte.“ Und Plinius sagt: „Der Ochse ist
unser Gefährte bei der Arbeit und beim Ackerbau und stand bei unsern
Vorfahren in solchen Ehren, daß man ein Beispiel hat, wo ein Mann aus
dem Volke zur Verbannung verurteilt wurde, weil er auf seinem Landgut
einen Zugochsen geschlachtet hatte, bloß weil einer seiner Vertrauten,
ein frecher Bursche, behauptet hatte, er habe noch keine Kaldaunen
gegessen.“

Das Rind ist schon im zweiten Jahre seines Lebens fortpflanzungsfähig.
Die Tragzeit währt in der Regel 285 Tage. Das Kalb erhebt sich bald
nach seiner Geburt und saugt schon am ersten Tage an seiner Mutter,
die es liebevoll beleckt und seine Entfernung durch Brüllen beklagt.
Die Lebensdauer scheint 25 Jahre nicht zu übersteigen. Außer grünen
Pflanzenteilen werden auch Früchte aller Art nebst Wurzelgemüsen und
Knollengewächsen, besonders Möhren und Kartoffeln, sehr gern von ihm
gefressen; dabei ist ihm das Lecken von Salz Bedürfnis. Alle seine
Teile werden vom Menschen verwendet, so daß es mit Recht als das
einträglichste aller Haustiere gilt.

Bei der Besprechung der Rinder dürfte es am Platze sein, einige
Bemerkungen über die Viehzucht unserer Vorfahren in der ältesten,
geschichtlich nachweisbaren Zeit mitzuteilen. Neben dem Wald und
den Äckern gab es bei den Germanen nach der Völkerwanderungszeit
ausgedehnte Wiesen, die nach Urkunden des 8. Jahrhunderts bis zu 130
und mehr Fuder Heu lieferten. Die Wiesen wurden im Frühjahr gehegt.
Wer zu dieser Zeit sein Vieh darauf trieb und dadurch den Graswuchs
verhinderte, der ward nach den Volksgesetzen der Westgoten nach seinem
Stande verschieden bestraft. Bei den Langobarden konnte der Eigentümer
einer Wiese, der auf derselben ein oder mehrere Schweine antraf, eines
ohne Ersatz totschlagen. Wer eines anderen Wiese mähte, verlor nach dem
Gesetz der salischen Franken seine Arbeit und bezahlte 15 Solidi Buße.
Das war eine sehr strenge Bestrafung, da man damals mit einem Solidus,
einem Goldschilling, eine Kuh zu kaufen vermochte. Ebensoviel Buße
bezahlte er, wenn er das gemähte Gras nach Hause trug; fuhr er es aber
heim, so mußte er 45 Solidi Strafe erlegen.

Damals war die Viehzucht noch nicht so ausgedehnt, daß sie den
Wirtschaftsbedürfnissen angemessen gewesen wäre. Im Jahre 755 befanden
sich auf einem ziemlich ansehnlichen Hofe 4 Zugstuten, 30 Schafe und
20 Schweine. Doch war das Rindvieh das wichtigste Besitztum des freien
Mannes, der Stolz und Reichtum des Bauern, wie schon Tacitus in seiner
Germania sagt: es sei der einzige Reichtum des Germanen. Dies hat
sich auch in der Sprache ausgeprägt. Wie lateinisch _pecunia_ Geld zu
_pecus_ Vieh gehört, so bezeichnet Schatz im Gotischen das Vieh, _fê_
(Vieh) im Altnordischen und Süddeutschen die Habe; aus _fê_ wurde
später Fening und schließlich Pfennig. „Habe“ oder „Ware“ bedeutete in
den deutschen Mundarten Vieh, wie manchenorts, z. B. im Berngebiet,
„Speise“ Käse. Alles Vieh wurde in alter Zeit weit mehr geweidet als
heute, da die Stallfütterung sich vollständig eingebürgert hat. Der
ältere Plinius lobt die germanischen Weiden, und noch im Mittelalter
bot die Allmende Raum genug zum Weidgange des Viehes der Dorfgenossen.
Der Gemeindehirt ist in den alten Dorfordnungen eine sehr wichtige
Person. Da aber die Menge und die Güte des Futters, sowie die Paarung
geeigneter Zuchttiere bei der freien Weide nicht in dem Maße wie heute,
vielfach überhaupt gar nicht garantiert werden konnte, so vermochte
man in jenen frühen Zeiten keine großen oder sonst wertvollen Schläge
zu erzielen. So sagt schon Cäsar von den Germanen: „Sie brauchen
keine eingeführten Zugtiere (Pferde), aber die bei ihnen geborenen,
die klein und häßlich sind, bringen sie durch tägliche Übungen zu den
größten Leistungen“, und Tacitus berichtet: „Auch das Rind hat (bei den
Germanen) nicht seinen Stirnschmuck (Hörner), man erfreut sich nur an
der Zahl desselben.“ Damals war das Vieh der Germanen durch schlechte
Pflege und starke Inzucht unansehnlich, wie noch heute in abgelegenen
Riedgegenden kleines Vieh, von kaum mehr als 1 _m_ Höhe gehalten wird.
Das Skelett einer zahmen Kuh, das in dem vorgeschichtlichen Torfmoor
von Schussenried in Schwaben gefunden wurde, ist nicht größer als ein
großer Hund und hat winzige Hörner.

Eine Viehherde hieß bei den Franken _sonesti_; die einzelnen Individuen
derselben wurden nebst etwaigen Pferden, Schafen und Schweinen, jedes
mit einer Schelle behängt, unter Aufsicht eines Hirten zusammen
ausgetrieben. Durch das Klingeln der Glöckchen konnte man im
weitläufigen Bruch oder bei der beliebten Waldhütung das Entlaufen der
Tiere besser verhindern, entlaufene auch leichter wieder finden und zur
Herde zurücktreiben. Die deutschen Volksrechte bestraften das Entwenden
dieser Klingeln sehr hart. So bestimmte das Gesetz der salischen
Franken für die Entwendung einer Schelle (_skella_) von einem Pferde
wie von einer Sau 15 Solidi Strafe, 3 aber von anderem Vieh. Wer bei
den Burgundern von einem Pferd oder Ochsen die Glocke entwendete, der
mußte sie durch ein Pferd oder einen Ochsen ersetzen, die von derselben
Beschaffenheit waren als jene, an denen er sich verging. Dies war die
Strafe des Freien, der Leibeigene dagegen wurde gehörig durchgebläut,
so daß er solches sein Lebtag nie mehr tat. Bei den Langobarden wurden
6 Solidi für die entwendete Pferde- oder Rindschelle erlegt; die
Westgoten bestraften dasselbe Vergehen mit 1 Solidus.

Zudem war das Vieh damals gezeichnet, damit es sein Eigentümer
jederzeit aus der Herde herausfinden und als sein Eigentum in Besitz
nehmen konnte. Beim Vieh wurden besondere Hirtenhunde zur Abwehr des
Wolfes und anderer Raubtiere gehalten; wer einen solchen tötete, gab
nach dem Volksrechte der Friesen 1, bei anderen Stämmen bis 4 Solidi
Buße. Die Hirten hatten großes Recht; wer einen solchen erschlug, mußte
bei den Alamannen 40 Solidi Strafe entrichten. Wer ihn mißhandelte,
indem er ihn schlug, während ihn zwei andere hielten, bezahlte 9
Solidi. Die Hütung geschah entweder privat oder gemeinschaftlich.
Es gab Freie, die sich eigene Hirten hielten; sonst stellten die
Sippengenossen gewöhnlich einen Unfreien dazu an, ihr Vieh gemeinsam
auf der Weide zu hüten. Während der ganzen guten Jahreszeit war
das Vieh auf der Weide und wurde nur im Winter, wenn es wegen des
hohen Schnees kein Futter mehr fand, im Stalle von dem im Sommer
eingebrachten Heu gefüttert.

Die Fürsorge der Karolinger, besonders Karls des Großen, für die Kultur
des Landes zeigt sich auch in den Vorschriften für den Viehstand ihrer
Güter. So befahl Karl der Große, auf allen seinen Gütern Milchkühe zu
halten und von der Milch auch Butter und Käse zu bereiten. So gab es
nach einem uns erhaltenen Verzeichnis auf seinem Gute Stefanswerd 20
Kühe, 1 Stier, 61 Stück Jungvieh (_animalia minora_) und 5 Kälber.
Auf seinem Gute Asnapium hatte er 50 Kühe mit Kälbern, 20 Stück
Jungvieh (_juvencus_), 38 jährige Kälber und 3 Stiere, in Grisenwiler
dagegen 30 Kühe mit Kälbern, 3 Stiere und 10 Stück Jungvieh stehen;
auf einem anderen kleinen Gute hatte er 6 Kühe mit Kälbern und 8
Stück Jungvieh. Aus diesem Verzeichnis und nach allem, was wir sonst
noch erfahren, dürfen wir schließen, daß die Kälber damals sehr
lange bei ihren Müttern verblieben, wahrscheinlich bis sie die Kuh
selbst absetzte. Die Kühe selbst wurden nicht nur zur Milchgewinnung,
sondern auch zum Ziehen gebraucht, und zwar nicht bloß von den
kleinen Leuten, sondern auch auf den großen Gütern. Daß Kaiser Karl
bei der Bereitung von Butter und Käse auf seinen Gütern Reinlichkeit
verlangte, beweist, daß man es damit nicht sehr genau nahm. Die Butter
hieß damals noch mit einem altdeutschen Worte Schmeer oder Anken.
Ein Stück Brot „beschmeeren“ -- woraus später allgemein beschmieren
wurde -- heißt also, es mit Butter bestreichen. Da man schon in
jener Zeit begann, den Untertanen, wenn nur irgend möglich, Dienste
und Abgaben aufzubürden, so nötigten die Grundherren sie später in
einigen Gegenden, herrschaftliche Kühe den Winter über zur Fütterung
zu übernehmen. So mußte beispielsweise das Stift Lorch solche Kühe
überwintern. Oft wurden die Zehnten in Käse bezahlt. So bekam der
Abt von Fulda von drei Alpen, die ihm gehörten und auf die das Vieh
zur Sömmerung getrieben wurde, als Entgelt je 3000 Käse, die für die
Klosterwirtschaft sehr erwünscht waren. Im Laufe der Jahrhunderte ging
dann die Viehwirtschaft hervor, wie wir sie heute noch kennen und auf
die einzutreten ganz überflüssig ist.

Außer dem eigentlichen Rind sind aber noch andere Vertreter der
Rinderfamilie vom Menschen gezähmt und in Pflege genommen worden. Von
diesen soll nun noch die Rede sein. Ein naher Verwandter des Hausrindes
ist der schon zu Eingang erwähnte ~Gayal~ oder das ~Stirnrind~ (_Bos
frontalis_). Dieses Wildrind ist in beiden Geschlechtern bis zu den
Knien braun, im untern Teil der Beine weiß oder gelblich, hat kurze
Gliedmaßen, einen kurzen Kopf mit außerordentlich breiter Stirn und
fast gerade nach auswärts gerichtetem Gehörn. Die Eingeborenenstämme
südlich und nördlich vom Tal des Assam in Hinterindien fangen nicht
nur Kälber desselben, um sie einzugewöhnen, sondern halten es schon so
lange in gezähmtem Zustand als Haustier, daß es als Folge weitgehender
Beeinflussung durch Domestikation in ziemlich vielen Exemplaren ganz
weiß, andere wenigstens fleckig gefärbt sind. Die Herden zahmer
Gayals werden von den Indochinesen des Fleisches wegen gehalten; auch
soll teilweise ihre Milch genossen werden. Die Tiere, die weder zur
Bearbeitung des Bodens, noch zum Tragen von Lasten verwendet zu werden
scheinen, streifen, um zu fressen, während des Tages unbeaufsichtigt
im Walde umher und kehren abends ins Gehöft ihres Besitzers zurück.
Sie vermischen sich zuzeiten ungehindert mit dem neben ihm gehaltenen
indischen Buckelrind, dem Zebu. Merkwürdigerweise sind von den
aus dieser Kreuzung hervorgegangenen Bastarden nur die weiblichen
Exemplare fruchtbar, nicht aber die männlichen, während bei den anderen
Kreuzungsprodukten zwischen verschiedenen Rinderarten die männlichen
und weiblichen Bastarde gleicherweise in der Regel unbegrenzt fruchtbar
sind.

Auch der ~Gaur~ oder das ~Dschungelrind~ (_Bos gaurus_), dessen
Verbreitungsgebiet von Vorderindien bis Siam und Cochinchina im
Osten und die Halbinsel von Malakka im Süden reicht, ist in etlichen
Berggegenden zwischen Assam und Birma gezähmt und wird als Haustier
gehalten, obschon alle in Indien zu Züchtungszwecken eingefangenen
Gaurkälber eingingen und keines das dritte Lebensjahr erreichte. Dieser
Gaur scheint das größte lebende Rind zu sein und erreicht in den
Stieren 1,8 _m_ Schulterhöhe bei einer Körperlänge von 2,9 _m_. Die
vordere Rückenhälfte trägt einen hohen Kamm, die Ohren sind klein, die
Hörner an der Wurzel ziemlich stark zusammengedrückt, auf ihrer ganzen
Länge gebogen und mit der Spitze nach innen und etwas nach rückwärts
gerichtet. Beim Stier sind sie 50-60 _cm_ lang. Das kurzbehaarte Fell
ist bei jungen Männchen und Weibchen braun, bei alten Männchen dagegen
schwarz. Die untern Teile sind ziemlich heller und die Beine vom Knie
und vom Hackengelenk an bis zu den verhältnismäßig kleinen Hufen weiß.
Die Kälber tragen einen schwarzen Längsstreifen auf dem Rücken. In
den Berggegenden, die es bewohnt, hält es sich an den Wald und die
hohen Grasbestände. Seine Lebensweise deckt sich fast ganz mit der
beim Banteng geschilderten. Es klettert ausgezeichnet und hat hierzu
trefflich geeignete kurze Beine.

Viel wichtiger als diese beiden Wildrinder ist eine dritte Art für
den Menschen geworden. Es ist dies der in seinen ältesten Vertretern
erdgeschichtlich schon im Pliocän auftretende ~Büffel~ (_Bubalus_). Von
den beiden heute noch lebenden Arten ist nicht der wilde Schwarz- oder
Kaffernbüffel (_Bubalus caffer_) Afrikas, sondern der südasiatische
Büffel (_Bubalus arni_) vom Menschen in vorgeschichtlicher Zeit
gezähmt und zum nützlichen Haustier erhoben worden, das von den Indern
Arni, von den Malaien Hinterindiens dagegen Kerabau genannt wird. In
Insulindien besonders ist er nachträglich wieder verwildert, da er
sich dort der Aufsicht von seiten des Menschen zu entziehen wußte.
Die Domestikation dieses weitaus kühnsten und wildesten unter den
indischen Wildrindern erfolgte bedeutend später als diejenige des
weit gutmütigeren Banteng. Dieser Wildbüffel bewohnt heute noch die
sumpfigen Rohrwälder und die dicht mit hohem Gras bewachsenen Ebenen
des Brahmaputra und Ganges vom Ostende von Assam bis nach Tirhut im
Westen und diejenigen der östlichen Zentralprovinzen Indiens. Er ist
ein besonders im Alter dünnbehaartes, am ganzen Körper dunkelgraues,
fast schwarzes, an den Beinen jedoch meist heller gefärbtes massig
gebautes Rind mit kräftig behörntem Kopf auf gedrungenem Hals, etwas
gestrecktem Rumpf, dicken und kurzen Beinen und großen, für die
Fortbewegung auf sumpfigem Boden breit ausladenden Hufen. Der niedrig
getragene Kopf ist gestreckt und flachstirnig und trägt sehr große,
schwarze, im Querschnitt dreieckige, in einer Ebene zuerst auf- und
auswärts, dann nach innen und vorn, von der Gesichtsebene aus etwas
nach rückwärts gebogene Hörner, die der Krümmung entlang gemessen 2 _m_
lang werden können. In Oberassam findet sich eine nicht bloß durch die
fahlere Färbung, sondern auch durch die Form des Schädels abweichende
Unterart.

Dem Wildbüffel sagen heiße, sumpfige oder wasserreiche Gegenden am
besten zu, denn er ist ein großer Wasserfreund, der vortrefflich
schwimmt und sich so gebärdet, als ob das Wasser sein eigentliches
Lebenselement sei. Auf dem festen Lande erscheint er in allen seinen
Bewegungen schwerfälliger als im Wasser, in dem er sich tagsüber
während der größten Hitze mit Vorliebe aufhält und, darin liegend,
nur einen Teil des Kopfes herausstreckt. Nachts und am frühen Morgen
weidet er, bricht gern in Pflanzungen ein und richtet darin bedeutende
Verwüstungen an. Sein Wesen wird als mürrisch und unzuverlässig
geschildert; er ist voll Mut und Angriffslust und läßt dann seine
tiefdröhnende Stimme erschallen. Die Paarungszeit fällt in den Herbst;
dann lösen sich die sonst bis zu 50 Stück zählenden Herden in kleinere
Trupps auf, die je ein Stier um sich versammelt. Etwa 10 Monate nach
der Paarung, also im Sommer, wirft die Kuh 1-2 Kälber, die sie sorgsam
gegen alle Angriffe wilder Tiere behütet. Der Wildbüffel ist keineswegs
scheu, scheint auch die Nachbarschaft des Menschen nicht zu meiden. Oft
nimmt eine Herde oder ein einzelner Stier von einem Felde Besitz, von
dem dessen Eigentümer zurückgetrieben wird. Angegriffen und besonders
verwundet, stellen sie den Gegner und suchen ihn mit ihren gewaltigen
Hörnern niederzurennen.

Wann und wie der indische Wildbüffel zuerst gezähmt wurde, ist völlig
unbekannt. Jedenfalls geschah dies irgendwo in Südasien, wo nach der
Domestikation des Banteng die seinige nahe lag. Dabei veränderte sich
sein Charakter in einer für den Menschen sehr günstigen Weise. Ist der
Wildbüffel sehr kampflustig, weil er sich selbst dem Tiger überlegen
fühlt, so ist er im zahmen Zustande seinen Bekannten gegenüber überaus
sanftmütig und anhänglich und läßt sich sogar von einem Kinde lenken.
Nur fremden Leuten und Tieren gegenüber zeigt er sich feindlich und
beweist dann einen großen Mut. Nach wie vor ist ihm das Wasser ein
überaus wichtiges Lebenselement, auf das er nur ungern verzichtet und
das er immer wieder zur Kühlung aufsucht.

[Illustration:

  Tafel 15.

Büffel von Singhalesen auf Ceylon zum Pflügen eines Reisfeldes benützt.]

[Illustration:

  Tafel 16.

Hagenbecks Reisender in Indien auf einem Milchbüffel reitend.]

[Illustration: Yak oder Grunzochse im Zoologischen Garten von Berlin.

(Nach einer Photographie der Neuen photogr. Gesellschaft in Steglitz.)]

Die älteste unzweifelhafte Darstellung des Büffels hat sich uns
auf einigen altbabylonischen Siegelzylindern aus dem Anfang des 3.
vorchristlichen Jahrhunderts erhalten. Auf dem einen derselben sehen
wir einen langbärtigen Mann, offenbar eine Gottheit, der in einer
irdenen Schüssel einem Büffel Wasser zum Trinken darreicht. Daß es
sich wirklich um einen Büffel und nicht um ein schlecht gezeichnetes
Rind handelt, geht sicher aus dem Verlauf der nach hinten gelegten
quergerippten Hörner hervor. Dieselben typischen Büffelhörner
treffen wir auf einer anderen Darstellung eines altbabylonischen
Siegelzylinders, der etwa vom Jahre 2800 v. Chr. stammt. Wir sehen
darauf zwei langbärtige Männer, offenbar auch Gottheiten, von denen der
eine mit einem aufgerichteten Löwen, der andere mit einem gleichfalls
aufgerichteten Büffel mit typischem Gehörn ringt. Dabei wird der
Büffel mit der linken Hand am linken Horn und mit der rechten Hand am
rechten Vorderfuß gepackt und letzteres umgeknickt, um das Tier zu
Fall zu bringen. Daß der Büffel wie auf diesen, so auch auf andern
mythologischen Bildern im Kampfe mit Göttern dargestellt wird, beweist
zum mindesten, daß er im Kulte gewisser Gottheiten eine Rolle spielte
und als solcher vielleicht in halber Zähmung gelegentlich vom Menschen
in der Nähe von Tempeln gehalten wurde. Daß er völlig gezähmt war und
als Haustier diente, ist ausgeschlossen, denn wir fänden sonst mehr
Spuren von seiner Gegenwart. Ebenso wurde der Wildbüffel im ältesten
Ägypten nachgewiesen, sowohl in bildlichen Darstellungen, als auch in
Knochenresten, aber ein eigentliches Haustier war er hier ebenfalls
nicht. Jedenfalls reichte einst sein Verbreitungsgebiet von Südasien
über Westasien bis nach Europa hinein. So fand man Überreste eines
Wildbüffels (_Bubalus pallasi_) in Diluvialschichten bei Danzig. Aber
in ganz Westasien wie auch im Niltal wurde er vom Menschen ausgerottet,
bevor er domestiziert worden war.

In Vorderasien treffen wir in der Folge keine Spur mehr von ihm, bis
Alexander und seine Begleiter ihn auf ihrem Siegeszuge als Haustier
zuerst in Persien, dann auch in Indien antrafen. Aber auch damals
blieb den Kulturvölkern am Mittelmeer die Erwerbung dieses Nutztieres
verschlossen. Erst die Muhamedaner brachten ihn nach Palästina und
Ägypten. Im Jahre 723 begegnete der heilige Willibald im Jordantal,
in dem sie heute noch wichtige Haustiere sind, die ersten Büffel, von
deren Vorhandensein man bis dahin im Abendland keine Ahnung gehabt
hatte. Dieser Priester, der durch Süditalien und Sizilien gereist war,
traf diese dort nirgends, weil man sie damals noch nicht eingeführt
hatte, und war nicht wenig erstaunt, sie in Palästina zu finden. In
Ägypten, das früher besonders reich an Rindern gewesen sein muß, die
später weitgehend durch die aus dem Süden dahin gebrachte Rinderpest
dezimiert wurden, vermehrte sich der Büffel stark und gelangte von
dort durch die Araber nach Sizilien und Süditalien, von wo aus er sich
langsam weiter nördlich in die sumpfige Campagna di Roma verbreitete.
Ums Jahr 1200 war er im Kaiserreich Bulgarien, etwa dem heutigen
Mazedonien entsprechend, häufig anzutreffen und kam von da nach dem
eigentlichen Bulgarien und den Tiefländern der Donau, um sich jenem
Strom entlang bis Ungarn und Siebenbürgen auszudehnen, wo sie wie
unsere Rinder in erster Linie als Milchvieh gehalten werden. Doch geben
sie durchschnittlich nur halb so viel Milch wie unser Alpenrindvieh.
Bringt es das Siebenbürger Rind auf 1600-1900 Liter und die sich dort
immer mehr einbürgernden Freiburger, Simmentaler und Pinzgauer Kühe auf
2000 Liter im Jahr, so liefert der beste Milchbüffel in dieser Zeit
nur 1000 Liter, die allerdings wegen des weit größeren Fettgehaltes
von 7-8, bei altmelkenden Tieren sogar 10-12 Prozent gegenüber von
3-5 Prozent der Kuhmilch doppelt so teuer als jene verkauft wird.
Auch in die Moldau-Walachei und die Krim gelangte der Hausbüffel und
fand dort in den wasserreichen, noch ziemlich warmen Niederungen ihm
zusagende Lebensbedingungen. Trotz des heißen Klimas fehlte ihm aber
in Nordafrika westlich vom Niltal das für ihn zum Baden nötige Wasser,
so daß er hier nicht heimisch werden konnte. Und weil er infolgedessen
nicht nach dem südlichen Spanien und nach Portugal gelangte, erreichte
er auch Amerika nicht, und die Vorschläge, ihn hier einzuführen, sind
bis jetzt unbeachtet geblieben.

Noch größere Bedeutung als im Westen hat er im Osten Asiens erlangt,
wo er bis nach Japan und über die Philippinen hinaus gelangte und
sich über ganz Indonesien ausbreitete, und zwar in der von Malaien
bewohnten ost- und südasiatischen Inselwelt in einer schiefer- bis
hellbläulichgrauen, sehr spärlich behaarten Zuchtrasse mit sehr langen,
im Bogen nach hinten gerichteten, auf der Oberseite stark abgeflachten
Hörnern. Hier überall in den heißen, sumpfigen Niederungen hat er
weit größere Bedeutung als das Hausrind von Bantengabstammung erlangt
und ist der getreue Gehilfe des Menschen beim Ackerbau geworden.
Seine Neigung für das Sumpfleben machte ihn besonders beim Reisbau
verwendbar, der in diesen Gegenden eine überaus wichtige Rolle spielt.
Nur in den trockenen Gebieten, die seinem Gedeihen nicht besonders
zuträglich sind, und im Nordosten von Asien tritt das gegen Kälte
weniger empfindliche Rind wieder stärker auf. Im ganzen Gebiet des
Reisbaues ist er in seinem ureigenen Element und zieht den primitiven
Pflug durch den von dem darauf geleiteten Wasser aufgeweichten
schlammigen Boden der Reisfelder. Bei den Bisayern tritt er auch
den gesäten Reis in den nassen Schlamm. Seine Milch wird hier kaum
je gewonnen, obwohl sie eine vorzügliche Speise bildet, die, wie in
Südeuropa, auch in ganz Süd- und Westasien sehr geschätzt wird, obschon
sie einen moschusartigen Geruch besitzt. Die aus ihr bereitete Butter
ist weiß und schmeckt ganz rein, entbehrt aber des feinen Aromas,
das eine gute Kuhbutter auszeichnet. Das Fleisch alter Büffel ist im
gekochten Zustande heller als das Rindfleisch, dabei grobfaserig, hart
und weniger schmackhaft als jenes. Dagegen schmeckt das Fleisch der
Büffelkälber sehr gut und wird von manchen Leuten sogar dem Fleisch
der Rindkälber vorgezogen. Sehr geschätzt ist das Fell, das ein
vorzügliches Leder liefert.

Wegen seiner ungeheuren Kraft, die bei einem Büffelochsen von 149
_cm_ Höhe und 652 _kg_ Körpergewicht auf 875 _kg_ bestimmt wurde,
hat der Büffel überall in seinem Verbreitungsgebiet besonders als
Zugtier eine große Bedeutung erlangt. Er zieht tatsächlich auch auf
schlechten Wegen Lasten, die man ihm kaum zutrauen dürfte. Nur ein
Übelstand ist dabei in Kauf zu nehmen, nämlich seine vom Wildzustande
beibehaltene Störrigkeit. Noch mehr als dem ruhigeren Asiaten offenbart
er dem lebhaften Europäer gegenüber immer noch einen Rest seiner
ursprünglichen Wildheit. Fremde greift er direkt an oder weicht ihnen
in blinder Furcht aus und richtet dabei durch sein Ungestüm nicht
selten allerlei Unheil an. Man hat also ihm gegenüber stets etwas auf
der Hut zu sein. Eine ausgezeichnete Tugend des Büffels ist dagegen
seine wirklich beispielslose Genügsamkeit, indem er hartes Schilf
und andere Sumpfpflanzen, welche jedes andere Geschöpf verschmäht,
mit demselben Behagen frißt, als ob er die leckerste Speise genösse.
Unangenehm kann er durch seine Neigung werden, sich im Schlamm der
Pfützen zu wälzen und sich dabei mit einer ihm vor der Peinigung durch
die Stechfliegen schützenden Schlammschicht zu bedecken.

Der Büffel ist ein schweigsames Geschöpf. Wenn er behaglich im
kühlenden Wasserbade ruht, läßt er nie seine Stimme hören. Auch während
er weidet oder arbeitet geht er still und ruhig seines Weges. Nur in
Wut versetzte Stiere und Kühe, welche säugende Kälber haben, geben
Laute von sich, die ein Mittelding zwischen dem Brüllen des Rindes und
dem Grunzen des Schweines sind. In den nördlicheren Gegenden paart
sich der Büffel, sich selbst überlassen, im April und Mai; 10 Monate
nach der Paarung wird das Junge geboren, das von der Mutter zärtlich
geliebt und mit Eifer beschützt wird. Im 4. oder 5. Jahr ist der
Büffel erwachsen und erreicht dann ein Gewicht von über 700 _kg_. Sein
Alter bringt er auf 18-20 Jahre. Außer zum Ziehen von Lastwagen und
zur Feldarbeit dient er vielfach auch, besonders bei den Malaien, zum
Reiten, in Birma auch zu Kampfspielen, da dort aus religiösen Gründen
die Hahnenkämpfe verboten sind. Jedenfalls gehört er zu den Haustieren,
die ihr Verbreitungsgebiet noch bedeutend auszudehnen vermögen. Vor
allem verdient er in den heißen, feuchten Niederungen Amerikas und
Afrikas eingeführt zu werden. So sollte Deutschland mit dem guten
Beispiel vorangehen und ihn in seinen afrikanischen Kolonien einführen,
wo er ganz gute Daseinsbedingungen fände. Schon Emin Pascha bemühte
sich als Gouverneur der Äquatorialprovinz, freilich vergeblich, Büffel
nach seiner Residenz Lado zu bekommen. Es wäre auch zu empfehlen,
Kreuzungen mit dem afrikanischen Wildbüffel vorzunehmen und Versuche
mit der Zähmung des letzteren zu machen, die sehr wohl auf Erfolg
rechnen dürften.

Von weiteren Wildrindern, die einst zur Zähmung durch den Menschen
in Frage gekommen wären, sind noch der nordamerikanische Bison und
der europäische Wisent zu nennen. Diese sind aber heute bereits durch
menschliche Unvernunft bis auf unbedeutende, gehegte Reste ausgerottet.
Einst lebte der ~Bison~ (_Bison americanus_), der _buffalo_ der
Amerikaner, in ungeheurer Menge auf den Prärien Nordamerikas zwischen
dem Alleghany- und dem Felsengebirge. Die Gesamtheit einer Büffelherde
zerfiel in zahlreiche Trupps, die unter der Leitung eines eigenen
Stieres weideten und mit großer Regelmäßigkeit von den saftigen
Weideplätzen zu den Flüssen, an denen sie ihren Durst löschten
und badeten, hin und her wechselten, wobei sie ähnlich wie unsere
Hausrinder auf den Alpweiden geradlinige Pfade, die „Büffelpfade“,
austraten. Alljährlich unternahmen sie oft weite Wanderungen, indem
sie in kleineren Herden vom Juli an südwärts zogen, um den grimmigen
Schneestürmen des Nordens auszuweichen, mit Beginn des Frühjahrs
aber sich wieder nordwärts wandten. Ihr schlimmster Feind war der
Mensch. Solange sie es nur mit dem zwar berittenen, aber sonst für
sie nicht allzu gefährlichen Indianer zu tun hatten, der nur so viel
von ihnen erlegte, als er zu seinem und der Seinen Lebensunterhalte
bedurfte, nahm ihre Zahl nicht nennenswert ab. Erst als der Weiße
erschien, seine Eisenbahnen durch die Prärie fahren ließ und mit
seinem weitreichenden Präzisionsgewehr sinnlos Hunderttausende dieser
Wildrinder abschoß, um höchstens das zottige Fell zur Bereitung von
Leder oder die Zunge als Delikatesse zu verwenden, waren ihre Tage
gezählt. Reißend nahm ihre Zahl ab, und die amerikanische Regierung
ließ dies ruhig gewähren, mit der unbegreiflichen Begründung, sie
könnten den Betrieb der großen Pazifikbahn stören! Von den ungezählten
Millionen, die noch bei der Errichtung dieser Bahn lebten, gab es 1889
nur noch etwas über 1000 amerikanische Büffel, welche inzwischen in
der Reservation des Yellowstone-Park bis auf wenige Hunderte, die die
starke Inzucht zudem bedeutend degenerieren ließ, zusammenschrumpften.
Auch diejenigen in den Reservationen von Wichita und Montana schmolzen
bis auf wenige Hunderte zusammen. Neuerdings hat sich indessen
wieder eine Vermehrung erzielen lassen, so daß rund 1000 in den
Vereinigten Staaten und 600 Stück in Kanada vom Menschen gehegt
leben. Sie vermehren sich nur langsam, doch ist das Aussterben dieser
interessanten Tierart noch nicht so bald zu erwarten. Immerhin sind
durch die Ausrottung des wilden Bisons die davon lebenden Indianer,
ihrer Nahrungsquelle beraubt, zu Kostgängern des Staates geworden,
statt sich wie früher selbst zu ernähren!

Ein Glück ist es, daß viele zoologische Gärten Europas sich
amerikanische Büffel anschafften, so lange sie billig zu haben waren.
Sie pflanzen sich glücklicherweise auch in der Gefangenschaft leicht
fort, so daß noch auf längere Zeit Exemplare dieses gewaltigsten aller
Rinderarten als Schaustücke ersten Ranges in unseren Tiergärten zu
sehen sein werden. Bereits sind mehrfach Kreuzungen zwischen Bison und
Hausrind mit Erfolg vorgenommen worden, in Europa zu wissenschaftlichen
Zwecken, in Amerika dagegen anscheinend auch in der Absicht, ein
besonders wetterhartes und dabei milchergiebiges Weiderind zu erzielen.
Inwieweit diese Hoffnungen sich erfüllen werden, wird die Zukunft
lehren.

Nicht so glücklich, in zahlreichen Tiergärten den auf den Aussterbeetat
gesetzten nordamerikanischen Bison zu beherbergen, sind wir mit dem
europäischen, dem ~Wisent~ (_Bison europaeus_), daran. Dieser ist
etwas kleiner wie jener und hat einen weniger gewaltigen Nackenbuckel,
ähnelt ihm aber sonst. Er besitzt nur 14, statt wie der amerikanische
Bison 15 Rippenpaare. Dazu sind seine Beine höher und schlanker und die
Hörner schöner als bei seinem amerikanischen Verwandten ausgebildet,
bei beiden Geschlechtern in ziemlich gleicher Entwicklung nach außen
oben und schließlich einwärts gekrümmt. Wenn er auch neuerdings immer
mehr durch Inzucht an Größe abgenommen hat, so stellt er ein recht
stattliches Tier dar, das bei 1,7 _m_ Schulterhöhe und 3 _m_ Länge bis
700 _kg_ schwer wird. Dagegen war ein im Jahre 1555 in Preußen erlegter
Wisentstier 7 Fuß hoch, 13 Fuß lang und dabei 19 Zentner 5 Pfund
schwer. Merklich kleiner und zierlicher gebaut, auch mit kleinerer
Mähne und schwächerem Gehörn als der Stier ist die Wisentkuh.

[Illustration: Bild 13. Oberes Ende eines an der Durchlochungsstelle
abgebrochenen Zierstabes aus Renntierhorn aus dem Lagerplatz der
Renntier- und Mammutjäger der frühen Nacheiszeit von Laugerie basse
mit Köpfen eines männlichen und weiblichen Büffels (Wisent). ⅓ natürl.
Größe.]

Im Sommer und Herbst lebt der Wisent in kleinen Trupps von 15-20 Stück
an feuchten Orten des Waldes, gewöhnlich im Dickicht versteckt, nur im
Winter zieht er höher gelegenes und trockenes Gehölz vor. Jede einzelne
Herde hat ihren festen Standort und kehrt immer wieder dahin zurück.
Nur alte Stiere leben, wie auch bei den übrigen Wildrindern, einsam für
sich. Am liebsten weiden die Tiere in den Morgen- und Abendstunden,
wobei sie verschiedene Gräser, Blätter, Knospen und Baumrinde
fressen. Sie schälen gern die Bäume ab, soweit sie reichen können.
Ihr Lieblingsbaum scheint die Esche zu sein, deren saftige Rinde sie
jeder anderen bevorzugen. Ihr Gang ist ein rascher Schritt, der Lauf
ein schwerer, aber schnell fördernder Galopp, wobei der Kopf zu Boden
gesenkt, der Schwanz emporgehoben und ausgestreckt wird. Durch Sumpf
und Wasser waten und schwimmen sie mit Leichtigkeit. Während jüngere
Tiere muntere, lebhafte und verhältnismäßig gutmütige Tiere sind,
erscheinen ältere Tiere, zumal Stiere, als ernste, leicht reizbare und
jähzornige Wesen, mit denen nicht gut Streit anzufangen ist. Die Brunst
fällt auf den August bis September. Während derselben kämpfen die
Stiere untereinander um den Besitz der Weibchen. Neun Monate nach der
Paarung, im Mai oder Anfang Juni, kalben die Kühe, nachdem sie sich von
der Herde abgesondert und in ungestörter Wildnis einen geeigneten Platz
aufgesucht haben, wo sie sich und ihr Kalb während der ersten Tage vor
den Genossen verbergen. Jetzt sind sie für jedes Wesen, das sich ihnen
nähert, gefährlich, indem sie zum Schutze des Jungen ohne Besinnen
jeden Gegner angehen. Die Kälber sind anmutige Tiere, die nur sehr
langsam wachsen, wahrscheinlich erst im 8. oder 9. Jahre ihre volle
Größe erlangt haben und 30-40 Jahre alt werden.

Die ältesten Darstellungen des Wisent, die wir besitzen, rühren von
den dieses Wild mit besonderem Eifer jagenden Eiszeitjägern des
Solutréen und Magdalénien her. In großer Zahl finden sie sich nicht nur
in Umrissen, sondern teilweise auch in bunten, mit den drei Farben:
Rot, Braun und Schwarz gemalten Bildern in den nordspanischen und
südfranzösischen Höhlen abgebildet. In großer Menge muß dieses Wildrind
in der späteren Diluvialzeit neben dem Wildpferd in Europa gelebt haben
und war, nach der Menge der von ihm herrührenden Knochen, eines der
wichtigsten Beutetiere des Menschen. Auch die alten Germanen jagten es
noch häufig und bereiteten aus seinem Gehörn Trinkgefäße, wie dies bis
in unsere Tage im Kaukasus, wo sich dieses Wild in die Gegenwart in
einigen Herden erhielt, geschieht. So dienten bei einem Gastmahl, daß
ein kaukasischer Fürst dem russischen General Rosen zu Ehren gab, 50-70
mit Silber ausgelegte Wisenthörner als Trinkbecher.

[Illustration: Bild 14. Von Jägern der frühen Nacheiszeit in rotbrauner
Farbe gemalter Büffel (Wisent) aus der Höhle von Font-de-Gaume in
Südfrankreich. (1/12 natürl. Größe.)]

Die Schriftsteller des Altertums erwähnen mehrfach den Bison. So
schreibt der ältere Plinius in seiner Naturgeschichte, wie bereits
erwähnt: „Germanien ist durch das Vorhandensein von zwei Arten wilder
Rinder merkwürdig, nämlich durch den mit einer Mähne geschmückten
Bison (Wisent) und den Ur, der sich durch Kraft und Schnelligkeit
auszeichnet.“ Und der griechische Schriftsteller Oppianos spricht um
200 n. Chr. vom Wisent als einem entsetzlichen, in Thrakien lebenden,
einem Ochsen ähnlichen Tiere, das eine Mähne wie der Löwe, und
spitzige, krumme Hörner habe, mit denen es Menschen und wilde Tiere
hoch emporschleudere. Seine Zunge sei sehr rauh, wie eine Feile,
so daß sie die Haut durch Lecken aufreißen könne. Ferner sagt der
Grieche Pausanias ums Jahr 150 n. Chr., sie seien von allen Tieren
am schwersten zu fangen, denn kein Netz sei stark genug, sie zu
halten. „Die Jagd auf sie wird demnach auf folgende Weise angestellt:
Die Jäger bedecken eine Höhe, vor der sich ein Graben hinzieht, mit
frischabgezogenen oder alten, geölten und dadurch schlüpfrig gemachten
Häuten. Auf beiden Seiten davon wird ein starker Zaun errichtet. Dann
treiben sie zu Pferd die Bisons an diesen Ort, woselbst sie auf den
Häuten ausgleiten, sich überschlagen und in den Graben rollen. Dort
werden sie binnen vier oder fünf Tagen vor Hunger matt. Will man sie
dann etwa zahm machen, so bringt man ihnen Fichtenzapfen, weil sie
anfangs kein anderes Futter nehmen. Endlich können sie gebunden und
fortgeführt werden. -- Der päonische König Dropion hat einen ehernen
Bisonkopf nach Delphi geschickt.“

[Illustration: Bild 15. Jagdbild der frühen Nacheiszeit, worauf ein
Mann auf allen Vieren kriechend einen ruhig äsenden Büffelbullen
anschleicht und im Begriffe steht, einen Wurfspeer gegen ihn zu
schleudern. Der die Waffe werfende Arm ist sehr ungeschickt angebracht,
wie auch die menschliche Gestalt recht steif wiedergegeben ist, ein
Beweis dafür, daß der Zeichner viel größere Übung in der Darstellung
von Tieren als von Menschen besaß. Aus dem abri von Laugerie basse in
der Dordogne, Südwestfrankreich. (4/9 natürl. Größe.)]

Im Nibelungenlied wird neben dem Ur der Wisent als Jagdbeute des Helden
Siegfried genannt, als er im Wasgenwalde, den Vogesen westlich von
Worms, jagte. Zu Karls des Großen Zeit fand er sich noch häufig im
Harze und im Sachsenlande. Nach den Benediktionen des Mönches Ekkehard
I. muß er im 10. Jahrhundert noch ziemlich häufig auf den Tisch des
Klosters St. Gallen gekommen sein. Noch verschiedene Ortsnamen in der
Schweiz zeugen von seiner einstigen Anwesenheit in diesem Lande, so
z. B. das Dorf Wiesendangen bei Winterthur, das in den ältesten
Berichten der Chroniken als Wisonteswangun, d. h. Wisentanger
angeführt wird. Gleicherweise haben wir in Süddeutschland Ortsnamen
wie Wiesensteig (in mittelalterlichen Urkunden als Wisontessteiga) und
Urach d. h. am Flüßchen des Ur. Ums Jahr 1373 lebte er noch ziemlich
häufig in Pommern, im 15. Jahrhundert in Preußen, im 16. in Litauen
und Polen, wo sich die Könige und Großen seine Erhaltung angelegen
sein ließen, indem sie ihn, dort Zubr genannt, in besondern Wildparks
hielten und nur selten einige Stücke einfingen, um sie als Geschenke an
fremde Höfe zu benutzen. Eine allgemeine Seuche vernichtete am Anfang
des 18. Jahrhunderts den größten Teil dieser Herden. In Ostpreußen
wurde das letzte Exemplar zwischen Tilsit und Labiau im Jahre 1755
von einem Wilddieb erlegt. Die letzte Herde von einigen hundert Stück
lebt, vom russischen Kaiser sorgfältig gehegt, in dem 200 _qkm_ großen
unberührten Forste von Bjelowjesha im russisch-litauischen Bezirke
Grodno. Von dort wurden von den früheren Kaisern, zuletzt von Alexander
II., einige Paare an zoologische Gärten, meist nach Deutschland,
abgegeben, wo sie sich leicht fortpflanzen. So besitzt der Berliner
zoologische Garten einige Stück, und auch dem Fürsten Pleß gelang es,
in seinem oberschlesischen Reviere Meserzitz einen kleinen Bestand
heranzuhegen, so daß sogar auf den deutschen Geweihausstellungen noch
ausgestopfte Wisentköpfe und Schädel erscheinen. Außerdem schweifen
nach _Dr._ Heck im Kaukasus noch einige vereinzelte Wisenttrupps
umher; doch wandern sie so unstet, daß man sie in den letzten Jahren
nicht mehr sah. Das Schicksal dieses Tieres ist auch im Forste von
Bjelowjesha besiegelt; denn der Petersburger Säugetierforscher Büchner
ist auf Grund eingehender Studien zum fatalen Ergebnisse gekommen,
daß diese Tierart langsam, aber sicher, ihrem Erlöschen entgegengeht,
nachdem ihr Vorkommen einmal so zerstreut und vereinzelt geworden
ist, daß die Entartung infolge der Inzucht (Kleinheit der Tiere,
Unfruchtbarkeit des weiblichen Geschlechts und Schwächlichkeit der
Jungen) sich notwendigerweise immer stärker geltend machen muß.
Dann wird Europa sein stolzestes Wild verloren haben, ohne daß ihm
die Möglichkeit geboten war, der Domestikation durch den Menschen
unterworfen worden zu sein.

Vom Menschen dagegen gezähmt und zu einem außerordentlich nützlichen
Haustiere erhoben wurde der ~Yak~ oder ~Grunzochse~ (_Bos grunniens_),
der seiner kalten Heimat gemäß durch eine lange Behaarung, besonders
am Bauche, die ihm beim Ruhen gleichsam als wärmendes Bett dient,
ausgezeichnet ist. Von allen Rindern unterscheidet er sich auch
dadurch, daß er einen vollständig gleichmäßig langbehaarten Schweif
wie ein Pferd hat. Er bewohnt die Hochländer Tibets zwischen 4000 und
6000 _m_ und vermag dank seines langen, dichten, schwarzen Haarkleides
die rasenden Schneestürme seiner unwirtlichen Heimat zu überstehen.
In alten Männchen wird er 4,25 _m_ lang bei einer Höhe von 1,9 _m_
und einem Gewicht von 600 _kg_, während alte Kühe kaum über 2,8 _m_
Länge bei 1,6 _m_ Höhe erreichen. Die Kühe bilden im Sommer, wenn sie
in die grasigen Niederungen steigen, Herden von 10 bis 100 Stück, die
von Männchen angeführt werden. Deren Mitglieder fressen zur Nachtzeit
und am frühen Morgen, ziehen sich aber am Tage meist auf eine steile,
öde Berglehne zurück, wo sie wiederkäuend viele Stunden ruhen. Alte
Stiere, die meist einzeln oder nur in kleinen Gesellschaften von 3 bis
4 Stück angetroffen werden, lieben Ruheplätze mit weiter Umschau, um
sich beizeiten vor Feinden zurückziehen zu können. Nur alle zwei Jahre
bekommt die Kuh, neun Monate nach der Paarung, ein Kalb, das sie über
ein Jahr lang säugt. Erst im 6. oder 8. Jahre ist es erwachsen und
erreicht ein Alter von 25 Jahren.

Mit außerordentlicher Sicherheit bewegt sich der Yak auf dem
schwierigsten Terrain, strauchelt, obschon schwer gebaut, nie und
arbeitet sich mit großer Gewandtheit durch tiefe Schneemassen hindurch,
wobei er den Kopf gleichsam als Schneepflug benützt. Seine Intelligenz
ist nur schwach entwickelt. Verwundet nimmt er ungescheut den Jäger
an und wird ihm mit seinen 80-90 _cm_ langen Hörnern sehr gefährlich.
Deshalb fürchten ihn die Tibeter gleich einem Ungeheuer, gehen ihm
gern aus dem Wege und feuern, wenn sie sich wirklich zur Jagd auf
ihn entschließen, nur aus sicherem Verstecke und gemeinschaftlich,
ihrer 8-12. Sein Fleisch wird vom Engländer Kinloch als saftig und
ausgezeichnet gerühmt; Zunge und Markknochen desselben bezeichnet er
geradezu als Leckerbissen. Aber mehr noch als das Wildbret schätzt
man in seiner baumlosen Heimat den Mist des Yaks, der getrocknet den
einzigen in jenen kahlen Höhen zur Verfügung stehenden Brennstoff
darstellt.

Die früheste Erwähnung des Yaks treffen wir bei dem zu Beginn des
3. Jahrhunderts n. Chr. in Rom lebenden Claudius Älianus an, der in
seinem Werk über die Tiere sagt, daß die Inder ihren Königen nebst
andern Tieren auch wilde Rinder darbringen, welche schwarz sind,
aber weiße Schwänze haben, die zu Fliegenwedeln dienen. Tatsächlich
bilden die Yakschwänze die von altersher vielberühmten Kriegszeichen
der „Roßschweife“, die die Türken bis vor Wien trugen, und heute
noch eine kostbare Trophäe sind, mit der sich besonders türkische
Würdenträger zieren. Man stellt daraus außer Standarten besonders auch
Pferdeschmuck her. Der römische Dichter Martial berichtet, daß die
vornehmen römischen Damen unter Kaiser Domitian, dem zweiten Sohne
Vespasians, der nach seines Bruders Titus’ Tode von 81 bis 96 n. Chr.
regierte, daraus hergestellte äußerst kostbare Fliegenwedel benutzten.
Damals wußte man noch, daß diese Haare vom Schwanze einer asiatischen
Rinderart stammen, eine Kunde, die sich später völlig verlor.

Wann der Yak gezähmt wurde, entzieht sich unserer Kenntnis. Es muß
dies aber schon vor längerer Zeit geschehen sein, da wie bei so vielen
andern Haustieren sich bei ihm infolge Einwirkung der Domestikation
bereits ein weitgehender Leucismus entwickelt hat, so daß rein
schwarze zahme Yaks sehr selten geworden sind. Gewöhnlich zeigen auch
diejenigen, welche den wilden am meisten ähneln, weiße Stellen. Meist
sind sie ganz weiß, vielfach auch hornlos; außerdem trifft man braune,
rote und gescheckte an. Der gezähmte Yak ist durchgehends kleiner als
der wilde. Man hat schon durch Kreuzung mit andern Rinderarten mehrere
Rassen von Bastarden gezüchtet. Hier und da sind die zahmen Yaks wieder
verwildert und haben dann ihre schwarze Urfärbung wieder angenommen.
Auch die zahmen Herden gedeihen nur in kalten, hochgelegenen
Gebirgsteilen und gehen bei großer Wärme zugrunde, ertragen dagegen
Kälte mit Gleichmut.

In Tibet und der Mongolei weiden die Yakherden fast ohne jede
Aufsicht; den ganzen Tag tummeln sie sich auf den Weideplätzen umher
und werden nur über Nacht zu den Zelten ihrer Besitzer getrieben.
Selbst gezähmt behält der Yak stets einen gewissen Grad von Wildheit,
der sich vornehmlich durch Angriffslust gegen Fremde äußert. Gegen
seine Bekannten benimmt er sich ziemlich freundschaftlich, läßt sich
berühren, reinigen und vermittelst eines durch seine Nase gezogenen
Ringes an einem Stricke leiten. Er dient hauptsächlich als Lasttier,
daneben aber auch vielfach als Reittier. Über die unwegsamsten Pässe
der Hochgebirge trägt er Lasten von 120-150 _kg_ und vermittelt den
Verkehr zwischen Tibet und China, der Mongolei und Nordindien. Nur auf
sehr klippenreichen Pfaden ist er als Lasttier nicht zu gebrauchen, da
dann seine schwere Last ihn hindert, über höhere Felsen zu springen.
Im Westen reicht das Verbreitungsgebiet des gezähmten Yaks bis zur
Bucharei, im Nordosten bis in die Mongolei und zu den nordöstlichen
Nebenflüssen des Yang-tse-kiang. Auch in Südostsibirien werden
vereinzelte Yaks gehalten. Als Gebirgstier fühlt es sich in Höhen unter
2000 _m_ nur wenig behaglich; sonst gedeiht es auch ohne jegliche
Pflege und ist äußerst genügsam. Die außerordentlich fette Milch gilt
als sehr wohlschmeckend und ist überaus gesucht. Um den Milchertrag zu
vermehren, hat man ihn mit dem Hausrind von Zebuabstammung gekreuzt.
Solche Kreuzungsprodukte sollen am Südabhange des Himalaja zahlreich
vorkommen und fruchtbar sein; dagegen scheinen die aus denselben
wirtschaftlichen Gründen gezüchteten Bastarde mit dem Primigeniusrind
Sibiriens unfruchtbar zu sein. Außer Milch und Fleisch werden auch die
langen Haare verwertet, indem man sie zu groben Geweben verarbeitet.
Sehr geschätzt sind die Schwanzhaare wie bei den Türkvölkern, so auch
in China, wo sie zu mannigfachem Putz Verwendung finden. Der Yak ist
schon so lange domestiziert, daß es bei ihm außer gefleckten und
leucistischen sogar hornlose Rassen gibt.

Erst spät ist dieses Haustier der innerasiatischen Hochländer in
Europa näher bekannt geworden. Die ersten Yaks, zwölf an der Zahl,
die nach Europa gelangten, erhielt im Frühjahr 1854 die _Ménagerie du
Musée d’histoire naturelle_ in Paris. Da sie sich gut akklimatisierten
und auch Nachkommen erzeugten, erhielten von Paris aus zahlreiche
Tiergärten dieses Schaustück, das sich in unserm Klima besser hielt,
als man hoffen durfte. Gleichwohl war die einst gehegte Hoffnung
aussichtlos, den Yak als wertvolles und leistungsfähiges Haustier in
unsern Gebirgsgegenden einzubürgern; denn hier liegen die Verhältnisse
anders als in seinem Stammlande. Unsere Alpen und höheren Gebirge
werden durch Rinder und Ziegen hinreichend ausgenutzt und der Verkehr
mit Saumtieren ist mit der Entwicklung besserer Verkehrsmittel
wesentlich eingeschränkt, so daß die Einführung des Yaks vom
Standpunkte des Nutzens aus ganz zwecklos ist. Anders verhält es sich,
wenn wir ihn als Luxustier in den von Fremden stark besuchten Gegenden
einführen wollten, zumal ja die Tierwelt des Gebirges zum Bedauern
jedes Freundes der Natur mehr und mehr verarmt. Da wären diese wie
Gemsen kletternden Tiere eine prächtige Staffage und könnten noch
als Last- und Reittiere Verwendung finden. Gar mancher Fremde fände
es wohl ganz nett, einmal einen Yak statt eines prosaischen Maultiers
zu besteigen, um sich in verkehrsarmen Gegenden in die hehre Bergwelt
hinauftransportieren zu lassen. Wer weiß, vielleicht ist die Zeit nicht
mehr fern, da ein unternehmender Hotelier auf den Gedanken verfällt
und damit ein neues Zugmittel für das nach allem Neuen begierigen
Publikum beschafft, das sich in der Folge weitgehender Beliebtheit
erfreuen dürfte. Schon im Jahre 1850 versuchte man ihn in der Auvergne
anzusiedeln; doch hielt er sich hier nicht auf die Dauer, weil der
betreffende Privatunternehmer bald das Interesse an dieser Zucht verlor.



III. Die Ziege.


Nachdem das Rind zum Haustier des Menschen erhoben worden war, kam
als weiteres Nutztier die ~Ziege~ hinzu, bei deren Domestikation sich
jedenfalls auch religiöse Motive geltend machten. Eduard Hahn macht
in seinem Buch über die Haustiere und ihre Beziehungen zur Wirtschaft
des Menschen die Bemerkung, durch die ganze Ethnologie gehe die
Anschauung, den Göttern sei das angenehmste Opfer dasjenige, das am
schwersten zu gewinnen sei und am schmerzlichsten entbehrt werde. Bei
den Assyriern und allen vorderasiatischen Völkern galt allgemein das
eben der Mutter entrissene junge Tier als das wertvollste Opfer. Das
Zicklein und die junge Antilope auf dem Arm des opfernden Königs kehren
bei jenen in der Darstellung immer wieder, so daß obige Anschauungen
als tief im Volksglauben eingewurzelt gelten können. Dieser grausame
Zug machte vor dem Menschen selbst nicht halt, insofern man in
schwierigen Lagen nicht zögerte, seine eigenen Kinder zu opfern. Man
denke nur an das Molochopfer der Phönikier, die Opferung Isaaks durch
Abraham, die allerdings durch göttliche Vermittlung abgewehrt und
durch das Opfer eines Ziegenbockes abgelöst wurde. Daß solche Opfer
insbesondere von erstgeborenen Söhnen als der Gottheit besonders
wohlgefällige Darbringungen galten, beweisen verschiedene Tatsachen aus
der morgenländischen Geschichte, von denen nur diejenige des um 850
v. Chr. lebenden Königs Mesa von Moab genannt sei, der uns in seinem
einst in seiner Residenz Daibon aufgerichteten Altarstein, der 1868
vom Franzosen Ganneau aufgefunden wurde und jetzt sich im Louvre in
Paris befindet, das älteste bis jetzt bekannt gewordene Schriftdenkmal
semitischer Buchstabenschrift hinterlassen hat. Er berichtet darin, daß
er den Israeliten die Stadt Nebo weggenommen habe und alle Bewohner,
insgesamt 7000 Personen, tötete. Als er später von den Israeliten in
seiner Hauptstadt belagert wurde und in arge Bedrängnis kam, opferte
er, um seinen drohenden Untergang abzuwenden, auf der Stadtmauer im
Angesicht der Feinde seinen ältesten Sohn.

Ebenso verbreitet als das Kindesopfer war die später von milder
denkenden Generationen aufgebrachte Vorstellung, daß es die Gottheit
ebenso sehr freue, wenn man das ihr gefällige Opfer, statt es zu
schlachten, ihr weihe durch Freilassen in ihrem heiligen Tempelbezirke.
So erzählt Älian, die Koptiten in Ägypten hätten die weiblichen
Wildziegen, die sie gefangen, der Göttin geweiht, d. h. sie in deren
heiligem Bezirke ausgesetzt, die Männchen dagegen geschlachtet. War
einmal ein solch kleiner Bestand besonders weiblicher Tiere vorhanden,
von denen wohl eine größere Zahl trächtig war, so waren sie, wie auch
die von ihnen in der Gefangenschaft geborenen Jungen, als der Gottheit
geweihte Tiere deren Eigentum, das der Mensch unter allen Umständen
respektierte. So gewöhnten sie sich an den Menschen, der ihnen je und
je Futter darbot und dafür sorgte, daß sie sich in der für sie kaum
merkbaren Gefangenschaft ruhig vermehrten. Je nach Bedarf holte er sich
dann ein Zicklein als Opfer für die betreffende Gottheit, der die Herde
gehörte. Auch die Milch der Mutter wurde zu sakralen Zwecken verwendet
und sank erst auf einer späteren, praktischer denkenden Stufe zum
Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens herab. Ebenso wurde außer dem
Fleisch, das nach und nach auch zu profanen Zwecken verwendet wurde,
das lange Haar dieses Tieres zur Herstellung allerlei grober Gewebe,
besonders der Zeltdecken des Nomaden, wie auch von Kleidern verwendet,
da es viel wetterbeständiger ist und weniger Wasser aufsaugt als die
Schafwolle.

Die Stammutter der ältest domestizierten Ziegen ist die im Hügel- und
Bergland von Südwestasien heimische ~Bezoarziege~ (_Capra aegagrus_),
an der H. Pohlig beobachten konnte, welch hohe Empfänglichkeit sie für
den Anschluß an den Menschen besitzt. In Djulfa sah er eine Wildziege
mit ihren beiden Jungen sich in einem Gehöft einnisten und sich so an
diese neue Umgebung gewöhnen, daß sie von ihren Ausflügen pünktlich zur
Fütterungszeit zurückkehrten. Das Verbreitungsgebiet dieser Wildziege
erstreckt sich von Afghanistan und Beludschistan über die Gebirge
Persiens, Syriens und Kleinasiens bis nach Griechenland, wo sie einst
so gemein war, daß sie den Ägäischen Inseln (vom griechischen _aix_,
Stamm _aig_, die Ziege) den Namen gab. Bevor sie der Mensch dort
ausrottete, müssen sie auf den Küstenbergen des griechischen Meeres
sehr gemein gewesen sein, wie etwa auf der Kyklopeninsel, von der es in
Homers Odyssee heißt:

  „Der Ziegen unendliche Menge durchstreift sie,
  Wilden Geschlechts, weil nimmer ein Pfad der Menschen sie scheuchet.“

Daß sie damals vom Menschen eifrig gejagt wurden, ist begreiflich. So
wird in der Ilias geschildert, wie der Schütze ihr auf dem Anstand
auflauert, bis das Tier aus dem Felsenversteck hervortritt. Alsbald
trifft es der Pfeil von unten in die Brust, so daß es sich überschlägt
und die Felsen hinunterfällt. Sein Fleisch wird als willkommene Beute
gegessen und das mächtige Gehörn zu einem starken Bogen verarbeitet.

Die Bezoarziege ist merklich größer als unsere von ihm abstammende
Hausziege, die ihr übrigens besonders in der der Wildform noch sehr
nahestehenden kräftig gebauten gemsfarbigen Varietät noch sehr ähnlich
sieht. In beiden Geschlechtern besitzt die zahme wie die wilde Form
einen starken Bart und ein unregelmäßig geknotetes, vorn scharf
gekantetes, hinten gerundetes, sichelförmig nach hinten gekrümmtes,
gegen die Spitze zu etwas zusammenstrebendes Gehörn, das beim Bock
viel stärker als beim Weibchen entwickelt ist. Bei ihm erreicht es
nämlich eine Länge von über 130 _cm_ bei einem Umfang von nur 17-18
_cm_; bei der auch sonst kleineren Geis sind sie nicht nur viel
kleiner, sondern auch nur schwach nach rückwärts gekrümmt. Sie stehen
bei ihr am Grunde auch weiter auseinander als beim Bock. Im Winter ist
der Pelz der Bezoarziege, der in kalten Klimaten weiches Unterhaar
erhält, bräunlichgrau, im Sommer dagegen gelblich- oder rötlichbraun.
Die Unterseite des Rumpfes und die Innenseite der Schenkel ist
weißlich oder weiß. Alte Böcke sind blasser und am Hinterhals, auf
den Schultern, an der Kehle und auf der Vorderseite der Beine mit
Ausnahme der Kniee braun und weisen einen schwarzen Rückenstreifen auf,
der bis zum Schwanz verläuft und ziemlich scharf abgegrenzt ist. Es
sind dies alles Merkmale, die sich, wie auch die aufrecht gestellten
Ohren, bei der ebenfalls ausgezeichnet kletternden gezähmten Bergziege
in derselben Weise wiederfinden. Die Länge des ausgewachsenen Bockes
beträgt bei der Bezoarziege etwa 1,5 _m_ bei einer Schulterhöhe von 95
_cm_.

[Illustration:

  Tafel 17.

  (_Phot. von E. Reinhardt._)

Toskanisches Hausrind vor einen Holzpflug mit Metallspitze gespannt.]

[Illustration: Kirgisisches Rindergespann vor einem primitiven Pflug.]

[Illustration:

  Tafel 18.

Altägyptisches Relief des Alten Reiches aus Sakkarah (6. Dynastie,
2625-2475 v. Chr.) mit Darstellung einer Vogeljagd links und einer
Ziegenherde mit ihrem Hirten rechts.]

[Illustration:

  Tafel 19.

Von dem Assyrerkönig Tiglatpilesar III. auf einem syrischen Feldzug
erbeutete Herden (8. Jahrhundert v. Chr.)

Oben links: Gefesselte Gefangene. Oben rechts: Eroberte Schafe und
Ziegen. Unten: Anblick einer befestigten Stadt mit Dattelpalme und
Sturmbock, im Hintergrund ein assyrischer Schreiber, der die erbeuteten
Schafe und Ziegen aufschreibt. Im Vordergrund Ochsenkarren mit
gefangenen Frauen und Kindern.]

[Illustration:

  Tafel 20.

  (_Copyright by M. Koch, Berlin._)

Schraubenziege oder Markhor.]

[Illustration:

  (_Copyright by M. Koch, Berlin._)

Angoraziegen.]

Die Bezoarziege bewohnt mit Vorliebe wüste, felsige Berge, wo
sich ihre verschieden großen Herden gern an die Klippen und
Schluchten halten. Sie ist sehr lebendig, klettert und springt mit
bewundernswerter Sicherheit von einem Felsenkamm zum andern und scheint
steile Felsenabhänge kaum zu beachten. Rasch und sicher läuft sie auf
schwierigen Graten dahin und faßt sichern Stand auf dem kleinsten
Felsvorsprunge, der sich ihr darbietet. Während der Paarungszeit, im
November, kämpfen die Böcke hartnäckig und gewaltig um die Weibchen,
die dann nach der Belegung im April oder Mai die Jungen zur Welt
bringen, und zwar die jüngeren Ziegen eins oder zwei, die älteren stets
zwei, nicht allzuselten auch drei. Diese folgen der Mutter sofort
nach der Geburt, vom dritten Tage ihres Lebens an selbst auf den
schwierigsten Pfaden, wachsen rasch heran und sind jederzeit zu Scherz
und Spiel bereit.

Den Wildziegen wird von seiten des Menschen eifrig nachgestellt, da
ihr Fleisch einen ausgezeichnet schmackhaften Braten liefert, der an
Rehbraten erinnert und ebenso zart und mürbe wie letzterer ist. Es wird
entweder frisch genossen oder, in lange, schmale Streifen geschnitten,
an der Luft getrocknet, um es später verwenden zu können. Das im Winter
erbeutete langhaarige Fell wird von den Orientalen mit Vorliebe als
Gebetteppich benutzt und, weil man seinen scharfen Geruch angenehm
findet, hoch geschätzt. Das kurzhaarige Sommerfell wird zu Schläuchen
verwendet, die im Morgenland allgemein als Behälter für Wein oder
Wasser an Stelle unserer dort unbekannten Holzfässer dienen, und das
Gehörn zu Pulverhörnern, Säbelgriffen usw. verarbeitet.

Ihren Namen hat übrigens die Bezoarziege von dem früher auch bei
uns berühmten, heute noch überall in Westasien bis Persien als eine
Gegengabe gegen Gift geschätzten und als eine Arznei für viele
Krankheiten betrachteten, gelegentlich in ihren Eingeweiden gefundenen
Steine, dem Bezoarstein. Dieser stellt einen Gallenstein dar und
war den alten Schriftstellern unter dem Namen Pasen bekannt, welche
Bezeichnung offenbar aus Pasang hervorging, einer der männlichen
Bezoarziege in Persien beigelegten Bezeichnung.

Der älteste und wichtigste Bildungsherd der zahmen Ziege aus
der Bezoarziege ist jedenfalls Westasien, das ja von sehr alten
Kulturvölkern bewohnt war, die am ehesten imstande waren, die
Domestikation vorzunehmen. Überall treffen wir sie bei diesen seit
der jüngeren Steinzeit als Haustier an. In Mesopotamien wurde sie
zur assyrischen Zeit vielfach abgebildet. Daß sie damals schon sehr
lange im Haustierstande verweilt haben muß, geht daraus hervor, daß
sie bereits hängeohrig war. Im alten Ägypten erscheint sie ebenfalls
häufig in bildlicher Darstellung. Wir sehen sie die zum Holzfällen
ausziehenden Arbeiter begleiten und die Blätter der gefällten Sykomoren
und anderer Bäume abfressen. Sie wird stets mit einem Bart und der Bock
mit einem stattlichen Gehörn abgebildet. Etwa einmal wird ein Zicklein
geschlachtet, an den Hinterbeinen am Geäst eines Baumes aufgehängt und
mit dem Messer zerlegt, um einen willkommenen Braten zu liefern. Die
Ziegenzucht muß im alten Ägypten einen großen Umfang besessen haben und
trat weit vor die Schafzucht, was wir sehr wohl begreifen, wenn wir
bedenken, daß die Bewohner des heißen Ägypten vom Beginn des dritten
vorchristlichen Jahrtausends an nicht mehr Wollkleider, sondern die
viel leichteren und angenehmeren weißen Linnenkleider trugen. Aus dem
mittleren Reiche besitzen wir ein Dokument, worin einem Gutsherrn von
seinem Oberschreiber 5023 Stück Vieh als Besitzstand angemeldet werden,
worunter sich nur 924 Schafe, dagegen 2234 Ziegen und der Rest Rinder
befinden.

Sagenhafte Überlieferungen, die weit vor die homerische Zeit
zurückreichen, sprechen von einem Ziegenvolke, das von Kleinasien
hervordrang und überall, wo es erschien, Angst und Schrecken
verbreitete. Schälen wir den Grundgedanken der Sage aus der
mythologischen Umhüllung heraus, so wird das wohl heißen, daß
Griechenland die Hausziege in grauer Vorzeit von Westasien her
erhielt. Hier wie überall sonst in den Mittelmeerländern hat sie als
Begleiterscheinung einer primitiven Kultur willige Aufnahme und weite
Verbreitung gefunden und in der Folge durch ihre Genäschigkeit und
ausgesprochene Vorliebe für die Knospen und jungen Triebe von holzigen
Gewächsen in Verbindung mit der Sorglosigkeit des sie haltenden
Menschen als Verderberin des aufsproßenden jungen Waldes eine leider
sehr verhängnisvolle Rolle gespielt.

In einer durch schlechte Haltung verkümmerten, kleinen Form treffen
wir die Hausziege auch bei den neolithischen Pfahlbauern Mitteleuropas
eingebürgert. Schon L. Rütimeyer wies darauf hin, daß in den Überresten
der ältesten Pfahlbauten Ziegenreste viel häufiger als Reste des
Schafes vorkommen, während dann mit dem Kulturaufschwung in der
Bronzezeit das Verhältnis ein umgekehrtes wurde, d. h. die Ziegenzucht
gegenüber der Schafzucht bedeutend zurücktrat, gleichzeitig aber auch
die damals gehaltenen Ziegenrassen durch bessere Lebenshaltung größer
und stattlicher erscheinen. Dieses Verhältnis in der Zucht beider
Haustiere änderte sich hier auch in der Folge nicht. Wenn es auch noch
zur Zeit Kaiser Karls des Großen viel Ziegen bei den Franken gab, so
waren sie doch ziemlich weniger zahlreich als die Schafe. Dies drückt
sich auch in dem uns erhaltenen Gesetzbuch der salischen Franken aus,
laut dem das Schaf an Zahl die Ziege bedeutend überwog.

[Illustration: Bild 16. Ein zum Durchbohren der Felle gebrauchter
Pfriemen der neolithischen Pfahlbauern der Schweiz, der aus dem
Laufbein einer als Haustier gehaltenen Ziege verfertigt wurde. Auch
Dolche wurden aus solchen Knochen hergestellt. (4/9 natürl. Größe.)]

Bei den alten Griechen und Römern war die Ziege als Nutztier fast so
beliebt als das Rind. Sie wurde besonders von der ärmeren Bevölkerung
als Milch- und Fleischlieferant gehalten, wie sie ja heute noch die
„Kuh des armen Mannes“ ist und als solche immer mehr zu Ehren gezogen
zu werden verdient. Besonders in der älteren griechischen Zeit war die
Ziegenzucht stark verbreitet. Zahlreiche uralte Namen, Abbildungen
auf Münzen und die häufige Erwähnung in Sagen und in den homerischen
Gesängen beweisen, daß ihr in älterer Zeit eine weit größere Bedeutung
zukam, als später in der klassischen Zeit, da sich die Schafzucht wegen
der Gewinnung der Wolle mehr in den Vordergrund drängte. Gleichwohl
wurde sie auch dann noch häufig besonders von den Ärmeren gehalten und
deren Milch nebst den Zicklein auf den Markt gebracht. Überall wurde
die Ziegenmilch auch von der städtischen Bevölkerung gern genossen und
aus dem Überschuß Käse bereitet. Der aus Spanien nach Rom gekommene
römische Ackerbauschriftsteller Columella schreibt um die Mitte des
ersten christlichen Jahrhunderts über das Halten von Ziegen: „Den
Ziegenbock (_caper_) und die Ziege (_capella_) hält man für vorzüglich
gut, wenn an ihrem Halse zwei sogenannte Glöckchen hängen und wenn der
Kopf klein ist. Man sieht es auch gern, wenn das Haar glänzend und lang
ist, so daß man es scheren und Mäntel für Soldaten und Matrosen daraus
anfertigen kann. Es ist besser, wenn das Ziegenvieh keine Hörner hat,
weil es mit ihnen nur Schaden anrichtet. Es bekommt oft Zwillinge,
auch Drillinge. Zur Zucht wählt man vorzugsweise das stärkste Zicklein
von Zwillingen, behandelt es im übrigen wie die Schaflämmer. Die
Mutterziegen schafft man im achten Jahre ab. -- Der Ziegenhirt muß
ein rüstiger, ausdauernder Mann sein, der mit Behendigkeit über
Felsen klettert, durch Wildnis und Dorngebüsch hindurchgeht, denn das
Ziegenvieh ist rasch und kühn. Kann man die Ziegenmilch nicht frisch
zur Stadt schaffen, so verwandelt man sie in Käse. Für den Handel
macht man diesen von ganz frischer Milch, die man durch Lab (aus
zerkleinerten Mägen) von Schaf- oder Ziegenlämmern zum Gerinnen bringt.
Man setzt sie in die Nähe des Feuers, so daß sie warm, aber nicht
heiß wird, gießt sie, sobald die Käseteile festgeworden sind und sich
ausgeschieden haben, in dicht geflochtene Körbe und läßt die Molken
ablaufen, was man noch durch aufgelegte Gewichte befördert. Dann nimmt
man die Käse aus den Körben, bestreut sie mit pulverisiertem Salz und
preßt sie nochmals. Dies geschieht 9 Tage hindurch, dann wäscht man sie
mit reinem Wasser, legt sie an einen schattigen Platz so auf Horden,
daß einer den andern nicht berührt, und bewahrt sie später, wenn sie
mäßig trocken sind, an einem vor Luftzug gesicherten Orte auf.“

Columellas Zeitgenosse Plinius sagt in seiner Naturgeschichte, daß die
Ziege in seltenen Fällen sogar 4 Zicklein bekomme und im Negerland 11,
anderwärts aber meist nur 8 Jahre alt werde. „Kranke Augen kurieren
sich die Ziegen selbst, indem sie eine Binsenspitze hineinstechen
und sich so zur Ader lassen; die Böcke dagegen stechen sich einen
Brombeerstachel hinein. -- Mutianus erzählt ein merkwürdiges, von ihm
selbst erlebtes Beispiel von der Klugheit dieser Tiere. Es begegneten
sich nämlich zwei auf einer sehr schmalen Brücke, und da sie weder
umeinander herum, noch zurück konnten, indem der Pfad zu eng und unter
ihm ein brausender Waldbach war, der sie zu verschlingen drohte, so
legte sich die eine nieder und die andere schritt über sie hinweg.
-- Nicht alle Ziegen haben Hörner; allein wenn sie da sind, kann man
das Alter an der Zahl der Knoten erkennen. Die ungehörnten geben mehr
Milch. Man sagt, die Ziegen sehen nachts so gut wie am Tage, und Leute,
die am Abend schlecht sehen, müssen sich daher durch den Genuß von
Ziegenleber heilen. In Cilicien und um die Syrten werden die Ziegen
geschoren. Wenn die Sonne sich gesenkt hat, sollen sie sich auf der
Weide so lagern, daß sie einander nicht ansehen, zu andern Tageszeiten
aber so, daß sie sich ansehen, und zwar familienweise. Alle haben am
Kinn einen Bart, und wenn man eine am Barte faßt und fortzieht, so
sieht die ganze Herde staunend zu. Ihr Biß ist den Bäumen verderblich.
Den Olivenbaum machen sie schon durch bloßes Lecken unfruchtbar und
werden deshalb der Minerva nicht geopfert.“

In seinem Buche über die Landwirtschaft schreibt der gelehrte Marcus
Terentius Varro (116-27 v. Chr.), selbst Besitzer schöner Landgüter:
„In den Gesetzen über die Kolonien steht geschrieben: Niemand soll
Ziegen (_capra_) da weiden lassen, wo junge Bäume oder Sträucher
stehen. An Saaten aller Art, namentlich aber an jungen Weinstöcken und
Ölbäumen, können Ziegen gefährlichen Schaden anrichten. Um nun die
Beeinträchtigung des Rebbaues durch sie zu sühnen, werden dem Gotte
Bacchus, der den Weinbau erfunden, Ziegenböcke geopfert; der Minerva
aber opfert man kein Ziegenvieh, weil es ihr wegen des Schadens, den
es den Ölbäumen verursacht, verhaßt ist. Nur einmal im Jahre wird
auf der Burg in Athen der Minerva eine Ziege geopfert, außerdem darf
sich dort keine sehen lassen.“ Weiterhin bemerkt er, daß die Ziegen
wie die Schafe in Herden von 50 bis 100 Stück gehütet werden, „doch
haben sie die Eigenschaft, daß sie lieber in Wäldern und auf Bergen
weiden als auf Wiesen; denn sie knuspern gern an Holzgewächsen. In
einem großen Teile Phrygiens werden die Ziegen geschoren, weil sie
lange Haare haben, und man verfertigt dort aus ihnen die sogenannten
cilicischen Kleider. In Cilicien soll man zuerst die Ziegen geschoren
haben.“ Schon Aristoteles im 4. Jahrhundert v. Chr. sagt in seiner
Tiergeschichte, in Lycien schere man die Ziegen gerade wie anderwärts
die Schafe, und Älian schreibt ca. 200 n. Chr.: „Tut man Ziegen zu
einer Schafherde, so gehen sie voran und führen dieselbe. Orthagoras
sagt in seinen Indischen Erzählungen, im Dorfe Koytha würden die Ziegen
mit getrockneten Fischen gefüttert.“ Jedenfalls lassen sich diese
Tiere unschwer an Fleischnahrung gewöhnen. So werden sie wie auch die
Kühe auf Island vielfach mit getrockneten Fischen gefüttert. Daß die
Ziegenhaare als Gespinstmaterial lange nicht so geschätzt waren als
die Schafwolle, beweist die übrigens auch in den Episteln des Horaz
vorkommende Redensart: über Ziegenhaare zanken im Sinne von: über Dinge
zanken, die dessen nicht wert sind.

[Illustration: Bild 17. Von einem Hirten mit zwei Hunden getriebene
Ziegenherde von einem altgriechischen (böotischen) Henkelbecher des
Theozotos. (Im Louvre.)]

Das lange Verweilen im Haustierstande hatte schon damals zu
verschiedenen Rassen geführt und auch hornlose Arten hervorgehen
lassen. So tritt zur Römerzeit neben der altangesessenen kleinen
Hausziege noch eine zweite Form auf, die in den Kolonien der
Nordschweiz mehrfach Reste hinterließ und offenbar ziemlich
verbreitet war. Es ist dies eine zweifellos aus dem Mittelmeergebiet
stammende, durch bessere Lebenshaltung größere Ziege von gleichfalls
Bezoarziegenabstammung, mit bedeutend stärkeren Hörnern. Auch zeigen
die Hornzapfen im Verlauf und in der Oberflächenbeschaffenheit
deutliche Unterschiede, die sich auch späterhin genau verfolgen lassen.
Sie begegnet uns außer auf altgriechischen Münzen in bildlichen
Darstellungen, z. B. einer großen Silberpfanne aus Vindonissa
von zweifellos römischer Arbeit in Gestalt einer großhörnigen,
langbehaarten Ziege, die dann besonders zahlreich in Begleitung
römischer Kultur in das Gebiet nördlich der Alpen eindrang. Hier hat
sie sich wie der Molosserhund und das kurzköpfige Rind, die sich
zum Bernhardinerhund und zum Eringerrind umgestalteten, als ein
Relikt aus der Römerzeit ziemlich rein in den entlegenen Tälern des
Oberwallis in der ~schwarzhalsigen Walliserziege~ erhalten, die ein
ausgesprochenes Gebirgstier ist. Der kräftig gebaute Körper trägt in
beiden Geschlechtern im Vorderkörper eine tiefschwarze, im Hinterkörper
eine schneeweiße Behaarung, wobei die beiden Farben hinter der Schulter
in senkrechter, scharfer Begrenzung zusammenstoßen. Die Klauen der
Vorderfüße sind schwarz, diejenigen der Hinterfüße dagegen weiß. Der
Rücken ist vollkommen gerade, der Hals und der Kopf kurz, die Stirne
breit. Neuerdings wird diese Rasse vom Oberwallis aus stark nach
Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich verbreitet.

Durch Zucht bedeutend weniger verändert und der Wildform noch recht
nahe stehend ist die ~gemsfarbige Ziege~ von mittlerer Größe, dabei
von kräftigem Bau. Ihr ganzer Körper ist mit kurzen, gemsfarbenen
Haaren bedeckt, die auf dem Rücken und an den Schenkeln mitunter länger
werden. Außer dem schwarzen Rückenstreifen sind Gesicht, Vorderbrust
und Schultern ebenfalls dunkler gefärbt als der übrige Körper. Sie ist
vorzugsweise eine äußerst geschickt kletternde Bergziege, die in den
Zentralalpen sehr verbreitet ist, aber auch in anderen Gebirgsgegenden
Europas, so in den Pyrenäen, in Süditalien, Griechenland, Bosnien und
den Balkanländern, gehalten wird.

Während diese beiden Ziegenrassen der Wildform ähnliche Hörner tragen,
ist die ~hornlose Ziege~ als Kulturrasse offenbar aus der vorigen
hervorgegangen, und zwar schon im frühesten Altertum, da sie bereits
von den alten Griechen und Römern gehalten wurde und als besonders
milchergiebig galt. Diese zielbewußte Wegzüchtung des Gehörns ist hier
wie beim Rind sehr wohl begreiflich; denn dem Menschen mußten die
Hörner als Werkzeuge zu Zerstörung und Angriff bald unbequem sein,
und außerdem wollte er den Organismus des von ihm vor allen Gefahren
beschützten Haustiers vor aller Ausgabe von unnützem Bildungsstoff
bewahren. Der mittelgroße Körper dieser hornlosen Ziege weist
regelmäßige Formen auf mit verhältnismäßig langem Kopf, breiter Stirn
und aufrechten oder etwas hängenden Ohren. An ihrem Halse kommen häufig
glöckchenartige Anhängsel vor, die, wie wir hörten, bereits Columella
erwähnt. Die Behaarung ist fein, am Rücken und Schenkel verlängert;
die Färbung wechselt von Hellbraun bis zu Weiß. Stirn und Nasenrücken
sind meist hellbraun, auch kommt ein dunkler Rückenstreifen vor. Diese
Rasse ist in den schweizerischen Bergländern stark verbreitet. Am
geschätztesten ist die ~Toggenburger Ziege~ von brauner Färbung, die
aber als Rückschlagserscheinung bisweilen ein feines Gehörn besitzt.
Dieser Schlag gilt als sehr milchergiebig und wird aus dem St. Galler
Oberland stark nach Baden, Bayern, Sachsen und Holland exportiert. Die
ebenfalls hornlose ~Saanenziege~ ist rein weiß oder gelblichweiß mit
gleichfarbenem Flotzmaul und kommt in kurz- und langhaarigen Abarten
vor. Sie stammt vom Oberlauf des Flüßchens Saane im Obersimmental
(Berner Oberland) und hat sich über die ganze Schweiz verbreitet,
da sie durchschnittlich 4 Liter Milch täglich gibt. Auch sie wird
viel nach dem Auslande zur Aufbesserung der heruntergekommenen
Stallziege oder zur Reinzucht exportiert. So wird sie in Reinzucht vom
Ziegenzuchtverein in Pfungstadt gezogen und an Liebhaber in Deutschland
verkauft.

Alle diese europäischen Rassen werden hauptsächlich der Milchnutzung
wegen gehalten und verdienen in der Tat als Milchlieferanten der
ärmeren Bevölkerung die weiteste Verbreitung. Da, wo sie das ganze Jahr
im Stall bleiben und ohne sachgemäße Pflege behandelt werden, sind sie,
besonders im Tiefland, weitgehend degeneriert. In den Mittelgebirgen
dagegen, z. B. im Harz, wo sie wenigstens im Sommer auf die Weide
getrieben werden, haben sich mit dem freieren, naturgemäßeren Leben
schon bessere Schläge erhalten. Da aber, wo sie, wie in der Schweiz,
den größten Teil des Jahres im Freien zubringen und im Gebirge, ihrem
Lebenselement, herumklettern können und man ihrer Zucht von jeher
größere Aufmerksamkeit schenkte, da treffen wir die weitaus edelsten,
milchergiebigsten Rassen, die zur Reinzucht oder zur Auffrischung der
verkommenen Schläge des Tieflandes die weiteste Verbreitung verdienen.
Das hat man auch überall in Deutschland erkannt und handelt danach.
Wenn es gelänge, durch Verbesserung des in Deutschland vorhandenen
Ziegenmaterials von etwa 3 Millionen Stück einen Mehrertrag von auch
nur einem halben Liter Milch pro Exemplar und Tag zu erzielen, so
würde damit das Nationalvermögen in Deutschland nach Ulrich um nicht
weniger als 30 Millionen Mark jährlich erhöht. Deshalb sollten nicht
nur Private, sondern vor allem auch die Kommunen und der Staat zur
Veredlung dieses so nützlichen Haustieres das ihrige beitragen.

Mit vollem Recht schreibt der Direktor des Berliner Zoologischen
Gartens, _Dr._ Heck, im Tierreich: „In unserem Vaterland und den
anderen europäischen Ländern ist die Ziege zwar überall zahlreich
vorhanden, aber was sachgemäße Züchtung und Behandlung anlangt,
neben dem Geflügel entschieden das am meisten vernachlässigte
Haustier. In unserer zünftigen Landwirtschaft sieht man sie nicht
so recht für voll an; die ‚Kuh des armen Mannes‘ nennt man sie halb
scherzweise, halb verächtlich. Ich möchte aber diesen Spottnamen
vielmehr als einen Ehrennamen in Anspruch nehmen: Kann es denn etwas
Wichtigeres geben als ein milchergiebiges und billig zu haltendes
Haustier für den kleinen Mann, den kleinen Bauer, den Handwerker
und Tagelöhner auf dem Dorfe, den Fabrikarbeiter in der Vorstadt?!
Gerade heutzutage, wo durch den Zustrom nach den Städten immer größere
Massen des Volkes ins Proletariertum hinabsinken, das kein Heim
mehr hat und nichts mehr sein Eigen nennt! Wie wohl täte die fette
Ziegenmilch dem hohläugigen Armenkinde der Großstadt, das seinen
Hunger notdürftig mit minderwertiger Abfallsnahrung stillen muß! Das
ist freilich nicht zu verwundern, daß unter der ‚Pflege‘ der Armut
bei kargem Futter, in schlecht verwahrtem Stall aus der Hausziege die
fast sprichwörtliche ‚magere Zicke‘ wurde, deren Haltung kaum mehr
lohnt; um so verdienstlicher ist es aber, wenn seit einigen Jahren
landwirtschaftliche (Gräfin v. Mirbach-Sorquitten) und industrielle
Kreise (meine Landsleute Dettweiler und Ulrich) die Bedeutung der Ziege
für das Volkswohl erkannt und ihre Verbesserung energisch in die Hand
genommen haben.“

Verhältnismäßig selten wird in Deutschland die Ziegenmilch zu Butter
und Käse verarbeitet. Letzterer wird in Altenburg und anderswo,
besonders auch in der Schweiz, in bis tellergroßen Scheiben von
Fingerdicke auf den Markt gebracht und mit Kümmel und Salz gewürzt
gegessen. Die bei der Gerinnung des Käsestoffs ablaufende zucker-
und nährsalzreiche grünlichgelbe Flüssigkeit, die Molke, wird noch
vielfach als Heilmittel für Brustkranke verwendet. Erwachsen kommt
die Ziege als Schlachttier wenig in Betracht, obschon die Haut ein
vorzügliches Leder für Damenschuhe und feinere Sattlerarbeiten
liefert und die Därme für Saiten von Musikinstrumenten sehr gesucht
sind. Schon Karl der Große befahl den Verwaltern seiner Güter, nicht
bloß Herden von Milchziegen, sondern auch von Böcken zu halten,
deren Hörner und Felle ihm abgeliefert werden sollten. Damals wurde
auch das Fleisch der Böcke gern gegessen, teils frisch, teils aber
geräuchert. Besonders aber dienten und dienen heute noch die Zicklein,
soweit man sie nicht aufziehen will, als leckerer Braten. Außer dem
trefflichen Fleisch liefern sie das beste Material für die Herstellung
von Glacéhandschuhen, für die allein aus der Schweiz nach Frankreich,
wo in Grenoble -- dem alten Gratianopolis -- in der Dauphinée das
Hauptzentrum für diesen Fabrikationszweig besteht, jährlich etwa 300000
Stück ausgeführt werden. Die Ziegenhaare werden nur noch ausnahmsweise
verarbeitet, dagegen dienen Ziegenfelle den Hirten auf Korsika und
Sardinien als Bekleidung.

Überhaupt ist die Hausziege am stärksten im gebirgigen Südeuropa von
Spanien bis Griechenland und Zypern vertreten und ist ihre Zucht
hier in manchen Gegenden wichtiger als die Schafzucht. Auch in den
Gebirgstälern der östlichen Karpathen, in Siebenbürgen, in den
österreichischen, schweizerischen und französischen Alpen ist die Ziege
ein gemeines Haustier. Nach Fankhauser beträgt in der Schweiz die Zahl
der Stallziegen etwa 180000, der Herdgeißen, die täglich ausgetrieben
werden, 164000 Stück und der während des Sommers in den Alpen
gesömmerten Ziegen ungefähr 65000 Stück. In Süd- und Mitteldeutschland
hat die Ziegenzucht in neuerer Zeit eine Zunahme erfahren, während sie
in Nordeuropa in Abnahme begriffen ist. Ganz unbedeutend ist sie in
England, etwas mehr in Schottland, reich dagegen in Irland vertreten.
In Frankreich läßt sich ein Rückgang ihrer Zucht feststellen, mit
Ausnahme der südlichen Departemente. In ganz Europa werden reichlich 20
Millionen Ziegen gehalten.

Wie in Europa finden sich die Ziegen von Bezoarabstammung auch in
Nordafrika und Westasien. Im tropischen Afrika sind sie zu einer
Kümmerform degeneriert, die wir als ~Zwergziege~ vom äußersten Osten
bis zur Westküste in verschiedenen Schlägen antreffen. Einzelne
derselben, wie besonders diejenigen Westafrikas, erinnern in ihrer
Färbung ganz an unsere gemsfarbige Ziege. Ihre dem heißen Klima
entsprechende kurze Behaarung ist rotbraun mit schwarzem Rückenstreifen
und dunkler Schulterbinde; andere neigen stark zu Leucismus, wie die
blendend weiße ~Somaliziege~, die aber als Erbstück der Stammform
sehr häufig einen schwarzen Rückenstreifen sowie eine über die Stirn
und zwei über die Augen verlaufende dunkle Binden beibehalten hat.
Alle diese Zwergziegen sind kurzbeinig und gehörnt, doch bleibt
das Gehörn stets kurz. Ebenfalls ein kurzes, nach hinten und außen
in einem Halbbogen verlaufendes Gehörn mit meist scharfer vorderer
Kante hat die gleichfalls von der Bezoarziege stammende ~Mamberziege~
Westasiens, deren Ausgangspunkt vermutlich Syrien ist, von wo aus
deren Zucht sich über den Orient verbreitete. Sie unterscheidet sich
von allen anderen Ziegenrassen durch die ungeheuer langen Hängeohren,
die die Kopflänge um das Doppelte übertreffen. Der gestreckte Kopf
ist in der Stirngegend sanft gewölbt, der Hals ziemlich lang, der
Leib von stattlicher Größe und hochgestellt. Die Behaarung erscheint
am Kopf kurz, am übrigen Körper sehr lang, zottig und seidenartig
glänzend. Die Färbung ist einförmig weiß, auch gelbbraun oder schwarz.
Das Verbreitungsgebiet dieser Ziegenrasse, die offenbar schon sehr
alt sein muß, da sie bereits Aristoteles bekannt war, erstreckt sich
vom Mittelmeer bis nach Persien und Mittelasien hinein. Hier grenzt
an sie eine andere, meist kleinere Ziegenrasse, die sich durch lange
Behaarung und schraubenartiges Gehörn auszeichnet und sich damit als
Abkömmling einer in den Bergen Afghanistans und Kaschmirs lebenden
Wildziege, der ~Schraubenziege~ oder des ~Markhor~ (_Capra falconeri_)
erweist. Es ist dies ein Gebirgstier von der Größe eines Steinbocks mit
gerade verlaufendem, korkzieherartig gedrehtem, zweikantigem Gehörn,
das eine Länge von 1,5 _m_ erreicht und bei gewissen Varietäten nach
hinten und außen gebogen ist. Das fahlbraune Haarkleid ist auf dem
Rücken und am Vorderkörper stark verlängert. Ungleich den Steinböcken,
die sich an die schwer zugänglichen Felsenlabyrinthe des Gebirges
halten, liebt der Markhor Wälder mit felsigem Boden, in denen er sich
so viel wie möglich versteckt; nur gelegentlich kommt er auf offenes
Gelände hinaus. Wie andere Ziegen, gleich denen er in Herden lebt,
hält er sich mit Vorliebe an steilen Felsklippen auf. In Afghanistan,
wo Wälder meistens fehlen, wird er in steinigen Schluchten und an
steilen Berglehnen gefunden, von wo ihn nur starker Schneefall den
Tälern zutreibt. Er klettert vortrefflich und sein Weibchen bringt
im Mai-Juni 1 oder 2 Junge zur Welt. Wiederholt hat sich der Markhor
erfolgreich mit Hausziegen gepaart. Sein Verbreitungsgebiet erstreckte
sich früher wahrscheinlich weiter nach Westen und reichte vielleicht
bis zu den Bergen im Osten von Persien. Am frühesten tritt uns ein
Abkömmling dieser innerasiatischen Wildziege in einem in Nordbabylonien
ausgegrabenen Bronzekopf aus dem Anfang des zweiten vorchristlichen
Jahrtausends entgegen. Auch aus späterer Zeit sind Darstellungen oft
langhaariger Ziegen mit langem, schraubenartig gewundenem, geradem
Gehörn und Bart auf uns gekommen, so auf Bildern aus der ersten Hälfte
des letzten vorchristlichen Jahrtausends, auf denen assyrische Krieger
sie als Beute vor sich hertreiben. Durch ihre Schlappohren und die
geringe Größe erweisen sie sich als weitgehend durch Domestikation
veränderte Haustiere.

Diese Hausziege von Markhorabstammung drang dann mit der Zeit nach
Syrien und Ägypten vor, erhielt sich aber hier nicht rein, sondern
wurde weitgehend mit der Mamberziege gekreuzt. Diese Kreuzungsprodukte,
die sich teilweise durch Mopskopf und außerordentlich lange Ohren
auszeichnen, so daß letztere gelegentlich gestutzt werden müssen, damit
sie die Tiere nicht am Weiden hindern, sind heute von Ägypten über ganz
Vorder- und Mittelasien verbreitet.

In reiner Form hat sich die Hausziege von Markhorabstammung nur in der
~Kaschmirziege~ erhalten, die die eigentliche Hausziege Innerasiens
ist. Auch sie ist gegenüber ihrem freilebenden Stammvater bedeutend
kleiner geworden. Sie ist ein gefällig gebautes Tier von beinahe 1,5
_m_ Gesamtlänge und 60 _cm_ Schulterhöhe mit einer ihrer kalten Heimat
Tibet entsprechenden dichten Behaarung. Ein langes, feines Grannenhaar
überdeckt die kurze, flaumartig weiche Wolle. Die Färbung wechselt, ist
oft einfach weiß, gelb, braun oder schwarz; häufig sind die Kopfseiten,
der Hals und Kehlbart schwarz, die übrigen Teile des Körpers aber
silberweiß. Der gestreckte Leib ist dick; der kurze Kopf trägt nicht
sehr lange hängende Ohren und in beiden Geschlechtern Hörner, die beim
Männchen sehr lang und wie bei der Stammform schraubenförmig gedreht
sind, von der Wurzel an auseinanderweichen und in schiefer Richtung
auf- und rückwärts, beim Weibchen dagegen fast gerade verlaufen. Ihr
Stammland ist das Hochland von Tibet von Ladak bis Lhassa. Von da an
reicht ihr Verbreitungsgebiet über Buchara bis zum Lande der Kirgisen
einerseits und bis in die Mongolei andererseits. Neuerdings wurde
sie auch in das Gebiet der Südabhänge des Himalaja nach Bengalen
eingeführt. In Kaschmir selbst lebt sie nicht, sondern dort wird
nur ihre aus Tibet stammende Wolle zu den feinen Kaschmirschals
verarbeitet, die einst Weltruf besaßen und früher als ein äußerst
gesuchter Handelsartikel in Menge exportiert wurden. Unter der
Herrschaft des Großmoguls sollen 40000 Schalwebereien in Kaschmir
bestanden haben. Doch sank dieser wichtige Erwerbszweig im Laufe des
vergangenen Jahrhunderts so sehr herab, daß viele tausend Menschen,
denen die Weberei ihren Lebensunterhalt verschaffte, aus Mangel an
Arbeit aus dem Lande auswanderten.

Höchst schädigend auf diese Industrie wirkte die Tatsache, daß
Frankreich vor etwa hundert Jahren die Fabrikation dieser feinen
Wollwaren bei sich einführte. Der französische Arzt Bernier, der im
Jahre 1664 im Geleite des Großmoguls Kaschmir bereiste, erfuhr als
erster Europäer, daß zwei Ziegenarten, eine wild lebende und eine
gezähmte, solche Wolle liefern. Ein einzelnes Tier liefert 0,3-0,4 _kg_
brauchbaren Wollflaums. Am gesuchtesten ist das reine Weiß, das in der
Tat den Glanz und die Schönheit der Seide besitzt.

Als Ternaux zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Schalweberei in
Frankreich einführte, kam er auf den Gedanken, statt der teuren
Kaschmirwolle die Kaschmirziegen selbst zu beschaffen. Zur Erreichung
dieses Zweckes bot sich ihm ein gewisser Jaubert an, der sich 1818 nach
Odessa einschiffte. Hier erfuhr er, daß die Nomadenstämme zwischen
Astrachan und Orenburg Kaschmirziegen hielten; er reiste zu ihnen,
überzeugte sich durch genaue Untersuchung des Flaums von der Echtheit
der Tiere und kaufte 1300 Stück an. Diese Herde brachte er nach Kaffa
in der Krim, schiffte sich mit ihr ein und landete im April 1819 in
Marseille. Aber nur 400 Stück der Herde hatten die lange, beschwerliche
Seereise ausgehalten, und diese waren so angegriffen, daß man wenig
Hoffnung hatte, Nachzucht von ihnen zu erhalten. Namentlich die Böcke
hatten sehr stark gelitten und gingen in der Folge auch tatsächlich
ein. Glücklicherweise sandten darauf fast zu gleicher Zeit die
französischen Naturforscher Diard und Duvaucel einen kräftigen Bock
der Kaschmirziege, den sie in Indien zum Geschenk erhalten hatten, an
den Tiergarten zu Paris. Er wurde der Stammvater all der zahlreichen
Kaschmirziegen, welche gegenwärtig in Frankreich leben und diesem Lande
jährlich 16 Millionen Mark einbringen. Von Frankreich aus kam dann die
Kaschmirziege auch nach Österreich und Württemberg; doch erhielt sich
leider hier die Nachzucht nicht.

Eine hochgezüchtete Form der langhaarigen Mamberziege, die, wie wir
sahen, weitgehend Blut der Kaschmirziege in sich aufnahm, ist die
~Angoraziege~, ein schönes, großes Tier von gedrungenem Körperbau,
mit starken Beinen, kurzem Hals und Kopf, mit Hängeohren, aber nicht
korkzieherartig gewundenem Gehörn, wie sie es als teilweiser Abkömmling
der Kaschmirziege tragen könnte. Beide Geschlechter tragen Hörner. Die
des Bockes sind scharf gekantet und hinten stumpf zugespitzt, stehen
gewöhnlich wagrecht vom Kopfe ab und bilden eine weite, doppelte
Schraubenwindung, deren Spitze sich nach aufwärts richtet. Das Weibchen
trägt kleinere, schwächere, einfach gebogene, runde Hörner. Nur das
Gesicht, die Ohren und der unterste Teil der Beine sind mit kurzen,
glatt anliegenden Haaren bedeckt; der übrige Körper trägt eine überaus
reichliche, dichte, feine, weiche, seidenartig glänzende, lockig
gekräuselte Behaarung von meist gleichmäßiger weißer Farbe. Selten
zeigen sich auf dem weißen Grunde dunkle Flecken. Im Sommer fällt das
Vlies in großen Flocken aus, wächst aber sehr rasch nach. Französische
Züchter fanden, daß ein Vlies zwischen 1,25 und 2,5 _kg_ wiegt.

Ihren Namen trägt diese Ziegenrasse nach der kleinen Stadt Angora im
türkischen Paschalik Anadoli in Kleinasien, der schon im Altertum
hochberühmten Stadt Ankyra. Ihre Heimatsgegend ist trocken und heiß
im Sommer, jedoch sehr kalt im Winter, obwohl dieser nur 3-4 Monate
dauert. Erst wenn es keine Nahrung mehr auf den Bergen gibt, bringt
man die Ziegen in schlechte Ställe; das ganze übrige Jahr müssen sie
auf der Weide verweilen. Sie sind höchst empfindlich, obwohl die
schlechte Behandlung nicht dazu beiträgt, sie zu verweichlichen. Reine,
trockene Luft ist zu ihrem Gedeihen eine unumgänglich notwendige
Bedingung. Während der heißen Jahreszeit wäscht und kämmt man das Vlies
allmonatlich mehrere Male, um seine Schönheit zu erhalten. Die Zahl
der in Anatolien gehaltenen Angoraziegen wird auf eine halbe Million
geschätzt. Auf einen Bock kommen etwa 100 Ziegen und darüber. Angora
allein liefert fast 1 Million _kg_ Wolle, die einem Wert von 3,8
Millionen Mark entsprechen. Ein Teil davon wird im Lande selbst zur
Herstellung starker Stoffe für die Männer und feinerer für die Frauen,
sowie auch zu Strümpfen und Handschuhen verarbeitet, alles übrige geht
nach England. Man hat beobachtet, daß die Feinheit des Mohairs, wie man
diese Art Wolle bezeichnet, mit dem Alter seiner Erzeuger abnimmt.

Die erste Notiz, die auf Angoraziegen deutet, findet sich bei dem
Venezianer Barbaro, der 1471 diese Ziegen bei Sert östlich von
Diarbekr in Kleinasien antraf. Dort benutzte man deren Haare zur
Verfertigung eines feinen Wolltuchs, des Camelots, dessen Name
andeutet, daß es ursprünglich aus Kamelwolle hergestellt wurde. Dann
hat Bellon um 1580 diese weiße Wollziege in der Nähe von Konia,
dem alten Iconium, gesehen und erzählt 1589 in seinem in Antwerpen
erschienenen lateinischen Werke, daß sie noch nicht geschoren, sondern
nach dem älteren Verfahren gerupft werde. 1598 sah sie der deutsche
Harant auf Zypern und sagt, daß es damals schon welche in Böhmen gab.
Es scheinen dies nach Ed. Hahn die 1575 nach Wien gekommenen „Schafe
von Anguri“ gewesen zu sein, deren Zucht dann in den Kriegswirren
des folgenden Jahrhunderts unterging. Im 18. Jahrhundert hat sie
dann ein Mitglied der fürstlichen Familie von Lichtenstein wieder
eingeführt. 1725 hatten die Holländer sie am Kap der Guten Hoffnung zu
akklimatisieren versucht; 1740 hatte man sie in Schweden, 1771 in der
Pfalz und 1788 in Holland, England, Venezien usw. Zu derselben Zeit
bemühte sich Buffon um ihre Einführung in Frankreich, und in Südrußland
waren sie damals nach Pallas sogar sehr häufig. Aber alle diese
Kulturen verschwanden später wieder spurlos, teils durch Entartung der
Zuchttiere, teils aber auch weil die technische Verwendbarkeit der
Haare nicht den hohen auf sie gestellten Erwartungen entsprach.

Weniger edle Zuchten der Angoraziege als im trockenen Hochland findet
man an anderen Orten Kleinasiens bis in die Tartarei. Deren ebenfalls
feines, langes Haar wird regelmäßig geschoren und hauptsächlich nach
Konstantinopel ausgeführt und in europäischen Fabriken verwoben. Eine
Abart davon wird in Persien von den dort häufig gehaltenen großen,
schwarzen oder gefleckten Ziegen gewonnen, deren Wolle regelmäßig
geschoren und zu Teppichen verarbeitet wird. Die Bergvölker verwenden
zur Bereitung der von ihren Frauen gewebten Teppiche das Haar der
sogenannten ~Murgüsziege~. In ganz Innerasien wird, wie oben gesagt,
die Kaschmirziege gehalten, deren langes Haar dort einen wichtigen
Handelsartikel bildet. In Tibet und in der Mongolei dient das Tier
auch als Transportmittel, indem man die Herden, mit Salz oder einem
andern Handelsartikel beladen, langsam weitertreibt. Nach Norden hin
verschwindet es und bildet bei den russischen Bauern in Sibirien nur
eine untergeordnete Rolle, ist dagegen in den Kaukasusländern stark
verbreitet. Seit dem Ende der 1880er Jahre gelangen als „japanische
Ziegenfelle“ ziemlich große Felle der langhaarigen ~Mongolenziege~ über
China zu uns.

Wie in Afrika ist die Ziege auch in Südasien ein wichtiges Haustier. In
manchen Gegenden Ostindiens, wie besonders an der Malabarküste und bei
den Malaien der Sundainseln, trifft man eine eigentümliche Ziegenrasse
mit schafartigem Kopf, die von allen übrigen Rassen abweicht.
Diese hat jedenfalls ziemlich viel Blut vom ~Tahr~ (_Hemitragus
jemlaicus_) in sich, einer stattlichen, im Äußeren der echten Ziege
sehr ähnlichen Halbziege, die im Himalaja in Höhen von 2000-2300 _m_
lebt, aber in einer Abart auch auf den Blauen Bergen vorkommt. Dieses
die hochgelegenen Bergwälder seiner Heimat bewohnende Tier erreicht
eine Schulterhöhe von 0,9-1,0 _m_ und eine Körperlänge von 1,45 _m_.
Es hat einen langen Kopf mit schmalem, geradem Gesicht und schwach
quergerunzelte, stark zusammengedrückte 0,3-0,38 _m_ lange Hörner, die
sich von der Wurzel an auseinander und stark nach rückwärts krümmen,
an der Spitze jedoch einander etwas nähern. Es ist am Kopfe kürzer, am
Körper länger behaart und trägt als alter Bock eine zottige Halsmähne.
Die dunkelbraune Färbung geht im Gesicht und an der Vorderseite der
Gliedmaßen fast in Schwarz über, auch läuft ein dunkles Längsband über
den Rücken. Junge Tiere sind graubraun. Gleich den echten Ziegen bildet
auch der Tahr Herden, in denen sich die im Winter paarenden Tiere,
deren Weibchen im Juni oder Juli in der Regel je ein Junges werfen,
den größten Teil des Jahres über nach den Geschlechtern getrennt
halten. Da er sich leicht mit der Hausziege paart und, wie mehrfache
Versuche ergaben, unschwer zu zähmen ist, ist das Auftreten von
Bastarden, die zu neuer Rassenbildung führten, durchaus verständlich.
Ein solches Produkt ist die von Ostindien bis Celebes gehaltene
~Malaienziege~, ein hochbeiniges Tier mit entschieden schafartigem
Kopf, breiten, hängenden Ohren und einem mäßig langen, im Bogen sich
nach hinten wendenden, auffallend dicken Gehörn mit gerundeten Kanten.
Die Querwülste der Hornscheiden erscheinen regelmäßig, breit und
niedrig. Der wie derjenige des Tahr dunkelbraune, kurzbehaarte Kopf mit
schwarzer Stirnbinde und kastanienbraunen, schwarz eingefaßten Ohren
trägt lichtgelbbraune Augen, während der Leib schwarz oder schiefergrau
gefärbt und bald kurz, bald lang und zottig behaart ist. Derselben
Rasse gehört offenbar auch die ~kreuzhörnige Ziege~ von Tibet an, bei
welcher sich die Hornspitzen nach innen wenden.

Amerika hat seine Ziegen durch die Europäer erhalten, und zwar waren
Spanier und Portugiesen, dann Engländer und Franzosen an deren Import
beteiligt. Erstere haben sie aus ihrer Heimat nach Südamerika,
letztere dagegen nach Nordamerika gebracht. Nach Garcilasso kamen
sie bereits 1544 nach Peru. Bedeutend früher waren sie in Mexiko
eingeführt, das heute besonders in den nördlichen Staaten Ziegen in
großer Zahl züchtet, um deren an der Luft getrocknetes Fleisch und
Felle in den Handel zu bringen. In den Vereinigten Staaten ist die
Ziegenzucht beschränkt, doch hat sich neuerdings in Kalifornien die
Angorazucht eingebürgert. Auf den Antillen wird neben der von den
Spaniern importierten gemeinen Hausziege auch die von den Negersklaven
aus Westafrika mitgebrachte Zwergziege, die dem Tropenklima gut
angepaßt ist, gehalten. Ebenso ist es in Brasilien, wo die Zwergziege,
wie ihre westafrikanische Stammutter, kurzgehörnt ist und glatt
anliegendes gelbrotes Haar besitzt mit einem über den Rücken
verlaufenden schwarzen Streifen. Peru hat auffallenderweise heute nur
wenig Ziegen, dagegen sind sie in den gebirgigen Teilen Chiles und
Argentiniens zahlreich und hat dort die Verwertung von deren Fleisch
und Fellen einen ziemlichen Umfang angenommen.

Australien hat sein Ziegenmaterial erst zu Ende des 18. Jahrhunderts,
um 1788, zuerst aus Europa, dann aus Südasien erhalten; neuerdings
hat man dort auch Versuche mit der Einbürgerung der Kaschmir- und
Angoraziege gemacht, die im gebirgigen Südwesten von Erfolg begleitet
waren. Sehr gut eingelebt hat sich die Angoraziege in Neuseeland, deren
Bergweiden ihr vortrefflich zusagen. In den letzten Jahren hat sich der
Export ihrer Wolle aus jenem Lande bedeutend gehoben.

Da sich die Ziege gegenüber dem Schaf durch größere Selbständigkeit
auszeichnet, ist es erklärlich, daß sie sich gern selbständig macht
und dann verwildert. Als geschickt kletterndes Gebirgstier weiß sie
sich dabei geschickt den Verfolgungen von seiten des Menschen zu
entziehen. So gab es schon im Altertum wie heute noch verschiedene
schwach oder gar nicht von Menschen bewohnte Inseln im Mittelmeer und
im Persischen Meerbusen, ebenso manche Gebirgsgegenden des Festlandes,
die von solchen verwilderten Ziegen bewohnt waren. So spricht Varro
von wilden Ziegen der Insel Samothrake, wie auch von den Gebirgen
von Fiscellum und Tetrica in Italien, die zweifellos nur verwilderte
Hausziegen und keine wildlebenden Bezoarziegen waren. Verschiedene der
ägäischen Inseln und der Italien umsäumenden Eilande bargen schon im
Altertum solche verwilderte Ziegen; von andern, die ihren Namen davon
erhielten, wie Capreae (das heutige Capri) und Capraria (das heutige
Capreja bei Sardinien), sind sie heute verschwunden. Auch die von
Garibaldi nach seiner Internierung 1867 zurückgelassenen Ziegen traf
Heinrich v. Maltzan schon nach kurzer Zeit verwildert. Die meisten
wilden Ziegen von allen Mittelmeerinseln hat die nicht beständig von
Menschen bewohnte kleine Insel Tavolara bei Sardinien, auf der nach
Cetti bei Jagden im 18. Jahrhundert bis 500 Stück erlegt wurden. Auch
in Irland und Wales verwilderten in manchen Gebirgsgegenden Ziegen, die
dann in wenigen Generationen viel größere Hörner als ihre zahmen Ahnen
erhielten.

Von den afrikanischen Inseln sind eine ganze Reihe mit verwilderten
Ziegen besetzt. Die ältesten sind wohl diejenigen von Teneriffe, wo
sie die Flanken des Vulkanberges bewohnen und die dunkelbraune Farbe
des dortigen Gesteins angenommen haben. Von Fuerteventura, einer
andern der Kanaren, erwähnt sie J. v. Minutoli. Älteren Datums sind
auch die verwilderten Ziegen der Kapverden, die schon im Jahre 1576
sehr zahlreich waren. Der Naturforscher der Challengerexpedition,
Moseley, traf sie auf St. Vincent; auch dort hatten sie die Farbe des
umgebenden Gesteins angenommen und waren rotbraun geworden. Bald nach
der Entdeckung setzten Portugiesen -- vielleicht 1509 Fernan Lopez --
Ziegen auf St. Helena aus, wo sie sich sehr rasch vermehrten, so daß
ein Einsiedler im 16. Jahrhundert deren jährlich etwa 500 schoß, um
von ihrem Fleisch zu leben, während er die Felle an ankehrende Segler
verkaufte. Thomas Herbert erzählt 1627, daß sie durch die beständigen
Nachstellungen von seiten des Menschen ungemein scheu und vorsichtig
geworden waren und, wie ihre wilden Vorfahren, Wachen ausstellten.
Zweifellos haben sie neben den verwilderten Schweinen das meiste dazu
beigetragen, nachdem diese Insel des einst sie bedeckenden Waldes
vom Menschen beraubt war, durch beständiges Abnagen der Knospen und
jungen Triebe den jungen Nachwuchs zu zerstören, so daß kein Baumwuchs
mehr aufkam und das Eiland zu dem öden Felsen wurde, als der er uns
heute entgegentritt. Auch Tristan da Cunha, Inaccessible, Mauritius,
Réunion (schon 1691 bei der Anwesenheit Leguats), die kleine verlassene
Inselgruppe Amsterdam und St. Paul, wie auch Sokotra bergen in den
Gebirgen des Innern verwilderte Ziegen, die vollkommene Wildfärbung
mit Ausmerzung aller hellen Töne angenommen haben. Gleicherweise gibt
es in der Inselwelt der Südsee da und dort verwilderte Ziegen, so
u. a. am Mauna Loa auf Hawaii, noch von Vancouver herrührend. Besonders
bekannt sind die verwilderten Ziegen auf der Insel Juan Fernandez
durch Defoes Robinson geworden. Diese waren von Juan Fernandez selbst
bei der Entdeckung der Insel im Jahre 1563 ausgesetzt worden. Durch
diese Wildziegen bot die Insel in der Folge allen möglichen Piraten-
und Kaperschiffen eine bequeme Ruhe- und Verproviantierungsstation;
so haben sie auch dem Urrobinson Alexander Selkirk, dem Seefahrer
Dampier und andern Fleisch geliefert. Im 17. Jahrhundert sollen
französische Seeräuber dort sogar einen regelrechten Herdenbetrieb
eingerichtet haben. Um den Piraten diese angenehme Fleischversorgung
abzuschneiden, setzte die spanische Regierung 1675 Hunde auf der Insel
aus, die sich aber nicht bewährten; denn die Ziegen flüchteten sich
in die unzugänglichsten Teile der Insel, wohin ihnen die Hunde nicht
folgen konnten. Als dann die Hunde durch Nahrungsmangel umgekommen
waren, vermehrten sich die Ziegen wieder ungestört. Sie sollen
lange, weiche Haare besitzen. Auch auf der Schwesterinsel Masa fuera
gibt es verwilderte Ziegen. Auf den Galapagos sind sie, durch die
dort vorhandenen wilden Hunde beschränkt, nur gering an Zahl. Auf
den Falklandsinseln, wo es wilde Pferde und wilde Rinder gibt, die
aus einer von Argentinien ausgesandten verunglückten Kolonisation
hervorgingen, fehlen wilde Ziegen, da die Spanier bei der Besiedelung
der Insel offenbar keine solchen mitgebracht hatten.

Da die Ziege durch ihre besondere Neigung zu Knospen und jungen Trieben
von Holzgewächsen überall dem Waldnachwuchse verhängnisvoll wird, sah
sich schon 1567 das Parlament von Grenoble gezwungen, in einem großen
Bezirk der Dauphinée das Halten der Ziegen ganz zu verbieten. Doch war
diese Maßregel undurchführbar, da die Leute dort eben einfach nicht
ohne die Ziege und deren Milch leben können. So ging die Waldzerstörung
ruhig weiter, bis die ganze Gegend zu jener kahlen, alles Kulturlandes
baren Felswildnis wurde, die zu verhängnisvollen Überschwemmungen und
Murbrüchen Veranlassung gab. Auch in Italien, Istrien, Griechenland,
Kreta, Zypern, Kleinasien und Syrien, die einst reichbewaldete
Gebiete waren, ist der Baumwuchs durch die Sorglosigkeit des Menschen
verschwunden. Und wenn auch da, wo infolgedessen der Humus nicht
weggeschwemmt wurde, neuer Wald wachsen könnte, kommt er überall dort
nicht auf, wo die Ziegen weiden und die jungen Baumpflanzen zugrunde
richten.

Außer den drei genannten ist keine der andern, übrigens auf die
gebirgigen Gegenden der Alten Welt beschränkten Wildziegen gezähmt und
in den Dienst des Menschen gestellt worden. Einzig der ~Steinbock~
(_Capra ibex_), der in unsern Alpen auszusterben droht, ist mit der
Hausziege gekreuzt worden, um sein Dahinschwinden aufzuhalten. Alle
Steinbockarten der europäischen wie der asiatischen Gebirge haben
als echte Hochgebirgstiere ihren Ausgang von Hochasien genommen, wo
der ~sibirische Steinbock~ (_Capra sibirica_) der Stammform wohl
am nächsten steht. Sein Verbreitungsgebiet erstreckt sich über das
sämtliche Hochgebirge Zentralasiens von Sibirien bis zum Himalaja. Das
Steinwild bildet Rudel von verschiedener Stärke, zu denen sich die
alten Böcke nur während der Paarungszeit gesellen, während sie den
übrigen Teil des Jahres ein einsiedlerisches Leben führen. Die Ziegen
und Jungen leben zu allen Jahreszeiten in einem niedrigeren Gürtel
als die Böcke, bei denen der Trieb nach der Höhe so ausgeprägt ist,
daß sie nur Nahrungsmangel und grimmige Kälte zwingen kann, tiefer
herabzusteigen. Mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit und geradezu
unverständlicher Sicherheit klettern sie über die steilen Felswände und
springen über tiefe Abgründe von einer Klippe zur andern.

Früher, als es noch Steinböcke in unsern Alpen gab, paarten sie
sich nicht selten freiwillig mit den auf den Alpenweiden grasenden
Hausziegen. Die so erzielten Bastarde werden bald äußerst wilde,
zudringliche Tiere, die dem Menschen keine Ruhe lassen, bis er sich
ihrer auf irgend welche Weise entledigt. Aber selbst das Aussetzen
dieser starken Tiere hat seine großen Schwierigkeiten. Echte
Alpensteinböcke gibt es nur noch in einem vom Könige von Italien
gehegten savoyischen Revier zwischen Monte Rosa und Mont Blanc. Nach
den Kulturüberresten der Pfahlbauzeit lebte er damals noch in den
Voralpen. Zur Römerzeit konnten noch hundert und mehr auf einmal für
die Kampfspiele der Arena lebendig gefangen werden. So berichtet Julius
Capitolinus, daß Kaiser Gordian im Jahre 242 für die Jagdspiele 200
Steinböcke (_ibex_) aus den Alpen nach Rom schaffte, und bei Flavius
Vopiscus lesen wir, daß Kaiser Probus (reg. 276-282) zu den Jagdspielen
zahlreiche Steinböcke nach Italiens Hauptstadt befördern ließ. Durch
die rücksichtslose Jagd seit Erfindung der weitreichenden Schießgewehre
ist dieses edle Wild heute fast überall ausgerottet worden. Seit
hundert Jahren ist es in der Schweiz erloschen; in Salzburg und Tirol
verschwand es noch ein Jahrhundert früher.



IV. Das Schaf.


Wohl bald nach der Ziege trat das ~Schaf~ in den Haustierstand des
Menschen ein, überflügelte dann aber im Laufe der Zeit jene an
wirtschaftlicher Bedeutung weit. Vielerorts ist es dem Gebirge, in dem
seine Ahnen einst heimisch waren, getreu geblieben und erscheint dort
meist in Gesellschaft der Ziege. Daneben hat es in der Gefolgschaft des
Menschen in ungeheuren Scharen die trockenen Steppengebiete vornehmlich
der Alten Welt bevölkert und ist hier zu einem eminenten Faktor im
Haushalte des Menschen geworden, von dem sein Dasein in vielen Fällen
geradezu abhängt. Daß der Erwerb dieses überaus genügsamen Haustieres
schon in recht früher Vorzeit stattgefunden haben muß, dafür sprechen
außer der weiten geographischen Verbreitung zu Beginn der historischen
Periode die Spaltung in zahlreiche, stark voneinander abweichende
Rassen und vor allem die völlige Umgestaltung des geistigen Charakters,
die durch Vererbung so sehr gefestigt ist, daß keinerlei Rückschlag
in die psychische Regsamkeit der wilden Ahnen möglich erscheint. So
sehr hat es infolge der vielhundertjährigen Bevormundung durch den
Menschen im Gegensatz zur Ziege alle eigene Initiative eingebüßt, daß
es sein willenloses Werkzeug geworden ist. Wir begreifen daher, wenn
Brehm seinen Charakter in folgender Weise schildert: „Das Hausschaf
ist ein ruhiges, geduldiges, sanftmütiges, einfältiges, knechtisches,
willenloses, furchtsames und feiges, kurzum ein langweiliges Geschöpf.
Besondere Eigenschaften vermag man ihm kaum zuzusprechen; einen
Charakter hat es nicht. Es begreift und lernt nichts, weiß sich
deshalb auch allein nicht zu helfen. Nähme es der eigennützige Mensch
nicht unter seinen ganz besonderen Schutz, es würde in kürzester Zeit
aufhören zu sein. Seine Furchtsamkeit ist lächerlich, seine Feigheit
erbärmlich. Jedes unbekannte Geräusch macht die ganze Herde stutzig,
Blitz und Donner, Sturm und Unwetter überhaupt bringen sie gänzlich
aus der Fassung und vereiteln nicht selten die größten Anstrengungen
des Menschen.“

In den Steppen von Rußland und Asien haben die Hirten oft viel zu
leiden. Bei Schneegestöber und Sturm zerstreuen sich die Herden, rennen
wie unsinnig in die Steppe hinaus, stürzen sich in Gewässer, selbst in
das Meer, bleiben dumm an einer und derselben Stelle stehen, lassen
sich widerstandslos einschneien und erfrieren, ohne daß sie daran
dächten, irgendwie vor dem Wetter sich zu sichern oder auch nur nach
Nahrung umherzuspähen. Zuweilen gehen Tausende an einem Tage zugrunde.
Auch in Rußland benutzt man die Ziege, um die Schafe zu führen; allein
selbst sie ist nicht immer imstande, dem dummen Tiere die nötige
Leitung angedeihen zu lassen. Beim Gewitter drängen sie sich dicht
zusammen und sind nicht von der Stelle zu bringen. „Schlägt der Blitz
in den Klumpen,“ sagt Lenz, „so werden gleich viele getötet; kommt
Feuer im Stalle aus, so laufen die Schafe nicht hinaus und rennen wohl
gar ins Feuer. Ich habe einmal einen großen, abgebrannten Stall voll
von gebratenen Schafen gesehen; man hatte trotz aller Mühe nur wenige
retten können.“ Das beste Mittel, Schafe aus ihrem brennenden Stalle
zu retten, bleibt immer, sie durch die ihnen bekannten Schäferhunde
herausjagen zu lassen.

In gewissem Grade bekundet freilich auch das Schaf geistige Befähigung.
Es lernt seinen Pfleger kennen, folgt seinem Rufe und zeigt sich
einigermaßen gehorsam gegen ihn, scheint Sinn für Musik zu haben, hört
mindestens aufmerksam dem Gedudel des Hirten zu, empfindet und merkt
auch Veränderungen der Witterung vorher. Diese Unselbständigkeit des
Schafes hat auch zur Folge, daß es niemals, sich selbst überlassen,
wie die Ziege verwildert, sondern stets hilflos zugrunde geht. Seine
grenzenlose Dummheit trug auch schuld daran, daß früher, solange
es auch bei uns welche gab, Wölfe so schlimm unter diesen Tieren
hausten, wenn sie einmal eine Schafherde überfielen oder die Hürden
durchbrachen. Diesen Stumpfsinn muß es schon vor 2000 Jahren besessen
haben; denn Plinius sagt in seiner Naturgeschichte: „Das Schafvieh ist
ausgezeichnet dumm. Scheut sich die Herde irgendwohin zu gehen, so
braucht man nur eins am Horne hinzuziehen, so folgen die andern alsbald
nach.“

Das Schaf liebt trockene und hochgelegene Gegenden mehr als niedere und
feuchte. Am besten gedeiht es, wenn es verschiedenerlei getrocknete
Pflanzen haben kann. Getreidefütterung macht es zu fett und schadet
der Güte der Wolle. Salz liebt es sehr, und frisches Trinkwasser ist
ihm ein unentbehrliches Bedürfnis. Die alten Römer ließen ihre Schafe
zwischen Mai und Juni zur Paarung; in unsern nördlicheren Breiten
geschieht dies von September bis Oktober. Dann werden die Lämmer, weil
das Schaf 144-150 Tage trächtig geht, in der zweiten Hälfte des Februar
geworfen und bekommen bald gutes, frisches Futter. Gewöhnlich bringt
das Mutterschaf nur ein einziges Lamm zur Welt; zwei Junge sind schon
ziemlich, drei sehr selten. Anfangs müssen die kleinen Tiere sorgfältig
gegen Witterungseinflüsse geschützt werden, später dürfen sie mit auf
die Weide gehen. Im ersten Lebensmonat brechen die Milchzähne durch,
im sechsten Monat stellt sich der erste bleibende Backenzahn ein, im
zweiten Lebensjahre fallen die beiden Milchschneidezähne aus und werden
durch bleibende ersetzt; erst im fünften Jahre werden die vorderen
Milchbackenzähne gewechselt und ist damit das Zahnen beendet. Das
Schaf kann 14 Jahre alt werden, doch fallen ihm schon im 9. oder 10.
Jahre die meisten Zähne aus, wodurch es unbrauchbar wird, weshalb es
dann so rasch als möglich gemästet und geschlachtet werden muß. Alle
Schafrassen lassen sich leicht untereinander kreuzen und pflanzen
sich ohne Schwierigkeit fort; deshalb läßt sich das Schaf leicht
veredeln. Es ist Wollieferant, aber auch hervorragendes Fleischtier
geworden, selbst als Milchtier hat es an manchen Orten eine gewisse
Bedeutung erlangt; daneben wird es auch zum Tragen von Lasten benutzt.
In einzelnen Kulturkreisen, besonders da, wo eine Abneigung gegen das
Schwein vorhanden ist, wird es speziell auf Fett gezüchtet. In diese
letzte Kategorie gehören die bei allen Nomaden Asiens und Afrikas so
beliebten Fettschwanz- und Fettsteißschafe.

Erst neuerdings ist einige Klarheit in die Herkunft der verschiedenen
Schafrassen gekommen, die aus vier Quellen, nämlich einer
nordostafrikanischen, einer westasiatischen, einer zentralasiatischen
und einer südeuropäischen hervorgingen. Der Bildungsherd der ganzen
Schafgruppe, die sich in geologisch gesprochen erst neuerer Zeit vom
Stamme der Antilopen abzweigte, liegt offenbar in Asien, von wo sich
die einzelnen Glieder über die gebirgigen Teile von Asien, Europa und
das westliche Nordamerika verbreiteten. Alle Wildschafe sind echte
Gebirgstiere, die sich nur in bedeutenden Höhen wohlzufühlen scheinen
und teilweise über die Schneegrenze emporsteigen. Als solche sind
sie geistig begabt, sie schätzen die Gefahr ab und verteidigen sich
mit Mut. Die meisten derselben lassen sich, jung eingefangen, ohne
Mühe zähmen und behalten ihre Munterkeit wenigstens durch einige
Geschlechter bei, pflanzen sich auch regelmäßig in der Gefangenschaft
fort. An Leute, die sich viel mit ihnen abgeben, schließen sie sich
innig an, folgen ihrem Rufe, nehmen gern Liebkosungen an und können
einen so hohen Grad von Zähmung erlangen, daß sie mit andern Haustieren
auf die Weide gesandt werden dürfen, ohne solch günstige Gelegenheit
zur Erlangung ihrer Freiheit zu benützen. Ihr Haarkleid ist ein nicht
sehr langes, etwas grobes Grannenhaar, unter welchem im Herbst zum
Schutze gegen die Kälte ein Wollkleid hervorsproßt, das im Frühjahr in
Fetzen und Flocken abgelöst und durch Schütteln des Tieres entfernt
wird. Unter dem Einfluß der künstlichen Züchtung hat sich bei den
Hausschafen ein dauerndes, vliesartiges Wollkleid entwickelt, das
den Wildschafen, aber auch gelegentlich zahmen Schafen fehlt. Ihr
Schädel erscheint an der Stirn abgeflacht und trägt ein im Querschnitt
dreikantiges Gehörn, das spiralig verläuft und bei den Böcken stark,
bei den Weibchen nur schwach oder gar nicht ausgebildet ist. Das Euter
der letzteren ist vierzitzig.

In Mitteleuropa erscheint das Hausschaf bereits in neolithischer Zeit,
und zwar in einer merkwürdig kleinen Art, mit einer Schädelbildung und
Hörnern, die mehr ziegenartig sind und an unsere heutigen Halbschafe
erinnern. Es ist dies das ~Torfschaf~ (_Ovis aries palustris_),
nach dem Finden seiner Überreste in den meist in vertorftes Gelände
eingebetteten Pfahlbauüberresten so genannt. Schon L. Rütimeyer fiel
es auf, daß seine Reste in den ältesten Pfahlbauten noch spärlich sind
und erst später häufiger werden. Diese Tatsache konnte Th. Studer
bestätigen. Erst mit der Bronzeperiode macht sich ein entschiedener
Aufschwung der Schafzucht bemerkbar, indem damals zum erstenmal statt
der althergebrachten Fell- und Pelzkleidung leichtere und angenehmer zu
tragende Wollkleider bei den Bewohnern Mitteleuropas aufkamen, unter
denen man allerdings ein grobgewebtes leinenes Hemd zu tragen pflegte.

Das Torfschaf der Neolithiker Mitteleuropas war ein kleines, fast
zwergartiges Schaf mit feinen, schlanken Extremitäten, langgestrecktem,
schmalem Schädel, wenig gewölbter Stirnfläche und zweikantigen
ziegenartigen Hörnchen. Die Augenhöhlen traten verhältnismäßig
wenig vor. Im Jahre 1862 machte dann L. Rütimeyer die überraschende
Tatsache bekannt, daß das Torfschaf der Pfahlbauern noch nicht ganz
erloschen sei, sondern in einem direkten und nur wenig abgeänderten,
aber jetzt im Aussterben begriffenen Abkömmling in dem ~Bündner~-
oder ~Nalpserschaf~ weiterlebe. In dem vom Weltverkehr abgelegenen
Bündner Oberlande hat sich dieses lebende Überbleibsel der schon
längst abgelaufenen Pfahlbauzeit, nebst den Nachkommen des sonst
überall verschwundenen Torfschweines der Neolithiker, bis auf unsere
Tage erhalten. Die osteologische Übereinstimmung der Schädel beider
Schafarten ist in der Tat eine höchst frappante. Die wichtigsten,
wohl durch Domestikationsveränderungen zu erklärenden Abweichungen
bestehen in einer ziemlich deutlichen Wölbung der Stirn und in einem
weniger steilen Abfall des Hinterhauptes. Die knöchernen Hornzapfen
sind bei beiden identisch, doch scheint das darauf gewachsene Gehörn
beim Nalpserschaf etwas kleiner geworden zu sein. Die Ohren sind bei
letzterem abstehend, verhältnismäßig klein, aber sehr beweglich. Das
Wollkleid ist dicht, aber wenig lang, so daß der Wollertrag ungünstig
ausfällt. Die vorherrschende Färbung desselben ist silbergrau,
eisengrau, dunkelbraun bis ganz schwarz. Dunkle Exemplare haben häufig
einen weißen Kopfstern und weiße Abzeichen an Schwanz und Füßen.

Der durch fortgesetzte planmäßige Zuchtwahl bei den übrigen moderneren
Schafrassen erzielte Leucismus ist also bei diesem noch nicht erreicht
worden. Das durchschnittliche Lebendgewicht desselben beträgt 28
_kg_. Der geistige Charakter der Tiere nähert sich als überaus
altertümliches Merkmal demjenigen der Ziege. An Lebhaftigkeit in den
Bewegungen, an Zutraulichkeit und natürlicher Intelligenz übertrifft
diese Rasse alle andern Schafrassen. Während Rütimeyer noch Herden
derselben aus den Nalpser Alpen erwähnt, hatte C. Keller 40 Jahre
später (im Sommer 1900) Mühe, in Disentis noch ein gutes Exemplar
reiner Rasse aufzutreiben. Am meisten soll diese Rasse zurzeit noch
in den Vriner Alpen angetroffen werden, geht aber auch dort ein, da
sie nach den Mitteilungen des bündnerischen Alpinspektors Solèr in
Vrin gegenwärtig stark mit Walliserschafen gekreuzt wird. Nur wenige
Ställe wiesen 1902 noch reines Blut auf. Keller hat damals noch eine
kleine Kolonie reinrassiger Tiere beziehen können, die gegenwärtig
im Tierpark des Sihlwaldes bei Zürich angesiedelt sind. Eine zweite
Kolonie dieser letzten Mohikaner hat man in Flims untergebracht, um
auch in Bünden noch eine Zuchtfamilie zu erhalten. Übrigens sollen auch
einzelne primitive Schafrassen Irlands Zusammenhänge mit dem alten
Torfschaf aufweisen. Auch wäre es möglich, in den abgelegenen Bergen
Albaniens noch Überreste dieser sonst überall als an Wolle quantitativ
und qualitativ minderwertigen und deshalb abgeschafften Schafrasse
zu finden, worauf hiermit etwaige Reisende aufmerksam gemacht werden
sollen.

[Illustration:

  Tafel 21.

Mähnenschaf im Tierpark Hellabrunn zu München.

(Nach einer Photographie van M. Obergaßner.)]

[Illustration:

  (_Copyright by M. Koch, Berlin._)

Muflon.]

[Illustration:

  Tafel 22.

Schieferplatte der vorhistorischen Negadazeit Ägyptens im Museum von
Gizeh, oben mit Darstellungen eines bantengartigen Hausrindes, darunter
von Eseln mit dem Schulterkreuz und zu unterst von sehr altertümlichen
Hausschafen, die schon durch die noch vorhandene Halsmähne als
Abkömmlinge des Mähnenschafes gekennzeichnet sind.]

[Illustration:

  Tafel 23.

Altägyptische Darstellungen von Stieren und Widdern aus Sakkarah, 26.
Dynastie, 663-526 v. Chr.]

[Illustration:

  Tafel 24.

Steppenschaf (_Ovis arkal_).

(Nach Keller, Die Abstammung der ältesten Haustiere.)]

[Illustration: Mykenische Schafe auf einer Elfenbeinschnitzerei von
Menidi.

(Nach Perrot und Chippiez.)]

Schon Rütimeyer hatte die Abstammung des Torfschafes vom
nordafrikanischen ~Mähnenschaf~ (_Ovis tragelaphus_) vermutet, aber
sein Material war noch zu dürftig, um diesen Beweis zu erbringen.
Namentlich fehlten ihm die vermittelnden Glieder, die nun der Züricher
Zoologe Prof. Konrad Keller so glücklich war, aufzufinden. Wir wissen
nun, daß tatsächlich das Mähnenschaf der wichtigste Stammvater des
neolithischen Torfschafes ist. Es verdient daher hier an erster Stelle
besprochen zu werden. Es ist das äußerlich ziegenähnlichste Wildschaf,
das über das ganze nordafrikanische Gebirge verbreitet zu sein scheint.
Es ist ein stattliches Tier von oft über 90 _cm_ Schulterhöhe und mit
trefflicher Schutzfärbung den gelblichen Kalkfelsen seiner Heimatberge
angepaßt. Es hält sich hier immer an der der Wüste zugewandten Seite
auf. Mehrere Tage kommt es ohne Wasser aus. Da es aber schließlich
gezwungen ist, von Zeit zu Zeit zur Tränke zu gehen, alle Tränken
jedoch von den Beduinen mit ihren Ziegenherden in Anspruch genommen
werden, hat es, um zum Ziele zu kommen, die Kunst des Versteckens in
ungewöhnlichem Grade ausgebildet. Die arabischen Beduinen, die es oft
genug hören, ohne es zu sehen, nennen es Arni, wir dagegen gaben ihm
den Namen Mähnenschaf, weil das sonst kurze, graugelbe, bei alten
Böcken dunklere, schwärzlich gesprenkelte Fell vom Kinne ab sich zu
einer im männlichen Geschlecht schließlich bis zur Erde herabwallenden,
im weiblichen dagegen nur schwach ausgebildeten Vorderhalsmähne
entwickelt. Verlängerte Haarbüschel hängen auch an den Vorderläufen vom
Ellbogen herab. Daher der französische Name _mouflon à manchettes_.
Die meisten von uns kennen dieses Tier aus den zoologischen Gärten, in
denen es sich gut halten läßt und leicht fortpflanzt! Nicht nur das
geradlinige Profil, das dunkelgefärbte, verhältnismäßig hochstrebende
Gehörn und der gerade ausgestreckte, flache, unterseits nackte, oben
büschelförmig behaarte Schwanz geben ihm, besonders im weiblichen
Geschlecht, etwas Ziegenartiges, sondern es fehlen ihm auch wie
bei diesen im Gegensatz zu den übrigen Schafen Tränengruben und
Tränendrüsen.

Bereits im Jahre 1561 beschrieb Cajus Britannicus das Mähnenschaf,
dessen Fell ihm aus Mauretanien gebracht worden war. Erst im 19.
Jahrhundert erwähnten es wieder Pennaut und später Geoffroy. Letzterer
fand es in der Nähe von Kairo im Gebirge auf; andere Forscher
beobachteten es am oberen Nil und in Abessinien. Am häufigsten scheint
es noch im Atlas aufzutreten. Der Franzose Buvey schreibt über
dieses Tier: „Das Mähnenschaf wird im südlichen Algerien von den
Einheimischen im allgemeinen Arni genannt. Unzweifelhaft wird es in den
höheren Teilen des Gebirges, im marokkanischen Atlas, noch häufiger
sein als in Algerien, da Abgeschiedenheit vom menschlichen Verkehr,
welche jenen Teil des Gebirges auszeichnet, einem Wiederkäuer nur
zusagen kann.

Das Mähnenschaf liebt die höchsten Felsengrate der Gebirge, zu denen
man bloß durch ein Wirrsal zerklüfteter Stein- und Geröllmassen
gelangen kann; deshalb ist seine Jagd eine höchst mühselige, ja oft
gefährliche. Dazu kommt, daß sie nicht viel Gewinn verspricht; denn es
lebt meist einzeln, und nur zur Paarungszeit, welche in den November
fällt, sammeln sich mehrere Schafe und dann auch die Böcke, halten
einige Zeit zusammen und gehen hierauf wieder auseinander ihres Weges.
Die Araber sind große Liebhaber des Fleisches dieser Wildschafe. Das
Fleisch steht dem des Hirsches sehr nahe. Aus den Fellen bereiten die
Araber Fußdecken; die Haut wird hier und da gegerbt und zu Saffian
verwendet.

Obwohl das Mähnenschaf zu den selteneren Tieren gezählt werden muß,
wird es doch manchmal jung von den Gebirgsbewohnern in Schlingen
gefangen und dann gewöhnlich gegen eine geringe Summe an die
Befehlshaber der zunächstliegenden Militärstationen abgegeben. Im
Garten des Gesellschaftshauses zu Biskra befand sich ein solches
junges Tier, das an einer 5 _m_ hohen Mauer, der Umzäunung seines
Aufenthaltsortes, mit wenigen, fast senkrechten Sätzen emporsprang,
als ob es auf ebener Erde dahinliefe, und sich dann auf dem kaum
handbreiten First so sicher hielt, daß man glauben mußte, es sei völlig
vertraut da oben.“

Irgendwo in Oberägypten muß in frühneolithischer Zeit dieses
Mähnenschaf gezähmt und in den Haustierstand erhoben worden sein.
Eine Schieferplatte des Museums von Gizeh aus der vorägyptischen
Negadazeit aus der Mitte des vierten vorchristlichen Jahrtausends
zeigt neben Rind und Esel starkgehörnte Hausschafe, die nach Keller
wegen der noch vorhandenen Halsmähne ihrer Herkunft nach direkt auf
das Mähnenschaf zurückweisen. Dieses Hausschaf der Negadazeit leitet
direkt zum ältesten Hausschaf der Ägypter des Alten Reiches (2980 bis
2475 v. Chr.) über, das auch in späterer Zeit, so in Gräbern von Beni
Hassan aus der 12. Dynastie (2000-1788 v. Chr.) mehrfach abgebildet
wird. Damals, zur Zeit des Mittleren Reiches (2160-1788 v. Chr.) kommen
bereits drei verschiedene Schläge dieser alten Rasse nebeneinander vor.
Erst im Neuen Reich (1580-1205 v. Chr.), da an die Stelle der früheren
Abgeschlossenheit infolge der wiederholten Feldzüge und ausgiebiger
Handelsverbindungen eine regere Fühlung mit den vorderasiatischen
Kulturreichen begann, wanderte eine neue asiatische Schafrasse in
Ägypten ein, die nach und nach, wohl infolge der Gewinnung von mehr und
besserer Wolle, die Oberhand gewann und die älteren Schafrassen von
Mähnenschafabstammung verdrängte. Die damals mit großer Kunstfertigkeit
in harten Stein gehauenen Widder, die in ganzen Reihen vor den
Tempeln (z. B. von Karnak bei Theben) aufgestellt wurden und von
beiden Seiten die Prozessionsstraße einfaßten, sind zweifellos diesen
höher gezüchteten und deshalb höher geschätzten neuen asiatischen
Abkömmlingen nachgebildet.

[Illustration: Bild 18. Altägyptisches Hausschaf des alten Reichs.

(Nach Darstellungen in Beni Hassan.)]

Von Ägypten aus kam teils durch Überfälle und damit verbundenem
Raub, teils durch Tauschhandel das altägyptische Schaf von
Mähnenschafabstammung nach dem Innern Arabiens, wo es heute noch
bei den konservativen Beduinen wenig verändert als ~Nedjeschaf~
gehalten wird, dann über Syrien und Kleinasien oder durch den
regen Schiffsverkehr direkt zu den Vorläufern der Träger der alten
Inselkultur des griechischen Archipels, den Mykenäern oder Minoern,
die im zweiten vorchristlichen Jahrtausend eine sehr hohe, weitgehend
von den Kulturen Vorderasiens und Ägyptens beeinflußte Kultur besaßen.
Wir wissen heute aus verschiedenen Funden von Schafdarstellungen aus
dieser mykenischen Zeit, daß die Träger der späteren Inselkultur
ein dem Torfschaf der Mitteleuropäer sehr ähnliches Hausschaf mit
ziegenartigem Gehörn besaßen und dieses dank ihren Handelsverbindungen
sehr frühe an die verschiedenen Stämme Europas weitergaben. So ist in
einer Zeit, die vielleicht vor diejenige des Alten Reiches in Ägypten
fällt, das ziegenähnliche Hausschaf des Niltals bis zu den noch länger
in der Steinzeit verharrenden Stämmen Mitteleuropas gelangt.

Auf einer mykenischen Elfenbeinschnitzerei, die 1879 in einem aus
der Zeit jener alten Inselkultur stammenden Kuppelgrabe von Menidi
in Attika gefunden wurde, sind sehr langköpfige zahme Schafe mit
ziemlich langem Schwanz und ziegenartig zweikantigem, hinter dem
Hals gebogenem, starkem Gehörn abgebildet, die durchaus afrikanische
Mähnenschafabstammung verraten. Ganz dieselbe eigentümliche Bildung
zeigen vier Schafköpfe, die in einen in Vaphio ausgegrabenen Amethyst
aus mykenischer Zeit eingraviert sind. Es kann also durchaus kein
Zweifel obwalten, daß die Schafrasse der Mykenäer vom Niltale, mit dem
sie rege Handelsverbindungen unterhielten, stammte. Von dort gelangte
diese zu den weiter nördlich wohnenden Stämmen, nachdem sie irgendwo
mit Schafrassen asiatischer Abstammung gekreuzt war, was ja bei deren
höherer Leistungsfähigkeit sehr nahelag.

[Illustration: Bild 19. Nach der Aussaat über den Acker getriebene
Schafe im alten Ägypten. Diese sollten mit ihren Füßen die Samenkörner
in den Boden treten.

(Nach Wilkinson.)]

Schon um die Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends wurde auch
dieses Haustier neben dem andern Vieh in größeren Herden im gebirgigen
Griechenland gehalten. In der Ilias spielen die Bergweiden mit den
Scharen braunroter Rinder, weißer oder schwarzer Schafe und den „sich
weit ausbreitenden Herden der meckernden Ziegen“ eine so wichtige
Rolle, daß die Herrensöhne selbst als Oberaufseher dahin gesandt
werden. Auf einer solchen Bergweide sprach Alexandros (Paris) den
drei aufeinander eifersüchtigen Göttinnen das berühmte Urteil, das
seinem Volke so verderblich werden sollte. In der Verkleidung eines
Herrensohnes, der die Herden des Vaters beaufsichtigt, tritt Athene
dem heimkehrenden Odysseus entgegen. Auf der Bergweide weidet nach dem
homerischen Epos das Vieh tagsüber von bewaffneten Hirten und starken
Hunden bewacht. Mit einem Stabe, den er wirft, verhindert der Hirt, daß
sich die Tiere zu sehr zerstreuen. Am Abend werden die Herden in feste
Pferche oder Ställe eingetrieben. Dort werden wie die Kühe und Ziegen,
auch die Schafe gemolken, und in der Höhle des Zyklopen ist nach der
Beschreibung des Odyssee eine regelrechte Käserei eingerichtet, in der
die Milch seiner Schafe verwertet wird. Außerdem ist an den Schafen
das Fleisch und vor allem die Wolle wertvoll. Damals war der Löwe
noch mehr als der Wolf der Feind der Viehzucht, mit dem manch harter
Kampf ausgefochten wurde. Auch der schleichende Panther wurde den
Herden gefährlich und mit Hilfe einer Hundemeute wurden auch auf ihn
Treibjagden abgehalten.

Während das nordafrikanische Mähnenschaf, die Stammform der Rasse, ein
stattliches Tier von 1,55 _m_ Länge darstellt, ist das im Bündnerschaf
uns mehr oder weniger rein erhaltene Torfschaf der Neolithiker
durchschnittlich nur 0,84 _m_ lang. Diese Verkleinerung der Rasse ist
wohl Folge der schlechten Haltung und nicht in dem Sinne zu deuten, wie
es Keller tut, der sagt: „Wir dürfen aber annehmen, daß die Auslese die
kleinen Tiere begünstigte, weil sie für die Wanderung günstiger waren.
Andere Schafrassen zeigen ja auch starke Größenunterschiede, asiatische
und afrikanische Rinder weisen neben Riesenformen auch eigentliche
Zwergformen auf.“

Der wichtigste Unterschied im Schädelbau des Mähnenschafes und des
davon abzuleitenden Torf- beziehungsweise Bündnerschafes besteht darin,
daß letzteres eine, wenn auch seichte Tränengrube besitzt, die ersterem
völlig abgeht. Diese Eigentümlichkeit kann nur dadurch erklärt werden,
daß das Torf- und das davon abstammende Bündnerschaf auf ihrem Wege
vom Niltal nach Mitteleuropa etwas Blut der alsbald zu besprechenden
Hausschafe von asiatischer Abstammung erhielt, die alle dadurch
gekennzeichnet, daß sie wie ihr wilder Stammvater eine Tränengrube
besitzen. Sonst steht die allgemeine Bildung des Schädels beim Torf-
und Bündnerschaf wegen ihres ziegenartigen Charakters dem Mähnenschaf
viel näher als irgend einem echten Wildschaf, nur die Stirnbeine sind
beim Mähnenschaf flach, beim Torf- und Bündnerschaf dagegen gewölbt,
was entweder Folge der Domestikation oder der Kreuzung mit asiatischen
Schafrassen sein kann. Wie das Mähnenschaf das langgeschwänzteste
Wildschaf ist, ist auch das Torf- wie das Bündnerschaf langschwänzig.

Von dem zum Teil hängeohrigen altägyptischen Hausschaf von
Mähnenschafabstammung sind nur wenig veränderte Nachkommen im von
den Nubierstämmen am oberen Nil, vorzugsweise den Dinkas, gehaltenen
~Dinkaschaf~ noch am Leben. Dieses trägt noch als Reminiszenz an
seinen Ahnen einen mähnenartig an Hals und Vorderbrust herabfallenden
Haarmantel; der übrige Körper ist kurz behaart, wie auch der lange,
dürre Schwanz. Sein Gehörn ist durchaus ziegenartig, indem die kurzen,
kräftigen Hörnchen sich dem Hals entlang scharf nach hinten wenden, um
eine halbmondförmige Krümmung zu beschreiben. Die Färbung ist meist
rein weiß, teilweise auch rotbraun oder weiß und schwarz gefleckt.
Georg Schweinfurth fand dieses Schaf außer bei den Dinkas auch bei den
Nuër und Schilluknegern.

Ein anderer Abkömmling des altägyptischen Hausschafes ist das ebenfalls
stark bemähnte und vorwiegend weiß gefärbte ~Fezzan-~ oder ~libysche
Schaf~. Dessen dürrer Schwanz trägt am Ende wie sein Ahnherr, das
Mähnenschaf, eine an einen Kuhschwanz erinnernde große Quaste.

Ganz den Charakter des altägyptischen Schafes, wie es uns an den
Wänden der Grabkammern und als hieroglyphisches Zeichen abgebildet
entgegentritt, weist das in den Gegenden am oberen Lauf des Niger
lebende ~Nigerschaf~. Dieses ist hochbeinig, besitzt einen Kopf
mit Hängeohren und kleinen Ziegenhörnern und trägt ebenfalls am
Vorderkörper an die Mähne des Mähnenschafs und der davon abstammenden
ältesten Hausschafe Ägyptens erinnernde verlängerte Haare. Abkömmlinge
von ihm verbreiteten sich bis nach Senegambien und dem Golf von Guinea.

Zweifellos enthalten auch die ~Senegalschafe~, dann das hochbeinige,
hängeohrige ~Guineaschaf~, das ~Kongoschaf~ und das kropfige
~Angolaschaf~ oder ~Zunu~ vorzugsweise Mähnenschafblut, das aber
mehr oder weniger stark mit solchem vom Fettschwanzschaf asiatischer
Abstammung gemischt ist.

Der Stammvater dieses Fettschwanzschafes, das jetzt durch ganz
Nordafrika, von Ägypten bis Marokko, verbreitet ist und vom Niltal aus
nach Abessinien und zu den Somalis gelangte, wie aller asiatischer
Hausschafe überhaupt, ist das transkaspische ~Steppenschaf~ oder der
~Arkal~ (_Ovis arkal_), der schon in sehr früher Zeit in Westasien
zum Haustier erhoben wurde. Er ist kleiner als das Mähnenschaf, aber
größer als das alsbald zu besprechende südeuropäische ~Muflon~ (_Ovis
musimon_), von dem sich die Heidschnucken und Marschschafe ableiten.
So sind denn die von jenem abstammenden langschwänzigen Hausschafe
durchschnittlich größer als die von letzterem hervorgegangenen
kurzschwänzigen. Am Schädel des Arkal ist wie an demjenigen der
Hausschafe asiatischer Abkunft die Stirne schmal, die Hornzapfen
liegen weiter auseinander wie beim Muflon, das dreikantige Gehörn ist
hellfarbig, regelmäßig gewulstet und zwischen den starken Wulsten tief
eingeschnitten, also mit dem Merinogehörn am meisten übereinstimmend.
Die Tränengruben erscheinen tiefer als bei irgend einer andern Art. Die
Augenhöhlen treten röhrenförmig hervor und sind mit ihrer Achse schief
nach vorn gerichtet, ein Merkmal, das besonders beim chinesischen Schaf
auffällt, das allerdings vorzugsweise ein Argaliabkömmling ist.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Wildschafen Asiens ist der Arkal
kein Hochgebirgstier; er bewohnt vielmehr die niederen Vorberge
und geht selbst bis zur Küste des Kaspischen Meeres herab, dessen
Wasserspiegel bekanntlich unter dem Niveau des Mittelmeeres liegt.
Mehr als alle anderen Wildschafe lebt er in größeren Herden von 60 bis
100, gelegentlich auch 200 Stück; vereinzelte Stücke werden nur selten
angetroffen. Es ist ein wenig scheues, gutmütiges Tier, das sich leicht
jagen und fangen läßt. Kein Wunder also, daß sich der Mensch schon früh
seiner bemächtigte. Von ihm hochgezüchtete ~Fettschwanzschafe~ treten
uns schon auf Reliefdarstellungen des 8. Jahrhunderts v. Chr. entgegen,
so auf einer Platte aus der Zeit Tiglatpilesars II. um 745 v. Chr., die
uns aus einer eroberten jüdischen Stadt durch Soldaten weggetriebene
Schafe mit ansehnlichem Fettschwanz und kleinen Arkalhörnern zeigt.
Solche Schafe, deren Hauptkennzeichen der mittellange, dicke und
sehr breite Fettschwanz bildet, kannte schon der griechische
Geschichtschreiber Herodot im 5. vorchristlichen Jahrhundert. Er
schreibt nämlich: „In Arabien gibt es ganz wunderliche Schafe. Die
eine Rasse hat Schwänze von drei Ellen Länge (= 1,5 _m_), so daß man
den Schwanz eines jeden Schafes auf ein Wägelchen binden muß, damit
er nicht auf der Erde hinschleife, sich da abreibe und verwunde.
Die andere Rasse hat Schwänze, welche eine Elle breit werden.“ Er
meint damit in starker Übertreibung die beiden heute noch in ganz
Westasien gehaltenen Fettschwanz- und Fettsteißschafe. Diesen beiden
Schafarten wurden starke Fettansammlungen im Unterhautzellgewebe des
Hinterteils angezüchtet, die bis 20 _kg_ Gewicht erlangen können. Die
asiatischen Nomaden, denen im Gegensatz zu den Ackerbauern die Haltung
des Schweines als Fettspender in der Steppe unmöglich war, verlegten
sich schon sehr früh darauf, bei Schafen von Arkalabstammung solche
Fettwucherungen zu unterstützen. So erlangten sie das Fettschwanzschaf,
das nach Osten bis Turkestan reicht. Dort greifen sie vielfach in das
Gebiet der alsbald zu besprechenden Fettsteißschafe über und liefern in
den jungen Tieren das als Astrachan, Krimmer oder Persianer geschätzte
Pelzwerk. Dieses wird besonders von den Lämmern der Karakulrasse
gewonnen, die in Chiwa, Buchara und westlich davon bis Astrachan
gehalten wird.

Die Rassen des Fettschwanzschafes mit mittellangem Schwanz, bei denen
der Schwanz höchstens bis zu den Hacken reicht, finden wir auf den
vorhin erwähnten assyrischen Darstellungen des 8. vorchristlichen
Jahrhunderts nie mit einem konvexen, sondern mit einem geraden Profil,
ja auf dem im Berliner Museum befindlichen Feldlager unter Sanherib,
der 705 v. Chr. seinem Vater Sargon als König von Assyrien folgte und
bis 681 regierte, da er von seinen eigenen Söhnen ermordet wurde,
finden wir deren Profillinie sogar etwas konkav. Diese gerade bis
konkave Profillinie, die wir bei allen Wildschafen treffen, zeigt an,
daß das erst mit einem unbedeutenden Fettschwanz versehene Schaf dem
wilden Vorfahren noch recht nahestand. Erst als die Domestikation
stärker eingewirkt hatte, wurde das Gesichtsprofil, wohl als Folge
des Schwächerwerdens des Gehörns, konvex, Verhältnisse, die wir in
gleicher Weise auch bei den Ziegen beobachten. Auch die Hörner, die
vorwiegend beim Widder vorkommen und dem Weibchen gewöhnlich fehlen,
deuten mit Sicherheit auf die Abstammung dieser Tiere vom Arkal, das
als Steppenschaf der Domestikation weit leichter zugänglich war als
eines der Hochgebirgsschafe. Die Hörner des Fettschwanzschafes sind
kurz und halbmondförmig nach hinten und nach der Seite gekrümmt.
Von den hierher gehörenden Rassen unterscheidet man das meist hell
gefärbte, kurzwollige, bucharische Fettschwanzschaf, das von den
Kirgisen und Tataren gehalten wird. Es kommt auch noch in Syrien und
Palästina vor. Sein Fettschwanz erreicht hier teilweise einen solchen
Umfang, daß er, wie Russel aus Syrien berichtet, am untern Ende durch
dünne Brettchen, die gelegentlich mit Rädchen versehen sind, gegen
Verletzungen geschützt wird. So konnte die schon von Herodot gemeldete
Sage aufkommen, der Schwanz der morgenländischen Schafe sei so schwer,
daß er auf Wägelchen gebunden werden müsse, damit sich die Tiere nicht
beim Nachschleifen desselben verletzen. In Ägypten wird es durch das
bis Abessinien verbreitete ägyptische Fettschwanzschaf mit
ziemlich großem Kopf, langen und breiten Hängeohren und nur auf den
Widder beschränktem Gehörn abgelöst. Beim tunesischen und algerischen
Fettschwanzschaf ist der bis zum Fersengelenk reichende, tiefangesetzte
Schwanz nur in seinem oberen Teil mit Fett durchwachsen, gegen die
Spitze hin aber normal. Außer in ganz Nord- und Ostafrika hat sich
dieses Fettschwanzschaf auch in Südafrika eingebürgert.

[Illustration:

  Tafel 25.

Assyrische Fettschwanzschafe aus der Zeit Tiglatpilesars, um 745 v. Chr.

(Nach Keller, die Abstammung der ältesten Haustiere.)]

[Illustration:

  Tafel 26.

Kirgisische Fettschwanzschafe mit ausfallender Winterwolle, von Karl
Hagenbeck in Stellingen importiert.]

[Illustration: Karakulschafe, von Karl Hagenbeck aus Buchara
importiert.]

[Illustration:

  Tafel 27.

Kampf von Widdern des Fettschwanzschafes vor dem Khan von Chiwa.]

[Illustration: Fettschwanzschaf in Chiwa.]

[Illustration:

  Tafel 28.

Widder des Fettschwanzschafes in Chiwa.]

[Illustration:

  Tafel 29.

In England gezogene weiße orientalische Eselhengste, von Karl Hagenbeck
importiert.]

[Illustration: Ägyptischer Hausesel der Onagerrasse.

(Nach Aufnahme von Professor Keller in Die Abstammung der ältesten
Haustiere.)]

[Illustration:

  Tafel 30.

Grauer abessinischer Esel mit deutlich sichtbarem Schulterkreuz und
zebraartiger Querstreifung an den Beinen.

(Aus Karl Hagenbecks Tierpark in Stellingen.)]

[Illustration: Sartenfamilie auf einer säugenden Eselin in Turkestan.

(Nach einer Photographie von Arndt Thorer.)]

Beim anatolischen und syrischen Fettschwanzschaf ist der Fettschwanz
sehr lang und in der Höhe des Sprunggelenkes nach oben gekrümmt.
Diese werden in Kleinasien und Syrien am häufigsten gehalten und
haben vereinzelte Ausläufer bis nach Südeuropa gesandt, so nach der
Balkanhalbinsel, Süditalien und neuerdings (von Algier aus) auch nach
einigen Landstrichen des südlichen Frankreich. Das höchstgezüchtete
Fettschwanzschaf ist das persische, das von ansehnlicher Größe, aber
nicht sehr hoch gebaut ist. Das Vlies ist ziemlich dicht, mit mäßig
langer, gewellter Wolle, die sich nicht zum Versponnenwerden eignet
und deshalb auch kaum je technisch verwendet wird. Die Färbung ist
schmutzigweiß, silbergrau, braunschwarz, oft auch scheckig. Das
bogenförmige Gehörn ist von lichter Farbe, nicht groß, aber in beiden
Geschlechtern vorhanden. Der Fettschwanz ist sehr umfangreich, erreicht
nicht selten den vierten Teil des Gesamtgewichts und wird dann zur
unbequemen Last für das Tier.

Ebenfalls langschwänzig, wie ursprünglich alle Schafe von
Arkalabstammung, aber statt auf Fett- auf Wollnutzung gezüchtet, ist
das ~westasiatische Wollschaf~, der Wolleerzeuger _par excellence_,
dessen Produkt schon im Altertum berühmt war. Bereits zu Beginn des
letzten vorchristlichen Jahrtausends trieben die Phönikier einen
schwunghaften Handel mit feinen und dazu noch prächtig, meist mit
Purpur gefärbten Wollstoffen, für die die Küstenstämme Kleinasiens
und Griechenlands willige Abnehmer waren. Wie vordem in Syrien und
Mesopotamien wurde später dieses Wollschaf namentlich in Kleinasien
gezüchtet und dessen Wolle vorzugsweise über Milet nach Griechenland
ausgeführt. Die griechische Sage läßt ja im Argonautenzuge das goldene
Vlies, d. h. wohl den gelbwolligen Träger desselben, in Kolchis, am
östlichen Ufer des Schwarzen Meeres, holen. Dort muß es also schon
früh Schafrassen mit besonders feiner Wolle gegeben haben, nach deren
Besitz man in Griechenland lüstern war. Später fand über Samos ein
lebhafter Import von hochgezüchteten kleinasiatischen Wollschafen nach
Griechenland statt, wo in der Folge die Zuchtrassen von Epirus und
Attika einen bedeutenden Ruf erlangten. Über Großgriechenland (Sizilien
und Süditalien) gelangten diese edlen Wollschafe asiatischer Abstammung
zu den Römern, die sie weiter nach Westen und Norden brachten. In
der Folge überflügelte die iberische Halbinsel mit ihren trockenen,
der Schafzucht besonders günstigen Hochsteppen in der Schafzucht und
Wollverarbeitung alle übrigen Mittelmeerländer, und Corduba, das
heutige Cordova, wurde das Zentrum der Wollindustrie. Hier züchtete man
nach und nach aus dem asiatischen Blute das Edelschaf, das unter dem
Namen ~Merinoschaf~ weltberühmt wurde.

Das gemeine Landschaf Spaniens ist das Churraschaf von Arkalabstammung,
neben dem schon im Altertum eine Abart mit besonders feiner Wolle
-- wohl aus Kleinasien importiert -- gehalten wurde. Bereits der 66
n. Chr. gestorbene Grieche Strabon berichtet in seinem Werke über
Geographie: „Spanien erzeugt für den Handel herrliche Wolle, feine
Gewänder, und die dortigen Schafböcke werden teuer bezahlt.“ Im
Mittelalter, unter der maurischen Herrschaft, die die Landwirtschaft
so überaus förderte, wurden die Herden dieser Wollschafe noch mehr
veredelt. Später nahmen sich die Großgrundbesitzer und klösterlichen
Verwaltungen der blühenden Schafzucht an. Sie erhielten unter Ferdinand
V., dem Katholischen (geb. 1469, regierte 1479-1516), weitgehende
Privilegien und taten sich zu Mesta genannten Verbänden zusammen, die
sich selbst dem Privatbesitz gegenüber allerlei Rechte anmaßten, so vor
allem dasjenige, ohne Entschädigung an die Eigentümer die Weidewege für
die Wanderschafe über fremden Grund und Boden zu bestimmen. Solches
nehmen sie laut altem Herkommen bis auf den heutigen Tag für sich in
Anspruch. Übrigens hören wir bereits von römischen Schriftstellern, daß
es wie in Spanien, so auch in Italien Wanderherden gab, die den Sommer
im Gebirge und den Winter in der Ebene zubrachten und dabei Rechte
freien Durchzugs besaßen.

Den Winter verbringen die Wanderherden der Merinoschafe meist in
der Estremadura, daneben auch in Andalusien und Neukastilien.
Im Sommer ziehen sie nordwärts nach Altkastilien, Leon, Burgos
usw. Dieses Wanderleben, an dem nur die edlen Zuchten teilnehmen,
wirkt höchst vorteilhaft auf den Gesundheitszustand dieser Schafe
ein. Die minderwertigen Zuchten gleicher Abstammung, wie z. B.
das weitverbreitete, grobwollige Churraschaf, genießen keine
Weideberechtigung und sind daher Standschafe geworden.

Das Wort Merino ist dem Spanischen entlehnt und bezeichnete
ursprünglich einen vom König eingesetzten Richter, der in seinem
Bezirk große Machtbefugnisse ausübte; insbesondere war er ein
Weiderichter, der allerlei Anstände zu schlichten hatte, wenn
die Hirten mit ihren Wanderschafen (_oviejos transhumantes_) von
einer Gegend zur andern zogen. Er war also eine Art Schirmherr der
Schafherden und sein Name wurde später kurzweg auf die Wanderschafe
selbst übertragen. Die Merinoschafe sind mittelgroße Tiere mit
starkem, im Schnauzenteil abgestumpftem Kopf. Das Gehörn ist kräftig
entwickelt, schraubenförmig gewunden, dem Kopfe anliegend und mit
starken Querwülsten versehen. Die Tränengruben sind tief, die Ohren
schmal und zugespitzt, der Hals an der Kehle kropfartig verdickt, der
Körper in den Beinen niedriggestellt. Das starke Wollvlies ist äußerst
dicht und besteht aus Büscheln fein gekräuselter Wolle, die durch eine
Ausschwitzung von Wollfett (Lanolin) verklebt sind.

[Illustration: Bild 20. Der Tuchscherer.

(Nach einem Holzschnitt von Jost Ammann.)]

Diese das ganze Jahr im Freien zubringenden Tiere werden während des
Weidebetriebs im Mai und Juni geschoren, nachher mit dem Stempel des
Eigentümers versehen und zum Schutze der Haut mit einer ockerhaltigen
Salbe bestrichen. Die Wolle wird sortiert, in besondern Waschanstalten
gewaschen und das Wollfett daraus ausgezogen. Seit dem Beginne des 18.
Jahrhunderts breiteten sich die spanischen Merinos nach verschiedenen
europäischen und später auch außereuropäischen Ländern aus, wobei
das Produkt Spaniens zum Teil überholt wurde und berühmte Zuchten
entstanden, wie die Rambouillets, Elektorals und Negrettis. Den
Anfang damit machte Frankreich, indem 1706 eine kleine Zuchtherde
durch Dauberton nach Montbard in Burgund gelangte. Weit wichtiger
war der 1753 vollzogene Import von 400 Merinos zur Errichtung der
Zuchtherde von Rambouillet. Der Transport der Tiere zu Fuß auf dem
Landwege von Altkastilien nach ihrem Bestimmungsorte dauerte volle
4½ Monate. Weiter wurde dann im Departement de l’Aisne der höchst
wertvolle Stamm der Mauchampschafe mit langer, seidenartiger Wolle
herangezüchtet. Im Jahre 1800 gab es in Frankreich bereits über
5000 dieser feinhaarigen Wollschafe. In Deutschland führte zuerst
Sachsen das spanische Edelschaf ein; der erste Transport, bestehend
aus 92 Böcken und 128 Mutterschafen, langte 1765 an. Dem Kurfürsten
Friedrich August zu Ehren erhielten die sächsischen Merinos den Namen
Elektoralschafe. In Preußen erfolgte die Einfuhr 1785. Österreich
gründete 1772 in der Nähe von Fiume eine Pflanzschule spanischer
Schafe; spätere Bezüge gelangten nach Mähren und Ungarn und waren
Veranlassung einer intensiven Zucht. Gleichzeitig führte sie Italien
und 1802 Rußland über Odessa nach dem Steppengebiet im Süden ein. Doch
hatte im letzteren Lande bereits Peter der Große um 1715 deutsche
Schafe zur Verbesserung der Wolle der russischen Schafe kommen lassen.
Schweden hatte die Merinos schon 1753 eingeführt; doch mißglückte der
Versuch völlig, sie in jenem Lande anzusiedeln. Noch großartiger als
hier entwickelte sich die Merinozucht in Steppenländern außerhalb
Europas, besonders in Australien, wo das Schaf, das heute dort das
wichtigste Haustier bildet, erst im Jahre 1788 eingeführt wurde. In
diesem Lande wurde in der Folge die Schafzucht die Grundbedingung des
ganzen ökonomischen Aufschwungs des Landes, trug aber zugleich zum
raschen Verschwinden der Ureinwohner viel bei. Letztere konnten nämlich
in ihren kommunistischen Anschauungen nicht begreifen, daß sie kein
Recht an den Schafen hätten, die doch die ihnen bis dahin zur Nahrung
dienenden Kängurus verdrängten. So begann, als diese sich zur Stillung
des Hungers an den Herden vergriffen, ein mit aller Scheußlichkeit
geführter Vernichtungskrieg gegen sie, die bald zur Ausrottung der
ganzen Rasse aus den Schafzucht treibenden Gegenden führte. Auf den
ausgedehnten grasreichen Weideflächen gediehen die eingeführten Schafe
so gut, daß der europäische Wollmarkt vom australischen Produkte
förmlich überschwemmt wurde. Auch auf Neuseeland nahm die Merinozucht
große Ausdehnung an. Ihr einziger Feind hier ist der mit dem Schwanz
50 _cm_ lange Nestorpapagei, der sich bald daran gewöhnte, den Schafen
große Wunden beizubringen, die vom Schmerz gepeinigten Tiere so lange
zu quälen, bis sie eingingen, und dann von ihrem Fleische zu fressen,
besonders aber deren Nierenfett herauszuholen.

Im Kaplande bürgerte sich die Merinozucht schon 1782 durch Vermittlung
der Holländer ein. In England schlug die Einbürgerung dieser Schafrasse
trotz mehrfacher Versuche fehl. Es scheint, daß das dortige Klima für
sie zu feucht ist; denn die Merinoschafe verlangen trockene Luft und
gedeihen in Steppen am besten. Auf den Sandwichinseln kommen sie nur
mäßig fort, vorzüglich dagegen im Westen der Vereinigten Staaten,
in Argentinien und Uruguay, wo gewaltige Herden dieser geschätzten
Wollerzeuger weiden.

Ein weniger hochgezüchtetes Edelschaf asiatischer Abstammung als
das Merino ist das der Stammform desselben noch recht nahestehende
~Sardenschaf~, das sich auf der Insel Sardinien in einer starken
Kolonie erhielt und augenscheinlich eine sehr alte Form des
Hausschafes darstellt. Ebenfalls weniger veredelte Abkömmlinge des
asiatischen Wollschafes von Arkalabstammung sind die langschwänzigen
~Zackelschafe~, die in beiden Geschlechtern bald merinoartig gewundene,
bald in langgezogener Spirale abstehende Hörner tragen. Von letzteren,
die man als Zackenhörner bezeichnet, haben sie den Namen Zackelschafe
erhalten. Dieser eigenartige Stamm mit grober Wolle nahm seinen
Ausgangspunkt von Südosteuropa. Die wichtigsten Wohngebiete desselben
sind Kreta, Mazedonien und die übrigen Balkanländer, das Donaugebiet
bis nach Ungarn und Siebenbürgen. Das kretische Zackelschaf ist
ziemlich groß mit kräftigen Beinen und vorwiegend schmutzigweißer
Haarfarbe. Die Spitzen des in Spiraltouren nach rückwärts aufstehenden
Gehörns stehen weit auseinander. Ähnlich gebaut, aber etwas kleiner und
mit beinahe wagrecht auseinander stehenden Schraubenhörnern versehen,
die beim Widder länger als beim Mutterschaf sind, ist das ungarische
Zackelschaf. Sein Fleisch gilt als sehr schmackhaft. Die grobe
Wolle wird zu Teppichen, Decken und groben Zeugen verarbeitet. Die
gegerbte Haut liefert ein weiches Leder. Nahe verwandt mit ihm ist das
mazedonische Zackelschaf.

Abkömmlinge der osteuropäischen Zackelschafe drangen früher auch nach
Westeuropa vor. Sie spielten unter den früheren wirtschaftlichen
Verhältnissen eine gewisse Rolle, sind aber gegenwärtig meist stark
im Rückgang begriffen. Dahin gehören das jetzt selten gewordene
bayerische ~Zaupelschaf~, das pommersche und hannoversche ~Landschaf~
und als westlichster Ausläufer das englische ~Norfolkschaf~, das
früher wegen seiner Genügsamkeit eine große Verbreitung besaß. Diesen
Zackelschafen nahe verwandt ist das in der Bergregion des Oberwallis
stark verbreitete, ganz schwarze oder schwarz und weiß gefleckte
~Walliserschaf~. Es erinnert an das Norfolkschaf. Sein ziemlich starkes
Gehörn ist spiralig ausgezogen und von dunkler Färbung; neben behörnten
kommen aber auch hornlose Individuen vor. Ein Abkömmling dieses
Walliserschafes ist das hornlose ~Frutigerschaf~ im Berner Oberland.

Ein diesem Formenkreis zugehörender starker Seitenzweig von hornlosen
langschwänzigen Schafen umfaßt das stattliche, meist hängeohrige
~Bergamaskerschaf~, daß in den nach Süden mündenden Tälern des
mittleren Alpengebietes gehalten und auf den hohen Alpweiden
gesömmert wird, dann das diesem ähnliche paduanische und steirische
Schaf. Entferntere Ausläufer sind das südfranzösische und ~englische
Bergschaf~, dann das ~Rhön-~ und ~Thüringer Schaf~.

Mit Schafen dieser asiatischen Arkalabstammung haben wir es stets zu
tun da, wo bei den alten Schriftstellern von Schafen überhaupt die Rede
ist. Von ihm schreibt der römische landwirtschaftliche Schriftsteller
Columella um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr.: „Das Schaf ist
ein äußerst nützliches Tier, es gibt uns Kleidung, Käse, Milch und
verschiedene Gerichte. Am besten ist die weiße Wolle, weil man sie
beliebig färben kann.“ Sein Zeitgenosse Plinius bemerkt: „Großen Wert
hat das Schaf als Opfertier und wegen des Gebrauchs, den wir von seiner
Wolle machen. Es gibt zwei Hauptrassen: die eine ist weichlicher und
wird mit einer Decke belegt, welche man in bester Sorte aus Arabien
bezieht, die andere Art ist die gemeine. In Syrien gibt es Schafe
mit ellenlangen Schwänzen.“ Damit meint er die schon damals dort
gehaltenen Fettschwanzschafe. Der drei Menschenalter vor diesen lebende
gelehrte Römer Varro sagt: „Die tarentinischen und attischen Schafe
haben eine wertvolle Wolle und werden mit Pelzen bedeckt, damit sie
nicht schmutzig werden. Nach der Schur wird das Schaf mit Wein und Öl
gesalbt, wozu einige auch weißes Wachs und Schweineschmalz nehmen.
Wunden, die das Tier bei der Schur bekommt, werden mit Teer bestrichen.
Es gibt auch Leute, welche die Schafe nicht scheren, sondern rupfen,
was früher allgemein üblich war.“ In der Tat ist das Ausrupfen der
Wolle die von Völkern auf primitiver Kulturstufe stets geübte Sitte,
die wir auch den Pfahlbauleuten der späteren Steinzeit zuschreiben
dürfen. Womit sonst als mit den Fingern hätten sich diese die Wolle
ihrer noch wenig hochgezüchteten Schafe holen können! Heute noch wird
allgemein von den Arabern die Kamelwolle mit den Händen ausgerupft und
nie mit der Schere entfernt. Der zu Beginn des 3. Jahrhunderts n. Chr.
lebende griechische Schriftsteller Älian berichtet: „Die lydischen und
mazedonischen Schafe sollen mit Fischen gefüttert und von dieser Kost
fett werden.“ Wir haben früher gesehen, daß solches Futter heute noch
auf Island an die sonst ausschließlich Gras fressenden Haustiere des
Menschen verfüttert wird.

Nachdem einmal die Schafzucht in den Mittelmeerländern volkstümlich
geworden und ihr Nutzen klar erkannt worden war, kann es uns
nicht wundern, daß hier später auch das einheimische Wildmaterial
der Domestikation umerzogen wurde, um daraus neue Schafrassen
heranzuziehen. Dazu diente das einst sämtliche Bergländer Südeuropas
und der angrenzenden Inseln bewohnende ~Muflon~ (_Ovis musimon_).
Dieses kleinste aller Wildschafe ist der Stammvater der heute nach
dem Norden von Europa gedrängten kleinen, kurzschwänzigen Hausschafe.
Einst auch in Südeuropa gehalten, wurde es hier später vollständig
durch die leistungsfähigeren Hausschafe von asiatischer Arkalabstammung
verdrängt. Das Muflon kommt in Cypern bis zur Höhe von 2000 _m_ vor,
ist auf Sardinien noch vorhanden und lebte vor kurzem auch in Korsika.
Er wird einschließlich des höchstens 10 _cm_ langen Schwanzes 1,25 _m_
lang, am Widerrist 70 _cm_ hoch und 40-50 _kg_ schwer. Er ist gedrungen
gebaut, in der Rückenlinie dunkelbraun, sonst braunrot gefärbt; dabei
spielt der Kopf ins Aschgraue. Das Gehörn des Bockes ist stark und in
einer Länge von 65 _cm_ nach außen hinten und zuletzt nach innen unten
gebogen; es ist an der Wurzel sehr dick, im Querschnitt dreieckig. Das
merklich kleinere Weibchen unterscheidet sich durch seine mehr ins
Fahle spielende Färbung sowie durch das Fehlen oder seltene Vorkommen
des Gehörns vom Bock.

Wie der Arkal lebt das Muflon im Gegensatz zum Mähnenschaf in Rudeln,
deren Leitung ein alter, starker Bock übernimmt. Diese Rudel erwählen
sich die höchsten Berggipfel zum Aufenthalt und nehmen hier an
schroffen, fast unzugänglichen Felswänden ihren Stand. Wie bei andern
gesellig lebenden Wiederkäuern halten stets einige Stück sorgfältig
Umschau, um die Genossen bei der Wahrnehmung eines verdächtigen
Gegenstandes sofort zu warnen und mit ihnen flüchtig zu werden. Zur
Paarungszeit trennen sich die Rudel in kleine, aus einem Bock und
mehreren Schafen bestehende Trupps, welche der leitende Widder erst
durch tapfer durchgefochtene Kämpfe sich erworben hat. Das Schaf bringt
im April oder Mai 1-2 Junge zur Welt, die der Mutter schon nach wenigen
Tagen auf den halsbrecherischsten Pfaden mit der größten Sicherheit
folgen und bald ebenso gewandt wie sie klettern. Alle Bewegungen des
Muflon sind schnell, gewandt und sicher. Erwachsene Tiere vermag man
kaum je zu fangen, junge nur dann, wenn man ihre Mutter weggeschossen
hat. Sie gewöhnen sich bald an ihren Pfleger, sind anhänglich an ihn,
bewahren ein munteres, ja mutwilliges Wesen, zeigen aber nur eine
geringe Intelligenz.

Noch im Altertum muß dieses Wildschaf auf den Gebirgen Südeuropas
recht häufig gewesen sein; denn Julius Capitolinus berichtet, daß
Kaiser Gordian im Jahre 238 n. Chr. 100 wilde Schafe zu den Jagdspielen
nach Rom brachte. Von Kaiser Probus, der von 276 bis 282 n. Chr.
regierte, meldet Flavius Vopiscus, daß er so viel wilde Schafe als er
auftreiben konnte, nach Rom kommen ließ. Schon früh wurde es irgendwo
im östlichen Mittelmeergebiet gezähmt, wozu wohl die hier bereits
gehaltenen ältesten Hausschafe von Mähnenschafabstammung die Anregung
gaben. Schon zur Bronzezeit tauchen, zunächst allerdings noch spärlich,
großgehörnte Hausschafe in den Pfahlbauten nördlich der Alpen auf,
welche durch ihr großes Gehörn und die in ihrem Bau mit denjenigen
des Muflon übereinstimmenden Hornzapfen ihre Herkunft von diesem
südeuropäischen Wildschafe beweisen. Gegen das Ende der Bronzezeit
erscheinen dann auch hornlose Hausschafe in der Schweiz, welche im
Süden von gehörnten Muflonabkömmlingen gezüchtet worden waren. In der
helvetisch-römischen Niederlassung von Vindonissa fanden sich beide
Schafarten nebeneinander vor. In der Folge aber wurden sie hier wie
auch das ältere Torfschaf von den von den Römern eingeführten, mehr und
feinere Wolle liefernden Schafen asiatischer Abstammung verdrängt. Nur
im Norden erhielten sie sich teilweise in eigentlichen Kümmerformen mit
seit der Römerzeit bedeutend verkleinertem Gehörn. Es sind dies die nur
einen halben Meter hoch werdenden, schwarz, braun oder grau gefärbten
~Heideschafe~, die ~Heidschnucken~, die als äußerst genügsame Rasse in
Gebieten mit primitiver Wirtschaft, namentlich in der norddeutschen
Heide bis nach Oldenburg und Ostfriesland, gehalten werden. Nahe
verwandt mit ihm sind das die Bergländer Skandinaviens bewohnende
~skandinavische Schaf~, das ~finnische Schaf~ und das bis nach Sibirien
hineinreichende ~nordrussische Schaf~, dann das ~Hebriden~-, ~Faröer~-
und ~Shetlandschaf~. Das letztere ist bald klein gehörnt, bald hornlos.
Sein Fleisch bildet neben Fischen die Hauptnahrung der Bewohner jener
rauhen Eilande. Der westliche Ausläufer ist das ~isländische Schaf~,
dessen Herden ein elendes Dasein fristen und vielfach mit getrockneten
Fischen ernährt werden. Der Wollertrag ist bei all diesen Zwergformen
ein geringer.

Im Gegensatz zu diesen überaus genügsamen Heideschafen stehen die
ebenfalls vom Muflon abstammenden ~Marschschafe~, die fette Weide
beanspruchen und auf mageren Triften nur schlecht gedeihen. Ihre
bessere Ernährung macht sich in einer bedeutenderen Größe und großen
Fruchtbarkeit geltend. Ihre Haarfarbe ist schmutzig gelblichweiß,
rötlichbraun oder einfarbig schwarz. Das Hauptmerkmal bildet neben dem
kurzen Schwanz ihre vollkommene Hornlosigkeit. Außer Fleisch und Wolle,
die zu Strickgarn und gröberen Stoffen, wie Teppichen und dergleichen
verarbeitet wird, liefern sie auch Milch, welche zur Käsebereitung
dient. Es sind Vertreter der schon in der Bronzezeit aus dem Süden
nördlich der Alpen eingewanderten hornlosen Schafe, die in den
Marschen Nordwestdeutschlands, Hollands, Belgiens und Nordfrankreichs
heimisch wurden, weiter im Süden aber wie die übrigen Hausschafe von
Muflonabstammung von asiatischen Rassen verdrängt wurden. Es sind
dies die friesischen, holländischen, belgischen und nordfranzösischen
Schafe. Unter letzteren ist besonders das ~Roquefortschaf~ bekannt,
das den berühmten Schafkäse dieses Namens liefert. Dieser wird
in Roquefort, im französischen Departement Aveyron, in der Weise
gewonnen, daß man die zum Gerinnen gebrachte Schafmilch mit von einer
spezifischen Schimmelsorte bewachsenem Brote vermischt. Dieses Brot
wird eigens für die Käsebereitung aus einer Mischung von Weizen- und
Gerstenmehl mit Sauerteig hergestellt und der betreffende Schimmelpilz
darauf zur Ansiedelung gebracht. Der damit hergestellte Schafkäse reift
dann in 30-40 Tagen in Felsenhöhlen, wobei er sich mit einer dicken
Schimmelschicht bedeckt. Diese wird von Zeit zu Zeit entfernt. Diese
Fabrikation ist schon recht alt und wird bereits aus der zweiten Hälfte
des 9. Jahrhunderts erwähnt.

Außer den drei genannten Wildschafen ist endlich noch ein weiteres
Wildschaf vom Menschen domestiziert worden. Es ist dies das
zentralasiatische ~Argali~ (_Ovis argali_), von den Mongolen so
genannt, ein gewaltiges Tier von der Größe eines dreivierteljährigen
Kalbes, das die spärlich bewaldeten Bergzüge Innerasiens nördlich vom
Hochlande Tibets vom Alatau bis zum Altai und von Akmolinsk im Westen
bis zum Südostrande der mongolischen Hochebene im Osten in einer Höhe
von 600-1000 _m_ bewohnt. Es besitzt ein mächtiges, von der Wurzel
an mit ringsumlaufenden wellenförmigen Wülsten bedecktes Gehörn, das
sich nach hinten außen wendet. Dichtstehende wellige Grannen nebst
feinen, kurzen Wollhaaren bilden das überall sehr gleichmäßige,
jeglicher Mähne entbehrende Haarkleid, dessen vorherrschende Färbung,
ein mattes Fahlgrau, im Gesicht, an Schenkeln wie am Hinterbauch in
ein merklich dunkleres Bräunlichgrau, im Vorderteil der Schnauze, auf
dem breiten Spiegel am Steiß, in der untern Hälfte der Beine aber in
Gräulichweiß übergeht. Es meidet feuchte, waldbedeckte Gebirge und
größere Höhen, lebt das ganze Jahr über etwa auf demselben Gebiete
und wechselt höchstens von einem Bergzuge zum andern. Bis gegen die
Paarungszeit leben Böcke und Schafe getrennt, letztere zu 3-5, erstere
meist einzeln. Kurz vor der Paarungszeit vereinigen sie sich zu kleinen
Herden von 10, höchstens 15 Stück. Während des Sommers frißt das
Argali alle Pflanzen, die auch dem Hausschafe behagen, während des
Winters begnügt es sich mit Flechten, Moos und getrocknetem Gras, die
der Wind auf den Graten durch Wegfegen des Schnees bloßgelegt hat.
Wählerischer als in der Äsung zeigt es sich beim Trinken, da es stets
zu bestimmten Quellen kommt; auch salzige Stellen werden zum Lecken
oft besucht. Solange der Schnee nicht allzudicht liegt, kümmert es
der Winter wenig, denn sein dichtes Fell schützt es gegen die Unbill
der Witterung. Seine Sinne sind ausgezeichnet entwickelt. In seinem
Wesen spricht sich Bedachtsamkeit und Selbstbewußtsein aus; es ist
neugierig, wenig scheu, zeigt sich aber überall sehr vorsichtig, wo es
durch wiederholte Verfolgung von seiten des Menschen gewitzigt wurde
und seine heimtückische Art kennen lernte. Die Jagd darauf ist durchaus
nicht leicht. Sein Fleisch ist trotz seines strengen Beigeschmacks
wohlschmeckend und wird von den Mongolen und Kirgisen sehr geschätzt.

Bei solchen Vorzügen ist es kein Wunder, daß sich der Mensch schon
früh auch dieses Wildschafes bemächtigte, um es der Domestikation
zu unterwerfen. Es ist der Stammvater der großhörnigen Schafe,
die in Zentralasien innerhalb der Verbreitungszone des Argali als
Schlachttiere und Wollspender besonders auf der Salzsteppe gehalten
werden. Dabei hat sich im Haustierstande das Gehörn verkleinert. Noch
am wenigsten ist dies der Fall bei den Hausschafen Russisch-Turkestans,
mehr dagegen bei denen Tibets und der Südabhänge des Himalaja von
Kumaon bis Sikkim. Bei diesen tragen beide Geschlechter Hörner, und
zwar stoßen sie wie beim Argali auf der Stirne fast zusammen; dabei
sind sie nach außen hin um den Kopf gewunden und noch reich mit
Querwülsten versehen in derselben Weise wie beim Argali.

Durch spezielle Züchtung zur Vermehrung des den Hirtenvölkern so
wertvollen Fettes, dessen sie sich zum Braten der Mehlspeise und
des Reises bedienten, entwickelten sich aus ihnen im Laufe der Zeit
die ~Fettsteißschafe~. Da der Schwanz bei ihnen im Gegensatz zu
den Abkömmlingen des Arkal zu kurz war, um ihn zur Fettablagerung
heranzuziehen, wurde der Steiß dazu ausersehen. Hier bildet die
Fettmasse zwei gewölbte Kissen, die ansehnliche Größe erreichen können.
Auch dieses Schaf besitzt wie die andern Rassen von Argaliabstammung
in beiden Geschlechtern spiralig um den Kopf gewundene Hörner mit
Querwülsten, die aber bei manchen hochgezüchteten Rassen schon
ziemlich klein geworden, ja teilweise bei den Weibchen ganz in
Wegfall gekommen sind. Es ist dies speziell beim ~Tatarenschaf~ der
Fall, das vom Ostrand des Schwarzen Meeres bis zum Baikalsee das am
häufigsten gehaltene Schaf ist und den Hauptreichtum der dortigen
Steppenvölker bildet. Bei den Kirgisen gilt noch heute die uralte
Sitte, das einjährige Lamm als Tauscheinheit zu betrachten, wie bei den
alten Römern vor dem Aufkommen der Münzen durch die Vermittlung der
süditalischen Griechen das Kleinvieh (_pecus_) die Werteinheit bildete,
woher noch der spätere Ausdruck _pecunia_ für Geld, Vermögen herrührt.

Beim Tatarenschaf ist der Kopf gestreckt, der Nasenrücken nur wenig
gewölbt und die Ohren sind als Zeichen längerer Domestikation durch
Degeneration der sie aufrichtenden Muskeln hängend geworden. Die Widder
sind stärker behörnt als die Mutterschafe, die stets kleinhörnig sind,
wenn sie überhaupt noch, was sehr häufig der Fall ist, Hörner besitzen
und nicht völlig hornlos geworden sind. Der Fettklumpen am Steiß ist
sehr umfangreich und gleicht zwei miteinander verwachsenen Halbkugeln,
zwischen denen ein ganz kurzer Schwanzstummel hervorragt. Die Haarfarbe
ist meist weiß, seltener rotbraun oder schwarz. Die filzige Wolle
ist kurz und grob und zum Versponnenwerden ungeeignet. Östlich vom
Baikalsee und der Mongolei schließt sich an das Tatarenschaf das
ebenfalls vom Argali abzuleitende, aber als Zeichen einer sehr hoch
getriebenen Zucht bereits völlig hornlos gewordene ~chinesische Schaf~,
das allerdings nur einen schwach entwickelten Fettsteiß besitzt, da
seine Züchter als Ackerbauer im Sesam und in manchen auf Öl angebauten
Retticharten genugsam pflanzliches Fett zur Verfügung hatten, so daß
sie auf die Gewinnung tierischen Fettes kein besonderes Gewicht legten.

Von seiner zentralasiatischen Heimat hat sich das Fettsteißschaf von
Argaliabstammung auch weithin nach Süden verbreitet, so nach Persien
und Arabien. Von letzterem Lande verbreitete es sich in die Länder
am oberen Nil bis in das Gebiet der Dinkas, die es ebenfalls halten,
und in die Somaliländer, wo es überall in Menge gezüchtet wird. Es
ist wie das chinesische Schaf als hochgezüchtetes Hausschaf in beiden
Geschlechtern völlig hornlos geworden und fast stets von weißer Farbe
mit tiefschwarzem Kopf und Hals. In der Gegend von Massaua fand C.
Keller neben schwarzköpfigen Schafen auch braungefärbte und gefleckte
Tiere. Häufig pflegt man ihnen die Ohren bis auf einen kurzen Stumpf
abzuschneiden. Es hat gleichfalls keine verspinnbare Wolle, sondern ein
straffes, glattanliegendes Grannenhaar. Für die es haltenden Stämme
ist es fast ausschließlich Fleischlieferant; daneben bilden die Häute
einen nicht unwichtigen Exportartikel. Bei Abmagerung verschwindet der
überhaupt schwach entwickelte herzförmige Fettsteiß fast vollständig.
Auch Südafrika besitzt Fettsteißschafe; ebenso der ostafrikanische
Archipel, doch sind sie dort nicht zahlreich. Im Innern von Madagaskar
findet man sie bei den Howas, aber in einer degenerierten Rasse, deren
Fleisch trocken ist. An der Küste dieser großen Insel scheinen sie
nicht zu gedeihen. Von Persien aus nach Osten nehmen sie rasch an
Menge ab und erreichen nicht mehr Indien, das als von vorzugsweise
Ackerbauern bewohnt und mit einem heißen Klima ausgestattet, geringen
Bedarf an tierischem Fett besaß. In Birma wurden sie erst 1855
eingeführt, sind jedoch dort nicht von Bedeutung geworden.

Wenn wir Europäer uns auch keine Fettsteißschafe wünschen, so wäre
es doch sehr angezeigt, wenn ein Tierzüchter wie Herr Falz-Fein in
seinem großen Tierpark Askania Nova auf der südrussischen Steppe oder
ein Tierimportgeschäft wie dasjenige Hagenbecks in Stellingen bei
Hamburg den Argali aus seiner Gebirgsheimat zu Zuchtzwecken in Europa
einführen würde. Es würde sich außer zur selbständigen Zucht besonders
zur Kreuzung mit den teilweise durch Inzucht degenerierten Hausschafen
sehr eignen. So hat man in solcher Weise das leichter zu erlangende
Muflon mehrfach zur Bastardierung mit Hausschafen verwendet. Beide
Wildschafarten wären auch, wie das in derselben Weise zu benützende
zentralasiatische Wildschaf _Ovis poli_ (nach dem Venezianer Marco
Polo so genannt) und andere Wildschafe teils aus Asien, teils aus
Nordamerika zur Akklimatisation zum Zwecke der Belebung der Alpen und
Voralpen geeignet und böten zudem dem Jäger ein willkommenes Wildpret.

[Illustration: Bild 21. Altägyptische Tierärzte, kranke Haustiere
behandelnd.

1. Fütterung kranker Gänse. 2. Behandlung von zwei zahmen
Säbelantilopen durch den Priester Nechta. 4. Behandlung kranker Ziegen.
Das Vorderbein ist festgebunden, damit das Tier stillhält. 7. Kranke
Rinder erhalten Medizin.

(Nach Wilkinson.)]

Von andern Horntieren aus der Familie der Paarzeher kämen zur
Domestikation von seiten des Menschen noch verschiedene ~Antilopen~
in Betracht, von denen tatsächlich auch verschiedene Vertreter von
den alten Ägyptern zu Haustieren erhoben wurden, deren Zucht aber
später wieder vollkommen verloren ging. So finden wir in Grabmalereien
des Alten Reiches, der 4., 5. und 6. Dynastie (2980-2475 v. Chr.),
neben Ziege und Schaf auch den einheimischen ~Steinbock~ (_Capra
sinaitica_), die ~Gazelle~ (_Antilope dorcas_), die ~Säbelantilope~
oder ~Steppenkuh~ (_Oryx leucoryx_) und den ~Wasserbock~ (_Kobus
ellipsiprymnus_) in des Menschen Hegung und Pflege. Nach den
begleitenden Inschriften müssen diese damals auf den Gütern der
Fürsten große Herden gebildet haben und mit Schafen, Rindern und
Ziegen zusammen geweidet haben. Zur Zeit der 12. Dynastie, während des
Mittleren Reiches (2160-1788 v. Chr.), bildete nur noch eine der drei
Antilopenarten, die Säbelantilope, von Hirten bewachte Herden, während
die beiden andern samt dem Steinbocke wieder wie in Urzeiten als Wild
gejagt wurden. Und wieder ein Jahrtausend später, zur Zeit des Neuen
Reiches (1580 bis 1205 v. Chr.), war auch diese letzte Gazellenart
in Ägypten aus der Zucht von seiten des Menschen verschwunden, und
blieben fortan von Paarzehern außer Rindern nur Schafe und Ziegen als
Haus- und Nutztiere der Bewohner des Nillandes zurück. Der französische
Archäologe François Lenormant meint in seinem Buche: _Les premières
civilisations_, dessen erster Teil die vorhistorische Archäologie
Ägyptens betrifft, daß der Einfall der Hyksos- oder Schasu-Beduinen
(um 1650 v. Chr.) dieser nationalägyptischen Zucht ein Ende bereitet
habe. Es ist dies höchst wahrscheinlich und dieses Ereignis nicht nur,
wie Julius Lippert in seiner Kulturgeschichte der Menschheit (Bd. 1 S.
503) glaubt, der Schlußmoment in einem ganz natürlichen Ausleseprozeß;
denn es ist nicht einzusehen, weshalb diese Tiere nicht fernerhin in
des Menschen Hegung und Pflege hätten bleiben können.

Dieser Autor schreibt daran anschließend: „Wir dürfen uns diese älteste
Art ‚Zähmung‘ großer Herden, die niemals die freie Weide verließen,
nicht anders vorstellen, als etwa die Hegung des Wildes in unseren
‚Tiergärten‘, nur daß die großen Besitzer etwa die gegen die Wüste hin
offene Grenze ihres Geheges durch ein Überwachen mit Hirten und Hunden
abschlossen, während gegen das fruchtbare Land hin Wassergräben die
Grenze bildeten. Welche Verwendung solche zur Güterbegrenzung fanden,
das bezeugt unter anderem die ägyptische Vorstellung vom Jenseits,
das nicht ohne solche Begrenzung gedacht werden konnte. Nach der
Wüste hin mochten aber den Hirten natürliche Terrainverhältnisse zu
Hilfe gekommen sein, abgesehen davon, daß die oasenartig gelegenen
Weiden selbst Anziehungspunkte für die wilden Herden der Grasfresser
bildeten. Darstellungen von Jagdszenen zeigen uns, wie die so von
Hunden zusammengedrängten Tiere lebendig ergriffen wurden, während man
andere durch die Fangleine zu Falle brachte. Während sich dieser Stufe
von Hegung noch eine große Anzahl von Weidetieren willig anbequemte,
mußte bei einer näheren Heranziehung an das stabile Haus des Menschen
immer mehr Gattungen ausscheiden, während Schaf und Ziege als die
ausgesiebten Arten auch dann noch zurückblieben.“

Was die Darstellungen an den Grabwänden der Vornehmen aus der 4. und 5.
Dynastie anbetrifft, so finden wir also die Säbelantilope (altägyptisch
_mut_ genannt), die Gazelle (altägyptisch _kehes_) und den Wasserbock
(altägyptisch _nutu_) mit dem noch heute auf dem Gebirge zwischen
Niltal und Rotem Meer besonders in Mittelägypten vorkommenden Steinbock
(altägyptisch _naâ_) vollkommen domestiziert auf den Gütern der Großen
des Reichs angesiedelt. Daß sie sich als echte Haustiere auch in der
Gefangenschaft fortpflanzten, beweist schon die Szene aus dem Grabe
des Nub hotep aus der 4. Dynastie der großen Pyramidenerbauer von
Giseh (2930-1750 v. Chr.), die zeigt, wie mitten in der Herde eine
Gazelle ihr Junges an ihrem Euter trinken läßt, dann die verschiedenen
Darstellungen, in denen die Hirten auf ihren Armen oder auf ihren
Schultern die Antilopenjungen wie junge Kälber, Zicklein und Lämmer
tragen. Im Grabe des Ma nefer der 5. Dynastie (2750-2625 v. Chr.) in
Sakkara sehen wir, wie Hirten außer den Säbelantilopen, Gazellen,
Wasserböcken und ägyptischen Steinböcken auch ~Springböcke~ (_Antilope
euchore_) -- altägyptisch _schekes_ genannt -- herbeitreiben, um
sie von den Schreibern notieren zu lassen. Es ist dies die einzige
Darstellung dieser Antilope im Stande der Hegung; denn auf allen
andern Bildern wird sie stets nur als von den Windhunden der Ägypter
verfolgtes Wild dargestellt. Diese Antilopenart muß also nur ganz
vorübergehend in des Menschen Zucht gestanden haben.

Welchen Umfang diese Antilopenzucht in Ägypten in der ersten Hälfte
des dritten vorchristlichen Jahrtausends angenommen hatte, beweist
die Inschrift auf dem Grabe des Sabu in Sakkara aus der 6. Dynastie
(2625-2475 v. Chr.), in welcher als Besitztum des Verstorbenen 1235
Rinder und 1220 Kälber der für gewöhnlich dargestellten langhörnigen
Rasse, 1360 Rinder und 1138 Kälber der kurzhörnigen Rasse, 405 Rinder
einer besonderen, seltenen Rasse nebst 1308 Säbelantilopen, 1135
Gazellen und 1244 Wasserböcke angegeben sind.

Ein Basrelief des Grabes des Itefa in Sakkara aus der 5. Dynastie
stellt, wie leicht zu erkennen ist und zudem durch eine begleitende
Inschrift erläutert wird, die Mästung der Säbelantilope, des
Wasserbocks und des Rindes dar, indem den betreffenden Tieren durch
einen Knecht ein besonders nahrhafter Mehlteig mit der Hand ins Maul
gestrichen wird.

In den Grabdarstellungen des Mittleren Reiches (11. und 12. Dynastie,
2160-1788 v. Chr.) findet sich, wie gesagt, keine Spur mehr von der
Zucht der Gazelle und des Wasserbocks. Diese Tiere finden sich nur
noch als Jagdwild dargestellt. Einzig die Säbelantilope findet sich
noch in größeren Herden gezähmt. In den berühmten Grabmälern von Beni
Hassan aus der 12. Dynastie (2000-1788 v. Chr.) sehen wir die Herden
dieser Antilopenart durch ihre Hirten geführt neben Herden von Rindern,
Schafen und Ziegen. Im Grabe des Num hotep, dem schönsten von allen,
hat der Künstler ebenfalls das Mästen der Säbelantilopen durch den mit
der Hand ins Maul gestrichenen Mehlteig dargestellt, neben solchem von
Rindern, Ziegen und Gänsen vermittelst desselben Verfahrens.

Erst in den Grabmalereien des Neuen Reiches (18. u. 19. Dynastie,
1580-1205 v. Chr.) ist auch die Haltung von Säbelantilopen völlig
aufgegeben worden und finden wir darin auch dieses Wild nur vom
Menschen mit Hilfe von Windhunden aller Art gejagt.

Leider ist später nie mehr ein Domestikationsversuch mit diesen
und andern Gazellen gemacht worden. Und weiter südlich hat der auf
niedriger Kulturstufe stehengebliebene Neger niemals an solche
Errungenschaften gedacht. Selbst die Europäer taten es nicht, als sie
sich am Kap der Guten Hoffnung festsetzten. Da schossen die Buren
mit ihren weittragenden Flinten vielfach zwecklos jene gewaltigen
Antilopenherden zusammen, denen sie zu gewissen Jahreszeiten auf deren
Wanderungen begegneten. Unter ihnen wird die ~Kuhantilope~ (_Bubalis
caama_), das Hartebeest der Buren oder Kama der Betschuanen, wenn von
Jugend an unter menschlicher Pflege stehend, ungemein zahm und folgt
ihrem Pfleger auf dem Fuß. Erst erwachsen zeigt sich insbesondere bei
den Böcken die Rauflust ihres Geschlechts.

Besonders geeignet und recht eigentlich dazu prädestiniert, vom
Menschen in Zucht genommen zu werden, ist die gewaltige, am Widerrist
bis gegen 2 _m_ Höhe und ein Gewicht von 1000 _kg_ erreichende
~Elenantilope~ (_Buselaphus oreas_). Nach den übereinstimmenden
Berichten der Reisenden sollen diese Tiere auf weite Entfernungen kaum
von den Zeburindern zu unterscheiden sein, weil auch die Stellungen
und Bewegungen der ruhenden und grasenden Tiergestalten ganz dieselben
sind. Nach Holub soll zwar der Kaffernstamm der Matabeles Herden zahmer
Elenantilopen besessen haben; doch ist dies nur eine vorübergehende
Zucht gewesen, die keine weiteren Folgen zeitigte. Jedenfalls sollte
unbedingt auch von europäischer Seite der Versuch der Zähmung dieser
größten aller Antilopen gemacht werden, bevor sie vom Erdboden
verschwindet; denn sie besitzt auch erwachsen, im Gegensatz zu den
rauflustigen Kuhantilopen, einen recht gutmütigen, sanften Charakter
und pflanzt sich auch in der Gefangenschaft ohne alle Schwierigkeiten
fort. Ihr Fleisch wird als ganz vorzüglich gerühmt.



V. Das Schwein.


Ausschließlich zur Gewinnung von Fleisch und Fett hat der Mensch das
Wildschwein in den Haustierstand erhoben. Während der wandernde Nomade
hierzu in erster Linie das Schaf mit den ihm am Schwanz oder am Steiß
angezüchteten Fettmassen benutzte, hielt sich der ansässige Ackerbauer
an das von ihm leichter zu haltende Schwein. In den sumpfigen
Waldstrecken muß der Mensch gar häufig dem Wildschwein begegnet sein
und es, wie uns schon die paläolithischen Darstellungen desselben
an den Wänden von Höhlen Nordspaniens und Südfrankreichs beweisen,
mit Vorliebe erlegt und gegessen haben. Aber nicht das europäische,
sondern das südasiatische Wildschwein ist zuerst in menschliche Pflege
genommen und zur Würde eines Haustieres erhoben worden. Dies geschah
wohl einfach so, daß eines selbständigen Lebens ohne Muttermilch
fähige ältere Frischlinge nach Tötung der Mutter gefangen und in
eingehegte Plätze gesperrt wurden, um sie großzuziehen und gelegentlich
bei Nahrungsmangel infolge Unergiebigkeit der Jagd zu verspeisen.
Südostasien ist der weitaus älteste Herd der Schweinezucht, die jetzt
noch dort eine wichtige Rolle spielt. Dort wurde das einheimische
Wildschwein in Pflege genommen. Es ist dies das ~Bindenschwein~ (_Sus
vittatus_), so genannt, weil es eine von der Wange über den Hals
verlaufende weiße Binde aufweist, ein Überbleibsel der aus dunkeln
Längsstreifen bestehenden Zeichnung der älteren Schweine, die sich
noch im Jugendkleide auch unseres erwachsen nicht mehr gestreiften
europäischen Wildschweins zeigt. Dieses Bindenschwein wird jetzt
hauptsächlich auf Java, Sumatra und Borneo gefunden, war aber einst
höchstwahrscheinlich auch in Hinterindien verbreitet. Von dort kam
es gezähmt schon sehr früh nach China, wo es bereits im vierten
Jahrtausend v. Chr. in Menge gezüchtet wurde; ebenso nach Indien und
Westasien, von wo es bereits zu Beginn des dritten vorchristlichen
Jahrtausends nach Ägypten vorgedrungen war. So hat Flinders Petri aus
der 1. Dynastie (3400 bis 3200 v. Chr.) eine recht gute Umrißzeichnung
des Schweins in Oberägypten gefunden, das offenbar gemästet war
und wie die indischen Schweine Stehohren besitzt. Von da an fehlen
bildliche Darstellungen des altägyptischen Hausschweins bis zur Zeit
des Neuen Reiches (18. und 19. Dynastie, 1580-1205 v. Chr.), so daß
man früher glaubte, das Schwein sei erst zur Zeit der 18. Dynastie
ins Niltal eingeführt worden. Dies ist aber durchaus falsch. Von der
ältesten Königszeit an wurden Schweine in Ägypten gehalten und, wie
uns griechische Schriftsteller mitteilen, zum Eintreten der Saat in
den frisch gepflügten und geeggten Acker benutzt; doch galten sie
dem Ägypter, wohl weil sie gelegentlich auch Aas verzehrten, als
unreine Tiere, und so hütete man sich eben, sie an den Wänden der
Tempel und Grabkammern abzubilden. So berichtet der zu Beginn des 2.
Jahrhunderts n. Chr. lebende Claudius Älianus in seinem griechisch
geschriebenen Werk über die Tiere: „Das Schwein ist so gefräßig, daß
es weder seine eigenen Jungen, noch menschliche Leichen verschont;
deshalb verabscheuen es die Ägypter. Der Ägypter Manetho, ein Mann
(Priester) von hoher Weisheit, behauptet auch, daß man aussätzig wird,
wenn man Schweinemilch genießt.“ Lange vor ihm schrieb der griechische
Geschichtschreiber Herodot, der im 5. Jahrhundert v. Chr. Ägypten
selbst bereiste: „Bei den Ägyptern gilt das Schwein für ein unreines
Tier. Wird jemand zufällig von einem solchen am Kleide berührt, so
geht er gleich an den Fluß und wäscht sich. Unter allen eingeborenen
Ägyptern sind die Schweinehirten die einzigen, die in keinen Tempel
gehen dürfen; auch kann ein Schweinehirt in Ägypten nur die Tochter
eines Schweinehirten heiraten, weil ihm kein anderer seine Tochter
gibt. Keiner Gottheit opfern die Ägypter ein Schwein, mit Ausnahme
der Mondgöttin und dem Bacchos, und zwar bei Vollmond. Das Schwein,
das diesen Gottheiten geopfert wird, wird noch an demselben Tage
gegessen. Arme Leute, welche kein wirkliches Schwein haben, backen
eins aus Teig und opfern es.“ Herodot sah selbst, wie die Schweine im
Nildelta zum Einstampfen der Saat verwendet wurden. Bei einem Tiere,
das so verachtet war, daß diejenigen, die sich mit dessen Aufzucht
befaßten, nicht einmal einen Tempel betreten durften, um ihn nicht zu
verunreinigen, ist es kein Wunder, daß es in der älteren Zeit nicht
an heiligen Bauten dargestellt wurde. Erst zur Zeit der 18. Dynastie
war man so freidenkend geworden, daß man in Grabdenkmälern jener Zeit
in Theben dieses Borstentier wie die übrigen Herdentiere darstellte.
Aber auch damals werden nur die Ärmsten in Ägypten das Fleisch dieses
verachteten Tieres gegessen haben.

[Illustration: Bild 22. Altägyptische Darstellungen von Schweinen aus
der Zeit des Neuen Reichs. 1. Ein Mutterschwein mit Jungen. 2. Ferkel.
3. Eber, _a_ geknotete Peitsche, mit welcher die Schweine auf die Weide
getrieben wurden. (Nach Wilkinson.)]

Anders als in Ägypten stand es im alten Griechenland und Rom, wo das
Wildschwein im Gegensatz zum Niltal, wo es in geschichtlicher Zeit
ausgerottet war, häufig vorkam, viel gejagt und sein Fleisch gern
gegessen wurde. Dementsprechend war auch das Fleisch des Hausschweines
als Speise geschätzt. Schon bei Homer ist vielfach von Herden des
zahmen Hausschweins die Rede und war der Stand der Schweinehirten
durchaus nicht verachtet, sonst wäre dem Sauhirten des Odysseus auf
Ithaka mit Namen Eumaios sicher nicht der Ehrentitel des „Göttlichen“
gegeben worden. Nach dem Urteile der gebildetsten Griechen hatte
die Schweinezucht viele Vorteile für sich. So schreibt der berühmte
Aristoteles im 4. Jahrhundert v. Chr.: „Von allen Tieren gewöhnt sich
das Schwein am leichtesten an jedes Futter, wird auch am schnellsten
groß und dick. In 60 Tagen kann man es ausmästen. Wer sich mit der Mast
beschäftigt, füttert die Schweine die drei ersten Tage mager, dann
werden sie bei gutem Futter desto schneller fett, wie meist alle Tiere,
die recht ausgehungert sind. Das Fettwerden wird durch Ruhe befördert
und geht beim Schwein schneller vor sich, wenn es sich im Schlamm
wälzen kann. Dieses Tier kämpft selbst gegen den Wolf.“

Wie bei den Griechen wurde auch bei den Römern eine ausgedehnte
Schweinezucht getrieben und dieses Haustier mit Vorliebe als Opfer
geschlachtet. Der gelehrte Varro (116-27 v. Chr.) meint sogar --
allerdings durchaus falsch -- die griechische Bezeichnung _hys_ habe
ursprünglich _thys_ gelautet und daher komme das Verbum _thýein_
opfern. Er fährt dann fort: „Schweine scheinen die ersten Opfertiere
gewesen zu sein. Beim Anfang der Ernte, beim Schließen von Bündnissen,
bei Hochzeiten werden Schweine geopfert.

Der Sage nach hat die Natur das Schwein geschaffen, daß es verschmaust
werden soll, auch hat sie ihm, da sie es nicht von vornherein einsalzen
wollte, die Seele statt des Salzes gegeben, um sein Fleisch, solange
es lebt, vor Fäulnis zu schützen. Die besten Speckseiten und Schinken
kommen aus Gallien nach Rom. Cato sagt, daß in Gallien die Schweine
so fett werden, daß sie weder stehen noch gehen können und auf Wagen
fortgeschafft werden müssen, wenn sie an einen anderen Ort sollen. Der
Spanier Attilius, ein durchaus rechtlicher Mann, sagte mir, daß ihm der
Senator Volumnius von einem in Lusitanien (Portugal) geschlachteten
Schwein ein Stück Fleisch mit zwei Rippen zusandte, das 23 Pfund wog;
die Dicke des Specks habe von der Haut bis zu den Knochen 1 Fuß 3
Zoll betragen. Es hat mir auch jemand gesagt, er habe in Arkadien ein
Schwein gesehen, das sich vor Fett nicht rühren konnte, und in dessen
Speck eine Maus nistete. Das soll auch anderwärts vorgekommen sein.

Für das Schweinevieh paßt eine sumpfige Weide am besten; denn es hat
seinen Gefallen an Wasser und Schlamm. Das Hauptfutter besteht aus
Eicheln, Bohnen, Gerste und anderem Getreide, davon wird es fett und
wohlschmeckend. Im Sommer treibt man es früh auf die Weide, bevor
die große Hitze eintritt, mittags bringt man es im Schatten und bei
Wasser unter, abends läßt man es abermals weiden. Im Winter treibt
man es nicht eher aus, als bis Reif und Eis weggetaut sind. Die
ersten Jungen bekommt man von den Sauen, wenn sie zwei, die letzten,
wenn sie sieben Jahre alt sind. Man läßt die Ferkel (_porculi_) zwei
Monate bei der Alten und trennt sie dann, zu welcher Zeit sie schon
fressen können, von ihr. Die im Winter geborenen sind klein, werden
auch schlecht gesäugt, weil die Alte dann wenig Milch hat und die
Ferkel ihr aus Hunger die Euter wund beißen. Man gibt der Sau mit
ihren Ferkeln einen eigenen Koben. Dieser wird gehörig rein gehalten
und öfters nachgesehen, ob die Alte ein Junges totgedrückt hat. Sie
bekommt übrigens zweimal jährlich Junge. Um die Milch zu vermehren,
muß sie gut gefüttert werden, namentlich mit eingeweichter Gerste.
Solange die Jungen saugen, heißen sie _lactentes_. Die Saugschweinchen
sind vom 10. Tage an zu Opfern tauglich und heißen deshalb _sacres_.
Abgesetzte Saugschweine heißen _delici_ oder gewöhnlicher _nefrendes_,
weil sie noch keine Bohnen kauen (_frendere_) können. _Porcus_ ist
ein altgriechisches Wort. Jetzt sagen die Griechen _choíros_. Die Sau
(_scrofa_ oder _varro_) muß, wenn sie säugt, täglich zweimal getränkt
werden. Eigentlich muß sie so viel Junge bekommen, als sie Euterstriche
hat. Bekommt sie weniger, so taugt sie nicht zur Zucht; bekommt sie
mehr, so weissagt sie dadurch Wunderdinge. Das älteste bekannte
Beispiel dieser Art stammt von der Sau des Äneas, welche 30 weiße
Ferkel bekam. Die Prophezeiung traf ein, indem 30 Jahre später die
Lavinienser die Stadt Alba gründeten. Noch jetzt findet man in Lavinium
die Bildnisse der 30 Ferkel in Bronze aufgestellt und die Sau selbst
wird, gut eingesalzen, von den Priestern gezeigt.

Die Schweine werden vom Schweinehirten gewöhnt, alles nach dem Klang
des Hirtenhorns zu tun. So z. B. stößt er ins Horn, wenn er sie aus
den Ställen läßt, wenn er sie im Walde zusammenruft usw. Die Herde
alter Schweine kann aus 100 bis 150 Stück, diejenige junger aus doppelt
soviel bestehen.“

Der ältere Plinius schreibt: „Wenn Schweine ihre Jungen fressen, so
sieht man das nicht als schlimme Vorbedeutung an. Das Ferkel gibt am 5.
Tage ein reines Opfer, das Lamm am 8., das Kalb am 30. Das Schwein ist
überaus dumm, doch kennt man auch ein Beispiel, daß gestohlene Schweine
die Stimme ihres Herrn erkannten, das Schiff, auf das die Räuber sie
gebracht, versenkten, indem sie auf der einen Seite das Übergewicht
gaben, und dann zurückschwammen; auch lernen die Anführer der Herde den
Markt und die Häuser finden. Die Kunst, bei Sauen eine große Leber wie
bei Gänsen zu erzeugen, ist eine Erfindung des Marcus Apicius (eines
berühmten Feinschmeckers, der auch ein Kochbuch für die feine Küche
schrieb) und besteht darin, daß man sie mit trockenen Feigen tüchtig
füttert und mästet, ihnen dann Met zu trinken gibt und sie plötzlich
tötet. Kern anderes Tier liefert Speisen von verschiedenerem Geschmack
für die Küche; denn wenn von anderen Tieren jedes nur einerlei
Geschmack hat, so hat das Schwein dagegen fünfzigerlei, weswegen auch
durch mancherlei Gesetze den Zensoren einzelne Teile, wie Euter, Kopf
usw., bei Gastmählern verboten sind; aber freilich kehrt sich nicht
jeder an solche Gesetze.“ Die Feinschmecker Roms begnügten sich aber
in der Regel nicht mit dem gewöhnlichen Schweinefleisch, das auch
gesalzen und geräuchert wurde, wie dies heute noch geschieht, sondern
ließen sich mit Vorliebe solches aus Sardinien kommen, von wo aus große
Schweinezüchter (_suarii_), die zur Kaiserzeit besondere Rechte erlangt
hatten, den Markt mit besonders feiner Ware versorgten.

Welcher Tafelluxus im kaiserlichen Rom und im üppigen Alexandreia
herrschte, zeigen uns folgende Tatsachen. Petronius meldet: „Die
Tafel war gedeckt: ein ganzer gebratener Eber ward aufgetragen. Das
Jagdmesser wurde erhoben und in des Ebers Bauch gestoßen, -- da flogen
zur Belustigung der Gäste aus der Wunde Drosseln hervor.“ Der um 220 n.
Chr. in Alexandreia lebende Grieche Athenaios erzählt, wie bei einem
Gastmahle eine silberne, reichvergoldete große Schüssel auf die Tafel
kam, auf der ein erwachsenes Schwein gebraten auf dem Rücken lag und
seine Beine zum Himmel streckte. Als sein Bauch mit einem Schnitte
geöffnet ward, fand sichs, daß es mit gebratenen Drosseln, anderen
kleinen Vögeln, Austern usw. gefüllt und in die Zwischenräume Eidotter
gebracht war.

Ein anderes Mal ward ein Schwein aufgetragen, an dem mit Aufwand
großer Kunst die eine Hälfte gebraten, die andere gekocht war. Alle
bewunderten dies Gericht. Drob freute sich der Koch, nahm eine stolze
Miene an und fragte: Na, wer von euch kann angeben, wie das Tier
geschlachtet und wie sein Bauch mit tausend herrlichen Leckerbissen
gefüllt ist? Er enthält Drosseln, andere kleine Vögel, gehacktes
Schweinefleisch, Eidotter, Hühner, gepfefferte Fleischklößchen usw. Der
Schriftsteller Macrobius sagt, daß diese mit kleinen Tieren gefüllten
Schweine von den Kennern in Anlehnung an das sagenhafte trojanische
Pferd Trojanische genannt wurden.

Der Geschichtschreiber Älius Lampridius berichtet in seiner Biographie
des Alexander Severus (222-235 n. Chr.), dieser Kaiser pflegte sich
während der Mittagstafel damit zu belustigen, daß er spielende
Spanferkel oder kämpfende Rebhühner oder hin und her fliegende Vögel
betrachtete. Seine Vogelhäuser enthielten Pfauen, Fasane, Haushühner,
Enten, Rebhühner und eine Unzahl Tauben. Als unter seiner Regierung
das römische Volk sich über eine Fleischteuerung beklagte, habe
er Erkundigungen eingezogen und erfahren, daß es vorzüglich an
Schweine- und Rindfleisch fehlte. Da gab er den Befehl: Niemand dürfe
eine säugende Sau, ein saugendes Ferkel, eine alte oder junge Kuh
schlachten. Da sei schon in zwei Jahren Fleisch in Menge und wohlfeil
zu haben gewesen.

Nicht selten sind uns bildliche Darstellungen des Schweins aus
römischer Zeit erhalten geblieben, die, wie beispielsweise das
prächtige Basrelief vom großen Staatsaltar auf dem Forum Romanum, eine
durch weitgehende Zucht kurzköpfige, sehr mastfähige Rasse mit runden
Formen zeigen. Deren Beziehungen zum indischen Hausschwein sollen nach
C. Keller recht deutlich ausgeprägt sein. Noch heute ist das asiatische
Blut im Hausschwein der römischen Kampagna unverkennbar. Dieselbe
Schweinerasse wurde nach Überresten in Herculanum und Pompeji zur Zeit
von deren Untergang gehalten; eine in Portici gefundene Bronzestatuette
bringt deren Merkmale sehr charakteristisch zum Ausdruck.

Bei den alten Germanen war die Schweinezucht sehr beliebt, da dieses
Tier nach dem Pferd den beliebtesten Braten lieferte und deshalb gern
geopfert wurde. Unter den Karolingern wurde es viel gehalten. So
schärfte Karl der Große seinen Verwaltern ein, diese Tiere in möglichst
großer Zahl auf seinen Landgütern zu halten. So finden wir in den
Verzeichnissen der Königshöfe eine große Zahl derselben, so in Asnapium
260 große und 100 kleine Schweine, daneben 5 Eber, in Grisenweiler 150
große und 100 kleine Schweine. Sie wurden in die Wälder zur Eichel- und
Buchenmast getrieben. Außer eingesalzenem Fleisch, besonders Schinken
und Speck, wurden auch Würste beim Schweineschlachten im Frühwinter
hergestellt. Schon im 12. Jahrhundert begannen westfälische Schweine
und Schinken berühmt zu werden. Noch das ganze Mittelalter hindurch
wurden wilde Eber auf zahme Sauen gesetzt, um eine bessere Zucht zu
erlangen.

Das älteste Hausschwein der vorgeschichtlichen Völker Süd- und
Mitteleuropas war nach den auf uns gekommenen Schädelüberresten nicht
ein Abkömmling des gezähmten einheimischen Wildschweins, sondern,
wie die genau vorgenommenen vergleichend anatomischen Feststellungen
beweisen, ein solcher des südasiatischen Bindenschweins. In den
ältesten Pfahlbauten und Landniederlassungen Mitteleuropas der
neolithischen Zeit fehlte dieses zahme Hausschwein südasiatischer
Herkunft noch durchaus. Es tritt uns erst in einer späteren Zeit
der neolithischen Kultur in Überbleibseln entgegen und wurde dann
namentlich in der Bronzezeit in steigender Menge gehalten. Es ist
dies das ~Torfschwein~ (_Sus scrofa palustris_), von L. Rütimeyer
so genannt, weil uns eben seine Reste, wie diejenigen der ältesten
Haustiere überhaupt, vorzugsweise in den inzwischen vertorften
Seegründen, wo einst die Pfahlbauniederlassungen gestanden hatten,
entgegentreten. Es war ein zierlich gebautes Tier von mäßiger Größe,
das sich in seinem Schädelbau durchaus von demjenigen des einheimischen
Wildschweins entfernt, aber nahe Beziehungen zu dem des südindischen
Bindenschweins aufweist. Da man es damals nicht in Stallungen bannte,
sondern ähnlich wie das Hausschwein der Malaien der indonesischen
Inselwelt ziemlich frei umherlaufen ließ, wich sein Schädel vom
Wildschweincharakter nur wenig ab. Daher glaubte Rütimeyer zunächst,
daß das Torfschwein ursprünglich wild bei uns gelebt habe. Doch
kam er später von dieser Annahme zurück, und heute wissen wir mit
Bestimmtheit, daß sein Stammvater das südindische Bindenschwein war.
Bei letzterem ist, wie beim Torfschwein, der Schädel verhältnismäßig
kurz, breit und hoch, die Tränenbeine sind kurz und hoch, nähern sich
also der quadratischen Form; der knöcherne Gaumen scheint nach vorn
verbreitert, so daß die vorderen Backenzähne stark auseinandergedrängt
werden. Demgegenüber ist der Schädel des europäischen Wildschweins
und der erst später von ihm gewonnenen Hausschweine niedrig, schmal
und langgestreckt. Die Tränenbeine sind lang und niedrig, also mehr
rechteckig, der knöcherne Gaumen ist nach vorn nicht verbreitert, so
daß die Backenzähne annähernd parallel zueinander stehen.

Bei allen Schweinen aber ist die Wildform im Bau des Schädels von der
Kulturform verschieden. Erstere wühlt im Boden nach eßbaren Knollen und
Wurzeln, letztere hat sich dies in der Gefangenschaft fast abgewöhnt;
infolgedessen ist ihr Schädel im Profil nicht mehr gerade, sondern
zwischen Stirn und Nase eingeknickt. Die fächerförmige Schuppe des
Hinterhauptbeins ist nicht mehr wie beim Wildschwein nach hinten
gerichtet, sondern steigt mit der Stirn- und Scheitelgegend mehr oder
weniger senkrecht empor. Während der jugendliche Wildschweinschädel
anfänglich den indifferenten Typus des Säugetierschädels wiederholt,
wird er später gestreckt und erhält scharf ausgeprägte Knochenleisten,
im Gegensatz zu demjenigen des zahmen Schweins, bei dem die
Nackenmuskulatur durch Nichtgebrauch schwächer wird und der Eckzahn an
Größe abnimmt.

Dieses Torfschwein kam zweifellos über Westasien aus seiner
südindischen Heimat nach Europa, wenn wir nicht annehmen wollen, daß
sich sein Verbreitungsgebiet einst bis nach Westasien erstreckte, wo
es dann hätte gezähmt werden können. Genaueres wissen wir über diese
Wanderung nicht. Wir wissen nur, daß das Hausschwein im Altertum auch
in Mesopotamien gehalten wurde. So ist uns aus der assyrischen Zeit
in Kujundschick das Bild eines Mutterschweins mit Ferkeln erhalten
geblieben. Im Gegensatz zu Layard, der darin eine Wildsau erblicken zu
müssen meinte, glaubt Keller aus dem feinen, verhältnismäßig kurzen
Kopf darin einen Abkömmling des südindischen Bindenschweins erkennen
zu dürfen. Allerdings hat später der ganze semitische Kulturkreis das
Schwein als Haustier abgelehnt, so daß es in der Folge aus Westasien,
soweit semitische Stämme zu finden waren, verschwand. Anders bei den
Ariern, denen der Schweinebraten, gleichgültig ob vom wilden oder
zahmen Schwein, ein Festessen war. So verspeisen die Helden in Wallhall
täglich den göttlichen Eber Särimni, der täglich wiederum neu ersteht,
um sich von den Asen verspeisen zu lassen. So war es auch schon bei
den Mitteleuropäern zu Ende der Stein- und zu Beginn der Bronzezeit.
Diese liebten außer dem ihnen noch reichlich zur Verfügung stehenden
Wildschweinbraten auch etwa solchen vom Hausschwein, besonders
nachdem es von der Eichelmast im Herbste recht fett geworden war, zu
verzehren und sich aus dem Überschuß durch Einsalzen und Räuchern
Winterproviant zuzulegen. Da nun das halb wild gehaltene Torfschwein
nicht selten Gelegenheit bekam, sich mit wilden Ebern zu begatten, so
entstand bald eine größere Mischrasse. Schon Plinius meldet in seiner
Naturgeschichte: „Das zahme Schwein paart sich sehr leicht mit dem
Wildschwein.“ Diese Tatsache war also schon im Altertum, wo sich bei
der großen Häufigkeit der Wildsauen viel mehr Gelegenheit zu solchen
Beobachtungen bot als heute, allgemein bekannt.

Erst ganz am Schluß der neolithischen Zeit kam in Mitteleuropa ein
kräftigeres und größeres Hausschwein auf, das offenbar ein mehr oder
weniger reiner Abkömmling des einheimischen Wildschweins war; denn
was lag näher, als einmal dieses größere Tier nicht bloß zur Kreuzung
mit dem kleineren Torfschwein, sondern zur Reinzucht zu verwenden.
Das Wildmaterial lag ja gleichsam vor der Tür und wird oft genug in
halberwachsenen Frischlingen der Wildsau lebend in die Niederlassungen
der Steinzeitjäger gebracht worden sein. Von der Metallzeit an wurde
dann in Mitteleuropa das Torfschwein asiatischer Abstammung immer
mehr vom leistungsfähigeren Hausschwein europäischer Zucht aus dem
einheimischen Wildschwein verdrängt. Doch war es noch während der
helvetisch-römischen Zeit in der Schweiz stark verbreitet. So gehören
von den in der Römerkolonie Vindonissa aufgefundenen Resten 28
Knochenstücke ihm an, während das europäische Landschwein nur durch 10
solche vertreten war. Noch am meisten Torfschweinblut weist das alte
~Bündnerschwein~ auf. Auch die Hausschweine in den entlegenen Tälern
um das Gotthardgebiet herum, im Tessin und oberen Wallis, stehen dem
alten Torfschweintypus nahe, während in den südlichen Tälern des Wallis
ein schwarzes oder fuchsrotes Schwein gehalten wird, das nach der
Kopfform ein unverkennbares Kreuzungsprodukt des Torfschweins mit dem
Landschwein von europäischer Abstammung ist.

In den romanischen Ländern südlich der Alpen, vor allem in ganz
Italien, Spanien und Portugal, wird das schwach behaarte ~romanische
Schwein~ von meist dunkler Farbe, mit kurzem Kopf, längerem Rüssel als
beim indischen Schwein und geradlinigem, breitem Rücken gezüchtet, das
ebenfalls neben asiatischem auch reichlich europäisches Blut enthält.
Noch mehr asiatisches als europäisches Blut besitzt das durch seine
krause Behaarung ausgezeichnete ~kraushaarige Schwein~ von dunkler
Farbe mit kurzem Rumpf, kantigem Rücken und etwas spitzem Gesicht, das
hauptsächlich über Ungarn und die anstoßenden Balkanländer verbreitet
ist.

Je mehr wir nun in Europa nach Norden gehen, um so reiner tritt das
europäische Blut auf. Diese Hausschweine europäischer Abstammung
besitzen statt des verhältnismäßig breiten, ebenen Rückens einen
erhöhten „Karpfenrücken“ infolge des seitlich zusammengedrückten
Rumpfes. Statt der breiten Brust besitzen sie eine flachrippige Brust.
Statt des in der Nasengegend eingesenkten Kopfes mit kurzem Rüssel
haben sie eine gestreckte, oft völlig wildschweinähnliche Schnauze.
Die Beine sind verhältnismäßig hoch. Es ist dies das ~europäische
Hausschwein~, von dem eine Unterart mit großen, hängenden Ohren und
schmälerer Stirn und eine solche mit kurzen aufrecht gestellten
Ohren und breiter Stirn unterschieden wird. In Norddeutschland und
Dänemark scheint ursprünglich das Torfschwein gefehlt zu haben und
nur das europäische Blut gehalten worden zu sein. Die prähistorischen
Knochenreste weisen auf eine durch kümmerliche Haltung sehr klein
gewordene Rasse hin. Überhaupt hat das Schwein im allgemeinen seit
seiner Überführung in den Haustierstand an Größe abgenommen, offenbar
deshalb, weil die freie Natur günstigere Entwicklungsbedingungen
darbietet als die Knechtschaft unter dem Menschen. Erst die moderne
rationelle Tierzucht hat durch Darbietung besserer Lebensbedingungen
die Größe wieder zu steigern vermocht.

Das der südostasiatischen Wildform noch am nächsten stehende, weil
immer wieder durch Kreuzung mit jener aufgefrischte ~asiatische
Hausschwein~ kommt in mehr primitiven, meist sehr mastfähigen
Schlägen im ganzen östlichen Asien vor, so von der Mongolei durch
ganz China, Annam, Siam und Hinterindien bis zu den Sundainseln und
nach Neuguinea einerseits und Indien und Ostafrika andererseits. Es
ist das das weitaus wichtigste Zuchtgebiet zahmer Schweine, indem es
sowohl bei den mongolischen und malaiischen, wie auch den Papuastämmen
das bei weitem wertvollste und oft einzige Haustier neben dem Hunde
ist. Sein Fleisch und sein Fett sind für diese Stämme, soweit sie
nicht an der Küste leben und viel Seetiere genießen, die wichtigsten
animalischen Lebensmittel. Obenan steht das gewaltige China, wo die
Schweinezucht gegen 6000 Jahre alt ist. Dabei hat Nordchina eine
primitivere, meist schwarzgefärbte Rasse, während Südchina höher
gezüchtete Kulturschweine von meist weißer Farbe besitzt. Im Norden
ist die Haltung dieses Haustieres eine wenig sorgfältige. Hier leben
die Schweine ohne Schutz im Freien und sind selbst in dem recht rauhen
Winter aller Unbill der Witterung preisgegeben. Daraus erklärt sich das
Vorhandensein auffallend dichter und langer Behaarung als Wärmeschutz
der ursprünglich aus einem warmen Klima stammenden Tierart. Die überall
auf dem Lande gezüchteten Schweine werden meistens nach den Städten
verkauft, wo der Bedarf an Schweinefleisch ein sehr großer ist, indem
der wohlhabende Chinese nicht nur kein Opfer ohne dieses begeht,
sondern auch bei allen festlichen Gelegenheiten seine Familienglieder
und Freunde damit bewirtet.

In der Mandschurei ist die Schweinezucht besonders in der mittleren
Provinz Kirin entwickelt. Dieselbe Rasse wird auch in den Amurländern
gehalten und geht bis nach Sibirien hinein. Doch tritt in letzterem
Lande die Schweinezucht schon aus klimatischen Gründen gegenüber der
Schafzucht zurück. Auffallenderweise besitzt Japan sehr wenig Schweine.
Die Zucht dieses Haustieres ist in jenem Lande stark vernachlässigt und
auf eine einzige Provinz, Kangoschima, beschränkt. Sehr blühend ist
sie dagegen in ganz Hinterindien, auf den Philippinen und Sundainseln,
wo überall das Schweinefleisch ein wichtiges Nahrungsmittel bildet.
In Neuguinea ist das Schwein neben dem Hund das einzige Haustier, das
überall in der Umgebung der Dörfer ziemlich frei gehalten wird, so
daß es vielfach verwildert ist. Seine Nahrung besteht hier vorwiegend
in Taroknollen. Auch Indien hat vorwiegend dunkelgefärbte Schweine,
die in Schläge mit kurzen, aufrechtstehenden und in solche mit großen,
herabhängenden Ohren zerfallen.

Im ganzen mittleren und westlichen Asien ist, soweit der Islam
vordrang, das Schwein als unrein verpönt und deshalb die einst auch
hier im Altertum betriebene Schweinezucht verdrängt worden. Hier ist
an seiner Stelle überall das Schaf, das von dem Fluche Muhammeds nicht
getroffen wurde, der Lieferant von tierischem Fett und Fleisch. Wie
die Ostasiaten und Malaien Schweinefleisch zu ihrem Reis essen -- nach
der nicht unwahrscheinlichen Sage soll Buddha an einer Überladung des
Magens mit Schweinebraten seinen Tod geholt haben -- so genießen die
Westasiaten Hammelfleisch zu ihrem Palaw genannten Reisgericht. Aber
das war im Altertum noch nicht so. Um die Zeit der Entstehung des
Christentums war das Schwein noch nicht aus Westasien verschwunden. Das
beweist die bekannte Legende von den Schweinen der Gaddarener, in die
die unreinen Geister fuhren. Immerhin haben die Semiten im allgemeinen,
nicht nur die Juden, die solchen Abscheu wie so manches andere aus
der Zeit ihrer Gefangenschaft in Ägypten hätten entlehnen können, das
Schwein als unrein verpönt. Und diese Ächtung des Schweins hat in der
Folge auch die aus dem Orient zu den Griechen und Römern gekommenen
Kulte begleitet. So wurden der aus der semitischen Ischtar-Astarte
hervorgegangenen Aphrodite auch in Griechenland keine Schweine
geopfert, so wenig als der jener entsprechenden Venus in Rom.

Wie sehr die Muhammedaner das Schwein scheuen, geht aus der drolligen
Geschichte hervor, die der, um ungefährdet im Orient reisen und
selbst die allen Ungläubigen streng verbotenen heiligen Stätten in
Mekka und Medina besuchen zu können, zum Islam übergetretene Baseler
Burckhardt (Scheik Ibrahim) in seinem Buche: Reisen in Arabien (Weimar
1830) erzählt. In Dschidda, der Hafenstadt Mekkas, war -- wohl einem
christlichen Schiffer entlaufen -- ein Schwein ans Land gekommen
und führte in der Nähe des Marktes ein freudenvolles Dasein, weil
die Marktleute lieber ihre Waren im Stiche ließen und sie dem Tiere
Satans preisgaben, als sich durch die Berührung mit demselben zu
verunreinigen. Alle ihre Flüche und Drohungen störten natürlich das
biedere Borstentier sehr wenig. Im ganzen Gebiete des Islam dürfen
auch die Christen nur ausnahmsweise Schweine halten. So ziehen die
Armenier in der Türkei und in Persien gern wildgefangene Frischlinge
auf, um sie fett werden zu lassen und dann zu schlachten und zu
verspeisen. Nur in den Marställen der Großen wird, um die „böse Luft“,
alle Verhexung und etwaige Krankheitserreger in seinen unreinen Leib
abzuleiten, gern ein Schwein gehalten, wie noch vor gar nicht langer
Zeit bei den Christen für solche Zwecke ein Ziegenbock gehalten wurde.
Letzteres ist eine Reminiszenz an den Ziegenbock der Israeliten, der
am Versöhnungstage mit allen Sünden des Volkes beladen in die Wüste
getrieben und sich selbst überlassen wurde. Daher stammt unsere
Bezeichnung Sündenbock.

Welch seltsame Form das Bewußtsein der eigenen Größe annehmen kann,
schreibt Ed. Hahn in seinem Buche über die Haustiere und ihre
Beziehungen zur Wirtschaft des Menschen (Leipzig 1896), beweist, daß
die Venezianer am Ausgang des 15. Jahrhunderts eine ansehnliche Summe
dafür ausgaben, daß sie in ihrer Faktorei in Alexandrien ein Schwein
halten durften; einmal ärgerten sie damit die Ungläubigen, allerdings
für ihr gutes Geld, und dann bewiesen sie den andern Christen ihre
ungeheure Überlegenheit durch diesen sonderbaren Vertreter des Löwen
von San Marco.

In Ägypten wird heute das Schwein nur von den christlichen Kopten
gehalten. In ganz Nordafrika befaßt sich natürlich auch nur das
christliche Element mit dessen Zucht. In den oberen Nilländern wurde
es von den Negern übernommen; besonders in Sennar halten es die
Eingeborenen, um dessen wohlschmeckendes Fleisch zu essen. In Ostafrika
fehlt es natürlich im mohammedanischen Somaliland vollständig,
dagegen trifft man Schweine indischer Abstammung in Mozambique. Auch
auf Madagaskar wurde es offenbar unter dem Einfluß der Araber an
der Westküste verdrängt; so züchten es die Sakalaven nicht. Dagegen
findet man im Innern der Insel, im Gebiet der Howas, eine kleine,
schwarze Rasse. Auf den Maskarenen und auf der Insel Réunion ist die
Schweinezucht auf die bergigen Gegenden beschränkt. In ganz Inner-
und Westafrika ist das Schwein nur selten anzutreffen, außer in den
Küstengegenden von Angola, wo es von den Portugiesen eingeführt wurde.
In Natal wurde es 1825 eingebürgert.

In Europa hat das Schwein nur in ganz kleinen Bezirken, wo einst
Mohammedaner herrschten, an Wichtigkeit verloren, so in Griechenland.
In Italien, Südfrankreich und Nordspanien ist es im Gebiet der
Eichen- und Kastanienwälder das wichtigste Nutztier des Menschen;
ebenso in Sardinien und Sizilien. Eine erhebliche Schweinezucht weist
Mittelitalien auf, dann Spanien in der Estramadura, verschiedene
Provinzen Portugals und Südwestfrankreich im Gebiete der Garonne. Die
wichtigsten Produktionsländer für Schweine, welche davon stark nach
Westeuropa exportieren, sind Serbien und Ungarn. In Süddeutschland
findet man die intensivste Zucht in Bayern; dort wird die große
wildschweinähnliche, in der vordern Körperhälfte weiße, in der
hintern dagegen meist rote Landrasse noch in starker Verbreitung
angetroffen. In Deutschland sind die nordischen Marschen relativ arm
an Hausschweinen, reicher dagegen Westfalen, Hannover, Braunschweig,
Thüringen und Sachsen. Meist sind in Deutschland wie in der Schweiz,
in Belgien, Holland und Nordeuropa die einheimischen Rassen durch
hochgezüchtete englische Rassen verdrängt worden. Nachdem nämlich schon
um 1740 durch die schwedisch-ostindische Gesellschaft Mastschweine
besonderer Güte aus Südchina zur Hebung des einheimischen Schweins
durch Kreuzung nach Schweden eingeführt worden waren, nahm die
englisch-ostindische Gesellschaft zu Beginn des vorigen Jahrhunderts
diese Bestrebungen im großen Maßstabe auf. So wurden in England durch
Kreuzung mit hochgezüchteten chinesischen Rassen die weltberühmten
edlen Schläge gezüchtet, welche später in allen Kulturländern
eingeführt wurden und hier nach und nach die weniger leistungsfähigen
einheimischen Schläge verdrängten. Damit hat das asiatische Schwein
einen vollständigen Sieg über die Hausschweine europäischen Blutes
erlangt. Die wichtigsten Schläge desselben werden als Yorkshire,
Berkshire, Suffolk und Leicester bezeichnet, lassen aber keine scharfe
Grenze zwischen sich ziehen. Der Körperumriß nähert sich bei ihnen
einem Rechteck, die Beine sind fein gebaut und kurz. Das Gesicht
ist extrem verkürzt und die Gegend zwischen Nase und Stirn stark
eingeknickt. Es gibt kurz- und langohrige, kleine und große Schläge.
Die Färbung kann schwarz, rotgelb, weiß oder bunt sein. Die größte
Schweinezucht weist Yorkshire und Westmoreland auf. Auch Irland besitzt
große Zuchten, weniger dagegen Schottland. Außer nach Belgien, das
besonders in der Provinz Lüttich englisches Blut züchtet, kam dieses
besonders nach Nordamerika, wo seine Zucht heute eine der wichtigsten
nationalen Industrien der Vereinigten Staaten bildet. Dort kamen ihm
zunächst die zahlreichen Nüsse und Eicheln des Waldes zugute, während
jetzt der größte Teil der Schweine des Westens mit Mais gefüttert wird.
Welchen Umfang die Schweinezucht in den Staaten der Union angenommen
hat, beweist am besten die Tatsache, daß die Zahl der Schweine, die im
Jahre 1860 etwa 30 Millionen betrug, sich heute mehr als verdoppelt
hat. Nach H. Moos wird die Zucht überall nach demselben Muster
betrieben. Es werden vorwiegend schwarze, frühreife Schläge gehalten;
unter ihnen ist am verbreitetsten das Poland-Chinaschwein und nachher
die Berkshirerasse. Das Zuchtmaterial wird sorgfältig ausgewählt. Meist
werden junge Tiere im Alter von 7-10 Monaten im Gewicht von 90-140 _kg_
geschlachtet, nachdem sie außer Mais besonders auch Klee erhielten. Die
größten Schlächtereien besitzt Chicago.

Mehr nach dem Süden zu tritt die Schweinezucht in Amerika in den
Hintergrund. Schon in Mexiko ist sie sehr gering und in Südamerika nur
in Brasilien da von erheblicher Bedeutung, wo deutsche Ansiedlungen
sich befinden. In Argentinien ist sie seit längerer Zeit stark im
Niedergang begriffen. Einige Zeit hindurch hatte eine ziemlich rege
Ausfuhr von dort nach Brasilien bestanden; sie hörte dann bald auf. Es
fehlt eben jenem Gebiet an einem rationellen Betrieb der Schweinezucht,
ohne den die Konkurrenz mit Amerika nicht aufzunehmen ist. Übrigens
gelangte das Hausschwein spanischer Rasse schon 1493 durch Kolumbus
auf die Antillen und verbreitete sich von da mit der spanischen
Kolonisation nach dem amerikanischen Festlande, wo es noch heute
vielfach angetroffen wird.

Australien, das erst im 18. Jahrhundert das Hausschwein durch die
Engländer eingeführt erhielt, besitzt heute sehr gute englische Rassen,
vor allem die Berkshires, welche vortrefflich gedeihen und zu einer
ausgedehnten Zucht Veranlassung gaben. Da im Lande selbst der Konsum
an Schweinefleisch nicht sehr groß ist, werden die Produkte meist zum
Export gebracht. Neuseeland besitzt ziemlich starke Zuchten, so daß
auch jenes Land schon eine ausgedehnte Ausfuhr von Schweinefleisch nach
Europa betreibt.

Der neueste Import aus Japan ist das ~Maskenschwein~, das 1861
durch den Tierhändler Jamrach, den Konkurrenten von Hagenbeck, in
zoologischen Gärten Deutschlands eingeführt wurde. Es steht dem
chinesischen Hausschwein nahe, besitzt aber auffallend große Ohren und
durch starke Verkürzung des Oberkiefers ein faltiges Gesicht, daher
sein Name. Es ist aber nicht japanischen, sondern indischen Ursprungs,
und zwar eine besondere Art des großohrigen, indischen Schweins.

Da das Hausschwein bei Völkern auf primitiver Kulturstufe ein
halbwildes Leben führt, ist es kein Wunder, daß es sich öfter
der Aufsicht des Menschen entzieht und völlig verwildert. Solche
verwilderte Hausschweine sind in Süd- und Ostasien nichts seltenes und
lassen sich auf den verschiedensten Gebieten der Erde, besonders auf
Inseln, wo sie keine größeren Feinde haben, nachweisen. Dabei nehmen
sie schon nach wenigen Generationen ganz oder teilweise das Aussehen
der wilden Stammform an. In Europa kommen verwilderte Hausschweine auf
Sardinien und den Kykladen vor; weiter finden sich solche im oberen
Nilgebiet, auf den Kanaren, Tristan da Cunha, Réunion und St. Helena.
Auf letzterer Insel gab es nach Cavendish schon 1588 welche; Tavernier
traf deren noch 1649 an. Neben den vielen verwilderten Ziegen trugen
sie wesentlich dazu bei, den jung aufsprossenden Wald zu zerstören. Auf
Jamaika, St. Domingo, St. Thomas und anderen westindischen Inseln gibt
es solche, wahrscheinlich aus den Resten der spanischen Kolonisation
herrührend. Auch in Venezuela, Brasilien, Paraguay und Peru gibt es
verwilderte Schweine verschiedener Art, teils schwarze mit stehenden
Ohren, teils heller gefärbte mit den Hängeohren ihrer chinesischen
Vorfahren. Auf den Bermudas, den Galapagos, den Andamanen, Nikobaren
und zahlreichen Inseln Melanesiens, Mikronesiens und Polynesiens sind
ebenfalls verwilderte Hausschweine anzutreffen. Auf Neuseeland gibt
es solche, die die konkave Form des Gesichts ihrer chinesischen Ahnen
beibehielten.

Schwein und Huhn sind die einzigen Tiere, bei denen die Operation der
Kastration zur Mast in größerem Umfang auch beim weiblichen Geschlecht
vorgenommen wird. Im Altertum begnügte man sich, wie Columella
berichtet, in solchen Fällen zur Verhinderung einer Befruchtung
die Scheide narbig zu verschließen; erst im Mittelalter wurde die
Beseitigung der Eierstöcke vorgenommen. Solche Tiere nannte man dann
Nonnen. Ein solcher Schweineschneider in Ungarn war es, der es als
erster wagte, bei seiner Tochter, die nicht auf natürlichem Wege
niederzukommen vermochte, den Kaiserschnitt durch Eröffnung des Bauches
und der Gebärmutter vorzunehmen. Dabei rettete er Mutter und Kind das
Leben. Erst hernach haben dann die Ärzte diese Operation vorzunehmen
gewagt.



VI. Der Esel.


Weit früher als das Pferd hat sich der Mensch den Esel gezähmt, nicht
um sein Fleisch oder seine Milch oder sein Haarkleid zu benutzen,
sondern um ihn als Transporttier zu verwenden. Als das Rind schon
längst Haustier geworden war und an den Pflug, wie auch an den Wagen
gespannt wurde, kam man noch nicht auf den Gedanken, auf ihm Lasten
fortzubewegen. Dazu diente im ältesten Ägypten der Esel, der allerdings
ausschließlich als Last- und noch nicht als Zugtier benutzt wurde.
Außer den Lasten transportierte man auch die unbehilflichen Mitglieder
der Familie, wie etwa Weiber und Kinder, auf dem Esel, den der Mann
dann führte. Er selbst bestieg ihn nicht, um als Reiter mit größerer
Geschwindigkeit das Land zu durchstreifen. Dies geschah erst, als
der vornehmere und anspruchsvollere Vetter des Esels, das Pferd, vom
Menschen domestiziert wurde und dann freilich seinem bescheidenem
Verwandten den Rang ablief und weit ausgedehntere Verbreitung fand.
Aber im hamitisch-semitischen Kulturkreis ist der Esel bis heute in
hoher Wertschätzung geblieben; nur in Südeuropa, wo er sich ebenfalls
stark einbürgerte, sank er zum verachteten und mißhandelten Geschöpf
herab, dem man seine sprichwörtliche Starrköpfigkeit als Dummheit
auslegt.

Die ältesten Spuren zahmer Esel, die uns bis heute bekannt geworden
sind, lassen sich im Niltal nachweisen und reichen dort bis in die
urägyptische Zeit, die um die Mitte des vierten Jahrtausends v.
Chr. zu setzende Negadaperiode, zurück. So besitzen wir auf einer
bereits früher erwähnten Schieferplatte des Museums in Giseh aus
der Negadazeit, die de Morgan zuerst veröffentlichte, treffliche
Abbildungen des Esels. Er ist dort in einer ganzen Reihe von
Tieren mit großen, aufrechtstehenden Ohren neben dem Hausrind von
Bantengabstammung und dem Hausschaf von Mähnenschafdescendenz
dargestellt in der Form des gewöhnlichen Hausesels mit schwarzem
Schulterkreuz, das auf allen Figuren deutlich erkennbar ist.
Schon während des Alten Reichs in der ersten Hälfte des dritten
vorchristlichen Jahrtausends war die Zucht des Esels in Ägypten
eine stark ausgedehnte. Im Grabe des Chafra ank in Giseh aus der 4.
Dynastie (2930-2750 v. Chr.), der Zeit der großen Pyramidenerbauer,
eines hohen Würdenträgers unter der Regierung des Chefren, berichtet
ein Oberschreiber seinem Herrn, er besitze einen Viehstand von nicht
weniger als 5023 Stück, darunter 760 Esel. In anderen Gräbern derselben
Periode wird, vermutlich mit etwas Übertreibung, gemeldet, daß die
Besitzer über mehr als tausend, ja Tausende von Eseln verfügten.

Zur Zeit der ältesten Dynastien wird der Esel häufig auf den
Grabwänden dargestellt, da sich das bürgerliche Leben ohne ihn gar
nicht vorstellen ließ. Er wurde ausschließlich als Lasttier, daneben
etwa noch wie Schafe und Rinder zum Dreschen auf der Tenne, d. h.
zum Austreten der Körner der Feldfrüchte mit den Hufen verwendet.
Doch diente er daneben bereits als Reittier, doch nicht in der Weise,
daß sich die Ägypter auf seinen Rücken setzten, sondern so, daß ein
Reitsessel zwischen zwei Eseln befestigt wurde, um darin die über
Land reisende vornehme Person aufzunehmen. Erst als zur Zeit des
Neuen Reiches (um 1580 v. Chr.) infolge der regen Beziehungen mit
den Völkern Vorderasiens das Pferd als wertvolles Kriegsinstrument,
das den Schlachtwagen zog, nach dem Nillande kam und hier unter den
kriegerischen Pharaonen der 18. und 19. Dynastie in Menge gezüchtet
wurde, trat der Esel gegenüber dieser neuen Erwerbung etwas in
den Hintergrund, um allerdings später wieder seine Vorherrschaft
anzutreten, die er in jenem Lande bis heute zu behaupten vermochte.

Woher bezogen nun die vorpharaonischen Ägypter der Negadaperiode den
Hausesel? Zweifellos aus Nubien, wo der ostafrikanische ~Steppenesel~
(_Asinus taeniopus_) von hamitischen Volksstämmen, wahrscheinlich den
Vorfahren der heutigen Galla, gezähmt und damit in den Haustierstand
übergeführt worden war. Der Steppenesel findet sich heute noch in
den Steppen Obernubiens, am häufigsten in den Ebenen von Barka und
um den Atbara, den Hauptzufluß des Nils. Sein Verbreitungsgebiet
erstreckt sich aber bis an die Küste des Roten Meeres. Wie bei
allen Steppentieren ist Geselligkeit ein Grundzug seines Wesens.
Das ausnehmend scheue und vorsichtige Tier lebt in kleinen Rudeln,
wobei eine Herde von 10-15 Stuten von einem Hengst geführt, bewacht
und verteidigt wird. Als Mittelglied zwischen seinen streifenlosen,
asiatischen Verwandten und den afrikanischen Tigerpferden sind seine
Füße leicht -- von unten nach oben in abnehmender Stärke -- gestreift
und zieht sich dem Rücken entlang vom Schwanz bis zur Schulter ein
schwarzes Band, das sich hier in zwei gegen die Seitenbuge hin
verlaufende Arme teilt. Es ist dies das vorgenannte Rückenkreuz,
das sich bei seinen gezähmten Nachkommen noch teilweise erhielt.
Außerordentlich stark ausgesprochen war es noch nach der Abbildung bei
den Hauseseln der Negadazeit, die also dem Stammvater noch hochgradig
ähnlich gesehen haben müssen, ja, kaum von ihm abwichen, was also
eine sehr junge Zucht bedeutet. Diese Negadahausesel haben auch die
typische Kopfbildung und die aufrechtgestellten, großen Ohren des
ostafrikanischen Steppenesels, von dem wildeingefangene Tiere bis
auf den heutigen Tag je und je zur Veredlung der Eselzucht in ihrer
Heimat verwendet werden. Wie vermutlich schon die alten Ägypter gaben
die alten Römer große Summen für diese Veredelung aus, was die Araber
jetzt noch tun. Deshalb haben sie auch ein so edles Eselmaterial,
demgegenüber unser durch Inzucht und Vernachlässigung herabgekommenes
Eselmaterial keinen Vergleich aushält.

Vom Niltal her wurden schon sehr früh die Juden und übrigen Semiten
Vorderasiens mit dem Hausesel bekannt, der, wie in Ägypten, so auch
bei ihnen eine sehr geachtete Stellung einnahm. Er diente auch
hier zum Tragen von Lasten aller Art. So sehen wir auf einer der
Wandmalereien des Grabes von Num hotep in Beni Hassan unter einem der
ersten Könige der 12. Dynastie (2000-1788 v. Chr.) die Einwanderung
eines semitischen Stammes von Hirten in das Land Gosen am Delta. Diese
Nomaden werden darauf als Aamu bezeichnet und wandern mit ihren Herden
nach Unterägypten ein, als einzige Lasttiere Esel mit großen Ohren
mit sich führend, auf denen sie alle ihre Habe und die kleinen, des
Gehens unfähigen Kinder aufgeladen haben. Überall im Alten Testament
ist an Stelle des Pferdes der Esel der treue Begleiter des Vieh
hütenden Nomaden. Von den Zeiten Abrahams an war es der Stolz des
Oberhauptes der Familie, zahlreiche Esel neben den Schafen und Rindern
zu besitzen, und später, als dies aufkam, alle seine Söhne auf Eseln
beritten zu sehen. Nach demselben Grundsatze, an dem heute noch der
Japaner speziell in bezug auf das pflügende Rind streng festhält,
sollte das Arbeitstier nicht zugleich auch zur Nahrung dienen. Deshalb
enthielten sich die Juden ausdrücklich des Fleisches vom Esel, was
ursprünglich nicht alle semitischen Stämme getan zu haben scheinen.
Ja, wahrscheinlich haben auch die vorpharaonischen Bewohner Ägyptens
gelegentlich den zahmen Esel geschlachtet und als willkommene Speise
verwendet. Aber die Juden enthielten sich nicht nur des Schlachtens von
Eseln, sondern lösten sogar nach dem Gesetz die dem Tode verfallene
Erstgeburt desselben wie diejenige des Menschen durch das Opfern eines
Schafes ab.

Über Syrien und Kleinasien kam der Hausesel zu Beginn des letzten
vorchristlichen Jahrtausends in die Balkanhalbinsel, wo er vermutlich
_asnas_ hieß, und von da zuerst zu den Griechen als _ónos_ und später
auch als _asinus_ zu den Römern. In der homerischen Zeit, da Viehzucht
und Ackerbau vorherrschten, war der Esel noch nicht das gebräuchliche
Lasttier, sondern ein durch seine Seltenheit wertvolles Zuchttier,
das zur Gewinnung der damals schon geschätzten Maultiere diente.
Nur an einer zweifellos später eingeschobenen Stelle der Ilias wird
er in einem Gleichnisse erwähnt. In der ältesten, sich an Homer
anschließenden griechischen Lyrik wird er als Zuchttier erwähnt,
das viel zu kostbar war, um der Feld- und Hausarbeit zu dienen. In
einem Fragmente des Lyrikers Archilochos von Paros (um 700 v. Chr.)
wird von einem Menschen gesagt, daß ihm das Glied anschwoll, wie
das des mit Korn gefütterten Zuchtesels aus Priene (einer Stadt der
kleinasiatischen Küste nördlich von Milet). Auch Simonides von Amorgos,
der jüngere Zeitgenosse des Archilochos, kennt den Esel nur als
Zuchttier und legt in einem Gedicht einigen Weibern dessen Art bei, die
träge, gefräßig und geil sei. Erst der Dichter Tyrtaios aus Attika um
684 v. Chr. spricht vom Esel als Lasttier, das die Kornfrucht vom Acker
nach Hause tragen müsse.

Im Gegensatz zu dem als Beschäler der Pferdestute gehaltenen Eselhengst
war bei den ältesten Griechen das von einem solchen mit einer
Pferdestute erzeugte ~Maultier~ als _hemíonos_, d. h. Halbesel, oder
_oreús_, d. h. Bergtier, das eigentliche Arbeitstier, sowohl bei der
Feldbestellung als im Geschirr vor dem Wagen und beim Schleppen von
Lasten; deshalb wird es gern als vielduldend und mühselig bezeichnet.
Schon weil es stärker war als der Esel wurde es diesem vorgezogen, wie
Theognis (der um 560 v. Chr. lebende Dichter aus Megara) ausdrücklich
bezeugt. Nach Homer stammte das Maultier von den Enetern, einem
paphlagonischen Volke aus dem pontischen, d. h. gegen das Schwarze
Meere zu gelegenen Kleinasien, her. An einer andern Stelle der Ilias
hatten die Bewohner von Mysien dem König Priamos von Ilion Maultiere
geschenkt nach dem 24. Buche, Vers 277:

    „Schirrten die Maultiere an, starkhufige, kräftig zur Arbeit,
    Welche die Myser dem Greise verehrt als edle Geschenke.“

In einem Fragment des jonischen Dichters Anakreon (550-478 v. Chr.)
werden die Myser geradezu als Erfinder der Maultierzucht durch Kreuzung
von Eselhengsten mit Pferdestuten bezeichnet. Schon im Alten Testament
bei Ezechiel (596 v. Chr.) wird die Landschaft Thogarma, d. h. Armenien
oder Kappadozien als diejenige bezeichnet, die die besten Maulesel
lieferte. Den Israeliten selbst verbot das Gesetz diese Zucht. Noch
später hören wir mehrfach, so bei Aristoteles, Plutarch und Plinius,
die Maultiere Kappadoziens und Galatiens als besonders edle Zucht
rühmen; von den ersteren wird berichtet, sie seien fruchtbar, also
unter besonders günstige Naturverhältnisse gestellt.

Merkwürdig ist bei dieser Wertschätzung des Maultiers als Ersatz des
Esels, daß, vielleicht durch semitische Anschauungen beeinflußt, seit
der mythischen Zeit in Elis im Peloponnes das Verbot bestand, Maultiere
im Lande selbst zu erzeugen. So soll der König von Pisa in Elis,
Oinomaos, der Sohn des Meergottes Poseidon und Vater der Hippodameia,
deren Freier er hinterlistig beim Wettfahren tötete, bis er von
Pelops durch List überwunden wurde, einen Fluch über diese Zeugung
ausgesprochen haben, und seither brachten die Eleer ihre Stuten außer
Landes, um sie dort von Eseln belegen zu lassen, wie uns Herodot und
Pausanias gleicherweise bezeugen. Vielleicht, meint V. Hehn, war in
diesem elischen Brauch nur die durch Religion festgehaltene Anschauung
der ältesten Zeit aufbewahrt, da es in Griechenland keine anderen als
vom Orient eingeführte Maultiere gab und das Volksgefühl sich gegen
solche widernatürliche Mischung noch sträubte. Auch in Homers Odyssee
wird vom Bewohner Ithakas Naëmon gesagt, er besitze in dem weidereichen
Elis zwölf Stuten mit den dazu gehörigen Maultierfüllen. Von einem
Eselhengste aber ist dort nirgends die Rede. Gemäß der Bedeutung des
Wortes _oreús_, d. h. Bergtier für Maultier, wird in der Ilias an einer
Stelle geschildert, wie das Maultier mühsam Balken und Schiffsbauholz
aus den Bergen hinabgeschleppt habe, an einer andern, wie die
Männer mit Äxten, Seilen und Maultieren in das bewaldete Idagebirge
hinaufziehen, um Holz für den Scheiterhaufen von Achills Freund
Patroklos zu holen; wie dann nach dem Fällen und Zerkleinern der Bäume
die Last den Maultieren aufgebunden wird, die sie dann stampfend in die
Ebene hinabtragen.

Dieselbe Wertschätzung des Maultiers wie bei den Griechen finden wir
auch bei den Römern. So sagt beispielsweise der ältere Plinius in
seiner Naturgeschichte: „Das Maultier (_mulus_) ist zur Arbeit ganz
ausgezeichnet gut.“ Daneben waren aber auch die Esel in hoher Achtung;
denn derselbe Autor sagt an einer anderen Stelle von diesem Tiere: „Der
Gewinn, welchen man aus Eseln zieht, übertrifft den der fruchtbarsten
Landgüter.“ Des Plinius Zeitgenosse Columella sagt rühmend von ihm:
„Der gemeine Esel (_asellus_) ist mit geringem Futter, wie Blättern,
Dornen, Zweigen, Spreu usw. zufrieden, braucht auch nur geringe Pflege,
hält Prügel und Mangel aus, wird selten krank und erträgt die Arbeit
leicht. Auf dem Lande ist er ganz unentbehrlich, weil er die Mühle
treiben und allerlei Gegenstände in die Stadt und von da zurücktragen
muß.“

Hundert Jahre vor diesen beiden schreibt der gelehrte Varro: „Was
die zahmen Esel betrifft, so werden in Griechenland die arkadischen
sehr geschätzt, in Italien dagegen die von Reate, und ich weiß einen
Fall, wo ein solcher mit 60000 Sesterzien (= 9000 Mark) bezahlt wurde
und in Rom ein Viergespann von Eseln mit 400000 Sesterzien (= 60000
Mark).“ Weiter meint er: „Der Wildesel, der herdenweise in Phrygien und
Lykaonien lebt -- offenbar ist hier vom später zu besprechenden Onager
die Rede, dessen Verbreitungsgebiet sich damals westlich noch bis dort
erstreckt zu haben scheint -- kann man leicht zähmen, den zahmen Esel
aber nicht in einen wilden umschaffen. Man braucht den Wildesel gern
zur Zucht. Das Junge des zahmen Esels läßt man im ersten Jahre ganz
bei seiner Mutter, im zweiten nur bei Nacht, jedoch so, daß beide
angebunden sind; im dritten wird es zu seiner Arbeit dressiert. Die
meisten werden gebraucht, um die Mühle zu drehen, oder zum Tragen und
Fahren, in leichtem Boden auch zum Pflügen. Kaufleute halten auch ganze
Herden, um Öl, Wein, Getreide usw. zu transportieren.“ Jung wurden
sie auch verspeist. So schreibt Plinius in seiner Naturgeschichte,
Maecenas, der reiche Freund des Kaisers Augustus, habe die Mode
aufgebracht, junge Esel zu essen. Derselbe Autor berichtet: „Die
Eselsmilch soll die Haut weiß machen; deshalb führte Poppaea, die
Gemahlin Neros, immer 500 milchende Eselinnen mit sich und badete in
deren Milch.“

Seit dem Altertum hat sich der Esel als wichtigstes Arbeitstier
überall in den Mittelmeerländern unentbehrlich gemacht, ist aber durch
schlechte Haltung immer kleiner und unansehnlicher geworden. Dabei
hat er eine mattere, aschgraue Farbe und schlaffere Ohren bekommen.
Oken sagt von ihm: „Der zahme Esel ist durch die lange Mißhandlung so
sehr heruntergekommen, daß er seinen Stammeltern fast gar nicht mehr
gleicht. Der Mut hat sich bei ihm in Widerspenstigkeit verwandelt, die
Hurtigkeit in Langsamkeit, die Lebhaftigkeit in Trägheit, die Klugheit
in Dummheit, die Liebe zur Freiheit in Geduld, der Mut in Ertragung der
Prügel.“ Tatsächlich ist an diesem treuen Arbeitstiere des Menschen
im Laufe der Jahrhunderte unsäglich viel gesündigt worden, daher sein
widerstrebender, eigensinniger Charakter!

Gemäß seiner Herkunft aus einer heißen Steppe fühlt er sich um so
wohler, je wärmer und trockener das Land ist. Feuchtigkeit und Kälte
verträgt er viel weniger als das hierin weniger empfindliche Pferd.
Schon Plinius sagt: „Kälte kann dieses Tier (der Esel) nicht gut
vertragen.“ In bezug auf Futter ist er durchaus nicht wählerisch und
begnügt sich mit sehr geringen Mengen davon. Brehm sagt von ihm:
„Gras und Heu, welches eine wohlerzogene Kuh mit Abscheu verratendem
Schnauben liegen läßt und das Pferd unwillig verschmäht, sind ihm noch
Leckerbissen: er nimmt selbst mit Disteln, dornigen Sträuchern und
Kräutern vorlieb. Bloß in der Wahl des Getränkes ist er sorgsam, denn
er rührt kein Wasser an, welches trübe ist; salzig, brackig ~darf~,
rein ~muß~ es sein. In Wüsten hat man oft sehr große Not mit dem Esel,
weil er, alles Durstes ungeachtet, nicht von dem trüben Schlauchwasser
trinken will.“

[Illustration: Bild 23. Altdeutscher Mülleresel.

(Nach einem Holzschnitt von Jost Ammann.)]

Die Paarungszeit des Esels fällt in die letzten Frühlings- und ersten
Sommermonate. Etwa 11 Monate nach der Paarung wirft die Eselin ein
-- höchst selten zwei -- vollkommen ausgebildetes, sehendes Junges,
das sie mit großer Zärtlichkeit ableckt und das ihr sofort zu folgen
vermag. Schon eine halbe Stunde nach der Geburt bietet ihm seine Mutter
das Euter dar, das ihm die nächste Nahrung spendet. Nach 5-6 Monaten
kann das Eselsfüllen entwöhnt werden, folgt aber noch lange seiner
Mutter auf allen Wegen nach. Es ist ein überaus munteres, lebhaftes
Tier, das die possierlichsten Sprünge ausführt. Schon im zweiten Jahre
ist es erwachsen; aber erst im dritten Jahre erreicht es seine volle
Kraft, um selbst bei harter Arbeit ein Alter von über 30 Jahren zu
erreichen.

Im Volksleben Mitteleuropas spielte der Esel nur als Mülleresel, der
die Säcke nach und von der Mühle trug, eine beschränkte Rolle und wurde
nie das volkstümliche Haustier wie in Südeuropa oder gar im Orient.
Er kam einst im Mittelalter vorzugsweise durch die Mönchsorden nach
Deutschland in die Klöster, um hier als Lasttier verwendet zu werden.
So erlaubte z. B. Herzog Konrad I. von Urach 1263 den Franziskanern
in Freiburg im Breisgau „mit drei Eseln aus dem Herzogenwald Holz zu
holen.“ Aus den Klöstern ging er dann später teilweise zu den Laien
über. Aber im allgemeinen kam er im Laufe der Zeit als schlecht
gefüttertes und fast ungepflegtes Arbeitstier des kleinen, armen Mannes
zu einem blöden Jammerwesen herunter und wurde so für den Volksmund
zum sprichwörtlichen Vertreter der Dummheit. Nicht viel besser erging
es dem Esel in den Mittelmeerländern, obwohl er dort viel zahlreicher
gehalten wird und zum geradezu unentbehrlichen Gehilfen des Menschen,
speziell des Gartenbauers, wurde. Auch hier ist das Leben des armen
„Packesels“ eine Kette von Anstrengungen, Leiden und Entbehrungen
gepaart mit zahlreichen Mißhandlungen. Erst im Morgenlande sehen wir
aus diesem Proletarier unter den Haustieren des Abendlandes einen mit
weit größerer Sorgfalt als bei uns behandelten Diener und Genossen des
Menschen werden, der es sogar zu einigem Adel der äußeren Erscheinung,
wie des Charakters bringt. Brehm schreibt in seinem bekannten
Tierleben: „Der nordische Esel ist, wie allbekannt, ein träger,
eigensinniger, oft störrischer Gesell, welcher allgemein, wenn auch mit
Unrecht, als Sinnbild der Einfalt und Dummheit gilt, der südliche Esel
dagegen, zumal der ägyptische, ein schönes, lebendiges, außerordentlich
fleißiges und ausdauerndes Geschöpf, welches in seinen Leistungen gar
nicht weit hinter dem Pferde zurücksteht, ja es in mancher Hinsicht
noch übertrifft. Ihn behandelt man auch mit weit größerer Sorgfalt als
den unsrigen. In vielen Gegenden des Morgenlandes hält man die besten
Rassen so rein wie die des edelsten Pferdes, füttert die Tiere sehr
gut, plagt sie in der Jugend nicht so viel und kann deshalb von den
erwachsenen Dienste verlangen, welche unser Esel gar nicht zu leisten
imstande sein würde. Man hat vollkommen recht, viele Sorgfalt auf die
Zucht des Esels zu verwenden; denn er ist dort Haustier im vollsten
Sinne des Wortes: er findet sich im Palast des Reichsten wie in der
Hütte des Ärmsten und ist der unentbehrlichste Diener, welchen der
Südländer kennt. Schon in Griechenland und Spanien trifft man sehr
schöne Esel, obgleich sie noch weit hinter den im Morgenlande, zumal
in Persien, Turkmenien und Ägypten gebräuchlichen zurückstehen. Der
griechische und der spanische Esel kommen einem kleinen Maultier an
Größe gleich; ihr Haar ist glatt und weich, die Mähne ziemlich, die
Schwanzquaste verhältnismäßig sehr lang; die Ohren sind lang, aber fein
gebaut, die Augen glänzend. Große Ausdauer, ein leichter, fördernder
Gang und ein sanfter Galopp stempeln diese Esel zu unübertrefflichen
Reittieren.“

Noch weit schöner als diese Esel von ostafrikanischer Abstammung
sind die arabischen Esel, zumal diejenigen, welche in Jemen gezogen
werden. Es gibt zwei Rassen, eine große, mutige, rasche, zum Reiten
höchst geeignete, und eine kleine, schwächere, welche gewöhnlich zum
Lasttragen benutzt wird. Der große Esel ist wahrscheinlich durch
Kreuzung mit dem Onager und seinen Nachkommen veredelt worden. Ganz
ähnliche Rassen finden sich in Persien und Ägypten, wo man viel Geld
für einen guten Esel ausgibt. Ein allen Anforderungen entsprechender
Reitesel steht höher im Preis als ein mittelmäßiges Pferd, und es ist
gar nicht selten, daß man bis 1500 Mark unseres Geldes für ihn bezahlt.
„Etwas Nutzbareres und Braveres von einer Kreatur als dieser Esel“,
sagt Bogumil Goltz, „ist nicht denkbar. Der größte Kerl wirft sich auf
ein Exemplar, welches oft nicht größer als ein Kalb von sechs Wochen
ist, und setzt es in Galopp. Diese schwach gebauten Tiere gehen einen
trefflichen Paß; wo sie aber die Kräfte hernehmen, stundenlang einen
ausgewachsenen Menschen selbst bei großer Hitze im Trab und Galopp
herumzuschleppen, das scheint mir fast über die Natur hinaus in die
Eselsmysterien zu gehen.“ Man verschneidet den Reiteseln das Haar sehr
sorgsam und kurz am ganzen Körper, während man es an den Schenkeln in
seiner vollen Länge stehen läßt; dort werden dann noch allerlei Figuren
und Schnörkel eingeschnitten, und die Tiere erhalten dadurch ein ganz
eigentümliches Aussehen.

Weiter nach dem Innern, wo das nützliche Geschöpf ebenfalls als
Haustier gehalten wird, sieht man wenige edle Esel, und auch diese
werden erst eingeführt.

Die hier erwähnte hochgeschätzte, edlere Eselrasse, welche größer,
von schlankerer Gestalt und feineren Gliedmaßen, mit kürzeren Ohren,
isabellfarben bis weiß ist und wegen ihrer Gutartigkeit und Lenksamkeit
häufig von vornehmen Damen geritten wird, ist tatsächlich kein
Abkömmling des afrikanischen Steppenesels, von dem die gewöhnlichen
Eselrassen abstammen, sondern des ~westasiatischen Steppenesels~, des
~Onager~ der Alten (_Asinus onager_), der auch in der Bibel mehrfach
erwähnt wird. Dieses von Syrien über Arabien, Persien bis Indien
verbreitete Tier ist merklich kleiner als der die Steppen Zentralasiens
nördlich von Tibet in kleinen, äußerst scheuen Herden bewohnende
edelste Wildesel, der ~Kulan~ der Kirgisen oder ~Dschiggetai~, d. h.
zu deutsch Langohr der Mongolen, der mit dem Schwanz 2,5 _m_ lang wird
bei einer Höhe am Widerrist von 1,3-1,5 _m_, aber doch größer und
feingliedriger als der gemeine Esel. Sein Kopf ist verhältnismäßig noch
höher und größer als beim Kulan, die dicken Lippen sind bis an den
Rand mit steifen, borstigen Haaren dicht bekleidet, die Ohren ziemlich
lang, jedoch kürzer als beim Esel. Die vorherrschende Färbung ist ein
silberiges Weiß, das auf der Oberseite des Kopfes, an den Seitenflächen
des Halses und des Rumpfes, sowie an den Hüften in ein blasses
Isabellgelb übergeht. Am Seitenbug zieht sich ein weißer Streifen
von Handbreite herab. Ein zweiter Streifen verläuft längs des ganzen
Rückens und an der Hinterseite der Schenkel; in seiner Mitte liegt
der kaffeebraun gefärbte Riemen. Die Behaarung ist seidenartiger und
weicher als beim Pferde, im Sommer äußerst glatt und zart, im Winter
wolliger.

Der Onager ist äußerst scheu, vorsichtig und schnellfüßig, so daß ihm
in offener Steppe gar nicht beizukommen ist. Er lebt in kleinen, aus
Stuten und Füllen beiderlei Geschlechts bestehenden Herden, die von
einem Haupthengst geführt werden. Er ist außerordentlich genügsam und
kommt höchstens jeden zweiten Tag zur Tränke, weshalb der Anstand auf
ihn meist vergeblich ist. Salzhaltige Pflanzen, wie sie die Salzsteppe
seiner Heimat in Menge hervorbringt, sind seine angenehmste Nahrung.
Salziges Wasser liebt er mehr als süßes, jedoch muß es rein sein; denn
trübes trinkt er nie.

Schon im frühen Altertum wurde dieses Wildpferd in Vorderasien gefangen
und gezähmt, um dem Menschen dienstbar zu sein. So haben ihn schon
die Sumerer in Mesopotamien zum Kriegführen verwendet, lange bevor
das Pferd aus Innerasien zu ihnen gelangte. Als aber letzteres im
Zweistromland Aufnahme gefunden hatte, verdrängte es für diesen
Zweck den älteren Esel. So finden wir unter den Kriegsszenen der
Assyrer stets nur das Pferd als Zugtier am zweirädrigen Kriegswagen
abgebildet, während der als Lasttier hauptsächlich landwirtschaftlichen
Zwecken dienende Esel hier fehlt. Dagegen findet sich das Einfangen
des Wildesels gelegentlich auf den Jagddarstellungen. Eine solche
besitzen wir beispielsweise auf dem Basrelief einer Marmorplatte aus
dem etwa 668 v. Chr. gebauten Palast des Asurbanipal in Kujundschik.
Hier hat der assyrische Künstler eine Jagdszene wiedergegeben, die an
packender Naturtreue den besten Leistungen der antiken Tierdarstellung
an die Seite zu stellen ist. Zwei mit bis zu den Knien reichenden
befransten Gewändern bekleidete Männer mit hohen Sandalen und wellig
gescheiteltem Haupthaar ohne Bart führen zwischen sich an Stricken
einen mit dem Lasso gefangenen jungen Onagerhengst, während darunter
zwei wilde Onager in eiligstem Lauf, der eine mit den Hinterbeinen wild
um sich schlagend, in entgegengesetzter Richtung davoneilen. Der ganze
Körperbau, die Bildung des Kopfes und Halses mit der kurzen Mähne,
dann vor allem der an der Spitze mit Haarquaste versehene Eselsschwanz
weisen mit Bestimmtheit auf den westasiatischen Onager und nicht auf
das Wildpferd, wie Konrad Keller darzutun versucht. Solche Wildlinge
wurden wohl auch zur Auffrischung der einheimischen Eselzucht verwendet.

Noch weit später sind je und je wilde Onager in Westasien gefangen
worden, müssen also damals in der dortigen Steppe noch in namhaften
Herden gelebt haben. So wurden sie auch wiederholt zur Kaiserzeit bei
den großen Zirkusspielen in Rom vorgeführt und allerlei Raubtiere auf
sie gehetzt. So schreibt Julius Capitolinus in seiner Biographie des
Gordian, der 238, 80 Jahre alt, mit seinem Sohne zum Kaiser ausgerufen
wurde, sich aber 36 Tage nachher, als letzterer vor Karthago geschlagen
ward und fiel, tötete, er habe, als er unter Caracalla und Alexander
Severus Konsul war, einmal bei den von ihm gegebenen Jagdspielen im
Zirkus Maximus in Rom 30 Wildesel -- wohl ein seltsames Schauspiel für
die sonst so verwöhnten Römer -- auftreten lassen. Noch seltener gab es
dort das ebenso flüchtige Tigerpferd Afrikas, das Zebra, von den Römern
_hippotigris_ genannt, zu sehen. So berichtet ein anderer römischer
Schriftsteller, daß Kaiser Caracalla im Jahre 211 neben Tiger, Elefant
und Nashorn auch einen Hippotigris auftreten ließ und eigenhändig
tötete.

Schon frühe, wenn auch bedeutend später als der afrikanische
Steppenesel, ist dieser südwestasiatische Steppenesel, jung eingefangen
und an des Menschen Gegenwart und Pflege gewöhnt, zum Haustiere
desselben geworden. Doch wurde er in seiner Heimat nicht so regelmäßig
wie der Hausesel bei den Ägyptern und den mit diesem in der Folge
beschenkten Völkern gehalten, so daß sich wohl erst spät eine
eigentliche Zucht ausbildete. So berichtet der Vater der griechischen
Geschichtsschreibung, Herodot, daß die 580 im Heere des Xerxes, bei
seinem Zuge gegen Griechenland, befindlichen Inder Streitwagen führten,
die teils mit Pferden, teils mit Wildeseln (_ónos ágrios_, eben dem
Onager) bespannt waren. Von eben diesem Onager, der damals noch
häufiger als heute angetroffen wurde, berichtet Xenophon vom Jahre
401 v. Chr. von seiner Expedition zugunsten des Cyrus: „Als Cyrus der
Jüngere durch Arabien, im Westen des Euphrats, hinzog, kam er durch
eine ganz unabsehbare Ebene, woselbst es sehr viele Wildesel gab. Diese
liefen viel schneller als Pferde und konnten nur gefangen werden, indem
Reiter sich in großen Entfernungen voneinander aufstellten und so im
Jagen wechselten. Das Wildpret dieser Tiere glich dem des Hirsches, war
aber zarter.“

Dieser westasiatische Hausesel ist gemäß seiner Abstammung vom Onager
nicht grau, wie der sich vom afrikanischen Steppenesel ableitende
Hausesel, sondern weiß oder isabellfarben und viel größer als jener.
Ja, sie geben dem Pferd an Größe nicht viel nach. Am meisten werden
sie in Südostarabien gezogen und kommen dann als ~Maskatesel~ in den
Handel. Man trifft sie außer in Arabien besonders viel in Persien und
Mesopotamien als Reittiere verwendet, da sie nicht nur stark gebaut,
sondern, im Gegensatz zum störrischen Wesen ihres afrikanischen
Vetters, lenksam und dabei ausdauernd sind. In Mesopotamien (Bagdad)
kommen sie neben dem gewöhnlichen Lastesel häufig auf den Markt und
gelten dort 25 türkische Pfund (= 560 Mark). Die besten Zuchten stammen
aus Nedje in Zentralarabien. Als schöne und edle Rassetiere werden
sie mit Vorliebe von den vornehmen und reichen Orientalen gehalten,
die sich solchen Luxus leisten können. Das gemeine Volk aber begnügt
sich mit dem weniger edlen Grautier, dem Abkömmling des afrikanischen
Steppenesels, der sich allein als Arbeitstier über größere Gebiete der
Erde verbreitet hat. Wie seit dem frühesten Altertum spielt letzterer
heute noch in Ägypten als Reit- und Transporttier der Eingeborenen
eine wichtige Rolle und gehört überall, besonders in den Städten,
zur Staffage des Straßenlebens. Durch ganz Afrika hat er bei den
hamo-semitischen Stämmen die größte Verbreitung gefunden, während
ihn die Neger ablehnten. Im äußersten Osten, in den Somaliländern,
ist er lediglich Lasttier, das den Karawanen folgt. Doch wird er dort
nicht gerade zahlreich gehalten, da in den dortigen Steppenländern das
Kamel leistungsfähiger ist. Auch in Abessinien wird er in den höheren
Lagen ziemlich viel als Lasttier verwendet, aber auch ausgiebig zur
Maultierzucht benutzt. Die am weitesten nach Innerafrika vorgeschobenen
Hamiten, die Gallas und die Massai, halten zahme Esel in großer Zahl.
Es sind kräftige, graue Tiere mit scharfgezeichnetem Schulterkreuz.
Vom oberen Niltal hat sich das Tier stark nach den Haussaländern
verbreitet, wo es ebenfalls vorzugsweise als Lasttier benutzt wird.
Ebenso ist es in Südafrika häufig, da es gegen gewisse hier umgehende
Krankheiten, besonders die Tsetse, widerstandsfähiger als das Pferd
ist. Die ersten Esel kamen bereits 1689 aus Persien nach dem Kap und
wurden in der Folge vorwiegend durch die Buren weiter nördlich bis zum
Sambesi verbreitet.

In Arabien, Mesopotamien, Persien und Afghanistan wird neben dem
großen, hellen Hausesel von Onagerabstammung sein kleiner, grauer,
afrikanischer Verwandter ebenfalls häufig gehalten. Große, auffallend
stark gebaute Esel von vorwiegend Onagerblut findet man bei den
Turkmenen. In der Mongolei und Mandschurei besteht eine starke
Eselzucht, die von ihrem Überschuß vielfach an chinesische Kleinhändler
abgibt. Doch ist der Esel in China so unwichtig, daß er nicht einmal
nach Japan kam, wo man nur das Pferd verwendet. In Indochina und
Indonesien fehlt er ganz. In Ostindien findet man ihn nur selten, z. B.
in Cotschin, wo sich Araber aufhalten. Kleinasien dagegen besitzt
wie ganz Westasien eine Menge von Eseln, doch überwiegend Grautiere
von ziemlich elender Erscheinung, weil sie schlecht gehalten werden.
Auch in Griechenland finden wir den Esel häufig, weniger dagegen in
den Balkanländern. Bedeutende Eselzuchten weist Süditalien auf. Auf
Sizilien und der Insel Pantellaria wird eine stattliche Rasse gehalten,
während die Esel Sardiniens sehr klein sind. In Südfrankreich dient der
Esel vorzugsweise zur Maultierzucht, die auch in Spanien und Portugal
eine sehr wichtige Rolle spielt. Daneben wird aber auch der Esel auf
der Iberischen Halbinsel viel verwendet; ja man kann sagen, daß das
Grautier neben Ägypten und Westasien hier am häufigsten gezüchtet
wird. Von Spanien aus wurde der Esel im 16. Jahrhundert in Amerika
eingebürgert, ist aber hier stark vernachlässigt. Seine Hauptbedeutung
beruht hier in der Maultierzucht. Der erste Esel, den Garcilasso
auf der Hochebene von Peru sah, war dazu bestimmt. In Australien
ist seine wirtschaftliche Bedeutung, wie auch in Mitteleuropa, ohne
Belang geblieben. Früher wurde er in der Westschweiz häufig gehalten,
besonders in den Kantonen Genf und Waadt. Neuerdings ist er wesentlich
durch die Bemühungen der Tierschutzvereine in verschiedenen Städten
Deutschlands als Zugtier eingebürgert worden. Im Norden besitzt Irland
stellenweise, z. B. in Connaught, eine starke Eselzucht. Auch in
England, wo er früher nahezu fehlte, wird er jetzt häufig, wenigstens
im Süden, als Zugtier von den Kleinhändlern gehalten.

Es ist schon mehrfach von den Kreuzungsprodukten von Esel und Pferd
die Rede gewesen, die schon im frühen Altertum in Westasien und
den Mittelmeerländern eine wichtige Rolle spielten und heute noch
besonders in den romanischen Ländern sehr zahlreich gehalten werden.
Dabei unterscheidet man den ~Maulesel~ (lat. _hinnus_) als Produkt
der Kreuzung von Pferdehengst mit Eselstute und das ~Maultier~ (lat.
_mulus_) als dasjenige von Eselhengst mit Pferdestute. In beiden
Fällen schlägt der Bastard mehr nach der Mutter aus. So gleicht der
Maulesel mehr dem Esel, sieht aber wegen des relativ schweren Rumpfes
in Verbindung mit schwachen Gliedmaßen unschön aus und ist nie zu
größerer Bedeutung gelangt. Man findet ihn heute nur sporadisch,
so besonders in Abessinien, Nubien, Marokko, auf den Balearen, in
Sizilien und Istrien. Dagegen war er im Altertum in manchen Gegenden
nicht gar selten zu finden, so in Assyrien, wo er im Dienste der
Haus- und Landwirtschaft als Lasttier wie der Esel gebraucht wurde.
Zu sehr großer Bedeutung gelangte dagegen das Maultier, das mehr dem
Pferde gleicht, viel leistungsfähiger ist, und mit seinen kleinen,
zierlicheren Hufen ein weit besserer Bergsteiger ist als das Pferd
und deshalb besonders viel als Saumtier gehalten wird. Von ihm werden
weit mehr Männchen als Weibchen geboren. Sie sind in der Regel, aber
durchaus nicht in allen Fällen unfruchtbar, wie man gemeinhin glaubt,
nur ist ihr Geschlechtstrieb bedeutend herabgesetzt. Dabei sollen sie
sehr alt werden, viel älter als beide Eltern. Auch im Charakter ist die
mütterliche Abstammung maßgebend. So halten sich nach Dobrizhoffer die
Maulesel zu den Eseln, die Maultiere jedoch zu den Pferden. Deshalb
führt im romanischen Südamerika jede _tropa_ Maultiere ein Pferd,
die _madrinha_, mit der Schelle als Leittier. Nebenbei bemerkt kommt
natürlich die Benennung Maulesel und Maultier vom lateinischen _mulus_.

Wie kam nun der Mensch dazu, eine solche auf den ersten Blick
unnatürliche und sonst bei den Haustieren durchaus nicht gebräuchliche
Bastardierung zwischen Esel und Pferd vorzunehmen? Darauf läßt sich
keine bestimmte Antwort geben. Eduard Hahn hat sie bereits mit dem
Eindringen des Pferdes selbst aus Hochasien nach Westen in Verbindung
bringen zu dürfen geglaubt. Als das erste Reitervolk aus Innerasien
nach den Kulturländern im Süden und Westen vorstieß, werden die
Bewohner vor solch ungewohntem Anblick in denselben Schrecken geraten
sein wie die alten Griechen, die aus solcher Reminiszenz ihre Sage
von den Kentauren schufen, die halb Mensch halb Tier (Pferd) sein
sollten. Vielleicht, ja wahrscheinlich, daß dieses Volk statt der
wilden, ungestümen Hengste nur die sanfteren Stuten ritt, wie dies
die Araber aus altgeheiligter Sitte heute noch tun. Zur Begründung
dieser Gewohnheit sagen sie, wenn sie einmal einen nächtlichen Überfall
machten und es wäre ein Hengst dabei, so könnte er, wenn er die
Anwesenheit der Stuten im Lager röche, wiehern und dadurch die Feinde
alarmieren. Dies soll unter allen Umständen vermieden werden! Ritt
nun der ungläubige Araber nur Stuten, so ritt schon aus nationalem
Gegensatz der gläubige Spanier nur Hengste. Wo Spanier in Südamerika
leben, gilt es heute noch für eine Schande, die kaum ein Neger auf sich
lädt, eine Stute zu besteigen.

Wie vielleicht jenes alte Reitervolk, das aus Innerasien hervorbrach,
ritten nach dem Zeugnisse des Römers Trebellius Pollio die Skythen nur
Stuten, indem man vermutlich die überschüssigen Hengste, die nicht zur
Zucht gebraucht wurden, als Opfertiere schlachtete.

Fingen nun die betreffenden Westasiaten, die von diesem Reitervolke
heimgesucht wurden, die ihrer Reiter entledigten Stuten, so konnte
es nicht ausbleiben, daß diese mit dem hier bereits als Haustier
gehaltenen Esel zusammengesperrt wurden, wobei sich Gelegenheit zur
Bastardierung von selbst ergab. So etwa ist der Ursprung der in
Westasien sehr alten Maultierzucht zu erklären.

Als man dann später die Vorteile dieser Bastardierung inne geworden
war, pflegte man sie neben der Pferdezucht auszuüben. Nur manche
Völker, wie beispielsweise die Juden, lehnten sie als ungehörig ab.
So verbot das Gesetz den Juden, wie jede Bastardierung überhaupt,
so auch diese. Bei den alten Persern waren die Maultiere ebenso
gebräuchliche als beliebte Arbeitstiere wie bei den ältesten Griechen.
Wir haben bereits gesehen, welche Verbreitung die Maultiere bereits in
homerischer Zeit hatten und wie die Esel damals nur als Beschäler der
Pferdestuten, also als Zuchttiere für die Maultiergewinnung benutzt
wurden. Nicht anders scheint es bei den Mykenäern und dem ganzen
illyrischen Kulturkreis zur Mitte des zweiten vorgeschichtlichen
Jahrtausends gewesen zu sein, indem hier nach den Abbildungen das
Maultier neben dem Pferd zum Ziehen der zweiräderigen Wagen und daneben
auch zum Reiten ohne Schabracke und Sattel oder Bügel benutzt wurde. Im
Heere der Perser spielten die Maultiere wie die Esel zur Beförderung
der Bagage eine wichtige Rolle. So meldet uns der griechische
Geschichtschreiber Herodot: „Als der Perserkönig Darius (im Jahre 513
v. Chr.) über die Donau gegangen war, um gegen die Skythen Krieg zu
führen, zeigte sichs bald, daß die feindliche Reiterei der seinigen
weit überlegen war. Indessen fand sichs, daß die Perser an den Eseln
und Maultieren, welche in ihrem Lager waren, mächtige Bundesgenossen
hatten; denn die skythischen Pferde nahmen vor ihnen Reißaus, weil sie
dergleichen nie gesehen hatten, und fürchteten sich nicht bloß vor
ihrem Anblick, sondern auch vor ihrer Stimme.

Als endlich Darius doch in Not geriet, blieb ihm nichts übrig, als sich
zurückzuziehen, und dabei brauchte er folgende List: wie es Nacht war,
ließ er die Esel im Lager anbinden und Feuer anmachen. Darauf zog er
heimlich mit dem Heer von dannen, während die Skythen sicher glaubten,
er wäre noch da; denn sie hörten die Esel laut schreien. Diese Tiere
schrieen aber deswegen, weil ihre Herren weggegangen waren.“

[Illustration:

  Tafel 31.

Für die Maultierzucht verwendeter, sehr schwerer italienischer
Eselhengst.

Größe 1,54 _m_ Stockmaß, dreijährig.

(Aus Karl Hagenbecks Tierpark in Stellingen.)]

[Illustration: Großes Arbeitsmaultier, von Karl Hagenbeck aus
Nordamerika importiert.

Größe 1,80 _m_ Stockmaß.]

[Illustration:

  Tafel 32.

Zebroid von Karl Hagenbecks Tierpark in Stellingen.

Vater Zebrahengst, Mutter Pferdestute.]

[Illustration: Grevy-Zebras in Karl Hagenbecks Tierpark in Stellingen.]

[Illustration:

  Tafel 33.

Zebrastute mit Zebroidenfohlen (Vater Pferd) in Deutsch-Ostafrika.

(Nach einer Photographie der deutschen Kolonialschule in Witzenhausen.)]

[Illustration: Ein Paar eingefahrener verschiedenartiger Zebras mit der
Familie Hagenbeck im Tierpark in Stellingen.]

[Illustration:

  Tafel 34.

Weidende Zebraherde in der ostafrikanischen Massaisteppe am Fuße des
Kilimandscharo.

(Nach unretuschierter Naturaufnahme von Karl G. Schillings aus seinem
Buche „Mit Blitzlicht und Büchse“.)]

Wie bei den alten Griechen, so hat auch bei den Römern das Maultier als
nützliches Arbeitswesen weite Verbreitung gefunden. Hat doch seine fast
aufgehobene Geschlechtlichkeit im Verein mit seinem leistungsfähigen
Körper, der die Stärke des Pferdes mit der Zähigkeit, Ausdauer und
Genügsamkeit des Esels verbindet, es bis auf den heutigen Tag überall
in den von der altrömischen Kultur befruchteten romanischen Ländern
zu besonderer Wertschätzung geführt. Schon der ältere Plinius sagt in
seiner Naturgeschichte: „Das Maultier ist zur Arbeit ganz ausgezeichnet
gut, der Maulesel dagegen ist unlenksam und unbändig faul. In der
Regel bekommen Maultiere und Maulesel keine Jungen; doch geschieht
es allerdings mitunter und dann hat man es immer für ein Zeichen
bevorstehenden Unglücks gehalten.“ Dieser Aberglaube ist von den Römern
auf die Romanen übergegangen. So berichtet Bollaert, daß eine der
besten Silberminen bei Iquique ihren Ertrag einstellte, als ein weißes
Maultier ein Junges warf. In ganz Südamerika hat man einen solchen
Schrecken vor diesen Maultiergeburten, daß schon in verschiedenen
Fällen Mutter und Kind gleich auf einen Scheiterhaufen gebracht und
verbrannt worden sein sollen. Wie Älian berichtet, benutzten die
Römer, besonders zum Ziehen von Reisewagen, Stuten oder Maultiere.
Diese waren dann bei den Vornehmen vielfach kostbar beschlagen und
mit bunten Bändern geschmückt. So berichtet Plinius von Kaiser Neros
Gemahlin Poppaea, sie habe die Hufe ihrer Maultiere mit Gold beschlagen
lassen. Und Sueton schreibt: „Wenn Kaiser Nero eine Reise machte, so
hatte er immer wenigstens tausend Staatskarossen bei sich; die Hufe
der vorgespannten Maultiere waren mit Silber beschlagen, die Kutscher
waren in kanusinische Wolle gekleidet.“ Varro rühmt den Mut dieser
Tiere, indem er sagt: „Die Maultiere sind von Natur mutig, und mir ist
ein Beispiel bekannt, wo sich ein Wolf an eine Herde von Maultieren
schlich, diese ihn aber umringten und mit den Hufen totschlugen.“

Heute noch wird in den Gebirgsländern Südeuropas, besonders in Italien
und Spanien, dann in Österreich und der Schweiz -- hier besonders im
Kanton Wallis --, das Maultier zum Befördern von Lasten als Saumtier,
oder an den zweiräderigen Wagen angespannt, dem Pferde vorgezogen.
Seine Genügsamkeit, seine große Ausdauer und die selbst auf dem
schwierigsten Terrain sichere Gangart -- alles Erbstücke vom Esel
-- in Verbindung mit der durch die vom Pferd ererbte Körpergröße
ermöglichten größeren Leistungsfähigkeit beim Lastentragen machen es
den Gebirgsbewohnern geradezu unentbehrlich. Deshalb wird es auch zum
Befördern der Gebirgsartillerie dem Pferde vorgezogen. Auf eine hohe
Stufe ist die Maultierzucht in Südfrankreich gelangt, wo Poitou und
Deux Sèvres einen starken Export betreiben. Außer in den romanischen
Ländern trifft man diese Zucht nur noch in Irland häufiger. Auf
asiatischem Boden hat Persien ausgezeichnete Maultiere; auch Nordchina
ist in dieser Richtung hervorragend. In Nordafrika züchten Algerien
und Ägypten diesen Bastard in größerer Zahl, am berühmtesten ist aber
das gebirgige Abessinien durch seine Maultierzucht. Sie wird dort
dadurch erleichtert, daß einmal der dortige Pferdeschlag nicht sehr
groß ist und die Abneigung des Pferdes gegen den niedern Verwandten
dadurch verringert wird, daß Pferd und Esel von Jugend auf zusammen
aufgezogen werden. In der Neuen Welt hat die Maultierzucht namentlich
im spanischen Südamerika außerordentliche Verbreitung gefunden. So
wurden früher nicht weniger als 80000 Stück jährlich von Argentinien
nach Peru exportiert. Auch in Mexiko und den Südstaaten der Union hat
die Maultierzucht zunehmende Bedeutung erlangt.

Wie der Wildesel würde auch das ~Zebra~ (_Equus zebra_) ein geeignetes
Objekt für die Domestikation von seiten des Menschen sein. Durch
die unablässigen Verfolgungen von Seiten des Menschen ist seine
Verbreitung eine sehr beschränkte geworden. Früher war es ein gemeines
Tier der afrikanischen Steppe, das in Herden bis zu 100 Stück lebte,
die einzelnen Arten streng voneinander gesondert, aber sich gern
unter Antilopen und Strauße mengend. Da ihr Gesicht, wie bei allen
Pferden, weniger gut ausgebildet ist, während ihr Geruch vorzüglich
ist, kam ihnen die Symbiose mit den gut sehenden, außerordentlich
wachsamen Straußen sehr zugute. Letztere ihrerseits fraßen gern die im
Zebradung lebenden großen Mistkäfer. Eine ähnliche Lebensgemeinschaft
zu gegenseitiger Förderung besteht in Südamerika zwischen Hirschen und
Nandus, im Kaukasus zwischen Steinböcken und Berghühnern.

Die Zebras sind wie die Wildesel typische Steppentiere, die sich aber
im Gegensatz zu jenen nie allzuweit vom Wasser entfernen, da es ihnen
bei der sehr harten, vielfach salzhaltigen Nahrung ein Bedürfnis ist,
täglich zu trinken. Wie alle diese Tiere benutzen sie gewöhnlich die
Nacht, um oft über weite Strecken zum Wasser zu gelangen, an dem sie
ihren Durst zu stillen vermögen. Früher galt das Zebra für zu wild,
um gezähmt werden zu können. Doch ist diese vorgefaßte Meinung durch
den praktischen Erfolg widerlegt worden. So gibt es nicht nur in
Deutsch-Ostafrika, sondern selbst in London als Zugtiere dressierte
Zebras, die ihren Dienst vortrefflich tun. In letzterer Stadt fährt
Baron W. von Rothschild im dichtesten Straßengewühl mit vier Zebras
so glatt und flott wie mit dem besten Viererzug aus Pferden. Da das
Zebra unter der Tsetsekrankheit nicht leidet, ist es dazu berufen,
in weiten Gebieten Afrikas als Zugtier das Pferd zu ersetzen, das
dort nicht gehalten werden kann, da es regelmäßig daran erliegt. Zum
Reiten ist es allerdings zu schwach. Von allen Zebraarten hätte nur
das Grevyzebra (_Equus grevyi_) die erforderliche Größe und Kraft, um
ein brauchbares Reittier abzugeben. Da sich die Zebras sehr leicht
mit Pferd und Esel kreuzen lassen, scheint eine solche Kreuzung von
großer Bedeutung, da die daraus resultierenden Bastarde, die man als
~Zebroide~ bezeichnet, sehr leistungsfähig sind und gegenüber dem
Maultier unverkennbare Vorzüge aufweisen, so daß sie diesem vielleicht
in Bälde den Rang streitig machen werden. Verschiedene Gestüte haben
sehr günstige Erfahrungen mit diesen Tieren gemacht, die durch ihre
mehr pferdeähnliche Erscheinung in Verbindung mit der Zebrazeichnung
recht stattliche Luxustiere sind. Außer Schnelligkeit und Ausdauer
wird ihnen große Gelehrigkeit nachgerühmt. An Muskelstärke übertreffen
diese Zebroide die Maultiere und lassen die Störrigkeit der letzteren
ganz vermissen; außerdem sind sie weniger scheu. Jedenfalls haben
diese Tiere eine bedeutende Zukunft, da sie eine besonders gute
Rassenmischung darzustellen scheinen.



VII. Das Pferd.


Erst längere Zeit nach dem ostafrikanischen Wildesel ist irgendwo in
Zentralasien das flüchtige ~Wildpferd~ (_Equus caballus_) vom Menschen
gezähmt und zunächst als ausschließliches Werkzeug des Krieges benützt
worden. Einst hat es nicht nur in Asien, sondern überall auch in Europa
Wildpferde gegeben. Wie der nordamerikanische Bison die ausgedehnten
Prärien und der europäische Wisent den Wald bewohnte, so war offenbar
auch das europäische Wildpferd in frühgeschichtlicher Zeit mehr ein
Waldtier, während es von Rußland an ein ausgesprochenes Steppentier
wie einst in der Diluvialzeit geblieben war. In verschiedenen Epochen
der Eiszeit hat neben dem Wildbüffel das Wildpferd das wichtigste
Nahrungstier des Menschen gebildet, dessen Knochen sich an manchen
einstigen Lagerplätzen des Diluvialmenschen zu mächtigen Abfallhaufen
auftürmten. So findet sich an der Fundstelle von Solutré bei Mâcon
nördlich von Lyon im Rhonetal eine gegen 4000 _qm_ bedeckende
Schicht von 0,5-2,3 _m_ Mächtigkeit, bestehend fast ausschließlich
aus Knochen des diluvialen Wildpferdes, das damals in zahlreichen
Herden das Rhonetal bewohnt haben muß und trotz seiner Flüchtigkeit
dem primitiven Jäger zahlreich zur Beute fiel. Die Gesamtzahl der
auf jenem einzigen Platze einst vom Eiszeitmenschen verspeisten
Wildpferde schätzt Toussaint auf wenigstens 40000, andere auf etwa
100000, meist vier- bis siebenjährige, also im besten Fleischzustand
erbeutete Tiere. Dieses heute in Europa ausgestorbene diluviale
Wildpferd, von dem sich auch mehrfach treffliche Zeichnungen von der
Hand des Eiszeitjägers der jüngsten Phase der älteren Steinzeit an
den Höhlenwänden, auf Steinplatten und auf allerlei Knochenstücken
erhielten, besaß einen größeren Kopf, stärkere Zähne und kräftigere
Kiefer als das heute lebende Pferd, war aber, wie man an einem aus
Bruchstücken zusammengesetzten Skelett im Naturhistorischen Museum in
Lyon sehen kann, ziemlich groß und schlank gebaut. Auch die Fundstelle
von La Micoque im Vézèretal unweit von Laugerie haute birgt eine
gewaltige Menge von Knochen dieses Tieres, dessen Röhrenknochen stets
aufgeschlagen wurden, um das Markfett, nach dem jene Leute sehr lüstern
waren, noch lebenswarm auszusaugen.

[Illustration: Bild 24. Darstellung von Wildpferden auf einem Zierstab
der Magdalénienjäger Südfrankreichs aus Renntierhorn.]

[Illustration: Bild 25. Darstellung eines Wildpferdes -- meist als
Steppenesel aufgefaßt -- mit übertrieben langem Körper und allzu
kleinem Kopf aus dem Keßlerloch bei Thaingen. (Nach Photogramm von
_Dr._ Nüesch.)]

In späterer Zeit ist das Wildpferd infolge der fortgesetzten
Verfolgungen zunächst in Süd- und Mitteleuropa immer seltener
geworden, wenn auch noch der Römer Varro aus der ersten Hälfte des
letzten vorchristlichen Jahrhunderts schreibt: „In mehreren Gegenden
des westlichen Spanien gibt es wilde Pferde.“ Im Speisezettel der
Neolithiker hat es keine nennenswerte Rolle mehr gespielt, wenn es auch
noch hier und da erlegt wurde. Nur in Nordeuropa gab es noch lange
Zeit in entlegenen Waldgebieten, wo sie vor Ausrottung von seiten des
Menschen geschützt waren, solche. Dies war auch in Schweden der Fall,
wo Sjörgren im November 1900 bei Ingelstad einen Pferdeschädel aus der
jüngeren Steinzeit fand, in dem noch, wie auf den Abbildungen 28 und
29 zu sehen ist, die abgebrochene Klinge eines Steinmessers steckte.
Das Alter des Pferdes dürfte auf zwei Jahre anzuschlagen sein, und, da
man ein so junges Tier, wäre es gezähmt gewesen, gewiß nicht als Opfer
vermutlich an den Kriegsgott geschlachtet hätte, so läßt dies auf eine
Wildform schließen. Von Schriftstellern des Altertums schreibt der
ältere Plinius, wohl auf verbürgte Nachrichten gestützt: „Im Norden
findet man Herden von wilden Pferden.“ Auch Strabon berichtet, daß in
den Alpen, wie wilde Stiere, so auch wilde Pferde lebten. Vermutlich
stammten die 30 wilden Pferde, die nach Julius Capitolinus der Kaiser
Gordianus für die Jagdspiele im _Circus maximus_ nach Rom schaffen
ließ, von dort oder aus Spanien. Später meldet Venantius Fortunatus,
daß in den Ardennen oder Vogesen neben dem Bären, Hirsch und Eber auch
wilde Pferde gejagt wurden. Der langobardische Geschichtschreiber
Paulus Diaconus im 9. Jahrhundert v. Chr. sagt, daß es den Bewohnern
Italiens ein Wunder gewesen sei, als sie unter dem Könige Agilulf
dorthin gebrachte „Waldpferde“ und Wisente sahen. Am längsten gab es
diese Tiere weiter nördlich in Deutschland, das noch von ausgedehnten
Waldungen bedeckt war, in denen diese Tiere eine Zuflucht fanden. So
aßen nach Hieronymus die deutschen Volksstämme der Quaden und Vandalen,
wie auch die weiter östlich wohnenden Sarmaten das Fleisch wilder
Pferde, das ihnen dann die christlichen Priester bei der Einführung des
Christentums strengstens untersagten. Der Apostel der Deutschen, der
heilige Winfried oder Bonifacius, der den 5. Juni 755 bei Dokkum in
Friesland den Märtyrertod starb, scheint dies in manchen Fällen noch
gestattet zu haben; da aber solche Mahlzeiten stets mit heidnischen
Opfern an den Gott Wodan verbunden waren, so verbot der Papst in Rom
bald solche Abgötterei. Schon Papst Gregor III. schrieb um 732 an
Bonifacius: „Du hast einigen erlaubt, das Fleisch von wilden Pferden zu
essen, den meisten auch das von zahmen. Von nun an, heiligster Bruder,
gestatte dies auf keine Weise mehr.“

[Illustration: Bild 26. Darstellung eines Wildpferdes aus diluvialer
Zeit in der Höhle von La Mouthe in der Dordogne. (Nach Emile Rivière.)]

In den Benediktionen oder Segenssprüchen zu den beim gemeinsamen
Mahle aufgetragenen Speisen des Mönches Ekkehard IV., _magister
scholarum_ ums Jahr 1000, ist auch von wilden Pferden die Rede,
die gelegentlich im waldigen Gürtel um die Einöde des Klosters St.
Gallen erlegt wurden und deren ausdrücklich als „süß“ bezeichnetes
Fleisch dann auf die Klostertafel gelangte. Vielleicht ist der
„grimme Schelch“ des Nibelungenliedes, den Siegfried im Wasgenwald
erlegte, ein Wildpferdhengst (mit beschälen zusammenhängend) gewesen.
In der Weingartner Liederhandschrift spricht Winsbeke in Strophe 46
die Erfahrung aus: „Ein Füllen in einer wilden Herde Pferde wird,
eingefangen, eher zahm, als daß ein ungeratener Mensch in seinem
Innern Scham empfinden lerne.“ Im Sachsenspiegel bestimmt eine Glosse,
daß bei der Zuweisung der fahrenden Habe einer Frau wilde Pferde,
die man nicht immer in Hut behalte, nicht zu rechnen seien. In einer
westfälischen Urkunde vom Jahre 1316 wird einem gewissen Hermann die
Fischerei im ganzen Walde und die wilden Pferde samt der Jagd in
jenem Wildforst zugeteilt. 1316 kamen im Münsterschen wilde Pferde
vor, die dem zustanden, der den Wildbann inne hatte. Noch ums Jahr
1593 lebten im entlegenen Gebirgsteile der Vogesen wilde Pferde, wie
der Elsässer Helisäus Rößlin schreibt. „Diese Wildpferde sind in
ihrer Art viel wilder und scheuer, dann in vielen Landen die Hirsch,
auch viel schwerer und mühsamlicher zu fangen, ebensowohl in Garnen
als die Hirsch, so sie aber zahm gemachet, das doch mit viel Müh und
Arbeit geschehen muß, sind es die allerbesten Pferde, spanischen und
türkischen Pferden gleich, in vielen Stücken ihnen aber fürgehen und
härter seind, dieweil sie sonderlich der Kälte gewohnet und rauhes
Futter, im Gang aber und in den Füßen fest, sicher und gewiß seind,
weil der Berg und Felsen, gleich wie die Gemsen, gewohnet.“ Diese
Wildpferde der Vogesen müssen noch bis ins 17. Jahrhundert gelebt
haben; denn wir erfahren, daß 1616 drei Wildpferdschützen von der Stadt
Kaiserslautern angestellt wurden, um die Felder der Bürgerschaft vor
Schaden durch jene zu bewahren.

Noch viel länger als hier hielt sich das Wildpferd in den ausgedehnten
Waldgebieten von Norddeutschland, Polen und Rußland. So kamen nach
Erasmus Stella noch im Anfang des 16. Jahrhunderts wilde Pferde in
Preußen vor. Das Land der Pommern wird zur Zeit des Bischofs Otto
von Bamberg in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts als reich an
Wild aller Art, auch Wildpferden und Wisenten, angegeben. Im Jahre
1132 brachte der Herzog Sobieslaus von Böhmen von einem Feldzuge nach
Schlesien eine Anzahl wilder Pferde heim. Nach Töppen jagte man zur
Zeit der Deutschordensritter wilde Pferde wie anderes Wild vornehmlich
um ihrer Häute willen. Noch Herzog Albrecht erließ um 1543 ein Mandat
an den Hauptmann zu Lyck, in welchem er ihm befahl, für die Erhaltung
der „wilden Rosse“ zu sorgen. Auch für Polen und Litauen gehen die
Hinweisungen auf das Pferd als Jagdtier bis tief ins 17. Jahrhundert
hinauf. Für Rußland haben wir einen Bericht von Wladimir Monomach, dem
von 1053-1125 lebenden Fürsten von Tschernigow, der in seiner für die
Söhne verfaßten Lebensbeschreibung von sich selbst erzählt: „Aber in
Tschernigow tat ich dies: ich fing und fesselte eigenhändig 10-20 wilde
Pferde lebendig, und als ich längs des Flusses Roßj ritt, fing ich mit
den Händen ebensolche wilde Pferde.“

Diese herrenlosen wilden Pferde sind nicht mit den noch lange in
Europa gehaltenen „wilden Gestüten“ zu verwechseln, die ihre Besitzer
hatten und nicht abgeschossen werden durften. Diese halbwilden Pferde
lebten das ganze Jahr über im Freien, ohne daß sie sich einer irgend
nennenswerten Fürsorge zu erfreuen gehabt hätten. Das letzte dieser
wilden Gestüte bestand in Deutschland im Duisburger Walde und wurde
erst von Napoleon I. aufgelöst.

Wenn nun auch Europa keine wilden Pferde mehr besitzt, so leben
doch in den weiten Steppen Südrußlands verwilderte Pferde, die alle
Eigenschaften wilder Tiere aufweisen und von Tataren und Kosaken auch
als solche angesehen werden. Es sind dies die ~Tarpane~, kleine Pferde
mit dünnen, aber kräftigen Beinen, ziemlich langem und dünnem Halse,
verhältnismäßig dickem Kopfe, spitzigen, nach vorwärts geneigten
Ohren und kleinen, lebhaften Augen. Ihre Behaarung ist im Sommer
kurz, gelbbraun, im Winter lang, heller bis fast weiß, wobei sich am
Kinn eine Art Bart bildet. Die kurze, dichte, gekräuselte Mähne und
der mittellange Schwanz sehen dunkler aus als der Körper. Schecken
kommen niemals, Rappen nur sehr selten vor. Sie bewohnen in größeren
Herden die ungeheure Steppe und wandern von Ort zu Ort, indem sie
außerordentlich aufmerksam mit weit geöffneten Nüstern und gespitzten
Ohren sichern und so beizeiten jeder Gefahr zu entgehen wissen. Die
Herde zerfällt in kleinere Gesellschaften von Stuten und Fohlen, die
von einem Hengste beherrscht und geführt werden. Er sorgt für deren
Sicherheit und treibt sie bei der geringsten Gefahr zu wilder Flucht
an. Gegen hungrig umherschleichende Wölfe geht er mutig wiehernd vor
und schlägt sie mit seinen Vorderhufen zu Boden. Der Tarpan ist schwer
zu zähmen. Seine Wildheit und Stärke spotten sogar der Künste der
pferdekundigen Mongolen. Er schadet den pferdehaltenden Völkern durch
Wegführen der freiweidenden Stuten und wird deshalb mit Eifer verfolgt.

[Illustration:

  Tafel 35.

Assyrische Darstellung einer Jagd auf Onager (nach Keller auf
Przewalskis Wildpferd) am Palast des Assurbanipal in Kujundschik, etwa
668 v. Chr.

(Nach Keller, Die Abstammung der ältesten Haustiere.)]

[Illustration:

  (_Copyright by M. Koch, Berlin._)

Przewalskis Wildpferd.]

[Illustration:

  Tafel 36.

Der Assyrerkönig Assurbanipal (668-626 v. Chr.) in einem von drei
Pferden gezogenen Streitwagen auf der Löwenjagd. (Nach einer
Photographie von Mansell & Cie. in London.)]

Dieselben Charaktereigenschaften zeigen auch die anderswo, namentlich
in Argentinien verwilderten Pferde, die als Cimarrones in großen Herden
die Pampas bewohnen. Nach Azara sollen sie von fünf bis acht bei der
Aufgabe der 1535 gegründeten Stadt Buenos Aires zurückgebliebenen
und sich selbst überlassenen Hauspferden stammen. Als im Jahre 1580
derselbe Platz wieder besiedelt wurde, fand man bereits eine Menge
verwilderter Pferde vor, die aus diesen zurückgelassenen hervorgegangen
waren. Dies ist der Ursprung der unzählbaren Pferdescharen, die sich in
der Folge am Rio de la Plata (dem Silberstrom) herrenlos umhertrieben
und von denen jeder nach Belieben einfangen und für sich gebrauchen
konnte. Die Indianer der Pampas machen Jagd auf sie, um ihr Fleisch zu
essen. Sie fangen auch manche, um sie zu zähmen und als Reittiere zu
gebrauchen, wie sie es den Weißen absahen. Die Spanier jedoch machen
kaum mehr Gebrauch von ihnen. Höchst selten fängt man einen Wildling,
um ihn zu zähmen. Die in Paraguay vorkommenden Pferde sind zwar nicht
herrenlos, leben aber beinahe so frei wie diese, indem sie ebenfalls
das ganze Jahr unter freiem Himmel zubringen. Alle acht Tage treibt
man sie zusammen, damit sie sich nicht versprengen, untersucht ihre
Wunden, bestreicht sie mit Lehm und schneidet ihnen alle drei Jahre die
Mähne und den Schwanz ab, um das Roßhaar zu verkaufen. An Veredelung
derselben denkt niemand.

Rengger schreibt über sie: „Gewöhnlich leben die Pferde truppweise in
einem bestimmten Gebiet, an welches sie von Jugend auf gewöhnt worden
sind. Jedem Hengste gibt man 12-18 Stuten, welche er zusammenhält und
gegen fremde Hengste verteidigt. Die Füllen leben mit ihren Müttern
bis ins dritte oder vierte Jahr. Diese zeigen für jene, solange sie
noch saugen, große Anhänglichkeit und verteidigen sie zuweilen sogar
gegen den Jaguar. Wenn die Pferde etwas über zwei oder drei Jahre alt
sind, wählt man unter den jungen Hengsten einen aus, teilt ihm junge
Stuten zu und gewöhnt ihn mit denselben in einem besonderen Gebiete zu
weiden. Alle Pferde, die zu einem Trupp gehören, mischen sich nie unter
andere und halten so fest zusammen, daß es schwer hält, ein weidendes
Tier von den übrigen zu trennen. Werden sie miteinander vermengt, z. B.
beim Zusammentreiben aller Pferde einer Meierei, so finden sie sich
nachher gleich wieder auf. Die Tiere zeigen übrigens nicht allein für
ihre Gefährten, sondern auch für ihre Weiden große Anhänglichkeit.
Ich habe welche gesehen, die aus einer Entfernung von 80 Stunden auf
die altgewohnten Plätze zurückgekehrt waren. Um so sonderbarer ist
die Erscheinung, daß zuweilen die Pferde ganzer Gegenden aufbrechen
und entweder einzeln oder haufenweise davonrennen. Dies geschieht
hauptsächlich, wenn nach trockener Witterung plötzlich starker Regen
fällt, und wahrscheinlich aus Furcht vor dem Hagel, welcher nicht
selten das erste Gewitter begleitet.

Die Sinne dieser fast wild lebenden Tiere scheinen schärfer zu sein
als die europäischer Pferde. Ihr Gehör ist äußerst fein; bei Nacht
verraten sie durch Bewegungen der Ohren, daß sie das leiseste, dem
Reiter vollkommen unhörbare Geräusch vernommen haben. Ihr Gesicht ist,
wie bei allen Pferden, ziemlich schwach; aber sie erlangen durch ihr
Freileben große Übung, die Gegenstände aus bedeutender Entfernung zu
unterscheiden. Vermittelst ihres Geruchsinnes machen sie sich mit ihrer
Umgebung bekannt. Sie beriechen alles, was ihnen fremd erscheint. Durch
diesen Sinn lernen sie ihren Reiter, das Reitzeug, den Schuppen, in dem
sie gesattelt werden, usw. kennen, durch ihn wissen sie in sumpfigen
Gegenden die bodenlosen Stellen auszumitteln, durch ihn finden sie in
dunkler Nacht oder bei dichtem Nebel den Weg nach ihrem Wohnorte oder
nach ihrer Weide. Gute Pferde beriechen ihren Reiter im Augenblicke,
wenn er aufsteigt, und ich habe solche gesehen, welche denselben gar
nicht aufsteigen ließen oder sich seiner Leitung widersetzten, wenn er
nicht einen Poncho oder Mantel mit sich führte, wie ihn die Landleute,
welche die Pferde bändigen und zureiten, immer tragen. Auf größere
Entfernung hin wittern sie freilich nicht. Ich habe selten ein Pferd
gesehen, welches einen Jaguar auf 50 Schritte gewittert hätte. Sie
machen daher in den bewohnten Gegenden von Paraguay die häufigste Beute
dieses Raubtieres aus.“

Das Leben der verwilderten Pferde in den weiter nach Norden hin
gelegenen Llanos hat Alexander von Humboldt aus eigener Anschauung
meisterhaft geschildert. Diese Herden werden viel von den Indianern
nicht nur des Fleisches und der Häute wegen verfolgt, sondern auch um
sie zu fangen und als Reittiere zu verwenden. Dabei quälen sie die mit
dem Lasso eingefangenen jungen Tiere so lange, bis sie durch Hunger und
Durst klein beigeben und den Menschen aufsitzen lassen. Überall ist
bei den Rothäuten der Pferdediebstahl ein für ehrenvoll angesehener
Beruf, dem sie sich mit Eifer hingeben.

Bau und Eigenart des Pferdes weisen auf die weite Steppe als die
ursprüngliche Heimat dieses Schnelläufers hin. Und zwar hat nicht
sowohl das Fluchtvermögen vor etwaigen Feinden, als die Notwendigkeit,
in Trockenzeiten weite Strecken von einem nicht ausgetrockneten
Tümpel zum andern zurücklegen zu müssen, wie bei den Wildeseln
auch beim Wildpferd aus der ursprünglich vorhandenen Fünfzehigkeit
die Stelzenfüßigkeit eines einzigen, des mittleren Zehens bewirkt.
Diese Einhufer sind die Endglieder einer einseitigen Entwicklung zur
Erlangung möglichst großer Schnelligkeit. So ist auch das einzige
heute noch lebende Wildpferd im eigentlichen Sinne des Wortes -- und
nicht nur ein verwildertes Pferd -- das von dem russischen Reisenden
Przewalski 1879 in Innerasien entdeckte ~Przewalskische Pferd~.
Während seines Aufenthaltes im Militärposten von Saisan erhielt er
das Fell und den Schädel eines wilden Pferdes, das die Kirgisen in
der Sandwüste Kanabo erlegt hatten. Das Exemplar gelangte in den
Besitz des Museums der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in St.
Petersburg und wurde von Poljakow unter dem Namen _Equus przewalski_
als neue Art beschrieben. Alles deutet mit Sicherheit darauf hin, daß
wir es hier mit einer echten Wildform und nicht wie beim Tarpan mit
einem verwilderten Hauspferd zu tun haben. Dieses Wildpferd haben
seither auch andere europäische Reisende in der Dsungarei, d. h. den
Wüsten zwischen Altai und Tianschangebirge, beobachtet und teilweise
in lebenden jungen Exemplaren nach Europa gebracht. So vermochte
Büchner 1899 zehn Fohlen, die von säugenden zahmen Mongolenstuten
genährt wurden, mit ihren Pflegemüttern nach Südrußland zu bringen, wo
sie im großen Wildpark von Falz-Fein in Askania nova akklimatisiert
wurden. Später hat dann der unternehmende Tierhändler Karl Hagenbeck in
Stellingen bei Hamburg ebenfalls durch eine eigene, sehr kostspielige
Expedition über ein Dutzend Wildpferdfohlen aus der Dsungarei zu holen
vermocht, um damit in Deutschland vielversprechende Zuchtversuche zu
machen.

Das Przewalskische Pferd -- von den Kirgisen Kertag, von den Mongolen
Taki genannt -- lebt in Herden von 5-15 Stück unter Anführung eines
alten Hengstes. Seine Statur ist klein, fast ponyartig; es ist mit
einem zottigen Haarpelz von hellgraubrauner Farbe bedeckt, das an
den Beinen vom Knie an bis zu den Hufen dunkler wird. Die Ohren
sind kurz, die dunkle Mähne ist im Gegensatz zu demjenigen des
domestizierten Pferdes aufgerichtet, ferner fehlt ein Stirnschopf und
die Schweifwurzel ist kürzer behaart. Übrigens besteht die kurze Mähne
aus zweierlei Haar, einem äußeren paarigen Streifen von graubrauner
Farbe an jeder Seite und einem mittleren schwarzen, der sich als
sogenannter Aalstreifen über den Rücken fortsetzt. Ebenso ist der
Schweif zweifarbig. Der kürzer behaarte Teil, die Schweifwurzel, ist
graubraun wie der Körper, der übrige Teil des Schweifes aber schwarz
gefärbt. Eine solche Färbungsverschiedenheit von Mähne und Schweif
findet sich als Rückschlag in einen früheren Zustand nur ganz selten
bei Hauspferden.

Dieses Wildpferd hat offenbar schon der durch Sibirien reisende
Deutsch-Russe Pallas gekannt. Er beschrieb es unter dem Namen
_Equus equiferus_. Der Russe Tscherski, der neuerdings eine genaue
Untersuchung des von Przewalski aufgebrachten Originalschädels vornahm,
betonte, daß man es hier mit einem den echten Pferden zugehörenden Tier
zu tun hat. Der Hirnteil erreicht eine Breite, die über dem Mittel der
Vertreter orientalischer Pferde steht, die Stirnknochen erscheinen
flach und die Nasenbeine verschmälern sich langsam nach vorn, also
nicht plötzlich wie beim Esel. Der Schädel steht seinem ganzen Bau
nach demjenigen des russischen Pferdes am nächsten. Seither hat auch
Tichomiroff durch erneuerte Untersuchungen festgestellt, daß dieses
zweifellos wilde und nicht nur verwilderte Pferd, das früher wohl
weit über Innerasien verbreitet war, tatsächlich dem Hauspferd sehr
nahesteht. Wir haben in ihm die Stammquelle der zuerst domestizierten
asiatischen Pferde zu erblicken.

Zweifellos ist irgendwo in Zentralasien, vermutlich von einem
turanischen Volke, ein dem Przewalskischen nahestehendes Wildpferd,
jung eingefangen und gezähmt, zum Gehilfen des Menschen erhoben und an
seine Gegenwart gewöhnt worden. Von den weiten Ebenen Turans kam es
zu Ende des vierten vorchristlichen Jahrtausends nach dem Berglande
Iran und von da nach Mesopotamien, wo es kennzeichnenderweise den
Namen „Esel des Ostens“ oder „Esel des Berglandes“ erhielt. Da dort
der Onager als Wildling heimisch und zudem der Esel als Haustier
bekannt war, benannte man diesen Verwandten einfach nach ihm mit einem
unterscheidenden Beinamen. Wie in Babylonien war es um 2000 v. Chr.
auch in Indien bekannt. Auch in China ist seine Einfuhr eine sehr alte;
wenigstens verwendete man es nach den Angaben des Schuking schon etwa
2000 Jahre vor Beginn der christlichen Zeitrechnung.

Als vornehmstes Werkzeug des Krieges wurde es im Zweistromland bei
den kriegerischen Assyriern, nach der Fülle der auf uns gekommenen
Pferdedarstellungen zu schließen, in großer Menge gezogen. Meist
begegnet uns auf den altassyrischen Monumenten ein langschweifiges
Pferd, daneben eine andere Rasse mit kurzem Schweif und nackter Rübe.
Außer zum Reiten diente es vornehmlich zum Ziehen des zweiräderigen
Kriegswagens, auf welchem fechtend die Schwerbewaffneten in den
Kampf zogen. Außer dem mächtigen König von Assur benutzten auch
seine Generale und Unterführer den von einem Wagenlenker geleiteten
Kriegswagen bei ihren Feldzügen. Offenbar war der zweiräderige Wagen
bei den Assyriern viel populärer als das Reiten auf dem Pferde, ohne
Bügel, nur auf einer Decke sitzend.

Im alten Reiche Ägyptens war das Pferd völlig unbekannt; als Last-
und Arbeitstier wurde damals ausschließlich der Esel gehalten. Nicht
anders war es noch im Mittleren Reich (2160-1788 v. Chr.). Erst
im 17. Jahrhundert, um 1680 v. Chr., scheinen die Hyksos -- oder
Schasu(beduinen), wie sie von den Ägyptern genannt werden -- das
Pferd aus Westasien, wo es überall Eingang gefunden hatte, nach dem
bis dahin ziemlich abgeschlossenen Niltal gebracht zu haben. Hier
bürgerte es sich rasch ein und erscheint dann von der 18. Dynastie an
(1580-1350 v. Chr.) unter den Tutmosis und Amenophis, dann namentlich
in der 19. Dynastie (1350-1205 v. Chr.) unter den Ramses und Sethos
als hochgeschätztes Haustier, dem von den Großen sorgfältige Pflege
angediehen lassen wurde. Mit dem asiatischen Kriegswagen wurde das
Tier, nach asiatischer Weise daran angespannt, zum Ziehen desselben
verwendet. Die ägyptische Bezeichnung _sus_ für Pferd ist ein
semitisches Wort und die ägyptische Benennung des Streitwagens ist
ebensosehr semitisch und dem Hebräischen fast vollständig gleich.
Nach den spärlichen Stellen im Alten Testament, da vom Pferde und von
dem von ihm gezogenen Kriegswagen die Rede ist, sind dies Attribute
der kriegerischen Nachbarn und Feinde des Volkes Israel, an denen es
keinen Teil hat. Als Haus- und Herdentier der altjüdischen Patriarchen
erscheint es durchaus nicht und nimmt auch an den Wanderungen und
Kämpfen der Juden keinen Anteil. Bei ihnen wie bei den Ismaeliten
oder Arabern ist es zuerst der Esel und später das Kamel, auf dem sie
reiten. In Übereinstimmung damit berichtet Herodot von den im Heere
des Xerxes weilenden Arabern: „Die Araber waren alle auf Kamelen
beritten, die den Pferden an Schnelligkeit nicht nachgaben.“ Auch nach
Strabor gab es im Glücklichen Arabien keine Pferde, noch Maultiere;
denn er schreibt: „An Haus- und Herdetieren ist dort Überfluß, wenn
man Pferde, Maultiere und Schweine ausnimmt.“ Ähnlich sagt er vom
Lande der Nabatäer: „Pferde sind in dem Lande keine; deren Stelle in
der Dienstleistung vertreten die Kamele.“ Dabei war dieser Autor, der
Freund und Genosse des Älius Gallus, des Feldherrn, der die große
mißlungene Expedition nach Arabien gemacht hatte, über diese Halbinsel
so genau wie nur sonst jemand in damaliger Zeit unterrichtet. Noch
in der Schlacht bei Magnesia, in der er 190 v. Chr. zum zweitenmal
den Römern erlag, führte Antiochus der Große, wie einst Xerxes, auf
Dromedaren berittene Araber ins Gefecht.

Anders war es in Ägypten zur Zeit des Neuen Reiches (1580 bis 1205 v.
Chr.). Hier diente das Pferd nur ganz ausnahmsweise zum Reiten, ganz
gewöhnlich aber, schön aufgezäumt und mit einem wallenden Busche von
Straußenfedern geziert, zum Ziehen des leichten Kriegswagens, auf
dem der Pharao mit seinen Offizieren in die Schlacht zog. Da kämpfte
man in den in Westasien geführten Schlachten Wagen gegen Wagen, Mann
gegen Mann. Offenbar wurde auf die Pflege der Pferde große Sorgfalt
verwendet und viel Gewicht auf gute Rasse gelegt. Der Kutscher war
eine wichtige Person im vornehmen Hause, und selbst Prinzen leiteten
am Hofe das Gespann, das zwei Pferde zählte. Die Leibpferde erhielten
schöne Namen. So wird uns auf den Darstellungen der Feldzüge der
verschiedenen Pharaonen an den Tempelwänden jeweilen genau angegeben,
wie die Pferde hießen, die in dieser oder jener Schlacht das reich
ausgestattete Gespann des Königs zogen. Auf diese Weise wissen wir
vom Tempel in Theben, daß das Lieblingsgespann Ramses II. (1292-1225
v. Chr.) „Sieg zu Theben“ und „Zufriedene Nura“ hieß. Es waren dies
die beiden Pferde, die eben jenen König im Jahre 1280 aus der großen
Gefahr retteten, als er mit geringer Begleitung dem Gros seines Heeres
vorauseilend bei der Stadt Kadesch am Orontes in einen Hinterhalt der
Chetiter unter ihrem König Mutallu gefallen war und jede Hoffnung,
heil aus der mißlichen Lage zu entrinnen, vergebens schien. Zum Dank
ließ dann der König, wie uns im Schlachtenbericht des Pentaur erzählt
wird, diesem seinem Gespann künftighin ganz ausnahmsweise sorgsame
Behandlung zuteil werden. Das Kriegsgespann Ramses III. (1198 bis
1167 v. Chr.) trug die Namen: „Ammon siegt mit Macht“ und „Geliebt
von Ammon“. Nach den bildlichen Darstellungen sind es außerordentlich
edle, feurige Tiere von feinem Gliederbau und ziemlicher Größe mit
langer, flatternder Mähne und prächtigem Schweif, der vielfach in der
Mitte geknotet wurde, damit er nicht am Boden schleife. Als bevorzugte
Nahrung erhielten sie statt Hafer, wie bei uns, Gerste, die bis auf
den heutigen Tag in den Mittelmeerländern ihre alte Bedeutung als
Pferdekraftmittel behielt.

[Illustration: Bild 27. König Sethos I. von Ägypten (regierte von
1313-1292 v. Chr.) auf dem Kriegswagen gegen die Cheta in Vorderasien
kämpfend dargestellt. (Nach Wilkinson.)]

Während die Ägypter neben den auf Kriegswagen kämpfenden Elitetruppen
keine auf Pferden berittene Mannschaft besaßen, ist es interessant
zu sehen, daß auf den zahlreichen Schlachtenbildern des 16. und 15.
Jahrhunderts v. Chr., als Ägypten seine Macht weit nach Westasien
ausdehnte, die Chetiter zwar auch vorzugsweise auf Kriegswagen
kämpften, daneben aber auch, im Gegensatz zu den Ägyptern, teilweise
auf Pferden ritten. So scheint in der Schlacht von Kadesch, in der
Ramses II. das ägyptische Heer befehligte, ein berittener Chetiter
mit einem Bogen bewaffnet und ein anderer, ebenfalls zu Pferd, eine
Infanterieabteilung anzuführen. An einer Wand des großen Reichstempels
von Karnak in Theben sehen wir mitten unter den Kanaanitern, die gegen
die Stadt Askalon (im Text Askalunu genannt) flüchten, noch einen auf
einem Pferde sitzend dargestellt. Auch die Assyrier (Rotennu) machen
auf diesen Darstellungen neben dem Kriegswagen vielfach vom Pferde
auch zum Reiten Gebrauch. In zwei Darstellungen aus der Zeit der 18.
Dynastie, unter Tutmes III. (1480-1447 v. Chr.) und Tutankhamen, sehen
wir Assyrier dem Pharao als Tribut wertvolle Rassepferde überbringen.
Auch die Einwohner des Libanon (Lemenu genannt) kennen neben den
Kriegswagen Reiter.

Damals besaß aber kein anderes Volk Afrikas außer den Ägyptern das
Pferd. Auf allen kriegerischen Darstellungen kämpfen sowohl die Neger
Äthiopiens, als auch die blonden Libyer (Lebu) stets zu Fuß und
besitzen außer Rindern und Schafen, die man durch die siegreichen
Ägypter fortgeführt werden sieht, keine Pferde. Das war allerdings
um die Mitte des letzten Jahrtausends v. Chr. anders; denn Herodot
berichtet uns, daß die Libyer von den Ufern des Tritonsees gewöhnlich
auf von vier Pferden gezogenen Kriegswagen kämpften. Es wäre merkwürdig
gewesen, wenn nicht mit der Zeit auch die Nachbarvölker dieses edle
Tier und das zu ihm gehörende Gerät, den leichten, zweiräderigen
Streitwagen, von den Ägyptern übernommen hätten. Erfahren wir doch, daß
das libysche Volk der Maschuasch schon zur Zeit Ramses III. (1198-1167
v. Chr.) neben dem Esel auch schon das Pferd als Haustier besaß, da
dieser König nach einer ihm beigebrachten Niederlage laut einer auf uns
gekommenen Inschrift 183 Pferde und Esel von ihm erbeutete.

In der zweiten Hälfte des vorletzten vorchristlichen Jahrtausends
hatte die Pferdezucht in Ägypten größere Ausdehnung erlangt, so daß
die westasiatischen Kulturvölker ihr edelstes Pferdematerial von dort
importierten. Zur Zeit des Königs Salomo, der von 993-953 v. Chr.
regierte, bezog der König von Israel viele Pferde seines prunkvollen
Hofhaltes und seiner Armee aus Ägypten und machte nebenbei noch ein
gutes Geschäft damit, indem er dieses vielbegehrte Material an die
Könige der Aramäer und Chetiter weiterverkaufte.

Damals waren in Ägypten die Gestüte königliches Eigentum, dem die
Könige große Aufmerksamkeit schenkten. In Dschebel Barkal (dem alten
Nepata) fand Mariette eine merkwürdige Stele, auf der erzählt wird,
wie ums Jahr 745 v. Chr. der äthiopische König Pianki Meriamen das
damals von zahlreichen, aufeinander eifersüchtigen kleinen Fürsten
beherrschte Ägypten eroberte. Aus der Schilderung erfahren wir unter
anderem, daß die Aufzucht des Pferdes für den Export damals eine der
wichtigsten Einnahmequellen des Landes war. Jeder der zahlreichen
Teilkönige besaß einen Marstall und ein Gestüt, dessen beste Pferde er
dem damals siegreich vordringenden Könige der Äthiopier anzubieten sich
beeilte. Letzterer nahm diese Geschenke stets wohlwollend in Empfang.
Seine erste Sorge, wenn er wiederum ein neues Teilreich erobert hatte,
war, in höchst eigener Person die königlichen Marställe und Gestüte zu
besichtigen. In einer Stadt, Hermopolis in Mittelägypten, fand er diese
Etablissemente vernachlässigt und die Pferde schlecht gehalten. Da
geriet er in großen Zorn und rief aus: Bei meinem Leben, bei der Liebe
des Gottes Re, der den Atem meiner Nase erneuert, es gibt in meinen
Augen keinen größeren Fehler, als meine Pferde hungern zu lassen!

Bei solcher Wertschätzung der ägyptischen Pferdezucht kann es uns
nicht wundern, daß 80 Jahre später, im Jahre 665, als der assyrische
König Asurbanipal die ägyptische Residenzstadt Theben einnahm und
plündern ließ, er vor allem in dem uns noch erhaltenen Beuteverzeichnis
in Keilinschrift, das das Britische Museum besitzt, „große Pferde“
erwähnt. Diese Bezeichnung verdient besonders gewürdigt zu werden, denn
sie schließt sich an die dieselbe Tatsache bezeugenden Darstellungen
an den Tempelwänden zur Zeit der jüngeren Dynastien Ägyptens an,
woraus hervorgeht, daß sich mit der Zeit in Ägypten eine besondere
Pferderasse gebildet hatte, die größer und stärker war als die in
Syrien und Babylonien gezüchtete. Es ist zweifellos diejenige Rasse,
die sich unverändert in Dongolah, im Innern, erhielt und den mit
Wattepanzern aus Baumwolle für Pferde und Mensch umgebenen Reitern als
hochgeschätztes Kriegsmittel dient.

Durch die Handelsbeziehungen mit Ägypten und Vorderasien hat auch das
alte Kulturvolk der Mykenäer auf Kreta und den Ländern am Ägäischen
Meer schon vor der Mitte des vorletzten Jahrtausends v. Chr. das Pferd
und den von ihm gezogenen zweiräderigen Kriegswagen kennen gelernt und
übernommen. So treffen wir schon in den ältesten Partien der Ilias, die
teilweise noch Erinnerungen an jene älteste Kulturblüte Griechenlands
wach erhält, das Pferd und den Kriegswagen als geschätzte Artikel
erwähnt. Sie erwähnt auch in erster Linie der Held Achilleus, wenn er
von der ägyptischen Hauptstadt spricht:

    „Theben, die hunderttorige Stadt, es fahren aus jedem
    Tor zweihundert Männer heraus mit Rossen und Wagen.“ --

Unter diesen Wagen sind natürlich ausschließlich Kriegswagen gemeint.
Auf einer frühmykenischen Grabstele aus Agamemnons einstiger Residenz,
dem „goldreichen Mykene“, sehen wir in ungeschickter, roher Darstellung
einen Mann auf einem von zwei Pferden bespannten leichten Streitwagen
dahinfahren. Und überall in der Ilias ist bei den Kämpfen zwischen
den Griechen und Troern vor Ilions Veste vom feurigen Renner und
dem von ihm gezogenen Streitwagen die Rede, auf dem die Helden in
die „männermordende Feldschlacht“ zogen, nachdem sie sich „zum
Kampfe gegürtet“, d. h. das bis zu den Knien reichende Hemd mit ganz
kurzen Ärmeln, den Chiton, damit er nicht die Bewegungen hindere,
hinaufgenommen und mit einem Ledergürtel in dieser Stellung fixiert
hatten. Dann hatten sie die ledernen Beinschienen angezogen, die
zum Schutze der Schienbeine vor dem Anschlagen des gewaltigen, den
ganzen Mann bis zum Kinn vor den feindlichen Geschossen deckenden
Lederschildes dagegen dienten. Dieser ursprünglich von einer ganzen,
bis 50 _kg_ wiegenden Rindshaut, später aus mehreren solchen
hergestellte Schild war in der Mitte zum besseren Schutze eingezogen
und daran waren zwei Querspreizen befestigt, an denen man ihn halten
konnte. Für gewöhnlich geschah dies aber nicht, wie es mit dem erst
später aufgekommenen kleinen Rundschild geschah, sondern der Schild
wurde an einem Tragriemen getragen, der auf der nackten rechten
Schulter auflag. Auf der Brust und auf dem Rücken kreuzte sich der
letztere mit dem Riemen, der auf der linken Schulter auflag und an
welchem auf der rechten Seite das Schwert getragen wurde. Beim Gehen
trug man den Riesenschild auf dem Rücken, im Kampfe dagegen vor sich;
beim Rückzuge nahm man ihn wieder auf den Rücken. Welches Gewicht
diese Riesenschilde gelegentlich gehabt haben müssen, kann man sich
vorstellen, wenn man in der Ilias vom siebenhäutigen Schilde des
starken Priamossohnes Hektor liest.

Bei solcher schweren Bürde waren die Helden gezwungen, in einem
zweiräderigen Streitwagen, in welchem sie den gewaltigen Schild vor
sich hinstellen konnten, in die Schlacht zu fahren. Dort angekommen,
kämpften sie stets zu Fuß, Mann gegen Mann, und nicht vom Wagen herab
wie die Vorderasiaten und Ägypter. In der Ilias sind nur fünf, und
zwar alles nachweisbar späte Stellen, in welchen auch von den Griechen
von dem mit zwei flinken Pferden bespannten Wagen herab gekämpft wird.
Auch zum Fliehen bediente man sich wiederum des Wagens, indem der außer
Schußweite auf den Ausgang des Einzelkampfes wartende Wagenlenker bei
Bedrängnis seines Herrn rasch herbeieilte, um ihn aufzunehmen und in
Sicherheit zu bringen. Bei Homer haben nur die Bogenschützen keine
Schilde und fahren deshalb nie. Ja, ein Held, der zwölf Wagen und die
dazu gehörenden prächtigen Doppelgespanne sein Eigen nannte, ließ
diese seine Habe vorsichtigerweise zu Hause und kämpfte zu Fuß als
Bogenschütze.

Der Panzer ist dem homerischen Epos durchaus fremd und war bei dem
vorhin beschriebenen gewaltigen Schilde durchaus unnötig, ganz
abgesehen davon, daß er den Mann, der am schweren Schilde genug zu
schleppen hatte, noch unnötig beschwert hätte. Selbst der Kriegsgott
Ares trug nach der Schilderung in der Ilias keinen Panzer. Die einzige
Bewaffnung der Helden wie auch ihres Anführers ist außer dem Helm
von Leder, vielfach mit Eberzähnen überstickt, wie solche in einem
Volksgrabe von Mykenä gefunden wurden, und dem vorgenannten großen
Schild der mäßig lange Wurfspeer und das kurze Schwert an der rechten
Seite. Wer unbeschildet war, trug Pfeil und Bogen. Wer aber als
„Schwerbewaffneter“ in den Kampf zog, ließ sich, wenn er es irgendwie
vermochte, auf dem Streitwagen dahin führen. So begreifen wir die
Notwendigkeit der homerischen Helden, einen Streitwagen zu führen, und
fühlen mit dem Dichter, der das edle Pferd als Liebling und Begleiter
der Krieger in prächtigen Schilderungen verherrlicht, wie etwa in der
folgenden:

    „Gleich wie das Roß, das lang im Stall sich genährt an der Krippe,
    Seine Fessel zerreißt und stampfenden Hufs durch die Ebne
    Rennt, sich zu baden gewohnt in dem schön hinwallenden Strome,
    Strotzend von Kraft; hoch trägt es das Haupt und umher an den
        Schultern
    Flattern die Mähnen empor. Im Gefühl der eigenen Schönheit
    Tragen die Schenkel es leicht zur gewohnten Weide der Stuten, --
    So schritt Priamos Sohn von Pergamons Veste hernieder,
    Paris im leuchtenden Waffenglanz, der Sonne vergleichbar,
    Freudig und stolz, rasch trugen die Schenkel ihn --“

In der klassischen Zeit Griechenlands waren die großen,
schweren Schilde, wie auch die Streitwagen zum Transporte der
„schwerbewaffneten“ Helden außer Gebrauch gekommen; dafür führte man
am linken Arm getragene kleine Rundschilde und einen Panzer, wenn man
zu Fuß ging, keinen Panzer dagegen, wenn man zu Pferde kämpfte. In
letzterem Falle ritt man ohne Sattel und Bügel auf dem Pferderücken,
dem man höchstens etwa eine Decke auflegte. Jeder von uns kennt ja
die Art des Reitens der Griechen und später auch der Römer an den
mancherlei auf uns gekommenen antiken Darstellungen von Reitern, in
erster Linie von der herrlichen Darstellung reitender junger Athener
am Panathenäenzuge auf dem berühmten Friese des Parthenon und an den
mancherlei Grabdenkmälern in Germanien verstorbener römischer Soldaten.
Schon der griechische Feldherr und Staatsmann Xenophon schrieb zu
Beginn des 4. Jahrhunderts v. Chr. ein Werk über die Reitkunst. Darin
ist von den Regeln die Rede, nach welchen man die Güte eines Pferdes
beurteilen, es dressieren und reiten soll, fernerhin ist angegeben, wie
Roß und Mann angetan sein und wie Speer und Schwert gebraucht werden
sollen.

Das berühmteste aller Pferde von Griechen, die nebenbei bemerkt
ausnahmslos von edler asiatischer Zucht waren, war das Leibroß
Alexanders des Großen (356-323 v. Chr.), Bukephalos, d. h. Stierkopf,
mit Namen. Nach den Angaben in der Naturgeschichte des älteren Plinius
soll Alexanders Vater Philippos es ihm, als er noch ganz jung war, aus
der Herde des Pharsaliers Philonikos um den Preis von 13 Talenten,
d. h. 45000 Mark, gekauft haben, weil es ihm so wohl gefiel. „Obgleich
dieses Pferd für gewöhnlich jeden Reiter aufnahm, so litt es doch, wenn
es mit dem königlichen Schmucke geziert war, keinen als Alexander.
Vorzügliche Dienste leistete es in Schlachten: bei der Belagerung
von Theben (im Jahre 335) ließ es, obgleich schwer verwundet, den
König doch nicht auf ein anderes steigen.“ Später gab es noch andere
Beweise seiner Klugheit und Anhänglichkeit, begleitete seinen Herrn
bis nach Indien und als es einige Zeit nach der Schlacht gegen König
Porus „entweder an seinen Wunden oder an Altersschwäche starb,“ wie
sich der Geschichtschreiber Plutarch ausdrückt, „betrauerte Alexander
dasselbe wie einen Freund und baute ihm zu Ehren am Hydaspes die Stadt
Bukephaleia. -- Er soll auch einem seiner Hunde, welcher Peritas hieß,
zu Ehren eine Stadt gebaut haben.“

Nach demselben Plinius soll wie Alexanders, so auch Julius Cäsars
Pferd keinen andern Reiter auf sich gelitten haben. Dieses Pferd
soll Menschenfüßen ähnliche Vorderfüße besessen haben, „was auch an
seiner vor dem Venustempel aufgestellten Bildsäule ausgedrückt ist“.
Er meint damit wohl die unschönen langen Hufe, die lange im Stall
stehende Pferde bekommen. Daß nun der stolze Diktator Cäsar einen
solchen minderwertigen Gaul gehabt haben soll, ist kaum anzunehmen,
noch weniger, daß er sich mit einem solchen Klepper auf einer Bildsäule
verewigt habe.

Noch vieles sonst weiß dieser Autor von Pferden zu sagen, von dem
wir Einiges hier mitteilen möchten. Er schreibt: „Als vorzüglich
werden die skythischen Pferde gerühmt. Als ein Anführer der Skythen
in einem Zweikampfe getötet worden war, wurde sein Feind, da er ihm
die Waffen abnehmen wollte, von dessen Pferd durch Biß und Hufschlag
niedergemacht. Die Gelehrigkeit der Pferde ist so groß, daß alle Pferde
der sybaritischen Reiterei nach dem Takte der Musik zu tanzen gewöhnt
waren. -- Die Pferde haben ein Vorgefühl von bevorstehenden Schlachten,
trauern über ihren verlorenen Herrn und vergießen zuweilen Tränen der
Sehnsucht. Als König Nikomedes getötet worden war, hungerte sich sein
Pferd zu Tode. Phylarchus erzählt, daß, als der Galater Centaretus
das Pferd des in der Schlacht gefallenen Antiochus siegestrunken
bestiegen hatte, das edle Tier sich unwillig in die Zügel gelegt und in
einen Abgrund gestürzt habe, so daß beide zerschmetterten. Philistus
schreibt, das Pferd des Dionysius sei von diesem im Schlamme steckend
verlassen worden, habe sich wieder herausgearbeitet, sei den Spuren
seines Herrn nachgezogen, unterwegs habe sich ein Bienenschwarm an
seine Mähne gehängt. Durch diese gute Vorbedeutung ermutigt, habe sich
Dionysius dann der Herrschaft bemächtigt.

Die unbeschreibliche Klugheit der Pferde lernen diejenigen schätzen,
welche reitend den Speer werfen, denn sie unterstützen des Reiters
Anstrengung durch die Stellung ihres Körpers. Die auf der Erde
liegenden Speere heben sie auf und reichen sie dem Reiter. (Plinius,
ein tüchtiger Reitergeneral, schrieb ein besonderes Buch „über die
Kunst des Kavalleristen, den Speer zu werfen“.) -- Die in der Rennbahn
zum Wettlauf Angeschirrten zeigen deutlich, daß sie die Mahnungen
verstehen und den Ruhm zu schätzen wissen. Bei den Säkularspielen des
Kaisers Claudius wurde beim Wettlauf ein Wagenlenker namens Corax
(Rabe) vom Wagen geschleudert; aber seine Pferde kamen allen zuvor,
versperrten den einen den Weg, warfen andere um, kurz taten alles,
was sie unter der Leitung eines geschickten Wagenlenkers hätten tun
können, und standen zur Beschämung der Menschen zuerst am Ziele. -- Für
eine wichtige Vorbedeutung galt es bei unsern Voreltern, daß Pferde
von einem Wagen, von welchem der Fuhrmann herabgestürzt war, als ob
er noch daraufstände, aufs Kapitol und dreimal um den Tempel liefen;
aber noch wichtiger schien es, als Pferde mit Kränzen und Palmzweigen
von Veji aufs Kapitol gerannt kamen. nachdem Ratumenna, der dort im
Wettlaufe gesiegt hatte, vom Wagen gestürzt war. Das Tor, durch das
sie hereinkamen, heißt seitdem das Ratumennische. Wenn die Sarmaten
(ein Nomadenvolk im Norden des Schwarzen Meeres) eine weite Reise
unternehmen wollen, so bereiten sie die Pferde tags zuvor durch Fasten
darauf vor, geben ihnen auch nur wenig zu saufen und reiten dann ohne
auszuruhen 150000 Schritte weit. -- Hengste können 50 Jahre alt werden;
Stuten aber sterben früher. Hengste wachsen bis ins 6., Stuten bis ins
5. Jahr.“ Umgekehrt wie Plinius schreibt Aristoteles: „Der Hengst wird
35, die Stute über 40 Jahre; ja, es ist schon einmal ein Pferd 75 Jahre
alt geworden.“

Welche Bedeutung die Pferde schon bei den Griechen, besonders aber bei
den Römern bei den Rennen zu Wagen und unter dem Reiter erlangt hatten,
ist aus mancherlei Angaben von Schriftstellern zu ersehen. So berichtet
Pausanias (der Bädeker des Altertums, dem wir wertvolle Nachrichten
über verschiedene Kultstätten und der darin aufgestellten Weihgeschenke
verdanken, er lebte im 2. Jahrhundert n. Chr.): „In der 66. Olympiade
gewann Kleosthenes zu Olympia den Preis im Wagenrennen und stellte dann
in Olympia den betreffenden Wagen nebst seiner eigenen Bildsäule und
der seines Wagenlenkers und seiner Pferde auf. Es sind auch die Namen
der Pferde (bei den Wettrennen mit Wagen in der Rennbahn fuhr man stets
mit einem Viergespann): Phönix, Korax, Knacias und Samos, angemerkt.
Auf dem Wagen steht die Aufschrift: „Kleosthenes aus Epidamnos hat
mit Rossen im schönen Wettkampfe des Zeus gesiegt.“ -- Der Korinthier
Phidolas hatte nach Olympia einen Wettrenner mit Namen Aura gebracht.
Dieser warf gleich beim Beginn des Laufes seinen Reiter ab, lief aber
doch ganz regelmäßig weiter und gewann den Preis. Phidolas bekam die
Erlaubnis, die Bildsäule seines Pferdes zu Olympia aufzustellen“.

Bei den Griechen wurden berühmte Pferde nicht nur im Leben, sondern
auch nach dem Tode ausgezeichnet und mit Denkmälern geehrt. So schreibt
Herodot: „Der Athener Kimon, Vater des Miltiades, siegte zu Olympia
dreimal mit dem Viergespann. Das Grab Kimons steht vor Athen an der
Hohlen Straße, ihm gegenüber das Grabmal seiner vier siegreichen Rosse.
Nur die Rosse des Lakoniers Euagoras haben es jenen gleichgetan.“ Aber
erst zur römischen Kaiserzeit wurde die Pferdeverehrung auf die Spitze
getrieben. So berichtet uns der Geschichtschreiber Dio Cassius: „Kaiser
Caligula hatte ein Pferd namens Incitatus (d. h. der Angespornte),
das mit ihm speiste, die Gerste aus einer goldenen Schüssel fraß, den
Wein aus goldenen Pokalen trank. Bei diesem Pferd pflegte der Kaiser
zu schwören; auch wollte er es zum Konsul ernennen, aber der Tod
vereitelte dieses Plänchen. -- Der Kaiser baute sich auch selbst einen
Tempel, bestellte seine Gemahlin, sein Pferd und mehrere reiche Leute
zu Priestern und ließ sich täglich Vögel von delikatem Geschmack und
teurem Preise opfern. -- Kaiser Nero hatte eine merkwürdige Liebhaberei
für Wettrennen. Waren ausgezeichnete Renner da, so ließ er sie einen
prachtvollen Staatsrock anziehen und ihnen regelmäßigen Gehalt
bezahlen. Dadurch kam es bald dahin, daß die Besitzer solcher Pferde
und deren Stallknechte so übermütig wurden, daß sie sich sogar gegen
Generäle und Konsuln flegelhaft benahmen. Der General Aulus Fabricius
wußte sich aber zu helfen und rächte sich damit, daß er Wagen mit
Hunden bespannte. -- Kaiser Hadrian war ein sehr eifriger Jäger, brach
einmal auf der Jagd das Schlüsselbein und ward lahm, ließ aber seinem
Jagdpferde namens Borysthenes, als es gestorben war, eine Denksäule
mit einer Aufschrift setzen. -- Kaiser Commodus hatte einen Wettrenner
gern, der Pertinax hieß. Als dieser einmal gesiegt hatte, schrieen
die Leute: ‚Pertinax ist Sieger!‘ Als das Pferd alt wurde, ließ ihm
Commodus die Hufe vergolden, eine vergoldete Schabracke auflegen und
befahl, es in den Zirkus zu führen. Als es da erschien, schrieen
die Leute: ‚Da kommt Pertinax!‘ Dies waren die Vorbedeutungen, die
anzeigten, daß der Ligurier Pertinax nach der Ermordung des Commodus
Kaiser werden mußte“. Julius Capitolinus berichtet: „Kaiser Verus
trug stets das goldene Bild seines Pferdes namens Volucer bei sich. Er
fütterte das Tier mit Rosinen, Nuß- und Mandelkernen, er schmückte es
mit purpurfarbigen Schabracken und errichtete ihm, als es gestorben
war, auf dem Vatikan ein Grabmal“ und Älius Lampridius meldet: „Kaiser
Heliogabalus fütterte seine Pferde mit Rosinen, die er aus Apamea in
Phrygien bezog“.

[Illustration: Bild 28. Ein im Jahre 1900 in Schonen, Südschweden,
an einem vorgeschichtlichen Opferplatz ausgegrabener Pferdeschädel
mit noch in der Stirne steckendem abgebrochenem Steindolch in
Seitenansicht. (Nach Gunnar Andersson.)]

Nach Älian sollen die Oreïten und Adraster (indische Völker) ihre
Pferde mit Fischen gefüttert haben, ebenso die Kelten. Wir sahen
bereits bei der Besprechung des Rindes, daß man tatsächlich in
grasarmen Gegenden, so z. B. auf der Insel Island, zu einem solchen
Hilfsmittel griff und es an manchen Orten heute noch tut. Auch
scheinen die indogermanischen Stämme bis in die historische Zeit das
Pferdefleisch als besonderen Leckerbissen geliebt zu haben. Bei den
alten Germanen galt es als vornehmstes Opfer, ein Pferd zu schlachten
und dessen Fleisch beim Göttermahle zu verspeisen. Daß sich die
Gottheit besser des Opfers erinnere, wurde der abgefleischte und
des Gehirns entleerte Schädel gern am Dachfirst befestigt. Da nun
das Pferdefleischessen stets mit heidnischen Opfern verbunden war,
wurde dasselbe als minderwertig und unrein erklärt. Als alles dies
nichts fruchtete, wurde von Rom aus die Todesstrafe darauf gesetzt.
So vermochte man mit vieler Mühe den alten Deutschen die Freude am
Pferdefleischgenusse zu verleiden, so daß heute, da die Gründe, die zu
dessen Verbot führten, hinfällig geworden sind, die Tierschutzvereine
die größte Mühe haben, das damals dem Volke beigebrachte Vorurteil
zu beseitigen. Auch die Römer opferten jährlich im Oktober auf dem
Marsfelde dem Mars ein Pferd. Dieses hieß beim Volke das Oktoberpferd.
Ferner opferten die Massageten, Parther und Skythen ihrer obersten
Gottheit Pferde, ebenso die Perser. Strabon berichtet, daß Alexander
der Große in Pasargadä, der alten Residenzstadt der Perserkönige, das
Grabmal des Cyrus von Magiern bewacht fand, denen täglich ein Schaf und
monatlich ein Pferd zur Nahrung verabreicht wurde. Neben dem Fleisch
haben nur die Steppenvölker Südrußlands und Asiens auch die Milch der
Pferde genossen, und zwar stellten sie mit Vorliebe daraus ein von den
Kirgisen als Kumis bezeichnetes berauschendes Getränk her. Bei den
Germanen war dies nicht der Brauch, wohl aber bei den Litauern und
Esten, die solche Sitte von den südöstlichen Nachbarn angenommen hatten.

[Illustration: Bild 29. Der in der vorhergehenden Abbildung
dargestellte Pferdeschädel mit Steindolch in Rückansicht. Die ganze
Form und Bearbeitung des Dolches beweist, daß er der jüngeren
schwedischen Steinzeit angehört. Die Art und Weise, wie der Dolch in
den Schädel hineingetrieben ist, zeigt, daß dies von geübter Hand
und mit großer Kraft zu Lebzeiten des bei irgend welchem Götterfeste
geopferten Tieres geschah; denn er ist, ohne den Schädelknochen auch
nur im geringsten zu splittern, 4,7 _cm_ tief ins Gehirn gedrungen und
muß augenblicklich tödlich gewirkt haben.]

Bei den Germanen und den mit ihnen verwandten Wenden hatte das Pferd
eine besondere sakrale Bedeutung, indem es, besonders in weißgefärbten
Exemplaren, als dem Kriegsgott heiliges Tier galt, das man ihm zu
Ehren in dessen heiligen Hainen in halber Freiheit hielt, in der
Annahme, daß sich der Gott ebensosehr als der Mensch an solchem
Besitz erfreuen werde. Überreste von dieser uralten Sitte lassen sich
mehrfach in Ortsbezeichnungen nachweisen. So rührt das Mecklenburgische
Schwerin vom wendischen Worte Zuarin, das Tiergarten bedeutet, her.
Gemeint damit ist aber nicht ein Wildpark für das Jagdvergnügen der
Vornehmen, sondern ein heiliger Hain, in welchem das dem slavischen
Kriegsgotte Swantewit geheiligte Tier, das Pferd, gezüchtet wurde.
Solche Pferdezucht in eingehegten heiligen Bezirken läßt sich auch für
Deutschland nachweisen und hielt sich auch nach der Einführung des
Christentums für profane Zwecke im Gebrauch. So hat Stuttgart, d. h.
Stutengarten, seinen Namen von dem Gestüt, das Kaiser Ottos I. Sohn
Liutolf im Jahre 949 in den dortigen Waldungen anlegte.

Die Pferde der Germanen, die von den aus dem Süden und Osten
eingeführten orientalischen Pferden abstammten, waren nach den
Schilderungen der Römer nur unscheinbare, aber äußerst leistungsfähige
und gut dressierte Tiere. So berichtet Julius Cäsar darüber: „Die
Pferde der Germanen sind häßlich, jedoch durch die tägliche Übung sehr
ausdauernd. In der Schlacht springen die germanischen Reiter oft vom
Pferde, kämpfen zu Fuß und ziehen sich, wenn es sein muß, wieder zu
ihren Pferden zurück; denn diese sind gewohnt, die bestimmte Stelle
nicht zu verlassen. Sie reiten ohne Decke auf dem bloßen Pferde.“
Vielfach war den Reitern als willkommener Kampfgenosse auch ein
Unberittener beigegeben, der sich beim Traben oder Galoppieren an
der Pferdemähne hielt, um folgen zu können. Solchermaßen schildert
uns Cäsar das Heer des germanischen Fürsten Ariovist, das aus 6000
Reitern und ebensoviel Fußkämpfern bestand. Nach Dio Cassius galten
die Bataver, am Unterlaufe des Rheins, als die besten Reiter unter
den Germanen, die bewaffnet mit ihren Pferden sogar über den Rhein
schwammen, was den Römern einigermaßen imponiert haben muß.

Am berühmtesten von allen Pferden Deutschlands waren im frühen
Mittelalter die thüringischen. König Hermanfried schenkte dem
Frankenfürsten Theoderich, aus dessen Familie er die Amelberg freite,
nach Landessitte mehrere weiße Pferde, wie Hochzeitspferde sein sollen.
Diese sollen besonders angenehm zum Reiten gewesen sein, „man schien
auf denselben zu ruhen,“ so sanft gingen sie. Sie wurden natürlich von
ihren Herrn mit besonderen Namen benannt, die uns teilweise erhalten
sind. So nannte Attila sein Lieblingspferd Löwe, ein anderes Leibpferd
Dunkelbraun. Ihr Preis war ein verhältnismäßig hoher, so daß als
Zugtier für die Landwirtschaft das Rind vorgezogen wurde. Galt doch in
einer Urkunde von 884 ein Pferd 10 Solidi, d. h. so viel als 10 Kühe.
Karl der Große verbesserte die Stutereien seiner Güter. Eine solche
hieß _stuot_ und stand unter einem _mareskalk_, d. h. Pferdeknecht.
Dieser gehörte an den fürstlichen und bischöflichen Hofhaltungen zu den
vornehmsten Ministerialen oder hörigen Dienstmannen, denen stets ein
eigenes Pferd für ihren Dienst zustand. Die Pferde wurden zur Arbeit
stets beschlagen, und die Hengste, damit sie ihr feuriges Temperament
mäßigen sollten, verschnitten. Im 12. Jahrhundert erhielt das Stift
Fulda noch 20 ungelernte Pferde geschenkt. Wenn ein einzelner Mann
so viel Pferde wegschenken kann, so läßt dies vermuten, daß er eine
ziemlich ausgedehnte Zucht gehabt haben muß. Im Laufe des Mittelalters
hat dann die Pferdezucht eine stetige Verbesserung erfahren, bis sie
sehr leistungsfähige Tiere lieferte.

Das Hauspferd asiatischer Abstammung erschien nach den Funden in
Pfahlbauten schon zu Ende der jüngeren Steinzeit in Mitteleuropa in
einzelnen, allerdings noch seltenen Exemplaren, die jedenfalls als
wichtige Kriegsgehilfen sehr geschätzt waren. Erst in den Stationen
der Bronzezeit erscheint es häufiger, um erst in der Römerzeit in
Helvetien größere Verbreitung zu finden, wie wir aus den Überresten
beispielsweise der römisch-helvetischen Kolonie Vindonissa ersehen. Es
war wie alle orientalischen Pferde, von denen bis jetzt die Rede war,
leicht gebaut und besaß zierliche Gliedmaßen mit hohen zylindrischen
Hufen und einem feingezeichneten, im Profil mehr oder weniger konkaven
Kopf. Das trockene, d. h. wenig fleischige Gesicht trat bei ihm
gegenüber dem Hirnschädel zurück. Die Kruppe fiel nach hinten wenig
ab und die Schweifwurzel lag in der Verlängerung der Rückenlinie. Nun
finden wir zur Römerzeit in Helvetien neben dieser graziösen, auch
eine plumpere Rasse mit massigen Formen, einem schwergebauten Kopf
und kräftigen Gliedmaßen, mit flachen Hufen und starker Haarbildung
darüber. Das fleischige Gesicht ist im Verhältnis zum Hinterteil des
Schädels stark in die Länge gezogen. Das Schädelprofil erscheint bei
ihm, statt konvex wie beim vorigen, deutlich konkav, d. h. geramst. Die
Kruppe fällt steil ab und die Schweifwurzel springt aus der Rückenlinie
heraus. Zu diesen anatomischen Merkmalen kommen noch Unterschiede der
Bezahnung. So besteht bei diesem plumper gebauten Pferd ein durch die
ungewöhnlich starke Entwicklung des Gesichtsteils bedingtes mehr in die
Längegezogensein der Backenzähne. Dabei zeigen sie eine kompliziertere
Faltung des Schmelzüberzuges als die zierlichere orientalische Rasse.

Während nun das im Schädelbau sich mehr dem Esel nähernde
~orientalische~ oder ~warmblütige Pferd~ den Ahnherrn aller
schnellfüßigen Reit- und Wagenpferde darstellt, ist dieses plumpere,
aber kräftigere ~okzidentale~ oder ~kaltblütige Pferd~ der Stammvater
des schweren deutschen Karrengauls, dessen Vorfahren die mit schwerer
Rüstung für Mensch und Tier bewehrten mittelalterlichen Ritter trugen,
dann des flandrischen, normannischen und luxemburgischen Karrengauls,
die sämtlich vorzügliche Arbeitspferde sind. Mit ihrer breiten Brust
und dem starken Körper repräsentieren sie den herkulischen Pferdetypus.
Dieser ging aus dem einheimischen kräftigeren Wildpferde Europas
hervor, das zu zähmen und in den menschlichen Dienst zu stellen
sehr nahe lag, nachdem man einmal an dem aus dem Morgenlande hier
eingeführten leichteren Hauspferde den Nutzen dieses Tieres erkannt
hatte.

[Illustration: Bild 30. Darstellung eines Wildpferdhengstes des
schwereren Schlages aus der Höhle von Combarelles mit allerlei
zeltartigen Figuren beschrieben, die fälschlicherweise manche Forscher
annehmen ließen, es liege hier ein halbgezähmtes Tier vor, das mit
einer Decke versehen sei.

Breite der Originalzeichnung 1 _m_.

(Nach Capitan und Breuil.)]

Schon unter den diluvialen Wildpferden Europas lassen sich zwei Arten
unterscheiden, nämlich eine kleinere, leichte, die mehr im Süden
wohnte, und eine größere, derbere, die mehr im Norden lebte. Letztere
wurde besonders von Nehring genauer untersucht. Wie in Europa war es
sicher auch in Asien. Dort ist nun allerdings das zierlichere, mehr
im Süden lebende warmblütige Pferd zuerst gezähmt und in des Menschen
Dienst gestellt worden. Es hat sich dann im Laufe der Jahrhunderte in
verschiedene Schläge gespalten. Aber neben ihm gab es nach Norden zu
auch eine schwere, kaltblütige Art, die unabhängig vom okzidentalen
Pferde Europas gezähmt und in den Haustierstand übergeführt wurde.
Dieses schwere Pferd mit allen Kennzeichen der kaltblütigen
Rassengruppe, nur mit einigen Abweichungen im Schweifansatz, wie sie
für das Przewalskische Pferd typisch sind, ist in Mittelasien schon
frühe der Zähmung unterworfen und in den menschlichen Dienst gestellt
worden. So tritt es uns in typischer Weise, durch seine Kleinheit sich
als durch Zucht noch wenig verändertes Przewalski-Wildpferd zu erkennen
gebend, auf einem altpersischen Relief von Persepolis entgegen. Dort
dient es, reich geschirrt, zwei bärtigen Fürsten in langer Gewandung
und mit teils helm-, teils tiaraartiger Kopfbedeckung zum Reiten. Auch
die mit dem Przewalski-Pferd trefflich übereinstimmende Kleinheit
dieses Tieres tritt auf diesen Reiterbildnissen wie auf anderen Bildern
dieser Zeit, in denen die Tiere wie auf unserer Abbildung an einen
Kriegswagen angespannt geführt werden, deutlich hervor. In letzterem
Falle werden die Tiere in der Weise geführt, daß der Führer den
Arm über den Rücken legt und so mit der Hand den Zügel der von ihm
abgewandten Seite hält.

Wenn nun Krämer zeigte, daß nach der Schweiz, speziell Vindonissa, erst
die Römer schwere Pferde einführten, so können sie diese ganz gut aus
Asien bezogen haben; denn damals gab es nicht nur in Persien, sondern
auch in Kleinasien solche schwere, kaltblütige Schläge. So findet sich
beispielsweise auf einer Münze der kleinasiatischen Stadt Larissa die
charakteristische Darstellung eines kaltblütigen Pferdes. Diese Rasse
scheinen die Römer zur Berittenmachung ihrer schwerbewaffneten Reiterei
bevorzugt zu haben und führten sie deshalb bei sich ein. Durch Kreuzung
mit dieser wurde in der Folge das kleinere leichte Pferd, das über alle
Mittelmeerländer verbreitet war, etwas größer und stärker.

[Illustration: Bild 31. Altpersischer Kriegswagen von kleinen Pferden
eines schweren Schlages gezogen auf einem Relief in Persepolis. (Nach
Sir Porter.)]

Sicher war das Hauspferd Europas zur Bronzezeit ein Abkömmling der
zierlichen warmblütigen asiatischen Rasse, wurde dann aber auch aus
dem massenhaft vorkommenden einheimischen Wildmaterial gezogen; denn
anders ist es nicht erklärlich, daß die Gallier schon im Jahre 280 v.
Chr. bei ihrem Einfall in Griechenland 60000 Reiter ins Feld stellen
konnten. Da dieser Volksstamm schon früher eine tüchtige Reiterei bei
sich ausgebildet hatte, kann es uns nicht wundern, daß sie in späterer
Zeit eine besondere Schutzgöttin der Pferde, namens Epona, verehrten.
Aus der ganzen Hinterlassenschaft der keltischen Volksstämme läßt sich
ersehen, daß sie schon lange bevor sie mit der römischen Kultur bekannt
wurden, eine ausgebildete Pferdezucht trieben. Ihre Zuchtprodukte
wurden dann an die Nachbarn verhandelt. So kam das keltische Pferd auch
nach Spanien, das ebenfalls schon vor der Einnahme durch die Römer eine
blühende Pferdezucht besaß. Von Spanien aus drang dieses Pferd nach
Nordafrika vor; denn Publius Vegetius sagt ausdrücklich, daß die Pferde
der römischen Provinz Afrika (dem heutigen Algerien) spanischen Blutes
seien.

Was die warmblütigen orientalischen Pferde anbetrifft, so ist heute
der edelste Vertreter derselben der ~Araber~, der in reinster
Rasse vorzugsweise in der Nedjed genannten unwirtlichen Hochebene
Mittelarabiens gezogen wird und mit Recht den höchsten Stolz seines
Besitzers ausmacht. Die Araber unterscheiden viele Familien ihrer
Pferde, über die sie genaue Stammbäume führen, und jeder Stamm rühmt
sich im Besitze einer besonders guten Rasse zu sein. Im ganzen
unterscheidet man 21 Blutstämme oder Familien, von denen die 5
vornehmsten unter dem Namen „Khamsa“ zusammengefaßt werden. Sie sollen
angeblich von den 5 Stuten Salomos abstammen.

Wie überaus hoch der Araber diese hochedeln Tiere, die ja tatsächlich
seinen wichtigsten Besitz ausmachen, schätzt, das beweisen die
Lobeserhebungen, die er ihnen spendet: „Sage mir nicht, daß dieses Tier
mein Pferd ist; sage, daß es mein Sohn ist! Es läuft schneller als der
Sturmwind, schneller noch, als der Blick über die Ebene schweift. Es
ist rein wie das Gold. Sein Auge ist klar und so scharf, daß es ein
Härchen im Dunkeln sieht. Es erreicht die Gazelle im Laufe. Zu dem
Adler sagt es: Ich eile wie du dahin! Wenn es das Jauchzen der Mädchen
vernimmt, wiehert es vor Freude, und an dem Pfeifen der Kugeln erhebt
sich sein Herz. Aus der Hand der Frauen erbettelt es sich Almosen, den
Feind dagegen schlägt es mit den Hufen ins Gesicht. Wenn es laufen
kann nach Herzenslust, vergießt es Tränen aus seinen Augen. Ihm gilt
es gleich, ob der Himmel rein ist oder der Sturmwind das Licht der
Sonne mit Staub verhüllt; denn es ist ein edles Roß, das das Wüten
des Sturmes verachtet. In dieser Welt gibt es kein zweites, das ihm
gleicht. Schnell wie eine Schwalbe eilt es dahin. So leicht ist es,
daß es auf der Brust deiner Geliebten tanzen könnte, ohne sie zu
belästigen. Sein Schritt ist so sanft, daß du im vollsten Laufe eine
Tasse Kaffee auf seinem Rücken trinken kannst, ohne einen Tropfen zu
verschütten. Es versteht alles wie ein Sohn Adams, nur daß ihm die
Sprache fehlt.“

Dem durch gute Lungen ausgezeichneten arabischen Pferd kommt seine
Genügsamkeit sehr zu statten; denn es wird von seinem Herrn, der selber
nicht viel besitzt, recht knapp gehalten. Mit 18 Monaten beginnt
seine Erziehung, indem ein Knabe es zu reiten versucht. Im dritten
Lebensjahre legt man ihm den Sattel auf und sucht nach und nach alle
seine Kräfte und Fähigkeiten zu entwickeln. Erst wenn es das 7. Jahr
erreicht hat, sieht man es als erzogen an, und deshalb sagt das
arabische Sprichwort: „Sieben Jahre für meinen Bruder, sieben Jahre
für mich und sieben Jahre für meinen Feind.“ Dieser Araber ging im
Laufe des Mittelalters aus dem schon im Altertum berühmten persischen
Pferde hervor und steht in näherer Beziehung zum nordafrikanischen
Berberpferde, von dem die Mauren in Spanien einst die besten Zuchten
hatten. Sein Blut kreist in allen edeln Reit- und Wagenpferden
europäischer Rasse, vor allem auch im englischen Vollblut, über das wir
hier einiges Authentische mitteilen möchten.

Zunächst ist festzustellen, daß die bis jetzt herrschende, auf die
Zeugnisse der klassischen Schriftsteller gestützte Annahme, daß
Arabien im Altertum fast nur Kamele und keine Pferde gezogen habe,
nicht ganz richtig ist. Schon sehr früh gab es dort auch Pferde, die
von den Siegern annektiert und mitgenommen wurden. So zählt Flavius
Josephus unter der arabischen Beute des von 668-626 über Assyrien
herrschenden Königs Asurbanipal ausdrücklich auch Pferde auf. Außerdem
wird auf himjaritischen Inschriften öfter das Pferd erwähnt, auch
sind zwei Bronzestatuetten von solchen bekannt. In den Ruinen von
Nâ-it im Gebiete der Haschid sind nach dem Bericht des arabischen
Schriftstellers Al-Hamdani mehrfach Darstellungen von Pferden
gefunden worden. Doch hat die Aufzucht einer edleren Pferderasse
erst im Mittelalter durch die Mohammedaner stattgefunden, die auf
ihren Feldzügen großes Gewicht auf eine gute Reiterei legten. Zur
Zucht verwandten sie das damals am höchsten gezüchtete, nämlich das
persische Pferd, das schon im Altertum durch seine Leistungsfähigkeit
berühmt war. Die Griechen erstaunten, als sie im persischen Reiche
den auf schnellfüßigen Pferden durch Berittene besorgten, trefflich
funktionierenden Meldedienst und das auf gut unterhaltenen Straßen
vorzüglich eingerichtete Postwesen kennen lernten. Neben den persischen
waren auch die vorderasiatischen Pferde hochgeschätzt. So ließ König
Salomo Zuchtpferde aus Kilikien und Kappadokien holen, und König
Philipp von Makedonien begann seine Stammzucht, der sein Sohn Alexander
die treffliche Reiterei verdankte, angeblich mit 20000 skythischen
Stuten.

Auch die Griechen suchten schon früh möglichst rasche und
ausdauernde Pferde zu züchten. Dies geschah wie heute auf Grund von
Leistungsprüfungen, und zwar in bezug auf Geschwindigkeit und Ausdauer.
Dazu dienten in erster Linie die olympischen, pythischen, nemeischen
und isthmischen Spiele, bei welchen sowohl Wagenrennen als Rennen
unter den Reitern abgehalten wurden. Letztere waren noch wichtiger
als die ersteren, und man hatte Jockeis und Herrenreiter, auch Geld-
und Ehrenpreise wie heute. Ein Rennen zu gewinnen galt als höchste
Ehre und man kann sich deshalb vorstellen, mit welchem Eifer die
Zucht rascher Pferde betrieben wurde. Schon damals war das Rennpferd
durchaus verschieden vom Pferd der Landeszucht. Es wird mehrfach mit
seinen typischen Merkmalen abgebildet, so beispielsweise auch auf einer
ums Jahr 450 v. Chr., also um die Zeit der Erbauung des Parthenon,
hergestellten griechischen Vase. Auf ihr sehen wir die Pfosten der
Rennbahn, den Zielrichter mit der Schärpe, den leichtgewinnenden
Sieger, der den noch heute typischen Fehler macht, sich am Ziel
umzusehen, während der zweite und dritte ein sog. Finish mit der
Peitsche reiten. Die hier dargestellten Rennpferde sind länger im Hals,
haben andere Schulter und Kruppe als die gewöhnlichen Reitpferde,
die uns auf dem Parthenonfries entgegentreten und waren zweifellos
orientalischen Ursprungs.

[Illustration:

  Tafel 37.

Anschirren eines Rennwagens, darunter ein Tierfries. Von einer jüngeren
attischen Vase in Berlin.

(Nach Gerhard, Auserlesene Vasenbilder.)]

[Illustration:

  Tafel 38.

Griechische Jünglinge zu Pferd am Panathenäenfestzug vom Friese des
Parthenon.

(Nach einer Photographie von Mansell & Cie. in London.)]

[Illustration:

  Tafel 39.

Ausgewachsenes Shetlandpony neben einer gewöhnlichen Hausziege in Karl
Hagenbecks Tierpark in Stellingen.]

[Illustration:

  Tafel 40.

Ungepflegtes Mongolenpferd, wie es in halbwilden Herden im Westen
Chinas lebt. Durch Pflege läßt sich daraus ein zwar kleiner, aber
sehr ausdauernder Schlag gewinnen. (Nach Photographie von Buchmann in
Tayanfu.)]

[Illustration: In Deutschland gezogener Araberhengst von Karl
Hagenbecks Tierpark in Stellingen.]

Von den Griechen übernahmen dann die Römer die Freude an den Wettrennen
und die Hochschätzung der Rennpferde. Letztere brachten sie auch in
ihre Kolonien. So hielt beispielsweise Kaiser Severus, der von 206-210
in England weilte, mit von Rom dahin importierten Pferden ein Rennen im
York ab. Aber auch an zahlreichen andern Orten Englands gab es damals
schon Rennen mit hochgezüchteten Pferden, so z. B. in Chester, wo
noch ein Teil der antiken Rennbahn erhalten ist. Seitdem blieben die
Rennen in jenem Lande ein nationaler Sport; aber von einer Zucht zu
Rennzwecken war damals und das ganze Mittelalter hindurch keine Rede.
Wenn auch öfter edle Pferde, namentlich zur Zeit der Kreuzzüge, ins
Land gebracht wurden, so blieb man dort im Laufe der Jahrhunderte doch
nur bei einem mäßig geschwinden Pferd, dem _galloway_. Das Bestreben,
dieses kleine und nur mäßig leistungsfähige Pferd zu verbessern, war
der Anlaß, daß man im 17. Jahrhundert anfing, in erheblichem Maße
orientalische Pferde einzuführen. Von besonderer Wichtigkeit war ein
Import von 30-40 orientalischen Stuten, den „_royal mares_“, die
Karl II. etwa 1670 einführte. Im Laufe des 17. und zu Anfang des 18.
Jahrhunderts führte man zudem nicht weniger als 26 orientalische
Hengste in England ein, um die Zucht aufzufrischen. Von diesen war
Darley Arabian nach dem bedeutendsten deutschen Rennstallbesitzer,
Arthur von Weinberg, der wichtigste Stammvater, den etwa 90 Prozent
aller heutigen Vollblüter zu ihrem Ahnen haben sollen. Nach ihm
kommt an Bedeutung der 1728 importierte Godolphin Arabian, den ein
Engländer in Paris vor einem Wasserwagen entdeckte und der im Beginn
der englischen Vollblutzucht eine große Rolle spielte. Mit dem Import
dieser Hengste beginnt das erste Aufzeichnen der Stammbäume im großen
Gestütsbuch. Doch war zunächst noch von keiner systematischen Zucht
die Rede. Die einzige Richtschnur war damals, daß für die Stuten der
Vater, für die Hengste aber die Mutter in erster Linie maßgebend sei.
Man wollte Rennen gewinnen und züchtete unbekümmert um Theorien stets
von den besten, d. h. raschesten Pferden. So konzentrierte sich im
Gegensatz zu den Ratschlägen der Theoretiker die Zucht auf eine immer
geringer werdende Zahl von männlichen Linien, bis schließlich fast
nur eine einzige Linie übrigblieb. Wie die heutigen Vollblutpferde
auf wenige Hengste, so gehen sie, wie zuerst deutsche Forscher
feststellten, zum größten Teil auf fünf Stuten zurück. Sie sind
trotz der weitgehenden Inzucht außerordentlich leistungsfähig, haben
eine Verlängerung von Oberarm- und Oberschenkelknochen zur möglichst
raschen Fortbewegung erhalten und sind sehr frühreif. Während die
Vollblutpferde schon mit 18 Monaten geritten werden und zweijährig
Rennen laufen, kann man das Halbblutpferd, z. B. die Remonten der
Kavallerie, meist erst vierjährig überhaupt anreiten.

Das arabische, wie auch das mit ihm nahe verwandte maurisch-berberische
Pferd wurde wie in England, so auch auf dem Kontinent mit leichten
und schweren einheimischen Schlägen gekreuzt und dadurch die
verschiedensten Gebrauchspferde erhalten, die je nachdem zum
Reiten, Fahren oder Ziehen besonders geeignet sind. Näher auf die
Abstammungsverhältnisse und die Eigentümlichkeiten der verschiedenen
Pferderassen einzugehen, verbietet schon der beschränkte Rahmen dieses
Buches. Es sei hier nur bemerkt, daß in Europa die Pferdezucht in den
weiten Steppen des Ostens am bedeutendsten ist. So besitzt Rußland
zahlreiche starke Gestüte in den Steppen am Don und am rechten Ufer
der untern Wolga. Das russische Pferd ist klein, aber äußerst genügsam
und ausdauernd. Auch in Ungarn und Siebenbürgen werden viele und gute
Pferde für den Export gezüchtet. In Galizien, in der Bukowina und in
der südöstlichen Steiermark findet sich gleicherweise ein leichter
Schlag, während die weiter nördlich und östlich davon gelegenen
Länder kräftigere Arbeitstiere ziehen, in denen reichlich Blut des
schweren okzidentalen Pferdes beigemischt ist. In Hannover, Holstein
und Mecklenburg werden viele edle Reitpferde gezogen. Dänemark
züchtet die besten in Jütland. Skandinavien, Wales, Schottland, die
Shettlandsinseln und Island besitzen ponyartige kleine Schläge, die im
Winter einen langen, krausen Haarpelz erhalten. Belgien, die Normandie
und gewisse Gegenden Englands züchten mit Vorliebe schwere, kaltblütige
Arbeitspferde. In Spanien wird vorzugsweise das aus Nordafrika
eingeführte Berberpferd gezogen. Die besten Gestüte besitzt Andalusien.
Die europäischen Mittelmeerländer sind wenig reich an Pferden, weil
Esel und Maultier dort stark verbreitet sind. Besonders in Griechenland
ist die im Altertum blühende Pferdezucht in argen Verfall geraten.
Italien besitzt nur lokal ein erhebliches Pferdematerial. Die schönste
Rasse findet sich in der römischen Campagna, wo die Wagenpferde der
Kardinäle und Patrizier gezüchtet werden. Den größten Pferdereichtum
trifft man in Sardinien an. Nach Cetti ist dort das Pferd vielfach
verwildert, soll angeblich nicht mehr zu bändigen sein und wird
vielfach erlegt, hauptsächlich um das Fell zu gewinnen. Es haust hier
namentlich in den ausgedehnten Waldungen im Innern.

Bald nach ihrer Entdeckung erhielt die Neue Welt das Pferd durch
die Spanier, und zwar waren es Andalusier, die dort, speziell in
Mexiko, eingeführt wurden. Doch sind sie nach und nach entartet und
vielfach verwildert. Indessen sind heute die verwilderten Herden bis
auf einzelne in Patagonien lebende Trupps auf einen 1865 erlassenen
Befehl der Regierung hin vernichtet worden, da sie nicht nur die Weiden
beeinträchtigten, sondern vielfach auch die zahmen Pferde entführten.
Gegenwärtig nehmen die Vereinigten Staaten von Nordamerika den
bedeutendsten Rang in der Pferdezucht ein. Berühmt ist die neuerdings
aufgekommene Traberzucht, deren Grundstock das amerikanische Vollblut
bildet.

In Australien wurde die Pferdezucht ebenfalls erst von den Europäern
eingeführt. Das Material stammt aus England, der Kapkolonie und von
den Sundainseln. In Indonesien werden mehr kleine Schläge gezüchtet,
ebenso in Oberbirma und Südindien. In Nordwestindien wird viel ein dem
Afghanenpferde verwandter Schlag gehalten. In China zieht hauptsächlich
die Mandschurei Pferde, auf deren Haltung aber wenig Sorgfalt verwendet
wird. Japan züchtete früher im Norden der Hauptinsel einen kräftigen
Schlag; neuerdings wurden besonders europäische und amerikanische
Rassen importiert.

Am zahlreichsten wird das Pferd in Innerasien gezüchtet. In Turkestan
ist es das wichtigste, unentbehrlichste Haustier, das von jedermann
gehalten wird. Persien hat drei verschiedene edle Schläge, einen
kleineren im Gebirge und größere in den Ebenen. Die edelste Zucht von
persisch-arabischem Blut trifft man in Schiras. Klein und unansehnlich,
aber äußerst leistungsfähig ist das Kirgisenpferd, das auch von den
Kalmücken und andern Mongolenstämmen in großen Mengen gehalten und
auch zur Milchgewinnung benutzt wird. In Afrika, das einst seinen
Pferdebestand Asien entlehnte, werden besonders im Norden und Osten
viel Pferde gezogen. Ägypten, Abessinien, die Somaliländer und der
Sudan besitzen verdorbene arabische Schläge, die als Reittiere ungemein
leistungsfähig sind und Wassermangel vielfach besser als andere
Schläge ertragen. Das zähe Gallapferd findet beim abessinischen Heere
ausgiebige Verwendung. In Südafrika werden besonders in der Kapkolonie
und in Transvaal kleine, sehr ausdauernde Pferde gezüchtet. Überall in
den Tropenländern, wo das Klima zu feucht ist, hält es sich schlecht,
deshalb haben die Portugiesen in ihren afrikanischen Kolonien den
Reitstier eingeführt.



VIII. Das Kamel.


Die Kameliden sind der älteste Zweig der Wiederkäuer, der sich
schon im Miozän von der Gesamtfamilie trennte, bevor sich bei ihren
Vertretern Hörner oder Geweihe ausgebildet hatten. Sie sind die
einzigen Wiederkäuer, die noch im Oberkiefer Schneidezähne -- im
ganzen vier -- besitzen. Mit den ältesten Pferden entwickelten sie
sich in Nordamerika, wo während der jüngeren Tertiärzeit die reichste
Entfaltung derselben nachweisbar ist. Doch erlosch dort die Gruppe
mit dem Eintritt der Eiszeit, während die Kamele nach Asien und die
Schafkamele oder Lamas nach Südamerika auswanderten, wo sie sich auf
den Höhen der Anden erhielten.

Noch heute lebt ein winziger Überrest der Kamele in ihrer
ursprünglichen Wildheit in der innerasiatischen Wüste in der Dsungarei,
ebendort, wo auch die letzten Wildpferde zu finden sind. Schon der
russische Reisende Przewalski hatte von ihrem Vorkommen im Gebiet des
Lob Nor, d. h. im westlichen Teil der Wüste Gobi, berichtet. Doch erhob
man damals dagegen den Einwand, es möchten dies einzelne entlaufene
und verwilderte Kamele gewesen sein. Indessen hat dann später der
schwedische Reisende Sven Hedin auf Grund eigener Beobachtung das
Vorkommen von eigentlichen Wildkamelen in jenen menschenleeren Einöden
festgestellt. In einem Brief aus Obdal vom Juni 1900 schreibt dieser
Autor in der Umschau: „In der Gegend, die wir durchwanderten, kamen
wilde Kamele in großer Anzahl vor, und wir sahen und beobachteten sie
täglich durch unsere Ferngläser. Sie halten sich längs des Fußes der
Berge und in der Wüste auf, begeben sich aber von Zeit zu Zeit zu den
schirmenden Quellen, um zu trinken und zu grasen. Es gewährt einen
herrlichen Anblick, wenn man eine solche Herde, nachdem man ihr den
Wind abgefangen, unvermutet überrascht. Die Karawane mußte, während
unsere Jäger sich an die Tiere heranschlichen, in solchen Fällen immer
Halt machen. Einige der Kamele standen gewöhnlich aufgerichtet als
Späher da, während die andern sich in liegender Stellung ausruhten.
Bei Jardang Bulak schoß der Kosake Tjernoff ein prächtiges Kamel, bei
Altimisch Bulak unser Führer Abdu Rehim ein anderes. Ich meinerseits
zog es vor, mit einem starken Fernrohr bewaffnet, ihre Bewegungen zu
beobachten. Es liegt ein märchenhafter Glanz über diesen gewaltigen,
stattlichen Tieren, an deren Existenz die Gelehrten bis in die neueste
Zeit hinein gezweifelt haben. Es erweckte mein Staunen, daß wir diese
Tiere immer nur in den unwirtlichsten, sterilsten und wasserärmsten
Wüsten antrafen, wo wir mit unsern zahmen Kamelen Gefahr liefen,
vor Durst umzukommen; und doch finden sie nur in solcher Umgebung
ihr Fortkommen und sind so scheu, daß sie, wenn sie in meilenweiter
Entfernung eine Karawane wittern, tage- und nächtelang fliehen und man
nur aus den frischen Spuren ersehen kann, daß sie erst ganz kürzlich
aufgebrochen waren.

Wunderschön ist auch der Anblick einer durch unsere Annäherung oder
vielmehr durch einen Büchsenschuß erschreckten fliehenden Herde. Sie
sehen sich nicht um, sie fliehen bloß und sie fliegen über die Wüste
dahin wie der Wind und verschwinden in einigen Minuten am Horizonte,
um erst wieder Halt zu machen, wenn sie sich ganz sicher fühlen, weit,
weit hinten im Sande.

Es gibt sowohl Mongolen als Muhammedaner, welche nur von der Jagd
auf wilde Kamele im Kurruktag und den weiter östlich davon gelegenen
Gegenden leben. Diese Jäger sind mit den Gewohnheiten und dem Leben
der wilden Kamele durch und durch vertraut. Sie jagen die Weibchen nur
während der Brunstzeit, wo die Männchen mörderische Gefechte um ihre
Gunst ausfechten. Der Stärkste ist der Herrscher und kann mitunter mit
5-6 Weibchen umherwandern, während die Besiegten, die fürchterliche
Wunden davontragen und denen oft große Stücke Fleisch an den Seiten
herausgerissen sind, einsam und verschmäht in der Wüste leben und sich
den Familienherden nicht zu nahen wagen, wahrscheinlich aber doch der
Hoffnung auf Glück das nächste Mal leben. Die Wüste gewinnt durch ihr
Erscheinen bedeutend an Leben, und die Männer werden ganz wild, sobald
der Ruf erschallt: „_java tuga_“ (wilde Kamele)!

Einer unserer Jäger verfolgte einmal ein großes schwarzes Männchen,
das einen Schuß in das Bein erhalten hatte, aber in südlicher Richtung
weiterhinkte, volle zwanzig Stunden lang und kam müde und durstig
zurück, ohne daß es ihm gelungen war, das Tier wieder in Schußweite zu
bekommen. Wie sonderbar ist doch die Welt, in der diese Tiere leben,
und doch müssen sie das Gefühl haben, daß außerhalb ihrer friedlichen
Fluren der Feind lauert, denn sonst würden sie nicht eine so stark
ausgeprägte Furcht vor den Menschen hegen. Ihre einzige Gesellschaft
ist der Buran, der schwarze Sturm, der in dieser Gegend unumschränkt
herrscht und mit dem auch wir in intime Beziehung gerieten.“

Diese von der südlichen Dsungarei durch Ostturkestan und Nordtibet
verbreiteten wilden Kamele schützen sich wie ihre gezähmten Abkömmlinge
vor diesen fürchterlichen Sandstürmen, indem sie ihre Nasenlöcher
hermetisch verschließen. Sie besitzen zwei Höcker, wie die von ihnen
in direkter Linie abstammenden, in Ost- und Mittelasien als Haustiere
lebenden baktrischen Kamele oder Trampeltiere, nur sind sie kleiner
als die vom Menschen gezüchteten Höcker. Diese sind, wie der Buckel
des Zebus, Ansammlungen von Reservefett, die bei den gezähmten Formen
ein Gewicht von 2-5 _kg_ erlangen. Diese Höcker lassen sich durch
Mästung wie beim Höckerrind zu extremen Dimensionen steigern, können
aber durch längere Zeit fortgesetzte Anstrengung bei knapper Nahrung
in wenigen Wochen zum Verschwinden gebracht werden. Das weiter durch
Kultur veränderte einhöckerige Kamel oder Dromedar, das sich von seinem
Ursprungslande Zentralasien am weitesten westlich nach Afrika hinein
entfernte, ist artlich durchaus nicht von diesem zweihöckerigen Kamel
oder Trampeltier verschieden. So hat es, wie Lombardini in Pisa 1879
nachwies, während des Fötallebens ebenfalls die Anlage zu zwei Höckern,
die sich aber noch im Mutterleibe zu einem einzigen vereinigen. Für die
Abstammungsgeschichte ist diese Tatsache von größter Wichtigkeit, indem
wir so mit einer einzigen wilden Stammform auskommen, das zweihöckerige
Kamel als die ursprünglichere zahme Rasse und davon das Dromedar als
jüngere Zuchtrasse ableiten können.

Auch physiologische Gründe sprechen für die Zusammengehörigkeit beider
Hauptrassen, indem sich das zwei- und einhöckerige Kamel leicht
kreuzen lassen und fruchtbare Bastarde liefern, bei denen sich die
Zweihöckerigkeit in ausgesprochener Weise geltend macht. Gleicherweise
stimmen die geistigen Eigenschaften bei den Tierarten auffallend
miteinander überein. Beide Formen sind wenig begabt, wie es die tiefe
Stellung der Familie im Stammbaum der Wiederkäuer mit sich bringt;
beide zeigen neben Indifferenz, Dummheit und störrischem Wesen eine
auffallend geringe Anhänglichkeit an den Menschen. Immerhin ist das
Trampeltier als die ursprünglichere Form gutartiger als das Dromedar,
läßt sich leichter einfangen und gehorcht seinem Herrn williger.

Beide Tierarten gedeihen nicht auf üppiger Weide, sondern verlangen im
Gegenteil dürre Steppenpflanzen, welche anderen Tieren kaum genügen
würden, besonders aber Salzpflanzen. Dabei ist das Trampeltier noch
bedürfnisloser als das Dromedar und frißt die bittersten und salzigsten
Wüstenkräuter, die von den übrigen Steppentieren durchaus verschmäht
werden. Dazu saufen sie selbst das äußerst salzhaltige Wasser der
Steppe, das kein anderes Tier anrührt, und sind überhaupt auch darin
höchst bedürfnislos. Aristoteles schreibt sogar von ihnen: „Die Kamele
saufen lieber trübes als reines Wasser, und trüben es, wenn sie es
rein vorfinden, erst absichtlich, wenn sie saufen wollen. Übrigens
können sie recht gut vier Tage ohne Getränk aushalten, nehmen aber auch
nachher desto mehr zu sich. Sie leben meist 30 Jahre, zuweilen auch bis
hundert.“

Irgendwo in seiner zentralasiatischen Heimat ist das ~zweihöckerige
Kamel~, das ~Trampeltier~ (_Camelus bactrianus_) in vorgeschichtlicher
Zeit vom Menschen gezähmt und in den Haustierstand übergeführt
worden. Bis auf den heutigen Tag ist es ausschließlich auf Innerasien
beschränkt und ist zu den Mongolen Ostasiens und nach dem südlichen
Sibirien vorgedrungen. Hier überall bis tief nach China hinein ist es
dem Menschen eines der nützlichsten Haustiere, das vorzugsweise als
Lasttier, seltener zum Ziehen des Wagens und des Pfluges verwendet
wird. Außer seiner Arbeitskraft verwendet man Fleisch und Fell und
nutzt seine Milch und seine Haare aus. Mit ihm durchzieht man die
wasserlosen Wüstenstrecken, in denen Pferde nicht zu gebrauchen sind
und ihre Dienste versagen würden. Mit ihm erklimmt man Gebirge bis
über 4000 _m_ Höhe, in denen nur noch der Yak aushält. Brehm sagt
von ihm: „Das Pferd ist der Genosse, das Trampeltier der Diener des
Steppenbewohners.“

Derselbe Autor bemerkt: „Ein kräftiges Trampeltier legt mit 220 _kg_,
ein sehr starkes mit noch 50 _kg_ mehr täglich 30-40 _km_, mit der
Hälfte der Last aber im Trabe fast das Doppelte zurück, vermag im
Sommer 2 oder 3, im Winter 5-8 Tage zu dursten, halb so lange ohne
Beschwerde zu hungern und beansprucht bei längeren Reisen nur alle
6-8 Tage eine Rast von 24 Stunden Dauer. In der Kirgisensteppe wird
es übrigens nicht ausschließlich als Lasttier, sondern einzeln wie
paarweise auch als Zugtier verwendet und tritt auf Flugsandstrecken
sogar an Stelle der Postpferde.“ Doch geht es nur im Schritt und stößt
dabei vielfach unwillige Laute aus, die einem auf die Dauer unangenehm
werden.

Auf der Oberseite des Nackens haben die Trampeltiere, wie die von ihnen
abstammenden Kamele, zwei Paar dichtstehender Drüsen, die beim Männchen
in der Brunstzeit eine dunkle Schmiere absondern und dann die ganze
Nackenmähne besudeln. Die Begattung wird vollzogen, indem sich das
Weibchen, durch einige derb kneifende Bisse von seiten des Männchens in
Hals, Höcker und Beine veranlaßt, wie sonst zur Belastung niederkniet.
Das nach 12 Monate währender Tragzeit im Frühling geborene Junge von 30
_cm_ Höhe entwickelt sich, von der Mutter an ihrem vierzitzigen Euter
ein volles Jahr lang ernährt, rasch. Schon im zweiten Jahre beginnt man
mit seiner Abrichtung, indem man dem Füllen die Nase durchsticht und
ihm durch die so entstandene Öffnung den Zaumpflock durchsteckt. Im
dritten Jahre wird es zu kurzen Ritten, im vierten zum Tragen leichter
Lasten benutzt. Im fünften Jahre gilt es als erwachsen und arbeitsfähig
und kann bei guter Behandlung bis zum 25. Jahre Dienste tun.

[Illustration:

  Tafel 41.

Kamele und Pferde in einem Hochzeitszug der Teke-Turkmenen.]

[Illustration:

  Tafel 42.

Zweihöckeriges Kamel, sog. Trampeltier, aus Turkestan, von Karl
Hagenbeck in Stellingen importiert.]

[Illustration:

  Tafel 43.

Mit Kamelen pflügende Teke-Turkmenen in Merw.]

[Illustration:

  Tafel 44.

Kamelkarawane in Biskra. (Nach einer Photographie von _Dr._ H. von
Baeyer.)]

[Illustration: Kirgisen auf dem Marsch; rechts dahinter eine Jurte.]

Wie in Zentalasien und der Mongolei spielt das Trampeltier auch in
China eine wichtige Rolle im Karawanenverkehr. Im südwestlichen
Sibirien wird dasselbe seit der raschen Entwicklung der Landwirtschaft
häufig vor den Pflug gespannt. Über den Ostrand Asiens vermochte es
nicht vorzudringen, weil für die Küsten- und Inselgebiete der Büffel
besser paßt. Während des chinesisch-japanischen Krieges wurde es
zahlreich in China angekauft und nach Japan eingeführt; da man aber
nichts mit ihm anzufangen wußte, verschwand es wieder von dort. Nach
Westen ist das Trampeltier über Persien nach Mesopotamien und bis
zum Kaukasus vorgedrungen, kommt auch sporadisch in Südrußland vor.
In einer Grenzzone, die vom nördlichen Kleinasien durch Persien,
Afghanistan und Beludschistan bis nach Indien reicht, findet sich
das Trampeltier mit dem Dromedar zusammen. Südlich von dieser
Mischzone findet sich überall ausschließlich das ~einhöckerige Kamel~
oder ~Dromedar~ (_Camelus dromedarius_), das als südliche, mehr
wärmeliebende Abart von Syrien und Arabien aus in ganz Nordafrika
die ausschließliche Herrschaft erlangte. In Arabien, Ägypten und
Nubien wird seine Zucht stark betrieben, ebenso bei den Somalis und
Gallas. Nach Süden ist es bis Sansibar, in Nordafrika bis Marokko
und die Kanarischen Inseln vorgedrungen. Es ist das Gimel der alten
Juden oder das Djemmel der Araber, aus welch letzterem die Griechen
_kámēlos_ machten, das dann als _camelus_ zu den Römern gelangte.
Der aus Sizilien gebürtige griechische Geschichtschreiber Diodoros
sagt: „Arabien besitzt viele und vorzügliche Kamele, auch von der
zweihöckerigen Rasse. Die Kamele sind den Einwohnern sehr nützlich,
indem sie durch Milch und Fleisch treffliche Nahrung bieten und
Menschen und Lasten tragen. Die leicht und schlankgebauten sind schnell
und können durch wasserlose Wüsten große Tagesmärsche machen. Sie
tragen auch im Kriege zwei Bogenschützen, wovon der eine nach vorn,
der andere nach hinten gewendet sitzt. -- Dromedare (vom griechischen
_dromeín_, laufen) nennt man die schnellen Kamele, die in einem Tage
beinahe 1500 Stadien (= 277 _km_) zurücklegen können.“ Und sein
Volksgenosse Strabon schreibt: „Die in Zelten wohnenden Araber der
dürren Wüste zwischen Mesopotamien und Coelesyrien bauen wenig Land
oder gar keins an, haben aber Herden von allerlei Vieh, besonders von
Kamelen“, und an einer andern Stelle: „Alexander der Große sandte Leute
auf Dromedaren nach Ekbatana, welche in 11 Tagen den 30-40 gewöhnliche
Tagereisen betragenden Weg zurücklegten.“

Älian berichtet: „Die Kamele am Kaspischen Meere sind zahllos,
tragen viele, sehr weiche Haare, welche der feinsten Schafwolle
nicht nachstehen. Priester und reiche Leute tragen daraus gefertigte
Kleider.“ Der griechische Geschichtschreiber Herodot erwähnt sie
mehrfach; so schreibt er: „Die Araber in der Armee des Xerxes (die
580 v. Chr. nach Griechenland zog) hatten sämtlich Kamele, die an
Schnelligkeit den Pferden nicht nachstanden.“ -- „Als Xerxes nach
Griechenland gegangen war und nach Therma zog, fielen Löwen seine
Kamele an.“ Weiter meldet er, wie Cyrus sich listigerweise die
Unkenntnis dieser Tierart bei seinen Gegnern zu Nutzen machte: „Als
Cyrus vor Sardes rückte, stellte sich ihm Krösus in der Ebene mit
einer trefflichen Reiterei entgegen. Cyrus errang jedoch auf folgende
Weise den Sieg: Vor seiner Armee stellte er alle Kamele, welche die
Bagage des Heeres trugen, auf, nachdem er ihnen die Last abgenommen und
bewehrte Männer hatte aufsitzen lassen. Hinter den Kamelen ordnete er
die Fußsoldaten und hinter diesen die Reiter. Er sah voraus, daß die
Pferde im Heere des Krösus, welche noch keine Kamele gesehen hatten,
sich vor diesen Tieren fürchten würden. Die List gelang: denn die
lydischen Pferde ergriffen gleich beim Zusammentreffen die Flucht,
wodurch sich der Sieg für Cyrus entschied.“

Auch die Bewohner Roms bekamen zur Kaiserzeit gelegentlich
morgenländische Kamele zu sehen; so erwähnt Suetonius in seiner
Biographie des Kaisers Nero: „Kaiser Nero gab Spiele aller Art und
zeigte bei denen im Zirkus auch Wagen, vor die vier Kamele gespannt
waren.“ Das war damals noch etwas Neues. Erst der extravagante, in
Syrien aufgewachsene Kaiser Heliogabalus (218-222 n. Chr.) ließ dieses
in Italien als Wunder angestaunte Tier in größerer Menge dahin bringen,
ja sogar als Rarität schlachten. Sein Biograph Älius Lampridius
berichtet: „Heliogabalus schaffte sich 600 Wagen mit Kamelen an und
sagte, das sei gar nicht viel; der König von Persien halte sich ja
zehntausend Kamele. Er ließ sich auch öfter ein Gericht zubereiten, das
aus Kamelfersen, aus von lebenden Hühnern abgeschnittenen Kämmen und
aus Zungen von Pfauen und Nachtigallen bestand, weil man sagte, solch
ein Gericht schütze vor Epilepsie. Überhaupt tischte er nicht selten
Kamelbraten auf.“

Aus dem irgendwo in Innerasien schon in vorgeschichtlicher Zeit aus dem
wilden Kamel gewonnenen Trampeltier ist durch einseitige Weiterzüchtung
das Dromedar gewonnen worden. Beide Kamelrassen gelangten bereits
scharf in ihren Sonderheiten ausgeprägt verhältnismäßig spät nach
Westasien, wo sie uns erst zu Beginn des letzten Jahrtausends v.
Chr. in Assyrien entgegentreten. So finden wir auf dem berühmten
schwarzen Obelisken von Nimrud im Britischen Museum in London, wie
dem assyrischen Könige Salmanassar II. (860 bis 825 v. Chr.), der
den größten Teil Syriens eroberte und in Kalach einen prächtigen
Palast erbaute, ein recht naturgetreu dargestelltes zweihöckeriges
Kamel als Tribut gebracht wird. Dann ist uns in Kujundschik, wie auch
in Nimrud die Darstellung je eines beladenen einhöckerigen Kameles
erhalten geblieben. In Niniveh fand Place ein Basrelief aus dem 7.
vorchristlichen Jahrhundert, auf dem ein assyrischer Bogenschütze auf
einem Dromedar reitend dargestellt ist.

In den jüngeren Epochen der jüdischen Geschichte wird uns mehrfach
von südarabischen Karawanenzügen berichtet, die aus Tragkamelen
bestanden. Es war dies zu einer Zeit, da die Juden selbst noch keine
solchen besaßen, sondern sich ausschließlich der Esel zum Lastentragen
bedienten. Nach Ägypten kam das Kamel von Syrien aus erst im 4.
Jahrhundert v. Chr., wie Adolf Erman feststellte. Erst von jener
Zeit an lassen sich Terrakotten mit Kameldarstellungen und Urkunden
über Verkäufe dieser Tiere in Ägypten nachweisen. Plinius berichtet,
daß zu seiner Zeit, also um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr.,
eine Karawanenverbindung von Koptos am oberen Nil nach Berenike am
Roten Meer mit Kamelen bestand. Später schildert Philostratus einen
Touristenverkehr nach den Pyramiden mit Kamelen. Aber erst Ammianus
Marcellinus weiß 353 von räuberischen Wüstenbewohnern zu berichten, die
mit ihren Kamelen bis zu den Nilkatarakten hin schweiften.

Sehr langsam drang das Kamel im Altertum vom Niltal weiter westlich
über Nordafrika vor. Erst im sogenannten afrikanischen Krieg, den
Cäsar gegen die Pompejaner und den mit ihnen verbündeten König Juba
von Numidien führte, wird berichtet, daß nach der Niederlage von
Thapsus im Jahre 48 v. Chr. 24 Kamele mit dem Throne jenes Königs
erbeutet wurden. Während der friedlichen Kaiserzeit wird sich das Kamel
weiter über Nordafrika verbreitet haben. So wird auf den bildlichen
Darstellungen des heiligen Menas, eines Offiziers aus Ägypten, der
296 während der Diocletianischen Christenverfolgung den Märtyrertod
erlitt und Gegenstand eines speziellen Kultes in der Oase von Mariût
auf der Karawanenstraße zwischen Karthago und Alexandrien wurde, stets
das Kamel dargestellt. Erst kürzlich sind dessen Heiligtümer vom
Frankfurter Archäologen Karl Kaufmann ausgegraben worden. Jedenfalls
fand das germanische Volk der Vandalen, als es 439 unter Geiserich
von Spanien nach Afrika übersetzte, ziemliche Herden von Kamelen
bei den Nomadenstämmen um das Atlasgebirge. Eine neue Zuwanderung
nomadisierender Elemente fand mit den Arabern von Osten her statt,
die jedenfalls auch Kamele mitbrachten und der Zucht dieses Tieres in
Nordafrika besondere Aufmerksamkeit schenkten.

Ist das Kamel auch ein ausgesprochenes Wüstentier und jetzt das einzige
Transportmittel, das für die Wüste Sahara in Betracht kommt, so ist es
gleichwohl bei den Stämmen im Innern nicht häufig, sondern wird nur von
den Beduinen der Randsteppen in größeren Herden gehalten. Es gedeiht
nur in einem heißen, trockenen Klima und wird in den verschiedensten
Rassen gezüchtet, in großen, schweren Formen, die mehr zum Tragen
schwerer Lasten bis zu 400 _kg_ geeignet sind, und in zierlichen,
schlanken, leichten Reitkamelen, den Meharis. Das Heimatszentrum der
letzteren ist Arabien, das heute noch die schnellsten Läufer liefert,
dasjenige der letzteren dagegen Ägypten.

Südlich vom Wüstengürtel der Sahara hat das Kamel keine größere
Verbreitung erlangt. Auch in Südeuropa gedeiht es nur an einigen
wenigen Orten, so in der auf einer Ebene bei Pisa gelegenen
Kamelstüterei von San Rossore, wo 1810 40, 1841 41 und später etwa 200
Kamele lebten. Von diesen stammt die Mehrzahl der auf den Jahrmärkten
bei uns gezeigten Tiere. Dort wurden sie 1622 von Ferdinand II. von
Toskana und ein zweites Mal 1738 eingeführt. Der Versuch, das Kamel in
Sizilien einzuführen und dort als Lasttier in den Schwefelbergwerken
zu gebrauchen, scheiterte an der Feuchtigkeit des Klimas. In Spanien
scheint es besser zu gedeihen.

Gleich nach der Eroberung Perus suchte man das Kamel auch hier
einzuführen. So sah Garcilasso um 1550 kleine Herden, die Juan de
Reinaga eingeführt hatte; sie hatten damals wenig oder keine Jungen.
1570 sah dann Acosta neu von den Kanaren eingeführte Tiere. Um 1750
versuchte man sie auf Jamaika einzuführen. Als man sie aber hatte,
wußte man nichts mit ihnen anzufangen. 1800 traf A. v. Humboldt Kamele
von den Kanaren in Venezuela. Um 1845 gab es Kamele in Bolivien. Doch
kamen sie hier überall herunter, weil ihnen der Feuchtigkeitsgehalt der
Luft zu groß war. Auch in Nordamerika konnten sie sich auf die Dauer
nicht halten. So führte im Jahre 1856 die Regierung der Vereinigten
Staaten 57 aus Smyrna bezogene Dromedare in Texas, Arizona und
Neumexiko ein, die während des nordamerikanischen Bürgerkriegs sämtlich
in die Hände der Konföderierten fielen. Von ihnen wurden sie zur
Beförderung der Post gebraucht und legten im Tag angeblich bis gegen
200 _km_ zurück. Zu den beim Friedensschluß noch lebenden und von der
Regierung der Vereinigten Staaten wieder übernommenen Tieren wurden
1866 neu eingeführte gesellt, die mit den alten zu Züchtungszwecken
über Arizona und Texas verteilt wurden. Da jedoch viele starben und der
Versuch, das Dromedar in Nordamerika zu züchten, mißglückte, ließ man
die Überlebenden laufen, und es scheint, daß in den wilden Gegenden von
Kalifornien und Arizona noch heute welche leben; diese führen im Laufe
des Jahres weite Wanderungen aus. In Australien hat sich das Dromedar
besser eingebürgert und bei der Erforschung der inneraustralischen
Wüsten sehr große Dienste geleistet. Die erst vor drei Jahrzehnten aus
Afghanistan eingeführten Tiere werden gegenwärtig in Westaustralien
stark benutzt. Die deutsche Regierung führte sie beim letzten Aufstand
der Bastardhottentotten auch in ihrer südwestafrikanischen Kolonie ein,
wo sie sich bis heute gut erhielten und trefflich bewährten.

Außer in Arabien und Mesopotamien wird auch in Persien, Afghanistan,
Beludschistan und in den Somaliländern die Kamelzucht sehr stark
betrieben. Das Reitkamel vermag 16 Stunden lang zu traben und legt
dabei bequem eine Entfernung von 140 _km_ zurück. Ordentlich gefüttert
und getränkt vermag es ohne Rasttag dazwischen 3-4 Tage solche
Anstrengung auszuhalten. Die Lastkamele aber durchmessen mit einer
bis 250 _kg_ schweren Last in 12 Stunden bis 50 _km_. Außer durch
ihre Arbeit nützen die Kamele auch durch ihre dicke, fette Milch, die
bei den Beduinen besonders an Pferdefüllen verfüttert, sonst auch vom
Menschen genossen wird. Die jungen Tiere dienen als Fleischlieferanten.
Die ausgehende Wolle dient zur Herstellung von Tuch und Stricken, aus
den elfenbeinharten Knochen werden allerlei Drechslerwaren angefertigt.
In der Wüste ist ihr Dünger das einzige dem Menschen zur Verfügung
stehende Brennmaterial. Nach Denham und Clapperton haben die Kamele
der Tibbukuriere kleine Körbe unter dem Schwanze. Mit dem darin
angesammelten Dünger kochten dann die Reiter abends ihren Kaffee. Der
Schweiß der Kamele ist so salzig, daß die Schafe und Ziegen ihn lecken.
Ein junges oder schwaches Kamel kostet manchmal nur 30 Mark, während
ein gutes Lastkamel mit 90 und ein Reitdromedar mit 200-300 Mark
unseres Geldes bezahlt wird. Die geschätztesten Tiere werden in der
Nedjed genannten unwirtlichen Hochebene Mittelarabiens gezüchtet und
weithin exportiert.



XI. Das Lama.


Die südamerikanischen Schafkamele (_Auchenia_, d. h. Halstier),
welche gleichsam eine Miniaturausgabe der stattlichen altweltlichen
Kamele darstellen, sind in zwei Formen, dem ~Lama~ und ~Alpaca~, zu
Haustieren gemacht worden. Und zwar gehören sie zu den wenigen Arten,
welche von den Indianern aus eigener Initiative gezähmt wurden. Damit
hat dann der Mensch Gebirgsregionen der Kultur erschlossen, die ohne
diese Gehilfen auf die Dauer nicht zu bewohnen gewesen wären. Deshalb
begreifen wir sehr wohl, daß sie in ihrer Heimat eine Kultbedeutung
erlangt hatten. Wie die ältesten spanischen Chronisten berichten,
verwendete man sie zu Totenopfern und aß ihr Fleisch zur Versöhnung des
betreffenden abgeschiedenen Geistes. So findet man Köpfe und sonstige
Knochenüberreste dieser Tiere in vorspanischen Gräbern von Peru.

Noch heute leben zwei Arten von Schafkamelen in vollkommen wildem
Zustande, nämlich das ~Guanaco~ (_Auchenia huanaco_) und das ~Vicuña~
(_Auchenia vicuña_). Beide bewohnen, wie auch die aus ihnen gezähmten
Nachkommen, das Lama und Alpaca, das Hochgebirge der Anden vom
Feuerland bis zum nördlichen Peru. Das Guanaco ist namentlich im
südlichen Teile des Gebirges häufig. Es lebt gesellig in Rudeln, die
gewöhnlich aus zahlreichen, von einem Männchen angeführten Weibchen
bestehen. Die Männchen erreichen die Größe eines Edelhirsches, die
Weibchen sind kleiner. Beide sind von einem ziemlich langen, aber
lockern Pelz von schmutzig rotbrauner, an Brust und Bauch weißlicher
Farbe bedeckt, das aus kürzerem, feinerem Wollhaar und dünnerem,
längerem Grannenhaar besteht. Der dünne lange Hals ist nach vorn
gekrümmt und trägt einen seitlich zusammengedrückten Kopf. Die
raschen und lebhaften Tiere klettern sehr gut und laufen gemsenartig
an den steilsten Gehängen und Abstürzen dahin, selbst da, wo der
geübteste Bergsteiger nicht Fuß fassen kann. Dabei hält der leitende
Hengst einige Schritt vom Rudel entfernt Wache, während seine Herde
unbekümmert weidet. Bei der geringsten Gefahr stößt er ein lautes,
wieherndes Blöken aus, worauf alle Tiere den Kopf erheben, scharf nach
allen Seiten ausschauen und sich dann rasch zur Flucht wenden.

Kleiner und zierlicher als das Guanaco, auch weniger weit verbreitet,
ist das Vicuña mit dem durch seine Feinheit berühmten ockerfarbigen
Vließ und den langen, weißen Schulterbüscheln. Es steigt weniger hoch
als jenes und weidet mit Vorliebe auf den Grasmatten der Anden. Da
es weiche Sohlen hat, zieht es sich, auch verfolgt, niemals auf die
steinigen Halden zurück. Im Februar wirft jedes Weibchen ein Junges,
das schon gleich nach der Geburt eine große Schnelligkeit und Ausdauer
entwickelt, also mit seiner Mutter leicht zu fliehen vermag. Als
Weibchen bleibt es, auch erwachsen, bei der Herde; als Männchen jedoch
wird es durch Beißen und Schlagen fortgetrieben und vereinigt sich dann
mit seinesgleichen zu einem besonderen Rudel.

Jung eingefangen lassen sich Guanaco und Vicuña leicht zähmen und
schließen sich bald zutraulich an ihren Pfleger. Mit zunehmendem
Alter aber werden sie tückisch und speien dann den Menschen bei jeder
Gelegenheit an, was gerade keine angenehme Gewohnheit ist. Zudem
gebärden sie sich unbändig und sind nicht zur Paarung zu bringen.
Gleichwohl sind die Guanacos schon in vorgeschichtlicher Zeit von den
Indianern auf den Anden Perus gezähmt und in den Dienst des Menschen
gestellt worden. Da nun die kurze und straffe Wolle des wilden Guanaco
minderwertig ist, stellte man ihm viel weniger nach als dem äußerst
feinwolligen Vicuña, das von den Europäern planlos abgeschossen wurde,
so daß es stark dezimiert erscheint und seine Wolle kaum mehr zu
haben ist. Man stellte einst daraus wertvolle Decken her, die, weil
ungefärbt, niemals bleichten. Aus der französischen Bezeichnung des
Tieres bildete sich die auch im Deutschen übliche Benennung _vigogne_
für solche Gewebe. Die sehr teure echte Vigognewolle dient jetzt bei
uns hauptsächlich dazu, der Oberfläche unserer feinen Filzhüte ihren
seidigen Glanz zu verleihen.

Den Gegensatz zu diesen Wildformen bilden das Lama und das Alpaca, die
nur in zahmem Zustande bekannt sind. Ersteres ist durch Domestikation
aus dem Guanaco hervorgegangen, letzteres dagegen ist wahrscheinlich
ein Kreuzungsprodukt beider Arten, das besonders zur Erlangung einer
feinen Wolle gezüchtet wurde. Wahrscheinlich hat es aber weit mehr
Lama- als Vicuñablut, so daß es manche Autoren als eine zu speziellen
Zwecken verändertes Lama betrachten. Ganz sicher läßt sich indessen
die Abstammung nicht bestimmen, da beide Formen sich beim Eindringen
der Spanier in Südamerika als fertige Züchtungsprodukte vorfanden.
1541 gab Pedro de Cieza, dann wiederum 1615 Antonio de Herrera eine
gute Beschreibung der beiden zahmen Schafkamele mit ihren besonderen
Eigenarten.

Bei den alten Peruanern spielten Lama und Alpaca im Leben eine wichtige
Rolle. Die Zähmung beider Haustierarten wurde von ihnen in das früheste
Zeitalter menschlichen Daseins verlegt, als noch Halbgötter auf Erden
lebten. Und zwar geschah sie zunächst auch nicht aus praktischen
Gründen, sondern aus Gründen des Kultes, um nicht etwa in Notfällen in
Verlegenheit wegen Opfertieren zu kommen.

Überall im Lande trafen die Spanier große Herden dieser Tiere an, die
die wichtigsten Nutztiere der Peruaner bildeten, indem sie dieselben
nicht nur zum Transport über die hohen Pässe der Anden benutzten,
sondern auch Fleisch, Fell und Haare derselben verwendeten.

Das ~Lama~, eigentlich Llama (_Auchenia lama_), wird heute noch wie
einst vorzugsweise in Peru gefunden und gedeiht am besten in der
verdünnten Luft der Hochebenen. Es wird etwas größer als das Guanaco,
aus dem es hervorging, und zeichnet sich durch Schwielen an der Brust
und an der Vorderseite der Handwurzelgelenke aus. Als altes Haustier
tritt es in den verschiedensten Farbenvarietäten auf: weiß, gescheckt,
fuchsrot und dunkelbraun bis schwarz. Auch schwankt die Wolle bei den
verschiedenen Abarten in bezug auf Länge, Dichte und Feinheit. Am
kürzesten behaart sind die Arbeitstiere, von denen nur die Männchen
zum Tragen von Lasten verwendet werden, während die Weibchen außer zur
Zucht zur Fleisch- und etwa noch zur Milchgewinnung benutzt werden. Mit
einer Warenlast von 50 _kg_ und darüber beladen marschiert, von einem
Treiber geleitet, ein Tier hinter dem andern sichern Schrittes an den
steilsten Abhängen vorbei über die höchsten Pässe der Kordilleren.
Stevensohn schreibt: „Nichts sieht schöner aus als ein Zug dieser
Tiere, wenn sie mit ihrer etwa einen Zentner schweren Ladung auf dem
Rücken, eins hinter dem andern in der größten Ordnung einherschreiten,
angeführt von dem Leittiere, welches mit einem geschmackvoll verzierten
Halfter, einem Glöckchen und einer Fahne auf dem Kopfe geschmückt ist.
So ziehen sie die schneebedeckten Gipfel der Kordilleren oder den
Seiten der Gebirge entlang, auf Wegen, auf denen selbst Pferde oder
Maultiere schwerlich fortkommen möchten; dabei sind sie so gehorsam,
daß ihre Treiber weder Peitsche noch Stachel bedürfen, um sie zu lenken
und vorwärts zu treiben. Ruhig und ohne anzuhalten schreiten sie ihrem
Ziele zu.“ Ihr Mist wird von den Indianern gesammelt und überall als
das fast ausschließliche Brennmaterial auf den Markt gebracht. Das
Einsammeln desselben wird dadurch erleichtert, daß die Lamas, wie
auch ihre Verwandten, die Gewohnheit haben, für die Ablagerung ihrer
Exkremente gemeinsame Plätze aufzusuchen. Zum Reiten wurde das Lama
niemals verwendet, da es dazu zu schwach ist. Seine grobe Wolle spielt
als Gespinnstmaterial keine bedeutende Rolle. Dazu wird vielmehr das
lange, feine Vließ der zweiten domestizierten Form, des Alpacas,
verwendet.

[Illustration:

  Tafel 45.

Lama im Tierpark Hellabrunn zu München.

(Nach einer Photographie von M. Obergaßner.)]

[Illustration:

  Tafel 46.

  (_Copyright Underwood & Underwood in London._)

Norwegische Renntierherde in Hardanger, mißtrauisch die Ankunft von
Fremden abwartend.]

Das ~Alpaca~ oder ~Paco~ (_Auchenia pacos_) ist kleiner und gedrungener
als das Lama und gleicht äußerlich einem Schafe, hat aber einen
längeren Hals und einen zierlicheren Kopf. Sein langes und ausnehmend
weiches Vließ erreicht an den Seiten des Rumpfes eine Länge von 10-12
_cm_. Die Färbung ist meistens ganz schwarz oder ganz weiß; es gibt
aber von ihm wie vom Lama buntscheckige Individuen. Die Alpacazucht
wird besonders auf den Hochebenen des südlichen Peru und nördlichen
Bolivia stark betrieben, geht aber nicht so weit hinunter wie die
Zucht des Lamas. Hier leben diese Tiere in halbzahmem Zustande in
großen Herden in 4000-5000 _m_ Höhe das ganze Jahr über im Freien. Zur
Gewinnung ihrer sehr geschätzten Wolle werden sie gewöhnlich nur alle
zwei Jahre geschoren. Dazu treibt man sie in der warmen Jahreszeit in
die Hütten, wobei sie sich allerdings sehr störrisch benehmen. Wird
ein Tier von der Herde getrennt, so wirft es sich auf die Erde und
ist weder durch Schmeichelei, noch durch Schläge zu bewegen, wieder
aufzustehen. Einzelne können nur dadurch fortgeschafft werden, daß
man sie den Herden von Lamas und Schafen beigesellt. Aus ihrer Wolle
werden seit uralter Zeit Decken, Mäntel und Kleiderstoffe verfertigt.
Sehr schön gemusterte Proben der altperuanischen Textilkunst besitzt
namentlich das Berliner Völkermuseum. Doch züchtet man das Alpaca außer
der Wolle wegen auch zur Gewinnung des höchst schmackhaften Fleisches.
Zum Lasttragen wird es nicht verwendet, wozu es auch etwas zu schwach
wäre.

Wiederholt hat man versucht, Lamas und Alpacas auch außerhalb ihrer
hochgelegenen Heimat zu akklimatisieren; doch schlugen bis jetzt alle
diesbezüglichen Versuche fehl. So werden sie nur etwa in zoologischen
Gärten gehalten. Das erste Lama, das man in Europa zu sehen bekam,
war noch vor der Eroberung Perus durch Pizarro, als er bei Karl V.
um Hilfe bat, gezeigt worden. Im Jahre 1643 sollte Admiral Brouwer
bei seiner mißglückten Expedition gegen Chile das Vicuña im damals
holländischen Nordbrasilien einführen. 1799 hatte man weiße Vicuñas
nach Buenos Aires gebracht; 1808 sah Bory de St. Vincent einen kleinen
Lamabestand in Cadiz. Das waren wohl die Tiere, die Karl IV. hatte
kommen lassen. Dann schenkte auch Kaiserin Josephine welche; aber alle
diese Ansiedelungsversuche verliefen völlig erfolglos. In Australien
hat man, nachdem 1852 der erste Versuch verunglückt war, 1856 256
Tiere meist gemischten Blutes angesiedelt, aber trotz der ausgesetzten
Prämie von 250000 Franken kein Glück damit gehabt; ebensowenig in
Kuba trotz anfänglichen Gelingens. Teilweise ist eine als Caracha
bezeichnete ansteckende Krankheit daran schuld, die besonders die
Alpacas ergreift und an ihnen eiternde Wunden an den Vorderbeinen und
den Geschlechtsteilen hervorruft, woran sie häufig eingehen.

Alpaca und Lama können leicht miteinander gekreuzt werden. Die
Mischlinge, die unter dem Namen Guarizos oder Machorras bekannt sind,
bieten aber durchaus keine Vorteile vor jenen. Als Lasttiere lassen sie
sich ebensowenig gebrauchen als die Alpacas; auch erben sie die feine
Wolle der letzteren nicht. Übrigens findet das Lama in Peru seit der
Einführung des Maultiers und des Pferdes viel weniger Verwendung als
Lasttier im Vergleich zu früher, da es noch ausschließlich als solches
verwendet wurde. Zur Zeit der spanischen Eroberung gab es namentlich
im südlichen Peru ungeheure Herden davon. Damals wurden nicht selten
Züge von 500 oder selbst 1000 Stück angetroffen, alle mit Silberbarren
beladen und unter Obhut weniger Männer ihres Weges ziehend. Für die
Wegschaffung der Minenerzeugnisse von Potosi sollen zu jener Zeit
allein über 300000 Lamas gebraucht worden sein. Der Spanier Acosta
berichtet darüber: „Ich habe mich oft gewundert, diese Schafherden mit
2000-3000 Silberbarren, welche über 300000 Dukaten wert sind, beladen
zu sehen, ohne eine andere Begleitung als einige Indianer, welche die
Schafe leiten, beladen und abladen, und dabei höchstens noch einige
Spanier. Sie schlafen alle Nächte mitten im Felde, und dennoch hat
man auf diesem langen Wege noch nie etwas verloren; so groß ist die
Sicherheit in Peru. An Ruheplätzen, wo es Quellen und Weiden gibt,
laden die Führer sie ab, schlagen Zelte auf, kochen und fühlen sich,
ungeachtet der langen Reise, wohl. Erfordert diese nur einen Tag, so
tragen jene Schafe 8 Arrobas (92 _kg_) und gehen damit 8-10 Leguas
(29 bis 36 _km_); das müssen jedoch bloß diejenigen tun, welche den
armen, durch Peru wandernden Soldaten gehören. Alle diese Tiere lieben
die kalte Luft und finden sich wohl im Gebirge, sterben aber in Ebenen
wegen der Hitze. Bisweilen sind sie ganz mit Eis und Reif bedeckt
und bleiben doch gesund. Die kurzhaarigen geben oft Veranlassung zum
Lachen. Manchmal halten sie plötzlich auf dem Wege an, richten den
Hals in die Höhe, sehen die Leute sehr aufmerksam an und bleiben lange
Zeit unbeweglich, ohne Furcht oder Unzufriedenheit zu zeigen. Ein
anderes Mal werden sie plötzlich scheu und rennen mit ihrer Ladung
auf die höchsten Felsen, so daß man sie herunterschießen muß, um die
Silberbarren nicht zu verlieren.“ Meyer schlägt die Wichtigkeit des
Lamas für die Peruaner ebenso hoch an wie die des Renntieres, von dem
alsbald die Rede sein wird, für die Lappländer.

Neuerdings beabsichtigt die preußische Regierung, das überaus genügsame
Tier, dessen Fleisch einen sehr zarten Geschmack besitzt, in den
sonstwie wenig brauchbaren Ländereien, so zunächst auf der Lüneburger
Heide, einzuführen. Ob ihr die Akklimatisation gelingen wird, ist
allerdings höchst fraglich, da diese Tiere im Tiefland nicht gedeihen.



X. Das Renntier.


Im ~Renntier~ (_Rangifer tarandus_), einem der jüngst erworbenen
Haussäugetiere, das nur sehr oberflächlich gezähmt ist und sich noch
weitgehender Freiheit und Selbständigkeit erfreut, haben wir den
einzigen Vertreter der Familie der Hirsche vor uns, den der Mensch
in seine Abhängigkeit brachte. Den Übergang von den eigentlichen
Hirschen zum Renntier bildet der in den menschenleeren Einöden
Nordchinas lebende ~Milu~ der Chinesen oder ~Davidshirsch~ (_Elaphurus
davidianus_) der Europäer, so genannt, weil ihn 1865 der französische
Missionar David durch einen Blick über die Mauer des kaiserlichen
Wildparks bei Peking entdeckte. Dort wird dieses äußerst scheue und
seltene Tier zum Vergnügen des Kaisers von China und seines Hofes
in Gehegen gehalten. Durch die Vermittlung des damaligen deutschen
Gesandten in Peking, v. Brandt, kamen von dort zwei Hirsche und ein
Tier als außerordentliche Seltenheit in den Berliner Zoologischen
Garten und von da auch in denjenigen von Köln. In seinem ganzen Bau,
besonders der Füße, aber auch des Gehörns, erinnert der Milu viel mehr
an das Renntier als an den Hirsch und läßt wie dieser bei jedem Schritt
ein eigentümliches Knistern in den Fußgelenken hören, was sonst den
Hirschen nicht zukommt.

Die geweihtragenden Wiederkäuer eigneten sich im allgemeinen deswegen
nicht zur Domestikation, weil sie ausgesprochene Waldbewohner sind
und sich deshalb zum dauernden Aufenthalt im offenen Lande nicht
recht verwenden lassen. Davon macht nur das Renntier eine Ausnahme;
denn schon im Wildzustande meidet es den Wald und bewohnt heute im
Norden jenen Gürtel, der sich zwischen der Waldzone und dem Eismeer
ausdehnt und den man als Tundra oder Moossteppe bezeichnet. Hier lebt
es vorzugsweise von der Renntierflechte. Damit es nun mit seinen Füßen
im moorigen Boden der Tundra nicht zu weit einsinke, besitzen die
niedrigen, kräftigen Beine breit ausladende Hufe und bis auf den Boden
hinabreichende Afterklauen. Auf dem dicken, wenig aufgerichteten Hals
sitzt der nach vorn nur wenig verschmälerte Kopf mit dem ausnahmsweise
in beiden Geschlechtern entwickelten, bei den Weibchen nur kleineren,
zackigen Geweih. Das dunkelbraune Sommerkleid ist weniger dicht und
lang als das grauweiße Winterkleid, das sehr warmhält und seinen Träger
vor der großen Kälte seiner Heimat schützt. Der Vorderhals trägt eine
bis zur Brust herabreichende Mähne.

[Illustration: Bild 32. Darstellung eines weidenden Renntierweibchens
auf dem aus Renntierhorn verfertigten Bruchstück eines Kommandostabes
aus dem Keßlerloch bei Thaingen. (Nach Photogramm von _Dr._ Nüesch.)]

Das wilde Renn lebt durchschnittlich nördlich vom 60. bis zum 80.
Breitengrad der Alten wie auch der Neuen Welt. Die nordamerikanische
Form ist nur etwas größer und dunkler gefärbt und wird als ~Karibu~
bezeichnet. Von ihm leben im Tundrengebiet Nordamerikas und in
Grönland stattliche Herden bis zu 200 Stück, denen die Indianer stark
nachstellen, die sie mit Pfeil oder Gewehr erlegen oder in Hürden aus
Buschwerk treiben, um sie nachher mit Speer und Keule niederzuschlagen.
Das altweltliche Renn, von dem man das größere „Waldrenn“ vom kleineren
„Tundrarenn“ unterscheidet, die beide domestiziert wurden, lebt noch
in großer Zahl wild auf Spitzbergen. Auf Island wurde es im Jahre
1770 eingeführt, ist dort vollständig verwildert und hat sich bereits
in namhafter Zahl über alle Gebirge der Insel verbreitet. Es liebt
die Geselligkeit überaus und lebt in Herden von 200-300 Stück, die
gern wandern, so im Sommer, um der Mückenplage zu entgehen, nach den
höheren, kühler gelegenen Gebieten, im Winter dagegen nach den weniger
hoch mit Schnee bedeckten Niederungen. Es wittert ausgezeichnet, ist
scheu und vorsichtig, wo es unter den Verfolgungen des Menschen zu
leiden hat, kommt aber vertrauensvoll an Kühe und Pferde heran, die
in seinem Gebiete weiden, mischt sich auch da, wo es Zahme seiner Art
gibt, gern unter diese, obschon es recht wohl weiß, daß es nicht mit
seinesgleichen zu tun hat. Hieraus geht hervor, daß die Furcht und
Scheu vor dem Menschen die Folge der bösen Erfahrung ist, die es mit
ihm gemacht hat, daß es also kein dummes Tier sein kann. Ende September
ist die Brunst und Mitte April wird das Junge geworfen und längere Zeit
von seiner Mutter gesäugt.

[Illustration: Bild 33. Darstellung eines Renntiermännchens aus der
Höhle von Combarelles, stark verkleinert.

(Nach Capitan und Breuil.)]

Der europäische Diluvialjäger lebte vorzugsweise vom Renntier, das
damals während der Kälteperiode bis gegen das Mittelmeer hinunter in
großen Herden lebte und dem Menschen das weitaus wichtigste Beutetier
war. Um es leichter in seine Gewalt zu bringen, zeichnete er es unter
Murmeln von Zaubersprüchen, wie dies heute noch manche auf derselben
Kulturstufe lebende Jägerstämme tun, an die Wände der Höhlen, die er
bewohnte, und an allerlei Gegenstände seines Besitzes, wohl auch die
aus gegerbtem Renntierfell bestehenden Zeltwände auf Stangen. Dabei
galt der Glaube, daß, je naturgetreuer das Tier dargestellt werde, es
um so sicherer in des Menschen Gewalt gelange. Außer dem Fell, das
ihm seine Kleidung und Zeltumhüllung, wie auch Riemen und Schlingen
aller Art lieferte, wurden nicht nur das Fleisch und alle Eingeweide
vom hungrigen Renntierjäger verzehrt, sondern auch das Geweih und die
Knochen des Tieres als bald noch wichtigeres Werkzeugmaterial als
der Feuerstein benutzt. So war die ganze Kultur der Magdalénienjäger
der frühen Nacheiszeit ganz wesentlich auf die Erbeutung des damals
ausschließlich wildlebenden und durchaus noch nicht vom Menschen
in Herden vereinigten Renntiers gegründet, wie solches heute noch
von den auf der reinen Jägerstufe verbliebenen Indianern Kanadas
und noch höherer Breiten geübt wird. Auch diese leben, wie King
berichtet, fast ausschließlich vom Renn. Sie erlegen das Wild auf
seinen Wanderungen mit der Feuerwaffe, fangen es in Schlingen, töten
es beim Durchschwimmen der Flüsse mit Wurfspeeren, graben tiefe, mit
dünnem Astwerk und Laub verdeckte Fallgruben oder errichten an den
Furten, die sie durchschreiten müssen, zwei aufeinander zulaufende
Zäune aus Stecken, die da und dort schmale Lücken lassen. In eine jede
solche Lücke legen sie eine Schlinge. Wenn das Rudel zwischen die
Zäune getrieben wird, fangen sich einzelne Individuen, die seitlich
durchbrechen wollen, darin und werden abgestochen. Das Fleisch essen
sie roh und braten und räuchern den nicht sofort zu bewältigenden
Rest am Feuer. Aus den Geweihen und Knochen verfertigen sie ihre
verschiedenen Knochenwerkzeuge, vor allem die Fischspeere und Angeln.
Mit den gespaltenen Schienbeinen und anderen Teilen schaben sie,
wie das Fleisch von den Knochen, so Fett und Haar von den Häuten
ab, und mit Renntiergehirn reiben sie das Innere der Felle ein, um
sie geschmeidig zu machen. Das durch Räuchern mit feuchtem Holze
konservierte Leder alter Tiere hängen sie um ihre Zeltstangen, während
sie aus dem pelzartig weichen Fell jüngerer Tiere ihre Kleidung
herstellen, die sie mit Nadeln aus Renntierhorn vermittelst Sehnenfäden
vom Renntier nähen. Vom Kopf bis zu den Füßen sind sie in Renntierpelze
gehüllt, werfen ein weichgegerbtes Renntierfell auf den Schnee, decken
sich mit einem andern solchen zu und sind so imstande, der grimmigsten
Kälte Trotz zu bieten. Kein Teil des Renntiers bleibt von ihnen
unbenutzt, nicht einmal der aus aufgeweichten und halb aufgelösten
Renntierflechten bestehende Mageninhalt, der mit Blut vermischt ein
ihnen höchst schmackhaft vorkommendes Gericht liefert, von dem sie nur
ihren besten Freunden anbieten.

[Illustration: Bild 34. Von Magdalénienjägern auf ein Knochenstück
eingeritzte Renntiere, worunter ein Männchen ein Weibchen
beschnüffelnd, aus dem _abri_ von La Madeleine in der Dordogne. (Etwa
natürl. Größe.)]

Das wilde Renntier hat aber auch noch andere Feinde als den Menschen.
Der gefährlichste von ihnen ist der Wolf, der stets, besonders im
Winter, die Rudel umlagert. In Norwegen mußten die Renntierzuchten,
welche man auf den südlichen Gebirgen anlegen wollte, der Wölfe wegen
aufgegeben werden. Auch Vielfraß, Luchs und Bär stellen den Renntieren
nach. Sonst setzen ihm hauptsächlich die Mückenschwärme stark zu und
peinigen es im Sommer auf höchst unangenehme Weise.

Jung eingefangene Renntiere werden bald zahm. „Man würde sich aber“,
sagt Brehm, „einen falschen Begriff machen, wenn man die Renntiere,
was die Zähmung anlangt, den in den Hausstand übergegangenen Tieren
gleichstellen wollte. Nicht einmal die Nachkommen derjenigen, welche
seit undenklichen Zeiten in der Gefangenschaft leben, sind so zahm wie
unsere Haustiere, sondern befinden sich immer noch in einem Zustande
von Halbwildheit. Nur Lappen und deren Hunde sind imstande, solche
Herden zu leiten und zu beherrschen.“

[Illustration: Bild 35. Aus Renntierhorn geschnitzter Dolch eines
Magdalénienjägers, dessen Griff ein Renntier darstellt, das, um die
Hand beim Fassen der Waffe nicht zu behindern, die Schnauze erhebt und
sein Gehörn in den Rücken drückt. Aus dem gleichen Grunde sind seine
Vorderfüße unter den Bauch gebogen, als ob es davonspringen wolle. Aus
dem südfranzösischen _abri_ von Laugerie basse in der Dordogne. (⅓
natürl. Größe.)]

Das Renntier ist sehr spät vom Menschen zum Haustier erhoben worden
und ist im ganzen jetzt noch recht mangelhaft domestiziert. Wann dies
geschah, läßt sich nicht mehr bestimmen; doch kann dies vor nicht viel
mehr als 500 Jahren geschehen sein. Nach Frijs in Christiania waren
die Lappen im Norden Skandinaviens im 9. Jahrhundert noch Fischer und
Jäger, die außer dem Hund noch keinerlei Nutztiere besaßen und das
Renn nur als Wild kannten. Erst im 16. Jahrhundert gibt uns Olaus
Magnus Kenntnis von zahmen Renntieren, die in ihrem Besitze waren.
Julius Lippert hält es für wahrscheinlich, daß die Renntierzucht von
Skandinavien ausging, während sie Eduard Hahn in ihrem Ursprung nach
Nordasien verlegt und der Meinung ist, sie habe sich später von dort
nach Westen ausgedehnt. Uns scheint diese letztere Annahme die allein
richtige, da dort sicher die Renntierzucht eine ältere ist als in
Nordeuropa.

Für die am Nordrande der Alten Welt lebenden Fischervölker, für deren
Lebensweise der Hund zwar wichtig, aber nicht ausreichend war,
wurde der Erwerb des Renns als Haustier von unschätzbarem Werte.
Es war das einzige Wildmaterial, das ihnen für die Gewinnung eines
nützlichen Haustiers zu Gebote stand, und so wurde es herdenweise
in Pflege und Aufsicht genommen und trat dadurch in lose Verbindung
mit dem Menschen, den es bis dahin als seinen ärgsten Feind geflohen
hatte. Die Unterordnung unter das menschliche Joch ist aber heute
noch eine sehr bedingte. Wohl werden die Herden durch wachsame Hunde
zusammengehalten, indessen wenden sie sich doch dahin, wo es ihnen
gerade paßt und die Weide günstig ist. Der Besitzer kann seine Tiere
nicht beeinflussen und nach seinem Willen lenken, sondern er muß ihnen
einfach folgen, wohin sie ihn führen. Günstig für ihn ist es, daß die
Renntiere ein ausgeprägtes Herdenbewußtsein haben und stets geschlossen
gehen, so daß sie sich nicht zerstreuen, was ihm das Hüten wesentlich
erleichtert. Das Melkgeschäft ist durchaus keine Annehmlichkeit, da
die störrischen Tiere beständig durchgehen wollen und nur mit einem
Strick zum Ausharren bei diesem Geschäfte festgehalten werden können.
Die Renntiermilch ist, wenn sie auch neben dem süßen einen starken
Beigeschmack hat, sehr fettreich und nahrhaft; doch ist der Milchertrag
gering.

[Illustration: Bild 36 und 37. Dolchgriff aus Renntierhorn, einen
Renntierkopf, und ein ebensolcher aus Mammutelfenbein, ein nur
scheinbar liegendes Renntier darstellend, beide aus der Höhle von
Bruniquel in Westfrankreich, jetzt im Britischen Museum in London. (⅓
natürl. Größe.)]

Die von den Nomaden des Nordens zusammengehaltenen Renntierherden
halten sich jahraus jahrein im Freien auf, da selbstverständlich
Unterkunftsräume für so ausgedehnte Herden fehlen. Bei starkem
Schneefall geraten sie allerdings in Not und gehen vielfach an
Nahrungsmangel und Entkräftung zugrunde, so außerordentlich genügsam
sie auch an sich sein mögen, indem sie sich von selbst aus dem Schnee
hervorgescharrten Renntierflechten ernähren und als Flüssigkeitszufuhr
den Schnee im Munde zergehen lassen.

Außer den Lappen geben sich auch die Finnen und zahlreiche sibirische
Volksstämme mit der Zucht des Renntiers ab, das das Ein und alles,
der Inbegriff von Glück und Reichtum dieser Menschen bildet. Mit
Mitleid schaut der Fjeldlappe, der eigentliche Renntierzüchter, auf
seine Volksgenossen herab, die das Nomadenleben aufgegeben und sich
entweder als Fischer an Gewässern niedergelassen oder gar als Diener
an Skandinavier verdingt haben. Er allein dünkt sich diesem gegenüber
ein freier Mann zu sein; er kennt nichts Höheres als sein „Meer“, wie
er eine größere Renntierherde zu nennen pflegt. Immerhin gehört eine
beträchtliche Zahl von Renntieren dazu, um den Lappen und seine Familie
zu ernähren. Erst etwa 200 sollen ausreichen, um ihn selbständig zu
machen. Wer weniger sein eigen nennt, pflegt sich an einen reicheren
Besitzer anzuschließen und dafür in ein Dienstverhältnis zu ihm zu
treten. Eine Herde von etwa 500 Renntieren bedeutet Wohlhabenheit,
die viele Lappen erreicht haben. Nur wenige bringen es zu einem in
ihren Augen fabelhaften Reichtum von 2000-3000 Stück. Man berechnet
die Gesamtzahl der den Lappen Norwegens gehörenden Renntiere auf rund
80000, in die sich 1200 Besitzer teilen sollen. Die Renntierlappen
leben ganz nomadisch, indem sie sich gewöhnten, ihren Herdentieren zu
folgen. Im Sommer ziehen sie mit ihnen hinauf zu den großen baumlosen
Fjeldern (Hochflächen), wo diese am leichtesten ihre Nahrung finden
und der sehr lästigen Mückenplage entweichen können. Im Winter dagegen
wandern sie mit ihnen in die waldreicheren Regionen hinab, die weniger
den rauhen Stürmen ausgesetzt sind. Dank ihrer breitausladenden Hufe
können die Renntiere ebensogut über die sumpfigen Stellen wie über die
Schneedecke hinweggehen und sogar an den Halden herumklettern. Ihre
Fährten erinnern weit mehr an die einer Kuh als eines Hirsches.

[Illustration: Bild 38 und 39. Zwei Harpunen des Magdalénienjägers aus
Renntierhorn mit Giftrinnen aus Südfrankreich. (4/9 natürl. Größe.)]

Eine Renntierherde bietet ein höchst eigentümliches Schauspiel. Die
Renntiere gehen geschlossen wie die Schafe, aber mit behenden,
federnden Schritten und so rasch, wie sonst keins unserer Haustiere.
Ihnen nach wandelt der Besitzer mit seinen Hunden, die eifrig bestrebt
sind, die Herde zusammenzuhalten. Durch ihr Hin- und Herlaufen und
durch ihr ewiges Blöken erinnern die Renntiere an Schafe, obgleich ihr
Lautgeben mehr ein Grunzen genannt werden muß. Bei weitem die meisten,
die in Herden gehalten werden, sind sehr klein und man sieht unter
Hunderten nur sehr wenig starkgebaute, große Tiere. Dabei fällt die
Unregelmäßigkeit ihrer Geweihe unangenehm auf.

Mancherlei Seuchen richten oft arge Verheerungen unter den Renntieren
an. Außerdem trägt das rauhe Klima das seinige dazu bei, daß sich
die Herden nicht so vermehren, wie es, der Fruchtbarkeit des Renns
angemessen, der Fall sein könnte. Junge und zarte Kälber erliegen
der Kälte oder leiden unter den heftigen Schneestürmen, so daß sie,
vollkommen ermattet, der Herde nicht mehr folgen können und zugrunde
gehen. Ältere Tiere können bei besonders tiefem Schnee nicht mehr
hinreichende Nahrung finden. So können schneereiche Winter zuvor für
reich geltende Lappen geradezu arm machen, so daß sie sich erst in
vielen Jahren von ihrem Schaden erholen können.

[Illustration: Bild 40. Pfeife der Magdalénienjäger aus der Höhle
von Bruniquel in Westfrankreich, nördlich der Dordogne. (⅔ nat.
Größe.) An der dünnsten Stelle einer Renntierphalange ist mit einem
Steinmesserchen ein Loch gebohrt worden, welches beim Anblasen einen
scharfen, hohen Ton hören läßt.]

Alles am Renntier wird von diesen Leuten benutzt, nicht bloß die Milch
und der daraus bereitete wohlschmeckende Käse, das Fleisch und das
Blut, sondern auch jeder einzelne Teil des Leibes. Aus dem weichen
Fell besonders der Renntierkälber verfertigt man warme Pelzröcke und
Pelzstiefel; die Sehnen benutzt man zu Zwirn, die Gedärme zu Stricken.
Wie zur Renntierzeit werden auch heute noch aus Horn und Knochen
allerlei Gerätschaften, besonders Fischhaken und Angeln hergestellt.
Außerdem wird das Tier zum Tragen der Gerätschaften, besonders der
Zeltbestandteile und Effekten seines Besitzers verwendet. In Lappland
benutzt man das Renn hauptsächlich zum Fahren, weniger zum Lasttragen,
weil ihm letzteres, des schwachen Kreuzes wegen, sehr beschwerlich
fällt. Nur die Tungusen reiten auch auf den stärksten Rennhirschen,
indem sie einen kleinen Sattel gerade über die Schulterblätter legen
und sich mit abstehenden Beinen daraufsetzen. Auf diese Weise reiten
sie selbst über Moorgebiete, in die Pferde und Menschen tief einsinken
müßten, mit erstaunlicher Sicherheit hinweg. Der Korjäke dagegen fährt
im Renntierschlitten und Wettfahrten gehören zu seinem Hauptvergnügen.
Weder zum Fahren, noch zum Reiten werden die Tiere besonders
abgerichtet, sondern man nimmt dazu ohne viel Umstände ein beliebiges,
starkes Tier aus der Herde und schirrt es zum Ziehen des bootartigen
Schlittens oder zur Aufnahme des kunstlosen Sattels an. Ein gutes
Renntier legt mit dem Schlitten in einer Stunde etwa 10 _km_ zurück
und zieht 120-140 _kg_, wird aber gewöhnlich viel geringer belastet.
Schont man solche Zugtiere, indem man sie nur morgens und abends einige
Stunden ziehen, mittags und nachts aber weiden läßt, so kann man
erstaunlich große Strecken zurücklegen, ohne sie zu übermüden. Doch ist
auf die Dauer der Zughund leistungsfähiger als sie; deshalb haben die
Kamtschadalen im Gegensatz zu ihren Nachbarn, den Korjäken, ihre Hunde
zum Ziehen der Schlitten nicht mit dem Renntier vertauscht. Auch die
Giljaken im Mündungsgebiet des Amur sind vom Renntiergespann wieder
zum Hundeschlitten, als dem leistungsfähigeren Fortbewegungsmittel,
zurückgekehrt. Allerdings muß man den Hunden für Nahrung sorgen,
während das Renntier sich sein Futter selbst sucht.

Außer im Norden von Skandinavien ist das Renntier in Finnland stark
verbreitet. In Rußland ist das Gouvernement Archangelsk am reichsten
daran; auch die Gouvernemente Perm und Orenburg besitzen noch starke
Bestände davon. Durch ganz Sibirien haben die Nomadenstämme der
Samojeden, Ostjaken, Tungusen, Tschuktschen und wie sie sonst heißen
mögen, große Herden von Renntieren, von denen sie neben der Jagd
auf die wilden Renntiere leben. Als Proviant wird Renntierfleisch
getrocknet; solchergestalt läßt es sich lange Zeit aufbewahren ohne zu
faulen. In neuester Zeit hat man versucht, von Sibirien aus Renntiere
in Alaska einzubürgern, um die soziale Lage der dortigen Einwohner zu
heben. Ob dieser Versuch tatsächlich geglückt ist, steht dahin; doch
wird dies wohl der Fall sein, da dieses Tier keine Schwierigkeiten bei
der Haltung macht.

Da das Renntier erst so kurze Zeit im Haustierstande ist, hat es
sich noch nicht in verschiedene Rassen spalten können. Immerhin sind
bei der zahmen Art, abgesehen von der geringeren Größe, der größeren
Häßlichkeit und der unregelmäßigen Bildung des Geweihs, das auch
später abgeworfen wird, bereits kleine Farbenunterschiede bemerkbar.
Bei vielen ist die Färbung des Felles schon ziemlich rein weiß, bei
anderen scheckig geworden. Das wohlschmeckende Wildbret des Renns ist
bei uns so beliebt geworden, daß es im Winter von Skandinavien aus
regelmäßig auf unseren Markt gelangt und willige Abnehmer findet.



XI. Der Elefant.


Die letzten spärlichen Stammhalter einer einst durch zahlreiche Arten
vertretenen Säugetiergattung sind die Rüsseltiere, unter denen die
~Elefanten~ die wichtigsten und für den Menschen nützlichsten sind.
Schon seit dem hohen Altertum gezähmt und zum Nutztier des Menschen
abgerichtet, sind sie indessen bis jetzt nie eigentlich zu Haustieren
geworden, indem sie sich in der Gefangenschaft nur ausnahmsweise
fortpflanzen.

Wenn wir von zahmen Elefanten sprechen, so verstehen wir darunter
stets den etwas kleineren und mit kleinen Ohren versehenen ~indischen
Elefanten~ (_Elephas indicus_), der ein ausgesprochenes Waldtier
ist und die mit Wäldern bedeckten Teile von Vorderindien, Ceylon,
Assam, Birma, Siam, Cochinchina, der Halbinsel Malakka und Sumatra
bewohnt, aber auch in Borneo vorkommt, wo er indessen vielleicht nur
eingeführt ist. Er ist fast haarlos, abgesehen von einer Reihe langer,
grober Haare am Schwanzende, von dunkelgrauer Farbe und trägt an den
Vorderfüßen 5, an den Hinterfüßen dagegen nur 4 Hufe. Weibchen werden
meist bloß 2,4 _m_, Männchen durchschnittlich 2,7 _m_ hoch, können aber
bis 3,6 _m_ Höhe und über 3000 _kg_ Gewicht erlangen. Die Stoßzähne
sind wurzellose Schneidezähne mit Emailüberzug, der nicht wesentlich
härter ist als die innere Elfenbeinmasse. Sie wachsen ruckweise und
bestehen aus dütenartig ineinander gesteckten einzelnen Schichten von
Dentin. Beim Männchen sind sie stärker ausgebildet als beim Weibchen
und dienen als Hebel zum Abbrechen von Zweigen und Entwurzeln von
kleineren Bäumen, von deren Laub die Tiere sich ernähren. Gelegentlich
können sie nicht nur beim Weibchen, sondern auch beim Männchen fehlen.
Von den oben und unten nach und nach hervorbrechenden 6 Backenzähnen
jeder Kieferhälfte sind meist nur 4 im Gebrauch, je einer oben und
unten. Sie bestehen aus einer Anzahl sich selbständig entwickelnder,
erst nachträglich durch Zement zusammengekitteter Platten, innen aus
Dentin und außen aus Schmelz bestehend; und zwar ist der erste aus 4,
der zweite aus 8, der dritte aus 12, der vierte gleichfalls aus 12, der
fünfte aus 16 und der sechste aus 24 Querplatten zusammengesetzt. Die
einzelnen Zähne sind weniger groß als beim afrikanischen Elefanten,
weil seine Nahrung weicher ist. Sie besteht nämlich hauptsächlich aus
verschiedenen Arten von Gräsern und Blättern, jungen Bambusschößlingen,
aus Stengeln und Blättern wilder Bananen und aus den kleinen Blättern,
den weichen Zweigen und der Rinde bestimmter Baum-, namentlich
Feigenarten. Von einem ausgewachsenen Tiere werden täglich große Mengen
von Nahrung, nämlich 300-350 _kg_, verzehrt. Dagegen trinken die
Elefanten in der Regel nur zweimal am Tage, nämlich vor Sonnenuntergang
und nach Sonnenaufgang. Sowohl das Wasser als auch die Nahrung führen
sie mit dem Rüssel zum Munde, der ein überaus muskulöses Organ ist
und aus über 35000 einzelnen Muskelbündelchen besteht, nämlich von
in Reihen hintereinander geordneten Längs- und in Bogen verlaufenden
Quermuskeln. Er ist beim indischen Elefanten länger als beim
afrikanischen, etwa von der halben Körperlänge, und trägt vorn an der
Spitze einen fingerartigen, äußerst nervenreichen Fortsatz, mit dem er
die feinsten Gegenstände vom Boden aufzugreifen vermag. Die Augen sind
auffallend klein und das Sehvermögen gering, das Gehör mäßig, aber der
Geruch außerordentlich fein entwickelt.

Gewöhnlich lebt der indische Elefant in Herden von 30-50 Stück
verschiedener Größe und beiderlei Geschlechts. Dabei gehören im
allgemeinen alle Stücke einer Herde zu derselben Familie, sind also
nahe miteinander verwandt. Verschiedene Herden vermischen sich nämlich
nicht miteinander, obschon versprengte Weibchen und junge Männchen
auch leicht in eine fremde Herde aufgenommen werden. Nur alte,
griesgrämige Männchen leben gern für sich allein und können dann sehr
bösartig werden. Der Anführer der Herde ist merkwürdigerweise stets
ein Weibchen. Im allgemeinen sind alle Elefanten trotz ihrer Größe
und Kraft furchtsame und schreckhafte Tiere, die dem Menschen, ihrem
größten Feinde, sorgfältig aus dem Wege gehen. Abgesehen von den von
den Engländern in Indien als _rogues_ bezeichneten einzellebenden
Männchen hat man sich besonders vor Weibchen mit Jungen zu hüten.
Greift ein Elefant an, so benutzt er dabei die Füße und, falls es ein
Männchen ist, seine Stoßzähne, nicht aber seinen Rüssel, den er beim
Angriff vielmehr fest zusammenrollt. Den geworfenen Gegner zertrampelt
er meistens.

Den größten Teil des Tages und der Nacht streicht der Elefant umher um
zu fressen, ruht ungefähr von 9 oder 10 Uhr morgens bis nachmittags
3 Uhr und zum zweiten Male etwa von 11 Uhr abends bis 3 Uhr morgens.
Beim Weiden zerstreut sich die Herde etwas, aber schnell sammeln sich
ihre Mitglieder, sobald sie beunruhigt werden. Zum Schlafen legt sich
der indische Elefant gleich andern Säugetieren nieder, während der
afrikanische, der auch die Sonnenhitze besser erträgt, stets stehend
schläft. In vielen Gegenden unternehmen die Elefanten zu bestimmten
Jahreszeiten Wanderungen von beträchtlicher Ausdehnung, hauptsächlich
wohl des Futters wegen, zum Teil aber auch, um gewissen, ihnen
lästig fallenden Insekten aus dem Wege zu gehen. Bei den Wanderungen
marschieren die Tiere im Gänsemarsch hintereinander; kommen sie bei
warmem Wetter an Wasser, so baden sie, wälzen sich auch gern im
Schlamme. Sind sie erhitzt, so spritzen sie mit dem Rüssel Wasser über
ihren Körper. Können sie solches nicht haben, so benetzen sie ihren
Rücken mit Speichel, werfen auch Erde und Blätter zur Kühlung darauf.

[Illustration:

  Tafel 47.

  (_Copyright Underwood & Underwood in London._)

Indischer Elefant in Ceylon, seinem Lenker oder Mahaut den Fuß zum
Besteigen hinhaltend.]

[Illustration:

  Tafel 48.

Junger ostafrikanischer Elefant.]

[Illustration: Zwei erlegte ostafrikanische Elefanten mit großen
Stoßzähnen.

(Beide Bilder nach einer im Besitz der deutschen Kolonialschule in
Witzenhausen befindlichen Photographie.)]

Wenn auch die geistigen Fähigkeiten des Elefanten meist überschätzt
werden, so ist gleichwohl zuzugeben, daß er außerordentlich gelehrig,
klug und gehorsam ist, und dies in so hohem Grade, daß sich kein
anderes ausgewachsenes Säugetier auch nur halbwegs so leicht zähmen
läßt wie er. Seine sehr lange Entwicklungszeit von 25 und mehr Jahren
und sein Leben in engstem Familienverbande, durch das die Jungen
nicht bloß das Lernen, sondern auch die Alten das Lehren so gewohnt
werden, daß sie es auch in der Gefangenschaft nicht lassen können,
begünstigen in hohem Maße seine Dressurfähigkeit. Diese Neigung zum
Bevormunden ist auch der Hauptgrund, weshalb die zahmen Elefanten so
gern bei der Bändigung der wilden helfen. Wie Jäger sagt, steckt ihnen
das Schulmeistern im Blute. Wenn nun auch der Elefant außerordentlich
zahm ist und auf jeden Wink seines Führers gehorcht, so pflanzt er
sich gleichwohl in der Gefangenschaft, wenigstens in Britisch-Indien,
nur selten fort; doch soll die Elefantenzucht mit zahmen Weibchen
in Teilen von Birma und Siam etwas ganz gewöhnliches sein. Sogar in
Menagerien und Tiergärten pflanzt er sich gelegentlich fort, so bekam
eine Elefantenkuh im bekannten Tiergarten von Schönbrunn bei Wien
zweimal Junge, die gut gediehen. Der Elefantenbulle ist etwa im 20.
Jahre fortpflanzungsfähig, wenn er auch erst mit 25 ausgewachsen
ist und erst im 35. Jahre seine Vollkraft erreicht. Seiner langsamen
Entwicklung entsprechend, wird er 100-150 Jahre alt. Die Weibchen
bringen ihr erstes Kalb ungefähr im Alter von 16 Jahren zur Welt und
weitere Junge in Zwischenräumen von durchschnittlich 2,5 Jahren. Die
Tragzeit beträgt 20½ Monate. Meist im Herbst wird das eine Junge
geboren, das bei der Geburt 85 _cm_ hoch und ungefähr 100 _kg_ schwer
ist und mit seinem Munde, nicht aber mit dem dann noch dünnen, kurzen
und wenig beweglichen Rüssel, der dabei zurückgelegt wird, an den
beiden an der Brust befindlichen Zitzen seiner Mutter saugt. Nur in
seltenen Ausnahmefällen werden Zwillinge geboren. Hat ein Weibchen
geworfen, so verbleibt die ganze Herde, der es angehört, rücksichtsvoll
ein paar Tage an der Stelle, da solches geschah. Überhaupt leben
die Mitglieder einer Herde äußerst friedlich zusammen. Nur bei der
an keine Periode oder Jahreszeit gebundenen Brunst sind die Tiere
leicht reizbar und können Streit miteinander bekommen, oder, wenn sie
gezähmt im Dienste des Menschen stehen, wütend werden, besonders die
Männchen, bei denen dann, wie übrigens auch bei den Weibchen, aus einer
kleinen, zwischen Auge und Ohr gelegenen Schläfendrüse eine ölige
Substanz herausfließt. Es ist dies ein sexuelles Reizmittel von für die
menschlichen Nasen kaum merklichem Geruch, das aber für die so sehr
viel feineren Geruchsorgane jener Tiere stark wirkt.

Da die indischen Elefanten so leicht gezähmt werden können, hat man
sich gar nie die Mühe genommen, sie systematisch zu züchten und in
der Gefangenschaft zur Fortpflanzung zu bringen. Weil sie überaus
langsam wachsen und bis zu ihrem leistungsfähigen Alter sehr viel
Futter verbrauchen, das der Mensch ihnen geben muß, ist es sehr viel
einfacher, sie sich in der Wildheit fortpflanzen und verköstigen zu
lassen, bis sie ein für den Dienst beim Menschen taugliches Alter
erlangt haben, und sie dann zu fangen. Dazu treibt man eine oder einige
Herden durch eine lärmende und schießende Treiberkette in eine aus
Baumstämmen hergestellte Einfriedigung, eine sogenannte Keddah. Hier
fängt und entfernt man die zum Behalten gewünschten Exemplare mit Hilfe
zahmer Elefanten und läßt die übrigen laufen. Die gefangenen Individuen
werden an starke Bäume angebunden, durch Entzug von Nahrung und Trank,
wie auch der Gelegenheit zu Baden mürbe gemacht, dann zwischen zwei
zahmen Elefanten zur Tränke und zum Bad und bald auch zur Arbeit
geführt, wobei sie sich trotz ihrer Stärke ziemlich rasch unter die
geistige Gewalt des Menschen beugen und seinem Willen gehorchen. Die
Südasiaten sind Meister in der Kunst wilde Elefanten mit Hilfe von
zahmen zu fangen und zu zähmen. Außer dem Fang in Einfriedigungen,
in die die durch unmenschlichen Lärm erschreckten Tiere herdenweise
getrieben werden, betreibt man den Einzelfang. Entweder sucht man
wilde Elefanten vor dem Wind auf schnellen zahmen einzuholen und mit
Schlingen zu fesseln, oder man folgt großen Männchen, auf die man es
besonders abgesehen hat, mit zahmen Weibchen und bindet ihnen, wenn sie
schlafen, die Hinterbeine zusammen.

In Indien, wie auf Ceylon gibt es eine besondere Kaste von
Einzelfängern, die mit wunderbarem Scharfsinn und großer Tapferkeit
erwachsene Elefanten beschleichen, um ihnen die zuvor an einem
starken Baum befestigte zähe Schlinge aus Hirsch- oder Büffelhaut um
eines der Hinterbeine zu legen, sie so zu fangen und durch Hunger
zur Zähmung mürbe zu machen. Überall in Südasien halten die Fürsten
zahlreiche zahme Reitelefanten, die aus solchen Wildlingen gezähmt und
zu nützlichen Tieren des Menschen dressiert wurden. Für feierliche
Prunkaufzüge und zu Jagden auf den Königstiger, den Wildbüffel und
andere gefährliche Tiere im Dschungel sind sie sehr beliebt und
fast unentbehrlich. Für die feierlichen Prozessionen werden in den
indischen Tempeln sogenannte Tempelelefanten gehalten. In Hinterindien
werden sie besonders zum Transport von gefällten und zugehauenen
Baumstämmen, besonders des Tiekholzes, verwendet, auch dienen sie dort
und in Vorderindien zum Ziehen von Wagen und schweren Geschützen.
Die Engländer haben ganze Batterien von Positionsartillerie, die mit
Elefanten bespannt und sehr leistungsfähig sind. Denn trotz ihrer
plumpen Gestalt entwickeln diese Tiere eine große Gewandtheit beim
Erklimmen steiler Abhänge. Auch im Wasser sind sie außerordentlich
gewandt wie wenige Landvierfüßler. Sie schwimmen zwar nicht eben
schnell, legen in der Stunde vielleicht kaum 2 _km_ zurück, können
dafür aber 6 Stunden und darüber ohne zu ruhen fortschwimmen. Albinos
von hellerer Färbung und roten Augen werden in Siam heilig gehalten und
in einem kostbaren Stalle in der Hauptstadt vom Herrscher gefüttert.
Der „weiße Elefant“ ist zum Wappentier jenes Reiches erhoben worden.
Hat jemand einen solchen ausgekundschaftet, so wird er unter großem
Aufwand des Hofes und der buddhistischen Priesterschaft gefangen und in
einen besonderen Tempel nach der Hauptstadt Bangkok gebracht, wo er von
den Gläubigen mit Leckerbissen gefüttert wird und ein sehr gutes Leben
führt. Und wer der Untertanen ein solches heiliges Tier, dem hohe
Ehren zuteil werden, auskundschaftet und dem Könige von Siam oder einem
seiner Statthalter meldet, der wird von seinem Herrscher für diese
Meldung wahrhaft königlich belohnt.

Etwas verschieden vom indischen ist der ~afrikanische Elefant~
(_Elephas africanus_), der sich auf den ersten Blick von jenem durch
seine gewaltigen, in der Ruhelage die Schultern vollständig bedeckenden
Ohren unterscheidet. Diese werden bei Erregung des Tieres mit ihren
Flächen senkrecht zum Kopfe gestellt und geben dabei ihrem Träger ein
höchst sonderbares Aussehen. Der afrikanische Elefant ist erwachsen
größer und schwerer als der indische, hat einen krummen Karpfenrücken,
einen ebenso kurzen aber gleichwohl sehr beweglichen Hals und 28 statt
wie dieser 27 Schwanzwirbel, dennoch aber einen kürzeren Schwanz. Die
Füße sind verhältnismäßig länger und dünner, dadurch ist der plumpe
Körper höher gestellt. Die Schulterhöhe erreicht 4-5 _m_, das Gewicht
bis 4000 _kg_ und darüber. Am verhältnismäßig kleineren Kopfe ist die
Stirne flacher, das Auge größer, der Rüssel kürzer, dünner und flach,
dessen Haut auf der Oberseite in scharfe, nach vorn gerichtete Falten
gelegt, die Spitze, statt mit nur einem fingerartigen Fortsatz am
Vorderrand der Öffnung, mit zwei gleichgroßen Fortsätzen versehen,
wovon der eine in der Mitte des Vorder-, der andere in der des
Hinterrandes steht. Die Stoßzähne des afrikanischen Elefanten, die bei
den Elefanten von Nord- und Ostabessinien zu fehlen oder wenigstens
sehr klein zu sein scheinen, sonst aber nicht bloß beim Männchen,
sondern auch beim Weibchen gut entwickelt sind, sind größer als die des
indischen Elefanten. Während der, soviel man weiß, längste bekannte
Stoßzahn eines indischen Elefanten 2,44 _m_ Länge und ein Gewicht von
45 _kg_ hatte, betrug die Länge eines der größten bekannt gewordenen
Stoßzähne eines afrikanischen Elefanten 6,33 _m_ und das Gewicht 82,5
_kg_. Durchschnittlich beträgt das Gewicht der beiden Stoßzähne eines
ausgewachsenen männlichen afrikanischen Elefanten nur 70 _kg_. Im Jahre
1874 wurde jedoch in London ein einzelner Stoßzahn verkauft, der 94
_kg_ wog. Doch sind nach Schillings Zähne von über 50 _kg_ Gewicht
selten. Solche stammen dann stets von Männchen, während Weibchen selten
schwerere als 15 bis im Maximum 20 _kg_ Gewicht besitzen. Ein Unikum
waren nach demselben Autor die im Jahre 1898 von einem gewerbsmäßigen
schwarzen Elefantenjäger am Kilimandscharo gewonnenen Zähne eines schon
fast greisenhaften Bullen, die zusammen etwa 225 _kg_ gewogen haben
sollen. Beide Zähne gelangten auf den Elfenbeinmarkt in Sansibar und
wurden nach Amerika verkauft.

Wie die Stoßzähne sind auch die Backenzähne des afrikanischen Elefanten
gewaltiger als diejenigen des indischen Verwandten, weil dessen Nahrung
viel gröber und härter ist und viel größere Anforderungen an das Gebiß
stellt. Unter ihnen ist der erste aus 3, der zweite aus 6, der dritte
gleich dem vierten aus 7, der fünfte aus 8 und der sechste und letzte
aus 10 Platten zusammengesetzt, die sich von dem die Backenzähne des
indischen Elefanten zusammensetzenden Platten durch ihren auf der
Kaufläche sichtbaren rautenförmigen Querschnitt unterscheiden. Zudem
ist der Körper des afrikanischen Elefanten kräftiger behaart und die
Färbung eine dunklere als bei jenem. Während die Vorderfüße 5 Hufe
tragen, besitzen die Hinterfüße nicht 4 wie beim indischen, sondern
bloß 3 Hufe.

Der afrikanische Elefant ist stärker und lebendiger als sein indischer
Vetter. Seine Bewegungen sind rascher und beim Erklimmen abschüssiger
Hänge zeigt er sich ebenso geschickt. Er steigt am Kilimandscharo bis
zu 3000 _m_ und im Hochland von Abessinien bis 2400 _m_ empor, ist kein
so ausschließliches Waldtier wie sein indischer Gattungsgenosse, findet
sich im Sudan oft sehr weit vom Walde entfernt auf trockenen, mit
verdorrtem Grase bestandenen Ebenen und erträgt die Hitze viel besser
als jener. Nach C. G. Schillings ist sein eigentlicher Aufenthaltsort
nicht der schattige, kühle Hochwald, sondern vielmehr da, wo er
sich nicht allzusehr verfolgt weiß, und namentlich in der Regenzeit
die Baumsteppe, sonst aber die dichten Bestände von außerordentlich
hohem Gras und schilfbestandene Flußufer. Seine Nahrung besteht nie
aus Gräsern -- nur Prof. Volkens hat in Höhenlagen zwischen 2000 und
3000 _m_ am Kilimandscharo Reste von Schilf in den Elefantenlosungen
gefunden -- sondern ausschließlich aus Baumzweigen, Rinden und Früchten
aller Art. Baumzweige, die er in der Dicke des Handgelenks eines Mannes
abreißt, durchkaut er und speit die holzigen Fasern wieder aus, während
er den nahrhaften weichen Bast hinunterschluckt. In den Mimosenwäldern
entwurzelt er mit Hilfe seiner Stoßzähne die meist nur 5-6 _m_ hohen
Bäume, um deren Rinde und Zweige, auch die Wurzeln, weniger die Blätter
zu fressen. Der vorgenannte Schillings hat beobachtet, daß er mit
Vorliebe mehrere Arten von Sanseverien aufnimmt, deren ausgekaute
Stengel er aber wieder fallen läßt, so daß sie, von der Sonne bald
weiß gebleicht, weithin auf dem Steppenboden sichtbar sind. Da sie
einen erheblichen Wassergehalt besitzen, dienen sie ihm als einen,
wenn auch notdürftigen Ersatz für das dort weithin fehlende Wasser. In
Südost- und Südafrika benutzt er seine Stoßzähne gern zum Ausgraben von
Wurzelknollen und Zwiebeln. Man sieht dort große Strecken des sandigen
Bodens von ihnen gleichsam umgepflügt.

Der afrikanische Elefant scheint gleicherweise wie sein indischer
Verwandter ein ziemlich starkes Wasserbedürfnis zu haben und trinkt
täglich wenigstens einmal. Im Gegensatz zu jenem schläft er nie
am Boden liegend, sondern stets nur stehend, in schattigen Hainen
verborgen, und zwar während der heißesten Stunden des Tages. Gewöhnlich
lebt er nur in kleinen, aus je einer Familie, und zwar aus jungen
Männchen, Weibchen und Kälbern bestehenden Gesellschaften. Die alten
Männchen leben einzeln, paarweise oder in kleinen Gesellschaften
für sich, scheinen sich aber bei Wanderungen den übrigen Tieren
anzuschließen. Solche Wanderungen, wozu sich gelegentlich Hunderte
von Elefanten in kleinen Trupps zusammenfinden, scheinen vorwiegend
aus Nahrungsmangel, dann auch zur Erlangung einer zu gewissen Zeiten
reifenden Nahrung unternommen zu werden. Während Gesicht und Gehör
verhältnismäßig schlecht entwickelt sind, ist sein Geruch fast noch
besser als bei seinem indischen Verwandten ausgebildet. So kann er
bei günstigem Winde einen Menschen schon aus sehr weiter Entfernung
wahrnehmen und läuft dann erschreckt in größter Eile davon, um
manchmal erst nach etlichen Stunden haltzumachen. Gern stellt sich
der europäische Jäger bei der Elefantentränke auf den Anstand, um
das vorsichtige Wild zu erlegen. Wo sich aber keine Gelegenheit dazu
bietet, schießt er den Elefanten auch gern vom Pferde. Im ganzen ist
aber die Jagd auf den afrikanischen Elefanten nicht bloß schwieriger,
sondern auch gefährlicher als diejenige auf den indischen, da dieses
Tier entschieden wilder und mehr zu einem Angriff geneigt ist als
jener; und zwar scheinen die alten Weibchen gefährlicher als die
Männchen zu sein und nicht selten sogar ungereizt anzugreifen.

Vor der Einführung der Feuerwaffen wurden die Elefanten in manchen
Teilen Afrikas, besonders im Süden und Südosten, nur selten
angegriffen. Nur gelegentlich taten sich die Eingeborenen zusammen, um
sie vor dem Winde anzugreifen und sie durch Hunderte von Speerwürfen
und den dadurch verursachten Blutverlust allmählich zu Tode zu quälen.
Durch Speerwürfe tötet man auch in Mittelafrika die in Fallgruben,
manchmal zu zweien gefangenen Elefanten. War das 3-4 _m_ hohe Gras
der Steppe während der heißen Jahreszeit so trocken geworden, daß es,
angezündet, lichterloh brannte, umgab man auch gern eine dazu ersehene
kleine Elefantenherde mit einem etliche Kilometer im Durchmesser
haltenden Kreise von Feuer, dessen Inneres sich durch die Ausdehnung
des Feuers allmählich verkleinerte und schließlich die Elefanten, die
von der Angst getrieben bald dahin, bald dorthin zu entfliehen suchten,
sich aber nach allen Seiten vom Feuer umgeben sahen, auf einem kleinen
Fleck vereinigte. Dann stürzten sich die von prasselnden Flammen und
Tausenden wild schreienden Eingeborenen umgebenen, durch gesteigerte
Furcht sinnlos gewordenen Tiere, halberstickt durch den dicken Rauch,
verzweifelt durch das Feuer, an dessen Außenrand sie, verbrannt und
geblendet, unbarmherzig von den Speeren der blutdürstigen Wilden
empfangen wurden. Hundert und mehr der großen Tiere sollen früher
gelegentlich bei einer einzigen solchen Jagd getötet worden sein. Viele
Eingeborenenstämme betrieben die Elefantenjagd auch aus dem Hinterhalte
mit vergifteten Pfeilen. Andere, besonders in Westafrika, flochten aus
armdicken holzigen Schlingpflanzen ein netzartiges Gehege um einen
bestimmten Waldbezirk und jagten die Elefantenherden hinein. Wenn nun
die Tiere unschlüssig vor dem verschlungenen Zaun aus Rankenwerk stehen
blieben, so schleuderten die Neger von den benachbarten Bäumen, auf
denen sie sich postiert hatten, hunderte von Lanzen in den Leib der
stärksten und größten Tiere, bis diese schließlich, vom Blutverlust
geschwächt, zusammenbrachen. Gebräuchlicher war es indessen bei
derartigen Waldjagden, ein solches Zaunwerk in weitem Halbkreise
herzurichten und die zufällig hineingegangenen oder hineingetriebenen
Elefanten möglichst schnell vollständig zu umhegen. Ringsum wurden
dann Wachen aufgestellt und Feuer angezündet, um die der Umzäunung
sich nähernden Tiere zurückzuscheuchen. Obwohl selbst der kleinste
Elefant die lockere und schwache Einhegung ohne weiteres durchbrechen
und den schlecht bewaffneten Eingeborenen entrinnen könnte, wagen die
gefangenen doch nicht zu entfliehen. Sie werden dann von den geduldig
um sie herumlagernden und zuwartenden Jägern zu Tode gehungert,
gespeert und im Zustande äußerster Entkräftung endlich umgebracht. Ihr
Fleisch wird als Leckerbissen gern gegessen und das gewonnene Elfenbein
zu allerlei Schmuck verarbeitet.

Die Hamram-Araber des Sudan pflegen die Elefanten zu Pferd zu jagen.
Drei oder vier berittene Jäger trennen dabei einen Stoßzahnträger
von seinen Genossen und folgen ihm so lange, bis das ermüdete Tier
sich gegen den Jäger wendet, der sofort davongaloppiert und von dem
dicht hinter ihm herlaufenden Elefanten verfolgt wird. Diesem aber
reiten zwei andere Jäger so schnell sie können nach. Haben sie den
Elefanten erreicht, so ergreift der eine die Zügel des Pferdes seines
Genossen. Der andere springt sofort ab und durchschneidet flink mit
einem einzigen Hiebe seines großen Schwertes die Achillessehne des
Elefanten, wodurch das zum Gehen auf drei Beinen unfähige gewaltige
Tier sofort zum Stehen gebracht und seinen Angreifern überantwortet
wird. In ähnlicher Weise pflegten die Eingeborenen Maschonalands
früher Elefanten zu jagen, nur daß sie zu Fuß waren und anstatt des
Schwerts eine breite Axt gebrauchten. Mit dieser schlichen sie sich
an den schlafenden Elefanten hinan, um eine seiner Achillessehnen
zu durchhauen. Bei andern Eingeborenenstämmen im Stromgebiet des
Sambesi ist es üblich, dem Elefanten von einem über einen seiner am
häufigsten benutzten Pfade hängenden Baumast aus einen mit einem
Holzklotz beschwerten starken Speer in den Rücken zu stoßen. Der damit
getroffene Elefant rast, den schweren Speer im Rücken, davon, stößt
damit an verschiedene Äste und Zweige an, vergrößert dadurch die schon
allein durch das Gewicht des Speeres immer tiefer werdende Wunde und
sinkt, vom Blutverlust erschöpft, schließlich zu Boden, wo ihm die
in angemessener Entfernung insgeheim nachfolgenden Wilden den Garaus
machen, sich an seinem Fleisch, das sie sehr lieben, sättigen und ihn
der auch von ihnen zur Herstellung von allerlei Schmuck geschätzten
Stoßzähne berauben. Anderswo, z. B. in gewissen Gebieten von Äquatoria,
erbeutet man den Elefanten vermittelst eines aufgehängten beschwerten
Fallspeers, der, falls die durch den Tritt des unter dem Speer
hindurchgehenden Elefanten in Tätigkeit gesetzte Fallvorrichtung gut
gerichtet ist, zwischen Schädel und Halswirbelsäule eindringt, den hier
gelegenen Teil des Zentralnervensystems durchschneidet und den wie vom
Blitz getroffenen Elefanten sofort im Todeskampfe zu Boden sinken läßt.

Während sich die Eingeborenen Afrikas ganz gut auf die Jagd des
Elefanten verstehen, wissen diese zur Zähmung von Tieren überhaupt
ungeschickten Leute den Elefanten weder zu fangen, noch gar
abzurichten. Der Fang der afrikanischen Elefanten kann aber schließlich
nicht viel schwerer sein als der des seit uralten Zeiten als
Arbeitstier gebrauchten indischen, und nach dem Benehmen gefangener
Elefanten, z. B. des großen Jumbo im Londoner Zoologischen Garten, zu
urteilen, sind sie ebenso leicht zähmbar und nicht minder gelehrig
als ihre indischen Vettern. So wissen wir, daß die nordafrikanischen
Kulturvölker des Altertums den einheimischen Elefanten ebenso zähmten
wie die Indier den ihrigen, und daß die Karthager zweifellos solche
afrikanische Elefanten auf ihren Kriegszügen benützten. So dürfen
wir auch annehmen, daß die 37 Kriegselefanten, die der berühmte
karthagische Feldherr Hannibal im zweiten punischen Kriege im
Sommer 218 v. Chr. von Spanien aus über die Pyrenäen und Alpen nach
Norditalien führte, solche Afrikaner waren.

Früher war das Verbreitungsgebiet des afrikanischen Elefanten ein sehr
viel größeres als heute, da er auf den südlich von der Wüste Sahara
gelegenen Teil von Afrika beschränkt ist und auch hier durch die
unsinnigen Verfolgungen von seiten der Elfenbeinjäger an vielen Orten
ausgerottet wurde. Er kam im Altertum außer in ganz Nordafrika auch
in Westasien und Südeuropa, besonders auf Sizilien und Spanien vor.
Wir wissen aus sicher datierbaren geschichtlichen Urkunden, daß er in
manchen Gebieten Westasiens bis ums Jahr 1000 v. Chr. gejagt wurde.
So melden uns die Königsannalen im Allerheiligsten des Ammontempels
zu Karnak, der einstigen ägyptischen Hauptstadt Theben, daß König
Thutmosis III. (1480-1447), der seine Eroberungszüge bis weit nach
Vorderasien ausdehnte, im Lande Naharina, d. h. Stromland (zwischen
den Oberläufen von Euphrat und Tigris) bei der Stadt Nij am Euphrat
unterhalb von Karkemisch nicht weniger als 120 Elefanten erlegte. Dabei
geriet allerdings der Pharao selbst einmal in Lebensgefahr, indem eines
der Tiere wütend gegen ihn eindrang und ihn wohl zweifellos zerstampft
hätte, wenn nicht der Feldhauptmann Amenemhab seinem Gebieter zu Hilfe
geeilt wäre und dem Angreifer mit dem Schwerte den Rüssel abgehauen
hätte. Später hat auch der mächtige assyrische König Tiglathpileser
I. noch ums Jahr 1120 v. Chr., wie er uns auf Inschriften meldet, in
derselben westlich von Assyrien gelegenen Landschaft der Elefantenjagd
obgelegen.

Einst gab es auch im Nilland selbst Elefanten, wie wir aus der einen
solchen darstellenden Hieroglyphe ab entnehmen können. Früher wurde
aber dieses Tier durch die immer dichter sich ansiedelnden Menschen aus
dem Niltale verdrängt. Man jagte es damals schon fast ausschließlich
zur Erlangung des Elfenbeins, das seit der vorgeschichtlichen Zeit
als Ausgangsmaterial für allerlei Schmuck und Geräte wie in Asien, so
auch in Afrika eine große Rolle spielte. Um es zu gewinnen, jagte man
erbarmungslos die sonst so gutmütigen und friedlich beisammenlebenden
Tiere, so daß der Elefant weithin ausgerottet wurde. Heute ist er
auch aus ganz Südafrika verschwunden, wo er einst ebenfalls sehr
häufig war. In den weniger besuchten Gegenden von Matebeleland, von
Nordostmaschonaland und in den undurchdringlichen Urwäldern der
Küstenniederungen an der Sofalabucht leben zwar noch einige zerstreute
Elefantenherden; sonst gibt es südwärts vom Sambesi heute keine
Elefanten mehr. An der Westseite von Südafrika mag es vielleicht in dem
dem Kunene und Okawango benachbarten äußersten Nordosten von Owamboland
noch etliche Elefanten geben, aber höchstens Männchen ohne Stoßzähne
oder Weibchen. Die letzte Elefantenherde am Botlebi und am Ngamisee
wurde 1889 von den Betschuanen völlig vernichtet, und die im Anfang der
1890er Jahre noch ziemlich zahlreich zwischen den Flüssen Sambesi und
Chobi lebenden Elefanten mögen gegenwärtig schon alle oder doch der
Hauptsache nach den Angriffen der Barotse erlegen sein. In Ostafrika
sind Elefanten am Kilimandscharo noch ziemlich häufig. Am längsten
mögen sie sich in etlichen Gegenden von Innerafrika halten. Aber wenn
keine wirksamen Gesetze zum Schutze der freilebenden afrikanischen
Elefanten erlassen werden, wird man schließlich nur noch hier und
da einige von Regierungs wegen geschützte Elefantenherden treffen,
wie es heute schon etliche im östlichen Kaplande gibt. Dort ist es
den Behörden dank scharfer Erlasse seit dem Jahre 1830 gelungen, in
den Zitzikamma- und Knysnawäldern einige solche zu erhalten. Die
fortschreitende Inzucht wird dann dafür sorgen, daß dieser ehrwürdige
Riese vielleicht noch vor Ende des begonnenen Jahrhunderts ganz
ausgerottet sein wird.

Afrika, wo nicht die Weißen mit ihren fürchterlichen
Explosivgeschossen, sondern die Eingeborenen mit ihren gewöhnlichen
Flinten das Hauptvernichtungswerk am Elefanten vollführen und weitaus
das meiste Elfenbein in den Handel bringen, liefert heute noch fast
ausschließlich das von uns außer zu allerlei Zier an Geräten und
Spazierstöcken, zu Knöpfen und Messergriffen, besonders aber zu
Billardkugeln verwendeten rezenten Elfenbeins, nämlich nach einer
für die Jahre 1879/83 aufgestellten Übersicht jährlich von den im
Durchschnitt in den Handel gelangenden 868000 _kg_ nicht weniger
als 848000 _kg_, während Ceylon und Sumatra zusammen nur 2000 _kg_,
Hinterindien 7000 _kg_ und Vorderindien 11000 _kg_ abgab. Nach C. G.
Schillings wurde der Antwerpener Elfenbeinmarkt allein gegen das letzte
Jahrzehnt durchschnittlich mit den Zähnen von gegen 18500 Elefanten
jährlich versorgt, in den Jahren 1888 bis 1902 aber 3212700 _kg_
Elfenbein dort eingeführt, während das durchschnittliche Zahngewicht
etwa 8,5 _kg_ pro Zahn betrug und das Gesamtquantum fast ausschließlich
vom Kongogebiet stammte. „Im Jahre 1902 aber wurden allein in Antwerpen
322300 _kg_ Elfenbein verkauft!! In ähnlicher Höhe bewegt sich die
Einfuhr an den übrigen hauptsächlichsten Elfenbeinhandelsplätzen der
Welt, und diese Ziffern geben uns ein treues, wenn auch unsäglich
trauriges Bild der Vernichtung des edlen Tieres. Ungeheuer sind die an
einigen Handelsplätzen aufgestapelten Elfenbeinvorräte. Ihre späteren
Eigentümer werden in kürzester Zeit -- wenn erst einmal die von
ihnen sehnlichst erstrebte vollkommene Ausrottung des afrikanischen
Elefanten erreicht ist -- diese Ware rapid im Preise heraufschrauben
und zweifelsohne das heute nicht mehr sehr beliebte Elfenbein wieder
als Modeartikel einzuführen wissen. -- Alle diese Elefanten wurden
hingeschlachtet nur ihres Elfenbeins halber. Es spricht der hoch
entwickelten Technik unserer Zeit Hohn, daß sie nicht vermocht hat,
ein Surrogat zu finden, welches Elfenbein (speziell zu Billardkugeln)
gleichwertig zu ersetzen vermag. Ein glückliches Schicksal hat den
indischen Elefanten vor dieser Vernichtung bewahrt, weil die weiblichen
Tiere des asiatischen Elefanten kein oder nur sehr wenig Elfenbein
tragen, und auch die Bullen nur selten eine starke Stoßzahnentwicklung
zeigen.“ Nachdem die Baumsteppe ihr Elefantenmaterial größtenteils
eingebüßt hat, muß der dichte Wald, der mit seinem für den Menschen
fast undurchdringlichen Unterholz diesem Riesen noch den meisten Schutz
gewährt, zur Erlangung solcher Beute aufgesucht werden. Hier sind die
Urwälder des Kongogebiets noch am besten mit diesem Edelwilde versehen,
so daß die Eisenbahn des Kongogebiets nach statistischen Feststellungen
allein im Betriebsjahre 1907/08 307000 _kg_ und 1908/09 381000 _kg_
Elfenbein beförderte. Das bedeutet einen Abschuß von 40000 Elefanten!

Bei den südasiatischen Kulturvölkern, speziell in Indien, spielte
der gezähmte Elefant schon im hohen Altertum eine wichtige Rolle als
Luxustier, das besonders auch zur Kriegsführung verwendet wurde. Die
Griechen lernten ihn unter Alexander dem Großen auf ihrem Zuge nach
Indien im Jahre 327 v. Chr. kennen. So schreibt Diodorus Siculus: „Als
Alexander der Große in Indien eindrang, fand er jenseits des Flusses
Aornos einen indischen Fürsten, der 20000 Soldaten und 15 Elefanten
bei sich hatte. Dieser ward aber von seinen eigenen Leuten ermordet,
sein Kopf zum König gebracht und dieser bekam nun auch die Elefanten,
welche im Lande herumirrten, in seine Gewalt. -- Jenseits des Indus
stellte sich ihm der indische König Poros entgegen, welcher 50000 Mann
Fußvolk, gegen 3000 Berittene, über 1000 Streitwagen und 130 Elefanten
hatte. Wie es zur Schlacht kam, stellte er die Elefanten in vorderster
Reihe auf, einen jeden für sich, vom andern entfernt, und füllte
die Zwischenräume mit schwerbewaffnetem Fußvolk aus. Die Elefanten
zertraten, was sich ihnen entgegensetzte, mit den Füßen samt Waffen
und Knochen; andere hoben die Makedonier mit dem Rüssel hoch empor und
schmetterten sie dann gegen den Erdboden, andere spießten sie mit den
Zähnen auf. Die Makedonier hielten aber tapfer stand, brachten den
Elefanten eine Menge Wunden bei und jagten sie auf ihre eigene Armee
zurück, die dadurch in entsetzliche Verwirrung geriet. Poros ritt
selbst auf einem Elefanten, sammelte deren rasch noch 40, die den Mut
und die Geistesgegenwart nicht verloren hatten und focht tapfer, bis
er, von vielen Wunden bedeckt, samt seinem Elefanten ohnmächtig zu
Boden sank. Alexander erbeutete in dieser Schlacht 80 Elefanten.“

Von diesen indischen Elefanten, die damals zum erstenmal in den
Gesichtskreis der Europäer traten, berichtet der Grieche Strabon:
„In Indien ist es keinem Privatmanne erlaubt, ein Pferd oder einen
Elefanten zu halten; denn beides gilt für königliches Vorrecht. Die
Elefantenjagd wird in Indien folgendermaßen betrieben: Man umgibt
einen großen Platz mit einem breiten Graben und läßt nur einen
schmalen Eingang frei. Auf den Platz werden 3-4 zahme Weibchen getan.
Bei Nacht gehen dann auch einzelne wilde Elefanten hinein und hinter
diesen wird das Tor leise zugeschlossen. Nun macht man die wilden
durch Hunger matt, führt dann die stärksten zahmen hinein, um jene zu
bekämpfen. Sind sie nun ganz kraftlos, so schleichen sich die mutigsten
Führer unter den Leib der zahmen Elefanten und fesseln den wilden
die Beine. Sie werden dann in einen Stall gebracht und mit dem Hals
an eine starke Säule gebunden. Allmählich werden sie zahm und lernen
dem Wort, dem Gesang und dem Zimbelschlag gehorchen. Von Natur sind
sie sanft und klug. Es ist schon vorgekommen, daß sie ihre im Kampfe
gefallenen Führer aufgehoben und aus der Schlacht getragen, daß sie
ihre lebenden Führer, die sich unter ihnen verborgen hatten, verteidigt
und gerettet, ja daß sie ihren Führer, den sie im Zorn umgebracht,
tief betrauert haben, so daß einzelne, wie man sagt, in solchem Falle
sich zu Tode hungerten.“ -- „Vom Weibchen wird das Junge 6 Jahre lang
gesäugt. Das Alter dieser Tiere erstreckt sich bis auf 200 Jahre. Ihre
Augenkrankheiten sucht man durch Kuhmilch zu kurieren, ihre meisten
Krankheiten mit rotem Wein, ihre Wunden mit Butter, ihre Geschwüre
mit Schweinefleisch. Onesikritos und andere sagen, die indischen
Elefanten seien größer und stärker als die libyschen. Mit ihrem Rüssel
reißen die Elefanten Brustwehren ein und Bäume aus. Sie lassen sich
abrichten, Steine nach einem Ziele zu werfen, mit Waffen zu fechten;
auch schwimmen sie vortrefflich. -- Der König von Indien hält seine
Jagden in Tiergärten ab, reitet dabei auf einem Elefanten und die
bewaffneten Weiber, welche seine Leibgarde bilden, folgen ihm im Wagen
oder auf Pferden oder auf Elefanten nach. -- Auf jedem Elefanten sitzen
drei Bogenschützen und ein Führer (Kornak), auf jedem Streitwagen zwei
Streiter und ein Wagenlenker.“

Auch sonst weiß uns der griechische Geograph Strabon viel von
Elefanten zu berichten, so daß Maurusien (das westliche Algerien
und Marokko) außer Schlangen, Antilopen, Affen, Löwen und Panthern
auch viel Elefanten habe und das maurusische Fußvolk Schilde von
Elefantenhaut trage. In Arabien wohnten in der Nähe der Stadt Saba
die „Elefantenesser.“ „Sie lauern den Elefanten auf und hauen ihnen
die Sehnen durch. Auch schießen sie die Tiere mit Pfeilen, die in
Schlangengalle getaucht sind. Der Bogen wird von zwei Männern gehalten
und der dritte schießt den Pfeil ab. Andere machen Einschnitte in
die Bäume, an welche sich die Elefanten anzulehnen pflegen, wenn sie
ausruhen. Kommt nun das Tier und lehnt sich an, so fällt es um, kann
aber nicht aufstehen, weil die Beine nur einen Knochen ohne Gelenk
haben“. Daß solche Fabeln damals noch von den gebildeten Griechen
geglaubt wurden, beweist, daß diese noch wenig Elefanten gesehen hatten
und dieses Tier mehr vom Hörensagen kannten.

Nach der Rückkehr der Makedonier vom Feldzuge nach Indien unter ihrem
Könige Alexander erzählten sie den Griechen von ihren Erlebnissen
daselbst und von den großen Elefanten jenes Landes. So erfuhr auch
Aristoteles von ihnen und beschreibt sie in seiner Naturgeschichte
ziemlich getreu. Er sagt, daß sie mit dem Munde, ohne Beihilfe
der Nase, stöhnende Töne, mit dem Rüssel aber trompetenartige
hervorbringen, daß das Elefantenweibchen im 12. Jahre das erste Junge
bekomme, das bei der Geburt die Größe eines 2-3 Monate alten Kalbes
habe, gleich sehen und gehen könne und mit dem Munde, nicht mit dem
Rüssel, an seiner Mutter sauge. „Unter allen wilden Tieren ist der
Elefant der zahmste und sanftmütigste. Er lernt auch vielerlei,
namentlich, daß er vor Königen die Kniee beugt. Man glaubt, daß er 100
oder 200 Jahre alt wird. Winter und Kälte kann er nicht gut vertragen.
Er lebt in der Nähe der Flüsse, jedoch nicht im Wasser, aber er watet
durch Flüsse, wenn er nur seinen Rüssel über das Wasser emporstrecken
kann; denn mit dem Rüssel atmet er.“

„Die Elefanten kämpfen wütend miteinander und stoßen sich mit den
Zähnen. Der Besiegte wird völlig unterjocht und fürchtet sich dann
sehr vor der bloßen Stimme des Siegers. An Mut sind die Elefanten sehr
verschieden. Die Inder brauchen die Männchen und Weibchen zum Kriege,
obgleich die letzteren kleiner und weniger mutig sind. Mit den Zähnen
kann der Elefant Mauern einstoßen. Palmen biegt er mit der Stirne
nieder und tritt sie dann vollends zu Boden. Bei der Elefantenjagd
besteigt man gezähmte, die recht mutig sind, verfolgt die wilden und,
wenn man sie erreicht, läßt man sie von den zahmen so lange schlagen,
bis sie entkräftet sind. Dann springt ein Jäger auf sie und lenkt sie
mit dem Stachel. Sie werden bald zahm und gehorsam. Solange man auf
ihnen sitzt, sind sie allemal ruhig; manche aber werden wild, sobald
man abgestiegen ist. Solchen bindet man die Vorderfüße mit Stricken,
damit sie sie nicht viel rühren können.“

Die ersten gezähmten indischen Elefanten brachte Alexander der Große
von seinem indischen Feldzuge mit nach Vorderasien und von da an
spielten sie in den Kriegen seiner Nachfolger, der Diadochen, eine
gewisse Rolle. So berichtet Curtius: „Nach dem Tode Alexanders des
Großen wurde das makedonische Fußvolk von Meleager, die Reiterei nebst
den Elefanten von Perdikkas kommandiert. Der letztere warf etwa 300
Anhänger des Meleager im Angesicht des ganzen Heeres den Elefanten vor
und ließ sie sämtlich von den Tieren zertreten. Dies war der Anfang
der dann folgenden makedonischen Bürgerkriege.“ Und Diodorus Siculus
meldet: „Als sich nach Alexanders Tode dessen Feldherrn befehdeten,
hatte sich Demetrios bei Alt-Gaza in Syrien gelagert; Ptolemäos und
Seleukos boten ihm daselbst eine Schlacht an. Demetrios stellte vor
seinem Heere 34 Elefanten auf. Seine Gegner stellten diesen aber Pfähle
entgegen, die mit eisernen Spitzen versehen und mit Ketten verbunden
waren. Lange war der Kampf unentschieden. Da bekamen die Elefanten des
Demetrios das Zeichen zum Angriff, schritten kühn gegen den Feind,
konnten aber nicht weiter, als sie an die Pfähle kamen. Ihre indischen
Führer wurden alsbald von Schützen, die hinter den Pfählen standen,
erschossen, die Elefanten selbst gerieten in die Hand der Feinde und
das Heer des Demetrios mußte das Schlachtfeld räumen.“ Derselbe Autor
erzählt dann später, daß diese Elefanten unter ihrem neuen Herrn und
unter der Leitung frisch von Indien bezogenen Kornaks an verschiedenen
späteren Schlachten teilnahmen. „Auch der Feldherr Polysperchon
verwandte einen Teil derselben bei der Belagerung von Megalopolis in
Arkadien. Da er dabei mit seiner Mannschaft nicht gleich zum Ziele
gelangte, so beschloß er, den Eingang in die Stadt durch Elefanten zu
erzwingen. Damis, der Kommandant der Stadt, erfuhr den Plan und traf
heimlich Gegenanstalten. Er sammelte eine Menge Türen, ließ lange,
spitzige Nägel durch sie hindurchschlagen, dann mit diesen Türen den
Eingang zur Stadt pflastern und die Nägel leicht mit Erde zudecken. Zu
beiden Seiten dieses Stachelwegs stellte er Schützen und Geschütze auf.
Als nun die Elefanten kamen, traten sie in die Nägel und wußten sich
nicht zu helfen, wurden samt ihren indischen Führern auch von zahllosen
Pfeilen getroffen, so daß sie teils zusammenbrachen, teils gegen ihre
eigenen Leute rückwärts rannten.“

Von diesen indischen Elefanten, die begreiflicherweise überall,
wohin sie kamen, großes Aufsehen erregten, wissen auch andere
Geschichtschreiber allerlei Denkwürdiges zu erzählen. So berichtet
Älian: „Als Antigonos Megara belagerte, befand sich in seinem Heere ein
Elefantenweibchen namens Nikaia, dem die Frau des Wärters ihr Kind,
als es 30 Tage alt war, zu Schutz und Wartung übergab. Nikaia gewann
das Kind so lieb, daß sie sich immer freute, wenn das Kind anwesend
war, daß sie die Fliegen von ihm abwehrte, was mit einem belaubten
Zweige geschah, den sie in den Rüssel nahm, daß sie keine Nahrung zu
sich nahm, solange sie das Kind nicht bei sich hatte. Sie bewegte auch
dessen Wiege, wenn es schrie, wie eine Wärterin.“ Derselbe Autor sagt,
daß die Elefanten der Insel Taprobane (Ceylon) größer und stärker als
die des Festlandes seien, auch für klüger gelten. „Man bringt auch
welche zu Schiff und schafft sie außer Landes. Will man zahme Elefanten
auf ein Schiff bringen, so täuscht man sie dadurch, daß man es mit
frischen Zweigen und anderem Grün schmückt und belegt; sie denken dann,
da sei frischer Boden, und gehen darauf. -- Das eigentliche Getränk der
Elefanten ist Wasser, die für den Krieg bestimmten bekommen aber auch
Wein zu trinken, der aus Reis und Zuckerrohr (Arrak) bereitet wird. Das
Tier hat auch seine Freude an wohlriechenden Blumen, wird auf Wiesen
getrieben, sammelt die besten und wirft sie in einen Korb, den der
Wärter hinhält. Hat es sich dann gebadet, so verlangt es, wenn es aus
dem Wasser kommt, zuerst nach seinen Blumen, und bringt man sie nicht,
so schreit und fastet es, bis sie doch kommen. Auch seine Krippe und
seinen Ruheplatz bestreut es gern mit Blumen.“ Nur vor dem Schweine
fürchte es sich: „Als die Stadt Megara von Antipater hart bedrängt
wurde, beschmierten die Bewohner der Stadt Schweine mit Pech, setzten
sie in Brand und trieben sie gegen die Feinde. Sie schrien entsetzlich
und jagten wie rasend auf die Elefanten los. Diese wurden durch diesen
unerwarteten Angriff wie verrückt, und so entstand eine entsetzliche
Verwirrung.“ In Indien begleite der Elefant überall den König und
bewache ihn: „Geht der indische König aus, um Recht zu sprechen, so
wirft sich der erste Elefant anbetend vor ihm nieder und macht dann
kriegerische Bewegungen, um zu zeigen, daß er sich auch darauf gut
versteht. Übrigens halten 24 Elefanten beim Könige Wache und werden
regelmäßig abgelöst. Sie sind im Wachen zuverlässiger als Menschen.“

Der griechische Geschichtschreiber und Geograph Pausanias sagt in
seiner zwischen 160 und 180 n. Chr. geschriebenen Periegesis: „Wie
Alexander der erste Europäer war, der Elefanten besaß -- er hatte
sie dem König Poros abgenommen --, so war Pyrrhos der erste Grieche,
welcher gegen die Römer über das Meer zog. Seine Elefanten hatte er im
Kampfe gegen den Demetrios (einen der Feldherrn Alexanders) gewonnen.“
Dieser König von Epirus, der, 301 von den Epiroten vertrieben, mit
Hilfe des Königs Ptolemäos von Ägypten seine Herrschaft wieder erlangt
hatte, war damals von den Tarentinern, also ebenfalls Griechen, gegen
die Römer zu Hilfe gerufen worden, schlug diese auch 280 bei Herakleia
und 279 bei Asculum in Apulien, erlitt aber dabei selbst große
Verluste, so daß seither der Ausdruck Pyrrhossieg sprichwörtlich wurde.
Damals sahen die Römer zum erstenmal diese berühmten Kriegshelfer
der Griechen, über die sie sehr erstaunten. Der ältere Plinius sagt
hierüber in seiner Naturgeschichte: „Die ersten Elefanten sah Italien
im Kriege gegen den Pyrrhus und nannte sie lukanische Ochsen, weil
man sie zuerst im Lukanerlande erblickte. Sieben Jahre später sah man
schon welche zu Rom bei einem Triumphe, und im Jahre 502 nach Roms
Erbauung (251 v. Chr.) sah man hier schon eine ganze Menge, die Lucius
Metellus in Sizilien den Karthagern abgenommen hatte. 142, oder nach
andern 140, wurden auf Flößen übergeschifft, welche man auf Reihen von
Fässern gelegt hatte. Verrius berichtet, sie hätten in der Rennbahn ein
Kampfspiel geben müssen und wären mit Spießen erstochen worden, weil
man sie weder füttern noch verschenken wollte. Lucius Piso dagegen
sagt, sie wären bloß in der Rennbahn von gedungenen Leuten mit stumpfen
Spießen herumgejagt worden, um den Römern die Furcht vor ihnen zu
benehmen; was aber dann aus ihnen geworden ist, erwähnt er nicht.“

Von diesen indischen Elefanten der Pyrrhos weiß sein Biograph Plutarch
mancherlei zu erzählen: „Als Pyrrhos bei den Städten Pandosia und
Herakleia, am Flusse Siris, dem römischen Heere eine Schlacht lieferte,
brachte er durch seine Elefanten die Feinde in Unordnung und errang den
Sieg. -- Um ihre Gefangenen für Geld auszulösen, schickten dann die
Römer eine Gesandtschaft an Pyrrhos. Den Gajus Fabricius, einen der
Gesandten, den man ihm sehr rühmte, nahm er freundlich auf, beschloß
aber, seinen Mut auf eine harte Probe zu stellen. Er lud ihn zur
Audienz, ließ aber vorher seinen größten Elefanten in voller Rüstung
hinter einem Vorhange verbergen. Wie sich nun Fabricius nichts Böses
versah, fiel plötzlich der Vorhang, der Elefant trat mit entsetzlichem
Brüllen vor, hob drohend seinen Rüssel über den Fabricius; aber dieser
wandte sich ganz gelassen um und sagte lächelnd zu Pyrrhos: „Vor diesem
Elefanten fürchte ich mich nicht.“ -- In der Schlacht bei Asculum
mußten die Römer ebenfalls der Gewalt der Elefanten weichen. Auch
bei Beneventum wurden die Römer von den Elefanten der Pyrrhos hart
mitgenommen, trieben sie aber doch endlich mit Pfeilen und Wurfspießen
zurück, errangen einen ruhmvollen Sieg und Pyrrhos mußte Italien
verlassen. -- Späterhin unternahm Pyrrhos einen Kriegszug gegen Argos.
Er drang heimlich bei Nacht in die Stadt, deren Tor ihm Aristeas
öffnete, und besetzte den Marktplatz. Im Tore hatte er, weil es nicht
hoch genug war, seinen Elefanten die Türme müssen abnehmen lassen,
wobei es ohne Lärm und Zeitverlust nicht abging, so daß die Besatzung
der Stadt eilig die festesten Plätze besetzte. Daraufhin kam es in den
Straßen zu einem mörderischen Kampfe. Pyrrhos mußte weichen, seine
Leute gerieten am Tor furchtbar ins Gedränge und in Verwirrung. Gerade
im Tor lag der größte von Pyrrhos’ Elefanten, schrie entsetzlich und
versperrte den Rückweg. Währenddem suchte ein anderer Elefant, welcher
Nikon hieß, seinen Führer, welcher schwer verwundet heruntergefallen
war. Das Tier rannte wie unsinnig umher und warf Freund und Feind über
den Haufen. Endlich fand er den Führer, hob ihn mit dem Rüssel und den
Zähnen empor, stürzte sich mitten unter die Leute des Pyrrhos, so daß
sich diese in der engen Straße zu einer dichten, ganz unbehilflichen
Masse zusammendrängten, in der jeder von seinen Nachbarn gestoßen,
niedergeworfen und verwundet wurde, während auch die Feinde von allen
Seiten schossen und warfen. Endlich wollte Pyrrhos der Verwirrung ein
Ende machen, stürzte hoch zu Roß mitten unter die Feinde; aber ein
armes, altes Weib, das auf dem Dache stand, warf ihm einen Ziegelstein
aufs Genick, worauf er ohnmächtig niedersank. Die Feinde packten ihn
und hieben ihm den Kopf ab.“ Es war dies im Jahre 272 v. Chr.

Was in der Folge aus den indischen Elefanten Alexanders des Großen
geworden ist, wissen wir nicht. Aber jetzt traten auch die größten
Nebenbuhler Roms in der Herrschaft über das Mittelmeer, die Karthager,
auf, und auch diese kämpften mit Vorliebe mit Elefanten, die sie
aber jedenfalls nicht aus Indien bezogen, sondern aus einheimischem
Materiale gezähmt hatten. In allen größeren Schlachten, die sie in der
Folge den Römern lieferten, traten sie in Aktion und ein Teil derselben
machte, wie früher erwähnt, Hannibals berühmten Zug von Spanien nach
Norditalien über die Pyrenäen und die Alpen mit; dabei kamen aber alle
teils unterwegs, teils in den Schlachten in Oberitalien um. Von einem
dieser afrikanischen Kriegselefanten der Karthager teilt uns Plinius
folgende Episode mit: „Berühmt ist der Kampf eines Römers gegen einen
Elefanten, als Hannibal die römischen Gefangenen gegeneinander zu
fechten zwang. Den einzigen, welcher dabei mit dem Leben davonkam,
warf er einem Elefanten vor, versprach ihm aber die Freiheit, wenn
er siegen würde. Der Römer schlug sich allein auf dem Schauplatz mit
dem Elefanten und machte ihn zum großen Ärger der Karthager glücklich
nieder. Hannibal ließ nun zwar den Sieger frei, schickte ihm aber
Reiter nach, die ihn niederhauen sollten, damit er nicht durch die
Erzählung seiner Tat die Elefanten (bei seinen Landsleuten) verächtlich
machen könne.“

Von diesen afrikanischen Kriegselefanten der Karthager berichtet uns
der römische Geschichtschreiber Livius: „Als Hannibal (im Sommer
218) durch Gallien nach Italien zog, brachte er seine Elefanten
folgendermaßen über die Rhone: Er baute eine Fähre von 100 Fuß
Länge und 50 Fuß Breite, ließ sie mit Erde bedecken; so gingen die
Elefanten, als wären sie auf festem Boden, darauf. Die Fähre wurde
dann von Ruderschiffen aufs jenseitige Ufer gezogen. Sowie die Fähre
auf dem Wasser zu schwanken begann, wurden die Elefanten unruhig, die
meisten drängten sich in der Mitte zusammen, einige wurden aber wild,
stürzten sich ins Wasser und warfen dabei ihre Führer ab, gelangten
aber doch auch ans jenseitige Ufer.“ -- „Hasdrubal, der Bruder des
Hannibal, war diesem (im Jahre 207) zu Hilfe über die Alpen gezogen
und lieferte den römischen Konsuln Claudius und Livius eine Schlacht.
Seine Elefanten brachten anfangs die Römer in Unordnung; als aber der
Kampf und Lärm zunahm, verloren sie die Geistesgegenwart, rannten
zwischen beiden Heeren hin und her und wurden meist, damit sie ihrer
eigenen Armee nicht schaden könnten, von ihren Führern getötet. Diese
hatten nämlich einen scharfen Stahlmeißel, den sie dem Tiere, wenn es
gefährlich wurde, mit einem Hammerschlag zwischen den Kopf und den
vordersten Halswirbel trieben, worauf es augenblicklich niedersank.“
Es war dies in der Schlacht am Metaurus, wo Hasdrubal Sieg und Leben
verlor. -- „Bei Zama (südwestlich von Karthago, wo Hannibal im Jahre
202 von Scipio, der davon den Ehrenbeinamen Africanus erhielt) besiegt
wurde, hatte Hannibal vor seinem Heere 80 Elefanten aufgestellt;
so viele hatte er früher in keiner Schlacht gehabt. Als aber die
Schlacht begann und die römischen Trompeten und Signalhörner ihnen
entgegenschmetterten, wandten sich die Elefanten größtenteils gegen ihr
eigenes Heer, und auch die wenigen, welche grimmig unter den Römern zu
hausen begannen, wurden endlich zurückgetrieben.“

Erst Mithridates VI., der Große, König von Pontos, der 120 seinem Vater
folgte und im Jahre 88 ganz Kleinasien eroberte, wo er alle Römer,
80000 an der Zahl, ermorden ließ, dann in drei langen Kriegen mit
zäher Ausdauer gegen das immer mächtiger werdende Rom ankämpfte, um
schließlich doch zu unterliegen, hat wieder Elefanten, die er sich aus
Indien kommen ließ, gegen die Römer geführt. In der Folge kamen nicht
selten diese Tiere, teilweise als Kriegsbeute, nach der Stadt Rom, wo
sie zur Belustigung des Volkes im Zirkus auftreten und gegen allerlei
Gegner kämpfen mußten. Im Bürgerkriege zwischen Julius Cäsar und seinen
Mitbewerbern spielten sie dann ebenfalls eine Rolle. So schreibt Cäsar
selbst in seiner Schilderung des Krieges in der Provinz Afrika, dem
heutigen Tunis, daß, als er nach Besiegung des Pompejus bei Pharsalos
im Jahre 48 den Krieg in Afrika gegen die Pompejaner unter Scipio
fortsetzte, dieser bei seinem Heere außer seinen eignen (etwa 60) 30
zweifellos afrikanische Elefanten hatte, die ihm König Juba nebst
einer größeren Truppenmacht zur Verfügung gestellt hatte. Jeder dieser
Elefanten habe, wenn es zum Kampfe ging, einen Turm getragen. Diese
Elefanten seien aber noch nicht eingeübt gewesen; deshalb suchte Scipio
sie noch besser einzuüben, indem er sie in Schlachtreihe aufstellen und
von seinen eigenen Leuten mit Steinen bombardieren ließ. Nahmen sie
daraufhin Reißaus, so standen hinter ihnen ebenfalls Leute, die sie
mit noch größeren Steinen traktierten. Er bemerkt, daß dieser Versuch
zur Abrichtung keinen großen Wert gehabt habe, indem sie sich in der
Schlacht dann doch nicht bewährten. Überhaupt bedürfe der Elefant für
den Krieg einer Dressur von vielen Jahren und bleibe auch dann noch
seiner Armee gefährlich. Als dann Cäsar merkte, daß sich seine Leute
vor den Elefanten fürchteten, ließ er sogleich Elefanten aus Italien
kommen, „damit sich die Leute und Pferde an solche große Bestien
gewöhnen könnten. Er ließ diesen auch ihre volle Rüstung anlegen,
zeigte die Stellen, wo ihnen mit Waffen beizukommen war, und ließ mit
Speeren, an deren Spitze ein Ball steckte, nach ihnen werfen. -- In der
Entscheidungsschlacht bei Thapsus (46 v. Chr.) wurden Scipios Elefanten
durch Pfeile und geschleuderte Steine schnell zum Weichen gebracht,
stürzten sich auf ihre eigenen Leute, traten sie nieder und flüchteten
ins Lager. Bei dieser Gelegenheit zeigte ein Veteran der fünften Legion
großartigen Mut. Ein verwundeter Elefant hatte in seiner Wut einen
waffenlosen Markedenter angefallen, niedergeworfen, zertreten und
machte dabei mit drohend gehobenem Rüssel ein gellendes Geschrei. Der
Veteran wollte dem unglückseligen Markedenter zu Hilfe eilen; aber der
Elefant ließ von der Leiche ab, packte den neuen Feind mit dem Rüssel
und hob ihn hoch in die Luft. Dieser hieb und schnitt aber mit seinem
Schwerte so kräftig auf den Rüssel los, daß ihn der Elefant, der den
Schmerz nicht ertragen konnte, fallen ließ und die Flucht ergriff. --
Die Zahl der Elefanten, die Cäsar bei Thapsus erbeutete, betrug 86.“

In seiner Naturgeschichte berichtet Plinius: „Schon in den Gefechten
gegen Pyrrhos brachte man in Erfahrung, daß man den Rüssel der
Elefanten leicht abhauen kann. Fenestella erzählt, daß die ersten
Elefanten in der Rennbahn zu Rom im Jahre 655 der Stadt (98 v. Chr.),
als Claudius Pulcher Ädil war, gekämpft haben; 20 Jahre später, als
Lucius und Marcus Lucullus Ädilen waren, kämpften sie gegen Stiere.
Während des zweiten Konsulats des Pompejus (55 v. Chr.) kämpften 20
Elefanten zur Einweihung des Venustempels gegen Gätuler (Nomadenvolk in
Nordafrika), die mit Wurfspeeren bewaffnet waren. Einer der Elefanten
zeichnete sich dabei vorzüglich durch Tapferkeit aus: seine Beine waren
durchbohrt, da kroch er auf den Knien gegen die feindlichen Massen,
riß ihnen die Schilde weg und warf sie hoch in die Luft. Ein anderer
dagegen wurde durch einen einzigen Wurf getötet, indem der Speer
durchs Auge ins Gehirn drang. Obgleich der Platz mit eisernen Gittern
umgeben war, so versetzten sie doch das Volk in große Angst, indem sie
mit Macht durchzubrechen versuchten. Deshalb umgab auch späterhin der
Diktator Cäsar, als er ein ähnliches Schauspiel geben wollte, den Platz
mit Wassergräben. Die erwähnten Elefanten des Pompejus verloren endlich
die Hoffnung, entrinnen zu können, und suchten nun in einer Stellung,
die sich nicht begreifen läßt, jammernd und weinend das Mitleid des
Volkes zu erregen. Das Volk wurde durch den Ausdruck ihrer Verzweiflung
so gerührt, daß alle einmütig sich jammernd erhoben und, ohne darauf
zu achten, daß Pompejus ihnen zu Ehren das prachtvolle Schauspiel
gegeben hatte, ihn mit Verwünschungen überhäuften, deren Folgen auch
bald genug eintraten. (Es ist dies eine Anspielung auf seine Niederlage
in Pharsalos am 9. August 48 und seine Ermordung am 29. September
desselben Jahres in Ägypten.)

Späterhin ließ der Diktator Cäsar 20 Elefanten gegen 500 Fußgänger
kämpfen, und ein anderes Mal ebensoviel, auf denen Türme standen, aus
denen zusammen 60 Kämpfer gegen 500 Fußgänger und ebensoviel Reiter
fochten. Unter den Kaisern Claudius und Nero mußten die Fechter ihr
Meisterstück zeigen, indem sie einzeln gegen Elefanten kämpften.
Dieses mutige Tier ist andererseits aber auch sehr gutmütig gegen
schwächere und schiebt, z. B. in einer Viehherde, was ihm begegnet, mit
dem Rüssel zur Seite, um es nicht unversehens zu zertreten. Schaden
tut der Elefant nur, wenn er gereizt wird. In der Wildnis gehen sie
herdenweise, nie gern allein. Werden sie von Reitern umringt, so nehmen
sie die Schwachen, Matten oder Verwundeten in die Mitte und fechten,
als ob es nach bestimmten Kriegsregeln geschähe. Sind sie gefangen, so
werden sie durch Gerstensaft leicht gezähmt.

In Indien werden die Elefanten gefangen, indem man auf einem
gezähmten ausreitet und von diesem einen einzelnen oder von der Herde
weggetriebenen wilden schlagen läßt; ist dieser davon ermattet, so
steigt man auf ihn und lenkt ihn ebenso wie den zahmen. In Afrika
fängt man sie in Gruben; doch wenn einer hineinfällt, so kommen gleich
die andern zu Hilfe, werfen Äste und Erdmassen hinein und suchen ihn,
wenn möglich, herauszuziehen. Früherhin fing man sie, um sie als
Haustiere zu benutzen, indem man die Herden in eigens dazu bereitete
Schluchten ohne Ausgang trieb und sie dort durch Hunger bändigte.
Nahmen sie einen hingehaltenen Zweig an, so war das ein Zeichen
ihrer Unterwürfigkeit. Jetzt erlegt man sie der Zähne wegen und zielt
nach ihren Füßen, weil diese leicht verwundbar sind. Die Troglodyten
(Höhlenbewohner), welche neben den Negern wohnen, leben nur von dieser
Jagd. Sie besteigen am Wege der Elefanten stehende Bäume, passen dem
letzten von der Herde auf, fassen mit der Linken den Schwanz, schlingen
die Beine um den linken Schenkel und, indem sie so hängen, zerhauen
sie dem Tiere die eine Kniekehle mit einem scharfen Beile, springen
herab und zerhauen ihm mit der größten Geschwindigkeit auch noch die
andere. Manche bedienen sich eines weniger gefährlichen, aber nicht so
gewissen Mittels: In einiger Entfernung halten kraftvolle Jünglinge
einen ungeheuren Bogen, andere spannen ihn mit großer Anstrengung an,
schießen dann damit ihre Speere auf die vorübergehenden ab und folgen
dann der blutigen Spur. Die weiblichen Elefanten sind viel feiger
als die männlichen. Manchmal werden sie rasend, und man bändigt sie
dann durch Hunger und Prügel, wobei man sie durch andere Elefanten
fesseln läßt. In Indien hält man ganze Herden davon, wie bei uns die
Kuhherden. Gezähmte Elefanten werden zum Kriege verwendet, tragen
mit Soldaten besetzte Türme und entscheiden im Morgenlande meistens
die Schlachten. Sie werfen Schlachtreihen nieder und zerstampfen die
Bewaffneten. Sind sie verwundet oder in Furcht versetzt, so weichen
sie immer zurück und fügen ihrer eigenen Partei oft ebensoviel
Schaden zu als dem Feinde. Das geringste Grunzen oder Quieksen eines
Schweins kann sie erschrecken. Die afrikanischen Elefanten fürchten
sich vor den indischen, letztere sind auch größer.“ Dies mag für die
nordafrikanischen richtig sein, nicht aber für die südlich der Sahara
lebenden. Tatsächlich war die Elefantenrasse der Mittelmeerländer
kleiner als selbst die indischen Elefanten sind, und gab es einst
auf den Inseln des Mittelmeers, z. B. auf Malta, eine eigentliche
Zwergrasse, von der mehrfach Skelettknochen ausgegraben wurden.

Unzählige falsche und wahre Angaben durcheinander erzählt Plinius in
seiner Naturgeschichte über den Elefanten. So sagt er, daß er 200-300
Jahre leben könne, im 60. Jahre aber am kräftigsten sei; daß die
Elefanten gern an Flüssen leben, obschon sie nicht schwimmen können;
daß sie am liebsten Baumfrüchte, besonders solche von Palmen, aber auch
Erde und selbst Steine fräßen. „Sie kauen mit dem Munde, atmen, trinken
und riechen aber mit dem Rüssel. Kein Tier scheuen sie so sehr als die
Maus, lassen auch das Futter liegen, das von einer solchen berührt
wurde. Große Not haben sie, wenn ihnen beim Saufen ein Blutegel in den
Rüssel kommt; dieser saugt sich hier fest und bewirkt unerträgliche
Schmerzen. Am Rücken ist ihre Haut am härtesten, am Bauche dagegen
weich. Sie haben keine Haarbedeckung und können nicht einmal mit dem
Schwanze die Fliegen abwehren, von denen sie trotz ihrer gewaltigen
Größe geplagt werden. Ihr Geruch zieht die Fliegen an. Ihre Haut hat
tiefe Runzeln; die Fliegen setzen sich in die Vertiefungen. Aber
plötzlich zieht sich die Haut zusammen und erdrückt die lästigen Gäste.
Das Elfenbein hat einen großen Wert und wird besonders für Bildsäulen
der Götter gesucht. Auch der Rüssel gewährt Leckermäulern eine
angenehme Speise, vielleicht nur deswegen, weil sie sich einbilden,
Elfenbein zu schmausen. Polybius berichtet, auf die Aussage des Königs
Gulussa gestützt, daß man im äußersten Afrika die Elefantenzähne in
Wohnungen als Pfosten benutzt und sie bei Umzäumungen statt der Pfähle
einsetzt.“

In Indien seien die größten Elefanten, die mit ungeheuer großen
Drachen in Feindschaft leben. Ihr kaltes Blut locke bei der Hitze die
Drachen an, die sich im Wasser des Flusses, an welchem der Elefant
zur Tränke komme, verbergen und ihm auflauern. Sobald er zu trinken
beginne, stürzen sie sich auf ihn, umschlingen seinen Rüssel und
beißen ihn ins Ohr, weil dieser Teil allein mit dem Rüssel nicht
verteidigt werden kann. Die Drachen sind so groß, daß sie den ganzen
Elefanten aussaugen können; dieser stürzt dann, alles Blutes beraubt,
zu Boden und erdrückt im Fallen den betrunkenen Feind. „Der Elefant
ist das größte und an Klugheit dem Menschen zunächststehende Tier. Er
versteht die Landessprache, gehorcht den Befehlen, ist seiner Pflichten
eingedenk, sucht sich Liebe und Ruhm zu erwerben, ja, was selbst bei
Menschen selten vorkommt, er ist brav, vorsichtig, gerecht und verehrt
die Sterne, die Sonne und den Mond. Man erzählt, daß in Mauretanien
(Marokko) ganze Herden von Elefanten beim Erscheinen des Neumonds in
den Fluß hinabsteigen, sich dort feierlich reinigen, den Mond begrüßen
und dann wieder in die Wälder zurückkehren, indem sie die ermatteten
Jungen vor sich hertragen. Auch die religiösen Gebräuche der Menschen
scheinen sie zu kennen; denn sie besteigen kein Schiff, bis ihnen der
Kapitän durch einen Eid die Rückkehr zugesichert hat. Man hat kranke
Elefanten gesehen, die sich auf den Rücken legten und Gras gen Himmel
warfen, als ob sie ihr Gebet durch die Fürsprache der Erde unterstützen
wollten. Sie lernen übrigens ihre Knie vor Königen beugen und Kränze
darreichen. In Indien braucht man die Kleinen zum Ackern. In Rom wurden
sie zum erstenmal vor den Wagen gespannt, als Pompejus der Große über
Afrika triumphierte. Bei den Fechterspielen des Germanicus machten
sie einige tölpelhafte Bewegungen, als ob sie tanzten. Sie lernten
nun häufig Waffen in die Luft werfen, gleich Fechtern miteinander
kämpfen, Tänze ausführen und endlich sogar auf Seilen gehen, wobei
oft vier einen fünften in der Sänfte trugen. Auch sah man sie sich
in Speisesälen, die voller Gäste waren, zu Tische legen, ohne einen
Menschen zu berühren.

Es ist eine ausgemachte Sache, daß ein Elefant, der die Sache nicht
recht begreifen konnte und öfters Prügel bekam, des Nachts seine
Künste eingeübt hat. Es ist schon bewundernswert, daß die Elefanten
aufwärts auf Seilen gehen lernen, aber daß sie auch abwärts gehen,
ist noch merkwürdiger. Mutianus, der dreimal Konsul war, erzählt, daß
ein solcher sogar griechische Buchstaben gelernt und folgende Worte
geschrieben habe: ‚Ich selbst habe dies geschrieben und erbeutete
keltische Waffen geweiht‘; auch habe er selbst gesehen, daß diejenigen,
welche zu Puteoli ausgeschifft wurden, rückwärts ans Land gingen, um
sich über die Länge der Brücke zu täuschen, die vom Lande zum Schiffe
führte und der sie nicht recht trauten.

Sie wissen recht gut, daß man ihnen der Stoßzähne wegen nachstellt,
daher vergraben sie die, welche durch Zufall oder im Alter ausfallen.
(Die Tatsache, daß bisweilen fossile Elefantenstoßzähne im Boden
gefunden werden, wird Plinius zu dieser Annahme geführt haben.) Jene
Zähne allein geben das Elfenbein; aber soweit sie im Fleische verborgen
stecken, sind sie nicht besser als Knochen (d. h. innen hohl und nicht
massiv wie vorn). Um ihre Stoßzähne sind sie sehr besorgt; die Spitze
des einen schonen sie, um ihn als Waffe benutzen zu können, den andern
brauchen sie, um Wurzeln aus dem Boden zu wühlen, Mauern einzustoßen
und dergleichen mehr. Werden sie von Jägern umringt, so stellen sie
diejenigen in die erste Schlachtreihe, welche die kleinsten Zähne
haben, damit man glauben soll, die Beute sei nicht der Mühe wert;
ermatten sie im Kampfe, so zerstoßen sie die Zähne an Bäumen und lassen
sie gleichsam als Lösegeld zurück.

Es ist wunderbar, daß die meisten Tiere wissen, weshalb man ihnen
nachstellt und wovor sie sich zu hüten haben. Begegnet ein Elefant in
der Einsamkeit einem harmlos herumwandelnden Menschen, so soll er ihm
freundlich und gefällig den Weg zeigen; bemerkt er aber den Fußtritt
eines Menschen eher als den Menschen selbst, so bleibt er stehen,
wittert, blickt umher, schnaubt vor Wut, zertritt aber die Fußspur
nicht, sondern hebt sie aus, gibt sie dem nächsten, dieser wieder
dem nächsten usw., worauf die Herde eine Schwenkung vollführt und in
Schlachtordnung aufmarschiert.

Stets gehen die Elefanten herdenweise, und zwar geht der älteste voran,
während der dem Alter nach folgende den Nachtrab bildet. Wollen sie
durch einen Fluß setzen, so schicken sie die kleinsten voran, weil die
Großen durch ihre Schwere das Flußbett vertiefen würden. Als König
Antiochus einen Fluß durchschreiten wollte, weigerte sich der Elefant,
der bis dahin den Zug geführt hatte und Ajax hieß, voranzugehen. Da
wurde bekanntgemacht, derjenige solle künftig der Anführer sein, der
zuerst hinüberginge; und siehe da, der Elefant Patroklus schritt
hindurch, und ward deshalb mit silbernem Kopfschmuck, den sie sehr
lieben, geziert und zum Anführer gewählt. Der frühere Anführer aber
wollte seine Schande nicht überleben und hungerte sich zu Tode.
Überhaupt wissen sie sehr gut, was rühmlich und was schimpflich ist.
Kämpfen sie gegeneinander, so reicht der Besiegte dem Sieger Erde und
Gras dar (wie dies bei den Menschen des Altertums Sitte war, wodurch
sich der Betreffende für überwunden erklärte) und flieht dann schon vor
dessen Stimme.

Die Elefanten leben in treuer Ehe und man findet also bei ihnen die
verderblichen Wettkämpfe nicht, welche andere Tiere um die Weibchen
vollführen. Sie haben bisweilen eine große Zuneigung zu bestimmten
Menschen, wie denn z. B. einer in Ägypten eine Blumenhändlerin geliebt
haben soll. Ein anderer liebte den Jüngling Menander im Heere des
Ptolemäus und fastete aus Sehnsucht, so oft der Jüngling abwesend war.
Juba erzählt auch von einer Salbenhändlerin, die von einem Elefanten
geliebt wurde. Alle zeigten ihre Liebe durch unbeholfene Liebkosungen,
freuten sich beim Wiedersehen und bewahrten Geschenke, welche sie
bekamen, auf, um sie ihrem Lieblinge darzubringen.

Daß sie Gedächtnis haben, zeigte sich deutlich in einem Falle, wo
ein Elefant seinen Führer, den er seit langen Jahren nicht gesehen,
sogleich wieder erkannte. Daß sie wissen, was Unrecht ist, zeigte sich
dagegen in folgendem Falle: Als König Bokchus 30 Menschen hatte an
Pfähle binden lassen und ihnen 30 Elefanten gegenübergestellt hatte,
welche sie zerfleischen sollten, so konnten die Elefanten doch nicht
dazu gebracht werden, dem Tyrannen den Willen zu tun, obschon sie von
zwischen den Pfählen aufgestellten Leuten gereizt wurden.“

Schon zu Ende der Republik sah man nicht selten Elefanten bei
Prunkzügen einhermarschieren, um dem Volk zu imponieren und ihm
eine interessante Augenweide zu bereiten. So berichtet der römische
Geschichtschreiber Suetonius: „Als Julius Cäsar über Gallien
triumphierte (im Jahre 51), stieg er beim Schein der Fackeln aufs
Kapitol, indem 40 Elefanten, zu seiner Linken und Rechten verteilt, die
Leuchter trugen.“ Das war damals ein ganz ungewohntes Schauspiel, mit
dem Cäsar jedenfalls großes Aufsehen erregte, worauf es ihm ja ankam.
Auch später wurde der Elefant gelegentlich von römischen Kaisern und
Triumphatoren bei ihrem feierlichen Einzuge in Rom und als Auszeichnung
auch sonst zum Ziehen von Prunkwagen verwendet. So eröffneten nach
Flavius Vopiscus beim Triumph des Kaisers Aurelianus über Zenobia,
die Herrscherin von Palmyra, im Jahre 274 n. Chr. 20 Elefanten den
Zug. Als Mesitheus, der Feldherr Kaiser Gordians III. (238-244), im
Jahre 242 einen glänzenden Sieg über die mächtigen Perser erfochten
hatte, erkannte der Senat in Rom dem Gordian Elefantenviergespanne zu,
womit er triumphieren könne, und dem Mesitheus ein Pferdeviergespann.
Das war damals eine besondere Ehrung. Der Geschichtschreiber Julius
Capitolinus, der uns dies berichtet, fügt dem bei, es habe damals
in Rom 32 Elefanten gegeben, die ständig bei feierlichen Aufzügen
zu sehen waren. Hatte doch schon Kaiser Heliogabalus (218-222) nach
seinem Biographen Älius Lampridius vier Wagen, an deren jeden er vier
Elefanten spannte. So sei er auf dem Vatikan herumgefahren und habe
zuvor zu diesem Zwecke den Platz erst ebnen lassen.

Im Zirkus wurden öfter Elefanten gezeigt, die mit anderen Tieren
kämpfen oder allerlei Kunststücke, die sie gelernt hatten, vorführen
mußten. So mußte der Elefant sich besonders mit dem Nashorn messen und
sich, wenn möglich, von ihm den Bauch aufschlitzen lassen. Seneca,
der Lehrer Neros, schreibt in einer seiner philosophischen Schriften:
„Lucius Sulla ließ zuerst im Zirkus Löwen kämpfen, die nicht angebunden
waren, Pompejus 18 Elephanten; Metellus führte, als er die Karthager
in Sizilien besiegt hatte, im Triumphe 120 gefangene Elefanten auf.“
Gelegentlich ließ sich selbst ein Kaiser herab, um einen dieser Riesen
vor allem Volke zu fällen. So schreibt Älius Lampridius in seiner
Biographie des Commodus, des Sohnes Marc Aurels und der Faustina,
der jenem 180 n. Chr. auf dem Throne folgte, alle nur erdenkbaren
Laster besaß, wollüstig, grausam und feig war, Ämter und Ehrenstellen
an die Meistbietenden verkaufte, den Staatsschatz durch unsinnige
Verschwendung erschöpfte, die Regierung des Reichs Günstlingen überließ
und schließlich am 31. Dezember 192 auf Anstiften seiner Geliebten
Marcia, erst 31jährig, erdrosselt wurde: „Kaiser Commodus war ungeheuer
stark und fand ein besonderes Vergnügen daran, bei den öffentlichen
Spielen gegen Gladiatoren und gegen wilde Tiere zu kämpfen, ja er
tötete bei solcher Gelegenheit selbst mehrere Elefanten.“ Indische und
afrikanische Elefanten traten nicht selten als Künstler auf, schrieben
in Sand, gingen auf einem schräg gestellten Seile auf und ab. Acht
derselben trugen zu viert auf einer Sänfte einen anderen, tanzten nach
dem Takte, speisten von prächtig besetzter Tafel aus kostbarem Geschirr
mit Beobachtung der feinen Sitte und des Anstandes und vollführten
zahlreiche andere Künste. Der griechische Schriftsteller Oppianos
schrieb ums Jahr 200 n. Chr.: „Der Elefant ist das größte Landtier und
sieht aus wie ein Berg oder eine gewitterschwere Wolke. Seine Nase ist
ungeheuer lang und schlank und dient ihm als Hand. Im wilden Zustande
ist er grimmig, gezähmt dagegen sanft und menschenfreundlich. Wenn er
dazu abgerichtet ist, schreitet er nach dem Takte des Flötenspiels bald
langsam, bald schnell, wie tanzend, einher. Als Germanicus Cäsar (der
Adoptivsohn des Kaisers Tiberius) den Römern Schauspiele gab, waren von
Elefanten, die man in Rom hielt, Junge gezogen worden und diese nahm
ein tüchtiger Lehrmeister in Unterricht. Sie wurden an Flötenspiel,
Trommelschlag und Gesang gewöhnt und lernten die Glieder bewegen, wie
wenn sie tanzten. Als nun der Tag der Schauspiele erschien, traten
sie, zwölf an Zahl, mit bunten Tanzkleidern geschmückt, auf, gingen
mit zierlichen Schritten einher, wiegten dabei den Leib recht fein
hinüber und herüber, formierten auf Befehl des Meisters eine Linie,
einen Kreis, schwenkten rechts und links. Sie streuten Blumen umher,
ließen sich auf schöne Kissen, die für sie hingelegt waren, nieder,
fraßen mit großer Bescheidenheit von Tischen, die aus kostbarem Holz
der Sandarakzypresse (_citrum_, aus dem Atlasgebirge bezogen) und aus
Elfenbein angefertigt waren, und tranken bescheiden aus goldenen und
silbernen Bechern. Ich habe auch selbst einen Elefanten gesehen, der
mit dem Rüssel römische Buchstaben ganz regelmäßig auf eine Tafel
schrieb; dabei führte ihm jedoch der Meister den Rüssel.“

Auch der griechische Schriftsteller Plutarch (50-120 n. Chr.) schreibt:
„Auf dem Theater führen die Elefanten sehr künstliche Stücke auf.
Es ist auch neulich vorgekommen, daß einer, der das zu Lernende
nicht recht begreifen konnte, es von selbst bei Nacht einübte.
(Weshalb sollte nicht dieses Tier gelegentlich für sich selbst die
ihm beigebrachten Kunststücke ausführen?) In Rom wurde einmal einer
von Knaben geneckt und in den Rüssel gestochen. Er ergriff einen
derselben, hob ihn hoch empor, tat, als wolle er ihn zerschmettern,
setzte ihn dann aber ruhig wieder hin, weil er dachte, jener hätte
schon an der ausgestandenen Angst genug. Nach Jubas Angabe decken die
Jäger die Gruben, worin sie Elefanten fangen wollen, mit Reisig und
Erde zu. Ist aber einer hineingefallen, so füllen die anderen die Grube
so weit, daß er wieder herauskann. Er schreibt auch, daß die Elefanten
Gelübde tun und mit aufgehobenem Rüssel die Sonne anbeten.“ Sueton
schreibt: „Bei den Spielen, die Nero gab, ritt ein allgemein bekannter
römischer Ritter auf einem Elefanten, der auf einem ausgespannten Seile
ging,“ und ferner: „Kaiser Galba (der im Juni 68 von den gallischen
Legionen gegen Nero zum Kaiser erhoben, aber schon am 15. Januar 69 von
den wegen seiner Knauserigkeit erzürnten Prätorianern getötet wurde)
zeigte bei den Spielen Elefanten, welche auf Seilen gingen.“ Selbst
als Opfer wurden sie bei besonders wichtigen Anlässen den Göttern
dargebracht. Gelegentlich wurden solche nur gelobt und in Wirklichkeit
durch Nachahmungen ersetzt, da die Originale den Opfernden denn doch zu
kostbar sein mochten. So schreibt Älian: „Als Ptolemäos Philopator den
Antiochos besiegt hatte, veranstaltete er eine prachtvolle Opferfeier
und wollte auch dem Gotte Helios vier herrliche Elefanten als Zeichen
seiner großen Verehrung darbringen. Daraufhin träumte aber Ptolemäos,
dem Gotte schiene das Opfer befremdlich und unangenehm. Er weihte ihm
also, statt der vier wirklichen Elefanten, vier aus Erz gegossene.“

Nach den Berichten der alten Autoren müssen die orientalischen Fürsten
im Altertum noch mehr Elefanten als heute besessen haben; sie waren
eben damals noch nicht so dezimiert und konnten leichter gefangen
werden. Plinius berichtet darüber: „Am Ganges hat der König der
Kalinger, dessen Hauptstadt Protalis ist, 60000 Mann Fußvolk, 1000
Mann zu Pferde, 700 Elefanten, die alle stets schlagfertig sind. Es
gibt daselbst eine eigene Menschenkaste, die sich mit Fang und Zähmung
des Elefanten beschäftigt. Mit diesen Tieren pflügen sie, auf ihnen
reiten sie, mit ihnen kämpfen sie fürs Vaterland. -- Der König der
Thaluter hält 50000 Mann Infanterie, 4000 Mann Kavallerie und 400
Kriegselefanten. -- Das Volk der Andarer hat 30 mit Mauern und Türmen
befestigte Städte, stellt 100000 Mann Infanterie, 2000 Mann Kavallerie
und 1000 Elefanten. -- Das mächtigste Volk in ganz Indien sind die
Prasier, deren große und reiche Hauptstadt Palibothra heißt. Ihrem
Könige dienen 600000 Mann Infanterie, 30000 Mann Kavallerie und 9000
Elefanten; diese ganze Macht wird Tag für Tag besoldet. -- Am Indus
hält der König der Megaller 500 Elefanten; -- die Asmarer, in deren
Land es auch von Tigern wimmelt, haben 30000 Mann Infanterie, 800
Reiter und 300 Elefanten. -- Die Orater haben nur 10 Elefanten, aber
viel Fußvolk. -- Die Suaratarater unterhalten im Vertrauen auf ihre
eigene Tapferkeit gar keine Elefanten. Der König der Horaker unterhält
150000 Mann Infanterie, 5000 Mann Kavallerie und 1600 Elefanten.
-- Der König der Charmer hat 60 Elefanten. -- Das Volk der Pander,
das einzige in Indien, das stets von einer Königin beherrscht wird,
stellt 150000 Mann Infanterie und 500 Elefanten.“ -- Woher Plinius
diese Zahlenangabe hatte, ist uns unbekannt. Sind sie auch jedenfalls
stark übertrieben, so ist doch kein Zweifel darüber möglich, daß die
indischen Fürsten damals sich in der Kriegsführung wesentlich auf ihre
Elefanten verließen und große Scharen davon unterhielten. Aus dem
8. und 9. Jahrhundert n. Chr. wissen wir, daß die indischen Fürsten
2000 bis 3000 Kriegselefanten zur Verfügung hatten. Der Venetianer
Marco Polo, der, erst 15jährig, mit seinem Vater Niccolo und seinem
Oheim Maffeo Polo 1271 zu dem Tatarenchan Kublai nach Zentralasien
reiste, meldet, dieser habe 5000 Elefanten besessen, die er zum Kriege
gebrauchte. Im 16. Jahrhundert besaß der Großmogul Akbar, d. h. der
sehr Große (eigentlich hieß er Dschelal eddin Muhammed), der mächtige
Herrscher über Hindustan, ein Nachkomme Timurs, der von 1556-1608
regierte, nach den Angaben seines Vesirs Abul Fazl 6000 Elefanten. Der
mächtige Schah Jehangir soll ihrer 12000 und seine Vasallen zusammen
40000 besessen haben. Im 17. Jahrhundert fand Tavernier, daß der zu
Gehanabad residierende Großmogul 500 Elefanten zum Lasttragen und 80
zum Kriege benutzte. Seit der allgemeinen Verbreitung der Feuerwaffen
wurde aber der Elefant, der sich vor jenen fürchtet, immer weniger zu
Kriegszwecken benutzt und ist heute in Indien mehr ein Luxustier, das
wesentlich nur noch zur Jagd und bei festlichen Aufzügen Verwendung
findet. In Hinterindien dagegen wird es in ausgedehntem Maße als
Arbeitstier beim Transport der schweren Stämme von Tiek- und anderem
Nutzholz verwendet.

[Illustration: Bild 41. Darstellung eines Mammuts durch einen Jäger der
frühen Nacheiszeit in der südfranzösischen Höhle von Combarelles.

(1/19 natürl. Größe.)]

Während früher der rezente Elefant ausschließlicher Lieferant des
seit dem hohen Altertum zu Schnitzereien und Geräten aller Art sehr
beliebten Elfenbeins war, kommen in neuerer Zeit mit der Erschließung
des noch vielfach von der letzten Eiszeit her vereisten nordöstlichen
Sibirien auch die gewaltigen Stoßzähne des ausgestorbenen ~Mammut~
(_Elephas primigenius_) als fossiles Elfenbein in den Handel. Der
russische Reisende Middendorf schätzte die Zahl aller seit der
Besiedelung durch die Russen von dort ausgeführter Mammutstoßzähne
als von etwa 20000 Tieren stammend. Jährlich kommen wenigstens 100
Paar Stoßzähne in den Handel. Dabei sind sie noch so gut erhalten,
daß kein Unterschied darin bemerkbar ist, ob das Elfenbein rezent
oder fossil ist. Mit diesem fossilen Elfenbein aus dem hohen Norden
Asiens allein werden wir auszukommen haben, wenn einmal der Elefant
als Wildling ausgerottet sein wird und die letzten Exemplare desselben
in völligem Dienste des Menschen oder in einigen Reservationen unter
menschlichem Schutze das Gnadenbrot bekommen werden. Diesen fossilen
Elefanten hat der Mensch der frühen Nacheiszeit in Europa ausgerottet,
indem er ihn nicht sowohl wegen seiner gewaltigen Stoßzähne, als wegen
seines Fleisches aufs eifrigste verfolgte und jedenfalls bei seiner
armseligen Bewaffnung vorzugsweise in Fallgruben fing und mit Werfen
von großen Steinen tötete. Neben dem Knochen und Horn des Renntiers war
das Elfenbein des Mammuts ein viel verwendetes Werkzeugmaterial des
diluvialen Jägers, das uns in den Überresten seiner Lagerplätze nicht
selten entgegentritt.

[Illustration: Bild 42. Oberes Ende eines durchlochten Zierstabs aus
Renntierhorn aus dem Lagerplatz der Mammutjäger der frühen Nacheiszeit
von La Madeleine mit dem Kopfe eines Mammuts.]

[Illustration: Bild 43 und 44. Aus einem Mammutstoßzahn geschnitztes
Amulett der Magdalénienjäger mit einem kleinen, jetzt durchgebrochenen
Aufhängeloch an der Spitze. Auf der Vorder- und Rückseite ist je
eine Saigaantilope mit auffallend langem Gehörn dargestellt. Aus der
südfranzösischen Höhle von Mas d’Azil am Nordfuße der Pyrenäen. (⅓
natürl. Größe.)]



XII. Kaninchen und Meerschweinchen.


Eine ebenfalls junge Erwerbung wie das Renntier ist das ~Kaninchen~
(_Lepus cuniculus_), das sich durch weit geringere Größe, schlankeren
Bau, kürzeren Kopf, kürzere Ohren und kürzere Hinterbeine vom
eigentlichen Hasen unterscheidet. Es ist gegenwärtig über ganz Süd-
und Mitteleuropa verbreitet und an manchen Orten recht gemein. Am
zahlreichsten trifft man es in den Mittelmeergegenden, obgleich man
dort keine Schonzeit kennt und es das ganze Jahr hindurch verfolgt.
Besonders zahlreich muß es im östlichen Teil des Mittelmeergebiets
gelebt haben, da die alten Schriftsteller Spanien als seine Heimat
bezeichnen. In England und in manchen von dessen Kolonien wurde es der
Jagdlust zuliebe in verschiedene Gegenden verpflanzt und anfangs sehr
hochgehalten. Noch im Jahre 1309 war es dort so selten, daß ein wildes
Kaninchen ebensoviel als ein Ferkel kostete. In Nordeuropa ist es ihm
schon zu kalt; so hat man bis jetzt vergeblich versucht, es in Rußland
und Schweden einzubürgern.

Das wilde Kaninchen verlangt hügelige, sandige Gegenden, die von
niederem Gebüsch bedeckt sind, in dem es sich verstecken kann. In
den lockern Boden gräbt es sich am liebsten an sonnigen Stellen und
in Gesellschaft einen einfachen Bau, bestehend aus einer ziemlich
tiefliegenden Kammer und in einem Winkel dazu gebogenen Röhren, von
denen eine jede wiederum mehrere Ausgänge hat. Jedes Paar hat seine
eigene Wohnung und duldet kein anderes Tier darin. Mit scharfen Sinnen
ausgestattet, ist das Kaninchen äußerst vorsichtig, lebt fast den
ganzen Tag in seiner Höhle und rückt erst gegen Abend auf Äsung aus,
indem es lange sichert, bevor es den Bau verläßt. Bemerkt es Gefahr,
so warnt es seine Gefährten durch starkes Aufschlagen der Hinterfüße
auf die Erde, und alle eilen so rasch als möglich in ihren Bau zurück
oder suchen sonst ein Schlupfloch zu finden. Wie die Häsin geht das
Kaninchen 30 Tage schwanger und setzt bis zum Oktober alle 5 Wochen
4-12 Junge in einer besonderen Kammer, die es vorher mit der Wolle von
seinem Bauche reichlich ausgefüttert hat. Einige Tage hindurch sind
die Kleinen blind, doch rasch entwickeln sich ihre körperlichen und
geistigen Fähigkeiten, so daß sie schon nach dem nächsten Satze der
Pflege der um sie sehr besorgten Mutter entraten können. Sie erreichen
erst im 12. Monat ihr völliges Wachstum, sind aber in warmen Ländern
schon im fünften, in kalten im achten Monate fortpflanzungsfähig.

Durch diese ihre ungeheure Fruchtbarkeit sind die Kaninchen noch
schädlicher als die Hasen, indem sie mit Vorliebe Baumrinden abnagen,
wodurch oft ganze Pflanzungen eingehen. Wo sie sich vor Verfolgungen
sicher wissen, werden sie ungemein frech und vertreiben durch ihr
unruhiges Wesen das andere Wild, vor allem Hasen und Rehe. In Gegenden,
die zu ihrer Entwicklung günstig sind, können sie zu einer wirklichen
Landplage werden und die Bewirtschaftung des Bodens außerordentlich
benachteiligen. Wenn sie einmal die Oberhand gewonnen haben, sind
sie kaum mehr zu beseitigen. So haben sie sich in manchen Gegenden,
so namentlich in Spanien und auf den Balearen, schon im Altertum so
stark vermehrt, daß man auf Maßnahmen zu ihrer Zurückdrängung sann.
Der griechische Geschichtschreiber Strabon im 2. Jahrhundert n. Chr.
schreibt: „In Spanien gibt es wenige schädliche Tiere mit Ausnahme
der den Boden durchwühlenden Häschen, welche von einigen Kaninchen
genannt werden. Sie zerstören die Pflanzungen und Saaten und sind
bis Massalia (dem heutigen Marseille) und auch über die Inseln
verbreitet. Die Bewohner der gymnesischen Inseln (Balearen) sollen
einmal eine Gesandtschaft nach Rom geschickt und um eine andere Insel
gebeten haben, weil sie über die Menge der Kaninchen nicht mehr Herr
werden konnten.“ An einer anderen Stelle sagt dieser Autor: „Auf den
gymnesischen Inseln sollen die Kaninchen nicht ursprünglich heimisch
sein, sondern von einem Pärchen stammen, das von der Küste dahin
gebracht wurde. Sie haben in der Folge Bäume und Häuser so unterwühlt,
daß sie umstürzten. Jetzt weiß man ihre Zahl so weit zu beschränken,
daß die Felder bebaut werden können. Übrigens verfolgt man sie mit
Frettchen, die man in ihre Höhlen schickt.“

Nach allem scheinen die Griechen das Kaninchen ursprünglich nicht
gekannt zu haben, sonst hätten sie einen besonderen Namen zu seiner
Bezeichnung gehabt. Sie lernten es erst von Westen her kennen und
nannten es nach dem lateinischen _cuniculus_ _kóniklos_ oder nach dem
lateinischen _lepus lebērís_. Über diese Kaninchen, die den Römern
sehr wohl bekannt waren, schreibt der ältere Plinius: „In Spanien
und auf den balearischen Inseln, wo die Kaninchen ungeheuren Schaden
anrichten, so daß man sich von dort aus einst vom Kaiser Augustus
militärische Hilfe gegen diese Tiere erbat, bereitet man deren aus
dem Nest genommene Junge als Leckerbissen zu. Der Kaninchenjagd
wegen schätzt man dort die Frettchen sehr hoch. Man läßt sie in den
unterirdischen, mit vielen Röhren versehenen Bau; die Bewohner fliehen
dann eilig heraus und werden gefangen.“ Auf den Pityusen, damals Ebuso
genannt, gab es im Gegensatz zu den Balearen, wo sie also nach Strabon
in einem einzigen Pärchen von der spanischen Küste eingeführt wurden,
keine Kaninchen, wie uns Plinius berichtet, dagegen waren sie nach dem
griechischen Geschichtschreiber Polybios auf Korsika vorhanden; er
nennt sie _kýniklos_.

Im Gegensatz zum Hasen, der bei den Römern häufig auf den Tisch kam
-- nach Lampridius soll Kaiser Alexander Severus täglich Hasenbraten
gegessen haben -- war das Kaninchen, wenigstens in Italien nur wenig
als Speise gebräuchlich. Einzig Martial, freilich ein Spanier von
Geburt, führt es mit einigen charakteristischen Versen unter den
Küchenartikeln auf. Von einem Halten des Kaninchens als Haustier ist
selbst in Spanien, das dieses Tier als für das Land charakteristisch
auf einigen Münzen der römischen Kaiserzeit abbildete, im Altertum
nirgends die Rede. Sie mag frühestens zu Beginn des Mittelalters in
Südwesteuropa ihren Anfang genommen haben und nahm erst im späteren
Mittelalter einen größeren Aufschwung, der hauptsächlich den Klöstern
zu verdanken ist. So ließ sich der Abt Wibald von Corvey 1149 zwei
männliche und zwei weibliche Kaninchen aus Frankreich kommen. Später
begann man auch an den weltlichen Höfen Kaninchen in Gehegen zu
halten, um den Damen ein müheloses Jagdvergnügen zu gewähren. Da man
dabei die Schädlichkeit des Kaninchens kennen lernte, das das andere
Wild verjagte, hörte man mit diesem Sport bald auf und begnügte sich,
das genügsame Tier auf Inseln anzusiedeln, wo seiner unbegrenzten
Vermehrung einigermaßen gesteuert werden konnte. So waren Kaninchen
überall auf den Italien umgebenden Inseln vorhanden. Zur Zeit der
fränkischen Herrschaft wurden sie auch auf den Kykladen, d. h. den
Inseln des Ägäischen Meeres, angesiedelt, wo sie heute noch auf den
Inseln vorkommen, auf denen es keine Hasen gibt. Nur auf der größeren
Insel Andros hat es sich so mit seinem Vetter in das Gebiet geteilt,
daß die Kaninchen den einen und die Hasen den anderen Teil der Insel
bewohnen. Nach Olivier gibt es auch bei Konstantinopel im Marmarameer
eine Kanincheninsel. Im Jahre 1407 hielt man schon Kaninchen auf der
nach ihnen genannten Insel im Schwerinersee. 1684 erfahren wir, daß
sie ein Rostocker Ratsherr auf den Dünen Warnemündes ausgesetzt hatte,
aber erst nachträglich an den von ihnen angerichteten Verwüstungen sah,
welche Dummheit er damit gemacht hatte. Noch im 16. Jahrhundert kannte
man weder im Rheinland, noch in Mitteldeutschland wilde Kaninchen,
dagegen kannte sie Schwenckfeld 1603 zahm und in den Häusern gehalten.
1612 sah sie der Nürnberger Paul Hetzner auf einem Kaninchenwerder der
Königin Elisabeth von England als Merkwürdigkeit. Seit 1596 leben sie
auf Helgoland und seit 1699 auf den ostfriesischen Inseln.

Eine besondere Bedeutung erlangten die Kaninchen als leicht
zu transportierende Nahrung für den Menschen im Zeitalter der
Entdeckungen. Um allfälligen Schiffbrüchigen ihre Existenz zu
erleichtern, setzten die schiffahrenden Portugiesen auf kleineren
und größeren Inseln, die sie ohne Tiere antrafen, außer Ziegen auch
Kaninchen aus. Schon Perestrello, der erste Besiedler der Insel
Porto Santo in der Nähe von Madeira, brachte 1418 hierher Kaninchen
mit, die sich aber, da Feinde fehlten, in wenigen Jahrzehnten derart
vermehrt hatten und solche Verwüstungen auf der Insel anrichteten, daß
die Ansiedler zum Aufgeben ihrer Niederlassungen gezwungen wurden.
Im Laufe der Zeit bildete sich hier eine Lokalrasse aus, die um die
Hälfte kleiner und im Pelz oben rötlich und unten blaßgrau wurde.
Sonst kehren die wilden Kaninchen meist zur ursprünglichen grauen
Färbung ihrer Ahnen zurück. Auch auf Teneriffe kommen wilde Kaninchen
vor; sie sind gleichfalls klein und sehr scheu, graben keine Löcher,
was im vulkanischen Boden auch nicht möglich wäre, sondern wohnen in
den Spalten zwischen den Lavablöcken. Weiterhin leben welche auf St.
Helena, Ascension, dann auf Jamaika und den Falklandinseln.

In der Äquatorialprovinz Afrikas suchte Emin Pascha vor einem
Menschenalter Kaninchen einzuführen. In Südafrika haben die
vorsichtigen Holländer ihre Einführung auf dem Festland durch strenge
Strafbestimmungen zu verhindern gewußt. Nur auf den kleinen Inseln in
der Hafenbucht der Kapstadt wurden sie angesiedelt. In Batavia wollten
sie 1726 nicht recht gedeihen, da es ihnen wohl zu warm war. Dagegen
haben sie neuerdings in den Kulturrassen als Haustier in Japan großen
Beifall gefunden. Ganz schlimme Erfahrungen machte man mit den wilden
Kaninchen in Australien und Neuseeland, wo sie unbedachterweise zur
Frönung der Jagdlust ausgesetzt wurden. Bald wurden sie hier zu einer
fürchterlichen Landplage, indem sie die Weideplätze der Kühe und Schafe
kahl fraßen. Schon im Jahre 1885 gab die Regierung von Neusüdwales etwa
15 Millionen Mark aus, um dem Übel zu wehren; doch vergebens. Gift,
Schlingen, Frettchen, Hermeline, Mangusten und andere Raubtiere, die
eingeführt wurden, nützten nichts. Diese Tiere vermehrten sich zwar,
hielten sich aber nicht an Kaninchen, sondern an das Hausgeflügel
der Ansiedler, so daß sie selbst eine fast ebenso schlimme Plage als
die Kaninchen wurden. Selbst der Versuch, eine ansteckende Krankheit
unter den Kaninchen zu verbreiten, nützte nichts. Deshalb bleibt die
Vertilgung der Kaninchen nach wie vor besonderen Kaninchenfängern
vorbehalten, die das Land in Gesellschaften durchziehen und bald hier,
bald dort ihr Lager aufschlagen. Um neue Einwanderungen von Kaninchen
in die von ihnen gesäuberten Gegenden zu verhindern und bis jetzt
kaninchenfreie Ländereien vor ihrer Einwanderung zu verschonen, hat man
meilenweite Einfriedigungen aus Drahtnetzen gezogen, unter denen eine
im Auftrage der Regierung der Kolonie Viktoria errichtete über 1120
_km_ lang ist. Bis jetzt ist es freilich noch in keiner australischen
Kolonie gelungen, der Plage Herr zu werden. An vielen Orten ist der
Boden ganz unterwühlt von den Nagern, an andern ist der Wald durch sie
eingegangen.

Ebenso wie in Australien spielt unter den in Neuseeland eingeführten
Tieren das dort vor etwa 45 Jahren eingeführte Kaninchen eine äußerst
verhängnisvolle Rolle. Es hat sich in manchen Gegenden Neuseelands so
stark vermehrt, daß man sogar gedacht hat, ihm diese Gegenden ganz
preiszugeben. Auch in verschiedenen Gegenden Südamerikas wurden sie
eingeführt, doch vermehrten sie sich hier nirgends im Übermaß, da
sie die natürlichen Feinde in Schranken hielten. In Mexiko und Peru
scheinen sie ziemlich häufig zu sein.

Das Wildbret des Kaninchens ist weiß und wohlschmeckend. Die feinen
Haare des Pelzes werden wie diejenigen des Hasen zur Herstellung
von Filzhüten verwendet. In der römischen Kaiserzeit stopfte man
damit Kissen, bis man von den als Barbaren verachteten Germanen die
Verwendung der Daunenfedern der Gans zu diesem Zwecke kennen lernte.

Die Domestikation hat beim Kaninchen eine Reihe von Veränderungen
hervorgerufen, auf die schon Darwin aufmerksam machte. Vor allem haben
die Hauskaninchen bedeutend an Gewicht zugenommen; während das wilde
Kaninchen ein Gewicht von höchstens 2 _kg_ besitzt, gibt es zahme
Rassen, deren Vertreter 5-6 _kg_ schwer werden. Dies wurde erzielt
durch Zufuhr reichlicher, nahrhafter Kost in Verbindung mit wenig
Körperbewegung und infolge der fortgesetzten Zuchtwahl der schwersten
Individuen. Dann hat die Länge und Breite der Ohren durch künstliche
Züchtung enorm zugenommen, so daß sie infolge ihres erheblichen
Gewichtes nicht mehr aufrecht getragen werden können, sondern hängend
geworden sind. Bei den größeren Rassen hat der Schädel an Länge
zugenommen, aber nicht im richtigen Verhältnis zur Längenzunahme des
Körpers. Auch manche Schädelteile weisen erhebliche Veränderungen
auf gegenüber denjenigen der wildlebenden Vertreter. Im richtigen
Verhältnis zum vergrößerten Körpergewicht sind die Extremitäten
kräftiger geworden, haben aber durch Mangel an gehöriger Körperbewegung
nicht im richtigen Verhältnis an Länge zugenommen. Die ursprünglich
graue Färbung ist verschieden geworden, teils ist sie in Braun,
Schwarz, Weiß oder Scheckfärbung übergegangen.

Beim ~Angora-~ oder ~Seidenkaninchen~ ist ein sehr reichlicher, weicher
Pelz von seidenartigem Glanze erzielt worden, der hoch im Preise steht.
Es soll ursprünglich in Kleinasien gezüchtet worden sein und kam am
Ende des 18. Jahrhunderts nach Europa. Es ist sehr zart und verlangt
eine sorgfältige Pflege. Meist wird es einfärbig weiß gezüchtet; doch
gibt es auch schwarze, gelbe und graue Sorten.

Das ~Silberkaninchen~ gehört zu den kleineren Schlägen. Sein Gewicht
beträgt 2,5 bis 3,5 _kg_. Auf dem rundlichen Kopfe sitzen die
aufrechtstehenden Ohren an der Wurzel nahe bei einander. Die Färbung
ist gewöhnlich grau mit einem silberähnlichen Anflug; auch blaue,
braune und gelbe Nuancen kommen vor. Das Fell spielt als Handelsartikel
eine nicht unerhebliche Rolle und wird von den Kürschnern zu Pelzwerk
verarbeitet. Ihm nahe steht das graue bis schneeweiße ~russische
Kaninchen~, dessen Nasen, Ohren, Pfoten und Schwanz allein schwarz
sind. Es besitzt eine herabhängende Wamme am Hals. Aus seinem Pelz
werden Hermelinpelzimitationen hergestellt.

Ein kurzhaariger Schlag mit langgestrecktem Körper und kurzen,
aufrechtstehenden Ohren, von Farbe schwarz und weiß gescheckt, ist
das ~englische Scheckenkaninchen~. Ein noch bunter geschecktes
Kaninchen, dessen Fell außer Schwarz und Weiß auch Gelb in buntester
Mischung aufweist, ist neuerdings als „~japanisches Kaninchen~“
importiert worden, ohne indessen bisher eine weitere Verbreitung
gefunden zu haben. In Frankreich und England wird besonders das
~Widderkaninchen~ (_lapin bélier_) gezüchtet. Es verdankt seinen Namen
dem stark geramsten Kopf, der ungemein lange und schlaff herabhängende
Ohren besitzt. Es erreicht ein Gewicht von 5-6 _kg_ und besitzt ein
wohlschmeckendes, zartes Fleisch, weshalb es viel gezüchtet wird. Sein
Fell ist kurzhaarig und schwarz, grau, weiß, gelb oder blau, auch
gescheckt.

Das Kaninchen hat man auch schon mit dem Feldhasen zu kreuzen vermocht.
Die so erhaltenen Bastarde nennt man ~Leporiden~. Sie haben nach W.
Hochstetter eine große Ähnlichkeit mit dem Feldhasen, sind hasengrau
mit rostgelbem Nacken, tragen schwärzlich geränderte Ohren und sind
fruchtbarer als alle reinen Kaninchenrassen. Ihr Fleisch ist sehr
wohlschmeckend, und bereits nach sechs Monaten erreichen sie ein
Gewicht von 3-4 _kg_.

Die Kaninchen sind die einzigen Nagetiere, die wirtschaftlich für uns
von Bedeutung geworden sind. Als leicht zu erlangende Warmblüter dienen
sie mit Meerschweinchen, Ratten und Mäusen sehr oft zu Einimpfungs-
und Vivisektionsversuchen, können deshalb mit Recht auch als „Märtyrer
der Wissenschaft“ bezeichnet werden. Unter diesen spielt jedoch das
~Meerschweinchen~ (_Cavia cobaya_) als Versuchstier der Physiologen und
Bakteriologen die weitaus erste Rolle, da es sehr fruchtbar und leicht
zu halten ist. Wenn es auch vielfach bei uns zum Vergnügen gehalten
wird, so hat es doch bei uns keinen praktischen Nutzen gefunden.
Allerdings in seiner alten Heimat Südamerika ist es von den alten
Peruanern, wie seinerzeit das Kaninchen in Europa, der Fleischnutzung
wegen gezüchtet und zum Haustier erhoben worden. Im altperuanischen
Gräberfeld von Ancon fand man nicht selten Überreste von offenbar
einst als Haustier gehaltenen Meerschweinchen, die nach Nehring sowohl
äußerlich in der Färbung, wie auch durch ihren anatomischen Bau in
der Mitte stehen zwischen der wilden Art Südamerikas und dem zahmen
Meerschweinchen der Gegenwart. Die altperuanischen Hausmeerschweinchen
besaßen, wenn auch schon als offenkundiges Haustiermerkmal Weiß
auftrat, im allgemeinen noch immer die dunkelbraune, fein gesprenkelte
„Wildfarbe“, die durch verschiedenfarbige Ringelung der einzelnen
Haare entsteht. Daneben hatten sie die schlankere, schärfer umrissene
Schnauze und das festere Gefüge des Schädels, das sich besonders in dem
keilförmigen Einspringen der Nasenbeine in die Stirnbeine ausspricht.
Diese Unterschiede mögen wohl auf veränderte Lebensbedingungen
zurückzuführen sein. Jedenfalls waren sie bei den alten Peruanern noch
nicht in so strenger Haft gehalten wie die heutigen Nachkommen und
lebten wohl noch ziemlich frei in und um die Hütten der Eingeborenen
herum.

Diese mehr einfarbigen, schlanken, spitzschnauzigen Vorfahren unseres
heutigen weißbunten, fettleibigen und dickköpfigen Meerschweinchens
stellen also Mittelglieder zwischen letzterem und der noch heute in
Peru wildlebenden Stammform _Cavia cutleri_ dar. Außer als Nahrung
benutzten die alten Peruaner sie auch als Opfer für die Götter.
Nach Rengger zähmen die Indianer in Paraguay noch heute die dem
wilden Meerschweinchen Perus entsprechende Form der Ostabhänge der
Anden, die _Cavia aperea_, und diese pflanzt sich auch in der losen
Gefangenschaft, in der sie gehalten wird, leicht fort. Im Laufe
des 16. Jahrhunderts kam dann das peruanische Hausmeerschweinchen
durch die Spanier wohl nur als Spielerei nach Europa. Speziell den
Holländern ist dessen Einführung nach Mitteleuropa zu verdanken.
In der Schweiz erwähnt es 1554 zuerst der Züricher Naturforscher
Konrad Geßner (1516-1565). Doch war es damals in Mitteleuropa noch
recht selten. Weil es übers Meer zu ihnen gekommen war und in seiner
kurzbeinigen Dickleibigkeit einem Schweinchen glich, nannten es die
Deutschen Meerschweinchen, während es die Engländer als _guinea-pig_
bezeichneten. Die Färbung ist sehr verschieden. So berichtet schon
der Leibarzt der reichen Fugger in Augsburg in der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts, Munzinger, von ganz weißen und ganz braunen
Meerschweinchen. Jetzt sind die meisten Formen schwarz, rotgelb und
weiß gefleckt; ein Teil ist ganz weiß mit roten Augen. Es sind dies
also richtige Albinos. Neben diesen kurzhaarigen Rassen gibt es auch
eine sehr langhaarige unter der Bezeichnung ~Angorameerschweinchen~.
Bildet ihre Behaarung an verschiedenen Körperstellen eigentümliche
Wirbel, so spricht man von ~Struppmeerschweinchen~.

In seinem Benehmen ist das Meerschweinchen ein Mittelwesen zwischen
Kaninchen und Mäusen. Sein Lauf setzt sich aus einer Reihe kurzer
Sprünge zusammen und ist keineswegs sehr schnell. Fühlen sie sich wohl,
so lassen sie eine Art sanften Murmelns vernehmen; erschreckt quieken
sie wie die Schweine. Bei uns werfen die Weibchen 2 bis 3 mal im Jahre
2-3, auch 4 oder 5, in heißen Ländern sogar 6-7 Junge. Diese werden in
einem hochentwickelten Zustand mit offenen Augen geboren und laufen
schon nach wenigen Stunden hinter der Mutter her. Sie werden nur etwa
14 Tage lang von der Mutter gesäugt und während dieser Zeit liebevoll
behandelt. Vom zweiten Tage an fressen sie neben der Muttermilch auch
Grünes und sind vom Ablauf der 4. Woche an selbständig. Nach 5-6
Monaten sind sie fortpflanzungsfähig und haben schon nach 8-9 Monaten
ihre vollkommene Größe erreicht. Bei guter Behandlung können sie ihr
Leben auf 6-8 Jahre bringen. Sie sind der Wärme bedürftig und müssen an
einem trockenen Ort gehalten werden. Gegen rauhe und kalte Witterung
sind sie sehr empfindlich und gehen dann leicht zugrunde. Wenn man sich
viel mit ihnen abgibt, werden sie ungemein zahm und zutraulich, obwohl
sie ihre Furchtsamkeit nie gänzlich ablegen und bei ihren geringen
geistigen Fähigkeiten selten dahin gelangen, den Wärter von andern zu
unterscheiden. Im ganzen bleiben sie stumpfsinnig und wenig anhänglich.
Nur in Oberschlesien ißt man sie wie in ihrer Heimat Peru.

Endlich ist noch von der ~zahmen Hausmaus~ (_Mus musculus domesticus_)
zu reden, die in Ostasien zum Haustier erhoben wurde und neuerdings
auch bei uns in den verschiedensten Zeichnungs- und Färbungsformen
gezüchtet wird. Nach ihrer Herkunft werden sie als ~chinesische~ und
~japanische Ziermäuse~ unterschieden. Die chinesischen Mäuse, die in
ihrer Heimat auch vom Menschen gegessen werden, unterscheiden sich von
unserer wilden Hausmaus und von der gewöhnlichen weißen Maus nur durch
die Färbung und Zeichnung und zerfallen in eine große Anzahl Rassen. Es
gibt einfarbig schwarze, dann solche mit ganz kleinen weißen Abzeichen
an verschiedenen Körperstellen, ferner schwarz- und weißgescheckte,
einfarbig graue, grau- und weißgescheckte, braune, braun- und
weißgescheckte, hell- und dunkelgelbe und gelbgescheckte Mäuse. Alle
diese haben meist schwarze Augen; nur gelbe Mäuse kommen auch mit roten
Augen vor. Sonst finden sich letztere regelmäßig bei den noch nicht
aufgezählten Rassen, den fahlen, den fahl- und weißgescheckten und
den blauen Mäusen, deren Färbung von Aschgrau bis Mohnblau wechselt.
Diese blauen Mäuse unterscheiden sich von den fahlen dadurch, daß ein
gelblicher, bräunlicher oder rötlicher Farbenton bei ihnen fehlt. Zu
ihnen gesellen sich blaue Mäuse mit wenig bis viel Weiß und endlich die
schon seit langer Zeit in Europa gezüchteten einfarbig weißen Mäuse mit
roten Augen. Übergänge zwischen den aufgezählten Rassen finden sich nur
selten. Als Übergänge zwischen fahlen und gelben Mäusen kann man die
gelben Mäuse mit roten Augen betrachten. Sonst kommen nur Übergänge
zwischen grauen und gelben Mäusen vor, nämlich graue Mäuse mit Gelb
und gelbe Mäuse mit Grau meliert. Andere Übergänge hat man trotz
zahlloser Züchtungsversuche nicht erhalten, und vor allem ist es auch
nie gelungen, Mäuse zu züchten, die gleich den meisten Meerschweinchen
dreifarbig gescheckt sind.

Nicht minder wunderbare Züchtungsprodukte haben die Japaner aus der
gemeinen Hausmaus zu machen verstanden. Die japanischen Ziermäuse
unterscheiden sich von den chinesischen durch geringere Körpergröße,
zierlichere Formen, namentlich spitzen Kopf, vor allem aber durch die
merkwürdige Eigenschaft, daß sie, wenn sie irgend ein Ziel erreichen
wollen, nicht geradewegs darauf losgehen, sondern schwankenden Ganges
hin und her wackeln, wobei sie häufig in eine drehende Bewegung
geraten, ja nicht selten auf einem Fleck so schnell herumwirbeln, daß
man Kopf- und Schwanzende nicht mehr voneinander unterscheiden kann.
Sie lieben es auch, um die runden Futternäpfe im Kreise herumzulaufen
und um Pflöcke, die man auf dem Boden ihres Käfigs befestigt hat,
herumzutanzen. Oft führen zwei zusammen einen Wirbeltanz aus. Diese
sogenannten ~japanischen Tanzmäuse~ zieht man in ihrer Heimat
gewöhnlich in zwei Rassen, nämlich in schwarzweißem und blauweißem
Kleide. Bei beiden Rassen überwiegt das Weiß, und Schwarz und Blau
sind jeweilen am Kopfende angehäuft. Nur selten erhält man auch fahl
und weiß gescheckte Tanzmäuse. In Frankfurt a. M. ist es indessen
neuerdings gelungen, zahlreiche verschiedenartige Tanzmäuse zu züchten,
und nach den dort angestellten Vererbungsversuchen lassen sich die
Tanzmäuse in denselben 19 verschiedenen Färbungs- und Zeichnungsformen
züchten, wie die chinesischen Mäuse, so daß es im Ganzen 38
verschiedene Hauptrassen von Ziermäusen gibt. Dazu kommen noch einige,
allerdings sehr seltene Übergänge zwischen verschiedenen Rassen.

Dieselbe Züchtungsarbeit hat man in Ostasien teilweise auch der
Wanderratte angedeihen lassen. Sie kommt weiß, schwarz oder braun
gescheckt vor, ist aber viel weniger mannigfaltig gefärbt als die
Ziermäuse. Am meisten wird die ~japanische Tanzratte~ gehalten, die
durch ihr Benehmen an die japanischen Tanzmäuse erinnert. Sie wird
gelegentlich auch vom Menschen verspeist, was sehr begreiflich ist,
da an ihr gewiß mehr Fleisch enthalten ist als an den Mäusen, die
demselben Zwecke dienen.



XIII. Die Katze.


Die Hauskatze, die als geborener Einzeljäger sich bis auf den
heutigen Tag auch als Haustier eine sehr selbständige Stellung als
Genosse des Menschen bewahrt hat und infolgedessen auch dem Einfluß
der künstlichen Züchtung so gut wie gar nicht unterliegt, ist kein
Abkömmling unserer europäischen Wildkatze (_Felis catus_), wie man
noch in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts annahm, sondern
stammt von der von Rüppel in Nubien entdeckten ~Falbkatze~ (_Felis
maniculata_), die in vorgeschichtlicher Zeit irgendwo im oberen
Nilgebiet zum Haustier erhoben wurde. Es ist dies ein fahlgelb bis
fahlgraues Tier, an Hinterkopf und Rücken rötlicher, mit weißem Bauch
und verwaschenen, schmalen, schwarzen Querbinden am Rumpf, die an
den Beinen deutlich hervortreten. Der Pelz ist an einigen Stellen
schwarz gesprenkelt; der Schwanz endet in eine schwarze Spitze, davor
hat er drei schwarze Ringe. Charakteristisch ist der Sohlenfleck,
d. h. die schwarze Färbung der Hinterseite der Hinterfüße von der
Pfote bis zum Hacken. Diese Färbung macht sich auch bei den gezähmten
Vertretern sehr leicht geltend und kommt niemals bei der europäischen
Wildkatze vor. Ferner ist bei den Hauskatzen wie bei deren Stammutter,
der Falbkatze, der Schwanz gleichmäßig zugespitzt und nicht am Ende
verdickt wie bei der europäischen Wildkatze, die auch nie schwarze
Sohlen aufweist. Dann wies der Engländer Hamilton nach, daß sich bei
den Hauskatzen die Stirne mit zunehmendem Alter verflacht, während
sie bei der europäischen Wildkatze höher wird. Alle diese Tatsachen
sprechen in demselben Sinne, daß eben die Hauskatze ein Abkömmling der
afrikanischen Falbkatze und nicht der europäischen Wildkatze ist.

[Illustration: Bild 45. Links der Ammonspriester Mutsa (3), Vorsteher
des kgl. Schatzes, mit seiner Schwester Bati (4), einer Jungfrau des
Ammon, und seinem Sohne User (2) mit dem Wurfholz (Bumerang) auf der
Entenjagd, rechts derselbe Fische speerend. Im Dickicht ein Ichneumon,
der einen jungen Vogel aus dem Nest reißt, im Boot links eine gezähmte
Katze, die scheinbar bittet, ins Dickicht gelassen zu werden. Auf
diesem Wandgemälde der 18. Dynastie weist die Hauskatze noch die
schmalen schwarzen Querbinden ihrer Stammutter, der Falbkatze, auf.
(Nach Wilkinson.)]

Wenn nun also die Hauskatze nicht von der europäischen Wildkatze
abstammt, ist es nicht zu verwundern, daß sie im vorgeschichtlichen
Europa durchaus fehlt; auch die älteren Griechen und Römer kannten
sie noch nicht. Ihre Rolle als Mäusevertilger besorgten bei ihnen
Wiesel und Iltis, die beide gezähmt gehalten wurden. Ebenso wird die
Katze nirgends in der Bibel erwähnt; auch im vedischen Zeitalter
Indiens war sie durchaus unbekannt. Aus allen diesen Gründen muß
die noch von W. Schuster vertretene ältere Ansicht, wonach unsere
Hauskatze von der Wildkatze abstammt, absolut verlassen werden, wenn
auch zuzugeben ist, daß da und dort durch gelegentliche Paarung von
Hauskatzen mit Wildkatzen Blut von letzterer in manche Stämme der
Hauskatze gelangte. Ganz abgesehen von der großen Schwierigkeit der
Zähmung der überaus wilden europäischen Wildkatze weicht auch der
anatomische Bau der Hauskatze in vielen Einzelheiten vollkommen
von demjenigen jener ab, stimmt aber sehr genau mit demjenigen der
nubischen Falbkatze überein. Nach François Lenormant kam die Hauskatze
als bereits gezähmtes Tier mit dem Hunde von Dongola erst zur Zeit des
Mittleren Reiches nach der Eroberung des Landes Kusch in Nubien durch
die Ägypter nach Ägypten und wird mit jenem zuerst auf Grabdenkmälern
der 12. Dynastie (2000-1788 v. Chr.) in Beni Hassan abgebildet. Dagegen
will neuerdings Konrad Keller sie schon zur Zeit der 6. Dynastie
(2750-2625 v. Chr.) in einem Grabgemälde von Sakkarah mit einem
Halsband, also dem Attribut eines Hausgenossen, abgebildet gefunden
haben. Genaueres darüber gibt er aber nicht an.

Bei den alten Ägyptern wurde ihre Zucht in der Folge sehr populär;
denn die Katze, von ihnen nach ihrer Lautäußerung _mau_ genannt,
wurde als Jagdgehilfe und eifriger Bekämpfer von Ratten und Schlangen
von ihnen in hohem Maße geschätzt. So finden wir auf verschiedenen
Grabgemälden der 18. Dynastie (1580-1350 v. Chr.) von Kurnah, die
Sir Gardner Wilkinson publizierte, Ägypter in leichten Booten im
Schilfdickicht Jagd auf Wasservögel machen, wobei ihnen zahme Katzen
das vom Bumerang betäubte Wild durch geschicktes Schleichen zwischen
den Sumpfpflanzen holen. Wo also der Hund nicht zu gebrauchen war,
trat die Katze in ihr Recht und leistete dem Menschen gute Dienste.
Als Rattenvertilgerin finden wir die Katze aus leicht verständlichen
Gründen nirgends dargestellt; aber daß sie als solche fungierte,
beweist der berühmte satyrische Papyrus von Turin, in welchem die
Darstellungen der glorreichen Siege Ramses III. (1198-1167 v. Chr.) der
19. Dynastie an den Wänden des von ihm errichteten Tempels in Medinet
Abu in der Weise karikiert wurden, daß der auf seinem Kriegswagen stolz
einherfahrende König und seine Leute in Form von Ratten, die Feinde
dagegen, die Chethiter, in Gestalt von Katzen dargestellt wurden. In
einer Darstellung des Totenbuches aus dem Neuen Reiche finden wir
eine unter einem Baume sitzende Katze abgebildet, die unter der einen
Vordertatze einen Schlangenkopf hält. Tatsächlich jagt die Hauskatze
ebenso gern selbst die gefährlichsten Giftschlangen als die Mäuse und
Ratten. Dadurch mag sie sich bei den Ägyptern, jenen ausgesprochenen
Ackerbauern, denen die die Kornvorräte brandschatzenden Nagetiere, wie
auch die giftige Schlangenbrut äußerst lästig fielen, sehr bald in
hohe Gunst gebracht haben. Da sie andere Tiere verspeiste und damit
deren Seelen in sich aufnahm, sah man in ihr ein Geistwesen verkörpert,
dem als solchem so gut eine Kultpflege zukam, als dem die Umgebung
der menschlichen Wohnungen von Aas reinigenden Ibis oder Schakal. Wie
diese wurde sie in der Folge zu einem heiligen Tiere gestempelt, das
als guter Geist gern im Hause gehalten wurde, weil es durch seine
göttlichen Eigenschaften Segen in dasselbe brachte. Ihr Tod versetzte
die altägyptische Familie in Trauer, die man äußerlich durch Abrasieren
der Augenbrauen bekundete. Der Unglückliche, der freiwillig oder
unfreiwillig einer Katze das Leben raubte, war verloren. So schreibt
der griechische Geschichtschreiber Diodoros, mit dem Beinamen Siculus,
über Ägypten: „Wer dort irgend ein heiliges Tier absichtlich ums Leben
bringt, wird zum Tode verurteilt. Wer aber eine Katze oder einen
Ibis umbringt, muß sterben, wenn er auch die Sünde ohne es zu wollen
beging; das Volk läuft zusammen und behandelt, oft ohne Verurteilung,
den Missetäter aufs grausamste. Sieht also jemand ein totes heiliges
Tier, so bleibt er, um nicht in falschen Verdacht zu kommen, von ferne
stehen, schreit, wehklagt und beteuert, daß er es schon tot gefunden
habe. -- Die abergläubische Verehrung der heiligen Tiere ist bei den
Ägyptern tief und unwandelbar festgewurzelt. In der Zeit, da der König
Ptolemäus (XI, 81-51 v. Chr.), von den Römern noch nicht für einen
Freund erklärt war und sich das ägyptische Volk auf alle mögliche Weise
bemühte, den sich in ihrem Lande aufhaltenden Römern gefällig zu sein
und aus Furcht vor Rom jede Gelegenheit zu Beschwerden vermied, da
kam der Fall vor, daß ein Römer eine Katze ums Leben brachte. Alsbald
rottete sich das Volk wütend gegen ihn zusammen, und, obgleich er den
Mord gar nicht mit Vorsatz begangen, konnten doch weder die Bitten
des vom Könige hingesandten Beamten, noch die Furcht vor Rom den
unglücklichen Katzenmörder vom Tode erretten. -- Finden die Ägypter auf
ihren Kriegszügen in fremdem Lande tote Katzen oder Habichte, so sind
sie betrübt und nehmen die Tiere mit sich nach Hause.“ An einer anderen
Stelle berichtet derselbe Autor: „Den Katzen und Ichneumons brocken
die Ägypter Brot in Milch, locken sie herbei und setzen es ihnen vor,
oder sie füttern sie mit zerschnittenen Nilfischen. In ähnlicher Weise
füttern sie auch die übrigen heiligen Tiere. Die eigentlichen Wärter
jener Tiere tun groß mit ihrem wichtigen Götzendienst; sie tragen auch
besondere Abzeichen, und wenn sie durch Dörfer und Städte gehen, so
verbeugt sich jedermann ehrfurchtsvoll vor ihnen. Stirbt ein heiliges
Tier, so wickeln sie es in feine Leinwand, schlagen sich jammernd die
Brust und bringen es in die zum Einbalsamieren bestimmten Häuser. Ist
es dort mit Zedernöl und andern guten Dingen, die einen guten Geruch
geben und vor Verwesung schützen, durchdrungen, so wird es in einem
heiligen Sarge bestattet.“

Auch Herodot, der selbst in Ägypten war und die Sitten der Ägypter aus
eigener Anschauung kannte, schreibt: „Die Katzen in Ägypten lieben
ihre Jungen sehr, aber sie werden ihnen oft von den Katern geraubt.
Entsteht irgendwo eine Feuersbrunst, so kümmern sich die Ägypter nicht
ums Feuer, sondern um ihre Katzen. Sie stellen sich um diese herum
und halten Wache; aber die Katzen entwischen ihnen doch oft, springen
auch über sie hinweg und stürzen sich in die Flammen. Geschieht dies,
so kommt über die Ägypter große Trauer. Stirbt eine Katze, so scheren
sich alle Bewohner des Hauses ihre Augenbrauen ab; stirbt aber ein
Hund, dann scheren sie sich den ganzen Kopf ab. Die toten Katzen werden
in heilige Gemächer geschafft, einbalsamiert und dann in der Stadt
Bubastis beigesetzt. Die Hunde und Ichneumons werden in der Stadt,
in der sie starben, in heiligen Grüften bestattet, die Spitzmäuse
und Ibisse aber in Hermopolis. Die Bären, welche jedoch selten sind,
und die Wölfe, welche nicht viel größer sind als Füchse, werden da
begraben, wo sie gerade liegen.“

Die Angaben dieser beiden Autoren betreffend das Einbalsamieren der
verstorbenen Katzen und das darauffolgende Bestatten in besonderen
„heiligen Grüften“ sind durch das Auffinden von eigentlichen
Katzenfriedhöfen in Bubastis und Beni Hassan bestätigt worden. Hier
wurden sorgfältig einbalsamierte und mit Leinenbändern umwickelte
Katzenmumien in Menge gefunden. Der bedeutendste Kultort für die Katzen
war die Stadt Bubastis, im östlichen Delta, die ihren Namen (ägyptisch
_Pe Bast_ = Ort der Bast) von der dort verehrten Göttin Bast erhielt,
die mit einem Katzenkopfe dargestellt wurde. Es ist dies eigentlich
die Göttin Sekhet, die Gemahlin des Ptah, des großen Gottes von
Memphis, die ursprünglich löwenköpfig und erst seit dem Bekanntwerden
der Katze in Unterägypten katzenköpfig abgebildet wurde. Die Griechen
stellten sie später ihrer Artemis gleich.

Wenn nun auch mit dem Untergang des alten Ägypten die Heiligkeit der
Hauskatze im Niltal dahin fiel, so sind doch Spuren derselben hier bis
auf unsere Zeit nachzuweisen. Noch heute glaubt man in Ägypten, daß
die Katze Glück bringen könne; sie wird von den dortigen Haremsdamen
verhätschelt und mit Ohrringen geschmückt. In Oberägypten gilt sie
heute noch als heilig und unverletzlich; sie ist dort nach Klunzinger
ebenso geehrt als die Hunde verachtet. In Kairo vermachte der Sultan Ez
Zahir Beibars einen Garten nördlich der Stadt zum Besten der Katzen.
Derselbe wurde dann verkauft, aber zurückerworben und dient heute
noch zur Erhaltung herrenloser Katzen; daneben besteht in jener Stadt
ein förmliches Katzenspital. Außerdem sind wiederholt Legate zu deren
Fütterung ausgesetzt worden. Diese Hochhaltung der Katze im heutigen
Ägypten wird mit der Vorliebe des Propheten Mohammed für diese Tiere
motiviert. Dieser soll einst, um ein in seinem weiten Ärmel liegendes
Kätzchen nicht in seinem Schlafe zu stören, denselben beim Aufstehen
abgeschnitten haben. Überhaupt ist der Morgenländer durchschnittlich
sehr rücksichtsvoll gegen seine Mitgeschöpfe. So erzählt ein deutscher
Edelmann, der im Mittelalter das Morgenland durchwanderte, von einem
Soldaten, der sich neben dem schönsten Schatten seufzend von der
Mittagssonne peinigen ließ, weil er das in seinem Schoß eingeschlafene
Kätzchen nicht stören wollte.

Wie sich aus den Mumien ergibt, war die Gesamtfarbe der altägyptischen
Hauskatze noch ganz der der Falbkatze ähnlich. Nach Keller trifft man
solche Färbung noch heute häufig bei den Hauskatzen in den Küstenorten
des Roten Meeres. Auch das Knochengerüst beider Arten entspricht
einander vollkommen. Jedenfalls hat sich hier in ihrem natürlichen
Verbreitungsgebiet die Falbkatze je und je mit der Hauskatze gepaart
und so zur Auffrischung des Blutes beigetragen. Aber auch die Wildform
selbst mag da und dort später wiederholt gezähmt worden sein, wie dies
heute noch bei den Niam-Niam der Fall ist, die die Falbkatze fangen und
sie in kurzer Zeit an die Wohnung gewöhnt haben, so daß sie ihnen nicht
mehr entläuft, sondern sich, mit Mäusefang beschäftigt, in deren Nähe
verweilt. Diese Beobachtung von G. Schweinfurth bestätigte C. Keller,
indem ihm auf seiner Reise in Nubien wiederholt gezähmte Exemplare der
wilden Falbkatze angeboten wurden. Er schreibt ferner: „Am mittleren
Webi in den Somaliländern konnte ich gezähmte Falbkatzen in den Dörfern
antreffen, die ich vorher in Ogadeen nirgends vorfand. Sie dienen dazu,
die Getreideschuppen gegen die schädlichen Nager zu schützen. Übrigens
richten die Somalifrauen auch ihre Knaben in origineller Weise zum
Mäusefang ab und, wie ich mich überzeugt habe, entwickeln diese ein
großes Geschick. Diese Tatsache liefert vielleicht die Erklärung für
das lokale Fehlen der Hauskatze in manchen Gebieten Ostafrikas.“

Vom Niltal verbreitete sich die Hauskatze im Altertum nur langsam
nach Syrien, Persien und von da nach Indien. Bei den Indern galt die
weiße Katze als das Symbol des Mondes, der die grauen Mäuse, d. h. die
Schatten der Nacht vertreibt. In China wird die Katze zum erstenmal
im 6. Jahrhundert v. Chr. erwähnt. Ein Bekanntwerden der Griechen mit
der ägyptischen Katze läßt sich vor dem 5. Jahrhundert v. Chr. nicht
nachweisen und war auch da nur vereinzelt. So berichtete Herodot
seinen Landsleuten von der hohen Wertschätzung dieses Tieres in ihrer
ägyptischen Heimat. Im 4. Jahrhundert v. Chr. wurde die Katze in den
griechischen Kolonien Süditaliens in einzelnen Exemplaren von Kyrene
her eingebürgert; doch vermochte sie auch hier nicht den älteren
Vorläufer, das Wiesel, zu verdrängen. Bei den Römern fand sie erst
um 100 v. Chr. Eingang. Bei ihnen hatte das Wort _felis_ zuerst den
Edelmarder, dann die Wildkatze und, von ihr übertragen, zuletzt die
Hauskatze bezeichnet. Zu Beginn der christlichen Zeitrechnung treffen
wir sie immer noch nur vereinzelt als Haustier bei den alten Römern.
Der ältere Plinius kennt und beschreibt sie unter dem Namen _tigris_:
„Die Katzen schleichen ganz still und leise, wenn sie ein Vögelchen
haschen wollen; den Mäusen lauern sie heimlich auf und springen dann
plötzlich auf sie los. Ihren Kot bedecken sie mit zusammengerscharrter
Erde, damit er ihre Anwesenheit nicht verrate.“ Seine Zeitgenossen
Columella und Seneca raten die Hühner vor ihnen zu hüten. Dies rät
Palladius um 380 n. Chr. dadurch zu tun, daß man letzteren ein
Stückchen Raute unter den rechten Flügel bindet. Er sagt, daß man sich
Katzen zum Wegfangen der Maulwürfe halte. Von allen Geschichtschreibern
erwähnt sie nur Dio Cassius einmal, indem er in der Biographie des
Tiberius sagt: „Während Sejanus zur Zeit, da Tiberius regierte (14-37),
noch allmächtig war, kamen einmal eine Menge Gratulanten zu ihm und
das Sopha, auf das sie sich setzten, brach zusammen; dann lief dem
Sejanus, als er aus dem Hause ging, eine Katze über den Weg. Hierdurch
ward ihm, vor dem sich damals alles beugte, Verderben prophezeit.“ Auch
ist ihre Darstellung bisher nur ein einziges Mal auf einem römischen
Mosaik gefunden. Jedenfalls spielte die Katze im antiken Haushalt
neben dem hier früher als Mäusefänger gebräuchlichen Frettchen eine
sehr bescheidene Rolle. Erst vom 4. Jahrhundert n. Chr. an wurde
das bis dahin noch häufig gehaltene Hauswiesel ganz von der Katze
verdrängt, die damals einen besonderen Namen, nämlich _catus_ erhielt,
woraus später im Vulgärlatein _catta_, und daraus im Italienischen
_gatta_, im Französischen _chat_, im Deutschen dagegen Katze wurde.
Die römische Bezeichnung _catus_ aber, die bei den Byzantinern als
_katós_ gebräuchlich war, stammt aus dem syrischen Worte _katô_, das
seinerseits wiederum mit dem nordafrikanischen _gâda_ und _kadiska_
zusammenhängt. So sehen wir auch in der Terminologie den Weg
angedeutet, den das Tier in der Tat aus dem Niltal über Syrien und das
Römerreich bis ins Herz Europas nahm.

[Illustration: Bild 46. Katze und Maus. Holzschnitt zu den Fabeln des
Äsop. (Gedruckt 1475 von Joh. Zainer in Ulm.)]

Zur späteren ausgiebigen Verbreitung der Katze durch die Länder am
Mittelmeer und in Europa trug wesentlich das christliche Mönchtum
bei, das ja in Ägypten seinen Anfang nahm und sich dort sehr bald mit
der Hauskatze befreundet hatte. So berichtet uns Johannes Diaconus im
Leben des heiligen Gregor (um 600), ein Eremit habe, durch die Predigt
dieses großen Mannes gerührt, seinen einzigen Schatz auf Erden, seine
Katze, opfern wollen. Aus dem Mittelalter findet sich die Angabe,
daß die Mönche eines Klosters auf Zypern Katzen gezogen hätten, um
die Schlangen zu bekämpfen. Damit an diesen frommen Orten die Kater
nicht ihren sinnlichen Lüsten frönten, verschnitt man gewöhnlich die
Klosterkatzen. Es ist dies dasselbe Bestreben, das nicht nur Frauen,
sondern überhaupt weibliche Tiere vom heiligen Berge Athos mit seinen
zahlreichen Mönchsklöstern aufs strengste fernzuhalten sucht.

Noch im 10. Jahrhundert war die Katze in Mitteleuropa recht selten; so
mußte damals in Sachsen und Wales derjenige, der eine solche getötet
hatte, als Strafe so viel Getreide entrichten, daß das am Schwanze
aufgehängte und mit der Schnauze den Boden berührende Tier von diesem
vollständig bedeckt ward. Damals wird es wohl nur gelbe und braune
Katzen in Europa gegeben haben.

Um 1620 fand dann der Italiener Pietro della Valle in Chorasan sehr
schöne langhaarige Katzen, von denen er ein Paar mit nach Europa
brachte. Es sind dies vielleicht die Vorläufer der ~Angorakatze~, die
besonders in Persien und Kleinasien gehalten wird, aber aus Innerasien
stammt. Die dichte und lange Behaarung, die blau, blaugrau, schwarz,
bunt oder einfarbig weiß ist, will der russische Forscher Pallas der
Kreuzung mit der ziemlich langhaarigen asiatischen Steppenkatze (_Felis
manul_) zuschreiben. Da die Wildkatzen sich überall gelegentlich mit
den einheimischen Hauskatzen paaren, ist dies sehr wahrscheinlich; doch
könnte schließlich auch die gewöhnliche Hauskatze unter der Einwirkung
des rauhen Gebirgsklimas Innerasiens eine längere Behaarung erhalten
und diese an ihre Nachkommen vererbt haben.

[Illustration:

  Tafel 49.

Altägyptische Hauskatzen mit Mäusen in einer Fabel des satirischen
Papyrus des Neuen Reichs (18. bis 19. Dynastie, 1580-1205 v. Chr.).]

[Illustration:

  Tafel 50.

  (_Copyright by M. Koch, Berlin._)

Gepard oder Jagdleopard.

  (_Copyright by M. Koch, Berlin._)

Frettchenfamilie vor einem Kaninchenbau.]

Die europäische ~gemeine Hauskatze~ ist also ein mehr oder weniger
reiner Abkömmling der nubischen Falbkatze, die sich in ihrer
primitivsten Erscheinung in Ostafrika und in den Ländergebieten am
Roten Meer erhielt. Die dort angetroffene Hauskatze stimmt ganz
auffallend mit der wilden Falbkatze überein; sie ist nämlich fahlgelb
oder fahlgrau mit rötlichem Anflug, die Nasengegend rostrot mit
dunklerer Einfassung. Der Fuß ist bis zur Ferse unterseits schwarz
behaart; auch zeigt der Pelz mehr oder weniger deutlich dunkle Flecke.
Die Bauchseite ist heller, der Körper schmächtig gebaut, der Schwanz
lang und wenig voll. Diese Katze steht der altägyptischen Hauskatze
sehr nahe, die stets gelblich, von hellgelb bis dunkelbraun wechselnd,
gefärbt war. Die Ohren mancher Exemplare erscheinen auffallend groß
und zugleich an der Spitze mit einem kleinen Haarbüschel versehen.
Dies beweist eine Kreuzung der ägyptischen Hauskatze mit dem alsbald
zu besprechenden ~Sumpfluchs~ (_Felis chaus_). Die betreffenden
Bastarde unterscheiden sich von den Hauskatzen von reiner Abstammung
von der Falbkatze außerdem durch die gedrungene und größere Gestalt,
das dunkelgefleckte Fell und den langhaarigen Schwanz. Dieses
Kreuzungsprodukt wurde, wie verschiedene Bilder beweisen, auch zur
Vogeljagd abgerichtet. Doch scheint in ihnen das Blut der Falbkatze
überwogen zu haben. Die kräftige Gestalt auch dieser Katzen zeugt
davon, daß sie schon damals in Ägypten nicht in engem Gewahrsam,
sondern in voller Freiheit wie heute noch aufwuchsen. In dieser
altertümlichen Gestalt hat sich die Hauskatze in Europa einzig auf
der Insel Sardinien erhalten, wo sie jedoch verwildert ist und
als Rückschlagserscheinung kleine, schwarze Ohrpinsel zeigt. Die
europäischen Hauskatzen weisen schon weitere Veränderungen auf und
variieren stark in der Körperfärbung. Es gibt unter ihnen wildfarbene,
graugestreifte, gefleckte, mausgraue, schwarze und weiße Spielarten.
Die sogenannte ~Zypernkatze~, die durch ihre schwarze Streifung
auf gelblichgrauem Grunde stark an unsere Wildkatze erinnert, muß
wie die andern wildfarbenen, gestreiften und gefleckten Hauskatzen
stark Blut der europäischen Wildkatze aufgenommen haben, die sich
besonders früher, da sie häufiger war, oft mit der Hauskatze zu
paaren Gelegenheit hatte. Weit seltener als die Zypernkatzen sind
die gelbgrauen Katzen ohne schwarze Zeichnung am Kopf, Rumpf und
Schwanz, nur mit zwei schwarzen Querbändern an den Vorderbeinen.
Ihnen schließen sich die gelbschwarzen Katzen an, die auf gelblichem
Grunde unregelmäßige, an den Rändern verwaschene, ziemlich kleine
schwarze Flecken ohne Beimischung von Weiß zeigen. Meist sind diese
weiblichen Geschlechts und die zugehörigen Männchen sandfarben. Doch
können auch Weibchen sandfarben sein, und Katzen, die auf sandfarbenem
oder gelbschwarzem Grunde weiß gescheckt sind, finden sich in beiden
Geschlechtern nicht selten. Ziemlich lang und weichhaarig grau mit
schwarzen Lippen und Fußsohlen sind die sogenannten ~Karthäuserkatzen~.
Weiße Katzen haben entweder gewöhnliche Katzen- oder rein blaue Augen.
Dabei kann nun das eine Auge blau und das andere von gewöhnlicher
Färbung sein. Sind beide Augen blau, so ist die weiße Katze meist taub.
Schwarze Katzen haben meist gelbe Augen.

Stummelschwänzig oder nahezu schwanzlos ist die ~Katze der Insel
Man~ zwischen England und Island. Dazu hat sie einen großen Kopf
und unverhältnismäßig lange und starke Hinterbeine. Sie ist eine
unermüdliche Springerin und Kletterin und stellt den Vögeln viel
mehr nach als andere Hauskatzen. Die Färbung ist verschieden. Bei
der Kreuzung mit der gewöhnlichen Hauskatze sind die Nachkommen
teils kurzschwänzig, teils schwanzlos. Über die Entstehung dieser
eigentümlichen Rasse ist nichts Näheres bekannt geworden. Sie
wird wohl plötzlich durch Mutation hervorgegangen sein. Wie
unter den europäischen gibt es auch unter den asiatischen Katzen
stummelschwänzige, so besonders in China und Japan. In Siam, Birma
und auf der Halbinsel Malakka lebt die ~malaische Haus-~ oder
~Knotenschwanzkatze~, deren Schwanz nur die halbe Länge gewöhnlicher
Hauskatzenschwänze hat und oft infolge einer Mißbildung der Knochen zu
einem festen Knoten verdickt ist. Diese Anomalie ist angeboren und wird
vererbt.

Die ~chinesische Hauskatze~ besitzt ein seidenweiches, langes Haar von
lichtgelber bis weißer Farbe. Unter dem Einflusse der Domestikation
ist sie wie so viele andere Haustiere hängeohrig geworden. Sie wird
in China viel gezüchtet, um nach vorhergehender Mästung geschlachtet
und als beliebte Speise verzehrt zu werden. Sie scheint stark Blut
der asiatischen Wildkatze in sich aufgenommen zu haben. Auch in
Südwestindien, speziell in Kotschin, wird die Hauskatze häufig
gegessen, wie übrigens auch in Frankreich, wo deren Fleisch regelrecht
auf den Markt gelangt. Die schönste und edelste aller Katzen aber ist
die ~Siamkatze~, die außer in ihrer Heimat auch in China und Japan als
Luxustier gehalten wird, dort sehr hoch im Preise steht und nur selten
nach Europa gelangt. Die frischgeworfenen Jungen sind blendendweiß
mit roten Augen, also eigentliche Albinos, die aber später durch
Pigmentbildung sich verfärben. Der dichte, kurzhaarige Pelz wird dann
silbergrau bis schokoladebraun, mit schwärzlichem Gesicht, ebenso
werden die Füße, Schwanzspitze und Ohrspitzen schwarz. Die Augen sind
blau. Ihre Abstammung ist unbekannt. In reiner Rasse ist sie nur aus
dem Palaste des Königs von Siam zu bekommen, der allein das Vorrecht
besitzt, sie zu halten. Sie ist geistig hochbegabt und sehr zutraulich,
was schon auf ein sehr altes, inniges Zusammenleben mit dem Menschen
hinweist. Die gewellten oder gefleckten Hauskatzen Indiens scheinen
Kreuzungsformen der Hauskatze mit der indischen Wüstenkatze zu sein.

Überall, wo der Mensch unter der Mäuseplage zu leiden hatte, hat er die
Hauskatze kommen lassen, so der Konquistador Almagro, der nach Herrera
dem Italiener Montenegro, der die erste Katze nach Peru brachte, dafür
600 Pesos (= 2634 Mark) gab. Dort werden sie heute zur Unterhaltung
der verschiedenen Madonnen in die Kirche gelassen, indem die
betreffenden Besitzerinnen glauben, jene werden sich für eine solche
Liebenswürdigkeit erkenntlich erzeigen und ihnen ihre Wünsche eher
erfüllen. In Bolivia sind heute gemästete Katzen ein Lieblingsgericht
der vorwiegend indianischen Bevölkerung. Auch bei der ersten
Besiedelung des Goldlandes von Cuyabá am Paraguay um 1745 wurde für
die erste, zur Beseitigung der Mäuseplage kommen gelassene Hauskatze
nicht weniger als ein Pfund Gold bezahlt. Als Missionar Sagard bei
seiner Abreise 1626 dem Huronenhäuptling eine Katze schenkte, nahm
dieser sie mit großem Dank entgegen. Als in Neuseeland um 1855 die
Ratten verheerend auftraten, wurde 1857 eine ganze Schiffsladung Katzen
dahin eingeführt. Im 14. Jahrhundert soll Whittington, einer der ersten
Handelsfürsten Englands, den Grund seines großen Vermögens dadurch
gelegt haben, daß er seine Katze einem westafrikanischen Häuptling
abtrat, der derselben wegen der Mäuse stark bedurfte. Dort sind die
Katzen heute gemein; an der Goldküste wurden sie nach Bosmann auch
gegessen. Nach Nachtigal verehrten die Heiden des alten Negerlandes Dar
Fur eine weiße Katze, wie nach dem älteren Plinius in der Stadt Rhadata
eine goldene Katze angebetet wurde. Jedenfalls ist mit dem alten
Kulttier auch die Heiligkeit desselben gewandert. So treffen wir selbst
in den Vorstellungen unseres Volkes noch Spuren davon. So soll die
Katze, wenn sie ihre Pfoten vor dem Fenster säubert, Besuch ankündigen,
d. h. der in ihr wohnend gedachte, die Zukunft vorausschauende Geist
soll diesen erblicken und damit anmelden. Ferner wird der Glaube noch
häufig angetroffen, daß, wer die Hauskatze nicht gut füttert, einen
schlechten Hochzeitstag erlebt. Nach dem deutschen Volksmärchen steht
die schwarze Katze stets mit dem Bösen im Bunde; deshalb ist sie auch
die unzertrennliche Begleiterin der Hexe. Wohl durch diese Stellung
als Kulttier während vieler Generationen hat die Katze mit der Zeit
etwas Eigenwilliges und Aristokratisches angenommen. Wenn sie auch
nicht mehr so unzuverlässig ist wie die gezähmte Wildkatze, so ist sie
doch nicht so gutmütig wie der Hund. Ohne gerade falsch zu sein, wie
man gern behauptet, läßt sie sich schon durch geringe Behelligung zum
Kratzen und Beißen verleiten. Im allgemeinen ist die Katze schon als
Einzeljäger viel selbständiger als der Hund und läßt sich vom Menschen
nicht alles bieten. Leicht entzieht sie sich ihm durch Flucht, kehrt
aber später gern wieder ins Haus und in ihr gewohntes Lager zurück.

Neben der Katze hatten die Ägypter des Mittleren Reiches auch den
~Sumpfluchs~ (_Felis chaus_) gezähmt, der bisweilen den vornehmen
Jäger auf der Jagd im Sumpfe begleitete und die von ihm mit dem
bumerangartigen Wurfgeschoß getroffenen Vögel apportieren mußte. Dieser
wurde, wie bereits erwähnt, gelegentlich mit der Hauskatze gekreuzt,
doch lassen sich keine tiefergehenden Einwirkungen von ihm auf die
altägyptische Hauskatze nachweisen. Auch er galt dem Ägypter als
heiliges Tier und wurde in Beni Hassan mehrfach mumifiziert vorgefunden.

Zur Zeit des Neuen Reiches gab es am ägyptischen Hofe auch gezähmte
~Löwen~, die den Herrscher umgaben und ihn sogar in die Schlacht
begleiteten. So ist an einer der Tempelwände von Karnak König
Ramses II. (1292-1225 v. Chr.) auf seinem Streitwagen mitten in der
Schlacht dargestellt, und um ihn kämpfte mit derselben Bravour wie
er sein „Leiblöwe“, von dem es im Bericht über jene Schlacht gegen
die Chethiter heißt: „Der große Löwe, der seinen Wagen begleitete,
kämpfte zugleich mit ihm; die Wut ließ alle seine Glieder erzittern
und wer sich ihm näherte, den schlug er zu Boden.“ An einem der Pylone
von Luksor sehen wir denselben Herrscher auf dem gleichen Feldzuge
im Lager ruhend. Vor seinem Zelt ruht an einer Kette der Löwe, von
einem mit einer Keule bewaffneten Hüter bewacht; denn so zahm er auch
war, so konnte man ihm doch im Lager nicht trauen. Mit demselben
äußeren Symbol seiner Herrschermacht, dem gezähmten Löwen, umgab sich
auch sein Nachfolger, Ramses III. (1198-1167 v. Chr.). Auf einem
Basrelief am Palast von Medinet Abu ist er auf seinem Streitwagen
fahrend dargestellt und vor ihm marschiert ein Löwe neben den beiden
Wagenpferden. Zur Jagd allerdings konnte der Löwe nicht verwendet
werden. Es ist zweifellos ein Irrtum, wenn Sir Gardner Wilkinson
nach einer Grabmalerei von Beni Hassan aus der Zeit des Mittleren
Reiches, der 12. Dynastie (nämlich 2000 bis 1788 v. Chr.), auf welcher
eine Löwin mitten unter andern Tieren einen Steinbock überfallen und
niedergeschlagen hat, während sich ein Jäger mit Pfeil und Bogen in
der Hand der Gruppe nähert, aus dieser Zusammenstellung schließen
zu dürfen glaubt, es sei dies eine zur Jagd dressierte zahme Löwin.
Allerdings scheint im alten Indien dieses Bravourstück geleistet
worden zu sein; denn der griechische Schriftsteller Älian berichtet:
„In Indien gibt es gewaltig große Löwen, die entsetzlich grimmig sind
und eine schwarze Mähne besitzen. Jung aufgezogen können sie aber so
zahm werden, daß man sie zur Jagd auf Rehe, Hirsche, Wildschweine,
Stiere und wilde Esel benutzen kann.“ In diesem Falle scheint der Autor
wirklich Löwen und nicht, wie Lenormant glaubt, Geparde gemeint zu
haben.

Auch später war am persischen und römischen Hofe zeitweise der gezähmte
Löwe als Begleiter des Monarchen anzutreffen. So schreibt Dio Cassius:
„Der römische Kaiser Antoninus Caracalla (212-217) hielt sich mehrere
zahme Löwen und hatte sie immer bei sich. Am liebsten hatte er den
einen, den er Acinaces nannte und oft vor allen Leuten küßte. Dieser
pflegte mit ihm zu speisen und sich auf seinem Ruhebette zu lagern. Ehe
der Kaiser ermordet wurde, wollte ihn der Löwe vor der Gefahr warnen
und hielt ihn, als er ausgehen wollte, am Kleide so fest, daß dieses
sogar zerriß, aber Antoninus achtete der Warnung nicht.“ Und Älius
Lampridius berichtet: „Der römische Kaiser Heliogabalus (218-222) hielt
sich zahme Löwen und Leoparden und hatte seinen Spaß mit ihnen. Die
Zähne und Krallen waren ihnen kurz und stumpf gemacht. Bisweilen, wenn
er ein Gastmahl gab, ließ er beim Nachtisch die Bestien eintreten und
neben den Gästen Platz nehmen und lachte sich über die Angst seiner
Freunde halb tot. Er fütterte auch seine Löwen und Leoparden oft mit
Papageien und Fasanen. -- Er fand auch großes Vergnügen daran, seine
Gäste abends betrunken zu machen, brachte sie dann in einen Saal und
schloß sie ein; dann ließ er Löwen, Leoparden und Bären hinein, deren
Zähne und Krallen abgestumpft waren. Die meisten Gäste starben, wenn
sie aufwachten und die Ungeheuer sahen, vor Schreck. -- Er ließ auch
Löwen vor seinen Wagen spannen und sagte, er sei die Göttin Cybele“,
die man sich mit einem Löwengespann fahrend vorstellte.

Auch der ~Tiger~ war schon im Altertume teilweise gezähmt. So schreibt
der griechische Geschichtschreiber Älian: „Unter den Geschenken, welche
die Inder ihrem Könige bringen, sind auch zahme Tiger.“ Dann berichtet
der ältere Plinius in seiner Naturgeschichte: „Pompejus der Große hat
zu Rom den ersten zahmen Tiger in einem Käfig gezeigt, Kaiser Claudius
aber vier zu gleicher Zeit.“ Und der römische Geschichtschreiber
Lampridius bemerkt: „Kaiser Heliogabalus spannte Tiger vor den Wagen
und sagte, er sei Bacchus.“ Der Tiger war bekanntlich das Attribut
des aus dem Morgenlande, und zwar dem fernen Indien, über Kleinasien
zu den Griechen gekommenen Gottes der ausgelassenen Lebensfreude und
Fruchtbarkeit des Bodens, nämlich Bacchus. Er ließ sich der Sage nach
auch im Abendlande von den Tigern Indiens ziehen und behing sich mit
dem Tigerfell, an dessen Stelle erst später das Leopardenfell trat.
Ähnlichen Zeitvertreib wie Heliogabalus hatte sich übrigens schon
Kaiser Vespasians Sohn Titus als Kronprinz geleistet, bis er dann mit
der Übernahme der Regierung löblicherweise eine ernste Lebensführung
begann. Sonst haben diese großen Katzenarten nur als Prunkstücke für
einzelne Vornehme oder Herrscher eine Rolle gespielt, nie jedoch
praktische Bedeutung für den Menschen erlangt.

Anders ist dies mit dem ~Gepard~ der Fall, welcher schon im hohen
Altertum im Morgenlande zum Jagdgehilfen des Menschen abgerichtet
wurde. So treffen wir ihn mehrfach an der Kette geführt als Begleiter
des vornehmen Jägers auf Wandgemälden des alten Ägypten; doch gelangte
er als gezähmter Genosse des Menschen nie zu den Griechen und Römern;
wenigstens ist uns nichts davon überliefert. Dagegen hat er im Orient
bis auf den heutigen Tag eine bedeutende Rolle als Jagdgehilfe des
Menschen gespielt, so daß er hier eine eingehende Besprechung verdient.

Von Afrika aus, wo er sich in verschiedenen Unterarten fast über
den ganzen Erdteil ausdehnt, erstreckt sich das Verbreitungsgebiet
des Geparden über ganz Westasien bis Indien. Der am ganzen Körper
getüpfelte ~asiatische Gepard~ oder ~Tschita~ (_Cynailurus guttatus_)
ist schlanker und hochbeiniger als der mit weißem Bauch, ohne
Fleckenzeichnung daran versehene ~afrikanische Gepard~ oder ~Fahhad~
der Araber (_C. guttatus_). Letzterer wird auch gelegentlich für
die Jagd dressiert und ist die gewöhnlich in den Menagerien und
Tiergärten angetroffene Art. Aber der eigentliche „~Jagdleopard~“
ist der asiatische Gepard, der gezähmt ein wichtiges Zubehör des
Hofstaates indischer Fürsten bildet. Dieses Tier, von der Größe eines
Leoparden, nur viel schlanker und höher gestellt, ist in eigenartiger
und weitgehender Weise dem Leben in der Steppe angepaßt. Sein Körper
trägt die charakteristische gelbbräunliche Wüstenfärbung mit kleinen,
runden, innen nicht helleren schwarzen Flecken und ist durch die
hohen Beine und den schlanken Leib zum außerordentlich schnellen
Verfolgen seiner Beutetiere befähigt. Letztere bilden in Indien die
~Schwarzbockantilopen~ (_Antilope cervicapra_), die viel in unsern
zoologischen Gärten gehalten und gezüchtet werden und meist unter
dem Namen Hirschziegenantilopen bekannt sind. In der Nachbarschaft
der Ebenen, auf denen diese Antilopen weiden, hält sich der Gepard
auf niedrigen Felsenhügeln auf und beschleicht von hier aus mit
außerordentlichem Geschick gegen den Wind und jede Unebenheit des
Bodens, Gebüsch und dergleichen als Deckung benutzend, seine Beute. Hat
er sich ihr auf 150-200 Schritte genähert, so schießt er in gewaltigen
Sätzen unglaublich schnell auf sie los und hat sie bald eingeholt. Mit
gewaltigen Tatzenhieben schlägt er die Antilope zu Boden und tötet
sie durch einen Biß in die Kehle. Gelingt es ihm nicht, das Wild nach
400-600 Schritten einzuholen, so läßt er von der Jagd ab, da er diese
außerordentliche Schnelligkeit, die ihn beim Laufen auf kurze Strecken
als schnellstes aller Säugetiere erscheinen läßt, nicht längere Zeit
entwickeln kann.

Der Gepard jagt paar- oder familienweise. Seine Zähmung und Abrichtung
zur Jagd ist eine sehr einfache und wird von Angehörigen einer
besonderen Kaste vollzogen. Er wird in der Weise gefangen, daß rund um
einen besonderen Baum, um den sich diese Tiere zum Spiele zu versammeln
und an welchem sie ihre Krallen zu schärfen pflegen, Schlingen aus
getrockneten Antilopensehnen mit Pflöcken auf dem Boden befestigt
werden. Kommen die Tiere bei Sonnenuntergang zu dem betreffenden, an
seinen Kratzspuren erkennbaren Baum, so fangen sie sich leicht in
den geschickt angebrachten Schlingen. Die in der Nähe auf der Lauer
liegenden Inder eilen alsbald herbei, werfen eine Wolldecke über sie,
binden ihnen die Beine zusammen und fahren sie auf dem inzwischen
herangekommenen Ochsenfuhrwerk in das Dorf, wo die Frauen und Kinder
dazu beordert werden, den ganzen Tag über bei den frischgefangenen
Tieren zu verweilen und sich laut miteinander zu unterhalten, um die
Geparde dadurch an die menschliche Stimme zu gewöhnen. Haben sie sich
daran gewöhnt, so werden sie an einen Baum oder eine Hütte möglichst
nahe an einem belebten Ort angekettet, damit sie fortwährend Menschen
sehen und sich an ihren Anblick gewöhnen. Dann beginnt die verschiedene
Stufen durchlaufende Abrichtung der Geparde, die in etwa sechs Monaten
beendet ist. Dabei sind die Tiere so sanft und gelehrig wie Hunde
geworden, nehmen zutraulich die Liebkosungen des Menschen entgegen,
sind selbst Fremden gegenüber gutmütig, glätten beim Streicheln ihr
Fell an ihren Freunden, nach Art der Hauskatzen schnurrend. Gewöhnlich
hält man die zahmen Jagdleoparden vor dem Haus mit einer Kette an der
Wand befestigt, auf einer Eingeborenenbettstelle, nicht aber in einem
Käfig.

Nur erwachsen gefangene Geparde werden in Indien zur Jagd abgerichtet;
denn die indischen Schikaris oder Gepardjäger halten mit Recht dafür,
daß nur solche, die von ihren Eltern in der Wildnis das Jagen erlernt
haben, gute Jäger in der Gefangenschaft abgeben. Will man mit dem
gezähmten und abgerichteten Geparde jagen, so setzt man ihm eine ihn
am Sehen hindernde Kappe aus Leder auf, bindet eine Schnur an einen
um seinen Hals oder um seine Weichen gehenden Lederriemen, setzt ihn
auf ein Ochsenfuhrwerk und fährt mit ihm so nahe als möglich in die
Nachbarschaft von Antilopen, die sich vor gewöhnlichen Landwagen,
die sie täglich sehen, nicht fürchten und deshalb leicht eine starke
Annäherung eines solchen Gefährtes erlauben. So kann sich ein Karren
bis auf 200 Schritte einem Rudel Antilopen nähern. Alsbald nimmt
der Jäger dem Jagdleoparden die Kappe vom Kopf und läßt ihn los. Je
nach der Entfernung von den Antilopen eilt er dann entweder ohne
weiteres auf sie zu, oder er schleicht sich, indem er die Unebenheiten
des Bodens mit Vorteil benutzt, so weit an sie heran, daß er einen
erfolgreichen Überfall unternehmen kann. Ist ein Antilopenbock in
der Herde, so ergreift der Gepard gewöhnlich diesen, wahrscheinlich
aber nur deswegen, weil der Bock als Führer des Rudels am weitesten
zurückbleibt. Der Jagdleopard stürzt sich auf die Antilope und soll
sie dadurch, daß er mit einer Pranke von unten an ihre Beine schlägt,
zu Falle bringen, worauf er das gefallene Tier an der Kehle ergreift
und so lange festhält, bis der Jäger herangekommen ist. Darauf
durchschneidet dieser mit seinem Jagdmesser die Kehle der Antilope,
sammelt etwas von ihrem Blut in die mitgenommene Freßschüssel des
Jagdleoparden und gibt es diesem, der es eifrig aufleckt, zu trinken,
wobei er ihm in einem geeigneten Augenblick die Kappe wieder über den
Kopf zieht, um ihn alsbald wieder zur Jagd zu verwenden; denn ein
guter Jagdleopard soll manchmal nicht weniger als vier Böcke an einem
einzigen Morgen erbeuten.

In ganz Indien ist der gezähmte Gepard ein geschätzter Jagdgehilfe des
Menschen. An den Höfen der indischen Fürsten wird er in großer Menge,
bis hundert Stück, gehalten, was allerdings ein sehr kostspieliges
Vergnügen bedeutet, da dessen Unterhalt und Wartung durch ein ganzes
Heer von Wärtern und Jägern, die ungefähr die geachtete Stellung der
Falkner bei uns im Mittelalter bekleiden, große Summen verschlingt.
Der reichste von allen indischen Fürsten, der Großmogul von Delhi,
soll bis zu tausend Geparde auf seinen Jagdzügen mit sich geführt
haben. Der Schah von Persien läßt sie sich aus Arabien kommen und
hält sie in einem besonderen Hause. Im Jahre 1474 sah der Italiener
Guiseppe Barbaro beim Fürsten von Armenien etwa hundert Stück
Jagdleoparden. Früher kamen gelegentlich solche Jagdleoparden als
Geschenke orientalischer Fürsten auch an europäische Höfe. So erhielt
beispielsweise der deutsche Kaiser Leopold I. um 1680 vom türkischen
Sultan zwei abgerichtete Jagdleoparden, mit denen er oftmals jagte. Da
aber diese Tiere sehr der Wärme bedürfen, so sind sie bei uns recht
hinfällig und kurzlebig, dauern aber in ihrer heißen Heimat sehr lange
aus.

Wie außerordentlich zahm und zutraulich der Gepard wird, das bezeugt
Brehm, der selbst einen solchen besaß und dreist wagen durfte, ihn
an einem Stricke durch die Straßen seiner Heimatstadt zu führen.
Solange er es nur mit Menschen zu tun hatte, ging er ihm stets ruhig
zur Seite; nur wenn er Hunden begegnete, zeigte er eine große Unruhe
und wäre gern gegen sie losgesprungen. Das war das einzige Tier, das
ihn in Aufregung brachte. In seinem Tierleben schreibt Brehm von ihm:
„Daß die Zähmung nicht schwierig sein kann, wird jedem klar, der einen
Gepard in der Gefangenschaft gesehen hat. Ich glaube nicht zuviel zu
sagen, wenn ich behaupte, daß es in der ganzen Katzenfamilie kein so
gemütliches Geschöpf gibt wie unseren Jagdleoparden, und bezweifle,
daß irgend eine Wildkatze so zahm wird wie er. Gemütlichkeit ist der
Grundzug des Wesens unseres Tieres. Dem angebundenen Gepard fällt
es gar nicht ein, den leichten Strick zu zerbeißen, an den man ihn
gefesselt hat. Er denkt nie daran, dem etwas zuleide zu tun, der sich
mit ihm beschäftigt, und man darf ohne Bedenken dreist zu ihm hingehen
und ihn streicheln und liebkosen. Scheinbar gleichmütig nimmt er solche
Liebkosungen an, und das höchste, was man erlangen kann, ist, daß er
etwas beschleunigter spinnt als gewöhnlich. Solange er nämlich wach
ist, schnurrt er ununterbrochen nach Katzenart, nur etwas tiefer und
lauter. Oft steht er stundenlang unbeweglich da, sieht träumerisch
starr nach einer Richtung und spinnt dabei höchst behaglich. In solchen
Augenblicken dürfen Hühner, Tauben, Sperlinge, Ziegen und Schafe an ihm
vorbeigehen, er würdigt sie kaum eines Blickes. Nur andere Raubtiere
stören seine Träumerei und Gemütlichkeit. Ein vorüberschleichender
Hund regt ihn sichtlich auf: das Spinnen unterbleibt augenblicklich,
er äugt scharf nach dem gewöhnlich etwas verlegenen Hunde, spitzt
die Ohren und versucht wohl auch, einige kühne Sprünge zu machen,
um ihn zu erreichen.“ Soweit dies bekannt ist, hat er sich aber in
der Gefangenschaft noch nicht fortgepflanzt, ist also noch nicht zum
eigentlichen Haustier des Menschen geworden.

Weiter sind von Raubtieren ~Wiesel~ und ~Frettchen~ bei den Griechen
und Römern gezähmt und zum Mäusevertilgen in ihren Wohnungen gehalten
worden, lange bevor die Katze aus Ägypten zu ihnen gebracht wurde.
Besonders letzteres, das Frettchen, war ein häufig angetroffenes,
sehr beliebtes Haustier. Es hieß bei den Griechen _iktis_ und bei den
Römern _mustela_. Das ~Frett~ (_Mustela furo_) ist nichts anderes als
der durch Gefangenschaft und Zähmung kleiner und zugleich albinotisch
gewordene Abkömmling des Iltis. Es ist weiß bis semmelgelb, am Leibe
45 _cm_ und am Schwanze 13 _cm_ lang. Nur wenige sehen dunkler und
dann echt iltisartig aus. Es ist weniger lebhaft als sein wilder
Verwandter, steht ihm aber an Blutgier und Raublust nicht nach. Sein
Zähmungsherd scheint in Nordafrika gewesen zu sein, und zwar wurde es
dort nicht nur gegen Mäuse, sondern besonders auch gegen Kaninchen
losgelassen, die es aus ihrem Bau heraustrieb. So schreibt Strabon:
„In Turdetanien (einer spanischen Landschaft) bedient man sich der
Frettchen aus Libyen, um die Kaninchen zu jagen. Man schickt sie mit
einem Maulkorb in die Löcher; so ziehen sie die Kaninchen entweder mit
den Krallen heraus oder jagen sie empor, so daß sie von den Leuten
gefangen werden können.“ Schon lange vorher schrieb Aristoteles, es
gleiche an Gestalt, weißer Farbe des Bauches und Bosheit den Wieseln
(_galé_), könne jedoch außerordentlich zahm gemacht werden. Es gehe
gern über die Bienenstöcke und nasche Honig, hasche aber auch gern
Vögel, wie die Katze. Aus Spanien kam dann das Frett zu uns, um bei der
Kaninchenjagd zu dienen. Dabei legt man ihm, damit es sich nicht am
Blut seines Opfers berausche, auch heute noch einen Maulkorb an; früher
war man so roh, ihm den Mund zusammenzunähen, damit es solches nicht
tue und dann im Kaninchenbau bleibe, so daß der Jäger lange warten
kann, bis es zum Bau herauskommt. In England benutzt man es viel als
Rattenjäger, doch muß es dazu besonders erzogen werden, indem man es
zuerst nur mit jungen Ratten kämpfen läßt. Später wächst dann sein
Mut, so daß es schließlich in einer Stunde bis 50 Ratten in einem 2-3
_qm_ großen Raum zu töten vermag. Durch Kreuzung mit dem Iltis zum
Zwecke der Blutauffrischung entstehen die „wildfarbigen“ sogenannten
~Iltisfrettchen~, welche etwas stärker sind als das eigentliche
Frettchen. Stets muß das Frettchen in Käfigen gehalten werden, da
es der Anhänglichkeit an Haus und Hof entbehrt, durch die sich die
eigentlichen Haustiere auszeichnen. Es wird jetzt namentlich zur Jagd
auf Kaninchen gezüchtet, ist sehr empfindlich gegen Kälte, aber gleich
vielen anderen Haustieren fruchtbarer als die Stammart, indem das
Weibchen 5-10 Junge wirft, und zwar zweimal im Jahr.



XIV. Das Huhn.


Zweifellos ist von allen Vögeln das Huhn von der weitaus größten
wirtschaftlichen Bedeutung für den Menschen geworden. Heute ist es
in zahlreichen Rassen über die ganze Welt verbreitet und findet sich
in dem elendesten Negerdörfchen Zentralafrikas ebensogut wie in den
entlegensten Eingeborenenniederlassungen Amerikas und Indonesiens. Das
war aber nicht von jeher so. Der vorgeschichtliche Europäer kannte
dieses Haustier so wenig als die alten Ägypter, Inder und Morgenländer
überhaupt. Nirgends treffen wir bei ihnen irgend welche Spuren von der
Anwesenheit dieses Vogels, der sich sonst sehr wohl bemerkbar gemacht
haben würde. Im Alten Testament wird er nirgends erwähnt; erst im Neuen
tritt er uns beispielsweise bei Petri Verleugnung des Herrn entgegen.

Das Huhn ist jedenfalls schon im zweiten Jahrtausend v. Chr. irgendwo
in Südasien vermutlich von einem Malaienstamme durch Zähmung des dort
einheimischen ~Bankivahuhns~ (_Gallus ferrugineus_) als Haustier
gewonnen worden. Von seinem ältesten Domestikationsherd Südasien
breitete es sich langsam nach allen Seiten hin aus und wurde schon ums
Jahr 1400 v. Chr. nach China eingeführt. Nach Westasien gelangte es
erst viel später. So hat es Layard zuerst auf einem altbabylonischen
Siegelzylinder aus dem 6. bis 7. Jahrhundert v. Chr. abgebildet
gefunden. Auf diesem steht ein Priester in Opferkleidung vor einem
größeren und einem kleineren Altar, auf welch letzterem sich ein
Hahn befindet. Auf einer ebenfalls aus derselben Zeit stammenden
babylonischen Gemme sehen wir eine geflügelte Gottheit in betender
Stellung vor einem Hahne auf einem Altar. Beide Male erscheint der
Hahn von Osten, und über beiden Abbildungen schwebt ein Halbmond,
wahrscheinlich als Zeichen der schwindenden Nacht. Im alten Ägypten
ist jedenfalls das Hühnchen, das die Hieroglyphe _u_ darstellt, nicht
das Junge eines Haushuhns, sondern dasjenige eines Wildhuhns, und zwar
vermutlich eines Steinhuhns.

Homer kannte das Huhn noch nicht, denn er erwähnt es nirgends in seinen
Epen. Zum erstenmal spricht von ihm der griechische Dichter Theognis in
der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. Aber erst um die Zeit
der Perserkriege finden wir bei den Dichtern Epicharmos, Simonides,
Äschylos und Pindar den Hahn unter dem stolzen Namen _aléktōr_,
d. h. Abwehrer, Kämpfer, als bekannten Genossen des Menschen. Die
griechischen Dichter vergleichen den Kampf der Hähne desselben Hofes
untereinander mit dem Streite der Menschen. In den Eumeniden des
Äschylos warnt Athene vor dem Bürgerkrieg, als dem zwecklosen Kampf
zwischen zwei Hähnen gleichend. Ebenso vergleicht Pindar in seinem 12.
olympischen Liede den ruhmlosen Sieg in der Vaterstadt mit demjenigen
des Hahnes auf dem Hofe.

Bei den griechischen Komikern heißt der Hahn stets der „persische
Vogel“, weil er durch die Vermittlung der Perser nach Griechenland kam.
Seine hohe Wertschätzung bei den alten Persern erfuhren wir bereits bei
der Besprechung des Hundes. Dort wurde gesagt, daß der Hahn, wie der
Hund, der Feind der Dämonen und Zauberer sei. Er solle Wache halten
über die Welt, als sei kein Hund zum Beschützen der Herden und der
Häuser vorhanden. Wenn der Hund mit dem Hahn gegen den bösen Feind
kämpfen, so entkräften sie ihn, der sonst Menschen und Vieh plage.
Daher heiße es, durch ihn werden alle Feinde des Guten überwunden,
seine Stimme zerstöre das Böse. Wo sich nun ein Perser niederließ,
sorgte er so sicher für einen Hahn, als er die Frühgebete und
Reinigungen beim Sonnenaufgang, die ihm seine Religion gebot, vornahm.
Soweit also die Grenzen der persischen Herrschaft sich erstreckten,
ward auch der Hahn, als leicht übertragbares Fetischtier, das durch
seine Stimme die bösen Geister vertrieb, mitgenommen. So kam das Tier
auch nach Kleinasien und zu den Griechen an den Küsten des Ägäischen
Meeres, die ihn mehrmals auch auf ihren Münzen abbildeten. Seine
vormalige Heiligkeit erhielt sich auch bei ihnen insofern, als sie sich
zunächst scheuten, ihn oder die Eier des Huhnes zu essen. Bald aber
ward der Hahn ein Opfertier, das man besonders dem Heilgotte Asklepios
nach erlangter Genesung opferte. So befahl auch der Philosoph Sokrates,
bevor er den Schierlingsbecher trank, man solle dem Asklepios einen
Hahn opfern; er sei dann durch den Tod genesen. Auch zu mannigfaltigem
Zauberspuk benutzte man in Griechenland den Hahn. So schreibt
Pausanias: „Wenn bei Mehtana im Gebiet von Trözen der Südwestwind
aus dem Saronischen Meerbusen auf die ausschlagenden Weinstöcke weht,
so vertrocknen diese leicht. Um diesem Übel vorzubeugen, packen zwei
Männer einen Hahn, der ganz weiße Flügel hat, reißen ihn entzwei
und jeder läuft mit seiner Hälfte um den Weinberg herum. Da, wo sie
dann zusammentreffen, vergraben sie die Stücke.“ Hier ist also schon
von partiellem Leucismus beim Hahne als einem Zeichen weitgehender
Beeinflussung durch Domestikation die Rede.

Viel länger bewahrte das Huhn seinen sakralen Charakter bei den Römern,
die es durch Vermittlung der süditalischen Griechen kennen gelernt
hatten. Diese betrachteten es als einen Vogel, der von einem göttlichen
Geiste beseelt war, mit der Fähigkeit, die Zukunft vorauszuschauen. So
wandte man denn überall da, wo ein einzelner die Verantwortung nicht
zu tragen wünschte und ein „Augurium“, eine Weissagung aus dem Fluge
gewisser wilder Vögel nicht gerade zu haben war, die Sache aber doch
zur Entscheidung drängte, ein künstliches „Auspicium“ an, das man
_auspicium ex tripudiis_ nannte. So stellte denn, so oft man dessen
bedurfte, der _pullarius_ oder Hühnerwärter die Vögel durch Vorstreuen
von Futter auf die Probe. Fraßen sie gierig, so war das ein günstiges
Zeichen für die geplante Unternehmung. Unlust dagegen würde, so
müssen wir ergänzen, auf eine Beängstigung des weiter in die Zukunft
schauenden Geistes in den Fetischtieren schließen lassen.

Zahllos sind die Beispiele, in welchen die Annahme oder Ablehnung
einer Schlacht von seiten der Römer auf das Verhalten der mitgeführten
heiligen Hühner abgestellt wurde. Dabei ist der Standpunkt, den die
verschiedenen römischen Schriftsteller dieser Tatsache gegenüber
einnehmen, ein sehr verschiedener. Die jüngeren, freier denkenden
sind erstaunt darüber, daß die wichtigsten Staatsgeschäfte, die
entscheidendsten Schlachten von Hühnern geleitet und entschieden,
die Weltbeherrscher von Hühnern beherrscht würden. Die älteren,
konservativer denkenden Naturen aber stoßen sich durchaus nicht
daran, sondern meinen, wie Cicero in seinem Werke _de divinatione_
schreibt: „Bei der Beobachtung der von den heiligen Hühnern ausgehenden
Prophezeiungen (_auspicium_) verfuhren unsere Vorfahren gewissenhafter
als wir. Der Hühnerprophet (_auspex_) wählte zum Gehilfen einen Mann,
der selbst ein vollkommener Vogelprophet (_augur_) war und demnach
genau wußte, was ‚heilige Stille‘ bedeutet. In unserer Zeit kann jeder
ohne weiteres bei der heiligen Handlung als Gehilfe dienen.“ Dann
berichtet er ausführlich in Rede und Gegenrede, wie bei der Handlung
verfahren wird. Er meint, daß dabei nicht mehr mit der Aufmerksamkeit
wie früher vorgegangen werde und das Fressen oder Nichtfressen der
Hühner in die Hand des Hühnerwärters (_pullarius_) gegeben sei. Er
sagt nämlich: „Übrigens ist es nicht zu leugnen, daß bei einer solchen
Art zu prophezeien die Vögel doch nicht so ohne weiteres als Diener
und Propheten Jupiters betrachtet werden sollten, da sie ja beim
Fressen nicht nach dem Willen Jupiters, sondern nach dem Willen des
Hühnerwärters handeln, der sie vorher nach Belieben in ihrem Käfige
längere oder kürzere Zeit fasten läßt.“

Wenn die heiligen Hühner (_pulli_) so gierig fraßen, daß das schon im
Schnabel befindliche Futter auf die Erde zurückfiel, so wurde das als
eine besonders gute Vorbedeutung aufgefaßt. Es hieß dies bei den Römern
_tripudium_ und sollte nach Cicero von _terripudium_ = _terripavium,
quia terram pavit_ abzuleiten sein. Dann schreibt dieser Autor: „Im
zweiten punischen Kriege (218-201 v. Chr.) hat der römische Staat
dadurch entsetzlichen Schaden gelitten, daß Gajus Flaminius nicht auf
Warnungszeichen achten wollte. Einstmals fütterte der Priester, der die
der Armee beigegebenen heiligen Hühner besorgte, diese Tiere, um durch
die Art und Weise, wie sie fräßen, die Zukunft zu erforschen, und tat
dann den Ausspruch, die Schlacht müsse verschoben werden. Darauf fragte
Flaminius (der Oberfeldherr), was dann geschehen sollte, wenn die Tiere
wieder nicht fressen wollten? Der Priester antwortete: Dann müsse man
eben wieder zuwarten. Hierauf antwortete Flaminius: Das wäre doch eine
schöne Geschichte, wenn ich nur dann auf den Feind losgehen dürfte,
wenn meine Hühner hungrig sind, aber mich ruhig verhalten müßte, wenn
meine Hühner satt sind.“

Allerdings waren nicht alle Feldherren so nachgiebig, daß sie eine
ihnen günstig scheinende Schlacht vom Fressen oder Nichtfressen der
im Heere mitgeführten heiligen Hühner abhängig machen wollten. So
ging einer einmal radikal vor, hatte es aber schwer zu büßen, als die
gegen den Willen der heiligen Hühner unternommene Schlacht ungünstig
verlief. Es war dies Publius Claudius. Über jenen Fall schreibt
Valerius Maximus: „Als Publius Claudius im ersten punischen Kriege
eine Seeschlacht liefern wollte, verkündete ihm der Hühnerwärter, die
heiligen Hühner wollten nicht aus dem Käfig heraus und nicht fressen.
Da gab Claudius den Befehl, sie ins Meer zu werfen und sagte: Wollen
sie nicht fressen, so sollen sie saufen! Er verlor aber die Schlacht
und ward vom Volke verurteilt.“ Derselbe Autor berichtet in einem
anderen Falle: „Als der Konsul Gajus Hostilius Mancinus im Begriffe
war, nach Spanien abzugehen und in Lavinium opfern wollte, huschten die
heiligen Hühner aus ihrem Käfig in den Wald und verschwanden daselbst
spurlos. Infolgedessen verlor er dann eine Schlacht.“

Der römische Geschichtschreiber Livius weiß allerlei solche
Hühnergeschichten vom Diktator Lucius Papirius Cursor zu erzählen.
Als er gegen die Samniten zog, machte ihn der Hühnerwärter darauf
aufmerksam, daß die Hühner kein Glück prophezeit hätten. Da eilte
er nach Rom, um die Hühner abermals zu befragen, befahl aber seinem
Reiteroberst (_magister equitum_) Quintus Fabius Maximus Rullianus,
während seiner Abwesenheit keine Schlacht zu liefern. Dieser benutzte
aber doch eine Gelegenheit, erfocht einen glänzenden Sieg, geriet aber
darüber mit dem Diktator in einen Streit, der fast zu offenem Aufruhr
Veranlassung gab. „Diese letztere dem römischen Staate drohende Gefahr
war also eigentlich von den Hühnern gemeint und prophezeit worden,“
meint dazu Livius. Also sollten die Hühner in jedem Falle recht
behalten.

An einer anderen Stelle schreibt dieser Autor: „Als später Papirius
den Samniten bei Luceria gegenüberstand, kamen Gesandte von Tarent,
wollten beiden Parteien befehlen, die Waffen niederzulegen, und drohten
auch noch gar, sie wollten derjenigen Partei, die ihrem Willen nicht
gehorche, entgegentreten. Wie nun die Gesandten den Papirius verlassen
hatten, rüstete sich dieser sogleich zur Schlacht, versäumte aber
auch nicht, seine Hühner zu befragen. Gerade wie er damit beschäftigt
war, kamen die Tarentiner zu ihm und Papirius verkündigte ihnen: Ihr
Tarentiner, die Hühner meines Hühnerwärters verkünden mir den Sieg, und
so werde ich mit Hilfe der Götter sofort den Feind angreifen! Er tat
das wirklich, siegte mit Leichtigkeit und machte große Beute.“

„Ein anderes Mal stand Papirius den Samniten bei Aquilonia gegenüber.
Sie hatten ein gewaltiges Heer; aber Papirius begeisterte seine
Soldaten durch eine Rede so sehr, daß sie laut eine Schlacht forderten.
Papirius befahl nun in aller Stille seinem Hühnerwärter, die heiligen
Hühner zu befragen. Dieser tat es; doch die Hühner wollten nicht
fressen. Aber der Hühnerwärter war so begeistert für die zu schlagende
Schlacht, daß es ihm auf eine Lüge nicht ankam und er dem Konsul
meldete, die Hühner hätten Heil und Segen prophezeit. Voller Freude gab
nun Papirius das Zeichen zum Aufbruch. Aber unterwegs begann unter
den Hühnerwärtern ein Zank über die Hühnerprophezeiung. Die Reiter
hörten den Disput mit an und meldeten die bedenkliche Sache dem Konsul.
Dieser tat den Ausspruch: Wenn ein Vogelprophet lügt, so trifft ihn
allein alles aus der Lüge entstehende Unglück. Mir und dem römischen
Volke ist nur Glück prophezeit worden, also munter vorwärts! Er befahl
nun, die Hühnerwärter in die erste Schlachtlinie zu stellen. Der erste
feindliche Speer streckte den lügnerischen Hühnerwärter nieder und
der Konsul rief mit lauter Stimme: Die Götter stehen uns bei, das
schuldige Haupt ist bestraft! Wie er dies sagte, krächzte ihm ein
Rabe laut entgegen. Er begrüßte dieses günstige Zeichen mit Freuden,
befahl den Trompetern, das Zeichen zum allgemeinen Angriff zu geben und
erfocht einen ruhmvollen Sieg. Er verdankte diesen teils der Klugheit,
mit der er das prophezeite Unglück auf das Haupt des Hühnerwärters
abwälzte, teils auch dem Umstande, daß er im entscheidenden Augenblick
dem Jupiter einen Becher Wein versprach, wenn die Feinde durch seine
Hilfe geschlagen würden.“ Diese Erklärung des Plinius kennzeichnet ihn
vollkommen in seinen Anschauungen. Er war ebensogut wie Livius ein Kind
seiner Zeit. Damals dachten eben alle Römer so wie er.

Eine begeisterte Beschreibung des Hahnes liefert der ältere Plinius
in seiner Naturgeschichte in folgenden Worten: „Ruhmbegierig ist der
Vogel, der in der Nacht für uns wacht, der vor Anbruch des Morgens
den Menschen weckt und zur Arbeit ruft. Er kennt die Sterne und kräht
(_canet_ = singt) am Tage jedesmal, wenn drei Stunden verflossen sind.
Mit der Sonne geht er schlafen und ruft gegen Morgen den Menschen
zu neuen Sorgen und Arbeiten wach. Ehe er kräht, schlägt er mit den
Flügeln. Er ist herrschsüchtig und ein jeder führt auf seinem Hofe
das Regiment. Sie kämpfen untereinander um die Herrschaft, als ob
sie wüßten, daß sie zu diesem Zwecke die Waffen an den Füßen trügen,
und hören nicht eher auf, als bis einer tot auf dem Platze liegt.
Der Sieger kräht gleich auf dem Schlachtfelde und verkündet dadurch
seine Heldentat. Der Besiegte verkriecht sich stillschweigend und
grämt sich über die verlorene Herrschaft. Der gemeinste Hahn schreitet
übermütig einher, trägt sein gekröntes Haupt hoch und stolz, schaut
oft gen Himmel, was kein anderer Vogel tut, und hebt auch seinen
sichelförmigen Schwanz empor. Er flößt daher dem mutigsten Tiere, dem
Löwen, Schrecken ein. Manche Hähne werden zu Krieg und Schlacht geboren
und bringen selbst ihrem Vaterlande Ruhm und Ehre, so die Hähne von
Rhodus und Tanagra. Nach diesen sind die berühmtesten die von Melos
und Chalcis. Der Hahn ist der Ehre wert, die ihm selbst die römischen
Konsuln erweisen. Sein mehr oder weniger begieriges Fressen gibt die
wichtigsten Aufschlüsse über dem römischen Staate bevorstehendes Glück
oder Unglück. Täglich regiert er unsere Obrigkeiten oder verschließt
und öffnet ihnen ihr eigenes Haus. Er befiehlt den römischen Konsuln
vorzurücken oder stehen zu bleiben, befiehlt oder verbietet Schlachten;
er hat alle auf Erden erfochtenen Siege im voraus verkündet, beherrscht
die Beherrscher der Welt und ist, als Opfer dargebracht, ein herrliches
Mittel, die Gunst der Götter zu erhalten. Kräht er zu ungewohnter
Zeit oder des Abends, so deutet er auf wichtige Begebenheiten hin.
Als die Böotier jenen berühmten Sieg über die Lakedämonier erfochten,
hatten es die Hähne dadurch vorausverkündet, daß sie die ganze Nacht
krähten. Da der Hahn nicht kräht, wenn er besiegt ist, so war die
Deutung zweifelhaft.“ Plinius geht so weit, daß er dem Hühnervolke
sogar sonst rein menschliche Eigenschaften, wie den Besitz von Religion
und Sprache, beilegt. So sagt er: „Auch die Haushühner (_villares
gallinae_) haben ihre Religion: Sobald sie nämlich ein Ei gelegt haben,
schütteln sie sich und nehmen eine Zeremonie vor, indem sie um das Ei
ein Grashälmchen herumtragen.“ Es kommt nämlich öfter vor, daß sich
die Hühner nach dem Eierlegen schütteln, daß sie dann Hälmchen mit dem
Schnabel fassen und sie neben und hinter sich legen, ohne Zweifel,
weil sich dann die angeborene Neigung zum Nestbau regt. Plinius
betrachtet diese Eigenschaft poetisch als Zeremonie, wie sie damals
bei den Menschen gebräuchlich war und _purificare_ und _lustrare_
genannt wurde. Was das Vermögen der Sprache anbetrifft, sagt er: „In
den Jahrbüchern ist aufgezeichnet, daß unter dem Konsulat des Marcus
Lepidus und Quintus Catulus ein Haushahn auf dem Landsitze des Galerius
gesprochen hat; dies ist aber auch, so viel mir bekannt, das einzige
Beispiel der Art.“

Weiterhin sagt Plinius: „Zu religiösen Zwecken hält man Hähne und
Hühner mit gelben Füßen und gelbem Schnabel nicht für rein, zu geheimen
Opfern die schwarzen. Es gibt auch Zwerge unter den Hühnern, und zwar
fruchtbare, was bei andern Vögeln nicht der Fall ist.“ Natürlich war
man in der Kaiserzeit, zu der ja Plinius lebte, nicht mehr so von
der Heiligkeit dieses Vogels eingenommen, daß man sich, wie noch zur
älteren Zeit der Republik, scheute, sein Fleisch zu profanen Zwecken
zu essen; als Opferfleisch war es ja schon früher gegessen worden.
Damals kamen gemästete Hühner -- richtige Poularden, nur daß zu jener
Zeit die Kastration derselben noch nicht geübt wurde -- sehr häufig
auf den Tisch der reichen Römer. Aber sehr alt kann diese Sitte zu
jener Zeit noch nicht gewesen sein. Plinius schreibt nämlich in seiner
Naturgeschichte folgendes darüber: „Die Bewohner der Insel Delos haben
sich zuerst mit Mästung der Hühner beschäftigt und seitdem sind die
Menschen so albern, daß sie Vögel schnabulieren wollen, die in ihrem
eigenen Fett gebraten wurden. In den alten Gesetzen über Schmausereien
finde ich ein elf Jahre vor dem Beginn des dritten punischen Krieges
(also im Jahre 160 v. Chr.) vom Konsul Gajus Fannius gegebenes, daß bei
einem Gastmahl kein Vogel außer einer einzigen Henne aufgetragen und
diese nicht gemästet sein dürfe. Diese Bestimmung ist später in allen
Gesetzen wiederholt worden, aber man hat sie recht listig zu umgehen
gewußt, indem man statt der Hühner Hähne mit Speisen mästete, die mit
Milch getränkt waren, worauf sie weit besser schmecken. Man darf zur
Mast nicht alle Hühner nehmen, sondern nur die, deren Halshaut fett
ist.“

Mancherlei weiß Plinius von den Hühnereiern zu berichten. Er sagt,
daß, wenn Hühner keinen Hahn haben, die Eier unfruchtbar, kleiner,
von schlechterem Geschmack und flüssiger als die guten (befruchteten)
seien. Man nenne sie Windeier, weil manche Leute glauben, sie seien
vom Winde (Zephyr) erzeugt. Manche Hühner legen lauter Eier mit
doppeltem Dotter „und brüten aus solchen auch manchmal Zwillinge aus,
wie Cornelius Celsus schreibt. Andere aber behaupten, es kröchen nie
Zwillinge aus. Es ist am besten, die zum Brüten bestimmten Eier nicht
über 10 Tage alt werden zu lassen, alte oder gar zu frische sind
unfruchtbar. Man muß eine ungleiche Zahl unterlegen. Wenn man sie am
vierten Tage nach Beginn des Brütens mit den Fingern (an einem dunklen
Orte) gegen das Licht hält und sie rein und durchsichtig sind, so sind
sie unfruchtbar und müssen durch andere ersetzt werden. Man kann sie
auch im Wasser probieren, denn die leeren schwimmen dann, und man muß
die vollen, welche sinken, zum Brüten unterlegen. Schütteln darf man
die Eier nicht, denn es kann sich darin kein Junges mehr erzeugen,
wenn die Lebensgefäße untereinander geworfen sind. Wenn es während
des Brütens donnert, so gehen die Eier zugrunde; dasselbe geschieht
auch, wenn ein Falke in der Nähe schreit. -- Selbst Menschen können
Eier ausbrüten. Als Julia Augusta (die Tochter des Kaisers Augustus)
mit Kaiser Tiberius Nero vermählt worden war und wünschte, ihr erstes
Kind möchte ein Sohn sein, so brütete sie an ihrem Busen ein Ei aus.
Mußte sie es einmal weglegen, so gab sie es ihrer Amme, damit es
nicht erkalten könne. Sie glaubte von dem auskriechenden Küchlein
eine Vorbedeutung entnehmen zu können, ob ihr Kind ein Sohn oder
eine Tochter sein werde. Es soll auch richtig eingetroffen sein. Von
daher kommt vielleicht die neulich gemachte Erfindung, daß man Eier
an einem warmen Orte auf Spreu legt, durch Feuer mäßig erwärmt und
zuweilen wendet, wobei die Küchlein am bestimmten Tage auskriechen.
(Also kannten die Römer der Kaiserzeit bereits einen Brutapparat für
Hausgeflügel.) -- Ein sonderbares Schauspiel hat man, wenn eine Henne
Enteneier ausgebrütet hat. Erst bewundert sie die Kleinen und will sie
nicht recht anerkennen, bald aber ruft sie dieselben sorgsam zusammen
und, wenn sie sich nun, von einem innern Triebe geleitet, ins Wasser
stürzen, so läuft sie jammernd am Ufer herum.“

Bei der kampfesfrohen, streitsüchtigen Natur der Hähne ist es kein
Wunder, daß schon sehr frühe auch bei den Griechen ~Hahnenkämpfe~ als
öffentliche Volksbelustigungen aufkamen. So schreibt Plinius: „Zu
Pergamum (in Kleinasien) werden jährlich öffentliche Hahnenkämpfe
abgehalten.“ Daß er solches in seiner Naturgeschichte erwähnt, beweist,
daß diese Sitte um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. bei den
Römern noch nicht üblich war. Was für Gründe etwa zur Einrichtung von
Hahnenkämpfen bei den Griechen maßgebend waren, darüber schreibt der
griechische Geschichtschreiber Älian: „Als die Athener die Perser
besiegt hatten, bestimmten sie einen Tag, an welchem im Schauspielhause
öffentliche Hahnenkämpfe abgehalten werden sollten. Die Veranlassung
dazu war folgende: Als Themistokles mit dem Heere auszog, sah er in der
Nähe des Zuges zwei Hähne, die miteinander kämpften. Er ließ sogleich
das Heer Halt machen und redete es so an: „Diese Hähne kämpfen nicht
für ihr Vaterland, nicht für ihre Götter, für die Gräber ihrer Väter,
nicht für Ruhm, für Freiheit, für ihre Kinder, sondern jeder von ihnen
kämpft nur, um zu siegen.“ Diese Rede begeisterte die Soldaten, sie
fochten mit kühnem Mute und der Feldherr wünschte, durch die Abhaltung
jährlicher Hahnenkämpfe das Andenken an den Sieg zu erhalten und den
Keim für neue Siege zu legen.“

Nach Varro waren die Hähne von Tanagra, Medien und Chalcis zum Kampfe
besonders brauchbar. Er nennt sie sehr schön, aber die betreffenden
Hühner weniger fruchtbar als die italienischen. Letztere hatte man gern
so gefärbt, daß Schwanz und Flügel schwarz, das übrige Gefieder aber
bräunlich war. „Will man auf einem Landhause 200 Stück Haushühner
halten, so gibt man ihnen einen besonderen Stall, zäunt den Platz
davor, auf dem auch Sand zum Bade liegen muß, ein und hält ihnen einen
eigenen Wärter. Will man die Eier für die Küche aufbewahren, so reibt
man sie mit gepulvertem Salz oder legt sie drei Stunden in Salzwasser,
trocknet sie und bedeckt sie mit Kleie oder Spreu. Sollen Haushühner
gemästet werden, so sperrt man sie an einem lauen, dunkeln Orte ein
und nudelt sie mit Gerstenabkochung. So oft sie genudelt werden, wird
ihnen auch der Kopf, wenn es nötig ist, von Läusen gereinigt. In 25
Tagen müssen sie fett sein. Manche machen sie auch in 20 Tagen fett und
erzeugen ein zartes Fleisch, indem sie sie mit Weizenbrot füttern, das
in einer Mischung von Wasser und Wein aufgeweicht wurde.“

In seinem Buche über den Landbau gibt Columella ausführliche Anleitung
über die Anlage des Hühnerhofes, die Pflege der Hühner, das Brüten
und die Aufzucht der Küchlein. Diese entspricht in ihren Grundzügen
vollständig den heutigen; nur daß dabei noch allerlei heute aufgegebene
sympathische Mittel angewandt wurden, um sie vor Erkrankung und aller
sonstiger Gefährdung zu beschützen. Er rät, den Hühnerstall neben der
Küche oder neben dem Backofen anzubringen, so daß der Rauch in ihn
hineindringen könne; denn dieser sei den Hühnern sehr gedeihlich. Er
hält die dunkeln Hühner für empfehlenswerter als die hellen. „Die
weißen Haushühner sind meist weichlich, weniger lebhaft, auch meist
nicht sonderlich fruchtbar im Legen. Sie werden auch, weil sie aus
großer Ferne in die Augen fallen, leicht von Raubvögeln erbeutet.
Die Zwerghühner sind nur für den Liebhaber, der sie wegen ihrer
geringen Größe schätzt. Übrigens bringen sie nicht den Gewinn, wie
die gemeinen großen Haushühner; auch sind die Zwerghähne entsetzlich
zänkisch gegen die großen Hähne, so daß man sich oft genötigt sieht,
ihnen einen ledernen Gurt um den Leib zu legen, durch den die Füße
gesteckt und die Kampfgelüste gemindert werden.“ Nach den um 200 n.
Chr. lebenden Athenäus waren Zwerghühner besonders in Athen beliebt.
Pausanias sagt, daß in Tanagra zwei Arten von Hühnern gehalten werden:
1. kampfesstarke, 2. die Amselhühner, so genannt, weil sie (wie die
Amseln) rabenschwarz sind und auf der Schnabelspitze kleine, weiße
Flecken haben. Kamm und Kammlappen seien bei ihnen rot wie Anemonen.
Er meint damit die in Griechenland heimische _Anemone pavonina_ mit
scharlachroten Blüten.

Die schönen Rassen des asiatischen Haushuhns bezogen die Römer von
den Griechen; so waren besonders die Hühner von Delos, Rhodos und
Melos durch ihre Größe und fleißiges Eierlegen berühmt und gesucht.
Mit den römischen Kolonisten kamen diese auch in die Gebiete nördlich
der Alpen. So fanden sich Reste von Haushühnern mehrfach im Wegwurf
der helvetisch-römischen Kolonie Vindonissa und anderwärts. Aus dem
römischen _pullus_ Huhn wurde das französische _poule_. Doch hatten
die Kelten und Germanen schon vor der römischen Invasion das Haushuhn
besessen und eine besondere Bezeichnung dafür, ganz unabhängig von
der römischen. Der Hahn hieß gotisch _hana_, althochdeutsch _hano_,
angelsächsisch _hona_, das Huhn gotisch _hôn_. Das deutsche _hana_
ging dann bei den benachbarten Finnen in _kana_ über. Alles deutet
darauf hin, daß das Huhn als Haustier selbständig von Südosten nach
Mittel- und Nordeuropa gelangte, soweit es ihm nicht zu kalt war. Und
auch hier drang es überall als etwas Fetischhaftes, Heiliges, das zwar
nicht selbst, höchstens dessen Eier gegessen werden durften, ein.
So sagt Julius Cäsar, der um die Mitte des letzten vorchristlichen
Jahrhunderts an der Südküste Englands landete, von den dortigen
keltischen Einwohnern, sie hätten zwar das Haushuhn, aber sie fänden es
eine Sünde (_nefas_), das Tier zu essen, ebenso die Gans und den Hasen.
Noch im Mittelalter, als das Huhn längst zum Speise- und Provianttier
degradiert war, wohnte dem Hahn im Glauben der Leute noch eine große
Zauberkraft inne. So sagt der mittelalterliche Bischof Burchard von
Worms, man solle nachts nicht vor dem Hahnenrufe das Haus verlassen,
weil die unreinen Geister vor diesem Rufe mehr Macht zu schaden
hätten als nachher und weil der Hahn mit seinem Schrei jene besser
zu vertreiben und zu bändigen vermöge als selbst das Kreuzeszeichen.
Es ist dies die Weiterleitung desselben Fetischgedankens, den wir
schon bei den alten Persern antrafen und der uns in der griechischen
Benennung des _aléktõr_, d. h. Abwehrer, Kämpfer, entgegentrat. Noch
in Shakespeares Hamlet sagt Horatio: „Ich habe gehört, daß der Hahn,
der die Trompete des Morgens ist, mit heller Stimme den Gott des Tages
weckt und daß bei seinem warnenden Ruf alle die Geister, die in Wasser
und Feuer, in Luft oder Erde schweifen und irren, jeder an seinen Ort
zurückschlüpfen.“

Auch die slavischen Pommern verehrten den Hahn und fielen anbetend
vor ihm nieder; bei den Litauern wurde bei der Beziehung eines neuen
Hauses Hahn und Henne zuerst ins Haus gelassen. Diese Exemplare
galten dann als unantastbar, wurden gehegt und niemals geschlachtet
und gegessen. In diesem Falle sehen wir, wie sich mit der Zeit das
praktische Moment mit dem religiösen abfand. Als man sich erlaubte,
das Huhn zu essen, haftete die Beschränkung des Nichtessendürfens nur
noch an einzelnen auserlesenen Individuen. Bei den verschiedensten
Völkern begegnet uns noch später in gewissen, am Althergebrachten
hängenden Kreisen solche Enthaltung vom Genusse von Hühnerfleisch. Wie
im altindischen Gesetzbuch war auch den Teilnehmern an den Mysterien
in Eleusis das Essen von Hühnerfleisch verboten, weil diese Tiere den
Erdgottheiten, der Persephone und Demeter, geweiht waren. Bei den
Römern wurde der Vogel der Lichtgottheit, der dessen Kommen verkündet,
bei Nacht der Nachtgöttin geopfert. Im Mittelalter begegnen uns bei
den verschiedensten Völkern Hahnenopfer. Bei den Wenden in der Altmark
war es noch in christlicher Zeit Sitte, einen Hahn auf ihr Malzeichen
zu setzen, wie A. Kuhn uns in den märkischen Sagen berichtet.
Gleicherweise haben es die Deutschen aus der Heidenzeit übernommen,
das Bild des Hahnes über dem Kreuze auf Dächern und Kirchtürmen
anzubringen. Jenes ist älter als dieses; beider Zweck aber ist, die
bösen Geister, die ja auch das Christentum nicht leugnet, sondern nur
in ihrem Ursprunge anders erklärt, aus dem Kreise der menschlichen
Ansiedelungen fernzuhalten.

Im Mittelalter, als die Scheu vor dem Essen dieses altheiligen Tieres
gewichen war, war die Hühnerzucht durch ganz Mitteleuropa ein sehr
wichtiger Kulturfaktor, dem besonders die Klöster Vorschub leisteten.
So war es vornehmlich ein fürsorglicher Bischof namens Martinus,
der im Eierlegen leistungsfähige Hühnerrassen aus Italien nach
Deutschland und Frankreich sandte, wo sie in den Klöstern Verbreitung
fanden und von da an deren Hörige und Zinsbauern abgegeben wurden.
Wie wir aus den mittelalterlichen Zinsregistern der Gutsherrschaften
entnehmen können, bildeten Hühner und Eier für die Herrschaften das
Haupterträgnis ganzer Güter und oft den einzigen Wirtschaftsbestand der
ärmeren Klasse, lebende Hühner in großen Käfigen aus Holz zugleich den
beliebtesten Proviant für Heereszüge und größere Menschenansammlungen.
Schon der vorsorgliche Kaiser Karl der Große hatte befohlen, daß auf
seinen größeren Gütern 100 Hühner und 30 Gänse, auf seinen kleineren
wenigstens 50 Hühner und 12 Gänse gehalten und im Herbst, soweit sie
geschlachtet wurden, gemästet werden sollten. Auch späterhin traf man
sie überall auf den Bauernhöfen, wo sie frei herumliefen und sie sich
vom Abfall der Körner, Samen aller Art und kleinem Gewürm und Insekten
ernährten. Als einst Bischof Meinward von Hildesheim auf einen solchen
Hof kam, wo er keine Hühner bemerkte, tadelte er die Wirtin darob. Als
sie sich mit Futtermangel entschuldigte, gab er ihr den Rat, sie solle
sie ihr Futter selbst suchen lassen. Das befolgte sie nun und hatte
beim nächsten Besuche des Bischofs eine ordentliche Hühnerschar, so daß
er sie belobte und beschenkte.

Bis auf den heutigen Tag spielt das Huhn überall in der Kleinwirtschaft
eine wichtige Rolle, besonders in den Ländern, in denen sich die
Bodenwirtschaft dem Gartenbau nähert, während es dort, wo die
Landwirtschaft überwiegend Großbetrieb ist, weniger geschätzt wird.
Letzteres ist beispielsweise in England der Fall, das seinen hohen
Eierbedarf vom Kontinente her deckt. Auch Deutschland kann seinen
eigenen Bedarf nicht selbst decken. Von der Hühnerzucht in Deutschland
meint Eduard Hahn: „Schlimm steht es mit der deutschen Zucht; trotzdem
in letzter Zeit viel geredet und geschrieben worden ist, will das
echte deutsche Huhn, das allen Anforderungen entsprechen soll, immer
noch nicht erscheinen. Unsere Hühnerologen, wie sie sich ernstlich
nach einem Schwankwort nennen, sind Liebhaber und züchten Spanier,
Franzosen, Italiener, Chinesen und andere, die für unser Klima nicht
passen, und die Hühner auf unsern Bauernhöfen sind ein kümmerliches
Gemengsel aus allen möglichen Rassen, die weder in Eiern noch Fleisch
leisten, was man von ihnen verlangen kann, freilich auch nur geringe
Pflege verlangen und erhalten. Ausnahmen sind bei uns selten; so will
ich die Hamburger Hühner nennen, die in den Gartendistrikten des „alten
Landes“ gezogen werden, sonst aber muß Frankreich und in neuerer Zeit
vielfach Italien unsern Bedarf an feinerem Geflügel decken helfen. Die
Eier aber, die unsere Großstädte bei der gesteigerten Lebenshaltung
immer mehr brauchen, kommen aus Galizien und Russisch-Polen zu uns.
Auch hier ist das Huhn kein Beweis eines extensiven Betriebes, sondern
das Produkt einer nachlässigen extensiven Wirtschaft, die zu Gelde
machen muß, was sich zu Gelde machen läßt. Daß auch diese Zucht im
Rückgang ist, beweisen die Eier, die rapide kleiner werden.“

Welch große volkswirtschaftliche Bedeutung die Hühnereier als
Nahrungsmittel erlangt haben, ergibt eine von Professor Sonndorfer
von der Wiener Handelsakademie aufgestellte Statistik, wonach England
im letzten Jahre 2265 Millionen Stück im Werte von 180 Millionen
Franken einführte. In demselben Zeitraum importierten: Deutschland
2454 Millionen Stück im Werte von 185 Millionen Franken, Frankreich
205 Millionen Stück im Werte von 15 Millionen Franken und die Schweiz
188 Millionen Stück im Werte von 14½ Millionen Franken. Frankreich
produziert seinen Bedarf größtenteils selbst, während Deutschland,
England und die Schweiz hauptsächlich auf den Import angewiesen sind.
Die Hauptmenge Eier erzeugen die Agrarstaaten. So exportierte im
Jahre 1907 Rußland 2833 Millionen Stück im Werte von 148 Millionen
Franken, Österreich-Ungarn 966 Millionen, Dänemark 294 Millionen, die
Balkanstaaten 580 Millionen und Italien 511 Millionen Stück.

Nach Südamerika kam das Huhn schon 1493 bei der zweiten Reise des
Kolumbus. Die Indianer müssen dies leicht zu haltende Haustier
gern aufgenommen und rasch verbreitet haben; denn schon 1530 fand
es Federmann am Oberlauf des Amazonenstroms. Auch nach Mittel- und
Nordamerika kam das Huhn mit den verschiedenen europäischen Kolonisten.
Nach Garcilasso wollte es sich nur in dem hochgelegenen Cuzko nicht
fortpflanzen. Vom Niltal aus verbreitete sich das Huhn über ganz
Afrika, wo es überall von den Negern gern aufgenommen wurde. Teilweise
kam es als Proviant der indischen Segelschiffe direkt aus Indien nach
Ostafrika und verbreitete sich von der Küste nach dem Innern. In Indien
und Hinterindien bis nach China und den Philippinen ist das Tier als
Sportobjekt sehr geschätzt. Hier stehen überall die Kampfhähne hoch
im Preise und dienen, wie im Mittelalter in Europa, zu den beliebten
Volksbelustigungen, deren Reiz noch durch Wetten erhöht zu werden
pflegt. Weitaus am grausamsten sind diese Hahnenkämpfe bei den Malaien
Indonesiens, besonders der Philippinen, indem den kämpfenden Hähnen
scharf geschliffene Stahlklingen an den Sporn gebunden werden, mit
denen der Gegner erstochen wird. Oft erliegen beide Gegner dieser
fürchterlichen Waffe.

Eduard Hahn nimmt an, daß der Hahn zunächst nicht aus Nutzungs-,
sondern aus Sportgründen, dann auch als eine Art Weckeruhr vom Menschen
gezähmt wurde. „In die Gefangenschaft übergeführte Hühner pflanzten
sich nicht fort, legten keine Eier und waren also völlig nutzlos. Aus
diesem Grunde sind sie also nicht gehalten worden und ihre anfängliche
Gefangenschaft und spätere Zucht ist sicher nicht deshalb erfolgt.
Die Eier, das wesentliche Produkt unseres heutigen Huhnes, erreichten
erst im weiteren Verlauf der Zucht eine so große Zahl, daß sie dem
Menschen zugute kamen; für den Beginn der Zucht müssen wir nach einem
andern Grunde suchen. Da ist es nun natürlich schlimm, wenn nicht ~ein~
Grund, sondern gleich zwei, und zwar sehr abweichende Gründe, zu Gebote
stehen, wie das beim Huhn der Fall ist. Beide schließen sich nicht
aus, immerhin decken sie sich keineswegs, und, was besonders schlimm
ist, das Ursprungsgebiet beider Hypothesen deckt sich mit dem Urgebiet
des wilden Huhnes und beide sondern sich doch geographisch. Wie sollen
wir uns entscheiden? Wurde unser Huhn auf indobaktrischem Boden als
Uhr ein Haustier (nach F. Spiegel, Eranische Altertumskunde wurde der
Hahn von Tahmuhrath dazu eingeführt) oder auf malaiischem Boden zum
Kampfhuhn erzogen? Eine dieser beiden seltsamen Verwendungsweisen ist
für mich der Ursprung der Zucht des Huhnes, vielleicht ist aber das
Kampfhuhn bei den Malaien das ältere und ursprünglichere gewesen, weil
die Verbindungen zwischen den einzelnen polynesischen Inseln doch nach
allem, was wir wissen, keine sehr häufigen waren.“ Uns will letzteres
auch bedünken. So möchten wir unbedingt annehmen, daß der Kampfhahn die
ältere Zucht ist, und daß der Hahn als Wecker erst später, und zwar
besonders bei den Iraniern Bedeutung gewann. Über letztere Tatsache
sagt Hahn: „Ebenso fremdartig (wie der Kampfhahn) berührt uns moderne
Menschen der Hahn als Uhr; wir können uns eigentlich kaum vorstellen,
wie es Menschen geben kann, die nie wissen, was die Glocke geschlagen
hat; freilich müssen wir neidisch bekennen, daß dem Glücklichen
keine Stunde schlägt. Trotzdem gab es natürlich auch auf niedrigen
Kulturstufen bereits Lebenslagen, in denen Zeitbestimmungen nötig
waren. Am Tage reicht die Sonne aus, aber wie soll z. B. eine Karawane,
die möglichst die kühlen Stunden des jungen Tages genießen will,
erfahren, wann man mit dem langwierigen Packen der Kamele beginnen muß?
Da trat nun aufs glücklichste eine Eigenschaft des Hahnes ein. Es ist
seltsam genug, daß der Hahn um Mitternacht kräht; die Dämmerung morgens
und abends begrüßen ja eine ganze Reihe Tiere mit ihren Tönen, aber
gerade die Mitternacht wohl nur der Hahn. Es ist selbstverständlich,
daß eine so auffallende und nützliche Eigenschaft dem Hahn eine feste
mythologische Stellung von hohem Rang verschaffte; sein Abbild steht
bekanntlich noch heutzutage auf der Spitze unserer Kirchtürme. Wie
es scheint, wurde auf persisch-baktrischem Boden diese Eigenschaft
entdeckt und so der Hahn und späterhin das Huhn gezähmt. Auf die Diener
Ahuramazdas mußte ja das Betragen des Vogels einen tiefen Eindruck
machen. War er doch gewissermaßen der Herold des Lichts. Und wenn nun
gar erst ein weißer Hahn mit dem feuerfarbenen Kamm dieses Amt übte!
So wurde der weiße Hahn der Repräsentant der lichten Tagesgottheiten,
das schwarze Huhn geriet ebenso selbstverständlich in Beziehung zu den
Gottheiten der Nacht. Bei der leichten Zucht und schnellen Vermehrung
wurde dann das Huhn sehr bald das gewöhnliche Opfertier des kleinen
Mannes; wo der Reiche Ochsen, Schafe und Schweine spendete, kam der
Arme, wie Sokrates, mit einem Hahn aus. -- Die Verwendung des Hahns
als Ersatz der Uhr ist ungemein weit verbreitet und vielleicht noch
weiter, wie jetzt bekannt, wenn man darauf achtet. In Abessinien sind
Hähne die Kirchenuhr; als Uhren schätzen sie die Kaffern und ebenso
traf sie Bastian in Birma. Endlich nahmen sie die Spanier hauptsächlich
als Uhren nach Amerika und deshalb fiel es ihnen (wie Oviedo in
seiner _Historia de las Indias_ berichtet) auf, daß sie nicht mehr so
pünktlich krähen wollten. -- Im Altertum war man gewöhnt, sich nach der
Stimme des Hahnes zu richten, zumal die Römer wie die Griechen ihre
bürgerliche Tätigkeit sehr früh begannen, so daß das Haus schon vor
dem Beginne der Dämmerung rege war. Deshalb sagt Plinius vom Hahn, daß
ihn die Natur geschaffen habe, um die Sterblichen zur Arbeit zu rufen
und ihren Schlaf zu brechen. So gewann der Hahn für das bürgerliche
Leben damals eine große Bedeutung. Eine Redensart, die bei vielen
Dichtern und auch sonst wiederkehrt, erklärt uns das; man unterschied
die Tätigkeit des Friedens und des Krieges einfach so: im Frieden
beginnt der Tag mit dem ersten Hahnenschrei, im Kriege mit dem ersten
Trompetenstoß. Da es auch später im kirchlichen Dienst sehr nötig war,
eine gewisse Einteilung der Nacht zu haben, so mußte auch hier unser
Haushahn herhalten; zog eine noch so kleine Mönchskolonne aus, um
eine neue Niederlassung zu gründen, so nahm sie einen Hahn mit, wie
wir einen Regulator zur notwendigen Wohnungseinrichtung rechnen. Im
Orient hat der Hahn diese Stellung wahrscheinlich heute noch. Es wird
wenigstens erwähnt, daß große Karawanen gewöhnlich einen recht schönen
Hahn mit sich führen, dessen Krähen den Aufbruch der Reisenden regelt.
Im Okzident ist der Hahn durch die Schlaguhren verdrängt worden, welche
ja schon verhältnismäßig früh (um 1100) vorkommen.“

In China und Japan spielt die Hühnerzucht eine wichtige Rolle. Dort
sind eine große Anzahl ausgezeichneter Rassen erzogen worden, die dann
nach dem englischen Opiumkrieg in den 1840er Jahren zu uns nach Europa
gebracht wurden, so vor allem die Bramaputras und Cochinchinas. Mit
den Malaien wanderte das Huhn über die mikronesische Inselwelt, doch
gelangte es nicht nach Neuseeland. Dorthin und nach Australien wurde es
erst durch die Europäer gebracht.

Bevor wir nun näher auf die verschiedenen Hühnerrassen eingehen,
wollen wir kurz die Stammform derselben, das ~Bankivahuhn~ (_Gallus
ferrugineus_), in seinen Hauptmerkmalen würdigen. Es ist ein Waldvogel,
der morgens und abends, aber auch tagsüber oft beim Suchen der Nahrung
auf Äckern angetroffen wird. Sein Verbreitungsgebiet ist das größte
von allen Wildhühnern und reicht nach Armand David von Kaschmir und
den Vorbergen des Hindukusch bis nach der Insel Hainan, Cochinchina
und über die Halbinsel von Malakka bis nach Sumatra. Auf Java und
den östlich davon gelegenen Inseln, auch auf den Philippinen, ist es
wahrscheinlich eingeführt worden. Es hat im männlichen Geschlecht einen
gezackten Kamm und am Schnabel jeweilen einen Fleischlappen, trägt
schmale, lange, einen Kragen bildende Halsfedern, ist am Nacken und am
Hals goldgelb schimmernd, am Oberkörper purpurbraun, am Unterkörper
schwarz gefärbt; die Brust schillert grün, die Schwanzfedern sind lang,
schwarz, die mittleren schillernd wie beim Haushahn. Im weiblichen
Geschlecht ist die Farbe am Nacken schwarz mit blaß gelbbraunen
Federsäumen, auf der Oberseite hellbraun mit feinen schwarzen
Wellenlinien, am Oberkopf und auf der Unterseite rotbraun. Der Ruf des
Hahn ist kein Kikeriki wie bei seinem gezähmten Abkömmling, sondern ein
kurzes Kikeri. Die übrigen Laute sind, wie auch beim Weibchen, ganz
ähnlich demjenigen des Haushuhns. Das Huhn brütet im Frühjahr und legt
5-6, zuweilen auch 9-11 blaß lehmgelbe Eier in einer gewöhnlich mit
Gras und abgestorbenen Blättern ausgekleideten Bodenmulde. Die Hähne
sind besonders zur Brutzeit außerordentlich kampfeslustig. Nach Hutton
lassen sich junge Bankivahühner, wenn sie auch im Anfang wild sind,
leicht zähmen. Auf den Philippinen, wo die Hahnenkämpfe sehr beliebt
sind, scheinen wilde Hähne oft in Gefangenschaft gehalten zu werden, um
dann bei den Kampfspielen zu dienen. Dies gibt uns einen Fingerzeig,
daß wohl die Benutzung der Kampfeslust der Hähne zu Hahnenkämpfen
das erste Motiv der Domestikation des Bankivahuhns innerhalb des
malaiischen Verbreitungsgebiets in Südasien war. Überhaupt scheinen
die östlichen Varietäten des Bankivahuhnes viel leichter zähmbar zu
sein als die westlichen in Indien, weshalb Darwin mit gutem Grunde an
die Möglichkeit dachte, daß das Huhn zuerst von Malaien domestiziert
wurde. Die Kreuzung desselben mit unserem Haushuhn gelingt leicht
und die Bastarde sind unter sich unbegrenzt fruchtbar und geben mit
anderen Hühnern, so mit Bantamhühnern, reichliche Nachkommenschaft.
Die Bastarde von andern südasiatischen Wildhühnern dagegen, wie dem
_Gallus sonnerati_, _G. stanleyi_ und _G. varius_ sind, als sicherer
Beweis einer entfernteren Verwandtschaft, stets unfruchtbar. Übrigens
lassen schon Abweichungen im Gefieder und namentlich eine durchaus
verschiedene Stimme alle diese Wildhühner als Stammformen unserer
zahmen Hühner nicht zu. Wenn verschiedene Rassen unserer Haushühner
miteinander gekreuzt werden, so schlagen sie gern in die Färbung der
wilden Stammform, des Bankivahuhns, zurück. So erzog Darwin einen
Hahn, der ein Bastard einer weißen Seidenhenne mit einem dunkelgrünen
spanischen Hahn war und dem wilden Bankivahahn außerordentlich glich.
Endlich kann als weiterer Beweis für die Abstammung des Haushuhns
vom Bankivahuhn angeführt werden, daß W. Elliot in Pegu Haushennen
antraf, die von den wilden Bankivahennen nicht unterschieden zu werden
vermochten. Es ist dies also eine ganz primitive Rasse, die sich hier
noch erhielt, während sie sonst überall auch in der Färbung durch die
Domestikation weitgehend verändert wurden.

Da das Bankivahuhn schon im Wildzustande eine ausgesprochene Neigung
besitzt, Varietäten zu bilden, und dadurch, sich den verschiedensten
Lebensbedingungen anpassend, in den verschiedenen Ländern seines großen
Verbreitungsgebietes sich in zahlreiche Lokalrassen spaltete, darf
es nicht überraschen, daß auch die seit alter Zeit geübte künstliche
Züchtung eine ganze Reihe von zahmen Hühnerrassen hervorgebracht hat.
Im allgemeinen ist bei hochgezüchteten Rassen der Unterschied in der
Färbung beider Geschlechter verringert. Dabei sind teils Riesen-,
teils Zwergformen hervorgegangen, die wir in besonders ausgesprochenem
Maße bei den ostasiatischen Kulturrassen antreffen. Zwerghühner können
eine in allen Proportionen den gewöhnlichen Hühnern gleichende Form
darstellen. Es kann aber auch die Größe des Körpers gewahrt bleiben,
so daß nur die Beine verkürzt werden, wie dies bei den kurzbeinigen
~Krüpern~ der Fall ist. Da diese Tiere infolgedessen nur wenig
ausgiebig scharren können, kann man sie in Gärten frei laufen lassen.
Bei manchen Hühnern, wie bei der ~Cochinchinarasse~, sind die Federn
vermehrt und bedecken den ganzen Lauf, bei andern ist das Federkleid
rückgebildet, wie bei den ~Chittagongs~, die eine nackte Kehle haben,
und den ~Nackthalshühnern~, oder die Federn sind haarähnlich geworden,
wie bei den ~Strupp-~ oder ~Seidenhühnern~. Bei manchen, wie beim
japanischen ~Phönixhuhn~, sind die Schwanzfedern ins Ungeheuere
verlängert, beim ~Kluthuhn~ dagegen sind sie ganz in Wegfall gekommen.
Der Verlust geht bei diesen sogar so weit, daß ihnen überhaupt
das den Schwanz tragende Knochenstück fehlt. Selbst der Kamm, das
wichtigste unterscheidende Merkmal der wilden Hühner, ist mannigfachen
Veränderungen ausgesetzt gewesen, verschwand bei den ~Haubenhühnern~
sogar vollkommen und wurde durch eine Federhaube ersetzt. Zwei
Haushuhnrassen haben sogar statt vier fünf Zehen erlangt, indem bei
ihnen der als atavistische Mißbildung zuerst aufgetretene überzählige
fünfte Zehe in der Zucht erblich wurde.

Aber außer in der Form ist das Huhn auch physiologisch weitgehend durch
die Zucht beeinflußt worden. So ist vor allem seine Legefähigkeit
enorm gesteigert. Während die wilde Stammform, sobald sie erwachsen
ist, was nach einem Jahre der Fall ist, wie wir sahen, höchstens 11
Eier legt, soll einer der besten Leger, aber dadurch ein schlechter
Brüter, nämlich die auch bei uns viel gehaltene ~italienische Rasse~
bis zu 120 Eier im Jahre legen. Nach der Vermutung von Baldamus ist
diese hochgezüchtete Rasse sehr alt und geht nicht nur auf die Hühner
der Römer und Griechen zurück, sondern reicht in ihren Anfängen
bis zum Beginn des letzten vorchristlichen Jahrtausends zurück. So
zeigen Darstellungen auf assyrischen Siegelzylindern in Umrissen und
Proportionen große Ähnlichkeit mit dem italienischen Huhn.

Am nächsten stehen der wilden Stammform die eleganten ~Kampfhühner~,
die nur eine geringe Einwirkung der Domestikation zeigen. Der
auffallend schlanke Körper zeigt vielfach Unterschiede in der Färbung.
Am Kopf sind die Fleischlappen und der Kamm klein, der Hals ist
beim Hahne lang, die Halsfedern kurz. Die Schenkel sind lang und
kräftig, die Sporne lang und scharf. Die Hähne werden zu Hahnenkämpfen
verwendet, die Hennen sind schlechte Legerinnen. Ihnen nahe stehen
die ~Malaienhühner~, die ebenfalls hochgestellt sind und lange,
orangegelbe Beine haben. Sie sind ebenso streitsüchtig wie die vorigen
und die Hennen schlechte Eierlegerinnen. Sie kommen in rotbraunen,
weißen und schwarzen Farbenvarietäten vor und werden ebenfalls mehr
zum Luxus als für praktische Zwecke gehalten. Während sie einen kurzen
Schwanz besitzen, ist derjenige der bereits erwähnten ~Phönixhühner~
ganz außerordentlich verlängert, so daß er stark am Boden schleift.
Er erreicht eine Länge von nicht weniger als 2 _m_ und mehr. Damit
er nicht beschädigt werde, hält man diese Hühner auf hochgelegenen
Stangen. Sie sind ein spezielles Zuchtprodukt Japans und kamen erst
vor kurzem als Merkwürdigkeit nach Europa. Dem Äußeren nach gleichen
sie den gewöhnlichen ~Landhühnern~, die wenig hochgezüchtet sind
und in der Form und Färbung der wilden Stammart noch ziemlich nahe
stehen. Aus ihnen sind in den verschiedenen Ländern spezielle Rassen
gezüchtet worden. Unter ihnen sind zu nennen die ~spanische Rasse~ von
stolzer Haltung, mit weißem Gesicht, mit langen Kehllappen und großem,
gezacktem Kamm. Das Gefieder dieses Huhnes ist bei den reinrassigen
Vögeln schwarz mit grünem Schiller. Sie sind im Hühnerhofe sehr
geschätzt, weil sie viele und große Eier legen. Ihnen nahe stehen die
~Minorcas~ mit scharlachrotem Gesicht und sehr großem Kamm, ferner die
diesen gleichenden ~Anconas~ mit gesperberter Federzeichnung und die
~Andalusier~ mit rotem Gesicht, schwarzem Hals und dunkelschieferblauem
Gefieder.

Sehr stattlich ist die englische ~Dorkingrasse~, welche sich zur
Fleischnutzung sehr empfiehlt und gute Brüter liefert. Das volle
Gefieder kann dunkel, gesperbert, silbergrau oder weiß sein. Die Brust
erscheint breit. Das Gewicht geht bei der Henne bis zu 4 _kg_, beim
Hahn bis zu 5 _kg_. Ein sehr zartes, weißes Fleisch haben auch die
~Hamburger Hühner~, deren Zucht stark verbreitet ist. Sie besitzen
einen nach hinten spitz auslaufenden Rosenkamm, weiße Ohrlappen,
einen hornfarbigen Schnabel und blaue Beine. Dazu besitzt der Hahn
im Schwanze lange Sichelfedern. Nach der Färbung unterscheidet
man ~grünschillernde~, ~schwarze Silbersprenkel~, ~Goldlack~ und
~Silberlack~. Die Hennen gelten als gute Eierlegerinnen, sind aber zum
Brüten schlecht.

In Siebenbürgen werden die ~Nackthalshühner~ gezüchtet, die durch ihren
roten, von Federn entblößten Hals wie gerupft aussehen. Manche Züchter
führen diese Eigentümlichkeit auf eine Kreuzung mit dem Truthahn
zurück, was aber zweifellos unrichtig, ja unmöglich ist. Sie sind
ziemlich groß, schwarz gesperbert oder weiß mit einem einfachen Kamm.
Eine schöne französische Rasse sind die nach dem Dorfe _La Flèche_
genannten _La Flèche_-~Hühner~ von glänzend schwarzem Gefieder, rotem
Gesicht mit langen Kehllappen und weißem Ohrfleck. Weil sich der
niedrige Kamm in zwei lange, hörnchenartige Zapfen spaltet, nennt man
sie auch _poules cornette_. Die ~Haubenhühner~ besitzen an Stelle des
zurückgebildeten Kammes einen Schopf von aufrechtstehenden, mit den
Spitzen überfallenden Kopffedern. Zu ihnen gehören die in Frankreich
und Deutschland vielfach gezüchteten schwarzen _Crève-cœur_-~Hühner~,
die neben dem Federschopf noch zwei aufrechte Kammspitzen von roter
Farbe aufweisen. Dann die stattlichen schwarz und weiß gescheckten
~Houdanhühner~, die neben der starken Haube einen Kamm mit gezackten
Blättern besitzen. Diese stattlichen Tiere, deren Füße wie diejenigen
der englischen Dorkings fünf Zehen besitzen, sind sehr mastfähig
und werden besonders im Departement Seine et Oise gezogen. Eine
starke Vollhaube und dazu noch Bärte besitzen die goldbraunen oder
silberweißen ~Paduaner~, die aber wenig mastfähig und schlechte Brüter
sind. Rein schwarz mit weißer Haube sind die ~Holländer~, die an Stelle
des Bartes lange rote Kehllappen tragen. Der Kamm ist ganz klein und
fehlt bei den reinrassigen Tieren.

Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts aus China bei uns eingeführte
Rassen sind die großen ~Cochinchina-Hühner~ mit rundem, vollem Körper
und breiter Brust. Der Kopf ist klein mit schwach entwickeltem,
aufrechtstehendem Kamm. Die Flügel sind kurz, die dicken Beine sind
an der Außenseite bis zu den Zehen hinunter befiedert. Der Schwanz
ist auch beim Hahn recht kurz. Die Färbung ist meist gelb, doch
kann sie auch schwarz, weiß, rebhuhnartig oder gesperbert sein. Sie
besitzen ein vortreffliches Fleisch und sind gute Brüter. Sehr nahe
verwandt damit sind die ~Brahmaputrahühner~, die sich eigentlich nur
durch die erbsenförmige Gestalt des Kammes unterscheiden. Ebenfalls
ostasiatischen Ursprungs sind die ~Seidenhühner~, die ihren Namen
vom feinen, haarartigen Federkleide haben. Im Körperumriß ähneln
sie den Cochinchinas; auch ihre Flügel sind auffallend kurz, so daß
sie durchaus nicht fliegen können. Zu dem reinweißen Federkleide
kontrastiert die blauschwarze Farbe der Beinhaut. Sie sind gegen Nässe
empfindlich. Ihre Eier sind blaßgelb.

Aus Japan stammen die ~Zwerghühner~ oder ~Bantams~, die nicht viel
größer als Tauben werden. Sie sind schwarz, weiß oder gesperbert und
machen sich durch ihr munteres Wesen beliebt. Wirtschaftlich spielen
sie eine unbedeutende Rolle. Weit mehr geschätzt ist das neuerdings bei
uns eingeführte ~Yokohamahuhn~. Aus Nordostasien kamen die ~Langshans~
zu uns. Durch Kreuzung verschiedener alter Rassen erzielten die
Amerikaner diverse neue, unter denen die ~Brahmas~, ~Plymouth-Rocks~
und ~Wyandottes~ eine weitere Verbreitung bei uns erlangten. Die
neuerdings durch die unternehmungslustigen Engländer auf den Markt
gebrachten ~Orpingtonhühner~ sind noch nicht zu einer festen Rasse
geworden.

Die Hauptaufgabe der Hühnerzucht ist das Heranzüchten eines guten
Landhuhns, das während seines ganzen, etwa 6 Jahre dauernden Lebens,
die meisten allerdings in den vier ersten Jahren, 500 bis 600 Eier
legt und daneben noch als Fleischlieferant zu gebrauchen ist. Unter den
deutschen Nutzhühnern spielt gegenwärtig das in Westfalen heimische
~Lakenfelderhuhn~ und das ~Ramelsloherhuhn~ aus der Lüneburger Heide
eine Hauptrolle. Sobald die Hühner mit dem Eierlegen nachzulassen
beginnen, mästet und schlachtet man sie, so daß sie dann noch als
Fleischlieferanten von Nutzen sind.



XV. Perlhuhn, Pfau, Fasan und Truthuhn.


Von weiteren domestizierten Hühnervögeln ist das ~Perlhuhn~ (_Numida
meleagris_) zu nennen, das in Westafrika bis Marokko heimisch ist.
Es hat seinen lateinischen Namen _meleagris_ von Meleager, dem Sohne
des kalydonischen Königs Oineus, der auf der berühmten kalydonischen
Eberjagd umkam. Darüber waren seine Schwestern ganz untröstlich und
wurden durch das Mitleid der Götter in Vögel verwandelt. Da die auf
schiefergrauem Grunde stehenden perlenartigen Tropfen an Tränen
erinnerten, sollten sie die Tränen der Schwestern des Meleager
bedeuten. Diese Vögel sollten nach Plinius auf dem Grabe des Meleager
gehalten werden und dort zu Ehren des Toten kämpfen, wie in der Vorzeit
zu Ehren Verstorbener abgehaltene Kampfspiele durch Menschen üblich
waren.

Die Perlhühner bewohnen mit Büschen bestandene Gegenden bis zu 3000
_m_ Höhe. Da, wo sie häufig sind, bemerkt man sie bald, indem sie
morgens und abends ihre durch unser zahmes Perlhuhn wohlbekannte
trompetenartige Stimme vernehmen lassen. Sie wohnen in Familien
von 16-20 Stück beieinander, sind sehr scheu und schlüpfen bei der
geringsten Beunruhigung ins schützende Gebüsch. Mit Vorliebe schlafen
sie auf hohen Bäumen an Flußufern. Im Frühjahr brüten sie ein Gelege
von 5-8 schmutzig gelblichweißen Eiern aus. Die Küchlein gleichen
im Flaumkleide jungen Fasanen, wachsen rasch heran und folgen, wenn
sie die halbe Größe der Eltern erreicht haben, diesen auf allen
Streifereien und bäumen dann nachts regelmäßig mit ihnen.

Nach Brehm lassen sich Perlhühner leichter eingewöhnen als irgend
ein anderes Wildhuhn, werden aber nicht leicht und kaum jemals
vollständig zahm, schreiten auch nur dann in der Gefangenschaft zur
Fortpflanzung, wenn sie weiten Spielraum haben. Dagegen kann man
gefangene bald so weit gewöhnen, daß sie in Haus und Hof umherlaufen,
ohne ans Entweichen zu denken. Sie sind zänkisch, liegen mit Haus-
und Truthühnern beständig im Streite, werden so bösartig, daß sie
erwachsene Hähne und Kinder angreifen. Sie erfreuen durch ihre
unermüdliche Beweglichkeit, ihr hübsches Gefieder und die sonderbaren
Stellungen und Bewegungen, die sie beim Laufen einnehmen. Beim Brüten
sind sie wenig eifrig und können keine Kälte ertragen.

Von Westafrika wurden sie im 18. Jahrhundert durch Negersklaven auf
den Antillen eingeführt, wo sie sich vollkommen eingewöhnten und
verwilderten. Dabei wurden sie hier kleiner und dunkler. Schon vor
bald sieben Menschenaltern war es auf Jamaika häufig; jetzt ist es
dort wie auch im östlichen Kuba so gemein, daß es unter Umständen
zur Landplage wird. Schon im Altertum wurde es bei den Griechen und
Römern als Haustier gehalten, verschwand aber nach dem Untergange des
Römerreichs wieder aus Europa, um erst wieder im 15. Jahrhundert von
den Portugiesen aus Angola hier eingeführt zu werden. Seither sind sie
besonders in den Mittelmeerländern, wo es ihnen warm genug ist, so weit
domestiziert worden, daß sie gleich dem Pfau begonnen haben, wenigstens
in der Färbung abzuändern. Unter den gewöhnlichen Perlhühnern mit
weißen Tupfen auf schiefergrauem Grunde kommen nämlich silber- und
blaugraue und, wie bei den Pfauen, auch weiße Tiere vor. Wie bei den
weißen Pfauen das Auge der zum Rad ausgebreiteten Schwanzfedern, so ist
bei den weißen Perlhühnern die ursprüngliche Tüpfelung noch deutlich
erkennbar.

Im Altertum scheint das Perlhuhn als Fetischtier von Nordafrika nach
Griechenland gekommen zu sein. Nach dem Schüler des Aristoteles, Klytos
von Milet, wurden auf der kleinen, von den Milesiern kolonisierten
Insel Leros um den Tempel der Artemis heilige Perlhühner aus Afrika
gehalten. Dabei wird nirgends gesagt, wie sie dahin gekommen und
weshalb sie der jungfräulichen Göttin geweiht waren. Noch Älian
behauptete, kein Raubvogel wage die lerischen heiligen Hühner
anzugreifen. Auch auf der Akropolis scheinen nach Suidas Perlhühner
gehalten worden zu sein. Zu den Römern kamen sie zur Zeit der punischen
Kriege aus Numidien unter dem Namen numidische oder afrikanische
Vögel. Noch zu Varros Zeit im letzten Jahrhundert v. Chr. waren sie in
Italien sehr selten und teuer. Gleichwohl begann man schon damals diese
kostbaren Tiere, eben weil sie eine Rarität waren, zu essen. Dieser
Autor sagt nämlich: „Die afrikanischen Hühner, welche man _meleagrides_
nennt, sind erst neulich für die Schmausereien der Leckermäuler in
Gebrauch gekommen, aber noch teuer, weil selten.“ Der Spötter Martial
macht sich in einem Epigramm darüber lustig, daß Hannibal, der Barbar,
seinen Landsmann, den Vogel aus Numidien, nicht aß. Der verrückte
Kaiser Caligula ließ sie sich opfern. Nach Pausanias wurden sie auch in
Phokis bei Tithorea zweimal im Jahre im Tempel der Isis neben Gänsen
geopfert.

Nachdem die Portugiesen die Perlhühner wieder in Europa eingeführt
hatten, sah sie Volaterranus vor 1500 beim Kardinal San Clemente. Der
Züricher Konrad Geßner bildete den Vogel in seinen _Icones animalium_
1563 zuerst ab und bemerkt dazu, es sei ein fremder wilder Hahn aus
Afrika und der Berberei, den er von seinem Freunde Cajus, einem
englischen Arzte, erhielt. In Frankreich war er damals schon öfter als
_poule de Guinée_ in den Hühnerhöfen zu sehen. Der Vogel ist so leicht
zu halten, daß er auch in seinem ursprünglichen Verbreitungsgebiet
vielfach gezähmt wird. So traf Staudinger am Niger solche, die durch
ihre weiße Farbe verrieten, daß sie schon längere Zeit domestiziert
waren. Da sie sich leicht versetzen lassen, sind sie im Laufe der Zeit
auf eine Reihe von Inseln gekommen und dort verwildert, so auf den
Kapverden, auf Ascension und St. Helena. Daß sie auch auf zahlreichen
Inseln und Inselchen der Antillen verwilderten, wurde bereits
mitgeteilt. Sie wurden in Amerika kleiner und erhielten schwarze Füße
in Verbindung mit weißem Bauch, weißem Rücken und Flügelspitzen. Im
milden England gelang es noch, sie verwildern zu lassen. Dies würde
wohl auch in den milderen Gegenden Deutschlands möglich sein. Hier
überall, wo es ihnen nicht zu kalt ist, eignen sie sich vortrefflich
als Hausgeflügel. Sobald sie die ersten Tage hinter sich haben,
sind sie gar nicht weichlich und auch im Futter durchaus nicht
anspruchsvoll; dabei lassen sie sich leicht mästen, liefern ein gutes
Fleisch und schmackhafte Eier.

Häufiger als das Perlhuhn wird der ~Pfau~ (_Pavo cristatus_) in unseren
Hühnerhöfen angetroffen, wo er wegen seiner Schönheit auch mehr ein
Luxus- denn ein Nutzvogel ist. Seine Heimat ist Ostindien und Ceylon.
Dort bewohnt er lichte Waldungen mit Vorliebe bergiger Gegenden mit
dichtem Unterwuchs; ebensogern hält er sich in Pflanzungen auf, die
ihm Deckung gewähren und einzelne hohe, zur Nachtruhe geeignete Bäume
haben. In vielen Gegenden Indiens gilt er wegen seines prächtigen
Gefieders als heilig und unverletzlich und seine Tötung wird von den
Eingeborenen als ein Verbrechen angesehen, das jeden, der sich solches
zuschulden kommen läßt, gelegentlich in Lebensgefahr bringt. In der
Nähe vieler Hindutempel pflegen sich zahlreiche Herden von halbwilden
Pfauen aufzuhalten, deren Pflege mit zu den Obliegenheiten der Priester
gehört. Dabei werden sie sich des ihnen hier gewährten Schutzes bald
bewußt und zeigen, wenigstens dem Hindu gegenüber, kaum größere Scheu
als diejenigen, die auf dem Hühnerhofe heranwuchsen.

Wo sie ungestört sind, halten sich die wilden Pfauen am Tage in Trupps
von 30 bis 40 Stück meist auf dem Boden auf, um in den Vormittags-
und Abendstunden zur Nahrungssuche auf die Waldblößen oder Felder
herauszukommen. Verfolgt suchen sich die Tiere so lange als möglich
laufend zu retten und, erst wenn sie einen gewissen Vorsprung erreicht
haben, entschließen sie sich zum Fluge, der rauschend und schwerfällig
vor sich geht. Sie bäumen dann so bald als möglich und verbergen
sich mit ihrem grünen Gefieder im dichten Blättergewirr, wo sie sich
wohlgeborgen wissen. Von Raubtieren scheuen sie besonders den Tiger,
dessen Anschleichen sie weithin durch lautes Geschrei kundgeben. Sie
fressen wie unsere Hühner sowohl tierische als pflanzliche Nahrung
und brüten nach der Regenzeit im April, nachdem die Männchen ihr
prächtiges Hochzeitskleid mit dem schillernden, beim Liebeswerben zur
Schau ausgebreiteten Schweife erhalten haben. Ihrer Schönheit sich
wohl bewußt, paradieren sie damit vor den Weibchen, um deren Gunst zu
erlangen. Das meist auf einer erhöhten Stelle, einem Busche im Walde,
errichtete Nest besteht aus dünnen Ästchen und trockenen Blättern
und ist ebenso liederlich gebaut, als dasjenige anderer Hühnervögel.
Das Gelege zählt 4 bis 15 Eier, die vom Weibchen mit großem Eifer
ausgebrütet und nur im Notfalle verlassen werden. Das unscheinbare
Jugendkleid, das die Jungen zu ihrem Schutze mit dem Weibchen teilen,
legen die Männchen erst nach dem zweiten Lebensjahre ab, um im dritten
ihre volle Schönheit zu erlangen und zur Paarung zu schreiten.

Auf seinem Eroberungszuge nach Indien erblickte Alexander der Große mit
seinen Gefährten als erster Europäer den wilden Pfau in seiner Heimat
am Indus. Er war von der Schönheit des ihm bis dahin unbekannten Vogels
so entzückt, daß er nach dem Berichte des Älian jeden, der ihn zum
Opfer schlachten wollte, mit den schwersten Strafen bedrohte. Er soll
nach der Sage auch einige dieser Vögel auf dem Rückzuge aus Indien mit
sich genommen haben. Sehr viel früher war er gelegentlich schon als
seltener Ziervogel an einige vorderasiatische Höfe gelangt, so auch
nach Jerusalem, wo ihn Salomo als wertvolles Prunkstück hielt. Heißt
es doch 1. Könige 10, 22, daß diesem König in einem edomitischen Hafen
am Nordende des Roten Meeres von phönikischen Seeleuten ausgerüstete
und bemannte Schiffe nach dreijähriger Abwesenheit neben Gold, Silber,
Elfenbein und Affen auch Pfauen aus Ophir brachten, das wir in
Ostafrika zu suchen haben. Dorthin muß der schöne indische Vogel durch
den Monsun zur Überfahrt benutzende indische Segler damals schon als
Tauschware gebracht worden sein, da er daselbst nicht einheimisch ist.
Er heißt im Hebräischen _tukkijîm_, was mit dem tamulischen _togei_
zusammenhängen dürfte.

Aus dem semitischen Vorderasien, wo der Pfau als seltenes und durch die
vielen Augen seines Schweifes mit den Sternen und den dort herrschend
gedachten Überirdischen in Verbindung gebrachtes Fetischwesen in
den Tempelhöfen der höchsten weiblichen Gottheit gehalten wurde,
kam er dann durch die Vermittlung der Phönikier zu den Griechen
als _ta(v)ós_, um später dann von ihnen als _pavo_ an die Römer
weitergegeben zu werden. Der erste Ort auf griechischem Boden, von dem
wir wissen, daß dort Pfauen als heilige Tiere gehalten wurden, ist der
Heratempel von Samos. Hera ist offenkundig die mit der phönikischen
Astarte identifizierte Himmelsgöttin, deren Kult sich der merkwürdige
Sternenvogel ganz natürlich anschloß. Ein sich von selbst ergebender
Mythus war es denn auch, daß der allschauende Argos, der die Mondgöttin
Jo zu bewachen hatte, nach seiner Tötung durch den Argeiphontes sich in
den Pfau verwandelt haben soll. So stolz waren die Bewohner der Insel
Samos auf die heiligen Pfauen in ihrem Heratempel, den Herodot für den
größten aller griechischen Tempel seiner Zeit erklärte, daß sie das
Tier auf ihre Münzen prägten. Zu des Polykrates Zeit, der von 535 bis
522 v. Chr. Tyrann von Samos war und einen Seestaat von ziemlich großer
Ausdehnung gegründet hatte, war er aber noch nicht dort, sonst hätten
die Hofdichter Ibykos und Anakreon ihn wohl einmal in ihren Gedichten
genannt. Auch nach Athen würde der Ruf des Vogels und er selbst wohl
früher gedrungen sein. Wir finden ihn nämlich erst nach der Mitte des
fünften vorchristlichen Jahrhunderts in jener Stadt, und zwar als
höchste Merkwürdigkeit und außerordentliche Seltenheit. Es war dies
zur Zeit des Perikles, da Leute von weither kamen, um dieses Wunder
zu sehen. Vielleicht haben die Athener bei der Unterwerfung der Insel
Samos unter ihre Oberhoheit im Jahre 440 den schönen Vogel vom Heraion
nach Athen entführt, obschon der Geschichtschreiber Thukydides nur von
Auslieferung der Schiffe und Bezahlung der Kriegskosten spricht.

In einer seiner Schriften berichtet der Redner Antiphon von einem
reichen Vogelzüchter in Athen namens Demos, Sohn des Pyrilampes, der
Pfauen in seinem Hühnerhofe hielt. Von weither, vom Peloponnes und aus
Thessalien, kamen die Leute, um diese Vögel zu bewundern und sich, wenn
möglich, Eier von ihnen zu beschaffen. Jeden Monat einmal, am Tage
des Neumondes, wurden alle zugelassen, an den andern Tagen dagegen
niemand. „Und das“ -- setzt Antiphon hinzu -- „geht nun schon mehr als
30 Jahre so fort.“ Nach Plutarch soll schon der Vater Pyrilampes aus
seiner Vogelzucht den Weibern, die sein Freund Perikles zu gewinnen
wünschte, unbemerkt Pfauen zugewandt haben. Doch, meint Antiphon, es
gehe nicht an, die Vögel in der Stadt zu verbreiten, weil sie dem
Besitzer davonfliegen. Wollte sie aber jemand stutzen, so würde er
ihnen alle Schönheit nehmen; denn diese besteht in den Federn und nicht
im Körper. Daher seien sie so lange eine Seltenheit geblieben, daß
man ein Paar derselben mit 10000 Drachmen (etwa 8000 Mark) bezahle.
Bei so hohem dafür bezahlten Preise begreifen wir den Ausspruch des
griechischen Dichters Anaxandrides der mittleren Komödie, daß es
Wahnsinn sei, Pfauen im Hause aufzuziehen und Summen dafür aufzuwenden,
die zum Ankaufe von Kunstwerken ausreichen würden. Erst im Laufe des
vierten vorchristlichen Jahrhunderts wurden die Pfauen häufiger in
Athen und deshalb weniger kostbar, so daß gegen das Ende desselben der
Komödiendichter Antiphanes -- ohne Zweifel mit starker Übertreibung --
sagen konnte: „Sonst war es etwas Großes, auch nur ein paar Pfauen zu
besitzen; jetzt aber sind sie häufiger als die Wachteln.“ Aristoteles
schildert ihn als einen neidischen und eitlen Vogel, der gegen 25
Jahre lebe, aber seine schönen Federn erst im dritten Jahre bekomme,
auch dann erst niste. Er brüte des Jahres nur einmal, und zwar 30
Tage oder etwas mehr. Er lege 12 oder etwas weniger Eier, und zwar in
Zwischenräumen von zwei bis drei Tagen.

Als die Griechen in Begleitung Alexanders des Großen in das Innere
Asiens vordrangen, scheinen sie, wie Diodor uns berichtet, in
Babylonien zahlreichen Pfauen begegnet zu sein. Der Vogel war also
hier schon gemein, so daß wir begreifen, wie ihn einzelne griechische
Schriftsteller als „medischen Vogel“ bezeichnen konnten. Gewiß ist
Victor Hehn im Unrecht, wenn er meint, der Pfau sei erst durch
die Griechen über Westasien verbreitet worden, da die asiatischen
Pfauennamen alle dem Griechischen entlehnt seien. Vielmehr ist, wie
wir oben sahen, das Umgekehrte der Fall; die Griechen erhielten ihn aus
Kleinasien über die Insel Samos, und aus den Städten Großgriechenlands
lernten ihn dann die Römer kennen. Zu Ende der Republik war der Pfau
den Römern kein allzuseltener Vogel mehr, denn Varro (116-27 v. Chr.)
schreibt in seinem Buche über die Landwirtschaft: „Erst in unserer
Zeit hat man angefangen, ganze Herden von Pfauen zu halten. So z. B.
soll Marcus Aufidius Luco jährlich 60000 Sesterzien (= 9000 Mark) aus
seiner Pfauenzucht lösen. Sieht man auf den Nutzen, so hält man mehr
Weibchen, sieht man aber nur auf die Pracht, so hält man mehr Männchen.
Auf der Insel Samos und auf Planasia (jetzt Pianosa an der Westküste
Etruriens, südlich von Elba, damals Ilva genannt) soll es wilde Pfauen
geben. Unter allen Vögeln gebührt dem Pfau der Preis der Schönheit.
Sie fressen allerlei Getreide, besonders Gerste. Man läßt die Eier von
Pfauenhennen oder von Haushühnern ausbrüten, hat auch für die Jungen
eigene Pfauenhäuser, die in Verschläge geteilt sind, reinlich gehalten
werden und vor sich einen sonnigen Platz haben, wo die Tierchen bei
gutem Wetter gefüttert werden. Den ersten jungen Pfau hat Quintus
Hortensius (ein ausgezeichneter Redner zu Varros Zeit) für die Tafel
braten lassen, als er seinen Antrittsschmaus als Augur hielt. Darauf
folgten viele seinem Beispiele und der Preis stieg dermaßen an, daß
ein Pfauenei mit 5 Denaren (= 3 Mark) und ein Pfau selbst wohl mit 50
Denaren (= 30 Mark) bezahlt wird.“

Selbstverständlich mußte bei den Römern zu Ende der Republik und zur
Kaiserzeit ein Tier wie der Pfau, das schon in Athen der Üppigkeit
gedient hatte, in umso höherem Maße in Aufnahme kommen, als der
römische Luxus und Reichtum den attischen hinter sich ließ. Obschon
das Fleisch, wenigstens der älteren Pfauen, gerade kein Leckerbissen
ist, so fand doch das gegebene Beispiel, schon weil die Sache teuer
war, bei den Protzen allgemeine Nachahmung. Schon Cicero (106-43 v.
Chr.) schreibt in einem Briefe: „Ich habe mir eine Kühnheit erlaubt
und sogar dem Hirtius ein Diner gegeben, doch ohne Pfauenbraten.“ Und
der Dichter Horaz spottet in einer seiner Satiren: „Wird ein Pfau
aufgetragen und daneben ein Huhn, so greift alles nach dem Pfau. Und
warum das? Weil der seltene Vogel Goldes wert ist und ein prächtiges
Gefieder ausbreitet, als wenn dadurch dem Geschmack geholfen wäre.“
In der Kaiserzeit wird wohl kein größeres Prunkmahl ohne Pfauenbraten
abgehalten worden sein. Ja, wer es ganz üppig geben wollte, der gab
nur Gehirn von Pfauen. So berichtet Sueton von Vitellius als er 69 n.
Chr., zum Kaiser ausgerufen, in Rom einzog: „Beim Ankunftsschmause,
der dem Kaiser Vitellius von seinem Bruder gegeben wurde, betrug die
Zahl der aufgetragenen ausgesuchten Fische 2000, die der Vögel 7000.
Einen noch größeren Schmaus gab er selbst, als er eine ungeheuer große
Schüssel einweihte, die er den „Schild der Minerva“ nannte. Sie war
bedeckt von untereinander gemischten Lebern von Papageifischen, Gehirn
von Fasanen und Pfauen, Zungen von Flamingos, Milch von Muränen; das
alles hatten Kriegsschiffe vom östlichen und westlichen Ende des
Mittelmeeres zusammenbringen müssen.“

Diesen übertrumpften noch die späteren Kaiser. So meldet der
Geschichtschreiber Älius Lampridius vom üppigen Kaiser Heliogabalus:
„Kaiser Heliogabalus ließ öfter ein Gericht auftragen, das aus
Kamelfersen, aus Kämmen, die lebendigen Hähnen abgeschnitten waren,
aus Zungen von Pfauen und Nachtigallen bestand. Er gab auch seinen
Palastdienern ungeheuere Schmausereien, wobei die Eingeweide des
Rotbartfisches, Gehirn von Flamingos, Rebhuhneier, Köpfe von Papageien,
Fasanen und Pfauen die Hauptrolle spielten. Seine Hunde fütterte er mit
Gänselebern.“ Außer zum Essen dienten die Pfauen auch als Schmuck der
Gärten der Vornehmen und ihre Federn zu Fliegenwedeln. So spricht der
Dichter Martial vom _muscarium pavonium_, und der Geschichtschreiber
Dio Cassius berichtet: „Als Severus Kaiser geworden war (im Jahre 193),
hielt er für seinen ermordeten Vorgänger Pertinax mit großem Gepränge
ein Totenamt. Dessen aus Wachs angefertigtes Bild lag auf einem
prachtvollen, mit Purpur und Goldstickerei bedeckten Paradebett und
neben ihm stand ein Knabe, der die Fliegen, als ob der Verewigte ruhte,
mit einem Wedel aus Pfauenfedern abwehrte.“

Bei solcher Wertschätzung des Pfaues ist es kein Wunder, daß er zur
römischen Kaiserzeit in größerer Menge besonders auf Inseln, auf denen
er sich frei bewegen konnte, gezüchtet wurde. Die Vorteile solcher
von Wasser umgebener Pfaueninseln setzt Columella folgendermaßen
auseinander: „Auf kleinen, waldigen Inseln sind die Pfauen leicht zu
ziehen; sie fliegen von da nicht weg, weil sie überhaupt nicht weit
fliegen. Sie sind da vor Dieben und Raubtieren sicher, man kann sie
frei herumgehen und selbst brüten lassen, wobei sie sich auch das
meiste Futter selbst suchen und nur täglich einmal zu bestimmter Zeit
gerufen und mit etwas Gerste gefüttert werden. Auf dem festen Lande
umgibt man eigene, mit Wald bestandene Grasplätze für sie mit Mauern
und Ställen und rechnet auf je fünf Weibchen ein Männchen. Die Eier
legt man hier gewöhnlich Haushühnern unter, und die Pfauhenne kann,
wenn sie nicht selbst brütet, jährlich 11 bis 12 Eier legen. Geht das
brütende Haushuhn vom Neste, so wendet man die Eier, weil das Huhn
sie wegen ihrer Größe nicht gut selbst wenden kann. Um das Wenden zu
überwachen, bezeichnet man die Eier auf einer Seite mit Tinte; denn
es kommt auch vor, daß ein Haushuhn sie selbst wendet.“ Dann gibt es
genaue Anweisung über die Aufzucht und Fütterung der Pfauen.

Die Römer brachten den Pfau in die Länder nördlich der Alpen,
wo wir Darstellungen von ihm, beispielsweise auf Lampen der
römisch-helvetischen Ansiedelung von Vindonissa, antreffen. Aus dem
lateinischen _pavo_ wurde das französische _paon_ und das deutsche
Pfau. Doch wird seine Zucht erst im Mittelalter von Italien her nach
Deutschland gedrungen sein. Hier diente er ebenfalls als Prunkvogel,
und mit seinen schönen Federn zierten sich Ritter und vornehme Frauen,
indem sie dieselben auf ihren Kopfbedeckungen und als Garnituren um den
Hals anbrachten. Auch noch im Mittelalter pflegte man bei feierlichen
Essen einen gebratenen Pfau im Schmuck seines nachträglich wieder auf
ihn gesteckten Gefieders auf den Tisch zu bringen. Gewöhnlich trug ihn
die Dame des Hauses selbst unter Trompetenschall auf silberner oder
vergoldeter Schüssel und der Herr zerlegte ihn, wie dies im Lanzelot
König Artus seinen um die Tafel versammelten Rittern tut. Erst zur Zeit
der Renaissance kam dieser Gebrauch allmählich ab, und später wurde
der Pfau durch den Truthahn verdrängt, der ein schmackhafteres Fleisch
besitzt. Daß das Pfauenfleisch bereits in der späteren Römerzeit von
seinem Nimbus eingebüßt hatte, beweist die Behauptung des heiligen
Augustinus, daß es kaum verweslich sei. Er erzählt, er habe selbst
einen Versuch damit angestellt und nach 30 Tagen sei das Fleisch noch
unverwest gewesen, ja es sei ein Jahr lang so aufbewahrt worden. Im
11. Jahrhundert meint dann die heilige Hildegard, Äbtissin vom Kloster
Rupertsberg bei Bingen, wer einen gesunden Magen habe, der könne
solches am Ende schon verdauen.

Heute wird der Pfau noch immer in herrschaftlichen Gärten als Ziervogel
gehalten; doch tritt seine geringe Fruchtbarkeit seiner Ausbreitung
hindernd in den Weg. Als Folge der Haustierhaltung hat sich auch
bei ihm der Leucismus geltend gemacht; doch gibt es außer weißen
auch dunklere Pfauenarten. Da er sehr selbständig ist, verwildert
er leicht. So ist er namentlich auf Inseln, speziell in Westindien,
verwildert. Dapper sagt in seiner 1671 in Amsterdam erschienenen
Beschreibung Afrikas, daß die Könige von Kongo und Angola die Pfauen
als Regal betrachteten und jeden, der auch nur eine Feder von ihnen
stahl, mit dem Tode bestraften oder als Sklaven verkauften. Eine
ähnliche Wertschätzung erfuhr der Vogel bei den Süd- und Ostasiaten.
So ist der Thron des persischen Schahs wie derjenige des Kaisers von
China über und über mit Pfauenfedern verziert. Mandarinen tragen am
Knopfe ihrer Kopfbedeckung die Pfauenfeder als eine der höchsten
Auszeichnungen, und in Kambodja bezeichnet die Pfauenfeder den
Edelmann. Auch in der Kunst der Orientalen spielt die Pfauenfeder eine
wichtige Rolle und hat vielfach in der Ornamentik Eingang gefunden, wie
übrigens auch bei uns. In unsern Herrschaftsgärten trifft man heute den
schönen, aber mit einer häßlichen Stimme begabten Vogel nur selten an;
denn er ist gegenwärtig etwas aus der Mode gekommen.

Lange nicht so herrlich gefiedert, aber nützlicher als der Pfau ist der
ihm sehr nahe verwandte ~Fasan~ (_Phasianus colchicus_), im Gegensatz
zu den verschiedenen andern asiatischen Arten auch ~Edelfasan~ genannt.
Er hat seinen Namen von der griechischen Bezeichnung _phasianós_,
d. h. Vogel vom sagenberühmten Flusse Phasis in Kolchis, dem Lande
der zauberkundigen Medeia, in welchem die Helden der Vorzeit unter
Anführung des Jason auf dem schnellen Schiffe Argo das goldene Vließ
holten. Von dort her erhielten ihn die Griechen, um ihn später unter
demselben Namen an die Römer weiterzugeben. In Griechenland tritt
er uns in einer Komödie des Aristophanes ums Jahr 420 v. Chr. zum
erstenmal als kostbarer Luxusvogel entgegen, hat aber in der Folge bei
ihnen als Nutztier keine bedeutende Rolle gespielt. Eine wichtigere
Rolle spielte er bei den alten Römern, bei denen er nach Plinius
in Gehegen in großer Zahl gezogen wurde, um bei den prunkvollen
Gastmählern als kostbarer Leckerbissen zu dienen. Dazu mästete man ihn
nach Palladius 30 Tage lang mit einem mit Öl angefeuchteten Brei aus
Weizen- oder Gerstenmehl und sperrte ihn während dieser Zeit ein, damit
er durch geringe Bewegungsmöglichkeit recht viel Fett ansetze.

Schon damals wurden die Fasaneneier mit Vorliebe von Haushühnern
ausgebrütet, wie dies heute noch bei uns geschieht. Der Satiriker
Martial erwähnt den Fasan als Leckerbissen der Vornehmen, und Älius
Lampridius sagt in seiner Biographie des Kaisers Heliogabalus, dieser
habe an jedem Tage eine bestimmte Speise genossen, so einmal nur
Fasanen oder junge Hähne, oder nur eine Fischart, oder nur Schweine-
oder Straußenbraten, oder nur eine Obstart oder eine Kuchensorte
oder nur Milchspeisen. Zur Zeit der Völkerwanderung erhielt sich der
geschätzte Vogel in den Villen der Römer, wo ihn die Germanen kennen
lernten. In der Folge wurde er von manchen Fürsten, so von Karl dem
Großen, dann auch von einigen der reicheren Klöster als Luxusvogel
übernommen. So kam er nach den Benediktionen des Mönches Ekkehard
bisweilen auf die Tafel der St. Galler Mönche. Im Jahre 1130 sollen
ihn die Cluniacenser in Frankreich gehalten haben; 1299 wird er in
England erwähnt. 1333 gab es Gehege von ihm in Hessen und anderwärts
in Süddeutschland; doch war er damals noch recht selten. Erst von der
Mitte des 16. Jahrhunderts an erlaubte die zunehmende Territorialhoheit
den Fürsten, die Fasanen im freien Walde so zu schützen, daß man sie
aus den Gehegen entlassen konnte. Mit dem zunehmenden Prunke der
Fürstenhöfe wurde dieser Vogel immer häufiger gehalten, bis zur Zeit
Ludwigs XIV. jeder kleine Hof seine Fasanerie haben zu müssen glaubte.
Hatte der Sonnenkönig die kleine Insel Pourquerolles an der Küste
der Provence zum Fasanengehege bestimmt, so machte der 1759 auf den
spanischen Thron erhobene König Karl II. von Neapel aus der ganzen
Insel Procida einen Fasanenbezirk, in welchem die Haltung von Katzen
strengstens verboten war. Erst als sich daraufhin die Mäuse und Ratten
so sehr vermehrten, daß die Kinder in der Wiege vor ihnen nicht mehr
sicher waren, hob der König dieses Verbot wieder auf. Sein Nachfolger,
Ferdinand IV. (1758-1832), erging sich gern auf der Fasanenjagd. Er
war ein so ausgezeichneter Schütze, daß er auch ohne Repetiergewehr in
einer Stunde bis 300 Fasanen erlegt haben soll.

Während der Fasan in Süddeutschland und Österreich in der Folge
vollkommen verwilderte, wird er in Norddeutschland halbzahm in Gehegen
gehalten. Auch in Südrußland lebt er häufig wild, schon seltener
dagegen in Italien und sehr selten in Spanien; auch in Griechenland,
wo er früher gemein war, geht er seiner Ausrottung entgegen. Seine
ursprüngliche Heimat waren die Küstenländer des Kaspischen Meeres und
Westasien, während der ~Königs-~ und ~Goldfasan~ in China und der der
Lady Amherst, die ihn zuerst nach Europa brachte, zu Ehren benannte
~Amherstfasan~ in der Mongolei und in Transbaikalien beheimatet ist.
In Südchina und dem Hochlande von Tibet ist der ~Diamantfasan~ zu
Hause, ebenso in Südchina der ~Silberfasan~, der im 17. Jahrhundert
zum erstenmal lebend nach Europa gelangte. Wie der Goldfasan, der
Kinki, d. h. das Goldhuhn der Chinesen, wird auch der Silberfasan sehr
häufig in China und Japan zahm gehalten. Auch bei uns gedeihen beide
bei einfacher Pflege ausgezeichnet, sind aber wegen ihrer auffallenden
Färbung wenig dazu geeignet, in unsern Waldungen ausgesetzt zu werden,
da die bunte Tracht der Männchen sie dem Raubzeuge mehr aussetzt, als
das weit bescheidenere Kleid des westasiatischen Edelfasans.

Alle Fasanen meiden geschlossenen Hochwald und bevorzugen von
Fruchtfeldern oder Wiesen umgebene Haine oder Buschwerk, in welchem sie
Schutz finden können. Während des ganzen Tages treiben sie sich auf
dem Boden umher, schleichen nahrungsuchend von einem Busch zum andern
und suchen sich erst mit Einbruch der Nacht einen geeigneten Baum zum
Schlafen auf. Ihre Intelligenz ist eine geringe und sie sind leicht
aus der Fassung zu bringen, so daß sie häufig ihrer Dummheit zum Opfer
fallen. Diese ihre geistige Beschränktheit tut ihrer Vermehrung und
Ausbreitung erheblichen Abbruch. Gegen Artgenossen zeigen sie sich
wenig liebenswürdig; sie sind vielmehr ungesellig und unverträglich.
Zwei Hähne kämpfen, sowie sie zusammenkommen, mit Erbitterung, bis die
Federn davonfliegen und Blut fließt; ja der eine bringt den andern um,
wenn er dazu imstande ist.

Die Ende März einsetzende Paarungszeit macht den sonst schweigsamen
Vogel ein häßliches Gekrähe ausstoßen, mit dem er laut etwaige
Nebenbuhler herausfordert. Nach der Paarung sucht sich die Henne ein
stilles Plätzchen unter dichtem Gebüsch auf, wo sie in eine mit dürren
Blättern belegte, von ihr ausgekratzte seichte Vertiefung im Boden
in Zwischenräumen von je zwei Tagen ihre 8-12 gelblich-graugrünen
Eier legt und nach Vollendung des Geleges eifrig bebrütet. Sie sitzt
so fest, daß sie den gefährlichsten Feind sehr nahe kommen läßt, bis
sie sich zum Davonlaufen entschließt, nachdem sie das Gelege leicht
mit Niststoffen bedeckt hat, um es unkenntlich zu machen. Nach 25-26
Tagen schlüpfen die Jungen aus, die bald von der Mutter zur Äsung vom
Neste weggeführt werden und schon nach 12 Tagen so weit sind, daß
sie ein wenig flattern können. Wenn sie dann Wachtelgröße erreicht
haben, bäumen sie abends regelmäßig mit den Alten. Bis in den Herbst
hinein halten sich die Jungen bei der Mutter auf, dann trennen sich
zuerst die Hähne und gegen das Frühjahr hin auch die Hennen, die
nunmehr fortpflanzungsfähig geworden sind, von ihr. Sie haben viele
Feinde und unterliegen bei uns weit eher als alle ihre Verwandten
Witterungseinflüssen. Die Fasanen lassen sich leicht untereinander
und mit dem ihnen nahe verwandten Haushuhn kreuzen. Somit haben wir
die Aussicht, durch kunstgemäße Bastardierung und Fortzucht der
Bastarde noch eine ganze Reihe schöner Schmuckvögel aus dem Geschlecht
der Fasanen zu erhalten, die dazu berufen sind, einmal unsere von
Wildhühnern verödeten Landschaften zu beleben und den Augen erfreuliche
Bilder zu spenden. Während der gemeine Fasan sich schon seit dem 14.
Jahrhundert von den Rheinniederungen aus als Jagdwild über Süd- und
Mitteldeutschland verbreitete, aber erst spät nach Norden gelangte --
er wird in Preußen erst 1678 als Jagdwild erwähnt --, bürgerte sich der
schöne Königsfasan erst neuerdings auf den Donauinseln bei Wien und in
Frankreich ein.

Der prächtige Goldfasan ist vermutlich der sagenhafte Vogel ~Phoinix~
der alten Griechen; wenigstens paßt die zuerst von Herodot gegebene
Beschreibung desselben am besten auf diesen Vogel, der wohl schon im
frühen Altertum in einzelnen Exemplaren aus Ostasien durch Vermittlung
indischer Schiffer an die Küsten des Roten Meeres und zu den Ägyptern
gelangte. Nach Oppian sollte er in Indien leben und nie von Menschen
verfolgt werden. Er lebe sehr lange, fühle er sich aber altersschwach,
so baue er sich auf einer Felsenspitze aus dürrem Reisig einen
Scheiterhaufen und lege sich darauf. Von der Sonne entzündet, verbrenne
dann der Scheiterhaufen samt dem Vogel und statt des toten steige ein
junger Phönix aus den Flammen hervor. Nach dem älteren Plinius soll
der in Arabien lebende Phönix die Größe eines Adlers erreichen, am
Halse mit Goldfarbe glänzen, übrigens purpurfarbig sein und im Schwanze
himmelblaue und rosenrote Federn haben; sein Kopf soll oben mit einem
Federbusch, unten mit Kammlappen geziert sein. Unter den Römern
sei der Gelehrte Senator Manilius der erste gewesen, der genauere
Nachrichten über diesen Vogel gab. Zur Zeit des Kaisers Claudius im
Jahre 34 n. Chr. sei einer nach Rom gebracht und öffentlich dem Volke
gezeigt worden; doch galt er nicht für echt, da er Gerste, Weizen
und Brot fraß und eines gewöhnlichen Todes starb, ohne vorher sein
berühmtes Nest gebaut zu haben. Der römische Geschichtschreiber Tacitus
meldet, daß vor diesem einer zur Zeit des Sesostris (Senwosret III.,
1887-1849 v. Chr., der das nördliche Nubien unterwarf und für sich die
Stufenpyramide von Dahschûr erbaute), ein anderer zur Zeit des Amasis
(Ahmose, 570 bis 526 v. Chr.), ein dritter zur Zeit des Ptolemäus
III. (Euergetes, 247 bis 221 v. Chr.) nach der Sonnenstadt Heliopolis
in Ägypten geflogen und jeweilen von einer Menge neugieriger Vögel
begleitet und bewundert worden sei. Jedenfalls sei es eine ausgemachte
Sache, daß dieser Vogel sich bisweilen in Ägypten sehen lasse. Später
schrieb dann der im 4. Jahrhundert n. Chr. lebende Lactantius ein
eigenes Gedicht über den Phönix, dessen Gestalt zwischen Pfau und
gemeinem Fasan in der Mitte stehe und dessen Gang leicht, rasch und
voll königlichen Anstandes sei.

Unbekannt war den Alten selbstverständlich das erst nach der Entdeckung
Amerikas durch spanische Vermittlung nach Europa gelangte ~Truthuhn~
oder der ~Puter~ (_Meleagris gallopavo_). Neben dem Kakao und der
Cochenille verdanken wir den alten Mexikanern die Zähmung des dort
und im Süden der Vereinigten Staaten einheimischen Truthuhns, das
bei ihnen und den weiter südlich wohnenden Mayastämmen neben dem
zahmen Hund die Hauptquelle für Fleischnahrung bildete. Das Truthuhn
lebt heute noch, soweit es nicht in dichter besiedelten Gegenden
ausgerottet wurde, in den Wäldern des südlichen Nordamerika. Einst war
es besonders in den Staaten Ohio, Kentucky, Illinois, Arkansas und
Alabama sehr häufig. Die beste Schilderung des freilebenden Tieres
verdanken wir dem nordamerikanischen Ornithologen John James Audubon
(1780-1851). Dieser schreibt von ihm, daß es zeitweilig in großen
Gesellschaften lebe und unregelmäßige Wanderungen antrete, indem es
tagsüber nahrungsuchend auf dem Boden fortlaufe, nachts aber auf hohen
Bäumen raste. Gegen den Oktober hin, wenn noch wenige von den Baumsamen
hinabgefallen seien, reisten die Truthühner dem Tieflande des Ohio und
Mississippi zu, wo sie mehr Äsung fänden. In nahrungsreichen Gegenden
pflegten sie sich in kleinere Gesellschaften zu zerteilen. Wenn sie
sich, von der Wanderung ermattet, Bauernfarmen näherten, mischten
sie sich gern unter den Hühnerstand. Im Frühjahre fände die Paarung
statt, wobei die Männchen die uns allen bekannten Werbungstänze,
von den schnell aufeinanderfolgenden rollenden Tönen begleitet,
aufführten. Das Nest bestehe aus einer seichten, liederlich mit Federn
ausgekleideten Vertiefung im Boden; das Gelege bestehe aus 15-20 auf
dunkelrauchgelbem Grunde rotpunktierten Eiern, die von der Henne mit
Ausdauer bebrütet würden. Falls diese das Nest verlasse, decke sie die
Eier sorgsam mit trockenen Blättern zu, so daß es schwer sei, überhaupt
ein Nest aufzufinden, wenn man nicht gerade die brütende Mutter
davon aufscheuche. Zuweilen geschehe es, daß mehrere Hennen in ein
gemeinsames Nest legten und es zusammen bebrüteten. Die Jungen seien
schon nach 14 Tagen befähigt, mit den Alten abends aufzubäumen.

Der Truthahn wird besonders gern während der Balz, die er zuweilen
auf Bäumen abhält, erlegt. Häufig werden die dummen Tiere in Fallen
gefangen, in die man Mais als Lockspeise gestreut hat. Ihr Fleisch ist
in ihrer Heimat sehr beliebt. Der erste Europäer, der das Truthuhn
erwähnt, ist der Spanier Oviedo, der in seiner Geschichte Indiens
schreibt: „In Neuspanien gibt es sehr große und schmackhafte Pfauen,
von welchen viele nach den Inseln und die Provinz Castilia de Oro
geschafft worden sind und daselbst in den Häusern der Christen ernährt
werden. Die Hennen sehen unansehnlich aus, die Hähne aber sind schön,
schlagen auch oft ein Rad, obgleich sie keinen so großen Schweif
haben als die Pfauen in Spanien.“ Um 1523 soll der Erzbischof von
San Domingo, Alessandro Geraldini, das erste Paar Truthühner nach
Rom gesandt haben. Als „indische Hühner“ haben sie sich in der Folge
langsam verbreitet, waren aber 1557 noch so selten und kostbar, daß der
Rat von Venedig bestimmte, auf welche Tafel sie kommen dürften und auf
welche nicht. 1571 wurden sie nach Konrad von Heresbach in ziemlicher
Zahl am Niederrhein gezogen. Schon 1560 hatte man bei einer großen
Hochzeit zu Arnstadt 150 Stück; 1561 bezahlten die reichen Fugger in
Augsburg zwei erwachsene Truthähne mit 3½ Gulden und zwei junge Hähne
mit 2 Gulden per Stück.

Nach England sollen die ersten Truthühner 1524, nach Deutschland 1534
gekommen sein. Gleichzeitig gelangten sie auch nach Frankreich. Nach
Pennant soll 1585 der Truthahn urkundlich zuerst auf einem englischen
Weihnachtstisch erschienen sein. In der Folge gewann er hier als
beliebtester Weihnachtsbraten eine große Bedeutung. Merkwürdigerweise
gab man ihm hier den Namen _turkey_ im Sinne von „weither gebrachtes
Huhn“. Die Türken selbst, die das Truthuhn verhältnismäßig früh
erhielten, nannten es „Frankenhuhn“, weil sie es von den Franken, den
Christen Europas, erhielten. Im Jahre 1625 wollte es in Kairo noch
nicht gedeihen; jetzt hat es dort die Gans als Festbraten verdrängt. Es
heißt hier Maltahuhn. Nach Persien brachte es der französische Reisende
Tavernier. In Indien gedeiht es nicht recht und bleibt klein, ebenso
auf Malakka und Java, wo es sich manchmal überhaupt nicht fortpflanzt.
Um 1870 waren sie in Annam neu eingeführt. In China werden sie nur
als Rarität gehalten und nicht benutzt. An der Küste von Oberguinea
traf sie Bosmann 1705 auf den Gehöften der Europäer, doch sind sie
nicht in den Besitzstand der Neger übergegangen. Die Indianer des
nördlichen Südamerika dagegen hatten von den mittelamerikanischen
Kulturvölkern, speziell dem Stamme der Mayas, das Truthuhn übernommen;
so traf es 1860 der englische Naturforscher Bates im Besitze der
Indianer am Amazonenstrom. Schon seit langer Zeit hatten diese allerlei
einheimische Waldhühner, so den ~Hokko~ und die ~Penelope~, in ihren
Hütten gezähmt gehalten. Doch geschah dies nur zum Vergnügen, ohne
irgend welchen Nutzen aus ihren Pfleglingen zu ziehen. Aber zur
Fortpflanzung in der Gefangenschaft und zur eigentlichen Haustierschaft
gelangten sie nie. Man kann daraus schließen, daß es keineswegs leicht
ist, aus einem ohne Schwierigkeit zähmbaren und vielgehaltenen Tier ein
Haustier zu machen.

Die in der Kultur hoch gestiegenen Azteken Mexikos und Mayastämme
Yucatans hatten das Truthuhn jedenfalls schon lange vor der
Einwanderung der Europäer gezähmt. Dies beweist, daß die ersten Spanier
in deren Besitz schon durch fortgesetzte Inzucht zu Leucismus gelangte
weiße Truthühner antrafen. Die europäischen Ansiedler Nordamerikas, die
jedenfalls ihre Truthühner aus ihrer alten Heimat, besonders England,
mitgebracht hatten, legten ihren Truthennen mit Vorliebe die Eier der
wilden unter, um dann mit den Jungen der wilden Zucht das Blut ihrer
zahmen aufzufrischen. Überhaupt scheint das Truthuhn verhältnismäßig
leicht zähmbar zu sein und auch leicht zu verwildern. So ist es im
vergangenen Jahrhundert mehrfach in englischen Parks verwildert, ebenso
in Deutschland. Darwin fand nahezu verwilderte Truthühner am Parana in
Südamerika. Vielleicht hat sich das Truthuhn mit dem Pfau, nicht aber
mit dem Haushuhn gekreuzt, wie einzelne Berichte melden. Neuerdings
sucht man es als Jagdvogel bei uns einzuführen, was wohl keine
Schwierigkeiten haben wird, da es sich leicht akklimatisiert.



XVI. Gans, Ente und Schwan.


Die in den Haustierstand übergetretenen Schwimmvögel gehören alle
der Familie der Zahnschnäbler oder Entenvögel an, die ebenso wie die
bereits besprochenen Hühnervögel vielfach erhebliche Unterschiede
in der Färbung des Gefieders beider Geschlechter erkennen lassen,
besonders was die Wildenten betrifft. Ihre geistige Begabung wird
vielfach zu niedrig angeschlagen, so daß die Bezeichnung „dumme
Gans“ geradezu sprichwörtlich geworden ist. Jedenfalls ist sie
durchschnittlich höher als bei den übrigen Schwimmvögeln. Nur die
gezähmten Vertreter derselben haben durch jahrhundertlange Bevormundung
durch den Menschen von der Intelligenz ihrer freien Ahnen erheblich
eingebüßt. Allen Mitgliedern der Sippe ist große Geselligkeit und
eine ausgesprochene Fürsorge für die Brut eigen. Soweit sie sich dem
Menschen anschlossen, verlangen sie auch im Haustierstande die Nähe
von Teichen oder langsam fließenden Wasserläufen, um sich darauf zu
tummeln, zu baden und nach allerlei kleinem Getier und pflanzlichen
Stoffen zu gründeln.

[Illustration: Bild 47. Jagd auf Wildenten und anderes Wassergeflügel
mit dem Wurfstock (Bumerang). (Nach Wilkinson.)

Hinter dem Herrn steht dessen Gattin und davor das Töchterchen, das
seinen Vater auf die Gans vor ihm aufmerksam macht. Zu oberst stürzt
eine Wildgans, vom Wurfholz getroffen, herunter.]

Von ihnen trat die Wildgans als die verhältnismäßig am leichtesten
zähmbare zuerst in die Abhängigkeit des Menschen, und zwar begegnen
wir ihr im wasserreichen Ägypten zuerst als Haustier. Dort hatte man
schon sehr früh außer der Gans auch Reiher und Kraniche eingefangen und
nach Stutzung der Flügel eingehegt in kleinen, von Hirten getriebenen
Herden gehalten. Dann haben auch die Griechen und Römer der späteren
Zeit nicht nur ~Kraniche~ gefangen, um sie als geschätzten Braten zu
essen, sondern auch zuvor in besonderen Gehegen gemästet. So klagt
Plutarch über die Grausamkeit mancher Leute, die den zum Mästen
eingesperrten Kranichen und Schwänen die Augenlider zusammennähen.
Schon Platon erwähnt Anstalten zum Füttern von Gänsen und Kranichen.
Später berichtet der Römer Varro zu Ende der Republik, daß Sejus eine
Villa besitze, auf der große Herden von Gänsen, Hühnern, Tauben,
Kranichen, Pfauen, Siebenschläfern, Fischen, Wildschweinen und anderem
Wild gehalten würden, wodurch er ein jährliches Einkommen von 50000
Sesterzien (= 7500 Mark) erziele. Noch lange erhielt sich in Italien
die Vorliebe für Kranichbraten, zu dessen kunstgerechter Zubereitung
der Feinschmecker Apicius die nötige Anweisung gab. ~Reiher~ wurden
von den Römern der Kaiserzeit kaum gegessen, wohl aber ~Störche~. So
sagt Horaz in einer seiner Satiren, der Storch sei in seinem Neste
sicher gewesen, bis man durch einen gewesenen Prätor erfuhr, daß er
vortrefflich schmeckt. Nach Porphyrio war es Asinius Sempronius Rufus,
der die Sitte einführte, junge Störche zu essen. Auch ~Flamingos~
waren bei den römischen Feinschmeckern beliebt. So berichtet Plinius,
der Erzschwelger Apicius habe die Römer darauf aufmerksam gemacht,
daß die dicke Zunge des Flamingo vortrefflich schmeckt. Martialis
erwähnt sie als Leckerbissen für Leckermäuler, und Suetonius berichtet:
„Kaiser Vitellius war im Essen ganz unmäßig und ließ, nebst anderen
Leckerbissen, auch Flamingozungen auftischen.“ Nach Älius Lampridius
ließ der schwelgerische Kaiser Heliogabalus bei seinen großen
Schmausereien auch Gehirn von Flamingos auftragen.

Alle diese Wasservögel sind aber nie gezüchtet oder gar zu Haustieren
erhoben worden. Nur die Gans wurde es, und zwar waren nach den auf
uns gekommenen Darstellungen an den Wänden der altägyptischen Gräber
diese Gänse im Alten Reich viel schlanker und zierlicher als die
plumpen Gestalten unserer hochgezüchteten jetzigen Gänse. In einem
altägyptischen Gau war der Erdgott Keb mit der ihm heiligen Gans über
dem Kopfe dargestellt und wurde „der große Gackerer“ genannt. Den
alten Ägyptern war das Gänseei das Symbol des Welteies, aus dem die
ganze Schöpfung hervorgegangen sein sollte. Die Eier des von ihnen
gezähmten Tieres aßen sie wohl deshalb nicht, doch spielte der Braten
von erlegten wilden, wie auch später von zahmen Gänsen eine bedeutende
Rolle im Leben der Ägypter; denn unter den Opferspeisen, die den
vornehmen Toten dargebracht wurden, steht solcher mit an erster Stelle.

Die Stammform dieser altägyptischen Gans war nun nicht diejenige
unserer europäischen Gänse, von der alsbald die Rede sein wird, sondern
die die afrikanischen Gewässer bewohnende, durch ihre auffallend schöne
Zeichnung ausgezeichnete ~Nilgans~ (_Chenalopex aegyptiacus_). Sie
besucht von Afrika und Syrien aus ziemlich regelmäßig Südeuropa, aber
nur ausnahmsweise Deutschland. Sie vertritt die Gattung der Baumgänse
und kennzeichnet sich durch ihre schlanke Gestalt, den dünnen Hals,
großen Kopf, kurzen Schnabel, die hohen Füße, die breiten Flügel und
das prachtvolle Gefieder. Kopfseiten und Vorderhals sind gelblichweiß
und fein gesprenkelt; ein Fleck um das Auge, der Hinterhals und ein
breiter Gürtel am Mittelhals sind rostbraun, das Gefieder der Oberseite
grau und schwarz, das der Unterseite fahlgelb, weiß und schwarz
quergewellt, die Mitte der Brust und des Bauches lichter, erstere
durch einen großen, rundlichen, zimtbraunen Flecken geschmückt, die
Steißfedern schön rostgelb, die Flügeldecken weiß, gegen die Spitze zu
schwarz, prachtvoll metallisch schimmernd, die Schwingenspitzen und
Steuerfedern glänzend schwarz.

Der schöne Vogel bewohnt ganz Afrika, besonders soweit es mit einem
Waldsaum eingefaßte Ströme besitzt, da er am liebsten im Walde und auf
Bäumen nistet. Im nördlichen Nilgebiet bilden Inseln und Sandbänke
im Strom seinen bevorzugten Aufenthalt. Von ihnen aus fliegt er
dann auf die Felder hinaus, um daselbst zu äsen. Er ist überaus
vorsichtig, scheu und mißtrauisch, daneben aber auch streitsüchtig mit
Geschlechtsgenossen.

Die Zähmung der einheimischen Nilgans wurde schon sehr früh von den
alten Ägyptern bewerkstelligt, so daß sie zweifellos als der älteste im
Niltal domestizierte Vogel anzusehen ist. Schon auf den Grabgemälden
des Alten Reiches (2980-2475 v. Chr.) sehen wir Bäuerinnen Gänse dieser
Art auf den Markt oder in den Tempel zum Opfer bringen. Auf anderen
sehen wir, wie Nilgänse gestopft werden, um sie fett zu machen, oder
wie an einem Bratspieß in glühender Asche Gänsebraten kunstgerecht
hergestellt wird. Erst im Neuen Reich (1580-1205 v. Chr.) wird dazu ein
über dem Feuer stehender Metallkessel verwendet, wobei der Küchenjunge
zum Umwenden des Bratens sich einer großen zweizinkigen Gabel bedient.
Wir sehen auch Geflügelhändler sie gerupft in ihrem Laden feilbieten,
dessen Wand eine ganze Reihe dieser gemästeten Vögel birgt, die fein
säuberlich ausgenommen waren und durch ihre appetitliche Auslage zum
Kaufen einluden.

[Illustration: Bild 48. Geflügelladen im alten Ägypten mit teilweise
gemästeten Gänsen.

(Nach Wilkinson.)]

Wie hoch die Zucht der Nilgans im Neuen Reiche Ägyptens entwickelt war,
zeigt uns ein im Britischen Museum in London aufbewahrtes Gräberbild
aus Theben, auf dem ganze Herden von Gänsen und ganze Körbe voll
geschlachteter Leiber derselben einem hohen Beamten vorgeführt werden.
Dabei werden die sich herandrängenden Gänsehirten von den Aufsehern
zur Ruhe gewiesen. Auf diesem, wie auf den anderen altägyptischen
Bildern, ist die Darstellung der Nilgans ungemein naturgetreu.
Merkwürdigerweise ist diese Zucht, die über 2000 Jahre hindurch von der
größten wirtschaftlichen Bedeutung für Ägypten war, späterhin spurlos
verschwunden. Weder im Niltal noch sonstwo in Afrika läßt sich irgend
welche Spur der Erhaltung dieser einstigen Gänsezucht nachweisen. In
Europa wurde sie gelegentlich wieder aufzunehmen versucht; doch wurde
die Nilgans nicht mehr in den Haustierstand erhoben, sondern sie wird
nur gelegentlich als Ziervogel gehalten. Nach J. Geoffroy St. Hilaire
ist 1839 in Frankreich die Aufzucht dieses Tieres mit gutem Erfolg
gelungen. Die gezüchteten Exemplare nahmen nach und nach an Größe zu
und die Befiederung wurde etwas heller. Gleichzeitig gelang es von 1844
an, die Brutzeit zweckmäßig zu verschieben, indem die Eiablage vom
Ende Dezember oder Anfang Januar bis 1846 in den März und später in
den April hinausgeschoben wurde. Leider wurde dieser vielversprechende
Versuch nicht weitergeführt und die Zucht der Nilgans aufgegeben,
bevor sie wiederum zum wirklichen Hausvogel, wie sie es einst im alten
Ägypten gewesen, geworden war.

[Illustration: Bild 49. Gänsebraterei im alten Ägypten.

_a_) Zerkleinerte Gänse in einem Kessel, _d_) Sieden in einem Kessel,
_f_) Braten von Gänsen am Spieß. (Nach Wilkinson.)]

Außer der Nilgans scheinen die Ägypter noch drei andere Arten von
Wildgänsen gezähmt und mit gestutzten Flügeln in Herden gehalten zu
haben. Dies dürfen wir vor allem nach dem berühmten Wandgemälde des
Alten Reiches, das unter dem Namen die „Gänse von Meidum“ bekannt ist,
schließen. Darauf sehen wir nach Gaillard und Lortet weidende Graugänse
(_Anser cinereus_), dann Bläßgänse (_Anser albifrons_) und Rothalsgänse
(_Branta ruficollis_). Immerhin war diese Zucht nur sehr vereinzelt und
ohne volkswirtschaftliche Bedeutung, da sie sehr bald aufgegeben wurde.

Die Stammform unserer ~Hausgans~ ist nicht die afrikanische Nilgans,
sondern die in Europa und Nordasien heimische, auf dem Rücken
bräunlichgraue, auf der Unterseite gelblichgraue, spärlich und
unregelmäßig gefleckte ~Grau-~ oder ~Märzgans~ (_Anser cinereus_).
Sie gehört mehr den gemäßigten Gegenden als dem hohen Norden an und
ist die einzige der bei uns vorkommenden Arten, die in Deutschland
brütet. Hier erscheint sie schon Ende Februar oder Anfang März, also
noch vor der eigentlichen Schneeschmelze in kleinen Gesellschaften, um,
wie dies wenigstens früher der Fall war, an allen größeren stehenden
Gewässern in schwer zugänglichem Schilfdickicht oder mit Gesträuchern
und hohem Gras bewachsenen Inseln zu brüten und nach Beendigung der
Mauser Ende Juli wieder nach Süden abzuziehen, wo sie den Winter
verbringt. Treu halten die Familien zusammen. Die im Gegensatz zu den
überaus schwerfällig gewordenen Hausgänsen viel rascher und zierlicher
sich bewegenden, gut und ausdauernd fliegenden, gewandt schwimmenden
und bei großer Gefahr in gewisse Tiefe tauchenden wilden Graugänse
beweisen einen scharfen Verstand und zeigen sich sehr vorsichtig und
mißtrauisch. Nur die Hausgänse erfreuen sich, als ob sie die nahe
Verwandtschaft herausfühlten, ihrer Zuneigung, indem sie sich diesen
auf den Weideplätzen oft nähern, ja einzeln sich nicht selten unter
diese mischen. In die aus allerlei Stengeln und Halmen von Schilf,
Rohr oder Binsen unordentlich und locker hergestellten und mit einer
dicken Daunenlage ausgepolsterten Nester legen die jüngeren Weibchen
5-6, die älteren dagegen 7-14 durchaus denen der Hausgans gleichende,
glattschalige, glanzlose, etwas grobkörnige Eier von grünlichweißer
oder trübgelblicher Färbung. Am 28. Tage der Bebrütung entschlüpfen
die Jungen, werden noch etwa einen Tag lang im Nest festgehalten,
dann auf das Wasser geführt und zum Futtersuchen angeleitet. Später
werden Wiesen und Felder zum Äsen aufgesucht. Abends kehrt alt und jung
noch zum Nest zurück. Nach ungefähr zwei Wochen wird dieses für die
inzwischen heranwachsenden Jungen zu klein und letztere nehmen bald
hier, bald dort, dicht neben der Mutter hingekauert, ihre Schlafstelle
ein.

Jung eingefangene Graugänse werden bald zahm, doch verleugnen sie,
sobald sie erwachsen sind, so wenig als die von Hausgänsen erbrüteten
und erzogenen Wildgänse, ihren Freiheitsdrang und Wandertrieb. Sie
beginnen zu fliegen und ziehen, wenn man sie nicht gewaltsam zurückhält
und ihnen die Flügel stutzt, im Herbst mit anderen Wildgänsen nach
Süden. Zuweilen geschieht es, daß einzelne zurückkommen und das Gehöft,
in welchem sie großgezogen wurden, wieder aufsuchen; aber sie gehören
doch zu den Ausnahmen. Von vier im Hause erbrüteten und erwachsenen
wilden Graugänsen, die Boie beobachtete, entzogen sich nach und nach
drei der Obhut ihrer Pfleger; eine aber kehrte im nächsten Frühling
und in der Folge noch 13 Jahre lang zu dem Gut zurück, auf welchem man
sie aufgezogen hatte, bis sie endlich ausblieb, also wohl ihren Tod
gefunden haben mußte. Sie stellte sich in den 13 Jahren nie früher als
den 1. und nie später als den 4. April, also mehrere Wochen später als
die übrigen Gänse ein, zeigte sich auf dem Hofe sehr zahm, außerhalb
aber ebenso scheu als die wilden ihresgleichen, kam in den ersten
Wochen nach ihrer Rückkunft gewöhnlich morgens und abends, um sich
Futter zu holen, blieb auch wohl eine halbe bis eine ganze Stunde, flog
dann jedoch immer wieder zurück, und zwar sofort dem nahen See zu, so
daß man auf die Vermutung geriet, sie möge dort ihr Nest haben. Von der
Zeit an, in welcher die wilden Gänse Junge auszubringen pflegen, blieb
sie länger auf dem Hof, und später hielt sie sich beständig dort auf.
Abends 10 Uhr erhob sie sich regelmäßig und flog stets in derselben
Richtung davon, dem See zu.

Das Wildbret der alten Graugänse ist zwar hart und zähe, dasjenige der
Jungen dagegen zart und außerordentlich schmackhaft. So ist es kein
Wunder, daß die Tiere von alters her vom Menschen erbeutet wurden, um
als willkommene Nahrung zu dienen. Wie wir Überreste dieser Wildgänse
unter den Speiseabfällen der frühneolithischen Kjökkenmöddings der
Muschelesser Dänemarks antreffen, so begegnen wir ihnen, wenn auch
allerdings selten, in denjenigen der Pfahlbauzeit. Doch gezähmt kannten
die vorgeschichtlichen Europäer die Gans durchaus nicht, obwohl ihr
gleichende Vögel nebst Rinderköpfen auf einem bei Frankfurt an der Oder
gefundenen heiligen Wagen der Bronzezeit dargestellt sind. Letztere
waren der Gottheit geweihte wilde Tiere. Im alten Babylonien finden
wir Gewichte in Gestalt eines Schwimmvogels, der vermutlich ebenfalls
eine Gans darstellt. In Indien, wo der Vogel Henza eine wichtige
mythologische Rolle spielt, hat man mehrfach Gänsefiguren in Gräbern
gefunden, so daß man annehmen darf, daß diesem Vogel in den religiösen
Anschauungen der dortigen Bewohner eine gewisse Bedeutung zukam. In
Birma sind nach Yule heute noch Gewichte in Gebrauch, von denen die
Eingeborenen wissen, daß sie Gänse darstellen. Daraus schließt Eduard
Hahn, daß die Gänsezucht im alten Babylonien wie in Ägypten in Blüte
gestanden haben muß und von dort weiter östlich verbreitet wurde.
Es ist dies wohl möglich, ja wahrscheinlich, weil dort viele Kanäle
diesen Wasservögeln Gelegenheit zum Baden und Tauchen gewährten.
Doch haben die solcher Wasseransammlungen entbehrenden Juden diesen
Nutzvogel weder von dort noch von Ägypten her übernehmen können. In den
heiligen Schriften der Juden wird die Gans nirgends erwähnt; erst seit
dem Mittelalter ist bei den nach Europa gekommenen und hier häuslich
niedergelassenen Juden der Genuß von Gänsefleisch und von Gänsefett
zum Schmälzen des Rindfleisches, da ihr Gesetz die Verwendung von
Rinderfett oder Butter zu letzterem verbietet, sehr beliebt geworden.

Dagegen hielten bereits die Griechen des homerischen Zeitalters zahme
Gänse in kleinen Herden. Im Hofe des Königs Menalaos von Sparta, dem
Bruder des mächtigen Herrschers des „goldreichen Mykene“, Agamemnon,
gab es schon, wie uns im 15. Gesang der Odyssee berichtet wird,
die „sehr große, gemästete, weiße Gans“, auf welche ein Raubvogel
hinabstößt. Diese kennzeichnenden Beiwörter legen Zeugnis dafür ab,
daß wir es hier mit einem sehr alten, schon längst in der menschlichen
Zucht und Pflege befindlichen Tiere zu tun haben, bei dem sich der bei
Haustieren so weit verbreitete Leucismus schon vollkommen ausgebildet
hatte. Wahrscheinlich hatten die alten Griechen die weiße Hausgans von
Norden her erhalten. Da die wilde Stammform in Südeuropa nicht brütet,
sondern im Herbst mit bereits erwachsenen Jungen in das Gebiet des
Mittelmeeres fliegt, so ist sie wohl in ihrem südlichsten Brutbezirk,
in Mitteleuropa, irgendwo von vermutlich indogermanischen Stämmen in
die Haustierschaft gebracht worden. Hier konnten leicht nach Tötung der
Mutter erbeutete junge Wildgänse in des Menschen Pflege herangezogen
und später durch Brechen der Flügel vor dem Davonfliegen beim
Größerwerden bewahrt werden.

Bei den Griechen galt die Gans für einen lieblichen Vogel, dessen
Schönheit bewundert wurde und der zu Geschenken an geliebte Knaben
und Mädchen diente. Als Ziervogel erscheint sie auch im 19. Gesang
der Odyssee, wo von Penelope, der treuen, von Freiern viel umworbenen
Gattin des Odysseus, als sie ihrem unbekannten, in Bettlergestalt ihr
gegenübersitzenden Gemahl ihren Traum erzählt, gesagt wird, sie besitze
-- nicht draußen bei der Ökonomie, sondern bei der Wohnung -- 20 Gänse,
die anzusehen ihr Freude mache. Diese ausdrücklich hervorgehobene Zahl
scheint offenbar einen nicht unbedeutenden Reichtum darzustellen.
Nach späterer griechischer Vorstellung sind Gänse wachsame Hüterinnen
des Hauses. So war auf dem Grabe einer guten Hausfrau unter andern
Emblemen eine Gans abgebildet, um die Wachsamkeit der Verstorbenen
hervorzuheben. In der bekannten Fabel des aus Kleinasien gebürtigen
Äsopos ist von der Gans die Rede, die goldene Eier legt. Hier erscheint
also dieses Tier genau in der Stellung wie bei uns das Huhn, in
China aber die Ente, die dort zur Eierlegerin herangezüchtet wurde.
Aristoteles berichtet von der Gans, daß sie 30 Tage brütet und der
Gänserich ihr dabei nicht helfe. Sonst fließen die literarischen
Quellen über dieses Tier bei den Griechen nur spärlich.

Sehr viel häufiger finden wir dagegen die Gans bei den Römern erwähnt,
bei denen sie als Nutztier eine erhebliche Bedeutung besaß. Der
römische Ackerbauschriftsteller Columella im 1. Jahrhundert n. Chr.
schreibt von ihr in seinem Buche über Landwirtschaft: „Die Gans wird
vom Landmann sehr gern gehegt und gepflegt, weil man sich mit ihr
nicht viel Mühe zu geben braucht und weil sie sorgfältiger wacht als
ein Hund; denn sie verrät durch ihr Geschrei den Spitzbuben ganz
sicher, wie sie denn einmal durch ihre Wachsamkeit das Kapitol (vor dem
Überfall durch die Gallier oder Kelten) gerettet hat. Zur Gänsezucht
gehört übrigens Wasser und viel Gras; auf Saatfeldern darf sie nicht
weiden, denn sie reißt da die zarten Pflänzchen ab. Sie liefert nicht
bloß Junge, sondern auch Federn, die man jährlich zweimal, im Frühling
und Herbst, ausrupfen kann. Auf drei Gänse hält man einen Gänserich.
Gewöhnlich beschränkt man die Zahl der Gänse auf wenige. Will man aber
ganze Herden davon halten, so muß man einen See oder Teich oder Fluß
für sie haben. Man baut dann für sie allein einen Hof, umgibt ihn mit
einer neun Fuß hohen Mauer, diese an der Innenseite mit einem Gang, der
ein Dach hat und eine Wohnung für den Wärter enthält. Rings im Gange
werden für einzelne Gänse steinerne Verschläge gebaut, wovon jeder
drei Fuß im Geviert mißt und eine feste Türe hat.

Außer dem Wasser müssen die Gänse auch Wiesen haben, ferner müssen
Äcker für sie bestimmt sein, welche mit Wicken, Klee, sogenanntem
griechischem Heu (Bockshornklee), vorzüglich aber mit Salat und einer
Art Zichorie, welche die Griechen _seris_ nennen, besät sind; denn
diese weichen Blätter fressen die Gänse besonders gern und sie bekommen
den Jungen vortrefflich. Man hält womöglich nur weiße Gänse, da sie die
besten sind. Das Brüten beginnt im Februar oder März. Läßt man eine
Gans nicht brüten, so legt sie jährlich zu drei verschiedenen Zeiten
Eier, erst fünf, dann vier, dann drei. Man läßt die Eier am liebsten
von Haushühnern ausbrüten, auch die Jungen von diesen oder von den
Gänsen selbst führen. Zur Legezeit muß man gut auf die Gänse aufpassen
und diejenigen, bei welchen man das erste reife Ei fühlt, einsperren,
bis sie gelegt haben. Hat man das beim ersten Ei getan, so sucht dann
die Gans für jedes andere dasselbe Nest wieder auf. Einem Haushuhn darf
man nur drei bis höchstens fünf Gänseeier unterlegen, der Gans selbst 7
bis 15. Unter das Neststroh muß man Nesseln mischen; dadurch beugt man
vor, daß später die jungen Gänschen nicht sterben, wenn sie von Nesseln
gestochen werden. Gewöhnlich kriechen die Gänschen am 30. Tage aus dem
Ei, bei warmem Wetter auch früher. Wie bei andern jungen Tieren, so muß
auch bei den Gänschen dafür gesorgt werden, daß sie keine Natter, keine
Otter, keine Katze, kein Wiesel anhauchen kann, geschieht es doch,
so sind die zarten Wesen unrettbar verloren.“ Selbstverständlich ist
letzteres eine abergläubische Ansicht, wie solche bei den Römern wie
bei den andern Völkern des Altertums sehr zahlreich verbreitet waren.

Es gab damals bei den Römern, wie uns der gelehrte Varro zu Ende der
Republik berichtet, eigentliche Gänsezüchtereien, die man mit dem
griechischen Worte _chēnoboskeíon_ bezeichnete. „Scipio Metellus und
Marcus“, fährt dieser Autor fort, „besitzen große Gänseherden. Sejus
schaffte große und weiße an; er hoffte von ihnen eine ebensolche
Nachkommenschaft zu ziehen. Es gibt auch eine bunte (graue) Gänserasse,
die man die wilde nennt, die sich nicht gern mit zahmen zusammentut
und nicht leicht zahm wird. Man füttert sie mit der speziell für sie
angepflanzten _seris_ oder mit Gerste oder anderem Getreide oder
gemischtem Futter. Zur Mast nimmt man Junge von 4 bis 6 Monaten, sperrt
sie in einen Verschlag, gibt ihnen eine mit Wasser naßgemachte Mischung
von Gerstengraupen und Mehl, so daß sie sich täglich dreimal sättigen
können, und nach dem Fressen reichlich zu saufen. Auf solche Weise
müssen sie in drei Monaten fett sein. So oft sie gefressen haben, wird
ihr Verschlag gereinigt; denn sie verlangen, daß er rein sei.“

Schon bei den Feinschmeckern des alten Rom galt die Leber gemästeter
Gänse als Leckerbissen. So schreibt der Dichter Horaz in einer
seiner Satiren: „Um eine delikate, große Gänseleber auftischen zu
können, werden die Tiere mit Feigen gemästet.“ Juvenal sagt: „Die
Leber der Gans wird so groß wie die Gans selbst“, und Martial ruft
einmal aus: „Da, sieh, eine Gänseleber, die größer ist als eine große
Gans! Woher stammt denn diese?“ Der ältere Plinius bemerkt in seiner
Naturgeschichte: „Die Römer sind pfiffiger (als die Griechen) und
schätzen die Gänse weniger wegen ihrer Liebe zur Philosophie als wegen
ihrer wohlschmeckenden Leber. Werden sie gemästet, so wird die Leber
außerordentlich groß und nimmt an Umfang noch zu, wenn man sie in eine
Mischung von Milch und Honig legt. Es ist eine wichtige Frage, wer
zuerst diese köstliche Entdeckung gemacht hat, ob der Konsular Scipio
Metellus oder dessen Zeitgenosse, der Ritter Marcus Sejus. Das ist
dagegen unbestreitbar, daß Messalinus Cotta, Sohn des Redners Messala,
die Erfindung gemacht hat, Gänsefüße zu rösten und nebst Hahnenkämmen
einzumachen.“

Im ersten Jahrhundert n. Chr. lernten die Römer noch ein weiteres
neues Produkt durch die Germanen kennen, nämlich die Daunen als
überaus weiches und angenehmes Polstermaterial. Die Kulturvölker
des Mittelmeers hatten vorher augenscheinlich diese Verwendung noch
nicht gekannt. Wollte man weich sitzen oder liegen, so mußte man
eben mehrere Decken oder Felle aufeinander legen. Im verweichlichten
Orient kamen dann Hasenhaare und Rebhuhnfedern als Polstermaterial
für Kissen auf, und als der aus Syrien stammende Kaiser Heliogabalus
diese morgenländische Sitte nach Rom verpflanzte, unterläßt es sein
Biograph Lampridius nicht, diese luxuriöse Neuerung anzuführen. Da
lehrten die Feldzüge nach Germanien, besonders am Niederrhein, die
Römer die Gänsedaunen als ein ganz besonders feines Polstermaterial
kennen, und sie benutzten sie als solches gern. Der vorhin erwähnte
ältere Plinius schreibt in seiner Naturgeschichte: „Einen andern
Vorteil (als die Leber) zieht man aus den Federn der weißen Gänse. An
manchen Orten rupft man sie zweimal des Jahres und sie bekommen doch
wieder neue Federn. Der weichste Flaum sitzt der Haut am nächsten,
der beste aber kommt aus Germanien. Die dortigen Gänse sind weiß,
klein, heißen _gant_ (Gans) und das Pfund ihrer Federn kostet 5 Denare
(= 3 Mark). Daher kommt es, daß die Offiziere der dort stehenden
römischen Hilfstruppen so oft angeklagt werden, ganze Kohorten auf die
Gänsejagd statt auf die Wache zu schicken. So sehr sind wir nun schon
verweichlicht, daß sogar Männer kaum schlafen können, wenn ihr Kopf
nicht auf einem Kissen aus Gänseflaum ruht.“ Bis auf den heutigen Tag
ist ja das Schlafen in Federbetten eine mehr nordische Sitte geblieben,
die den in einem wärmeren Klima lebenden Südländern nicht zusagte,
sonst hätten die Römer am Ende auch diese Gewohnheit den Germanen am
Niederrhein entlehnt.

Dagegen kannte das Altertum noch nicht den Gebrauch der Gänsefeder
zum Schreiben, die bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts in ganz Europa
dazu üblich war. Es benutzte dafür das Schreibrohr, den _Kalamós_ der
Griechen, den die Römer als _calamus_ übernahmen, der dann später als
_Kelâm_ zu den Arabern gelangte und von ihnen bis auf den heutigen Tag
gebraucht wird. Erst der Anonymus Valesii, zur Zeit des Ostgotenkönigs
Theodorich, erwähnt als Schreibinstrument auch die _penna_, d. h.
Feder, die mit Vorliebe von den Flügeln der Gans genommen wurde. Dann
erwähnen Isidorus Hispalensis, der als Bischof von Sevilla in der
ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts n. Chr. lebte, ebenso der um 670 n.
Chr. lebende Paulus von Ägina Gänsefedern zum Schreiben. Von da an war
sie in ganz Europa bis in die Neuzeit im Gebrauche.

Wegen ihrer Wachsamkeit wurden im Altertum auf dem Kapitol neben Hunden
auch Gänse gehalten. Letztere waren nach Livius und Diodorus Siculus
der Juno geweiht und weckten die eingeschlafenen Schildwachen, als
einst Gallier das Kapitol belagerten und heimlich bei Nacht am Felsen
hinaufkletterten. Zum Dank für jene Rettung vor Überfall wurden nach
Servius „jährlich am selbigen Tage mit Gold und Purpur geschmückte
Gänse auf Sänften in Rom zur Schau herumgetragen, während die Hunde,
die den Feind nicht verraten hatten, ans Kreuz geschlagen wurden“.
Nach Plinius war es die erste Sorge der Zensoren, einen Vertrag mit
den Leuten zu schließen, welche die Fütterung der heiligen Gänse auf
dem Kapitol übernehmen wollen. Derselbe Autor sagt dann auch: „Die
Gans verliebt sich mitunter in Menschen; so ist der Knabe Ägius zu
Olenus von einer solchen und von einer andern Glauce, die Spielerin
der Kithara am Hofe des Königs Ptolemäus, geliebt worden. Die Gänse
scheinen sogar für Weisheit empfänglich zu sein, denn es bezeugte
eine dem Philosophen Lakydes eine solche Anhänglichkeit, daß sie ihn
nirgends, weder auf der Straße, noch im Bade, weder bei Nacht, noch bei
Tag verließ.“ Solche Beispiele ließen sich auch aus der Gegenwart in
größerer Zahl anführen.

Bei den Kelten und Germanen war die Gans in einer kleineren, weniger
hochgezüchteten Art schon vor ihrem Bekanntwerden mit der römischen
Kultur vorhanden. Wir erwähnten vorhin den Passus bei Plinius, der von
der Gesuchtheit der Daunen der germanischen Gänse als Polstermaterial
für die Kopfkissen der Römer berichtet. So hat auch Gudrun in der Edda
ihre Gänse auf dem Hof, und diese schrieen hell auf, als ihre Herrin am
Leichnam Sigurds laut jammerte:

    Und hell aufschrieen    Die zierlichen Vögel,
    Im Hofe die Gänse,      Die Gudrun zog.

Nachdem sie im Herbste fett geworden waren, wurden sie, da man sie
nicht vollzählig überwintern konnte, zum größten Teil geschlachtet und
dem Gotte Thor zu Ehren gegessen. Als der heilige Martin den letzteren
bei der Christianisierung der Germanen ablöste, verspeiste man sie dem
letzteren zum Gedächtnis. Noch heute ist bei uns die Martinsgans in
Ehren. In Norddeutschland wird die gerupfte und ausgenommene Gans wie
das Schweinefleisch seit alter Zeit geräuchert, um sie so in den Winter
hinein aufbewahren zu können.

Die Veränderungen, die unsere Hausgans gegenüber der Wildgans erlitt,
sind eigentlich unbedeutend. Ihr Gang ist infolge des erhöhten
Gewichtes schwerfälliger geworden und ihre Flugfähigkeit hat sich
bedeutend vermindert, der Rumpf wurde etwas tiefer gestellt und der
Schwanz kürzer als bei der Graugans. Auch die Färbung wurde bei den
grau gebliebenen Schlägen einfacher in der Zeichnung. Eine solche
graue Art von bedeutender Schwere ist die ~Toulouser Gans~, die oben
dunkelgrau und unten hellgrau ist, mit fleischfarbenem Schnabel. Eine
kleine Varietät derselben mit struppigen, gekräuselten oder gelockten
Federn, deren dünner Schaft eine zerschlissene Fahne besitzt, ist die
~Sebastopol-~ oder ~Struppgans~. Die meisten europäischen Abarten
besitzen als Folge des durch Domestikation weit gediehenen Leucismus
ein rein weißes Gefieder, einen gelbroten Schnabel, hellblaue Iris und
orangefarbene Füße, so die ~Emdener Gans~ und die durch ihre Größe
ausgezeichnete ~pommersche Gans~.

Mit den Europäern haben die Hausgänse sich auch in die von jenen
kolonisierten Länder verbreitet, so besonders nach Nordamerika.
Dieses Land hat aus seinem reichen Bestand von wilden Gänsen in der
Folge ebenfalls eine zur Domestikation geliefert. Es ist dies die
~Kanadagans~ (_Anas canadensis_), deren von wild lebenden Tieren
ausgenommene Eier mehrfach von Hausgänsen europäischen Ursprungs
ausgebrütet wurden. So war es nicht schwer Zuchtmaterial von ihr
zu erhalten. Doch gelang es nur, wenn diese Tiere ganz jung waren,
sie untereinander fortzupflanzen. Für die Volkswirtschaft hat aber
das Tier, das keine Vorzüge vor der Hausgans europäischen Ursprungs
darbietet, durchaus keine Bedeutung erlangt und wird in seiner Heimat,
wie auch bei uns, meist nur als Ziervogel auf größeren Teichen
gehalten. Da niemand auf seine Fortpflanzung achtete, wird es immer
wieder erloschen sein, um dann später gelegentlich neu aufzutauchen.
So erwähnt es schon Willoughby 1676 als im Besitze König Jakobs I.
befindlich. Bald danach berichtet Edwards, daß sich der Vogel in
der Gefangenschaft fortgepflanzt habe. In neuerer Zeit scheint dies
öfter vorzukommen. Doch ist dies alles aus obengenannten Gründen
bedeutungslos geblieben. Der Vogel hat eben keinen praktischen Wert für
die Züchter.

Ganz anders steht es mit der ~chinesischen Gans~, die von der
ostasiatischen wilden ~Höcker-~ oder ~Schwanengans~ (_Anas cycnoides_)
abstammt, aber sich von ihr dadurch unterscheidet, daß ihr jede Spur
eines Höckers an der Schnabelwurzel fehlt, den besonders das Männchen
der wilden Art sehr ausgeprägt zeigt. Sonst ähnelt der wilde Vogel in
der Färbung unserer Märzgans. Der zahme Vogel zeigt aber meist die
auch von der domestizierten Märzgans angenommene weiße Farbe; dabei
weist das Männchen oft noch eine Art Kehlsack auf. Die chinesische
Hausgans nimmt in ihrer Heimat China, weniger in Japan, ungefähr die
Stellung der Hausgans bei uns ein. Hier geht, besonders im Süden, die
Ente bedeutend an Wichtigkeit vor. Schon im 16. Jahrhundert wurde sie
von den Portugiesen unter dem Namen spanische Gans oder -- nach dem
Wege über Afrika -- Guineagans nach Europa gebracht. Doch hat sie hier
nicht die Verbreitung gefunden, die sie verdient. Nur in Rußland,
besonders im Süden, war sie schon im 18. Jahrhundert recht verbreitet.
Sie war dahin auf dem Karawanenwege gelangt, wurde hier aber in der
Folge stark mit der europäischen Hausgans gekreuzt, so daß die Vögel
durchgängig gemischten Blutes sind. Hier benutzt man sie mit Vorliebe
zu den Gänsekämpfen, die besonders dadurch possierlich werden, daß
jedem der kämpfenden Männchen das Weibchen sekundiert. Neuerdings ist
die chinesische Gans auch mit der kanadischen gekreuzt worden.

Viel später als die Erwerbung der Gans als Haustier erfolgte diejenige
der ~Ente~, die erst in historischer Zeit domestiziert wurde, und
zwar wie die Gans sowohl in Europa, als auch in China in durchaus
selbständiger Weise. Die alten Ägypter, Assyrer, Inder und homerischen
Griechen besaßen sie so wenig als die älteren Römer. Erst vom Ende des
2. vorchristlichen Jahrhunderts an scheinen sie die Römer und dann auch
die Griechen mit andern Schwimmvögeln zusammen in besonderen Teichen
gehalten zu haben. So schreibt der römische Ackerbauschriftsteller
Columella etwa um 60 n. Chr.: „Im Entenpark hält man Enten (_anas_),
Knäkenten (_querquedula_), Kriekenten (_boscas_), Wasserhühner und
ähnliche Wasservögel. Das Ganze umgibt man mit einer 15 Fuß hohen
Mauer, deckt es mit einem weitmaschigen Netz (damit keiner der Insassen
hinaus und kein Raubvogel hinein könne, sagt an einer ähnlichen Stelle
Varro), gräbt in der Mitte einen Teich von zwei Fuß Tiefe, der immer
frisches Wasser erhält und dessen Ufer allmählich abwärtsgehen und mit
Mörtel ausgestrichen sind. Rings am Ufer hin ist der Boden des Teiches
gepflastert, in der Mitte dagegen besteht er aus Erde und ist daselbst
mit Wasserpflanzen besetzt, unter welchen sich die Vögel verbergen
können. Der Platz außerhalb des Teiches ist mit Gras bewachsen. Zum
Nisten sind am Fuße der Mauer je einen Fuß ins Geviert haltende Zellen
aus Stein gebaut, die von Buchs- und Myrtenbäumchen beschattet werden.
Das Futter wird in einen besonderen flachen Wasserkanal geworfen.
Am liebsten fressen sie die Körner der verschiedenen Hirsearten,
aber auch Gerste. Hat man Eicheln und Weintrester, so gibt man auch
diese. Ebenso sind Abgänge von Fischen, Krebse und kleine Wassertiere
dienlich. Das Eierlegen beginnt im März. Zu dieser Zeit wirft man
Hälmchen hin, aus denen sie ihre Nester bauen. Übrigens verfahren
manche Leute beim Anlegen eines Entenparks so: sie lassen an Sümpfen
Eier von wilden Enten sammeln und diese von Haushühnern ausbrüten.
Solche nisten dann leicht in der Gefangenschaft, alt eingefangene
dagegen nicht gern.“ Dieses letztere Verfahren, die Eier wilder Enten
zu sammeln und sie durch Haushühner ausbrüten zu lassen, beweist, daß
damals die Domestikation dieses Vogels erst im Gange war; auch muß die
Flugfähigkeit desselben noch nicht vermindert gewesen sein, daß man
Netze über die Ententeiche spannte.

[Illustration:

  Tafel 51.

Schwan aus Daschur. Altägyptische Holzschnitzerei aus der Zeit der 12.
Dynastie (2000-1788 v. Chr.).]

[Illustration: Altägyptische Wildgänse. Wandmalerei in Meidum aus dem
Anfang des Alten Reichs (3. bis 4. Dynastie, 2980-2750 v. Chr.).]

[Illustration:

  Tafel 52.

  (_Copyright by M. Koch, Berlin._)

Rechts Männchen und links Weibchen der Stockente.]

[Illustration:

  (_Copyright by M. Koch, Berlin._)

Wilde Truthühner.]

Wie die Gans muß auch die Ente irgendwo in Mitteleuropa von
germanischen Stämmen in Pflege genommen worden sein; noch in späterer
Zeit sagt der Bischof Isidor von Sevilla, daß die bevorzugte Zuchtrasse
der Enten eine deutsche sei. Sie hieß althochdeutsch _anut_,
angelsächsisch _ened_, altnordisch _önd_, lateinisch _anas_, _anatis_,
griechisch _nēssa_ (wohl aus _nētia_), sanskrit _âti_ (für _anti_).
Diese gemeinsame indogermanische Bezeichnung bezieht sich natürlich auf
die Wildente und nicht auf die gezähmte. Nur erstere war dem Urvolke
vor seiner Zerstreuung bekannt. Die Wildente, welche die Stammform
unserer Hausente bildet, ist die ~Stockente~ (_Anas boscas_), deren
Verbreitungsgebiet ganz Europa und Nordafrika, dann Asien und Amerika
bis Mexiko umfaßt. Vom Norden wandert sie im Herbst nach dem wärmeren
Süden, bleibt aber schon in Süddeutschland oft auch im Winter innerhalb
ihres Brutgebiets wohnen. Sie liebt als Aufenthaltsort schilf- oder
riedbedeckte Seen und Teiche, in denen sie sich verbergen kann, nicht
aber offene Gewässer. Ihre Lebensweise gleicht durchaus derjenigen
ihrer Nachkommin, der Hausente, nur ist sie in allen ihren Bewegungen
gewandter als diese. Zum Nestbau sucht sie eine ruhige, trockene Stelle
unter Gebüsch oder andern Pflanzen aus und legt in das kunstlose Nest
8-16 längliche, hart- und glattschalige grauweiße Eier, die von denen
der Hausente nicht unterschieden werden können. Die Jungen werden nach
dem Ausschlüpfen noch einen Tag im Neste erwärmt und sodann dem Wasser
zugeführt. Die ganze Pflege übernimmt die Mutter; der buntgefärbte
Vater kümmert sich nicht mehr um sein Weibchen, sobald es zu brüten
beginnt, sondern verläßt es, um mit seinesgleichen in Gesellschaften
sich bald hier, bald dort umherzutreiben. Da das Wildbret der Stockente
vorzüglich ist, wird von jeher eifrig auf sie Jagd gemacht. Und als
man die in bezug auf Fleischmenge ausgiebigere Gans gezähmt hatte, lag
es nahe, auch die Wildente aus junger Brut oder Hausgänsen unterlegten
Eiern zu gewinnen.

Trotzdem die Ente kürzere Zeit Haustier ist als die Gans, haben
sich von ihr mehr Varietäten gebildet, als von letzterer. Indessen
betreffen die Abänderungen weniger die Körperform als die Färbung des
Gefieders. Die Neigung zu Weiß- und Schwarzfärbung macht sich bei ihr
stark geltend; doch kommen bei allen zahmen Entenvarietäten Individuen
mit Wildentenfärbung vor. Der Stockente im Gefieder am ähnlichsten
ist die namentlich in der Normandie rein fortgezüchtete ~Rouenente~.
Sie kommt auch in weißer Färbung vor und erreicht ein bedeutendes
Gewicht. Rein weiß oder fahlgelb ist die durch eine Haube auf dem
Kopfe ausgezeichnete ~Kaiserente~, die bei guter Fütterung ein Gewicht
von 3,5-4 _kg_ erreicht. Rein weiß ist die ~Aelesburyente~, die in
großartigem Maßstabe in der englischen Grafschaft Buckingham gezüchtet
wird und ihres schmackhaften Fleisches und der feinen Federn wegen
auf dem Markt in London sehr gesucht ist. Weiß mit gelblichem Anflug
ist die auch bei uns öfter gezüchtete ~Pekingente~. Diese chinesische
Hausente wurde selbständig in Ostasien von der dort heimischen
Wildente gewonnen, und zwar scheint bei den Chinesen die Entenzucht
weit älter als in Europa zu sein. Sie wird von ihnen an den Ufern
der Flüsse, Kanäle und Stauseen seit alter Zeit in großem Maßstabe
mit außerordentlicher Sorgfalt betrieben. Die überaus interessante
Zucht, bei welcher gewöhnlich zehn Enten auf einen Enterich gehalten
werden, wird größtenteils an Bord ausgedienter Schiffe geübt. Das
ganze Schiff ist mit den Käfigen der Enten besetzt, die im ganzen nur
wenig Futter erhalten und deshalb wesentlich darauf angewiesen sind,
ihre Nahrung im Wasser und an den Ufern zu suchen. Je nachdem nun die
Nahrung reichlicher zu Gebote steht, wechselt der schwimmende Stall
seinen Ankerplatz. Dabei wird bei den Pfleglingen strengste Disziplin
geübt, indem beim abendlichen Gongsignal, das die Enten in ihre
Ställe zurückruft, die zuerst heimkehrenden Enten Reis als Belohnung,
die letzten dagegen Hiebe mit dem Bambusstab erhalten. Dabei haben
die Chinesen zur Erleichterung ihrer Entenzucht selbständig eine
Methode zur künstlichen Ausbrütung der Eier gefunden. Diese wird in
besondern Anstalten in der Weise ausgeübt, daß man Spreu erwärmt und
mit Enteneiern in große Korbe bringt, die auf Etagen gelegt und in
besondern Räumen mit heißer Asche oder Kohlentöpfen erwärmt werden.
Überall in Südchina wird dieses Brutgeschäft im großen betrieben
und werden die herangezogenen Enten an Händler verkauft, welche oft
Hunderte derselben in den vorgenannten Entenschiffen halten und die
erwachsenen Vögel an Lebensmittelverkäufer absetzen. Sowohl die
vornehmeren Chinesen, als auch die niedern Volksklassen konsumieren das
Entenfleisch mit Vorliebe, sei es frisch, sei es eingesalzen oder an
der Luft getrocknet. Mit letzterer Konservierungsmethode beschäftigen
sich größere Etablissements, die die volkreichen Städte mit diesem
beliebten Nahrungsmittel versorgen. Daneben werden auch sehr viel
Enteneier, wie bei uns die Hühnereier, gegessen, meist aber erst, wenn
sie durch längeres Liegen in Salzwasser innerlich ganz schwarz geworden
sind und pikant schmecken. Tatsächlich sollen die so präparierten
Enteneier auch für den europäischen Geschmack sehr angenehm sein. Auch
die ~japanische Ente~ ist in hohem Maße auf Eierertrag gezüchtet worden
und legt 80-90 Eier jährlich. Sie ist in der Färbung wildentenartig,
gleicht der Rouenente und eignet sich auch wegen ihrer Größe und
Widerstandsfähigkeit zur Zucht. Sie kam 1878 nach Europa.

Die in den Männchen prächtig geschmückte ostasiatische ~Mandarinenente~
(_Aix galericulata_) wird in China öfter gezähmt gehalten, ist aber
dort noch nicht zum Haustier geworden. Bei uns ist sie mit andern
buntgefärbten Arten eine Zierde der Zoologischen Gärten und wird
so nach und nach völlig domestiziert werden. Dies ist auch mit
der in den Männchen wunderschön gefärbten, über ganz Nordamerika
verbreiteten ~Brautente~ (_Lampronessa sponsa_) der Fall, die sich
auf unsern Weihern fest eingebürgert hat. Sie vereinigt in sich alle
Eigenschaften, die einem Schwimmvogel unsere Zuneigung gewinnen können.
An die Gefangenschaft gewöhnt sie sich schneller als irgend eine andere
Ente; selbst die alt Eingefangenen lernen sich bald in die veränderten
Verhältnisse fügen, in ihrem Wärter den wohlwollenden Pfleger erkennen,
lassen sich bereits nach kurzer Haft herbeilocken und können eher als
andere zum Aus- und Einfliegen gewöhnt werden, pflanzen sich auch
regelmäßig in der Gefangenschaft fort, sobald ihnen nur eine passende
Gelegenheit dazu geboten wird. Da ihr Wildbret vom September an bis
zum Eintritt des Winters köstlich ist, wird ihr überall in ihrer
Heimat nachgestellt und kommt sie dort zu Tausenden auf den Markt.
Als Parkvogel verdient sie den Vorzug vor sämtlichen fremdländischen
Verwandten nicht bloß deshalb, weil sie alle an Schönheit übertrifft,
sondern auch, weil sie sich leichter als alle andern zur Fortpflanzung
bringen läßt.

Im Gegensatz zu diesen ist eine andere amerikanische Ente schon seit
längerer Zeit zum Haustier geworden. Es ist die südamerikanische
~Moschusente~ (_Cairma moschata_), die in wasserreichen Gebieten von
Brasilien bis Paraguay stark verbreitet ist. Das Männchen ist oberseits
bräunlichschwarz, Hals und Kopf dunkelgrün, Flügel und Schwanz
metallischgrün, ein Teil der Flügeldeckfedern weiß. Um das Auge ist die
Haut nackt und mit roten Warzen bedeckt. Das Weibchen ist ähnlich, aber
weniger lebhaft gefärbt. Ihre Körpergröße ist sehr bedeutend, so daß
ihre zahmen Abkömmlinge 70-85 _cm_ lang werden und ein Körpergewicht
von 5 _kg_ erreichen. In ihrer Heimat wird die Moschusente ihres
wohlschmeckenden Fleisches und der weichen Daunen wegen sehr
geschätzt. Sie wird dort schon seit langem, noch vor der Entdeckung des
Landes durch die Weißen, gezähmt gehalten. Sie war nach Garcilasso de
la Vega bei den alten Peruanern unter dem Namen Nunjuma als Hausente
bekannt und gibt beim Fressen einen eigentümlichen schmatzenden Ton
von sich. Von den Peruanern hatten sie auch die nördlicher wohnenden
Kulturvölker übernommen. So traf sie Kolumbus auf seiner zweiten Reise
bei den Eingeborenen von Haiti an, darunter auch, zum Zeichen einer
intensiven Domestikation, bereits weiße Exemplare. Heute ist die
Färbung bei fast allen zahmen Moschusenten weiß geworden mit einem
roten Warzenhof ums Auge, einem fleischroten Schnabel und orangegelben
Füßen. Von Südamerika aus hat sie sich am Kongo, am Euphrat, in
Indonesien und Europa eingebürgert, doch wird sie in letzterem Lande,
wo sie „türkische Ente“ heißt, nicht rein gezüchtet, sondern gewöhnlich
zur Kreuzung mit größeren Hausenten verwendet. Die Bastarde erhalten
die Mittelgröße zwischen beiden Eltern, wachsen sehr schnell und sind
gut mastfähig. Entgegen früheren Annahmen sind sie fruchtbar, neigen
aber zur Wildheit. Besonders empfohlen werden zur Kreuzung Rouen-,
Peking- und Aylesburyenten. Da die Moschusente sich besonders für die
Tropen eignet, hat sie für jene Gegenden eine große Zukunft. Bei den
Malaien Südasiens ist bereits die chinesische Ente eingebürgert und
wird vielfach in großen Herden gehalten, um als willkommene Abwechslung
zum Schweinefleisch zu dienen. Als große _canne de la Guinée_ erwähnt
sie P. Belon bereits 1555 in seiner _Histoire des oiseaux_. Schon
damals war sie in Frankreich nicht selten, muß also sehr früh durch die
Spanier nach Europa gebracht worden sein. Hier wurde sie aber mehr als
Zier- denn als Nutzgeflügel gehalten.

Von den Entenvögeln ist wenigstens als halbes Haustier noch der
~Schwan~ zu erwähnen. Der zahme Schwan unserer Weiher, der nur als
Schmuckvogel gehalten wird, wobei ihm der Mensch bloß Gelegenheit zur
Fortpflanzung bietet, ist der ~Höckerschwan~ (_Cycnus olor_), der noch
in Norddeutschland, dann in Nordeuropa und Nordasien als wilder Vogel
lebt. Er ist in beiden Geschlechtern rein weiß mit gestrecktem Leib und
langem, schlankem Hals, mit rotem, an der Basis durch einen schwarzen
Höcker ausgezeichnetem Schnabel. Das Weibchen ist etwas kleiner als
das Männchen, die Jungen sind eigentlich graubraun gefärbt, können
aber durch fortschreitenden Leucismus auch schon weiß erscheinen.
Gedrungener als der Höckerschwan mit kürzerem, dickerem Hals und
höckerlosem gelbem Schnabel ist der ~Singschwan~ (_Cycnus musicus_),
während der ebenfalls in Europa und Nordasien lebende ~Zwergschwan~
(_Cycnus bewicki_) noch kleiner ist und einen dünnen Hals hat.

Erfreut der Höckerschwan durch die Zierlichkeit seiner Gestalt und
die Anmut seiner Bewegungen, so hat der Singschwan durch seine laute,
verhältnismäßig wohlklingende Stimme von jeher die Phantasie des
Volkes beschäftigt, wenn er im Herbst nach Süden zum Überwintern und
im Frühling nach Norden zur Fortpflanzung zog. Welche Rolle spielt
nicht der Schwan in der Sage und im Märchen der Deutschen! Auch die
alten Griechen, die ihn _kýknos_, und die Römer, die ihn nach jenen
_cycnus_ oder _olor_ nannten, sprachen viel von ihm und alle ihre
Dichter erwähnen rühmend seinen Gesang, wenn auch wohl meist nur vom
Hörensagen. In Homers Ilias wird das in glänzender Rüstung zum Kampfe
aufziehende Heer der Griechen mit den Scharen von Gänsen, Kranichen
und langhalsigen Schwänen verglichen, „wenn diese mit lautem Geschrei
sich auf den Wiesen am Flusse Kaystros (in Lydien, mündet bei Ephesus
ins Meer) niederlassen.“ Der Schwan war dem Apollon heilig. So heißt
es schon in einem altgriechischen, Homer zugeschriebenen Hymnus:
„O Phöbus, dir singt der Schwan am Ufer des Flusses Peneios (in
Thessalien) laut ein Loblied; Dir singe auch ich, der Sänger, indem ich
meine Kithara anschlage, früh und spät ein preisendes Lied.“ Hesiod
schildert, wie auf dem Schilde des Herakles der Okeanos abgebildet
war, auf dessen Wogen lautsingende Schwäne schwammen, während unter
ihnen die Fische spielten. In Äschylos’ Agamemnon heißt es: „Der Schwan
singt sein eigenes Leichenlied“ und in Euripides’ Elektra: „Der junge
Singschwan ruft am Wasser des Flusses seinen in der Schlinge gefangenen
sterbenden Vater.“ Bekannter ist die Stelle aus Platons Phädon, an
der es heißt: „Als Sokrates zum Sterben kam, unterredete er sich mit
seinen Schülern und sagte unter anderem: ‚Denkt ihr denn, daß ich den
Tod zu fürchten habe? Denkt ihr, daß ich weniger vom künftigen Leben
weiß als die Schwäne? Diese singen zwar oft, aber wenn sie fühlen,
daß der Tod ihnen nahe ist, dann singen sie gerade am meisten, weil
sie sich freuen, daß sie zu dem Gotte gehen, dessen Diener sie sind.
Leute, die sich vor dem Sterben fürchten, legen freilich die Sache ganz
falsch aus und behaupten, die Schwäne sängen vor ihrem Tode vor Jammer.
Diese Leute sollten doch wissen, daß kein Vogel vor Jammer singt, z. B.
wenn er hungert oder friert. Auch diejenigen stellen eine verkehrte
Behauptung auf, welche sagen, die Nachtigall, die Schwalbe, der
Wiedehopf sängen vor Jammer. Ich glaube jedoch, daß sie ebensowenig vor
Jammer singen als die Schwäne. Die letzteren sind offenbar Propheten
des Apollon, kennen im voraus das Glück, das ihnen in der Unterwelt
zuteil wird und singen deswegen, ehe sie den Weg antreten, freudiger
als zuvor. Ich denke nun, daß ich wie die Schwäne ein Priester des
Gottes bin, und denke, daß ich von ihm die Wahrsagekunst so gut gelernt
habe, als jene Vögel, und daß ich ebenso freudig als sie das Leben
lassen muß.‘“

Von diesem Volksglauben rührt die bei späteren griechischen
und römischen Schriftstellern angetroffene, auch noch von uns
sprichwörtlich gebrauchte Redensart vom „Schwanengesang“ als der
letzten Äußerung eines Menschen vor seinem Tode her, so bei Cicero,
Ovid, Martial, Dio Chrysostomus und andern. Bei den Römern galt der
Schwan als der Vogel der Liebesgöttin Venus, die auf einem von Schwänen
gezogenen Wagen einherfahrend gedacht wurde, so bei Horaz, Silius
Italicus, Statius und andern. Martial rät seiner Geliebten, sanft auf
Schwanenflaum zu ruhen, wenn sie müde sei. Demnach wurde der Flaum
auch dieses Tieres, wie derjenige der Gans, zur Polsterung von Kissen
verwendet. Von Schwanenbraten spricht der alexandrinische Grieche
Athenaios um 200 n. Chr. Allerdings mied man in der Regel das Fleisch
dieses halb für heilig gehaltenen Vogels. So schreibt Plutarch: „Will
man durchaus Fleisch des Schwanes essen, so mißhandle man wenigstens
die Tiere nicht vorher, sondern töte sie mit Bedauern. Es gibt Leute,
welche Kranichen und Schwänen die Augenlider zusammennähen und sie
dann im Dunkeln mästen.“ In allen diesen Fällen ist stets von wilden
Schwänen die Rede, da der Vogel im Altertum nirgends als Haustier
gehalten wurde.

Auch im Mittelalter wurde der wilde Schwan häufig als Speise benutzt.
Die heilige Hildegard im 12. Jahrhundert rühmt sein Fleisch als heilsam
gegen den Aussatz. Man begann ihn damals auf Teichen in halber Freiheit
zu halten; doch durften dies vielfach nur Könige und vornehme Leute
tun, da solches damals zu den Regalien gehörte. Reste einer solchen
Auffassung haben sich an manchen Orten bis in die Gegenwart erhalten;
so sind sämtliche Schwäne auf der Themse wie auf der Havel und Spree
königliches Eigentum. Im Mittelalter gehörte der Schwan, wie der Pfau,
zu den feierlichen Schaugerichten der Prunktafel an Höfen. Außerdem
muß ihm eine gewisse abergläubische Verehrung gezollt worden sein; so
wissen wir, daß König Eduard I. von England 1307 „bei Gott und den
Schwänen“ schwur, er werde sich an seinem Erbfeinde Robert Bruce rächen.

Heute noch gilt ein Schwanenbraten als außerordentliche Delikatesse
und wird in England, wo er am Königshofe ständiger Weihnachtsbraten
ist, zu bedeutsamen Geschenken verwendet. So beschenkt der Herzog
von Norfolk, der „erste Peer Englands“, seine besten Freunde damit.
In der Hauptstadt seiner Grafschaft Norfolk, dem alten Bischofssitz
Norwich, hat er nebst dem Bischof, dem Abt des St. Benethospitals und
der Norwicher Schwanenkorporation das alleinige Recht, Schwäne auf den
öffentlichen Gewässern zu halten. Jeder dieser Eigentümer hat eine
besondere, sorgfältig gebuchte Hausmarke, die den Schwänen auf den
Oberschnabel eingeschnitten wird. Der Schwan vermehrt sich dort gut
und ist widerstandsfähig. Man hat ein Schwanenpaar beobachtet, das in
fünf Jahren 85 Eier erzeugte und von diesen 82 Kücken durchbrachte.
Das Aussuchen der zur Mast geeigneten Jungen wird von den Insassen des
St. Benethospitals besorgt und man nimmt nur so viel Tiere, als von
den Besitzern bestellt werden; denn diese haben für das Stück 1 Pfund
Sterling (= 20 Mark) Mastgeld zu entrichten. Die jungen Tiere schmecken
am besten gerade um die Zeit, wo sie fliegen können. In dieser Zeit
werden sie geschlachtet, haben dann ein Lebendgewicht von wenigstens 16
_kg_ und schmecken wirklich gut.

Wie wir den Höckerschwan, halten die Russen nach Pallas gern den
Singschwan als Ziervogel auf ihren Teichen. Die Nordamerikaner haben
den Schwan von Europa erhalten. Dagegen erhielten wir um die Mitte der
1850er Jahre vom Süden Südamerikas den ~Schwarzhalsschwan~ (_Cycnus
nigricollis_), der sich wie der Singschwan benimmt, jedoch nur selten
seine schwache Stimme erschallen läßt. Er hat sich mehrfach in unsern
Tiergärten fortgepflanzt. Ebenso verhält es sich mit dem am ganzen
Gefieder bis auf die weißen Hand- und einen Teil der Armschwingen
bräunlichschwarzen ~Schwarz-~ oder ~Trauerschwan~ (_Cycnus atratus_),
der in den 1820er Jahren zum erstenmal nach Europa, und zwar England,
kam und sich dort auf dem Landgute Sir Herons auch fortpflanzte und im
ganzen 45 Junge aufbrachte. Von jenen scheinen die meisten der in den
Zoologischen Gärten und bei Privaten gehaltenen Exemplare abzustammen.
Seit dem Jahre 1698 kennt man übrigens den Schwarzschwan, den auch
Cook an der von ihm besuchten Küste Südaustraliens und Tasmaniens auf
den Süßwasseransammlungen antraf. In den weniger besuchten Gegenden
des Innern soll er, soweit dort Wasser anzutreffen ist, in großer
Menge vorkommen. Für unsere Weiher eignet er sich so gut als die
übrigen Schwäne. Die Strenge des nordischen Winters ficht ihn wenig
an und seine Nahrungsansprüche sind bescheiden. In der Gefangenschaft
pflanzt er sich regelmäßig fort. In seinem Benehmen mahnt er an die
stummen Verwandten, doch ist er schreilustiger; besonders gegen die
Paarungszeit hin läßt er seine trompetenartige, dumpfe Stimme oft
vernehmen.



XVII. Die Taube.


Wie die verschiedenen einheimischen Entenvögel, so haben auch die
verschiedenen einheimischen Wildtauben von jeher als Wildbret die
Beachtung des Menschen gefunden. Unter ihnen ist die ~Felsentaube~
(_Columba livia_) die Stammform sämtlicher Haustauben. Sie hieß bei den
alten Griechen _peleiás_, und der Pluralis _peleiádes_ diente diesen
zur Bezeichnung der Sternwolke des Siebengestirns, die ihnen wie ein
Schwarm wilder Felsentauben vorkam. Daraus ist dann unsere Bezeichnung
Pleiaden entstanden. Häufig spricht Homer von _peleiádes_, worunter er
stets wilde Tauben versteht. Sie sind ihm das Sinnbild des Flüchtigen
und Furchtsamen. So entzieht sich Artemis der Göttermutter Hera, die
ihr den Köcher geraubt hat:

    „Weinend aber entfloh sie zur Seite sofort, wie die Taube,
    Die vom Habicht verfolgt in den Spalt des zerklüfteten Felsens
    Schlüpft -- nicht wars ihr beschieden des Räubers Beute zu werden.“

Hektor flieht vor Achilleus wie die „scheue, flüchtige“ Taube vor dem
Falken:

    „Wie im Gebirge der Falk, der geschwindeste unter den Vögeln,
    Leicht im Schwunge des Flugs der schüchternen Taube sich nachstürzt.
    Seitwärts flüchtet sie bang; dicht hinter ihr stürmt er beständig
    Nach mit hellem Geschrei und brennt vor Begier sie zu fangen.“

Auch im Sagenkreis der Argonauten erscheint die Taube als der
schnellste Vogel. Das Schiff Argo war, wie der Name sagt, wunderbar
schnell, und als es auf seiner Fahrt zwischen zwei zusammenschlagenden
Felsen hindurchfahren sollte, sandten die Schiffer auf den Rat des
greisen Sehers Phineas zuvor eine Taube aus; wenn diese unverletzt
hindurchflog, hofften die Helden ebenfalls unversehrt durchzukommen. So
verderblich seien diese Felsen, heißt es in der Odyssee, daß selbst
die geschwinden Tauben ihnen nicht immer entgehen und Vater Zeus, dem
sie Ambrosia bringen, die verlorenen durch andere ersetzen muß. Daß
nun die Schiffer Tauben bei sich hatten, um sie von ihrem Schiffe
aus fliegen zu lassen, beweist, daß man also schon im hohen Altertum
solche gefangene und noch nicht gezähmte Tiere zur Bestimmung des
nächstgelegenen Landes oder als Opfer mit sich nahm. Solches taten wie
die Griechen so auch die Phönikier, wie wir u. a. auch aus der später
zu würdigenden Tatsache von den weißen Tauben auf der Flotte der Perser
unter Xerxes wissen, die nach deren Scheitern am Vorgebirge Athos
freikamen und von den Anwohnern eingefangen wurden.

In der Ilias wird das böotische Thisbe und das lakedämonische Messe
als taubenreich, wie bei Äschylos die Insel Salamis als taubennährend,
bezeichnet. Bei den Spielen bei der Beerdigung seines Freundes
Patroklos läßt Achilleus eine lebendige, an die Spitze des Mastbaums
gebundene Taube als Ziel aufstellen. Nach diesem schießt zuerst der
gefeierte Bogenschütze Teukros; da er aber vergessen hatte, dem Apollon
sein Gelübde zu tun, trifft er nur die Schnur, und die nun befreite
Taube strebt kreisend zum Himmel empor. Da ergreift Meriones schnell
den Bogen, betet und holt den flüchtigen Vogel mit dem Pfeil aus der
Höhe herunter.

Außer der Felsentaube _peleiás_ unterschieden die alten Griechen von
Wildtauben noch die Hohltaube _oinás_, die Ringeltaube _pháps_ und
die Turteltaube _trygṓn_, während sie die später erhaltene Haustaube
als _peristerá_ bezeichneten. Demgemäß nannten sie das Taubenhaus
_peristereṓn_ oder _peristerotropheíon_, wie uns der gelehrte Varro
berichtet. Dieser Name der Haustaube tritt uns erst in der späteren
attischen Sprache entgegen, während die Dorier fortfuhren, peleiás zu
sagen. Wie kamen nun die Griechen zu diesem Haustier, das erst gegen
das Ende des 5. vorchristlichen Jahrhunderts in Athen eine gewöhnliche
Erscheinung wurde?

Die wilde Felsentaube ist in Westasien in Verbindung mit dem Kult der
Liebesgöttin allmählich in die Abhängigkeit des Menschen geraten und
zum Haustier erhoben worden. Bevor wir uns klar zu machen suchen,
wo dies vermutlich geschah, wollen wir das freilebende Tier in
seinen Lebensgewohnheiten kennen lernen. Die Felsentaube bewohnt die
Felsküsten der Mittelmeerländer und ganz Westasien, von Kleinasien
und Syrien bis Indien und China; sie geht tief nach Afrika hinein bis
Abessinien und reicht östlich bis zu den Kapverdischen Inseln im Süden
und Schottland im Norden. Auf diesem ungeheuren Gebiet hat sie als
Ausdruck ihrer Anpassungsfähigkeit eine große Anzahl von Lokalformen
gebildet, wodurch sich die Spaltung in zahlreiche Rassen nach ihrer
Domestikation begreifen läßt. Überall in ihrem Verbreitungsgebiet ist
sie Standvogel und nistet stets in dunkeln Felslöchern, niemals auf
Bäumen, wie Hohl-, Ringel- und Turteltauben. In Färbung des Gefieders,
Lebensweise und Betragen weicht die Felsentaube wenig von unserer
primitiven Haustaube, der sogenannten Feldtaube, ab. Sie ist auf der
Oberseite hell aschgrau, auf der Unterseite mohnblau, der Kopf hell
schieferblau, der Hals bis zur Brust dunkel schieferfarben, oben hell
blaugrün, unten purpurfarben schillernd. Die Lendengegend ist weiß;
doch ist dieses Merkmal nicht so konstant wie die beiden ziemlich
breiten schwarzen Querbinden auf den Flügeln. Die Flügel sind aschgrau,
der Schwanz ist dunkel mohnblau, am Ende schwarz; die äußersten
Federn desselben sind weiß. Das Auge ist schwefelgelb, der Schnabel
schwarz, an der Wurzel lichtblau, der Fuß dunkel blaurot. Die beiden
Geschlechter sind in der Färbung wenig verschieden, die Jungen aber
dunkler als die Alten.

Die Felsentaube ist gewandter, namentlich behender im Fluge als ihre
domestizierten Abkömmlinge, die Feldtauben, und sehr menschenscheu. Sie
geht nickend, fliegt klatschend ab, durchmißt mit pfeifendem Geräusch
etwa 100 _km_ in der Stunde, steigt gern empor und kreist oft längere
Zeit in dicht geschlossenen Schwärmen; denn sie liebt die Geselligkeit
im Gegensatz zu der nur in einzelnen Pärchen lebenden und nie sich zu
größeren Schwärmen zusammenfindenden baumbewohnenden Ringel-, Hohl-
und Turteltauben. Beim Nahrungsuchen läuft sie stundenlang auf dem
Boden herum; beim Trinken watet sie bisweilen ein bischen ins Wasser
hinein. Sie lebt von allerlei Sämereien und nistet dreimal im Jahre.
Mit Beginn des Frühlings wirbt der Tauber sehr eifrig rucksend unter
allerlei Bücklingen und Drehungen um ein Weibchen, dem er die größte
Zärtlichkeit bekundet, während er gegen andere Genossen zänkisch und
unverträglich ist. Erwidert sie seine Gefühle und ist damit die Ehe
zustandegekommen, so sammelt er allerlei trockene Pflanzenstengel
und dürre Halme, mit denen die Täubin das Nest baut, in das sie zwei
glattschalige, rein weiße Eier legt. Beide Geschlechter brüten, die
Täubin von 3 Uhr nachmittags bis 10 Uhr vormittags ununterbrochen, der
Täuberich dagegen in den übrigen Stunden. Nachts schläft letzterer
in der Nähe des Nestes, immer bereit, die Gattin zu beschützen, und
duldet nicht einmal, daß sich ihr eine andere Taube nähert. Nach
16-18 Tagen schlüpfen die äußerst unbehilflichen, blinden Jungen aus,
die in der ersten Zeit von beiden Eltern mit dem im Kropfe gebildeten
Futterbrei ernährt werden, um dann später erweichte, endlich härtere
Sämereien nebst Steinchen als Reibemittel für den muskulösen Kaumagen
zu erhalten. Schon nach vier Wochen sind sie erwachsen, schwärmen mit
den Alten aus, machen sich in wenigen Tagen selbständig, und die Eltern
schreiten alsbald zur folgenden Brut. Jung aus dem Neste genommene
Felsentauben benehmen sich ganz wie Feldtauben, befreunden sich mit dem
Menschen, sind aber nicht so untertänig wie Haustauben.

Da es zahlreiche Rassen der Haustaube gibt, die im einzelnen sehr
starke Abweichungen in der äußeren Erscheinung erkennen lassen, so
war unter den Züchtern früher die Annahme allgemein verbreitet, daß
mehrere wilde Stammarten angenommen werden müssen. Indessen haben die
umfassenden Untersuchungen von Charles Darwin diese Frage endgiltig
gelöst und festgestellt, daß sie alle von der Felsentaube abstammen,
die schon im Freileben so veränderlich ist, daß man, wie gesagt,
mehrere geographische Rassen von ihr unterscheidet. Er führt eine
Reihe von Gründen an, die ausschlaggebend für die Abstammung aller
unserer Taubenrassen von der Felsentaube sprechen. Wenn auch unsere
Haustauben in Einzelehe leben, haben sie wie die wilde Stammart einen
starken Hang zur sozialen Lebensweise, vermeiden es wie diese auf
Bäume zu fliegen oder gar ihre Nester auf denselben anzulegen, sondern
verlangen vielmehr für ihre Nistplätze halbdunkle, unzugängliche Orte.
Alle Haustauben betragen sich wie die Felsentaube und legen wie diese
je zwei Eier. Bei allen Rassen derselben treten gelegentlich mohnblau
wie die Wildform gefärbte Individuen mit dem charakteristischen
Metallschimmer am Halse und den schwarzen Flügelbinden auf. Darwin
hat ausgedehnte Kreuzungsversuche bei verschiedenen Haustaubenrassen
gemacht und dabei häufig bei den Nachkommen schwarze Flügelbinden
auftreten sehen, auch wenn die Zuchttiere keine Spur davon erkennen
ließen. Durch Kreuzung mancher Schläge, die durchaus kein Blau in
ihrem Gefieder besaßen, erhielt er Nachkommen von blauer Färbung
und Zeichnung, die als vollständige Rückschläge in die Felsentaube
erschienen. Die Felsentaube kreuzt sich fruchtbar mit den
Haustaubenschlägen und letztere kreuzen sich unter sich, was ebenfalls
für die Felsentaube als gemeinsame Ausgangsform hindeutet. Schon bei
den wilden Felsentauben tritt gelegentlich Leucismus auf, der dann bei
manchen der vom Menschen gezüchteten Schläge überwiegt.

Dieses Auftreten der weißen Farbe hält Ed. Hahn für sehr wichtig,
indem Tauben dadurch zuerst die Aufmerksamkeit, den Schutz und später
die Pflege des Menschen erworben haben sollen. Er sagt in seinem
Buch über die Haustiere und deren Beziehungen zum Menschen: „Bei
keinem Tier ist es so deutlich, daß seine Einführung mit religiösen
Momenten zusammenhängt, und bei keinem Tier lassen sich so leicht die
ursprünglichen Bedingungen der Einführung feststellen. Grotten und
Felshöhlen, aus denen vielleicht noch ein starker Quell entspringt,
gehören zu den ursprünglichsten Heiligtümern; dies sind Stellen, die
die Taube mit besonderer Vorliebe bewohnt, und so scheu sie sonst ist,
oft mit merkwürdiger Nichtachtung des menschlichen Verkehrs auch trotz
aller Störungen innebehält. Jede Gottheit nimmt die Tiere, die sich
ihr freiwillig anvertrauen, in ihren Schutz. Fanden sich nun einmal
unter den Tauben einige Albinos, so war die weiße, lichtglänzende
Verkörperung der Gottheit von selbst gegeben, und daß die Taube mit
ihrer äußerst verliebten Natur der Göttin der Liebe geweiht wurde, ist
ebenso selbstverständlich. Ich glaube sogar sagen zu können, daß die
Taubengestalt in so alter Zeit sich mit der Vorstellung, unter der man
sich die Gottheit des weiblichen Prinzips verkörpert dachte, verband,
daß sie von sehr bedeutendem Einfluß auf die Ausgestaltung dieses
weiblichen Prinzips selbst gewesen ist; bekanntlich wurde Semiramis,
die nur eine spezialisierte Form der großen Göttin darstellt, aus
einem großen Ei am Ufer des Euphrat von den Tauben ausgebrütet (Diodor
II, _c._ 4; später flog sie als Taube gen Himmel, _c._ 20). Schon in
ältester Zeit hat die Taube sich als heiliger Vogel der Göttermutter
durch den ganzen Orient verbreitet. Die Phönizier brachten sie so
weit sie den Kult ihrer Götter trugen, z. B. nach dem Berge Eryx in
Sizilien, und mit der Leichtigkeit, mit der sich der heilige Vogel
wieder an anderen Stellen festsetzte, gab er dann seinerseits Grund
zu neuen Heiligtümern der Venus. An eine Benutzung des Vogels, etwa
zur Speise, war in solchen Fällen natürlich nicht zu denken, stand er
doch unter dem unmittelbaren Schutz der Göttin. Erst sehr viel später
lernte man den Vogel auch als Braten schätzen; hier waren es wohl die
Römer zuerst. Doch ging die Idee des Zusammenhangs des Vogels mit der
Venus nicht gleich ganz verloren; das beweist uns Martial (der in einer
seiner Xenien sagt: ‚Nicht soll diesen Vogel essen, wer geil zu sein
begehrt‘).“

In der dargestellten Weise mag irgendwo in Westasien die wilde
Felsentaube vor allem in gewissen albinotischen Individuen als heiliges
Tier der großen Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit unverletzlich
erklärt und dann sogar in menschliche Pflege genommen worden sein,
bis sie sich schließlich an ihre Beschützer gewöhnte und zum Haustier
wurde. Und was zunächst nur einigen auserwählten Individuen zuteil
wurde, das erstreckte sich später auf das ganze Geschlecht, so daß die
Felsentaube überhaupt für ein unverletzliches, heiliges Tier galt. So
war seit den ältesten geschichtlichen Zeiten die Felsentaube der großen
Göttermutter und Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit, Astarte, heilig
und wurde überall in Vorderasien bei ihren Tempeln in größeren Scharen
gehegt. Auch mag da und dort ein Taubenpärchen in den Höhlen, die als
älteste Kultorte dienten, später auch an dunkeln Orten der Steintempel
genistet und sich so an den Umgang mit dem Menschen gewöhnt haben. Dies
gab vielleicht dem betreffenden Kultorte ein besonderes Ansehen, so
daß dann künstlich von den Priestern Tauben dort angesiedelt wurden,
wodurch die Zähmung beschleunigt wurde.

Als der Grieche Xenophon im Jahre 400 v. Chr. im Heere des jüngeren
Cyrus mit anderen griechischen Söldnern Syrien durchzog, fand er, daß
die Einwohner die Fische und Tauben als göttliche Wesen verehrten und
ihnen kein Leid anzutun wagten. Nach Pseudo-Lucian waren in Hierapolis
oder Bambyce die Tauben so heilig, daß niemand eine derselben auch nur
zu berühren wagte. Wenn dies jemandem wider Willen widerfuhr, dann
trug er für den ganzen Tag den Fluch des Verbrechens; „daher leben
auch,“ fügt der Verfasser hinzu, „die Tauben mit den Menschen ganz als
Genossen, treten in deren Häuser ein und besetzen weit und breit den
Erdboden.“ Ganz dasselbe berichtet der Jude Philo von Askalon, wo auch
ein berühmter Tempel der Göttin Astarte -- der _Aphrodite uraniḗ_. wie
die Griechen sich ausdrückten -- war. Er schreibt nämlich: „Ich fand
dort eine unzählige Menge Tauben auf den Straßen und in jedem Hause,
und als ich nach der Ursache fragte, erwiderte man mir, es bestehe ein
altes religiöses Verbot, die Tauben zu fangen und zu profanen Zwecken
zu verwenden. Dadurch ist das Tier so zahm geworden, daß es nicht bloß
unter dem Dache lebt, sondern ein Tischgenosse des Menschen ist und
dreisten Mutwillen treibt.“

Als der Dienst der semitischen Göttin Astarte durch die der Schiffahrt
kundigen Vertreter dieses Stammes weiter westlich im Mittelmeer
verbreitet wurde, zog selbstverständlich ihr heiliges Tier, die zahme
Taube, mit und wurde an ihren Heiligtümern in halber Wildheit gehalten,
wie dies heute noch überall im Orient auch unter den Mohammedanern
der Fall ist. Allgemein bekannt sind die Tauben der Göttin in Paphos
auf Zypern, die _paphiae columbae_ der Römer, die im Tempel ein- und
ausflogen, ja sich selbst auf das Bild der Göttin setzten. Von Zypern
gelangte der Dienst dieser orientalischen Liebesgöttin schon vor der
Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends zu den die Küsten des
Ägäischen Meeres und die Inseln nebst Kreta bewohnenden Mykenäern. Dort
sind ihre auf uns gekommenen Darstellungen stets von Tauben umgeben. So
fand man im dritten Grabe der Burg von Mykenä zwei einst auf Kleider
genähte Goldbleche mit dem Bildnis einer jedenfalls sie darstellenden
weiblichen Gottheit, auf deren Haupt eine Taube sitzt. Im einen fliegt
außerdem von jedem Arme eine Taube aus. Fünf andere Goldbleche aus dem
3. und 5. Grabe stellen ein von Tauben umgebenes Gebäude dar, das wohl
an den Astarte-Aphroditetempel von Paphos erinnern soll. Dann sind auf
einem elfenbeineren Spiegelgriff aus mykenischer Zeit zwei weibliche
Gottheiten dargestellt, von denen jede eine Taube mit ausgebreiteten
Flügeln und ausgestrecktem Hals auf dem einen Arm hält.

Zu Beginn des letzten vorchristlichen Jahrtausends waren es besonders
die Phönikier, die zugleich mit ihrer Kolonisation den Astartekult und
die damit zusammenhängende Pflege ihres heiligen Tieres verbreiteten.
So brachten sie denselben u. a. auch nach ihrer Pflanzstadt Korinth.
Allerdings ist später im Kulte der Aphrodite der Griechen zunächst vom
heiligen Tiere ihrer phönikisch-semitischen Vertreterin keine Rede; es
muß nicht direkt mit jenen von ihnen übernommen worden sein. Auch in
den alten homerischen Hymnen auf sie finden sich die Tauben als ihr
heilige Tiere nicht erwähnt. Es wird dort berichtet, wie die Göttin
ihren duftenden Tempel auf der Insel Zypern betritt, wie sie von den
Chariten mit dem unsterblichen Öle gesalbt, mit herrlichen Gewändern
bekleidet und mit goldenem Geschmeide geschmückt wird und sich dann,
Zypern verlassend, hoch durch die Wolken nach dem quellenreichen Ida
schwingt.

Die älteste Erscheinung der Haustaube stammt, wie schon Darwin
festzustellen vermochte, aus der Zeit der 5. ägyptischen Dynastie (2750
bis 2625 v. Chr.) zur Zeit des Alten Reiches. Damals wurde sie schon
auf manchen Gehöften in Scharen gehalten und vom Menschen gefüttert.
Im Alten Testament wird sie zur Zeit des Exils (586-536 v. Chr.) im
Pseudo-Jesaias 60, 8 angeführt. Nach Ohnefalsch-Richter hat man auch,
besonders auf Zypern, hoch ins letzte vorchristliche Jahrtausend
hinaufreichende Abbildungen kleiner Tempel und Kapellen ausgegraben,
die wie die heutigen Bauernwohnhäuser in Syrien und Ägypten als
Taubenschläge eingerichtet sind. Alles dies beweist das hohe Alter der
Taubenzucht in der Ostecke des Mittelmeers.

Von dorther gelangte die Haustaube jedenfalls schon vor dem 5.
Jahrhundert v. Chr. zu den Griechen. Wenn nun der griechische
Geschichtschreiber Charon von Lampsakos, der Vorgänger des Herodot, in
seinen Persiká schreibt: „Zu der Zeit, da die persische Seemacht unter
Mardonios (492 v. Chr.) -- zwei Jahre vor der Schlacht bei Marathon
-- bei der Umschiffung des Vorgebirges Athos zugrunde ging, seien
zuerst die weißen Tauben im Lande erschienen,“ so will er damit nicht
sagen, wie die meisten Autoren schließen, damals sei die Haustaube
überhaupt zum erstenmal nach Griechenland gekommen, sondern er meint
damit offenbar nur Haustauben edler Rasse, die wir wohl mit dem Kulte
der orientalischen Liebesgöttin in Verbindung setzen dürfen. Noch viel
später lesen wir bei einigen griechischen Schriftstellern von der
„weißen Taube Aphrodites“. Es haben sich also beim Schiffbruche der
persischen Flotte am Berge Athos zahme weiße Tauben des Astartedienstes
aus den scheiternden Fahrzeugen ans Land gerettet und fielen den
Einwohnern in die Hände, die diese auffallenden Gäste hegten und
an ihre Landsleute weitergaben. Ein halbes Jahrhundert später war
unter den Athenern, die mit Thrakien in lebhaftem politischem und
Handelsverkehr standen, die zahme, -- wohl vielfach weiße -- Taube
unter dem Namen peristerá, der vielleicht aus jener nördlichen Gegend
stammt, ein verbreitetes Haustier, das gelegentlich, wie im Orient,
zu schnellen Botschaften gebraucht wurde. So sandte der um diese Zeit
lebende Äginet Taurosthenes seinem Vater durch eine Taube Botschaft
von seinem Siege in Olympia, und diese soll noch an demselben Tage
nach Ägina gelangt sein. Die wörtliche Schilderung dieses Vorgangs
erzählt uns Älian folgendermaßen: „Als Taurosthenes von Ägina den
Sieg zu Olympia errang, gelangte die Nachricht von seinem Glücke noch
selbigen Tags an seinen Vater nach Ägina. Er hatte nämlich eine Taube
mitgenommen, deren Junge noch im Nest saßen, und ließ sie, sowie er
gesiegt hatte, mit einem angehängten roten Läppchen davonfliegen.“ Als
der Aphrodite heilige Vögel wurden sie dieser Göttin als Weihgeschenke
dargebracht, um ihre Tempel in halber Freiheit gehalten und dort
regelmäßig gefüttert. Nach den Darstellungen auf Münzen muß besonders
Sikyon eine Hauptstätte des Aphroditekultes, wie auch der Taubenzucht
gewesen sein.

Nach Italien kam die Taube durch die Vermittlung der süditalischen
Griechen, nachdem diese wohl durch den auf die Phönikier zurückgehenden
Tempel von Eryx in Sizilien zuerst Bekanntschaft mit jenem heiligen
Vogel gemacht hatten. Zog nun die dort verehrte Göttin Astarte an
einem bestimmten Tage des Jahres nach Afrika fort, so sollten ihr
nach Älian alle Tauben dorthin folgen. „Sind neun Tage verflossen, so
sieht man, wie die Leute behaupten, eine wunderschöne purpurfarbige
Taube von Libyen aus über das Meer nach Eryx fliegen und dieser folgt
dann eine ganze Wolke gewöhnlicher Tauben. Ist der Zug angelangt, so
wird (wie bei ihrem Auszug das Abschiedsfest) ein anderes Fest, das
Rückkehrfest, gefeiert.“ In der Zeit zwischen beiden mochten wohl die
Tempeltauben durch die Priester in ihren Kammern verschlossen gehalten
werden. Den Vogel nannten die sizilischen Griechen, als sie ihn an
jenem uralten phönikischen Heiligtum an der Nordwestspitze Siziliens
kennen lernten, _kólymbos_, woraus dann die Römer _columbus_ oder
_columba_ machten. In Italien wurde die zahme Taube dann allmählich
bekannt und ihre Zucht in Angriff genommen. Der gelehrte Römer Varro zu
Ende der Republik sagt, daß sie sonst ohne Unterschied mit _columba_
Männchen und Weibchen der Haustaube bezeichnet hätten und erst später,
da der Vogel bei ihnen gewöhnlich ward, _columbus_ von _columba_ (als
Männchen und Weibchen) unterschieden. Er unterscheidet genau zwischen
der Feldtaube -- dem halbwilden Abkömmlinge der Felsentaube -- und
der zahmen Haustaube, und beschreibt Taubenhäuser, in denen bis 5000
Stück gehalten wurden. „Man pflegt zwei Arten von Tauben zu halten: die
Feldtaube, welche andere auch Felsentaube nennen. Sie ist scheu, wohnt
in den Türmen und andern hohen Teilen des Landhauses und fliegt von da
nach Belieben auf das Feld, um sich ihr Futter selbst zu suchen. Dann
Haustauben, die zutraulicher sind und sich mit dem zu Hause gereichten
Futter begnügen. Diese sind meist weiß, während die Feldtauben nirgends
weißes Gefieder haben. Es paaren sich auch beide Arten von Tauben
miteinander, wodurch eine dritte Sorte entsteht. Das Taubenhaus hat
eine gewölbte Decke, eine enge Tür und mit Netzwerk überzogene Fenster,
durch welche Licht einfällt, aber weder eine Schlange noch sonstiges
Ungeziefer eindringen kann. Die Innenwände macht man glatt, ebenso die
Außenwände, damit weder Mäuse noch Eidechsen hinein können; denn die
Tauben sind sehr furchtsamer Natur. Für jedes Paar wird eine besondere
Zelle hergestellt, inwendig drei Spannen breit und lang mit einem zwei
Spannen langen Brett am Eingang. Es muß reines Wasser ins Taubenhaus
fließen, das zum Trinken und Baden dient; denn diese Vögel sind sehr
reinlich. Auch muß der Taubenwärter das Haus in jedem Monat mehrmals
fegen. Der Taubenmist ist von großem Wert für die Landwirtschaft und
wird für den besten gehalten. Der Wärter muß auch die kranken Tauben
kurieren, die gestorbenen beseitigen und die zum Verkaufe passenden
jungen herausnehmen; dann muß er die Habichte wegfangen, indem er ein
Tier, nach welchem dieser Raubvogel zu stoßen pflegt, anbindet und
Leimruten so um dasselbe steckt, daß sie sich über ihm wölben.

Ihr Futter bekommen die Tauben in Trögen, welche im Innern des
Taubenhauses an den Wänden stehen und von außen durch Röhren gefüllt
werden. Sie fressen gern Hirse, Weizen, Gerste, Erbsen, Bohnen, Linsen.
Kauft man Tauben, so müssen sie das richtige Alter haben und die Zahl
der Männchen muß der der Weibchen gleich sein. Kein Tier übertrifft die
Taube an Fruchtbarkeit. Innerhalb 40 Tagen legt, brütet und erzieht
sie ihre Brut von jeweilen zwei Jungen, und das geht das ganze Jahr
hindurch. Wer junge Tauben zum Verkaufe mästet, sperrt sie ab, sobald
sie ganz befiedert sind, und stopft sie dann mit gekautem Weißbrot;
diese Fütterung geschieht im Sommer täglich drei-, im Winter nur
zweimal. Will man die Jungen im Neste von den Alten mästen lassen, so
zerbricht man ihnen die Beine und gibt reichliches Futter. Das Paar
alter, schöner Tauben kann in Rom gewöhnlich für 200 Sesterzien (= 30
Mark) verkauft werden; ein ganz ausgezeichnetes Paar kostet auch bis
1000 Sesterzien (= 150 Mark). Als neulich ein Kaufmann ein solches Paar
vom Ritter Lucius Axius kaufen wollte, antwortete dieser, sie wären
unter 400 Denaren (= 240 Mark) nicht feil.“

Sehr ausführlich schildert der ältere Plinius in seiner Naturgeschichte
die Haustaube und deren Lebensgewohnheiten. Am Schlusse seiner
Ausführungen sagt er: „Es gibt viele, die vor lauter Taubenliebhaberei
wie verrückt sind. Sie erbauen ihnen Türme auf ihren Dächern und
wissen von einer jeden nachzuweisen, woher sie stammt und wie edel
ihre Abkunft ist. Schon vor dem pompejanischen Bürgerkriege (49 und 48
v. Chr.) verkaufte der römische Ritter Lucius Axius einzelne Paare,
wie Varro erzählt, für 400 Denare (= 240 Mark). In Kampanien sind sie
vorzüglich groß, und dieses Land ist in dieser Hinsicht berühmt. Die
Tauben sind auch schon in wichtigen Angelegenheiten als Botschafter
gebraucht worden, wie denn z. B. Decimus Brutus, als er in Mutina (dem
heutigen Modena) belagert wurde, ihnen Briefe an den Beinen befestigte
und sie ins Lager der Konsuln schickte. Was konnte da dem Antonius
sein Wall, seine Wachsamkeit, der durch Netze gesperrte Fluß helfen,
da der Bote durch die Luft flog?“ Übrigens sei hier bemerkt, daß man
im Altertum gelegentlich auch Schwalben statt wie hier Haustauben
zu raschen Überbringerinnen von Botschaften auf große Entfernungen
benutzte. So schreibt der ältere Plinius in seiner Naturgeschichte:
„Cäcinna, ein Ritter aus Volaterra, der zu öffentlichen Wettrennen
bestimmte Wagen besaß, pflegte Schwalben mit nach Rom zu nehmen,
bestrich sie, wenn er gesiegt hatte, mit der Farbe des Sieges (rot),
ließ sie fliegen und sie überbrachten, indem sie ihrem Neste zueilten,
bald seinen Freunden die Botschaft. Auch erzählt Fabius Pictor in
seinen Jahrbüchern, daß man, als eine römische Besatzung von den
Ligustinern belagert wurde, ihm eine von den Jungen genommene Schwalbe
zuschickte, damit er ein Fädchen an ihre Füße binden und durch Knoten
die Zahl der Tage angeben könne, nach deren Verlauf er zum Entsatze da
sein würde. Die Besatzung sollte dann einen Ausfall machen.“

Auch allerlei Aberglauben knüpfte sich bei den Römern an die Taube, wie
an zahlreiche andere Vögel; so berichtet Dio Cassius: „Dem Macrinus
wurde der Verlust der Schlacht und sein darauf erfolgender Tod dadurch
prophezeit, daß, während sein erster Brief, worin er verkündete,
Kaiser geworden zu sein, im Senat vorgelesen wurde, eine Taube sich
auf seine Bildsäule, die in dem Versammlungssaale stand, niederließ.“
Als großer Tierfreund hat besonders der Vetter, Adoptivsohn und
Nachfolger des Heliogabalus, einer der besten Fürsten seiner Zeit,
Alexander Severus, der 222 14jährig die Regierung antrat, 231 siegreich
gegen den Perserkönig Artaxerxes focht und 235 unweit von Mainz von
aufrührerischen Soldaten ermordet wurde, große Geflügelhöfe und
Tausende von Tauben gehalten. So berichtet der Geschichtschreiber Älius
Lampridius von ihm: „Nach Heliogabals Tod übernahm ein herrlicher
Mann, Alexander Severus, die Regierung des Römischen Reichs. Dieser
duldete während der Mahlzeit die bei den Römern üblichen Unterhaltungen
durchaus nicht, sondern hatte Spaß daran, wie kleine Hündchen und
Kätzchen mit Spanferkelchen spielten und Vögel um ihn herumflogen.
Überhaupt waren die Vögel seine Hauptfreude. Er hatte eigene Anstalten
für Pfauen, Fasanen, Haushühner, Enten, Rebhühner, die größten aber
für Tauben, deren er 20000 gehabt haben soll. Um nun dem Staate nicht
durch die Fütterung der ungeheuren Menge von Geflügel lästig zu fallen,
mußten seine Angestellten die Eier, die Küchlein, die jungen Tauben
verkaufen und von dem daraus gelösten Gelde das Futter kaufen.“

Aus diesen Stellen kann man entnehmen, wie populär auch bei den Römern
der späteren Kaiserzeit die Taubenzucht war. Noch ums Jahr 400 n. Chr.
spricht Palladius von Taubentürmen, die man auf dem Herrenhause baue
und so einrichte, daß alle Nester inwendig seien. Dabei müßten alle
Eingänge so klein sein, daß sich kein Raubvogel hineinwage. Dabei
weiß er noch allerlei von uns allerdings sehr skeptisch aufgenommene
Ratschläge zu erteilen, so sagt er: „Um die Tauben vor Wieseln zu
sichern, wirft ein Mann ganz heimlich, ohne daß es jemand sieht,
einen blattlosen Dornbusch oder einen Haufen altes Spartgras in das
Taubenhaus. Um sie vor dem Tode zu schützen und damit sie nicht in
andere Taubenschläge übersiedeln, hängt man in alle Eingänge etwas von
dem Strick, mit dem ein Mensch gehängt wurde. Die Tauben bringen sogar
noch fremde mit, wenn man sie fleißig mit Kümmel füttert.“ Heute rät
man zu letzterem Zwecke Anisöl in die Taubenschläge zu bringen, für das
die Tauben tatsächlich eine große Vorliebe hegen.

Auch bei den Römern, die als Realisten sich nicht scheuten, die Tauben
trotz ihrer althergebrachten Heiligkeit zu verspeisen, waren sie der
Liebesgöttin Venus geweiht. Man dachte sich ihren Wagen von weißen
Tauben gezogen, wie schon die Griechen erzählten. Es sei hier nur
an die Ode an Aphrodite erinnert, die die berühmteste Dichterin des
Altertums, die aus vornehmem lesbischem Geschlechte stammende Sappho zu
Beginn des 6. vorchristlichen Jahrhunderts verfaßte und die in Geibels
Nachdichtung folgendermaßen beginnt:

    „Die du thronst auf Blumen, o schaumgeborene,
    Tochter Zeus, listsinnende, hör mich rufen,
    Nicht in Schmerz und bitterer Qual, o Göttin,
      Laß mich erliegen.

    Sondern huldvoll neige dich mir, wenn jemals
    Du mein Flehn willfährigen Ohrs vernommen,
    Wenn du je, zur Hilfe bereit, des Vaters
      Halle verlassen.

    Raschen Flugs auf goldenem Wagen zog dich
    Durch die Luft dein Taubengespann, und abwärts
    Floß von ihm der Fittiche Schatten dunkelnd
      Über den Erdgrund.

    So dem Blitz gleich stiegst du herab und fragtest,
    Sel’ge, mit unsterblichem Antlitz lächelnd:
    ‚Welch ein Gram verzehrt dir das Herz, warum doch
      Riefst du mich, Sappho?‘“

Wie bei den Griechen diente auch bei den ihnen so vieles entlehnenden
Römern der Name Taube, wie Spätzchen und Häschen, als Kosewort; so
heißt es bei Plautus u. a.: _mea columba_. Eine besondere Rolle spielte
dann die Taube in der christlichen Kirche. Man findet sie in den
ältesten christlichen Katakomben Roms häufig abgebildet. Als reiner,
frommer Vogel diente sie früh als Ausdruck der neuen Religion und der
damit verbundenen Seelenstimmung, und man glaubte, daß beim Tode des
Gläubigen sich dessen Seele als Taube zum Himmel hinaufschwinge, wie
einst in ihrer Gestalt der heilige Geist auf die Erde herniederkam. Als
der Frankenkönig Chlodwig im Jahre 496 nach Besiegung der Alamannen
mit 3000 Franken in Reims zum Christentum übertrat und sich taufen
ließ, brachte eine Taube dem Bischof Remigius, wie Hinkmar im Leben
des Heiligen erzählt, das Ölfläschchen zu dessen Salbung vom Himmel
herab. Seit der Zeit der Kirchenväter herrschte ein allgemeiner Glaube
in der Christenheit, daß die Taube keine Galle habe und deshalb so
sanft und ohne Falsch sei; daher kommt es, daß schon der St. Galler
Mönch Ekkehard in seinen Benediktionen, den Tischgebeten, den heiligen
Geist bittet, sein Tier, die „Taube ohne Galle“ für das Verspeisen zu
segnen. Gleicherweise preist Walter von der Vogelweide die schöne,
sanfte Griechin Irene von Byzanz, die Gemahlin des am 21. Juni 1208 von
Otto von Wittelsbach in Bamberg ermordeten deutschen Königs Philipp von
Schwaben, als ein _rôs âne dorn, ein tûbe sunder gallen_.

Wie der Papst besonders verdienten Christen die goldene Tugendrose
verschenkte, so verlieh er ihnen auch als Auszeichnung gelegentlich
das Bild der Taube, das Symbol des heiligen Geistes. Den Germanen war
einst, wie allen Indogermanen, die graue wilde Taube ein düsteres
Geschick und den Tod ansagender Vogel. Nicht anders war es bei den
Römern, bei denen, wie wir sahen, durch das Herbeifliegen einer
Haustaube der bevorstehende Tod des Kaisers Macrinus angekündigt
worden sein soll. Ihr trat nun, wie dem Heidentum das Christentum, die
anmutige und zärtliche, zutraulich mit dem Menschen lebende und aus
seiner Hand das Futter nehmende weiße, fremdländische Taube gegenüber,
in deren Gestalt der heilige Geist auf die Erde gekommen sein sollte.
Schon letztere Tatsache gab ihr einen Heiligenschein und machte sie
in Anknüpfung an altorientalische Vorstellungen zu einem Gegenstand
religiöser Verehrung. So werden in Moskau und den übrigen Städten
des weiten Rußland Scharen von meist weißen Tauben von den Gläubigen
unterhalten und ernährt, und einen der heiligen Vögel zu töten, zu
rupfen und zu essen wäre eine große Sünde und würde dem Täter übel
bekommen -- ganz wie einst zur Zeit Xenophons und Philos in Hierapolis
und Askalon. Noch heute wohnen auf den Kuppeln der Markuskirche und auf
dem Dache des Dogenpalastes im halbgriechischen Venedig Schwärme von
Tauben, die, von niemandem beunruhigt, auf dem Markusplatz ihr Wesen
treiben und zur bestimmten Stunde auf öffentliche Kosten ihr Futter
gestreut erhalten.

In den beiden letztgenannten Städten sind schon bedeutende
orientalische Einflüsse bemerkbar. Im heutigen, mohammedanischen
Morgenland hat die Taube durch die Jahrhunderte den Stempel der
Heiligkeit bewahrt und wird als Gegenstand religiöser Verehrung in
halbwildem Zustande um die Moscheen gehalten. Schon im frühen Altertum
geschah dies, wie wir sahen, in den Tempeln der Liebesgöttin. Aber auch
sonst stand die Taube in einem gewissen Verhältnisse zum Menschen. Wie
in der Genesis erscheint im altbabylonischen Sintflutbericht die Taube
(_samâmu-summatu_) neben dem Raben als Sendling Schamaschnapischtims,
des babylonischen Noah, um das nächste Land auszukundschaften. Auf
solche Weise haben auch die alten Phönikier und Griechen, wenn sie sich
ausnahmsweise einmal aus der Sehweite der Küste entfernten, durch das
Aussenden von Tauben das nächste Land erkundet, wie dies die nordischen
Wikinge mit gefangen gehaltenen Raben machten. Auch anderwärts wird
die Taube in Keilinschriften erwähnt; so heißt es auf einer Tontafel
medizinischen Inhalts: „Die Krankheit des Kopfes fliege davon, wie eine
Taube in ihren Schlag.“

Wie in Mesopotamien und Syrien wurde auch im alten Ägypten die
Felsentaube als Haustier gehalten. Schon zur Zeit der ältesten
Dynastien finden wir sie, wie erwähnt, unter dem Hausgeflügel
abgebildet, doch trat ihre Zucht damals gegenüber derjenigen der dort
einheimischen Nilgans stark zurück. So ist auf einem Grabe eine vom
Menschen gefütterte Schar Tauben dargestellt. Auf einem andern heißt
es zwar: „Die Taube holt sich Futter“, während daneben steht: „Die
Gans wird gefüttert“ und „die Ente erhält zu Fressen.“ Mit dieser
sich selbst das Futter holenden Taube ist sehr gut die Feldtaube
charakterisiert, die heute noch im Niltale, wie im Morgenlande
überhaupt, in halbwildem Zustande auf alten ruhigen Gebäuden, Tempeln
und in für sie errichteten Türmen gehalten wird. Zum Nisten dienen ihr
hoch übereinandergeschichtete eiförmige Töpfe, die mit Nilschlamm oder
Mörtel miteinander verbunden wurden. Jeder Topf ist an dem nach außen
gekehrten Ende etwas durchbrochen, um Luft und Licht durchzulassen. Der
Eingang für die Taube befindet sich aber an der innern Seite. Von hier
aus wird auch alljährlich der angesammelte Mist als das einzige von den
Tieren Benutzte zusammengekratzt, um als wertvoller Dünger besonders
für die Melonenkulturen verwendet zu werden. Dieser Taubendünger ist
für den Orientalen deshalb so wertvoll, weil in dem holzarmen Lande
der Mist der pflanzenfressenden Haustiere als Brennmaterial benutzt
wird. Der verstorbene Ägyptologe Brugsch Pascha berichtet von seiner
Reise nach Persien, daß die berühmten Melonen von Isfahan in Persien
wesentlich dem reichlichen Taubendünger, den sie erhalten, ihre
Vorzüglichkeit verdanken. Schon im Altertume gab es übrigens da, wo wir
solchen noch heute begegnen, derartige Taubentürme. So werden sie schon
im Alten Testament bei Pseudo-Jesaias 60, 8 erwähnt, der sagt: „Wer
sind die, welche fliegen wie die Wolken und wie die Tauben in ihren
Wohnkammern?“ Auch auf der späteren Königsburg in Jerusalem, die im
Jahre 70 n. Chr. im allgemeinen Brande unterging, waren nach Josephus
„viele Türme mit zahmen Tauben.“

Nach der Sage wurde die Taube für die Mohammedaner deshalb ein heiliger
Vogel, weil eine solche, die sich durch seinen Eintritt in die Höhle,
in der sie brütete, nicht stören ließ, den Propheten Mohammed auf
seiner Flucht vor der Gefangennahme durch die ausgesandten Häscher
schützte. Deshalb wird sie überall in der mohammedanischen Welt in
halber Wildheit gehalten, ohne irgend welchen Nutzen aus ihr zu ziehen.
Einzig ihr Mist wird, wie oben gesagt, als Düngmittel verwendet.
Von den ebenfalls halbwilden, auf öffentliche Kosten oder von den
Gläubigen ernährten Tauben des Kreml in Moskau und der Markuskirche
in Venedig wird nicht einmal dieser verwendet. Ebenso ist es in den
mohammedanischen Moscheen und in den siamesischen Pagoden. „Taube der
Moschee“ zu heißen, ist ein lobendes Prädikat für einen frommen Moslem.
In Indien und China hat sich ohne allen europäischen Einfluß schon
in alter Zeit eine namhafte Taubenliebhaberei entwickelt, die früh
zur Züchtung verschiedener Kulturrassen führte. So wird vom mächtigen
Eroberer mohammedanischen Glaubens, dem Großmogul Akbar dem Großen,
der von 1556 bis 1605 regierte, berichtet, daß er sich persönlich mit
ihrer Zucht abgab und an seinem Hofe über 20000 Tauben hielt. Um seine
Arten zu vermehren, ließ er sich von den Herrschern in Iran und Turan
seltene Rassen senden. So besaß er schließlich bereits 17 verschiedene
Taubenrassen. In Syrien soll es heute noch mehr Taubenfreunde und
-Züchter geben als selbst in England, das in der Zucht dieses
Haustieres Großes geleistet hat. Auch die Chinesen haben Freude an
der Taube und halten sie gern. Dabei schützen sie ihre Taubenschwärme
durch das Anbringen kleiner Pfeifen aus Bambus, die dann beim Fliegen
durch schwirrende Töne die Raubvögel abhalten sollen. Dieser Gebrauch
ist auch bei den Japanern üblich, die dieses Haustier, wie so vieles
andere, von den Chinesen übernahmen.

Während auch die Ostasiaten als Feinschmecker junge Tauben gern essen,
tun dies die christlichen Abessinier nicht aus religiöser Scheu, da
die Taube als Sinnbild des heiligen Geistes bei ihnen als heiliges
Tier gilt. Man findet sie deshalb in jenem Lande häufig in der noch
dort geübten byzantinischen Kunst abgebildet. Die abessinischen Juden
müssen für ihre vorgeschriebenen Opfer wilde Tauben fangen, wie das
in der älteren Zeit im Judentum auch bei den Turteltauben der Fall
war. Auch in den Haussaländern ist sie geschützt wie in allen dem
Islam huldigenden Ländern. Durch die Araber wurde sie dann den Negern
Ostafrikas gebracht, die sie teilweise willig annahmen. So werden sie
in Unjamwesi in großen Schlägen aus Rindenschachteln gehalten, worunter
auch viele weiße. Bis zum Jahre 1883 hatten sie sich bis in das Herz
des schwarzen Kontinents, zum Flusse Lulua, verbreitet.

Mit den Europäern gelangte die Taube natürlich auch nach Amerika und
Australien, wo sie vollständig eingebürgert wurde. An zahllosen Stellen
ist die Taube verwildert und hat mehr oder weniger die Färbung ihrer
wilden Vorfahren angenommen, so besonders in den Mittelmeerländern
und auf vielen ozeanischen Inseln. Auf den Azoren flossen bei den
verwilderten Tauben die weißen Flügelbinden zusammen. Das gab den
Ornithologen Gelegenheit, eine neue Unterart aufzustellen, wie deren
durch künstliche Auslese und zielbewußte Zucht zahlreiche durch den
Menschen willkürlich geschaffen wurden.

Schon im Altertum entstanden die Stammformen der meisten heutigen
Taubenrassen im Morgenlande, um dann nach dem Abendlande verbreitet zu
werden. So war schon im Mittelalter die Zahl der in Europa bekannten
Taubenrassen beträchtlich. Man züchtete damals bereits in den
Niederlanden eigene Rassen, zu denen durch die Einfuhr aus dem Orient
stets neue hinzukamen. Von den Niederlanden, die im 15. Jahrhundert
das kultivierteste Volk Mitteleuropas besaßen, verbreitete sich die
Taubenzucht im 16. Jahrhundert über Deutschland, England, Frankreich
und die diesen benachbarten Länder. Schon vor dem Jahre 1600 waren
die Hauptrassen unserer Haustaube vorhanden; seither gingen einzelne
wieder verloren, während andere eine Umbildung erfuhren. In seiner
Ornithologie führt der Italiener Ulysses Aldrovandi die um 1600 in
Europa gezüchteten Taubenrassen auf, die damals immer noch vorzugsweise
in den Niederlanden gezüchtet wurden. Es gab dort besondere Vereine von
Taubenzüchtern, die Anregungen in diesem Wirtschaftszweige zu geben
bestrebt waren. Trotz der einheimischen Zucht hat aber die Einführung
orientalischer Taubenrassen noch nicht aufgehört; denn wie früher ist
noch immer das Morgenland das Hauptzuchtgebiet der Taube.

Von der in Westasien zuerst gezähmten Felsentaube sind so zahlreiche
Rassen hervorgegangen, daß es schwer hält, sie alle einzureihen. Der
wilden Stammform am nächsten stehen die im wesentlichen nur durch
ihre Färbung und Zeichnung von ihr verschiedenen ~Feldtauben~, deren
Hauptverbreitungsgebiet das westliche Europa ist. Sie haben in ihrer
Lebensweise eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt, indem sie von ihrem
Nistplatze aus aufs Feld fliegen, um ihr Futter selbst zu suchen. Nur
im Winter werden sie gefüttert. In der Regel sind sie glattköpfig,
d. h. ohne Haube, und ohne Federhosen an den Beinen. Als Nutzvögel
stehen sie wegen ihrem Fleischwert obenan.

An die Feldtauben schließen sich die zahlreichen ~Spiel~- oder
~Farbentauben~ an, die durch eigenartige Färbungen und Zeichnungen
von konstantem Charakter ausgezeichnet sind. Die meisten von ihnen
gehen wie die Feldtauben aufs Feld; doch ist ihre Abhängigkeit vom
Menschen größer. Man unterscheidet bei ihnen Lerchen-, Star- und
Storchtauben, Schwalben- und Gimpeltauben, Weißschwänze, Weißschläge,
Farbenbrüster, Latztauben, Mohren- und andere Farbenköpfe. Die in
mehreren Farbenvarietäten auftretende Eistaube besitzt ein wie
bereift erscheinendes hell lichtblaues Gefieder. Die gelbliche bis
bräunlichrote Mondtaube ist durch eine halbmondförmige Zeichnung auf
der Brust charakterisiert. Nahe mit ihr verwandt ist die fahlgelbe Elbe
oder Schweizertaube. Die Maskentaube ist ganz weiß mit dunklem Schwanz
und halbmaskenartigem Stirnfleck. Dabei ist der Kopf glatt oder mit
Haube versehen, die Beine sind glatt oder befiedert.

Die ~Trommeltauben~ weichen im Äußeren nicht auffallend von den
Feldtauben ab, sie zeichnen sich aber durch ihre Stimme aus, die kein
abgesetztes Rucksen, wie die anderer Tauben, sondern ein fortgesetztes
Fortrollen ist, wobei das stillsitzende Tier den Kropf etwas aufbläht
und mit den Flügeln zittert. Manche Trommeltauben sind am Kopf mit
einer Haube und an der Schnabelbasis mit einer Federnelke geziert.
Die Füße sind glatt oder befiedert. Die Färbung ist sehr verschieden.
Häufig erscheint die Zeichnung gescheckt, auch blau, wie bei der
Altenburger Trommeltaube, die besonders in Sachsen sehr beliebt
ist. Als der beste Trommler gilt die etwas schwerfällig gebaute
russische Trommeltaube, die meist einfarbig schwarz mit stahlblauem,
bronzeschimmerndem Halse ist und am großen Kopf Muschelhaube und
Federnelke trägt, welch letztere Augen und Schnabel bedeckt.

Bei den ~Lockentauben~ erscheint das Gefieder gelockt oder struppig.
Das Gefieder ist weich und flaumig und die Deckfedern sind nicht
abgerundet, sondern in eine Spitze auslaufend, welche zu einer Locke
umgebogen ist. Das Gefieder ist blau bis fahlrot; der Kopf bald
glatt, bald mit Haube versehen und die Beine nackt oder befiedert. Am
stärksten gelockt ist die österreichische Lockentaube. Weniger hoch
sind die Locken bei der holländischen Lockentaube, die fast stets eine
Muschelhaube besitzt.

Die ~Perückentauben~ sind Tauben mit kurzem, kleinem Kopf, flacher
Stirn und eigentümlicher Perücke oder Kapuze, die in der Weise zustande
kommt, daß die verlängerten Federn unten am Hals regelmäßig gescheitelt
sind, so daß ein Teil die Schultern bedeckt, die Hauptmasse aber sich
nach vorn und oben richtet, so daß sie den Kopf hinten vollständig
umschließen. Diese Perücke ist eine übermäßige Weiterentwicklung
der Kopfhaube, die wir bei vielen Formen antreffen. Sie sind teils
einfarbig blau oder weiß, teils „gemöncht“, indem aus der roten,
gelben oder schwarzen Grundfarbe der weiße Kopf hervorsticht. Flügel
und Schwanz weisen ebenfalls weiße Federn auf. Im allgemeinen sind
die Vertreter dieser Rasse durch die gesättigten Töne der Grundfarbe
bemerkenswert. Das Wesen dieser Vögel ist auffallend ruhig; sie fliegen
nur wenig umher.

Eine kleine, zierliche Rasse, die bei den Taubenliebhabern stark
bevorzugt wird und ein sehr weites Verbreitungsgebiet besitzt, sind
die ~Mövchen~. Der kleine Kopf mit kurzem Schnabel ist bald glatt,
bald behaubt. Vom Kinn verläuft ein faltiger Kehlsack gegen die
Brust und der Vorderhals ist mit strahlig angeordneten, abstehenden
Federn verziert. Von den zahlreichen Varietäten sind hervorzuheben:
das deutsche Schildmövchen mit spitzer Haube, Schildzeichnung und
etwas schleppenden Flügeln, dann die durch schöne Haltung, gewölbte
Brust, hohe Beine und etwas aufgerichteten Schwanz ausgezeichneten
italienischen Mövchen. Die milchblaue Varietät derselben gilt als
besonders schön. Sehr geschätzt sind neben den ägyptischen auch
die chinesischen Mövchen, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts in
Europa eingeführt wurden, deren eigentliche Heimat aber nicht sicher
ermittelt werden konnte, jedenfalls aber irgendwo in Asien zu suchen
ist. Hals und Brust tragen bei dieser Spielart eine sehr umfangreiche
Federrosette; außerdem ist oben am Hals noch eine deutliche Krawatte,
welche den Kopf umgibt. Die kurzschnäbligen und mit befiederten Füßen
versehenen Satinetten oder Atlasmövchen besitzen eine weiße Grundfarbe
mit braunroten, schwarz umsäumten Flügeldeckfedern. Sie gehören mit zu
den schönsten Tauben und sollen aus dem Orient stammen.

Eine ebenfalls alte Rasse von offenbar ostasiatischer Abstammung
sind die nach ihrem pfauenartig aufgerichteten Schwanz so genannten
~Pfauentauben~, die schon vor dem Jahre 1600 in Indien gehalten wurden.
Während normalerweise die Zahl der Schwanzfedern bei der Taube 12
beträgt, ist sie bei den heute noch in Asien gezüchteten Pfauentauben
auf 14 bis 24, bei den in Europa gezüchteten jedoch auf 28 bis 40
gesteigert worden. Diese sind breit, am Bürzel in 2 bis 3 Reihen
angeordnet und werden fächerförmig aufgerichtet getragen, während die
Flügel hängen, so daß sie unter den Schwanz zu liegen kommen, ohne
sich zu kreuzen. Der lange Hals ist gebogen, so daß der Kopf weit nach
hinten zu liegen kommt. Das Gefieder ist verschieden gefärbt, häufig
einfarbig blau, weiß oder schwarz.

Die auffallende Gestalt schätzt man an den Kropf- und Huhntauben.
Die ~Kropftauben~ haben einen gestreckten Körper mit langen Federn
meist auch an den Beinen und Füßen. Sie sind durch die Fähigkeit
ausgezeichnet, den Schlund enorm aufzublasen und ihn beliebig lange in
diesem Zustande erhalten zu können. Auch sie sind offenbar aus Asien
zu uns gelangt, sind aber schon lange in Europa eingebürgert, da sie
bereits Aldrovandi im Jahre 1600 erwähnt. Als Stammform der besonders
in Zentraleuropa und in den Küstenländern der Nord- und Ostsee, nicht
aber in den Mittelmeerländern stark verbreiteten Kropftauben gilt die
deutsche Kropftaube, die eine bedeutende Körpergröße erlangt und deren
Kropf beständig sehr stark aufgeblasen ist. Die hauptsächlich in der
Normandie, dann auch im übrigen Nordfrankreich gehaltene französische
Kropftaube hat einen fast kugeligen, vom Rumpf abgesetzten Kropf und
lange Beine. Ihr Gefieder ist häufig einfarbig weiß, blau oder gelb,
auch fahlrot mit braunen Binden. Dagegen niedriggestellt in den Beinen
und überhaupt zwergartig ist die holländische Ballonkropftaube, deren
Kopf wie bei den Pfauentauben zurückgebogen ist. Deren ballonartiger
Kropf nimmt im aufgeblasenen Zustande die Hälfte der Taube ein. In der
äußeren Haltung und Bewegung dem Huhn ähnlich, auch durch bedeutende
Größe ausgezeichnet, sind die ~Huhntauben~. Am gedrungenen, vorn
gerundeten Rumpf mit kurzen Flügeln und kleinem, aufrecht getragenem
Schwanz sitzt auf langem, kräftigem, gebogenem Hals der stets
unbehaubte Kopf mit kurzem Schnabel. Ihr Steiß ist dicht mit Flaum
besetzt. Diese Taubenart ist der Pfauentaube nahe verwandt und stammt
vermutlich wie die letztere aus Ostasien. Eine typische Rasse ist die
~Maltesertaube~, die in Vorderindien stark gezüchtet wird und dort
heimisch ist, vermutlich aber über Malta zu uns gelangte. Ihre äußere
Erscheinung ist etwas vierschrötig, die Brust voll und der sehr kurze
Schwanz steil aufgerichtet. Ihr nahe verwandt ist der Epaulettenscheck,
ebenfalls ein Produkt südasiatischer Zucht, das ziemlich früh nach
Europa gelangte. In Italien wurde sie unter dem Namen Tronfo bekannt.
Sie trägt meist dunkles Gefieder mit weißer Zeichnung an Kopf und
Flügeln.

Ebenfalls südasiatischer Herkunft sind die ~Tümmler-~ oder
~Purzlertauben~, so genannt, weil sie die seltsame Gewohnheit
angenommen haben, sich während des Fluges durch die Luft rückwärts zu
überschlagen. Daneben gibt es auch solche Typen, die auf dem Boden
purzeln. Ein guter Tümmler überschlägt sich schon beim Aufsteigen und
führt seine eigentümliche Bewegung in der Weise aus, daß er die Flügel
über dem Rücken zusammenschlägt, sich rückwärts überwirft und dann
mit einem kräftigen Flügelschlag wieder in die frühere Flugrichtung
einlenkt. Auch beim Kreisen wird das Purzeln ausgeführt, doch zeigt
der Vogel seine Kunst nur bei Wohlbefinden. In der Mauser oder in
entkräftetem Zustande versagt er, ebenso an fremdem Ort, bis er sich
genügend eingelebt hat. Ganz gute Vögel tümmeln zwei- bis dreimal
in rascher Aufeinanderfolge. Meist sind die Tümmler von geringer
Körpergröße mit kleinem, zierlichem Kopf und langem, mittellangem
oder kurzem Kopf und befiederten oder glatten Füßen. Hinsichtlich der
Zeichnung sind Weißschwanz-, Elster- und Scheckzeichnung häufiger
als bei anderen Rassen. Von charakteristischen Tümmlern mögen die
gehaubten Kalotten und Nönnchen, die preußischen Weißkopftümmler, die
Kopenhagener Elstern, die englischen Baldheads, die kurzschnäbeligen
Barttümmler und die Königsberger Mohrenkopftümmler hervorgehoben werden.

Die ~Warzentauben~ sind kräftig gebaute, meist einfarbige Tauben mit
einer warzenartigen Wucherung an der Schnabelbasis und oft auch noch am
Augenring. Der Kopf ist in der Regel ohne Haube, die Füße sind glatt,
die Farben gesättigt, doch die Neigung zu Gefiederzeichnung gering. Die
Rasse stammt aus dem Orient und die einzelnen Schläge werden häufig
unter dem Sammelnamen „türkische Tauben“ zusammengefaßt. Sie heißen
auch Bagdette, weil sie in Bagdad zuerst gezüchtet worden sein sollen
oder wenigstens von dort zu uns kamen. Von den bekannteren Schlägen
ist zunächst die französische Bagdette zu nennen. Bei ihr ist der
gedrungene Körper mit knapp anliegendem blauem, weißem oder geschecktem
Gefieder bedeckt. Die Haltung ist aufrecht. Der starke Schnabel ist
etwas gekrümmt, die rosenrote Schnabelwarze ist sehr umfangreich. Die
kräftigen Beine sind karminrot. Trotz dem Namen wird diese Rasse in
Frankreich selten gehalten. Auch die Nürnberger Bagdette ist wenig
verbreitet. Der glatte Kopf trägt einen langen, stark gekrümmten
Schnabel, an dessen Basis ein mäßig umfangreicher Warzenhöcker sitzt.
Zu den geschätztesten englischen Zuchttauben gehört die englische
Bagdette oder Carrier. Die Stammrasse ist im Orient weit verbreitet
und wurde vor etwa 200 Jahren in Europa importiert und von englischen
Züchtern veredelt. Die Färbung ist schwarz, braun, blau oder weiß,
der Schnabel lang und gerade, die Schnabelwarze enorm, bis zur Größe
einer Walnuß entwickelt, daneben sind die warzigen Augenringe sehr
umfangreich. Die Indianer- oder Berbertaube ist schwarz, braun oder
gelb, selten blau befiedert, der Schnabel kurz, das große Auge mit
weißer Iris von einem mächtigen, rotgefärbten Warzenring umgeben. Auch
sie stammt aus dem Orient und wurde von Nordafrika aus nach England,
Holland und Deutschland eingeführt. Durch Pinselhaare am Hals ist
die in Italien stark verbreitete römische Taube ausgezeichnet. Diese
wird wegen ihrer bedeutenden Größe auch Riesentaube genannt. Zu dieser
Gruppe gehören auch die Korallenaugen, die Syrier, Kurdistaner und
andere, deren Name schon auf die orientalische Herkunft hinweist.

Ebenfalls aus dem Morgenlande wurden die ~Brieftauben~ bei uns
eingeführt, die triebartig stets zu ihrem heimatlichen Schlage
zurückkehrt und denselben auch dank ihrem hochentwickelten
Orientierungsvermögen auf sehr große Entfernungen hin mit Sicherheit
findet, wobei sie per Minute einen Kilometer zurücklegt. Selbst
längere Internierung an einem fremden Orte schränkt ihren Heimatstrieb
nicht ein; so vermag sie selbst nach sechs Monaten wieder ihren
heimatlichen Schlag zu finden. Diese Eigenschaft, die durch ihre
außerordentlich scharfen Sinne bedingt wird, hat ihr eine wichtige
Rolle im Kriegsdienst gesichert, weil sie, wenigstens vor der Zeit
der drahtlosen Telegraphie, oft das einzige Mittel zur Besorgung des
Nachrichtendienstes bot. Auch von der hohen See aus kann sie Meldungen
nach dem Lande überbringen. In wichtigen Fällen wird man, wenn sie
zum Depeschendienst verwendet wird, mehrere Brieftauben mit denselben
Nachrichten, die man in leichten Federspulen an der Schwanzbasis
befestigt, absenden, da Raubvögel gelegentlich solche Tauben wegfangen
und man so sicherer ist, seinen Zweck zu erreichen. Neuerdings hat
man sie auch zu photographischen Aufnahmen des feindlichen Geländes
benutzt, indem man ihr einen leichten Photographenapparat mit
selbsttätigem Belichter um die Brust hing. Von den in Europa weiter
gezüchteten Schlägen sind am bekanntesten und geschätztesten die
Antwerpener, Lütticher und Brüsseler Brieftaube. Ihr Gefieder ist
vorwiegend blau mit dunkeln Flügelbinden.

Außer der Felsentaube ist nur noch eine Taubenart, eine ~Lachtaube~
(_Columba risoria_), ebenfalls in Asien zu einem Hausvogel erhoben
worden. Indessen gibt es außer den Hauslachtauben, die den wilden
Lachtauben sehr ähneln und die große Mehrzahl bilden, nur noch weiße
Lachtauben; aber auch sie tragen das schwarze Genickband des wilden
Stammes. Der Leucismus dieser Vögel beweist, daß sie schon längere
Zeit in des Menschen Pflege sein müssen. Erst im 17. Jahrhundert
kamen sie aus China oder Indien nach Europa, wo sie jedoch nur
beschränkte Verbreitung fanden. In ihrer Heimat Asien aber scheinen
sie ihres angenehmen Wesens wegen vielerorts gezüchtet zu werden. Der
Lieblingsaufenthalt dieser Vögel sind dürre Steppen, in denen sie ihr
Lachen und Girren aus fast jedem Busche hören lassen. Doch haben sie
sich trotz ihrer angeborenen Scheu teilweise auch schon an den Menschen
gewöhnt. So genießen Lachtauben in Konstantinopel das Privilegium, von
jeder Kornladung ihren Tribut in Anspruch nehmen zu dürfen.

Von den übrigen Taubenarten ist keine einzige in Abhängigkeit vom
Menschen geraten. Zwar haben schon die alten Römer wilde Ringel- und
Turteltauben gefangen und gemästet, um sie als leckeren Braten zu
verzehren; aber zu Haustieren sind sie damals nicht erhoben worden.
Seit der ältesten Zeit haben die Dichter die durch Vorderasien und
das gemäßigte Europa verbreitete ~Turteltaube~ (_Columba turtur_)
wegen ihres klangvollen Rucksens und der ehelichen Zärtlichkeit, mit
der Männchen und Weibchen aneinander hängen, besungen. Weil sie auch
leicht zu fangen und in Gefangenschaft zu erhalten war, ist sie auch
zu allen Zeiten und überall vielfach gehalten worden; aber sie scheint
sich in der Gefangenschaft nicht fortgepflanzt zu haben, so daß sich
ihrer Haustierwerdung erhebliche Schwierigkeiten entgegenstellten. In
halber Freiheit aber pflanzt sie sich willig fort, und so haben sie
schon die alten Römer gehalten. So berichtet Varro in der ersten Hälfte
des letzten Jahrhunderts v. Chr.: „Für Turteltauben baut man auch ein
besonderes, demjenigen für Haustauben bestimmten ähnliches Gebäude,
gibt ihnen aber offene Nester und füttert sie mit trockenem Weizen. Sie
ziehen zur Erntezeit viele Junge und diese lassen sich schnell mästen.“



XVIII. Die Sing- und Ziervögel.


Ihres lieblichen Gesanges wegen hat der Mensch je und je Vögel seiner
Umgebung mit Schlingen oder in Fallen gefangen, um sie in kunstlos aus
Stäbchen geflochtenen Bauern in seiner Behausung aufzustellen, damit
sie ihn durch ihr munteres Wesen und ihr wohllautendes Liebeswerben
erfreuten. Von allen ~Finkenarten~, die zu diesem Zwecke am häufigsten
in Gefangenschaft gehalten werden, ist nur der ~Kanarienvogel~
(_Serinus canarius_) zu einem eigentlichen Haustier geworden, indem
er sich nicht nur regelmäßig in der Gefangenschaft fortpflanzt,
sondern auch verschiedene Spielarten hervorgebracht hat. Seine Heimat
sind, wie der Name schon andeutet, die Kanarischen Inseln westlich
von Afrika, wo diese unserm Girlitz am nächsten verwandte Finkenart
gezähmt und zum Haustier gemacht wurde. Der auch in seiner Heimat
von Spaniern und Portugiesen _canario_ genannte Vogel ist merklich
kleiner und schlanker als derjenige, der in Europa gezähmt gehalten
wird, und kommt noch häufig in denjenigen Teilen der Kanaren vor, die
noch nicht ganz abgeholzt sind; denn sein bevorzugter Standort sind
Bäume, in deren Laub er sich vermöge seiner Färbung geborgen weiß. Beim
erwachsenen Männchen ist die Farbe vorwiegend Gelbgrün untermischt mit
Aschgrau, nur die Brust ist nach hinten zu heller, gelblicher und der
Bauch weißlich. Auch die schwarzgrauen Schwanzfedern sind weißlich
gesäumt. Der Augenring ist dunkelbraun, Schnabel und Füße sind dagegen
bräunlich fleischfarben. Die Nahrung besteht fast ausschließlich aus
Pflanzenstoffen, allerlei Samen, zarten Blättern und saftigen Früchten,
namentlich Feigen. Wasser zum Trinken und Baden ist ihm unbedingtes
Bedürfnis. Sein Flug gleicht demjenigen des Hänflings. Er ist etwas
wellenförmig und geht meist nur von Baum zu Baum. Mit Vorliebe baut
er sein Nest im März auf jungen Bäumen in über 2 _m_ Höhe, um darein
fünf blaß meergrüne Eier mit rötlichbraunen Flecken zu legen. Während
das Weibchen brütet, sitzt das Männchen in seiner Nähe, am liebsten
hoch oben auf einem noch unbelaubten Baum, um seinen von demjenigen des
zahmen Kanarienvogels wenig verschiedenen Gesang erschallen zu lassen.
Die Brutzeit dauert 13 Tage; dabei werden drei bis vier Bruten jährlich
großgezogen. Die Jungen bleiben im Nest, bis sie vollständig befiedert
sind und werden noch eine Zeitlang nach dem Ausfliegen von beiden
Eltern, namentlich aber vom Vater, aufs sorgsamste aus dem Kropfe
gefüttert.

Der Fang der wilden Kanarienvögel ist sehr leicht; besonders die jungen
gehen fast in jede Falle, sobald nur ein Lockvogel ihrer Art daneben
steht. Auf den Kanaren bedient man sich gewöhnlich zu ihrem Fange
eines Schlagbauers, der in der Mitte einen Käfig mit dem Lockvogel und
seitlich davon je eine Falle mit aufstellbarem Trittholz besitzt. Er
wird in baumreicher Gegend in der Nähe von Wasser aufgestellt und fängt
am ergiebigsten morgens. In der Gefangenschaft sind die Vögel unruhig
und brauchen längere Zeit, ehe sie die ihnen angeborene Wildheit
abgelegt haben. Sperrt man sie in engen Käfigen zu mehreren zusammen,
so zerstoßen sie sich leicht das Gefieder. Sie sind sehr gesellig und
schnäbeln sich gern untereinander. Die jungen Männchen geben sich
durch fortgesetztes lautes Zwitschern zu erkennen. Doch sind die Vögel
außerordentlich empfindlich und gehen leicht an Krämpfen ein.

Bald nach der Eroberung der Kanaren durch die Spanier im Jahre 1478
wurde der Kanarienvogel von den Siegern in großer Zahl nach ihrer
Heimat eingeführt. So war er in Spanien schon in der ersten Hälfte
des 16. Jahrhunderts ein beliebter Hausgenosse. Nach der Bezeichnung
Zuckerinseln, die man den Kanaren wegen des bald aus ihnen mit
ausgezeichnetem Erfolg betriebenen Anbaues von Zuckerrohr gab, hieß
der von dort kommende Vogel, den vermutlich bereits die dortigen
Ureinwohner, die Guanchen, gezähmt hatten, bei den Spaniern zunächst
„Zuckervogel“. Als solcher wird er 1555 zum erstenmal vom Züricher
Konrad Geßner, nicht aber vom Pariser Zoologen Pierre Bellon erwähnt.
Seiner Verbreitung nach Italien soll ein Schiffbruch bei der Insel
Elba Vorschub geleistet haben. Bis dahin hatten nämlich die Spanier
nur männliche Vögel ausgeführt, die sie in eigenen Zuchten zogen. Da
scheiterte um die Mitte des 17. Jahrhunderts ein spanisches Schiff bei
Elba mit einer Kanarienvogelhecke. Die Vögel entkamen, verwilderten auf
der Insel und bildeten so einen Stamm, von dem aus Europa mit Vögeln
versehen wurde, so daß das Monopol der Spanier aufhörte. Immerhin war
er dank seiner Seltenheit noch lange Zeit recht teuer, so daß sich
nur die besser Situierten diesen Fremdling aus dem warmen Süden, der
sich in Mitteleuropa recht wohlfühlte und gut gedieh, leisten konnten.
So ließen sich vornehme Damen gern mit diesem Vogel auf der Hand
abkonterfeien.

Selbstverständlich war dieser hübsche Singvogel sehr bald den Spaniern
in ihre neuweltlichen Kolonien gefolgt. So war er nach Garcilaso de
Vega schon 1556 in Kuzko, im Hochlande von Peru, und 1600 sogar in
Ostindien zu finden. In letzterem Lande mußte man den Käfig mit dem
Vogel über eine Schale mit Wasser setzen, um ihn vor den Angriffen der
Termiten zu schützen. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts zog man den
Kanarienvogel schon recht häufig in Deutschland. Horst in Frankfurt am
Main berichtet 1669, daß man ihn gern mit dem Stieglitz kreuze. Dabei
lokalisierte sich die Zucht mehr und mehr auf bestimmte Gegenden.
War es zuerst Spanien, dann Italien gewesen, das die Kulturwelt mit
Kanarienvögeln versorgt hatte, so übernahm dieses Geschäft im 18.
Jahrhundert das tirolische Städtchen Imst, das von 1776 an einen regen
Handel damit nach den Kulturländern Mitteleuropas trieb. Im Jahre
1782 konnten beispielsweise von dort 1600 wertvolle Sänger allein
nach England exportiert werden, abgesehen von den zahlreichen andern,
die nach Deutschland, Rußland, Österreich und bis nach Konstantinopel
gingen. Erst im 19. Jahrhundert wurde diese blühende Zucht durch
diejenige im Harz verdrängt, die heute alle Welt mit ihren Zuchtvögeln
versorgt. Die besten Sänger kommen von Andreasberg und Zellerfeld,
die deren jährlich für etwa 280000 Mark exportieren. Dort werden in
fast allen Häusern als Nebenbeschäftigung Kanarienvögel gezüchtet und
zu Sängern ausgebildet, indem sie stets nur den Gesang der besten
Vorsänger zu hören bekommen. Alle minderwertigen oder fehlerhaften
Sänger werden außer Hörweite der jungen Zöglinge gehalten, so daß sie
deren Gesang nicht annehmen können, sondern sich ausschließlich an den
besten Vorbildern schulen. Ein guter Harzer Sänger ist mit dem dazu
gehörenden Weibchen nicht unter 80-120 Mark zu haben.

Nach Tirol beteiligten sich auch die lange von den Spaniern
beherrschten Niederlande am Handel mit Kanarienvögeln, und bereits
gegen das Ende des 16. Jahrhunderts wurde dort eine besondere bunte
Rasse gezogen, deren Aufzucht später auch in gewissen Bezirken Englands
aufkam. Von diesen „bunten“ Kanarienvögeln, die heute noch von
Holland, Belgien und England in den Handel gelangen, gilt ein Paar
120-160 Mark. Unter ihnen gibt es auch verschiedene barocke Formen,
bei denen die auf Kopf, Brust und Schultern befindlichen Federn zu
allerlei krausen Gebilden umgeändert wurden. Zoologisch variiert der
Kanarienvogel sonst hauptsächlich in der Größe, wenig in der Farbe. Bei
ihm ist das ursprünglich vorwiegend gelbgrüne bis braune Federkleid
durch Entfärbung statt weiß hell- bis dunkelgelb geworden. Schon
Isidore Geoffroy St. Hilaire sprach es 1757 aus, daß der Flavismus,
wie er sich ausdrückt, den Leucismus der ursprünglich grünlichen Vögel
bilde. Daneben gibt es auch bei ihm gelegentlich einen Albinismus mit
weißen Federn und roten Augen. Solche weiße Kanarienvögel erwähnt schon
Adanson aus Frankreich ums Jahr 1750; aber die Züchter ziehen sie nicht
auf, weil sie für die Zucht zu schwächlich sind. Außerdem gibt es auch
pigmentreiche schwarze Formen. Doch ist viel fremdes Blut in unsere
Kanarienstämme gekommen, da sie seit geraumer Zeit mit Stieglitz,
Zeisig und andern Finken, in Italien besonders mit dem Hänfling
gekreuzt wurden. Dabei sind die Bastarde meist fruchtbar. Heute ist
der Kanarienvogel als geschätzter Sänger und dabei leicht zu haltender
Stubenvogel über die ganze zivilisierte Welt verbreitet. Schon 1870 war
er auf dem chinesischen und bald nachher auch auf dem japanischen Markt
zu haben, obschon von jenen Völkern gern auch nicht minder lieblich
singende einheimische Finken in engen Vogelbauern zur Unterhaltung
gehalten werden.

Außer den Finken sind es besonders ~Drosseln~, welche gern vom
Menschen in Gefangenschaft gehalten werden. Da sie, statt wie jene
Körnerfresser zu sein, Kerbtierfresser sind, war ihre Erhaltung in
der Obhut des Menschen bedeutend schwieriger, so daß es kein Wunder
ist, daß bis heute keine einzige Drosselart zum eigentlichen Haustier
erhoben wurde. Gleichwohl sollen sie hier eine kurze Würdigung finden,
da sie nicht bloß häufige Gesellschafter des Menschen sind, sondern
auch als Leckerbissen für ihn eine gewisse Rolle spielen. In letzterer
Beziehung ist besonders die ~Wacholderdrossel~ oder der ~Krammets-~
(zusammengezogen aus Kranewits-) ~Vogel~ (_Turdus pilaris_) wegen
ihres Fleisches sehr geschätzt. Sie hat ihren Namen von den Wacholder-
oder Krammetsbeeren, die sie wie die übrigen Drosseln gern frißt und
wovon ihr Fleisch einen würzigen Geschmack erhält. Sie ist ein echter
Waldvogel und nistet nicht bloß im höchsten Norden Europas und Asiens,
sondern auch in gemäßigteren Gegenden, wie Mitteleuropa. Den Winter
über zieht sie wie die übrigen Drosseln nach den Mittelmeerländern und
Nordafrika. Sie war es in erster Linie, welche die Römer unter dem
Drosselnamen turdus bezeichneten und gern aßen. So sagt der witzige
Spötter Martial (42-102 n. Chr.), der gern die Großen umschmeichelte,
um von ihnen zur Tafel geladen zu werden, in einem seiner Xenien, auf
Deutsch Gastgeschenke, d. h. Epigramme, die als Aufschriften zu den
an den Saturnalien verteilten Gastgeschenken gedacht waren: „Fette
Drosseln sind mir lieber als andere Leckerbissen.“ An einer anderen
Stelle meint er: „Ein Kranz von Drosseln gefällt mir besser als ein
aus Rosen und Narden geflochtener“, und fernerhin: „Unter den Vögeln
gebührt der Drossel, unter den vierfüßigen Tieren dem Hasen der Preis.“
Auch der Feinschmecker Horaz (65-8 v. Chr.), der sich durch alle
„Rehrücken der Saison“ aß und das Genießen zur Kunst ausbildete, so
daß er sich selbst humorvoll als „ein fettes Schweinchen aus der Herde
Epikurs“ bezeichnet, meint in einer seiner Episteln: „Nichts ist besser
als die Drossel.“ Die frisch Gefangenen wurden für die Feinschmecker
noch besonders gemästet. So schreibt Plinius um die Mitte des 1.
Jahrhunderts n. Chr. in seiner Naturgeschichte: „Cornelius Nepos,
der unter dem Kaiser Augustus lebte, schrieb, man habe erst kürzlich
angefangen, Drosseln zu mästen. Dazu bemerkt er, nach seinem Geschmack
geben (junge) Störche ein besseres Gericht als Kraniche. In unserer
Zeit wird der Kranich als Leckerbissen geschätzt, den Storch aber will
niemand anrühren.“

Sein Zeitgenosse Columella berichtet: „Auf Drosseln verwendet man viel
Mühe und Geld. Sind sie frisch gefangen, so muß man zahme zu ihnen
tun, die ihnen Gesellschaft leisten, sie aufheitern und im Fressen und
Saufen mit gutem Beispiel vorangehen. In den Vogelhäusern, die sie
bewohnen, sind Sitzstangen für sie angebracht, jedoch nicht höher, als
daß man sie bequem erreichen kann. Das Futter wird, damit es reinlicher
bleibt, so gestellt, daß keine Stange darüber ist; es wird im Überfluß
gereicht und besteht aus einer Mischung von zerstampften Feigen mit
Mehl. Manche geben dieses Futter, nachdem sie es vorher gekaut haben.
Aber bei einer großen Zahl von Vögeln unterläßt man dies lieber; denn
Leute, die zum Kauen gemietet werden, verlangen zu hohen Tagelohn
und verschlucken auch von der süßen Speise zu viel. Viele geben den
Drosseln auch Samen und Beeren, die sie im Freien gern fressen. Das
Wasser wird wie bei Hühnern in Gefäßen hingestellt.“

In seinem Buche über die Landwirtschaft schreibt der gelehrte Varro
(116-27 v. Chr.) eingehend über die von den reichen Römern seiner
Zeit angelegten Vogelhäuser (_aviarium_ von _avis_, Vogel). Er
sagt darüber: „Unsere Vorfahren hatten vorzugsweise zwei Arten von
Vogelbehältern; am Erdboden befand sich der Hühnerhof, in welchem
Hühner gehalten wurden und Ertrag von Eiern und Küchlein gaben. In
der Höhe stand der Taubenschlag. Heutzutage nennt man einen Behälter
Ornithon (nach dem griechischen _órnis_ -- Stamm, _ornith_ -- Vogel),
und diese werden mitunter von Gutsbesitzern, die gern gute Bissen
verzehren, so angelegt, daß nur die für Pfauen und Drosseln (wohl
besonders Krammetsvögel) bestimmten größer sind, als ehemals die ganzen
Landhäuser. -- Lucullus hatte ein großes Vogelhaus, in das er einen
Speisesaal so hineinbaute, daß er während des Schmauses und während
gebratene Vögel aufgetragen wurden, auch die lebendigen herumfliegen
sah.

Übrigens soll hier ein solches Vogelhaus beschrieben werden, das nicht
dazu bestimmt ist, in ihm Vögel zu verschmausen, sondern aus ihm Vögel
zum Verschmausen und zum Verkaufen zu nehmen. Man baut das Haus so
groß, daß einige tausend Drosseln und Amseln drin Platz haben, setzt
auch wohl andere Vögel hinein, die gut bezahlt werden, wie Ortolane
und Wachteln. Die Tür muß niedrig und schmal sein. Die Fenster sind
so angelegt, daß die Gefangenen nirgends Bäume oder freie Vögel sehen
können; denn ein solcher Anblick erregt in ihnen die Sehnsucht nach
Freiheit und macht sie mager. Es darf überhaupt ins ganze Vogelhaus
nur so viel Licht fallen, daß die Vögel ihren Sitz, ihr Futter und ihr
Wasser sehen können. Es ist ferner alles so einzurichten, daß weder
Mäuse noch andere gefährliche Tiere hinein können. Zum Sitzen sind
entweder überall an den Wänden Stäbe angebracht oder Stangen lehnen
schräg an die Wand und sind stufenweise mit Querstäben verbunden. Auf
dem Boden ist ferner ein Wasserbehälter aufgestellt. Die Fütterung
besteht vorzugsweise aus Kügelchen, die aus einem aus Feigen und Mehl
bereiteten Teig bestehen. An das beschriebene Haus ist ein kleines,
helles angebaut, in das man die Vögel treibt, die geschlachtet werden
sollen. Beim Schlachten selbst wird die Tür, durch welche die Vögel
hereinkommen, geschlossen; denn die noch lebenden dürfen es nicht
sehen.“ Auch Vogelhändler besaßen solche Vogelhäuser. So bemerkt
derselbe Autor: „Die Stadtmetzger haben eigene Vogelbehälter und mieten
auch welche auf dem Lande.“ Und fernerhin sagt er: „Aus dem Vogelhaus
einer Villa bei der Stadt Reate wurden einst in einem Jahre 5000
Drosseln (Krammetsvögel) zu je 3 Denaren (= 1,80 Mark) genommen, so daß
dieses Vogelhaus allein mehr eintrug als manches schöne Landhaus.“

In seiner Naturgeschichte berichtet Plinius: „Vogelhäuser hat zuerst
der römische Ritter Marcus Laenius Strabo angelegt und alle möglichen
Vögel darin eingesperrt. Seitdem ist die Sitte, Tiere, denen die Natur
den freien Himmel angewiesen hat, in den Kerker zu sperren, allgemein
geworden. Der Schauspieler Äsopus ließ einmal eine Schüssel auftragen,
deren Inhalt auf 100000 Sesterzien (= 15000 Mark) geschätzt wurde; sie
war nämlich mit gebratenen Vögeln gefüllt, welche sich durch Gesang
oder durch Sprechen menschlicher Worte ausgezeichnet hatten und von
denen jeder 6000 Sesterzien (= 900 Mark) gekostet hatte. Äsopus hielt
es für ein großes Vergnügen, diese Tierchen zu essen, welche gleichsam
Menschen waren, weil sie sangen und sprachen, und bedachte nicht, daß
er erst durch Singen und Sprechen seine Reichtümer erworben hatte.
Über seinen Sohn durfte er sich wenigstens nicht beklagen; denn dieser
verschlang sogar Perlen (wie Kleopatra bei der Bewirtung des Antonius
in Essig aufgelöst)“. Dieser Äsop, der tragische Rollen ausgezeichnet
gut spielte und damit sein Vermögen gemacht hatte, war ein Zeitgenosse
und Freund Ciceros (106-43 v. Chr.). Trotz seiner Verschwendung
hinterließ er seinem Sohne ein ungeheures Vermögen, das dieser in
derselben Weise, wie sein Vater, durchbrachte. So berichtet Valerius
Maximus von ihm: „Der Sohn des Schauspielers Äsopus war ein toller
Verschwender; so kaufte er z. B. ausgezeichnet gut singende Vögel
zu ungeheuren Preisen und ließ sie für sich und seine Gäste braten.
Dazu gab er Getränke, worin sich die kostbarsten Perlen, in Essig
aufgelöst, befanden.“ Wie wir Papageien, so richteten die Römer Stare
und ausnahmsweise auch Drosseln zum Sprechen ab. So berichtet Plinius,
daß Agrippina, die Gemahlin des Kaisers Claudius (geb. 9 v. Chr. in
Lyon, ward 41 n. Chr. nach Caligulas Ermordung von den Prätorianern zum
Kaiser ausgerufen, wurde 54 durch seine zweite Gemahlin Agrippina mit
einem Schwammgericht vergiftet), eine zum Sprechen abgerichtete Drossel
besaß, was früherhin unerhört gewesen sei. Nebst solchen dressierten
Vögeln sah man nach Varro in Rom gelegentlich auch Papageien, weiße
Amseln und ähnliche Merkwürdigkeiten. Solche Drosselalbinos sollten
nach dem Bädecker des Altertums, Pausanias, im 2. Jahrhundert n. Chr.
auf dem Berge Kyllene im Peloponnes vorkommen. Nach dem älteren
Plinius soll eine weiße ~Nachtigall~ „eine große Seltenheit“ für 6000
Sesterzien (= 900 Mark) verkauft worden sein, um sie der vorgenannten
Agrippina, zweiten Gemahlin des Kaisers Claudius, zum Geschenk zu
machen. Bei dieser Gelegenheit bemerkt er in seiner Naturgeschichte:
„Durch ihre Vorzüge (im Gesang) sind die Nachtigallen (_luscinia_) so
teuer wie Sklaven geworden, ja teurer als ehemals die Waffenträger
waren. Man hat oft welche gesehen, die auf Befehl sangen und, indem
sie miteinander abwechselten, ein Konzert gaben, so wie man auch
Menschen gehört hat, welche in ein aus Rohr gemachtes Querpfeifchen,
worin sich Wasser befand, durch ein Loch bliesen, und indem sie
die Zunge etwas vorhielten, den Gesang der Nachtigall täuschend
nachahmten. -- Während ich dies schreibe, besitzen die kaiserlichen
Prinzen einen Star und Nachtigallen, welche die griechische und
lateinische Sprache lernen, täglich gründlicher studieren und immer
etwas Neues und mehr Zusammenhängendes sprechen. Wenn sie lernen, sind
sie ganz abgeschieden und hören nur die Stimme dessen, der ihnen die
Worte vorsagt und ihnen dabei mit Leckerbissen schmeichelt.“ Älian
schreibt: „Charmis aus Massalia (dem heutigen Marseille) sagt, die
Nachtigall sei ruhmbegierig, singe in der Einsamkeit ganz einfach, in
der Gefangenschaft und vor Zuhörern aber kunstreich und schmelzende
Melodien wirbelnd.“ Dem fügt er später von sich aus hinzu: „Wenn eine
erwachsene Nachtigall gefangen und eingesperrt wird, so will sie weder
fressen noch singen; daher behalten die Liebhaber von den gefangenen
nur die jungen und lassen die älteren wieder frei.“ Von diesen Vögeln
sagt Oppian: „Die Natur hat den Nachtigallen einen wunderlieblichen
Gesang gegeben. Sie verpflegen auch diejenigen ihrer Jungen, welche
musikalisches Talent zeigen, aufs allerbeste, hacken dagegen die
stummen tot. Sie impfen auch ihren Jungen eine so große Liebe zur
Freiheit ein, daß sie in der Gefangenschaft nie einen Laut von sich
geben.“ Letzteres ist allerdings eine Behauptung, die nicht widerlegt
zu werden braucht und wohl auch im Altertum nur wenige Nachbeter hatte.

Außer den vorhin erwähnten wurden auch andere Vögel im Rom der Cäsaren
zum Sprechen dressiert, so vor allem auch ~Raben~, ~Elstern~ und
~Eichelhäher~. So schreibt Plinius: „Die Elster ist weniger berühmt
als der Papagei, weil sie nicht ausländisch ist, spricht aber noch
ausdrucksvoller. Die Worte, welche sie spricht, hat sie ordentlich
lieb. Sie lernt nicht bloß, sondern lernt auch mit Freuden, und man
bemerkt, wie sie für sich mit Eifer, Anstrengung und Nachdenken
studiert. Es ist eine bekannte Sache, daß Elstern gestorben sind,
weil es ihnen unmöglich war, ein Wort auszusprechen. Sie vergessen
auch Worte, wenn sie dieselben nicht öfters hören, versinken dann in
Nachdenken und werden ganz entzückt, wenn sie währenddem das vergessene
Wort zufällig wieder hören. Sie haben eine ziemlich breite Zunge und so
alle Vögel, welche die menschliche Stimme nachahmen lernen, was jedoch
die meisten tun.“

Später fährt er fort: „Auch den Raben gebührt Ehre; denn wir werden
sogleich sehen, in welchem Grade sie sich die Gunst des römischen
Volkes zu erringen wußten. Unter der Herrschaft des Tiberius flog ein
junger Rabe aus einem Neste, das auf dem Kastortempel stand, in die
gegenüberliegende Werkstatt eines Schusters und wurde von diesem mit
Ehrfurcht aufgenommen. Hier lernte er bald sprechen, flog jeden Morgen
auf die Rednerbühne, wendete sich dem Markte zu und grüßte namentlich
den Kaiser Tiberius, dann den Germanicus und Drusus und bald darauf das
vorbeigehende Volk, worauf er in seine Schusterwerkstatt zurückkehrte.
So erntete er mehrere Jahre lang Bewunderung. Endlich schlug ihn der
zunächstwohnende Schuster tot, entweder aus Neid oder, wie er zum
Schein behauptete, aus Rachsucht, weil er ihm einen Klecks auf einen
Schuh gemacht hatte. Über die Ermordung seines Lieblings ward das Volk
so aufgebracht, daß es den Schuster erst wegjagte, dann sogar totschlug
und dem Vogel ein überaus feierliches Leichenbegängnis bereitete. Die
Bahre wurde von zwei Mohren getragen; ein Flötenspieler ging voraus
und Kränze aller Art wurden bis zum Scheiterhaufen getragen, welcher
rechts an der Appischen Straße errichtet war. Das Genie eines Vogels
schien also dem römischen Volke ein hinlänglicher Grund zu einem
feierlichen Leichenbegängnis und zur Ermordung eines römischen Bürgers
in derselben Stadt, in der kein Mensch dem Begräbnis der vornehmsten
Leute beigewohnt hatte und niemand den Tod des Scipio Ämilianus, der
Karthago und Numantia zerstört, gerächt hatte. Dies geschah unter dem
Konsulat des Marcus Servilius und Gajus Cestius am 28. März. Auch
während ich dies schreibe, besitzt ein römischer Ritter in Rom eine
Krähe aus Baetica (Südspanien), die sich durch dunkelschwarze Farbe
auszeichnet, mehrere zusammenhängende Worte ausspricht und immer neue
dazu lernt. Neuerdings hat man auch vom Kraterus Monoceros gesprochen,
der in der ericenischen Gegend Asiens mit Hilfe der Kolkraben jagt. Er
trägt sie in den Wald, dort suchen sie und jagen das Wild, und weil
es oft geschieht, so schließen sich selbst wilde Raben der Jagd an.
Einige Schriftsteller erwähnen auch, daß ein Rabe bei großem Durste
Steine in ein tiefes Gefäß warf, worin sich Regenwasser befand, das er
sonst nicht hätte erreichen können, und es dadurch so weit in die Höhe
trieb, daß er sich satttrinken konnte.“

Von einem Eichelhäher berichtet der griechische Geschichtschreiber
Plutarch folgendes: „Viele Römer und Griechen sind Zeugen folgenden
Vorfalls: Auf dem sogenannten Griechischen Markt in Rom wohnte
ein Barbier, der einen Eichelhäher besaß, welcher mit wunderbarer
Geschicklichkeit die Stimme der Menschen, der Tiere und die Töne der
Instrumente, und zwar ganz aus freiem Antrieb, nachahmte. Einst wurde
ein reicher Mann begraben. Der Leichenzug ging mit Trompetenschall über
den Griechischen Markt. Die Trompeten bliesen ganz vorzüglich schön
und verweilten ziemlich lange auf dem Platze. Von diesem Augenblick an
war der Häher plötzlich still und stumm. Man faßte den Argwohn, der
Vogel sei von einem andern Barbier, der auf ihn neidisch war, behext
worden. Andere meinten jedoch, der Trompetenschall sei dem Tiere zu
stark gewesen; daher sei es von jener Zeit an verblüfft. Alle diese
Vermutungen waren aber falsch. Der Vogel studierte in aller Stille
für sich, übte in Gedanken die Trompetenmusik ein und ließ sie dann
plötzlich in ihrer Vollkommenheit hören.“

Sonst galten schon im Altertum die ~Papageien~ als die besten Nachahmer
der menschlichen Sprache. So schreibt der Grieche Älian: „In Indien
gibt es sehr viele Papageien (_psittakós_), aber kein Inder ißt einen
solchen Vogel; denn die Brahmanen halten ihn für den heiligsten, weil
er die menschliche Sprache am geschicktesten nachahmt.“ Aristoteles
und Plinius berichten, der Papagei stamme aus Indien und ahme die
menschliche Stimme nach. Letzterer fügt hinzu, er werde durch den Genuß
von Wein lustig und führe ordentliche Gespräche. „Er begrüßt den Kaiser
und spricht die Worte nach, die er hört. Sein Kopf ist so hart wie
sein Schnabel. Soll er sprechen lernen, so schlägt man ihm mit einem
eisernen Stäbchen auf den Kopf, weil er sonst die Schläge nicht spürt.“
Wir haben noch ein nettes Gedicht auf den Tod eines Papageien von Ovid
und ein ähnliches von Statius.

Was für Papageien dies waren, wird sich wohl nicht so leicht
feststellen lassen. Jedenfalls kannten weder die Ägypter, noch
Babylonier, noch die älteren Griechen irgend welche Papageien. Erst
auf dem Zuge Alexanders des Großen nach Indien lernten letztere diesen
Vogel als gezähmten Hausgenossen des Menschen kennen und brachten
die ersten solchen nach Griechenland mit. Aber erst in der römischen
Kaiserzeit wurden diese Vögel etwas häufiger von Indien her importiert.
Doch hat schon der strenge Zensor Marcus Porcius Cato (234 bis 149 v.
Chr.) sich darüber beklagt, daß sogar römische Männer mit diesen Tieren
in der Öffentlichkeit erschienen. „O unglückliches Rom“, rief er aus,
„in welche Zeiten sind wir verfallen, da die Weiber Hunde auf ihrem
Schoße ernähren und die Männer Papageien auf der Hand tragen!“ Man
setzte sie ihrer Kostbarkeit entsprechend in silberne und elfenbeinerne
Käfige und ließ sie von besonderen Lehrern unterrichten, die ihnen
vor allem das Wort „Cäsar“ beizubringen hatten. Der Preis eines
sprechenden Sittichs überstieg oft den Wert eines Sklaven. Der halb
verrückte Kaiser Heliogabalus glaubte seinen Gästen nichts Köstlicheres
vorsetzen zu können als Papageiköpfe. Was diese bei der Kostbarkeit
der seltenen Vögel gekostet haben werden, das kann man sich leicht
ausmalen. Um die Zeit der Kreuzzüge kamen dann aus dem Morgenlande
auch Papageien nach Mitteleuropa, um in den Käfigen reicher Adeliger
und Städter zur Kurzweil gehalten und gelegentlich auch zum Sprechen
abgerichtet zu werden. Erst im 15. Jahrhundert kam mit den Fahrten der
Portugiesen nach Westafrika der von der Goldküste bis nach Benguela
heimische ~Graupapagei~ (_Psittacus erithacus_), der gelehrigste
aller Papageien, direkt nach Europa. Hier bewohnt der aschgraue Vogel
mit scharlachrotem Schwanz, dessen Verbreitungsgebiet mit demjenigen
der Ölpalme zusammenfällt, in Scharen die Wälder und wird überall
von den Eingeborenen gefangen, gezähmt und zum Sprechen abgerichtet,
auch als Tauschgegenstand oder Handelsware verwertet. Er ist einer
der beliebtesten aller Stubenvögel und verdient die Gunst, die er
genießt; denn er besitzt Sanftmut, Gelehrigkeit und Anhänglichkeit
an seinen Herrn, die Bewunderung erregen. Sein Ruhm wird sozusagen
in allen Sprachen verkündet, von ihm ist in zahlreichen Schulbüchern
und in allen Naturgeschichten manches Interessante zu lesen. Schon
Levaillant erzählt ausführlich von einem dieser Papageien, der in der
Gefangenschaft eines Kaufmanns in Amsterdam lebte, und rühmt die guten
Eigenschaften des Vogels. Er schreibt: „Karl, so hieß dieser Papagei,
sprach fast so gut wie Cicero; denn ich würde einen ganzen Band mit
den schönen Redensarten anfüllen können, die er hören ließ und die er
mir, ohne eine Silbe zu vergessen, wiederholte. Dem Befehle gehorsam,
brachte er die Nachtmütze und die Pantoffeln seines Herrn und rief
die Magd herbei, wenn man sie im Zimmer brauchte. Sein bevorzugter
Aufenthalt war der Kaufladen, und hier erwies er sich nützlich; denn er
schrie, wenn in Abwesenheit seines Herrn ein Fremder eintrat, so lange,
bis jemand herbeikam. Er hatte ein vortreffliches Gedächtnis und lernte
ganze Sätze und Redensarten des Holländischen vollkommen genau. Erst im
60. Jahre seiner Gefangenschaft wurde sein Gedächtnis schwach und er
vergaß täglich einen Teil von dem, was er schon konnte. Er wiederholte
nie mehr als die Hälfte einer Redensart, indem er selbst die Worte
versetzte oder die eines Satzes mit denen eines andern mischte.“

Vielleicht der ausgezeichnetste aller Graupapageien lebte jahrelang
in Wien und Salzburg und starb nach dem Tode seines letzten Herrn aus
Sehnsucht nach ihm. Wer über die hohe Intelligenz und das verblüffende
Sprachverständnis dieses Jako genannten Vogels Näheres zu erfahren
wünscht, der lese den betreffenden Abschnitt in Brehms Tierleben
nach. Er wird dort noch weitere solche, für ein Tier ganz unglaublich
klingende Geschichten finden, die von durchaus glaubwürdigen Autoren
berichtet werden.

In den feuchten Niederungen des Amazonenstroms und seiner Zuflüsse
werden die größten Vertreter der dort vorzugsweise heimischen
Keilschwanzsittiche, die prächtig buntgefärbten ~Araras~, von den
Indianern in und um ihre Hütten gezähmt gehalten. Es geschah dies
schon lange vor der Ankunft der Weißen in diesem Lande. Schomburgk
berichtet, daß die Indianer noch heutigentags die Papageien frei
fliegen lassen, ohne ihnen die Flügel zu stutzen. „Ich sah mehrere“,
schreibt er, „die sich des Morgens unter die Flüge der wilden mischten,
die über das Dorf hinwegflogen und bei der Rückkehr am Abend sich
wieder auf die Hütte ihres Herrn niederließen.“ Nach diesem Autor
gehören zu den indianischen Niederlassungen im Walde die Papageien,
wie zu unsern Bauernhöfen die Hühner. „Auffallend ist die Zuneigung
der zahmen Papageien und Affen gegen Kinder. Ich habe selten einen
Kreis spielender Indianerkinder bemerkt, dem sich nicht auch Affen und
Papageien beigesellt gehabt hätten. Diese lernen bald alle Stimmen
ihrer Umgebung nachahmen, das Krähen der Hähne, das Bellen der Hunde,
das Weinen und Lachen der Kinder usw.“ Manche lernen sogar die
Indianersprache sprechen und bringen es darin zu großer Vollkommenheit.
Bekannt ist die Geschichte jenes sprechenden Papageis in einer der
Niederlassungen an einem Zuflusse des Orinoko, von dem Alexander
von Humboldt berichtet. Er war alt und sprach die Sprache eines
ausgestorbenen Indianerstamms, so daß ihn niemand mehr verstand. In
der Tat ein rührendes Bild der Vergänglichkeit alles Irdischen!

Von allen Papageien ist nur der ~Wellensittich~ (_Melopsittacus
undulatus_) zum eigentlichen Haustier des Menschen geworden, indem er
sich seit 57 Jahren in der Gefangenschaft des Menschen ohne großen
Nachschub aus seiner Heimat enorm vermehrt hat und hier bereits
bedeutende Farbenvarietäten zeigt. Bald wiegen die gelben, bald die
grünen, bald die blauen Farbentöne seines ursprünglich sehr gemischten,
allerdings vorwiegend grüngelben Farbenkleides vor, ja es gibt nach
Ed. Hahn schon welche, bei denen das ihnen ursprünglich fremde Weiß
eine ziemliche Rolle spielt und die selbst rote Augen haben, also
eigentliche Albinos sind. Erst im Jahre 1794 lernte man in Europa
diesen kleinen Papagei kennen, der in großen Scharen die mit Gras
bewachsenen Ebenen von Inneraustralien bewohnt und sich hier von
den Samen der Gräser ernährt. Als der Ornithologe Gould zu Anfang
Dezember die Ebene des Innern Australiens besuchte, sah er sich von
Wellensittichen umgeben und beschloß längere Zeit an derselben Stelle
zu verweilen, um ihre Sitten und Gewohnheiten zu beobachten. Sie
erschienen in Flügen von 20 bis 100 Stück in der Nähe einer kleinen
Wasserlache, um zu trinken, und flogen von hier zu regelmäßigen Zeiten
nach den Ebenen hinaus, um dort die Grassämereien, ihre ausschließliche
Nahrung, aufzunehmen. Am häufigsten kamen sie frühmorgens und abends
vor dem Dunkelwerden zum Wasser. Während der größten Tageshitze saßen
sie bewegungslos unter den Blättern der Gummibäume, deren Höhlungen
damals von brütenden Paaren bewohnt wurden. Solange sie ruhig auf den
Bäumen saßen, waren sie schwer zu entdecken; erst wenn sie zur Tränke
fliegen wollten, sammelten sie sich in Scharen und setzten sich auf die
abgestorbenen oder zum Wasser niederhängenden Zweige der Gummibäume.
Ihre Bewegungen sind wundervoll, ihr Flug ist gerade und falkenartig
schnell, den andern Papageien kaum ähnelnd, der Gang auf dem Boden
verhältnismäßig gut, ihr Klettern im Gezweige wenigstens nicht
ungeschickt. Im Fluge lassen sie eine kreischende Stimme vernehmen.
Im Sitzen unterhalten sich die sehr geselligen Vögel mit kosendem
Gezwitscher. Wenn sie abends zur Tränke eilen, werden sie in Menge in
großen Beutelnetzen gefangen, in rohe Kistenkäfige gesperrt und so
den Händlern übermittelt. Aufmerksamere Vogelhändler setzen sie zur
Weiterbeförderung in Australien gesellschaftsweise in kleine Käfige,
deren Sitzstangen wie Treppenstufen hinter- und übereinander liegen,
damit auf möglichst wenig Raum die größtmöglichste Zahl von Vögeln
Platz finden kann.

Der Wellensittich gehört in der Gefangenschaft nicht zu denjenigen
Papageien, die aus Trauer über den Verlust ihres Gefährten oft
dahinwelken und sterben, verlangt aber Gesellschaft, und zwar natürlich
am liebsten die des entgegengesetzten Geschlechts seiner eigenen Art.
Im Notfall findet er auch in einem verschiedenartigen kleinen Papagei
einen Ersatz. Niemals aber behandelt er einen andersartigen Vogel mit
jener liebenswürdigen Zärtlichkeit, welche er gegen seinesgleichen an
den Tag legt. Es ist deshalb notwendig, ihn immer paarweise zu halten;
erst dann gibt er seine ganze Liebenswürdigkeit, die ihm sofort die
Gunst des Menschen erwarb, kund. Er ist äußerst genügsam im Futter
und nimmt in Ermangelung der Grassamen seiner australischen Heimat
mit Hirse, Kanariensamen und Hanf vorlieb; daneben frißt er gern
grüne Pflanzenblätter, verschmäht zunächst Früchte, läßt sich aber
mit der Zeit auch daran gewöhnen. Er wird mit seiner sanften Stimme
dem Menschen niemals lästig wie andere Papageien, die einem mit ihrem
nicht unterdrückbaren Bedürfnis nach Gekreisch oft genug zur Last
fallen und auf die Nerven gehen. Er unterhält mit seinem plaudernden
Gezwitscher, lernt auch ein Liedchen und in einzelnen Fällen sogar
Worte nachsprechen.

Paarweise gehaltene Wellensittiche, denen man Nistgelegenheit in
einem hohlen Stamm verschafft, schreiten auch in der Gefangenschaft
fast ausnahmslos zur Fortpflanzung. Das Männchen ist das Muster von
einem Gatten, das sich ausschließlich mit seinem erwählten und nie
mit andern Weibchen abgibt, die etwa zugleich in demselben Raume sein
mögen. Gleicherweise ist das Weibchen das Muster einer Mutter; es baut
ausschließlich das Nest aus, bebrütet darin seine 4-8 weißen Eichen,
die es in Zwischenräumen von zwei Tagen legt, eifrig während 16-20
Tagen und atzt die Jungen, die etwa 30-35 Tage im Neste verweilen und
letzteres erst dann verlassen, wenn sie ganz befiedert sind. Derweil
wird das Weibchen vom Männchen gefüttert, das ihm zugleich, auf einem
Zweige vor der Öffnung des Nestes sitzend, seine schönsten Lieder
vorsingt. Wenn die erste Brut selbständig geworden ist, schreitet das
Pärchen alsbald zur zweiten, ja zur dritten und selbst zur vierten vor.
Ums Jahr 1848 wurde er durch die Beschreibung des Ornithologen Gould
in seinem Buche _Birds of Australia_ in weiteren Kreisen bekannt und
scheint bald nach England gekommen zu sein. 1854 pflanzte er sich nach
Delon in England und Frankreich in Käfigen fort und wurde seit 1855
auch in Berlin gezogen. Damals nannten ihn die Händler nach seinem
lateinischen Artnamen den „Undulatus“. Als aber die spanische Tänzerin
Pepita von sich reden machte und geradezu einen Begeisterungstaumel
hervorrief, hielten es die Händler für vorteilhaft, von ihm als
„Andalusier“ zu reden, eine Bezeichnung, die sich allerdings, weil
vollkommen unberechtigt, bald wieder verlor. Eine Zeitlang schien es,
als sei ihm neben dem Kanarienvogel eine größere Rolle als Stubenvogel
bestimmt; doch ist er neuerdings gegenüber dem letztgenannten mehr
und mehr in den Hintergrund getreten. Auch nach Neuseeland wurde er
eingeführt und verwilderte dort, wie gelegentlich auch bei uns.

Neben den Wellensittichen gehören die ebenfalls Australien, daneben
auch Ozeanien bewohnenden ~Kakadus~ zu den liebenswürdigsten Papageien,
die sich gern und innig mit dem Menschen befreunden und dankbar
seine Liebe erwidern. Ihre geistige Begabung ist außerordentlich
entwickelt und ihre Neugier ebenso groß wie ihr Gedächtnis, so daß sie
empfangene Beleidigungen schwer oder gar nicht vergessen. In bezug
auf Gelehrigkeit wetteifern sie mit den begabtesten aller Papageien,
den Jakos oder westafrikanischen Graupapageien, lernen bald mit
Fertigkeit verschiedene Worte sagen und in sinngebender Weise verbinden
und lassen sich zu allerlei Kunststücken abrichten. Ihre natürliche
Stimme ist ein abscheuliches Kreischen, mit dem sie in ihrer Heimat
von den Kronen hoher Bäume, ihrem Nachtquartier, die aufsteigende
Sonne begrüßen. Dann fliegen sie zu ihren Futterplätzen, um Früchte
und Sämereien zu naschen. Auch sie leben gesellig in großen Scharen
und nisten in Baumhöhlen. Des Schadens wegen, den sie den menschlichen
Kulturen verursachen, werden sie in ihrer Heimat eifrig verfolgt und
zu Hunderten erlegt und ihr Fleisch, weil ziemlich wohlschmeckend,
gegessen. Namentlich wird die aus ihnen bereitete Suppe sehr gerühmt.
Sie lassen sich leicht fangen und dauern auch in Europa in der
Gefangenschaft viele Jahre lang aus. Man kennt Beispiele, daß ein
Exemplar dieser Vogelart länger als 70 Jahre im Käfig lebte. Ihre
Erhaltung erfordert wenig Mühe; denn sie gewöhnen sich nach und nach an
alles, was der Mensch ißt.

Als eigentlicher Schädling für die Schafzucht hat sich der in
Neuseeland heimische, ziemlich große, olivengrüne ~Gebirgspapagei~
(_Nestor notabllis_), der ~Kea~ der Eingeborenen, erwiesen. Der
in einem zwischen 1500 und 2000 _m_ Höhe gelegenen Gürtel lebende
Vogel hat sich angewöhnt, sich in den wolligen Rücken der Schafe
einzukrallen und mit seinem scharfen Hakenschnabel ganze Löcher darein
zu bohren, um sich so Fleisch, das ihm sehr zu schmecken scheint, zu
verschaffen. Viele dieser dummen Vierfüßler, die sich der Angriffe
dieser frechen Burschen nicht zu erwehren vermochten, gingen infolge
davon ein, so daß die Ansiedler diese lästigen Quälgeister ihrer
Herden eifrig zu verfolgen und abzuschießen begannen. Jetzt haben sie
sich gewöhnt, ihre gemeinschaftlichen Raubzüge nachts zu machen und
müssen sich vielfach mit dem Abfall geschlachteter Schafe oder mit Aas
begnügen.



XIX. Kormoran und Strauß.


Der Kormoran ist als Haustier ausschließlich eine Errungenschaft der
chinesischen Kultur. Die Betriebsamkeit und die Geduld dieses alten
Kulturvolkes hat damit einen Vogel zum nützlichen Gehilfen des Menschen
gemacht, der bei uns als gefährlicher Konkurrent von jeher eifrig
verfolgt wird und im wesentlichen in Mitteleuropa auf dem Aussterbeetat
steht. Freilich wären auch unsere durch die gedankenloseste
Raubwirtschaft und die Verunreinigung der Flüsse durch die giftigen
Abwässer der chemischen Fabriken an Fischen verarmten Gewässer kein
günstiges Gebiet für die Tätigkeit dieses ausgezeichneten Fischfängers,
der sich uns bisher nur als Fischräuber verhaßt gemacht hat.

Der ~Kormoran~ (_Phalacrocorax carbo_), auch Baumscharbe oder
Wasserrabe genannt, ist ein sehr gefräßiger und deshalb vom Menschen
überaus gehaßter Fischräuber. Vom mittleren Europa an trifft man ihn in
ganz Mittelasien und Nordamerika, von hier aus bis Westindien, von dort
aus bis Südasien wandernd. Er bewohnt je nach Gelegenheit die kahle
Meeresküste und die bewaldeten Ufer der Binnengewässer; dabei scheut er
sich gar nicht, in unmittelbarer Nähe von Ortschaften, ja gelegentlich
in diesen selbst, z. B. auf Kirchtürmen, sich anzusiedeln. Er liebt
die Geselligkeit und hält sich deshalb in größeren oder kleineren
Scharen mit seinen Artgenossen zusammen, nistet auch gewöhnlich in
größeren Gesellschaften auf Bäumen, hohen Felsen, in Gebüschen oder
im Schilf. Dabei kehren die Vögel mit großer Zähigkeit zu ihren alten
Brutplätzen zurück, so lange sie nicht gewaltsam davon vertrieben
werden. Gern nimmt der Kormoran von den verlassenen Nestern anderer
Vögel, so besonders von Reiher- und Krähennestern, Besitz, um so
mühelos die erste Unterlage für sein eigenes Nest zu erhalten, das aus
Pfanzenstoffen errichtet und inwendig immer naß und sehr schmutzig
ist. Zweimal im Jahre werden 3-4 Junge aus den grünlichweißen Eiern
ausgebrütet und großgezogen.

[Illustration:

  Tafel 53.

  (_Copyright by M. Koch, Berlin._)

Kormorane auf einem Felsen bei Monterey in Kalifornien.]

[Illustration:

  Tafel 54.

Eingefahrener Strauß auf Karl Hagenbecks Straußenfarm in Stellingen.]

Der Kormoran ist 81 _cm_ lang und der Hauptsache nach glänzend
grünschwarz gefärbt, an Rücken und Flügeln kupferbraun, die Backen
weiß, Schnabel und Füße schwarz. Er schweift außer der Brutzeit gern
umher, ist auf dem Lande sehr schwerfällig, fliegt auch nicht besonders
gut, zeigt sich aber im Wasser äußerst beweglich und flink. Mit
geräuschlosem Ruck taucht er in bedeutende Tiefen und kann wenigstens
zwei Minuten unter Wasser bleiben, wobei er mehr oder weniger tief
hunderte von Metern zurückzulegen vermag. Pfeilschnell schießt er auf
der Jagd nach Fischen mit weitausholenden Flügelschlägen so gewandt
unter Wasser dahin, daß ihm auch der flinkste Schuppenträger nicht
zu entgehen vermag. Aus einer Tiefe von 40 _m_ holt er Schollen vom
Meeresgrunde herauf, und Fische bis zu 7 _cm_ Breite und 30 _cm_ Länge,
Aale, die er besonders liebt, selbst wenn sie 60 _cm_ lang sind,
verschlingt er mit Leichtigkeit.

Der vorsichtige, am Brutplatze zwar minder scheue Vogel, entzieht sich
jeder nahenden Gefahr. Kann er nicht tauchen, so erhebt er sich über
Schußweite in die Luft. Am liebsten aber verschwindet er bei Verfolgung
im Wasser, streckt, um rasch zu atmen, nur Kopf und Hals etwas über die
Oberfläche und verschwindet alsbald wieder in der Tiefe, wo er sich
geborgen fühlt, bis die Gefahr verschwunden ist. Gegen andere Vögel ist
er heimtückisch und sucht gern ihre Nester auszurauben oder gar die
alten Vögel wegzuschnappen. So sah man im früheren Zoologischen Garten
in Wien die Kormorane sich der Länge nach aufs Wasser legen und die
hart am Wasserspiegel auf Insekten jagenden Schwalben mit beispielloser
Gewandtheit wegfangen, ohne jemals fehlzugreifen.

Während der Morgenstunden fischen sie mit regem Eifer; nachmittags
pflegen sie der Ruhe und der Verdauung. Gegen Abend unternehmen sie
nochmals einen Fischzug und gegen Sonnenuntergang gehen sie schlafen.
Dabei wählen sie im Binnenlande zur Nachtruhe hohe Bäume, an der
Meeresküste dagegen hohe felsige Inseln, die ihnen Umschau nach allen
Seiten gewähren. Von ihnen bewohnte Inseln erkennt man schon von
weitem an dem weißen Kotüberzug, mit dem die Vögel sie bedeckt haben,
und sie würden schließlich auch bei uns zu Guanolagern werden, hätten
wir in unsern Breiten weniger Regen und die tropische Sonne, die den
Vogeldünger unter dem Himmel Perus rasch trocknet. Bei ihrer ungemeinen
Gefräßigkeit und raschen Verdauung ist der Kot sehr ausgiebig. Sie
fressen solange sie können und stürzen selbst mit gefülltem Magen auf
eine Beute, wenn sie ihnen gerade vor die Augen kommt. Weil sie bei
solchen Eigenschaften der Fischerei sehr bedeutenden Schaden zufügen,
können sie in Ländern, in denen der Mensch zur Herrschaft gelangte,
nicht geduldet werden. Sie werden deshalb überall in zivilisierten
Ländern als gefährliche Fischräuber verfolgt. Nur vorübergehend
sind einzelne Exemplare der Gattung im 17. Jahrhundert an den Höfen
Englands und Frankreichs zum Erbeuten von Fischen zahm gehalten worden,
wie für die Reiherbeize Falken gehalten wurden. Dazu benutzte man
jedenfalls jung aus dem Nest genommene Tiere; und zwar gaben vielleicht
Jesuitenmissionare, die in China solche Verwendung kennen gelernt
hatten, Veranlassung zu solchem Sporte, da diese gezähmten Kormorane
ausdrücklich als aus dem katholischen Flandern bezogen erwähnt
werden. So berichtet Pennant, daß König Karl I. von England, der von
1625-1649 regierte, einen Mr. Wood als _master of the corvorants_
hielt. Dieser habe die Kormorane so gezähmt, daß er sie ganz wie
Falken habe gebrauchen können. Um 1628 sah dann Puteus als Sekretär
des Kardinals Barberini in Fontainebleau am Hofe Ludwigs XIII. solche
Tiere, die vom König von England als Geschenk an seinen Schwager dahin
gelangt waren. Jedenfalls ist die Verwendung des Kormorans in Europa
damals ganz vereinzelt geblieben und haben sich die Vögel nicht in der
Gefangenschaft fortgepflanzt, sind also nicht zu Haustieren geworden,
wie dies seit alter Zeit in China der Fall ist.

Über die Kormoranzucht der Chinesen hat uns der französische Missionar
Armand David 1875 eingehend berichtet. Dort ist dieser Vogel
vollständig Haustier geworden und pflanzt sich in der Gefangenschaft
regelmäßig fort; doch läßt man gewöhnlich die von den Weibchen gelegten
Eier durch Hühner ausbrüten. Die Jungen werden schon beizeiten mit
auf das Wasser genommen und sorgsam unterrichtet, so daß sie bald auf
den Befehl ihres Herrn ins Wasser tauchen, um die erhaschte Beute
nach oben zu bringen und sie ins Boot zu apportieren. Ein um den Hals
gelegter lederner Ring verhindert den Kormoran am Hinunterschlingen des
erbeuteten Fisches. So schwimmt er auf das Boot seines Herrn zu, wo ihm
seine Beute sofort abgenommen wird. Zur Belohnung wird ihm nach Abnahme
des Halsrings etwas Bohnenteig als das übliche Futter verabreicht.
Hierauf läßt man den Vogel am Rande des Bootes kurze Zeit ruhen und
schickt ihn dann wieder an die Arbeit. Lässige Vögel werden bestraft,
wie fleißige am Schlusse des Fischens einen Fisch zum Fressen erhalten.
Wie groß muß noch der Reichtum der chinesischen Gewässer an Fischen
sein, daß sich ein solches Verfahren so gut rentiert, daß ein gezähmter
Kormoran den für chinesische Verhältnisse sehr hohen Preis von 12000
Käsch (= 30 Mark) einträgt. Übrigens haben die Japaner den Chinesen
den Fischfang mit Kormoranen abgeguckt und wenden ihn gelegentlich
ebenfalls in ihren fischreichen Gewässern an. Da der treffliche
Vogelkenner Naumann mit gutem Grund den Kormoran als schwer zu zähmen
und bissig bezeichnet, ist die große Geduld und Ausdauer der Chinesen
bei der Gewinnung dieses Haustiers doppelt anzuerkennen. Für uns aber
sind die Zeiten endgültig vorbei, da ein solcher Gehilfe des Menschen
existenzberechtigt wäre; denn wie lange müßte der arme Geselle in den
meisten unserer Gewässer tauchen, bis er endlich ein paar Gründlinge
oder Weißfische aufgetrieben hätte!

Dagegen hat die Kulturmenschheit noch in elfter Stunde einen anderen
Vogel zu zähmen verstanden, der an zahlreichen Orten seines einstigen
Verbreitungsgebietes bereits ausgerottet ist und nur noch in einigen
Steppen Südafrikas häufiger angetroffen wird. Es ist dies der
afrikanische ~Strauß~ (_Struthio camelus_), der einst auch die Steppen
Westasiens wie sämtliche des schwarzen Erdteils bewohnte. So sah
Xenophon in der vorderasiatischen Steppe wilde Strauße, die von den
sie verfolgenden Reitern nicht eingeholt zu werden vermochten, und
Diodoros Siculus berichtet von Straußen in Arabien, die mit solcher
Gewalt Steine mit ihren Füßen gegen ihre Verfolger schleudern, daß
letztere oft schwer getroffen werden. Damit meint er die bei ihrem
schnellen Laufe unabsichtlich nach hinten fliegenden Steine. Wie dieser
schreibt auch der ältere Plinius, er sei so dumm, daß er sich geborgen
glaube, wenn er nur den Kopf in einen Busch gesteckt habe. Man suche
seine Eier als etwas Kostbares auf und gebrauche die Schale derselben
wegen ihrer Größe zu Gefäßen. Mit den Federn der Strauße verziere man
die Helme. Älian sagt: „Der Strauß legt viele Eier, bebrütet aber nur
die fruchtbaren, legt dagegen die unfruchtbaren gleich auf die Seite
und setzt sie später den ausgekrochenen Jungen als Futter hin.“ Aus
Libyen und Mauretanien, also Nordafrika, das schon längst keine Strauße
mehr besitzt, kamen diese Tiere auch zu den Zirkusspielen nach Rom.
So ließ Kaiser Gordianus nach Julius Capitolinus bei den Jagdspielen
nebst vielen anderen Tieren auch 300 mit Mennige rot gefärbte Strauße
auftreten, die ausdrücklich als aus Mauretanien stammend bezeichnet
werden. Bei den Jagdspielen, die Kaiser Probus in Rom gab, erschienen
unter anderen wilden Tieren gar 1000 Strauße „und wurden dem Volke
preisgegeben.“ Und Älius Lampridius berichtet von Kaiser Heliogabalus,
daß er einmal bei einem Schmause die Köpfe von 600 Straußen auftragen
ließ, deren Gehirn verzehrt werden sollte. „Mehrmals gab er auch bei
Gastereien Straußen- und Kamelbraten und behauptete, den Juden sei
vorgeschrieben, solche Braten zu verzehren.“ Wenn damals der Strauß in
solcher Menge gefangen und nach Rom gebracht wurde, ist es kein Wunder,
daß diese Tiere mit der Zeit dann gänzlich aus Nordafrika verschwanden.

Gewöhnlich lebt der Strauß in Gesellschaften von 10-20 Stück, in
Südafrika gern mit Antilopen-, besonders Gnu- und Hartebeestherden
vergesellschaftet. Mit hocherhobenem Kopf vermag er mit seinen
außerordentlich scharfsichtigen Augen überaus weit zu sehen und ist
so ein willkommener Warner für die wohl mit gutem Geruch, aber nur
mit mäßig scharfen Augen begabten Antilopen. Er liebt das Wasser und
sucht es zum Trinken und Baden gern auf. Wenn es sein muß, kann er
dasselbe aber auch lange entbehren, macht auch keine weiten Wege, um
es aufzusuchen. Außer Kraut, Früchten und Sämereien aller Art frißt er
gelegentlich auch kleine Tiere, schlingt auch Steine, die zum Zerreiben
der harten Pflanzennahrung im kräftigen Muskelmagen dienen sollen,
hinunter.

Während junge Strauße schweigsam sind, stoßen die alten Männchen meist
am frühen Morgen ein Gebrüll aus, kämpfen zur Fortpflanzungszeit auch
mit Schnabel und Füßen miteinander, um eine Anzahl Weibchen für sich
zu gewinnen. Durch allerlei tanzende Balzbewegungen vermag jedes meist
drei bis vier Weibchen an sich zu fesseln. Diese legen nun ihre Eier
in ein einziges, nur aus einer vom Männchen in den Sandboden gewühlten
Mulde bestehendes Nest, das oft 20 Eier enthält und von anderen,
nicht zum Ausbrüten, sondern als Nahrung für die ausgeschlüpften
Jungen dienenden Eiern umgeben zu sein scheint. Die dickschaligen,
glatten, mit Poren zum Atmen für die Jungen versehenen gelblichweißen
Eier werden fast ausschließlich vom Männchen bebrütet, das während
der ganzen Nacht daraufsitzt und auch während des Tages sie nur zur
Nahrungsaufnahme für kurze Zeit verläßt. Nur in ganz heißen Gegenden
überläßt es sie während des Tages, mit Sand bedeckt, sich selbst. Nach
etwa 50 Tagen entschlüpfen ihnen die Jungen, die alsbald vom sorgsam
um sie bemühten Vater in Obhut genommen und gefüttert werden. Sie
sind zunächst von stachelartigen Horngebilden umgeben, die nach zwei
Monaten dem grauen Federkleide Platz machen, das bei den Weibchen nur
wenig verändert das ganze Leben hindurch bestehen bleibt, während bei
den Männchen vom zweiten Jahre an alle kleinen Federn des Rumpfes
kohlschwarz, die langen Flügel- und Schwanzfedern aber blendend weiß
werden. Diese gekräuselten Federn sind ein sehr beliebter Schmuck schon
der unkultivierten Wilden, ganz besonders aber des danach lüsternen
Kulturmenschen.

Das hauptsächlichste Ziel der Jagd des Straußes sind diese Federn, die
überall willige Abnehmer finden. Ihr Preis ist je nach dem Wechsel
der Mode erheblichen Schwankungen unterworfen, ist aber dadurch
bedeutend im Wert hinuntergegangen, daß der Vogel jetzt auch gezähmt
gehalten wird und ihm die Federn abgeschnitten werden können, ohne
daß er, wie früher der wilde, getötet zu werden braucht. Einst wurde
die Straußenjagd zur Gewinnung der Federn von den berittenen Beduinen
Nordafrikas mit Leidenschaft betrieben und galt als eine der edelsten
Vergnügungen, umsomehr sie sehr schwierig war und ein Zusammenarbeiten
mehrerer Jäger erforderte. Diese zogen auf flüchtigen Pferden oder
Reitkamelen in die Steppe hinaus, wobei ihnen in einiger Entfernung
Wasser in Schläuchen tragende Lastkamele folgten. Die Treiber dieser
letzteren hatten sich auch während der Jagd in möglichster Nähe der
Verfolger zu halten. Sobald die Jäger einen Trupp Strauße trafen,
suchten sie ein Männchen von der Herde zu trennen und ritten im
gestreckten Galopp hinter ihm her. Während einer von ihnen dem Vogel
auf allen Krümmungen seines Laufes folgt, sucht ein anderer diese
abzuschneiden, übernimmt, wenn es ihm gelang, die Rolle des ersteren
und läßt diesen die kürzere Strecke durchreiten. So wechseln sie
miteinander ab, bis sie den mit möglichster Schnelligkeit dahineilenden
Strauß ermüdet haben. Gewöhnlich sind sie schon nach Verlauf einer
Stunde dicht hinter ihm her, zwingen ihre Reittiere, meist Pferde, zu
einer letzten Anstrengung und versetzen dem Vogel schließlich einen
heftigen Streich über den Hals oder auf den Kopf, der ihn sofort zu
Boden streckt. Unmittelbar nach dem Falle des Wildes springt der Jäger
vom Pferde, schneidet ihm unter Hersagen des üblichen -- da allerdings
sehr unpassenden -- Spruches: „Im Namen Allahs, des Allbarmherzigen!
Gott ist groß!“ die Halsschlagader durch und steckt, um Beschmutzung
der Federn durch das Blut zu verhüten, den Nagel der großen Zehe eines
Fußes in die Wunde. Nachdem sich der Strauß verblutet hat, zieht ihm
der Jäger das Fell ab, dreht es um und benutzt es gleich als Sack,
um in ihm die Schmuckfedern aufzubewahren. Vom Fleische schneidet er
so viel ab als er braucht, um seinen Hunger zu stillen; das Übrige
hängt er an einen Baum zum Trocknen und für etwa vorüberziehende
Wanderer auf. Mittlerweile sind die Kamele mit dem Wasser nachgekommen
und die Jäger erquicken sich und ihre Pferde nach der anstrengenden,
heißen Jagd mit dem kühlenden Naß, ruhen einige Stunden aus und kehren
alsbald mit ihrer Beute beladen nach Hause zurück. Hier sortieren sie
die Federn nach ihrer Güte, binden die kostbaren weißen, deren ein
vollkommen ausgebildeter Strauß höchstens 14 besitzt, in einzelne
Bündel zusammen und bewahren sie zu gelegentlichem Verkauf in ihren
Zelten auf. Der Händler muß, um die Federn zu bekommen, sich selbst
zum Jäger begeben und erlangt von diesem die gesuchte Ware erst nach
längeren Verhandlungen. Man begreift diese Zurückhaltung sehr wohl,
wenn man bedenkt, daß alle Fürsten und Regierungsbeamten Nordafrikas
noch heute, wie zur Zeit der alten Ägypter, von ihren Untertanen
Straußenfedern als Königstribut verlangen und sich kein Gewissen daraus
machen, diesen durch ihre Unterbeamten gewaltsam eintreiben zu lassen.
Der Beduine vermutet daher in jedem, der ihn nach Federn fragt, einen
Abgesandten seines Oberherrn und rückt mit seinem Schatze erst dann
heraus, wenn er sich durch eingehendes Ausforschen von den reellen
Absichten des Käufers überzeugt hat.

In der Kulturgeschichte der Menschheit hat die Straußenfeder seit der
ältesten Zeit eine so wichtige Rolle gespielt, daß wir hier etwas näher
darauf eintreten müssen. Schon die Naturvölker Afrikas schmückten sich
einst und schmücken sich heute noch damit. Auf einer höheren Stufe
waren es vornehmlich die Häuptlinge, die sich ihre Abzeichen daraus
schufen, worunter auch aus ihnen zusammengesetzte, an langen Stielen
getragene Fächer waren. Im alten Ägypten war eine Straußenfeder das
Abzeichen von Maat, der Göttin der Wahrheit und Gerechtigkeit, der
Gemahlin von Thot, dem Gotte der Zeit, der Geschichte, Schrift, Magie
und des Mondes. Das Bild der Göttin Maat, die eine Straußenfeder als
Zier auf dem Kopfe trug, war das kostbarste Weihgeschenk für die
Götter; der Oberrichter trug es an einer Kette um den Hals. In der
Folge bedeutete die Straußenfeder in der Hieroglyphik Wahrheit und
Gerechtigkeit. Als später die Abzeichen der verschiedenen Rangklassen
im Zeremoniell am Hofe durch Übereinkommen fixiert waren, war die
Straußenfeder das Symbol des Fürsten und das Tragen derselben
nur diesen und den Prinzen königlichen Geblüts gestattet. Diese
Straußenfedergezierten sind auf den Monumenten als „Fächerträger zur
Linken des Königs“ bezeichnet. Auch die Prinzessinnen trugen Fächer
aus Straußenfedern. So wurde im Grabe der Königin Aa hotep (um 1703 v.
Chr.) ein solcher aus vergoldetem Holz gefunden, an dessen Halbkreis
noch die Löcher zu sehen sind, in denen die inzwischen zu Staub
aufgelösten Straußenfedern steckten, die einst den Wedel bildeten.
Auch am persischen Hofe spielte der Staatsfächer mit Straußenfedern
eine große Rolle. Gleicherweise zierten sich die vornehmen Griechinnen
und Römerinnen mit Straußenfedern, wie die Männer sie als Schmuck
gelegentlich auf ihre Helme steckten.

[Illustration: Bild 50. Links gefangener Strauß, rechts ein Mann mit
Federn und Eiern vom Strauß. (Nach Wilkinson.)]

Im Mittelalter war die Straußenfeder aus Nubien über den Orient
nach Europa gekommen, blieb aber zunächst zu teuer, als daß sich
weitere Kreise mit ihr zu schmücken vermocht hätten. Erst am Ende des
Mittelalters wurde dieser Artikel häufiger auf den Markt gebracht,
so daß er weitere Verbreitung und Anwendung fand. Seit dem Anfang
des 15. Jahrhunderts liebten es die vornehmen Kavaliere des in
Europa tonangebenden, an Reichtum und der damit in Zusammenhang
stehenden Prachtentfaltung alle andern überstrahlenden burgundischen
Hofes, 3-4 Federn zunächst des Reihers als _aigrette_ vorn an der
Kappe oder am Stirnband zu befestigen. Als dann auf ihre höfische
Zierlichkeit und Eleganz der schwerfällige Prunk des Ritters aus der
Zeit Kaiser Maximilians folgte, wurde die zierliche Aigrette durch
den wallenden Federbusch aus Straußenfedern ersetzt. Aber nicht nur
der adelige Ritter, sondern auch der gewöhnliche Landsknecht suchte
mit diesem teuren Schmucke zu prunken. Bald fand er auch Eingang in
der wohlhabenden Bürgerschaft, so daß die Obrigkeit es für nötig fand,
Gesetze gegen diesen unerhörten Luxus zu erlassen. So wurde in einer
Kleiderordnung einer reichen Stadt am Rhein aus dem 16. Jahrhundert
den Handwerkern das Tragen von Straußenfedern auf ihrem Barett als
übertriebene Verschwendung gänzlich untersagt.

In der Folge nahm diese Straußenfedermanie in Europa ziemlich ab.
In Deutschland sorgte die Not des 30jährigen Krieges dafür, daß den
Leuten solcher Tand gleichgültig wurde. Als dann Spanien in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Welt beherrschte, wurde die
Strenge seiner Etikette und die Form seiner Kleidung tonangebend für
die vornehmen Kreise. Bald trugen die Damen und Herren nur noch die
kleine toque, welche höchstens noch ein kleiner Federstutz garnierte.
Als dann Europa nach dem Tode Philipps II. (1598) die steife Grandezza
Spaniens abgeschüttelt hatte, stülpte sich der französische Ritter den
respondent genannten ungeheuren Filzhut auf seine jetzt absichtlich
ungepflegten Locken; diesen schmückte er mit einigen kühn aufgesteckten
Straußenfedern. Von da an herrschte das ganze 17. Jahrhundert hindurch
in verschiedenen Variationen der mit Straußenfedern gezierte große
Filzhut. Am üppigen Hofe des Sonnenkönigs umhüllte die Straußenfeder
wieder in verschwenderischer Fülle den Hut des Elegants, wie den Helm
des Offiziers. Erst mit dem Beginne des Rokoko änderte sich dieses
Verhältnis, indem jetzt die Damen siegreich das Feld behaupteten und
ihre zu immer gewaltigerer Höhe emporgetürmte Coiffüre mit wallenden
Straußenfedern krönten.

Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts wurde die Straußenfeder auch
zu höfischen Festdekorationen gebraucht, so zur Ausschmückung des
Thronbaldachins und später auch der Prunkbetten des Rokoko. Sie
erschien damals als ein unumgängliches Erfordernis der feierlichen
Aufmachung, der Galamontur und des Paradekleides. Wie zum erstenmal
der Stifter König Friedrich I., so trägt heute noch der König von
Preußen als Großmeister des hohen Ordens vom Schwarzen Adler einen
Hut mit vier Reihen übereinandergetürmter weißer Straußenfedern.
Einen ähnlichen Federbusch trägt nicht nur der Vorsitzende, sondern
tragen auch die Ritter des 1730 gestifteten englischen Bath-Ordens,
wie auch die Mitglieder des höchsten englischen Ordens überhaupt, des
Hosenbandordens. Daß auch die strenge Empirezeit nicht ohne diesen
pompösen Schmuck auskommen konnte, sobald es sich um die höchste
Prachtentfaltung handelte, ersieht man aus dem Kupferstich des kleinen
Krönungsornats Napoleons I., dessen berühmter Dreispitz hier unter
einer Wolke duftiger weißer Straußenfedern fast verschwindet.

Bis dahin hatte Europa den Bedarf an dieser kostbaren Ware mit seiner
Einfuhr aus Afrika decken können. Genuesische und französische Schiffe
hatten schon im ausgehenden Mittelalter den Import derselben aus
der Berberei und der Sahara vermittelt. Im 17. Jahrhundert wurden
dann Ägypten und Syrien wichtige Ausfuhrländer für diese teilweise
auch aus Arabien bezogene wertvolle Ware. Die jahrhundertelang in
der schonungslosesten Weise zur Erbeutung der Federn betriebene
Straußenjagd ließ aber trotz der Fruchtbarkeit des Riesenvogels mehr
und mehr in empfindlicher Weise nach, so daß Livorno und Wien, die
von alters her die Stapelplätze für die Straußenfedern gewesen waren,
zu Beginn des 19. Jahrhunderts die verlangten Mengen derselben nicht
mehr liefern konnten. Als ums Jahr 1830 wieder große Hüte getragen
wurden, zahlte man schon 40 Mark für eine hübsche Feder. Wie Gold- und
Silberschmuck waren sie eine Zeitlang die beliebtesten Brautgeschenke
und wurden in großer Menge verbraucht.

Einen Umschwung brachte erst die um die Mitte des vorigen Jahrhunderts
angeregte künstliche Straußenzucht. Um dem fortwährenden Rückgang des
wertvollen Tieres zu steuern, stellte auf Anregung des Genfer Arztes
Gosset der Pariser Kaufmann Chagot der _société d’acclimatisation_
eine Summe von 2000 Franken zur Verfügung, um dieses Tier künstlich
zu züchten. Vom Jahre 1857 an wurde dieser Gedanke von Hardy mit
Ausdauer verfolgt und es gelang ihm, in Algier die Strauße zum Brüten
zu bringen, so daß er bereits 1860 die zweite Generation zu erziehen
vermochte. Gleichzeitig wurden auf Anregung des Fürsten Demidoff in San
Donato bei Florenz Zuchtversuche mit Straußen vorgenommen und hatten
Erfolg. Dabei ergab sich die bemerkenswerte Tatsache, daß das Weibchen
in einem Falle das Brutgeschäft vollständig dem Männchen überließ,
das andere Mal abwechselnd mit diesem brütete. Aus zwei Bruten gingen
von 1859 bis 1860 acht Nachkommen hervor. Gleicherweise wurden im
Tiergarten von Marseille durch Suquet Strauße gezüchtet; auch in
Grenoble und Marseille erlangte man günstige Resultate, so daß es sich
nur noch um eine Übertragung der Versuche in die Praxis handeln konnte.

Nachdem 1866 die künstliche Ausbrütung der Straußeneier geglückt
war, ging die Sache rasch vorwärts. In Algier freilich, wo die
ersten Versuche stattfanden, vermochte sich die Straußenzucht nicht
einzubürgern; dagegen hatten die Farmer im Kaplande überraschende
Resultate. Schüttelte man auch dort anfänglich die Köpfe über den
Versuch, Strauße zu züchten, so kamen doch einzelne Farmer dadurch zu
Vermögen. Die Straußenfarmen wuchsen bald wie Pilze aus dem Boden,
und die Kaufpreise der Vögel stiegen rasch in die Höhe. Während noch
im Jahre 1865 im Kaplande nicht mehr als 80 zahme Strauße gezählt
wurden, hielt man zehn Jahre später schon 21751 Stück. Im Jahre 1886
schätzte man den dortigen Bestand an gezähmten Straußen auf 150000
Stück und später stieg er gar auf 200000 Stück, so daß man sehr
wohl begreift, wie heute die Straußenzucht einen der wichtigsten
Erwerbszweige Südafrikas bildet, soweit es von Europäern bevölkert
ist. Vom Jahre 1865-1885 hob sich die Ausfuhr von 1500 auf 90000 _kg_
Federn jährlich, was einen Wert von etwa 20 Millionen Mark darstellt.
In neuerer Zeit ist der Preis der Federn und damit auch der Vögel stark
gesunken; doch ist die Straußenzucht gleichwohl immer noch lohnend.
Die allzugroße Inzucht der Tiere scheint aber die Qualität der Federn
verschlechtert zu haben, so daß eine nicht künstlich verstärkte Feder
heute tatsächlich eine Seltenheit geworden ist. Eine Auffrischung der
Zuchten mit Wildmaterial ist wegen des starken Rückganges freilebender
Strauße bedeutend erschwert.

Kleinere Farmer lassen die Strauße den Tag über im Felde herumlaufen
und treiben sie abends in die Gehöfte, wie es übrigens die Somali
schon vor den Europäern machten, um die Straußenfedern leichter als
durch die mühevolle Jagd auf jene so überaus schnellaufenden Tiere
zu erlangen. Viel häufiger als solche kleine sind große Zuchten, in
denen etwa 100 Vögel auf einem Raum von 250 _ha_, von Drahtzäunen
oder Steinmauern umgrenzt, gehalten werden. Die Nahrung besteht
aus Gras und Laubwerk; daneben wird auch Mais verfüttert. Die
Straußenhenne legt im dortigen Frühjahr im Laufe von 14 Tagen 12-16
ihrer elfenbeinfarbenen, dickschaligen Eier, deren Ausbrütung, wie wir
sahen, fast ausschließlich das Männchen besorgt. Sie wird aber auch
sehr häufig im Incubator genannten Brutapparat vorgenommen, wodurch
eine gleichmäßigere Erwärmung und infolgedessen auch eine größere Zahl
von ausschlüpfenden Jungen erzielt wird. Im Laufe des Jahres erfolgen
2-3 Bruten, so daß die Vermehrung eine sehr starke ist. Im Brutapparat
bedarf das Ei zu seiner völligen Bebrütung durchschnittlich 43 Tage.
Die Jungen werden mit kleingeschnittenem Grünfutter, besonders Luzerne,
dann in Wasser eingeweichter Brotkrume und Kleie aufgezogen, was einige
Vorsicht und in der ersten Zeit Trennung von den Alten erfordert, da
diese gegen die auf diese Weise gewonnenen Jungen sehr bösartig zu
sein pflegen. Sobald die Tiere drei Jahre alt sind, werden ihnen zum
erstenmal Federn entnommen, nicht ausgerissen, sondern an der Wurzel
mit der Schere abgeschnitten. Der Stumpf fällt dann aus und an seiner
Stelle entwickelt sich eine neue Feder. Alle acht bis zehn Monate wird
dieser Prozeß, bei welchem man die Vögel vielfach in ein bewegliches
Holzgestell einspannt, wiederholt, und 15 Jahre lang kann man bei einem
gesunden Tier auf Rentabilität rechnen. Bei einem jährlichen Unterhalt
von 80 Mark pro Vogel erzielt man eine Ernte von 1 _kg_ Federn im Werte
von 260-1200 Mark. Es ist dies also eine sehr schöne Verzinsung des
Anlagekapitals.

Die Straußenzucht gedeiht nur in Steppengegenden und sandigen Gebieten.
Der Wind hat wenig Einfluß auf das Wohlbefinden der Tiere; dagegen
sind die Strauße sehr empfindlich gegen Nässe und Kälte. Starke
Verheerungen richten leicht übertragbare Wurmparasiten unter ihnen
an. Es wird angegeben, daß die jungen Strauße mit Vorliebe Exkremente
von Trappen und Feldhühnern aufpicken und auf diese Weise die Keime
von parasitischen Würmern in sich aufnehmen, die sie im wilden
Zustande nicht in sich haben. Ferner brechen sich die Tiere in ihrer
Ungeschicklichkeit leicht die Fußknochen und gehen dann meist zugrunde.
Noch schlimmer aber ist es, daß der Absatz des Produktes ganz von
den Launen der unberechenbaren Mode abhängt und die Preise mit dem
zunehmenden Angebot sinken.

Trotzdem die Kapregierung einen hohen Ausfuhrzoll auf lebende Vögel
und Eier festsetzte, hat sich die Straußenzucht, außer der blühenden
Zucht von Matarieh bei Kairo in Ägypten, auch außerhalb Afrikas
eingebürgert, vor allem in Kalifornien und Argentinien. Auch Neuseeland
züchtet diesen Schmuckvogel mit Erfolg; in Australien dagegen
vermochte er bis jetzt nicht zu gedeihen. Seit kurzem ist man auch in
Deutsch-Südwestafrika dem Beispiele der Engländer gefolgt. So ist in
Otjkondo ein Gebiet von 8200 _ha_ ganz für die Aufzucht dieser Vögel
reserviert worden. Da diese, wenn sie rationell betrieben wird, nur
einen Verlust von 10 Prozent verursacht und die Vögel sehr fruchtbar
sind, d. h. zwei- bis dreimal jährlich 10-16 Eier legen, so kann die
Zucht sehr lukrativ sein.



XX. Die Nutzfische.


Noch mehr als für die fluß- und seenbewohnenden Binnenländer ist
für die Küstenbewohner der Fischfang eine wichtige Erwerbs- und
Nahrungsquelle. Und mit dem immer besser eingerichteten Versand der
Fische sind auch die meisten Städte im Innern vorzüglich mit diesem
ebenso nahrhaften als billigen Nahrungsmittel versorgt, das in den
weitesten Schichten der Bevölkerung eine zunehmende Bedeutung gewinnt.
Nach vielen Milliarden Mark belaufen sich die Werte, die von den
verschiedenen Völkern dem Meere, der Mutter alles Lebens, in Form von
Fischen entnommen werden. So hat auch in Deutschland nicht nur die
Küsten-, sondern besonders auch die Hochseefischerei immer größere
Bedeutung erlangt, nachdem hierin England vorbildlich vorangegangen
war. Vom überreichen Erntesegen, der lange Zeit vorzugsweise den
Briten zufloß, kommt nun ein stets wachsender Teil auch den Deutschen
zugute. Werden doch jährlich allein für 40 Millionen Mark Heringe nach
Deutschland eingeführt.

Unter den zahlreichen Meerfischen haben besonders die Schellfische
mit Einschluß der Kabeljaus oder Dorsche, daneben die Heringe durch
ihr gehäuftes Auftreten in der Laichzeit in manchen Gegenden eine
große Bedeutung erlangt. Diese suchen seichtere Stellen des Meeres
zur Ablage ihrer Eier auf und werden dann in großen Netzen in Menge
gefangen, teilweise auch mit der Grundschnur erbeutet, die etwa 2000
_m_ Länge hat und gegen 1200 Angelschnüre mit köderbewehrten Haken
besitzt. Letztere wird ausgeworfen und alle sechs Stunden emporgeholt,
der Fang ausgelöst, die verbrauchten Köder ersetzt und die Schnur neu
gelegt. Währenddem beschäftigen sich die Fischer mit Handangeln, von
denen sie je eine in die Hand nehmen, rasch emporziehen, wenn sie
merken, daß sich etwas gefangen hat, und sofort wieder in die Tiefe
versenken. Letzteres geschieht besonders beim ~Schellfisch~, ~Kabeljau~
und ~Merlan~ (_Gadus morrhua_, _aeglefinus_ und _merlangus_), von
denen ein Mann täglich 300 bis 400 Stück zu erbeuten vermag. Am besten
schmecken alle diese Fische frisch verzehrt. Durch das Trocknen
verlieren sie an Geschmack, doch bleibt bei ihrer ungeheuren Menge
gleichwohl nichts anderes übrig, als den größten Teil auf diese Weise
zu konservieren, außerdem eine beträchtliche Menge davon in Fässern
einzusalzen.

Der ~Kabeljau~ -- jung Dorsch genannt -- bewohnt den nördlichen Teil
des Atlantischen Ozeans und die angrenzenden Gebiete des Eismeeres,
hat seine Hauptverbreitung zwischen dem 50. und 75. Breitegrad, kommt
nicht südlicher als im 40. Breitegrad vor, wird 1-1,5 _m_ lang und bis
40 _kg_ schwer. Zur Laichzeit zieht er in gewaltigen Zügen, die über
100 _km_ breit und 30 _km_ lang sein können, dicht gedrängt an die zur
Eiablage geeigneten flachen Stellen des Meeres, an den Lofoten, dann
an der Doggerbank in der Nordsee (_dogg_ heißt im Altholländischen der
Kabeljau), besonders aber an der Neufundlandbank, wo allein alljährlich
etwa 1300 Millionen Kilogramm Kabeljaus gefangen werden. Die
Neufundlandbank ist heute noch die wichtigste Fangstelle des Kabeljaus
und wurde seit Anfang des 16. Jahrhunderts von Engländern, Holländern,
Franzosen, Portugiesen und Spaniern aufgesucht und fleißig ausgebeutet.
Schon im Jahre 1615 waren 250 englische Schiffe dort beschäftigt.
Heute sind es deren 1800 mit 17000 Matrosen, während die Amerikaner
noch mehr senden, um den hier gebotenen Reichtum aus dem Meere zu
schöpfen. Die meisten Kabeljaus werden mit beköderten Angeln an der
Grundschnur oder an Angelschnüren, die von den Booten herabhängen,
gefangen und sofort geköpft und ausgenommen. Sie werden dann meist
halbiert und die einzelnen Teile auf Stangen getrocknet. So liefern
sie den „Stockfisch“, während sie mit Salz bestreut und auf Felsen
getrocknet als „Klippfisch“, und in Fässern eingesalzen als „Laberdan“
in den Handel gelangen. Beim Ausweiden der Fische kommt die Leber in
ein besonderes Faß, der Rogen in ein anderes, die übrigen Eingeweide
werden als Köder verwendet. Die abgeschnittenen Köpfe dienen vielfach
als Viehfutter. Die Lebern läßt man in großen Bottichen stehen und in
Zersetzung übergehen, wobei sich in ihnen ein Öl an der Oberfläche
sammelt. Es ist dies der Lebertran, der von Zeit zu Zeit abgeschöpft,
durch Seihen gereinigt und, seiner Güte entsprechend, in verschiedene
Fässer gefüllt wird. Am besten ist natürlich der wenige Tage nach
Beginn der Fäulnis gewonnene Lebertran, am schlechtesten der Rest, den
man durch Auskochen erlangt.

Kein Meerfisch gewöhnt sich rascher an die Gefangenschaft auch in
engem Raum, keiner geht leichter ans Futter, keiner frißt mehr und
wächst rascher als der Kabeljau. Nur muß das Wasser seines Beckens
kühl gehalten werden, da er, wie gesagt, ein nordischer Fisch ist.
Geschieht dies und reicht man ihm genügend Nahrung, so gedeiht er
nicht nur vortrefflich, sondern dauert auch mehrere Jahre selbst in
einem offenbar für ihn zu engen Gewahrsam aus. In neuerer Zeit hat die
Fischkommission der Vereinigten Staaten von Nordamerika den Versuch
unternommen, mit Hilfe der künstlichen Fischzucht den Kabeljau, der im
nordatlantischen Gebiete heimisch ist, auch in südlicheren Gebieten,
z. B. in der Chesapeakebai, heimisch zu machen.

Noch mehr als der stattliche Kabeljau und seine Verwandten ist der
~Hering~ (_Clupea harengus_) ein Speisefisch des Volkes, der, auch dem
Dürftigsten noch käuflich, in gar vielen Haushaltungen, besonders der
nordischen Länder Europas, die Stelle des zu teuer gewordenen Fleisches
vertreten muß. Von ihm werden jährlich über 10 Milliarden Stück
gefangen, von denen Deutschland etwa 500 Millionen Stück konsumiert,
während die nordischen Völker weit mehr verbrauchen. Bei ihnen ist er
vielfach mit Brot zusammen die tägliche Nahrung. Dieser nur 30 _cm_
lange, stark zusammengedrückte Fisch lebt weder wie die vorgenannten
vorzugsweise im Polarmeere, noch macht er wie diese weite Reisen. Er
bewohnt vielmehr die Tiefen der Meere, an deren Küsten er laicht,
wird dort zu allen Zeiten vereinzelt gefangen, namentlich mit solchen
Gerätschaften, die in größere Tiefen reichen, und steigt nur zur
Laichzeit aus diesen Tiefen empor, um der Küste zuzusteuern, an der er
seine Eier wie die vorigen zur Winterszeit absetzt.

Betrachtet man eine Tiefenkarte der Nordsee, so überzeugt man sich
leicht von der Tatsache, daß Großbritannien auf einer geräumigen
Hochebene liegt, die nirgends tiefer als 200 _m_ ist, so daß bei einer
Senkung des Meeresspiegels um diesen Betrag ganz Großbritannien in das
europäische Festland einbezogen wäre. Diese Untiefe der Nordsee stellt,
außer den Westküsten Großbritanniens und Skandinaviens, den Laichplatz
des Herings dar, wohin außer den Scharen fortpflanzungslustiger
Individuen alljährlich auch große Heere noch nicht völlig erwachsener
sogenannter Jungfern- oder, wie die Holländer sagen, Matjesheringe aus
der heimatlichen Tiefe emporsteigen. Der von kleinen Spaltfußkrebsen
lebende Fisch macht an der Küste Norwegens vom Februar bis April seine
Laichzüge. In der dem Laichen vorausgehenden Zeit entwickeln sich bei
ihm Rogen und Milch als wasserreiche und deshalb leichtere Stoffe so
stark auf Kosten von Fett und Eiweiß der Muskulatur, daß das Gewicht
des Fisches geringer wird und er sich getrieben fühlt, um seine
Gleichgewichtslage wieder herzustellen, Plätze aufzusuchen, an denen
die Temperatur höher und daher das spezifische Gewicht des Wassers
geringer ist. Danach richten sie ihre Wanderungen und wählen deshalb
nicht immer dieselben Laichplätze.

Die älteren Heringe laichen früher als die jüngeren und beginnen
damit teilweise schon im Herbst, und zwar vermutlich an denselben
Stellen, an denen s