Home
  By Author [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Title [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Language
all Classics books content using ISYS

Download this book: [ ASCII ]

Look for this book on Amazon


We have new books nearly every day.
If you would like a news letter once a week or once a month
fill out this form and we will give you a summary of the books for that week or month by email.

Title: Unter den Hohen Tauern: Ein Roman aus der Steiermark
Author: Achleitner, Arthur
Language: German
As this book started as an ASCII text book there are no pictures available.


*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Unter den Hohen Tauern: Ein Roman aus der Steiermark" ***


  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

    Der vorliegende Text wurde anhand der 1911 erschienenen Buchausgabe
    so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
    Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute
    nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen sowie Schreibvarianten
    bleiben gegenüber dem Original unverändert, sofern der Sinn des
    Texts dadurch nicht beeinträchtigt wird. Fremdsprachige Ausdrücke
    sowie Passagen in Dialekt wurden ohne Korrektur übernommen.

    Das Inhaltsverzeichnis wurde der Übersichtlichkeit halber vom
    Bearbeiter eingefügt.

    Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt. Passagen in
    Antiquaschrift werden im vorliegenden Text in _Unterstrichen_
    eingeschlossen.

  ####################################################################



                  Achleitner / Unter den Hohen Tauern



                           Arthur Achleitner

                        Unter den Hohen Tauern

                               Ein Roman
                          aus der Steiermark

                            [Illustration]

                        Frau und Mutter-Verlag

                           Wien und Leipzig



                         _Printed in Germany_
                   Neue Ausgabe des Romanes „Admont“
           Copyright 1911 by Gebrüder Paetel Verlag, Berlin
               Druck von Hallberg & Büchting in Leipzig



Inhaltsverzeichnis


                             Seite

    Erstes Kapitel               5
    Zweites Kapitel             25
    Drittes Kapitel             41
    Viertes Kapitel             62
    Fünftes Kapitel             90
    Sechstes Kapitel           112
    Siebentes Kapitel          135
    Achtes Kapitel             155
    Neuntes Kapitel            177
    Zehntes Kapitel            201
    Elftes Kapitel             224
    Zwölftes Kapitel           241
    Dreizehntes Kapitel        257
    Vierzehntes Kapitel        274



Erstes Kapitel


An einem Augustnachmittage schoß die Sonne noch rasch etliche stechende
Strahlenpfeile in das von der munteren Enns durchzogene Talbecken
von Admont, dann verschwand das Weltlicht hinter einer dunklen
Wolkenbank, die dräuend Sturm und Grobwetter ankündigte. Dumpfe
Schwüle brütete in der Niederung; um die grauen hochragenden Kämme
der wuchtigen Bergkolosse, der sogenannten „Haller Mauern“ im Norden
von Admont, wehte ein starker Nordwestwind, der alsbald dem breiten
Felsenhaupte des Großen Pyrgas eine Nebelhaube aufsetzte und auch dem
Scheiblingstein, der gigantischen zweitgrößten Erhebung dieses starren
Steinmeeres, Wolken und Schwaden zujagte, so daß die Zinnen und Grate,
die Schneemulden und wildzerrissenen Rippen und Runsen von einem
weißgrauen Chaos verhüllt wurden.

Bleischwer und glühendheiß war die Luft selbst im Fichtenwalde des
Mittelgebirges, sie trieb den auf einem Jagdsteige bergan schreitenden
Förstern den Schweiß aus allen Poren. Voran stieg elastisch, stetig und
stumm der Oberförster Ambros Hartlieb, ein schlanker, geschmeidiger
Mann von etwa fünfunddreißig Jahren in verwitterter Steierertracht;
dunkel das Auge, energisch und streng der Blick, schwarz das Haar
und der kurzgehaltene Vollbart. Eine sympathische Erscheinung, doch
umweht von einer Strenge, die eine vertrauliche Annäherung verhindern
zu wollen schien. Das Gegenteil solcher Härte im Gesichtsausdruck
offenbarte die Gestalt des Begleiters, des Forstwartes mit dem
drolligen Namen Benjamin Gnugesser; mittelgroß der gleichalterige Mann
mit einem berufswidrigen Bäuchlein, blauäugig, gutmütig, rötlichblond
das lockige Haupthaar und ganz fuchsfarbig der überlange, wallende
Patriarchenbart. Wie ein Gnom, ein Bergmanndl aus der Sagenwelt,
sah der Forstwart Gnugesser aus, die Mensch gewordene Herzensgüte,
Friedensliebe und Einfalt.

In dieser Gewitterschwüle beim Aufstieg schwitzte Gnugesser infolge
seiner Korpulenz für drei, und mancher Seufzer entfloh dem Gehege
seiner etwas schadhaften Zähne. Hartlieb achtete dieser Seufzer
nicht, zu sehr war er in Gedanken vertieft, die sich mit den durch
Besitzwechsel geschaffenen neuen Verhältnissen beschäftigten.

An die Zukunft im Dienst, im Jagdbetrieb und in den Revieren dachte
auch Gnugesser, und viel Gutes glaubte er nicht erhoffen zu dürfen.
Gerne hätte er darüber mit dem Vorgesetzten gesprochen, Hartliebs
Meinung erholt. Da der Oberförster sich bisher ausgeschwiegen hatte,
wagte der Forstwart es nicht, das ihn überstark beschäftigende Thema
anzuschneiden.

Auf einer kleinen Hochfläche in Nähe eines steilwandigen Grabens
blieb Hartlieb stehen, betrachtete hochgegangenes Kleinvieh, die
alte verfallene Heuhütte, modernde Baumriesen und die Hirschfährten,
die zu einer nahen Suhle führten. Dann aber richtete der Oberförster
einen forschenden Blick zum grau überzogenen Firmament und mahnte den
Begleiter zur Eile.

„Wohl, wohl! Wird bald losgehen! Macht aber nix, naß bin ich bereits!“
erwiderte Gnugesser, lächelnd wie immer und nach Atem ringend.

Als die beiden weiterschritten, rollte der Donner aus der Wolkenbank,
die sich auf dem wuchtigen Pyrgas-Kolosse festgesetzt hatte. In
beschleunigtem Tempo strebte Hartlieb zwischen den Randklippen der
Gstattmaier-Hochalpe zu, auf deren Plateau die Pyrgas-Jagdhütte
inmitten der besten Gamsreviere lag. Gnugesser keuchte schweißtriefend
hinterdrein.

Im Felsgewirre staubte es auf, der Bergwind trieb sein Spiel und
bemühte sich, den Förstern die Hüte vom Kopf zu reißen. Die Jagdhütte
kam in Sicht, ein verwittertes Holzhaus, mit einem gelbweiß blinkenden
neuen Anbau, windumtost. Ein Jagdgehilfe in Hemdsärmeln stand vor der
Türe und hielt Ausschau. Und wie er die beiden Förster erblickte,
verschwand er, um rasch darauf in Joppe und mit Hut wieder zu
erscheinen und den Vorgesetzten entgegenzugehen. Ein bildhübscher
blonder Bursch, schlank, ein Kerl zum Verlieben, zart und fein die
Gesichtszüge, etwas melancholische Augen, ein nettes Schnurrbärtchen,
kirschrot die feinen Lippen. Ein schmucker Bursch, den die
Steierertracht sehr gut kleidete. Die Sommersonne hatte Wangen, Hände
und Knie nur wenig zu bräunen vermocht. Höflich, fast demütig begrüßte
er die Vorgesetzten und wollte ihnen Rucksack und Gewehr abnehmen.

Hartlieb nickte zum Gruße und wehrte mit einer Handbewegung die
Bemühungen des hübschen Jagdgehilfen Eichkitz ab. Der Forstwart
schnappte nach Luft und lief Galopp, als der erste Regenschauer über
den Hochalpboden rauschend prasselte. In großen Sprüngen erreichten
die drei die schützende Hütte. Und nun ging es los: knatternd schlugen
Graupeln auf das Schindeldach, dann vollführten erbsgroße Schloßen
einen betäubenden Lärm, den ein Wolkenbruch mit eigroßen Hagelstücken
ins Maßlose steigerte.

Viel Schaden konnte der Sturm der Jagdhütte nicht zufügen, denn
Eichkitz hatte die hölzernen Fensterläden auf der Wetterseite
fürsorglich bereits vor dem Losbruch des Gewitters fest geschlossen. An
den Holzläden prallten die Hagelkörner machtlos ab.

Im Spektakel des Orkans war ein Sprechen unmöglich; man hätte brüllen
müssen, um sich einigermaßen verständlich machen zu können.

Angenehm empfand Oberförster Hartlieb, während er Rucksack und Gewehr
ablegte, die warme Temperatur im Kochraume der Diensthütte; der Jäger
Eichkitz als Praktikus hatte im eisernen Herd ein tüchtiges Feuer
entfacht und zum Empfang der schwitzenden Herren stetig unterhalten.
Die Wärme tat wohl nach mühevollem Aufstieg. Befriedigt nickte
Hartlieb, als Eichkitz geschäftig noch weiter Holz in den Herd schob.

Benjamin Gnugesser machte es sich bequem, nahm Platz auf der Bank an
der einen Hüttenseite, aber er lächelte jetzt nicht und hatte auch kein
Verlangen nach der Tabakspfeife. Das schwere Unwetter schien ihn, wenn
auch nicht zu ängstigen, so doch mit einigem Unbehagen zu erfüllen.
Oft genug hatte er den Admonter Fachmann gemahnt, endlich auf der
Pyrgas-Jagdhütte den Blitzableiter anzubringen, doch dem Manne war
bisher der Weg hinauf zur einsamen Höhe zu weit gewesen. So wetterhart
Gnugesser war, vor Blitzschlägen hatte er einen gewaltigen Respekt.

Unbekümmert um den schweren Sturm, der sich vergeblich bemühte, die
Hütte umzureißen, zündete sich Hartlieb eine Zigarre an, und zum
Dank für das wohlige Herdfeuer spendete er dem Jagdgehilfen einen
Glimmstengel, den Eichkitz katzbuckelnd, dankend entgegennahm und
sofort in Brand steckte.

Eine Weile herrschte nächtliche Finsternis um die sturmumtoste Hütte.
Im Herdraume waren nur die roten Punkte der glimmenden Zigarren und
zuweilen aufzuckende Flämmchen im Ofen zu sehen.

Dann ließen Hagel und Regen nach, es wurde lichter. Dafür umwallten
schwere Nebelschwaden die Hütte.

Eichkitz öffnete nun die Fensterläden auf der Wetterseite. Eisigkalte
Luft drang herein, so daß der Jäger die Fenster schleunigst wieder
schloß.

Auf dem Alpboden wogte ein Nebelmeer, weiß wie um Weihnachten war der
Grund, vom Hagel bedeckt. Kalt pfiff der Höhenwind. Doch der Sturm
hatte ausgetobt; ihm folgte ein feiner Regen.

Hartlieb nahm jetzt die Besichtigung des neuen Anbaues vor, gefolgt vom
Forstwart und Jäger. Und auf den ersten Blick gewahrte der Oberförster
den Mangel eines Ofens im Wohnraume des Zuhäusels. Hartlieb wandte sich
an Gnugesser mit der Frage, ob der Ofen rechtzeitig bestellt worden
sei. Mit einem Lächeln des ruhigen Gewissens antwortete der Forstwart:
„Wohl, wohl, Herr Oberförster! Rechtzeitig bestellt, selbstverständlich
sofort, wie ich den Auftrag erhalten habe! Aber die Handwerksleut sind
halt so langsam! Und von selber kommt der Ofen halt nicht herauf zur
Pyrgas-Hütt’n!“

„Der Teufel soll die Kerle holen! Demnach sind vermutlich auch
in den anderen Anbauten die Öfen noch nicht aufgestellt? So eine
verdammte Schlamperei! Und jeden Tag kann die Fürstin ankommen! Wird
ein Aufenthalt auf einer der Jagdhütten befohlen, so haben wir
das höllische G’frett gleich zum Beginn der neuen Herrschaft! Der
Hausmarschall wird zetern, daß uns die Ohren sausen!“

Auf Gnugessers bartumwucherten Lippen erstarb das Lächeln, da er
stotterte: „Wohl, wohl! Sein tuets ein Öllend mit die Handwerksleut!
Und die neue Ära fangt schief an!“

„Veranlassen Sie morgen früh in Admont alles Nötige wegen der
Ofenlieferung! Treten Sie die Kerle, bis sie quietschen! Es muß alles
zusammen helfen, auf daß der Befehl vollzogen ist, bevor die neue
Gebieterin erstmals heraufkommt! Sie sind mir verantwortlich, Herr
Forstwart! Verstanden?“

„Wohl, wohl!“ stammelte Gnugesser in sichtlichem Unbehagen.

Hartlieb wandte sich zum Jagdgehilfen und rügte mit scharfen Worten
die ungenügende Revierkontrolle wegen des hochgegangenen Kleinviehes.
„Dieser Unfug darf nicht geduldet werden! Sie müssen doch als Jäger
wissen, daß die Gams die Witterung von Ziegen und Schafen absolut nicht
vertragen! Ausgebrochenes und hochgegangenes Kleinvieh muß entweder
gepfändet oder erschossen werden, auf daß die Eigentümer für bessere
Beaufsichtigung sorgen! Erstmals pfänden gegen Auslösung im Jagdamt
zu Hall! Nützt das nichts, so machen Sie von der Waffe Gebrauch und
schießen das hochgegangene Kleinvieh kurzerhand ab! Die Jagdgehilfen
sind für die Reinhaltung der Reviere verantwortlich!“

„Zu Befehl!“ erwiderte Eichkitz.

„Sie sind jetzt ein für allemal gewarnt! Ich dulde keine Schlamperei im
Dienst und Revier!“

„Zu Befehl! An mir wird’s nicht fehlen! Je schärfer wir aber vorgehen,
desto rabiater und aufsässiger werden die Almbauern werden! Wo uns
Jaagern von den Leuten eh bereits nichts mehr an Milch und Butter
abgegeben wird! Ich bitt g’horsamst: Dürfen wir es zunächst nicht im
Guten, mit Verwarnungen versuchen?“

Scharf klang Hartliebs Antwort: „Wie Sie es machen, das ist mir egal!
Ordnung muß herrschen! Denken Sie gefälligst mehr an Ihren Dienst!
Sehe ich noch mal hochgegangenes Kleinzeug im Revier, so haben Sie die
Kündigung zu gewärtigen!“

Von dieser Androhung erschreckt, bat der schmucke Jäger um Verzeihung,
und eifrig gelobte er schneidiges Vorgehen.

„Wird gut sein in Ihrem eigenen Interesse! -- Wie haben sich die
Zimmerleute beim Bau des Zuhäusels verhalten?“

„Zu dienen, Herr Oberförster! Ich bin fleißig um die Weg g’wesen, ist
niemand weiter als höchstens zur Schneemulde am Großen Pyrgas gekommen!
Ich glaub nicht, daß die Gams besonders beunruhigt worden sind!
Touristen hab ich nach Möglichkeit abgewiesen!“

„Bis auf weiteres bleibt jeder Durchgang in den Hochrevieren gesperrt!
Will die Fürstin den Jochbummlern das -- Gamsversprengen erlauben, so
ist das Sache der Gebieterin! Die Jägerei wird hierüber verständigt
werden! Einstweilen ist jeder Tourist ausnahmslos aus den Revieren
auszuweisen! Bei Aufstellung des Ofens in der Pyrgas-Hütte haben Sie
die Aufsicht zu führen, jede Revierbeunruhigung nach Möglichkeit zu
verhindern! -- So, nun begleiten Sie uns in die Steinschütt!“

Die Herren kehrten in die alte Hütte zurück, indes Eichkitz das
Zuhäusel sorgfältig versperrte.

Säuerlich lächelnd meinte Gnugesser: „Mit Verlaub, Herr Oberförster!
Ich hab g’meint, wir bleiben über Nacht in der Pyrgas-Hütte...! Wo es
doch regnet!“

„Das wäre sinnlose Zeitvergeudung! Wir gehen noch am Abend über
Schottenboden und Assangeralp zur Million-Hütte, wo wir den
Hausmarschall treffen werden. Der Regen kann uns nicht abhalten!
Und Ihnen kann fleißige Bewegung nur nützlich sein; je eher Sie
tannenschlank werden, desto besser für Sie! Ich fürchte sehr, daß die
neue Gebieterin wegen Ihres Bäuchleins Schlüsse auf -- Bequemlichkeit
und üppiges Leben ziehen wird!“

„Ach, du lieber Himmel! Bei dem mageren Gehalt und strengen Dienst ein
-- üppiges Leben! Und wo meine Frau zudem keine -- Kochkünstlerin ist!“

Ein sarkastisches Lächeln huschte über Hartliebs Gesicht, und ein
ironischer Blick streifte Gnugessers Wanst.

Rucksäcke und Gewehre wurden umgehangen. Auch Eichkitz hatte sich
marschfertig gemacht; er löschte das Herdfeuer und schloß die Hütte ab,
nachdem die Herren ins Freie getreten waren.

Kalt pfiff der Wind, trostlos in Fäden träufelte der Regen hernieder.
Unter den schweren Bergschuhen knirschten die Hagelkörner auf dem
Alpboden.

Der vorausstapfende Jäger Eichkitz nahm die Richtung zur nebelerfüllten
Felswildnis der Steinschütt, elastisch schreitend, doch arg verdrossen.

Hartlieb erkannte sofort, daß bei dem schlechten Wetter auf einen
„guten Anblick“ nicht zu rechnen, der Marsch in die Schütt ganz
zwecklos war. Deshalb schickte er den Jäger zurück und wanderte mit dem
Forstwart auf steinigen, teils mit Schloßen bedeckten, teils vermurten
oder ausgewaschenen Pfaden durch Regen, Wind und Nebel den Weg zurück
zur Plechauer-Alp und dann hinüber zum Schottenboden. Das Ziel war die
sogenannte Million-Hütte im Bereiche des Stadlgrabens, wo die besten
Hirsche stehen.

Spätabends erreichten die durchnäßten Förster die einsame Hütte, die
gleichfalls einen neuen Anbau für Damen aufwies. Wider Erwarten war die
Million-Hütte verschlossen, der Hausmarschall der Fürstin Sophie von
Schwarzenstein, Graf Thurn-Valsassina von Villalta und Spessa, mit dem
Jäger Xandl noch nicht angekommen.

Dienstwillig suchte Gnugesser den Hüttenschlüssel in der Holzschicht
an der Seitenwand der alten Hütte und schloß auf. Kalte Luft wehte
entgegen. „Wird gleich warm werden!“ rief der Forstwart, der schnell
Gewehr und Rucksack ablegte und im Sparherd Feuer anzündete. Dann holte
er vom nahen Brünnlein Wasser herbei und stellte es in einem Topf
darauf. Hartlieb entnahm seinem Rucksack zwei kleine Konservenbüchsen
mit Gulasch, eine Flasche Bier und Brot.

Als das Wasser zischte und brodelte, wurden die Konservenbüchsen in
den Topf gelegt. Wenige Minuten später war die Kocharbeit beendet. Mit
einer Blechschere öffnete Hartlieb die Büchsen, denen ein würziger Duft
entstieg.

Gnugesser schnupperte wohl wie ein windender Jagdhund, lehnte aber
die Einladung zum Mitessen dankend ab und begnügte sich mit dem
mitgeführten Stück Speck und Schwarzbrot.

„Wie Sie wollen! Mögen Sie Gulasch nicht?“ fragte Hartlieb.

„Schon, aber nur in der Nähe von einem Wirtshaus!“

„Ach so! Von wegen dem Durst, den der Paprika erzeugt? Na, in Konserven
ist nur sehr schwacher Paprika enthalten, und zum Durstlöschen gibt
es ja Wasser genug! Ich werde die zweite Portion für den Grafen
aufbewahren, falls er keinen Proviant bei sich haben sollte!“

An seinem Speck kauend, richtete Gnugesser im Heuboden oberhalb des
Herdraumes ein Lager zur Nachtruhe her. Dann kehrte er in das Wohn- und
Kochstübchen zurück und fragte, ob er, da der Graf wahrscheinlich nicht
kommen werde, heimgehen dürfe.

Ironisch fragte Hartlieb: „Treibt Sie denn sehnsüchtige Liebe nach
Hause?“

„Ich bitt, Herr Oberförster! Wo ich doch schon zwei Jahr verheiratet
bin! Ich hab nur gemeint, Sie benötigen mich nicht für Abend und Nacht!“

„Ich allerdings nicht! Kommt der Graf doch noch, so könnte es sein, daß
er Sie morgen um die Führung bitten will! Kommt er heute nimmer, so
hätte Ihre Anwesenheit allerdings keinen Zweck!“

„Will denn der Graf pirschen auf Hirsche? Bei diesem Wetter wird er
keinen Wedel äugen können! Was will er sonst heroben?“

„Weiß ich nicht! Vielleicht nur ein Inspektionsgang, Kontrolle, ob alle
Jagdhütten den Damen-Anbau vorschriftsmäßig erhalten haben!“

„Ist g’spaßig, daß unser Jagdbetrieb nun -- verweiblicht werden soll!
Ein Frauenzimmer als -- Jagdherr! Ich kann mir nicht denken, wie das
geht! Die Jaager stecken auch die Köpf zusammen und tuscheln darüber!“

Hartlieb trat vor die Hütte, lauschte, kehrte zurück und stellte es
Gnugesser frei, nach Hause zu gehen.

Die Gelegenheit, über die neuen Verhältnisse mit dem Vorgesetzten zu
sprechen, wollte der Forstwart nun doch nützen. Er steckte die kleine
Petroleumlampe an, schloß die Fensterläden und bat, Gesellschaft
leisten zu dürfen.

„Aber die teure Gattin?“

„Wird nicht sterben, wenn ich über Nacht ausbleibe! Dergleichen
kommt ja öfter vor in unserem Beruf! Mit Verlaub, glauben Sie, Herr
Oberförster, daß wir mit gleichem Gehalt übernommen werden? Hat der
Hausmarschall darüber nichts gesagt?“

„Bis jetzt keine Silbe! Ich denke, die Käuferin des Jagdgutes wird froh
sein, tüchtiges und geschultes Personal übernehmen zu können!“

„Wohl, wohl! Was aber, wenn das Gehalt etwas reduziert würde? Das wär
für uns doch recht bitter! Für die verheirateten Beamten nämlich!
Sie, Herr Oberförster, brauchen als lediger Mann sich da weniger zu
sorgen...“

„Verbürgen kann ich nichts! Beruhigen Sie sich nur! Wegen der Löhne und
Gehälter muß ich ja gefragt werden, und ich werde selbstverständlich
dafür eintreten, daß in dieser Beziehung alles beim alten bleibt!“

Gnugesser lächelte und glättete seinen fuchsigen Patriarchenbart, nun
ihm der größte Stein der Sorge von der Brust fiel. Und zutraulich
meinte er: „Noch schöner tät es sein, wenn Sie, Herr Oberförster,
eine Gehaltsaufbesserung durchsetzen könnten! Für mich gleich nur
zweihundert Kroneln, eine Wohltat wäre das für meine Verhältnisse!“

„Mit einer Aufbesserung darf man der Fürstin bei der Übernahme des
Besitzes nicht kommen! Um so weniger, als sie teuer, zu teuer gekauft
hat!“

„So? Hätt sie doch die Finger davon gelassen! Wenn man denkt: Auf
den Jagdherrn Grafen Lichtenberg, der freilich nur Pächter war,
ein Frauenzimmer als Gebieterin in Jagdangelegenheiten -- -- der
Magen könnt sich umdrehen! Jagdlicher Damenbetrieb! Unmöglich, nicht
auszudenken!“

Hartlieb streifte die Asche von seiner Zigarre und wollte dem Forstwart
eben raten, das Zünglein zu hüten, da wurden Schritte laut, die sich
der Hütte näherten.

Gnugesser stand auf und eilte hinaus.

Auch der Oberförster erhob sich und öffnete die Türe, damit die
Angekommenen etwas Licht zur Orientierung haben sollten.

„Guten Abend!“ grüßte eine hohe schlanke Gestalt in dunklem
Lodengewande. Graf Thurn-Valsassina, der weißhaarige Hausmarschall
und Hofchef, reichte den Beamten die Hand und entschuldigte das arg
verspätete Erscheinen mit dem Hinweise auf das Unwetter, das zu
unfreiwilligem Aufenthalt in der Griesweber-Hochalm gezwungen hatte.

Hartlieb bat den Grafen, in die warme Stube einzutreten und
vorliebzunehmen mit dem Wenigen, was geboten werden könne.

Der Hausmarschall trat in die schwacherleuchtete Stube und rief:
„Oh, wie wohlig warm! Das ist wirklich sehr behaglich! Ich bitte
Sie, meinetwegen keine Umstände zu machen! Proviant habe ich mit im
Rucksack, den mein wackerer Begleiter, der brave Xandl, trägt! Wir
wollen in der Bergeinsamkeit brüderlich teilen! He, Xandl, antreten und
auspacken!“

Mit seinem schönsten Lächeln auf den bebuschten Lippen griff Gnugesser,
der fuchsige Gnom, ein, indem er dem großen Jagdgehilfen Xandl den
Rucksack abnahm und zuflüsterte: „Gschwind den Herrn bedienen! Stiefel
ausziehen!“

Hartlieb legte inzwischen Holz im Herde nach, so daß es alsbald
knisterte.

Flink kniete Xandl, ein Koloß von einem sonnverbrannten Menschen, vor
dem Hausmarschall nieder und bat: „Haben S’ die Gnad, Herr Graf, und
lassen S’ Ihnen die schweren Schuach ausziehen! Einen Haxen nach dem
andern, wenn’s g’fällig ist!“ Und flink löste er die Schuhriemen auf.

„Ei ei, wie geschult doch der Xandl im Kammerdienst ist!“ meinte
schmunzelnd Graf Thurn.

Gnugesser fischte aus dem Inhalt des Rucksackes die Hausschuhe heraus
und überreichte sie dem Hofchef.

Zu dritt nahmen die Herren am kleinen Tische Platz, indes Xandl
sich bescheiden auf die Bank an der Wand setzte und an einem Stück
Schwarzbrot kaute.

„So ist’s nicht gemeint, Xandl! Auch der brave Führer und Jägersmann
gehört an den Tisch! Vorerst aber bringen Sie uns den Wein und den
kalten Aufschnitt!“

Brüderlich wurde alles geteilt. Der Höflichkeit halber nahmen die
Beamten die Happen Schinken zur Brotschnitte dankend an, ebenso den
Schluck Ungarweines. Hartlieb schenkte die Gulaschportion dem Xandl,
dem das Gesicht vor Freude leuchtete. „Werd ich gleich Kuchelmadel
machen und aufkochen! Vergelt’s Gott, Herr Oberförster!“

Graf Thurn erzählte, daß er nach der Inspektion einiger Hütten zur
Gamsquöhn aufgestiegen sei, vom Gewitter überrascht wurde, in der
Hochalm lange wartete, dann in den Falkennotgraben gestiegen sei, um
dann nach zeitraubender Kraxelei den Stadlgraben zu erreichen. „Es ist
ein wundervolles Gebiet, aber scharf und strapaziös! Der Dienst und
wohl auch die Jagdausübung wird in den Revieren der ‚Haller Mauern‘
nicht leicht sein! -- He, Xandl, die Zigarren!“

Gnugesser blinzelte dem Oberförster zu, als Graf Thurn die Bemerkung
über Dienst und Jagdausübung in den Revieren gemacht hatte. Doch
Hartliebs Antlitz blieb unverändert. Auch enthielt er sich jeder
Äußerung. Die Zigarrenspende Thurns nahm er mit einer leichten
Verbeugung an, während Gnugesser und Xandl laut dankten.

Graf Thurn fragte, ob in allen für die Fürstin bestimmten Anbauten, so
wie in den Kochzimmern gleichfalls eiserne Öfen aufgestellt seien.

„Sie sind längst bestellt, werden nächster Tage zur Aufstellung
gelangen!“ erwiderte Hartlieb.

„Schön! Machen Sie die Sache eilig, denn Durchlaucht werden in
allernächster Zeit ankommen! Und einmal in Hall, ist man keine Stunde
sicher, daß ein Hüttenbesuch befohlen wird! Bei Eintritt groben Wetters
wäre es sehr fatal, wenn Durchlaucht in einer Hütte frieren müßte!“

Gnugesser hatte den Mund angelweit offen, sosehr interessierte ihn
jedes Wort. Und plötzlich rutschte ihm die Frage heraus, ob die Fürstin
von der Jagd etwas verstehe.

„Herr Forstwart, ich bitte Sie, jede indirekte Frage zu unterlassen!“
bemerkte rügend Hartlieb, und ein scharfer Blick flog zu Gnugesser
hinüber.

Begütigend meinte Graf Thurn: „Nicht doch! Das Interesse der
Forstbeamten für die neue Herrin ist ja begreiflich! Und hier unter
uns Männern hat es nichts auf sich, wenn Fragen gestellt werden! Die
Fürstin hat zu Lebzeiten ihres Gemahls den gnädigsten Herrn oft auf
Pirschgängen begleitet und, soviel ich weiß, manchen Hirsch mit gutem
Blattschuß umgelegt!“

Nun wagte auch der hünenhaft gebaute Jagdgehilfe Xandl eine Bemerkung
dahin, daß ein gelegentlicher Pirschgang und ein weidgerechter
Jagdbetrieb zweierlei sei. „Mit Vergunst, Herr Graf, wenn es erlaubt
ist: wird die Duhrlauch selber die Jagdleitung führen, selbständig
dirigieren, oder bleibt unser Herr Oberförster der Chef?“

„Das weiß ich nicht! Ich für meine Person, als Hofchef und
Hausmarschall, werde mich in die Jagdangelegenheiten ganz gewiß
nicht einmischen! Und falls ich gefragt werden sollte, werde ich
befürworten, daß Herr Oberförster Hartlieb der Jagdleiter bleibe! Den
Entschließungen der Fürstin kann natürlich nicht vorgegriffen werden!
Durchlaucht ist die Gebieterin, wir haben ihre Befehle zu vollziehen!“

„Oh, Jessas!“ rief Gnugesser, und sein Bäuchlein zitterte.

„Nur keine Angst! Durchlaucht ist die Güte selbst! -- Nun aber Schluß,
meine Herren! Ich bin müde!“

Zu dritt kletterten die Herren auf der Leiter in den Dachboden, wo
das Nachtlager im Heu bezogen wurde. Wollene Decken schützten vor der
Zugluft, die durch die Balkenritzen trotz der Moosverstopfung kalt und
scharf eindrang.

Xandl räumte unten auf, löschte das Lämplein und legte sich angekleidet
auf die Holzbank zur Nachtruhe nieder.

Nach Mitternacht entlud sich ein Gewitter über den Stadlgraben, heftig
wütete der Sturm unter schweren Regengüssen, rüttelte an der Hütte, riß
grob die Türe wiederholt auf, die der aus dem Schlafe aufgeschreckte
Jäger Xandl wieder schloß. Doch gegen Tagesanbruch verstummte das
Sturmgeheul, das Wehen erstarb, der Regen hörte auf.

Xandl erwachte, rieb sich den Schlaf aus den Augen, und sachte öffnete
er die Fensterbalken. Helles Morgenlicht und würzige Alpenluft strömten
herein. Reingefegt war das Firmament, das lichtblau sich über den
angeschneiten Haller Mauern wölbte. Ein prachtvoller Pirschmorgen nach
düsterer Sturmesnacht. Des Jägers erster Gedanke war der seiner Führung
anvertraute Graf und die günstige Chance für eine Pirsch. Aber in
Erinnerung der Tatsache, daß Graf Thurn keine Büchse mitführte, wurde
Xandl unschlüssig. Den herrlichen Pirschmorgen ungenützt verstreichen
zu lassen, deuchte ihn eine schwere Unterlassungssünde zu sein. Als
Hofchef und Hausmarschall müßte der Graf ja doch Abschußerlaubnis
haben... Und die Kugelbüchse kann ihm ja der Oberförster oder der
Forstwart leihen. So weckte denn Xandl die Herren mit der Meldung,
daß ein prachtvoller Pirschmorgen angebrochen sei. Und hurtig machte
der Jäger Feuer im Herd, um ein karges Frühstück, eine Brennsuppe zu
bereiten.

Verfroren und steif in den alten Knochen kam Graf Thurn die Leiter
herab, hinter ihm die Förster. Vor der Hütte wurde die Pracht des
alpinen Sommermorgens, das Funkeln und Glitzern der Millionen
Wasserperlen an Blattwerk und Koniferennadeln im Glanz der ersten, in
den Graben blinzelnden Sonnenstrahlen bewundert.

Hartlieb bot sein Dienstgewehr für einen Pirschgang an und stellte sich
als Führer zur Verfügung. Gnugesser sprach von einem guten Zwölfender,
der auf dem Waschenberge stehe.

Da rief Graf Thurn: „Aber, meine Herren! Wo denken Sie hin! Ohne
spezielle Erlaubnis werde ich mich hüten, eine Büchse auch nur in
die Hand zu nehmen, geschweige denn auf irgendwelches Wild Dampf
zu machen! Erst muß die Gebieterin ihren Besitz angetreten, das
Jagdgut übernommen haben! Dann werden wir schon hören, ob uns die
Bejagung eines Revierteiles gestattet wird oder versagt bleibt! Zur
Hütteninspektion bin ich heroben, nicht zum weidwerken! Drum: _hands
off_!“

Diesmal wechselte Hartlieb mit Gnugesser einen vielsagenden Blick.

Xandl aber platzte heraus: „Also wird die Duhrlauch -- schußneidisch
sein! Sell geht grad noch ab!“

Graf Thurn ignorierte diese Bemerkung und fragte, ob ein warmer
Schluck, egal was, zum Frühstück zu haben sei.

Ganz Kuchelmadel, Kammerdiener, Küchenchef in einer Person, offerierte
Xandl: „Haben S’ die Ehr, gnädig Herr Graf, die Brennsupp’n ist
serviert! Aber noch heiß, verbrennen Sie Ihnen nicht die Lefzen! Wär
schad drum! Wo Sie einen so schönen weißen Schnauzer haben!“

Mit Behagen wurde die Brennsuppe, der nur das Salz fehlte, geschlürft.

Da Graf Thurn auf die Fortsetzung der Hüttenbesichtigung verzichtete,
traf Hartlieb seine Dispositionen: Gnugesser erhielt Auftrag, wegen
schleunigster Ofenlieferung nach Admont zu gehen, Xandl solle in der
Hütte aufräumen und hiernach Dienst machen in den oberen Revieren und
im Gebiete des Natterriegel vorwitzige Gamsversprenger wegstampern, für
absolute Ruhe im Gamsrevier sorgen. Wenn nötig, unter Anwendung von
Gewalt.

„Na, schön! Wie disponieren Sie, Herr Oberförster, über sich und mich?“
fragte Graf Thurn.

Lächelnd meinte Hartlieb: „Über den Herrn Hofchef hat wohl der
Jagdleiter am allerwenigsten zu verfügen! Wenn Sie aber, Herr Graf,
erlauben, möchte ich Sie durch unsere schönsten und besten Reviere
geleiten, Ihnen zeigen, daß wir einen gutgehegten Wildstand haben!
Weidmännisch gesprochen: Einen ausgiebigen ‚guten Anblick‘ mit viel
‚roten Fleckerln‘ möchte ich Ihnen verschaffen!“

„Topp, einverstanden! Freilich wird es schmerzlich sein, bei ‚gutem
Anblick‘ den Finger nicht krumm machen zu dürfen! Also gehen wir!“

Vor Gnugessers Abgang fragte Hartlieb noch, wie weit die
Schlägerungsarbeit auf dem Raschanger gediehen sei.

„Wird heute beendet werden! Ich werd nachmittag kontrollieren! Mit
Vergunst, Herr Oberförster, darf ich dem drängelnden Simerlbauern den
erbetenen Schindelstamm anweisen! Ist ein zudringlicher Mensch!“

„Wenn wirtschaftlich kein Hindernis besteht, daß der betreffende
gewünschte Stamm wegkommt und der Stamm zur Taxe bezahlt wird, kann
angewiesen werden! Entspricht der Baum nicht, so geben Sie ihn als
Prügelstamm weg, aber nicht unter der üblichen Taxe!“

„Ist recht! Darf ich mir bei dieser Gelegenheit auch den Zangerlbauern
durch Befriedigung seines Wunsches -- er möchte drei Schnitthölzer zu
einem Schlafzimmerboden erhalten -- vom Halse schaffen? Tanne oder
Fichte?“

„Ist egal, je nachdem Stämme passend stehen! Halten Sie sich aber knapp
und die Bauern kurz! Gott befohlen!“

„Empfehl mich, Herr Oberförster!“ Und zum Hofchef gewendet,
verabschiedete sich der Bäuchleinträger mit österreichisch-höflichem
„Küß d’ Hand, Herr Graf!“

Eine erquickende, zuweilen freilich nasse Wanderung durch triefende
Gräser, durch kühle Wälder war es. Diana zeigte sich gnädig und gönnte
den Herren manchen „guten Anblick“ von eleganten Rehböcken, von einem
guten Zehnender mit hohem, weit ausgelegtem Geweih. Mehr als ein
Dutzend Stück Hochwild ließ die Göttin vorüberwechseln.

Für Berghirsche waren die Geweihträger wirklich gut zu nennen.

Graf Thurn hielt mit anerkennenden Worten für den Heger nicht zurück,
doch bat er den „Anblicks“-Gang abzubrechen. „Es berührt auf die Dauer
doch schmerzlich, wenn -- die Jagderlaubnis fehlt!“

Hartlieb nickte zustimmend. Aber gute Gams wollte er dem Hofchef noch
zeigen. Und dabei erproben, ob Graf Thurn -- steigen könne. Weit
war im Gebiet der Haller Mauern nicht zu wandern, aber steil ist
dieses hochragende Kalkgebirg. Leicht und geräuschlos, für sein Alter
erstaunlich gut und sicher, stieg Graf Thurn, und die Freude an der
großartigen Alpennatur, das Interesse für das Krickelwild leuchtete aus
seinen Augen.

Nach kaum zweistündigem Aufstieg wurde ein prächtiges Plätzchen
erreicht; ein verhältnismäßig breites Latschenfeld, durchzogen von
einzelnen grünen Grasflecken, breitete sich aus und zog zu grauweiß
leuchtenden Wandeln hinauf.

Hartlieb trat vorsichtig hinter einen Fichtenboschen und lud durch eine
leise Kopfbewegung den Begleiter ein, sich an seine Seite zu stellen.
Graf Thurn folgte dem Oberförster und stand wie angemauert, als sich
vorne ein gelbgrauer Fleck aus dem Krummholz emporschob, ein starker
Gams, der ein Weilchen äste, dann aber den Grind hob und mißtrauisch
zu äugen begann. Um den Kapitalen wurde es lebendig, sieben, acht Gams
kamen aus den Latschen, schüttelten sich die Regentropfen aus der
fahlen Sommerdecke, sonnten sich behaglich im warmen Licht und guckten
den sichernden Bock verwundert an. Die Kitze hatten Hunger und ästen
alsbald, zupften eifrig an den Spitzen der saftigen Gräser, treulich
behütet von den Mamas, die immer wieder aufwarfen und auf den kapitalen
Bock äugten.

Der herrliche „gute Anblick“ machte den Grafen zittern vor Jagdlust.
Hartlieb, an derlei gewöhnt, stand starr wie eine Bildsäule. Thurn
verlor die Herrschaft über sich. Eine winzige Bewegung von Kopf und
Hand genügte: der Kapitale empfahl sich und verschwand plötzlich in den
Latschen, deren Äste über ihm zusammenschlugen und einen Sprühstaub von
glitzernden Tropfen in das Sonnenlicht warfen. Eiligst ahmten Geißen
und Kitze das Beispiel nach...

Seufzend verließ Thurn diese Stätte und folgte dem Jagdleiter auf der
Wanderung zu Tale. Stumm, hochbefriedigt, dankbar. Und mit der Hoffnung
in der Brust, daß die Gebieterin vielleicht doch ein Teilchen dieser
Idealreviere zur Bejagung freigeben werde...



Zweites Kapitel


Dem Befehl entsprechend war der hünenhafte Jäger Xandl wohl in die
obersten Reviere gestiegen, aber mit dem Marsche zum Felsgewirr des
„Natterriegel“ eilte es ihm nicht. Viel wichtiger hielt er eine
Aussprache mit dem Kollegen Eichkitz, dem er erzählen wollte, was in
der Million-Hütte an Neuigkeiten zu hören gewesen war. Deshalb stapfte
Xandl pfadlos durch das steinige Gebiet des „Scheibling“ und suchte mit
dem Fernrohr das Gstattmaier-Revier ab, hoffend, den Kollegen irgendwo
sehen zu können. Diese Erwartung erfüllte sich nicht. Einen Besuch der
Pyrgas-Hütte mußte sich Xandl versagen, der Dienst erlaubte eine solche
Zeitvergeudung nicht. Und mit dem unerbittlich strengen Jagdleiter
Hartlieb war nicht zu spaßen. Aber ein Mittel zur Verständigung des
Kollegen wußte Xandl doch: Deponierung einer schriftlichen Nachricht in
der tiefer gelegenen Plechauer-Alm, wo Eichkitz sicher in den nächsten
Tagen einkehren wird. Der Höhenverlust hatte für einen Jäger nicht
viel zu bedeuten. Also stieg Xandl zur Plechauer-Alm herab. In der
Hütte traf er den schönen Eichkitz in eifriger Unterhaltung mit der
schmächtigen Sennerin Burgl, die einen Schreckensschrei ausstieß, als
Xandl plötzlich auftauchte und spottlustig rief: „Tue mir nix, ich tue
dir auch nix!“

Eichkitz ließ sich nicht in Verlegenheit bringen, vom Kollegen hatte
er keine Unannehmlichkeiten zu befürchten; gelassen meinte er: „Je, der
Xandl! Bist natürlich -- dienstlich da, wie ich!“

Die Sennerin benutzte die Gelegenheit, das Kämmerlein zu verlassen, und
machte sich vor der Hütte zu schaffen.

„Dienstlich grad nicht! Hab dir einen Zettel bei der Burgl hinterlegen
wollen, die große Neuigkeit, wo der Graf Thurn, der wo der Hofchef von
der Duhrlauch ist, in der Million-Hütt’n verzählt hat!“

„Schieß los!“ meinte Eichkitz und zupfte an seinem Bärtchen.

„Ja! G’sagt hat er, der Graf, er hätt bis jetzt keine Abschußerlaubnis!
Ausschauen tuets akrat so, als tät die Fürstin -- schußneidisch sein!
Spannst was, Eichkitz?“

Gelassen erwiderte der hübsche Bursch: „Ich wüßt nicht, warum ich
darüber heiß werden sollt! Wir kriegen ja doch keine Abschußerlaubnis!
Und ob der Graf jaagern darf oder nicht, das kann uns wurscht sein!“

„Ich bin der Meinung, daß es schief geht, wenn die Duhrlauch
schußneidisch ist! Das gang grad noch ab!“

„Bist irrig, Xandl! Ist die Fürstin wirklich schußneidisch, so haltet
sie was auf ihre Jagd! Das kann uns nur freuen!“

Xandl schüttelte den Kopf. „Ist überhaupt zwider, daß wir keinen Herrn
nimmer haben! Weiberwirtschaft im Jagdbetrieb, der Teufel soll s’
holen!“

„Bist irrig, Xandl! Justament das Weiberregiment g’fallt mir!“

„Ah na! Wird nicht sein! Weiber haben verdammt viel Mucken und Launen!“

„Das schon! Kann auch zuweilen höllisch zwider sein und werden! Aber
weil die neue Besitzerin ein Weib ist, kann derjenige nur profitieren,
der es versteht, das Weib zu behandeln!“

„Jessas, na! Wie du daherredest so leicht und ausg’schamt! Du bist nur
ein Jaager, und sie eine wirkliche Fürstin! Die wird sich in Ewigkeit
nicht von dir behandeln lassen! Gstampert wirst katschaus in der ersten
Minut, wo du anfangst, frech z’ werden!“

„Bist wieder irrig, Xandl! Von Frech-werden ist keine Red! Im
Gegenteil! Demütig sein, katzbuckeln, einschmeicheln, vorsichtig
anpirschen, und grad nur das reden, was sie gern hört, die Duhrlauch!
Z’viel von der Jagd wird sie eh nicht verstehen! Versteht sie aber gar
nix, ist es noch besser! Um so leichter laßt sie sich anbleameln...!“

„Wo der Oberförster so streng und scharf ist!“

„Bist wieder irrig! Ich glaub, die strenge harte Zeit für uns ist
bereits vorbei! Und beim Weiberregiment wird der hantige Hartlieb
mit sich und seiner Stellung Arbeit g’nug haben! Sauer wird ihm sein
Dienst werden! Für uns aber wird es besser und leichter! Wenigstens ich
spekulier darauf!“

„Wenn du dich nur nicht verspekulierst!“

„Keine Sorg, Xandl! Auf die Weiberbehandlung versteh ich mich!
Der Fürstin wird die b’sonders schwache Seit’n wohl auch und bald
abzugucken sein! Da ist mir nicht bang!“

„Tue, was du willst! Ich verbrenn mir die Finger nicht! Und jetzt muß
ich springen, muß Dienst machen auf ’m Natterriegel!“

„Dank schön für die Botschaft! Sag nichts, daß wir uns ’troffen
haben! Der Hartlieb wird eh immer fuchtig, wenn er merkt, daß Jaager
bei Sennerinnen einkehren! Eh schon wissen! Aufs Wiederschauen
gelegentlich! B’hüt dich, Xandl!“

„Auch soviel!“ Xandl verließ, die Sennerin kurz grüßend, die Alm in
unbehaglicher Stimmung. Für die Art, wie Eichkitz die Lage auffaßte,
fehlte es dem Hünen an dem nötigen Verständnisse. Xandl fürchtete sich
geradezu vor dem Weiberregimente im Jagddienst.

Eichkitz griff nach Büchse und Bergstock, um den Reviergang
fortzusetzen.

Die Sennerin Burgl hantierte am Brunnen und rief spöttisch: „Pressiert
es jetzt auf einmal mit dem Dienstmachen? Was haben denn die Jaager so
Wichtiges zu verhandeln g’habt?“

„Der Xandl fürchtet sich so vor der Fürstin!“ antwortete ironisch der
hübsche Jäger.

Burgl ließ das Wasserschaffl fallen und trippelte auf Eichkitz zu. „Was
sagst?“

„Fürchten tuet er sich vor der Duhrlauch!“

„Warum denn? Ist die Fürstin etwa ein harbes Weib?“

„Derweilen wissen wir noch gar nix!“

„Schaden könnt es nix, wenn sie einen gewissen Jaager z’sammenstauchen
tät! Von wegen Hoffart und Eitelkeit! Ist ja ganz aus der Art, wie du
mit die Weiberleut umspringst! Kein bisserl Achtung vor dem weiblichen
Geschlecht! So ein Sausewind! Gleich immer aufs Verführen aus! Schamst
dich nicht?!“

„Wüßt nicht warum! Küß d’Hand, gnä Fräuln!“ spottete Eichkitz.

Nun erzürnt, sprang Burgl in die Hütte.

Der hübsche Jäger wanderte über den grünen sonnigen Almboden und lachte
in sich hinein: „Wirst schon noch zahm werden, Wildkatzl!“

                                   *

Als der Forstwart Gnugesser sein Falstaff-Bäuchlein zum Wiedschlag auf
dem Raschanger hinaufschleppte, seufzend und nach Luft schnappend,
warteten bereits zwei spindeldürre Bergbauern auf ihn, der Simerl
und der Zangerl, rauchend, mit Tabak ordinärster Sorte die Waldluft
verpestend. Und sogleich lamentierten sie, mit dem Warten soviel Zeit
verloren zu haben.

In seiner Herzensgüte entschuldigte sich Gnugesser, daß er beim besten
Willen nicht früher habe kommen können; der Weg nach Admont und über
Hall zurück und zum Raschanger sei weit und beanspruche Zeit. „Dafür
soll nun jeder geschwind sein Holz angewiesen bekommen!“

„Nur nix übereilen! Ich bitt, geben S’ mir den Schindelstamm mehr
herunten, wo die Bringung leichter ist und nicht soviel Zeit, Müh und
Geld kostet! Wo ich den Stamm auch noch zahlen muß!“ meinte der Simerl
und begann nun, der Bergsohle zustapfend, einen schönen Baum zu suchen.
An jeder Fichte hatte der Bauer etwas auszusetzen, kein Stamm war ihm
schön und astfrei genug. Und immer maulte der Simerl: „Wo ich den Stamm
zahlen muß!“

Lächelnd mahnte Gnugesser zur Eile und Zeitersparnis. „Such dir die
Fichte aus, aber bald! Der Zangerl möchte ja auch heute noch seine
Schnitthölzer! Und ich möcht dann meine Ruh bekommen!“

Endlich hatte Simerl einen Stamm gefunden, von dem er glaubte, daß die
Fichte zu Schindeln gehe. Simerl nahm die Untersuchung vor, langsam und
umständlich, bis festgestellt war, daß der Baum „gut kliebe“. Und nun
wollte Simerl den Stamm sofort gefällt haben.

„Mußt schon warten, bis die Holzer von oben kommen! Morgen wird der
Stamm gefällt werden! Aber vorher mußt die Tax in der Kanzlei des
Oberförsters zahlen!“

Davon wollte Simerl aber nichts wissen. Aus dem Gejammer merkte
Gnugesser, daß es dem Bauern darum zu tun war, den Stamm zu erhalten,
das Geld dafür aber schuldig zu bleiben. Infolge dieser Wahrnehmung
unterließ es der pflichttreue Forstwart, die ausgesuchte Fichte
anzuplätzen.

Simerl sah sich durchschaut und ging fluchend heim.

Der gleichfalls zaundürre Zangerl holte die forstamtliche Quittung
hervor zum Beweise, daß er den Betrag für drei Schnitthölzer bereits
erlegt habe.

„Gut! Dann hat die Auszeigung einer schönen astfreien Tanne keine
Schwierigkeit!“ versicherte Gnugesser und machte sich auf die Suche
eines besonders kräftigen Baumes.

Da begann aber der Zangerl zu zetern und zu protestieren mit einem
ungeheuerlichen Wortaufwand. Mit aller Entschiedenheit wehrte er sich
gegen die Zuweisung einer -- Tanne. „Wo ich Holz brauch für den Boden
der Schlafkammer. Einen tänneren Boden will ich nicht und nehm ich
nicht! In Ewigkeit nicht! Wo ich die Tax bereits bezahlt hab!“

Verwundert fragte Gnugesser, warum denn der Bauer Tannenholz nicht
nehmen wolle.

Ein Blick unsäglichen Bedauerns, einer Geringschätzung ob solchen
Mangels an Wissen streifte den Forstwart. Im belehrenden Tone erklärte
Zangerl: „Will der Herr ein Forstwart sein und weiß nicht, daß im
tännernen Holz die Flöh wachsen!“

Gnugesser lachte aus vollem Halse. Und schluckend versicherte er, davon
bis jetzt nichts gewußt zu haben.

„Solche Leut sein Förster! Tannenholz erzeugt Flöh, das weiß jeder
Bergbauer, nur der Forstwart weiß es nicht! Also die Tann nehm ich
nicht! Ich will einen fichtenen Stubenboden!“

Benjamin Gnugesser lachte, daß sein Bäuchlein hüpfte. „Kannst eine
astreine Fichte haben! Wir vom Forstamt wollen es nicht verantworten,
daß der Zangerlbauer samt Familie von den Flöhen aufgefressen wird!“

Fast eine Stunde verfloß, bis Zangerl eine Fichte gefunden hatte, die
seinen Ansprüchen genügte. Dieser Stamm wurde dann vom Forstwart mit
dem Plätzhammer gemerkt und zur Fällung angewiesen.

Damit hatte das Tagwerk Gnugessers ein Ende. Müde trollte er hinunter
zum Forsthause beim Dörflein Hall.

Ein alter Quadernbau mit neuem Ziegeldache am Sträßlein, beschattet
von Fichten; „Steinkasten“ pflegte der Forstwart dieses Dienst-
und Wohngebäude zu nennen, in dem er mit seiner ihm vor zwei
Jahren angetrauten Gattin Amanda hauste. Forstwarts im Parterre,
der Oberförster Hartlieb im oberen Stockwerke, wo sich auch die
Forstkanzlei und das Jagdamt befinden. Hier wohnte auch zur Zeit
Graf Thurn, dem Hartlieb zwei Zimmerchen hatte abtreten müssen.
Straßenseitig befand sich ein Nutzgärtchen, das den Bewohnern des
Forsthauses in beschränktem Maße Salat und Gemüse lieferte. Besonders
gepflegt sah das Gärtchen aber nicht aus; es entbehrte wohl der
sorgsamen Hand.

„Grüß Gott, Weiberl! Da bin ich endlich und nicht wenig müd und
hungrig!“ rief Benjamin beim Eintritt in die Stube und hing Hut und
Gewehr auf den Kleiderständer neben der Türe.

Frau Amanda zuckte überrascht zusammen und schob hastig eine Zeitung in
das Nähkörbchen. „Du bist schon da?“ stieß die junge, blasse Frau aus
und erhob sich, um dem Gatten einige Schritte entgegenzutrippeln. Über
mittelgroß, sehr schlank, scharf geschnitten das Gesicht und die Nase,
eckig die Gestalt -- machte Amanda Gnugesser auf den ersten Moment
einen ungünstigen Eindruck; bei näherer Betrachtung offenbarte sich
jedoch die überraschende Schönheit des Auges. Große braune Rätselaugen,
unergründlich, seltsam leuchtend. Wundervoll auch das rehfarbige Haar
in reichster Fülle, nur mangelhaft frisiert, leichthin aufgesteckt,
in Unordnung geraten. Im einfachen Kattunkleide sah Frau Amanda
einem Dienstmädchen gleich, das durch Vernachlässigung der Toilette
gleichgültig jeden Zauber der Weiblichkeit zerstört, weil niemand da
ist, für den man sich putzen und schmücken konnte. Aus Kleidung und
Körperhaltung offenbarte sich eine Gleichgültigkeit, die geradezu
aufreizte, nach der Ursache zu forschen. Nur Benjamin Gnugesser fragte
nie danach, er sah die Vernachlässigung, die, wenn nicht zerstörte,
so doch geminderte Anmut des Weibes nicht. Er war von Anbeginn durch
die Braut nicht verwöhnt worden. Entgegen dem allgemeinen Brauche, daß
Mädchen sich vor Männern nur im Zustande einer gewissen Vollkommenheit
in der Toilette, Frisur und sehr guter Laune sehen lassen, hatte
Fräulein Amanda, damals Lehrerin, sich nie bemüht, ihr Wesen und ihre
Erscheinung zu idealisieren oder Illusionen zu erwecken. Sie wollte
nicht täuschen. Und als Ehefrau negierte sie rundweg die Behauptung,
wonach das Eheglück um so besser gefördert werde, je vollkommener es
die Gattin verstehe, den Mann in der Illusion, ein Ideal zu besitzen,
ständig zu erhalten. Die Gleichgültigkeit der zum Zölibat verurteilten
Lehrerin gegen Kleider, Schmuck, Tand und unzählige Kleinigkeiten
hatte Amanda in den Ehestand mitgebracht. Und die Fortdauer dieser
Gleichgültigkeit hatte eine bestimmte Ursache.

Scherzend erwiderte Benjamin: „Es ist nur mein Geist, der bei dir
erschienen ist. Er hat aber Hunger und Durst!“

„Mußt dich schon gedulden! Die Stunde deiner Heimkehr war mir nicht
bekannt, ich muß also erst kochen! Den Durst wirst wohl selber löschen
können! Flaschenbier ist im Keller!“

„Dank schön für die Auskunft! Werde gleich in den Keller
hinabspazieren! Vorher möcht ich aber wissen, was es zu schnabulieren
gibt!“

Mit leichtem Spott sprach Amanda: „Etwas ganz Feines, Kalbsfüße!“

Benjamin schnalzte mit der Zunge, rief: „Nobel, grad nobel!“ und
stapfte in den Keller.

Frau Amanda kehrte schnell an den Nähtisch zurück und verschloß die
vorhin weggelegte Zeitung gleich einer Kostbarkeit in der Schublade
einer Kommode, deren Schlüssel sie einsteckte. Dann begab sie sich in
die kleine Küche, wo die Dunkelheit sie zwang, Licht zu machen.

Im dämmerigen Wohnstübchen leerte der Forstwart das Fläschchen Bier,
entledigte sich der schweren Bergstiefel, schlüpfte in bequeme
Hausschuhe und stellte sich an das offene Fenster, um zu beobachten,
wie die Dämmerung mählich in die Nacht überging. Für den Forstmann
und Jäger war dieses oft gesehene Schauspiel aber doch etwas
langweilig. Auch knurrte der Magen, der Hunger zerstörte die Poesie des
Sommerabends. Benjamin wollte sich die Wartezeit verkürzen und irgend
etwas lesen. Er steckte die kleine Hängelampe an und nahm von der
Kommode den dort liegenden Pack Zeitungen. Und groß wunderte er sich,
wie wohl diese Zeitungen, dem Titel nach in Köln erscheinend, in die
steierische Bergeinsamkeit und just in das Forsthaus Hall bei Admont
gekommen sein mochten.

Eine Weile blätterte er diese Zeitungen durch, sah dann das Datum an
und legte die „ollen Kamellen“ geringschätzig weg. Lektüre war sein
Fall überhaupt nicht, für alte Zeitungen hatte er aber ganz und gar
kein Interesse.

„Dauert das lang, bis die Kalbsfüße kommen!“ brummte der hungrige
Förster. In Gedanken entschuldigte er gutmütig die Gattin, die als
frühere Lehrerin ungern kochte. Daß Amanda sich so spät am Abend
abmühte, Kalbsfüße zu backen, fand Gnugesser sehr nett und dankenswert.

Endlich erschien die Gattin mit der Speise. Krebsrot waren Amandas
Wangen, dunkelbraun, fast schwarz gebrannt die Kalbsfüße.

Auf den ersten Blick erkannte Benjamin, daß die Kalbsfüße überhitzt
gebacken und wahrscheinlich ungenießbar sein würden. Dennoch lobte er
den Eifer und dankte für die Aufopferung. Und zur Belohnung wollte er
das zweite Fläschchen Bier der Gattin abtreten.

Amanda lehnte ab mit dem Hinweise, daß sie grundsätzlich den Alkohol
meide.

Mit Todesverachtung würgte der Gatte die außen verbrannten, innen fast
noch rohen Kalbsfüße hinab und goß mit allerdings verdächtigem Eifer
Bier darauf.

Gottlob merkte Amanda nichts, sie saß am Tische, seltsam in Gedanken
vertieft.

Den fuchsigen Patriarchenbart glättend, fragte Benjamin, wie denn die
Zeitungen aus Köln sich in das Haller Forsthaus verirren konnten.

Amanda griff nach einem widerspenstigen Strähnchen ihres herrlichen
Haares und erwiderte in gekünstelt ruhigem Tone: „Die hat mir unser
Pfarrer, der Pater Wilfrid, gebracht!“

„So? Na, was soll denn Interessantes drinstehen?“

„Der Roman ist sehr schön!“

„Nix für ungut, Weiberl! Aber ich meine doch, dem Pfarrer hätt was
Gscheiteres einfallen können, als einer Hausfrau einen Roman zum Lesen
zu geben!“

Beleidigt warf Amanda den Kopf auf und scharf erwiderte sie: „Schinden
und rackern darf sich die Frau, eine geistige Erholung wird ihr aber
nicht gegönnt! Von Fortbildung gar nicht zu sprechen! Als frühere
Lehrerin habe ich andere geistige Bedürfnisse als Bauernweiber!“

Gutmütig beteuerte Benjamin, daß seine Bemerkung nicht schlimm gemeint
sei. „Kannst ja tun und lesen, was du willst! Ich red dir gewiß nix
drein! Bin ja ein genügsamer, bescheidener Mensch!“

„Den Mangel an Verkehr mit Leuten von Bildung empfinde ich bitter! Wir
leben in einer geradezu trostlosen Abgeschiedenheit! Meine einzige
Hoffnung ist, daß durch die Fürstin vielleicht ein Verkehr mit den
Kammerfrauen sich wird ermöglichen lassen...!“

„Nix für ungut, Weiberl! Ich bin nur ein Forstwart, ein Waldmensch,
aber um den Verkehr mit Domestiken reiß ich mich nicht! Diese Sorte
aufgeblasener hochnäsiger Menschen ist mir zu minder und nicht nach
meinem Geschmack!“

Amanda hob die eckigen Schultern und spottete: „Mußt halt schauen, daß
die Fürstin sich mit dem Herrn Forstwart huldvollst abgibt!“

„Fehlgeschossen, Weiberl! Die Duhrlauch ist mir zu hoch! Art zu Art!“

„Stimmt! Ich hätte das bedenken sollen, als es noch Zeit war!“

„Ich glaub gar, du willst sticheln? Bist heute schon sehr merkwürdig
spitz und stachlig! Hast denn Verdruß gehabt? Bist etwa krank? Blaß
schaust aus, Weiberl!“

Amanda ging unvermittelt auf ein anderes Thema über und fragte, ob
unter der neuen Herrschaft eine Gehaltsaufbesserung möglich sein könnte.

„Nicht daran zu denken! Wir dürfen froh sein, wenn das gesamte Personal
unvermindert und mit unveränderten Löhnen übernommen wird!“

„Wieviel festes Gehalt hast du denn zur Zeit?“

„Seltsame Frage! Du weißt doch, daß ich tausendachthundert Kronen Fixum
habe!“

„Ja doch! Aber ich weiß nicht, ob das Schußgeld eingerechnet ist!“

„Warum willst du denn das wissen?“

„Ich möchte nicht vom Finanzamt unangenehm überrascht werden, wenn
beispielsweise das Einkommen höher ist und demgemäß ein größerer
Steuerbetrag zu zahlen sein würde! Muß das Schußgeld auch versteuert
werden?“

„Keine Idee! Wir haben nur wenig Raubzeug, also ist das Schußgeld
minimal! Jedes Sechserl braucht man denn doch nicht dem Finanzamt auf
die Nase zu binden!“

„Glaubst du, daß es unter der neuen Herrschaft größere Trinkgelder
geben wird?“

„Nix für ungut, Weiberl! Aber was du eben gesagt hast, das ist höheres
Blech! Ich bin als Forstwart Beamter, der selbstverständlich kein
Trinkgeld annimmt! Jagdgehilfen halten die Hand hin, so Jagdgäste
Weidmannsheil gehabt haben! Niemals aber die Beamten!“

„Na, na! Mit dem ‚fürstlichen‘ Einkommen von tausendachthundert
Silberlingen brauchst die Nase nicht gar so hoch zu tragen! Eine
Aufbesserung, egal von welcher Seite sie kommt, wäre hocherwünscht als
Zuschuß zu dem viel zu knappen Wirtschaftsgeld!“

„Ah, so lauft der Has! Tut mir leid, aber das Haushaltsgeld kann ich
beim besten Willen nicht erhöhen! Mußt schon schauen und trachten, daß
du damit auskommst! So, müd, krachmüd bin ich, freu mich auf das Bett!
Gehst auch schlafen?“

„Ich werd noch ein bisserl lesen! Gute Nacht, Beni!“

„Gute Nacht, Weiberl!“ Benjamin trat zur Gattin und gab ihr den
Gutenachtkuß, den Amanda kaum erwiderte. „Nix für ungut, wenn ich schon
schlafe, wenn du kommst!“

„Orgle nur zu! Gute Nacht!“

Horchend blieb Amanda am Tische sitzen. Sie holte geräuschlos das sie
so mächtig interessierende Zeitungsblatt aus der Kommode hervor, als
kräftige Gutturaltöne die Gewißheit gaben, daß der Gatte schlief.
Wieder las die Frau den kurzen Artikel, dessen Inhalt ihre ganze
Denkkraft, ihr Sinnen und Streben in Anspruch nahm, ihre Zukunft
gründlich umgestalten wird und muß.

Wie Amandas schöne Augen aufleuchteten bei dem Gedanken, die in dem
Artikel angedeutete Reform durchzuführen! Zunächst in ihrer Ehe! Dann
aber soll dafür gesorgt werden, daß die Wohltat der Reform auch anderen
Hausfrauen zuteil werde! Nötigenfalls wird die Neuerung im ehelichen
Haushalt erkämpft werden... Amanda wird einen Frauenbund gründen.
Der früheren Lehrerin, ihrer Intelligenz und Geistesschulung gebührt
selbstverständlich der Vorsitz. Eine große Mission harrt ihrer, und ihr
Leben wird einen neuen Inhalt erhalten und lebenswert werden.

Die Gedanken der einsamen Frau sprangen um zwei Jahre zurück und
beschäftigten sich mit der Frage, warum Amanda ihren Beruf aufgegeben
hatte und die Ehe mit Benjamin Gnugesser eingegangen war. Eine Ehe, die
nicht befriedigte. Freilich hatte sie der Beruf auch nicht befriedigt.
Nur einen einzigen Vorteil hatte die Stellung in den Augen Amandas:
die feste Besoldung. Die Arbeit in der Schule wurde gelohnt. Um der
Selbständigkeit und des Gehaltes willen war Amanda Lehrerin geworden.
Nicht aus Freude und Liebe zu diesem Berufe. Ihr Brot mußte sie sich
verdienen, die mittellose Tochter eines inzwischen verstorbenen
Subalternbeamten wollte nach Möglichkeit unabhängig sein, finanziell
gesichert in der Welt stehen, an jedem Monatsersten Bargeld in die Hand
bekommen. Dieses Ziel war erreicht worden. Aber eine gute Lehrerin war
Amanda nicht; diese Tatsache erkannte sie selbst wie auch die Ursache:
den Mangel an Berufsliebe. Aus diesem Mangel mußte eine Abneigung gegen
diesen Beruf erwachsen, die sich in dem Maße steigerte, als sich die
Widerwärtigkeiten in Schule und dörflichem Leben vermehrten. Die Schule
und der Lehrberuf verlangen Begeisterung und liebevolle Hingebung,
so Ersprießliches geleistet werden soll. Fräulein Amanda hatte die
Schule aber lediglich als Versorgungsanstalt betrachtet. Konflikte,
Reibereien, Rügen konnten nicht ausbleiben, verleideten die Stellung.
Prüfungen der Kinder ergaben Mißerfolge, die der Lehrerin angekreidet
wurden und zu Strafversetzungen führten. Sogar von Entlassung aus dem
Schuldienst war gesprochen worden. Und diese Drohung hatte Amanda
auf den Gedanken gebracht, die Versorgung im Ehestande zu suchen und
anzustreben. Benjamin war im gleichen Orte angestellt und gleich
der Lehrerin aß er im Gasthause; sie trafen sich täglich und wurden
Freunde. Und als Beni zum Forstwart ernannt worden war, warb er um
Amandas Hand, denn Beni war in Amanda ehrlich verliebt und blind gegen
den Mangel jeglicher Körperreize. Der Lehrerin hingegen war es nur um
eine anderweitige Versorgung zu tun. Liebe empfand sie nicht, weder zum
Gatten noch zum Hauswesen. Von der Führung eines Haushaltes konnte die
Ex-Lehrerin keine Ahnung haben. Er war auch danach. Es ging zur Not,
denn einiges lernte Frau Amanda ja doch, freilich unter Geldopfern für
verpfuschte Speisen. Und es wird mit „Ach und Krach“ weitergehen dank
der Herzensgüte Benis. Der Verstand sagte Amanda, daß sie nie eine
richtige und tüchtige Hausfrau werden könne.

Amanda begann zu später Stunde zu rechnen, nachdem sie den ihr Inneres
aufwühlenden Zeitungsartikel abermals gelesen hatte. Achtzehnhundert
Kronen festes Einkommen bezieht der Gatte. Würde ein Drittel abgezogen
als Entlohnung für die Arbeit der Hausfrau, so würde Beni kaum imstande
sein, mit der verbleibenden Summe alle Bedürfnisse des Lebens und
Haushalts zu bestreiten. Demnach muß eine Gehaltserhöhung angestrebt
werden.

Frau Amanda horchte plötzlich auf, beruhigte sich aber sofort, als sie
die Stimme des heimgekehrten Oberförsters erkannte. Hartlieb schloß die
Haustür auf und ließ dem Grafen Thurn den Vortritt.

Schnell nahm Amanda die Lampe vom Tisch, trat in den Flur, um den
Herren die Treppe zu erleuchten.

Graf Thurn dankte freundlichst für diese liebenswürdige Aufmerksamkeit
und fügte bei, daß die Fürstin übermorgen nachmittag ankommen
werde. „Frau Forstwart haben wohl die Güte, für die Schmückung des
Forsthauses zu sorgen, ja? Und dankbar werde ich sein, wenn Sie mir
behilflich sein wollten, die Front des Jagdschlössels zu zieren! Das
Personal kommt nämlich erst übermorgen früh hierher, also zu spät für
die Ausschmückung!“

„Mit größtem Vergnügen, Herr Graf!“

„Schön! Verbindlichsten Dank! Nun aber gute Nacht, Frau Forstwart!“

Amanda begleitete mit der Lampe die Herren bis in das obere Stockwerk.
Dann kehrte sie in ihre Wohnung zurück und begab sich zur Ruhe. Fand
aber lange nicht den Schlaf, da sich schwere Gedanken an Reform,
Gehaltsaufbesserung, auch an die Zukunft unter der neuen Herrschaft
durch ihren Kopf wälzten. Eine große Rolle spielte auch die Fürstin
Sophie von Schwarzenstein, die neue Gebieterin des Haller Jagdgutes...



Drittes Kapitel


Vom Sonnengolde verklärt, sah das winzige Dörfchen Hall mit seinem
netten Pfarrhause und dem hübschen, auf einem grünen Hügel thronenden
Kirchlein wie ein Kinderspielzeug aus. Verstreut im Tal standen
die Häuschen, meist unter Obstbäumen versteckt, die Siedlungen von
Bauern und Arbeitern; ehemals vor acht Jahrhunderten bildete das
Dorf die Stätten von Sudleuten, da das Benediktinerstift hier eine
vielumstrittene Salzpfanne besaß. Im Norden dieses Alpendörfleins
türmen sich die grauen Kalkkolosse der „Haller Mauern“ auf, deren
Mittelgebirge bewaldet ist.

Im Wohngemach, zugleich Speisezimmer des schlichten, sauberen
Pfarrhauses, saß Oberförster Hartlieb als Gast bei seinem Freunde
Pater Wilfrid Ritter von Springenfels, der die Funktion des Pfarrers
ausübte, zugleich aber Konventual des Admonter Benediktinerklosters
und Gastmeister dieses Stiftes war. Wohnhaft im Stifte, kommt Pater
Wilfrid zweimal in der Woche nach Hall, nimmt im Pfarrhause, das
Eigentum des Stiftes ist, kurzen Aufenthalt, um sich als Seelsorger
der Gemeinde zu widmen. Wird der Pfarrer weiterhin benötigt, so muß
er im Stifte verständigt werden. Mit der Pünktlichkeit der Könige
pflegte Pater Wilfrid an den bestimmten Tagen zur üblichen Stunde nach
Hall zu kommen. Und wie ein Vater stand er jedem der Dorfbewohner
mit Rat und Tat zur Verfügung. Ein großer hagerer Aristokrat im
schwarzen Benediktinerhabit, dem obersteierischen sogenannten
Eisenadel entsprossen, adeligen Hochofen- und Hammerwerksbesitzern,
reichen Leuten zur Blütezeit der Eisenindustrie. Aus vermögender
Familie stammend, hätte es der junge Ritter von Springenfels nicht
nötig gehabt, eine Versorgung anzustreben; er erwählte freiwillig
den Priesterberuf aus Begeisterung und trat in den Admonter
Benediktinerorden ein, um in der heißgeliebten obersteierischen Heimat
lebenslang bleiben zu können. Diese Heimatsliebe schloß indes große
Reisen zur Urlaubszeit behufs Ausbildung und Weitung des Blickes
nicht aus; wie denn auch Pater Wilfrid stetig bemüht war, die Studien
aus mannigfachen Gebieten unter Ausnützung der kostbare Schätze
bergenden Stiftsbibliothek fortzusetzen. Die adelige Abstammung führte
dazu, daß in jenen Fällen, da von fürstlichen Gutsbesitzern in der
Umgebung von Admont ein priesterlicher Stiftsherr zum Messelesen
in Schloßkapellen erbeten wurde, stets Pater Wilfrid Ritter von
Springenfels delegiert ward. Diese Tätigkeit trug dem Benediktiner von
den Mitbrüdern den Scherznamen „Hofkaplan“ ein, wobei Pater Wilfrid um
die Tafeleinladungen beneidet wurde. Intelligenz, Bildung und Noblesse
kündeten Kopf und Augen dieses Benediktiners. Ein Priester wie eigens
geschaffen für den Verkehr mit dem Hochadel, mit Fürsten und Königen;
aber sein Umgang mit den Haller Dörflern bewies immer wieder, daß Pater
Wilfrid auch ein vortrefflicher Bauernpfarrer, der opferwillige Freund
der Armen und Ärmsten war. Durch den Verkehr mit dem feinen Pfarrer
von Hall nahmen selbst rauhbeinige Burschen einen gewissen Schliff
an. Und immer gedrückt voll war die Kirche an Sonn- und Feiertagen,
da die Dörfler eine gehaltvolle Predigt ihres Pfarrers zu erwarten
hatten. Kein Donnerwetter im Dialekt von der Kanzel; formvollendete,
dem Auffassungsvermögen der Zuhörer angepaßte Vorträge, liebevolle
Ermahnungen zu Eintracht und gottgefälligem, christlichem Leben gab
Pater Wilfrid. Mußte der Haller Pfarrer, durch dörfliche Ereignisse
oder Verfehlungen der Pfarrangehörigen gezwungen, scharf vorgehen, so
blieben Rüge und Tadel stets vornehm in Form und Ton, die Kanzelrede
vermied jede Nennung von Namen. Diese vornehme Objektivität und
Schonung weckte das Ehrgefühl und erzeugte Dankempfindungen derer, die
recht gut wußten, daß sie die Rüge anging.

Stolz waren die Haller auf ihren Pfarrer im Benediktinerhabit.
Und neben diesem Stolz saß die Sorge, daß Hall den verehrten und
allbeliebten Pater Wilfrid verlieren könnte.

„Also, womit kann ich Ihnen, Herr Oberförster, dienen?“ fragte Pater
Wilfrid zum zweiten Male, da Hartlieb mit seinem Anliegen nicht
herausrücken wollte. „Über die bevorstehende Ankunft der Fürstin bin
ich vom Hausmarschall bereits verständigt!“

„Eben diese Ankunft macht mir Sorge! Ich bin bekanntlich alles, nur
kein Hofmann! Vor dem Hofdienst graut mir, ich sehe sehr schwarz in die
Zukunft! Eine Bitte hätte ich, sie hängt mit der Ankunft der Fürstin
zusammen; eine Ansprache soll gehalten werden, aber ich bin kein
Redner, würde jämmerlich verunglücken! Also bitte ich herzlich, daß Sie
mir diese drückende Last abnehmen!“

„Gerne werde ich Ihnen, dem Freunde, dienen! Aber der Benediktiner kann
doch nicht im Namen der Jägerei und des Forstpersonals die Fürstin
begrüßen!“

„Der Pfarrer ist Amtsperson, hält eine offizielle Ansprache im Namen
der Pfarrgemeinde! Ich hänge dann ein kräftig ‚Weidmannsheil‘ daran,
die Jägerei wird schon donnernd einstimmen!“

„Das ist ein Ausweg! Gut, machen wir es nach Ihrem Vorschlag! Was nun
Ihre Befürchtungen wegen des sogenannten Hofdienstes betrifft, möchte
ich aufmerksam machen, daß Fürstlichkeiten von Forst- und Jagdbeamten
den Hofton und das Katzbuckeln weder erwarten noch wünschen! Unangenehm
sind zuweilen die Hofschranzen, liebedienerische und eingebildete
Gschaftelhuber, hochnäsige Leute, die den Beamten Dienst und Leben bei
Hofe sauer machen! Da indes Graf Thurn ein sehr liebenswürdiger und
einsichtsvoller Herr und frei von jeglicher Kompetenzeifersucht ist,
haben Sie, lieber Freund, so gut wie gar keinen Grund zu Befürchtungen!“

„Hm! Aber das Gefolge!“ meinte Hartlieb unsicheren Tones.

„Na, eine Hofdame kann doch den Jagdleiter nicht genieren und wird
wohl nie Ihren Weg kreuzen! Und was sonst noch um die Fürstin wimmelt,
Zofen, Kammerdiener usw., das sind Angestellte, die der Chef des
Wald- und Jagdamtes gar nicht zu sehen braucht und am besten völlig
ignoriert! Also Kopf hoch, lieber Freund Oberförster, schneidig in
die Welt gucken, wie es der grünen Gilde ziemt! Sie erfüllen nach wie
vor Ihre Dienstpflicht mit aller Berufstreue und gehen Ihren Weg ohne
Seitenblicke! Um die Hofleute kümmern Sie sich keinen Pfifferling!
_Probatum est!_“

Hartlieb dankte für den freundlichen Zuspruch. Doch der sorgenvolle
Ausdruck in seinem Antlitz wollte sich nicht aufhellen.

Pater Wilfrid verstand sich darauf, in den Mienen zu lesen; der tiefe
Ernst Hartliebs veranlaßte den Pfarrer, zu fragen, was denn noch das
Weidmannsherz bedrücke.

Der Oberförster stieß die Worte hervor: „Der frühere Jagdherr war ein
weidgerechter Mann...!“

„Ahem! Und die neue Besitzerin ist eine Frau! Da liegt wohl der Hase im
Pfeffer? Und da kann nur eines empfohlen werden: Pflicht erfüllen und
abwarten, wie sich die Dinge gestalten werden!“

„Gewiß! Fatal bleibt es immer, wenn eine Frau die Zügel führt! Ich als
Jagdbeamter muß der Wahrheit entsprechend sagen, daß eine Gebieterin,
die sich wie ein richtiger Jagdherr um alles die Jagd Betreffende
eingehend kümmert, geradezu zu fürchten ist!“

„Wieso?“

„Weil sicher die Grundsätze und Anordnungen im Jagdbetriebe von einem
Tag zum andern wechseln werden, je nach den mannigfachen Einflüssen,
die auf das weibliche Gemüt physisch oder seelisch zu jeglicher Stunde
wirken durch schlimme Berater, Günstlinge, Schmeichler und womöglich
auch durch Freundinnen! Dem ehrlichen, geraden Jagdleiter wird es
unendlich schwer werden müssen, auf seinem Posten auszuharren, ohne
seiner Überzeugung übergroße Opfer zu bringen! Ich habe viel über
die Situation nachgedacht, konnte aber selbstverständlich darüber
mit meinem Personal aus triftigen Gründen nicht sprechen! Ihnen, dem
Freunde, muß ich gestehen: wir bekommen eine wetterwendische Wirtschaft
in das Jagdgebiet, heillose Zustände, denen selbst Sankt Hubertus
machtlos gegenüberstehen wird! So gerne ich in diesen Revieren diene,
die schönen Haller Berge liebe, es wird doch besser sein, wenn Ausschau
nach einem anderen Posten gehalten wird! Mir schwant hier Unheil!“

„Freund Hartlieb, Sie sehen hier vielleicht doch zu schwarz! Ich als
Priester kann nicht mitreden, der Benediktiner versteht vom Jagdwesen
nichts! Daß Frauenherrschaft je nach Laune dem Wechsel unterworfen
ist, kann freilich nicht bestritten werden! Aber es ist doch nicht
anzunehmen, daß Launenhaftigkeit sich in einem Jagdbetrieb breitmachen
werde! Ich kann mir dergleichen nicht vorstellen!“

„Frauensinn ist unberechenbar! Auch einer Fürstin kann ein schmucker
Jagdgehilfe gefallen, Frauengunst kann einen Liebling zum tatsächlichen
Jagddirigenten machen... Der verantwortliche Jagdleiter aber wird
entweder fliegen oder zum willenlosen Werkzeug und Spielball
herabsinken! Einem solchen Schicksal möchte ich rechtzeitig ausweichen!“

„Das sind düstere Gedanken zu Beginn einer neuen Ära! Ihre
Befürchtungen erschweren die Ausarbeitung einer Begrüßungsansprache!
Als Optimist hoffe ich aber dennoch, daß sich die Verhältnisse besser
gestalten werden, als wir zur Stunde glauben! Und darauf wollen wir ein
Gläschen Stiftswein leeren, ja?“

Die Pfortenglocke gellte durch das stille Pfarrhaus. Und kurz darauf
meldete die weißhaarige, verhutzelte Dienerin Frau Erna, daß die
Loidlbäuerin im Sterben liege...

„Schnell den Mesner verständigen! In zehn Minuten werde ich zum
Provisurgang bereit sein!“

Die Dienerin verschwand.

Zum Oberförster gewandt, sprach Pater Wilfrid: „Verzeihen Sie! Mich
ruft der heilige Dienst! Sterbende darf man nicht warten lassen!“

Hartlieb dankte herzlich für die Gewährung einer vertraulichen
Aussprache und verabschiedete sich. Auf dem Wege zum Gasthause, wo
der Oberförster zu speisen pflegte, traf er den Grafen Thurn, der
das gleiche Ziel hatte und zu Mittag essen wollte. Sehr befriedigt
sprach sich der Hofchef über die Frau Forstwart aus, die für eine
hübsche Außendekoration des Jagdschlössels gesorgt und dabei viel
künstlerischen Geschmack entwickelt habe. Durchlaucht werde gewiß
entzückt sein.

Bei Tisch in dem bescheidenen Gasthause des Dörfleins richtete Graf
Thurn an den wortkargen Oberförster die Frage, ob der Jagdfachmann es
für möglich halte, daß die Jagdausübung in den wirklich herrlichen
Haller Revieren einen apathischen, blasierten jungen Mann psychisch zum
Vorteil verändern, aufrütteln, die Weidmannslust erwecken könnte.

In seiner ernsten Weise äußerte sich Hartlieb dahin, daß vielleicht
Treibjagden auf Gams, wenn diese Jagdart noch unbekannt sei, ein
gewisses Interesse bei dem Betreffenden wachrufen könne. Fehle das
Jägerblut, so wird ein blasierter junger Mann nie ein weidgerechter
Jäger werden. Bei Treibjagden stehe indes zu befürchten, daß im jungen
Manne nicht die echte Jagdfreude, sondern die Schießwut erweckt werde.
Ein „Schießer“ sei nun und nimmer ein wünschenswerter Gast in gehegten
Revieren, eher zu fürchten, nach Möglichkeit hinauszuexpedieren.

„Sie werden wohl recht haben, Herr Oberförster! Aber unbegreiflich
ist mir, daß sich das Jägerblut nicht immer vererbt! Der Vater des
schläfrigen, apathischen jungen Mannes war passionierter Weidmann!“

„Von Beruf?“

„Nein! Nur zum Vergnügen!“

„Sportinteressen vererben sich nicht! Wer die Jagd nur als Sport
betreibt, der ist noch kein echter Jäger! -- Ein interessantes
Gegenstück zu dem erwähnten jungen blasierten Manne können Sie, Herr
Graf, im Stifte der Benediktiner zu Admont sehen und gewissermaßen
bemitleiden wegen der schweren Seelenkämpfe, die der Novize Nonnosus
durchkämpfen muß, um das echte, in seinen Adern tobende Jägerblut zu
bezwingen!“

„Wie? Ein Novize und leidenschaftlicher Weidmann?“

„Der Leidenschaft muß der Novize Herr werden! Von Herzen gern hätte
ich dem jungen Manne Jagdgelegenheit verschafft, konnte es aber nicht,
da unser früherer Jagdherr unauffindbar verreist war, meine Kompetenz
nicht ausreichte, um eine Abschußbewilligung zu erteilen! Ich bin
sehr gespannt, zu vernehmen, ob Nonnosus die Leidenschaft überwinden
wird! Er ist der Sohn eines Jägers und besitzt echtes Jägerblut! Dem
Nonnosus dürfte das Ziel des höheren Jagddienstes vorgeschwebt haben,
die Armut vereitelte es; der Noblesse des Abtes war es zu danken, daß
der Jaagersbub auf Klosterkosten studieren durfte. Diese Wohltat will
der Student durch Eintritt in den Benediktinerorden vergelten; die
Dankbarkeit verhinderte ein ‚Ausspringen‘! Bis zur feierlichen Profeß
muß der Novize sich bemühen, die Jagdleidenschaft zu überwinden! Leicht
wird das nicht sein, zumal der arme Kerl kränkelt!“

„Ich werde mir den interessanten Mann ansehen! Glaube auch, daß sich
die Fürstin dafür speziell interessieren wird!“

                                   *

Die Begrüßungsfeierlichkeit am festlich geschmückten Forsthause war
beendet, die Fürstin und das Gefolge zum Jagdschlößl gefahren, das
drei Kilometer tiefer im einsamen waldreichen Halltale stand. Die
Jagdgehilfen hatten sich entfernt, um noch Dienst in den Revieren zu
tun; Forstwart Gnugesser hockte verstimmt in seiner Wohnung.

Froh dessen, daß die Feierlichkeit gut verlaufen war und die neue
Gebieterin in Erwiderung auf die Ansprache des Pfarrers und auf
das „Weidmannsheil“ der Jägerei erklärt hatte, daß die Jagdherrin
einen richtigen Jagdbetrieb wünsche und mit allen im Frieden leben
möchte, lud der Oberförster den „Festredner“ Pater Wilfrid ein, in
der Jagdamtskanzlei einer Flasche den Hals zu brechen, ein Rauchopfer
darzubringen und die Zeit mit Geplauder bis zum Dinerbeginn auszufüllen.

Pater Wilfrid willigte unter der Bedingung ein, daß er eine Stunde
auf den Besuch des Priesters bei der kranken Siebenbrunner Bäuerin
verwenden dürfe.

Während Pater Wilfrid die Treppe hinanstieg, bat Hartlieb Frau Amanda
um Besorgung von Gläsern, Brot und etwas Schinken. Der Oberförster
holte den Wein aus dem Keller.

Sichtlich verdrossen servierte Frau Amanda den Herren in der Kanzlei.
Das ihr von Hartlieb angebotene Glas Wein lehnte sie ab mit dem
Hinweise, daß sie erstens Abstinenzlerin und zweitens nicht in der
Stimmung sei, ein Fest zu feiern, nachdem die Fürstin den Forstwart
ignoriert und ihn nicht zum Diner eingeladen habe.

Begütigend griff Pater Wilfrid ein: „Liebe Frau Forstwart! Nur nicht
brummen, wird schon kummen! Das Speisezimmer in dem Schlößl ist ein
beschränkter Raum, es können nicht viele Gäste zu Tische sein! Der
Herr Forstwart wird sicher ein andermal zur Tafel befohlen werden!
Wenn ich Ihnen einen Rat erteilen darf, lautet er wohlmeinend und
freundlich dahin: den Ärger unterdrücken, ein freundliches Gesicht
auch dann zeigen, wenn der Mensch Essig und Galle auf der Zunge hat!
Fürstlichkeiten muß man jeden Verdruß ersparen! Jedenfalls wird die
Fürstin die Frau Forstwart gelegentlich besuchen; es wäre unklug, wenn
Frau Gnugesser solchen auszeichnenden und vielleicht auch wichtigen und
bedeutungsvollen Besuch unmöglich machen würde! Übrigens irren Sie,
liebe Frau Forstwart, wenn Sie glauben, daß ein sogenanntes Festdiner
ein Vergnügen ist! Genau genommen ist es eine Dienstessache, steife
Etikette, es heißt schrecklich aufpassen und schweigen; antworten darf
man nur, wenn man gefragt wurde; das Essen ist Nebensache, es wird mit
wahnsinniger Eile serviert, weil die Hoheiten wie die Dienerschaft die
Gäste möglichst schnell verschwinden zu sehen wünschen!“ Pater Wilfrid
beschattete mit der rechten Hand seine lachenden Augen.

„Also nix für uns!“ rief Frau Amanda, die jedes Wort des hofkundigen
Geistlichen glaubte, und zog sich zurück.

Aber auch Hartlieb in seiner Furcht vor dem Hofdienst hielt die
Äußerung des Pfarrers für ernst gemeint und sprach davon, daß er die
Einladung fürchte.

Nun schmunzelte Pater Wilfrid und witzelte: „Auch du, Brutus? Man
sollte es nicht für möglich halten, daß handgreiflicher Scherz
für blutigen Ernst genommen werde!“ Und nun gestand der joviale
Benediktiner, daß er die Schilderung des Hofdiners absichtlich
übertrieben habe, um der verärgerten Forstwartsfrau den Stachel aus der
Seele zu nehmen. Das Frauenzimmer solle nur glauben, daß die Teilnahme
an einer Festtafel für die Eingeladenen eine Qual sei; die Frau
Gnugesser werde sich dann nach einer solchen Einladung nicht sehnen.
„Das war der Zweck meiner Äußerung! Nun und nimmer hätte ich geglaubt,
daß mein Freund Hartlieb darauf reinfallen könnte! Also nur keine Angst
vor dem Festdiner! Eines wird aber gut sein: vorher essen, egal was,
damit der Eingeladene nicht hungrig zur Festtafel komme! Also: Prost!
Und ein Happen Schinken ist nicht ohne! Rauchen ist erlaubt, nur muß
man vor Dinerbeginn den Mund ausspülen oder Pfefferminz nehmen, damit
namentlich empfindliche Damen und ihre Geruchsorgane nicht beleidigt
werden!“

Hartlieb taute etwas auf, lächelte und drohte mit dem Zeigefinger:
„Pater Wilfrid von Springenfels, gerissener Diplomat, ein mit allen
Salben geschmierter Höfling! Im Nebenamte Pfarrer! Wo bleibt die
Wahrheitsliebe?“

Pater Wilfrid streckte die Finger, daß sie knackten, und meinte
lachend: „Na ja, es ist ein alter Schnee, daß ein Hofmann nicht
immer mit der absoluten Wahrheit durch das Leben gehen kann! Es gibt
zahlreiche Situationen, die Notlügen geradezu erzwingen! Für den Fall,
daß eine harmlose Notlüge Gutes beabsichtigt und erreicht, wird die
Sünde nicht besonders groß oder schwer und gewissermaßen berechtigt
sein! In solcher Erwägung habe ich als Hofmann die Frau Gnugesser
‚angeblümelt‘! Hoffentlich wird der Zweck erreicht! So, nun aber möchte
ich als Pfarrer die kranke Bäuerin besuchen! Wir treffen uns zehn
Minuten vor sieben Uhr vor dem Jagdschlößl! Auf Wiedersehen!“

Hartlieb begleitete den geistlichen Freund zur Treppe, und zur
Verabschiedung fragte der Förster noch schnell, in welchem Anzug man
zur Festtafel zu erscheinen habe.

„Dienstuniform besserer Art oder Steierertracht! Wird in der
Bergeinsamkeit nicht so genau genommen von den hohen Herrschaften! Ich
erscheine ja auch, wie Figura zeigt, mit schwarzem Strohhut, nicht
mit der Angströhre! Couleur freilich schwarz, wegen unverbesserlich
klerikaler Gesinnung!“ Lachend ging der liebenswürdige Schalk...

In die Kanzlei zurückkehrend, beneidete Hartlieb den Benediktiner um
seinen Humor und um die Weltgewandtheit...

Graf Thurn, der die Fürstin zum Jagdschlößl geleitet hatte, verließ es
eben, um sich eiligst zum Forsthause zu begeben und Toilette für das
Diner zu machen.

Als es Zeit wurde, zum Diner zu gehen, lud Graf Thurn den Oberförster
zur Begleitung ein. Und unterwegs brachte der Hofchef das Gespräch auf
Wildschaden und deren Behandlung seitens des Jagdamtes.

Aus den präzisen Äußerungen Hartliebs klang die Versicherung, daß
ohne Strenge und Ernst nicht durchzukommen sei. Die Ansprüche der
Bauern gingen nicht nur ins Maßlose, der Wildschaden werde zuweilen
sogar künstlich auf sogenannten Wildschadenackerln erzeugt, um den
Jagdbesitzer schamlos schröpfen zu können. Der dümmste Bauer entwickle
auf diesem Gebiete der Täuschung und Schädigung der Jagdkasse eine
erstaunliche Raffiniertheit, die zu strengstem Vorgehen zwinge. Wo es
sich um wirklichen, vom Hochwild hervorgerufenen Schaden handle, sei
bisher stets nach Recht vergütet worden. Schwindel und Betrug hingegen
wurde mit rücksichtsloser und unerbittlicher Strenge bekämpft und
geahndet.

„Nun ja! Der Fachmann muß die Verhältnisse kennen! Ich will mich nicht
einmischen, diese Angelegenheiten liegen außerhalb meiner Kompetenz!
Sollte je die Sprache darauf kommen, möchte ich den Jagdleiter im
voraus dahin informiert haben, daß unsere hohe Gebieterin den Frieden
wünscht! Durchlaucht wird Ihnen Milde nahelegen!“

„Milde ist in unseren Revieren deplaziert und kostet schwer Geld!
Und Milde erreicht niemals Zufriedenheit, macht die Querulanten und
Schwindler nur übermütig und in ihren Forderungen unersättlich!“

„Sagen Sie das nicht der Fürstin! Es klingt zu scharf und hart für
Damenohren! Würde den Jagdleiter im Lichte der Grausamkeit erscheinen
lassen! Bedenken Sie, daß unser Jagdherr eine Dame ist!“

Schatten huschten über Hartliebs Gesicht. „Zu Befehl, Herr Graf! Ich
danke Ihnen für die gütige Information!“

„Nehmen Sie meine gutgemeinten Worte nicht übel! Ich wollte Ihnen
nützen!“

„Besten Dank, Herr Graf, für Ihr Wohlwollen! Darf ich fragen, ob für
morgen oder die nächsten Tage Befehle zu Jagden zu gewärtigen sind?
Wenn ja, müßten noch heute Dispositionen getroffen werden, je nachdem
die Fürstin pirschen, drücken, riegeln oder treiben lassen will!“

„Bis zur Stunde ist irgendeine Andeutung nicht erfolgt! Vielleicht
hören wir beim Diner Näheres darüber! Ich möchte übrigens darauf
aufmerksam machen, daß Änderungen von Absichten, plötzliche Zurücknahme
von erteilten Befehlen nichts Seltenes sind! Derlei darf und soll den
Jagdleiter niemals verdrießen; er muß sich stets vor Augen halten, daß
eine Dame gebietet! Und immer Rücksicht nehmen auf die Fürstin, die ja
auch Kummer und Sorgen hat!“

In Nähe des Jagdschlößls wartete Pater Wilfrid, der sich den
angekommenen Herren sogleich anschloß. Graf Thurn führte die Gäste
hinauf in den Empfangssalon und blieb bei ihnen.

Ein kleiner lichter Raum, mit Zirbenholz getäfelt, an den Wänden
etliche, nicht üble Jagdgemälde älterer Meister, Rohrstühle mit
hohen Lehnen um einen ovalen Tisch, dessen Zirbenplatte eine hübsch
entwickelte Blaufichte trug.

Hartlieb stand auf dem gelben Parkett wie auf glühenden Kohlen,
unsicher, unbehaglich, in der Stimmung, die sich im steierischen
Dialekt mit knappen drei Worten ausdrücken läßt: „Außi möcht i!“
Vieltausendmal lieber im Bergwalde bei schlechtestem Wetter, denn hier
im Salon, des Erscheinens der Fürstin gewärtig. Derlei Situationen
gewohnt, plauderten Pater Wilfrid und Graf Thurn gedämpften Tones, und
der elegante Benediktiner erzählte köstliche Audienzwitze, lustige
Mißverständnisse, die er geheimnisvoll flüsterte und dazu eine wahre
Leichenbittermiene machte.

Die Türe wurde geöffnet, Fürstin Sophie von Schwarzenstein trat
lächelnd und elastisch ein. „‚Grüß Gott‘ dem Priester, ‚Weidmannsheil‘
unserem Jagdleiter!“ sprach sie frisch und munter und reichte den
Herren die schmale weiße Hand. Eine Fünfzigerin von schlanker Gestalt,
noch immer eine schöne Frau, volle Büste, die Anmut der Wienerin.
Leicht ergraut das Haar, Sorgenfalten um die Augen und Lippen.
Einfache, dennoch elegante Dinertoilette, grauer Rock, schwarze
Seidenbluse, am Halse eine Brosche von Gold mit gefaßten Hirschgrandeln.

Pater Wilfrid hauchte einen Kuß auf die Hand der Fürstin. Hartlieb
begnügte sich mit einem scheuen Händedruck und stand dann
bolzengerade, stumm, den Blick auf die Türe zum Speisezimmer gerichtet,
durch die im leisen Katzenschritt die Hofdame kam. Ein einziger Blick
und Hartliebs Wangen flammten, ein Prickeln in den Händen, ein Hämmern
in den Schläfen, ein Flimmern und Gleißen vor den Weidmannsaugen. Im Nu
des ersten Blickes auf diese in duftiges Weiß gekleidete Frauengestalt
entstand der Gedanke an _Mustela martes_, an den Edelmarder.
Geschmeidig und biegsam der Körper, scharf der Blick aus den braunen,
sprühenden Augen, deren dunkle Brauen glänzten genau wie die dunklen
Langhaare um die braunen Marderseher. Tiefbraun und schimmernd das
Haupthaar, blaß wie Elfenbein das Gesicht. Und wie beim jungen Mustela
die Kehle hochgelb leuchtet, trug die Dame ein goldfarbenes Seidenband
um den Hals; daran hing ein Medaillon. Zwischen den leicht geöffneten
Lippen schimmerten wahrhaftige Marderzähnchen.

Die eigenartige Schönheit wirkte betäubend auf den stillen, ernsten
Weidmann.

Fürstin Sophie sprach: „Meine Hofdame, Fräulein von Gussitsch! Die
vorzustellenden Herren sind Pater Wilfrid, der Pfarrer von Hall und
Admonter Stiftsherr, und unser Oberförster, Jagdleiter Hartlieb!“

Die Herren verneigten sich.

Der Kammerdiener, ein hoch und breit gebauter, ältlicher Mann in
verfeinerter Steierertracht, meldete diskreten Tones, daß serviert sei.

Freundlich nickend, befahl die Fürstin: „Gut, Norbert! Weisen Sie
die Plätze an! Graf Thurn, Ihren Arm, bitte! Und Herr Hartlieb führt
Fräulein von Gussitsch zu Tische!“

Wieder flammten Hartliebs Wangen, und schier hörbar klopfte das
Jägerherz da „Mustela“ die Hand in den Arm des Oberförsters legte. Zu
Tische geleiten konnte er die interessante schöne Dame, aber nicht
einen einzigen Ton brachte er über die zuckenden Lippen. Und vergebens
fragte er sich in Gedanken, wo er die Augen bei der Begrüßungsfeier
gehabt haben mußte, da er die Hofdame gar nicht gesehen hatte.
Allerdings war beim Empfang sein Interesse ausschließlich auf die neue
Gebieterin konzentriert gewesen.

„Mustela“ war Hartliebs Tischnachbarin. Sehr angenehm und dennoch
fatal, prickelnder Nervenkitzel und lähmende, hilflose Verlegenheit des
an derlei Situationen nicht gewöhnten Waldbeamten: offen die Augen und
doch blind.

Gut das Diner, diskret und rasch serviert, wenig Wein.

Fürstin Sophie plauderte mit Pater Wilfrid, fragte bunt durcheinander
wegen der Plätze im Oratorium der Haller Kirche, nach Ortsnamen,
Kirchenbedürfnissen. Und im Handumdrehen, mit graziösen Scherzesworten
war Pater Wilfrid zum „Hofkaplan“ ernannt.

Kühl bis ans Herz hinan, legte Pater Wilfrid ein Stück Poularde auf
seinen Teller.

„Sie sind doch jedenfalls hochbeglückt von dieser Ernennung, wie?“

„Untertänigst aufzuwarten: nicht ganz hochbeglückt, Durchlaucht! Hatte
die Ernennung mindestens zum Hofburgpfarrer erhofft! Ohne Gehalt eines
solchen natürlich! Weil ich nämlich ‚Hofkaplan‘ längst bin!“ Dazu
schmunzelte der Schalk und verdrehte die Augen wie der balzende Urhahn.

„So ein Schwerenöter! Ich habe keine Burg, kann Sie also höchstens zum
‚Hofpfarrer‘ ernennen, für die Dauer des Haller Aufenthaltes!“

„Untertänigsten Dank!“ Pater Wilfrid ließ den Blick über die
Tischgeräte in seiner Nähe suchend gleiten.

„Was suchen denn Hochwürden?“ fragte neugierig und belustigt die
Fürstin.

„Senf, Durchlaucht!“

„Was? Senf zum Geflügel?“

„Zu dienen! Mit Rücksicht auf den Einfluß der Nahrungsmittel auf den
Charakter...“

„Was Sie sagen! Welchen Einfluß soll denn der Senf haben, speziell auf
Ihren Charakter?“

„Senf stärkt das Gedächtnis! Ich muß morgen eine Rede schwingen, habe
nicht viel Zeit zum Memorieren, also nehme ich gedächtnisstärkenden
Senf zur Poularde!“

Höchlich amüsiert lachte die Fürstin hellauf. Auch Graf Thurn
schmunzelte vergnügt. Und Fräulein von Gussitsch zeigte die blendend
weißen Marderzähnchen.

Nur Hartlieb blieb ernst und steif.

„Hat der Herr Hofpfarrer noch mehr von charakterbeeinflussenden
Nahrungsmitteln auf Lager?“

„Nicht viel, Durchlaucht! Ochsenfleisch gibt Mut und Energie,
Schweinefleisch führt zu pessimistischen Anschauungen...“

„Nicht übel! Was ist’s mit Kalbfleisch?“

„Böse Eigenschaft, Durchlaucht! Bewirkt Verlust der geistigen
Widerstandskraft!“

„Huhu! Schrecklich! Und Hammelfleisch?“

„Die Wirkung tritt in Montenegro deutlich zutage!“

„Wieso denn?“

„Alle Bewohner der schwarzen Berge sind der Melancholie verfallen!“

Sophie kicherte: „Gräßlich! Was bevorzugen denn die Admonter
Stiftsherren?“

„Wir legen Wert auf Grazie und Geist, daher trinken wir Milch und
essen hauptsächlich Eier!“ Wilfrid blinzelte und senkte mit köstlich
markierter Demut das Haupt.

Die hohe Frau kämpfte mit einem Lachkrampf. Und Fräulein von Gussitsch
stopfte den Serviettenzipfel in ihr Mündchen. Hartlieb blickte Wilfrid
vorwurfsvoll an, dann aber betroffen den Kammerdiener, der ihm den
Teller wegnahm, obwohl der Oberförster vom Geflügel noch keinen Bissen
gegessen hatte.

Endlich hatte die Fürstin den Lachkitzel überwunden. Sie wandte sich zu
Hartlieb und fragte nach dem letzten Abschuß unter Graf Lichtenberg.

Sachlich und trocken gab der Oberförster Aufschluß: zwanzig gute
Hirsche, dreißig Gamsböcke, vier Geltgeißen.

„Wie ist der Stand an Rehwild?“

„Zur Zeit haben wir etwa hundert Böcke und Geißen! Vom Auerwild sicher
vierzig Hahnen! Hasen nur wenig!“

„Hegen, Herr Oberförster! Ich will viel Hasen haben! Überhaupt viel
Wild! Es soll wimmeln in meinen Revieren!“

„Zu Befehl! Das Wimmeln wird aber die Ziffern der Wildschadenvergütung
bedeutend erhöhen!“

Inzwischen war der Pudding serviert worden, von dem Hartlieb auch
nichts erwischt hatte.

„Gesegnete Mahlzeit!“ Die Tafel war aufgehoben.

„Kaffee und Zigarren in der Veranda, Norbert!“

Eine Importe hielt Hartlieb in Händen, doch zum Rauchen kam er
nicht; er mußte eine Menge Fragen der Gebieterin beantworten. Und
was für Fragen! Eine Gänsehaut lief dem Förster über den Rücken, als
beispielsweise die Fürstin wissen wollte, ob unter den Jagdgehilfen
sich auch hübsche Burschen befänden, fesche Steierer, schneidige Kerle.
Und ob die Jäger verlobt seien?

Nach solchen Fragen fand es Hartlieb begreiflich, daß die insgeheim
erhoffte Abschußbewilligung, die Zuweisung einer kleinen Jagdparzelle,
jämmerlich ins Wasser fiel.

Als die Fürstin ihre Zigarette ausdrückte, fragte Hartlieb, ob für
morgen und die nächsten Tage Pirschen befohlen werden.

Der Bescheid lautete ausweichend. Erst mal eingewöhnen, sicheres Wetter
abwarten, die Herren können anfragen, Norbert werde Bescheid geben...

Zum Abschied richtete die Fürstin an Pater Wilfrid die Bitte, für
übermorgen nachmittag den Besuch im Stifte Admont anzusagen und den
Cicerone zu machen.

Schluß. Die Gäste hatten sich zu empfehlen. In Gnaden huldvoll
entlassen. Graf Thurn wurde zu einem kleinen Vortrage zurückbehalten.

Stumm wanderten die Freunde Hartlieb und Pater Wilfrid durch die
Dämmerung auf dem Sträßlein zum Forsthause zurück. Des Försters
Stimmung verriet das Köpfen von Disteln. Wo Hartlieb am Wegrande
ragende Disteln sah, schlug er ihnen mit dem Stock die Köpfe ab...

Beim Hause angelangt, mahnte Pater Wilfrid zu Geduld und Ruhe.

„Danke! Der Beginn läßt sich übel an, schlimmer noch, als ich
befürchtet hatte!“

„Kopf hoch, lieber Freund! Denken Sie stets an das Sprüchlein: Nicht
alles Ungemach, das droht, wird dir begegnen; es muß ja nicht aus jeder
Wolke regnen! -- Gute Nacht!“

„Gute Nacht, Hochwürden!“

Pater Wilfrid setzte seinen Weg hinaus zum Dörflein Hall fort. Und er
wunderte sich, als ihm zu verhältnismäßig später Abendstunde Frau
Gnugesser mit rotem Kopf in sichtlicher Erregung begegnete, spitz
grüßte und maliziös lächelte.

Grüßend schritt der Pfarrer weiter. Und in Hall bestieg er den seiner
harrenden Stiftswagen, um nach Admont zu fahren.

Erst neun Uhr abends war es, doch alles Leben im Jagdschlößl
schien bereits erloschen, klösterliche Stille, da die Fürstin sich
zurückgezogen hatte.

In einem nordseitig gelegenen Stübchen mit Blick auf den zum Greifen
nahen Tannenwald saß Martina von Gussitsch, jetzt im bequemen
Hauskleide, am kleinen Tische bei Lampenschein und kritzelte etliche
Notizen, die nicht vergessen werden durften und sich zu einer Art
Tagebuch gestalteten. So schrieb Martina: „Zweimal täglich im
Admonter Postamt nach eingelaufenen Briefen für die Fürstin fragen
lassen; das Postfräulein bitten, daß eventuell mit Abendzügen
eingetroffene Briefe mit Eilbote herausgeschickt werden! -- Seltsam
ist die Zappeligkeit der Fürstin, diese Ungeduld wegen anscheinend
mit außerordentlicher Sehnsucht erwarteten Briefe vom Filius. --
Einstweilen geheimnisvolle Verhältnisse! Möchte wissen, was dem
Filius, Muttersöhnchen vermutlich, eigentlich fehlt; kann aber
die Kammerfrau Hildegard unmöglich fragen. Nette Leute diese zwei
Diener mit so drolligen Steierernamen: Norbert Saurugger, Hildegard
Schoiswohl! Prachtvoll! Aber Leute, die vollstes Vertrauen genießen,
sich auffallend viel aus dem -- Wurschtkessel nehmen dürfen, ohne
daß Durchlaucht es verübelt. -- Mitwisser? -- Schade, daß Prinz Emil
mit seinem Adjutanten Baron Wolffsegg schon nach Dresden abgereist
war, als die neue ‚Hofdame‘ den Dienst antrat. Seit neun Tagen
‚Hofdienst‘! Wenn ein kleinadeliges Mädel kein Geld hat, nur ein
bisserl Protektion, macht man sie zur _Lady at court_, auch _Maid of
honour_ oder gar _Lady of the bedchamber_ genannt! ‚Bettzimmerfräulein‘
auf Deutsch. -- Was ich wohl in dieser ‚Hofstellung‘ erleben werde?
Rosige Hoffnungen habe ich nicht! Und vor dem ‚Dienst‘ als Begleiterin
der Fürstin auf Bergtouren und gar auf Jagden graut mir jetzt schon!
Unsereins darf sich doch nicht echauffieren, nie derangiert aussehen,
soll immer propre sein... Wie das erreichen, wenn gekraxelt werden
muß?! Überhaupt will es mir unsinnig erscheinen, daß Damen jaagern!
Ob wirkliche Jagdpassion die Fürstin erfüllt? Oder handelt es sich
nur um eine Laune? Oder wurde dieses Jagdgut für den Filius gekauft?
Warum ist Prinz Emil aber dann nicht hier, warum kutschiert er im
Lande herum? Sonderbar, höchst sonderbar! Es muß irgend etwas dahinter
stecken. -- Vielleicht kann man vom Grafen Thurn etwas erfahren? --
Was wohl der Oberförster für ’ne Seele ist? Schmucker Mann, echter
Jägertyp, Waldmensch, aus Eiche geschnitzt oder aus Granit gemeißelt.
Einstweilen unbeholfen, rührend naiv, ein großes Kind. Doch nicht, der
tiefe Ernst, die Strenge widersprechen solcher Auffassung. Vielleicht
fürchtet er die neue Herrschaft? Jagdherr eine -- Frau! Komisch muß
das für den Jagdoberbeamten sein, wenn nicht unangenehm von wegen
der Rücksichtnahme. -- Großer Gott, das Jagdkleid! Was nur soll ich
anziehen? Besitze ja nur ein Lodenkostüm! Werde nun doch gezwungen
sein, in dieser Kleiderfrage die Frau Schoiswohl zu fragen; denn die
_Maid of honour_ muß doch genau so gekleidet sein wie die Gebieterin
auf der Jagd!... Werde mich nie, nie mit der Jagd befreunden können!
Niemals!“



Viertes Kapitel


Mit unsicherem trüben Wetter, doch ohne Regen, begann der erste Tag des
„Hofdienstes“ in der Bergeinsamkeit für Fräulein von Gussitsch. Wohlige
Stille, göttliche Ruhe. Erquickend die würzige Waldluft. Des unsicheren
Wetters glaubte Martina sich freuen zu sollen, denn ein Jagdgang
dürfte unter diesen Umständen nicht befohlen werden. Wahrscheinlich
nach dem mittäglichen Lunch ein mehrstündiges Vorlesen oder sonstiges
Unterhaltungsmachen. Darauf war Martina gefaßt.

Gegen zehn Uhr überbrachte die rundliche hübsche Frau Hildegard
Schoiswohl die Mitteilung, daß Durchlaucht soeben den Forstwart holen
ließ und die Begleitung der Hofdame wünschen.

„Wird denn gejagt?“ fragte überrascht Martina.

Die Kammerfrau erklärte: „Anscheinend nicht, denn Durchlaucht tragen
Straßentoilette! Baronesse wollen in einer halben Stunde bereit sein!“

Notgedrungen mußte Fräulein von Gussitsch nun doch die Frage wegen
der Jagdkleidung mit der Kammerfrau besprechen und Hildegards Hilfe
erbitten.

Der Triumph leuchtete aus den Augen der hochbefriedigten Kammerfrau,
nun doch von der Hofdame um Rat und Hilfe gebeten zu werden. Frau
Schoiswohl fühlte sich, und ziemlich selbstbewußt erklärte sie, daß
die Angelegenheit rasch erledigt sein werde, wenn die Baronesse einen
Lodenrock fußfrei kürzen und den dazugehörenden _Pantalon fort large_
anfertigen lasse. „Das in kürzester Zeit zu machen, bin ich gern
bereit! Ich bitte nur um den nötigen Stoff!“

„Sie sind sehr freundlich! Aber Stoff zu einem Jagdkostüm führe ich
nicht mit! An die Beschaffung hätte ich in Wien denken sollen! Was
machen wir nun? So eine Verlegenheit!“

Im Tone der Bemutterung sprach die Kammerfrau: „So wie ich
Durchlaucht kenne, wird es mit der Jagdausübung keine Eile haben, das
Hauptinteresse ist auf den Posteinlauf konzentriert! Sollte wider
Erwarten eine Jagd befohlen werden, so gibt es schon Mittel und Wege
zur Verhinderung! Baronesse lassen inzwischen von Wien oder Graz
Lodenstoff kommen, und ich werde dann schneidern! Wenn Sie wünschen,
schreibe ich und beauftrage eine Verwandte mit der raschen Besorgung!“

„Ja, bitte, besorgen Sie alles Nötige, selbstverständlich komme ich für
alle Kosten auf!“

„Wird gemacht!“ Es klang etwas arrogant, als die Kammerfrau noch darauf
aufmerksam machte, daß die Baronesse zur Begleitung keine helle Bluse
tragen dürfe.

„Frau Schoiswohl! Ich muß bitten...“

„Verzeihung, Baronesse! Es ist nicht Anmaßung, nur gut gemeint, wenn
ich rate, dunkle Kleider zu tragen; Durchlaucht werden einen Reviergang
machen! Helle Kleider würden das Wild beunruhigen! Durchlaucht kleiden
sich stets dunkel auf derlei Waldwanderungen, demnach...“

„Ich verstehe! Danke!“

Devot und doch arrogant grüßend, entfernte sich die Kammerfrau, die
sich freute, die junge Hofdame in Verlegenheit und Abhängigkeit
gebracht zu haben. Und etliche Silberlinge werden bei der
Stoffbesorgung zu verdienen sein.

Ärgerlich grub Martina ihre Marderzähnchen in die Unterlippe, während
sie die Bluse wechselte und sich zum Ausgang rüstete.

Es kam aber gar nicht zu dem Waldbummel. Da die Forstbeamten nicht
zu Hause waren, änderte Fürstin Sophie ihre Absicht und befahl eine
Spazierfahrt nach Hall und Weng zur Besichtigung dieser Dörfer
und ihrer Kirchen. Fräulein von Gussitsch und der unvermeidliche
Kammerdiener Norbert sollten mitfahren. Norbert, der immer
Steierertracht trug und trotz seiner fünfzig Jahre und des grauen
Schnauzbartes in diesem Kostüm wie ein Junger aussah, schien die
Ausfahrt nicht zu passen. Prüfend hielt er die Hände flach in die
Luft, guckte zum grauen Firmament empor und schüttelte den Kopf so
bedenklich, daß der grüne Ausseer Hut wackelte.

Dieses Manöver wiederholte der fesche Kammerdiener so lange, bis
richtig wie erhofft die Fürstin vom Fenster aus sein Gebaren wahrnahm
und herunterrief: „Was ist’s, Norbert? Glaubst du, daß wir schlechtes
Wetter bekommen?“

„Zu dienen, Durchlaucht! Grobwetter, fürchte ich! Mir tun nur die armen
Pferde leid, wenn sie in einen Wolkenbruch geraten!“

„Nein, nein! Die Pferde müssen geschont werden! Abbestellen, Norbert!
Wir bleiben zu Hause!“

„Zu Befehl, Durchlaucht!“ Vergnügt ob des Gelingens seines listigen
Manövers, bestellte Norbert die Ausfahrt ab. Und bis zum Lunch oblag
er dem behaglichen _dolce far niente_ in seiner Kammer. Dann freilich
mußte er die Tafel decken für drei Personen, denn Graf Thurn war zum
Lunch geladen. Nachmittags gedachte der bequeme Kammerdiener einen
länglichen „Schlaf zu tun“ und bis zum abendlichen Diner gründlich zu
faulenzen, sich von der Reise zu „erholen“. Doch zwischen Kaviar und
Sardinen ereilte Norbert der gemessene Befehl, nach dem Lunch nach
Admont zu gehen und die Post zu holen.

Diskret flüsterte der geschulte Diener sein „Zu Befehl!“ Und als er der
Fürstin die Silberplatte mit den gebräunten Kalbskoteletten reichte,
fragte er mit hingehauchten Worten, ob er den Brief aus Dresden der
Eile wegen zu Wagen bringen dürfe.

Was höhere Faulheit war, hielt die Fürstin für rührenden Diensteifer,
für den guten Willen, den heiß ersehnten Brief mit großmöglichster
Geschwindigkeit in die Bergeinsamkeit zu bringen. Hochbefriedigt
von diesem Diensteifer, erteilte die Fürstin durch Kopfnicken ihre
Zustimmung.

Noch weilten die Herrschaften bei Tische, da kam Forstwart Gnugesser in
Wehr und Waffen schwitzend und mit hüpfendem Bäuchlein angesprungen.
Amanda hatte dem von einem Reviergange heimgekehrten Gatten mitgeteilt,
daß die Fürstin ihn zum Führer gewünscht habe. Nun war er da und wollte
sich melden. Auf sein karges Mittagessen hatte Benjamin verzichtet, um
die Fürstin nur ja nicht warten zu lassen. Nun hieß es aber für ihn
geduldig warten und hungern.

Nach dem Lunch sprach Fürstin Sophie im Flur des Schlößls mit ihm,
hörte seinen Bericht an, wonach in der „Gschwend“ ein schußbarer Hirsch
mit einem Ovalgeweih stehe, der noch vor der Brunft abgeschossen werden
müsse. Sie gab wegen dieses Hirsches keinen Bescheid und erklärte, daß
auf die Führung Gnugessers wegen der unbeständigen Witterung verzichtet
werde.

Die grenzenlose Gutmütigkeit veranlaßte Benjamin zu sagen: „Wohl wohl!
Ganz wie Duhrlauch wünschen! Halt ein andermal! Wünsche wohl gespeist
z’ haben! Empfehl mich g’horsamst!“ Zog sein Hütel und trug Bäuchlein,
Rucksack, Hirschfänger, Büchsflinte, Bergstock und sein goldenes
Herzelein zurück zum „Steinkasten“. Den fuchsigen Patriarchenbart
teilten die leicht zitternden Finger in zwei große Wülste. Dies war das
einzige Anzeichen dafür, daß Beni sich über die „Fopperei“ ein bisserl
geärgert hatte. Als Gnugesser hungrig wie ein Wolf am „Steinkasten“
ankam, war der Patriarchenbart wieder geglättet und in Ordnung, der
kleine Ärger verraucht.

Der von Norbert angekündigte Wolkenbruch kam nicht, nur etliche
Regentropfen wagten die Fahrt zur Erde. Und dann guckte Frau Sonne für
kurze Zeit in die Haller Bergeinsamkeit. Stolz wie ein Spanier fuhr
Norbert nach Admont, selbstverständlich im Fond des Wagens sitzend.

Die Fürstin aber unternahm einen Talbummel, zum reizend gelegenen
Sensenwerk am Fuße der „Haller Mauern“. Dann zurück. Um fünf Uhr Tee
auf der Terrasse, Versuch einer Handarbeit seitens der Fürstin mit
oftmaligem Blick auf das Sträßlein. Fräulein von Gussitsch häkelte
gehorsamst und schwieg untertänigst. Graf Thurn war beurlaubt und
weilte im „Steinkasten“, beschäftigt mit den Vorbereitungen zur
befohlenen Fahrt nach Wien, um vergessene Sachen für die Fürstin zu
holen.

Nach sechs Uhr kam Norbert zurück und überbrachte Zeitungen. Der
erwartete Brief aus Dresden war nicht eingelaufen.

Seufzend, mit einer Kummerfalte auf der Stirne, machte sich Fürstin
Sophie an die Lektüre. Verzichtete aber bald.

„Darf ich vielleicht vorlesen?“ fragte dienstbereit Martina.

„Danke! Ich werde bis zum Diner etwas ruhen! Sorgen Sie bitte dafür,
daß nur zwei Gänge serviert werden, alles übrige streichen! Danke,
werde allein hinaufgehen!“ Freundlich nickend zog sich die Fürstin
zurück.

Mitleidsvoll blickte Martina der Frau nach. Und dann begab sich auch
das Hoffräulein auf das Zimmer.

Kaum zwanzig Minuten währte das Diner, zu dem Graf Thurn nicht geladen
war. Dann hatte der Dienst für Martina ein Ende für diesen Tag in der
Haller Bergeinsamkeit. Huldvolle Entlassung mit Handkuß, tiefer Knicks.
„Geruhsame Nacht, Durchlaucht!“

Ein wehmütiges Lächeln, ein gütiges Kopfnicken. Sophie von
Schwarzenstein zog sich mit ihrem Kummer zurück. Im Schlafzimmer harrte
ihrer die unentbehrliche Hildegard.

                                   *

Der Wind blies durch das Admonter Ennstal und zwang in den etwas
sumpfenden Niederungen Schilf und Riedgräser zu respektvollsten
Verbeugungen. Reingefegt war das Firmament, kahl und klar starrten
die vielen Felsriesen in den lichten Himmelsdom: weißbestreut die
Spitzen der „Haller Mauern“, rechts der Enns die wuchtigen Türme
des „Sparafeld“, der „Reichenstein“, das „Hochtor“ und die vielen
Bergkolosse, die sich zusammendrängen, um das berühmte „Gesäuse“,
eine gigantische, von der tosenden Enns durchflossene Felsenwildnis,
zu bilden. Inmitten des lieblich grünen, bergumrahmten Admonter
Talbeckens erhebt sich zur Höhe von siebenzig Metern das schlanke,
doppeltürmige St.-Blasius-Münster, die elegante Domkirche im gotischen
Stile, umgeben von den quaderngefügten Gebäuden des uralten, von vielen
Schicksalsschlägen heimgesuchten Benediktinerstiftes Admont.

Wie liebkosend umspielten die Sonnenstrahlen diese Stätte emsigen
Fleißes, der Gelehrsamkeit, der Wohltätigkeit und klösterlichen Arbeit.

Der im Jahre 1074 gegründeten, im Laufe der Jahrhunderte durch
wissenschaftliche Tätigkeit hochberühmt gewordenen Benediktinerabtei,
an die sich die Häuser des Marktfleckens Admont schmiegen wie
Küchlein um die Mutterhenne, galt der Besuch der Fürstin Sophie von
Schwarzenstein.

Im munteren Trabe eilte der fürstliche Wagen dem einzig schön
gelegenen, imposanten, vornehme Ruhe kündenden Stifte zu. Im Fond saßen
die Fürstin Sophie und das Hoffräulein von Gussitsch, beide in schwarze
Seide gehüllt, auf dem Rücksitze Graf Thurn. Auf dem Bock neben dem
Kutscher der unvermeidliche Norbert in der schmucken Steierertracht.
Die Diener ganz Würde, schier spanische Grandezza.

Im Anblick der im Süden aufgetürmten Bergkolosse und des herrlichen
Münsters vergaß die Fürstin der nagenden Sorgen, auftauend pries sie
die Schönheit des Gotteshauses inmitten des entzückenden Geländes.
Und Graf Thurn mußte rasch über die Geschichte des Stiftes einige
Informationen geben. Marschallsaufgaben, auf die der gewandte Beamte
sich ahnungsvoll vorbereitet hatte und deren er sich aalglatt
entledigte. Und mit Eleganz verstand Graf Thurn das Interesse der Frau
für einen Novizen des Stiftes zu erwecken, indem er erzählte, daß ein
junger Kleriker mit Jägerblut in den Adern schwer ringe und kämpfe, um
die Jagdleidenschaft zu bezwingen bis zum Tage der für das ganze Leben
entscheidenden Profeßablegung.

Für einen Moment wich die Farbe aus dem Antlitz der Fürstin, die Wangen
wurden kalkig, das Haupt sank um etliche Zoll tiefer wie in jäher
Betroffenheit und weher Erinnerung. Doch sogleich richtete sie sich
auf, eine leichte Röte schoß in die Wangen, und voll Interesse rief
sie: „Was Sie sagen! Ein Novize, also ein eingekleideter Kleriker, von
Jagdpassion erfüllt, Sohn eines Berufsjägers! Und für immer entsagen
müssen! Den jungen Mann möchte ich kennenlernen, mit ihm sprechen!
Bitte, veranlassen Sie, lieber Graf, das Weitere!“

Der Wagen rollte schnell die Hauptgasse des saubergehaltenen
Marktfleckens entlang, die Bewohner grüßten respektvoll den --
Kammerdiener.

Am Portal der Prälatur harrte Pater Wilfrid in seiner offiziellen
Eigenschaft als Gastmeister des Stifts, neben ihm ein Klosterfrater,
des hohen Gastes.

Bei der Anfahrt winkte Fürstin Sophie dem Pater huldvoll grüßend zu,
ersichtlich in bester Stimmung. Und Wilfrid erwies Reverenz durch eine
tadellose Verbeugung.

Ein Ruck, die Pferde standen mit schlagenden Flanken. Norbert flog vom
Bock wie ein Blitz und riß den Schlag auf.

Die breite Steintreppe auf weichem Teppich hinansteigend, sprach die
Fürstin von dem vorzüglichen Eindruck, den zunächst äußerlich das
Münster wie die Stiftsgebäude hervorrufen.

Pater Wilfrid bat, es wolle Durchlaucht sich noch eine Treppe höher
bemühen, an der Prälatur erwarten Seine Gnaden der Herr Abt den hohen
Besuch.

„So feierlich? Wohl vorschriftsmäßige Empfangsetikette? Aber unnötig!
Privater Besuch, diktiert von regstem Interesse, wobei eine gewisse
Sympathie mitspielt, denn mein ‚Hofpfarrer‘ ist ja Admonter Stiftsherr!“

„Untertänigsten Dank, Durchlaucht, für so viel Huld und Gnade!
Ganz nach Vorschrift kann sich der Empfang des hohen Gastes leider
nicht vollziehen, da unser Prior verreist ist, also nicht zur
Reverenzerweisung erscheinen kann! Alles übrige im Programm wird
hoffentlich klappen!“

„Was? Ein ganzes Programm? _Mea culpa_, ich hätte besser getan, den
Besuch nicht anzukündigen, die Stiftsherren zu überrumpeln, um das
Vergnügen einer ‚_sweet disorder_‘ genießen zu können!“

„Es ist keineswegs ausgeschlossen, daß Durchlaucht trotz der
Besuchsansage dieses ‚Vergnügen‘ dennoch teilhaft werden können, denn
unsere _Camerieri_ sind nicht höfisch geschult, _ils travaillent pour
le bon Dieu_ und -- entbehren der Grazie!“ Wilfrid spitzte den Mund,
als wollte er Honig schlürfen, und blinzelte dazu.

Kichernd ging Sophie auf den Scherz ein und rief: „Milch geben, viel
Milch den Leuten!“

Der Fürstin folgten Graf Thurn und Fräulein von Gussitsch. Der
Hausmarschall flüsterte: „Gottlob, die Stimmung ist vortrefflich!“

An der zur Prälatur führenden Flügeltüre stand die hohe Gestalt des
Abtes Beda. Ein Vierziger im Galahabit, auf der Brust die goldene
Kette des _Summus Abbas_. Schlanke Eleganz der Erscheinung, Würde und
Noblesse, durchgeistigt die Gesichtszüge, Ruhe und Milde im Blick. Die
feine, hohe Gestalt gleichsam umweht von Höflichkeit und Toleranz.
Ein Idealpriester, von Liebe, Vertrauen und Hochachtung der Mitbrüder
im Konvent erkoren und erwählt zur höchsten Würde, die das Kapitel zu
vergeben hat. _Primus inter pares._ Mit weltmännischer Ehrerbietung
begrüßte Abt Beda die Fürstin und hieß sie unter Dankesversicherungen
für den auszeichnenden Besuch willkommen.

Den Begleitern wurde eine höfische Verbeugung gewidmet, indessen Sophie
den Grafen Thurn und ihre Hofdame vorstellte.

Die erste Besichtigung galt der berühmten Bibliothek, einer Sammlung
von 80000 Bänden, von über 1100 Handschriftenbänden und fast 1000
Inkunabeln.

Die Führung übernahm hier der Archivar und Bibliothekar Pater Leo, ein
großer, breitschulteriger Mönch in strammer Haltung, dem der Offizier
aus den Augen leuchtete. Und ein Schmiß im freundlichen Gesicht verriet
den früheren Studenten.

Mit ersichtlichem Wohlgefallen und vielem Interesse wandte sich Sophie
diesem Benediktiner zu, der es ausgezeichnet verstand, alles für Damen
Überflüssige und Uninteressante auszuscheiden und knapp nur auf das
Wichtigste aufmerksam zu machen.

Die üppigen Formen der italienischen Spätrenaissance des prachtvollen,
durch zwei Stockwerke reichenden Saales, die herrlichen Fresken und
Deckenbilder, welsche Kunst und deutsche Skulpturen nahmen die Fürstin
sofort gefangen und lösten Rufe der Bewunderung aus. Zur Erklärung
der Bildhauerarbeiten des Meisters Stammel, für die Hinweise auf die
drolligsten Burlesken, auf weihevolle Stimmung und beißenden Witz, auf
olympische Schönheit und bäuerliche Derbheit in den Schnitzereien war
Pater Leo der richtige Mann, dessen trocken witzige Bemerkungen die
hohe Frau höchlichst belustigten und auch Fräulein von Gussitsch zum
Kichern brachten.

Für die Manuskriptfragmente aus dem achten und neunten Jahrhundert
setzte der Bibliothekar kein Interesse voraus, aber auf das kostbare
prachtvolle Missale aus dem zwölften Jahrhundert machte er aufmerksam,
ebenso auf die handschriftliche Reisebeschreibung des Marco Polo.

Vor diesem interessanten Manuskript im Glaskasten blieb die Fürstin
stehen und sprach: „Wie ist es nur? Von dem uralten Zeug versteh’ ich
nichts, dennoch klingt der Name so bekannt, ja modern! Haben Hochwürden
dafür eine Erklärung?“

Pater Leo, ein Schalk wie sein Kollegissimus Wilfrid, verzog keine
Miene, verbeugte sich leicht und erwiderte: „Durchlaucht wollen in
Gnaden an die höchstmoderne -- Teesorte Marco Polo denken!“

„Ach ja! Das ist es! Danke bestens!“ Zufällig blickte Sophie dem
in ihrer Nähe stehenden Pater Wilfrid ins Gesicht, der abermals
die Lippen gespitzt hatte. Auflachend drohte sie dem Gastmeister
mit dem Zeigefinger: „_Sano compatrioti_, ein Schalk ärger wie der
andere! Aber liebenswürdige Herren, die Gott sei Dank gar nichts --
Spanisch-Inquisitorisches an sich haben! Was meint mein ‚Hofpfarrer‘?“

Wilfrid erwiderte respektvollst und strohtrocken: „Durchlaucht haben
immer recht! Im Stift spricht nur einer Spanisch, nämlich ich, und zwar
kann ich nur die wenigen Worte: _beso la mano_! Mehr ist vom Übel!“

Der Reihe nach wurden die herrliche Kirche, der Stiftsgarten und
Keller besichtigt, und zwar unter Führung des Abtes. Als Sophie dann
den Wunsch aussprach, die Klosterküche anschauen zu dürfen, tauchte
als Cicerone wieder Pater Leo auf und sprach verbindlichst: „Darf ich
bitten, sich abermals meiner Führung anzuvertrauen?“

Die Fürstin rief verdutzt: „Nanu?! Was hat denn den Archivar und
Bibliothekar die Klosterküche zu kümmern?“

„Zu dienen, Durchlaucht! Ich bin nämlich auch noch der Pater
Kuchlmeister, der im Schweiße seines Angesichts für die Mägen der
Stiftsherren zu sorgen hat! Und hoffentlich verschmähen die hohen
Herrschaften die von mir bereitgestellte Jause in der Prälatur nicht!“

„Archivar, Bibliothekar und Kuchlmeister, köstliche Zusammenstellung!“

„Köstlich finde ich diese _cumulatio_ gerade nicht!“

„Was sind Sie denn noch alles?“

„Die Bauern von Weng muß ich zum Himmel führen, so wie der Pater
Wilfrid in Hall!“

„Ein vielbeschäftigter Mann!“

Pater Leo versicherte, man habe die Förderung des geistigen und
leiblichen Wohles der Stiftsangehörigen absichtlich in eine Hand
gelegt, auf daß -- nicht zuviel des Guten auf beiden Seiten geschehe...

Die Damen lachten vor Vergnügen über diesen Scherz.

Graf Thurn verabschiedete sich; für ihn war die Stunde der Abreise nach
Wien gekommen.

In der Prälatur, den Wohnräumen des Abtes, angekommen, sprach die
Fürstin die Bitte aus, es möge ihr der „Novize mit dem Jägerblut“
vorgestellt werden. Zugleich bat sie den Abt um Mitteilung der
Verhältnisse. „Kann ich etwas zugunsten und zum Nutzen des jungen
Mannes tun, so bitte ich, es mir zu sagen!“

Abt Beda geleitete die Fürstin in das Empfangszimmer, während Fräulein
von Gussitsch und die Stiftsherren Wilfrid und Leo in das für hohe
Gäste bestimmte Speisezimmer der Prälatur traten.

Abt Beda teilte der Fürstin mit, daß der Novize Nonnosus ein
übereifriger Student und beflissen sei, durch strenge Aszese der
Jagdleidenschaft Herr zu werden. Dadurch schädigte der Novize seine
Gesundheit in nicht unbedenklichem Maße. Väterliche Ermahnungen
zur Einschränkung der selbstgewählten Aszese und des übereifrigen
Studiums hatten keinen Erfolg. „Ich bin nun gerne geneigt, dem braven
Novizen Erholung und Zerstreuung zu gönnen und sogar eine Ausnahme zu
gestatten! Nur will es mir fraglich erscheinen, ob beispielsweise eine
Beteiligung am Jagdvergnügen bei dem Novizen den seelischen Zustand
bessern wird oder kann! Die Möglichkeit soll ja nicht bestritten
werden! Anderseits kann die Ausübung der Jagd die Leidenschaft erst
recht steigern!“

Fürstin Sophie fragte sehr interessiert: „Ist denn einem Kleriker die
Jagdausübung überhaupt gestattet?“

„Um das _Decorum clericale_ und namentlich die spezifisch klerikalen
Tugenden zu wahren, sollen sich, gemäß den kirchlichen Bestimmungen,
Geistliche gewissen Vergnügungen entschlagen! Direkt und streng
verboten ist die Jagd mit Hunden und Falken, die _Venatio clamorosa_,
das ist die lärmende Jagd! Die Kanonisten folgerten aus diesem strikten
Verbot, daß die Jagd mit Netzen oder die Pirsche, die _Venatio quieta_,
den Geistlichen erlaubt sei! Für diese Unterscheidung der Jagdarten
scheint sogar das Konzil von Trient zu sprechen! Selbstverständlich
können die Bischöfe jegliche Jagdart verbieten!“

„Was ist daraus zu folgern?“

„Wenn ich wüßte, daß ein kurzes, auf einige Tage beschränktes
Jagdvergnügen dem Novizen gesundheitlich nützen und psychisch nicht
schaden würde, wäre ich geneigt, ausnahmsweise die Erlaubnis zu
erteilen! Der Aufenthalt in der Höhenluft dürfte dem armen jungen Manne
sicher gut tun!“

„Unter diesen Umständen bitte ich, mir den Novizen in Zivilkleidung
nach Hall zu senden! Ich werde ihn mit hinaufnehmen, etwa zur
Pyrgashütte, und dort pirschen lassen! Dort oben hat er Höhenluft!
Und vielleicht gewährt die nun doch ermöglichte Jagdgelegenheit eine
Beruhigung der aufgewühlten Nerven! Der Mensch wünscht am heißesten
das, was er nicht bekommen kann! Die Jägerei wird für den Novizen
sofort an Wert und Lust verlieren, wenn er sie ausgiebig betreiben
kann! Er soll nach Herzenslust Gemsen schießen, ich gönne ihm diese
Freude! Ja, ich bin nun überzeugt, daß die Jagdleidenschaft durch
reichliche Abschußerlaubnis sich vermindert und ganz verschwindet!
Also, mit Ihrer Zustimmung, machen wir das interessante Experiment!
Senden Sie mir demnächst den jungen Kleriker nach Hall, ich werde das
Weitere veranlassen! Auf die Vorstellung jetzt verzichte ich!“

Mit aller Ehrerbietung und doch herzlich dankte der Abt für diesen
Huldbeweis. Und dann geleitete er die Fürstin in das Speisezimmer, wo
die Hofdame und die beiden Stiftsherren warteten.

„Nun rasch eine kleine Jause zur Stärkung! Ich möchte nicht länger
stören!“ Kaum hatte die Fürstin Platz genommen, beeilte sich der
Gastmeister Pater Wilfrid Flaschenwein zu kredenzen.

„Wie? Wein?“ rief die Fürstin überrascht, „Pater Wilfrid behauptet
doch, daß die Stiftsherren auf Grazie und Geist halten, also -- Milch
trinken und sich von Eiern nähren!“

„Ganz richtig! Tun wir auch -- zuweilen! Den hohen Gästen reichen wir
aber Wein trinkbarer Sorte aus unseren Weingärten!“

Ein Frater servierte kalten Aufschnitt und Schinken in einer
auffallenden Befangenheit, und zwar nur den Damen.

Die Stiftsherren saßen zwar am Tische, nahmen aber nichts zu sich,
da just an diesem Tage das Gebot: _jejunium_, Enthaltsamkeit,
nur einmalige Sättigung, zu befolgen war, ein Gebot, das sich
selbstverständlich nicht auf die Klostergäste erstreckt. Pater
Wilfrid, als Mann von Takt, bemühte sich, durch ein Gespräch zu
verhüten, daß die Fürstin auf diese pflichtgemäße Enthaltsamkeit der
Klosterangehörigen aufmerksam werde. Er sprach von jener ‚_sweet
disorder_‘, jener „süßen Unordnung“, die stets dann eintrete, wenn
hoher Besuch im Hause weile, da die Domestiken sich mit Vorliebe zu --
drücken pflegen. „Auch heute ist es der Fall! Ich muß daher inständig
um Entschuldigung bitten, daß ein im Servierdienst ungeschulter Frater
die hohen Gäste in wenig genügender Weise bedient!“

„Aber nein! Der Frater macht seine Sache ganz vortrefflich!“ Und nun
gewahrte die Fürstin die Enthaltsamkeit der Herren. „Warum greifen denn
die hochwürdigen Herren nicht zu? Frater, servieren Sie, bitte, den
Stiftsherren!“

Nun war doch eingetreten, was Pater Wilfrid hatte verhüten wollen.
Und die Verlegenheit machte der Frater vollständig, als er der Fürstin
wichtigtuend zuflüsterte: „Wir haben _jejunium_!“

„Was haben Sie?“

„Fasttag haben wir!“ platzte der Klosterbruder heraus. Ein Wink des
Abtes veranlaßte den Pechvogel, schleunigst zu verschwinden.

Die Fürstin erhob sich, dankte für die liebenswürdige Bewirtung und bat
um den Wagen.

Unter Beachtung des üblichen Zeremoniells vollzog sich die
Verabschiedung.

Schon zogen die Pferde an, da ließ die Fürstin anhalten und bat den
Gastmeister, dafür zu sorgen, daß jener Frater nicht -- bestraft werde.
„Milde üben, ja!“

„Zu Befehl, Durchlaucht! Ich werde es dem Herrn Abte melden!“

„Vielen Dank! Auf baldiges Wiedersehen!“

Nun rollte der Wagen über den Hof und bog in die Hauptstraße ein.
Norbert auf dem Bock drehte sich um und meldete der Gebieterin, daß
er die Post bereits geholt habe. Wissend, wie sehnsüchtig Durchlaucht
einen Brief aus Dresden erwartete, griff Norbert in die Tasche, um den
Brief zu überreichen.

Mit einer leichten Handbewegung wehrte die Fürstin ab. Wunderbar wußte
diese Frau sich zu beherrschen. Aber auch Norbert wußte, was er zu tun
hatte. Zum Kutscher sagte er: „Schnell fahren!“

Hinter der Ennsbrücke wurde ein rasendes Tempo genommen, eine wilde
Jagd begann, die ein Sprechen der Wageninsassen unmöglich machte.

Sophie hatte aber gar nicht die Absicht, zu sprechen. Mit geschlossenen
Augen, bleich vor Erwartung, saß sie im Wagen und ließ sich rütteln und
stoßen.

Fräulein von Gussitsch klammerte sich mit beiden Händen an den Rand
des Wagenschlages, um nicht an die Fürstin geschleudert zu werden. Den
Zweck dieser tollen, rasenden Fahrt: die Zeitverkürzung, begriff sie.
Aber lebensgefährlich war diese Ersparnis weniger Minuten doch.

Martina atmete auf, als der Wagen vor der Villa hielt.

„Ich sehe Sie bei Tische, bis zum Diner sind Sie frei, liebe
Gussitsch!“ sprach die Fürstin und schritt, von Norbert gefolgt, ins
Haus. Nun doch fast zappelig, nervös, aufgeregt. Zwei Stunden hatte
Martina Zeit, um sich Gedanken zu machen und Fragen zu stellen, was
denn eigentlich dieser Sorgen bereite und weshalb die Fürstin einsam in
dieser Weltabgeschiedenheit weile, der Sohn aber auf Reisen sei. Warum
die Trennung?

Aus dem Verhalten der Fürstin bei Tische konnte Martina nicht klug
werden. Sie war einsilbig, wachsbleich, gedrückt. Manchmal öffnete sie
die Lippen, als wollte sie sprechen, sich durch eine Mitteilung von
seelischem Druck befreien. Aber es kam kein Wort. Ein Ringen nach einem
Entschlusse. Beängstigende Stille. Dann ein Wink; Norbert verschwand
aus dem Speisezimmer.

Und nun richtete Fürstin Sophie an Fräulein von Gussitsch die Bitte,
dem Baron Wolffsegg, dem Begleiter des Prinzen Emil, zu schreiben, es
möge der Adjutant sorgsamst kontrollieren, mit wem der Prinz verkehre...

Martina traute ihren Ohren nicht und wagte es auch nicht, einen
forschenden Blick auf die Gebieterin zu richten.

Leise sprach die Fürstin im Tone der besorgten Mutter: „Es ist
mein Wunsch, daß Wolffsegg Leute fernhalte, die meinen Sohn übel
beeinflussen könnten!“

„Zu Befehl, Durchlaucht!“

„Verstehen Sie mich, bitte, recht! Schonend schreiben! Es soll dem
Baron kein Vorwurf gemacht werden, um Himmels willen nicht! Wolffsegg
ist ja ein tadelloser Kavalier, eine treue Seele, seit Jahren bewährt!
Also nicht die Spur einer Rüge! Höchste Vorsicht, die ja auch wegen der
Eigenart meines Sohnes geübt werden muß!“

Martina richtete nun einen verschüchterten Blick auf die bleich
gewordene Fürstin. Und bebenden Tones sprach die ängstlich und unsicher
gewordene Hofdame davon, daß sie den Brief mit denkbar größter Vorsicht
entwerfen, das Konzept zur höchsten Genehmigung unterbreiten werde.

„Die Unterbreitung ist nicht nötig! Sie besitzen ja Taktgefühl,
liebe Martina! Ich bin überzeugt, daß Sie den Brief ganz nach Wunsch
konzipieren werden. Leicht wird es freilich nicht sein! Größte
Vorsicht, denn es besteht die Gefahr, daß Wolffsegg die Bitte verübelt,
in mißverständlicher Auffassung mit dem Prinzen darüber spricht und daß
dadurch mein Sohn sich verletzt fühlt!“ Ein tiefer Seufzer der Sorge
folgte diesen Worten.

Wieder trat eine Pause ein. Die Fürstin schien zu überlegen oder sich
in wehmütige Erinnerungen zu vertiefen.

Angesichts dieser Situation wünschte Martina sich auf eine einsame
Insel im Indischen Ozean, möglichst weit weg von dem fürstlichen
Jagdschlößl...

Sophie richtete sich etwas auf und sprach leise, unsicheren Tones:
„Sie kennen meinen Sohn noch nicht! Sie sind ja erst nach seiner
Abreise in meine Dienste getreten! Ich muß Sie deshalb einigermaßen
informieren, daß mein Sohn -- leider Gottes -- apathischer Natur ist!
Blasiertheit kann man seinen Seelenzustand nicht nennen, vielleicht
liegt ein ungewöhnlicher Mangel an jeglichem Lebensinteresse vor! Zum
Zwecke einer sozusagen geistigen Aufrüttelung ist die Reise zunächst
nach Dresden angetreten worden! Mein armer Sohn sollte aus dem Bereich
der Wiener Luft gebracht werden...! Neue Menschen und vielleicht
auch -- Frauen soll er kennenlernen! -- Können Sie die Sorgen einer
angsterfüllten Mutter verstehen, liebe Martina? Sie sind allerdings
noch sehr jung, immerhin ein weibliches Wesen! Frauen können sich
verstehen oder doch in derlei Situationen hineindenken!“

„Zu dienen, Durchlaucht!“ Mehr konnte Martina beim besten Willen nicht
sagen. Und unmöglich fragen, welche Bewandtnis es mit dem Dresdner
Briefe habe, der anscheinend so große Sorgen wachrief.

Sophie strich sich mit der schmalen Rechten über die Stirne. „Wenn
ich vorhin davon sprach, daß wir ein geistiges Erwachen erstreben,
so muß diese vertrauliche Bemerkung ergänzt werden, und zwar dahin,
daß mein Sohn in Dresden etwas aufgewacht ist! Mehr als mir lieb ist,
zu meinem Schrecken! Was Emils Brief an mich beweist! An sich ist
dieses Aufwachen gewiß erfreulich als Zeichen dafür, daß Emil sich für
Menschen zu interessieren beginnt, die Apathie abgestreift hat!“

Wieder trat eine Pause ein. Sophie sann und überlegte.

Im Speisezimmer war es dunkel geworden. Den Wald umwoben die Schatten
der aufziehenden Sommernacht.

Nach einer Weile zog die Fürstin den ihr so kostbaren Brief aus der
Tasche und sprach: „Für eine Nacht werde ich mich von diesem Dokument
doch trennen müssen, denn es erscheint mir zwingend nötig, daß Sie,
liebe Martina, den Brief lesen, sich ein eigenes Urteil bilden! Genau
informiert und orientiert, werden Sie dann auch imstande sein, den
Brief an Baron Wolffsegg meinen Intentionen entsprechend zu verfassen!
Ein Beweis besonderen Vertrauens, hören Sie, Martina, ganz besondere
Vertrauenssache! Lesen Sie in heutiger Nacht Emils Brief, bilden Sie
sich ein objektives Urteil! Morgen früh zehn Uhr bringen Sie mir den
Brief unauffällig und unsichtbar! Hildegard wird verständigt sein und
Sie, nur Sie, vorlassen! Hier, liebe Martina! Sie bürgen mir für die
prompte Rückgabe des Dokumentes, ja?“

„Zu Befehl, Durchlaucht!“ Martina nahm die Oktavbogen entgegen und
versenkte das knisternde Papier in ihre Tasche.

„So, nun gute Nacht, liebe Gussitsch! Strengste Diskretion! Gute Nacht!“

„Geruhsame Nacht, Durchlaucht!“ Martina waltete ihres Amtes und
klingelte.

Hildegard erschien mit Licht und begleitete die Gebieterin in ihre
Zimmer.

Martina durfte allein ihr Kämmerlein aufsuchen.

Nie in ihrem jungen Leben hatte Fräulein von Gussitsch so flink Licht
gemacht als jetzt, um schnell zur Lektüre des Briefes zu kommen.

Etwas enttäuscht, aber doch von dieser Lektüre belustigt, kicherte
Martina. Unbegreiflich fand sie die Auffassung der Mutter über diesen
Brief. Soviel wie gar keinen Anlaß zu Sorgen. Ungewöhnlich war
allenfalls die Ausdrucksweise. Martina fand die Epistel weit mehr
witzig, denn derb. Sicher ein vollgültiger Beweis dafür, daß das bisher
apathische, blasierte Prinzlein in der Dresdener Luft wach geworden ist
und recht gut zu beobachten versteht. Und eine gewisse Federgewandtheit
ist ihm nicht abzusprechen. An sittengefährdenden Umgang mit bösen
Menschen war gar nicht zu denken! Außerdem sollte er sich doch eine
Frau suchen!

Der Auftrag, dem „Zwetschgenbaron“ Wolffsegg im Sinne der Fürstin zu
schreiben, hatte nach der Lektüre des Emilschen Briefes viel von seinen
Schrecken verloren. Martina erwog nur noch, ob es möglich sein werde,
die Fürstin zu überreden, gar nicht schreiben zu lassen.

Vergnügt kichernd, begab sich das zierliche Hoffräulein zu Bett.

                                   *

Es half am anderen Morgen alles nichts, Martina erhielt den Befehl,
dem Baron Wolffsegg zu schreiben. Was alles die Fürstin noch beifügte,
ließ Fräulein von Gussitsch erkennen, daß der Hofdame die Verantwortung
aufgehalst werden sollte für den Fall, daß Wolffsegg die Warnungs- und
Rügeepistel krumm nimmt. Martina soll das -- Prügelmädchen sein in
Ermangelung eines Prügelknaben.

Ein mehrstündiger Eiertanz mit der Feder, bis das Brieflein glatt
und säuberlich geschrieben war. Höchst vorsichtig und fein, klug und
gewandt; und mit einem salvierenden Hinweis auf -- „höchsten“ Wunsch...
Diesen Hinweis konnte sich die Hofdame leisten, da ja die Fürstin
jegliche Kenntnisnahme des Konzeptes und Briefinhaltes abgelehnt hatte.

Also lief die Epistel nach Dresden...

Obwohl nicht befohlen, meldete sich gegen Mittag der Forstwartpatriarch
zum Rapport und erbat Gehör bei der Gebieterin. Gnugesser wollte
endgültigen Bescheid wegen des „Oval“hirsches haben.

Weder Norbert noch Hildegard, die Vertrauenspersonen, zeigten Lust,
den Beamten anzumelden, obwohl der gutmütige Forstwart sehr nett und
höflich um „Wohlwollen und Gnade“ bat und die Kammerfrau Hildegard
Witwe Schoiswohl sogar mit „gnä Frau“ titulierte. Half alles nichts,
denn Hildegard wollte die heute übelgelaunte Gebieterin durch Anmeldung
des Forstbeamten nicht belästigen, sich keinem Verweise aussetzen.

Der Zufall war wohlwollender. Fürstin Sophie unternahm vor dem Lunch
einen Spaziergang, sah am Hause den wartenden Beamten und fragte nach
seinen Wünschen.

Gnugesser erklärte in aller pflichtschuldigen Ehrerbietung, doch
mit Bestimmtheit: „Halten zu Gnaden, Duhrlauch, der Hirsch mit dem
häßlichen Ovalgeweih muß weg, und zwar noch vor Brunftbeginn, auf daß
eine Vererbung verhindert wird! Wenn gnädig Duhrlauch den Kerl nicht
selber -- wegputzen wollen, erlauben S’s vielleicht, daß ich ihn
abschieße?!“

„Aber keine Idee! Ich finde diese Ovalform sehr interessant! Dieser
Hirsch muß unbedingt erhalten bleiben!“

In Gnugessers Äugelein lag mehr als Staunen, völlige Verblüffung
und Ratlosigkeit! Und nicht wenig Verdruß über die Weiberwirtschaft
im Jagdbetriebe. Die Abschußverweigerung konnte Benjamin leicht
verwinden; den Wald- und Jagdbeamten berührte es aber schmerzlich, daß
auf ausdrücklichen Befehl ein Revierverschandler, ein die Geweihbildung
verhunzender Hirsch gar geschont werden sollte.

Benis Mund weitete sich bis zu den beiden Ohrläppchen, als die Fürstin
mitteilte, daß ein Admonter Theologe im Revier Gstattmaier-Hochalp und
in der „Sauwiel“ pirschen und Gams in unbeschränkter Anzahl schießen
dürfe. „Melden Sie das dem Oberförster! Adieu!“

Soviel das Bäuchlein es gestattete, verbeugte sich Gnugesser. Dann aber
stülpte er mit einer besonderen Energie das zerzauste Hütel auf sein
Haupt und trottete heim. Mit heiliger Entrüstung in der Weidmannsbrust,
mit Zorn in der Kinderseele.

Knirschend stieß Beni hervor, -- hübsch weit entfernt vom Jagdschlößl
--: „Toll wird’s, ganz narrisch! Weiber im Revier, o Graus! Und jetzt
gar auch -- Theologen! Höher geht’s nimmer! Kutten und Gams! Mir
gangst!“ Und der herzensgute, kindlichfromme Forstwart fluchte...

Die Abwesenheit der Gattin zur Mittagszeit war auch nicht geeignet, die
üble Laune Benis zu bessern. Blieb ihm nichts anderes übrig, als selbst
zu kochen: Spiegeleier und Salat dazu. Mehr von der Kochkunst war nicht
sein eigen.

Vergeblich fragte er sich, was denn zur Mittagszeit um Himmels
willen Amanda auswärts zu tun haben könne. Mehrmals war die Gattin
schon abwesend. Eine auffallende Pflichtvernachlässigung und
Rücksichtslosigkeit!

Lange konnte sich Gnugesser derlei Fragen nicht hingeben; er mußte nach
Tisch wieder in den nimmerruhenden Dienst.

Zum Abend war Amanda allerdings zu Hause, das schlecht gekochte Essen
bereit; die Gattin war aber nicht geneigt, Aufschlüsse über ihre
Abwesenheit zu geben. Da sie indes versicherte, sich unlieb verspätet
zu haben und just heimgekommen zu sein, wie Beni nach Tisch in das
Revier ging, ließ sich der herzensgute Mann leicht beschwichtigen.

Leicht gelang der Gattin der Themawechsel durch die Frage, was es Neues
in den Revieren gäbe.

Bei Gnugesser war indes der Ärger schon verraucht; vor Amanda
wollte er nicht über die Fürstin reden, schimpfen erst recht nicht.
Ein einzig und winzig Würmchen nagte allerdings noch gar emsig in
der Brust: der Neid! Den Beamten bleibt ein Abschuß versagt, der
Theologe hingegen darf Gams nach Herzenslust niederknallen. Beni war
gar nicht leidenschaftlicher Jäger, ganz frei von Schießwut; wegen
der Abschußerlaubnis beneidete er den Theologen aber doch, den er,
der fromme, kirchenfreundliche Beamte, in allergeheimsten Gedanken
einen „Schleicher“ und „Kittelpfaffen“ genannt hatte. Denn es war
doch gar nicht zu bezweifeln, daß der Theologe die Abschußerlaubnis
„erschlichen“ haben mußte. Kittelprotektion! Weiberwirtschaft im Revier!

„Friert dich in der Zung, weil ich keine Antwort auf meine Frage
bekomm?“ klang es spitz von den Lippen Amandas.

Gutmütig lachte Beni: „Nein, nein! Ist ja Sommer! Nur Gedanken hab’ ich
mir gemacht, weil -- na, ist Dienstsache, also Amtsgeheimnis! Neues
gibt es nichts! Nicht einmal Bescheid haben wir wegen der definitiven
Übernahme beim alten Gehalt!“

Schnippisch warf Amanda das Wort „Amtsgeheimnis“ hin. „Lächerlich das
Verschanzen hinter das Dienstgeheimnis, wo doch eine Frau regiert und
dirigiert! Da werden die Amtsgeheimnisse strengstens gewahrt bleiben!
Übrigens: was das Gehalt anbelangt, muß unbedingt eine Aufbesserung
eintreten!“

„Die Aussichten sind dazu nicht gut! Kein Darandenken!“

„Im Gegenteil: davon reden, und das bei nächster Gelegenheit!“

„Um Gottes willen nicht, Weiberl! Es könnt die Fürstin verschnupfen! Wo
sie eh nicht in rosiger Laune ist und auch noch gspaßige Ansichten vom
Jagdbetrieb hat!“

„Ich bin keine Klosterfrau, also laß ich mir das Reden nicht verbieten!
Ich werde mir die Fürstin schon fürifangen! Frau zu Frau redet sich
viel leichter, als wenn ein Mannsbild dabei ist!“

„Warum bist du denn so erpicht auf eine Gehaltsaufbesserung? Du
profitierst ja davon doch nichts, direkt wenigstens nicht!“

„Der Herr Forstwart irrt sich da aber ganz gewaltig! Ist übrigens egal,
ob Aufbesserung oder nicht: die Frauenarbeit im Ehestande muß von nun
an bezahlt und gelohnt werden! Mit Bargeld!“

Beni lachte, daß sein Bäuchlein hüpfte und Lachtränen aus den Augen
sprangen. Und übermütig zitierte er den Wiener Gassenhauer: „Maderln,
hebt’s d’ Füß in die Höh, heut geigt der Strauß!“

„Laß doch das hölzerne dumme Gelächter! Dir wird das Spotten schon
vergehen, wenn es blechen heißt!“

„Vom Zahlen bin ich allerdings kein Freund, weil ich allweil z’ wenig
Geld hab trotz aller Sparsamkeit! Aber der Witz von Bezahlung der
Ehefrau für ihre Arbeit im Hausstand ist so gut, daß ich mir ein
Flaschel Bier jetzt kaufe! Der Witz muß begossen werden!“

„Laß die Faxen, Beni! Es ist Ernst, nicht Scherz!“

„Die Leichenbittermiene steht dir ausgezeichnet, nur mußt ein schwarzes
Seidenkleid dazu anziehen!“ spottete der belustigte Ehemann.

„Hör zu und paß auf, Beni! Es ist heiliger Ernst! Das neue Gesetz
bestimmt, daß den Ehefrauen für ihre Arbeit im Hausstand ein Drittel
des Gehalts oder Jahreseinkommens des Ehemannes ausgezahlt werden muß!
Von Rechts wegen! Gesetz ist Gesetz, es muß befolgt werden von jedem
Staatsangehörigen!“

„Ganz ausgezeichnet! Den Witz schick an die ‚Fliegenden Blätter‘, er
wird sicher angenommen und honoriert! Weißt was, Weiberl, für das
Honorar kaufen wir uns dann im Admonter Stiftskeller ein Flascherl
‚Eisentürer‘!“

„Wer nicht hören will, muß fühlen! Der Ernst des neuen Gesetzes wird
dich schon zwicken! Ohne Gehaltsaufbesserung, also nach deinem jetzigen
Einkommen, gebührt mir ein Jahreslohn von sechshundert Kronen für
meine Hausfrauenarbeit! Diese Summe verlange ich! Und kraft des neuen
Gesetzes bestehe ich auf Bezahlung dieser Summe! Und im Weigerungsfalle
werde ich dich, wozu ich gesetzlich berechtigt bin, vor Gericht
belangen!“

Beni schrie vor Vergnügen, trommelte mit den Fäusten auf der
Tischplatte, und im Übermaß der Freude an dem köstlichen Witz begann er
in Schlappschuhen zu schuhplatteln, ahmte die Bewegungen des balzenden
Urhahnes nach und wollte die Gattin animieren, sich am „Platteln“ zu
beteiligen.

Amanda in höchster Entrüstung versetzte dem seelenvergnügten, lachenden
Gatten einen Stoß, der Beni ins Torkeln brachte, dann aber rauschte
Amanda aus der Stube. Krachend flog die Tür ins Schloß.

In herrlichster Laune pfiff Benjamin die lustige Melodie des
„Schuhplattlers“ zu Ende. Und dann holte er sich wirklich ein Fläschle
Bier aus dem Keller, um den Witz und das famose neue Gesetz zu
begießen. Allein allerdings, denn Amanda ließ sich für diesen Abend
nicht mehr sehen.

Merkwürdig -- mit einem Male wollte dem einsamen Zecher das Bier nicht
mehr schmecken. Wenn Amanda keinen Witz gemacht haben sollte, wenn
wirklich ein neues Gesetz bestünde?

„Unmöglich!“ knurrte Beni, dem das Lachen vergangen war. „Es sind die
unglaublichsten Gesetze schon gemacht und sanktioniert worden, aber
noch nie ein Gesetz, wonach die Ehefrau wie eine Dienstmagd einen
Lohn für ihre Arbeit im Hausstande bekommen solle. Ein solches Gesetz
kann doch gar nicht gemacht werden! Undenkbar! Durch eine derartige
Lohnzahlung würde die Hausfrau ja zur Dienstmagd herabgedrückt, jeder
Würde beraubt werden! Ein verrücktes Gesetz wäre das! Und gleich ein
Drittel des Jahresgehaltes oder Einkommens! Wer kann denn das leisten
und erschwingen? Die Subalternbeamten mit ihrem winzigen Gehalt! Die
Gewerbetreibenden! Die Bauern!“

Je länger Benjamin über das neue Gesetz nachdachte, desto schwüler
wurde ihm trotz der Abendkühle, die durch die offenstehenden Fenster
in die Stube drang. Ganze zwölfhundert Kronen vom Gehalt würden nach
Abzug des „gesetzlichen“ Lohndrittels verbleiben für den Haushalt, für
alle Bedürfnisse des Lebens, für Kleider, Schuhe usw. Unmöglich ein
Auskommen mit einer so winzigen Summe! So unsinnig und grausam kann
doch eine Regierung nicht sein, die schlechtbesoldeten Ehemänner zu
zwingen, der Gattin ein Drittel des Jahresgehaltes auszuzahlen.

Im bitteren Sinnieren fand Gnugesser ein Körnchen Trost: ein klein
bißchen „überspannt“ ist Amanda als frühere Lehrerin, sie wird
vielleicht irgend etwas dem angeblichen Gesetze Ähnliches aufgeschnappt
und nicht recht verstanden haben. Das vermeintliche, unmögliche Drittel
würde just der Gattin in den Kram passen, denn auf Geld ist sie erpicht
wie Meister Petz auf Zeidelhonig!

Beni beschloß, sich wegen des „neuen“ Gesetzes zu erkundigen, am besten
beim Pfarrer Pater Wilfrid, der doch davon auch etwas wissen muß. Ist,
wie zu erwarten steht, nichts Wahres an dieser ohnehin unglaublichen
Sache, so werden der überspannten Gattin die Lohndrittelmucken bald
ausgetrieben sein. In aller Güte und Gemütlichkeit selbstverständlich.
Denn wehe tun möchte Beni der Gattin nicht...

Im Schlafzimmer fand er Amanda schlummernd. Ihre geschlossenen Augen
täuschten und beruhigten ihn. Kaum hatte Beni das Licht ausgelöscht,
flammten Amandas Rätselaugen auf...



Fünftes Kapitel


Mit hochalpinen Kleidern durch Hildegards Schneiderkunst ausgerüstet,
konnte das Hoffräulein von Gussitsch einem Befehle zur Begleitung
mit einiger Ruhe entgegensehen. Stoff für ein richtiges Lodenkleid
war unterwegs. Die Fürstin Sophie schien jedoch nicht die geringste
Jagdpassion zu verspüren; der vom Jagdpersonal sehnlichst erwartete
Befehl zur Wildausmachung für Pirsch oder Drücken erfloß nicht. Dagegen
äußerte die Fürstin den Wunsch, das Forsthaus zu inspizieren, der
Forstwartfrau Gnugesser einen Besuch abzustatten. Für Fräulein von
Gussitsch war dieser Wunsch natürlich Befehl, weshalb die Hofdame
fragte, wann sie zur Disposition sein müsse.

Der Bescheid lautete: eine halbe Stunde vor dem Lunch, keine Ansage im
Forsthause.

Ein einleuchtender Befehl hinsichtlich der Nichtansage, damit Frau
Amanda keine Veranstaltungen zu feierlich-steifem Empfang oder gar zu
einer unerwünschten Bewirtung treffen kann.

Weniger einleuchtend fanden die allmächtigen Angestellten Norbert
und Hildegard den Besuch, sie befürchteten eine Verspätung des
Lunchbeginnes durch Verschwatzen. Wie überall in Hofhaltungen, sahen
die „Vertrauenspersonen“ sehr darauf, daß pünktlich gegessen werde am
Tische der -- Angestellten. Die höchsten Herrschaften können leichter
warten.

Im Forsthause herrschte eine Totenstille; die Forstbeamten weilten
dienstlich auswärts, Graf Thurn in Wien; Frau Amanda beschäftigte sich
mit dem Entwurf einer Ansprache, die demnächst in einer Versammlung
von Ehefrauen in der Angelegenheit der Entlohnung weiblicher Arbeit im
Ehestande gehalten werden solle.

In diese ziemlich schwierige Geistesarbeit vertieft, achtete Amanda gar
nicht des Geräusches leichter Schritte im Flur. Sehr überrascht fuhr
sie in die Höhe, als eine Frauenstimme rief: „Ist jemand da?“

Amanda trippelte in den Flur und stieß einen Schrei des Schreckens und
zugleich freudigster Überraschung aus, als sie die Fürstin erblickte,
die ob dieser Wirkung ihres unvermuteten Erscheinens vergnügt
schmunzelte und die Frau Gnugesser bat, ja keine „Geschichten“ zu
machen. Fürstin Sophie vereitelte auch sofort jede Möglichkeit hierzu,
indem sie bat, ihr die Wohnung des Forstwarts zu zeigen und zu sagen,
was allenfalls einer Änderung oder Verbesserung bedürfe.

Diese gutgemeinte, aber auch unvorsichtige Äußerung gab Amanda nicht
nur die Ruhe wieder, sondern auch hocherwünschten Anlaß, Bitten um
bauliche Verbesserungen vorzubringen.

Die Fürstin bereute denn auch ihre Äußerung und ging auf ein anderes
Thema über, indem sie fragte, ob sich die Frau Forstwart wohl fühle in
dieser Einsamkeit.

Sofort hing sich Amanda, indem sie den Damen Stühle anbot, in dieses
Thema ein und sprach gewandt und flüssig über den bitter empfundenen
Mangel an Verkehr mit gebildeten Leuten und an Mitteln geistiger
Weiterbildung. Nützliche Bücher seien ebenso schwer zu beschaffen wie
die enorm teuren Lebensmittel.

Auf die letztere Anspielung ging die Fürstin nicht ein, doch versprach
sie, die „einsame“ Försterin mit nützlichen Büchern versehen zu wollen.

„Untertänigsten Dank, Durchlaucht! Besonders beglückt werde ich sein,
wenn Durchlaucht die Gnade haben wollten, mir ein Exemplar des neuen,
für Hausfrauen so sehr wichtigen Gesetzes und wenn möglich eines
Kommentars dazu schenken würden!“

„Welches Gesetz meinen Sie denn, liebe Frau?“

„Es gibt ein völlig neues Gesetz, das der Frau einen Anteil am Gewinn
der Ehe in Höhe eines Drittels gewährt! Ist der Ehemann ein Beamter, so
muß er gesetzlich ein Drittel seines Jahresgehalts der Ehefrau zahlen
als Entlohnung der von der Frau im Haushalt geleisteten Arbeit! Von
Rechts wegen!“

Erstaunt und interessiert rief die Fürstin: „Was Sie sagen! Von einem
solchen Gesetz habe ich bisher keine Ahnung gehabt!“ Und zu Fräulein
von Gussitsch gewendet, fragte Fürstin Sophie: „Wissen Sie, liebe
Gussitsch, etwas von diesem sehr interessanten und wichtigen Gesetze?“

Martina mußte gestehen, daß sie bisher nicht das geringste davon
gelesen und auch nichts gehört habe.

Amanda sprach hastig: „Doch! Die Zeitungen beschäftigen sich
angelegentlich mit dieser Frage der Entlohnung der Frau im Hausstand!
Ich habe derlei Artikel ja selbst und so oft gelesen, daß ich hierüber
sehr gut informiert bin und auch darüber sprechen kann! Durch das
neue Gesetz, durch positive Rechtsnorm, ist ein Ziel erreicht, das
angesehene Frauen längst erstrebt hatten und das doch wohl als durchaus
berechtigt und den modernen Verhältnissen entsprechend anerkannt werden
muß!“

„Gewiß! Sagen Sie, liebe Frau, welche Stellung haben Sie vor Ihrer
Verheiratung innegehabt? Sie verfügen augenscheinlich über eine
Vorbildung, die sonst in Kreisen kleiner Beamter nicht zu finden ist!“

„Ich war früher Lehrerin!“

„Ach so! Das macht Ihre Stellungnahme zu dieser interessanten Frage
begreiflich! Was ich aber nicht verstehe, ist die Entstehung eines
in seinen Wirkungen so einschneidenden Gesetzes. Es wird doch über
Kleinigkeiten oft ganz schrecklich debattiert und Lärm geschlagen!“

„Höchste Herrschaften werden von diesem Gesetze nicht betroffen,
also ist es leicht möglich, daß Durchlaucht sich um dasselbe nicht
gekümmert, das Gesetz sozusagen übersehen haben! Die Interessen- und
Gedankensphäre einer Fürstin ist doch eine ganz andere, als die einer
Forstwartfrau oder Bäuerin oder Ehefrau eines Gewerbetreibenden!“

„Allerdings!“ Zur Hofdame sprach die Fürstin: „Bitte, liebe Gussitsch,
behalten Sie diese Angelegenheit im Auge und beschaffen Sie
baldmöglichst das betreffende Gesetz!“

Martina verbeugte sich.

Dann wandte sich die Fürstin wieder zu Amanda mit der Frage: „Wie
gedenken Sie auf Grund dieses interessanten Gesetzes in Ihrem Hauswesen
vorzugehen?“

Leuchtenden Auges und lebhaften Tones erwiderte Frau Gnugesser: „Die
Stellungnahme ist leicht und doch auch sehr schwer! Leicht insofern,
als das Gesetz klar und deutlich der Ehefrau das Gehaltsdrittel
zuspricht! Schwer hingegen wird es dem Ehemanne sein, dieses Drittel
in bar der Gattin auszuzahlen, wenn das Gehalt keine entsprechende
Aufbesserung findet! Mein Mann bezieht achtzehnhundert Kronen
Gehalt...“

„Verstehe! Also bekommen Sie als Ehefrau sechshundert Kronen, das
ist eine respektable Entlohnung Ihrer Arbeit, nicht? Ich hätte
wahrlich nicht geglaubt, daß ein so vernünftiges und wichtiges Gesetz
gemacht werden kann! Ein bedeutender Fortschritt auf dem Wege der
Gesetzgebung, eine soziale Großtat! Jeder Arbeiter ist seines Lohnes
wert! Zweifellos ist durch das Gesetz die große Bedeutung der Frau als
guter Haushälterin und Verwalterin für die Sicherung der Früchte des
Eheerwerbes nun allgemein anerkannt! Und auf der Frauentätigkeit beruht
der Segen der Familie! Sehr schön also diese Sache! Nur merkwürdig, daß
ich davon bisher keinen Ton gehört habe! Apropos: wie stellen sich denn
die anderen Hausfrauen dieser Gegend zu dieser grandiosen Neuerung?“

Umständlich berichtete Amanda, die sich nun in ihrem Fahrwasser befand,
über die durchgeführte Agitation, über die Belehrung der Frauen in
Hall, über den bereits errungenen Erfolg, der darin bestehe, daß sogar
auch Bauernweiber die Drittelszahlung fordern. Demnächst werde eine
öffentliche Frauenversammlung stattfinden.

„Sehr schön! Großartige Sache! Muß unterstützt werden! Aber nun sind
wir lange genug hier gewesen! Wir sprechen gelegentlich darüber! Adieu,
liebe Frau! Auf Wiedersehen!“

Mit einem Wortschwall des Dankes für die hohe Ehre des auszeichnenden
Besuches geleitete Amanda die Damen vor das Haus. Ein letzter Versuch
der Anspielung auf die Notwendigkeit einer Gehaltsaufbesserung als
Folge der Drittelszahlung mißlang kläglich, da die Fürstin die Uhr zog
und sich jäh verabschiedete. War es doch bereits ein Uhr geworden, die
Stunde des Lunch erheblich überschritten.

Eilig zum Schlößl stapfend, meinte die Fürstin: „Wie man sich nur
so verschwatzen kann! War aber ganz interessant, nur kann ich trotz
alledem nicht recht glauben, daß bei uns ein so einschneidendes Gesetz
in Geltung ist! Vergessen Sie nicht, ein Exemplar zu besorgen! Was ist
denn Ihre Meinung über dieses rätselhafte Gesetz, liebe Martina?“

„Verzeihen, Durchlaucht, in Gnaden! Erst möchte ich die einzelnen
Gesetzesbestimmungen lesen...!“

„Ja doch! Die Sache muß ihre Richtigkeit haben, denn die Försterin ist
vorzüglich informiert und orientiert! Ich bin neugierig zu erfahren,
wie sich unser ‚Hofpfarre‘ zu dieser Angelegenheit stellt!“

„Dem Pfarrer dürfte weniger das Gesetz, viel mehr die Revolutionierung
der Ehefrauen eine böse Bescherung verursachen!“ meinte Martina, um
doch auch etwas zu sagen und ein gewisses Interesse zu markieren.

„Apropos: Pfarrer! Teilen Sie dem Pater Wilfrid mit, daß er am 30.
August, dem Todestage meines hochseligen Gemahls, ein feierliches
Requiem zelebrieren soll! -- So, da sind wir! Die armen Leute! Haben so
lange auf das Essen warten müssen!“

Norbert kam gesprungen und nahm den Damen die Schirme ab.

„Nicht böse sein, Alter! Wir haben uns verplaudert!“ sprach
liebenswürdig die Fürstin. „Gleich servieren! Hast du argen Hunger,
Norbert?“

„Untertänigst zu dienen, Durchlaucht, dem alten Diener fällt das Fasten
schwer! Ich bitte um Verzeihung...“

„Was hast du denn angestellt?“

„Ich habe mir eine Kleinigkeit in der Küche geben lassen!“

„Ganz recht! Sehr vernünftig! Hoffentlich war auch Hildegard so klug!“

„Gewiß, Durchlaucht! Mit gnädigster nachträglicher Genehmigung!“

„Aber gern! Natürlich!“

Die Damen begaben sich ins Speisezimmer und durften einige Zeit warten,
bis serviert wurde.

Die Angestellten hatten nicht eine Kleinigkeit, sondern das komplette
Menü verspeist, und zwar reichlich. Daher die Köchin nun rasch
Schnitzel als Ersatz zubereiten mußte.

                                   *

Jeder Sonntag bringt dem Pfarrer, der keinen Kaplan hat, in den
Dörfern Arbeit in reichlichem Maße. Besonders mit Arbeit gesegnet
war Pater Wilfrid, der Pfarrer von Hall. Früh des Morgens begann die
Arbeit im Beichtstuhl, der sich um acht Uhr das Hochamt mit Predigt
anschloß. Unverdrossen, ja freudig tat der liebenswürdige Pfarrer und
Vater seiner Gemeinde seinen Dienst, angenehm davon berührt, wenn das
Gotteshaus dicht von Andächtigen gefüllt war. Insbesondere freute ihn
die Anwesenheit der Fürstin mit Hofdame im kleinen Oratorium. Während
der Predigt gewahrte er zu seiner Befriedigung auch die Forstbeamten
und etliche Jäger in den Reihen der Dörfler.

Nach dem Gottesdienste drängten zahlreiche Bauern zum Pfarrhause, wo
sie sich aufstellten wie die Orgelpfeifen.

Grüßend kam Pater Wilfrid vom Kirchlein herab, freundlich bat er die
Leute, ihm ein Viertelstündchen zum Frühstück zu gönnen, dann stehe er
zur Verfügung. Und lächelnd meinte er: „Aber einer nach dem andern!
Nicht alle zugleich einidrucken! Das vertragen die Mauern vom Häuserl
nicht!“

„Wohl, wohl!“ riefen die Bauern und lachten.

Die weißhaarige Dienerin im Pfarrhause trug den Kaffee mit Semmel auf,
und bemutternd mahnte sie den Pfarrer, er solle sich nur Zeit lassen
zum Frühstücken; die Bauern könnten schon warten, die kommen allweil
noch früh genug ins Wirtshaus.

Im Flur gellte die Hausglocke scharf und ungestüm.

„Jesses na, so eine Pressiererei! Der Hansdampf läutet mir gut! Lassen
S’ Ihnen nur Zeit, Hochwürden Herr Pfarrer! Ich mach nicht früher auf,
als bis Sie gefrühstückt haben!“

Pater Wilfrid trat ans Fenster und guckte, wer denn Einlaß forderte.
Erschrocken fuhr er zurück und hastig rief er: „Erna, g’schwind
aufmachen! Die Fürstin will mich besuchen!“

„Wär nicht zwider! Jesses na, so was! Wo ich gar nicht darnach an’zogen
bin und keinen Hut nicht aufhab!“

Der Kammerdiener Norbert riß abermals am Glockenstrange.

Die Dienerin sprang zur Haustüre und öffnete unter unzähligen
Verbeugungen. „Na, so eine Ehr! Frau Duhrlauch kommen selber, um mich
zu besuchen!“

Fräulein von Gussitsch sprach: „Durchlaucht geruhen den Herrn Pfarrer
zu besuchen! Bitte, melden Sie sofort!“

Gedehnten Tones, ob der leisen Zurechtweisung gekränkt, erwiderte die
Dienerin: „Selles Melden ist neammer nötig, wo der Pfarrer Ihnen eh
schon vom Fenster aus gesehen hat! Da springt er ja schon, der Herr
Hochwürden! Haben S’ die Ehr, und gehen S’ halt auffi!“

Pater Wilfrid bat die Damen, sich gütigst in das obere Stockwerk
bemühen zu wollen. Höflichst geleitete er die Fürstin hinauf.

Die Dienerin wollte die Haustüre abschließen und sah den Kammerdiener
Norbert wartend stehen. Ihn sprach sie schnippisch an: „San Sö
vielleicht der Brettelhupfer von der Fürstin? Dann können S’ herinnen
bleiben!“

Würdevoll erklärte Norbert, daß er der „Herr Kammerdiener“ sei.

Pater Wilfrid erschien oben an der Treppe und rief: „Geschwind, Erna,
Tee machen! Durchlaucht wünschen Tee zu nehmen!“

Schrill antwortete Frau Erna: „Was Ihnen nicht einfallt! Wo wir im
ganzen Haus kein Stäuberl Tee nicht haben! Und sicher im ganzen Dorf
auch nicht! Ein Schalerl Kaffee kann sie haben, die Frau Duhrlauch,
sonst nichts!“

So mußte denn Pater Wilfrid diesen Bescheid überbringen. Über seine
komisch klägliche Miene lachte die Fürstin hellauf. „Tut nichts, ist
kein Unglück! Herr Pfarrer wollen erlauben, daß ich Ihr Haus mit Tee
und was dazu gehört, versorge! Aus Selbstsucht, denn wir werden künftig
nach dem Gottesdienst bei Ihnen den Tee nehmen! Das heißt, wenn Sie
erlauben! So, nun wollen wir um so weniger stören, als zahlreiche
Bauern auf Audienzerteilung warten! Auf Wiedersehen, Herr Pfarrer!“

Norbert mußte den beim Wirte eingestellten Wagen holen. Am Pfarrhause
wartend, sah die Fürstin den Oberförster Hartlieb, den sie einlud, im
Wagen mit nach Hause zu fahren.

Mit höflichen, ernsten Dankesworten nahm Hartlieb diese Einladung an,
wiewohl sie seine Absicht, im Grabnerhofe dienstlich vorzusprechen,
durchkreuzte. Unwillkommen war sie ihm aber dennoch nicht, da er doch
wieder einmal Fräulein von Gussitsch in die schönen Mustela-Lichter
gucken konnte. Fand er doch Fräulein Edelmarderchen zum Anbeißen nett
und hübsch. Insgeheim natürlich, mit Ausschluß aller Öffentlichkeit.

Da es eine ziemliche Zeit währte, bis die Pferde angeschirrt waren,
bat die Fürstin, es wolle sich der Pfarrer nicht aufhalten lassen und
die Leute vornehmen. „Ich habe ohnedies mit dem Herrn Oberförster zu
sprechen!“

Pater Wilfrid verabschiedete sich und nahm den ersten wartenden Bauern
mit in die Pfarrkanzlei.

Ehrerbietig harrte Hartlieb der Mitteilungen, und er war im voraus
überzeugt, daß sie höchst wahrscheinlich eine Überraschung wenig
angenehmer Art für den Jagddienst sein werden. Aber auf die Frage, wie
sich das Jagdgut verzinse, war er doch nicht gefaßt. Die Käuferin mußte
doch über die Verzinsung informiert sein...

Kaum konnte Hartlieb seine Verblüffung verbergen.

Fräulein von Gussitsch hatte sich diskret einige Schritte entfernt und
hielt auf dem Sträßlein Ausguck nach dem Wagen.

Trocken und ernst wie immer gab Hartlieb die Auskunft: „Da für den
Haller Besitz nur das Jagdinteresse ausschlaggebend war und ist,
beträgt die Verzinsung nur zwei vom Hundert! Soll die Rente gehoben
werden, so muß eine geregelte Forstnutzung eintreten; wir haben
hiebreife Bestände, und für Nutzholz sind dieser Tage günstige Offerten
von größeren Firmen eingelaufen! Ich wollte nur noch kurze Zeit warten,
ob nicht noch einige Angebote erfolgen, und hatte vor, demnächst
hierüber Vortrag zu erstatten und die Genehmigung zur Durchforstung
und Schlägerung einzuholen!“

Das Antlitz der Fürstin bekam einen Zug von Geringschätzung, die Lippen
umspielte ein ironisches Lächeln, etwas wie Hochmütigkeit, da Sophie
sarkastisch sprach: „Holzhandel ist nicht mein Geschmack! Das Gut habe
ich in ganz anderer Absicht gekauft; freilich steht dahin, ob sich
diese Absicht verwirklichen läßt! Jedenfalls bleibt einzig und allein
das Jagdinteresse ausschlaggebend, ich werde mich mit der kleinen
Verzinsung begnügen! Also beachten Sie, lieber Hartlieb: nur das
Jagdinteresse im Auge behalten!“

„Zu dienen, Durchlaucht! Eben das Jagdinteresse veranlaßt mich auf
Grund eigener Wahrnehmungen in letzter Zeit und in Berücksichtigung der
Jägerrapporte den Abschuß überzähliger Gelttiere, und zwar bald, noch
vor Beginn der Hirschbrunft zu beantragen...“

„Aber warum denn?“

„Es hat sich das Geschlechtsmischungsverhältnis verschoben, wir
haben zu viel Kahlwild, der Abschuß von Gelttieren ist nötig! Ich
möchte bitten, daß das Personal, das ja sehr fachkundig ist, diesen
Abschuß vornehmen darf, und zwar auf der Pirsch, weil dadurch die
Revierbeunruhigung möglichst vermieden wird!“

Die Lippen hochziehend, meinte die Fürstin: „Ich weiß nicht! Der
Abschuß will mir nicht gefallen, noch weniger das -- Kanonieren durch
das Personal! Und ganz und gar nicht will mir gefallen, daß just das
weibliche Wild zum Opfer fallen soll! Das ist grausam! Nach Möglichkeit
hegen, Herr Oberförster, hegen!“

„Im Jagdinteresse bin ich genötigt, dringendst den Abschuß der
überzähligen Gelttiere zu verlangen!“ erwiderte Hartlieb höflichen,
doch dienstlich festen Tones. Und ehrlich ernst blickte er der
Gebieterin ins Auge.

„Ja doch! Sie als Fachmann müssen es ja besser wissen und verstehen,
Sie sind ja auch verantwortlich! Aber Wünsche wird die Besitzerin,
sozusagen der ‚Jagdherr‘, denn doch noch aussprechen dürfen! Machen
Sie mal einen Überschlag, so eine Art Aufstellung, damit ich erfahre,
wieviel weibliches Wild der Kugel verfallen soll! Eines steht fest:
ich für meine Person werde mich an dem erzwungenen Abschuß nicht
beteiligen! Und ohne Kontrolle darf auch das Personal nicht abschießen!
-- Der Wagen kommt! Wir fahren heim! Herr Oberförster, Sie können bis
zum Forsthause mitfahren!“

Unterwegs litt Hartlieb alle Qualen der Unterordnung des eigenen
Intellekts, des seelischen Kampfes in der Frage, ob der Fachmann
sich ducken, dem Willen eines Laien, noch dazu dem einer Frau, sich
unterwerfen oder auf die Dienstesstellung verzichten, sich um einen
anderen Posten bewerben solle. Unmännlich und feig erschien ihm das
Ducken, die Unterwerfung ein Verrat an den Idealen des grünen Berufes!
Lieber aus diesem Dienst scheiden mit reiner, ehrlicher Weidmannsseele!
Gehen, bevor der Waldmann -- fliegt...

Ein Weilchen hatte Fürstin Sophie mit Martina geplaudert, Fragen
gestellt und sie selbst beantwortet, bevor das Hoffräulein die Lippen
öffnete. Dann wandte sich die Fürstin mit einem liebenswürdigen
Lächeln an den Oberförster und fragte ihn im Tone köstlicher Naivität:
„Sagen Sie mal, lieber Hartlieb, was wird denn bei der jetzigen Art
des Jagdbetriebes eigentlich aus den -- Rehwitwen und aus den alten
Rehjungfern? Es werden ja doch immer nur Rehböcke geschossen! Wer sorgt
für die -- Reh-Relikten?“

Hartliebs Blick kündete Verblüffung; der Oberförster war paff. Und auf
der Zunge lag sehr locker ein Ausruf gelinden Entsetzens, ein Hilferuf
des konsternierten Weidmannes zum St. Hubertus.

Zum rettenden Engel aus dieser Verlegenheit Hartliebs wurde Martina,
die in diesem Moment lachte und ihre schimmernden Marderzähnchen zeigte.

Dieses erquickend frische Lachen ermöglichte es dem Jagdbeamten, den
Ausruf ungesprochen hinabzuschlucken, die verblüffende naive Frage
der Fürstin im Scherztone dahin zu beantworten, daß der Schöpfer dem
Leben der „Rehwitwen“ und alten „Rehjungfern“ mit dem fünfzehnten
Jahre ein natürliches Ziel und Ende gesetzt habe, so nicht durch
Krankheiten diese „Relikten“ früher verenden. Eine Verschiebung des
Geschlechtsmischungsverhältnisses zwinge übrigens auch beim Rehwild zum
Abschuß überzähliger Geißen und Gelttiere.

„Ach Gott! Nun kommt der schreckliche Mensch schon wieder mit den
‚Geschlechtsmischungsverhältnissen‘! An sich schon eine gräßliche
Worthäufung, gleich drei Hauptwörter aneinander gehängt und grausam
verquickt! Hat die Weidmannsprache, die ich wohl nie werde erlernen
können, noch mehr solcher Wortungetüme und Ungeheuer?“

Ehe Hartlieb antworten konnte, wandte sich die Fürstin aber schon
wieder an das Hoffräulein mit der Bemerkung, daß vergessen worden sei,
den Pfarrer wegen des Requiems zu interpellieren, zu fragen, ob diese
Angelegenheit in Ordnung sei.

Martina versicherte, daß sie befehlsgemäß dem Pater Wilfrid geschrieben
habe und somit wohl auf prompte Erledigung gerechnet werden dürfe.

„Schicken Sie den Norbert zum Pfarrer! Ich will bestimmten Bescheid
erhalten! -- Na, da sind wir ja schon am Forsthause! Apropos: Schicken
Sie mir morgen den Jäger Eichkitz zum Rapport! Auf Wiedersehen, Herr
Oberförster!“

Hartlieb verabschiedete sich. Ein warmer Blick inniger Sympathie flog
zum Mustela-Fräulein...

„Bei St. Huberto! Immer muß ich das Fräulein mit dem geschmeidigen,
zierlichen Edelmarder vergleichen!“ murmelte Hartlieb, als er nach
Abfahrt der Damen in das stille Forsthaus trat.

                                   *

Der Reihe nach nahm Pater Wilfrid in der Haller Pfarrkanzlei die Bauern
und sonstigen Besucher vor.

Ein stämmiger Mann, der Schmied von Hall, ältlicher Junggeselle, erbat
Auskunft, welche Papiere zu beschaffen seien, da er aus Barmherzigkeit
eine arme Witwe mit zwei Kindern heiraten wolle, um die bittere Not zu
beseitigen.

Mit der beruhigenden Auskunft, daß die gewöhnlichen
Legitimationspapiere genügen und daß nach Empfang derselben das
Pfarramt das Weitere besorgen werde, konnte der Schmied sich entfernen.
Ziemlich enttäuscht darüber, daß die Sache so glatt gehen werde, und
daß der Pfarrer auf die „Barmherzigkeit“ soviel wie gar nicht geachtet
hatte.

Der zweite Besucher, seines Zeichens Spengler und Glasermeister in
einer Person, wünschte Aufschluß bezüglich des neuen Gesetzes, wonach
die Gattin für ihre Arbeit im Hauswesen künftig bezahlt werden müsse.

Pater Wilfrid ließ die Frage wiederholen, so sehr mißtraute er seinen
Ohren. Und dann erklärte er, sich wegen des ihm ganz unbekannten
„Gesetzes“ erkundigen zu wollen. „Kommen Sie am nächsten Sonntag, dann
werden Sie Bescheid erhalten!“

Mit einem ähnlichen, schärfer präzisierten Anliegen kam der dritte
Besucher, ein Taglöhner und Besitzer eines Kleinanwesens bei Hall. Der
abgerackerte Mann wollte wissen, ob er wirklich verpflichtet sei, von
seinem ohnehin geringen Einkommen aus seinem Tagwerk dem Eheweibe die
Hälfte als Lohn für die Hausarbeit zahlen zu müssen. „Springgiftig“
fordere die Gattin jetzt schon eine Anzahlung, könne aber nicht sagen,
welches Gesetz diese Zahlungspflicht des Mannes vorschreibt.

Pater Wilfrid gab dem Manne den gleichen Bescheid wie bei Nummer zwei.

Der vierte Besucher war ein mittlerer Bauer, der erbost klagte, daß
seine Bäuerin die Hühner verkauft, den Erlös für sich behalten habe als
Entschädigung für ihre Arbeit in Haus, Stall, Garten und Feld.

Nun wurde Pater Wilfrid ob dieser Übereinstimmung der Anliegen doch
stutzig. Er fragte, ob Anzeichen vorliegen, daß die Bäuerin vielleicht
aufgehetzt worden sei. Ingrimmig berichtete der Bauer, daß vor einiger
Zeit die Frau des Forstwarts öfter im Gehöft erschienen sei, eifrig mit
der Bäuerin getuschelt und verhandelt habe, worauf das Eheweib sehr
scharf geworden sei. „Sagen S’ nur gleich, Herr Pfarrer, was ich machen
soll! Därf ich das hantige Weib verhauen? Und was ist das für ein
‚Gesetz‘, von dem die Bäuerin behauptet, daß ich fürder blechen muß,
was Zeug haltet?“

„Gedulde dich bis zum nächsten Sonntag! Ich werde mich inzwischen
erkundigen! Von einem Gesetz, das die Hausarbeit der Ehefrau entlohnt,
weiß ich einstweilen nichts! Glaub auch nicht, daß es bei uns ein
solches Gesetz gibt!“

„So? Nicht? Na, freu dich, Alte! Ihr werd ich das Hühnerverkaufen
hinter meinem Rücken schon austreiben mit’m Haslinger!“

„Warte mit dem -- Haslinger bis zum nächsten Sonntag! Aufs
Wiederschauen!“

Insofern die übrigen Besucher verheiratet waren, hatten sie alle
das gleiche Anliegen und den Wunsch, bezüglich des neuen Gesetzes
informiert zu werden. Auch der Dorfkrämer, der davon sprach, daß er die
Hölle auf Erden habe, seit die Frau Gnugesser in seinem Hause verkehre
und sein Weib zur Freundin und Vertrauten erkürt habe. Auch andere
Weiber kommen häufig und halten Sitzungen ab, als wenn der Kramerladen
ein Weiberparlament wäre.

„Ausstampern!“ meinte anzüglich Pater Wilfrid und schmunzelte dazu.

„Hat sich was mit dem Ausstampern! Hasen und Katzelen kann man
stampern, nicht aber Weiberleut, wenn die Weibets -- bleiben wollen!
Einmal hab ich das Stampern probiert, ein zweites Mal tue ich es nicht
wieder! Eine Watschen hab ich erwischt, die ist nicht von schwacher
Hand gewesen! Und was mich wurmt: ich weiß nicht von wem! Kann sein,
daß es die Kramerin gewesen ist, es kann aber auch sein, daß ein
Bauernweib mir die Watschen runtergewischt hat! Jedenfalls ist keine
christliche Demut im Spiel gewesen! Drum bin ich der Meinung, daß
Hochwürden Herr Pfarrer auf der Kanzel loswettern sollten gegen die
Malefizweiber, die rebellisch worden sind! Aber, bitt schön, ausgiebig
loswettern, gesalzen und gepfeffert, ganz sakrisch, auf daß den
Revoluzzerinnen Hören und Sehen vergeht und die Augen tropfen!“

„Wird schon zur rechten Zeit geschehen!“ Einer Regung folgend, riß
Pater Wilfrid rasch die Türe auf. Richtig kniete die Dienerin vor dem
Schlüsselloch. Heillose Bestürzung. Wie ein begossener Pudel sprang die
Witwe Erna auf, und krebsrot im verhutzelten Gesicht hastete sie davon.

Der Krämer rieb sich schadenfroh die Hände und freute sich mächtig. Und
lachend verließ er das Pfarrhaus.

Pater Wilfrid eilte nun in das Schulgebäude, um den Sonntagsschülern
Unterricht in der Christenlehre zu erteilen.

Dann ein Halbstündchen Pause für einen kleinen Imbiß und für eine
Rüge der Dienerin wegen Belauschungsversuchen von Dienstgesprächen.
Die weißhaarige Frau Erna verhalf dem jovialen Pfarrer zu einer
nicht geringen Überraschung, indem die alte Dienerin statt mit einer
Entschuldigung mit dem Vorwurf anrückte, daß Pater Wilfrid zu den --
nichtsnutzigen, hartherzigen und grausamen Mannsbildern halte! Deshalb
sei es eine heilige Pflicht der Weiber, sich zusammenzuschließen
und alles aufzubieten, daß die segensreichen Bestimmungen des neuen
Gesetzes voll und ganz zur Durchführung gelangen...

Pater Wilfrid griff sich an den Kopf und rief: „Ja, wie wird mir denn?“
Die alte Witwe richtete sich gravitätisch auf, stemmte die Hände auf
die schmalen Hüften und erwiderte triumphierend: „Jawohl! Gucken Sie
nur verwundert, Hochwürden! Ihr Staunen ändert nicht das geringste an
der Tatsache, daß das neue Gesetz die Stellung der Frauen im Haushalt
und Ehestand bedeutend heben und bessern wird! Ich für meine Person
werde allerdings von dem neuen Gesetz nichts profitieren! Dennoch
erachte ich es als meine Pflicht, mich den Frauen anzuschließen und
tapfer mitzukämpfen, bis der Sieg errungen ist!“

Kühl gab Pater Wilfrid zur Antwort: „Gewiß, Frau Erna! Sie können
mitkämpfen, meinetwegen heldenhaft mit Schwert und Spieß, nur nicht
als Pfarrhäuserin! Bevor Sie die Waffen zum Heldenkampf ergreifen,
müssen Sie das Pfarrhaus und Ihre bisherige Stellung verlassen! Und
das heute noch! Im Hause eines friedfertigen Priesters wird eine
Revolution, die Unterstützung verrückter Frauen nicht geduldet! Eine
Stunde Zeit zum Überlegen sei Ihnen gegönnt! Ich muß jetzt wieder in
die Schule zur Christenlehre für die Mädchen gehen! Hernach ist Segen
und Rosenkranzgebet in der Kirche! Sodann geben Sie Ihre Erklärung ab!
Guten Tag, Frau Erna!“

Verblüfft guckte die Matrone; ihr Kopf wackelte, die knöcherigen
Finger bebten. Und weinerlich klangen die Worte: „Mit Vergunst, Herr
Pfarrer! Wenn Sie die Sach so scharf anfassen, wird es für mich wohl
gescheiter sein, wenn ich meine Finger nicht hineinstecke! Wo soll ich
altes Weibel denn ein anderes Heimatl finden, so ich aus dem stillen
Pfarrhaus außig’schmissen werd! Ich bitt um Verzeihung! Die Frauen
sollen ohne die alte Erna kämpfen und sich die Finger verbrennen! Ich
tue nimmer mit!“

„Gut! Dann bleibt alles beim alten! Adieu!“

Im Dienste vollzog sich für Pater Wilfrid die an Sonntagen übliche
Hetzjagd: Schulunterricht, nachmittägiger Gottesdienst, Beteiligung an
einer Versammlung christlicher Arbeiter. Während dieser Verhandlung
wurde der Pfarrer abberufen, er mußte dem todkranken Zirnitzbauern
die Sterbesakramente bringen. Hernach noch die Vorkehrungen für den
Todesfall treffen, Kranke besuchen und trösten. Darüber wurde es
Abend. Im Einspännerwägelchen fuhr dann der Haller Himmelsführer zurück
ins Admonter Kloster. Das Tagewerk war aber immer noch nicht beendet;
als Gastmeister des Stiftes hatte Pater Wilfrid die Pflicht, sich um
die Gäste des Klosters zu kümmern, für ihr leibliches Wohl, für gute
Unterkunft und nach Möglichkeit auch für gesellschaftliche Unterhaltung
zu sorgen. Verpflichtungen von nicht gerade angenehmer Natur, wenn der
Gastmeister so viele Sorgen im Kopfe hat. Die größte Rolle spielte das
neue „Gesetz“ und die Haller „Weiberrevolution“. Beiläufig und sehr
dunkel glaubte Pater Wilfrid sich erinnern zu können, in einer Zeitung
vor Wochen einen Artikel gelesen zu haben, der sich mit der Frage:
Entlohnung der Hausfrauenarbeit im Ehestande, irgendwie beschäftigte.
Flüchtig gelesen und schnell vergessen. Emsig suchte Pater Wilfrid
in einer hofseitig gelegenen Zelle nach jener Zeitung. Einer der
weltlichen Klosterdiener kam und meldete pflichtgemäß, daß einige
Gäste gekommen seien, die sich jetzt in der Hofmeisterei befänden.
Provisorisch hätte der Diener des Gästetraktes die Zimmer angewiesen
und das Nötige für Beherbergung besorgt.

Rasch kontrollierte der Pater Gastmeister, ob der Rang der Gäste
mit den angewiesenen Zimmern und ihrer Ausstattung einigermaßen
übereinstimmte. Eine Umlogierung mit Verbringung des Reisegepäckes
mußte vorgenommen, Rücksicht auf Rang und Etikette, auf die
altberühmte Gastfreundschaft des Stiftes geübt werden. Nun eilte der
vielbeschäftigte Gastmeister hinauf in die im obersten Stockwerke
gelegene sogenannte Hofmeisterei. Ein großer, vielfenstriger Saal,
klösterlich einfach ausgestattet; ein Billard, von dem der Klosterwitz
erzählt, daß schon Kolumbus vor Antritt seiner Reise nach Amerika
auf diesem Vergnügungsmöbel gespielt hätte, etliche runde Tische
für Kartenspieler, an der einen Wand ein langer Tisch für Gäste und
Stiftsherren mit etlichen seltsam geformten Flaschen, die zwei Sorten
Klosterwein enthielten. Eine Kredenz mit Gläsern, ein Kleiderrechen
und ein Ständer für Zeitungen bildeten die Ausstattung des von einer
großen Hängelampe dürftig erleuchteten Saales. Klösterlich einfach und
bescheiden. Dennoch hatte dieser Raum eine Kostbarkeit aufzuweisen: die
herrliche, überwältigende Aussicht auf die „Haller Mauern“, auf das
wuchtig ragende Felsengebirge im Norden von Admont. Freilich waren von
diesen Zyklopenmauern am späten Abend nur noch die düsteren Schatten zu
sehen.

Etliche Stiftsherren mit dem Abte, den die goldene Prälatenkette
kenntlich machte, und drei Laiengäste saßen an dem langen Tische,
rauchten und plauderten. Nippten zeitweilig vom Weine, der an Sonntagen
auf Klosterrechnung den Stiftsherren gereicht wird. Gästen natürlich
auch an Wochentagen für die Dauer ihrer Anwesenheit.

Pater Wilfrid stellte sich den fremden Gästen als Gastmeister vor,
bat wegen verspäteten Erscheinens um Entschuldigung und verständigte
den einen Herrn wegen der Umlogierung. Und nun waltete er mit allem
Eifer seines Amtes, auf daß die Gäste rechtzeitig die Gläser gefüllt
erhielten und Unterhaltung fanden. Seine Weltgeläufigkeit wie die
höfisch geschulten Umgangsformen kamen dem Gastmeister gut zu statten
und machten den denkbar besten Eindruck. Benediktinerhöflichkeit und
-gastlichkeit.

Der vornehme Abt richtete später diskret an den Gastmeister und Haller
Pfarrer im halblauten Tone die Frage, ob dafür gesorgt sei, daß die
Fürstin von Schwarzenstein einen standesgemäßen Platz in der Haller
Kirche habe.

Flüsternd antwortete Pater Wilfrid: „Zu dienen, Euer Gnaden! Alles in
Ordnung und prompt besorgt!“

Ein freundlicher Blick des Abtes glitt zum Gastmeister, ein Nicken
kündete Befriedigung und Wohlwollen. Um zehn Uhr erhoben sich die Gäste.

Geräuschlos und flink besorgte Pater Wilfrid Licht. Und nachdem sich
die Gäste vom Abt und von den Stiftsherren verabschiedet hatten,
geleitete der Gastmeister, witzig sich als „Zimmermadel im Habit“
vorstellend, die Gäste in ihre Zimmer, sah noch geschwind nach, ob auch
Wasser vorhanden war, und zog sich dann mit besten Wünschen für eine
„geruhsame Nacht“ zurück.

In seiner Zelle bei traulichem Lampenschein beschäftigte sich Pater
Wilfrid noch einmal mit dem heillos unangenehmen „neuen Gesetze“. Die
Erinnerung an jenen Zeitungsartikel kehrte zurück und wurde lichter.
Und mit einem Male wußte der einsame Denker, daß der Entwurf zum
neuen Zivilgesetzbuche die Bestimmung enthält, wonach die Ehefrau ein
Drittel des Einkommens des Mannes als Entschädigung für ihre Arbeit im
Hauswesen erhalten solle.

Noch lichter wurde die Erinnerung: Es handelt sich um den Entwurf zum
neuen Zivilgesetzbuche der Schweiz.

„Gott sei Dank!“ murmelte Pater Wilfrid. Und wie von einer schweren
Last befreit, atmete er tief auf.

Und dann schlug er sich mit der Hand an die Stirne in Erinnerung, daß
jener Zeitungsartikel in einem Kölner Blatte enthalten war. Und einen
Pack dieser Zeitungen hat er selbst der Frau Forstwart Gnugesser, die
um Lektüre gebeten hatte, zum Lesen gegeben.

„Oh! Was hab ich getan?!“ stöhnte Pater Wilfrid. „Wie kann man so
unvorsichtig sein? Den Hecht in den Karpfenteich setzen!“

Freilich gab es eine Entschuldigung: niemand konnte ahnen, daß die
Forstwartsfrau just diesen Zeitungsartikel aufschnappen, den Entwurf
als gültiges Gesetz betrachten, die Länder verwechseln, den Entwurf
als Agitationsmittel benützen, die Weiber von Hall „revolutionieren“
werde...

Die mißverständliche Auffassung, die Verwechslung der Schweiz,
ermöglicht aber eine Gegenagitation, die wirksame Bekämpfung der
„Revolution“! Die Aufklärung des Irrtums durch eine Predigt von der
Kanzel aus wird und muß die Flammen der Weiberrevolution ersticken, in
der Haller Gemeinde die Ordnung und den Frieden wiederherstellen.

Um den Frieden bei seinen Pfarrangehörigen war es Wilfrid zu tun; dem
Frieden zuliebe hat er unzählige Opfer gebracht und wird sie bringen,
solange er Himmelsführer in der Gemeinde Hall sein wird.

So schrieb denn Wilfrid etliche Gedanken für die Predigt nieder.

Gegen Mitternacht machte sich die Ermüdung geltend. War der Pfarrer und
Gastmeister doch seit vier Uhr früh im Dienste, ununterbrochen tätig.

Die Feder entsank der fleißigen Hand.

Wilfrid löschte die Lampe aus und begab sich zur wohlverdienten Ruhe.



Sechstes Kapitel


Vor dem Jagdschlößl im einsamen Halltale stand eines klaren Morgens
ein schmächtiger, junger Mann in alter, verwetzter Steierertracht.
Kalkigweiß die Wangen, seltsam tief, scharfblickend und flackernd die
Augen. Bartlos, frisch rasiert die Wangen. Ein Mensch, weltfremd und
dennoch welthungrig. Mit dem aszetischen Gesichtsausdruck schien der
magere junge Mann gar nicht in die Tracht zu passen, die auf einen
Bergstock gestützte Gestalt mit einem Kugelstutzen älteren Systems auf
der linken Schulter sah wie Maskerade aus.

An scherzhafte Verkleidung, an Salontirolerei glaubte denn auch der
Kammerdiener Norbert, als er diesen „Steierer“ erblickte und wegweisen
wollte. Unmöglich konnte der junge, bleiche Mann ein Jagdgehilfe
sein: die auffallend weißen Hände, die kalkige Gesichtsfarbe sprachen
dagegen. „Sie, junger Mann, entfernen S’ Ihnen! Hier haben Sie nichts
zu suchen!“ rief er patzig.

Gelassen erwiderte der junge Mann: „_Ave!_ Guten Morgen!“ Und
unverändert blieb er in der Stellung.

Norbert riß es fast um. „Was haben Sie gesagt? _Ave?_ Wer sind wir
denn?“

„Zu dienen! Ich heiße Nonnosus, bin Admonter Novize und von Durchlaucht
hierher befohlen!“

„Nicht übel das! Ich weiß kein Wort! Unmöglich können Sie in dieser
Maskerade vorgelassen werden! Und was ein angehender ‚Mönch‘ im
Jagdschlößl zu tun hat, kann ich mir auch nicht denken!“

In hellstem Entzücken, in fanatischer Freude flammten die Augen des
Novizen auf, leise röteten sich seine bleichen Wangen, da Nonnosus
davon sprach, daß er von der Fürstin zur Jagd eingeladen sei, mit
besonderer Erlaubnis des Abtes pirschen, etliche Tage auf einer
Jagdhütte oben verbringen dürfe. „Seien Sie so gütig, Herr, und melden
Sie der Fürstin, daß der ‚Novize mit dem Jägerblut‘ gekommen ist! Die
Fürstin wird sich dann schon erinnern, daß sie mich eingeladen hat und
daß sie mich mit hinaufnehmen will! Haben Sie die Güte!“

Norbert schüttelte den Kopf.

Elastisch und flink kam der fesche Jäger Eichkitz heran. Den
sonderbaren „Steierer“ erblickend, spöttelte der schmucke Jägersmann:
„Je! Was ist denn dös für ein Spatzenschrecker! Wo haben s’ denn diesen
Popanz aus’lassen? Wohl eine Vogelscheuch’n für ein Erbsenfeld?“

Norbert schüttelte sich vor Lachen. Und Eichkitz lachte mit.

Ruhig sprach Nonnosus: „_Ave!_ Der Spott sei verziehen!“

Eichkitz grinste, hob verächtlich die Schultern und bat den
Kammerdiener um Anmeldung. „Zum Bericht auf neun Uhr von der Duhrlauch
befohlen, Herr Kammerdiener!“

„Das ist eine andere Wurscht! Befohlen, na gut! Wundert mich aber, weil
so früh die Fürstin sonst niemand empfängt!“

Pfauenstolz meinte der schmucke Jäger: „Mich schon! Ausdrücklich auf
Neuni befohlen, aufzuwarten!“

Norbert verschwand. Und alsbald kam er wieder, um zu melden, daß
der Herr aus dem Stift warten möge, bis der Jäger Eichkitz Bericht
erstattet habe.

„Danke, Herr! Ich werde geduldig warten!“ erwiderte Nonnosus in
unveränderter Haltung, auf seinen Bergstock gestützt.

Eichkitz legte im Flur Büchsflinte und Bergstock ab; mit dem
Hirschfänger an der Linken und mit dem Hütl in der Rechten stapfte er
hinauf. Und im Zirbensalon wartete er. Ziemlich lange währte es, bis
die Fürstin erschien.

Der unvermutete Anblick überraschte ihn; denn noch nie im Leben hatte
er eine Dame im -- Jagdkleid gesehen.

Sophie trug eine dunkelgraue Bluse aus Rohseide, darüber eine kokette
Lodenjacke, fußfrei kurz der grüne Lodenrock, Hosen von gleichem
Stoff, zierliche, bis zu den Knöcheln reichende Lederschuhe, die
notdürftig genagelt waren. Auf dem Kopfe saß ein dunkelgrüner Ausseer
Hut, geschmückt mit hellgrünem Seidenband und einem Gamsbart. Für
einige Sekunden verblüffte den Jäger Eichkitz diese Erscheinung,
besonders die Plastik der üppigen Büste und die ungewohnte Kleidung.
Doch rasch fand der junge Jäger und Weiberkenner heraus, daß dieses
schneidige Kostüm und die grüne Farbe wohl für ein hübsches junges
Mädel passe, keineswegs aber für eine Fünfzigerin. Mit vortrefflicher
Selbstbeherrschung unterdrückte er den Lachkitzel, den diese Kleidung
in ihm geweckt hatte. Eichkitz verbeugte sich und stammelte: „Gnädig
Duhrlauch haben befohlen! Ich melde mich gehorsamst zur Stelle!“

Lächelnd musterte die Fürstin den bildhübschen Burschen und lobte sein
pünktliches Erscheinen. „Ich möchte von Ihnen hören, ob wir wirklich
zuviel Gelttiere in den Hirschrevieren haben! Viel zuviel Kahlwild
angeblich!“

Die besondere Betonung des Wörtchens „angeblich“ fing der schlaue
Bursche sofort auf, er war willens, sich ganz nach der Gebieterin zu
richten und ihr zu Gefallen zu reden. Deshalb meinte er: „Ist nicht so
gefährlich!“

„Wieso?“

„Wenn gnädig Duhrlauch Kahlwild und Geltstück nicht abschießen wollen,
muß es auch nicht sein!“

„Also besteht kein gebieterischer Zwang?“

„Zu befehlen hat doch nur gnädig Duhrlauch! Das Verhältnis jagdbarer
Hirsche zum Kahlwild soll sein wie 1 zu 5! Das langt, weil ja unsere
Geweihten an Geweih und Leib eh stetig zurückgehen!“

„Weshalb denn?“

„In den Hochrevieren haben die Hirsche nicht die beste Äsung und für
Blutauffrischung ist nichts geschehen! Im letzten Winter ist die
Fütterung nicht überreichlich gewesen, weil ja die Pachtzeit ablief und
ein Käufer nicht vorhanden gewesen ist! Wenn gnädig Duhrlauch jedem
Hirsch mehr als fünf Stück gönnen wollen, hat es nicht viel auf sich!
Ganz wie Sie wollen!“

„Der Gedanke, Kahlwild abschießen zu lassen, ist mir unangenehm!“

„Muß ja nicht sein! Schießen dafür gnädig Duhrlauch die jungen Spritzer
und Schneiderhirscheln weg!“

„Sie meinen wohl auch, Eichkitz, daß man den Wald möglichst unberührt
lassen soll, was?“

„Mit Vergunst! Ich bin nur Jaager, vom Forstwesen versteh ich nichts!
Unsereiner heult um jeden Baum, der g’schlägert wird! Wie und wo soll
denn unser Hirschwild gedeihen, wenn der Wald immer weniger wird?“

„Danke! Ihre Liebe zu Wild und Wald gefällt mir sehr gut! Ich hatte die
Absicht, daß wir heute nachmittag zur Pyrgas-Hütte hinaufsteigen und im
dortigen Revier auf Gemsen pirschen werden! Nun aber bestimme ich, da
ja auch der Admonter Theologe bereits da ist, daß wir in einer Stunde
aufbrechen! Die Förster sollen nachkommen! Apropos: Behandeln Sie den
Admonter Theologen gut, er ist Sohn eines Jägers, hat Jägerblut in den
Adern! Er darf pirschen, er soll mal die Wonnen des Weidmannslebens
durchkosten, ich habe ihn eingeladen, er ist für einige Tage mein
Jagdgast!“

„Zu Befehl! Hab ihn schon gesehen! So ein -- lieber, netter, armer
Herr! Schad, daß er als Jaagerssohn Geistlicher werden muß! Wird
ihn hart genug ankommen, die Bezwingung des Jaagerblutes! Befehlen
Duhrlauch noch was?“

„Danke! Sie können gehen! Verständigen Sie rasch den Herrn Oberförster
und kommen Sie alsbald zurück! Wir marschieren um zehn Uhr ab!“

„Zu Befehl! Küß d’Hand, gnädig Duhrlauch!“ Ein huldvoller Wink und ein
Blick des Wohlgefallens. Eichkitz machte einen Kratzfuß und stelzte
vorsichtig über das glatte Parkett.

Den erheblich gestiegenen Wert seiner Person ließ Eichkitz dem
Kammerdiener in der patzig gesprochenen Mitteilung fühlen, daß in einer
Stunde zur Pyrgas-Hütte aufgebrochen werde. „Unter meiner Führung!
Veranlassen Sie wegen Proviant und Bagasch das Weitere! Wir marschieren
Punkt zehn Uhr ab! Servus, Herr Norbert!“

Seinen Ohren nicht trauend, rief Norbert: „Wie? Was? Er ist wohl nicht
bei Trost?! Und den arroganten Ton verbitt ich mir! Für Ihn, den
Jagdgehilfen, bin ich der Herr Haushofmeister! Verstanden!“

„‚Giften‘ S’ Ihnen, wie Sie mögen, vorher aber vollziehen Sie den
Befehl der Duhrlauch! Alles herrichten und auffitragen!“ Eichkitz ließ
den Kammerdiener in heller Entrüstung stehen und begab sich hurtig zum
Theologen vor dem Jagdschlößl, dem er mitteilte, daß die Fürstin ihn
erwarte.

„Ich danke Ihnen herzlichst, Herr Oberjäger, für Ihre Güte!“

Die Titelerhöhung schmeichelte Eichkitz nicht wenig, gönnerhaft und
herablassend meinte er: „Ist gern g’schehen! Springen S’ hinauf! Hohe
Herrschaften darf man nicht warten lassen!“ Dann eilte der Jäger zum
Forsthause, um den Befehl zu überbringen. Und im voraus freute er sich,
wie die Förster Hartlieb und Gnugesser bei ihrer Rückkehr aus dem
Dienst zum Mittag überrascht und verblüfft sein werden, daß die Fürstin
unter Führung des Jägers Eichkitz bereits am Vormittag ins Revier
gegangen ist. Den Befehl mußte Eichkitz schriftlich hinterlegen und
in das Schlüsselloch der Haustüre stecken, denn das Forsthaus war wie
ausgestorben, die Männer und auch Frau Forstwart Amanda waren abwesend.

Dann wanderte Eichkitz gemächlich zum Jagdschlößl, wo unter der
Dienerschaft eine ameisenhafte Regsamkeit herrschte infolge des
überraschenden Befehles zu verfrühtem Aufbruche.

Im Zirbensalon unterhielt sich Fürstin Sophie mit dem bleichen
Theologen im schlotternden Steierergewand. Der junge Mann mit seinen
tiefen, leidenschaftlich flammenden Augen, sein demütiges Wesen,
sein Seelenkampf wie seine Zukunft, all das interessierte die Frau
in besonderem Maße. Etwas ganz Neues im Einerlei der Bergeinsamkeit!
Dazu der prickelnde Nervenreiz für das bevorstehende Experiment auf
psychischem Gebiete: Wird des Novizen glühende Jagdleidenschaft durch
die Jagdleidenschaft erst recht auflohen zu versengender Flamme oder
infolge gesättigter Gier erlöschen?

Zunächst fesselte die Fürstin die Art, wie Nonnosus in Dankbarkeit des
Abtes gedachte, der ihm das Studium ermöglichte und in vollendeter
Vornehmheit seines hohen Amtes so ganz anders walte, denn sonst
anderswo die Seminarvorsteher.

„Wieso denn?“ fragte die Fürstin.

„Durch Grundsätze und Anleitungen für die jungen Theologen! So dringt
unser _Summus Abbas_ auf Selbstbildung und Selbstzucht! Wir müssen erst
selber Pädagogen werden, meint der Abt, dann können wir auch andere
bilden! Duckmäuser, Frömmler wünscht man im Stifte nicht!“

„Wie denkt man im Stifte wohl über die Beziehungen der Theologen zur
Frauenwelt?“ Ein forschender Blick flog zum Novizen.

Ruhig erwiderte Nonnosus: „Wir haben Anstandskurse im Kloster behufs
Beseitigung von Schüchternheit und Unbeholfenheit, Erzielung eines
gesetzten und sicheren Auftretens! Noblesse im Verkehr mit Frauen wird
gefordert! Entgegen dem anderswo üblichen Gebote, daß Kleriker Frauen
kaum die Hand reichen dürfen, lehrt man uns im Stifte, daß Frauen auch
Menschen seien, und daß Leute mit übertriebener Prüderie leicht und
häufig in das Gegenteil umschlagen! Unser Abt verurteilt die totale
Abschließung der Theologen von der Welt...!“

„Stimmt! Was denken Sie über den Hochmut?“

„Im Stifte lehrt man uns, daß der Priesterberuf ein hehres Amt, die
Priesterwürde hochzuhalten sei; aber die jungen Priester sollen und
dürfen sich nicht einbilden, infolge der Würde Menschen höherer Art
oder gar unfehlbar zu sein! Aus solchen üblen Auffassungen erwachsen
Hochmut und Unverträglichkeit!“

„Freuen Sie sich schon auf die Tage frohen Weidwerkes?“ Die Frage warf
den Theologen im Nu aus dem seelischen Gleichgewichte; Nonnosus verlor
die Herrschaft über sich, die Augen flackerten, das Blut schoß in die
Wangen, tobte in den Schläfen und machte fast schwindelig. Begeisterung
und Leidenschaft leuchtete aus den tiefen Augen, verklärte das bleiche,
scharfgeschnittene Gesicht. Wie weggeweht war in diesem Moment der
asketische Ausdruck.

„Sie dürfen, so Sie guten Anlauf haben, Gamsböcke schießen und von
Hirschen, was Sie mit sicherem Schuß bekommen können! Weibliches Wild
muß geschont bleiben!“

Wie verhaltenes Jauchzen klangen die Worte: „Vergelt’s Gott
vieltausendmal für die große, große Freud!“

„Schon gut, junger Freund! Schnappen Sie nur nicht über!“ Und in jäher
Erinnerung an ihren Sohn, der so gar kein Jagdinteresse besitzt,
verstummte die Fürstin, und ihre Gesichtszüge verfinsterten sich.
Schatten des Schmerzes lagen auf den leise zuckenden Lippen. Doch rasch
überwand sie sich und rief nach der Kammerfrau, die beauftragt wurde,
für ein Gabelfrühstück für den Theologen zu sorgen.

Hildegard nahm den schier taumelnden Nonnosus mit.

Eine Stunde später wurde der Marsch zur hochgelegenen Pyrgas-Hütte
angetreten. Als Führer an der Spitze pfauenstolz, wie ein Triumphator
der Jäger Eichkitz. In einem Abstand von etwa acht Schritten folgten
die Fürstin und Martina von Gussitsch, die gleich der Gebieterin auch
ein Jagdkleid trug. Mit dem Unterschiede, daß dem jungen zierlichen
Fräulein diese einfache Kleidung entzückend stand. Hinterdrein
stapfte Nonnosus etwas unsicher, des Steigens nicht mehr gewöhnt, vom
Jagdfieber durchrüttelt, mit heißen, lodernden Augen.

Mürrisch folgte Herr Norbert mit dem leichten Kugelstutzen der
Gebieterin und dem Wettermäntelchen.

Frau Hildegard trug ein kleines Köfferchen und war auffallend guter
Laune. Die dralle Kammerfrau freute sich mächtig, auf der Pyrgas-Hütte
den Oberförster Hartlieb zu treffen, den sie -- ohne sein Wissen --
in ihr Witibherz eingeschlossen hatte. Nicht mehr und nicht weniger
als Frau Oberförster wollte Hildegard werden, den Namen Schoiswohl mit
Hartlieb vertauschen, an der Seite des Jagdoberbeamten so glücklich als
möglich werden. Einstweilen hieß es freilich vorsichtig und zu Hartlieb
liebenswürdig sein... Drei Diener schleppten Decken, dickgefüllte
Rucksäcke mit Konserven usw.

Den Beschluß der Karawane bildete ein von einem Pferde gezogenes
Schlapfenwägelchen, geleitet vom höchst verdrossenen Leibkutscher, der
ob dieser Dienstesdegradierung empört war. Wenn etwas sein umdüstertes
Gemüt trösten und aufhellen konnte, war es der Umstand, daß die Kiste
auf dem Wägelchen viele gute eßbare Sachen, Bier und Wein in vielen
Flaschen enthielt. Auf Anordnung Norberts, der nie das leibliche Wohl
bei derlei Expeditionen vergaß und mit längerem Aufenthalte zu rechnen
pflegte nach dem bewährten Grundsatz: lieber zuviel mitnehmen als
zuwenig. Demgemäß konnte die fürstliche Freßkiste gar nicht groß genug
sein.

Ehrgeiz und allerlei Hoffnungen hatten den Führer Eichkitz
veranlaßt, ein Eiltempo anzuschlagen, das auf Dauer wohl der geübte
Hochgebirgsjäger einhalten konnte, selbst im steilen Aufstiege, nun
und nimmer aber Damen. Absicht des Triumphators war es, die Fürstin
möglichst schnell zur Pyrgas-Hütte zu bringen, früher, als die Förster
erscheinen konnten, auf daß der Jäger als der einzige anwesende
Fachmann vielleicht den Auftrag erhalten würde, die Gebieterin auf
einer Gamspirsch zu begleiten. Jagdleiter sein für den ersten Gang,
danach lechzte der ehrgeizige Bursche.

Wie Eichkitz aber den sehr groß gewordenen Abstand, die weit
zurückgebliebenen Damen gewahrte, gab er das Eiltempo sofort auf und
blieb wartend auf dem Steige stehen. Nicht eben entzückt von der nach
seiner Meinung miserablen Steigerei der bereits puterrot im Gesichte
gewordenen Fürstin, die sich der Jacke entledigt hatte und nur mühsam
kraxelte. Flink und sicher stieg Fräulein von Gussitsch. Wie ein
Gamserl! dachte Eichkitz, dem die hübsche Hofdame arg in die Augen
stach. Ein Hoffräulein! Eine feine Abwechslung wäre das! Aber so hoch
darf man die Augen nicht heben! Soviel Vernunft besaß der Jäger denn
doch...

Von nun an hielt Eichkitz den kurzen Abstand ein und stieg langsam,
drehte sich oft um, gleichsam in Erwartung, von der Gebieterin befragt
und sonstwie angesprochen zu werden.

Doch Fürstin Sophie hatte mit Atemnot zu kämpfen und nicht die
geringste Lust, sich in ein Gespräch einzulassen.

Ein Blick auf die Taschenuhr überzeugte Eichkitz, daß bei diesem
Schneckentempo alle Pirsch- und Jagdleitungshoffnungen aufgegeben
werden müßten.

Und als auf der Plechauer Alp eine längere Rast befohlen wurde,
konnte Eichkitz leicht ausrechnen, daß in spätestens einer Stunde die
Förster im Eilmarsch ankommen werden. Groß staunte die Sennerin ob der
Tatsache, daß der Jäger Eichkitz die hohe Ehre genoß, Führer sein zu
dürfen. Das war wenigstens ein Wonnetropfen: der Jäger imponierte jetzt
der Sennerin, dem Wildkatzl!

Geraume Zeit benötigte die ermüdete Fürstin zur Erholung. Und vom
Aufstieg zur hoch und steil gelegenen Pyrgas-Hütte wollte sie im
Sonnenbrande vorerst gar nichts wissen. Norbert erhielt Auftrag, einen
Imbiß und kalten Tee zu reichen.

Nicht einen Bissen konnte indes Fürstin Sophie genießen. Nur vom kalten
Tee schluckte sie fleißig.

Nonnosus befand sich in einer Beziehung in ähnlicher Lage wie die
Fürstin: er konnte den dankend angenommenen Happen Schinken nicht
essen. Hatte überhaupt kein Bedürfnis, nur das übermächtige, brennende
Verlangen, an Wild zu kommen. So nahe dem Gamsreviere, den wuchtigen
„Haller Mauern“, von Höhenluft umweht, deuchte ihm jede vertrödelte
Viertelstunde ein schrecklicher Zeitverlust.

Und nun ließ sich die wieder zu Atem gekommene Fürstin gar in ein
leutseliges Gespräch mit der Sennerin ein, fragte um nahezu alles im
Alpbetriebe und im Leben einer „Alpenjungfrau“, und zeigte für die
nichtigsten Dinge reges Interesse.

Wie von Eichkitz berechnet und befürchtet, kam es: plötzlich tauchte
die hagere Gestalt Hartliebs am Rande des Almbodens auf. Und wie er
sich der Plechauer Hütte näherte, in deren Schatten die Karawane
lagerte, schleppte schier zerfließend der Forstwart Gnugesser
sein Bäuchlein über den grünen Rasen. In Strähnen flatternd der
fuchsige Patriarchenbart. Bergmännlein schwitzend, wie Neuschnee
in der Julisonne... Das große rote Taschentuch konnte das viele
„Schmelzwasser“, so von Stirne, Wangen und Nacken rieselte, nicht mehr
aufsaugen.

Trotz alledem: pünktlich war Benjamin doch heroben!

Die Förster meldeten sich bei der Fürstin und wurden belobt, so
herzlich belobt, daß der in der Nähe stehende Jäger Eichkitz Essig im
Munde zu haben glaubte. Und dieser Essig verwandelte sich in bitterste
Galle, als der Befehl erteilt wurde: Alles voraus zur Pyrgas-Hütte!
Hartlieb sollte den Theologen an die Gams bringen! Fräulein von
Gussitsch und Norbert haben zu bleiben als Schutz für die Gebieterin!
„Ich werde erst in der Abendkühle hinaufkommen!“ sprach die Fürstin.

Wieder einmal anders disponiert! Aber schließlich begreiflich. In der
Nachmittagssonne steil im Gewänd aufsteigen, ist nicht jedermanns
Sache. Und Damen sind keine berggewohnten Jagdgehilfen...

Auf dem abendlichen Pirschgange hatte Oberförster Hartlieb an dem ihm
anvertrauten Theologen nur zwei Ermahnungen gerichtet: Auf den Wind
achten und nicht übereilt und nicht zu weit schießen.

Nonnosus, vom Jagdfieber erfaßt, hatte nur nicken können, das Sprechen
war ihm unmöglich geworden; wie zugeschnürt war ihm der Hals.

Beim Betreten einer Mulde gab Hartlieb das Zeichen zur Wahrung größter
Vorsicht, indem er den Zeigefinger auf den Mund legte.

An der Buchtung der von Latschen bestandenen und von Grasbändern
durchzogenen Mulde, etwa drei Büchsenschuß entfernt, ästen am Fuße
einer Felswand vier Gams ohne Kitze. Ein kapitaler Bock war darunter,
ein „alter Herr“ vermutlich, mißtrauisch, denn oft warf er auf und
sicherte.

Ein Näherkommen war unmöglich, die Entfernung für einen sicheren Schuß
viel zu weit. Unmöglich auch eine Erörterung des Jagdplanes und der
durch Sonne und Wind kompliziert gewordenen Situation. Hartlieb hatte
nicht geglaubt, daß an der Buchtung um diese Stunde gute Gams stehen
werden, die Böcke weiter oben vermutet. Noch beschien die Sonne einen
Teil der Hänge, die obere Felsmauer stand hell im scheidenden Licht,
demgemäß mußte mit Sicherheit angenommen werden, daß der Wind aufwärts
streichen wird. Aber der Zeit nach müssen bald die Abendschatten
zu ziehen beginnen, der Wind muß umschlagen und von oben wieder
herabstreichen. In diesem sehr bald zu gewärtigenden Umschlag lag die
Komplikation, das Übersteigen der Gams war sehr erschwert, zwecklos im
Moment, da der Wind wechselt und von oben herabzieht, dem Wilde die
Menschenwitterung zuträgt.

Einen Moment stand Hartlieb wie angemauert; plötzlich ließ er sich
geräuschlos nieder. Und wie vom Blitz getroffen sank hinter ihm der
Novize lautlos zu Boden. Nonnosus hatte den sichernden Bock rechtzeitig
eräugt, die schwere Gefahr einer Vergrämung augenblicklich erfaßt.

Ein Überlegen nun ohne jedes Verständigungsmittel. Und zuwenig Deckung.
Die Schußdistanz zu weit. Und die Zeit drängte, für ein Übersteigen des
kleinen Rudels war es nun schon zu spät.

Langsam und lautlos schob Hartlieb sich über das Geröll etwas
vorwärts. Nonnosus kroch vorsichtig nach, die scharfen Augen auf den
mißtrauischen Bock gerichtet, der sich mählich beruhigte und wieder zu
äsen begann.

Auf etliche Manneslängen konnten die beiden sich vorwärtsschieben, bis
zu einem Latschenschopf, der die letzte kleine Deckung bot. Darüber
hinaus war das Gelände völlig offen.

Hartlieb lag still wie ein Holzklotz. Unbeweglich auch Nonnosus, obwohl
die spitzen Steine sich in die Hände und Knie bohrten. Doch in heißer
Erwartung, in glühender Jagdleidenschaft achtete der Theologe dieses
körperlichen Schmerzes nicht, fühlte ihn kaum. Viel wichtiger war
die Abschätzung der Distanz, die Selbstbezwingung, das Niederkämpfen
des lockenden Gedankens, auf so große Entfernung zu schießen. Eine
Seelenmarter wurde es, der psychische Kampf viel schwerer denn die
Entsagung des Klerikers auf die Freuden der Welt. Unmöglich ein Wink,
ein Wort des Rates vom erfahrenen Jagdleiter, der wie tot am Boden lag.

Sachte begannen die Abendschatten ihr wundersames Spiel im leisen
Ziehen. Das Schußlicht minderte sich.

Der Bock verließ das Rudel, zog weg, verschwand zuweilen zwischen
Felsen und Latschen. Aber er kam immer wieder an den Standort, um den
Schützen zu peinigen. Und mehrmals stellte der Bock sich wannenbreit,
lockend zum Schusse.

Nonnosus war am Ende seiner Willenskraft. Mit äußerster Mühe
unterdrückte er ein Stöhnen, das der Seelenkampf, die aufs höchste
gesteigerte Leidenschaft und die nun drängende Schießwut dem
Gemarterten erpressen wollten.

Der regungslos liegende Jagdleiter staunte in Gedanken über das
korrekte Verhalten seines Begleiters, über die Seelenstärke, die den
mehr als gewagten, unweidmännischen Schuß nicht zuließ. Manchmal, für
Augenblicke, erwartete Hartlieb aber doch, daß es knapp hinter ihm
krachen werde, denn Nonnosus war ja nicht Fachmann, nicht gewöhnt an
solchen „Anblick“.

Noch ein Moment größter Spannung: Nonnosus nahm den Stutzen an den Kopf
und versuchte zu zielen.

Also doch! Sicher ein Fehlschuß bei schwindendem Licht! dachte Hartlieb
und wünschte von Herzen, daß die Kugel am Kapitalen vorbeifliegen möge.

Aber der tapfere Theologe bezwang sich und schob den Stutzen von sich.

Der Kapitalbock verschwand hinter einem Felsen. Und das Rudel empfahl
sich und zog gelassen weiter.

Die Dämmerung wob dunkle Schleier um die Stätte eines harten
Seelenkampfes.

Der letzte Schimmer auf der Pyrgas-Spitze erlosch, als sich die Herren
erhoben.

Hartlieb reichte dem heldenhaften Theologen die Hand und sprach im
Tone aufrichtiger Bewunderung: „Brav gemacht! Meinen vollsten Respekt!
So kann nur der echte Weidmann handeln! Meine Hochachtung für Ihre
erstaunliche Willenskraft!“

„Fast wäre ich doch im letzten Augenblick der überstarken Versuchung
erlegen! Ich darf also Ihr Lob nicht annehmen! Doch lieber geschneidert
heimgehen, als belastet sein mit einer Jagdsünde!“

„Morgen ist auch Jagdtag! St. Hubertus wird Sie schon belohnen und
Diana gnädig sein!“

Geschäftig frohes Leben herrschte auf der Pyrgas-Hütte, als Hartlieb
und Nonnosus ankamen. Das Diner wurde eben serviert. Norbert hatte
es wichtig mit dem Bedienen der Damen, die vor dem Anbau auf einer
Bank saßen und vergnügt über die primitive Art dieser Hofjagdtafel
kicherten. Der ins Freie gebrachte Tisch wackelte bedrohlich, wenn die
Damen Fleisch schneiden wollten, die Gläser wollten nicht stehenbleiben.

Flink kniete Eichkitz nieder, um Abhilfe zu schaffen, indem er
den Tischfüßen an der abschüssigen Stelle zusammengebogene Briefe
unterlegte.

Dies bemerkend, meinte Fürstin Sophie gutgelaunt: „Wohl Liebesbriefe,
Eichkitz, was?“

„Nicht ganz erraten, Duhrlauch! Nur unbezahlte Rechnungen! Hat also
nichts zu bedeuten, wenn die Briefeln etwa gelesen werden!“

„Sie schreiben wohl keine Liebesbriefe, was?“

„Nein, Duhrlauch! Ich mach so was immer mündlich ab! Ist sicherer!“

Ein großes Stück Roastbeef belohnte Eichkitz für seine Bemühung.

Hartlieb, Nonnosus und Gnugesser wurden eingeladen, am Tische der
Damen zu speisen. Da es an Stühlen mangelte, wurde die Bank aus der
Jägerstube herausgebracht.

Nonnosus sollte Bericht erstatten. Demütig bat er um Dispens. Für ihn
ergriff Hartlieb das Wort und lobte die Selbstbezwingung des Theologen
mit Wärme.

Die Fürstin dankte für diese Enthaltsamkeit und versprach dafür zu
sorgen, daß Nonnosus morgen sicher zu Schuß kommen werde.

In einen Wettermantel gehüllt, von Hartlieb begleitet, unternahm
Fürstin Sophie noch eine kleine Promenade. Es wurde ein Gamstrieb für
den Vormittag angeordnet. Hartlieb machte zwar aufmerksam, daß in den
Pyrgas-Revieren nie „getrieben“ worden sei, selten „gedrückt“; aber die
Gebieterin bestand auf ihrem Willen. Sie schränkte den Befehl aber dann
doch ein, indem sie dem Wunsche Ausdruck gab, es möge für Nonnosus
„geriegelt“ werden. Eichkitz und der Forstwart sollen in die „Sauwiel“
steigen und von oben die Gams herabdrücken zu den von der Fürstin und
von Nonnosus bezogenen Ständen. Je ein Gams genüge für die Schützen.

„Zu Befehl, Durchlaucht! Ich werde am frühesten Morgen die Stände
herrichten! Gute Nacht, Durchlaucht, angenehme Ruhe!“

Nur flüchtig konnte Hartlieb noch einen Blick von Mustela, vom
zierlich-hübschen Hoffräulein erhaschen. Ein funkelnder Blick wie von
Marderlichtern im Dunkel der Nacht.

Die Damen zogen sich in den Anbau zurück. Die Kammerfrau flüsterte
dem Oberförster die Frage zu, ob er wohl mit allem Nötigen versorgt
sei oder besondere Wünsche hege. Kühlhöflich lehnte Hartlieb alles
dankend ab. Und merkte gar nicht, wieviel Zärtlichkeit Hildegard in den
Flüsterton gelegt hatte und wie heiß ihre Augen flammten.

Schwer enttäuscht huschte die Kammerfrau dann in den Damenanbau.

Alles „Männervolk“ nächtigte in der alten Hütte. Der Theologe durfte
auf einer Holzbank liegen, eine Rücksichtnahme auf seinen Stand.

Der Morgen ließ sich trüb und nebelig an. Und sehr spät wurde es, bis
die Fürstin erschien. Für das „Riegeln“ war alles vorbereitet. Eichkitz
und Gnugesser saßen wohl schon oben in der „Sauwiel“ und froren im
Nebel und warteten auf den Hebschuß, der als Zeichen des Jagdbeginnes
vereinbart worden war. Aber dieser Schuß fiel nicht, da die Fürstin
immer wieder Befehle zu erteilen hatte und von der Hütte nicht
wegzubringen war. Hartlieb wartete geduldig zwar, doch auch ziemlich
verdrossen. Und Nonnosus bebte vor Freude und Jagdlust.

Endlich war es so weit, daß zu den Ständen gegangen wurde. Nonnosus
erhielt seinen Stand angewiesen und erkannte nun sofort, daß es sich
um eine kleine Treibjagd handeln wird. Ängstlich flüsterte er dem
Jagdleiter zu: „Verzeihung! Ich darf nur pirschen!“

Hartlieb konnte keine Antwort geben, es rief ihn die Fürstin zu sich.

Sehr einfach, doch recht praktisch war für den Theologen ein Sitz
errichtet in der Weise, daß der Schütze den Anlauf in der Flanke
bekommen muß. Unbehindert der Anschuß. Der Theologe mit dem Jägerblut
kämpfte hart und schwer um einen Entschluß, denn mit aller Klarheit
erinnerte er sich der Vorschriften, die dem Kleriker die _venatio
clamorosa_, die lärmende Jagd, verbieten. Zur Pirsche war er
eingeladen, heute aber eine Treibjagd befohlen. Was soll der Theologe
nun tun? Sitzenbleiben und zuschauen, wie die Gams vorüberspringen
werden? Oder schlankweg den Stand verlassen, gehorsam den Vorschriften?
Und was wird die Fürstin sagen, die doch mit besonderer Rücksicht auf
ihn diese Treibjagd angeordnet hat, auf daß er sicher zu Schuß komme?

In dieser Gewissensklemme stellte sich ein Beschwichtigungsgedanke ein:
bezüglich der _venatio clamorosa_ ist ausdrücklich die Jagd mit Hunden
verboten; auf Gams wird aber nie mit Hunden „geriegelt“; also kann der
Kleriker sich an dieser Jagdart beteiligen.

Recht wohl befand sich Nonnosus bei dieser Beschwichtigung des
Gewissens nicht. Er blieb auf dem Stand und rang sich zu dem
Entschlusse durch, das Wild unbeschossen zu lassen und später auf
eventuellen Vorhalt zu erklären, daß er wegen ungenügender Sicherheit
im Ansprechen des Geschlechtes auf das Dampfmachen verzichtet habe.
Eine Notlüge wird das sein, um den Vorschriften zu gehorchen und
Rücksicht auf die Fürstin zu üben.

Der Hebschuß fiel, vom Oberförster abgefeuert, als die Fürstin endlich
schußbereit war.

Eine Viertelstunde später machten Eichkitz und Gnugesser durch
Einsteigen in die Wände das Krickelwild hoch. Das etwas schmale Terrain
gestattete den flüchtenden und herunterstürmenden Gemsen nicht die
hübsche Entfaltung der breiten Front in schnellster Vorwärtsbewegung.

Ein Schuß vom Stande der Fürstin löste sie in hastende Rudel auf.

Schon der Hebschuß hatte im Nu den so mühsam errungenen Entschluß des
Theologen zum Verzicht umgestoßen. Die bebenden Finger schoben die
Patronen in die Kugelläufe und zogen die Hähne auf. Und wie dann Diana
sich gnädig zeigte und dem Schützen einen guten Anlauf gewährte, da
siegte die Jagdleidenschaft über sämtliche kanonischen Vorschriften.
Die Büchse flog an die Wange, das scharfe Jägerauge suchte unter dem
anlaufenden Krickelwilde einen guten Bock aus, die „Fliege“ faßte
Haar, zog mit, fuhr entsprechend vor, und alsbald schlug die Kugel.
Stürzend quittierte der Gams den Schuß, der Bock rutschte, versuchte
hochzukommen, doch rasch entwich die Lebenskraft.

Eine zweite Kugel warf eine auffallend starke Geltgeiß um. Schnell lud
Nonnosus wieder. Das Gros im Trieb war vorüber. Doch ein Nachzügler
kam gehumpelt, ein Bock mit seltsam verkrüppeltem linken Hinterlauf.
Sichtlich sehr pressiert wegen der Annäherung der Treiber, aber
infolge von Schmerzen im kranken Hinterlauf gehindert, das rettende
Fluchttempo anzuschlagen. Aus Mitleid und Barmherzigkeit feuerte
Nonnosus und fehlte. Die zweite Kugel warf den Bock um, doch stand er
wieder auf und blieb dann mit gekrümmtem Rücken stehen.

Wieder schob Nonnosus Patronen ins Lager. Der Fangschuß ging zu hoch,
erst die vierte Kugel beendete die Leiden des Kranken.

Der Trieb war zu Ende. Für Nonnosus begann jedoch die seelische
Bedrängnis, da der Blick auf seine Strecke fiel. Zwei Böcke und eine
starke Geltgeiß! Erlegt in einer Treibjagd. _Venatio clamorosa!_
Trotz aller Vorschriften! Schier schwarz ward es dem Theologen vor
den Augen, da er an die Folgen dieses Vergehens dachte. Unselige
Jagdleidenschaft...

Entblößten Hauptes, mit gesenktem Blick, erwartete Nonnosus die
Fürstin, fest entschlossen, um sofortige Entlassung behufs Rückkehr in
das Stift zu bitten.

Aber es kam anders. Schon auf eine Distanz von einem Dutzend Schritten
rief die übelgelaunte Fürstin: „Was war denn das für eine Kanonade bei
Ihnen? Wer wird denn so gamshungrig sein! Sie wissen doch, daß ich
hegen will! Sie dezimieren mir ja mein Wild! Übermitteln Sie dem Herrn
Abte beste Grüße!“

So viel verstand Nonnosus nun, daß er entlassen war, in vollster
Ungnade entlassen, und daß er sich schleunigst zu verflüchtigen habe.
Er stammelte etliche Dankesworte und trollte dann eiligst ab...

Verärgert klagte die Fürstin zu Hartlieb über Schießwut und
Undankbarkeit.

„Halten zu Gnaden, Durchlaucht! Es ist mit echter Jagdpassion ein eigen
Ding, die Selbstbezwingung ist sehr schwer, zuweilen ganz unmöglich!
Es ist meine Schuld, daß der Theologe den guten Anlauf ausgenützt hat,
denn ich hatte vergessen, dem Theologen mitzuteilen, daß Durchlaucht
nur ein Gams bewilligt hatten! Der Abschuß des kranken Bockes mit dem
verkrüppelten Hinterlauf ist unter allen Umständen weidmännisch korrekt
zu nennen, dieser Abschuß war geboten und hätte auch gegen den Befehl
erfolgen müssen!“

„Was? Nicht übel! Meine Befehle müssen stets beachtet werden!“

„Gewiß, Durchlaucht, beachtet! In jagdlichen Angelegenheiten ist der
Vollzug hingegen auf die Möglichkeit beschränkt! Oberstes Gesetz ist
stets die weidmännische Handlungsweise!“

„Ich bin sehr erstaunt, solche Äußerungen zu hören!“

„Halten zu Gnaden, Durchlaucht! Krankes Wild muß vom Personal oder von
geladenen Gästen unbedingt abgeschossen werden; es ist heilige Pflicht,
die Leiden zu beenden!“

Spitz erwiderte die Gebieterin: „Ja doch, selbstverständlich! -- Sie
haben kürzlich wegen Schlägerung angefragt! Ich wünsche, daß die
Schlägerung unterbleibt!“ Und nun fügte Fürstin Sophie genau die vom
Jäger Eichkitz geäußerten Worte hinzu: „Wo sollen denn unsere Hirsche
leben und gedeihen, wenn der Wald immer weniger wird!“

Trocken murmelte Hartlieb: „Zu Befehl, Durchlaucht!“

Am Abend dieses getrübten Jagdtages saß Martina von Gussitsch wieder
in ihrer Stube der Villa im einsamen Halltale und kritzelte etliche
Bemerkungen in das „Tagebuch“.

„Was die Diener bei Hof mit dem Ausdruck ‚Herhängen‘ meinen, weiß
ich jetzt aus eigener Erfahrung. Wenig zu tun haben und doch wie ein
Kettenhund angehängt sein! Für mich lautet es natürlich feiner: ‚zur
Disposition stehen‘! War das ein ‚Vergnügen‘ auf der Pyrgas-Jagdhütte!!
Nichts zu tun, nichts zu lesen, keine Gelegenheit zu irgendeiner
Selbstbeschäftigung! Beschränkt die Räumlichkeiten aufs äußerste!
Absonderung unmöglich! Dazu noch die untertänige und doch freche
Zudringlichkeit der Kammerfrau Hildegard, die, wie mir scheint, es
wagt, die Augen zu Hartlieb zu erheben! So eine Frechheit! Aber
Hartlieb ignoriert sie! Auf der Hütte war es ein höheres Mopsen. Gegend
ja allerdings imponierend, bei Nebel freilich weniger großartig! Und
wie der Wind in der Felsenwelt gern und häufig umspringt, so auch die
Meinungen, Ansichten usw. Launen der gnädigsten Gebieterin. -- --
Hui, wie schnell verflog doch das Jagdinteresse! -- Und wie schnell
vollzog sich die Übersiedlung von der Pyrgas-Hütte herunter in die
Villa! Mit nahezu nüchternem Magen, denn das Gabelfrühstück wurde
abgesagt! Der ‚Strecke‘, den erlegten Gemsen, nicht ein Blick gegönnt!
Ich verstehe -- leider -- vom Jagdbetrieb, vom Jagdwesen usw. nichts,
aber so etwas wie eine Ahnung habe ich doch, daß ‚unser‘ Jagdbetrieb in
seiner Unbeständigkeit nicht der richtige sein kann. Wetterwendisch,
ohne Rücksicht auf weidmännische Sitte und Brauch! Mit dem Oberförster
Jagdleiter Hartlieb und der Gebieterin muß es ‚etwas‘ gegeben haben,
irgendeinen Verdruß; kein Wunder übrigens, wenn der Jagdleiter ob
dieses Kuddelmuddels verdrossen ist. Auch über die Bevorzugung eines
Jagdgehilfen über den Kopf des Oberbeamten hinweg. Der Eichkitz muß bei
solcher Verhätschelung bald frech werden, wenn er es nicht schon ist.
Ob sich Hartlieb diese Eingriffe in seine Kompetenz, die Ignorierung
des Instanzenzuges auf Dauer gefallen lassen wird? Hartlieb in seinem
Ernst sieht nicht darnach aus! Zu ernst, sehr verschlossen; aber
männlich, korrekt, zweifellos ehrlich: ein richtiger Mann in des Wortes
bester Bedeutung. Vielleicht durch den rauhen harten Dienst ein bisserl
‚eckig‘ geworden; sicher alles, nur kein Hofmann! Aber wie er ist,
mir gefällt er sehr gut; die ‚Ecken‘ könnten abgeschliffen werden von
sanfter Frauenhand... Ach du lieber Himmel! Wohin verirren sich die
Gedanken?!! So ‚heiß‘ kann Liebe ja gar nicht sein, um lebenslang und
besonders im Winter hier auszuhalten; ein solches Opfer kann es nicht
geben! Das Diktum von der ‚alles besiegenden Liebe‘ gilt nicht für das
Halltal, weil unmöglich! Übrigens bin ich nicht in Hartlieb verliebt!
Nein! Er gefällt mir sehr gut; das ist alles und sicher nicht viel!
_Ecco la verità!_“



Siebentes Kapitel


Pater Wilfrid, der „Hofpfarrer“ von Hall, hatte einen schlimmen Tag
hinter sich, als er nach Admont zurückkehrte in nichts weniger denn
rosiger Laune. Was für einen Krach hatte es beim Spielbüchlerbauern
wegen der Verlegung des Requiem gegeben! Für den 30. August hatte
dieser Bauer einen Trauergottesdienst zum Gedächtnisse eines Verwandten
bestellt, und der Pfarrer hatte diesen Jahrtag notiert. Somit wäre
diese Angelegenheit in Ordnung gewesen, wenn nicht auch die Fürstin
von Schwarzenstein auf den gleichen Tag ein Requiem zum Gedächtnisse
des seligen Gemahls bestellt hätte. Dieser Frau mußte doch, obwohl
die Anmeldung verspätet einlief, der Vortritt eingeräumt werden.
Von dem Grundsatze: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ wollte der
Spielbüchler aber nicht abgehen, mit erschrecklicher Deutlichkeit hatte
er sich dahin geäußert, daß er auf die Fürstin von Schwarzenstein --
huste, soweit die deutsche Zunge klinge. Eine niedliche Bescherung
für den Haller Pfarrer! Aber als Diplomat wußte sich Pater Wilfrid
doch zu helfen, indem er die heikle Angelegenheit auf ein Gebiet
hinüberschob, wo der Spielbüchler empfindlich und zu treffen war:
Wildschadenvergütung! Auf die Anspielung, daß der Mangel an Rücksicht
die Fürstin veranlassen werde, künftig dem Spielbüchlerbauern gegenüber
die Wildschadenvergütung nicht mehr mit Noblesse in gewünschter Höhe
zu bewilligen, reagierte der Bauer doch und er erklärte, einen Tag
warten zu wollen, wenn der Pfarrer garantiere, daß die Verschiebung des
Requiems dem Verstorbenen nicht wehe tun werde. Diese Garantie konnte
der Pfarrer geben mit gutem Gewissen. Nach dem Krach war also der Zweck
doch erreicht worden.

Hingegen blitzte der gewandte, erfahrene und weltkundige Pater
Wilfrid bei Amanda Gnugesser jämmerlich ab. Die Försterin gab ihm
zwar die Zeitung zurück, aber sie weigerte sich mit erstaunlicher
Entschiedenheit, die Agitation für die Vergütung der Arbeit der Ehefrau
im Haushalte aufzugeben. Auf Grund des neuen Gesetzes müsse das hohe
Ziel in jeder Familie erreicht werden. Und die Agitation sei auch
bereits im besten Zuge, werde alsbald zu vollem Erfolge führen.

Vergebens hatte Pater Wilfrid aufmerksam gemacht, daß der Gesetzentwurf
in der -- Schweiz, nicht hier im Lande geplant sei, also von einer
gültigen Gesetzesbestimmung gar nicht gesprochen werden könne.
Hartnäckig hielt Frau Amanda am segensreichen Prinzip dieser
Frauenfrage fest, die Verbesserung der Rechtslage müsse errungen
werden, und es sei ganz gleichgültig, von wem die Anregung zur
Entlohnung der Frau im Ehestande ausgegangen sei. Tue der Staat nicht
mit, wolle man diese hochwichtige Frauenfrage nicht im Wege eines
Staatsgesetzes erledigen, so werde eben der Privatweg beschritten, der
Kampf mit den Ehemännern in Hall von den Weibern ausgefochten werden.
Die Männer müssen zahlen, egal, ob ihnen die Augen tropfen.

Pater Wilfrid verbot dann jedwede Agitation in seinem Pfarrsprengel.

Frau Amanda aber lachte ihn aus, verwies auf die Tatsache, daß
die Haller Weiber bereits revolutioniert seien, und daß die
Fürstin von Schwarzenstein auf Seite der Frauen stehe, mit der
Entlohnungsbestrebung wärmstens sympathisiere.

Unter solchen Umständen konnte ein weiterer Disput mit dieser hitzigen
Frau keinen Zweck mehr haben. Einstweilen mußte der Pfarrer den Rückzug
antreten. Demnächst aber wird der Kampf aufgenommen werden, und zwar
von der Kanzel aus.

Im Stifte suchte Wilfrid den Archivar Pater Leo auf, der gleich ihm
Pfarrer des Nachbardorfes Weng ist, also ein spezielles Interesse
für die Haller Frauenrevolution haben mußte. Pater Leo sprach denn
auch offen die Befürchtung aus, daß die Funken und Flammen dieser
Weiberrevolution nach Weng überspringen und überschlagen werden, und
daß es kaum möglich sein werde, mit einer Predigt die rabiat gewordenen
Frauen zu besänftigen.

„Ein anderes Mittel zur Bekämpfung der Revolution steht uns aber nicht
zu Gebote!“ meinte Pater Wilfrid.

„Zunächst freilich nicht, uns wenigstens nicht! Du wirst gut tun,
deine Fürstin zum Abrücken von der Haller Frauenrevolution zu
veranlassen! Tut die Fürstin nimmer mit, so schwindet der Nimbus, die
damischen Weiber werden stutzig, wahrscheinlich durch den Rückzug der
Fürstin doch etwas eingeschüchtert werden! Wenn die Flammen nach Weng
überschlagen, werde ich als Wenger Pfarrer alles aufbieten, um den
Männern das Rückgrat zu steifen! Und das wird gelingen, denn wo die
Bauern zahlen sollen, werden sie sehr rasch bockbeinig und schwerhörig.
Gehe hin und tue desgleichen, viellieber Bruder im Herrn!“

„Ganz gut! Und wie soll ich meine Fürstin zum Abrücken veranlassen?“

„Ja, das weiß ich nicht, ich bin ja kein Hofmann! Bring ihr bei, daß
die Beteiligung an der Frauenrevolution Kosten verursacht, daß die
Fürstin blechen, die Löhne ihrer verheirateten Diener und Beamten
aufbessern muß, wenn die von ihren Frauen geschröpften Diener und
Beamten die Weiberarbeit im Haushalt entlohnen sollen! Vom Gehalt
können die Ehemänner das ja nicht leisten! Hört die Fürstin, daß die
Liebäugelei mit der Frauenbewegung sie schwer Geld kostet, dann, meine
ich unmaßgeblich, wird die Frau mit aller Beschleunigung krebsen!“

„Der Rat ist gut und beachtenswert! Ein gerissenes Herrchen, der
vielliebe Amtsbruder!“

„Ach wo! Minimale Lebensweisheit, daß Geld überall eine gewichtige
Rolle spielt! Von Gerissenheit keine Spur! Und tausend Meilen entfernt
vom klugen und gewandten -- Eisenbaron!“

Wilfrid lachte zu dieser harmlos gemeinten Stichelei auf seine adelige
Abstammung. Und dann fragte er, ob Gäste im Stift angekommen seien, und
was es sonst Neues _intra muros monasterii_ gebe.

„Nicht viel, das Wenige aber schön und erquickend!“ Und nun berichtete
Pater Leo über den Stand der Jagdangelegenheit des Novizen Nonnosus,
der dem Abte Vergehen, Beteiligung an einer Treibjagd, der dem Kleriker
verbotenen _venatio clamorosa_, rückhaltlos eingestanden und demütig um
Bestrafung gebeten habe.

„Na, was hat der _Summus Abbas_ verfügt?“ fragte in offensichtlicher
Spannung Pater Wilfrid.

„Wie mir der Abt mitteilte, will er den Nonnosus der Heilsamkeit
wegen einige Tage zappeln lassen, dann aber verzeihen und von jeder
Bestrafung absehen. Wie der _Abbas_ den ‚Fall Nonnosus‘ auffaßt, liege
ein direkt straffälliges Vergehen gegen die kanonische Vorschrift
nicht vor; verboten sei die _venatio clamorosa_, den Ausdruck
‚Riegeljagd‘ wende der betreffende Paragraph nicht an, also habe der
Grundsatz zu gelten: ‚Strafgesetze sind streng zu interpretieren,
Analogien sind nicht zulässig, _in dubio pro reo_!‘ Der _Abbas_
erklärt, daß demnach die Erledigung der Sache in eigener Kompetenz
zulässig, die Meldung an den Bischof nicht nötig sei! Die milde
tolerante Behandlung werde eine viel bessere Wirkung bei Nonnosus
erzielen denn eine harte Bestrafung! Und so glaubt der _Abbas_, daß
der Novize im Laufe der Zeit seine Jagdleidenschaft überwinden werde!
Wohlwollen und Liebe seien gute Heilmittel, sagte der _Abbas_, und mit
feinem Lächeln fügte er bei: ‚_studeat plus amari quam timeri_‘!“

Freudig berührt, begeistert sprach Pater Wilfrid: „Ja, unser _Abbas_!
Eine Perle! Gott erhalte ihn uns ungezählte Jahre!“

„Ganz meine Meinung! Und noch eine Neuigkeit haben wir im Hause! Die
erquickende Milde des _Abbas_ hat dem anderen Novizen, Modestus, den
Mut gegeben, sich dem Abte anzuvertrauen. Geständnis: Kein Beruf zum
Priester und erst recht nicht für das Klosterleben! Will Medizin
studieren!“

„Alle Wetter, so’ne Bescherung! Auf Stiftskosten studiert und jetzt
ausspringen! Was hat denn der Abt gesagt?“

„Wunderschönes Diktum! _Summus Abbas_ sprach: ‚Wir können auch
tüchtige, christlich denkende Ärzte brauchen, die das Ordenswesen
aus eigener Erfahrung kennen!‘ Und der _Abbas_ will auch uns, _id
est conventus_, angehen, nach Maßgabe der Stiftsverhältnisse eine
Unterstützung zu bewilligen! Erquickende Toleranz, was?“

„Wahrhaftig erquickend! -- Nun aber Schluß! Ich bin rechtschaffen müde!
Muß aber noch die Kampfpredigt endgültig zu Papier bringen!“

„Wünsche viel Vergnügen und gute Verrichtung _ad hoc_! _Salve!_“

Die Patres-Pfarrer trennten sich, und Wilfrid suchte seine Zelle auf
und schrieb fleißig in die Nacht hinein mit gutem Erfolge...

                                   *

Mit dichtem, langsam ziehendem Allerheiligen Nebel begann der Morgen
des Augustsonntages. Kühl war es im einsamen Halltale, frostig in
den Gemächern der Villa. Die Bewohner fröstelten wohl alle, bis auf
die Köchin in der Küche, wo es wohlig warm war. Und auch Fürstin
Sophie empfand die Morgenkühle in dem Moment nicht, da die Kammerfrau
Hildegard auf silberner Platte einen soeben eingelaufenen Brief
überreichte. Vor der Vertrauten gab sich die Fürstin nicht die Mühe,
ihre Erregung zu verbergen; sie griff hastig nach dem Briefe und
sprach: „Ich werde klingeln!“

Hildegard verschwand.

Gierig begann Sophie die zweite Epistel des Sohnes, aufgegeben in
Dessau, zu lesen. Mit Überfliegen der Schilderung, die Emil von der
hübschen, prächtig entwickelten Muldestadt gab.

„Denk Dir nur, liebste Mama: der Herzog führt Allerhöchst persönlich
in seinem Theater die Regie, er ist der erste und letzte auf den
Theaterproben, kümmert sich um Kostüme, Szenerie, Dekorationen,
macht Dienst als Beleuchtungskontrolleur, prüft die Leistungen des
Orchesters und Kapellmeisters, kontrolliert die Tempi, kurz er leitet
alles selbst. Glaube aber ja nicht, liebste Mama, daß der Herzog bei
dieser verblüffenden Tätigkeit etwa ein G’schaftlhuber ist. Er ist
Fachmann durch und durch, seit vielen Jahren. Übrigens weiß ja die
heutzutage sich für Kunst interessierende Welt, daß dieser Sproß des
Hauses Askanien ein genialer Regisseur für Richard Wagner und die
musikdramatische Kunst ist, ein Bahnbrecher, der die Edeltraditionen
eines gesunden Originalstiles der deutschen Bühne mit produktivem
Geiste lebendig in seiner Person verkörpert! Alle Welt weiß das seit
vielen Jahren, nur ich habe es nicht gewußt! Zu Dessau an der Mulde,
wo die Leute halb sächsisch und halb berlinisch sprechen, habe ich
erkannt, daß ich von Wagnerscher Musik und Kunst jetzt halb soviel
verstehe wie der Leibjäger Seiner Hoheit. Nu nadierlich, es muß doch
der dienende Mensch in allernächster Umgebung des hohen Fachmannes von
Kunst mehr verstehen als unsereiner, der doch nur wegen des Balletts
ins Theater zu gehen pflegt!

Von wo der Herzog den vielen Spiritus bezogen hat, weiß ich nun
auch, nämlich von München, wo er fleißig mit Verstand und ohne Bier
Kunstgeschichte studiert und dem dortigen Theater das Beste der
Wagner-Inszenierungen abgeguckt hat. Muß der Mann gute und geschulte
Augen haben! Und ein enormes Gedächtnis, das ihm ermöglichte, alles
auf sein Dessauer Theater zu übertragen! Münchens Errungenschaften im
verkleinerten Maße in Dessau! Und hier ein sehr dankbares, vom Herzog
gut für Kunst erzogenes Publikum!“

Fürstin Sophie hielt in der Lektüre inne und stöhnte: „Gott! Was er für
Nichtigkeiten schreibt!“

Dann las sie weiter: „Bevorzugt wird hier die Oper, das Schauspiel, gut
gepflegt, läuft nebenher! Für modernes Liebesleben in neuen Stücken
interessiert sich der Herzog anscheinend nicht, ick ooch nich! Wenn es
wahr ist, was ich hier gehört habe, übertrumpft Dessau das Münchner
Theater insofern, als es an der Mulde kein Defizit gibt! Mit so an
vierhundert braunen Lappen subventioniert der Herzog seine Bühne und
tut dabei noch Dienst als Oberregisseur und Hofkapellmeister! Allen
Respekt! -- In Gesprächen über Kunst habe ich mich aus triftigen
Gründen auf das andächtige Zuhören beschränkt und vorsichtshalber
keinen Ton von mir gegeben! Somit steht zu hoffen, daß der fürstliche
Oberspiritual nicht gemerkt hat, was für ein -- Flußpferd in _puncto_
theatralische Kunst Prinz Emil von Schwarzenstein ist! Diese Ignoranz,
auf deutsch: Dummheit, kann ich der lieben Mama schon eingestehen, weil
Du meine Geistesbeschränktheit ja nicht auf den Stephansturm hängen
wirst!“

Die Kammerfrau trat ein und meldete, daß der Wagen zur Kirchfahrt
bereitstehe.

„Gleich, Hildegard! Nur noch fünf Minuten!“

Hastig las Fürstin Sophie den Bericht des Sohnes zu Ende: „Tags darauf
fuhren wir, der Herzog und ich, in die Dessauer Gehege, begleitet vom
Leibjäger, der nicht bloß Kammerdiener, sondern gelernter Jäger ist
und die Pirschfahrt zu dirigieren hatte. Ein interessanter Mummelgreis
als sachkundiger Jagdkutscher auf dem Bock neben dem Leibjäger. Um
die Wahrheit zu sagen: die genaue Kenntnis der Fahrwege und ihrer
Beschaffenheit, der Bodenverhältnisse (zuweilen sumpfig), der Standorte
des Rot- und Damwildes, der Sauen, das fast wortlose Zusammenarbeiten
des Leibjägers und des Jagdkutschers, das brillante Umfahren und
Einkreisen des Wildes hat mir imponiert! Für Jagd und Wild habe ich
bekanntlich und bis jetzt kein besonderes Interesse!“

Seufzend unterbrach die Fürstin für einen Moment die Lektüre. Um Emils
Interesse für Jagd und Wild zu wecken, hat die Fürstin das Jagdgut Hall
gekauft. Und nun bestätigt der Sohn schwarz auf weiß den Mangel an
Jagdinteresse... Zwecklos ausgegeben das viele Geld! -- Dann las die
Fürstin den Schluß: „Was hat denn Dein neues Hoffräulein dem Wolffsegg
im Höchsten Auftrage geschrieben? Wolffsegg macht einen Kopf wie ein
Schaf beim Donnerwetter! Ist die neue Brettelhupferin wenigstens jung?
Hübsch kann sie nicht sein, weil Hofdamen nie schön sind! Mir ist’s
natürlich egal, ich frage nur, weil die Brettelhupferin ja doch Deine
Hofdame, also ständig bei Dir ist! Für die allernächste Umgebung wählt
man doch lieber nette, sozusagen patschierliche, wenn möglich jüngere
Leute aus!

Kuß und Gruß der lieben Mama!

    Ew. Durchlaucht ehrerbietigst
    Emil von Schwarzenstein.

_P.S._ Auch hier sind die adeligen Töchter des Landes nicht nach meinem
Geschmack.“


Sophie verschloß den Brief. Und fuhr mit Fräulein von Gussitsch zur
Kirche im Dörflein Hall.

Unterwegs fragte die Fürstin: „Was haben Sie denn, liebe Martina, dem
Baron Wolffsegg geschrieben? Mein Sohn meldet, daß Wolffsegg gekränkt
sei!“

Die Hofdame versicherte, taktvoll und zart im Sinne der erteilten
Weisung geschrieben zu haben. Anlaß zu einem Gekränktsein sei ganz
gewiß nicht gegeben.

Die Fürstin schwieg und hing ihren Gedanken nach, die sich mit
dem Sohne beschäftigten. Unverkennbar ein gewisses Aufwachen als
wohltätige Folge dieser Reise.

Die Nebel wichen, die Sonne lachte. Köstlich war die Fahrt zur Kirche.
In guter Stimmung kam Sophie in Hall an, ehrerbietig von den Männern,
mit auffallender Wärme, fast mit Begeisterung von den Weibern begrüßt.

Pater Wilfrid hatte schon mit der Predigt begonnen, als die Fürstin
mit dem Hoffräulein sich im kleinen Oratorium niederließ. Die Ankunft
der Fürstin gewahrend, zauderte der Pfarrer einen Moment. Fatal war
seine Lage, da er sich blitzschnell erinnerte, daß die Fürstin in der
Haller „Frauenfrage“ auf Seite der Frau Forstwart Gnugesser stehe. Der
Pfarrer aber soll und muß heute von der Kanzel aus den Kampf gegen die
Weiberrevolution aufnehmen. Sein Thema kann er nicht fallen lassen,
es ist unmöglich, auf die Fürstin Rücksicht zu nehmen. Das Interesse
und Wohl der Pfarrgemeinde geht vor und steht höher. Entschlossen und
mutig sprach Pater Wilfrid auf der kleinen Kanzel von der Einheit der
Kirche und des Glaubens. „Christus wollte auch jene Gemeinschaft,
welche die Wurzel des gesellschaftlichen Lebens bildet, die Ehe, auf
den Boden der unzertrennlichen Einheit stellen. Und hier wollte er
nicht nur eine äußere Einheit, er wollte die vollkommene Einheit der
Familie, besonders der Ehegatten wiederherstellen. Diese von Christus
gewollte Einheit verlangt aber die Gemeinsamkeit der beiderseitigen
Interessen der Ehegatten. Nach der Lehre Christi soll der Mann das
Haupt der Familie sein, die Frau aber soll in allen rechtlichen und
billigen Dingen dem Manne untergeordnet bleiben, wie es die Kirche den
Brautleuten ausdrücklich und entschieden an das Herz legt. Trennung
und Spaltung der Interessen beider Eheleute kann darum unmöglich der
Wille des göttlichen Stifters des Ehesakramentes sein.“

Pater Wilfrid hielt einen Moment inne, dann sprach er mit scharfer
Betonung: „Wenn in der gegenwärtigen Zeit Strömungen kommen, die das
Ideal der gottgewollten Einheit der Ehe zerstören wollen, so ist das
nichts anderes als ein Angriff auf die Grundfesten der Ehe selbst!
Es ist traurig und betrübend, daß in unsere Pfarrgemeinde solche
Ideen durch Zeitungsnachrichten den Weg gefunden haben. Diese irrigen
Nachrichten sind unverständigerweise mündlich weitergetragen worden
von Personen, die keine Ahnung davon haben, daß durch derlei Ideen
die Einheit der Ehe schwer geschädigt, erschüttert, ja vernichtet
wird. Darum ist es notwendig, daß bei der menschlichen Schwäche
beide Eheleute diesen Gedanken der von Christus grundgelegten und
in seiner irdischen Familie vorbildlich durchgeführten Einheit der
Ehe nie aus den Augen lassen und sich weder durch schriftliche, dem
unchristlichen Weltsinne entsprungene Neuerungsideen, noch durch
mündlich fortgepflanzte einseitige Interessenpropaganda in ihrer
gegenseitigen heiligen Aufgabe irremachen lassen! Es ist notwendig,
daß in erster Linie der Mann, der Ernährer und Brotverdiener, die
Früchte seiner Arbeit zum Wohle seiner Familie verwendet und nicht in
einseitigem Interesse nur für sein Wohlbehagen sorgt! Ihm muß als treue
Lebensgefährtin die Frau zur Seite stehen, die Gattin, die nicht durch
einen rein weltlichen Arbeitsvertrag, sondern durch ein Sakrament mit
ihm verbunden ist.

Eine schwere Gefahr für den Familienfrieden und für die Erziehung der
Kinder ist es, wenn Mann und Frau ihre eigenen Wege gehen wollen und
sogar eine Trennung der zeitlichen Güter und irdischen Interessen
vornehmen wollen. Wenn Ehegatten dem Zuge der Zeit folgen, der darauf
hinausgeht, daß jeder nur sich selbst der Nächste sein soll und sich
nur um sein eigenes Wohl zu kümmern habe, so zerreißen solche Ehegatten
dadurch das Band des ehelichen Glückes, sie vernichten die göttliche
Gnade im verantwortungsvollen Ehestande. Gütertrennung vernichtet das
Ideal der Ehe, die innigste Verbindung von Mann und Weib. Die Ehe hat
zum Grunde die Opferliebe; jeder Gatte muß für den Ehepartner Opfer
bringen können, muß sie auch bringen im gemeinsamen Interesse. Ohne
gegenseitiges Vertrauen gibt es keine Liebe.

In unserer Gemeinde streben einige Ehefrauen die Entlohnung ihrer
Arbeit im Haushalte an. Diese Frauen sollen bedenken, daß das Eheweib,
das für die Hausarbeit Bezahlung fordert, sich selbst erniedrigt!
Ein solches Weib ist nicht mehr die dem Manne ebenbürtige Ehegattin,
sondern eine Dienstmagd gegen Lohn!“

Wieder machte der Pfarrer eine kleine Pause. Und dabei gewahrte er,
wie die Fürstin Sophie sich weit vorgebeugt hatte und den Prediger
mißbilligend anblickte. Aber weder Zustimmung noch Tadel durfte
ihn abhalten, seine Pflicht zu erfüllen. So sprach er scharf im
Tone weiter: „Die Frauen, die in unserer Gemeinde den Frieden in
den Familien stören, von den Ehemännern gleich gar ein Drittel des
Jahresverdienstes als Arbeitsvergütung fordern, diese Frauen berufen
sich auf ein neues Gesetz, das eine solche Bestimmung enthalte. Laßt
euch, Ehemänner, nicht irremachen, nicht einschüchtern! Bei uns gibt
es ein solches Gesetz nicht, weder ein altes noch ein neues! In der
Schweiz ist geplant, eine ähnliche Bestimmung in den Entwurf zum neuen
Zivilgesetzbuche aufzunehmen! Was die Schweizer tun, geht uns nichts
an! Die Agitation der Frauen entbehrt also jeglicher Berechtigung! Und
strafbar ist die Aufreizung! Wahret den Frieden im Hause! Amen!“

Bevor Pater Wilfrid die Kanzel verließ, warf er einen Blick auf die
Menge der Andächtigen. Unverkennbar war die Überraschung der Frauen,
ein gewisses Frohlocken in den Mienen der Männer, ein Aufatmen der
drangsalierten, nun durch den Pfarrer befreiten Ehemänner.

Überrascht, unangenehm berührt schien auch Fürstin Sophie zu sein,
die den Prediger starr vor Staunen angeguckt hatte und sich nun in
das Dunkel des Oratoriums zurückzog. Und während des anschließenden
Gottesdienstes beschäftigten sich die Gedanken der Frau mit der
Frage, wie es die Gattin des Forstwarts wagen konnte, das Protektorat
zu erbitten, wenn die ganze soziale Angelegenheit keine gesetzliche
Basis hat. Eine Unverfrorenheit war es von der Forstwartsfrau, die
Unterstützung zu erschleichen, die Fürstin in eine unberechtigte
Agitation hineinzuzerren. Unschön und rücksichtslos fand es Sophie
aber vom Pfarrer, daß er ihr nicht beizeiten die nötigen Informationen
gegeben, einen Rückzug in aller Stille ermöglicht hatte. In dieser
üblen Stimmung flüsterte die Fürstin dem Hoffräulein gegen Ende des
Gottesdienstes die Bitte zu, dafür zu sorgen, daß der Wagen zur
sofortigen Rückfahrt bereitgehalten werde. Gehorsam entfernte sich
Martina aus dem Oratorium.

Im Pfarrhause hatte die Dienerin Witwe Erna alles schön für den zu
erwartenden Besuch der Fürstin, für das Teefrühstück vorbereitet.

Als Pater Wilfrid hungrig von der Kirche kam und den festlich
geschmückten Frühstückstisch sah, lobte er die Wirtschafterin, die
darob zwar geschmeichelt lächelte, dennoch aber dem Pfarrer die
Bemerkung nicht schenken konnte, daß der hochwürdige Herr sich mit der
heutigen Predigt bei den Frauen eine böse Suppe eingebrockt habe.

„Ach was! Bringen Sie den Tee! Die Fürstin wird gleich kommen!“

Wagengerassel auf dem Sträßlein veranlaßte Erna zum Fenster zu
springen. Und erregt rief sie: „Da haben S’ den Salat, Herr Pfarrer!
Den Tee können S’ alleinig trinken, die Fürstin fahrt heim! Mit
dem Besuch ist also nichts, und ich hab mich umensunst geplagt!
Wahrscheinlich wird sich auch die Duhrlauch wegen der Predigt geärgert
haben! Wie man sich nur eine solche Supp’n einbrocken kann...!“

„Bringen Sie mir das Frühstück! Auf Ihre Bemerkungen verzichte ich!“

Alsbald servierte Erna mit allen Anzeichen der Enttäuschung und
Verdrossenheit.

Und Pater Wilfrid löffelte noch, als die Hausglocke Besuch anmeldete.
Der übliche Sonntagsaudienzdienst für den vielgeplagten Pfarrer
begann. Als erster Besucher kam der Forstwart Gnugesser mit seinem
strahlendsten Lächeln höchster Befriedigung, beweglich und vergnügt,
so daß das Bäuchlein hüpfte. Mit beiden Händen liebkoste der Forstwart
den fuchsigen Patriarchenbart und zog die Schnauzerenden in die Länge,
wodurch das Männlein ein geradezu kriegerisches Aussehen bekam. „Danken
möcht ich, Herr Pfarrer, für die prachtvolle Predigt! Gut, sehr gut
haben Sie den Weibern, die wo Geld möchten für die Arbeit im Haushalt,
die Meinung gesagt! Uns Ehemännern haben Sie die heißersehnte Erlösung
gebracht! Ich dank von ganzem Herzen! Und meine Amanda werd ich mir
heut noch fürifangen und die Krämerin auch, die, wo das Haupt der
Weiberrevolution ist!“

Scharf gellte die Hausglocke. Seine Rede unterbrechend, guckte
Gnugesser zum Fenster hinaus, zog aber sofort den krebsrot gewordenen
Kopf zurück und stotterte: „Au weh! Herr Pfarrer bekommen gefährlichen
Besuch: die Krämerin will herein! Kann ich derweil nicht in Ihrem
Schlafzimmer oder Salon warten, bis die Krämerin das Haus verlaßt?“

Lächelnd meinte Pater Wilfrid: „Eben sagten Sie doch, daß Sie Ihre Frau
und die Krämerin fürifangen wollten! Die Gelegenheit dazu ist geboten,
Sie können der Krämerin hier die Meinung sagen!“

„Nein, nein! Nicht hier, das Pfarrhaus soll doch ein Haus des Friedens
sein! Empfehl mich gehorsamst, Herr Pfarrer!“ Und der tapfere Held mit
dem Bäuchlein und Patriarchenbart drückte sich zur Türe hinaus. Und
prasselte die Treppe hinab so schnell, daß sich die hagere Krämerin
erschreckt in eine Ecke flüchtete.

Als dann diese Frau vor dem Pfarrer stand, mußte Wilfrid unwillkürlich
an jene Hundespezies denken, die sich durch besondere Magerkeit
und minimale Menge an Gehirn auszeichnet. Dürr und mager wie ein
Windhund war die Krämerin, aus den Augen leuchtete keineswegs
Intelligenz, dafür Streitlust und Eigensinn. Unter dem schwarzen
Kopftüchel quirlten etliche dünne Haarsträhne heraus wie Schlänglein.
Das scharfgeschnittene Gesicht gemahnte an einen Raubvogel und
kündete alles, nur nicht Sanftmut und Frieden. Und Krieg die eckigen
Ellenbogen, Kampf die knochigen, auf die schmalen Hüften gestemmten
Hände. Ein böser Blick züngelte am Pfarrer hinauf, der aber diese
Musterung ruhig aushielt und mit leichter Ironie im Tone fragte, womit
er dienen könne.

Fester stemmte die Krämerin die Hände auf die Hüften, scharf klang
die Stimme: „Die Predigt, Herr Pfarrer, die unglaubliche Predigt! Es
ist wirklich nicht zu glauben, was Sie heut von der Kanzel verkündet
haben!“ Die rechte Hand löste sich von der Hüfte, gebieterisch streckte
sich der Zeigefinger. „Diese Verkündigung wird der Herr Pfarrer
zurücknehmen!“

„Warum denn, liebe Frau?“

„Weil das neue G’setz schwarz auf weiß zu lesen ist! Die ganze Welt
weiß davon, nur der Pfarrer von Hall weiß nichts! Ich sag Ihnen: wir
führen die gesetzliche Bestimmung durch, ob es Ihnen recht ist oder
nicht! Wo ich die Fürsteherin vom Haller Frauenbund bin und zu befehlen
hab!“

„Die Absicht, ein gar nicht existierendes Gesetz zur Geltung zu
bringen, müssen Sie nicht dem Pfarramt, sondern der Behörde und der
Gendarmerie anzeigen, die Ihnen das Nötige und Weitere dann schon
mitteilen wird!“

„Mit den verdruckten Herren von der Bezirkshauptmannschaft will ich
nichts zu tun haben, die Herren sind zu politisch! Von der Kanzel hat
der Pfarrer gesprochen, durchaus Behauptungen, die dem Frauenbund nicht
passen, also halt ich mich an den Pfarrer, der die heutige Predigt
z’rücknehmen muß am nächsten Sonntag!“

„Zurücknehmen kann ich nichts, aber ich werde in der nächsten Predigt
schildern, was für eine grundgescheite Fürsteherin der Haller
Frauenbund hat...“

„Das ist grad nicht nötig! Ich weiß schon selbst, daß ich eine
g’scheite Frau bin!“

„Schön! Da Sie soviel Intelligenz besitzen, werden Sie gewiß auch
wissen, wie man die Tür von -- außen zumacht!“

„Was? Ausschaffen! Mich, die Fürsteherin, wo im kleinen Finger mehr
Gesetzeskenntnis hat als der ganze Herr Pfarrer! Das Ausschaffen
werden S’ büßen, wahrlich nicht wenig!“ Wie beschwörend streckte das
hagere Weib die dünnen Arme in die Höhe. „Sie wollen den Kampf, gut,
wir werden um unser heiliges Recht kämpfen! Empfehl mich, Hochwürden!“
Schrill lachend, entrüstet verließ die Krämerin mit zappeligen
Schritten das Zimmer.

Pater Wilfrid konnte der Komik dieses Auftrittes nicht widerstehen
und schmunzelte. In das Treppenhaus tretend, wollte er eben hinunter
zu Erna rufen, daß der nächste Besuch vorgelassen werden solle; das
Gekeife der Krämerin veranlaßte ihn jedoch, mit dem Rufe zu warten.

Wütend zeterte die Krämerin zur Dienerin: „Außi g’schmissen hat er
mich! Wo ich die Fürsteherin bin! Ich aber steh gut dafür: die längste
Zeit ist er in Hall Pfarrer g’wesen! Außi muß er! Und dem Abt in Admont
werd ich meine Meinung sagen, bis ihm die Augen tropfen und die Ohren
stauben!“

Wilfrid lachte hellauf.

In höchster Wut warf die Krämerin die Haustüre so wuchtig ins Schloß,
daß das Pfarrhaus erzitterte.

Der Reihe nach kamen Bauern mit ihren Anliegen; diesmal aber auch
etliche Weiber, die aber wider Erwarten Wilfrids nicht auf die Predigt
reagierten, dafür erstaunliche Bitten vorbrachten. Eine Bäuerin
wünschte eine Bevorzugung durch Anweisung eines Kirchenstuhles in
der vordersten Bank. Die Bauersfrau Troger bat um Benediktion des
Stalles, und zwar heute noch, weil der Pfarrer an Wochentagen selten
oder nie in Hall sei, und eine Kuh Schlingbeschwerden habe. Eine andere
Bäuerin klagte über den Lehrer, der ihren Kindern zuwenig beibringe und
zuviel mit dem Stock arbeite. Mit einer kostbaren Beschwerde kam eine
alte Jungfer namens Hupfauf: „Herr Hochwürden!“ lispelte sie anfangs,
„ich bin es bekanntlich, die seit Jahren den Marienaltar mit Blumen
schmückt; Sie aber sind es, der diesen Schmuck immer wegnehmen ließ!“

Pater Wilfrid erwiderte trocken: „Ganz richtig! Jede Zierde muß Maß und
Geschmack haben! Auch ziert man den Marienaltar nur an Marientagen und
im Monat Mai!“

Bedeutend schärfer im Ton rief die Jungfer Hupfauf: „Was? Sie wollen
mir vorschreiben, wann ich die Gottesmutter verehren und schmücken
darf? Und zuwenig G’schmack soll ich haben! So eine Beleidigung! Danken
sollen Sie, daß man sich überhaupts um die Kirch’n kümmert! Wo die Welt
eh schier nichts mehr von Kirch’n und Pfarrer wissen will in dieser
schrecklichen Zeit!“

Wilfrid suchte die aufgeregte alte Maid zu beruhigen.

Aber die Jungfer wurde völlig rabiat und zeterte: „Sein tun die
Mannsbilder alle gleich, lauter Spitzbuben, die z’sammenhelfen, wo
es gegen die Jungfern geht! Schamen sollen Sie Ihnen, daß Sie zu den
Mannsbildern halten und gegen die Weiber predigen! Mich geht die Sach
mit dem Frauenbund nichts an, weil ich Gott sei Dank eine Jungfer bin
und in Ewigkeit von Mann und Heirat nichts wissen will! Aber weil der
Herr Pfarrer so -- herb auf die armen Frauen ist und mir das Schmücken
des Altars nicht erlauben will, werd ich von nun an zum Frauenbund
halten! Jawohl! Und Sie werden dann schon sehen, daß Sie den kürzeren
ziehen! Denn siegen tut immer und überall das edle weibliche Geschlecht
und die Tugend! Empfehl mich, Hochwürden!“

Während die alte Maid hinausrauschte, krümmte sich Wilfrid vor Lachen.

                                   *

Dem Requiem zum Gedächtnisse des hochseligen Fürsten wohnten die Witwe,
der zurückgekehrte Hausmarschall Graf Thurn, Fräulein von Gussitsch,
die Beamten, etliche Jäger und das gesamte Personal bei. Hernach
stattete die Fürstin mit Martina dem Pfarrer einen Dankbesuch ab. In
milder Stimmung, die der Trauerfeier entsprach, dankerfüllt ob der
rührendschönen Gedächtnisrede Wilfrids.

Die Dienerin konnte diesmal Triumphe feiern und Anerkennung einheimsen,
denn Fürstin Sophie nahm den Tee ein und lobte die weißhaarige
Wirtschafterin nach allen Seiten hin.

Im Verlaufe des Frühstücks kam die Fürstin auf Wilfrids „soziale“
Predigt insofern zu sprechen, daß die hohe Frau fragte, ob es wirklich
kein Gesetz ähnlich dem Schweizer Entwurf gebe.

Schlicht erwiderte Wilfrid: „Nein, Durchlaucht!“

„Was wird denn nun die Folge Ihrer Kontrastellung sein?“

Die Schultern hochziehend, meinte Pater Wilfrid: „Abwarten und Tee
trinken! Wenn die Männer mit dem Geld nicht herausrücken, wird die
Frauenrevolution im Sande verlaufen müssen! Je eher, desto besser! Auch
im Interesse Euer Durchlaucht!“

Überrascht fragte die Fürstin: „Wieso? Meine Privatinteressen haben
doch mit der Haller Frauenbewegung nichts zu tun!“

„Doch! Nämlich im Falle, daß ein Gesetz _à la_ Schweiz den Ehefrauen
das Gehaltsdrittel des Brotverdieners bewilligen würde!“

„Ich verstehe Sie wirklich nicht!“

„Müßten die im Dienste Euer Durchlaucht stehenden verheirateten Beamten
und Diener das Gehaltsdrittel den tugendsamen Ehefrauen zahlen, so
würden die Beamten und Diener genötigt sein, die gnädigste Gebieterin
um -- Gehalts- und Lohnaufbesserung zu bitten!“

„Ach so! Danke für diese wichtige Aufklärung! Sehen Sie zu, Herr
Pfarrer, daß die Frauenbewegung bald ein wohltätig Ende findet!“

Nach der Abfahrt der Frau rieb sich Peter Wilfrid die Hände, denn das
schnell erfolgte „Umsatteln“ der Fürstin bereitete ihm Spaß. Und dann
beschloß er, das energische Abrücken der Fürstin zu verwerten im Kampfe
gegen die Haller Weiberrevolution.



Achtes Kapitel


Das direkte Eingreifen der Fürstin in jagdliche Angelegenheiten,
der Befehl, daß die Jagdgehilfen ihr direkt Berichte zu erstatten
haben, all das mußte zur Ignorierung des Instanzenzuges führen, die
Dienstesverhältnisse nachteilig beeinflussen, die Charaktere ungünstig
verändern. Die Jagdgehilfen merkten sehr rasch, daß sie williges Gehör
fanden, sie kamen wegen jedes Pfifferlings, machten sich wichtig,
betonten die Mühen ihres Dienstes, ihre Aufopferung, und versuchten
Geldgeschenke herauszuschinden. Um den Jagdleiter Hartlieb kümmerten
sich die Jagdgehilfen kaum noch. Erteilte er Befehle, so wurde mit der
Befolgung gewartet, weil nach entsprechend gefärbtem Bericht von der
Fürstin ja doch Gegenorder gegeben wurde. Offene Auflehnung gegen den
Oberbeamten wagten die Jäger natürlich nicht; aber sie freuten sich
diebisch, daß so vieles über den Kopf Hartliebs hinweg angeordnet,
dem Jagdleiter die Hände gebunden, ihm Stellung und Dienst sehr sauer
gemacht wurden.

Am frechsten gebärdete sich der schmucke, von Durchlaucht ganz
besonders bevorzugte Jäger Eichkitz. War er doch eine Art „vortragender
Rat“ in Jagddienstangelegenheiten geworden, täglich zum Bericht
befohlen. Und fast immer geschah, was er befürwortete. Die täglichen
Gänge zur Villa gaben einen willkommenen, leicht zu begründenden
Anlaß zur Dienstschwänzung, zu Erleichterungen. Die Rennerei in die
hochgelegenen Pyrgas-Reviere hatte ein Ende. Klug deckte sich Eichkitz
den Rücken gegen das Eingreifen des Oberbeamten, indem der fesche
Bursch die Gebieterin aufmerksam machte, daß er nicht gleichzeitig an
zwei Orten sein könne; nicht in der Villa bei der gnädigsten Fürstin
und nicht zur selben Zeit auf dem Pyrgas. Das begriff die Gebieterin,
und sie befahl, daß den Dienst in den Pyrgas-Revieren ein anderer
Jagdgehilfe zu machen habe; Eichkitz solle nur zeitweilig behufs
Kontrolle nachschauen.

Eichkitz trug die Nase hoch; aber so klug war er doch, um sich
durch Brüskierungen nicht unnötigerweise Feinde zu schaffen. Groß
war freilich die Verlockung, den Kammerdiener Norbert hochnäsig zu
behandeln oder doch zu verulken; Eichkitz sagte sich aber, daß er
vielleicht den wegen seines Einflusses nicht zu unterschätzenden Mann
gelegentlich brauchen könnte, und stellte sich in dieser Erwägung
auf guten Fuß mit dem Haushofmeister. Der Kammerfrau Hildegard, der
noch immer stattlichen Witib, gegenüber spielte er den aufmerksamen,
demütigen Jüngling, huldigte ihr und verdrehte die Augen, seufzte
wohl auch, wenn just kein Beobachter vorhanden war, und bettelte um
Protektion. Nicht vergebens, denn die geschmeichelte Kammerfrau steckte
ihm manchen Bissen zu. Da Eichkitz zur Schonung seines Geldbeutels
freie Verköstigung zu Lasten, doch ohne Wissen der Fürstin anstrebte,
mußte logischerweise mit der fürstlichen Hofköchin anbandeln. Dies
gestaltete sich aber schwerer, als der hübsche Frechdachs es sich
vorgestellt hatte. Die üppige Köchin mit dem ungewöhnlichen Taufnamen
Restituta war keineswegs blind, sah ganz gut, daß der Jäger ein
bildhübscher Kerl war, aber sie hatte unerschütterliche Grundsätze.
Restituta machte auch Eichkitz gegenüber, als er sie erstmals
anschmachtete, kein Hehl daraus, daß sie gelobt und geschworen habe,
genau den gleichen Lebenswandel zu führen wie ihre Namenspatronin,
nämlich „jungfräulich“ zu bleiben und „mutig“ durch das irdische
Leben zu gehen, auf daß die Köchin wie die heilige Restituta genau
an einem 17. Mai sterbe und von einem Spezialengel in das himmlische
Paradies geführt werde. Im tiefsten, heiligsten Ernste hatte Fräulein
Restituta dies gesagt und dabei einen Blick verfrühter Verzückung zum
Küchenplafond gerichtet. Eichkitz aber kämpfte mit übermenschlicher
Kraft, um das Lachen zu verbeißen und den Anschein zu erwecken, als
glaube er jedes Wort und er sei ein Verehrer der Restituta von wegen
ihres „Mutes“. Nur sprechen konnte er in jener Stunde nicht, der
Lachkitzel war zu stark.

Bei einem zweiten Versuch der Anbandelung war der Frechdachs aber schon
imstande, zu fragen, ob die Restituta auch -- wohltätig gewesen sei.

Davon war der Köchin nichts bekannt; sie wußte sich aber zu helfen,
indem sie dem andächtig zuhörenden Jäger mitteilte, daß laut der
Heiligenlegende die selige Jungfrau Restituta aus einer -- adeligen
Familie stammte. Weil sie dann Christin wurde und hinterdrein ob ihres
Märtyrertodes heilig, muß sie auch wohltätig gewesen sein.

Eichkitz beschattete mit der Hand die listig funkelnden und lachenden
Augen, und süßlichen Tones sprach er die Überzeugung aus, daß
sicherlich auch die Köchin Restituta willens sei, sich durch ausgiebige
Wohltätigkeit den freien Eintritt in das Himmelreich zu verdienen.

Wie erhofft, biß die dicke Köchin auf diesen Köder, indem sie
herausplatze: „Aha jo! Gärn aa no! Wos möcht er denn, der Jaaga?“

„Der Hunger tut weh, Fräuln Restituta! Besonders tut der Hunger weh,
wenn der Mensch kein Geld nicht hat! Sind Sie vielleicht auch aus einer
adeligen Familie, Fräuln Restituta? So etwa vom Landadel?“

Hochgeschmeichelt meinte die Köchin mit wonnekündendem Lächeln:
„Därweil no net!“

Der Lohn für die kecke Schmeichelei bestand darin, daß Eichkitz ein
großes Stück Paprikaspeck bekam. Und als der enttäuschte Schelm
jammerte, daß der Paprika viel Durst erzeuge, gab ihm Restituta auch
noch Geld zur Durstlöschung. Und dazu den Rat, zu jener Stunde in die
Küche zu kommen, wenn für das Hauspersonal das Essen verabreicht werde.
Wo für so viele Leute Speise und Trank vorhanden sei, könne ein armer,
frommer Jäger auch mitessen.

Und so erreichte der Frechdachs sein Ziel doch. Aber schon nach
etlichen Tagen juckte ihn der Übermut, er verulkte die heilige
Restituta so drollig und witzig, daß die Hausangestellten vor Vergnügen
brüllten, die entrüstete Köchin aber den Spötter mit dem Besen
fortjagte.

                                   *

Oberförster Hartlieb war sich darüber völlig klargeworden, daß er
unter den so gründlich und ungünstig veränderten Dienstesverhältnissen
nicht auf die Dauer in seiner Stellung bleiben könne. Mannesehre,
Stolz und Berufsliebe zwingen dazu, den Posten aufzugeben, sich um
eine andere Stellung zu bewerben, anderswo unter einem Jagdherrn und
Sachverständigen zu dienen. Der Weiberwirtschaft im Jagdbetriebe war
Ambros Hartlieb bis zum Ekel überdrüssig geworden. Von einem richtigen
normalen Jagdbetrieb konnte überhaupt nicht mehr gesprochen werden.
Überflüssig war der Jagdleiter, er wurde nicht gerufen, erhielt auch
keine Befehle. Kam er in die Reviere, traf er den einen oder anderen
Jagdgehilfen im Dienst, so war ziemlich deutlich eine gewisse passive
Resistenz zu beobachten. Nicht offene Weigerung, die Befehle Hartliebs
zu befolgen, nur verhaltener Widerstand, Verzögerung. Lauernde Blicke,
spöttisches Lächeln, widerliche, mit Hohn gemischte Unterwürfigkeit;
Mienen, die zu künden schienen: Jagdleiter bist du nicht, hast nichts
mehr zu befehlen, kannst mir auf den Buckel steigen!

Keine Abschußerlaubnis. Keine Einladung mehr. Diese Ignorierung tat
Ambros allerdings nicht wehe, im Gegenteil, der Forstmann und Jäger
freute sich, daß ihn die Gebieterin in dieser Beziehung vergessen zu
haben schien. Für den Hofdienst schwärmte Hartlieb nicht, hatte von
der ersten Stunde an nichts Gutes erhofft. Aber doch nicht geglaubt,
daß alles so schlimm für den Waldoberbeamten und Jagdleiter unter der
Damenherrschaft kommen würde. Unerträglich und empörend war die Lage
für den ernsten, einsamen Ambros geworden. Entwürdigend! Dirigent ist
der Jagdgehilfe Eichkitz, Frechdachs und Schmeichler in einer Person.
Ein falscher Tropf, aber ein fescher Bursch. Verlogen, faul, Egoist,
eine Null als Jäger und als Mensch.

In einsamen Stunden fragte sich Hartlieb oft, warum er sich nicht
aufraffen kann, den Dienst aufzukündigen und den früheren Jagdpächter
Grafen Lichtenberg brieflich zu fragen, ob er eine Stellung für ihn
habe.

Etliche Gründe hatte Ambros für seine Unentschlossenheit, für das
Hinausschieben des entscheidenden Schrittes.

Die Hirschbrunft wird demnächst beginnen. Will die Gebieterin
Brunfthirsche schießen, so muß sie sich ja doch an ihren Jagdleiter
wenden. Unmöglich kann die Hirschbrunft ganz ignoriert bleiben; sie
ist doch die Hohe Zeit, das Herrlichste im Jagdbetriebe und für den
Jagdherrn!

Wenn Hartlieb die Weiberwirtschaft verfluchte, so galt die Verdammung
genau genommen nur der Mißwirtschaft auf der Seite der launenhaften
und in ihren Entschlüssen unberechenbaren Gebieterin. Keineswegs der
Hofdame, die ja nichts zu sagen, nichts anzuordnen hat.

Dachte Ambros an das ihm sympathische Fräulein von Gussitsch, so hüpfte
das Herzelein vor Wonne. Und dem einsamen ernsten Beamten war zumute,
als müßte er himmelhoch jauchzen. Wie zierlich, nett, hübsch das
Hoffräulein doch ist! Wie ein Edelmarder geschmeidig und elegant! Ob
Mustela in diesem Leben Frau Hartlieb werden könnte?

Können und wollen ist zweierlei!

So hoffte Ambros Hartlieb und wartete; erlitt alle Qualen trostloser
Verliebtheit...

Über seine triste Lage hätte er gerne mit dem Grafen Thurn gesprochen,
sich dem alten liebenswürdigen Hausmarschall anvertraut. Aber der Graf
hatte infolge der miserablen Witterung das Reißen bekommen und sich mit
längerem Urlaub zum Gebrauch der berühmten heißen Quellen nach Römerbad
in der südlichen Steiermark geflüchtet.

Am Mittag eines naßkalten Herbsttages war es. Hartlieb hatte sich von
Frau Amanda Gnugesser eine Fleischkonserve warm machen lassen, deren
Inhalt er in der Kanzlei verspeiste. Der Gang zum Wirt in Hall war
erspart. Eine Zigarre am Fenster schmauchend, hielt Ambros stehend
kurze Siesta und blickte auf das zum Jagdschlößl führende Sträßlein im
nebelerfüllten Halltale.

Plötzlich zuckte Hartlieb zusammen. Jähe Röte schoß ihm in die Wangen,
ein Zittern lief durch den Körper, das Blut hämmerte und klopfte.

Das Sträßlein kam Mustela-Martina herangestapft. In
neckisch-praktischem Lodenkleid, fußfrei der kurze Rock, so daß die
Stiefelchen sichtbar waren. Schneidig auf dem hübschen Köpfchen
thronend das grüne Ausseer Hütel. Die geschmeidige Mustelagestalt
freilich neidisch verhüllt von einem wasserdichten Regenmäntelchen.
Ohne Regenschirm. Der zaghaft fallenden Schnürltropfen lachend, so daß
die Marderzähnchen blinkten. Offenbar mußte das bildhübsche Hoffräulein
sehr vergnügt sein.

„Ob Mustela zu mir in die Kanzlei kommt?“ fragte sich flüsternd Ambros.
Und des Zigarrenqualmes wegen, zur Lüftung der Kanzlei, riß er die
Fenster auf. Und grüßte respektvollst.

Und das Hoffräulein dankte mit einem allerliebsten Kopfnicken und
munterem Lächeln. Und steuerte trippelnd dem Forsthause zu.

Martina kam nicht herauf. Sie besuchte die Forstwartsfrau. Wie Ambros
die überspannte Amanda Gnugesser um diesen Besuch beneidete!

Der Uhr nach war es Zeit, den Dienstgang anzutreten. Hartlieb schloß
die Fenster, machte sich marschfertig, und -- blieb in der Kanzlei.
Wartete und horchte auf das seltsame Klingen im Herzen.

Frau Amanda begrüßte die hübsche Hofdame strahlenden Auges und mit
einer gewissen stolzen Feierlichkeit. Sie hatte brieflich um Audienz
gebeten in der Absicht, die Fürstin gewissermaßen scharfzumachen, als
Vorspann zu benützen und wegen der heillos unangenehmen Kanzelrede
gegen den Pfarrer auszuspielen. Der Eitelkeit schmeichelte es nicht
wenig, daß die Fürstin eigens die Hofdame schickt, um den erhofften,
sehnlichst gewünschten Bescheid zu bringen, der nach Amandas Auffassung
nur die Gewährung der Audienz sein konnte. Frau Amanda stutzte, als
Martina von Gussitsch es dankend ablehnte, Platz zu nehmen und höflich
mitteilte, daß auf Wunsch der Fürstin künftighin Zuschriften nicht an
sie selbst, sondern an das Marschallamt oder an die Hofdame vom Dienst
gerichtet werden sollen.

Der Glanz in Amandas Augen erlosch, der Blick ward hart, die Lippen
bleich. Und eine tiefe Falte zeigte sich auf der Stirne. Schwer
enttäuscht sprach Frau Gnugesser: „Um mir das zu sagen, haben sich
gnädiges Fräulein selbst herbemüht?“

„Eine willkommene Bewegung in frischer Waldluft vor dem Lunch! Mündlich
Bescheid zu geben, ist mir lieber als das Schreiben von Briefen!
Allerdings überbringe ich einen Bescheid, der Ihren Wünschen nicht
entsprechen wird!“

Amanda rief erbittert schrillen Tones: „Meine Bitte um Audienz ist
abgelehnt? Der Empfang verweigert? In einer so wichtigen Angelegenheit?
Nicht zu glauben! Erst volles Interesse, jetzt Ablehnung! Ein
erstaunlicher Wankelmut! Da wird wohl die Predigt eine Rolle gespielt
haben!“

„Bitte, beruhigen Sie sich! Ich bin über die Gründe, die Durchlaucht
zur Ablehnung Ihrer Bitte veranlaßt haben, nicht informiert, kann
also keine Auskunft geben! Die Fürstin wünscht, daß die Agitation
eingestellt werde!“

Heftig und gereizt wies Amanda darauf hin, daß die Agitation reine
Privatsache sei und man demnach die Fürstin weder um ihre Meinung zu
fragen noch um Erlaubnis zu bitten habe.

Kühl und höflich erwiderte Fräulein von Gussitsch: „Die Wünsche der
Fürstin werden von jenen Frauen respektiert werden müssen, deren
Ehemänner im fürstlichen Dienst stehen!“

„Soll das eine Drohung sein?“

„Nein, nur eine gutgemeinte Mahnung zur Vorsicht!“

Spitz und giftig rief Amanda: „Ach was, Papperlapapp! Der Mann im
fürstlichen Dienst erfüllt seine Pflicht, die Frau steht nicht im
fürstlichen Dienst, sie ist Privatperson, und was die Frau tut, das
geht die Fürstin keinen Pfifferling an! Will sich die Fürstin um uns
kümmern, so soll sie die Hungerlöhne aufbessern! Auf diesem Gebiete
kann sie sich nützlich machen!“

„Meine Mission ist beendet! Guten Tag, Frau Forstwart!“

Amanda begleitete das Hoffräulein bis in den Flur, und zum Abschied
höhnte sie gründlich verbittert: „Empfehl mich! Meinen Handkuß, wenn
ich bitten darf! Und wegen einer Einladung zum Essen soll man sich
nicht mehr strapazieren, wir gehen grundsätzlich nicht zu Hof!“ Und
wütend kehrte Amanda in ihre Wohnung zurück und warf die Tür krachend
ins Schloß.

Dieser Spektakel war für Hartlieb ein hochwillkommenes Signal, daß der
Besuch beendet sein mußte. In Wehr und Waffen sprang der Oberförster
die Treppe herab, und glücklich erwischte er Martina in nächster Nähe
des Forsthauses. Weniger glücklich war er in der Wahl einer Anrede.
Ansprechen wollte er Mustela, er mußte einige Worte an Martina richten,
um die Wonne ihrer Nähe für einige Augenblicke zu genießen. Und so
stammelte er denn: „Verzeihung! Keinen Befehl für mich?“

Martina machte kehrt, und lachend zeigte sie die blitzenden
Marderzähnchen: „Hofdamen haben bekanntlich nichts zu befehlen! Das
könnte der Herr Oberförster und Hofjagdleiter wissen!“

„Darf ich Sie begleiten?“

„Aber ja, es wird mir ein Vergnügen sein! Vorausgesetzt, daß der Dienst
Sie auf den gleichen Weg führt!“

Der brave Waldmensch konnte nicht lügen, Ambros platzte mit der
Wahrheit heraus: „Dienstlich sollte ich in entgegengesetzter Richtung
wandern! Aber ich möchte Sie begleiten und ein ganz klein bisserl mit
-- Mustela plaudern!“

Martinas zarte Wangen färbten sich. Der Verlegenheit wurde das
Hoffräulein rasch Herr. „Also schwänzt der Oberbeamte den Dienst! Ein
leuchtendes Beispiel für die Untergebenen! Apropos: mit wem wollen Sie
ein ganz klein bisserl plaudern?“

Jetzt war die Reihe zum Rotwerden an Hartlieb. Und in hilfloser
Verlegenheit stammelte er das Geständnis, daß Fräulein von Gussitsch
ihn besonders dann lebhaft an die Geschmeidigkeit und Zierlichkeit
des graziösen Edelmarders, der lateinisch „_Mustela martes_“ heiße,
erinnere, wenn das Fräulein ein hochgelbes Halsband trage.

Die Bäcklein Martinas flammten glutrot. „Ei der Tausend! Soll ich mich
durch diesen Vergleich geschmeichelt oder beleidigt fühlen? Der Marder
ist doch ein Raubtier, nicht?“

„Allerdings! Scheu, listig, beherzt, der denkbar kühnste Räuber, aber
schön von Gestalt, vornehm besonders der Edelmarder in jungen Jahren
mit dem hochgelben Hals! Ein schneidiges Kerlchen!“

Martina kicherte im langsamen Weiterschreiten: „Außerordentlich
dankbar bin ich für diesen schmeichelhaften Vergleich! Entzückend nett,
daß der Herr Oberförster das harmlose Hoffräulein mit dem ‚denkbar
kühnsten Räuber‘ vergleicht! Können Sie mir vielleicht sagen, was ich
bereits -- geraubt habe?“

So locker zwei Worte auf Hartliebs Zunge saßen, so leicht die Antwort
wäre, er wagte nicht, sie zu geben. Die Blutwelle in Martinas Wangen
kündete, daß Fräulein von Gussitsch die zwei ungesprochenen Worte
erraten hatte. Und nun zappelte Martina mit beschleunigten Schritten
heim.

Um doch etwas noch zu sagen, stammelte Ambros: „Die Schneid Mustelas
ist so groß, daß der schöne Edelmarder Tiere angreift, die ihm an Kraft
und Körpergröße weit überlegen sind!“

„So? Greift ‚Mustela‘ auch -- Menschen an?“

„In seltenen Ausnahmefällen auch Forstbeamte!“

„Huhu! Höchst gefährlich! Sehen Sie sich vor, Herr Oberförster, daß
Ihnen ‚Mustela‘ nicht mal plötzlich ins Gesicht springt und die
Äugelein auskratzt!“

Hartlieb lachte vergnügt: „Soll nur springen!“

„Lieber nicht! _Addio!_“ lispelte Martina und flatterte hastig wie ein
aufgescheuchtes Vögelchen dem nahen Schlößl zu. Wie ein Lohgerber den
fortschwimmenden Fellen, guckte Ambros dem Hoffräulein betrübt nach.
Dann kehrte er um und wanderte in den Wald auf der entgegengesetzten
Seite...

Im Speisesaale des Schlößls stand Norbert vor der Suppenterrine am
Büfett und wartete auf das Erscheinen der Fürstin. Martina hatte in
aller Eile Dinerkleider angelegt, kam genau auf die Sekunde in den
Speisesaal und guckte verwundert.

Norbert flüsterte ihr zu: „Kann eine Weile dauern, Durchlaucht lesen
einen soeben aus Berlin eingelaufenen Brief!“

Stehend wartete Martina auf das Erscheinen der Fürstin.

Fürstin Sophie las den Brief ihres Sohnes.

„Liebste Mama! Über Berlin zu schreiben, werde ick mir hüten; diese
großartige Weltstadt möge ein Schriftsteller von Gottes Gnaden und
Beruf schildern. Nach so kurzer Zeit ein Urteil über eine total fremde
und imponierende Millionenstadt abzugeben, wäre dumm und frech. Eines
spüre ich schon beim Kaffee jeglichen Morgen: Wien ist Wien, und Berlin
ist janz anders! In allem und jedem! Abstoßend und anziehend wie --
Tiroler Rotwein besserer Sorte... An Damen habe ich hier vielerlei
Exemplare kennengelernt. Adelige und nichtadelige. Hübsche und alte.
Was meinst Du zu einer bürgerlichen Gattin?...“

Als Fürstin Sophie den Brief zu Ende gelesen hatte, lag ein schwaches
Lächeln auf den Lippen.

Einen Blick warf sie auf die Uhr. Dann eilte die Fürstin in den
Speisesaal, wo sie sich wegen der Verspätung bei Fräulein von Gussitsch
entschuldigte.

Wortlos verbeugte sich Martina.

„Rasch servieren, Norbert! Und nur zwei Gänge! Nach Tisch bitte ich
Sie, liebe Gussitsch, zu mir zu kommen!“

„Zu Befehl, Durchlaucht!“

Kein Wort wurde während des abgekürzten Lunches weiter gesprochen.

Für Martina war es leicht zu erraten, daß der neue Brief des
Prinzen den Befehl veranlaßt haben werde. Einen drolligen Bericht
vermutend, der wahrscheinlich abermals die hyperempfindlichen Nerven
der Gebieterin irritiert, sah das Hoffräulein der Aussprache im
Wohngemache mit voller Ruhe entgegen.

„Bitte schreiben Sie das Telegramm, das ich Ihnen diktieren werde!“

Gehorsam holte Martina das Schreibzeug und ein Telegrammformular und
harrte alsdann des Diktates.

Sophie sann und überlegte. Und plötzlich diktierte sie die Adresse und
den Text: „Brief erhalten, erbitte Heimkehr! Drahtantwort wegen Ankunft
und Wagen zum Bahnhof Admont. Mama.“

Fräulein von Gussitsch schrieb die Worte.

Dann sagte die Fürstin: „Lassen Sie anspannen, fahren Sie mit dem
Telegramm zum Bahnhof, damit Zeit gewonnen wird! Und studieren Sie die
Fahrpläne der Schnellzüge, die mein Sohn benutzen kann!“

Martina gehorchte...

Als alles nach Auftrag besorgt war, der Wettergott ein Einsehen hatte
und etliche Sonnenstrahlen in das Ennstal sandte zur Erquickung
eingeregneter Menschen, da schickte Martina den Wagen zurück; sie
wollte laufen, dem Dienst ein Schnippchen schlagen... Frei sein für
ganze zwei Stunden! Auf die Gefahr hin, bei Rückkehr von Durchlaucht
einen Wischer in zugespitzten Worten zu bekommen.

In Gedanken nannte Martina sich eine „nette“ Hofdame, die auf das
„Dienstschwänzen“ erpicht ist. Doch dicht neben der Erkenntnis dieser
schweren Sünde saß auch schon die Entschuldigung: ein Hoffräulein hat
ja noch weniger vom Leben als die hohen Herrschaften, nicht einmal
die Ausgangsfreuden der Dienstmädchen an Sonntagen! Ein mittelloses
Hoffräulein, auf die Stellung angewiesen, besseres Zimmermädel, weiter
nichts!

Merkwürdig, wie schnell die Gedanken des „besseren Zimmermädels“
plötzlich sich mit der Frage beschäftigten, ob „man“ denn lebenslang in
dieser Abhängigkeit ausharren könne?

Jedes Dienstmädel hofft und ersehnt Befreiung, möchte, bevor die Haare
grau werden, heiraten und Frau sein.

Martinas Gedanken flatterten in das stille Forsthaus zu Hall und
umspielten den ernsten lieben Oberförster Hartlieb und erbauten
in rasender Eile ein Luftschloß, das zwei sich liebende Menschen
bewohnen...

Wie sich Martina aber vergegenwärtigte, daß sie als Frau Hartlieb
ständig im einsamen Forsthause würde leben, viele Monate im Jahre
mit der Fürstin in Berührung kommen müssen, da fiel das kühnragende
Luftschloß jäh zusammen...

Traurig promenierte Martina durch die stiftische Eichelau zur
Ennsbrücke und pilgerte auf dem Sträßlein gen Norden zum Dorfe Hall.
Fest entschlossen, niemals wieder Luftschlösser zu bauen. Aber
dieser Vorsatz zerschellte an einem neuen Gedanken, an der plötzlich
aufgetauchten Frage, ob denn Hartlieb genötigt sei, lebenslang im
Haller Dienste zu bleiben?

Eine Wegstunde hindurch beschäftigte sich Martina mit der Frage, was
die Hofdame wohl tun würde, wenn Hartlieb einen anderen Posten annehmen
und um Fräulein von Gussitsch anhalten würde? Soll die Antwort ein
„Ja“ oder ein „Nein“ sein? Zur Bejahung gehört doch die große, alles
überwindende Liebe!

Martina schüttelte das hübsche Köpfchen, in dem so viele Fragen
durcheinanderwirbelten. Und sie flüsterte dem Tann zu: „Soweit sind wir
ja noch gar nicht! Ich weiß ja gar nicht, ob Hartlieb mich liebt!“

Im grünen Tann seufzte der abendliche Bergwind.

Der erwartete Wischer erfolgte nicht. Die Kammerfrau Hildegard meldete
der heimgekehrten Hofdame in flötendem Tone, daß die Fürstin das Diner
abgesagt, sich zurückgezogen und auf jede Dienstleistung seitens des
Fräuleins von Gussitsch verzichtet habe.

Somit war Martina ein freier Abend beschieden. Dienstfrei, aber
selbstverständlich an das Haus gebunden.

Im stillen Kämmerlein einsam und alleine lesen, schreiben. Und
denken... „Viel denken macht Kopfweh!“ Schmerzliche Gefühle stellten
sich ein, da Martina nach langem Sinnen erkannte, daß ihr so ziemlich
alle Eigenschaften einer Hausfrau fehlen. Eine „schlechte Partie“
würde Hartlieb mit dem Hoffräulein machen. Ganz abgesehen von der
betrüblichen Tatsache, daß auch noch die Mitgift fehlte...

Also an der Kette bleiben, besseres Dienstmädel...

Salzige Kügelchen rannen über die Wangen...

Ein klarer kühler Morgen brach an, einen Prachttag kündend.

Des lachenden Sonnenscheins vermochte sich Martina nicht zu freuen,
da sie der Folgen des gestern nach Berlin abgegangenen Telegrammes
gedachte. Von Stunde zu Stunde bangte Martina einer unangenehmen
Antwort und der Berufung der Fürstin entgegen.

Dienstbereit harrte das Hoffräulein auf dem Zimmer.

Gegen elf Uhr brachte Norbert ein Telegramm. Unwillkürlich fragte
Martina, ob auch Durchlaucht eine Depesche erhalten habe.

„Bis jetzt noch nicht, gnädiges Fräulein! Ist denn etwas Besonderes
los?“

„Danke, nein! Sie können gehen, lieber Norbert!“

Der Kammerdiener entfernte sich schwer enttäuscht und geärgert.

Martina bereute, Norbert gefragt zu haben; aber eine Gewißheit
wollte sie doch darüber haben, ob auch die Gebieterin eine Depesche
erhielt. Da dies nicht der Fall ist, kann das an die Hofdame gerichtete
Telegramm nur von Baron Wolffsegg stammen, und der Inhalt muß
unangenehm sein.

Ein Blick -- und Martina stieß einen Schrei des Schreckens aus.

Die befürchteten Folgen des Befehles waren da: der Prinz will Berlin
nicht verlassen, Wolffsegg ersucht die Hofdame, der Fürstin die Bitte
um sofortige Entlassung zu unterbreiten.

Eine heillose Bescherung. Wie nur mit pflichtschuldiger Rücksicht und
Zartheit der Fürstin diese Hiobspost beibringen?

Martina biß die Marderzähnchen aufeinander, nahm die Depesche zur Hand
und ging in das Vorzimmer, wo sie Hildegard dienstbereit wartend traf:
„Bitte, melden sie mich! Dringliche Dienstangelegenheit!“

Hildegard zögerte und fragte flüsternd, neugierig und zudringlich:
„Doch nichts Unangenehmes? So früh am Tage Unangenehmes! Durchlaucht
müssen geschont werden, haben eine schlechte Nacht gehabt!“

So leise gesprochen wurde, die Fürstin mußte doch etwas gehört haben.
Sie öffnete die Türe. Bleich, übernächtig sah sie aus, brennend die
Augen, tiefe Sorgenfalten im Gesicht.

Die Hofdame erblickend, zwang sich die Fürstin zu einem freundlichen
Lächeln. „Schon dienstbereit? Bitte, kommen Sie zu mir herein!
Hildegard soll warten!“

Im Zimmer seufzte Sophie schmerzhaft. „Was bringen Sie, liebe Martina?“

„Zu dienen, Durchlaucht! Soeben erhielt ich aus Berlin eine Depesche
des Barons Wolffsegg...“

„Geben Sie!“

Die Fürstin las das Telegramm langsam. Und mit einer das Hoffräulein
überraschenden Ruhe sprach sie: „Ähnliches habe ich befürchtet, nämlich
die Weigerung Emils! Nicht aber die Demission Wolffseggs, von der keine
Rede sein kann; wenigstens jetzt nicht und bis Emil an meiner Seite
ist! -- Wir hätten anders depeschieren sollen...!“

Den im Nachsatze steckenden Vorwurf schluckte Martina gehorsam
hinunter, wiewohl er schmerzte. Ein ganz ungerechtfertigter Vorwurf,
denn der Text war doch diktiert, stammte nicht vom Hoffräulein...

Sophie sprach weiter: „Es kann auch sein, daß Wolffsegg von früher
her verärgert ist, ob des Briefes, den Sie ihm gesendet haben! --
Depeschieren Sie, daß die Demission nicht angenommen wird!“

Der zweite Vorwurf tat Martina bitter wehe. „Befehlen Durchlaucht noch
etwas?“

„Danke, nein! Ich will abwarten, was Emil antworten wird! Die Depesche
an Wolffsegg hat übrigens keine Eile! Sie bleiben zur Disposition!
Danke! Auf Wiedersehen!“

Nun weinte Martina wirklich. Wimmerte eine geschlagene Stunde. Wischte
aber hastig die Tränen weg, als es klopfte. „Herein!“

Ein Blick, ein Aufspringen und Entgegeneilen. „Durchlaucht geruhen
selbst...!“

Güte, Herzlichkeit und warme Freude kündete das Antlitz der hohen
Frau. Weichen Tones sprach die Fürstin: „Ja, selbst! Muß ja Abbitte
leisten dafür, daß ich Ihnen Vorwürfe gemacht habe! Also: Verzeihung,
liebe Martina! Will mich bessern! Und Sie, liebe Martina, sollen die
erste sein, die einzige, der ich die Freudenbotschaft mitteile: Emil
fügt sich doch! Er wird morgen nach Admont kommen! Das Schmerzlichste:
Ungehorsam und Auflehnung bleibt mir also erspart! Gott sei Dank dafür!
-- Aber nun sagen Sie mir, liebe Martina, was meinen Sie: wie könnte
ich dem Sohne zum Dank für seine Fügsamkeit eine besondere Freude
machen?“

Martina machte aufmerksam, daß sie in keiner Weise informiert sei,
nicht die hohe Ehre hätte, den Prinzen zu kennen; demnach außerstande,
irgendwelche Meinung zu haben und zu äußern.

„Das Haller Jagdgut kann ich Emil nicht schenken, weil er sich --
einstweilen -- noch nicht besonders für die Jagd interessiert! Gekauft
habe ich das Jagdgut ja nur für ihn!“

So ratlos Martina war, ein Gedanke blitzte auf. „Wie wäre es, wenn
Durchlaucht dem Prinzen die -- Oberleitung übertragen würden? Als
Beweis der Dankbarkeit und zugleich des Vertrauens! Und der Prinz
würde dadurch Beschäftigung haben, sich im Verkehr mit dem Oberförster
mählich doch für Wild, Forst und Jagd interessieren!“

„Hm! Zwar glaube ich nicht recht daran, aber man kann es ja versuchen!
-- Und nun eine private Bitte, sprechen Sie mit Hartlieb, auf daß der
Oberförster für einen schönen Empfang meines Sohnes sorgt, ja?“

Martina erglühte wie eine Pfingstrose.

Das jähe Erröten gewahrend, meinte die Fürstin: „Nanu! Was ist Ihnen
denn? Doch nicht Fieber?“

„Verzeihung! Mir ist arg heiß geworden --, die Freudenbotschaft
plötzlich, die wider Erwarten doch günstige Wendung nach dem
vorausgegangenen Ärger...“

„Nu, nu! Hofdamen dürfen sich nicht ärgern! Nun bitte ich Sie, den
Oberförster vertraulich zu verständigen! Und laden Sie ihn zum Lunch
ein! Auf Wiedersehen, liebe Martina!“

Fräulein von Gussitsch küßte der Fürstin die Hand und geleitete die
Gebieterin bis in den Korridor.

Da saß nun Martina in der düsteren, ärmlich und streng dienstlich
ausgestatteten Forstkanzlei vor dem Oberförster Hartlieb, beide stumm.
So freundlich, ja freudig die Begrüßung war, ein gedämpftes Aufjauchzen
sehnsüchtiger Seelen, die fröhliche Situation wurde durch zwei Worte
verändert: „Zu spät!“

Mit munterer Wichtigkeit hatte Fräulein von Gussitsch berichtet, daß
künftig Prinz Emil sozusagen „Jagdherr“ sein werde, der Oberleiter,
und Hartlieb seine rechte Hand und oberster Berater, der sich wohl
bald in einen Vertrauensmann und Freund verwandeln werde. Daß Martina
der Fürstin diesen Gedanken eingeblasen hatte im Interesse Hartliebs,
verschwieg das Hoffräulein, um nicht zuviel zu verraten. Nur ganz
wenig hatte Martina durchblicken lassen, daß nach Rückkehr des jungen
Prinzen das „Weiberregiment“ ein wohltätiges Ende finden werde.
Einen Freudenschrei aus Hartliebs frohbewegter, von Druck und Sorgen
befreiter Brust hatte Martina erwartet. Ambros Hartlieb aber hatte
tiefernst mit tonloser Stimme geantwortet: „Zu spät!“

So bestürzt war Martina, daß sie gar nicht fragen konnte, was geschehen
sei.

Wie erloschen schien Lebensfreude und Zukunftshoffnung in Hartlieb, da
er nach einer Pause sprach: „Zu spät kommt diese Botschaft, denn ich
habe Schritte getan, um eine -- andere Stellung zu erhalten! Hier sind
die dienstlichen und sonstigen Verhältnisse unerträglich geworden!“

In Martina quoll nach dem ersten lähmenden Schrecken jetzt doch
eine kleine Hoffnung auf, auch der Mut zu fragen, ob denn ein
Stellungswechsel sich so rasend schnell vollziehe, daß es für hier „zu
spät“ sein müsse.

Ein leises Lächeln huschte über Hartliebs ernstes Antlitz: „Das
wohl nicht! Ich habe an den früheren Jagdpächter von Hall, Grafen
Lichtenberg, geschrieben, ihn um gnädige Vermittlung und Empfehlung
gebeten...“

„Ach so!“ rief Martina im Tone der Befreiung von schwerer Sorge.
„Demnach ist noch nichts abgemacht, Sie können also abwarten und
zusehen, wie sich die Dienstesverhältnisse -- bessern werden! Und sind
sie ‚erträglich‘ oder gar -- was ich hoffe und wünsche -- gut geworden,
so wird der Herr Oberförster doch wohl hierbleiben! Landschaftlich ist
es ja doch wundervoll im Halltale, nicht?“

„Gewiß! Nur schweren Herzens würde ich von hier scheiden! An eine
günstige Gestaltung der Verhältnisse vermag ich aber nicht zu glauben!“

„Warum nicht?“

„Weil es heißt, daß der junge Prinz wenig oder gar kein Interesse für
das Weidwerk habe!“

Rasch warf Martina die Frage ein: „Woher wissen Sie denn das?“

„Vor einiger Zeit, vor Ankunft der Frau Fürstin, hatte Graf Thurn die
Frage an mich gerichtet, ob die Jagdausübung in den herrlichen Haller
Revieren einen jungen apathischen Mann aufrütteln, die Weidmannslust
erwecken könne. Namen wurden nicht genannt! Ich werde mich wohl kaum
irren, wenn ich in dem ‚apathischen jungen Manne‘ den Prinzen Emil
vermute! Wenn die Weidmannslust in einem Menschen erst -- geweckt
werden soll, dann ist doch sicher ein Jagdinteresse nicht vorhanden!“

„Das ist allerdings richtig gefolgert! Wer weiß aber, ob sich nicht
doch ein gewisses Interesse einstellt! Der Jagdleiter selbst kann da
einen großen Einfluß ausüben, je nachdem er den jungen Herrn behandelt,
ihm Weidmannsfreuden verschafft! Nach meiner Auffassung ist das
Wichtigste, daß der Herr Oberförster in engsten Konnex mit dem Prinzen
kommt, den jungen Herrn führt und leitet! Das Weitere ergibt sich von
selbst! Und die Günstlingswirtschaft wird wohl bald ein Ende finden!“

„Das wäre freilich ein Segen!“

„Hoffen wir das Beste! Und einstweilen bleiben Sie, ja?“

„Versprechen kann ich nichts! Hat Graf Lichtenberg ein Jagdgut gekauft
und wünscht er mich, so werde ich seinem Rufe Folge leisten müssen!“

Martina sann und murmelte: „Lichtenberg, Lichtenberg?“

„Zu dienen: Graf Udo von Lichtenberg!“

Munter rief Martina: „Hab ihn schon! Vor kurzem las ich in der Zeitung,
daß Graf Udo Lichtenberg nach Afrika abgereist sei, um im Sudan zu
jagen! Demnach werden Sie von ihm in den nächsten Tagen kaum Nachricht
erhalten!“

„Was? Nach Afrika? Das kann nicht stimmen, nach Afrika zu Jagdzwecken
reist man gewöhnlich um die Jahreswende! Und dem Grafen Lichtenberg
sieht es nicht gleich, daß er die Hirschbrunft in heimatlichen Bergen
ignoriere!“

„Ist alles egal, Sie bleiben bis auf weiteres, ja?“

„Bis auf weiteres, ja!“

„Sagen wir: auf ein Jahr, ja? Hand darauf!“

Ambros zögerte; es schien ihm bedenklich, sich zu binden.

„Auf Manneswort, mir zuliebe, Herr Hartlieb!“

Bewegt rief Ambros: „Ach Gott, was tät’ ich nicht alles -- Mustela
zuliebe?“

„Hand darauf!“

Hartlieb legte seine sonnengebräunte Hand in das ihm von Martina
gereichte schmale Händchen.

Und nun kicherte das vergnügt gewordene Hoffräulein: „Den mir
aufgebrachten ‚Spitznamen‘ ‚Mustela‘ muß ich mir also gefallen lassen!
Ist übrigens nicht ohne, die neue Situation: Mustela fängt den Jäger!
Ansonsten ist es doch umgekehrt, nicht?“

Ambros gab Martinas Händchen frei. „Darf ich erfahren, warum gnädiges
Fräulein mein Verbleiben wünschen? Sind Sie denn gern im fürstlichen
Dienst?“

„Beide Fragen kann ich nicht beantworten, ganz unmöglich! Und nun zum
Schlusse -- die Zeit drängt und der Dienst ruft: Besorgen Sie gütigst
alles für den festlichen Empfang, auf daß der Prinz recht angenehm
überrascht wird und Sie liebgewinnt! _Addio!_ Herr Oberförster!“

Martina hatte es merkwürdig eilig, aus dem Forsthause zu kommen.
Hartlieb aber hatte ein Gefühl, als sei seinerseits etwas sehr Liebes
und Großes gründlich versäumt und verpatzt worden...

Spät am Abend kritzelte Martina in das Tagebuch: „So ein Zottelbär,
dieser Ambros Hartlieb! Führt seinen Namen zu Recht, denn es geht
‚hart‘ mit seiner ‚Liebe‘! Aber ich hab’ ihn gern, schrecklich gern und
hoffe auf einen guten Ausgang in späterer Zeit! -- Gute Nacht, lieber
Hartlieb!“



Neuntes Kapitel


Überraschend und mit Überraschungen für die Mama war Prinz Emil
gekommen. Ein schlanker, hochgewachsener junger Mann, blond das nicht
üppige Haupthaar, flachsartig das Schnurrbärtchen, lichtblaue Augen
mit dem Ausdruck von Gutmütigkeit. Muttersöhnchen, mager wie ein
Zahnstocher, verzärtelt, verhätschelt, unsicher; bis vor wenigen Wochen
wohl auch eitel, unfähig, einen selbständigen Entschluß zu fassen.
Ehrerbietig hatte Prinz Emil die Mama begrüßt und geküßt, nichts von
Verstimmung merken lassen, die ihm wegen der Abberufung von Berlin im
Herzen saß.

Tadellos höflich, nur etwas neugierig, hatte er das Hoffräulein
begrüßt. Und Martina hatte mit dem schönsten Hofknicks Reverenz
erwiesen; in Gedanken aber das Muttersöhnchen „_Steccadente_ mit
Schafblick“ genannt.

Schon die Schnurrbärtchenfasson bildete eine Überraschung für Mama.
Dann die Tatsache, daß Baron Wolffsegg nicht mitgekommen war, also Emil
allein, nur von seinem Diener begleitet, hatte reisen müssen. Daß der
Sohn bereits vierundzwanzig Lenze zählte, vergaß die Mama gänzlich. Und
verärgert war die Fürstin über den Anlaß der Pflichtvernachlässigung
seitens des Adjutanten. Verstimmt über die leichtfertige Art, wie
Emil den Baron Wolffsegg kordial entschuldigte: Erbtante freundlichst
prompt gestorben, selbstverständlich, daß Wolffsegg anstandshalber bei
Beerdigung mithalf und nun in Prag den vielen Draht einsackt; so ein
Schwein kann eben nur ein böhmischer Baron haben.

Diese Sprachweise, diese Ausdrücke gingen der Fürstin schwer auf die
Nerven. Aber sie rügte nicht, um nicht schon am Tage des Wiedersehens
Verstimmung und Verdruß heraufzubeschwören.

Nicht völlig nach Wunsch der Mama hatte Emil sich bei der feierlichen
Begrüßung an der festlich geschmückten Villa benommen: zu kordial und
burschikos den Oberförster behandelt, begrüßt mit den Worten: „Nette
Chose, sehr hübsch, freut mir jletscherhaft, lieber Oberförster; ich
danke Ihnen heftig! Hoffe, daß wir Freunde werden im grünen Revier!
Servus!“

Einfach gräßlich für einen Prinzen, dachte Mama.

Und dann die an den Forstwart gerichteten Worte: „Ah, notleidender
Agrarier, wie Figura zeigt, essen wohl viel Notstandsgockel, daher
der große Hendlfriedhof? Wie heißen Sie denn? Was, Gnugesser! Alle
Wetter! Da versteht sich der _Plenus venter_ von selbst! Muß bezüglich
Ihrer Nase Witz von König Ludwig dem Ollen kopieren: ‚He, Landrichter,
große Nase, doch nicht von der Regierung bekommen?‘ Na, bei Ihnen gar
nicht möglich, denn Sie sind ja nicht von der Regierung, sondern unser
Beamter! Auf Wiedersehen!“

Für die Mama war es unverkennbar, daß Emil „aufgewacht“, von lähmender
Apathie, von Geistesträgheit befreit ist. Die Reise hat gute Früchte
gebracht. In dieser Hinsicht. Aber sonst: gräßliche Manieren,
schrecklich der Ton. Eine beklagenswerte Veränderung im Wesen des
bisher so gefügig gewesenen Muttersöhnchens.

So sehr ging all dieses Neue auf die Nerven, daß die Fürstin alsbald,
ohne Begleitung, nach Admont fuhr, um mit Pater Wilfrid darüber zu
sprechen.

Ein Privatissimum in der Klosterzelle, die der Öffentlichkeit
zugänglich sein muß und sich außerhalb der Klausur befindet, weil
Wilfrid Pfarrer ist, also Amtsperson.

Fürstin und Mönch in bescheidener Zelle; sorgenerfüllt die Frau,
diensteifrig der Pfarrer und Edelmann von Erfahrung und Weltkenntnis.

Bitter klagte Fürstin Sophie, daß der Sohn „in Preußen“ revolutioniert,
zu seinem Schaden in Kopf und Seele beeinflußt und verändert worden
sei; spottlustig, sarkastisch der lammfromm gewesene Jüngling,
standeswidrige Leutseligkeit. Seufzend, mit zitternder Stimme sprach
die Fürstin: „Denken Sie nur, Hochwürden, mein Sohn fragte mich, wie
ich über eine bürgerliche Braut dächte. Unerhört! Aber ich habe das
Schreckliche verhindert durch einen gemessenen Befehl! Mit aller
Strenge werde ich künftig vorgehen, um Entgleisungen zu verhüten, den
Jungen vor Unglück bewahren! Helfen Sie mir, Herr Pfarrer, mit Ihrem
Rat, mit Ihrer Erfahrung als Priester und Seelenhirte!“

Pater Wilfrid verbeugte sich und sprach: „Euer Durchlaucht werden sich
mit dem Faktum vertraut machen müssen, daß die Zeit vorüber ist, in der
sich ein Sohn gängeln läßt; Prinz Emil ist der mütterlichen Aufsicht
entwachsen, mit vierundzwanzig Jahren allerdings noch kein ausgereifter
Mann, aber auch kein Jüngling mehr, der sich lenken, am Händchen führen
läßt! Das Befehlenwollen der Eltern, nachdem der Sohn mündig geworden
ist, seine eigenen Anschauungen hat und sich über das Lebensziel klar
geworden ist, führt zu nichts Gutem! Mit solcher Befehlerei -- ich
bitte zu verzeihen -- erzielt man nur Verschlossenheit, Gereiztheit,
Eigensinn und Widerstand! Letzterer wird sich je nach Temperament und
Erziehung aktiv oder passiv zeigen! Jeder Priester von Erfahrung muß zu
den Eltern sagen: _Ne feceris!_ Tue es nicht!“

Die Fürstin jammerte: „Ach Gott! Nun halten gar auch Sie, der
Geistliche, dem Sohne die Stange! Die Mutter wird doch berechtigt sein,
Gehorsam zu fordern?“

„Zu dienen, Durchlaucht! Achtung muß der Sohn erweisen, auch Gehorsam
in dem, was den Eltern zukommt! Aber nicht darüber hinaus! Die Eltern
können mahnend und warnend einzuwirken versuchen, erzwingen können sie
aber nichts mehr! Gute Erziehung wird den Mann gewordenen Sohn davon
abhalten, daß er Mahnungen und Warnungen etwa brüsk zurückweist!“

Gedrückt klang die Klage: „So habe ich denn nichts mehr zu sagen und
den Sohn soviel wie verloren -- --!“

Soviel Pater Wilfrid sich bemühte, die hohe Frau zu trösten, es blieb
vergeblich; die Fürstin erwies sich Trostworten nicht zugänglich in
ihrem Seelenschmerze und verabschiedete sich mit Dank für die freilich
sehr bittere Aufklärung.

Der Seelenkenner im Benediktinerhabit behielt recht mit seiner
Voraussage. Emil verhielt sich seiner Erziehung entsprechend
selbstverständlich einwandfrei im Verkehr mit der Mama bei Tisch und
sonstigem Zusammentreffen, aber von der früheren Offenherzigkeit, vom
bedingungslosen Gehorsam war keine Spur mehr vorhanden.

Der scharf beobachtenden Mutter konnte die schmerzliche Tatsache nicht
entgehen, daß der Sohn grollte, der Mama nach Möglichkeit auswich.
Um so mehr mühte sich die Fürstin ab, eine Annäherung und Versöhnung
herbeizuführen, zumal sie befürchtete, daß die Verschlossenheit und das
untätige Leben den Sohn auf schlimme Gedanken und gefährliche Streiche
bringen könnte. Um eine Flucht zu verhindern, hielt die Fürstin Emil
sehr knapp mit Geldmitteln. Dachte gar nicht daran, daß dieses Vorgehen
den mündigen Sohn völlig erbittern mußte. Und ganz verfehlt war der
Tadel der Untätigkeit, die mit liebeflehenden Worten verzuckerte
Mahnung zu irgendeiner Beschäftigung, z. B. Übernahme der Oberleitung
im Forst- und Jagdamt, Kontrolle der Beamten und Jäger.

Emil lehnte ab mit dem Hinweise auf Mangel an Sachverständnis.

Eines tat er aber doch, ohne Wissen der Mama, er staubte den Freikost
und sonstige Benefizien schindenden Jäger Eichkitz aus dem Schlößl
raus, so gründlich und scharf, daß dem hübschen Frechdachs Hören und
Sehen verging. Jäh hatte das Schlemmerleben und auch die Beeinflussung
der Gebieterin ein Ende. Daniel Eichkitz mußte im Hochreviere Dienst
tun wie die anderen Jagdgehilfen.

Zeuge dieser Ausstaubung des Parasiten war vom Fenster ihrer Stube aus
Fräulein Gussitsch, ohne daß Emil davon eine Ahnung hatte.

Bald darauf wurde Martina zur Fürstin befohlen. Zu einer Aussprache.
Das tiefbekümmerte Mutterherz verlangte nach Hilfe und Befreiung von
quälenden Sorgen. Einen Weg sollte die Hofdame finden, der zum Herzen
des Sohnes führt. Und Martina soll intervenieren, auf daß sich der
Prinz beschäftige, um die Bewirtschaftung des Jagdgutes kümmere.

Ob dieser Bitten war Martina anfangs erschreckt. Aber in Erinnerung an
die von ihr beobachtete Ausschaffung des Jägers Eichkitz konnte Martina
mit gutem Gewissen der hohen Gebieterin sagen, daß Prinz Emil bereits
sich der Interessen der fürstlichen Familie annehme, für Ordnung
wenigstens teilweise gesorgt habe.

Über die Details dieses Vorganges informiert, gab die Fürstin
den seither bevorzugten Lieblingsjäger und Berater in
Jagddienstangelegenheiten sofort preis, billigte die Ausschaffung
nicht nur, sondern lobte der Hofdame gegenüber den Sohn himmelhoch,
als hätte Emil die Welt aus den Angeln gehoben. Und im selben Atemzuge
schier bat die Fürstin, es solle Martina den Prinzen dahin zu bestimmen
suchen, daß er seine Tätigkeit zur Schaffung von Ordnung und Disziplin
ausdehne und den Bediensteten scharf auf die Finger sehe. Wehen Tones
klagte sie: „Auf mich hört Emil ja leider Gottes nicht mehr, vielleicht
zeigt er sich Ihren Worten zugänglich! Seien Sie aber vorsichtig, liebe
Martina, auf daß nicht Erbitterung und Trotz geweckt wird! Diplomatisch
klug und vorsichtig vorgehen, um Emil willfährig zu machen! Mein Sohn
soll glauben, daß sein Wille respektiert wird, daß er ganz nach seinem
Gutdünken lebt und handelt; dabei aber wird er doch gelenkt durch Sie
nach meinem Willen! Leicht wird das freilich nicht durchzuführen sein!
Aber wir wollen den Versuch wagen!“

Martina erklärte pflichtschuldigst ihre Bereitwilligkeit, machte aber
auf die Gefahren der gewünschten Intervention aufmerksam.

„Gefahren? Ich wüßte nicht, welche Gefahr aus Ihrer Intervention
erstehen könnte!“

„Ich werde mich zunächst der Gefahr aussetzen, in den Augen des Prinzen
zudringlich zu erscheinen und zurückgewiesen zu werden!“

„Undenkbar, wenn Sie klug und diplomatisch, mit Frauentakt
intervenieren!“

„Sodann befürchte ich üble Nachrede, wenn man mich häufig in
Gesellschaft des jungen Herrn sieht...!“

„Wo es sich um meine Wünsche handelt, hat Domestikengeschwätz nichts,
aber rein gar nichts zu bedeuten! Sie handeln ja in meinem Auftrage
und helfen einer bekümmerten Mutter! Sie dürfen jedoch mit keinem Ton
verraten, daß die Intervention mit meinem Wissen erfolgt! Und nun gehen
Sie ans Werk! Die Mutter dankt Ihnen von ganzem Herzen für diesen
Lieblingsdienst, den ich nie vergessen werde!“ Liebreich und huldvoll
reichte die Fürstin dem Hoffräulein die Hand zum Kusse.

Auf ihrem Zimmer konnte Martina den Kriegsplan entwerfen. Ein geradezu
lästiger Auftrag, unangenehm und gefährlich; dennoch nicht ganz
unerwünscht nach der Richtung hin, daß Martina im Interesse Hartliebs
wirken kann, wenn ihr Einfluß den Prinzen bestimmt, sich um die Jagd
zu kümmern, mit Hartlieb zu verkehren und der Mißwirtschaft ein Ende
zu machen. Werden die Dienstesverhältnisse gebessert, so wird Hartlieb
froh werden und Martina dankbar sein.

Ein beseligender Gedanke und Ausblick in die Zukunft. Vertrauensperson
der Fürstin! Wie aber schnell und ausgiebig Einfluß auf den Prinzen
gewinnen, ohne daß das hübsche Hoffräulein sich etwas vergibt und den
Ruf schädigt...?

Ein langes Sinnen und Planen. Dann ein Lächeln der Befriedigung, wobei
die feinen Marderzähnchen blinkten.

Martina hielt fleißig Ausschau nach dem „Zahnstocher mit dem
Schafblick“. Vorerst vergebens.

Aber gegen Abend vor der Dinerstunde sah sie den Prinzen
zigarettenrauchend am Waldesrande unter einer Fichte liegen,
vermutlich vor Langeweile zum Sterben bereit.

Mustela auf der Jagd... Martina schlich aus dem Schlößl, promenierte
gegen den Talschluß zu, bog vom Sträßlein ab und stieg ein Weilchen
bergan. Dann kam wie von ungefähr und rein zufällig das Hoffräulein,
leise ein Liedchen summend, von oben genau in der Richtung auf den
lungernden Prinzen herab.

Schon das Knacken dürrer Zweige, das Kollern losgetretener Steine hatte
Emil aufmerksam gemacht. Neugierig guckte er aufwärts. Und wie er das
hübsche Hoffräulein im neckischen Lodenkleide erblickte, grüßte er
vergnügt lächelnd und fragte, ob Fräulein von Gussitsch „dienstlich“
Steine loslöse und ein Prinzenleben dadurch schwer gefährde.

Im grünen Tann ein köstlich karikierter Hofknicks, wobei Martina
kichernd mit den Fingerspitzen das fußfreie Lodenkittelchen um einen
Zoll hochhob. „Untertänigst zu dienen! Die Steinchen haben nicht meine
Füße losgelöst, sondern das schlechte Gewissen, die schwer bedrückte
Hofdamenseele...!“

Mit einem wahrhaftigen Schafblick guckte Emil das Fräulein an. „Was?
Schlechtes Gewissen, bedrückte Seele? Ich bin perplex! _Non capisco
niente!_“

„Glaub es gerne, daß der gnädigste Prinz mich nicht verstehen!“

„Nein, wirklich nicht! Habe keine Ahnung!“

„So muß ich denn beichten, mitten im Grünen!“

„Ich bin furchtbar neugierig! Schießen Sie los! Aber wollen wir uns
nicht setzen auf schwellende Moospolster?“

„Danke, nein! Es beichtet sich leichter im Stehen! Dabei wird auch
vermieden, daß etwaige Beobachter auf den Gedanken kommen, es handle
sich um ein -- Rendezvous zum Maikäfern!“

„Ach, das wär aber wirklich nett, maikäfern mit einem etikettwidrig
hübschen Hoffräulein, derweilen die gestrenge Fürstin von --
Zahnschmerzen gepeinigt wird!“

„Es maikäfert sich gar nichts, gnädiger Prinz!“ Und nun beichtete
Martina planmäßig, daß sie Zeugin der Ausschaffung des profithungrigen
Jägers Eichkitz gewesen sei. Diese rettende und befreiende Tat des
Prinzen habe sie als Wohltat empfunden. Und den ordnungschaffenden
jungen Herrn lobte sie über den Klee und sprach die Hoffnung aus, daß
Prinz Emil noch mehr von den Parasiten „fürifangen“ und dreinfahren
werde „wie ein geölter Blitz“.

Höchlich geschmeichelt und interessiert rief Emil: „Aber das ist
ja furchtbar nett! Hab’ ich mir da die Anerkennung des hübschen
Hoffräuleins errungen und hatte davon keine Ahnung! Wenn Sie es
wünschen, werde ich mit Vergnügen noch mehr der Kerls ‚fürifangen‘!
Nur müssen Sie mir die Gauner näher bezeichnen! Überhaupt sagen, wo es
Schlampereien gibt! Ordnung will ich gern und schleunigst schaffen!“

Mit einem strahlenden Lächeln des Triumphes blickte Martina den so
prächtig auf den gewünschten Pfad erwachenden Interesses gelockten
Prinzen an. Und auf den Scherzton eingehend, sagte sie: „Bei mangelnder
Kontrolle gibt es überall Schlampereien, besonders in Hofhaltungen ohne
-- männliche Oberaufsicht! Genaue Auskunft kann ich nicht geben, denn
ich bin dienstlich stets in der Nähe der hohen Gebieterin! Direkt unter
den Augen der Durchlaucht wagt auch der frechste der Frechdachse nicht
zu stehlen! Hinterm Rücken schon! Wenn aber der gnädigste Herr den
Oberförster und Jagdleiter ins Vertrauen ziehen, kann Ihnen Hartlieb
Dinge erzählen, daß die prinzlichen Augen tropfen!“

„So? Nicht übel! Na, Feuerle anzünden ist von jeher meine Passion
gewesen! Gleich morgen werde ich mit dem Oberförster reden, mich
informieren lassen!“

„Das wäre furchtbar nett von Ihnen! Vorausgesetzt, daß Sie den
wohltätigen Sport des ‚Fürifangens‘ und ‚Feuerle-Anzündens‘ für längere
Zeit betreiben wollen, nicht nur vorübergehend auf einige Tage!“

„Aber gern! Sind denn die Verhältnisse durchweg so schlimm?“

„So unerträglich, daß der Oberförster die Stellung verlassen wollte!
Ich habe schwere Mühe gehabt, ihn zu bewegen, daß er versprach,
auszuharren, bis der gnädigste Prinz kommt und mit eiserner Hand
eingreift! Gottlob, Durchlaucht sind da und haben bereits mit Mannesmut
und Mannesfaust eingegriffen! Allen Respekt, untertänigst natürlich!“

„Sind Sie aber ein netter Käfer! Und so tapfer in Wahrung unserer
Interessen! Weil wir aber so nett allein sind, möchte ich Sie bitten,
mit mir einen Tauschhandel einzugehen, gewissermaßen ein Geschäft auf
Gegenseitigkeit! Ich werde alles tun, was Sie wünschen, zur Schaffung
von Ordnung und Purifizierung der Verhältnisse! Das Hoffräulein muß mir
aber versprechen, schön fein die Mama zu bearbeiten, daß sie in einiger
Zeit doch einwilligt und mir erlaubt, daß ich wieder nach Berlin kann.
Wollen Sie mir diesen Gefallen tun?“

Aalglatt wich Martina einem bindenden Versprechen aus und verwies
auf den Mangel an Einfluß. Was getan werden kann, soll aber gerne
geschehen. Übrigens gäbe es ein sicheres Mittel, um das gewünschte
Ziel zu erreichen: abschmeicheln!

„Nee, Fräuleinken, dazu bin ick bereits zu alt!“ meinte gedehnt der
Prinz Emil.

„Huhu! Ein Greis von zwei Dutzend Lenzen! Einfach schauderhaft! Krücken
gefällig zum Abstieg? Daheim Fleckerlschuhe anziehen, die gichtkranken
Knie umwickeln mit Fellen von Rheumatismus-Katzen! Mummelgreis, der
sich nicht zu helfen weiß! Tun Sie mir aber leid! Hab’ geglaubt,
Prinz Emil sei ein junger fescher Mann! Derweil ist er ein ‚alter
Mummelgreis‘!“

Belustigt lachte Emil auf. „Na, wir werden ja sehen, wie der Hase
läuft! Und inzwischen wollen wir zwei fest zusammenhalten, ja?“

„Gerne, Durchlaucht!“

„Ach was! Für Sie bin ich einfach der ‚Herr Emil‘! Das heißt, wenn
wir allein und unter uns sind! Die Hofschranzen und Popanzen brauchen
nichts zu merken von unserer Verschwörung! Also, auf Handschlag!“

Zögernd sprach Martina: „Zur ‚Verschwörung‘ bin ich wohl bereit! Aber
die Degradierung...?“

„Gut! Dann befehle ich Ihnen, mich mit ‚Herr Emil‘ zu titulieren.“

„Zu Befehl! Hier meine Hand, ‚Herr Emil‘! Und nun, damit die Schranzen
und Popanzen nichts merken, geht der ‚Herr Emil‘ schön alleine voraus
und hinunter zur Villa! Ich aber schlängle mich auf einem Umweg nach
Hause! Empfehl mich gehorsamst!“

„Servus, Käferl!“ Gehorsam und vergnügt stapfte der sehr munter
gewordene, aus der „Tramhapigkeit“ völlig erwachte Prinz hinunter.

Bis Martina auf Umwegen zum Schlößl kam, war eine heillose Verspätung
eingetreten, die Dinerstunde überschritten. Fürstin Sophie sagte
nichts, blickte nur das Hoffräulein fragend an. Und wie sie das
„optische Signal“ in Martinas strahlenden Augen gewahrte, daß der erste
Schritt zur Intervention getan, mit Erfolg getan sei, da huschte ein
Lächeln der Befriedigung über die Lippen der Mama.

Prinz Emil aber setzte eine Miene auf, als könne er nicht bis fünfe
zählen. Heuchelte absolute Gleichgültigkeit, schielte aber gelegentlich
nach Martina, die er jetzt zum Anbeißen nett fand.

Wenn es möglich wäre, einen gesunden Forstmann des Morgens im Bette
zu überraschen, Emil von Schwarzenstein hätte dies Kunststück
fast fertiggebracht, denn er kam am nächsten Tage zu sehr früher
Stunde in das Forsthaus. Zum größten Erstaunen Hartliebs, der
seinen Ohren nicht trauen wollte, als Prinz Emil, der Träumer, von
Reorganisation, verschärfter Kontrolle, ja von Beseitigung jeglicher
Günstlingswirtschaft sprach und den Oberförster um Unterstützung bat.
Die Kontrolle der Jagdgehilfen in den Revieren sollte nach wie vor
Aufgabe des Jagdleiters sein und bleiben, die Regulierung des nötigen
Abschusses vom Vorstand des Jagdamtes persönlich vorgenommen werden.

Auf den Einwand Hartliebs, daß die Fürstin gegenteilige Befehle erteilt
habe, äußerte sich Prinz Emil dahin, daß er nun die Oberleitung
führen werde und demgemäß seine Anordnungen zu befolgen seien, die
selbstverständlich erst nach Zustimmung des Jagdleiters gegeben werden
sollen.

Freudig überrascht fragte Hartlieb, ob denn Prinz Emil nicht selbst den
Abschuß vornehmen, das Weidwerk ausüben wolle.

Emil verneinte diese Frage ohne Angabe der Gründe und bat, es möge ihn
Hartlieb sofort in die Reviere führen behufs Kontrolle.

Dazu war Ambros Hartlieb natürlich mit Vergnügen bereit. Nur fragte
er, während er nach Büchse und Bergstock griff, ob denn der Prinz mit
Proviant versehen sei.

„Ist nicht nötig! Werde nicht verhungern!“

So marschierten beide denn ab. Und Hartlieb schlug einen Jägersteig
ein, der zwar arg steil war, dafür schnell in die Höhe führte...
Wie sich der Oberförster über den Wandel der Dinge freute! Manches
am jungen Herrn gefiel Hartlieb in hohem Maße: der Eifer, die
Einfachheit, der gute Wille für eine Reorganisation und Abschaffung der
Günstlingswirtschaft. Nicht weniger erfreulich war für den Jagdleiter
die Abschußbewilligung. Sonderbar fand Hartlieb allerdings den Verzicht
auf jegliches Weidwerken; sonderbar bei einem jungen Manne, dem so
herrliche, reichbestandene Reviere zur Verfügung stehen. Sollte der
Mangel an Jagdinteresse wirklich bis zur Gleichgültigkeit für jegliches
Wild gesteigert sein? Im langsamen Steigen erinnerte sich Hartlieb
wieder der Worte des Grafen Thurn, der Frage, ob ein junger apathischer
Mann beim Anblick von Wild auftauen, gewissermaßen von Jagdfieber
ergriffen werden könne. Eine Probe darauf wollte Hartlieb vornehmen,
den Prinzen an einen kapitalen Hirsch bringen, Emil das schußfertige
Gewehr geben, und das Weitere beobachten. Nach Hartliebs Meinung kann
ein schußberechtigter Mann beim Anblick eines Kapitalen unmöglich
eiszapfig bleiben, das Hirschfieber muß wirken...

Steigen konnte Emil vorzüglich, trittsicher und geräuschlos. Immer
hielt er Abstand ein, blieb nie zurück und schwätzte nicht.

Durch einen finsteren, engen Steilgraben ging es aufwärts, dann hinein
in düsteren Hochwald, der zu den „Haller Mauern“ sich dehnte.

Hartlieb strebte im lautlosen Pirschschritt einer Lichtung zu, wo seit
einiger Zeit ein kapitaler Zwölfender stand.

Emil folgte dem Führer stumm und unhörbar.

Zwischen den alten hochstämmigen Mantelfichten schimmerte es grau, die
Lichtung war nahe.

Hartlieb blieb stehen, um zu horchen. Wie angemauert stand fünf
Schritte von ihm der Prinz.

Von der Lichtungswiese her kam ein rauher Ruf, ein kurzer Trenzer, dann
ein dröhnend Rollen, der Schrei des Brunfthirsches zornig, begehrlich,
ungeduldig, herausfordernd: „ä--o--ah!“

Ein forschender Blick Hartliebs musterte den Prinzen, der ruhig stand
und nur etwas verwundert horchte. Keine Spur von Leidenschaft oder
Ergriffenheit.

So nahe als möglich pirschte Hartlieb den röhrenden Hirsch an. Gehorsam
wie ein guter Jagdhund folgte ihm der Prinz auf Schritt und Tritt.

Fast in der Mitte der felsumrandeten Lichtung stand der Kapitale breit,
vorgestreckt den zottigen Hals, werbend und kampfbegierig schreiend.
Ein König, der zum Kampfe ruft...

Bis auf Kugelschußdistanz brachte Hartlieb den Prinzen, der staunend
den kapitalen Zwölfender anguckte. Flink und lautlos machte Hartlieb
seine Büchsflinte schußfertig und gab sie wortlos dem Prinzen in der
sicheren Erwartung, daß Emil nun zielen, die berühmte Sekunde lang
die höchste Weidmannswonne genießen werde, indem das Büchsenkorn im
Hirschblatt Haar faßt und der Finger den Stecher zum Schuß berührt...

Prinz Emil sprach laut: „Aber was wollen S’ denn?“ Und er gab die
Büchse zurück.

In hoher Flucht ging der vergrämte Hirsch ab...

Jetzt wußte Hartlieb bestimmt, daß dieser junge Mann kein Jäger war und
niemals einer werden wird.

Fast schmerzlich wirkte diese Erkenntnis auf den Jagdleiter. Und nichts
weniger denn ermunternd für den Dienst unter einem Jagdherrn, der kein
Weidmann ist...

Viel mehr als der Zwölfender, der sich so rasch empfohlen hatte,
interessierte Emil ein überraschender Kontrollbesuch des Jagdgehilfen
Eichkitz. Deshalb fragte er, in welchem Distrikt Eichkitz zu finden
sein werde. Zugleich erzählte er die Episode der „Ausstaubung“. Wobei
Emil den Ton bis zum Flüstern dämpfte, da Hartlieb den Zeigefinger an
den Mund gelegt hatte.

Leise gab der Oberförster die kurze Antwort dahin, daß er den gnädigen
Herrn zu Eichkitz führen werde.

Eine mehrstündige scharfe Wanderung tief in Gräben hinunter, wieder
hinauf, durch Wald, Steinwildnis, bis das grasige Plateau der Plechauer
Alpe erreicht wurde.

Wie Emil den wuchtigen Steinkoloß des imposanten Großen Pyrgas
erblickte, rief er in heller Bewunderung: „Gott! Wie prachtvoll! Welch
herrlich schöne Natur!“

Trockenen und leisen Tones sprach Hartlieb: „Bitt schön! Nicht laut
werden! Wenn Sie den Eichkitz überraschen wollen, müssen wir mit aller
Vorsicht zur Almhütte pirschen! Wahrscheinlich hockt der Loder bei der
Sennerin Burgl und raspelt Süßholz!“

„Ja, gut! Machen wir! Bitte führen Sie mich so, daß wir nicht gesehen
werden und daß ich den Kerl ‚fürifangen‘ kann!“

Für diesen Überfall eines pflichtvergessenen Jagdgehilfen meinte es
die Sonne gut, sie versteckte sich hinter dunklen Wolken, so daß der
Almboden stark beschattet war. In diesem Schatten schlichen Hartlieb
und Emil der Hütte zu, deren Türe halb offenstand.

Die scharf klingende Stimme der schmächtigen Sennerin Burgl war
deutlich zu hören: „Aus ist’s und gar ist’s! Wie du meinst, mag ich
nicht! Auf dein Rezept: ‚vorm Heiraten taufen‘ laß ich mich nicht ein!
Probier dein Rezept bei den Hofmentschern! Ich will nichts wissen!
Und jetzt pack dich durch! Ein Jaager gehört ins Refür, nicht in die
Almhütt’n!“

„Sehr richtig!“ rief Prinz Emil und trat plötzlich in den Herdraum der
Hütte.

„Jeß Maria!“ schrie entsetzt die tugendhafte Burgl und rang die Hände.

Verblüfft rutschte Daniel Eichkitz vom Herdrand herunter und stellte
sich in Positur behufs Erweisung einer Art militärischer Reverenz vor
dem Prinzen.

Scharf sprach Emil: „Das nennen Sie Dienst machen? Für die
Schürzenjagd, für das Karessieren bezahlen wir die Jagdgehilfen nicht!
Ich warne Sie: Werden Sie noch einmal auf einer Dienstvernachlässigung
ertappt, so erfolgt die sofortige Entlassung, verstanden!“

Eichkitz erwiderte schnippisch: „Mit Verlaub! Der gnädig Herr hat mich
aus dem Jagdschlößl ausg’schafft, das langt! Vom Dienst ausschaffen
kann mich, so meine ich, doch wohl nur die Frau Fürstin, die wo
Gebieterin ist und die Herrschaft ’kauft hat! I glaub nicht, daß...“

„Herr Oberförster, darf ich bitten!“ rief Prinz Emil mit zornbebender
Stimme.

Hartlieb trat ein und fragte: „Durchlaucht befehlen?“

„Der Jagdgehilfe Eichkitz ist sofort seines Dienstes zu entheben!
Über Kündigungsfrist, Lohnauszahlung usw. wollen Sie das Weitere
veranlassen! Ebenso ist für Ersatz zu sorgen! Einstweilen kann wohl ein
anderer Jagdgehilfe das Revier am Pyrgas beaufsichtigen!“

„Sehr wohl, Durchlaucht!“ Zu Eichkitz gewendet sprach Hartlieb: „Sie
verlassen sofort das Revier! Den Hüttenschlüssel bringen Sie in die
Jagdamtskanzlei, wo morgen früh acht Uhr mit Ihnen abgerechnet wird!“

Emil hatte die Almhütte bereits verlassen. Ihm folgte Hartlieb.

Völlig verdattert hatte die schmächtige Burgl zugehört. Jetzt, da die
Herren sich entfernt hatten, meinte sie zu Eichkitz, dessen Zähne an
der Unterlippe nagten: „Siehgst es, da hast es! Ich hab es allweil
g’sagt, daß die Dienstschwänzerei nichts taugt und bald ein böses End
nimmt! Und dein Leichtsinn auch! Kannst lang suchen, bis du wieder
einen so schönen Jaagerposten findest, du Sausewind!“

Grob schnauzte Daniel Eichkitz die herbe Sennerin ab: „Dumme Gans!
G’heiratet hätt ich dich nie nicht! Und nun kannst mir auf den Buckel
steigen!“ Mit weiten Schritten zog er ab. Hinauf zur Pyrgas-Jagdhütte,
um seine wenigen Habseligkeiten zu packen.

Die Herren wanderten durch den Plechauergraben zu Tale. Und in der
Ebene des Halltales angekommen, sprach Prinz Emil seinen Dank für die
Führung aus. „Um meine Dankbarkeit aber auch zu beweisen, bitte ich
Sie, den bewußten Zwölferhirsch zu schießen! Und auch nach Bedarf
überzähliges Kahlwild, ganz wie Sie es für nötig erachten! Auf
meine Beteiligung am Abschuß und überhaupt am Weidwerk müssen Sie
aber verzichten! Mir fehlt das Interesse, das Jägerblut! Ich bin nur
ein begeisterter Naturfreund und Alpinist, habe nicht das geringste
Verständnis für Wild und Jagd! Hingegen habe ich den ehrlichen Willen,
Ihnen zu helfen, auf daß Ordnung wird! Bitte, sagen Sie dem Dickwanst
Gnugesser -- drolliger Name --, er soll mich morgen acht Uhr abholen;
wir wollen einen forstlichen Kontrollgang machen! Weidmannsheil, lieber
Oberförster! Auf Wiedersehen!“

„Weidmannsdank! Und gehorsamsten herzlichsten Dank für die erquickende
Abschußerlaubnis!“

Der Forstwart Gnugesser stand Punkt acht Uhr früh am Portal des
Schlößls, diesmal in Forstuniform und statt mit dem Hirschfänger
mit dem Plätzhammer ausgerüstet. Mit seinem strahlendsten Lächeln
im bärtigen Gesicht, hocherfreut von den guten Neuigkeiten, die ihm
gestern abend Oberförster Hartlieb mitgeteilt hatte. Bereitwilligst
hatte Beni auf Ersuchen Hartliebs die Mission übernommen, den jungen
Prinzen über forsttechnische Angelegenheiten zu informieren, ihm die
Notwendigkeit einer Forstnutzung auseinanderzusetzen, auf daß Prinz
Emil den Widerstand der Mama bezüglich jeder Schlägerung überwinde und
auch auf diesem Gebiete Reformen einführe.

Länger als vermutet mußte Beni warten, denn Prinz Emil kanzelte im
Flur des Hauses den Kammerdiener Norbert ab, und zwar so kräftig und
gut verständlich, daß sich Gnugesser bei all seiner Gutmütigkeit und
Friedensliebe hochvergnügt die Hände rieb. Offenbar versteht der junge
Herr das „Aufmischen“ gründlich; und wenn Prinz Emil jetzt sogar
die „allmächtigen“ Vertrauenspersonen und einflußreichen Diener
„fürifangt“, so müssen -- nach Benis Meinung -- die Verhältnisse bald
anders und sehr gut werden.

Endlich kam Prinz Emil in schlichter Lodenkleidung heraus, dem
Gesichtsausdruck nach etwas verstimmt, grüßte kurz und bat, es
wolle der Forstwart auf einem Inspektionsgange über den Stand der
Forstangelegenheiten Vortrag erstatten.

Der Marsch durch das nebelerfüllte Halltal wurde sofort angetreten.
Für Benis dickes Bäuchlein und kurze Beine in einem zu schnellen
Tempo. Eine Weile hielt Gnugesser zappelnd Schritt zur Linken des
weitausgreifenden Prinzen, der sich anscheinend durch das Renntempo den
Ärger weglaufen wollte. Dann aber wurde Benis Atem immer kürzer. So
mußte er denn bitten, es möge der gnädige Herr etwas weniger schnell
gehen. „Ich derpack das Gerenn nicht, die Haxeln sind z’ kurz!“

Schmunzelnd mäßigte Emil das Tempo. Und mit sarkastischem Blick
musterte er den „Hendlfriedhof“, das hüpfende Bäuchlein Gnugessers.

Beni fing den Blick auf und sprach: „Glauben S’ nur ja nicht, gnädiger
Herr, daß mein Wanst vom zu guten Essen so dick worden ist!“

„Also vom Hungern und Fasten?“ meinte lächelnd Emil und ging
gemächlichen Schrittes weiter.

Eifrig beteuerte Beni, daß bei ihm Naturanlage vorhanden sei, eine mehr
als dreimal verfluchte Veranlagung, die stetigen Verdruß verursache.

„Warum denn Verdruß?“

„No ja, halten zu Gnaden, weil mich jeder Hansdampf -- Jeß Maria! Ich
nehm das dumme Wort z’ruck -- weil mich die Leut immer frozzeln wegen
des dicken Bäucherls! Ist aber nicht zum Lachen! Magere Kost...“

„Vielleicht futtert der Forstwart zu feucht?“

„Ist nicht möglich, Duhrlauch! Wo das Gehalt so klein ist!“

„Was? Unzufriedenheit mit dem Gehalt?“

„Nicht! Keine Spur nicht von Unzufriedenheit! Wenn ich sag, daß mein
Gehalt so klein ist, so hängt das mit meinem Hauskreuz und mit der
vermaledeiten Haller Weiberrevolution zusammen!“

Emil fragte, neugierig geworden, nach Details dieser ihm fremden
Verhältnisse und blieb stehen, damit Beni ruhigen Atems berichten
konnte.

Der häusliche Krieg wegen der Entschädigung der Hausfrauenarbeit im
Ehestande, der Kampf um das Gehaltsdrittel des Brotverdieners hatte
Beni die Hauptwaffe, die Zunge, so geschärft, daß er sehr präzis und
geläufig über die Entwicklung dieser Frage referieren konnte. Und
besonders scharf betonte er die ethische Seite, das Herabdrücken
der Würde der Ehefrau durch Annahme eines Lohnes auf das Niveau der
bezahlten Dienstmagd. Für die ihn selbst betreffende finanzielle Seite
hatte er nur den winzigen Spott, den die Gutmütigkeit gestattete.
„Merkwürdig ist nur, daß die Weiber nicht nachgeben wollen, wiewohl
es gar kein solches Gesetz gibt und selbst in der Schweiz nur ein
Entwurf besteht! Der Pfarrer hat bereits scharf geschossen, die
Bezirkshauptmannschaft hat jedwede Agitation verboten und Bestrafung
wegen Störung der öffentlichen Ruhe angedroht! Hilft alles nichts,
meine heißgeliebte Amanda will das Gehaltsdrittel und hetzt weiter, bis
sie hoffentlich bald eingekastelt wird!“

„Aber das ist ja köstlich!“

„Mit Vergunst: was soll köstlich sein?“

„Die Situation, wenn Amanda -- das ist wohl Ihre Gattin? --
‚eingekastelt‘ wird!“

„Köstlich oder nicht, jedenfalls krieg ich für einige Zeit Ruhe, so
meine süße Amanda hinter schwedischen Gardinen sitzt als Revoluzzerin
und Volksaufwieglerin!“

„Ist denn meine Mama über diese interessante Affäre informiert worden?“

„Wohl, wohl! Eine Zeitlang ist die Frau Fürstin für die Frauen gewesen,
Duhrlauch hat es sogar dem Pfarrer von Hall verübelt, daß er die
Revolution bekämpfte! Wie aber die Frau Fürstin vom Pfarrer genauer
informiert worden ist, hat die Frau Fürstin nichts mehr wissen wollen!
Natürlich schimpfen die Haller Weiber jetzt wie die Rohrspatzen über
die Frau Fürstin!“

„Na, sehr nette Chose! Was soll denn daraus werden?“

„Ich hab keine Ahnung! Das begehrte Drittel kann ich nicht zahlen,
soviel steht fest! Dazu ist die Gage wirklich zu klein; nichts für
ungut, gnädiger Herr!“

Im Weiterschreiten ließ sich Prinz Emil über die Höhe der
Beamtengehälter und über die Löhne der Waldarbeiter und Jagdgehilfen
informieren. Selbst von Mama mit Geld sehr knapp gehalten, hatte Emil
eine Ahnung davon, was es heißt, mit wenig Geld leben zu müssen.
Kein besonderes Verständnis für soziale Verhältnisse, noch weniger
Verständnis dafür, wieviel Geld der Haushalt eines schlecht bezahlten
Beamten oder Forstarbeiters jährlich verschlingt. Aber eine hübsche
Idee hatte Emil, einen niedlichen Revanchegedanken: für seine eigene
Knapphaltung ist Revanche möglich und sehr nett, indem der knickrigen
Mama etlicher Mammon dadurch abgeknöpft wird, daß man die Löhne des
Forstwarts und der verheirateten Waldarbeiter aufbessert. Diebisch
freute sich Emil über diese niedliche Revancheidee.

Gnugesser erhielt Auftrag, ein Verzeichnis der verheirateten
Angestellten im fürstlichen Dienste anzufertigen und auszurechnen,
wieviel gezahlt werden müsse bei einer Aufbesserung um zwanzig Prozent.

Einen Luftsprung vollführte Beni. Das Bäuchlein hüpfte. Und vor Freude
schrie Gnugesser: „Vergelt’s Gott diese Wohltat!“

„Nur gemach! Erst die Berechnung! Dann muß ich die Angelegenheit
prüfen, studieren, wie Gelder aus dem Ertrag des Herrschaftsgutes
flüssig gemacht werden können! Denn aus der Privatschatulle wird Mama
die zur Aufbesserung der Löhne nicht bewilligen!“

„Oh, gnädiger Herr! Geld soviel wie Heu können Sie herauszwicken, wenn
überständiges Holz verkauft wird! Angebote haben wir genug, hiebreifen
Bestand auch, nur die Erlaubnis zum Schlägern haben wir nicht --
einstweilen!“

„Gut! Machen wir! Ich werde Mama schon umstimmen! Aber nun noch etwas:
den geldhungrigen Eheweibern muß der Mund gestopft, die Lust zum
Revolutionieren gründlich ausgetrieben werden!“

„Wie wollen denn gnädiger Herr dieses Kunststück fertigbringen?“

„Sehr einfach das: zehn Prozent der Aufbesserung liefert der Ehemann
der Gattin als Nadelgeld ab! Wer damit nicht zufrieden ist, wer weiter
hetzt und agitiert, wird entlassen!“

„Oha! Aber die Ehefrauen können doch nicht entlassen werden!“

„Die Weiber nicht, aber die in unserem Dienst stehenden verheirateten
Beamten und Arbeiter!“

„Ah so wohl! Jetzt versteh ich, was Sie meinen! Wir Ehekrüppel bekommen
durch die Aufbesserung eine Waffe, mit der wir die Revolution im
Haushalt bekämpfen und niederringen können! Feine Idee das! Hätt
gar nicht geglaubt, daß unser junger Prinz soviel Spiritus im Kopf
hat! Jeß Maria, nichts für ungut; es ist mir gleich nur so dumm
herausgerutscht!“ Und wütend auf sich selbst, schlug sich Beni auf den
vorlauten Mund.

Belustigt sprach Prinz Emil: „Ist schon recht, Dickwanst! Ich bin
wirklich nicht so dumm, wie ich aussehe! Die Idee zur Lösung der
‚Revolutionsfrage‘ gefällt mir selber, und ich glaube, daß den Weibern
der Mund gründlich gestopft wird!“

„Wohl, wohl! Bis auf die gefährliche Krämerin in Hall! Diese
Oberhetzerin steht nicht im fürstlichen Dienst, sie kann also auf die
Herrschaften husten und pfeifen, wie sie mag! Und das wird sie auch
tun! Und solang dieses Malefizweib hetzt, wird auch keine endgültige
Ruhe eintreten!“

„So? Da bin ich anderer Meinung! Die Krämerin wird einfach boykottiert!“

„Wie denn das?“

„Zur Strafe für die Verhetzung wird der Boykott über die Krämerin
verhängt! Wir kaufen nichts mehr bei ihr! Und wer von unseren Beamten
und Dienern fürder den Bedarf bei der Krämerin deckt, wird entlassen!
Merkt das die Krämerin, so wird sie, um nicht geschäftlich ruiniert zu
werden, ganz gewiß zu Kreuz kriechen und jede Agitation einstellen!“

„Gott! Sie sind ein heller Kopf!“ Und wieder schlug sich Beni auf den
Mund.

„Na schön! Nun gehen Sie heim und besorgen Sie mir so rasch als möglich
die Aufstellung und Berechnung! Bis Mittag will ich alles in Händen
haben!“

„Sehr wohl, gnädiger Herr! Aber was ist’s mit dem Inspektionsgang?“

„Machen wir ein andermal! Mich interessiert jetzt die
Revolutionsangelegenheit und ihre Lösung!“



Zehntes Kapitel


Des guten Herbstwetters halber hatte Fürstin Sophie eine Wagenfahrt
nach dem idyllisch gelegenen Wallfahrtsorte Frauenberg bei Admont
befohlen, und zwar nach dem Lunch. Als aber bei Aufhebung der Tafel
Prinz Emil um Audienz in einer dienstlichen Angelegenheit bat mit dem
Hinweise, daß die Besprechung wahrscheinlich längere Zeit beanspruchen
werde, bestellte die erstaunte Mama den Wagen wieder ab.

Daß der Sohn der Mutter sich wieder nähert, eine Aussprache wünscht,
sich um Herrschaftsangelegenheiten kümmert, erfüllte die Fürstin mit
größter Freude. Und im voraus war sie gewillt, allen Vorschlägen des
geliebten Sohnes zuzustimmen.

Als aber Emil mit dem von Gnugesser gelieferten Aktenmaterial im Zimmer
der Mama erschien und von Schlägerung und Lohnaufbesserung sprach, ward
die Miene der Fürstin etwas säuerlich. Und Mama verschanzte sich hinter
dem Ausspruch des Jagdgehilfen Eichkitz, wonach die Jäger um jeden
gefällten Baum heulen und „die Hirsche auch“.

Trocken und kurz erzählte Emil, weshalb der Eichkitz wegen grober
Dienstesvernachlässigung entlassen worden sei.

Nun gab Mama jeden Widerstand auf, hütete sich auch, wegen der
Entlassung des früheren Günstlings Eichkitz ein Wort zu äußern. „Tu was
du willst, lieber Sohn! Wenn ich um eines bitten darf, tu nichts ohne
Hartlieb gefragt zu haben, der ja Fachmann ist!“

„Gewiß! Selbstverständlich! Du wirst ja zweifellos während meiner
Abwesenheit auch stets den Oberförster gefragt haben!“

Fürstin Sophie biß sich auf die Unterlippe und schwieg.

„So! Es ist alles erledigt! Wenn Mama gestattet, werde ich euch
begleiten und mit nach Frauenberg fahren!“

„Da du mitfahren willst, kann Martina zu Hause bleiben!“

„Aber nein! Die Gussitsch soll nur mitfahren! Das arme Wurm versauert
ja ohnehin auf ihrem Kammerl! Das bissel Vergnügen einer Wagenfahrt
ist ihr schon zu gönnen! Vorausgesetzt, daß es in dem Nest etwas zu
schnabulieren gibt! Ich habe heute einen merkwürdigen Appetit auf
Backhühner und Steiererwein! Da der -- mündige Prinz von Schwarzenstein
naturellement die Zeche zu berappen haben wird, dermalen aber --
_horribile dictu_ -- nur über lumpige zehn Kroneln verfügt, muß ich die
durchlauchtigste Fürstin-Mama um Ausfolgung von Moneten allergehorsamst
bitten!“

„Ja freilich! Wieviel wird denn das Backhendl-Vergnügen kosten?“

„Hundert Kroneln werden vielleicht genügen! Nichts Gewisses weiß man
nicht!“

„Was? Hundert Kronen?! Das ist ja ein ganzes Vermögen! Hundert Kronen
für ein Backhendl? Entsetzlich! Unerhört teuer!“

Schmunzelnd meinte Emil, den das Gejammer Mamas belustigte: „Ach wo!
Ein Hunderter ist ungefähr soviel, wie wenn ein Ochs ein Veigerl
frißt!“

„Ach Gott! Diese Ausdrücke! Schrecklich! Sie gehen mir auf die Nerven!“

Die Audienz endete damit, daß die Mama, die vom Geldwert und
merkantilen Dingen nicht viel verstand, dem Sohne ganze zwanzig Kronen
gab, die Emil gelassen in die Westentasche steckte. „Danke! Jetzt aber
muß auch Norbert mitfahren!“

„Aber warum denn?“

„Das bleibt einstweilen mein Geheimnis! Untertänigsten Dank, liebe
Mama!“ Emil küßte der Mutter die Hand und empfahl sich.

Unten, und zwar in Nähe der Fenster von Martinas Zimmer, befahl Emil
dem verdutzten Kammerdiener Norbert die Bestellung des viersitzigen
Wagens absichtlich so lauten Tones, daß Fräulein von Gussitsch jedes
Wort hören mußte. Richtig erschien auch Martina an einem der offenen
Fenster.

Hinauf grüßend und mit den Augen zwinkernd rief Emil: „Bitte, sich
rasch fertigzumachen! Dienstfahrt nach Frauenberg zu Backhendl und
Steiererwein! Ich fahre ooch mit!“

„Nicht möglich! _Che grandissimo onore!_“ kicherte Martina und
verschwand vom Fenster.

In Gedanken nannte Emil das Hoffräulein einen „sehr netten Käfer“. Und
auch die Wahrheit gestand er sich ein, daß er nur deshalb mitfährt,
um die zum Anbeißen hübsche Martina etliche Stunden als Gegenüber
betrachten zu können.

Als der Wagen vorfuhr, erteilte Emil dem Kammerdiener den Befehl: „Sie
fahren als Reisefourier mit, verstanden?“

„Zu Befehl! Ich werde mich sofort mit dem Nötigen versehen!“ Und
hurtig verschwand Norbert, um ebenso rasch wieder zu erscheinen.

Noch vor der Abfahrt wurde eine Depesche gebracht, welche für den Abend
die Rückkehr des Grafen Thurn ankündigte und einen Wagen zum Bahnhofe
Admont erbat.

Fürstin Sophie meinte, daß man auf dem Rückwege von Frauenberg den
Grafen in Admont abholen könne.

Davon wollte aber Prinz Emil, dessen Augen die schöne Martina
anblitzten, nichts wissen; er heuchelte Sehnsucht nach familiärem
Zusammensein, das gestört würde durch ein minutiöses Erscheinen am
Bahnhofe.

Hocherfreut nahm die Mama diese spitzbübische Heuchelei für Ernst und
gab Befehl, daß ein eigener Wagen für den Grafen Thurn gesendet werde.

Während der Fahrt durch das in den Farben des Herbstes prangende
Ennstal verhielt sich Emil schweigsam. Gleichgültig gegen die Pracht
der himmelragenden Felskolosse, die das Tal besäumen. Um so größeres
Interesse verriet der Blick für das bildhübsche Hoffräulein. Zu
Martinas Unbehagen, denn fängt die Fürstin nur einen einzigen dieser
brennendes Interesse kündenden Blicke auf, so wird eine bitterböse
Situation heraufbeschworen sein. Unangenehm war sie jetzt schon
während dieser dem „Vergnügen“ gewidmeten Fahrt durch die angespannte
Aufmerksamkeit für die Gebieterin für den in jedem Moment möglichen
Fall einer Ansprache, durch die Dienstesbereitschaft, durch den Zwang
der Zurückdrängung von Gedanken, die sich mit Hartlieb beschäftigen
wollten. Und wegen der brennenden Blicke Emils mußte Martina doch
darüber nachdenken, wie sie der drohenden Gefahr entgegentreten
solle, wie beizeiten die züngelnde Flamme gelöscht werden könne. Der
erwachte Prinz muß toll geworden sein, von einem Sinnestaumel erfaßt;
ein verzehrendes Feuer glüht in seinen flackernden Augen. Und der
Tollgewordene wagte es sogar zu fußeln.

Martina mahnte mit einem tiefernsten Blick zur Vernunft, und scheu
schielte sie nach der Fürstin, die gottlob von dem Gebaren des Sohnes
nichts wahrgenommen zu haben schien und ihren Gedanken nachhing.

Emil gab auf die optische Mahnung hin Ruhe, aber am nervösen Zucken der
Finger war zu erkennen, daß der junge Mann seine drängenden Sinne kaum
länger wird beherrschen können.

Auf dem hochgelegenen Frauenberg angekommen, besuchte Fürstin Sophie,
von Martina begleitet, sofort die doppeltürmige Wallfahrtskirche. Auch
Emil ging mit, zur sichtlichen Freude der Mutter.

Als dann die Sehenswürdigkeiten besichtigt waren und der von Norbert
gedeckte Tisch im schattigen Garten des behäbigen Gasthofes bezogen
wurde, waren etliche Stunden verflossen. Immer noch zu früh für das von
Emil geplante ländliche Diner. Und bei dem bestellten dünnen Kaffee mit
trockenem Kuchen konnte die gewünschte Stimmung nicht eintreten. Das
eisige Verhalten Martinas, die nur für die Gebieterin zu leben schien,
machte Emil verdrossen.

Die Fürstin sprach von der überraschenden Stilverschiedenheit der
Kirchen im Ennstale, besonders von dem Kontraste zwischen Admont
und Frauenberg. Im Blasius-Münster edelste Gotik mit romanischen
Portalen aus der Zeit des ersten Kirchenbaues, in Frauenberg hingegen
ein italienischer Barockbau, prunkvolle Stuckarbeiten und prächtige
farbenglühende Fresken. Zu Emil gewendet, sprach die Mama: „Du hattest
doch Kunstgeschichte studiert, mußt also mehr verstehen als ich! Kannst
du angeben, wie man dazu kam, just hier einen so reichen italienischen
Barockbau aufzuführen?“

Emil hatte keine blasse Ahnung von Kunstgeschichte, aber die Inschrift
der Grabplatte vor dem Hochaltare hatte er gelesen, und darauf sich
stützend, von plötzlichem Übermut erfaßt, schwatzte er davon, daß
der Erbauer von Frauenberg, der hier zu Ende des 17. Jahrhunderts
beigesetzte Admonter Abt Adalbert aus dem Geschlecht der Heufler zu
Rasen und Hohenbüchel ein Italiener gewesen sei.

„Mit dem Namen Heufler zu Rasen ein Italiener? Wie ist denn das
möglich?“

„Oh, der Name bedeutet nicht viel für die Nationalität! Es kann ein
Stockböhmak und Urtscheche einen völlig deutschen Namen haben oder
umgekehrt!“

„Ja doch! Wenn aber jener Heufler zu Rasen ein Italiener war, wie kam
er in das Stift Admont?“

„Wahrscheinlich mit der Eisenbahn!“

Ob dieser handgreiflichen Aufschneiderei mußte Martina auflachen, sie
konnte sich nicht bemeistern. Der Anachronismus war zu drollig, ebenso
das spitzbübische Gesicht des Schelms, der es darauf angelegt hatte,
die Mama reinfallen zu lassen.

Wie nun Emil sah, daß das von ihm vergötterte Hoffräulein vergnügt
lachte, war er augenblicklich in rosigster Stimmung und bemüht, Martina
in guter Laune zu erhalten.

Leise rügend sprach die Mama: „Du beliebst zu spaßen!“

„Verzeihung! Harmloser Ulk im Familienkreise! Kopie der alten
Geschichte vom Kaiser Josef und der Bahnwärterstochter!“

Wieder ging die ahnungslose Mama dem Schalk ins Netz, indem sie sagte:
„Davon ist mir nicht das geringste bekannt! Es wird sich doch der hohe
Herr nicht so weit vergessen haben...?“

„Oh, Mesalliancen sind auch in früherer Zeit vorgekommen! Und in
neuester Zeit gibt es deren massenhaft! Ich würde auch nicht locker
lassen! Um keinen Preis der Welt!“ Ein heißer Blick flog auf Martina.

Fürstin Sophie erwiderte ernsten Tones: „Die Vernunft muß immer über
der Neigung stehen!“

„Verzeihung, Mama! Du meinst die Staatsräson! Für sie gilt allerdings
dein Diktum immer und völlig! Bei mir wird es aber eine andere --
Wurscht sein, da kommt die Staatsräson gar nicht in Betracht!“

„Gott! Diese Ausdrücke! Und dann dieses sonderbare Thema! Ich will
nicht hoffen, daß du noch derlei gefährliche Absichten hegst! Du bist
doch auch noch zu jung!“

„Oho! Bin schon vierundzwanzig Jahre alt!“

„Entschieden verfrüht!“

„Verzeihung, daß ich widerspreche.“ Wieder flog ein heißer Blick auf
die vor Schrecken erbleichende Hofdame.

In italienischer Sprache mahnte Mama: „Laß doch dieses Thema fallen!
Bezahle die Rechnung! Ich wünsche heimzufahren, möchte vor Ankunft
Thurns zu Hause sein!“

„Nana! Welche ‚Pressiererei‘! Und die Backhendl, auf die ich mich so
mächtig gefreut habe?“

„Bitte, rufe Norbert und erteile Auftrag, daß angespannt wird!“

Der Kammerdiener stand in einiger Entfernung dienstbereit und kam auf
Emils Wink sofort herbei.

Gedehnten Tones sprach der Prinz: „Der Reisefourier soll seines Amtes
walten! Abendessen abbestellen, aber bezahlen! Sogleich anspannen!“

Erstaunt fragte die Fürstin leise: „Was soll das mit dem
‚Reisefourier‘? Warum zahlst du nicht die Zeche?“

Emil lachte nun vergnügt: „Werde mir hüten! Die zwanzig Silberlinge
befinden sich unsäglich wohl in meiner Tasche! Der bezüglich der
nicht bewilligten Backhendl verunglückte Ausflug soll nur aus der
hochfürstlichen Kasse bezahlt werden! Norbert als Fourier wird schon
verrechnen! Ich habe Rübchen: ätsch -- ätsch! Mamale ist reingefallen!
Diesmal bin ich der Schlauere gewesen!“ Und lachend imitierte Emil das
Rübchenschaben und verbeugte sich drollig.

Das geschah so nett und witzig, daß Mama nun doch lächelte und das
Prinzlein einen ausgewachsenen Spitzbuben nannte.

Während der Rückfahrt attackierte Emil das Hoffräulein abermals mit
heißen Blicken, rutschte quecksilbrig auf seinem Sitze hin und her und
suchte Martinas Händchen zu erhaschen.

Dies bemerkte die Fürstin. Mit eisigen Worten bat sie den Sohn um ein
anständiges Verhalten. „Später wird mehr zu sprechen sein!“

Martina erschauerte und war dem Weinen nahe.

Emil schien toll geworden zu sein. Er meinte: „Ach Gott! Wenn nötig,
können wir sofort das Thema erörtern! Einmal muß es ja doch zum Klappen
kommen!“

Scharf mahnte die Fürstin: „Still jetzt! Die Leute auf dem Bock haben
Ohren! Bedenke, daß du Prinz Schwarzenstein bist!“

Emil verzog die Lippen und schwieg.

Als der Wagen an der Jagdvilla vorfuhr, bat Martina bebenden Tones um
Gewährung einer außerordentlichen Audienz.

„Ich werde Sie rufen lassen! Vorerst habe ich mit meinem Sohne zu
sprechen!“ erwiderte sehr frostig die Fürstin.

Hildegard kam gesprungen, um die Fürstin in ihr Zimmer zu geleiten und
beim Kleiderwechsel behilflich zu sein. Das mußte auf ausdrücklichen
Befehl sehr rasch geschehen. Dann erfolgte der Auftrag, den Prinzen zu
rufen und dafür zu sorgen, daß keine Störung erfolge.

Die Kammerfrau beteuerte, strengsten Türdienst leisten zu wollen. War
doch ihre Neugierde übergroß.

Hochaufgerichtet, wie eine strafende Göttin, flammenden Blickes, empört
und entrüstet, stand die Mama vor dem Sohne, der sich trotzig verhielt,
zum Losplatzen bereit schien, aber doch gehorsam die gepfefferte
Strafpredigt ruhig anhörte.

Aneinandergereihte Rügen für ein unartig gewesenes Kind, Tadelsworte,
die mit der Frage endeten, was denn das Spiel heißen solle.

„Nicht Spiel, Mama! Ich liebe Fräulein von Gussitsch!“

„Ach was! Wo hast du nicht geliebt? In Dresden? In Dessau? Und in
Berlin das bürgerliche Fräulein? Jünglingslaunen, Strohfeuer! Etliche
kalte Umschläge, und der Fall ist erledigt! Bedauerlich, ja schmerzlich
ist es für mich, daß ich die nette, mir sympathische Person nun
entlassen, das arme Mädel in die grausame Welt hinausstoßen muß! Und
das ist deine Schuld!“

Festen Tones erwiderte Emil: „Nein, Mama! Nicht Jünglingslaunen,
denn ich bin volljährig! Und nicht Strohfeuer, denn es ist heftige
Leidenschaft, brennende Liebe!“

„Kinderei, nichts anderes!“

„Bitte, nicht dieses Wort, nicht diesen Ton! Ich bin kein Bub mehr
und auch nicht gewillt, mich gängeln zu lassen! Und ich will dir
ganz ernsthaft einen Vorschlag machen, Mama! Du weißt, daß ich sehr
gerne in Berlin weiterleben möchte! Dir zuliebe habe ich mich deinen
Wünschen gefügt und bin zurückgekehrt! Nun bin ich bereit, auf ‚Berlin‘
zu verzichten, wenn du mir erlaubst, daß ich Fräulein von Gussitsch
heiraten darf! Martina oder keine!“

„Keine!“ Es klang metallisch hart und schneidend, erbittert und eisig.

„Du lehnst meinen Vorschlag ab?“

„Ja, rundweg!“

„Gut! Für die Folgen hat die Mama aufzukommen!“

„Ich verbitte mir derlei Ausdrücke! Nun geh und sage Hildegard, daß sie
die Gussitsch rufen soll!“

So zornig und erbittert verließ Emil das Boudoir, daß er die
Verlegenheit der beim Horchen überraschten Kammerfrau nicht gewahrte.
Grollend entledigte der Prinz sich des Auftrages, und dann schloß er
sich in seinem Zimmer ein.

Martina sah elend aus, verweint und bleich, gerötet die Augen;
schluchzend bat sie um Entlassung.

Die Fürstin fühlte nun doch Mitleid mit dem armen Mädchen, und weichen
Tones sprach sie: „Zu meinem Schmerze werde ich Sie leider wegschicken
müssen! Doch will ich mich bemühen, eine ähnliche und passende Stellung
für Sie zu beschaffen! Deshalb bleiben Sie vorerst noch hier! Ich bin
dessen sicher, daß Sie verstehen werden, sich das -- Kind vom Leibe zu
halten! Kalte Umschläge werden den Jungen hoffentlich sehr bald zur
Vernunft bringen!“

Martina wimmerte: „Ich bitte inständigst, mir zu glauben, daß mich
nicht die geringste Schuld trifft! Das Aufflackern des Strohfeuers ist
mir unbegreiflich! Ich habe nichts, aber wirklich nichts getan, um eine
Entzündung herbeizuführen!“

„Das will ich gern glauben! Es kann ja dieses ‚Feuerfangen‘ mit dem
rasch erfolgten ‚Aufwachen‘ meines Sohnes in gewisser Verbindung
stehen! Ein psychologisch nicht genügend aufgeklärter Vorgang in der
Jünglingsseele! Für Emil sicher bedeutungslos, weil vorübergehend! Eine
Kinderei! Mißlich ist freilich, daß die Kinderei Ihnen die Stellung
kostet! Vielleicht gelingt es, Sie durch eine Heirat in gute Obhut
zu bringen! Hofdame für Lebenszeit werden Sie ja doch nicht bleiben
wollen! Was ich zu Ihrer Versorgung tun kann, soll gerne geschehen,
auch finanziell! Wollen Sie sich gegebenenfalls vertrauensvoll und
offen an mich wenden!“

Todtraurig wiederholte Martina die Beteuerung, daß sie frei von jeder
Schuld sei.

Und darob empfand die Fürstin ein starkes Befremden. Sie ärgerte sich,
daß das vermögenslose Fräulein das finanzielle Anerbieten ignorierte,
alle Schuld dem Prinzen zuschieben will. In übler Laune sprach die
Gebieterin davon, daß die Hofdame nicht ganz frei von Schuld sein
könne, die „Intervention“ vermutlich zu wenig diplomatisch durchgeführt
und dem Jungen eine Annäherung erlaubt habe, die zu üblen Folgen führen
mußte.

Schluchzend wehrte sich Martina gegen diese Vorwürfe und verwies
darauf, daß sie bei Entgegennahme des Auftrages zur Intervention auf
die Gefahren derselben rechtzeitig aufmerksam gemacht habe.

Spitz klang die Antwort: „Sie werden doch nicht etwa mir Vorwürfe
machen wollen? Erinnern Sie sich gefälligst, daß ich die Gefährlichkeit
negierte in der selbstverständlichen Voraussetzung, daß das Hoffräulein
klug und diplomatisch, mit Frauentakt interveniere! Genug davon! Was
geschehen ist, soll totgeschwiegen werden! Damit Sie mit Emil möglichst
wenig zusammentreffen, werden Sie für einige Zeit an der Tafel nicht
teilnehmen, auf Ihrem Zimmer speisen! Auch sollen Sie einstweilen
dienstfrei bleiben! Beschränken Sie Ihre Ausgänge auf das zur Bewegung
unerläßliche Minimum, meiden Sie aber dabei jedes Zusammentreffen mit
dem -- Kinde! Und wenn nötig, weisen Sie den Jungen schroff zurück!
Es tut mir leid, so sprechen und anordnen zu müssen, aber es muß eben
sein! Ich hoffe, daß in einigen Wochen eine alle Teile befriedigende
Lösung gefunden sein wird!“ Eine Handbewegung und Martina war entlassen.

Unmöglich war es Fräulein von Gussitsch, diesmal die strafende Hand
der gnädigen Fürstin zu küssen. Zu sehr schmerzte jedes Wort, ganz
besonders wurmten jedoch die Vorwürfe. Leise schluchzend verbeugte sich
Martina und verließ das Zimmer.

Einer bösen, schlaflosen Nacht folgte ein kühler Morgen. Eingedenk
des Befehles, Spaziergänge auf das Minimum zu beschränken und nach
Möglichkeit ein Zusammentreffen mit dem „Kinde“ Emil von Schwarzenstein
zu vermeiden, entschloß sich Martina zu Ausgängen jeweils am frühen
Morgen und späten Abend. Und so verließ sie an diesem Morgen die Villa
zu einer frühen Stunde, da das Küchenpersonal noch nicht sichtbar war.
Hinaus ins Freie, hinein in den nebelumflorten Bergwald, wo die Tannen
geheimnisvoll flüstern und die Hirsche orgeln...

Spät des Morgens erwachte Prinz Emil. Mit einigem Haarweh als Folgen
eines ausgiebig genommenen Schlaftrunkes am verflossenen Abend. Zwei
Flaschen schweren Ungarweines, die sich Emil als Schlummerpunsch
geleistet hatte, waren von guter Wirkung gewesen und hatten allen Ärger
verscheucht und einen prächtigen Schlaf erzeugt. Jetzt am Morgen hieß
es, Kater vertreiben, zunächst mit Kaltwasser den Schädel behandeln.
Viel quellfrisches Wasser benötigte Emil. Und in diesem vielen Naß
ertrank ganz jämmerlich eine gewisse Liebe zu einer gewissen Dame. Und
nach Beseitigung des Haarwehs sagte sich Emil, daß er eigentlich doch
sehr dämlich vorgegangen sei und sich überflüssigerweise eine böse
Suppe eingebrockt habe. In der Gewissenserforschung kam er zu einem
lebhaften Bedauern, die doch so nette Hofdame in eine sehr schlimme
Situation gebracht zu haben. Unrecht hatte die Mama ja nicht, daß sie
die Liebäugelei, den Flirt mit der Gussitsch nicht dulden wollte. Und
völlig gerechtfertigt und einleuchtend ist der Protest gegen eine
Heirat. Ordentlich froh war Emil, daß sich die Mama mit dem strikten
Verbot als die Gescheitere erwies; denn jetzt am Morgen empfand er
nicht die Spur einer heißen Liebe, nicht die geringste Lust, die
Gussitsch zu heiraten. Dafür etwas wie Reue, sich in die Nesseln
gesetzt zu haben. Das war erklecklich dumm. Dieser Selbsterkenntnis
gesellte sich die Frage bei, wie auf gute und nicht schmerzhafte Weise
die Folgen dieser Dummheit beseitigt werden könnten. Unvermeidlich wird
ein Kanossagang zur Mama, eine ehrliche Beichte sein; muß aber gemacht
werden, schon wegen der schlechten Finanzen. Und Fräulein von Gussitsch
wird man um Entschuldigung bitten müssen.

Mit diesem guten Vorsatze fand Emil denn auch das seelische
Gleichgewicht wieder, den leichten Frohsinn der Jugend. Er frühstückte
mit Behagen. Und als er sich die Zigarette anzündete, wurde der
Oberförster Hartlieb gemeldet.

„Ich lasse bitten, im Empfangssalon!“ sprach Prinz Emil und fügte bei:
„Seit wann versieht denn die Kammerfrau den Meldedienst? Wo steckt denn
Norbert?“

Hildegard gab Auskunft, daß Norbert nach Admont gefahren sei, um die
Post zu holen. Deshalb habe sie den Meldedienst übernommen.

„Danke! Führen Sie den Oberförster in den Salon!“

Die Kammerfrau verschwand.

Als gutmütiger Mensch wollte Emil den Beamten nicht unnötig warten
lassen; es tat dem Prinzen zwar leid, die Zigarette wegzuwerfen, aber
es geschah doch.

Beim Eintritt in das Zirbenzimmer fiel Emil der verstörte
Gesichtsausdruck, die verzerrte Miene Hartliebs auf. Kalkweiß waren die
Wangen, der Blick kündete bittersten Schmerz.

„Was ist Ihnen? Sind Sie krank?“ fragte teilnahmsvoll der Prinz.

„Danke ergebenst! Mir ist nicht wohl!“

„Da wollen wir auf die dienstliche Besprechung verzichten! Gehen Sie
sofort heim, schonen und pflegen Sie sich! Der Forstwart kann Ihre
Vertretung übernehmen! Lassen Sie auch den Arzt kommen! Ich werde
später Nachschau halten!“

„Vielen Dank! Es wird nichts von Bedeutung sein! Und den Holzverkauf zu
guten Preisen dürfen wir nicht versäumen!“

„Machen Sie das alles nach Ermessen und Gewissen! Aber schonen und
pflegen Sie sich! Nehmen Sie die Akten nur wieder mit! Apropos: Mama
ist mit allen Vorschlägen einverstanden! Kann Ihnen im Vertrauen auch
mitteilen, daß Mama viel auf den Fachmann Hartlieb hält!“

Erstaunt blickte Ambros auf. „Darf ich erfahren, wem ich das zu
verdanken habe?“

„Das weiß ich nicht! Über die eingerissenen Übelstände hat mir Fräulein
von Gussitsch gesagt, daß Sie der richtige Mann zur Sanierung seien und
alles Vertrauen verdienen! Demgemäß habe ich bei Mama Vollmacht für Sie
erwirkt! Nun aber Schluß! Sie zittern ja am ganzen Leibe! Wünschen Sie
stärkende Tropfen oder Kognak? Donnerwetter, Mann, fallen Sie mir nicht
um!“

Hartlieb mußte sich stützen, mit den Händen an einem Stuhle festhalten.
Zuviel stürmte in dieser kurzen Spanne Zeit auf ihn ein.

Emil sprang in das anstoßende Speisezimmer, entnahm der Kredenz die
Kognakflasche und brachte den stärkenden Schluck.

Dankend leerte Hartlieb ein Gläschen davon. Und dann verabschiedete er
sich.

„Auf Wiedersehen! Gegen Mittag besuche ich Sie!“ rief Emil dem
Oberförster nach, der sich schwankenden Ganges entfernte.

Im Freien erholte sich Hartlieb rasch, und die Schwäche schwand. Er
ging taleinwärts, um beim Rottmeister eine Schlägerung anzuordnen.

Wie er sich auf dem sonnenverklärten Sträßlein dem Sensenwerk
näherte, kam ihm zu seiner freudigen und zugleich erschreckenden
Überraschung Fräulein von Gussitsch entgegen. Verweint und eiligen
Schrittes. Und beim Anblick des Oberförsters zuckte Martina zusammen,
die Wangen erbleichten, die zierliche Gestalt erbebte. Als sie sich
gegenüberstanden, rangen beide nach Worten. Am schwersten Hartlieb, der
die bittersten Seelenqualen litt, nachdem ihm die Kammerfrau Hildegard
die alle Hoffnungen vernichtende Neuigkeit zugeflüstert hatte, daß
Prinz Emil die Hofdame von Gussitsch heiraten werde. Was soll jetzt der
im Innersten so schwer getroffene, schlichte ehrliche Waldmann sagen?
Wie danken, daß Martina sich zu seinem Gunsten verwendet hatte? Wie die
Braut des Prinzen behandeln? Darf er gratulieren? Kann er es, der jede
Hoffnung und sein Lebensglück verloren hat...?

Vergeblich mühte sich Martina ab, die Herrschaft über sich mit
der nötigen Raschheit wiederzugewinnen. Wie gelähmt war die
Gehirntätigkeit. Unmöglich war es, dem geliebten Manne zu sagen, daß
sie tiefunglücklich sei und demnächst die Entlassung zu gewärtigen
habe. Unmöglich, von Hartlieb jetzt Abschied zu nehmen... Und ganz
unmöglich, in dieser Minute ein harmloses, nichtssagendes Gespräch
zu führen. Alle Fähigkeiten der gutgeschulten, weltgewandten Hofdame
versagten. Dagegen füllten sich die Augen mit verräterischen Zähren.

Hartlieb stützte sich auf den Stock, um nicht zu taumeln, und stammelte
in abgehackten Worten seinen tiefgefühlten Dank für die wohlwollende
Empfehlung bei den Herrschaften. „Ich, ich hab jetzt Vollmacht für, für
alles! Aber, aber es freut mich nimmer --!“

Nun fand Martina doch so viel Kraft, um wehmütig zu lächeln und
zu sagen: „Das wenige, was ich für Sie tun konnte, ist gern, von
Herzen gern geschehen! Was mich wundert, ist, daß Sie von meiner
geringfügigen Bemühung Kenntnis erlangt haben!“

„Vorhin hat der Prinz davon gesprochen!“

„Sie waren eben beim jungen Herrn?“ rief überrascht Martina.

Hartlieb nickte. Das Übermaß schmerzlichster Empfindungen überwältigte
ihn.

In der Sorge, dem Prinzen auf der Rückkehr zur Villa in den Weg zu
laufen, erkundigte sich Martina nach der Richtung, die Prinz Emil
eingeschlagen habe.

Ächzend stieß Hartlieb hervor: „Er ist noch daheim!“

„Danke! Dann muß ich mich beeilen, heimzukommen! Leben Sie wohl, Herr
Hartlieb!“ Ein Blick voll Liebe und Trauer. Dann huschte Martina hinweg
und lief im Trab davon.

Ambros drehte sich um und guckte dem Fräulein nach. Und dachte: Wie sie
es doch eilig hat, zum Bräutigam zu kommen. Alles verloren...

Gebrochen schleppte sich Hartlieb weiter, um den Rottmeister
aufzusuchen.

Martina huschte in das Schlößl. Von den Dienerinnen begegnete ihr
nur die Kammerfrau Hildegard, die höflich grüßte und dem in Ungnade
gefallenen Hoffräulein einen spöttischen Blick zuwarf und grinsend
fragte, ob jetzt der Kaffee auf das Zimmer gebracht werden dürfe.

„Ich bitte darum!“ Dann verschwand Martina in ihrer Stube, die ein
Gefängnis für sie geworden ist.

Leichter als erwartet vollzog sich Emils Kanossagang: die Bitte um
Mamas Verzeihung wurde freudigst aufgenommen und sofort erfüllt. Aber
wegen der Aufbesserung seiner Finanzen erlebte Emil eine grausame
Enttäuschung. Nicht ein Wort wurde davon gesprochen. Antippen wollte
aber Emil nicht. Und groß staunte er, als nach der Mitteilung, daß
nun auch Fräulein von Gussitsch um Entschuldigung werde gebeten
werden, Mama dem Sohne diesen Besuch verbot und befahl, es solle Emil
schriftlich um Verzeihung bitten.

Enttäuscht verließ Emil die gestrenge Mama. Mit dem Entschluß, nun
behufs Aufbesserung seiner trostlos schlechten Finanzen Schulden zu
machen, egal wo und bei wem. Hauptsächlich in Admont, weil der Ort doch
größer als das Dörflein Hall ist. Und der Satan flüsterte ihm den Rat
ein: „Geh pumpen ins Kloster zu den Benediktinern!“

Im Forsthause besuchte Prinz Emil den vom Kuraufenthalte in Römerbad
zurückgekehrten Hausmarschall Grafen Thurn. Diese Höflichkeitsvisite
fiel sehr kurz aus, da Graf Thurn von der Reise ermüdet heimgekommen
war und nicht danach aussah, als würde er geneigt sein, dem
Prinzlein die Taschen mit Dukaten zu füllen. Liebenswürdig wie
immer, ganz Hofmann und aalglatt, sehr dankbar für die ihm erwiesene
Aufmerksamkeit. Wie der Weißbart sich nach den Ergebnissen der Reise
erkundigen, gewissermaßen sondieren wollte, verabschiedete sich Emil
mit dem Versprechen, darüber ein andermal referieren zu wollen.

Nun schlenderte Prinz Emil gemächlich nach Admont. Das von
Sonnenstrahlen goldumwobene Münster mit den schlanken Doppeltürmen
grüßte verheißungsvoll entgegen. Und die stolzen Gebäude des Stiftes
erinnerten den Wanderer an das Hauptziel des Ausfluges. Aber besonders
groß war Emils Zuversicht nicht, denn für ihn konnte doch nur ein
einziger Stiftsherr in Betracht kommen: der Pfarrer von Hall, Pater
Wilfrid. Andere Stiftsherren kannte Emil nicht. Den Abt zu behelligen,
durfte überhaupt nicht gewagt werden. Bei Wilfrid stand zu hoffen,
daß er nicht nur helfen, sondern auch schweigen werde. Mama darf unter
keinen Umständen von dieser heiklen Angelegenheit Kenntnis erlangen.
Über den Rückzahlungstermin zerbrach sich Emil einstweilen den Kopf
noch nicht.

Die lange Hauptgasse des Marktes Admont hinaufschreitend, erblickte
Emil am Hotel „Zur Post“ zu seiner freudigsten Überraschung seinen
Adjutanten Baron Wolffsegg, der soeben wegfahren wollte. Sofort rief
Emil den sehr länglichen, elegant gekleideten Zwetschgenbaron an.
Und Wolffsegg verließ sofort den Wagen, als er den Prinzen erkannte,
nahm eine stramme Haltung an und zwirbelte den rotblonden Bart auf.
Im Schatten des ziemlich großen Strohhutes waren die unzähligen
Sommersprossen auf Nase und Wangen nicht zu sehen, die vor der
Erbschaftsübernahme den Reichtum Wolffseggs gebildet hatten.

Auf den ersten Blick gewahrte Emil, daß der zu Geld gekommene Adjutant
sich jetzt fühlte, sich auch elegante Kleider zugelegt hat.

Wolffsegg erwies Reverenz mit erlesener Höflichkeit wie stets, aber
doch mit einer Nuance, die merken ließ, daß man jetzt auch wer sei,
nicht mehr der in Ehrfurcht ersterbende Habenichts und Bärenführer.
Er lud den Prinzen ein, sich auf das Hotelzimmer zu bemühen. „Wollte
soeben nach Hall fahren, mich melden bei den durchlauchtigsten
Herrschaften!“

Emil lachte: „Bei mir ist die Meldung nicht mehr nötig! Mama wird sich
freuen, den getreuen Wolffsegg, jetzigen Dukatenhamster, wiederzusehen!
Gondeln Sie so bald wie möglich hinaus!“

„Zu dienen, Durchlaucht!“

Im Hotelzimmer angelangt, klopfte Emil auf den Busch mit der Frage, ob
sich die Trauerfeier ausgiebig gelohnt habe.

„Untertänigsten Dank! Ausgiebig ist ein dehnbarer Begriff! So viel ist
es, daß ich, falls dazu die Lust kommt, eigenen Kohl bauen und mir den
Luxus einer Liebesheirat leisten kann!“

„Ah, was Sie sagen?! Also mächtig viel Moneten! Gratuliere heftig!
Wissen Sie denn was anfangen mit dem vielen Zeug?“

„Einstweilen alles in sicheren Papierchen in einer soliden Bank
deponiert!“

„Alles?“

„Wieviel wünschen Durchlaucht momentan?“

„Hm! Momentan genügt ein brauner Lappen! Wenn Sie so lieb, verbunden
mit Diskretion, sein wollen!“

„Aus meiner Reisekasse kann ich momentan leider nicht mehr als hundert
Kronen entbehren!“

„Her damit! Ist zwar verflucht wenig, aber in der Not frißt der arme
Teufel auch Fliegen! Aber, bitte, absolute Diskretion!“

„Selbstverständlich!“

Emil dankte und schob die Scheine in die Westentasche.

„Wann soll ich den Dienst antreten?“

„Gar nicht! Hier wenigstens nicht! Es wäre denn, daß Sie mir helfen
wollen, die Zeit totzuschlagen! Verdammt langweiliges Nest hier!“

„Aber, Durchlaucht haben doch prachtvolle Reviere...!“

„Die Jagd interessiert mich nicht!“

„Hm! Demnach bin ich eigentlich überflüssig geworden! Ich werde also
demissionieren, mir ein Gut kaufen! Dürfte ich vielleicht vorher in
Ihren Revieren jagen?“

„Soviel Sie wollen! Wenden Sie sich nur an den Oberförster Hartlieb,
den ich verständigen werde! Und nun nochmals Dank! Auf Wiedersehen!“

Die Herren trennten sich. Wolffsegg fuhr nach Hall, Emil aber stapfte
in das weitgedehnte Stift und suchte den Pater Wilfrid. Aber der
Gastmeister des Klosters und Pfarrer von Hall war nicht anwesend.
Wie es hieß, dienstlich unterwegs. Drei Tage hindurch pendelte Emil
zwischen Hall und Admont hin und her, immer vergeblich; es glückte
nicht, den auswärts im Pfarrdienst vielbeschäftigten Priester zu
treffen. Bis zu später Abendstunde konnte der Prinz nicht warten, zum
Diner mußte er im Jagdschlößl sein.

Warum er so erpicht war, sich eine größere Summe zu beschaffen, wußte
Emil sich selbst nicht zu sagen. Unabhängig für einige Zeit durch
Geldbesitz wollte er sein. Geld aber nur vom Hofpfarrer entlehnen, weil
der Mann schweigen kann.

Wegen der Jagdwünsche Wolffseggs hatte Emil mit Hartlieb gesprochen.
Etliche Tage später hörte er gelegentlich einer Begegnung vom
Oberförster, daß der Baron von der Jagderlaubnis keinen Gebrauch
gemacht habe und plötzlich abgereist sei.

Darob erstaunt, fragte Emil die Mama nach der Veranlassung des
Verschwindens Wolffseggs. Die Verstimmung der Fürstin bemerkend,
bereute Emil sogleich, die Mama mit einer ihr unangenehmen Frage
belästigt zu haben.

Die Antwort enthielt zunächst die Klage, daß alles zusammenkäme, um der
Gebieterin Verdruß zu bereiten. Nicht zum wenigsten der Sohn, der sich
im Faulenzen übe...

Emil schluckte diese Rüge wortlos hinunter.

Sodann erzählte die Fürstin bitteren Tones von dem Riesenverdruß, den
Fräulein von Gussitsch heraufbeschworen hatte, indem Martina sich
rundweg weigerte, von einer prachtvollen Gelegenheit zur Rangierung
Gebrauch zu machen.

Verblüfft fragte Emil: „Rangierung! Wieso denn?“

„Wolffsegg hatte geradezu edel gehandelt, der Gussitsch jenen
anscheinend unglücklich konzipierten Brief völlig verziehen! Mich
fragte er, ob ich zustimmen würde, wenn er um Martina werbe, wozu er
durch die Erbschaft jetzt in der Lage sei! Im Interesse der Gussitsch
habe ich natürlich zugestimmt! Martina aber hat den Heiratsantrag
rundweg abgelehnt! Unbegreiflich! Und albern!“

„Geschmacksache, liebe Mama! Viel Sommersprossen, eine Glatze hat er
auch! Und er ist so etwas wie ein Geldprotz, dem der Mammon in den Kopf
gestiegen ist! Er trägt jetzt die Nase ziemlich hoch!“

„Ach was! Ein Mädel wie Martina, nach allem, was vorgefallen ist, soll
froh sein, in eine glänzende Ehe kommen zu können!“

„Vielleicht war sie sich darüber klar, daß sie volles Eheglück an
Wolffseggs Seite nicht finden werde! Wenn ich ein Mädel wär, ich würde
eher ein Mondkalb heiraten, als den Wolffsegg!“

„Gott, diese Ausdrücke! Und dabei redest du wie ein Kind!“

„Verzeihung! Ich versteh es halt nicht besser! Reine Gefühlssache! Was
geschieht denn nun mit der Gussitsch?“

„Ich weiß noch nicht! Ihre Anwesenheit ist lästig, aber es geht nicht
an, das arme Mädel in die Welt hinauszustoßen! Es wäre dies grausam
und unchristlich! Also soll sie in Gottes Namen bis auf weiteres
bleiben! Ich werde mich schriftlich bemühen, für Martina einen anderen
annehmbaren Posten als Hofdame zu beschaffen! Genug davon! -- Was aber
dich betrifft, wünsche ich, daß du dich endlich beschäftigst, um die
Oberleitung kümmerst, Ordnung schaffst!“

„Hab ich ja bereits getan, wenigstens das Nötigste! Viel war ja nicht
zu tun, da doch meine liebe, umsichtige Mama seither dirigierte und
für Ordnung sorgte! Zur Zeit möchte ich ausschnaufen und ein bissel
bummeln! Es ist ja so schön in Admont! Und sehr gerne besuche ich die
Benediktiner, die doch gewiß ein guter Umgang für mich sind! Gentlemen,
nobel und gastfreundlich!“

Daß der Schalk ulkte und stichelte, merkte die Mama nicht; sie hörte
mit Freude, daß sich der Sohn die Admonter Stiftsherren zum Verkehr
erwählt habe. Und so gab sie gerne die Zustimmung zu weiteren Besuchen
im Stifte. Nur den erbetenen Hunderter gab sie nicht und motivierte
die Ablehnung durch Wiederholung der Worte Emils, wonach die Admonter
Benediktiner Gentlemen nobel und gastfreundlich sind, der Sohn also
kein Geld für Speise und Trank benötige.

„Aber, Mama! _Manica, bonamano_, zu deutsch: Trinkgeld muß man den
servierenden Dienern doch geben! Ein Prinz mindestens zehnmal mehr als
ein bürgerlicher Gast des Stiftes! Und so die Paters rauchen, darf ich
mich durch Zigarrenspenden doch auch nicht lumpen lassen!“

„Ja doch! Es ist schrecklich, was junge Männer Geld verpulvern!“
Seufzend gab die Fürstin etliche Scheine aus ihrer Schatulle.

„Untertänigsten Dank, liebe Mama!“ rief Emil freudestrahlend und ließ
die Scheine in der Westentasche verschwinden. Und dann hatte er es
eilig, ins Freie zu kommen und sich satt zu lachen...



Elftes Kapitel


Im Frohlocken über die genehmigte Gehaltsaufbesserung, die eine
wertvolle Waffe sein sollte, hatte sich Forstwart Gnugesser die
Bekämpfung der Revolution im Haushalte als kinderleicht vorgestellt,
indem der kleine herzensgute Mann erwartete, daß nach Verkündigung der
Freudenbotschaft seine Amanda ihm jauchzend um den Hals fallen und die
ihr zustehenden zehn Prozent, in Summe hundertachtzig Kronen, mit Dank
einsacken und auf jede weitere Agitation bereitwillig verzichten werde.
Um so größer war die Verblüffung Benis, als nach Verkündigung der
Freudenbotschaft Frau Amanda kühl blieb, verächtlich und geringschätzig
den Mund verzog und in wegwerfendem Tone erklärte, daß die genannte
Summe ein Bettel sei, den sie nicht annehmen werde.

„Wird nicht sein, liebes Weiberl! Hundertachtzig Kroneln jährlich
sind doch kein Bettel! Schön, wunderschön und nobel ist’s von der
Herrschaft, daß sie uns wirklich im Gehalt aufgebessert hat! Insofern
hat die Agitation der Revoluzzerinnen von Hall gute Früchte getragen!
Jetzt aber muß Ruhe werden, die Hetzerei ein Ende haben, ansonsten
wird der junge Herr rabiat! Am nächsten Monatsersten bekommen wir
das Geld, ich werde dann dir die hundertachtzig Kroneln gewissenhaft
einhändigen!“

„Ist nicht nötig! Die Annahme des Pfifferlings wird verweigert! Ich
bestehe auf Auszahlung des Drittels vom Gehalt und selbstverständlich
auch von der Aufbesserung!“ erwiderte spitz Frau Amanda und fuchtelte
mit einer langen Kleiderschere kampflustig in der Luft.

Auf Benis bartumwucherten Lippen erstarb das gutmütige Lächeln, die
Miene wurde sehr ernst, da der kleine Bäuchlemann sich breit vor die
am Fenster sitzende Gattin stellte und energischen Tones sprach:
„Genug jetzt mit den Faxen! An der Agitation wird die Forstwartsfrau
sich von dieser Stunde an nicht mehr beteiligen, verstanden! Als
Haushaltsvorstand befehle ich das!“

Ein spöttischer Blick züngelte am Männle empor. Und jäh lachte Amanda.
Der Kontrast zwischen der kleinen Gestalt des Vorstandes und der
Befehlhabersmiene wirkte auf die Gattin komisch. Beleidigend klang
dieses Lachen der Geringschätzung.

Beni richtete sich auf, hob den Kopf, teilte den Patriarchenbart
in zwei Hälften, stampfte mit dem Fuße, um seinen Worten dröhnende
Resonanz zu geben: „Ich befehle es!“

Nun schrie Amanda vor Lachen, warf die Schere weg und trommelte mit den
geballten Händen auf ihre Knie.

Nie im Leben hatte Beni je die Hand gegen ein Weib erhoben, jetzt
fühlte er sich stark versucht, die Beleidigung mit einem Fausthieb zu
vergelten. Er hob wohl die Hand, aber er bezwang sich und ließ sie
wieder sinken. In seinen Augen flammte Energie, etwas Stahlhartes,
eine Unbeugsamkeit, die Amanda zwar nicht einschüchterte, aber doch
veranlaßte, das beleidigende Gelächter zu unterdrücken.

„Der von der Herrschaft erlassene Befehl lautet dahin, daß jede
Agitation im Haushalte der verheirateten Beamten und Diener eingestellt
werden müsse! Weigern sich die Ehefrauen, beteiligen sie sich noch
weiter an der Hetze, so werden die betreffenden Männer aus dem Dienste
entlassen! Ich hoffe, daß meine Gattin soviel Vernunft besitzt, um den
Ernst der Situation zu erfassen!“

Wieder verzog Amanda den Mund, und sie höhnte: „Lächerlich! Derlei
Eingriffe in das Familienleben müssen mit aller Energie zurückgewiesen
werden! Der junge Hansdampf soll es nur versuchen, ich werde ihm das
Nötige schon sagen! Das Prinzerl soll erst etwas lernen und sich selbst
bei der Nase nehmen! Nicht aber die Nase in Dinge stecken, von denen
er nichts versteht! Wenn der Forstwart nicht den Mut hat, das dem
Mutterbubi zu sagen, so besorg ich das!“

„Genug nun, Amanda! Die Situation ist durchaus nicht spaßhaft! Ich
habe nicht Lust, mir Stellung und Existenz zu verscherzen oder durch
meine Frau gefährden zu lassen! Ein für allemal laß es dir gesagt sein
und zur Warnung dienen: ich respektiere den Befehl, ich verbiete dir
jedwede Beteiligung an der Agitation! Fügst du dich meiner Anordnung
nicht, so wirst du die Folgen zu fühlen bekommen!“

Amanda stand auf und fragte ironisch: „Darf ich wissen, welcherart die
Folgen sein werden?“

„Die Trennung!“ erwiderte Beni kurz, sehr ernst und inhaltsschwer. Und
nun schickte er sich an, die Wohnstube zu verlassen.

Die Drohung verfehlte eine gewisse Wirkung nicht, nur wollte Amanda
das letzte Wort haben. Deshalb rupfte sie dem Gatten vor, daß es nicht
eben schön sei, wenn ein Ehemann die Stellung höher bewerte als das
angetraute Eheweib. Das Anklammern an die Berufsstellung im Dienst sei
geradezu lächerlich, ein tüchtiger Forstwart werde überall leicht ein
gleiches, wenn nicht besseres Unterkommen finden.

Beni blieb an der Türe stehen und sprach in seiner alten Herzensgüte:
„Möglich schon, aber nicht leicht, weil es zuviel Bewerber gibt! Du
vergissest aber eins: das Halltal ist meine Heimat! Mit jeder Faser des
Herzens hängt der Steierer an seiner engeren Heimat, in ihr zu dienen
und zu wirken ist höchste Seligkeit auf Erden! Ich liebe meine Heimat
über alles! Die Heimatsliebe läßt manches weniger Erfreuliche hinnehmen
und ertragen! Verstehst du das, Amanda?“

„Ja, Beni! Aber ich kann mich nicht dreinfinden, daß sich die
Herrschaft in Familienangelegenheiten mischen darf!“

„Mit gutem Willen geht es schon! Darfst dir nur vor Augen halten, daß
die Absicht eine gute ist! Die Herrschaft will Ruhe und Frieden haben,
sie hat kein anderes Mittel, um Frieden zu stiften in den Familien
ihrer verheirateten Beamten und Diener. Sei gescheit, Amanda! Ich
glaube ja auch nicht, daß man zum Äußersten greifen, mich entlassen
würde; aber als vernünftiger Mensch will ich es nicht zum Äußersten
kommen lassen, nicht unsere Existenz gefährden, weil ich ja doch
verheiratet bin und für mein Weib zu sorgen habe! Ich füge mich aus
Liebe zu dir und zur Heimat! Also finde auch du dich drein!“

„Na ja, meinetwegen!“

„Brav gesprochen, Weiberl! Und anjetzo gelobe ich, daß ich die
bewußte Summe freiwillig aufrunden werde! Damit ist das Ziel deiner
Bestrebungen erreicht, die Bezahlung der Hausfrauenarbeit! Und noch
etwas, wonach auch du dich zu richten hast: die Herrschaft befiehlt,
daß bei weiterer Verhetzung seitens der Krämerin von Hall ihr Geschäft
boykottiert werden muß!“

„Wieso?“

„Wenn die Krämerin nicht Ruhe gibt und die Agitation einstellt, wird
die Herrschaft von ihr nichts mehr beziehen! Und die Beamten und Diener
dürfen bei der Krämerin nicht mehr einkaufen!“

„Eine noblichte Herrschaft, die einem Landkrämer das bisserl Existenz
ruiniert!“

„Gutgemeinte Drohung, die hoffentlich wirken wird! Sei gescheit,
Weiberl!“

„Nein, diesem Zwang füge ich mich nicht! Wir wohnen so entlegen, daß
ich nicht jeden Tag zum Einkaufen nach Admont laufen kann; ist Hall
schon weit genug entfernt!“

„Wart es ab, Weiberl! Merkt die Krämerin, daß ihr geschäftlicher
Schaden droht, wird sie schleunigst umsatteln, es auf den Boykott gar
nicht ankommen lassen! Sie wird sich fügen!“

Interessiert fragte Amanda, wer denn der Krämerin die Drohung zu
übermitteln habe.

„Leider bin ich damit beauftragt! Ich hab aber noch keine Zeit gehabt,
zur Krämerin zu gehen!“

„Weißt was, Beni, diese Mission übernehme ich! Es interessiert mich zu
beobachten, was für ein Gesicht die Krämerin bei der Boykottankündigung
macht!“

„Merkwürdig! Erst bist du hantig und oppositionslustig, und jetzt
willst du sozusagen im Auftrag der Herrschaft handeln und gegen die
Krämerin, deine intimste Freundin, vorgehen! Das begreif ich nicht
recht!“

„Die Mannerleut verstehen gar oft nichts von der weiblichen Psyche!
Mein Gedankengang ist doch leicht zu begreifen: Weil ich zum Nachgeben
genötigt bin, macht es mir ein besonderes Vergnügen, gewährt es einen
aparten Nervenreiz, zu sehen, wie die Drohung und der Zwang auf die
Freundin wirkt, wie sich die Krämerin winden und krümmen, seelisch
leiden wird! Der Kampf der Stolzen gegen den Geschäftssinn und die
Profitgier wird sehr interessant sein! Und wo was Nervenspannendes los
ist, da bin ich für mein Leben gern dabei! Aus diesen Gründen übernehme
ich die Mission! Und der Krämerin werd ich zusetzen, daß ihr die Augen
tropfen!“

„Ja ja, die Weiber! Na, die Hauptsach ist, daß wir zwei einig sind, und
daß du dich nun den Anordnungen fügst! Das freut mich!“

„Abgemacht! Und jetzt geh ich nach Hall zur Krämerin!“

Eine Stunde später spielte Amanda Gnugesser mit der sehr
zungengewandten Krämerin wie die Katze mit der Maus. Zunächst spannte
Amanda die Freundin auf die Folter durch die tropfenweise Mitteilung
der von der Herrschaft erlassenen Drohung hinsichtlich der Entlassung
der verheirateten Beamten und Diener für den Fall, daß ihre Ehefrauen
weiteragitieren.

Die Krämerin schrie vor Überraschung und Entrüstung. Und sogleich
wollte sie wissen, welche Stellung Amanda dieser Vergewaltigung
gegenüber einnehme.

Amanda wich aus mit dem Hinweise auf das Diktum: Gewalt geht vor Recht.

„Himmelschreiend und empörend ist diese Vergewaltigung! Gefährdung,
ja Raub der persönlichen Freiheit! Unerhörter Eingriff in das
Familienleben!“ Dann zeterte die rabiate Krämerin davon, daß der
Frauenbund den Kampf gegen die Herrschaft mit aller Energie, mit
Rücksichtslosigkeit aufnehmen und durchführen müsse. Mit Anzeigen
bei der Staatsanwaltschaft, mit Denunziationen bei Gericht und bei
der Gendarmerie, mit Protestnoten an die Fürstin, der man das Leben
sauer machen müsse. „Überhaupt die Fürstin! So ein wankelmütiges Weib,
wetterwendisch wie ein Kirchenhahn! Erst nennt sie unsere Bestrebungen
gut, sichert Unterstützung zu; dann krebst sie, weil der Pfarrer gegen
uns gepredigt hat!“

Um die Freundin noch mehr in die Hitze zu bringen, lobte Amanda die
Herrschaft wegen der bewilligten Gehalts- und Lohnaufbesserung.

„Wird nicht von Bedeutung sein! Wo es zahlen heißt, sind die
hohen Herrschaften immer taub, sie drücken sich nach Möglichkeit!
Pfennigfuchser, Skontoschinder sind sie alle, ohne Ausnahme! Jeder
Geschäftsmann hustet auf solche Leut! Man profitiert eh schier nichts!“

„Also liegt Ihnen nichts an der geschäftlichen Verbindung mit der
Fürstin?“

„Nicht soviel als ich Schwarz unterm Nagel hab!“ rief prahlerisch die
Krämerin und schnipste mit den Fingern.

„Na, dann ist der Verlust nicht von Bedeutung und für Sie nicht
schmerzhaft!“ meinte Amanda gedehnten und lauernden Tones.

„Wieso? Was für ein Verlust soll mir da bevorstehen?“

„Ihr Geschäft soll boykottiert werden, falls Sie sich weiter an der
Agitation beteiligen! Die Herrschaft wird nichts mehr von Ihnen
beziehen! Und sämtlichen Beamten, Dienern und Arbeitern im fürstlichen
Dienst wird verboten, bei Ihnen einzukaufen -- -- --!“

„Allmächtiger Gott! Das tät ja mein Ruin sein! Völliger Krach!
Zusperren kann ich das Gewölb in der Stund, wo das wahr werden tät!
Sie machen wohl Spaßetteln, liebe Frau Forstwart! Jessas -- Mariand --
Josef! Da tät ja alles verloren sein! Sagen S’ um Himmels willen, ist
der Befehl schon erteilt worden wegen der Boykottierung?“

„Soviel ich weiß, erwartet die Herrschaft eine bindende Erklärung
Ihrerseits! Da Sie sagten, daß der Frauenbund den Kampf gegen die
‚unmoralische‘ Herrschaft mit aller Energie und Rücksichtslosigkeit
aufnehmen und durchführen werde, ist doch wohl anzunehmen, daß die
Herrschaft Ihre Antwort als Kriegserklärung betrachtet und den Boykott
über Ihr Geschäft verhängt! Das dürfte morgen geschehen!“

„Jess -- Maria! Fallt mir ja gar nicht ein, den Krieg zu erklären!
Wo die Fürstin eine so gute fromme Frau ist! Eine Wohltäterin
ohnegleichen! Und wo mich die Frauen eigentlich gar nichts angehen,
von denen ich nie profitieren kann, weil ja ich das Geschäft führ
und den Simandl von einem Mann ernähren muß! Für mich kann es ja gar
kein Drittel aus Gehalt oder Verdienst der Männer geben; ich bin
ja als Geschäftsfrau die Erwerberin und Brotverdienerin! Auf den
Frauenbund hust ich, der wo mich in solche Schlamassel bringt und zum
Geschäftsruin!“

„Ihre Ausführungen wirken überraschend! Sie sind inkonsequent! Die
Fürstin nennen Sie wetterwendisch, dabei satteln Sie aber selbst
um -- --!“

„Aber natürlich! Wo es sich um Geschäft, Existenz und Profit handelt!
So dumm bin ich nicht, daß ich mich für andere Leute opfere, gegen
den Strom schwimm, wo ich gar nicht schwimmen kann! Nein, so dumm
bin ich wirklich nicht! Ich glaub auch nicht, daß Sie so dumm sein
werden! Aber wissen möcht ich, warum die Herrschaft grad und justament
die Forstwartsfrau ausgesucht hat, mir die Schreckensnachricht zu
überbringen! Sie sind doch meine Freundin, zugleich die ärgste Hetzerin
von wegen der Entlohnung der Frauenarbeit im Hausstand!“

„Vielleicht eine Ironie des Schicksals!“

„Teuflische Bosheit! Ist aber jetzt alles egal! Ich tue nimmer mit!
Sagen Sie das der Herrschaft und daß ich aus dem Frauenbund austrete!
Ist mir schon z’ dumm der Boykott!“

„Soll ich auch sagen, daß Sie die Fürstin eine charakterlose Frau
genannt haben?“ fragte maliziös Amanda, die sich gottvoll amüsierte.

„Ich weiß von gar nichts! Nicht ein Wörtel hab ich gesagt!“

„Also werd ich melden, daß die Krämerin von Hall sich allen Anordnungen
der Herrschaft fügt, aus dem Frauenbund austritt und jede Agitation
nunmehr meidet!“

„Äa! Sein Sie so gut und melden Sie das der Fürstin. Mit g’horsamsten
Respekt und Handkuß! Ich laß mich empfehlen und um Aufträge bitten!“
Nun wollte die aus dem seelischen Gleichgewicht geworfene, schwer
erregte Krämerin die Freundin mit Rosogliolikör bewirten, doch Amanda
lehnte dankend ab. Befürchtete doch Frau Gnugesser, daß sie bei
längerem Aufenthalt das Lachen nicht würde verbeißen können.

Hochbefriedigt und belustigt ging Amanda heim. Und im Bergwalde lachte
sie sich satt und sang vergnügt ein Duliäh nach dem andern. Der Spaß
mit der Krämerin war erquickend gewesen...

                                   *

Für den Novizen Nonnosus war der schönste, aber auch schwerste Tag der
feierliche Profeß, der Gelübdeablegung, des endgültigen Abschiedes
vom Weltleben, des Verzichtes für immer, gekommen. Ein strahlender
Spätherbsttag mit lachendem Sonnenglanze im schönen Admonter Becken
des Ennstales. Der frühe Morgen war freilich frostig, herb und neblig;
aber die Sonne siegte alsbald und vergoldete die wuchtigen Felskolosse,
küßte die Zinnen und Zacken, die hehr und ernst in den lichtblauen
Äther ragten. Feierliches Glockengeläute vom Blasiusmünster kündete
den Beginn dieses bedeutungsvollen Tages für den jungen Mönch, der in
seiner Zelle kniend betete um die Kraft zum Verzicht auf das Weltleben.
Den besten und ehrlichsten Willen besaß der Kleriker, um nach der heute
erfolgenden Aufnahme in das Kapitel dem Stifte Ehre zu machen durch
treueste Pflichterfüllung, die oberste Tugend der Dankbarkeit zu üben
immerdar bis zum letzten Atemzuge. Rein und abgeklärt war die Seele,
wunschlos des irdischen Lebens, erfüllt von Begeisterung für den Beruf.
Von der kleinen Verwandtschaft war Abschied genommen worden, tapfer
und mutig der Trennungsschmerz überwunden. Rein und frei fühlte sich
Nonnosus; ein ehrlicher Diener des Herrn wird heute die _Vota solemnia_
ablegen... Ohne Mißton in der Seele!

Entscheidend wird die nächste Stunde für das ganze Leben sein, und
darum ist sie die schwerste des Lebens. Mit der Welt hatte Nonnosus
abgerechnet, er fühlte nichts mehr, was ihn zurückhalten könnte;
dennoch befand er sich in einer starken seelischen Erregung, verbunden
mit Angst und Beklemmung, über deren Grund und Inhalt er sich keine
Rechenschaft geben konnte. Ihm war zumute, als stände er vor einem
großen Unglücke, dem er rasch ausweichen soll... Eine tiefe Traurigkeit
kam über ihn, für die er keinen Anlaß fand. Und er erinnerte sich
der Warnung des Spirituals vor einem Rücktritt ohne bestimmte, klar
erkannte Gründe; Nonnosus klangen die Worte des Spirituals im Ohre:
„Jeder Theologe wird in letzter Stunde von einer tiefen Traurigkeit
befallen, die überwunden werden muß! Der gewissenhafte Theologe soll
zum Altare gehen wie in ein brennendes Haus, entschlossen, mutig!
Dieser Mut bringt dann tiefe Freude, selige Ruhe, im Berufe die
Festigkeit! Theologen, die schwer überwinden, stehen später in ihrem
Seelsorgeramte viel fester als jene, die mit verklärtem Gesichte und in
Sehnsucht zum Altare treten...!“

Die Erinnerung an diese goldenen Worte des alten erfahrenen Spirituals
gab Kraft und Mut.

Wie die Glocken zum zweitenmal ertönten, erhob sich Nonnosus vom
Betstuhl. Ein letzter Blick auf das Kruzifix an der weißgetünchten
Wand... Nonnosus hatte Angst und Zweifel überwunden. Fest wie Granit
ist der Entschluß zur Pflichterfüllung!

Gefaßt griff der Profitent Nonnosus nach dem Pergamentblatte, das die
von ihm geschriebene Profeßformel enthielt. Bleich waren die Wangen,
die Zähne aufeinandergepreßt; doch ruhig die Seele, der Kampf beendet.
Ein Sonnenstrahl huschte in die kahle Zelle.

Der Spiritualdirektor Pater Lullus erschien in der Zelle, um den
Profitenten Nonnosus abzuholen. Ein schmächtiges altes Männlein
mit viel Runzeln im Gesicht, unansehnlich, aber mit geistkündenden
blitzenden Augen; ein Gelehrter im Benediktinerhabit, der Spiritual der
Kleriker und zugleich ihr Freund, Führer und Berater. In lateinischer
Sprache fragte Pater Lullus, ob der Profitent zum Gange in die Kirche,
zur Ablegung der _Vota solemnia_ bereit sei. Ein forschender Blick auf
den Novizen, dann nickte Lullus befriedigt; er hatte in den Augen des
Profitenten den festen Entschluß, Verzicht und Überwindung gelesen.

Beide Mönche verließen die Klausur, schritten durch den langen
Korridor gen Norden, dessen Fenster eine wundervolle Aussicht auf die
Bergkolosse der „Haller Mauern“ boten.

Ein letzter Blick des Novizen flog zum Großen Pyrgas, hinauf ins
Gamsrevier... Nonnosus zuckte für einen Moment zusammen, der glühende
Kopf neigte vornüber. Heftig pochte das Blut in Herz und Schläfen.

„Mut!“ flüsterte der alte Spiritual, „Mut und Gottvertrauen!“

Nonnosus nickte zum Dank und senkte die Lider. Nicht einen einzigen
Blick warf er mehr durch die vielen Fenster des Flankenkorridors. Sein
Schritt verlangsamte sich, als die Mönche die breiten Steintreppen
hinabstiegen, um die Sakristei des großen Domes zu erreichen.

Wieder mahnte der Spiritual: „Mut und Gottvertrauen!“

Noch ein Schritt über die Schwelle der Sakristei... Ein ehrerbietiger
stummer Gruß für den Pater Prior, der bereits den Ornat zur
Zelebrierung des Hochamtes angelegt hatte. Ein mittelgroßer, von der
Last der sechsundsiebzig Jahre gebeugter Mönch im Silberhaar, der den
Gruß mit aufmunternd wohlwollendem Blick erwiderte. Die Diakone als
Assistenten des Priors nickten freundlich. Vom Spiritual geleitet,
begab sich Nonnosus zu seinem Platze im Chorstuhl des Presbyteriums,
wo der Profitent niederkniete. Pater Lullus blieb in seiner Nähe,
gleichsam zum Schutz.

Feierliche Orgelklänge empfingen den von den Diakonen begleiteten Prior
auf dem Gange zum prächtig geschmückten, von einer überlebensgroßen
Statue des St. Blasius aus weißem Marmor überragten Hochaltar.

Das Hochamt begann und wurde wie an Sonntagen zelebriert bis zum
Evangelium. Wie dieses aber gesungen wurde, ertönte die schrille, im
ganzen Kloster vernehmbare Konventglocke, die alle Patres des Stiftes
zusammenrief.

Wohl fünf Minuten gellte diese Glocke, dann verstummte sie.

Der Prior am Hochaltare stimmte das „Kredo“ an, das dann der Musikchor
zu Ende sang.

Nun trat Schweigen im Dome ein. Tiefes, feierliches Schweigen.

Aus der Sakristei kam der Zug der Stiftsherren, paarweise, voran die
jüngsten Patres, dann die älteren, die alten mit dem Schnee auf dem
Haupte oder kahlköpfig; alle bekleidet mit dem weiten, faltigen,
schwarzen Ordenskleide mit Kapuze, zuletzt schritt der Abt mit goldenem
Brustkreuz an schwerer Kette, auf dem Haupte die Mitra, in der Hand den
silbernen Stab.

Im Presbyterium bildeten die Patres Spalier, durch das der Abt mit
seinem Zeremoniar schritt. Dann betrat der Abt die Stufen des
Hochaltars und nahm Platz auf dem für ihn bereitgestellten Stuhle.

Der Prior mit seiner Assistenz stand auf der Epistelseite vor den
Sitzen.

Nun waltete der Spiritual seines Amtes, indem er Nonnosus, der die
Pergamentrolle in der zitternden Rechten trug, zum Abte geleitete. Hier
kniete Nonnosus nieder und reichte die Urkunde entfaltet dem Abte, der
sie entgegennahm und dem Profitenten zum Ablesen vorhielt.

Nonnosus bekreuzte sich und las den lateinischen Text der Profeßformel
mit dem Schlusse: „_In huius rei testimonium praesentem schedulam manu
propria scripsi._“ (Zum Zeugnis dessen hab ich gegenwärtige Urkunde mit
eigener Hand geschrieben.)

Langsam und würdevoll sprach der Abt: „_Haec tibi servanti vitam
aeternam promitto!_“ (Wenn du dies beobachtest, verspreche ich dir das
ewige Leben.)

Nonnosus stand auf, trug die Urkunde zur Epistelseite des Hochaltars.
Dann kehrte er zum Stuhle des Abtes zurück und kniete wieder nieder.

Abt Beda sprach ein Gebet über den Profitenten, erhob sich von seinem
Sitze und blieb stehen, bis der vom Spiritual geleitete Nonnosus das
Ende des Presbyteriums erreichte. Hier knieten beide nieder und sangen
den Psalmvers: „_Suscipe me, Domine, secundum eloquium tuum et vivam,
et non confundas me ab expectatione mea._“

Der ganze Konvent, alle Patres sangen diesen Vers im gleichen Tone nach.

Nun standen Nonnosus und der Spiritual auf, gingen bis in die Mitte des
Presbyteriums, knieten hier nieder und sangen den Vers um einen Ton
höher.

Der Konvent wiederholte den Vers gleichfalls in erhöhtem Tone. Der
Spiritual führte den Profitenten nun bis zur untersten Stufe des
Hochaltars, wo zum drittenmal und wieder um einen Ton höher der Vers
gesungen, vom Konvent dann wiederholt wurde. Und ergreifend klang
der vom ganzen Kapitel gesungene Schluß: „_Gloria Patri et Filio et
Spiritui sancto. Sicut erat in principio et nunc et semper et in
saecula saeculorum. Amen._“

Nochmal segnete der Abt den vor dem Hochaltare knienden Profitenten
und sprach über ihn Gebete. Dann schritt Abt Beda zur Epistelseite und
weihte die dort niedergelegten neuen Ordenskleider für den Profitenten.
Hierauf kniete der Abt auf der obersten Stufe des Altares nieder und
stimmte den Hymnus an: „_Veni creator spiritus_“. Der Musikchor sang
den Hymnus weiter.

Feierlich gestaltete sich die Abnahme des bisherigen Skapuliers
und Bekleidung des Profitenten mit einem neuen, _ad hoc_ geweihten
Skapulier seitens des Abtes, der dann Nonnosus die Hand reichte und ihm
auf beide Wangen den Bruderkuß gab. Während der Abt mit Mitra und Stab
in der Mitte des Altares stehenblieb, vollzog sich die Zeremonie des
Bruderkusses, indem Nonnosus mit dem Pater Prior und allen Kapitularen
den Kuß tauschte.

Laienbrüder trugen ein schwarzes Bahrtuch in das Presbyterium und
breiteten es in der Mitte des Presbyteriums aus, just an der Stelle,
unter der sich die Totengruft des Konventes befindet. Auf das Bahrtuch
gegen den Altar zu wurde ein schwarzes Kissen gelegt.

Nonnosus küßte den jüngsten Pater und schritt dann langsam zum
Bahrtuch, zog die Kapuze über den Kopf und legte sich der Länge nach
auf das schwarze Tuch, drückte das blasse Gesicht auf das Kissen und
blieb regungslos liegen.

Im selben Augenblick ertönte die große Sterbeglocke dumpf in schweren
Schlägen, ernst und feierlich, mahnend, daß der auf dem Bahrtuche und
so nahe der Totengruft liegende Profitent nun der Welt abgestorben sein
soll und muß...

Ein schwaches Zucken lief durch den Körper des Pater Nonnosus, der die
zum Gebet gefalteten Hände fester aneinanderpreßte. Kam ihm doch in
diesem erschütternden Moment so recht zum Bewußtsein, daß jetzt der
Abschied von der Welt sich für immer vollzogen hat...

Helle Klingeltöne verkündeten das Sanktus. Der eine Diakon verließ
den Hochaltar und schritt zum Bahrtuche. Und er berührte mit dem Fuße
leicht den Profitenten und sprach: „_Surge qui dormis et exurge a
mortuis, et illuminabit te Christus!_“ (Erhebe dich, der du ruhest, und
steh auf von den Toten, erleuchten wird dich Christus.)

Nonnosus erhob sich langsam und zog die Kapuze vom Haupte. Kalkig waren
seine Wangen. In den Augen glühte das Feuer der Begeisterung für den
Beruf.

Nonnosus begab sich in den Chorstuhl, wo er niederkniete. Der Diakon
kehrte an den Altar zurück.

Nach der Kommunion des zelebrierenden Priors schritt Nonnosus zum
Altar, aus der Hand des Priors empfing er das hl. Abendmahl, worauf er
zu seinem Stuhle zurückkehrte.

Zum Schlusse des Hochamtes ging Nonnosus zum letztenmal an den Altar,
auf der untersten Stufe kniend empfing er den besonderen Segen des
Priors. Und hier blieb er dann allein, versunken in Gebete, nachdem der
Prior samt Assistenz die Kirche verlassen hatte.

Aufgenommen als gleichberechtigter Konventual, aber allein, um
Gelegenheit zu haben, Gott zu danken...



Zwölftes Kapitel


Einer Herzensregung folgend, besuchte die Fürstin das vom Tisch
verbannte Fräulein von Gussitsch. Wider Absicht und Willen klagte die
Fürstin leisen Tones darüber, daß der Sohn so gar kein Faserchen Mut
besitze, wohl auch nie lernen werde, sich selbst zu überwinden. Ob Emil
je die Mannesfestigkeit erringen werde? Jenen stahlharten Willen, der
allein es ermöglicht, aufrecht durch das Erdenleben zu gehen?

Die Fürstin hielt im Sprechen inne, erwartete von Martina Antwort,
vielleicht auch ein Trosteswort. Das arme Hoffräulein rang nach Worten
und fand keines.

„Irre werde ich an meinem Sohne! Lange Jahre ein träumerisches Wesen,
Apathie, Schläfrigkeit, Stumpfsinn! Dann das Aufwachen mit nichts
weniger denn erfreulichen Folgen! Unausgeglichenheit, ein Schwanken wie
das Rohr im Winde! Ich fürchte, es fehlt am Charakter!“

Leise und schüchtern erwiderte Martina: „Verzeihung, Durchlaucht! Prinz
Emil ist ja noch jung! Der beste Most braucht Zeit zur Klärung, dann
wird guter Wein daraus!“

„Wenn Sie recht hätten, Martina, wie glücklich würde die Mutter sein!
Es ist ja richtig, mit vierundzwanzig Jahren ist Emil noch sehr jung!
In hohem Range kommt es fast nie vor, daß ein junger Mann mit diesen
Jahren schon abgeklärt und willensstark, ernst und gefestet ist! Wenn
er nur arbeiten, sich ernsthaft beschäftigen würde! Immer nur ein
Anlauf, ein Stehenbleiben auf halbem Wege! -- Doch nun wollen wir von
Ihnen sprechen, liebe Martina! Sie bleiben bei mir, ja --? Und es
bleibt, wie es war! Die dumme Geschichte mit Emil ist vorüber und soll
begraben sein! Wenn sich aber noch einmal Gelegenheit bietet, soll
Fräulein von Gussitsch aber doch...! Nein, davon wollen wir heute nicht
sprechen!“

Hildegard meldete, daß Graf Thurn um Audienz bitte, und verschwand.

Die Fürstin verabschiedete sich von Martina und empfing im Salon den
Hausmarschall, der um Gewährung eines zweitägigen Urlaubes zum Besuche
des Prinzen Coburg in Schladming bat.

„Selbstverständlich genehmigt! Vermutlich eine Jagdeinladung?“

„Zu dienen!“

„Eben fällt mir ein, daß unserseits völlig vergessen wurde, Ihnen
Abschußerlaubnis zu erteilen! Ich bitte, diese Vergeßlichkeit zu
entschuldigen! Da mein Sohn soviel wie gar kein Jagdinteresse hegt, ist
das Haller Jagdgut eigentlich zwecklos erworben worden! Ihnen, lieber
Graf, stehen alle Reviere frei! Und wegen der Bejagung wollen Sie sich
nur mit dem Jagdleiter Hartlieb ins Benehmen setzen! Hartlieb kann auch
nach Gutdünken abschießen! Gute Reise, lieber Graf!“

„Untertänigsten Dank für so viel Huld und Gnade!“ Sophie nickte
freundlich und fragte, ob der Graf sich am Lunch beteiligen werde.

„Mit gnädigster Erlaubnis möchte ich den Mittagszug benutzen!“

„Viel Vergnügen! Und Weidmannsheil!“

Mit Handkuß verabschiedete sich der alte Hausmarschall.

Das Versehen verspätet gutgemacht zu haben, gewährte der Fürstin eine
gewisse Befriedigung. Aber einen Stachel hatte sie doch in der Brust,
so sie an Emil, an seine Gleichgültigkeit gegen Wild und Jagd dachte.
Und sie flüsterte: „Bin aber nicht auch ich gleichgültig geworden? Ist
in mir nicht auch jegliches Jagdinteresse erstorben? Eben weil Emil
sich nicht dafür interessiert!“ Und Sophie wünschte sich, es möge der
Sohn sich einen stahlharten Willen erwerben.

                                   *

Einen Tag später lauerte Prinz Emil im kleinen Bahnhofe zu Admont wie
die Spinne auf eine Fliege im Netz auf den Pfarrer Pater Wilfrid,
der mit einem Zuge von Selztal zurückkommen sollte. So hatte der
Klosterpförtner berichtet, aber nicht zu sagen gewußt, wann der Pater
Gastmeister heimkommen werde.

Da nun Emil den Hofpfarrer in finanzieller Angelegenheit unter
allen Umständen sprechen wollte, wartete der geldhungrige Prinz von
vormittag neun Uhr ab auf jeden Zug aus der Richtung von Selztal.
Die Zwischenzeit vertrieb er sich mit Bummeln, leistete sich im
Stiftskeller, der für Laiengäste offenstand, auch ein Fläschchen
Edelweines aus der Luttenberger Gegend; doch prompt fand Emil sich
wieder im Bahnhofe ein, wenn ein Zug fällig war. Gegen Mittag kreuzten
zwei Züge aus Süd und Nord in Admont. Der Erwartete kam nicht. Aber
dem Zuge aus dem Süden entstieg eine junge Dame, deren wundersame
Erscheinung Emil Herzklopfen verursachte. Tannenschlank die Gestalt,
fein geschnitten das Gesicht, gebräunt die Wangen von südlicher Sonne.
Dunkle, feurige und große Augen. Welscher Typus aus Norditalien wohl,
gemildert etwas durch germanischen Einschlag. Elegante Toilette,
sicheres Auftreten der befehlgewohnten Aristokratin, deren Stimme wie
ein Silberglöckchen klang, als die junge Dame nach einem Gepäckträger
rief. Und zwar vergeblich, da es in dem Miniaturbahnhofe trotz des
starken Verkehrs keine Diener und Träger gab.

Das Köfferchen und die Lederhandtasche verrieten wie die Gestalt
höchste Eleganz.

Betroffen stand die junge Dame am Zuge und guckte nach einem
dienstbaren Geist, indes die Passagiere hastig den Zug verließen,
andere Fahrgäste aber einstiegen.

Emil ging auf die Dame zu und bot seine Dienste mit ritterlicher
Galanterie und mit einem Humor an, der das Fräulein lachen machte. Emil
sagte nämlich: „Dem Beruf nach bin ich zwar kein Packträger, aber recht
viel mehr Intelligenz besitze ich auch nicht! Schönes Fräulein, darf
ich’s wagen, Ihnen meine Dienste anzutragen? Auf Trinkgeld verzichte
ich!“

„Ah, Herr Faust! _Con piacere, ecco!_“ Ohne weiteres deutete die junge
Dame auf die Gepäckstücke, und lächelnd rief sie Emil zu: „Rasch zu
einem Wagen!“

Prinz Schwarzenstein mußte mitteilen, daß es keine Wagen gab im kleinen
Admont und nur der Omnibus des Posthotels am Bahnhofe stehe.

Im Befehlstone, doch liebenswürdig lächelnd, sprach die junge Dame:
„Dann besorgen Sie einen Wagen, aber rasch! Ich habe Eile!“

„Zu dienen! Aber Gnädigste können doch inzwischen nicht allein und
schutzlos hier warten, bis ich mit dem requirierten Wagen komme!
Gnädigste wollen mich ins Städtle begleiten!“

„Ob Herr Doktor Faust der richtige ‚Schutz‘ und Führer sein wird,
steht denn doch zu bezweifeln! Besonders vertrauenerweckend sieht
er nicht aus, der Herr Doktor Faust!“ Die junge Dame musterte mit
drollig forschendem Blicke den Prinzen, der inzwischen das Handgepäck
aufgenommen hatte.

„Oh, oh! Gnädigste können mir ruhig volles Vertrauen schenken, denn ich
bin nicht Doktor Faust! Und Gnädigste sehen nicht -- gretchenhaft aus,
werden also auch nicht à la Gretchen einitappen!“

Das Fräulein kicherte belustigt und folgte dem seltsamen
„Gepäckträger“, der nun vorschlug, den Hotelomnibus zu benutzen und im
Hotel „Post“ einen Privatwagen zu mieten.

Es befremdete die junge Dame, daß Emil gleich ihr in den Hotelomnibus
stieg. „Ich danke für Ihre Gefälligkeit, bedarf aber Ihrer Dienste
nicht weiter!“

„Doch! Ich muß ja behilflich sein, damit Gnädigste rasch den
gewünschten Wagen im Hotel bekommen! Deshalb fahre ich mit!
Furierdienst ist meine Spezialität! Besserer Brettlhupfer!“

„So! Vermutlich im Dienst der Fürstin von Schwarzenstein, was?“

Für einen Moment stutzte Emil; es überraschte ihn, daß das fremde
Fräulein Kenntnis von der Existenz der Schwarzensteins hatte. Die
Lust an Abenteuern war aber so groß, daß er keck und verwegen log und
schwindelte, frischweg behauptete, der Privatsekretär der Fürstin zu
sein.

„Ah! Da sind Sie ja des Vertrauens würdig! Und falls Sie gleich mir
nach Hall fahren wollen, lade ich Sie ein, mich zu begleiten!“

„Mit größtem Vergnügen! Also Gnädigste wünschen, nach Hall zu fahren!
Darf ich fragen: Hall Dorf, Forsthaus oder Jagdschlößl?“

„Für einen Geheimsekretär sind Sie ein bissel -- neugierig!“ stichelte
das elegante und bildhübsche Fräulein.

„Stimmt! Böse Beispiele verderben gute Sitten! Man lernt das
Neugierigsein von den Dienern und Vertrauenspersonen! Ich will nicht
fragen, wer Gnädigste sind!“

„Sehr löblich von Ihnen! Ich will aber freiwillig den Schleier des
Geheimnisses lüften: ich bin die -- Schwester des Oberförsters!“

Emil machte ein wahrhaftiges Schafsgesicht. Und verblüfft stotterte er:
„Nicht möglich! Hartlieb hat ja gar keine Schwester!“

Der Omnibus hielt vor dem Gasthofe „Post“. Hotelgäste vermutend
stürzten der Eigentümer, der „Herr Ober“, ein Kellner und der
langohrige Pikkolo dienstbereit herbei.

Prinz Schwarzenstein half der Dame aussteigen und bestellte sofort
einen Wagen zur Fahrt nach Hall-Forsthaus. Dann bot er dem Fräulein ein
Frühstück an, das jedoch dankend abgelehnt wurde. Ziemlich abgekühlt,
überlegte Emil, ob er nicht guttun würde, sich zu drücken. Ist das
verdammt hübsche Fräulein wirklich die Schwester Hartliebs, dann heißt
es für den Prinzen: _Hands off!_

Das schelmische, spitzbübische Lachen im Auge der Dame brachte ihn
auf den Gedanken, daß das Fräulein genau so wie er ulkt, daß die
Dame sowenig Hartliebs Schwester ist, wie Emil der Geheimsekretär
der Fürstin. Und dieser Gedanke veranlaßte ihn, den Scherz nach
Möglichkeit bis zur Aufklärung der drolligen Situation fortzusetzen.
Ulkig fragte er, ob Papa oder Mama Hartlieb welscher Abkunft gewesen
sei.

„Warum denn?“

„Weil Sie unverkennbar romanisches Blut haben müssen! Halb deutsch,
halb italienisch! Welsche Schönheit!“ sprach Emil in italienischem
Idiom der horchenden Leute wegen.

In reinem Toskanisch scherzte die junge Dame, daß die Großmutter eine
gebürtige Olona gewesen sei, verwandt mit den Familien Masnago-Laveno;
daher habe der Oberförster den welschen Typ.

„Donnerwetter! Die Namen Olona, Masnago-Laveno kommen mir aber bekannt
vor, sehr bekannt! Es muß die Fürstin davon gesprochen haben...!“

„Hat die Fürstin längere Zeit in Mailand verbracht?“

„Ja, vor einigen Jahren! -- Aber da ist der Wagen! Darf ich bitten!
Apropos: ist Herr Hartlieb von Ihrer Ankunft verständigt?“

„Nein, ich komme überraschend!“ lachte glockenhell das Fräulein.

„Stimmt! Denn ich bin sehr überrascht! _Che bellezza!_“

„Für einen fürstlichen Geheimsekretär sind Sie ein besonderer
Frechdachs! Fast möchte ich bezweifeln, daß Sie sich in dieser Stellung
befinden!“

Während der raschen Fahrt nach Hall schwätzte Emil der jungen Dame
schier die zierlichen Ohren weg und guckte ihr möglichst oft und tief
in die schönen Augen. Doch hielt er unwillkürlich eine gewisse Grenze
ein im Empfinden, daß das Fräulein nicht die Schwester Hartliebs sei,
von erheblich höherer Abkunft sein müsse. Aber nett und lieb, zum
Anbeißen nett. Distinguiert und doch nicht prüde.

„Als Hofbeamter müssen Sie den Grafen Thurn kennen! Ist der
Hausmarschall zu Hause?“

Diese Frage brachte Emil auf die richtige Spur. Frohlockend rief er:
„Gnädigste haben sich jetzt verraten! Mit dem Inkognito ist es aus!
Gnädigster Komtesse lege ich verehrungsvollsten Respekt zu Füßen!“

„Wie dumm von mir! Aber Sie sind auch nicht der Hofsekretär! Darauf
getraue ich mir meinen Kopf zu wetten!“

„Was soll ich zum Einsatz geben? Wer soll ich denn sein?“

Komtesse Isotta Thurn wandte den hübschen Kopf zu Emil und blickte
ihn voll und prüfend an. „Nach Papas Schilderungen sind Sie der Prinz
Schwarzenstein! Ich bitte um Verzeihung, daß ich Durchlaucht so
respektwidrig behandelt habe! Zugleich danke ich aber auch für die
ritterliche und liebenswürdige Hilfeleistung!“

„Keine Ursache, Komtesse! Aber Sie irren sich in meiner Person...“

„Unmöglich! Es stimmt die Beschreibung, die mir Papa gegeben hat,
als er mich das letztemal in der Pension zu Lausanne besuchte!“ Und
schalkhaft lachend, fügte Isotta bei: „Es stimmt aber auch bezüglich
Ihres Auftretens!“

„Wieso denn?“

„Hofsekretäre sind niemals -- Frechdachse! Oh, bitte untertänigst um
Verzeihung!“

„Warum soll denn ein junger Sekretär, den keine Sorgen drücken, einer
bildhübschen jungen -- ‚Oberförstersschwester‘ gegenüber nicht als --
Frechdachs auftreten? Hätte ich gewußt, daß Gnädigste die Komtesse
Thurn sind, würde ich allerdings bescheidener mich verhalten haben! Um
Verzeihung muß also ich bitten, untertänigst und gehorsamst! Und ganz
besonders herzlichst bitte ich um Diskretion! Denn wenn Graf Thurn
erfährt, wie frech ich mit seiner Tochter angebandelt habe, fangt er
mich füri!“

„Diskretion wird sicher gewahrt! Aber das Versteckenspielen müssen Sie
nun aufgeben! Mit einem simplen Sekretär kann und darf die Komtesse
Thurn sich nicht weiter beschäftigen...! Das werden Sie doch begreifen!“

„Will sich die Komtesse mit dem Prinzen Schwarzenstein ‚beschäftigen‘?“

Isotta erglühte und schwieg.

Emil ergriff ihre Hand und drückte einen Kuß darauf. Dann bat er, es
wolle die Komtesse, da Papa Thurn auf zwei Tage verreist sei, Quartier
im Jagdschlößl nehmen.

„Danke vielmals! Aber wo Papa wohnt, wird das Quartier auch der Tochter
genügen! Und jede Belästigung der Fürstin muß vermieden werden!“

„Ach wo! Im Forsthause können Sie, Komtesse, nicht bleiben, in
Abwesenheit Ihres Papas schon gar nicht; es fehlt ja auch an jeder
Bedienung!“ Emil richtete sich auf, markierte Energie und sprach
gebieterisch: „Ich befehle, daß Sie Quartier im Jagdschlößl nehmen!“

„Huhu! Durchlaucht befehlen!“ lachte Isotta spitzbübisch.

„Gel, das imponiert Ihnen, was?“

„Und wie? Zwingt zu ersterbender Ehrfurcht! Hihi! Regieren Durchlaucht
immer so energisch und scharf?“

„Spotten Sie nur zu! Die Hauptsache ist der Gehorsam! Bitte, teuerste
Komtesse, nehmen Sie Quartier bei uns! Es wäre nett, entzückend,
himmlisch, wenn wir ein Dach über uns hätten!“

Wieder erglühte Isotta. Und sie wehrte ab: „Aber, Prinz! Was wird die
Fürstin denken?“

„Mama wird sicher auch finden, daß die Komtesse Thurn ein entzückendes
Frauenzimmerl ist!“

„Nun ist’s aber genug der Schmeichelei! Ein Mischmasch-Komtessel bin
ich, halb deutsch, halb welsch!“

„Oh, ich bin sehr für den Mischmasch! Besonders, wenn das
Mischmasch-Komtessel so himmlisch nett und lieb ist! -- Holla! Dort
wimmelt Mama spazoren, und zwar ausnahmsweise allein! Der Fall ist
günstig! He, Kutscher, halten!“

Isotta wehrte sich vergeblich. Sie mußte raus und mit Emil der Fürstin
entgegengehen, die nicht wenig staunte, den Sohn mit einer eleganten
jungen Dame anmarschieren zu sehen.

Auf Distanz von zwölf Schritt rief Emil lebhaft: „Mama, Mama! Denk dir,
ich habe Komtesse Thurn unterwegs aufgegabelt! Sie wollte den Papa
überraschen, das ist ihr aber mißglückt, denn Graf Thurn ist abwesend!“

Durch diesen Zuruf schwand das Befremden sofort; jetzt angenehm
berührt, kam Fürstin Sophie mit raschen Schritten heran, und freudig
begrüßte sie die Tochter des alten Hausmarschalls. Mama genehmigte auch
alle Vorschläge Emils wegen des Quartiers im Jagdschlößl, vorbehaltlich
der Zustimmung Thurns.

Emil strahlte vor Freude. Und übermütig erzählte er, daß Komtesse sich
weigerte, daß er aber befohlen habe, Quartier im Schlößl zu nehmen.

Mit feiner Ironie sprach die Mama: „Der Prinz Schwarzenstein kann
gegebenenfalls dem Hausmarschall Befehle erteilen, niemals aber dessen
Tochter. Ich bitte Komtesse, bei uns zu bleiben als lieber Gast! Und
nun wollen wir heimkehren!“

Emil schickte den Wagen mit dem Gepäck voraus. Auf dem Wege zur Villa
mußte er den stummen Begleiter spielen, denn Mama sprach ausschließlich
mit Komtesse Isotta.

In böse Verlegenheit brachte ihn die Frage der Fürstin, wo er die
Komtesse aufgegabelt habe. „Meines Wissens hast du doch die Komtesse
bisher nie gesehen!“

Rasch gefaßt, antwortete Isotta an Emils Stelle, daß sie im
Bahnhofe Admont den ihr unbekannten Prinzen um Auskunft über eine
Fahrgelegenheit zum Forsthause Hall gebeten und sich hernach als
Tochter des Hausmarschalls vorgestellt habe. Worauf Prinz Emil
mitgefahren sei.

„Ach so!“ Mit einigem Mißtrauen fragte die Fürstin den Sohn: „Was
hattest denn du auf dem Bahnhof zu tun? Noch dazu zur Zeit, da wir
speisen?“

„Verzeihung, Mama! Ich konnte nicht rechtzeitig um Dispens vom Lunch
bitten! Auf dem Bahnhof wollte ich Pater Wilfrid erwarten, der aber
nicht kam! Ein Glück, daß ich anwesend war, der Komtesse behilflich
sein konnte!“

Zwei Blicke des Einverständnisses der jungen Leute kreuzten sich.
Optische Warnungen vor Verplapperung. Besonders Isottas Blick mahnte
zur Vorsicht.

Wonne und Glückseligkeit empfand Emil, daß die Komtesse sich so tapfer
auf seine Seite stellte und so brillant lügen konnte, um das Geheimnis
der Bekanntschaft zu wahren. Ein schneidiges Mädel, höchst sympathisch,
nett zum Anbeißen! Dazu Gräfin, also...

Als Quartier bekam Komtesse Thurn ein Zimmer ähnlich dem
Hoffräuleingemache, klein, doch zweckentsprechend eingerichtet. Die
Räumlichkeiten waren im Jagdschlößl beschränkt, nur für Jagdgäste zu
kurzem Aufenthalt bemessen.

Die Fürstin machte Isotta mit der Hausordnung bekannt, stellte Fräulein
von Gussitsch vor und beauftragte die Dienerschaft, dem Gaste alle
Aufmerksamkeit zu widmen. Alle Liebenswürdigkeit konnte jedoch die
Komtesse darüber nicht täuschen, daß die Fürstin irgendein Mißtrauen
hegte. Auch fiel es Isotta auf, wie scharf die Mama den Sohn bei Tisch
überwachte.

Davon merkte Emil anscheinend nichts, er gab sich keine Mühe, die
Freude über die Anwesenheit der ihm höchst sympathischen Komtesse zu
verbergen, und widmete ihr seine Aufmerksamkeit. Ohne Übertreibung,
ohne Draufgängerei. Freilich glänzten seine Augen seltsam.

Die Hofdame war bei Tisch nur Staffage, es hatte Martina reichlich
Gelegenheit zu stillen Beobachtungen, und sie war sich sehr rasch
darüber klar, daß Prinz Emil jetzt ernstlich Feuer gefangen habe, und
daß die Fürstin die Situation erfaßte und keineswegs einverstanden
war. Das Abschwenken Emils konnte Martina nur willkommen sein, die
Ignorierung ihrer Person verbürgte Ruhe. Aber neugierig war Martina
doch auf die Entwicklung der fühlbar gespannten Situation.

Auffällig war, daß die Fürstin sich nach dem abendlichen Diner nicht
wie üblich zurückzog, sondern im Speisezimmer blieb und Martina um
etwas Musik bat. Fräulein von Gussitsch mußte das im Empfangssalon
stehende Pianino bearbeiten, vermutlich nur zum Zwecke, daß Prinz Emil
der Komtesse nicht die Cour schneiden konnte und zur Schweigsamkeit
gezwungen war. Eine lange Stunde hindurch mußte Martina Musik machen.
Dann wurde kurz dafür gedankt und Schluß befohlen. Kurzer Abschied,
rascher Rückzug.

Auf seiner Bude konnte Emil sich mopsen nach Belieben. Auch das schöne
Liedchen summen: „Du bist mir nah und doch so fern.“ Wie sehr er sich
für Isotta interessierte, bewies die Tatsache, daß für diesen Abend
kein Schlummerpunsch in sein Kämmerlein kam, das verliebte Prinzlein
völlig nüchtern in die Federn kroch und langmächtig und wahrhaftig
maikäferte.

Mehrere Enttäuschungen brachte der nächste Tag für Emil. Nicht für
ein Viertelstündchen war es möglich, mit Komtesse Isotta ohne Zeugen
zu sprechen; Mama belegte sie ständig, ging mit ihr spazieren,
beschäftigte sie fortwährend, bis es Zeit wurde, für den Grafen Thurn
den Wagen zum Admonter Bahnhof zu senden. Isotta wurde es freigestellt,
den Papa abzuholen, und für diesen Fall war Fräulein von Gussitsch zur
Begleitung befohlen. Wie dies Emil hörte, verzichtete er sofort auf die
Mitfahrt.

Die Komtesse hingegen wollte um die Erlaubnis bitten, Papa im
Forsthause erwarten zu dürfen, fügte sich aber der Anordnung und fuhr
mit Martina weg.

Zwei Stunden später kam Fräulein von Gussitsch allein zurück und
meldete der Fürstin dienstlich, daß Graf Thurn vorerst mit seiner
Tochter im Forsthause eine Aussprache pflegen wolle und sodann ins
Jagdschlößl kommen werde, um wegen der unangenehmen Überraschung
Durchlaucht untertänigst um Entschuldigung zu bitten.

Fürstin Sophie nickte nur. Und das Lächeln einer gewissen Befriedigung
huschte über ihre Lippen. Sie schien die Handlungsweise des allzeit
streng korrekten Hofchefs erwartet zu haben.

In der Wohnung Thurns entlud sich ein böses Ungewitter über das
schöne Töchterlein. Graf Thurn rüffelte Isotta wegen der leichtsinnig
unternommenen Soloreise, ganz besonders aber ob der schweren
Belästigung der Fürstin durch die geradezu unverschämte Einquartierung
in das Schlößl.

Isotta wehrte sich mit dem Hinweise, daß man sie ja genötigt habe,
Quartier im Jagdschlößl zu nehmen.

„Ach was! Wenn man überraschend kommt und einem ins Haus plumpst,
bleibt den hohen Herrschaften nichts anderes übrig, als gute Miene
zum bösen Spiel zu machen und den Eindringling willkommen zu heißen!
Traurig genug, daß die Tochter des Hofchefs nicht soviel Lebensart hat,
um einen skandalösen Überfall zu vermeiden!“

„Aber, Papa! Ich versichere dir, daß ich gezwungen worden bin!“

„Wer hat dich gezwungen?“

„Prinz Emil!“

Die Stirne runzelnd rief Graf Thurn: „Unmöglich! Den Prinzen kennst du
ja gar nicht! Wie kann Prinz Emil dazu kommen, dich einzuladen!“

Der Ärger über den Rüffel verleitete Isotta zu einer unvorsichtigen
Beichte, wie sie den netten und liebenswürdigen Prinzen kennengelernt
hatte, ganz zufällig, und dann selbstverständlich mit ihm zum
Forsthause gefahren sei. Und hierauf habe der Prinz sie der zufällig
auf einem Spaziergange herbeigekommenen Fürstin vorgestellt.

Jetzt rügte Thurn das Gebaren der Tochter erst recht scharf und als
skandalöse Aufdringlichkeit. Nicht weniger die empörenden Mängel der
Schulerziehung. Wenn schon nicht Verstand und Vernunft, so doch das
weibliche Gefühl hätte derlei Taktlosigkeiten verhindern müssen.
Unerhört, wie sich eine Komtesse Thurn dem Prinzen geradezu an den Hals
werfen konnte. Blamiert bis auf die Knochen sei der Hofchef und Vater.
Und was die Fürstin sich denken werde! „Dein Verhalten zwingt mich,
die Konsequenzen zu ziehen! Die erste Folge ist, daß ich um sofortigen
Urlaub bitten werde, um dich morgen zu Verwandten nach Mailand zu
bringen! Zum zweiten bin ich genötigt, meine Entlassung zu erbitten!
Das Schlößl betrittst du nicht mehr! Du nächtigst bei mir! Dein Gepäck
werde ich holen lassen! So, und nun hast du Zimmerarrest! Ich gehe
indessen zur Fürstin!“ Kurz entschlossen sperrte Graf Thurn die Tochter
im Zimmer ein und steckte den Schlüssel zu sich. Und eilig ging er zum
Jagdschlößl.

In außerordentlicher Audienz stimmte Fürstin Sophie zu, daß Graf Thurn
Urlaub nach Italien nehme, die Bitte um Entlassung hingegen lehnte sie
ab, weil kein Grund dazu vorhanden sei. Und leisen Tones fügte sie
hinzu: „Es liegt auch nicht alle Schuld auf der anderen Seite! Mein
Sohn dürfte ebenfalls -- hm -- inkorrekt vorgegangen sein, er wird
seine Strafe schon noch bekommen! Jedenfalls ist Ihre und der Komtesse
Abreise wünschenswert! Der Wagen für morgen früh steht zur Verfügung,
wollen Sie selbst den Kutscher verständigen! Norbert soll das Gepäck
der Komtesse nach dem Forsthause bringen! Gute Reise, lieber Graf!“

„Untertänigsten Dank, Durchlaucht!“

„Nehmen Sie die Sache nicht zu schwer! Trübe Stunden bleiben den
Eltern nie erspart, weder in der Hütte noch in einem Palast! Und die
sorgsamste Erziehung schützt nicht vor dummen Streichen der mündig,
aber nicht reif gewordenen Kinder! Adieu, lieber Graf! Wir bleiben in
Freundschaft die alten!“

Ein Handkuß, dann verließ Thurn mit zusammengepreßten Lippen das
Wohngemach.

Ahnungslos von alledem stand Emil, mit Martina plaudernd, im
Speisesaale, auf Mama und Komtesse Isotta wartend. Und angelegentlich
hatte sich Prinz Emil erkundigt, wo denn eigentlich die gräfliche
Familie Thurn ihren Hauptsitz habe.

Des Umstandes froh, daß der Prinz ein verhältnismäßig harmloses
Thema berührte, gab Martina Auskunft, soviel sie konnte, dahin, daß
die Thurn-Valsassina de Villalta und Spessa von einem Napoleone
della Torre, Signore di Milano abstammen und um die Mitte des 16.
Jahrhunderts Reichsgrafen wurden.

„Also wird Mailand der Wohnort der Familie sein?“ meinte Emil.

„Das kann stimmen!“

Der Eintritt der Fürstin beendigte das Gespräch.

Die Mitteilung Mamas, daß die Thurns am Diner nicht teilnehmen, da der
Graf sehr ermüdet sei, überraschte Emil. Aber er wagte keine Bemerkung.



Dreizehntes Kapitel


Schon zum Frühstück erfuhr Emil von Norbert die Neuigkeit, daß die
Komtesse gar nicht im Jagdschlößl genächtigt habe und mit Papa in aller
Frühe abgereist sei. „Überraschend gekommen, überraschend gegangen!
Schade, so hübsch die Komtesse und so lustig! Was es da nur gegeben
haben mag? Diesmal weiß ich weniger wie nichts!“

Mit einem wahrhaftigen Schafblick guckte Emil den alten Kammerdiener
an, bestürzt, fassungslos.

Norbert war längst gegangen, doch konnte Emil noch immer nicht
begreifen, was diese verblüffende Abreise veranlaßt haben konnte. Wie
auf den Kopf geschlagen fühlte sich der Prinz, denkunfähig, betäubt,
niedergeschmettert. Körperliche und seelische Schmerzen, das bittere
Gefühl eines furchtbaren Verlustes, eine gähnende Leere. Gewichen ein
großes Glück, erstorben jegliche Lebensfreude. Mählich aber reifte
der Entschluß, alles zu wagen, um nach Möglichkeit das mit Isotta
verknüpfte Lebensglück doch noch zu erringen. Wenn nötig, mit Kampf und
Gewalt.

Emil fühlte mit dem Erstarken der Energie, im Zittern um sein
Lebensglück, daß es nun mit jeder Gängelei des verhätschelten
Muttersöhnchens vorbei sein müsse, daß es zugreifen heißt und Krieg
geführt werden muß. Krieg gegen Mama, die zweifellos mitgeholfen,
den Grafen Thurn bestimmt hat, seine Tochter wegzubringen. Krieg
aber auch gegen Papa Thurn, dem Emil von Schwarzenstein die Tochter
Isotta abringen muß. Wo aber die Thurns finden? Die Antwort auf
diese selbstgestellte Frage gab die Erinnerung an die Auskunft des
Hoffräuleins, daß die Thurns aus Mailand stammen, also dort irgendwo
begütert sein werden. Demnach wird man in der Gegend von Mailand nach
Thurns Verwandtschaft und Besitzungen zu suchen haben.

Einmal soweit entschlossen, richtete Emil sein Augenmerk auf die
Hauptsache: Geld zum Kriegführen.

Der Versuch des Prinzen, vom Oberförster Hartlieb aus der Jagdamtskasse
eine Summe zu erhalten, hatte ein klägliches Resultat: gegen Quittung
erhielt Emil den für seine Zwecke lumpigen Betrag von hundert Kronen.

In dieser Not stellte sich der Gedanke an Pater Wilfrid ein. Den
liebenswürdigen Benediktiner als Pumpquelle hatte Emil ja schon einmal
ins Auge genommen, die Ankunft und kurze Anwesenheit Isottas aber die
Ausführung des Pumpversuches vereitelt.

Um jedes Aufsehen zu vermeiden, verzichtete der Prinz auf den Wagen,
wie ein Dieb schlich er davon und eilte nach Admont. Und glücklich traf
er den Pater, Gastmeister und Pfarrer in der Zelle des Stiftes an.

Emil platzte heraus: „Gott sei Dank, daß ich Sie noch rechtzeitig
erwischt habe! Ich muß nämlich in dringendster Angelegenheit verreisen,
-- Ehrensache -- habe aber zuwenig Moneten! Darf Mama nicht behelligen,
ansonsten kommt sie mir zu früh auf gewisse Schliche! In dieser
Verlegenheit muß mir unser lieber Hofpfarrer aushelfen! Ich rufe also
in Not und Verlegenheit: hilf, heiliger Wilfrid!“

Freundlich bot er Emil fünfhundert Kronen an. „Wenn Durchlaucht damit
gedient ist!“

„Oh, sehr angenehm! Hochwürden verpflichten mich zu besonderem
Danke! Meine Situation ist derart mißlich, daß sie mich zwingt, Ihr
liebenswürdiges Angebot anzunehmen wider bessere Einsicht, gegen
Anstand und Sitte! Heillos unangenehme Situation! Verzeihen Sie meine
Ungezogenheit, entschuldigen Sie in Gnaden meine Frechheit! Sie wissen
ja: in der Not frißt der Teufel Fliegen! Der Prinz von Schwarzenstein
auch! Also helfen Sie mir mit den fünfhundert Kronen aus der Not! Ich
muß sie haben! Wegen Zinsen und Rückzahlung...“

„Bitte, jedes weitere Wort ist überflüssig! _Ecco!_“ Damit gab
Wilfrid dem Prinzen die Scheine, die Emil sofort in der Westentasche
verschwinden ließ.

„Vergelt’s Gott vieltausendmal für diese Hilfe in der Not!“ Mit einem
kräftigen Händedruck verabschiedete sich der Prinz vom gefälligen
Priester.

Ohne das geringste Gepäck fuhr Emil mit dem Mittagszuge von Admont nach
Selztal, wo er den Schnellzug nach dem Süden benutzte. Und in Udine
gab er ein Telegramm an Mama auf des Inhaltes, daß er genötigt sei, in
dringender Angelegenheit für einige Zeit zu verreisen.

Die Bestürzung und Angst über Emils Verschwinden wurde durch diese
Depesche beseitigt, nicht aber die Sorge vor bösen Komplikationen. Aus
dem Aufgabeorte Udine konnte die Fürstin unschwer erraten, welcher
Art die dringende Angelegenheit sein werde. Wenngleich nun nicht zu
befürchten stand, daß Graf Thurn, falls ihn Emil findet, je die
Hand zu Dummheiten bieten wird, die Fürstin fühlte sich beunruhigt,
sie bangte um den Sohn, der ohne jede Begleitung, ohne Schutz, ohne
größeres Gepäck und gänzlich mittellos in Italien weilte. Mama sah
in Emil immer noch und nur das Mutterbubi, jetzt hilflos allen
Fährlichkeiten der Welt preisgegeben; daher die Angst, das Entsetzen,
daß dem verhätschelten Liebling, dem so lange gegängelten Herzensbubi
Unheil zustoßen könnte und werde. Daß Emil längst „erwacht“ war,
vergaß die Mutter, sie dachte auch nicht daran, wie sehr sie gewünscht
und ersehnt hatte, es möge der Sohn eine -- stahlharte Energie sich
erringen. Auf Tatkraft und Schneid deutete dieser Sprung in die Welt,
doch dies vermochte die Fürstin nicht zu erkennen. Der Liebling hilflos
im Welschland! Diese entsetzliche Tatsache peinigte die Mutter um so
mehr, als sie außerstande war, dem Sohne Geld zu senden, da seine
Adresse unbekannt war. In diesen Stunden der Angst und Sorge war die
Fürstin bereit, Tausende zu opfern, um nur den Liebling schleunigst
wieder zu erhalten. Sie dachte auch daran, dem Grafen Thurn nach
Mailand Geld für Emil zu senden. Aber der Gedanke wurde verworfen, aus
triftigen Gründen. Reiche Geldmittel würden dem Sohne sicher den Nacken
steifen, „Bubi“ veranlassen, erst recht in Italien zu bleiben und dumme
Streiche zu machen. Viel besser wird es sein, den Jungen zappeln und
mürbe werden zu lassen. Die Not wird ihm die Liebes- und Heiratsmucken
schon austreiben.

Aber der Gedanke, daß Emil Not leiden müsse, vielleicht obdachlos
sei, als Landstreicher aufgegriffen, als Schwindler an die Grenze
abgeschoben und der Polizei übergeben werde, verursachte eine
Aufregung und Angst, die die Fürstin nahezu krank machte. Dazu die
Unmöglichkeit, mit Fräulein von Gussitsch über diesen Streich des
Sohnes zu sprechen. Unmöglich! Trotz des Bedürfnisses, sich die Angst
von der schwer bedrückten Seele zu sprechen. Die Sorgen hinunterwürgen,
totschweigen den neuen Skandal.

In ihrem Jammer ließ die Fürstin tags darauf den Pater Wilfrid zu sich
bitten. Dem Priester vertraute sie ihr Leid an: das Verschwinden des
Sohnes, die Befürchtung, daß Emil versuchen werde, dem Grafen Thurn
die Erlaubnis zur Verlobung mit Komtesse Isotta abzutrotzen oder
abzuschmeicheln. Dabei ließ die Fürstin durchleuchten, daß für einen
Prinzen die Heirat einer Grafentochter als wenig standesgemäß nicht in
Betracht kommen könne. Trotz aller Herzensnot doch Hochmut...

Pater Wilfrid war nicht wenig überrascht von diesen Mitteilungen. Nun
wußte er doch, wozu der Prinz das gepumpte Geld benötigte. Von einer
Ehrensache hatte der Schlingel geflunkert! Von der Tatsache, daß
der Hofpfarrer selbst mit seinem Gelde Emil den Sprung in die Welt
ermöglichte, darf die Fürstin natürlich kein Sterbenswörtchen erfahren.
Dieses Geheimnis muß Wilfrid peinlichst bewahren.

„Helfen Sie mir doch, Hochwürden! Raten Sie mir, was soll ich tun! Die
Situation ist ja gräßlich!“

Wilfrid suchte sich aus der Verlegenheit zu ziehen, indem er vorschlug,
es möge Durchlaucht an den Grafen Thurn nach Mailand oder wo er sonst
Aufenthalt nehmen könnte, die telegraphische Bitte richten, mit der
Tochter rasch eine große Reise, vielleicht über See, anzutreten.
„Ist das Schiff mit Thurn an Bord abgegangen, bevor Prinz Emil die
betreffende Hafenstadt erreichte, so wird er die zwecklose Suche wohl
bald aufgeben und mangels Reisegeld reumütig heimkehren! Meine ich
unmaßgeblichst!“

Sofort ging die Fürstin darauf ein. Sie schrieb drei Depeschen und
bat Pater Wilfrid, diese mitzunehmen und in Admont aufzugeben. „_Col
tempo presto! Subito!_“ Die Fürstin ließ anspannen, den geistlichen
Vertrauensmann zu Wagen nach Admont bringen, um Zeit zu gewinnen. Und
so sehr drängte sie zur Eile, daß Pater Wilfrid selber zappelig wurde.
Unterwegs erst fiel ihm ein, daß die Fürstin völlig vergessen hatte,
ihm Geld zur Zahlung der Telegrammgebühren zu behändigen. Wilfrid pfiff
leise durch die Zähne und dachte sich allerlei über die Mucken des
Hofdienstes...

                                   *

Mit einiger Verspätung war die Kunde vom Verschwinden des Prinzen Emil
auch in das stille Forsthaus, in die Kanzlei Hartliebs, gedrungen,
und zwar durch Frau Gnugesser, die den Oberförster mit der Frage
überraschte, ob er schon wisse, daß der Prinz plötzlich „durchgegangen“
sei. Das jähe Entsetzen ob dieser Schreckensnachricht hatte Ambros ein
einziges Wort abgepreßt: „Allein?“

Auf diese kurze Frage hatte Frau Amanda lachend mit einer Gegenfrage
geantwortet: „Mit wem hätte denn der Prinz durchbrennen sollen?“

Worauf Hartlieb mit flammendem Antlitz fluchtähnlich die Treppe
hinaufgestürmt war, um von seinem Seelenzustande nicht noch mehr zu
verraten. Allein mußte er sein mit seinen Gedanken und Gefühlen, mit
der überquellenden Freude... Fort der Prinz, ohne Begleitung. Demnach
mußte sich Martina hier befinden, also kann es nicht wahr sein, daß
Prinz Emil sich mit dem Hoffräulein verlobt habe. Was die Kammerfrau
Hildegard mitteilte, war nichts als Tratsch.

Und ist Martina frei, dann kann Ambros es wagen, um ihre Hand zu
bitten...! Darf er aber auf die Zustimmung hoffen? Und kann ein
Ehebund geschlossen werden im jetzigen Dienstverhältnisse? Ist die
Stellung des Oberförsters so fest gegründet, daß der Oberbeamte
heiraten kann? Freie Hand in Dienstangelegenheiten hat man ihm wieder
gegeben, den Oberbeamten in seine Rechte eingesetzt. Wie wird sich
jedoch die Zukunft gestalten, wenn infolge der Flucht des Prinzen die
Fürstin das Haller Jagdgut verkauft? Ihr wird der Besitz verleidet
sein! Ein besonderes Interesse an Jagd und Wild ist ohnehin nicht
vorhanden! Überdruß und schlechte Laune können sie sehr leicht und
rasch veranlassen, die Besitzung abzustoßen, wegzugeben selbst mit
bedeutendem Verlust!

Wird ein neuer Eigentümer die Beamten im Dienst übernehmen, dem
Oberförster die Heirat gestatten?

Diese schwer auf die Seele drückenden Fragen machten Ambros kleinlaut,
die Sorge vor der Zukunft nagte, biß die Hoffnungen tot. Nur eines
konnte die Sorge nicht vernichten: das Bewußtsein der Tüchtigkeit des
Beamten im Berufe. Dieses Bewußtsein hielt aufrecht, gab Mut und neue
Hoffnung. Wie eine Erleuchtung kam es über Hartlieb, ein heller und
kluger Gedanke: Tu, wozu das Herz dich antreibt! Übernommen wird der
Oberbeamte sicher, und ist er bereits verheiratet, so braucht er nicht
erst um den Ehekonsens zu bitten!

Optimist, ein Hellseher, ein sonniger Mensch wurde Ambros in dieser
Stunde, zum mindesten hatte er die Sonne froher Hoffnung jetzt in der
Brust. Und dieses Leuchten in der Seele konnten die Nebelschwaden in
Berg und Wald nicht verschleiern, nicht verlöschen.

So entschloß sich denn Hartlieb zum Gang in das Schlößl. Mit
Mustela-Martina wollte er sprechen, um ihre Hand bitten.

Da klopfte es, und der Forstwart Gnugesser schob sein Bäuchlein
in die Kanzlei. Dienstliche Runzeln statt des üblichen Lächelns
der Gutmütigkeit auf der Stirne. Kläglich klangen seine Worte, der
Bericht, daß der Holzhändler mehr als vereinbart geschlägert und die
Plätzzeichen der Grenzbäume herausgehauen habe. Gnugesser wollte
wissen, was er in diesem Falle tun und wie er dienstlich gegen diesen
Betrug vorgehen solle.

Der ernste, pflichttreue Oberförster zeigte sich wohl zum ersten Male
im Dienstesleben ungeduldig, fast ungehalten über die Störung; zappelig
und rasch rief er: „Sofort Anzeige bei der Gendarmerie erstatten!
Beseitigung der Plätzzeichen an Grenzbäumen ist Urkundenfälschung!
Veranlassen Sie das Weitere in eigener Kompetenz! Ich habe keine Zeit!
Adieu!“ Und er stürmte aus der Kanzlei, ehe der überraschte Forstwart
auch nur ein weiteres Wort über die bebuschten Lippen bringen konnte.
Langsam stapfte Beni die Treppe hinunter. Und schwer wälzte er die
Gedanken durch den Kopf, daß Waldbäume Urkunden sein können. Doch
mählich begriff er, was Hartlieb mit dem fremd klingenden Ausspruch
sagen wollte.

Im Jagdschlößl wimmelte alles durcheinander wie in einem Ameisenhaufen;
ein emsiges Packen von Koffern, Handtaschen, Hutschachteln. Weder
Hildegard noch Norbert hatten für den Oberförster Zeit, sosehr
beschäftigt waren sie mit den Vorbereitungen zur Abreise. Nur sehr
flüchtig in wenigen Worten gab der alte Kammerdiener Auskunft, daß
plötzlich der Befehl zur Reise nach Italien erteilt worden sei. Ein
jäher Schreck fiel Hartlieb in das klopfende Herz. Wird Martina die
Gebieterin begleiten? Werden die Damen zurückkehren?

Während Ambros überdachte, wie er sich verhalten solle, wollte die
Hofköchin an ihm vorbeihuschen. Rasch fing er die üppige Restituta ab,
hielt die aufschreiende tugendsame Maid mit eisernem Griffe fest und
bat sie, ihn zum Hoffräulein zu führen, das er dienstlich sprechen
müsse. Zwar blickte Restituta ihn sehr mißtrauisch an, doch der Hinweis
auf den Dienst veranlaßte sie doch, den Förster in das obere Stockwerk
zu führen und ihn bei Fräulein von Gussitsch anzumelden.

Auch Martina war mit dem Kofferpacken beschäftigt; sie guckte sehr
überrascht, als Hartlieb mit fast ängstlicher Miene an der Türe stand
und flehentliche Blicke auf sie richtete.

Vom großen Reisekoffer wegtretend, ging Martina dem Oberförster
entgegen, reichte ihm die Hand und bat Platz zu nehmen. „Womit kann
ich dienen? Wie Sie sehen, sind wir eifrig mit den Vorbereitungen zur
Abreise beschäftigt!“

„Verzeihung, daß ich störe! Aber es muß sein! Ich kann gnädiges
Fräulein nicht abreisen lassen...“ Hartlieb hielt inne und blickte
Martina bittend an.

Erglühend erwiderte sie: „Sie können mich nicht abreisen lassen?
Weshalb? Ich muß aber laut Befehl die Fürstin begleiten!“

„Ja! Sie müssen laut Befehl!“ Wie ein schwaches Echo klangen Hartliebs
Worte, heiser, wehmütig, angsterfüllt. Fahl war sein Gesicht, eine
rührende Bitte lag in seinen Augen.

„Sie haben vermutlich vernommen, daß wir abreisen, und Sie wollen wohl
Abschied nehmen?“

„Ja und nein! Verzeihung, es fällt mir so schwer, zu sprechen! Aber es
muß sein! Die jähe Abreise...! Werden Sie denn hierher zurückkehren?
Und wann? Und was hat denn diese plötzliche Abreise zu bedeuten?“

„Viel Fragen, Herr Oberförster! Und nicht eine einzige kann ich
beantworten!“

„Vielleicht doch die Frage -- nein, ich will nicht fragen, ich weiß ja,
daß es nur ein leeres Gerücht war! Aber unglücklich hat es mich doch
gemacht und schweres Leid gebracht! Bitte, bitte inständig, fahren Sie
nicht nach Italien, wenn -- etwa der Prinz dort unten sein sollte...!“
Ambros brach ab und würgte die anderen Worte hinunter.

Martina erriet, was Hartlieb sagen wollte und nicht aussprechen konnte.
Und für sie bestand nun kein Zweifel mehr, daß Ambros, der liebe,
ernste, eckige Waldmensch, ihr in ehrlicher Liebe zugetan ist. Ihn
darf sie nicht länger leiden lassen, ihm muß sie durch ein kleines
Entgegenkommen die Aussprache erleichtern, sozusagen die Zunge lösen.
Und das rasch, denn die Zeit drängt... Wie aber entgegenkommen, ohne
sich etwas zu vergeben?

Ambros stöhnte: „Der Prinz...!“

„Beruhigen Sie sich, lieber Herr Hartlieb! Es ist nur Strohfeuer
gewesen, ein kleiner Brand, der rasch verlöschte; freilich hatte er
auch mir viel Leid gebracht! Jetzt brennt es gefährlicher, doch dieser
Brand hat uns nichts zu kümmern!“

„Uns?“ Jubelnd wiederholte Ambros dieses Wörtchen. Und nun fand er Mut
und Worte, um zu sagen, daß er Fräulein von Gussitsch längst liebe und
verehre. „Nur die Werbung konnte ich nicht wagen! Die Verhältnisse
sind auch jetzt nicht günstig, aber die bevorstehende Abreise, die
Ungewißheit, ob Sie wieder zurückkommen werden, die Möglichkeit, daß
die Besitzung verkauft wird, die Angst, Sie zu verlieren, all das
zusammen zwingt mich zur innigen Bitte: Erhöre mich, Martina, und
werde in Gnaden meine Frau! Viel kann ich freilich nicht bieten, nur
ein Leben in der Bergeinsamkeit, aber ehrliche Liebe und Treue und
Dankbarkeit! Nimm vorlieb mit dem Wenigen und mit dem verwilderten
Waldmenschen...!“

„Still!“ lispelte hold erglühend Martina und schloß mit dem
Patschhändchen den Mund Hartliebs.

Ambros küßte das Händchen, zog Martina an sich und bettelte wie ein
schüchterner Junge um das Jawort.

Martina aber bot dem geliebten Manne die Lippen zum Verlobungskusse.

Heftiges Klopfen an der Tür schreckte das Paar auseinander. Hildegard
trat ein und meldete, daß Fräulein von Gussitsch sofort zur Fürstin
kommen solle. Grünlich schillerten die Augen der Kammerfrau,
Schlangenblicke trafen Martina und Ambros, ein böses Lächeln umspielte
Hildegards Lippen. Eine böse Bemerkung wagte sie aber doch nicht
auszusprechen.

Um jedoch gehässigen Verdächtigungen schlankweg ein Ende zu machen,
erklärte Martina tapfer, daß sie sich soeben mit Herrn Oberförster
Hartlieb verlobt habe.

„Untertänigsten Glückwunsch!“ lispelte Hildegard mit anzüglichem
Hüsteln. Und in schlecht verhehlter Wut huschte sie aus dem Zimmer.

„Nun aber fort, Geliebter! Hier darf ich dich nicht länger behalten!
Bleib in Nähe des Schlößls, etwa gedeckt am Waldesrand, vielleicht
können wir uns noch sprechen!“

Gehorsam entfernte sich Ambros. Glück und Seligkeit verklärten sein
Antlitz.

Martina trat in das Zimmer der Fürstin. „Durchlaucht haben befohlen...!“

In großer Erregung schritt Sophie auf und ab und hielt zwei Depeschen
in der rechten Hand. Bei jeder Bewegung knisterte das Papier. Schwer
atmend sprach die Fürstin, mühsam nach einem Entschlusse ringend: „Die
Reise werden wir absagen müssen, wir würden ja doch zu spät kommen...!
Sorgen Sie dafür, daß Pater Wilfrid unverzüglich hierherkommt, ich
muß ihn sprechen in dringender Angelegenheit! Fahren Sie, bitte, nach
Admont und bringen Sie mir den Pfarrer, unverzüglich, so rasch als
möglich!“

„Zu Befehl, Durchlaucht!“ sprach Martina und wandte sich zum Gehen.
Und wies den Gedanken zurück, der schmerzerfüllten Gebieterin jetzt
Mitteilungen persönlicher Art zu machen.

Die Fürstin holte tief Atem. „Noch einen Augenblick, liebe Gussitsch!
Sie müssen ja doch wissen, um was es sich handelt! Der Kummer will
nicht enden in meinem Hause! Ein Sorgenkind ist mein Sohn! Erst die
unglückselige Affäre Emils mit -- meiner Hofdame, dann die Flucht,
und jetzt teilt mir mein Sohn mit, daß er sich mit Komtesse Isotta
Thurn gegen den Willen des Vaters verlobt habe! Emil erbittet meine
Zustimmung, Graf Thurn hingegen bittet um sofortige Entlassung! Herr
des Himmels, was soll ich tun in dieser Situation! Es ist mir peinlich,
den Pater Wilfrid belästigen zu müssen, aber ich benötige seinen Rat!
Was denken Sie, liebe Martina, über den schmerzlichen Fall, über Emils
unbegreifliches Verhalten und Vorgehen? Bitte, sagen Sie offen Ihre
ehrliche Meinung!“

Martina zögerte.

Doch die Fürstin bat flehentlich in ihrer Bedrängnis. „Vielleicht,
nein: gewiß findet der Frauensinn, das weibliche Empfinden den
richtigen Weg besser als jeder Mann! Ich bitte Sie, liebe Martina,
herzlich um Bekanntgabe Ihrer Auffassung!“

Nun mußte das Hoffräulein wohl oder übel der Bitte, die einem Befehl
glich, nachkommen. Martina machte aufmerksam, daß es sich nun um eine
ernste Angelegenheit handle, daß eine Verweigerung der erbetenen
Zustimmung den energisch gewordenen Prinzen auf einen Weg drängen
werde, der zu einer gewalttätigen Durchsetzung seines Willens führt.
„Nach meiner allerdings unmaßgeblichen Meinung scheint Prinz Emil fest
entschlossen zu sein, die Komtesse Thurn zu ehelichen, auch gegen den
Willen der Fürstinmutter und des Grafen Thurn! In diesem Entschlusse
liegt die Gefahr einer kompromittierenden Gewalttat! Es zeugt von
Liebe, daß Prinz Emil die Mama um Zustimmung bittet...!“

Ächzend rief die Fürstin: „Die telegraphische Bitte kann aber ebensogut
als eine Nötigung, als ein Ultimatum aufgefaßt werden!“

„Allerdings! Unzweifelhaft ist Prinz Emil zum Äußersten entschlossen!
Er wird seinen Willen unter allen Umständen durchsetzen! Wird die
erbetene Zustimmung verweigert, so gestaltet sich die Situation erst
recht mißlich, der Protest bleibt wirkungslos, ebenso eine etwaige
Androhung der Enterbung!“

„Emil besitzt ja keine Mittel, er kann doch gar nicht heiraten! Und
die Komtesse muß doch so vernünftig sein, zu erkennen, daß diese
unglückselige Heirat einem Sprung ins Dunkle, ins Elend gleichkommt!“

„Verzeihung, Durchlaucht! Ein liebend Weib scheut diesen Sprung nicht,
geht mit dem Geliebten vereint, so es sein muß, auch in den Tod!
Prinz Emil und Komtesse Thurn lieben sich ehrlich und heiß, daher
diese eiserne Entschlossenheit, dieser Mut, gegen alle Hindernisse
anzukämpfen! -- Was die erwähnte momentane Mittellosigkeit anbelangt,
so hat sie nicht viel zu bedeuten; ein Prinz Schwarzenstein wird rasch
Geldgeber finden, Name und Rang verschaffen Kredit! Allerdings wird
Prinz Emil auf diese Weise in Wuchererhände geraten, und die fürstliche
Privatschatulle wird schwere Opfer bringen müssen, um den Prinzen aus
den Wuchererhänden zu befreien! Was aber in der Brust des Prinzen
verbleiben und wie ein Stachel wirken wird, das wird die Verbitterung,
der Trotz, wenn nicht Haß sein! In dieser Erwägung dürfte es sich
empfehlen, allen Komplikationen und Konsequenzen ein Ende zu machen
durch Gewährung der Bitte...!“

„Ich soll also zustimmend antworten?“ Fast tonlos und schwer seufzend
sprach die Fürstin diese Worte.

„Ja, Durchlaucht! Die Liebe der Mutter zum Sohne kann auch dieses Opfer
bringen!“ sprach offen, in erquickender Ehrlichkeit Martina. Und hellen
Tones fügte sie bei: „Was den Entschluß zur Opferdarbringung erschwert,
ist lediglich der Gedanke, daß ein Ultimatum gestellt wurde! Jedes
Ultimatum reizt zum Widerstande, weckt Entrüstung; besonders aufreizend
wird ein Ultimatum dann sein, wenn es vom Kinde gegen die eigene
Mutter gerichtet wird! In diesem Falle muß aber die Mutterliebe größer
sein als die an sich berechtigte Entrüstung! Die Liebe kann alles,
sie überwindet alles! Das Größte, das Heiligste ist die Mutterliebe,
größer, heißer und opferwilliger als die Liebe des Weibes zum Manne,
denn die Mutter liebte den Sohn ja schon von der Stunde an, da sie
ihm das Leben gegeben! Können sich Durchlaucht zu dem großen Opfer
aufraffen, der Lohn wird groß, schön und beseligend sein, denn die
Mutter gewinnt die Liebe des Sohnes wieder, weckt die Dankbarkeit in
der Kinderbrust, gewinnt eine dankbare Tochter dazu!“ Martina hatte
sich warm gesprochen, Tränen liefen ihr über die Wangen.

Die Fürstin schluchzte. In tiefer Bewegung reichte sie dem Hoffräulein
die Hand, und weinend dankte sie für die Anteilnahme, für das
Mitempfinden in schwerer Stunde. Martina küßte die Hand der seelisch
erschütterten Frau.

Und die Fürstin zog das tapfere Mädchen gleich einer Schwester an sich,
legte den Arm um Martinas Nacken und lehnte das tränenfeuchte Antlitz
an die Schulter der in dieser Viertelstunde zur Freundin gewordenen
Hofdame. Und leise sprach die hohe Frau: „Ich habe den Sohn verloren,
durch Sie kann ich ihn wiedererhalten! Drum will ich tun, was Sie
mir raten!“ Langsam, zart und weich löste Sophie die Umarmung. Dann
diktierte sie Martina zwei Depeschen, die Zustimmung zu Emils Verlobung
mit Isotta und die Ablehnung der Bitte Thurns wegen der Demission.

Während des Schreibens war Martina dem Heulen nahe, so mächtig wirkte
das von der Mutterliebe gebrachte Opfer auf die eigene Seele. Dicke
Zähren tropften auf das Papier. Und auch die Fürstin hatte viel an den
Augen zu wischen. Doch ziemlich gefaßt bat sie dann, es möge Martina
nach Admont fahren und die Depeschen als dringend aufgeben.

Martina erhob sich, steckte die Telegramme ein und öffnete den kleinen
Mund, so daß die Marderzähnchen blinkten. Wollte reden und wagte es
nicht...

Gütig und weich fragte Sophie: „Wollen Sie mir noch etwas sagen?“

Jetzt war der wichtige Moment da, es muß gesprochen werden. Tapfer
richtete sich das zierliche hübsche Fräulein auf, trippelte auf die
Fürstin zu, küßte ihr demütig die Hand und bettelte innigen, zu Herzen
gehenden Tones: „Verzeihung, Durchlaucht! Darf mich Herr Hartlieb im
Wagen begleiten?“

Verwundert blickte Sophie auf und sprach: „Wenn Sie es wünschen, warum
denn nicht? Hat denn der Oberförster zu tun in Admont?“

„Einiges zu besprechen hätten wir! Ich muß beichten, Euer Durchlaucht
gestehen, daß wir uns -- verlobt haben! Und so bitte ich denn in
schuldiger Demut und Ehrerbietung um die Erlaubnis...“

Wohl verriet der Blick der Fürstin großes Staunen, eine schmerzliche
Überraschung und Enttäuschung, doch gütig und mild sprach die hohe
Frau: „Möge Ihnen alles irdische Glück beschieden sein, das wünsche ich
Ihnen von Herzen! Wir sprechen noch darüber! Doch jetzt schon bitte ich
Sie, schieben Sie die Trauung noch etwas hinaus, lassen Sie mich nicht
allein! Eine Verschiebung, bis die Kinder hier und getraut sind! Ja,
bitte? Und nun eilen Sie nach Admont der Depeschen wegen! Emil wird
sehnsüchtig auf meine Einwilligung warten!“

„Untertänigsten Dank!“ jubelte Martina, küßte der Gebieterin die Hand
und wirbelte gegen jede Hofetikette davon.

Sophie setzte sich an das Fenster und blickte hinüber zum
nebeldurchzogenen schweigenden Bergwald. Jetzt wußte die einsame Frau,
wer dem Hoffräulein die ergreifenden und hinreißenden Worte in den
Mund gelegt hatte: die Liebe! Wer selbst liebt, kann beredt von Liebe
sprechen! Und viel besser, wärmer und überzeugender als der sonst so
redegewandte Hofpfarrer Pater Wilfrid...

Auf leisen Sohlen kam die Kammerfrau Hildegard, um nach Wünschen zu
fragen. Und Gift spritzen wollte die um eine Lebenshoffnung gebrachte
Witib, hetzen, die Heirat, wenn irgend möglich, hintertreiben.

Kaum merkte die Fürstin, worauf Hildegard zielte, da winkte die
Gebieterin ab und sprach: „Ich weiß davon und wünsche der braven
Gussitsch alles Glück! Du kannst gehen!“



Vierzehntes Kapitel


Seit Tagen schneite es mit geringen Unterbrechungen. Die Fichten rings
um die Villa im Halltal trugen weiße Zipfelmützen und waren in helle
Mäntel gehüllt. Trotz des grau verhängten düsteren Himmels war es licht
ringsum geworden, der Schnee leuchtete in die Zimmer.

Wieder saß Fürstin Sophie am Fenster ihres behaglich erwärmten Boudoirs
und blickte sinnend hinüber zum Bergwald, der still und geduldig
die ins dunkelgrüne Geäst fallende weiße Last entgegennahm und
ergebungsvoll trug. Still und geduldig! Auch die jungen Fichten und
Tannen, die der schwere Schnee drückte, niederbeugte, sie trugen die
Last so gut sie konnten...

Im Anblick der winterlichen Natur kam der einsamen Fürstin das schöne
Gedicht Halms in den Sinn:

  „Sei stark mein Herz! -- Ertrage still
  Der Seele tiefes Leid;
  Denk, daß der Herr es also will,
  Der fesselt und befreit.
  Und traf dich seine Hand auch schwer,
  In Demut nimm es an;
  Er legt auf keine Schulter mehr,
  Als sie ertragen kann.“

Vor dem geistigen Auge zogen die Ereignisse der jüngstverflossenen Zeit
vorüber: die Rückkehr des glückstrahlenden Sohnes, an seiner Seite die
Braut in gedrückter Stimmung, scheu und verschüchtert, sich vor der
Mama des Bräutigams fürchtend. Gedrückt auch Graf Thurn, dem vom alten
ehrlichen Gesicht abzulesen war, wie sehr er litt unter dem Druck der
Schicksalsfügung.

Sophie fühlte noch immer die bangen Minuten, da die Augen von Vater und
Tochter auf sie gerichtet waren, flehend um Gnade und Verzeihung. Und
wie damals klopfte auch jetzt noch das Herz in Erinnerung. Wie schwer
war es doch, das rechte Wort zu finden, die Autorität zu wahren, zu
rügen, ohne weh zu tun, fühlen zu lassen, welch großer Schmerz der
Mutter zugefügt worden war. Ein schwerer Kampf um das rechte Wort
war es, aber das Wort hatte die Mutter nicht gefunden, überhaupt
nichts gesprochen. Den Sohn umarmt und geküßt, nach ihm die Komtesse
verzeihend an die klopfende Brust gezogen. Wodurch ein Tränenwildbach
aus Isottas Augen entfesselt wurde.

Richtig gehandelt mußte die Mama doch haben, denn nie im Leben war sie
so innig geküßt worden...

Dem alten treuen Hausmarschall hatte die Fürstin die Hand gereicht,
auf die Thurn einen Kuß drückte, viel zu lang, vielsagend, in
unaussprechlicher Dankbarkeit.

Damit war das Schwerste, der Empfang der Heimgekehrten, überwunden.

Leben ins Haus brachte der quecksilbrig gewordene Sohn. Welchen Wandel
hatte doch Emil durchgemacht! Erst ein Träumer, schläfrig, geistig
zurückgeblieben zum Jammer der Mutter. Und dann das Erwachen zu einem
impulsiven Menschen. Und was die Mutter ersehnte: stahlharte Energie,
Emil erwarb sie sich; allerdings zu früh und nicht eben auf einem
erwünschten Wege.

Sophie gedachte der Trauung im Haller Kirchlein. Eine sehr schlichte
Feier unter Ausschluß aller Öffentlichkeit. Sehr ergreifend und für
die Fürstin schmerzlich, weil sie den Gedanken an eine Mesalliance
nicht loswerden konnte. Eine Enttäuschung blieb diese Heirat doch. Eine
Bedrückung der Seele. Die Last mußte getragen werden. Und sie wird
weiter getragen in der Hoffnung, daß die Ehe eine glückliche werde.

Viel Enttäuschungen, zuviel! Für Emil war das Haller Jagdgut gekauft
worden... Auf die Schwarzensteinsche Herrschaft in Böhmen will er sich
nach der Hochzeitsreise zurückziehen und seinen Kohl selber bauen. Ein
reines Ökonomiegut, ohne Jagd.

Sophie fragte sich, ob denn sie selbst ein nennenswertes Interesse für
die Jagd entwickelt hatte. Und sie mußte diese Frage rundweg verneinen.
Allerdings gab es auch viele Ablenkung und Hindernisse. Ein Jagdgut,
auf dem das Weidwerk nicht ausgeübt wird, gehört wohl in andere Hände...

Martina kam und meldete sich zum Dienst. Mit roten Backen vom
Spaziergange in frischer Schneeluft, munter und seelenvergnügt bei
allem höfischen Respekt.

Wie welk und alt fühlte sich Sophie beim Anblick Martinas, die seit der
Verlobung vor Glück strahlte... Die Trennung von dem Hoffräulein wird
schwerfallen.

„Was bringen Sie mir?“ fragte die Fürstin müden Tones.

„Gute Nachricht, Durchlaucht! Hartlieb verbürgt für morgen herrliches,
frostklares Wetter und läßt durch mich Durchlaucht inständig bitten,
mit ihm zum Scheiblingstein hinaufzusteigen! Die Gamsbrunft ist im
besten Gange, die Böcke treiben hitzig, es wird eine gute, erfolgreiche
Pirsch geben!“

Lächelnd erwiderte Sophie, indem sie auf Martina zuschritt: „Ei, ei!
Welche Wandlung bei Ihnen! Wenn mich nicht alles täuscht, hatten Sie
früher nicht das geringste Interesse für Hochgebirg und Jagd! Und jetzt
bedienen sie sich sogar der Weidmannssprache!“

Martina senkte das purpurn erglühende Köpfchen und sprach leise:
„Es ist richtig, daß ich geglaubt habe, mich nie mit dem Jagdwesen
befreunden zu können...! Aber die Zeiten ändern sich...“

„Und wir mit ihnen! Bei Fräulein von Gussitsch ist der Wandel sehr
begreiflich; die Braut eines Jagdleiters muß ja dem Berufe des
Bräutigams und Gatten warmes Interesse entgegenbringen!“

„Werden Durchlaucht morgen ins Revier Scheiblingstein hinaufsteigen?
Ich bitte untertänigst um Bescheid, um Hartlieb verständigen zu können!“

„Besondere Lust verspüre ich nicht, glaube auch nicht an den Eintritt
frostklaren Wetters bis morgen!“

In begeisterten Worten empfahl Martina den Aufstieg ins Gamsrevier,
einen wenn auch nur kurzen Aufenthalt in der Höhenwelt mit ihrer
Winterpracht, um die Sorgen zu bannen und frischen Lebensmut
wiederzugewinnen.

„Ei ei! Sie wünschen wohl, mich begleiten zu können? Genauer gesagt:
Martina ersehnt diesen winterlichen Jagdausflug natürlich aus rein
‚jagdlichen‘ Motiven! Gott, wie sie lügen kann und heucheln, die brave
Martina!“ Die Fürstin drohte mit erhobenem Zeigefinger und lächelte.

„Nein, Durchlaucht! Ich will und kann nicht lügen! Also gestehe ich
ehrlich ein: Gams schauen möchte ich, Durchlaucht begleiten, und freuen
würde ich mich von Herzen, wenn die Pirsch und der Aufenthalt hoch oben
Euer Durchlaucht so froh machen könnte, wie -- mir ums Herz so fröhlich
ist!“

„Danke! So froh und lebensfreudig wie die junge Martina kann die alte
Frau nicht werden! Aber die Freude will ich Ihnen machen, will also
Ihren und Hartliebs Wunsch erfüllen! Veranlassen Sie alles Weitere!“

„Untertänigsten Dank! So darf ich also Hartlieb gleich verständigen?“

„Natürlich! Springen Sie hinüber zum Forsthause!“

„Das ist gar nicht nötig, denn Hartlieb erwartet unten den Bescheid!“

Sophie lachte belustigt. „Ist das eine verliebte Bande! Aber zu den
ganz Schlauen gehört meine Martina doch nicht! Würden Sie den Bescheid
ins Forsthaus tragen, so hätten Sie doch Zeit und reichlichen Anlaß zu
einer ‚Aussprache‘ in der Jagdkanzlei!“

„Ich komme ja vom Forsthause, und Hartlieb hat mich zum Schlößl
begleitet! Es ist alles von uns besprochen und abgekartet! Verzeihen
Durchlaucht diese Heimlichkeit und Verschlagenheit!“

„Ei, wie schlau! Und daher die roten Bäcklein! Na, springen Sie
hinunter! Adieu!“

                                   *

Zum Abend kam Graf Thurn von einer kleinen Dienstreise zurück, und vor
dem Diner hatte er eine längere Besprechung mit der Gebieterin.

Die Audienz endete mit einer Einladung zur Gamspirsch, die den
Hausmarschall sehr erfreute, aber auch ernst stimmte.

Einer gewissen Wehmut konnte sich auch die Fürstin nicht erwehren, doch
die hohe Frau überwand sie und sich. „Ein letztes Mal, Graf! Es muß
sein! Und für die Reviere sowie auch für die Beamten wird es besser
sein, wenn...! Genug davon! Sie speisen mit uns, lieber Graf! Wir
wollen uns gegenseitig trösten in unserer Vereinsamung! Und noch eins:
Am Tage der Hochzeit Martinas reisen wir ab und nehmen Winterquartier
in Wien!“

„Zu Befehl, Durchlaucht!“

                                   *

War das eine Pracht oben zwischen Pyrgas und Scheiblingstein, als
die Sonne aufging und ihre rotgoldigen Strahlen die verschneiten
Bergkolosse umwoben und in feurige Lichtbündel hüllten! Die Kämme mit
dem flimmernden Hermelin verwandelten sich in flüssiges Gold, und
darüber wölbte sich der Himmelsdom, prangend im schönsten Azurblau!

Dank des sehr frühen Aufbruches noch vor Morgendämmerung hatte die
Jagdgesellschaft unter Führung Hartliebs die Pyrgas-Hütte, in der ein
Jagdgehilfe die Öfen speiste, erreicht, ehe der Schnee von der Sonne
weich gemacht worden war.

In der Hütte wurde ein Frühstück eingenommen und dabei der Jagdplan
bekanntgegeben. Die Damen führt Hartlieb, den Grafen Thurn der Jäger.

Alsbald wurde aufgebrochen, und zwar in nahezu entgegengesetzter
Richtung. Hartlieb bat um größtmögliche Ruhe und völlige
Schweigsamkeit. Ein liebevoller Blick flatterte zu Martina, die im
Jagddreß allerliebst aussah. Dann war Hartlieb nur noch Führer und
Fachmann. Etwas schwerfällig stapfte die Fürstin hinterdrein in
elegischer Stimmung.

Eine Stunde später standen die Damen mit Hartlieb vor einer ziemlich
breiten Mulde, wo es von Gams wimmelte. Und was für gute Gams! Und viel
Leben!

Trieb hier ein starker Bock einen Rivalen in sausender Fahrt aus
dem Machtbereiche, unweit davon suchte ein anderer Bock ein Rudel
anzupirschen, das ein Kapitaler beherrschte und bewachte. Am
Muldenrande stand ein sehr guter Bock, prüfte den Wind, der aufwärts
strich im Sonnenlichte, und zog die Oberlippe hinauf, wie es alle
Brunftböcke tun, wenn sie sich von der Witterung überzeugen wollen.
Und davon mußte er nicht genügend in den Windfang bekommen haben, denn
er blieb stehen und äugte forschend nach den benachbarten Rudeln. Dann
schüttelte er die dicke schwarze Winterdecke, so daß der stattliche
gereimelte Bart auf dem Rücken hin und her wackelte.

Köstlich war dieser gute Anblick. Martina saß auf einem Felsblock in
größerer Entfernung und schwelgte im Genuß, der sich steigerte, als sie
zwischen den Gemsen etliche Steinhühner gewahrte, die sich ihr Gefieder
putzten und dann so geschäftig zwischen den Gemsen hin und her liefen,
als hätten sie wunder was und enorm viel zu tun. Hoch über der Mulde
kreisten Kolkraben und ließen ihren Ruf ertönen: Krook, krook!

Noch immer stand der Kapitale wannenbreit in einer Distanz von etwa
fünfzig Metern. Hartlieb deutete durch einen Blick an, daß die Fürstin
schießen solle.

Während sich Sophie fertigmachte, scharrte der Bock den Schnee weg.

Der Schuß fiel. Der Kapitale verhoffte, äugte und schien sich über
die Schußrichtung nicht klar zu sein. Aber mit der Ruhe in der Mulde
war es nun vorbei, Geißen und Kitze wurden erregt und begannen zu
pfeifen, und mit einem Male waren nur die Spiegel zu sehen, die ganze
Gesellschaft suchte in gewaltigen Fluchten Schutz in den verschiedenen
Latschendickungen, von denen das Schmelzwasser tropfte. Auch der
Kapitale war mitgegangen in eleganter Flucht; doch der Schwarze
kehrte bald um, zog der Fürstin entgegen und blieb in Nähe eines
Krummholzgestrüppes stehen.

Wieder gab die Fürstin Feuer, die Kugel warf den Kapitalen um,
doch kam er rasch wieder auf die Läufe, blieb aber schwerkrank mit
gekrümmtem Rücken stehen. Aus dem Latschengestrüpp fuhr ein schwarzer
Teufel heraus, und sehr interessiert untersuchte er die Schweißfährte
des Schwerkranken und stieg dann um den Kameraden in Haltung der
Brunftböcke herum, bis der Kranke sich wegschleppte und dann niedertat.

Was sich nun ereignete, empörte die Fürstin und versetzte sie in Wut.

Der gesunde Schwarze stürzte auf den schwerkranken Kameraden und
suchte ihn aufzutreiben. Vergebens, denn es fehlte bereits an Kraft.
Blitzesschnell schlug nun der Gesunde die Krickeln in die Drossel
des Kranken, zerrte und riß ihn nach vorne etwas in die Höhe. Der
Gepeinigte klagte laut, worauf der Gesunde von seinem Opfer abließ.
Doch nur für wenige Augenblicke war Ruhe. Erneut fuhr der Teufel auf
den im Verenden liegenden Kameraden los.

Jetzt feuerte die Fürstin mit ihrem Repetierstutzen mehrmals, Schuß auf
Schuß, zu hoch, zu tief und daneben. Eine Kugel faßte den Teufel aber
doch, links vom Blatt. Ein Sprung in die Höhe, ein rasend schnelles
dreimaliges Drehen im Kreise, dann stürzte der schwarze Bursch und
schlegelte mit den Läufen. Er hatte genug. Die Fürstin aber schrie wie
toll...

Damit endete diese Pirsch. Mit einem gewaltigen Verdrusse, denn die
Fürstin war außer sich wegen der Roheit des Gamsbockes. Und dieser
Verdruß erleichterte später in der Pyrgas-Hütte die Mitteilung an
Hartlieb, daß das Jagdgut unter ziemlichem Verlust, jedoch mit der
Bedingung: Übernahme aller Beamten und Bediensteten in jetziger
Gehalts- und Lohnhöhe seit gestern verkauft sei. Ein Erschrecken, wenn
nicht Entsetzen des Brautpaares hatte Fürstin Sophie erwartet. Das
Verhalten Hartliebs wie Martinas enttäuschte in dieser Beziehung, das
Brautpaar blieb gelassen und nahm die inhaltsschwere Mitteilung ruhig
entgegen.

Hartlieb bat nur, ihm in Gnaden zu sagen, wer der Käufer sei.

„Der frühere Pächter Graf Lichtenberg, zur Zeit Pächter der stiftischen
Jagdgründe im Triebental!“

„Untertänigsten Dank!“ Kein Wort mehr darüber äußerte Hartlieb. Aber
sein an die sehr überraschte Braut gerichteter Blick kündete eine
unaussprechliche Freude.

Martina senkte die Lider, um das Frohlocken über diese Freudenbotschaft
zu verbergen.

Graf Thurn kehrte von der Pirsch zur Hütte zurück, der Jagdgehilfe trug
zwei gute Böcke. Innig dankte der Hausmarschall der Gebieterin für die
Abschußerlaubnis. Und mit wehmütiger Freude nahm er aus den Händen
Hartliebs den grünen Latschenbruch entgegen. War es doch für Thurn der
letzte Jagdgang im Haller Revier gewesen...

Am Abend im Jagdschlößl äußerte die Fürstin dem Grafen Thurn gegenüber
ihr Befremden darüber, daß der Jagdleiter Hartlieb die Mitteilung vom
Verkauf der Herrschaft Hall so überraschend gelassen hingenommen
habe. Keine Spur von Trauer oder Schmerz über diesen doch sehr
einschneidenden Wechsel. Und sie fragte den Hausmarschall, wie diese
befremdende Gleichgültigkeit, der Mangel an jeglicher Anhänglichkeit,
zu erklären sei.

Diese Frage versetzte den alten Hofbeamten in eine nicht geringe
Verlegenheit. Unmöglich war es, die Wahrheit zu sagen, unmöglich darauf
hinzuweisen, daß es für den Jagdbeamten geradezu eine Wonne sei, einem
sachkundigen weidgerechten Jagdherrn zu dienen, noch dazu dem Grafen
Lichtenberg, dem Kenner der Reviere, dem bereits als grundtüchtigen
Jäger wohlbekannten und hochgeschätzten früheren Pächter. Unmöglich
konnte Thurn sagen, daß Hartlieb nach all dem seither im Dienste
Erlebten den Verkauf geradezu als Befreiung aus unerquicklichen
Verhältnissen empfinden und bejubeln muß. Aus der Verlegenheit zog
sich Graf Thurn aalglatt mit der Versicherung, daß der Brautstand des
Paares den Schmerz über den Wechsel, den Kummer über den Verlust der so
gnädigen Gebieterin paralysieren werde. Das Brautpaar habe wohl nur das
bevorstehende Eheglück vor Augen...

Mit dieser diplomatischen Antwort gab sich die Fürstin zufrieden. Eine
leise Verstimmung mochte aber doch zurückgeblieben sein, denn Sophie
gab Befehl zur Übersiedlung nach Wien noch vor der Trauung des Paares.

Als die Fürstin die Bestürzung Martinas gewahrte, siegte die
Herzensgüte aber doch über die Verstimmung und ließ die hohe Frau
sprechen: „Sie sollen nicht obdachlos werden, liebe Martina, ehe Sie
den Schutz des Gatten erhalten! Ich nehme Sie mit nach Wien, denn ich
benötige die Hofdame dringend zur Auswahl der Hochzeitsgeschenke! Zur
Trauung fahren Sie dann nach Hall! Ist’s recht so?“

In aufquellender Dankbarkeit küßte Martina der herzensguten Fürstin die
Hand.

Als Hartlieb diese Neuigkeit erfuhr, machte er zwar einen langen Hals
und guckte verdutzt, aber er fügte sich sogleich der Anordnung und in
die kurze Trennung von der Braut.

In aller Stille verließ die Fürstin mit Gefolge das Jagdgut...

An einem frostklaren Wintermorgen mit glitzernder Pracht vereinigte in
der kleinen Haller Kirche Pater Wilfrid das schöne, glückstrahlende
Paar. Und der Trauung wohnte als Brautführer der neue alte Jagdherr
Graf Lichtenberg bei, der in seinem Äußern und in der Steierertracht
eher einem Jagdgehilfen gleich sah. Aber verflucht jaagerisch sah er
aus, auf den ersten Blick erkennbar als echter Weidmann. Und was der
Jagdherr nach beendigtem Gottesdienste zur kleinen Festgesellschaft
sprach, klang kurz, schneidig und jaagerisch und kündete den Beginn
einer neuen Ära: „Die Hauptsache in einem geordneten Jagdbetrieb ist
die Pünktlichkeit! Auch zur Schonzeit und für eine Jagdleitersfrau!
Jetzt ist es zehni, Punkt zwölf Uhr erscheinen das Brautpaar und alle
Festgäste inklusive Pfarrer und Jaagerei in der Villa zum Essen! Alle
sind meine Gäste! Daß mir keiner wegbleibt! Inzwischen kann jeder tun,
was er mag, nur nicht ins Wirtshaus gehen und vorher essen und trinken;
ich hab Sach genug im Haus! Und jetzt schauts, daß aussi kummts beim
Loch! Auf Wiedersehen!“ Graf Lichtenberg nickte freundlich, ging aus
der Sakristei, bestieg den Schlitten und fuhr in das verschneite,
sonnenverklärte Halltal.

Die Hochrufe der freudig überraschten Jägerei klangen ihm nach. Als
das Brautpaar am Forsthause vorfuhr, gab es ein großes Geguck, denn
zwölf stämmige Treiberburschen und mehrere Leiterwagen harrten der
Neuvermählten und begrüßten das Paar jauchzend und jodelnd.

Hartlieb fragte erstaunt, was denn das bedeuten solle.

Und die Antwort lautete: die Leute hätten Befehl, den Umzug des
Oberförsters in die neue Wohnung durchzuführen, die Möbel in das
Jagdschlößl zu bringen, wo das Paar von nun an wohnen werde.

Ein Jubelruf Martinas ertönte.

Ambros hielt alles für einen Scherz des neuen Gebieters. Aber es war
ernst gemeint, eine Hochzeitsüberraschung, allerdings sehr drolliger
Art, denn nun hieß es in aller Eile packen, um den Termin zum Diner
einzuhalten. „Gottlob hab ich nicht viel im Eigentum!“ meinte lachend
Hartlieb, als er seine Habseligkeiten in die paar Kisten stopfte. Die
Kanzlei hatt je im Forsthause zu verbleiben. Kurz vor zwölf Uhr fuhren
Hartliebs an dem Schlößl vor, empfangen von Exzellenz, die sich vor
Lachen krümmte über das Gelingen der aparten Überraschung. Galant half
Graf Lichtenberg der jungen Frau aus dem Schlitten. Und Martinas Arm
nehmend, geleitete er die Braut in die Wohnräume Hartliebs im Parterre.
Beim Anblick des neuen behaglichen Mobiliars, alles niegelnagelneu und
ebenso komfortabel wie praktisch, schrie Martina vor Wonne.

Und Hartlieb in seiner Überraschung stotterte: „Aber, Exzellenz! Soviel
Gnade verdiene ich ja nicht!“

„Still! Was Sie verdienen oder nicht, das zu beurteilen ist meine
Sache! Während wir hochzeitlich speisen, bringen die Treibervölker die
sieben Zwetschgen des verflossenen Junggesellen! Später kann sich das
Brautpaar mit Auspacken und Einräumen die Zeit vertreiben; das zu viele
Balzen taugt nix! Frau Hartlieb kann sich überzeugen, daß alles da ist:
Wäsche aller Art in den Kästen, Geschirr in der Küche, auch die Betten
sind nicht vergessen worden, zwei Betten natürlich! Gehen wir essen!“

„Einen Augenblick, Exzellenz!“ rief glückstrahlend Martina, trippelte
in die neue Wohnung und öffnete die Türe des Wäscheschrankes und
jubelte, als sie die reiche Ausstattung sah.

Vergnügt zwirbelte Graf Lichtenberg den grauen Bart. Und nun
flatterte Martina auf ihn zu und rief lachend und vor Freude weinend
zugleich: „Dank, tausend Dank von ganzem Herzen! Ich muß Exzellenz
ein Dankesbusserl geben, ich kann nicht anders! Der Ambros erlaubt es
schon!“ Und schwupp hing Martina am Halse des Jagdherrn und küßte ihn.

„Danke! Ist nicht ohne, so ’ne Balz! Fühle mich reich belohnt für die
kleine Überraschung! Nun aber -- Pünktlichkeit! Marsch fort, hinauf zu
Tisch!“

Hartlieb wollte danken.

„Still! Hinauf! Immer Pünktlichkeit, auch beim Essen!“

Als die Sonne schied, fuhr Graf Lichtenberg nach Admont. Sehr vergnügt
darüber, sein Teil beigetragen zu haben, zwei Menschen sehr überrascht
und glückselig gemacht zu haben.

Das Hoffräulein verwandelte sich in eine richtige Jägersfrau und liebte
den tüchtigen Gatten und hing mit ganzer Seele an der herrlichen
Bergwelt von Admont.


Ende



Paetels Roman-Reihe


Zum gleichen Preise und in gleicher Ausstattung sind erschienen:

    1. Arthur Achleitner          Das Schloß im Moor. Roman
    2. Arthur Achleitner          Der Stier von Salzburg. Roman
    3. Arthur Achleitner          Unter den Hohen Tauern. Roman
    24. Arthur Achleitner         Die Rose vom Chiemsee. Roman
    25. Arthur Achleitner         In den Bergen da lauert der
                                    Wildschütz. Roman
    26. Arthur Achleitner         Spiel mit der Liebe. Roman
    42. A. E. Brachvogel          Friedemann Bach. Roman
    23. E. Brontë                 Der Sturmheidehof. Roman
     4. Paul Burg                 Freudvoll und leidvoll. Roman
     5. Paul Burg                 Meine Christel. Roman
     6. Paul Burg                 Christels Ehe. Roman
     7. Paul Burg                 Der schöne alte Herr. Roman
     9. Paul Burg                 Der Mollwitzer Schimmel. Roman
    31. A. Dumas-Sohn             Die Dame mit den Kamelien. Roman
    32. A. Dumas-Sohn             Die Dame mit den Perlen. Roman
    10. Otto E. Ehlers            Indische Reisebilder
    11. Paul Oskar Höcker         Die Sonne von St. Moritz. Roman
    12. Paul Oskar Höcker         Dodi. Roman
    13. Paul Oskar Höcker         Verbotene Frucht. Roman
    14. Paul Oskar Höcker         Das flammende Kätchen. Roman
    15. Paul Oskar Höcker         Fasching. Roman
    35. Victor Hugo               „1793“. Roman
    17. Hermann Löns              Was da kreucht und fleugt. 20 Tier-
                                    und Jagdgeschichten
    22. Henriette von Meerheimb   Die verlorene Krone. Roman
    19. Rudolph Stratz            Die Hand der Fatme. Roman
    20. Rudolph Stratz            Zum weißen Lamm. Roman
    21. Rudolph Stratz            Liebe um Barbara. Roman
    18. Adolf Streckfuß           Der Oberförster von Margrabowo. Roman
    45. Luise Westkirch           Der Todfeind. Kriminalroman
    39. Fedor von Zobeltitz       Das Glück der Eva Sporrschild. Roman


In jeder guten Buchhandlung vorrätig!


Gebrüder Paetel Verlag / Berlin



Von

Hans Hoffmann

erschienen in unserem Verlage:


Landsturm

Roman


Der eiserne Rittmeister

Roman


Wider den Kurfürsten

Roman


Geschichten aus Hinterpommern

Vier Novellen


Der Hexenprediger und andere Novellen


Tante Fritzchen

Skizzen


Von Frühling zu Frühling

Bilder und Skizzen


Das Gymnasium zu Stolpenburg

Novelle


Verlag von Gebrüder Paetel / Berlin





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Unter den Hohen Tauern: Ein Roman aus der Steiermark" ***

Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.



Home