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Title: Die irdische Unsterblichkeit
Author: Jansen, Werner
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Die irdische Unsterblichkeit" ***


    Anmerkungen zur Transkription


    Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter oder
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    gesetzter Text ist ~so markiert~.

    Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
    Buches.



Die irdische Unsterblichkeit



In meinem Verlage erschien ferner von Werner Jansen


Das Buch Treue, Nibelungenroman / Das Buch Liebe, Gudrunroman / Das
Buch Leidenschaft, Amelungenroman / Heinrich der Löwe, Roman / Herr
Reineke Fuchs, Prosasatire / Leben, Lieben, Wandern, Roman eines
fahrenden Gesellen nach einer alten Handschrift von Emma Schumacher.
Die Bücher deines Volkes, Bd. 1: Die Märchen, Bd. 2: Die Volksbücher,
Bd. 3: Die Volkssagen


Von Hertha Podlich wurden mit der Hand geschrieben:

Der Heiland / Gottes deutscher Garten / Die frischen Kränze, Bd. 1:
Storm-Gedichte, Bd. 2: Mörike-Gedichte, Bd. 3: Eichendorff-Gedichte,
Bd. 4: Keller-Gedichte



    Die irdische Unsterblichkeit

    Roman

    von

    Werner Jansen

    1. bis 75. Tausend

    1924

    Georg Westermann, Braunschweig



Alle Rechte vorbehalten

        ~Copyright 1924 by Georg Westermann,
        Braunschweig~


        Gedruckt bei Georg Westermann in Braunschweig
        ~Printed in Germany~



Erstes Buch


Das Leben beginnt nicht, wenn einer die Welt beschreit. Umgekehrt, wenn
die Welt auf jemand einbrüllt, dann fängt das Leben an. An dreißig
Jahre war ich und erfüllte den Platz, auf dem ich stand, mit Toben
und Lärmen, aber von mir und anderen wußte ich nichts. Plötzlich
erwachte ich in der Dämmerung, vom Tau wie von Tränen gebadet, in einer
wüsten Schlucht nahe der Grenze meines Landes; wachte auf in einer
Stille ohnegleichen, denn die Vögel schliefen noch, aber Gottes große
Stimme donnerte gleichwohl in meine Ohren. Die Augen brannten mir von
ungekanntem Schmerz, ich barg das Gesicht ins nasse Moos, Wams und
Hemd riß ich offen und drängte die Brust der Erde auf -- die Flammen
in meinem Herzen erstickten nicht. Mein Blut war umgewandelt, aus dem
Strom wuchsen tausend Tropfen, und jeder Tropfen peinigte mich auf
seine besondere Art.

Ausgestoßen, verdammt, verloren hier und dort -- qualvoll, langsam wie
Todesstunden kamen die Erinnerungen zurückgeglitten: Schlaf, Sturz,
ein rasendes Reiten, Blässe und Blut. Trocken lag mir die Zunge im
Gaumen, das Haar, von Schweiß und Schmutz verklebt, lähmte mir die
Stirn wie eine Eisenklammer.

Das kleine Leben unter mir brachte mich zu mir, aus den verschwollenen
Lidern betrachtete ich mit stumpfer Ruhe die schwarzen Käferchen, die
ernsthaft und eilig unter meinem Antlitz ungeheure Wege eroberten
und ein zielsicheres Wesen hatten, wie Diener eines Staates. Aber
das dürftige Spiel hielt meine Kümmernis nicht lange gefangen,
wütend griff ich in das Getriebe, aus nackter Lust an fremdem Leid,
bis ein halblautes Wort mir den Atem aus der Brust stieß und mich
emporschnellte, als bebte die Erde unter mir. Mit jähen Knien wandte
ich mich.

»Kain!« erscholl die Luft abermals.

Rote Flammen loderten vor mir, Rauch stieg auf, Augen sprühten auf
mich -- Hölle, Teufel, Gottes Gericht einen hämmernden Herzschlag lang
-- dann versank alles bis auf ein Reisigfeuer im morgendlichen Wald,
das ein Mönch mit seinem Wanderstabe fachte und versorgte. Das war
kein Klosterfriede. Aus gebranntem Gesicht starrte ein ellenlanger
Rotbart, die riesigen Schenkel umklammerten den Stumpf, darauf er saß,
als bedrängten sie ein Pferd. Er stand auf und war ein Mann von meinen
eigenen ungewöhnlichen Maßen; kühl, fragend und wissend zugleich lagen
seine Blicke auf mir. Ich herrschte ihn an und fühlte, wie mein Mund
stammelte und zagte:

»Wer bist du? Was schaffst du hier?«

Seine Brauen zuckten leise spottend.

»Ihr seht es: ein Diener Gottes. Was ich schaffe? Feuer zünden, Pferde
einfangen, der Hoheit einen guten Morgen wünschen.«

»Du kennst mich?« Ich fühlte das Blut aus meinen Lippen weichen. Gleich
einem Traumbild sah ich zwischen den Buchenstämmen meinen Braunen
friedlich grasen.

Wieder flog jenem der Spott über die Stirn.

»Ich sah die Hoheit vor Jahren am Hofe Heinrichs des Normannen -- Ihr
wußtet trefflich mit der Lanze umzugehen. Ich selbst, ein Mönch aus
Irland, wallfahrte nach dem heiligen Grabe. Wenn die Hoheit einen
Zehrpfennig hätte, ich würde für das Seelenheil --«

Die Stimme versank im Barte; mir schien, als wieherte ein Kobold aus
einem Bronnen. Das Heil meiner Seele war verwirkt, kein Bettelmönch,
kein Papst konnte mich retten. Verloren hier und dort --

Möglich, daß mir die Worte über die Lippen kamen, möglich, daß der
seltsame Mensch in meinem Herzen las. Genug:

»Ihr gebt Euch auf, Hoheit? Tröstet Euch, Gott gibt niemanden auf. Was
belastet Euch? Ihr blutet -- oder --?«

Meine entsetzten Augen tasteten auf meinem Gewand; Hemd und Rock waren
dunkel betropft, meine Rechte braun von totem Blute. Aufschreiend brach
ich in die Knie, ich vergaß die Welt um mich und weinte wie ein Kind
auf die mütterliche Erde. Die Tränen erlösten mich allmählich, das
Leid sank tiefer und verborgener in das Herz. Hier war ein Geweihter
des Herrn, er mußte mich anhören, ich brauchte einen Menschen, meinen
Greuel mitzutragen. Ich sprang auf und zerrte ihn an der Kutte zu dem
verlassenen Baumstumpf.

»Sitz nieder und höre,« sagte ich, »ich will dir beichten, Mönch!«

»Sprecht!« erwiderte er einfach und stieß einen Ast in die Flammen.
»Jedoch, Hoheit, zuerst entlastet mein eigenes Gemüt!«

Er zog ein Rehböcklein unterm Laub hervor und warf es vor meine Füße,
lachend:

»Jagdfrevel, Hoheit; verzeiht Ihr das?«

Ärgerlich winkte ich ihm Schweigen. Was wog solch ein Raub vor meiner
eigenen Tat! Aber: wie jählings strafte ich sonst derlei! Nie mehr
würde ich über andere zu Gericht sitzen.

»Mönch, ich habe mein Weib erschlagen.«

Dies sprach ich, dann versagte mir die Kehle, und ich rang nach Luft.
Der andere hatte sein Gesicht in der Kutte verborgen und rührte sich
nicht.

»Im Zorn,« stammelte ich, mich selbst verachtend.

»So war sie eine Dirne und beschimpfte Euch mit einem leichtfertigen
Leben?« fragte der Mönch leise.

Ich schrie:

»Nein! Nein! Blüte der Unschuld, Schönheit, Tugend -- ich war ein Narr,
ein Schurke!«

»Halt, Herr, verleiht Eurer Schuld nicht so große Worte; das mildert
sie nicht. Könnt Ihr, so erzählt, wie es kam.«

Mit seiner tiefen, irgendwie verwandten Stimme zwang er mich zur Ruhe,
ich starrte auf das Feuer und sprach betrachtender:

»Von meinem Vater hab ich einen Überschuß an Kraft geerbt; mein
leichtsinniges Herz verschwendete das in Sausen, Prassen und
Schlimmerem. Keine Dirne war vor mir sicher. Gott und Könige vertrauten
meinem Geschlecht ein Herzogtum -- ich habe Land und Volk an den
Abgrund gebracht; sie heißen mich den Teufel und schrecken die Kinder
mit meinem Namen. Einmal, vor Jahresfrist, glaubte ich an ein besseres
Sein, bei meiner Heirat mit Aleit von Montgerrat. Hast du die Herzogin
je gesehen?«

Das verhüllte Haupt senkte sich bejahend.

»So brauche ich nichts von ihr zu sagen. Sie war lieblich und rein
wie Gottes Engel. Genug, ich nahm nach vier raschen Wochen mein
altes Leben wieder auf, in meinen Schlössern hausten die Schlemmer
und Dirnen, das Volk mußte zahlen, die Herzogin ward vergessen; denn
zu den Gelagen erschien sie nie. Bis auf gestern. Mein eigenes Haus
hatte ich wenigstens vor dem Schlimmsten reingehalten; gestern brach
ich, von Jagd und Trunk erhitzt, mit Mann und Meute in meine Halle
zu Claraforte und besudelte den Boden, den ihr Fuß entsühnt hatte.
Höhnische Reden meines Gefolges stachelten mich, die Herzogin an
unseren Höllentisch zu holen. Ich trug sie, die lautlos weinte, auf
den Armen in den Saal, sie saß, sie sah mit erschreckten Kinderblicken
das halbnackte Dirnenpack, loderte, stand auf und wies mit dem Finger
gebieterisch zur Tür -- da fegte ich sie mit der Hand von ihrem Platz,
ihre Stirn schlug an einem Pfeiler auf, sie brach zusammen und starb.«

»Strecke deine Hand aus!« befahl der Mönch, und ich tat es willenlos:
das Feuer beleuchtete eine rohe, große, gewalttätige Faust. Der
Priester schlug die Kutte zurück und starrte mich haßerfüllt an. Heiser
kam es ihm aus dem Munde:

»Mit dieser Klaue hast du den lichten Engel erschlagen« -- er griff an
seine Brust, als erdrücke er ein zorniges Herz, leiser fuhr er fort:
»Mit dieser Hand wirst du Sühne tun, Herzog Robert!«

»Mein Herzogtum liegt hinter mir,« entgegnete ich ihm, »ich stürzte den
Tisch und verjagte den Schwarm. Ich sprengte in die Nacht und entfloh
meiner Tat; das Weitere weißt du besser als ich. Ich verlasse Land
und Volk, mögen sich Frankreich und England darin teilen, da niemand
meines Blutes lebt. Ich will büßen; du wanderst zum heiligen Grab --
nimm mich mit! Es ist mir weniger um das Gebet zu tun, aber die Heiden
haben einen neuen Sultan, der Jerusalem bedroht. Vielleicht erlaubt mir
Gott die Sühne in der Schlacht.«

»Das nennst du Sühne?« fragte der Mönch zwischen den Zähnen. Es
arbeitete in der gewaltigen Brust, plötzlich sprang er auf und trat
groß und mächtig vor mich hin. Er glich Zug um Zug einem Antlitz, das
ich kannte; nur schien sein Gesicht älter und trauriger als das meiner
Erinnerung, das war immer voll wilder Fröhlichkeit und Jugend, trotz
grauer Locken; und dieses Haupt vor mir war blond wie ich. Jäh überfiel
es mich: diese Augen waren die meines Vaters.

Er las mir die Gedanken von der Stirn, sein Mund verzog sich zu dem
Hauch eines Lächelns; stumm nickte er mir zu.

»Du läufst davon, Robert, aus Angst vor dir selber, vielleicht auch
vor den Montgerrats und ihren königlichen Verwandten; du läufst davon,
Herzog, und vergißt die Pflicht gegen dein Geschlecht. Die Rechte, die
du von deinen Ahnen erbtest, hast du vergeudend genutzt, die Pflichten
trittst du in den Staub.«

»Hast recht, Mönch,« sagte ich ruhig, »aber ich bin nicht wert, fürder
ein Volk zu führen; ich kann nicht einmal mir selbst befehlen, wie
sollte ichs anderen! Unser Blut ist eben müd und mürb geworden, die
Wählinger sind reif zum Untergang --«

»Narr!« schrie der Mönch und schlug mir die Hand auf die Achsel.
»Fahr zur Hölle, wenn du müde bist! _Mein_ Wählingerblut ist _nicht_
verfault, und hältst du das Land nicht, Feigling so krieche in meine
Kutte, indes ich dein besudeltes Seidenwams zu Ehren bringe.«

Ich erstaunte kaum über diese Reden, zu tief saß der Verzicht auf das
Irdische in meiner Seele. Gleichmütig versetzte ich:

»Du willst ein Wählinger sein? Laß hören!«

»Ich zeig es dir besser, Bruder Robert,« stieß jener hervor, und die
schweren Schultern schütterten vor Erregung, »warte ein Weilchen! Dein
Vater hat mich wie dich gezeugt; dich in Claraforte im Bett einer
Königstochter, mich in einer Sommernacht dieser Wälder mit einem Kind
unseres Volkes. Du hast den Thron geerbt, ich das Elend, aber wir
sind gleichen Blutes. Verziehe hier, Robert, ich bitte dich, nur einen
kurzen Augenblick, nur eine kleine Messe lang!«

Er drückte mir die Hand, daß sie schmerzte, griff sein Bündel und
lief davon. Mit schlagendem Herzen blieb ich zurück, gerührt von der
heißen Leidenschaft, mit der er bat, und nun doch aus meiner Betäubung
aufgescheucht und von Geheimnissen geweckt.

Wählinger Blut! Der Vater, die Ahnen, ich selbst -- ach, wie hatten
wir das Blut der Herzöge ins Volk getragen! Und doch war jener fremde
-- Bruder das erste jener Geschöpfe, das ich bewußt erblickte. Mir
grauste bei dem Gedanken, ohne Wissen vielleicht eine Schwester, eine
Tochter meines Vaters, je in den Armen gehalten, eine alte Schuld zum
Verbrechen gesteigert zu haben -- mir graute vor dem Wählingerlande --
fort, nur fort von dem doppelt geschändeten, doppelt verdammten Boden,
hin in eine Ferne ohnegleichen, wo niemand von mir und meiner Schmach
wußte!

»Robert!« klang es leise; der Mönch war lautlos hinter mich getreten,
ich wandte den Kopf und starrte ihn offenen Mundes an: da stand ich
selber, wie kein Spiegel mich besser schildern konnte, bleichen
Gesichts, aber Zug um Zug ich selbst. Der wilde Bart war verschwunden,
das Haar gebändigt, die Mienen innerlicher, edler. Ich stotterte
verwirrt, beschämt, mit unklarem Dankgefühl gegen das Geschick:

»Bruder, wie nennst du dich?«

Ein Leuchten glitt über seine lauteren Augen, als ich mich so neben ihn
stellte; er zog mich zu sich auf den Boden.

»Ronald heiße ich, Blut von deinem Blut. Robert, mir brennt das
Wählinger Geschlecht im Herzen, du darfst das Land nicht verlassen,
mich hat Gott in deinen Weg geführt,« flüsterte er; sein heißer Atem
streifte sengend meine Stirn.

»Was ist Geschlecht?« murmelte ich haltlos, von einem verlorenen
Gedanken fortgetrieben.

Und er, fast zornig:

»Steh einmal draußen, und du wirst es wissen! Sage, Robert, sage zum
letztenmal, bist du wahrhaft willens, außer Landes zu gehen?«

»Was fragst du noch? Ich lasse nichts zurück.« Ich seufzte bitter auf,
mit den Füßen stieß ich in das sterbende Feuer, daß die Funken flogen.

Rötliche Morgenlichter spielten durch die Stämme, der Wald begann zu
leben. Ein Wind lief schmal und kühl vor der Sonne her, die jungen
Blätter rauschten.

»Höre zu, Robert« -- seine fiebernde Hand krampfte sich über meine
Linke -- »gib mir dein Land! Es bleibt dann beim Wählinger Blute.«

Dies machte mich lachen.

»Ronald, wer sollte dich, den Bastard, anerkennen? Du treibst Scherz,
Bruder. Schlüpf aus deiner Kutte und fahr mit mir in die Fremde.
Sieh, wir haben Fäuste und Arme wie Eisen, mit dem Schwert in den
Händen werden wir treffliche Streiter Gottes. Quäle dich nicht mit
Unmöglichem; denk, ich verzichte trotz des gewohnten Genusses, du aber
hast nichts zu vergessen, weil du nie besessen hast.«

Ronald geriet in wachsende Erregung.

»Ich nicht besessen? Ist das Besitz, das bißchen Hof und Haus, das
bißchen Volk und Fron? Hier sitzt mein Erbe, hier im Herzen, das
Wählinger Blut! Das Blut, Robert, das herrschen will, um dienen zu
können.«

So unwirklich erschien mir das Ziel, darauf er lossteuerte, daß
ich nichts Ernsthaftes erwidern konnte, ohne ihn zu verletzen. Ich
verschanzte meine Verlegenheit hinter leeren Worten, obzwar ich von
fern fühlte, dieser Mensch war rechtlos vor den Menschen, aber nicht
vor Gott.

»Diene,« scherzte ich oberflächlich, »und eines Tags sitzt du im Purpur
des Kardinals, ja unter der Tiara, und das ist ein weiteres Feld für
deine Herrschersorgen --«

Er fuhr mit dem gestreckten Arm durch meine Worte, in seinen Mienen
kämpften Verachtung und Zorn. Ich bewunderte ihn mit einem inwendigen
Lächeln, indem ich mich dabei ertappte, mein eigenes Bild zu bestaunen
-- ach, mein eigen Bild ohne die Spuren des wüsten Lebens, ohne die
Gedunsenheit des Weins, ohne die Gier der Laster. Jedoch nicht einmal
zu einem herzhaften Neid schwang sich meine ermattete Seele auf.

Er grollte:

»Fürst dieser Kirche? Nein! -- Ich will ein Volk, keine Völker! Diese
Erde will ich, nicht den Himmel. Nur was diese Hände halten können,
mehr begehr ich nicht, nur die Heimat, nur das Land meiner Ahnen --«

Betreten, voller Scham, senkte ich die Lider. Für einen flüchtigen
Augenblick wogte auch in meinem Herzen das Blut meines Stammes, das
in jenen Adern so stark und feurig rann; dann zerstob die Begeisterung
wie Schaum. Wäre ich je in meinem Verzicht wankend geworden, diese
Begegnung hätte mich gestützt, denn ich fühlte, Land und Volk verloren
nichts an mir, ich war ein Rohr im Wind. Säße jener an meiner Statt --
bestürzt schaute ich auf und begegnete seinen Augen, die wie Falken auf
meine Seele stießen und kein Geheimnis kannten.

Ein Spiel Gottes, ja, ein Spiel Gottes, und das Unmögliche ward Tat.
Wortlos riß ich die Kleider von meinem Leibe, alles, Schuhe und Hemd;
warfs ihm vor die Füße:

»Da liegt dein Herzogtum, wenn du Mut hast, Brüderchen!«

Eine unbändige Lust ergriff mich nackten Mann plötzlich, eine Erlösung
aus Nacht und Tod. Ich weitete die Arme und riß ihn, der ohne Regung
schien, an meine Brust und küßte ihn.

»Bruder, wags! Keiner wird dessen gewahr, dafür bürg ich; Gott selbst,
am Auferstehungstag, wird seine Mühe haben.«

Langsam lösten sich seine starren Züge, er leuchtete beschenkt,
beglückt und erwiderte scheu und flüchtig meinen Kuß. Aber seine
Freude schien nicht sonder Kummer, seine Selbstsicherheit schwankte
angesichts der Entscheidung, die Schultern beugten sich unter
unsichtbaren Lasten. Er entledigte sich des wenigen Tuches, zog das
grobe Leinenhemd über den Kopf und knüpfte eine Münze vom Halse. Dann
verglich er unsere Leiber aufmerksam; auch mich ergriff eine harmlose
Neugier, aber ich entdeckte keinerlei Verschiedenheit; nur daß er ein
wenig kleiner schien, doch mein Körper hatte sich im Schlaf gestreckt,
indes er wachte. Er deutete fragend auf ein braunes dreigespaltenes Mal
unter meinem Herzen.

»Ein Zeichen unseres Geschlechts,« sagte ich gedankenlos; er senkte die
Lider und errötete unruhig und gequält. Ich begriff ihn nicht sogleich,
dann lachte ich auf und erklärte:

»Von den Trebilons, von der Mutterseite hab ichs -- der Vater konnte
dir das nicht auch noch mit auf den Weg geben. Des achtet keiner.«

Er schüttelte nachdenklich den Kopf und fuhr in meine Kleider, indes
ich zwischen Befriedigung und Schmerz mich einklosterte, und als er in
dem schmucken Wams dastand, waren ihm Unruhe und Schwere verflogen,
seine Augen schauten fest und sicher, um seine Lippen spielte ein
siegbewußtes Lächeln.

»Namenloses Brüderchen,« hob er an, »von heut ab in Ewigkeit heißt du
Ronald vom Kloster des Heiligen --«

»Bruder,« unterbrach ich ihn, »du glaubst doch nicht, daß ich in dieser
Kutte dauernd bleibe?«

»Warum nicht? -- Komm her, hilf mir das Böcklein braten, wir haben uns
viel zu erzählen.«

Ich fachte das Feuer wieder an, er weidete mit geübten Schnitten das
Wild aus, spießte den Rücken an seinen Stab, und wir drehten ihn über
den Flammen, darob der Himmel licht und blau den hellen Morgen kündete.
Die eintönige Beschäftigung tat unseren verwirrten Herzen wohl, die
Fülle der letzten Stunden war reicher als all unser verflossenes Leben
gewesen; wir schwiegen und ließen den tollen Wirbel in uns ermatten.
Mählich forderte der Leib sein Recht, wir waren hungrig und durstig.
Der Bastardherzog wies mir eine Quelle und gab mir auf, in seinem
Becher Wasser zu holen. Leicht wie eine Bitte kam ihm der Befehl von
den Lippen, der mich doch inwendig traf und gegen den, selbst wenn ich
gewollt hätte, kein Wehren war.

Erst an dem Wässerlein ward mir die Bedeutung seiner hochgezogenen
Brauen klar, denn da lagen Seifennapf, Schermesser und wüste blonde
Barthaare -- das abgetrennte Klosterleben für ihn, wie ich meinte; für
mich der Abschied aus Rang und Heimat. Nun ergriff es mich doch einen
Herzschlag lang, ich zitterte, das Meinige zu verlieren, obzwar ich es
bereits verloren hatte.

Der kühle Erdsegen brachte mich rasch zur Besinnung, ich schöpfte und
trank ohne Maß, denn ich glaubte dies die letzte Quelle, daraus die
Heimat mich fürder laben könnte. Endlich ward ich ruhig und brachte den
randgefüllten Becher, ohne einen Tropfen zu vergießen.

Der neue Herzog griff in meine Kutte, zog ein Säcklein mit Salz hervor
und würzte den Braten; wir aßen, und ich mußte ihm während des Mahles
im großen und kleinen berichten, wie ich meine Tage verbracht hatte,
wie meine Freunde und Feinde hießen, welcher Art meine Burgen und
Gemächer waren, was mir im Leben Wichtiges begegnet -- genug, die
ganze Äußerlichkeit, Leere und Schalheit meines Daseins mußte ich bis
in die geheimsten Dinge vor ihm aufrollen. Mitunter schielte ich wie
ein ertappter Bube nach seiner Stirn, aber er nahm das Üble wie das
Farblose gelassen hin und prägte es seinem erstaunlichen Gedächtnis
ein. Bei manchen Dingen winkte er ab, er wisse es schon, so daß ich
des Glaubens wurde, er habe sich mehr um die Vorgänge in meinem Lande
gekümmert als ich selbst und alle um mich her.

Das Mahl war längst vergessen, die Sonne hoch am Himmel, er konnte
nicht genug hören. Schließlich, da die Nachmittagswinde vor dem Abend
flogen und über uns rauschten, sprach er:

»Hör mich ab, Bruder, oder noch besser: laß dir wiederholen. Kein
falsches Wort! An diesen Dingen hängt unser Herzogtum.«

Er wiederholte, und ich erstaunte von Satz zu Satz über diese schier
unfaßliche Klarheit, mit der er ihm und seinem Leben so fremde Dinge
erkannte, ordnete, zusammenfaßte. Er war in mir zu Hause, er war -- ich
selbst. Ich schauderte, ausgelöscht zu sein und dennoch weiterzuleben,
plötzlich als untätiger Beobachter neben mir zu stehen, ohne
Verantwortung, ohne Segen, ohne Fluch. Ohne Verantwortung? War dieser
falsche Herzog nicht _mein_ Werk? War nicht alles, was er handelte und
trieb, _meine_ Tat? Zum erstenmal dämmerte mir etwas wie Rechenschaft,
aber ich trug die Bürde fröhlich wie ein Gnadengeschenk, denn dieser
zufällige Sproß meines Vaters war besser als ich.

»Noch eins fehlt,« fügte er seiner Rede an, »das Mal der Trebilons.«

Er suchte in der Asche nach einer glimmenden Kohle, blies sie an und
drückte sie, ehe ich ihn hindern konnte, ungesäumt auf seine bloße
Brust. Eine leichte Blässe zog über sein Gesicht, indes der Geruch
verbrannten Fleisches aufstieg; er grub die Kohle sorgfältig in das
Moos und schob Hemd und Rock zurecht.

»So, Bruder, nun zu dir!« sagte er fast heiter. »Du brauchst zwar meine
Rolle nicht zu spielen, aber du mußt wissen, wie es auf der Landstraße
aussieht.«

»Und diese Kutte?« fragte ich verblüfft.

»Behältst du an. Die Kirche hadert mit dem Staat trotz Christi Wort,
daß jedermann der Obrigkeit untertan sein solle; sie treibt Schacher
mit den Seelen, Handel mit den Ämtern -- betrachte dich als von Gott
geweiht, falls du Lust hast, im geistlichen Gewande durch die Welt zu
traben, aber verzichte auf die segnende Hand irgendeines Bischofs von
der frevelhaften Heiligkeit zum Beispiel des Kölners. Kannst ja lesen
und schreiben, Brüderchen, kannst gar Lateinisch; mehr brauchts nicht,
denn die meisten verstehen das nicht einmal oder nicht mehr. Und fragt
dich einer, so gehörst du zu einem sehr entfernten Kloster und hast
abenteuerliche Gelübde --«

»Du bist nicht geweiht?« unterbrach ich ihn bestürzt.

Er lachte mir ins Gesicht, meine Verwirrung belustigte ihn.

»Nein, Ehrwürdiger, ich bin von Gottes Gnaden,« lästerte er sonder
Reue, »auch hat der heilige Patrik in Irland karge Last von mir gehabt,
nur daß er mich, dem früh die Mutter starb, in seinen Klöstern großzog.
Die Welt ist mir geläufig bis auf das Morgenland, darin ich nie
geweilt. Hofwesen und Fürsten kenne ich besser, als mir lieb ward. Auch
Claraforte und die blonde Jugend, die du in Nacht versenktest.«

Seine Stimme ward dunkel, ich ließ den Kopf hängen. Nach einer Weile
fuhr er fort:

»Sei ruhig, Bruder, ich bin eher ein Mörder als du. Du hast in
Trunkenheit und Zorn ein köstliches Gefäß zerbrochen, ich aber, Robert,
ich war bereit, dich selbst mit Vorbedacht zu erwürgen, als ich deine
Tat erfuhr.«

Er seufzte tief, seine Hände spielten ruhelos mit dem braunen
Schnürlein, das er am Halse getragen hatte. Mitunter ging ein
Zucken durch seinen Leib, als trüge er Qualen; ich schob es auf die
Brandwunde, darunter er ein Geheimnis erstickt hatte.

»Denn ich habe sie geliebt,« offenbarte er traurig, »und ich liebe
sie noch. Wie viele Tage bin ich um Claraforte geschlichen, um einen
Schimmer ihres Gewandes zu sehen, indes du jagtest oder -- ach, was
helfen jetzt noch Klagen! Ich will statt deiner an ihrem Grabe beten.«

»Tu es, Bruder,« sagte ich unter lautem Schluchzen, »auch ich -- ich
fahre an die Stätte, da unser Herr und Heiland litt. Vielleicht daß
uns beiden Erlösung wird. Bruder, welch ein Opfer bringst du! Die
Montgerrats werden dich verderben.«

Er straffte seine Glieder, seine Augen blitzten herrisch.

»Nein!« wehrte er hochgemut. »Ich halte mein Land! Hab dessen keine
Sorge. Vor Gott und vor den Menschen trage ich deine Tat, als sei es
meine eigene; du magst in Frieden fahren.«

»Gott wird mich auch in dieser Kutte erkennen,« entfuhr es mir, »dies
wirst du mir nicht abnehmen.«

Aber er, voll von seiner Berufung, sah mich verheißend an und deutete:

»Sind wir nicht eins? Gott wägt das Geschlecht, und nicht den
Einzelnen. Wir müssen alle füreinander büßen, wir werden alle
füreinander begnadigt. Der Vater, der dich zeugte, die Mutter, die
dich trug, sie leiden für dich in der Höllenglut, sie feiern für dich
im himmlischen Saal; oder meinst du, Gott zerreiße die Kette des
Geschlechts, die er selber geschmiedet, um ein einzelnes Glied zu
verfluchen oder zu segnen?«

»Du hast viel darüber gegrübelt,« stammelte ich beschämt.

Er antwortete schlicht:

»Ich stand draußen. Bruder, nun kommt das Grübeln an dich. Kann sein,
ich sterbe vor dir, söhnelos, und du mußt noch einmal in diese Kleider,
und wärest du am Rande der Welt.«

»Nimmermehr!«

Welche Dinge bewegte dieser seltsame Mensch in seinem Herzen, welche
Zukunft durchlief er im Geiste! Betrübt, erbittert dachte ich daran,
wie es hätte sein können, wenn er früher meinen Kreis berührt hätte.
Nie hatte mich einer so gepackt, ich fühlte, ich war wie ein Blinder
durch das Leben getaumelt.

»Du denkst an Heirat,« fragte ich schüchtern.

Er nickte bejahend, in einer Handbewegung deutete er das
Selbstverständliche an und setzte erläuternd hinzu:

»Wir dürfen nicht aussterben. Noch sind wir unverbraucht, was wenige
Fürstengeschlechter von sich sagen können. Jedoch, Bruder, nun dämmert
für uns beide der Abend, laß uns Abschied nehmen.«

Damit sprang er auf und schritt durch die dunkelnden Stämme auf mein
Pferd zu, das an die Quelle gelaufen war, zäumte und sattelte es wie
ein Marschalk. Darauf zog er die braune Schnur mit der Silbermünze aus
der Tasche und hing sie mir um den Hals.

»Möge dir der Talisman Glück bringen, Bruder; es ist alles, was mir die
Mutter hinterließ. Nun brauch ichs nimmer, und du bist an meiner Statt.
Leb wohl! Dort nach Süden geht dein Weg. Die Rehkeulen sind im Ränzel,
ein paar Zehrpfennige auch, und alles andere schenke dir Gott. Fahr in
Frieden, Bruder!«

Er umarmte mich rasch, sprang ohne Bügel in den Sattel und verschwand
in dem Abend, bevor ich zur Besinnung kam. Ich streckte die Hände aus,
noch einmal mein Pferd zu berühren, noch einmal die Wärme des Tieres,
das mich liebhatte, an meinem Leibe zu fühlen. Wie trunken schwankte
ich auf der Stelle, ohne Willen nahm ich das verschabte Lederränzel auf
den Rücken und schritt fürbaß, bis die Felder smaragden dämmernd vor
mir lagen. Meine Füße klebten an der Scholle; so stark und ausdauernd
ich auch war, ich kam kaum vom Fleck. Endlich hatte ich die Hügel
hinter mir, ich war im fremden Lande, die abenteuernde Ferne breitete
sich geheimnisvoll verschleiert vor mir aus.

Noch einmal sah ich hinter mich, vom Tale aus. Droben lag ein einsames
Grenzgehöft und vor den Häusern ein wundersamer brauner Duft, wie
ich ihn nie und nirgends wiederfand. Die Heimat grub sich durch eine
seltsame Äußerung in mein verstörtes, wildes Herz; so trug ich sie mit
mir ins Elend.


Südwärts, südwärts, immer stieß mich die Faust Gottes. Fünf, sechs
Stunden Schlaf, und weiter! Meine Glieder hingen an unsichtbaren,
eisenstarken Seilen der Ewigkeit, ich trieb ohne Willen durch Armut,
Not, Hunger und Demütigung. Vor dem Ärgsten schützten mich Kutte
und Pilgerhut, doch in die Klöster traute ich mich nicht, trotz der
Zeugnisse im Ränzel, trotz des Meßbuches, das ich auswendig wußte.
Ich schritt und schritt, ein langer, abgemagerter Mensch mit hohlen
Augen und verwildertem Bart, die Füße mit Zellen und Sehnen umhüllt,
den Wanderstab mit scharfer Eisenspitze wie eine Lanze auf der
Schulter. Das Zutrauen zu mir selbst wuchs nicht, aber das in die
Leichtgläubigkeit der Menschen, und so schien ich unverdächtig, wohin
ich auch kam. Meine Stimme, des Befehlens entwöhnt, kannte ich kaum
noch, sie klang von unten her, rauh und traurig zugleich; aber ich
brauchte nie viel zu sagen, meist genügte die wortlos ausgestreckte
Hand. Wo die Wälder dicht und dunkel waren, schlich ich dem Wilde
nach; das war all meine karge Freude -- ich kann sie nicht bereuen.

Mein Herz blutete sehnsüchtig nach Genossen, gleichwohl ging ich allen
aus dem Wege, die meine Straße fuhren; nie war ich so einsam gewesen.
Die stummen Dinge der Landschaft wurden mir vertraut, sprachen,
unterhielten mich; ich war in einer neuen, leidenschaftslosen Welt,
die nichts von Schuld und Unschuld wußte. Der Vogel fraß seinen Wurm,
die Wildkatze griff den Vogel, verreckte irgendwo im Walde, vermoderte
wurmdurchwühlt, grell schossen Honigblüten aus ihrem Leibe -- Gottes
Kreise, Gottes ewige Gesetze, unbefleckt von grübelnden Menschenhirnen,
Menschenangst, Menschenhaß.

Und Menschenliebe. Durch die strömenden Regennächte trug ich das Bild
meines Weibes vor mir her, alle Stunden unseres gemeinsamen Erlebens
wob ich zu einem Teppich und sorgte, nicht ein Fädchen zu vergessen.

Hoftag zu Reims. Wir standen einander abgekehrt, hatten uns nie
gesehen, kaum voneinander gehört. Wir wandten uns um, als ob _ein_
Wille uns beherrschte, sahen -- und erstaunten nicht. Die Luft
zwischen uns zitterte von Staub und Sonnenschein, uns schien sie süß
und kühl und rein, wir durchschritten sie wie auf Flügeln und gaben
uns beide Hände. Bis das Gelächter der Herren und Frauen uns auf die
Erde riß und ihre Wangen mit Blut überflutete. Nie hatte ich solcher
Art ein Weib betrachtet; keine Leidenschaft bebte in mir, meine Augen
entkleideten sie nicht schamlos wie die anderen, von ihrer süßen
Schönheit sah ich nichts. Ich wußte nur, sie war mein, und ich gehörte
ihr. Wir waren eins, Gott hatte sie für mich erschaffen.

Und ich warf sie -- Gott, mein Gott! So allgewaltig kann keine Liebe
sein, um solches zu verzeihen, auch deine nicht. Nie werde ich erlöst,
nie werde ich neben ihr im süßen Himmel wandeln. Grübeln und Grübeln.
Vielleicht gestattet mir Gott, sie aus dem Höllenpfuhl von weitem zu
betrachten, vielleicht -- nach einem Leben voller Buße, Tapferkeit,
Demut. Ich rang im Gebet, ich wanderte, wanderte, schlief traumlos wie
ein Toter, ermattete meine Manneskraft, die neben allem gierig und wach
den Weibern im Felde zuschaute, ward inwendig, was ich außen galt: ein
Mönch, ein Pilgrim nach dem Grabe Christi; aber einer mit Dämonen und
höllischen Flammen in der Brust.

Erst als ich die Eisgipfel der Alpen sah, ergriff mich Wanderlust,
golden winkte die blaue Ferne. Der alte Leichtsinn entführte mich
im Sturm in das Sonnenland hinter den Bergen, ich empfand mein
Losgebundensein als Freiheit und hatte Augenblicke, da mein Herz
jubelte; zwar schnell und hart gedämpft, aber doch tief geheim geduldet
und geliebt. Der Hafen -- ich wußte nicht einmal, welcher -- war
ein Markstein meines Weges. Marksteine sind tröstlich, auch die auf
unendlichen Pfaden.

In Genua sank mir der Mut. In meiner Heimat, auch am englischen und
französischen Hofe, war von Lust und Prunk der Kreuzzüge hin und
her geredet worden. Was ich hier erlebte, ließ mich erstarren. Ein
schmutziges Lager johlender, bettelnder Männer, Weiber und Kinder
zog sich vom Hafen über die Hügel bis weit vor die Stadt -- Pilger,
Handeltreibende, Gauner, Abenteurer, geschäftig durchrannt von
Krämern aller Länder, Juden, Schiffsmaklern, Geistlichen, Heimkehrern
-- falschen und echten -- ein Schwarm von Opfern, Spitzbuben und
Nichtstuern.

Riesige Galeeren lagen im Hafen, faßten anderthalbtausend Menschen
in ungeschlachten Bäuchen, verfrachteten die Elenden wie Vieh zu
kreischenden Bündeln in das Land Christi, das droben, im Norden,
aller Heil schien und aller Sehnsucht war. Sie duldeten alles, diese
flachshaarigen Pilger aus Deutschland, Flandern, der Normandie. Sie
gruben ihre Heller aus den schlottrigen Beuteln, um im Wüstensande
verderben zu dürfen. Ach, sie träumten von einem Paradiese, von
blühenden Gärten, von fronloser Zeit. Genua, Venedig, Juden,
Templerorden -- alle verdienten am heiligen Grabe, am heiligen Kriege.
Die Kreuzzüge waren ein riesenhaftes Geschäft geworden, ein Schacher,
der mit grausiger Offenheit betrieben wurde.

Unerfahren, beschwerten Gemüts bestaunte ich das bunte Wirrsal. Nach
drei Tagen war ich in das Gröbste eingeweiht und um manchen schönen
Traum ärmer, an Erfahrung weiser denn die ältesten Leute meines
harmlosen Vaterlandes. Pest und Aussatz lagen unter den schmutzigen und
unter den gepflegten Häuten, und über all dem der wolkenlose, endlos
tiefe Himmel, die lachende Sonne Italiens; ringsum ein Reifen und
Blühen, fern der wogende Saphir des herrlichsten Meeres, darauf die
Segel wie riesenhafte Möwen schaukelten. Da ich Herzog war -- wie lange
dünkte mich diese Zeit vorüber! -- hatten mich die Nöte meines Volkes
nicht gekümmert, sorglos genoß ich und achtete nicht, ob einer darbte.
Jetzt brannte mir für die Fremden das verwandelte Herz. Guten Glaubens
hatten diese Bauern ihre Scholle verlassen und das Kreuz auf ihren
Rock geheftet, ihnen war der Himmel auf Erden versprochen worden. Nun
gaben sie ihr letztes Geld für die Überfahrt oder mußten sich zu langen
Frondiensten an die verpflichten, welche ihnen einen Platz auf Deck
verschafften.

Ich selbst wußte nicht, wie ich mich durchschlagen sollte. Makler
aller Stämme bedrängten mich, aber der billigste Platz überstieg meine
ärmlichen Pfennige. Zum erstenmal erfuhr ich den Wert einer Mark
Silbers und wünschte, einen Griff in meine herzoglichen Truhen tun zu
dürfen, doch das war auf immer dahin. Da ich den üblen Bettel hier
nicht mitmachen konnte, kaufte ich für den Rest meines Geldes Brot und
Speck genug für eine Woche, schlief am Strande und teilte meinen Vorrat
sparsam ein. Ich, der ich ehemals mit verschwendender Hand begabte,
wer mir in den Weg lief, wies den Hunger von mir, so hohläugig er mich
anstarrte, und verhärtete mein Herz, bis es blutete. Tagsüber stand ich
an den Schiffsländen und sah den Frachten zu, betäubt von dem bunten
Gemisch des Überflusses und des Mangels, zerrissen von dem vielfältigen
Schrei der schönen und häßlichen Sehnsüchte um mich her.

Endlich nahm ich, müde des Elends, die Wanderung wieder auf, südwärts
immer, gen Amalfi, dazu mir ein friesischer Schiffer geraten. Die
Rast in Genua war mir gut angeschlagen, trotz allem, und als ich die
Gärten der Stadt hinter mir hatte, begann ich aufs neue zu hoffen.
Die übermütige Fruchtbarkeit der Landschaft gab mir ein Gefühl von
Schutz und Geborgensein, dies Land war von Segen wahrhaft überflutet
und ließ jedem das nackte Leben. Es gab wieder Gastlichkeit, da im
menschenleeren Felde keine Bettler traubengleich aneinanderhingen wie
in Genua. Ängstlich mied ich die Städte, selbst Neapel ließ ich zu
meiner Rechten liegen und klomm über die unwirtlichen Gebirge an das
Ziel.

Bei brüllendem Unwetter, triefend vor Nässe, dampfend in der Schwüle
erreichte ich Amalfi, das wie ausgestorben dalag, trotz des gefüllten
Hafens, denn die Schauer jagten sich, Blitze fegten von den dunklen
Bergwänden in das tosende Meer, alles Menschliche verkroch sich in
den Häusern. Ich drückte mich in eine Herberge, froh der Leere in den
Gassen, aber innen wurde ich gewahr, daß hier das Elend und der Ansturm
der Pilger nicht minder groß waren als in Genua. Beim ersten Anzeichen
blauenden Himmels schritt ich beklommen ins Freie und tat mich am Hafen
um, ob nicht wer einen Ruderknecht brauche, aber alle wiesen mich ab,
mit hochgezogenen Brauen und spöttischem Gesicht über mein geistlich
Gewand, das zu arbeiten begehrte.

»Geh ins Kloster, Mönch!« bedeutete mich einer im schlechten
Französisch der Provence, »was nimmst du den Armen das Brot? Der Prior
gibt dir, wessen du bedarfst.«

Der Mann hatte recht, aber ich wagte nicht, seinen Rat zu befolgen,
der Mönch Ronald war noch zu jung in der Kutte. Wie in Genua stand ich
und starrte auf die Schiffe, auf das Wunder hoffend. Eine lübische
Kogge war zum Auslaufen bereit, klein, zierlich, sauber wiegte sie sich
ein wenig abseits auf dem blauen Spiegel. Jetzt löste sich ein Boot
von ihr ab und ruderte auf mich zu, der ich an der Lände stand. Ein
Ritter, sichtbar ein Deutscher, schlicht, jung und bieder, sprang ans
Ufer und half seinem Gemahl. Sie schritten dicht an mir vorüber zu den
Krämerläden, die bis in die halbe Nacht geöffnet waren, traten bald
wieder hervor und lehnten an der Hafenbrüstung, Arm in Arm, über die
Wasser nach den emporglimmenden Sternen schauend. Mir berührte es das
Herz absonderlich weh, ich dachte jener, die nun die Erde deckte, die
ehemals lieb und traut an meiner Schulter lehnte.

Was mochte das Schicksal dieser beiden sein? Warum ließen sie die
Heimat? -- Sie gaben mir keine Zeit, dem nachzudenken, zögernd wandten
sie sich und kehrten zu ihrem Boot zurück.

Ihr Weg führte an mir vorüber. Von weitem sah ich die Frau, hoch,
blond, ein schönes, trauriges Gesicht mit großen, seltsamen Augen.
Wenige Schritte vor mir schaute sie auf, ihre Blicke trafen mich, und
nie sah ich in einem menschlichen Antlitz solch tiefes, wehrloses
Sichergeben in ein Schicksal. Sie fuhr mit der Hand an ihr Herz und
neigte still den Kopf.

Mir erging es nicht besser. Ich war überzeugt, diese Frau niemals
gesehen zu haben, ich dachte nicht eines Herzschlags Länge daran, jene
hätte mich als den erkannt, der ich war; und dennoch hörte ich den
Flügelschlag der Bestimmung über mir rauschen und harrte unruhig, wenn
auch ohne Furcht.

Dem Ritter war die Ursache ihrer Bewegung entgangen, vielleicht glaubte
er ihr Gemüt vom Abschied verschattet; er neigte sich zu ihr und sagte
leise auf deutsch:

»Mut, Liebling, wir fahren mit Gott.«

Sie hob den Kopf, bleich und leuchtend wie ein Marmorbild stand ihr
Antlitz in dem nächtigen Himmel. Unvermutet schwang ihre dunkle Stimme
in der Luft:

»Ihr seid ein Pilger? Fahrt Ihr zum Heiligen Lande?«

Mit einem ahnte ich, dies war die Erlösung. Der Ritter sah verwundert
zu mir her und lächelte wohlwollend, möglich, daß er sich von meinem
Aussehen keine Nebenbuhlerschaft versprach. Er tat wahrlich recht
daran: die Tyrrhenische See zeigte mein mondumspültes Bild, als tauche
ein Meeresungeheuer aus dem Hafengrund.

»Edle Frau,« erwiderte ich, »Ihr habt recht gesehen, ich bin ein
Pilger und walle zum Heiligen Lande. Aber wann das sein wird, weiß Gott
allein, denn ich habe kein Geld für die Überfahrt.«

»Ihr seid geistlich -- geweihter Priester?«

»Ihr sagt es, edle Frau,« sprach ich gelassenen Mundes, indes mir das
Herz schier die Rippen zerschlug. Ich bemerkte, wie sie mit den Augen
ihren Gemahl beschwor und eine alte Bitte wiederholte.

Der Ritter nahm das Gespräch auf:

»Ehrwürdiger Vater, Ihr sprecht deutsch wie ein Normanne. Wes Landes
seid Ihr?«

»Weiß selber nicht,« wich ich aus, »ich bin Gottes. Das Abendland ist
mir geläufig auf deutsch, französisch und sächsisch. Auch Italienisch
lernte ich und schreibe und spreche Lateinisch. Nehmt mich mit, Herr,
vielleicht kann ich Euch in manchem zu Diensten sein. Lohns begehr ich
nicht, aber Fahrt und Pflege müßt Ihr zahlen.«

Mit zitternder Seele spielte ich den Sorglosen, nahm mein leeres
Beutelchen aus der Kutte und wendete es um -- ach, ein vergessener
Pfennig fiel heraus, rollte über die Steine und schoß blinkend in das
Wasser.

»Seht, Herr,« sagte ich lachend, »das Scherflein des Armen opfere ich
den Meeresgöttern, daß sie uns sanft tun.«

Der Ritter lachte laut und herzlich, ihr Antlitz aber ward von einer
noch tieferen Blässe überzogen, und eine Träne hing an der blonden
Wimper.

»Wir sind einig,« sagte der Ritter hastig, denn plötzlich gellten von
der Kogge drei Pfiffe, »es ist kein Priester an Bord, und mein Gemahl
-- in den Nachen, Mönch, und auf gen Jerusalem!«

Ein Wellenplätschern, ein Wink von Gottes Braue -- ich stand an
Deck eines Schiffes, das ruhvoll mit geschwellten Segeln durch die
Sternennacht glitt, dem heiligen Ziele zu.


Die Kogge hatte nur Deutsche an Bord, Ansiedler, denen die Heimat,
Abenteurer, denen die Welt zu eng schien. In den Kajüten der Ritter,
Herr Eberhard von der Wilze, und einige Kaufherren aus dem Norden,
die mit kalten, gleichgültigen Gesichtern und hocherhobenen Nasen auf
das übrige Volk herabsahen und hinter unbewegten Stirnen Zahlen und
Warenballen von einem Ende der Erde an das andere jagten. Heil mir, daß
ich nicht als Herzog reiste -- die Kogge wäre mein gewesen, erfüllt
von bechernden Mannen, und nichts wäre geändert, als daß meine Tafel
und meine Laster ihren Schauplatz gewechselt hätten. Jetzt sah ich
Wunder, wohin mein Auge traf.

Wollend oder nicht, ich mußte Messe lesen, Beichte hören. Es kam
mir nicht zum Bewußtsein, daß ich Gott lästerte, indem ich das
selbstgebackene Brot in seinen Leib, den Feuerwein von Ravello in
sein Blut wandelte; viel schwerer wog meine Furcht, von den Menschen
entdeckt, entlarvt, verworfen zu werden. Aber sie knieten alle
andächtig um mich her, keiner ahnte Betrug, jeder ward getröstet am
heiligen Wort.

_War_ es Sünde? Einst, du Ewiger, wirst du es mir künden. Einen wußte
ich, der gläubig war und voll bitterer Reue genoß, das war mein eigenes
sündiges Herz.

Was den edlen Herrn von der Wilze aus seiner niedersächsischen Heimat
fortgetrieben hatte, erfuhr ich nicht. Er hatte sich den Deutschherren
gelobt und harrte drüben auf Feld und Pflicht. Er stand mitunter bei
mir, erzählte von den verwirrten Zeitläuften in Deutschland, dem
verbissenen Ehrgeiz Heinrichs des Löwen; und aus all dem leuchtete ein
ehrlicher, tapferer Mut, so daß er mir lieb wie ein Bruder wurde.

Wie nebenbei fügte er eines Tags mit gepreßter Stimme hinzu:

»Vater Ronald, ich bitt Euch, habt meines Weibes ein wenig acht; sie
hat die Gabe des Fernsehens und quält sich in zweckloser Trauer.«

Er drückte mir hastig die Hand und ließ mich allein, mit streitendem
Gemüt. Beim Nachdenken fiel mir bei, wie sich Frau Gertraude mir
absichtsvoll entzog und dennoch häufig ihr Auge fragend und fast
erschrocken auf mich richtete. Was ich von ihr wußte, war, daß sie
bestimmt niemals meinen Weg berührt hatte. Ihre Träume oder Gesichte
verbarg sie vor mir, doch das Geheimnis flößte mir eine dunkle Scheu
ein, ich konnte sie nicht bezwingen, als ginge ein Teil ihrer Kümmernis
mich selber an.

Wir hatten Kreta hinter uns und näherten uns der Küste von Jerusalem,
als der Wind mit einmal schwieg und wir mit schlaffen Segeln hilflos in
der sommerlichen Schwüle lagen. Es ging der Nacht zu, aber in der Ferne
des Himmels hockte ein schwefelgelber Schein, der keiner Dunkelheit
weichen wollte und mit seinen gezackten Rändern einem Rachen mit
glühenden, drohenden Zähnen glich.

Der Patron der Kogge stand mit verkniffenem Munde am Bugspriet und
starrte auf die unheimliche Ebene des Meeres, die, geschmolzenes Blei,
an den Planken klebte und einen unerträglichen Modergeruch ausströmte.

»Ihr kennt dies Gewässer, Meister Bornhövt,« versuchte ich ihn leichten
Tons, »mich deucht, ein Wetter kommt herauf.«

»Bei allen Teufeln!« schrie der Patron und verzerrte sein Gesicht
fürchterlich. Er zitterte am ganzen Leibe vor Aufregung, der Schweiß
rann ihm über die rote Stirn. Er zuckte zusammen, sah sich mißtrauisch
um und packte mich bei der Kutte. Heiser stieß er aus der Kehle:

»Behaltets für Euch, Vater Ronald: noch drei Vaterunser, und diese
guten Bretter stehen mehr als je in Gottes Hand.«

Er schob die Pfeife zwischen die Lippen, sein zerrissenes Gesicht wurde
hart vor dem nahenden Kampf, ein schriller Pfiff versammelte seine
Leute.

»Klar Deck!« befahl Meister Bornhövt laut. »Weg mit allem, was nicht
niet- und nagelfest ist!«

Aus der Masse, die auf Deck freiere Luft suchte, drangen gequälte
Schreie, unwillig stemmten sich die Leute gegen den Befehl.

»Fort mit euch!« brüllte der Patron. »Die Hölle geht los, ihr Narren!
Wählt, ihr Esel, ob ihr schwitzen oder versaufen wollt!«

Das Deck ward leer, an den Kajüten standen noch einige Kaufherren
und zeichneten auf einer Planke mit Kreide Geschäfte auf; ich stand
am Bugspriet und verbarg mich vor den Augen des Schiffsherrn,
mehr aus Neubegier zu dem Kommenden, denn aus Abneigung gegen den
menschenüberfüllten Raum.

Indessen begann die Luft zum Ersticken heiß zu werden, aus dem fernen
Rachen brach plötzlich eine ungeheure Zunge schräg über den schwülen
Himmel, ein rasender Sturm hob das glatte Meer und stieß die Kogge wie
einen Federball auf schwarzem Riesenturm in die Höhe. Donnernd schoß
sie wieder in die Tiefe, stand zitternd auf, hielt, in allen Fugen
stöhnend, einen winzigen Augenblick in dem brodelnden Kessel von Gischt
und Schaum und flog wie ein Pfeil in die krachende, blitzsprühende
Nacht. Der Regen rauschte und flutete, Wogen lärmten über die Borde und
übertönten das ohnmächtige Wimmern unter den Luken.

Die Nacht war taghell, ich sah die Mannschaft mit Seilen an die Masten
und an das Ruder gebunden, den barhäuptigen Patron wie den Erzengel des
Gerichts über das Heck ragen und nach vorn starren. Auf Menschenstärke
war bei diesem Wirbel der Wetter kein Verlaß, wehrlos waren wir dem
Verderben preisgegeben.

Mit meinen ungewöhnlichen Kräften hatte ich mich an den Borden halten
können, ohne ein Seil zu gebrauchen. An Furcht dachte ich nicht, ja,
dies Neue schien mir, wenn ich der Menschen an Bord nicht achtete,
schön in seinen unvergleichlichen Maßen. Ich fühlte mich hineinverwoben
in Schicksale und Schicksal, und alles trieb einem mächtigen,
vernichtenden Höhepunkt zu. Mir ist in der Erinnerung, als habe mein
Herz gejubelt, und ich glaube, mein Gedächtnis trügt nicht. Noch heute,
bei schlohweißem Haar, rumort ein seltsamer Geist in meiner Brust,
wenn die Kronen meiner Wälder im Sturmwind brausen und dröhnen, als --
ja, als ritten die Götter der Ahnen siegjauchzend durch das donnernde
Gewölk.

Stunden um Stunden rannte die Kogge unter der flammenden Peitsche des
Gewitters mit ihrem zuckenden Inhalt dahin, es war, als stünde der
Himmel meilenweit in Lohe. Das Wimmern war verstummt, das Schiff schien
nur Tote zu fahren. Die beiden Masten waren längst über Bord gefegt,
zehn, zwölf brave Lübecker, die beim Kappen der Taue von einer Sturzsee
erfaßt wurden, trieben irgendwo in der Nacht.

Mit einmal geschah ein furchtbares Krachen, ein Stoß, als stießen wir
auf Fels, das Schiff barst langsam mitten auseinander, geisterhafte
Menschen wimmelten in seinen Eingeweiden, die Kajüten auf Deck
zerfielen wie Zunder, Männer rollten mit stieren Blicken über steile
Wände in die See, ein einziger Schrei quoll aus der sterbenden Kogge.
Ich sah das Bugspriet durch die Luft segeln und in die Finsternis
gleiten, mit einem jagenden Gedanken stürzte ich dem Holze nach in
den Höllenstrudel. Kreisende Trichter sogen mich hinab, wütende
Stöße warfen mich empor, aber ich fing, ich fing den Baum und hing
und taumelte und wirbelte mit ihm besinnungslos vor Glück über
Todesgründe. Und plötzlich ein weißer, leuchtender Leib vor mir, eine
Welle schleuderte ihn in meine Faust, ich hielt den schönen Kopf der
Edelfrau an seinen blonden Haaren hoch über Wasser und bettete ihn auf
den Baum.

Gott schickt mir ein Zeichen! hämmerte mein Herz in einem fort, Gott
will mich nicht verlassen!


Fahle Dämmerung, schnell und grell darauf der Tag; wir trieben
allein auf der öden See, kein Segel, kein Land. Sie war noch nicht
von ihrer Ohnmacht erwacht, aber ich fühlte ihren leisen Atem. Ihre
Hand umklammerte meinen Arm, dicht vor meinem Munde lagen die weißen
schmalen schmucklosen Finger. Ihr dünnes Hemd klebte am Leibe, die
schlankem kräftigen Formen traten klar hervor.

Was wollte Gott von mir? Sicherlich, wir waren die einzigen Geretteten
der lübischen Kogge.

Gerettet? Ach, wir lebten, und wo wäre ein Leben ohne Hoffnung! Noch
wogte die See erregt und gepeitscht, aber der Regen war vorüber, die
Blitze verflogen. Wir trieben ohne Anstrengung an dem Holze, die
Kraft meiner Fäuste war ungebrochen. Jedoch bald begann ich sie um
ihre Ohnmacht zu beneiden, denn ein Durst plagte mich, den ich kaum
bezwingen konnte. Wie die meisten der Armen auf unserem Schiff hatte
ich meine irdische Habe bei mir; das umgeschnallte Ränzel lächerte
mich fast. Es stak eine zinnerne Flasche mit Wein darin, doch ich
konnte sie nicht erreichen, ohne Gefahr zu laufen, Frau Gertraude zu
verlieren, und aufs neue setzte mich das Schicksal mitten in einen
Kampf, dessen Schlachtfeld meine Seele war. Ich suchte meine gierigen
Sinne abzulenken, indem ich das marmorstille Antlitz betrachtete. Linie
für Linie lernte ich es auswendig und prägte es meinem Herzen ein,
den ranken Ansatz des Halses, die Goldkette mit dem Braunschweiger
Löwentaler, die zarten Hügel der Brust -- ich ermattete mich mit
Schwimmstößen, ich schloß die Augen, aber der Durst knechtete mich und
würgte mir die Kehle, daß mir das Blut von den zerbissenen Lippen rann.
Gierig schlenkerte ich die roten Tropfen im Munde umher, vergebens.
Glühende Bilder tanzten vor meinen Augen, ich fühlte meine Kräfte
nachlassen.

Rief wer? Die taumelnden Sinne rafften sich noch einmal auf, die
Blicke flackerten über die Wogen -- ein Segel, seltsam geformt, ein
Schiff mit voller Leinwand, riesig und dunkel gegen das Licht, stürzte
auf uns ein. Ich sah einen tollen Wirbel fletschender Zähne und
schwarzer Gesichter, ein Tau sauste auf mich nieder, ich griff es,
packte Gertraude, ich flog mit ihr jäh in die Sonne. Arme streckten
sich, ein Schlag donnerte dumpf auf meinen Schädel, und wie ein Stein
schoß ich wieder in die Tiefe, allein, unendlich einsam, erlöst.

Die Sinne fielen von mir ab.


Ob die Wogen, ob Menschenhände mich ans Ufer trugen, ich hab es nie
erfahren. Genug, Brüder vom Deutschen Orden fanden noch Leben in mir
und schleppten mich mit gen Jerusalem. Neun Tage darauf erwachte ich
aus wirren Fieberträumen, sah mich auf reinlichem Lager in einem
hellen, freundlichen Gemach. Ein greises Antlitz schaute mich wehmütig
an, seufzte und siegelte die Lippen mit dem Finger. Eine Schale wurde
mir gereicht, die ich durstig leerte; übermüdet schloß ich die Augen
und versank sogleich in tiefen Schlummer.

Anderen Tags war meine Stirn klar, die Erinnerung brachte das Verlorene
wieder, ich atmete die Luft des Lebens beseligt ein. Ich bemerkte, daß
der alte Mann sein Lager neben dem meinen aufgeschlagen hatte; er erhob
sich, als er mich munter sah, wusch mir Gesicht und Hände und holte
den Morgenbrei für uns beide. Es war ein weltlicher Bruder des Ordens,
ein Edler von Burgberg, und seine traurige Stimmung erklärte sich mir
bald: er war der Vater Gertraudens, von der in meinen Fieberreden
schreckhafte Bilder flatterten. Ich tröstete ihn, wie ichs vermochte,
ich schwor, sie sei lebendig an Bord eines Schiffes gelangt, jedoch er
schüttelte verzagt den weißen Kopf.

»Besser tot als in der Gewalt der Heiden oder gar --« er verschluckte
einen Fluch und preßte die Faust stöhnend an die Brust.

»Besinne dich! Besinne dich!« rief er ein über das andere Mal, »waren
nur Heiden an Bord? Sahest du keinen Kreuzeswimpel über den Masten?«

Ich ahnte, welche Antwort seine Vaterangst begehrte, und selbst wenn
ich ein Kreuz gesehen hätte; ich würde es ihm verschwiegen haben.

»Gut, nur gut!« murmelte er. »Alles, nur keine Templeisendirne!« Seine
heißen Augen trafen mich: »Ich bin dir Dank schuldig, Ronald, du hast
wahrlich deine letzte Kraft darangesetzt, mein Kind zu retten. Daß es
so gelang, hat Gott beschlossen; gesegnet sei sein unerforschlicher
Wille. Aber zu dir --«

»Herr,« unterbrach ich ihn beschämt, »Ihr seid mir nichts schuldig;
ohne Euch dörrte ich jetzt im Ufersande.«

»Du irrst, Ronald, nicht ich habe dich gefunden. Du fiebertest und
nanntest den Herrn von der Wilze; da erst riefen sie mich. -- Was
willst du nun in diesem Lande beginnen? Hast du Verwandte, Freunde,
Ordensbrüder? Hier heißt alles Geld, mein Freund, das Heilige Land ist
ein einziger Marktplatz.«

»Weder Geld noch Freunde, Herr. Ich gedachte am heiligen Grabe zu beten
und die Verwundeten zu trösten. Gott wird mich schon ernähren.«

Der von Burgberg seufzte.

»So reden sie alle; zu Tausenden lungern sie tatlos im Lande, zu
Tausenden sterben sie dahin. Verwundete? Die Kämpfe ruhen ja! Unsere
Führer feiern Feste und lassen den Sultan einen Kreis um das Land
ziehen, wie den Strick um den Hals eines Schächers.«

Wütend sprang er auf, sein weißer Bart sträubte sich vor Zorn.

»Bei allen Heiligen, glaubt ich nicht noch an Treue, so wollt ich
schwören, die Herren und Fürsten verrieten uns an die Heiden. Nur die
Narrheit oder der Frevel kann so blind sein. Ich sage dir, Freund
Ronald, wir verderben hier, und mein Deutschland -- aber was soll dich
das bekümmern! Du bist ja wohl irgendwo in Frankreich zu Hause; können
auch Französisch sprechen, wenn es dir lieber ist. Nicht gerade gern,
denn ich hasse diese verlogene Zunge, darin die Templer ihre Meineide
tun. Will dir was sagen, Ronald, bleibe beim Deutschen Orden! Wir
haben mehr als reichlich Arbeit für willige Hände; beim Hospital, beim
Handwerk, in den Wein- und Obstgärten, überall fehlen die Tüchtigen,
bloß das Geschmeiß wimmelt wie die Ameisen, nur nicht so tätig. Kannst
mir glauben, Ronald, Gott sieht lieber, wenn ihm mit der Hand statt nur
mit dem Munde gedient wird; es laufen schon zuviel von euch Geschorenen
in der Welt umher und stehlen ihre Tage. -- Laß dir Zeit mit der
Antwort, ruhe, wie du magst, betrachte die Stadt mit ihren wundersamen
Heiligtümern und schandbaren Lasterhöhlen, und dann sag mir frei deine
Meinung.«

Damit ließ mich der wackere Mann allein, und die Langeweile besuchte
mich sicherlich nicht, so voll war mir Kopf und Herz.


Mit einem Trüpplein von Herren und Knechten war ich jordanaufwärts
nach den Besitzungen des Deutschen Ordens südlich des Sees Tiberias
unterwegs. Ich hatte mich als Gärtner verdingt, ohne anderen Lohn als
die tägliche Notdurft; ich konnte gehen, wann ich wollte. Meine Seele
schrie nach Einsamkeit; der Aufenthalt in Jerusalem, bis zum letzten
Augenblick ersehnt wie Gottes Liebe, hatte das Blut in meinen Adern
ausgetrocknet. Nichts gegen das heilige Grab, nichts gegen die Stätte,
da Sein Fuß gewandelt -- aber ach, wo wäre der Mund, der heute die
Wechsler und Händler aus seinem Tempel triebe! Um das Erhabene der Erde
kreischt ein gellendes Marktgeschrei, blüht ein ungeheurer Schwindel,
schachern Juden, Heiden, Christen in widerlichem Wettbewerb um das, was
ihnen die Krone des Lebens heißt: Gold.

Hier, hier hatte ich Erlösung gesucht! Ich konnte nicht beichten,
konnte kaum beten. Wie sollte mich ein Menschenwort vom Fluche lösen?
Zweifel, schlimmer, quälender als meine Schuld, trieben mich von der
heiligen Stätte; mein Glaube wankte nicht, aber er überflutete und
brach die alten Formen und fand kein neues Gefäß, rein und köstlich
genug, ihn zu bergen.

In kopfloser Überstürzung nahm ich die erste Gelegenheit wahr, den
Menschen fern zu sein. Den Menschen und den Häusern, denn mir schien,
es knisterte im Gebälk der Paläste, es ächzte in den mächtigen Mauern
der Kirchen; das Gespenst des Untergangs schritt mit der Frechheit des
Lasters dreist und offenbar über die Gassen.

Menschen konnten mir nicht helfen, das erkannte ich, ohne meine Sünden
gegen die der anderen abzuwägen. Mir, dem Beichtiger, waren auf dem
lübischen Schiff Dinge vertraut worden, die vielleicht vor einem
unbefangenen Richter teuflischer und gemeiner als meine Tat galten;
nicht vor mir. Ich konnte niemanden fürder verdammen.

Die einfache Arbeit in der Siedlung tat mir wohl, das Blühen und
Wachsen der stummen Geschöpfe, die in meiner Obhut waren, erfüllte
mich mit bescheidenem Vaterstolz. Unverdrossen trug ich die Kette der
täglichen Wassereimer über das unersättliche Land und empfand einen
demütigen Zwang, Besseres zu leisten als meine Gesellen.

Verkehr suchte und fand ich nicht; mein Wesen galt, ohne daß es mir
damals zum Bewußtsein kam, als hochmütig. Indessen habe ich gelernt,
daß die Gesellschaft Verschlossenheit und Absonderung nicht liebt.
Nur gegen Fremde, von denen ich hörte, daß sie meine Heimat berührt
hatten, zeigte ich mich lebendiger und forschte sie vorsichtig nach
dem und jenem aus, traf aber niemand, der Wissenswertes wußte. Als
jedoch Saladin stärker gegen das morsche Königreich Jerusalem zu
rennen begann und die Bächlein der abendländischen Ritterschaft wieder
kräftiger anschwollen, sandte mir Gott eine Botschaft des Glücks und
der Verzweiflung zugleich.

Ich war in meinem Rosengarten -- eine leichte, duftende Freude neben
meinen Pflichten -- und versuchte mich in der Veredlung, wie sie mich
ein sarazenischer Sklave gelehrt hatte. Eine wundervolle, saftigrote
Knospe war eben aufgesprungen und duftete süß und hingegeben in den
laulichen Tag. Da tönten Stimmen hinter dem Geheg, Meister Otfried
näherte sich mit Fremden, und bald erfüllte eine fröhliche Runde
französischer Herren meinen Garten. In meiner Schöpferfreude zeigte ich
die neue Züchtung; sie ward gebührend bewundert und berochen, und einer
der Herren sagte mit Lachen:

»Ich wüßte einen schönen Namen für dies süße Blumenkind: nennt sie
Aleit von Claraforte.«

Das Messer fiel mir aus der Hand, ich bückte mich, suchte mit irrenden
Fingern, mußte endlich blutübergossen emportauchen.

»Die schönste Frau, die ich jemals sah, bei meiner Seel!« plauderte der
Ritter unbefangen weiter. »Aber leider hat sie für niemanden anders
Augen als für ihren Gemahl. Verständlich, denn der Herzog ist ein
wahrer König Artus an Tugend, Schönheit, Mannestum.«

»Ihr sprecht von einer Toten, Herr!« sagte ich tonlos, fessellosen Zorn
im Herzen, und mich selbst zerfleischend fuhr ich fort: »Auch hab ich
niemals viel Rühmens von Robert dem Teufel gehört.«

Der Fremde schaute erstaunt, mein erregtes Wesen konnte ihm nicht
entgehen. Die anderen hatten des gottlob weniger acht, sie standen
bereits entfernter auf einem Hügel, die klare Aussicht bewundernd. Der
Ritter erwiderte schier achtlos:

»Was sagt Ihr? Ich verstehe Euch nicht. Kennt Ihr den Herzog und sein
Weib? Wann saht Ihr sie zuletzt?«

Wie sauer mir die Worte fielen! Wie schwer mußte ich mich beherrschen!
Und noch in diesem Augenblick ahnte ich nicht die Wahrheit.

»Vom Hörensagen,« erwiderte ich. »Vor mehr denn zwei Jahren zog ich an
Claraforte vorüber in dies Land. Eben damals war Aleit von Montgerrat
-- die meint Ihr doch? -- durch einen üblen Fall zu Tode gekommen. Der
Herzog aber -- doch, Herr, ich erzähle Euch alte Geschichten -- er hieß
der Teufel landaus, landein, und wenn auch nur die Hälfte alles dessen,
was sie ihm nachredeten, wahr ist, so wird sich Satan für diesen
Namensbruder bedanken.«

Trotzig sah ich auf den gezierten, goldbehangenen Fant; mich ärgerte
die Kunde, ich hielt nicht anders, als daß mein Stellvertreter eine
neue Heirat getan haben mußte, und jener habe der jungen Herzogin
versehentlich den Namen meines toten Weibes gegeben.

Indes ich sprach, zuckte der Gast wie sich erinnernd mit der Braue;
jetzt wandte er sich gelangweilt ab.

»Freund, Ihr vernahmt ein falsches Gerücht. Ich sah Aleit von
Montgerrat, mit dem Herzog und ihrem Söhnchen vor kaum drei Monden in
Paris -- ich entsinne mich übrigens, sie trug am linken Schlaf ein
feuriges Mal wie von einer Narbe. Und Herzog Robert -- mag er gewesen
sein wie immer -- heut ist er einer der vornehmsten und besten Ritter
der Christenheit. -- Was ist Euch? Ihr solltet Euch nicht barhäuptig
dieser verruchten Sonne aussetzen. Gehabt Euch wohl und vergeßt nicht:
die Rose nennt Ihr Frau Aleit.«

Die Schritte verhallten, das Gelächter zerstob. Die roten Blütenblätter
der Rose »Frau Aleit« erstarben in meinen mörderischen Händen,
wollüstig gruben sich die Dornen in mein Blut.

Die heuchlerische Larve meiner Demut und Buße fiel jäh von meinem
Antlitz. Das Glück, kein Mörder zu sein, ließ mich nicht jubeln,
nein, ich schrie wie ein wildes Tier zum Himmel auf, daß Gott und
Schicksal mich betrogen hätten. Nichts Edles war mehr in mir, mit
glühenden Zangen folterten mich Eifersucht, Haß, Neid -- alle dunklen
Triebe meines Herzens. Die Stille meines Lebens ward von einem Gebrüll
zerrissen, das mir jetzt noch in beschämten Ohren klingt. Im rasenden
Gehirn erwürgte ich mein Spiegelbild, mein Selbst, den Mann, der meine
Züge trug, in dessen Adern Blut von meinem Blute floß, erwürgte ihn mit
einer kalten, hemmungslosen Lust am Morden, sah seine hervorquellenden
Augen, hörte das Brechen der Wirbel und lachte, lachte -- dieweil mein
eigener Leichnam in meinen verkrampften Fäusten lag.

Rache! Was tat ich dir, Gott der Liebe! War meine Schuld an dich so
riesengroß, daß sie solche Strafe verdiente? O ich Narr der Narren!
Ein Kind war da, ein Erbe -- ein Wählingerblut! Ein Bastard vom
Bastard -- Herrgott, wo blieb deine Güte, von der deine Diener so viel
Aufhebens machen? Und Nacht um Nacht ergibt sie ihre weißen Glieder
dem Landstreicher, ahnungslos, liebend, voll von ihrer keuschen
Leidenschaft -- oder -- oder wissend und vom guten Tausch beseligt?

Irrsinnig lachend saß ich in meinen Blumen, Arme voll Rosen riß ich
an die Brust und badete mein Gesicht in Dornen und Blüten und Blut
aus hundert kleinen Wunden. Narr! Tölpel! Von Gott und den Menschen
verraten, betrogen, bestohlen! Räche dich! Der Fluch der Lächerlichkeit
betäubte mich, meine Eitelkeit ertrug das Leben nicht mehr. Eitelkeit
stachelte die Gedanken zu wirren Sprüngen: Beweise dich, zeige dich,
du echtes, gerechtes Wählingerblut, gezeugt vom echten Stamme im Bett
einer Königstochter, nicht hinter der Hecke mit Kebsen und Dirnen,
getragen in Unlust, geboren in Schande, erzogen zum Betrug -- zum --
wie sagte der Franzose? -- zum vornehmsten Ritter der Christenheit.
Mein Herr Heckenbruder, wir rechnen ab! Wie schlau, ein bißchen zu
schlau hast du deine Fäden gezogen, deine Netze gestellt, aber bist du
auch ein Riese an Kraft wie ich, mit diesen eisernen Arbeitsfäusten
erwürge ich dich, und wärest du außen und innen aus Erz.

Die Vesperglocke läutete dünn über die Büsche, ich achtete sie nicht.
Jäh floß der kühle Hauch der Nacht um mich her, ich fühlte keine Hitze,
keine Kälte; starrte haßerfüllt in die glänzenden Sterne, die über
meiner zerbrochenen, gestohlenen Liebe schienen. Zwei Jahre lang, Tag
um Tag, hatte ich diesen Mann gesegnet, der meine Tat und meinen Namen
trug; indes er in den Wonnen des Paradieses schwelgte, seufzte ich in
der heißen Sonne Palästinas, Knechtsdienste verrichtend, Knechtsbrot
essend, der größte und törichtste aller Narren, die je von ihrem
heimatlichen Herde liefen.

Niemand suchte mich, wahrscheinlich saßen die Genossen bei den Gästen
und hörten voll Sehnsucht und Heimweh die Erzählungen aus dem alten
Lande an. Ich wollte keine lebendige Seele sehen, und Gott war in
meiner Brust erloschen wie eine Flamme ohne Nahrung. Blut rann mir
vor den Augen; im Blute dessen, der mir Weib und Land raubte, mußte
ich mein Leid ersäufen, anders starb es nie. In diesen Vorstellungen
erlangte ich, merkwürdig genug, eine gewisse Ruhe; ein Entschluß
war gefaßt, ich hielt mich bereit. Leise schlich ich durch die
Gartenanlagen an die Siedlung, willens, noch vor Tag mein Ränzel zu
schnüren und mit dem frühesten nach Akkon aufzubrechen; aber ich fand
zu meiner Überraschung den Saal von Fackeln erleuchtet und dröhnend
von Worten und Waffen. Abermals, mitten in der Nacht, waren Gäste
angekommen, bis in den Hof standen die Knechte, und über die weinheißen
Köpfe flatterte ein erlösendes Wort: Krieg.

Dunkles Walten stieß mich in das Gewühl, ich drängte mich durch die
Fremden in die Halle, Freunde sahen mich, Meister Otfried rief mich zu
sich und sprach mit hellen Augen:

»Bruder Ronald, zieh dein Priesterkleid an. Über vielen steht der Tod,
und sie sollen getröstet einfahren in das himmlische Reich. Saladin
stößt auf Askalon, der von Chatillon läßt uns aufrufen. Oder halten
dich deine Rosen?«

»Nein!« sagte ich unter brünstigem Frohlocken, Blut schwamm mir vor den
Augen. »Aber gönnt mir ein Schwert statt der Kutte. Gott findet die
Seinen auch ohne mich.«

Meister Otfried runzelte lachend die Stirn; die fremden Herren neben
ihm, die unsere Reden hörten, lächelten spöttisch. Ich sah sie an,
eiskalt war mein Hirn, Verachtung und Hochmut in allen Poren beugte ich
mich, packte mit der Faust einen der schweren Eichensessel, darauf ein
Ritter in voller Wehre saß, hob ihn gestreckten Armes über den Tisch
und ließ ihn langsam zwischen die Schüsseln und Becher nieder, ohne
anzustoßen, ohne Geräusch. Viele sahen es und gafften mit verschlagenem
Munde, ich aber, der ich dies Kunststück hundertmal in meiner Heimat
trunken und prahlerisch vollführt hatte, ward inne, daß meine mächtige
Kraft noch gewachsen war, und das Herz schrie mir vor Stolz und
Nachsucht in der verschwiegenen Brust. So werde ich ihn erwürgen, den
Bastard, und sein rotes Blut wird über meinen nackten Arm laufen, den
Knechtsarbeit bräunte um seinetwillen.

Der Franzose sprang mit guter Miene von seinem Hochsitz und schlug mir
auf die Schulter:

»Ei, das ist ja ein Teufel von einem Mönch! Und recht hat er, wenn er
einen eisernen Wedel begehrt, das ungläubige Gezücht zu weihen. Kommt
in mein Gefolge, Mann!«

Ehe ich ablehnen konnte, stand Meister Otfried vor mir und sah mir tief
in die Augen.

»Du sollst ein Schwert haben, Ronald,« sagte er leise, »wie dürften
wir Gott einen solchen Arm entziehen! Setz dich her, wir vermißten
dich schon eine Weile, tu einen letzten Trunk mit uns, denn um die
Mittagszeit fahren wir, und schon bleichen die Sterne. Möchte so auch
der Halbmond tun!«

Er seufzte verstohlen und reichte mir seinen eigenen Becher voll
feurigen Griechenweins. Ich stürzte ihn, ohne abzusetzen, gierig nach
Betäubung.

Otfried sah mich verwundert forschend an, mit dem Finger drohend:

»Ronald, Ronald, heut wirfst du dein ganzes Mönchswesen beiseit.
Nie hab ich dich über dem Wein gesehen, und jetzt beschämst du die
tapfersten Schläuche.«

»Die neue Rose!« warf der Fant vom Nachmittag spottend ein, »die
schöne Frau Aleit!« Und wehrte mit hohnvollem Entsetzen meinem zornigen
Blick: »Friß mich nur nicht sogleich, du Vorzeitriese, du Elefant!
Wart lieber auf Saladins braunes Geziefer, da passen gleich drei Hälse
zugleich in deine Klaue.«

Ich schob den Becher schroff zurück und verließ den Raum, wollte allein
sein, keine fröhlichen Reden hören, keine lachenden Augen sehen. Ins
Schlafgemach ging ich nicht erst, holte mir aus den Pferdeställen eine
Decke, wickelte mich ein und legte mich hinter die Gebäude in einen
sturmgeschützten Winkel, dahin der Lärm der sinkenden Nacht kaum wie
ein Bachgemurmel drang.

Das Blut der Ahnen stieg aus geheimnisvollen Tiefen auf, Krieg, Schwert
und Harnisch verwischten die bunttobenden Leidenschaften zu einem
grauen Gespenst, und ein Traum von Heldentum wiegte mich sonder Wollen
und Wissen in Schlummer.


Eine armselige Rüstung für einen Herzog. Ein zerbeulter Helm,
ein rostiges Kettenhemd; aber das Schwert war vortrefflich: ein
Zweihänder vom alten Schlage, mir anvertraut, weil es sonst keiner
schwingen mochte. Die Kutte hatte ich über den Quersack geschnürt, die
Mönchspapiere trug ich im Beutel auf der Brust, wer weiß, wozu; ich
konnte nur noch arge Gedanken hegen. All mein Wollen drängte nach der
Heimat; die kommende Schlacht, das Heilige Land, das Heilige Grab -- es
waren bunte Bilder am Wege meiner Rache.

Wir zogen -- ein stattlicher Haufe -- dem Hauptheere zu, schier
stündlich vergrößert durch Zuwachs von flüchtendem Landvolk, Christen
und auch Heiden, denn diese fürchteten den Großsultan mehr noch als
das Kreuz, das ihnen zumeist ein bequemer Herr war, wenigstens was das
Leben anging. Saladin preßte sie zum Heeresdienst und sandte sie in den
Tod; sie, die arbeitend zwischen den Bekenntnissen lebten, sahen keinen
großen Unterschied und begeisterten sich nicht einseitig. Es waren
nicht die Besten.

Nach drei Tagen wälzten wir uns in einem Riesenstrom gegen die Küste,
Karren, Reiter, Fußvolk mit Weibern und Kindern, gepeitscht von der
dunkel drohenden Wolke des Gefürchteten. Im Lager von Askalon wurden
die Böcke von den Schafen geschieden, die Krieger sammelten sich und
zogen auf das blache Feld, Wachen wurden weithin ausgestellt, die
fiebrige Stille vor dem Sturm begann ihre Folter.

Ich hatte den Herrn von Burgberg vergebens im Lager gesucht; jetzt
stieß er unversehens zu uns, trotz seines weißen Haares kampfbereit und
aufrecht im Sattel des knochigen Gauls. Er erkannte mich auch unter dem
Helm, lachte und bot mir vom Pferde die Hand; keiner von uns ahnte, wie
bald wir die Rollen tauschen würden.

»Mönchlein,« scherzte er munter, »ob du diese braunen Teufel austreiben
wirst? Heuer kommen die Heiden mit großer Gewalt gefahren, schon sah
ich die Plänkler über den Hügeln und -- horch! Was blasen die Hörner?«

Er hob seine alten Glieder kraftvoll in den Bügeln, ein freudiger
Schein glitt über sein vergrämtes, gutes Gesicht; kaum daß er Zeit
fand, mir zuzunicken, und fort sprengte er in die Reihen der Deutschen
Brüder.

Befehle schollen, das Lanzenvolk wurde in dichter Hecke vor uns
aufgepflanzt, Wolken feinen Sandes wirbelten auf, leise schütterte der
Boden von zahllosen Hufen. Ein Schauer überfiel mich -- Angst? Nein,
nackte, gemeine Blutgier, unstillbar, höllenheiß, aus mörderischem
Herzen geboren. In starrer Hand hielt ich den Schwertgriff, wollte
keinen anderen Feind sehen als ihn, der mich arm gemacht, und hatte
doch Heimat, Weib und Räuber vergessen, als das Gewühl um mich wogte
und ich, unwissend wie, mitten im Kampfe stand und für mein Leben um
mich schlug. Das war ein ander Ding als ein Turnei in sicherer Rüstung.
Wie Heuschrecken wimmelten die Heiden auf blitzschnellen Rossen um
unsere längst abgetrennte Schar; aber wir hielten uns wacker und
trieben einen Keil in die Woge, daß sie blutig zerschäumte. Atemlos
spähten wir über das donnernde Feld nach Hilfe; da brauste es abermals
über uns her, wir schmolzen zusammen, hin und her gezerrt, wurden immer
weiter abgedrängt, zerrieben, wußten nichts von den anderen, nichts
von der Schlacht, kämpften blutbesudelt und ermattet gegen den gewissen
Tod.

Plötzlich ein gellender Pfeifenton, die braunen Teufel stutzten, rissen
die Gäule herum und schossen aus dem Tal; zitternd vor Müdigkeit
starrten wir ihnen nach, glaubten nur an eine neue große Not. Da klomm
ein Roß über die Mulde, der von Burgberg ritt langsam heran, bleich,
mit geschlossenen Lidern, den weißen Ordensmantel purpurn und zerfetzt.
Er hielt gerade vor mir, als führte ihn ein Unsichtbarer, schlug die
Augen auf, die schon im Tode brachen, und lallte:

»Sieg!«

Krachend stürzte er aus dem Sattel; niemand fing ihn auf, wir waren
alle wie gelähmt. Mit stumpfen Knien trat ich zu ihm und sah in seinen
Augen das Ende. Der Hengst schnupperte aufgeregt über dem Leichnam
und erinnerte mich an die Stunde. Sonder Umsehens sprang ich in den
geleerten Sattel und sprengte den Hügeln zu, den blutigen Zweihänder
wie eine Todesflamme in der Faust. Ein Blutrausch kreiste durch meine
Adern, in meinem Herzen schrieen tote Jahrhunderte, ich fühlte in
rasender Lust: Rossesrücken ist mein Haus, Schlacht ist meine Heimat,
Schwertschlag meine Freude. Ich sah die fliehenden Horden ostwärts
stürzen, hieb dem Pferde die flache Klinge über den Schenkel und
stürmte hinterdrein, als gälte es ein Königreich. Junge Kraft rann
mir durch den Leib, ich genoß, und stünde der Tod mit mähender Sichel
hinter mir, ich genoß mit langen Atemzügen die schwingende Lust des
Rittes und dachte an keine Müdigkeit.

Grau fiel mich die Steppe an, lauter donnerten die Hufe vor mir an mein
Ohr, enger ward der Raum zwischen Jäger und Wild; jetzt lag ich Seite
an Seite mit einem angstverzerrten Bronzekopf, ich schlug ihn mit der
bloßen Faust aus den Bügeln, und weiter. Sie achteten endlich meiner,
sie merkten den Einzelnen, wendeten blitzschnell und schlossen sich zu
sieben oder acht zusammen, ihre raschen Wüstengäule schossen wiehernd
um mich her; Pfeile und Speere sausten, keiner traf. Keiner traf den
Mann, der leben mußte, um zu rächen! Bei meiner Seele, ich glaubte in
dieser Stunde an ein Zeichen Gottes; es war auch eins, aber ich deutete
es falsch.

Einer der Heiden schien den Befehl zu führen, er saß auf einem
herrlichen Rappen, golden schimmerten seine Waffen, vom Helm wallte ein
edelsteingeschmückter Schleier über seine Schulter.

Greif dir den und reite zurück! raunte eine Stimme in mir. Die Beute
heißt Überfahrt mit Mann und Roß; in zwei Monden kannst du schon in der
Heimat sein, und dann --

Mein armes Roß bäumte sich hochauf unter dem grausamen Hieb, es flog
mit pfeifendem Stöhnen über die Grasnarbe; sechs Sarazenen blieben
zurück, der vornehmste aber ritt spielerisch vor mir her, von seinem
adligen Tier wie auf Flügeln davongetragen. Plötzlich riß er das Roß
mitten im Jagen herum, eine Lanze fuhr aus seiner braunen Faust und
traf mich mitten auf die Brust.

Der Atem blieb mir weg, Erde und Himmel kreisten vor meinen Augen, eine
dünne Schlange zischelte über meinem Kopf, schnürte sich um meine Arme;
rasend sprengte der Rappe im Kreise um mich, enger und enger, und jeder
Kreis war eine lederne Fessel um meinen Leib, bis ich, ein hilfloses
Bündel, über einem fremden Sattel lag.

Gott hatte mich ganz verlassen.

Die Glieder schienen mir abzusterben, das Blut füllte meinen tief
herabhängenden Kopf zum Zerspringen mächtig, Jammer und Ekel wuchsen
größer als mein zorniger Mut. Große Dinge mußte die Vorsehung mit
mir vorhaben, daß sie mich also hart prüfte; jedoch dieser Gedanke,
in bitterer Verzweiflung geboren, gab mir keine Hoffnung. Um mein
Schicksal hegte ich keine Furcht, mochte es Tod oder Sklaverei heißen;
aber eben jetzt, da ich noch eine Aufgabe auf Erden hatte, abgerufen zu
werden, konnte ich Gott nicht vergeben. Es erschien mir als das ärgste
meiner seltsam vielfältigen Leiden, wie denn immer die letzte Folter am
schwersten zu ertragen ist.

Eine gute Weile ritten die Heiden, was die Pferde gaben; dann ging es
sorgloser dahin, und ich merkte an ihrem Gehaben, daß die Verfolgung
zu Ende sei. Konnts auch denken, denn Rainald von Chatillons geringe
Reiterschar durfte sich nicht von der Masse des Fußvolks lösen, ohne
in Gefahren zu laufen. Bald waren wir mitten im Gewühl, ich wurde auf
ein ledig Roß gehoben, die Füße wurden unterm Sattelgurt verkettet, und
weiter ging es bis spät in die Nacht. Saladin schien den Kampf völlig
aufzugeben; die paar Brocken der Heidensprache, die ich aufschnappte,
belehrten mich über den Umfang seiner Niederlage, und trotz allem
pochte mein abendländisch Herz höher.

Meiner Körperkraft zu Ehren blieben mir die Arme an den Leib gebunden,
auch als der Trupp zur Nacht absaß. Ich wurde wie ein Bündel alter
Kleider auf die kalte Erde gelegt, und bald schlief alles ringsum bis
auf die Posten, deren Lanzeneisen ich von weitem im Mondenlicht blitzen
sah. Mich dünkte, ich war des Sultans einziger Gewinn vom Tag bei
Askalon, und ein Lachen kam mich an ob solcher elenden Beute.

Der Schlaf mied mich, denn wie ich mich auch wälzte, die Riemen
schnitten schmerzhaft in mein Fleisch und gönnten mir die Ruhe nicht.
Ich überdachte die Reden der Sarazenen, soweit ich sie verstanden
hatte, und glaubte über meinen Bewältiger klar zu sein: es war der Emir
von Bachara, offenbar ein Mann von höchstem Ansehen und Reichtum. Mich
kümmerte das vorerst wenig, ich gedachte seiner nur, um meine gequälten
Sinne zu beschäftigen und abzulenken.

In der Frühe jedoch trat er auf mich zu, ein hochgewachsener, schöner
Mensch im kräftigen Alter, blickte kühl auf mich nieder und sagte zu
meinem höchsten Erstaunen auf deutsch:

»Du kommst nach Bachara, Christ. Versprich, unterwegs nicht zu fliehen
oder sonst gewalttätig zu sein, dann bist du der Fesseln ledig.«

»Es sei,« erwiderte ich spottend, »habt keine Furcht!«

Der Emir hörte dies unbewegten Gesichts, nur ein Winkel seines Mundes
schien zu zucken. Er winkte, die Riemen fielen ab. Aber die Knechte
mußten mich in den Sattel heben, ich konnte nicht einmal auf den Füßen
bleiben.

Immer noch stand der Emir da und hatte eine Frage auf der Zunge.
Endlich hielt es ihn nicht:

»Du müßtest tot sein,« begann er in sichtlicher Verlegenheit. »Warum
fiel mein Speer aus deiner Brust?«

Unwillkürlich faßte ich nach der Stelle; das Kettenhemd war zerlöchert
und zerschlissen, ich konnte mit dem Arm hindurchfahren. Jedoch unter
dem Leinen fühlte ich, verbogen und halb zerschnitten, die Münze meines
Bruders und errötete bis unter das Haar.

»Seht!« Heiser fuhr mir der Ton aus der Kehle.

Der Emir warf einen flüchtigen Blick auf das verbeulte Blech und
sprengte an die Spitze seines Zuges. Wir ritten.

Plötzlich fühlte ich eine Hand aus den ewigen Höhen niederreichen und
mein Herz berühren, fühlte ein Band aus dieser Wüste unsichtbar in
die Heimat gehen, eine hauchfeine Kette zwischen mir und jener armen
Mutter, die eine Sommernacht lang meines Vaters Spiel gewesen.

Stumm senkte ich den Kopf, die Tränen liefen mir in den Bart.



Zweites Buch


Ich war gefangen, gefangen im Paradiese. Die Wunder des Morgenlandes
dufteten, glühten, rauschten um mich her, inmitten immerblühender
Zaubergärten ragten schimmernde Paläste, dämmerten verschwiegene
Lauben, sangen bunte Vögel -- Wirklichkeit war auf einmal der nie
erfüllte Nordlandstraum vom ewigen Licht. Sie fragten mich, was ich
könnte, und ich wurde in die Gärten gestellt, in flammende Märchen
getaucht, hatte Freiheit, so weit die Mauern um das Paradies, hatte
Brot, Lager, Himmel, Sonne.

Wenige Wochen zuvor hätte mir das Herz gejubelt, heut schlug es kalt
in aller Pracht und Herrlichkeit. Der Emir blieb unsichtbar; von
Sklaven aus dem Abendlande sah ich nichts; die heidnischen, mit denen
ich arbeitete, wußten nur wenige Worte Fränkisch. Es war gut. Ich
war gezwungen, ihre Sprache zu erlernen, auch meine Gedanken waren
dergestalt gefangen, solange es tagte. Nachts lag ich todmüde auf
dem Lager, hatte meine eigene Hütte, meinen eigenen Herd, denn die
Sarazenenküche widerte mich an. Ich arbeitete das Zehnfache dessen,
was die Heiden trieben, ich wollte nicht denken. Sie überließen mich
achselzuckend meinem Tun; auch hier ward ich keines Freund, keines
Feind. Vielleicht wäre mir Flucht leicht geworden, aber ich wußte nicht
mehr, wozu. Die Heimat mit ihren Gestalten wich ferner, mein Haß gegen
den Bastard verebbte, ich suchte den Mann zu verstehen, und fand am
Ende nichts zu verzeihen. Mein Herz, das heiß und leidenschaftlich
mit Gott verbunden zu sein wähnte, sah das Ewige fortan durch eine
klare Flamme; losgelöst von den Formen der Gemeinschaft, wurde ich
eine Kirche für mich und gewann einen stillen, tiefen Glauben. Dies
kam nicht von heut auf morgen, aber in drei endlosen Jahren der
Welteinsamkeit. Und doch standen noch Stürme vor meinem Hause, und doch
hatte der Kampf um meine Seele erst begonnen.

Nach und nach erfuhr ich einiges über den Emir von Bachara und
erhielt das Bild eines außerordentlichen Mannes. Der älteste Aufseher
liebte es, meiner Arbeit zuzuschauen, seine greise Geschwätzigkeit
unterrichtete mich über Dinge und Menschen lebendig wie ein sprechendes
Bild.

»Vor fünf Jahren, Christ, hättest du nachts nicht gewußt, wohin
deine Striemen betten. Der Herr -- Allah erhalte ihn uns! -- schwang
die Peitsche, seine nächsten Diener peitschten uns, wir peitschten
die Sklaven. Der Fluß dort hinter der Mauer kann erzählen, wieviel
verdorbenes Menschenfleisch in seinen Schoß versenkt worden ist. Da« --
er stieß den Daumen über die Schulter nach dem Harem, dessen verhangene
Fenster niemals geöffnet wurden -- »da wimmelte ein Ameisenhaufe von
Völkerchen; und jetzt kannst du Ohren haben, die das Gras wachsen
hören, du lauschst vergebens auf den zierlichen Tritt einer schlanken
Gazelle.«

Hierbei dämpfte er die Stimme und sprach wie aus Grüften, das runde
Gesicht verzog sich zu einem schwermütigen Trauerlied und malte
ergreifend das entvölkerte Lusthaus.

»Du hast die Ehre gehabt, meinen Herrn mit deinen ungläubigen Augen zu
betrachten. Sage, Christ, gibt es in der ganzen Welt einen schöneren
Mann?« Und fuhr fort, ohne den kleinsten Augenblick auf eine Antwort,
die ihm selbstverständlich schien, zu warten: »Die weißen Sklavinnen,
die ihm zugebracht wurden, schmolzen vor seinem Antlitz wie Tau in der
Sonne, bis auf eine. Christ, ich habe sie gesehen, denn sie verschmähte
den Schleier; sie war keine Lilie an Schönheit, aber an Blässe; nur
wenn sie ihre Augen auftat, dann versank alles, Erde, Meer und Himmel,
in diesen leuchtenden Tiefen. Du schautest in sie hinein wie durch zwei
Fenster, und innen strahlte und schimmerte es wie in Allahs höchstem
Freudensaal. Und wiederum, blickte sie auf dich, so blieb nicht eine
winzige Schlechtigkeit in deinem Herzen, die süßen blauen Flammen
brannten alles klar.«

Der alte, närrische Kerl spitzte seinen Mund und riß die schwarzen
Augen weit auf, aber das Bild dieser wunderbaren Frau zu schaffen
gelang selbst ihm nicht. Jedoch das feiste Schelmengesicht verlor seine
Sattheit und bekam einen schier edlen Zug, derweil von dieser Frau aus
Nordland die Rede war, die den Herrn mitsamt den Dienern bezaubert
hatte. Mir zog es eigen durch das Herz, darin Aleit ihre stille,
heilige Kammer hatte, und aus der Begeisterung dieses greisen Kindes
leuchteten ihre Augen auf mich nieder.

»Christ, ich sage dir, das gab ein Aufräumen und Reinemachen! Um dieser
blassen Stirn willen mußte der ganze Harem wandern, und schließlich
saß unser Herr da und hatte ein einsames Lager. Denn die blonde Frau
gab einem Kinde das Leben und schied bald hernach aus dieser Welt. Wir
warteten alle gespannt auf das Ende der Totenstille, aber es gab kein
Ende. Der Herr läßt das Haus verfallen bis auf Sobeidens Flügel, die
Peitschen vermodern, die weißen Sklaven wurden freigelassen bis auf
eine Amme, die ist jetzt auch weg; das Kind wird von einer Negerin
betreut, einem wahren Drachenweibe! Ich wundere mich, daß du hier bist;
der Herr sieht eure Haut nicht mehr gern, nur bei einer macht er eine
Ausnahme.«

»Das Kind?« fragte ich erstaunt. »Ist es denn --«

»So weiß wie du an deinem Halse, Christ, denn der blonde Meerstern
trug es schon, als er in unsere Hütte schien. Der Herr hat dessen kein
Hehl, aber er hängt dennoch an dem kleinen Ding mehr als an allen
seinen Schätzen und liebt es wie sein eigen Blut. Stundenlang spielt
er Kind mit dem Kinde im Frauengarten, ein Anderer, Verwandelter, ein
Bezauberter. Christ,« rief Abdullah plötzlich, »er ist verhext, glaub
es mir. Ein Mann von eben dreißig, und hängt sein saftig Leben an eine
Erinnerung!«

Darauf konnte ich wahrlich zuletzt etwas erwidern. Mein Leben war
nichts als Erinnerung.

»Sage, hast du Weib und Kind in deiner Heimat?«

Selben Augenblicks wurde er abgerufen und wartete meine Antwort nicht
ab. Er hätte auch keine erhalten. In einer Art Lähmung blieb ich in dem
spitzen Schatten der Zeder sitzen und starrte auf die gelbe Lehmmauer,
dahinter das Kind der toten blonden Frau seine Märchenjugend genoß. Ein
Sehnsuchtsweh ergriff mich nach einem Menschen meiner Rasse, meines
nordischen Geblüts. Das stählern blaue Gewölbe des wolkenklaren Himmels
über mir trieb mir das Heimweh nach Wolken, Meer, Haide und Wald in das
dürre Herz.

Was sollten mir Wolken und Land und See, da ich Aleit verloren hatte.
Und dennoch -- tief innen glühte eine Fackel für die Erde, die mich
geboren, glühte sonder Nahrung durch Frauenliebe und Minneglück, von
einem uralten, nimmer erloschenen Feuer genährt.

In dieser Nacht schlief ich nicht. Abdullah, dem es oblag, den Garten
zu schließen, hatte mir seit langem den Schlüssel vertraut -- es waren
über der Mauer nach dem Harem keine Früchte mehr zu naschen. Ich
aber saß droben auf den unkrautbewachsenen Steinen und suchte hinter
den schwarzen Büschen, ob nicht ein Kindergesichtchen schelmisch
hervorluge, ein lebendiges Stückchen Abendland, ein Tropfen Bluts aus
nordischer Heimatwelle.

Nichts regte sich. Der Mond glitt silbern über verwehte Spuren der
Liebenden. Das Kind schlief seinen guten Schlaf auf seidenem Pfühl.


Ich hatte eine neue Beschäftigung: das Kind zu belauschen. Stundenlang
hockte ich in dem breiten, dichten Geäst eines Walnußbaumes, der über
die Gartenmauer sah, und spähte in die Wildwuchsheimat Sobeidens. Ein
klares blondes Flämmchen sprühvoll Lebens und zugleich ein stilles,
blaues Märchen über Blumen und bunten Gräsern. O wie weh tut Armut!
Hätt ich alle Schätze Salomos, ich gäb sie hin, um das Kind einen
Herzschlag lang an meiner Brust zu fühlen. Jedoch auch so waren die
verschwiegenen Stunden des Lauschens Glück genug; meine Einsamkeit war
gebrochen, meine Gebete ein trunkener Rausch, ein seliges Ringen mit
Gott um Segen für dies geliebte, zärtliche Köpfchen. Das Kind hielt
mich stärker als alle Fesseln. Mit Schrecken sah ich die Regenzeit
herannahen -- Regenzeit, Tage und Wochen der Einsamkeit! Das Kind würde
mir geraubt werden, all meine armselige Luft. Ich fühlte, wie es mein
eigen ward, wie ich es liebte mit jener blinden, mütterlichen Glut, die
Männerherzen sonst nicht beschieden ist. Der Emir allerdings -- jedoch
er war in Geschäften des Sultans nach Ägypten, im Frauengarten sah ich
ihn nie. Auch er ward mit der Regenzeit erwartet, und die Eifersucht
quälte und verzehrte mich lange zuvor. Er, der Ungläubige, durfte auf
gestickten Kissen mit meiner Freude tollen, er fing mit ihr die bunten
Federbälle, jagte durch die hohen Räume des Harems den schlanken,
leichten Reifen nach und ließ von den grünen, schillernden Papageien
Märchen erzählen, die er übertrug. Vielleicht sprachen sie Deutsch
miteinander, die blonde Frau sollte aus Deutschland gekommen sein;
aber im Garten, mit der schwarzen Sklavin, floß nur die Heidensprache
süß und fertig von den Kinderlippen, kein Ausruf einer jähen Bewegung
zeigte ihre Herkunft an.

Eines Tags stürzte Abdullah schnaufend über den Rasen und meldete die
bevorstehende Ankunft des Herrn. Fieberhaft wurde gerüstet, Tausende
von Blumen wurden in Kübel getopft und in den Palast getragen, alle
Hände waren vollbeschäftigt, der Garten scholl von Arbeitslärm, ich
konnte nicht daran denken, unbeobachtet in mein Versteck zu klettern.
Der Herr kam und nahm mir meine Lust, denn wie sollte ich es ertragen,
daß ein Fremder mein süßes Kind in den Armen hielt und hätschelte,
indes ich verdurstete.

Düster starrte ich auf die Karren mit Beute oder Geschenken,
hochbepackt, gesättigten Reichtums kamen sie angefahren. In Käfigen
saßen wilde, fremdartige Tiere, ihr Geheul zerschnitt mir die
Nachtruhe, aber ich wollte ohnehin wachen, um mit dem frühesten auf
meinen Baum zu steigen, die Kleine zu erwarten. Morgens, wußte ich,
war ihre Stunde; dann neigte sie mit lieblicher Gebärde die schönsten
Blumenkelche gegeneinander und vermischte ihren blitzenden Tau -- eine
Blütenhochzeit voller Jugend, Anmut, Sonne; nie werde ich diese Bilder
vergessen.

In der Nacht war der Emir eingetroffen, gewiß würde er noch um die
frühe Stunde von den Anstrengungen der sehr weiten Fahrt schlummern
und ließ mir ein ungestörtes Glück. Aber auch sein erster Gedanke war
Sobeide, das sah ich, als ich meinen Baum erklommen hatte und über die
Mauer blickte. Sklaven liefen eifrig in dem morgendlichen Garten umher
und zimmerten einen grünen Baldachin; goldgestickte Ruhepolster lagen
schon bereit, der Marmorbrunnen sprudelte wieder.

Vom Hof des Hauptpalastes erscholl das Geschrei der Bestien mit
einemmal lauter, plötzlich überschrien von einem wilden menschlichen
Entsetzen. Die Arbeiter unter dem Baldachin stutzten und rannten
hinaus. Ein dumpfes Brüllen erschütterte die Luft, langsam trat durch
das offene Tor ein Löwe in den Frauengarten, und mit ihm waren die
Mauern jäh belebt von erregten Köpfen. Die schweren Flügel krachten zu,
die Balken dahinter fielen in die eisernen Klammern, hier und da schon
löste sich der Schrecken in ein heiseres Lachen über das gefangene
Tier. Aber jetzt ward eine Stille, als hielte Gott den Atem an. Die
Tür des Frauenhauses öffnete sich, das Kind sprang nichtsahnend über
die Schwelle, sah den Baldachin und klatschte jubelnd in die Hände. Ich
fühlte mein Herz nicht mehr, meine Augen verdunkelten sich. Mit einem
Sprung stand ich auf der Mauer, flog in den Garten, stand jählings
versteint in rasender Angst. Das Kind hatte den Löwen endlich gesehen
und sank bleich und zitternd in die Knie. Zögernd streckte sich das
Tier, fegte mit dem Schweif nachlässig den Boden. Meiner ward es noch
nicht gewahr; ich wußte nicht, was beginnen, entschlossen jedoch, bei
der geringsten Bewegung mit den nackten Fäusten wider die Gefahr zu
springen. Da tönte ein leises Zischen neben mir, eine Lanze bohrte sich
in den Boden, handgerecht, mit schwingendem Schaft. Mir war wie in der
Schlacht, Blut rann mir vor den Augen, mit einem Sprung stand ich neben
dem Löwen und jagte den Speer in die gelbe Flanke, mit solcher Wucht,
daß die Spitze an der anderen Seite herausfuhr und in die Erde drang.
Der Schaft brach in meinen Händen, ich fühlte einen furchtbaren Hieb
mitten ins Gesicht, sah ein Blitzen lang den zottigen Nacken und schlug
die Arme um den Hals der Bestie, so mächtig meine Kräfte waren. Es war
ein Kampf, in welchem mir Zorn und Liebe mehr halfen als meine Stärke.
Ich sah nichts mehr, meine Augen waren von Blut verklebt; ich schrie
nicht, meine Zähne bissen sich in die zähe Haut des Gegners. Plötzlich
schien der Himmel offen zu stehen, Drommeten schmetterten jubelnd
aus lauter Licht. Vorsichtige Hände suchten meine Arme zu lösen,
Fließendes, Kühles legte sich auf meine Stirn. Ich stammelte noch halb
von Sinnen:

»Das Kind! Wo ist das Kind?«

Ich stand in Dunkel und Blut; plötzlich raste es in mir auf, ich sei
blindgeschlagen, riß das Tuch von der Stirn, sah das Licht und ein
blondes Köpfchen, und lachte und schluchzte selig ermattet.

»Ruhe, Christ!« sagte der Emir neben mir leise, faßte mich um den Leib
und trug mich mehr als er mich führte auf ein Ruhebett. Da lag ich auf
den golddurchwirkten Polstern des Kindes, und meine Seele sang ihren
seligen Dank, indes der Schmerz ungezählter Wunden stetig wachsend
mich an die Erde erinnerte. Kopf und Gesicht brannten wie in glühenden
Kohlen, jeder Pulsschlag trieb Dolche in meine Stirn, ich konnte ein
Stöhnen nicht unterdrücken. Der Arzt des Emirs war um mich bemüht,
wusch meine Wunden, wickelte mich in Verbände, auch die Augen. Ich biß
die Zähne aufeinander, wollte keine Schmerzen zeigen, denn das Kind
hatte sein schmales, kühles Händchen in meine heiße Faust gelegt, und
ich hielt es in der hohlen Hand wie ein Rosenblatt und wagte nicht, es
zu drücken.

»Ein Mann von Eisen!« hörte ich den Arzt sagen. Mir kam ein Lachen in
die Kehle: dies Eisen hatte sehr, sehr weiche Stellen. Er träufelte mir
ein bitteres Wasser in den Mund, ich schluckte notgedrungen und hörte
ihn noch einmal wie aus Fernen:

»Schlaf ist das Beste. Es ist ein Wunder --«


Mehrere Tage sah ich nur den Arzt an meinem Lager, das im Palast
aufgeschlagen und wie das eines hochgeehrten Gastes war. Da ich
sprechen wollte, winkte mir der Greis Schweigen und zeigte mir in einem
silbernen Spiegel meinen Kopf: aus einem Knäuel weißer Binden lugte nur
ein Auge, sonst nichts. Der linke Arm, beide Beine waren eingepackt;
Schmerzen verspürte ich nicht, sprechen konnte ich nicht, die Kiefer
waren vom Verband fest aufeinandergepreßt. Der alte Mann erriet meinen
fragenden Blick.

»Du wirst völlig wiederhergestellt, Christ; auch das andere Auge hoffe
ich zu retten. Dein Glück wird so groß wie deine Tapferkeit sein, oder
fast so groß, denn ich habe in meinem langen Leben keinen kühneren Mann
gesehen als dich. Deine Sklaverei ist zu Ende, du wirst beschenkt wie
ein König in deine Heimat ziehen, ohne Sorge dein Leben lang, und du
verdienst es wahrlich.«

Ich zuckte unter den Binden schmerzhaft zusammen: dies dünkte mich ein
schlechter Lohn, wenn ich überhaupt Lohn verdiente, das Kind zu lassen,
um in eine geraubte Heimat zu fahren. Ich streckte die Hand aus und
deutete dem Greise die Scheitelhöhe meines Lieblings an; er verstand
mich sogleich.

»Hab Geduld, Christ, eine Woche noch. Sie würde zu sehr erschrecken,
sähe sie den Retter so elend. Sie freut sich sehr auf dich und plappert
den ganzen Tag von ihrem Riesen.«

Eine Woche noch, sieben lange Tage, sieben lange Nächte! Aber sie
plauderte von mir, sie hatte mich nicht vergessen! Wie weit mochte der
Emir in seiner Dankbarkeit gehen? Ich malte mir ein herrliches Leben
aus: täglich durfte ich ihr Blumen bringen, sie sehen, mit ihr sprechen
-- ach, nur ein Ave lang!

Wie elend schleppten sich die Stunden, die Zeit stand still. Vielleicht
vergaß sie meiner in sieben langen Tagen über ihren bunten Spielen,
über den tausend Dingen, die ihr der Emir aus Ägypten sicherlich
mitgebracht hatte. Ich mußte den Arzt fragen, abends, wenn er mir den
Brei aus Eiern und süßem Wein einflößte; aber der Arzt beschwor mich,
den Mund nicht zu bewegen, um die Narben nicht aufzureißen. So ergab
ich mich denn, innerlich seufzend, und harrte auf den nächsten Morgen,
wähnend, er müsse mir den Verband erneuern. Jedoch im Wein war ein
Schlafmittel, meine Binden wurden gewechselt, ohne daß ich es merkte.

Dann endlich kam der siebente Tag.

»Die Kleine?« deutete ich mit der flachen Rechten an, und der Weise
lächelte verstehend.

»Wir werden sehen, Christ. Der Emir bringt sie, wenn unsere Rechnung
richtig ist und deine Wunden es gestatten.«

Er dämpfte das Licht mit Vorhängen und löste mit geschickten Händen den
Verband. Neugierig hob ich das Lid des anderen Auges, es schmerzte
ein wenig, die Farben rannen vor meinem Blick ineinander; erst
allmählich gewöhnte es sich zu seinem Dienst. Ich versuchte einige
Worte, aber sie klangen heiser vor Schmerzen. Meine Wangen waren wie
von Nadeln zusammengekrampft, von den Schläfen zum Kinn schien eine
stachelbesetzte Klammer zu liegen; hilflos sah ich auf den Arzt und
deutete ihm, den Spiegel zu reichen.

Er gab die Silberplatte zögernd herüber; wie ein Träumender stierte ich
in ein Gesicht, das nicht mehr menschlich, das kaum noch ein Gesicht zu
nennen war. Das Nasenbein war völlig zertrümmert, die fleischigen Teile
zerfetzt und nur ein blauroter Stumpf mit blutverklebten Löchern, die
Wangen verschwunden, vom Scheitel bis zum Kinn nur furchtbare Wunden
mit schlecht verharschten Rändern. Ein Wunder, daß Mund und Augen auf
diesem Schlachtfelde lebten, wenn auch die Lippen nur mit Mühe die
Worte bilden konnten. Daß einige Zähne fehlten, merkte ich erst später,
der Mangel des Bartes fiel mir überhaupt nicht auf.

»Gott sieht das Herz an,« sagte der Heide sanft. »Kurz ist der
Erdentag, du wechselst ihn wie ein Gewand oder wie bestaubte
Reiseschuhe. Möge dein nächstes Leben reicher geschmückt sein!«

Ich verstand ihn nicht, wollte ihn nicht verstehen. Meine Augen füllten
sich vor Leid: nie wird die Kleine mich ansehen, nie mich lieben
können, so grausam häßlich, so widerlich wie ich war. Und als ihr
Füßchen über den Gang trippelte, riß ich das Laken bis zur Augenhöhe
über mein zerrissenes Gesicht, und das Herz bebte mir wie einem Buben
in erster Liebe. Ich hörte den festen Schritt des Emirs neben ihr, und
schon standen die beiden an der Schwelle; tief beugte sich der Arzt zu
Boden. Der Emir hatte einen überaus kostbaren Säbel in der Hand, die
goldene Scheide war mit den herrlichsten Farben ausgelassen, der Griff
funkelte von Steinen. Er legte ihn auf mein Bett und sagte:

»Friede sei mit dir! Nimm dies Zeichen der Freiheit und sei fortan mein
Freund, mein Bruder.«

Er hob das Kind, das ich nicht aus den Augen ließ, vor mein Gesicht,
und die kühlen, süßen Kinderlippen berührten meine Stirn.

»Hab Dank, du tapferer Christ!« läutete das feine Stimmchen in einem
wunderlichen Deutsch. Ich lächelte vor Glück, aber sie sah es gottlob
nicht, denn mein verstümmeltes Lachen mußte einen schrecklichen
Anblick gewähren. Der Emir deckte einmal flüchtig das Tuch auf, eine
Wolke flog über seine Stirn, er wandte sich schweigend ab.

Das Kind saß auf meinem Lager, sein Händchen lag in meiner Rechten.
Es plapperte und fragte und wollte wenig Antwort. Ob der böse Löwe
mich sehr geschlagen, ob ich Schmerzen hätte. Ob ich Federball spielen
könnte und wann ich aufstehen dürfte. Ich sagte nichts, ich wollte das
Kind nicht mit der knarrenden Stimme erschrecken und lachte es nur mit
den Augen an.

»Du darfst mit mir spielen, sagt Jussuf.«

Ließ sich der Emir nicht Vater nennen? Erkannte er sie nicht als
Tochter an? Ich schielte zu ihm hin, doch er stand im Schatten, und
seine Züge schienen sich nicht zu bewegen.

»Genug für heut!« flüsterte der Arzt mir zu. »Sobeide kommt nun jeden
Morgen.«

Er zog sie von meinem Lager, und ihr Widerstreben überflutete mich mit
Entzücken. Am Vorhang blieb sie noch einmal stehen, hob eine Schaumünze
hoch und rief:

»Hier ist auch ein Löwe, aber der beißt nicht.«

Mit einem rauhen Schrei fuhr ich aus den Kissen und starrte auf die
Kleine; der Arzt, der Emir liefen auf mich zu und legten mich sacht
nieder, wähnend, die Erinnerung hätte meinen Schmerz überlaut gemacht.
Ich aber winkte Sobeiden zu, die neben der Negerin stand und die Augen
voll Tränen hatte.

»Die Münze!« ächzte ich. »Um Gott, zeigt her!«

Sie trugen Sobeide wieder auf mein Bett; an goldener Kette hing ein
Braunschweiger Löwentaler um ihren Hals.

»Ihr Kind!« stammelte ich, überwältigt von Gottes rätselhaften Wegen,
und fiel erschöpft in die Kissen zurück.

Der Emir blieb allein im Gemach, seine Hände zitterten leicht, als er
mir über die Stirn strich.

»Du also bist es doch,« murmelte er vor sich hin und senkte den Kopf,
als betete er.

Meine Schwäche wurde größer, ich mußte die Augen schließen und fühlte
mich sanft entgleiten, als triebe meine Seele auf lauem Winde aus der
engen Haft. Die Meilensteine meines irdischen Weges waren erwählt und
gezeichnet; ja, wahrlich, kein Haar fiel von meinem Haupte ohne Seinen
Willen.


Der Emir hatte mein Erwachen abgewartet; meine Rechte in seinen
schlankem kühlen Händen haltend, begann er halb Deutsch und halb in
seiner Heidensprache:

»Es ist besser, ich erzähle dir meine Geschichte sonder Zögern, denn
Krankheit kennt keine Geduld. Ja, es ist Gertraudens Kind, aber nicht
ich, sondern der Ritter von der Wilze zeugte es. Doch höre von Anfang
an und lerne, wie diese Erde nur ein erbärmliches Staubkörnchen auf
Gottes ewigen Wegen ist.

»Ich ritt -- es sind wohl sechs Jahre her -- über den Sklavenmarkt
von Damaskus, mit einem dürren, früh verschwendeten Herzen ritt
ich und prüfte Menschen wie Waren. Da stand sie unter einer Schar
nackter Negerweiber, in einem linnenen Hemde, darüber die Münze,
die du bei Sobeide erkanntest. Sie lehnte an einer Zeltstange, die
Augen geschlossen, aber in der Haltung einer Sultanin. Ich kannte den
Korsaren, dem Zelt und Ware zu eigen, er hatte mir oft genug weiße und
dunkle Mädchen zugebracht. Er bemerkte meinen flüchtigen Blick, sprang
dienstbeflissen hinzu und griff mit der rohen Faust an ihr Gewand, um
mir ihre Glieder hüllenlos anzupreisen. Sie schrak zurück, schaute auf
und überflutete mich mit einem Blick, den ich nimmer vergesse. Freund,
ich kann es heute noch nicht erklären, ob es Liebe oder was immer
war, genug, wir brannten ineinander, und der weite Markt um uns ward
fremder als das Ende der Erde. Zum erstenmal empfand ich deutlich: es
lebt niemand für sich allein. Wir alle sind schicksalhaft miteinander
verbunden, mehr oder weniger schmerzhaft und lustvoll, mehr oder
weniger auf Tod und Leben, auf Zeit und Ewigkeit.

»Der Händler wirbelte unter meiner Faust in die Zelttücher; ein Beutel
Goldes, der für all seine Ware ausgereicht hätte, machte ihn wieder
zahm. Eine Stunde später führte eine Sänfte sie inmitten meiner Krieger
nach Bachara. Und dies war alles, was der Korsar von ihr wußte:
Er hatte sie an einem Holze treibend nahe der Küste gefunden; ein
riesenhafter Mönch hielt sie umklammert, faßte das rettende Tau. Aber
indes die Räuber ihren Fund packen wollten, schlug der Retter mit dem
Kopf an das Schiffsbord und versank; die weiße Frau war geborgen. Du
warst es, Ronald, und nun hast du abermals in die Fäden meines Lebens
eingegriffen, mir zum Heile schickte dich Gott aus deinem Abendland.«

Ich wußte nichts zu antworten. Ihm, dem Ungläubigen, zum Heile sollte
Gott mich von meiner süßen Liebe gerissen haben? Wie würde der Emir
sprechen, wenn er _meine_ Geschichte erführe? Aber nimmer würde das
sein.

»Ich vertat den Rest des Tages in Damaskus und machte mich in der
Nacht mit wenigen Begleitern nach Bachara auf, in langsamem Trabe
reitend, denn ich wollte die Sänfte nicht einholen, wußte jedoch keinen
Grund für solche Zagheit. Daß jene weiße Frau mehr als je ein Mensch
mich beeinflußte, wollte ich mir nicht eingestehen, und doch lag es
klar in meinen Taten: nie hatte ich kläglichere Beute aus Damaskus
heimgebracht. Ich wütete gegen mich selbst und suchte mit rohen und
gemeinen Vorstellungen die Stimmen der Wahrheit zu übertäuben. Zu
meiner Lust hatte ich die Fremde gekauft, eine von vielen war sie und
sollte sie bleiben. Gleichviel, alle Gedanken gingen nach ihr, die
Hufe pochten ihr Bild aus der Steppe, die Sterne verblaßten vor ihren
Märchenaugen. Ich verfiel ihr, je näher wir Bachara kamen, und mit
einem Gefühl halb Trotz, halb Furcht ließ ich sie zu mir rufen, kaum
daß ich mir Bad und Nachtmahl gönnte.

»Schon ihr Anblick entwaffnete mich. Entgegen meinen gemessenen
Befehlen trug sie ihr verschlissenes Linnen, trug es wie steinbesäte
Seide. Sie berührte nicht den Boden mit ihrer Stirn, kaum merklich
neigte sie ihr Haupt und sah mich mit den ernsten, tiefen Augen an,
daß mir Zorn und Angst die Kehle zuschnürten. Endlich ermannte ich
mich, ergriff sie beim Arm und zog sie neben mich, weiß nicht mehr,
mit welchem rohen Wort, denn ich wollte sie und ihren Stolz verwunden.
Sie verstand mich nicht, nur zu natürlich; außer ihrem Deutsch wußte
sie nur wenige Worte der Lingua Franca, und darin tat sie mir kund,
immer noch meinen Blick mit ihren Augen festhaltend: ›Es ist uns nicht
beschieden, Emir.‹

»Ich wußte sehr wohl, was sie meinte, und so ungezwungen stellte
sie sich neben mich, daß jede herrische Lust mich verließ und keine
Waffe gegen ihre Art mir in Händen blieb, außer der Überlegenheit
der männlichen Kraft. Nun mußt du wissen, Ronald, daß unglückliche
Verkettungen die lasterhaften, grausamen, tierischen Seiten meines
Wesens besonders gefördert hatten; aber unter den Augen dieser
seltsamen Frau sprang Saft in die verdorrten Äste, trieben junge
Wurzeln in heilige Gründe, blühte in mir das Ebenbild Gottes. Solches
begann auf dem Markt zu Damaskus und hörte nimmer auf. Noch schlugen
die Wogen der Leidenschaft hoch, als ich sie an mich riß, doch ihre
wenigen Worte beschworen den Sturm, und wenn ich Beschämung verspürte,
so gewiß nicht wegen meiner Niederlage. ›Wir haben uns etwas zu sagen,‹
fuhr sie fort, angestrengt nach den Worten suchend und nichts von
Triumph verratend, ›doch es wird Zeit brauchen, da es keinen Dolmetsch
verträgt. Ich bitte dich, laß mich nicht fürder bei deinen Dirnen
hausen, sondern gönne mir ein Gemach in deinem Palaste, wo mein Schlaf
nicht von der menschlichen Schande entehrt wird.‹

»Sehr verlegen und mit geröteten Wangen sann ich auf Antwort; fast
kam mir ein Bedauern, diesen unbequemen Willen zu Gast zu haben. Ich
bedeutete ihr, daß viele Augen auf mich gerichtet seien, und ich
sonderlich in Frauendingen nicht tun könne, was ich wolle. ›Warum
nicht?‹ fragte sie kühl dawider. ›Doch sei dem wie immer: hier in
deinem eigenen Gemach bist du doch Herr, Emir von Bachara, und darfst
mir wohl ein ehrenhaftes Lager neben dir gönnen.‹

»Eine flüchtige Glut streifte ihre Stirn und verschönte sie, daß
mein Herz in hellen, reinen Flammen stand. Ich erschauerte in dem
ungekannten Feuer, darin alles Unedle hinwegschmolz; eine Silbersaite
klang in meiner Brust und schwang einen klaren Ton in die Sterne, die
durch unser Fenster schienen. Meine unruhigen Hände dürsteten nach
Beschäftigung, ich häufte ihr ein Lager aus herrlichsten Seiden; voll
Zutrauen legte sie sich nieder und entschlummerte übermüdet, ihre
regelmäßigen Atemzüge durchzogen das Zimmer wie sanfter Taubenflug.«

Emir Jussuf seufzte verhalten, dann füllte ein Lächeln seine strengen
Mienen mit Milde. Ich fürchtete, er wolle seine Erzählung unterbrechen,
und zupfte ihn ängstlich am Kleide. Er drückte mir beruhigend die
gesunde Hand.

»Freund, meine Geschichte ist nicht lang, du sollst sie noch in dieser
Stunde zu Ende hören, soweit sie ein Ende hat.«

Dies Letzte fügte er leiser hinzu, wie für sich, und sah mit
hoffnungsheißen Augen über mich weg in das wolkenlose Blau des Himmels.
Ich verstand ihn erst sehr viel später, und ach, das Ende seiner
Geschichte lag, wie der Anfang, in meinen unglückseligen Händen.

»Laß dir sagen, Freund, ich besinne mich, oft den Schlummer eines
Weibes gestört zu haben, aber damals habe ich ihn bewacht, wie eure
Ritter ihres Herzogs Banner. Es war eine Nacht mit wechselnden Launen:
jetzt kam ich mir großartig, im nächsten Augenblick abgeschmackt, im
dritten schmachvoll übertölpelt vor. Ich spottete meiner selbst, indes
ich der erzwungenen fleischlichen Fasten gedachte, jedoch das Spiel war
neu für meine stumpfen Sinne und fesselte mich. Immerhin schien mir
klar, daß ich in der nächsten Nacht an mein Ziel kommen müßte, sollte
ich überhaupt als Mann bestehen. Denn siehe, Freund Ronald, im Sieg
über das Weib erblickte ich zu jener Zeit meine Triumphe.

»Die Nachtwache und der helle Morgen kühlten meine Gelüste und dämpften
meinen Mut. Ich ließ ihr, die mich freundlich begrüßte, ein Bad
bereiten, und sie entstieg ihm, nun doch in einer lichten Seide, wie
ich sie gebeten hatte, und nahm mit mir den Morgenimbiß. Mir war, als
sei die Lieblingsfrau Saladins, mehr, des abendländischen Kaisers kühle
Gemahlin bei mir zu Gaste; meine Verlegenheit wuchs unter den wenigen
belanglosen Reden, die wir wechselten, und ich fühlte im Herzen am
Stocken des Blutes: hier blieb mir nur Freveltat oder Flucht, da uns zu
dem, was uns im eigentlichen beseelte, die gemeinsame Sprache fehlte.
Mein alter Arzt kam als Retter, er war sprachenkundig wie Salomo. Ich
stotterte von einer dringlichen Reise, befahl sie in die Obhut des
Greises und wies ihr meinen Palast zur Wohnung an. Fort, nur fort und
Atem holen.

»Drei Monde tummelte ich mich auf der Steppe, aber nicht ein Sandkorn
rann durch die Stunde, ohne daß ich ihrer gedachte. Meine Freunde und
Gesellen erkannten mich nicht wieder, aus einem zügellosen Erben war
ein wortkarger, ernsthafter Mann geworden, dessen Leben eben erst im
Anfang stand ... Was ist dir?«

Meine Hand flog wie im Fieber, Nebel wallte mir vor den Augen.
Jenseits einer ungeheuren Schlucht stand die Vergangenheit und winkte
herüber. Wahrlich, klein wie Staub ist die Welt in Gottes Hand und
dürftig ihre Schicksale.

»Nichts, nichts!« keuchte ich mühsam und stammelte von den Anfängen des
Lebens, die sich absonderlich oft wiederholend berührten.

Der Emir sah mich nachdenklich an und fuhr, sichtlich in innerer
Bewegung, fort:

»So kommt auch dem Abendlande die Erkenntnis der Ewigkeit dieses
Erdendaseins? -- Doch laß mich zu Ende berichten, Ronald, obzwar
meine Geschichte nicht gar lustig auf ein Krankenlager gestimmt ist.
Die Sehnsucht -- Wünsche ohne Häßlichkeit -- trieb mich wieder in
mein Haus, ich sah sie, die heiteren Auges mir den Willkomm bot, und
erkannte, daß sie gesegneten Leibes sei. In diesem Augenblick versank
die eben emporgestiegene gute Welt in mir, ich wähnte mich von einer
Dirne, die sich an Schranzen weggeworfen, in der lächerlichsten Weise
betrogen und packte sie rauh bei der Schulter. Sie entzog sich mir
nicht, sie richtete ihre Augen auf mich, und meine sinnlosen Worte
erstarben, die freche Faust löste sich zu einem scheuen Streicheln,
ich neigte den Kopf und ergab mich, bevor ich kämpfte. Der Arzt verließ
lautlos das Zimmer.

»›Dies ist das letzte und beste Geschenk meines toten Gefährten,‹ sagte
sie mit einem eigenen Lächeln, ›und mag uns noch so viel verbinden,
Emir Jussuf, dies werdende Leben türmt eine Schranke, die uns zu
überschreiten versagt ist.‹

»›So fühlst du ein Band zwischen dir und mir?‹ rief ich freudig aus,
alles Trennende vergessend.

»Ihre Augen lagen wie ein Frühlingstag über mir, ich hätte ihr größere
Dinge geglaubt als dies: ›Emir, wir sind einander begegnet, seien es
tausend oder tausendmal tausend Jahre her, und unsere Seelen sind für
immerdar nebeneinander in Gottes bunten Teppich geknüpft.‹

»Die Lingua Franca floß wie ein silbernes Bächlein von ihren feinen
Lippen; für mich, für mich hatte sie die Worte gelernt. Und seit
Ewigkeiten war unser Leben verbunden, würde es für Ewigkeiten sein!
Mohammed, stiege er aus seinem himmlischen Glanze nieder und belehrte
mich eines anderen, Mohammed hätte einen Tauben und Ungläubigen
gefunden.

»›Das ist ein strahlend schönes Wunder,‹ versetzte ich leise, doch
sie: ›Du magst es so nennen. Aber das ist dir kein Wunder, nach der
kurzen Spanne eines armseligen Erdenlebens mit den ewigen Freuden im
himmlischen Saal belohnt zu werden! Wie kannst du an Ewigkeit glauben,
wenn du nicht selber ein Stück von ihr bist, und wo ist da Anfang und
Ende? Dies irdische Gewand ist nichts als das wechselnde, gebrechliche
Gefäß für deine Unsterblichkeit, aus Staub geboren, zu Staub verloren.
Emir Jussuf‹ -- ihre Stimme klang wie goldener Harfensang -- ›du
meinst, du dürstetest nach meinem vergänglichen Leibe, weil er dich
vielleicht schön dünkt und deine Sinne reizt, aber ich sage dir, es
steht besser mit uns, denn unsere Seelen kennen einander.‹

»Es durchschauerte mich, als hätte Gott mich berührt. Ich glaubte in
einer kristallenen Kuppel zu weilen, klar bis in die letzten Tiefen
sah mich die Unsterblichkeit an. Eine junge Sonne ging über meinem
Leben auf, die dumpfe Schwüle irdischer Lust und Leiden löste sich
und gab einer Reinheit Raum, die mich gleich einem lebendigen Quell
durchströmte und erneuerte. Ein Wort der Offenbarung hob mich aus
meiner starren Einsamkeit, nie wieder blieb ich allein. Und plötzlich
ein Argwohn: ›Was hätten wir miteinander gemein? Du, die Christin,
ich --‹

»Ihr helles, gedämpftes Lachen fiel mir in die Rede: ›Vor Christen,
Moslem und Juden war Gott mit zahllosen Namen, und ehe du diese braune
Haut und diese dunklen Haare hattest, sind wir beiden weiß und blond
und blauäugig von den Nordmeeren in diese heiße Sonne gefahren --
Geschwister vielleicht, vielleicht auch Mann und Weib, gewißlich aber
einander vertraut und lieb und eines Blutes. Fällt dir der Glaube so
schwer, Emir Jussuf?‹ fügte sie schelmisch bei.

»›Es muß so sein,‹ gab ich zu, überwältigt von der Erinnerung an unser
erstes Begegnen in Damaskus, das nun auch mir ein Wiedersehen gewesen
zu sein schien. ›Doch sage, wie liebst du mich heut?‹

»Ich harrte auf ihre Antwort wie auf Gottes Gericht; sie wiegte
ernsthaft den feinen Kopf und errötete zart. Ich weiß nicht, Ronald, ob
du ihre Stimme in deinem Gedächtnis bewahrt hast, sie klang warm wie
ferne, schöne Glocken und kannte kein Arg.

»›Darüber grüble ich jetzt nicht,‹ sagte sie leise, ›mein Gemüt ist
verwirrt von dem Vielen, das es in kurzen Monden erduldete. Laß mir
Zeit und bleibe mein Freund, Jussuf; ein Jahr wiegt leicht auf unserem
langen Wege.‹

»Die Art des Abendlandes, daß Frauen und Männer freundschaftlich
nebeneinander hergehen, war mir noch zu wenig geläufig, daß ich sie
nicht erschrocken fragte, ob sie mir ihren Anblick entziehen wolle. Und
sie, munter und zwanglos: Warum sie solches tun solle? Wenn ich sie
nicht mit unerfüllbaren Wünschen plage, wisse sie nichts Lieberes, als
in meinem Palaste zu weilen. ›Im Palaste,‹ bedeutete sie mich und wies
mit ernsten Brauen auf das Frauenhaus; ›du kannst nicht wollen, daß ich
in der Schande untertauche.‹

»Die Schläfen klopften mir vor Scham, in meinem Herzen beschloß ich
sogleich, den Harem und seine Völkerschaften auszutilgen, und dies,
da es Tat ward, war mein erstes Geschenk an sie, das sie vor Freude
erröten machte. Es war zugleich der sichtbare Abschluß einer stinkenden
Vergangenheit, und so bewegte die fremde Frau mein ganzes weites Reich
zum Guten. Aus den demütig ängstlichen Gesichtern um mich her wurden
vertrauende und fröhliche, der Wohlstand im Lande hob sich mit der
Abnahme meiner maßlosen Verschwendung; und ich entbehrte nichts. Statt
in schwüler Liebe weitete ich meine Brust in dem süßen, kühlen Odem der
Nordlandmeere, von denen sie mir sprach, und fremd aller Leidenschaft
wuchsen wir zusammen, sie, ich und das sprossende Kind in ihrem reinen
Leibe.«

Jussuf verstummte; ich weiß nicht, wie ich die Kraft fand, ihn
trockenen Auges zu betrachten. Mein Herz floß in Tränen über, so
stark überwältigte mich die Erinnerung an mein verwandtes, ach, allzu
verwandtes Geschick. Nur daß sich hier Seelen trafen, indes mich
der Engel mit dem Flammenschwerte aus dem Paradiese stieß. Jetzt
verschattete sich sein eben noch verklärtes Antlitz, und mit dunkler
Stimme nahm er seine Erzählung wieder auf:

»In diesem halben Jahr gewann ich die Schätze der Erde, um endlich
doch mit leerer Hand und leerem Herzen an einem Grabe zu stehen. Sie,
die viel voraussah, hatte ihr eigenes Ende nicht erschaut, denn wie
hätte sie sonst diese heitere, wolkenlose Ruhe bewahren können. Mit
heftigen Schmerzen traten die Wehen lange vor der Geburt auf, das Kind
beschrie den Tag, die Mutter sank in Nacht. Sie schleppte sich noch
einen vollen Mond durch ihre Qualen und genoß, den Tod im Herzen, die
Freuden der Mutter, wie ein Verdurstender den endlichen Trank. Da sie
heimging, noch bis zuletzt von Schmerzen gepeinigt, sprach sie, seltsam
zu ihren ersten Worten an mich findend: ›Es ist uns nicht beschieden,
Jussuf. Vielleicht, nein, gewißlich, treffen wir einander später unter
besseren Sternen. Jetzt scheint das Kind dein Schicksal zu werden; halt
es fest, mein lieber, lieber Freund!‹ Sie zog meinen Kopf mit ihren
schwachen Händen nieder und küßte mich zum ersten- und zum letztenmal.
Sie war befreit. Du bist Mönch, Ronald, und kannst nicht ermessen, was
es heißt, die Liebste zu verlieren --«

Hierbei fühle ich noch heute, wie das Blut mir in die gespannten
Wundennarben drang und mein Gesicht mit tausend Martern zerriß. Der
Emir ahnte nicht, auf welch harte Folterbank er mich schnallte, und wie
jedes seiner Worte ein Geißelhieb auf blutige Striemen war. Dennoch
lauschte ich ihm gierig und gewann in aller Verzweiflung Trost in
seinem Schmerz.

»Ich war nahe daran, mich hinterdrein in die dunkle Pforte zu stürzen,
aber der lächelnde Friede ihrer Züge bannte mich auf die Erde, wo
Aufgaben meiner harrten, Aufgaben aus ihrer lieben Hand. Das Kind wurde
all mein Glück, und das Kind wird mein Schicksal.«

Wieder stockte seine Rede, aber die Stirn entwölkte sich, er sah
versonnen, fast heiter aus, als verschwiege er noch ein Letztes,
Schönstes.

»Nannte die Mutter ihr Kind Sobeide?« fragte ich, mich gewaltsam
ablenkend.

»Nein. Sie gab ihm einen traurigen deutschen Namen, den ich zu
verschweigen bitte, sie nannte es Herzeleide. Es war dies, glaube ich,
eine Laune ihrer peinvollen Krankheit, und sie nickte mir freundlich
Gewährung, als ich es für meinen Teil Sobeide rief. Jedoch -- was
fragst du nicht nach dir selbst? Du weißt, daß sie die Gabe der
Weissagung besaß, obzwar mehr in Gefühlen und dunklen Bildern als in
voller Klarheit. Eines Tags, ihrem irdischen Ende nahe, sagte sie
von dir, du würdest mir den größten Dienst erweisen. Ich wunderte
mich dessen, da ich annahm, du seiest sicherlich ertrunken; sie aber
lächelte nach ihrer Art und deutete: ›Deine Lanze wird ihn treffen,
aber nicht verwunden.‹ Dies ist mir geschehen, Ronald, jedoch ahnte
ich den Priester nicht unter Helm und Kettenhemd und glaubte, nicht
einmal nach deinem Namen fragend, an einen Zufall, bis Gott mich eines
Besseren belehrte. Immerhin folgte ich einem zwingenden Triebe, daß
ich dich mit nach Bachara nahm, denn seit Sobeidens erster Amme hatte
ich keine christlichen Sklaven um mich geduldet. Nun hast du mir den
größten Dienst geleistet, den mir ein Irdischer tun kann; du hast die
vor einem entsetzlichen Tode bewahrt, die für mich wächst und die ich
einstmals heimzuführen gedenke. Und nun genug. Ein Imbiß wartet deiner,
und meiner warten die Geschäfte, die du, bist du genesen, brüderlich
mit mir teilen sollst, wenn du nicht wieder in dein Abendland fahren
willst.«

Er rührte mit der Hand an die Waffe auf meiner Decke und schloß:

»Ein Säbel ist ein merkwürdig Geschenk für einen Mönchen; doch siehe,
er fiel von der Wand, als ich die Schatzkammer betrat, und ich nahm den
Wink für eine Wahl. Wer weiß, wozu?«

Rasch entschwand er, verwirrt und verlegen, und noch mehr Verwirrung
und Erstaunen ließ er zurück.


Zehn Jahre meines Lebens trieben in die Ewigkeit. Der Emir blieb
jung, denn er sah in die Zukunft; ich wurde alt, denn ich vergrub
mich in alte Tage. Er forschte meiner Vergangenheit nicht nach --
was sollte ein Mönchsdasein Wichtiges bewegt haben? Eine schöne,
ungetrübte Freundschaft umgab uns, mit lebendigen Armen über viele
Klüfte greifend, und wo sie in kleinen Dingen versagte, reichte
das Kind uns hilfreich die Hände. Aus der knospenden Lieblichkeit
entfaltete sich eine lilienschöne Blüte, bei mir ein Vaterherz
erschließend und randvoll füllend, bei jenem Jugend und Sehnsucht
immer mächtiger weckend. Es wird der Wahrheit nahekommen, wenn ich
meine, der Emir wollte in dem Kinde die Mutter lieben, aber aus dem
gezwungenen Herzen wurde zusehends ein freiwilliges, je weiter Sobeide
in die Jungfräulichkeit wuchs, und aus dem Berechnenden wurde ein
Hingerissener, der sein südlich heißes Blut nur mit Mühe zügelte; denn
trotz ihrer sechzehn Lenze war Sobeide im Herzen ganz Kind.

Wie sehr der Emir von Anfang darauf bedacht gewesen war, seinem Wunsche
keine Hindernisse zu bereiten, zeigt, daß er dem Kinde auftrug, mich
Vater zu nennen. Er wollte keinen Nebenbuhler, zu welchem ein Retter
aus Lebensgefahr selbst aus so fernen Kindertagen leicht werden kann --
wenn er nicht gerade mein verwüstetes und entstelltes Gesicht getragen
hätte. Von all dem abgesehen, kannte er die abendländische Seele nicht
gut genug, um zu wissen, daß ich ihm, den ich liebte und achtete,
nichts von dem Seinen rauben würde. Ach, und dennoch welch ein trüber
Ausgang!

Diese zehn Jahre wiegen alles Elend meines bunten Lebens auf, sie
waren glücklich, rein und reich. Ich lehrte Sobeide mein Wissen und
teilte ihr von meinem Glauben mit, was ich für gut und nötig hielt.
Dabei muß ich erwähnen, daß viele Gespräche mit dem Emir mich von Grund
auf gewandelt hatten. Ich vergaß die Formeln und lebte wie er in dem
unerschütterlichen Vertrauen, der Tod sei nur ein Wechsel des irdischen
Werkzeugs. Wie tief wurde mir da verständlich, daß alle Schuld sich
auf _Erden_ räche! Wie tief, daß alles Schicksal nur ein Prüfstein
Gottes ist. Da verlor mein eigen Geschick seine Schrecken, wie es denn
schon vordem in den seligen Rosentagen neben dem Kinde verblichen war.

Ich darf Jussuf über dem Kinde nicht vergessen. Der Emir war einer der
fähigsten Köpfe, die mir je begegnet sind; in einer stolzen, wilden
Seele barg er einen trefflichen Kern von Würde und Mannestum. Seine
Vornehmheit saß _unter_ dem Kleide und verriet ihn nie, in welche
Lagen er auch durch sein leicht erregbares Blut kam. Mich umgab er mit
rührender Freundlichkeit und erwies mir, der ich nur etliche Jahre
älter war, eine schier kindliche Achtung. Seine Diener waren gewohnt,
mich als zweiten Gebieter zu betrachten, und in der Tat führte ich oft
während der Abwesenheit Jussufs die von ihm begonnenen Arbeiten weiter,
als sei er der Sultan und ich sein Wesir. Geschenke überhäuften mich,
ich war reicher als je und hätte ein großes Schiff gebraucht, wenn
mich das Gelüst in die Heimat getrieben haben würde. Aber was war mir
die Heimat! Hier hatte ich Kind und Freund, Arbeit und Jagd, und auch
bei der Heirat Jussufs sollte das alte väterliche Verhältnis bestehen
bleiben, dies war mir zugesichert.

Ich sah den beiden, je näher dieser Tag kam, um so nachdenklicher zu,
wenn sie ihre Bälle im Garten warfen oder Schachzabel spielten, darin
der Emir ein unerreichter Meister war. Ich spielte besser als Sobeide,
aber dem Kinde gegenüber verlor der Emir seine Ruhe mehr und mehr und
zog, nicht immer mit Absicht, so schlecht, daß ich verstohlen in mich
hineinlächelte. Der Jungfrau harmloses Wesen nahm ich für Kindlichkeit,
Jussuf dawider litt es allmählich wie Geißelhiebe, denn er glaubte es
als Liebeskälte gegen ihn auslegen zu müssen. Sobeide war in einem
Alter, darin die Frauen des Morgenlandes längst mannbar sind. Sie
mochte es auch körperlich sein, aber das Herz schlug frei und leicht in
ihrer Brust und wußte nichts von solchen unruhigen Dingen. Ich hütete
mich wohl, sie zu wecken; alles Lebendige muß von selbst seine Hülle
sprengen, wenn es reif geworden ist.

Von allen Menschen gönnte ich sie dem Emir am liebsten und rechnete
den Unterschied des Alters nicht. Jussuf war gertenschlank wie ein
Jüngling, sein kühnes Antlitz zeigte keine Runzel, seine Kraft war
eben auf ihrer Höhe angelangt. Er war immer noch schön wie zu jener
Zeit, da ich ihm begegnete; ich zweifelte nicht einen Atemzug lang, daß
Sobeidens Herz sich eines Tags stürmisch zu ihm wenden würde. Aber »es
war ihm nicht bestimmt«.

Mit den Zeitläuften befaßte ich mich so wenig wie möglich; ich wußte,
daß die abendländische Ritterschaft hierzulande Feld um Feld verlor und
in einem bedauernswerten Niedergang begriffen war. Es ging mir nahe,
doch ich sah nur die Folgen schwerer Schuld. Wie schlimm es in Wahrheit
stand, ahnte ich nicht. Im Herbst des Jahres 1187 kehrte Jussuf nach
mondelanger Fahrt zurück, bat mich in sein Gemach und teilte mir mit,
Jerusalem sei gefallen, Saladin Herr der heiligen Stadt. Bei dieser
Nachricht wurden alte Vorstellungen und Bilder so stark in mir, daß mir
die Tränen in die Augen traten und ich an mich halten mußte, um nicht
meinen Kummer laut hinauszuschreien. Die bitterste Scham übermochte
mich, hier tatlos gesessen zu haben, indes draußen auf dem Felde die
Brüder den Tod starben, den Tod, ich überlegte nicht, für was, den Tod
der Helden jedenfalls; und gleichviel für welchen Gedanken sie fochten,
ich empfand meine Zugehörigkeit zu den abendländischen Scharen, das
Gemeinsamkeitsgefühl der schimpflichen Niederlage vor den Sarazenen.

Der Emir prüfte mit feinem Takt, was mich bewegte, er drückte mir die
Hand und sagte herzlich:

»Heute wir, morgen ihr, Freund Ronald! Gräme dich nicht, auch deine
Riesenkräfte hätten das Verhängnis nicht gewendet. -- Doch ich komme
wegen anderer Dinge, vielleicht erfüllst du mir meine Bitte nicht
ungern. Der Sultan hat angeordnet, möglichst viele der kriegstüchtigen
Gefangenen eine Zeitlang in der Sklaverei zu behalten, wenn sie
auch in der Lage seien, sich lösen zu können. Du kannst dir denken,
warum: die Christen werden sicherlich versuchen, die Grabeskirche
wiederzugewinnen; uns aber liegt nichts daran, ihre Scharen zu
verstärken. Nun könnte es sein, daß Ritter deiner Heimat dort sind,
denen du ihr Los erleichtern möchtest. Auch braucht Sobeide ein paar
Gespielinnen, damit sie nicht in allzu langer Kindlichkeit verbleibe.«

Ich lächelte verständnisvoll, indes er unter der braunen Haut errötete.

»Ein eigentümlicher Auftrag für einen abendländischen Mönchen,«
scherzte ich, frohgelaunt über die Abwechslung, und er, nicht minder
heiter, tat einen Blick auf mein muselmanisch Gewand.

»Ein eigentümlich Kleid für einen abendländischen Mönchen,« rief er
unter herzlichem Lachen, »es wird niemand deine Heiligkeit erkennen.
Freund, wie wäre es denn, wenn du dir eine Liebste gewännest?«

Mit solchen lockeren Reden begann das traurige Abenteuer. Meine
Vorbereitungen waren bald getroffen; das Kind jauchzte hellauf, als es
hörte, was ihm beschert werden sollte; und ich ritt mit Dienern und
Sänften gen Jerusalem zum Sklavenkauf, ohne daß ein leises Gefühl mich
warnte, denn selbst die Scham erstarb unter meiner Unkenntlichkeit
Je näher ich der Stadt kam, um so trostloser ward mir zumute; das
Siegesgeschrei der Heiden, die Sklavenzüge der Männer, Weiber und
Kinder meiner Art, das Elend der Vertriebenen, die an die Küste gezogen
waren und obdachlos zurückkehrten, da die christlichen Schiffsherren
sie ohne Geld nicht mitnehmen wollten, dies alles drückte meine
Stimmung tief herab.

Nachdenklich ritt ich in Jerusalem ein, erstaunt über die Ordnung und
Zucht der Sarazenen, die mit großer Schnelligkeit fast alle Spuren des
Kampfes ausgetilgt hatten; aber Wehmut beschlich mich zuletzt und trieb
mich rasch an meine Geschäfte. Für Sobeide suchte ich einige Waislein
aus dem Deutschen Hause aus, das war bald geschehen; darauf ritt ich
die Gassen der Gefangenen ab, und eine nicht zu verjagende Unruhe ward
Herr über mich, da ich dem normannischen Haufen näher kam. Ich sah
kein bekanntes Gesicht, junge Leute ohne Namen, Knechte ohne Herren,
hochmütig noch im Unglück aus Unkenntnis dessen, was ihrer harrte.
Plötzlich fühlte ich mein Herz erzittern, von Schwindel ergriffen sank
ich im Sattel zusammen und starrte irren Auges auf den Hals meines
Pferdes, darauf die feinen Adern zuckten. Irgendwo in der Menge hatte
ich mein eigenes Gesicht erblickt.

Ich konnte erst wieder aufschauen, als ich mich besann, daß mein
Antlitz undurchdringlich geworden war und mit seiner grausen
Entstellung jeder Ähnlichkeit spottete. Doch war meine Verwirrung noch
so mächtig, daß ich die Jahre vergaß und in dem Jüngling meinen Bruder
zu erkennen glaubte. Armes Menschenherz, wie weit bist du von Gott
entfernt, dem du dich so nahe wähntest! Der wilde Spuk erlosch nicht,
als ich meinen Irrtum erkannte und sah, daß dieser Jüngling höchstens
ein Sohn des Bastards sein konnte. Dies aber war mir gewiß.

Ich ritt auf ihn zu, mühsam beherrscht: Zug um Zug sah ich den Vater,
und daneben in zorniger Wehmut an einem weicheren Spiel des Mundes die
Mutter. Wählingerblut! Aber was für eins! Es sollte Tropfen um Tropfen
für meine Leiden bezahlen.

»Wer bist du?« schrie ich hochfahrend auf normannisch.

Der Junge horchte auf, ein verträumtes Lächeln glitt über sein Gesicht,
als er die Heimatlaute im Munde eines Moslem fand, dann spottete er
herbe:

»Jedenfalls kein Überläufer wie du! Was treibst du für schmutzige
Geschäfte, Alter? Pfui über dich! Warst du ein Normanne, so schäme dich
doppelt: ich bin der Sohn und Erbe des Herzogs von Claraforte.«

»Mir unbekannt,« versetzte ich kalt. »Hier bist du nichts als eine
Ware.«

Inzwischen winkte ich einen der Verkäufer heran und ward handelseinig.
Mich hielt es nicht mehr auf dem Markt und in der Stadt, durch die
ich einst mich so traurig geschleppt hatte, ich vergaß das Elend der
abendländischen Ritterschaft, die nach allen Richtungen verstreut
wurde, und sprengte mit meiner Beute von dannen, Herz und Haupt voll
verworrener Bilder und Gelüste. Um den Sohn des Bastards kümmerte ich
mich während der Reise nicht, er trabte gefesselt zwischen meinen
Leuten. Ich hörte ihn hier und da in der Lingua Franca oder in
schlechtem Arabisch lustige und freche Reden tun, die wenig Kummer
verrieten. Er schien sich in der Gesellschaft wohlzufühlen, wie es
dem Bastardblut geziemte, und in meine Gefühle mischte sich Ekel und
Verachtung. Ich rang mit Entschlüssen, fand aber zu keinem Ende. Eine
unerklärliche Schwermut, mit Sehnsucht gepaart, legte sich betäubend
auf mein Gemüt, nach zehn Jahren eines wolkenlosen Glücks rauschten
die dunklen Fittiche wieder über mir, und abermals fragte ich nicht
nach Gottes Willen. In Bachara suchte ich sogleich das Lager, ohne
selbst das Kind begrüßt zu haben, von Fieber umdüstert, von Dämonen
zerrissen, aber von schlummerlosen Reisenächten gottlob ermattet, daß
ich willenlos versank.


Wie aus schwerer Krankheit tastete ich in den Tag zurück. Die Erregung
war einer Art von Gleichgültigkeit gewichen, die kundtat, wie sehr
Rache und Zorn in der Erinnerung lagen und mich doch nicht mehr für
immer erobern konnten. Und mählich klärte sich mein Besinnen: Was
war Gott mir schuldig? Hatte ich nicht eine wundervolle stille Zeit
verlebt? War nicht alles Vergangene Notwendigkeit für dies mein Glück?
Also, sprach mein Kopf, sende den Erben von Claraforte zurück in seine
Heimat und vergiß! Aber mein Herz war still dazu und zögerte.

Ich rief nach Bad und Morgenimbiß und ließ den Bastard zu mir kommen.
Er musterte mit seinen schnellen Augen das Gemach, ohne mich zu
grüßen, dann ließ er sich auf ein Polster nieder und schob die beiden
zuspringenden Wachen mit mächtigen Armen beiseite. Ich winkte, sie
gingen betroffen hinaus.

»Der Übertritt ist eine einträgliche Sache,« höhnte der Junge, und bis
auf die Stimme glich er dem, der mich betrogen hatte. Jetzt wunderte
ich mich, daß ich keinen Haß empfand, ja eher Bewunderung für die
schöne, kühne, blonde Jugend, die kaum achtzehn Jahre zählen konnte
und schon wie ein gewaltiger Streiter in seinem Kettenhemde dasaß. Über
seine Frechheit weghörend, fragte ich kurz:

»Du heißt?«

»Harald,« entglitt es ihm; er biß sich hastig auf die Lippen und rief:
»Was geht das dich an, alter Spitzbube? Hast du mich für dich gekauft
oder hast du noch einen Beturbanten über dir? Schreib an die Juden in
Genua, daß sie mich auslösen, und mach dein Geschäft an mir und dem
christlichen Unglück, aber verschone mich mit deinem Anblick.«

»Du irrst,« bedeutete ich ihn gelassen, »an Lösung ist nicht zu denken,
du bleibst Sklave. Wer dein Herr ist, kann dir einstweilen gleichgültig
sein. Vergiß dein Herzogtum und tu deine Pflichten, die dir angewiesen
werden, zur Zufriedenheit der Aufseher, so wird dir kein Leids
geschehen.«

Er sprang auf, daß das Polster durch das Zimmer schoß, eine steile Lohe
lief über seine Stirn, er sah aus wie mein Vater, wenn er von glühender
Jagd heimstürmte; laut lachend brüllte er mich an:

»Mir ein Leids tun? Willst _du_ das etwa versuchen? Oder vielleicht
dein braunes Ziefer?«

Unwillkürlich mußte ich lächeln, eine Freudenwelle lief warm über
mein Herz. Ach, du prächtige, großmaulige Jugend aus Nordland! Ach,
ihr tolldreisten Riesen aus Schnee und Himmel und Gold! Ach, ihr
hornhäutigen Drachen mit den Herzen aus Wachs!

Bastard oder nicht, der Junge war von echtem Korn, und wäre er eines
anderen Sohn gewesen, ich hätte ihn am liebsten an meine Brust gezogen.
Das würde freilich mehr ein Kampf denn eine Liebkosung geworden sein,
da er gegen mich offenbar wenig Freundschaft zur Schau trug. Aber er
brachte mir die Heimat mit rauschenden Buchen und grünen Hügeln, mit
den Stimmen des Waldes und dem Leuchten der Wolken.

Derweilen sah ich, wie er knabenhaft verstohlene Blicke auf die Reste
meines Mahles tat, er mußte noch nichts bekommen oder genommen haben.
Ich legte eine Taube auf eine Scheibe Brot und bot sie ihm, der dunkel
errötete. »Nimm sie getrost. Ich verstehe deine Abwehr gut, aber du
darfst nicht verhungern, und alles kommt aus derselben Küche. Ich werde
dir eine Beschäftigung zuweisen, die ich selbst einmal als Sklave
gehabt habe, bevor ich --«

»Den Heiland verleugnete!« schrie der Junge trotzig und schlug das Brot
aus meiner Hand.

Ich hob es ruhig auf und fuhr fort:

»Bevor ich den Dank des Emirs verdiente und sein Freund ward. Den
Heiland habe ich nicht so sehr verleugnet wie du, der du sein Brot in
den Staub wirfst.«

Der junge Riese wand sich vor Verlegenheit, er versuchte mich freimütig
anzusehen und stammelte höflich:

»Vielleicht tat ich Euch unrecht, Alter, dann verzeiht.«

»Nimm und iß!« entgegnete ich ihm, und diesmal griff er zu, und ich sah
seinem Hunger an, wie schwer ihm der Kampf gefallen sein mußte.

»Beruhige dich über deine Gefangenschaft; Saladin sorgt für Geiseln,
denn da ihm das ganze Land zugefallen ist, wird die Christenheit vor
neuem Streite stehen, mit ungewissem Ausgang.«

»Mit gewissem!« triumphierte die Jugend. »Glaubst du, König Richard
ließe sich das gefallen? Und der Kaiser? Und mein Vater, wenn er
erfährt --«

Das Blut drängte sich mir zu Herzen, ich senkte die Augen. »Warum
zieht dein Vater nicht zu Felde? Warum schickt er dich statt seiner?«
fragte ich leise. Meine Seele bebte in der Brust und sehnte sich, ein
Wort von der Mutter zu hören, ob sie lebe, ob sie fröhlich sei.

Bereitwillig gab er Antwort:

»Mein Vater hat genug im eigenen Lande zu tun, insonderheit bei den
Unruhen der englischen Krone, da lärmen die Söhne wider den Vater und
untereinander. Dazu ist die Mutter krank, er mag sie nicht verlassen.
Auch hat er mich nicht geschickt, ich bin davongelaufen, sonst wäre
ich nie ins Morgenland gekommen; denn ich bin der einzige Erbe zu
Claraforte, keine Schwester, kein Bruder, ein stilles Haus, Alter.«

Der Kopf war mir in die Hand gesunken, die alten Tage zogen wundersam
leuchtend herauf. Alles war in Glanz getaucht, es gab keine Laster,
keine Sünden, nur Glück, nur Heimat. Langsam nur traten seine Worte in
mein Bewußtsein, herb und plötzlich schüttelte mich die Meldung, Aleit
sei krank. Ich wagte nicht zu fragen, stand auf und bedeutete Harald,
mir zu folgen. Durch Palmenwege schritten wir zu dem Garten, den ich
einige Jahre verwaltet hatte; die Hütte, da mein Herd gestanden, war
etwas zerfallen, denn niemand hatte sie bewohnt, der Garten wurde von
dem Hauptgesinde mitbedient. Seit Sobeide erwachsen war, kam der Emir
nicht mehr her; ich wußte, warum. In der Mitte des Geheges wogte ein
Rosenhain voll der edelsten Sträucher, unwissend seiner Bedeutung hatte
ich ihn damals aus alter Liebe besonders gepflegt. Es war der Platz,
auf dem Gertraudens Leichnam verbrannt worden war, rätselhaft wie ihr
Leben war ihr Bestattungswunsch gewesen.

Ich schloß die Tür zu dem verfallenen Hause auf.

»Ergib dich in dein Schicksal, Harald,« sagte ich mit verstellter
Gelassenheit, »es ist, glaub es mir, gelinder als das meinige. Die
Beschäftigung mit dem Boden, den Pflanzen, den Wolken und Winden tut
wohl und macht ruhig. Niemand soll dich treiben; flick die alte Hütte
und harre deiner Stunde in Geduld.«

Er warf den schönen Kopf in den Nacken und sah mich mit lachenden Augen
an:

»Hütet Eure Pferde, Alter, ich sags Euch offen: kann ich fliehen, so
geschieht es.«

Den anspringenden Schrecken -- nachher wurde mir bewußt, wie sicher
mein Herz empfunden -- dämpfte ein fernes silbernes Gelächter; ich
murmelte einige Worte zum Abschied und eilte hinaus, den Wachen die
Fürsorge für den neuen Gärtner einschärfend.

Im Garten des Frauenhauses saß Sobeide im Kreise ihrer neuen
Gespielinnen, und die jungen, schönen Gesichter strahlten Freude über
ihr unfaßbares Glück, solcher Herrin zugeteilt worden zu sein. Sie
hatten ein ganz anderes Los befürchtet.

»Vater, Väterchen!« rief das Kind und fiel mir um den Hals. »Nun hast
du eine ganze Gemeinde für dich und kannst wieder Priester sein!«

Einen Augenblick war alles verstummt, dann brach ein tolles Gelächter
aus, und ich stimmte von Herzen ein. Wilder konnten die Gegensätze
nicht in ein paar Worte gesperrt werden. Oder vielleicht doch von der
mundkargen Wirklichkeit, die hier Lust und Leben und Geselligkeit schuf
und jenseits der Mauer ein junges Blut zur Einsamkeit verdammte. Jedoch
in diesem Wirbel blauer Sterne war kein Raum für Trauer, ich vergaß und
genoß.


Jussuf betrachtete Sobeide mit der Überschärfe der Sehnsucht, jede
leichte Bewegung wurde ihm zum Wesensspiegel. Da er nach seiner
Rückkehr sich über sie neigte und, wie er es gewohnt war, einen
flüchtigen Kuß auf ihre Stirn drückte, errötete sie tief und barg
verschämte Augen vor seinem heißen Blick; und als sie in der
Abendstunde unter der Ampel des Schachspiels pflegten, merkten sie
beide nicht, wie seltsam die Figuren unter ihren Fingern hüpften,
toller schier als ihre Herzen. Jetzt bot der Emir Schach, bei
ungedecktem König; sie achteten es beide nicht. In starker Verwirrung
stürzte das Kind die Figuren um, die Augen voll Wasser, und lief
schnell hinaus. Jussuf sah mich sprachlos an.

»Lieber Freund,« deutete ich in grenzenloser Torheit lächelnd, »nun
ist ihr Gemüt doch wahrhaft genügend bewegt, und das Herzchen steht in
Flammen.«

Der Emir griff wie ein Ertrinkender nach dem Strohhalm, seine Züge
klärten sich auf, er faßte mich um die Schulter und stammelte:

»Meinst du wirklich? Ach, Ronald, das Kind verfolgt mich durch die
Träume, aber ich kann, ich kann ihm nichts sagen, die klare Unschuld
wehrt mich ab. Wie? -- Geduld? -- Ich habe sie all die Jahre gehabt,
nun aber geht es über meine Kraft.«

Ich tröstete ihn, wie ich vermochte; es seien nun die letzten Wochen,
die jungfräuliche Festung wolle ihren Stolz, sich nicht so leichtlich
besiegen zu lassen, und was der Reden mehr sind. Er hörte sie mit
halbem Herzen und ging seufzend in seinen Palast zurück. Wir waren ein
paar alte Narren und wußten es nicht.

Emir Jussufs Liebeskummer griff allmählich auf mich über, auch mein
Schlaf wurde blasser und wich einem fruchtlosen Grübeln. Ich hatte kein
Arg, daß Sobeide ihn liebte, denn wie sollte ihr seltsames Benehmen
anders zu erklären sein? Wen anders als ihn, der schön, treu und
mächtig war? Es gab keine Wahl in ihrem Kreise; der Emir, an alles
denkend, hatte sorglich jeden stattlichen Besuch vor ihr verborgen. Und
doch fühlte ich ein Gewitter in der Luft, der schwüle Hauch ließ mich
nicht ruhen. Eines Nachts wuchs dies so unerträglich, daß ich aufstand
und ins Freie ging. Unwillkürlich lenkte ich meine Schritte an das Tor,
hinter dem ich der Blumen gepflegt hatte; ich ließ mir von den Wachen
aufschließen und trat ein, angenehm von meinen Gedanken abgezogen von
einer schmunzelnden Erinnerung an den Jüngling, der dort sein Herzogtum
verwaltete. Ich ging ohne Groll, ohne Haß unter den Sternen der kühlen
Nacht, das Vergangene schien abgetan, das Tote tot. Alles war still,
das Rosengrab Gertraudens stand vergessen und traurig entblättert,
die Wege herum waren vernachlässigt und voll Unkraut, die Bäume und
Büsche verwildert, unbeschnitten -- Harald wünschte offenbar sein Brot
nicht mit der Hände Arbeit zu verdienen. Eher beklommen und traurig
als zürnend schlug ich den Pfad zu seiner Hütte ein; ich mußte wissen,
was er trieb und dachte. Vielleicht hatte Verzweiflung ihn in den
stählernen Fängen, und sein Lager war feucht von Tränen und Heimweh.

Mattes Licht schimmerte durch die Hecken, er saß noch wach. Verwundert
rieb ich mir die Augen: die ärmliche Hütte war mit blühenden Rosen
umrankt, in Töpfen standen flammende Tulpen auf dem flachen Dach, das
elende Gemäuer sah wie ein Märchen aus. Hier also steckten seine Tage,
nur für sich selbst hatte er Zeit gefunden. Leise schlich ich näher
und spähte durch das Fenster, vor dem zu meinem höchsten Erstaunen ein
seidener Vorhang hing. Aber meine Prüfung war noch nicht zu Ende,
Geflüster drang aus dem Raum, der Junge stammelte unsinnige Brocken
Deutsch und Normannisch durcheinander, und jetzt klang ein wehrendes,
sehnendes Wort aus Mädchenmund -- meine wilde Jugend stand so jäh vor
mir, daß ich auf den Ärmel beißen mußte, um nicht laut aufzulachen. Der
Tunichtgut hatte eine der Gespielinnen Sobeidens über die Mauer gehoben
und koste mit ihr; und so alt ich war, es reichte noch nicht zu einer
greisen Entrüstung. Auf Zehen schlich ich zurück und hinter eine hohe
dunkle Staude, die Neugier hielt mich, ich wollte wissen, für welche
der Schönen mein Herr Neffe sein Liebesnest mit Gertraudens Grabesrosen
gerichtet hatte.

Meine Geduld wurde auf die Folter gespannt; doch endlich ging die Tür
auf, der Junge stand breitbeinig davor und lauschte in die Nacht. Dann
bog er sich zurück, ein zierliches Wesen, tief verschleiert, hüpfte in
seinen Arm und ward auf leisen Sohlen an die Mauer getragen; vorsichtig
machte ich mich hinterdrein. Behende schwang der Jüngling sich auf die
Steine, kaum daß er den alten Nußbaum erklommen hatte, und ließ ein
Seil herunter, daran ein Knüppel verknotet war. Die gefällige Schöne
setzte sich rittlings darauf und schwebte sacht empor.

Ich ärgerte mich trotz allem inwendigen Lachen, daß mir ihr Gesicht
entgehen sollte; aber jetzt, da die beiden auf der Mauer saßen, löste
sich der Schleier zum Abschied, und ein roter Mund bot sich dem
Beneidenswerten zu einem langen Kuß.

Wie eine Sturmglocke schwang das Herz in meiner Brust. Es war Sobeide.


Was zwischen zwei Atemzügen durch meinen Kopf ging, verschmolz in einer
kalten Mordlust. Was rührte mich dieser Bastard? Er mußte sterben!
Über ein halbes Menschenalter hatte der einzige Freund, den ich auf
Erden besaß, seine Sehnsucht in verschwiegenem Busen getragen, damit
ein hergelaufener Bube mit seiner hübschen, frechen Larve ihn um sein
Eigentum betrog -- er mußte sterben! Ihn davonzujagen hieße ewige
Trauer in das Herz der verführten Unschuld pflanzen, nur das Grab setzt
Lust und Jugend ein Ziel; er mußte sterben. Ungeheures wollte Gott von
mir, damit ich meine Freundschaft beweise: den Sohn der Frau, die ich
geliebt hatte und noch immer liebte, sandte er in dies ferne Land zum
Opfer meiner Treue, den Erben meines Landes hieß Gott hinschlachten
um der glücklichen zehn Jahre willen, und diesmal wollte ich meinem
Schicksal männlich entgegengehen.

Darauf, so beschloß ich, nähme ich das Kind bei der Hand und geleitete
es in den Garten an die Stelle, da ich ihn verscharrt haben würde,
und also spräche ich zu ihr: Hier liegt einer, der eine deiner
Gespielinnen mit dreisten Reden zur Zuchtlosigkeit verlockt hat. Er
hat seine Strafe; forsche du der Dirne nach. Und damit du ein größeres
Frauenrecht hast, wollen wir deine Hochzeit mit Jussuf auf den Neumond
festsetzen.

So würde ich sprechen, und Jussufs Herz sollte von all dem unberührt
bleiben. Wenn nicht der Bursche ihre Ehre beleidigt hatte; und dies
mußte ich wissen. Ich zog mich in die Hütte zurück und barg mich in
den Schatten, den blanken Dolch in der Faust. Seine sorglosen Schritte
schollen über den Rasen, er pfiff eine sanfte Weise vor sich hin und
zog die Vorhänge auf. Dann löschte er das Licht und ließ den Mond auf
die kahlen Wände scheinen; träumerisch saß er am Fenster, das blonde
Haupt von silbernen Liebesflammen umkränzt; nicht um mein Leben hätte
ich ihn so erschlagen können. Mit einem Sprung stand ich vor ihm und
packte ihn beim Handgelenk. Er erkannte mich sofort und tat eine kaum
merkliche Bewegung.

»Alterchen, ist das eine Zeit, die Leute heimzusuchen?« fragte er
gelassen und sah mich forschend an, ob ich von seinen Taten wüßte. »Und
was willst du mit meinem Arm, Väterchen? Du meinst doch nicht, mich
halten zu können!«

Er versuchte eine Befreiung, merkte den Widerstand und nahm all seine
Kraft zusammen.

»Mein Gott, was seid Ihr für ein Goliath!« keuchte er, vor Unwillen
und Anstrengung feuerfarben. »So laßt mich doch und sagt endlich Euer
Begehren!«

»Ist das eines Herzogs würdig,« sagte ich, »die Braut eines anderen zu
stehlen?«

»Ach, du Schleicher! -- Die Braut eines -- Mach dich nicht lächerlich,
Alter; ich habe den ersten Kuß von diesen Lippen gepflückt. Ihr
täuschtet Euch in der Dunkelheit und meintet eine andere.«

»Du willst noch lügen, Bube!« schrie ich empört. »War es nicht Sobeide,
mit der du in deiner stinkenden Hütte freveltest?«

Der Junge tat ein wildes Lachen, aber es klang nicht echt.

»Ist Liebe Frevel? Und stinkende Hütte, sagst du? Wo sämtliche Rosen
des Gartens zu ihrer Ehre um sie versammelt sind? Aber sage mir, wessen
Braut soll Sobeide sein? Sie selber weiß es nicht, oder --?«

Er neigte plötzlich nachdenklich den Kopf und biß die Lippen -- wie eng
beieinander wohnen Liebe und Argwohn! Mit solchem Herzen wollte ich ihn
nicht in die Ewigkeit entlassen und berichtete:

»Sie ist dem Emir bestimmt, allerdings ohne ihr Wissen. Genug davon:
sage mir eins: Hast du sie angetastet?«

Der Junge sah mir verständnislos ins Gesicht, seine Augen gewannen eine
Fülle rührender Kindlichkeit. Als er schließlich begriff, wogte ihm das
Blut über die Stirn, er schlug mit der freien Hand auf meinen Arm und
schrie:

»Lästere sie nicht! Gib mich endlich frei! Dem Ungläubigen willst du
sie verschachern!«

Mit mächtigem Ruck riß er sich los und wich zwei Schritt zurück, Tod
in den glühenden Augen. Es brauste in meinem Kopf, eine jubelnde
Befreiung war in mir, daß es nun Kampf galt, daß ich ihn nicht
abschlachten mußte wie ein Tier. Streitlust, die aller Gründe vergaß,
faßte uns beide, und wie ein Sturmwind hausten wir umschlungen in dem
Zimmer, lautlos, die Zähne verbissen, denn uns beiden war nicht um
Horcher zu tun.

Wählingerblut! Er war es, bei Gott, denn solche Kraft war mir nirgends
begegnet; ich keuchte unter seinen gewaltigen Armen und brauchte meine
ganze Stärke; aber das zähere Alter blieb Sieger, ich warf ihn über
die Schwelle, kniete auf seinem Leibe und drosselte ihn mit beiden
Händen. Die Augen quollen ihm erschreckend aus den Höhlen, ich mußte
wegschauen. Da leuchtete aus dem zerrissenen Hemd seine weiße Brust und
unter dem Herzen das dreigespaltene Mal der Trebilons.

Ein eisiger Blitz durchfuhr mich vom Scheitel bis zu den Füßen, ich
starrte entsetzt in das verkrampfte Gesicht vor mir. Ich wollte
schreien, aber nur ein heiseres Wimmern brach aus der Kehle. Gott! Laß
es nicht zu! Nicht zu!

Ich weiß nicht, wie ich es zustande brachte, das Richtige zu tun,
überhaupt zu handeln. Wie eine Feder schwang ich den schweren Körper
auf meine Arme und lief nach den Trögen, in denen das Regenwasser für
den Garten stand, netzte seine Stirn, rieb seine Brust, arbeitete an
dem leblosen Leibe, daß mir der Schweiß aus allen Poren drang, ohne
aufzusehen, ohne Unterlaß, ohne auch nur dem heißen Drang nachzugeben,
diese geliebten Lippen zu küssen. Ich betete und fluchte in einem, aber
Gott rechnet das Gestammel der umdüsterten Seelen nicht. Seine Liebe
ergoß sich auch über diese grauenvolle Stunde und prüfte mich nicht
über meine Kraft. Denn ich hätte es _nicht_ ertragen.

Er lebte, der bleiche Morgen beschien sein erstauntes Gesicht, unsicher
blickte er mich an. Ich legte den Finger auf den Mund und hieß ihn
schweigen.

»Ohne Sorge, ich bin dein Freund, mag es dir auch seltsam vorkommen.
Bei dem ewigen Gott, ich will euch beiden helfen, wenn ihr es ehrlich
miteinander meint!«

Ein besseres Mittel, ihn zum vollen Leben zu erwecken, konnte ich nicht
finden. Er sprang auf, taumelte und stützte sich an mir.

»Väterchen,« stammelte er, »du hast eine eigene Art für
Freundschaftsbeweise, aber Knochen wie ein Gaul oder wie mein Vater
-- sag, kann ich dir trauen? Und warum? Besinnst du dich auf dein
christlich Herz?«

»Darum kümmere dich nicht, du arger Junge! Wie alt bist du?« Er ahnte
nicht, mit welcher Spannung ich an seinen Lippen hing.

»Letzten Martin achtzehn geworden,« stotterte er verlegen, er fühlte
seine grüne Jugend als wenig ausreichende Grundlage für Liebesdinge;
»jedoch in unserem Geschlecht sind frühe Heiraten nicht selten.«

Ich hörte ihn kaum, eine tiefe Seligkeit entführte mich in eine
wundersame Welt; er war mein Sohn, mein eigen Fleisch und Blut. Die
Zeit stimmte, Aleit mußte gesegneten Leibes gewesen sein, und dies zu
der Stunde, da ich Wildling sie schier zu Tode schlug. Späte Scham
stieg mir in das früh ergraute Haar, aber die übergroße Freude ließ
keine Schatten aufkommen. Ach, wie mußte ich mich bezwingen, mein Kind
nicht in die Arme zu schließen! Ich wußte nicht, wie das anstellen, da
half er mir selber:

»Alter, ich traue dir nicht! Wie willst du mir bürgen, daß du uns nicht
beide verdirbst? Sobeide und mich! An mir ist nichts gelegen; doch wie
kannst du, ein Christ, das Mädchen einem Ungeliebten verschachern?«

In einer jähen Erleuchtung griff ich an mein Herz, fast hätte ich laut
gejubelt.

»Schwöre mir beim Leibe des Herrn, über das, was ich dir jetzt zeigen
will, für immer zu schweigen!«

Er hob betroffen die Hand zum Himmel; ich aber schob mein Gewand zur
Seite und zeigte ihm das Mal unter meinem Herzen.

»Auch ich bin ein Trebilon, wie du von der Seite deiner Ahne. Nun bin
ich der Mönch Ronald und tot für mein Geschlecht. Glaubst du jetzt?«

Mit leerem Ausdruck saß der Junge da, dann sprang er auf mich zu,
umarmte mich und küßte meinen zerschundenen Mund und rief:

»Den Papst zum Vetter! Dem Mütterchen eine Tochter, und dir -- ein
Bistum!«

Mich lähmte die Wonne, jauchzende Gebete stiegen lerchengleich aus
meinem Herzen; alles, alles hatte mir Gott vergolten durch diesen einen
kurzen Augenblick.


Der Rausch verflog, die Seele rüstete sich zum Kampf. Jussuf war für
einige Tage verritten; ich hätte ihm nicht ins Gesicht sehen können.
Der Himmel, der mich mit Freuden überschüttete, forderte von mir
Verrat, und angstvoll lauschte ich in mich hinein, was das Schicksal
von mir erwartete. Pläne wurden geboren und verworfen, es blieb nur
die Flucht. Zuvor aber mußte ich Sobeide vor mir sehen, und zagenden
Herzens schritt ich in das Frauenhaus.

Sie empfing mich mit glänzenden Augen, und so fröhlich mich sonst
dieses Licht gemacht hätte, heut stimmte es mich schwermütig, denn ich
kannte seinen Ursprung und trauerte, daß mein Kind Geheimnisse vor mir
hatte. Mein Kind -- war jener andere nicht viel mehr mein Kind? Ich
schüttelte die Gedanken von mir ab, das Gebot der Stunde ertrug nicht
die Betrachtung so kunstvoll ineinandergeschlungener Schicksalsfäden.
Das Kind saß neben mir, ich hatte meinen Arm um seinen Hals gelegt.

»Diese Nacht belauschte ich dich,« sagte ich und fühlte, wie sie
schwerer an meine Brust sank.

Plötzlich faßte sie meine beiden Hände, bebende Angst in den Augen.

»Ihm ist nichts geschehen, Vater?«

»Nein,« sagte ich und wußte genug.

Sie barg ihr Köpfchen an meine Schulter und weinte leise.

»Die langen Jahre hat Jussuf dich gehätschelt und verwöhnt, er liebt
dich mit der Glut seines starken und treuen Herzens; nun läufst du ihm
davon, mit irgendwem, mit nirgendwem! Dies ist Frauendank.«

So sprach ich und schlug ihr Herz blutig, indes meins vor Weh brechen
wollte. Sie sank in sich zusammen und weinte auf meine Hände,
unaufhaltsam quoll die bittere Flut aus ihren Augen.

»Ist denn nichts, was dich zu dem Emir zieht?«

Da sprach sie endlich ein paar zitternde Worte, und sie, die bis vor
kurzem von Liebe nichts wußte, war nun ganz in Liebe getaucht.

»Doch, Vater, doch! Ich hab ihn lieb wie einen Bruder, er ist der
edelste und gütigste Mensch -- nächst dir, Vater,« verbesserte sie
sich und streichelte meine Seele, »aber Harald hält mein Herz und ich
seins. Straft mich, wenn es unrecht ist, doch ich kann nicht von ihm
lassen, im Leben und im Tode nicht.«

Das waren große Worte, aber sie wuchsen aus dem schlichten Grunde ihres
Wesens wurzelecht und selbstverständlich wie Opferflammen aus heiligem
Herd. Jussufs Schale hob sich und verschwand in Fernen; mir blieb keine
Wahl.

»Steht es so, Kind, so will ich euch helfen,« flüsterte ich; »doch des
seid gewiß, wir alle spielen mit dem Tode. Nur die Flucht rettet euch,
und wehe, wenn uns Jussuf einholt!«

»Dann sterben wir vereint!« erwiderte sie mit glücklichen Augen, sie
hörte nur das Versprechen der Hilfe und sah keine Gefahren. »Du aber,
Väterchen, mußt mit uns gehen, ich mag dich nicht lassen.«

Armer Jussuf! Drei Herzen sollten vor Seligkeit überströmen, und er,
der unser aller Schicksal in den Händen hielt, blieb betrogen, einsam,
leer in seiner Verlassenheit. Es mußte mir ein Wort hierüber entglitten
sein, denn Sobeide schluchzte lauter auf, und ihr Leib zuckte hilflos
in meinem Arm.

»Wär ich tot«, stammelte die Jugend, »und täte niemandem mehr ein
Leid!«

Ich nickte betrübt; das Alter erst weiß, daß alles Leben währender
Kummer ist. Nur die Erinnerung blickt über das flache Feld und sieht
nichts als den hochragenden leuchtenden Mohn des Vergessens, der
Freude, der Lust.

»Und deine Gespielinnen?« fragte ich, zur Wirklichkeit zurückkehrend.
»Es ist unmöglich, sie alle mitzunehmen; je weniger wir sind, um so
größer die ohnehin schwache Aussicht auf Rettung.«

»Der Emir ist gut,« sagte sie zuversichtlich und so ganz Weib, daß ich
in aller Trauer lächeln mußte; »er wird ihnen nichts zuleide tun. Warum
liebt er nicht ihrer eine statt meiner? Sie sind so schön und klug,
viel besser als ich, die ich nichts als Ärger und Pein bringe.«

Sie meinte es ernst mit ihren Worten; die Schuld, die fremde Wünsche
und Hoffnungen ihr auferlegten, drückte sie zu Boden; nur die junge,
heiße Lebenskraft gab ihr den Mut, trotz allem nach den Sternen zu
greifen.

»So bereite dich,« sagte ich entschlossen, »heute, vor Abend, reiten
wir davon. Keins deiner Mädchen darf ein Wort erfahren; fort die
Tränen, Verschwiegenheit ist unser halber Weg. Ich hole dich selbst.«


Ich schlenderte in die Ställe und musterte die Pferde. Jussuf, dies ist
der Dank für deine königlichen Geschenke. Der Dank für zehn stürmelose
Jahre, der Fußtritt des Gastfreundes, der wie ein Fürst neben dir gehen
durfte.

Die drei Pferde wurden bereitgestellt; es lag nichts Auffälliges in
meinem Befehl, da ich oft mit Sobeide ausritt. Darauf wandte ich mich
in den Garten Haralds, der eben beim Mahle saß und mit dem gesunden
Hunger seiner Jahre gewaltige Stücke von einer Hammelkeule biß.

»Vor Abend noch,« sagte ich, »du, Sobeide und ich. Der Emir wird kaum
vor morgen erwartet. Lege dein altes Gewand an und darüber diesen
Mantel. Und -- hast du die andere Keule noch? Gut, pack sie ein, ich
will mich nicht auffällig versehen. Du erhältst Bescheid.«

Ehe er seinen Dank sagen konnte, verließ ich ihn, meiner verworrenen
Gefühle kaum mehr Herr. In meinem Zimmer ging ich auf und ab und
grübelte über einen Brief für den Emir, doch die schönsten, tiefsten
Worte, die ich fand, dünkten mich armselig und schal. Das Mahl stand
unberührt auf dem Tische, ich packte ein Teil in ein linnenes Tuch,
füllte zwei Schläuche mit Wasser, band mit schamroter Stirn eine Menge
Goldes in meinen Gürtel und wählte für Harald eine Waffe. Ich selbst
nahm den Säbel, den mir Jussuf auf mein Wundbett gelegt hatte, und
all diese Dinge barg ich notdürftig unter meinem Mantel. Das Gewissen
betäubte ich mit dem Vorsatz, von der Küste aus an Jussuf zu schreiben.
Wie ein Dieb ging ich aus dem Hause meines Freundes -- unter harten
Augen verhehlte ich ein Herz, das seine Schuld in alle Winde schrie.
Seine Schuld und seine Angst, denn es wußte nicht, wohin sich wenden
nach solcher Tat. Noch auf dem Wege zum Frauenhause beschloß ich, die
beiden Kinder nur bis ans Meer zu geleiten und dann männlich vor Jussuf
zu treten: Hier bin ich, morde mich und kühle deine Rache in meinem
Blut!

Dieser Entschluß verschaffte mir eine merkwürdige Erleichterung, meine
Tatkraft spannte sich freudiger. Der Tod dünkte mich kein großes Ding,
ich glaubte mein Leben hinter mir zu haben und war mit solchem Abschluß
zufrieden.

Sobeide zitterte vor Scham und Leid; nun, da eine jähe Entscheidung
verlangt ward, blutete ihr Herz um den Mann, dem sie eine sorglose
Jugendzeit verdankte. Sie hatte ihr ärmstes Gewand angezogen,
schmucklos bis auf den alten silbernen Löwentaler; nichts von all den
Beweisen von Jussufs Liebe und Freundschaft wollte sie mit auf diesen
Weg nehmen. Ich verstand sie und redete nichts dawider, stolz auf
ihren hohen, adligen Sinn, und so wandten wir uns schweigend zu den
Pferden, stiegen auf und ritten, das ledige Tier am Zügel führend,
an die andere Seite des Gartens. Vom Sattel aus konnte ich die Mauer
erreichen; Harald hörte meinen leisen Ruf, klomm über, und die Paläste
versanken hinter uns. Erst weit in der Steppe hielten wir an, banden
die Schläuche und Vorräte auf die Kruppen und bereiteten uns besser
auf den langen Ritt. In purpurner Verlegenheit sah sich die Jugend zum
erstenmal unter fremden Augen an; ihre holde, tastende Verwirrung hätte
mich unter anderen Sternen mit Seligkeit erfüllt, jetzt verstörte es
mein Gemüt noch ärger. Wir trieben die Pferde an und ritten wortlos in
die nahende Nacht, von niemandem belästigt, von keinem verfolgt.

Sobeide lebte noch in dem Gedanken, ich würde sie in das Abendland
begleiten; ich mühte mich ab, ihr meinen geänderten Entschluß in einer
Weise mitzuteilen, die sie am wenigsten traurig machen würde, aber zum
Erfinden taugte mein Kopf heute nicht, ich verschob die Aussprache bis
an den Morgen. Endlich fiel mir ein, wie ich ihren Trennungsschmerz zu
lindern vermöchte, ich besann mich auf meine Priesterrolle und stand
so fern allen Formeln und Gebräuchen, daß ich voller Glück über meinen
Plan ward: ich wollte die beiden vor der langen Reise selber ehelich
miteinander verbinden; Gott, meinte ich, würde den Segen des Vaters dem
des Priesters gleichstellen.

Der Tag begann mit karger Sonne, mir war nicht zum Beichten zumute. Bei
kurzen Rasten ritten wir weiter dem Meere zu; es blieb uns keine andere
Wahl als Tyrus, denn dies war der einzige Hafen, der der Christenheit
noch im Morgenlande verblieben war, und von dem aus wir mit einiger
Sicherheit auf Überfahrt rechnen konnten. Zu unserem Kummer lahmte
Sobeidens Pferd; auch sie selbst war von der äußeren Anstrengung und
inneren Erregung völlig erschöpft und hielt sich nur mit Zwang in den
Bügeln. Es kam so weit, daß Harald seine Beute vor sich in den Sattel
nehmen und mit seinem Arme stützen mußte. Für seine mächtige Kraft war
dies eine kleine Last, und dennoch zitterten seine Hände, als ich ihm
das Kind emporreichte.

Vor der zweiten Nacht, als wir uns um der Tiere willen zu einer
längeren Ruhe bequemten, sprach ich den Kindern davon, sie gleich
an Ort und Stelle zusammenzugeben, da niemand wisse, in welche
Fährlichkeiten unsere Pfade führten. Sie griffen danach, als hätte ich
ihnen die ewige Seligkeit geschenkt; es war doch _ein_ Ziel dieser
Flucht, das erreicht war. Ich nahm den Turban ab, und die beiden Kinder
knieten unschuldig vor mir nieder, Hand in Hand. Die Stimme versagte
mir fast, das Herkömmliche entfloh meinem Gedächtnis, ein paar Worte
stiegen bebend aus tiefem Herzen; rasch segnete ich sie ein, zog sie an
meine Brust und küßte sie beide in Herzenslust und Trauer.

Nun war an Schlaf nicht mehr zu denken, wir hatten alle inmitten
der Nachtkühle fieberheiße Wangen und schlagende Pulse. Nach kurzer
Weile bestiegen wir die Pferde und trabten langsam unter den Sternen
dahin, die beiden eng umschlungen, ich mit Sobeidens Pferd am Zaum
hinterdrein. Einmal war mir, als berühre eine Hand meinen Nacken,
aber rückwärts schauend sah ich nichts als den leeren, flimmernden
Himmelssaum über dem silbernen Steppengrase.

Doch das fremde Gefühl wollte mich nicht mehr verlassen, immer häufiger
drehte ich den Kopf, und endlich glaubte ich in der Ferne das Blitzen
eines Eisens zu sehen. Ein paar Sprünge brachten mich neben Harald, dem
ich leise befahl, schneller fortzureiten, da ich, drohe Gefahr, rascher
als er auf seinem doppelt belasteten Tier vorankäme. Er hatte kein Arg,
trieb den müden Gaul zum Trabe und verschwand bald hinter den Hügeln.

Ich wandte mein Angesicht dem dunklen Schicksal zu, denn der aus dem
Osten gegen mich anritt, war der Emir.

Sehr weit in der klaren Nacht erkannte ich den hemmungslosen Zorn in
seinen Zügen; von seinem Renner flockte der Schaum wie Schnee; er,
der keinen Sporn gebrauchte, trieb das geliebte Tier mit dem Dolche.
Die Lanze steil auf meine Brust gerichtet, sprengte er heran, Mord in
den verwilderten Augen, und unwillkürlich zog ich den Säbel aus der
Scheide. Nicht um mein Leben zu retten; das war verwirkt. Aber ich
wollte dem Tod so lange wehren, bis ich Jussuf das Glück der Kinder
abgerungen. Ich rief und winkte ihm zu; vergebens, er wollte nichts
hören und sehen, mit blinder Wut stachelte er sein Pferd und rannte auf
mich ein.

Bei Gott, das Schicksal selber hat ihn getötet, nicht ich!

Da sein Eisen handbreit vor meiner Brust war, zerschlug ich den
Speerschaft mit dem Schwerte. Der Emir tat eine unglückliche Wendung im
Sattel und stieß mit Gewalt in die Klinge. Sein Hengst stand plötzlich
still, friedlich beschnupperten sich die befreundeten Tiere; Jussuf
sank ohne einen Laut in meinen Arm. Seine Mienen glätteten sich und
wurden mild, je mehr das Blut aus ihnen wich; er schlug die Augen auf
und sah mich erstaunt, fast heiter an. Ich hatte die Hand auf seine
Wunde gepreßt, aber das Blut quoll und strömte unaufhaltsam über
meine Finger, er war verloren. Zu sprechen vermochte er nicht, seine
Arme lagen an meinem Halse, er drückte mich mit seiner schwindenden
Kraft und legte den Kopf kindlich an meine Brust; ein Lächeln glitt
über seine Züge und hielt mit einem an, als schaue er entzückt ein
Wunderbares. Stöhnend strich ich ihm die Lider über die gebrochenen
Augen, und meine Tränen wuschen ihn rein von Schweiß und Staub. Dann
hob ich ihn aus dem Sattel zu mir und ließ ihn sanft zur Erde, stieg ab
und kniete lange neben ihm, alles vergessend, versunken in den Anblick
seines friedlichen Gesichts, das sein erschautes Wunder wie ein Spiegel
festhielt und so schön war wie im glücklichen Leben. Vielleicht, daß
Gertraude seiner scheidenden Seele winkend den Weg in die neue Heimat
gewiesen.

Und ich? Wohin mich wenden? Sollte ich den Seinen den blutigen Leichnam
und mich selbst zum Opfer bringen? Wem zuliebe, wem zuleide? Mittellos
trabten die beiden Kinder der Küste zu, noch in jeder Stunde von Gefahr
umgeben. Bei ihnen war mein Platz. Ich entschloß mich rasch und hart,
die weicheren Gefühle erdrosselnd. Jedoch bevor ich ritt, hob ich mit
dem Schwerte die Grasnarbe ab und grub dem Freunde ein Bett. Dann
säuberte ich Pferde und Säbel mit meinem Mantel von den Blutflecken,
legte ihn zu Jussufs Füßen und deckte das Grab zu. Ich sorgte, daß die
Erde über ihm nicht von den Aastieren aufgescharrt werden könnte, indem
ich eine Menge Steine zusammentrug und einen Hügel von Gewicht und
Dauer aufschichtete. Darauf wechselte ich die Sättel und legte seinem
Roß den Sobeidens auf, erstach das lahme Tier und ritt den Kindern nach.


Ich traf sie beim Morgenlicht; sie erschraken, da sie mich sahen, als
ob ein Gespenst sie überrascht hätte. Und ich -- gelassen bot ich des
Emirs Grüße und in dem Pferde ein letztes versöhnendes Geschenk an
Sobeide. Er habe sie nicht mehr sehen wollen und sei auf dem lahmen
Tier langsam zu den Seinen verritten.

Sobeide beugte sich über meine Hand und schluchzte leise:

»Und du, Vater?«

Irgend etwas lachte in mir zornig und gepeinigt, ich starrte über die
glühende Steppe und trotzte dem Gott, der mich verfolgte, indes mein
Herz wie ein gefangen Wild in seinem Kerker tobte.

»Ich fahre mit euch in die alte Heimat!« schrie ich rauh. Aber sie
blickten mich erstaunt an und hörten mich nicht; die Worte blieben mir
in der Kehle stecken.



Drittes Buch


Es ist ein weiter Weg von Bachara nach Claraforte, zu Wasser und Lande
voll von Ereignissen. Mein Gedächtnis ist mir ansonst ziemlich treu
geblieben, aber von diesem Wege, seit dem Morgen, an dem ich Jussuf
begrub, habe ich nur eine dumpfe, bleischwere Erinnerung, als sei ich
ihn ohnmächtig und von Sinnen gefahren. Das Kind hat mir oft berichtet,
wie ich bei Stürmen unvernünftig auf Deck hin und her gelaufen sei,
daß Harald mich halten und in die Kajüte geleiten mußte; wie ich
gedankenlos und ohne aufzuschauen durch Italien und über die Alpen
geritten, und daß die Ärzte in Deutschland mich für zerrütteten Geistes
erklärt hätten.

Ich _war_ krank. Eine Nachtmahr lag auf meiner Brust und verließ mich
erst zu der Stunde, da ich die Grenze meines Landes überschritt. Dort
stand am Wege nach Osten zu eine uralte Linde mit zwei tief in den
Stamm geschnittenen verschlungenen Herzen.

Harald, der mein Roß führte, hielt an und sagte zu Sobeide:

»Dies ist unsere Heimat, Liebe; sieh die Herzen, die mein Vater
ehemals in den Baum geschnitten. Ich hätte Lust, auch unseren Bund
hineinzuschreiben. Halt die Zügel und verzieh ein Weilchen.«

Drauf sprang er ab und begann seine Arbeit. Sobeide mochte es zu lange
dauern, daß ihr Eheliebster ein paar Schritt fern war, sie glitt aus
dem Sattel und stellte sich neben ihn, und plötzlich wich der Schleier
von meiner Seele, ich starrte auf das Bild und sah zwei, die vor
zwanzig Jahren die alten Herzen hineingegraben hatten, jung, schön,
glücklich gleich jenen. Wie Geierflug raste mein Leben an mir vorüber,
klar und hart wie ein Wintertag, und abermals hielt ich an der Grenze
meines Herzogtums, ein zerfetzter, schuldbeladener, armseliger Greis.
Hinter mir lag die Reisezeit gleich einer dunklen Lücke, ich ahnte, daß
ich krank gewesen, ich fühlte, daß ich genesen sei.

Zu rechter Zeit, gewiß um keinen Tag zu früh, denn der Abend schon
würde mir ein Wiedersehen bringen, schlimmer und tödlicher vielleicht
als alle Kämpfe meines Daseins. Das flog durch meinen Sinn, ohne mich
mehr als flüchtig nur zu rühren, denn mein Herz lag, kaum erstanden,
in anderen Banden, die ich nie und nimmer so mächtig geglaubt. Ich sah
den Himmel mit den wunderbaren Wolkenschlössern, die ruhvoll im Blauen
schwammen und immer neu erwuchsen, ich atmete den Duft der Heimaterde,
stark und lenzgeschwellt, mir war, als senke meine Seele selige
Würzlein in die Scholle und begrüße Krume, Wurm und Wasser und sauge
sich voll von dem lebendigen Blut, durstig und dankbar wie ein Kindlein
an mütterlicher Brust.

Heimat, Heimat, ehe der Abend über mein Schreibwerk hereinbricht, will
ich deiner gedenken, du Heilerin der Qualen, Trost im Elend, Treueste
der Treuen! Deine Kinder treten dich mit Füßen, aber du vergißt ihrer
nimmer. Du warst bei mir in der dürren Steppe, und ob ich deiner kaum
gedacht, du warst es doch, die meine Träume füllte. Heimat, Heimat,
dich hab ich behalten von allen Gütern, dich allein hab ich geliebt,
ob ich dich auch hundertmal verriet, gehemmt von Leidenschaften und
Wünschen. Du lebtest in allen, die mein Herz besaßen, und nichts war
außer dir als toter Sand.

Ja, ich war genesen und sah mit einem inwendigen Lächeln dem Ende
dieses Tages entgegen. Die Kinder merkten verwundert, wie ich
verständig in ihre Reden eingriff, und in halb zweifelnder Freude ließ
sich Harald den Zaum meines Rosses aus der Hand nehmen. Jetzt erst
drang mir auch die äußere Veränderung unserer Leiber in das Bewußtsein;
die Kinder trugen abendländische Edelmannstracht und ich selbst eine
neue warme Kutte. Unwillkürlich tastete ich an meinen Kopf -- gottlob,
sie hatten wenigstens mein schütteres Haar mit der Tonsur verschont.

Die zarte Dämmerung der Nordländer geisterte im Walde, die Stille ging
wie ein träumendes Märchen neben uns. Sobeide verstummte in bänglicher
Erwartung des Herzogspaares, denn Claraforte rückte näher. Plötzlich
lag die Burg vor uns, steil aus einer Lichtung ragend, und der Mond
darüber lief wie ein silbernes Wiesel durch die gezackten Wolkenwälder.
Wortlos hielten wir an, gebannt von der großen Art dieses Bildes, von
Erinnerungen und Hoffnungen überwältigt.

»Dies ist unsere Burg, Vater,« sagte Harald leise zu mir. Ich neigte
den Kopf; Gottes Wege, Gottes seltsame Schicksale schlossen langsam
ihren Kreis. Ahnungslos führte mein eigen Kind den Flüchtling in
das Haus seiner Väter zurück, Frieden und Liebe schienen am Ende des
blutigen Pfades zu stehen.

Wir waren, ein jedes aus anderem Grunde, tief bewegt und schämten uns
der nassen Augen nicht. Sobeide war von ihres Mannes Seite gewichen
und hielt sich neben mir, da wir den Burgberg hinanritten; sie scheute
sich, hier sogleich als künftige Herrin aufzutreten, als müsse ihre Ehe
von den Eltern erst bestätigt werden.

Herzog und Herzogin schliefen schon. Aber der Lärm der Diener, als sie
den Jungherrn sahen, hätte Tote auferweckt; notdürftig bekleidet liefen
die Alten herbei, seltsamerweise aus verschiedenen Richtungen den Saal
betretend. Ich hatte Muße, sie beide zu betrachten, denn es dauerte
lange, ehe die Reihe an mich kam. Der Augenblick, in wieviel Stunden
herbeigesehnt, ging nüchterner an mir vorüber, als ich gewähnt hatte,
schon glaubte ich entsetzt, Hoffen und Harren hätten meine Liebeskraft
verbraucht. Ich kann nicht einmal sagen, daß ich nur Augen für Aleit
gehabt hätte, Wesen und Haltung des Bastards fesselten mich fast ebenso
stark. Trotz allem mischte sich keine Bitterkeit in den Gedanken, daß
ich, der ich recht eigentlich der Mittelpunkt dieser seltsamen Heimkehr
war, verlassen im Hintergrunde stand, ein müßiger Zuschauer, der gewiß
war, aus den Kelchen überschwenglicher Liebe zum Ende den schalen Rest
der Höflichkeit zu bekommen.

Keinen hatte das Alter verschont; Aleit war bleicher und zarter,
silberne Fäden trug sie im Haar, ihr Mund war weicher, ihr Blick
versonnener. Mir schien, ihr fröhliches Wesen wäre schwerer geworden,
und da ich, mit unbewegtem Gesicht, die Narbe auf ihrer Stirn
betrachtete, glaubte ich den Grund zu erkennen. Es war ein feiner
Unterschied in der Art, wie sie Sohn und Tochter umarmte; blindlings,
mit allen Kräften, zog sie ihn an ihr Mutterherz, nichts fragend, weder
mit Worten noch mit Augen, nur dem Triebe folgend und beseligt von
seiner Nähe. Auf Sobeide ruhte ihr Blick für einen Atemzug, dann erst
schloß sie auch die Tochter in die Arme. Niemand bemerkte die Prüfung
außer mir; aber als der Bastard, nachdem er den Erben von Claraforte
rasch und wild an sich gepreßt hatte, sich zu Sobeide wandte, lag
sein Auge auf ihr, als erforschte er ihr Blut bis in die fernsten
Geschlechter, und das Kind senkte die Lider. Robert lächelte: dies
Lächeln war wie eine zweite Larve unter dem anderen, harten, strengen
Antlitz, das Furchen tiefer Leidenschaft durchzogen. Er war gewandelt,
wandelte sich noch; die Jahre hatten ihn furchtbar mitgenommen, und --
weh! -- mein arges Herz triumphierte darob.

Sie saßen mit uns zum Mahle nieder, Harald zwischen den Eltern, Sobeide
neben Aleit, ich neben dem Bastard, und nun erst faßten sie mich
genauer, soweit die spärliche Beleuchtung es zuließ. Harald erzählte
kurz von der Flucht aus Bachara, der Bastard neigte sich verbindlich zu
mir und sagte:

»Wir sind Euch sehr zu Dank verpflichtet, ehrwürdiger Vater. Verzeiht,
wenn wir Euch über den Kindern vergaßen, es war die Freude des
Wiedersehens. Morgen steigt ein neuer Tag herauf, der Euch gehört.«

Aleit sah mich an, ihre Augen waren weit und klar; ich vermeinte, eine
jungfräuliche Röte überzöge sanft ihre Wangen. Es war unmöglich, daß
sie mich erkannte, und doch fühlte ich in ihrem Blick eine liebkosende
Berührung.

»Vater Ronald,« begann Harald; der Bastard horchte auf und starrte
mich an, zum erstenmal klang der Name deutlich an sein Ohr.

»Ihr nennt Euch Ronald?« fragte er heiser und sichtlich mit großer
Anstrengung. Aleit zeigte keinerlei Bewegung, es ward mir klar, sie
wußte nichts von dem bösen Handel. Dies richtete mich auf und gab mir
Trost, ohne daß ich zu sagen vermöchte, warum. Rasch antwortete ich,
bevor das Benehmen des Bastards ihr auffällig werden konnte:

»Herr, das ist eine lange Geschichte, und die Stunde ist vorgerückt.
Für heut, daß ich ehmals Benediktus hieß und nun eines Toten Namen
trage.«

Der Bastard atmete auf, Blut kehrte in seine Wangen. Er legte das
Messer, daran seine unruhigen Hände spielten, mit einem Ruck auf den
Tisch und fragte mit bewundernswerter Gleichgültigkeit:

»Eines Toten? Ich kannte einen Mönch Ronald, vielleicht ist es
derselbe; sagt mir, ehrwürdiger Vater, wann ihn das Schicksal traf.«

»Er fiel, mit hoher Tapferkeit fechtend, bei Akkon, da Rainald von
Chatillon den Sultan zum letztenmal besiegte. Seht, Herr, er führte
treffliche Zeugnisse mit sich, die ihm größere Freiheit verschafften,
als sonst Klosterbrüdern zuteil wird, und ich nahm sie zu eigen; Gott
möge es mir verzeihen.«

Der Bastard verzog die Lippen und verbarg ein Gelächter, da ihm die
Vorzüglichkeit dieser Zeugnisse bekannt war. Und wiederum, zur selben
Zeit, umdüsterte eine Trauer sein immer noch edles Haupt, Trauer um das
Wählingerblut, das er nun unter dem Wüstensande modern glaubte.

»Benediktus oder Ronald,« sprach er höflich, »hier gilt das gleich.
Wir hängen nicht an Formeln und bitten Euch, Vater, bleibet hier, so
lang es Euch gefällt; übt Euren geistlichen Beruf oder ergötzt Euch
an weltlichen Dingen, wie es Euch beliebt. Wir wollen Euch danken, so
lange wir leben, denn Ihr habt unser bestes Gut gerettet.«

Er sah Harald an und schien mit Mühe eine tiefe Bewegung zu
beherrschen, offenbar hing sein Herz an diesem Erben des
Wählingerlandes, als sei es sein eigener Sohn.

»Und mehr dazu!« fügte Aleit leise seinen Worten an, indem sie Sobeide
umschlang und mit herzlichem Takt in das Gehege der Sippe einbeschloß.

Ich mußte mich abwenden, meine Augen wurden verräterisch. Kein Wort,
keine Bewegung, und doch irgend etwas, das ich, weiß nicht, mit welchem
Sinn, wahrnahm, trennte den Bastard von der Herzogin und legte eine
ewige Kluft zwischen sie.

Mitternacht ward, wir gingen zur Ruhe. Der Bastard selbst geleitete
mich in mein Gemach; ein Handleuchter erhellte notdürftig den Weg. Ich
merkte, er führte mich zu einem sehr schönen Turmzimmer für hohe Gäste,
und folgte ihm mit sicheren Schritten; die mannigfachen Stufen fand
ich blindlings und hatte noch eine kindliche Freude an dieser genauen
Erinnerung.

Plötzlich sagte der Bastard rauh:

»Ihr wandelt durch die Gänge, als sei Euch das Haus von Kindesbeinen an
vertraut.«

»Die Wüste erzieht Raubtiersinne,« gab ich sogleich zurück, »ich mache
mich anheischig, Euch im Dunkeln zu folgen.«

Die rasche Antwort schien seinen Argwohn zu besänftigen, er hob die
Riegel aus der Tür des mir bestimmten Zimmers und wünschte mir mit
freierer Stimme eine geruhsame Nacht.

Geruhsame Nacht in der Burg meiner Väter, unter einem Dach mit meiner
verlorenen Liebe, mit dem Mörder meines Glücks! Die Leidenschaften
zerbrachen mit wilden Fäusten ihre Ketten und heulten wie Sturmwinde
um mein Lager; stöhnend wälzte ich mich, von Flammen gepeinigt, sprang
auf und trat nackt auf den Altan und starrte auf den mailichen Garten,
darin aus Blütendüften eine Nachtigall dicht unter mir sang. Die
Mauern, die Bäume, die Brunnen im Hofe schimmerten blau umsilbert in
dem vollen Mond, die lauen Atemzüge der Frühlingserde bewegten kaum ein
Blatt; trunken sog ich die Heimat in mich hinein und vergaß im Rausch.

Ich wachte nicht allein. Vom jenseitigen Turmerker blickte der Bastard
zu mir her, ich sah seine Augen im Mondlicht funkeln und wich verstört
ins Gemach, in unwillkürlicher Bewegung die Hand über das Mal auf
meiner Brust deckend.

Was trieb der Bastard dort? Schlief er nicht in Aleits Kammer? Lebten
sie auseinander?


Das Morgenmahl wurde mir an das Bett gebracht; der Mensch, der es
trug, war schon in meinen Diensten gewesen, und um ein Haar hätte ich
ihn bei Namen genannt. Ich besann mich und schwieg erbittert. Fort
aus diesem Hause! Jeder Stein zermalmte mich mit Erinnerungen, ich
konnte nicht atmen unter diesem Dach, das die Gespenster toter Lenze
beherbergte. Kaum war ich in der Kutte, als der Bastard eintrat.

In seinem verschlossenen Gesicht stand kein Erkennen zu lesen, aber
das Tageslicht zeigte deutlich an, wie wenig auch ihn ein frühes Alter
verschont hatte. Er vertat seine Zeit nicht mit Worten, grüßte mit
gleichgebliebener Freundlichkeit und bat mich, ihm und Harald auf einem
Ritt durch das Herzogtum zu folgen. Den Frauen würde es lieb sein,
einen Tag ganz für sich allein zu haben; zumal die Herzogin freue sich
auf die junge, schöne Helferin und wäre, da sie schwacher Gesundheit,
gern mancher Bürde ihrer Pflichten ledig.

Ich ordnete schweigend mein Gewand; er konnte nichts argwöhnen, denn
was sollte er mich sonst zu solchem Ritt bitten? Wie es auch sei,
ich wollte an Verschlossenheit und Zucht nicht hinter ihm stehen und
stimmte zwanglos zu, im geheimen froh, Aleit nicht sogleich unter die
Augen kommen zu müssen. Die Beobachtungen der Nacht hatten das Bild
der heimatlichen Verhältnisse, das ich klar glaubte, völlig verwirrt,
aufs neue rang die Seele um ihr himmlisch Teil. Und, ach, um ihr
irdisches.

Harald erwartete uns schon mit den Pferden; wir saßen auf und trabten
ohne Geleit in den lichten Morgen. Der Bastard erläuterte uns jedes
Ding; seine Kenntnisse gingen bis ins kleinste, jede Hufe Landes hatte
in seinem Munde ihre Geschichte. Ich fand mich bald nicht mehr zurecht,
mit wachsendem Erstaunen lernte ich, was dieser Mensch aus meinem Reich
gemacht hatte. Da war kein Ödland mehr, da standen keine verfallenen
Katen, da traf das Auge keine hungernde Not. Strahlend sauber saßen
die Häuser breit und behäbig auf ihren grünen Hügeln, das glatte,
schiere Weidenvieh war einheitlich gezogen und warf satte, bunte Flecke
auf schwellende Wiesen. Viele Felder waren eingezäunt, damit Hirsche
und Sauen nicht den Schweiß des Bauern verderben konnten; wohin ich
blickte, sah ich die ordnende, segenstiftende Hand, und was der Bastard
auch an mir getan, er war ein Fürst und Herr von echten Gottesgnaden
und hatte sein Pfund nicht vergraben oder gar vergeudet.

Auf der Burg eines seiner Vögte saßen wir zu Tisch; es war dies der
Sohn meines alten Zechgenossen Roger des Wilden, den inzwischen der
Teufel geholt hatte. Ich hatte den Jungen als ein böses Früchtchen im
Gedächtnis, fand aber einen wackeren, tüchtigen Mann, der Land und
Volk in Ordnung hielt und dessen Brut sauber gewaschen und gekämmt in
guter Haltung uns den Willkomm bot. Da ich das Kreuzeszeichen über ihre
Flachsköpfe machte, traf mein Auge zufällig den Blick des Bastards, der
mir voll feinen Spottes über mein priesterlich Gebaren schien.

Nachher sahen wir die Marställe und Waffenkammern; der Herzog merkte
mein Befremden über die Fülle und Güte der Tiere und Rüstungen und
sagte fast heiter:

»So sind alle meine Burgen ausgestattet, Vater Ronald; da hängt
das Geld, das wir nicht in den Abgrund der Kreuzzüge warfen. Das
Wählingerland hat kaum einen Toten im Morgenlande zu beklagen außer
denen, die uns dieser Wildling entführte.«

Lächelnd zwar, aber dennoch ernst nickte er Harald zu, der in
fröhlichem Leichtsinn Antwort gab, daß ihm seine Kreuzfahrt Sobeide
zugebracht und er keinen Grund zu Klagen hätte. Auch sei er nicht
dummer geworden, seit er die Welt jenseits der Grenzpfähle kenne, zumal
da ihm sein Vater hier jede Arbeit zuvortue und ihm nichts ließe als
die Jagd.

»Dies kann bald genug anders werden,« sagte der Bastard leise; sein
scharfer Blick verschleierte sich, ein Seufzer hob seine Brust. Er
ärgerte sich über sein eigenes Wort, sah zum Himmel auf, daran die
Wolken dunkler flogen, und bemerkte:

»Für heute mag es genug sein, Vater Ronald; mich deucht, der Tag wird
mit Regen enden.«

So ritten wir zurück, nicht auf demselben Wege, denn der Bastard hatte
es offenbar darauf abgesehen, uns zu zeigen, wie das Land in jedem
Winkel blühe und reich und glücklich war, jedoch enthielt er sich alles
eitlen Selbstlobes und ließ dem tüchtigen Blut des Wählingervolkes den
Kranz. Zwischen seine Erklärungen flocht er prachtvoll klare Überblicke
aus der Geschichte der letzten Jahre, legte den Finger auf die Wunden
der Staatskunst seiner Nachbarn und des Rotbarts, der seinen besten
Fürsten unbedacht der Meute seiner Herren und Bischöfe preisgegeben
habe.

»Heinrich der Braunschweiger war ein Mann nach meinem Herzen,« sagte er
schier zornig, »und wenn nicht England und Frankreich nach Claraforte
schielten, so hätte ich ihm beigestanden. Beim Himmel, wir hätten
gesiegt!«

Dies letzte kam wie Gewittergrollen aus einem Herzen, das zwanzig Jahre
Frieden gehalten hatte und am liebsten Tag um Tag in der Schlacht
gestanden wäre. In seinen Augen glomm ein gefährlicher Funke, sein
Gesicht straffte sich männlich und gewann trotz aller Wildheit einen
hohen, adligen Zug, daß ich ihn, alles vergessend, zum erstenmal mit
ungemischter Freude betrachtete. Wahrlich, es fehlte nicht viel, so
hätte ich ihm den Arm brüderlich um die Schulter gelegt.

Die Dämmerung war grau und trübe hereingebrochen, ein Regen, fein wie
Nebel nur, schleierte die Landschaft, die Hufe pochten dumpfer auf den
Boden.

»Reite voraus, Harald,« befahl der Bastard, »damit uns Alten das Mahl
gerichtet ist, und laß in meiner Schlafkammer das Feuer zünden.«

Dem Jungen war nichts lieber, er hatte ohnehin genug von der Weisheit
der Älteren und konnte die Zeit nicht erwarten, Sobeide in die Arme zu
schließen. Jauchzend sprengte er von hinnen und verschwand im Laub. Der
Bastard dagegen verhielt die Zügel, wandte sich zu mir und sprach mit
klangloser Stimme:

»Bist du mit deinem Lande zufrieden, Bruder Robert?«

Ich starrte ihn an, mitten durchgerissen von seinem jähen Wort, und sah
ein uraltes, verfallenes Antlitz, voll einer fassungslosen Traurigkeit.
Dies war sein unverstelltes Wesen, mein Herz blutete vor Mitleid. Er
hatte seine Rechte gegen mich ausgestreckt, sie schwankte und zitterte
in den lenzlichen Lüften, der ganze mächtige Leib war von einem Beben
ergriffen.

»Kannst mir die Hand ruhig geben, Bruder,« fuhr er müde fort, »ich habe
dir nichts von dem Deinigen genommen, auch nicht Aleit, denn ich habe
sie nicht berührt, und Harald ist dein Sohn.«

»Sie weiß?« stammelte ich aufgepeitscht, und er, zermalmt von
unsichtbaren Fäusten:

»Nein. Aber es liegt eine Welt zwischen uns.«

Mit einemmal flutete das verloschene Sonnenlicht der langen dunklen
Tage warm in meine Brust, ich stand in einer inwendigen Lohe wie in
Gottes Mantel eingehüllt, und wie in Gottes Mantel ward ich kindlich
rein, geläutert von den Schlacken meiner sündigen Begierden, befreit
von dem lärmenden Streit zwischen Kopf und Herzen. Ich schob seine Hand
beiseite und zog ihn an mich, wir küßten uns und tranken unsere Tränen.

Da er endlich seine Haltung zurückgewann, sagte er leise:

»Nun muß unser böses Spiel durchgeführt werden, bis wir Besseres
wissen. Nicht um uns, aber um die anderen. Den Abend haben wir für uns,
und du sollst Rechenschaft haben. Vorwärts, Bruder!«

Wie ein Vorhang fiel die starre, strenge Larve vor sein Gesicht, er
reckte seine Gestalt, und wir ritten schweigend in unserer Väter Burg.


Das Mahl war stiller als am Vortage, doch um so inniger klangen die
Seelen zusammen. Wir betrachteten einander heimlich; auch Aleit, obzwar
in dem Anblick der Kinder wurzelnd, warf hin und wieder einen seltsamen
Blick auf mich. Ich sah erst jetzt genauer, wie überzart sie geworden
war. Ihre Gestalt hatte schier etwas Jungfräuliches, rührend Reines,
ihre Hände lagen blaß und durchscheinend auf der Decke, die sie der
Abendkälte wegen über Schultern und Knie gelegt hatte. Da saß sie,
Jahrzehnte von mir getrennt, immer noch als mein eigen, und in tausend
stillen Worten bat ich ihr alles ab, was Verzweiflung, Not und Elend in
meinen Gedanken über sie gehäuft hatte. Die stete Flamme der Öllampe
warf einen Schein um ihr Haupt, der mich Heiligung und Weihe dünkte,
und zu meiner herzlichen Freude schmolz in der lauteren Lohe der letzte
Groll in mir dahin.

Es ward mir schwer, mich aus der holden Stimmung loszureißen, doch
der Bastard wurde ungeduldiger; ich merkte, wie er sich sehnte, sein
Herz zu erleichtern, nahm Urlaub und folgte ihm in sein Gemach. Es war
das schlechteste in der Burg und hätte einem Mönch besser angestanden
als dem Fürsten. Ein Bärenfell, Schrein, Tisch und Stühle aus grobem
Eichenholz, kahle, verräucherte Wände; doch ein Feuerlein sprang lustig
im Kamin und spiegelte sich in einer mächtigen Silberkanne.

»Hier, Bruder, magst du sehen, was ich für mich selber gewonnen habe,«
begann er ohne Umschweife. »Nur in einem nahm ich kühner: dieser edle
Trunk aus deinem Keller geht zur Neige; doch ich bedurfte seiner in den
bitteren Nächten.«

Er schenkte die Becher voll und bot mir von dem Blut, das schwer und
süß in meine Sinne zog und mein Gebein wohltätig erwärmte; ich war der
südlichen Sonne zu sehr gewohnt, um dieser feuchtkalten Heimatluft
trotzen zu können.

»Ich ahnte dich gestern, da Harald deinen Namen nannte; aber erst
in der Nacht, da ich dich Nackten auf dem Altan erspähte, ward mir
Gewißheit.« Er legte seinen Finger leicht auf meine Kutte, darunter die
Mitgift der Trebilons verborgen war, und fuhr drängender fort: »Schenke
mir diesen Abend, du kannst nicht ermessen, wie heiß ich ihn erflehte.
Bediene dich aus dem Vorrat, wenn ich es über meinem Bericht vergessen
sollte, und verhalte dein Urteil über mich, bis ich ausgesprochen habe.«

Er setzte sich näher an die Scheite und warf wie damals spielerisch
die Glut zusammen. Ihm selbst war es gleicherweise eine Erinnerung, er
seufzte auf und sprach:

»So zieht das Leben seine Kreise, Bruder; aber Gott behält die Fäden
in der Hand. -- Als ich zuerst in Claraforte einritt, war es Nacht
geworden, der Regen rann wie heute. Die Burg lag still, wie es dem
Hause des Todes ziemte, niemand begegnete mir auf den Gartenwegen.
So sehr war ich von meinem Ziel beherrscht, daß ich auch nicht
einen Wimperschlag daran dachte, irgendwer könnte mich erkennen und
entlarven. Aber gleich die erste Begegnung schien verhängnisvoll zu
werden, denn von diesem Manne hattest du mir nichts erzählt. Es war der
Arzt des Priors von Vargan, der mich auf der Treppe grüßte und vertraut
ansprach. Er meinte, der Himmel müsse alles zum Besten wenden, und mir
schien, als wolle er mich über Aleits Tod trösten. Wortlos wollte ich
an ihm vorbei und in die Kemnaten, doch er zog mich an der Hand zurück
und flüsterte, ich solle sie nicht stören. Dies dünkte mich für einen
Pfaffen, für den ich ihn hielt, allzu frech, ich gedachte deines wüsten
Lebens und lachte ihn aus: ob denn auch Tote gestört werden könnten.
Worauf jener seine Demut verlor und mich mit verächtlichen Blicken maß:
›Tote nicht, Herr, aber Lebendige. Und ob es Euch lieb ist oder nicht,
ich will mit Gott Eure edle Frau erretten. Und Euer Kind, Herr.‹

»Du weißt, Bruder, ich hatte mich trefflich in der Gewalt, aber bei
diesem Wort brachen mir die Knie weg, und ich sank an die Wand, im
selben Augenblick die geänderte Lage erfassend. Als ich mich aufraffte,
war der Arzt verschwunden, ich hätte auch keine Frage für ihn gefunden.
Wie ein Dieb öffnete ich die Tür, hinter der Aleit lag, ein weniges und
starrte in die Kammer, die ein matter Ampelschein erhellte. Endlich
gewöhnten sich meine Augen, ich sah Aleit auf dem Ruhbett liegen, die
Stirn in Linnen, die Hand wächsern bleich auf der Brust, die leise
atmete. Zu ihren Füßen saß eine ihrer Frauen und strickte. Ich zog
die Tür vorsichtig zu und ging in dies Gemach; einem Diener, der mir
begegnete, befahl ich, den Haushofmeister zu rufen. Das war Wipold,
jetzt deckt ihn auch schon der Rasen. Er war, wie du dich erinnerst,
deinen Taten nicht sonderlich zugetan, ich bemerkte sogleich an seinen
Blicken, wie sehr er mich verachtete.«

»Mich!« verbesserte ich den Bastard, der eigen lächelte.

»Da könntest du immerwährend nörgeln, Bruder, doch höre lieber.
›Wipold,‹ sagte ich zu dem Alten, ›glaubst du mir, wenn ich ein
neues Leben anzufangen verspreche?‹ -- ›Nein, Herr,‹ sagte Wipold
messerscharf, ›es gibt nichts, bei dem Ihr nicht schon geschworen
habt.‹ -- ›Doch,‹ erwiderte ich grimmig, ›ich schwöre bei dem Leben
meines ungeborenen Kindes.‹ Der alte Mann starrte mich zornig an, an
seiner Schläfe schwollen die Adern. Aber doch mußte ihm an meinem
Ton etwas aufgefallen sein, er wurde unsicher und stammelte: ›Wenn
ich dies glauben könnte, Herr, ich wäre der glücklichste Mann im
Wählingerlande.‹ -- ›Du kannst es glauben, Alter,‹ versetzte ich,
sah ihn ernsthaft an und griff nach seiner zögernden Hand, ›diese
Tage haben mir die Augen weit aufgetan. Du wirst hier keine Gelage
mehr erleben; und jetzt schaff mir zu essen und eine Kanne Wein, ich
verbringe die Nacht hier.‹

»Wipold war überzeugt, er kniete unter Tränen nieder und küßte meine
Hände, und wenig fehlte, so hätte ich mit ihm geweint. Hier schlug ein
Herz, dem das Wählingerland teurer als das Leben war, in einer jungen
Hoffnung; er rannte die Treppen hinunter, und indes die Diener das
Mahl trugen, kam er mit diesem Wein wieder. ›Herr, dieser Tag ist ein
hohes Fest, darum kostet von dem besten Vermächtnis Eures Vaters.‹ --
So, Bruder, bin ich an dies Faß geraten, das dein Wipold dir entzogen
hatte, und sieh, ich habe sparsamen Gebrauch gehalten und nur in
Herzensnot davon getrunken; dennoch, Bruder, sind nicht viele Tropfen
mehr darin.«

Er schwieg mit bebender Lippe und griff zum Becher, den ich füllte.

»Wer ist nun Gast, und wer Hausherr?« scherzte er schwermütig über
meinen Eifer, und ich:

»Wir sind beide Gäste desselben Schicksals und haben voreinander nichts
voraus.«

»So ist es recht, Bruder; ich merke, du bist in einer strengen
Schule gewesen, doch war auch vielleicht dein äußeres Leben bunter
als meines, inwendig werde ich dir nichts nachgeben. Aleit lag fast
zwei volle Monde auf dem Lager, stündlich vom Tode mit winkender
Sichel bedroht, und ich hatte noch nicht den Mut gefunden, in ihre
Kammer zu gehen. Dies fiel weniger auf, weil ich mich mit Macht der
Geschäfte meines Landes annahm, und hiervon, Bruder, will ich dir
lieber schweigen. Genug, beim Niedergang finden sich überall willige
Helfer; beim Aufbau selten, denn keiner will opfern. Als ich mein
Feld überblickte, begegnete ich störrigen Gesichtern, allen war
meine Wandlung unbequem, außer dem geringen Volk und den wenigen von
guter Art, denen eben dieses Volk am Herzen lag als der eigentliche
Born ihrer Kraft und die Quelle und Zukunft ihrer Geschlechter. Aber
nicht von dem zu hören bist du hier; es nahte die Stunde, wo ich
Aleit besuchen mußte, der Keim des Argwohns war schon gepflanzt. Ich
betrat allein ihr Zimmer, sie lächelte mir matt entgegen und hob
beide Arme. Ob ihre Hände nun aus Schwäche oder einem tieferen Gefühl
niedersanken, eh sie mich erreichten -- kurz, sie sanken nieder, und
in ihren Augen glomm eine schier hilflose Angst auf. Sie zog das Tuch
über ihre Brust und errötete, als sei ich ein Fremder, indes trotz
all dem kein Zweifel war, daß auch sie vom Betruge getäuscht war
und gläubig vertraute, du stündest an ihrem Lager. Ich setzte mich
still neben sie und schilderte in großen Zügen meine Arbeit während
ihrer Krankheit, gewiß ohne Eigenlob und nur zu dem Zweck, sie durch
Taten von meiner Wandlung zu überzeugen. Dann erst bat ich sie, mir
zu verzeihen, und richtete mein gesenktes Auge auf sie. Sie lag und
weinte lautlos, stumm wie Perlen rannen die Tränen über das regungslose
Antlitz, das von einem ungeheuren Jammer ganz durchtränkt schien. Du
weißt, Bruder, ich liebte sie schon lange vordem, hoffnungslos und
ohne Wünsche, jetzt, da ich vor der Wirklichkeit eines vielleicht doch
einmal geträumten Traumes stand, konnte ich das lebendig gewordene Bild
nicht fassen. Einmal hinderte mich mein Gewissen, zum anderen stieß sie
selbst mich zurück -- zu meinem Glück, denn sonst säßen wir nicht vor
diesen Flammen. Endlich streifte sie meine Hand mit ihrer zarten und
flüsterte: ›Was soll ich dir verzeihen, Robert? Ich bin ja glücklich,
daß ich Gottes Werkzeug sein durfte, dir den guten Weg zu weisen. Hab
Geduld mit mir, Robert, mein Kopf ist trüb und wirr, ich weiß kaum,
was ich rede.‹ Und wieder die entsetzte Angst in ihren Blicken, daß
ich verstört vom Lager sprang. Vielleicht hatte der Unglückssturz
wirklich ihr Gehirn erschüttert, und sie brauchte lange Zeit, wieder
völlig zu genesen. Jedenfalls verstand ich, sie wollte allein sein,
allein bleiben, und dies kam mir, der ich nicht daran dachte, dir,
dem ich das Land genommen, auch die Ehre zu rauben -- dies kam mir
gelegen. Ich sprach ihr gut zu, erwähnte zwischen den Reden, daß ich
oben im Turm mein Lager aufgeschlagen hätte und daß es vorerst das
beste wäre, es bliebe so und sie pflegte sich in Ruhe, zumal wegen des
Kindes. Bei diesen Worten schoß es heiß in mir auf, daß du von ihrer
Schwangerschaft offenbar nichts wußtest, und daß ich ihr danken müsse.
Ich fand stotternde Worte, die sie, fliegenden Purpur auf den Wangen,
entgegennahm; mein Herz zitterte, wie es nimmer vor dem Tode gezittert
hätte, ich beugte mich herab und wollte sie küssen, bei Gott, mitten in
meiner Rolle und nicht aus Begier; doch sie wich mir erschrocken aus,
von neuem in Glut getaucht. Sehr erleichtert drückte ich ihr die Hand
und nahm Urlaub -- Bruder, sie entließ mich mit einem Blick, den ich
nie vergesse, als hätte ein Maler Schrecken und Frohlocken in einem
blauen Glanz vereinigt.

»Aber in meinem Gemüt stießen sich die Gegensätze nicht minder. Zwar
war ich nach dieser Begegnung erst wahrhaft Herr auf Claraforte und
also unser Plan gelungen, jedoch barg die Zukunft Kämpfe einer Art, die
ich nicht gewollt hatte und nicht auf mich genommen hätte, wäre die
Entscheidung noch vor mir gewesen. Ich zog aus, ein Reich zu erobern,
nicht aber ein Weib zu stehlen.

»Der Sommer war gekommen und Aleit außer Bett, genesen zwar, doch
zarten Wesens und in ihrer zunehmenden Schwangerschaft doppelt der
Schonung bedürftig. Niemand konnte Arges darin sehen, daß ich mein
Lager im Turm beibehielt, zumal mich wachsende Geschäfte bis in die
Nacht fesselten und wachzwangen. Am Martinstage ward Harald geboren,
die Stunden fielen schwer und traurig über sie, und ich konnte ihr am
wenigsten helfen. Unbekümmert um das Gerede der Leute, das ich sonst
peinlich vermied, verritt ich tagelang und kehrte erst zurück, als der
Sohn ihr im Arme lag. Ich freute mich seiner mehr, als sei es mein
eigen Kind, denn so hatte das Land einen Erben, ohne daß ich eine
ungeliebte Frau zu heiraten brauchte -- dir zur Gesundheit, Bruder! --
einen Erben vom echten Stamm!«

Hastig leerte ich den Becher und noch einen, da meine Zunge wie
verdorrt im Gaumen lag. Aus seinen Worten stieg meine versunkene
Jugendwelt auf, verscherzt, vertan, verloren. Und draußen wogte im
treibenden Regen der Frühling und goß Flammen in meinen rüstigen Leib.

Der andere fuhr fort:

»Das Kind war ein neuer Grund, ihr fernzubleiben, und so lebte die
Gewohnheit uns, die wir nie verbunden waren, langsam auseinander. In
ihrer Güte erfand Aleit für das, was sie mir an Liebesbeweisen schuldig
blieb, eine Fülle kleiner Aufmerksamkeiten, und wenn du meine kostbar
gestickten Röcke musterst, weißt du, wie sie ihre Zeit verbrachte. Sie
mußte in ihren Gedanken öfters bei mir weilen, vielleicht sehnte sie
sich nach mir und überwand den ersten Schritt nicht, den ich zu tun
mich nicht entschließen konnte, solange ich dich im Leben glaubte.

»Wer Schäden ausmerzt, findet wenig Freunde. Wipold starb; ich
vereinsamte, mein ödes Herz verwilderte nach innen, denn nach außen hin
hielt ich es hoch und spielte ein gewagtes Spiel. Einmal, im heißen
Sommer, überwältigte mich die Leidenschaft. Sie spielte mit dem Kinde
auf dem Rasen am Weiher, unter den drei Birken, und das liebliche Bild
entzückte und riß mich hin. Dann ward das Kind von der Amme geholt; sie
lag neben mir im Grase und sah mit den wundervoll tiefen Blicken über
das spiegelklare Wasser in die Landschaft, die schwer von Segen unter
der Sonne zu atmen vergaß. Ich fühlte die Wärme ihres Leibes schwüler
als sonst --«

Er sprang auf und ging erregt im Zimmer hin und her, derweil mein Herz
so laut schlug, daß es kaum vor ihm verborgen blieb. Aus der dunkelsten
Ecke sprach er weiter, heiser und stockend:

»Bruder, ich würde es nicht berichten, wenn ich das seltsame Leben
nicht vor dir und mir klären möchte. Ich riß sie in die Arme, ich
fühlte den Druck der ihrigen, und ihre Lippen blühten mir entgegen,
aber das war wie ein Vergessen nur, dann wandte sie totenblaß den Kopf
und lief mit einer nichtigen Ausrede ins Haus. Nicht zu ihrem Kinde;
die Amme kam bald darauf ahnungslos zurück und wollte das gestillte
Kind der Mutter wiederbringen. Sie verweilte einen Augenblick, da der
Junge nach meinen blanken Borten griff und munter krähte; doch ich,
der ich in dem Kinde die Mutter sah, muß wohl eine wehrende Bewegung
gemacht haben, und die beiden stoben eilends davon. Harald glich in
seinen ersten Jahren mehr Aleit als dir, erst mit dem Jünglingsalter
schlug das Wählingergesicht durch. -- Ich blieb auf dem Platze, wie
ein Besiegter auf dem Schlachtfelde, und meine Wunden brannten genau
so todesbitter. Zu Anfang überwog die Eitelkeit und tobte fruchtlos.
Danach kam die Erkenntnis meines Raubversuches und peitschte mein
Gewissen. Es war ja nichts geschehen, aber doch kann ich selbst heute
noch nicht ohne grimmige Scham an diese Stunde denken. Ich war ein
unreines Tier, das sich von Begierden hetzen läßt und die edelste Frau
zu zerbrechen willens war, betrügerisch und verächtlich mehr als im
rohen Sturm der Leidenschaft.

»Spät schlich ich in die Burg. Die Möglichkeit, mich zu entschuldigen,
war mir genommen. Was tut ein Mann seinem Weibe zuleide, wenn er
nach einem Kuß Begehr trägt? Ich lag in meinen eigenen Stricken, und
wahrlich, sie schnitten scharf genug ins Fleisch. Wir mieden uns eine
Zeitlang mit gesenkten Lidern, dann schien sie den Vorfall vergessen zu
haben und gewann ihre bescheidene Heiterkeit zurück.

»Als Harald älter wurde und der Mutter aus den Händen wuchs, fehlte ihr
die tägliche Beschäftigung; sie fragte mich mehr denn früher nach dem
Stand der Dinge im Lande und wurde mir in vielem eine kluge Beraterin,
die oft mit klarem Herzen schärfer sah als mein Verstand. So, in ihrer
fraulichen Reife, schien sie mir noch werter, sternenhafter; aber nie
wieder versuchte ich sie auf die Erde zu reißen. Diese Gefühle sind
niemals über unsere Lippen gedrungen, so daß in all den Jahren der
leichte Hauch eines schamvollen Geheimnisses zwischen uns wallte und
einen lockenden, doch ehern trennenden Schleier bildete. Es ist kein
Tag vergangen, Bruder, den ich ganz gewonnen hätte, ein Herzschlag war
in jedem, der mich erinnerte, wie kläglich und arm mein menschlich Teil
geblieben war. Und noch heute habe ich es nicht überwunden, obzwar ich
sehe, daß wir alle Gottes Wege gegangen sind.«

Die letzten Worte murmelte er vor sich hin, kaum daß ich sie verstand.
Eine Frage schwebte mir lange auf der Zunge, und wenn ich ihn auch
quälte, es mußte heraus:

»Kam dir nicht, da du Aleit am Leben fandest, der Gedanke, mich
zurückzurufen? Ein Wanderer mit gewissem Ziel wäre rasch gefunden.«

Seine Züge vertieften sich und wurden hart, knisternd stob die Glut
unter dem Schüreisen, die Flammen warfen flackernde Blitze über seine
abgemagerten, blutleeren Hände. Er hob die Augen kühn zu mir und
antwortete:

»Nein! Und wenn mich mein Herz nicht betrügt, so wirst du heute
dankbar sein. Wir sind gegen das Schicksal angerannt und haben uns die
Stirnen blutig geschlagen, aber wir möchten die Narben nicht missen.
Das Wenige, das ich von deinem Leben weiß, lehrt mich deutlich, daß
alles sein mußte. Gottes Werkzeuge waren wir, um unser Land und unser
Geschlecht zu retten. Die furchtbare Schrift auf deinem Antlitz, die,
dein irdisch Andenken für alle, die dich kannten, auslöschend, dir
Tochter und Sohn brachte, diese Löwenschrift soll uns beiden eine
währende Mahnung sein. Und nun, Bruder, sage mir offen, was du von
deiner Heimkehr ersehntest?«

»Von meiner Heimkehr? Für mich?« stammelte ich, betäubt von dem
unerwarteten Angriff. »Was soll ich hoffen? Ich brachte die Kinder, ich
will nichts für mich. Nichts in deinem Hause, nichts in deinem Lande
als dereinst ein paar Fuß Erde, die du mir nicht verweigern kannst.«

In steigender Erbitterung keuchte ich die häßlichen Worte, zornig über
seine Frage, zornig über mich selbst, voller Groll über die Einsamkeit,
in die er mich stieß. Er selbst blieb gelassen, ja, ein Lächeln spielte
um seinen Mund.

»Es gibt zwei Wege,« sagte er ohne sichtliche Erregung, »einmal können
wir Aleit und den Kindern alles erklären, und du gewinnst im Hause die
alten Rechte. Dem Lande gegenüber scheint mir das nicht gut, es wäre
richtig, wenn ich nach außen Herzog bliebe. Doch sei dir auch dies
zugestanden, wenn du das Gerede nicht scheust. Zum anderen können wir
unsere Geschichte in unserer Brust begraben, und du bleibst, ein Bruder
und Freund, an meiner Seite, solange uns Gott den Atem schenkt. Wie du
auch wählst, Bruder, du kannst mich nicht verletzen. Sage mir heute
nichts, beschlaf es und künde mir morgen den Bescheid.«

Er erhob sich frei, mit heiterem, erlöstem Antlitz, seine strengen
Augen lachten mich freundlich an.

Leicht wie ein Vogel ward mir das beschwerte Herz, fröhlich schwenkte
ich die geleerte Kanne und rief:

»Bruder, sollen wir uns auf unsere alten Tage vor den Kindern zum
Narren machen? Und Aleit dazu? -- Wir wandern den zweiten Pfad, aber --
wie stehts mit der Wegzehrung?«

Der Bastard lachte krampfhaft auf, griff mit zitternden Händen unter
den Tisch und holte einen verborgenen Krug hervor.


Wir waren Brüder und wurden Freunde. Die Gemeinsamkeit der menschlichen
Schulden drückte uns nicht mehr seit jenem Abend, da wir klar sahen,
daß eine Entwirrung der verschlungenen Schicksale kein Entsühnen
bedeuten könnte. Wir vermeinten, es genügte, wenn zwei alte Narren
ihre Liebe begrüben; wir schmückten die Gruft mit Rosen und waren
stolz darob. Aber es kommt nicht darauf an, was die Menschen in ihrem
Gedächtnis behalten, sondern was Gott behält. Beidemal sind es zuletzt
die großherzigen Taten; dort mit der Unvollkommenheit menschlicher
Werkzeuge, hier mit dem unbestechlichen Auge der Ewigkeit erfaßt. Die
Kinder gingen ihren Weg, wir Alten trabten glückselig nebenher und
schafften Steine fort, an die ihr Fuß auch ohne uns nicht gestoßen
wäre. Wir vergaßen Aleits.

Sie schien unter dem Einfluß der Jungen neue Kraft zu gewinnen, ihre
Augen blickten fröhlich, ihre Bewegungen wurden lebhafter; wir freuten
uns dessen und schrieben es der werdenden Mutterschaft Sobeidens
zu. Es fiel mir nicht einmal auf, daß sie mich häufig suchte; sie
fand schließlich Gefallen an meinen Geschichten aus dem Morgenlande
und teilte sich andererseits gern dem Priester mit, den sie in mir
vermutete. Jedoch mit der Zeit wuchsen wir so selbstverständlich
zueinander, daß mir der Tag nichts galt, an dem wir nicht beisammen
waren, und aus der heißen Jugendgier ward ein milder, schöner
Abendschatten, warm noch von den verglühten Tagessonnen. Mitunter, wenn
ihre Augen mich liebkosten und ich fühlte, wie etwas von meinem Wesen
einen stillen Platz in ihrer Seele besaß, kam mir ein Bedauern für den
Bruder und eine scheue Angst, zu nehmen, was mir nicht zukäme, und
Verspieltes zurückzufordern. Ich stand eng genug mit ihm, um mich offen
auszusprechen.

»Bruder,« entgegnete er gelassen, »ist es ein Wunder, wenn Aleit dich
sucht? Wir beide haben das Selbstverständliche verkehrt, und nun will
es sich Bahn brechen. Mich trifft es nicht, nur fürchte ich von Aleit,
daß sie die Wahrheit nicht erträgt.«

»Hiervon ist keine Rede,« fiel ich ihm errötend ins Wort. »So lang
Verstorbenes läßt sich nicht wieder aufwecken wie Jairi Töchterlein,
und wäre es doch, es trüge den Verwesungsduft mit in sein kärglich
Leben. Ich vermeine nur, wenn ihre Seele sich zu der meinen ahnend
neigt, so sollst du nicht glauben, ich zöge sie mit Absicht.«

Der Bastard lächelte schmerzlich.

»Es kann mir nichts genommen werden, was ich nicht einmal besessen
habe. Plage dich mit anderen Sorgen, Bruder, und genieße in Frieden,
was dir ihr Herz bietet.«

Heiter verließ er mich; ich verfolgte ihn mit den Augen, wie er durch
die herbstlichen Büsche ging, und mir schien, seine Schultern beugten
sich mehr und mehr, und endlich, da er sich unbeobachtet wähnte,
stand er vor einer Buche still und lehnte den Kopf an den Stamm, als
überwältigte ihn ein plötzlicher Schwindel. Er riß sich zusammen und
verschwand steten Schritts in den Gehegen. Ratlos blieb ich in meinem
Stuhl sitzen, die Glieder versagten mir schier. Ich hatte ihn lieb,
wie ich Jussuf geliebt hatte, und ich brachte ihm Schmerzen wie jenem.
Wie oft mir Gott gezeigt hatte, wozu ich auf der Welt war, ich vergaß
es immer wieder und verkam in Grübelei über mein unnützes, äußerliches
Dasein.

Oft quälte ich mich mit dem Plan, Claraforte zu verlassen und abermals
pilgernd die Erde zu durchwandern, dann wieder schien mir Friede in
einer Einsiedelklause zu blühen; aber es kam zu keinem Entschluß, der
Winter brach früh und hart herein, Schneewolken überschütteten das Land
und trieben uns um das Herdfeuer, in dessen schattenhellem Licht die
zarten Schwingungen der Seele noch ungebundener und lieblicher tönten.

Eines Abends, da ich allein in meinem Gemach weilte und vor dem
flackernden Feuer alten Dingen nachsann, derweil ich das Haus schlafen
wähnte, trat Aleit durch die Tür und setzte sich purpurn neben mich.

»Denk was du willst, Mönch,« sagte sie, die sonst gewohnt war, mich
bei Namen zu nennen, mit fremder, trauriger Stimme, »ich muß mein Herz
befreien, ich kann es nicht länger tragen. Seit du hier bist, bin ich
gänzlich verändert.«

In diesen Worten gewann sie ihren Mut zurück und hob die klaren,
ehrlichen Augen zu mir auf, der ich wie gelähmt auf meiner Bank saß und
um Atem rang. Und sie:

»Es ist das zweitemal in meinem Leben, daß meine Seele vor Geheimnissen
sonderer Art steht, und« -- wie ein Hauch kamen die Worte von
todblassen Lippen -- »schlimmer fast als meine Seele meine immer noch
wachen Sinne. Hör mich, Priester oder Mensch, und sei mir ein klarer
Bronnen, darin ich mein Herz kühlen kann.«

Mitten in ihr Gemüt greifend, fuhr sie mit einer fast sachlichen
Trockenheit fort:

»Der Herzog war nicht immer der, als den du ihn kennst. Er war ein
wilder, oder richtiger, ein wüster Jüngling mit unbekümmerten Lastern
von Vatersseite her, mit ererbten Freunden gleicher Gesinnung. Denke
das Schlimmste, und du siehst recht.«

Aber ich dachte gar nichts, ich beneidete die Männer im feurigen Ofen
um ihren kühlen Platz, denn was mir jetzt geschah, war grausamer als
alle Martern, die menschlichen Gehirnen entsprungen waren. Feig zuckte
das Herz in meiner Brust wie in einem Kessel geschmolzenen Bleies, die
Augen glühten mir tränenlos in erstarrtem Angesicht. Sie sah es nicht,
Nacht und Schatten verbargen mich.

»Mit Dirnen besudelte er meine Ehre und zuletzt mein Haus, und dies zu
einer Zeit, da ich gesegneten Leibes war. Jedoch, Mönch, ich hatte ihn
lieb und war sein eigen.«

Sie, die mich richtete, sprach diese Worte mit solcher schlichten
Süße, daß ich den Blick auf sie zu heben wagte. Ich sah ein Antlitz,
das verklärt in seiner Liebe leuchtete und schwärmerisch verzieh und
entsühnte. Es wandelte sich jählings in Traurigkeit, sie berichtete
schwerer als vordem, indes sie mit dem Finger die Narbe auf ihrer Stirn
streifte:

»Diese Wunde war die letzte unbedachte Tat des Herzogs; ich reizte
ihn so sehr, daß er sich vergaß, und habe die Schuld recht eigentlich
selbst. Es wäre vielleicht nicht einmal geschehen, wenn er um meinen
Zustand gewußt hätte; doch ich hatte noch keine Stunde gefunden, mich
ihm mitzuteilen. Wie es kam, tut nichts zur Sache, du mußt nur wissen,
daß ich viele Wochen zwischen Tod und Leben lag, zumeist von Sinnen.
Der Herzog kam nicht an mein Krankenbett, wohl aber brachte mir die
Kammerfrau Gerüchte über ihn, die mich mit Stolz und Freude füllten:
er habe seinem wilden Volk den Abschied gegeben und schaffe von früh
bis spät für das Wohl des Landes, sähe keine Dirne an, sei ein mäßiger
Trinker worden, kurzum, ein gewandelter, tüchtiger Mensch. Ich vermag
nicht zu sagen, in welch hohen Himmel mich die Seligkeit trug, denn all
mein Sein und Wesen gehörte ihm; ich allein, vermeinte ich, kannte
seit je seinen edlen, tapferen Kern, den er unter den Lastern barg,
und ich war dankbar, daß ich ein Werkzeug für seine Umkehr hatte sein
dürfen. Wie sehnte ich mich ihm entgegen, wie lüstete mich, ihn in die
Arme zu schließen, mein Auge in sein kühnes, lachendes zu tauchen!«

Schweigend sann sie vor sich hin, es arbeitete in ihren Zügen, sie
stritt mit ihrer Bitterkeit. Klanglos, fremd der zagsten Hoffnung, fuhr
sie fort:

»Der Augenblick kam und zerriß mein Gemüt, daß es zwanzig Jahre Stunde
um Stunde schmerzte. Der Herzog trat an mein Lager, seine Wangen
glühten nicht vom Wein, sein Atem war nicht von Weibern verpestet,
sichtbar hatte ihn die Arbeit geadelt und geläutert. Aber da er sich zu
mir wandte, artig und in Züchten wie nimmer zuvor, ging eine Fremdheit
von ihm aus, die wie eine Wand aus Eis zwischen uns emporwuchs. Mein
Herz hörte auf zu schlagen, erstickt, erdrosselt von dem jähen,
entsetzlichen Bewußtsein, daß es diesen Mann nicht mehr liebte --
glaube mir, Mönch, denn du kannst es nicht wissen: es gibt nichts
Schrecklicheres, als zu lieben aufzuhören. Du verarmst schneller,
als der Blitz die Erde trifft, du verödest und stehst nackt und ohne
Heimat, ohne Gott. Du bist tot, bevor du gestorben. Der Herzog bemerkte
es und ging, verlassen von seiner wilden Weise, traurig fort.«

Die Erinnerungen schienen sie zu umstricken, sie lehnte erschöpft in
ihrem Stuhl, den Kopf im Nacken, mit geschlossenen Lidern. Ich sah die
blauen Adern auf der Schläfe pochen, der leichte Hauch ihres Atems
dampfte in der Luft, die nicht mehr von den Kaminflammen erreicht
wurde. Mit einem blickte sie auf mich, verzweifelt und entschlossen
zugleich, und sagte:

»Das war nicht das Furchtbarste, Ronald. Der Herzog hatte kaum die
Tür hinter sich geschlossen, da kam die alte Liebe wie ein Lenzsturm
über mich, ich weinte und biß in die Kissen, um nicht all mein Sehnen
hinauszuschreien, mein Sehnen und mein seliges Glück, zu lieben. Ich
war zugleich gesättigt von Freude über Roberts Wandlung und dankte
Gott, daß er mich unnütz Wesen zu solcher Glorie erkoren. Stunde um
Stunde horchte ich auf seinen Schritt; mir schien, mein Gehör wurde
feiner und schärfer, ich erkannte seine Stimme im Burghof und lauschte,
wie männlich und fest sie geworden war. Golden lag die Zukunft vor
mir, denn ich liebte, und er liebte mich, das stand in seinem Blick
geschrieben. -- Schläfst du, Ronald? Langweile ich dich?«

Ich hatte das Gesicht in den Händen vergraben, die Arme auf die Knie
gestützt. Meine Brust ging schwer und keuchend, jeder Lichtstrahl, der
mein Auge traf, war ein Dolchstoß in alte Wunden. Die Narben brannten,
von der nahen Glut, der heißen Scham zermürbt, Vergangenheit und
Gegenwart tanzten einen rasenden Wirbel in meinem Hirn.

»Sprecht weiter!« brachte ich hervor; jedes Wort mehr hätte mich
verraten.

»Nach einer Zeit, die mich ewig dünkte, besuchte mich der Herzog zum
zweitenmal, und, Ronald, meine Qual wuchs ins Unermessene. Ich liebte
ihn nicht, er war und blieb mir fremd, ich konnte kaum aufsehen vor
Scham, diesen gleichgültigen Menschen an meinem Lager zu wissen. Ich
vermochte den Augenblick, da er mich verließ, kaum zu erwarten, und
sieh, Mönch, da er gegangen war, hätte ich mein Leben, ja das Leben
meines Kindes darum gegeben, ihn in die Arme schließen und herzen zu
dürfen, recht mit der Glut und Innigkeit der Jugendsinne. War es
seine Wandlung? Dann her, o Gott, mit dem alten, wüsten, lasterhaften
Jüngling, den ich küssen durfte und dessen Seele rein in meiner Seele
ruhte. Schon gab ich dem Gedanken Raum, die Wunde an meiner Stirn hätte
meine Vernunft getrübt, aber nichts schien sonst auf eine derartige
Folge hinzuweisen; der Arzt von Vargan, den ich befragte, sah mich
erstaunt an und lachte. ›Herzogin,‹ sagte er, ›Ihr behaltet eine Narbe
und einen der trefflichsten Männer. Seid dem Himmel dankbar, wie es das
ganze Wählingerland ist; der Herzog ist genesen, wie Ihr es auch in
Bälde seid. Haltet Euch munter und denkt an Euer Kind!‹

»Daran brauchte er mich nicht zu erinnern, ich dachte seiner schon
genug. Mit unendlicher Liebe, wenn Robert fern war, mit Angst und
Scham, wenn er neben mir saß. Der Herzog übrigens, der ehmals keine
meiner kleinen Launen achtete, erfaßte mein verändertes Wesen mit
vollkommenem Takt, und nur einmal strömte er über und riß mich an
sich, stürmisch, einen Augenblick lang; sah mein verängstigt Gesicht
und ließ mich wieder, für immer. Wir gewöhnten uns, nebeneinander zu
gehen, er mit gleicher Güte, ich mit schuldbeladener Brust. Er tat
seine Arbeit im Lande, ich zog den Jungen groß; unsere frischen Leiber
verwelkten glücklos wie unter Priesterkutte und Nonnenschleier, nur daß
der Bräutigam meiner Seele nicht Jesus hieß, und er, das fühlte ich in
jeder Stunde, nicht die Gottesmutter erkoren hatte. Ohne das Kind hätte
ich dies verzerrte Leben nicht ertragen; es kam mich hart an, Harald
eines Tages den Männern überlassen zu müssen. Aber das Herz ist ein
tapfer Wesen und stirbt nicht vom ersten Schlag.«

Aleit verhielt ihre Rede und unterdrückte einen Seufzer; ich
betrachtete sie verstohlen von der Seite. Wahrlich, ihr Herz war die
Tapferkeit selber und leuchtete siegreich wie ein Stern durch das arme,
blasse Antlitz. Sie, die in kurzen Wochen ein Enkelkind erwartete, war
schön und herbsüß wie in der Jugend; hingerissen und seltsam erlöst von
der fiebernden Betrübnis sah ich sie an. Sie begegnete meinem Blick,
las und senkte die Lider.

»Sieh mich nicht an, Mönch, ich habe noch Schlimmeres zu berichten, das
dein Auge am wenigsten verträgt. In der Zeit, da uns Harald fortlief
und gegen Heidenland zog, schloß ich mich mehr als sonst an den Herzog
an und fand, was ich nicht suchte, einen wackeren Freund. Möglich, daß
Alter und Entwöhnung unsere Sinne eingeschläfert hatten, jedenfalls
saßen wir nun öfters des Abends ruhig beisammen und rätselten über den
Jungen, der uns beiden teuer war und in dem sich unsere Liebe wunschlos
fand. Das gemeinsame Leid ließ die Scheidewand schwinden, es fand sich
hier und da Hand zu Hand, indes unsere oder zum mindesten -- denn ich
konnte nicht mehr wie sonst in seinem Herzen lesen -- meine Blicke in
die Ferne, nach Jerusalem gerichtet waren. Auch dies ging vorüber, du
kamst hierher und brachtest die Kinder, und von Stund an senkte mich
ein neues Geheimnis in neue Verwirrung. Ich habe mich lange und scharf
beobachtet, es ist kein Zweifel, daß es so ist, wie ich erzähle. Gleich
in den ersten Tagen nach eurer Ankunft bemerkte ich eine eigentümliche
Freude in mir, es war selbstverständlich, daß ich sie auf die Heimkehr
der Kinder schob. Jedoch kam hinzu, daß ich Robert mit veränderten
Augen betrachtete und meine Sinne aufblühten, als zöge die alte Liebe
erobernd in das alte Herz. Mir war, ich sei von Blindheit genesen,
ich brannte, da wir alle beisammensaßen, ihn zu küssen, und nur eure
Gegenwart hielt mich ab. Wir waren nie allein miteinander, und eines
Abends überfiel es mich. Ich lief zu ihm hinüber in den Turm, beglückt
von der jungen Glut, die mich durchlohte. Er saß noch auf und ordnete
Pergamente, verwundert blickte er auf mich, die ich errötend vor ihm
stand und schließlich vor Scham fast ohnmächtig wurde. Denn, Mönch, es
war wie immer: ein Fremder, höchstens ein Freund, stand vor mir, meine
Liebe war verflogen. Mir fiel keine Ausrede ein, ich mochte auch nicht
lügen; einen Gruß stammelnd entfloh ich, und sein bitterschmerzliches
Lächeln folgte mir in den Traum. Mönch, es war eine arge Zeit für mich,
das Leben neben euch kostete mich viel. Es dauerte lange, bis ich die
Ursache meines merkwürdigen Wesens fand; es waren nicht die Kinder: es
war deine Gegenwart, die Totes aufweckte.«

Regungslos verharrte ich auf meiner Bank und erwartete das Beil in
meinen Nacken zischen; ich fühlte mich entlarvt, nackend vor dem
letzten Richter, vergaß, was ich selber gelitten, wußte nur meine
jämmerliche Schuld.

Aleit brach das Schweigen, ihre Stimme war nun müde und hoffnungslos,
daß ich sie kaum erkannte.

»Dies ist die Ursache, Mönch; nun sage, wenn du es vermagst, welch
ein Rätsel Gott unter so seltsamer Hülle verbirgt. Du hast manche
Schicksale und vielerlei Menschen kennengelernt, ist dir jemals
Ähnliches begegnet?«

»Mir?« stotterte ich, wie ein Ertrinkender aus dem atemlosen Wasser
auftauchend. Ich vergaß jede Höflichkeit, sprang ans Fenster, riß den
Laden auf und stürzte die flammende Stirn den Schneewogen entgegen, die
wie ungeheure graue Tiere durch den Nebel jagten und mit kühlen Zungen
über mein Antlitz fuhren. Mitten in der Nordlandskälte sah ich aus
brennenden Augen ein Bild: die dorrende Wüste, von heißen Sandwolken
überfegt, ein steinerner Hügel, und darunter, im Frieden des Todes
lächelnd, Jussuf.

Wohl ist dir! Wohl ist dir! schrie ich inwendig, von feigem Neid
zerfressen und ermattet.

Aleit war hinter mich getreten und legte die Hand auf meine Schulter.

»Ronald,« klagte sie leise, »wendest du dich von so verirrter Seele ab?
Ist deine priesterliche Gewalt nicht groß genug, meine Schulden mit
dem Absolvo zu bedecken? Kann ein menschlich Herz, das wie das deine
gelitten hat, so große Sünde nicht mehr fassen? -- Einen weiß ich, der
mich dennoch aufnimmt, denn ich fühle seinen kalten Atem hinter mir.«

Erschrocken blickte ich mich um und sah das totenblasse Angesicht von
einem Schein verklärt, der nicht mehr von dieser Welt war. Von der
eigenen Angst plötzlich befreit beugte ich den Kopf tief erschüttert
auf die Brust. Aleit legte sorglich den Riegel vor den Laden, schürte
das Feuer noch einmal und stand wartend zwischen Stuhl und Tür. Da riß
ich mein lahmes Herz empor und haschte ihre Hand.

»Arme Frau,« sprach ich heiser vor Aufregung und unterdrückten Tränen,
»wer wollte Euch richten? Hat Gott Euch in so schwere Schicksale
verstrickt und habt Ihr Euch so tapfer gehalten, dann ziemt Euch
himmlischer Lohn weit eher als irdische Sühne. Euer Leben ist seltsam
zerbrochen worden, doch glaubet, Frau, wir leben nicht zum letztenmal
auf dieser Erde! Ihr beide, Robert und Ihr, seid eins in zweierlei
Gestalt, und wechselt ihr das verwesliche Kleid, so wird ein neues
Dasein die Frucht des alten weiterreifen bis in Ewigkeit. Des seid
getrost und freut Euch: nimmer könnt ihr zwei euch verlieren, ewig
werdet ihr verbunden sein, und eure Hölle und euer Paradies liegen
nicht über den Sternen, sondern hier auf der Heimatscholle.«

Ich sprach für mich selbst, für meine eigenen Wünsche, meinen
eigenen Glauben. Und dies war es, was meinen Worten eine heiße
Überzeugungskraft gab. Sie verstand nicht, was ich meinte, aber
sie fühlte, wie ich in ihren aufleuchtenden Mienen las, eine
Wahrhaftigkeit, die sie ergriff und erhob. Leise, mit schwingender
Glückseligkeit fragte sie:

»So ist es wahr, daß Liebende sich wiedersehen?«

Ich antwortete, überwunden und siegreich in einem:

»Sie sehen sich nicht wieder, sie bleiben immerdar vereint!«

Unsere Augen tauchten ineinander, ruhig und warm wie Lichter in
unbewegten Wassern, langsam lösten sich die Hände von ihrem festen
Druck, und sie verließ mich wie ein Falter die Blüte, die er kosend
öffnete.


Denen, die ihn brauchen, kommt der Frühling immer zu spät. Der
Winter war so hart, daß wir fast täglich die Schneewehen im Hofe
fortschaufeln mußten, um zu den Ställen und Nebengebäuden zu gelangen.
Es wäre dies eine lustige Arbeit gewesen, wenn nicht Krankheit das
Haus umdunkelt hätte. Aleit hatte recht gedeutet: der Unerbittliche
stand hinter ihr, sie schmolz wie ein Licht, ohne Schmerzen, ohne
daß der Arzt zu sagen gewußt hätte, warum. Wie Tag und Nacht liegen
Leid und Lust beieinander; indes Aleit verblaßte, gebar Sobeide ein
kräftiges Mädchen. Wir gaben es Aleit in die abgezehrten Arme, und
ich taufte es selber; halb wider Willen und nur dem Drängen des
Bastards nachgebend, ging ich der Kinder wegen noch einmal an die
heiligen Dinge. Es ward Gertraude genannt, und das Bild der feinen,
stolzen Frau mit den sternenhaften Augen schwebte vor mir, als ich die
Tropfen der heimatlichen Quelle auf das rote, runzlige Gesichtchen
sprengte. Der Rosengarten, der ihre Asche barg, duftete durch den
Weihrauch, blendend klar schien sie aus den Höhen zu steigen und sich
niederzuneigen. Vielleicht hatte ihre Seele dies kleine verwandte Wesen
belebt, vielleicht weilte sie nun in Kindsgestalt unter uns, noch voll
von himmlischen Erinnerungen des hohen Flugs auf Fittichen des Todes.

Nach der Taufe verweilten wir noch ein kleines bei Aleit, und allen
fiel die übernatürliche Blässe ihrer Stirn gegen die saftige,
kreischende Gesundheit auf, die ihr Lager mit Geschrei erfüllte;
schuldbewußt blickte ich auf den Bastard und begegnete seinem Auge.
Es war unsere Sünde, unser frevelhafter Streit gegen das Schicksal,
was diese bleiche Liebe in allzu frühen Tod trieb. Auf ihren zarten
Schultern trug sie unsere argen Taten und zerbrach darunter, klaglos,
schier freudig. Denn mit geheimem Schmerz fühlten wir es beide: das
Sterben ward ihr nicht sauer.

Über dem kam die kleine Gertraude zu kurz, wenigstens, was mich betraf;
mein Herz dachte nur an Aleit. Über jene Nacht, da sie bei mir am
Feuer gesessen, war nie wieder ein Wort zwischen uns gefallen; doch
schien mir, sie sähe mich seit der Stunde noch lieber, heimlicher
an. Seit Wintersonnenwende war sie bettlägerig, bedürfnislos und
bescheiden, niemand zur Last als unseren Herzen. Selten besuchte ich
sie unaufgefordert, doch sie bat mich öfters zu sich und plauderte
mit mir über leichte Dinge, indes ich den Eindruck nicht verwischen
konnte, sie verschweige tiefere Fragen und beschwere ihre Seele mit dem
Unausgesprochenen. Im Hornung endlich, ich vermeine, auf St. Agathens
Tag, löste sich der Bann. Wir waren im Zwielicht des Nachmittags
beisammen, ihr Bett war dicht an den Kamin gerückt, die flackernden
Flammen täuschten ihr ein Leben, das sie so glühend und emsig nicht
mehr besaß. Draußen knarrte der Sturm und brach gefrorene Zweige, dumpf
klatschten die Schneehauben der Pfosten und Erker in den Hof. Zwischen
die Ölhäute der Fenster war ein Stückchen blauen Glases eingefügt,
daraus sah eine märchenhafte, unwirkliche Welt.

»Ronald,« sagte sie ohne Brücke, »ich habe deine Worte lange in mir
bewegt, ich tauche in sie hinein wie in ein Meer, darin ich eine
herrliche Perle weiß; aber der Schatz entgleitet immer wieder meiner
Hand, immer wieder muß ich erschöpft an das gewohnte Ufer. Ich wollte
dir nicht mit Fragen lästig fallen, nun aber finde ich keinen Weg mehr
und bitte dich, hilf mir Törichten. Du sagtest, nach der Erdenzeit
wandere die Seele in einen anderen Leib; ich will es glauben. Zu
gleicher Zeit sprachest du, daß Liebende sich nimmer verlören. Dies ist
zu schön, um es nicht zu glauben. Jedoch: wenn zwischen dem Scheiden
zweier, die sich liebhatten, Jahre und Jahrzehnte liegen, so kommen sie
doch nie mehr in der gleichen Jugend zueinander.«

Sie sagte diese Worte mit meisterlicher Ruhe, aber mich betrog sie
nicht mehr. Ich merkte an dem leisen Beben ihrer Hand die Angst ihres
Herzens und fühlte mit ihr, da all dies auch in meiner Brust gekämpft
und geblutet hatte.

»Ihr könnt es nicht zusammenbringen,« hob ich an, »wenn Ihr das Leben
mit der Sanduhr meßt. Vor dem, dem tausend Jahre wie ein Tag, ist unser
Dasein nur ein Augenwinken. Kam nicht alles, was Euer Leben vorwärts,
Eure Seele empor trieb, plötzlich wie ein Blitz? Vergeßt den Alltag,
der zwischen den göttlichen Funken liegt, und Ihr habt nicht länger
gelebt als eines Pulses Länge, auch wenn Ihr hundert Jahre zähltet.«

Sie hörte mir gespannt zu, ihre kraftlosen Finger glitten dankbar über
meine Hand, ihre Augen glänzten fröhlich.

»So ist es,« rief sie frohlockend, »hab Dank, Ronald, vielen, vielen
Dank! Doch sprich, was verschweigen uns unsere Mönche dies Köstliche
und malen Paradies und Hölle, wo nichts als grüne, blühende Erde ist?
Steht es nicht also in den heiligen Büchern? Lehrte dies nicht der
Heiland?«

Und wieder las ich die beherrschte Furcht in ihrem reinen, gläubigen
Gemüt -- um alle Seligkeit der Ewigkeit hätte ich sie nicht enttäuschen
mögen.

»Frau, es fassen nicht viele so hohe Dinge, darum setzt die Kirche ein
Bild an Stelle der Wirklichkeit, und nicht einmal alle Priester werden
in die tieferen Geheimnisse eingeführt.«

»Du aber, Ronald,« bebten ihre Lippen, »sage, du gehörst zu den
Eingeweihten?«

»Ja, Herrin,« log ich verzweifelt und wandte mich in den Schatten.
»Doch was macht Ihr für ein Wesen aus diesen Dingen, da doch die Welt
so voller Wunder ist!«

Sie antwortete nicht; ich fühlte, wie Trost und Ruhe in sie einzogen.

Der Abend war angebrochen, Dienstvolk ging mit Fackeln über den Hof,
Lärm und Gelächter klangen herauf.

»Nimm mir die Wißbegier nicht übel, Ronald, denn ich habe es eilig.
Mein Leib ist aufgebraucht und hält die Seele nur noch locker in dem
lockeren Bau. Laß dir sagen, mein Freund, ohne dich wäre ich einen
schweren Tod gestorben.«

Ich widersprach ihr nicht, die heißen Zähren liefen mir in den Bart.
Sagen konnte ich nichts, mochte ich nichts, da ihr die Wahrheit auf dem
weißen Antlitz stand. Wie Irrlichter zuckten die Gedanken über mein
dumpfes, gebundenes Hirn, ich gönnte dem gepeinigten Weibe die endliche
Ruhe, und zugleich mochte ich sie nicht in dem kalten Grabe wissen.

Die Schritte der anderen klangen in der Halle; ich schied hastig und
verwirrt und drückte mich in meine Kammer, die Glocke überhörend, die
zum Nachtmahl rief. Saß in der grimmen Kälte und weinte aufgelöst und
ohne Weg in der Verworrenheit meiner Gefühle, bis der Bastard mich
aufschreckte.

»Der Brei wird kalt, Ronald! -- Du weinst?«

Er verstummte, er hatte nicht nötig, zu fragen. Schließlich machte er
sich Luft und zeigte sein gepreßtes Herz:

»Sind wir nicht wie zwei Mörder? -- Bruder, Bruder, was haben wir
getan! Um uns verblutet sie und fährt dahin, nicht auf einen raschen
Streich, nein, grausam in zwanzigjähriger Qual, Stich um Stich! Ich
kann sie kaum mehr ansehen, ohne zu erröten; wir alle gewannen, nur sie
verlor. Was prüft Gott ihr Herz in solcher grausen Folter? Ist dies
die gelobte Güte? Dies die Allmacht, die nicht wagt, einmal von dem
betretenen Wege zu lassen, und lieber das Edelste in den Staub tritt?«

Er starrte mich mit haßerfüllten Augen an, die Lästerungen strömten aus
übervoller Brust, aber mir graute -- graute vor mir selbst, der ich im
eigenen Busen ein Echo seines Zornes fand. Ich hielt mir die Ohren zu
und schrie verzweifelt:

»Halt ein! Nichts wider Gott! Unsere Frucht, unserer bösen Taten Frucht
ernten wir jetzt und dürfen nicht murren.«

Jedoch mein Geschrei betäubte nicht die Gottesleere in meiner Seele
und überzeugte ihn nicht. Er ging hinaus und rief einem Diener, daß
er Mahl, Wein und Feuer schaffe und den Kindern melde, wir tafelten
allein. Wir ertrugen, wie Kain, keines Menschen Blick.

Da saßen wir die halbe Nacht, verbissen, wortlos, vom Trunk nur noch
trauriger gestimmt; denn das Blut der Traube macht nur den Fröhlichen
froh.


Sie sah den Lenz nicht mehr. Eines Nachts rief mich die Kammerfrau mit
einem Gesicht, das alles kündete. Eilig nahm ich die Stufen und stieß
vor ihrer Tür auf den Bastard. Wir vermieden uns anzusehen, bebend
schlichen wir in das Gemach. Aleit hatte den Nachmittag heiter mit uns
allen verbracht; die kleinen Händchen Gertraudens hatten in ihrem nun
völlig weißen Haar gespielt und ihr ein leises Lachen entlockt, das
uns alle schmerzlich beglückte. Jetzt, da wir eintraten, sahen wir, es
war der Abschied gewesen, sie wollte bei dem Letzten niemanden als uns
beide um sich haben.

Nichts war in der Kammer als ihre Augen, aus denen ein Meer von Liebe
floß und unsere zitternden Herzen in warmer Woge fing und still machte.
Wir knieten an dem Lager nieder und hielten ihre Hände; mit einem
entwand sie sich uns, überirdischen Glanz in den Mienen, hob sich und
zog den Herzog an ihre Brust und küßte ihn lange auf den Mund.

»Lieber, Lieber du!« stammelte sie, ihre Wangen röteten sich noch
einmal vor erstauntem Glück; sie ließ den Erschütterten, Fassungslosen,
die Lider fielen ihr zu, sie sank in die Kissen zurück und schien mit
einem Lächeln einzuschlafen.

Robert und ich standen auf und sahen uns scheu und blaß an; wir wußten
beide, wem der Kuß gegolten, wir waren beide glücklich in dem Gefühl
ihres Glücks, aber wir schämten uns voreinander und glaubten, jeder
aus anderem Grunde, er habe den anderen beraubt. Wir ahnten nicht, daß
sie schon gestorben sei, und waren noch bei ihren letzten Worten, doch
endlich empfanden auch unsere groben Sinne den Tod.

Abermals brachen wir in die Knie, als habe ein flammendes Schwert uns
mit einem Streich gefällt.


Mitten im Walde, rang ich ihm ab, wurde Aleit gebettet. Über ihre Gruft
sollte mit Beginn der trockenen Jahreszeit eine Kapelle gebaut werden,
und die sollte mein sein. Er gab meinem Wunsch nicht gern Raum, denn
er wollte mich nicht im Hause missen. Ich aber setzte mich durch und
zog im Sommer schier triumphierend in die Klause, die mich heute noch
beherbergt. Die Quelle nahebei war die Tränke der Rehe und Hirsche, die
mein altes Auge erfreuten; die Kinder und der Herzog selber kamen oft
und ließen mir weder Hunger noch Durst. Es war kein Leben der Geißelung
und sollte es auch nicht sein, ich wollte nichts als Ruhe und Frieden.
Ein Gärtlein hatte ich angelegt, drin wachsen Blumen, Kräuter und Äpfel
bunt durcheinander, und gottlob bedauert mich niemand mehr ob meiner
selbstgewählten Einsamkeit, da ich sie so schön und farbenprächtig
hergerichtet habe. Winters zieht der Schnee einen sicheren Schutz um
mich.

Dann beginnt erst die rechte Freude. Ich habe mir einen hellen Stern am
Himmel gesucht und traue, Aleit, in welchem Kleide sie auch wandelt,
blickt auch auf ihn, und unsere Augen begegnen sich in seinem Licht.
Diesen Stern und diesen Glauben habe ich allein für mich; denn der
Herzog, weiß ich, hält an dem himmlischen Paradiese fest und wähnt,
dorten sei aller Sehnsucht Ende, und alle Liebesströme verschmölzen in
Gottes Herzen zu _einem_ Kuß.



~Bücher von Werner Jansen~


Heinrich der Löwe / Roman

40. Tausend / In Ganzleinen 4,50 Goldmark

Werner Jansen, der dem deutschen Volke schon viele kraftvolle und stark
verbreitete Sagenromane geschenkt hat, ist mit seinem neuesten Werke
»Heinrich der Löwe« noch über sich hinaus gewachsen. Ein meisterlicher
Stil vereinigt bei aller Ruhe eine solch hinreißende Wucht, daß man
das Buch in einem Zuge liest. Friedrich Barbarossa und Heinrich der
Löwe werden mit einer Lebendigkeit, mit einer plastischen Greifbarkeit
geschildert, daß sie in dieser Form zum dauernden Volksgut werden
können. Und die Gegenwart scheint gerade den rechten Boden zu bilden,
um die Sturmwogen, die damals die deutschen Geschicke aufwühlten,
recht zu begreifen. Die Meisterschaft, mit der dieser gewaltige Stoff
dargestellt wird, wird heute von Wenigen erreicht. Jansen bietet mit
diesem Buche dem deutschen Volke eine Gabe dar, die es mit Stolz
annehmen soll.

            (Badische Post, Heidelberg)


Das Buch Treue / Nibelungenroman

100. Tausend / In Halbleinen 5,60 Goldmark

... An diesem Buche weitet man sich, und Hoffnung strömt uns ins
Tiefste, daß es nicht zu Ende sein kann mit dem deutschen Wesen! Werner
Jansen hat das Alte neu werden lassen, und in mächtigem Strome rauscht
es dahin, und stark und klingend ist die Sprache ...

            (Deutsche Warte)


Das Buch Liebe / Gudrunroman

80. Tausend / In Halbleinen 5,60 Goldmark

... Manche Abschnitte haben eine geradezu monumentale Wirkung. Die
Sprache ist markig und dichterisch edel. Dies prächtige hohe Lied der
deutschen Frau gehört ohne Unterschied jung und alt -- dem gesamten
deutschen Volke.

            (Hamburger Nachrichten)


Das Buch Leidenschaft / Amelungenroman

60. Tausend / In Halbleinen 5,60 Goldmark

... Jansens Bücher mögen uns zur nationalen Bibel werden, auf daß in
Finsternissen dieses Heute sie uns Priester seien und still, doch
rastlos mitbauen am höchsten Ziele, das im tiefsten Grunde unserer
Herzen uns allen vorschwebt: an der Erlösung unseres Volkes aus dem
schmachvollen Joch der Gegenwart.

            (Deutsch-österr. Tagesztg., Wien)


Diese drei Bände zusammen in farbigem Geschenkkarton 16,80 Gm.


Leben, Lieben, Wandern vor hundert Jahren

Roman eines fahrenden Gesellen, nach einer Handschrift von _Emma
Schumacher_ / Mit Bildern von _Anton Kling_

In Halbleinen 3 Goldmark

Ein liebes Buch aus glücklichen Tagen, zum Sinnen und Besinnen


Herr Reineke Fuchs

Eine unheilige Weltbibel oder lustiger Hof- und Regentenspiegel

Mit 20 Zeichnungen nach Kaulbach von _Ernst Verchau_

Die geniale, befreiende Neudichtung des alten Reineke Fuchs

In Halbleinen 2,75 Goldmark

Die Neugestaltung von Werner Jansen hat ein atembenehmendes Buch
geschaffen ... aber auch an der Spracheinkleidung ist zu spüren, daß
hier ein begnadeter Dichter altes Literaturgut mit lebenweckendem
Blut durchpulst. Kein Stilplunder wird hier geboten, nicht modische
Schnörkeleien und Wort- und Satzverrenkungen, sondern die Redeweise ist
edel und schlicht, untermischt mit kraftvoller Derbheit. Hier spricht
ein Deutscher zu uns urdeutsch.

            (Rudolf Borch)


Von Hertha Podlich wurden handgeschrieben und sorgfältig in Offset
gedruckt:

Der Heiland / Worte des Reinen

Ein Buch des Glaubens an die Unvergänglichkeit des Heilandswortes,
zugleich ein Buch des _Glaubens an Deutschland_, an die Heimat

In Halbleinen 3,50 Goldmark


Gottes deutscher Garten

Die Blüten der geistlichen Liederdichtung in ausgewählten einzelnen
Versen -- ein Buch voll ewiger Jugend

In Halbleinen 3,50 Goldmark / In Ganzleinen 4 Goldmark

Zwei köstliche Gaben verdanken wir Werner Jansen. Die eine
umschließt Worte des Heilands. Es ist ein Buch heißen Glaubens an
die Unvergänglichkeit des Heilandwortes, ein Buch auch des Glaubens
an Deutschland, die Heimat. Das Gegenstück zu diesem köstlichen, von
Hertha Podlich wundervoll geschriebenen Buch ist der von Werner Jansen
bestellte »Gottes deutscher Garten«, ebenfalls von Hertha Podlich
geschrieben. Aus dem blühenden Garten des evangelischen Kirchenliedes
hat Jansen die schönsten Blüten zu einem reichen Kranze erlesen ... Die
Sonne ewiger Jugend leuchtet hier, das Herz der Heimat schlägt hier.

            (Der Deutsche)


Die Bücher deines Volkes

Band 1: _Die Märchen_ / Mit 25 farbigen und schwarzen Einschaltbildern
von Prof. _Paul Hey_ / Band 2: _Die Volksbücher_ / Mit 25 farbigen und
schwarzen Einschaltbildern von _Adolf Hosse_ / Band 3: _Die Volkssagen_
/ Mit 25 farbigen und schwarzen Einschaltbildern von Prof. _Paul Hey_

Jeder der drei Ganzleinen-Prachtbände 30 Goldmark

Die köstlichsten Geschenkbücher für Menschen, deren Herz jung blieb

Werner Jansen, der Wiedererwecker der deutschen Heldensagen und
gründliche Kenner aller Quellen deutschen Volkstums, war wie kein
zweiter zur Herausgabe dieser Sammlung berufen. Der Schatz, den das
deutsche Volk in Jahrhunderten geschaffen hat, wird hier zum erstenmal
in einer meisterlichen Sammlung wahrhaft volkstümlich vereinigt. Nicht
für den Wissenschaftler, allein für den Genießer wurde die Auswahl aus
dem viele hundert Bände füllenden Stoff getroffen, wurden zwecklose,
ermüdende Breiten gestrichen, verdorrte Strecken mit frischem Leben
erfüllt. In seinen Märchen und Sagen lebt Deutschland mit seiner
Sehnsucht nach allen Fernen, mit seinen Tugenden und Lastern,
seinem Glauben und Aberglauben, seiner Werktüchtigkeit und seinen
Feierstunden, seiner einfältigen Torheit, seiner tiefsinnigen Weisheit.
Die gesamte Ausstattung ist in jeder Weise mustergültig und dem Inhalt
angepaßt. In den Bildern von Paul Hey spiegelt sich das Märchen selbst,
mit halb lachendem, halb weinendem Auge.

            (Bremer Nachrichten)


Die frischen Kränze

Eine Sammlung deutscher Gedichte aller Zeiten

Bisher erschienen:

        Band 1: _Storm_ / _Gedichte_
        Band 2: _Mörike_ / _Gedichte_
        Band 3: _Eichendorff_ / _Gedichte_
        Band 4: _Keller_ / _Gedichte_

Jeder Band in hübschem, farbenfrohem Gewande 5 Goldmark

Eine handgeschriebene, in ihrer Art und Auswahl einzig dastehende
Bücherreihe

In dieser von Werner Jansen herausgegebenen neuen Sammlung deutscher
Gedichte aller Zeiten haben wir ein Werk vor uns, das inhaltlich und
buchtechnisch unsere höchste Bewunderung und Liebe erregen muß ...
Bücher, die Sinne und Seele gleich tief in Schwingungen versetzen.

            (Rhein.-Westf. Zeitung)


_Ausführliches Verzeichnis steht auf Wunsch kostenlos zur Verfügung_


Georg Westermann / Braunschweig / Hamburg



    Weitere Anmerkungen zur Transkription


    Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.



*** End of this LibraryBlog Digital Book "Die irdische Unsterblichkeit" ***

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