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Title: Was ich geschaut - Novellen Author: Troll-Borostyání, Irma von Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Was ich geschaut - Novellen" *** Was ich geschaut. Novellen von Irma von Troll-Borostyání. [Illustration] Wien. Pest. Leipzig. A. Hartleben's Verlag. Alle Rechte vorbehalten. K. u. k. Hofbuchdruckerei Carl Fromme in Wien. Inhaltsverzeichniß. Seite Erlöst! 3 Justus 16 Fallendes Laub 30 Franzi's Weihnacht 44 Der Weg zum Herzen 55 Weder Glück noch Stern 65 Der Unwiderstehliche 75 Schwer geprüft 107 »Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht« 124 Der kleine Geiger 132 Die Harfenspielerin 140 Sein Bild 151 Erlöst! Mit dem Versprechen, am anderen Tage wiederzukommen, hatte sich der Arzt verabschiedet und Gabriele blieb allein am Bette ihres kranken Kindes. Es lag in heftigem Fieber; auf den lieblich gerundeten, vollen Wangen brannten hochrothe Flecken und die sonst so fröhlichen, dunkelblauen Augen blickten schmerzlich und wie hilfesuchend auf das kummervolle Antlitz der Mutter, die sich zwang, es freundlich anzulächeln. Der kleine Erich war während der fünf Jahre seines Daseins niemals krank gewesen. Vor wenigen Tagen zeigte er eines Morgens Mattigkeit und Unlust, seinen gewohnten Spielen zu obliegen. Dann klagte er über Schmerzen im Kopfe und in der rechten Seite der Brust beim Athemholen. Fiebersymptome traten auf; er wurde zu Bett gebracht, und der herbeigerufene Arzt konnte es den Eltern nicht verhehlen, daß der Fall -- eine hochgradige Entzündung des rechten Lungenflügels -- ein sehr bedenklicher sei. Jetzt saß die Mutter am kleinen Bettchen des Knaben und streichelte hin und wieder mit weicher Hand über seinen blonden Lockenkopf, den er unruhig auf den Kissen hin und her wälzte. Mit ängstlicher Aufmerksamkeit beobachtete sie die kurzen, raschen Athemzüge, den fliegenden Puls des Kindes und verfolgte zugleich den vorrückenden Zeiger an der gegenüberhängenden Wanduhr, um den rechten Augenblick nicht zu versäumen, ihm, der ärztlichen Vorschrift gemäß, viertelstündlich die Arznei zu verabreichen. Wie ein dumpfes Brausen drang der Lärm des großstädtischen Lebens und Treibens durch die geschlossenen Doppelfenster des Krankenzimmers. Die Vorhänge waren zugezogen, und die mit einem grünen Papierschirm bedeckte Lampe verbreitete eine milde Helle in dem weiten Gemache. Draußen lag noch das graue Licht der schwindenden Abenddämmerung über den Straßen. Es war ein unfreundlicher Märztag, und ein rauher Nordost wirbelte einen trockenen, hustenreizenden Staub auf. Die Damen, die sich in leichten Frühlingstoiletten herausgewagt hatten, bedauerten es lebhaft, ihre warmen, winterlichen Umhüllungen zu Hause gelassen zu haben. Ein elegant gekleideter, noch junger Mann schritt quer über die Straße dem Hause zu, in welchem der kranke Knabe lag. Es war Otto von Brauneck, der Vater des Kindes. Nachdem er an der Eingangsthür geschellt und der Diener ihm geöffnet hatte, trat er durch das Vorzimmer in den Salon, um in sein neben demselben gelegenes Arbeitszimmer zu gelangen. »Was ist das? -- Sind noch keine Vorbereitungen getroffen?« fragte er den Diener, indem er an der Schwelle stehen blieb und einen überraschten Blick durch den unerleuchteten Raum schickte. »In längstens einer Stunde werden die Gäste eintreffen, und es ist nichts in Ordnung gebracht. Sollte meine Frau keine Anordnungen getroffen haben?« »Die gnädige Frau meinte, der Empfang würde heute nicht stattfinden,« erklärte der Diener. »Und warum nicht?« »Ich glaube -- des Kranken wegen.« »Ach, das Kind wird in seiner Ruhe nicht gestört werden. Schlagen Sie den Spieltisch in meinem Zimmer auf, statt im Salon, und besorgen Sie rasch alles nöthige. Kaltes Buffet -- einige Flaschen Bordeaux aus dem Keller -- hier, nehmen Sie!« Mit diesen Worten reichte Brauneck dem Diener eine Banknote und schritt in sein Zimmer. Nachdem der Diener die Kerzen angezündet und sich entfernt hatte, schloß Brauneck seinen Schreibtisch auf, entnahm demselben ein Spiel Karten, prüfte sie und steckte sie zu sich. Einige Minuten später trat er in das Zimmer seines Sohnes. Gabriele hob den Kopf empor und warf einen traurigen Blick auf ihren Gatten, der sich mit langsamen und auf dem schweren Teppich geräuschlosen Schritten näherte. »Wie geht es dem Kleinen?« fragte er leise, indem er seine Frau mit leichtem Kopfnicken begrüßte. »Um nichts besser,« erwiderte Gabriele noch leiser. »Das Fieber steigert sich.« »War der Doctor hier?« Flüsternd wiederholte sie die Weisungen des Arztes. »Im Laufe der Nacht,« so hatte er sich geäußert, »würde die Krisis eintreten. Sollte das Fieber nach Mitternacht noch stärker werden, so möge man ihn unbedingt nochmals holen lassen.« »Rege Dich nicht so auf,« sagte Brauneck, als er bemerkte, wie ihre Augen sich mit Thränen füllten. »Erich ist ein kräftiger Junge; es liegt kein Grund zu so großer Sorge vor.« Gabriele antwortete nicht. Der Knabe aber, der die flüsternden Stimmen gehört, schlug die Augen auf. Ein Ausdruck von Freude glitt über sein Gesichtchen. »Ach, Papa, bist Du endlich gekommen,« sagte er. »Ich fürchtete schon, Du kämest nicht mehr.« Der Vater beugte sich zu dem Kinde herab und drückte einen Kuß auf seine brennende Stirn. »Warum hätte ich denn nicht kommen sollen?« erwiderte er lächelnd. »Freilich bin ich gekommen und habe Dir auch etwas mitgebracht. Einen wunderschönen Wald und allerlei Gethier darin. Bären, Wölfe, Füchse. Wenn Du wieder gesund bist, dann gehen wir miteinander auf die Jagd.« »Ja, dann spielen wir Jagd miteinander,« bekräftigte der Kleine. »Mama, Du und ich, alle Drei. Ich bin der Jäger, Du und Mama, Ihr müßt das Wild vor mir zu verstecken suchen.« »Du wirst aber alle Thiere todtschießen, und am anderen Tage werden sie trotzdem wieder lebendig sein, damit Du sie wieder erschießen kannst,« ergänzte Brauneck. Erich lachte, aber ein heftiger Hustenanfall unterbrach seine Heiterkeit, und die hübschen Züge seines Gesichtchens verzogen sich schmerzhaft. »Jetzt aber mußt Du still liegen, mein Kind, nicht sprechen,« fuhr Brauneck fort, als der Anfall vorüber war. »Sonst wirst Du nicht gesund, und wir können nicht zusammen Wild und Jäger spielen.« Der Knabe war erschöpft in die Kissen zurückgesunken und schloß die Augen. Gabriele träufelte ihm einen Löffel voll Medicin zwischen die trockenen, heißen Lippen; dann saßen die beiden Gatten eine Weile schweigend an seinem Lager. Da schlug die Uhr acht, und Brauneck schnellte von seinem Sitze empor. »Ich gehe, meine Gäste zu empfangen,« flüsterte er, zu Gabriele geneigt. »Wir werden heute unser Spielchen in meinem Zimmer abhalten, und ich will den Herren beim Kommen und Gehen die größtmögliche Behutsamkeit anempfehlen, damit Erich nicht beunruhigt werde.« Gabriele schaute auf und der Ausdruck peinlichen Staunens malte sich in ihren Gesichtszügen. »Wie?« sagte sie, »Du hast Deinen Herren nicht abgesagt? Du findest ein Vergnügen daran, Dich dem Kartenspiele zu widmen, während Dein Kind hier schwer krank liegt?« Brauneck zuckte die Achseln. »Liebe Gabriele, Du hast eine pessimistische Neigung, das Leben furchtbar tragisch aufzufassen.« Ein halbunterdrückter Seufzer entrang sich Gabrielens Lippen. »Es wäre vielleicht viel besser gewesen, für heute eine Absage ergehen zu lassen,« fuhr Brauneck fort. »Aber ich gestehe es, ich habe vergessen, es rechtzeitig zu thun. Und jetzt Abends wäre es hierzu doch jedenfalls zu spät gewesen. So bleibt mir nichts übrig, als die Herren zu empfangen. Aber, wie gesagt, ich werde dafür Sorge tragen, daß der kleine Patient in seinem Schlummer nicht gestört werde.« Gabriele erhob und entfernte sich einige Schritte vom Bette des Knaben. Sie wollte nicht, daß er ihre Worte zu hören vermöchte. Brauneck folgte ihr. »Ein schwerer Krankheitsfall in der Familie,« antwortete sie, »gäbe Dir wohl einen hinreichenden Rechtfertigungsgrund, Deine Einladung noch in letzter Stunde zurückzuziehen. Selbst jetzt noch müßten Deine Freunde Deine Entschuldigung annehmen. Ich bitte Dich, Otto, thu' es doch, schicke sie fort, bleibe bei Deinem Kinde. Wenn Du es mir zuliebe nicht thun willst, so thu' es Erich zuliebe. Er schläft nicht; er frägt immer nach Dir. Biete ihm die Erleichterung in seinem Leiden, daß er Dich bei sich sieht, wenn er die Augen aufschlägt und nach Dir verlangt.« Brauneck machte eine Bewegung. »Aber liebe Gabriele,« sagte er mit schlecht verhehlter Ungeduld, »das geht doch nicht an, daß ich die Gäste, die ich geladen, nun, da sie kommen, wieder gehen heiße, weil mein kleiner Sohn krank liegt. Solche Sentimentalität würde man allenfalls der Frau, der Mutter zugute halten, aber einem Manne nicht.« Vom Bette her tönte ein leises Stöhnen. Gabriele faltete die Hände und streckte sie bittend dem Gatten entgegen. Er aber schüttelte verneinend den Kopf. »Otto, bleibe bei uns, bleibe bei Deinem Kinde! Ich bitte Dich!« »Aber ich gehe ja nicht fort! Ich verlasse doch weder das Haus, noch selbst die Wohnung.« »Bleibe hier, bei Erich!« »Das kann ich nicht.« »Und was soll ich dem Kinde sagen, wenn es nach seinem Vater frägt?« »Sag' ihm, was Du willst!« Gabriele zuckte zusammen; dann richtete sie sich hoch auf. »So geh' denn! Geh' zu Deinen Genossen, geh' dem entsetzlichen -- Vergnügen nach, das Du nicht entbehren kannst! So mächtig hat der Dämon des Spieles Deine Seele umstrickt, daß Du ihm Dein Vermögen zum Opfer brachtest, das Du Deinem Sohne hättest erhalten sollen. Jetzt siehst Du Deines Kindes Leben selbst bedroht -- doch auch das hält Dich nicht zurück. Für Dein Weib und Dein Kind ist Dein Herz erkaltet; nur die Flamme jener unseligen Leidenschaft verzehrt es.« Fast unhörbar leise hatte Gabriele diese Worte hervorgestoßen, aber Otto war keines entgangen. Er erbleichte. Einen Augenblick lang begegneten sich die Blicke der beiden Gatten. Dann senkte Otto den Kopf, wendete sich langsam um und verließ geräuschlos das Zimmer. Einige Minuten blieb Gabriele regungslos stehen und starrte auf die Thür, durch welche er sich entfernt hatte. Dann wandte auch sie sich um und kehrte an Erich's Lager zurück. Nach einer Weile schlug der Knabe die Augen auf. Ein heißer Tropfen war ihm auf die Stirn gefallen. »Mama,« sagte er und streichelte mit seinem Händchen über ihre Hand, die auf seinem Bette ruhte. »Weine nicht, Mama, mir thut nichts mehr weh, gewiß nicht. Weine nur nicht, Mama, liebe Mama!« Erich log. Er log, um seiner geliebten Mutter, die er traurig sah, zu verheimlichen, daß er litt. Der Glückliche wußte noch nicht, daß es einen Kummer giebt, heißer, bitterer, trostloser, als selbst der eines Mutterherzens am Schmerzenslager des Kindes: Der Kummer um eine verlorene Seele, die uns theuer ist -- Brauneck war in sein Zimmer gegangen, hatte aber noch keinen seiner Gäste vorgefunden. Er athmete erleichtert auf, als er sich allein sah. Aber was nützte es ihm? In wenigen Minuten mußten sie ja doch kommen, und er mußte zu den Karten greifen. Zu den Karten, die -- er wußte es wohl -- den Fluch seines Lebens bildeten, die er wahnwitzig liebte und die er in diesem Augenblicke zu fürchten und zu hassen vermeinte. Er seufzte tief auf, warf sich in einen Fauteuil und die Arme auf die Seitenlehnen gestützt, verbarg er den Kopf in seine Hände. Die Worte seiner Frau hatten ihn mächtig erschüttert. Sie hatten sein im Grunde leicht bewegliches und weiches Gemüth im Tiefsten aufgewühlt. Blitzartig zog das Bild seines eigenen Selbst vor seinem geistigen Auge vorüber. Nackt und aller beschönigenden Entschuldigungsgründe bar, schaute er seine Seele im Banne jener furchtbaren Leidenschaft, deren Sklave er geworden. Ja, Gabriele hatte recht, all seinen Besitz hatte er dem Dämon Spiel in den Rachen geworfen. Drei große Vermögen hatte er sich von ihm rauben lassen: sein eigenes, das seiner Mutter, das ihm wenige Jahre nach seiner Verheiratung zugefallen war, und jenes eines Oheims, den er vor kurzem beerbt hatte. Die noch übrigen Reste betrugen kaum einige Tausend Gulden. Er hatte seinen Sohn zum Bettler gespielt. Aber nicht das allein: Er war noch weit tiefer gesunken, als Gabriele ahnte. Nicht nur das Laster -- das Verbrechen hatte seine Hände besudelt. Als fast sein ganzes Capital vergeudet war und er sich am Rande vollständigen Ruines sah, da war eine entsetzliche Versuchung an ihn herangetreten. Schleichenden Schrittes erst, in flüchtigen Umrissen, wie ein Phantom. Dann nahm sie deutlichere Formen an und lockte ihn immer lauter und dringender. Ein böser Zufall, der ihm einen Genossen zuführte, welcher unentdeckt und erfolgreich die Bahn des Verbrechens schon betreten hatte, gab den Ausschlag. Seine letzten schwindenden Skrupel waren besiegt -- und -- er erlag. -- Das war es, was er, in sein Inneres schauend, gewahrte. Er wußte, daß es keine Umkehr, keine Rettung für ihn gab. Ein schmerzliches Stöhnen entrang sich Otto's gequälter Brust. Da schellte die Klingel an der Eingangsthür; im Vorzimmer wurden Stimmen laut, und er sprang empor. Seine Gäste trafen ein; jetzt war nicht die Zeit dazu, sich düsteren Betrachtungen hinzugeben. Wozu auch? Vielleicht würde endlich das Glück ihm hold, und -- wer weiß, vielleicht ließe sich, wenn nicht alles, so doch ein Theil des Verlorenen zurückerobern. Nicht alles Unrecht, was in der Welt geschieht, gelangt zur Enthüllung. Wie viele Schurken und Verbrecher, schlimmer als er, bleiben unentdeckt und erfreuen sich ungestört der goldenen Früchte ihrer Gaunerstreiche. Otto trat den Ankömmlingen grüßend entgegen; bald folgten Andere, und eine Viertelstunde später saß die Gesellschaft vollzählig beim Spiele. Drüben aber lehnte Gabriele am Bette des kleinen Erich und sandte aus gläubiger Seele ein inbrünstiges Gebet zu Gott empor, daß er ihr Kind vom Tode und ihren Gatten vom Untergange in Laster und Verkommenheit, dem schlimmeren Tode, erretten möge. -- Die Stunden verrannen. Tiefe Stille herrschte im Zimmer des Kranken. Otto hatte Wort gehalten; es drang kein Laut herüber von der lustigen Spielgesellschaft, den Schlummer des Knaben zu stören. Aber Erich schlief nicht. Wohl hatte der Husten nachgelassen, aber der Athem drang in kurzen, hastigen Stößen aus der Lunge, und das Fieber steigerte sich stetig. Einigemale hatte der Kleine nach dem Vater gefragt und Gabriele ihm geantwortet, daß er zu Hause sei, in seinem Zimmer, ob sie ihn herbeirufen solle? Erich schüttelte den Kopf. Er glaubte, daß der Vater schlafe und wollte ihn nicht seinetwegen wecken lassen. Mama weilte bei ihm, er war ja nicht allein. Und immer weiter rückten die Zeiger der Wanduhr vor, und Stunde um Stunde floß in den Schoß der Unendlichkeit. Mit unermüdlicher Pünktlichkeit reichte Gabriele dem Kinde die Arznei, träufelte einen kühlenden Trank zwischen die heißen Lippen, lockerte seine Kissen. Von Zeit zu Zeit durchmaß sie mit leichten, unhörbaren Schritten das Gemach. Eine qualvolle Unruhe hatte sie erfaßt. Sie wußte und sie fühlte es, daß die Stunde nahte der Entscheidung über Tod und Leben. Mitternacht war vorüber. Mit stockendem Herzschlage stand Gabriele über Erich gebeugt und lauschte. Ihr hatte plötzlich geschienen, als ob die stoßweisen Athemzüge des Kranken von einem leisen, röchelnden Geräusch begleitet würden, und eine furchtbare Angst hatte sie an der Kehle gepackt. Da machte Erich eine Bewegung und setzte sich im Bette auf. »Mama,« sagte er mit ungewöhnlich lauter und deutlicher Stimme. »Mama, jetzt hatte ich einen wunderschönen Traum. Den möchte ich Dir erzählen. Aber Papa soll ihn auch hören. Bitte, liebe Mama, ruf' ihn ein wenig zu mir.« »Gleich, mein Kind, ich hole ihn gleich,« erwiderte Gabriele. »Aber wie fühlst Du Dich? besser?« »Wie ich mich fühle?« wiederholte der Knabe. »Besser, viel besser. Nur so sonderbar ist mir zu Muthe, und hier innen -- Erich deutete mit der Hand auf seine Brust -- hier innen ist mir auf einmal so heiß. Aber das thut nichts, Mama,« fuhr er fort. »Ich fühle gar keine Schmerzen mehr. Bitte, gehe Papa zu holen, damit ich ihm auch meinen schönen Traum erzählen kann.« Gabriele nickte und verließ das Zimmer. Als sie, die Reihe der Gemächer durchschreitend, sich dem Zimmer ihres Gatten näherte, scholl ihr daraus lautes Stimmengewirre entgegen. Ein heftiger Wortwechsel schien dort stattzufinden. Einen Augenblick zögerte sie einzutreten. Doch nach kurzer Ueberlegung ging sie weiter und wurde, als sie die schwere Portière zurückschlug, welche jenes Gemach vom Salon trennte, Zeugin eines Auftrittes, der, sie mit tödtlichem Entsetzen erfüllend, ihre Schritte hemmte. Sie sah Folgendes: Mehrere der Herren waren von ihren Sitzen aufgesprungen und sprachen wild und verworren durcheinander. Einer derselben hielt mehrere Karten in der Hand, die er den anderen Spielern triumphirend vorwies. »Da seht!« rief er. »Da habt Ihr den Beweis. Die Karten sind markirt!« Und in der nächsten Secunde schleuderte er die Karten ihrem Gatten ins Angesicht. »Elender Schurke!« Otto fuhr vom Stuhle auf. Aschfahle Blässe bedeckte seine Wangen. Seine Lippen zuckten. Dumpfes Schweigen lagerte plötzlich über der Gesellschaft. »Die Pflichten der Höflichkeit als Hausherr verbieten mir, gegen Sie so vorzugehen, wie ich an jedem anderen Orte vorgehen würde,« stammelte Brauneck nach einigen Augenblicken. »Nichtsdestoweniger werden Sie« -- gegen den Ankläger gewendet -- »mir für Ihre mir zugefügte Beschimpfung Genugthuung zu geben haben. Ich werde Ihnen morgen meine Zeugen schicken.« Ein Hohngelächter beantwortete Brauneck's Worte. »Mit einem Falschspieler schlägt man sich nicht!« Und alle Anwesenden erhoben sich von ihren Plätzen. Gabriele stand noch immer an der Thürschwelle. Ein dunkler Schatten legte sich ihr über die Augen. Aber sie schrie nicht auf; sie brach nicht zusammen. Unbemerkt wandte sie sich zurück und ehe die Gäste sich zum Weggehen gerüstet, erreichte sie das Zimmer ihres Kindes. Dort sank sie lautlos an Erich's Bettchen nieder. Der Knabe hatte sich wieder in die Kissen zurückgelegt. Er schien zu schlummern. Die Fieberröthe war von seinen Wangen gewichen. Nur die Athemzüge klangen noch immer so kurz und röchelnd. Jetzt regte er sich und schaute mit weitgeöffneten Augen im Zimmer umher. »Mama,« sagte er, und ein heiteres Lächeln flog über sein Gesichtchen. »Mein wunderschöner Traum -- wir waren in einem wunderprächtigen Garten, eine herrliche Musik tönte von fernher und eine Schaar hübscher Kinder tanzte mit mir nach ihren Klängen. Du und Papa --« Erich vollendete den Satz nicht. Ein tiefer, rasselnder Athemzug hob seine Brust. Dann ging ein plötzliches Zucken durch seine Glieder. Seine Lippen bebten und bedeckten sich mit blutigem Schaum. Er war verschieden. Eine Lungenblutung hatte sein junges Leben dahingerafft. Gabriele wischte den Schaum von seinem Munde und bedeckte seine Stirn und Hände mit Küssen. Ein convulsivisches Schluchzen durchschütterte sie. Aber unter den brennenden Thränen, welche unaufhaltsam ihr Gesicht überströmten, flüsterte sie: »Du bist erlöst, mein Kind! Erlöst von der Schmach Deines entehrten Namens, von dem furchtbaren Geschicke, der Sohn eines Vaters zu sein, den Du geliebt und den Du verachten müßtest. Erlöst -- erlöst!« Justus. Seit meinem Austritte aus dem Institute hatte ich Justus nicht mehr gesehen. Und als ein guter Freund und ehemaliger Schulcollege mir schrieb, daß Justus seine Tante beerbt habe und sich in dem von ihr hinterlassenen Landhause ganz nahe von dem Städtchen, in welchem ich damals wohnte, niederlassen werde, mußte ich mich erst besinnen. Justus? -- Wer ist doch Justus? Wo bin ich ihm je begegnet? Allmählich tauchte das Bild des einstigen Lehrers in meiner Erinnerung auf. Da stand es wieder vor mir, das hagere Männchen mit dem großen Höcker auf der linken Schulter. Da stand es an der großen schwarzen Tafel und zeichnete mit Kreide Figuren und Zahlen, indem es mit unermüdlicher Geduld selbst die begriffsstützigsten seiner Schüler in die Geheimnisse der Geometrie und Algebra einzuführen bemüht war. Auf der winzigen, mißgestalteten Figur saß tief in den Schultern ein mächtiger, prachtvoll profilirter Kopf mit schwarzem Kraushaar und tiefen, seelenvollen Augen. Ja, Justus hatte der sanfte Lehrer geheißen, der uns, weil allzu gütig, nicht zu imponiren vermochte, und uns niemals die wohlverdiente Strafe, sondern höchstens eine freundliche milde Mahnung zutheil werden ließ. Alles dies hatte uns an ihm lächerlich geschienen. Seine verwachsene Gestalt, die wir vierzehnjährigen Jungen um einen halben Kopf überragten, seine langsame, zögernde, beinahe stotternde Sprechweise, seine unerschütterliche Sanftmuth, ja selbst sein Name: Justus, Justus -- der Gerechte, welch komischer Name! Wie konnte man Justus heißen! Und doch hatte dieser Name für ihn gepaßt, wie selten einer sich für seinen Träger eignet. Denn Gerechtigkeit war die Grundlage seines Wesens, der vorherrschendste Zug seines Charakters. Und jede, auch die geringste Ungerechtigkeit, deren Zeuge er war, konnte ihn aufs tiefste empören. Noch weiß ich es, wie entrüstet er war, als er sah, wie mehrere kräftige Knaben über einen weit schwächeren Kameraden herfielen, von dem sie sich beleidigt glaubten. Nie vorher hatte ich ihn so gesehen. Sein Auge flammte, die Muskeln seines Gesichtes zuckten vor Erbitterung, seine Fäuste ballten sich und -- was nur in den Augenblicken mächtigster Erregung geschah -- er stotterte nicht, als er mit laut dröhnender Stimme über die ungeberdigen Jungen hindonnerte, in glühenden Zornesworten die Feigheit und Ungerechtigkeit, sich an dem Schwächeren zu vergreifen, ihnen entgegenschleudernd. Ja, selbst eine empfindliche Strafe dictirte er ihnen. Und nun sollte ich den einstigen Lehrer nach zwölf Jahren wiedersehen. Er hatte sich wenig verändert. Auch älter schien er nicht geworden in dieser doch stattlichen Reihe von Jahren. Man hatte es ihm nie angesehen, wie alt er eigentlich war. Uns, seinen Schülern, hatte er alt geschienen, doch hatte man uns gesagt, daß er ein junger Mann sei, noch nicht dreißigjährig. Und jetzt, als ich ihn in seiner neuen Behausung aufsuchte, sah er gerade so aus wie damals, als ich ihm bei meinem Austritte aus der Schule Lebewohl gesagt. Nur hatte sein dunkles, schwärmerisch blickendes Auge den Ausdruck milder Traurigkeit und Wehmuth angenommen. Die Ursache dieser Trauer zu errathen, ward mir bald Gelegenheit geboten. Einige Jahre vorher hatte ein Freund seines Vaters in unglücklichen Speculationen sein ganzes, nicht unbeträchtliches Vermögen verloren und in der Verzweiflung über sein Mißgeschick sich das Leben genommen. Er hatte nichts hinterlassen als sein vierzehnjähriges Kind, die kleine Dora, blond und blauäugig und lieblich wie ein thaufrischer Frühlingsmorgen. Justus' Vater nahm die Waise ins Haus und nach seinem Tode übernahm Justus selbst die Fürsorge für das junge Mädchen, für sie und für seinen Bruder Alvyn, der -- um zwanzig Jahre jünger als er -- zur Zeit, als der Vater starb, seine Universitätsstudien noch nicht vollendet hatte. Als ich nun bei einem meiner Besuche in dem mit wildem Wein und Schlingrosen überwachsenen, anmuthigen Landhause mit Dora zusammentraf, welche jetzt das Institut verließ, in dem sie ihre letzte Ausbildung erhalten hatte, um -- vorläufig, wie Justus sagte -- in das Haus ihres Pflegevaters zu ziehen, da ward es mir klar, warum Justus' Augen so traurig blickten. Er liebte Dora -- aber er war zu verständig, um auf Gegenliebe zu hoffen, und zu gerecht, um es nicht natürlich zu finden, daß das schöne, blühende Mädchen für den verwachsenen, alternden Freund keine anderen Gefühle in seinem Herzen nährte, als Freundschaft und Dankbarkeit. Und als ich Justus' bildhübschen Bruder kennen lernte, da konnte ich keinen Zweifel hegen, daß dieser Dora's Herz in Sturm erobern würde. Hoch und schlank gewachsen, den schönen Kopf stolz auf dem edel geformten Nacken tragend, frei und kühn in seinen Bewegungen und voll ritterlicher Aufmerksamkeit gegen das kaum flügge gewordene Pensionsfräulein, sah er neben dem unscheinbaren, mißgestalteten Männchen aus wie ein junger Gott. Ich wurde ganz traurig gestimmt, als ich die drei guten Menschen beisammen sah, denn ich konnte es mir nicht verhehlen, welch tiefes Herzeleid dem armen Justus aus seiner wohl begreiflichen, aber doch so hoffnungslosen Neigung für das liebreizende junge Geschöpf erwachsen würde. Dennoch aber verbrachte ich manche glückliche Stunde in Justus' gastlichem Heim. Tagsüber, wenn das Wetter günstig war, waren wir Alle im Garten oder machten Ausflüge in der nahen Umgebung, wobei es sich, wie zufällig, immer so traf, daß Alvyn mit Dora vorausmarschirte, während ich und Justus die Nachhut bildeten. Des Abends aber versammelten wir uns im traulichen Gartensalon, und nach dem Thee wurde Lectüre vorgenommen. Alvyn oder ich lasen vor, während die Anderen zuhörten. Da gab es oft lebhaft erregte Discussionen. Denn Justus vertheidigte die classische Richtung, während Alvyn und ich die Modernen in Schutz nahmen. Dora kümmerte sich nicht viel um unsere literarisch-ästhetischen Dispute. Nur hin und wieder warf sie ein Wort dazwischen. Abseits von uns saß sie an einem kleinen Tischchen und zeichnete emsig. Ich wußte, was es war, das sie beschäftigte, denn mich hatte sie ins Vertrauen gezogen und beauftragt, Justus' Aufmerksamkeit bei diesen Leseabenden so in Anspruch zu nehmen, daß er sie und ihre Zeichnung nicht beachtete. Denn dieselbe sollte eine Ueberraschung für ihn werden. Und sie gelang glänzend. Am Vorabend von Justus' Geburtstag -- es war sein vierundvierzigster, wie ich erfuhr -- nachdem das festliche Abendessen zu Ende und mancherlei Toaste ausbracht waren, verschwand Dora plötzlich aus dem Zimmer, und als sie nach einer kleinen Weile mit freudig geheimnißvoller Miene wieder eintrat, ergriff sie Justus bei der Hand und zog ihn, während sie uns winkte, ihnen zu folgen, in den Gartensalon hinüber. Derselbe war hell erleuchtet, und mitten im Zimmer ruhte auf einer Staffelei das lebensgroße und sehr wohlgetroffene Brustbild unseres Justus. Sprachlos vor tiefster Ergriffenheit, blickte dieser auf sein Porträt. »Nun, ist es gut? Bist Du zufrieden mit dem, was ich gelernt?« frug Dora schüchtern, als Justus noch immer keine Antwort über seine Lippen brachte. Ein Blick auf sein Angesicht gab ihr Antwort. Eine überirdische Freude leuchtete aus seinem Auge, eine Thräne rollte langsam über seine Wange, und er öffnete den Mund, als ob er sprechen wollte; aber das Wort versagte ihm. Da stürzte Dora ihm an den Hals, küßte und herzte ihn und rief ein- um das andermal: »Freut es Dich? Bist Du zufrieden? Justus, freut es Dich?« Dieser aber verfärbte sich plötzlich. Und je mehr Küsse es von den holden Lippen auf seinen Mund und seine Wangen regnete, um so bleicher wurde er und ein leichtes Zittern ging durch seine Glieder. Ich verstand, was in seinem Inneren vorging, und ein Gefühl peinlichen Mitleides beschlich mich. Warum war Dora auch so toll und thöricht, den Armen so abzuküssen, als ob sie ihn liebte. Bedachte sie denn gar nicht, daß auch in der Brust dieses unglücklichen, mißgestalteten Freundes ein warm fühlendes, der Liebe nicht verschlossenes Herz wohnen könne? Einige Wochen später rüstete sich Alvyn zur Abreise. In einer unfernen größeren Stadt wollte er sich als Arzt niederlassen. Schon war der Tag seiner Abreise festgesetzt, als er von einem Jagdausfluge verwundet nach Hause gebracht wurde. Die Kugel eines der Schützen hatte -- statt des Rehbockes, dem sie bestimmt gewesen -- Alvyn's linke Schulter getroffen. Die Verletzung war keine gefährliche, dennoch aber wurde das ganze Haus in die größte Bestürzung versetzt. Justus bestand darauf, die Pflege des Bruders selbst zu übernehmen. Dora wollte ihn ablösen, damit er Zeit fände, sich auszuruhen. Aber er gestattete es nicht, indem er meinte, daß ein Krankenbett kein geeigneter Platz für sie sei, und so mußte sie sich damit begnügen, in sorgsamer Ueberwachung der Hauswirthschaft dem Bruderpaare ihre Dienste zu erweisen. Sie war keine gewandte Hausfrau -- wo hätte sie bis dahin auch Gelegenheit gefunden, sich in dieser Richtung zu bethätigen? -- Und da war es zugleich heiter und rührend, zu sehen, wie sie sich abmühte, ihren ungewohnten Pflichten gerecht zu werden. Glücklicherweise war Agathe da, die alte, langerprobte Köchin. Sie versah ihren Dienst so fest und sicher, daß alles ganz gut von Statten ging; auch war sie viel zu gutmüthig, um dem jungen Mädchen seine grüne Unerfahrenheit allzu fühlbar werden zu lassen. Mit der ernstesten Miene von der Welt ließ sie sich täglich von Dora den Speisezettel vorschreiben und sich einschärfen, wie die Gerichte bereitet werden müßten, daß sie sich für den Kranken eigneten, und daß sie kräftig genug seien und leicht verdaulich, um Justus für seine anstrengende Krankenpflege genügend zu stärken. Langsam und traurig zog die Zeit dahin. Eines Tages aber, als ich wieder in dem Häuschen vorsprach, um mich nach dem Befinden des Patienten zu erkundigen, wurde ich von Dora mit heiterer Miene empfangen. Und sonderbar! Erst jetzt, als sie wieder lächelte, bemerkte ich, wie schmal und blaß ihr liebliches Gesichtchen geworden war. Freudig theilte sie mir mit, daß der Arzt heute Alvyn gestattet hatte, für einige Stunden sein Bett zu verlassen. Wenn ich ein wenig warten wollte, könnte ich ihn sehen. Wie erschrak ich, als eine Viertelstunde später Alvyn, auf den Arm seines Bruders gestützt, in das Zimmer trat! Nicht er war es, der mir Schrecken einflößte. Seine Wangen waren wohl etwas bleicher als vordem, aber man erkannte sogleich, daß der Doctor nicht zu viel versprochen, indem er seine baldige Genesung in Aussicht gestellt. Justus' Aussehen dagegen erweckte meine Sorge. Seine Gesichtsfarbe war wachsgelb geworden, die Backenknochen traten scharf hervor, und die schönen, strahlenden Augen lagen tief eingesunken in ihren bläulich umränderten Höhlen und hatten allen Glanz verloren. Sollten die Anstrengungen der Pflege, die Nachtwachen und die Angst um den Bruder ihn so arg mitgenommen haben? Ich konnte es nicht recht glauben. Das aber wußte ich, daß er selbst einer Erholung bedürftiger war, als der an seiner Seite blühend aussehende Reconvalescent. Auch hielt ich es für meine Pflicht, aus meiner Meinung kein Hehl zu machen, und nachdem wir ein Weilchen über allerlei alltägliche Dinge geplaudert, erklärte ich Justus, ohne Umschweife, daß es an der Zeit sei, sich Ruhe zu gönnen, zu seiner Erholung etwa eine kleine Vergnügungsreise anzutreten. Alvyn und Dora, die mittlerweile auch eingetreten war, stimmten mir lebhaft bei. Justus aber betheuerte, daß er sich ganz wohl fühle, und wollte von einer Reise nichts wissen. Die kleine Ermüdung, die er ja nicht leugnen wolle, werde nun, da er jetzt nichts mehr zu thun und zu sorgen habe, bald von selber weichen. Ich glaubte ihm nicht, da aber alles weitere Drängen sich als nutzlos erwies, beschloß ich, mich hinter den Hausarzt zu stecken und diesen zu einem Machtwort in Betreff Justus' zu veranlassen. Als ich mich aber zu diesem Zwecke zwei Tage später bei meinen Freunden einstellte, empfing mich Justus und bat mich, ihn in sein Arbeitszimmer zu begleiten, dessen Thür er zu meiner nicht geringen Verwunderung hinter uns absperrte. »Ich will nicht, daß wir gestört werden,« sagte er, indem er vor seinem Secretär Platz nahm und einen großen, von seiner Hand geschriebenen Bogen Papier entfaltete. »Sie sind Jurist und ich möchte mir Ihren Rath erbitten,« fuhr er fort. »Als ich da vergangene Nacht wieder nicht schlafen konnte -- am Krankenbette Alvyn's habe ich mir das Schlafen fast ganz abgewöhnt -- da fiel mir ein, daß es angezeigt sei, ein wenig Ordnung zu machen und mein Testament niederzuschreiben. Man kann ja nie wissen, was geschieht. Und da möchte ich Sie nun ersuchen, dasselbe durchzusehen, ob es in seiner Form richtig abgefaßt ist.« Ich nahm das Testament und las. Alvyn und Dora waren darin zu gleichen Theilen als Erben von Justus' nicht unbedeutendem Vermögen eingesetzt. Als ich ihm das Schriftstück mit der Beruhigung zurückgab, daß dasselbe ganz rechtsgiltig verfaßt sei, konnte ich nicht umhin, die Bemerkung beizufügen, daß es wohl viel vernünftiger wäre, irgend etwas zur Kräftigung seiner Gesundheit zu unternehmen, als sich mit Todesgedanken zu tragen. Justus lächelte. »Nun, nun,« sagte er, »deshalb, weil ich mein Testament gemacht habe, glaube ich ja nicht, schon morgen oder übermorgen sterben zu sollen. Ich will ja nur alles in Ordnung gebracht haben -- für alle Fälle. Was Sie aber da von meiner Gesundheit sagen -- ich bin ja nicht krank, wirklich nicht. Wenn es aber dennoch bald mit mir zu Ende ginge, was läge weiter daran? Ich habe doch eigentlich genug gelebt, da ich niemandem mehr zu etwas nützlich bin. Im Gegentheile. Ich stehe dem Glücke der Anderen nur im Wege. Haben Sie es denn nicht bemerkt? Dora und Alvyn lieben sich ja. Dora wird sich aber nicht leicht dazu entschließen, mich zu verlassen und Alvyn's Frau zu werden, so lange ich lebe. Das gute Geschöpf würde es schwer übers Herz bringen, mich einer traurigen Einsamkeit anheimzugeben. Die Dankbarkeit, die sie glaubt, mir schuldig zu sein, würde ihr dies nicht erlauben.« Ich unterdrückte einen Seufzer. »Glauben Sie wirklich?« stotterte ich nicht ohne Verlegenheit. »Glauben! Was glauben!« wiederholte Justus. »Ich weiß es! Und wenn ich es auch nicht schon früher bemerkt hätte, so müßte ich es doch jetzt wissen. Hab' ich es doch gesehen, wie sie sich in Angst und Sorge verzehrte, als Alvyn krank darniederlag. Nachts, wenn ich aus seinem Zimmer trat, fand ich sie oftmals in Thränen, statt daß sie schlief. Ich gab ihr wohl keine Veranlassung dazu.« »Und wenn nicht Alvyn, sondern die Sorge um Dich, um Deine Gesundheit und Dein Leben die Ursache ihrer Thränen gewesen wäre?« -- schoß es mir plötzlich durch den Kopf. Doch gleich darauf kam mir dieser Gedanke so komisch vor, daß ich mich wohl hütete, ihn laut werden zu lassen. »Ja, wenn es aber auch wirklich der Fall sein sollte, daß Dora Alvyn liebt,« sagte ich, »sind Sie dessen auch gewiß, daß ihre Liebe erwidert ist?« Jetzt fuhr Justus auf. »Wie? Nicht erwidert? Dora's Neigung sollte nicht erwidert sein? Aber Alvyn müßte ja blind und blöde, ja geradezu blöde sein, wenn er dieses liebe Geschöpf nicht liebte. Ich bitte Sie, wie können Sie so etwas denken!« Dann warf er das Testament in die Lade seines Schreibtisches und fing an, im Zimmer auf und ab zu laufen. Mich beachtete er gar nicht mehr, so mächtig war die Erregung seines Gemüthes. Wieder waren mehrere Wochen vorübergegangen. Alvyn war völlig hergestellt und der letzte Abend vor seiner Abreise sollte uns Alle zum Abschiedsfeste vereinigen. Mir bangte davor, denn ich war überzeugt, daß es auch zum Verlobungsfeste werden sollte, und wenn ich es auch einsah, daß es für Justus besser sei, wenn die von ihm selbst vorausgesehene Entscheidung bald fiele, so wußte ich doch, daß dieselbe einen schweren Streich gegen sein Herz führen würde. Als ich das Haus betrat, begegnete mir Dora im Flur. Sie kam aus der im Erdgeschosse gelegenen Küche und hielt auf einem Glasteller einen mächtigen Kuchen in der Hand. Ihre Wangen waren vom Herdfeuer geröthet und freudige Heiterkeit blitzte aus ihren blauen Augen. »Welch lucullische Genüsse bereiten Sie da für uns?« frug ich, auf den Kuchen weisend. Sie legte den Finger an den Mund. »Bst, nicht so laut,« flüsterte sie. »Es soll eine Ueberraschung für Justus werden. Sein Lieblingsgericht, das ich selbst gebacken. Er wird Augen machen, wenn er erfährt, daß Agathe mir dabei gar nicht geholfen hat.« Schweigend stieg ich hinter Dora die Treppe hinan. Ich war ärgerlich gestimmt, Dora's Aufmerksamkeiten für Justus verdrossen mich, da ich wußte, daß sie ihn mehr quälen als erfreuen müßten. Ich folgte ihr in das Speisezimmer, wo sie den Kuchen auf den Credenztisch stellte und über und über mit Zucker bestreute. »Das ist der Zucker, mit dem sie die bittere Pille versüßen will, die sie ihm zu schlucken giebt,« dachte ich zornig. Sie aber lächelte vergnügt vor sich hin. »Glauben Sie, daß es ihn freuen wird?« frug sie. Ich gab keine Antwort, so böse war ich auf sie. Plötzlich aber fuhr ich los: »Warum quälen Sie den armen Justus unaufhörlich? Warum überhäufen Sie ihn mit Zuvorkommenheiten, die ihn nur peinigen können?« Ich hielt inne; meine eigenen Worte erschreckten mich. Dora aber blickte mich mit großen Augen staunend an. »Quälen?« wiederholte sie. »Ich quäle Justus?« »Wie denn nicht? Das müssen Sie doch selbst einsehen, daß Ihre Aufmerksamkeiten ihm Qualen bereiten müssen. Es kann Ihnen doch kein Geheimniß geblieben sein, daß er -- Ah, bah! Sie wissen ganz gut, was ich meine. Aber besser wäre es, Sie machten dem grausamen Spiele ein Ende und erklärten sich. Heute bei Alvyn's Abschiedsfest wäre der richtige Augenblick hiefür.« Dora wechselte die Farbe. Ein leichtes Zittern bewegte ihre Hand, die immer noch die Streubüchse festhielt, und ein dichter Zuckerstaub fiel neben dem Kuchen auf die Tischplatte nieder. »Sie glauben, daß Justus --,« lispelte sie kaum hörbar. »Sie liebt!« fiel ich ein. »Ja, das glaube ich nicht nur, ich weiß es. Und daß Sie mit Ihren koketten Künsten ihn nutzlos peinigen.« Ich war so erbost gegen sie, daß es mir ordentlich wohl that, sie zu kränken. Sie schwieg. Nur ein leiser Seufzer drang zwischen ihre Lippen. Ihr Gesicht konnte ich nicht sehen, denn sie hatte mir den Rücken zugewendet. Jetzt klappte sie den Deckel des Schrankes zu und schlüpfte hastig aus dem Zimmer. Mit gemischten Gefühlen blickte ich ihr nach. Ich schämte mich meiner plumpen Derbheit, und doch war ich wieder froh, das unhaltbare Verhältniß einer Krisis entgegengedrängt zu haben. Noch mehr aber freute ich mich dessen, als ich, in Justus' Zimmer tretend, die bleichen Wangen, die nervöse Unruhe meines wackeren Freundes sah. Es war wirklich hoch an der Zeit, daß diese unerquickliche Lage der Dinge ein Ende nahm. Trotz der anfänglich etwas befangenen und erregten Stimmung der Mehrzahl der Theilnehmer verlief das Festmahl in ungestörter Heiterkeit. Alvyn's übersprudelnde Lustigkeit wirkte ansteckend auf die Anderen, und frohes Lachen, muntere Scherzworte flogen von Lippe zu Lippe. Wir waren beim Dessert angelangt, und der mir bereits bekannte Kuchen wurde aufgetragen. Mit etwas scheuer Miene -- denn mein auf Dora gerichteter Blick verwirrte sie sichtlich -- und stockendem Tone murmelte Dora, wie geistesabwesend, ein paar Worte vor sich hin: daß sie den Kuchen selbst bereitet habe, um zu beweisen, daß sie in den Künsten der Küche nicht so ungeschickt sei, wie Justus stets behauptete. Weiter kam sie nicht; das spöttische Lächeln, das sie auf meinem Munde bemerkte, schnitt ihr das Wort ab. Jetzt aber erhob sich Alvyn von seinem Sitze und sein mit edlem Wein gefülltes Glas hochhebend, rief er: »Hurrah, hoch! die Hausfrau möge leben! Ich leere meinen Becher auf Dora's Wohl und auf das Wohl -- desjenigen, der das Glück haben wird, sie als Hausfrau heimzuführen!« Tiefes Schweigen folgte Alvyn's Worten. Doch nach wenigen Augenblicken erhob auch Justus sich, das Glas mit bebender Hand ergreifend. Er war sehr blaß geworden. Ein seltsames Leuchten verklärte den dunklen Glanz seines Auges. »Dora!« sagte er laut und langsam. »Ich schließe mich Alvyn's Wunsche an. Ich trinke auf das Wohl desjenigen, den Du liebst. Willst Du mir Bescheid thun?« Dora zögerte. Eine Secunde lang blickte sie unschlüssig vor sich ins Weite. Eine jähe Röthe überfluthete ihre Wangen und ihre Brust hob und senkte sich in heftigen Athemzügen. Doch jetzt erhob auch sie sich und griff nach ihrem Becher. Hell klangen die Gläser aneinander und Justus und Dora's Blicke begegneten sich, als wollte jeder tief sich in des Anderen Seele senken. »Gern thu' ich Dir Bescheid,« sagte Dora. »Es lebe der, den ich liebe! Er lebe hoch! -- Justus lebe hoch!« Justus' Glas fiel zu Boden, das köstliche Naß über den Teppich ergießend. Er selbst stand wie versteinert. Da flog Dora ihm an den Hals und küßte ihn wieder lebendig. Wir aber tranken auf das Wohl des Brautpaares. Ein Toast folgte dem anderen und die Nacht war weit vorgerückt, als ich in heiterster Stimmung mich auf den Heimweg machte. Wenige Wochen später fand Justus' Vermählung mit Dora statt. Dann traten sie eine Reise an, und als sie wieder in ihr trauliches Heim zurückkehrten, fand ich Justus völlig verändert. Kraft und Gesundheit lag über seiner Erscheinung. Sein Schicksal hatte ihm das beste Heilmittel gereicht -- das Glück. Fallendes Laub. Friede lag über dem Thale. Die ermüdete Herbstsonne badete das purpurne und gelbe Laub der Wälder in ihrem milden, sanften Glanz. Um die Kuppen der Berge ringelten sich weiße, flockige Nebelstreifen, lagerten sich schläfrig in die Schluchten und Risse, um dann an den zackigen, grauen Felswänden langsam emporzukriechen und, höher und höher steigend, im durchsichtigen, blassen Blau des Himmelsgewölbes sich allmählich aufzulösen. Das ganze Land, so weit das Auge sah, lag in zitterndem, goldigem Licht. Das letzte warme Lächeln des fliehenden Sommers glitt über das Antlitz der Natur, bevor sich ihr Auge zum winterlichen Schlafe schloß. Und um die Mittagszeit schien die Sonne noch so warm, daß man glauben konnte, der Herbst mit seinem Reif und Frost, der Winter mit seinem Schnee und Eis seien noch in weiter, weiter Ferne. Aber die klugen Schwalben ließen sich von dem gleißnerischen Lächeln nicht täuschen. Fast alle hatten schon den großen Zug nach dem Süden angetreten und jetzt rüsteten sich auch die letzten zum Aufbruch. Fröhlich zwitscherten sie ihren Abschiedsgruß in die linde, laue Luft. Geschäftig hin und her fliegend, ordneten sie sich in Gruppen und prüften sorgsam die Flugkraft ihrer jüngsten Kinder, um derentwillen sie ihre Abreise hatten verzögern müssen. Gleichgiltig sahen die Sperlinge den Reisevorbereitungen zu. Was kümmert es sie, ob und wann es Herbst wird. Sorglos hüpfen sie von Zweig zu Zweig, trippeln auf dem kurzen, grünen Rasen umher, gierig nach kleinen Würmchen ausschauend, oder baden sich behaglich im Staub der trockenen Erde. Wie graue, schlechtgewickelte Wollknäuel sitzen sie da und blasen sich auf, daß alle Federn emporstehen. Plötzlich fahren zwei dieser struppigen Wollknäuel laut pipsend in die Höhe. Ein seltsamer Schrei hat sie erschreckt. Und doch sollten sie an denselben schon gewöhnt sein. Es ist ja ein guter Bekannter, der ihn ausgestoßen hat. Tante Cölestinens Papagei, der, während seine Besitzerin in dem Lusthause mit einer Handarbeit beschäftigt sitzt, neben ihr auf einem in die Sonne gerückten Gestelle auf und nieder flattert. Bei trübem Wetter verhält er sich meist still und manierlich, wie es sich ziemt für den wohlgesitteten Genossen eines ruheliebenden, alten Fräuleins. Er schaukelt sich auf dem an seinem Gestelle befestigten Ringe, lacht und plaudert, und wenn es ihm gestattet wird, auf der Schulter seiner Herrin zu ruhen, drückt er schmeichelnd sein Köpfchen an ihre Wange und läßt sich aus ihrem Munde mit kleingekauten Milchbrötchen füttern. Wenn aber die Sonne so recht warm auf ihn herabscheint, dann erinnert der Vogel sich seiner fernen sonnigen Heimat und Sehnsucht erfaßt das kleine Herz. Er reckt und dehnt sich, schlägt mit den verschnittenen Flügeln, flattert empor -- und fällt mit einem lauten kreischenden Schrei zu Boden. Tante Cölestine begreift es nicht, daß der kleine Fremdling in seiner vieljährigen Verbannung seine Heimat in den Urwäldern Südamerikas nicht schon verschmerzt und vergessen hat. Es ging ihm doch so gut. An nichts fehlte es ihm. Reichliche, gesunde Nahrung, Schutz vor den Unbilden der Witterung und der Verfolgung raubgierigen Gethiers, freundliche, liebevolle Behandlung -- was konnte er noch mehr verlangen, wie konnte er sich nach Freiheit sehnen, wo er den schweren Kampf ums Dasein aufnehmen mußte und von vielfältigen Gefahren bedroht wurde? Mehr Verständniß brachte Cölestinens siebzehnjährige Nichte der Freiheitssehnsucht des kleinen Gefangenen entgegen. War ihr Schicksal dem seinen doch nicht unähnlich. Nach dem Tode ihrer frühverstorbenen Eltern, eines reichbegabten Künstlerpaares, von der Schwester ihres Vaters an Kindesstatt angenommen, fühlte auch sie sich in eine ihr fremde, sie beengenden Welt versetzt. Trotz der innigen Liebe und Dankbarkeit, mit der sie an der Tante hing, deren Güte alle Sorgen und Lasten des Lebens von ihr fernhielt, war es ihr doch manchmal zu Muthe, als müsse sie die Flügel spannen und in die weite, schöne Welt hinausfliegen, von welcher sie in der verklärenden Erinnerung jener Zeit, da sie an der Seite ihrer Eltern ein reiches, glückliches Leben gelebt, ein so verlockendes Bild in ihrem Inneren trug. Aber auch ihr waren ja die Flügel geschnitten, und die gute Tante meinte, daß die Freiheit nur ein illusorisches Glück und das wahre Glück viel eher in dem stillen Frieden ihrer einsamen Zurückgezogenheit, denn in dem wüsten Sturm und Drang der Welt zu finden sei. Und nicht ohne Sorge gedachte sie der Zukunft, wenn ihre Augen sich für immer schließen würden und das junge Mädchen ohne Schutz und Stütze den vielfachen Gefahren und Versuchungen des Lebens preisgegeben sein werde. Doch vielleicht war jener Augenblick, da Gott sie abberufen würde, noch ferne. Noch fühlte sie sich gesund und rüstig und sie wußte, daß die Grundsätze, welche sie in die jugendliche Seele zu pflanzen bemüht war, eine feste Rüstung seien, um sie in der Stunde des Kampfes siegreich bestehen zu lassen. Mit unerschütterlicher Geduld hatte Cölestine sich abermals von ihrem Sitze erhoben, um den Papagei, der zum so und so vieltenmale mit schrillem Aufschrei von seinem Metallringe herabgeflattert war, und nun verzagt und enttäuscht um sich blickend, auf dem Boden des Lusthäuschens hockte, wieder auf sein Gestell emporzuheben. Mit liebkosender Hand glättete sie sein gesträubtes, grünes Gefieder, küßte ihn, und mit dem Finger drohend, redete sie ihm freundlich zu, Ruhe zu halten. »Sieh' nur, Betti, wie thöricht unsere Lora heute wieder ist,« sagte sie, sich lächelnd zu ihrer mit raschen Schritten sich nähernden Nichte wendend. »Durchaus fort will das Närrchen. Es ahnt nicht, welche Gefahren in der weiten Welt seiner harren würden und daß es in der ersehnten Freiheit umkommen müßte.« Aber Betti schenkte den Worten der Tante keine Aufmerksamkeit. Ein Zeitungsblatt hastig hin und her schwenkend, stand sie mit hochgerötheten Wangen und blitzenden Augen vor der sie verwundert anblickenden alten Dame. »Ach, Tantchen,« rief sie und ihre Stimme zitterte vor innerer Bewegung. »Welch ein Unglück, daß wir gerade diesmal die Zeitung nicht früher durchgesehen haben. Hier ist das Programm mitgetheilt von dem gestern Abend in der Stadt gegebenen Concerte. Und denke nur, ein junger Sänger, einer von den Schülern meines Vaters, hat darin mehrere von Papas Liedern gesungen. Und nun waren wir nicht dabei!« Tante Cölestine nahm das Blatt, las und nickte langsam mit ihrem weißhaarigen, mit einem kleinen Spitzenhäubchen bedeckten Haupte. »Hm -- hm, das ist freilich recht schade,« meinte sie. »Es wäre ja schön gewesen, die hübschen Lieder singen zu hören.« In ihrem Inneren aber erwog sie, ob dieser Zufall, daß sie von der Sache nicht rechtzeitig erfahren hatte, nicht eine Fügung Gottes gewesen sei. Sie würde Betti's Drängen, das Concert zu besuchen, jedenfalls nachgegeben haben und sie wußte aus Erfahrung, daß jede Berührung mit der Außenwelt, jedes Concert und jede Theatervorstellung einen Sturm in des jungen Mädchens Seele hervorrief, dessen leidenschaftliche Sehnsucht nach der großen Welt heftig entfachend. Und langer Zeit bedurfte es immer, bis die Wirkung solcher Ereignisse beseitigt wurde und das jugendlich stürmische Herz wieder zur Ruhe kam. Dann legte sie das Blatt fort und griff wieder nach ihrer Handarbeit. »Grüß Di' Gott', grüß Di' Gott!« rief der Papagei und reckte sich, so weit er konnte, Betti entgegen, die sein Liebling war. Betti faßte ihn und setzte ihn auf ihre Achsel. »Hast Du Deinen englischen Aufsatz für Miß Evans schon geschrieben?« unterbrach die Tante nach einer Weile das eingetretene Schweigen. »Morgen früh hast Du ja wieder Stunde.« Betti nickte stumm. Dann schwiegen sie wieder beide. Nur der Papagei plauderte und drehte sich und tanzte auf Betti's Schulter, als ob er ihre Verstimmung fühlte und sie erheitern wollte. Plötzlich wandte Betti sich wieder an ihre Tante. »Glaubst Du, daß Herr Reichel schon abgereist sei?« Die Befragte blickte erstaunt auf. »Herr Reichel -- wer ist das?« »Nun, der Sänger. In der Zeitung steht ja sein Name.« »Ach so! Ich habe es wirklich nicht beachtet, wie er heißt. Aber wie soll ich wissen, ob er schon abgereist ist, und warum interessirt Dich das?« »Na, ich dachte nur so. Wenn er etwa noch in der Stadt weilte, so könntest Du vielleicht, als die Schwester seines ehemaligen Meisters, ihn für heute Abend oder morgen zu Tische laden. Und da könnte er uns einige Lieder vorsingen.« Der Ausdruck des Mißfallens breitete sich über das Angesicht des alten Fräuleins. »Wie Du nur auf solch abenteuerliche Ideen verfallen kannst, Betti!« sagte sie vorwurfsvoll. »Was geht dieser fremde Mensch uns Beide an? Dein Papa hatte gar viele Schüler. Wenn wir die alle zu uns rufen wollten!« Betti blickte beschämt zu Boden. »Ja, Du hast recht, Tante,« sagte sie bescheiden. »Sei nicht böse. Es war ein gar alberner Gedanke von mir.« »Ich bin ja nicht böse, liebes Kind,« antwortete die Tante rasch besänftigend. »Jung, wie Du bist, fehlt Dir eben noch das reife Urtheil für das, was sich schickt und ziemt.« Durch Betti's Brausekopf schoß der Gedanke, daß ihre Eltern an ihrem Vorschlage nichts Unpassendes gefunden haben würden. Die Frage drängte sich ihr auf, ob jene mit ihren freieren Anschauungen, oder die Tante mit ihrer peinlichen Vorsicht, ja nichts Ungewöhnliches zu thun, ja nicht einmal zu denken, mehr recht hätte? Aber sie wußte sich keine Antwort auf diese Frage zu geben. Und wieder, wie so oft legte sich das Gefühl drückender Beengung auf ihr Gemüth. Die Tante ließ ihr aber nicht lange Zeit, über solche nutzlose Dinge nachzugrübeln. Sie hatte allerlei Aufträge für sie. Die frisch gebügelte Wäsche mußte revidirt und in den Schränken eingeordnet werden; der Gärtner war gekommen, um Rechnung zu legen über einige Körbe Obst aus ihrem Garten, das er in der Stadt verkauft hatte, und mit dem Dachdecker mußte man Rücksprache nehmen, daß er eine schadhaft gewordene Ecke des Hausdaches ausbessere, bevor die schlechte Jahreszeit mit ihren langen und ausgiebigen Herbstregen eintritt. Rasch und willig unterzog sich Betti der gewohnten Erfüllung derartiger Pflichten. Nachdem sie aber alles zur vollen Zufriedenheit ihrer Tante besorgt hatte und diese sich, der einbrechenden Abendkühle wegen, in ihr Zimmer zurückzog, da schlüpfte Betti in den Gartensalon, in welchem ein prächtiger Steinwayflügel stand, ein Vermächtniß ihres Vaters, ein gar lieber Genosse ihrer Einsamkeit und eine reiche Quelle glücklicher Augenblicke. Bald hatte sie auf dem nebenan gerückten Notenschränkchen das Gesuchte -- das von ihrem Vater componirte Liederheft -- gefunden und wenige Augenblicke später klang ihre frische, klare Stimme in lieblichen Tonwellen hinaus in den stillen Frieden des von den goldenen Strahlen der sinkenden Sonne durchglühten Alpenthales. Es war Lenau's »Wunsch«, den sie gewählt hatte, eines jener Lieder, die, wie dem Programme entnommen, der fremde Sänger in dem am verflossenen Abend in der eine Wegstunde entfernten Stadt gegebenen Concerte zum Vortrage gebracht, und welche zu hören, ein unglücklicher Zufall sie verhindert hatte. Sie sang: »Fort möcht ich reisen weit, weit in die See, O meine Geliebte mit Dir allein! Die Dränger und Lauscher und kalten Störer, Sie hielt uns ferne der wallende Abgrund, Das drohende Meer, Wir wären so sicher und selig allein! Und käme der Sturm, Ich würde Dich halten an meiner Brust. Wenn donnernde Wogen zum Himmel schlügen, Doch höher schlüge mein trunkenes Herz; Und meine Liebe, die ewige, starke, Sie würde frohlockend Dich halten im Sturm. Du würdest zitternd mir blicken ins Auge Und würdest erblicken, was nimmer scheitert in allen Stürmen Und würdest lächeln und nicht mehr zittern. Sieh', nun ermüdet der tobende Aufruhr, In Schlummer sinken die Wellen und Winde, Und über den Wassern ist tiefe Stille. Da ruhst Du sinnend an meiner Brust. So tiefe Stille: mein lauschendes Herz Hört Antwort pochen Dein lauschendes Herz. Wir sind allein, doch flüsterst Du leise, Um nicht zu stören das sinnende Meer, Nur sanft erzittern die Lippen Dir, Die schwellenden Blätter der süßen Rose; Ich sauge Dein Wort, Den klingenden Duft der süßen Rose. Im Osten hebt sich der klare Mond. Und Gott bedecket den Himmel mit Sternen, Und ich bedecke, selig wie er, Dein liebes Antlitz, den schöneren Himmel, Mit feurigen Küssen.« Ein jäher Schrecken ließ sie aber verstummen, als bei dem Verse: »Dein liebes Antlitz, den schöneren Himmel --« eine klangvolle Baritonstimme in die Melodie einfiel und das Lied zu Ende sang, schöner, herrlicher als sie es je gehört. Und aufblickend sah sie hinter der vom Salon auf die mit dem Garten durch eine Freitreppe verbundene Terrasse führenden und jetzt offen stehenden Glasthür die Gestalt eines schlanken jungen Mannes auftauchen, der den Hut ziehend, vom Thürstock wie vom Rahmen eines Bildes umfaßt, auf der Schwelle stehen blieb. Erst nachdem er das Lied vollendet und sich noch einige Secunden an der grenzenlosen Verblüffung Betti's, die, gleichsam erstarrt, auf ihn schaute, mit lächelnder Miene geweidet hatte, verbeugte er sich tief vor dem jungen Mädchen. Und ohne näher zu treten, sprach er: »Verzeihen Sie dem Eindringling, mein Name ist Oswald Reichel. Zufällig erfuhr ich, daß die Schwester und die Tochter meines verehrten Meisters hier wohnen, und da wollte ich mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, sie aufzusuchen.« Betti hatte unterdessen Zeit gefunden, sich zu fassen. Sie erhob sich und trat dem Fremden grüßend entgegen. »Fräulein Betti? -- ich irre wohl nicht?« frug dieser zögernd. »Sie erinnern sich meiner wohl kaum mehr? Zu viele Schüler Ihres Vaters gingen in Ihrem Hause ein und aus. Und Sie waren ein so kleines Mädchen, als ich Sie zuletzt gesehen.« Dabei machte er mit der Hand ein Zeichen, welches bedeutete, daß sie ihm damals etwa bis zum Ellbogen reichte. Betti lachte. Als der Künstler aber ihr seine Hand zum Gruße reichte und, als sie in dieselbe einschlug, als er die ihrige an seine Lippen führte, erröthete sie tief. An derartige Huldigungen war sie noch nicht gewöhnt. Sie stotterte etwas von ihrer Tante, und daß sie dieselbe von seinem Besuche benachrichtigen müsse, und im nächsten Augenblicke war sie zur Thür hinausgehuscht. »Ein allerliebstes Backfischchen!« murmelte der junge Mann lächelnd. »Noch etwas grün, aber doch ganz reizend.« Dann blickte er sich im Zimmer um, hielt von der Terrasse aus rasche Umschau über den Garten und, noch immer allein, setzte er sich an den Flügel und begann zu präludiren. Betti war mittlerweile zu ihrer Tante hinaufgeeilt, diese kam ihr schon entgegen. »Wer hat unten gesungen?« rief sie ihr von weitem zu. »Denke nur, Tantchen, er ist gekommen!« rief Betti athemlos. »Ja, wer denn?« »Er, Oswald Reichel!« Die Tante warf den Kopf zurück: »Welche Aufdringlichkeit!« murmelte sie ärgerlich. »Und so spät am Abend bei Fremden einen Besuch abstatten. Nun, hoffentlich bleibt er nicht lange.« Dann aber fügte sie nachdenklich hinzu: »Da er aber nun schon da ist -- und weil er ein Schüler meines seligen Bruders, so werden wir ihn wohl zum Abendessen bitten müssen. Sieh' einmal rasch in der Küche nach. Anna soll etwas Schinken aufschneiden. Mit dem Uebrigen wird es reichen. Ich will einstweilen in den Salon gehen, den Herrn zu begrüßen.« Betti that, wie ihr geheißen, und als sie zehn Minuten später in das Gartenzimmer trat, fand sie die Tante mit dem fremden jungen Mann bereits in ein ganz heiteres Gespräch vertieft. Vor seinem jovialen, unbefangen herzlichen Tone vermochte ihre anfänglich etwas steife Zurückhaltung nicht Stand zu halten. Er wußte tausend schnurrige Anekdoten aus Künstlerkreisen zu erzählen, welche die alte Dame bis zu Thränen lachen machten, und sprach mit einer das Herz der Schwester aufs tiefste rührenden Verehrung von ihrem Bruder, seinem Meister, dem er all sein Können und -- so ihm solche beschieden seien -- alle weiteren Erfolge zu danken haben würde. Ihre völlige Sympathie aber gewann er sich, als er eine begeisterte Lobeshymne über die stille Zurückgezogenheit ihres Landlebens anstimmte und erklärte, daß er sich nichts besseres wünsche, als nach einer Reihe von Jahren seine Laufbahn in einem selbsterbauten, traulichen Nestchen fern von dem lauten Treiben der Welt, beschließen zu dürfen. Betti fühlte sich durch die sprudelnde Unterhaltung des jungen Mannes in die glückliche, frohe Zeit ihrer Kindheit zurückversetzt. Ihr war es, als hörte sie den Wellenschlag eines mächtigen Stromes neben sich aufrauschen, in den es sie sehnsuchtsvoll zog sich hineinzustürzen, um, mit kraftvollem Arm seine Wogen durchschneidend, einem fernen, glückverheißenden Ziele entgegenzuschwimmen. Aber in stille Seligkeit versank sie, als der Künstler, ohne erst eine an ihn gestellte Bitte abzuwarten, sich nach dem Abendessen vom Tische erhob, und an dem noch geöffneten Piano Platz nehmend, die ihr theueren Lieder ihres Vaters vortrug. Eine Empfindung süßester Weltentrücktheit überkam sie. Unter dem gewaltigen Eindrucke, den die Musik auf begeisterungsfähige Gemüther zu üben so geeignet ist, fühlte sie ihre Seele gleichsam hinschmelzen in einem Meere wonnevollen, schönheitstrunkenen Entzückens. Und fast schmerzhaft berührte es sie, als der Sänger, dem als Priester höchster Kunstoffenbarung solch zaubermächtige Gewalt über ihr ganzes Wesen gegeben war, sich plötzlich von seinem Sitze am Clavier erhob und, in seinem gewöhnlichen, fast etwas burschikosen Tone die Bemerkung machte, daß er seinen Besuch wohl über Gebühr ausgedehnt habe und die Damen nun nicht länger belästigen dürfe. Tante Cölestine hielt ihn nicht zurück, von beiden Seiten wurde ein herzlicher Abschied genommen, und nachdem Reichel die wiederholten lebhaften Dankesversicherungen für den bereiteten Kunstgenuß, wie er sich lachend ausdrückte, »dankend quittirt« hatte, empfahl er sich nochmals und verließ das Haus. »Es ist in der That spät geworden,« sagte die Tante, nach seinem Weggehen auf die Uhr blickend. »Es ist Schlafenszeit.« Und dann zu Betti: »Ich will einstweilen vorausgehen, kommst Du bald nach?« »Ja, Tante, ich komme gleich,« sagte Betti träumerisch, während sie sich mit der Ordnung der zerstreut umherliegenden Notenhefte zu thun machte. Dann aber, als Cölestine weggegangen war, trat sie über die Terrasse ins Freie. Es war ihr jetzt unmöglich, zur Ruhe zu gehen. Alles wogte, gährte, fieberte in ihrer Seele. Im Frieden der Natur wollte sie erst Frieden suchen für ihr eigenes stürmendes Herz. Eine wunderbare Nacht lag über der schlummernden Erde. Die Sterne flimmerten und glänzten, als lächelten sie verständnißvoll zu ihr hernieder. Leises Rauschen ging durch das welkende Laub der Bäume; einzelne Blätter lösten sich und fielen knisternd zu Boden. Ueber einer der bewaldeten Bergeskuppen lag heller Schein. Und jetzt, plötzlich, mit einem Rucke, hob sich der Stand des Mondes über der Kante des Berges und übergoß, höher und höher steigend, die ganze Landschaft mit seinem milchweißen Lichte. Ein leiser Schrei entfuhr Betti's Lippen. Denn als sie, um eine Baumgruppe biegend, den Weg zur Ausgangsthür des Gartens weiter schritt, sah sie plötzlich Reichel vor sich stehen. Sie wollte nach dem Hause zurück. Doch schon hatte er sie bemerkt. »Welch eine herrliche Nacht! Welch wunderbares Bild!« rief er. Und dann dicht an sie herantretend, klang es im süßesten, sanftesten =sotto voce= von seinen Lippen: »Im Osten hebt sich der klare Mond, Und Gott bedecket den Himmel mit Sternen. Und ich bedecke, selig wie er, Dein liebes Antlitz, den schöneren Himmel, Mit feurigen Küssen!« Und nun breitete er seine Arme aus, umfaßte sie und bedeckte ihr Antlitz mit Küssen, ihre Augen, ihre Stirn, ihren Mund. Sie sträubte sich nicht. Sie schloß die Augen und athmete schwer. Ein Sturm zog durch ihre Seele, halb Schmerz, halb Seligkeit, und ihr war es, als müsse sie vergehen unter seinen Küssen. Plötzlich klirrte ein Fenster. »Betti, so komme doch, es ist schon spät!« ließ sich der Tante Ruf vernehmen. Da riß sie sich los und floh ins Haus. Der Mond lächelte in ihr Zimmer und sah, daß sie die ganze Nacht ihr Auge nicht im Schlummer schloß. Er sah, wie sie ihr Angesicht zwischen den Händen verhüllte und weinte -- bitterlich. Stirn, Augen, Mund, die der fremde, junge Mann geküßt, brannten ihr vor Scham. Einen schweren Fehltritt glaubte sie begangen zu haben, der sich nie, niemals wieder tilgen ließ, der sie für immer aus der Reihe der guten und reinen Menschen schied. Gegen Morgen erhob sich ein heftiger Nordweststurm, massige schwarzgraue Wolken vor sich herschiebend. In dichter Menge schüttelte er die Blätter von den Bäumen, hier in wirren Knäueln sie durcheinander wirbelnd, dort zu kleinen Hügeln zusammenfegend. Betti verließ früh ihr schlummerloses Lager. Sie ging in den Garten und ließ es willig geschehen, daß der Wind ihr Haar zerzauste und einzelne schwere Regentropfen in ihr Antlitz warf. Der lange, todte Winter, der seine Vorboten in Sturm und Regen vorausschickte, paßte für ihre Stimmung. In ihrem Inneren sah es auch so aus. Sie fühlte sich müde, und ihr war es, als sei etwas erstorben in ihrem Herzen. Freilich wußte sie, daß der Frühling wiederkommen und alles zu neuem Leben und zu neuer Blüthe erwecken werde, was jetzt in Scheintodt erstarb. Noch aber ahnte sie es nicht, daß der Frühling ihrer Seele nicht geknickt war, daß auch ihre Jugend wieder erwachen würde -- froh und kraftvoll. Franzi's Weihnacht. Trübe, schläfrige Stille ringsum im breiten Thale, öde, braune Felder, auf welchen das kurze, gelbe, vom Froste der vergangenen Nächte geknickte Gras sich lebensmüde zum Winterschlafe hinstreckt, kahle Bäume, die, um ihr grünes Laubgewand klagend, ihre nackten Arme zum Himmel emporrecken, der sich grau und kalt über die Erde spannt, mit seinem Rande auf die Kuppen der das Thal in weitem Bogen umfassenden Berge sich stützend, die in einen weichen, weißen Schneemantel gehüllt, von ihren schroffen Höhen bleich und ernst herabblicken. Die schläfrige Wintersonne vermag mit ihren matten Strahlen das schmutziggraue Wolkengehänge nicht zu durchbrechen, nur ein etwas heller Fleck zeigt den Punkt an, wo sie verborgen steckt. Auf der schnurgeraden Moosstraße, die von Salzburg zu dem südlich von der Stadt etwa eine und eine halbe Wegstunde entfernt liegenden 1957 Meter hohen Untersberg führt, schreitet wacker ausgreifend eine kleine Gesellschaft fürbaß: zwei Männer, eine Frau und zwei Kinder. »Ich mein', wir kriegen bald wieder Schnee, aber vielleicht wird es noch aushalten, bis wir droben sind,« sagte der eine der Männer, einen besorgten Blick nach dem Westen werfend, dorthin, wo die bayerische Ebene an das österreichische Gebiet grenzt und für die Salzburger alle, schlechtes Wetter oder Sturm bringende Wolken heraufziehen. Der Andere zuckt die Achseln. »Ja, da laßt sich nichts machen,« antwortete er. »Hinauf müssen wir. Mehr als fußhoch liegt schon jetzt der Schnee auf dem Berge, und gestern, wie ich herunter bin, hab' in den Weg frei gemacht, so gut ich können hab'. Wenn es aber noch einmal schneit, dann bringen wir die da nimmer hinauf.« Die, von welchen der Mann spricht, das sind sein Weib und seine Kinder. Keine leichte Arbeit ist es fürwahr, die den guten Leuten zu vollbringen obliegt. Tüchtige Kräfte brauchen unter günstigen Verhältnissen fünf Stunden zum Aufstieg vom Fuße des Berges bis zu dem nahe am »Geiereck« gelegenen Schutzhause. Der Weg ist steil und beschwerlich und jetzt mit frischem, weichem Schnee bedeckt, die Kinder sind noch klein. Franzi, der Bube, ist noch nicht acht und das Mädchen gar erst drei Jahre alt, und die Mutter eine kränkliche Frau und des Bergsteigens ungewohnt. Aber der Vater hat recht, auf den Berg hinauf müssen sie; damit wird dem Elende ein Ende gemacht, aus dem sie jahrelang vergeblich herauszukommen ringen und das nun schon so groß geworden, daß sie die rückständigen drei Gulden Monatsmiethzins für ihr armseliges Dachzimmer im Dorfe Max-Glan nicht aufzubringen vermochten und von dem Jammer bedroht waren, bei der nächstfälligen Rate obdachlos zu werden. Denn Vincenz Reitmeier ist ein armer Taglöhner und nun schon geraume Zeit, trotz seiner eifrigsten Bemühungen, Arbeit zu finden, ohne Erwerb. Das bißchen Ersparte und der geringe Erlös für ein paar verkaufte Kleider und Möbelstücke war bald aufgezehrt, um Brot und Kartoffel zu kaufen, und Karl, der Bruder der Frau, ein armer Tagwerker wie sein Schwager, konnte auch nicht Rath und Hilfe schaffen. Da traf es sich, daß der österreichische Alpenverein im Spätherbst einen Hüter des von ihm kürzlich erbauten Untersberger Schutzhauses suchte, welcher für die Obliegenheit, den Winter über das Häuschen zu bewohnen und gewisse meteorologische Beobachtungen anzustellen, über welche er in bestimmten Zeiträumen im Comptoir der Salzburger Section des Vereines Bericht zu erstatten hat, zweihundert Gulden Bezahlung erhält. Vincenz hörte davon und dachte, wenn er diese Stelle annähme, so wäre ihm geholfen. Mit den zweihundert Gulden läßt sich während des ganzen Winters sein und seiner Familie Lebensunterhalt bestreiten, und im Frühjahr findet sich wohl leichter wieder Arbeit. Mancher seiner Freunde redete ihm zwar davon ab, sich um den Posten zu bewerben; zu schlimme Dinge hatte der Mann, der im verflossenen Winter mit Weib und Kind da oben gehaust, von seinem Aufenthalte erzählt, und um keinen Preis würde er eine Wiederholung desselben auf sich nehmen. Hungern und frieren mußten sie, daß es eine Art hatte. Selbst im Anfange, als sie noch Holz zur Feuerung hatten, brachten sie die Temperatur ihrer Stube oft nicht höher als auf drei Grad Reaumur Wärme. Und dann, als das Holz ausgegangen war und die dichte tiefe Schneedecke nur mit Mühe und Noth ein bißchen Reisig zusammenzubringen ermöglichte, da ward es natürlich noch ärger. Um nichts besser ging es mit der Beschaffung von Lebensmitteln. Freilich hatte er sich vor Eintritt starken Schneefalles mit Proviant versorgt, den er auf dem Rücken eines Esels auf die Höhe des Berges beförderte. Aber die Vorräthe an Lebensmitteln gingen schneller als gedacht zur Neige, und als so tiefer, lockerer Schnee auf dem Berge lag, daß es unmöglich war, den Abstieg zu unternehmen, konnten sie, wochenlang auf die geringen Reste des vorhandenen Vorrathes angewiesen, sich keinen Tag satt essen. Als aber Vorstellungen härtester Beschwerlichkeiten nichts nützten, weil Vincenz meinte, man könne denselben durch eine praktische Vorsorge wohl vorbeugen, da hielt man ihm auch die von anderer Seite her drohenden Gefahren vor Augen. Man erinnerte ihn, daß das Untersberger Schutzhaus den vielen Wilderern und Schmugglern -- denn die bayerisch-österreichische Grenze zieht sich über diesen Berg -- ein Dorn im Auge und von denselben in früherer Zeit schon wiederholt durch Feuer vernichtet worden sei. Auch wäre er da oben wohl seines Lebens nicht sicher, sei es doch erst vor wenigen Jahren geschehen, daß der Wächter des Unterstandshauses auf dem Mallnitzer Tauern ermordet worden. Aber auch diese Bedenken verfingen nicht. Auf dem Tauern, meinte Vincenz, könne so etwas wohl vorkommen; diesen Gebirgssattel passirten allerlei herumziehende Vagabunden, die im Unterstandshause Nachtquartier nehmen. Den Untersberg werde aber keiner solcher Strolche eigens zu dem Zwecke besteigen, um an einem armen Teufel, wie er es sei, der selbst kaum genug zum Leben habe, einen Raubmord zu verüben. Und kurz und gut: er fürchte sich nicht und sein Weib auch nicht. So ward es von ihnen beschlossen, daß Vincenz sich bei der Salzburger Alpenvereinssection zur Uebernahme des vacanten Wächterpostens melden sollte. Er that es und bekam die Stelle. Da fiel es ihm nun aber ein, daß es wohl gut wäre, wenn er dieselbe nicht wie sein Vorgänger im verflossenen Winter, bei beginnendem Frühling einem Anderen abtreten müsse, sondern sie auch den Sommer über behalten dürfe, wo die Verpflegung der den Berg besteigenden Touristen und Jagdfreunde einen kleinen Verdienst einbrächte. Auch wäre es für den Winter allein wohl kaum der Mühe werth, die mühevolle und beschwerliche Uebersiedlung mit Weib und Kind zu unternehmen. Er suchte daher um Verlängerung seines Engagements bis zum Herbste nach. Da für den Sommer aber ein Anderer, derselbe, der die Stelle in der letzten Saison innegehabt und mit dem man keine Ursache hatte, unzufrieden zu sein, in Aussicht genommen war, so zog sich die Unterhandlung mit Vincenz in die Länge, und als die Entscheidung endlich zu seinen Gunsten getroffen wurde, war unterdessen der Winter eingebrochen und der erste Schnee gefallen. Doch wohlgemuth begab Vincenz sich an die mühselige Arbeit, in wiederholten anstrengenden Märschen den nöthigen Proviant auf seinen Schultern auf den Berg zu schaffen, und zuversichtlichen und freudigen Herzens machte die Familie sich auf den Weg nach der von stolzer Höhe herabblickenden neuen Behausung, die ihnen eine, wenn auch wahrlich nicht minder beschwerliche, so doch dem bittersten Elend enthobene Existenz versprach. Das kleinste der Kinder, das nur wenige Monate zählte, war in Pflege gegeben worden, die beiden größeren wurden mitgenommen. Es war ein unfreundlicher, trüber Tag um die Mitte December, und als sie bei dem am Fuße des Berges liegenden Gasthause »zur Rositte« anlangten, wo der Fußsteig in den herrlichen Nadelwald einbiegt, fing es bereits zu schneien an, und das kleine Mädchen weinte vor Müdigkeit und Kälte. Man mußte sich entschließen, es den Wirthsleuten in Obhut zu geben; am folgenden Tage wollte der Vater es abholen. Die Anderen setzten ihren Weg fort. Langsam, aber gleichmäßig ausschreitend, ging es den steilen, von Baumwurzeln durchzogenen, mit gelbem Laub und dürren Kiefer- und Fichtennadeln bedeckten, schmalen Fußpfad empor. »Mutter,« sagte der Knabe, zu den schlanken Tannen aufblickend, »das sind ja lauter Lichterbäume -- aber ohne Lichter.« Vor wenigen Jahren war Franzi von einer Familie, die am Wohlthun ihre Freude hatte, zum Weihnachtsfest zugezogen worden. Und mehr noch als die Geschenke, mit welchen er dabei überrascht wurde, hatte der hohe, vom Boden bis zur Zimmerdecke ragende, in glänzendem, glitzerndem Schmucke und zahllosen Lichtern strahlende Christbaum auf das staunende Kinderherz einen tiefen und unauslöschlichen Eindruck geübt. Jeder Tannen- und Fichtenbaum, den er seither erblickte, rief ihm jene unvergeßlich schöne Erinnerung wach. Und heute, als sie sich auf die Wanderung begaben, hatte der Vater ihm versprochen, daß er am Christabend einen ebensolchen »Lichterbaum« bekommen würde, wenn er sich auf dem weiten Wege auf den Berg hinauf brav halte und die Mutter nicht durch Weinen ängstige. Und diese, sein Gemüth erfüllende frohe Hoffnung flößte ihm Muth und Kraft ein und tapfer trabte er mit seinen kleinen Beinen an der Hand seines Vaters den steilen Weg hinan. So lange der Pfad durch den Wald führte, wo die gedrängt stehenden Bäume den stets dichter herabwirbelnden Schnee zum Theile abhielten, auch der Boden noch ziemlich schneefrei war, ging der Aufstieg noch verhältnißmäßig gut von Statten. Dort aber, wo der Weg den Wald verlassend über die lang sich hinstreckende Alpenwiese lenkte, wo im Sommer kurzes, dunkelgrünes Weidegras üppig emporsprießt, jetzt aber frischer lockerer Schnee lag, in welchem die Wanderer bis zum Knie und an manchen Stellen gar bis zur Hüfte einsanken, da steigerte sich die Ermüdung fast zu völliger Erschöpfung. Onkel Karl packte den Kleinen, der mit aller Anstrengung nicht mehr weiter zu dringen vermochte, wie einen Rucksack auf seine Schultern und Vincenz half seinem Weibe vorwärts, welches schwer athmend und schweißüberströmt alle Energie aufbot, um gegen die überwältigende Macht des feindlichen Elementes anzukämpfen und das ersehnte Ziel zu erreichen. Dazu wurde der Weg durch die stetig zunehmende Schneemenge unkenntlich gemacht, und die ganze Gegend war in einen jeden orientirenden Ausblick verhindernden, undurchdringlichen weißgrauen Schleier gehüllt, daß es der peinlichsten Vorsicht und der durch die in den letzten Wochen häufig wiederholten Besteigungen des Berges erworbenen sichersten Ortskenntniß der beiden Männer bedurfte, um sie die Richtung nicht verlieren, und auf einen der gefährlichen Ab- und Irrwege gerathend, dem unvermeidlichen Untergange entgegen gehen zu lassen. Oft mußte Rast gemacht werden, um den versiegenden Kräften zu neuem Vorwärtsstreben Erholung zu gönnen. Besorgt blickte Vincenz auf seine Frau, als er sah, wie sie stehen bleibend, ihre Hand auf ihr zum Zerspringen klopfendes Herz preßte und keuchend nach Athem rang. »Es wär' besser gewesen, wir wären nicht herauf, Du dermachst es nicht,«*) sagte er ängstlich. *) »Du dermachst es nit,« hochdeutsch: »Du bringst es nicht zuwege.« Doch der Anfall ging vorüber. »Es hat sein müssen, Du weißt es ja selber,« antwortete die Frau. »Was wär' denn unten mit uns g'worden? Nix mehr zum Leben und kein' Arbeit. Zu Grund' gangen wär'n wir Alle. Da droben haben wir aber unsere Wohnung und a bisl a Geld und im Sommer die Wirthschaft, wenn die Herrn auf'n Berg steigen auf die Jagd oder so zum Vergnügen. Da oben wird's schon besser werd'n. Nit nur für uns selber hab'n mir's thun müssen, daß mir aufi g'stieg'n san, sondern auch für unsere Kinder.« Vincenz nickte. Seine Frau hatte wohl recht. Aber wenn sie nur erst oben wären! Ihm ward so bange. Endlich, nach sechs Stunden furchtbarster Mühe waren sie zur »steinernen Stiege« gelangt, einer Stelle des Berges, wo zwischen dem gähnenden Abgrund an der einen und der schroff und glatt ansteigenden Felsenwand von der anderen Seite zur Ermöglichung dieser Passage Stufen in das Gestein gehauen sind. Die Männer hießen die Frau und den Knaben warten und versuchten es, mit ihren Bergstöcken die hohen Felsenstufen so weit von Schnee zu befreien, daß die Gefahr nicht allzu nahe lag, durch einen Fehltritt in die nachgiebig poröse Schneemasse rettungslos in die schreckliche Tiefe zu stürzen. Und jetzt geht es vorwärts, langsam, vorsichtig von Stufe zu Stufe, mit dem Bergstocke erst den Platz prüfend, wo der Fuß hintreten darf, um sicher zu stehen. Kein Wort wurde gewechselt; man vernimmt nur das Scharren der Eisenspitzen der Stöcke auf den Felsen und die schweren Athemzüge der mit äußerster Anstrengung emporklimmenden Leute. Von einem scharfen Nordwest gepeitscht, der das Gehen erschwert und den Schritt unsicher macht, wirbeln in verdoppelter Dichtigkeit die Schneeflocken um unsere Wanderer, hängen sich an die Wangen, fliegen in die Augen, blendend und den Blick trübend. Aber ohne Unfall überschritten sie die gefährliche Stelle und langten wohlbehalten auf dem Hochplateau an, auf welchem, etwa eine halbe Stunde entfernt, das Schutzhaus liegt. Allein, so nahe sie auch dem ersehnten und mit Aufwand aller physischen und moralischen Energie erstrebten Ziele sind, so vermag die arme Frau doch nicht weiterzugehen, ohne sich nochmals auszurasten. Den Rest ihrer Kraft hat sie zur Ueberwindung dieser ebenso gefährlichen wie anstrengenden Passage aufgeboten, jetzt kann sie nimmer weiter; sie muß ruhen. Ihre Pulse hämmern so fürchterlich, das Herz klopft so beängstigend heftig, die Athemnoth ist so qualvoll -- o, sie muß ruhen, sonst muß sie ersticken. Während ihr Bruder Karl, vorausgehend, den vor Kälte zitternden Knaben nach dem Unterstandshause trägt, setzt sie sich erschöpft auf den Schnee nieder. Es ist ihr unmöglich, stehend auszuruhen, sie würde zusammenbrechen. In stummer Sorge steht ihr Mann neben ihr. Nach wenigen Secunden schaut sie auf, blickt um sich. »Vincenz,« sagt sie, »es ist gut, daß wir endlich heraufgekommen sind, schau nur, mir wird auf einmal so wohl. Wie schön es hier oben ist, welch frische Luft. Ja, jetzt wird alles gut werden. -- Lieber Gott, ich danke Dir.« Und einen leisen Seufzer ausstoßend, sinkt sie zurück in den Schnee. Vincenz erschrickt, er glaubt, daß seine Frau eine Ohnmacht befallen hat. Er kniet sich neben sie, reibt ihr Stirn und Schläfe mit Schnee, dann wieder die Pulse an den Armen mit Branntwein aus der Feldflasche. Doch während er unermüdlich immer und immer wieder neue Belebungsversuche vornimmt, fühlt er, wie unter seinen Händen ihre Glieder allmählich erkalten und erstarren -- und er erkennt, daß sie todt ist. Auf den Armen ihres Mannes und ihres Bruders wurde die Entschlafene in das Schutzhaus gebracht, wo, nur durch eine dünne Bretterwand von ihr getrennt, ihr Kind ahnungslos schlummert. Von kräftigen Gebirgsbauern auf Latschen thalwärts getragen, wurde die Todte in dem am Fuße des Untersberges gelegenen Dörfchen Grödig bestattet. Die ärztliche Obduction ergab, daß in Folge der ihre Kräfte übersteigenden enormen Anstrengung ein Herzschlag eingetreten war. Ihre Hoffnung hatte sich erfüllt -- wenn auch in ungeahnter Deutung. Auf der Höhe des Berges, der sie zustrebte, ward sie der Noth des Elendes, der Bürde ihres schweren Daseins enthoben, war für sie »alles gut« geworden. »Armer Franzi! Der Christabend kam, aber kein strahlender »Lichterbaum« erfreute Dein kindliches Gemüth. Verwaist und einsam blicktest Du von stiller Bergeshöhe auf die öden Thäler herab, traurig Deines kranken Vaters und Deiner todten Mutter gedenkend. Möge ihr Wort sich an Dir bewähren, daß es Dir gut werde dort oben!« Der Weg zum Herzen. Mein Freund Christian hatte es sich fest in den Kopf gesetzt, ein durch hervorragende Hausfrauentugenden ausgezeichnetes Mädchen zu heiraten. Dabei sollte sie aber ein gar liebliches Gesichtchen, eine schöne Gestalt, Jugend und feine Bildung besitzen. Er selbst war, was man so einen guten Jungen nennt, dabei leidlich hübsch und sehr wohlhabend. Seit fünf Jahren sah er sich in seinen ausgedehnten Bekanntenkreisen nach einer passenden Lebensgefährtin um. Denn als er, dreiundzwanzig Jahre alt, das Landgut seines plötzlich gestorbenen Vaters übernahm, hatte er mit der Suche begonnen, und zur Zeit, da das hochbedeutsame Ereigniß, welches zu berichten ich im Begriffe stehe, sich zutrug, zählte er achtundzwanzig Jahre -- und noch hatte er nicht gefunden, was er wollte. Die Eine hatte röthliches Haar, was er nicht leiden mochte; eine Andere mischte zu viele Fremdwörter ins Gespräch, wodurch er sich in seiner teutschen Gesinnung -- er schrieb und sprach niemals: deutsch, sondern teutsch, und seine Freunde nannten ihn mit Vorliebe den Teutonen -- verletzt fühlte; die Dritte war ihm zu sentimental; die Vierte viel zu kokett; die Mehrzahl aber ermangelte des Haupterfordernisses, das er an seine Zukünftige stellte: häuslichen und wirthschaftlichen Sinnes. »Sehen Sie,« so klagte er mir einmal, »was hätte ich von einer Frau, wenn sie auch wie Venus so schön, klug wie Minerva, tugendhaft wie, wie -- mir fällt ein geeigneter Vergleich nicht ein -- kurzum, wenn sie auch alle Tugenden der Welt in sich vereinigt, sie könnte aber nicht kochen! Ich bin Landwirth, den Tag über nimmt die Bewirthschaftung von Wald und Feld meine Zeit und Kraft in Anspruch. Wenn ich müde und hungrig nach Hause komme, will ich etwas Ordentliches zu essen vorfinden. Ich habe so meine Lieblingsspeisen, die ich in einer bestimmten Weise gekocht haben will. Anders mag ich sie nicht. Mit den bezahlten Köchinnen geht es nicht; die nehmen sich nicht die Mühe dazu, meine Eigenschaften zu studiren, und wenn sie es ja auch einmal gelernt haben, dann gehen sie sicherlich aus dem Dienste, um sich zu verheiraten, und die Plage fängt mit einer Anderen von neuem an. Meine gute Mutter hat mich in dieser Beziehung sehr verwöhnt. Sie war eine vortreffliche Hausfrau und kochte ganz vorzüglich. Wenn ich nicht in der Ehe unglücklich werden soll, muß ich in meiner Frau eine ebenso gute Hausfrau finden.« Ich bemerkte dagegen, daß das Glück der Ehe wohl durch noch andere Eigenschaften als allein durch Wirthschaftlichkeit und Verständniß der edlen Kochkunst -- so schätzenswerthe Qualitäten dies ja auch seien -- bedingt würde; daß persönliche Sympathie zum Beispiel eine doch mindestens ebenso wichtige Bedingung bilde. Christian schwieg eine Weile nachdenklich. Dann strich er sich mit seiner kräftig geformten, sonnengebräunten Hand den blonden Schnurrbart und meinte lächelnd: »Sie haben im Allgemeinen ganz recht in dem, was Sie da sagen. Aber es bestätigt mir die Erkenntniß einer fehlerhaften socialen Institution. Es klingt ja recht barbarisch, so etwas auszusprechen, aber richtig ist es doch: Die Monogamie taugt nichts. Jeder rechtschaffene Mann, dessen materielle Lage es ihm gestattet, sollte zwei Frauen haben dürfen: die eine fürs Herz, die andere fürs Haus, für seine Wirthschaft.« Ich lachte laut auf. »Sie sollten unter die Mormonen gehen,« rief ich belustigt. »Sie haben entschieden Talent dazu!« Er aber schüttelte den Kopf. Ungeachtet seines unerschütterlichen Entschlusses, ein vorzüglich häusliches Mädchen zu seiner Gattin zu erwählen, versagte er es sich jedoch nicht, sich mit seiner bildhübschen, siebzehnjährigen Cousine Ottilie, die er mit einer gemeinsamen Tante, bei welcher sie seit dem Tode ihrer frühverstorbenen Eltern lebte, für einige Monate auf seinen Landsitz eingeladen hatte, ganz ausgezeichnet zu unterhalten, und trotzdem Ottilie nicht die geringste Lust und nicht das leiseste Talent bewies, die von ihm so hochgeschätzten häuslichen Qualitäten zu erwerben, sah man es ihm doch deutlich an, daß das von lebensfroher Jugendfrische strotzende, allerliebste Geschöpf seinem Herzen sehr theuer war. Er stellte dies auch nicht in Abrede, als ich einmal neckend auf den Strauch klopfte, nur fügte er gleich die Bemerkung bei, daß nichts vollkommen sei unter der Sonne. Ottilie besitze zwar alle Eigenschaften, um sein Leben zu verschönen, allein tüchtig in der Wirthschaft sei sie leider nicht. Das hinderte ihn jedoch keineswegs, alle Zeit, die seine ökonomische Thätigkeit ihm freiließ -- und manchmal auch etwas mehr -- ihr zu widmen und, was zu sehen mir besonders Spaß machte, sie mit sichtlichem Vergnügen in ihren antihäuslichen Liebhabereien noch zu bestärken. Er unterrichtete sie im Reiten, Kutschiren, Rudern, sie übten sich zusammen im Pistolenschießen nach der Scheibe, und wenn sie das Centrum öfter traf als er, wenn sie, ein Bild von mit Kraft gepaarter Anmuth, sich im Sattel wiegend, an seiner Seite über die bräunlichen Stoppelfelder -- denn mittlerweile war es Herbst geworden -- dahinsprengte, war er ganz außer sich vor Entzücken. »Da, da schauen Sie,« rief er mir einmal voll Ekstase zu, indem er mir eine durchschossene Papierscheibe vor Augen hielt. »Zwanzig Schüsse ins Centrum! Zwanzig Schüsse nacheinander auf dreißig Schritt Distanz, und keinen daneben, um keine Linie! Phänomenal! Das lob' ich mir, einen solchen Kameraden zu haben!« »Gewiß, gewiß, ein ganz famoser Kamerad!« lachte ich. »Aber Sie wollen sich ja eine Frau suchen, nicht einen flotten Kameraden für Ihre Sportvergnügungen.« Christian machte eine abwehrende Handbewegung. »Ah, bah!« brummte er etwas verstimmt. »Das hat Zeit. Warum soll ich mir mein angenehmes Leben mit der Erwägung verbittern, daß ich nicht finde, was ich suche!« Bei Tische aber widerfuhr seinem angenehmen Leben des Oefteren eine unliebsame Dämpfung. Er hatte eine brave ältliche Person im Dienste, die unter seiner Oberaufsicht die häusliche Wirthschaft leitete und ganz befriedigend gut kochte. Aber seine Lieblingsspeisen genau nach seinem Geschmacke zu bereiten, das verstand sie nicht. Und er wußte es ihr nicht zu erklären, woran es fehlte. So geschah es denn öfters, daß seine heitere Stimmung bei den Mahlzeiten, wenn auch nur vorübergehend, getrübt wurde. Einmal wagte er in meinem Beisein anläßlich einer Wildpastete -- auch eines seiner Lieblingsgerichte -- die nicht nach seinem Geschmacke war, eine Bemerkung zu Ottilie, daß es doch gar zu hübsch wäre, wenn sie nebst ihren virtuosen Amazonenkünsten auch ein bißchen von den Künsten der Küche verstände. Sie aber erwiderte lachend, daß ihr Ehrgeiz weit mehr durch das Ziel angestachelt werde, seinen feurigen Rothfuchs zu bändigen, was ihr bisher noch nicht gelungen, als eine wohlschmeckende Pastete zu bereiten. Die Tante schüttelte wehmüthig das graue Haupt, denn ihrer Neigung hätte es weit mehr entsprochen, Ottilie hätte sich zu einer wackeren Hausfrau ausgebildet, als zu einer glänzenden Sportsdame, zu der sie sich zu entwickeln drohte. Christian aber hatte bei Erwähnung seines Rothfuchses sogleich sein Bedauern über die mißlungene Pastete vergessen, und lustig rief er Ottilie zu: »Du willst meinen Bucephalus reiten? Nein, meine Liebe, Du bist zwar unter meiner Leitung eine sehr gewandte und kühne Reiterin geworden, aber mein Bucephalus ist nichts für Dich. Sein Rücken wird Dich nie tragen. Ich warne Dich vor einem erneuten Versuch.« »Ich werde sehen!« murmelte Ottilie leise. Und nach Tische erschien sie in dem Stalle, um dem Rothfuchs eigenhändig ein wenig Brot und Zucker zu reichen. Tags darauf hatte Christian den ganzen Vormittag über in seiner Wirthschaft zu thun und zu schaffen. Müde und ärgerlich, denn sein Verwalter hatte ihn erzürnt, kehrte er zu verspäteter Stunde heim. Wir hatten mit dem Mittagessen auf ihn gewartet, und ich befürchtete, daß ein in der Länge der Zeit sicherlich zu gar gebratenes Rostbeef, das er nach englischer Art halbroh liebte, seine Laune nicht verbessern würde. Als die Suppe schon aufgetragen war, trat Ottilie mit hochgerötheten Wangen in das Speisezimmer. »Du siehst ja aus, als ob Du am Herde gestanden hättest, so erhitzt bist Du,« sagte Christian, sie begrüßend. »Aber freilich, so etwas kommt bei Dir nicht vor.« Ottilie lächelte und gab keine Antwort. Als das Rostbeef an die Reihe kam, bemerkte ich zu meiner Befriedigung, daß dasselbe, meiner Befürchtung entgegen, noch ganz »englisch« war und daß sich Christian's Stimmung sichtlich erheiterte. Die Mehlspeise aber that das Uebrige. Es waren gewisse kleine, mit gehacktem Wild gefüllte Klößchen, auch ein Lieblingsgericht Christian's und -- o Wunder! ganz nach seinem Geschmacke zubereitet. Christian strahlte. »Ei, das schmeckt ja vorzüglich,« sagte er, indem er zum zweitenmal zulangte. »Meine Mathilde macht sich. Sie hat ihre Scharte von gestern glänzend ausgewetzt.« Und bei diesem einenmale blieb es nicht. Ueber Mathilde schien plötzlich eine Erleuchtung gekommen zu sein. Jedesmal, wenn Christian Vormittag abwesend war -- und da er jetzt viel zu thun hatte, traf sich dies öfters -- fand er irgend eine seiner Lieblingsspeisen in vorzüglicher, ganz seinem Geschmacke entsprechender Bereitung bei Tische vor. Und jedesmal bemerkte ich bei Ottilie ebensolche geheimnißvolle Miene und erhitzte Wangen wie das erstemal, so daß ich nicht umhin konnte, auf eine Vermuthung zu verfallen, welche beide Thatsachen in einen gewissen, unschwer zu errathenden Zusammenhang brachte. Dieselbe Vermuthung schien übrigens auch in Christian's Kopf platzzugreifen, denn zuweilen machte er eine flüchtig in das Gespräch gestreute Bemerkung, welch ein herrliches Kleinod eine Frau sei, die mit all ihren sonstigen Vorzügen auch den der häuslichen Kenntnisse, namentlich der Kochkunst, vereinige und mit den Schwächen und Eigenheiten ihres Mannes freundliche Nachsicht übe. Ottilie bemühte sich hartnäckig, derartige Bemerkungen Christian's zu überhören, und die Tante blickte verlegen lächelnd auf ihren Teller und brachte die Unterhaltung auf ein anderes Thema. Mittlerweile ging mein im gastlichen Heim meines Freundes verbrachter Urlaub zu Ende, und ich kehrte nach der Stadt zurück, um, Christian's Einladung entsprechend, einige Wochen später zum Weihnachtsfeste wiederzukommen. Es überraschte mich nicht, Ottilie mit ihrer Tante noch vorzufinden. Christian hatte sie, so oft sie auch heimkehren wollten, zurückgehalten. Und ebenso wenig überraschte mich die sich mir bald aufdrängende Wahrnehmung, daß sein Herz für seine Cousine in hellen Flammen stand, und daß Christian's Herzensflammen mit jenen Ottiliens lodernd zusammenschlugen. Einigermaßen verwundert war ich nur darüber, daß die Tante über diese Lage der Dinge nicht sonderlich erbaut, ja von einer seltsamen nervösen Unruhe beherrscht schien, als erfüllte sie irgend eine geheime Sorge. So kam der Weihnachtsabend heran. Im großen Saale des Erdgeschosses brannte ein mächtiger Christbaum, dessen zahllose Lichtlein in den einander gegenüber hängenden Spiegeln sich hundertfach vervielfältigend wiederstrahlten. Eine Menge schöner Geschenke, auf weißüberdeckten Tischen zierlich geordnet, lagen da, nicht nur für den Herrn des Hauses und dessen Gäste, auch für seine Beamten und Diener und deren Kinder, die in stillem, freudigem Entzücken ob des in prächtigem Schmucke und hellem Glanze flimmernden Tannenbaumes und der großmüthigen Bescherung durch ihren gütigen Herrn schier verblüfft umherstanden und kaum Worte des Dankes fanden. Ein heiteres Festmahl folgte darauf, dann ein Tombolaspiel, und gegen die Mitternachtsstunde kam, zur Beendigung der Festfeier, eine dampfende Punschbowle auf den Tisch. Die Gläser klangen. Es wurde toastirt und poculirt. Doch inmitten der heitersten Unterhaltung wurde unser liebenswürdiger Gastgeber plötzlich von wehmüthiger Stimmung überflogen. Er gedachte seiner Mutter, die er innig geliebt, und die der Tod erst vor wenigen Jahren von seiner Seite gerissen. Und indem er von ihr und von dem stillen, glücklichen Leben, das sie miteinander geführt, erzählte, meinte er, wie schön es wäre, wenn sie hier in der Mitte des kleinen Kreises weilte. »Ganz so wie heute,« schloß er, zu mir gewendet, seine Rede, »feierten wir unser Weihnachtsfest. Nur eines fehlt. Mütterchen bescherte mir immer einen riesigen Baumkuchen. Sie wußte, daß ich ihn besonders liebe. Mathilden wollte ich dessen Herstellung aber nicht anvertrauen.« In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür, und ein mächtiger Baumkuchen wurde aufgetragen. »Was ist das?« rief Christian freudig betroffen. »Ist da Zauberei im Spiele?« Das Stubenmädchen entfernte sich schweigend. Die Tante aber erklärte lächelnd: »Keine Zauberei, lieber Christian. Du vergißt, daß Du uns von diesem Weihnachtskuchen schon öfters gesprochen. Nun, und da dachte ich, damit nichts fehlen sollte --« Christian blickte auf Ottilie, die, als ob sie nichts hörte, sich mit frischer Füllung der Punschgläser beschäftigte. »Ah, ich verstehe,« murmelte er leise, und eine flüchtige Röthe überzog seine gebräunten Wangen. Der Kuchen wurde angeschnitten und erwies sich als vortrefflich, ganz so, wie er unter den geschickten Händen von Christian's Mutter gediehen war. Einige Minuten lang hatte Christian still und nachdenklich dagesessen. Plötzlich erhob er sich, und zur Tante hintretend, sagte er mit etwas schwankender Stimme: »Ich weiß keinen geeigneteren Augenblick, liebes Tantchen, als das heutige Freudenfest, um Dir ein freudiges Geheimniß zu bekennen, das für Dich sicherlich schon lange kein Geheimniß mehr ist: Ottilie und ich, wir lieben uns. Willst Du sie mir zur Frau geben?« Die Tante umarmte Christian, Christian umarmte Ottilie, und die Tante segnete Beide. Ich aber brachte ein Hoch aus auf das Wohl des Brautpaares. Und wieder erklangen die Gläser. Dann aber, als die fröhlich laute Stimmung etwas ruhiger geworden war, sagte Ottilie zu Christian: »Da heute schon der Tag der Ueberraschungen ist -- auch ich habe Dir etwas mitzutheilen, was Dich überraschen wird.« Christian lächelte freudig verschmitzt. »Kann es mir schon denken, Tilly. Der Weihnachtskuchen, nicht wahr? Und die Hachéklößchen damals und alle meine anderen Lieblingsspeisen.« Ottilie sah ihn groß an. »Was ist es mit all dem?« fragte sie verwundert. »Ah, Du meinst, daß nicht Mathilde es war, die diese guten Sachen gekocht hat? Ja, das hast Du errathen. Unser liebes Tantchen war es, die Dir eine Freude bereiten wollte, was ihr ja auch vortrefflich gelungen ist. Doch nicht das ist es, was ich Dir sagen wollte. Meine Ueberraschung ist anderer Art. Dein Rothfuchs -- täglich, wenn Du nicht zu Hause warst, hab' ich versucht, ihn zu reiten. Darum kam ich immer so erhitzt zu Tische. Du wolltest die Ursache wissen, aber ich sagte sie nicht. Nun, jetzt, mein Schatz, ist Dein wilder Bucephalus völlig in meiner Gewalt.« Jetzt war an Christian die Reihe, die Augen aufzusperren. »Ach, das ist es!« sagte er kleinlaut »und ich glaubte --« Und dabei sah er beinahe traurig aus. Doch rasch war seine Verstimmung verflogen. »Bah, was macht es?« rief er, wieder fröhlich. »Die gute Tante bleibt bei uns und leitet das Haus. Vielleicht lernst Du es auch mit der Zeit. Vorläufig bist Du mein lieber, flotter Kamerad. Wir reiten und schießen miteinander.« »Ja, wir schießen um die Wette.« »Und unser Ziel --« »-- ist unsere Liebe und unser Glück!« Sie verfehlten es nicht, dieses Ziel. Weder Glück noch Stern. Er hieß Michael Müller und war am 1. April 18.. geboren. Seine Mutter starb am Tage nach seiner Geburt und sein Vater liebte ihn nicht, weil eben sein Eintritt in die Welt seiner Mutter das Leben kostete und somit die Last der Sorge für seine Pflege und Erziehung dem Vater allein zu tragen aufbürdete, dann aber auch, weil er bei seinem Heranwachsen weder ein schönes noch ein kluges Kind zu werden versprach. Das einzig Hübsche seines Gesichtes waren die großen, stahlgrauen, schwärmerisch blickenden Augen, welche mit der ausdruckslosen Stumpfnase und dem weiten, dicklippigen Munde sonderbar contrastirten, und der einzige Witz, der ihm in seinem ganzen Leben gelang, war der, daß er, auf das Datum seines Geburtstages anspielend, mit gutmüthig traurigem Lächeln sagte, das Schicksal habe ihn, indem es ihn geboren werden ließ, in den April geschickt. Und in der That gestaltete sich sein Lebenslauf zu einer Bestätigung seiner harmlosen Selbstironie. Michael oder Michel, wie er allgemein gerufen wurde, gehörte zu jenen Pechvögeln, welchen alles, was sie unternehmen, mißlingt und welche, ohne dümmer, oder ungeschickter, oder träger zu sein als Andere, doch von Allen überholt und übervortheilt werden. Gab es unter den Schulknaben irgend eine Balgerei, so war es sicherlich Michel, der dabei am übelsten wegkam, dessen Rücken die meisten Püffe, dessen Kleider die meisten Risse erhielten und dem obendrein noch oft Strafe zutheil ward, indem ihn die Genossen, so unschuldig er zumeist auch war, als Rädelsführer und Urheber der Schlägerei verklagten. In der Schule lernte er nicht schlechter als die Mehrzahl seiner Gefährten, dennoch widerfuhr ihm wiederholt das Unglück, bei der Prüfung durchzufallen, einzig aus dem Grunde, weil ihm zufällig solche Fragen gestellt wurden, die er nicht zu beantworten wußte, während er auf alle seinen Collegen vorgelegten Fragen ganz richtige Antworten zu geben vermocht hätte. Von seinen Lehrern wurde er bemitleidet, von seinen Genossen verspottet. Trotz seiner Gutmüthigkeit, mit welcher er sich gern jedem gefällig erwies, was sich Alle ganz wohl gefallen ließen, wenn sie eines Dienstes bedurften, bildete er doch die Zielscheibe ihrer Neckereien. Und schlecht gelang es ihm, sich derselben zu erwehren, denn eine treffende Replik auf irgend eine spöttische Bemerkung fiel ihm regelmäßig erst dann ein, wenn die passende Gelegenheit, sie auszusprechen, längst vorüber war. Einmal ereignete es sich, daß seiner Classe als Hausaufgabe ein Aufsatzthema gegeben wurde, dessen Ausarbeitung unserem Michel besonderes Interesse und Vergnügen gewährte. Mit Ernst und Eifer machte er sich an die Arbeit. Aber unmittelbar vor dem Ablieferungstermin hatte er das Unglück, das Schreibheft, welches den Entwurf seines zu seiner eigenen großen Zufriedenheit vollendeten Aufsatzes enthielt, und das er unvorsichtigerweise bei sich trug, auf dem Wege von der Schule heimwärts, aus seiner Rocktasche zu verlieren. Natürlich blieb ihm nichts anderes übrig, als die Aufgabe in Hast und Eile -- denn die Zeit drängte -- vom neuem auszuarbeiten. Wer beschreibt nun seine schmerzliche Entrüstung, als seine Arbeit als »ungenügend« zurückgewiesen, jene eines Schulkameraden hingegen prämiirt und zur Auszeichnung laut verlesen wurde, in welcher er seinen eigenen ersten, verlorenen Aufsatz erkannte! Er hatte gut, denselben als sein Werk reclamiren und die Geschichte seines in Verlust gerathenen Heftchens erzählen! Niemand glaubte ihm; trug doch die belobte Arbeit Namen und Handschrift des Schülers, der sie dem Lehrer präsentirt hatte; welche Belege für das gute Recht seiner Ansprüche vermochte er dagegen aufzuweisen? Einige seiner Schulgenossen lachten ihn aus, andere empörten sich über ihn und erzählten daheim ihren Eltern dieses Beispiel unerhörter lügnerischer Verwegenheit. Der Lehrer aber verwies ihm mit scharfem Tadel seinen kecken Betrugsversuch und bedeutete dem schmerz- und zornverwirrten Knaben, daß er ihm nur dies einemal solch schweres Vergehen straflos hingehen ließe, er möge sich für die Zukunft hüten, denn ein zweitesmal würde er sich eine empfindliche Züchtigung zuziehen. Und als der Junge das Ereigniß weinend seinem Vater klagte, da ward ihm ein gleichgiltiges Achselzucken zutheil und eine Wiederholung des stereotypen Urtheiles: »Geschieht Dir recht, Michel, Du bist ein Tölpel, das weiß ich längst.« Solche und ähnliche Erfahrungen, die Kränkungen und ungerechten Zurücksetzungen, die ihm allenthalben begegneten, führten dazu, Michel's Gemüth zwar nicht zu verbittern -- hierzu war es zu gut -- aber es immer mehr von der Außenwelt abzuziehen und, sich selbst genügend, sich eine stille, träumerische Welt zu bilden. Langsam von Classe zu Classe aufsteigend, beschäftigte er sich eifrig mit seinen Studien und trat, nach Vollendung derselben, in ein kleines Amt. Außer den dienstlichen Beziehungen verkehrte er wenig mit seinen Collegen, welche ihm, wie früher seine Schulgefährten, wenig Sympathie entgegenbrachten. Gesellige Vergnügungen suchte er noch weniger. In größerer Gesellschaft, an welcher Frauen theilnahmen, war er schüchtern und beklommen, da er sich mit Recht oder Unrecht immer einbildete, eine ungeschickte, lächerliche Figur zu spielen, und für Damen, die für die Komik linkischer Unbeholfenheit meist einen noch schärferen Beobachtungssinn besitzen als die Männer, ein Object, wenn nicht offener, so doch sicherlich heimlicher Belustigung darzustellen. Da ihm dieser Gedanke peinlich war, zog er es vor, Damen-, sowie überhaupt jede größere Gesellschaft zu meiden. So lebte Michel freund- und freudlos für sich hin. Freund- und freudlos? Nein, nicht doch! denn einen Freund nannte er sein, dessen Besitz ihm Freude gewährte. Wenn dieser Freund vor ihm saß und mit seinen glänzenden dunkelbraunen Augen treu und ehrlich in sein Auge blickte, dann ward ihm so innig warm und wohl ums Herz, wie nie bisher in seinem Leben, denn noch nie in seinem Leben war er einem Wesen begegnet, das ihn liebte -- das wußte er. Und wenn dieser Gedanke durch seine arme Seele zog, da regte sich Dankbarkeit und Liebe in seinem Herzen zu diesem Geschöpfe, dem ersten, das ihm treue, aufrichtige Liebe entgegenbrachte, und mit einem Gefühle von Rührung zog er dessen Kopf an seine Brust und drückte einen Kuß auf seinen glatten Scheitel. Ja wahrhaftig, einen Kuß, obgleich dieser einzige Freund nicht mehr und nicht weniger war als -- sein Hund. Dieser Hund war durchaus nicht von besonders edler oder auch nur reiner Race. Sein Lux -- so hieß er -- war eine Kreuzung von Dachs- und Hühnerhund. Von letzerem hatte er den schönen, intelligenten Kopf, von ersterem die etwas verkürzten Beine und die Zeichnung: schwarz, gelb und weiß. Trotzdem war es ein hübsches Thier, wenigstens für unseren Michel gab es kein schöneres auf Erden. Und wie anhänglich war er seinem Herrn! Seitdem dieser ihm das Leben gerettet, indem er ihn aus dem Wasser zog, in welches sein früherer Besitzer, um sich seiner zu entledigen, ihn geworfen, wich er ihm nicht von der Seite. Herr und Hund waren unzertrennlich. Sie schliefen in demselben Zimmer, aßen in demselben Wirthshause, machten zusammen große Spaziergänge. Und da von den Beiden der Hund der auffallendere, jedenfalls hübschere und lebhaftere war und der Herr sich augenscheinlich oft den Wünschen seines vierfüßigen Gefährten unterordnete, so kam es, daß die in Betreff unseres Michels stets zum Spotte geneigten Leute, wenn sie Beide einherspazieren sahen, nicht etwa sich anständigerweise derart ausdrückten: »Da geht Herr Müller mit seinem Hund,« sondern aller naturgeschichtlichen Rangordnung zum Trotz kühnlich sagten: »Da kommt der Lux mit dem Michel.« Letzterer hörte zuweilen diese Aeußerung, doch war er darob weder gekränkt noch beleidigt; er lächelte fröhlich vor sich hin. Die Stunden, welche die Amtsthätigkeit und die weiten Spaziergänge frei ließen, verbrachte Michel bei seinen in der einsamen Zurückgezogenheit seines Lebens ihm lieb gewordenen Büchern. Er las und lernte eifrig. Was ihm an rascher Auffassungsgabe mangelte, ersetzte er durch Gründlichkeit und Fleiß. Sein Lieblingsstudium war Geschichte. Da traf es sich, daß er in einer Zeitschrift eine von der Akademie der Wissenschaften ausgehende Preisausschreibung für ein großes historisches Essay über den Einfluß einer gewissen literarischen Bewegung auf die Entwickelung des Schriftthums las. Die Aufgabe flößte ihm lebhaftes Interesse ein, und da sich bei einer glücklichen Lösung derselben sowohl Auszeichnung wie eine sehr bedeutende Summe als Preis erringen ließ, so beschloß er, sich an der Concurrenz zu betheiligen. Ohne Aufschub machte er sich an die Arbeit. In Archiven und Bibliotheken sammelte er mit Emsigkeit reiches Material und zu Hause sichtete und ordnete er dasselbe. Eines Tages wurde er in seiner neuen Thätigkeit durch den überraschenden Besuch eines Amtscollegen unterbrochen. So wenig vertraulich die Beziehungen der jungen Männer zu einander auch waren, empfing Michel seinen Gast doch mit zuvorkommender Freundlichkeit. Hierdurch ermuthigt, rückte dieser bald mit seinem den Besuch veranlassenden Anliegen hervor. Er befinde sich in momentaner Geldverlegenheit; um sich aus derselben zu ziehen, sei er genöthigt, die erforderliche Summe gegen Wechsel aufzunehmen. Der Geldgeber beanspruche natürlich außer seiner Signatur auch die zweier guter Giranten. Einer seiner Freunde habe seine Unterschrift bereits gegeben; nun bäte er ihn -- Müller -- um die Gefälligkeit, das zweite Giro zu leisten. Die Sache sei von keiner Bedeutung, die Summe nicht beträchtlich, der Wechsel werde von ihm jedenfalls vor Ablauf der Fälligkeitsfrist eingelöst und so weiter. Nach kurzem Zögern willfahrte Michel der Bitte seines Collegen und mit den wärmsten Dankesversicherungen entfernte sich derselbe. Michel war die Angelegenheit unangenehm. Er haßte leichtsinniges und unordentliches Gebaren mit dem Gelde, denn er war ein guter Wirth und mochte Schulden nicht leiden. Und jetzt hatte er selbst indirect eine Schuld contrahirt. Ja, aber die Sache war nicht zu umgehen. Er hätte es nicht über sich gebracht, seinen Amtsgenossen abzuweisen. Doch zu seinen Pandecten zurückkehrend, hatte Michel die ganze Geschichte über seiner Arbeit bald vergessen. Wochen und Monate flossen dahin in stiller, ernster Thätigkeit. Die Concurrenzarbeit wurde vollendet und eingereicht. Aber nicht nur sein historisches Essay allein hatte Michel während dieser Zeit beschäftigt. Auf der anderen Seite der Treppe, seiner Wohnung gegenüber, liegt das Zimmer eines hübschen jungen Mädchens, einer Waise, welche sich und ihren kleinen achtjährigen Bruder mit ihrer Hände Arbeit -- sie ist Blumenmacherin -- ernährt. Dieses Mädchen hat Michel kennen und lieben gelernt. Er will sie zu seiner Frau machen und die Verbindung nur noch so lange aufschieben, bis sein demnächst zu erwartendes Avancement erfolgt oder -- aber die Hoffnung auf dieses Glück wagt er nicht laut auszusprechen, kaum zu denken -- nun, oder bis er mit seiner Concurrenzschrift den Preis gewinnt. Es ist am frühen Morgen. Der Tag ist angebrochen, an welchem die Zeitungen das Urtheil der Jury über die Zuerkennung des von der Akademie ausgeschriebenen Preises publiciren werden. Bleich und müde nach schlafloser Nacht erhebt sich Michel von seinem Lager. Eines nicht unbedeutenden Unwohlseins halber mußte er schon mehrere Tage Zimmer und Bett hüten. Auch jetzt fühlt er sich matt und zerschlagen, aber eine unüberwindliche innere Unruhe treibt ihn aus dem Bette. Auf dem Divan hingestreckt, streichelt er mit fieberheißer Hand das weiche Fell seines treuen Hundes. Er erinnert sich, daß die Stunde des Briefboten nahe sein muß und in der That klingelt dieser bald an seiner Thür und übergiebt ihm mehrere Briefe und das Morgenblatt seiner Zeitung. Hastig und mit vor Aufregung zuckenden Fingern löst er die Adreßschleife und entfaltet das Blatt. Es enthält die Publication des Preisrichterspruches. Aber der Autorname der preisgekrönten Arbeit ist nicht der seine -- Ein herbes Lächeln irrt über seine Lippen und mit feuchtem Auge blickt er auf die seine stolze Hoffnung vernichtende Mittheilung. Wie konnte auch er, der Pechvogel, sich so großen Glückes vermessen! Solche Freuden begegnen den Sonntagskindern, nicht ihm, dem »Aprilnarr« des Schicksales! Er warf die Zeitung fort und griff nach den Briefen. Der eine derselben ist ein Schreiben seines Bureauchefs, in welchem derselbe ihm in schonendster Weise mittheilt, daß sein Amtscollege * * * bedeutender Schulden wegen aus seinem Dienste entlassen sei. Unter seinen protestirten Wechseln finde sich einer mit Müller's Giro. Sollte er nicht in der Lage sein, den Wechsel einzulösen, so sei es, um einer fataleren Eventualität vorzubeugen, das beste für ihn, um Enthebung seiner Stelle selbst einzukommen. Der zweite Brief ist von der Hand seiner Braut, welche ihn darin beschwört, sie zu vergessen und ihr zu verzeihen, daß sie nie die Seine werden könne. Aus Mitleid mit seiner traurigen Herzenseinsamkeit habe sie ihm mehr Liebe gezeigt, als sie thatsächlich für ihn fühlte. In Wahrheit habe sie stets einen anderen Mann geliebt, und im Begriffe, ihre Verbindung mit demselben einzugehen, sehe sie sich genöthigt, die Täuschung, in der er sich in Betreff ihrer befinde, aufzuklären. Mit einem heiseren Wuthschrei sprang Michel von seinem Sitze empor und eilte in die Wohnung des Mädchens. Er fand die Eingangsthür unverschlossen und trat in das kleine Vorzimmerchen. Doch als er schon die Hand nach der Klinke ihres Wohnzimmers ausstreckte, erfaßte ihn plötzlich ein Gefühl drückender Beklommenheit und Angst. Er wagte es nicht, derjenigen ins Auge zu schauen, die er liebte und die ihn so furchtbar hintergangen hatte. Da hörte er laute Stimmen. Es war eine kräftige Männerstimme im Gespräche mit seiner Geliebten. Er lauschte nicht. Aber plötzlich vernahm er deutlich seinen Namen und darauf schallendes, fröhliches Gelächter. Da wandte er sich zum Gehen. In seine Wohnung zurückgekehrt, sank er auf einen Stuhl und barg schluchzend den Kopf in seine Hände. Seine Liebe war betrogen, seine Existenz vernichtet, die Hoffnung, eine neue Laufbahn betreten zu können, zerstört. Was lag noch an seinem Leben? * * * * * Wenige Stunden später stieg Herr Müller =senior=, um seinen kranken Sohn zu besuchen, die Treppe zu dessen Wohnung empor. Als er in Michel's Schlafzimmer trat, fand er ihn, eine tiefe Schußwunde in der Stirn, entseelt in einer Ecke des Divans lehnen. Die verhängnißvollen Druck- und Schriftstücke lagen auf der Diele des Bodens; die eine Hand des Unglücklichen hielt noch die selbstmörderische Waffe umspannt, die andere hing schlaff über der Divanlehne herab. Leise winselnd saß der Hund vor seinem todten Herrn und Freund und beleckte dessen erstarrte Hand, als wollte er mit seiner warmen Zunge ihr neues Leben einflößen. Lasse ihn schlummern, treues, gutes Thier! Ihm ist wohl, daß er ruhen darf, und daß der Vorhang fiel über sein schmerzliches Dasein, das für ihn Tragödie war und für die Anderen -- Posse! Der Unwiderstehliche. »Treue --?! Glaubst Du wirklich noch immer, daß es diesen Artikel echt und unverfälscht giebt? Hat Dich das Leben nicht darüber belehrt, daß dies ein Begriff ist ohne realen Hintergrund, eine Vorstellung, die sich mit den Thatsachen nicht deckt, ein leeres Wort, das die Menschen nur zu dem Zwecke erfunden haben, um sich selbst etwas vorzulügen, um sich vor sich selbst besser zu machen, als sie wirklich sind?« -- so fragte das Gespräch fortsetzend, mein Freund Theodor mit lauter Stimme, um den polternden Lärm des Eisenbahnzuges zu übertönen, der uns aus der Residenz nach dem lieblichen Landsitze eines gemeinsamen Freundes führte, von dem wir zur Feier des Namensfestes seiner Frau zu Gast geladen waren. »Echte, unverfälschte Treue,« fing ich sein Wort auf. »Was meinst Du damit? Was Du da sagst, ist ein Pleonasmus. Treue muß echt sein. Verfälschte Treue ist ja nicht mehr Treue, sondern ihr Gegentheil.« »Keine Spur!« rief Theodor, den Rest seiner Cigarre zum Waggonfenster hinauswerfend. »Es giebt eine echte Treue und eine unechte. Das werde ich Dir gleich an einem Beispiele erläutern.« Dann steckte er sich eine andere Havana in Brand und fuhr fort: »Solche Treue, die das nothwendige Ergebniß der Empfindungen ist, ist echt; solche, die aber nur die Folge zufälliger äußerer Verhältnisse und Umstände ist, kann unmöglich für echt gelten. Die Treue einer Frau, die zufällig keinem Manne begegnete, der ihr besser gefiel als ihr Gatte, ist eine unechte Treue.« »Das sind Sophismen,« warf ich ein. »Da könnte man ja bei dem erhabensten Beispiele weiblicher Treue die Behauptung aufstellen, dieselbe sei nur durch zufällige Umstände bedingt.« »So ist es auch,« sagte der Andere ruhig lächelnd, indem er sich in die Wagenkissen behaglich zurücklehnte. »Kein Mensch, weder weiblichen noch männlichen Geschlechtes, kann bedingungslos für seine Treue bürgen. Immer handelt es sich darum, ob das Schicksal dem Betreffenden den Rechten oder die Rechte entgegenführt, denen die Macht gegeben ist, ihre Treue zu erschüttern. Eben darum behaupte ich, daß es auf unserem Planeten keine echte Treue gebe.« »Du hast vielleicht eine solche noch nicht kennen gelernt,« erwiderte ich gereizt, denn seine überlegene Art, mit seiner Lebens- und Erfahrungsweisheit groß zu thun, ärgerte mich immer. »Aus Deinen persönlichen Erfahrungen gleich auf die Allgemeinheit zu schließen, ist aber doch etwas voreilig.« »Pah, es handelt sich immer nur darum, ob der Rechte kommt,« wiederholte Theodor heiter lächelnd, und zwirbelte mit seinen weißen Fingern den blonden, wohlgepflegten Schnurrbart. Jetzt mußte auch ich lächeln. Mir ging plötzlich ein Licht auf. Er, Theodor, war ja dieser »Rechte«, dem gegenüber, sowie er kam und siegen wollte, keine Frauentreue standzuhalten, kein Mädchenherz unverwundet zu bleiben vermochte. Hieß er denn nicht seit der Tanzschule her »der Unwiderstehliche«? Und hatte er sich während der seit jenen Tanzstunden verflossenen Reihe von nahezu fünfzehn Jahren diesen Namen nicht bewahrt und stetig mehr verdient! Halb »Löwe«, halb Dandy, bald heldenhaft kühn, bald lyrisch schmachtend, hatte er -- so ging die Sage -- seit seiner frühesten Jugend fabelhaftes Glück bei den Frauen gehabt und -- auch dies erzählte die Fama -- das Glück gepackt, wo und so oft es sich haschen ließ. Alles dies fiel mir jetzt wieder ein, als ich bei seinen letzten Worten meinen Blick über ihn hingleiten ließ, während er den aus seiner Cigarre aufsteigenden blauen Ringelwölkchen sinnend nachschaute. Theodor war ein auffallend schöner Mann. Schlank und zierlich gebaut, das fein geschnittene, blasse Gesicht von seidenweichen blonden Locken und einem üppigen Vollbart umrahmt, der die Lippen so weit frei ließ, um das verführerische, zuweilen etwas frivole Lächeln, das den Frauen so leicht gefährlich wird, zur vollen Geltung kommen zu lassen, mit großen, dunklen, bald träumerisch, bald verwegen blickenden Augen -- war seine äußere Erscheinung so recht angethan, um seinen beliebten Wahlspruch: =Veni, vidi, vici= nicht Lügen zu strafen. Vorzüglicher Reiter und Tänzer, amusanter Causeur, der eine Menge pikante Geschichtchen und schnurrige Anekdoten zu erzählen wußte, stets elegant und mit feinstem Chic gekleidet, konnte es wahrlich nicht wundernehmen, daß alle Damen für ihn schwärmten, daß es keine Gesellschaft gab, zu der er nicht geladen wurde, und keinen Ball, dessen Cotillon nicht er führen mußte. Dabei hatte er eine so ganz besondere Art, mit den Damen zu verkehren. Voll ritterlicher Galanterie und doch nie ohne einen gewissen Anflug selbstbewußter Ueberlegenheit und leichter Blasirtheit. »Nun, giebst Du mir recht?« fragte er, die entstandene Pause plötzlich unterbrechend. »Oder bleibst Du trotz aller Vernunftgründe immer der alte, unverbesserliche Idealist, der Du warst?« »Im Durchschnitte magst Du ja recht haben,« erwiderte ich. »Du wirst aber doch nicht behaupten wollen, daß es nicht auch Ausnahmen --« »Giebt es nicht,« fiel er ein. »Doch!« bemerkte ich beinahe eingeschüchtert. »Glaubst Du nicht, daß Margarethe zum Beispiel --« Margarethe war die Frau jenes Freundes, zu dem wir uns auf dem Wege befanden. »Ach, Margarethe!« wiederholte er mit einem leichten Seufzer. »Ja, ich hätte es denken können, daß Du sie als Beleg Deiner unhaltbaren Theorie werdest heranziehen wollen.« »Nun --?!« »Wer sagt Dir, daß sie eine solche Ausnahme ist! Daß nicht auch ihre bis jetzt allerdings geradezu phänomenale Verliebtheit in den guten Jungen, der seit vier vollen Jahren das Glück hat, ihr Gatte zu sein, doch nichts anderes ist als das Werk des Zufalles? Des Zufalles nämlich, daß sie bis jetzt noch keinen Mann kennen lernte, der --« »Eben der Rechte wäre. Ich weiß schon, Du hast es ja gerade gesagt,« unterbrach ich ihn ungeduldig. »Ja, allerdings, das meine ich. Oder auch, daß dieser Rechte sich vielleicht noch nicht die Mühe gegeben, die Dichtigkeit ihres Herzenspanzers zu erproben.« »Ich aber meine, daß es eine Vermessenheit ist, von einer Frau, wie Margarethe, deren Charakter den leisesten Schatten eines Mißtrauens zu bannen geeignet ist, so geringschätzig zu denken.« Ich war bitterböse auf Theodor. Sein Gleichmuth aber blieb unerschütterlich. »Einen allgemein giltigen Maßstab an den Einzelnen anlegen,« erwiderte er, »heißt nicht geringschätzig denken über ihn. Ich besitze nur eben genug Menschenkenntniß, um die Handlungen der Menschen auf ihre innere Quelle zurückführen zu können. Warum sollte Frau Margarethe anders sein als die anderen Frauen? Sie ist eben ein Weib. Und denselben Naturgesetzen, die den Charakter des Weibes im Allgemeinen beherrschen, ist -- wie alle Anderen -- auch sie unterworfen. Daran läßt sich nichts ändern.« Ich schwieg. Einsehend, daß Theodor's Ansichten zu fest wurzelten, um sich durch Worte widerlegen zu lassen, hielt ich eine Fortsetzung unseres Disputes für ebenso zwecklos wie ermüdend. Meine Gedanken flogen voraus, den Freunden entgegen. Und indem ich an sie dachte, mußte ich in mich hinein über Theodor lachen, dessen mit solch apodiktischer Sicherheit verkündeten Anschauungen eben durch sie eine so schlagende Widerlegung fanden. Arthur's und Margarethens Ehe war die glücklichste, die ich je gesehen. Der verstockteste Pessimist mußte durch ihren Anblick bekehrt werden. Allerdings waren Beide noch sehr jung, Arthur zählte sechsundzwanzig, Margarethe zwanzig Jahre. Und wer die Beiden sah, hätte sie eher für übermüthige Geschwister, denn für Ehegatten halten können. Manchmal, wenn ich zu ihnen gekommen, fand ich sie im Garten herumtollen, als ob sie noch Kinder wären. Noch hatte kein Schatten die frohe Laune ihres Jugendmuthes getrübt. Das Leben konnte wohl sie ernster machen, sie konnten mitsammen reifen und -- altern. Aber trennend, ihre zu einem wohlklingenden Accord zusammengestimmten Seelen trennend, konnte nichts zwischen sie treten. Diese beiden herzlieben Geschöpfe paßten füreinander, als ob sie eigens füreinander geschaffen wären. Sie lebten vollkommen für- und ineinander. Und jedes war glücklich durch die Existenz des Anderen. Theodor kannte sie nicht so gut wie ich; wenn er sie näher kennen lernte, würde er bald einsehen, daß wenigstens dies eine Beispiel seine Ueberzeugungen Lügen strafte. Den Faden des behandelten Themas weiter spinnend, fragte ich Theodor nach einer kleinen Weile: »Deine Anschauung über den weiblichen Charakter im Allgemeinen und über weibliche Treue im Besonderen ist wohl auch die Ursache Deines Widerwillens gegen das Ehejoch?« Theodor nickte lächelnd. »Ich bewundere Deine Combinationsgabe! Allerdings ist dies die Ursache. Ich schätze meine Ruhe über alles. Was hätte ich nöthig, mich zu verheiraten und diese Ruhe und meine Freiheit aufzuopfern? Die Annehmlichkeiten des Ehestandes stehen ja dem Junggesellen, der verheiratete Freunde hat, beinahe in ebenso reichlichem Maße zur Verfügung wie den Ehemännern. Ihre Frauen sind unsere Freundinnen, an ihrem Tische, an ihrem Kamin ist stets ein Plätzchen für uns bereit. So oft wir eintreten, sind wir willkommen. Wir erheitern ihre Einsamkeit, die vielleicht gerade in dem Augenblicke als wir kamen, anfing, sie ein bißchen zu langweilen. Auf diese Weise wahren wir unsere Unabhängigkeit und genießen doch alle Vortheile des Ehestandes, ohne dessen Mühen, Lasten und beunruhigenden Sorgen zu haben. Ja, wäre doch jeder ein Thor, der die Lasten und Sorgen auf sich nähme, damit ein Anderer sich des Glückes ohne diesen bitteren Beigeschmack erfreue, ein Thor, der die Hefe des Bechers leerte, von dem ein Anderer den süßen Schaum fortgenippt.« Ich fand keine Zeit mehr zu antworten. Der Pfiff der Locomotive verkündete uns, daß wir uns dem Ziele näherten. Wir griffen nach unseren Handkofferchen und Ueberziehern, stiegen aus und warfen uns in einen Wagen, der uns in einer halben Stunde nach Arthur's allerliebsten Landsitz brachte. Der Empfang, der uns, namentlich aber Theodor zutheil wurde, brachte mich auf den Gedanken, daß er in der That nicht unrecht habe, seinen Junggesellenstand als einen glücklichen zu preisen. Alles, was er über sein beneidenswerthes Los gesagt, schien sich zu bestätigen. Die sichtliche Freude, die seine Gegenwart hervorrief, das herzliche Entgegenkommen, das der Hausherr ihm entgegenbrachte, das reizende Lächeln, das Margarethe ihm spendete, das Bemühen, den Aufenthalt im Heim des Freundes ihm wohl und behaglich zu gestalten, alles vereinte sich, um die Wahrheit seiner Schilderung zu bezeugen. Bald fand sich eine zahlreiche Gesellschaft ein, in der Theodor die Hauptrolle spielte. Seine vorzügliche Unterhaltungsgabe bewährte sich wieder aufs glänzendste und sämmtliche Damen, Margarethe nicht ausgenommen, schienen im Banne seines Zaubers zu liegen. Groll erfaßte mich, denn ich bemerkte bald, daß sie es war, die er sich als Opfer eines neuen Eroberungszuges ausersehen, vielleicht, um mir den Beweis für die Richtigkeit seiner mir so abscheulich dünkenden Theorien zu liefern. Einen Augenblick dachte ich daran, seine Absichten zu durchkreuzen, etwa Margarethens Stolz Theodor gegenüber durch Mittheilung seiner Auffassung des weiblichen Charakters, namentlich aber des seinen gegen sie gerichteten Feldzugsplänen zweifelsohne zugrunde liegenden Motives herauszufordern, oder die Vorsicht ihres, wie mir schien, von allzu argloser Vertrauensseligkeit erfüllten Gatten durch eine bei passender Gelegenheit angebrachte Warnung wachzurufen. Doch bald ließ ich den Gedanken wieder fallen. Was hatte ich mich in Anderer Angelegenheiten zu mischen? Waren Theodor's Anschauungen die richtigen; war mein Glaube an Frauentugend und Treue wirklich nur eine auf Unkenntniß der Weibesseele beruhende kindische Schwärmerei, dann verlohnte es sich wahrlich nicht, dem Siegeslaufe des Unwiderstehlichen durch Verrath seiner Pläne Einhalt zu thun. Mein Alarmruf konnte wohl in diesem einen Falle seinen Sieg vereiteln; der Widerstand, der ihm aus diesem Anlasse entgegengesetzt würde, wäre jedoch fürwahr nicht geeignet, mein Vertrauen zu rechtfertigen, sondern er würde im Gegentheile Theodor's Ansicht bestätigen, daß alle Treue nur ein Werk des Zufalles sei. Diese Ueberlegung bestimmte mich, die weitere Entwickelung der Dinge ohne Einmischung meinerseits ruhig abzuwarten. Mit Argusaugen überwachte ich Margarethens Benehmen gegen Theodor. Aber meine anfänglich siegessichere Zuversicht, daß das Ergebniß der Bemühungen Theodor's meinen von ihm so grausam verspotteten Ueberzeugungen recht geben möchten, schwand immer mehr, je lebhafter das Feuer ihrer seinen Blicken begegnenden Augen sprühte, je reicher und von einer seltsamen Unruhe durchbebt der Tonfall ihrer Stimme wurde, je heller ihr Lachen an mein Ohr schlug, mit dem sie seine witzigen Einfälle lohnte. Nicht sie allein war es, die an seinem Triumphwagen zog. Auch alle anderen anwesenden Damen schienen völlig berauscht von der hinreißenden Macht seiner Persönlichkeit. Sie verfolgten ihn mit brennenden Blicken, während er, wie ein schillernder Schmetterling von Blume zu Blume flattert, von der einen zur anderen unermüdlich und unermüdend die ewige Lüge seines verlockenden Lächelns, seines verstohlenen und doch so vielsagenden Augenspieles, seiner leise geflüsterten Huldigungen trug. Als es Abend wurde und die Wärme des heiteren Frühlingstages der nächtlichen Kühle wich, wurde ein Tänzchen arrangirt, wobei Theodor natürlich wieder neue Gelegenheit fand, als der anerkannt beste und eleganteste Tänzer alle übrigen Herren in den Hintergrund zu drängen, gleichwie das Licht der Sterne vor dem siegreichen Glanz der Sonne erbleichen muß. Mit einer anderen Dame plaudernd, stand ich neben Margarethe, als Theodor an sie herantrat, um sie um die letzte Quadrille zu bitten. »Bedauere, ich bin schon engagirt,« sagte sie freundlich, indem sie mit dem Fächer auf mich wies. »O, wie schade!« säuselte Theodor. Dann fügte er, sein schönes Haupt gegen sie gebeugt, ein paar leise Worte hinzu, die ich nicht verstand und die von Margarethe ebenso leise beantwortet wurden, während eine flüchtige Röthe über ihre zarten Wangen glitt. Gleich darauf wurde eine Schnellpolka gespielt und Margarethe flog an Theodor's Arm durch den Saal dahin. Nachdem auch ich einige Touren getanzt, schlängelte ich mich wieder in Margarethens Nähe, die soeben mit blitzenden Augen und hochwogendem Busen sich auf ein kleines Ecksofa niedergleiten ließ, während Theodor vor ihr stehend, ihr mit dem Fächer Kühlung zuwehte. Ich war mir dessen vollbewußt, eigentlich eine lächerliche Rolle zu spielen, wenn ich mich stets, wenn auch für Andere so unauffällig wie möglich, in Margarethens Nähe drängte. Aber der Groll über des Unwiderstehlichen -- des Unausstehlichen, wie ich ihn meinem Inneren nannte -- neue Triumphe packte mich so mächtig, daß ich dem Drange, den Aufpasser zu machen, selbst auf die Gefahr hin, abgeschmackt zu scheinen, nicht zu widerstehen vermochte. Diesmal aber schien es sich nicht zu lohnen, den Lauscherposten zu beziehen, denn Beide plauderten ganz harmlos über einen Pavillon, den Arthur in dem bis an den Garten sich hinziehenden Walde hatte bauen lassen. »Es ist mein Lieblingsplätzchen,« erzählte Margarethe, »wo ich mit einer Arbeit, oder einem Buche manche Stunde verbringe. Der dichte Nadelwald, die kleine Anhöhe, von welcher aus sich ein weiter Blick über das Thal öffnet, bieten einen reizenden Aufenthalt. Um mir denselben bequemer zu machen, überraschte mich Arthur mit dem Lusthäuschen.« »Wie tollkühn, so allein viele Stunden im Walde zuzubringen,« fiel Theodor ein. »Durchaus nicht allein,« erwiderte Margarethe. »Mein Pluto begleitet mich stets auf meinen Wegen. Und er ist ein gar wackerer und treuer Beschützer.« »Und trauen Sie Ihrem Pluto eine so famose Witterung zu,« mischte jetzt ich mich in das Gespräch, »daß er vermöge seiner feinen Nase jede Gefahr erkennt, die Ihnen von unvermutheter Seite droht?« Theodor warf mir einen erzürnten Blick zu, der mich einschüchtern und mir Schweigen gebieten zu wollen schien. Margarethe aber erwiderte mit feinem Lächeln: »Pluto und ich wir ergänzen einander vortrefflich. Wo sein Witterungsvermögen aufhört, da beginnt das meine.« »Wäre es aber nicht klüger, das Schicksal nicht durch allzu große Kühnheit herauszufordern?« fragte ich, meine verblümten Warnungen mit ungeschickter Hartnäckigkeit fortsetzend. Da lachte Margarethe, und Calderon citirend erwiderte sie: »Wer Gefahren ängstlich flieht, der stürzt sich in Gefahr.« Theodor aber gab mir den Rath, um Pluto's feine Spürnase zu erproben, mich als Vagabund verkleidet bei seiner Herrin in der Waldeinsamkeit anzuschleichen. »Da würdest Du erfahren, ob er Freund und Feind zu unterscheiden vermag,« schloß er spöttisch. »Und Pluto's Zähne würden Deine Wißbegierde befriedigen.« Nun wurde ich wieder böse und mit scharfem Tone entgegnete ich, daß börsengierige Strolche nicht die schlimmsten Feinde seien. Die scheinbare Freundschaft mancher Leute sei weit gefährlicher als offenkundige Feindschaft, gegen die man sich wappnen könne. »Natürlich! Der berüchtigte Wolf im Schafspelz ist ein gar böses Thier!« rief Theodor lachend. »Eine höchst interessante Entdeckung, nur nicht ganz neu.« Ich hatte mich abgewendet und im Weggehen hörte ich noch Beide lachen. Ich fühlte mich gekränkt, nicht nur von Theodor, auch von Margarethe, die sich an seinen Witzen über mich belustigte. Am liebsten hätte ich mein Engagement mit ihr zur Quadrille Theodor abgetreten. Da dies aber doch nicht anging, fand ich mich, als das Zeichen zur Quadrille gegeben wurde, pflichtschuldigst bei Margarethe ein. Als ich mich ihr näherte, stand ihr Gatte neben ihr. Sie sprachen eifrig und lächelnd miteinander und ganz deutlich schien es mir, Theodor's Namen aus Margarethens Munde zu hören. Welche Arglist! Sie spottete wohl mit Arthur über ihn, um diesen in Sicherheit zu wiegen und desto bequemer und unbeargwohnt ihre süßen Tändeleien mit ihrem Courmacher fortsetzen zu können. Mir ward ganz übel zu Muthe, Margarethe von solcher Seite kennen zu lernen, mit so schnöder Hand das ideale Bild, das ich von der Lauterkeit ihres Charakters in meiner Seele trug, verwüstet zu sehen. Doch jetzt wurde die Introduction zur Quadrille intonirt, die Paare traten in die Reihe und ich hatte keine Zeit, mich meinen trübseligen Betrachtungen hinzugeben. Schweigend verbeugte ich mich vor Margarethe und bot ihr meinen Arm. »Sie machen ja ein Gesicht, als ob Sie bei meinem Begräbnisse wären, nicht aber bei einem zur Feier meines Namensfestes veranstalteten Tanzkränzchen,« sagte sie, mir treuherzig in die Augen blickend. Auf diesen Vorwurf nicht vorbereitet, stotterte ich ein paar Worte der Erwiderung, deren ich mich nicht mehr erinnere, die aber sicherlich recht albern waren, denn Margarethe lachte. Sie verbarg zwar ihre spöttisch zuckenden Lippen in dem Blumenstrauße, den sie an ihr Gesicht drückte. Ich fühlte es jedoch, daß sie lachte, mich auslachte. Aber ich zürnte ihr nicht. Sie war so berückend schön in diesem Augenblicke, die dunklen Augen, die über die Blumen hinweg schelmisch auf mich hinüber blitzten, das zarte Adlernäschen, dessen feingeschwungene Flügel sich leise hoben und senkten, indem sie den Duft der Blumen begierig einsogen, der volle und doch schlanke weiße Nacken, der durch das schwarze Spitzengewebe der Corsage wie beseelter Marmor schimmerte -- es war ein so entzückend liebliches Bild, das sich meinem Auge darbot, daß ich nicht an mich selbst zu denken vermochte, sondern nur an sie, die in der ganzen Glorie ihrer jugendfrischen Schönheit, auf meinen Arm gestützt, leichtfüßig dahinglitt. Ja, nur an sie dachte ich und an den, dem es gelingen sollte, vielleicht schon gelungen war, bloß um seiner nimmersatten Eitelkeit zu fröhnen, das Herz dieses reizenden Wesens mit den Fallstricken seiner auswendig gelernten feurigen Blicke, seiner allerorten wiederholten lügenhaften Liebesbetheuerungen zu umgarnen. »Nun, wollen Sie mir nicht verrathen, was Sie so traurig stimmt?« fragte sie, als ich nach dem »Herren-=Eté=« an ihre Seite zurücktrat. »Warum nicht,« erwiderte ich. »Es ist der Neid, grimmer Neid, der mir die Laune verdirbt.« »O, wie häßlich! Und solches Laster gestehen Sie so ruhig ein?« »Sie wissen ja, wovon das Herz voll ist --« Die nächste Figur trennte uns. Dann, beim »=Balancer=«, fragte sie: »Und darf man wissen, wer der glückliche Unglückliche ist -- denn daß es ein Er, steht wohl außer Zweifel -- dessen Los Ihnen so beneidenswerth dünkt?« »Sagt es Ihnen Ihr Herz nicht?« »Mein Herz schweigt.« »Nun, so will ich es denn gestehen. Ihr Pluto ist es, den ich beneide. Ich beneide ihn um den Vorzug, Sie gegen alle Ihnen drohenden Gefahren beschützen zu dürfen.« »Ach ja, gegen den Wolf im Schafsfell,« lachte Margarethe und warf einen raschen Blick auf Theodor, der uns gegenüber tanzte, und, ohne uns Beachtung zu schenken, mit seiner Dame eifrig plauderte. Ich fing den Blick auf und ärgerte mich schon wieder. »Sehen Sie nur, was die kleine Baronesse Mischi für selige Augen macht, der Auszeichnungen des Unwiderstehlichen gewürdigt zu werden,« sagte ich boshaft. Eine neue Figur hinderte Margarethe, mir zu antworten. Dann aber beim »=Tour de main=« fragte sie: »Wie sagten Sie vorhin? -- Der Unwiderstehliche?« »Allerdings. Wissen Sie nicht, daß Theodor, ob der Legion weiblicher Herzen, die ihm nur so entgegenfliegen, unter seinen Intimen der Unwiderstehliche genannt wird?« »Wie komisch!« lächelte sie. »Und doch, wie zutreffend -- der Unwiderstehliche! -- Da wir aber gerade von Theodor sprechen -- ich habe einen Auftrag meines Mannes an Sie und ihn: Sie Beide zu bitten, unsere Landeinsamkeit für einige Tage zu theilen. Sie bleiben doch?« Ich verbeugte mich, die Einladung annehmend. Das also war es, was sie vorhin mit ihrem Manne gesprochen, wobei ich Theodor's Namen gehört. Sie wollte das Glück des Zusammenseins mit dem Geliebten -- denn daß sie ihn liebte, darüber gab ich nun schon gar keinem Zweifel mehr Raum -- verlängern, und ich wurde dabei als das mindest störende Element -- als Elephant, wie ich grollend mich selbst benamste, ins Schlepptau genommen. Aber sie hatten die Rechnung ohne den Wirth gemacht, und ich beschloß, durch dieselbe einen dicken Strich zu machen. »Pluto, Pluto!« rief es in meinem Inneren, »ich werde Dein Verbündeter, wir werden sie beschützen!« Alle meine löblichen Erwägungen, daß mich die Sache doch gar nichts angehe, daß ich kein Recht hätte, mich in Anderer Herzensangelegenheiten zu mengen, waren verflogen wie Spreu im Sturm meiner Entrüstung. »Ja, Margarethe, gegen Deinen eigenen Willen werde ich Dich schützen mit diesen Armen, in denen Du jetzt ruhst!« sprach ich im Geiste zu ihr, während ich im Walzerschritt mit ihr durch den Salon hinraste. Doch dabei verwickelte ich mich mit einem Fuße in das Kleid einer anderen Tänzerin, strauchelte und würde Margarethe um ein Haar mit mir zu Boden gerissen haben, hätte nicht Theodor, der, weiß Gott wie, in diesem Augenblicke neben uns auftauchte, sie aufgefangen, wobei er mir einen Blick zuwarf -- einen Blick so voll lächelnder, fröhlicher Geringschätzung, daß ich mich völlig vernichtet fühlte. Mit einer Empfindung, als wollte ich unter den Boden versinken, stotterte ich vor Margarethe meine Entschuldigung. Sie tröstete mich gütig, indem sie meinte, solch ein Malheur passire allzu leicht. Ich aber fühlte mich vor Margarethe und Theodor schmählich blamirt und dachte im Stillen, ob dies etwa eine Vorbedeutung wäre, daß ich mich vor den Beiden auch in meinem Rettungswerke blamiren sollte? Unbemerkt drückte ich mich aus dem Salon, denn ich schämte mich meiner Niederlage viel zu sehr, um eine der Damen, die sie ja alle gesehen, noch zum Tanze aufzufordern. Ich zog es vor, im Speisezimmer, wo das Buffet aufgestellt war, eine Cigarre zu rauchen und das schmerzliche Gefühl meiner Demüthigung mit ein paar Gläsern Rheinwein hinabzuspülen. Zwischen dem Speisezimmer und dem Salon, in dem getanzt wurde, lag ein zweiter, etwas kleinerer Salon mit einem Altan nach dem Garten. Die Verbindungsthür dieses Gemaches mit dem Tanzsaale war entfernt worden, und manches der tanzenden Paare benützte diesen Raum, um seine Touren zu verlängern. Die Nacht war milde; ich trat auf den Balcon, dessen Glasthür offen stand, und labte mich an der freien, frischen, vom balsamischen Duft zahlloser Rosen und blühender Nachtschatten gewürzten Luft. In stillem, erhabenem Frieden lag die schlummernde Natur vor mir ausgebreitet; die Sterne glänzten über meinem Haupte, ein leises Wehen flüsterte durch das Laub der Bäume, und mir ward zu Muthe, als ob eine weiche, schmeichelnde Hand allen Groll, alle Verstimmung, alle Kränkung meiner tiefsten Gefühle, welche die Eindrücke des heutigen Tages in meinem Inneren hervorgerufen, hinwegstreichelte, und wohlige Ruhe zog in meine Seele. Die Musik, die aus dem Saale zu mir herübertönte, das gedämpfte Geräusch der Tanzenden, das Schleifen der Schritte, das Murmeln der entfernten Stimmen störte mich nicht, es erhöhte noch die Empfindung des stillen, wonnigen Friedens, der sich wie ein süßer Traum über mein innerstes Wesen breitete. Der Laut eines munteren Lachens weckte mich plötzlich aus meinen Träumereien. Ich brauchte mich nicht umzusehen, um zu wissen, wer es sei, der wenige Schritte vor mir an der offenen Thür stand. Ich kannte dieses silberhelle, perlende Lachen. Nur Margarethe lachte so. Und jetzt ließ sich auch Theodor's schmelzender Bariton vernehmen: »Nein, noch gebe ich Sie nicht frei! Warum wollen Sie grausam mir die köstlichen Minuten kürzen, da ich Sie in meinen Armen halten, Ihr Herz an dem meinen pochen fühlen darf! Solchen Augenblick, zu dem ich wie Faust spreche: Verweile doch, Du bist so schön!« »Wunderbar gesprochen!« scherzte Margarethe. »Doch sagen Sie mir ehrlich, ist es zählbar, auf wie viel Bällen, wie vielen Damen Sie diese Tirade schon wiederholt haben?« »Es scheint Ihnen Vergnügen zu gewähren, mich zu quälen,« flötete Theodor. »Sie müssen doch erkennen, daß es nur widerwillig geschieht, wenn ich meine Huldigungen scheinbar Anderen zuwende, daß ich dieses Opfer nur zu dem Zwecke bringe, um meine wahren Empfindungen zu verbergen.« Weiter hörte ich nichts mehr. Die unfreiwillig Belauschten hatten wieder in den Saal zurück getanzt. Bald darauf ging die Gesellschaft auseinander. Einige der Gäste kehrten nach ihren benachbarten Landsitzen heim, andere fuhren nach der Bahnstation, um nach der Hauptstadt zurückzukehren. Theodor und ich begaben uns auf unsere Zimmer. »Nun, hast Du Dich von Deiner Niederlage schon erholt? Keine Beulen davongetragen? Du trägst ja eine Jammermiene zur Schau, als ob Du große Schmerzen fühltest?« spottete Theodor, nachdem der uns führende Diener sich entfernt hatte. »Immer noch besser, eine Jammermiene, als die Rolle eines Polichinells,« versetzte ich gereizt. »Ah -- wen meinst Du mit dem Polichinell?« frug Theodor sanft, während er sich seiner Handschuhe und Halsbinde entledigte. »Niemand Anderen als Dich,« antwortete ich, an der offenen Thür meines Zimmers stehend. »Ei wirklich, und warum denn das?« »Darum, weil ich es für einen Mann lächerlich finde, wie ein kokettes Salondämchen keinen anderen Ehrgeiz zu kennen, als den, Eroberungen zu machen.« »So, so! Nun, wenn es Dich lächert, zu sehen, daß die Damen sich mit mir lebhafter unterhalten und lieber tanzen als mit Anderen, so will ich Dir das Vergnügen nicht wehren, Dich über diesen Anblick zu belustigen. Uebrigens kenne ich ein altes Sprichwort: Wer zuletzt lacht und so weiter.« »Wer zuletzt lacht,« wiederholte ich. »Wer dies sein wird, muß sich erst zeigen.« Ich war in mein Zimmer gegangen. Einige Minuten später -- Theodor kroch gerade unter die Decke -- trat ich wieder unter die Thür. »Ich habe mich vorhin schlecht ausgedrückt,« begann ich neuerdings. »Nicht nur lächerlich, unrecht finde ich es, seine persönlichen Vorzüge dazu auszunützen, zur Befriedigung seiner Eitelkeit den Frieden und das Glück der Menschen zu zerstören.« Theodor erhob sich ein wenig. Den Ellbogen auf das Kopfkissen, das Kinn in die hohle Hand gestützt, sah er mich lächelnd an. »Lieber Freund,« sagte er nach einer kleinen Weile, »Du hast entschieden Deinen Beruf verfehlt. Du hättest Mönch werden sollen, um von der Kanzel herab gegen die Verderbtheit der Welt zu donnern. Wer sagt Dir denn, daß ich dem Frieden und dem Glücke der Menschen Eintrag thue? Man unterhält sich, man -- nun, man liebäugelt ein wenig und man trennt sich wieder, ohne Gram und Kummer. Und bedenke auch, daß Du selbst es bist, der mich dazu herausgefordert hat, in Betreff dieser Frau, um deren Herzensruhe Du jetzt so besorgt zu sein scheinst, die Stichhältigkeit Deiner Theorien meinen Ueberzeugungen gegenüber auf die Probe zu stellen. Entweder -- oder. Ein drittes giebt es nicht. Entweder Deine Anschauungen sind die richtigen, dann ist ja doch für sie keine Gefahr vorhanden; ihre Treu erweist sich als echt, meine Ansichten finden Widerlegung. Oder die letzteren bestätigen sich: dann ist das Unglück auch nicht gar so groß. Denn die Wahrung einer Treue, die nur ein Werk des Zufalles -- ist wahrlich von keinem großen Werthe. Uebrigens verspreche ich Dir, daß ich, wenn es mir nicht gelingt, binnen der drei Tage meiner Anwesenheit hier -- denn in drei Tagen muß ich wieder zu Hause eintreffen -- von Margarethens holden Lippen das Geständniß ihrer Liebe zu hören, die Feuerprobe nicht länger fortsetze und mich vor Dir feierlich als besiegt erkläre. Bist Du nun zufrieden?« Ich zögerte nicht, mich einverstanden zu erklären. Theodor's Hoffnungen für eitle Vermessenheit haltend, glaubte ich, davon überzeugt sein zu dürfen, daß es dem selbstgefälligen Gecken niemals, zum mindesten aber nicht binnen einer so kurzen Frist, gelingen werde, Margarethens Herz in Banden zu schlagen und ihr ein Liebesgeständniß zu entreißen. Ja, ich freute mich im voraus der heilsamen Lection, welche Theodor's Eitelkeit zutheil werden, des Widerstandes, der dem »Unwiderstehlichen« doch endlich entgegengesetzt werden sollte. Völlig beruhigt schlief ich ein -- um am anderen Tage, als ich die Beiden wieder beisammen sah, dennoch wieder von neuen Zweifeln gequält zu werden. Es schien mir, als sähe ich aus den zwischen ihnen verstohlen getauschten Blicken zarte Fäden sich hin und wieder spinnen, die sich zu einem dichten Netze verschlangen. Kein Wort wurde, wenigstens in meinem Beisein -- und ich verließ sie selten -- von ihnen gewechselt, das nicht auch zu jedem Anderen gesprochen werden könnte, und dennoch glaubte ich aus dem Klange der Stimme, womit alles gesagt wurde, einen ganz besonderen Ton herauszuhören, einen Ton, der beileibe nicht derselbe war, als wenn sie ihre Rede an Andere richteten, und der meine peinvolle Sorge von Stunde zu Stunde steigerte. Ich versuchte es wohl, mich mit dem Gedanken zu beruhigen, es sei unmöglich, daß Margarethen an der Seite eines von ihr geliebten Gatten, der -- in meinen Augen wenigstens -- weit liebenswerthere Herzens- und Geisteseigenschaften besaß als Theodor, dessen Verführungskünste sollten gefährlich werden. Dann aber fiel mir wieder ein, welch große Macht dem Reiz des Wechsels gegeben sei. Es gehört zu den schmerzlichsten Geheimnissen der Liebe, wie es manchen Menschen möglich ist, in der Vereinigung mit den ausgezeichnetsten Wesen, welchen sich ihr Herz in tiefster Neigung erschlossen hatte -- bloß durch den Reiz der Abwechslung verlockt -- sich wieder einem Anderen zuzuwenden. Sonst wäre es nicht möglich, daß, wie so viele Beispiele zeigen, die liebenswürdigsten, edelsten Männer und Frauen oftmals um der schalsten Persönlichkeiten willen, die den Vergleich mit jenen in keiner Weise auszuhalten vermögen, betrogen werden. So von den widersprechendsten Gefühlen hin und her bewegt, bald von heiterer Zuversicht gehoben, bald gedrückt von quälender Sorge, verbrachte ich die nächsten beiden Tage in denkbar unbehaglichster Gemüthsstimmung. Unsere Gastfreunde boten alles auf, um uns Vergnügungen zu bereiten. Ausflüge zu Fuß und zu Wagen, Kahnfahrten auf dem nahen Flusse, Pistolenschießen, Musik oder ein Spielchen des Abends, dazu bei den von heiterster Laune der Theilnehmer gewürzten Mahlzeiten das Beste, was Küche und Keller zu bieten vermögen -- ein solches Leben hätte das Gemüth des düstersten Griesgrams aufheitern müssen. Ich aber konnte nicht froh werden. Auf jedes Wort, jeden Blick, auf jede Miene und Bewegung Margarethens und Theodor's lauernd, war mir alle Freude verdorben. Am meisten mußte ich mich über Arthur ärgern. War er denn mit Blindheit geschlagen, daß er es nicht wahrnahm, mit welch verwegener Unverfrorenheit Theodor seiner Frau den Hof machte und mit welcher Befriedigung sie es sich gefallen ließ? So gut wie ich mußte doch auch er es bemerken, wie Theodor's Hand jene Margarethens drückte, wenn er ihr beim Scheibenschießen die für sie geladene Pistole reichte; wie sein Arm ihre Schultern streifte, wenn er die Fröstelnde in den wärmenden Shawl einhüllte; wie sein Knie das ihrige berührte, wenn er ihr gegenüber im Wagen saß, und welche Blicke sie tauschten, wenn sie sich unbeachtet wähnten. Aber Arthur schien von allem nichts zu sehen. Ja, manchmal däuchte es mir geradezu, als ob seine stets frohgemuthe Laune um so fröhlicher würde, je kühner Theodor's seiner Frau dargebrachten Huldigungen sich äußerten. In völlige Verblüffung versetzte es mich, als unser Wirth am Abend des zweiten Tages uns mittheilte, daß er eines Brandes wegen, durch den eine zu seiner Besitzung gehörende Sägemühle zerstört worden, behufs Besichtigung des Schadens und zu treffender Anordnungen hinsichtlich des Neubaues, sich am folgenden Morgen an Ort und Stelle begeben und nicht vor Abend zurückkehren werde. Das fehlte gerade noch, die Beiden einen ganzen Tag allein zu lassen -- denn meiner unbequemen Nähe würden sie sich, wenn es ihnen so genehm, wohl zu entziehen wissen. Ich versuchte es, Arthur zu einem Aufschub seiner geschäftlichen Excursion zu bestimmen. Ich bat ihn, dieselbe am zweitnächsten Tage anzutreten, an welchem Theodor und ich nach der Hauptstadt zurückkehren würden. Arthur meinte aber, daß dies gerade der Grund sei, warum er die Ordnung dieser Angelegenheit nicht verzögern wolle, denn so lange wir hier seien, wisse er, daß seine Margarethe sich nicht langweilen würde, und trotz meiner verschiedensten Einwendungen blieb er bei seinem Entschlusse. Theodor strahlte und auch in Margarethens Augen blitzte ein Freudenschimmer, der mich fast rasend machte vor Grimm, und ich beschloß, meine letzte Karte auszuspielen, um Arthur von seinem Vorhaben zurückzuhalten. Nach dem Thee, während Margarethe uns einige Lieder sang, zu welchen sie Theodor, wie gewöhnlich auf dem Clavier begleitete, brach ich die Gelegenheit vom Zaune, um meinem Freunde, mit Ausnahme des auf Margarethe bezüglichen Details, mein ganzes mit Theodor während der Bahnfahrt geführtes Gespräch zu erzählen. Mit wahrer Wonne verbreitete ich mich über die eines Don Juan's würdigen Anschauungen des »Unwiderstehlichen« über Liebe und Treue und entblödete mich nicht, auch seines, wie er behauptete, aus seinen intimen Erfahrungen geschöpften Wahl- und Wahrspruches: =Veni, vidi, vici!= Erwähnung zu thun. Wer beschreibt jedoch meine Fassungslosigkeit, als ich sah, daß auch dieses Mittel nicht verfing! Mit ruhigem Lächeln hörte Arthur mir zu, und als ich schwieg, sagte er ganz unbefangen: »Ja, ja, ich kenne das. Solche Ansichten sind bei den Männern gang und gäbe, namentlich bei den Junggesellen.« Ich war wie vor den Kopf geschlagen und starrte ihn an, als hätte er plötzlich angefangen, chaldäisch zu sprechen. Auch muß ich in meinem grenzenlosen Staunen ein etwas dummes Gesicht gemacht haben, denn er lachte geradezu, als er mich ansah. Ich wurde so erbittert über ihn, daß ich ihm sicherlich etwas Grobes gesagt hätte, wenn nicht in diesem Augenblicke ein von Margarethe vorgetragenes Gounod'sches Lied beendigt und sie zu uns herangetreten wäre, wodurch unser Gespräch abgeschnitten war. So zwang ich mich denn, gegen Margarethe gewendet, zu ein paar artigen Floskeln über ihren Gesang -- von dem ich diesmal freilich wenig gehört hatte -- während ich innerlich Arthur mit Molière apostrophirte: =Tu l'as voulu, George Dandin!= Am anderen Morgen, als Arthur, seinem Vorhaben gemäß, fort fuhr, stand Margarethe, so zeitlich früh es auch war, am Wagen, um ihm Adieu zu sagen. Am offenen Fenster stehend, sah ich, wie sie sich zärtlich umarmten und küßten und hörte Margarethe sagen: »Also pünktlich, Arthur, keine Verspätung!« »Pünktlich, wie eine Sonnenuhr!« rief er zurück, während er lachend in den Wagen sprang. Ich aber dachte: »Sei Du nur pünktlich, mein Lieber, so pünktlich kannst Du doch nicht sein, um Deinem Unheil zuvorzukommen, dem Du kopfüber entgegen rennst!« Der Vormittag verging wie die anderen, ohne daß etwas Besonderes vorfiel. Nur glaubte ich an Theodor sowohl wie an Margarethe eine gewisse nervöse Unruhe zu bemerken, als ob sie irgend etwas mit Spannung erwarteten. Bei Tische -- das Dessert war eben aufgetragen worden -- griff Theodor nach seinem mit edlem Wein gefüllten Glase und es emporhaltend, sprach er zu Margarethe gewendet: »Es verstößt zwar gegen die gute Lebensart, sich selbst zum Hauptgegenstande des Gespräches zu machen. Dennoch kann ich es mir nicht versagen, zu bemerken, daß ich heute mein Geburtsfest feiere. Gestatten Sie mir, gnädige Frau, mein Glas auf Ihr Wohl zu leeren, indem ich Ihrer Güte und Ihrer liebenswürdigen Einladung, in Ihrem Hause zu weilen, es danke, daß der heutige sich zu dem schönsten und reizvollsten Geburtstag meines Lebens gestaltet.« Margarethe schlug sich in die Hände. »Ihr Geburtstag ist heute!« rief sie heiter. »Das trifft sich ja köstlich! Schade, daß Sie es nicht früher gesagt, dann hätten wir ein kleines Fest veranstaltet. Never mind, noch ist es ja nicht zu spät dazu.« Ein schelmisches Lächeln flog über ihr Gesicht. Sie erhob ihr Glas und die Becher klangen aneinander. Mich aber faßte es wie ein Taumel. Indem ich mit dem Rande meines Glases dasjenige Margarethens berührte, rief ich lustig: »Evviva, Theodor! Ein Hoch dem Unwiderstehlichen und seiner Siegesbahn!« Theodor blickte mich betroffen an. Margarethe lachte. »Das gilt nicht,« rief sie. »Darauf stoße ich nicht an.« »Mein Freund hat sich falsch ausgedrückt,« fiel Theodor ein. »Manche Spötter geben mir allerdings diesen Namen. Dies beruht jedoch auf einer Verwechslung der Begriffe. Kein einzelner Mensch ist unwiderstehlich, nur die siegreiche Allmacht der Liebe ist es. Wollen Sie auf die Macht der Liebe trinken, gnädige Frau?« Während Theodor sprach, hatte Margarethe den Blick gesenkt. Jetzt sah sie wieder auf. »Es lebe die Liebe!« sagte sie. Nochmals erklangen die Gläser und Theodor's und Margarethens Blicke begegneten sich in stummer und doch beredter Sprache. Nach Tische zog Margarethe sich für kurze Zeit zurück, um, wie sie mir zuflüsterte, für Theodor's Geburtstag eine kleine Ueberraschung vorzubereiten. »Du wolltest mir mit Deinem Toast eine kleine Grube graben,« sagte Theodor, als Margarethe uns verlassen hatte. »Ich fürchte jedoch, daß sich wieder einmal das Sprichwort von solchem Gebaren bewähren werde. Nicht ich werde es sein, der hineinstürzt. Deine Theorien werden mit einem großen Plumps hineinfallen.« »Morgen geht die Frist zu Ende,« versetzte ich. »Allerdings. Aber zweifelst Du wirklich noch daran, daß meine Anschauungen Recht erhalten werden?« Ich zuckte mit den Achseln und gab keine Antwort. Eine halbe Stunde später vereinigten wir uns im kühlen Billardzimmer zu einer kleinen Partie, denn noch war es zu heiß, um ins Freie zu gehen. Später sollte eine Kahnfahrt und nach derselben ein Spaziergang in den Wald unternommen werden. Margarethe wollte uns zu dem an ihrem Lieblingsplätzchen erbauten Pavillon führen, den sie uns noch nicht gezeigt hatte. Alles verlief ganz programmgemäß. Aber während ich ruderte, bemerkte ich wiederholt, wie Theodor, der am Steuer saß, mit Margarethen leise Worte tauschte. Auch schien es mir, daß sich die von mir schon früher wahrgenommene erregte Spannung ihres Wesens sichtlich steigerte. Schon neigte sich die Sonne ihrem Untergange zu, ihre schräg auffallenden Strahlen glitzerten und glänzten auf den Wellen wie flüssiges Gold. Die Abendkühle senkte sich erfrischend hernieder. An einer buchtähnlichen Biegung des Flusses, an dessen Ufer eine Bank stand, landeten wir, um von dort aus den Weg durch den Forst nach dem Pavillon einzuschlagen. Wir hatten jedoch erst einige Schritte zurückgelegt, als Margarethe erklärte, vorher noch nach Hause gehen zu wollen, um sich einen Shawl zu holen. Der Abend sei plötzlich so kühl geworden. Theodor meinte jedoch, wir sollten vorangehen, er würde nach Hause eilen, um das Gewünschte zu bringen. Er setzte sich in Schnellschritt -- doch nur, um nach zwei Minuten einen kleinen Schrei auszustoßen und, indem er hinkend zu uns zurückkehrte, die Erklärung abzugeben, er sei gestrauchelt, habe sich den Fuß verletzt und bäte daher mich, die Mission zu übernehmen, da er unmöglich so rasch zu gehen vermöchte. Sie Beide würden hier auf der Bank meine Rückkehr abwarten. Ich verstand -- und vermochte es nicht, ein spöttisches Lächeln zu unterdrücken. Fragend blickte ich auf Margarethe, doch als sie mit freundlicher Bitte sich Theodor's Anordnung anschloß, sah ich, daß es ihr Wunsch sei, daß ich sie verlasse, und begab mich auf den Weg. »Das also haben sie mitsammen abgekartet, als ich sie flüstern sah,« dachte ich, während ich beinahe laufend dem Hause zustürmte. Dort ließ ich mir von einem Diener irgend einen Shawl Margarethens geben und kehrte wieder zurück. Etwa zwanzig Minuten mochten verflossen sein, so war ich wieder zur Stelle. Doch die Bank war leer. Weder von Margarethe noch von Theodor eine Spur. Ich rief, aber keine Antwort tönte zurück. Da lachte ich laut auf -- doch that mir dieses Lachen so wehe, als ob ich weinte. Dann überlegte ich, was ich thun sollte. Hier warten? -- Wozu! Hierher kamen sie gewiß nicht mehr. Nach Hause zurückkehren, allein? -- Damit riskirte ich, Margarethe zu compromittiren, deren Escapade mit Theodor dadurch bekannt wurde. Den Beiden auf dem Wege nach dem Pavillon folgen? -- Das war unmöglich, denn ich kannte den Weg nicht, der eine Steinwurfweite von der Bank entfernt sich in drei verschiedenen Richtungen nach dem Walde hin trennte. Also was thun --? Plötzlich schoß mit ein Gedanke durch den Kopf. Spornstreichs eilte ich wieder zur Villa zurück und rief Pluto heran, Margarethens prächtige dänische Dogge, deren specielle Freundschaft ich mir bereits erworben hatte und die mir ohne Widerstreben folgte. Zum viertenmale legte ich, jetzt von Pluto begleitet, den Weg zur Bank am Flußufer zurück. Dort angelangt, rief ich dem Hunde zu: »Such' die Frau, such' Deine Herrin, Pluto! Such', such'!« und ich hielt ihm Margarethens Tuch an die Nase, auf daß er besser verstehe, wen er suchen sollte. Und das kluge, schöne Thier verstand mich vortrefflich. Erst hob es den Kopf empor und schnupperte in die Lüfte, dann den Weg entlang. Und ein leises, kurzes Gebell anschlagend, sprang es in weiten Sätzen auf einem der sich kreuzenden Fußpfade dem Walde zu. »Langsam, Pluto, langsam!« rief ich ihm zu, da ich ihm kaum zu folgen vermochte. Der Hund mäßigte seinen Lauf und nun ging es, von ihm geleitet, in den Wald hinein. Es dämmerte bereits und im Forste lag schon tiefes Dunkel. Mit den Füßen über Wurzeln stolpernd, mit dem Kopfe an Bäume stoßend, das Gesicht gepeitscht von den niederhängenden Zweigen, folgte ich im Laufschritte meinem wackeren Führer. Plötzlich sah ich eine Lichtung vor mir und in demselben Augenblicke hörte ich Pluto, der mir in den letzten Minuten vorangeeilt war, laut und freudig aufbellen. Dann ließ sich Margarethens Stimme vernehmen: »Pluto, Du hier! Wie kommst Du hierher, mein Braver?« Und darauf Theodor: »Er wird aus dem Garten entkommen und Ihrer Spur gefolgt sein.« Da waren sie also! -- Tief aufathmend blieb ich stehen. In diesem Zustande, athemlos, keines Wortes mächtig, mit zerzaustem Haar, die Kleider in Unordnung vom wilden Lauf, konnte ich unmöglich vor die Beiden hintreten. Was würden sie von mir denken! Auch mußte ich mich erst besinnen, was ich ihnen zur Erklärung meiner seltsamen Parforcejagd sagen wollte. Behutsam, um meine Nähe durch kein Geräusch zu verrathen, drang ich bis an den Saum des Waldes vor. Nur der dämmernde Lichtschein, der von dort in das Dickicht fiel, leitete mich jetzt. Denn die Stimmen der Gesuchten waren verstummt. Am Rande der Lichtung, vom tiefen Schatten der Bäume gedeckt, hielt ich nochmals inne. Und jetzt erblickte ich die Beiden. Inmitten der kleinen Waldwiese, nahe dem im Stile eines Miniaturschweizerhäuschens gebauten Pavillon, stand Margarethe, das Haupt zu Theodor herabgeneigt, der vor ihr auf den Knien lag -- Und mit bebender Stimme sprach er: »Zürne mir nicht, Margarethe, daß ich es wage, Dir das Geheimniß meines Herzens zu entdecken. Ich liebe Dich, liebe Dich unsäglich!« Margarethe trat einen Schritt zurück. »Wie unvorsichtig!« flüsterte sie hastig. »Wissen Sie denn nicht, daß nicht nur Wände, zuweilen auch die Bäume Ohren haben? -- So stehen Sie doch auf!« Theodor erhob sich. Und die Hand nach dem Pavillon ausstreckend, bat er: »Margarethe --?!« Die Thür öffnete sich und Beide verschwanden im Inneren des Häuschens. In einer Secunde stürmte blitzartig eine Fluth von Gedanken und Gefühlen durch mein Inneres. Ein Schmerz durchzuckte mich, wie er heftiger nicht hätte sein können, wäre ich Margarethens Gatte oder Bruder gewesen. Einen Augenblick fühlte ich mich versucht, ihnen nachzustürzen und Theodor zu Boden zu schlagen. Aber hatte ich etwa ein Recht dazu? Wahrlich nicht! Dann ergriff mich Scham, als ob ich es wäre, der einen Frevel begangen, und eine wilde Qual, meinen Glauben an Tugend, an die Unwandelbarkeit treuer Liebe so schmählich und auf so lächerliche Weise zerstört zu sehen. Und alle diese Gedanken und Empfindungen waren in wenigen Augenblicken zusammengedrängt, denn als ich mich wieder zusammenraffte, fiel hinter den Beiden erst die Thür ins Schloß. Doch was war dies? -- In dem Häuschen blitzte plötzlich ein Lichtschein auf und ein schwacher Schrei ertönte. Ich schritt vorwärts, und durch ein Fenster in den Pavillon spähend, bot sich mir der überraschendste Anblick. In der mir gegenüber liegenden Fensteröffnung las ich die durch ein glänzendes Transparent gebildeten Worte: »=Veni, vidi -- non vici.=« Und nun wurde es hell im Pavillon. Unter Margarethens Händen flammte eine Lampe auf. Und ich sah auf einem Tischchen allerlei kostbare Gegenstände zierlich geordnet: einen eleganten Briefbeschwerer, eine prachtvolle türkische Pfeife, ein Cigarrenetui und noch manches andere, dessen ich mich nicht mehr entsinne. Neben dem Tischchen aber stand Margarethe -- an Arthur's Schulter gelehnt und Beide blickten lächelnd auf Theodor, der starr wie eine Bildsäule an der Thür stand. Jetzt trat Margarethe auf ihn zu. »Hab' ich mein Wort gehalten?« fragte sie. »Ich sagte doch, Ihr Geburtstag treffe sich köstlich. Schade, daß unser Freund, den wir so schmählich im Stiche gelassen, nicht anwesend ist, sich auch an der Ueberraschung zu laben.« »Ihr Wunsch ist erfüllt, gnädige Frau,« fiel ich ein, lachend durch die Thür tretend. »Freund Pluto hat mich hierher geführt.« Und gegen Theodor gewendet, flüsterte ich: »Wer zuletzt lacht --« Theodor hatte endlich seine Fassung wieder gewonnen und mit der Gewandtheit des Weltmannes gute Miene zum bösen Spiele machend, dankte er mit erzwungener Heiterkeit für die allerliebsten Geburtstagsgeschenke und -- leise zu Margarethe -- für die heilsame Lehre. Ob diese Radicalcur ihn von dem Wahne seiner Unwiderstehlichkeit und von jenem, daß es keine echte Treue gebe, gründlich geheilt hat? -- Ich weiß es nicht. Mir gegenüber vermeidet er es ängstlich, auf dieses Thema zurückzukommen. Schwer geprüft. Der Wanderer, der von dem in den südwestlichen Ausläufern der Allgäuer Alpen, inmitten eines üppigen Tannen- und Eichenwaldes malerisch gelegenen und durch seine heilkräftigen Mineralquellen auch als Curort bekannten Weiler Adelholzen gegen das etwa eine halbe deutsche Meile davon entfernte, knapp an die östlichen Ufer des freundlichen Chiemsees geschmiegte Dörfchen Uebersee hinabsteigt, kommt, wo der Weg aus dem Walde hervortritt und sich tiefer gegen die Thalebene senkt, an einem massiven Eisengitter vorüber, das einen schattigen Garten gegen die daran vorbeiführende Bergstraße abschließt. Wer in der Schwüle eines heißen Sommertages hier vorüberschreitet, mag wohl einen Augenblick stillstehen, um durch die Eisenstäbe des Gitters einen begehrlichen Blick auf dieses reizende Heim zu werfen, welches das zwischen dem dunklen Grün der Bäume und über den bunten Flor eines mächtigen, den ganzen Vorplatz des Gebäudes einnehmenden Rosenrondeaus hell und heiter hervorblickende Landhaus seinen Bewohnern bieten mag. Auch heute sandte die Augustsonne ihre gluttragenden Strahlen versengend heiß von dem wolkenlosen, durchsichtig klaren Himmel in das Thal hernieder. Aber hier, in dem an breitästigen dichtbelaubten Bäumen reichen Garten, in welchem aus dem unmittelbar angrenzenden Nadelholzwalde die Luft frisch und würzig herabstrich, war die unten im Thalkessel drückende Hitze wohlthuend gemildert. Die Besitzer des anmuthigen Landhauses, Doctor Richard Wilnau -- den man, seit eine Krankheit ihn des Augenlichtes beraubt, in der ganzen Umgegend nicht anders als schlechtweg den »blinden Doctor« nannte -- und seine junge, hübsche Gattin, in der Oeffentlichkeit durch ihre vortrefflichen Gemälde, im Kreise der Näherstehenden aber auch durch ihre hohe Geistesbildung und persönliche Liebenswürdigkeit bekannt, befanden sich plaudernd auf der kühlen Veranda. Die junge Frau hatte soeben die Lectüre der Tagesblätter beendet, die sie nach eingenommenem Mittagsmahle dem Doctor täglich vorzulesen pflegte. Aber im Begriffe, zu ihrer Arbeit wiederkehrend, in ihr Atelier sich zu begeben, war sie, schon auf der Schwelle, von ihrem Gatten zurückgerufen worden. »Unverbesserlich, ganz unverbesserlich,« sagte der Blinde, indem er, heiter lächelnd, sein Haupt an die Rücklehne des Schaukelstuhles drückte, in dem er sich behaglich auf und nieder wiegte. »Was wirst Du mir für eine Strafe dictiren, Malwinchen, wenn ich bekenne -- und beinahe hätte ich gar nicht mehr daran gedacht -- daß ich Dein strictes Gebot, zum Mittags- oder Abendtische niemand einzuladen, ohne Dich vorher hiervon zu verständigen, abermals freventlich übertreten habe?« »Unerhört!« rief Malwine lachend. »Gestern erst gelobst Du reuig Besserung -- heute sündigst Du aufs neue. -- Und wer ist es denn, dessen anziehende Gesellschaft Dich zu so schnödem Wortbruche verführt?« »Rathe nur!« »Natürlich, der dicke Major, der sein tausend und erstes Jagdabenteuer noch nicht oft genug zum Besten gegeben.« »Fehlgeschossen!« »Dann ist es der Badearzt, von dem Du Berichte interessanter Krankheitsfälle erwartest.« »Keineswegs!« »Also vielleicht Baronin X., von der Du kürzlich sagtest, daß niemand Dich zur Violine so gut auf dem Klavier zu accompagniren verstände als sie?« »Ebenfalls nicht. Doch ich sehe schon, Du erräthst es ja nicht. Wie solltest Du auch?« »Nun denn?« »Universitätsprofessor -- ja, mein Gott, wie hieß er denn nur gleich? Professor --« »Du weißt den Namen desjenigen nicht, den Du eingeladen?« lachte Malwine. »Doch, doch, er wird mir gleich in den Sinn kommen. Heute Vormittag, während Deiner Abwesenheit, wurde ich durch den Besuch dieses Herrn überrascht, der allerdings nicht so sehr mir, als vielmehr Dir galt. Er erzählte, er sei ein Jugendfreund Deiner Familie und Schulcollege Deines verstorbenen Bruders gewesen, aber seit vielen Jahren -- Du warst damals noch nahezu ein Kind -- habe er Dich nicht gesehen. Jetzt befindet er sich auf seiner Ferienreise, und da er zufällig von Deinem Aufenthalte hier gehört, wollte er die Gelegenheit nicht ungenützt lassen, Dich aufzusuchen. Ja, nun fällt mir auch schon sein Name ein. Halt -- Hellwig nannte er sich!« »Hellwig!« wiederholte Malwine, während ihr erbleichendes Antlitz Schrecken, Freude und Schmerz in raschem Wechsel wiederspiegelte. Der Doctor plauderte weiter, berichtete, was der Gast von seiner Reise in diesem schönen Alpengebiete, das er jetzt zum erstenmal betrete, erzählt, und schilderte, mit welch freudiger Bewunderung er von Malwinens Bildern gesprochen, die er in mehreren Kunstausstellungen gesehen. Aber seine Frau hörte von all dem nichts. Der eben vernommene Name schwirrte ihr im Ohre, so laut, daß er die Stimme ihres blinden Gatten weit übertönte. Wenige Stunden später sprang Malwine ungeduldig von ihrem Sitze vor der Staffelei empor, Pinsel und Palette mißmuthig in eine Ecke schleudernd. Sie grollte mit sich selbst, denn trotz aller Anstrengung vermochte sie nicht zu arbeiten. Ihre Hand zitterte, unklar sah ihr Auge und unablässig irrten ihre Gedanken von dem seiner Vollendung harrenden Gemälde fort, weit fort nach ihrer Kindheit trautem Heim. Sie sah sich selbst als glückliches Kind, als aufblühendes Mädchen, dessen übersprudelnder Frohsinn selbst von des stets kränkelnden Vaters Stirn die trüben Schatten hinwegzuscherzen wußte. Sie schaute an ihrer Seite die stille, ernste, unvergeßlich theuere Frau, deren sanfte Hand und wachsames Auge mit jener treuen Fürsorge, die nur Mutterliebe zu üben im Stande ist, ihre Erziehung leitete. Sie erinnerte sich ihrer Professoren, besonders des grämlichen Zeichnenlehrers, der für seine Schüler selten ein freundliches Wort hatte, für sie aber die sonst stereotype unwirsche Miene zumeist ablegte, und die eine oder andere ihrer Zeichnungen ihren Eltern vorweisend, mit geheimnißvollem Lächeln und bedeutungsvollem Kopfschütteln bemerkte: »In dem Kinde steckt etwas.« Sie gedachte ihres frühverstorbenen Bruders, und neben ihm tauchte die Gestalt eines anderen frischen munteren Knaben immer deutlicher in ihrer Erinnerung auf, des Jugendfreundes, der als Dritter im Bunde alle kleinen Leiden und Freuden der Geschwister getheilt. Sie hatte ihn einst geliebt. Mit ahnungsloser, schwesterlicher Neigung zuerst und dann mit der ganzen Glut des erwachenden Mädchenherzens. Als sie es aber wahrnahm, oder doch wahrzunehmen glaubte, daß sie seine Gegenliebe nicht besaß, daß er in ihr nichts sah als die Gefährtin aus der Kindheit, da hatte sie stolz und trotzig ihre thörichte, hoffungslose Liebe bezwungen, dem rebellischen Wünschen und Sehnen Schweigen geboten. So waren Jahre hinüber gegangen. Sie hatte nichts mehr von ihm gehört und kaum mehr seiner gedacht. Da lernte Doctor Wilnau sie kennen und warb um ihre Hand. Wohl war es nicht jene tiefe, heiße Leidenschaft, die ihr Herz zu seinem Herzen zwang, von welcher die Dichter singen und sagen, daß sie nur einmal entflamme die Menschenseele und dann nie, niemals wieder, aber sie war dem trefflichen Manne in inniger Freundschaft geneigt, der süße Zauber des Bewußtseins, geliebt zu sein, that das Uebrige, und so ward sie seine Frau. Sie hatte es nie bereut. Jetzt aber beschlich sie leise ein seltsames Gefühl -- sie wußte es selbst nicht gleich zu deuten -- wie ein heimliches Bedauern, nicht frei zu sein. Sie strich sich mit der Hand über die Stirn, als wollte sie die Gedanken wegwischen, die da drinnen gegen ihren Willen sich regten. Plötzlich aber trat sie an einen Schrank, in dem sie einen Theil ihrer Arbeiten aufzubewahren pflegte. Sie wählte lange in der Menge der hier aufgestapelten Skizzen, Studienblätter, Kreide- und Federzeichnungen, bis sie das Gesuchte fand. Ein freudiges Lächeln glitt über ihr Gesicht, als sie das Gemälde vor sich auf die Staffelei stellte. Es war ein reizendes Bild. Kenner, die es gesehen, hatten es einstimmig für eine von Malwinens besten Arbeiten erklärt. Aber trotz der bedeutenden Summen, die ihr dafür geboten worden, hatte sie sich nie zu entschließen vermocht, sich von ihm zu trennen. Es war ja nicht nur ihr bestes, sondern auch ihr liebstes Bild. Zwei Kinder stellte es vor, einen Knaben und ein Mädchen, die auf weichem Waldesrasen von ihrer Beschäftigung ausruhend, auf welche das bis an den Rand mit rothglänzenden Erdbeeren gefüllte Körbchen hinwies, das zwischen ihnen und der zu ihren Füßen Wache haltenden prächtigen Dogge stand, eingeschlummert waren. Des Mädchens blondumlockter Kopf war an die Schulter des kräftigen Jungen gelehnt, während dieser zum Schutze seinen Arm um dessen Nacken geschlungen hielt. Lange weilte Malwinens Auge auf dem Bilde. Aber allmählich verdüsterte sich ihr Blick. Nicht mehr mit träumerischer Wehmuth, sondern mit feindseligem Trotze starrte sie jetzt auf das Abbild desjenigen, der ihre Gedanken abermals mit unwiderstehlicher Gewalt gefangen genommen. Sie zürnte ihm. Warum kam er, den schwer errungenen Frieden ihres Herzens zu stören? Hatte sie nicht genug durch und um ihn schon gelitten? Wer gab ihm das Recht, sich bei ihr einzudrängen und übermüthig die heißen, qualvollen Kämpfe ihrer Seele zu erneuern? Nein, das wollte sie nicht dulden! Sie wollte ihn nicht wiedersehen! Rasch entschlossen, trat sie an den Glockenzug, um durch die herbeigerufene Dienerin ihren Gatten bitten zu lassen, den heute zu erwartenden Gast allein zu unterhalten, da sie in Folge plötzlichen Unwohlseins gezwungen, sich zur Ruhe zu begeben, an der Gesellschaft nicht theilnehmen könne. Aber als sie die Hand ausstreckte, um die Klingelschnur zu ziehen, ward an die Thür geklopft, und im nächsten Augenblicke stand Hellwig vor Malwinen -- nicht als der frohsinnsprühende, kecke Junge, der Gefährte ihrer Kindheit, nicht als großaufgeschossener, schlanker Jüngling, das Herz voll Jugendlust, den Kopf voll hochfliegender Pläne, das Ideal ihrer ersten Liebe, sondern in der Vollkraft reifer, aber frischer, ungebrochener Männlichkeit. Wohl hatte die Zeit in die breite, gewölbte Stirn zwei tiefe Furchen eingeschnitten, die von schwerer Gedankenarbeit oder auch von erlittenem Gram erzählten, und der mächtige, dichte Vollbart kam Malwinen ungemein fremd vor; aber als das seelenvolle, tiefblaue Auge mit seinem warmen Strahl ihr Auge traf, da erkannte sie ihn wieder, den wohlbekannten Blick des Freundes. Und so sonderbar ist das Menschengemüth! Während sie vor wenig Augenblicken noch fest entschlossen war Alfred nicht zu sehen, freute sie sich jetzt von ganzem Herzen seines Wiedersehens. Auch die bange Beklommenheit, die sie bei seinem unerwarteten Eintreten ergriffen hatte, wich allmählich vor dem kameradschaftlich treuherzigen Tone, den der einstige Spielgenosse in altgewohnter Weise anschlug. Er wußte so anmuthig zu plaudern. Zuerst berichtete er von den Reisen, die er nach Vollendung seiner Universitätsstudien unternommen, in lebhafter, fesselnder Darstellung die Eindrücke schildernd, die das Gesehene und Erlebte auf ihn geübt. Dann erzählte er, von welch hoher Freude er erfüllt ward, als er von den Erfolgen hörte, die Malwine auf ihrer künstlerischen Laufbahn erntete. Und schließlich kehrte er zu ihrer Kinderzeit zurück, der Jugendfreundin tausend kleine, gemeinschaftlich durchgemachte Erlebnisse ins Gedächtniß rufend, die ihnen damals als große, wichtige Abenteuer erschienen waren. Ob sie sich noch erinnere, fragte er sie, wie sie einst im Walde, von einem heftigen Gewitter überrascht, in einer auf der an den Wald grenzenden Wiese zur Aufbewahrung des Heues errichteten Bretterhütte Schutz gesucht, und in Folge der überstandenen Angst und der Ermüdung des raschen Laufes und wohl auch vom starken Duft des frischen Heues betäubt, in so tiefen Schlaf gesunken waren, daß sie den Abend und die ganze Nacht ununterbrochen schliefen, bis sie am anderen Morgen ein sich mächtig regender Appetit erweckte, worauf sie sich etwas kleinlaut und bange vor dem Schelten der beunruhigten Eltern, die sie mit Angst und Sorge vergeblich gesucht, nach Hause schlichen? Und ob Malwine daran noch denke, wie sie einmal auf einer ihrer häufigen Excursionen nach der auf einem nahen Hügel gelegenen Burgruine, mit einer Laterne versehen, in den unterirdischen Gängen und Gewölben des Ritterschlosses herumstöberten, fest überzeugt, daß sie entweder einen verborgenen Schatz, oder aber das Knochengerippe irgend eines in dem Verließe verschmachteten Gefangenen entdecken müßten? »Ah,« rief Alfred lachend, »ich that damals gar muthig und verwegen, ich versichere Dich aber, als uns das Licht in der Laterne plötzlich verlöschte und wir rathlos in dem finsteren, von dumpfem Modergeruch erfüllten Kellerraum standen, da war mir ganz abscheulich grausig zu Muthe, und hätte nicht der Gedanke, daß Furcht für einen Mann eine Schande sei, mir Kraft gegeben, so hätte ich sicherlich vor Angst geweint.« Und so plauderte er weiter, an dieses und jenes Begebniß aus ihrer Jugendzeit erinnernd, nach dem einen oder anderen Bekannten jener Epoche sich erkundigend, und dazwischen verflocht er die Erzählung späterer Ereignisse. Malwine hörte ihm schweigend zu. Selten unterbrach sie seine Rede durch eine Frage oder durch eine eingestreute Bemerkung. Ihr war es, als sei die sie umgebende Wirklichkeit, alles, was sie sah und hörte, nicht Wahrheit, sondern ein Traumgebilde. Und im Traume sah sie sich ins Elternhaus zurückversetzt -- als Mädchen -- und Alfred, den zu lieben sie nie aufgehört, sei heimgekehrt, um -- sie dachte den Gedanken nicht zu Ende. Allmählich veränderte Alfred sein Gesprächsthema. Von seinen eigenen Erlebnissen ging er auf jene Malwinens über, sprach von ihren Gemälden, dann von ihren Eltern, von ihrem Gatten und von dem schweren Unglücke, das durch dessen Erblindung ihn und sie getroffen, augenscheinlich bemüht, Malwine zu Mittheilungen über sie selbst und ihr Leben zu veranlassen. Aber ihre Antworten waren kurz und ausweichend, und so war er genöthigt, die Unterhaltung selbst weiterzuführen. Plötzlich unterbrach er sich. Sein über das scheinbare Chaos von Gemälden, Sculpturwerken, Alterthümern, Decorationsstücken und den sonstigen unzählbaren im Atelier zerstreuten verschiedenen Gegenständen schweifender Blick war auf das Bild mit den beiden Kindern gefallen, und mit einem Ausrufe lebhafter Ueberraschung war er aufgesprungen, um es näher zu betrachten. »So hattest Du des wilden Jungen doch nicht gänzlich vergessen,« sagte er dann. »Dieses Bild giebt Zeugniß, daß Du manchmal seiner gedacht.« Ein feines Incarnat überzog Malwinens Wangen. »Wer würde seiner Kindheit vergessen,« entgegnete sie, »zumal wenn dieselbe eine glückliche war?« Alfred antwortete nicht. Er war an das offene Fenster getreten, von welchem aus sich ein herrlicher Fernblick darbot über das weite Thal, den stillen See mit seinem stolzen Königsschlosse und den himmelanstrebenden Bergen im Hintergrunde. Die sinkende Sonne sendete ihren letzten Strahlengruß und die pittoresken Formen der blaugrünen Gebirge zeichneten sich scharfkantig auf dem in leuchtenden Farbentönen von dunklem Violett bis hellem Rosa erglühenden Firmamente ab. Munter und behende glitt ein kleines Dampfschiff über den See, und die sich hinter demselben hinziehende Wasserfurche glitzerte und glänzte wie flüssiges Gold. Ein sanfter Lufthauch strich durch die Blätter der Bäume, wiegte die Spitzen der schlanken, grünen Grashalme und die Kelche der Blumen und tändelte mit dem Strahle des Springbrunnens im Garten. Aus dem Zimmer des Blinden klangen leise, wie aus ferner Welt, weiche, innige Geigentöne. »Malwine,« unterbrach Alfred plötzlich das eingetretene Schweigen, indem er mit fast brüsker Raschheit sich vom Fenster weg zu ihr wendete, »Du weißt die eigentliche Ursache meines Hierherkommens noch nicht.« Erstaunt und fragend blickte Malwine in das heftig erregte Antlitz des Freundes. »Die eigentliche Ursache Deines Kommens --?« »Ja, die weißt Du noch nicht,« wiederholte Alfred. »Ich bin gekommen, Dich zu fragen, ob Du glücklich bist? Ob Deine Ehe eine glückliche ist, ob Dein Gatte nicht nur Deine Hand, sondern auch Dein Herz besitzt?« »Und ich,« erwiderte Malwine kalt, »muß Deine Frage mit einer Gegenfrage beantworten, wer Dir das Recht giebt, derartige Erklärungen von mir zu fordern?« »Wer mir das Recht giebt?« stieß Alfred mit gepreßter Stimme hervor. »Meine Liebe giebt mir das Recht hierzu. Ja, Malwine, ich liebe Dich, ich habe Dich immer geliebt. Aber als kindischer Junge an Deiner Seite hinlebend, da wußte ich es selbst nicht, daß meine Liebe eine tiefere, mächtigere sei als die brüderliche Zuneigung zur Jugendfreundin. Als ich fern von Dir weilte in weitem, fremdem Lande, da wurde es mir freilich klar, daß ich Dich liebte mit der ganzen Kraft meines Herzens, aber brieflich um Dich werben, Dir brieflich das Geständniß ablegen, das wollte ich nicht. Du solltest frei sein, die Jahre unserer Trennung, so dachte ich, würden auch Dich die Klarheit über Dich selbst gewinnen lassen, ob Du in mir nur den Kameraden sahst, oder ob Du mich so liebtest, wie mir manchmal die sinnbethörende Hoffnung meines Herzens vorspiegelte. -- Heimgekehrt, erfuhr ich, Du seiest verlobt. -- Ich habe in diesen Jahren redlich mit mir gerungen, Malwine, ich hab' es versucht, meine Neigung zu bekämpfen, Dich zu vergessen. Ich kann es nicht. Ein Dämon des Zweifels flüstert mir unablässig zu, daß Du vielleicht mir doch nicht unwiederbringlich verloren seiest, daß Du diese Ehe vielleicht ohne Liebe eingegangen, daß nicht Doctor Wilnau es ist, der Dein Herz besitzt, sondern --« »Halt ein!« rief Malwine, deren Wangen Todesblässe überdeckte. Aber Alfred gehorchte nicht. »Nein, erst soll mir Gewißheit werden,« fuhr er fort, indem er ihre beiden Hände erfaßte und gegen sich hinzog. »Sprich nur das eine Wort, sprich es aus, Malwine, ob Du ihn liebst! Wenn es so ist, wenn es ihm gelungen, Dein Herz zu gewinnen und Dich zu beglücken, ich schwöre es Dir, dann will ich schweigend dieses Haus verlassen und Du sollst niemals wieder von mir hören. Wenn aber Deine Ehe ein Irrthum war, wenn sie Dir das Glück nicht bietet, das Du von ihr erhofft, wenn Du mich liebst -- dann, o dann wird keine Macht der Erde Dich in diesen Fesseln zurückhalten, ich werde sie zu sprengen wissen und vor Gott und der Welt wirst Du mein Weib werden!« Malwine schwieg. Sie hatte die Augen geschlossen und ihr Athem drang schwer und zitternd aus ihrer hochwogenden Brust. Tief und tiefer beugte sich Alfred's Angesicht auf ihr Haupt hernieder. Seine Lippen berührten die ihrigen, und ihm ward die Gewißheit, nach der er sich gesehnt -- Ein heller Glockenton weckte die Beiden aus der seligen Trunkenheit des ersten Kusses der Liebe. Es war das Zeichen zum Abendtisch. Auf der Veranda fanden sie Gesellschaft. Einige Herren aus der Umgebung waren zum Besuche des Doctors eingetroffen und der gastfreundliche Hausherr hatte sie zum Abendbrot gebeten. Malwine war froh, nicht mit Richard und Alfred allein zu sein. Die Rolle, die sie jetzt zwischen beiden Männern hätte spielen müssen, wäre ihr als Lüge erschienen, und ihrer geraden, offenen Natur war Lüge unerträglich. Die Gegenwart der Fremden enthob sie des trügerischen Spieles, indem sie allen Anwesenden die gleiche freundliche Aufmerksamkeit schenkte. Aber während sie über des einen mehr oder weniger geistreichem Wortspiele höflich lächelte, von einem Anderen sich den Unterschied zwischen der englischen und russischen Art der Bereitung des Thees erklären ließ, oder mit einem dritten über die realistische Richtung in der dichtenden und bildenden Kunst discutirte, war ihr Gedanke doch nur bei dem, der ihr gegenüber saß, aus dessen Auge ihr unermeßliche Liebe und unermeßliche Freude entgegenleuchtete, und bei ihrer nächsten Zukunft, die ihr ein neues, bis jetzt noch nicht gekanntes Glück bringen sollte. Die Abendstunden gingen vorüber und die Gäste kehrten heim. Mit einem flüchtigen »Schlafe wohl!« und einem raschen Händedruck verabschiedete Malwine sich von ihrem Gatten, um sich in ihr Schlafzimmer zurückzuziehen. Sie bedurfte der Einsamkeit, um über das Geschehene und noch zu Geschehende nachzudenken, sich auf sich selbst zu besinnen. Denn alles war ja so plötzlich, so unvorbereitet über sie hereingebrochen. »Morgen komme ich wieder, um mit Dir alles Nöthige zu besprechen,« hatte Alfred ihr beim Weggehen zugeflüstert. Ja morgen, morgen! Verwundert schaute Malwine um sich, als sie die Thür zu ihrem neben dem Schlafzimmer gelegenen Boudoir öffnete. Ein starker, süß betäubender Wohlgeruch drang ihr entgegen. Und nun erblickte sie einen mächtigen Heliotropenstrauß -- ihre Lieblingsblumen -- und vor demselben ein kleines Etui aus dunklem Leder. Es enthielt einen goldenen Armreif, dessen Innenseite das Datum zweier Tage trug, des morgigen und desselben Tages vor fünf Jahren. Was sollte all dies bedeuten? Ach, jetzt fiel es ihr ein. Morgen war der fünfte Jahrestag ihrer Vermählung. Und diese Geschenke kamen von Richard, der ihr damit ein Zeichen geben wollte, daß er dieses Tages mit Freude gedenke. »Richard, Richard!« stammelte sie, und einer mächtigen Sturmfluth gleich überwältigte sie die Erinnerung an den, dessen Frau sie war, der sie liebte und dessen sie, im heißen Drange ihrer eigenen wieder erwachten und jetzt erwiderten Liebe, nimmer gedachte. Mit einem halb unterdrückten Wehruf sank Malwine auf die Kissen des Divans und preßte die Hände vor ihr zuckendes Gesicht. Ihr Denken drehte sich wirr im Kreise und ein wilder, brennender Schmerz umschnürte wie mit eisernen Klammern ihre Brust. Doch allmählich glätteten sich die Wogen ihrer vom Grunde aufgewühlten Seele und ihr Geist gewann die Klarheit wieder, welche die aufgewiegelte Leidenschaft auf Augenblicke zu trüben vermocht. Sie überdachte die fünf Jahre ihrer Ehe, fünf Jahre der treuesten, innigsten Liebe ihres Mannes. Sie gedachte jenes entsetzlichen Tages, als seine dauernde, unheilbare Erblindung zur unzweifelhaften Gewißheit geworden. Sie selbst war die, wenn auch schuldlose Ursache dieses Unglückes. Als sie an schwerer und ansteckender Krankheit daniedergelegen, war Richard, als ihr Arzt und Pfleger, nicht von ihrem Lager gewichen. So hatte er das Gift der mörderischen Krankheit eingesogen. Malwine genas -- er erblindete. Und als er ihr Schluchzen hörte, das sie, von heißem Mitleid ergriffen, nicht zurückzudrängen vermochte, da versuchte er es, sie zu trösten. »Weine nicht!« sprach er, »denn ich bin nicht bedauernswerth. Ich fühle mich unvergleichlich glücklicher -- wenn auch blind -- an Deiner Seite, als mit gesunden, sehenden Augen ohne Dich.« Und von diesem Manne, dessen einziges Glück in der düsteren Nacht seines Lebens sie war, sollte sie sich abwenden? Dieses Herz sollte sie von sich stoßen, das warm und liebend nur für sie schlug? O, sie wußte es wohl, wenn sie es ihm sagte, daß ein Anderer ihre Liebe besitze, er würde der Trennung ihrer Ehe und ihrer Verbindung mit dem, den sie liebte, nicht entgegen treten. Er war zu groß und edel, um ein Wesen mit Gewalt an sich gekettet zu halten, das nicht in freier Wahl und Neigung sein eigen war. Aber konnte sie es denn? Vermochte sie es, auf den Trümmern des durch ihre Hand vernichteten Lebensglückes der großmüthigsten Seele ihr eigenes selbstsüchtiges Glück zu erbauen? Schwer und mühsam erhob Malwine sich von ihrem Sitze. Sie trat auf die Terrasse. »Er schläft,« dachte sie. »Kein Traumgott flüstert es ihm zu, daß ich hier stehe, eines Anderen gedenkend; daß ich, seine Frau, die Hand erhoben, um sein Lebensglück zu zerstören. Schlummere ruhig, Du Guter, Edler, möge auch mein eigenes Herz darüber brechen, Deine Liebe werde ich nicht verrathen --!« Da tönten leise, wie eine Antwort auf ihrer Seele Ruf, süße Klänge durch die stille Nacht. Richard stand am offenen Fenster und spielte. Er spielte für sie, spielte ihr liebstes Lied. Plötzlich legte sich ein weicher Arm um seinen Nacken und ein treues Haupt an seine Brust. Er ließ die Geige sinken und drückte einen Kuß auf das lockige Haar. Ein heißer Tropfen fiel auf seine Hand. »Du weinst, Geliebte?« »O lasse mich weinen, Richard! Sollte ich ungerührt bleiben ob Deiner unendlichen Güte, Deiner unendlichen Liebe?« Lächelnd zog Richard seine Frau fester an sich. »Du weinst, weil ich Dich liebe! Ich aber weine nicht, ich bin so glücklich, und doch liebst ja Du auch mich?« »Ich liebe Dich!« »Und wirst mich ewig lieben?« »Ewig!« * * * * * Am anderen Tage um die Mittagsstunde trat Alfred durch das Gitterthor des Gartens auf die Straße. Malwine hatte ihm für immer Lebewohl gesagt. Als Pfand ihrer Freundschaft nahm er das Bild der beiden Kinder auf dem Waldesrasen mit sich. Es hing fortan über seinem Arbeitstische. Und in schweren Stunden des Kampfes zwischen Pflicht und Neigung, wenn der ungestüme, leidenschaftliche Drang der Natur recht zu behalten drohte gegen die leise mahnende Stimme höherer Geisteserkenntniß, da blickte er zu dem Bilde auf, und im Gedanken an sie, die ihn geliebt und ihre Liebe der Pflicht geopfert, fand er, gleich ihr, die Kraft zum schwersten Siege, zum Siege über das eigene Herz! »Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht --« Irgendwo las ich einmal vor langer, langer Zeit ein Volkslied. Ich vergaß es wieder, nur eine Verszeile daraus ist in meiner Erinnerung haften geblieben: »Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht --« Und diese Zeile summt mir im Kopfe, wenn ich meines jungen Freundes Erwin gedenke -- Kaum dreijährig hatte er seine Mutter verloren. Und da er auch keine Geschwister besaß, hängte er sich mit der ganzen Liebesfähigkeit seines kleinen Kinderherzens an seinen Vater, der ihm der Inbegriff alles Herrlichen, Guten und Edlen, kurz sein Abgott war. Und mit Recht. Denn außer diesem Manne gab es wohl kaum einen zweiten, der mit solch opfervoller Liebe für sein Kind sorgte. Mutter und Geschwister, Erzieher und Kameraden wußte er ihm zu ersetzen. Außer den Stunden, die den Knaben in der Schule, den Vater im Amte festhielten, sah man die Beiden unzertrennlich beisammen. Der Vater repetirte mit dem Jungen dessen Schulaufgaben, las ihm vor, theilte seine Spiele, nahm ihn auf den Spaziergängen mit. So schmiegte sich die junge Seele immer inniger an den väterlichen Freund und Berather an, und nichts spielte sich in des Sohnes Leben ab, was er dem Vater nicht in kindlicher Hingebung vertraut hätte. Nur einmal ereignete sich etwas, was er ihm verschwieg. Eines Tages, als die Schule zu Ende war und das Jungvolk sich lachend und plaudernd auf den Heimweg begab, trat einer der Knaben plötzlich an Erwin heran und gab ihm einen Schlag ins Gesicht. Erwin war über diesen unerwarteten Angriff so überrascht, daß er erst gar nicht daran dachte, sich zu vertheidigen. Der Andere aber lachte höhnisch auf und rief: »Das hast Du für Deinen Vater bekommen, gieb es weiter an ihn, er verdient es!« Da stürzte sich Erwin, außer sich vor Zorn, Schmerz und Entrüstung auf den Burschen und bläute ihn so durch, daß dieser, obgleich größer und stärker als Erwin, sich dessen Schläge, die ihm auf Schulter, Rücken und Gesicht nur so niederhagelten, nicht erwehren konnte. »Nimm es zurück, was Du gesagt hast, nimm es zurück. Sonst -- sonst --« rief er, stammelnd vor Wuth, während seine kleinen Fäuste den Beleidiger bearbeiteten. Der Andere versuchte Kopf und Gesicht mit seinen Armen zu decken, aber die Raserei der Empörung seiner Gefühle verlieh Erwin solche Kraft, daß sein Gegner, die Nutzlosigkeit jeder Vertheidigung bald einsehend, heulend schrie: »Hör' auf! Ich will es nicht wieder sagen, gewiß nicht! Hör' auf, hör' auf!« Da hielt Erwin in der Züchtigung des Buben inne. Er hob seine Schultasche, die er, um die Arme frei zu bekommen, von sich geworfen, vom Boden auf, und ohne sich um den Gemaßregelten, noch auch um die anderen Schulkameraden, die dem wilden Auftritte theils erschreckt, theils lachend zugeschaut hatten, weiter zu kümmern, verließ er raschen Schrittes, noch schwer athmend und mit von der Erregung und Anstrengung gerötheten Wangen und blitzenden Augen den Kampfplatz. Er ging nicht gleich nach Hause. Es war ihm beklommen zu Muthe. Er mochte dem Vater das Erlebte nicht mittheilen, ihm die abscheulichen Worte nicht wiedererzählen, die der freche Bursche ihm zugeschrien. Nein, das mochte er nicht. Er hätte, sie nicht über die Lippen gebracht, so sehr schämte er sich, sie gehört zu haben. Darum mußte er sich erst Zeit gönnen, um sich zu beruhigen und dem Vater unbefangen gegenüber treten zu können. Er machte einen weiten Umweg und als er, nothgedrungen, endlich doch seinem Heim zuschritt, fühlte er es als eine willkommene Erleichterung, von der ihm die Wohnungsthür aufschließenden alten Dienerin zu hören, daß sein Vater eben einen Boten mit der Nachricht geschickt habe, Erwin möge mit dem gewohnten abendlichen Spaziergang nicht auf ihn warten, da er dienstlich verhindert sei, zur üblichen Stunde nach Hause zu kommen. Sonst war Erwin solches ihm aufgedrungenes Alleinsein ein unerfreulicher Zwischenfall, heute empfand er es als eine Wohlthat. Er setzte sich an seinen Arbeitstisch, und so schwer es ihm anfänglich auch fiel, seine Gedanken bei seinen Schulaufgaben festzuhalten, gelang es seinem angestrengten Willen doch, die flüchtigen zu bannen. Allmählich übte die Arbeit ihre segensreiche Wirkung, sein erregtes Gemüth Ruhe finden zu lassen, und als der Vater, ihn begrüßend, Abends in sein Zimmer trat, lag kein Schatten von Verstimmung mehr im klaren Blicke seines Sohnes. Die Tage rollten wieder dahin im altgewohnten Geleise. Wohl tauchte hin und wieder die Erinnerung an den ängstlich verschwiegenen Vorfall mit peinlicher Lebendigkeit in Erwin's Seele auf, und zuweilen schien es ihm, als könnte er den Stachel, den er in seinem Herzen zurückgelassen, ausreißen, wenn er ihn seinem Vater erzählte. Aber so oft der Gedanke an Mittheilung des Geschehenen näher an ihn herantrat, fühlte er zugleich das innerliche Unvermögen hierzu -- und so schwieg er und vergaß es allmählich selbst. Eine Reihe von Jahren war verflossen, der Knabe zum Jüngling gereift. -- An dem innigen Verhältniß zwischen Vater und Sohn hatte die Zeit aber nichts geändert, die Beiden schienen unter einem Himmel friedlichen, wolkenlosen Glückes zu wandeln. Doch als der Vater einmal von einer mehrwöchentlichen Dienstreise heimkehrte, fand er Erwin, den linken Arm in der Schlinge tragend. »Eine Bagatelle -- ein leichter Säbelhieb, in einer Studentenpaukerei davongetragen -- weiter nichts« -- so beruhigte Erwin den besorgten Vater. Und auf sein näheres Befragen erzählte er ihm, wie sich aus einem ganz unbedeutenden Vorfall ein Wortwechsel zwischen ihm und einem seiner Collegen entwickelt und ein Duell zur Folge gehabt habe. Es war eine Lüge, was Erwin berichtete -- die erste Lüge seines Lebens. Die Ursache des Zweikampfes war eine ganz andere als jene, die er dem Vater erzählte. Eines Abends, als Erwin im Kaffeehause einer Billardpartie seiner Collegen zuschaute, hörte er im Laufe eines von zwei in seiner Nähe an einem Tischchen sitzenden Herren mit leiser Stimme geführten Gespräches den Namen seines Vaters fallen. Erwin trat unauffällig näher an sie heran und horchte auf. Der ältere der beiden Herren erzählte dem jüngeren, daß er um Verleihung der Stelle als Bahnarzt bei der St.'schen Eisenbahngesellschaft eingekommen sei, nachdem dieselbe durch den Tod eines gewissen Doctor Berger, der sie zuletzt bekleidet, frei geworden. Er warte nur auf Herrn K...'s -- dies der Name von Erwin's Vater -- Rückkehr, dessen Stimme, wie er wisse, bei der Besetzung der Stelle maßgebend sei, um sich persönlich vorzustellen und ihn um Berücksichtigung seines Gesuches zu bitten. Seine langjährige und, wie er glaube, nicht verdienstlose Praxis berechtigte ihn wohl, auf Erlangung der betreffenden Stelle zu hoffen. Da lachte der Jüngere, und indem er Erwin mit herausforderndem Blicke maß, wobei dieser in ihm den ehemaligen Schulkameraden erkannte, dessen beleidigenden Ueberfall er mit seinen wackeren, kleinen Fäusten gezüchtigt, sagte er: »Ihre Verdienste werden Ihnen wenig nützen. Darauf dürfen Sie nicht hoffen. Auch das Gesuch meines Vaters wurde eben um jenes Doctor Berger willen, eines ganz unfähigen Arztes, abgewiesen. Wenn Sie reussiren wollen, geben Sie Herrn K... einige hundert Franken, und Sie werden die Stelle erhalten.« Diese Worte waren die Ursache von Erwin's Zweikampf mit dem, der sie gesprochen, gewesen. Zum zweitenmale hatte er seinen Arm erhoben zur Abwehr einer Beschimpfung seines Vaters. Doch wie einst als Knabe, schwieg er auch jetzt als Mann. Wie damals hätte er auch heute die schmachvollen Worte nicht zu wiederholen vermocht, die der freche Verleumder auszusprechen gewagt. Wozu auch? Wußte er doch, daß an der Ehrenhaftigkeit seines Vaters kein Flecken haftete, und lag es doch klar am Tage, daß nur der Grimm ob der sicherlich berechtigten Zurücksetzung zu Gunsten eines verdienstvolleren Mannes es war, was den verwegenen Buben gegen ihn und seinen Vater zu Haß und Verleumdung aufstachelte. Mit lächelnder Ergebung nahm Erwin die väterlichen Ermahnungen vor einer Wiederholung ähnlicher, thörichter Schlägereien entgegen und freute sich im Stillen, daß ihm die Täuschung seines Vaters, die seinem wahrheitsliebenden Herzen gar nicht leicht fiel, so gut gelungen war. Die Wunde heilte rasch, und wieder glitt das Leben der Beiden in seiner altgewohnten, friedlichen Weise dahin. Doch da kam ein Tag, da Erwin am Krankenlager seines Vaters stand, und ein anderer, da er schluchzend an seinem frischen Grabe kniete. Und dann kam eine Stunde -- Monate waren seit seines Vaters Hinscheiden verflossen, als Erwin es endlich über sich gewann, ordnende Hand an dessen hinterlassene Papiere zu legen. Das heiße Weh seines unersetzlichen Verlustes packte ihn mit erneuter Gewalt, als er mit zitternden Fingern unter den vergilbten Blättern wühlte -- sterbende Spuren des erstorbenen Lebens. Briefe, Zeichnungen, amtliche und Geschäftspapiere glitten durch seine Hand. Wichtiges wurde zur Seite gelegt, anderes dem Feuer übergeben. Ganze Stöße lohten bereits leise flüsternd und knisternd im Kamin. Erwin trennte sich schwer von diesen Blättern. Allein, er hielt es für gut so. Wußte er denn, wenn auch für ihn der Augenblick kommen würde, der in der Vernichtung waltenden Naturkraft seinen Tribut zu zahlen? Und kein fremdes Auge sollte mit kalter Neugier das ihm theuerste Vermächtniß entweihen. Immer neue und neue Schriftenbündel wanderten in den Kamin, der vom Papierfeuer rasch erhitzt, milde Wärmeströme in das Gemach ausstrahlte, in welches vom Garten her durch das halbgeöffnete Fenster kalte Nachtluft drang. Es war im Frühling. Das lockende Lächeln sonniger Tage hatte das schlummernde Leben der Natur wachgeküßt -- um ihr Vertrauen grausam zu enttäuschen. Ein heftiges Gewitter hatte neuen Schnee auf die nahen Berge gebracht, und jetzt, als der nächtliche Himmel klar und sternhell über der blühenden Erde sich wölbte, lauerte der Frost, um den segenspendenden Thau in lebenmordendes Eis zu verwandeln. Hier in der stillen Kammer flatterte Blatt um Blatt, von der geliebten, liebenden Hand beschrieben, in die züngelnden Flammen, um auf dem Hügel des grauen Aschengrabes den vorangegangenen Brüdern sich zuzugesellen. Da, Briefe der Mutter, die er nie gekannt, dort von Freunden des Vaters, dazwischen Rechnungen, Quittungen, geschäftliche Aufzeichnungen. Und hier ein Notizbuch, ganz von der Hand des Vaters ausgefüllt. Erwin schlägt es auf und blättert darin. Sein Auge feuchtet sich. Es sind nur Zahlen, die das Büchlein enthält. Und doch, wie rütteln diese nüchternen, trockenen Zahlen an seiner Seele, den unermeßlichen Verlust, den sie erlitten, neu verschärfend! Es enthält die Einnahmen und Auslagen seines Vaters durch eine lange Reihe von Jahren mit pünktlichster Genauigkeit verzeichnet. Auf der einen Seite die Einnahmen, sie bleiben sich stetig gleich: die Rente des winzigen Vermögens und das langsam aufsteigende Gehalt des Vaters. Auf der gegenüberstehenden Seite die Auslagen: Wohnung, Kost, Kleider -- außer der Bestreitung der gemeinschaftlichen Bedürfnisse größtentheils Auslagen für ihn, Erwin, sein Schulgeld, Bücher und so weiter. Der gute Vater, wie wenig hatte er sich gegönnt, um dem Sohne Genügendes zu bieten! Schon ist Erwin im Begriffe, das Büchlein zur Seite zu legen. Mit lässigem Finger schlägt er noch ein Blatt zurück. Da verfärben sich plötzlich seine Wangen, weit öffnet sich sein Auge, sein erstarrender Blick heftet sich auf ein kleines Wörtchen. Auf der Seite der Einnahmen, dicht unter dem Monatsgehalt, steht geschrieben: »Von Doctor Berger tausend Franken.« * * * * * Welk und todt senkten die vom nächtlichen Frost gemordeten Blüthen und Blumen ihre Häupter, als Erwin am nächsten Morgen auf dem Wege nach dem Amte sein Gärtchen durchschritt. Ohne ihrer zu achten, ging er an ihnen vorüber. Die Freunde und Bekannten aber, die ihm begegneten, blickten ihm betroffen nach. Kaum erkannten sie ihn wieder, so verändert schien er. Er war nicht krank gewesen -- und doch sah er um viele Jahre gealtert aus -- »Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht --« Der kleine Geiger. In einer mächtigen deutschen Stadt weiß ich ein schönes Haus, in dem ich manch glückliche Stunde meines Lebens verbracht. Nicht mitten im Gewühle des Häusermeeres ist es gelegen, sondern außerhalb des Stadtthores, dort, wo vor etwa dreißig Jahren noch tiefer Wald gestanden. »Garten« wird dieses von ausgedehnten Plätzen und breiten Straßen durchschnittene Gebiet nunmehr genannt. Aber nicht in zierlicher Cultur und Kunst blickt es dem Besucher überall entgegen; an manchen Stellen weist es noch die alte Pracht und stolze Würde des einstigen Waldes auf. Jenes, mit der kleinen Geschichte, die ich hier erzählen will, verwebte Stück des Gartens kann keinen Anspruch darauf erheben, ob seiner großartigen, landschaftlichen Reize gerühmt zu werden, immerhin aber ist es von lieblichem, dem Auge wohlthuenden Grün geschmückt, von frischer, erquickender Luft durchweht und von weniger Menschen heimgesucht als andere Partien des ausgedehnten Gartens. An der dieses Terrain durchschlängelnden schmalen Chaussee liegt das Haus, zu welchem meine Erinnerung mich heute zurückführt. In griechischem Stile mit feinem Geschmacke erbaut, die Vorderfront dem grünen, luftigen Haine zugekehrt, durch Umzäunung und schattige Parkanlagen von den Nachbarhäusern getrennt, erhebt es sich in schmuckloser, edler Einfachheit. Im Frühling, wenn die linden Lüfte durch den großen Garten wehen und die Rosenbäume und Hecken um die Villa ihren entzückenden Duft verbreiten, dann klingen von allen Ecken des Hauses Gesang und Saitenspiel durch die weitgeöffneten Fenster. Die schönsten und süßesten Klänge aber tönen, nicht allen Vorübergehenden vernehmbar, von der Rückseite her, die frei an einen öden, sandigen Bauplatz stößt. Wenige dachten daran, ihre Schritte dorthin zu lenken. Nur ein kleiner Kinderwagen wurde, am weiten Tummelplatze fröhlich spielender Knaben und Mädchen vorüber, täglich dahingerollt. Das halbwüchsige Mädchen, das den Wagen leitete, trabte stets wieder von dannen, nachdem es für denselben ein Plätzchen im Schatten des Hauses gefunden und allerlei Steinchen, Gräser und Blätter auf das Bettchen im Inneren des Wagens gelegt hatte. Das erregte gar sehr meine Neugierde und einmal, als ich wieder um die Mittagszeit heimwärts schlenderte, ging ich flugs auf das winzige Wagengebäude los, um einen kecken Blick auf dessen stillen Insassen zu werfen, der hier täglich für lange Stunden der Einsamkeit anvertraut wurde. Leise schlich ich mich um die Ecke und schob das grüne Tuch, das vom Wagendache herabhing, behutsam zur Seite. Da sah ich auf dem mit großgeblümtem Kattun überzogenen Kissen einen blonden Knabenkopf liegen, so weiß und bleich, als läge eine Gipsmaske über dem Gesichtchen. Die Augen waren geschlossen und leiser Athem bewegte kaum bemerkbar die Wangen und Nasenflügel des kleinen Träumers. Kein Strahl des warmen, goldigen Sonnenglanzes, in dem die frühlingsfrische Erde gebadet lag, fiel in die von dem kahlen Sandplatze umgebene Mauerecke, wo der blasse Knabe in seinem dürftigen Strohwägelchen schlummerte. Armes Kind! Gern hätte ich Dich wachgeküßt. Aber ach, der Thränenstrom aus mitleidsvollem Herzen hätte Dir nichts gefruchtet. Du brauchtest kräftigere Arznei für Deine fahlen Wangen, für Deine so mühsam athmende Brust -- Du brauchst das Glück. Ich wollte mich abwenden, um heimzugehen, aber da zog aus offenem Fenster des Hauses ein sanfter Ton auf weicher Saite in die zitternde, webende Mittagsluft, schwellte, wuchs und breitete sich und öffnete die müden Lider des Schläfers. Der Knabe bewegte und bog sich aus dem engen Wagenraum; beseligtes Staunen malte sich in den feinen Zügen und aus großen, vertrauenden Kinderaugen blickte er hinaus in das blaue, sonnendurchleuchtete Aethergewölbe über sich und hinauf zu dem Fenster, aus dem die süßen Töne quollen. Immer voller und gewaltiger wurde der Gesang der Saiten, immer strahlender das Auge und bleicher die Wange des entzückten Lauschers, bis alles verklungen war. Dann sank er ermattet in die Polster zurück und die farblosen Lippen flüsterten: »So wollt' ich's können! -- Ach, wenn ich eine Geige hätte!« -- und ich ergrimmte ob solch hilflosen Wehes der Sehnsucht. Der Künstler aber -- die Welt nannte ihn damals und nennt ihn noch heute den »Geigenkönig« -- hörte mir lächelnd zu, als ich ihm von dem Knaben erzählte, und machte ihm eine kleine Geige zum Geschenk. Als der Sommer kam, wurde für den Wagen des Kleinen eine andere Ruhestelle gesucht, abseits vom Hause auf grünem Rasenplatz, im kühlen Schatten dichtbelaubter Bäume. Aber auch hier schlich ich mich oftmals leise an und belauschte ihn, wie er seine von ihm unzertrennliche Geige in den zarten Händen hielt und darauf Töne zu bilden suchte, süße, liebliche Laute, und ich freute mich, als ich sah, daß die Zufriedenheit des erfüllten Herzenswunsches und der reichliche Aufenthalt im Freien die früher so blassen Wangen des Kindes mit rosenfarbenem Anhauch überkleideten. Doch der Sommer enteilte. Die Rasenteppiche bleichten dem Winter entgegen; die grünen Wälder färbten sich in gelbe und braune Tinten. Ein langandauernder Regen fiel, und als sich der Himmel wieder aufheiterte, brachte die nächste Nacht Reif und Frost. Auf Büschen und Bäumen waren die vergilbten Blätter von der Nässe zusammengeklebt, und als die müde Herbstsonne sie allmählich wieder getrocknet hatte, fielen sie schaarenweise zur Erde, so oft ein Windstoß über sie hinfuhr. Frostschauernd, ächzend und knarrend schüttelten sich die ihres Laubgewandes entkleideten Bäume in den rauhen Stürmen. Und mit dem grünen Laub erbleichten auch wieder die Wangen des armen, kranken Knaben. Sehnsüchtig blickte er aus der dunklen, feuchten Portiersstube seiner Eltern ins Freie und gedachte der vielen guten Stunden, die er draußen, von der warmen Sommerluft umweht, vom dichten Blätterdach der mächtigen Buchen beschattet, verträumt hatte. Selten, nur an ganz milden Tagen, wurde er in sein Wägelchen, und später, als der Winter kam und mit seinem Schnee und Eis den großen Garten überzog, in den Schlitten gesteckt und unter den buntgeblümten Kissen tief begraben, für ein halbes Stündchen durch die Straße geführt. Fast täglich kam der freundliche Arzt zu dem kleinen Patienten, fühlte ihm den Puls, strich mit sanfter Hand über sein blondes Haargelock und verordnete dies und jenes als stärkende Nahrung. Und manchmal drückte er eine Banknote in die zitternde Hand der verkümmerten Mutter, damit es ihr leichter würde, seine Verordnungen auszuführen. Des Knaben einzige Freude war sein Geigenspielzeug. Fleißig übte er Triller und Läufe; immer gewandter leiteten die schlanken Fingerchen den kleinen Bogen über die Saiten und ein seliges Lächeln glitt über sein Gesichtchen, wenn es ihm gelang, eine ihm besonders schwierig dünkende Passage zu seiner Zufriedenheit zu bewältigen. Sein Lehrmeister aber war kein geringerer als der Geigenkönig selbst, der, gerührt von der glühenden Sehnsucht nach Musik, die der Funke des Genies in der Brust des siechen Knaben entzündet hatte, gar manchesmal verstohlen in die enge, dumpfe Stube trat und dem vor freudigem Entzücken verstummenden Kinde liebliche Weisen auf seiner Violine vorspielte. Jeder Tag, an dem solches geschah, war ein Festtag für den Kleinen, der seine Geige, welcher der Meister so wunderbar herrliche Töne zu entlocken wußte, wie ein Heiligthum betrachtete und die erlauschten Melodien schüchtern nachzuspielen versuchte. Allein weder die Wissenschaft des Arztes, noch die stille Seligkeit des Kindes, welche ihm die Beschäftigung mit seiner geliebten Musik gewährte, vermochten es, dem Zerstörungswerke der finsteren Naturgewalten, die an der Vernichtung dieses jungen Lebens arbeiteten, einen Damm zu setzen. Immer fahler und eingefallener wurden des Knaben Wangen, breiter die dunklen Ringe um seine Augen, fleischloser die zarten Glieder, und immer matter und müder fühlte er sich. Bald wurde ihm selbst das Geigenspiel zu einer Anstrengung, der seine schwindenden Kräfte nicht mehr gewachsen waren, und traurig haftete der Blick seiner großen, glanzlosen Augen auf dem Instrumente, das stumm und verstaubt auf dem Tische neben seinem Bettchen ruhte. Da kam die Weihnachtszeit, und voll Glanz und Pracht und froher Lust wurde das schöne Fest in der Künstlerfamilie gefeiert. Freunde, Bekannte und Kunstgenossen waren von Nah und Fern herbeigeströmt, um im gastlichen Hause des Geigenkönigs an der heiteren Festfeier theilzunehmen. Kaum vermochte der geräumige Salon, in dem der fast bis an die Decke reichende Christbaum in glänzend strahlendem Schmucke prangte, die reiche Zahl der Gäste zu fassen. Das war ein Jauchzen und Jubiliren, ein Händeklatschen und Gläserklingen, daß selbst die Ernstgesinnten vom Wirbel der Freude erfaßt wurden, daß auch die Alten in die Lust der frohlockenden Kinderherzen mit einstimmten. Mir aber fiel mitten in den Lichtglanz der dunkle Schatten meines kranken Schützlings, und der Gedanke beschlich traurig meine Seele, daß in dem heiteren Kreise wohl Keiner des Armen sich erinnert. Unbemerkt schlich ich mich aus den hellen Räumen ins Treppenhaus nach unten, um zu erfahren, wie es dem Kleinen gehe. Auch in der Portierswohnung war Licht zu sehen, und ich trat ein. Mit geschlossenen Augen, still und blaß, lag der Kranke in seinem Bettchen; der Vater kauerte stumm in einem Winkel der Stube und begrüßte mich kaum; die Mutter aber schlich weinend umher und machte sich tausenderlei, auch ganz Ueberflüssiges, zu schaffen, nur um etwas zu thun zu haben. Sie wußten, daß es mit ihrem Kinde zu Ende ging. Der Doctor hatte es ihnen gesagt, und der Zustand des abgezehrten, zu Tode erschöpften Knaben bannte jede Hoffnung. Ich fand kein Wort des Trostes für die armen Alten. Beklommenen Herzens setzte ich mich an die kleine Lagerstätte und hatte Mühe, meine eigenen Thränen zurückzuhalten, angesichts des großen, mächtigen Schmerzes, der den kummergebeugten Eltern bevorstand. Nicht lange hatte ich so, meinen traurigen Gedanken mich hingebend, dagesessen, als der Kleine die Augen aufschlug und, als er mich bemerkte, mühsam auf seine Geige hindeutete und, mich mit sanft flehendem Blicke anschauend, seine winzigen, abgemagerten Händchen bittend ineinanderlegte. Ich verstand ihn. Rasch erhob ich mich von meinem Sitze und eilte zurück in die lichtstrahlenden Räume zu den frohen Festgenossen. »Meister,« flüsterte ich, indem ich mich sachte an den Hausherrn herandrängte, »unser kleiner Schützling da unten liegt im Sterben. Ihm verlangt nach Euch und nach Musik. Wollt Ihr seines Lebens letzten Wunsch erfüllen?« Da begegnete ein warmer, milder Strahl aus dem Auge des Künstlers dem meinen. Leise drückte er mir die Hand und verließ mit mir den Saal. Er holte seine Geige, und wenige Minuten später standen wir im Zimmer des sterbenden Kindes. Und wieder rieselten die wundervollen Klänge gleich perlenden Toncascaden von den bebenden Saiten, schwellend, wogend, säuselnd wie mildes Frühlingswehen, innig wie liebenden Herzens Pochen, erhaben wie frommer Gottgedanke. Und wie ein Gruß aus Engels Munde umschmeichelten die lieblichen Melodien die entfliehende Kindesseele und umgaukelten sie mit tönenden Zauberbildern. Und wieder schlug der Knabe in entzücktem Lauschen sein Auge auf, und seine schmalen, bleichen Lippen lispelten fast unhörbar: »Er hat es gesagt, er selber, auch ich werde Geigenkönig wie er!« Ein sanftes, seliges Lächeln verklärte seine Züge, ein zitternder Seufzer hob die eingefallene Brust, und eingelullt von stolzem Hoffnungstraum und süßer Harmonien Sang entschlief er. Oben ward das Weihnachtsfest bis zum hellen Morgen gefeiert. Und als ich Abschied nahm vom Meister, da wollte mein Mund niedersinken auf des edlen Menschen Hand, der ruhm- und glückumgeben, der Elenden nicht vergißt und ihnen Trost und Liebe spendet. Die Harfenspielerin. Aergerlich warf Julian die Feder fort, daß die Tinte aufspritzte. Da sollte der Henker diese mühsamen Rechnungen revidiren, während vom Hofe herauf unausstehliches Harfengeklimper und eine müde, dünne Mädchenstimme tönte, die sinnige Volkslieder und rohe Gassenhauer in wüstem Durcheinander herableierte. Julian hatte der Sängerin schon eine Geldmünze zugeworfen, auf daß sie den Platz räume und ihre musikalischen Productionen irgend anderswohin verlege, wo sie ihn nicht in seiner Arbeit störten. Daran war aber vorläufig nicht zu denken, denn die ganze Kinderwelt des großen Hauses stand in einem Kreise um sie herum, ihren schrecklichen Vorträgen freudig lauschend. Sie wollte sie noch nicht ziehen lassen, und die Harfenistin blieb gern, auf eine Entlohnung von den Müttern der Kinder hoffend, die theils an deren Seite stehend, theils von den offenen Fenstern aus dem Jubel ihrer Kleinen zulächelten. Nochmals versuchte Julian, in seinen Rechnungen fortzufahren, doch ebenso erfolglos wie früher. Die Ziffern und Zahlen tanzten ihm wie kleine, neckende Kobolde vor den Augen. Bald wußte er nicht mehr, wie viel Rest bleibe von achtundzwanzig Mark sieben Pfennige, nach Abzug von siebzehn Mark zweiunddreißig Pfennige. »In der Weidlingau ist der Himmel blau --« klang es ihm in die Ohren. »Sechs Mark achtundzwanzig Pfennige. -- Nein, gefehlt!« »Ach, es wär' so schön gewesen --« »Sieben Mark fünfzehn Pfennige. -- Wieder falsch!« »Wenn die Schwalben heimwärts zieh'n --« »Zum Teufel auch, wenn diese verdammte Schwalbe nur heimwärts zöge! -- Fünf Mark sechzehn Pfennige. -- Abermals gefehlt! -- Nein, so geht es nicht, absolut nicht! Da könnte man verrückt werden.« »Wann's Mailüfterl weht, Zergeht draußd' im Wald der Schnee --« Julian sprang von seinem Sitze auf. Er wollte lieber abwarten, daß Ruhe würde, als sein Gehirn foltern mit solch vergeblicher Anstrengung. Was er unter diesen Umständen herausrechnete, würde doch nur ein Unsinn sein. Jetzt stimmte das Mädchen das von Mendelssohn in Musik gesetzte alte Volkslied an: »Es ist bestimmt in Gottes Rath, Daß man vom Liebsten, das man hat -- muß scheiden.« Julian liebte dies Lied ungemein. Er hatte es als Knabe oft gesungen. Allerlei sanfte Erinnerungen erwachten in ihm: an das Elternhaus, an die Gefährten, an seine frohe, glückliche Kindheit. Und jetzt ertappte er sich dabei, wie er, gleich den Kindern im Hofe, der dünnen, etwas umflorten Stimme der von ihm soeben noch so zornig verwünschten Sängerin lauschte. Und jetzt trat er gar an das Fenster, öffnete es und blickte hinab in den Hofraum, wo der Gegenstand seines Aergers mitten unter der Schaar der entzückten Kleinen stand, spielte und sang. Ihre schwächliche, hagere Gestalt beugte sich nach vorn über die Harfe, das Gesicht sah er nicht, denn ein hoher, unmoderner Strohhut mit großen, gelben, schmutzigen Seidenbändern und zerknüllten Kunstblumen von derselben Farbe geziert, entzog es seinen Blicken. Ein verwaschenes Kattunröckchen und ein blaues, mit weißen Schnüren benähtes Sammetjäckchen vervollständigten ihren Anzug. Man sah es deutlich, diese Kleider waren, unbrauchbar geworden, von ihren früheren Eigenthümern statt weggeworfen zu werden, der armen Harfenistin geschenkt worden. Sie sah komisch genug aus in dieser verwitterten, theatralischen Gewandung. Man hätte darob lächeln mögen, hätte ihre Armseligkeit nicht so traurig gestimmt. Und noch verschärft wurde dieser Eindruck durch das Lied, das sie eben sang, dies Volkslied, das in seiner schlichten Wehmuth so ergreifend wirkt: »Es ist bestimmt in Gottes Rath, Daß man vom Liebsten, das man hat -- muß scheiden --« klang es wieder in schrillem, von der Uebermüdung schon heiserem Tone von den Lippen der jungen Bänkelsängerin; ihre Finger griffen mechanisch die Accorde in der alten Harfe und die großen gelben Bänder und Blumen auf dem lächerlichen Hute nickten und flatterten im Winde. Julian's Unmuth war gänzlich verflogen, Mitleid stahl sich in sein Herz. Er holte noch eine zweite kleine Geldmünze aus seinem Täschchen, wickelte sie in Papier und warf sie der fahrenden Sängerin vor die Füße. Diese hatte eben das Lied beendet, sie hob die Münze vom Boden auf, und als sie den Kopf neigend nach dem Fenster hinauf dankte, in dem Julian lehnte, sah er in ein blasses Gesichtchen, aus dem ihm dunkle, traurige Augen entgegenblickten. Er nickte ihr freundlich zu und schaute ihr nach, als sie, die schwere Harfe auf den Rücken ladend, deren Bürde ihr schwächlicher Körper schier nicht tragen zu können schien, langsam dem Hofthor zuschritt. Dann machte er sich an seine unterbrochene Arbeit und in einer Viertelstunde hatte er die Musikantin in der blauen Sammtjacke und mit den gelben Blumen auf dem Hute völlig vergessen. Doch wie unbewußt pfiff er leise die Melodie des Liedchens vor sich hin: »Es ist bestimmt in Gottes Rath --« Wie allabendlich schlenderte er auch heute nach Schluß seiner Amtsstunden, »der Straßen quetschenden Enge« entfliehend, aus der Stadt ins Freie. Er nahm seinen Weg in die Auwaldungen, die sich den launischen Windungen des weiter unten die Stadt durchschneidenden Flusses folgend, zwischen dessen Ufer und einer nach einem fürstlichen Lustschlosse führenden Lindenallee hinziehen. Die schon tiefstehende herbstliche Abendsonne stahl sich durch die theils schon entlaubten, theils in die glühendsten Bronze- und Purpurfarben getauchten Baumkronen der Buchen und Erlen und durch das niedrige Buschwerk der Weiden, zitternde Streiflichter über den fahlen Rasenboden und die herabgefallenen gelben Blätter hinstreuend. Plötzlich aber erloschen die Lichter und Farben, der Himmel, die Bäume, der Wasserspiegel des Flusses erkalteten -- die Sonne war gesunken. Und mit einemmale kroch ein bleifarbener Nebel aus dem Strombette empor, Au und Wald mit seinem unabsehbaren Mantel umspannend. Julian trat den Rückweg an. Wenn die Nacht hereinbrach bei solch dichtem Nebel, konnte er den schmalen Fußweg durch den Wald allzu leicht verfehlen. So eilte er beschleunigten Schrittes heimwärts, das Tempo erst mäßigend, als ihm der aus der Ferne auftauchende Laternenschimmer der Stadt, trotz der rasch hereingebrochenen Dunkelheit, über die einzuschlagende Richtung Sicherheit gab. Plötzlich blieb er stehen. Ihm war, als hätte er leises Weinen eines Kindes vernommen. Scharf aufhorchend, spähte er in das graue, wogende Nebelmeer, aus dem die näher stehenden Bäume wie Gespenster mit ausgestreckten Armen emporragten. Einige Augenblicke blieb alles still, dann hörte er sie wieder, die klagende Kinderstimme. »Holla! Was giebt es? Wer ist da?« rief er nun mit voller Kraft in den dunklen schweigenden Wald hinein. Er hatte sich nicht getäuscht. Ein ängstlicher Ruf aus kindlicher Kehle antwortete ihm, und der Richtung desselben nachgehend, stand er in wenigen Minuten an der Seite eines neben einem Bündel Reisig an dem Boden kauernden und bitterlich weinenden, etwa zehnjährigen Knaben. Jetzt freilich versiegten seine Thränen rasch und, das Bündel dürrer Baumzweige auf den Schultern, neben Julian einhertrabend erzählte er diesem, wie er, um Holz zu suchen, in die »Au« geschickt worden, von der Nacht und dem plötzlich einfallenden Nebel überrascht, aber den Heimweg nicht mehr habe finden können. Nach rascher Wanderung hatten sie den nach der Stadt zu gelegenen Ausgang des Waldes bald erreicht. Noch hatten sie einen am Damm des Flusses sich hinziehenden schmalen Wiesengrund zu überschreiten, um in bewohntes Gebiet zu gelangen. Schon tauchten die ersten Häuser mit ihren erleuchteten Fenstern freundlich winkend aus dem Nebel auf, als der Knabe stehen blieb und, das Holzbündel von der Schulter werfend, seinem Führer für die ihm geleistete Hilfe dankte. »Ich bin gleich zu Hause,« sagte er. »Hier wohnen wir.« Julian blickte um sich. Kein Haus, keine Hütte war zu sehen. »Da!« sagte der Kleine und streckte die Hand aus. Und jetzt bemerkte Julian einen dicht an dem einen großen Platz umschließenden Lattenzaun stehenden, unförmlichen Gegenstand, in welchem er bei näherer Besichtigung einen jener sonderbaren Wagen erkannte, wie ihn wandernde Zigeuner oder Seiltänzer minderer Sorte und derartiges fahrendes Volk als ihre bewegliche Wohnung mit sich zu führen pflegen: einen auf Rädern stehenden großen grünen Kasten mit zwei winzigen, Schiffsluken ähnlichen Fensterchen, hinter welchen ein Lichtlein brannte. »O --!« entschlüpfte es Julian's Lippen, während er einen Seufzer unterdrückte. In demselben Augenblicke aber stürzte von der Rückseite des Wagens eine weibliche Gestalt auf den Knaben zu. »Endlich, endlich!« rief sie. »Wir glaubten schon, es sei Dir ein Unglück geschehen.« Und sie umarmte und küßte ihn. Ihre blonden Zöpfe hingen frei in den Nacken. Der groteske Hut mit den großen, gelben Blumen saß ihr jetzt nicht auf dem Kopfe, ihr Gesicht zu verunstalten. Aber das blaue Sammtjäckchen mit den weißen Borten ließ Julian sogleich die Straßensängerin vom Morgen in ihr erkennen, deren musikalische Vorträge ihn fast zur Verzweiflung gebracht. Jetzt lief sie zu dem Wagen zurück. »Er ist da, Mutter!« schrie sie in das offene Fensterchen hinein. »Er ist zurück, es ist ihm nichts geschehen!« Des fremden Begleiters ihres Bruders wurde sie in der Hast und Freude des Wiedersehens gar nicht gewahr. Und Julian machte sich nicht bemerkbar. Er drückte ein paar kleine Münzen in die Hand des Knaben und verschwand im Nebel. Am anderen Abend aber saß Julian auf seinem über dem kühlen Grasboden gebreiteten Ueberzieher vor dem grünen Karren der Spielleute und ließ sich erzählen von ihrem Leben und Schicksal. Es war ein trauriges Lied, aber kein selten gehörtes. Der Vater -- der Ernährer -- todt, die Mutter erkrankt vor Noth und Mühsal, die Familie dem Elend preisgegeben, hätte Elvira -- dies war der Name der kleinen Harfenistin, und Roland hieß ihr Bruder -- sich nicht entschlossen, das von ihrem Vater -- der Dirigent einer von einem Circus engagirten Musikkapelle war -- ererbte und so gut es ging, entwickelte Talent zum Broterwerb für sich und die Ihrigen zu verwerthen. So zogen sie von Stadt zu Stadt, von Land zu Land. Bei Tage sang und spielte Elvira vor den Fenstern der Häuser, Abends in Kneipen und Kaffeeschänken. Schon nahte die Stunde, da sie sich wieder auf den Weg machen mußte nach dem Wirthshause, für welches sie heute bestellt war. Meist begleitete sie ihr Brüderchen auf diesen Gängen. Die Mutter wollte es so, da sie zu krank war, sie selbst zu begleiten. Lieber blieb sie die langen, öden Stunden des späten Abends allein in ihren engen vier Holzwänden, als daß sie das Mädchen allein hätte ziehen lassen. Auch half Roland ja selbst zum Erwerb, denn schon führte er den Bogen, und manche Hand, die sich dem Mädchen verschloß, öffnete sich mildthätig für das blasse Kind, das auf seiner auch vom Vater ererbten Geige mit dem Ernste eines großen Künstlers Tänze und Märsche herabfiedelte. Acht Tage noch wollte die Musikantenfamilie in der Stadt verweilen. Dann war die Zeit zu Ende, für welche sie von der Behörde Aufenthaltsbewilligung erhalten hatte. Jeden Abend kam Julian, um ein Stündchen in ihrer Mitte zu verweilen und irgend eine kleine Gabe, wie sie seine bescheidenen Verhältnisse ihm eben gestatteten, mitzubringen, etwas Geld oder Eßwaaren, die er gekauft oder von seinem Mittagsmahle erübrigt hatte, oder ein altes, noch brauchbares Kleidungsstück, dessen er glaubte, sich entledigen zu können oder das seine Hausfrau ihm für seine Schützlinge geschenkt. Immer wurde er mit Jubel empfangen, nicht nur wegen seiner kleinen Unterstützungen, sondern mehr noch um der freundlichen Theilnahme willen, die sie bei ihm fanden. Eines Abends jedoch -- es war der letzte ihres Aufenthaltes -- kam Roland nicht, wie er es sonst immer gethan, ihm freudig entgegengelaufen. Weder der Knabe noch seine Schwester ließen sich auf dem Platze vor dem Wagen blicken. Näher schreitend war Julian schon im Begriffe, seine Anwesenheit durch Rufen kundzugeben, als er, etwa zehn Schritte von sich entfernt, in einem Winkel des Lattenzaunes, zwei dunkle, eng aneinander geschmiegte Gestalten bemerkte. Es war Elvira. Ihr zur Seite stand ein Julian unbekannter Mann, seine Arme um ihren Hals geschlungen, während ihr Kopf auf seiner Schulter lehnte. Julian fühlte sein Herz sich zusammen schnüren. Die alte Geschichte -- wie hätte es denn auch anders sein können unter solchen Verhältnissen! Und doch, ach -- wie leid that es ihm um das junge Mädchen. Er überlegte. Sollte er sich unbemerkt von dannen schleichen -- oder die Mutter aufsuchen, die sicherlich im Wagen saß? -- Wenn er jetzt gleich wieder fort ging, wie sollte er den Leuten die Flasche Wein und den kalten Braten zukommen lassen, die er ihnen zur Wegzehrung auf ihrer morgigen Wanderschaft mitgebracht. Da lösten sich die beiden Gestalten aus ihrer Umarmung, der Mann eilte raschen Schrittes der Stadt zu, Elvira aber, die Arme auf einen Pfosten des Zaunes, den Kopf in die Hände gestützt, brach in bitterliches Schluchzen aus. In zwei Sätzen stand Julian neben ihr. »Was ist geschehen? Warum weinen Sie?« drang er in das Mädchen, ihr den Kopf streichelnd, wie man einem weinenden Kinde thut. Sie antwortete nicht sogleich, die Thränen erstickten ihre Stimme. Endlich aber faßte sie sich. Und nun erfuhr Julian, um was es sich handelte. Der junge Mann, der eben von ihr gegangen, liebte sie. In einem kleinen Gasthause, wo sie zuweilen sang und er sein Abendbrot zu nehmen pflegte, hatte sie ihn kennen gelernt. Heute nun, da er wußte, daß sie am nächsten Tage fortwandern sollten, war er gekommen, ihr zu sagen, daß es ihm Ernst sei, daß er sie heiraten und mit der Mutter gleich alles Nöthige besprechen und festsetzen wolle. »Nun --?« fragte Julian, als das Mädchen stockte. »Ich werde ihn wohl nie im Leben wiedersehen,« fuhr sie mit zitternder Stimme leise fort. »Ich hab' ihn abgewiesen und ihm Lebewohl gesagt.« »Sie lieben ihn also nicht?« Da schluchzte sie laut auf. »O -- wie ich ihn liebe!« Und dann, nach kurzem, stillem Hinweinen: »Sehen Sie, ich kann ihn nicht heiraten, ich darf nicht, weder ihn noch einen Anderen. Wenn ich seine Frau würde, müßte ich meinen Erwerb aufgeben. Er würde es nicht dulden, daß ich als Harfenistin durch Straßen und Schenken ziehe. Er ist Buchbindergeselle und erwirbt genug für uns Beide. Wovon sollten aber die Mutter und Roland leben, wenn ich aufhörte, zu singen? Er hat nicht genug, um auch sie zu ernähren, und selbst, wenn er es könnte, so möchte ich doch nicht, daß sie das bittere Brot der Gnade äßen.« Sie schwieg. Und Julian fand kein tröstendes Wort. Es war ihm weh zu Muthe. Da wurden nahende Schritte hörbar. Es war Roland, der in der Stadt einige kleine Einkäufe besorgt hatte. Elvira raffte sich auf. »Kommen Sie, gehen wir zu den Anderen!« flüsterte sie. Und dann, ganz leise: »Sagen Sie der Mutter nicht, daß ich geweint habe. Sie weiß, daß ich ihn abgewiesen habe, aber sie soll es nicht erfahren, daß ich ihn lieb habe. Es würde sie zu traurig machen.« Am anderen Tage auf dem Heimwege von seinem abendlichen Spaziergange lenkte Julian wieder, ohne selbst recht zu wissen, warum, seine Schritte nach dem Wiesenplatze vor dem Auwald. Leer, öde und still lag er heute da. Das kurze Gras um die Stelle, wo der Wagen gestanden, war zertreten und zerstampft, und daneben, wo sie den kleinen eisernen Herd hingestellt hatten, auf dem Elvira die Suppe und Kartoffeln für das Abendessen kochte, lagen Stückchen halbverkohlten Holzes auf der Erde. Wo sie wohl jetzt weilen mochten? -- Was die Zukunft ihnen bringen würde? -- Immer nur Mühe, Entbehrung, Lasten und Sorge? -- Oder auch Glück und Freude? -- dachte Julian. Und während er am Ufer des leise rauschenden Flusses langsam weiter schritt, auf dessen sanft dahingleitenden Wellen die Gasflammen und elektrischen Bogenlichter der Straßen- und Brückenlaternen sich spiegelnd aufblitzten wie herabgefallene, auf dem Wasser schwimmende Sterne, klang ihm wieder das Lied im Ohre: »Es ist bestimmt in Gottes Rath, Daß man vom Liebsten, das man hat -- muß scheiden --« Arme Elvira! Als sie es vor seinem Fenster gesungen, ahnte sie wohl nicht, wie bald es sich an ihr erfüllen sollte! Sein Bild. Es giebt bekanntlich Menschen, die sich nie, selbst in den glücklichsten Lebenstagen nicht glücklich fühlen, und Andere dagegen, die sehr wenig bedürfen, um froh und zufrieden zu sein. Die Ersteren -- sie sind leider in der Mehrzahl -- haben die unglückliche Gewohnheit, ihre eigenen Verhältnisse immer mit solchen der besser situirten Leute zu vergleichen und an diesen abzumessen, wobei sie selbstverständlich zu dem Resultate kommen, ihre Lage als eine bedauernswerthe zu betrachten. Statt ihr Augenmerk darauf zu richten, was das Geschick ihnen Gutes beschert hat, ziehen sie nur in Erwägung, was es ihnen versagt. Wohnen sie in einer kleinen Stadt, so beklagen sie es, die Vortheile eines Aufenthaltes in einer Großstadt entbehren zu müssen, werden sie nach einer solchen versetzt, so bemitleiden sie sich dafür, nicht den Sommer auf dem Lande zubringen zu können; wird auch dies ihnen ermöglicht, so ist es sicherlich nicht der ihren Wünschen entsprechende Punkt, wohin die Umstände sie geführt haben. Martin Jost gehörte nicht zu dieser Kategorie von Menschen. Er gehörte zu der kleinen Zahl jener Anderen, die sich mit dem bescheidensten Lose -- so es nur erträglich -- zufrieden geben; die sich des flüchtigsten Lichtblickes in ihrem Dasein freuen und selbst dann, wenn ihr Schicksalshimmel, mit trüben Wolken verhängt, düster auf sie herniederblickt, unbewußt die tiefe Lebensweisheit üben, daß sie geduldig auf eine Besserung warten. Seit fünfzehn Jahren bei einem Rechtsanwalte als Schreiber bedienstet, bezog Martin einen Monatssold, der gerade ausreichte, daß er nicht hungern und nicht frieren mußte und nicht in schmutzigen oder zerrissenen Kleidern einherzugehen brauchte. Er bewohnte eine kleine, schlicht möblirte Stube bei einer ältlichen Beamtenswitwe, bereitete sich eigenhändig seinen Morgenkaffee, aß seit vielen Jahren in demselben bescheidenen Gasthause, in demselben Zimmer, an demselben Tische zu Mittag und trug unverändert denselben grauen Rock und denselben schwarzen Filzhut. Allerdings wurden Hut und Rock, wenn sie sich als vom Zahne der Zeit allzu scharf mitgenommen erwiesen, durch neue ersetzt. Da der Nachkömmling jedoch immer genau so aussah wie sein Vorgänger, so machte es den Eindruck, als ob Martin mit seinen Kleidern verwachsen wäre. Nur wenn er -- dies war der einzige Luxus, den er sich gönnte -- das Theater besuchte, vertauschte er den grauen mit einem schwarzen Rocke, mit demselben schwarzen Rocke, den er vor fünfzehn Jahren gelegentlich der behufs Erlangung seiner Dienststelle bei dem Advocaten unternommenen Präsentationsvisite getragen hatte. Es war ihm nicht an der Wiege gesungen worden, daß er es nicht weiter bringen sollte als bis zum Schreiber. Ein munterer, aufgeweckter Knabe, hatten seine Lehrer ihn als einen fleißigen und begabten Schüler sehr lieb gehabt. Doch als sein Vater plötzlich starb, Frau und Sohn in den dürftigsten Verhältnissen zurücklassend, da unterbrach der Jüngling seine zu den schönsten Hoffnungen berechtigenden Studien und trat, da sich eine bessere Stelle ihm nicht bot, als Diätist in den Dienst des Rechtsanwaltes, sich und die Mutter von seinem kleinen Gehalte ernährend. Jetzt war auch die Mutter seit Jahren todt, und da er nun für niemand mehr als für sich selbst zu sorgen brauchte, brachte er es, so gering seine Bezahlung auch war, doch fertig, nicht nur ein kleines Sümmchen für unvorhergesehene Fälle von Krankheit oder Noth jährlich zurückzulegen, sondern auch sich das Vergnügen eines zeitweiligen Theaterbesuches, des einzigen und ausschließlichen Vergnügens, das er kannte, zu gestatten. Niemand ahnte es, welche Begeisterung in dem Inneren dieses stillen, unscheinbaren Männchens loderte, welches mächtige Echo das Wort des Dichters in dem Herzen dieses scheinbar trockenen Actenabschreibers fand. Ein Copist! Wie sollte die Seele eines Menschen, der seit einer Reihe von Jahren von acht Uhr Morgens bis Mittags, von zwei Uhr Nachmittags bis sechs Uhr Abends nichts anderes that, als seine Feder in trostloser Einförmigkeit über das Papier hingleiten zu lassen, anderer Empfindungen und Gedanken als solcher der nüchternsten Alltäglichkeit fähig sein! Ja, besaß solch eine Schreibmaschine überhaupt etwas wie eine Seele? Und doch! Ein Wesen gab es, das in den sinnend vor sich hinblickenden grauen Augen des von niemanden beachteten, schüchternen und schweigsamen Mannes zu lesen verstand, ein Wesen, welches wußte, welch eine reiche Welt zarter und reiner Gefühle, freier und edler Ideen hinter dem durch den Schein alltäglicher Unbedeutendheit täuschenden Aeußeren verborgen lag. Dieses eine Wesen war die Blumenmacherin Elise H., die er erst vor wenigen Jahren kennen gelernt hatte, mit der ihn aber jetzt herzliche Freundschaft verband. Im Theater war es gewesen. Sie hatte neben ihm gesessen; durch sein bescheidenes freundliches Anerbieten, sein Opernglas zu benützen, war ein Gespräch herbeigeführt worden und im Laufe desselben hatte er die ihm wundersam scheinende Entdeckung gemacht, daß seine Sitznachbarin von demselben Enthusiasmus über die sie entzückende Bühnendichtung erfüllt war, wie er selbst. Da sie allein war und da sie den Weg nach Hause allein hätte zurücklegen müssen, bot er ihr, seine Schüchternheit überwindend, seine Begleitung an, welche angenommen wurde. Und nicht nur das -- sie gestattete ihm auch, sie zu besuchen. Immer reger wurde der Verkehr zwischen ihnen, immer mehr Freude und Erquickung fanden die beiden Einsamen in den trauten Stunden ihres Zusammenseins und bald wurde es ihnen zur Gewohnheit, an bestimmten Tagen der Woche die Abende in Elisens traulichem Stübchen zu verbringen. Sie verkehrten wie Geschwister miteinander. Nachdem der Thee getrunken war, griff Elise wieder zu ihrer Arbeit, Martin aber nach einem Buche, aus dem er ihr vorlas und über welches sie dann ihre Gedanken austauschten. Sie empfanden es Beide als ein großes Glück, einander begegnet, Einer in dem Anderen eine Menschenseele gefunden zu haben, die sie von der trostlosen Vereinsamung, die jeden bedrückte, erlöste und ihnen Gelegenheit bot, alles, was in ihnen lebte und webte, ihre durch das stete Schweigen gleichsam verschleiert gebliebenen Empfindungen, die Ideen, welche theilweise noch unreif und verworren, nach Klärung rangen, auszusprechen und sie durch das Urtheil des Anderen frische Nahrung, Erweiterung und Berichtigung finden zu lassen. Denn wie Martin war auch Elise solcher Eltern Kind, die für sie ein besseres Los als das einer Handarbeiterin im Auge gehabt und ihr eine gute Erziehung hatten angedeihen lassen. Sie hatte viel gelesen und manches gelernt; doch wies der ihr zutheil gewordene Unterricht zu viele Mängel und Lücken auf, um sie durch Verwerthung desselben zur Gewinnung der Mittel ihres Lebensunterhaltes zu befähigen. Und so kam es, daß, als das Unglück über sie hereinbrach, in rascher Folge ihre beiden Eltern zu verlieren und, ohne Vermögen, auf eigenen Broterwerb angewiesen zu sein, ihr bis dahin nur zu ihrem Vergnügen gepflegtes Talent der Erzeugung zierlicher Kunstblumen zur Quelle der Erwerbung der Subsistenzmittel wurde für sie selbst und für ihren von schwerem Siechthum befallenen kleinen Bruder. Doch während sie so saß und Stunde um Stunde die weißen Battistblättchen zu Blumen- und Blüthengebilden zusammenfügte, um dann die zarte Form mit Farbe zu überkleiden, da flatterten ihre Gedanken weit hinaus aus dem engen Raum, und die reichen, vielgestaltigen Bilder, die ihre Phantasie erbaute, belebten die gleichförmige Einsamkeit ihres wirklichen Lebens. Jetzt war dies anders geworden; in Martin hatte Elise einen Genossen gefunden, der allem von ihr Gedachten und Empfundenen williges Gehör und Verständniß entgegenbrachte. Auf diese Weise waren einige Jahre verflossen, als die Verschlimmerung des Zustandes des kleinen Patienten und schließlich sein Tod im Verkehre der beiden Freunde eine schmerzliche Unterbrechung herbeiführte. Und als Martin -- nachdem Elise den von seinen Leiden erlösten Knaben zur Ruhe bestattet hatte, ihr nun noch vereinsamteres Leben wieder in alter Weise aufnahm -- auch zur Gewohnheit seiner regelmäßigen Besuche zurückkehren wollte, da sah er sich plötzlich vor die Alternative gestellt, entweder auf seinen ihm so lieb gewordenen Verkehr mit der Freundin zu verzichten oder ihren guten Ruf zu gefährden. Denn jetzt fingen Elisens Nachbarsleute an, die Köpfe zusammenzustecken, zu zischeln und zu flüstern und Martin's häufige Besuche bei Elise, die nun nicht einmal mehr den Bruder an der Seite hatte, dessen stete Anwesenheit die Sache anständiger hatte erscheinen lassen, als einen die Moral verletzenden Scandal zu bezeichnen. Martin fühlte sich tief unglücklich und wußte keinen Ausweg. Die Freundin dem Gerede verleumderischer Lästerungen preisgeben wollte er nicht, auf sie Verzicht zu leisten, dies glaubte er aber nicht über sich bringen zu können, denn -- jetzt erst ward er sich darüber klar -- nicht freundschaftliche Gefühle allein waren es, die ihn an sie fesselten. Nein, die Freundschaft hatte sich in seinem Herzen in Liebe umgewandelt. Aber so sorgsam hatte er das Geheimniß gehütet, daß er bis zu diesem Augenblicke selbst nicht wußte, was in seinem Inneren lebte. Ein Anderer würde an seiner Stelle nicht gezögert haben, Elisen seine Liebe zu gestehen und sie zu fragen, ob sie seine Frau werden wolle. Er aber fand hierzu den Muth nicht. Seine Schüchternheit und die aus diesem Gefühle geborene Ueberzeugung der Unmöglichkeit, daß er im Stande sein sollte, die Neigung eines weiblichen Wesens, am allerwenigsten aber die Elisens, die er in seinem Urtheile unerreichbar hoch über sich stellte, zu erwerben, banden ihm die Zunge. Und so kam es, daß er, statt einen entscheidenden Schritt zu thun, mit eigenen Händen den Weg verrammelte, der ihn an das gewünschte Ziel hätte bringen können; er ließ seine Besuche bei Elisen immer seltener werden und blieb, allerlei Vorwände suchend, schließlich ganz aus. Indem er glaubte, daß Elise nichts ahnte von dem, was in ihm vorging und was die Ursache war seines plötzlichen Abbrechens ihres Verkehres, hatte er sich jedoch sehr getäuscht. Nicht nur war der Klatschbasen mißbilligendes und verleumderisches Geflüster über ihre vertraulichen Beziehungen zu Martin auch ihr, ebenso wie ihm, ja noch früher zu Ohren gekommen, sie hatte auch das in seinem Herzen glühende Feuer gar lange schon wahrgenommen. Ja, sie hatte es bereits erkannt, daß sie von ihm geliebt sei, bevor er sich selbst dessen bewußt geworden. Einige Wochen waren vorübergegangen, ohne daß Martin die Schwelle des trauten Zimmers mit dem mit geblumten Kattun überzogenen Sopha, in dessen Ecke er so oft gelehnt, mit dem Lederfauteuil, auf welchem er Elise so oft sitzen gesehen, das blasse, nicht schöne und doch so anziehende Gesicht mit den freundlich und klar blickenden Blauaugen nach vorne über den großen Arbeitstisch geneigt, ohne daß er die Schwelle dieses Zimmers, nach dem es ihn so mächtig zurückzog, überschritten hatte. Anfänglich war es ihm schwer, ach, furchtbar schwer gefallen, seinen Entschluß durchzuführen. Oft hatte er das Haus, das ihn unwiderstehlich lockte, umschritten, war an dessen Thor stehen geblieben, hatte bebenden Herzens nach den zwei Fenstern hinaufgeblickt, durch deren zugezogene Vorhänge der gedämpfte Lichtschein der Lampe fiel. Aber betreten hatte er das Haus nicht. Denn er wußte, daß wenn er erst im Flur stünde, er der Versuchung, seinen Vorsatz zu brechen, nicht widerstehen würde. Er glaubte, daß es seine Pflicht sei, diesen Vorsatz auszuführen. Und das Bewußtsein erfüllter Pflicht war ihm mehr werth als sein Glück. Da erhielt er eines Tages ein Briefchen von Elise, worin sie ihn bat, sie Abends zu altgewohnter Stunde zu besuchen; sie habe ihm eine Mittheilung zu machen, seinen Freundesrath in wichtiger Angelegenheit zu erbitten. Er kam. Und als er das liebe Gesichtchen wieder sah, noch blasser als sonst -- oder ließen nur das Trauerkleid und die schwarze Halskrause es so blaß aussehen? -- und um die Augenbrauen ein seltsam nervöses Zucken, als wohnte hinter dieser Stirn ein neuer Kummer, ein Kummer, dessen Ursache vielleicht er war, da ward ihm zu Muthe, als müßte er vor sie hintreten, ihre Hand fassen und ihr alles sagen, wie es ihm ums Herz sei. Doch er bezwang sich und schwieg. »Sie wollen mir etwas mittheilen, meinen Rath hören,« sagte er mit erzwungener Ruhe. »Ja, freilich! Doch davon später, nach dem Thee,« antwortete sie. »Denn heute will ich zu Ehren Ihres Besuches mir Feierabend gönnen.« Und nun ging sie daran, den Tisch zu decken. Für kalten Aufschnitt, Sardellenbutter, geröstete Brotschnitten, auch Backwerk daneben, hatte sie bereits gesorgt, und nun ordnete sie alles in ihrer stillen, geräuschlosen Art. Dabei knisterte und flackerte das Feuer im Ofen, denn es war Winter, und das Wasser im Theekessel summte ein trauliches Liedchen. Martin wurde es immer wohler und zugleich immer weher in seiner Seele. Und er glaubte vergehen zu müssen bei dem Gedanken, wie glücklich er werden könnte, wenn -- ja wenn -- Dann fing sie zu plaudern an von allen möglichen Dingen -- ganz wie früher, als sie noch gewohnt waren, einander alle kleinen Begebenheiten, alle Freuden und Leiden ihres einfachen Lebens mitzutheilen. Auch von dem todten Brüderchen sprach sie, und wie sie jetzt, seitdem es ihr genommen, sich noch viel einsamer fühle als früher, so lange sie für ihn zu sorgen und zu schaffen hatte. Und dann -- ganz plötzlich -- rückte sie mit dem heraus, was sie eigentlich vorhatte, ihm mitzutheilen. Sie hege die Absicht, sich zu verheiraten, sagte sie ihm. Der Mann ihrer Wahl sei ein guter, braver Mensch, arm wie sie selbst. Aber sie Beide stellen ja keine großen Ansprüche an das Leben und sie seien gewohnt, zu arbeiten. Und -- was die Hauptsache -- sie liebe ihn. Da sie aber zu einem so wichtigen Schritt sich nicht entschließen wolle, ohne seinen Rath zu hören, so bäte sie ihn um sein Urtheil. Er werde gleich Gelegenheit haben, den Erwählten kennen zu lernen, denn sie habe diesen gebeten, heute Abend auch zu ihr zu kommen. Martin schnellte von seinem Sitze empor. Kreidebleich stand er vor ihr. Sein Herz hämmerte in so wuchtigen Schlägen, daß er kaum zu sprechen vermochte. »Wie?« stammelte er. »Er kommt hierher? Jetzt, hier soll ich ihm begegnen? Nein, Elise, das fordern Sie nicht von mir! Das nicht! Lassen Sie mich gehen, bevor er kommt.« »Sie wollen mir Ihren Freundesrath vorenthalten?« fragte Elise. »Mir ist an Ihrem Urtheile viel gelegen.« »Ach, welchen Nutzen haben Sie davon? Nein, ich will nicht hier bleiben, ich will nicht!« rief Martin fast verzweifelt und rannte im Zimmer umher, um Hut und Ueberrock zu suchen, die er nicht fand, obgleich beides vor seinen Augen an einem Haken an der Thür hing. Elise aber blieb unerbittlich. »Warum wollen Sie ihm nicht begegnen?« fragte sie. »Sagen Sie mir, warum Sie es nicht wollen.« Da trat Martin dicht an sie heran, und indem er die Hände wie bittend ineinander legte, sagte er: »Warum? -- Weil -- weil -- Ach, Elise, Sie quälen mich nutzlos. Sie ahnen nicht --« Er vollendete den Satz nicht und wandte sich ab. Hut und Rock vom Nagel reißend, wollte er aus dem Zimmer stürzen. Elise hielt ihn zurück. »Wenn Sie meine Bitte durchaus nicht erfüllen wollen, wohlan, gehen Sie, ich halte Sie nicht auf. Doch sein Bild sehen Sie sich an. Hier ist es, so sieht er aus. Und nun sagen Sie mir, ob er Ihnen gefällt, ob Sie glauben, daß meine Wahl eine gute, ob ich sie nicht zu bereuen haben werde.« Und sie hielt dem Widerstrebenden eine Photographie vor die Augen. Es war seine eigene -- Martin stieß einen leisen Schrei aus und im nächsten Augenblicke lag Elise in seinen Armen. Er glaubte nicht, daß ihre Wahl keine gute sei -- und sie hatte sie nie zu bereuen. Collection Hartleben. Eine Auswahl der hervorragendsten Romane aller Nationen. Preis des Bandes eleg. geb. 40 Kr. = 75 Pf. = 1 Fr. Pränumeration für ein Jahr (26 Bände) 10 fl. = 19 M. = 25 Fr. Inhalt des ersten Jahrganges. I.-IV. Carlén, Emilie. Der Vormund. V.-VI. Dumas, Alexander. So sei es. VII.-VIII. Sue, Eugen. Miß Mary. IX. Jokai, Mor. Hallil Patrona. (Die weiße Rose.) X. Sand, Georg. Die kleine Fadette. (Die Grille.) XI.-XII. Mügge, Theod. Verloren und gefunden. XIII.-XIV. Thackeray, William. Die Geschichte Heinrich Esmond's. XV. Turgénjew, Iwan. Frühlingsfluthen. XVI. Maquet, Aug. Liebe und Verrath. XVII.-XIX. Dumas, Alex. Sohn. Roman aus dem Leben einer Frau. XX. Léval, Paul. Der schwarze Bettler. XXI.-XXII. Sandeau, Jul. Valcreuse. XXIII.-XXIV. Berthet, Elie. Der Wolfmensch. XXV.-XXVI. Ainsworth, Harisson. Der Verschwender. Inhalt des zweiten Jahrganges. I.-III. Kraszewski, J. I. Am Hofe August des Starken (Gräfin Cosel). IV. Rovetta, Gerolamo. Der erste Liebhaber. V.-VI. Delpit, Albert. Theresine. VII. Rosegger, P. K. Streit und Sieg. VIII. Dumas, Alex. Sohn. Diana de Lys. IX.-XI. Herloßsohn, K. Wallenstein's erste Liebe. XII. Besozzi, Max. Späte Einsicht. XIII.-XIV. Sue, Eugen. Kinder der Liebe. XV. Degré, Al. Blaues Blut. XVI.-XVII. Sand, George. Erkenntnisse eines jungen Mädchens. XVIII.-XX. Bell, Currer. Die Waise aus Lowood. XXI.-XXII. Flaubert, G. Mad. Bovary. XXIII. Gaskel, Mrs. Eine böse Nacht. XXIV.-XXVI. Dumas, Alex. Chevalier von Maison rouge. Inhalt des dritten Jahrganges. I.-III. Collins, Wilkie. Die neue Magdalena. IV.-V. Boisgobey, Fortuné. Die Stimme des Blutes. VI. Julius von der Traun. Goldschmiedkinder. VII.-VIII. Reyd, Cap. Mayne. Die Scalpjäger. IX. Vogel vom Spielberg. Irrende Seelen. X.-XI. Schlögl, Friedr. Wiener Blut. XII.-XIV. Enault, Louis. Die Geschichte einer Frau. XV. Lermontoff, Michael. Der Held unserer Zeit. XVI. Feuillet, Octave. Der Roman eines armen jungen Mannes. XVII.-XVIII. Schlögl, Friedr. Wiener Luft. XIX.-XXI. Smith, Hamlyn. Ein Londoner Geheimniß. XXII.-XXIV. Foudras, Marquis. Die Nacht der Rächer. XXV.-XXVI. Schlögl, Friedr. Wienerisches. Inhalt des vierten Jahrganges. I.-IV. Mary, Jules. Schuldig, oder nicht? V.-VI. Karasin, N. N. Der Brahmane. VII.-VIII. Delpit, Albert. Die schöne Frau. IX. Jokai, Mor. Clarinus und andere Novellen. X.-XII. Kraszewski, J. I. Die Sphinx. XIII.-XIV. Sand, George. Der Marquis von Villemer. XV. Caballero, Fernan. Spanische Novellen. XVI.-XVIII. Beecher-Stowe, H. Wir und unsere Nachbarn. XIX. Dumas Alex. Gabriel Lambert. XX. Turgénjew, Iwan. Der König Lear der Steppe und andere Novellen. XXI.-XXII. Reyd, Cap. Mayne. Die Scharfschützen. XXIII.-XXIV. Foudras, Marquis. Ein großer Komödiant. XXV.-XXVI. Perrin, Maxim. Der Sultan eines Pariser Stadtviertels. Inhalt des fünften Jahrganges. I.-II. Boisgobey, Fortuné. Im Banne der Schuld. III. Karasin, N. Das Drama im Grenzfort. IV.-VI. Wilson, Aug. Evans. Infelice. VII. Vogel vom Spielberg, A. Frau Lear. VIII. Delpit, Eduard. Kath. Levallier. IX. Beniczky-Bajza, Helene v. Gräfin Ruth. X. Mairet, Jeanne. Meeresblume. XI.-XII. Ssalis, E. A. Schicksalswege. XIII.-XV. Dash, Gräfin. Die schöne Aurora. XVI. Lytton, Lord. Der Ring der Amasis. XVII.-XIX. A. v. L. Am Hofe von Neapel. XX.-XXI. Longfellow, H. W. Hyperion. XXII.-XXIV. Dumas, Alexander. Isabella von Bayern. XXV. Eliot, George. Der gelüftete Schleier. XXVI. Sue, Eugen. Die Marquise von Alfi. Inhalt des sechsten Jahrganges. I.-III. Werthen, S. Opfer der Liebe. IV.-V. Beniczky-Bajza, Helene v. Die Würde der Schönheit. VI. Mairet, Jeanne. Marca. VII.-VIII. Wasserburger, Lina. Die Aloeblüthe. IX.-X. Pont-Yest, René de. Claudia. XI.-XII. Sienkieviz, Heinrich. Quo vadis? XIII. Serao, Mathilde. Fahr' wohl, mein Lieb! XIV.-XVI. Boborykin, P. Die Fürstin. XVII. Groner, Auguste. Der alte Herr und andere Novellen. XVIII.-XIX. Flemming, M. A. Bruderliebe. XX. Kreuth, W. Nach dem Schiffbruch. Südamerikanischer Roman. XXI. Delpit, Albert. Die Witwe Sorbier. XXII. Troll-Borostyáni, Irma v. Novellen. XXIII. Brun-Barnow, I. v. Das Verhängniß. XXIV.-XXVI. Ohnet, Georges. Der König von Paris. Inhalt des siebenten Jahrganges. I.-III. Black, William. Sabina Bembra. IV.-V. Guidi, Orlanda. Isabella Fianelli. VI. Brociner, Marco. Das Blumenkind und andere Novellen. VII.-VIII. Lesueur, Daniel. Hassende Liebe. IX. Josika, Koloman Freiherr von. Comtesse Tini. X.-XI. Lancken, B. von der. Der Günstling. XII.-XIII. Lowet, Cameron. Ein schwaches Weib. XIV. Guglia, Eugen. Das Begräbniß des Schauspielers und andere Novellen. XV. Cantacuzène, Olga, Prinzessin. Carmela. XVI.-XVII. Casetti, Alexander. Das Vermächtniß. Original-Roman aus der Gesellschaft. XVIII. Roest, Rust. Firma Löwe, Kurt u. Comp. Eine Erzählung. XIX.-XX. E. Braddon. Im Verdacht. XXI.-XXII. Delpin, Albert. Alle Beide. XXIII.-XXIV. Waldow, Ernst von. Die rothe Locke. XXV.-XXVI. Mairet, Jeanne. Auf der Höhe. A. Hartleben's Verlag in Wien, Pest und Leipzig. [ Hinweise zur Transkription Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. Darstellung abweichender Schriftarten (ausgenommen römische Zahlen): =Antiqua= . Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Textende an den Textanfang verschoben. Wiederholungen von Kopf- und Fußzeilen in der Verlagswerbung wurden entfernt. 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