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Title: Reisescizzen und Tagebuchblätter aus Deutsch-Ostafrika
Author: Bülow, Frieda von
Language: German
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AUS DEUTSCH-OSTAFRIKA ***



  Frieda Freiin von Bülow.


  Reisescizzen

  und

  Tagebuchblätter

  aus Deutsch-Ostafrika.


  [Illustration: Decoration]


  Berlin 1889.
  _Walther & Apolant._
  Markgrafenstraße 60.


  Alle Rechte vorbehalten.



  Meinen

  wackeren Freunden und Gefährten

  in Ost-Afrika

  mit herzlichem Gruße

  zugeeignet.



[Illustration: Decoration]



Reise-Erinnerungen.


Der Markusplatz lag in hellem Sonnenglanz, welcher in all dem blanken
Marmor und in der Goldmosaik der wunderbaren maurischen Kirche funkelte und
blitzte. Auf den Marmorplatten wogte eine festtägliche Menge mit nur in
Venedig möglicher Geräuschlosigkeit. Tausende von schönen Augen sahen
erwartungsvoll nach der berühmten Uhr hinauf, die heute ihr schönstes
Kunststück machte, denn es war am Tage der Himmelfahrt Christi. -- Wir
aber wandten uns, begleitet von einigen Kofferträgern nach der Piazzetta,
von wo aus wir eine der langgeschnabelten schwarzen Gondeln bestiegen
und nach dem Hafen hinausruderten. Dort lag, weit draußen, der große
»Indienfahrer,« ein Dampfer der »~Peninsular and Oriental Steam
Navigation Company~,« der uns nach Aden bringen sollte. Mein Onkel und
seine junge Braut geleiteten uns noch an Deck, doch mußten sie uns bald
das letzte Lebewohl sagen, denn die Abfahrtsstunde war gekommen. So lange
wir die sich Entfernenden sahen, winkten wir mit den Tüchern. Dann nahm
das Rasseln der Ankerkette, das Hin- und Herlaufen dunkelfarbiger Matrosen,
die Commandorufe der Schiffsofficiere, der lange, klagende Pfiff und das
Schnaufen der in Thätigkeit gesetzten Maschine unsere Aufmerksamkeit
gefangen.

Schönes heiteres Wetter und ruhige See begleiteten uns bis Alexandria,
wo uns dicht am Schiff bereits der Eisenbahnzug nach Suez erwartete. Wir
hatten indessen bis zur Abfahrtszeit noch eine oder zwei Stunden zu warten.
Sowie das Schiff still lag, kamen zahlreiche Aegypter an Bord, um uns ihre
Dienste anzubieten, oder Waren feil zu halten. Ihr Mienenspiel und ihr
gebrochenes Englisch erschienen mir überaus komisch. Einem englischen
Oberst, der nach Indien reiste, fiel es ein, Volksreden zu halten. Damit
schien er den Geschmack des braunen Auditoriums getroffen zu haben. Sie
scharten sich um den Redner, lauschten seinen Worten mit Aufmerksamkeit
und waren mit pfiffigen Gegenbemerkungen stets bei der Hand. Der würdige
Oberst, ein vornehm und selbstbewußt dreinschauender alter Herr, sagte
diesem »süßen Pöbel« übrigens keine Schmeicheleien. Er schalt sie
vielmehr mit einer eines Bußpredigers würdigen Aufrichtigkeit aus wegen
ihres Verhaltens gegen die Europäer während des letzten Aufstandes. Der
Rede kurzer Sinn war ungefähr: »Ihr miserablen Kerls, schämt Ihr
euch nicht, den Europäern das Geld abzunehmen und uns wie Fliegen zu
umschwärmen, so lang ihr glaubt, noch etwas aus uns herausziehen
zu können, und dann, wenn dieselben Europäer, denen Ihr Euren
Lebensunterhalt verdankt, vor Euren Augen bedrängt werden, sie nicht mehr
kennen zu wollen! Ihr nichtsnutzige Bande! Hat auch nur einer unter Euch
Hand oder Fuß gerührt, um Euren Wohlthätern zu helfen?!« --

Der Oberst redete im Tone gerechtester Entrüstung und sparte nicht mit
dem »~for shame~!« Seine Zuhörer, die von Zeit zu Zeit sehr intelligente
Einwände laut werden ließen, lauschten im übrigen mit behaglichem
Lächeln. Es war eine Scene, die in ihrer drastischen Komik einerseits,
anderseits durch den historischen Ernst, den große Ereignisse wie einen
Schatten darüber warfen, Shakespeare'schen Dramen entstiegen schien und zu
mancherlei Betrachtungen Veranlassung gab.

Wir fuhren nun 12 Stunden lang per Schnellzug durch die Wüste, gegen
deren gelben Sand wir uns vergeblich mittelst blauer Brillen und Tücher
zu schützen suchten. In Suez angelangt, wurden wir bei sternenklarer
Nacht auf einem Schlepper nach der weit außen liegenden »Malva«
befördert. --

Das rothe Meer, in das wir am folgenden Tag gelangten, zeichnet sich,
wie bekannt, durch eine Hitze aus, die nur noch von der Temperatur des
persischen Meerbusens übertroffen werden soll. Die Herren suchten nachts
auf dem Verdeck etwas Schlaf zu finden, die Damen auf der Tafel unter den
»~Sky lights~«. Meine Gefährtin und ich hielten es in der Cabine aus und
waren dabei doch die Einzigen, die schlafen konnten. -- Ich habe auf dieser
Reise übrigens die Engländer von der liebenswürdigsten Seite kennen
gelernt. Unter den Passagieren befand sich ein Oberst, -- nicht der
Volksredner, -- der ein und ein halbes Jahr als Gefangener des Königs
von Abessynien in Ketten gelegen hatte. Dieser war auch vor Jahren einmal
»~political agent~« in Zanzibar gewesen, hatte aber die Insel nicht in
guter Erinnerung. Er beklagte mich meines Reiseziels halber und riet mir
sofort und täglich Chinin zu nehmen. »~Zanzibar is a sad place~,« meinte
er, »~it has such a _churchyardy_ feeling about it~.«

Ein anderer Herr, von dem man mir sagte, er sei einer der ersten
Rechtsanwälte in Bombay, wurde mir von den Officieren als »~a radical
man~« bezeichnet. Die Dispute dieses Radikalen mit jenen, die äußerst
loyal und conservativ gesinnt waren, amüsierten mich nicht wenig. Mir
gegenüber liebte es der Radikale, Parallelen zwischen der deutschen und
der englischen Nation zu ziehen und entwickelte dabei Ansichten, die
mir bei einem Engländer neu waren. Er beklagte ernstlich, daß seine
Landsleute an einem Uebermaß von Nationalgefühl krankten, welches schon
mehr in verbohrte Beschränktheit ausgeartet sei. Engländer seien um kein
Haar besser als irgend ein anderes Volk, vielmehr die menschlichen Fehler
und Vorzüge überall die nämlichen. Ein vernünftiger Mensch müsse
Kosmopolit sein, u. s. w.

Eines Abends zeigte mir der Oberst, der den Männern von Alexandria Moral
gepredigt hatte, am Sternenhimmel das südliche Kreuz, welches ungefähr in
der Mitte des roten Meeres zum ersten mal sichtbar wird. Ich erzählte ihm
stolz und freudig, daß dies Kreuz auf der Flagge unserer Ostafrikanischen
Kolonie prange. Da sah mich der Brite groß an und brach dann in lautes
Lachen aus. Ich frug, warum er lache. »Sie haben Ihre Kolonialflagge ja
recht bescheiden gewählt,« sagte er, und lachte von neuem. Ich erklärte
ihm darauf sehr bestimmt, das Thema deutscher Kolonisation würde von
nun an nicht mehr zwischen uns berührt werden, da ich Spott über diesen
Gegenstand nicht annehmen könne und wolle. Der Oberst ließ es sich sehr
angelegen sein, mich zu begütigen, aber ich blieb meinem Vorsatz treu. Im
stillen dachte ich: Lacht ihr nur. Wer aber zuletzt lacht, lacht am besten.

Außer den Engländern befand sich ein Pfeifenhändler aus Ostfriesland,
der seit Jahren in Indien lebte und naturalisierter Engländer geworden
war, sowie der italienische Konsul Zanzibar's, Cavaliere Vincencio
Filonardi, an Bord. Mit dem Friesen sprach ich so lange von seiner Heimat,
bis er zu meiner Befriedigung den angenommenen Engländer fallen ließ,
und die deutsche Eigenart vorkehrte. Er sang uns abends am Clavier deutsche
Volkslieder vor und erntete allgemeinen Beifall.

In Aden trennten wir uns von den liebenswürdigen Reisegefährten, die
ihren Cours nach Bombay fortsetzten und ließen uns in Begleitung des
italienischen Konsuls nach dem Dampfer der ~British India Line~ fahren, der
auf seiner Route nach Madagaskar Zanzibar anläuft. Leider machte sich das
Schiff schon aus einiger Entfernung durch widerlichen Geruch bemerkbar.
Diese nach Lamu, Mombassa, Zanzibar und Madagaskar fahrenden Dampfer nehmen
für jene Orte in Aden eine große Ladung geräucherten Haifisches an
Bord, von dessen üblem Geruch man sich kaum eine Vorstellung machen kann.
Trotzdem ist der »~papa~« die Lieblingsspeise der Neger, Indier und
Araber! Nun freilich, eine Schiffsladung aus Heringen und altem Käse
bestehend möchte einen Nichtkenner dieser Delikatessen auch nicht durch
ihr Parfüm anlocken. Während wir im Hafen lagen, kamen sieben algerische
Mönche an Bord, die in langen, weißwollenen Gewändern, ebensolchen
flatternden Mänteln, weiß überzogenen Korkhelmen und Kreuzen auf der
Brust höchst malerische Gestalten waren. Wir begaben uns an Land, um uns
die jetzt notwendig gewordenen Kork-Sonnenhüte zu kaufen. Der italienische
Konsul, Herr Filonardi, bot uns Mangos an, eine beliebte Frucht, die leise
nach Terpentin riecht und unter der dicken grünen Schale einen steifen,
süßen orangegelben Crême enthält, den man mit dem Theelöffel ausißt.
Wir konnten uns noch nicht mit dem Fremdartigen des Geschmacks befreunden.

Als wir uns abends auf unser Schiff zurückbegaben, hatte sich der große
Sandplatz am Hafen in einen Schlafsaal verwandelt. Die Bewohner von Aden
hatten dort ihre Betten aufgeschlagen, -- nicht auf der Erde, sondern meist
in richtigen Bettstellen -- und lagen um uns her in guter Ruhe.

Am folgenden Morgen kamen mehrere deutsche Herren an Bord, die bis Aden mit
dem Bremer Lloyd gefahren waren und nun in diesem schattenlosen Felsennest
auf uns hatten warten müssen. Unter diesen Herren befanden sich der zur
Vermessung der geplanten Eisenbahnlinie von der Deutsch-Ostafrikanischen
Gesellschaft ausgesandte Regierungsbaumeister Wolf und sein Adjutant, Herr
von Hake, etwas Amerikaner im Äußeren, von Gesinnung aber so deutsch, wie
nur diejenigen es werden, die im Ausland unter dem steten zu kurz kommen
der Unsrigen zu leiden gehabt haben.

Auch unser Missionar, Herr Pastor Greiner, mit seiner Frau und Nichte
kam auf die Mecca und noch ein schwindsüchtig aussehender englischer
Missionar. Der Kapitän, ein sehr behaglicher, wohlwollender alter Herr,
schüttelte den Kopf über so viel »Propheten« -- es waren in der That
neun geistliche Herren an Bord, -- und sagte: »das wird eine stürmische
Fahrt werden.« Als ich es mir mittags schmecken ließ, sagte er halb
wehmütig: »Essen Sie nur, Baronesse; morgen werden Sie es nicht mehr
können.«

Vorläufig beunruhigte meine Gefährtin und mich der Sturm weit weniger,
als die Unsauberkeit dieses Schiffes. Besonders graute uns vor den
Kokerutschen, einer etwa zehnfachen vergrößerten Auflage der heimischen
Küchenschwaben, die raschelnd überall umherliefen, leider auch
scharenweise an den Wänden unserer Kabine. Diese Ungetüme machten uns
große Not und wir wurden obendrein noch ob unseres Entsetzens ausgelacht.
Indessen zogen sich die Tiere etwas zurück, als wir, den Golf von Aden
verlassend, die hohe See erreichten. Zugleich aber, nämlich am Cap
Gardafui, kamen wir in den Südwestmonsum. Die Mecca tanzte zwischen
Wellenbergen, die das Schiff von allen Seiten ansprangen, weshalb der
Kapitän meinte, wir seien in die letzte Wellenbewegung eines Cyclon
gekommen. Ich war so krank, daß ich zeitweise sogar die Besinnung verlor
und dann glaubte ich mich stets in einer Waldschlucht meiner Thüringer
Heimat. Eines Abends zogen mich der Kapitän und der Schiffsarzt fast mit
Gewalt auf's Verdeck, wo ich in einen mit Tauen befestigten Schiffsstuhl
gelegt wurde. Es bot sich mir ein ganz eigentümlicher Anblick. Rings um
das auf und nieder steigende Fahrzeug standen dunkle Wasserberge, die den
Horizont dicht vor uns abgrenzten. Sonst war nichts zu sehen. Sturzwellen
kamen von allen Seiten über das Verdeck und spülten zahllose Silberfische
an Bord, die von dem Kapitän und den Matrosen mit den Händen gefangen
wurden zum delikaten Frühstück. Der Kapitän lief mit dick verbundenen
Füßen umher. Er war so unvorsichtig gewesen, wegen des auf Deck stehenden
Wassers und der Schlüpfrigkeit Stiefel und Strümpfe wegzulassen, aber
ehe er sich dessen versah, hatte ihm die Tropensonne arg schmerzende
Brandwunden zugezogen. Die Passagiere lagen in kläglichstem Zustand umher,
besonders litten die weißen Priester stark durch die Seekrankheit. Am
tapfersten hielt sich der Regierungsbaumeister Wolf aufrecht, doch meinte
auch dieser, so schlecht sei es ihm in seinem Leben noch nicht ergangen.
Einige junge Deutsche (nachmals Angestellte der Deutsch-Ostafrikanischen
Gesellschaft), die zweiter Cajüte fuhren, boten übrigens den Unbilden
der stürmischen Fahrt mit beneidenswertem Frohsinn Trotz. Ich hörte sie
täglich singen und jodeln. Jede Sturzwelle wurde mit ausgelassenem Hurrah
begrüßt. Der erste Offizier, der die jungen Leute gelegentlich wegen
der positiven Gefahr des Überbordgespültwerdens in die Cabine nötigte,
konnte nicht umhin dieser unverwüstlichen Laune Bewunderung zu zollen.
»~'pon my word~«, rief er aus, »~I never saw such a jolly set!~«

Am zehnten Tag unserer Fahrt langten wir vor Lamu an. Sowie die Schraube
zu arbeiten aufhörte, fühlte ich mich frisch und munter, so daß ich
mich ungesäumt auf Deck begab. Vom Lande her nahte sich ein Boot unter
deutscher Flagge, das indessen des hohen Seegangs wegen nur langsam
vorwärts kam. Bald konnten wir auch zwei weißgekleidete Europäer neben
den schwarzen Ruderknechten erkennen. Es waren die Herren Gustav Denhardt
und Lieutnant Ramsay, welche kamen, um ihre Postsachen zu holen. Sie
konnten uns die neuesten Nachrichten von den Freunden in Zanzibar geben und
wir mußten ihnen von Berlin erzählen.

Zwei Tage später machten wir noch eine Ruhepause in dem reizenden Hafen
von Mombassa, um dann ohne weitere Unterbrechung unserem Ziele zuzusteuern.

[Illustration: Decoration]



[Illustration: Decoration]



Tagebuchblätter.


  Zanzibar, den 16. Juni 1887.

Gestern Abend näherte sich unsere Mecca, nachdem sie am Morgen fünf
Stunden auf einer Sandbank im Kanal von Pemba festgelegen, endlich der
Stadt Zanzibar.

Stundenlang, ehe diese noch sichtbar, standen wir am Rande des Schiffes und
sahen durch die Ferngläser nach dem bläulichen Küstenstreifen der
Insel. Bald konnten wir Waldungen erkennen und die auf einem Landvorsprung
errichtete Signalstange, deren Flagge dem Wächter auf dem Sultansturm
unser Nahen frühzeitig ankündigte. Als es dunkelte, leuchtete vor uns
das große electrische Licht auf, mit dem der Sultan in mondlosen Nächten
seine Umgebung erhellt.

Kurz nach Sonnenuntergang ließ der Kapitän noch außerhalb des Hafens
Anker werfen, da ihm das Einlaufen zwischen Korallenriffen und Sandbänken
bei Nacht nicht ratsam schien. »~The captain believes in safety~«, sagten
seine minder geduldigen Offiziere lächelnd.

Ich sehnte mich, festes Land unter den Füßen zu fühlen, aber von unseren
Deutschen war nichts zu hören und zu sehen. Darum nahm ich es gern an,
als Herr Filonardi dem Schiffsarzt, einem Irrländer namens Roß, und mir
vorschlug, mit ihm an Land zu fahren, um wenigstens etwas spazieren zu
gehn. Die italienische Kolonie, bestehend aus vier Herren, war pünktlich
und vollzählig erschienen, um ihren Konsul zu begrüßen. In Gesellschaft
dieser lebhaften Romanen ließen wir uns durch den Hafen rudern, wo
zahlreiche Lichtchen auf den Schiffen grüßten, während die electrische
Flamme auf dem Turm einen breiten Silberstreifen über die dunkle
Wasserfläche warf.

Nachdem wir auf nassem Sand und Korallen gelandet, wurden wir durch
die Stadt geführt. Die engen, krummen, dunklen und holperigen Gassen
entsprachen nicht dem Bild, das die reich illuminierte Häuserreihe am Meer
vom Hafen aus geboten. Ich war auch ermattet von der anstrengenden Seefahrt
und stolperte jeden Augenblick über Schutt und Gerümpel oder versank bis
zum Fußgelenk in irgend eine Vertiefung. Eingefaßt waren die Gassen
von hohen, fensterlosen Mauern. Eine Seitenstraße, ebenso schön wie
die anderen, wurde uns unter fröhlichem Lachen als »~Boulevard des
Italiens~« vorgestellt. Wir bogen in dieselbe ein und befanden uns auf
einmal in einem von hohen Mauern umgebenen Hof, der in dem matten Licht
einiger durch eine halboffene Gallerie schimmernder Lampen ganz romantisch
aussah. -- Unter einem hohen Baum lagen Warenballen aufgeschichtet und eine
Steintreppe führte von außen nach dem zweiten Stock des Hauses auf die
einem Klosterkreuzgang ähnliche Gallerie. Ich sah mich verwundert um und
frug, wo wir wären. Das ist unser Konsulat, sagten die Italiener. Ich
forderte Mr. Roß auf, nun mit mir nach dem Schiff zurückzukehren,
davon wollte aber der Konsul nichts hören. Ich müsse mich nach dem
beschwerlichen Gang zunächst etwas ausruhen, meinte er, er werde uns dann
selbst auf die Mecca zurückfahren.

Dr. Roß und ich freuten uns übrigens, bei dieser Gelegenheit gleich ein
zanzibaritisches Intérieur kennen zu lernen. Wir stiegen unter Führung
der Italiener die steile Treppe hinan und traten von der Gallerie aus
in einen hellerleuchteten hohen Raum, dessen Einrichtung -- buntgewirkte
Teppiche und Decken, schwere seidne Vorhänge, große Vasen, indisches
Schnitzwerk und bequeme Sessel aus Rohrgeflecht -- ganz das von
europäischem Geschmack durchsetzte orientalische Gepräge trug. Man
rückte uns die behaglichsten Sitze zurecht und dann brachte ein schwarzer
Diener auf den Wink des Hausherrn Champagnerschalen, in die unser Wirt
italienischen Schaumwein goß. Zu meiner besonderen Freude machte ein
schöner Bernhardiner, der dem Vicekonsul, Herrn Pietro Ferrari gehörte,
seine Aufwartung. Erwähnter Herr, der uns durch den Konsul als Musikfreund
und Inhaber einer schönen Stimme verraten wurde, mußte sich auf unsere
Bitte an das Piano setzen und uns einige Arien vortragen, was er ungern,
dann aber mit echt italienischer Lebhaftigkeit absolvierte. Nach einer
auf solche Weise sehr angenehm verflossenen halben Stunde traten wir den
Rückweg an. Noch einmal mußten wir beim Rascheln der Kokerutschen an Bord
der Mecca übernachten und das sanfte Plätschern der an die Schiffswand
schlagenden Dünung sang uns das Schlaflied.


  Zanzibar, den 17. Juni 1887.

Gestern Morgen beeilte ich mich an Deck zu kommen, da um unser Schiff her,
in starkem Gegensatz zu der gewohnten Stille auf hoher See, ein gewaltiges
Lärmen und Treiben herrschte. Wir waren beim ersten Morgengrauen in den
Hafen eingelaufen und befanden uns zwischen einer Menge großer Schiffe,
Daus und Boote, ziemlich dicht an der Landungstreppe. Stadt und Hafen
glitzerten in einer Flut hellen Sonnenlichts. Es war ein Bild, in dem als
Farbe ein blendendes Weiß vorherrschte, eine Landschaft wie Wereschagin
sie malt. Die weißen algerischen Mönche von Zanzibar kamen angerudert, um
ihre Ordensbrüder in Empfang zu nehmen. Auch andere Europäer in
weißem Anzug und weiß umhülltem Korkhelm näherten sich. Ich stand in
unbehaglicher Empfindung des Alleinseins am Schiffsrand und sah hinunter
auf die sich andrängenden Boote mit ihren lärmenden schwarzen, braunen
und gelben Insassen, als auf einmal eine mir wohlbekannte Stimme »guten
Morgen, Baronin!« heraufrief. Da bemerkte ich in einem der Boote den
Freiherrn von Gravenreuth, der mich mit seinen lustigen blauen Augen ganz
so übermütig anlachte wie vormals in Berlin, wenn es galt eine Extratour
zu tanzen. Meine trübe Stimmung war verschwunden. Es ist wahr, daß man
sich sofort zu Hause fühlt, wo man Gesinnungsgenossen und Freunde findet.

Außer Herrn von Gravenreuth hatte Herr Dr. Peters die mir nur dem Namen
nach bekannten Herren Braun und von St. Paul geschickt und das Konsulat
seinen Dragoman, Mr. Michalla, der leider kein Wort deutsch spricht.
Während sich nun die Herren Braun und von St. Paul der neuangekommenen
Beamten und des nach der Duane zu dirigierenden Gepäcks annahmen, fuhren
wir mit Herrn von Gravenreuth nach der steinernen Landungstreppe am
Schloßplatz, von wo aus wir uns unter des Barons Führung nach dem
einzigen anständigen Hôtel der Stadt begaben, dem am Meere gelegenen
~Hôtel d'Afrique Centrale~.

Der Weg vom Landungsplatz zum Hôtel ist kurz, aber charakteristisch.
Vor allem bietet er an Schmutz und Unordnung, was man von arabischer
Straßenpflege irgend erwarten kann. Gegenüber dem Residenzschloß steht
am Meere die Menagerie seiner Hoheit, bestehend aus sechs bis acht morschen
Käfigen, in welchen sich ein ziemlich zahmer Löwe, eine Löwin, ein
Stachelschwein, ein Jaguar und drei bis vier andere Tiere befinden.
Die Straßenluft wird durch diese Sehenswürdigkeit natürlich nicht
verbessert. Unter dem Schlafgemach des Sultans, einem frei, auf hohen
Säulen stehenden Haus, ist ein Panther als Kettenhund angebunden, den die
Vorübergehenden mit ihren Stöcken ärgern. An das Schlafhaus schließt
sich der Harem, ein langer Bau mit himmelblau angestrichenen Fensterläden,
der durch einen blütenreichen Garten von der Straße getrennt wird.
Der Sultan läßt grade vor diesen Garten eine Mauer in Gestalt eines
unförmlichen Schiffes bauen, die eine Wasserleitung in sich birgt mit nach
der Straße gerichteten Krähnen zur Nutznießung der Gläubigen. Das ist
einer seiner originellen Einfälle, der indessen in der Ausführung durch
seine Geschmacklosigkeit gradezu erschreckt. Nasser Kalk, Lehm- und zackige
Korallensteine, die zum Bau verwendet werden, bedecken den Weg in seiner
ganzen Breite. Neben dem Harem steht noch ein Palast mit himmelblauen
Fensterläden. Es ist die Residenz von Schwestern und sonstigen weiblichen
Verwandten des Sultans. Auf der anderen Seite der Straße am und im
Meer sahen wir eine Menge verrostetes Eisen liegen, Anker, Faßreifen,
unbrauchbare Maschinenteile u. s. w., das wird hier abgelagert und dem
rasch zerstörenden Einfluß der Witterung preisgegeben. Wir überschritten
eine Art von Platz und kamen nun an die Fabriken Seiner Hoheit, eine für
das electrische Licht und eine für die Bereitung von Eis. Diese Fabriken
bestehen aus offenen Schuppen. Davor sitzen auf der Straße in Reihen oder
Gruppen aneinander gekettete Neger, welche Holz spalten zur Heizung der
Maschinen. Das sind Diebe oder Leute, die ihren Contract gebrochen haben
oder ihrem Herrn entlaufen sind, kurz harmlose Übelthäter, die hier
zur Strafe mit eisernem Ring um den Hals an die Genossen festgeschmiedet
arbeiten müssen. Sie sehen sehr schmutzig aus, aber ganz vergnügt. Quer
über die Straße laufen den Fabriken entfließende offene Abzugskanäle,
die sich zu Pfützen von widerlicher Farbe und Geruch verbreitern.
Man muß, um zu dem Hôtel zu kommen, über die schmutzigen Rinnsale
voltigieren und dabei Acht geben, daß man nicht den dicht umherhockenden
Sträflingen auf Hände oder Füße tritt.

Das Hôtel ~d'Afrique Centrale~, gehalten von Mr. Chabot, einem
Marseiller, ist ein Teil eines großen arabischen Privathauses. Wir
traten von der Straße aus in einen kühlen, nach Sitte der Araber
mit Marmor-Wandbänken versehenen Flur und gelangten, eine Holztreppe
hinaufsteigend auf die Gallerie, die mit ihren auf massigen Steinpfeilern
ruhenden Rundbögen einen Hof umschloß. In diesem Innenhof blüht ein
alter Oleanderbaum und um ein Wasserbassin schwirrt es von allerhand
Geflügel: Truthühner, Enten, Perlhühner u. s. w. Auch Affen
verschiedener Größe und Art treiben ihr Spiel daselbst, so daß wir
den kleinen Affen Hassan, den uns Herr Filonardi zum Schutz gegen die
Kokerutschen in Mombassa gekauft, gleich in ein für ihn passendes Quartier
bringen konnten. Von der mit schönen Blattgewächsen geschmückten
Gallerie gelangt man in die Gaststuben, große isolierte Zimmer, deren es
im ganzen nur vier giebt, abgesehen von zwei oder drei Holzbaracken auf dem
Dach. Letztere werden von einigen Reisenden vorgezogen der frischeren Luft
wegen; dagegen sollen dort fette Ratten sehr ungeniert ihr Wesen treiben.

Die Araber in Zanzibar scheinen ihre Häuser nach Art unserer alten
Schlösser zu bauen. Zwischen dicken Mauern sind die Zimmer sehr hoch und
mit kleinen Fenstern versehen. Auf diese Weise werden Räume geschaffen,
in denen die Luft circulieren kann und die dabei von der Außentemperatur
möglichst abgeschlossen sind. Kühlt abends die Luft ab, so öffnet man
die Läden einer bis zum Fußboden reichenden Fortsetzung der Fenster,
die mit zierlichem eisernen Schutzgitter versehen ist, und läßt den
erfrischenden Seewind ein. Diese Bauart erscheint mir ebenso hübsch als
zweckmäßig.


  Zanzibar, den 18. Juni.

Gestern Abend ließen wir uns nach der Mecca hinausrudern, um dem
freundlichen Kapitän und unserem besonderen Freund Dr. Roß vor ihrer
Weiterreise nach Madagaskar noch einmal Lebewohl zu sagen. Dr. Roß hatte
uns im Hôtel aufgesucht und erzählt, der Kapitän habe noch immer von den
Brandwunden an seinen Füßen zu leiden, so daß er nicht in Stiefel, also
auch nicht ans Land kommen könne. Wir waren aber kaum zehn Minuten an
Bord der Mecca, als Herr von Gravenreuth uns nachgefahren kam. Er und Herr
Dr. Peters hatten uns im Hôtel abholen wollen und nicht angetroffen. Nun
ersuchte uns der Baron, unseren Besuch auf dem Schiff abzukürzen und ihn
nach dem sogenannten neuen Usagarahaus zu begleiten, in welchem sich am
Freitag Abend die ganze deutsche Kolonie zum offnen Abend einzustellen
pflegte. Unsere englischen Freunde waren freilich nicht mit dieser
Abkürzung unseres gemütlichen Beisammenseins zufrieden, dennoch zögerten
wir nicht uns dahin zu verfügen, wo wir von rechts wegen hin gehörten,
nämlich zu den Deutschen. Das neue Usagarahaus ist ebenso wie das Hôtel
~d'Afrique Centrale~ ein alter arabischer Steinbau, mit dicken Mauern,
tiefen Nischen, umfangreichen Pfeilern, Rundbogen und verschiedenen
Terrassen. Auch hier umgiebt den Innenhof eine halboffene Gallerie, die
sich zur geräumigen Halle erweitert. Hier waren Wände und Säulen
mit Flaggen geschmückt und an der Hauptwand befindet sich auf
blumenumkränzter Console eine Büste unseres geliebten Kaisers.

Die deutsche Kolonie hatte sich ziemlich vollzählig eingefunden,
wenigstens war sowohl unser Consulat, wie auch die verschiedenen
Kaufmannshäuser: O'Swald, Strandes, Meyer und was noch hier haust,
vertreten.

Ich erkundigte mich eingehend nach ~Dar-es-Salaam~. Diesen deutschen
Vertragshafen hatte man in Berlin als Centralplatz der auf dem Festland
eingerichteten Stationen ins Auge gefaßt, daher gedachten wir dort die
Einrichtung eines Krankenhauses zu beginnen. Inzwischen hatte sich aber
~Dar-es-Salaam~ als zu einem Verkehrsmittelpunkt ungeeignet herausgestellt,
weshalb unser erster Plan geändert werden mußte. Indessen meinte Herr
Dr. Peters, wenn wir auch von einem Haus in ~Dar-es-Salaam~ nunmehr
absehen müßten, so sei eine geordnete Krankenbesorgung in der Hand einer
gelernten Pflegerin dort sehr erwünscht, da grade jetzt in ~Dar-es-Salaam~
wegen der Mangrovensümpfe und der Umarbeitung des Bodens viel
Krankheitsfälle vorkämen. Mit dem Quartier sei es vielleicht noch nicht
so bestellt, wie er es für uns gewünscht habe, indessen riete er mir die
nächste günstige Fahrgelegenheit zu benutzen, um mich selbst umzusehen
und daraufhin weitere Dispositionen zu treffen.


  d. 19. Juni.

Gestern Nachmittag besuchte mich auf Veranlassung des Kapitäns der Mecca
die Leiterin der hiesigen englischen Missionsstation »Mkunazini« und lud
mich ein, heute in der Mission zu dinieren. Ich frug, ob ich meine junge
Krankenpflegerin mitnehmen könne, doch schien deren gesellschaftliche
Stellung der schwerfälligen Britin nicht klar genug zu sein, und sie
antwortete vorsichtig in verneinendem Sinn. Ich schickte daher Bertha,
die ohnehin nicht englisch versteht, zu dem Missionar Greiner und dessen
Familie, mit welcher sie auf der Reise schon gut bekannt geworden. Ich
selbst wurde von einem jungen deutschen Kaufmann abgeholt, der viel bei
den Damen von Mkunazini verkehrt, und dort »lieb Kind« ist. Wir
durchwandelten die Stadt in ihrer Ausdehnung vom Meere nach dem
landeinwärts vorgelegenen Negerviertel, wobei wir die mit den grellsten
Farben bemalten Quartiere der reichen Indier passierten. Daß hier und in
anderen Straßen ein Pflaster überhaupt existiert, verdankt die Stadt dem
ehemaligen englischen Generalconsul Sir John Kirk. Dieser ließ eines Tages
den indischen Unterthanen Ihrer Majestät sagen: Wenn nicht bis zum dritten
Tag von heute jeder Hausbesitzer vor seinem Hause pflastern ließe, so
würde er selbst es machen lassen, aber auf ihre Kosten. Das soll ungemein
rasch gewirkt haben.

Aus den Indierstraßen gelangten wir zwischen die mit Palmzweigen gedeckten
Hütten der Neger und bogen zuletzt in ein Mauerpförtchen ein. Mit dieser
Biegung verwandelte sich die Scene vor uns wie durch Zauber. Mitten in
Neger-Armseligkeit, indischen von Unsauberkeit strotzenden Kramläden und
arabischen Schutthaufen sieht man auf einmal ein Stück Englands vor sich
mit seiner blanken in voll entfalteter Blüte stehenden Kultur.
Erstaunen, Bewunderung und nationale Eifersucht erfüllten mich bei dem
überraschenden Anblick. »Wenn wir doch erst so weit wären!« rief ich.
»Das wird wohl noch einige Jahrzehnte dauern,« meinte lächelnd mein
Führer, »hier steckt viel englisches Geld darin und jahrelange Arbeit.«

Links von uns stand eine schöne steinerne Kirche, ein durchaus vornehmer
Bau, durch dessen gothisch verzierte Fenster Licht schimmerte. Im Innern
erklang aus vielen Stimmen und mit Orgelbegleitung der bekannte rhythmische
Hymnengesang. An dieser Kirche vorüber führt ein sehr sauber gehaltener
Weg durch Gartenanlagen nach den Missionshäusern. Hier hatte das
britische Vermögen, das Gepräge der eignen Art dem vorgefundenen Fremden
aufzuzwingen, es fertig gebracht, arabische Bauten in heitere englische
»~cottages~« mit Loggien, blumengefüllten Erkern etc. umzuwandeln.
Auf der Freitreppe begrüßten uns die Damen der Mission, die mir mit der
liebenswürdigsten Gastfreundschaft entgegenkamen. Sie trugen, dem Klima
angemessen, leichte weiße Kleider mit schwarzen Gürteln. Geschmackvoll
angebrachte frische Blumen erhöhten das freundliche dieses Anzugs. Die
interessanteste unter den Damen ist Miß Allen, eine corpulente, behaglich
aussehende Frau in mittleren Jahren, die eine seltene Sprachkenntnis
besitzt. Sie schreibt, liest und spricht: Deutsch, französisch, englisch,
italienisch, arabisch und Suaheli. Auch latein und griechisch soll
sie beherrschen. Wegen der bei einer Europäerin seltenen Kenntnis des
Arabischen verkehrt sie freundschaftlich mit der Sultanin. Auch erhält
sie öfters Besuch von vornehmen Arabern, mit denen sie liest. Diese
litterarischen Freunde haben ihr mächtige und kostbar eingebundene
arabische Handschriften zum Geschenk gemacht. So hausmütterlich aber
gerade diese Miß Allen aussieht, steht sie dem Hause nur geistig vor,
während die Sorge für das Materielle der sehr mageren und thätigen Miß
Smith überlassen ist, der Dame, die mich gestern aufsuchte. Außer diesen
Pfeilern des Hauses sah ich eine ältliche Missionarsfrau mit Hörrohr
und großer Brille bewaffnet, eine junge Lehrerin, die sich wegen eines
hartnäckigen Fußleidens tragen lassen mußte und die liebenswürdige
Krankenpflegerin, Miß Shaw.

Nachdem die Missionszöglinge, -- die Station Mkunazini erzieht nur Knaben,
-- ihre Gesangsübungen in der Kirche beendet hatten, versammelte man
sich in der im Hochparterre gelegenen Halle zum Diner. Auch die Väter der
Mission, die ein Haus für sich bewohnen, waren in mönchartigen langen
Gewändern erschienen. Diese Herren haben hier, unbeschadet ihres halb
geistlichen Amtes, einen gewissen Ruf als Sportsmänner. Im ~tennis~,
~kricket~, ~football~ und im Schnelllaufen sind sie den anderen hiesigen
Engländern über.

In der Halle waren drei lange Tafeln gedeckt, eine für die älteren
Knaben, eine für die Kleinen und eine für die Hirten und Hirtinnen der
Herde und deren Gäste. Die Zöglinge tragen sämtlich lange weiße Hemden
und feuerrote Jäckchen, was zu der schwarzen Hautfarbe sehr gut aussieht.
Reiche Damen in England nähen diese Anzüge in ihren Missionsmeetings und
schicken sie in so großer Anzahl nach Zanzibar, daß die sämtlichen auf
der Insel und auf dem Festland gelegenen Stationen der Missionsgesellschaft
versorgt werden und Ueberfluß haben.

Es wird der englischen Mission in Zanzibar zum Vorwurf gemacht, daß sie
die Schwarzen zu jungen Herren erzieht, statt zu tüchtigen Arbeitern
oder Dienern. Die aus der Anstalt entlassenen Jünglinge gelten hier
als privilegierte Nichtsthuer und Taugenichtse. Solange sie unter der
liebevollen Pflege der Damen sind, fühlen sie sich allerdings sehr wohl
und der Zweck der Missionsgesellschaft, »~to make the negroes happy~« ist
momentan wenigstens erfüllt. »~Our boys are very happy little chaps!~«
sagte Miß Allen, als sie mir nach der reichlichen und guten Mahlzeit
einzelne ihrer Lieblinge vorstellte. Sie versicherte mir: »wir wollen die
Neger keineswegs zu Engländern machen, sondern zu Christen. Im übrigen
sollen sie die Eigentümlichkeit ihrer Race behalten. Wir studieren darum
sorgfältig ihre Gebräuche und ihre Sprache. Allen Unterricht erteilen wir
in Kisuaheli.«


  Zanzibar, den 20. Juni 1887.

Jetzt haben wir das Ende des Ramadan, des mohamedanischen Bet- und
Fastenmonats miterlebt. Es ist dies Ende der Fastenzeit, welches mit dem
Erscheinen des neuen Mondes zusammenfällt, zugleich das Neujahrsfest der
Araber. Gegen Sonnenuntergang marschierten des Sultans sämtliche Truppen
heran mit klingendem Spiel oder rhythmischem Kriegsgesang und nahmen auf
dem Schloßplatz und dem angrenzenden »~Boulevard sur mer~« vom Palast
bis ziemlich zu unserem Hôtel Aufstellung. Einen schönen Anblick
bieten die »irregulären« Truppen. Das sind junge, meist mit edlen
Gesichtszügen und sehr schlanken Gestalten ausgestattete Araber in
dem durch Illustrationen aus der Zeit der Kreuzzüge bekannten überaus
malerischen Kostüme: um den Kopf die hellseidene Keffie die tief in den
Nacken herabhängt, ein bis über die Kniee reichender, meist weißer
Waffenrock, darüber in dem schärpenartigen breiten Gurt eine Menge von
Dolchen, Messern etc. Übrigens trägt auch von diesen Irregulären jeder
Mann ein Gewehr. Die Berittenen tragen den Burnus der Beduinen und
jagen mit ausgelegter Lanze in gestrecktem Galopp meist auf wundervollen
Vollblutpferden durch die Straßen. Wie sie das bei der hiesigen
Pflasterung möglich machen, ist mir unklar.

Am Meeresstrande sind, soweit der Blick reicht, Kanonen aufgefahren. Die
Sultansschiffe prangen im reichsten Fahnenschmuck und das Volk der Araber,
Indier, Perser, Aegypter, Goanesen und Suaheli erfüllt im Festtagsgewand
Straßen und Plätze. Ich sah vom Fenster aus Neger-Dandies in
schneeweißem, wallendem Hemd mit kupferfarbener, rotgoldner oder
grünspanfarbener seidner Weste. Von dem Glanz dieser aus Indien stammenden
Farben macht man sich in Europa kaum einen Begriff. Dazu tragen die
Neger weiße gestickte mit zahlreichen Löchern versehene Mützchen, ein
kostspieliger Artikel, und Spazierstöckchen in der Hand.

Auf dem Turm des Sultans, von den Europäern seiner Form und Beleuchtung
wegen, der Weihnachtsbaum genannt, stand der Wächter und schaute nach der
Himmelsgegend, in welcher der neue Mond sichtbar wurde. Unten herrschte
große Aufregung, denn wenn sich der Mond an diesem Abend nicht sehen
läßt, müssen die Gläubigen noch vierundzwanzig Stunden länger fasten
und beten.

Wir überschritten gerade in Gesellschaft von Herrn Dr. Peters, Herrn
Braun und Baron Gravenreuth den Schloßplatz, als vom Turme aus der
Signalschuß gegeben wurde, der das Erscheinen des ersehnten Gestirns
ankündigt. Sofort begannen die sämmtlichen Kanonen zu donnern, auch
von den Schiffen her, und die gesammte Reichsarmee schoß die mit Pulver
überladenen Gewehre auf einmal ab. Einen schlimmeren Lärm habe ich
in meinem Leben nur einmal gehört, als ich, per Courierzug durch den
Gotthardttunnel fahrend, auf der Außengallerie des Eisenbahnwagens stand.
Damals fürchtete ich ernstlich für mein Gehör; aber auch heute verging
mir im ersten Moment Hören und Sehen.

Bald nach Sonnenuntergang, sowie die frühe Tropennacht das groteske
Straßenbild verhüllte, wurden die Schiffe illuminiert, so daß die Formen
des Takelwerks sich in weißen Lichtperlen von dem Wasser abzeichnen. Das
Schießen dauert immer fort.


  Den 21. Juni.

Heute ist erster Neujahrsfeiertag. Wir haben in Gesellschaft der deutschen
Herren einen Spaziergang landeinwärts gemacht, um die Tänze der Schwarzen
zu sehen. In den Straßen wird fortwährend geschossen.


  Den 22. Juni.

Heute, am zweiten Feiertag, war großer Empfang beim Sultan für die
Europäer. Wer im Besitz eines schwarzen Überrocks oder Fracks ist, macht
in Begleitung des betreffenden Konsuls dem Sultan seine Aufwartung und
wünscht Glück zum neuen Jahr. Nach beendigter Audienz besprengt ein
Hofbeamter die Gäste mit Rosenöl. Man riecht es in Folge dessen den
Europäern meist noch tagelang an, daß sie an Hof gewesen waren.
Als Nachspiel erhält jeder Besucher eine Schüssel Confect in's Haus
geschickt. Die Herren aus dem Usagara-Haus überließen mir liebenswürdig
einen Teil der ihnen gewordenen Geschenke, allein da diese arabischen, aus
Sewsam, Honig und Mandel bereiteten Süßigkeiten in Hammeltalg gebacken
sind, konnten sie mein Herz wenig erfreuen.


  Den 23. Juni.

Miß Shaw, die in ihrer Apotheke jeden Morgen und jeden Abend schwarze
Patienten empfängt, hat mir bereitwilligst Erlaubnis erteilt, ihr mit
meiner Gefährtin bei diesem Vornehmen zu assistieren. Heute Morgen
wanderten wir zu diesem Zweck, geführt von einem unserer schwarzen
Kellner, nach der Mission. Die Apotheke im Missionshaus ist ein hoher
Raum, in welchen das Licht durch ein fast an der Decke befindliches Fenster
fällt. Der Fußboden ist mit Steinplatten ausgelegt, auch befindet sich
ein Wasserbehälter mit Hahn und Schlauchspritze da.

Die zu Miß Shaw pilgernden Patienten litten, so viel ich ihrer heute
gesehen habe, an durch Unsauberkeit verschleppten Geschwüren oder offenen
Wunden.

Zu meiner Verwunderung zeigten sie sich bei den durch Schneiden, Auswaschen
und Verbinden verursachten Schmerzen sehr tapfer. Kaum daß Einer zuckte,
oder das Gesicht verzog. Ein etwa sechsjähriges Kind litt an den Augen und
erhielt Einspritzungen. Er war erst seit acht Tagen in Mkunazini. Wie
alle Missionszöglinge hier, war auch er ein kleiner Sclave, den englische
Kreuzer (die eigens zu diesem Zweck das Meer absuchen) arabischen
Sclavenschiffen weggekapert und der Mission überantwortet hatten. Am
Tage seiner Ankunft, erzählte Miß Shaw, hatte sie ihn sofort seiner sehr
entzündeten Augen wegen vorgenommen. Abends bekam er dann zum Nachtisch
eine Apfelsine. Anstatt diese aber zu essen, bat er vor Schlafengehen seine
Wärterin, die Apfelsine der Dame zu bringen, die ihm »Daua« (Medizin)
für seine Augen gegeben habe. -- Es ist gewiß irrtümlich, den Negern
Undankbarkeit vorzuwerfen und ich glaube keinesfalls, daß dieser Mangel
eine Charakteranlage ist. Wenn Europäer sich über Undankbarkeit der
Schwarzen beschweren, so hat es wahrscheinlich meistens den Grund, daß die
vermeintlich erteilten Wohlthaten nicht als solche empfunden worden sind.

Heute Nachmittag holte mich Herr v. Gravenreuth zu einem Besuch im
französischen Hospital ab. Diese Schöpfung des Ordens vom heiligen Geist
und vom heiligen Herzen Mariä hat ein viel ernsteres Gepräge, als die
anmutige Niederlassung der Engländer. Das Kloster liegt dicht am Meer,
dessen Brandung hier an Korallenriffe schlägt, so daß das dumpfe Brausen
der anprallenden Wellen die Kranken in den Schlaf singt. Eine einsame Palme
neigt die schönen Zweige wie trauernd dem Wasser zu. In dem ernsten, fast
düsteren Klosterhof steht ein Gartenhäuschen nahe der Eingangspforte,
dessen innerer Raum mit Heiligenbildern und Holzstühlen ausgestattet
ist, wie ein Beetsaal. Das ist das Empfangszimmer. Die Schwestern in ihrer
schwarzen Nonnenkleidung treten leise auf und sprechen mit gedämpfter
Stimme. Sie sind zum größten Teil Creolinnen aus St. Mauritius und daher
an das Klima besser gewöhnt als wir Nordländerinnen. Dennoch erzählen
ihre bleichen, eingefallenen Gesichter und die tiefliegenden Augen von
Nachtwachen und Betübungen, die den Geist vielleicht auf Kosten des
Körpers fördern. Aber dies Kloster ist für alle in diese Landstriche
verschlagenen Europäer zu einer Stätte des Segens geworden, von der sie
mit inniger Dankbarkeit und Ehrfurcht sprechen. Wie manches Mal hat mein
Bruder hier schon Heilung von schwerer Krankheit gefunden!

Die Oberin ist eine zarte, distinguirte Erscheinung, »~petite, avec de
grands yeux~«. Sie stammt aus altfranzösischer Adelsfamilie und ist schon
dreizehn Jahre im Dienst der Krankenpflege thätig. Wir sprachen über die
Gefahren des Klimas und sie resümirte ihre Erfahrungen in dem Ausspruch:
»~l'énergie, c'est tout. Avec de l'énergie on vit ici, sans cela, on
meurt~«.


  d. 24. Juni.

Heute Morgen, als ich aus meinem Zimmer trat, um zu frühstücken, stand
auf der Galerie ein Herr in Joppe, Kniehosen und Gamaschen, dem Costüm, in
dem die Herren auf dem Continent zu reisen pflegen. Ohne näher hinzusehen,
wollte ich an ihm vorüber zu dem Kaffeetisch, als er mit einer mir sehr
vertrauten Stimme: »Guten Morgen, Frieda,« sagte. Da erst erkannte ich
meinen Bruder, den ich seit mehr als zwei Jahren nicht gesehen hatte. Und
heute ist gerade sein Geburtstag! Albrecht hat einen ~par force~-Marsch von
Usungula nach Bagamoyo gemacht. Er befindet sich körperlich und geistig
sehr wohl und äußert sich durchaus zufrieden mit den Schwarzen, mit denen
er jetzt, nachdem er ihre Eigentümlichkeiten kennen gelernt hat, gern
verkehrt und leicht fertig wird. Das Kisuaheli spricht er zwar nicht
so correct wie Baron St. Paul, der in alle Feinheiten der Grammatik
eingedrungen ist, aber geläufig und mit echter Neger-Betonung.


  d. 25. Juni.

Miß Shaw hat uns diesen Morgen in Hütten einzelner weiblicher Patienten
mitgenommen.

Man mußte sich bücken, um durch die Thür in den dunklen Raum zu
gelangen, der das Innere der Hütten bildet. Den Fußboden darin bildet die
festgetretene Erde; die Einrichtungen, die wir heute sahen, bestanden aus
einer einzigen Kitanda. Das indische Holzschemelchen, auf dem Miß Shaw bei
ihrer Arbeit zu sitzen pflegt, trugen wir mit umher. Die Patientinnen boten
ziemlich schwere Fälle von durch Unreinlichkeit und unordentliches Leben
entstandenen fressenden Geschwüren, deren energische Behandlung aber auch
diese Weiber mit dem größten Stoicismus über sich ergehen ließen. Wenn
der active Mut den Suaheli-Negern fehlt, so scheint dafür der passive, der
sich im Dulden äußert, desto reichlicher vorhanden.


  Den 26. Juni.

Gewöhnlich gehen wir nachmittags mit Herrn von Gravenreuth oder meinem
Bruder spazieren, aber zuweilen hat keiner der Herren Zeit für uns, und
allein wagen wir uns nicht auf die Straße. Um uns dann die in diesem
feuchtheißen Klima unerläßliche Körperbewegung zu verschaffen, klettern
wir, wenn die Sonne untergeht, auf das flache Dach unseres Hôtels. Dies
ist von so hohen Mauern umgeben, daß man nach keiner Seite hin Aussicht
hat, also auch selbst nicht gesehen wird. Wir exercieren dann ganz
stramm und machen turnerische Freiübung, was uns vortrefflich bekommt.
Unterhaltender und reizvoller sind freilich die Gänge durch die Stadt,
besonders abends. Ich habe als Kind mit Vorliebe die Märchen von tausend
und einer Nacht durchblättert, die mein Vater in einer vier Foliobände
starken Prachtausgabe mit unzähligen Illustrationen besaß. Jetzt scheint
mir diese orientalische Märchenwelt vor meinen Augen lebendig geworden,
so oft ich Gelegenheit habe, nachts die Gassen zu durchwandern. Wir
biegen dicht bei unserem Hôtel in eine enge, finstere Gasse ein. Die
altersgeschwärzten Hausmauern zu beiden Seiten sind ganz fensterlos. In
einem tiefnischigen Pförtchen steht unbeweglich eine weiß verschleierte
Araberin. Sie scheint jemanden zu erwarten. Wir gehen an ihr vorüber, ohne
daß sie uns zu beachten scheint. Hinter uns ertönt, aus einer Seitengasse
sich nahend, der einförmige rhythmische und gellende Wechselgesang
schwarzer Lastträger und das gleichmäßige Getrappel ihrer nackten
Füße. Sie holen während des Singens rasch und mühsam Atem, weil sie mit
der schweren Last nicht gehen, sondern laufen.

Wir biegen aber bald in eine belebtere Straße ein. Aus einer Moschee
ertönt der Chorgesang andächtiger Mohamedaner. Wir erlauben uns vor der
offenen Eingangspforte des Tempels einen Augenblick Halt zu machen. Da
knieen die Betenden in langen Reihen dicht hintereinander, d. h. sie
hocken auf den kreuzweis untergeschlagenen Beinen und singen unter
beständigen Verneigungen und nach Vorschrift ausgeführten eigentümlichen
Handbewegungen ihre Responsen ab. Zahlreiche Krystall-Lampen, die von
der Decke hängen, beleuchten scharf die schwarzen, braunen und gelben
Gesichter. Die Schwarzen haben übrigens unbeschadet ihrer Andacht
sämtlich die Gesichter uns zugekehrt und betrachten uns mit derselben
Neugier, wie wir sie. Um sie nicht ferner zu zerstreuen, setzen wir unsern
Weg fort. An der nächsten Straßenecke strömt uns süßer Blütenduft
entgegen. Es ist die sogenannte Jasminecke. Hier werden in den Abendstunden
auf niederen indischen Holzschemeln große Haufen von Jasminblüten
feilgehalten. Die vornehmen Araberinnen bestreuen mit diesen Blüten vor
Schlafengehen ihr Lager. Ihre Kopfnerven müssen anders geartet sein, als
die der Europäerinnen. Wir befinden uns an der Jasminecke auf einem mit
wildem Grün überwucherten Platz. Vor uns steht als malerische Ruine ein
zerfallenes Araberhaus; einzelne maurische Bögen sind erhalten. Was
hier zusammenfällt, bleibt als Trümmerhaufen liegen und wenn's in
der belebtesten Straße der Stadt ist. Auf dem Gemäuer wachsen
schlankstämmige Melonenbäume, »~papaï~«, unter deren zierlicher
Blätterkrone die melonenförmigen Früchte hängen, hier eine beliebte
Speise. Stammartige Wurzeln klettern außen an dem Gestein herunter auf die
Straße nieder. Nicht weit von uns sitzen indische Jungen um ein kleines
Holzkohlenfeuer, auf dem sie in einem Pfännchen Weihrauch verbrennen. Die
Indier haben regelmäßige Gesichtszüge und träumerische zuweilen sehr
schöne Augen. Aber die schlotterige Gestalt, die schlechte Haltung und
die trägen Bewegungen tragen den Stempel der Weichlichkeit in unangenehmer
Weise. Die männlichen Indier tragen weiße bis an die Knöchel reichende
Hosen, Westen und kurze weiße Jacken. Nichts sitzt bei ihnen malerisch,
oder zeigt hübschen Faltenwurf, wie es bei den Schwarzen häufig und
bei den Arabern fast durchgängig der Fall ist. Auch sind ihre in's Auge
fallenden Charakterzüge, Habgier und Geiz, auf den Gesichtern der älteren
Männer mit erschreckender Deutlichkeit ausgeprägt. Die Knaben vor uns
sehen freilich im rötlichen Schein ihres Feuerchens hübsch genug aus. An
einem anderen Feuer sitzen alte Weiber und rösten Erdnüsse. Der vor
uns hergehende Diener läßt sich für ein paar Pesa sein rotes Fez damit
anfüllen. Man entfernt die geröstete Schale und der Kern schmeckt unseren
Haselnüssen ähnlich, nur darf er nicht beim Rösten angebrannt sein.


  Den 29. Juni.

Ich habe nun auch die zwei einzigen deutschen Damen hier in Zanzibar kennen
gelernt. Frau Strandes, die nach dreijährigem Aufenthalt hier jetzt zum
ersten mal unter dem Klimafieber leidet, hat einen prächtigen blonden und
blauäugigen kleinen Sohn. Dem Kind scheint die Tropenluft vorläufig ganz
vortrefflich zu bekommen. Freilich ist seine Mama auch eine musterhaft
verständige kleine Frau, deren consequentes Erziehungssystem mir Achtung
abnötigt.

Am vergangenen Sonntag haben wir schon zum zweiten mal Morgengottesdienst
im Usagara-Haus gehabt. Starke Gewitterregen haben die Gassen Zanzibars
unter Wasser gesetzt. Man hat nur die Wahl von Stein zu Stein zu
voltigieren oder durch die Wasserbäche zu waten.

Unser Geistlicher, Herr Missionar Greiner, erschien deshalb am Sonntag
in kurzer Joppe, in die Stiefel gesteckten Beinkleidern und hohen
Reiterstiefeln von gelbem Leder. So angethan, stand er vor der kleinen
Gemeinde und las die milden Worte des Gleichnisses vom verlornen Sohn. Man
glaubte sich in eine Hussiten- oder Hugenottenandacht aus den Zeiten der
Glaubenskriege versetzt, als der Prediger des lauteren Wortes ritterlich
gewappnet, die Bibel in der einen und das Schwert in der anderen Hand
seiner Herde voranzugehen hatte. Wir sangen wieder den Choral: »Nun danket
alle Gott«, dessen großartige Melodie immer und überall die Herzen
erhebt.

Nun ist Pastor Greiner mit seiner Frau und Nichte per Dau nach
Dar-es-Salaam gesegelt, ein kühnes Unterfangen in Hinblick auf die Frauen,
denn wir haben noch vollen Süd-Westmonsum. Der Sturmwind weht grade von
der Richtung, nach welcher das Segelbot seinen Cours halten muß, es kommt
daher unter beständigem Kreuzen im besten Fall nur sehr langsam von
der Stelle, und die Reisenden riskieren, tagelang in dem schmutzigen,
cajütenlosen Segelboot auf den Wellen herumgeworfen zu werden. Was mich
betrifft, so würde ich mich einer Daureise gegen Wind und Wellen nur im
äußersten Notfall aussetzen. Ich habe die Ärmsten mit inniger Teilnahme
zur Einschiffungsstelle begleitet, wo sie, der Ebbe wegen, auf den
Schultern schwarzer Lastträger nach dem elenden Fahrzeug geschleppt
wurden. Möchten sie die Reisetage erst überstanden haben!


  Den 30. Juni 1887.

Gestern fanden auf der großen Wiese an der Mnasimoja turnerische Spiele
statt, ausgeführt von der Mannschaft des hier liegenden englischen
Kriegsschiffes zur Feier des Regierungsjubiläums der Königin von England.
Wir waren in der höflichsten Form von dem englischen Generalconsulat
eingeladen. Mr. Holmwood ließ Herrn Dr. Peters in seiner eigenen
Equipage abholen, was Aufmerksamkeit erregte. Die ganze ~beau monde~
Zanzibars war auf der mit zahlreichen Flaggen geschmückten Festwiese
erschienen.

  »Wer kennt die Völker, zählt die Namen,
  Die gastlich hier zusammen kamen?!«

Man sah die Vertreter der europäischen Regierungen, von Deutschland,
England, Frankreich, Italien, Portugal, Belgien, wie auch von Amerika;
die Vertreter der Handelsgesellschaften und kaufmännischen Firmen, die
verschiedenen Missionen, die Truppen seiner Hoheit, die reichen Indier mit
ihren in goldleuchtenden Seidenfetzen eingewickelten Weibern und Kindern,
die ernst dreinschauenden Parsen mit Brillen auf der Nase und hohen
Mützen, ähnlich denen griechischer Popen u. s. w.

Unter den Spielen interessierte mich ein Wettrennen, das zwischen
englischen Matrosen und schwarzen Sultanssoldaten stattfand.

Die Schwarzen liefen gleich beim Starten die Bahn dahin wie ein Trüppchen
flüchtiger Antilopen und gewannen sofort einen ganz bedeutenden Vorsprung.
Bald aber blieb einer nach dem anderen zurück. Die Engländer änderten
ihr weit mäßigeres Tempo nicht. Sie hatten bald die sämtlichen Schwarzen
eingeholt und erreichten lange vor jenen das Ziel.

Auch mein Bruder, dessen Muskelkraft einen gewissen Ruf hat, und der
turnerisch sehr gewandte Herr Consul O'Swald beteiligten sich an einigen
der Spiele mit den englischen Marine-Offizieren.

Der Generalconsul, Mr. Holmwood stellte mir die beiden indischen
Geldfürsten vor, die der englischen Regierung 100000 Rupies überwiesen
haben, zur Errichtung eines Hospitals für Arme. Wir hatten übrigens an
diesem Nachmittag die Genugthuung wahrzunehmen, daß wir Deutschen zur Zeit
hier die bevorzugteste gesellschaftliche Stellung einnehmen. Die besonders
gegen Herrn Dr. Peters und seine Gesellschaft offiziell bekundete
Zuvorkommenheit der hier immer noch dominierenden Engländer ist geradezu
staunenerregend.


  d. 2. Juli.

Mein Bruder ist mit der Wolf'schen Eisenbahnexpedition abgereist, zunächst
nach ~Dar-es-Salaam~, wo er die nötigen Träger mieten soll. Vielleicht
sehen wir uns dort bald wieder.


  Nacht vom 7. zum 8. Juli.

Ich sitze am Lager einer fieberkranken jungen Östreicherin, deren Mann im
Innern zum besten der Wissenschaft Schmetterlinge fängt. Sie ist ihm
voll Enthusiasmus hierhergefolgt mit der Absicht, ihn auf allen seinen
Streifzügen zu begleiten. Nun haben Entbehrungen und Anstrengung in dem
ungewohnten Klima die Arme niedergeworfen. Die Hütte, in der sie
wohnt, liegt im Garten eines Portugiesen von Goa. Sie enthält, wie die
Negerhütten, einen einzigen Raum, dessen Plafond das Dach und dessen
Parket der Erdboden ist. Fenster sind nicht vorhanden, deshalb steht
auch nachts die Thüre auf, so daß ich von meinem Sitz am Krankenbett
hinaussehe in die »mondbeglänzte Zaubernacht -- die den Sinn gefangen
hält.« Draußen stehn mächtige Kokospalmen mit felsblockartigen
Stämmen; dem Pförtchen gegenüber eine Banane, deren schöne
Riesenblätter der Nachtwind raschelnd durcheinanderwirft. Auf einem
steinernen Tisch unter den Bäumen steht ein Thonkrug, wie eine etruskische
Vase geformt, mit Trinkwasser. Die Portugiesin, der der Garten gehört,
hat es für mich hingestellt. Auf einer Steinbank liegt vor der Hütte
schlafend ein etwa zehnjähriger Negerknabe. Er muß gelegentlich für die
Kranke einen Gang thun. Dann wecke ich ihn, und er springt dienstbereit auf
die Beine, ohne sich einen Augenblick zu besinnen. Zu meinen Füßen liegt
ein wackerer Rattenfänger, ein kluges, freundliches Tier. ~Iessy~, so
heißt er, schläft auch; aber wenn eine Ratte ihre Aufwartung macht,
ist er schnell genug bei der Hand. Ich habe, auf dringendes Bitten meines
Bruders, einen geladenen Revolver neben mir liegen, aber ich kann mich noch
immer nicht mit dem Gedanken vertraut machen, zu einer derartigen Waffe
meine Zuflucht nehmen zu müssen. Wir deutschen Frauen sind gewohnt, unsere
Sicherheit gerade in unserer Waffenlosigkeit zu sehen.

Meine Kranke habe ich mit einem Palmenwedel gefächelt, bis sie
eingeschlafen ist. Lange wird der ihr so nötige Schlummer, fürchte ich,
nicht dauern. Mittlerweile habe ich beim sanften Schein des Nachtlämpchens
mein Tagebuch vorgenommen, um durch Schreiben die Schläfrigkeit zu
überwinden. Ein Kanonenschuß am Hafen verkündet eben die zehnte Stunde,
(vier Uhr morgens.) Muskitos umschwärmen mich mit singendem Sausen
und erregen durch ihre Hartnäckigkeit meinen grimmigen Zorn. Diese
blutgierigen Ungeheuer nötigen mich beständig um mich zu schlagen, wobei
ich gewöhnlich mich selbst, aber nicht die Muskitos treffe. Eben läuft
ein grünes Eidechschen die weiße Wand entlang, und nicht weit davon
bewegt eine Riesenspinne ihre dicken haarigen Beine, ein greulicher
Anblick.


  d. 8. Juli. Vormittag.

Herrlich war der Morgenhimmel vor uns nach Sonnenaufgang im Garten des
Portugiesen. Ganz prächtig zeichneten sich die edlen Linien der Palmen von
dem lichtgoldenen Hintergrund ab. Die Hähne krähten in den benachbarten
Gehöften, da sprang der kleine Diener von seinem harten Lager auf, wusch
sich an der nahen Cisterne und kehrte dann die Wege des Gartens. Dann
machte er ein Holzfeuerchen auf dem Kochherd, der unter einem Schutzdach
von Palmzweigen an der Hinterwand des Hauses im Freien angebracht ist. Bald
kam auch die Portugiesin aus dem Vorderhaus und kochte Kaffee, der meiner
Kranken ebenso gut schmeckte wie mir. Gegen sieben Uhr kamen zwei von den
französischen Klosterschwestern und versicherten mir, trotz des momentanen
verhältnißmäßigen Wohlbefindens der jungen Frau könne dieselbe an
diesem ungesunden Aufenthaltsort das Fieber nicht loswerden. Sie wollten
die Kranke daher gegen Mittag in das Hospital bringen lassen und sie dort
bis auf weiteres verpflegen.

Um acht Uhr kam dann meine junge Gefährtin, Bertha, und löste mich ab.

Heute veranstalten die Indier ein glänzendes Fest zu Ehren der Königin
von England bez. Kaiserin von Indien. Die ganze Stadt ist zur Illumination
mit bunten Lämpchen versehen; man hat zahlreiche Triumphbögen und
Transparente angebracht, eine Schiffsladung voll Feuerwerk von ~Bombay~
kommen lassen und die sonst so schmutzigen rumpelkammerartig zugerichteten
Verkaufsstraßen gleichen heute Laubengängen aus Palmzweigen.

Ich sagte zu dem französischen Viceconsul und dessen Freund, die mit uns
im Hotel essen, die Engländer zeigten sich heute wieder als loyale Nation,
worauf die Franzosen antworteten: »Die haben eine Königin. Sie sollten
einmal sehen, was _wir_ thun würden, wenn wir eine Königin hätten!«

Ich mußte an ~Marie Antoinette~ denken. --

Übrigens habe ich ein starkes Verlangen nach Schlaf und werde den
abendlichen Zauber Anderen überlassen.


  Den 9. Juli.

Ich habe meinen Vorsatz doch nicht ausgeführt, mich vielmehr mit Bertha
den Franzosen: Dr. Marseille und seiner Frau und den Herren vom Konsulat
angeschlossen. Wir gingen am Sultanspalast vorüber zwischen der alten
Festung und der Duane nach dem umzäunten Festplatz. Jetzt entstieg starker
Kokosnuß-Ölgeruch den tausenden von brennenden Lämpchen. Eine große
Menschenmenge umringte uns, die sich aber weit stiller verhielt, als daheim
das brave Volk bei ähnlichen Gelegenheiten. Man belästigte uns nicht im
Geringsten. Andere Europäer fanden sich bald mit uns zusammen. Am
Meere stand eine große überdachte Festhalle. Dort hatte vormittags
der englische Generalconsul Mr. Holmwood auf einem prächtigen goldenen
Thronsessel sitzend, großen Empfang abgehalten und eine Festansprache
geredet. An dem wie ein Triumph-Bogen hergerichteten Eingangs-Thor standen
parsische und indische Comitee-Mitglieder, die der andrängenden Menge von
Schwarzen den Eintritt verwehrten, Indier, Parsen, Goanesen und Europäer
dagegen einließen. Die Europäer wurden als Ehrengäste ganz besonders
höflich eingeladen, doch näher zu treten. Meiner bemächtigte sich
ein vornehmer Parse, den eine rotblauweiße Schleife als zum Festcomitee
gehörend bezeichnete. Er nötigte mich in die Halle nach einer Reihe von
Stühlen, die den ersten Rang vorstellte. Dort wies er mir einen Sitz an
neben drei Damen, die er mir mit Stolz als »~parseen ladies~« vorstellte,
die hübscheste und jüngste als seine Frau. Diese Parsinnen sind klein.
Ihr Anzug gleicht der indischen Nationaltracht, nur zeigt er einen besseren
Geschmack. Meine Nachbarinnen trugen weiße reich mit weißem Schmelz
benähte Unterkleider von Seidendamast mit in sehr bunter Seide kunstvoll
gestickten Bordüren. Darüber shawlartige Überwürfe von schwerem gelben
Seidenstoff, die den Hinterkopf bedeckten und die glänzend schwarzen
Scheitel freiließen. Die hübsche Frau meines Führers begann in
fließendem englisch Conversation zu machen. Sie habe mich neulich bei
den Spielen auf der Mnasimodja gesehen, sagte sie, und den Wunsch gefaßt,
meine Freundin zu sein. Deshalb habe ihr Mann mich hergebracht so bald sie
mich am Eingang bemerkt habe. Sie sei jung verheiratet und erst seit wenig
Wochen von Bombay herübergekommen, da fühle sie sich in Zanzibar noch
recht einsam u. s. w. Zuletzt frug sie: ~are you english or french~.
Ich versicherte ihr mit Selbstgefühl, daß ich eine Deutsche sei, was sie
einen Augenblick zu überraschen schien. Sie faßte sich aber sogleich und
bemerkte: »O, wenn Sie eine Deutsche sind, dann sind Sie natürlich sehr
musikalisch.« Also von _dieser_ Seite kannte sie uns.

Mittlerweile hatte sich um uns her die ganze europäische Gesellschaft
eingefunden, so daß man nach links und rechts und ringsumher Grüße und
heitere Bemerkungen auszutauschen hatte. Auch die Consuln waren erschienen
und zwar in Uniform. Mr. Holmwood hatte die Consuln und Herrn Dr. Peters
zu einem feierlichen Diner bei sich gehabt. Als die glänzendste
Erscheinung unter ihnen fiel der junge Herr O'Swald auf, der in der roten
Uniform der kaiserlich österreichischen Konsuln mit dreieckigem Hut und
stolzem weißen Federbusch an einen englischen General aus der Zeit des
Herzogs von Wellington erinnerte und den Orientalen gewaltig imponierte.
Vor uns am Strande des Meeres wurden nun Raketen und Mongolfieren steigen
gelassen, und sprangen Frösche, Feuerräder etc.

Zum Schluß spielte die Goanesenkapelle des Sultans: Heil dir im
Siegerkranz, bez. ~God save the queen~. Man führte schließlich die
Damen an ein Büffet und bot ihnen in Eis gekühlten Champagner, Thee
und Confect. Es herrscht bei solchen Festen seitens der Festgeber
unbeschränkte Gastfreundschaft.

Ich war schon recht ermüdet, als wir den Heimweg antraten in Gesellschaft
unserer deutsch-ostafrikanischen Herren, und der Herren vom italienischen
Consulat.

Unterwegs trafen wir die Damen der englischen Mission, die ebenfalls mit
befreundeten Herren lustwandelten. Miß Smith rief uns zu, wir möchten ja
nicht versäumen das Haus des Pira Dawtchee (Oberhof- und Küchenmeister
Seiner Hoheit) zu besuchen, es sei der Mühe wert. Wir ließen uns wirklich
verlocken den Engländerinnen dorthin zu folgen. Gruppenweise schlenderten
wir durch die phantastisch erleuchteten Laubengänge, Palmblätter über
uns, Palmblätter an beiden Seiten und Palmblätter unter den Füßen.

Der edle Pira ist im gewöhnlichen Leben neben seinem Hofamt Besitzer eines
großen Eckladens mit offenen Bogenthüren nach zwei Gassen hin. Jetzt
zeigte sich uns statt des Ladens ein glänzender Salon im indischen
Geschmack. Der Fußboden mit kostbaren Teppichen ausgelegt, an den Wänden
blumenumgebene Transparente, in der Mitte des Raumes als Prunkstück eine
Drehorgel. Rings herum eine Reihe europäischer Rohrstühle. Wir folgten
gleich Schafen immer mechanisch denen, die vor uns hergingen und kamen
so in den Salon, wo wir zu unserer großen Belustigung halb Europa
schon versammelt fanden. Da saßen sie ernst, mit heldenhaft verhaltenem
Lächeln, die Herren vom deutschen, vom französischen, vom belgischen
Consulat, die Kaufherren, die englischen Marine-Offiziere, und was
von Damen vorhanden ist. Wir setzten uns mit Würde dazu. Sogar der
vielbeanspruchte Mr. Holmwood beglückte den Pira durch seine Gegenwart.
Letzterer, ein dicker und kolossaler Indier stand majestätisch in der
Mitte seiner Besucher, angethan mit langem weißen Kaftan, kirschrotem
Überkleid, welches vorn auseinander fällt und goldverbrämtem festen
Turban. Grabesernst und im erhebenden Bewußtsein der ihm werdenden
Auszeichnung überwachte er die Schwarzen, die den distinguirten Gästen
Thee, Kaffee und feines Gebäck herumreichten.

Erst nach Mitternacht gelangten wir in unser Gasthaus zurück.


  Den 13. Juli.

Das Essen hier im Hôtel läßt viel zu wünschen übrig. Wir stehen oft
so hungrig vom Tisch auf, wie wir uns hingesetzt haben und würden diese
Mängel noch mehr empfinden, wenn unsere Tischgenossen, die Franzosen,
es nicht meisterhaft verständen, durch geistvolle und liebenswürdige
Conversation ein kärgliches Mahl zu würzen.

Als wir heute um zwölf Uhr beim Frühstück saßen, ertönte draußen der
dumpfe, langgezogene und heulende Ton eines Signalhorns. Die Herren fuhren
von ihren Sitzen auf mit dem einstimmigen Freudenruf: »~c'est la
mail!~« Die freudige Erregung, die sich sofort auf meine Bertha und mich
fortpflanzte, bemächtigt sich bei diesem an sich greulichen Signalgeheul
der ganzen europäischen Einwohnerschaft Zanzibars. Der Wächter auf dem
Sultansturm hat die Signalflagge auf der entfernten Landzunge gesehen, die
der guten Stadt meldet, daß der europäische Postdampfer in Sicht ist.
Etwas später wird auf dem »Weihnachtsbaum« eine weiße Flagge mit drei
schwarzen Kreuzen gehißt zum Zeichen, daß der entfernte Wächter in dem
nahenden Dampfer wirklich das Postschiff erkannt hat. Es dauert dann noch
beinah vier Stunden, bis die »~mail~« im Hafen eintrifft. Immer wieder
bin ich in den Salon gegangen, der mit sechs Fenstern das Meer beherrscht,
und habe erst durch das Opernglas, dann mit unbewaffneten Augen nach dem
schwarzen Punkt am Horizont gesehen, der auch gar nicht größer werden
wollte! Als dann endlich gegen vier Uhr der brave British-India-Dampfer
sich bedächtig zwischen im Hafen liegende Schiffe schob und seinen
Salutschuß abfeuerte, empfanden wir Beide ein so heftiges uns selbst
unerklärliches Gefühl der Freude, daß uns die Thränen in die Augen
traten. Das Schiff kommt eben aus der Heimat und war für uns der erste
Gruß.


  d. 14. Juli.

Da das Postschiff um vier Uhr erst gekommen, durften wir unsere Briefe
nicht vor heute Morgen erwarten, was uns recht langweilig erschien. Dafür
kamen gegen fünf Uhr die Herren Consul O'Swald und Baron Gravenreuth und
forderten uns auf, mit ihnen eine Bootfahrt nach ~Mtoni~, einem zerfallenen
Sultansschloß, zu unternehmen. Wir waren mit Vergnügen bei der
Partie, und bestiegen von der steinernen Sultanstreppe aus das mit der
östreichischen Flagge geschmückte Boot des Consuls. Der Himmel war
bedeckt, und es wehte ein leiser angenehmer Seewind. So glitt das Boot,
welches mit vier schwarzen Ruderern bemannt war, an der Insel hin,
zuweilen auf so seichtem Wasser, daß man meinte mit ausgestrecktem Arm den
Meeresboden erreichen zu können. Diese flachen Stellen zeichnen sich als
milchiggrüne Flecke von der metallfarbenen Wasserfläche ab.

~Mtoni~ ist bekannt durch die Schilderungen der Frau Ruete, »~Bibi
Salime~«, die dort ihre Kindheit unter den zahlreichen Frauen ihres Vaters
und noch zahlreicheren Geschwistern verlebte. Jetzt freilich heißt es auch
von diesem Palast:

  »seine Dächer sind zerfallen
  und der Wind streicht durch die Hallen.«

Die Ruine des wahrhaft fürstlichen Baus liegt etwa zwanzig Schritt vom
Meeresufer entfernt in einer Wildnis von Grün. Ein alter Araber, der hier
als Burgwart haust, schloß uns das Eingangspförtchen auf und ließ uns
ein in das Labyrinth halbverfallener Gemächer, in deren Mauern Bäume
Wurzel geschlagen haben und deren Wände die prächtigste Naturtapete aus
blühenden Schlingpflanzen zeigen. Wir kletterten steinerne Treppen hinauf
bis zu den höchsten Terrassen und hatten von dort in der Umrahmung eines
erhaltenen Bogenfensters einen Blick auf die ferne Stadt, die mit ihren
weißleuchtenden Häusern und Palästen auf weit in's Meer ragender
Landspitze sich in scharfen Contouren von dem metallfarbenen Hintergrund
abhob, ein wunderbares und ganz ideales Landschaftsbild.

Unter dem Dach fanden wir eine Menge umfangreicher Glaskruken in halb
verwitterten Flaschenkörben steckend. Herr von Gravenreuth konnte nicht
umhin zu bedauern nicht wenigstens einige derselben mit Münchener Hofbräu
gefüllt zu sehen. Weil wir alle mehr oder minder durstig waren, pflückten
wir von einem herrlichen mit Goldorangen überladenen Baumriesen, der
im Hofe stand, einige der Früchte, aber einer nach dem anderen warf
mit verzogenem Angesicht die lockenden Apfelsinen in's Gras. Sie waren
verwildert und schmeckten bitter wie Chinin.


  Zanzibar d. 15. Juli.

Ich war nachmittags im Usagara-Haus und habe mich dort länger als zwei
Stunden aufgehalten, da es eine Menge Neuigkeit aus der Heimat zu berichten
und Meinungen darüber auszutauschen gab. Auf den einen Tag nach Ankunft
des Postschiffs häuft sich alles Interessante, was es für die im Herzen
noch mit der Heimat zusammenhängenden Europäer in Zanzibar giebt,
und dieser eine Tag erscheint nur einmal in vier Wochen. Dafür ist
die gegenseitige Teilnahme eine so warme und natürliche, wie sie in
Deutschland längst nicht mehr existiert.

Herr von Gravenreuth ist heute Morgen abgesegelt, um eine Besichtigung der
Kinganistationen vorzunehmen. Es thut mir sehr leid, daß dieser tactvolle
und stets hülfsbereite Freund uns nun auch verlassen hat. Mit ihm würde
der Kaiser Mark Aurel zufrieden gewesen sein, denn nie hören seine Freunde
das gebräuchliche: »ich habe keine Zeit.« Er selbst war gestern
sehr vergnügt. Bei seiner Beweglichkeit und der Vorliebe für das
Umherstreichen in Wald, Feld und Bergen, zieht er die Unbequemlichkeiten
einer Daufahrt und den Fußmarsch durch die Rufu-Niederungen der
Büreauarbeit weit vor. Ich habe ihm gestern noch seinen Korkhelm mit einem
dichten und auch das Genick schützenden Schleier umnäht. Dabei saßen
wir zwischen wahren Gebirgen von Zeitungsblättern. Ich finde es sehr
beklagenswert, daß hier so oft die Notwendigkeit vorliegt, wertvolle
Kräfte um irgend einer kleinen Sache willen Gefahren an Leben und
Gesundheit auszusetzen. Herr Dr. Peters meinte freilich, das sei ebenso
unvermeidlich als natürlich und selbstverständlich, aber er ermahnte
doch in meiner Gegenwart den Baron aufs ernstlichste, keine der gebotenen
Vorsichtsmaßregeln außer acht zu lassen. »Wir können Sie _vorläufig_
nicht entbehren,« sagte er in seiner verbindlichen Weise.


  d. 17. Juli.

Jetzt machen sich hier die Portugiesen breit. Ein Kriegsschiff liegt
im Hafen; mit der letzten Post von Süden ist ein außerordentlicher
Bevollmächtigter hier eingetroffen und in unserem Hotel logiert
ein portugiesischer Afrikadurchquerer, Mr. Capello, mit einem sehr
liebenswürdigen Begleiter italienischer Abstammung. Jeden Abend, wenn wir
beim Essen sitzen, stürmt es mit großem Gepolter die Treppe hinauf. Das
sind der Viconte de Castilho und der Kommandant des Kriegsschiffs, die ihre
Landsmänner besuchen. Diese Portugiesen zeichnen sich gesellschaftlich
durch ein sehr ungezwungenes Wesen und Beweglichkeit aus. Ihre Redeweise
übertrifft an Verbindlichkeit noch die der Franzosen. Die Unterhaltung
ist immer allgemein, so lange ich anwesend bin wenigstens, und wird in
französischer Sprache geführt.

Heute, am Sonntag, habe ich dem Gottesdienst in der katholischen Kapelle
beigewohnt. Die Stille in dem halbdunklen bis auf den letzten Platz
gefüllten Raum, der Chorgesang und das sanfte Spiel einer nicht sichtbaren
Orgel wirkten wohlthuend und stimmten zur Andacht. Chorsänger und
Chorknaben waren schwarze Missionszöglinge.

Nach der Kirche besuchte ich die kranke Östreicherin im Hospital und da
ich grade ihren portugiesischen Arzt, den Dr. Augusto Bras de Souza fand,
der als Goanese nur englisch spricht, konnte ich Dragomansdienste thun.
Was die Kranke deutsch sagte, wiederholte ich dem Doktor englisch und
übersetzte dessen englische Vorschriftsmaßregeln der Klosterschwester ins
französische.

Herr von St. Paul rüstet eine größere Expedition in die entlegensten
Teile des deutschen Gebietes aus.


  d. 18. Juli.

Wir haben einen Diener gemietet, Theodor mit Namen. Er ist ehemaliger
englischer Missionszögling und Christ, daneben aber Soldat des Sultans und
als solcher muß er jeden Morgen Dienst thun, d. h. im Laufschritt unter
heulendem Gesang die Straßen durchziehn, oder gar auf der Wiese an der
Mnasimodja Übungen machen. Nachdem der Staatsdienst absolviert, hält er
sich aber bis acht oder halb neun Uhr abends zu unserer Verfügung. Wir
haben ihm zunächst ein menschenwürdiges Kostüm gekauft, nämlich ein
Negerhemd, eine weiße Mütze und einen Stock. Nun können wir, ohne auf
die besondere Gefälligkeit der befreundeten Herren angewiesen zu sein,
auch nach Sonnenuntergang spazieren gehen. Diese Abendgänge gewähren den
größten Genuß. Auf dem Sultansplatz findet nach Sonnenuntergang kleine
Truppenrevue statt, mit Musikübungen, beides, vokal und instrumental.
~Sejid Bargash bin Said~ steht umringt von vornehmen Greisen auf der
Veranda seines Palastes und sieht sich die Sache an. Wir gehen an dem
aus der Portugiesenzeit stammenden Festungsbau vorüber, mit seinem
rundbogenförmigen Zinnenkranz. Von einem der massiven Türme erschallt
der langgezogene, melodische Ruf des Postens und der gleiche Ruf
antwortet schwermütig ausklingend in der Entfernung. Hier führt uns die
Hauptstraße durch das Konsulatviertel nach der Mnasimodja. Im Hintergrund
eines mit Trümmern und blühendem Strauchwerk bedeckten Rasenplatzes
erhebt sich ein klosterähnlicher langer Steinbau, an dessen hell
erleuchteten Bogenfenstern wir Gestalten in wallenden weißen Gewändern
vorüberhuschen sehen. Man könnte meinen, es seien Mönche. Das Haus ist
aber ein von dem englischen Fleischermeister gehaltenes Restaurant und die
weißen Mönche sind die Kellner in ihren Negerhemden. Der Romantik des
Bildes thut diese Wahrheit keinen Abbruch.

Weiterhin unter einem kleinen Vordach von Kokosblättern sitzt auf
steinerner Bank ein Schwarzer und spielt auf seiner Kürbismandoline eine
sanfte, eintönige Melodie. Dazu singt er. Kein Zuhörer ist zu entdecken.
Als ein echter Künstler übt er seine Kunst um ihrer selbst willen aus.


  d. 19. Juli.

Heute sah der Hôteldiener Amadi, der mir sehr zugethan ist, auf meinem
Tisch das Bild des Fürsten Bismarck stehen. Er betrachtete es aufmerksam,
zeigte mit dem Finger darauf und fragte: »Das ist wohl Euer Sultan?« Das
Bild steht zwischen verschiedenen anderen Porträts. Amadi muß es entweder
schon gekannt haben oder sein natürlicher Scharfblick hat ihn darauf
gebracht in Haltung und Zügen des Fürsten den großen Mann zu vermuten.
Ich sagte ihm: »unser Sultan ist es nicht, aber ein sehr großer Herr.«
Da schlug sich Amadi als Zeichen verständnisinniger Ehrerbietung auf die
Brust und meinte: »ich weiß schon! alle Eure großen Häuser, O'Swald und
Hansing und Meyer stehen unter ihm!« Ich sagte: »jawohl«. -- Mit diesem
Schwarzen unterhalte ich mich in einem greulichen Durcheinander von Suaheli
und englisch, aber wir können uns doch verständigen.


  d. 21. Juli.

Gestern ließ mir Herr Dr. Peters sagen, wenn ich mir die Quartiere in
~Dar-es-Salaam~ anzusehen wünsche, so sollte ich mich bis zu heute Abend
reisefertig machen. Die günstige Reisegelegenheit, die ich erwartete,
hat sich gefunden. Der Sultan hat zu einer Besichtigung des Vertragshafens
~Dar-es-Salaam~ seinen Dampfer Barawa zur Verfügung gestellt und den
Herren Consul O'Swald und Dr. Peters sagen lassen, sie möchten auf keinen
Fall Mundvorrat an Bord nehmen, für die Bewirtung werde er allein sorgen.
In Zanzibar, wo jeder dem Nachbar aufpaßt und dessen Angelegenheiten mit
allen Einzelheiten erfährt, machen diese noch nie dagewesenen Erfolge der
Deutschen großes Aufsehen. Ich bin zufälliger Weise in der angenehmen
Lage, die Spitzen des hier vertretenen Europa's d. h. die Herren vom
englischen, französischen, italienischen und portugiesischen Consulat
darüber zu hören. Wenn diese Herren das Gespräch auf das flotte Vorgehen
der Deutschen bringen, stelle ich mich ebenso unwissend als gleichgültig.
Darüber höre ich manche mich interessierende Äußerung ihrerseits.

Miß Smith und Frau Wendt (die Frau eines deutschen Sultanskapitäns)
haben für unsere gemeinschaftliche Schutzbefohlene, die Östreicherin,
ein Quartier gefunden, welches allerdings in einer Handelsgasse einer
Matrosenkneipe gegenüber liegt, aber mehr Räumlichkeiten hat und weniger
ungesund ist, als das malerische Gartenhäuschen der Portugiesen. Die junge
Frau, die sich im französischen Hospital rasch erholt hatte, ist dorthin
übergesiedelt, aber sofort wieder erkrankt. Die Ärmste, deren Mittel
ebenso gering sind wie ihre Körperkräfte, kann sich nicht die notwendige
Bedienung schaffen und überanstrengt sich, sowie sie sich selbst
überlassen wird. Ihre Lage ist in der That eine sehr schwierige, da sie,
unfähig das Bett zu verlassen, gänzlicher Hülflosigkeit preisgegeben
ist, so lange wir nicht nach ihr sehen. Ich habe darum heute meine Bertha,
die bei aller jugendlichen Lebhaftigkeit eine geübte und gewissenhafte
Krankenpflegerin ist, bei der jungen Frau einquartiert. Die Bettwäsche,
die wir hier genäht haben, sowie einen Korb Rotwein haben wir heute
hinüberbefördert. Bertha ist mit Geldmitteln und genauen Instructionen
versehen; zudem haben Miß Smith und Frau Wendt versprochen, sie gegen
Abend täglich auf eine Stunde abzulösen; dann soll sie unter dem Schutz
des Dieners Theodor, der sich nach wie vor zu ihrer Verfügung halten muß,
spazieren gehn. So ist die arme Kranke vorläufig in guten Händen.


  d. 25. Juli.

Am Abend des 21. Juli begaben wir uns in dem für uns bereitstehenden
Sultansboot nach der Barawa, wo wir die Nacht im Hafen liegend zubringen
mußten. Ich wurde in die Sultanskabine einquartiert, die etwas geräumiger
ist, als die anderen, ein rotes Plüsch-Sopha enthält, und an den
weißgestrichenen Wänden Goldverzierungen im Muschelgeschmack der
Rokokozeit mit roten Fähnchen in den Medaillons. Indessen trieben
Kockerutschen und Spinnen auch in diesem Prunkgemach ihr Wesen.

Um halb fünf Uhr am Sonnabend Morgen begann die Schraube zu tosen und
wir dampften von hinnen. Es befanden sich neun Deutsche an Bord, nämlich
außer dem Kapitän und dem Ingenieur: Herr Dr. Peters, Herr Consul
O'Swald, Herr Missionar Greiner, Herr Friedrich Schroeder von der
Plantagengesellschaft, Herr Flemming, Schwester Rentsch und ich. Herr
Missionar Greiner war nach Zanzibar gekommen, um die ihm von seiner
Missionsgesellschaft zugeschickte Krankenpflegerin abzuholen. Da der
Südwestmonsum noch immer bläst und zwar grade aus der Richtung, der
wir entgegenfuhren, konnte ich bei meiner allzu wenig seetüchtigen
Constitution die Annehmlichkeiten der Seekrankheit einmal wieder
durchkosten. Ein schwacher Trost war es, daß Herr Schroeder sich
wenigstens unbehaglich fühlte. Alle anderen erfreuten sich eines
gediegenen Wohlbefindens.

Um drei Uhr nachmittags rief man mich energisch an Deck. Ich wankte hinauf
und sah, daß wir in den schönen Hafen von ~Dar-es-Salaam~ einfuhren. Die
Fahrt hatte also bei ungünstigem Wind zehn und eine halbe Stunde gedauert.

Sobald wir festlagen, stieß ein Boot vom Lande ab, in dessen europäischen
Insassen wir bald den Chef der Station, Herrn Leue, unter einem
vertrauenerweckenden Sonnenschirm, und am Steuer meinen Bruder erkannten.
An der Schiffstreppe stehend, begrüßten wir die Freunde aufs herzlichste.
Ich frug meinen Bruder, wie man denn in ~Dar-es-Salaam~ schon von unserem
Besuch wisse? und erhielt die stehende Antwort: »der Telegraph in Afrika
arbeitet rascher, als der in Europa.« -- Es ist mir in der That
ganz unbegreiflich, mit welcher Geschwindigkeit sich ohne Post- und
Eisenbahnverkehr die Nachrichten hier verbreiten. Wenn in Usungula ein paar
der dort arbeitenden Menschenfresser dem Stationschef entlaufen, erzählt
man sich das in Zanzibar auf den Straßen, lange ehe die pünktlich
abgesandte schriftliche Meldung eintrifft.

Unsere Gesellschaft teilte sich schon an der Landungsstelle. Während die
Herren Leue, Schroeder und Flemming Herrn Dr. Peters auf dessen Rundgang
mit Mohamed bin Salim und dem Wali begleiteten, unternahm Herr O'Swald
eine einsame Kunstreise mit seinem photographischen Apparat. Herr Greiner
dagegen begab sich mit Schwester Rentsch zu den seiner harrenden Damen und
mich führte mein Bruder nach dem malerischen Zeltlager, in dem er mit den
Herren der Eisenbahnexpedition Quartier genommen hatte. Die Herren hatten
sich in den von üppigem Grün umgebenen Zelten wirklich sehr
behaglich eingerichtet und waren ganz erbaut von ihren Wohnungen. Herr
Regierungsbaumeister Wolf trat uns in heiterer Stimmung entgegen, umringt
von Hunden und Affen. Seine vielen wissenschaftlichen Instrumente und
Bücher lagen teils auf den improvisierten Tischen, teils auf der Erde und
verliehen dem Bilde das Ansehen eines Generalstabszeltes. Aber in einem
anderen Zelt lag Herr von Hake an einem schweren Fieber danieder. Albrecht
führte mich zu ihm. Das Bett stand auf der notdürftig festgestampften
Erde und der Kranke lag angekleidet darauf mit glühendem Gesicht und
phantasierte. Er erkannte mich zwar, als ich ihn begrüßte, doch mußte
ich zu meinem Leidwesen bemerken, daß meine Anwesenheit nicht wohlthätig
wirkte. Herr von Hake schien das dumpfe Gefühl zu haben, als müsse er
höfliche Conversation machen und seine Anstrengungen, die hergebrachten
Redensarten herauszubringen, thaten mir in der Seele weh! Ich bat ihn,
den jedenfalls ungesunden Aufenthalt im Zelt zu verlassen und im Haus der
Stationsbeamten Unterkunft zu suchen, aber er wehrte fast ängstlich ab und
wollte nichts davon hören. Da er in seiner gezwungenen Haltung verharrte,
verließ ich ihn, um nicht bei allem guten Willen Schaden anzurichten. Herr
Dr. Peters hat übrigens eine Stunde später die ihm eigene ungewöhnliche
Gabe, den Willen Anderer zu bestimmen, mit Erfolg angewandt. Während
Herr Leue, Missionar Greiner und andere Herren ebenso wie ich vergeblich
versucht hatten, den Fieberkranken zu einem Ortswechsel zu bewegen, zeigte
sich der Patient Dr. Peters gegenüber plötzlich gefügig und ließ sich
von diesem ohne Widerstreben nach der Beamtenwohnung führen.

Nach dieser Wohnung, die aus mehreren sehr primitiven Indierhäusern
zusammengesetzt ist, war ich indessen auch mit meinem Bruder gegangen.
Hier lag bereits ein anderer Fieberkranker. Geordnete Pflege wäre hier,
wo jetzt fortwährend schwere Fälle vorkommen, sehr wünschenswert; an
bewohnbaren Räumlichkeiten mangelt es aber vor der Hand gänzlich. In
nächster Zeit soll die Zahl der hier stationierten Beamten reduziert
werden, auch steht die Abreise der zur Eisenbahnexpedition gehörenden
Herren täglich bevor. Dann wird sich wohl für eine Pflegerin und ein
gutes Krankenzimmer Platz finden. Einstweilen muß sogar Schwester
Rentsch auf Wohnung in ~Dar-es-Salaam~ Verzicht leisten, da auch in der
Missionswohnung kein Platz ist.

Im übrigen haben sich die jetzigen Bewohner des Hauses ganz idyllisch
eingerichtet. Den Mangel an Zimmern ersetzt eine breite, längs des Hauses
hinlaufende Veranda, die durch Herrn Leue überdacht worden ist. Diese,
in verschiedene Departements geteilt, dient zum allgemeinen Aufenthaltsort
während des Tages. Dort fand ich die Nichte des Missionars, eine kräftige
blonde Schweizerin, mit dem Rösten von Kaffeebohnen beschäftigt. Ich
erkundigte mich nach ihrer Daufahrt und erhielt die Antwort: »Ich hab'
zwar oftmals Heimweh, aber auf eine Dau geh ich niemals wieder. Da bleib
ich schon lieber mein ganzes Leben in ~Dar-es-Salaam~.«

Herr Fröhlich, ein bleicher Fieberreconvalescent, saß auch auf der
Veranda und spielte auf der Cither Tyroler Volkslieder.

Als es abendlich kühl wurde, führte mich mein Bruder in den Garten und
auf das Feld. Wir gingen an Ananaspflanzungen vorüber, sahen Tomaten
als Unkraut wuchern, ebenso wie Rhicinus und kamen sogar an ein kleines
Reisfeld. Mein Bruder nannte mir die Namen der bemerkenswerten Pflanzen
und belehrte mich über ihren Bau. Ich habe aber die Lection schon wieder
vergessen.

Herr Consul O'Swald hatte mittlerweile mehrere Aufnahmen gemacht, auch
von einem Teil des Zeltlagers mit der eigenartig gestalteten Ruine
eines arabischen Steinhauses im Hintergrund, und meinen Bruder sowie den
Regierungsbaumeister Wolf inmitten ihrer Gerätschaften als Staffage. Das
ist ein hübsches Bild geworden.

Die untergehende Sonne sah uns Alle wieder an Bord der Barawa, wo wir bei
unserem zwiebelgewürzten Abendessen die Gläser klingen ließen auf das
Wachstum Deutschlands in Afrika.

Am Morgen des 23. ging es Herrn von Hake zum Glück besser, was jedenfalls
seinem Umzug ins Haus und der Sorgfalt der Schwester Rentsch zu danken ist.
Am vorigen Abend glaubte niemand, daß er aufkommen würde. Das Thermometer
zeigte am 23. neun Uhr morgens nur 16° ~C.~, so daß ich fror, als ich in
leichtem Anzug an Deck kam. Herr Dr. Peters war schon bei Tagesanbruch an
Land gefahren, um geschäftliche Anordnungen zu treffen. Wir Anderen
saßen unterdessen sehr gemütlich auf dem Promenadendeck und tranken in
Gesellschaft des edlen ~Mohamed bin Salim~ unseren Thee.

Herr Dr. Peters behauptet, die Gegenwart von Damen sei den Muhamedanern
eine Widerwärtigkeit. Hierin irrt er sich aber. Bei aller Frömmigkeit
wissen die Herren Araber die Gesellschaft von Europäerinnen recht wohl zu
schätzen. ~Mohamed bin Salim~ ließ das Licht seiner Liebenswürdigkeit
über uns leuchten. Er fand wahrscheinlich, daß unsere gerösteten
Weißbrodschnitte, mit Büchsenbutter bestrichen, zu geringe Kost für
seine Ehrengäste seien, denn er winkte uns verheißungsvoll zu, ein wenig
zu warten und ließ aus seinem Privatmundvorrat einen Teller voll runder
Zwiebacke holen. Natürlich that ich, als seien diese ein seltener
Leckerbissen, und da er mit vornehm wohlwollender Handbewegung immer wieder
einlud zuzulangen, leistete ich wahrhaft achtungswertes im Zwiebackessen.

Im übrigen verging dieser Tag entsprechend dem vorherigen. Herr
Dr. Peters verhandelte mit den Arabern um den einzigen der aus ~Said
Madjid's~ Zeit stammenden Paläste, der sich als noch bewohnbar erwies, um
den Stationsbeamten bessere Wohnungsverhältnisse zu schaffen. Die
Herren Schroeder und Flemming fuhren den Hafen hinauf, um an der seichten
Flußmündung Nilpferden nachzustellen. Ich unternahm mit meinem Bruder
eine Bootfahrt, bei welcher wir mit einer Dau in Collision gerieten und
beinah verunglückten.

Unterdessen waren die schwarzen Unterthanen des Sultans (alles Sclaven,)
Tag und Nacht damit beschäftigt, die Barawa mit Kokosnüssen zu
befrachten. Dreißig bis vierzig Frauen trugen diese Früchte nach der nahe
dem Ufer liegenden Dau, wobei sie bis an die Schultern, die Kleineren bis
an den Hals im Wasser waten mußten. Ihre Lasten tragen diese Weiber immer
auf dem Kopf, was ihnen durchweg eine Haltung giebt, um die sie manche
hübsche Europäerin beneiden könnte. War eine Dau mit Nüssen angefüllt,
so segelte sie nach der Barawa und hier waren zahlreiche Jünglinge,
schwarz, braun und gelb von Farbe, beschäftigt, die Früchte in den
geöffneten Warenraum des Schiffes hinabzuwerfen. Dabei zählten sie teils
arabisch teils Suaheli singend bis fünfzig, bei jeder Zahl je zwei Nüsse
werfend. Bei fünfzig angekommen, wurde ein Knoten in einen langen
Strick gemacht. Soviel Knoten dann das Seil zeigte, so viel Hunderte von
Kokosnüssen waren verladen worden. Dieser gewaltige Vorrat ist für ein
Pilgerschiff bestimmt, welches der fromme ~Bargash ben Said~ zur Fahrt nach
Mecca ausrüstet.


  d. 27. Juli.

Am 25. fuhren wir um zehn Uhr morgens von ~Dar-es-Salaam~ ab und waren, da
wir diesmal vor dem Winde fuhren, bereits um zwei Uhr nachmittags im Hafen
von Zanzibar, hatten also nur vier Stunden gebraucht. Hier fanden wir zur
großen Freude der Herren die Möwe liegen.

Gestern besuchte mich Herr Kapitänlieutnant Vüllers von der Möwe, dessen
junge Frau eine Kindheitsgespielin von mir aus Thüringen ist. Da gab es
freilich viel zu erzählen.

Diese Nacht habe ich, um Bertha abzulösen, bei der kranken Östreicherin
gewacht, der es gar nicht gut geht. Aber auch Bertha, die ich gestern zu
einem weiten Spaziergang abholte, macht mich bedenklich. Sie ist von einer
Gereiztheit und Nervosität, die ich nicht an ihr kenne und die zu ihrer
robusten Natur auch gar nicht paßt.


  d. 28. Juli.

Heute erhielt ich den Besuch einiger Offiziere von der Möwe, darunter der
Schiffsarzt Dr. Koch, der mit auf meine Fragen einige nützliche Winke die
Einrichtung von Pflegestationen betreffend erteilte.

Der Lärm der Matrosenkneipe beeinträchtigt die Nachtruhe unserer
kranken Östreicherin zu sehr. Sie ist darum heute nach dem Hospital
zurücktransportiert worden. Wenn nur Bertha sich nicht ein Fieber geholt
hat! Sie weint ohne jede Veranlassung.


  d. 29. Juli.

Ich habe den französischen Arzt, Dr. Marseille, consultiert. Er
verordnete meiner Bertha eine gewaltige Dosis ~Ipepacuanha~. Ohne dies
Mittel, sagte er, könne leicht ein Gallenfieber entstehen. Die Ärmste hat
einen üblen Vormittag gehabt! Heute Nachmittag ging es ihr besser.


  d. 30. Juli.

Hatte heute Besuch von dem Kommandanten der Möwe, Herrn Korvetten-Kapitän
Böters. Bertha ist, Gott sei Dank, ganz munter. Die Pferdekur hat
wenigstens geholfen. Wir sind zu heute Nachmittag von der Offiziermesse auf
die Möwe eingeladen.


  d. 31. Juli.

Gestern Nachmittag haben wir an Bord des Kriegsschiffs Kaffee getrunken.
Das Hinterdeck war rings mit Flaggen behängt, die Tische auf das
anmutigste mit Grün und Blumen geschmückt. Schmucke Matrosen bedienten
uns und reichten zitternd Sahne, Zucker etc. herum. Ich frug den
Kapitänlieutenant, ob Matrosen denn auch nervös werden könnten.
Er versicherte mir aber beruhigend, diese zitternden Hände seien der
ehrfurchtsvollen Scheu zuzuschreiben, mit welcher das nur in ganz seltenen
Fällen hervorgeholte beste Porzellan gehandhabt würde. Dazu spielte die
Schiffskapelle deutsche Weisen.

Die Möwe fährt Mitte August nach Süden und Herr Korvettenkapitän
Böters hat mir versprochen, uns mitsamt unseren Sachen bis ~Dar-es-Salaam~
zu bringen, wenn dort Aufenthalt gemacht werden soll, was er nicht genau
weiß. Er riet mir übrigens dringend, nicht gleich in ~Dar-es-Salaam~,
sondern erst in Zanzibar selbst, wo mir ärztliche und materielle Hülfe zu
Gebote stände, mit dem Krankenpflegen anzufangen. Zanzibar wird allerdings
noch für längere Zeit unser Centralpunkt bleiben, aber ich hoffe bei
genügender Unterstützung, von hier aus nicht nur in ~Dar-es-Salaam~,
sondern nach und nach auch an den anderen Vertragshäfen Pflegestationen
einrichten zu können.


  d. 2. August 1887.

Heute hatte unsere Hotelwirthin, Madame Chabot, Besuch von drei vornehmen
Araberinnen. Diese hatten ihr Kommen rechtzeitig ankündigen lassen und die
entsprechenden Vorkehrungen wurden mit peinlicher Sorgfalt getroffen. Die
Franzosen boten sich an spazieren zu gehen; Herr Schröder, der ermüdet
war und einen Mittagsschlaf zu thun gedachte, ließ sich gutwillig in
seinem Zimmer einriegeln; der Herr des Hauses, Mr. Chabot, faßte unten
in der Hausthüre Posto, um jedem etwa eindringenden Wesen männlichen
Geschlechts den Weg zu weisen. Am Ende der viel erwähnten Gallerie ist ein
fast immer verriegeltes Pförtchen und dies communiciert mit der nicht
zum Hotel gemachten Hälfte des Palastes, in dem die Araberinnen wohnen.
Nachdem nun also das Terrain von den gefährlichen Europäern gesäubert
war, -- die Schwarzen durften als Wesen untergeordneter Art gegenwärtig
bleiben -- öffnete sich das geheimnisvolle Pförtchen und es erschien ein
ganzer Zug von Frauen. Voran die drei reichgekleideten noch jungen Damen
in Begleitung einer lebhaften kleinen Alten, die eine Art Ehrendame zu
sein schien und gefolgt von einer großen Zahl schwarzer Sklavinnen in
arabischer Tracht. Die Damen stelzten langsam daher auf zwei Zoll hohen
perlmuttereingelegten Holzschuhen, die sie nur mit zwei Fußzehen mittelst
eines dazu angebrachten Griffes am Fuße festhielten. Sie entledigten sich
dieses Fußgestelles sowie sie im Salon Platz nahmen. Wir saßen um
einen runden Tisch den Araberinnen gegenüber, tranken Mandelmilch und
unterhielten uns so gut es ging. Die hölzernen mit Perlmutter eingelegten
Masken behielten die Damen vor dem Gesicht, so daß man bis auf die
schönen Augen von den Gesichtszügen nicht urteilen konnte. Ihre mit
schwerem Goldschmuck beladenen Arme und Beine, -- letztere nur bis an die
Knöchel von seidenen Beinkleidern bedeckt -- waren schön geformt, Hände
und Füße reizend, die Bewegungen langsam und vornehm. Im übrigen sahen
die Damen mit ihren sanften, schwermütigen Augen aus, als ob sie geistig
schliefen, was sie vermutlich auch thaten. Nach einer halbstündigen
sehr primitiven Unterhaltung bestiegen die Schönen wieder ihr Schuhwerk,
drückten uns der Reihe nach mit verbindlichem Abschiedsgruß die Hand und
wanderten in feierlicher Prozession nach dem Mauerpförtchen zurück. Der
Riegel von Herrn Schröder's Stubenthür wurde fortgeschoben und das Hotel
stand den Gästen wieder offen.


  d. 3. August.

Heute kam Ramassan und brachte mir ein Billet von Herrn Dr. Peters, das
sichtlich in starker Erregung abgefaßt worden und diesen Inhalt hat:

  »Eben läuft die Nachricht ein, daß Baumeister Wolf am Fieber
  gestorben und Sonnabend beerdigt ist. Es ist, als ob die Gottheit
  anfinge, gegen uns Front zu machen.«

    C. P.

Hoffentlich komme ich endlich nach ~Dar-es-Salaam~! Ich glaube, daß sich
durch Vorbeugungsmittel und vernünftige Vorsichtsmaßregeln viel Unheil
verhüten läßt. Das ist wieder einmal ein schwerer Verlust und wir haben
das Vorwärtsschreiten so nötig! --


  Lindi, an Bord der Barawa.
  d. 19. August 1887.

In den ersten Tagen dieses Monats schon erfuhren wir, daß die Möwe bei
ihrer, Mitte August anzutretenden Reise ~Dar-es-Salaam~ nicht berühren
würde. Dagegen hatte Seine Hoheit der Sultan seinen Dampfer Barawa
Herrn Dr. Peters abermals zur Verfügung gestellt und zwar zu einer
Besichtigungsfahrt nach den von ihm und Dr. Peters ins Auge gefaßten
zukünftigen Vertragshäfen, von Zanzibar südwärts bis zum Rowuma und
Cap Delgado. Ich war froh, als Herr Dr. Peters sich bereit erklärte,
uns mitsamt unseren Sachen mitzunehmen, um uns auf der Heimreise in
~Dar-es-Salaam~ abzusetzen. Es interessierte mich sehr, die für die
Zukunft unserer Kolonie gewiß in erster Linie wichtigen und auch für
meine besondere Aufgabe in Frage kommenden Hafenorte kennen zu lernen.
Daneben durfte ich von der Ozonluft auf offener See für meine Gefährtin
Bertha eine sehr wünschenswerte Auffrischung ihrer Lebensgeister erwarten.
Wir konnten mit ziemlicher Sicherheit darauf rechnen, bis zu unserem auf
Tag und Stunde voraus bestimmten Eintreffen in ~Dar-es-Salaam~ Quartier
für uns bereit zu finden.

Am Abend des 5. August begaben wir uns begleitet von Baron Gravenreuth und
Herrn Schröder beim Glanz der Sterne nach der Barawa, die am 6. in aller
Frühe abdampfen sollte. Bei unserem ansehnlichen Gepäck befand sich auch
unser Äffchen Hassan, ein langgeschwänzter Nachtaffe Mukki, den ich von
Herrn O'Swald zum Geschenk erhalten, und ein meiner Bertha gehörendes
junges Hündchen, namens August. Auf der Barawa fanden wir den goanesischen
Küchenmeister Seiner Hoheit, mit seinem ganzen Rüstzeug an Eßvorrat,
Silber, Porzellan und braunschwarzen Goa-Kellnern unserer harrend. Außer
uns Deutschen war der Statthalter (Wali) von Kiloa mit drei Frauen und zwei
Sklavinnen an Bord.

Nach etwa sechsunddreißigstündiger ununterbrochener Fahrt, während
welcher der weibliche Teil der Passagiere, Deutsche, Araberinnen und
Suahelidamen unterschiedslos an heftiger Seekrankheit festlag, fuhr die
Barawa in Kiloa Kisuindji ein. Der Wali von Kiloa, ein auffallend großer
Araber mit schönen Zügen und langem, braunen, in zwei Zipfeln bis auf den
Gürtel herabhängenden Bart, hatte während dieser Fahrt nicht nur sehr
eifrig für seine in die, der unseren gegenüber befindlichen Kabine
gepferchten Frauen gesorgt, sondern er bot auch mir und Bertha, sobald wir
uns sehen ließen, Orangen und Konfekt an und versäumte keine Gelegenheit
sich teilnehmend nach meinem Befinden zu erkundigen. Auch seine Hauptfrau,
die Araberin, rief uns »~jambo Bibi, jambo!~« zu und wagte sogar einen
Moment in der offenen Thür meiner Kabine zu erscheinen, um mich zu
begrüßen. Bertha, die sich eher als ich erholte, stattete dafür den
Nachbarinnen einen Besuch ab.

In ~Kiloa Kisuindje~ hatte der Wali sein, Reiseziel erreicht und fuhr mit
unseren Herren, die er im Auftrag des Sultans geleiten mußte, ans Land.

Herr Dr. Peters war begleitet von den Herren Flemming und Baron St. Paul.
Auch hatte sich ihnen Herr Dr. Kling, ein junger deutscher Gelehrter, der
aus dem uneigennützigsten Interesse für die Entwickelung unserer Kolonie
hier einen Aufenthalt macht, angeschlossen. Herr von St. Paul hat die zwei
Jahre seines Hierseins ausgenützt, um die Suahelisprache gründlich zu
studieren. Er gehört zu den wenigen Europäern, die dieses weichklingende
und an Formen reiche Idiom nicht nur verständlich, sondern auch
grammatikalisch richtig sprechen, »ein klassisches Suaheli,« wie Herr
Dr. Peters sich ausdrückt. Baron von St. Paul macht bei wichtigen
Auseinandersetzungen den Dolmetscher bis auf die Fälle, wo zum äußersten
Erstaunen der Bevölkerung Herr Flemming für ihn eintritt. Letzterer hat
sich zwanzig Jahre lang in Indien mit Baumwolle beschäftigt, und ist in
Folge dessen des Hindostanischen mächtig. Da nun an dieser Küste der
Handel in den Händen der Indier und Banjanen ist, so kann es sich unter
Umständen als sehr günstig erweisen, die Sprache dieser Erzschwindler zu
kennen.

Während die Herren am Lande hohe Politik trieben, wurden an Bord
der Barawa in umständlicher Weise die Frauen des Wali sammt ihren
geschmückten Sclavinnen auf eine Dau gebracht, um ans Land zu segeln. Den
besten Platz auf der Dau erhielt die Araberin, die mit ihrer Maske in
feine schwarze Schleier gehüllt zart und vornehm aussah. Sie nickte mir im
Fortfahren immer wieder freundlich zu. Sehr verschieden von ihr waren die
beiden reichgekleideten aber unmaskierten Suahelifrauen. Den schwarzen
Schönen geht es wie unseren Landmädchen. Sie sehen am besten aus in ihrer
Volkstracht, bestehend aus einem oft in malerische Falten drapierten bunten
Tuch, das dicht unter den Schultern befestigt, Hals und Arme freiläßt,
während es den Körper eng umschließt und bis auf die Knöchel
herabfällt. Ein trauriges Verdienst haben sich dabei freilich die
Engländer erworben, indem sie als speculative Kaufleute, um dem
ungebildeten Geschmack der Negerinnen möglichst entgegenzukommen, die
denkbar geschmacklosesten, haarsträubend häßlichen Muster für deren
Kleiderstoffe eingeführt haben. Sind die Suahelifrauen dagegen europäisch
gekleidet, oder wie die Weiber des Wali von ~Kiloa~ in arabischem Putz, so
sind sie meist ein lächerlicher Anblick.

Da Wind und Strömung dem Landen ungünstig waren, verzichtete ich auf
Herrn Elson's, des Kapitäns, Rat darauf, die Barawa zu verlassen. Am
Morgen des zehnten August dampften wir weiter, und fuhren schon gegen
Mittag in die reizende Bucht von ~Kiloa Kisuani~. Baron St. Paul,
Dr. Kling und ich versuchten vom Schiffe aus die Küste, deren waldige
Ufer sich rechts und links wie Kulissen voreinander schoben, zu scizzieren;
aber da der Wind unser Schiff an der Ankerkette in fortwährender Drehung
erhielt, unser Modell sich also beständig verschob, wollte das Zeichnen
nicht recht gelingen. Daß der Mitwelt dadurch ein bedeutender Verlust
geworden, glaube ich nicht, unbeschadet der Achtung, die ich vor den
Talenten meiner verehrten Reisegefährten habe, denn unmöglich kann die
beste Bleistiftzeichnung eine Landschaft wiedergeben, deren Zauber fast
ausschließlich in Farbe und Licht besteht. Das Meer im Vordergrunde,
kleine Inselchen mit blendend grünem Mangrovedickicht bewachsen, waldige
Landzungen, ferne Berge und darüber der reine Himmel, alles blau in blau
harmonisch abgestimmt, vor uns im Sonnenglanz blitzend die beständige
Bewegung des ruhelosen Wassers, das war ein ebenso eigenartiges als
entzückendes Landschaftsbild. Herr Dr. Peters hatte sich, sowie wir vor
Anker lagen mit Herrn Flemming an Land begeben, um das Terrain dort auf
seine Brauchbarkeit für Tabacks- und Baumwollenplantagen zu prüfen. Wir
Anderen fuhren erst später an Land, um uns umzusehen. Wir landeten an
einer halbzerfallenen Burgfeste aus der Portugiesenzeit, die mit ihren
Türmen und Thoren ganz mittelalterlich auf einem Felsen am Meere
steht. Während wir die malerische Ruine von allen Seiten betrachteten,
photographierten und scizzierten, versammelten sich die Dorfbewohner um
uns, und ich fand mich plötzlich ganz umringt von den Mädchen des Ortes.
Ich hatte eine gelbe Blume abgepflückt. Die jungen Mädchen, die sich
ersichtlich bewogen fühlten die ~Honeurs~ ihrer Küste zu machen,
bedeuteten mir durch Worte und Zeichen, ich möchte die Blume fortwerfen.
Dieselbe sei nichts wert, denn sie habe keinen Duft. Sie gaben mir dafür
einige süßduftende aber stiellose Jasminblüten.

Während wir uns noch lebhaft unterhielten, traten aus einem
geschlängelten, in Gesträuch versteckten Seitenpfad Herr Dr. Peters und
Herr Flemming, gefolgt von schwarzen Jünglingen und Knaben, die in Körben
oder auf den Köpfen Proben von Gestein und Erde trugen. Nachdem wir uns
lachend begrüßt, gingen wir jedoch wieder in verschiedenen Richtungen
auseinander. Während Herr Dr. Peters und Herr Flemming mit ihren Gefolgen
ihren Rundgang im Geschwindschritt fortsetzten, durchschritten wir Anderen,
nämlich Herr Kapitän Elson, Herr Dr. Kling, Baron v. St. Paul, meine
Gefährtin und ich das Negerdorf. Dabei gaben uns die gesamten schwarzen
Jungfrauen, sowie eine Menge Knaben und kleiner Mädchen das Geleite. Ein
junges Mädchen hatte sich mir besonders angeschlossen und wich mir von
Anfang an nicht von der Seite. Wir sahen wilde Baumwollstauden und Bananen,
vor allem aber freute uns der Viehreichtum. Auf einer schlammbedeckten
Niederung am Meere, die zur Regenzeit jedenfalls unter Wasser steht,
weidete eine große Rinderherde. Auf den Ruinen kletterten Ziegen wie
Gemsen zwischen Felsblöcken und Trümmern und in den bambusumzäunten
Höfen trieben Büffelkälber und Schafe ihr Wesen, nicht zu vergessen des
Federviehs.

Überaus befriedigt von unseren Entdeckungen kehrten wir nach
Sonnenuntergang auf unsere Barawa zurück, wohin auch eine halbe Stunde
später die unermüdlichen Herren Dr. Peters und Flemming gerudert kamen.
Man hatte »rote Erde mit Humus vermischt auf Kalk lagernd« vorgefunden,
der Mtama und Baumwolle trug.

Am folgenden Morgen in aller Frühe segelten Herr Dr. Peters und Herr
Flemming in die kanalartigen Arme eines in den Hafen von Kiloa Kisuani
(= Kiloa auf der Insel) mündenden Flusses, um das Bergland nach Norden zu
besichtigen. Auch hofften sie dabei Nilpferde zu erlegen.

Uns ging es indessen wie gestern. Schon am Strande begrüßte uns die Schar
der Mädchen und Frauen, die heute noch vollzähliger erschienen waren.
Meine besondere Freundin, sie nannte mir als ihren Namen »Mawua«,
entfernte sich eilends und kam zurück mit einem an Zwirn aufgenähten
dichten Kranz von Jasminblüten, den sie mir mit einem wirklich reizenden
Lächeln einhändigte. Das Mädchen interessierte mich und gefiel mir. Sie
schien im Dorfe eine Rolle zu spielen, grade wie man es überall findet,
wo ein hervorragend selbstbewußtes und eigenartiges Individuum auftritt.
Mawua hatte etwas Überlegenes, im Verkehr mit den Männern geradezu
Stolzes an sich. Dabei war sie, obwohl sie mir auch heute beharrlich zur
Seite blieb, weder zudringlich noch geräuschvoll. Sie bewachte meine
Bewegungen mit der Aufmerksamkeit eines klugen Hundes und gab sich
sichtlich große Mühe mein gebrochenes Suaheli zu verstehen. Übrigens ist
dies der einzige Fall, in dem mir wirkliche Intelligenz bei einer Negerin
in diesem Landstrich bis jetzt vorgekommen ist.

In dem grünüberwucherten Burghof einer riesigen portugiesischen
Schloßruine lagerten wir uns um den Rand einer Cisterne. Baron
St. Pauls Diener, Mbaruku, dessen stolze Livree in einem zerrissenen
Winterüberzieher seines Herrn besteht, hatte Mundvorräte mitgebracht und
wir ließen uns das Frühstück schmecken. Die Schwarzen, die uns in immer
größer werdenden Haufen umstanden und stillvergnügt zusahen, erhielten
die leeren Bierflaschen zum Geschenk. Meiner liebenswürdigen Freundin
versprach ich aber ein »~sawadi nsuri~« (schönes Geschenk), und brachte
ihr, als wir uns Nachmittags wieder ans Land begaben, einen mir aus
Berlin geschickten Fächer mit, der eine komplizierte Mechanik zum
Auseinanderklappen und lange rosa Atlasschleifen hatte. Die schwarze Dame
nahm nach Art ihres Volkes diesen in Kiloa noch nie dagewesenen Gegenstand
mit feierlichem Ernst entgegen und blieb, während die Gefährtinnen sie
neugierig umringten, den ganzen Nachmittag in ernst gehobener Stimmung.

Während ich in den gestrüppüberwucherten Hallen einer uralten Moschee
zeichnete, von andächtigen Zuschauern, die übrigens von der wackeren
Mawua stets in einer gemessenen Entfernung gehalten wurden, umstanden,
ging Bertha mit der gleichfalls intelligenten Schwester der Mawua nach der
Lagune und ließ dort eine der Büffelkühe melken. Triumphierend brachte
sie dann die frische, fette Milch in einer Porzellanschale. Das schmeckte
einmal! Lange hatte uns kein Trunk gemundet wie dieser.

Später als gestern begaben wir uns auf das Schiff zurück. Es dunkelte
bereits und die Sterne flammten auf, aber von dem Segel unserer
Kibokojäger ließ sich nichts sehen. Statt wie sonst um sieben Uhr zu
dinieren, setzten wir uns in den kleinen Schiffssalon, und einer unserer
Schwarzen hockte auf dem Fußboden vor uns und drehte unausgesetzt
den mitgenommenen schadhaften Leierkasten, während Herr von St. Paul
erbauliche Betrachtungen über das Gemütsleben einiger über unseren
Häuptern balancierenden Kockerutschen anstellte. Es wurde darüber acht
und halb neun. Wir mußten in Rücksicht auf unseren gediegenen Hunger
das Warten aufgegeben und begaben uns schließlich, um unsere Touristen
ernstlich besorgt, zur Ruhe. Gegen zwei Uhr Nachts jedoch wurden wir durch
die kräftige Stimme des Herrn Dr. Peters aus dem Schlaf gerüttelt.
Er war dabei, den verschlafenen Goanesen Anordnungen in Betreff eines
Nachtessens zu erteilen. Beruhigt und froh versammelten wir uns noch einmal
in dem Eßzimmer und nahmen den Bericht der Herumstreicher entgegen. Die
Herren waren erschöpft und hungrig. Dr. Peters hatte seit zwölf Stunden
ununterbrochen das Steuer in der Hand gehabt, aber das Segeln und Kreuzen
in den mangroveumstandenen, sumpfigen Flußarmen war äußerst beschwerlich
gewesen.

Am frühen Morgen dampften wir weiter. Ich bin leider immer krank so lange
wir fahren und verlasse meine Koje erst, wenn der Anker geworfen wird. Wir
langten übrigens schon Mittags in Kiswere an, dessen schöne Bucht von
mehreren größeren Dörfern umgeben ist. Als ich an Deck kam, waren
die Herren alle schon fort, doch hatte uns Herr Dr. Peters zu etwaiger
Bedeckung zwei Diener dagelassen. Wir begaben uns unter dem Schutze des
Ober-Ingenieurs, Herrn Ungemach, an das Ufer, und kletterten durch wilde
Waldung und Steppengras den Hügel hinan, der sich dicht am Meer ziemlich
steil erhebt. Obwohl wir durch Gras von mehr als zweifacher Mannshöhe
schritten, und uns oft nur mühsam aus der Umklammerung der Dornen und
Lianen befreiten, kam uns weder eine Schlange noch sonstiges tropisches
Ungeziefer in den Weg. Wir erfreuten uns dagegen an dem Gurren wilder
Tauben und dem Zirpen der Grillen, Laute, die an die Heimat erinnerten. Um
uns her wucherten die baumhohen Ähren der Negerhirse, dazwischen blühende
Baumwollsträucher, kandelaberähnliche Kakteen, Ricinus mit seinen
eleganten Blättern, feingefiederte Akazien, Gummibäume und dichte
Aloegruppen. Hier und da starrte uns auch der elephantenähnliche Koloß
eines tausendjährigen Affenbrodbaums entgegen. Die Sonne war noch hoch und
die Hitze machte sich sehr bemerklich. Dafür trugen die Diener kühlendes
Bier sowie Brot, Büchsenbutter und Metwurst hinter uns her. Bei den
nächsten Hütten, die wir erreichten, machten wir Halt. Der Herr der
kleinen Niederlassung, ein Araber, ließ uns sofort eine Kitanda*)
herbeitragen und seine beste Matte darüber breiten. So setzten wir uns in
den Schatten seines Vordachs und freuten uns des köstlichen Mahles. Unter
dem Vordach des Frauenhauses standen die schwarzen Gemahlinnen mit den
Kleinen auf den Armen. Uns dicht gegenüber hatte der Herr des Hauses Platz
genommen nebst seinem Freunde, einem Kleiderkünstler; hinter ihnen standen
die Sklaven. Alle sahen uns schweigend zu und wir versuchten mit dem
Gastfreund eine Unterhaltung in Suaheli zu führen, was auch ziemlich
gelang. Der erwähnte Kleiderkünstler bestickte eine rot und weiß
karrierte Jacke mit kunstreichen Stichen in weißer Baumwolle. Als wir
aufbrachen, gaben uns die Schwarzen, wie gewöhnlich, das Geleit bis zu
dem Boot. Unsere Ruderer waren diesmal Herrn Ungemach's Maschinisten,
ein indisches Brüderpaar, mit weichlichen Zügen und den feuchten,
schmachtenden Augen dieses Volkes. Sie trugen uns zu Ehren ihre besten
weißen Anzüge und golddurchwirkte Käppchen auf dem dunklen Haar. Die
beiden schwarzen Diener, die uns Dr. Peters zur Verfügung gestellt,
bildeten in ihren hellblauen silberverschnürten Jacken und roten Mützen
zu jenen den vollendetsten Gegensatz.

  *)Kitanden sind die geflochtenen Negerbettstellen, die gelegentlich
  auch zum Sitz oder Feldtisch der Europäer dienen müssen.

Am folgenden Tage hielten wir in der Mchinga-Bay. Herr Dr. Peters fragte,
ob es mich nicht interessieren würde, einmal mit anzusehen, wie die
angesessenen Araber die Ankündigung der deutschen Verwaltung aufnähmen.
Ich bejahte natürlich und kletterte schleunigst die schwankende
Schiffstreppe hinab in den bereits gefüllten Kahn, um die Herren über
die hochgehenden Wogen an's Ufer zu begleiten. Der Himmel war mit schwarzem
Gewölk umzogen, die Landschaft erschien fahl und düster. Geleitet von dem
arabischen Offizier der Barawa, begaben wir uns ungesäumt nach dem Hause
des Wali. Zu beschaulichen Reflexionen und gemütlichen Unterhaltungen
kommt es nicht, wenn Dr. Peters führt. Dieser geniale Mann scheint nur
rastlos vorwärts eilen zu können, ohne Rücksicht auf das, was rechts und
links vom Wege sich bieten mag:

  »Der eignen Bahn
  nachgehend grad' und unverrückt.«

Der Wali von Mchinga, ein ehrwürdiger Greis mit langem weißen Barte und
edlen Zügen, empfing uns mit den üblichen Begrüßungsformen und ließ
Kitanden in seine Vorhalle bringen, auf denen wir mit ernster Würde
Platz nahmen. Dann begann das Pourparler. Herr Dr. Peters, dessen Gesicht
während der ganzen Verhandlung unerschütterlichsten Ernst zur Schau trug,
wandte sich in deutscher Sprache mit ungefähr folgenden Worten an Baron
St. Paul: »Unser Freund, der Sultan Bargash ben Said wird uns laut
Vertrag seine Rechte und Befugnisse, was die Verwaltung dieses Hafens
anbetrifft, überlassen. Du wirst in Zukunft also mir und denen, die ich
Dir hierher sende, zu gehorchen haben.«

Baron St. Paul übertrug diese Worte in's Kisuaheli und der Offizier des
Sultans wiederum in's Arabische. Der alte Herr folgte den Sprechern der
Reihe nach mit aufmerksamen Blicken. Dabei nahmen die großen Augen unter
den geschwungenen Brauen mehr und mehr den Ausdruck der Angst an. Die
arabische Übertragung des Barawa-Offiziers nahm, verziert durch die
gebräuchlichen Redeblumen, mindestens dreimal die Zeit des deutschen
Wortlauts in Anspruch. Dann sagte der ehrwürdige Wali: »Hast Du
ausgeredet?« Der Offizier antwortete: »Ich habe geredet.« Nun begann
erst der Alte seine Erwiderung: »Sage Deinem Herrn, ich sei der _Mann_ des
Sejid, nicht sein Sklave. Die Freunde des Sejid seien auch meine Freunde
und ich werde ihre Worte so hoch halten, wie die des Sejid selbst.«

Herr Dr. Peters ließ ihm versichern, er sei ein Freund aller Araber, also
auch der seinige. Er würde ihn deshalb in keiner Weise schädigen, oder
sich Rechte nehmen, die ihm nicht zukämen. Er sei weit davon entfernt,
in ihm, dem Wali, einem Sklaven zu sehen, mit dessen Eigentum man nach
Belieben schalten könne, vielmehr achte er in ihm einen treuen Beamten des
Sejid (Seyd = Herrscher) Bargash bin Said, seines Freundes, und er hoffe
nur, daß der Wali ihm und den deutschen Herren ebenso redlich dienen
werde, wie er es dem Sultan gethan.

Der Alte sah tief ergriffen aus. Das Neue der Situation schien ihn zu
überwältigen. Indessen erneuerte er die Versicherungen seiner gänzlichen
Ergebenheit und war sofort bereit, der Aufforderung des Herrn Dr. Peters
Folge zu leisten und uns das umliegende Ackerland zu zeigen. Wir erhoben
uns also und zogen geleitet von dem Wali und von seinen Leuten gefolgt
in langem Zuge nach den Feldern. Die freundlich gesinnten, zutraulichen
Schwarzen beeiferten sich mir die nach _ihrem_ Geschmack schönsten Blumen
abzubrechen, während wir im Geschwindschritt eine Niederung am Fuße
bewaldeter Hügel durchwanderten. Die Herren ließen hier und da Erde
umgraben, um Proben mitzunehmen. Dies Vornehmen umstanden die Schwarzen
stets mit ehrerbietiger Scheu. Sie mochten eine symbolische Handlung
darin sehen. Dem alten Wali traten Thränen in die Augen, so daß Herr
Dr. Peters sich veranlaßt sah, ihm wieder und wieder zu versichern, falls
die Deutschen sich hier anbauen sollten, würden sie kein Stückchen Land
in Besitz nehmen, das der betreffende Eigentümer nicht herzugeben willig
sei. Herr Flemming untersuchte die Qualität der in zahlreichen Büschen
wild wachsenden Baumwolle, die sich wie feine weiße Watte aus den
abgewelkten Blüten ziehen ließ. Dabei regnete es.

Als wir endlich, die meisten von uns recht ermüdet, an den Strand
zurückkehrten, hatten sich die Wolken zerteilt, und die sinkende Sonne
zauberte Farben von ganz eigentümlicher Schönheit an den westlichen
Himmel, über welchem in seinem stillen und reinen Glanze der Abendstern
erschien. Eine ganze Weile standen wir in Anschauen versunken schweigend am
Strande, während das von der Barawa für uns ausgesandte Boot sich
mühsam durch die Sturzwellen der Brandung arbeitete. Auf den Schultern der
Schwarzen gelangten wir endlich in das schwankende Fahrzeug und es dunkelte
stark, als wir die Schiffstreppe hinanstiegen.

Am folgenden Tage gelangten wir in den vielgepriesenen Hafen von Lindi. Die
Formen der Küste und der waldigen Berge rings um die tiefeinschneidende
Bucht bieten allerdings ein schönes Landschaftsbild. Es ist nur tot, denn
»das Gebild von Menschenhand« fehlt. Dem Menschen hat es Gott verliehen,
der schönen Natur den Stempel seines bewußt strebenden Geistes
aufzudrücken; das drängt sich dem Beschauer dieser ostafrikanischen
Landschaften immer wieder auf. Sie tragen Reichtum und blühendes Leben
in sich verschlossen und scheinen erwartungsvoll dem Herrn der Erde
entgegenzusehen, daß er die edlen Keime aus dem lange Schlaf erwecke und
an's Licht ziehe.

In die Bucht mündet ein breiter Fluß, der Lindi oder Mtale, der
zahlreiche Arme in die Wildnis an seinen Ufern entsendet und in schön
gewundener Linie eine Reihe waldiger Bergkuppen durchbricht. Man erinnert
sich an den Rhein zwischen Bonn und Koblenz, an das Siebengebirge. Aber es
fehlen eben die Städte und Burgen, die Kirchlein und freundlichen Villen.
Hier herrscht noch die Einsamkeit. Weißköpfige Flußadler sitzen auf
den knorrigen Strünken am Ufer und der gellende Schrei eines wilden Affen
tönt von Zeit zu Zeit durch die Wildnis.

Der Wali von Lindi, ein Greis mit blöden Augen und einem
Spitzbubengesicht, bewohnt die Ruine eines portugiesischen Forts. Ein
Kanonenrohr aus alter Zeit steht dräuend vor dem Portale aufgepflanzt.
Der Salon des Alten in den halbverfallenen Bogenhallen schien mir direkt
in einen der mittelalterlichen Romane Walter Scott's zu gehören. Kostbare
Waffen schmücken die Wände. Auf den Gesimsen der Wandpfeiler lag der
Koran und der sonstige Bücherschatz des Hausherrn. Auf der Erde hockten
junge Asikari, (= Soldaten des Sultans), malerisch gekleidet, reich
bewaffnet und von meist edlem Gesichtsschnitt. In der dunklen Halle, die
durch Säulen und Bogen von dem luftigeren Hauptraume getrennt war, brannte
ein Holzfeuerchen, um welches einige Schwarze beschäftigt waren. Der
listig dreinschauende Wali ließ uns Kokosnüsse bringen, »Madafu«,
deren Saft wir austranken. Er ließ uns dann durch einen jungen Sohn in dem
weiten Gemäuer, das übrigens nichts Interessantes mehr bot, umherführen.

Auf der dem Orte Lindi gegenüberliegenden Seite der Bucht gehen wir mit
Vorliebe spazieren. Zerrissene Felsblöcke von den barocksten Formen, in
die das Wasser tausende von Rinnen und Becken gewaschen hat, bedecken den
Strand. Unmittelbar hinter ihnen steigt der bewaldete Hügel auf. Herr
Dr. Kling scizzierte, und Bertha machte, während sie zwischen dem wilden
Gestein Muscheln suchte, zum erstenmal die Bekanntschaft einer Schlange,
die sich indessen in ihrem Felsloch in Gesellschaft kleinerer Eidechsen
liegend, ganz passiv verhielt. Herr von St. Paul und ich klommen,
begleitet von Mbaruku den Hügel hinan. Wir arbeiteten uns tapfer durch
das Gestrüpp, den Spuren der Nilpferde nachgehend, die durch das mannshohe
Gras ganz gangbare Pfade getrampelt hatten. Auch Raubtierspuren zeigte mir
der Baron und Löcher, die eine Hyäne gescharrt hatte. Wir kletterten
in eine tiefe und enge Schlucht hinunter, durch welche den wilden
Gesteinmassen nach, zur Regenzeit ein starkes Wasser in Kaskaden stürzen
muß. Hier herrschte erquickende Kühle und tiefer Waldesschatten. Die
Schlucht war von uralten Bäumen und Schlingpflanzen völlig überdacht.
Mbaruku im langen Winterpaletot, der stets den photographischen Apparat
hinter seinem Herrn herträgt, mußte denselben aufstellen, und Baron von
St. Paul versuchte zu photographieren. Aber es fehlte an Licht, und war
ein gar zu wildes Durcheinander von Laubwerk und Gestein. Mbaruku entstammt
dem Innern. Als Baron St. Paul seine Station Madimola verließ, lief ihm
dieser Schwarze nebst einem Dutzend seiner Stammesgenossen nach Bagamoyo
nach und sie flehten ihn an, sie in seinen Diensten zu behalten. »Bana
St. Paul« steht bei den Schwarzen in dem Ruf ein »sehr guter Herr«
zu sein. Mbaruku folgt ihm wie ein treuer Hund und sein grundhäßliches
Angesicht strahlt beständig im Glanze inniger Glückseligkeit. Nebenbei
gesagt, ist Herr von St. Paul auch unter den Europäern rühmlichst
bekannt durch seinen unverwüstlichen Humor und seine unerschütterliche
Gemütsruhe.

Wir versuchten in unserer Schlucht weiter zu gehen, aber die Lianen
umklammerten uns, Dornen hakten sich in mein dünnes Kleid und Äste
verbarrikadierten uns den Weg, so daß wir wieder die ziemlich steile
Wand zum Tageslicht emporkletterten. Als wir den Gipfel des Berghanges
erreichten, lagen Hafen und Flußthal als herrliches Panorama uns zu
Füßen. Freilich strahlte dort oben auch die Mittagssonne eine solche
Glut aus, daß meine Phantasie sich lebhaft mit der Eventualität eines
Hitzschlags zu beschäftigen begann. Eilends suchten wir trotz der schönen
Aussicht wieder den Schutz des Dickichts.

Am Abend desselben Tages entdeckten wir während des gemeinsamen
Spaziergangs eine Quelle, die in einer dichten Wildnis von Papyrus
glucksend und murmelnd zu Thale lief und ganz nahe dem Meere von den
Landleuten in einer gemauerten Rinne gefaßt und in ein größeres
Steinbecken geleitet worden war. Wir tranken aus Kokosnußschalen von dem
Wasser und fanden es zwar sehr weich aber rein von Geschmack. Schwarze
Männer waren, auf dem Rande des Bassins stehend, mit Waschen ihrer
Kleidungsstücke beschäftigt. Vor uns stand ein kleines Steinhaus, umgeben
von einer Gruppe hoher Kokosnußpalmen. Vom Meere war es nur durch eine mit
leuchtend grünen Mangroven bedeckte Lagune getrennt.

Wir hatten uns vorgenommen dem Lauf der Quelle nachzugehen und führten
dies am Nachmittag des folgenden Tages aus. Auf schmalen Waldpfaden
gingen wir bergan, immer dem Quell entlang und kamen an ein noch im Bau
begriffenes Dorf in einem prachtvollen Hain uralter Kokospalmen auf der
Berghalde gelegen. Die Dorfbewohner schleppten uns sogleich ihre Kitanden
herbei, dann wurde eine der Palmen erstiegen und wir erhielten frisch vom
Baum gepflückte Nüsse, die wir mit Behagen austranken. Die Leute dieses
Dorfes, dessen Hütten zum Teil erst als geschickt geflochtenes Gerüst
standen, waren eifrig bei der Arbeit und unterbrachen diese nicht einmal,
um uns anzugaffen. Ein Mann spann Baumwolle. Er ging dabei umher und drehte
die Spindel, wie man es auf Bildwerken der alten Griechen sieht. Andere
schnitzten oder schälten Stäbe zum Hüttenbau, oder banden das lange
strohartige Gras, das sie zum Dachdecken brauchen, in Garben.

Ich bin überzeugt, daß die vielbeklagte Trägheit der Schwarzen nicht
Anlage ist, sondern Gewohnheit. Dafür spricht einmal ihre Beweglichkeit,
die Geschmeidigkeit der Gliedmaßen und die geschickten Bewegungen, dann
auch der allgemein anerkannte Umstand, daß die _Kinder_ fleißig und
tüchtig sind. Die Schwarzen arbeiten eben nicht, so lange sie es
nicht nötig haben, und das ist einfach gesunder Menschenverstand. Der
Naturanlage nach scheinen mir die weichlichen, zur Fettsucht neigenden
Indier weit träger zu sein als die Schwarzen.

Herr Dr. Peters hat mit Herrn Flemming, den Dienern und einigen Pagazi
eine Expedition den Fluß hinauf unternommen, zur Besichtigung des
Hinterlandes. Vorgestern sind die Herren in einer gemieteten Dau den Mtale
hinaufgesegelt. Baron von St. Paul und Herr Dr. Kling, die sich gern
der Expedition angeschlossen hätten, durften aus Rücksicht auf ihre
angegriffene Gesundheit gegenwärtig nicht wagen, sich den unvermeidlichen
Strapazen einer solchen Tour auszusetzen. Während gestern unsere
Barawa-Bote den ganzen Tag damit zu thun hatten, Quellwasser an Bord zu
schaffen, mietete Herr Dr. Kling in Lindi eine Dau und wir segelten mit
vollem Winde in die Flußmündung hinein. Nachdem wir so etwa eine Stunde
lang gefahren waren, landeten wir bei der schloßartigen Besitzung eines
reichen Arabers. Dieser hat seinen Komplex von hübschen Steinhäusern mit
einem undurchdringlichen Dornenwall umgeben auf den drei nicht durch den
Fluß geschützten Seiten. An den äußersten Ecken dieses Walles hat er
(oder einer seiner Ahnen) mit Zinnen gekrönte Türme gebaut, teils rund,
teil viereckig. Durch diese führen Thorwege. Vor dem Wohnhause
befindet sich ein schöner sauberer Platz, eine Art Gartenterrasse
mit schattenspendenden Bäumen bestanden. Unter den Bäumen steht eine
überdachte Gartenhalle, zu deren etwas erhöhtem Boden Treppenstufen
führen. Dort saß der Burgherr mit gekreuzten Beinen. Vor ihm lag auf
perlmuttereingelegtem Gestell ein Foliant in rotem Ledereinband,
vermutlich der Koran. Neben sich auf der Matte hatte er einen mit indischem
Schnitzwerk verzierten Kasten stehen mit Schreibtischeinrichtung; den
Schlüssel dazu trug er an einer Kette um den Hals. Während er uns, -- wir
waren auf Sitze in selbiger Halle genötigt worden, -- nach Landesbrauch
Kokosnuswasser reichen ließ, schloß er seine Schatulle mehrmals auf, nahm
zusammengefaltete Papiere heraus, die er auseinanderbreitete, mit wichtiger
Miene betrachtete und an ihren Platz zurücklegte. Wahrscheinlich waren
es Briefe und der Burgherr wollte uns durch das Lesen derselben auf seine
Bildung aufmerksam machen.

Eigentlich hatte es garnicht in unserer Absicht gelegen, den alten Herrn zu
besuchen, aber er kam uns, sobald wir landeten, an das Ufer entgegengeeilt
und nötigte uns zu sich hinauf. Auch bei der Abfahrt gab er uns mit seinem
ganzen Gefolge das Geleit. Stattlich sah er aus, unter seinen zahlreichen
Kindern, Sklavinnen und Dienern stehend mit langem weißen Gewande,
gelblichweißem wallenden Bart, buntem Turban und den Herrscherstab in der
Hand -- ein ostafrikanischer Landedelmann.

Unsere Rückfahrt dauerte, da wir diesmal keinen Wind zum Segeln hatten,
volle drei Stunden. Vier Schwarze aus Lindi, die außer dem Schurz nicht
durch Kleidung beschwert waren, ruderten, begleitet und angefeuert von
dem rhythmischen Geheul ihrer originellen Wechselgesänge; die ganze Fahrt
über plärrten sie ohne Unterbrechung, so daß ich die Leistungsfähigkeit
ihrer Lungen anstaunte. Ich durfte steuern, saß oben auf dem erhöhten
Hinterdeck der Dau und konnte mir einbilden, das schwerfällige Fahrzeug
mit seinen vierzehn Insassen nach meinem Belieben zu lenken. Dabei geriet
ich aber bald rechts bald links den Mangroven zu nahe und fuhr schließlich
im Hafen auf eine der heimtückisch lauernden Korallenbänke. Zum Glück
kamen wir, ohne Schiffbruch zu erleiden, wieder los. Schön war es, als
bei einbrechender Nacht das Meerwasser am Kiel und unter den Rudern
phosphoreszierte.


  Rowuma-Bai, d. 23. August 1887.

Wir sind am Ziel der Fahrt nach Süden angelangt. Rasch will ich diesem
Bericht noch einige Zeilen hinzufügen, denn so lange das Schiff in
Bewegung ist, vermag ich nicht einmal zu lesen, geschweige denn zu
schreiben. Morgen früh aber werden die Anker gelichtet und wir fahren vor
dem Winde direkt nach ~Dar-es-Salaam~.

Sobald Herr Dr. Peters von seiner Expedition landeinwärts zurückgekehrt,
verließen wir die liebliche Bucht von Lindi. Am Morgen vor unserer
Abfahrt kam ein kranker Indier an Bord und bat uns ihn zu heilen, denn die
Nachricht, daß wir uns hiermit befaßten, war mit bekannter Schnelligkeit
uns vorausgeeilt. Kaum hatte ich den Fuß auf festen Grund gesetzt, so
brachte man mir Patienten. Am lebhaftesten war der Andrang in dem schönen
Hafenorte Mikindani, vor dem wir vorgestern ankerten. Wir hatten dort
in Gesellschaft der Herren einen weiten Weg durch parkartige, in der
üppigsten Vegetation prangende Landschaft gemacht, hatten aber vor jenen
an den Landungsplatz zurückkehren müssen, da wir sehr müde geworden
waren. Während wir nun in der Nähe unseres Bootes unter dem Schutz zweier
Diener die Herren erwarteten, brachte man kranke Kinder herbeigeschleppt;
Männer mit schlimmen Fußübeln kamen gehinkt und gekrochen, ein älterer
Araber wollte sogar von seinem Magenleiden befreit werden. Wir gaben
allen Rat, den wir wußten und verordneten nach der Schwierigkeit feuchte
Umschläge, Waschungen und Abreibungen. Man kann hier wirklich sagen:

  »Es ist ihr ewig Weh und ach,
  So tausendfach,
  Aus einem Punkte zu kurieren.«

Der eine Punkt ist: Wasser. Diejenigen, die untersucht und verbunden werden
konnten, bestellten wir nach der Barawa. Da kam denn am andern Morgen in
aller Frühe eine ganze Bootsladung voll Patienten, so daß wir in dem
kleinen Schiffssalon eine Art Klinik einrichteten, allerdings zum geringen
Vergnügen der Herren. Bertha war so beglückt, einmal wieder nach
Herzenslust ihres Amtes walten zu können, daß sie es mir beinahe
verargte, wenn ich die Behandlung des einen oder anderen Patienten für
mich beanspruchte. Hoffentlich hilft den Leuten ihr Glaube. Unsere stets
wiederholten Ermahnungen, sich etwas mehr der Reinlichkeit zu befleißigen,
werden der Macht der Gewohnheit gegenüber kaum von Wirkung sein.

Heute haben Herr Dr. Peters und Herr v. St. Paul ein gefährliches
Experiment gemacht, nämlich die Einfahrt in den Rowuma »forciert«, noch
dazu mit dem kleinen Barawa-Boot, das einen ganz flachen Kiel hat. Der
jähe Übergang von einer bedeutenden Meerestiefe unmittelbar vor der
Flußmündung zu der geringen Tiefe des durch Schutt und Sandbänke
verbarrikadierten Flusses verursacht, wie der »African Pilot« sagt, sehr
gefährliche Brecher und dadurch eine Brandung, die einem Boote nur unter
bestimmten günstigen Bedingungen von Wind und Strömung die Durchfahrt
möglich machen. Da wir das tragische Ende des Lieutenant Günther in
der Jub-Mündung noch in frischer Erinnerung hatten, sahen wir
Zurückbleibenden die kühnen Männer nicht ohne die ernsteste Besorgnis
hinausfahren. Als das kleine weiße Boot in dem dunstigen Morgen
verschwand, fürchteten wir schon, seine Insassen zum letzten Mal gesehen
zu haben. Um so größer war die Freude, als sie schon gegen ein Uhr
Mittags wohlbehalten und in bester Stimmung zurückkehrten. Sie hatten
die gefährliche Brandung beide Male sehr glücklich überwunden und waren
fünf Seemeilen landeinwärts gesegelt. Dabei hatten sie zahlreiche Kibokos
getroffen und Baron St. Paul konnte garnicht genug die Schönheit der
durchfahrenen Landschaft rühmen.


  ~Dar-es-Salaam~, d. 27. August 1887.

Gestern Abend um elf Uhr nahmen Bertha und ich auf der Barawa Abschied von
den Reisegefährten und begaben uns unter des Stationschefs Schutz an Land.
Hier begrüßte uns ein fürchterlicher Lärm, denn auf Anregung Herrn
Leues hatten die Einwohner zu Ehren des deutschen Besuchs eine große
»~ngoma~« (Musik und Tanz) veranstaltet. Solch eine ~ngoma~ organisirt
sich folgendermaßen: Wer ein Musikinstrument spielt, sei es Trommel,
Pfeife, Kuhhorn oder auch nur eine Art von Castagnetten, der stellt sich
irgendwo auf der Gemeindewiese hin, allein oder mit seinem Freund und
beginnt seine lockende Weise. So sehr primitiv diese ist, so zieht sie doch
die Bevölkerung an wie die Flöte des Rattenfängers von Hameln. Es dauert
nicht zehn Minuten, so hat sich um den Künstler ein Kreis gebildet, der
lavinenartig anwächst. Wird er stattlich genug befunden, so
beginnen einzelne den volkstümlichen Tanz, der mit seinem Vor- und
Rückwärtshüpfen, Chassieren, ~compliments aux dames~ etc. entfernte
Verwandtschaft mit unserer Française zu haben scheint. Wir blieben
bei einem jeden solchen Tanzkreis, an welchem unser Weg vorbeiführte,
pflichtschuldig stehen, um unsere wohlwollende Anerkennung kund zu geben.
Dadurch fühlten sich Tänzer, Musiker und Publikum sehr geehrt und der
Volkshaufe wuchs während unserer Anwesenheit noch mehr. Es ist nicht zu
beschreiben, wie eitel, kokett und lächerlich die schwarzen Tänzerinnen
herumschwänzeln. Das beste aber erwartete uns noch. Vor dem Hause des
Wali hatten die Araber einen Schwertertanz veranstaltet, den sie mit
entsetzlicher Musik und Flintengeknatter begleiteten. Dazu leuchteten ihnen
Magnesiafackeln, die Herr Leue zu ihrer großen Erbauung gestiftet
hatte. Ich war so ermüdet von all dem Toben und Schreien, daß ich ganz
bescheiden anfragte, ob ich mich nunmehr nicht zurückziehen dürfe?
Aber da kam ich bei unserem verehrten Stationschef schön an! Ein solcher
Verstoß gegen die Etikette! Der Wali ließ ja eben Sessel auf die Straße
tragen und zog sein Schwert aus der Scheide, um in höchst eigener
Person vor uns zu tanzen! Wir setzten uns also andachtsvoll auf die
rohrgeflochtenen Armstühle vor das mit Marmorplatten ausgelegte Palais
des verstorbenen Sejid Madjid und bestaunten die immer wilder werdenden
Bewegungen der über ihre blanken Schwerter springenden Wüstensöhne. Etwa
zehn, Seite an Seite gedrängte, beständig sich in den Hüften wiegende
Araber mit hochgehobenen Schwertern übten einen überaus einförmigen,
aber desto gellenderen Gesang aus. Vor den Sängern schlugen zwei Musiker
wie besessen auf große Trommeln, bald stehend, bald kniend, bald gar am
Boden liegend. Diese regsamen Trommler dirigieren seltsamer Weise sowohl
Gesang als Tanz. Die Übrigen, die um die Schwertertänzer in weitem
Halbkreis Spalier bildeten, trugen durch fleißiges Abfeuern ihrer Gewehre
das ihrige zu der Feier bei. Bertha war trotz des Höllenlärmes in ihrem
Sessel eingeschlafen. Freilich war die Mitternachtsstunde auch bereits
vorüber.

Als ich heute gegen acht Uhr aus schwerem Schlaf erwachte, war das
erste, was ich zu meinem Schrecken hörte, die gräuliche Tanzmusik mit
begleitendem Gekreische. Ich frug etwas kleinlaut, ob heute eine Nachfeier
stattfände; aber man belehrte mich, daß die Tänzer noch von gestern her
beisammen seien.


  d. 28. August.

Am Strande unter prächtigen Mangobäumen liegt das Grab des
Regierungsbaumeisters Wolf, von Palmzweigen überdeckt. Bertha liebt es,
gegen Sonnenuntergang dorthin zu pilgern und einen Kranz von frischgrünen
Ranken auf dem Hügel niederzulegen in treuem Gedenken an den freundlichen
Reisegefährten.

Die bösen, bösen Zelte! Sämtliche Herren haben das Wohnen in ihnen teuer
bezahlen müssen. Mein Bruder liegt schwer krank in Zanzibar. Es ist
mir hart angekommen, nicht gleich dorthin zu fahren, um bei ihm sein zu
können; denn er ist in Lebensgefahr. Nur die Überlegung, daß er im
Hospital der Schwestern vom heiligen Geist die beste Pflege hat und daß
sich für mich vielleicht nicht sobald wieder eine Reisegelegenheit nach
~Dar-es-Salaam~ finden würde, hat mich bewogen, hier zu bleiben. Ich bin
in Angst um Albrecht und weiß nicht, ob ich recht gethan habe. Nun, wir
stehen Alle in Gottes Hand! --

~Dar-es-Salaam~ ist eine Ruinenstadt. Von den durch Sejid Madjid
errichteten Steinpalästen sind zwei noch bewohnbar, der eine ist des Wali
Residenz, den anderen hat Herr Dr. Peters für die Gesellschaftsbeamten
gemietet. Eine schöne breite Steintreppe führt von der Hausthüre
den Uferhang zum Meere hinab. Die Herren glauben durch geringe
Ausbesserungsarbeiten hier die bequemste Landungsstelle schaffen zu
können.

Die Stadt besteht aus drei Quartieren. Im Halbkreis um den Hafen stehn die
arabischen Ruinen, unter welchen der zum Harem bestimmte schloßartige Bau
noch immer sehr stattlich aussieht. Er ist leider innen so verfallen, daß
man ihn nicht einmal ohne Lebensgefahr besehen kann. Nach dem Lande zu
haben die speculativen Indier ihre Handelsstraßen angelegt und in jedem
ihrer aneinanderklebenden kleinen Häuser einen Kramladen errichtet. Hier
kaufen die Europäer für schweres Geld, was sie unter der aufgestapelten
Lumpenware etwa brauchbares finden; in den meisten Fällen freilich finden
sie überhaupt nichts. Rechts und links vom Hafen schließen sich die
Negervorstädte an, die sich, wie fast überall durch Sauberkeit und
Geräumigkeit (was Wege und Plätze anbelangt,) auszeichnen.

Der Hafen gleicht fast einem Landsee, da die schmale Verbindung mit dem
Meere durch die mit Palmen, Bananen und Affenbrotbäumen bestandenen
Landvorsprünge dem Auge meist entzogen ist. Dagegen schneidet er tief in
das Land ein. Unser mit vier Ruderern bemanntes Boot brauchte anderthalb
Stunden, um bis dahin zu kommen, wo ein seichtes Flüßchen seine Gewässer
mit der Salzflut vermischt. Dort hausen zahlreiche Nilpferde. Auch Affen
und Papageien amüsieren sich an den waldigen Hängen, die den Hafen
umschließen.


  ~Dar-es-Salaam~, d. 29. August.

Unsere Wohnung besteht, wie ich schon in meinem Tagebuch erwähnt, aus
einer Reihe kleiner Inderhäuser, deren Wände durchbrochen und mit Thüren
versehen sind, die auf die Veranda führen, welche also die einzelnen
Wohnungen (je ein Zimmer) verbindet. In dem ersten dieser Zimmer wohnt und
schläft Herr Greiner mit seiner Frau, das zweite, welches Herrn Leue's
Dominium ist, dient zugleich als Salon und Eßzimmer. No. 3, Herrn
Tschepe's Gemach, gleicht einer Werkstatt und Rüstkammer. Dann kommt
viertens ein Zimmer, in dem die deutsche Haushälterin mit der Nichte
des Missionars schläft, und endlich dasjenige, welches Bertha und mir
überlassen worden. Glasfenster, verschließbare Thüren, Schränke etc.
sind Luxusgegenstände, die ~Dar-es-Salaam~ vorläufig nicht kennt. Ich
kann aber in Wahrheit versichern, daß ich mich, so weit meine Erinnerung
reicht, noch nie so frisch und geistig wohl befunden habe, wie hier
in diesen ganz primitiven Verhältnissen. Frei und leicht wird es
dem geplagten Kulturmenschen zu Mute, wenn er einige Dutzende der
Sclavenketten, die wir »Bedürfnisse« nennen, abzuwerfen genötigt ist.


  d. 30. August. 1887.

Wir haben ein zwölfjähriges Negermädchen in Dienst genommen, eine von
der englischen Mission getaufte Christin. Die Engländer nannten sie Alice,
ich habe aber als gute Deutsche »Liese« daraus gemacht. Die kleine
Liese bringt mir Morgens ein Glas frischer Kuhmilch ans Bett, die herrlich
mundet. Dann stehe ich auf und finde die Hausgenossen gewöhnlich schon
auf der Veranda. Dort steht auch der Frühstückstisch und darauf, was
des verwöhnten Menschen Herz begehren kann: einheimischer Honig, Eier,
hausbackenes Schwarzbrot und englische Zwiebacke. Sowie ich meinen Platz
einnehme, erscheint der aufmerksame Mandoa und schenkt aus indischer
Porzellankanne den Kaffee ein. Mandoa ist ein ehrgeiziger und strebsamer
Jüngling, der ungeachtet seiner schwarzen Hautfarbe errötet, wenn er in
spöttischer Weise auf eine Ungeschicklichkeit aufmerksam gemacht wird. Er
ist sogar stolz und trotzig und weint Thränen bitteren Ärgers, wenn er
sich gekränkt fühlt, oder ungerecht behandelt glaubt. Mandoa ist der
Diener des Stationschefs und thut sich auf diesen Vorzug viel zu gute.

Während ich frühstücke, wartet auf mich gewöhnlich schon mein
Lieblingspatient, ein Sultanssklave, der vor kurzem in sein Messer gefallen
ist, wodurch er sich eine tiefe Wunde in der Seite zugezogen hat. Herr Leue
hat ihn vor dem Verbluten gerettet. Hätte er nur krumme Nadeln gehabt
und antiseptischen Faden, um die Wunde zu nähen, so würde sie nicht mehr
klaffen, wie sie es thut. Im übrigen scheint Faradi, so heißt der junge
Mann, eine gesunde Heilhaut zu haben. Heute Morgen brachte er mir als
Zeichen seiner Dankbarkeit fünf Kokosnüsse.


  d. 31. August.

Jetzt haben die Schwarzen ihr Neujahrsfest gehabt, ein ~sikukuu~ (~siku~
= Tag, ~kuu~ = groß, im Sinne von vornehm) oder vielmehr zwei solche nach
einander. Der Wali schickte einen Botschafter zu Herrn Leue, der das Fest
feierlich ankündigte, und die sämtlichen auf der Station beschäftigten
Arbeiter und Diener zu einem Festmahle einlud. Herr Leue nahm diese
Nachricht in der landesüblichen Weise, nämlich mit ernster Würde und
höflichen Phrasen entgegen und kündigte dem Wali an, er würde am
zweiten Feiertage seinerseits die Leute desselben bewirten. Das ist das
verhängnisvolle der arabischen Ehrengeschenke etc., daß sie stets eine
gleichwertige Gegengabe erfordern. Es ist des Landes Brauch. -- Am ersten
Morgen des Festes kamen die sämtlichen Arbeiter der Station um sich ihr
»~Sikukuu~«, d. h. diesmal »Festagstrinkgeld«, zu erbitten. Herr
Leue ließ sie der Reihe nach zur Musterung antreten: die Garten-
und Feldarbeiter, die Maurer, den Schneider, den Wäscher, die
Wasserträgerinnen und den Viehhirten, der den klangvollen Namen Marindila
führt. Herr Leue, der sehr auf adrettes Aussehen seiner Leute hält,
tadelte mit spöttischen Bemerkungen diejenigen, deren Aufzug zerlumpt oder
unsauber war. Die Schwarzen, die bekanntlich durchweg eitel sind, zeigen
eine große Empfänglichkeit für derartige Auszeichnungen. -- Tagsüber
wurde geschossen und getanzt. Am zweiten Festtag fanden Tanz und Spiel mit
besonderem Pomp vor unsern Fenstern statt. Die Araberjünglinge sprangen
wieder wie die Rasenden durcheinander. Dazu wurde unablässig getrommelt
und gesungen. Da unsere Zimmer keine Glasscheiben in den Fenstern haben,
waren sie bald von dem Pulverdampf der knatternden Gewehrsalven erfüllt.
Leider hatte die Nichte des Missionars einen, wenn auch an sich leichten
Fieberanfall, der indessen bei diesem barbarischen Lärm bösartiger zu
werden drohte. Ich bat daher den Chef sehr dringend, die Herrn Araber zu
veranlassen, ihre Spiele in einiger Entfernung fortzusetzen. Herr Leue
meinte, eine derartige Verletzung der Sitte könne von den Arabern sehr
übel aufgefaßt werden, da sie gerade uns zu Ehren hier tanzten. Ein
Abbrechen unsererseits müsse daher unterbleiben. Ich beharrte nichts
destoweniger auf meinen Wunsch, da mir Leben und Gesundheit der Unseren
ungleich wichtiger erscheint, als die mehr oder minder gnädige Gesinnung
der Araber. Diese müssen sich ja doch schließlich nach _uns_ richten.
Herr Leue ließ sich, wenn auch ungern, herbei, einen Parlamentär
hinunterzuschicken. Herr Missionar Greiner, der des Arabischen mächtig
ist, bot sich an, den heiklen Auftrag zu übernehmen. Er sprach den
Anführern in schönen Phrasen den Dank des Stationschefs für die uns
gewordene Aufmerksamkeit aus, was sofort richtig aufgefaßt wurde, nämlich
als Verabschiedung. Zu meiner großen Befriedigung zog die Horde ohne
weiteres ab, und das kranke Mädchen, dessen Temperatur mit beängstigender
Geschwindigkeit stieg, fühlte sich ungemein erleichtert.


  d. 1. September 1887.

Wir haben Besuch gehabt von dem Bischof von Zanzibar, Monseigneur de
Courmont, und dem berühmten Père Étienne Baur aus Bagamoyo. Die Herren
brachten mir Nachrichten von meinem Bruder. Derselbe war totkrank nach
Bagamoyo gebracht worden. Dort lag grade ein östreichisches Kriegsschiff,
und der Arzt desselben übernahm die Behandlung. Als indessen nach den
angewandten Mitteln das Fieber sich ungeschwächt wieder einstellte, sagte
der Marinearzt zum Pater Baur, nun könne er nichts mehr machen und wolle
ihm den seiner Ansicht nach hoffnungslosen Patienten überlassen. Père
Étienne hat seine bewährten Kraftmittel angewandt, nämlich riesige
Gaben Chinin, denen aber jedesmal entsprechende Brechmittel vorausgeschickt
werden, um den Magen auszufegen und dem Chinin volle Wirksamkeit zu geben.
Es gehört allerdings eine kräftige Konstitution dazu, um eine solche Kur
des öfteren durchzumachen. Albrecht hat einen derartigen schweren Anfall
von Gallenfieber jetzt bereits zum drittenmale überstanden. Sobald er
transportfähig war, hat man ihn nach Zanzibar geschickt, wo er nun im
Hospital liegt; doch versicherten mir beide Herren, er sei jetzt außer
Gefahr, ich möchte mich seinetwegen völlig beruhigen. Père Étienne
kennt meinen Bruder, seit er hier ist, was nun bald drei Jahre sind,
und mag ihn sehr gern. Vornehmlich bewundert er aufrichtig Albrecht's
spartanische Härte gegen sich selbst, wovon er mir manches zu erzählen
wußte. Père Étienne steht seit 26 Jahren der Missionsniederlassung in
Bagamoyo vor und gilt als der erfahrenste und sicherste Berater in allen
möglichen Dingen. Er ist Elsässer und spricht mit uns nur deutsch.
Monseigneur de Courmont, der ein vornehmer Franzose ist und seinen Manieren
nach mehr im Salon zu Hause ist, als in der afrikanischen Einöde, versteht
dagegen kein Wort deutsch. Wir (die Haushälterin und ich) haben ein für
afrikanische Verhältnisse recht annehmbares Diner zu stande gebracht;
beim Kaffee freilich fungierte als Sahnengießer ein alter Tassenkopf,
doch nimmt man das bei uns nicht so genau. Übernachten mußten die
liebenswürdigen Gäste auf ihrer Missionsdau, deren Segel durch ein
aufgenähtes großes schwarzes Kreuz schon von weitem kenntlich ist.

Herr Leue läßt soeben seine Asikari vor dem Hause Übungen machen, was
schon recht gut geht. Wie bei uns zu Hause, sind die Rekruten auch hier
stets von Neugierigen umringt. Anfangs haben die Leute von ~Dar-es-Salaam~
gelacht; seitdem Herr Leue aber die Spötter mit einigem Nachdruck hat
weitergehen heißen, steht alles andachtsvoll in ehrerbietiger Entfernung.

Fräulein Marie, die Nichte des Missionars, ist wieder wohlauf und singt
wie ein Vogel.


  d. 3. September 1887.

Es regnet täglich einige Stunden, die kleine Regenzeit (September,
October) scheint also pünktlich einzutreten. Die Veranda, auf der ich
schreibe, steht augenblicklich unter Wasser, da etliche Dachrinnen sich auf
sie ergießen. Der Himmel ist ein grauer Sack. Die Veranda beherbergt
neben uns eine ganze Menagerie. Da wohnen auf Ständern, die Herr Tschepe
angefertigt hat, vier zahme grüne Papageien, Moses, Heraklit, Männchen
und Elias geheißen. Männchen ist so zahm, daß er auf Herrn Leue's Ruf
anspaziert kommt und allerhand Kunststückchen macht, z. B. sich auf der
flachen Hand seines Herrn »tot« stellt. Die Vögel sprechen nicht, noch
schreien sie, was für unsere jeweiligen Fieberpatienten sehr vorteilhaft
ist. Die ausgelassensten der Tierbande sind zwei Freunde sehr verschiedener
Abstammung, der junge Hund »Kescho« und die Manguste. Letztere, bei
uns unter dem Namen Ichneumon bekannt, erscheint mir wie ein Mittelding
zwischen Affe und Ratte. Das Tierchen ist so unschön als möglich, aber
zahm und zutraulich. Es liegt wie ein Schooßhund am liebsten auf dem Ende
meines Kleides, und so oft es von diesem Platz fortgejagt wird, so
oft kommt es wieder. Furcht kennt es gar nicht. Neulich stand unsere
Tischglocke auf dem Fußboden. Da ging die Manguste hin und untersuchte den
unbekannten Gegenstand mit den Pfötchen. Ich dachte: warte nur, wenn es
klingelt, wirst Du schon Reißaus nehmen! Aber keineswegs! Das Klingeln
schien ihr vielmehr Vergnügen zu machen und sie bewegte fröhlich den
Metallklöppel, bis ich die Glocke ihren unbefugten Pfötchen entriß. Die
eigentlichen Clowns der Gesellschaft sind aber auch hier die kleinen Affen.

Morgen ist Sonntag. Da räumen wir unsere Veranda zur Kirche um
und versammeln Alles, was sich zum Christentum bekennt, zu einem
Morgengottesdienst. Der Kawaß Abdallah, der Araber und Mohamedaner ist,
aber bedingungslos thut, was sein Herr von ihm verlangt, wird von diesem
auch zur Kirche kommandiert. Abdallah freut sich über das Ceremonielle und
Feierliche des Vorgangs, das Übrige ist ihm, da er nichts versteht, ganz
gleichgültig.


  ~Dar-es-Salaam~, d. 5. Sept.

Vieles entbehre ich gern, aber ungern das Wasser. Unser gutes deutsches
Mineralwasser ist am Ende, und der Wein geht auf die Neige. Was ist aber
auch Wein für einen wirklich Durstigen! Das hiesige Wasser giebt Fieber,
darf also nicht getrunken werden. Nach zweimaliger Abkochung ist es zwar
unschädlich, hat aber einen so widerlichen Geruch, daß ich dann doch das
weichliche Kokosnuswasser vorziehe.


  ~Dar-es-Salaam~, d. 7. Sept.

Herr Tschepe leidet an einer Entzündung der Augen, die ihn zu momentaner
Untätigkeit verurteilt. Darüber ist der Arme ganz melancholisch. Wir
müssen ihn gewaltsam nötigen, im verdunkelten Zimmer zu verweilen. Ich
lese ihm jetzt aus Keller's ›Leuten von Seldwyla‹ vor; aber sonderbarer
Weise wirkt hier diese Lectüre gar nicht erheiternd, wahrscheinlich weil
man sich von den Vorgängen und Anschauungen der deutschen Kleinstadt
zu sehr abgetrennt fühlt. Daheim habe ich Thränen gelacht über diese
Geschichten.


  ~Dar-es-Salaam~, d. 8. Sept.

Die Station besitzt vier Esel, von denen drei zum Lasttragen benutzt
werden; der vierte, ein weißer Maskatesel, dient als Reitpferd.

Eines der hübschesten Negerdörfer von Zanzibar bis zum Rowuma ist das
zwanzig Minuten von ~Dar-es-Salaam~ entfernte Bagamoyo (nicht die bekannte
Stadt gleichen Namens). Der Weg dorthin ist wie ein Parkweg, breit und
ziemlich gradlinig mit einer Einfassung von Ananasstauden umgeben, führt
er durch Wiesen, auf denen die Rinderherden der reichen Indier friedlich
grasen. Aus schilfumgebenen Wassertümpeln, dem idyllischen Wohnort
giftiger Schlangen, tönt das Quaken des Ochsenfrosches und vereint sich
zur friedlichen Abendsymphonie mit dem tausendfachen Gezirpe der Grillen.
Rechts und links vom Wege ist die Wiese geschmückt mit prachtvollen
Mangobäumen, deren compakte Laubkronen fast den Rasen berühren. Gelbe
Blüten umspinnen das dunkle Grün jetzt wie mit Goldfiligran und ein Duft
entsteigt ihnen ähnlich dem unserer Lindenblüte. Aus kleinen Vertiefungen
ragen die riesigen Sammetblätter saftgrüner Bananen. Blühende
Baumwollsträucher, Granaten, Orangen und über diese ragend Gruppen
schlanker Kokospalmen vervollständigen das Bild dieser wilden
Parklandschaft, wie ich sie ähnlich nur in Mikindani gesehen.

Hier reite ich zuweilen gegen Sonnenuntergang auf dem Maskatesel. Ich
belausche dabei gewöhnlich einen frommen Muselmann, der in wallendem,
weißen Gewand auf dem Dach seines Hauses steht und unter vielen
Verneigungen Koranverse absingt. Dann bildet der rotgoldene Abendhimmel mit
den scharfen Silhouetten einzelner Palmen und dem Aufblitzen des hier und
da durchschimmernden Meeres einen Hintergrund, der an die Heiligenbilder
auf den bunten Glasfenstern der Kathedralen erinnert. Es ist wirklich
märchenhaft.


  ~Dar-es-Salaam~, d. 10. Sept.

Ich habe auf der Station den regelmäßigen Gebrauch von Eno's Fruchtsalz
eingeführt, als Vorbeugungsmittel gegen die Gallenbeschwerden, mit denen
wir hier beständig zu kämpfen haben. Das Schwierige ist auch hier
der Mangel an Trinkwasser. Wir helfen uns mit dem wasserklaren Saft der
Kokosnüsse, von denen Herr Leue anfangs zwar nichts wissen wollte, aber
Not lehrt beten. Er hat sich rasch bekehrt. Der Kokosnußsaft schmeckt wie
Zuckerwasser mit einem Nußbeigeschmack, anfangs fade, aber erfrischend,
wenn man daran gewöhnt und durstig ist.


  ~Dar-es-Salaam~, d. 12. Sept. 1887.

Eben kam einer dieser schwarzen Hanswurste zu mir und bat mit jämmerlicher
Miene um »Daua«. Er war in dem leichten Kostüm erschienen, das wir
»~blouse au naturel~« nennen, zeigte auf seine Brust und seufzte
kläglich, dieselbe sei »~hawesi sana!~« (sehr krank). Voll Mitleid ging
ich nach der Apotheke, um ihm ein Dover'sches Pulver zu holen. Als ich aber
wieder kam, wahrscheinlich früher als der Schwerkranke vermutete, fand
ich meinen Ali mit der Dienerschaft lachend und Witze machend, daß der
Schlingel sich mit den weißen Zähnen in beide Ohren zu beißen schien.
Sowie er mich bemerkte, wurde höchst naiv und ohne jeden Übergang wieder
die Duldermiene aufgesetzt.

Gestern trat ein langer, sorgfältig gekleideter Schwarzer bei mir an und
überreichte mir einen Brief von meinem Bruder. Albrecht schrieb:

»Ich werde morgen per Sultansdampfer Nyanza nach Bombay fahren und dann
in die Berge; denn man hat mir Klimawechsel und Bergluft verordnet. In drei
Monaten komme ich wieder. Wird man hier nicht blasiert? Heute hatte ich
etwa folgende Unterhaltung mit dem italienischen Consul Filonardi: »Guten
Morgen«. -- »Wie geht es Ihnen? Besser?« -- »Danke; fahre morgen
ein bischen nach dem Himalaya.« -- »Wollen Sie vorher bei mir
frühstücken?« -- »Gern; wieviel Uhr?« -- »Elf.« -- »Werde kommen,
adieu.« Ich will Dir Abdallah während meiner Abwesenheit lassen, wenn
Du ihn brauchen kannst. Ich habe ihn über ein Jahr in meinem Dienste, und
möchte ihn nicht gern verlieren etc.«

Abdallah, der mit seinem äußerst ehrbaren Gesicht wartend vor mir stehen
geblieben war, mußte mir von der Abreise seines Herrn erzählen. Er hatte
die letzte Nacht an Bord der Nyanza zugebracht; Abdallah wird, so lange er
bei mir ist, Carl Schmidt heißen, denn er ist die schwarze Ausgabe eines
Jünglings dieses Namens aus meinem Heimatsdorfe Ingersleben. Abdallahs und
Abdullahs laufen hier schon zu viel herum.


  ~Dar-es-Salaam~, d. 14. Sept.

Täglich kommen Araber, Indier und Schwarze mit allerlei Krankheit behaftet
und verlangen Heilung, vor allem aber »Daua« d. h. Medicin. Mit den
einfachen Hülfsmitteln von Diät, Luft und Wasser (äußerlich angewandt!)
ist bei diesen Leuten nichts zu machen. Sie bringen Glauben und verlangen
Wunder. Ein von Unreinlichkeit strotzendes und darum mit Ausschlag
behaftetes Indierkind wusch ich vor den Augen des zärtlichen Vaters
mit warmem Wasser und in Ermangelung von anderer, mit meiner eigenen
Waschseife. Darauf empfahl ich dem Vater dringend, diese Waschungen mit
beliebiger Seife täglich, womöglich zweimal vorzunehmen. Der gute Mann
ließ sich aber nicht davon abbringen, die Heilkraft allein in der von mir
gebrauchten Seife zu suchen und ließ mir keine Ruhe, so daß ich endlich,
um ihn nur los zu werden, ein Stück von meiner armen Seife abschnitt und
ihm mitgab.

Ich gehe fast alle Tage nach dem neuen Haus hinüber, in dem uns ein
fünffenstriges, gesund gelegenes Zimmer zum Krankenzimmer und ein
Turmstübchen zur Apotheke überlassen worden ist. Leider gehen die
Reparaturen nur langsam vorwärts. Viel zu thun ist hier nicht für
uns; denn seit wir hier sind, ist bis auf leichte, sich regelmäßig
wiederholende Fieberfälle, Gott sei Dank Alles gesund. Eine Pflegerin
wird, solange Frau und Nichte des Missionars zu gelegentlicher Aushülfe
bereit sind, in ~Dar-es-Salaam~ völlig ausreichend sein.


  ~Dar-es-Salaam~, d. 16. Sept.

Gestern ließ Herr Leue durch Ali Amadi, den gebildeten Diener, der mit
Herrn Paul Reichardt in Berlin gewesen ist, den Wali nebst seinem Secretär
Abdullah zum Abendessen einladen. Die Herrn Araber, die das Ehrende
einer solchen Einladung voll zu würdigen wußten, erschienen im vollen
Waffenschmuck ihrer malerischen Tracht, fühlten sich aber nichts weniger
als behaglich. Herr Leue bat Herrn Missionar Greiner, den Herren auf
arabisch zu sagen, sie möchten thun, als ob sie zu Hause wären, und sich
nicht um Gabel und Messer kümmern. Da lächelten die Gäste würdevoll und
griffen mit den Fingern in das Hühnerragout. Während wir Wein tranken,
wurde ihnen Kokosnußwasser eingeschenkt. Herr Leue sprach ihnen sein
Bedauern darüber aus, daß sie sich einen so herzerfreuenden Genuß, wie
den des Weines, entgehen lassen müßten, und fragte, warum ihnen dies
Verbot gegeben worden sei? Der Wali antwortete: »Wein in Mäßigkeit
genossen erheitert zwar des Menschen Gemüt; aber der Prophet, dessen Name
gelobt sei, wußte, daß wir zu schwach sind, um Maß zu halten und daß
wir in der Unmäßigkeit den Tieren gleich werden.«

Da Abdullah, ein intelligenter junger Mann, noch in derselben Nacht nach
Zanzibar abreist, gaben wir ihm Briefe und Grüße mit. Abdullah hat uns
häufig abends besucht, teils mit, teils ohne Freund, um sich Daua zu
erbitten. Merkwürdiger Weise sind die Bewohner von ~Dar-es-Salaam~
vielfach brustleidend. Der Wali und sein Secretär husten um die Wette.

Sobald wir Kaffee getrunken hatten, baten die Herren Araber sich empfehlen
zu dürfen. Das Souper war für sie eine beschwerliche Ceremonie gewesen
und sie dankten gewiß ihrem Gott, als sie es überstanden hatten.

Heute kam ein Araber aus Bagamoyo (der Stadt), und reclamierte einen der
Feldarbeiter der Station als seinen Sclaven. Derselbe sei ihm vor drei
Jahren entlaufen und nun auf einmal hier aufgetaucht. Herr Leue ließ den
Burschen holen und fragte ihn, ob sich die Sache so verhielte, wie der
Araber behauptete. Der junge Mann, ein bescheidener anständiger Mensch und
guter Arbeiter, gab zu unserem Bedauern ohne weiteres alles zu. Herr Leue
hatte wenig Lust, den armen Burschen auszuliefern und entschied sich dahin,
den Fall vor den Wali zu bringen. Der Wali ließ sagen, er werde sich
sofort einfinden und erschien, während wir beim Essen saßen, mit
seinem Begleiter. Der Entlaufene, der bis dahin bewacht worden war, wurde
vorgeführt. Der Wali unterzog ihn einem kurzen Verhör. Mir gefiel die
natürliche Würde des Arabers, der seine Fragen in leisem, sanften Ton
stellte und dabei, ohne streng zu thun, durch seine Unbeweglichkeit Respect
hervorrief. Er erkundigte sich nach des Burschen Herkunft, seiner Heimat,
seinen Verwandten etc. Der junge Mann antwortete präcis und wie Einer,
der nichts zu verheimlichen sucht. Er erlaubte sich sogar einmal eine
scherzhafte Bemerkung, die den Wali und seinen Begleiter zu wohlwollendem
Lächeln veranlaßte. Darauf wurde der Angeklagte wieder abgeführt und
Herr Leue frug den Wali, was er zu diesem Fall denke? Dieser sagte, da
Vater und Mutter des Burschen freie Leute seien, so könne auch er nicht
Sclave von Geburt sein, sondern wahrscheinlich sei er geraubt worden, was
er auch selbst sage. Herr Leue antwortete, es sei natürlich seine Absicht
Gerechtigkeit walten zu lassen und er wolle Niemand sein rechtmäßiges
Eigentum vorenthalten. Wenn aber der Wali feststellen könne, daß der
in Frage stehende Jüngling nicht Sclave sei, so geschähe ihm damit ein
großer Gefallen etc. Da meinte der Wali, der Ausgang dieser Angelegenheit
würde wesentlich von dem klugen Verhalten des Burschen selbst abhängen.
Er werde sofort Leute ausschicken, um die Verwandten aus deren Dorf Mtoni
kommen zu lassen und morgen Gerichtssitzung halten.


  d. 17. September.

Die Verwandten des Jünglings waren bereits heute Morgen zur Stelle, also
muß der Wali seine Boten in der Nacht geschickt haben. Herr Leue hat der
großen Gerichtssitzung etwa eine Stunde lang beigewohnt. Er erzählte
dann, der Vater sei ein Schafskopf; aber da sei ein Oheim mitgekommen,
der habe sich für den Neffen gewaltig ins Zeug gelegt. Der Besitzer des
Entflohenen und dessen Freund hätten auf der anderen Seite einen heillosen
Lärm gemacht, um zu ihrem Rechte zu gelangen. Der Wali hat die Sache
vertagt. Er will zunächst nach Bagamoyo schicken und den Händler
herbeischaffen, von dem der Kläger den Burschen gekauft haben will.


  ~Dar-es-Salaam~, d. 20. Sept.

Sejid Madjid hat, als er diesen Hafen zu seiner Residenz erkor, hier einen
Wald von Kokosnußpalmen anpflanzen lassen, der sich etwa eine Stunde weit
in der Ebene hinzieht. Wenn ich in dem mäßigen Waldesschatten auf dem
weichen Sandboden gehe, rings um mich her Baumstämme und nichts als
Baumstämme, so fühle ich mich in den Grunewald versetzt. Hat unser
Maskatesel nichts für die Station zu thun, so reite ich vor dem
Morgenkaffee mitunter durch den Wald nach der Schamba. Dies ist eine
Oase. Um den durch einen Quell gebildeten, mit Schilfpflanzen und
Papyrus angefüllten Weiher, den Lieblingssitz der von den Schwarzen sehr
gefürchteten kleinen Giftschlangen, bedeckt üppiges Grün den Sandboden.
Ein Stacket umgiebt Weiher und Wiese. Hier weiden die Rinder und Schafe der
Station, sowie auch die Eselin »Johanna«.

Heute Morgen machte ich die Erfahrung, daß man das Naturell der Maskatesel
nicht unterschätzen darf. Da ein Damensattel selbstverständlich zu den
hier unbekannten Gegenständen gehört, reiten wir auf einer Decke, ohne
Steigbügel, also ohne jeden Halt. Das ging bis heute ganz vortrefflich
und ich hatte nie die geringste Sorge. Heute Morgen nun, als ich von
der Schamba zurückkehrend, im Begriff war, in die erste Indergasse
~Dar-es-Salaam's~ einzulenken, fing es an zu regnen. Ich ließ den Zügel
fallen und machte mir mit beiden Händen an meinem Schirm zu schaffen.
Als dieser aber beim raschen Aufspannen etwas krachte, wurde mein Reittier
plötzlich wild und that einen jähen Sprung zur Seite. Da ich auf ein
derartiges Manöver gänzlich unvorbereitet war, fiel ich sofort hinten
über. Es gelang mir eben noch, dieser unfreiwilligen Beugung nach
rückwärts so weit nachzuhelfen, daß ich, den aufgespannten Schirm in den
Händen, der ganzen Länge nach zwar, aber doch unbeschadet auf die Erde zu
liegen kam. Der feurige weiße Renner sauste unterdessen über die Ebene,
dem Walde zu, denn sein Herz trieb ihn nach der Schamba, wo Johanna,
seine Freundin, graste. Questenberg, der schwarze Stallknecht, der uns auf
unseren Spazierritten zu Fuß begleitet, lief, was er laufen konnte, hinter
dem Ausreißer her und war, als ich mich aufrichtete, schon in weiter
Ferne. Das Schicksal seines Pflegebefohlenen beunruhigte ihn natürlich
ungleich mehr, als das meine. Bald verschwanden Beide im Palmenwald.
Ich mußte, beschämt über meinen Leichtsinn, mit dem zum Glück
unzerbrochenen Übelthäter von Schirm zu Fuß nach Hause pilgern, gelobte
aber im Stillen, in Zukunft dem Temperament einer edlen Rasse etwas mehr
Rechnung zu tragen.

Zwei Stunden später erst führte Questenberg den endlich eingefangenen
Ausreißer in den Stall zurück.


  ~Dar-es-Salaam~, d. 22. Sept.

Gegen Abend fahren wir täglich ins offene Meer hinaus, um durch Einatmen
der kräftigen Salzluft uns gegen das Fieber widerstandsfähiger zu machen.
Mit Kreuzen jeden Windstoß ausnutzend, gelangen wir meist, ohne die
Riemen in Bewegung zu setzen, durch die enge Öffnung des Hafens. Schon der
Anblick der weiten leuchtenden Wasserfläche wirkt nervenstärkend. Dann
schäumen die vom Kiel durchschnittenen Wellen zischend um das Boot, wie
Champagner, und die salzigen Wassertropfen fallen wie ein Sprühregen auf
uns nieder. Neben Herrn Leue, dem »~bana mkubua~« von ~Dar-es-Salaam~,
der den Sonnenschirm in der einen, das Steuer in der anderen Hand hält,
sitzt der zierliche Mandoa, die geladene Büchse schußbereit. Regt sich
etwas im Gestrüpp am Strande, oder blinkt zwischen dem Gezweig die weiße
Brust eines Wasservogels, so gerät Mandoa in Aufregung wie ein guter
Jagdhund und sieht seinen Herrn herausfordernd an, bis dieser zum Gewehr
greift. Dann knattert ein Schuß oder zwei und von den Hügeln schallt das
Echo zurück, oder wenn der Schuß einem Tümmler galt, springt die Kugel
wie ein Gummiball wieder und wieder aufschlagend auf dem Wasser
hin. Sämtliche Asikari, die, während Segel und Wind sie vom Rudern
dispensieren, plaudernd umhersitzen, verfolgen mit lebhafter Teilnahme den
Vorgang.

Am Horizont sieht man als eine Zackenlinie die schaumgekrönte Dünung der
hohen See. Zuweilen erscheint dort ein schneeweißer Punkt, der langsam
größer wird und endlich als leuchtendes Segel sich scharf vom Himmel
abhebt. Dann fragen wir jedesmal: »Kommt die Dau von Zanzibar?«, worauf
die Asikari antworten: »von Zanzibar« (~suaheli~ = ~ja Ungudja~). Oder
sie sagen: »Es ist ein Fischerboot.« In Zweifel sind sie eigentümlicher
Weise nie. Das Fischerboot läßt uns gleichgültig; ist es aber eine Dau
von Zanzibar, so segeln wir ihr entgegen, weit hinaus, wenn Wind und Wellen
es erlauben. Bald hört man ein dumpfes Trommeln, das ist die »~ngoma~«,
mit der sich die Schifffahrer die Zeit vertreiben. Der Trommelwirbel
ist schon aus weiter Ferne vernehmlich und klingt fast unheimlich; die
begleitende Pfeife hört man erst viel später. Haben wir die Dau erreicht,
so rufen wir dem Kapitän zu, ob er eine »Post« für uns habe? Zuweilen
reicht man dann ein mit Bindfaden umwickeltes Packetchen ins Boot hinüber,
über dessen Inhalt wir uns gierig hermachen. Ist nichts für uns da, so
verachten wir die Dau und fahren resigniert weiter. Dann geht die Sonne
unter. Wir nehmen die Flagge ab und wickeln sie zusammen. Das Rot am
westlichen Himmel erlischt rasch und der Wind legt sich vollständig. Das
Segel wird gerefft und die Ruder, die in sicherem Takt das Wasser teilen,
wirbeln mit jedem Schlage tausend diamantgleiche Funken auf. Zuweilen
springt in unserer Nähe ein Delphin hoch in die Luft und senkrecht
ins Meer zurück. Diese Tiere scheinen die Zeit nach Sonnenuntergang
gymnastischen Übungen zu widmen.


  Zanzibar, d. 1. Okt. 1887.

Da mir die Herren der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft in der
zuvorkommendsten Weise geholfen haben, ist es mir gelungen, ein nicht
weit von der Stadt am Meere gelegenes Haus zu mieten. Es ist umgeben
von herrlichen Bäumen, schattig und still, also für Kranke und
Erholungsbedürftige der geeignetste Aufenthalt. Ich werde dort, wenn
ich von Deutschland aus genügende Unterstützung erhalte, eine Apotheke
einrichten, um die einzelnen Stationen stets mit den notwendigen
Medicamenten etc. versorgen zu können. Nach und nach können wir
hoffentlich auf jede der Küstenstationen eine oder zwei Pflegerinnen
setzen und ihnen die Ausrüstung für ein den sanitären Anforderungen
nach Möglichkeit entsprechendes Krankenzimmer mitgeben. Auch hier sollen
mehrere Zimmer für Kranke oder Reconvalescenten bereit gehalten werden.

Unsere Östreicherin hat inzwischen einen kleinen Jungen bekommen und
befindet sich unter der Obhut der Hospitalschwestern ganz wohl. Es ist ein
anmuthiges Bild, wenn die kleine, zarte »~mère supérieure~« das winzige
Wickelkind auf den Armen hält und mit zärtlichem Stolz in den großen
Augen auf das dumme Gesichtchen niedersieht. Ein so junger Pflegling mag
selten ihrer Hut vertraut werden! Der Naturforscher ist auf einige Wochen
hier gewesen, um seinen Sohn kennen zu lernen; aber zum Leidwesen der
jungen Frau ist er wieder auf den Continent zurück. Er hat sie freilich
samt dem Kindchen in die Wildnis mitnehmen wollen; -- man weiß nicht,
soll man solchen absoluten Idealismus bewundern oder ihn belächeln!
Die Missionen, beide, die katholische und die englische, haben diesen
zuversichtlichen Jünger der Wissenschaft fast mit Gewalt von diesem
Vorhaben abgebracht. Die hiesigen Damen sind übrigens ganz erstaunt,
daß ich bei dem wiederholten Küstenwechsel doch noch nicht den üblichen
Tribut an Fieber gezahlt habe. Sie meinen, innerhalb elf Tagen solle ich
mit Bestimmtheit auf einen Anfall rechnen. Ich glaube aber nach allem, was
ich bis jetzt unangefochten durchgemacht habe, daß ich außerordentlich
wenig zum Fieber disponiere.


  d. 5. October 1887.

Bei dem hier stets nur zwölf Stunden dauernden Tag und der Hitze während
desselben ist es ratsam, die Morgenstunden zu benutzen, was die Freunde
auch stets thun. Es ist vorgekommen, daß Ramassan um sechs Uhr morgens
schon an meine Thüre klopft mit der Meldung, die Herren säßen unten im
Boot und ließen fragen, ob ich nicht Lust hätte, mich an der Fahrt
zu beteiligen. Diese Botschaft weckt mich aus tiefem Schlaf; das
Frühaufstehen war immer meine schwächste Seite. Ich halte indessen Fahren
auf dem Meer für das beste Vorbeugungsmittel gegen Fieberzustände und
versäume deshalb nicht gern eine Gelegenheit dazu, trotzdem ich selbst
im Boot nicht vor Anwandelungen des leidigen Seeübels sicher bin. Am
angenehmsten ist die Fahrt, wenn Herr Consul O'Swald den Kapitän macht;
denn er ist ein halber Seemann, kennt jeden Fleck im Hafen und ist ebenso
gewandt wie ruhig und besonnen. Regiert dagegen Herr Dr. Peters das
Segel, so mache ich mich jedesmal auf ein unfreiwilliges Wellenbad mit
zweifelhaftem Ausgang gefaßt. Dann pflegt unser kleines Boot ganz auf der
Seite zu liegen und macht bei Wendungen und beim Manövrieren mit dem Segel
bedenkenerregende Bewegungen. Vor dem Ertrinken fürchte ich mich nicht
sehr, ich kann sogar ein wenig schwimmen, dagegen denke ich es mir sehr
unangenehm, von Haifischen aufgefressen zu werden. Die Offiziere des
Nautilus behaupten allerdings, es befänden sich zur Zeit nur zwei
Haifische im Hafen, Karl und Anton geheißen. Die seien mit dem letzten von
Arabien heimkehrenden Pilgerschiff hereingekommen. Anton sei gutartig, Karl
habe dagegen erst vor Kurzem einen Neger aufgefressen.

Thatsache ist, daß die Haifische sich den von Norden kommenden
Pilgerschiffen anschließen. Der fromme Sultan Bargasch ben Said giebt so
viel Pilgern, wie das Schiff aufnehmen kann, freie Überfahrt nach Arabien
und läßt an Reis und Kokosnüssen so viel an Bord schaffen, daß die
Gläubigen eine ganze Weile davon leben können. Da der Sultan bis
auf einen Araber lauter deutsche Kapitäne hat, so werden auch diese
Pilgerschiffe meist von einem Deutschen commandiert. Herr Kapitän
Jürgensen erzählte mir Schauerliches von der Rückfahrt eines solchen
Schiffes. Die Gläubigen, die sich als Deckpassagiere durch hervorragende
Unsauberkeit auszeichnen sollen, haben auf der Reise vom Hafen nach Mecca
und zurück gewöhnlich, was sie an Geld und Mundvorrat noch besaßen,
aufgezehrt. Dann entstehen an Bord Hunger und Epidemien. Die über Bord
geworfenen Leichen ziehen die Haifische an, und diese ungemütlichen Tiere
halten mit den überlebenden Pilgern ihren Einzug im Hafen von Zanzibar.


  d. 12. October.

Fieber habe ich bis jetzt nach Ablauf der kritischen elf Tage noch nicht
bekommen, obwol ich den Rat der Hospitalschwestern, am neunten und zehnten
Tage nach meinem Eintreffen hier Chinin zu nehmen, in dem allmälig
gewonnenen Gefühl der Sicherheit nicht befolgte. Heute aber habe ich vor
Ungeduld und Ärger geweint. Man braucht nur etwas Dringendes vorzuhaben,
wobei man auf hiesige Zwischenhändler angewiesen ist, so lernt man
ein Lied von der Unzuverlässigkeit und unbesiegbaren Indolenz dieser
Orientalen singen! Mir liegt so viel daran, bald in die gemietete Schamba
überzusiedeln und ich komme nicht mit den vorbereitenden Arbeiten von der
Stelle.


  d. 15. October.

Mohamed ben Salim ist gestorben. Dieser Premierminister des Sultans war
erst ein Dreißiger und sein plötzliches Ende giebt zu allerhand dunklen
Mutmaßungen Anlaß. Er soll sich die Ungnade seines Herrn zugezogen
haben. Er hat einen Tag vor seinem Ende an Herrn Dr. Peters eine Botschaft
geschickt mit der Bitte, dieser möge sich persönlich zu ihm bemühen, er
habe ihm etwas mitzuteilen. Herr Dr. Peters verschob den Besuch auf den
nächsten Tag; inzwischen war aber der Araber gestorben. Im Volke war der
Verstorbene gefürchtet und beliebt. Der lange Abdallah (Karl Schmidt), ein
Juwel von einem Diener, der sonst kein überflüssiges Wort redet, blieb
heute beim Spaziergang plötzlich vor mir stehen, wandte sich nach mir um
und sagte mit düsterem Ernst: »~Bibi! Mohamed ben Salim kaputto~«. Das
letzte Wort haben sich die Schwarzen von uns angeeignet und gebrauchen es
mit Vorliebe. Auch unser »ja« gefällt ihnen so gut, daß sie es nicht
nur im Verkehr mit uns, sondern auch unter einander anwenden.


  Insel Zanzibar. Schamba,
  d. 25. October.

Gott sei Dank, ich bin in meinem Hause und mit der Einrichtung desselben
so ziemlich fertig! Die neugeflochtenen Matten liegen auf den Stubenböden,
die Möbel stehen an ihrem Ort, Wäsche und Verbandzeug, säuberlich
geordnet, füllt in großen Haufen die Schränke; sogar die
Fenstervorhänge sind genäht und aufgesteckt. Das an sich sehr hübsche
Haus sieht nun so sauber und freundlich aus, daß es eine Freude ist,
darin umherzugehen. Die vielen großen Kisten mit Wäschegegenständen und
Küchenutensilien, die mit dem letzten Schiff von Berlin geschickt worden,
sind auf den Schultern schwarzer Pagazi zu mir hinausgewandert; man hörte
den tactmäßigen Gesang schon von weiter Ferne und bald unterschied ich
an der Art des Atemholens zwischen dem Singen, sowie am Tempo, ob eine
schwerere Last zu erwarten war, oder eine leichtere. Je schwerer die Last,
desto schneller und abgebrochener tönte der Gesang. Hier angekommen,
speculierten die meist nur mit dem Lendentuch bekleideten Jünglinge auf
meine Gutmütigkeit und stellten sich, als ob sie heftige Leibschmerzen
hätten. Ich hatte nämlich einem unter ihnen, der wirklich Magenschmerzen
zu haben schien, etwas Cognac verabreicht. Auf eine sofort ausgebrochene
Epidemie konnte ich mich natürlich nicht einlassen, ich gab jedoch den
Hanswursten, um sie zu trösten, pro Mann zwei der aus Berlin erhaltenen
Pfeffernüsse, und das befriedigte sie auch.

Beim Auspacken der Kisten, was auf der unteren Veranda vorgenommen wurde,
umstanden uns die Diener voll Neugierde und äußerten naive Bewunderung
für jeden unbekannten Gegenstand aus »~Uleija~« (Europa). Auch das
Füllen der Bettkissen mit Kokosnusfasern haben wir auf der zu ebener Erde
gelegenen Veranda besorgt.

Mit dem Kisuaheli, das hier überall die vermittelnde Sprache bildet,
komme ich freilich noch nicht weit. Die feuchte Hitze, diese wahre
Treibhaustemperatur, wirkt so erschlaffend, daß man sich wenig zu
Sprachstudien aufgelegt fühlt. Freilich würde mich die Notwendigkeit
zwingen, endlich ernsthaft zu lernen, wenn ich nicht eine Haushälterin
hätte, die nach jeder Richtung hin ein Wertobject ist. Ich habe sie
sowol wie den Diener Boheti und den Küchenjungen Hamed der Station
~Dar-es-Salaam~ ausgeführt. Frau Glühmann ist von Geburt Griechin. In dem
deutschen Waisenhaus der Kaiserswerther Diakonissen in Jerusalem »~Talitha
Kumi~« hat sie ihre Erziehung erhalten und ist dann in Kairo als Köchin
bei dem dortigen evangelischen Geistlichen gewesen. Dort und wol auch schon
in Jerusalem hat sie arabisch gelernt, was sie fließend spricht, wenn auch
in anderem Dialect als die Araber hier. In Kairo hat sie ein Deutscher,
Namens Glühmann, der als Krankenwärter am dortigen deutschen Hospital
angestellt war, geheiratet. Das junge Paar hörte von der hiesigen Kolonie,
und von dieser alles Heil erwartend, verließen sie Kairo und kamen mit
ihren Ersparnissen nach Zanzibar. Hier wollte sich indessen eine ihren
Wünschen entsprechende Stellung nicht finden, vielmehr mußten sie dem
ungewohnten Klima, das ebenso feucht ist, wie Ägypten trocken, reichlichen
Tribut zahlen. Die deutsch-ostafrikanische Gesellschaft nahm sich ihrer an,
soweit sie konnte. Ich kaufte ihnen zur Einrichtung unserer Pflegestation
in ~Dar-es-Salaam~ ab, was sie an Hausgerät und Betten besaßen. Da mir
sowol Baron Gravenreuth wie auch Herr Missionar Greiner die Leute warm
empfahlen, habe ich sie immer im Auge behalten. Jetzt haben sie sich in
den Parterre-Zimmern meines Hauses wohnlich eingerichtet und die Frau
unterstützt mich aufs Beste. Sie führt die Wirtschaft, beaufsichtigt
das Kochen, wobei sie den als Küchenjungen fungierenden Schwarzen,
Namens Hamed, zum Koch anlernt, und da sie sich mittlerweile auch mit der
Suaheli-Sprache vertraut gemacht hat, vermittelt sie den Verkehr zwischen
mir und der hiesigen Bevölkerung. Sie hat alle vierzehn Tage Fieber,
welches jedoch selten länger als einen Tag dauert und nicht mit Heftigkeit
auftritt. Ihren Mann hat Herr Dr. Peters zunächst als Krankenwärter
für die deutsch-ostafrikanische Gesellschaft angestellt, doch soll er hier
wohnen. Er kann auf diese Weise mit seiner Frau zusammensein und wir haben
in unserer einsam gelegenen Schamba den Schutz eines Europäers. Glühmann
ist nach Pangani gereist, um den dort schwer erkrankten Dr. Spuhn zu
holen.


  d. 1. Nov. 1887.

Glühmann ist zu unserem Schmerz allein zurückgekehrt. Als er nach Pangani
kam, war Herr Dr. Spuhn bereits seinen Leiden erlegen. Der Kranke hatte,
wie das grade bei den Deutschen öfters vorkommt, hartnäckig das
ihm gebotene Chinin zurückgewiesen, grade wie seinerzeit Herr
Regierungsbaumeister Wolff. Neulich besuchte mich der Vorsteher der
hiesigen katholischen Mission, Père Acker, und ihm sprach ich über die
Bedenken, die von deutscher Seite so häufig gegen das Chinin erhoben
werden. Er teilte sie nicht und meinte, die organischen Veränderungen, die
wir dem Chiningenuß zuschreiben, seien eine Folge des Fiebers, nicht des
Chinins. »Ich habe schon Manchen am Fieber sterben sehen,« sagte er,
»aber noch Keinen am Chinin.«

Ein Herr Julius Hensel, »Lehrer der angewandten, organischen Chemie«, hat
mir eine Kiste mit Salzen geschickt (~biammonium phosphat~, Hämolin-Eisen
und ~calcium magnesium~) und dieselben in einem ausführlichen
Begleitschreiben als bewährtes, dem Chinin weit vorzuziehendes Mittel
gegen das Malariafieber empfohlen.

Bis jetzt habe ich mit diesen Henselschen Salzen bei den Europäern
freilich nichts ausgerichtet. Herr Missionar Greiner, dem ich in
~Dar-es-Salaam~ während eines mit Schüttelfrost verbundenen Fieberanfalls
anriet, das jedenfalls unschädliche »Nervensalz« (~biammonium phosphat~)
einmal zu probieren, wies diese Zumutung mit Entrüstung zurück! »Hebe
Dich von mir, Satanas!« Hier, wo es sich so oft um Leben und Tod handelt,
fühlt man sich im Allgemeinen zum Experimentieren nicht aufgelegt. Die in
unserem an Gedankenarbeit reichen Vaterland gemachten Entdeckungen in die
Praxis zu übertragen, das müssen wir einem vertrauenswürdigen deutschen
Arzt überlassen. Hoffentlich schickt man uns bald einen solchen.

Meine leichten Fieberfälle behandle ich so: der Patient muß schwitzen,
je mehr, desto besser. Dabei sinkt die Temperatur fast immer und er erhält
ein Gramm Chinin. Am nächsten Tag, wenn die Blutwärme normal ist, erhält
er noch ein halbes Gramm. Wer die Anfälle regelmäßig bekommt, wie Frau
Glühmann und die Familie Greiner, muß, solange er meiner Obhut anvertraut
ist, täglich ein Glas Chinawein trinken. Bei Galligkeit ist Eno's
Fruchtsalz das Universalmittel.


  d. 2. Nov. 1887.

Ich habe hier von allen Seiten den Blick ins Grüne. Eine wahre Wildnis von
Mangobäumen und Palmen umgiebt mich. Rechts vom Hause ist der Hühnerhof,
in welchem zur Zeit siebenunddreißig Hühner des Gebraten-, bez.
Gekochtwerdens warten. Wir essen selten ein anderes als Hühnerfleisch und
nur seine Zubereitung bietet Variationen. Daneben haben wir rohen
Schinken, der sich zu meiner Verwunderung recht gut hält. Links liegt der
Gemüsegarten, in den wir bereits Salat und Radieschen ausgesäet haben.
Dort wachsen Melonen und Gurken, Papaïs und rote Pfefferschoten. Sogar ein
Weinstock schlingt seine Reben um ein Gelände. Wenn die Regenzeit vorüber
ist, will ich den von Berlin erhaltenen Blumen- und Gemüsesamen aussäen.
Garten und Hof sind auf drei Seiten von dem Ackerland der Schamba umgeben,
welches mit Maniok bestanden ist. Ananasstauden bilden die Einfassung des
Ackers und der Beete, während eine Reihe dicht nebeneinanderstehender
Bananen das Gartenland von den angrenzenden Wiesen trennt. Im Garten und
auf dem Felde wachsen zahlreiche junge Orangenbäume, deren gelbgrünes
Laub gegen das dunkle der riesigen Mangobäume und das saftgrüne der
Bananen lebhaft kontrastiert. Die dichte, niedrige Hecke trennt meine
Schamba von einem lang gedehnten Wiesenstreifen, der sich zwischen dem Meer
und der Mnasimodja bis nach Zanzibar erstreckt. Vor der Stadt liegt die
große Kaserne. Auf der erwähnten Wiese hält General Mathew Truppenrevue
ab. Fast allmorgendlich werden dort militärische Übungen vorgenommen,
und wenn ich noch halb im Schlafe liege, glaube ich mich beim Hören der
kriegerischen Musik und der energischen Kommandorufe nach Berlin versetzt.

Hinter meinem Haus wirft das Meer seine Schaumwellen gegen zackige
Korallenklippen. Auf einem vorspringenden Riff liegt so malerisch als
möglich eine Station der englischen Mission, Kiungani. Es ist dies meine
nächste europäische Nachbarschaft. Morgens, mittags und abends läßt das
Glöckchen der dortigen Kapelle sein helles Läuten zu uns herüberklingen.
Am Fuße des Kiungani-Felsens unmittelbar am Meere, das hier ziemlich
starke Brandung hat, steht ein eigentümlicher langgestreckter Steinbau.
Das ist Sr. Hoheit des Sultans Pulvermagazin.

Mein kleiner, zahmer Nachtaffe, Mucki, springt känguruhartig, die
lächerlichen Händchen mit den langen Fingern in die Luft streckend, durch
die Zimmer. Klapp, klapp, geht es immer, wenn die Hinterfüßchen nach
weitem Luftsprung den Boden berühren. Mucki ist sehr zutraulich. Am
liebsten klettert er mir auf die Schulter und jetzt beißt er grade ganz
frech am Federhalter, mit dem ich schreibe.


  d. 4. November 1887.

Heute besuchten mich zwölf Banjaninnen mit etlichen Kindern. Der etwa
fünfzehnjährige Sohn meines Hauswirtes, Djeta Vali, geleitete die Damen
hierher. Bei solchen Visiten macht Frau Glühmann den Dragoman. Mein
großes Empfangszimmer füllt sich an mit zierlichen gelbbraunen
Indierinnen. Es dauert eine geraume Weile, bis ich Allen in Erwiderung des
schmeichelnden »~Jambo, bibi, jambo!~« die Hand gegeben habe. Abdallah
und Boheti schleppen Stühle herbei und Alle nehmen Platz. Nun beginnt die
Unterhaltung. Die anmutigste der jungen Frauen erzählt mir in harmloser
Anschaulichkeit eine Krankheitsgeschichte, deren Details von Frau Glühmann
übersetzt werden. Dabei hilft der junge Sohn des Djeta, der ein bischen
englisch versteht. Dinge, über die bei uns der wohlerzogene Arzt seine
Patientin im Flüsterton befragt, werden hier laut im Salon verhandelt,
ohne daß es jemandem einfiele, verlegen zu werden. Diese naive Offenheit
erinnert wirklich an das Altgriechische. -- Ich hole der schönen Dame
Arznei und gebe ihr nach meinem besten Verstehen Rat. In Wirklichkeit weiß
ich gar nicht Bescheid bei ihrem Leiden, was mich sehr verdrießt, was ich
aber nicht merken lassen darf. Die Patientin nimmt voll Dankbarkeit meine
Hand und führt sie an Stirn und Augen. Um mein Gewissen zu erleichtern,
empfehle ich ihr, den als sehr tüchtig geltenden persischen Arzt zu
consultieren; aber sie schüttelt traurig den Kopf. Von einem Mann läßt
sie sich nicht behandeln.

Die Banjaninnen tragen kurze, mit handbreiten, glatt anliegenden Ärmelchen
versehene Jäckchen in den leuchtendsten Seidenstoffen, die sich der Form
des Körpers eng anschließen. Die Oberarme sind mit schweren Goldreifen
geziert, davon einige wol zwölf Centimeter breit sind. Sie tragen ferner,
wie die Araberinnen, enge, bis auf die Knöchel reichende Beinkleider und
um die Fußgelenke ebenfalls schweren Silber- und Goldschmuck. Über diesen
unteren Kleidungsstücken befindet sich ein mehr oder minder geschmackvoll
drappierter Überwurf von rotbuntem, persischen Muster, der schleierartig
den Hinterkopf bedeckt, wie bei der sixtinischen Madonna. Das Vorschieben
und Zurückwerfen dieser Umhüllung scheint zu den Lieblingsgesten zu
gehören; es wird dabei viel Schalkhaftigkeit und Anmut entwickelt. Die
Gesichter, deren Schönheit in den überaus sanften, träumerischen Augen
besteht, haben die Damen nach Art der Schönheitspflästerchen aus der
Rococcozeit mit Gold- und Silbersternchen beklebt; zwischen den Augenbrauen
malen sie einen kreisrunden, zinnoberroten Fleck. Auf meine Frage, was
dieser zu bedeuten habe, sagten sie: »~dasturi~«, d. h. es ist Brauch
oder Sitte.


  d. 7. November 1887.

Djeta Vali, der Besitzer meiner Schamba, ein reicher Indier,
mohamedanischen Glaubens, besucht mich häufig. Er hält das ersichtlich
für seine Pflicht als mein Hauswirt. Der würdige Herr, der, wenn er sich
zu mir bemüht, stets sein wallendes Staatsgewand trägt, -- (er besitzt
deren zwei, ein burgunderrotes und ein königsblaues) -- schreitet mit
feierlichem Gesicht durch alle Zimmer und betrachtet die Einrichtung
genau. Dann sagt er: »~ah! ngema sana!~« und seufzt dazu, denn er denkt
wahrscheinlich, für diese jetzt »sehr gut« aussehende Wohnung hätte
er mehr Mietgeld verlangen können. Im Empfangszimmer, wo Herr Djeta Platz
nimmt, hängen zwei vorzügliche Bilder des Kaisers und des Kronprinzen.
Während dem Gast der übliche Scherbet gereicht wird, fühlt er sich
veranlaßt, die über diese Bilder erhaltene Lection zu recapitulieren. Er
sagt dann: »Dies ist der Sultan der Deutschen und dies ist sein einziger
Sohn. Euer Sultan ist 91 Jahre alt und sein Sohn 54.« Ich freue mich, daß
er sich Alles gut gemerkt hat und füge als stehende Redewendung hinzu:
»unser Sultan ist ein sehr guter Mann.« Darauf sagt Djeta: »Das hast
Du gar nicht nötig noch zu sagen. Wenn er 91 Jahre alt ist, kann er gar
nichts anderes sein; denn nur einen _sehr_ guten Mann läßt Gott so alt
werden.«

Dies ist einmal ausnahmsweise keine Phrase, sondern bei den Mohamedanern
innigste Überzeugung. Der Sultan Bargasch ben Said machte vor Kurzem ganz
dieselbe Bemerkung in einem Gespräch mit Herrn Dr. Peters.


  d. 10. November 1887.

Unser geräumigstes im ersten Stock gelegenes Krankenzimmer ist zum Lazaret
umgewandelt. Die Fellachen, die von Ägypten aus herbeigeschafft wurden,
um den Tabaksbau auf den deutschen Stationen zu leiten, haben sich als dem
Klima viel weniger gewachsen herausgestellt als unsere deutschen Herren,
während man gerade das Gegenteil erwartet hatte. Jetzt liegen die armen
Menschen hier vom Fieber geschüttelt. Ihr Führer, ein wohlhabender Araber
und Tabakspflanzer aus ~Ismaïla~, leidet schon seit Monaten an Dyssenterie
und sein Zustand scheint hoffnungslos. Leider habe ich ihn zu spät in die
Hände bekommen. Die anderen drei Kranken befinden sich in den fieberfreien
Stunden sehr wohl hier. In ihren feuerroten, von unseren Berliner Damen
genähten Hemden, sitzen sie mit kreuzweise untergeschlagenen Beinen auf
ihren Betten und lachen mich so freundlich an, wenn ich mich nach ihnen
umsehe. Sprechen kann ich nicht zu ihnen, denn sie verstehen nur arabisch.
Nachdem aber, was ich durch Frau Glühmann höre, ist ihre Ausdrucksweise
echt orientalisch. Einer beschwerte sich unwillig, als ihm während des
Fiebers kein Brot verabreicht wurde. Als aber der Anfall vorüber war,
dankte er in überschwenglichen Redewendungen für die gegen ihn ausgeübte
Strenge und gipfelte in den Worten: »wenn Du mir nun sagst, Du wollest mir
die Kehle durchschneiden, so soll es mir auch recht sein.«


  d. 16. November.

Eben fuhr seine Hoheit der Sultan Bargasch ben Said an dem geöffnet
stehenden Thor meines Gartens vorbei. Das ist immer ein glänzender
Zug. Voran vier Paar rotuniformierte Vorreiter, dann zwei Offiziere der
Leibwache in Schwarz und Gold, alle auf prachtvollen arabischen Pferden.
Darauf folgt die geschlossene Equipage des Fürsten von vier schneeweißen
Rossen gezogen, dann eine zweite Equipage, in welcher sich vermutlich
einige Sultaninnen befinden. Den Schluß machen wieder zwei Paar feuerrote
Reiter. Der ganze Zug bewegt sich in sausendem Galopp und ist verschwunden,
kaum daß man einen Blick darauf geworfen hat. Der Sultan soll in letzter
Zeit sehr alt geworden sein.

Vor Kurzem habe ich mit den Herren Baron Gravenreuth und Baron St. Paul
einige reiche Indierinnen besucht, deren Ehemänner sehr darum gebeten
hatten. Man tritt von der engen Straße aus in den Laden dieser
Großhändler und Millionäre, in einen engen, düsteren Raum. In einer
Ecke liegt ein Haufen gewaltiger Elephantenzähne, der nach wenig aussieht,
denn die Zähne sind schwärzlich und unsauber, der aber einen ansehnlichen
Wert repräsentiert. Die Comptoiristen hocken auf dem Fußboden und haben
vor sich auf niederen, in Indien geschnitzten Holzschemeln die Kontobücher
liegen, Folianten, in rotem, dem Aussehen nach kostbaren Stoff gebunden.
Der Hausherr, der sich jedesmal sehr geehrt fühlte, führte uns dunkle
und steile Treppen hinauf nach seinem Salon, der ungefähr aussah wie der
Warenraum eines unserer kleinen Kaufleute. Glasschränke mit indischen
Luxusartikeln rings an den Wänden; in den Nischen eine Menge Porcellan auf
Wandbrettern, meist ein aus deutscher Fabrik stammendes blumiges Muster,
wie man es bei uns auf den Dörfern findet. Nun wurden die »Bibis«
herbeigerufen. Die Frauen des Djeta Wali kamen auch; aber die des Sewa
Hadchi konnten sich nicht entschließen. Sewa, ein höchst intelligenter
aber ebenso intriganter Herr, der für europäische Reisende die Karavanen
auszurüsten pflegt, hielt uns in Folge dessen einen erbaulichen Vortrag
über den himmelweiten Unterschied zwischen europäischen Frauen und
Orientalinnen. Eine derartige Visite bietet im Allgemeinen nichts
Interessantes, giebt aber den Indiern den Eindruck, daß wir Deutschen es
gut mit ihnen meinen.


  d. 18. Nov. 1887.

Gute Nachrichten von Dar-es-Salaam. Bertha hat meine Sendung erhalten.
Sie hat täglich schwarze, arabische und indische Patienten; daneben
beaufsichtigt sie die Küche der Station. Die Herren Leue und Tschepe sowie
Herr Missionar Greiner und seine Damen sind Gott sei Dank alle wohlauf.

Herr Dr. Bley aus Usungula und Herr Schroeder von der
Plantagengesellschaft sind auf kurzen Urlaub in Zanzibar gewesen.
Beide arbeiten mit wahrem Fanatismus daran, ihre Niederlassungen zu
Musterstationen zu machen.

Herr Dr. Bley hat von Usungula einen Baumstamm mitgebracht, dessen
ebenholzschwarzes, festes Holz ihm der Beachtung wert scheint. Mein Bruder
ist auf dem Rückweg von Indien hierher begriffen, hat aber in Magadoxa
den Dampfer gewechselt, um die dem Sultan tributpflichtigen Häfen der
Somaliküste zu besichtigen.

Es ist eine wahre Genugthuung für deutsches Nationalgefühl, das
einmütige Schaffen und das energische, ernste Vorwärtsstreben unserer
Kolonialbeamten zu beobachten. Man sagt im Allgemeinen: wo drei Deutsche
sind, da sind auch drei auseinandergehende Meinungen. Die Beamtenschaft
unserer Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft bietet gegenwärtig, Gott sei
Dank, ein entgegengesetztes Bild. Es sind da ja so ziemlich alle deutschen
Gaue vertreten: Lauenburger und Hamburger, Ostpreußen, Mecklenburger,
Schlesier, Berliner, Sachsen, Thüringer, Baiern und Würtemberger.
Alle stehen aber für einen Mann. Dieser musterhafte Corpsgeist erweckt
begründeter Weise bei den Außenstehenden ein Gefühl von Unbehagen, das
bei den uns auf Schritt und Tritt mit Argusaugen bewachenden Engländern
täglich zu wachsen scheint.


  d. 20. Nov. 1887.

Ardili Effendi ist gestorben. Ich habe nichts versäumt, um den armen
Mann seiner in Ismaïla zurückgelassenen Familie zu erhalten und der
gute Dr. Marseille hat, obwol er wußte, daß die Mühe vergeblich war,
täglich den weiten Weg zu uns hinaus gemacht. Glühmann hat sich während
der sehr schweren Pflege musterhaft benommen.

Ardili Effendi hat während seiner dreimonatlichen Krankheit nach Aussage
seiner Untergebenen alles gegessen, was ihm in den Weg kam, insonderheit
Mangos und andere, schon Gesunden nicht sehr heilsame Früchte. Mit etwas
mehr Vorsicht hätte die eiserne Natur des Ägypters ohne Zweifel über die
Krankheit den Sieg davongetragen. Sein Grab ist am Strande des Meeres, in
der Nähe meines Gartens.


  d. 22. November.

Wenn mich des Nachts die Hitze einmal nicht schlafen läßt, habe ich, wie
das in letzter Nacht der Fall war, eine Reihe von eigenartigen Concerten.
Um Mitternacht ungefähr erhebt ein frommer Muselmann, der eine Hütte am
Ende meines Gartens bewohnt, seine Stimme zu lautem Gesang. In eintöniger,
mir bereits vertrauter Melodie sendet er seine Koranverse in die Nacht
hinaus. Es ist eine junge, klangvolle Stimme. Leise secundiert ein
anderer Gläubiger aus der Entfernung. Sein Organ klingt greisenhaft.
Die mitternächtige Andacht dauert vielleicht eine Viertelstunde. -- Dann
ertönt das heisere Gebell eines Hundes; einer seiner Freunde beantwortet
es, und nach wenig Minuten hallt es ringsum wieder von wehmütigem,
vielstimmigen Geheul der schakalartigen wilden Hunde. Es ist, als suche
immer einer den anderen an Jammer zu überbieten -- eine schauerliche Fuge!
Aber auch diese Sänger verstummen wieder, »ihren Gram begrabend in der
untersten Tiefe.« Ich freue mich darüber und schlafe endlich ein. -- In
wundervollem rötlichen Gold sieht mir durch die offenen Fenster der Himmel
entgegen, wenn ich morgens erwache. Das erste Aufleuchten des Tages ist von
wunderbarer Schönheit hier. Die Papaïs und Palmenwedel schimmern feucht
in dem von den ersten Sonnenstrahlen berührten Nachttau und auf der
Schlucht am Kiungani-Felsen lagern blauweiße Nebel. Plötzlich erschallt
vielstimmiger Männergesang, so frisch und kräftig und so melodisch dabei,
daß ich mir sofort sage: da marschieren Deutsche und singen ein deutsches
Lied. Und so ist es auch. Die fröhlichen Sänger sind die Matrosen des
»Nautilus«, die in der Morgenkühle am Meeresstrand Übungen machen.

Eben kommen Herr Konsul O'Swald und Herr Dr. Peters durch das Thor
gefahren.


  d. 23. Nov. 1887.

Als ich gestern Abend mit Herrn Dr. Peters und Herrn Konsul O'Swald
beim Abendessen in der Halle saß, meldete Abdallah einen Boten aus der
Tabaksplantage »Olga«. Dieser brachte für Herrn O'Swald ein Briefchen.
Mein Herr Nachbar durchlas es und machte ein bedenkliches Gesicht. Sein
Vertreter auf der Plantage schrieb, der Aufseher (ein Thüringer, namens
Frey) sei plötzlich schwer am Fieber erkrankt. Er habe eine Temperatur
von 40 Grad, sei äußerst deprimiert und glaube sein Ende gekommen. Herr
O'Swald möchte doch so gut sein, den Kranken so rasch als möglich per
Wagen nach Zanzibar schaffen zu lassen.

Soweit der Inhalt des Briefes, mit dem der Bote natürlich zuerst in
Zanzibar gewesen, mithin schon eine geraume Zeit unterwegs war. Ich schlug
Herrn O'Swald vor, den Kranken hierher zu bringen und mir zu überlassen.
Dies war eine wesentliche Kürzung der in keinem Falle einem Fieberkranken
förderlichen Nachtfahrt, denn meine Schamba liegt gerade auf halbem
Wege zwischen Zanzibar und der Plantage »Olga«. Herr O'Swald, dem die
bedeutende Vereinfachung der Sache auch einleuchtete, ging sehr gerne auf
diesen Vorschlag ein. Wir trugen rasch Decken und Plaids herbei und, da der
Wagen unten stand, konnte er ungesäumt nach der Plantage fahren.

Frau Glühmann und ich ließen es uns unterdessen angelegen sein, das
Krankenzimmer im oberen Stock in Bereitschaft zu setzen. Herr und Frau
Glühmann liefen geschäftig treppauf, treppab. Sie überboten einander an
Eifer, denn diesmal galt es, einem Landsmann Hülfe zu schaffen. Als ich
im befriedigenden Bewußtsein, daß Alles in Ordnung, zu meinem allein
gebliebenen Gast in die Halle zurückkehrte, sagte Herr Dr. Peters mit
ironischem Lächeln: »Sie freuen sich wol ordentlich, wenn jemand wieder
krank geworden ist?« Herr Dr. Peters denkt über das Krankwerden wie die
~mère supérieure~ vom Hospital vom heiligen Geist und vom heiligen Herzen
Mariä. Auch er meint, daß man in den meisten Fällen im Stande sei, durch
Kraft des Willens eine Krankheit im Entstehen niederzukämpfen.

Nach kaum dreiviertelstündigem Ausbleiben kam mein wackerer Nachbar mit
seinem Kranken, den er nach Möglichkeit eingepackt hatte und mit einem
Arm festhielt, während er den anderen zum Handhaben der Zügel brauchte,
zurück. Der Kranke klapperte trotzdem in heftigem Schüttelfrost und wurde
schleunigst zu Bett gebracht. Glühmann hat nachts bei ihm gewacht.

Heute Morgen kam, von Herrn Konsul O'Swald geschickt, der gute
Dr. Marseille, der den Kranken bat, sich vollständig zu beruhigen und im
übrigen mit unseren Einrichtungen sehr einverstanden war. Ich habe nach
dem Muster derjenigen im Augusta-Hospital Temperaturbögen angefertigt.
Diese befestige ich an der Wand, so daß der Arzt sie bequem übersehen
kann, und bezeichne mit Rotstift dreimal täglich die Blutwärme des
Patienten, solange sie nicht normal ist. »~Voilà ce qui est bien!~«
sagte Dr. Marseille, als er dies bei dem verstorbenen Ardili Effendi zum
ersten Mal sah, »~on voit ce qui se passe~!«


  d. 24. Nov. 1887.

Gestern ist mein Bruder angekommen. Körperlich und geistig erfrischt durch
die ihm in Indien und auf der Reise gewordenen heiteren Eindrücke. Er ist
in Bombay von Sr. Königl. Hoheit dem Herzog von Connaught sowie von dem
Gouverneur der Hauptstadt, Lord Ray, sehr freundlich empfangen worden, hat
überhaupt weit mehr gesellige Vergnügungen gefunden, als er erwartete.
Während seines vorübergehenden Aufenthalts in Zanzibar wohnt er bei mir
auf der Schamba, was meinem Haus für mich eine ganz heimatliche Färbung
verleiht. Herrn Frey's Fieber scheint normal zu verlaufen. Heute haben wir
auch Omar Abdallah, den letzten unserer Ägypter, als geheilt entlassen
können.


  d. 28. Nov. 1887

Die Regenzeit ist in diesem Jahre spät eingetreten und dauert lang. Dabei
herrscht eine Hitze, die selbst für Zanzibar ungewöhnlich sein soll.
Dr. Marseille erzählt, es sei in der Stadt jetzt fast in jedem Hause
Fieber. --

Aus Berlin schreibt man mir, ich solle meinen Haushalt hier sofort
auflösen, mich mit den Sachen direkt nach Pangani begeben und dort an die
Einrichtung einer Pflegestation gehen. In Zanzibar werde die evangelische
Missionsgesellschaft ein Krankenhaus einrichten und ich solle ihr die
Thätigkeit hier allein überlassen.

Ich sprach mit den hiesigen Autoritäten über eine eventuelle Reise
per Dau nach Pangani und über die Quartierverhältnisse dort. Da der
herrschende Nordostmonsum das Segeln nach dem nördlich von Zanzibar
gelegenen Pangani äußerst schwierig macht, und da in Pangani überdies
gegenwärtig nicht der bescheidenste Raum für uns vorhanden ist, muß ich
die Reise dorthin bis zum April oder Mai aufschieben. Vorderhand bin ich
auch durch meinen Kranken ans Haus gefesselt.


  d. 2. Dec. 1887

Wir haben wieder einen Kranken aufgenommen, und es ist diesmal ein ernster
Fall. Herr Stephens, ein junger Hamburger, der in Angelegenheiten des
Hauses Ww. O'Swald und Comp. die Somaliküste bereist hat und auf
demselben Schiff wie mein Bruder hierher zurückgekehrt ist, erkrankte
bereits unterwegs, ohne daß der Kapitän, ein Graf Pfeil, oder mein Bruder
die Ursache seines Leidens zu erkennen vermochten. Heute Morgen ist er
auf einer Krankentrage hierher gebracht worden. Da die evangelische
Missionsgesellschaft noch kein Haus gemietet hat, also ihre Thätigkeit
hier noch nicht beginnen kann, durfte ich ruhig den Patienten aufnehmen,
ohne mir den Vorwurf zuzuziehen, in die Rechte jener eingegriffen zu haben.
Herr Dr. Marseille erklärt das Leiden für ein bösartiges Geschwür im
Unterleib. Der Kranke hat Tag und Nacht heftige Schmerzen und kann es in
liegender Stellung kaum aushalten. Dabei ist er ein Muster an Geduld und
Sanftmut. Ich habe noch kein Wort der Klage aus seinem Mund gehört.


  d. 4. Dec. 1887

Herr Dr. Peters ist mit dem Nautilus nach Norden gefahren, um den
Stationen Pangani, Deutschenhof u. s. w. einen Besuch zu machen.
Ich werde dann wol auch die erwünschten Details über die
Quartierverhältnisse in Pangani zu hören bekommen. Herr Stephens ist sehr
krank. Er hat ununterbrochenes langsam, aber stetig steigendes Fieber, eine
Folge der örtlichen Entzündung. Heute habe ich den Marinearzt auf der
Möwe, Herrn Dr. Koch, bitten lassen, Herrn Dr. Marseille mit seiner
Meinung zu unterstützen, da es sich um Leben und Tod handelt. Beide Herren
Ärzte kamen in dem O'Swald'schen Wagen bei strömendem Regen angefahren,
so daß, als sie eintraten, die langen Mäntel trieften. Herr Dr. Koch
fragte den Kranken aus und besprach sich längere Zeit mit dem Pariser. Er
ist der Ansicht, daß nur eine Operation den Patienten retten kann. Herr
Dr. Marseille stimmte bei, gab aber zu bedenken, daß diese Operation
selbst gefährlich sei. Herr Dr. Koch, der ebenso entschieden ist, wie der
Andere vorsichtig, zuckte die Achseln und sagte: »wir haben keine Wahl.«
Nachmittags kam Herr Dr. Koch noch einmal allein, untersuchte den Kranken
aufmerksam und ersuchte mich, einige ihm wichtig scheinende Änderungen in
betreff der Behandlung vorzunehmen.

Herr Frey ist sein Fieber glücklich los und durfte schon im Garten
umherspazieren zu seiner großen Freude. Wir glaubten ihn bald entlassen
zu können, statt dem stellte sich ein anderes Leiden bei ihm ein, was
ihn vermutlich noch einige Wochen ans Bett fesseln wird. Es ist eine
Leistengeschwulst, unter der die Europäer hier vielfach zu leiden haben,
und die, wie ich glaube, durch zu rasches Gehen verursacht wird. Ohne
bedenklich zu sein, kann das Leiden recht schmerzhaft werden und erfordert
meist einen operativen Eingriff. Herr von St. Paul, mein Bruder, Herr
Lieutnant Giese und Andere haben viel damit zu thun gehabt.


  d. 8. December 1887

Erfreulicher Weise ist von dem Moment an, daß Herr Dr. Koch sich
meines Kranken annahm, eine ganz auffallende Besserung in dessen Zustand
eingetreten, was niemand freudiger anerkennt als der arme Herr Stephens
selbst. Das Fieber sinkt allmählich und die Schmerzen haben unter den
verordneten Eiscompressen ebenfalls abgenommen. Der Patient, der heute
seine Hühnersuppe mit Appetit verzehrte, sagte mir ganz erfreut: »Sowie
ich das Gesicht von Herrn Dr. Koch vor mir sah, ist mir Hoffnung und
Lebensmut zurückgekommen!« Der Kranke ist so geduldig und liebenswürdig,
daß er auch meines Bruders Teilnahme in hohem Grade erweckt hat. Herr
Consul O'Swald läßt übrigens auch keinen Tag vergehen, ohne sich
nach ihm umzusehen und ihm Mut zuzusprechen. Herr Dr. Koch, der leider
demnächst mit der Möwe fortfährt, meint, mit der ins Auge gefaßten
Operation könne in Folge dieser unerwartet günstigen Wendung gewartet
werden.

Mein Bruder und Baron Gravenreuth machen mir ernstliche Vorstellungen
darüber, daß ich mir nicht genügend Bewegung schaffe und gar nicht
mehr in's Freie komme. Ich gehe dafür im Haus treppauf, treppab; das muß
genügen. Abends, wenn ich mit meinem Bruder in der Halle beim Essen sitze,
treiben wir Insectologie. Jeder Teller und der ganze Eßtisch wimmelt
von kleinen, größeren und ganz großen geflügelten und ungeflügelten
Ameisen. Zwischen diesen flinken Gästen spazieren Käfer von mancherlei
Gestalt und Farbe. Laut brummend und mit den Flügeln klappernd,
umschwirren »langbeinige Cikaden« unsere Lampen; andere drehen sich wie
ein Brummkreisel auf dem Tisch und summen dazu wie ein Kessel, der Dampf
ausläßt. Neulich fing Abdallah auf dem Büffet ein Fledermäuschen und
brachte es uns. Er hielt das Tierchen an den Enden der ausgespannten,
durchsichtig weißen Flügel, der Körper war mit einem weißen Fellchen
bekleidet, das Köpfchen hellbraun. Unter den nach vorne gerichteten
braunen Öhrchen hervor sahen uns ein paar erschrockene Äuglein an. Wenn
ich das niedliche Tierchen streichelnd berührte, zuckte es ängstlich
zusammen. Wir ließen es bald wieder in die Dunkelheit hinausfliegen.
Zuweilen hören wir ein lautes Aufklopfen, einmal auf dem Stubenboden,
einmal auf dem Tisch in rascher Folge. Dann bemerken wir einen hüpfenden
braunen Körper, der sich bei näherem Hinsehen als Maulwurfsgrille
kennzeichnet. Es hilft nun nichts, wir müssen uns schon mit diesem
zudringlichen Volk befreunden.

Unangenehmer ist es, daß hier Rost und Schimmel ihr Wesen mit einer
geradezu unheimlichen Geschäftigkeit treiben. Jedes Stückchen Leder,
jeder Schuh, jedes Futteral, jedes Buch präsentiert sich, wenn man es
drei oder vier Tage vertrauensvoll sich selbst überlassen hat, mit dichten
grünen Schimmelwaldungen überwachsen. Jedes Stückchen Metall hüllt sich
in Rostbraun. Erfolglos hantiere ich mit Öl, Vasseline und Abwischtüchern
herum, die Natur arbeitet hier gar zu eifrig. Man ist zuweilen versucht,
die Hände zusammenzulegen und sich für überwunden zu erklären.

  »Hoffnungslos
  Weicht der Mensch der Götterstärke!
  Hilflos sieht er seine Werke,
  Und bewundernd, untergeh'n.«


  d. 9. Dezember 1887.

Heute mußte sich nun auch mein Bruder legen. Die Leistenanschwellung, die
er bis jetzt mit Gewalt ignoriert hat, ist sehr schmerzhaft geworden und
wird demnächst geschnitten werden müssen. Ich selbst kann ein Gefühl
des Unbehagens nicht recht abschütteln und fange an, zu glauben, daß die
Herren Recht haben, wenn sie mich drängen, spazieren zu gehen. Ich werde
mich auch dazu aufraffen. Heute habe ich mich den Herren Flemming und
Baron Gravenreuth zu einem schönen Spaziergang durch Wiesen und Reisfelder
angeschlossen. Auf den Korallenklippen längs des Meeres hin unterhalb des
~Kiungani~-Felsens und am Pulvermagazin vorbei, kehrten wir zurück. Den
Kranken geht es verhältnißmäßig gut.


  d. 11. Dez. 1887.

Den Nachmittagskaffee oder Thee nehmen wir jetzt in dem kleinen Zimmer
meines Bruders, an dessen Bett, ein, und das ist stets die heiterste Stunde
des Tages. Heute, als wir eben beim Theetrinken waren, meldete Abdallah
Herrn Dr. Koch. Dieser hatte sich bereits meine anderen Kranken angesehen
und trat nun bei uns ein. Meinen Bruder (den ich mit feuchten Umschlägen
behandelt hatte) sehen, ihn untersuchen und nach einem scharfen Messer
verlangen, war eins. Ich hatte mein chirurgisches Besteck zur Hand. Im
Handumdrehen verschwand das Theeservice und die Bisquitkiste. An
deren Platz wurden die Schalen mit Karbollösung etc., Jodoformpulver,
Holzwollwatte und was sich sonst gehört, auf das Tischchen gestellt. Der
Doktor schnitt, wusch sich die Hände und verabschiedete sich, während ich
Verband anlegte. Der ganze Vorgang ging so unbeschreiblich schnell und kam
so unvorbereitet, daß mein Bruder und ich, als wir uns besannen, laut und
herzlich zu lachen anfingen.


  d. 21. Dez. 1887.

So, nun bin endlich auch ich an die Reihe gekommen. Es ging mir wirklich
mit dem Fieber wie jener bekannten alten Dame mit dem Diebe, das heißt,
nachdem ich es nun seit sechs Monaten erwartet hatte, empfing ich es mit
dem Gefühl: »na endlich!« Am zwölften, Abends, bemerkte mein Bruder,
als ich nicht essen mochte und etwas aufgeregt sprach, er vermute stark,
daß ich Fieber habe. Daraufhin holte ich nicht ohne Neugierde den
Fiebermesser, welcher eine Temperatur von 38,5 ergab, also leichtes Fieber.
Ich konstatierte dies erstmalige Eintreten desselben mit einer gewissen
moralischen Genugthuung, denn warum sollte

                    »ich allein
  unter Leiden glücklich sein?«

Am nächsten Morgen wollte ich nach einer ruhig verschlafenen Nacht wie
gewöhnlich aufstehen, aber kaum hatte ich mich aufgerichtet, so erfolgte
zu meinem Erstaunen überaus heftiges Gallenerbrechen. Taumelnd legte ich
mich zurück und merkte, daß ich liegen bleiben mußte. Die Temperatur
schwankte vier Tage lang zwischen 39,5 und 40,5; Pausen gab es gar nicht.
Die Gemütsdepression, die ich am meisten fürchtete, trat indessen
nicht ein; das objektive Interesse an den Krankheitserscheinungen blieb
vorherrschend. Während der drei ersten Tage hatte ich das eigentümliche
Gefühl, aus lauter einzelnen, lose aneinander gelegten Stückchen zu
bestehen; auch zogen in bunter Reihe unzählige Bilder an mir vorüber,
immer mit Musikbegleitung, und ich wunderte mich dabei, daß Bilder und
Musik stets überaus anmutig waren, während den Berichten Anderer zufolge
Fieberfantasien mehr beunruhigender Natur zu sein pflegen. Mein Bruder, dem
ich dies mitteilte, sagte lächelnd: »Du fantasierst ja!«, ich habe aber
nicht einen Moment das Bewußtsein verloren.

Viel schlimmer als das Fieber selbst finde ich die nachfolgende Schwäche.
Von einem so hohen Grad von Kraftlosigkeit habe ich mir in der That nie
einen Begriff gemacht! Ich besinne mich fünf Minuten, ob ich es wagen
soll, einmal an's andere Ende des Zimmers zu gehen, denn diese
Anstrengung bringt eine Erschöpfung hervor, daß die Knie zittern und
der Angstschweiß von der Stirne läuft. Auch jetzt, während ich die
Buchstaben langsam male, zittert meine Hand so sehr, daß alles krumm und
zackig wird.


  d. 23. Dez. 1887.

Herrn Stephens geht es zu meiner nicht geringen Freude von Tag zu Tag
besser. Herr Dr. Marseille, der selbst ganz verwundert darüber ist, sagte
ihm gestern, als er ihn besuchte: »~On peut féliciter, monsieur, vous
êtes revenu de bien loin.~«

Ich bin übrigens tief gerührt durch die nur von Zanzibar aus gewordene
Teilnahme. Während ich noch lag, haben mich sowol die Schwestern vom
katholischen Hospital, Albrechts besondere Freundinnen, als auch die von
der evangelischen Mission besucht. Fräulein Rentsch konnte natürlich
nicht umhin, mich etwas auszulachen. »Sehen Sie wol«, sagte sie, »und
wie haben Sie immer das große Wort gehabt!«


  d. 25. Dez. 1887.

Alle meine Festpläne sind durch das Fieber vereitelt worden, dessen Folgen
sich noch immer in sehr störender Weise bemerklich machen. Frau Glühmann
hat aber Pfefferkuchen gebacken und echt deutsche Weihnachtsstollen.
Auch bin ich gestern selbst im feuchtheißen Garten gewesen, um ein
Orangenbäumchen zum Christbaum auszusuchen. Wir haben es mit
buntem Papier, Pfefferkuchenherzen und den schönen, leuchtend roten
Pfefferschoten geschmückt.

Gestern Abend holte Herr Konsul O'Swald meinen Bruder und mich in seinem
Wagen nach dem Usagara-Haus, wo sämtliche gerade anwesende Beamte der
Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft zu einem kleinen Diner versammelt
waren. Freiherr v. Eberstein, der vor Kurzem erst vom ~Kilima Ndjaro~
hierher zurückgekehrt ist (eine Fußreise von 23 Tagen!), hatte Hof-
und Treppen-Aufgang geschmackvoll mit Palmenzweigen und bunten Lampions
dekoriert. Auf der Tafel prangte aber als Christbaum ein wirkliches
Tannenbäumchen, welches der jüngere Herr O'Swald vor einigen Tagen auf
seinem Dampfer »Zanzibar« von der Heimat mit herübergebracht hatte.
Wir brannten kleine Tannenzweige an, aßen von dem von Frau Glühmann
gebackenen Pfefferkuchen und versetzten uns im Geist nach Deutschland. Zu
meinem Bedauern mußte ich sehr bald aufbrechen, da ich mir noch nicht die
geringste Anstrengung zumuten darf.


  d. 26. Dez. 1887.

Frau Glühmann kam heute Vormittag weinend zu mir. Ihr Mann liegt seit
gestern Abend an leichtem Fieber, doch da das hier zu den alltäglichen
Vorkommnissen gehört, legte ich kein Gewicht darauf. Jetzt berichtete
die Frau so bedenkliche Symptome, daß ich annehmen mußte, einen »~cas
pernicieux~«, wie unser Doktor sagt, vor mir zu haben. Ich tröstete die
vor Schreck und Aufregung Zitternde, so gut ich konnte, und erlaubte ihr,
sofort selbst nach Zanzibar zu gehen. Unterdessen mußte ich freilich, so
zerbrochen ich mich auch noch fühlte, meine Kranken und die Küche allein
besorgen. Herr Stephens, der bereits aufgestanden ist, versprach aber in
der liebenswürdigsten Weise, sich um Herrn Frey zu kümmern, und meine
treuen Schwarzen wetteiferten miteinander, mir die Arbeit in der Küche
möglichst leicht zu machen. So ging es ganz gut. Frau Glühmann hatte
sich indessen zu dem allgemeinen Vertrauensmann, ~Père~ Acker, begeben und
diesen um Rat gefragt. Père Acker hatte ihr gesagt, sie möchte dem Doktor
Marseille ruhig vertrauen. Sie wandte sich nun an diesen und der Doktor
kam sofort. Er fürchtete ein perniziöses Gallenfieber, konnte oder wollte
indessen noch nichts Bestimmtes sagen. Im Verlauf des Tages wurde der
Kranke am ganzen Körper zitronengelb und ebenso färbte sich das Weiße
in den Augen. Er warf sich laut stöhnend umher und klagte über
unerträgliche innere Hitze. Die arme Frau weinte bitterlich und war nicht
zu bewegen, ihren Mann auch nur auf ein Viertelstündchen zu verlassen. Ich
schickte nochmals nach dem Arzt, der noch am Abend kam. Seine Befürchtung
war eingetroffen. Er suchte seinerseits die verzweiflungsvolle Frau zu
beruhigen und verordnete kalte Vollbäder, Eiskompressen und als Nahrung
nur Milch und geeisten Champagner. Ich hatte mich tagsüber angestrengt und
war bei dem besten Willen nicht im Stande, die Nachtwache zu übernehmen.
Ebensowenig durfte ich sie der Frau überlassen, die der Schmerz halb
von Sinnen zu bringen schien. Ich schrieb daher an Fräulein Rentsch,
die Krankenpflegerin der evangelischen Mission, und bat sie, mir, wenn
möglich, in der bevorstehenden Nacht zu helfen. Schwester Rentsch schickte
mir ihre Gehilfin, die Diakonissin Schwester Auguste. Diese macht durch
ihr ruhiges und festes Auftreten einen wohlthuenden Eindruck. Sie meinte
übrigens, der Kranke würde kaum die Nacht überleben.


  d. 27. Dez. 1887.

Die Nacht war schlimm, wie Schwester Auguste sagt, doch ist der Zustand des
Kranken unverändert. Als wir heute Morgen in der Halle frühstückten,
sah mein Bruder durch's Fenster nach dem Hafen und rief: »Da liegt der
Nautilus wieder!« Bald darauf -- Albrecht und ich standen im unteren Flur
unter der Haustür und sahen etwas besorgt nach dem Doktor aus -- kamen
Herr Dr. Peters und Herr v. Gravenreuth gefahren, um sich nach uns
umzusehen. Herr Dr. Peters, der nie an Seekrankheit leidet, dies
trübselige Übel überhaupt weder kennt noch anerkennt, ist von der
Meerfahrt sehr erfrischt zurückgekehrt und erzählte mancherlei von
Pangani, was mich interessierte.

Nachmittags kam die Post. Das war nun diesmal keine Weihnachtsfreude für
mich. Man ist in Berlin mit dem, was ich thue, unzufrieden und stellt
unausführbare Anforderungen.

Ich thue aber mit Überlegungen und mit Bewußtsein, was ich im gegebenen
Fall für das Rechte halte. Natürlich ist dadurch nicht ausgeschlossen,
daß ich irren kann.


  d. 28. Dez. 1887.

Das war eine unruhige Nacht! Herr Dr. Peters holte auf seinem gestrigen
Nachmittags-Spaziergang meinen Bruder ab und nahm ihn mit nach der Stadt,
wo er im Kreise der Kameraden den Abend zubringen wollte. Herr O'Swald kam
Nachmittags mit seinem Wagen, um den wieder ganz munteren Herrn Stephens
nach Zanzibar zu befördern. Kurz nachdem Alle fortwaren, kam der nach Eis
ausgeschickte Bote zurück mit der Nachricht, der Sultan gäbe ein Fest,
infolgedessen sei heute kein Eis zu bekommen. Als sie dies erfuhr, geriet
Frau Glühmann derartig außer sich, daß es weder Schwester Auguste noch
mir gelang, sie auch nur einigermaßen zu besänftigen. Sie wollte
durchaus selbst nach der Stadt laufen und dort alles aufbieten, um Eis
herbeizuschaffen. Selbstverständlich konnte hieran nicht gedacht werden,
denn sie befand sich in einem Zustand von Übermüdung und fieberhafter
Aufregung, daß ich jeden Augenblick ein völliges Zusammenbrechen
ihrerseits erwartete. Ich schickte einen Boten nach dem Usagara-Haus mit
ein paar Zeilen für meinen Bruder, dem ich unsere Not vortrug und ihn bat,
sein Möglichstes zu thun. Inzwischen badeten wir den Kranken und machten
ihm feuchte Umschläge; aber er jammerte unausgesetzt nach Eis, ohne
welches er verbrennen müsse. Es wurde Abend, und ich quartierte Schwester
Auguste, die sich tagsüber wenig Ruhe gegönnt hatte, in mein Zimmer ein,
wo sie sich auch bald zur Ruhe begab. Frau Glühmann dagegen widerstand
all' meinem Drängen, ein Gleiches zu thun. Sie, die sonst die Fügsamkeit
selbst war, ist wie ausgetauscht. Ich ließ schließlich ihr Bett in das
Krankenzimmer tragen und setzte es durch, daß sie sich hier wenigstens
niederlegte. Um zehn Uhr endlich kam die ersehnte Antwort meines Bruders,
aber auch er hatte trotz eifriger Bemühungen und trotzdem er einen Boten
an den Sultan geschickt, nichts erreichen können.

So groß die Not nun auch war, so fehlte es doch selbst dieser schlimmen
Nacht nicht an scherzhaften Momenten. Gegen Mitternacht hörte ich schon
in der Ferne das lustige Pfeifen meines Bruders, mit dem er sich die in
der Nacht zuweilen lästigen wilden Hunde fern zu halten pflegt. Mit
aufmerksamen Ohren verfolgte ich sein Näherkommen. Ich hörte, wie er
erst das Gartenpförtchen schloß, dann die Hausthüre auf- und wieder
zuschloß, und wie er in gewohntem raschen Schritt die Treppe heraufkam.
Aber statt nun, wie ich erwartete, mich im Krankenzimmer aufzusuchen,
wandte er sich von dem großen Mittelzimmer aus nach links, wo er gar
nichts zu suchen hatte und dann hörte ich ihn zu meinem lebhaften
Erstaunen in deutscher Sprache laut sprechen. Plötzlich dämmerte mir ein
Licht auf. Eilig ging ich nach meinem Schlafzimmer und richtig, da saß er
auf dem Sessel neben meinem Bett, um gewohnter Weise seiner vermeintlichen
Schwester Bericht über die Eindrücke des Abends zu erstatten. Wer
aber hinter den dichten Musketieren diesen Bericht in tiefem Schweigen
entgegennahm, das war die arme Schwester Auguste.

Ich rief: »Aber Albrecht! Wo bist Du denn?!« Das wirkte, und er war
schnell genug aus dem Zimmer. Ich sprach der Schwester mein Bedauern über
die nächtliche Störung aus, sie zeigte aber zum Glück den besten Humor
und versicherte mir, sie werde sogleich wieder einschlafen.

Beruhigt kehrte ich zu meinem Kranken zurück. Dort war inzwischen auch
Albrecht angelangt und kündigte mir an, er werde nun die Wache für
mich übernehmen. Herr und Frau Glühmann waren unterdessen in ihrer
Herzensangst darauf verfallen, daß ein Bote, der um Mitternacht nach der
Eisfabrik geschickt würde, möglicher Weise um zwei oder drei Uhr
morgens schon Eis bekommen könne und sie flehten mich an, diesen Plan
auszuführen. Ich wußte, daß der Versuch vergeblich sein würde, auch
waren meine Leute tagsüber so viel nach der Stadt und zurück gelaufen,
daß ich nicht Lust hatte, sie auch nachts noch für nichts und wieder
nichts herum zu jagen. Dies setzte ich dem Kranken auseinander und redete
ihm zu, noch Geduld zu haben, bis der Tag anbräche. Glühmann antwortete
in seiner krankhaften Erregung heftig, worauf mein Bruder ihn in strengem
Ton zurechtwies, ein Ton, der störrigen Rekruten oder Schwarzen gegenüber
besser angebracht sein mochte, als bei einem Schwerkranken, und der
jedenfalls nicht einem berufenen Krankenpfleger angehörte. Dies durfte
natürlich nicht so weiter gehen und ich bat meinen Bruder dringend, sich
schlafen zu legen. Albrecht wollte es aber wenigstens nicht bequemer haben
als ich und verstand sich auf mein Zureden nur dazu, sich im Nebenzimmer
auf den Fußboden zu legen, wobei er sich zum Schutz gegen die Muskitos mit
einem Betttuch zudeckte. Bald hörte ich jedoch an seinen kräftigen und
regelmäßigen Atemzügen, daß er schlief.

Um halb sechs Uhr, sobald der Morgen dämmerte, rief ich meinen Bruder und
bat ihn, einen der Schwarzen zu wecken und schleunigst nach der Stadt
zu schicken. Albrecht ging hinunter und ich öffnete das Fenster, um die
kühle, erquickende Morgenluft einzulassen. Auf einmal sah ich eine dunkle,
gänzlich unbekleidete Gestalt in großen Sprüngen durch den Garten eilen,
der übrigens noch in fahlem Dämmerlicht lag, und im Negerhäuschen
am Eingang verschwinden. Gleich darauf kam Albrecht wieder herauf und
erzählte lachend, er habe unfreiwillig großen Schrecken erregt. Als er
nämlich seiner Meinung nach den ersten besten Schwarzen beim Rockzipfel
gepackt habe, um ihn aus dem Schlaf zu rütteln, sei dieser, das Gewand
in seiner Hand lassend, in jähem Schrecken aufgesprungen und mit der
Schnelligkeit eines Hirsches davongelaufen. Ihm sei nämlich statt des
Dieners eine unserer Wasserträgerinnen in die Hände geraten.

Der Richtige hatte sich indessen auf den Weg gemacht und wurde mit
Sehnsucht zurückerwartet. Als er aber nach einer Stunde zurückkam,
brachte er doch kein Eis! dieses sollte erst um neun Uhr zu haben sein.

Die Verzweiflung meines unglücklichen Patienten über dies verlängerte
Warten ist nicht zu beschreiben und meine Kraft, sein Jammern anzuhören,
ohne Hülfe schaffen zu können, war vollständig am Ende. Ich erlaubte
Frau Glühmann aufzustehen, maß die Temperatur des Kranken, die
wunderbarer Weise etwas gesunken war, gab ihm eine Gabe Chinin, die er nur
mit großem Widerstreben nahm, und legte mich auf einen Rohrsessel in die
nächste leerstehende Stube. Hier schlief ich sofort ein.

Mein Bruder weckte mich, als um neun Uhr der Arzt kam. Dieser war mit dem
Zustand des Kranken sehr zufrieden und meinte, das Bedenklichste sei jetzt
wirklich sein gänzliches moralisches Zusammenbrechen. Wenn ich ihn dazu
bekommen könnte, sich etwas aufzuraffen und Mut zu fassen, so sei ein
Besserwerden gar nicht ausgeschlossen. Als bald darauf der Diener das
schmerzlich entbehrte Eis brachte, atmete ich auf. Es schien mir, als
müsse nun Alles eine Wendung zum Guten nehmen.

Mein Bruder, dessen heitere Stimmung durch die unruhige Nacht durchaus
nicht gelitten hatte, erzählte mir fröhlich, er habe vor einer
Stunde etwa mit Schwester Auguste zusammen gefrühstückt. Sie sei
sehr unterhaltend und liebenswürdig gewesen, also habe sie ihm seinen
nächtlichen Überfall wol nicht übel genommen. Sie war, da sie den
Kranken wohler gefunden hatte, nach Zanzibar zurückgekehrt.


  d. 10. Januar 1888.

Das neue Jahr habe ich in heftigem Fieber angefangen. Mein Bruder ist
nach der Station Petershöhe gereist, während ich noch zu Bett lag.
Herr Dr. Peters ist heut in Begleitung der Herren Baron St. Paul und
Regierungsbaumeister Hörneke auf der Zanzibar abgereist, um sich nach
Berlin zu begeben. Mit dem Herrn Regierungsbaumeister Hörneke, der bis
jetzt Chef der Station Pangani war, habe ich noch vom Bett aus eingehend
über die geplante Einrichtung einer Pflegestation dortselbst sprechen
können. Wenn ich Erlaubnis und Mittel zum Bau eines einfachen, auf
Pfählen erhöht stehenden Holzhauses erlange, kann ich im Frühjahr, sowie
der Südwestmonsum wieder eingesetzt hat, ans Werk gehen. Dazu helfe Gott.
-- Gegenwärtig bin ich matt, wie eine Fliege im Winter.


  d. 12. Januar 1888.

Bertha, meine wackere Gehülfin, ist gleichzeitig mit mir in Dar-es-Salaam
schwer krank gewesen. Sie hat sich indessen, Dank ihrer guten Natur, rasch
wieder aufgerichtet und soll, sobald sie gute Reisegelegenheit findet,
hierherkommen, um sich bei mir auszuruhen und zu erholen.

Glühmann, der schon wieder im Garten spazieren gehen durfte, ist leider
aufs neue erkrankt, und zwar an einer Nierenentzündung. Dr. Marseille
verordnete täglich ein heißes Bad und die äußerste Vorsicht gegen
Zugluft. Genießen darf der Kranke nichts als Milch.

Meine Wasserträgerinnen haben heute gestrikt. Infolge ihrer
Arbeitseinstellung wollte Frau Glühmann die männliche Dienerschaft
veranlassen, Wasser zu holen. Aber es geht gegen das Ehrgefühl der
Schwarzen, eine Weiberbeschäftigung, und als solche gilt das Wassertragen,
zu verrichten. Die Schwarzen kamen zu mir, und hielten mir mit lebhaften
Gesten und Mienenspiel einen Vortrag darüber, sie seien zum Stuben
reinmachen, zum Fegen, Aufwarten bei Tisch, zur Küchenarbeit und zum
Botengehen da, aber nicht zum Wassertragen, und das thäten sie nicht. Ich
lachte sie aus, was bei den Schwarzen immer von vorzüglicher Wirkung ist,
und frug, ob sie denn ebenso unverständig sein wollten, wie die
Weiber. Mit jenen wollten wir uns schon auseinandersetzen, oder andere
Tagelöhnerinnen mieten. Heute aber sei Wasser nötig, besonders für den
Kranken, und ob sie denn wollten, daß Frau Glühmann und ich selber das
Wasser aus der Cisterne holen sollten? Im übrigen würde ich jedem, der
heute als Freiwilliger fleißig Wasser trüge, einige Pesa schenken. Damit
waren die Schlingel zum Glück einverstanden, grinsten mich freundlich
an und sagten: »Du hast wohl gesprochen, ~Bibi~, wir werden thun, was Du
willst.« Der treffliche Abdallah, der meine Leute musterhaft in Ordnung
hielt, ist ernstlich krank. Er fehlt mir überall.


  d. 15. Jan. 1888

Herr Leue und Bertha Wilke, unsere Pflegerin, sind über Bagamoyo nach
Zanzibar gekommen, um sich hier etwas aufzufrischen. Das durchgemachte
schwere Fieber hat weder Bertha noch mich grade verschönert, was ja
vorauszusehen war; aber das lebhafte junge Mädchen war, als wir uns
wiedersahen, so betroffen über die Veränderung in meinem Aussehen, daß
sie in heftiges Weinen ausbrach. Ihre Nerven scheinen einen starken Stoß
erlitten zu haben. Ich werde sie nun zunächst in jeder Weise schonen,
damit sie sich ganz erholt.

Dagegen geberdet sich der aus ~Dar-es-Salaam~ ausgeführte Diener Boheti
ganz unsinnig vor Freude, als er seinen »~bana Rubwa~« wiedersah. Die
reine Pudelnatur! Er biß sich beinah in beide Ohren und sein dummes
Gesicht strahlte in Seligkeit. Ich bot Herrn Leue, der, um nach meiner
Schamba zu kommen, einen heißen Weg gemacht hatte, einen kühlenden Trunk
an, deutsches Bier, Limonade oder Sodawasser, was ich alles auf Eis stehen
hatte. Aber er verachtete diese Genüsse und fragte: »haben Sie keine
Madafu?« Er zog thatsächlich den Saft der Kokosnüsse, der ihm noch vor
wenig Monaten Widerwillen erregt hatte, den vaterländischen Getränken
vor. Spricht dies nicht für die Fähigkeit des Deutschen sich zu
acclimatisieren?! --

Herr Leue hat übrigens jenen entlaufenen Sclaven, für dessen Freilassung
er sich seinerzeit beim Wali von Dar-es-Salaam verwendet, schließlich dem
Anspruch erhebenden Besitzer abgekauft und als Hausdiener beschäftigt. Ich
freue mich für den armen Burschen.


  d. 21. Januar 1888.

Bertha erholt sich, Gott sei Dank, von Tag zu Tag und ihr lustiges
Lachen und Schwatzen belebt schon wieder unser stilles Haus. Selbst die
Niedergeschlagenheit der armen Frau Glühmann, deren Mann noch recht krank
ist, hält dieser ungekünstelten Heiterkeit und Lebhaftigkeit nicht immer
Stand. --

Mein Aufenthalt in Ost-Afrika naht sich leider seinem Ende. Nach
den zwischen mir und meinem Vorstand in Berlin zu Tage getretenen
Meinungsverschiedenheiten mußte ich dem letzteren die Alternative stellen,
mir, was Einrichten neuer Pflegestationen betrifft, einigermaßen freie
Hand zu lassen, oder mich meiner Verpflichtungen zu entheben. Denn ohne
eine gewisse Freiheit der Bewegung bin ich bei der Schwerfälligkeit
des schriftlichen Verkehrs zwischen Berlin und hier nicht im Stand,
mit Aussicht auf Erfolg weiter zu arbeiten. Eine daraufhin in Berlin
einberufene Generalversammlung hat, wie mir telegraphisch mitgeteilt
worden, einstimmig gegen mich entschieden.

Von ärztlicher Seite wird mir dringend ein baldiger Klimawechsel
empfohlen, ich gedenke daher, obwol ich es weit vorziehen würde, bei
meinem Bruder zu bleiben, mit dem nächsten Sultansdampfer über Indien
nach Europa zurückzukehren, um, so Gott will, in nicht zu ferner Zeit die
mir ans Herz gewachsene Thätigkeit hier unter günstigeren Bedingungen
wieder aufnehmen zu können.

Ungern freilich lasse ich das kaum erst begonnene Werk im Stich und thue es
nur »der Not gehorchend, nicht dem innern Triebe.« -- Der Vorpostendienst
unserer Landsleute hier, er sei von welcher Art er wolle, scheint mir für
die Gewinnung und Festigung deutschen Einflusses von großer Wichtigkeit.
Es liegt auf der Hand, daß in diesen ganz unfertigen, in den ersten
Anfängen einer gesunden Entwickelung stehenden sozialen Verhältnissen das
Einzelwesen noch eine ganz andere Bedeutung hat, als in den Kulturstaaten
Europas. Darum möchte man auch nur die Besten der Nation, hier, wo
noch jeder Deutsche mehr oder minder als Repräsentant des Deutschthums
empfunden wird, beschäftigt sehen. Ich scheide mit dem Wunsch, daß mein
Platz im Interesse der Weiterentwickelung unserer Sache nur durch eine
wirklich gute Kraft ausgefüllt werden möge. Dann kann und wird aus
den von meiner Hand gelegten schwachen Keimen ein segenspendendes Werk
emporwachsen zur Ehre der deutschen Nation. Das walte Gott. --

[Illustration: Decoration]


J. S. Preuß, Berlin C., Jerusalemerstr. 21



[ Hinweise zur Transkription


Das Originalbuch ist in Fraktur gesetzt. Markierung abweichender
Schriftarten: _gesperrt_, ~Antiqua~.

Die Darstellung von Ortsbezeichnungen wie "Dar-es-Salaam", "Ismaïla",
"Kiloa", "Kisuani", "Kisuindje", "Kiungani", "Mtoni" sowie von Namens-
oder Titelbezeichnungen wie "Dr.", "Madjid", "Père", "Said" bzw. "Sejid"
ist im Original teilweise in Antiqua, teilweise in Fraktur, und wurde in
dieser Transkription grundsätzlich beibehalten; "Dr." wurde davon
abweichend stets ohne gesonderte Markierung wiedergegeben.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten,
einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise
"December" -- "Dezember", "Hôtel" -- "Hotel", "Kisuindje" -- "Kisuindji",
"Kockerutschen" -- "Kokerutschen", "Kokosnus" -- "Kokosnuß", "Lieutenant"
-- "Lieutnant", "Namens" -- "namens", "obwohl" -- "obwol", "Sclaven" --
"Sklaven", "sowohl" -- "sowol",

mit folgenden Ausnahmen,

  Seite 6:
  "Minenspiel" geändert in "Mienenspiel"
  (Ihr Mienenspiel und ihr gebrochenes Englisch)

  Seite 11:
  "Nichkenner" geändert in "Nichtkenner"
  (möchte einen Nichtkenner dieser Delikatessen)

  Seite 11:
  "," eingefügt
  (ebensolchen flatternden Mänteln,)

  Seite 15:
  "Bot" geändert in "Boot"
  (nahte sich ein Boot unter deutscher Flagge)

  Seite 30:
  "rhytmische" geändert in "rhythmische"
  (der bekannte rhythmische Hymnengesang)

  Seite 34:
  "rythmischem" geändert in "rhythmischem"
  (rhythmischem Kriegsgesang und nahmen auf dem Schloßplatz)

  Seite 38:
  "," entfernt vor "arabischen"
  (das Meer absuchen) arabischen Sclavenschiffen weggekapert)

  Seite 53:
  "veranstatlen" geändert in "veranstalten"
  (Heute veranstalten die Indier ein glänzendes Fest)

  Seite 59:
  "c' est" geändert in "c'est"
  (»~c'est la mail!~«)

  Seite 66:
  "Übungen Mnasimodja" geändert in "Mnasimodja Übungen"
  (auf der Wiese an der Mnasimodja Übungen machen)

  Seite 67:
  "Bismark" geändert in "Bismarck"
  (das Bild des Fürsten Bismarck)

  Seite 68:
  "graulichen" geändert in "greulichen"
  (in einem greulichen Durcheinander)

  Seite 69:
  "dorhin" geändert in "dorthin", "übergesiedet" in "übergesiedelt"
  (ist dorthin übergesiedelt, aber sofort wieder erkrankt)

  Seite 75:
  "Rentch" geändert in "Rentsch"
  (Einstweilen muß sogar Schwester Rentsch)

  Seite 75:
  "." geändert in ":"
  (und erhielt die Antwort: »Ich hab' zwar)

  Seite 76:
  "Rentch" geändert in "Rentsch"
  (der Sorgfalt der Schwester Rentsch zu danken)

  Seite 80:
  "fränzöschen" geändert in "französischen"
  (den französischen Arzt, Dr. Marseille, consultiert)

  Seite 81:
  "," eingefügt
  (Er riet mir übrigens dringend, nicht gleich in)

  Seite 85:
  "langeschwänzter" geändert in "langgeschwänzter"
  (Äffchen Hassan, ein langgeschwänzter Nachtaffe)

  Seite 86:
  "Suhaelidamen" geändert in "Suahelidamen"
  (Deutsche, Araberinnen und Suahelidamen unterschiedslos)

  Seite 87:
  "," entfernt hinter "sein"
  (hatte der Wali sein Reiseziel erreicht)

  Seite 87:
  "," eingefügt
  (fuhr mit unseren Herren, die er)

  Seite 92:
  "Schaafe" geändert in "Schafe"
  (und Schafe ihr Wesen, nicht zu vergessen)

  Seite 96:
  "Baumwollsträuche" geändert in "Baumwollsträucher"
  (dazwischen blühende Baumwollsträucher, kandelaberähnliche)

  Seite 100:
  "«" entfernt hinter "gethan."
  (wie er es dem Sultan gethan.)

  Seite 109:
  "," entfernt vor "mit"
  (hat er (oder einer seiner Ahnen) mit Zinnen)

  Seite 113:
  "," eingefügt
  (fürchteten wir schon, seine Insassen)

  Seite 113:
  "," eingefügt
  (größer war die Freude, als sie schon)

  Seite 114:
  "," entfernt vor "veranstaltet"
  (eine große »~ngoma~« (Musik und Tanz) veranstaltet)

  Seite 115:
  "," eingefügt
  (Schwert aus der Scheide, um in höchst eigener)

  Seite 117:
  "," eingefügt
  (hat mich bewogen, hier zu bleiben)

  Seite 117:
  "," eingefügt
  (weiß nicht, ob ich recht gethan habe)

  Seite 119:
  "," eingefügt
  (~Dar-es-Salaam~, d. 29. August.)

  Seite 125:
  "," entfernt vor "haben"
  (Wir (die Haushälterin und ich) haben ein)

  Seite 129:
  "Ouaken" geändert in "Quaken"
  (das Quaken des Ochsenfrosches)

  Seite 139:
  "," eingefügt
  (als ich mich aufrichtete, schon in weiter Ferne)

  Seute 148:
  "," eingefügt
  (Abdallah (Karl Schmidt), ein Juwel von einem Diener)

  Seite 152:
  "»" eingefügt
  (sagte er, »aber noch Keinen am Chinin)

  Seite 153:
  "Dar-es-Saalam" geändert in "Dar-es-Salaam"
  (dem ich in ~Dar-es-Salaam~ während eines)

  Seite 153:
  "Experementieren" geändert in "Experimentieren"
  (im Allgemeinen zum Experimentieren nicht aufgelegt)

  Seite 164:
  "Ismalia" geändert in "Ismaïla"
  (seiner in Ismaïla zurückgelassenen Familie zu erhalten)

  Seite 167:
  "," entfernt hinter "Aufseher" und vor "sei"
  (der Aufseher (ein Thüringer, namens Frey) sei plötzlich)

  Seite 168:
  "," entfernt hinter "Ausbleiben"
  (kaum dreiviertelstündigem Ausbleiben kam mein)

  Seite 179:
  "," eingefügt
  (»Du fantasierst ja!«, ich habe aber nicht)

  Seite 180:
  "ausgewordene" geändert in "aus gewordene"
  (von Zanzibar aus gewordene Teilnahme)

  Seite 184:
  "O'swald" geändert in "O'Swald"
  (Herr O'Swald kam Nachmittags mit seinem Wagen)

  Seite 193:
  "«" eingefügt
  (und fragte: »haben Sie keine Madafu?«)

  Seite 194:
  "Dar-es Salaam" geändert in "Dar-es-Salaam"
  (beim Wali von Dar-es-Salaam verwendet)

  Seite 194:
  "Aufenhalt" geändert in "Aufenthalt"
  (Mein Aufenthalt in Ost-Afrika naht sich leider)

  Seite 194:
  "das" entfernt hinter "ich"
  (mußte ich dem letzteren die Alternative stellen) ]





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