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Title: Zur neuen Lehre - Betrachtungen
Author: Druskowitz, Helene von
Language: German
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    Anmerkungen zur Transkription


    Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text
    ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist
    ~so markiert~. Im Original fetter Text ist =so dargestellt=.

    Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
    Buches.



    Zur neuen Lehre.

    Betrachtungen

    von

    ~Dr.~ H. Druskowitz.

    Heidelberg.

    Georg Weiß, Verlag.

    1888.



~I.~


Unter _neuer Lehre_ möchten wir eine Weltanschauung verstanden
wissen, welche -- ihre Möglichkeit vorausgesetzt -- einen
zuverlässigeren und vollkommeneren Inhalt an Stelle des Gottes- und
Unsterblichkeitsglaubens setzt. _Neu_ würde die Lehre im Gegensatz zur
Religion, als der alten Lehre, genannt zu werden verdienen, indem ihr
Inhalt sich aus gewissen höchsten Ergebnissen der modernen Philosophie
und Naturwissenschaft aufbauen wird.

Bisher sind diese Ergebnisse noch von keinem Philosophen derart
verwerthet worden, daß eine allgemeingiltige abgeschlossene neue
Lehre bereits geschaffen wäre. Es existiren vielmehr nur einige mehr
oder weniger unvollkommene Versuche, eine solche zu begründen. Möge
man auch den Inhalt dieser Seiten nur als einen Beitrag zur neuen
Lehre betrachten, die bis jetzt noch ein Ideal ist, und wohl nur
ganz allmälig aus der Denkarbeit Vieler sich herauskrystallisiren
wird. Verfasser ist sich vollkommen bewußt, nur seinen persönlichen
Anschauungen über die Lösung eines der wichtigsten Probleme Ausdruck
zu geben, in der Hoffnung jedoch, daß dieselben bei Anderen Widerhall
finden mögen.

Gewiß ist eine neue Lehre oder Weltanschauung noch lange kein
Gesammtbedürfniß.

Da ist vor Allem die große Masse derer, für welche das Christenthum
oder auch nur der bloße Gottesglaube ein Gegenstand des
Gemüthsbedürfnisses ist. Diese befinden sich noch in der mythologischen
Geistesphase. Es ist eine Forderung ihrer geistigen Beschaffenheit, den
Weltgrund -- um nur den wichtigsten Zug jeder Religion hervorzuheben
-- als persönliche Macht zu denken, an deren objektive Existenz sie
glauben. Denn ganz offenbar ist die Religion der Ausfluß und Ausdruck
einer bestimmten, primitiven geistigen Veranlagung und deßhalb
eine noch lange nicht überwundene innere Potenz. Da eine kritische
Philosophie uns jedoch lehrt, eine nähere Bestimmung des Weltgrundes
sei für unsere geistige Organisation nicht erreichbar, so können wir
die Religion als Täuschung eines idealen Bedürfnisses der menschlichen
Phantasie betrachten, nämlich des Bedürfnisses, sich über die gegebene
Welt zu erheben. Auf einem Hinausgehen über die thatsächliche Welt,
in welcher Form es auch geschehe, beruht ja alle höhere geistige
Thätigkeit. Die Täuschung aber, welche der Religion zu Grunde liegt,
besteht eben darin, daß eine bloße Phantasieanschauung für eine reale
Wahrheit gehalten wird. Thatsächlich kann die Mehrzahl der Menschen
unter den fortgeschrittensten Nationen selbst -- wenn auch nur
verhältnißmäßig wenig Glaubensstarke unter ihnen sich befinden -- sich
psychologisch noch nicht über diesen Irrthum erheben, sei es in Folge
eines Überwiegens der Phantasie über die Reflexion, sei es, daß die
Reflexion auf diesem Gebiete niemals eine Rolle bei ihnen gespielt
hat, ihre religiösen Instinkte niemals eine Erschütterung erlitten
haben. Würde man derartig Organisirten zumuthen, über den religiösen
Standpunkt hinauszugehen, so wäre die sichere Folge davon, daß sie noch
tief unter denselben hinabsänken, um allen und jeden Halt zu verlieren.

Aber nur deßhalb, weil die Religion thatsächlich eine der großen
Menge homogene Weltbetrachtung bildet, besteht sie und wird sie
wohl noch lange fortbestehen. Sobald hingegen das Phantasie- und
Glaubensbedürfniß, welches sie befriedigt, in den Menschen erlöschen
sollte, so wird auch sie aufhören und durch keine Macht aufrecht
erhalten werden können. Es ist deßhalb eine ganz sinnlose Redensart,
wenn man, wie dies so oft geschieht, behauptet, die Religion _müsse_
fortbestehen. Das ist nicht anders, als wenn man sagen wollte, die
Kunst müsse fortbestehen, hier aber sieht jeder, daß nur von einem
_Können_, nicht von einem _Müssen_ die Rede sein darf. Aber ebenso wie
die Kunst nur so lange fortbestehen wird, als der schöpferische und
ästhetische Trieb im Menschen rege ist, vermag auch die Religion nur so
lange aufrecht erhalten zu bleiben, als Menschen in ihr inneren Halt
finden, an ihre objektive Wahrheit glauben.[1]

Wenn jeder Freidenkende, jeder Anhänger der Lehre von der Fortschritts-
und Vervollkommnungsfähigkeit der menschlichen Natur auch hoffen
und annehmen wird, daß die modernen Kulturvölker, als die obersten
Repräsentanten der Menschheit, dereinst in ihrer Gesammtheit aus
der religiösen Phase heraustreten werden, so läßt sich durchaus
nicht bestimmen, ob diese bedeutungsvolle Umwandlung schon in einer
absehbaren Zeit oder erst in größerer Zeitferne erfolgen wird.

Jedenfalls muß zugegeben werden, daß die Macht des Christenthums, wie
groß sie auch immer noch sei, dennoch in einem starken Niedergange,
die Zahl seiner Bekenner entschieden im Schwinden begriffen ist. Kein
objektiver Beurtheiler des modernen Lebens wird in Abrede stellen
können, daß nicht nur ein großer Theil der Gebildeten, sondern auch ein
guter Theil der Massen in der Religion keinen Halt mehr findet. Als
die Ursache dieser Erscheinung dürfte im Allgemeinen die Abnahme des
entsprechenden Phantasiebedürfnisses zu bezeichnen sein, während sie
nur bei Wenigen die Folge der Beeinflussung durch echte Philosophie
und wahre Wissenschaft und eines Überwiegens der Reflexion über die
Phantasie ist.

Bedürfen nun die Aufgeklärten einer neuen Lehre d. h. einer
Weltanschauung, welche einen höheren Inhalt an Stelle der Religion
setzt? Allerdings sollte eine solche ihnen Bedürfniß sein, aber da
zeigt sich, daß die allermeisten von der bloßen Freiheit von der
Religion vollkommen befriedigt sind. Ihnen genügt das thatsächlich
Gegebene. Ihr Interesse reicht nicht über das Vorhandene hinaus.
Sie wissen nicht, oder wollen es nicht wissen, daß es noch andere
Beziehungen giebt, als die zu dem durch die Erfahrung Gebotenen. Es
giebt für sie kein Weltproblem, keinen höheren Ausblick und darum fehlt
auch der höhere Gesichtspunkt für das Leben und die Lebensführung.

Nach einer anderen Lehre oder Weltanschauung werden deßhalb nur jene
Freidenkenden Verlangen tragen, welche ungleich jenen Seichtlingen mit
der bloßen Glaubenslosigkeit sich nimmermehr begnügen, weßhalb sie eher
noch mit den Gläubigen zu sympathisiren vermögen, als mit den bloßen
Atheisten, weil jene doch noch andere Beziehungen als die zur gegebenen
Welt kennen und ein Höheres über sich sehen, während diese den Blick
nicht über die Wirklichkeit erheben und jeder Ehrfurcht für etwas über
das Gegebene Hinausragendes entbehren.

Ist die Religion auch nur eine naive und illusorische Weltanschauung,
so ist sie doch eine Weltanschauung, durch die alle Dinge in einem
höheren Zusammenhange betrachtet werden. Es ist deßhalb mit der
Beseitigung der Religion nicht schon Alles gethan. Wird die Religion
als Irrthum erkannt, so treten für den tieferen Geist die Fragen, auf
welche sie eine vorläufige Antwort ertheilt, nur um so gewaltiger
hervor, und das Verlangen nach einer Anschauungsweise macht sich
geltend, welche statt auf Träumen und Illusionen, auf der Grundlage des
Wissens, der Erkenntniß, der Wahrheit oder doch einer unvergleichlich
größeren Wahrscheinlichkeit, als die der religiösen Deutung und
Auslegung der Welt es ist, sich erhebt. Soll unser Leben eine höhere
Bedeutung erlangen, so müssen wir es mit etwas über uns Stehendem
verbinden; soll ein mächtiges Vervollkommnungsstreben uns erfüllen,
so muß ein höchstes Ziel uns vorschweben, dessen Idee gleichsam das
Centralfeuer unseres Geistes bildet.[2]

Die Religion erweckt in dem Menschen, indem sie ihn über die
Wirklichkeit emporhebt und einerseits mit dem persönlich gedachten
Weltgrunde ihn verbindet, andererseits auf eine ideale Zukunft ihn
hinweist, hohe und schöne Gefühle; die Grundfrage unseres Problems
lautet deßhalb: vermögen aus einer höheren Weltbetrachtung, wie die
Erkenntniß im Gegensatze zum Glauben sie schafft, nicht erhabene und
begeisternde Gefühle gewonnen zu werden, welche jene der religiösen
Weltbetrachtung an Werth ebenso überragen, wie die Weltanschauung,
der sie entsprossen, die religiöse Weltanschauung an Werth überragt,
und die dem Leben eine höhere Weihe geben, unseren Bestrebungen eine
mächtige Perspektive eröffnen?

Es versteht sich von selbst, daß die bloßen Atheisten diese Möglichkeit
-- die subjektive wie die objektive -- in Abrede stellen. Die Thatsache
aber, daß eine ansehnliche Reihe von Versuchen, eine derartige Welt-
und Lebensanschauung zu begründen, zu verzeichnen ist, und daß jede
dieser Anschauungsweisen von ihrem Urheber wenigstens mit lebendigem
Gefühle ist verfaßt worden und diesen befriedigt hat, ist wohl der
beste Beweis, daß für _manche_ Naturen nicht nur das Bedürfniß nach
einer neuen Lehre, sondern auch die Möglichkeit einer solchen
besteht, und nur daß für _manche_ Naturen, welche zur Geistesfreiheit
durchgedrungen sind, jenes beides besteht, soll behauptet werden. An
sie hat derjenige zu denken, der mit unserem Problem sich beschäftigt,
an sie hat er das Wort zu richten.

Es frägt sich nun, _worin_ man das Neue, Vollkommenere erblicken,
_worin_ man Befriedigung finden wird. Uns persönlich können die uns
bekannten Versuche, eine neue Weltanschauung zu begründen, nicht völlig
genügen. Für uns harrt jene Frage also noch der Beantwortung, die wir
selbst zu finden und zu begründen suchen müssen, indem wir hierdurch
auch andere anzuregen hoffen.


Fußnoten

    [1] So schief wie die Behauptung, die Religion müsse bestehen
        bleiben, so unhaltbar sind die Gründe, mit welchen man
        diese Behauptung gewöhnlich zu stützen pflegt. So soll
        die Religion vor Allem die Grundlage der Moral bilden.
        Sie ist dies jedoch in so geringem Grade, daß man mehr
        und mehr die Nothwendigkeit einsieht, in den Volksschulen
        einen Moralunterricht einzuführen, und Frankreich gebührt
        der Ruhm, mit dieser wichtigen Neuerung bereits Ernst
        gemacht zu haben. Unter deutschen Philosophen ist es
        _B. Carneri_, welcher in seinem Werke »Entwickelung und
        Glückseligkeit« S. 415 ff. für den Moralunterricht in der
        Schule eingetreten ist. Eine edle Moral wird durch die
        Religion, so lange Furcht vor der Strafe der Hölle oder
        die Aussicht auf himmlischen Lohn als Antriebe wirken,
        nicht hervorgebracht werden. Wie aber steht es mit dem
        sittlichen Einflusse der Religion, wenn nun gar der Glaube
        im Schwinden begriffen ist? Der Glaube aber kann nicht
        künstlich in den Gemüthern festgehalten werden, er erwächst
        aus der individuellen Veranlagung des Menschen, daher die
        Religion niemals eine feste Grundlage der Sittlichkeit
        bildet. Diejenigen, welche die Religion ihres poetischen
        Inhaltes wegen -- der überdies sehr überschätzt wird --
        vertheidigen, sind offenbar keine aufrichtigen Freunde der
        Wahrheit. Sehr richtig bemerkt über diesen Punkt _M. Guyau_
        ~»L'irréligion de l'avenir« (Paris 1886)~. ~Préface p. XIX~:

        »~Aujourd'hui, où l'on en vient à douter de plus en plus
        de la valeur de la religion pour elle-même, la religion
        a trouvé des défenseurs sceptiques, qui la soutiennent
        tantôt au nom de la poésie et de la beauté esthétique des
        légendes, tantôt au nom de leur utilité pratique. Il se
        produit par moments dans les intelligences modernes une
        revanche de la fiction contre la réalité. L'esprit humain
        se lasse d'être le miroir trop passivement clair où se
        réflètent les choses; il prend alors plaisir à souffler sur
        sa glace pour en obscurcir et en déformer les images ...
        Pour notre part nous sommes loin de rejeter la poésie et
        nous la croyons excessivement bienfaisante pour l'humanité,
        mais à la condition qu'elle ne soit pas dupe de ses propres
        symboles et n'érige pas ses intuitions en dogmes ... La
        poésie est souvent plus philosophique non seulement que
        l'histoire, mais que la philosophie abstraite; seulement,
        c'est à la condition d'être sincère et de se donner pour
        ce qu'elle est. -- Mais, nous diront les partisans des
        »erreurs bienfaisantes«, pourquoi tant tenir à dissiper
        l'illusion poétique, à appeler les choses par leur nom?
        N'y-a-t-il pas pour les peuples, pour les hommes, pour
        les enfants des erreurs utiles et des illusions permises?
        A coup sûr, on peut considérer un grand nombre d'erreurs
        comme ayant été nécessaires dans l'histoire de l'humanité;
        mais le progrès ne consiste-t-il pas précisément à
        restreindre pour l'humanité le nombre de ces erreurs
        utiles?~« Von dem Versuch einer Aufrechterhaltung der
        Religion als bewußter Illusion wird später die Rede sein.
        -- Einer häßlichen Perfidie endlich machen diejenigen
        sich schuldig, die für das Fortbestehen der Religion zu
        Gunsten der »Armen und Elenden« sprechen. Nach diesen
        Menschenfreunden ist die Freiheit von Religion ein
        Privilegium der Gutsituirten, während das »niedere Volk«,
        welches von der Doppellast der Arbeit und Noth gedrückt
        wird, im religiösen Irrthum erhalten werden muß, damit es
        nicht den letzten Trost und Halt und -- auch nicht die
        Geduld verliere. Daß statt einer Niederhaltung der Massen
        durch die Illusionen der Religion an eine Reform ihrer Lage
        gedacht werden müsse, durch diese Erwägung werden jene
        Philanthropen nicht beunruhigt.

    [2] Mit Recht bemerkt _W. M. Salter_, der edle Moralprediger
        von Chicago, im Hinblick auf die bloßen Atheisten, in
        einer seiner neueren Reden, betitelt: »~The Duty Liberals
        owe their Children~«. [»~A Lecture before the Society
        for Ethical Culture of Chicago. Nov. 1886.~« Wir citiren
        nach S. 4 des uns vorliegenden Separatabdruckes]: »~The
        liberal spirit in the world is simply a possibility. The
        vainest and emptiest person is one who thinks, that with
        the rejection of the old creeds, he has reached the end-all
        and be-all of wisdom. If he has not something else to give
        color and tone, and substance and purpose to his life, such
        a liberal is apt to be as thin and flat in his mental and
        moral life, as juiceless as any a man you can well find.
        Liberalism in religion simply means that the old order is
        breaking up but it is not itself the soil, that has been
        ripped up by the plow, but in which the seed of a new
        harvest are yet to be sown.~« Salter spricht allerdings von
        einem einseitig moralischen Standpunkte aus, allein seine
        Worte sind in diesem Falle völlig zutreffend.



~II.~


Wie aus dem Gesagten hervorgeht, wird das geistige Ideal der neuen
Lehre in einer Übereinstimmung des Denkens und Fühlens bestehen.
Einen Gegensatz zu diesem monistischen Ideale bildet die Anschauung
jener Gruppe von Atheisten, denen zu Folge der Freidenkende der
religiösen Vorstellungen und Empfindungen sich nicht enthalten,
sondern fortfahren soll, sich ihnen hinzugeben, ob auch mit dem vollen
Bewußtsein, daß sie rein subjektive Gebilde seien und keinerlei
Anspruch auf objektive Bedeutung zu erheben vermögen. Es knüpft
sich diese Anschauung bekanntlich vornehmlich an den Namen _A. F.
Langes_. Nach ihm sind Metaphysik, Kunst und Religion ein Ausfluß
des synthetischen, dichtenden Triebes im Menschen und bilden eine
Ergänzung zu dem in der Erfahrung Gegebenen. So wenig, wie die Gebilde
der Dichtung der Wirklichkeit entsprechen, so wenig besitzen Religion
und Metaphysik realen Werth, so daß im Grunde beide im Begriffe der
erstgenannten aufgehen, eine Auffassung, welcher jeder, der weder
Gläubiger noch Metaphysiker ist, beistimmen wird. Wenn _Lange_ jedoch
meint, daß wir, wenn wir religiösen und metaphysischen Vorstellungen
keinen realen Werth mehr beimessen, dennoch in ihnen Erhebung finden
sollen, so wird der unbefangene Beurtheiler stets einwenden, daß ein
derartiges Verfahren jeder höheren Berechtigung entbehre. Nun müssen
wir allerdings hinzufügen, daß _Lange_ die religiösen Vorstellungen
allegorisch, als dichterische Symbole ethischer Wahrheiten aufgefaßt
sehen wollte. Genau betrachtet aber ist der dichterische Werth jener
Symbolik doch nur ein geringer und was die Wahrheiten, welche die
Religion enthalten soll, anbetrifft, so hat es damit ein eigenes
Bewandtniß und können wahre Ideen wohl besser aus einem anderen Borne
geschöpft werden.[3]

Unsympathischer noch, als _Langes_ Begründung der Aufrechterhaltung der
als illusorisch erkannten Religion, ist diejenige, welche in dem anonym
erschienenen und posthumen Werke »Religionsphilosophie auf modern
wissenschaftlicher Grundlage[4]« dargelegt ist. Während für _Lange_ die
religiösen Vorstellungen doch den Werth tiefsinniger Symbole haben,
so gelten sie dem Verfasser jenes Werkes nur als Illusionen, die man
aber nicht unterdrücken soll, weil sie wohlthätige Illusionen sind und
einem Phantasiebedürfnisse entsprechen. Auch wahrhaft wissenschaftliche
Aufklärung dürfe Jemanden, der eine rege Phantasie besitzt, nicht
hindern, sich dennoch religiösen Vorstellungen hinzugeben, die er als
Illusionen erkannt hat.

Der Mensch ist nämlich nach unserem Verfasser »überwiegend
weder ein sinnliches, noch ein vernünftiges Wesen, sondern nach
wissenschaftlicher Ausdrucksweise ein phantasirendes d. h. er bildet
Vorstellungen aus Anlaß der Empfindungen, aber diese verhalten
sich meist zu denselben wie Illusion und Hallucination, wenn man
genau zusieht. Vernunft hat er nur in dem formalen Sinne, daß er
letzte Principien setzt, aber diese denkt er überwiegend in der
Weise der Phantasie, sie stimmen nicht mit der genauen Wahrnehmung,
und diese läßt sich auch nicht formal aus ihnen herleiten. Diese
Phantasieauffassung aber erscheint ganz instinctiv, sie ist offenbar
eine überwiegende Lebensäußerung der physiologisch-psychologischen
Beschaffenheit des Menschen«.

Vermöge dieser geistigen Organisation ist es eine Neigung des Menschen,
die der sinnlichen Wahrnehmung entrückten Ursachen mythologisch, als
persönliche Wesen aufzufassen. Und dieser Zug sei in der Menschheit
nicht nur einmal gewesen, wir stehen vielmehr alle noch mehr oder
weniger lebhaft unter seinem Einflusse, »nur daß in uns, was sich
einst als Evidenz göttlicher Macht gab oder als Offenbarung und
Abzeichen einer solchen, zwar ähnlich noch so auftaucht, aber durch
die Vorstellungen, welche eine lange Entwickelung genauer Wissenschaft
hervorgerufen hat, sofort paralysirt wird.« Bei dieser Stelle fällt
vor Allem auf, daß der Verfasser der Meinung zu sein scheint, es gebe
unter den Gebildeten keine Gläubigen mehr, welche die Religion für
objectiv wahr hielten, sondern alle Gebildeten haben dieselbe als
Illusion erkannt, fahren aber -- wenigstens die Meisten unter ihnen
-- dennoch fort, sich in ihren Vorstellungskreisen zu bewegen, weil
es ihrer Phantasie so behagt. Wir halten diese Anschauung aber für
durchaus falsch. Erstens ist auch unter den Gebildeten der Glaube noch
keineswegs erloschen, zweitens dürften unter den Aufgeklärten wohl
nur die Allerwenigsten aus Phantasiebedürfniß religiösen Gedanken
sich ergeben, weil dieses Phantasiebedürfniß keineswegs eine so große
Rolle im Menschen unserer Zeit spielt, wie der anonyme Verfasser
annimmt. Wenn der Verfasser meint, daß ein Mensch, dem nach seiner
ganzen geistigen Constitution die religiöse Auffassung natürlich ist,
sich gänzlich physiologisch-psychologisch ruiniren würde, wenn er an
Stelle derselben die wissenschaftliche setzen wollte, so müssen wir
hinzufügen, daß ein derartig organisirter Mensch überhaupt nicht für
das Wissen, sondern für den Glauben geschaffen sein wird, womit wir
aber die Meinung des Verfassers wohl nicht treffen werden, der seinen
leitenden Gedanken in dem -- nebenbei bemerkt höchst dilettantisch
komponirten Werke -- in den verschiedensten Variationen zum Ausdrucke
bringt. Wie die Lerche zu Grunde gehen oder wenigstens ihre Freudigkeit
verlieren würde, wollte sie ihren Singtrieb unterdrücken, ebenso
der Mensch, wenn er seine religiösen Vorstellungen unterdrücken
wollte, denn die wissenschaftliche Auffassung darf die religiösen
Vorstellungen in ihrer unmittelbar psychologischen Art nicht aufheben
wollen, wie wir nicht den Versuch machen dürfen, nicht Farben zu
sehen, nicht Töne zu hören u. s. w., obwohl wir überzeugt sind,
daß Farben, Töne u. s. w. nicht existiren. »Wie man sich geistig
ruiniren würde und zwar ganz nutzlos, wenn man kopernikanisch und
nicht ptolemäisch die Weltkörper auch _sehen_ wollte, so ruinirt man
sich geistig, wenn man die sich immer wieder aufdrängenden nächsten
Vorstellungen über jene geistigen Erscheinungen unterdrücken und
durch die wissenschaftlichen ersetzen wollte. -- Die Einbildungskraft
als Grundzug des Menschen darf man nicht stören, in ihr muß sich
sein unmittelbares Leben entfalten und ausgestalten, in ihr drückt
sich seine geistig angeborene Art aus, durch Empfindungen innerlich
erregt und von da aus zu Strebungen und äußeren Handlungen bewegt zu
werden. -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --

»Der Mensch darf nicht glauben, daß er es mit bloßem Wissen und
strengem Anschluß an genaue Erfahrung aushalte; er muß ein großes
Gebiet haben, wo er frei d. h. ohne solchen Selbstzwang idealisirt
und braucht daher entweder Kunst in freier Weise wie sie ihm gerade
individuell, oder Poesie oder Aberglauben oder Religion. -- Wenn Jemand
durch blaue Farbe seines Zimmers besonders angeregt wird zur Thätigkeit
oder zum Denken, so soll er sich dieser Anregung hingeben, wenn Jemand
durch die Vorstellung, ein Schutzgeist oder ein Gott wache über ihn,
besonders getröstet und gestärkt wird, so soll er sich derselben nicht
entziehen u. s. w.[5].«

Offenbar sind die Vorstellungen und Ideale von geistiger
Vervollkommnung sehr verschieden. Wir unsererseits betrachten die
Fürsprache des anonymen Verfassers zu Gunsten eines schroffen Dualismus
zwischen Verstandes- und Phantasieleben, wobei der Verstand negirt,
was die Phantasie behauptet, und umgekehrt; seine Fürsprache zu
Gunsten der Trennung der verschiedenen Geistesgebiete, zu Gunsten
der intellektuellen Gewissenlosigkeit und des bewußten Illusionismus
für vollkommen verwerflich und sehen darin nichts anderes als einen
geistigen Epikuräismus der schlimmsten Art. Verwundert, ja, mit
Widerwillen dürfte der Gläubige von einer Beschäftigung mit religiösen
Vorstellungen ohne den Ernst innerer Überzeugung, bloß weil man sie
angenehm und schön findet, hören; mit nicht geringerem Widerwillen
wird aber derjenige, der auf dem entgegengesetzten Standpunkte steht,
der wahre Freidenker, bei dem die Erkenntniß so zu sagen in Fleisch
und Blut übergegangen ist, von jener Theorie sich abwenden; denn nicht
um das bloße Wissen handelt es sich, sondern darum, daß der Wissende
von der gewonnenen Erkenntniß sich auch innerlich durchdrungen zeigt,
daß sein gesammtes Denken davon Zeugniß ablegt. Der Freidenkende,
welcher diesen edlen Namen verdient, wird, statt seiner Phantasie
Wanderungen in das Reich der religiösen Illusionen zu gestatten,
vielmehr in der Erkenntniß selbst eine Grundlage für erhabene Gefühle
zu finden trachten, und in dieser Weise Gedanken und Empfindungen,
Verstand und Gemüth in Uebereinstimmung zu bringen suchen. Also nicht
einer charakterlosen Vereinigung von Aufklärung und Aberglauben
ist das Wort zu reden, sondern einer Lebendigmachung der Erkenntniß
durch das Gefühl. Diese Versöhnung zwischen Wissen und Empfinden
herbeizuführen, ist, wie wir bereits hervorhoben, die Aufgabe einer
neuen Weltanschauung.


Fußnoten

    [3] In zutreffenden Worten hat neuestens _J. J. Borelius_
        (Professor an der Universität Lund) in seiner auch in
        deutscher Übersetzung erschienenen Abhandlung »Blicke
        auf den gegenwärtigen Standpunkt der Philosophie in
        Deutschland etc.« (Berlin, Fischer ~p.~ 22 ~ff.~) _Langes_
        Anschauung über Religion, wenn auch von einem anderen Lager
        ausgehend, kritisirt, indem er sagt: »Eure Religion, welche
        ausdrücklich als illusorisch erklärt wird, (ist) keine
        Religion; kann auch ein ernstes Streben nach dem Idealen
        neben der Einsicht bestehen, daß alle unsere Versuche das
        Ideale aufzufassen und zu begreifen unvollkommen sind,
        so wird dabei doch die Überzeugung vorausgesetzt, daß
        dieses Ideale nicht bloße Dichtung, sondern etwas an sich
        Substantielles und Wirkliches ist. Eine Anerkennung dieser
        Ansicht liegt in der That in _Langes_ Annahme des Ideals
        als eines bildlichen Repräsentanten der vollen Wahrheit,
        aber da er dessen ungeachtet das Ideal ausschließlich
        auf die Dichtung verweist, übersieht er dabei, daß das
        Urbild selbst nur soweit ein Abbild ist, als es eine
        Übereinstimmung mit dem Abgebildeten enthält. Ist das
        Ideale aber als reine Illusion erkannt, so kann man nicht
        länger daran glauben; es kann dann nicht einmal als Bild
        einer höheren Wahrheit gelten, sondern nur als Dichtung,
        als bewußter Selbstbetrug.« Und nun eine Wendung gegen
        _Vaihinger_: »So hat auch _Langes_ erklärter Anhänger
        _Vaihinger_ seine Ansicht verstanden, welche er in Kürze
        wie folgt zusammenfaßt: »Eine Religion ohne die Grundlage
        des Glaubens, eine Metaphysik ohne den Anspruch auf Wissen,
        das sind Ideen, scheinbar paradox und doch thatsächlich die
        einzigen, die wissenschaftlich haltbar sind!« Es läßt sich
        aus mehreren Gründen bezweifeln, daß Lange selbst, wenn
        er noch lebte, sich mit dieser Formulirung seiner Ansicht
        zufrieden gegeben hätte, jedenfalls drückt sie aber das
        logische Resultat seiner Ansicht aus. Aber dieses Resultat
        ist in Wahrheit eine ~deductio in absurdum~. In gewissen
        Formen des Wahnsinns kommt es vor, daß der Kranke, ohne
        das Bewußtsein seines persönlichen Ichs verloren zu haben,
        sich gleichzeitig einbildet, ein ganz anderer zu sein. Es
        ist schwer ein treffenderes Bild eines Menschen zu finden,
        der im vollen Ernst _Vaihingers_ philosophischen Standpunkt
        realisiren würde.«

    [4] Mit einem Vorworte von _Julius Baumann_ (Leipzig 1886).

    [5] Der Verfasser geht so weit, schließlich auch noch
        Vorschläge für einen neuen Cultus zu machen, der aus diesem
        »Glauben« (~sic!~) erwachsen soll. Man erbaue sich an den
        folgenden Ausführungen:

        »Ein Hauptbedürfniß des Gemüthes ist zeitweilige Befreiung
        von dem Drucke der Irdischkeit, gerade dies treibt den
        Gedanken eines überweltlichen Gottes und der seligen
        Unsterblichkeit hervor und den Cultus, der aus diesem
        Glauben erwächst. Ich kann mir denken, daß man einer
        solchen Religion in derselben Weise sich hingebe, wie
        man sich der Betrachtung von Kunstwerken, dem edlen
        Naturgenuß, der Poesie hingiebt. Die Cultusstätten
        müßten von der Art sein, daß sie die Vorstellung eines
        seligen geistigen Lebens unterstützten, also Alles, was
        den Geist hemmt, muß zurücktreten, was ihn weckt und
        beflügelt, hervortreten, und zwar den Geist als Hoffnung
        und Phantasie. Vom Protestantismus wäre dabei zu nehmen
        Lied, Gebet, begeisterte und zugleich beschwichtigende
        Rede; vom Katholicismus die Kunst, was sowohl den Bau
        als die Ausschmückung betrifft. Die ausschmückende Kunst
        hätte die großen Erscheinungen der Natur und Geschichte
        darzustellen, welche eine erhebende oder sittlich-weckende
        Kraft haben. Grundton des Gottesdienstes müßte sein: Im
        Leben seid Ihr mit Gutem und Ueblem ausgestattet, je mehr
        Ihr lernt das Uebel mit dem Guten überwinden, desto mehr
        erwacht in Euch die Hoffnung in einem höheren und reineren
        geistigen Zustand zusammengehalten durch Einen großen
        Friedensgeist ewig zu leben nach dieser Erde. An dieser
        Hoffnung und ihrem stärkenden Frieden sammelt Ihr Euch und
        genießet in dem religiösen Verein einen Vorschmack des
        Gehofften.« Ein Schatz für Predigt, Gebet und Lied müßten
        die hier einschlagenden Worte aller Religionsstifter und
        großen Männer aus allen Völkern und Zeiten sein. Kurzum,
        der Gottesdienst müßte ein Weltbild geben und zugleich,
        den Menschen in der Welt haltend, ihn mit Hoffnung darüber
        hinaus erfüllen, aber nicht durch Kontrast, wie bisher
        in den großen Religionen (die Welt ein Jammerthal, der
        Himmel Erlösung), sondern aus den Anfängen befriedigenden
        geistigen Seins auf Erden müßten Glauben und Hoffnung eines
        seligen Seins mit einem geistigen Mittelpunkte anwachsen.«
        -- Doch genug.



~III.~


Bevor wir an unser Problem herantreten, müssen wir die Anschauung
widerlegen, als handle es sich bei der neuen Weltbetrachtung oder Lehre
um die Aufstellung einer neuen vollkommeneren Religion.

Woraus entspringt diese irrige Anschauung? Ganz offenbar aus einer
willkürlichen, dem eigentlichen Wesen der Religion widersprechenden
Auffassung derselben. Wenn wir der bekannten Formen der Religion uns
erinnern, so liegt allen nicht nur das Gefühl der Abhängigkeit --
welches Schleiermacher ohne nähere Bestimmung als Grundgefühl der
Religion bezeichnet[6] --, sondern das Gefühl der Abhängigkeit des
Menschen von einer animistisch und persönlich gedachten Weltmacht,
zu Grunde. Ob die oberste Weltmacht nun mit gröberen oder feineren
menschlichen Attributen ausgestattet wird, so wird sie doch immer
in der Form solcher gedacht werden. Folgt daraus nicht, daß eine
Weltanschauung, welche sich jeder Characterisirung der letzten
Dinge enthält, weil echte Philosophie die Bestimmbarkeit derselben
leugnet, über die Religion hinausgeht und demnach als überreligiös
bezeichnet werden muß? Dennoch nennt _August Comte_ _seine_ neue
Lehre, in welcher der Gottesbegriff keine Stelle findet und die an
Stelle des Gottes- einen Menschheitscultus setzt, Religion, und
_Herbert Spencer_ verwechselt ganz offenbar Religion mit Philosophie
(wie dies auch schon _Schiller_ in dem bekannten Distichon gethan
hat), indem er jeden Versuch den Weltgrund zu charakterisiren als
irreligiös bezeichnet, als religiös hingegen die Erkenntniß, daß wir
von einem unergründbaren Mysterium umgeben sind.[7] Die Konsequenz
dieser seltsamen Anschauung ist jedoch die, daß sämmtliche historische
Formen der Religion gar keine Religionen sind, da sie insgesammt eine
Charakterisirung des Weltgrundes unternehmen, ein Wagniß, welches
_Spencer_ eben als irreligiös betrachtet. Hand in Hand mit dieser
falschen Auffassung des Wesens der Religion geht bei _Spencer_ die auf
irrigen Voraussetzungen beruhende Bemühung, Wissenschaft und Religion
mit einander zu versöhnen. Mit Recht zwar weist _Spencer_ darauf hin,
daß die Wissenschaft ursprünglich vielfach zur Klärung, Läuterung und
Erweiterung der religiösen Begriffe beigetragen hat. Aber er übersieht,
daß die Wissenschaft eine trügerische Genossin der Religion ist, indem
sie diese mit denselben Waffen, mit welchen sie zu ihrer Läuterung
und Klärung beigewirkt hat, schließlich zerstört und vernichtet.[8]
Verwechselt nun _Spencer_ Religion mit Philosophie, so verwechselt
_W. M. Salter_, der amerikanische Morallehrer, der auch in Deutschland
mehr und mehr zur Anerkennung gelangt, Religion mit Moral, indem er
von der »Religion der Moral« spricht. Auch hier wird also für einen
überreligiösen Standpunkt das Wort »Religion« beibehalten und so ließe
sich noch manche unberechtigte Uebertragung dieses Wortes auf eine
Sphäre, welche weit über diejenige hinausreicht, die es ursprünglich
bezeichnete, hervorheben[9].

Da gebührt unter allen, welche sich mit der Frage eines höheren
Ersatzes der Religion beschäftigt haben, _Eugen Dühring_ das Verdienst,
die Sphäre der Religion und die einer auf Erkenntniß gegründeten
Weltanschauung streng auseinander gehalten zu haben. Vermögen wir auch
Dühring's Versuch, das in Frage stehende Problem zu lösen, nicht für
einen befriedigenden zu bezeichnen, so müssen wir um so mehr seiner
scharfen Sonderung dessen, was gesondert werden muß, beistimmen[10].

Wer den überreligiösen Standpunkt deßhalb immer noch mit Religion
bezeichnet, der beweist nur, daß er entweder die alte Lehre nicht
genügend überwunden, oder daß er zwischen den verschiedenen
Geistesgebieten nicht genügend unterscheidet, oder daß er endlich von
falschen Rücksichten geleitet, das Neue mit dem Alten zu verbinden
strebt, ohne daß eine solche Verbindung möglich ist.


Fußnoten

    [6] Und nach Schleiermacher unter anderen auch D. Fr. Strauß in
        »Der alte und der neue Glaube«, wo er sagt: »Die Religion ist
        uns nicht mehr, was sie unseren Vätern war, daraus folgt aber
        nicht, daß sie in uns erloschen ist. Geblieben ist uns in jedem
        Falle der Grundbestandtheil aller Religion, das Gefühl der
        unbedingten Abhängigkeit.« Zu dieser Bezeichnung des Grundzuges
        der Religion muß eben eine nähere Bestimmung der Macht, von
        welcher der Mensch sich abhängig fühlt, hinzutreten.

    [7] Wir geben die für diese Anschauung charakteristischste Stelle
        aus »Die Grundlagen der Philosophie« (deutsch von _B. Vetter_,
        Stuttgart 1875) hier wieder. S. 14: »Jeder hat von dem Könige
        gehört, der wünschte, daß er bei der Erschaffung der Welt
        zugegen gewesen wäre, um gute Rathschläge ertheilen zu können.
        Er war aber bescheiden im Vergleich mit jenen, die da vorgeben,
        nicht allein die Beziehungen zwischen Schöpfer und Geschaffenen
        zu verstehen, sondern auch, wie der Schöpfer beschaffen sei.
        Und doch ist diese transcendentale Frechheit, die sich brüstet,
        die Geheimnisse einer Macht zu durchschauen, welche sich uns
        in allem Seienden offenbart, ja sogar dieser Macht über die
        Achsel sehen und die Bedingungen ihrer Thätigkeit beobachten
        zu können -- sie ist es denn, deren Paß auf »Frömmigkeit«
        lautet. Dürfen wir nicht ohne weiteres behaupten, daß eine
        aufrichtige Anerkennung der Wahrheit, daß unsere eigene und
        alle andere Existenz ein durchaus und für immer jenseits unsers
        Verständnisses liegendes Mysterium ist ein besser Theil wahrer
        Religion enthält, als alles, was in dogmatischer Theologie
        geschrieben worden ist?«

    [8] Von dem _Spencer_'schen Gedanken der Versöhnung zwischen
        Wissenschaft und Religion zeigt sich der amerikanische Prediger
        _M. J. Savage_ in seinem, auch in deutscher Übersetzung
        erschienenen Werke: »Die Religion im Lichte der Darwin'schen
        Lehre« (Leipzig 1886) beeinflußt. Nach _Savage_ ist die
        Welt eine stufenweise Entwickelung Gottes; seine Lehre wird
        also am besten als Panentheismus bezeichnet werden. Von der
        Evolutionslehre heißt es »sie gehe auf das reine Wort Jesu
        zurück und erfülle es kräftig mit der ganzen Erkenntniß und
        Macht der modernen Wissenschaft. Indem sie jedes Gesetz der
        Natur, des Geistes und der Religion nur als einen Ausfluß
        des lebendigen, liebenden und gerechten Gottes auffaßt,
        identificirt sie Moral und Religion durchaus, oder macht
        vielmehr die Moral zu einem Zweige der Religion, welche
        größer ist und umfassender.« Das Buch ist voll naiver
        Wunderlichkeiten, wie wenn der Verfasser auf die Frage, wie
        lange es währen wird, bis die Welt ihren Höhepunkt erreicht
        hat, antwortet: »Tausende von Jahren, denn Gott hat _keine
        Eile_, ihm bleibt die Ewigkeit für sein Wirken« etc. Wohlthuend
        aber wirkt das Vertrauen des Verfassers, daß der Menschheit
        eine große Zukunft bevorsteht.

    [9] So faßt auch _Wundt_ in der »Ethik« (Stuttgart 1886) ~p.~ 41
        den Begriff Religion zu weit, wenn er darunter »diejenigen
        Vorstellungen und Gefühle, die auf ein ideales, den Wünschen
        und Forderungen vollkommen entsprechendes Dasein sich beziehen«
        versteht.

    [10] Wir selbst haben auf die Nothwendigkeit einer genauen
        Unterscheidung und Abgrenzung der Gebiete der Religion und
        einer höheren Weltanschauung bereits hingewiesen in unserer
        Schrift »Moderne Versuche eines Religionsersatzes« (Heidelberg,
        _Weiß_ 1886).



~IV.~


Die neue Lehre oder Weltanschauung nun wird, wie wir bereits
hervorhoben, auf ein effektives Erfassen des Weltproblems und eines
höchsten Zieles, wie eine kritische Philosophie und echte Wissenschaft
sie uns betrachten lehrt, gerichtet sein müssen, ein Erfassen, aus dem
dann von selbst Pflichten und Antriebe für den handelnden Menschen sich
ergeben werden.

Aus dieser Bestimmung geht hervor, daß die neue Lehre nicht im Begriffe
der Moral aufgehen kann, in welcher so Manche ein Aequivalent für die
Religion erblicken, während wir eine Erhöhung und Vervollkommnung der
Moral vielmehr nur als eine der Wirkungen betrachten, welche die neue
Weltanschauung hervorbringen muß.

Für Andere haben die bekannten Verse _Goethe's_, nach welchen, wer
Wissenschaft und Kunst besitzt, keiner Religion bedarf, wer jene
beiden nicht besitzt, Religion haben müsse, etwas Bestechendes. Diesem
berühmten Ausspruche zufolge ist also die Beschäftigung mit Kunst
oder Wissenschaft in ihrer Allgemeinheit ein volles Aequivalent für
die Religion. Eine tiefere Erwägung jedoch ergiebt, daß keine jener
beiden Sphären in ihrer Allgemeinheit diese Leistung zu vollbringen
vermag. Was die Wissenschaft betrifft, so kommen für unser Problem
vielmehr nur jene ihrer Ergebnisse in Betracht, welche sich auf die
höchsten Weltfragen beziehen, während die Kunst und zwar hauptsächlich
die Poesie hier nur insofern eine Rolle spielt, als sie jenen höchsten
Gedanken einen idealen Ausdruck verleiht. Im Begriffe der Kunst liegt
in seiner Allgemeinheit ja nur eine formale Bestimmung, während die Art
des Inhaltes völlig dahingestellt bleibt; unser Problem erfordert aber
einen sehr bestimmten, höchsten Gedankengehalt.

Es fehlt nun nicht an Versuchen, eine neue Welt- und Lebensanschauung
an Stelle der Religion zu setzen, Versuche, welche sich hauptsächlich
an die Namen _Comte_, _Feuerbach_, _Dühring_, _Duboc_, _Nietzsche_ und
_Salter_ knüpfen, welch' letzterer allerdings vornehmlich Ethiker ist,
und zwar einer der ausgezeichnetsten Ethiker, die wir kennen. Wir haben
die Ausführungen jener Philosophen in unserer Schrift »Moderne Versuche
eines Religionsersatzes« einer kritischen Würdigung unterzogen. Wie
viel Bedeutendes und Beherzigenswerthes wir bei jenen Denkern auch
fanden, so konnten wir doch keinem unsere volle Beistimmung geben. Wir
würden die negative Seite des in jener Schrift gewonnenen Ergebnisses
heute noch schärfer betonen als damals, weil wir unsere eigene Stellung
zu dem Problem in mancher Beziehung einer Correctur zu unterwerfen
hatten. Doch kann es nicht unsere Absicht sein, unsere Kritik jener
Versuche hier einer Revision zu unterziehen. Diese wird sich durch
nähere Darlegung unserer eigenen Anschauungen über den Inhalt dessen,
was wir im Gegensatze zur Religion als neue Lehre bezeichnen möchten,
von selbst ergeben. Wir wiederholen jedoch, daß wir keineswegs der
Meinung sind, etwas absolut Richtiges oder Allgemeingültiges zu sagen,
wir geben vielmehr nur unserer persönlichen Anschauung Ausdruck, hoffen
jedoch in Anderen verwandte Saiten zu berühren.

Wie also vermögen wir durch Erkenntniß geleitet -- sei dieselbe nun
positiv oder negativ -- zu einer Idee des Weltgrundes und eines
höchsten Zieles zu gelangen, welche, indem sie unser Leben und Streben
mit etwas uns Ueberragendem verbindet, als Grundlage erhebender und
begeisternder Gefühle zu dienen vermag? Diese Gefühle aber werden keine
anderen sein, als die der tiefsten Ehrfurcht vor dem Weltgrunde, der
höchsten Hoffnung auf ein Welt- oder doch Menschenziel.

Durch welche Erkenntniß aber wird zunächst der Weltgrund für uns zum
Gegenstande der tiefsten Ehrfurcht? Allein durch die Erkenntniß, daß
eine Charakterisirung desselben oder der letzten und höchsten Dinge
unserer Beurtheilung sich entzieht, daß die Welt für unsere geistige
Organisation ein unlösbares Räthsel, ein unergründliches Mysterium ist.

Unsere Erfahrung, so lehrt die kritische Philosophie und eine ihre
Lehre bekräftigende Naturforschung, erschöpft den Weltinhalt nicht.
Unsere Vorstellungen decken sich nicht mit dem realen Sein, die
Armuth und Beschränktheit unserer Sinne, die Unzulänglichkeit unseres
Verstandes vermag uns nur ein völlig subjektives und unvollkommenes
Bild der Welt zu bieten, und jeder Schluß, der von unserer
Vorstellungswelt auf das reale Sein gezogen wird, erweist sich als
trügerisch, denn es liegt, so wie wir beschaffen sind, nicht in unserer
Macht, die Schranken zu durchbrechen, welche uns von der Erkenntniß
der Welt trennen. -- Ebensowenig wie die Außenwelt, erkennen wir uns
selbst, denn auch die psychischen Phänomene sind eben nur Phänomene.
Doch was ist ihr tiefstes Wesen? was sind sie selbst? Wir können keine
Antwort finden. Ein Räthsel ist die Welt, ein Räthsel sind wir selbst,
ein Räthsel ist das Leben, ein Räthsel der Tod. Lassen wir voreilige
Metaphysiker in dem Glauben, die Weltformel gefunden und der Weisheit
letzten Schluß gezogen zu haben. _Unserer_ Weisheit letzter Schluß
sei der, daß die letzten Dinge unergründlich für uns sind, daß wir
von Räthseln umgeben inmitten eines Mysteriums leben, wir selbst ein
Mysterium. Durch diese Einsicht aber beweisen wir den höchsten Fragen
gegenüber eine tiefere Ehrfurcht, nicht nur als die Metaphysiker,
sondern auch als die Religiösen, welche den Weltgrund als etwas ihnen
Bekanntes erfassen.

Wir leugnen nun nicht, daß das Bewußtsein, eine Ergründung des
Weltwesens sei uns versagt, auch ein Gefühl in uns erwecken kann,
welches wahre Ehrfurcht ausschließt, nämlich das eines dumpfen
Schmerzes, ein Gefühl, als wären wir in einen Kerker gebannt, von
dem aus wir uns vergebens nach dem Lichte sehnen, an dessen ehernen
Wänden all unsere Versuche scheitern, der Wahrheit näher zu kommen.
Auch dieses Gefühl ist berechtigt, und in manchen Gemüthern mag es
das vorherrschende sein. Andere aber wird es nur flüchtig berühren,
während die edlere Empfindung des ehrfurchtvollen Erfassens des
Weltgeheimnisses ihnen homogener ist. Es mögen ja, namentlich in
unseren Tagen, nur Wenige dieser Vertiefung fähig sein; unsere
Zeit ist arm an Ehrfurchtsmenschen und das schöne Selbstbekenntniß
_Goethe's_: »Mein Gemüth war von Natur zur Ehrerbietung geneigt und
es gehörte eine große Erschütterung dazu, um meinen Glauben an irgend
ein Ehrwürdiges wanken zu machen«, dürfte nur von Wenigen in seiner
Tiefe erfaßt werden können. Einzelne aber werden der ehrfurchtsvollen
Versenkung in das Weltproblem dennoch fähig sein, und der wahrhaft
philosophische Geist, welcher zugleich die Kraft der Phantasie besitzt,
gewonnene Denkergebnisse in das lebendige Gefühl aufzunehmen, wird
immer wieder von diesem Gefühle erfaßt werden. Denn immer wieder wird
das Verlangen sich bei ihm regen, von dem Gegebenen, in welchem der
gemeine Sinn befangen bleibt, zu dem Gedanken des Mysteriums sich zu
erheben, oder die Dinge im Zusammenhange damit zu betrachten, wodurch
ihre Bedeutung eine wunderbare Vertiefung erfährt. In den Momenten
der höchsten Steigerung aber wird dieser Affekt der Ehrfurcht in der
Form eines inneren Erbebens auftreten, indem der Geist, die gegebene
Welt der Erscheinungen verlassend, hinabtaucht in die Räthsel des
Daseins. Und dieser Affekt hat eine kathartische Wirkung, denn er
bedeutet die Abwendung von der Unzulänglichkeit, Beschränktheit und
Vergänglichkeit der gegebenen Welt, von den Dissonanzen und der
dualistischen Zerrissenheit des Lebens, so weit wir dasselbe erkennen
und begreifen. Richten wir das Auge ausschließlich auf das Gegebene, so
gelangen wir leicht zu einer pessimistischen Verurtheilung des Seins
überhaupt. Davor kann nur das Bewußtsein uns schützen, daß der tiefste
Sinn des Seins und seine eigentliche Bedeutung uns verschlossen ist und
keinerlei Beurtheilung desselben uns zusteht.

Wir verwahren uns gegen eine Verwechselung des Gedankens, die Welt als
Mysterium zu verehren, mit dem, in die Unermeßlichkeit des Weltalls
und die Unübersehbarkeit des Weltprozesses sich zu versenken. Bleiben
wir hierbei doch innerhalb der Welt der Erscheinungen, während wir
durch die Erfassung des Weltgrundes als eines undurchdringlichen
Geheimnisses über die Phänomenalität uns erheben. Wenn wir ferner
innerhalb der Erscheinungswelt verharren, so ist die Gesammtheit
der Dinge, trotz ihrer Unfaßbarkeit doch um nichts wunderbarer, als
ein scheinbar verschwindendes Einzelding, die kosmische Harmonie um
nichts wunderbarer, als die Harmonie der Theile eines Kunstwerkes,
und es ist immer das Zeichen eines gröberen Sinnes, durch bloße
Quantitätsverhältnisse sich blenden zu lassen.

Geziemt es dem Menschen, seiner geistigen Organisation gemäß, das
Weltgeheimniß ehrfurchtsvoll zu erfassen, so wäre es doch der
vollkommenere Zustand, wenn eine Erkenntniß der letzten Dinge für ihn
erreichbar wäre, wenn sein Denken mit dem Sein sich zu decken, sein
Verstand den Weltinhalt zu erfassen, die Kraft zu begreifen vermöchte,
welche in der geistigen wie in der materiellen Welt sich offenbart.

Wäre es aber undenkbar, daß latente Kräfte im Menschen schlummern,
deren Erwachen und schrittweise Entwickelung -- wenn auch nimmermehr
den Menschen der Gegenwart oder einer nahen Zukunft, so doch den einer
ferneren Zukunft -- auf jene höhere Stufe emporzuheben vermöchten?
Sollte in der Menschheit nicht die Fähigkeit liegen, aus ihrem Zustande
der Unvollkommenheit, der Halbheit, aus dem Dualismus, in welchem
selbst ihre edelsten Geister befangen bleiben, einst herauszutreten?
Sollte es nicht im Bereiche der Möglichkeit liegen, daß nicht nur
die idealen Kräfte, welche die Menschheit bisher gezeigt hat, einer
gewaltigen Steigerung fähig wären, sondern daß auch neue, unbekannte
Potenzen dereinst in ihr zu Tage treten, welche schließlich eine
Verwandlung des Weltbildes und mit dieser höchst wahrscheinlich den
Wegfall von tausend Unvollkommenheiten der Natur herbeiführen würden,
welche der menschliche Wille nie würde überwinden können, die aber
zuletzt doch nur in unserer mangelhaften subjektiven Vorstellungsweise
begründet sind? Denn eben durch die reichere und vollkommenere
Gestaltung des Weltbildes in dem höher organisirten vorstellenden
Geiste würde die Erkenntniß des Weltinhaltes vermittelt werden.
Bietet die Wissenschaft nun irgend welche Stütze für die Annahme,
die Menschheit könnte berufen sein, zunächst auf dem Wege bewußter
Vervollkommnung, später aber durch das Erwachen neuer geistiger Kräfte,
einem Ziele entgegenzugehen -- unter welchem kein Millenium, kein
Zukunftsparadies, und was der kindlichen Träumereien mehr sind, zu
denken ist -- einem Ziele, welches den Sieg bedeutet, den Sieg der
höheren Seite der Natur über die niedere, ja eine Durchbrechung der
Schranken, in welche die menschliche Erkenntnißkraft jetzt noch gebannt
ist, durch die Entwickelung höherer geistiger Organe, wenn auch dieses
Ziel an sich noch kein letztes wäre?

Es giebt mattherzige Naturen, für welche der Gedanke des Fortschrittes,
wenn sie sich schon nicht skeptisch zu demselben verhalten, doch nichts
Anregendes, nichts Erwärmendes hat; es giebt wieder andere, welche
lebhaft an demselben festhalten, jedoch mit gewissen Verbesserungen
der menschlichen Gesellschaft, insbesondere mit einer Versittlichung
derselben sich zufrieden geben würden; endlich aber können wir uns auch
so beschaffene Geister vorstellen, welche der Menschheit und ihrer
Entwickelung nur dann Werth beimessen würden, wenn es irgend welche
Anzeichen gäbe, daß dieselbe zum Siege, zur höchsten Erkenntniß, d. h.
zum Uebergange in eine höhere Ordnung -- von dessen Bewerkstelligung
wir uns freilich keine Vorstellung bilden können -- berufen sei. Und
ist der Gedanke eines Zieles, eines Abschlusses und, wenn auch nur
eines vorläufigen, nicht ein Bedürfniß des menschlichen Geistes? Ist es
nicht ein Bedürfniß desselben ein _über alles Gegebene hinausreichendes
Ziel_ über sich zu sehen? So lange wir den Menschen als ein Wesen
betrachten, welches niemals höhere Kräfte, als die von ihm bisher
bekundeten, offenbaren wird, _so giebt es in der That kein Ziel für
ihn_; ein solches stellt erst dann sich ein, wenn wir die Möglichkeit
einer Erhebung der Menschheit zu einer höheren Organisationsstufe ins
Auge fassen, wenn auch dieses Ziel an und für sich noch kein letztes
und höchstes wäre. Für den Menschen aber müßte es ein Gegenstand der
höchsten Hoffnung, des höchsten Vertrauens sein.

Bietet die Wissenschaft irgend eine Stütze dafür, daß der Mensch dieser
Hoffnung sich ergebe?

In der That scheint in der Darwin'schen Evolutionslehre eine Stütze
dafür geboten zu sein. Diese Lehre ist keine Gewißheit, wohl aber eine
Hypothese von höchster Wahrscheinlichkeit, die in den verschiedensten
Wissenschaften unentbehrlich geworden ist. Nur Wenige, die in sie
eingedrungen sind und nicht von ihr bekehrt worden wären, so groß
ist die Kraft der Ueberzeugung, die von ihr ausgeht. Das Höhere hat
sich nach ihr aus dem Niederen entwickelt. Der Mensch ist auf dem
Wege langsamen Fortschrittes aus der niederen thierischen Stufe
hervorgegangen. Zugleich aber ist mit ihm ein Wendepunkt im organischen
Leben der Erde eingetreten, denn sein Auftreten bezeichnete die
Möglichkeit einer unermeßlichen Bewußtseinssteigerung und geistigen
Fortschrittsfähigkeit bei Beibehaltung derselben physischen
Lebensform, weshalb auch mit Recht angenommen werden darf, daß ein
etwaiger Fortschritt über den Menschen hinaus nur durch geistige
Vervollkommnung, durch die Weckung und die Entwickelung bis jetzt
unbekannter oder doch kaum angedeuteter psychischer Organe erfolgen,
daß eine _geistige Organisationssteigerung unabhängig von einer
physischen_ eintreten könne. _Darwin_ und die Mehrzahl seiner Anhänger
machen beim Menschen, in seiner jetzigen höchsten Entwickelung, Halt,
als ob mit ihm der Höhepunkt des organischen Fortschrittes der Erde
erreicht wäre. Doch deutet die ungeheure Fortschrittsfähigkeit des
Menschen, sein gewaltiges Ringen und Streben nicht darauf hin, daß er
über sich selbst hinaus will? Entspricht dem Fortschrittsgesetze die
Annahme nicht mehr, daß die Menschheit berufen sei, in einen höheren
Typus einzumünden, bei welchem ihr ideales Wollen in ein erhabenes
Können sich verwandeln würde, und daß die aufsteigende organische
Entwickelung erst in Wesen gipfle, bei welchen Denken und Sein sich
decken und die Vernunft Herrscherin geworden ist?

In Deutschland hat der Gedanke einer biologischen
Organisationssteigerung über den Menschen hinaus seinen beredtesten
Vertreter in _Carl du Prel_. In seinem Hauptwerke »Philosophie der
Mystik«[11] weist der geistvolle Forscher auf die Unvollkommenheit
hin, mit welcher die Entwickelungslehre den Menschen betrachtet,
indem sie in Bezug auf ihn nur eine ihrer Folgerungen gezogen hat.
Wenn aber bei jedem höhern Gliede der organischen Entwickelung zwei
Seiten in Betracht kommen, nämlich erstens eine Seite, welche auf die
biologische Vergangenheit zurückweist, sodann aber auch eine andere,
welche gleichsam prophetisch auf die kommende Entwickelung hindeutet,
so müsse auch der Mensch unter diesem doppelten Gesichtspunkte
betrachtet werden. »Wenn wir die Entwickelungslehre nicht als den
Mohr betrachten wollen«, sagt der Verfasser, »der seine Schuldigkeit
gethan, nachdem er uns bis zum Menschen geführt, wenn wir logisch sein
wollen, so müssen wir auch den Menschen unter diesen Gesichtspunkt
stellen. Der Darwinismus hat einen retrospektiven Blick auf die
Entwickelungsgeschichte des irdischen Lebens geworfen, giebt sich aber
keine Mühe, in der Menschennatur diejenigen Ansätze zu entdecken,
welche prophetisch sind und bei dem _derzeitigen_ Endgliede der
Entwickelung so gut vorhanden sein müssen, wie bei jedem früheren.
Wie einem jeden Naturprodukte sowohl die Rudimente der Vergangenheit,
als auch die Ansätze künftiger Entwickelung ankleben, so muß auch
der Mensch sein Janus-Gesicht haben.« Die Ansätze einer höheren
psychischen Entwickelung des Menschen -- denn nur auf psychischem
Gebiete wird, wie schon früher bemerkt, die höhere Entwickelung
erfolgen -- würden aber doch selbst ein Entwickelungsprodukt sein und
zwar offenbar ein zeitlich späteres, als die übrigen Geisteskräfte
des Menschen. Folgt daraus nicht, daß jene Ansätze und Keime einer
höheren Organisationsstufe keineswegs zur Zeit schon im Menschen sich
bemerkbar zu machen brauchen, sondern möglicherweise erst in Zukunft
sich ankündigen werden? _Du Prel_ aber betrachtet es, wie aus jenen
Sätzen hervorgeht, als selbstverständlich, daß jene Symptome zur Zeit
schon müssen bemerkbar sein. Deshalb durchforscht er das menschliche
Seelenleben. Nun ist es gewiß ein richtiger Gedanke, daß jene Symptome
nur in abnormen seelischen Zuständen könnten gefunden werden. Solche
sind die Erscheinungen des Somnambulismus, der Wahrträume, des
doppelten Gesichtes, des Gedankenlesens u. a., die wir insgesammt
als visionäre Phänomene bezeichnen können. Diese aber verdienen auch
dann ernste Beachtung, wenn man sich gegen den Spiritismus durchaus
ablehnend verhält und demselben keine reale Bedeutung beimißt.
Das Eigenthümliche bei all jenen Erscheinungen besteht darin, daß
gleichsam durch andere Organe als die normalen, über Zeit und Raum
hinausgehend, Wahrnehmungen gemacht oder Wirkungen erzielt werden.
Die Beziehungen zwischen Subjekt und Objekt erscheinen dabei theils
unmittelbarer, theils mannigfaltiger als im normalen Zustande. Es ist
nicht zu leugnen, daß jene abnormen Zustände solche einer geistigen
Erhöhung sind und dem Subjekt, wie auch unter Umständen dem Objekt
Vortheile gewähren. Wir wollen ferner nicht in Abrede stellen, daß
es viel Verlockendes an sich habe, jene Erscheinungen als Symptome
einer biologischen Organisationssteigerung zu betrachten. Eine
Gewißheit ist jedoch nicht vorhanden, um so weniger, da in jenen
Phänomenen doch nur gleichsam eine geistigere Art der Verbindung
zwischen Subjekt und Objekt geschaffen wird, nicht aber entweder
Wahrnehmungen gemacht oder Wirkungen erzielt werden, die sich innerhalb
der subjectiven Anschauungsformen nicht gleichfalls herbeiführen
ließen. Noch weniger, als in jenen immerhin auffälligen Erscheinungen
mit Sicherheit prophetische Anzeichen zu erblicken, steht das Recht
uns zu, darin mehr als höchstens Ansätze einer höheren Entwickelung
zu sehen. Obwohl _du Prel_ nun selbst einräumt, daß wir in jenen
abnormen Zuständen nur gewissermaßen ein »Wetterleuchten« zu erblicken
haben, so zögert er andrerseits nicht, die höchsten Schlüsse aus
diesen Beobachtungen zu ziehen, und in ihnen den Schlüssel zur Lösung
der schwierigsten Fragen zu erblicken. Aus dem Umstande, daß in
jenen visionären Zuständen gleichsam ein zweites, höheres Bewußtsein
in uns erwacht, ergiebt sich für _du Prel_ sofort, daß der Mensch
ein Doppelwesen sei, bestehend aus der empirischen Person, welche
im normalen Bewußtsein sich offenbart, und einem transcendentalen
Subjekt, welches eben in jenen abnormen Erscheinungen von Zeit zu Zeit
hervortritt. Weiter schließt unser Philosoph aus der Kenntniß, welche
die Somnambulen in ihren Heilsverordnungen vom menschlichen Körper und
den Gesetzen des inneren Lebens verrathen, daß das transcendentale
Subjekt das organisirende Prinzip und der Schöpfer der empirischen
Person ist. Demnach ist die irdische Verkörperung eine freie That des
transcendentalen Subjektes, eine freiwillige Inkarnation zum Zwecke der
Läuterung und Vervollkommnung, und nun ist kein weiter Schritt mehr
zum Gedanken der Palingenesis, die jedoch bei _du Prel_ in Gestalt
eines metaphysischen Darwinismus auflebt, indem die verschiedenen
biologischen Entwickelungsstufen als freiwillige Verkörperungen des
transcendentalen Subjekts in aufsteigender Linie erscheinen; die
biologische Steigerung endlich, welche über den Menschen hinausführt,
bedeutet die Befreiung des transcendentalen Subjekts von seiner letzten
sinnlichen Verkleidungsform, indem der Zweck unserer individuellen
Entwickelung die Vorbereitung des künftigen Typus des planetarischen
Menschen ist. -- Es würde eine besondere Schrift erfordern, um das
Gewebe von Irrthümern, Trugschlüssen und Unklarheiten zu entwirren,
welches in dieser Begriffsdichtung enthalten liegt, die, indem sie
Schwierigkeiten zu beseitigen glaubt, nur solche schafft. Der ganze
Gedankenbau schwebt in der Luft, da sein scheinbares Fundament, der
Schluß nämlich, daß in somnambulen und verwandten Zuständen ein
transcendentales Subjekt sich offenbare, ein Trugschluß ist, wie die
Metaphysik keinen schlimmeren sich zu Schulden kommen ließ, und der
nur aufs Neue beweist, wie ohnmächtig der menschliche Geist in seiner
jetzigen Beschaffenheit ist, die letzten Dinge zu ergründen.

Während _du Prel_ demnach von der Thatsache, daß es abnorme Zustände
giebt, eine ganze Theorie ableitet, so betrachten wir es nur als
_Möglichkeit_, daß jene abnormen Funktionen schon Ansätze höherer
psychischer Formen seien;[12] während sich für unseren Philosophen
aus jenen Phänomenen die Lösung der schwierigsten Probleme ergiebt,
so halten wir es _nur nicht für ausgeschlossen_, daß eben aus jenen
Phänomenen die psychischen Kräfte sich entwickeln können, welche den
Zukunftsmenschen oder die höhere Wesensstufe, zu welcher die Menschheit
emporsteigen wird, befähigen werden, das Wesen der Erscheinungen zu
begreifen. Dann erst würde erkannt werden, was wie allen Erscheinungen,
so auch der Persönlichkeit zu Grunde liegt.[13]

Die wesentlichen Gründe aber, weshalb wir eine vertrauensvolle
Hingebung an den Gedanken, daß die Menschheit berufen sei, durch
Organisationssteigerung zum Siege fortzuschreiten, d. h. zur höchsten
Erkenntniß, zur Ueberwindung des Dualismus, in dem sie jetzt befangen
ist, zu einer nicht nur wahrhaftigeren, sondern auch reicheren und
vollkommeneren Weltanschauung für berechtigt halten -- gleichviel ob
bereits Ansätze zu diesem höheren Zustande vorhanden sind oder nicht
-- sind das durch den Darwinismus betonte Gesetz der Entwickelung
des Höheren aus dem Niederen und der unbestreitbar gewaltige
Vervollkommnungsdrang des Menschen, seine tiefgehende Unzufriedenheit
mit allem Geleisteten, seine erhabene Sehnsucht nach einem höheren
Daseinszustande.

Ein großer Theil des zu vollziehenden Fortschritts würde allerdings
nur durch Vorgänge in der geistigen Organisation des Menschen
erfolgen können, welche gänzlich außer dem Bereiche seiner bewußten
Anstrengung fallen, wie ja auch schon der Gedanke, welcher im Genius
aufleuchtet, und, wenn verkündet, eine allgemeine Bewußtseinssteigerung
herbeiführt, frei aus der Tiefe des Geistes aufsteigt. Allein bevor
jene höheren Kräfte im Menschen in Wirksamkeit treten würden, bevor sie
möglicherweise in Wirksamkeit treten _können_, müssen die gewaltigsten
bewußten Anstrengungen, sowohl intellektueller als auch moralischer
Art vorhergehen, die dann dem höheren Daseinszustande offenbar zu
Gute kämen, der Art, daß letzterer nicht nur ein Ziel der Hoffnung,
sondern auch in einem gewissen Sinne ein Ziel des Strebens ist. Man
darf annehmen, daß die erwiesenen Kräfte des Menschen erst müssen
ausgeschöpft werden, bevor neue Kräfte in ihm auftreten können. Solche
aber werden ein reicheres, den Weltinhalt umfassendes Wahrnehmungs- und
gesteigertes Begriffsvermögen sein, während auch unser ästhetisches und
ethisches Bewußtsein für den Zukunftmenschen nicht kann verloren gehen.

Der Gedanke eines Ueberganges des Menschen in eine höhere Ordnung mag
den Meisten, obgleich er im Grunde, wie wir schon früher bemerkten,
nur der Ausdruck eines tiefen Bedürfnisses des über alles Gegebene
hinausstrebenden menschlichen Geistes ist, als phantastisch und
befremdend erscheinen. Doch rührt dies wohl hauptsächlich daher,
weil man jenes Ziel zu nahe an unser Entwickelungsniveau heranrückt
und nicht bedenkt, daß das letztere mit dem ersteren durch eine
unermeßliche Kette von fortschreitenden Bewußtseinssteigerungen und
-Erweiterungen, durch eine stete Vermehrung der Beziehungen zwischen
Geist und Welt, durch eine immer souveränere Beherrschung der Natur
mittelst immer vollkommenerer Erfindungen, durch eine wachsende
Freimachung der menschlichen Kräfte, durch eine fortschreitende
Verfeinerung unseres Willens, eine Vergeistigung des Lebens, eine
unendliche Bereicherung unseres Wissens, eine immer vollkommenere
Ausgestaltung ihrer spezifischen moralischen und intellektuellen
Vorzüge durch die modernen Kulturvölker und endlich durch das
_Hervortreten neuer Kräfte_ im Menschen würde vermittelt werden. Dieser
Fortschritt wird nur in Form eines langsamen, mühsamen Prozesses vor
sich gehen können,[14] aber der Fortschritt selbst ist unleugbar. Sehr
schön bemerkt _Philipp Mainländer_, wenn auch vom Standpunkte des
dogmatischen Pessimisten aus, welchem ein dereinstiger freiwilliger
Untergang der Menschheit durch ein Erlahmen der Lebenskräfte eine
Gewißheit ist: »Wie Sterne stille stehen, ja, rückläufig zu sein
scheinen, so scheint auch dem in das Einzelne versunkenen Geist die
Menschheit bald stille zu stehen, bald rückläufig. Der Philosoph
aber sieht überall nur resultirende Bewegung und zwar eine stetige
_Vorwärtsbewegung_ der Menschheit.«[15]

In unserer Aera ist nicht nur der Gedanke des Fortschrittes durch
die Evolutionslehre mächtiger, als zu irgend einer anderen Zeit,
hervorgetreten, sondern macht der Fortschritt selbst -- wie
wir den Verkleinerern unserer Zeit, die an Einzelheiten haften
bleiben, gegenüber behaupten wollen -- in intensiver Weise auf
den verschiedensten Gebieten sich bemerkbar, wie unvollkommen das
Vorhandene auch immer noch sei.

Da zeigt sich zunächst ein Fortschritt in der Sphäre der Moral.
Wie mangelhaft unsere Moral auch noch ist, so ist doch nicht zu
bestreiten, daß heute eine höhere Achtung vor dem Menschen besteht,
daß die Menschen mehr aneinander denken, und daß die Idee einer
gerechten socialen Ordnung in höherem Maße die Geister beschäftigt,
als zu einer früheren Zeit. Unser moralisches Ideal ist ein höheres
geworden und _W. M. Salter_[16] weist nach, daß die Sittenlehre
Jesu unseren Ansprüchen nicht mehr genügen könne. Daß aber unser
moralisches Ideal ein vollkommeneres geworden ist, ist ein Beweis
dafür, daß unsere Moral selbst sich vervollkommnet hat. Eine
Verbreitung der Entwickelungstheorie kann ihrerseits nur zur Erhöhung
der Moral beitragen, »denn die Erkenntniß der Thatsache der Vererbung
geistiger und physischer Eigenschaften, wenn nicht auf Kinder so auf
Kindeskinder, der Vererbung, deren Wirkungsbereich wir im einzelnen
Falle nie bestimmen können -- muß auf eine Erhöhung des Gefühls der
Verantwortlichkeit hinwirken, da wir so gewahren, daß die Folgen des
guten wie des schlechten Handelns sich noch weiter erstrecken, als wir
zuvor geahnt hatten«[17]. Als Zeichen der Zeit muß auch die erfreuliche
Erscheinung der Gesellschaften für ethische Cultur in Nord-Amerika
begrüßt werden, deren Zahl im Wachsen begriffen ist.

Wir brauchen kaum an den mächtigen Aufschwung der Wissenschaften in
den letzten Decennien, an das Aufblühen neuer Wissenszweige und neuer
Methoden der Forschung, an die enormen Fortschritte in der technischen
Beherrschung und Verwerthung der Naturkräfte, als Beweis für unsere
oben ausgesprochene Behauptung, zu erinnern. Wenn _Dühring's_
Ausspruch, daß die Größe unseres Jahrhunderts allein in dessen
polytechnischen Errungenschaften zu suchen sei, auch ein einseitiger
ist, so weist er doch auf ein Gebiet hin, auf welchem in der That die
größten Fortschritte gemacht worden sind. Und doch scheinen wir am
Vorabende neuer Entdeckungen und Erfindungen zu stehen, und lassen sich
gewisse technische Ergänzungen unserer unvollkommenen körperlichen
Organisation wohl jetzt schon vorherbestimmen.[18]

Die Leugner des Fortschrittes sind wohl am leichtesten durch die
Thatsache des _wachsenden Geschichtsüberblickes_ zu widerlegen, der
doch gewiß als eine Form des Fortschritts muß betrachtet werden.
Durch das Aufblühen zahlreicher neuer Wissenschaften ist der
Geschichtsüberblick gerade in unserer Zeit außerordentlich erweitert,
unser Bewußtsein dadurch ungemein bereichert worden. Aber nicht nur
unsere Gedanken-, sondern auch unsere Empfindungswelt hat z. B.
durch die Vermittlung der Dichtungen alter oder fremder Völker eine
Bereicherung erfahren, sowie eben dadurch wieder für unsere moderne
Poesie neue Stoffgebiete sind erobert worden. Das wichtigste Ergebniß
des wachsenden Geschichtsüberblickes dürfte aber dieses sein, daß
wir den Menschen immer genauer kennen lernen, immer deutlicher die
Ursachen wahrnehmen, welche den Fortschritt der Völker gefördert und
welche ihn gehemmt haben, wodurch wir wieder der Wege klarer uns
bewußt werden, welche die Völker in Zukunft einzuschlagen haben, um
sicherer und rascher vorwärts zu schreiten und nicht immer wieder von
den »retardirenden Dämonen« beirrt und zurückgehalten zu werden. An die
Möglichkeit eines Zusammenbruchs der modernen Kultur, gleich demjenigen
der antiken, durch den Anprall barbarischer oder halbbarbarischer
Völker braucht aber nicht gedacht zu werden, weil heute umgekehrt die
culturtragenden Rassen es sind, welche die rohen Völker mehr und mehr
in ihrer Existenz bedrohen. Die Cultur kann nicht verloren gehen, wenn
auch einige der weniger lebenskräftigen Culturvölker einst von der
Bildfläche verschwinden sollten.

Die Künste scheinen bei oberflächlicher Betrachtung allerdings eher
in einem Rückgange begriffen zu sein, aber man übersehe nicht, daß
unsere Zeit einen epochemachenden musikalischen Genius höchster Ordnung
hervorgebracht, daß einige Kunstzweige einen Aufschwung genommen haben,
wie sie einen solchen zu keiner früheren Epoche aufzuweisen hatten, daß
die Technik mancher Künste sich vervollkommnet, der Stoffkreis sich
ungemein erweitert hat und daß manche Nationen, welche bis vor kurzem
als künstlerisch unproduktiv galten, mit einem Schlage eine Reihe
bedeutender Dichter und Künstler hervorgebracht haben, die, aus dem
Vollen schöpfend, die Kunst mit neuen Typen und Formen bereichert haben.

Trotzdem muß zugestanden werden, daß die Phantasie in den
Wissenschaften und auf technischem Gebiete heute weit größere Triumphe
feiert, als in den Künsten. Aber es sind Anzeichen vorhanden, daß die
Kunst, wenn die maßgebenden Nationen aus ihrem jetzigen socialen
Revolutionszustande werden herausgetreten sein und die Gesellschaft
festere Formen wird angenommen haben, wenn ferner die Resultate der
Naturforschung und die dadurch geschaffene enorme Erweiterung des
Gesichtskreises die Phantasie mächtiger werden ergriffen haben, auf
neuer Grundlage nur um so machtvoller aufblühen wird.

Einer der wichtigsten Fortschritte der modernen Culturvölker in der
Gegenwart aber ist die wachsende Lossagung von der Religion, einer der
wichtigsten Fortschritte der Zukunft wird es sein, daß unter jenen
Nationen, welche zur Führung der Menschheit berufen sind und die
dereinst vielleicht den Inbegriff der Menschheit bilden werden, eine
neue Lehre sich befestige, vermöge welcher alles Leben und Streben
eine höhere Bedeutung erhalten wird. Daß die Evolutionslehre mit den
gewaltigen Perspektiven, die sie, wenn richtig verstanden, eröffnet,
hierbei eine große Rolle spielen wird, indem das _effektive Erfassen
des Fortschrittsgesetzes den Fortschritt selbst beschleunigen wird_,
scheint uns keinem Zweifel zu unterliegen. Der Individualität wird
in der Art der Verwerthung jener Lehre immer ein weiter Spielraum
bleiben. Die Idee des Fortschritts, wenn mit Phantasie erfaßt, hat,
wenn selbst das Ziel des Fortschritts völlig unbestimmt gelassen wird,
etwas Erregendes, Begeisterndes. Um so mächtiger muß sie den Geist
ergreifen, wenn mit ihr die Idee eines höchsten Zieles verbunden
wird, in dem einst alle Errungenschaften des Menschen, wie die Ströme
in dem Weltmeer, einmünden sollen. Dieser Uebergang wird eben von
jenen Völkern oder von jenem Volke vollzogen werden, welches am
lebenskräftigsten und fortschrittsfähigsten sich bewährt hat und
dadurch der natürliche Herr der Erde geworden ist.

Somit wäre unsere Weltanschauung eine ausgesprochen optimistische?
Allerdings, wie die Evolutionslehre selbst es ist, aber nur in dem
Sinne, daß dem Menschengeschlechte eine unermeßliche Kraft des
Fortschritts zugetraut und eine große Zukunft von ihm erwartet wird.
Aber daß das Vollkommene erst von der Zukunft erwartet, daß auf
sie unsere Hoffnung gerichtet wird, ist ein Beweis, daß wir eine
optimistische Auffassung der Gegenwart und Vergangenheit, bei aller
Verehrung für einzelne große Errungenschaften, nicht für gerechtfertigt
halten. Wir wollen hier nicht das Urtheil der großen Philosophen und
Dichter des Pessimismus über die gegebene Welt wiederholen, die jedoch
darin fehlten, daß sie erstens die Welt, wie wir sie kennen, mit dem
realen Sein verwechselten, zweitens aus der trüben Vergangenheit
und trüben Gegenwart voreilig auf die Nothwendigkeit einer trüben
Zukunft schlossen, -- eine Anschauung, welche der Evolutionslehre
und dem gewaltigen Fortschrittsstreben der Menschen widerspricht.
Die pessimistische Betrachtung des Gegebenen aber ist selbst wieder
ein Hebel des Fortschritts, denn nur aus tiefer Unzufriedenheit mit
dem thatsächlich Gegebenen wird jeder Fortschritt geboren. Nur indem
wir beständig von dem Gefühle unserer Unvollkommenheit begleitet
werden, vervollkommnen wir uns. Dasselbe gilt vom allgemeinen wie vom
Einzelleben, und das Bewußtsein, daß das Leiden der gewaltigste Urheber
alles Fortschritts ist, daß die Beseitigung des Leidens das Ende alles
Strebens und aller Vorwärtsbewegung wäre, vermag uns vor ungemessenen
Klagen zu bewahren und an einem vorschnell verdammenden Urtheil über
den Lebensinhalt zu hindern. Die blos pessimistische Auffassung des
Gegebenen muß zu stumpfer Resignation und Entmuthigung führen, wenn wir
nicht von dem Vertrauen beseelt sind, daß die menschliche Natur durch
unentwegtes Vorwärtsstreben, welches das Leiden hervorruft, verbessert
werden kann, und daß der Menschheit ein hohes Ziel winkt.

Eine Gewißheit ist jenes Ziel, welches den Sieg bedeutet, allerdings
nicht. Möglicherweise ist die Menschheit nur eines gewissen Grades
der Vervollkommnung fähig, ohne diese Grenze überschreiten zu
können. Möglicherweise bezeichnet der Mensch in einem etwas höheren
Vervollkommnungszustand, als er ihn jetzt aufweist, dennoch den
Gipfelpunkt der organischen Entwickelung der Erde. In diesem Falle
wäre die bisherige Entwickelung eine _ziellose und trügerische_, das
Streben und Ringen der Menschheit ein _vergebliches_ gewesen, da
unüberwindliche und unausrottbare Mängel und Gebrechen sie, so wie sie
ist, ewig hindern würden, Vollkommenheit und Seligkeit zu erlangen.

Wie sollen wir uns in einem solchen Falle die Zukunft der Menschheit
denken? Da würde wohl _Mainländer's_ Prophezeihung zur Wahrheit werden.
Demnach würde die Civilisation und Bildung zunächst in immer weitere
Kreise dringen, bis sie, nachdem die unzähmbaren Feinde der Cultur im
Kampfe mit den Culturträgern sich aufgerieben, alle Menschen umspannt
hätte. Allmählig aber würde ein Nachlassen und endlich ein Stillstehen
der schöpferischen Kräfte sich bemerkbar machen. Die Menschheit
würde nicht mehr fortschreiten. Da aber die ursprüngliche Macht der
Leidenschaften durch die Cultur gemäßigt wäre, so würde der Zustand der
Stagnation bald zu einem solchen der allgemeinen Ermüdung und Ermattung
überleiten, die Todessehnsucht den Lebenstrieb überwinden, wobei nicht
an einen allgemeinen Selbstmord, sondern an ein natürliches Aufhören
der Menschheit zu denken wäre.

Das Ziel, welches die Evolutionslehre verheißt, hat weit größere
Wahrscheinlichkeit für sich, als dieses, da jedoch auch dieses Ziel
keine _volle Gewißheit_ ist, so ergiebt sich, daß der Werth des
Lebens, _unseres_ Lebens allerdings zur Zeit noch nicht mit Gewißheit
bestimmt werden kann -- in dem Sinne nämlich, ob das Sein dem Nichtsein
oder dieses jenem vorzuziehen sei --, und daß die Philosophen,
die es dennoch unternommen -- und die Mehrzahl derselben hat es
unternommen --, voreilig geurtheilt haben, denn so lange wir Werdegang
und Ziel des Lebens nicht mit Gewißheit beurtheilen können, _vermögen
wir auch seinen Werth nicht mit Sicherheit zu schätzen_.

Demnach wäre uns allerdings nur _eine_ Gewißheit gegeben, diese
nämlich, daß die Menschheit _in jedem Falle ihrer Erlösung
entgegengeht_, sei es der Erlösung von der Unvollkommenheit durch
den Sieg, sei es der Erlösung von einem ziellosen Leben durch einen
freiwilligen Untergang. Aber auch in dem letzteren Falle würde den
Menschen nicht das Recht zustehen, das Nichtsein höher zu schätzen,
als das Sein überhaupt, sondern nur als _dasjenige Sein, welches eben
der Menschheit beschieden war_. Sollte aber eine Erdkatastrophe die
Menschheit hinwegraffen, bevor sie zur Gewißheit über ihre Bestimmung
gelangt ist, dann wäre dies nur ein Beweis, daß von vornherein die
Bedingungen gefehlt haben, die der Menschheit den Fortschritt zu einem
höheren Ziele ermöglicht hätten.

Wenn nun aber auch nur die Erlösung der Menschheit an sich, sei es
in der einen oder in der anderen Form, nicht aber die Erlösung durch
den Sieg eine volle Gewißheit ist, so ist die letztere Form ihrer
Erlösung doch die _unvergleichlich wahrscheinlichere_ und auf den
größeren Grad der Wahrscheinlichkeit kommt es hier wie überall an. Es
kann über Entwickelung und Schicksale der Menschheit ja _keinerlei
bestimmte Prophezeiung_ gemacht werden, die größere _Wahrscheinlichkeit
eines Zieles_ aber wird unser Hoffen und Streben bestimmen müssen,
und deshalb geziemt es uns, im Hinblick auf die Evolutionslehre und
auf die Consequenzen, welche sich aus ihr ergeben, den Gedanken eines
unermeßlichen Fortschrittes der Menschheit, einer Hervorkehrung neuer,
unbekannter Kräfte, einer Annäherung an ein erhabenes Ziel zu unserem
Leitstern zu erheben.

Nun wird es nicht an Stimmen fehlen, welche einwenden werden, daß,
wie hoch das Ziel auch sei, welches der Zukunftsmensch erringen wird,
dieser Gedanke dem gegenwärtigen Menschen doch keine Erhebung gewähren
könne, da er persönlich nichts von jenen Errungenschaften wahrnehmen
werde, und kein Mitgenuß ihm zu Theil werden kann. Dem gegenüber
muß jedoch hervorgehoben werden, daß es nicht minder unzulässig
ist, die Unsterblichkeit absolut zu negiren als sie zu behaupten,
wiewohl weit mehr Gründe gegen, als für die Annahme einer solchen zu
sprechen scheinen, und daß Derjenige, welchem die Hoffnung auf einen
persönlichen höheren Existenzzustand ein unabweisbares Bedürfniß
ist, dieselbe nicht vollständig braucht sinken zu lassen, obgleich
es würdiger wäre, er würde mit dem Gedanken sich begnügen, daß die
_guten Thaten_, die er vollbracht, stets fortwirken werden, daß _diese_
unsterblich sind.

Muthigere, stärkere und selbstlosere Geister aber werden, unbekümmert
um ihr persönliches Schicksal, in der Idee einer unermeßlichen
Fortschrittsfähigkeit der Menschheit und eines großartigen Zieles,
eines siegreichen Abschlusses der aufsteigenden planetarischen
Entwickelung, eine Erhebung und Ermunterung zum persönlichen
Vorwärtsstreben finden. Indem der Mensch zu jenem hohen Ziele
emporblickt, fühlt er sich Eins mit der lichtschaffenden Naturkraft
selbst, und was er sucht und liebt, wird gleich jener das Große und
Vollkommene sein. Der »Nützlichkeitslehre«, die heute wieder so
viel Beifall findet, wird ein von dieser Idee Durchdrungener nicht
zum Opfer fallen, denn ihm wird es klar sein, daß es nimmermehr
auf die Gefühlszustände der Individuen, sondern auf ihr Werk, ihre
Leistung ankommt. Der Utilitarismus betrachtet als oberstes Princip
der Moral »das größte Glück der größten Anzahl« oder die »Maximation
der Glückseligkeit«; allein die Voraussetzung, daß mit der Erhöhung
der Moral das Glück der Menschen im Allgemeinen eine Steigerung
erfahre, ist einfach eine Täuschung. Indem wir uns eine eingehendere
Begründung dieser Behauptung für eine andere Gelegenheit vorbehalten,
wollen wir an dieser Stelle nur Folgendes zum Beweise für dieselben
hervorheben: es läßt sich zunächst in Bezug auf jene, an welchen
_gehandelt wird_, nur sagen, daß durch die Vervollkommnung der Moral
einerseits allerdings viele Leiden beseitigt werden, während sich doch
durchaus nicht bestimmen läßt, inwiefern dadurch auch positives Glück
geschaffen wird, indem Gerechtigkeit, Rücksicht und Theilnahme von
Seiten der Mitmenschen keineswegs immer als Glück empfunden werden --
zeigen sich in der Art, wie die Menschen dieselben Dinge betrachten
und empfinden, doch die allergrößten Verschiedenheiten --, während
andererseits Ungerechtigkeit und Unterdrückung durchaus nicht immer
als Leiden empfunden werden und Jemand durch ein Unrecht, welches ihm
widerfahren ist, ebensogut gefördert wie geschädigt werden kann; in
Bezug auf die _Handelnden_ aber läßt sich mit Bestimmtheit sagen, daß
je mehr die Menschen der Stimme der Pflicht, statt dem Lockrufe ihrer
egoistischen Neigungen folgen, je ausdauernder sie auf ihrem Posten
beharren, je mehr sie sich zur Gerechtigkeit zwingen, je strenger sie
sich selbst überwachen, je empfindlicher ihr Gewissen wird, um so
strenger, ernster und mühevoller das Leben sich gestalten wird. Um es
zu wiederholen: so wenig wie der Mensch, so wie er beschaffen ist, zur
Vollkommenheit berufen ist, ebenso wenig ist er zur Glückseligkeit
berufen, denn aller Fortschritt der Cultur besteht in einer Steigerung
der Strenge des Menschen gegen sich selbst. Der Utilitarismus
betrachtet den Menschen irrthümlicher Weise als Selbstzweck, während
er nur ein transitorischer Typus ist und aller Wahrscheinlichkeit nach
auf eine höhere Seinsordnung hinstrebt, der all seine Errungenschaften
dereinst zu Gute kommen werden. Deshalb handelt es sich auch in der
moralischen Sphäre nicht um die Gefühlszustände der Individuen, sondern
um Befestigung, Kräftigung und Stärkung der menschlichen Gemeinschaft,
als der nothwendigen Voraussetzung und Grundlage aller höheren Cultur,
deshalb frägt es sich bei Aufstellung höchster Principien nicht darum,
was der Mensch empfindet, sondern was er wirkt, voraussichtlich wirkt
zu Gunsten einer höheren Ordnung, als deren Vorläufer er zu betrachten
ist.

Etwas soll der Mensch über sich anerkennen. Da er selbst das
Vollkommene nicht darstellt, so soll er es verehren und seine Dienste
ihm widmen, denn das Vollkommene soll uns nicht nur ein Gegenstand
der Verehrung sein, sondern unser gesammtes Streben soll dadurch
eine Directive erhalten. Jede ideale Kraftanspannung bedeutet einen
Fortschritt, und um so freudiger muß das Erreichbare erstrebt
werden, _je größer der Zusammenhang, in dem man es betrachtet_.
Durch den Hinblick auf ein erhabenes Ziel wird aber zugleich unsere
Beurtheilung des Gegebenen und durch den Menschen in seiner jetzigen
Gestalt Erreichbaren, berichtigt. Demnach werden wir die einzelnen
Errungenschaften zu schätzen wissen, ohne sie jedoch als etwas
Endgiltiges oder Letztes zu betrachten, und wird uns ferner klar
werden, daß, wie der Mensch zur Zeit beschaffen ist, eine harmonische
Entwickelung und allseitige Vervollkommnung von ihm nicht erwartet
werden kann, daß er immer nur in einzelnen Richtungen Bedeutendes
wird leisten können und daß es genug ist, wenn jeder die Kraft, die er
besitzt, übt und entfaltet.

Wenn aber Jemand einwenden sollte, das Ziel, welchem die Menschheit,
wenn nicht alle Zeichen trügen, voraussichtlich entgegengehen wird, sei
zu entfernt, um als Antrieb auf unser Thun zu wirken, so ist diesem
Kleinmüthigen zu entgegnen, daß in jedem idealen Gedanken, in jeder
edlen und schöpferischen That bereits ein Strahl der künftigen Sonne
aufleuchtet, bereits ein Ton der künftigen Harmonie erklingt, die den
Übergang zu einem höheren Zustande vorbereiten werden.

In der ehrfürchtigen Versenkung in das Mysterium der Welt und in dem
Ausblick auf ein erhabenes Ziel, für dessen Wahrscheinlichkeit so
gewichtige Gründe sprechen, welches aber die Menschheit zum Theil
durch bewußtes Vorwärtsstreben, zum Theil durch das Erwachen höherer
geistiger Potenzen in ihr wird erringen können, scheint uns in der
That eine Weltanschauung geboten zu sein, die nicht nur an Wahrheit,
sondern auch an ethischem Werth über der Religion steht, letzteres aber
dadurch, daß nicht der persönliche Egoismus es ist, welcher in jenem
Ziele Befriedigung findet.


Fußnoten

    [11] Leipzig 1885.

    [12] Die Deutung, welche die visionären Phänomene in der Regel
        finden, diese ist allerdings Aberglaube. Die einfache
        Thatsache, daß das Hervortreten jener Erscheinungen
        durch gewisse klimatische und terrestrische Einflüsse
        scheint besonders begünstigt zu werden -- man denke
        an die besondere Inclination der Schotten, Westphalen
        und Esthländer zum »zweiten Gesicht« --, beweist, in
        welch einem Irrthum sich diejenigen befinden, welche
        transcendentale Offenbarungen in denselben erblicken.
        Die Existenz gewisser abnormer Phänomene scheint aber so
        sicher zu sein, wie die der normalen selbst. Doch folgt
        aus der Annahme derartiger Erscheinungen noch lange nicht,
        daß man auch die Möglichkeit spiritistischer Phänomene
        beglaubige. Dabei kommt es nicht sowohl auf die einzelnen
        Erscheinungen, sondern auf das Vorhandensein solcher
        Erscheinungen im Allgemeinen an. Da dies Erscheinungsgebiet
        vielfach als Tummelplatz schwindelhafter Umtriebe
        mißbraucht wird, so wird es oft schwierig sein, zwischen
        Wahrheit und Betrug zu unterscheiden.

    [13] Man wolle den biologischen Fortschritt über die jetzige
        Organisation des Menschen hinaus, wie wir ihn denken, nicht
        mit Friedrich Nietzsche's Lehre vom »Übermenschen«, welcher
        er in dem seltsamen Buche »Also sprach _Zarathustra_«
        Ausdruck verliehen hat, indentificiren. Schon die
        Bezeichnung, die Nietzsche für sein Ideal wählt, erscheint
        uns als ein Mißgriff. Das Ideal selbst aber, welches uns in
        dieser Gedankendichtung vorgeführt wird, ist einfach _der
        Genius_, über welchen der höhere Typus, wie wir ihn denken,
        sich eben erheben würde, indem ja auch der Genius in der
        menschlichen Halbheit und im Mangel an höherer Erkenntniß
        noch befangen bleibt, der eben überwunden werden soll. In
        der lebendigen Erfassung der Idee eines höheren Typus, wird
        der Leser den wesentlichsten Fortschritt dieser Schrift
        über »Moderne Versuche etc.« hinaus erkennen, da dort
        dieser Gedanke zwar angedeutet, doch nicht tiefer, nicht
        affektiv erfaßt, deshalb auch die Möglichkeit eines letzten
        Zieles für den Menschen geleugnet wurde.

    [14] Mit Recht sagt _Goethe_: »Die Welt soll nicht so rasch
        zum Ziele, als wir denken und wünschen. Immer sind die
        retardirenden Dämonen da, die überall dazwischen und
        überall entgegentreten, so daß es zwar im Ganzen vorwärts
        geht, aber sehr langsam.« Und _Jean Paul_ sagt: »Durch
        ein rothes Meer des Blutes und des Krieges waten wir dem
        gelobten Lande entgegen und unsre Wüste ist lang.«

    [15] Philosophie der Erlösung S. 291.

    [16] »Die Religion der Moral« (Leipzig 1885).

    [17] _G. von Gizycki_, Darwinismus und Ethik. »Deutsche
        Rundschau« 1885 Mai S. 264. Vergl. W. M. Salter's
        Abhandlung »~Darwinism in Ethics~«, welche im dritten Hefte
        der neubegründeten amerikanischen Zeitschrift »~The Open
        Court~« in Chicago erschienen ist. -- _G. von Gizycki_
        ist einer der geistvollsten Vertreter einer Lehre, des
        Utilitarismus nämlich, zu der wir uns persönlich freilich
        durchaus negativ verhalten.

    [18] Vergl. _Du Prels_ interessantes und instruktives Buch »Die
        Planetenbewohner und die Nebularhypothese«. (Leipzig 1887.)



Von =~Dr.~ _H. Druskowitz_= erschien ferner:


Bei Georg Weiß, Verlag in Heidelberg:


Moderne Versuche eines Religionsersatzes.

Ein philosophischer Essay.

Preis 1 Mk. 60 Pf.


Wie ist Verantwortung und Zurechnung ohne Annahme der Willensfreiheit
möglich?

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Drei englische Dichterinnen.

Johanna Baillie -- Elisabeth Barrett Browning -- George Eliot.

Essays. 8°.

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Druck von Greßner & Schramm, Leipzig.



    Weitere Anmerkungen zur Transkription


    Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.
    Unterschiedliche Schreibweisen wurden wie im Original beibehalten.
    Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.

    Korrekturen:

    S. 26: Mysterium → Mysterium ist
      ein unergründliches {Mysterium ist}



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