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Title: Reisebilder - und verschiedene Skizzen
Author: Twain, Mark
Language: German
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    Anmerkungen zur Transkription


    Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter oder
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    dargestellt=.

    Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
    Buches.



    Mark Twains

    Ausgewählte

    Humoristische Schriften

    Illustriert von =H. Schrödter= und =Albert Richter=

    Sechster Band:

    Reisebilder

    [Illustration]

    Stuttgart

    Verlag von Robert Lutz
    1908



    Reisebilder

    und verschiedene Skizzen

    Von

    Mark Twain

    (S. L. Clemens)

    Übersetzt von _Marg. Jacobi_, _Henny Koch_ und _L. Ottmann_.

    Illustriert von =H. Schrödter=

    Anhang: _Mark Twains Lebensgeschichte_

    [Illustration]

    Stuttgart

    Verlag von Robert Lutz
    1908



Alle Rechte vorbehalten.


Druck von A. Bonz’ Erben in Stuttgart.



Inhalt.


                                                 Seite

    Eine Rigibesteigung                              7

    Ein Tischgespräch                               21

    Ein Landsmann                                   33

    Noch ein Landsmann                              45

    Die Besteigung des Riffelbergs                  51

    Kinderspiele                                    73

    Peinliche Ohrenmusik                            76

    Die Schrecken der deutschen Sprache             79

    Berliner Eindrücke                              93

    Eine schlaflose Nacht                           99

    Rezept für Schwarzwäldergeschichten            107

    Die Ameise                                     112

    Eine Episode in Baden-Baden                    118

    Wagnermusik                                    122

    Sonntagsheiligung in Deutschland               129

    Trauben- und Molkenkur                         131

    Der deutsche Portier                           133

    Duelle:

    I. Das deutsche Studentenduell                 137

    II. Die wahre Geschichte des Duells
        zwischen Gambetta und Fourtou              147

    Eine Beobachtung in Paris                      168

    Pariser Führer                                 172

    Die alten Meister                              178

    Tot oder lebendig                              187

    Michel Angelo                                  200

    Ein türkisches Bad                             208

    Die Hunde von Konstantinopel                   214

    Des Kapitäns Bibel-Erklärung                   218

    Was mir der Professor erzählte                 225

    Ein Besuch des Niagara                         235

    Britische Festlichkeiten                       246

    Tischrede bei einem Festessen der Amerikaner
    in London zur Feier des 4. Juli                250

    Ein Zwiegespräch                               254

    Ein Miniaturreich                              259

    Anhang:

    Die Lebensgeschichte Mark Twains               273



Eine Rigibesteigung.


Der Rigi kann per Eisenbahn, zu Pferde oder zu Fuß erstiegen werden,
je nach Belieben des Reisenden. Ich und mein Freund warfen uns in
Touristenanzüge und fuhren an einem herrlichen Morgen per Dampfboot den
See hinauf. In Wäggis, einem Dorfe am Fuße des Berges, ¾ Stunden von
Luzern, gingen wir ans Land.

Bald ging’s behaglich und stetig den schattigen Fußweg hinauf und
unsere Zungen waren, wie gewöhnlich, bald in schönster Bewegung. Alles
ließ sich herrlich an, und wir versprachen uns nicht wenig, sollten wir
doch zum erstenmal den Genuß eines Sonnenaufgangs in den Alpen erleben;
das war ja der Zweck unserer Tour. Wir hatten anscheinend keinen
triftigen Grund zu eilen, unser Reisehandbuch hatte den Weg von Wäggis
bis zum Gipfel als nur 3¼ Stunden weit angegeben. Anscheinend sage ich,
weil uns Bädeker schon einmal angeführt hatte.

Als wir etwa eine halbe Stunde gegangen waren, kamen wir in die
richtige Stimmung für das Unternehmen und trafen Anstalt zum Steigen,
das heißt, wir mieteten einen Burschen zum Tragen der Alpenstöcke,
Reisetaschen und Ueberzieher, wodurch wir die Hände frei bekamen.

Wahrscheinlich haben wir häufiger im schönen, schattigen Gras geruht,
um ein paar Züge aus unseren Pfeifen zu thun, als unser Führer gewohnt
war, denn plötzlich fuhr er uns mit der Frage an, ob wir ihn nach dem
Tarif oder fürs Jahr mieten wollten. Wir sagten, er möge immer voran
gehen, wenn er Eile habe. Er erwiderte, Eile habe er eigentlich nicht,
doch möchte er den Berg hinauf kommen, so lange er noch jung sei. Wir
sagten ihm, er möge nur vorausgehen, das Gepäck im obersten Hotel
abgeben und unsere baldige Ankunft melden. Er meinte, Zimmer wolle
er für uns schon bestellen; wenn aber alles voll sei, wolle er ein
neues Hotel bauen lassen und dafür sorgen, daß Maler- und Gipserarbeit
trocken wären, bis wir ankämen. Unter solchen spöttischen Bemerkungen
verließ er uns und war bald unsern Augen entschwunden.

Um 6 Uhr waren wir schon ein gutes Stück in der Höhe und die Aussicht
hatte an Reiz und Umfang bedeutend zugenommen. Bei einem kleinen
Wirtshause machten wir Halt, genossen im Freien Brot, Käse und ein oder
zwei Liter frischer Milch, und dazu das großartige Panorama; -- dann
setzten wir uns wieder in Bewegung.

Nach 10 Minuten begegneten wir einem Engländer mit heißem, kupferrotem
Gesicht, der in mächtigen Sätzen den Berg herabstürmte, indem er sich
an seinem Alpstock immer eine tüchtige Strecke vorwärts schwang.
Atemlos und schweißtriefend hielt er bei uns an und fragte, wie weit es
bis Wäggis drunten am See sei. --

»Drei Stunden!«

»Was? der See scheint ja so nahe, als ob man einen Kieselstein
hineinwerfen könnte. Ist das ein Wirtshaus?«

»Ja.«

»Das ist recht! Ich kann es nicht noch einmal drei Stunden aushalten.«

Auf meine Frage, ob wir wohl nahe am Gipfel seien, rief er: »Meiner
Treu! Ihr habt ja eben erst angefangen zu steigen!«

Ich schlug deshalb meinem Reisegenossen Harris vor, auch in besagtem
Wirtshaus zu bleiben. Wir drehten um, ließen uns ein warmes Nachtessen
bereiten und verlebten mit dem Engländer einen lustigen Abend.

[Illustration]

Die deutsche Wirtin gab uns hübsche Zimmer und gute Betten, und ich
und mein Freund legten uns nieder mit dem Entschluß, früh genug
aufzustehen, um unsern ersten Sonnenaufgang in den Alpen nicht zu
versäumen. Aber wir waren todmüde und schliefen wie Nachtwächter;
folglich war es, als wir am Morgen erwachten und ans Fenster stürzten,
für den Sonnenaufgang schon zu spät: -- es war halb 12 Uhr. Das war
ein harter Schlag, doch trösteten wir uns mit der Aussicht auf ein
gutes Frühstück und beauftragten die Wirtin, den Engländer zu rufen;
aber sie erzählte uns, daß dieser unter allerlei Verwünschungen schon
bei Tagesanbruch auf und davon gegangen sei. Wir konnten nicht auf
den Grund seiner Erregung kommen. Er hatte die Wirtin nach der Höhe
des Wirtshauses über dem See genau gefragt und sie hatte 1495 Fuß
angegeben; diese Zahl mußte ihn ganz außer Rand und Band gebracht
haben, denn er habe hinzugefügt: »In einem Lande, wie diesem, können
Narren und Reisehandbücher einem in 24 Stunden mehr Bären aufbinden als
sonstwo in einem Jahre.«

Gegen Mittag nahmen wir den Weg wieder unter die Füße und strebten
frischen gewaltigen Schrittes dem Gipfel zu. Als wir etwa 200 Meter
marschiert waren und anhielten, um zu rasten, blickte ich beim Anzünden
meiner Pfeife von ungefähr nach links und entdeckte in einiger
Entfernung eine Rauchsäule, die wie ein langer schwarzer Wurm lässig
den Berg hinaufkroch. Das konnte nur der Rauch einer Lokomotive sein.
Auf unsere Ellbogen gestützt, stierten wir das uns völlig neue Mirakel
dieser Bergbahn an. Es erschien unglaublich, daß das Ding schnurgerade
aufwärts kriechen konnte auf einer schiefen Ebene, steil wie ein Dach;
es geschah aber vor unsern Augen: ein leibhaftiges Wunder. --

Noch ein paar Stunden, und wir erreichten ein schönes zephyrumsäuseltes
Hochthal, wo die Dächer der kleinen Sennhütten mit großen Steinen
belegt waren, um sie am Grund und Boden festzuhalten, wenn die großen
Stürme toben. Weit weg am andern Ufer des Sees konnten wir einige
Dörfer erblicken und jetzt zum erstenmal ihre zwerghaften Häuser mit
den Bergriesen vergleichen, an deren Fuße sie schliefen.

Wenn man sich inmitten eines solchen Dorfes befindet, kommt es einem
ziemlich ausgedehnt vor und die Häuser erscheinen stattlich, selbst
im Verhältnis zu den hereinragenden Bergen; aber von unserm hohen
Platze aus, welch eine Veränderung! Die Berge erschienen massenhafter
und großartiger, dagegen waren die Dörfer so klein geworden, beinahe
unsichtbar und lagen so dicht am Boden, daß ich sie nur vergleichen
kann mit winzigen Erdarbeiten von Ameisen, überschattet von dem
himmelanstrebenden Bau eines Münsters. Die Dampfboote, welche drunten
den See durchschnitten, erschienen in der Entfernung nur noch so groß
wie Kinderspielzeug und vollends die Segel- und Ruderboote wie winzige
Fahrzeuge, bestimmt für die Elfen, die in Lilienkelchen haushalten und
auf Brummhummeln zu Hofe reiten.

Wir gingen weiter und stießen bald auf ein halbes Dutzend weidender
Schafe unter dem Gischt eines Gießbaches, der wohl hundert Fuß hoch
sich am Felsen herabstürzte. Doch horch! Ein melodisches ›Lal ... l
... l ... lal ... loil-lahi-o-o-o!‹ trifft unser Ohr. Wir hören zum
erstenmal das berühmte Alpenjodeln inmitten der wilden Gebirgsgegend,
in der es heimisch ist. Es ist jenes seltsame Gemisch von Bariton und
Falsett, das wir zu Hause Tiroler Triller nennen.

Das Gejodel war hübsch und munter anzuhören und bald erschien der
Jodler -- ein Sennbub von 16 Jahren. In unserer Freude und Dankbarkeit
gaben wir ihm einen Franken, damit er weiter jodle. Er jodelte und
wir lauschten. Beim Weitergehen jodelte er uns großmütig außer Sicht.
Ebenso der zweite, auf den wir eine Viertelstunde später stießen, und
dem wir seine Kunst mit einem halben Franken bezahlten.

Von nun an begegneten wir alle zehn Minuten einem Jodler; dem ersten
gaben wir 8 Cts., dem zweiten 6, dem dritten 4, dem vierten 1 Cts.,
Nummer 5, 6, 7 erhielten gar nichts! Für den Rest des Tages erkauften
wir das Stillschweigen der übrigen Jodler mit 1 Fr. per Kopf. Man
bekommt es unter solchen Umständen doch schließlich satt.

Zehn Minuten nach 6 Uhr erreichten wir die Kaltbadstation, wo ein
geräumiges Hotel mit Verandas steht, die einen weiten Umblick auf
Berge und Seen gestatten. Wir waren nicht so sehr ermüdet, aber, um
am andern Morgen ja den Sonnenaufgang nicht zu verschlafen, machten
wir unsere Mahlzeit so kurz als möglich und eilten zu Bett. Es war
unaussprechlich angenehm, unsere steifen Glieder in den kühlfeuchten
Betten auszustrecken. Und wie fest wir schliefen! Kein Schlaftrunk
wirkt so trefflich, wie eine solche Alpenfußtour.

Morgens erwacht, waren wir beide mit einem Sprung aus den Federn und
an den Fenstern; wir zerrten die Vorhänge zurück, erfuhren aber leider
eine neue herbe Enttäuschung: Es war nämlich schon halb 4 Uhr mittags.
In sehr mürrischer Laune kleideten wir uns an, wobei jeder dem andern
die Schuld in die Schuhe schob. Harris meinte, wenn ich ihm gefolgt
wäre und wir den Reisediener mitgenommen hätten, wäre uns dieser
Sonnenaufgang nicht entgangen. Ich behauptete dagegen, daß dann einer
von uns hätte aufbleiben müssen, um den Diener zu wecken, außerdem
hätten wir Mühe genug mit uns selbst auf dieser Klettertour, auch ohne
die Sorge für den Reisediener.

Das Frühstück regte unsere Lebensgeister wieder etwas an, besonders
auch die beruhigende Versicherung im Bädeker, oben auf dem Rigi
brauche der Reisende nicht besorgt zu sein, daß er den Sonnenaufgang
verschlafe, er werde vielmehr beizeiten von einem Mann geweckt, der mit
einem großen Alphorn von Zimmer zu Zimmer gehe und seinem Instrumente
Töne entlocke, die Tote zu erwecken imstande seien; und noch eine
andere Bemerkung des Reisehandbuches tröstete uns, die Versicherung
nämlich, daß oben in den Rigi-Hotels die Gäste sich morgens nicht ganz
anzukleiden brauchen, sondern sich einfach ihrer roten Bettteppiche
bemächtigen und mit diesen, wie Indianer drapiert, ins Freie stürmen.
O, das muß schön und romantisch sein! -- 250 Personen auf dem
windigen Gipfel gruppiert, mit fliegenden Haaren und wehenden roten
Bettteppichen, in der feierlich ernsten Gegenwart der schneeigen
Bergspitzen, beleuchtet von den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne,
das muß ein herrlicher und denkwürdiger Anblick sein! Unter diesen
Umständen war es fast ein Glück, kein Unglück, daß wir die frühern
Sonnenaufgänge verfehlt hatten.

Nach dem Reisehandbuch waren wir nun 3228 Fuß über dem Spiegel des Sees
und konnten somit volle Zweidrittel unserer Wanderung als vollendet
betrachten. Wir brachen ¼ nach 4 Uhr nachmittags von neuem auf; etwa
hundert Schritte über dem Hotel verzweigte sich die Bahnlinie, der eine
Arm ging gerade aufwärts den steilen Berg hinan, der andere bog nach
rechts ab in ziemlich sanfter Steigung; wir folgten dem letzteren über
eine Meile, bogen um eine Felsenecke und kamen in Sicht eines neuen
hübschen Hotels. Wären wir gleich weitergegangen, so hätten wir den
Gipfel erreicht, aber Harris wollte allerhand Erkundigungen einziehen.
Er wurde belehrt -- und zwar falsch, wie gewöhnlich, -- daß wir
umkehren und den andern Weg gehen müßten. Dies kostete uns eine schwere
Menge Zeit.

Wir kletterten und kletterten; wir kamen wohl über vierzig Hügel, aber
immer erschien ein neuer so groß wie die frühern. Es begann zu regnen;
wir wurden durch und durch naß und es war bitter kalt. Dampfende
Nebelwolken deckten bald den ganzen Abgrund zu; der Eisenbahndamm, auf
welchen wir stießen, war unser einziger Wegweiser! Manchmal krochen wir
längs desselben ein Stück weit fort, allein als sich der Nebel etwas
zerteilte, bemerkten wir mit Schrecken, daß wir uns mit dem linken
Ellbogen über einem bodenlosen Abgrund befanden, weshalb wir eiligst
wieder den Bahndamm zu erreichen trachteten.

Die Nacht brach ein, rabenschwarz, nebelig und kalt. Etwa um 8
Uhr abends hob sich der Nebel etwas und ließ uns einen ziemlich
undeutlichen Pfad erblicken, der links aufwärts führte. Diesen Weg
einschlagend, waren wir eben weit genug weg vom Eisenbahndamm, um
denselben nicht wieder finden zu können, als auch schon wieder eine
Nebelwolke herabschoß und alles in undurchdringliches Dunkel hüllte.

Wir befanden uns an einem rauhen, dem Unwetter vollkommen
preisgegebenen Ort, und waren genötigt, auf- und abzugehen, um uns warm
zu machen, obgleich wir dadurch Gefahr liefen, gelegentlich in einem
Abgrund zu verschwinden.

Um 9 Uhr machten wir die wichtige Entdeckung, daß wir jeden Pfad
verloren hatten. Wir krochen auf Händen und Knieen umher, konnten ihn
aber nicht mehr finden; somit setzten wir uns wieder in das nasse
Gras und warteten das Weitere ab. Plötzlich jagte uns eine ungeheure
dunkle Masse, die vor uns auftauchte, nicht geringen Schrecken ein;
sie verschwand aber alsbald wieder im Nebel, es war, wie wir später
erfuhren, das längst ersehnte Rigi-Kulm-Hotel, aber die nebelhafte
Vergrößerung ließ es uns als den gähnenden Rachen eines tödlichen
Abgrundes erscheinen.

Da saßen wir nun eine lange Stunde mit klappernden Zähnen und
zitternden Knieen, den Rücken gegen den vermeintlichen Abgrund gekehrt,
weil von dorther etwas Zugluft zu verspüren war. Dabei ereiferten wir
uns leidenschaftlich, denn jeder wollte dem andern die Dummheit in die
Schuhe schieben, den Bahnkörper verlassen zu haben. Nach und nach wurde
der Nebel dünner und als Harris zufällig um sich blickte, stand das
große, hell erleuchtete Hotel da, wo vorher der Abgrund gewesen war.
Man konnte beinahe Fenster und Kamine zählen.

Unser erstes Gefühl war tiefer, unaussprechlicher Dank, unser zweites
rasende Wut, weil das Hotel wahrscheinlich schon seit dreiviertel
Stunden sichtbar gewesen war, während wir pudelnaß dasaßen und uns
zankten.

Ja, es war das Rigi-Kulm-Hotel auf dem Gipfel des Rigi, und wir
fanden dort die Zimmer, die unser Bursche für uns bestellt hatte, --
allerdings bekamen wir zuvor die hochmütige Ungefälligkeit des Portiers
und des sonstigen Dienstpersonals gründlich zu kosten.

[Illustration]

Wir verschafften uns trockene Kleider, und während unser Abendbrot
bereitet wurde, irrten wir einsam durch eine Anzahl höhlengleicher
Wohnräume, von denen eines einen Ofen besaß. Dieser Ofen in einer Ecke
des Zimmers war von einer lebendigen Wand der allerverschiedensten
Menschenkinder umgeben. Da wir nun nicht ans Feuer herankommen konnten,
wandelten wir in den arktischen Regionen der weiten Säle umher,
unter einer Menge Menschen, die schweigend, in sich verloren und wie
versteinert das Problem zu ergründen suchten, warum sie wohl solche
Narren gewesen waren, hierher zu kommen. Einige davon waren Amerikaner,
einige Deutsche, die weitaus überwiegende Mehrzahl aber waren
Engländer. In einem der Räume drängte sich alles um die ›~Souvenirs
du Righi~‹, die dort feilgeboten werden. Ich wollte zuerst auch ein
geschnitztes Falzbein mit Gemshorngriff mitnehmen; ich sagte mir
jedoch, daß mir der Rigi mit seinen Annehmlichkeiten wohl auch ohnedies
in guter Erinnerung bleiben würde, -- und erstickte deshalb das Gelüste.

Das Abendessen erwärmte uns, und wir gingen sofort zu Bette -- d. h.
nachdem ich an Bädeker noch einige Zeilen geschrieben hatte. Derselbe
ersucht nämlich die Touristen, ihn auf etwaige Irrtümer in seinem
Reisehandbuch aufmerksam zu machen. Ich schrieb ihm, daß er sich, indem
er den Weg von Wäggis bis zum Gipfel nur zu 3¼ Stunden angebe, just um
drei _Tage_ geirrt habe. Eine Antwort habe ich nie erhalten, auch ist
im Buche nichts geändert worden -- mein Brief muß also wohl verloren
gegangen sein.

Wir waren so todmüde, daß wir sofort einschliefen und uns nicht regten
noch bewegten, bis die herrlichen Töne des Alphorns uns weckten.
Man kann sich denken, daß wir keine Zeit verloren, sondern schnell
ein paar Kleidungsstücke überwarfen, uns in die praktischen roten
Teppiche wickelten und unbedeckten Hauptes in den pfeifenden Wind
hinausstürzten. Wir erblickten ein großes hölzernes Gerüste, gerade
am höchsten Punkte der Spitze. Dorthin lenkten wir unsere Schritte,
krochen die Stufen hinauf und standen da, erhaben über der weiten Welt,
mit fliegenden Haaren und im Wind flatternden roten Teppichen.

»Mindestens fünfzehn Minuten zu spät!« sagte Harris mit trauriger
Stimme, »die Sonne steht schon über dem Horizont.«

»Schadet nichts,« erwiderte ich, »es ist dennoch ein großartiger
Anblick und wir wollen ihn noch weiter genießen, bis die Sonne höher
steht.«

Einige Minuten waren wir tief ergriffen von dem wunderbaren Anblick
und für alles andere tot. Die große, klare Sonnenscheibe stand jetzt
dicht über einer unendlichen Anzahl weißer Zipfelmützen -- bildlich
gesprochen. Es war ein wogendes Chaos riesiger Bergmassen, die Spitzen
geschmückt mit unvergänglichem Schnee und umflutet von der goldenen
Pracht des zitternden Lichtes, während die glänzenden Sonnenstrahlen
durch die Risse einer der Sonne vorgelagerten schwarzen Wolkenmasse,
gleich Schwertern und Lanzen aufschossen zum Zenith.

[Illustration]

Wir konnten nicht sprechen, ja kaum atmen; wir standen in trunkener
Verzückung und sogen diese Schönheit ein, als Harris plötzlich schrie:
»_Verd -- sie geht ja unter!_«

Wahrhaftig, wir hatten das Morgenhornblasen überhört, hatten den ganzen
Tag geschlafen und waren erst am Blasen des Abendhorns aufgewacht: das
war niederschmetternd.

Auf einmal sagte Harris: »Allem Anschein nach ist nicht die Sonne der
Gegenstand der Aufmerksamkeit der unter uns versammelten Menschen,
sondern wir, hier oben auf diesem Gerüst, in diesen eselhaften
Teppichen. 250 fein gekleidete Herren und Damen starren uns an und
kümmern sich kein Haar um Sonnenauf- oder Niedergang, so lange wir
ihnen ein derartiges lächerliches Schauspiel bieten. Die ganze
Gesellschaft will ja vor Lachen bersten und das junge Mädchen dort
wird nächstens platzen. In meinem Leben ist mir kein solcher Mensch
vorgekommen wie Sie!«

»Was habe ich denn gethan?« erwiderte ich erregt.

»Sie sind um halb 8 Uhr abends aufgestanden, um den Sonnenaufgang zu
sehen, ist das nicht genug!?«

»Und haben Sie nicht dasselbe gethan? möchte ich wissen; ich bin immer
mit der Lerche aufgestanden, bis ich unter den versteinernden Einfluß
Ihres ausgetrockneten Gehirns kam.«

»Schämen Sie sich nicht, in diesem Aufzug auf einem vierzig Fuß
hohen Schaffot auf dem Gipfel der Alpen zu stehen, unter Ihnen
eine endlose Zuschauermenge? Ist das der Schauplatz für derartige
Expektorationen?!« So ging der Streit in diesem Maskenanzug fort. Als
die Sonne untergegangen war, schlichen wir uns ins Hotel zurück und
wieder zu Bett. Wir begegneten dem Hornbläser auf dem Wege dahin, und
er versprach, uns morgen sicher zu wecken.

Er hielt Wort, wir hörten das Alphorn und standen sofort auf; es war
finster und kalt. Als ich nach dem Zündhölzchen umhertappend mit
schlotternden Händen eine Anzahl Dinge zerbrach und zu Boden warf,
wünschte ich, die Sonne möchte bei Tag aufgehen, wo es hell, warm und
angenehm ist.

Es gelang uns endlich, uns bei dem zweifelhaften Licht zweier Kerzen
anzukleiden; doch konnten wir mit unsern zitternden Händen nichts
zuknöpfen; ich überlegte, wie viel glückliche Menschen in Europa,
Asien, Amerika etc. jetzt friedlich in ihren Betten ruhten und nicht
aufzustehen brauchten, um den Rigi-Sonnenaufgang zu sehen. In diesen
Gedanken versunken, hatte ich etwas zu ausgiebig gegähnt, so daß ich
mit einem meiner Zähne an einem Nagel über der Thür hängen blieb.
Während ich auf einen Stuhl stieg um mich loszumachen, zog Harris die
Vorhänge zurück und sagte: -- »O! welches Glück! wir brauchen ja nicht
einmal das Zimmer zu verlassen -- da unten liegen die Berge in ihrer
ganzen Ausdehnung.«

Das war erfreulich; in der That, man konnte die großen Alpenmassen
sich in unsichern Umrissen gegen das schwarze Firmament abheben und
einen oder zwei Sterne durch das Morgengrauen schimmern sehen. Gut
angekleidet und warm versorgt in den wollenen Teppichen stellten
wir uns am Fenster auf mit brennenden Pfeifen und in unterhaltendem
Geplauder, in behaglicher Erwartung eines Sonnenaufgangs bei
Kerzenbeleuchtung. Nach und nach verbreitete sich ein leichtes
ätherisches Licht in unmerklicher Zunahme über die luftigen Spitzen der
Schneewüste, -- doch auf einmal schien ein Stillstand eingetreten zu
sein; ich sagte:

»Mit diesem Sonnenaufgang scheint es einen Haken zu haben. Es will
nicht recht gehen. Was meinen Sie, daß schuld sei?«

»Ich weiß nicht, es macht den Eindruck, wie wenn irgendwo Feuer wäre.
Ich sah nie solch einen Sonnenaufgang.«

»Nun, was mag wohl der Grund sein?«

Harris sprang jetzt mit einemmal auf und rief: -- »Ich hab’s! Ich
hab’s! wir sehen ja dorthin, wo gestern abend die Sonne _unterging_!«

»Vollkommen richtig! Warum haben Sie das nicht früher gemerkt? Jetzt
haben wir wieder einen verfehlt; und alles durch Ihre Dummheit. Ja! Das
sieht nur Ihnen gleich, eine Pfeife anzuzünden und den Sonnenaufgang
im _Westen_ zu erwarten.«

»Es sieht mir auch gleich, den Irrtum entdeckt zu haben; Sie hätten das
doch nie gemerkt! Ich muß alle diese Dummheiten entdecken!«

»Sie machen sie alle! Aber wir wollen die Zeit nicht mit Streiten
verlieren, vielleicht kommen wir doch noch rechtzeitig!« Allein es war
zu spät, die Sonne war schon weit oben, als wir auf den Platz kamen.
Wir begegneten der heimkehrenden Menge -- Herren und Damen in allerlei
komischer Bekleidung und mit frierenden Gesichtern.

Etwa ein Dutzend waren noch auf dem Platze. Sie suchten mit
Reisehandbuch und Panorama jeden Berg zu bestimmen und die
verschiedenen Namen und Formen ihrem Gedächtnis einzuprägen.

Es war ein betrübender Anblick.

Nach meiner Schätzung brauchten wir einen Tag, um zu Fuße nach Wäggis
oder Vitznau zu kommen; soviel war aber sicher, daß wir mit der Bahn
etwa eine Stunde brauchen würden und deshalb wählte ich das letztere.

Eine herrliche Thalfahrt auf der schwindelnden Bergbahn, die uns eine
Wunderwelt gleich einer Reliefkarte zu unsern Füßen ausgebreitet
sehen ließ, bildete den würdigen Schluß unserer ereignisreichen
Rigibesteigung mit ihrem verunglückten Sonnenaufgang.



Ein Tischgespräch.


Auf unserer Schweizerreise waren wir, ich und mein Reisebegleiter
Harris, einmal im ›Schweizerhof‹ in Luzern abgestiegen, wo wir ein
Tischgespräch hatten, an das ich zeitlebens denken werde.

Man ging um 7½ zur Tafel, an der sich eine Menge Angehöriger der
verschiedensten Nationalitäten zusammenfanden; doch ließen sich an
den ungeheuer langen Tischen besser Kleider als Menschen beobachten,
da man die Gesichter meist nur in der Perspektive zu sehen bekam. Das
Frühstück dagegen wurde an kleinen runden Tischen eingenommen, und wenn
man das Glück hatte, einen Platz in der Mitte des Saales zu erhalten,
konnte man so viele Gesichter studieren, als man wünschte.

Oefters versuchten wir zu erraten, zu welcher Nation die Leute
gehörten, und dies gelang uns ziemlich gut, aber mit den Namen
der Personen glückte es uns weniger; um _diese_ zu raten, ist
wahrscheinlich viele Uebung nötig. So gaben wir dies denn auf und
begnügten uns mit weniger schwierigen Versuchen.

Eines Morgens sagte ich: »Da sitzt eine Gesellschaft Amerikaner!«

»Ja,« meinte Harris -- »aber aus welchem Staat?«

Ich nannte einen Staat, Harris einen andern! Daß das junge Mädchen,
welches zu der Gesellschaft gehörte, sehr schön sei und sehr
geschmackvoll gekleidet, darin waren wir einer Meinung, über ihr Alter
jedoch konnten wir uns nicht einigen: ich meinte, sie sei achtzehn,
Harris hielt sie für zwanzig. Wir ereiferten uns darüber und ich sagte
schließlich, als ob es mein Ernst wäre: »Die Sache läßt sich ja sehr
leicht entscheiden, -- ich will hingehen und sie fragen.«

Harris erwiderte in spöttischem Ton: »Ja, das wird wohl das beste sein.
Du brauchst ja nur hinüberzugehen und mit der hier gebräuchlichen
Formel zu sagen: ›Ich bin Amerikaner!‹ dann wird sie sich natürlich
sehr freuen, dich zu sehen.« Dabei gab er mir zu verstehen, daß ich es
wohl schwerlich wagen würde, sie anzureden.

»Ich habe nur so gedacht,« versetzte ich, »und es nicht im Ernst
gemeint, aber du traust mir doch zu wenig Courage zu; ein Frauenzimmer
macht mir nicht so leicht bange, und jetzt gehe ich hin und spreche mit
dem Fräulein.«

Mein Vorhaben war sehr einfach: ich wollte sie höchst ehrerbietig
anreden und um Entschuldigung bitten, wenn ihre große Aehnlichkeit
mit einer früheren Bekannten mich getäuscht hätte. Wenn sie mir dann
antwortete, der Name, den ich genannt habe, sei nicht der ihrige,
so wollte ich mich abermals aufs höflichste entschuldigen, meine
Verbeugung machen und mich wieder zurückziehen. Daraus konnte doch kein
Unglück entstehen. -- Ich ging also an den Tisch, verbeugte mich vor
dem Herrn und wollte mich eben mit meiner Rede an sie wenden, als sie
ausrief:

»Also habe ich mich doch nicht geirrt! -- Ich sagte gleich zu John,
daß Sie es wären; er wollte mir nicht glauben, aber ich wußte, daß ich
recht hatte und sagte, Sie würden mich sehr bald erkennen und zu uns
herüberkommen! Es freut mich sehr, daß Sie es gethan haben, denn wenn
Sie fortgegangen wären, ohne mich zu erkennen, hätte ich das nicht
für sehr schmeichelhaft gefunden. Bitte, setzen Sie sich doch! -- Wie
merkwürdig! -- Sie sind wirklich der letzte Mensch, den ich erwartet
hätte jemals wieder zu sehen!«

[Illustration]

Das war eine Ueberraschung, die mich förmlich betäubte und mir einen
Augenblick die Besinnung raubte. Indessen schüttelten wir uns herzlich
die Hände und ich nahm neben ihr Platz; aber in einer solchen Klemme
war ich wirklich noch nie gewesen. Mir dämmerte es dunkel, als ob ich
die Züge des Mädchens schon einmal gesehen hätte, aber wo das gewesen
war und welcher Name ihr gehörte, war mir gänzlich entfallen. Daher
begann ich sogleich die Rede auf schweizer Landschaften zu bringen, um
mich nicht zu verraten; allein es half nichts, sie ging ohne Umschweife
auf die Dinge los, die sie näher interessierten.

»Nein, was das für eine Nacht war, als der Sturm die vorderen Boote mit
wegriß! Wissen Sie noch?«

»Wie sollte ich nicht!« sagte ich, aber ich hatte keine Ahnung. Ich
wollte, der Sturm hätte auch das Steuer, den Schornstein und den
Kapitän selbst mit weggerissen, dann wäre mir vielleicht ein Licht
aufgegangen, wo ich die Fragerin hinthun sollte.

»Und erinnern Sie sich, wie bange die arme Marie war?«

»Jawohl,« sagte ich, »nein, wie einem alles wieder gegenwärtig wird.«

Das wünschte ich zwar aufs innigste, aber es war wie aus meinem
Gedächtnis weggeblasen! Das Klügste wäre gewesen, offen die Wahrheit
zu gestehen, aber das konnte ich nicht übers Herz bringen, nachdem das
junge Mädchen mir solches Lob gespendet, weil ich sie wieder erkannt
hatte. So geriet ich denn immer tiefer hinein und hoffte vergebens auf
einen rettenden Faden, um aus dem Labyrinth zu kommen.

Die Unerkennbare fuhr lebhaft fort: »Denken Sie, Georg hat doch noch
Marie geheiratet!«

»Wirklich? Ist es möglich!« --

»Jawohl; er sagte, er glaube, daß ihr Vater viel mehr schuld gewesen
sei, als sie selbst; und ich glaube, er hatte recht, meinen Sie nicht
auch?«

»Natürlich, es war ja ganz klar, ich habe es doch immer gesagt.«

»O nein, Sie waren ja anderer Meinung, wenigstens in jenem Sommer.«

»Im Sommer, da haben Sie ganz recht, aber im folgenden Winter sagte
ich’s.«

»Nun, es stellte sich heraus, daß Marie gar nicht schuld war, sondern
nur ihr Vater und der alte Darley.«

Um doch etwas zu erwidern, sagte ich:

»Ja, Darley habe ich immer als ein lästiges altes Geschöpf angesehen!«

»Das war er auch, aber trotz seiner Sonderbarkeiten waren Sie ihm
zärtlich zugethan; -- wissen Sie noch, wie er immer versuchte, ins Haus
zu kommen, sobald es nur im geringsten kalt war?«

Ich getraute mir nicht, weiter zu gehen. Offenbar war dieser Darley
kein Zweifüßler, sondern irgend ein Vierfüßler, vielleicht ein Hund,
möglicherweise ein Elefant. Da nun jedes Tier eine Haut hat, so fiel
ich im Anschluß an ihre Frage mit der Bemerkung ein:

»Und was er für ein Fell hatte!«

Diese Bemerkung mußte passen, denn sie sagte zustimmend:

»Ja, ein sehr dickes -- und erst seine Wolle!«

Das verblüffte mich, ich wußte nicht recht weiter und sagte nur:

»Ja, an Wolle fehlte es ihm nicht!«

»Einen Neger mit solchem Wollhaar könnte man lange suchen,« meinte sie.

Das war ein Lichtblick, denn mir fing an schwül zu werden, und ich war
froh, als sie fortfuhr:

»Er war doch selbst bequem genug einquartiert, aber wenn es kalt wurde,
fand er sich stets bei der Familie ein und war nicht wieder aus dem
Hause zu bringen. Man sah ihm manches nach, weil er vor Jahren Tom das
Leben gerettet hatte. Erinnern Sie sich noch an Tom?«

»Ganz deutlich, er war ein so hübscher Mensch!«

»Jawohl, und das Kind ein so niedliches Ding.«

»Ein hübscheres Kind habe ich nie gesehen.«

»Ich that nichts lieber, als mit ihm tändeln und spielen.«

»Und ich schaukelte es so gern auf den Knieen.«

»Sie haben ihm auch den Namen ausgesucht, -- wie war es doch?«

Jetzt kam ich aufs Glatteis! Hätte ich nur des Kindes Geschlecht
gewußt. Zum guten Glück fiel mir ein Name ein, der für alle Fälle
paßte. Ich sagte:

»Es wurde Fränzchen genannt.«

»Nach einem Verwandten vermutlich. Aber dem verstorbenen, das ich nie
gesehen habe, gaben Sie auch den Namen; wie hieß denn das?«

Da das Kind tot war und sie es nie gesehen hatte, dachte ich, man
könnte auf gut Glück einen Namen wagen und so antwortete ich:

»Es hieß Thomas Heinrich!«

Sie wurde nachdenklich und sagte: »Das ist doch sonderbar -- sehr
sonderbar!«

Ich saß ganz still und der kalte Schweiß lief an mir herunter. Aber, so
arg meine Verlegenheit war, so hoffte ich doch, mich aus der Klemme zu
ziehen, wenn sie nur nicht noch mehr Namen von Kindern wissen wollte.
-- Ich war begierig, wo der nächste Blitz einschlug. Sie war noch mit
dem Namen des letzten Kindes beschäftigt, sagte aber plötzlich:

»Es war recht schade, daß Sie gerade fort waren als mein Kind geboren
wurde, sonst hätten Sie seinen Namen auch wählen müssen.«

»Ihr Kind? Sind Sie denn verheiratet?«

»Ich bin seit dreizehn Jahren verheiratet.«

»Getauft, meinen Sie wohl.«

»Nein, verheiratet, -- dieser Knabe hier ist mein Sohn.«

»Das scheint ja ganz unglaublich, -- fast unmöglich! Wenn Sie es nicht
für unhöflich halten, möchte ich mir wirklich erlauben zu fragen, ob
Sie älter als achtzehn sind?«

»Am Tag des Sturmes, von dem wir sprachen, war ich gerade neunzehn, das
war mein Geburtstag.«

Dadurch wurde ich wenig klüger, da ich das Datum des Sturmes nicht
wußte.

Ich dachte nach, was ich wohl Unverfängliches sagen könnte, um
meinen Anteil an der Unterhaltung beizutragen und meinen Mangel an
Erinnerungen weniger bemerklich zu machen. Aber nichts Unverfängliches
wollte mir einfallen. Wenn ich sagte: ›Sie haben sich seitdem nicht im
geringsten verändert!‹ so war das riskiert; meinte ich dagegen: ›Sie
sehen jetzt viel besser aus‹ so ging das auch nicht. Eben wollte ich
einen Ausfall auf das Wetter machen, als meine Landsmännin mir zuvorkam
und rief:

»Wie habe ich mich gefreut, einmal wieder von den lieben alten Zeiten
zu sprechen! Sie nicht auch?«

»Gewiß, eine solche halbe Stunde habe ich noch nie erlebt,« versetzte
ich voll Gefühl und hätte mit Wahrheit hinzufügen können: ›Lieber
wollte ich mir bei lebendigem Leibe die Haut abziehen lassen, als
sie noch einmal durchzumachen.‹ Ich war von Herzen dankbar, mit der
Feuerprobe fertig zu sein und wollte mich eben verabschieden, als sie
fortfuhr:

»Nur eins geht mir im Kopf herum!«

»Was denn?«

»Der Name des verstorbenen Kindes. Wie sagten Sie doch, daß es hieß?«

Jetzt war ich übel daran; ich hatte des Kindes Namen ganz vergessen,
wie konnte ich ahnen, daß ich ihn noch einmal brauchen würde. Ich ließ
mir nichts anmerken und sagte kühn:

»Joseph Wilhelm.«

Aber der Knabe neben mir verbesserte meinen Irrtum:

»Nein; Thomas Heinrich.«

Ich bedankte mich bei ihm und sagte: »Ach ja, ich habe es mit einem
andern Kind verwechselt, richtig, Thomas Heinrich hieß das arme Kind;
Thomas, hm -- nach dem großen Thomas Carlyle, und Heinrich -- hm --
nach Heinrich VIII., die Eltern waren sehr zufrieden mit den Namen.«

»Dadurch wird es nur noch sonderbarer,« murmelte meine schöne Freundin.

»Warum denn?«

»Weil die Eltern es immer Amalie Susanne nennen, wenn sie von ihm
sprechen.«

Jetzt war meine Weisheit zu Ende; ich war wie auf den Mund geschlagen
und wußte weder aus noch ein. Um die Sache fortzusetzen, hätte ich
lügen müssen, und das wollte ich nicht. So saß ich denn stumm und
ergeben da, und ließ mich von dem Feuer meiner eigenen Beschämung
langsam zu Tode braten. Plötzlich aber lachte meine Gegnerin hell auf
und sagte:

»Mir haben die Erinnerungen an alte Zeiten mehr Spaß gemacht als Ihnen.
Ich merkte bald, daß Sie sich nur stellten, als ob Sie mich kennten,
und nachdem ich mein Lob an Sie verschwendet hatte, beschloß ich, Sie
zu strafen, was mir auch gelungen ist. Es war mir sehr angenehm, durch
Sie Georg und Tom und Darley kennen zu lernen; denn ich hatte vorher
nie etwas von ihnen gehört. Wenn man es nur richtig anzufangen weiß,
kann man von Ihnen wirklich eine ganze Menge Neuigkeiten erfahren.
Marie, und der Sturm, der die vorderen Boote wegriß, sind wahre
Thatsachen, alles andere ist Dichtung. Marie war meine Schwester, ihr
ganzer Name ist Marie X.; wissen Sie _nun_, wer ich bin?«

»Ja, jetzt erinnere ich mich Ihrer, -- Sie sind gerade noch so
hartherzig wie vor dreizehn Jahren auf dem Schiff, sonst würden Sie
mich nicht so bestraft haben. Sie sind noch ganz wie Sie waren, von
innen und von außen. Sie sehen ebenso jung aus wie damals, Ihre
Schönheit ist unverändert und findet ihr Abbild in Ihrem prächtigen
Knaben! -- Und nun -- wenn diese Worte Sie gerührt haben, lassen
Sie uns Frieden schließen, denn ich bekenne mich für besiegt und
überwunden.«

Dies wurde zum Beschluß erhoben und auf der Stelle ausgeführt.

       *       *       *       *       *

Als ich zu Harris zurückkam, sagte ich: »Nun siehst du, was Talent und
Geschicklichkeit ausrichten können!«

»Bitte sehr, ich sehe, was riesige Unwissenheit und Einfalt zu thun
imstande sind! Daß ein Mensch, der seine fünf Sinne bei sich hat, sich
auf diese Weise fremden Leuten aufdrängt und eine halbe Stunde in sie
hineinredet, so etwas ist noch nicht dagewesen! Was hast du ihnen nur
gesagt?«

»Gar nichts Schlimmes! Ich habe das Mädchen gefragt, wie es hieße!«

»Meiner Treu, das sieht dir ähnlich! Du bist imstande, so etwas zu
thun! Es war dumm von mir, -- ich hätte nicht zugeben sollen, daß
du hingehst, um dich zum Narren zu machen. Aber wie konnte ich mir
vorstellen, daß du dich so weit vergessen würdest! Was werden die Leute
von uns denken? Aber, wie hast du es gesagt? auf welche Weise? Ich
hoffe, nicht ganz ohne Einleitung!«

»O nein, ich sagte: Mein Freund und ich, wir möchten gern wissen, wie
Sie heißen, -- wenn Sie nichts dagegen haben!«

»Nein, das war wirklich nicht mit der Thür ins Haus gefallen! -- Du
warst in der That von einer Höflichkeit, die dir Ehre macht, und ich
danke dir noch besonders, daß du mich auch hineingemischt hast! Was
that sie aber?«

»Gar nichts Ungewöhnliches! Sie nannte mir einfach ihren Namen.«

»Ist es möglich! -- und zeigte auch gar keine Ueberraschung?«

»Doch -- etwas hat sie gezeigt -- vielleicht war es Ueberraschung --
mir kam es aber vor, als sei es Freude.«

»Sehr wahrscheinlich ... es muß natürlich Freude gewesen sein -- wie
hätte sie sich auch nicht freuen sollen, von einem Fremden mit einer
solchen Frage angefallen zu werden. -- Was thatest du weiter?«

»Ich reichte ihr die Hand und sie schüttelte sie.«

»Das habe ich gesehen -- ich traute meinen Augen kaum! Hat der Herr
denn nicht gesagt, er würde dir den Hals umdrehen?«

»Nein, mir schien es, als ob sie sich alle freuten, meine Bekanntschaft
zu machen.«

»Das wird auch wohl der Fall gewesen sein; sie werden bei sich gedacht
haben: dieser Ausstellungsgegenstand muß seinem Wärter entlaufen sein,
wir wollen uns einen Spaß mit ihm machen! Das ist die einzige Erklärung
für ihre Sanftmütigkeit. -- Du nahmst Platz -- haben sie dich dazu
aufgefordert?«

»Nein, ich dachte, sie hätten es vergessen.«

»Welchen sicheren Instinkt du hast! Was hast du noch gethan? Wovon hast
du denn gesprochen?«

»Ich fragte das Mädchen, wie alt es wäre.«

»Nein, wirklich, dein Zartgefühl ist über alles Lob erhaben! Weiter --
weiter -- kümmere dich nicht um meine traurige Miene, -- so sehe ich
immer aus, wenn ich eine tiefe innere Freude empfinde. Sprich weiter!
Sie gab dir ihr Alter an?«

»Ja, und dann erzählte sie mir von ihrer Mutter, ihrer Großmutter, den
übrigen Verwandten und von ihren eigenen Angelegenheiten.«

»Alles von selbst?«

»Nein, das nicht gerade. Ich stellte die Fragen und sie gab mir die
Antworten.«

»Das ist ja himmlisch! Hast du nicht auch nach ihren politischen
Ansichten gefragt?«

»Freilich -- sie ist Demokratin und ihr Mann Republikaner.«

»Ihr Mann? Das Kind ist doch nicht verheiratet?«

»Sie ist kein Kind; sie ist verheiratet, und der Herr, der neben ihr
sitzt, ist ihr Mann!«

»Hat sie auch Kinder?«

»Ja, sieben und ein halbes.«

»Das ist unmöglich!«

»Nein, es ist die reine Wahrheit. Sie hat es mir selbst gesagt.«

»Aber -- sieben und ein halbes? -- Was soll das halbe bedeuten?«

»Das ist aus einer anderen Ehe -- solch ein Stiefkind wird nur halb
gerechnet.«

»Aus einer anderen Ehe? So hat sie schon einmal einen Mann gehabt?«

»Ja, vier; dies ist der vierte.«

»Ich glaube kein Wort davon, die Unmöglichkeit liegt ja auf der Hand.
Ist der Knabe ihr Bruder?«

»Nein, ihr Sohn und zwar der jüngste. Er ist nicht so alt wie er
aussieht, erst elf und ein halbes Jahr.«

»Das ist alles vollständig unmöglich! Die Sache scheint mir ganz
klar: sie haben gesehen, wen sie vor sich hatten, und dich zum Narren
gehalten. Ich bin froh, daß ich nichts damit zu schaffen habe;
hoffentlich denken sie nicht, wir zwei seien Leute vom gleichen
Schlage. Wollen sie denn lange hier bleiben?«

»Nein, sie reisen noch vor Mittag ab.«

»Ich kenne jemand, der herzlich froh darüber ist. Wo hast du es
erfahren? Du hast sie wahrscheinlich gefragt?«

»Nein, zuerst fragte ich im allgemeinen nach ihren Plänen, und sie
sagten, sie würden eine Woche hier bleiben und Ausflüge in die Umgegend
machen. Gegen das Ende der Unterhaltung äußerte ich dann, wir würden
sie gern auf ihren Touren begleiten und schlug vor, dich zu holen und
ihnen vorzustellen. Dann zögerten sie ein wenig und fragten, ob du aus
derselben Anstalt seiest wie ich. Ich sagte ja, worauf sie bemerkten,
sie hätten sich anders besonnen und wollten sofort nach Sibirien
abreisen, um einen kranken Verwandten zu besuchen.«

[Illustration]

»Das setzt deiner Dummheit die Krone auf! So weit hat es noch niemand
gebracht. Wenn du vor mir stirbst, setze ich dir ein Denkmal von
Eselsköpfen, so hoch wie der Straßburger Kirchturm! Sie wollten
wirklich wissen, ob ich aus derselben Anstalt wäre wie du? -- Was für
eine Anstalt meinten sie denn?«

»Ich weiß nicht, es fiel mir nicht ein, danach zu fragen.«

»Aber _ich_ weiß es! -- Sie meinten ein Irrenhaus, eine Anstalt für
Blödsinnige. Und jetzt halten sie uns doch für zwei gleiche Narren. --
Siehst du nun, was du angerichtet hast? Schämst du dich gar nicht?« --

»Weshalb auch? -- Meine Seele dachte an nichts Böses; was schadet es
denn? Es waren sehr nette Leute und ich schien ihnen zu gefallen.«

Harris machte einige grobe Bemerkungen und begab sich in sein
Schlafzimmer -- um Tische und Stühle kurz und klein zu schlagen, wie
er sagte. Er ist ein merkwürdig cholerischer Mensch und die geringste
Kleinigkeit bringt ihn ganz außer sich. --

Die junge Dame hatte mich schön in die Klemme gebracht, aber an Harris
habe ich mich wieder schadlos gehalten. Man muß sein Mütchen immer auf
eine oder die andere Weise kühlen, sonst schmerzt die wunde Stelle noch
lange.



Ein Landsmann.

(Nummer 1.)


Von Luzern aus machte ich eines Tages einen Ausflug auf dem Dampfer
nach Flüelen. Es war ein prächtiger, sonniger Tag, und unter dem Dach
von Segeltuch saßen die Passagiere plaudernd und lachend auf den Bänken
des oberen Verdecks und ließen ihr Entzücken über die wunderbare
Scenerie von Zeit zu Zeit laut werden. Man kann sich auch wirklich kein
herrlicheres Vergnügen denken, als eine Fahrt auf diesem See! Die Berge
waren ein immer neues Wunder und stiegen manchmal so gerade aus dem See
auf und ragten so gewaltig in die blaue Luft empor, daß unser winziges
Dampfboot zu ihren Füßen ganz zu verschwinden schien.

Es sind dies keine Schneeberge, aber doch umhüllen die Wolken ihre
Häupter, sie starren nicht als nackte Felsen in die Höhe, sondern sind
in Grün gekleidet, das dem Auge wohlthuend ist und auf dem es gerne
weilt; ihre Abhänge sind so steil, daß man sich nicht vorstellen kann,
wie sich auf ihnen Fuß fassen läßt; aber es führen Pfade hinauf und
herunter, welche die Schweizer täglich benutzen.

Manchmal hingen die Gipfel der mächtigen Riesenberge weit nach vorn
über, wie ein vorstehendes Mansardendach, und auf der äußersten Spitze
desselben, dem Auge kaum sichtbar, klebten winzige Dingerchen wie
Schwalbennester, -- die Hütten der Bauern, die sich wahrlich einen
luftigen Wohnort aufgesucht hatten! Wenn nun aber ein Bauer dort oben
nachtwandelt, -- oder sein Kind aus dem Vordergarten hinunterstürzt,
-- was für eine lange Reise für die Verwandten aus ihren Wolkenhöhen
herab, ehe sie die Gebeine des Verunglückten auffinden können! Und
doch sehen diese Heimstätten da oben so verlockend aus, so fern von
der unruhigen Welt, und in einer Atmosphäre von so süßem, traumseligem
Frieden, daß, wer einmal gelernt hat, dort oben zu wohnen, gewiß nicht
wieder in niedere Regionen herabsteigen mag!

Zwischen den ungeheuren grünen Mauern wand sich der See in reizenden
Krümmungen dahin, und wir sahen mit stets wachsendem Entzücken das
großartige Panorama sich hinter uns zusammenrollen und verschwinden
und sich vor unsern Blicken in neuer Schönheit entfalten! Dann und
wann durchzuckte uns ein wonnevoller Schauer der Ueberraschung, wenn
sich plötzlich als glänzend weiße Masse die ferne, alles beherrschende
Jungfrau vor uns erhob, oder ein anderer ähnlicher Schneeriese,
der mit Haupt und Schultern über die Spitzen der mittelhohen Alpen
hervorschaute.

Während ich einen solchen Anblick mit den Augen verschlang und mir
Herz und Sinn daran weidete, so lange er zu genießen war, hörte ich
plötzlich eine junge und harmlose Stimme neben mir die Worte sagen:

»Sie sind wohl ein Amerikaner? Ich auch!« --

Er war zwischen 18 und 19 Jahre, schlank, von mittlerer Größe, das
Gesicht offen, frei und froh, der Blick unstät, aber selbstbewußt,
die Nase leicht nach oben gerichtet, als suche sie der Begegnung mit
dem ersten Flaum des jungen Bartes auszuweichen, die Kinnbacken lose
hängend und äußerst beweglich. Er trug einen niedrigen Schlapphut
mit schmaler Krempe und blauem Band, auf dem vorn ein weißer Anker
gestickt war; sein kurzer Rock, die Beinkleider, die Weste, alles saß
sauber und nett nach der Mode; die rotgestreiften Strümpfe steckten
in vorschriftsmäßigen, mit schwarzen Bändern gebundenen Lederschuhen;
ein blauer Schlips unter dem weit offenen Kragen, kleine Diamantknöpfe
im Hemd, tadellos sitzende Handschuhe, vorstehende Manschetten mit
großen Knöpfen von oxydiertem Silber und einem Hundekopf darauf --
einem englischen Mops; auch auf seinem Spazierstöckchen war der Kopf
eines Mopshundes mit roten Glasaugen. Unter dem Arm trug er Ottos
deutsche Grammatik, sein Haar war kurz geschnitten, glatt und -- wie
ich bemerkte, als er sich umwandte -- hinten sorgfältig gescheitelt.
Er nahm eine Zigarette aus einer zierlichen Schachtel heraus, steckte
sie in eine Meerschaumspitze, die er in einem Futteral von Marokkoleder
bewahrte, langte nach meiner Zigarre, und während er sich Feuer machte,
sagte ich:

»Ja, ich bin Amerikaner!« --

»Das wußte ich, -- ich erkenne die Amerikaner immer. In welchem Schiff
sind Sie herübergekommen?«

»In der Holsatia.«

»Wir in der Batavia, -- Cunard,[1] -- wissen Sie. Was für eine
Ueberfahrt hatten Sie?«

    [1] Bekannte Linie dieses Namens.

[Illustration]

»Ziemlich rauh.«

»Wir auch. Der Kapitän sagte, so rauh wäre es nur selten. Wo sind Sie
her?«

»Von Neu-England.«

»Ich auch, aus Neu-Bloomfield. Mit wem reisen Sie?«

»Mit einem Freunde.«

»Meine ganze Familie ist mit; allein zu reisen ist schrecklich
langweilig, meinen Sie nicht auch?«

»Jawohl!«

»Waren Sie schon früher hier?«

»Ja.«

»Ich nicht. Es ist meine erste Reise, aber wir waren allenthalben --
in Paris und überall. Nächstes Jahr soll ich in Harvard studieren und
ich lerne hier Deutsch; ehe ich nicht Deutsch kann, werde ich nicht
aufgenommen. Französisch ist mir ganz geläufig; in Paris bin ich sehr
gut damit durchgekommen. In welchem Hotel wohnen Sie?«

»Im Schweizerhof.«

»Was? wirklich? Ich habe Sie ja nicht im Salon gesehen! Ich gehe
sehr viel in den Salon, weil da so viele Amerikaner sind, und mache
Bekanntschaften. Ich finde die Amerikaner immer gleich heraus, dann
spreche ich sie an und werde mit ihnen bekannt. Ich mache sehr gern
neue Bekanntschaften. Sie nicht auch?«

»Ja, freilich!«

»Das macht eine Fahrt wie diese viel unterhaltender; man langweilt
sich nie, wenn man neue Bekanntschaften macht und mit jemand sprechen
kann; wenn man niemand fände und keine Bekanntschaften machte, müßte
solch eine Fahrt sehr langweilig sein. Ich unterhalte mich sehr gern,
Sie nicht auch?«

»Leidenschaftlich gern!«

»Haben Sie sich heute auf der Fahrt gelangweilt?«

»Nur eine Zeit lang, nicht immer.«

»Da sehen Sie es, -- man muß herumgehen, sprechen und bekannt werden,
-- so mache ich es, ich gehe immerfort herum und spreche in einem zu,
dabei langweile ich mich nie. Sind Sie schon auf der Rigi gewesen?«

»Nein.«

»Wollen Sie hin?«

»Ich denke.«

»In welches Hotel gehen Sie?«

»Ich weiß nicht. Giebt es denn mehrere?«

»Drei. Gehen Sie zu Schreiber; da finden Sie Amerikaner die Menge. In
welchem Schiff sagten Sie, daß Sie herübergekommen sind?«

»In der City of Antwerp.«

»Deutsche Linie, nicht wahr? -- Gehen Sie nach Genf?«

»Ja.«

»In welchem Hotel wollen Sie wohnen?«

»Im ›Ecu de Genève‹.«

»Thun Sie das ja nicht! Da sind keine Amerikaner. Gehen Sie in eins der
großen Hotels an der Brücke, da sind immer viele.«

»Aber ich will mich im Arabischen üben!«

»Gerechter Himmel, können Sie arabisch?«

»Ja, genug, um mich verständlich zu machen.«

»Aber in Genf können Sie sich damit nicht verständlich machen, da
spricht man nicht arabisch -- man spricht französisch. In welchem Hotel
wohnen Sie hier?«

»In der Pension Beau-Rivage.«

»O, Sie sollten im Schweizerhof wohnen! Wissen Sie nicht, daß der
Schweizerhof das beste Hotel in der Schweiz ist? Sehen Sie nur im
Bädeker nach.«

»Ja, aber ich dachte, da wären keine Amerikaner.«

»Keine Amerikaner! Du meine Güte! Es wimmelt von ihnen! Ich halte mich
meistens im großen Salon auf und mache Bekanntschaften, allerdings
nicht mehr so viele wie im Anfang, weil augenblicklich weniger Gäste da
sind. -- Wo sind Sie her?«

»Aus Arkansas.«

»Wirklich? -- Ich komme aus Neu-England, und bin in Neu-Bloomfield zu
Hause. Heute ist es wunderschön, finden Sie nicht auch?«

»Herrlich!«

»Das will ich meinen! Ich spaziere gern so frei herum, unterhalte mich
und mache Bekanntschaften. Die Amerikaner erkenne ich immer gleich
heraus, dann gehe ich auf sie zu und rede sie an. Deshalb langweile ich
mich nie auf solcher Fahrt, weil ich neue Bekanntschaften machen kann
und mich unterhalten; das thue ich sehr gern, wenn ich nur die richtige
Person finde, mit der sich sprechen läßt. Geht es Ihnen nicht auch so?«

»Ja, es giebt nichts Angenehmeres.«

»Das denke ich auch! Manche Leute nehmen ein Buch vor und lesen
immerzu, andere schwärmen die Natur an, den See und die Berge, -- aber
so mache ich’s nicht! Sie mögen’s thun, wenn sie wollen, nach meinem
Geschmack ist es aber nicht, -- ich muß mich unterhalten. -- Sind Sie
schon auf der Rigi gewesen?«

»Ja.«

»In welchem Hotel haben Sie gewohnt?« --

»Bei Schreiber.«

»Ja, da war ich auch. Lauter Amerikaner, nicht wahr? Sie kommen alle
hin, und sind immer da zu finden. Das sagt jeder! In welchem Schiff
sind Sie herübergekommen?«

»In der Ville de Paris.«

»Wahrscheinlich ein französisches Schiff! Was für eine Ueberfahrt haben
Sie -- -- ach, bitte, entschuldigen Sie, da kommen eben Amerikaner, die
ich noch nicht gesehen habe!«

Fort war er! -- und ich ließ ihn wirklich mit heiler Haut davon kommen!
-- Ich gestehe, daß ich zuerst die mörderische Absicht hatte, ihn von
hinten mit einem Alpenstock zu durchbohren, aber als ich eben die Waffe
erheben wollte, verging mir die Lust dazu. Ich konnte es nicht übers
Herz bringen, ihm das Leben zu nehmen -- er war ein so fröhlicher,
unschuldiger und gutmütiger Einfaltspinsel!

Eine halbe Stunde später betrachtete ich von meiner Bank aus mit dem
größten Interesse einen herrlichen Monolith, an dem wir vorbeifuhren.
Nicht Menschen hatten dieses Monument geformt, sondern die Hand der
Natur selbst hatte vor undenklichen Jahren diesen achtzig Fuß hohen
pyramidalen Felsen gebildet, im Hinblick auf den Tag, an welchem
er einem Menschen zum Denkmal dienen sollte, der seiner würdig
wäre! Endlich kam die Zeit -- und auf der Fläche des ehrwürdigen
Gedächtnissteines steht jetzt Schillers Name in Riesenbuchstaben.

Merkwürdigerweise ist dieser Felsen nirgends bekritzelt oder verunziert
worden! Vor zwei Jahren soll sich ein Fremder mit Stricken und einem
Flaschenzuge von oben herabgelassen haben, um quer über den Stein mit
blauer Farbe und mit Buchstaben, die größer waren als die von Schillers
Namen, die Worte zu malen:

    Unübertrefflich!
    -- Pears Seife für den Teint! --
    Sozodont giebt Schönheit und Jugend!
    -- Paillards Spieldosen! --
    Wades Kopiertinte!

[Illustration]

Man ergriff ihn auf frischer That und es stellte sich heraus, daß er
ein Amerikaner war. Bei seinem Verhör sagte der Richter: »Sie sind aus
einem Lande, wo man um elenden Gewinnes willen die Natur ungestraft
und nach Belieben beleidigen und entweihen darf, und in ihr den
Schöpfer! Aber hier wird das nicht gestattet! -- Mit Rücksicht auf
Ihre Unwissenheit und weil Sie ein Fremder sind, will ich Ihnen ein
gnädiges Urteil sprechen; wären Sie ein Eingeborener, so würde Ihre
Strafe weit strenger ausfallen. Vernehmen Sie meinen Spruch: Sie werden
sofort jede Spur Ihrer abscheulichen That von dem Schillerdenkmal
entfernen und eine Geldstrafe von zehntausend Franken bezahlen. Ferner
sind Sie zu zwei Jahren Zwangsarbeit verurteilt, worauf Ihnen die Ohren
abgeschnitten und Sie bis zur Grenze des Kantons gepeitscht und für
immer verbannt werden! -- Die härteren Strafen werden Ihnen in diesem
Falle erlassen, -- nicht um Ihnen Gnade zu erweisen, sondern um der
großen Republik willen, die das Unglück gehabt hat, Ihnen das Leben zu
geben.«

       *       *       *       *       *

Die Bänke auf dem Dampfboot stehen so, daß die Passagiere einander den
Rücken zukehren. Hinter mir saßen gerade einige Damen. Auf einmal
wurden sie von jemand angeredet und ich hörte folgendes Gespräch mit an:

»Sie sind wohl aus Amerika? Ich auch.«

»Ja, wir sind aus Amerika.«

»Das wußte ich -- ich erkenne die Amerikaner immer. In welchem Schiff
sind Sie herübergekommen?«

»In der City of Chester.«

»Von der Inman-Linie, nicht wahr? Wir in der Batavia, -- Cunard, wie
Sie wissen. Was für eine Ueberfahrt haben Sie gehabt?«

»Eine ziemlich ruhige.«

»Da können Sie von Glück sagen; unsere war schrecklich rauh. Der
Kapitän sagte, so rauh wäre es nur selten. Wo sind Sie her?«

»Von New Jersey.«

»Ich auch -- nicht doch, ich meine aus Neu-England, in Neu-Bloomfield
bin ich zu Hause. Gehören diese Kinder Ihnen beiden?«

»Nur mir, meine Freundin ist unverheiratet.«

»So! Ich auch. -- Reisen die beiden Damen allein?«

»Nein, mein Mann reist mit uns.«

»Unsere ganze Familie ist mit; allein zu reisen ist schrecklich
langweilig -- meinen Sie nicht auch?«

»Das ist wohl möglich.«

»Oho, da kommt der Pilatus wieder heraus. Er heißt nach Pontius
Pilatus, wie Sie wissen, welcher Wilhelm Tell den Apfel vom Kopf
geschossen hat; im Reisehandbuch steht die ganze Geschichte, aber ich
habe sie nicht gelesen -- ein Amerikaner hat es mir erzählt. Ich lese
nie, wenn ich so von einem Ort zum andern gehe und mich gut unterhalte.
Haben Sie schon die Kapelle gesehen, in der Wilhelm Tell gepredigt hat?«

»Gepredigt hat er da wohl nicht!«

»O doch, der Amerikaner hat es mir gesagt; er hat seinen Bädeker immer
offen und kennt den See besser als die Fische, die darin schwimmen.
Warum sollte sie denn auch sonst Tells Kapelle heißen?! Sind Sie schon
früher hier gewesen?«

»Ja.«

»Ich nicht; es ist meine erste Reise, aber wir waren allenthalben --
in Paris und überall. Nächstes Jahr soll ich in Harvard studieren und
ich lerne jetzt immerfort Deutsch; ehe ich nicht Deutsch kann, werde
ich nicht aufgenommen. Ich habe Ottos Grammatik immer bei mir und sehe
hinein, wenn ich Lust dazu bekomme; jetzt beim Herumreisen lerne ich
nicht ordentlich, sondern sage mir nur manchmal her: ›ich habe gehabt,
du hast gehabt, er hat gehabt, wir haben gehabt, ihr habet gehabt, sie
haben gehabt!‹ Das geht so wie im Schlaf, und dann bin ich’s wieder
für ein paar Tage los. Es strengt den Verstand ganz schauderhaft an,
Deutsch kann man nur in kleinen Dosen lernen; zuerst läuft alles in
einander, wie geschmolzene Butter. Mit dem Französischen ist’s etwas
ganz anderes, das wird mir ganz leicht, ich kann: ~j’ai, tu as, il a~
u. s. w. herunterrasseln wie das Abc! In Paris bin ich sehr gut damit
durchgekommen und überall, wo französisch gesprochen wird. In welchem
Hotel wohnen Sie?«

»Im Schweizerhof.«

»Was? wirklich? Ich habe Sie ja nicht im Salon gesehen! Ich gehe sehr
oft dahin, weil ich dort so viele Amerikaner treffe, und eine Menge
Bekanntschaften mache. Sind Sie schon auf der Rigi gewesen?«

»Nein.«

»Wollen Sie hin?«

»Ja, es ist unsere Absicht.«

»In welches Hotel gehen Sie?«

»Ich weiß nicht.«

»Dann gehen Sie zu Schreiber, es ist voll Amerikaner. In welchem Schiff
sind Sie herübergekommen?«

»In der City of Chester.«

»Ach ja, das habe ich Sie schon einmal gefragt, aber ich frage jeden,
in welchem Schiff er herübergekommen ist, und da passiert es mir
manchmal, daß ich die Frage wiederhole. Gehen Sie nach Genf?«

»Ja.«

»In welchem Hotel werden Sie wohnen?«

»Wahrscheinlich in einer Pension.«

»Das wird Ihnen nicht gefallen -- in den Pensionen sind wenig
Amerikaner. In welchem Hotel wohnen Sie hier?«

»Im Schweizerhof.«

»Ja so, das habe ich Sie auch schon gefragt; aber ich frage jeden
danach und da habe ich den ganzen Kopf voll Hotels; es dient aber doch
zum Gespräch, und ich unterhalte mich sehr gern, es ist eine rechte
Erholung auf solcher Fahrt -- finden Sie das nicht auch?«

»Ja -- zuweilen.«

»Mich erfrischt es förmlich. So lange ich im Gespräch bin, langweile
ich mich nie, -- geht es Ihnen nicht auch so?«

»Ja, -- gewöhnlich, aber es giebt Ausnahmen von der Regel.«

»O natürlich! -- ich spreche auch nicht gern mit jedermann. Manche
Leute fangen gleich ein Gewäsch an von Scenerieen und Geschichte und
Bildern und allerhand lästigen Dingen, die einem bald überdrüssig sind.
Dann sage ich immer: ›Jetzt muß ich mich empfehlen -- ich hoffe, wir
sehen uns noch,‹ -- und spaziere weiter. Wo sind Sie her?«

»Aus New Jersey.«

»Ja, potztausend, das habe ich Sie ja auch schon gefragt! Haben Sie
schon den Löwen von Luzern gesehen?«

»Noch nicht.«

»Ich auch nicht; aber der Mann, der mir vom Pilatus erzählt hat,
sagt, es sei eine der Sehenswürdigkeiten; er sei achtundzwanzig Fuß
lang -- ich kann mir das kaum denken, aber er behauptet es und hat ihn
erst gestern gesehen. Da war der Löwe im Sterben und jetzt wird er
wohl schon tot sein; das schadet aber nichts, natürlich wird er doch
ausgestopft! -- Sagten Sie, die Kinder gehören Ihnen oder der andern?«

»Mir nicht.«

»O ja, richtig! Gehen Sie nach ... nein, das habe ich Sie schon
gefragt. In welchem Schiff ... halt, das habe ich Sie auch schon
gefragt. In welchem Hotel ... nein, Sie haben mir das gesagt. Was
fehlt denn noch? -- hm -- ja so -- was für eine Ueberfahrt ... nein,
das haben wir auch schon besprochen. Hm -- hm -- ich glaube, das ist
wirklich alles -- ~Bon jour~ -- ich habe mich sehr gefreut, Ihre
Bekanntschaft zu machen, meine Damen. Leben Sie wohl!«



Noch ein Landsmann.

(Nummer 2.)


Ich saß mit Harris in einer Sennhütte, beschäftigt, meine Tagebücher zu
ordnen und verschiedene wissenschaftliche Beobachtungen zu Papier zu
bringen, als ein schlanker, junger Amerikaner zu uns eintrat. Er mochte
etwa dreiundzwanzig Jahre alt sein und näherte sich mir mit jener
ungekünstelten Selbstgefälligkeit, welche Jünglinge seines Alters für
feine, weltmännische Lebensart halten. Er trug das Haar in der Mitte
gescheitelt und lächelte so albern, wie ein Höfling auf der Bühne, als
er sich mir vorstellte. Während er mit seiner schöngepflegten Rechten
meine Hand umkrallte, verbeugte er sich dreimal mit dem Oberkörper bis
zu den Hüften nach Theatersitte und sagte in gnädig herablassendem
Beschützerton:

»Freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, freue mich wirklich
außerordentlich. Habe alle Ihre kleinen Versuche gelesen und bewundere
sie sehr; hörte, Sie seien hier und wollte --«

Ich deutete auf einen Stuhl und er nahm Platz.

Dieser hohe Herr war der Enkel eines zu seiner Zeit sehr namhaften
Amerikaners, der auch heutigen Tages noch nicht vergessen ist und dem
nur noch so wenig fehlte, um ein großer Mann zu sein, daß er bei seinen
Lebzeiten allgemein dafür gehalten wurde.

[Illustration]

Ich ging langsam in dem Zimmer auf und ab, mit der Lösung
wissenschaftlicher Probleme beschäftigt und hörte dabei die folgende
Unterhaltung:

_Enkel._ Sie sind zum erstenmal in Europa?

_Harris._ Ich? -- Ja.

_Enkel_ (mit einem wehmütigen Seufzer zur Erinnerung an vergangene
Freuden, die man in ihrer Süßigkeit nur einmal genießt). Ach, ich weiß,
wie Ihnen zu Mute ist. Der erste Besuch ist so romantisch. Ich möchte
jene Gefühle wohl noch einmal durchleben.

_Harris._ Ja, ich finde, es übertrifft alle meine Träume. Es liegt ein
unbeschreiblicher Zauber darin. Ich muß gestehen ...

_Enkel_ (mit einer gezierten Handbewegung, als wollte er sagen:
›Verschonen Sie mich mit den rohen Ausbrüchen Ihrer Begeisterung, guter
Freund!‹) Ich weiß, ich weiß! Man besucht die Kirchen und staunt. Man
geht durch endlose Galerien und staunt wieder. Man steht hier und dort
und überall auf historischem Boden und staunt immerfort. Man sammelt
seine ersten unreifen Kunstbegriffe und fühlt sich stolz und glücklich.
Ja, stolz und glücklich -- das ist der richtige Ausdruck. Recht so,
genießen Sie es nur -- es ist ein unschuldiges Vergnügen.

_Harris._ Aber Sie? Freuen Sie sich denn nicht mehr daran?

_Enkel._ Ich? Sie spaßen wohl, bester Herr. Wenn Sie erst ein so
alter Reisender sind wie ich, werden Sie solche Frage nicht mehr
stellen. _Ich_ sollte noch die vorgeschriebenen Galerien besuchen, in
den vorgeschriebenen Kirchen herumstehen und alle die abgedroschenen
Sehenswürdigkeiten besichtigen? -- das fiele mir ein!

_Harris._ Aber was thun Sie denn sonst?

_Enkel._ Was ich thue? Ich bin bald hier, bald dort -- immer unterwegs;
aber ich folge nicht der großen Herde. Heute bin ich in Paris, morgen
in Berlin, dann wieder in Rom; vergebens würden Sie mich aber im Louvre
suchen oder an andern Orten, die der gewöhnliche Reisende in den
Hauptstädten aufsucht. Wer mich finden will, muß in verborgene Ecken
und Winkel gehen, wohin sich andere Leute nie verlieren. An einem Tage
quartiere ich mich vielleicht in einer entlegenen Bauernhütte ein, am
nächsten in einem längst verlassenen Schloß, das irgend ein Kleinod der
Kunst birgt, für welches der Unerfahrene kein Verständnis hat und an
dem ein weniger geübtes Auge flüchtig vorübergehen würde. Oft weile ich
auch als Gast in den geheiligten Wohngemächern von Palästen, in deren
unbenützte Räume die große Herde einen Blick werfen darf, wenn sie sich
dem Diener dafür erkenntlich erweist.

_Harris._ Sind Sie ein Gast an solchen Orten?

_Enkel._ Ja, ein hochwillkommener Gast.

_Harris._ Das überrascht mich. Wie geht das zu?

_Enkel._ Meines Großvaters Name verschafft mir Zutritt bei allen Höfen
Europas. Ich brauche ihn nur zu nennen und jede Thür steht mir offen.
Ich eile nach Belieben von einem Hof zum andern und bin stets gern
gesehen. In den europäischen Schlössern fühle ich mich so zu Hause,
wie Sie bei Ihren eigenen Verwandten. Es giebt, glaube ich, keine
hochstehende Persönlichkeit, die ich nicht kenne. Ich habe fortwährend
alle Taschen voll Einladungen; jetzt bin ich auf dem Wege nach Italien,
wo ich versprochen habe, in mehreren hohen Adelsfamilien als Gast
einzukehren. In Berlin mache ich im Kaiserpalast die glänzendsten
Gesellschaften mit. Und so geht es überall, wohin ich auch komme.

_Harris._ Wie angenehm. Doch muß Ihnen Boston ziemlich langweilig
erscheinen, wenn Sie wieder zu Hause sind.

_Enkel._ Natürlich; aber ich gehe nicht oft nach Hause. Dort ist
kein Leben -- man findet da wenig, was der höhern Natur des Menschen
Nahrung giebt. Der Horizont von Boston ist sehr beschränkt, wissen
Sie. Die Leute selbst ahnen das nicht, man könnte sie auch nicht
davon überzeugen, deshalb äußere ich auch nicht dergleichen, wenn
ich dort bin. Wozu könnte das auch führen? -- Boston würde es doch
nicht verstehen, es hat eine zu gute Meinung von sich; aber sein
Horizont ist sehr eng, das können Sie mir glauben. Wer so viel gereist
ist wie ich und so viel von der Welt gesehen hat, erkennt das klar
und deutlich, aber ändern läßt es sich nicht. Darum bleibe ich auch
nicht dort, sondern suche mir eine Sphäre, die meinem Geschmack und
Bildungsstandpunkt besser zusagt. Wenn ich gerade nichts Wichtigeres zu
thun habe, fahre ich vielleicht einmal im Jahr hinüber, aber ich komme
sehr bald wieder nach Europa zurück, wo ich meine meiste Zeit zubringe.

_Harris._ Ja so, Sie machen Ihre Pläne und dann -- --

_Enkel._ Nein, entschuldigen Sie, ich mache gar keine Pläne. Ich thue
jeden Tag nur, wonach mir zu Mute ist. Zu binden brauche ich mich
nicht, ich bin mein eigener Herr und lebe ganz nach Gefallen. Ein alter
Reisender wie ich braucht sich nicht zu beschränken, indem er sich
bestimmte Ziele steckt. Das Reisen ist mir zur zweiten Natur geworden,
zur fest eingewurzelten Gewohnheit. In einem Wort, ich bin ein Bürger
der Welt -- anders kann ich mich nicht bezeichnen. Ich sage nie: ich
will da oder dorthin gehen, ich verliere überhaupt kein Wort darüber,
sondern schreite gleich zur That. Vielleicht bin ich nächste Woche
bei einem spanischen Granden zu Besuch, oder nach Venedig abgereist,
wenn ich nicht etwa nach Dresden gehe. Wahrscheinlich werde ich mich
binnen kurzem nach Aegypten begeben. Während mich dann meine Freunde
aber noch an den Katarakten des Nil vermuten, erfahren sie zu ihrer
Ueberraschung, daß ich schon irgendwo in Indien bin. Ich setze die
Leute fortwährend in Erstaunen. ›Als wir zuletzt von ihm hörten,‹ sagen
sie wohl, ›war er in Jerusalem, aber der Himmel weiß, wo er jetzt ist.‹

       *       *       *       *       *

Bald darauf erhob sich der Enkel, um fortzugehen; vielleicht hatte
er eine Verabredung, irgendwo mit einem Kaiser zusammenzutreffen. Er
wiederholte seine Höflichkeitsbezeugungen, streckte mir auf Armeslänge
seine weiße Rechte hin, drückte sich mit der andern Hand den Hut gegen
den Magen, knickte dreimal in der Mitte zusammen wie ein Taschenmesser
und murmelte:

»Sehr gefreut, sehr gefreut. Wünsche Ihnen besten Erfolg.«

Dann entzog er uns seine holde Gegenwart.

       *       *       *       *       *

Einen Großvater zu haben, ist ein großes, ein erhabenes Glück.

Da ich das Bild des jungen Menschen möglichst naturwahr zeichnen
wollte, habe ich durchaus nicht zu stark aufgetragen. Meine anfängliche
Entrüstung über ihn verwandelte sich bald in inniges Mitleid. Wer
könnte auch Groll hegen gegen ein leeres Nichts? -- Ich habe das
Gespräch möglichst wortgetreu wiedergegeben, den Kern und Inhalt
jedenfalls ganz genau. Dieser Jüngling und der harmlose Schwätzer,
den ich auf dem Schweizer See traf, sind die kostbarsten und
interessantesten Vertreter des jungen Amerika, denen ich auf meinen
Reisen begegnet bin. Die Art, wie sich der dreiundzwanzigjährige Enkel
zu wiederholten Malen einen alten Reisenden und erfahrenen Weltmann
nannte, schien mir unbezahlbar, und daß er die Güte gehabt hat, seine
Vaterstadt Boston nicht über ihren engen Horizont aufzuklären, war
äußerst dankenswert.



Die Besteigung des Riffelbergs.


Kaum war ich auf meiner Schweizerreise in Zermatt angelangt, so
benützte ich gleich den ersten Abend, um mich gründlich darüber zu
unterrichten, wie man Alpenbesteigungen am besten bewerkstelligt.

Ich las alles darauf bezügliche in den Büchern, die ich auftreiben
konnte, und darin u. a. folgende Ratschläge:

Man schafft sich vor allem feste, mit spitzigen Nägeln beschlagene
Schuhe an und einen Alpenstock, der vom dauerhaftesten Holze sein
muß, denn, wenn er bricht, kann man leicht ums Leben kommen. Man muß
eine Axt mit sich führen, um Stufen in das Eis zu hacken, und eine
Leiter, die über die unwegsamsten Felsen forthilft. Mancher Tourist
ist schon stundenlang nach einem Uebergang umhergeirrt, bloß weil
er sich nicht mit einer Leiter versehen hatte. Ein dickes Seil von
150--500 Fuß Länge ist ganz unumgänglich nötig, um sich an steilen
und schlüpfrigen Abhängen hinunterzulassen. Sehr nützlich ist auch
ein starker, stählerner Haken zum Erklimmen derjenigen Felswände, für
welche die Leiter zu kurz ist. Der Tourist wirft den an einem Seil
befestigten Haken wie einen Lasso in die Höhe, bis derselbe an einer
Felsenspitze hängen bleibt, dann arbeitet er sich mit Händen und Füßen
an dem Seil hinauf. Hierbei darf er aber dem Gedanken nicht Raum
geben, daß -- sollte der Haken nicht halten -- er selbst ins Fallen
geraten und zuletzt in einer Gegend der Schweiz auf den Boden kommen
würde, wo kein Mensch ihn erwartet. Mit einem dritten Seil, -- und
das ist die Hauptsache -- müssen sich alle Bergsteiger an einander
binden, damit, wenn einer aus der Gesellschaft in einen Abgrund oder
eine Gletscherspalte hinabstürzt, die andern sich entgegen stemmen
und ihn am Seil wieder heraufziehen können. Ferner braucht man einen
Gazeschleier, um das Gesicht vor Schnee, Graupeln, Hagel und Wind zu
schützen, und eine blaue Reisebrille, um nicht schneeblind zu werden.
Endlich braucht man noch Träger, die mit Mundvorrat und Wein beladen
werden, sowie mit wissenschaftlichen Instrumenten und wollenen Decken.

[Illustration]

Zum Schluß meiner Studien las ich noch den Bericht über das
entsetzliche Abenteuer, das Herrn Whymper einmal auf dem Matterhorn
zugestoßen ist, als er allein 5000 Fuß über der Stadt Breil
herumkletterte. Er suchte seinen Weg an einem Abhang gefrorenen
Schnees. Derselbe war ein paar hundert Fuß lang und lief zunächst in
eine Spalte aus, an derem Ende ein Abgrund von 800 Fuß Tiefe gähnte,
gerade oberhalb eines Gletschers. Sein Fuß glitt aus und er stürzte
hinab. Hören wir ihn selbst: »Wegen meines Tornisters fiel ich mit
dem Kopf zu unterst und schlug zunächst etwa 12 Fuß tiefer auf
Felsengestein; ich prallte wieder ab und nun ging’s Hals über Kopf dem
Abgrund zu. Der Alpenstock flog mir aus der Hand und immer mächtigere
Sätze beförderten mich hinab, bald über Eis, bald über Gestein,
wobei ich meinen Kopf vier- bis fünfmal mit stets verstärkter Gewalt
aufschlug. Beim letzten Sprung flog ich 50--60 Fuß weit wie ein Kreisel
durch die Luft und quer über die Spalte. Glücklicherweise schlug ich
mit der ganzen linken Seite des Körpers am Rande derselben auf. Mein
Kopf lag zum Glück oben und nach ein paar krampfhaften Griffen mit den
Händen fand ich just über dem Abgrund einen Anhalt. Alpenstock, Hut und
Schleier wirbelten an mir vorbei und verschwanden, und das Krachen,
mit dem die durch meinen Fall losgebröckelten Steine auf die Gletscher
fielen, sagte mir vernehmlich, mit wie knapper Not ich dem Geschick
entronnen war, in der fürchterlichen Tiefe zerschmettert zu werden. In
sieben bis acht Absätzen war ich beinahe 200 Fuß hinabgestürzt, und
weitere zehn Fuß würden mich in einem Riesensprung bis zu dem Gletscher
hinunter befördert haben.

»Meine Lage war auch jetzt keineswegs gefahrlos, da ich den Felsen
nicht einen Augenblick loslassen durfte und mir das Blut aus zwanzig
offenen Wunden floß. Die schlimmsten am Kopfe versuchte ich zwar mit
der einen Hand zu schließen, während ich mich mit der andern festhielt,
aber bei jedem Pulsschlag schoß ein neuer Blutstrahl hervor. Plötzlich
kam mir ein glücklicher Einfall -- ich nahm einen großen Klumpen Schnee
und legte ihn mir als Pflaster auf den Kopf. Das Blut hörte allmählich
auf zu fließen. Nun arbeitete ich mich höher am Felsen hinauf und es
gelang mir noch, eine gesicherte Stelle zu erreichen -- dann verließen
mich die Sinne!

»Als ich wieder zum Bewußtsein erwachte, nahte sich die Sonne schon
dem Untergang, und es war stockfinster, ehe ich die ›Riesenleiter‹
hinabgestiegen war. Glück und Behutsamkeit im Vereine halfen mir die
4700 Fuß bis nach Breil hinab, ohne daß ich auch nur ein einzigesmal
ausglitt oder die Richtung verlor.«

Nach diesem Abenteuer mußte Whymper seiner Wunden wegen mehrere Tage
lang das Bett hüten; kaum war er aber wieder aufgestanden, so erklomm
er denselben Berg noch einmal.[2] Ein richtiger Alpenbesteiger thut es
nicht anders; er kann nicht genug Abenteuer bestehen!

    [2] Die Chronik dieses Bergriesen erzählt von vielen traurigen
        Katastrophen, denen Touristen zum Opfer gefallen. Die
        bekannteste ist der Absturz einer aus vier Engländern
        (der obengenannte Whymper, Lord Douglas, Hudson und
        Hadow) bestehenden Gesellschaft, welche mit den Führern
        Croz, Taugwalder (Vater und Sohn) und Javelle 1865 eine
        Besteigung des Matterhorns unternahmen. Das Seil, mit
        welchem die acht Personen unter einander verbunden waren,
        riß und drei Engländer sowie der Führer Croz stürzten 1200
        Meter tief hinab auf den Matterhorngletscher, während nur
        Whymper und drei Führer sich auf dem Grat festhielten. Im
        Jahre 1881 stürzte der Amerikaner Mosley ab, der sich bei
        der sogenannten ›Schulter‹ des Seiles entledigte. 1886
        starb der Engländer Burkardt, der bei der ›Schulter‹ von
        einem Schneesturm überrascht wurde, vor Kälte.

Dieser und ähnliche Berichte von unglaublichen Gefahren, Abenteuern und
Triumphen unserer Alpenbesteiger hatten mich in die größte Aufregung
versetzt. Ich war ganz entzückt und berauscht davon. Nachdem ich eine
Weile schweigend dagesessen, fuhr ich plötzlich in die Höhe und rief
aus:

»Mein Entschluß steht fest!«

Der Ton dieser Worte fiel meinem Reisebegleiter Harris auf; er blickte
mich an, und als er sah, was in meinen Augen geschrieben stand,
wurde er sichtlich bleich und stammelte: »Rede!« -- worauf ich mit
erkünstelter Ruhe erwiderte: »Ich will den Riffelberg ersteigen!«
-- Mein armer Freund fiel vor Schreck jählings vom Stuhl, als hätte
ich ihn totgeschossen. Er beschwor mich, meine Absicht aufzugeben,
-- inniger kann kein Sohn seinen Vater bitten, -- ich aber blieb
taub gegen sein Flehen. Als er endlich sah, daß mein Entschluß
unerschütterlich war, gab er sein Drängen auf, und nur das bitterliche
Schluchzen, das sich seiner Brust entrang, unterbrach eine zeitlang
unser tiefes Schweigen. Unbeweglich wie ein Marmorbild saß ich da und
starrte ins Leere. -- Im Geiste kämpfte ich schon mit allen Gefahren
des wilden Gebirges, während mein Freund mit von Thränen umflorten
Augen voll staunender Bewunderung nach mir hinblickte. Endlich fiel
er mir gerührt um den Hals und rief mit überströmendem Gefühl: »Dein
Harris wird dich nie verlassen, laß uns zusammen sterben!« -- Laut
pries ich hierauf die standhafte Treue meines Freundes und am Ende
hatte er bald alle Furcht vergessen und brannte vor Begierde, sich in
das Abenteuer zu stürzen. Er wollte sogleich die Führer zum Aufbruch
um 2 Uhr morgens bestellen; ich aber machte ihm klar, daß wir ja um
diese Zeit keine Zuschauer haben würden und daß der Aufbruch bei
Nacht in der Regel nicht im Dorfe stattfindet, sondern erst nach dem
ersten Nachtquartier im Gebirge. Ich sagte ihm, wir wollten Zermatt
am nächsten Tage zwischen 3 und 4 Uhr nachmittags verlassen; bis
dahin hätten wir Zeit, mit den Führern alles zu besprechen und die
Aufmerksamkeit des Publikums auf unser Unternehmen zu lenken. Dann
ging ich zu Bett, aber ohne Ruhe zu finden! Wer eine dieser großen
Alpenbesteigungen vorhat, kann niemals schlafen, und so warf ich mich
denn wie im Fieber die ganze Nacht auf meinem Lager hin und her. Ich
war daher herzlich froh, als ich die Uhr halb zwölf schlagen hörte. Es
war hohe Zeit aufzustehen und sich zum Mittagessen anzukleiden. Ganz
ermattet und wie zerschlagen trat ich um zwölf Uhr in den Speisesaal.
Die große Nachricht mußte sich herumgesprochen haben, denn ich bildete
bald den Mittelpunkt für die Neugier und das Interesse der Gäste. Es
ist sehr schmeichelhaft, als Löwe des Tages zu gelten, -- wenn man
dabei seine Mahlzeit in Ruhe verzehren könnte!

Wie es in Zermatt üblich, wenn eine große Besteigung von dort aus
unternommen wird, lassen Einheimische und Fremde ihre eigenen Pläne
für den Augenblick fallen, um von einem guten Platz aus den Aufbruch
der Expedition beobachten zu können. Dieselbe bestand aus 198 Personen
mit Einschluß der Maulesel, und aus 205 mit Einschluß der Kühe. Es
wurde 4 Uhr nachmittags, bis der ganze Zug in Ordnung war und sich
in Bewegung setzen konnte, dann bot er aber auch das großartigste
Schauspiel, das Zermatt je gesehen.

Ich befahl dem ersten Führer, Menschen und Tiere hintereinander in
Zwischenräumen von zwölf Fuß in einer Reihe aufzustellen und sie alle
zusammen durch ein starkes Seil zu verbinden. Seine Einwendung, daß
die zwei ersten Meilen des Weges ganz eben seien und man das Seil nur
an gefährlichen Stellen brauche, ließ mich kalt; denn meine Bücher
hatten mich gelehrt, daß viele der schlimmsten Unfälle in den Alpen nur
aus dem Umstand entspringen, daß sich die Leute nicht rechtzeitig an
einander binden. Durch meine Schuld sollte die Liste der Verunglückten
nicht vergrößert werden.

Als der Zug nun fertig dastand, durch das Seil verknüpft und
marschbereit, war der Anblick ganz prächtig!

Er nahm eine Länge von 3122 Fuß ein, -- mehr als eine halbe Meile
-- außer mir und Harris waren alle zu Fuß; jeder trug einen grünen
Schleier, eine blaue Brille, einen weißen Mullstreifen um den Hut, das
zusammengewickelte Seil über der Schulter und die Eishacke im Gürtel.
Die linke Hand umschloß den Alpenstock, die rechte den zugemachten
Regenschirm, und hinten waren die Krücken aufgeschnallt; Edelweiß und
Alpenrosen schmückten die Hörner der Kühe und das Gepäck auf dem Rücken
der Lasttiere.

[Illustration]

Wir nahmen den gefährlichsten Posten ein, ganz hinten, und jeder von
uns war mit fünf Führern verbunden. Unsere Träger hatten sich mit
unseren Eishacken, Alpenstöcken und der übrigen Ausrüstung beladen,
während wir selbst auf unseren kleinen Eseln saßen. Wir hatten sehr
kleine gewählt, damit wir, wenn Gefahr drohte, die Beine ausstrecken,
uns auf den Boden stellen und den Esel unter uns weglaufen lassen
konnten. Ich kann jedoch dieses Tier nicht empfehlen, wenigstens
nicht zu derartigen Ausflügen, weil es einem mit seinen Ohren die
Aussicht versperrt. Obgleich wir beide, ich und mein Begleiter, das
vorschriftsmäßige Bergsteigerkostüm besaßen, hatten wir es doch zu
Hause gelassen, und aus Hochachtung für die zahlreichen Touristen
beiderlei Geschlechts, die uns abmarschieren sahen, sowie aus Rücksicht
für alle diejenigen, welchen wir unterwegs begegnen könnten, Fräcke
angezogen. Um ein viertel auf fünf Uhr gab ich den Befehl zum Abmarsch,
und meine Untergebenen trugen ihn schnell die ganze Linie entlang.
Da brach die Zuschauermenge, die vor dem Monte Rosa-Hotel Spalier
stand, in lautes Hurra aus, worauf ich zum Gegengruß kommandierte:
»Stillgestanden, -- Achtung -- Hoch!« -- Bei letzterem Wort flogen
alle Regenschirme auf der ganzen halben Meile mit einemmale in die
Höhe! -- Es war ein herrliches Schauspiel, wie solches in den Alpen nie
zuvor gesehen worden war, und eine vollständige Ueberraschung für die
Zuschauer, die nun in einen wahren Beifallssturm ausbrachen. Ich ritt
mit abgezogenem Hut an ihnen vorbei, um meinen Gefühlen Ausdruck zu
geben; es auf andere Weise zu thun, war ich außer stande, da ich vor
Rührung nicht sprechen konnte.

Wir tränkten die Karawane an dem kalten Strom, der am Ende des Dorfes
durch eine Röhrenleitung floß, und ließen bald darauf die Stätten
der Zivilisation hinter uns. Gegen halb sechs Uhr erreichten wir die
Brücke, welche sich über den Vispfluß wölbt, und schickten zuerst
eine Abteilung hinüber, um ihre Sicherheit zu prüfen, dann folgte
die ganze Karawane ohne Unfall. Der Weg führte nun in allmählicher
Steigung über grüne Matten bis zur Kirche von Winkelmatten. Ohne dieses
Gebäude näher in Augenschein zu nehmen, machte ich eine Schwenkung nach
rechts und überschritt die Brücke über den Findelenbach, nachdem ihre
Tragfähigkeit untersucht worden war. Dann wendete ich mich abermals zur
Rechten, und erreichte bald eine zweite Strecke Wiesenland, an dessen
äußerstem Ende einige verfallene Hütten standen.

Der Platz war wie geschaffen zum Bivouakieren; wir schlugen daher
unsere Zelte auf, speisten zu Abend und stellten die nötigen Wachen
aus. Nachdem wir noch die Ereignisse des Tages verzeichnet hatten,
legten wir uns schlafen. Um 2 Uhr morgens standen wir wieder auf und
zogen uns bei Licht an, wobei uns recht frostig und unbehaglich zu
Mute war. Nur wenige Sterne leuchteten am dunkeln Himmel und der große
Kegel des Matterhorns war in schwarze Wolkenmassen gehüllt. Da unser
Hauptführer fürchtete, daß wir Regen bekämen und zum Aufschub riet,
warteten wir. Gegen neun Uhr brachen wir bei ziemlich klarem Wetter
auf.

Der Weg führte nun zu schrecklich steilen Höhen hinauf, die dicht mit
Lärchen- und Arvenbäumen bedeckt waren. Das Erdreich war vom Regen
ganz aufgeweicht, auch lagen viele lose Steine umher. Die Gefahr
und Unbequemlichkeit der Wanderung wurde überdies noch durch die
zahlreichen Touristen vermehrt, die uns auf ihrem Rückweg zu Pferd
oder zu Fuß entgegen kamen, während andere Touristen, im Hinaufsteigen
begriffen, rasch an uns vorbei wollten und uns überall drängten und
stießen.

Aber es sollte noch schlimmer kommen: eine Stunde später riefen alle
siebzehn Führer plötzlich Halt! und traten zu einer Beratung zusammen.
Nachdem diese eine geraume Zeit gedauert hatte, erklärten sie, daß wir
uns aller Wahrscheinlichkeit nach verirrt hätten. Ich fragte, ob sie
es denn nicht bestimmt wüßten, worauf sie erwiderten, sie könnten das
nicht mit vollständiger Gewißheit behaupten, da noch keiner von ihnen
je zuvor in dieser Gegend gewesen sei. Wenn sie es aber auch nicht
beweisen könnten, so sage ihnen doch ihr Gefühl, daß sie sich verirrt
hätten; auch hielten sie es für ein verdächtiges Zeichen, daß uns so
lange keine Touristen begegnet seien.

Da saßen wir schön in der Patsche.

Der besseren Sicherheit wegen bewegten wir uns nur langsam und
bedächtig vorwärts, da der Wald sehr dicht war; auch stiegen wir
nicht in die Höhe, sondern zogen um den Berg herum, in der Hoffnung
unsere alte Spur wieder aufzufinden. Mit Einbruch der Nacht kamen
wir, todmüde, vor einem haushohen Felsen an, bei dessen Anblick den
Leuten vollends der Mut sank, und Furcht und Verzweiflung die Oberhand
gewannen. Sie schluchzten, weinten und klagten, daß sie ihre Heimat und
ihre Lieben nie wiedersehen würden, und ergingen sich in Verwünschungen
gegen mich, den Urheber dieses verhängnisvollen Unternehmens, ja
einzelne brachen sogar in Drohungen aus!

Nun galt es keine Schwäche zu zeigen! Ich hielt eine Rede, in der ich
bewies, daß schon vor uns andere Alpenbesteiger in ähnlich gefahrvolle
Lage geraten seien, sich aber durch Mut und Ausdauer glücklich daraus
befreit hätten. Ich versprach ihnen Beistand und Rettung aus der Not,
stellte ihnen vor, daß wir auf lange hinaus mit Lebensmitteln versehen
seien, und schloß mit dem Ausdruck der zuversichtlichen Hoffnung,
daß die Bewohner von Zermatt nicht eine ganze Schar von Menschen
verschwinden lassen würden, ohne in kürzester Frist eine Expedition zu
ihrer Hilfe auszurüsten.

Die Rede verfehlte ihre Wirkung nicht; die Leute schlugen willig ihre
Zelte auf und lagen bald in süßem Schlummer. Nur Harris und ich blieben
wach; denn ich hätte mir nie gestattet, bei so drohender Gefahr zu
schlafen -- ich fühlte mich verantwortlich für die vielen Menschenleben
und wollte zur Hand sein, wenn die Lawinen heruntergestürzt kämen.
Jetzt weiß ich allerdings, daß in jener Gegend keine Lawinen vorkommen,
aber damals war ich noch im Dunkel darüber.

Die ganze Nacht hindurch machten wir Wetterbeobachtungen und ich
verwandte kein Auge von dem Barometer, um jede auch noch so geringe
Veränderung zu bemerken; aber ich nahm die ganze Zeit über auch nicht
den leisesten Wechsel wahr. Welchen Trost mir das freundliche und
ermutigend beständige Instrument in dieser Zeit der Not gewährte,
läßt sich nicht in Worte fassen! Daß der Barometer schadhaft war und
nur noch seinen unbeweglichen Metallzeiger besaß, entdeckte ich erst
später; aber wenn ich je wieder in eine ähnliche Lage gerate, wünsche
ich mir keinen anderen Barometer als diesen.

Am nächsten Morgen war die ganze Gesellschaft um zwei Uhr beim
Frühstück, und sobald es hell genug war, banden wir uns wieder mit dem
Seil zusammen und begannen den Angriff auf den Felsen. Zuerst warfen
wir das Hakenseil aus, und Harris versuchte daran in die Höhe zu
klimmen, aber der Haken hielt nicht fest! Mein Begleiter hätte sich
beim Fallen sicherlich zum Krüppel geschlagen, wenn nicht ein Mann
zufällig gerade unter ihm gestanden hätte. So war es der letztere,
der von dem Unglück betroffen wurde. Hierauf befahl ich das Hakenseil
beiseite zu legen. Es war zu gefährlich, wo so viele Leute herumstanden.

[Illustration]

Nun wußten wir nicht aus noch ein, bis zum Glück jemand an die Leitern
dachte. Wir lehnten eine derselben an den Felsen, die Leute stiegen
paarweise hinauf und vermittelst einer zweiten Leiter, die sie mit
sich in die Höhe zogen, auf der andern Seite wieder hinunter. Nach
Verlauf einer halben Stunde waren alle jenseits wieder auf ebener Erde
und der Fels war bezwungen, worüber wir in ein lautes Triumphgeschrei
ausbrachen! -- Die Freude war jedoch nicht von langer Dauer, denn nun
entstand die Frage, wie wir die Tiere hinüberschaffen sollten!

Bei dieser neuen Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit, verloren alle
sogleich wieder den Mut und abermals drohte eine Panik auszubrechen.
Im Augenblick höchster Gefahr wurden wir jedoch auf die wunderbarste
Weise gerettet: ein Maulesel, der von Anfang an große Neigung zu
Experimenten gezeigt hatte, versuchte ein Gefäß mit fünf Pfund
Nitroglycerin zu verschlucken und zwar in nächster Nähe des Felsens.
Eine entsetzliche Explosion erfolgte; alle wurden zu Boden geworfen und
mit Erde und Felstrümmern bedeckt. Als wir aufstanden war zu unserer
großen Freude der Felsen verschwunden. Wo er gestanden hatte, öffnete
sich ein Loch von dreißig Fuß Breite und ungefähr fünfzehn Fuß Tiefe,
das wir nur zu überbrücken brauchten, um unsern Weg fortsetzen zu
können. Mit kräftigem Hurraruf machten sich die Leute ans Werk. Ich
beaufsichtigte die Ingenieurarbeit selbst. Es galt, Bäume zu fällen
und Brückenpfeiler daraus zu machen, was gar kein leichtes Geschäft
war, da die Eishacken nur schlechte Dienste beim Holzhauen leisteten.
Die Pfeiler wurden dann reihenweise in die Grube eingerammt, sechs
von meinen vierzig Fuß langen Leitern darüber gelegt und sechs andere
quer über diese. Auf das Ganze breiteten wir eine dichte Lage von
Baumzweigen und schütteten eine sechs Zoll hohe Schicht Erde darüber.
Statt des Geländers wurde an jeder Seite ein Seil gespannt. Die nun
vollendete Brücke erwies sich als so haltbar, daß ein Zug Elefanten sie
bequem und sicher hätte passieren können.

Vor Einbruch der Nacht war die ganze Karawane drüben.

Am nächsten Morgen waren anfangs alle guten Mutes, trotz des steilen
und steinichten Weges, der durch dichten Wald führte und auf dem wir
nur langsam und mühsam vorwärts kamen. Bald aber malte sich tiefe
Niedergeschlagenheit in allen Mienen, und niemand, nicht einmal die
Führer, waren länger in Ungewißheit darüber, daß wir fortgesetzt in
der Irre gingen. Der vollständige Mangel an vorbeiwandernden Touristen
sprach nur zu deutlich; und vollends ein untrügliches Zeichen, auf
wie schlimmen Irrwegen wir uns befanden, war es, daß wir auf keine
der Expeditionen stießen, die längst aufgebrochen sein mußten, um uns
aufzusuchen.

Um dem Geist gänzlicher Entmutigung, der immer mehr um sich griff,
entgegen zu wirken, galt es zu handeln, und zwar ohne Zögern. Um
Auskunftsmittel bin ich selten verlegen und auch jetzt verfiel ich
auf eines, das allen einleuchtete und den besten Erfolg versprach:
ich nahm ein dreiviertel Meilen langes Seil, band ein Ende desselben
einem Führer um den Leib und befahl ihm, den richtigen Weg aufzusuchen,
während die Karawane an Ort und Stelle wartete. Mißlang es ihm,
so konnte er sich am Seil wieder zu uns zurückfinden; glückte es
ihm aber, so sollte er tüchtig an dem Seil zerren, worauf wir uns
sogleich aufmachen würden, um ihm zu folgen. Der Führer verließ uns
und verschwand bald im Schatten der Bäume. Ich wickelte das Seil ab,
während die andern dessen Windungen aufmerksam beobachteten -- bald
kroch es langsam dahin -- bald schneller; zwei- oder dreimal glaubten
wir schon das Zeichen zu sehen, aber immer hatten wir uns geirrt und
das Triumphgeschrei blieb den Leuten in der Kehle stecken. Endlich,
als schon über eine halbe Meile von dem Seil abgewickelt war, hörte
es plötzlich auf, sich zu bewegen -- es lag ganz still -- eine Minute
verging, zwei -- drei Minuten -- wir hielten den Atem an! Machte der
Führer vielleicht eine Ruhepause? Suchte er sich von einem hohen Punkt
aus in der Gegend zu orientieren? Zog er Erkundigungen bei einem
Bergbewohner ein, der ihm zufällig begegnete? Oder -- war er am Ende
gar vor Angst und Ermattung zusammengesunken? --

Diese letzte Möglichkeit erschütterte mich tief; ich war eben im
Begriff, ihm eine Abteilung zu Hilfe nachzuschicken, als plötzlich mit
so heftigem Ruck an dem Seil gezerrt wurde, daß es mir fast aus der
Hand flog!

Das laute ›Hurrah‹, das ertönte, that meinem Herzen wohl, und:
»Gerettet, gerettet!« klang es von einem Ende der Karawane bis zum
andern.

Wir brachen sofort auf; eine Zeitlang war der Weg ganz leidlich, dann
wurde er jedoch immer schwieriger. Nachdem wir ungefähr eine halbe
Meile zurückgelegt hatten, erwarteten wir jeden Augenblick, den Führer
zu Gesicht zu bekommen, doch zeigte sich keine Spur von ihm und es ließ
sich nicht einmal annehmen, daß er irgendwo auf uns warte, da sich das
Seil noch immer fortbewegte. Hieraus schlossen wir, daß er den Weg doch
noch nicht gefunden habe, aber vermutlich von irgend einem Landmann
dahingeführt werde. Uns blieb nichts übrig, als weiter zu schreiten.
Nach Verlauf von drei Stunden schritten wir noch eben so weiter. Es war
nicht bloß rätselhaft, es war zum verzweifeln. Obendrein wurden unsere
Kräfte vollständig erschöpft, zumal wir anfangs uns ganz unnütz beeilt
hatten, den Führer einzuholen.

Um drei Uhr nachmittags waren wir halb tot vor Erschöpfung, und noch
immer glitt das Seil dahin! -- Das Murren gegen den Führer wurde
lauter und lauter und brach zuletzt in wilde Verwünschungen aus! Die
Leute weigerten sich, einen Schritt weiterzugehen und behaupteten,
wir seien den ganzen Tag immer in der Runde marschiert, ohne von der
Stelle zu kommen. Zuletzt verlangten sie, ich solle das Ende des Seils
an einem Baum festbinden, damit der Führer stillstehen müsse, und sie
ihn umbringen könnten! Dies schien mir recht und billig und ich gab
sogleich den nötigen Befehl. --

Kaum war das Seil angebunden, als die Expedition sich mit einem
Eifer in Bewegung setzte, wie ihn nur der Rachedurst einflößen kann.
Wir waren wohl eine halbe Meile marschiert, als wir einen Hügel
erreichten, der ganz mit Steingeröll bedeckt und so steil war, daß
kein einziger mehr die Kraft hatte, ihn zu erklimmen. Jeder derartige
Versuch wurde teuer bezahlt. Nach Verlauf von zwanzig Minuten hinkten
bereits fünf Leute an Krücken! So oft sich einer beim Klettern an
dem Seil festhalten wollte, gab es nach und er stürzte rücklings
wieder hinunter. Diese Wahrnehmung brachte mich auf den Gedanken, die
Karawane eine Rückwärtsbewegung machen zu lassen. Ich stellte sie in
Marschordnung auf, band das Schlepptau an den hintersten Maulesel fest
und kommandierte nun:

»Kehrt euch, -- vorwärts -- marsch!«

[Illustration]

Unter den Klängen eines Schlachtgesanges setzte sich der Zug in
Bewegung. »Das muß den Führer zu uns zurückbefördern,« dachte ich im
stillen, »wenn nicht etwa das Seil dabei zerreißt.« Ich beobachtete,
wie das Seil langsam den Hügel hinabglitt, aber im Moment der
freudigsten Erregung wurde ich aufs bitterste enttäuscht. Nicht der
erwartete Führer kam am Ende zum Vorschein, sondern -- ein alter
schwarzer Bock, der sich wie wahnsinnig gebärdete! --

Wer beschreibt die Entrüstung der so schmählich betrogenen Expedition?
In rasender Wut wollten sie ihren Rachedurst in dem Blut des
unschuldigen, vernunftlosen Tieres kühlen. Ich aber warf mich zwischen
sie und ihr Opfer, obgleich hundert spitze Eishacken und Alpenstöcke
sich gegen mich erhoben, und schwur, daß sie nur über meine Leiche
hinweg ihren Mordanschlag ausführen sollten. Nur ein Wunder, das wußte
ich, konnte die Reisenden von ihrem verruchten Vorhaben abbringen
und mich erretten. Noch heute, wie damals, sehe ich die schrecklichen
Waffen mir entgegenstarren und das feindliche Heer mit haßerfüllten
Blicken auf mich anstürmen! Schon senkte ich das Haupt und ergab mich
in mein Schicksal, als ich plötzlich eine gewaltige, erdbebenartige
Erschütterung empfand. Und wer war der Urheber derselben? Der Bock,
für dessen Rettung ich mich eben opfern wollte! Ich flog durch die
dichte Schar der Angreifer, wie von einer Schleuder geworfen. Ein
donnerähnliches Gelächter durchlief die Reihen und erschütterte
die Luft -- ich war gerettet, -- gerettet durch den Instinkt der
Undankbarkeit, welchen eine gütige Natur dem schändlichen Tier ins
Herz gepflanzt hatte. Was all meiner Beredsamkeit nicht gelungen war,
bewirkte bei den Leuten der komische Zwischenfall; sie setzten den Bock
in Freiheit und schonten mein Leben.

Jetzt ging uns auch ein Licht auf über die Verräterei des Führers.
Sobald er uns aus dem Gesicht war, hatte er uns unserm Schicksal
überlassen. Damit jedoch kein Argwohn erregt würde, durfte das Seil
nicht aufhören, sich zu bewegen. Deshalb fing der Schändliche den Bock,
warf ihn zu Boden und band ihm das Seil um, während wir dachten, daß
er, von Schmerz und Müdigkeit übermannt, auf die Erde gesunken sei.
Die wilden Sprünge, die der Bock machte, um sich von dem Seile zu
befreien, hatten wir für das verabredete Zeichen gehalten, dem wir mit
Jubelgeschrei gefolgt waren.

Den ganzen Tag über waren wir von dem Bock im Kreise herumgeführt
worden, was sich dadurch beweisen ließ, daß wir die Karawane in Zeit
von sieben Stunden siebenmal an ein und derselben Quelle getränkt
hatten. Dies war mir trotz meiner Aufmerksamkeit ganz entgangen,
bis ich zufällig durch ein Schwein darauf aufmerksam gemacht wurde.
Jedesmal wälzte sich ein Schwein an der Quelle, an die wir kamen, und
da mir am Ende die Aehnlichkeit zwischen diesen Schweinen auffiel, kam
ich auf den Gedanken, ob es nicht ein und dasselbe sei. Hieraus ergab
sich dann die weitere Frage, ob es nicht auch die nämliche Quelle sei
-- was sich richtig so verhielt.

Von dem treulosen Führer, der den Bock an das Seil gebunden hatte,
will ich nur noch erwähnen, daß er eine Weile aufs Geratewohl
umherschweifte, bis er auf eine Kuh stieß. In der Meinung, daß eine Kuh
natürlicherweise besser Bescheid wissen müsse als ein Führer, hielt er
sich an ihrem Schwanz fest und der Erfolg gab ihm recht. Die Kuh ging
gemächlich grasend den Hügel hinunter, bis es Zeit zum Melken war, dann
trabte sie nach Hause und brachte den Führer im Schlepptau nach Zermatt
zurück.

       *       *       *       *       *

Wir schlugen unsere Zelte mitten in der Wildnis auf, in die uns
der Bock geführt hatte. Die müden, hungrigen Leute ließen sich das
Abendessen so vortrefflich schmecken, daß sie darüber ganz vergaßen,
daß wir verirrt waren, und noch ehe sie sich darauf besannen, hatte ich
ihnen Schlafpulver eingegeben und sie zur Ruhe gebracht.

Am nächsten Morgen überdachte ich unsere verzweifelte Lage und sah
mich vergebens nach einem Rettungsweg um. Da erschien Harris mit einer
Karte aus dem Bädeker, breitete sie vor mir aus und bewies mir klar
und deutlich, daß der Berg, auf dem wir uns befanden, noch in der
Schweiz liege und in keinem andern Lande. -- So waren wir wenigstens
nicht ganz verloren. Sofort machte ich die Nachricht öffentlich bekannt
und stellte die Karte aus. Das hatte eine ganz wunderbare Wirkung, --
denn kaum sahen die Leute mit eigenen Augen, an welcher Stelle wir uns
befanden, und daß nur der Gipfel verloren gegangen sei, nicht wir, --
so wurden sie wieder guten Mutes.

Ich ließ die Karawane einen Ruhetag im Lager halten und erst am
folgenden Morgen setzten wir neu gestärkt und erfrischt unsere
Wanderung weiter fort.

Dieser Tag wird mir ewig unvergeßlich sein, da wir an ihm unseren
verlorenen Weg wieder fanden, und zwar auf höchst merkwürdige Weise:
drittehalb Stunden hatten wir uns schon mühsam weitergearbeitet,
als wir auf einen fast zwanzig Fuß hohen Felskegel stießen. Diesmal
wartete ich nicht erst die Hilfe eines Maulesels ab. Ich war inzwischen
durch Erfahrung klüger geworden als alle Esel der Expedition zusammen
genommen. Durch Anwendung von Dynamit räumte ich den Felsen sofort
aus dem Wege, -- wie groß war jedoch meine Bestürzung, als sich
herausstellte, daß oben auf dem Gipfel eine Sennhütte gestanden
hatte. --

Alle Familienglieder, die in meiner Nähe zur Erde kamen, hob ich
sorgfältig auf, den Rest sammelten meine Gefährten. Zum Glück war von
den armen Leuten niemand verletzt, aber sie klagten bitterlich über die
gewaltsame Störung. Ich entschuldigte mich bei dem obersten Sennhirten
damit, daß ich nicht gewußt habe, daß er oben sei, sonst würde ich ihn
rechtzeitig von meiner Absicht in Kenntnis gesetzt haben.

Als ich ihm schließlich anbot, ihm allen Schaden zu vergüten und seine
Sennhütte wieder aufzubauen, noch dazu mit einem Keller, der ihm bisher
gefehlt hatte, da war er besänftigt und erklärte sich zufriedengestellt.

Der Keller mußte ihn für die schöne Aussicht entschädigen, von der er
freilich viel eingebüßt hatte.

In Zeit von fünfzehn Minuten hatten die 116 Mann, die ich bei der
Arbeit anstellte, die Sennhütte aus den Trümmern wieder aufgebaut und
sie sah malerischer aus als zuvor. Der Senne sagte mir, daß wir uns
auf dem Feli-Stutz über der Schwegmatt befänden, und ich war nach
allen Zweifeln der letzten Tage nicht übel froh, über Ort und Stelle
so genau Bescheid zu erhalten. Wir erfuhren überdies, daß wir am Fuß
des eigentlichen Riffelbergs waren und somit die ersten Schwierigkeiten
unseres Unternehmens hinter uns lagen.

Einen prächtigen Anblick bot uns von hier aus der wilde Vispfluß, der
aus einer hohen Wölbung hervorstürzt, die er sich durch die feste
Eismauer des großen Gornergletschers gebrochen hat; auch sahen wir den
Furggenbach, den Abfluß des Furggengletschers.

Wir wurden bald inne, daß der Saumpfad auf den Gipfel des Riffelbergs
dicht an der Sennhütte vorbeiführt, denn die ganze Zeit über war er
von Touristenschwärmen belebt. In der Sennhütte nahmen die Wanderer
gewöhnlich Erfrischungen ein; da ich dieselbe aber in die Luft
gesprengt hatte, wobei alle Flaschen entzwei gegangen waren, so war der
Handel des Sennhirten etwas ins Stocken geraten. Ich gab ihm jedoch
ein Quantum Branntwein, um ihn als Alpenchampagner zu verkaufen, sowie
ein Quantum Essig, der für Rheinwein gelten konnte, und so kam sein
Geschäft bald wieder lebhaft in Gang.

Nach kurzer Rast stellte ich die Karawane in Marschordnung auf, ritt
die Linie entlang, um zu sehen, ob alle ordentlich aneinander gebunden
waren, und gab dann Befehl zum Aufbruch. Bald schritten wir auf grünen
Matten dahin, der Wald mit seinen beschwerlichen Pfaden lag hinter
uns, und unser Gipfel -- der Gipfel des Riffelbergs -- ragte weithin
sichtbar in die Luft.

Auf dem Saumpfad, der sich im Zickzack bald nach rechts, bald
nach links in die Höhe schlängelte, stiegen die Touristen in
ununterbrochener Reihe hinauf und herab. Sie engten uns ein und fielen
uns sehr lästig; Gesellschaften, die aneinander gebunden waren,
bemerkte ich nicht unter ihnen. An manchen Stellen war der Weg kaum
zwei Meter breit und fiel an den Seiten mehrere Fuß tief steil ab, so
daß wir mit der äußersten Vorsicht aufwärts klimmen mußten. Ich sprach
meinen Leuten fortwährend Mut ein, damit sie sich nicht unmännlicher
Furcht überließen.

Wir hätten den Gipfel wohl noch vor einbrechender Nacht erreicht, wäre
nicht wegen eines verlorenen Regenschirmes Aufenthalt entstanden. Bei
meinem Vorschlag, den Regenschirm aufzugeben, entstand ein allgemeines
Murren. Die Leute hatten eigentlich recht, -- in unserer ausgesetzten
Lage konnten wir einen Schutz gegen Lawinen jetzt weniger denn je
entbehren! So bezogen wir denn unser Lager und ich sandte eine
Abteilung aus, um den verlorenen Gegenstand zu suchen.

Wie harte Arbeit uns auch der nächste Morgen noch brachte, so schwand
uns doch der Mut nicht wieder im Angesicht des nahen Zieles! Gegen
Mittag war endlich das letzte Hindernis überwunden und der Gipfel
erklommen. --

Die große That war gethan, -- was für unmöglich galt, war zur Thatsache
geworden, und außer dem Maulesel, der das Nitroglycerin verschlungen,
hatten wir bei dem ganzen Unternehmen keinen Mann verloren! Harris und
ich schritten stolz in den großen Speisesaal des Riffelberghotels, wo
wir unsere Alpenstöcke an die Wand lehnten.

Ja, die Bergbesteigung war vollendet -- aber im Gesellschaftsanzug
hätte ich sie doch nicht unternehmen sollen! Unsere Frackschöße
flatterten in Fetzen herab, die hohen Hüte hatten viele Knicke und der
Schmutz, mit dem wir von oben bis unten bespritzt waren, trug nicht
dazu bei, unsere Erscheinung wohlgefälliger zu machen.

Der freudige Willkommen, den uns die fünfundsiebzig Touristen im Hotel
entgegenbrachten -- es befanden sich eine Menge Damen und kleine Kinder
darunter -- entschädigte uns reichlich für alle ausgestandenen Leiden
und Entbehrungen. Jetzt trägt ein steinernes Denkmal die Jahreszahl der
Bergbesteigung, sowie die Namen der Teilnehmer, zur Erinnerung für alle
Touristen späterer Zeiten.

Noch höher als das Hotel erhebt sich der Gorner Grat, ein Felskamm,
der in schwindelnder Höhe über einem gewaltigen Gletscher hängt. Der
Aufstieg ist nicht ohne Gefahr, aber ich beschloß, ihn doch zu wagen!

Unter Aufsicht zweier Oberkellner ließ ich von meinen Leuten den ganzen
Weg entlang Stufen in den Felsboden hauen; auf diesen klomm ich dann,
an die Führer gebunden, zu der Höhe empor. Ein zweites Denkmal verewigt
mein tollkühnes Wagnis.

[Illustration]

Meine Aussicht auf den Monte-Rosa und die ganze übrige Alpenwelt war
wunderbar schön. Die großartigste Rundsicht eröffnete sich meinen
Blicken und zahllose Gletscher und Schneeberge türmten ihre Häupter
übereinander, als hätten dort Riesen ihre Zelte aufgeschlagen. Stolz
und einsam ragte nur der mächtige Felszahn des Matterhorns empor. Die
steilabfallenden Seiten waren mit Schnee bedeckt und der Gipfel in
dichte Wolken gehüllt, die sich dann und wann verzogen, so daß die
dunkle Masse wie durch einen dünnen Schleier hindurchschimmerte. Bald
darauf veränderte sich das Schauspiel und das Matterhorn sah einem
Vulkan nicht unähnlich; die ganze Spitze trat klar hervor und ungeheure
Massen weißen Gewölks schienen langsam herauszuquellen und sich
kräuselnd in schräger Richtung nach der Sonne emporzuwälzen, wie Berge
von Dampf und Dunst, die aus einem Krater aufsteigen. Kurz nachher
erschien die eine Seite des Felskegels unverhüllt und auf der andern
zogen dunkle Rauchwolken um die scharfen Felskanten herum, wie der
Qualm aus einem brennenden Gebäude. Das Matterhorn versteht sich auf
die Wirkung von Licht und Farben, und versucht fortwährend bald diese
bald jene malerische Zusammenstellung. Bei Sonnenuntergang scheint es
aus dem Dunkel, das die ganze niedere Welt einhüllt, wie ein feuriger
Finger gen Himmel zu deuten. Bei Sonnenaufgang -- ja, da soll es
wunderschön sein, wie ich mir habe sagen lassen.

Es ist erwiesen, daß man auf keinem zugänglichen Punkt der
Gletscherwelt eine solche Fülle von riesigen Bergformen und
schneebedeckten Alpenspitzen zu sehen bekommt, wie vom Gipfel des
Riffelbergs aus. Nachdem ich nun gezeigt habe, daß man bei gehöriger
Seelenstärke und verständiger Umsicht an dieses Ziel gelangen kann,
ist es Sache der Touristen, sich aneinander zu binden und die
Bergbesteigung zu wagen. --



Kinderspiele.


Bei meinen Alpenwanderungen traf ich einmal auf einen Trupp kleiner
Kinder, die sich ein höchst eigenartiges, sonderbares Spiel ausgedacht
hatten; das schien mir aber nur so, denn sie amüsierten sich auf eine
ganz natürliche und sehr bezeichnende Weise. Sie waren durch ein Seil
mit einander verbunden, trugen kleine Alpenstöcke und Eishacken und
erklommen einen niedrigen, bescheidenen Düngerhaufen unter Anwendung
aller erdenklichen Vorsicht und Sorgfalt. Der ›Führer‹ an der Spitze
des Zuges hackte zum Schein mit dem größten Fleiß Stufen in den Eisberg
ihrer Phantasie, und keiner der kleinen Affen rührte sich, bevor ihm
sein Vordermann nicht auf der höheren Stufe Platz gemacht hatte.
Wären wir länger stehen geblieben, wir hätten ohne Zweifel auch einen
schauerlichen Absturz mit angeschaut, hätten die kühnen Wanderer auf
dem Gipfel ihr lautes Hurra rufen hören, während sie die ›herrliche
Aussicht‹ bewunderten, und gesehen, wie sie sich mit Gebärden völliger
Erschöpfung auf der erhabenen Höhe niederwarfen, um auszuruhen.

In Nevada habe ich die Kinder oft ›Silbergraben‹ spielen sehen. Die
Hauptsache war dabei natürlich ein Unglücksfall im Bergwerk, bei dem
es zwei wichtige Rollen darzustellen gab: erstens, den Verunglückten,
der in den Schacht gestürzt ist, und zweitens, den kühnen Helden,
welcher in die Tiefe hinabgelassen wird, um jenen wieder ans Tageslicht
zu befördern. Ein kleiner Knirps, den ich kannte, bestand regelmäßig
darauf, beide Rollen zu spielen. Erst fiel er in den Schacht und
kam ums Leben, dann erschien er wieder auf der Oberfläche und stieg
abermals hinunter, um seine eigene Leiche zu holen.

Ueberall ist es der klügste Junge, der die Heldenrolle spielt. In
der Schweiz ist er der erste Führer, in Nevada der Obersteiger, in
Spanien der berühmteste Stierkämpfer u. s. w. Aber keine dieser
Rollen kommt doch an Würde und Größe derjenigen gleich, die sich
einmal ein siebenjähriger Pfarrerssohn meiner Bekanntschaft, Namens
Jimmy, ausgesucht hatte. Sein Vater verbot ihm an einem Sonntag,
Pferdebahnkutscher zu spielen, am nächsten Sonntag durfte er nicht
Kapitän eines Dampfboots sein, den folgenden Sonntag wurde ihm
untersagt, sein Kriegsheer in die Schlacht zu führen -- und so ging es
weiter. Endlich sagte das Söhnchen:

»Nun habe ich alles versucht, aber nichts war recht. Was _darf_ ich
denn spielen?«

»Das weiß ich nicht, Jimmy, aber du darfst nur etwas spielen, was für
den Tag des Herrn paßt.«

Am folgenden Sonntag trat der Pfarrer leise in die Kinderstube, um
zu sehen, ob die Kleinen auch nichts Ungehöriges trieben. Auf einem
Stuhl mitten im Zimmer hing Jimmys Mütze; eine der kleinen Schwestern
nahm die Mütze herunter, knabberte daran, reichte sie dann dem andern
Schwesterchen und sagte:

»_Iß von dieser Frucht, denn sie ist gut._«

Ach, die Kinder spielten die Vertreibung aus dem Paradiese -- das ward
dem würdigen Herrn mit Schrecken klar; ein Umstand beruhigte ihn aber
gewissermaßen: »Ich habe Jimmy doch unrecht gethan,« sagte er bei sich,
»solche Bescheidenheit hätte ich ihm nicht zugetraut; er hat sich
diesmal keine der Hauptrollen ausgesucht, weder Adam noch Eva.« Allein
auch dieser Trost wurde dem Vater bald genommen; er sah sich um und
entdeckte Jimmy, der mit ehrfurchtgebietender Haltung in einer Ecke
stand, die Stirn in finster drohende Falten gelegt. Was das zu bedeuten
hatte, ließ sich leicht erkennen -- _er stellte die Gottheit dar_.

       *       *       *       *       *

Die erhabene Einfalt dieses Gedankens kann durch nichts übertroffen
werden.



Peinliche Ohrenmusik.


In den Gebirgsdörfern der Schweiz und sonst auf Weg und Steg schlägt
einem fortwährend das Rauschen der Wasserbäche ans Ohr. Man bildete
sich ein, es sei Musik und fühlt sich poetisch gestimmt; legt man sich
ins Bett, so wird man davon in Schlaf gelullt. Aber allmählich wird
es einem doch zu viel, man kann das Geräusch nicht mehr los werden;
selbst in Einöden, wo die tiefste Stille herrscht, summt einem ein
dumpfes, fernes Geräusch in den Ohren, ähnlich dem Gefühl, das man beim
Anlegen einer großen Seemuschel ans Ohr empfindet. Man weiß anfangs
gar nicht, wie es kommt, daß man so schläfrig und zerstreut ist, warum
die Gedanken unfähig sind, einen Gegenstand festzuhalten oder zu
verfolgen; setzt man sich zum Schreiben hin, so fallen einem die Wörter
nicht ein; man vergißt, was man schreiben wollte, und sitzt da mit der
Feder in der Hand, den Kopf zurückgebeugt, mit geschlossenen Augen
und horcht peinlich auf ein dumpfes Brausen, wie das eines entfernten
Eisenbahnzuges. Im festesten Schlaf läßt diese Spannung nicht nach, man
horcht immer, horcht fortwährend, horcht mit ängstlicher Genauigkeit
und endlich wacht man auf, gepeinigt, gereizt und unerfrischt.

Man kann sich diese Zustände gar nicht erklären. Tag für Tag ist es
einem zu Mut, als wenn man die Nächte in einem Schlafwagen zugebracht
hätte. Es dauert in der That wochenlang, bis man dahinterkommt, daß die
ewigen Gießbäche und Gebirgsquellen an dieser Qual schuld sind. Jetzt
ist es aber hohe Zeit, die Schweiz zu verlassen; denn sobald man die
Ursache kennt, steigert sich die Qual ums zehnfache. Das Rauschen ist
zum wahnsinnig werden, sobald die Phantasie mitwirkt; man leidet dann
die empfindlichsten physischen Schmerzen. Sobald man sich einem dieser
rauschenden Bäche nur nähert, möchte man vor Angst schleunigst Reißaus
nehmen und wie vor einem Feinde fliehen.

       *       *       *       *       *

Acht oder neun Monate, nachdem ich die Qual jener Sturzbäche
losgeworden war, wurde ich infolge des brausenden und donnernden Lärms
in den Straßen von Paris von neuem davon ergriffen. Ich zog daher in
den obersten Stock des Hotels, um Ruhe zu suchen. Gegen Mitternacht
ließ das Getöse etwas nach und ich war schon im Begriff einzuschlafen,
als ich ein neues sonderbares Geräusch vernahm. Ich horchte: offenbar
führte irgend ein verrückter Mensch einen Matrosentanz in dem Zimmer
über dem meinigen auf. Ich mußte natürlich warten, bis er fertig war.
Während fünf langen, langen Minuten fuhr er mit dem schleifenden,
walzenden Tanz fort, -- dann erfolgte eine Pause, und dann fiel etwas
mit einem schweren Plumps auf den Boden. Ich sagte mir: »Jetzt zieht er
die Stiefel aus, jetzt ist er -- gottlob! -- fertig!«

Wieder eine kleine Pause, und er setzte von neuem das Tanzen fort!
Da sagte ich mir: »Wahrscheinlich probiert er, ob es auch mit einem
Stiefel am Fuß geht!« Bald kam wieder eine Pause, und wieder ein
Plumps auf den Boden. Ich sagte mir: »Gut; er hat den zweiten Stiefel
ausgezogen, jetzt ist er fertig.« Im nächsten Augenblick fing das
Schleifen und Walzen wieder an.

»Hol’ ihn der Kuckuck! jetzt geht es in den Pantoffeln weiter!« Nach
einiger Zeit trat wieder die alte Pause ein, und gleich darauf erfolgte
der besagte Plumps auf den Boden noch einmal. »Hol’ ihn der Henker!«
sagte ich, »der hat zwei Paar Stiefel angehabt!«

[Illustration]

Während einer ganzen Stunde fuhr dieser Hexenmeister fort zu tanzen und
Stiefel auszuziehen, bis er mindestens fünfundzwanzig Paar abgeworfen
hatte, und mein Zustand schon an die äußersten Grenzen des Wahnsinns
streifte.

Ich nahm mein Gewehr und schlich mich die Treppe hinauf. Der Kerl
stand da, inmitten eines ganz mit Stiefeln besäten Zimmers, er hatte
noch einen Stiefel in der Hand, und er walzte -- nein: -- er _wichste_
den Stiefel, wollte ich sagen. Er hatte nicht getanzt. -- Er war der
_Hausknecht_ des _Hotels_ und ging seinem Geschäfte nach.



Die Schrecken der deutschen Sprache.


Ich war oft im Heidelberger Schloß, um die daselbst befindliche
Kuriositätensammlung zu besichtigen und eines Tages überraschte ich
den Besitzer derselben mit meinem _Deutsch_, das ziemlich seltsam
lauten mochte. Er war sehr aufmerksam, und nachdem ich eine Zeitlang
gesprochen hatte, äußerte er, mein Deutsch sei ganz seltener Art,
vielleicht ein ›Unikum‹, er möchte es gerne seinem Museum einverleiben.
Hätte er gewußt, was die Erwerbung meiner Fertigkeit mich gekostet
hatte, so würde er auch gewußt haben, daß deren Anschaffung einen
jeden Sammler zu Grunde richten müßte. Mein Freund Harris und ich
hatten damals mehrere Wochen lang tüchtig an unserm Deutsch gearbeitet,
und obwohl wir gute Fortschritte machten, hatten wir doch unser Ziel
nur unter großen Schwierigkeiten und Plackereien erreicht, denn drei
von unsern Lehrern waren darüber gestorben. Wer nicht selbst deutsch
gelernt hat, kann sich keine Vorstellung davon machen, was das für eine
verzwickte Sprache ist.

[Illustration]

Es giebt gewiß keine andere Sprache auf der Welt, die so systemlos
ist, so schlüpfrig und aalglatt, wenn man sie fassen will. Man
treibt darin umher wie in einem brandenden Meer, bald hierhin, bald
dorthin, in der elendesten Hilflosigkeit, und wenn man einmal glaubt,
eine Regel gefunden zu haben, welche festen Grund bietet, um einen
Augenblick in dem allgemeinen Wirrwarr und Tumult der zehn Redeteile
auszuruhen, so vernimmt man in der Grammatik: »Der Schüler gebe acht
auf folgende Ausnahmen.« Ein Blick auf diese zeigt ihm, daß deren mehr
sind, als Beispiele für die Regel selbst. So wird er hoffnungslos
wieder über Bord geschleudert, um nach einem neuen Berg Ararat zu
jagen und statt dessen eine neue Sandbank zu finden. Dies sind die
Erfahrungen, die ich gemacht habe und noch fortwährend mache. So oft
ich glaube, ich habe einen von den vier vertrakten ›Kasus‹ richtig
gepackt, schleicht sich eine anscheinend bedeutungslose Präposition
in meinen Satz hinein, die mit einer furchtbaren ungeahnten Macht
ausgerüstet ist, und zerbröckelt mir den Boden unter den Füßen. Z.
B. fragt mein Lesebuch nach einem Vogel (es fragt immer nach Dingen,
die für keinen Menschen irgend welchen Wert haben): »~Where is the
bird?~«[3] -- Die Antwort auf die Frage lautet nach dem Buch: »~The
bird is waiting in the blacksmith shop on account of the rain.~«[4]
Selbstverständlich würde das keinem Vogel einfallen, allein das mußt
du mit dem Buch ausmachen. Also, ich mache mich daran, die deutsche
Uebersetzung dieser Antwort herauszuklauben. Ich muß dabei notwendig
am verkehrten Ende anfangen, so will es der deutsche Gedankengang.
Ich sage mir: Regen ist männlichen Geschlechts -- oder vielleicht auch
weiblich oder möglicherweise sächlich -- darnach zu schauen, ist mir
jetzt zu umständlich. Je nach dem Geschlecht nun, das sich schließlich
herausstellt, heißt ~the rain~ entweder _der_ Regen oder _die_ Regen
oder _das_ Regen. Im Interesse der Wissenschaft will ich die Annahme
zu Grunde legen, das Wort sei männlichen Geschlechts. Gut! Dann heißt
~the rain~ ›_der_ Regen‹, falls derselbe einfach in ruhendem Zustand
erwähnt wird ohne nähere Erörterung, also _Nominativ_; ist jedoch
dieser Regen überall rings auf dem Boden angelangt, dann ist er an eine
bestimmte Oertlichkeit gebunden, er _thut_ etwas, nämlich _ruhen_ (in
der deutschen Grammatik wird dies unter die Thätigkeiten gerechnet)
und dies versetzt den Regen in den _Dativ_, so daß er zu ›_dem_ Regen‹
wird. Allein dieser Regen hat noch keine Ruhe, sondern entwickelt eine
_aktive_ Thätigkeit -- er fällt nieder -- vermutlich dem Vogel zum
Aerger -- dies zeigt Bewegung an und hat die Folge, daß das Wort in den
_Accusativ_ geschoben und dadurch aus _dem_ Regen ›_den_ Regen‹ wird.

    [3] »Wo ist der Vogel?«

    [4] »Der Vogel wartet in der Hufschmiede wegen des Regens.«

Nachdem ich mit der Befragung des Schicksals über diesen Punkt zu Ende
bin, antworte ich keck darauf los und sage auf deutsch: »Der Vogel
wartet in der Hufschmiede _wegen den_ Regen.« Der Lehrer dämpft darauf
sanft meine Freude mit der Bemerkung, daß, wo das Wörtchen _wegen_ in
einem Satz vorkommt, es das abhängige Wort in den _Genitiv_ versetze,
möge daraus entstehen, was da wolle -- und daß deshalb dieser Vogel in
der Schmiede gewartet habe ›wegen _des_ Regens‹.

    ~NB.~ Später erfuhr ich von einer höheren Autorität, daß es
    eine ›Ausnahme‹ gäbe, die einem unter gewissen, besonderen,
    verwickelten Umständen gestatte, zu sagen, wegen _den_ Regen,
    es komme jedoch diese Ausnahme ganz allein bei diesem Wort vor.

       *       *       *       *       *

Von der Schwierigkeit dieser Sprache kann die nächste beste
Zeitung überzeugen. Ein Normalsatz in einer deutschen Zeitung ist
eine überraschende Merkwürdigkeit; er nimmt eine Viertelseite ein
und enthält sämtliche Redeteile dieser Sprache, nicht in einer
geregelten Ordnung, sondern durcheinander. Er besteht hauptsächlich
aus zusammengesetzten Wörtern, von dem Verfasser eigens für seinen
Zweck gebaut und nirgends im Wörterbuch zu finden; oft sechs bis
sieben Worte an einem Stücke ohne Nähte und Einschnitte; der Satz
handelt von 14 bis 15 verschiedenen Gegenständen, von denen jeder
einen Zwischensatz bildet, bisweilen schließt ein Hauptzwischensatz
mehrere kleinere ein und damit sie nicht auseinander fallen, werden
sie zum Teil mit Klammern zusammengehalten; -- _nach alledem_ kommt
endlich das Zeitwort, woraus man erst klug wird, was der Verfasser
eigentlich sagen wollte; nach dem Zeitwort schließt der Verfasser --
wie mir scheint, lediglich aus dekorativer Spielerei -- mit den Wörtern
›haben zu sein‹, ›gewesen sein dürften‹, oder ähnlich. Vermutlich ist
dieser Schlußknalleffekt so etwas wie der Schnörkel, den man unter
seine Unterschrift zu machen pflegt; was nicht gerade nötig ist, aber
hübsch aussieht. Ich rate zum bessern Verständnis, deutsche Bücher so
zu lesen, daß man sie vor den Spiegel hält oder auf den Kopf stellt,
damit die Konstruktion umgekehrt erscheint; aber deutsche Zeitungen zu
lesen, wird dem Fremden stets eine unerreichbare Kunst bleiben. Ich
will mich zum Beweis des Gesagten auf ein Beispiel aus einem deutschen
Buche, einer anerkannt guten Novelle, beschränken. »Wenn er aber auf
der Straße der in Sammt und Seide gehüllten, jetzt sehr ungeniert nach
der neuesten Mode gekleideten Regierungsrätin begegnete?« So steht es
in Marlitts ›Geheimnis einer alten Mamsell‹. Man wird bemerkt haben,
wie weit das Zeitwort von der Operationsbasis des Lesers entfernt ist.
In den Zeitungen ist das noch weit schlimmer, da steht das Zeitwort
immer erst auf der nächsten Spalte, und mir wurde gesagt, es käme oft
vor, daß der Verfasser eines Artikels, der sich ein bis zwei Spalten
lang mit Einreihungen und Zwischensätzen aufgehalten hat, sich am Ende
so beeilen muß, daß der Satz ohne Zeitworte in die Druckpresse geht.
Dann sind natürlich die Leser übel dran.

In unserer Litteratur spukt diese Einschachtelungsmanie ebenfalls
und es lassen sich jeden Tag Beispiele dafür in unsern Büchern und
Zeitungen finden; allein bei uns ist dieselbe ein Kennzeichen davon,
daß es dem Schriftsteller an Gewandtheit oder an klarem Verstande
fehlt, während sie bei den Deutschen schriftstellerische Uebung und
das Vorhandensein einer Art von lichtvollem Verstandsnebel verrät,
der bei diesen Leuten für Klarheit gilt. Denn Klarheit ist dies ganz
gewiß nicht, das kann schlechterdings nicht sein. Es muß vielmehr
recht wirr, recht vertrakt und verkehrt in eines Schriftstellers Kopfe
aussehen, wenn er einen Anlauf nimmt, um zu sagen, daß jemand einer
Regierungsrätin auf der Straße begegnet, und dann gerade mitten in
diesem so einfachen Unternehmen die beiden Begegnenden anhält und
stehen läßt, bis er den Anzug der Dame bis ins kleinste ausgemalt hat.
Dies ist handgreiflicher Unsinn.

Man denkt dabei unwillkürlich an jene Zahnärzte, die, nachdem sie
den Zahn mit der Zange gefaßt und einen dadurch in den höchsten Grad
atemloser Spannung versetzt haben, sich hinstellen und einem in aller
Behaglichkeit eine langweilige Geschichte vorkauen, ehe sie den
gefürchteten Ruck thun. In der Litteratur und beim Zahnausziehen sind
Einschaltungen gleich übel angebracht.

Einer der deutschen Klassiker ist G. E. Lessing, und in einem seiner
Hauptwerke, dem ›Laokoon‹, habe ich folgenden Satz gefunden, der in
der That von der geradezu klassischen Art und Weise, wie hier die
Einschaltungen angebracht sind, ein beredtes Zeugnis ablegt. Der Satz
findet sich im 12. Band der Lessingausgabe und lautet:

    »Wenn also der Graf Caylus die Gemälde der unsichtbaren
    Handlungen in unzertrennter Folge mit den sichtbaren fortlaufen
    läßt; wenn er in den Gemälden der vermischten Handlungen, an
    welchen sichtbare und unsichtbare Wesen teil nehmen, nicht
    angiebt und vielleicht nicht angeben kann, wie die letztern,
    welche nur wir, die wir das Gemälde betrachten, darin entdecken
    sollten, so anzubringen sind, daß die Personen des Gemäldes sie
    nicht sehen, wenigstens sie nicht notwendig sehen zu müssen
    scheinen können: so muß notwendig sowohl die ganze Folge,
    als auch manches einzelne Stück dadurch äußerst verwirrt,
    unbegreiflich und widersprechend werden.«

Es wurde mir versichert, daß solche Sätze das Entzücken der deutschen
Juristen sind, welche sich mit Eifer und Erfolg bemühen, in ihren
Urteilsbegründungen es der Klassicität Lessings gleich zu thun oder sie
noch zu übertreffen.

       *       *       *       *       *

Die Deutschen haben in ihrer Sprache eine Art von Parenthese, welche
sie durch das Auseinanderreißen eines Zeitworts in zwei Teile erzielen,
wovon der eine am Anfang eines spannenden Kapitels steht, der andre
am Schluß desselben. Kann man sich etwas Verwirrenderes denken? Die
deutsche Sprache wimmelt von solchen trennbaren Zeitwörtern und je
weiter die beiden Teile in einem Schriftstück auseinander kommen, desto
mehr freut sich der Urheber eines solchen Verbrechens seiner That. Ein
Lieblingsspiel dieser Art wird mit dem Wort ›reiste ab‹ getrieben. Hier
ein Beispiel aus einer Novelle:

»Er _reiste_, als die Koffer fertig waren und nachdem er Mutter und
Schwester geküßt und nochmals sein angebetetes, einfach in weißen
Muslin gekleidetes, mit einer frischen Rose in den sanften Wellen ihres
reichen braunen Haares geschmücktes Gretchen, das mit bebenden Gliedern
die Treppe herabgewankt war, um noch einmal sein armes gequältes Haupt
an die Brust desjenigen zu legen, den es mehr liebte, als das Leben
selber, ans Herz gedrückt hatte, -- _ab_.«

Es ist jedoch nicht gut, sich zuviel mit den trennbaren Zeitwörtern
abzugeben, sie bringen einen unfehlbar bald um die Gemütsruhe, und wenn
man sich nicht warnen läßt und sich darein vertieft, so bekommt man
entweder Gehirnerweichung oder Gehirnversteinerung davon.

Die persönlichen Fürwörter und Adjektiva dieser Sprache sind eine
fruchtbare Quelle von Aerger aller Art. Das Wort ›Sie‹ bedeutet ~you~
und ~the~ zugleich, es heißt ~her~ und heißt ~it~, es meint ~they~ und
es meint ~them~. Man stelle sich die klägliche Armut einer Sprache vor,
die ein einziges Wort nötigt, den Dienst von sechs zu versehen, noch
dazu solch ein armes kleines Würmchen mit nur drei Buchstaben am Leib.
Aber erst die Verzweiflung, wenn man niemals weiß, in welchem Sinne der
Sprechende das Wort gemeint hat! Grund genug für mich, um einer Person,
welche ›Sie‹ zu mir sagt, wenn ich irgend kann, den Garaus zu machen.

Sodann fasse man einmal die Adjektivformen ins Auge. Wenn irgendwo,
wäre hier Einfachheit am Platz gewesen. Grund genug für die Erfinder
dieser Sprache, die Sache erst recht zu erschweren. Wenn wir in unserer
deutlichen englischen Sprache von ›~our good friend or friends~‹
sprechen, so gebrauchen wir eine und dieselbe Adjektivform und das
genügt vollauf; nicht so in der deutschen Sprache. Kommt ein Adjektiv
unter die Zunge eines Deutschen, so dekliniert er es und dekliniert
es fort und fort, bis er endlich allen gesunden Sinn herausdekliniert
hat. Er dekliniert z. B. ›mein guter Freund, meines guten Freundes,
meinem guten Freunde u. s. w.‹ Diese beständigen Aenderungen möge ein
Irrenhausaspirant auswendig lernen! Man thut wahrhaftig in Deutschland
besser daran, sich ohne Freunde zu behelfen, als diese Plackerei mit
ihnen in den Kauf zu nehmen. Ich habe nun gezeigt, welche Mühsal
es ist, einen guten Freund zu deklinieren, das ist aber nur ein
kleiner Vorgeschmack von der Schwierigkeit, denn es giebt noch eine
Menge neuer Adjektivverrenkungen, wenn es sich um einen weiblichen
beziehungsweise um einen sächlichen Gegenstand handelt.

Sodann giebt es in dieser Sprache mehr Adjektive als schwarze Katzen
und diese müssen alle nach obigem Beispiel sorgfältigst abgewandelt
werden. Schwierig? -- Mühselig? -- Diese Ausdrücke sind viel zu
schwach. Ein Heidelberger Student aus Kalifornien hat mir allen
Ernstes versichert, er mache sich weniger daraus, zwei Kneipereien
auszuschlagen, als ein deutsches Adjektivum zu deklinieren.

Der Erfinder dieser Sprache scheint ein besonderes Vergnügen daran
gefunden zu haben, dieselbe so verwickelt zu machen, als nur irgend
möglich. So heißen z. B. ~house~, ~horse~, ~dog~ für gewöhnlich Haus,
Pferd, Hund, im Dativ aber hängt man ein ganz thörichtes überflüssiges
e daran und schreibt Hause, Pferde, Hunde. Da nun ein e am Schluß
häufig die Mehrzahl bezeichnet, so kann der Anfänger einen ganzen Monat
lang aus einem Hund im Dativ ein Pärchen machen, ehe er seinen Irrtum
gewahr wird; und wiederum hat mancher junge Musensohn, der kein Geld
hinauszuwerfen hatte, zwei Hunde bezahlt und nur einen bekommen, weil
er unwissentlich diesen Hund im Dativ Singularis kaufte, während er
glaubte, im Plural zu sprechen. -- Das Recht hatte natürlich unter
solchen Umständen angesichts der strengen grammatischen Regeln der
Verkäufer auf seiner Seite, und eine Ersatzklage mußte erfolglos
bleiben.

Im Deutschen werden alle Hauptwörter mit einem großen Anfangsbuchstaben
geschrieben. Das ist ein guter Einfall, weil man so auf den ersten
Blick ein Hauptwort erkennt. Aber bisweilen giebt es zu Täuschungen
Anlaß, indem man einen Personennamen für einen Sachnamen ansieht, und
umgekehrt. Dann geht bei dem Versuch, Sinn in den Satz zu bringen, viel
Zeit verloren; und man wird um so leichter in die Irre geführt, da die
deutschen Personennamen meistens eine Bedeutung haben. Ich übersetzte
einmal einen Text, welcher lautete: »Die wütende Tigerin brach los und
fraß den unglücklichen Tannenwald völlig auf.« Nach langem Besinnen kam
ich endlich dahinter, daß Tannenwald in diesem Falle der Name eines
Mannes war.

Jedes Hauptwort hat einen Artikel; aber da ist kein System und Sinn
in der Anwendung desselben, so daß nichts übrig bleibt, als jeden
Artikel zu jedem Wort besonders auswendig zu lernen. So hat z. B. in
der deutschen Sprache ein junges Mädchen kein Geschlecht, während eine
Steckrübe ein solches hat. Welche maßlose Hochachtung zeigt das einer
Rübe gegenüber, welche Geringschätzung vor einem Mädchen! Man sehe sich
einmal an, wie sich dies gedruckt ausnimmt. Ich übersetze aus meinem
Lesebuch:

_Gretchen._ Wilhelm, wo ist die gelbe Rübe?

_Wilhelm._ _Sie_ ist in der Küche.

_Gretchen._ Wo ist das hübsche und wohlerzogene Mädchen?

_Wilhelm._ _Es_ ist in die Oper gegangen.

Aber weiter mit diesen Artikeln. Ein Baum ist männlich, seine Knospen
sind weiblich, seine Blätter sind sächlich. Pferde sind geschlechtslos,
Hunde sind männlich, Katzen sind weiblich; des Menschen Mund, Nacken,
Busen, Ellbogen, Finger, Nägel, Füße und Leib sind männlichen
Geschlechts; Kopf oder Haupt ist männlich oder sächlich, je nachdem
man eines dieser Wörter gebraucht, nicht also je nachdem ein Mann oder
eine Frau das Ding trägt; eines Menschen Nase, Lippe, Schulter, Brust,
Hüfte und Zehe sind weiblich; seine Ohren, Augen, Kinn, Beine, Knie,
Herz und Gewissen haben gar kein Geschlecht. (Der Erfinder dieser
Sprache kannte vermutlich das Gewissen nur vom Hörensagen.) Aus dieser
Zergliederung geht deutlich hervor, daß ein deutscher Mann sich zwar
einbilden mag, er sei ein Mann, wenn er aber näher zusieht, muß er
wohl daran zweifeln; er muß entdecken, daß er eine ganz lächerliche
Zusammensetzung aller möglichen Geschlechter bildet.

Es giebt in dieser Sprache einige ungemein nützliche Wörter; z. B.
Schlag und Zug. Im Wörterbuch nehmen diese Schlagwörter mehrere Spalten
und die Zugwörter noch einmal so viel ein. Das Wort Schlag bedeutet
so ziemlich alles; es bedeutet unser ~blow~, ~stroke~, ~dash~, ~hit~,
~shock~, ~clip~, ~clap~, ~time~, ~bar~, ~coin~, ~stamp~, ~kind~,
~sort~, ~manner~, ~way~, ~apoplexy~, ~woodcutting~, ~enclosure~,
~field~, ~forest-clearing~. Das alles bedeutet Schlag im engeren
beschränkten Sinn; wenn aber das Wort einmal losgelassen wird, dann
nimmt es Flügel der Morgenröte und fliegt, wohin es mag. An seinen
Schwanz kann sich jedes beliebige Wort anhängen, wodurch der Sinn ins
Unglaubliche vervielfältigt wird. Man kann anfangen mit Schlag-Ader,
auf englisch ~artery~, und so fort das ganze Wörterbuch daranhängen,
Wort für Wort, ganz durch bis Schlag-Wasser, auf englisch ~Bilge-water~
und Schlag-Mutter, ~mother-in-law~. Ebenso ist es mit dem Wort ›Zug‹.
Nimmt man zu den Wörtern Schlag und Zug noch das Wörtchen ›Also!‹
hinzu, so verfügt man über einen hübschen Wortschatz, mit dem man schon
ziemlich gut durchkommt. ›Also‹ ist gleichbedeutend mit der englischen
Redensart ~you know~ und besagt eigentlich gar nichts -- wenigstens in
der Unterhaltungssprache. So oft ein Deutscher seinen Mund aufthut,
fällt ein ›Also‹ heraus, und so oft er ihn wieder zumacht, beißt er
sicher ein ›Also‹, das gerade zwischen seinen Zähnen herauskommen
wollte, entzwei. Diese häufige zwecklose Anwendung des Wortes ›Also‹
ist eine spezifisch süddeutsche, besonders weibliche _schwäbische_
Untugend. Nichts verleiht einer deutschen oder englischen Unterhaltung
so viel Anmut und Zwanglosigkeit, als wenn man sie voll mit Alsos und
~you knows~ spickt.

In meinem Tagebuch finde ich folgenden Eintrag: »Juli 1. Gestern wurde
ein Kranker mit Erfolg von einem Wort mit _13_ Silben Länge befreit;
der Kranke war ein Norddeutscher von Hamburg. Da aber die Chirurgen den
Kranken unglücklicherweise an der falschen Stelle aufschnitten, in der
Meinung, er habe ein Panorama verschluckt, so starb er. Das Ergebnis
hat die Stadt in Trauer versetzt.«

An diese Notiz möchte ich einige Bemerkungen über eine der
sonderbarsten Erscheinungen unseres Gegenstandes knüpfen; nämlich über
die Länge deutscher Wörter. Einige davon sind so lang, daß sie einen
Schatten werfen und perspektivisch wirken, z. B.:

    _Freundschaftsbezeugungen_,
    _Dilettantenaufdringlichkeiten_,
    _Stadtverordnetenversammlungen_.

Das sind keine Wörter mehr; das sind alphabetische Prozessionen. Man
sieht sie in jeder Nummer einer Zeitung majestätisch einherschreiten
und mit einiger Einbildungskraft kann man die zur Prozession
gehörigen Banner fliegen sehen und die Musik hören. Sie verleihen
dem schmächtigsten Begriff etwas ungemein Großartiges. So oft ich
ein gelungenes Exemplar von einem solchen Worte finde, verleibe ich
es meinem Museum ein. Ich habe bereits eine Sammlung beieinander.
Meine Duplikate tausche ich mit andern Sammlern aus. Anbei einige
Prachtexemplare, welche ich neulich auf der Auktion erstand:

    _Generalstaatenverordnetenversammlung_,
    _Altertumsforschungswissenschaften_,
    _Kleinkinderbewahrungsanstalten_,
    _Wiederherstellungsbestrebungen_,
    _Waffenstillstandsverhandlungen_.

Wenn solch eine Alpenkette sich stolz hinzieht über eine Druckseite,
so muß dadurch die litterarische Landschaft bedeutend verschönert
werden; aber für den Anfänger in der Sprache sind diese Gebirge ein
großes Hindernis; sie versperren ihm den Weg, er kann weder unten
durch, noch darüber weg, höchstens per Tunnel, wo einer ist. Nimmt er
seine Zuflucht zum Wörterbuch, so läßt ihn das im Stich. Mit solchen
zusammengesetzten Wörtern befaßt es sich nicht. Man muß zuvor das Wort
durch den Chemiker in seine Bestandteile auflösen lassen und dann die
einzelnen Brocken im Wörterbuch aufsuchen.

Also jetzt habe ich gezeigt, wie schwierig die deutsche Sprache ist,
oder zum wenigsten habe ich mich bemüht, es zu zeigen.

Ein Student aus Amerika soll auf die Frage, wie er mit seinem Deutsch
zurechtkomme, ohne Zögern erwidert haben: »Ich komme gar nicht damit
zurecht. Drei volle Monate habe ich es mir sauer werden lassen und kann
nur den einen Satz aufweisen: ›Zwei Glas‹! (~two glasses of beer~).«
Nach einem Augenblick stummen Nachsinnens setzte er mit Emphase hinzu:
»Aber das habe ich auch fest im Kopf!«

Die englische Sprache, will mir scheinen, verfügt in der Beschreibung
lärmender, erhaben-schrecklicher Dinge über kräftigere, klangvollere,
bezeichnendere Worte als die deutsche. Klänge wie: ~boom~, ~burst~,
~crash~, ~roar~, ~bellow~, ~blow~, ~thunder~, ~explosion~, ~howl~,
~cry~, ~shout~, ~yell~, ~battle~, ~hell~, sind von prächtiger Wirkung,
voll Kraft und Großartigkeit. Die entsprechenden deutschen Worte kommen
mir viel schwächer vor; einzelne klingen so sanft, daß man Kinder damit
in Schlaf bringen könnte; wie zahm klingt z. B. Schlacht, Gewitter!
Als stärksten Ausdruck für unser ~explosion~ hat man im Deutschen
-- Ausbruch! Da liegt in unserm ~toothbrush~ (Zahnbürste) etwas
Fürchterliches im Vergleich.

Nach dieser Erörterung der Gebrechen der deutschen Sprache gehe ich
jetzt an die kurze angenehme Aufgabe, deren Vorzüge hervorzuheben.
Das Großschreiben der Hauptwörter habe ich bereits erwähnt. Aber noch
weit über diesem steht ein anderer, -- nämlich der, die Wörter zu
schreiben, wie man sie ausspricht. Nach kurzer Unterweisung weiß der
Anfänger von jedem deutschen Wort, wie es ausgesprochen wird, während
in unserer Sprache der Schüler damit die größten Schwierigkeiten hat.
Ferner ist die deutsche Sprache ungemein reich an Ausdrücken für
das friedliche, heimelige, trauliche, häusliche Dasein; für alles,
was mit Liebe, kindlichem Gefühl und Freundlichkeit gegen Fremde
zusammenhängt; endlich für das mannigfaltige Leben und Weben in der
Natur. Es giebt deutsche Lieder, welche selbst den der Sprache Fremden
zu Thränen rühren; das beweist, wie treffend der Klang der Worte ist.
Er bringt deren Bedeutung so treu und wahr zum Ausdruck, daß sie, auch
unverstanden, dem Fremden durchs Ohr zu Herzen dringen.

Deutsche Frauen rufen häufig aus: Ach Gott, mein Gott, Gott im Himmel,
Herr Gott. Sie scheinen zu glauben, die Amerikanerinnen haben dieselbe
Gewohnheit; denn ich hörte einmal ein ältliches deutsches Fräulein zu
einer jungen Landsmännin von mir sagen: »Die beiden Sprachen sind sich
so ähnlich -- wie hübsch das ist. Wir sagen ›ach Gott‹ und ihr sagt
›~Goddam~‹!«

       *       *       *       *       *

Aus dem Gesagten geht hervor, daß die deutsche Sprache einer Reform
bedarf. Ich erlaube mir einige Vorschläge zu diesem Zwecke zu machen.

[Illustration]

1) Man gebe dem Zeitwort einen Platz weiter oben, so daß man es mit dem
bloßen Auge deutlich erkennen kann.

2) Man organisiere den Artikel und verteile ihn nach den
Geschlechtsverhältnissen, wie es Gottes Wille ist.

3) Man schaffe die endlos langen zusammengesetzten Wörter ab oder
man schreibe vor, daß sie stückweise geschrieben werden, mit
Erholungspausen dazwischen. Geistige Speise ist wie andere auch; man
genießt sie angenehmer mit dem Löffel als mit der Schaufel.

4) Es soll darauf gehalten werden, daß der Schreiber aufhört, wenn
er mit seinem Satz und Vortrag zu Ende ist und daß er nicht noch ein
unnötiges ›gewesen zu sein haben würden‹ und dergleichen anhängt.

5) Auf die Anwendung von Parenthesen ist die Todesstrafe zu setzen.

6) Für die Beschreibung aller Arten von geräuschvollen Dingen müssen
einige kraftvolle englische Wörter eingeführt werden.

Am besten wäre es vielleicht, von der ganzen Sprache nur die Wörter
Schlag, Zug und Also, nebst den an die ersten beiden anzuhängenden
Wörtern beizubehalten; das würde die Sprache wesentlich vereinfachen.

Nach meiner Erfahrung braucht man zum Erlernen des Englischen 30
Stunden, des Französischen 30 Tage, des Deutschen 30 Jahre. Entweder
reformiere man also diese Sprache, oder man lege sie zu den toten
Sprachen, denn nur die Toten haben heutzutage noch Zeit genug, sie zu
erlernen.



Berliner Eindrücke.


Berlin hat mich im höchsten Grade überrascht. Keine Beschreibung, die
ich früher in Büchern gelesen habe, trifft mehr zu. Das Berlin, wie
es im vorigen Jahrhundert und noch in der ersten Hälfte des jetzigen
war, die schmutzige, einförmige, häßliche Stadt, ist wie vom Erdboden
verschwunden. Nur der Grund auf dem sie stand hat noch eine Geschichte
und alte Ueberlieferungen, -- Berlin selbst ist ganz neu, die neueste
Stadt, die mir jemals vorgekommen ist.

Sogar Chicago würde altersgrau daneben aussehen. Im übrigen gleichen
sich diese beiden Städte, was die flache Umgebung, das rasche Wachstum
und die Einwohnerzahl betrifft. Mit Bestimmtheit behaupten kann ich
das freilich nicht, da ich nicht weiß, wie viele Einwohner Chicago
heute hat, vorletzte Woche waren es etwa anderthalb Millionen. Auch
wegen der vielen geraden Straßen und der ungeheuern Raumverschwendung
kann man Berlin das europäische Chicago nennen; die Straßen sind fast
durchgängig so breit angelegt, wie ich es noch in keiner Stadt irgend
eines andern Landes gefunden habe. ›Unter den Linden‹ sind drei Straßen
in einer; die Potsdamerstraße ist auf beiden Seiten von Bürgersteigen
eingefaßt, die breiter sind als die berühmten Hauptstraßen der
größten Städte Europas; auch hat Berlin einen Park von ungewöhnlicher
Ausdehnung.

Für die Bauordnung bestehen die sonderbarsten Vorschriften. Die Stadt
ist aus lauter Steinriesen aufgetürmt, man darf in Berlin keine
unsichern und unansehnlichen Häuser bauen, und so sind denn diese
auffallend schönen und großartigen Gebäude entstanden, die weder mit
Einsturz drohen, noch bei der geringsten Feuersbrunst ein Raub der
Flammen werden. Die Baukommissäre nehmen ihre Besichtigung während
des Baues vor; man hat gefunden, daß dies besser ist, als zu warten,
bis das fertige Haus wieder einfällt. Bricht ein Brand aus, so
herrscht dabei die größte Ordnung und Ruhe, die uniformierte Feuerwehr
marschiert in Reih und Glied, so ernst und gemessen in Miene und
Haltung, als ginge es zu einem Begräbnis, man glaubt die Heilsarmee
einherkommen zu sehen, in tiefer Zerknirschung über ihre Sünden. Da
das Feuer sich in den steinernen Gebäuden immer nur auf ein Stockwerk
beschränkt, brauchen die übrigen Bewohner des Hauses sich nicht weiter
darum zu kümmern.

Allabendlich findet eine wahrhaft verschwenderische Beleuchtung mit Gas
und elektrischem Licht statt, Berlin bietet daher zur Nachtzeit einen
entzückenden Anblick. Ueberall hat man eine Doppelreihe glänzender
Lichter vor sich, die nach allen Seiten in gerader Linie weit in
die Nacht hinaus läuft. Die dazwischen liegenden Plätze leuchten im
Strahlenglanz, und zahllose Droschkenlaternen schießen wimmelnd in
allen Richtungen hin und her, wie Schwärme von Leuchtkäfern an einem
Sommerabend.

In keiner Stadt wird wohl so viel regiert wie in Berlin, aber ich wüßte
auch keine, die besser regiert wäre. Methode und System machen sich
allenthalben geltend, in großen wie in kleinen Dingen und selbst bei
den geringfügigsten Einzelheiten. Die Verordnungen stehen aber nicht
etwa bloß auf dem Papier, so daß es dabei sein Bewenden hat, nein, sie
treten wirklich in Kraft und werden bei Armen und Reichen ohne Gunst
und Ungunst auf gleiche Weise durchgeführt. Der mühevolle, emsige
Fleiß, die Ausdauer und Pflichttreue, welche die Behörde bei jeder
Gelegenheit entfaltet, erregt Bewunderung -- zuweilen auch Leidwesen.
Das Erstaunlichste, was ich diesseits des Ozeans gefunden habe, ist die
höfliche, unerschütterliche, verfluchte Beharrlichkeit, mit welcher
die Polizei ihren Willen durchsetzt und die Ordnung aufrecht erhält.
Sie duldet keine Ansammlung von Menschen, weil daraus Ungehörigkeiten
entstehen könnten; ja, träte plötzlich ein Erdbeben ein, so würde es
die Berliner Polizei beaufsichtigen und ordnungsmäßig zu Ende führen.

Die Straßen werden sehr rein gehalten, aber nicht, wie es in New York
Sitte ist, mit schönen Worten und frommen Reden, sondern durch tägliche
und stündliche Arbeit mit Kratzbürste und Besen. Kurz, man hat den
Eindruck, daß hier eine Stadtverwaltung am Ruder ist, die vor keinen
Kosten zurückscheut, wo die öffentliche Bequemlichkeit, Behaglichkeit
und Gesundheit in Betracht kommt.

Nur _eine_ Ausnahme muß ich erwähnen; das ist die Benennung der
Straßen und die Nummerierung der Häuser. Zuweilen ändert sich der
Straßenname mitten in der Häuserreihe; man merkt dies erst bei der
nächsten Ecke und weiß natürlich nicht, wo der Wechsel angefangen hat.
In betreff der Hausnummern herrscht ein Chaos wie vor Erschaffung der
Welt. Unmöglich kann die weise Berliner Stadtregierung eine derartige
Einrichtung getroffen haben. Sie ist eines Blödsinnigen würdig; allein,
so mannigfaltige Arten Verwirrung und Unheil anzurichten, wäre ein
Blödsinniger nicht imstande sich auszudenken. Oft dient eine Nummer für
drei bis vier Häuser, und doch steht sie nur auf einem derselben; dann
wieder wird ein Haus z. B. mit Nummer 4 bezeichnet und die folgenden
mit 4~a~, 4~b~, 4~c~, so daß man alt und schwach geworden ist, bis
man bei Nummer 5 anlangt. Die Folge dieses systemlosen Systems ist
die, daß man bei Nr. 1 keine Ahnung hat, ob Nr. 150 ein paar Meilen
oder hundert Schritte weit sein mag. Obendrein steigen oder fallen
die Zahlen ganz willkürlich; von 50 oder 60 gelangt man vielleicht
plötzlich zu 140, 139 u. s. w. und nur ein Pfeil giebt durch seinen
Flug die veränderte Richtung an. Es ist um den Verstand zu verlieren,
und bis hier nicht Abhilfe geschafft wird, muß man auf das Schlimmste
gefaßt sein.

Als ich in Berlin war, fand eine Feier zu Ehren der berühmten Gelehrten
Virchow und Helmholtz statt, welche beide fast zu gleicher Zeit
ihr siebzigstes Lebensjahr erreichten. Schon seit Wochen war eine
Deputation nach der andern eingetroffen, um den beiden Geistesheroen
Glückwünsche, Ehrungen und Huldigungen aus allen Orten und Enden der
Welt darzubringen. Die fernsten Städte, die berühmtesten Hochschulen
beteiligten sich an diesen Kundgebungen.

Den Schluß derselben bildete der große Studentenkommers, der in
einem mit Fahnen und Standarten geschmückten, glänzend erleuchteten
Riesensaal gehalten wurde. An jedem der zahllosen Tische, die den
ganzen Raum erfüllten, hatten vierundzwanzig Personen Platz. Ich war
hocherfreut, einen Sitz an der Mitteltafel zu erhalten, an welcher auch
die beiden Helden des Abends saßen, obwohl ich durchaus nicht gelehrt
genug bin, um eine derartige Ehre zu verdienen. Es bereitete mir ein
seltsam angenehmes Gefühl, mich in solcher Gesellschaft zu befinden,
mit dreiundzwanzig Männern zusammen zu sein, welche an einem Tage mehr
vergessen, als ich je gewußt habe. In Verlegenheit geriet ich nicht;
die Gelehrsamkeit steht dem Menschen selten im Gesicht geschrieben
und ich konnte mit leichter Mühe Haltung und Gebärden der Herren so
nachahmen, daß mich die Menge auch für einen Professor hielt.

In kurzer Zeit war der ganze Saal voll, es hieß, es seien gegen
viertausend Personen anwesend; auch alle Zwischengänge waren dicht
besetzt. An jeder Tafel stand ein Student im Wichs seiner Verbindung.
Diese Trachten sind alle von reichem Stoff in glänzenden Farben und
außerordentlich malerisch.

So weit mein Auge reichte, sahen alle die frischen, jugendlichen
Gesichter nach einer Richtung hin; unverwandt hingen die Blicke
sämtlicher Studenten an dem Platz, wo Virchow und Helmholtz saßen. Sie
verschlangen die beiden Geistesriesen förmlich mit den Augen und die
Verehrung der Herzen strahlte aus allen Mienen.

Mancher ausgezeichnete Gast war schon durch die Ehrengarde an seinen
Platz geleitet worden, da erklangen noch einmal die drei Trompetenstöße
und wieder fuhren die Rappiere aus den Scheiden. Vom fernen Eingang her
blitzten die erhobenen Schläger -- ›Mommsen!‹ ging es flüsternd durch
die Reihen. Der ganze Saal erhob sich, rief, stampfte mit den Füßen,
klatschte mit den Händen, rasselte mit den Biergläsern. Es war ein
wirklicher Sturm. Dann drängte sich der kleine Mann mit dem langen Haar
an uns vorbei und nahm seinen Sitz ein. Denkt euch meine Ueberraschung!
Ich hatte ja nicht im Traum daran gedacht, daß ich den Mann leibhaftig
vor mir haben würde, der die ganze römische Welt und alle Cäsaren in
seinem lichtvollen Haupte trug. Meilenweit wäre ich gewandert, um ihn
zu sehen, und hier saß er, ohne daß es mir die kleinste Mühe oder Reise
oder sonst etwas gekostet hätte.

Die Musik spielte einen kriegerischen Marsch; es folgte der Toast auf
den Kaiser, bei dessen Schluß alle Gläser auf einmal geleert und mit
einem Schlage auf den Tisch gestoßen wurden. Es klang täuschend wie
Donnergetöse. Mächtige Weisen ertönten, immer höher schwoll die Lust,
die Schläger krachten, die Biergläser rasselten, die Begeisterung wuchs
und ließ sich bald nicht mehr überbieten. Ich wenigstens fühlte mich
außer stande, noch mehr darin zu leisten.

Die Feier des Abends schloß mit zwei von Studenten gehaltenen Reden und
der Erwiderung von Virchow und Helmholtz.

Virchow ist seit langer Zeit Mitglied der Berliner Stadtverwaltung.
Er arbeitet ebenso eifrig für das Wohl der Stadt wie jeder andere
Stadtrat und für den nämlichen Sold: für nichts. Ich weiß nicht, ob
wir in Amerika es unserm berühmtesten Mitbürger zumuten könnten,
sich an der städtischen Verwaltung zu beteiligen und ob, falls wir
es wagten, wir seine Wahl durchsetzen würden. Aber hier ist das
Munizipalsystem so vorzüglich, daß die besten Männer es sich zur Ehre
rechnen, unentgeltlich als Stadträte dienen zu dürfen und das Volk
ist vernünftig genug, diese Männer zu bevorzugen und immer wieder
zu wählen. Darum ist Berlin auch eine in jeder Beziehung gut und
zweckmäßig verwaltete Stadt.



Eine schlaflose Nacht.


Auf unserer Neckarreise in Heilbronn angekommen, stiegen wir in
der nämlichen Herberge ab, wo vor drei- bis vierhundert Jahren der
alte Haudegen, Götz von Berlichingen, nach seiner Befreiung aus
der Gefangenschaft im Turm, gewohnt hat. Wir, mein Reisegefährte
Harris und ich, wurden sogar in dem Zimmer des tapfern Ritters
einquartiert. Reste der damaligen Tapeten klebten noch an den Wänden,
die vierhundertjährigen Möbel waren mit wunderlich verschnörkeltem
Schnitzwerk bedeckt, und einige Gerüche in dem Zimmer mochten wohl
tausendjährig sein. Der Wirt zeigte uns auch den Haken in der Mauer,
an dem der grimme alte Götz beim Zubettgehen seine eiserne Hand
aufzuhängen pflegte. --

Nach einem Abendspaziergang durch die altertümliche Stadt begaben wir
uns früh zur Ruhe, da wir bei Tagesanbruch unsere Wanderung fortsetzen
wollten.

Ich wälzte mich im Bett umher, während Harris sofort eingeschlafen
war. Daß es geradezu eine Unverschämtheit ist, wenn jemand gleich
einschläft, ist vielleicht zu viel gesagt, aber rücksichtslos ist
es gewiß. Ich lag brütend über dieser Unbill wach und bemühte mich
vergebens, in Schlaf zu kommen. Ohne jegliche Ansprache fühlte ich mich
anfangs im Dunkeln sehr einsam und verlassen; bald begannen jedoch
tausenderlei Gedanken mir durch den Kopf zu schwirren, von denen einer
den andern in rasender Eile verdrängte. Nach Verlauf einer Stunde war
ich von dieser Gedankenjagd ganz schwindelig und fühlte mich todmüde
und abgehetzt.

[Illustration]

Meine Ermüdung war so groß, daß sie momentan über meine nervöse
Erregung siegte; denn, während ich mir einbildete, völlig wach zu sein,
mußte ich dennoch vorübergehend, auf Augenblicke, der Bewußtlosigkeit
verfallen sein. Ich bemerkte dies, indem ich wiederholt durch das
Gefühl, rücklings in einen Abgrund zu sinken, jählings aufgeschreckt
wurde. Dies wiederholte sich sechs- bis achtmal, worauf die
Bewußtlosigkeit das Uebergewicht über meinen Geist soweit bekam, daß
ich in einen Schlummer verfiel, der tiefer und tiefer wurde und sich
gewiß zum solidesten und genußreichsten Schlaf entwickelt hätte, wenn
-- -- doch, _was war das_? Ich rief alle meine Lebensgeister wieder
wach und begann zu lauschen: Mir war’s, als ob ich aus unermeßlicher
Ferne einen Ton vernähme, der näher kam, -- war es das Heulen des
Sturms? -- jetzt wurde es deutlicher -- war es das Knarren und Raspeln
irgend einer Maschine? Nun klang es noch vernehmlicher -- war es der
gemessene Tritt eines heranziehenden Heeres? Immer kleiner wurde die
Entfernung, und jetzt war es mitten im Zimmer: -- es war nur eine
Maus, die am Holzwerk nagte. Und um solcher Kleinigkeit willen hatte
ich die ganze Zeit über den Atem angehalten! --

So ärgerlich mir das war, es ließ sich nicht mehr ändern, -- aber
nun wollte ich auch gleich einschlafen, um die verlorene Zeit wieder
einzubringen. Das war jedoch leichter gedacht als gethan. Ohne es zu
wissen und zu wollen, begann ich auf das Geräusch zu horchen, das
die Maus mit ihren Nagezähnen machte, und bald verursachte mir diese
Beschäftigung die gräßlichsten Qualen. Wäre nur das Tier wenigstens bei
seiner Arbeit geblieben! -- aber es setzte von Zeit zu Zeit aus, und
ich wartete und lauschte gespannt, bis es anfing weiter zu nagen -- ein
unerträglicher Zustand!

Wer mir die Maus umbrächte, dem setzte ich innerlich zur Belohnung
zuerst 5, 6, 7--10 Dollars aus und verstieg mich endlich zu Summen,
die weit über meine Mittel gingen! Ich klappte das Ohrläppchen über
das Ohr und preßte die Hände dagegen, ich steckte die Finger hinein --
alles vergebens! -- durch die Hindernisse hindurch schien ich nur noch
schärfer zu hören.

In rasender Wut griff ich zuletzt zu dem Auskunftsmittel, auf das
von Adam her schon jeder Mensch verfallen ist -- ich beschloß einen
Wurf zu wagen! Ich griff nach meinen Wanderschuhen und erhob mich im
Bette, um zu horchen, wo das Geräusch herkäme. Ich konnte es aber nicht
herausbringen; die Stelle, woher das Geräusch kam, war so undefinierbar
wie bei einer im Grase zirpenden Grille. So schleuderte ich denn
meinen Schuh mit kräftiger Hand auf gut Glück hinaus. Er schlug gerade
über Harris’ Kopf an die Wand und fiel auf ihn herunter, -- ich war
erstaunt, daß ich so weit werfen konnte, denn das Bett stand am
entgegengesetzten Ende des großen Zimmers.

Harris wachte auf und das freute mich; da er aber nicht ärgerlich
wurde, that es mir wieder leid. Er blieb nicht lange wach und das war
gut; aber nun begann die Maus von neuem, was mich ganz in Harnisch
brachte. Ich wollte Harris nicht noch einmal wecken, da aber das
Nagen fortdauerte, konnte ich es nicht mehr aushalten und benutzte
den zweiten Schuh als Wurfgeschoß. Diesmal flog er gegen den Spiegel;
-- es waren zwei im Zimmer, natürlich zerbrach der größere. Harris
erwachte abermals, ließ aber keinen Laut der Klage hören, was mir sehr
leid that. Ich beschloß, lieber alle Qualen zu erdulden, als ihn zum
drittenmal im Schlaf zu stören.

Schließlich zog sich die Maus vom Schauplatz zurück, und ich war im
Begriff einzuschlummern, als ich eine Uhr schlagen hörte. Ich zählte
die Schläge und wollte mich eben wieder aufs Ohr legen, da schlug die
zweite Uhr, und während ich zählte, begannen die beiden großen Engel an
der Rathausuhr auf ihren Posaunen wunderbar melodische reiche und volle
Töne zu blasen. Etwas so überirdisch Zartes und Geheimnisvolles hatte
ich nie gehört! Als sie dann aber auch die Viertelstunden bliesen,
dachte ich, das sei des Guten zu viel. Kaum schlummerte ich einen
Moment, so weckte mich ein neuer Lärm und beim jedesmaligen Erwachen
vermißte ich mein Deckbett und mußte es erst vom Boden aufheben, wie
das bei den schmalen deutschen Betten nicht gut anders möglich ist.

Kein Wunder, daß sich meine Schläfrigkeit endlich ganz verlor, und
ich zu der Ueberzeugung kam, daß in dieser Nacht an Schlaf für mich
nicht mehr zu denken war. Dabei schüttelte ich mich wie im Fieber und
litt den brennendsten Durst. -- So ging es wirklich nicht länger; ich
beschloß aufzustehen, mich anzuziehen, am Brunnen auf dem großen Platz
Kühlung zu suchen und meinen Durst zu löschen. Dann wollte ich bei
einer Zigarre im Freien den Morgen erwarten.

Ich konnte mich sehr gut im Dunkeln ankleiden, ohne Harris zu wecken;
meine Schuhe hatte ich zwar nach der Maus geschleudert, aber für die
Sommernacht genügten auch die Pantoffeln. Leise stand ich auf und kam
allmählich in die Kleider; nur eine Socke war verloren gegangen, -- ich
konnte sie nirgends entdecken, und doch mußte ich sie haben.

Ich kniete nieder, und den einen Pantoffel am Fuß, den andern in der
Hand, suchte ich nun rund auf dem Boden umher; -- vergebens. Ich suchte
weiter und weiter, indem ich fortrutschte. Dabei krachten die Dielen
und so oft ich an einen Gegenstand stieß, entstand ein Lärm, zehnfach
größer, als er bei Tage gewesen wäre. Ich wartete jedesmal erst mit
angehaltenem Atem, um mich zu überzeugen, daß Harris weiter schlief,
ehe ich vorwärts kroch. Trotz alles Suchens fand ich die Socke nicht,
sondern stieß nur von einem Möbel ans andere. War das Zimmer wirklich
so reich möbliert gewesen, als ich zu Bette ging, oder waren vielleicht
seitdem einige Familien eingezogen? Ueberall standen mir Stühle im
Wege, und statt sie im Vorbeikriechen nur zu streifen, stieß ich
jedesmal mit dem Kopf dagegen.

Langsam aber sicher begann mir die Geduld zu reißen, und ich glaube
wirklich, daß ich von Zeit zu Zeit einen leisen Fluch ausstieß, um mir
das Herz zu erleichtern. Endlich schwur ich im höchsten Zorn, ohne die
Socke auszugehen, stand auf und schritt, wie ich meinte, geradeswegs
zur Thüre -- statt dessen starrte mir plötzlich mein gespenstisches
Ebenbild aus dem unzerbrochenen Spiegel entgegen. Ich schrak zusammen,
und erkannte zugleich, daß ich verirrt sei und die Richtung gänzlich
verloren habe. Ich geriet darüber in einen solchen Zorn, daß ich mich
auf den Boden setzen und etwas packen mußte, um einen fürchterlichen
Ausbruch explodierender Leidenschaft hintanzuhalten.

Wenn im Zimmer nur _ein_ Spiegel gewesen wäre, so hätte ich mich daran
vielleicht zurechtfinden können; aber es waren zwei da und zwei waren
ebenso schlimm wie hundert; abgesehen davon, daß die beiden sich an
den entgegengesetzten Enden des Zimmers befanden. Ich konnte an einem
schwachen Schimmer die Fenster erkennen, aber da ich dieselben in
meiner Verdrehtheit ganz wo anders vermutete, so wurde ich nur um so
verwirrter.

Beim Aufstehen stieß ich einen Regenschirm um; der Fall auf den harten
teppichlosen Boden klang wie ein Pistolenschuß. Ich hielt den Atem
an und biß auf die Lippen -- Harris rührte sich nicht. Ich versuchte
mehreremale den Regenschirm an die Wand zu stellen, -- aber plumps, lag
er jedesmal wieder unten, sobald ich die Hand losließ.

Ich bin von guter Erziehung, aber wäre es nicht so schwarz, feierlich
und unheimlich in dem riesigen Zimmer gewesen, so würde ich -- glaube
ich -- etwas gesagt haben, das man nicht in ein Sonntagsschulbuch
hätte setzen dürfen, ohne den Verkauf desselben zu schädigen. Wären
meine Verstandeskräfte nicht bereits durch die ausgestandenen Qualen
erschöpft gewesen, so hätte ich etwas Gescheiteres gethan, als zu
versuchen, einen Regenschirm bei Nacht auf einen gewichsten deutschen
Stubenboden zu stellen. Das eine tröstete mich noch -- Harris rührte
sich nicht.

Der Regenschirm konnte mich auch nicht orientieren, da mehrere ganz
gleiche herumstanden. So tastete ich mich denn an der Wand hin, um zur
Thüre zu gelangen. Dabei stieß ich ein Bild herunter -- kein großes,
aber es machte einen Höllenlärm! -- Harris rührte sich nicht, wenn
ich aber noch mehr Angriffe auf Bilder ausführte, mußte er sicherlich
wach werden. Ich beschloß mein Vorhaben aufzugeben und statt nach
dem Ausweg zu suchen, zu dem Tisch in der Mitte zurückzukehren, mit
dem ich schon mehrmals zusammengestoßen war. Von dort wollte ich
dann eine Entdeckungsreise nach meinem Bett antreten; hatte ich das
erst gefunden, so war der Wasserkrug nicht weit, ich konnte meinen
verzehrenden Durst löschen und mich wieder hinlegen. Ich kroch auf
allen Vieren, weil das schneller ging und ich dabei weniger umzuwerfen
hoffte. Bald fand ich den Tisch -- das heißt, ich stieß mit dem
Kopf dagegen -- rieb mir die Beule etwas, richtete mich in die Höhe,
streckte die Hände aus und tastete umher, bis ich an einen Stuhl kam;
dann berührte ich die Wand, wieder einen Stuhl, dann ein Sofa, einen
Alpenstock und wieder ein Sofa. Das brachte mich in Verwirrung -- es
war doch nur ein Sofa im Zimmer gewesen! Ich suchte abermals den Tisch
auf, begann meine Wallfahrt von neuem und fand mehrere Stühle.

Nun erst fiel mir ein, woran ich schon längst hätte denken sollen,
daß der große Tisch ja so rund war wie der vom König Artus und
seiner Tafelrunde, mir also in Bezug auf die Richtung durchaus nicht
behilflich sein konnte. So wanderte ich denn aufs Geratewohl durch
unbekannte Regionen, bis ich einen Leuchter vom Kaminsims stieß; ich
wollte den Leuchter festhalten und brachte eine Lampe zum Fallen; ich
wollte die Lampe halten und stieß den Wasserkrug um, der krachend zu
Boden stürzte, während ich zu mir sagte: »So, habe ich dich endlich;
ich wußte wohl, du könntest nicht weit sein!«

Gleich darauf schrie Harris: »Räuber, Diebe, -- das Wasser geht mir bis
an den Hals!« Er war ganz außer sich.

Auf den Krach hin wurde das ganze Haus lebendig. Mit Lichtern und im
Nachtgewand stürzten die Gäste von allen Seiten ins Zimmer, auch der
Wirt und die Dienstmagd drängten sich mit herein.

Ich stand vor Harris’ Bett, eine Meile von dem meinigen entfernt. Das
Zimmer hatte nur ein _einziges_ Sofa, das an der Wand stand, und einen
_einzigen_ Stuhl, der frei umherstand, und -- um diesen hatte ich mich
die halbe Nacht herumgedreht, wie ein Planet um die Sonne, und war auf
meiner Kometenbahn nur allzuoft mit ihm zusammengestoßen.

Meine Thaten in der schlaflosen Nacht waren bald erzählt; Wirt und
Gäste zogen sich hierauf wieder in ihre Gemächer zurück, während wir
unsere Vorbereitungen zum Frühstück trafen, da der Morgen schon zu
dämmern anfing. Wie ich einen verstohlenen Blick auf meine Schrittuhr
warf, fand ich, daß ich fünfzehn Kilometer zurückgelegt hatte, was mich
indessen nicht verdroß, da ich ja zum Zweck einer Fußwanderung die
Reise unternommen hatte.

Als der Wirt am andern Tage erfuhr, daß wir auf einer Fußtour durch
Europa begriffen seien, behandelte er uns sehr rücksichtsvoll. Er ließ
sich die Sachen, die ich während der Nacht zerschlagen hatte, nur
zum Selbstkostenpreis bezahlen, stärkte uns reichlich mit Speise und
Trank, und um uns zum Abschied die größte Ehre zu erweisen, ließ er
uns mit Götz von Berlichingens Pferd und Wagen zum Thor von Heilbronn
hinausfahren.



Rezept für Schwarzwäldergeschichten.


[Illustration]

Auf meiner Reise im Schwarzwald fand ich die Bauernhöfe und Dörfer
ganz wie sie in den Schwarzwälder Dorfgeschichten beschrieben werden.
Das erste echte Exemplar, das mir aufstieß, war die Behausung eines
reichen Bauern und Mitglieds des Gemeinderats. Er war eine gewichtige
Persönlichkeit im Lande und seine Frau natürlich nicht minder. Wer
seine Tochter bekam, that den besten Fang weit in der Runde; vielleicht
hat sie schon als Heldin eines Romans von Auerbach Unsterblichkeit
erworben. Wenn sie in seinen Dorfgeschichten vorkommt, so würde ich
sie gewiß leicht wiedererkennen an ihrem Schwarzwaldkostüm, ihrem
sonnverbrannten Gesicht, der rundlichen Figur, den fetten Händen, dem
schläfrigen Ausdruck, dem friedlichen Gemüt, den gar zu vollkommenen
Füßen, dem bloßen Kopf und den flachsfarbenen Haarzöpfen, die am Rücken
hinunterhängen. Das Haus wäre geräumig genug gewesen für ein Hotel,
hundert Fuß lang, fünfzig breit, und vom Boden bis zur Dachrinne zehn
Fuß hoch, aber von der Dachrinne bis zum Firste des mächtigen Daches
waren gewiß noch vierzig Fuß, wenn nicht mehr. Dieses Dach, aus altem
lehmgelbem und fußdickem Dachstroh, war bis auf wenige Stellen über und
über mit üppig reicher grüner Vegetation bedeckt, die meist aus Moos
bestand. Wo es ausgebessert war, hatte man dicke Lagen neuen goldgelben
Strohs eingefügt; die weit vorspringenden Dachtraufen schienen das Haus
unter ihren schirmenden Schutz zu nehmen. An der Giebelseite, nach der
Straße zu, ungefähr zehn Fuß über dem Boden, lief ein schmaler Altan
mit hölzernem Geländer am Hause entlang, auf den eine Reihe kleiner
Fenster mit winzigen Scheiben hinausging. Darüber waren noch zwei oder
drei andere kleine Fenster, eins dicht unter dem spitzen Giebel. Vor
der Thür im Erdgeschoß lag ein riesiger Düngerhaufen, und durch eine
offene Seitenthür im zweiten Stock erblickte man eine Kuh von hinten.
Die ganze vordere Hälfte des Hauses schienen die Menschen, die Kühe und
die Hühner zu bewohnen, während die hintere Hälfte durch das Zugvieh
und das Heu eingenommen wurde. Aber was den Blick am meisten anzog,
waren die großen Düngerhaufen rings um das Haus.

Ich wurde mit dieser Quelle der Fruchtbarkeit im Schwarzwald bald
vertraut, und, ohne es zu wissen, verfiel ich bald in die Gewohnheit,
die Lebensstellung eines Menschen nach diesem äußeren und sehr
bedeutsamen Merkmal zu beurteilen. Manchmal dachte ich: Wer hier wohnt,
ist ein armer Teufel, das ist klar! -- Sah ich aber einen stattlichen
Haufen, so sagte ich: Hier wohnt ein Bankier! und bei einem Landsitz,
der von einem Alpengebirge von Dünger umgeben war, behauptete ich gar:
Hier muß wohl ein Herzog wohnen.

In den Schwarzwaldgeschichten tritt dieser charakteristische Zug
durchaus nicht genügend hervor. Der Dünger ist augenscheinlich der
größte Schatz des Schwarzwälders, sein Geld und Gut, sein Juwel, sein
Stolz, sein Schoßkind, das liebste Kunstwerk, das er besitzt; er trägt
ihm Ehre und Ansehen, Neid und Hochachtung ein, und ist seine erste
Sorge, wenn er sich anschickt, sein Testament zu machen.

Wenn die wahre Schwarzwaldgeschichte je geschrieben wird, muß das
Rezept dazu etwa folgendermaßen lauten:

       *       *       *       *       *

_Mast_, ein reicher alter Bauer. Er hat große Reichtümer an Dünger
geerbt, und sie durch eigenen Fleiß vermehrt. Im Bädeker stehen
zwei Sternchen ** bei seinem Düngerhaufen[5]. Das Bild, das ein
Schwarzwaldmaler davon macht, ist ein Meisterstück. Sogar der König
kommt, ihn zu sehen. --

    [5] Zwei Sternchen bei Bädeker bedeuten, daß etwas besonders
        sehenswert ist.

            ~M. T.~

_Gretchen Mast_, seine Tochter und Erbin.

_Paul Hoch_, ein Nachbarsohn, wirbt scheinbar um Gretchens Hand --
eigentlich begehrt er den Dünger. Hoch hat selbst mehrere Wagenladungen
der Schwarzwaldmünze und ist daher eine schätzbare Partie, er ist
jedoch niedrig gesinnt, habgierig und gefühllos, während Gretchen ganz
Gefühl und Poesie ist. Sobald sein Düngerhaufen eine gewisse Größe
erreicht hat, will ihm der Alte seine Tochter geben.

_Hans Schmidt_, Nachbarssohn, voll Gefühl und Poesie, liebt Gretchen,
und Gretchen liebt ihn; aber er hat keinen Dünger! Der alte Mast
verbietet ihm sein Haus. Er geht gebrochenen Herzens fort, um im
Walde zu sterben, fern von der grausamen Welt -- denn, sagt er voll
Bitterkeit: Was ist der Mensch ohne Dünger? --

(Es vergehen sechs Monate.)

_Paul Hoch_ kommt zum alten Mast und sagt: »Endlich bin ich so reich,
wie du verlangst, komm’ und sieh den Haufen!«

Der alte _Mast_ beschaut ihn und ruft aus: »Es genügt -- nimm sie und
seid glücklich!« --

(Es vergehen zwei Wochen.)

Die Hochzeitsgesellschaft versammelt sich im Wohnzimmer des alten
Mast. -- Paul Hoch ist gelassen und ruhig, Gretchen beweint ihr hartes
Geschick. -- Der Verwalter des alten Mast tritt ein.

[Illustration]

_Mast_ sagt zornig: »Ich ließ dir drei Wochen Zeit, um zu entdecken,
warum unsere Bücher nicht stimmen und zu beweisen, daß du mir nichts
veruntreut hast. Die Zeit ist um -- verschaffe mir das fehlende Gut,
oder ich lasse dich als Dieb ins Gefängnis werfen!«

_Verwalter._ »Ich hab’s gefunden!« --

Der _alte Mast_. »Wo steckt’s?« --

_Verwalter_ (mit tragischem Ernst): »Im Düngerhaufen des Bräutigams!
-- Da steht der Dieb -- -- sieh, wie er bleich wird und zittert!« --
(Aufregung.)

_Paul Hoch._ »Alles verloren!« -- (fällt ohnmächtig über eine Kuh und
wird gefesselt.)

_Gretchen._ »Ich bin gerettet!« -- (fällt vor Freude in Ohnmacht über
ein Kalb. Hans Schmidt, der gerade hereinstürzt, fängt sie in seinen
Armen auf.)

Der _alte Mast_. »Was, du hier? -- Schurke, laß das Mädchen los, und
geh’ mir aus den Augen!«

_Hans_ (der fortfährt, das bewußtlose Mädchen zu stützen.) »Niemals,
grausamer alter Mann! Wisse, daß selbst du meine gerechten Ansprüche
jetzt anerkennen mußt!«

Der _alte Mast_. »Was? Ansprüche! nenne sie!«

_Hans._ »So höre denn: die Welt hatte mich verstoßen; ich verließ die
Welt, und suchte in der Waldeseinsamkeit den Tod, ohne ihn zu finden.
Ich nährte mich von Wurzeln; und in der Bitterkeit meines Herzens
verschmähte ich die süßen und grub nur nach den bittersten. -- Drei
Tage ist es her, da stieß ich beim Graben auf eine Düngergrube! --
ich fand ein Golconda, einen unerschöpflichen Vorrat des köstlichsten
Düngers. Ich habe so viel wie ihr alle zusammen, und noch ganze Berge
voll darüber. Haha! jetzt lacht dir wohl das Herz im Leibe!« (Ungeheure
Aufregung. Es werden Proben aus der Grube vorgezeigt.)

Der _alte Mast_. (voll Begeisterung:) »Wecke sie auf, schüttle sie
tüchtig, edler junger Mann, sie ist dein!«

Die Hochzeit findet sogleich statt. Der Verwalter wird wieder in sein
Amt und Gehalt eingesetzt; Paul Hoch aber ins Gefängnis geworfen.

       *       *       *       *       *

Der Düngerkönig des Schwarzwalds erfreut sich bis in sein hohes Alter
der Liebe seines Weibes und seiner siebenundzwanzig Kinder, sowie der
noch größeren Wonne, von allen umher nach Kräften beneidet zu werden.



Die Ameise.


Auf einer Wanderung im badischen Schwarzwald verfolgte ich einmal mit
Aufmerksamkeit die Ameise bei ihrer emsigen Arbeit. Ich entdeckte
jedoch nichts Neues an ihr, und besonders nichts, was mir eine höhere
Meinung von ihr beigebracht hätte.

Mir scheint, daß die Ameise außerordentlich überschätzt wird, besonders
was ihren Verstand betrifft. Ich habe sie nun schon manchen Sommer
hindurch beobachtet, während ich etwas Besseres hätte thun können, und
bis jetzt habe ich noch keine einzige gesehen, die bei ihrer Arbeit
auch nur den geringsten Sinn und Verstand gezeigt hätte.

Ich meine natürlich nur die gemeine Ameise, denn mit den merkwürdigen
afrikanischen Arten, welche Abgeordnete wählen, stehende Heere haben,
Sklaven halten und über Religion streiten, habe ich keinen Verkehr
gehabt. Was der Naturforscher von ihnen erzählt, mag alles wahr sein,
aber in Bezug auf die gewöhnliche Ameise bin ich fest überzeugt, daß
uns vieles aufgebunden wird.

[Illustration]

Ihren Fleiß will ich durchaus nicht bestreiten: in der ganzen Welt
arbeitet niemand so angestrengt als sie, nur ihre Hohlköpfigkeit habe
ich an ihr auszusetzen. Betrachten wir sie einmal, wenn sie auf Beute
ausgeht. Sie hat einen Fang gethan; aber was macht sie dann? Geht sie
etwa nach Hause? Durchaus nicht, gerade im Gegenteil; sie weiß nicht
mehr, wo ihre Wohnung ist und kann sie nicht finden, wenn sie auch kaum
drei Fuß davon entfernt ist. Sie thut einen Fang, habe ich gesagt; aber
es ist gewöhnlich etwas, das weder ihr noch sonst jemand vom geringsten
Nutzen sein kann; gewöhnlich ist das Ding zehnmal so groß, als es sein
sollte, sie faßt es gerade am unbequemsten Ende an und hebt es mit
aller Gewalt in die Höhe, -- dann trägt sie es fort, nicht nach Hause,
sondern in entgegengesetzter Richtung, nicht ruhig und bedächtig,
sondern mit rasender Eile, bei der sie ihre Kräfte unnütz vergeudet.
Sie rennt gegen einen Kieselstein und anstatt ihn zu umgehen, klettert
sie rückwärts hinauf, zerrt ihre Beute hinter sich her, kugelt auf der
andern Seite hinunter, springt wütend auf, schüttelt sich den Staub aus
den Kleidern, wischt sich die Hände ab und greift gierig nach ihrem
Eigentum, stößt es hierhin und dorthin, schiebt es jetzt vor sich her,
dreht sich dann um und zerrt es weiter, mit immer wilderer Gebärde, bis
sie es plötzlich wieder hoch in die Luft hebt und nach einer ganz neuen
Richtung fortrennt. Nun stößt sie auf eine Pflanze, es fällt ihr aber
gar nicht ein herumzugehen -- nein, sie muß hinaufklettern, bis oben
in die Spitze und noch dazu ihren ganz wertlosen Besitz hinter sich
dreinziehen, was ungefähr ebenso klug ist, als wenn ich einen Sack Mehl
von Heidelberg nach Paris über den Straßburger Kirchturm schleppen
wollte. Wenn sie hinaufkommt, sieht sie, daß sie nicht am rechten Ort
ist, wirft einen flüchtigen Blick auf die Gegend, klettert oder kugelt
hinunter und nimmt einen neuen Anlauf -- wie gewöhnlich in einer andern
Richtung.

[Illustration]

Nach Verlauf einer halben Stunde, kaum sechs Zoll von ihrem
Ausgangspunkt entfernt, hält sie plötzlich still und legt ihre Last
nieder; sie hat in dieser Zeit die ganze Umgegend zwei Meter in der
Runde durchlaufen und ist über alle Steine und Pflanzen geklettert, die
ihr in den Weg kamen. Jetzt wischt sie sich den Schweiß von der Stirn,
streckt die Glieder und eilt dann ebenso ziellos und in so wahnsinniger
Hast davon wie zuvor. Während sie im Zickzack umherläuft, stößt sie
abermals auf ihre frühere Beute; sie erinnert sich nicht, sie je
vorher erblickt zu haben, sieht sich nach dem Wege um, der nicht nach
Hause führt, packt ihren Fund an und trägt ihn fort. Sie macht genau
dieselben Abenteuer noch einmal durch und als sie endlich still hält,
um auszuruhen, kommt eine Freundin des Weges. Diese findet offenbar,
daß das vorjährige Heuschreckenbein -- das ist nämlich die Beute --
eine sehr wertvolle Eroberung ist und sie bietet nun ihre Hilfe an,
um die Fracht nach Hause zu schaffen. Mit höchst weisem Entschluß
ergreifen sie jetzt die beiden äußersten Enden des Heuschreckenbeins
und beginnen es aus Leibeskräften nach den zwei entgegengesetzten
Richtungen zu zerren. Nun ruhen sie aus und halten Rat: etwas muß
nicht in der Ordnung sein, aber sie können nicht begreifen, was es
ist. Von neuem machen sie sich daran, gerade wie zuvor und mit
demselben Ergebnis; nun schiebt eine die Schuld des Mißerfolgs auf die
andere, sie werden hitzig und es kommt zu Thätlichkeiten; sie ringen
zusammen und verbeißen sich ineinander, dann rollen und wälzen sie
sich auf dem Boden umher, bis eine ein Horn oder ein Bein verliert.
Hierauf versöhnen sie sich und machen sich auf dieselbe unsinnige
Weise wiederum ans Werk; aber die verkrüppelte Ameise befindet sich im
Nachteil, wie sehr sie auch zerrt, die andere schleppt die Beute weg
und sie obendrein. Anstatt loszulassen, bleibt sie hängen, so daß ihr
die Haut geschunden wird, so oft ein Hindernis im Wege liegt. So wird
denn das Heuschreckenbein noch einmal auf demselben Platz herumgezerrt,
um endlich an dem nämlichen Punkt zu landen, wo es zuerst gelegen hat.
Die zwei keuchenden Ameisen betrachten es nachdenklich und kommen zu
dem Schluß, daß dürre Heuschreckenbeine eigentlich ein schlechter
Besitz sind, worauf denn jede nach einer anderen Richtung läuft, um zu
sehen, ob sie nicht einen alten Nagel finden kann oder sonst etwas,
was schwer genug ist, um einen Zeitvertreib zu gewähren und zugleich
wertlos genug, um die Begierde einer Ameise zu reizen.

Auf einem Bergabhang im Schwarzwald sah ich eine Ameise, die diese
ganze Arbeit mit einer toten Spinne durchmachte, welche mehr als
zehnmal so schwer war wie sie.

Die Spinne war nicht ganz tot, hatte aber keine Widerstandskraft mehr,
ihr runder Körper war etwa so groß wie eine Erbse. Die kleine Ameise,
welche bemerkte, daß ich ihr zusah, nahm die Spinne auf den Rücken,
krallte sich an ihrer Kehle fest, hob sie in die Höhe und trug sie
gewaltsam fort; sie stolperte über kleine Steine, raffte sich wieder
auf, trat auf die Beine der Spinne, zog sie rückwärts weiter, schob sie
vor sich her, schleppte sie sechs Zoll hohe Steine hinauf, statt diese
zu umgehen, erkletterte Pflanzen, die zwanzigmal so hoch waren wie sie
und sprang von oben herunter; dann ließ sie die Spinne endlich auf dem
Wege liegen, wo sich jede andere Ameise ihrer bemächtigen konnte, die
thöricht genug war, sie zu begehren. Ich habe die Strecke ausgemessen,
welche das einfältige Ding zurückgelegt hat, und bin zu dem Schluß
gekommen, daß, was diese Ameise innerhalb zwanzig Minuten verrichtet
hat, verhältnismäßig dasselbe ist, als wenn ein Mensch zwei achthundert
Pfund schwere Pferde zusammenkoppelt und sie achtzehnhundert Fuß weit
trägt, meist über hohe Steinblöcke, unterwegs mit ihnen Höhen erklimmt,
wie 300 Fuß hohe Kirchtürme, und sich in Abgründe stürzt, wie der
Niagara, bis er die Pferde zuletzt auf einem offenen Platz niedersetzt
und sie ohne Wächter zurückläßt, während er irgend ein anderes
unsinniges Kraftstück probiert, um seiner Eitelkeit zu fröhnen.

Die Wissenschaft hat neuerdings entdeckt, daß die Ameise keinen
Wintervorrat anlegt; dies wird sie um einen großen Teil ihres
litterarischen Ruhmes bringen. Sie arbeitet nur, wenn jemand zusieht,
besonders jemand, der ein naturforscherähnliches Ansehen hat und
Notizen zu machen scheint. Der sprichwörtliche Fleiß der Ameise
läuft also beinahe auf Betrügerei heraus, so daß sie als Beispiel
für Sonntagsschulen hinfort nicht mehr zu gebrauchen ist. Sie hat
nicht einmal Verstand genug, um gesunde Nahrung von schädlicher zu
unterscheiden; bei solcher Unwissenheit wird sie die Achtung der Welt
gänzlich verscherzen. Sie kann nicht um einen Baumstumpf herumgehen und
sich dann wieder nach Hause finden; das streift an Blödsinn, und sobald
diese Thatsache feststeht, werden verständige Leute die Ameise nicht
länger bewundern. Ihr vielgepriesener Fleiß ist nichts als Eitelkeit
und hat keinerlei Zweck, da sie nie etwas nach Hause trägt, was sie
herumschleppt. Damit geht auch noch der letzte Rest ihres guten Rufes
und ihr Hauptnutzen als sittliches Beispiel verloren. Es übersteigt
doch wirklich alle Begriffe, daß so viele Nationen Jahrhunderte lang
nicht hinter die Schliche der Ameise gekommen sind, während es doch
ganz auf der Hand liegt, daß sie die Leute nur zum besten hat!

Die Ameise ist stark, aber ich habe an demselben Tag noch etwas
Stärkeres gesehen, und zwar in der Pflanzenwelt. Ein Fliegenschwamm --
jener Pilz, der in einer Nacht aufschießt -- hatte eine feste Lage von
Tannennadeln und Erdreich, die etwa doppelt so viel Umfang hatte als
er, in die Höhe gehoben, und trug sie, wie die Säule das Wetterdach!
Demnach hätten zehntausend Fliegenschwämme Kraft genug, um einen Mann
zu heben, -- aber, wozu sollte das nützen? --



Eine Episode in Baden-Baden.


Kein Land der Welt besitzt wohl eine solche Menge von Heilquellen
wie Deutschland! Manche dieser Brunnen sind für _ein_ Leiden gut,
manche für ein anderes; ja, es giebt besondere Leiden, die man durch
die vereinten Kräfte und Tugenden der verschiedenen Heilquellen zu
bekämpfen vermag. So trinkt z. B. der Patient gegen eine gewisse
Krankheitserscheinung das naturwarme Wasser von Baden-Baden, in welchem
er einen Theelöffel voll Karlsbader Salz auflöst. -- Eine solche Dosis
vergißt man nicht allzuschnell! --

Dieses heiße Wasser wird aber nicht etwa verkauft! o nein, man geht in
die große Trinkhalle und steht da herum, zuerst auf einem Bein, dann
auf dem andern, während zwei oder drei Mädchen dicht daneben mit irgend
einer Näharbeit sitzen, ohne die geringste Notiz von der Anwesenheit
des Patienten zu nehmen, den sie als Luft betrachten.

Allmählich erhebt sich eins von diesen Brunnenmädchen mühsam und
beginnt sich zu recken, -- sie reckt ihre Fäuste und ihren ganzen
Körper gen Himmel, bis ihre Fersen den Boden nicht mehr berühren, und
gähnt dabei zu ihrer Erholung auf so herzhafte Weise, daß ihr ganzes
Gesicht hinter ihrer Oberlippe verschwindet, und man beobachten kann,
wie sie inwendig beschaffen ist; -- endlich schließt sich ihr Schlund
langsam, Fäuste und Fersen kommen wieder herunter und sie selbst thut
einige matte Schritte vorwärts. Sie wirft nun einen verächtlichen Blick
auf den Patienten, holt ein Glas heißes Wasser herauf und setzt es so
fern wie möglich von ihm hin. Fragt er dann:

»Was bin ich schuldig?« so giebt sie ihm mit ausstudierter
Gleichgültigkeit die bettelhafte Antwort:

»Nach Beliebe!«

[Illustration]

Durch diesen bettelhaften Kunstgriff, womit sie sich an die Großmut
des Fremden wendet, der sich auf ein einfaches kaufmännisches Geschäft
gefaßt gemacht hat, gießt sie Oel in die Flamme seines erwachenden
Aergers. Er thut, als hätte er ihre Antwort nicht gehört und fragt
wieder:

»Was bin ich schuldig?« und sie erwidert ebenso ruhig und gleichgültig:

»Nach Beliebe!«

Jetzt würde der Aerger losbrechen, wenn der Fremde nicht den Entschluß
faßte, sich zu bezwingen und mit äußerlicher Ruhe die Frage so lange
zu wiederholen, bis das Mädchen eine andere Antwort giebt, oder
mindestens ein weniger gleichgültiges Wesen annimmt. Wenn daher sein
Fall dem meinigen gleicht, so stehen die beiden wie die Narren einander
gegenüber und führen mit scheinbarer Kälte, indem sie sich sanftmütig
anschauen, die folgende höchst eintönige Unterhaltung:

»Was bin ich schuldig?«

»Nach Beliebe!«

»Was bin ich schuldig?«

»Nach Beliebe!«

»Was bin ich schuldig?«

»Nach Beliebe!«

»Was bin ich schuldig?«

»Nach Beliebe!«

»Was bin ich schuldig?«

»Nach Beliebe!«

»Was bin ich schuldig?«

»Nach Beliebe!«

»Was bin ich schuldig?«

»Nach Beliebe!«

Was ein anderer an meiner Stelle gethan haben würde, weiß ich nicht,
aber an diesem Punkt angelangt, gab ich es auf! Ihr steinerner
Ausdruck, ihr hochmütiges und gleichgültiges Wesen trugen den Sieg
davon, und ich streckte mein Gewehr! Da ich wußte, daß sie gewöhnlich
von selbständigen Charakteren, die sich nicht um die Meinung einer
Spülmagd kümmern, zehn Pfennige erhält, und zwanzig Pfennige von
moralischen Feiglingen, so legte ich ein silbernes Markstück vor sie
hin und versuchte sie mit folgender sarkastischer Rede zu Boden zu
schmettern:

»Wenn das nicht genug ist, so begeben Sie sich gefälligst Ihrer
erhabenen Würde, um es mir zu sagen!«

Es gelang mir nicht! Sie würdigte mich keines Blickes, hob nur langsam
die Münze auf und ließ sie auf den Tisch niederfallen -- um zu prüfen,
ob es gutes Geld wäre. Dann wandte sie mir den Rücken und wackelte
zu ihrem früheren Sitz zurück, nachdem sie zuvor das Geldstück in
eine offene Schublade hatte gleiten lassen. So blieb sie Siegerin bis
zuletzt!

Ich habe die Art und Weise dieses Brunnenmädchens genau beschrieben,
weil sie viele ihresgleichen hat.



Wagnermusik.


Eines Abends fuhr ich in Begleitung eines Freundes von Heidelberg nach
Mannheim, um ein Scharivari zu hören -- oder vielleicht eine Oper --
sie heißt ›Lohengrin‹. Das Hämmern und Klopfen, das Sausen und Krachen
war über alle Beschreibung. Es erregte mir einen unerträglich quälenden
Schmerz, ganz ähnlich wie das Plombieren der Zähne beim Zahnarzt. Zwar
hielt ich die vier Stunden bis zum Schluß aus, die Umstände nötigten
mich dazu, aber die Erinnerung an dies endlos lange, erbarmungslose
Leiden hat sich mir unauslöschlich eingeprägt. Daß ich es schweigend
ertragen mußte und mich dabei nicht vom Fleck rühren konnte, machte die
Sache noch ärger. Ich war mit acht bis zehn fremden Personen beiderlei
Geschlechts in einem umhegten Raum eingeschlossen und versuchte
natürlich mich so viel wie möglich zu beherrschen, doch überkam mich
dann und wann ein so namenloses Weh, daß ich kaum imstande war, die
Thränen zurückzuhalten. Wenn das Geheul, das Geschrei und Klagegestöhn
der Sänger und das rasende Toben und Donnergetöse des ungeheuern
Orchesters noch wilder und grimmiger wurde und sich zu immer höheren
Höhen verstieg, hätte ich laut aufschluchzen mögen. Aber ich war nicht
allein und die Fremden neben mir hätte ein solches Benehmen sicherlich
überrascht; sie würden allerlei Bemerkungen darüber gemacht haben.
Freilich mit Unrecht; denn, einen Menschen weinen zu sehen, dem man
-- um bildlich zu sprechen -- bei lebendigem Leibe die Haut abzieht,
sollte niemanden in Erstaunen setzen.

In der halbstündigen Pause am Ende des ersten Akts hätte ich
hinausgehen und mich etwas erholen können, aber ich wagte es nicht, aus
Furcht, fahnenflüchtig zu werden, was ich meinem Reisegefährten nicht
anthun wollte. Als dann gegen neun Uhr abermals eine Pause eintrat,
hatte ich schon so viel durchgemacht, daß ich keine Widerstandskraft
mehr besaß. In Ruhe gelassen zu werden, war mein einziges Verlangen.

Ich will nicht behaupten, daß die übrigen Zuhörer meine Gefühle
teilten, das war keineswegs der Fall. Ob sie für den Lärm von Natur
eine besondere Vorliebe besaßen, oder ob sie sich mit der Zeit daran
gewöhnt hatten, ihn schön zu finden, weiß ich nicht -- jedenfalls
gefiel er ihnen, das unterlag keinem Zweifel. Während das Getöse in
vollem Gange war, saßen sie mit verzückten und wohlgefälligen Mienen
da, wie Katzen, denen man den Rücken streichelt; kaum aber fiel der
Vorhang, so stand die ganze ungeheure Menge wie ein Mann auf, und ein
wahres Schneegestöber von wehenden Taschentüchern sauste durch die
Luft, von Beifallsstürmen begleitet. Dies ging über mein Verständnis.
Zudem waren die Logen und Ränge bis zum Schluß so voll wie sie es zu
Anfang gewesen, und da sich nicht annehmen ließ, daß die Zuhörer alle
nur gezwungen dablieben, mußte es ihnen wohl Vergnügen machen.

Was das Stück selbst betraf, so zeichnete es sich zwar durch prächtige
Kostüme und Scenerien aus, aber es enthielt merkwürdig wenig Handlung.
Das heißt, es geschah in Wirklichkeit nichts, doch wurde viel über
die Begebenheiten hin und her geredet und immer mit großer Aufregung.
Man könnte es eine dramatisierte Erzählung nennen. Jeder Mitspieler
trug eine Geschichte und eine Beschwerde vor, aber nicht ruhig und
vernünftig, sondern auf eine höchst beleidigende, unbotmäßige Art
und Weise. Ferner fiel mir auf, daß Tenor und Sopran sich nur selten
in ihrer gewöhnlichen Manier dicht an die Rampen stellten, um mit
vereinten Kräften und Stimmen zu trillern, die Arme nach einander
auszustrecken, sie wieder zurückzuziehen, erst die rechte, dann die
linke Hand auf die Brust zu drücken und sich dabei zu schütteln.
Nein, jeder Lärmmacher besorgte seine Sache für sich allein; nach
einander sangen sie ihre verschiedenen Anschuldigungen mit Begleitung
des ganzen großen Orchesters. Wenn dies eine Weile gedauert hatte und
man sich gerade mit der Hoffnung schmeichelte, sie würden sich nun
verständigen und etwas weniger Spektakel machen, dann begann plötzlich
ein Riesenchor, der aus lauter Tollhäuslern zusammengesetzt war,
loszukreischen, und ich mußte zwei, oft auch drei Minuten lang alle
Qualen noch einmal durchleben, die ich vor Jahren erlitten habe, als
das Waisenhaus in N. in Brand geriet.

Diese lange und mit größter Anschaulichkeit durchgeführte Wiedergabe
der gräßlichen Höllenpein ward nur durch einen einzigen kurzen
Beigeschmack von Himmelsfrieden und Seligkeit unterbrochen -- nämlich
im dritten Akt, während ein prachtvoller Festzug auf der Bühne fort
und fort rund um ging und der Hochzeitsmarsch ertönte. Dies war Musik
für mein ungeschultes Ohr -- göttliche Musik. Während der heilende
Balsam jener lieblichen Töne meine wunde Seele überflutete, hätte ich
fast alle vergangenen Qualen wieder erdulden mögen, um noch einmal
diese süße Erquickung zu durchleben. Dabei wurde mir klar, mit welcher
Schlauheit die Oper ihre Wirkung berechnet. Sie erregt so viele und
schreckliche Leiden, daß die wenigen dazwischen gestreuten Freuden
durch den Gegensatz aufs wunderbarste erhöht werden.

Nichts lieben die Deutschen so von ganzem Herzen wie die Oper. Sie
werden durch Gewohnheit und Erziehung dahin geleitet. Auch wir
Amerikaner können es ohne Zweifel eines Tages noch zu solcher Liebe
bringen. Bis jetzt findet aber vielleicht unter fünfzig Besuchern der
Oper _einer_ wirklich Gefallen daran; von den übrigen neunundvierzig
gehen viele, glaube ich, hin, weil sie sich daran gewöhnen möchten,
und die andern, um mit Sachkenntnis davon reden zu können. Letztere
summen gewöhnlich die Melodien vor sich hin, während sie auf der
Bühne gesungen werden, um ihren Nachbarn zu zeigen, daß sie nicht zum
erstenmal in der Oper sind. Sie verdienten dafür gehängt zu werden.

Drei bis vier Stunden auf einem Fleck zu bleiben, ist keine
Kleinigkeit; einige von Wagners Opern zerschmettern aber das
Trommelfell der Zuhörer sechs Stunden hintereinander. Die Leute sitzen
da, freuen sich und wünschen, es dauerte noch länger. Mir sagte einmal
eine deutsche Dame in München, Wagner gefiele keinem gleich bei der
ersten Aufführung, man müsse ihn erst lieben lernen; dazu gehöre ein
förmlicher Kursus, habe man den aber durchgemacht, so dürfe man auch
sicher auf den Lohn rechnen; wer die Musik einmal lieben gelernt,
verspüre einen solchen Hunger danach, daß er nie genug bekommen könne;
sechs Stunden Wagner sei gar nicht zu viel. Dieser Komponist, sagte
sie, habe in der Musik eine völlige Umwälzung hervorgebracht, die alten
Meister müßten sich einer nach dem andern von ihm begraben lassen. Nach
ihrer Ansicht bestand der Unterschied zwischen Wagners Opern und allen
übrigen hauptsächlich darin, daß sie nicht nur hie und da eingestreute
Melodien enthielten, sondern, vom ersten Tone an, aus einer einzigen
Melodie beständen. Das war mir überraschend und ich erwiderte, ich
hätte der Aufführung einer seiner Schöpfungen beigewohnt und außer dem
Hochzeitsmarsch wäre mir nichts darin wie Musik vorgekommen. Darauf
riet sie mir, Lohengrin noch recht oft zu hören, dann würde ich mit der
Zeit die endlose Melodie gewiß herausfühlen. Ich hatte schon auf der
Zunge, sie zu fragen, ob sie einem Menschen wohl zureden würde, sich
jahrelang darin zu üben, Zahnschmerzen zu haben, um schließlich einen
Genuß daran zu finden. Aber ich unterdrückte die Bemerkung.

Die Dame sprach auch von dem ersten Tenor, den sie am vergangenen Abend
in einer Wagnerschen Oper gehört hatte. Sie war seines Lobes voll,
pries seinen altbewährten Ruhm und zählte die Auszeichnungen auf,
welche ihm von sämtlichen Fürstenhäusern Deutschlands zu teil geworden
waren. Das setzte mich abermals in Erstaunen. Ich war nämlich bei jener
Aufführung zugegen gewesen -- vertreten durch meinen Reisebegleiter --
und hatte die genauesten Beobachtungen angestellt.

»Aber, gnädige Frau,« erwiderte ich daher, »mein Vertreter hat sich mit
eigenen Ohren überzeugt, daß jener Tenor gar nicht singt, sondern nur
kreischt und heult -- wie eine Hyäne.«

»Das ist wahr,« versetzte sie, »jetzt kann er nicht mehr singen;
seit vielen Jahren hat er schon die Stimme verloren; aber früher
sang er wahrhaft himmlisch. Deshalb kann auch das Theater kaum die
Zuhörer fassen, wenn er auftritt. Jawohl, bei Gott, seine Stimme klang
wunderschön -- in jener alten Zeit.«

Dies offenbarte mir einen freundlichen Charakterzug der Deutschen,
welcher alle Anerkennung verdient. Jenseits des Ozeans sind wir weniger
hochherzig. Wenn bei uns ein Sänger die Stimme verloren hat, oder
ein Springer seine Beine, so ist es mit der Gunst des Publikums für
ihn vorbei. Nach meiner Erfahrung zu urteilen, -- ich bin dreimal in
der Oper gewesen, einmal in Hannover, einmal in Mannheim und einmal
in München, wo ich mich vertreten ließ -- scheinen die Deutschen
diejenigen Sänger am liebsten zu hören, welche nicht mehr singen können.

Das ist durchaus keine Uebertreibung. In Heidelberg war die ganze Stadt
schon eine Woche lang im voraus außer sich vor Entzücken über den
dicken Tenor gewesen, der in Mannheim auftrat. Seine Stimme klang aber
täuschend, als kratze man mit einem Nagel auf einer Fensterscheibe. Das
gaben die Heidelberger auch zu, aber in früherer Zeit, meinten sie,
sei sein Gesang so herrlich gewesen wie kein anderer. Aehnlich ging es
mir in Hannover. Der Herr, mit dem ich dort in der Oper war, strahlte
förmlich vor Begeisterung.

[Illustration]

»Sie werden den großen Mann sehen,« rief er, »in ganz Deutschland ist
sein Ruhm verbreitet. Er bezieht eine Pension von der Regierung und
braucht nur noch zweimal jährlich zu singen. Thut er das aber nicht, so
wird ihm die Pension entzogen.«

Als der bejahrte Tenor nun wirklich auftrat, war ich sehr enttäuscht.
Wenn er hinter einem Schirm gestanden hätte, würde ich geglaubt haben,
man schneide ihm gerade die Gurgel ab. Ich warf meinem Bekannten
einen Blick zu, aber der schwelgte in Wonne, seine Augen funkelten
vor Vergnügen. Als der Vorhang endlich fiel, erhob sich ein wahrer
Beifallssturm, welcher kein Ende nehmen wollte, bis der gewesene Tenor
dreimal wieder zum Vorschein gekommen war und seine Verbeugungen
gemacht hatte. Mein Freund klatschte aus Leibeskräften mit, dann
wischte er sich den Schweiß von der Stirn.

»Entschuldigen Sie,« sagte ich, »aber nennen Sie das Gesang?«

»Nein, Gott im Himmel, das nicht -- aber vor fünfundzwanzig Jahren, da
konnte er singen! Jetzt singt er nicht mehr, er schreit nur. Wenn man
einer Katze auf den Schwanz tritt, klingt es gerade so.«

       *       *       *       *       *

Wir halten die Deutschen im allgemeinen für ein ruhiges, phlegmatisches
Volk, aber das ist weit gefehlt. Sie sind warmherzig, heißblütig und
folgen der Eingebung des Augenblicks. Man kann sie ebenso leicht zu
Thränen rühren wie zum Lachen bringen. Ihre Treue ist unerschütterlich
und wen sie einmal ins Herz geschlossen haben, von dessen Lobe fließt
ihr Mund über und sie werden nicht müde, ihm zuzujubeln. Wir Amerikaner
sind kalt und zurückhaltend im Vergleich mit ihnen.



Sonntagsheiligung in Deutschland.


Der schönste Tag auf dem Festland ist der Sonntag, ein freier, ein
glücklicher Tag. Man kann dort den Sonntag auf hunderterlei Weise
entheiligen, ohne eine Sünde zu begehen.

Wir arbeiten am Sonntag nicht, weil es gegen Gottes Gebot ist, die
Deutschen ebensowenig. Wir ruhen am Sonntag, weil das Gebot es
befiehlt. Die Deutschen ruhen auch. Aber in der Erklärung des Wortes
_ruhen_ liegt der ganze Unterschied. Bei den Deutschen bedeutet es
am Sonntag genau dasselbe wie am Wochentag, nämlich: gieb _dem_ Teil
des Körpers Ruhe, der sie braucht und laß den übrigen Menschen thun,
was er will. Der ermüdete Teil soll ausruhen -- das muß durch alle
Mittel gefördert werden. Wen also seine Pflichten die ganze Woche über
ans Haus gefesselt haben, der ruht aus, wenn er am Sonntag spazieren
geht; wer in der Woche nur ernste, inhaltschwere Dinge studiert hat,
der erholt sich am Sonntag bei einer leichten Lektüre; wer sich in
seinem Alltagsberuf meist mit Tod und Grab beschäftigen muß, der ruht
am Sonntag, wenn er ins Theater geht und ein paar Stunden lang über
eine Komödie lacht; wer die Woche hindurch Bäume gefällt oder Gräben
gezogen hat, der legt sich am Sonntag zu Hause ruhig hin. Ist deine
Hand, dein Arm, dein Hirn, deine Zunge oder irgend ein anderes Glied
unthätig gewesen, so ist es für dasselbe keine Erholung, noch einen
Tag länger nichts zu thun; war dagegen ein Glied durch Arbeit besonders
angestrengt, so ist Ruhe seine rechte Feier.

Bei den Deutschen bedeutet also die Ruhe eine Erholung, Erneuerung,
Wiederbelebung der erschöpften Kräfte. Wir schränken den Begriff viel
zu sehr ein, indem wir allesamt auf gleiche Weise ruhen, nämlich uns
still verhalten und zurückziehen, einerlei, ob das für die meisten
eine Erholung ist oder nicht. Bei den Deutschen müssen Schauspieler,
Pfarrer, und manche andere Leute am Sonntag arbeiten. Auch wir lassen
unsere Prediger, Journalisten, Drucker etc. am Sonntag nicht ruhen und
glauben, daß uns keine Schuld trifft. Ist es aber für den Drucker eine
Sünde am Sonntag zu arbeiten, warum sollte es keine für den Pfarrer
sein? Ich habe wenigstens nirgends gefunden, daß das Gebot zu seinen
Gunsten eine Ausnahme macht. Wir kaufen und lesen die Morgenzeitung am
Montag, die doch Sonntags gedruckt werden muß, und unterstützen dadurch
die Sonntagsarbeit. Ich werde das aber nie mehr thun.

Die Deutschen heiligen den Sonntag damit, daß sie sich der Arbeit
enthalten, wie das Gebot es befiehlt; wir thun das auch, aber wir
enthalten uns zugleich des Vergnügens, was nicht geboten ist.
Vielleicht übertreten wir das Gebot der Sonntagsruhe im eigentlichen
Sinn, weil wir in den meisten Fällen nicht in Wahrheit ausruhen,
sondern nur dem Namen nach.



Trauben- und Molkenkur.


Am Kursaal in Interlaken finden regelmäßig Konzerte im Freien statt;
man geht dabei in den Gartenanlagen spazieren und hat Wein, Bier,
Milch, Molken und Trauben zur Auswahl. Für gewisse Kranke, welche die
Aerzte nicht wieder zurechtstutzen können, sind Molken und Trauben die
nötigsten Bedürfnisse, um ihr Leben weiter zu fristen. Einer dieser
abgestorbenen Geister machte mir mit trauriger, tonloser Stimme die
Mitteilung, daß er sich überhaupt nur noch von Molken ernähre und
dies Getränk über alles liebe, weshalb wisse er nicht. Ein anderer,
den nur noch die Traubenkur vor dem Tode bewahrte, erzählte mir, es
würden dazu nur Trauben verwandt, die einen bedeutenden medizinischen
Gehalt hätten, so daß die Traubenärzte sie wie Pillen verschreiben
und einnehmen ließen. Zu Anfang der Kur, wenn der Patient sich noch
sehr schwach fühlt, beginnt er mit einer Traube vor dem Frühstück,
drei während desselben, zwei zwischen den Mahlzeiten, fünf zum zweiten
Frühstück, drei im Laufe des Nachmittags, sieben zum Mittagessen, vier
zum Abendbrod und vor dem Schlafengehen ißt er dann noch als Zugabe
eine halbe Traube. Allmählich steigert sich dann die Zahl, je nach
Bedürfnis und Fähigkeit des Patienten, bis er nach und nach so weit
kommt, daß er jede Sekunde eine Traube und den Tag über ein Stückfaß
voll verzehrt.

Wer auf solche Weise geheilt wird, sagte mir der Kranke, verliere nie
wieder die Gewohnheit so zu sprechen, als diktiere er einem langsamen
Schreiber, weil er zwischen jedem Wort eine Pause macht, um in Gedanken
eine Weintraube auszusaugen. Sich mit solchen Menschen zu unterhalten,
erfordere viel Geduld. Wer dagegen auf die andere Methode gesund
geworden sei, den unterscheide man leicht von der übrigen Menschheit,
weil er immer beim zweiten Wort den Kopf in den Nacken wirft, um
in Gedanken ein Glas Molken zu schlürfen. Fangen nun zwei solche
Leute zusammen ein Gespräch an, so könne man beobachten, mit welcher
Regelmäßigkeit und Ausdauer sie immer dieselben Pausen und Bewegungen
machten. Ein Fremder würde sicherlich meinen, er habe zwei Automaten
vor sich.

Man hört und lernt doch wirklich die wunderbarsten Dinge auf Reisen,
wenn man nur die richtigen Leute trifft, die einem ihre Erfahrungen
mitteilen.



Der deutsche Portier.


Der persische Prophet und Dichter Omar Khayam schrieb vor mehr als
achthundert Jahren:

    »In den vier Weltteilen giebt es viele, die gelehrte Bücher
    schreiben können, viele, die Armeen zu führen verstehen, auch
    viele, die imstande sind, große Reiche zu regieren, aber nur
    wenige, die wissen, wie man ein Gasthaus halten muß.«

[Illustration]

Der Portier in den deutschen Hotels ist eine wunderbare Erfindung,
eine höchst wertvolle Annehmlichkeit. Man erkennt ihn stets an seiner
Uniform und wenn man ihn braucht ist er immer da, weil er seinen
Posten an der Eingangsthür nicht verläßt. Er ist höflich wie ein
Herzog; er spricht vier bis zehn Sprachen; er ist die sicherste Hilfe
und Zuflucht in Zeiten der Not und Gefahr. Statt sich wie bei uns mit
allem an den Hotel-Clerk zu wenden, geht man hier zum Portier. Bei
uns setzt der Clerk seinen Stolz darein, alles zu wissen, hier thut
es der Portier. Man fragt ihn, wenn der Zug abgeht -- sofort erhält
man die Antwort; man erkundigt sich bei ihm nach dem besten Arzt in
der Stadt oder nach dem Droschkentarif; fragt ihn, wie viele Kinder
der Major hat oder an welchen Tagen die Galerien geöffnet sind; ob man
Eintrittskarten braucht, wo man sie erhält und was man dafür bezahlt;
wann die Theater anfangen und wann sie aus sind, was für Stücke
gespielt werden, wie hoch die Preise der Plätze sind; aber auch, was
für Hüte man trägt, wie groß die Sterblichkeitsziffer im Durchschnitt
ist oder wer Billy Paterson besiegt hat. Man mag ihn fragen was man
will, in neun Fällen von zehn weiß er es und über den zehnten Fall
verschafft er die gewünschte Auskunft im Handumkehren. Er schreckt
vor keiner Schwierigkeit zurück. Wenn ihm jemand sagt, er wolle von
Hamburg über Jericho nach Peking reisen, sei aber über die Routen und
Preise im unklaren, so überreicht der Portier ihm tags darauf ein Blatt
Papier, auf dem die ganze Reise bis ins kleinste verzeichnet steht.
Wer sich längere Zeit in Europa aufhält, wird zwar noch immer _sagen_,
er verlasse sich auf die Vorsehung, aber bei näherer Betrachtung
wird er bald die Entdeckung machen, daß er sich eigentlich auf den
Portier verläßt. Diesem ist nichts verborgen was uns quält und bange
macht; er weiß schon, was wir bedürfen, wenn wir es noch auf der Zunge
haben, und sein Wort: »Ich werde es besorgen,« beruhigt uns schnell.
Wer sich an einen amerikanischen Hotel-Clerk wendet, empfindet dabei
eine gewisse Verlegenheit, er zaudert und fürchtet sich vor einer
abschlägigen Antwort; beim Verkehr mit dem Portier ist davon keine
Rede, die freudige Bereitwilligkeit, die er uns entgegenbringt, wirkt
ermutigend und die Schnelligkeit, mit der er an die Ausführung unserer
Wünsche geht, hat etwas wahrhaft Berauschendes. Je mehr Besorgungen
man ihm aufbürdet, desto zufriedener zeigt er sich. Die natürliche
Folge ist, daß man selber überhaupt nichts mehr thut. Der Portier
holt die Droschke für uns, hilft uns einsteigen, sagt dem Kutscher,
wohin er fahren soll, empfängt uns bei der Rückkehr wie einen lang
und schmerzlich vermißten Sohn, bittet nur, daß wir uns um gar nichts
kümmern, übernimmt es, sich mit dem Droschkenkutscher herumzuzanken und
bezahlt ihn aus seiner eigenen Tasche. Er läßt uns Theaterbillets holen
und alles was wir möglicherweise wünschen können, es mag nun ein Arzt,
ein Elefant oder eine Briefmarke sein. Schließlich giebt er uns noch
bei der Abfahrt einen Untergebenen mit, der vom Kutscherbock steigt,
uns an das Coupé bringt, die Fahrkarten kauft, die Koffer wiegen läßt,
uns den Gepäckzettel übergiebt und versichert, daß alles schon auf der
Rechnung steht und vorausbezahlt ist. In Amerika findet man nur in den
besten Hotels der großen Städte solche vorzügliche, freundliche und
bereitwillige Bedienung, aber in Europa hat man sie gerade so gut in
den kleinsten Landstädtchen.

       *       *       *       *       *

Wie läßt sich denn aber die rührende Hingebung des Portiers erklären?
Auf sehr einfache Weise: _er bekommt nur Trinkgelder und kein Gehalt_.
Die großen Hotels auf dem Kontinent stellen für geringen Lohn einen
Kassierer an, aber der Portier muß dem Hotel eine Abgabe bezahlen.
Diese Einrichtung ist sowohl für den Wirt als für das Publikum eine
Ersparnis und sichert ihnen bessere Dienste, als wir nach unserem
System erhalten. Ein amerikanischer Konsul hat mir erzählt, daß der
Portier in einem großen Berliner Hotel jährlich fünftausend Dollars für
seine Stelle bezahlt und trotzdem einen Reingewinn von sechstausend
Dollars erzielt. Vielleicht würde das Amt des Portiers in einem unserer
besuchtesten Hotels in Saratoga, Long Branch, New York und anderen
Hauptverkehrsplätzen noch einträglicher sein.

Als wir vor etwa zwölf Jahren das Trinkgeldersystem nach europäischem
Muster bei uns einführten, hätten wir natürlich aufhören müssen, Gehalt
zu bezahlen. Ich dächte, das ließe sich jetzt auch noch nachholen und
dabei könnte zugleich der Portier eingeführt werden. Seit ich zuerst
anfing, mich eingehend mit ihm zu beschäftigen, habe ich Gelegenheit
gehabt, ihn in den größten Städten von Deutschland, der Schweiz und
Italien zu beobachten. Je mehr ich aber von ihm gesehen habe, um so
größer ist mein Wunsch geworden, ihm in Amerika zu begegnen, damit er
auch bei uns ein Schutzengel für die Fremden werde, wie er es in Europa
ist.

Was vor achthundert Jahren als wahr galt, bestätigt sich noch heute:
»Nur wenige wissen, wie man ein Gasthaus halten muß!«



Duelle.


I.

Das deutsche Studentenduell.

[Illustration]

Eines Tages erhielt mein Geschäftsträger im Interesse der Wissenschaft
die Erlaubnis, mich in das Pauklokal an der Hirschgasse mitzunehmen,
wo die Heidelberger Korps ihre Mensuren ausfechten: ein heller,
hoher, geräumiger Saal im ersten Stockwerk des idyllisch gelegenen
altberühmten Wirtshauses ›Zum Hirschen‹.

Wir trafen daselbst etwa 50--75 Musensöhne, die sich an den langen
längs der Wände aufgestellten Tischen die Zeit bis zum Beginn der
Paukerei mit Kneipen, Karten- oder Schachspiel, Schwatzen und Rauchen
vertrieben. Man sah fast nur farbige Mützen: weiße, grüne, blaue,
rote und hellgelbe; es waren mithin sämtliche fünf Korps stattlich
vertreten. Am einen Ende des Saales war für die Paukerei ein Stück frei
gelassen, und hier standen an den Fenstern 6--8 lange schmale Schläger
mit mächtigen Körben zum Schutz der Hände, während draußen ein Mann
damit beschäftigt war, noch eine Anzahl solcher an einem Schleifstein
zu schärfen. Er verstand seine Sache, denn jeder Schläger, der aus
seiner Hand kam, konnte es mit dem schärfsten Rasiermesser aufnehmen.

Der Verkehr zwischen den Angehörigen der verschiedenen Korps
beschränkte sich auf die kalten, förmlichen Verhandlungen der
Chargierten behufs Vorbereitung der Mensuren. Kameradschaftlicher
Umgang zwischen Angehörigen verschiedener Korps wird nicht geduldet,
weil man glaubt, die Beteiligten würden dadurch die rechte Schneide und
den Eifer für die Mensur verlieren. Kurz vor dem Tage, an dem ein Korps
die Reihe trifft loszugehen, ruft dessen Präses Freiwillige zur Mensur
auf, worauf sich denn auch eine Anzahl meldet, die jedoch nicht unter
drei betragen darf. Die Namen der Betreffenden werden den Vorständen
der anderen Korps mitgeteilt, und diese sind dann bald in der Lage, die
entsprechende Anzahl von Mitgliedern ihrer Korps zu bezeichnen, welche
sich bereit erklären, die Forderungen anzunehmen. Heute war gerade die
Reihe zur Forderung an den Rotmützen; die Gegner, die sich gemeldet
hatten, gehörten verschiedenen anderen Korps an. Seit 250 Jahren
spielen sich nunmehr in diesem Raum in der hier beschriebenen Weise
die Mensuren zweimal in jeder Woche während sieben bis acht Monaten im
Jahre ab.

Wir waren eben mit den Weißmützen, von denen wir unsere Einladung
erhalten hatten, im Gespräch begriffen, als die beiden, die zuerst an
die Reihe kommen sollten, in ihrem -- deutschen Lesern wohlbekannten
-- abenteuerlichen Paukwichs von Kommilitonen aus einem Nebenzimmer
hereingeführt wurden. Nun drängte alles nach dem leeren Ende des
Saales, wo wir uns ebenfalls einen guten Platz verschafften. Die
Kämpfer traten einander gegenüber; um jeden derselben scharten sich
eine Anzahl Kameraden, um ihm nötigenfalls Beistand zu leisten; die
Sekundanten, gleichfalls bandagiert und den Schläger in der Hand,
traten ihnen zur Seite; der Unparteiische, der den Kampf zu überwachen
hatte, nahm seinen Platz ein; endlich trat noch ein Student mit der Uhr
und einem Notizbuch in der Hand, das die erforderlichen Einträge über
die Zeitdauer und die Zahl der Beschaffenheit der Schmisse aufnehmen
sollte, sowie der grauhaarige Paukarzt mit seinem Verbandzeug und
seinen Instrumenten auf den Plan. Für einen Augenblick herrschte jetzt
Ruhe, und sämtliche bei der Mensur Beteiligten traten der Reihe nach
auf den Unparteiischen zu, um demselben ihren achtungsvollen Gruß
darzubringen, worauf sie ihre Plätze wieder einnahmen. Nun war alles
bereit; den Vordergrund füllte dicht gedrängt die Schar der Zuschauer,
zum Teil auf Tischen und Stühlen stehend, die Blicke voll Spannung auf
den Kampfplatz gerichtet.

Mit blitzenden Augen maßen die Gegner einander; rings herrschte
atemlose Stille; ich erwartete nun, es werde recht bedächtig bei der
Sache zugehen. Aber ganz und gar nicht. Auf den Ruf ›los‹ sprangen die
beiden gegeneinander vor und ließen die Hiebe hageldicht und mit solch
blitzartiger Geschwindigkeit aufeinander niederregnen, daß ich die
Klingen in der Luft nicht mehr deutlich zu unterscheiden vermochte.
Das rasselnde Geräusch, das die Hiebe verursachten, wenn sie die
Waffe oder die Bandage des Gegners trafen, hatte etwas merkwürdig
Aufregendes, und es war mir ein Rätsel, daß die Waffe des Gegners unter
der Wucht derselben nicht abbrach. Plötzlich, mitten unter diesem
Hagel von Hieben, sah ich einen Büschel Haare von dem Kopf des einen
der beiden emporfliegen, als wären dieselben auf einmal losgegangen
und hätte der Wind sie weggeblasen. Die Sekundanten riefen ›Halt!‹ und
schlugen die Waffen der Kämpfer mit ihren eigenen zurück. Die letzteren
setzten sich, ein Kamerad besichtigte die Stelle und tupfte dieselbe
ein paarmal mit einem Schwamm ab; dann kam der Paukarzt, der das Haar
zurückstrich und eine blutige Schramme von zwei bis drei Zoll Länge
feststellte. Er befestigte einen Leinwandbausch und ein rundliches
Lederläppchen auf derselben, und der Schmiß wurde der betreffenden
Partei aufs Kerbholz geschrieben.

Jetzt stellten sich die Gegner wieder auf; dem Verletzten lief das Blut
in einem schmalen Streifen an dem ganzen Leib herunter bis auf den
Boden, allein er schien sich nichts daraus zu machen. Wieder hieß es
›Los!‹, und mit der gleichen Wucht wie zuvor regneten die Hiebe, so daß
die scharfäugigen Sekundanten den Kampf alle Augenblicke unterbrechen
mußten, weil ein Schläger verbogen war, der dann von einem Kameraden
wieder gerade gebogen wurde.

Das merkwürdige Kampfgetümmel nahm seinen Fortgang -- plötzlich stoben
die hellen Funken von einer der Klingen; dieselbe war in mehrere Stücke
zerhauen, von denen eines bis an die Decke flog. Wiederum wurde ein
frischer Schläger gebracht und der Kampf ging weiter. Natürlich war
dies eine furchtbare Anstrengung, und bald sah man den Kämpfenden
große Ermüdung an. Sie durften nun eine Weile ruhen, aber nur ganz
kurz; sie brauchten einander ja nur Schmisse zu geben, so hatten sie
allemal Zeit sich auszuruhen, bis der Doktor seinen Verband angelegt
hatte. Jede Mensur muß fünfzehn Minuten dauern, wofern die Kämpfer es
aushalten; die Pausen werden jedoch nicht mitgerechnet und so dauerte
die diesmalige nach meiner Schätzung reichlich zwanzig bis dreißig
Minuten. Schließlich wurde wegen Uebermüdung der Paukenden abgebrochen.
Blutbespritzt von Kopf bis zu Fuße führte man sie hinaus. Es war wacker
gefochten worden, und doch zählte die Mensur nicht, teils weil das
wirkliche Fechten keine volle fünfzehn Minuten gedauert, teils weil
keiner den Gegner vollständig abgeführt hatte. Sobald ihre Schmisse
geheilt waren, hatten die beiden der bestehenden Vorschrift gemäß
neuerdings loszugehen, bis die Sache endgültig ausgefochten war.

Während dieser Vorgänge hatte ich zeitweise ein paar Worte mit
einem jungen Mann von den Weißmützen gewechselt; dabei hatte er mir
mitgeteilt, daß er zunächst daran kommen werde und mir auch seinen
Gegner gezeigt, der ihn gefordert hatte und nun drüben an der andern
Wand lehnend mit einer Zigarette im Munde ruhig der Paukerei zuschaute.
Infolge der Bekanntschaft mit einem der Kämpfer sah ich der nächsten
Mensur mit einer Art von persönlichem Interesse entgegen. Ich wünschte
natürlich meinem Bekannten den Sieg und war sehr wenig erbaut, zu
hören, daß dazu keine Aussicht vorhanden sei, indem er zwar ganz gut
schlage, sein Gegner aber allgemein für entschieden überlegen gelte.

Sie gingen nun los und paukten nicht minder schneidig als ihre
Vorgänger. Obwohl ich ganz dicht dabei stand, war ich doch nicht
imstande zu sehen, ob ein Hieb saß oder nicht, so blitzschnell folgten
diese aufeinander. Sie schienen alle zu sitzen, der Schläger bog sich
jedesmal ganz von der Stirne aus über den Kopf des Gegners hin -- aber
es war Täuschung: jedesmal fing, ehe ich es zu sehen vermochte, dessen
Klinge den Hieb auf. Nach zehn Sekunden hatte jeder seinem Gegner zwölf
bis fünfzehn Hiebe beigebracht und ebensoviele davongetragen, von denen
jedoch keiner blutete. Dann wurde ein Schläger unbrauchbar, und es trat
eine kurze Ruhepause ein bis ein frischer zur Stelle war. Bald nach
Beginn des neuen Ganges hatte jeder einen schweren Kopfschmiß; beim
dritten Gang erhielt der Gegner meines Bekannten noch einen solchen,
während dem letzteren selbst die Unterlippe durchgehauen wurde; darauf
teilte derselbe noch mehrere schwere Schmisse aus, ohne seinerseits
einen nennenswerten zu erhalten. Nachdem die Mensur im ganzen fünf
Minuten gedauert hatte, wurde dieselbe vom Paukarzt unterbrochen;
die Verletzungen des Fordernden waren derart, daß jede weitere hätte
gefährlich werden können. Er sah schauerlich aus, und ich will auf
eine nähere Beschreibung lieber verzichten. So blieb wider Erwarten der
Sieg meinem Bekannten.

Die vierte und fünfte Mensur verliefen so blutig, daß der Paukarzt
beide nach ein paar Minuten unterbrechen mußte, um einer ernsten
Gefährdung von Leben und Gesundheit der Verletzten vorzubeugen. Beim
Anblick dieser klaffenden Wunden an Gesichtern und Köpfen überlief mich
jedesmal ein Schauder, und ich fühlte, wie mir das Blut aus den Wangen
wich; trotzdem mußte ich immer und immer wieder hinschauen. Bei der
letzten Mensur sah ich gerade mit an, wie dem einen die Nase aus dem
Gesicht gehauen wurde; nun denkt man vielleicht, hätte ich das vorher
gewußt, so würde ich nicht hingeblickt haben; aber nein -- der wilde,
aufregende Reiz des Kampfes wirkt unwiderstehlich. Es kommt öfters vor,
daß der Zuschauer ohnmächtig wird, und das ist auch wahrlich gar nicht
zu verwundern.

An den beiden letzten Paukenden hatte der Doktor so ungefähr eine
Stunde zu flicken -- dies sagt genug. Es war jetzt Mittag vorüber,
und so benutzte die übrige Gesellschaft diese Pause, um in größter
Munterkeit und Gemütlichkeit ihr Mittagsmahl an den Tischen ringsum
einzunehmen; dabei hörte und sah man durch die offene Thür, wie der
Doktor im Nebenzimmer drauf los schnitt, sägte und meiselte; es ließ
sich jedoch offenbar niemand den Appetit dadurch verderben. Ich sah ihm
eine Zeitlang dabei zu, hielt es aber nicht lange aus -- der fesselnde
Reiz des Kampfes fehlte hier zu sehr.

Endlich war der Doktor fertig, und die letzte Mensur des heutigen Tages
begann. Augenblicklich ließen alle ihr Essen stehen und drängten sich
um den Kampfplatz. Diesmal handelte es sich um eine Kontrahage, die
hier ausgefochten werden sollte. Die Gegner gehörten keinem Korps an,
hatten jedoch die Erlaubnis erhalten, deren Waffen zu belegen. Offenbar
waren dieselben mit der Führung des Schlägers besser vertraut als mit
dem Paukkomment; denn kaum hatte man ihnen die Plätze angewiesen, als
sie, ohne ein Kommando abzuwarten, wie wütend auf einander loshieben,
so daß unter ungeheurer Heiterkeit des ganzen Zuschauerkreises
die Sekundanten schleunigst dazwischen fahren mußten. Auch dieser
Mensur machte der Paukarzt bald ein Ende -- und damit war denn die
Tagesordnung erschöpft. Es war jetzt zwei Uhr nachmittags und ich war
seit 9½ Uhr morgens da. Der Kampfplatz hatte sich inzwischen völlig rot
gefärbt; doch mit etwas Sägmehl war dem bald abgeholfen. Vor meinem
Eintreffen hatte bereits eine Mensur stattgefunden, wobei der eine
zahlreiche Schmisse erhielt, während der andere ohne eine Schramme
davon kam.

Zehnmal hatte ich nun mit angesehen, wie einem der jungen Leute Kopf
und Gesicht kreuz und quer mit der scharfen zweischneidigen Klinge
zerhauen wurde, und dabei hatte keiner auch nur einmal gezuckt oder
den geringsten Laut oder ein sonstiges Zeichen des Schmerzes von sich
gegeben. Das hieß doch in der That echte und wahre Tapferkeit beweisen.
Von einem Wilden oder einem gewerbsmäßigen Preisfechter hätte man eine
solche Schmerzverachtung allenfalls erwarten können, aber bei diesen
unter sorgsamer Pflege aufwachsenden Jünglingen dieselbe in diesem
Maße zu finden, mußte doch wirklich überraschen; und nicht etwa nur
in der Aufregung des Kampfes legten sie diese Tapferkeit an den Tag;
nein, auch unter den Händen des Paukarztes in dessen totenstillen,
einsamen Zimmer zuckte keiner mit der Wimper, und auf der Mensur hieben
diese Bürschchen, nachdem sie einander mit blutenden Schmissen bedeckt
hatten, noch gerade so schneidig und mutig drauf los wie zuvor.

Man betrachtet im allgemeinen diese Studentenduelle als reines
Possenspiel: wohl wahr; faßt man aber ins Auge, daß es halbwüchsige
Knaben sind, die dieselben ausfechten, und zwar mit scharfgeschliffenen
Schlägern und mit ungeschütztem Kopf und Gesicht, so meine ich doch,
diese Posse habe auch ihre recht ernste Seite. Vielfach lacht man
darüber, weil man meint, die Studenten seien dabei so bepanzert, daß
sie keine ernstliche Verletzung bekommen können. Aber dem ist nicht
so: nur Augen und Ohren sind geschützt, im übrigen ist Kopf und
Gesicht völlig frei. Nicht selten muß der Paukarzt sich ins Mittel
legen, weil das Leben der Verletzten sonst allen Ernstes in Gefahr
käme. Beabsichtigt ist dieser Erfolg nicht, aber unglückliche Zufälle
sind nicht ausgeschlossen. So ist es schon manchmal vorgekommen,
daß ein Schläger abbrach und das abgebrochene Stück dem Gegner
hinters Ohr flog und dort eine Arterie durchschnitt, so daß der
Tod augenblicklich eintrat. Sodann waren früher die Achselhöhlen
ungeschützt, während zugleich die Schläger, die jetzt vorne stumpf
sind, damals spitz zugeschliffen wurden, so daß manchmal auch die
Verletzung einer Arterie in der Achselhöhle zum Tode führte. Ferner
fiel damals auch wohl gelegentlich einer der Umstehenden zum Opfer,
wenn ein Schläger absprang und ihn das wegfliegende Stück unglücklich
traf. Zur Zeit beträgt die Zahl der jährlichen Todesfälle infolge der
Studentenmensuren zwei bis drei, es lassen sich solche übrigens stets
auf verkehrtes Verhalten der Verletzten zurückführen. Nach allem dem
ist das Studentenduell doch so blutig und mit so viel Schmerz und
Gefahr verbunden, daß dasselbe eine nicht geringe Achtung beanspruchen
darf.

Die Gewohnheiten und Vorschriften, die für dasselbe gelten, beruhen
sämtlich auf einer edeln, sinnigen, natürlichen Ritterlichkeit, die
dieses würdige, kühne Kampfspiel mit einem gewissen altertümlichen Reiz
umgiebt und weit mehr an ein Turnier, als an ein Preisfechten gemahnt.
Die Vorschriften sind ebenso eigentümlich als strenge. Z. B. darf man
auf der Mensur von seinem Platze aus wohl vorgehen, wenn man will,
dagegen unter keinen Umständen ›kneifen‹, d. h. zurückweichen, oder
sich nur zurückbeugen, widrigenfalls der Betreffende unfehlbar wegen
Feigheit aus dem Korps ausgeschlossen wird. Sogar wer auf der Mensur
bei einem Schmiß nur einen Augenblick das Gesicht verzieht, wird als
›Hasenfuß‹ von sämtlichen Kommilitonen in Verruf gethan.

Wie überall, so spielt auch im Korpsleben die Gewohnheit neben dem
Gesetze eine wichtige Rolle und erweist sich oft noch mächtiger als das
letztere. So bestimmt der Präses aus der Zahl der Burschen, die sich
noch nicht freiwillig zu einer Mensur gemeldet haben, regelmäßig einige
zum Losgehen mit Angehörigen anderer Korps, und obwohl der allgemeinen
Versicherung zufolge keine Vorschrift besteht, wonach diese Bestimmung
angenommen werden müßte, ist mir doch von einer Ablehnung derselben
niemals etwas zu Ohren gekommen. In solchem Falle würde sich der
Betreffende einfach nicht länger im Korps halten können.

Ich hatte gedacht, die Verwundeten würden, nachdem sie verbunden seien,
sich zurückziehen, und war deshalb höchlich verwundert, zu sehen, wie
einer derselben um den andern wieder bei der übrigen Gesellschaft im
Pauklokal Platz nahm. Mein Bekannter blieb mit seiner frisch genähten
und über und über bepflasterten Unterlippe noch bei den drei übrigen
Mensuren zugegen und unterhielt sich in den Pausen mit uns, so schwer
ihm dies wurde; auch das Essen verursachte ihm die größte Mühe,
trotzdem verzehrte er während der Vorbereitung der letzten Mensur sein
Mittagsmahl bis auf den letzten Bissen, während derjenige, der die
schwersten Schmisse des ganzen heutigen Tages davongetragen hatte,
zur selben Zeit eine Partie Schach spielte, obgleich sein Gesicht und
Kopf unter Pflastern und Binden förmlich vergraben war. Offenbar sind
die jungen Leute im höchsten Grade stolz auf ihre Schmisse, denn man
begegnet ihnen überall in frisch verbundenem Zustand, unbekümmert um
die Folgen für ihre Gesundheit. Sollen doch manche unvernünftig genug
sein, ihre Schmisse im Gesicht von Zeit zu Zeit wieder aufzureißen
und mit Rotwein einzureiben, damit dieselben schlecht heilen und eine
möglichst sichtbare Narbe hinterlassen!

[Illustration]

Hat ein Korpsmitglied drei Mensuren ordnungsmäßig ausgefochten, so
erhält der Betreffende ein Band in den Korpsfarben, das er über der
Brust trägt. Von da an braucht er weder auf Bestimmung noch freiwillig
mehr loszugehen, sondern nur noch, falls er beleidigt wird. Allein
kein einziger macht von diesem Rechte Gebrauch. Man sieht fast nur
Korpsburschen, die das Band tragen, und dennoch kommen nach niedrigster
Berechnung auf jeden solchen im Durchschnitt sechs Mensuren im Jahre.
Dies zeigt am besten, welch geheimnisvollen Reiz dies kühne Kampfspiel
auf die akademische Jugend üben muß -- Bismarck soll, so berichtet man,
seinerzeit während eines einzigen Sommersemesters nicht weniger als
zweiunddreißig Mensuren ausgefochten haben! Kein Wunder auch, daß es
unter solchen Umständen einzelne zu einer wahren Berühmtheit in der
Führung des Schlägers bringen, und solche Leute werden dann oft weithin
auf fremde Universitäten eingeladen, um daselbst mit einem ebenbürtigen
Gegner in die Schranken zu treten.

Doch hinweg von diesen harmlosen Studentenscherzen! Wie so oft
im Leben heiterer Scherz und tragischer Ernst sich merkwürdig
nahe berühren, so trat auch an mich bald darauf die Notwendigkeit
heran, einem _echten_ Zweikampf beizuwohnen -- einem Zweikampf ohne
weibische Schutzvorkehrungen, auf Tod und Leben. Ich will denselben im
folgenden Kapitel beschreiben, und daraus wird der Leser inne werden,
welch himmelweiter Unterschied besteht zwischen einer possenhaften
studentischen Paukerei und einem ernsthaften Zweikampf zwischen
Männern! --


II.

Die wahre Geschichte des Duells zwischen Gambetta und Fourtou.

(1878.)

Wie sehr man sich auch von allen Seiten über die Einrichtung des
französischen Duells lustig machen mag, es ist und bleibt in
Wirklichkeit eines der ungesundesten Dinge der Welt. Da es unter allen
Umständen im Freien ausgefochten wird, so können die jedesmaligen
Gegner darauf schwören, daß sie sich aufs Gründlichste erkälten. Paul
von Cassagnac, der eingefleischteste Gewohnheitspaukant des derzeitigen
Frankreichs, hat auf diese Weise so häufig zu leiden gehabt, daß er
nachgerade ein ausgesprochener Invalide ist. Die besten Aerzte von
Paris sind sich vollständig einig darin, daß, wenn er sich nur noch
fünfzehn oder zwanzig Jahre so fort duelliert, ohne den Schauplatz
seiner Mensuren von allerlei Wäldern und Sümpfen nach einem eigens
dazu hergerichteten, behaglichen, geschlossenen Raum zu verlegen, er
leicht sein Leben gefährden könne. Diese Thatsache sollte genügen, um
allen den Mund zu stopfen, welche das französische Duell deswegen für
einen besonders gesunden Sport halten, weil es stets unter offenem
Himmel stattfindet und den Genuß der freien Luft mit allen Vorteilen
körperlicher Bewegung vereinigt. Die andere unsinnige Behauptung, daß
die französischen Duellanten infolgedessen unsterblich seien, würde
dann von selbst verstummen.

Doch zur Sache! Vom ersten Augenblick an, da ich von dem jüngsten
Aufeinanderplatzen der Herren Gambetta und Fourtou in der französischen
Kammer hörte, waren mir die ernstlichen Folgen klar. Eine lange
intime Bekanntschaft mit Herrn Gambetta hatte mir das unversöhnliche
und verzweifelte Wesen dieses Mannes enthüllt. Ich wußte, daß das
Verlangen nach Rache ihn bis zu den äußersten Spitzen und Ausläufern
seiner Persönlichkeit, welche bekanntlich von bedeutendem Umfang ist,
durchdringen würde.

Ich wartete nicht, bis er zu mir kam, sondern suchte ihn sofort in
seiner Wohnung auf. Wie ich erwartet hatte, fand ich den ritterlichen
Staatsmann im unerschütterlichsten französischen Gleichmut. Er raste
zwischen den zu Trümmern geschlagenen Möbeln seines Zimmers hin und
her, und ab und zu hielt er inne, um solche Stücke, die ihm noch nicht
klein genug erschienen, mit dem Fuße emporzuschleudern. Zwischen seinen
Zähnen knirschte ein Sprühregen von fragmentarischen Flüchen und
Verwünschungen hervor. Gelegentlich fuhr er sich auch mit beiden Händen
in die Haare, um eine Faust voll davon auszureißen und sie auf den
Tisch zu legen, wo sich bereits eine ganze Pyramide davon auftürmte.

Er schleuderte seine ausgebreiteten Arme um meinen Hals, riß mich über
seinen Bauch hinweg an sein Herz, küßte mich auf jede Wange, hob mich
fünf- oder sechsmal vom Fußboden empor und trug mich dann in ein andres
Zimmer, wo sich noch ganze Möbel befanden, um mich dort in seinen
eigenen Armsessel halb niederzusetzen, halb fallen zu lassen. Sobald
ich meinen Atem wiedergewonnen, kam ich sofort zum Geschäft.

[Illustration]

Ich sagte ihm, ich hätte vorausgesetzt, daß er mich zum Sekundanten
zu haben wünsche; worauf er sich abwendete und mit einer Stimme, die
teils vor freundschaftlicher Bewegung, teils vor Kampfeslust zitterte,
entgegnete: »Ich wußte es wohl!« Dann erklärte ich ihm, daß ich
ihm diesen Dienst nur unter einem angenommenen französischen Namen
leisten könne, um im Falle eines für ihn tödlichen Ausganges vor den
Verwünschungen meiner Landsleute gesichert zu sein. Bei diesen letzten
Worten zuckte er zusammen -- wahrscheinlich weil er aus denselben
entnahm, daß man in Amerika das Duell verwerfe. Er ließ mich jedoch
diese Unritterlichkeit meines Vaterlandes nicht entgelten und gab sich
mit meiner Bedingung zufrieden. Es wird jetzt jedermann erklärlich
sein, daß es in den Zeitungsberichten allgemein hieß, Herrn Gambettas
Sekundant sei anscheinend ein Franzose gewesen.

Hierauf schlug ich ihm vor, sein Testament aufzusetzen. Ich bestand
umsomehr darauf, als er in seinem blinden Kampfeseifer gar nicht
zu wissen schien, daß ein Duell, außer der tödlichen Haupthandlung
selbst, auch noch allerlei unerläßliche Nebensachen bedinge. Nachdem
ich nach längerem Streiten meinen ersten und seinen letzten Willen
endlich durchgesetzt hatte, wünschte er verschiedene ›Abschiedsworte‹
niederzuschreiben, um das passendste davon für seinen letzten
Augenblick auszuwählen.

»Wie würde sich,« fragte er, »vom rein deklamatorischen Standpunkt aus
der nachstehende Satz zu diesem Zweck eignen: ›Ich sterbe für meinen
Gott, für mein Land, für die Freiheit der Rede, für den Fortschritt und
für die allgemeine Verbrüderung der Menschen‹?«

Ich entgegnete, daß diese Phrase einen sehr langsamen Tod erfordern
würde; daß sie für einen an der Auszehrung Erlöschenden vortrefflich
sei; daß sie aber dem Bedürfnis eines von jäher Kugel Hingestreckten
durchaus nicht entspräche. Nachdem wir in ähnlicher Weise noch über
eine ganze Anzahl weiterer ~Antemortem~-Ausbrüche verhandelt hatten,
brachte ich ihn endlich dazu, sein ›Letztes Wort‹ auf den Satz: »Ich
sterbe, damit Frankreich lebe!« zusammenzustreichen, den er auch
sofort, um ihn auswendig zu lernen, in sein Notizbuch schrieb. So gut
mir der Satz auch an sich gefiel, so konnte ich doch die Bemerkung
nicht unterdrücken, daß er eigentlich keine Beziehungen zu den
vorliegenden Thatsachen habe, worauf er mich mit den Worten beruhigte,
daß es darauf bei ›Letzten Worten‹ gar nicht ankomme, sondern daß es
sich dabei lediglich um eine packende Phrase handle.

Sodann kamen wir zur Waffenfrage. Kaum war das Wort ›Waffen‹
meinerseits gefallen, als auch mein Freund die Hand auf den Leib
legte und mir sagte, er fühle sich nicht ganz wohl und überlasse
sowohl diese, wie alle noch zu erledigenden Einzelheiten ganz mir.
Ich wußte diese Gleichgültigkeit gegen Dinge von möglicherweise so
verhängnisvoller Tragweite nach Gebühr zu schätzen und zu bewundern,
und machte mich sofort an die Abfassung der nachstehenden, an die
Adresse von Herrn Fourtous Vertrauensmann gerichteten Zuschrift:

    »_Mein Herr!_ Herr Gambetta nimmt Herrn Fourtous Forderung
    an und beauftragt mich, Plessis le Piquet als Platz des
    Zusammentreffens vorzuschlagen. Zeit: Morgen früh bei
    Tagesgrauen. Waffen: Aexte. Ich bin mit Hochachtung der Ihrige

            _Mark Twain_.«

Der größeren Sicherheit halber trug ich diesen Brief selbst zu Herrn
Fourtous Freund. Er las und schauderte. Dann wendete er sich zu mir und
sagte mit strengem Ton:

»Und haben Sie auch in Erwägung gezogen, was das unvermeidliche
Ergebnis eines derartigen Zusammentreffens sein würde?«

»Zum Beispiel was?«

»Blutvergießen!«

»Das sollte es wohl sein! Was, wenn ich fragen darf, wäre Ihre Absicht,
zu vergießen, wenn nicht Blut?«

Damit hatte ich ihn fest. Er sah, daß er sich verrannt hatte, und
beeilte sich, seinen Mißgriff hinwegzuerklären. Er habe nur im Scherz
gesprochen, und setzte hinzu, sein Auftraggeber würde über Aexte
entzückt sein und sie jeder anderen Waffe vorziehen, wenn dieselben
nicht unglücklicherweise durch den französischen Ehrenkodex ein für
allemal ausgeschlossen seien. Ich müsse mich deshalb zu einem andern
Vorschlag entschließen.

Ich ging ein paarmal auf und nieder und überlegte, wozu ich mich
entschließen sollte. Es war das angesichts der Wucht des vorliegenden
Falles keine Kleinigkeit. Plötzlich schoß mir der rettende Gedanke
durch den Kopf, daß Gatling-Kanonen sehr wohl dazu angethan seien, auf
fünfzehn Schritt selbst eine so gewichtige und verwickelte Ehrenfrage
für immer zu lösen, und formulierte diesen Gedanken sofort zu einem
neuen Vorschlag. Aber auch damit sah ich mich zurückgewiesen, und
wieder war es der französische Ehrenkodex, welcher mir im Wege stand.
Hierauf sprach ich mich für Chassepotgewehre, sodann für doppelläufige
Flinten und schließlich für Kavallerierevolver aus. Eins nach dem
andern wurde zurückgewiesen, und nachdem ich halb erschöpft eine
weitere halbe Stunde nachgedacht hatte, schlug ich, von plötzlichem
sarkastischem Mutwillen übermannt, Ziegelsteine auf dreiviertel Meilen
vor.

Von jeher ist mir nichts widerwärtiger gewesen, als einen guten oder
schlechten Witz an einen Menschen zu verschleudern, der für keines
von beiden das leiseste Verständnis hat. Ich bin daher noch heute
außer stande, den Ingrimm zu beschreiben, welcher mich erfaßte, als
ich den Mann im vollsten Ernst mit dem Kopf nicken und hinweggehen
sah, um meinen letzten Vorschlag Herrn Fourtou zu unterbreiten. Nach
einigen Minuten erschien er wieder und meldete mir, ohne mit einer
Wimper zu zucken und in der geschäftsmäßigsten Weise der Welt, daß
sein Duellant von der Idee mit den Ziegelsteinen auf dreiviertel Meilen
ganz begeistert sei, und daher um so mehr bedaure, darauf verzichten
zu müssen aus Rücksicht für die ganz und gar unschuldigen und an der
Sache unbeteiligten Personen, welche zur Zeit des Duells nicht umhin
könnten, zwischen den beiden Kämpfern hindurch zu gehen. Ich mußte ihm
recht geben, ohne jedoch fähig zu sein, noch einen weiteren Vorschlag
zu machen.

»Ich bin jetzt mit meiner Weisheit zu Ende,« sagte ich
zusammenknickend. »Vielleicht würden Sie so gut sein und mir irgend
eine Waffe namhaft machen, welche der Würde dieses historischen
Vorgangs ebenso entspräche, wie dem unverkennbaren Wunsch der beiden
Gegner, einander zu töten. Vielleicht fällt Ihnen eine solche ein --
oder haben wohl Sie schon die ganze Zeit über eine im Auge gehabt?«

Sein Antlitz verklärte sich und er rief mit aufatmender
Bereitwilligkeit:

»Gewiß, mein Herr! Bei der großen Rolle, die der Ehrenpunkt im
öffentlichen französischen Leben spielt, sind wir stets für solche
Fälle gerüstet.« Und er begann mit Fingern und Händen, welche vor
Aufregung zitterten, eine Jagd durch seine Taschen -- eine Hetze von
Tasche zu Tasche, welche ihn über das ganze Revier seines Anzuges
führte, deren Erfolglosigkeit jedoch in den mehrfach gemurmelten
Worten: »Was habe ich nur damit angefangen?« ihren Ausdruck fand.
Aber er ließ sich durch diese ersten verfehlten Versuche nicht
einschüchtern, und so gelangte er schließlich in einen inneren
weltentlegenen Schlupfwinkel von Westentäschchen, aus dem er
triumphierend ein paar kleine Dinge herauszog, die ich ans Fenster trug
und in der dort herrschenden besseren Beleuchtung als dem Geschlecht
der Pistolen angehörend erkannte. Es waren einläufige Terzerole, ganz
und gar mit Silber beschlagen und wirklich die niedlichsten und
zierlichsten Spielzeuge dieser Art, welche ich je gesehen. Ich war vor
Erstaunen sprachlos. Da ich aber doch eine Meinung äußern mußte, so
nahm ich die eine der beiden angeblichen Pistolen und befestigte sie an
meiner Uhrkette. Die andere gab ich dem Sekundanten des Herrn Fourtou
zurück, welcher sie in seinem Portemonnaie in Sicherheit brachte.
Gleichzeitig entnahm er demselben eine zusammengelegte Briefmarke,
faltete sie auseinander und brachte ein paar kleine, pillenartige
Gebilde zu Tage, von denen er eines mit dem Bemerken, daß dies die dazu
gehörende Patrone sei, im Innern meiner hohlen Hand verschwinden ließ.
Ich fragte meinen Verbrechensgenossen, ob er gesonnen sei, unseren
Duellanten nur je einen Schuß zu erlauben, worauf er mir erwiderte, daß
der französische Ehrenkodex nicht mehr gestatte. Hierauf ersuchte ich
ihn, die Entfernung zu bestimmen, drückte mich jedoch, da unter dem
Eindruck unsrer Verhandlungen meine geistige Klarheit getrübt zu werden
begann, so dunkel aus, daß ich von ›Schritten‹ sprach und Zahlen, wie
›drei‹ und ›fünf‹, fallen ließ. Erst als ich ihn ohne jede vorgreifende
Bestimmung meinerseits einfach bat, seine Distanz zu nennen, verstand
er mich und sagte mit dem Tone eines Mannes, welcher die ungeheure
Verantwortlichkeit, die er damit auf sich nahm, voll empfand:

»Fünfundsechzig Meter!«

Das brachte mich insofern wieder zu mir, als ich die Geduld verlor. Ich
rief:

»Fünfundsechzig Meter -- mit diesen Säuglingspistolen da? Geladene
Zahnstocher würden auf fünfzig Meter tödlicher sein. Vergessen Sie denn
ganz, mein Herr, daß Sie und ich dazu berufen sind, den gegenseitigen
Mord unsrer Auftraggeber zu vermitteln, oder doch wenigstens denjenigen
des einen mit allen Kräften sicher zu stellen, -- und nicht dazu, beide
mit Gewalt unsterblich zu machen!«

Aber mit aller Ueberredungskunst und selbst aller Heftigkeit vermochte
ich nicht, mehr von ihm zu erreichen, als eine Verminderung der
Entfernung auf fünfunddreißig Meter, und selbst dieses Zugeständnis
wurde mit höchstem Widerstreben und einem Gesicht gemacht, als sei
es der Mord in seiner hoffnungslosesten Gestalt, der durch dieses
Nachgeben besiegelt würde.

»Ich wasche meine Hände in Unschuld -- _die_ Schlächterei komme auf Ihr
Haupt!«

Damit waren wir fertig und ich konnte zu meinem Löwen in dessen Höhle
zurückkehren, um ihm das demütigende Ergebnis meiner Verhandlungen
mitzuteilen. Als ich eintrat, schleuderte Herr Gambetta eben seine
letzte Locke auf die zur Höhe von anderthalb Fuß von ihm emporgeraufte
Haarpyramide, von welcher ich bereits gesprochen. Mit einem Satz sprang
er mir bis zur Schwelle entgegen:

»Sie haben die Todesveranstaltungen getroffen -- ich lese es in Ihren
Blicken!«

»Ich habe mein Bestes versucht --«

Er erblaßte, als ob er die ganze Beschämung ahne, welche ich für ihn
in Bereitschaft hatte, und lehnte sich, um seiner bevorstehenden
Entrüstung besser Herr werden zu können, gegen den Tisch. Nach ein paar
schweren Atemzügen flüsterte er heiseren Tones:

»Die Waffen, die Waffen! Schnell! Was für Waffen hat man gewählt?«

»Diese hier,« rief ich, indem ich mich aufraffte und allen weiteren
Umschweifen dadurch aus dem Wege ging, daß ich ihm meine Uhrkette mit
ihrem kleinen silberbeschlagenen Anhängsel hinhielt. Er warf nur einen
Blick darauf, dann stürzte er schwer und massiv zu Boden. Das ganze
Zimmer teilte seine Erschütterung. Ich wollte eben Hilfe herbeiholen,
als er zum Glück auch schon wieder zu sich kam und die Worte ausstieß:

»Die unnatürliche Ruhe, welche ich mir bisher aufgezwungen habe, hat
meine Nerven erschöpft. Jetzt fort mit aller Schwäche! Ich will meinem
Schicksal die Stirn bieten, wie ein Mann und Franzose!«

Er erhob sich und nahm, nachdem er nicht ohne Kampf das Gleichgewicht
gewonnen, eine Stellung an, deren Erhabenheit nie von einem andern
Menschen erreicht und nur in ein paar Ausnahmsfällen von Statuen
übertroffen worden ist. Dann sagte er in einem tiefen Ton, der ihm, so
oft er desselben bedarf, so wunderbar zu Gebot steht:

»Sie sehen, ich bin ruhig, ich bin bereit. Nennen Sie mir die
Entfernung!«

»Fünfunddreißig Meter!« sagte ich halblaut und die Augen
niederschlagend.

[Illustration]

Selbst in dieser beschwichtigenden Weise vorgebracht, traf ihn meine
Enthüllung auf das Fürchterlichste. Diesmal blieb er länger liegen.
Da ich mit meiner einfachen Menschenkraft außer stande war, den
gestürzten Herkules aufzuheben, rollte ich den Halbgott derartig herum,
daß er auf den Bauch zu liegen kam, worauf ich ihm Wasser zwischen Hals
und Rockkragen goß, welches bald das ganze Gebiet seines Rückens nebst
den dazu gehörigen Hinterländern überrieselte und ihn wieder zu sich
brachte.

»Fünfunddreißig Meter!« stöhnte er. »Und ohne jede Zugabe, wie sie bei
jedem ordentlichen Ellengeschäft selbstverständlich ist!? Doch wozu
fragen? Da einmal Mord die eingestandene Absicht des Mannes ist --
warum sollte er sich mit solchen Kleinigkeiten abgeben? Aber merken Sie
sich eins: Die Welt wird in meinem Fall ein Beispiel von dem erleben,
was französische Ritterlichkeit unter Sterben versteht.«

Nach einem längeren und peinlichen Stillschweigen fragte er:

»Kam denn nicht wenigstens der Umstand zur Sprache, daß jener Mann zwar
Familienvater ist, wogegen ich eine ganz andere Körpermasse in die
Wagschale lege? Meinetwegen, es kann nicht meine Sache sein, auf diesen
Vorteil hinzuweisen, den er vor mir voraus hat. Wenn er nicht selbst
so viel Anstand hat, wohlan, so möge er sich einen Umstand zu nutze
machen, von welchem kein Ehrenmann profitieren sollte, ohne zu erröten!«

Er sprach es mit unbeschreiblicher Bitterkeit. Dann versank er in
eine Art dumpfen Brütens, welches ihn trefflich kleidete und das
mehrere Minuten dauerte. Nach Ablauf desselben machte er eine erneute
Anstrengung, etwas Unerhörtes mit der Fassung eines Helden hinzunehmen,
indem er fragte:

»Und die Stunde? Welche Stunde ist bestimmt, das Zusammentreffen noch
verhängnisvoller zu machen, als es an sich schon ist?«

»Morgen früh, beim Tagesgrauen.«

»Ich war darauf gefaßt,« rief er. »Aber ich sage Ihnen, es ist ein
Wahnsinn. In meinem ganzen Leben habe ich mich zu einer solchen
Tageszeit noch nicht töten lassen. Es ist eine Stunde, zu welcher ja
noch nicht ein einziger Mensch draußen ist!«

»Eben deswegen wählte ich sie. Oder -- verstehe ich Sie recht --
wünschen Sie eine Zuschauerschaft zu haben?«

»Es ist keine Zeit zu müßigen Fragen. Ich begreife nicht, wie Herr
Fourtou sich bereit finden lassen konnte, einer solchen Neuerung
seine Zustimmung zu geben. Gehen Sie augenblicklich zurück zu ihm und
bestehen Sie auf einer späteren Stunde!«

Ich eilte die Treppe hinunter und öffnete eben die Hausthüre, um auf
die Straße zu treten, als ich dem Vertrauensmann des Herrn Fourtou fast
in die Arme stürzte. Er sagte:

»Ich komme, um Ihnen mitzuteilen, daß mein Freund auf das
allerentschiedenste gegen die gewählte Stunde Einsprache erhebt und um
Ihre Zustimmung ersucht, daß dieselbe auf halb zehn verlegt werde.«

Ich machte unwillkürlich ein Gesicht, als zwänge man mich, in einen
Apfel von unberechenbarer Säure zu beißen. Nachdem ich jedoch Herrn
Fourtous Sekundanten etwa fünf Minuten mit steigender Aengstlichkeit an
meinen Mienen hatte hängen lassen, verbeugte ich mich und sagte:

»Eine jede Gefälligkeit, welche wir Ihnen erweisen können, sei hiermit
Ihnen und Ihrem ausgezeichneten Freunde zugestanden. Wir stimmen der
gewünschten Verlegung der Stunde um so lieber zu, als dieselbe ja mit
dem unvermeidlichen Schlußergebnis des Zusammentreffens nichts zu thun
hat.«

»Darf ich Sie bitten, den Dank meines Auftraggebers entgegenzunehmen?«
Er wartete keine Antwort ab, sondern kehrte sich um und rief einem
dicht hinter ihm stehenden Herrn zu: »Liebster Noir, haben Sie es
gehört, die Zeit ist auf halb zehn festgesetzt -- auf halb zehn!«
Worauf Herr Noir sich mit ein paar gemurmelten Dankesworten verneigte
und davonschoß. Mein Mitsekundant wendete sich wieder mir zu.

»Wenn es Ihnen genehm ist, können sich Ihre Hauptärzte und die unsrigen
in einer und derselben Kutsche nach der Kampfstätte begeben. Eine alte
Sitte will es so.«

»Auch ohne die alte Sitte würde mir das vollkommen passen. Es
ist genug, daß die beiden Gegner einander als tödliche Feinde
gegenüberstehen; warum sollte auch noch zwischen den nur indirekt
Beteiligten ein Abgrund des Mordes aufgähnen? Aber wenn ich recht
hörte, sprachen Sie von Hauptärzten auf beiden Seiten. Darf ich fragen,
wie viele davon ich für uns zu besorgen habe? Werden zwei oder drei
genügen?«

»Zwei für jede Partie ist die übliche Anzahl. Ich meinte jedoch damit
nur die ›Hauptärzte‹. Was die bei der hohen Stellung der Duellanten
unerläßlichen konsultierenden Aerzte anlangt, so wünsche ich Sie in
betreff der Zahl derselben durchaus nicht zu beschränken, sondern
möchte nur den Wunsch aussprechen, daß Sie aus den höchsten Zierden der
Pariser Wissenschaft auswählen. Dieselben haben nicht in gemeinsamen
Wagen zu fahren, sondern pflegen sich ihrer eigenen Equipagen zu
bedienen. Und nun noch eine wichtige Frage -- haben Sie bereits den
Leichenwagen engagiert?«

»Der Himmel erleuchte meinen vergeßlichen Kopf!« rief ich beschämt
aus. »Aber ich habe wahrhaftig nicht daran gedacht. Dafür soll es
auch jetzt das Allernächste sein, was ich besorge. Sie müssen schon
Nachsicht mit mir haben, und ich fürchte allen Ernstes, daß meine
Unwissenheit und Vergeßlichkeit Ihnen bereits mehr als ein innerliches
Lächeln entlockt hat. Versuchen Sie den Mantel christlicher Liebe und
den Schild französischer Ritterlichkeit darüber zu decken. Es ist das
erstemal, daß ich etwas mit dem hochzivilisierten Duell im Herzen der
modernen Kultur zu thun habe. Ich habe reiche Duellerfahrungen an der
pazifischen Küste, in Kalifornien und Nevada gesammelt, aber ich sehe
erst jetzt, wie roh und primitiv die Menschen dort in der Erledigung
ihrer Ehrenhändel sind. Ein Leichenwagen -- pah! Wir waren gewohnt,
die Toten, welche dort bei keinem Zweikampf ausbleiben, zerstreut,
wie sie gefallen waren, liegen zu lassen und ihre Fortschaffung denen
anheimzugeben, die gerade ein Interesse daran hatten. Haben Sie mich
noch auf etwas aufmerksam zu machen?«

»Auf nichts; es sei denn, daß auch die beiden Haupttotengräber, wie
die beiden Hauptärzte, in einem Wagen sich dem Zuge nach der Wahlstatt
anzuschließen haben. Deren Gehilfen können gehen und die Prozession zu
Fuß beschließen. Ich selbst werde Sie morgen um 8 Uhr abholen und mit
Ihnen die Reihenfolge des Zuges anordnen. Bis dahin habe ich die Ehre,
mich Ihnen zu empfehlen.«

       *       *       *       *       *

Nachdem ich meine Geister, von welchen ich fühlte, daß sie mir mehr
und mehr entschlüpften, ein wenig gesammelt hatte, stieg ich zu Herrn
Gambetta empor. Er schien sich in den Gedanken an alle möglichen
weiteren Zumutungen demütigender Natur ergeben zu haben und fragte nur:

»Wann hat die Tragödie zu beginnen?«

»Um halb zehn!«

Er atmete auf, offenbar, weil ich nicht ›um zwölf Uhr‹ geantwortet
hatte, zu welcher Zeit eine Störung durch das alsdann noch zahlreicher
ausgerückte Publikum ganz unvermeidlich gewesen wäre. Um so
befremdender war es mir, daß er im selben Atem hinzusetzte:

»Haben Sie die Zeitungen benachrichtigt?«

»Herr!« rief ich mit unwillkürlicher, nicht zurückzudrängender
Indignation. »Wie können Sie mich nach unserer langen und herzlichen
Freundschaft einer solchen Verräterei für fähig halten?«

»Pst, Pst!« machte er beschwichtigend. »Habe ich Sie verletzt? Ach,
ich sehe es wohl, ich überbürde Sie mit Aufträgen. Vergessen Sie, was
ich da eben sagte, und begnügen Sie sich mit den übrigen Punkten Ihrer
Liste. Uebrigens wird der Bluthund von Fourtou schon dafür gesorgt
haben. Im Notfalle könnte ich es auch allein -- ja ich will es sogleich
selbst thun -- eine Zeile an Herrn Noir genügt --«

»Noir?« unterbrach ich ihn. »Die Mühe können Sie sich ersparen.
Herr Noir ist soeben von dem andern Sekundanten unterrichtet worden
und befindet sich mit der Neuigkeit bereits auf dem Wege zu allen
Redaktionen.«

»Hm, -- das hätte ich wissen können. Es sieht diesem Fourtou ganz und
gar ähnlich, aus einem Ehrenhandel eine öffentliche Komödie zu machen.«

       *       *       *       *       *

Wenige Minuten vor halb zehn Uhr näherte sich am andern Tage ein
feierlicher Zug in der nachstehenden Ordnung dem Felde von Plessis le
Piquet. Zuerst unser Wagen mit dunkeln Vorhängen, welche sorgfältig
so weit zugezogen waren, daß man Herrn Gambetta noch recht gut von
außen erkennen konnte. Er hatte niemanden bei sich, als mich und
eine weiße Rosenknospe im Knopfloch. Nach uns eine ähnliche Kutsche
mit Herrn Fourtou und seinem Sekundanten. Hierauf ein Wagen mit zwei
dichterischen Rednern aus der Schule Viktor Hugos, welche dicke
Manuskripte für den Fall einer auf offenem Felde zu improvisierenden
Leichenrede bei sich hatten. Dann der Wagen mit den Hauptärzten und
mächtigen Kasten voll chirurgischer Instrumente. Ferner acht Kutschen
mit konsultierenden Aerzten und Wundärzten. Hierauf die beiden
Leichenwagen mit sechs Pferden bespannt, denen die Kutsche mit den
Totengräbern folgte. Und endlich die lange Reihe der Gehilfen der
letzteren, welchen sich eine unabsehbare und stets wachsende Menge
von Bummlern, anständigen Spaziergängern, persönlichen Freunden der
Duellanten, Berichterstattern und Polizisten angeschlossen hatte.
Leider lag ein brettdichter Nebel über der Landschaft, welcher von dem
Zug nie mehr als ein paar Meter auf einmal erkennen ließ. Bei etwas
reinerem Wetter wäre es ein wahrhaft großes und erhebendes Schauspiel
gewesen.

Ein allgemeines Schweigen herrschte. Ich versuchte einigemale, mit
meinem Freunde zu sprechen. Aber er bemerkte es nicht, so sehr war er
in sein Notizbuch vertieft, über welches gebeugt er von Zeit zu Zeit
die Worte murmelte: »Ich sterbe, damit Frankreich lebe!«

Als wir an der Wahlstatt angekommen waren, war mein erstes, daß
ich durch den jetzt völlig greifbar gewordenen Nebel auf eine
Entdeckungsreise nach dem andern Sekundanten ausging und nach seiner
glücklichen Auffindung mich mit ihm daran machte, die Entfernung von
fünfunddreißig Metern abzuschreiten. Daß dies bei dem herrschenden
Wetter zu einer ganz nichtssagenden Förmlichkeit herabsank, konnte uns
in dem Ernst, womit wir uns ihrer entledigten, nicht stören. Nachdem
wir mit dem Abmessen der Distanz fertig waren, begab ich mich zu Herrn
Gambetta und fragte ihn, ob er bereit sei. Er schien mich zuerst
durch den dicken Nebel hindurch nicht zu verstehen, dann, als er mich
verstand, dehnte er sich zu seiner vollen Weite aus und rief mit
starker, selbst den am fernsten Stehenden vernehmlicher Stimme:

»Fertig! Man lasse die Batterien laden!«

Das Laden wurde in der Gegenwart von zwei fachmännischen Zeugen,
nachdem sie sich mit ihren Augengläsern von der Existenz und
Beschaffenheit der beiden Patronen überzeugt hatten, besorgt. Wegen der
uns umgebenden Nebelnacht waren wir gezwungen, uns der Hilfe einer von
unserer Kutsche herbeigeholten Laterne zu bedienen. Als wir endlich
fertig geworden waren und eben an das blutige Werk schreiten wollten,
verursachte die Polizei eine Störung. Sie hatte die Entdeckung
gemacht, daß das Publikum von allen Seiten in den Bannkreis des
Kampfplatzes eingedrungen war und bat deshalb um Erlaubnis, vor Beginn
des Schießens diese guten und völlig unschuldigen Leute in Sicherheit
bringen zu dürfen. Es wurde bewilligt und die Sicherheitsbeamten
teilten die zahllose Menschenmenge in zwei Hälften, von denen sie die
eine dicht hinter Herrn Gambetta, die andere dicht hinter Herrn Fourtou
zusammentrieben.

Da es immer finsterer wurde, hatten mein Gegensekundant und ich
verabredet, unmittelbar vor dem verhängnisvollen Zeichen ein Hallo-Hoh
auszustoßen, damit jeder von den Duellanten ungefähr wisse, wo sich
sein Gegner befände. Nachdem dies geschehen, begaben wir uns zu unsern
beiderseitigen Kämpfern. Ich fand den meinigen, den ich so mutvoll
verlassen, im vollsten Kampf mit der ihn umgebenden Dunkelheit und
einer inneren Verfassung, welche kaum weniger finster war. Ich that
mein Bestes, ihn aufzurichten, indem ich ihm versicherte, daß trotz
dieses abscheulichen Nebels, in den wir uns verrannt hatten, doch ganz
Frankreich auf ihn blicke. »Und dann,« setzte ich tröstend hinzu, »die
Dinge sind gar nicht so schwarz, wie sie aussehn. Die Beschaffenheit
der Waffen, die verhältnismäßig beschränkte Zahl der Schüsse, die
rücksichtsvolle Entfernung und die Gediegenheit dieses sonst so
unzeitgemäßen Nebels lassen im Verein mit der weiteren Thatsache,
daß der eine Gegner einäugig ist,[6] während der andre schielt und
kurzsichtig ist, immerhin die Annahme zu, daß dieser Zweikampf nicht
absolut tödlich ausfallen muß. Es liegt sogar die Möglichkeit vor, daß
Sie beide das Duell überleben. Fort daher mit dieser letzten Anwandlung
von Schwäche, und seien Sie ganz wieder, was Sie sind!«

    [6] Gambetta war auf einem Auge blind.

Diese Worte machten sichtlichen Eindruck. Wieder dehnte sich mein Mann
zu seiner ganzen Massenhaftigkeit aus und rief, die Hand ausstreckend:

»Ich bin wieder ich selbst! Man gebe mir das tödliche Geschoß!«

Ich legte es in die weite Innenfläche dieser fleischigen Riesenhand,
welche bestimmt war, einst die Zügel der republikanischen Regierung
Frankreichs zu führen. Er bückte sich darüber hin und schauderte.

»Ach,« murmelte er, »mein Freund, es ist nicht der Tod, den ich
fürchte, sondern die Verstümmlung!«

Aufs neue sprach ich ihm Mut ein und wieder mit solchem Erfolg, daß er
in die Worte ausbrach:

»So beginne denn die Tragödie! Stellen Sie sich hinter mich und stemmen
Sie sich gegen meinen Rücken. Der Boden ist hier von dem feuchten
Wetter so schlüpfrig, und wir stehen beide zusammen ungleich fester in
einer so feierlichen Stunde der Geschichte Frankreichs, mein Freund!«

Ich sagte ihm dies zu, dann richtete ich seinen Arm mit der erhobenen
Pistole auf die Stelle im Nebel, wo ich unsern Gegner vermutete. Ich
ermahnte ihn, genau auf das Hallo-Hoh des Gegensekundanten zu hören und
die Richtung seiner Pistole danach zu verändern, wenn es nicht von der
Stelle käme, wo wir hinhielten. Hierauf trat ich hinter ihn, stemmte
mich mit aller Kraft gegen seinen gigantischen Rücken und stieß mein
verabredetes Hallo-Hoh aus. Es wurde prompt von irgend woher im Nebel
beantwortet, und nun klang das Kommando:

»Eins -- zwei -- drei -- Feuer!«

Zwei Detonationen, welche genau so klangen, als habe einer unsrer
amerikanischen Hinterwäldler zweimal hintereinander seinen Tabakssaft
auf einen glühenden Ofen geschleudert, verloren sich im Nebel, und
gleich danach brach Herr Gambetta mit solcher Wucht zusammen und über
mich herein, daß mir Hören, Sehen und Atmen verging. Begraben und
regungslos, wie ich lag, hörte ich nur, wie sich aus dem über mir
zusammengeballten Fleischberg unverständliche Töne hervorarbeiteten,
welche endlich bestimmter wurden und schließlich wie die Worte klangen:
»Ich sterbe -- ich sterbe für das -- zum Teufel, wo ist mein Notizbuch?
ich -- sterbe -- ja für was nur? -- für Frankreich -- Frankreich, so
ist’s! -- ich sterbe, damit Frankreich lebe!«

[Illustration]

Im nächsten Augenblick umschwärmte uns eine ganze Wolke von Aerzten und
Totengräbern, von denen die ersteren mit zahllosen Händen, Instrumenten
und Augengläsern Herrn Gambettas ganze Oberfläche abjagten, um die
Wunde zu finden, welcher Frankreich das Leben verdanken sollte. Nur zu
bald überzeugten sie sich, daß nichts Derartiges vorhanden war, und
nachdem man mich unter meiner lebenden Last hervorgezogen und diese auf
ihre beiden Beine gestellt, folgte eine Scene, deren Schilderung einer
andern Dichterkraft würdig ist, als sie meiner schwachen und überdies
etwas pessimistischen Feder innewohnt.

Die beiden Duellanten fielen sich unter einer Flut von Thränen des
Stolzes und der Freude um die Hälse. Der andre Sekundant hatte
keine Augen und kein Erbarmen für meinen Zustand und umarmte mich
gleichfalls. Die Aerzte, die Totengräber, die Leichenredner, die
Polizisten, das ganze Publikum -- alles umarmte sich, und ein Jubel
erfüllte den Nebel, daß selbst dieser gerührt wurde, sich verzog und
die Sonne auf das herrliche Schauspiel, dessen tragischere Hälfte er
ihr so wohlmeinend entzogen hatte, ungehindert herabblicken ließ.

Obgleich ich eine Empfindung hatte, als ob während der kurz
vorhergegangenen Minuten alle Rippen und Knochen meines Leibes
gebrochen worden seien, konnte ich doch den beseligenden Gedanken nicht
unterdrücken, daß es schöner sein müsse, der Held eines französischen
Duells zu sein, als selbst ein gekrönter und bescepterter Monarch.

Nachdem die allgemeine Aufregung ein wenig nachgelassen hatte, hielten
die anwesenden Aerzte eine Massenversammlung ab, deren Zweck eine
Konsultation über die Verletzungen war, welche ich erlitten hatte.
Nach einer halben Stunde kamen sie zu dem Schluß, daß dieselben bei
guter Pflege und gewissenhafter Behandlung nicht unbedingt tödlich
seien. Am ernstlichsten waren die inneren Beschädigungen, welche ich
davongetragen hatte, was sich freilich erst herausstellte, als ich nach
Paris zurückgekehrt war und meinen eigenen Arzt hatte rufen lassen,
welcher die Entdeckung machte, daß eine von den drei gebrochenen
Rippen meinen linken Lungenflügel durchbohrt habe, während von meinen
übrigen Organen mehrere unter dem Drucke sich verschoben hätten,
so daß es sehr zweifelhaft sei, ob sie jemals lernen würden, ihre
natürlichen Funktionen an so ungewohnten Stellen auszuüben. Auf dem
Duellplatz selbst hatte man sich begnügt, mir den an zwei Stellen
gebrochenen rechten Arm in einen Notverband zu legen, das verrenkte
linke Knie wieder einzurichten, und die aus meiner Nase schießenden
Blutströme, von denen auch mein Gegensekundant bei seiner Umarmung
auf das reichlichste profitiert hatte, zu stillen. Obgleich mir dabei
einigemale das Bewußtsein verging, fühlte ich mich doch unwillkürlich
durch das allgemeine Interesse, welches ich einflößte, gerührt, und das
stolze Bewußtsein, der erste und einzige Mann zu sein, welcher seit
Jahren bei einem französischen Duell ordentlich verwundet worden war,
gab mir Kräfte, alle Schmerzen siegreich zu überstehen.

Seitdem gehe ich langsam der Genesung entgegen, obgleich ich noch heute
nicht so weit bin, diese harmlosen, aber wahrhaften Aufzeichnungen
niederzuschreiben. Ich muß sie diktieren. Im übrigen bin ich von
Aufmerksamkeiten erdrückt worden. Selbstredend ist das Kreuz der
Ehrenlegion nicht ausgeblieben; -- wer entgeht demselben im derzeitigen
republikanischen Frankreich?

Und doch habe ich mir eine Lehre aus meinem Anteil an dem großen
Gambetta-Fourtou-Duell gezogen. Ich werde nie zurückschrecken, _vor_
einem französischen Duellanten zu stehen, -- _hinter_ einen aber soll
mich keine Gewalt der Erde mehr bekommen!



Eine Beobachtung in Paris.


Der Pariser reist nur wenig, er versteht keine Sprache als die seinige,
liest nur einheimische Bücher und ist infolgedessen recht beschränkt
und selbstzufrieden. Doch seien wir gerecht; es giebt Franzosen, die
auch fremde Sprachen verstehen: die Kellner. Unter anderem verstehen
sie auch englisch; allerdings auf ihre Art -- sie können es sprechen,
aber nicht verstehen. Sie machen sich leicht verständlich, aber es ist
fast unmöglich, einen englischen Satz so auszudrücken, daß sie fähig
wären, ihn zu verstehen. Sie glauben und behaupten, ihn zu verstehen,
verstehen ihn aber nicht. Nachstehende Unterredung hatte ich mit
einem dieser Menschen; ich schrieb dieselbe seinerzeit nieder, um sie
aufzubewahren.

_Ich._ Das sind schöne Orangen. Wo sind sie her?

_Er._ Mehr? Ich werde gleich welche bringen.

_Ich._ Nein, bringen Sie keine mehr; ich möchte nur wissen, wo sie her
sind -- wo sie gewachsen sind.

_Er._ Ja? (mit unerschütterlich gleichgültiger Miene.)

_Ich._ Ja. Können Sie mir sagen, aus welchem Lande sie sind?

_Er._ Ja? (lächelnd, mit stärkerer Betonung.)

_Ich_ (entmutigt). Sie sind sehr erfrischend.

_Er._ Guten Abend. (Verbeugt sich und entfernt sich sehr befriedigt.)

Der junge Mann hätte ein guter ›Engländer‹ werden können, wenn er
sich ordentlich Mühe gegeben hätte; aber er war Franzose und wollte
das nicht. Wie ganz anders bei unsern Leuten! Sie benützten jede
Gelegenheit, um französisch zu lernen. Es giebt in Paris eine Anzahl
französischer Protestanten, welche sich ein hübsches Kirchlein an
einer der großen Avenuen, die vom Triumphbogen ausgehen, bauten. Sie
wollen dort die rechte Lehre auf die rechte Art in französischer
Sprache predigen hören. Aber ihre Freude wird ihnen verdorben: unsere
Landsleute kommen ihnen jeden Sonntag zuvor und füllen den ganzen
Raum. Wenn der Geistliche die Kanzel betritt, findet er das Gotteshaus
voll von andächtigen Fremden, von denen jeder ein kleines Buch in
der Hand hat -- anscheinend ein in Maroquin gebundenes Testament,
wenn man genauer hinsieht, erblickt man Bellows ausgezeichnetes und
erschöpfendes französisch-englisches Taschenwörterbuch, das in Ansehen,
Einband und Größe genau einem Testament gleicht. Diese Andächtigen
haben sich eingefunden, um Französisch zu lernen. Das Gebäude hat daher
den Spitznamen ›Die Kirche für französische Gratislektion‹ erhalten.

Diese Zuhörer eignen sich wahrscheinlich mehr Sprachkenntnis als
allgemeines Wissen an, denn eine französische Predigt gleicht ganz
einer französischen Rede; sie nennt nie ein geschichtliches Ereignis,
sondern giebt nur das Datum an; wenn man darin nicht gut beschlagen
ist, verliert man sich. Eine französische Rede aber lautet etwa wie
folgt: --

    »Freunde, Bürger, Brüder, edle Glieder der einzig erhabenen
    und vollkommenen Nation, lasset uns nicht vergessen, daß der
    21. Januar unsere Ketten zerbrach, daß der 10. August uns von
    der schimpflichen Gegenwart fremder Spione befreite, daß der
    5. September seine eigene Rechtfertigung war vor Gott und
    der Welt, daß der 18. Brumaire den Keim zu seiner eigenen
    Bestrafung in sich trug, daß der 14. Juli die mächtige Stimme
    der Freiheit war, welche die Auferstehung, den neuen Tag
    verkündete und die unterdrückten Völker der Erde einlud, das
    göttliche Antlitz Frankreichs zu beschauen und zu leben; und
    lasset uns unsern ewigen Fluch aussprechen gegen den Mann
    des 2. Dezember und mit Donnerstimme, der ureigenen Stimme
    Frankreichs, erklären, daß es ohne ihn in der Geschichte keinen
    17. März, keinen 12. Oktober, keinen 19. Januar, keinen 22.
    April, keinen 16. November, keinen 30. September, keinen 2.
    Juli, keinen 14. Februar, keinen 29. Juni, keinen 15. August,
    keinen 31. Mai gegeben hätte -- daß ohne ihn Frankreich,
    das Reine, das Große, das Unvergleichliche, heute einen
    glücklicheren und reineren Kalender besäße.«

Ich habe von einer französischen Predigt gehört, die in dieser
wunderlichen, aber beredten Weise schloß: --

    »Andächtige Zuhörer, wir haben eine traurige Veranlassung, des
    Mannes vom 13. Januar zu gedenken. Die Folgen des ungeheuren
    Verbrechens vom 13. Januar stehen im richtigen Verhältnis zu
    der Größe der That selbst; ohne diese wäre uns das kummervolle
    Schauspiel des 30. Novembers erspart geblieben. Die Greuelthat
    des 16. Juni wäre ohne sie nie verübt worden, noch wäre der
    Mann des 16. Juni je zum Dasein gelangt; sie war allein schuld
    an dem 3. September, wie an dem verhängnisvollen 12. Oktober.
    Sollen wir also dankbar sein für den 13. Januar mit seinem
    Todesschrecken für euch und mich und alles, was atmet? Ja,
    meine Freunde, denn er gab uns auch, was ohne ihn nie und
    nimmermehr gekommen wäre -- den gesegneten 25. Dezember.«

Vielleicht ist hier eine Erklärung am Platze, obgleich eine solche für
viele meiner Leser kaum nötig sein wird. Der Mann des 13. Januar ist
Adam; das Verbrechen jenes Tages war das Essen des Apfels; das traurige
Schauspiel des 30. November war die Vertreibung aus dem Paradiese;
die Greuelthat des 16. Juni war die Ermordung Abels; am 3. September
begann die Reise nach dem Lande Nod[7]; am 12. Oktober verschwand die
letzte Bergspitze unter der Sündflut. Wenn man in Frankreich zur Kirche
geht, muß man einen Kalender, in dem die Gedenktage verzeichnet sind,
mitnehmen.

    [7] Nach der Bibel: Land der Verbannung.

            Anm. des Uebers.



Pariser Führer.


Im Jahre 1867 war ich mit einigen Freunden in Paris und zwar zum Besuch
der Weltausstellung. Am Morgen nach unserer Ankunft gingen wir zu dem
›~commissionaire~‹ des Hotels -- ich weiß nicht, was das bedeutet,
allein es war der Mensch, an den wir uns wandten -- und sagten ihm, wir
möchten einen Führer haben. Er bemerkte, daß es nahezu unmöglich sein
werde, einen guten Führer außer Beschäftigung zu finden. Für gewöhnlich
habe er ein bis zwei Dutzend an der Hand, augenblicklich aber nur
drei. Er rief dieselben herbei. Der eine sah so banditenmäßig aus, daß
wir ihn gleich wieder wegschickten. Der zweite redete uns in einer
peinlichen Aussprache an, welche recht deutlich sein sollte, also:

»Wenn die Gentlemen mick woll geben die Ehr, ßu behalten mick in ihre
Dienste, werd ik Sie ßeigen alle Ding das sein präktik in der schönen
Paris. Ik sprek die fremde Spracke parfaitement.«

Er würde am besten gethan haben, hier inne zu halten, weil er gerade
so viel auswendig gelernt hatte und ohne Verstoß hersagte. Aber seine
Selbstgefälligkeit verleitete ihn, sich in die höheren Regionen der
fremden Sprache zu versteigen und dieser tollkühne Versuch war sein
Verderben. Binnen zehn Sekunden hatte er sich in einen Haufen von
verstümmelten Wörtern und verhackten Sprachformen verfilzt, daß kein
menschlicher Scharfsinn mehr imstande war, ihn wieder mit heiler Haut
heraus zu kriegen. Wir überließen ihn seinem Schicksal.

[Illustration]

Der dritte Mann nahm uns gleich für sich ein. Er war einfach, aber
sauber und nett gekleidet. Er trug einen hohen Seidenhut, der
ein bißchen alt, aber sorgfältig gebürstet war, Handschuhe, die
schon gewaschen, aber gut ausgebessert waren und einen zierlichen
Spazierstock mit einem geschnitzten Griff -- einem Damenfuß aus
Elfenbein. Er schritt so subtil und zierlich einher wie eine Katze, die
über eine schmutzige Straße geht und oh! -- er war die Artigkeit, --
die ruhige und zurückhaltende Selbstbeherrschung -- die Ehrerbietung
selbst. Er sprach sanft und bedächtig und wenn er im Begriff war,
etwas auf seine eigene Verantwortlichkeit zu behaupten, oder eine
Andeutung zu machen, so erwog er es aufs bedächtigste, indem er seinen
Stock sinnend vor die Zähne hielt. Seine Eröffnungsrede war für einen
Franzosen wirklich recht gut -- im Satzbau, in den Redewendungen, in
der Grammatik, im Tonfall, in der Aussprache -- kurz in allem. Nachdem
sprach er wenig und zurückhaltend. Wir waren bezaubert, ja mehr als
bezaubert -- ganz außer uns vor Freude. Wir mieteten ihn auf der
Stelle und fragten gar nicht nach seinem Lohne. Dieser Mann war zwar
unser Lakai, unser Diener, unser unterwürfiger Sklave, aber dennoch
ein Gentleman, während von den andern beiden der eine linkisch und
ungehobelt, und der andere ein geborener Seeräuber war. Wir frugen
unseren Mann nach seinem Namen. Er zog aus seinem Taschenbuch eine
schneeweiße kleine Karte und überreichte sie uns mit einem tiefen
Bückling:

        ~A. Bilfinger~

        ~Führer durch Paris, Frankreich,
        Deutschland, Spanien etc.~

        ~Grand Hôtel du Louvre.~

»Bilfinger! Mir wird sterbensübel!« sagte mein Freund Dan, indem er
sich wegwandte. Auch meinem Ohr that der abscheuliche Name furchtbar
weh. Wir können uns viel eher an ein Gesicht gewöhnen, oder sogar
es gern sehen, das uns anfänglich mißfällt, als uns mit einem
übelklingenden Namen aussöhnen. Ich ärgerte mich fast, daß wir den
Menschen, der wahrscheinlich ein Elsässer war, gemietet hatten, sein
Name war uns zu unausstehlich. Indes, es war zu spät und wir wollten
gern aufbrechen. Während Bilfinger hinaus ging, um einen Wagen
herbeizurufen, sagte unser Freund, der Doktor:

»Nun mit dem Führer geht es uns wie mit mancher anderen Illusion. Ich
versprach mir einen Führer Namens Henry de Montmorency oder Armand
de la Chartreuse oder dergleichen, was in den Briefen an unsere
Kleinstädter daheim recht großartig ausfallen würde; und nun denke
man sich einen Franzosen Namens -- Bilfinger. Nein, das klingt zu
abgeschmackt. Es geht unmöglich; es macht einem übel. Wir müssen ihn
umtaufen. Wie wäre es mit dem Namen Alexis du Caulaincourt?«

»Oder Alphonse Henri Gustave de Hauteville,« schlug ich vor.

»Heißt ihn Ferguson,« meinte Dan.

Das klang zwar unromantisch, aber verständig und praktisch. Ohne
weitere Debatte löschten wir Bilfinger als Bilfinger aus und nannten
ihn Ferguson.

Der Wagen -- ein offener Landauer -- stand bereit. Ferguson stieg
auf den Bock neben den Kutscher und fort gings zum Frühstück. Im
Restaurant angekommen, stellte sich Ferguson, wie sich’s gehörte, neben
uns, um unsere Bestellungen zu vermitteln und Fragen zu beantworten.
Ganz beiläufig bemerkte er -- der Schlaumeier -- er selbst würde sich
erlauben, sein bescheidenes Frühstück nach dem unsrigen einzunehmen.
Er wußte, daß wir auf ihn angewiesen waren und keine Lust hatten, auf
ihn zu warten. Wir luden ihn daher ein, sich zu uns zu setzen und
mitzuessen. Er lehnte mit hundert Verbeugungen ab; es sei zu viel Ehre
für ihn und er wolle lieber an einem andern Tisch sitzen. Wir befahlen
ihm hierauf energisch, sich hinzusetzen.

Das war unsere erste Lehre. Wir waren doch hereingefallen. Solange
wir den Burschen in unserem Dienst hatten, war er immer hungrig,
immer durstig. Er kam frühmorgens und blieb spät; er konnte an keinem
Restaurant vorbeigehen; er schaute mit dem Auge eines Blutegels nach
jeder Weinschenke. Alle Augenblicke hatte er einen Grund anzuhalten,
um uns zum Essen und Trinken zu veranlassen. Wir gaben uns die größte
Mühe, ihn so voll zu füllen, daß er vierzehn Tage lang keinen Platz
mehr für Speise und Trank hätte; allein es mißlang. Er faßte nicht
genug, um das Verlangen seines übermenschlichen Appetits eine Zeitlang
beschwichtigen zu können.

Er hatte noch eine andere Unart an sich. Er wollte uns beständig
veranlassen einzukaufen. Unter den gesuchtesten Vorwänden lotste er
uns in Weißzeugläden, Stiefelläden, Schneiderläden, Handschuhläden
-- kurzum, überall hin, wo die mindeste Aussicht war, daß wir etwas
kauften. Jedermann würde erraten haben, daß die Ladenbesitzer ihm einen
Prozentsatz von unseren Einkäufen bewilligten, aber wir in unserer
glücklichen Harmlosigkeit ahnten das nicht eher, bis Ferguson die Sache
etwas zu handgreiflich machte.

Eines Tages äußerte Dan zufällig, er gedenke drei bis vier seidene
Kleider zu Geschenken zu kaufen. Augenblicklich war Fergusons hungriges
Auge auf ihn gerichtet. Nach Verlauf von zwanzig Minuten blieb der
Wagen stehen.

»Wo sind wir?«

»Dies sein die feinste Seidenmagazin in Paris -- die berühmteste.«

»Weshalb sind Sie denn hierhergefahren? Sie sollten uns doch nach dem
Palais du Louvre bringen!«

»Ik dakt der Err wünschte seidenen Stoffe ßu kaufen.«

»Man verlangt von Ihnen nicht, daß Sie für uns ›denken‹ sollen. Dies
hieße Ihre Energie zu sehr in Anspruch nehmen. Wir wollen von des Tages
Last und Hitze selbst etwas tragen. Wir wollen versuchen, das ›Denken‹,
das wirklich vonnöten ist, selbst zu besorgen. Also weitergefahren!«
sagte der Doktor.

Binnen fünfzehn Minuten machte der Wagen abermals Halt und zwar vor
einem zweiten Seidenwarenlager.

Wir wurden ärgerlich; aber der Doktor bewahrte seine milde Ruhe und
sagte freundlich:

»Endlich! wie großartig der Louvre ist, und doch wie schmal. Wie
prächtig stilisiert, wie reizend gelegen. -- Ehrwürdiges Werk.« --

»Pardon, Err Doktor. Dies sein nicht das Louvre -- es sein --«

»Was ist es denn?«

»Es fiel mir ein -- ganz plötzlich -- daß die Seide in diese Magazin --«

»Ach Ferguson, wie gedankenlos ich doch bin. Ich wollte Ihnen ganz
bestimmt sagen, daß wir heute keine Seide kaufen wollten, daß wir
vielmehr erpicht darauf seien, zum Palais du Louvre zu gelangen; aber
ich muß es rein vergessen haben, es Ihnen zu sagen. Das Vergnügen,
Sie heute vormittag viermal frühstücken zu sehen, muß mir alle
anderen Gedanken verscheucht haben. Fahren wir also jetzt zum Louvre,
Ferguson!«

»Aber, Err Doktor!« (aufgeregt) »es kostet Ihnen keine Minute, --
höchstens eine kleine Minute. Der Err brauchen nix zu kaufen, wenn er
nicht wollen, -- nur _besehen_ -- nur ein Blick auf die prächtige Ware
werfen.« (Flehend:) »Mein Err, -- nur eine einzige Moment.«

Dan sagte: »Infamer Narr! Ich will heute durchaus keine Seidenstoffe
sehen, ich thue keinen Blick darauf. Weiterfahren!«

»Aber, Doktor! Es sein ja nur eine Augenblick, kleine Augenblick. Und
die Szeit wird nix verloren, gar nix verloren sein, weil es jetzt nix
mehr zu sehen giebt -- es ist ßu spät. Es fehlen noch ßehn Minuten zu
Vier und der Louvre wird um vier Uhr geschlossen -- nur einen kleinen
Augenblick, Doktor!«

Der verräterische Halunke! Uns nach vier Frühstücken und einer Gallone
Champagner einen solchen Streich zu spielen. So bekamen wir an diesem
Tag von den zahllosen Kunstschätzen des Louvre nichts zu sehen und
unsere einzige kümmerliche Genugthuung bestand in dem Gedanken, daß es
Ferguson nicht gelungen war, uns ein seidenes Kleid zu verkaufen.

       *       *       *       *       *

Ich schreibe diesen Artikel teils wegen der Befriedigung, die mir das
Schimpfen auf diesen vollendeten Bösewicht Bilfinger gewährt, teils um
jedem, der dies liest, zu zeigen, wie die Fremden in den Händen dieser
Pariser Führer fahren und was für eine Sorte diese letzteren sind.
Man meine nicht, daß wir eine dümmere oder leichtere Beute waren als
unsere Landsleute gewöhnlich sind; durchaus nicht. Die Führer machen’s
mit jedem so, der sich ihnen anvertraut, wenn er zum erstenmal in
Paris ist. Aber -- ich werde Paris eines schönen Tages wieder besuchen
und dann mögen sich diese Führer in acht nehmen. Ich werde in meiner
Kriegsbemalung hingehen und -- meinen Tomahawk mitbringen.



Die alten Meister.


In Mailand besuchte ich wie vor 12 Jahren die bedeutendsten
Sehenswürdigkeiten und Bildergalerien; nicht weil ich noch einmal
darüber zu schreiben wünschte, sondern, nur um zu sehen, ob ich in
der Zwischenzeit etwas gelernt hätte. Auch in die Galerien von Rom
und Florenz ging ich später zum gleichen Zweck. _Einen_ Fortschritt
hatte ich doch zu verzeichnen: Als ich zuletzt über die alten Meister
schrieb, behauptete ich, die Kopien wären besser als die Originale.
Das war ein großartiger Irrtum. Zwar finde ich, nach wie vor, keinen
Gefallen an den alten Meistern, aber sie scheinen mir wahrhaft
himmlisch im Vergleich zu den Kopieen. Diese sind den Originalen
ungefähr so ähnlich, wie künstliche, bleiche, seelenlose Wachsfiguren
den kraftvollen, ernsten und würdigen Männern und Frauen, welche sie
darstellen wollen. Der zarte Schmelz, die gedämpfte Farbe der alten
Bilder ist dem Auge höchst wohlthuend und um dieses Vorzugs willen
werden sie auch am lautesten gepriesen; er geht der Kopie völlig ab,
kein Kopist darf hoffen, ihn je zu erreichen. Die Künstler, mit denen
ich über diesen Umstand sprach, waren alle der Ansicht, daß jene
gedämpfte Farbenpracht, jener weiche Glanz, dem Bilde nur durch das
Alter verliehen wird. Wenn das wahr ist, warum loben wir dann die alten
Meister, welche ganz unschuldig an dem Zauber sind, und nicht vielmehr
die _Zeit_, die ihn vollbracht hat? --

[Illustration]

Ich fragte einmal einen Künstler in Venedig: »Was bewundert man denn
eigentlich an den alten Meistern? Im Dogenpalast habe ich meilenlang
Wände voll von schlimmen Verzeichnungen, unrichtigen Proportionen und
falscher Perspektive gefunden; Paul Veroneses Hunde sehen gar nicht wie
Hunde aus; alle Pferde sind nur Schläuche auf Beinen und ein Mann war
da, der sein rechtes Bein auf der linken Seite des Körpers trug. Bei
dem großen Bilde, wo der Kaiser vor dem Papste kniet, sieht man drei
Männer im Vordergrund, die über dreißig Fuß hoch sind im Verhältnis
zu dem kleinen Knaben in der Mitte; legt man denselben Maßstab an,
so beträgt die Größe des Papstes sieben Schuh, der Doge aber ist ein
zusammengeschrumpfter Zwerg von vier Fuß.«

Der Künstler versetzte: »Jawohl, die alten Meister zeichneten oft
schlecht, sie fragten nicht viel nach Wahrheit und Genauigkeit bei
untergeordneten Einzelheiten. Aber trotz aller Verzeichnungen, aller
falschen Perspektive und Proportionen, und obgleich sie Gegenstände
dargestellt haben, welche heutzutage niemanden mehr so fesseln wie
vor dreihundert Jahren, liegt doch ein gewisses Etwas in den Bildern,
das göttlich ist -- ein Etwas, zu dem sich bisher noch keine andere
Kunstepoche aufgeschwungen hat -- ein Etwas, das uns Künstler zur
Verzweiflung treiben müßte, hätten wir nicht von vornherein beschlossen
uns nicht darum zu grämen, weil wir doch keine Hoffnung haben, es
jemals zu erreichen.«

Das sagte der Mann und er sprach nur aus, was er wirklich glaubte und
fühlte.

Mit Vernunftgründen, besonders wenn sie nicht durch technische
Kenntnisse unterstützt sind, läßt sich in solchem Fall nichts
ausrichten; sie würden nur zu einer Schlußfolgerung führen, die in
den Augen der Künstler höchst unlogisch wäre. Nämlich wie folgt:
»Verzeichnungen, falsche Perspektive, unrichtige Proportionen,
Vernachlässigung der Naturwahrheit im Detail, Farben, die ihre
Schönheit nicht dem Künstler, sondern der Zeit verdanken -- das sind
die Hauptkennzeichen des alten Meisters. Folglich war der alte Meister
ein schlechter Maler -- er war gar kein alter Meister, sondern ein
alter Lehrling.« -- Mein Künstler giebt nun zwar die Thatsachen alle
zu, aber die Schlußfolgerung läßt er nicht gelten und behauptet, daß
trotz der erschrecklichen Liste anerkannter Mängel den alten Meistern
doch etwas Göttliches, Unerreichtes innewohnt, das sich durch keine
Gründe und Schlüsse fortstreiten läßt.

Ich begreife das wohl. Es giebt z. B. Frauen, in deren Zügen ein
unbeschreiblicher Reiz liegt, so daß sie in den Augen ihrer Angehörigen
schön erscheinen. Ein Fremder aber, der mit kühlem Verstande nach
dieser Schönheit sucht, vermag sie nicht zu entdecken. Er sagt
vielleicht: »Das Kinn ist zu kurz, die Nase zu lang, die Stirn zu
hoch, das Haar zu rot, die Farbe zu bleich, die Zusammenstellung des
Ganzen nicht regelrecht -- folglich ist die Frau keine Schönheit.«
Darauf erwidert man ihm: »Deine Bemerkungen sind richtig, gegen deine
Logik ist nichts einzuwenden und dennoch gelangst du zu einem falschen
Schluß. Sie ist schön, aber nur für Leute, die die alten Meister
kennen. Beweisgründe für ihre Schönheit giebt es nicht, aber sie ist
trotzdem vorhanden.«

Ich habe mir diesmal die alten Meister mit größerem Vergnügen
angesehen, als bei meinem früheren Besuch in Europa; aber es ist ein
ruhiger Genuß, er regt mich nicht auf. Als ich zum erstenmal nach
Venedig kam, fand ich kein Bild, das mich besonders interessiert
hätte, aber jetzt zogen mich zwei so sehr an, daß ich tagtäglich in
den Dogenpalast ging, um sie stundenlang zu betrachten. Das eine ist
Tintorettos Gemälde im Saal des Großen Rats, das drei Morgen im Umfang
hat. Als ich es vor zwölf Jahren sah, sagte mir der Führer, es stelle
einen Aufstand im Himmel dar -- aber das beruht auf einem Irrtum.

Das Bild ist voll Leben und Bewegung. Es umfaßt zehntausend Figuren,
von denen keine unthätig ist. Das verleiht dem Ganzen eine großartige
Wirkung. Einige Gestalten schweben mit gefalteten Händen kopfüber in
der Luft, andere schwimmen durch das Wolkenmeer, teils auf dem Rücken,
teils auf dem Gesicht. Lange Züge von Märtyrern und Engeln streben
eilig aus den verschiedensten Richtungen dem Mittelpunkt zu. Von allen
Seiten kommen Gestalten herbeigeströmt in dicht gedrängten Scharen,
überall herrscht Freude und Jubel.

Wie gewaltig die Bewegung ist, läßt sich schwer beschreiben. Viele
singen, andere rufen Hosianna oder blasen auf ihren Posaunen. Man
bekommt den Eindruck von einem so mächtigen Getöse, daß die Zuschauer,
die sich in das Bild vertiefen, unwillkürlich einander ihre Bemerkungen
in die Ohren schreien oder ihre Hände als Trompete benutzen, um sich
besser verständigen zu können.

»O, wer erst dort wäre in der ewigen Ruhe!« hört man häufig einen
Reisenden seiner Frau in die Ohren brüllen, während ihm heiße Thränen
über die Wangen laufen.

Nur der Pinsel eines Künstlers erster Größe kann solche Wirkung
erzielen.

Vor zwölf Jahren verstand ich dies Bild nicht zu würdigen, noch vor
einem Jahr wäre es mir unmöglich gewesen; aber meine Kunststudien in
Heidelberg haben gute Früchte getragen -- ihnen verdanke ich alles, was
ich jetzt bin.

       *       *       *       *       *

Das andere große Gemälde schmückt eine Wand im Zimmer des Rats der
Zehn; es ist Bassanos unsterblicher, ungegerbter Lederkoffer. Das
Bild ist ebenso groß wie die zwei andern im gleichen Raum, es mißt
vierzig Fuß und seine Komposition ist über alles Lob erhaben. Der
›Lederkoffer‹ fesselt die Aufmerksamkeit des Beschauers nicht gleich
in aufdringlicher Weise, wie das so oft bei dem Hauptmoment eines
unsterblichen Werkes der Fall ist. Nein, er wird sorgfältig im
Hintergrund gehalten, nebensächlich behandelt und zurückgestellt,
und zwar mit so viel Umsicht und Geschicklichkeit, daß, wenn der
Zuschauer ihn schließlich zu Gesicht bekommt, er ihm mit verblüffender
Plötzlichkeit völlig überraschend und unvorbereitet entgegentritt.

Man kann nur staunen über die sorgfältige und sinnreiche Ausführung
des großartigen Plans, über die Mühe und Gedanken, die sie gekostet
haben muß. Beim ersten Blick auf das Bild würde kein Mensch ahnen, daß
überhaupt ein Koffer da ist. Auch der Titel des Gemäldes: ›Alexander
III. und der Doge Ziani, der Besieger Kaiser Friedrich Barbarossas‹,
enthält keine Erwähnung des Lederkoffers; er dient vielmehr dazu,
die Aufmerksamkeit von demselben abzulenken. Scheinbar wird also das
Vorhandensein des Koffers völlig totgeschwiegen, und doch ist alles nur
darauf berechnet, Schritt für Schritt zu ihm hinzuleiten. Wir wollen
dies jetzt näher untersuchen und die anscheinende Unvorsichtigkeit des
Planes ins Auge fassen:

Zu äußerst, am linken Ende des Bildes, stehen zwei Frauen, von denen
die eine ein Kind im Arm hält, das über ihre Schulter nach einem Manne
schaut, der mit verbundenem Kopf am Boden sitzt. Allem Anschein nach
sind diese Leute ganz unnütz, aber sie haben doch einen Zweck. Man
kann sie nicht ansehen, ohne zugleich den prachtvollen Festzug zu
bemerken, der sich hinter ihnen entfaltet. Wenn man aber alle die reich
gekleideten Bischöfe, Großwürdenträger, Hellebardiere und Bannerträger
vorbeiziehen sieht, wird man natürlich neugierig zu erfahren, wohin der
Weg sie führt und folgt ihnen. So gelangt man in die Mitte des Bildes,
zum Papst, der mit dem barhäuptigen Dogen spricht. Er unterhält sich
ruhig mit ihm, obgleich kaum zwölf Fuß von ihnen entfernt ein Mann
seine Trommel rührt, zwei Leute auf dem Horn blasen und viele Reiter
mit großem Lärm auf ihren Pferden dahergesprengt kommen. Denn, während
zweiundzwanzig Fuß des großen Werkes voll erhabener Sonntagsruhe und
glücklicher Festtagsstimmung sind, schließen sich daran unmittelbar
elf Fuß voll Wirrwarr, Spektakel und Aufruhr an. Dies ist aber
durchaus kein zufälliges Zusammentreffen, sondern ganz mit Absicht so
eingerichtet. Man könnte sonst in Versuchung geraten, bei dem Papst und
dem Dogen zu verweilen, sie für die Hauptpersonen zu halten und ihre
Zusammenkunft für den wichtigsten Vorgang auf dem Bilde. Statt dessen
wird man fast unmerklich von ihnen abgezogen, weil man wissen möchte,
was der große Aufstand eigentlich zu bedeuten hat. Man verfolgt diesen
bis ans Ende -- und da -- vier Fuß vom Rande des Gemäldes und volle
sechsunddreißig Fuß vom Anfang desselben -- durchzuckt den Beschauer,
plötzlich wie ein elektrischer Schlag, der ungeahnte Anblick des
Lederkoffers. Er steht vor ihm in seiner unvergleichlichen Schönheit,
des großen Künstlers Zweck ist erreicht, sein Triumph vollkommen. Von
diesem Augenblick an hat auf der vierzig Fuß großen Leinwand alles
andere seinen Reiz verloren; man sieht weit und breit nichts als den
Lederkoffer -- und ihn sehen und verehren ist eins.

Selbst in der nächsten Nähe seines Meisterstücks hat Bassano Figuren
angebracht, die den Blick noch eine Weile länger von jenem ablenken
und so die Ueberraschung verzögern, um sie zu erhöhen. Rechts davon,
zum Beispiel, steht ein gebückter Mann, dessen leuchtend rote Kappe
das Auge sicherlich einen Moment lang fesselt; sechs Fuß zur Linken
aber hält ein Reiter auf einem dickbäuchigen Pferde, und man blickt
unwillkürlich nach seinem scharlachenen Rock hinüber. Zwischen dem
Koffer aber und dem roten Reiter tritt ein halbnackter Mensch mit einem
unnatürlichen Mehlsack daher, den er mitten auf dem Rücken trägt statt
auf der Schulter; dies erstaunliche Kunstwerk erregt natürlich das
Interesse und hält uns wieder eine Zeitlang hin -- doch endlich, trotz
aller Verzögerung und alles Aufenthalts, muß das Auge des Beschauers,
selbst des schläfrigsten und unachtsamsten, auf das unvergleichliche
Meisterstück fallen. Er erblickt es und sinkt auf seinen Stuhl nieder
oder stützt sich schwankend auf den Arm des Führers.

Wie unvollkommen auch die Beschreibung eines solchen Kunstwerks
notwendigerweise sein muß, so hat sie doch ihren Wert. -- Der Deckel
des Koffers ist gewölbt und zwar bildet die Wölbung einen vollkommenen
Halbkreis im römischen Stil, denn bei dem raschen Verfall der
griechischen Kunst machte sich damals schon Roms steigender Einfluß
in der Kunst der Venezianischen Republik geltend. Ueberall, wo der
Deckel aufliegt, ist er mit Leder eingefaßt oder beschlagen. Manche
Kritiker behaupten zwar, daß dies Leder einen zu kalten Ton hat, aber
ich halte das gerade für einen Vorzug, weil dadurch der Gegensatz
zu der leidenschaftlichen Innigkeit der Haspe noch deutlicher
hervorgehoben wird. Die grellen Lichter sind hier sehr geschickt
verteilt, das ›Motiv‹ paßt sich der Grundfarbe auf das wunderbarste
an und die ›Technik‹ ist vollendet. Die messingnen Nagelköpfe sind
im reinsten Stil der Frührenaissance gehalten, jeder Nagelkopf ist
ein Porträt und mit kühnem, sicherm Strich ausgeführt. Der Griff
des Koffers ist offenbar übermalt worden -- wahrscheinlich mit einem
Stück Kreide -- aber, wenn man ihn so sicher und natürlich an der
Seite hängen sieht, erkennt man doch den alten Meister. Das Fell des
Koffers ist -- sozusagen -- wirkliches Fell mit weißen und braunen
Flecken. Alle Einzelheiten sind aufs sorgfältigste behandelt, besonders
ist die ruhige, unbewegliche Lage, die sich für ein behaartes Fell
so vorzüglich eignet, aufs trefflichste wiedergegeben. Gerade hierin
liegt, meinem Gefühl nach, der höchste Vorzug des Werks, der es zu
einer Kunstschöpfung ersten Ranges erhebt; die gemeine Wirklichkeit
verschwindet und wir fühlen, daß der Stoff beseelt ist.

Man betrachte den Koffer wie man will, immer wird er ein Kleinod,
ein Wunderwerk bleiben. Den Eindruck, welchen er macht, vermag weder
das Rokoko in seinem höchsten Fluge noch die byzantinische Schule
zu erreichen. Aber auch bei den gewagtesten Effekten hat die Hand
des Meisters nicht geschwankt, in stiller Majestät hat sie ihr Werk
vollendet und mit ungeahnter Kunst, nach geheimnisvollen Methoden, die
ihr allein zu Gebote stehen, noch über das Ganze einen zarten Schmelz
gebreitet, der den irdischen Stoff verfeinert, durchgeistigt, und ihm
einen hohen poetischen Reiz und bezaubernde Anmut verleiht.

       *       *       *       *       *

Unter den Kunstschätzen Europas kommen einige an Wert dem ›Lederkoffer‹
nahe; etwa zwei stehen vielleicht mit ihm auf gleicher Höhe, aber
übertroffen wird er von keinem. Selbst auf Leute, die sonst gar kein
Verständnis für die Kunst haben, verfehlte der Koffer seinen Eindruck
nicht. Ein Gepäckaufseher der Eriebahn, der ihn vor zwei Jahren sah,
konnte sich kaum enthalten einen Zettel darauf zu kleben, und als ein
Zollinspektor einmal dem Koffer gegenüber stand, betrachtete er ihn
mehrere Sekunden lang mit schweigendem Entzücken, legte dann langsam
und völlig unbewußt die eine Hand auf den Rücken mit der Innenseite
nach oben[8] und zog mit der andern ein Stück Kreide aus der Tasche.

    [8] Mark Twain deutet hier offenbar auf die Geneigtheit dieser
        Beamten, ein ›Trinkgeld‹ anzunehmen, hin.

Solche Thatsachen sprechen für sich selber.



Tot oder lebendig.


Im Jahre 1892 verbrachte ich den März in Mentone an der Riviera. An
diesem ruhigen Ort erfreut man sich im stillen alle der Schönheit, die
man in Monte Carlo oder Nizza öffentlich genießt. Das heißt, man hat
die balsamische Luft, die glänzend blaue See, den alles überflutenden
Sonnenschein, ohne die störenden Einflüsse des gesellschaftlichen
Wirrwarrs, ohne Prunksucht und Mißbehagen.

Mentone ist still, einfach, ruhig, anspruchslos; die Reichen und die
Vergnügungssüchtigen kommen nicht dahin -- in der Regel meine ich.
Zuweilen trifft man auch wohl einen Reichen, und mit einem solchen
bin ich zufällig bekannt geworden. Ich nenne ihn Schmidt, um ihn
unkenntlich zu machen. Eines Tages, beim zweiten Frühstück im Hotel des
Anglais, faßt er mich plötzlich beim Arm und ruft aus:

»Geschwind! Sehen Sie den Herrn an, der eben zur Thür hinaus geht. Aber
bitte, so genau wie möglich!«

»Warum denn?«

»Wissen Sie vielleicht, wer es ist?«

»Ja. Er war schon mehrere Tage hier, bevor Sie kamen. Es ist ein alter,
sehr reicher Seidenwarenfabrikant aus Lyon, der sich von den Geschäften
zurückgezogen hat und vermutlich allein auf der Welt steht; er schaut
immer träumerisch und traurig darein und spricht mit keinem Menschen.
Theophil Magnon heißt er.«

[Illustration]

Ich erwartete nun, Schmidt würde mir sogleich das große Interesse,
welches er an Herrn Magnon nahm, näher erklären; statt dessen versank
er aber in tiefes Sinnen und war einige Minuten lang für mich und die
übrige Welt verloren. Hin und wieder fuhr er mit den Fingern durch sein
greises welliges Haar, als wollte er den Gedanken nachhelfen, und ließ
unterdessen sein Frühstück kalt werden. Zuletzt sagte er:

»Nein, die Geschichte ist mir entfallen; ich kann mich nicht darauf
besinnen.«

»Auf was denn nicht?«

»Ach, auf eine von Andersens hübschen kleinen Erzählungen. Ich weiß von
dem Inhalt nur noch soviel: Ein Kind hat einen gefangenen Vogel, den es
zwar liebt, jedoch aus Leichtsinn vernachlässigt. Das Lied des Vogels
verhallt ungehört und unbeachtet; bald wird das Tierchen auch von
Hunger und Durst gequält, sein Gesang klingt traurig und schwach und
hört endlich ganz auf -- der Vogel stirbt. Das Kind kommt und möchte
vor Reue und Schmerz vergehen. Dann ruft es unter bittern Thränen und
Klagen seine Spielgefährten, und sie begraben den Vogel mit großem Pomp
und aufrichtigem Kummer, ohne zu ahnen, daß es nicht bloß die Kinder
sind, die ihre Poeten zu Tode hungern lassen und dann soviel Aufwand
für Leichenbegängnisse und Denkmäler machen, daß man jene damit hätte
am Leben erhalten und vor jeder Entbehrung schützen können. Jetzt -- --«

Aber hier wurden wir unterbrochen. Gegen zehn Uhr abends begegnete ich
Schmidt von ungefähr, und er lud mich ein, mit ihm auf seinem Zimmer
eine Zigarre zu rauchen und ein Glas heißen Whisky zu trinken. Der
gemütliche Raum war hell erleuchtet, duftendes Olivenholz brannte in
dem offenen Kamin, und, um unser Behagen vollkommen zu machen, klang
von fern das Brausen der Brandung gedämpft an unser Ohr. Nachdem wir
einige Zeit in harmlosem Gespräch verbracht hatten, schenkte mir
Schmidt wieder ein.

»Stärken wir unsere Lebensgeister noch ein wenig,« sagte er, »und dann
will ich Ihnen eine kleine, seltsame Geschichte erzählen, die jahrelang
ein Geheimnis zwischen mir und drei anderen gewesen ist. Aber, ich darf
jetzt das Siegel brechen. Wollen Sie mir zuhören?«

»Mit Vergnügen. Fangen Sie nur an!«

Er erzählte darauf wie folgt:

»Vor langer Zeit, als ich noch ein sehr junger Künstler war und in
den verschiedenen Departements von Frankreich, bald hier, bald dort
skizzierend, umherwanderte, verband mich der Zufall mit ein paar lieben
jungen Franzosen, die denselben Beruf erwählt hatten wie ich. Wir waren
alle drei blutarm, aber sehr glücklich bei unserer Armut. Claude Frère
und Charles Boulanger, so hießen meine wackeren Kameraden, waren voller
Lust und Heiterkeit; weder Sturm, noch Wetter, noch Entbehrungen aller
Art vermochten ihnen die gute Laune zu verderben. Schließlich gerieten
wir aber doch in einem Dorf der Bretagne hart auf den Grund und hätten
buchstäblich verhungern müssen, wenn uns nicht ein Künstler, der
ebenso arm war wie wir selber -- François Millet -- vom Tode errettet
hätte -- --«

»Was! Der große François Millet?«

»Groß war er damals noch keineswegs -- nicht größer als wir. Von Ruhm
war bei ihm noch keine Rede, selbst nicht in seinem eigenen Dorfe.
Dabei war er so arm, daß er uns keine andere Speise zu bieten hatte als
weiße Rüben, und sogar an diesen mangelte es zuweilen. Wir vier wurden
schnell unzertrennliche Freunde. Wir malten zusammen drauf los, soviel
wir konnten und häuften ganze Stöße von Bildern auf, fanden aber höchst
selten einen Liebhaber. Es waren schöne Zeiten! Aber, Gott im Himmel,
wie mußten wir manchmal hungern! -- Das ging so ungefähr zwei Jahre
lang. Da sagte Claude eines Tages:

»›Jungens, mit uns geht es zu Ende. Versteht mich wohl: jetzt ist alles
aus. Man hat ein förmliches Bündnis gegen uns geschlossen. Das ganze
Nest bin ich abgelaufen, aber niemand will uns mehr Kredit geben,
keinen einzigen Sou, bis alle Reste und Schulden bezahlt sind.‹

»Uns überlief es kalt; wir wurden alle bleich vor Schrecken. Unsere
Lage war wirklich trostlos geworden. Nach langem Schweigen hob Millet
endlich mit einem Seufzer an:

»›Mir fällt nichts ein, nichts, rein gar nichts. Erfindet ihr etwas,
Kameraden!‹

»Aber keiner von uns wußte einen Ausweg, und unser bekümmertes
Schweigen war die einzige Antwort, die er erhielt.

»Charles stand auf und ging eine Weile unruhig im Zimmer umher, dann
sagte er:

»›Es ist eine Schande. Seht euch nur einmal diesen Haufen von Bildern
an, die so gut sind, daß man sie in ganz Europa nicht besser gemalt
bekommt. Das haben uns ja auch viele von den Fremden bestätigt, die
hier immer herumlungern.‹

»›Ja, aber gekauft haben sie nichts,‹ wandte Millet ein.

»›Freilich wohl -- aber sie sagten es doch. Und es ist wahr. Sieh nur,
z. B. dein ›Angelus‹; kann irgend jemand behaupten --‹

»›Ja, mein ›Angelus‹! Fünf Franken hat man mir dafür geboten.‹

»›Wann?‹

»›Wer bot das?‹

»›Wo ist der Mann?‹

»›Warum nahmst du sie nicht?‹

»›Sprecht doch nicht alle auf einmal. Ich dachte, er würde _mehr_ geben
-- ich hätte darauf geschworen -- er sah das Bild in einer Weise an --
kurz, ich forderte _acht_.‹

»›Sapperment! Aber François, warum in aller Welt ...‹

»›O, ich weiß wohl, ich weiß! Ich hatte mich geirrt und war ein Narr.
Glaubt mir, Jungens, ich meinte es wirklich gut, und wenn ich --‹

»›Sei nur ruhig -- wir kennen ja dein gutes Herz; aber thue uns die
Liebe an und sei ein andermal kein solcher Dummkopf.‹

»›Verlaßt euch drauf, das geschieht nicht wieder. Ich wünschte nur, es
käme einer und böte mir einen Kohlkopf dafür -- ihr solltet sehen --‹

»›Einen Kohlkopf? O, sprich nicht davon -- das Wasser läuft mir bei dem
bloßen Gedanken im Munde zusammen.‹

»›Jungens,‹ sagte Charles, ›seid einmal vernünftig und antwortet mir:
haben diese Bilder etwa keinen Wert?‹

»›Doch, versteht sich!‹

»›Sogar großen und hohen Wert, nicht wahr?‹

»›Ohne alle Frage!‹

»›Sind sie nicht so vorzüglich, daß man sie zu unsinnigen Preisen
verkaufen würde, wenn ein berühmter Name darauf geklext wäre?‹

»›Natürlich! Darüber besteht kein Zweifel!‹

»›Nun gut! So hört mir zu. Aber, nicht wahr, ihr wißt, ich meine es
nicht im Scherz?‹

»›Versteht sich! Uns ist es auch bitterer Ernst. Also, heraus mit der
Sprache. Was hast du ausgeheckt? Laß hören!‹

»›Nämlich ... was meint ihr, Kameraden -- wißt ihr was? -- wir klexen
eben einen berühmten Namen auf die Bilder.‹

»Das Gespräch stockte. Alle Blicke richteten sich fragend auf Charles.
Wollte er uns ein Rätsel aufgeben? Wo sollten wir einen berühmten Namen
hernehmen? Wer würde ihn uns leihen? --

»Charles nahm jetzt Platz und sagte:

»›Mein Vorschlag ist vollkommen ernst gemeint. Ich weiß kein anderes
Mittel uns aus dieser Klemme zu befreien, doch halte ich es für
untrüglich. Eine Menge Thatsachen, welche uns die Geschichte lehrt,
bestärken mich in dieser Ansicht. Ich hoffe, mein Plan wird uns alle
reich machen.‹

»›Reich? Du hast wohl den Verstand verloren.‹

»›Durchaus nicht.‹

»›Doch; ich glaube, du bist übergeschnappt. Was nennst du reich?‹

»›Hunderttausend Franken für jeden.‹

»›O weh, er ist wirklich verrückt geworden!‹

»›Armer Charles! Mangel und Not waren zu hart für dich!‹

»›Nimm ein niederschlagendes Pulver und gehe sofort zu Bette.‹

»›Macht ihm erst einen kalten Umschlag.‹

»›Nein, holt lieber eine Zwangsjacke. Jeden Augenblick kann die
Tobsucht bei ihm ausbrechen.‹

»›Still,‹ rief Millet ungeduldig, ›laßt ihn doch erst ausreden.‹

»›Auch gut -- so sprich, Charles! Was ist’s mit deinem Plan?‹

»›Ihr sollt ihn hören. Doch muß ich euch zuvor etwas fragen. Habe ich
recht oder nicht, daß das Verdienst vieler großer Künstler nicht früher
erkannt worden ist, als bis sie im Elend verkommen waren? Ihr wißt,
dies hat sich in der Geschichte der Menschheit so oft zugetragen, daß
ich glaube getrost ein Gesetz darauf gründen zu können, welches dahin
lautet, daß das Verdienst eines jeden großen Künstlers, der namenlos
und verkannt war, ans Licht kommt und seine Bilder hohe Preise erzielen
-- sobald der Mann tot ist. Mein Plan ist folgender: Wir wollen losen
-- einer von uns muß sterben.‹

»Das kam uns so unerwartet, und er sagte es so ruhig, daß wir im ersten
Augenblick ganz still und verblüfft sitzen blieben. Dann aber brach ein
wilder Chor der Entrüstung los, und es folgten allerlei medizinische
Ratschläge, um dem kranken Gehirn unseres Freundes Heilung zu bringen.
Er aber wartete geduldig, bis sich der Sturm zu legen begann und fuhr
dann unbeirrt fort:

»›Wie gesagt -- einer von uns muß sterben, um die andern zu retten und
-- sich selbst. Wir wollen losen. Der Gewählte soll berühmt werden,
um uns alle reich zu machen. So seid doch still und unterbrecht mich
nicht immer -- ich weiß ganz genau, was ich sage. Der, welcher sterben
muß, arbeitet während der drei nächsten Monate aus allen Kräften, um
seinen Vorrat an Malereien zu vermehren; er macht keine Bilder, behüte!
nur Skizzen, Studien, Bruchstücke, Teile von Studien, ein Dutzend
Pinselstriche auf jedes Stück, so zusammenhanglos wie möglich, und auf
jedes natürlich seinen Namenszug. Fünfzig solche Farbenklexereien
liefert er den Tag, aber jede muß etwas Besonderes vorstellen,
etwas von der Manier an sich haben, die sich leicht als die ›seine‹
kennzeichnet. Solche Sachen, das wißt ihr, werden zu fabelhaften
Preisen gekauft, und von allen großen Museen der Welt gesammelt, sobald
der Mann erst aus dem Leben geschieden ist. Eine Unzahl Skizzen müssen
fertig werden, mindestens ein Zentner. Während der Sterbende sie malt,
unterstützen die übrigen ihn nach Kräften, treffen alle Vorkehrungen
für das kommende Ereignis und bearbeiten Paris und die Händler. Ist das
Feuer gehörig geschürt und das Eisen heiß, dann ist es Zeit, daß der
Tod eintritt, und wir veranstalten ein pompöses Begräbnis. -- Nun, was
sagt ihr zu meinem Plan?‹

»›Ja, aber ... das heißt ... wie soll denn ...?‹

»›Versteht mich recht. Der Mann soll in Wirklichkeit gar nicht sterben;
er nimmt bloß einen andern Namen an und verschwindet; wir begraben
einen Strohmann und erheben ein Wehgeschrei über ihn, daß die ganze
Welt davon widerhallen soll. Und dann -- --‹

»Aber weiter kam er nicht. Wir brachen in ein gewaltiges Hurrah!
aus, schnellten von unsern Sitzen in die Höhe, sprangen wie toll in
der Stube umher und fielen einander gerührt um den Hals. Stundenlang
besprachen wir den Plan, ohne hungrig zu werden, und als zuletzt alles
zur Zufriedenheit geordnet war, warfen wir die Lose in einen Hut, und
der Gewählte war -- _Millet_, der Todgeweihte, wie wir ihn nannten.

»Jeder suchte nun zusammen, was er an kleinen Schmucksachen und
Andenken etwa noch besaß. Beim Pfandverleiher bekamen wir so viel Geld
dafür, daß es zu einem bescheidenen Abendessen und Frühstück reichte.
Auch behielten wir noch ein paar Franken zur Reise übrig, nachdem wir
mehrere Pfund Rüben und das Nötigste für Millet angeschafft hatten,
womit er in den nächsten Tagen sein Leben fristen konnte.

[Illustration]

»Am andern Morgen machten wir drei uns gleich nach dem Frühstück auf
die Strümpfe, natürlich zu Fuß. Jeder von uns trug ein Dutzend kleiner
Bilder von Millet in seinem Ranzen, mit dem festen Vorsatz, sie auf den
Markt zu bringen. Charles ging geradeswegs nach Paris, wo er an Millets
Ruhm bauen wollte, bis der große Tag gekommen war. Auch Claude und ich
trennten uns, um denselben Zweck im übrigen Frankreich zu verfolgen.

»Es wird Sie vermutlich überraschen zu hören, wie leicht und bequem
sich die Sache ausführen ließ. Nach zweitägiger Wanderung kam ich in
die Nähe einer großen Stadt und begann eine Villa der Umgegend zu
skizzieren -- weil ich den Eigentümer auf der oberen Veranda des Hauses
stehen sah. Er kam gleich herunter, mir zuzusehen; ich ahnte schon, daß
er anbeißen würde. Um sein Interesse rege zu halten, arbeitete ich sehr
schnell. Gelegentlich entschlüpfte ihm ein Ausruf des Wohlgefallens,
nach und nach wurde er wärmer, geriet in Begeisterung und erklärte mir
schließlich rund heraus, ich sei ein Meister in meinem Beruf.

»Da legte ich meinen Pinsel hin, langte in den Ranzen, holte einen
Millet heraus und deutete stolz auf das Zeichen in der Ecke.

»›Sie kennen ihn ohne Zweifel. Er war mein _Lehrer_. Kein Wunder also,
daß ich mich auf mein Handwerk verstehe.‹

»Der Mann geriet in eine leicht begreifliche Verlegenheit und blieb
stumm.

»›Sie wollen mich doch nicht glauben machen, daß Sie François Millets
Namenszug nicht kennen?‹ fragte ich erstaunt.

»Natürlich kannte er ihn nicht; aber er atmete erleichtert auf, wie
jemand, der sich aus einer höchst unbequemen Lage befreit sieht. Mit
der dankbarsten Miene von der Welt rief er ganz beglückt:

»›Wahrhaftig, ja, von Millet. Ich wußte zuerst nicht gleich, was ich
vor mir hätte. Aber natürlich erkenne ich es jetzt.‹

»Er wollte nun das Bildchen kaufen, allein, ich weigerte mich lange es
herzugeben; endlich ließ ich es ihm jedoch für achthundert Franken.«

»Achthundert!«

»Ja! Millet hätte es für ein Schweinerippchen hergegeben. Ich wollte,
ich könnte es jetzt für achttausend zurückbekommen; aber jene Zeit ist
vorüber. Ich machte von der Villa ein sehr hübsches Bild und hätte es
dem Besitzer für zehn Franken gelassen, aber, da er sah, daß ich der
Schüler eines solchen Meisters war, ließ er sich’s hundert kosten. Die
achthundert Franken schickte ich mit der Post sofort an Millet und
machte mich am nächsten Tage rasch aus dem Staube.

»Aber ich ging nicht, nein, ich ritt. Seitdem bin ich immer geritten.
Ich verkaufte jeden Tag ein Gemälde, daran ließ ich mir genügen. Zu den
Käufern aber sagte ich stets:

»›Eigentlich ist es die größte Thorheit, ein Bild von François Millet
zu verkaufen. Der Mann lebt keine drei Monate mehr, und wenn er stirbt,
wird man seine Arbeiten mit Gold aufwiegen.‹

»Ich gab mir alle erdenkliche Mühe, diese Thatsache so viel wie möglich
zur allgemeinen Kenntnis zu bringen, um die Welt auf das kommende
Ereignis vorzubereiten.

»Den Plan, die Bilder auf solche Weise an den Mann zu bringen, rechne
ich mir hoch an, denn, unter uns gesagt, er stammte von mir und gelang
uns allen vortrefflich. Claude war gleichfalls zwei Tage gewandert, ehe
er den Verkauf begann, denn er fürchtete wie ich, Millets Ruhm möchte
zu schnell bis in sein Heimatdorf dringen. Der hübsche, leichtsinnige
Charles aber fing das Geschäft schon nach einem halben Tage an und
reiste so vornehm wie ein Herzog.

»Dann und wann traten wir auch in ein Zeitungsbureau und bewarben uns
um die Gunst der Presse. Nirgends war zu lesen, daß ein neuer Maler
entdeckt worden sei; man nahm einfach an, daß alle Welt François
Millet kenne; auch priesen die Blätter sein Verdienst auf keine
Weise, sie brachten nur Andeutungen über das gegenwärtige Befinden
des ›Meisters‹ -- manchmal hoffnungsvoll, manchmal verzweifelnd, aber
immer das Schlimmste befürchtend, und das reichte vollkommen hin. Wir
strichen diese Zeitungsnotizen mit Rotstift an und sandten die Nummern
gewissenhaft allen Leuten zu, die uns Bilder abgekauft hatten.

»Sobald Charles in Paris war, nahm er die Sache geschickt in die
Hand. Er knüpfte Beziehungen zu auswärtigen Korrespondenten an und
ließ Millets Bedeutung in England, über den Kontinent, in Amerika und
allerorten ausposaunen.

»Sechs Wochen nach unserm Aufbruch trafen wir drei uns wieder in Paris,
riefen einander ›Halt!‹ zu, und ließen uns auch keine Bilder mehr von
Millet schicken. Der Baum seines Ruhmes war so hoch und die Früchte so
reif geworden, daß uns der rechte Zeitpunkt gekommen schien, um die
Arbeit einzustellen. So schrieben wir denn an Millet, er möchte sich
unverweilt zu Bette legen, denn wir wünschten ihn in zehn Tagen sterben
zu lassen, wenn er bis dahin fertig werden könne.

»Nun machten wir Kasse und fanden, daß wir inzwischen fünfundachtzig
kleine Bilder und Studien verkauft und neunundsechzigtausend Franken
dafür eingenommen hatten. Charles machte noch zuletzt das glänzendste
Geschäft von allen, er verkaufte nämlich den ›Angelus‹ für zweitausend
zweihundert Franken. Wie feierten wir ihn für diese That, ohne
vorauszusehen, daß Frankreich eines Tages um den Besitz dieses Gemäldes
mit einem Fremden kämpfen würde, der es uns schließlich für bare
Fünfmalhundertfünfzigtausend geraubt hat.

»Am selben Abend hielten wir noch einen Abschiedsschmaus mit
Champagner, und tags darauf packten Claude und ich unsere
Habseligkeiten und reisten ab, um Millet während seiner letzten Tage zu
pflegen, alle Neugierigen vom Hause fernzuhalten und täglich Berichte
an Charles nach Paris zu senden, die in den Blättern aller Erdteile
veröffentlicht wurden, um die voll Spannung harrende Welt von den
Vorgängen in Kenntnis zu setzen. Das traurige Ende ließ nun nicht lange
auf sich warten, und auch Charles war zugegen, um bei den letzten
Feierlichkeiten zu helfen.

»Sie erinnern sich ohne Zweifel, welches ungeheure Aufsehen jenes
große Leichenbegängnis machte; die bedeutendsten Persönlichkeiten aus
aller Herren Länder kamen damals herbeigeströmt, um ihre Teilnahme zu
bezeugen. Wir vier -- noch immer unzertrennlich -- trugen den Sarg, und
wollten uns von keinem dabei helfen lassen. Mit gutem Grund, denn es
befand sich nichts darin als eine Wachspuppe. Andern Sargträgern würde
das geringe Gewicht ohne Zweifel aufgefallen sein. Wir _vier_, die wir
alle Entbehrungen der schweren, jetzt auf ewig vergangenen Zeit, mit
treuer Freundschaft geteilt hatten, haben nun auch den Sarg ...«

»Vier? Welche vier?«

»Nun, wir vier -- denn Millet half seinen eigenen Sarg tragen.
Verkleidet natürlich. Er galt für einen entfernten Verwandten.«

»Merkwürdig!«

»Aber wahr, buchstäblich wahr! Sie werden sich auch erinnern, wie die
Bilder Millets im Preise stiegen. Wir wußten kaum, was wir mit all
dem Gelde anfangen sollten. In Paris lebt ein Mann, der siebzig Stück
Millets besitzt. Er hat uns zwei Millionen dafür bezahlt. Und was die
Unmenge von Skizzen und Studien betrifft, die Millet in den sechs
Wochen, während wir unterwegs waren, zusammengemalt hat, so würden Sie
staunen, für welche Preise wir sie heute noch verkaufen, das heißt,
wenn wir uns überhaupt dazu verstehen sie herzugeben.«

»Das ist wirklich eine wunderbare Geschichte.«

»Ja, sie hat einen ganz hübschen Schluß.«

»Was ist denn aber aus Millet geworden?«

»Können Sie ein Geheimnis bewahren?«

»Versteht sich!«

»Erinnern Sie sich des Mannes, auf den ich Sie heute im Speisesaal
aufmerksam machte? Das war François Millet.«

»Nicht möglich!«

»Ja -- er selbst. Das war einmal ein genialer Mann, der sich nicht zu
Tode gehungert hat, um dann den Lohn, der ihm gebührte, in die Taschen
anderer fließen zu lassen. Diesem Singvogel war es nicht bestimmt, sich
das Herz umsonst aus dem Leibe zu pfeifen, und den kalten Pomp einer
großen Leichenfeier als einzige Bezahlung zu erhalten. Dafür haben
_wir_ Sorge getragen!«



Michel Angelo.

(Nebst einer Auslassung über Führer in Italien.)


Ich verehre das gewaltige Genie _Michel Angelos_, des Mannes, der
groß in der Dichtkunst, groß als Maler, Bildhauer, Baumeister -- groß
in allem war, was er unternahm. Aber ich mag Michel Angelo nicht zum
Kaffee, zum zweiten Frühstück, zum Mittagsbrot, zum Thee und zum
Nachtessen haben und auch noch zwischen den Mahlzeiten. Ich liebe
einen gelegentlichen Wechsel. In Genua entwarf er alles, in Mailand
entwarfen er oder seine Schüler alles, von wem anders hörten wir die
Führer in Padua, Verona, Venedig, Bologna jemals reden, als von Michel
Angelo? In Florenz hatte er fast alles gemalt, fast alles entworfen,
und wo etwas war, das er nicht entworfen, davor hatte er wenigstens auf
seinem Lieblingssteine gesessen und es betrachtet, und man wies uns
den Stein. In Pisa hatte er alles entworfen, ausgenommen den berühmten
alten Turm, und auch der würde ihm zugeschrieben worden sein, wenn er
nicht gar so schief ausgefallen wäre. In Rom ist’s mit diesem Michel
Angelo besonders fürchterlich. Er entwarf die Peterskirche, er entwarf
das Pantheon, den Tiberstrom, den Vatikan, das Koliseum, das Kapitol,
den Tarpejischen Felsen, den Palast Barberini, die Laterankirche,
die Campagna, die Appische Straße, die sieben Hügel, die Bäder des
Caracalla, die Claudische Wasserleitung, die Cloaca Maxima -- der ewige
Quälgeist entwarf die ewige Stadt, und wenn nicht alle Menschen und
Bücher lügen, malte er zugleich alles in derselben. Mein Freund Dan
sagte neulich zum Führer: »Genug, genug, genug! Ich will nichts mehr
wissen. Sagen Sie rund heraus: Gott schuf Italien nach Entwürfen von
Michel Angelo!«

Nie fühlte ich mich zu so feurigem Danke gestimmt, so beruhigt, so voll
Seelenfrieden, so selig als gestern, wo ich erfuhr, daß Michel Angelo
tot sei.

Aber wir haben es diesem Führer abgewöhnt. Er führte uns in den
ungeheuren Korridoren des Vatikans durch Meilen von Bildern und
Skulpturen und an einem Dutzend anderer Orte wieder und immer wieder
durch Meilen von Bildern und Skulpturen; er zeigte uns das große
Gemälde in der Sixtinischen Kapelle und Fresken genug, um den ganzen
Himmel damit zu schmücken -- und ziemlich alles war von Michel Angelo.
So spielten wir ihm denn den Possen, der uns so manchen Führer zahm
gemacht hat: wir stellten uns dumm und richteten blödsinnige Fragen
an ihn. Diese Geschöpfe sind nie mißtrauisch, haben keine Idee von
Sarkasmus.

Er zeigte uns eine Figur und sagte: »Statu brunzo.« (Bronzestatue.)

Wir sehen gleichgültig hin, und der Doktor fragt: »Von Michel Angelo?«

»Nein, nicht wissen, wer.«

Dann zeigte er uns ein altes römisches Forum, und der Doktor fragt
wieder: »Von Michel Angelo?«

Der Führer macht große Augen. »Nein -- tausend Jahr, bevor er ist
geboren.«

Dann kommt ein ägyptischer Obelisk dran, und wieder wird gefragt: »Von
Michel Angelo?«

»~O mon Dieu!~ meine Erren. Der stehen ja sweitausend Jahr schon bevor
er ist geboren.«

Er wird dieses unaufhörlichen Fragens zuweilen so müde, daß er sich
fürchtet, uns noch mehr zu zeigen. Der arme Teufel gab sich die
erdenklichste Mühe, uns begreiflich zu machen, daß Michel Angelo nur
für die Erschaffung _eines Teils_ der Welt verantwortlich ist, aber
ohne den gewünschten Erfolg.

Ich möchte an dieser Stelle etwas von allgemeinem Interesse in betreff
dieser notwendigen Plagegeister, der europäischen Führer, sagen.
Mancher hat gewiß schon in seinem Herzen gewünscht, ohne einen Führer
fertig zu werden, oder -- da dies nicht möglich ist -- wenigstens
gewünscht, sich für seine lästige Gesellschaft durch einen Spaß mit
ihm schadlos zu halten. Da uns das gelungen ist, mögen auch andere den
Nutzen daraus ziehen.

Die Führer verstehen gewöhnlich gerade genug Englisch, um die
heilloseste Begriffsverwirrung damit anzurichten, so daß man nicht mehr
weiß, wo einem der Kopf steht. Sie kennen ihre Geschichte auswendig, --
die Geschichte jeder Bildsäule, jedes Gemäldes, jeder Kathedrale und
jedes andern Wunders, das sie uns zeigen. Sie sagen ihre Geschichte
her wie ein Papagei, und wenn man sie unterbricht und aus dem Konzepte
bringt, so müssen sie umkehren und von vorn anfangen. Da sie ihr
ganzes Leben hindurch damit beschäftigt sind, Fremden seltsame Dinge
zu zeigen und den Ausbrüchen ihrer Begeisterung zuzuhören, so macht
es ihnen natürlich die größte Freude, Bewunderung zu erwecken. Das
Publikum vor Begeisterung in vollständige Verzückung zu versetzen,
wird dem Führer zur Leidenschaft. Er gewöhnt sich so sehr daran, daß
er in einer nüchternen Atmosphäre gar nicht mehr leben kann. Nachdem
wir dies entdeckt, verfielen wir nie wieder in Verzückung, bewunderten
wir nichts mehr, zeigten wir vor den erhabensten Wunderwerken, die
ein Führer uns zu erklären hatte, nie etwas anderes als gleichgültige
Gesichter und einfältige Teilnahmlosigkeit. Wir hatten ihre schwache
Stelle herausgefunden und dies seitdem gehörig benutzt. Wir haben
einige von diesen Leuten bisweilen förmlich wild gemacht, nie aber
unsere eigne gute Laune verloren.

Gewöhnlich ist’s unser Doktor, der die Fragen stellt, weil er seine
Gesichtsmuskeln in der Gewalt hat, sich ganz das Aussehen eines
Einfaltspinsels geben kann und es vortrefflich versteht, in den Ton
seiner Stimme möglichst viel alberne Naivität zu legen. Es scheint ihm
angeboren.

Die Führer in Genua sind ganz entzückt, wenn sie sich einer
amerikanischen Gesellschaft bemächtigen können, weil Amerikaner sich
so leicht wundern und namentlich vor jeder Reliquie des Kolumbus in
Aufregung und Staunen geraten. Unser dortiger Führer tänzelte vor uns
herum, als ob er eine Sprungfedermatratze verschluckt hätte. Er konnte
sich kaum mehr halten vor Ungeduld, als er uns zurief:

»Komm Sie mit, meine Erren -- komm Sie. Ik werd’ Sie ßeigen das Brief
geschreibt von Christophoro Colombo selbst. Schreibte es selbst!
Schreibte es mit seine eigne And.«

Er führte uns nach dem Stadthaus. Nach vielem eindrucksvollem
Herumkramen in Schlüsseln und Aufschließen von Schlössern wurde das
beschmutzte alte Dokument vor uns ausgebreitet. Die Augen des Führers
funkelten. Er tanzte um uns herum und klopfte mit dem Finger auf das
Pergament.

»Was ik Ihne sagte, meine Erren! Ist es nit so? Seh Sie mal! Andschrift
von Christophoro Colombo. Schreibte es selbst.«

Wir machten ein gleichgültiges, teilnahmloses Gesicht. Der Doktor
prüfte das Dokument sehr sorgfältig während einer peinlichen Pause.
Dann sagte er, ohne irgend welches Interesse zu verraten: »Ah,
Ferguson, wie -- wie sollte doch der Mensch heißen, der das geschrieben
hat?«

»Christophoro Colombo! Der große Christophoro Colombo.«

Wieder eine sorgfältige Prüfung.

»Ah, schrieb er es selbst, oder -- oder wie?«

»Er schreibte es selbst! -- Christophoro Colombo! Es ist seine eigne
Andschrift. Schreibte es selbst.«

Darauf legte der Doktor das Dokument hin und sagte:

»Ei, ich habe Knaben in Amerika gesehen, die erst vierzehn Jahre alt
waren und besser schreiben konnten, als das da.«

»Aber das ist ja der große Christoph --«

»Einerlei, wer er ist. Es ist die schlechteste Schrift, die ich je
gesehen. Nun müssen Sie sich nicht einbilden, daß Sie uns was weiß
machen können, weil wir Fremde sind. Wir sind durchaus keine Narren.
Wenn Sie Beispiele der Schönschreibekunst zu zeigen haben, an denen
wirklich was ist, dann her damit -- wo nicht, so lassen Sie uns weiter
fahren.«

Wir fuhren weiter. Der Führer war erheblich erschüttert in seinen
Erwartungen, aber machte noch einen Versuch. Er hatte etwas, wovon er
dachte, es würde uns überwältigen. Er sagte:

»Ah, meine Erren, komm Sie mit mich. Ik werd’ Sie zeigen was Schönes,
-- prächtige Büste von Christophoro Colombo -- errlich, großartig.«

Er brachte uns vor die schöne Büste -- sie war in der That schön --
sprang zurück und warf sich in die Brust.

»Ah, seh Sie, meine Erren, schön, großartig -- Büste von Christophoro
Colombo! schönes Büste, schönes Piedestal!«

Der Doktor nahm sein Augenglas vor die Augen, das er sich zu solchen
Zwecken angeschafft hatte.

»Ah, wie sollte dieser Herr gleich heißen?«

»Christoph Columbus. Der große Christophoro Colombo.«

»Christoph Columbus. Der große Christophoro Colombo. Nun, was hat er
denn geleistet?«

»Amerika entdeckt -- Amerika hat er entdeckt. Sein das nicht genug?«

»Amerika soll er entdeckt haben? Nein -- die Behauptung wird schwerlich
richtig sein. Wir kommen ja selber aus Amerika. Wir haben nichts davon
gehört. Christophoro Colombo -- hübscher Name -- ist -- ist er schon
tot?«

»~O corpo di Bacho!~ Dreihundert Jahre schon.«

»Woran starb er wohl?«

»Das weiß ik nicht, das kann ik nit sagen.«

»Denken Sie ’mal nach -- Pocken?«

»Ik weiß es nicht, meine Erren. Ik weiß nicht, an was er ist gestorben.«

»Masern am Ende?«

»Mag sein, mag sein -- ik weiß es nicht -- ik denk, er sterbte an
etwas.«

»Eltern noch am Leben?«

»Unmöglich.«

»Sagen Sie, -- welches ist die Büste und welches das Piedestal.«

»Santa Maria! Dies hier ist die Büste und dies das Piedestal.«

»Ah, ich sehe, ich sehe -- glückliche Verbindung, in der That eine sehr
glückliche Verbindung.«

Nachdem wir unserem Führer also in Genua mitgespielt, hatten wir für
die Zukunft gewonnenes Spiel. Diese Führer hätten uns sonst zu Tode
geelendet.

       *       *       *       *       *

Im Vatikan zu Rom, dieser wunderbaren Welt voll Sehenswürdigkeiten,
verbrachten wir wiederholt mehrere Stunden. Auch hier trugen wir
unserem Führer gegenüber die größte Zurückhaltung zur Schau. Bisweilen
waren wir nahe daran, Interesse zu bekunden, ja selbst Bewunderung --
es war sehr schwer, sich dessen zu enthalten. Indes gelang es. Niemand
sonst brachte das im vatikanischen Museum zu stande. Der Führer war
außer sich -- es ging ihm übers Bohnenlied. Er lief sich fast die
Beine ab, um außerordentliche Dinge aufzuspüren, und erschöpfte alle
seine Gewandtheit an uns, aber es mißlang ihm. Er hatte das, was er
für das größte Wunder hielt, bis zuletzt aufgespart -- eine ägyptische
Königsmumie, vielleicht die am besten erhaltene in der Welt. Er führte
uns dahin. Er war seiner Sache diesmal so sicher, daß etwas von seinem
früheren Enthusiasmus zurückkehrte.

[Illustration]

»Seh Sie, meine Erren! Mumia! Mumia!«

Das Augenglas ging so ruhig und kritisch wie immer in die Höhe.

»Ah, Ferguson -- verstand ich Sie recht -- wie hieß dieser Herr?«

»Wie er geheißen hat? Er atte gar keine Name. Mumia! -- Aegyptische
Mumie.«

»Ja, ja. Hier geboren?«

»Nein, Aegyptische Mumie.«

»Ah, ganz recht. Vermutlich ein Franzose?«

»Nein. Kein Franzose, kein Römer. In Aegypta geboren.«

»In Aegypta geboren? Hörte in meinem Leben nichts von Aegypta.
Ausländische Lokalität wahrscheinlich. Mumie, Mumie. Hm, wie ruhig er
ist, wie gelassen! Ist -- ah, ist er tot?«

»~Oh sacré bleu!~ schon seit dreitausend Jahren.«

Der Doktor schnaubte ihn grimmig an:

»Hören Sie ’mal, was soll dieses Betragen heißen? Halten Sie uns für
Chinesen, weil wir Fremde sind und etwas lernen wollen? Versuchen
Sie uns mit ihren elenden Leichen aus der Trödelbude zu imponieren?
Donnerwetter, ich hätte gleich Lust, Sie zu -- zu --; wenn Sie eine
nette _frische_ Leiche haben, her damit -- oder beim Teufel ...«

Unser Führer war ein Franzose. Indes zahlte er uns den Spaß, ohne es
zu wissen, teilweise heim. Er kam am andern Morgen ins Hotel, um sich
zu erkundigen, ob wir auf wären, und beschrieb uns, so gut er konnte,
so daß der Wirt bald wußte, welche Personen er meinte. Er schloß seine
Beschreibung mit der beiläufigen Bemerkung, daß wir verrückt seien.
Wir nahmen ihm diese harmlose und ehrlich gemeinte Aeußerung gar nicht
übel.



Ein türkisches Bad.


Wenn ich daran denke, wie ich durch Beschreibungen von Reisen im Orient
beschwindelt worden bin, so könnte ich ganz rasend werden. Jahraus
jahrein habe ich von den Wundern des türkischen Bades geträumt, und
jahraus jahrein habe ich mir versprochen, ich solle noch eines zu
genießen bekommen. Ach wie oft habe ich in Gedanken in dem Marmorbade
gelegen und die einschläfernden Düfte morgenländischer Gewürze, welche
die Luft erfüllten, eingeatmet; habe dann eine geheimnisvolle und
verwickelte Prozedur von Ziehen und Recken, Naßmachen und Abreiben
durchgemacht, welche von einer Schar nackter Wilder ins Werk gesetzt
wurde, die gleich Dämonen in den dampfenden Nebeln auftauchten;
habe dann eine Weile auf einem Divan, der für einen König paßte,
ausgeruht; bin darauf durch eine zweite Feuerprobe und zwar durch
eine furchtbarere als die erste hindurchgegangen und schließlich, in
weiche Stoffe gehüllt, in einen fürstlichen Saal gebracht und auf ein
Bett von Eiderdaunen gelegt worden, wo Eunuchen in prachtvoller Tracht
mir Kühlung zufächelten, während ich in träumerischem Halbschlummer
dalag oder mit Behagen auf die reichen Behänge des Gemachs, die
weichen Teppiche, die prächtigen Hausgeräte und Bilder hinschaute,
köstlichen Kaffee trank, das beruhigende Nargileh rauchte und zuletzt,
eingelullt von wollüstigen Düften aus ungesehenen Räucherpfannen, von
dem sänftigenden Einflusse des persischen Tabaks und von der Musik
plätschernder Springbrunnen, die das Tröpfeln eines Sommerregens
nachahmten, in ruhigen Schlaf versank.

Es war ganz das Bild, wie es in den phantasievollen Reisebüchern steht.
Aber es ist eine elende Täuschung.

Man empfing mich in einem großen Hofe, der mit Marmorplatten
gepflastert war. Rings herum liefen breite Galerien, eine über der
andern, mit schmutzigen Matten statt mit Teppichen belegt, und von
unangestrichenen Balustraden eingefaßt. Möbliert waren sie mit
riesigen gichtbrüchigen Stühlen, darauf zerfressene alte Matratzen
als Sitzkissen, eingebogen und ausgehöhlt durch die Eindrücke, welche
die Formen von neun aufeinanderfolgenden Generationen, die auf ihnen
geruht, zurückgelassen hatten. Der Raum war groß, kahl, öde, der
Hof eine Scheune, die Galerien wie Pferdeställe. Die leichenhaften,
halbnackten Knechte, die in dem Etablissement Dienste leisteten, hatten
in ihrer Erscheinung nichts von Poesie, nichts von Romantik, nichts
von morgenländischer Pracht. Sie verbreiteten keine entzückenden
Düfte -- vielmehr das Gegenteil. Ihre hungrigen Augen und ihre hagern
Gestalten ließen einen fortwährend an eine prosaische Thatsache denken,
-- daß sie Verlangen trugen nach dem, was man in Kalifornien ›eine
rechtschaffene Abfütterung‹ nennt.

Ich ging in eine von den Zellen und entkleidete mich. Ein unsauberer,
verhungert aussehender Bursche umhüllte seine Lenden mit einem bunten
Tischtuche und hing mir einen weißen Fetzen über die Schultern. Ich
wurde sodann in den Hof hinabgeführt, der so feucht und schlüpfrig
war, daß ich ausglitt und hinfiel. Mein Fall rief jedoch keinerlei
Bemerkung hervor. Man hatte ihn ohne Zweifel erwartet. Er gehörte
offenbar zu der Reihe sänftigender, wollüstiger Eindrücke, die
dieser Heimstätte des morgenländischen Luxus eigentümlich sind. Man
gab mir ein Paar hölzerne Pantoffeln oder vielmehr Brettchen, mit
Lederstrippen daran, um sie an den Füßen festzuhalten (was sie auch
gethan haben würden, wenn ich eine andere Nummer trüge). Diese Dinge
baumelten unbequem an den Strippen, wenn ich die Füße erhob, und wenn
ich sie wieder niedersetzte, drehten sie sich seitwärts, daß meine
Fußknöchel umknickten und schier aus dem Gelenke gingen. Indes war
alles morgenländischer Luxus, und ich that, was ich konnte, um mich
seiner zu erfreuen.

Man brachte mich in einen andern Teil der Scheune und legte mich auf
eine Art von Pritsche, die nicht etwa aus Goldbrokat oder persischen
Shawls bestand, sondern dasselbe einfache und anspruchslose Ding war,
das ich in den Negerquartieren von Arkansas fand. In diesem düstern
Marmorgefängnis befand sich weiter gar nichts als noch fünf von diesen
Bahren. Es war ein sehr feierlicher Ort. Ich erwartete jetzt, die
balsamischen Düfte Arabiens würden nunmehr meine Sinne gefangen nehmen,
aber es war nichts. Ein kupferfarbenes Gerippe, das einen Fetzen
umgehangen hatte, brachte mir eine bauchige Flasche mit Wasser, mit
einer glimmenden Tabakspfeife obendrauf und einem biegsamen und langen
Schlauch daran, der in ein messingenes Mundstück auslief.

Es war das berühmte Nargileh des Morgenlandes -- das Ding, welches der
Großtürke auf Bildern zu rauchen pflegt. Das fing in der That an, wie
Luxus auszusehen. Ich that einen Zug daraus, und der genügte mir; der
Rauch drang mir in einer großen Wolke hinunter in den Magen, in die
Lungen, ja bis in die äußersten Enden des Gebäudes meines Körpers.
Ich platzte mit einem einzigen mächtigen Husten los, und es war, als
ob der Vesuv ausgebrochen wäre. Die nächsten fünf Minuten qualmte ich
aus allen Poren, wie ein Bretterhaus, das inwendig brennt. Ich danke
schön für alle Zeit für den weiteren Genuß des Nargileh. Der Rauch
hatte einen niederträchtigen Geschmack, und noch widerwärtiger war der
Geschmack von Tausenden von ungläubigen Zungen, der an jenem messingnen
Mundstück hing. Ich fing an den Mut zu verlieren. Wenn ich künftig
wieder den Großtürken in vorgeblichem seligem Behagen außen auf einem
Paket mit Connecticut-Tabak sein Nargileh schmauchen sehe, werde ich
wissen, daß es nichts ist als schamloser Schwindel.

[Illustration]

Mein Gefängnis war mit heißer Luft gefüllt. Als ich hinreichend
durchwärmt war, um für eine noch wärmere Temperatur vorbereitet zu
sein, führten sie mich in ein Marmorzimmer, feucht, schlüpfrig und voll
Dampf, und legten mich auf eine erhöhte Plattform im Mittelpunkte.
Es war hier sehr warm. Bald darauf setzte mich mein Mann neben einen
Trog mit heißem Wasser, begoß mich tüchtig, zog über seine rechte Hand
einen groben Badehandschuh und begann mich über und über mit demselben
zu reiben. Ich fing an, garstig zu riechen. Je mehr er rieb, desto
garstiger roch ich. Es war beunruhigend. Ich sagte zu ihm:

»Ich merke jetzt, daß ich so ziemlich hin bin. Vernünftigerweise sollte
man mich ohne allen unnötigen Zeitverlust begraben. Vielleicht thäten
Sie am besten, ohne Verzug zu meinen Freunden zu gehen, weil das Wetter
heiß ist, und ich deshalb nicht lange halten werde.«

Er fuhr fort, mich zu schaben, ohne auf meine Worte zu achten. Ich
bemerkte bald, daß er meinen Umfang verkleinerte. Unter dem Druck
seines Fausthandschuhs gingen kleine Würstchen von mir ab, die wie
Makkaroni aussahen. Es konnte kein Schmutz sein; denn dazu war es zu
weiß. Nachdem er mich eine geraume Zeit in dieser Weise abgehobelt
hatte, sagte ich:

»Das ist ein langweiliges Verfahren. Es wird Stunden erfordern, um mich
zu dem Umfang abzuschaben, den Sie mir zu geben gedenken. Gehen Sie und
holen Sie lieber einen Schrubbhobel.«

Er gab durchaus keine Acht auf das, was ich sagte.

Nach einer Weile brachte er ein Becken, etwas Seife und ein Ding,
das wie ein Pferdeschwanz aussah. Er schlug eine ungeheure Masse
Seifenschaum, überflutete mich damit vom Kopf bis zu den Füßen,
ohne mir vorher zu sagen, ich solle die Augen schließen, und fegte
mich alsdann mit heimtückischer Heftigkeit vermittelst seines
Pferdeschwanzes. Dann ließ er mich als schneeweiße Bildsäule von
Seifenschaum zurück und ging seiner Wege. Als ich des Wartens
überdrüssig war, ging ich ihm nach und spürte ihn auf. Er lehnte
eingeschlafen an der Wand in einem andern Gemache. Ich weckte ihn auf.
Dies brachte ihn keineswegs aus der Fassung. Er führte mich zurück,
übergoß mich mit heißem Wasser, setzte mir einen Turban auf den Kopf,
kleidete mich in trockene Tischtücher und geleitete mich zu einer Art
Hühnerkäfig in einer der Galerien und zeigte auf eine jener vorhin
beschriebenen Pritschen. Ich legte mich hinauf und gab mich wieder
der unbestimmten Erwartung hin, jetzt würden sich die arabischen
Wohlgerüche einstellen. Sie kamen nicht. Dafür kam ein dürrer Diener
mit einem Nargileh. Ich bewog ihn, es ohne Zeitverlust wieder
hinauszutragen. Darauf brachte er den weltberühmten türkischen Kaffee,
den Poeten viele Generationen hindurch so hinreißend besungen haben,
und ich warf mich auf ihn los als die letzte Hoffnung, die mir von
meinen Träumen vom morgenländischen Luxus geblieben war. Es war wieder
eine Täuschung. Von allen unchristlichen Getränken, die je über meine
Lippen gingen, ist der türkische Kaffee das schlimmste. Die Tasse ist
klein, mit Bodensatz beschmiert, der Kaffee schwarz, von unangenehmem
Geruch und abscheulichem Geschmack. Am Boden der Tasse sitzt ein
schlammiger Niederschlag, einen halben Zoll tief. Dieser geht die Kehle
hinab und dabei bleiben Teilchen davon unterwegs hängen und bewirken
ein unbehagliches, kitzelndes Gefühl, welches einen stundenlang bellen
und husten läßt.

Hier endet meine Erfahrung von dem vielgerühmten türkischen Bade, und
hier endigt auch mein Traum von dem seligen Behagen, in welchem der
Sterbliche schwelgt, der ein solches durchmacht. Es ist ein boshafter
Schwindel. Der Mensch, dem es gefällt, ist geeignet, sich alles
gefallen zu lassen, was dem Gesichts- und Gefühlssinn widerwärtig ist,
und der, welcher es mit dem Zauber der Poesie zu umgeben vermag, ist
auch imstande, desgleichen zu thun mit allem andern in der Welt, was
langweilig, erbärmlich, trübselig und garstig ist.



Die Hunde von Konstantinopel.


[Illustration]

Ich glaube fast, daß die berühmten Hunde von Konstantinopel falsch
dargestellt -- ja verleumdet worden sind. Ich habe nie etwas
anderes von ihnen gehört, als daß sie so haufenweise in den Straßen
herumschweifen, daß sie einem stellenweise den Weg versperren --, daß
sie förmlich organisierte Kompagnien und Regimenter bilden und durch
entschlossenen und blutigen Angriff erobern, was sie nötig haben, --
und endlich, daß sie in der Nacht alle andern Geräusche durch ihr
fürchterliches Geheul übertäuben. Die Hunde, die ich jetzt bei meinem
Aufenthalt in Konstantinopel sehe, können unmöglich dieselben sein, von
denen ich gelesen habe.

Ich finde sie zwar überall, aber nicht in starken Rudeln. Die größte
Zahl, die ich gefunden habe, war zehn bis zwanzig. Bei Tag und Nacht
war ein guter Teil derselben fest eingeschlafen. Die, welche nicht
schliefen, sahen immer aus, als ob sie sich sehr danach sehnten. Nie
in meinem Leben habe ich solche erbarmenswürdige, ausgehungerte,
trübselig blickende, jammervolle Köter gesehen. Es muß einem als die
reinste Satire erscheinen, wenn man Tiere gleich diesen anklagt, sie
bemächtigten sich irgend einer Sache mit Gewalt. Sie schienen kaum
Kraft oder Ehrgeiz genug zu besitzen, um sich über die Straße zu wagen.
Ich entsinne mich nicht, daß ich auch nur einen einzigen so weit habe
gehen sehen. Sie sind räudig, mit Beulen bedeckt und verstümmelt,
und zuweilen begegnet man einem, dem das Haar in breiten und scharf
abgegrenzten Streifen abgesengt ist, daß er wie eine Landkarte von
unsern neuen Territorien aussieht. Sie sind die traurigsten Tiere,
die atmen -- die widerwärtigsten -- die bemitleidenswertesten. In
ihren Gesichtern liegt beständig der Ausdruck der Schwermut, die Miene
hoffnungsloser Niedergeschlagenheit. Die haarlosen Stellen auf dem
Rücken eines verbrühten Hundes werden von den Flöhen Konstantinopels
einem weiteren größeren Tummelplatze auf einem gesünderen Hunde
vorgezogen; dieselben finden dort ihre Rechnung ganz vortrefflich. Ich
sah einen Hund von jener Sorte auffahren, um einen Floh wegzubeißen, --
da lenkte eine Fliege seine Aufmerksamkeit auf sich, und er schnappte
nach ihr. Der Floh machte ihm nochmals seinen Besuch, und das gab ihm
für immer den Rest; er warf einen betrübten Blick auf den weidenden
Floh, einen zweiten betrübten Blick auf den kahlen Fleck, dann that er
einen Seufzer und ließ seinen Kopf -- ergeben in sein Schicksal -- auf
seine Vorderpfoten fallen. Er war der Lage nicht gewachsen.

Die Hunde schlafen allenthalben in den Straßen, wohin man gehen mag.
Von einem Ende der Straßen bis zum andern mögen nach meiner Schätzung
acht oder zehn auf ein Häuserviertel kommen; zuweilen sind’s auch
mehr: fünfzehn bis zwanzig. Sie gehören niemanden und scheinen keine
persönlichen Freundschaftsbündnisse unter einander zu schließen.
Aber sie teilen sich in die Stadt nach bestimmten Bezirken; und
die Hunde jedes Bezirks, mag derselbe groß oder klein sein, müssen
innerhalb seiner Grenzen verbleiben. Wehe dem Hunde, der diese Grenze
überschreiten wollte! Seine Nachbarn würden ihm in einer Sekunde den
Rest seiner Habe wegschnappen. So behauptet man wenigstens, wenn sie
auch nicht danach aussehen.

Sie schlafen also in den Straßen. Sie dienen mir als Kompaß -- als
Führer. Wenn ich die Hunde gelassen weiter schlafen sehe, während
Menschen, Schafe, Gänse und alle andern sich bewegenden Dinge
ausweichen und um sie herumgehen, so weiß ich, daß ich nicht in der
großen Straße bin, wo mein Hotel ist, und daß ich weiter gehen muß. In
jener großen Straße sehen die Hunde aus, als ob sie auf ihrer Hut wären
-- was davon kommt, daß sie jeden Tag genötigt sind, vielen Kutschen
und Wagen aus dem Wege zu gehen -- und diesen Ausdruck erkennt man im
Augenblick wieder. Er findet sich auf dem Gesichte keines einzigen
Hundes außerhalb der Grenzlinien jener Straße. Alle andern schlafen
gelassen und geben auf nichts acht. Sie würden sich nicht von der
Stelle bewegen, und wenn der Sultan selber vorbeizöge.

In einer engen Straße (breit ist freilich keine einzige) sah ich drei
Hunde zusammengerollt liegen, immer einer etwa einen oder zwei Fuß von
dem andern entfernt. Sie lagen der Länge nach über die Straße, und
so überbrückten sie dieselbe genau von Rinnstein zu Rinnstein. Auf
einmal kam eine Herde von hundert Schafen daher. Sie liefen geradezu
über die Hunde weg. Die Hunde blickten träge auf, zuckten ein wenig
zusammen, wenn die ungeduldigen Füße der Schafe ihre roh geschundenen
Rücken berührten, seufzten auf und legten sich friedlich wieder hin.
Keine Sprache hätte deutlicher reden können. Als die ganze Herde über
sie hinweggegangen war, niesten die Hunde in der Staubwolke ein wenig,
rückten aber mit ihren Leibern auch nicht einen Zoll weit von der
Stelle. Ich dachte immer, ich wäre träg, aber im Vergleich mit einem
konstantinopolitanischen Hunde bin ich eine wahre Dampfmaschine.

Diese Hunde sind die Abdecker der Stadt. Das ist ihre offizielle
Stellung und dieselbe ist recht schwer. Das ist es auch, was ihnen
Schutz verleiht. Wären sie nicht so nützlich, indem sie diese
fürchterlichen Straßen reinigten, so würden sie schwerlich geduldet
werden. Sie fressen alles und jedes, was ihnen in den Wurf kommt, von
Melonenschalen und verdorbenen Trauben angefangen bis hinauf zu ihren
eignen toten Vettern und Freunden, und doch sind sie stets dürr, immer
hungrig, immer niedergeschlagen. Die Leute hüten sich, einen Hund zu
töten -- dies kommt thatsächlich nicht vor. Man sagt, die Türken hätten
eine angeborne Abneigung dagegen, irgend einem stummen beseelten Wesen
das Leben zu nehmen. Aber sie thun Schlimmeres. Sie treten, steinigen
und verbrühen diese unglücklichen Geschöpfe, bis sie beinahe tot sind,
und lassen sie dann weiter leben und leiden.

Einmal setzte sich’s ein Sultan in den Kopf, alle Hunde in der Stadt zu
töten, und begann wirklich mit dieser Arbeit; aber der Pöbel erhob ein
solches Schreckensgeheul, daß dem Gemetzel Einhalt gethan wurde. Nach
einer Weile nahm er sich vor, alle nach einer Insel im Marmara-Meere
wegzuschaffen. Man erhob keine Einwendung dagegen, und eine oder ein
paar Schiffsladungen davon wurden weggeschafft. Aber als bekannt wurde,
daß irgendwie die Hunde niemals nach der Insel gelangten, sondern immer
in der Nacht über Bord fielen und umkamen, erhob sich ein abermaliges
Geheul, und so wurde der Deportierungsplan fallen gelassen.

So verblieben die Hunde denn im friedlichen Besitze der Straßen. Ich
behaupte nicht, daß sie des Nachts in den Straßen nicht heulten, und
daß sie nicht Leute anfielen, die kein rotes Fes auf dem Kopfe haben.
Ich sage nur, daß es niederträchtig von _mir_ sein würde, sie dieser
Unziemlichkeiten anzuklagen, da ich mit meinen eigenen Augen und Ohren
davon weder etwas gesehen noch gehört habe.



Des Kapitäns Bibel-Erklärung.


Wir plauderten manch liebes Mal vergnüglich über den alten Kapitän
›Wirbelwind‹ im Stillen Ozean -- Friede seiner Asche! -- Zwei oder drei
aus unserer Versammlung hatten ihn gekannt, ich insbesondere, denn ich
hatte vier Seereisen mit ihm gemacht.

Es war ein sehr merkwürdiger Mann. Auf dem Schiff geboren, hatte er
seine ganze Erziehung von den Schiffskameraden aufgeschnappt. Er fing
seinen Lebenslauf auf dem Vorderdeck an und stieg Grad für Grad, bis
zur Kapitänswürde. Mehr als fünfzig von seinen fünfundsechzig Jahren
brachte er auf dem Wasser zu; alle Ozeane hat er durchsegelt, alle
Länder gesehen und jedes Klima hat bei ihm seine Spur zurückgelassen.
Wenn jemand fünfzig Jahre auf See ist, so weiß er natürlich wenig von
den Menschen, kennt von der Welt nur die Oberfläche, nichts von ihren
Gedanken, nichts von ihrem Wissen als das ABC und selbst dieses nur
verwischt und entstellt durch die blinden Glaslinsen eines ungeübten
Verstandes. Er ist ein grau gewordenes, bärtiges Kind -- und das war
der alte Kapitän Jones auch -- einfach ein unschuldiges, liebenswertes,
altes Kind.

So lange er seine Gemütsruhe bewahrte, war er freundlich und sanft wie
ein Mädchen; wenn er aber in Wut geriet, wurde er zu einem Orkan, von
dem man sich nach seinem Spitznamen nur einen schwachen Begriff machen
konnte.

Im Handgemenge zeigte sich seine Kraft, denn er besaß einen mächtigen
Gliederbau und unerschütterlichen Mut. Vom Kopf bis zu den Fersen war
er mit Bildern und Sprüchen in roter und blauer Tusche tätowiert. Ich
war mit ihm auf der Reise, als er sich seine letzte leere Stelle um den
linken Fußknöchel tätowieren ließ. Drei Tage lang humpelte er auf dem
Schiff umher mit dem nackten, geschwollenen Fuß, auf dem der folgende
Spruch in farbiger Tusche leuchtete: »Die Tugend ist ihre eigene
Bel -- --« (zum Ende fehlte der Platz.)

Jones war ernstlich und aufrichtig fromm, fluchte aber dabei wie ein
Fischweib. Das Fluchen hielt er für untadelig, denn die Matrosen
würden keinen Befehl ohne die Erläuterung eines Fluches verstehen. In
der Bibel war er sehr belesen -- das heißt, nach seinem Dafürhalten.
Was in der Bibel stand, glaubte er alles, aber er hatte seine
eigene Methode um zu seinem Glauben zu gelangen. Er gehörte zu der
›vorgeschrittenen‹ Schule der Denker und wandte Naturgesetze bei der
Erklärung aller Wunder an -- etwa nach dem Plan der Leute, welche die
sechs Schöpfungstage in sechs geologische Perioden umwandeln -- und
dergleichen mehr. Ohne sich dessen bewußt zu sein, war er eine recht
scharfe Satire auf die modernen, wissenschaftlichen Religionsforscher.
Daß ein Mann, wie ich ihn eben beschrieben habe, leidenschaftlich gern
disputiert und argumentiert, versteht sich von selbst.

Auf einer Fahrt hatte Kapitän ›Wirbelwind‹ einen Prediger an Bord, ohne
zu wissen, daß es ein Geistlicher war, da die Passagierliste diese
Thatsache nicht verriet. Er fand großes Wohlgefallen an dem Rev. Mr.
Peters, sprach sehr viel mit ihm und erzählte ihm lange Geschichten. In
die schmackhaften Proben aus seinem persönlichen Lebenslauf, die er zum
Besten gab, wob er eine glitzernde Perlenschnur von Kraftausdrücken,
was für einen durch unsere matte, bilderlose Sprache ermüdeten Geist
sehr erfrischend war. Eines Tages fragte der Kapitän: »Peters, leset
Ihr wohl dann und wann in der Bibel?«

»Je nun -- ja.«

[Illustration]

»Na, mir scheint’s nicht oft, nach der Art, wie Ihr das sagt. Da rat’
ich Euch, greift’s einmal in allem Ernst an und Ihr werdet sehen, daß
es der Mühe lohnt. Laßt Euch nicht abschrecken, sondern macht immer
fort. Zuerst versteht Ihr nichts, aber nach und nach wird’s klar und
Ihr sollt sehen, Ihr legt das Buch nicht aus der Hand, um Eure Mahlzeit
zu halten.«

»Ja, das habe ich schon sagen hören.«

»Und es ist auch wirklich so. Es giebt gar kein Buch wie die Bibel,
Peters. Ein paar knifflige Punkte sind zwar drin -- das kann man nicht
ableugnen -- aber laßt nur nicht locker und sinnt sie aus -- seid Ihr
erst einmal in das Inwendige gekommen, so ist alles hell wie der Tag.«

»Ach -- auch die Wunder, Kapitän?«

»Jawohl, auch die Wunder, Herr; ein jedes einzelne, ohne Ausnahme.
Da ist z. B. die Angelegenheit mit den Propheten Baals -- he?
Wahrscheinlich hat Euch die vor den Kopf gestoßen?«

»Ja, allerdings -- ich weiß nicht, aber --«

»Na, bekennt’s nur gleich; das hat Euch verblüfft, ich glaub’s wohl.
Ihr hattet noch keine Erfahrung, dergleichen Dinge auseinander zu
wirren, da bliebt Ihr natürlich drin stecken. -- Wär’s Euch recht,
wenn ich Euch die Sache erklärte und Euch zeigte, wie Ihr auf den Kern
dieser Dinge kommen könnt?«

»Ja, wirklich, das würde mir sehr lieb sein, Kapitän, wenn’s Euch paßt.«

Darauf fuhr der Kapitän fort wie folgt.

»Das werd’ ich mit Vergnügen thun, Peters. Zuerst, seht Ihr, da hab’
ich gelesen und gelesen und gedacht und gesonnen, bis ich dahin kam,
zu verstehen, was das für eine Sorte von Leuten war, in den alten
Bibelzeiten, und hernach war es mir klar und leicht. Auch mit der
Geschichte von den Propheten des Baal und dem Isaak,[9] hab’ ich’s auf
die gleiche Art angegriffen. Es gab nämlich in jenen alten Tagen unter
den allgemein bekannten Persönlichkeiten mächtig gescheite Männer --
und Isaak war einer von ihnen. Isaak hatte seine Fehler, das leugne ich
gar nicht. Es kommt mir nicht zu, den Isaak rein zu waschen; er hat
die Propheten des Baal hinters Licht geführt, doch kann man ihm das
vielleicht zu gute halten, wenn man bedenkt, wie groß ihre Ueberzahl
war. Nein, ich behaupte nur, daß es kein Wunder war und will es
beweisen, so daß Ihr Euch selber davon überzeugen könnt.

    [9] Dies ist des Kapitäns eigene Verwechslung.

»Nun also -- die Zeiten waren für die Propheten schlimmer und schlimmer
geworden -- das heißt für die Propheten von Isaaks Glaubensbekenntnis.
In der Gemeinde waren vierhundertundfünfzig Propheten Baals und nur
ein einziger Presbyterianer -- wenn nämlich Isaak ein Presbyterianer
war, wie ich denke, aber ich kann’s nicht gewiß sagen. Natürlich hatten
die Propheten Baals das ganze Geschäft in Händen; Isaak mag wohl recht
niedergeschlagen gewesen sein, aber es steckte ein ganzer Mann in
ihm. Wahrscheinlich ist er nun umhergezogen und hat prophezeit --
just als wollte er sein Handwerk unter der Landbevölkerung treiben,
aber das half alles nichts. Wider solche Gegenpartei konnte er nichts
ausrichten, was sich verlohnte. Allmählich wurde die Sache ganz
verzweifelt für ihn. Da fängt er an, mit dem Kopf zu arbeiten, denkt
sich alles aus -- und was thut er dann? -- Nun, er giebt hier und da
zu verstehen, es sei bei der andern Partei so und so -- dies und das
nicht ganz in Ordnung -- vielleicht nichts _Bestimmtes_, aber gerade
genug, um ihr Ansehen bei den Leuten in aller Stille zu untergraben.
Das gab natürlich Geklatsch und endlich kam es dem König zu Ohren.
Der König fragt den Isaak, was seine Reden bedeuten. Der Isaak sagt:
›O, nichts Besonderes; ich meine bloß -- können Eure Propheten Feuer
vom Himmel auf einen Altar herunter beten? Das ist vielleicht nichts
Großes, Majestät; ich frage bloß -- _können_ sie es thun? Das möchte
ich wissen.‹

»Den König beunruhigte das nun sehr, und er ging zu den Baalspropheten.
Die antworteten ziemlich von oben herab: wenn der König einen Altar
bereit hätte, so wären sie auch bereit; auch ließen sie nebenbei
einfließen, er solle nur gleich für die Feuerversicherung sorgen.

»Den nächsten Morgen also versammelten sich alle Kinder Israels und
ihre Eltern und das übrige Volk. Da war auf einer Seite der große
Haufen der Propheten Baals zusammengedrängt und auf der andern Seite
schritt Isaak allein auf und ab und überdachte sein Stück Arbeit.

»Als nun die Zeit gekommen war, that Isaak ganz gemütlich und
gleichgültig; er rief der Gegenpartei zu, sie könnten die Vorhand
haben. So fingen nun die ganzen vierhundertundfünfzig an, um den Altar
herum zu beten, in großer Hoffnung und nach besten Kräften. Sie beteten
_eine_ Stunde -- _zwei_ Stunden -- _drei_ Stunden und immerfort, straks
bis zum Nachmittag. Es half aber alles nichts -- sie hatten keinen
Kniff angewendet. Natürlich machten sie sich lächerlich vor allem Volk,
und das fühlten sie auch. -- Was hätte nun ein großmütiger Mann wohl
gethan? -- Stillgeschwiegen, nicht wahr? Versteht sich. Und was that
Isaak? Er reizte und ärgerte die Propheten Baals auf alle erdenkliche
Weise.

»›Ihr schreit nicht laut genug,‹ sagte er, ›euer Gott ist scheint’s
eingeschlafen; oder, kann sein, er ist über Feld gegangen, ihr müßt
brüllen, wenn er euch hören soll‹ -- oder so ungefähr, ich besinne
mich nicht auf die richtigen Worte. -- Versteht mich recht -- ich
entschuldige den Isaak nicht -- er hat seine Fehler.

»Nun gut! Die Propheten beteten weiter, so eifrig sie konnten, den
ganzen Nachmittag und brachten doch keinen Funken zuwege. Endlich beim
Sonnenuntergang hatten sie allesamt Kraft und Atem verloren, sie mußten
es eingestehen und gaben’s auf.

»Was thut jetzt der Isaak? -- Er tritt vor und sagt zu einigen seiner
Freunde, welche in der Nähe waren: ›Gießt mir vier Tonnen Wasser auf
den Altar!‹ -- Jedermann war erstaunt, denn, seht Ihr, die andere
Partei hatte _trocken_ gebetet und war zu Schanden geworden. -- Na, sie
gossen es drauf. Dann ruft er: ›Laßt noch vier Tonnen drüber fließen!‹
Und dann: ›Noch vier mehr draufgegossen.‹ -- Also _zwölf_ Tonnen
zusammen. Das Wasser lief über den ganzen Altar und die Seiten herunter
und füllte noch einen Graben rund herum, der wohl ein paar Oxhoft
halten mochte. -- _Maß_ steht in der Bibel -- ich meine, es bedeutet
ungefähr ein Oxhoft. -- Viele Leute zogen schon wieder ihre Sachen an,
um heimzugehen; sie glaubten, der Mann wäre verrückt geworden. Aber da
kannten sie den Isaak schlecht.

»Isaak kniete nieder und fing an zu beten. Er holte weit aus und konnte
kein Ende finden; von den Heiden in fernen Ländern kam er auf die
Schwesterkirchen, auf _die_, so da Macht haben in der Regierung, auf
den Staat und das Land im großen und einzelnen und betete das ganze
übliche Gebet herunter -- Ihr wißt schon -- bis jedermann es satt bekam
und längst angefangen hatte, an andere Dinge zu denken. Dann aber,
ganz plötzlich, als niemand drauf merkt, holt er ein Zündholz ’raus,
streicht damit -- ritsch -- von hinten über seine Beine und -- paff! --
los flammt die ganze Geschichte, wie ein Haus im Feuer!«

»Zwölf Tonnen _Wasser_?« --

»Nein, _Petroleum, Herr, Petroleum_! -- das war’s! --«

»Petroleum, Kapitän?«

»Jawohl, Herr; das Land war voll davon, und Isaak wußte das wohl.
-- Lest nur die Bibel, Peters! Stoßt Euch nicht an die schwierigen
Stellen. Sie sind nicht schwierig, wenn Ihr sie recht ausstudiert und
beleuchtet. -- Es giebt nichts in der Bibel, was nicht wahr ist. Alles
was man zu thun hat, ist, sich mit aufrichtigem Gebet daran zu machen
und herauszufinden, wie es zugegangen ist.«



Was mir der Professor erzählte.


Ich war noch jung an Jahren, mit bescheidenen Aussichten und von Beruf
Feldmesser. Daß ich einmal Professor an einem Gymnasium werden würde,
ahnte ich damals nicht. Vor mir lag die ganze Welt -- ich war bereit
sie zu vermessen, wenn mir irgend jemand den Auftrag erteilte. Jetzt
führte mich mein Vertrag nach einem Bergwerksbezirk in Kalifornien; die
Seereise sollte drei bis vier Wochen dauern.

Mit meinen Reisegefährten hatte ich wenig Verkehr; lesen und träumen
war meine Hauptbeschäftigung, und um mich dem ganz hingeben zu können,
wich ich so viel als möglich jeder Unterhaltung aus. An Bord waren drei
Spieler von Profession, rohe, widerwärtige Gesellen; natürlich sprach
ich nie ein Wort mit ihnen, doch konnte ich nicht umhin, sie häufig
zu sehen, wenn ich meinen gewöhnlichen Spaziergang auf dem Vorderdeck
machte. Sie saßen dort nämlich früh und spät bei den Karten in ihrer
Kajüte, deren Thür offen blieb, um den Tabaksqualm samt den Flüchen
und Kraftausdrücken hinauszulassen. Der Anblick war mir in hohem Grade
zuwider, allein was half’s -- ich mußte mich drein ergeben.

Ein anderer Passagier kam mir auf meinem Spaziergang aber häufig in den
Wurf, da er entschlossen schien, sich mit mir auf freundschaftlichen
Fuß zu stellen. Ich hätte ihn nicht loswerden können, ohne ihn zu
kränken, und das brachte ich nicht übers Herz; auch nahm mich seine
ländliche Einfalt und unaussprechliche Gutmütigkeit sehr für ihn ein.
Als ich das erstemal seiner ansichtig wurde, hatte ich mir gleich
gedacht, er müsse ein Wiesenbauer oder Farmer aus den Hinterwäldern im
Westen sein -- vielleicht aus Ohio -- und bei näherer Bekanntschaft
stellte sich richtig heraus, daß er Viehzüchter war und aus dem Innern
von Ohio kam. Die Freude über meinen Scharfsinn, mit dem ich den Nagel
auf den Kopf getroffen hatte, war wohl der Grund, daß ich sofort für
John Backus, so hieß der Mann, ein warmes Interesse empfand.

Täglich pflegten wir nach dem Frühstück zusammenzutreffen und auf
dem Deck spazieren zu gehen. Nach und nach teilte er mir in seiner
harmlosen Redseligkeit alles mit, was seine Person betraf, Geschäfts-
und Familienangelegenheiten, Verwandtschaften, Aussichten, politische
Anschauungen und dergleichen mehr. Daneben ließ er sich auch von mir
erzählen; er fragte nach meinem Gewerbe, meiner Herkunft, wollte meine
Pläne und Zwecke wissen und meine ganze Lebensgeschichte. Daß ich
ihm so bereitwillig Auskunft gab, beweist die Macht seiner sanften
Ueberredungskunst, denn es lag sonst gar nicht in meiner Natur, mit
Fremden über meine Privatangelegenheiten zu reden. Einmal äußerte
ich etwas über Trigonometrie; das lange Wort schien ihm angenehm
aufzufallen und er erkundigte sich nach der Bedeutung, die ich ihm
erklärte. Von da ab nannte er mich nie mehr bei meinem eigenen Namen,
sondern immer nur ›Trigo‹ und zwar mit so unbefangener Vertraulichkeit,
daß ich es ihm nicht übel nehmen konnte.

Für seine Viehzucht war er förmlich begeistert. Bei der bloßen
Erwähnung eines Ochsens oder einer Kuh strahlten seine Augen und er
geriet in den feurigsten Redefluß, der unaufhaltsam weiter strömte,
solange ich ihm geduldig zuhörte. Er kannte und liebte eine jede
Rasse und sprach von ihr in den zärtlichsten Ausdrücken. So oft die
Unterhaltung auf sein Rindvieh kam, ging ich stumm und mißmutig neben
ihm her, bis ich es nicht länger aushielt und die Rede geschickt auf
irgend ein wissenschaftliches Thema brachte; dann leuchtete mein Auge
auf und seines wurde matt; seine Zunge geriet ins Stocken, meine wurde
beweglich; ich freute mich meines Lebens und er versank in Traurigkeit.

Eines Tages sagte er in etwas unsicherm, zögernden Tone:

»Würden Sie mir wohl den Gefallen thun, Trigo, einen Augenblick in
meine Kajüte zu kommen, wegen einer gewissen Angelegenheit, die ich
gern mit Ihnen besprechen wollte?«

Ich war sogleich bereit. Nachdem wir eingetreten waren, steckte er noch
einmal den Kopf zur Thüre hinaus und blickte vorsichtig nach allen
Seiten; dann drehte er den Schlüssel um und wir nahmen auf dem Sofa
Platz.

»Ich möchte Ihnen einen kleinen Vorschlag machen,« sagte er, »wenn der
Ihnen einleuchtet, könnten wir beide unsern Vorteil dabei finden. Zum
Spaß gehen Sie doch nicht nach Kalifornien -- und ich auch nicht. Wir
wollen beide Geschäfte machen, nicht wahr? Nun könnten wir einander
gegenseitig recht nützlich sein, wenn es Ihnen paßt. Sehen Sie, ich
habe viele Jahre lang gespart und zusammengescharrt und habe hier alles
bei mir.« Er öffnete einen alten Lederkoffer, wühlte in einem Haufen
schäbiger Kleider umher und zog einen kleinen wohlgefüllten Beutel
hervor, den er mich einen Augenblick sehen ließ, worauf er ihn wieder
in der Tiefe des Koffers begrub und diesen zuschloß. »Die ganze Summe
ist darin,« fuhr er in leisem Flüsterton fort -- »runde zehntausend
Dollars in Goldfüchsen. Ich habe nun so gedacht: Die Viehzucht verstehe
ich so gut wie einer und in Kalifornien kann man Haufen Geld damit
verdienen. Beim Landvermessen aber -- das wissen wir beide -- fallen
bald rechts bald links auf der ganzen Linie kleine Dreiecke ab, die
der Feldmesser gratis erhält. Alles, was Sie nun Ihrerseits zu thun
haben, ist, die Sache so einzurichten, daß die Dreiecke auf gutes,
fettes Weideland fallen. Dies überlassen Sie dann mir, ich bringe meine
Herde hin, die Dollars fließen reichlich zu, ich berechne Ihren Anteil
sofort, zahle ihn regelmäßig aus und -- --«

Es that mir leid, ihn mitten in seinem begeisterten Redeschwall zu
unterbrechen, allein es ließ sich nicht ändern.

»Das ist nicht die Art, wie _ich_ mein Geschäft zu betreiben pflege,«
sagte ich mit ernster Miene; »sprechen wir von etwas anderm, Herr
Backus.«

Beschämt und verwirrt stammelte er Entschuldigungen; es ging mir
ordentlich zu Herzen, seine peinliche Verlegenheit zu sehen, besonders
da er keine Ahnung gehabt zu haben schien, daß man in seinem Vorschlag
etwas Anstößiges finden könne. Um ihn über seinen Mißgriff zu trösten,
wußte ich kein besseres Mittel, als ihm so rasch wie möglich den Genuß
einer Unterhaltung über Rinderzucht und Viehhandel zu bereiten. Wir
befanden uns gerade vor Acapulco und als wir auf Deck kamen, waren die
Matrosen beschäftigt, einige Kühe mittelst Schlingen an Bord zu ziehen.
Im Nu war Backus’ schwermütige Stimmung verflossen, samt der Erinnerung
an seinen mißlungenen Schachzug.

»Nein, sehen Sie nur das an!« rief er. »Du meine Güte, Trigo, was
würden wir dazu in Ohio sagen! Wie würden unsere Leute die Augen
aufsperren, wenn sie _die_ Art von Behandlung sähen -- es ist kaum zu
glauben.«

Sämtliche Passagiere ergötzten sich an der Schaustellung; sogar die
Spieler waren zugegen. Backus kannte sie alle und hatte schon jeden
mit seinem Lieblingsthema gelangweilt. Im Weitergehen sah ich, wie
einer der Spieler sich ihm näherte und ihn ansprach; diesem folgte der
zweite und dann der dritte. Ich stand still, um zu sehen, was daraus
werden würde; bald waren die vier Männer im eifrigen Gespräch, dann
zog sich Backus allmählich von ihnen zurück, aber sie folgten ihm und
wichen nicht von seiner Seite. Das war mir unbehaglich. Als sie jedoch
gleich darauf an mir vorbeikamen, hörte ich, wie Backus in ärgerlichem,
abweisendem Tone sagte:

»Sie machen sich ganz unnütze Mühe, meine Herren; ich kann Ihnen nur
wiederholen, was ich Ihnen schon über ein Dutzendmal gesagt habe: ich
bin das Ding nicht gewöhnt und will mich nicht darauf einlassen.«

[Illustration]

Ich atmete erleichtert auf. »Sein gesunder Sinn wird der beste Schutz
für ihn sein,« sagte ich mir.

Während unserer vierzehntägigen Fahrt von Acapulco nach San
Francisco sah ich die Spieler öfters eindringlich mit Backus reden.
Endlich konnte ich es mir nicht länger versagen, im Gespräch darauf
hinzudeuten, um ihn zu warnen. Er lachte wohlgefällig.

»Freilich,« sagte er, »sie zerren die ganze Zeit an mir herum, ich soll
doch nur zum Spaß einmal ein Spielchen mit ihnen machen -- aber, ich
werd’ mich wohl hüten. Meine Leute haben mir -- wer weiß wie oft --
eingeschärft, mich vor dergleichen Pack in acht zu nehmen.«

Die Reise ging weiter und wir näherten uns San Francisco. Es war
eine dunkle, stürmische Nacht, doch ging die See nicht sehr hoch.
Ich hatte den Abend allein auf Deck zugebracht und wollte mich gegen
zehn Uhr eben in meine Kajüte begeben, als ich aus der Spielerhöhle
eine Gestalt auftauchen und in der Finsternis verschwinden sah. Ich
erschrak heftig, denn es war niemand anders als Backus. Rasch sprang
ich die Schiffstreppe hinunter und spähte überall nach ihm umher,
konnte ihn jedoch nicht finden. Dann eilte ich wieder hinauf und kam
gerade noch recht, um zu sehen, wie er in das verdammte Schurkennest
hineinschlüpfte. Hatte er sich endlich doch verlocken lassen? Höchst
wahrscheinlich. Vielleicht war er heruntergegangen, um seinen Beutel
mit den Goldstücken zu holen. Voll böser Ahnungen näherte ich mich der
Thür. Sie war nur angelehnt, und durch die Spalte sah ich mit bitterm
Leidwesen meinen armen Freund am Spieltisch sitzen. Wie sehr bereute
ich es jetzt, daß ich nicht eifriger bemüht gewesen war ihn zu warnen
und zu retten, statt meinem thörichten Zeitvertreib nachzuhängen und
mich in meine Bücher und Träumereien zu vertiefen.

Backus spielte nicht nur, er hatte auch bereits dem Champagner fleißig
zugesprochen, der anfing ihm zu Kopfe zu steigen. Laut verkündete er
das Lob des ›Sekts‹, der ihm ganz vortrefflich munde; so etwas Gutes
sei ihm noch nicht über die Zunge gekommen, er wolle weiter trinken,
trotz aller Mäßigkeitsvereinler. Ich sah wie die Schurken einander
verstohlen zulächelten; sie schenkten alle Gläser voll, aber während
Backus das seinige bis auf den Grund leerte, nippten sie nur und
gossen den Wein heimlich über die Schulter. Mir war der Auftritt so
widerwärtig, daß ich weiter ging, um mich durch den Anblick des Meeres
und das Rauschen des Windes zu zerstreuen. Eine innere Unruhe trieb
mich jedoch alle Viertelstunden wieder nach der Thürspalte zurück;
jedesmal sah ich, wie Backus seinen Wein austrank und die andern ihn
fortgossen. In so peinlichen Gefühlen hatte ich noch nie eine Nacht
verlebt.

Meine einzige Hoffnung war, daß wir recht bald vor Anker gehen würden
-- damit wäre zugleich dem Spiel ein Ende gemacht. Um den Lauf des
Schiffes zu fördern, schickte ich ein Gebet gen Himmel und als wir
endlich mit vollen Segeln durch das ›Goldene Thor‹ einfuhren, klopfte
mein Herz vor Freude. Wieder eilte ich nach der Spalte und sah hinein.
Ach -- mein Hoffen war vergeblich gewesen; Backus saß da und lallte
mit schwerer Zunge, seine schwimmenden Augen waren blutunterlaufen,
sein dunkles Gesicht glühte und er wiegte sich trunken hin und her,
mit der schwankenden Bewegung des Schiffes. Eben führte er wieder das
Glas zum Munde, während die Karten ausgeteilt wurden. Als er seine
Hand erhob, leuchteten seine glanzlosen Augen einen Moment in hellem
Schein. Die Spieler sahen es und wechselten kaum merkliche Blicke des
Einverständnisses.

»Wie viele Karten?«

»Keine,« sagte Backus.

Einer der Schurken -- Hank Wiley hieß er -- warf eine Karte ab, die
andern jeder drei. Dann fingen sie an zu bieten, anfangs nur kleine
Summen, einen oder zwei Dollars, bis sich Backus auf zehn Dollars
verstieg. Wiley zögerte einen Augenblick, dann ›hielt er mit‹ und bot
zehn Dollars darüber. Die beiden andern ›paßten‹ und legten die Karten
hin.

Backus bot zwanzig Dollars höher. Wiley sagte:

»Ich halte mit -- hundert Dollars mehr!« lächelnd streckte er die Hand
aus, um das Geld einzustreichen.

»Liegen lassen!« rief Backus in trunkenem Mut.

»Was -- Sie wollen höher bieten?«

»Freilich will ich -- ich halte mit, und hier sind noch hundert drüber.«

Er griff in seine Rocktasche und legte die erforderliche Summe auf den
Tisch.

»Hoho! wollen Sie da hinaus -- dann sage ich fünfhundert an,« versetzte
Wiley.

»Und ich biete fünfhundert mehr!« schrie der bethörte Viehzüchter,
holte den Betrag heraus und türmte ihn auf den Goldhaufen. Die drei
Verschworenen konnten ihre Freude kaum mehr bergen. Jetzt war von
Schlauheit und Verstellung nicht länger die Rede, das Bieten ging
Schlag auf Schlag und die goldene Pyramide wuchs zusehends. Endlich
lagen zehntausend Dollars beisammen. Wiley warf einen Beutel voll Gold
auf den Tisch.

»Fünftausend Dollars drüber! -- Nun, mein werter Freund vom Lande, wie
steht es jetzt?«

»Aufdecken!« rief Backus und legte seinen Goldsack auf den Haufen.
»Worauf haben Sie geboten?«

»Vier Könige, Sie verdammter Narr!« lachte Wiley, ihm die Karten
zeigend, während er zugleich mit beiden Armen den Einsatz schützte.

»Vier Asse, Sie Dummkopf!« schrie Backus mit Donnerstimme und hielt
seinem Gegenüber einen gespannten Revolver vor. »_Ich bin selbst ein
Spieler von Profession und habe die ganze Reise über Sprenkel gestellt,
um euch Gimpel zu fangen._«

[Illustration]

Rumpeldipumpel! Der Anker sank in den Grund und die lange Reise war zu
Ende.

Ja, ja, wir leben in einer bösen Welt! Einer von den Spielern war
Backus’ Spießgeselle. Er hatte die verhängnisvollen Karten auszuteilen
und es war verabredet worden, er solle Backus vier Damen geben, aber
ach -- das hatte er nicht gethan.

       *       *       *       *       *

Eine Woche später stieß ich in der Montgomery-Straße auf Backus, der
nach der feinsten Mode gekleidet war.

»Was ich Ihnen noch sagen wollte,« meinte er, als wir uns von einander
verabschiedeten, »über die fetten Weideplätze -- die Dreiecke, wissen
Sie -- von denen wir sprachen, brauchen Sie sich keine Gedanken mehr
zu machen. Ich verstehe eigentlich nichts vom Viehstand, als was ich
in den letzten vierzehn Tagen vor der Abreise in Jersey aufgeschnappt
habe. Meine Schwärmerei für Herden und Rinderzucht hat ihren Zweck
erfüllt -- jetzt ist sie mir nichts mehr nütze.«



Ein Besuch des Niagara.


Das Städtchen ›Niagara Falls‹ ist ein sehr beliebter Vergnügungsort,
die Gasthäuser sind vortrefflich und die Preise durchaus nicht
übertrieben. Eine bessere Gelegenheit für den Fischfang giebt es im
ganzen Lande nicht, ja, sie ist sogar nirgends auch nur annähernd so
gut wie hier, denn, während anderswo gewisse Stromstellen den übrigen
bedeutend vorzuziehen sind, ist am Niagara eine Stelle gerade so gut,
wie die andere. Der Fisch beißt hier nämlich nirgends an und so ist es
ganz überflüssig, daß man erst fünf Meilen weit geht, um zu fischen,
weil man fest darauf rechnen kann, daß man näher am Hause ebenso wenig
Erfolg haben wird. Dieser Zustand der Dinge hat Vorzüge, welche dem
Publikum noch niemals recht zu Gemüt geführt worden sind.

Das Wetter ist im Sommer kühl, die Ausflüge zu Fuß und zu Wagen alle
angenehm und nicht ermüdend. Wenn man den Wasserfall ›abmachen‹
will, fährt man erst ungefähr eine Meile stromabwärts und bezahlt
dann eine Kleinigkeit für die Berechtigung, von einem Felsvorsprung
auf die schmalste Stelle des Niagaraflusses hinabzusehen. Ein
Eisenbahndurchstich durch einen Berg würde ebenso hübsch sein,
wenn in seiner Tiefe, wie hier, ein rasender Fluß seine Wogen
tobend und schäumend vorüberwälzte. Man kann nun auf einer Treppe
hundertundfünfzig Fuß hinabsteigen und am Rande des Wassers stehen.
Nachdem man es gethan, fragt man sich verwundert, warum man es gethan
hat -- aber dann ist es zu spät.

Der Führer beschreibt uns darauf in seiner schauerlichen Weise, die
einem das Blut in den Adern gerinnen macht, wie er den kleinen Dampfer,
›die Nebeljungfrau‹, die gräßlichen Stromschnellen hinunterfahren
gesehen hat -- wie erst ein Radkasten in den wütenden Wellen
verschwand, dann der andere -- an welcher Stelle ihr Dampfschlot
über Bord stürzte, wo ihre Planken anfingen zu brechen und sich
auseinander zu spalten -- und wie sie endlich dennoch mit dem Leben
davon kam, nachdem sie das Ungeheuerliche geleistet hatte, siebzehn
Meilen in sechs Minuten zurückzulegen -- oder sechs Meilen in siebzehn
Minuten -- ich habe wirklich vergessen, welches von beiden. Aber
jedenfalls war es etwas ganz Außerordentliches. Schon den Führer die
Geschichte neunmal hinter einander verschiedenen Personen erzählen
zu hören, ohne daß er jemals ein Wort ausläßt, einen Satz oder eine
Gebärde verändert, ist das Eintrittsgeld wert. Dann fährt man über
die Hängebrücke, wobei es einem ganz jämmerlich zu Mut wird, denn man
stellt sich unwillkürlich vor, daß man hier entweder zweihundert Fuß
tief in den Fluß hinunterstürzen oder der Eisenbahnzug über unserem
Kopf auf uns niederschmettern könnte. Jede dieser Möglichkeiten ist an
sich unbehaglich, aber beide zusammen genommen, versetzen uns in die
elendeste Stimmung.

Auf der kanadischen Seite fahren wir an der Schlucht hin, zwischen
langen Reihen von Photographen, welche hinter ihren Kasten Wache
stehen, um uns und unser wackliges Fuhrwerk im Vordergrund ihres Bildes
prangen zu lassen, während der erhabene Niagara nur verkleinert und
wesenlos im Hintergrunde erscheint. Sollte man es für möglich halten,
daß eine Menge Leute aus unglaublicher Frechheit oder angeborener
Nichtsnutzigkeit diese Art von Verbrechen anstiften oder denselben
Vorschub leisten!? --

Tagtäglich gehen aus den Händen dieser Photographen stolze Bilder von
Papa und Mama, mit oder ohne Kinder, hervor, alle einfältig lächelnd,
alle in gekünstelten, unbequemen Stellungen auf den Wagensitzen
gruppiert, alle in blödsinniger Größe emporragend vor der in
verkleinertem Maßstab übel zugestutzten Darstellung des majestätischen
Naturwunders, des Falles, dessen dienende Geister die Regenbogen
sind, dessen Stimme der Donner ist, dessen ehrfurchtgebietende
Stirne sich in Wolken hüllt. Er war hier König vor vergangenen und
vergessenen Zeitaltern, ehe dieses Menschengewürm geschaffen ward,
um auf eine Spanne Zeit in den ungezählten Welten der Schöpfung eine
Lücke auszufüllen. Und er wird hier herrschen, Jahrhunderte und
Jahrtausende lang, nachdem dies Geschlecht zu dem andern Gewürm, seinen
Blutsverwandten, versammelt worden ist und sich mit ihrem toten Staub
vermischt hat.

Es richtet zwar keinen Schaden an, wenn man den Niagara zum
Hintergrunde wählt, um die eigene, wunderbare Bedeutungslosigkeit in
gutes, starkes Licht zu stellen, aber es gehört eine übermenschliche
Selbstgefälligkeit dazu, um so etwas zu thun.

       *       *       *       *       *

Hat man den ungeheuern Hufeisen-Fall lange genug betrachtet, um sich zu
überzeugen, daß nichts daran zu verbessern ist, so kehrt man über die
neue Hängebrücke nach Amerika zurück und geht am Ufer entlang, wo die
Höhle der Winde besichtigt werden muß.

Hier legte ich, wie man mir riet, meine sämtlichen Kleidungsstücke ab
und zog eine wasserdichte Jacke und eben solche Beinkleider an. Diese
Tracht ist malerisch, aber nicht schön. Ein ähnlich gekleideter Führer
ging uns auf einer Wendeltreppe voran, die sich hinab wand und wand und
fortfuhr sich zu winden, lange nachdem das Ding aufgehört hatte, etwas
Neues zu sein; ehe es aber noch anfing, ein Vergnügen zu werden, ging
es zu Ende. Wir waren jetzt unterhalb des Wassersturzes, aber noch
immer in beträchtlicher Höhe über der Oberfläche des Stromes.

Nun begannen wir über unsichere Brücken, die aus einer einzigen Planke
bestanden, behutsam weiter zu schreiten; vor dem Untergang schützte
unsere Leiber nur ein gebrechliches Holzgeländer, an das ich mich mit
beiden Händen anklammerte -- nicht etwa aus Furcht, sondern weil es
mir so gefiel. Es ging immer steiler hinab, die Brücke wurde immer
gebrechlicher und der Sprühregen des amerikanischen Falles traf uns mit
immer stärkeren Güssen, so daß wir bald nicht mehr aus den Augen sehen
konnten. Von nun an drangen wir nur tastend weiter. Ein rasender Wind
begann hinter dem Wasserfall hervorzubrausen und schien entschlossen
uns von der Brücke zu fegen, an dem Felsen zu zerstücken und unten in
die Stromschnellen zu schleudern. -- Ich sagte, ich wolle nach Hause
-- aber es war zu spät. Wir befanden uns beinahe unter der riesigen
Wasserwand, die von oben herabdonnerte, das Reden war ganz vergeblich
inmitten eines solchen Höllenlärms.

Im nächsten Augenblick verschwand der Führer hinter der Sündflut, und,
von dem Donner betäubt, vom Winde hilflos weiter getrieben, von dem
niederprasselnden Regensturm wie mit Geißeln gepeitscht, folgte ich
ihm. Alles war Finsternis. Solch ein tolles Stürmen, Brüllen und Heulen
von kämpfenden Winden und Wasserfluten hatte mir noch nie in den Ohren
gedröhnt. Ich bückte den Kopf nieder und der Ozean schien mir auf den
Nacken zu fallen. Der Weltuntergang schien gekommen. Die Flut goß so
gewaltig hernieder, daß ich nicht das mindeste sehen konnte. Als ich
den Kopf mit offenem Munde emporrichtete, lief mir der größte Teil
des amerikanischen Katarakts die Kehle hinunter. Wenn ich jetzt einen
Leck bekommen hätte, wäre ich verloren gewesen. In diesem Augenblick
entdeckte ich, daß die Brücke zu Ende war und wir auf den schlüpfrigen,
abschüssigen Felsen einen Halt für unsere Tritte suchen mußten. In
meinem ganzen Leben hatte ich noch keine solche Angst ausgestanden,
ohne daran zu sterben! -- Endlich aber arbeiteten wir uns durch und
kamen wieder ans Tageslicht, wo wir der brausenden, schäumenden und
wallenden Wasserwelt gegenüber standen und sie anstaunen konnten.
Als ich von vorn die große Masse sah, die es so furchtbar ernstlich
betrieb, that mir’s leid, daß ich dahinter gegangen war.

       *       *       *       *       *

Nach der Besichtigung der ›Fälle‹ begab ich mich in das nahe dabei
gelegene Städtchen ›Niagara Falls‹. Als ich in den dortigen Läden die
Ausstellung von allen möglichen Indianerartikeln sah: Perlarbeiten,
Moccasins und Figürchen, welche menschliche Wesen darstellen sollten,
da übermannte mich die Rührung. Ich dachte, daß ich nun endlich die
edle Rothaut von Angesicht zu Angesicht zu sehen bekommen werde.
Der Indianer ist immer ein Freund und Liebling von mir gewesen. Ich
mag gern in Geschichten, Sagen und Romanen von dem Indianer lesen,
von seinem angeborenen Scharfsinn, seiner Liebe zum wilden, freien
Leben in Gebirge und Wald, von dem Adel seiner Gesinnung, von seiner
bilderreichen Redeweise, seiner ritterlichen Liebe zu der braunen Maid
und von seiner malerischen Tracht.

Von der Verkäuferin in einem Laden erfuhr ich, daß sämtliche
Merkwürdigkeiten, die darin zur Schau gestellt waren, wirklich von den
Indianern verfertigt seien. Sie sagte, man könne bei den Fällen stets
viele antreffen, die friedlich und freundlich wären, so daß es durchaus
nicht gefährlich sei, mit ihnen zu sprechen. Und richtig -- als ich
mich der Brücke näherte, die nach der Luna-Insel führt, stieß ich auf
einen edlen Sohn der Wälder, welcher eifrig an einem Strickbeutel aus
Glasperlen arbeitend unter einem Baume saß. Er trug einen Schlapphut
und Holzschuhe und hatte eine kurze schwarze Pfeife im Munde. So sehr
schwindet bei der verderblichen Berührung mit unserer verweichlichten
Zivilisation die malerische Pracht, die dem Indianer natürlich ist,
wenn er, fern von uns, in seinen heimatlichen Jagdgründen lebt! -- Ich
redete diese Ruine ihres Stammes also an:

    »Ist der Wawhoo Wang des Whackawacks glücklich? Sehnt sich der
    große gefleckte Donner nach dem Kriegspfad -- oder ist sein
    Herz zufrieden, wenn es von dem braunen Mädchen, dem Stolz
    der Wälder träumt? -- Dürstet der mächtige Sachem danach,
    das Blut seiner Feinde zu trinken -- oder genügt es ihm,
    Arbeitsbeutel für die Töchter der Bleichgesichter zu machen?
    Sprich, herrlicher Nachkomme verschwundener Größe -- ehrwürdige
    Reliquie, sprich!«

Hierauf die Reliquie:

    »Was -- mich, Dennis Hooligan, haltet Ihr für so ’nen
    schmierigen Indianer, Ihr näselnder, hohlbackiger,
    spinnebeiniger Teufelskerl? Bei dem Pfeifer, der vor Moses
    spielte, ich mach’ Euch den Garaus!«

Da fand ich für gut, mich zu entfernen.

[Illustration]

Bald darauf traf ich beim Terrapin-Turm eine sanfte Tochter der
Ureinwohner in befranzten und perlengestickten Moccasins und Gamaschen.
Sie saß auf einer Bank, ihre zierlichen Waren um sich her ausgebreitet.
Soeben hatte sie einen Häuptling aus Holz geschnitzt, der eine starke
Familienähnlichkeit mit einer Waschklammer aufwies, und bohrte ihm nun
ein Loch in den Unterleib, um seinen Bogen hindurchzustecken.

Ich zögerte einen Augenblick, dann redete ich sie an.

    »Ist dem Mädchen der Wälder das Herz schwer? Fühlt sich
    die lachende Kaulquappe einsam? Trauert sie über das
    erloschene Beratungsfeuer ihres Stammes und die entschwundene
    Herrlichkeit ihrer Vorfahren? Oder schweift ihr schwermütiger
    Geist weit fort nach den Jagdgründen, zu denen ihr
    tapferer Blitz-Verschlinger gezogen ist? -- Warum schweigt
    meine Tochter? Ist sie dem fremden Bleichgesicht nicht
    wohlgesinnt?« --

Darauf das Mädchen:

    »Na, so was! Mich, Biddy Malone, nimmt er sich ’raus zu
    schimpfen. Mach’ er sich davon, sonst schmeiß ich sein dürres
    Gerippe in den Wasserfall, er lumpiger Bummler!«

Auch hier ging ich von dannen. --

»Hol’ der Henker diese Indianer,« dachte ich. »Man hat mir doch
erzählt, sie wären zahm -- aber wenn der Schein nicht völlig trügt,
sollte ich meinen, sie wären alle auf dem Kriegspfade.« --

Noch einen Versuch machte ich -- einen letzten -- mich mit ihnen zu
verbrüdern. Ich stieß auf eins ihrer Lager, wo ich sie im Schatten
eines Baumes versammelt fand, beschäftigt Wampum und Moccasins
anzufertigen, und redete mit ihnen in der Sprache der Freundschaft:

    »Edle Rothäute,« sagte ich, »tapfere, große Sachems,
    Kriegshäupter, Squaws und hohe Muckamucks, das Bleichgesicht
    vom Lande der untergehenden Sonne grüßt euch! Du, Mildthätiger,
    Iltis -- du, Berge-Verschlinger, -- du, -- Brüllender
    Donnerschlag -- du, Kampfhahn mit dem Glasauge -- das
    Bleichgesicht von jenseits des großen Wassers bietet euch allen
    seinen Gruß. Krieg und Seuchen haben eure Reihen gelichtet
    und eure einst so stolze Nation dem Untergang geweiht; Poker,
    Sieben Oben[10] und der eitle, neumodische Kostenaufwand für
    Seife, die euern ruhmvollen Ahnen unbekannt war, haben euern
    Beutel geleert. Daß ihr euch in eurer Einfalt das Eigentum
    anderer zugeeignet habt, brachte euch in Ungelegenheiten. Eine
    falsche Darstellung von Thatsachen, die eurer Harmlosigkeit
    entsprang, hat euern Ruf in den Augen der seelenlosen Bedrücker
    geschädigt. Ihr habt Tauschhandel getrieben, um Feuerwasser zu
    bekommen, euch zu betrinken, euch glücklich zu fühlen und eure
    Familien mit dem Tomahawk umzubringen. Das hat die malerische
    Pracht eurer Kleidung für alle Zeit zu Grunde gerichtet. Da
    steht ihr nun, in der grellen Beleuchtung des neunzehnten
    Jahrhunderts, aufgeputzt wie die Haderlumpe und der Janhagel
    aus den Vorstädten von New York! Schande über euch! Gedenkt
    eurer Ahnen! Ruft euch ihre Großthaten zurück! Erinnert euch an
    Uncas, an die Rote Jacke, das Loch im Tage und Whoopdedoodledo!
    Eifert ihren Thaten nach! Sammelt euch unter meinem Banner,
    edle Wilde, gefeierte Gurgelabschneider!« --

    [10] Kartenspiele.

    »Nieder mit ihm!« -- »Zerschlagt ihm das Großmaul!« --
    »Verbrennt ihn!« -- »Hängt ihn!« -- »Schmeißt ihn ins
    Wasser!« --

[Illustration]

Ein schnelleres Verfahren war noch nicht dagewesen. -- Ich sah es nur
plötzlich in der Luft aufblitzen von Knütteln, Backsteinen, Fäusten,
Körben mit Glasperlen und Moccasins -- wie ein einziger Strahl, denn
alles schien mich zu gleicher Zeit zu treffen, doch jedes auf einer
anderen Stelle! Im nächsten Augenblick fiel der ganze Stamm über mich
her. Sie rissen mir die Hälfte meiner Kleider vom Leibe; sie brachen
mir Arme und Beine entzwei; sie versetzten mir einen Schlag auf den
Kopf, der eine Einbucht in meine Schädeldecke machte, daß man hätte
daraus Kaffee trinken können, wie aus einer Untertasse; und um ihr
schändliches Werk zu krönen und zum Schimpf noch Schaden zu fügen,
warfen sie mich in den Niagarafluß.

Ungefähr neunzig oder hundert Fuß vom obern Rande blieb ich mit den
Fetzen meiner Weste an einer vorspringenden Felsecke hängen und
bevor ich mich losmachen konnte, war ich beinahe ertrunken. Endlich
fiel ich und tauchte am Fuß des Falles wieder auf, in einer Welt von
weißem Schaum. Natürlich geriet ich in den Strudel. Ich kreiste darin
vierundvierzigmal herum, hinter einem Holzspan her, dem ich immer näher
kam -- vierundvierzigmal griff ich nach demselben Busch am Ufer und
verfehlte ihn jedesmal um eines Haares Breite.

Endlich kam ein Mann herunter gegangen, setzte sich dicht bei dem
Busch nieder, steckte seine Pfeife in den Mund, strich ein Zündholz
an und verfolgte mich mit einem Auge, während er das andere auf das
Hölzchen richtete, das er mit den Händen vor dem Wind schützte. Aber
ein Windstoß blies es aus. Als ich das nächstemal herumkreiste, redete
er mich an.

»Haben Sie ein Streichholz?«

»Ja, in meiner andern Westentasche; helfen Sie mir, bitte, heraus.«

»Für kein Geld!«

Als ich wieder herum kam, sagte ich:

»Entschuldigen Sie die anscheinend unbescheidene Neugier eines
Ertrinkenden; aber wollen Sie mir gefälligst Ihr sonderbares Verhalten
erklären?«

»Sehr gern. Ich bin der Leichenbeschauer. Beeilen Sie sich nicht um
meinetwegen -- ich kann auf Sie warten. Aber ich wollte, ich hätte ein
Zündholz!«

Ich sagte: »Kommen Sie an meine Stelle und ich will Ihnen eins holen.«

Er ging auf diesen Vorschlag nicht ein und dieser Mangel an Vertrauen
seinerseits erzeugte eine Verstimmung zwischen uns. Von da ab vermied
ich ihn und nahm mir vor, falls mir etwas zustieße, die Katastrophe so
zu berechnen, daß meine Kundschaft dem Leichenbeschauer drüben auf der
amerikanischen Seite zufiele.

Zuletzt kam ein Polizist des Weges, der mich verhaftete, weil ich durch
mein Hilfegeschrei die öffentliche Ruhe am Ufer störe. Der Richter
legte mir eine Geldbuße auf, aber da zog er den kürzeren. Mein Geld war
in meinen Beinkleidern -- und meine Beinkleider waren bei den Indianern.

       *       *       *       *       *

So bin ich dem Tode entgangen. Ich liege aber jetzt hier in sehr
kritischer Verfassung. Doch liege ich wenigstens, kritisch oder nicht
kritisch. Ich bin am ganzen Leib voll Wunden und der Doktor, der mich
behandelt, meint, er werde vor heute abend mit der Aufnahme meiner
Verletzungen nicht fertig sein. Indessen sagt er schon jetzt, daß nur
sechzehn von meinen Wunden gefährlich sind -- auf die übrigen lege ich
keinen Wert.

Als ich wieder zum Bewußtsein kam, sagte ich:

»Das ist ein gräßlich wilder Indianerstamm, der die Perlarbeiten und
Moccasins für ›Niagara Falls‹ macht, Doktor. Wo kommen die Leute wohl
her?«

»Aus Limerick,[11] mein Freund.«

    [11] Die ›Wilden‹ sind Irländer, aus denen, wie bekannt, das
        rauflustigste Gesindel in den amerikanischen Städten
        besteht.



Britische Festlichkeiten.


Nachdem ich den Niagarafall in Augenschein genommen, begab ich mich auf
das kanadische Ufer. Hier traf ich im ersten Hotel mit dem Major des
42. Füsilierregiments und einem Dutzend anderer strammer und gastfreier
Engländer zusammen, die mich einluden, im Verein mit ihnen den
Geburtstag der Königin zu feiern. Dazu war ich mit Freuden bereit; ich
versicherte, daß ich sämtlichen Engländern, die ich je kennen gelernt
habe, sehr wohlgesinnt sei, für die Königin aber hege ich Bewunderung
und Verehrung, wie alle meine Landsleute. _Eine_ Schwierigkeit würde
sich jedoch kaum beseitigen lassen: ich sei nämlich ein grundsätzlicher
Gegner von berauschenden Getränken und wisse nicht, wie ich in den
schwachen Flüssigkeiten, an die ich gewöhnt sei, einem solchen
Geburtstag die gebührende Ehre anthun solle.

Der Major kratzte sich den Kopf und unterwarf die Sache einer langen
und reiflichen Ueberlegung, es schien jedoch kein erdenkliches Mittel
zu geben, das Hindernis aus dem Wege zu räumen. Mir anzuraten, meinen
Grundsätzen auch nur zeitweilig untreu zu werden, dazu war er ein Mann
von viel zu hoher Bildung.

Endlich sagte er jedoch: »Ich hab’s! Trinken Sie Sodawasser.«

[Illustration]

Dabei blieb es denn. Wir versammelten uns in einem großen, prachtvoll
mit Fahnen und grünen Pflanzen ausgeschmückten Saal und nahmen an der
Tafel Platz, welche mit leiblichen Genußmitteln, in fester sowohl
als flüssiger Form, reich beladen war. Unter witzigen Toasten und
trefflichen Reden blieben wir bis lange nach Mitternacht beisammen.
Ich war in meinem ganzen Leben nicht so vergnügt und trank 38 Flaschen
Sodawasser. Aber mir scheint, das ist doch kein recht geeignetes
Getränk zu stärkerem Verbrauch. Als ich am nächsten Morgen aufstand,
war ich voll Gas und so straff gespannt, wie ein gefüllter Luftballon.
Von meinen Kleidungsstücken paßte mir nichts mehr, -- ausgenommen
mein Regenschirm. Nach dem Frühstück fand ich den Major wieder mit
großartigen Vorbereitungen beschäftigt. Auf meine Frage, was sie zu
bedeuten hätten, erfuhr ich, es sei der Geburtstag des Prinzen von
Wales, der am Abend festlich begangen werden müsse. Wir feierten ihn
also; waren wider mein Erwarten sehr lustig dabei und brachen auch
diesmal erst nach Mitternacht auf. Des Sodawassers war ich überdrüssig,
ich hielt mich an Limonade und trank mehrere Quart. Man sollte denken,
Limonade in Masse genossen, müsse dem Menschen besser bekommen als
Sodawasser. Aber das ist ein Irrtum. Am Morgen hatte sie mir den ganzen
Magen durchsäuert und meine Zähne so stumpf gemacht, daß ich nichts
beißen konnte; es war gerade, als hätte ich den Kinnladenkrampf. Dabei
fühlte ich mich schrecklich unwohl und schwermütig.

Bald nach dem zweiten Frühstück traf ich den Major bei neuen
Vorbereitungen. Als er sagte, es sei der Geburtstag der Prinzeß Helene,
verbarg ich meinen Kummer.

»Wer ist die Prinzeß Helene?« fragte ich.

»Tochter Ihrer Majestät der Königin,« erwiderte der Major.

Ich leistete keinen Widerstand. Am Abend fand die Geburtstagsfeier der
Prinzeß Helene statt. Sie dauerte wie gewöhnlich bis tief in die Nacht
hinein und ich war wirklich sehr vergnügt. Aber Limonade konnte ich
nicht mehr vertragen. Ich trank einige Kübel voll Eiswasser aus.

Am Morgen hatte ich Zahnschmerzen, Krämpfe, Frostbeulen, dazu noch
immer stumpfe Zähne und eine ziemlich große Menge Gas im Innern. Den
unermüdlichen Major aber fand ich schon wieder am Werk.

»Wem soll denn das gelten?« erkundigte ich mich.

»Seiner königlichen Hoheit, dem Herzog von Edinburgh,« lautete die
Antwort.

»Sohn der Königin?«

»Ja.«

»Und heute ist sein Geburtstag? -- Sie irren sich doch nicht?«

»Nein, die Feier findet diesen Abend statt.«

Ich unterwarf mich dem neuen Verhängnis. Die Festlichkeit ging vor sich
und ich trank ein halbes Faß Apfelwein. Als ich mich am andern Morgen
mit mattem, von der Gelbsucht gefärbtem Blick umschaute, gewahrte ich
gleich zuerst den Major wieder bei seinen nie endenden Vorbereitungen.
Da brach mir das Herz und ich zerfloß in Thränen.

»Wen sollen wir denn heute beweinen?« fragte ich.

»Die Prinzessin Beatrice, Tochter der Königin.«

»Halt,« rief ich, »jetzt ist es an der Zeit, nähere Erkundigungen
einzuziehen. Wie lange wird wohl die Familie der Königin noch
herhalten? Wer kommt zunächst auf der Liste?«

»Ihre königlichen Hoheiten der Herzog von Cambridge, die Prinzeß
Royal, Prinz Arthur, die Prinzessin Mary von Teck, der Großherzog von
Mecklenburg-Strelitz, die Großherzogin von Mecklenburg-Strelitz, Prinz
Albert Viktor --«

»Genug!« unterbrach ich ihn. »Der Mensch kann viel ertragen, doch
alles hat seine Grenzen. Ich bin nur ein Sterblicher. Mit jedem meines
Geschlechts will ich’s aufnehmen; aber, wer alle Mitglieder dieser
Familie feiern und noch am Leben bleiben kann, der muß mehr sein, als
ein Mensch -- oder weniger. Wenn Sie das alle Jahre durchzumachen
haben, so danke ich Gott, daß ich in Amerika geboren bin; ein Engländer
zu sein, ertrüge ich bei meiner Leibesbeschaffenheit nicht. Ich kann
mich an dem Unternehmen nicht länger beteiligen; meine Auswahl an
Getränken ist erschöpft. Ja, für mich giebt es kein Getränk mehr und
doch müßte noch auf das Wohl so vieler angestoßen werden! Kein Getränk
mehr -- und wir stehen sozusagen erst im Vorhof der Familie. Es thut
mir wahrhaftig leid, mich zurückzuziehen, aber die bittere Not treibt
mich dazu. Ich bin mit Gas gefüllt, meine Zähne sind lose im Munde,
ich leide an Krämpfen, an Skorbut, an Zahnweh, Masern, geschwollenen
Backen und Kinnladenkrampf, auch habe ich von dem Apfelwein gestern
die Cholera bekommen. Meine Herren, trotz der besten Absicht von der
Welt bin ich wirklich nicht in der Verfassung, die übrigen Geburtstage
mitzufeiern. Ich muß um eine Pause bitten.«



Tischrede

bei einem Festessen der Amerikaner in London zur Feier des 4. Juli.


Herr Vorsitzender, geehrte Damen und Herren! Erlauben Sie mir, Ihnen
für den Glückwunsch zu danken, den Sie soeben ausgesprochen haben. Um
zu zeigen, wie sehr ich Ihre freundliche Gesinnung zu schätzen weiß,
will ich mich möglichst kurz fassen. Es ist eine Freude, auf Englands
altem mütterlichem Boden in friedlichem Beisammensein den Jahrestag
einer Bewegung zu feiern, welche vor langer Zeit aus dem Kriege mit
diesem selben Lande entstanden ist und durch die Opferwilligkeit
unserer Vorfahren zu einem glücklichen Ausgang gebracht wurde. Fast
hundert Jahre sind erforderlich gewesen, um Engländer und Amerikaner
in gegenseitiger Anerkennung und Freundschaft zu verbinden, aber
ich glaube, es ist jetzt endlich erreicht. Es war ein großer
Schritt vorwärts, als die zwei letzten Mißverständnisse durch ein
Schiedsgericht ausgeglichen wurden, statt durch Kanonen. Es ist ein
weiterer großer Schritt, wenn England unsere Nähmaschinen annimmt, ohne
-- wie gewöhnlich -- zu behaupten, es habe sie erfunden. Von hoher
Wichtigkeit war es auch, daß England kürzlich einen amerikanischen
Schlafwagen bezogen hat. Und gestern wurde mir unbeschreiblich warm ums
Herz, als ich Zeuge war, wie ein Engländer freiwillig und ungezwungen
beim Kellner einen ›~Sherry Cobbler~‹ bestellte und ihn dabei mit
bewundernswerter Einsicht und großem Verständnis daran erinnerte, daß
auch Erdbeeren hineingehörten. Eine gemeinsame Abstammung, dieselbe
Sprache und Litteratur, die gleiche Religion und -- die gleichen
Getränke -- was fehlt denn noch, um beide Völker aufs innigste mit
einander zu einem bleibenden Bruderbund zu verknüpfen?

Wir leben in einem Zeitalter des Fortschritts -- und dem Fortschritt
huldigt auch unser Vaterland. Es ist ein großes, ruhmvolles Land,
ein Land, das einen Washington, einen Franklin, einen Wm. M. Tweed,
einen Longfellow, einen Motley, einen Jay Gould, einen Samuel C.
Pomeroy hervorgebracht hat[12] und den letzten Kongreß, der (in
mancher Beziehung) alle seine Vorgänger übertraf. Auch besitzen die
Vereinigten Staaten ein Heer, welches in acht Monaten sechzig Indianer
dadurch besiegt hat, daß es sie totmüde machte -- was, Gott weiß
es, weit besser ist als ein barbarisches Gemetzel. Wir haben eine
Schwurgerichtsordnung, mit der sich keine auf Erden vergleichen läßt
und deren Wirksamkeit nur dadurch beeinträchtigt wird, daß man nicht so
leicht alle Tage zwölf Männer findet, die gar nichts wissen und nicht
lesen können. Auch will ich bemerken, daß bei uns die Geistesstörung
als mildernder Umstand in einer Weise geltend gemacht wird, bei welcher
selbst Kain freigekommen wäre. Ich glaube auch behaupten zu können --
und ich thue es mit Stolz, daß wir einige Gesetze haben, die mehr Geld
einbringen, als irgend welche in der übrigen Welt.

    [12] Mark Twain zählt hier mit scheinbarem Ernst neben den
        Namen von wirklichen Größen einige andere auf, welche
        Männern von sehr zweifelhaftem Charakter angehören.

Voll Hochgefühl weise ich auf unser Eisenbahnsystem hin, das uns
am Leben läßt, obgleich es das Gegenteil thun könnte, da wir in
seiner Gewalt sind. Es hat im letzten Jahre durch Zusammenstöße nur
dreitausend und siebzig und durch Überfahren siebenundzwanzigtausend
zweihundert und sechzig Menschen das Leben gekostet. Die Verwaltung
beklagte den Tod dieser dreißigtausend Personen aufrichtig und ging
sogar so weit, für einige derselben Entschädigung zu leisten --
natürlich aus freien Stücken -- denn es wäre geradezu niederträchtig,
behaupten zu wollen, daß wir einen Gerichtshof besitzen, der die
Perfidie so weit treiben würde, einer Eisenbahngesellschaft gegenüber
einen Rechtsspruch durchzusetzen. Aber Gott sei Dank sind die
Eisenbahngesellschaften gewöhnlich geneigt, Recht und Billigkeit
walten zu lassen, ohne daß man ihnen Zwang anthut. Davon kann ich ein
Beispiel erzählen, welches mich damals innig gerührt hat. Nach einem
Unfall schickte mir die Gesellschaft nämlich die sterblichen Reste
eines lieben, entfernten, alten Vetters in einem Korbe ins Haus und
schrieb dabei: »Bitte die Summe anzugeben, die er Ihnen wert ist -- und
den Korb zurückzuschicken.« Größere Freundlichkeit kann man doch nicht
verlangen! --

Aber ich darf hier nicht den ganzen Abend stehen und prahlen, wenn
Sie mir auch ein wenig Großthuerei mit meinem Vaterlande am vierten
Juli gewiß zu gute halten. Das scheint doch gerade die rechte Zeit, um
den Adler steigen zu lassen. Nur noch _ein_ großsprecherisches Wort
gestatten Sie mir -- nämlich folgendes: Wir haben eine Regierungsform,
die jedermann freies Spiel läßt und keinen bevorzugt. Bei uns wird
niemand mit dem Recht geboren, auf seinen Nächsten herabzusehen und
ihn zu verachten. Diejenigen unter uns, die keine Herzöge sind, mögen
hierin ihren Trost finden. Die Zukunft erscheint uns hoffnungsvoll,
weil wir wissen, daß, wie traurig auch die Moral unserer heutigen
politischen Zustände beschaffen ist, England sich doch noch aus viel
jammervolleren emporgearbeitet hat, seit den Zeiten, als Karl II.
Dirnen in den Adelstand erhob und jedes Staatsamt verhandelt und
verkauft wurde. Für uns ist also noch Hoffnung vorhanden.

Es war meine Absicht gewesen, diese Rede vorzutragen, aber unser
Gesandter, General Schenck, welcher den Vorsitz führte, stand nach
dem Tischgebet auf, um eine lange und über alle Begriffe schläfrige
Ansprache zu halten, welche er mit der Bemerkung schloß, daß, da die
Festreden die Gäste nicht sehr zu erheitern schienen, alle ferneren
Vorträge während des Abends unterbleiben sollten, damit wir uns nach
Gefallen mit unsern Tischnachbarn unterhalten und gemütlich fühlen
könnten. Man weiß, daß infolge dieser Anordnung vierundvierzig fertige
Reden sterben mußten, ohne das Licht der Welt erblickt zu haben. Die
Schwermut, Niedergeschlagenheit und feierliche Stille, welche von
da ab bei dem Festmahl herrschte, wird den meisten, die demselben
beiwohnten, dauernd in der Erinnerung bleiben. Durch diese einzige
unbedachte Äußerung hat General Schenck vierundvierzig der besten
Freunde eingebüßt, die er in England besaß. Mehr als einer sagte an
jenem Abend: »Und einen solchen Menschen hat man hergeschickt, um uns
bei dem großen Schwesterreich würdig zu vertreten?«



Ein Zwiegespräch.


Alle meine seitherigen Reisen waren bloße Geschäftsreisen gewesen.
Das letzte Maiwetter war so verführerisch, daß ich beschloß, nun auch
einmal eine Vergnügungsreise zu machen. Schon einen Tag nach diesem
Entschluß befand ich mich an Bord eines nach den Bermudas gehenden
Dampfers. Nachdem ich mir mein Billet gelöst, wanderte ich auf dem
Verdeck auf und nieder in dem frohen Gefühl der Freiheit und Muße,
ein Genuß, der durch das Bewußtsein, daß sich die Entfernung zwischen
mir und den Post- und Telegraphenanstalten beständig vermehrte, noch
wesentlich erhöht wurde. Nach einer Weile ging ich in meine Kajüte
und kleidete mich aus; aber die Nacht war zu prächtig, um sie ganz zu
verschlafen. Ich stellte mich daher ans Fenster und beobachtete die
rasch dahingleitenden Lichter am Ufer. Bald kamen zwei ältliche Männer,
die sich gerade unter mein Fenster niedersetzten und ein Gespräch
begannen. Ihr Gespräch ging mich eigentlich nichts an, aber aufgelegt
und heiter gestimmt, wie ich war, ließ ich mir die Unterhaltung gern
gefallen. Ich entdeckte bald, daß sie Brüder aus einem kleinen Dorf in
Connecticut waren und daß sich ihre Unterhaltung um den Kirchhof drehte.

»Nun, Hans« -- begann der eine -- »wir haben die Sache des Langen und
Breiten besprochen. Siehst du, alles räumte den alten Kirchhof und
unsere Angehörigen blieben fast ganz allein zurück. Sie waren auch,
wie du weißt, arg eng zusammengedrängt. Der Platz war von Anfang an
nicht groß genug und als im letzten Jahr Seths Weib starb, konnten wir
sie kaum noch unterbringen. Sie kam gerade noch etwas auf Dekan Shorbs
Stelle herüberzuliegen und der wurde deswegen auf sie und uns ganz
ärgerlich. Wir redeten also darüber und ich war für ’nen Ankauf auf
dem neuen Kirchhof; die andern waren nicht dagegen, wenn es nicht zu
teuer käme. Die zwei schönsten und größten Plätze waren Nummer 8 und 9
-- beide von einer Größe: jeder bequem für sechsundzwanzig Erwachsene;
wenn man Kinder mitrechnet, reicht er für dreißig, auch zwei- und
dreiunddreißig, ganz hübsch.«

»Das ist übergenug, Wilhelm. Welchen hast du gekauft?«

»Nun, darauf werde ich gleich kommen, Hans. Siehst du, Nummer 8 kostete
13 Dollars, Nummer 9 aber 14 -- --«

»Sehe schon. Da hast du Nummer 8 genommen.«

»Warte nur. Ich nahm Nummer 9 und will dir auch sagen, warum. Erstens,
weil der Dekan Nummer 9 haben wollte. Nach der Art und Weise, wie er
sich darüber aufgehalten hat, daß Seths Weib etwas auf seinen Platz
zu liegen kam, hätte ich ihm den Platz weggeschnappt und wenn er mich
zwei statt einen Dollar mehr gekostet hätte. Was ist ein Dollar?
dachte ich bei mir. Das Leben ist nur eine Pilgerschaft, sag’ ich;
wir sind ja nicht für immer da und können nichts mit uns nehmen. So
legte ich denn das Geld hin und dachte: der Herr läßt ja keine gute
That unbelohnt und, so Gott will, verdien’ ich den Dollar an jemand
anders bei nächster Gelegenheit zurück. Ich hatte aber auch noch einen
anderen Grund. Nummer 9 ist weitaus der hübscheste Platz im ganzen
Kirchhof und am schönsten gelegen; er liegt gerade auf dem Gipfel einer
Anhöhe, mitten im Kirchhof. Man kann von dort aus Millport und Tracy
und den Rumpfberg und eine ganze Reihe von Farmen sehen; im ganzen
Staat ist keine schönere Aussicht von einem Begräbnisplatz aus, -- so
sagt wenigstens Higgins und der muß es wissen. Das ist aber noch nicht
alles. Shorb mußte wohl oder übel Nummer 8 nehmen. Nun stößt Nummer 8
an Nummer 9 und da jene am Abhang liegt, so läuft alles Wasser zu den
Shorbs hinab. Higgins meinte, wenn des Dekans Zeit einmal komme, möge
er seine sterblichen Ueberreste nur gegen Feuer- und Wasserschaden
zugleich versichern.«

[Illustration]

Nach diesen Worten ließ sich ein leises, doppeltes Kichern vernehmen,
das Beifall und Zufriedenheit ausdrückte.

»Sieh, Hans, da hab’ ich eine rohe Skizze von dem Grundstück auf ein
Stück Papier gebracht. Da oben in der Ecke linker Hand haben wir die
Gestorbenen untergebracht; wir holten sie aus dem alten Friedhof und
legten sie nebeneinander nach der alten Regel: ›Wer zuerst kommt,
mahlt zuerst‹, ganz unparteiisch, Großvater Jonas zuerst, weil er
zufällig zuerst an die Reihe kam, Seths Zwillinge zuletzt. Daran
schließen sich die künftigen Grabstätten: hier auf der Stelle, die
mit ~A~ bezeichnet ist, wollen wir Maria und ihre Familie bestatten,
wenn sie abgerufen werden; ~B~ ist für Bruder Hosea und die Seinen
bestimmt, ~C~ für Calvin und sein Haus. Was noch übrig ist, sind diese
zwei Plätze hier -- just die Perle des ganzen Flecks, was das Aeußere
anbelangt; sie sind für mich und meine Leute und für dich und die
Deinen bestimmt. Nun, in welchem möchtest du am liebsten begraben sein?«

»Da bin ich überfragt, Wilhelm! Das kann ich dir nicht gleich sagen.
Wahrhaftig, vor lauter Ueberlegen, wie man es den andern bequem machen
könnte, habe ich an mein eigenes Begrabenwerden gar nicht gedacht.«

»Das Leben ist nur ein flüchtiger Traum, Hans, wie das Sprichwort
sagt. Wir müssen alle fort, früher oder später. Die Hauptsache ist,
daß unsere Rechnung mit dem Himmel glatt abgeht. Das ist das einzige,
wonach wir trachten müssen!«

»Ja, so ist’s, Wilhelm, so ist’s; da kann man nicht herumkommen. -- Zu
welchem von den Plätzen würdest du mir raten?«

»Nun, das kommt auf dich an. Liegt dir viel an Aussicht?«

»Nicht gerade sehr viel, aber doch etwas. Hauptsächlich würde ich auf
sonnige Lage Wert legen.«

»Dem ist schon geholfen, beide Plätze liegen gegen Süden. Sie bekommen
die Sonne, und die Shorbs den Schatten.«

»Wie steht’s mit dem Boden, Wilhelm?«

»~D~ ist Sandboden -- ~E~ meistens Lehm.«

»Dann gieb mir lieber ~E~, Wilhelm; ein sandiger Boden sinkt immer ein
und macht Reparaturkosten.«

»Ganz recht; da, schreib’ deinen Namen her, hier unter ~E~. Und nun,
wenn du mir deinen Anteil an den vierzehn Dollars bezahlen willst, da
wir gerade bei dem Geschäft sind, so ist alles abgemacht.«

Nach einigem Warten und Feilschen wurde das Geld bezahlt, Hans sagte
seinem Bruder Gutenacht und ging zur Ruhe. Es folgte ein minutenlanges
Schweigen, dann ertönte ein leises Kichern herauf von dem einsamen
Wilhelm und er murmelte: »Ei der Tausend! Da habe ich mich am Ende doch
geirrt! ~D~ ist meistens Lehm, nicht ~E~, und Hans hat jetzt doch einen
sandigen Platz gekauft.«

Noch ein leises Kichern, dann suchte auch Wilhelm sein Lager auf.



Ein Miniaturreich im Weltmeer.


Vor einiger Zeit ging durch die Zeitungen folgende Mitteilung:

    »Die eigentliche ›Insel der Glückseligen‹ scheint die
    Pitcairn-Insel in den australischen Gewässern zu sein. Eine
    norwegische Barke hat diese Insel angelaufen und den Berichten
    des Barkeführers entnimmt der ›Daily Telegraph‹ folgendes:
    Solch ein Musterstaat ist vorher niemals bekannt gewesen. Die
    Gesetze desselben umfassen die kleinsten Dinge, und sind, was
    häusliche Angelegenheiten betrifft, geradezu mikroskopisch.
    Die Regierung komponiert die Hymnen für die Schulkinder, das
    Staatsoberhaupt entwirft nicht nur das Programm der täglichen
    Tänze, sondern spielt selber die Violine und geigt seinen
    Leuten die Tänze vor, mit denen sie jeden Werktag der Woche
    schließen.«

Das klingt so merkwürdig, daß einiges aus der Geschichte der Insel und
ihrer Bewohner gewiß gern vernommen wird:

Vor ungefähr hundert Jahren brach auf dem englischen Schiffe ›Bounty‹
eine Meuterei der Mannschaft aus, der Kapitän und die Offiziere
wurden den Wellen preisgegeben, während die Mannschaft im Besitze des
Schiffes südwärts segelte. Sie landeten auf Tahiti, wo sie sich unter
den Eingeborenen Frauen nahmen, begaben sich dann auf eine einsame
Felseninsel, inmitten des Stillen Ozeans, die sog. Pitcairn-Insel,
und machten das Schiff zum Wrack, indem sie alles zur Niederlassung
brauchbare Material in und an dem Schiff auf das Eiland schafften.
Pitcairns Eiland liegt vom Weltverkehr so weit ab, daß nur selten
Schiffe vorbei kommen. Man hat die Insel für unbewohnt gehalten, bis
im Jahre 1808 der Kapitän eines daselbst ankernden Schiffes zu seinem
Erstaunen die Entdeckung der Insulaner machte. Die streitsüchtigen
Meuterer hatten sich indessen gegenseitig bis auf 2 oder 3 umgebracht,
doch war bereits ein junger Nachwuchs vorhanden, so daß die Bevölkerung
im Jahre 1808 27 Personen betrug. John Adams, der Rädelsführer, war
noch am Leben: er war bis zu seinem 1879 erfolgten Tode der Beherrscher
und Patriarch des Völkchens. Er war zu einem christlichen Lebenswandel
übergegangen, und sein Volk von 27 Köpfen bildete die frömmste und
strengste Gemeinde der Christenheit. Adams hatte sich freiwillig unter
den Schutz der englischen Flagge, die er aufhißte, begeben. Nach dem
neuesten Zensus zählt die Bevölkerung 90 Personen: 16 Männer, 19
Frauen, 25 Knaben und 30 Mädchen, lauter Abkömmlinge der Meuterer. Sie
sprechen nur die englische Sprache. Die Insel ragt wie Helgoland aus
der See; sie ist ¾ Meilen lang und stellenweise bis zu einer halben
Meile breit. Das Ackerland ist den verschiedenen Familien zugeteilt.
Auch giebt es einen mannigfaltigen Viehstand: Ziegen, Schweine,
Hühner und Katzen; aber keine Hunde oder sonst größere Tiere. Die
Kirche auf Pitcairn ist zugleich Schule, Rathaus und Bibliothek.
Das Staatsoberhaupt führt den Titel: ›Bürgermeister und Gouverneur,
Unterthan Ihrer Majestät der Königin von England‹. Dasselbe wird
vom ganzen Volke gewählt; wahlberechtigt ist jeder Einwohner ohne
Unterschied des Geschlechts.

Die einzige Beschäftigung der Leute, als sie entdeckt wurden,
bestand in Landwirtschaft und Fischfang; ihre einzige Zerstreuung im
Gottesdienst. Es gab weder einen Kaufladen noch Geld auf der Insel.
Gewohnheiten und Bekleidung der Insulaner waren ebenso einfach wie ihre
Gesetze. Sie lebten dahin in einer tiefen Sabbathruhe, fern von der
Welt, ihrem Ehrgeiz und ihrer Drangsal. Einmal alle 3--4 Jahre landete
ein Schiff, das die mittlerweile veralteten Neuigkeiten von blutigen
Schlachten, verheerenden Epidemien und gestürzten Thronen brachte,
sodann gegen Seife und Flanell einige Yamswurzeln und Brotfrucht
eintauschte, und dann wieder fortsegelte, um die Insel für ein paar
Jahre sich selbst zu überlassen.

Vor einigen Jahren besuchte der Admiral Horsey an der Spitze der
englischen Flotte in den pazifischen Gewässern die Insel und erstattete
darüber an das Parlament einen Bericht. In demselben heißt es:

    »Die Insulaner pflanzen Bohnen, rote und weiße Rüben, Kohl
    und etwas Mais, Ananas, Feigen- und Orangen-, Zitronen- und
    Kokosnußbäume. Ihre Kleider erhalten sie gelegentlich von
    vorüberfahrenden Schiffen im Austausch gegen Nahrungsmittel.
    Die Insel hat kein eigenes Wasser, da es aber eine Regenperiode
    auf der Insel giebt, fehlt es nicht daran. Trunkenheit ist
    ein unbekanntes Laster. Die Bedürfnisse der Insulaner sind
    vornehmlich: Leinwand, Flanell, Halbstiefel, Kämme, Seife,
    Tabak; auch Landkarten und Schiefertafeln für ihre Schulen,
    sowie Werkzeuge jeder Art tauschen sie gerne ein. Ich ließ
    sie mit einer Flagge zum Aufhissen bei der Ankunft von
    Schiffen versehen, sowie mit einer Handsäge, deren sie sehr
    bedürftig waren. Dies wird, wie ich hoffe, die Billigung der
    Lords finden. Sobald das freigebige englische Volk von den
    Bedürfnissen dieser kleinen würdigen Kolonie erfährt, wird es
    gewiß bereit sein, denselben abzuhelfen.

    Gottesdienst wird jeden Sonntag um 10½ Uhr vor- und 3 Uhr
    nachmittags in dem von John Adams gebauten Hause gehalten.
    Derselbe wird streng nach der Liturgie der Kirche von England
    von Mr. Simon Young, ihrem erwählten Pastor, der in hoher
    Achtung steht, begangen. Eine Bibelstunde wird jeden Mittwoch
    gehalten, wo alle, die abkommen können, zugegen sind. Auch ist
    eine allgemeine Gebetstunde am ersten Freitag jeden Monats.
    Familiengebete werden in jedem Haus als erstes in der Frühe
    und letztes des Abends gesprochen, und nie wird gespeist,
    ohne daß Gottes Segen vor- und nachher erbeten würde. Von den
    religiösen Eigenschaften dieser Insulaner kann man nur mit der
    größten Hochachtung sprechen. Ein Volk, das sich’s zum größten
    Vergnügen und zur Pflicht macht, im Gebet mit seinem Gott
    vereinigt zu sein und das fröhlich und fleißig ist und freier
    von Lastern als irgend eine andere Gemeinde, bedarf kaum eines
    Priesters.«

In dem Bericht des Admirals findet sich zum Schluß die geringfügig
erscheinende Bemerkung: »Ein Fremder, ein _Amerikaner_, hat sich
unlängst auf der Insel niedergelassen -- eine zweifelhafte Erwerbung.«
Der Admiral hatte keine Ahnung, wie sehr er mit seiner kritischen
Bemerkung recht hatte. An diesen Amerikaner knüpft sich die Geschichte
einer großen Revolution auf der sonst so stillen und friedlichen Insel.
Ueber dieses Ereignis liegt von dem amerikanischen Kapitän Ormsby,
welcher vier Monate nach des englischen Admirals Besuch zufällig auf
die Insel kam, ausführliche Kunde vor, die wir in Kürze wiedererzählen.

Der obenerwähnte amerikanische Eindringling hieß _Butterworth Stavely_.
Derselbe begann damit, sich durch alle möglichen Pfiffe und Kniffe bei
den Pitcairnern einzuschmeicheln. Er wurde bald sehr beliebt, zumal
er alle seine weltlichen Gewohnheiten verließ und sich mit ganzer
Inbrunst auf die Religion warf. Bald übertraf er alle in der Ausdauer
und Inbrunst des Betens und Hymnensingens. Sobald er die Zeit für
gekommen erachtete, begann er heimlich die Saat der Zwietracht zu
streuen. Es war von Anfang an seine überlegte Absicht, die Regierung zu
stürzen. Zu diesem Zweck bediente er sich der verschiedensten Mittel.
Bei den einen erweckte er Unzufriedenheit, indem er auf die Kürze
der Sonntagsfeier hinwies, und _drei_- anstatt der _zwei_stündigen
Gottesdienste befürwortete. Die Anhänger dieser Meinung verbündeten
sich in der Stille zu einer Partei, um für ihre Reform zu wirken. Den
Frauen redete er ein, daß ihre Stimme nicht genügend in der Gebetstunde
vertreten sei; so entstand eine zweite Partei. Keine Waffe war ihm zu
gering. Selbst die Kinder zog er zu sich herüber, indem er in ihren
jungen Herzen Unzufriedenheit erweckte, durch seine Entdeckung, daß sie
nicht genug Sonntagsschule hätten. Das erzeugte eine dritte Partei.

Als Stavely solchermaßen vorgearbeitet, führte er einen Schlag gegen
die oberste Magistratsperson, Yames Russell Nikroy, einen Mann von
Charakter und Tüchtigkeit, einen der wohlhabendsten Bewohner und
Besitzer des einzigen Fahrzeuges auf der Insel, eines Walfischbootes.
Um zu erzählen, wie sich das begab, muß in der Geschichte der Insel
zurückgegriffen werden.

Eines der wichtigsten Gesetze auf der Insel ist das gegen
Eigentumsverletzung; es gilt als das Palladium der Volksfreiheit. Vor
etwa dreißig Jahren kam ein wichtiger Fall, der unter dieses Gesetz
fiel, vor das Gericht. Ein Hühnchen, das der Elisabeth Young (damals 58
Jahre alt, eine Tochter John Mills, eines der Meuterer der ›Bounty‹)
gehörte, richtete auf dem Grundstück Henry Christians (29 Jahre alt,
ein Enkel Fletcher Christians, eines der Meuterer) Unfug an. Christian
tötete das Hühnchen.

Nach dem Gesetz war Christian berechtigt, indem er das tote Huhn
zurückgab, Ersatz für den von demselben angerichteten Schaden zu
beanspruchen. Christian that das letztere und beanspruchte einen
Scheffel Yamswurzeln als Entschädigung, was Fräulein Young zu viel war.
Sie klagte und das Gericht setzte die Entschädigung auf einen halben
Scheffel herab.

[Illustration]

Christian appellierte dagegen. Der Prozeß ging darauf durch alle
Instanzen. Endlich -- im vorigen Sommer -- nachdem der Prozeß 20 Jahre
geschwebt -- war der Streit vor das höchste Obergericht gelangt.
Dasselbe bestätigte das ursprüngliche Urteil. Christian mußte sich nun
zufrieden geben, aber Stavely raunte dessen Verteidiger ins Ohr, er
›solle -- bloß der Form wegen‹ -- verlangen, daß ihm das betreffende
Gesetz, auf das sich das Urteil bezog, vorgezeigt werde, damit er
sich von seiner Existenz überzeugen könne. Das Gericht ließ diesen
seltsamen Einfall gelten. Ein Bote wurde in das Haus des Bürgermeisters
geschickt, welcher bald darauf mit der Nachricht wiederkehrte, das
Gesetz sei aus dem Staatsarchiv verschwunden. Der Gerichtshof mußte
darauf seine Entscheidung für null und nichtig erklären. Das Publikum
aber geriet in große Aufregung über den Verlust des Gesetzes, das
seine wichtigsten Freiheitsrechte enthielt. Auf Stavelys Antrag
erfolgte die Anklage des Bürgermeisters. Seine würdige Haltung und
ruhige Beteuerung, daß er an dem Verlust unschuldig sei, indem er das
Staatsarchiv stets in der nämlichen Zigarrenschachtel aufbewahrt habe
und dasselbe weder verlegt noch zerstört habe, half ihm nichts. Er
wurde abgesetzt und sein Vermögen eingezogen. Das Erbärmlichste an der
Geschichte war, daß von seinen Feinden als Grund, warum er das Gesetz
vernichtet habe, angegeben wurde, er habe dadurch Christian nützen
wollen, weil er sein _Vetter_ sei. Und doch gab es auf der Insel außer
Stavely keinen Menschen, der nicht Christians Vetter gewesen wäre. Denn
es läßt sich denken, daß die ganze Einwohnerschaft mit der Zeit durch
Heiraten so miteinander verbunden wurde, daß nachgerade ein jeder in
allen möglichen verwandtschaftlichen Beziehungen zu den anderen stand.

Ein Fremder sagt z. B. zu einem der Insulaner: »Sie sprechen von jener
jungen Frau als ihrer Base; vor einer Weile nannten Sie sie Tante!« Er
wird vielleicht darauf zur Antwort erhalten:

»Nun, sie ist meine Tante und auch meine Base; ferner ist sie meine
Stiefschwester, meine Nichte, meine Base im 4., 23. und 32. Grad,
meine Großtante, meine Großmutter, meine verwitwete Schwägerin, -- und
nächste Woche wird sie mein Weib werden!«

So war denn der Vorwurf des Nepotismus gegen den Angeklagten überaus
schwach; aber schwach oder stark, er paßte in Stavelys Plans.
Derselbe wurde alsbald an des Gestürzten Stelle zum Bürgermeister
gewählt. Es regnete nun Reformen. Eine der ersten war, daß der zweite
Sonntagsvormittags-Gottesdienst, der sonst 35 bis 40 Minuten gedauert
hatte und in welchem eine Fürbitte für jeden Weltteil, jede Nation und
jeden Volksstamm eingelegt war, um eine Stunde verlängert und daß die
Fürbitte auf alle erdenklichen Völker auf den verschiedenen Planeten
ausgedehnt wurde. Die Neuerung gefiel allgemein und die Leute sagten
sich: das sieht doch etwas gleich. Als Stavely das Verbot des Essens am
Sonntag an die Stelle des bisherigen Verbots, an diesem Tage zu kochen,
setzte, und die Sonntagsschule den ganzen Tag über dauern ließ, kannte
der Jubel des Volkes keine Grenzen. Durch seine Neuerungen machte sich
Stavely bald zum Abgott des Volkes.

Stavely wagte einen weiteren Schritt. Er begann unter der Hand die
öffentliche Meinung gegen England aufzuwiegeln. Als er die Geister
einzeln angeschürt, trat er öffentlich auf und erklärte, die Nation
sei es ihrer Ehre und Vergangenheit schuldig, sich des drückenden
englischen Joches zu entledigen. Darauf erwiderten einige besonnene
Insulaner: »Wir fühlen den Druck nicht. Wie sollten wir? England sendet
alle paar Jahre ein Schiff zu uns, das uns Seife und Tuch und was wir
sonst brauchen, bringt, und läßt uns im übrigen in Ruhe.«

»Läßt uns in Ruhe?« entgegnete Stavely. »So haben Sklavenseelen
jederzeit gefühlt und gesprochen. Solche Worte zeigen, wie tief ihr
schon unter dem Druck der Tyrannei gesunken seid. Wie, hat euch aller
Mannesstolz verlassen? Ist euch Freiheit nichts? Seid ihr zufrieden,
immer nur ein Anhängsel an eine fremde und hassenswerte Macht zu sein,
wo ihr doch berechtigt wäret, euern Platz unabhängig groß und frei in
der erhabenen Familie der Nationen einzunehmen?«

Solche Reden verfehlten ihre Wirkung nicht. Die Insulaner begannen
das englische Joch zu fühlen; sie fühlten es, ohne zu wissen, wo und
wie. Sie begannen zu klagen, zu murren, unter eingebildeten Ketten
zu seufzen und sich nach Befreiung und Erleichterung zu sehnen. Ihre
Abneigung gegen England wuchs. Während sie vordem auf dem Wege nach
ihrem Kapitol freudig an dem englischen Banner hinaufsahen, schlugen
sie jetzt die Augen vor dem Symbol ihrer Unterthänigkeit nieder. Eines
Morgens fand man die Flagge herabgerissen und in den Staub getreten.
Niemand hißte sie wieder auf. Der Staatsstreich lag in der Luft.
Nächtlicherweile kamen einmal einige Bürger zu Stavely. Es entspann
sich folgende Unterhaltung:

»Wir können diese verhaßte Tyrannei nicht länger ertragen; wie
entledigen wir uns derselben?«

»Durch einen ~coup d’état~!«

»Was ist das?«

»Ein Staatsstreich, oder ~coup d’état~, ist so: Alles wird vorbereitet
und zur verabredeten Stunde verkündige ich, als das Staatsoberhaupt,
öffentlich und feierlich die Unabhängigkeit der Insel.«

»Das klingt einfach und leicht. Wir könnten das gleich thun. Womit
sollen wir beginnen?«

»Bemächtigt euch aller Kriegsmittel und des öffentlichen Eigentums,
veröffentlicht das Kriegsrecht, setzt die Armee und Marine auf
Kriegsfuß und verkündigt das Kaisertum.«

Dieses schöne Programm blendete die Unerfahrenen. Sie sagten:

»Das ist groß -- erhaben, aber wird England keinen Widerstand leisten?«

»Es mag! Dieser Felsen ist ein Gibraltar!«

»Richtig, aber wie ist’s mit dem Kaisertum? Brauchen wir ein
Kaiserreich und einen Kaiser?«

»Was ihr braucht, meine Freunde, das ist Einheit. Seht auf Deutschland,
auf Italien. Sie sind geeinigt. Einigkeit thut not. Dieselbe verteuert
zwar das Leben; aber das ist gleichbedeutend mit Fortschritt.
Wir müssen ein stehendes Heer, eine Flotte haben. Daraus folgen
selbstverständlich Steuern, aber diese sind nur Zeichen der Größe.
Einig und groß, was wollt ihr mehr? Nur ein Kaisertum kann euch diese
Wohlthaten schaffen.«

So wurde am 8. Dezember Pitcairns Eiland für ein freies und
unabhängiges Reich erklärt und an demselben Tage fand unter großem
Jubel und Festlichkeiten die Krönung von Butterworth I., Kaiser der
Pitcairn-Insel statt.

Nie in der Geschichte der Insel war ein solches Schauspiel gesehen
worden. Im Gänsemarsch zog das gesamte Volk -- mit Ausnahme der kleinen
Kinder -- hinter dem Throne, auf welchem der Kaiser saß, mit Fahnen
und Musik einher. Die Begeisterung kannte keine Grenzen.

Nun begannen unverzüglich die kaiserlichen Reformen. Adelsklassen
wurden eingerichtet, ein Marineminister ernannt und das Walfischboot
in Dienst gesetzt; ein Kriegsminister wurde berufen, mit dem Auftrag,
sogleich zur Bildung eines stehenden Heeres zu schreiten. Ein erster
Lord des Schatzes wurde ernannt und mit dem Entwurfe eines Steuerplanes
betraut; zugleich sollte er Unterhandlungen eröffnen zum Abschluß von
Schutz- und Trutzbündnissen, sowie von Handelsverträgen mit den fremden
Mächten. Einige Generale und Admirale wurden eingesetzt, ebenso einige
Kammerherren, Hofstallmeister und sonstige Hofchargen.

Damit aber war alles vorhandene Menschenmaterial verwendet. Der
Kriegsminister, mit dem Titel ›Großherzog von Galiläa‹ beklagte sich,
daß die sechzehn erwachsenen Männer des Reiches sämtlich hohe Aemter
erhalten hätten und sich infolgedessen weigerten, in Reih und Glied zu
dienen; er sei deshalb in großer Verlegenheit betreffs seines stehenden
Heeres. Der Marineminister, Marquis von Ararat, beklagte sich aus
demselben Grunde; er erklärte sich bereit, das Walfischboot selbst zu
steuern, müsse aber unbedingt Leute zum Rudern haben.

Der Kaiser that das beste, was er in diesem Falle thun konnte: er
nahm alle Knaben über zehn Jahre ihren Müttern weg und preßte sie zum
Militärdienst, indem er so ein Korps von Gemeinen bildete, das von
einem Generallieutenant und zwei Generalmajoren befehligt wurde. Das
gefiel dem Kriegsminister, erregte aber die Feindseligkeit aller Mütter
im ganzen Lande, welche sagten, ihre Lieblinge würden jetzt auf den
Schlachtfeldern ein blutiges Grab finden.

Infolge der großen Spärlichkeit an lebendem Material trat die
Notwendigkeit ein, daß der Herzog von Bethanien, der sonst
Generalpostmeister war, in der Marine als Ruderer dienen und so hinter
einem Adeligen niederen Ranges, dem Grafen Canaan, der zugleich die
Stelle des Lordoberrichters begleitete, sitzen mußte. Das verwandelte
den Herzog von Bethanien in einen offenen Unzufriedenen und in einen
geheimen Verräter -- was der Kaiser voraussah, aber nicht ändern konnte.

Die Dinge gestalteten sich schlimmer und schlimmer. Eines Tages machte
der Kaiser Marie Peters zur Gräfin und heiratete sie, trotzdem ihm
das Ministerium aus politischen Gründen entschieden geraten hatte,
Emmeline, die älteste Tochter des Erzbischofs von Bethlehem, zu
heiraten. Das rief in einem mächtigen Lager -- dem der Kirche --
große Unzufriedenheit hervor. Die neue Kaiserin verschaffte sich die
Unterstützung und Freundschaft von zwei Dritteln der sechsunddreißig
erwachsenen Frauen der Nation, indem sie dieselben als Ehrendamen
an ihren Hof zog; aber damit machte sie sich die übrigen zwölfe
zu Todfeindinnen. Die Familien der Ehrendamen begannen bald zu
rebellieren, weil jetzt niemand daheim war, um das Hauswesen zu führen.
Die zwölf hintangesetzten Damen weigerten sich, in die kaiserliche
Küche als Mägde einzutreten; so war die Kaiserin gezwungen, die
Gräfin von Jericho und andere große Hofdamen in Anspruch zu nehmen
zum Wasserholen, Palastfegen und zur Verrichtung anderer niedriger
Dienstleistungen. Auch das erregte wieder böses Blut.

Jedermann fing an, sich zu beklagen, daß die zum Unterhalt des Heeres,
der Marine und der kaiserlichen Hofhaltung auferlegten Steuern
unerträglich drückend seien und die Nation an den Bettelstab brächten.
Des Kaisers Antwort -- »Blickt auf Deutschland, blickt auf Italien,
was beklagt ihr euch? Alle großen Nationen haben für ihre Einigkeit
Opfer gebracht!« -- befriedigte sie nicht. Sie sagten: »Man kann die
Einigkeit nicht _essen_ und wir verhungern. Der Ackerbau hat aufgehört;
jedermann ist im Heere, in der Marine oder im Hofdienst, steht umher
in einer Uniform, hat nichts zu thun, nichts zu essen und niemand ist
da, um die Felder zu bestellen.« --

Als die Unzufriedenheit schon stark um sich gegriffen hatte, stellte
sich im Staatshaushalt ein Defizit von mehr als 45 Dollars heraus;
das machte einen halben Dollar auf den Kopf der Bevölkerung. Das
Kabinett erörterte die Frage einer Anleihe. Auch von der Ausgabe von
Schatzscheinen und Papiergeld, nach 50 Jahren in Yamswurzeln und
Kohlköpfen einzulösen, war ernstlich die Rede.

Die Minister erklärten, die Löhnung der Armee, Marine und der
Beamtenschaft sei bedeutend im Rückstand, und wenn nicht irgend
etwas geschehe und zwar unverzüglich, so müsse der Staatsbankerott
hereinbrechen und möglicherweise Aufstand und Revolution. Der Kaiser
entschloß sich sogleich zu einer durchgreifenden, auf Pitcairns
Eiland bis jetzt unerhörten Maßregel. Er begab sich am Sonntag früh
in feierlichem Aufzug zur Kirche, gefolgt von der ganzen Armee: dort
befahl er dem Finanzminister, eine Sammlung vorzunehmen.

Das war die Feder, die das Kamel zusammenbrechen machte. Ein Bürger
nach dem andern erhob sich und weigerte sich, diese unerhörte
Gewaltthätigkeit zu dulden -- und jeder Weigerung folgte augenblicklich
Konfiskation des Vermögens des Unzufriedenen. Dieses Verfahren machte
den Weigerungen bald ein Ende, und die Sammlung nahm inmitten tiefen
und ominösen Schweigens ihren Fortgang. Als der Kaiser mit den Truppen
abzog, sagte er: »Ich werde euch zeigen, wer hier Meister ist.« Mehrere
Personen riefen: »Nieder mit der Einigkeit!« Sie wurden sogleich
festgenommen und vom Militär aus den Armen ihrer weinenden Angehörigen
gerissen.

Mittlerweile aber hatte sich, wie jeder Prophet hätte voraussehen
können, ein Sozialdemokrat entwickelt. Als der Kaiser vor der
Kirchenthür den vergoldeten kaiserlichen Schubkarren bestieg, schoß
der Sozialdemokrat fünfzehn- oder sechzehnmal nach ihm -- aber mit so
merkwürdig sozialdemokratischer Unsicherheit im Ziel, daß er keinen
Schaden anrichtete.

In der nämlichen Nacht folgte die Erschütterung. Die Nation erhob
sich wie _ein Mann_ -- obgleich neunundvierzig der Revolutionäre vom
andern Geschlecht waren. Die Infanterie warf ihre Mistgabel weg, die
Artillerie ihre Kokosnüsse, die Marine empörte sich; der Kaiser wurde
in seinem Palast ergriffen und an Händen und Füßen gebunden. Er war
sehr niedergeschlagen und sagte:

»Ich befreite euch von der drückenden Tyrannei; ich erhob euch aus
eurer Erniedrigung und machte euch zu einer Nation unter den Nationen;
ich gab euch eine starke, festgefügte, zentralisierte Regierung; ich
gab euch schließlich, was mehr ist, den Segen aller Segen -- die
Einigkeit. Ich habe das alles gethan, und mein Lohn ist Haß, Schmach
und diese Ketten. Da habt ihr mich; thut mit mir, was ihr wollt. Auf
der Stelle entsage ich meiner Krone und allen meinen Würden, und gern
entledige ich mich ihrer allzuschweren Bürde. Um euretwillen nahm ich
sie an; um euretwillen lege ich sie nieder.«

Einstimmig verurteilte das Volk den Exkaiser und den Sozialdemokraten
zu immerwährender Ausschließung vom Gottesdienst oder zu
lebenslänglicher Zwangsarbeit als Galeerensklaven auf dem Walfischboot
-- sie konnten wählen. Am nächsten Tage versammelte die Nation sich
abermals, hißte die britische Flagge wieder auf, setzte die britische
Tyrannei wieder ein, erniedrigte die Adeligen wieder zu gemeinen
Bürgern und richtete dann sogleich ihren Fleiß und ihre Aufmerksamkeit
auf das Ausjäten der vernachlässigten Yamsfelder und auf die
Wiederherstellung der alten nützlichen Gewerbe und der alten heilsamen
und tröstlichen Frömmigkeit. Der Exkaiser gab das verloren geglaubte
Gesetz gegen Eigentumsverletzung zurück und erklärte, er habe es
gestohlen -- nicht um jemanden zu schaden, sondern um seine politischen
Ziele zu fördern. Daraufhin gab die Nation dem früheren Staatsoberhaupt
sein Amt und auch sein konfisziertes Eigentum wieder zurück.

Nach reiflicher Ueberlegung zogen der Exkaiser und der Sozialdemokrat
dauernde Ausschließung vom Gottesdienst der lebenslänglichen Arbeit als
Galeerensklaven ›mit fortwährendem Gottesdienst‹, wie sie es nannten,
vor, weshalb die Leute glaubten, daß die erlittene Angst den armen
Teufeln den Verstand verwirrt hätte. Sie hielten es daher für geraten,
dieselben vorläufig gefangen zu halten, was auch geschah.

       *       *       *       *       *

Das ist die Geschichte von Pitcairns ›_zweifelhafter Erwerbung_‹.



Anhang.

Lebensgeschichte Mark Twains.

[Illustration]


In diesem und in den vorausgegangenen Bänden der »_Ausgewählten
humoristischen Schriften Mark Twains_« hat der Leser ohne Zweifel
den amerikanischen Humoristen so lieb gewonnen und hochschätzen
gelernt, daß er eine eingehendere Lebensbeschreibung desselben gewiß
gern aufnehmen wird, welche in mancher Beziehung neues Licht auf die
Schriften des Verfassers wirft. Es hat sicher einen eigenen Reiz,
sich noch einmal an den Genuß der Lektüre von Mark Twains Schriften
und namentlich einzelner Episoden daraus zu erinnern, während man dem
Verfasser auf seiner viel bewegten Laufbahn folgt.

[Illustration]



Erstes Kapitel.

Samuel Langhorne Clemens.


Ueber den Stammbaum des großen amerikanischen Humoristen herrscht
ziemliche Dunkelheit. Wir wissen von seinen Vorfahren nur, daß sie
väterlicherseits aus Holland kamen, während die Familie seiner Mutter
englischer Abkunft war.

Mark Twains Vater, John Marshall Clemens, ein kluger und
charakterfester Mann, war in Virginien geboren. Er wanderte nach
Tennessee aus und verheiratete sich dort mit Miß Langhorne, welche
neben einfach häuslichem Sinn große Herzenswärme und tiefes Gefühl
besaß. Im Jahre 1828 ließ sich die Familie Clemens in dem Städtchen
Florida nieder, und hier, im Staate Missouri, erblickte Samuel
Langhorne Clemens am 30. November 1835 das Licht der Welt.

Schon drei Jahre später zogen seine Eltern nach der am Ufer des
Mississippi gelegenen Stadt Hannibal, wo er seine Knabenjahre verlebte.
Wer ›Tom Sawyer‹ gelesen hat, kennt den Ort. Die Bewohner gehörten
der strengen kirchlichen Richtung jener Zeit an, im übrigen stand
die Gesittung auf keiner höhern Stufe als in andern Sklavenstaaten;
Leidenschaft, Anmaßung und Beschränktheit führten überall das große
Wort.

Sams Vater, der sich durch unbeugsamen Sinn und streng rechtlichen
Wandel rasch das Vertrauen seiner Mitbürger erworben hatte, ward
im Jahre 1840 zum Friedensrichter ernannt. Wie einfach der damalige
Geschäftsbetrieb war, ließ sich schon an der ganzen Ausstattung des
Gerichtszimmers erkennen. Es enthielt außer einer alten Warenkiste, die
vom Richter und den Advokaten als gemeinsamer Tisch benutzt wurde, nur
noch vier Bretterstühle und eine lange Holzbank für die Geschworenen.
Von diesem Lokal aus regierte der Richter Clemens die Gemeinde mit
hoheitsvoller Würde und wußte durch Uebung einer für unsere Begriffe
etwas summarischen Gerechtigkeit selbst unruhige Geister im Zaum zu
halten.

[Illustration: Mark Twains Geburtshaus.]

Mark Twains Knabenzeit war reich an losen Streichen und Abenteuern.
Er ward früh zur Schule geschickt, erntete aber dort durchaus keine
Lorbeeren. Seine Mutter erzählt, Sam sei ein gutherziger, aber wilder
und mutwilliger Knabe gewesen, der die Schule versäumte, so oft es
irgend anging. Die Unbeständigkeit und Ausgelassenheit seines Wesens
machte den Eltern große Sorge; nie, glaubten sie, werde er es in der
Welt so weit bringen, wie seine ruhigeren und viel besonneneren Brüder.
Oft folgte ihm der Vater von fern auf dem Schulweg, um zu sehen, was
er anfange. Aber, sobald Sam dies bemerkte, verbarg er sich hinter
einem dicken Baumstamm am Wege und ließ seinen Vater vorbeiziehen.
Vater und Lehrer stimmten bald darin überein, daß es unmöglich sei, dem
Jungen etwas beizubringen, da er entschlossen schien, nichts zu lernen.
Nur die Mutter gab die Hoffnung nicht auf. Sie kannte Sams Vorliebe
für alles, was sich auf die Weltgeschichte bezog, und sah, daß er nie
müde wurde, Bücher dieser Gattung zu lesen; der Schulzwang aber, samt
Lehrsystem und Leitfaden, war ihm unerträglich.

Mark Twain selbst schreibt einmal über diese Zeit: »Wir blieben gern
in gemessener Entfernung von einander, mein Vater und ich. Unser
Verhältnis bestand, sozusagen, in einer Art bewaffneter Neutralität,
die in unregelmäßigen Zwischenräumen gebrochen wurde und immer großes
Leid im Gefolge hatte. Wir gingen dabei ganz systematisch zu Werke: der
Neutralitätsbruch war stets meines Vaters Sache und das Leid kam auf
mein Teil.«

Wir brauchen bei Einzelheiten im Leben des jungen Sam nicht zu
verweilen; denn Mark Twain hat uns in seinem ›Tom Sawyer‹ und in dessen
Fortsetzung ›Huckleberry Finn‹ den besten Einblick in seine Jugendzeit
eröffnet. Hat er auch nur einiges von dem dort Erzählten selber erlebt
und erscheint in diesen prächtigen, in ihrer Art unübertrefflichen
Erzählungen auch vieles im Lichte der Romantik, so zeigen sie uns doch
weit besser als jede andere Beschreibung, unter welchen Eindrücken und
Verhältnissen der Knabe aufwuchs und wie er als solcher dachte und
fühlte.

Als der Vater starb und eine Witwe mit vier Kindern zurückließ, zählte
Sam erst zwölf Jahre. Er sah sich, so gut wie seine Brüder, auf eigene
Arbeit angewiesen. Nach mancherlei Versuchen, sich seinen Unterhalt
zu erwerben, wurde er endlich Lehrling in der Druckerei des ›Weekly
Courier‹, der Lokalzeitung von Hannibal.

[Illustration]

In spätern Jahren kam er bei einem Festessen der Buchdrucker in New
York auf diese Periode seines Lebens zu sprechen. »Ein Buchdrucker
von damals,« sagte er, »war ein ganz anderer Mensch als heutzutage.
Das weiß niemand besser als ich, denn ich habe ihn gut gekannt.
Am Wintermorgen machte ich ihm das Feuer an; ich holte ihm Wasser
vom Dorfbrunnen und fegte das Geschäftslokal; ich hob ihm die
heruntergefallenen Lettern vom Boden auf; war er dabei und sah zu,
so legte ich die guten in sein Fach und warf die zerbrochenen in die
›Hölle‹; war er aber nicht zugegen, dann schüttete ich rasch alles
unter die Schrift auf dem Formtisch, denn so machte es der ›Junge‹
immer hinter dem Rücken des Druckers und der ›Junge‹ -- war ich.
Am Samstag mußte ich die Druckbogen anfeuchten und sie am Sonntag
umwenden, unsere Zeitung war nämlich ein Wochenblatt. Ich zog die Bogen
durch die Presse, reinigte die Walzen, desgleichen die Formen, faltete
die Zeitungen und trug sie in unbehaglicher Frühe am Donnerstagmorgen
aus. Der Zeitungsträger war damals der interessanteste Gegenstand für
sämtliche Hunde des Orts. Hätte ich alle Bisse aufbewahren können,
die mir die Köter angedeihen ließen -- Professor Pasteur würde ein
Jahr lang daran zu kurieren haben. Auch die Exemplare, welche mit
der Post fortgeschickt wurden, mußte ich einpacken; wir hatten
hundert Abonnenten in der Stadt und dreihundertfünfzig auf dem
Lande. Die städtischen Abonnenten bezahlten uns in Kolonialwaren und
die ländlichen in Kohlköpfen und Klafterholz -- wenn sie überhaupt
bezahlten. Geschah es, so erwähnten wir es jedesmal mit Preis und Dank
in der Zeitung. Wir mußten das thun, denn sonst lasen sie das Blatt
nicht mehr.

»Jeder unserer geehrten Leser in der Stadt half uns bei der Herausgabe,
das heißt, er erteilte Verhaltungsregeln und schrieb vor, welche
Ansicht und Richtung wir vertreten sollten. Im allgemeinen machten
wir uns das Leben nicht schwer. Geriet der Satz einmal in Unordnung,
so ward das Blatt erst in der folgenden Woche ausgegeben. Auch sonst
stellten wir von Zeit zu Zeit die Arbeit ein, z. B. wenn der Fischfang
gerade ergiebig war. Es hieß dann, der Redakteur sei krank geworden --
ein recht nichtiger Vorwand; als ob ein kranker Redakteur eine solche
Zeitung nicht ebenso gut schreiben könnte, als ein gesunder; ja, wäre
er tot gewesen, es hätte keinen Unterschied gemacht.

»Ich sehe das Lokal jener vorsündflutlichen Druckerei noch heute vor
mir: die Preislisten der Pferdehändler an den Wänden, die Klumpen
geschmolzenen Talgs im ~d~-Fach, in das wir nachts immer das Licht
stellten, das Handtuch, welches erst für schmutzig galt, wenn es so
steif war, daß es von selber stehen konnte, nebst den übrigen Merkmalen
und Sinnbildern, durch die sich ein derartiges Geschäft im Thal des
Mississippi auszeichnete.«

       *       *       *       *       *

Drei Jahre arbeitete er getreulich im Bureau des Kouriers. Mit fünfzehn
Jahren hatte er ausgelernt und hielt sich nun für einen fertigen
Buchdruckergesellen. Als er eines Abends nach Hause kam, bat er seine
Mutter um fünf Dollars und erklärte auf die Frage, wozu er sie brauche,
er wolle auf die Wanderschaft gehen. Das Geld erhielt er nicht, aber
die Absicht führte er doch aus, denn er hatte von seinem Wochenlohn,
der fünfzig Cents betrug, einige Ersparnisse gemacht. Eines schönen
Tages ging er heimlich auf und davon. Das Ziel seiner Sehnsucht war
New York, wo er die Ausstellung besuchen wollte; er schlug sich auch
glücklich dahin durch, indem er auf seiner Wanderschaft gelegentlich
eine Stelle auf kurze Zeit annahm.

Als er nach New York kam, betrug sein ganzer weltlicher Besitz zwölf
Dollars. Eine Zehndollarnote hatte er sorgfältig ins Aermelfutter
genäht, zwei Dollars trug er in der Tasche. Zuerst sah er sich
gründlich in der Ausstellung um, dann suchte er Beschäftigung und trat
in die Greensche Druckerei ein, wo er zwei bis drei Monate arbeitete.
Was ihn wieder von dannen trieb, war die zufällige Begegnung mit einem
Mann aus Hannibal. Aus Furcht, dieser werde seinen Aufenthaltsort
verraten, machte er sich unverzüglich nach Philadelphia auf den Weg.
Auch hier fand er Arbeit in verschiedenen Zeitungsbureaus, hatte aber
im übrigen manches Mißgeschick. So erzählt er uns unter anderm, er
habe sich einmal auf der Straße eines armen Knaben angenommen, dem
unrecht geschah und sei dafür von einem Feuerwehrmann so furchtbar
durchgeprügelt worden, daß er aussah, wie ›Lissabon nach dem Erdbeben‹.
Nach einigen Monaten fand er, daß er nun das Leben in den Oststaaten
genugsam kennen gelernt habe. Die Zehndollarnote trug er noch immer im
Aermelfutter und so brach er denn wieder nach dem Westen auf.

Zuerst wanderte er nach Cincinnati, wo er jedoch nur kurze Zeit blieb,
von da nach Louisville und weiter nach St. Louis. Er war jetzt siebzehn
Jahre alt. Gern wäre er in die Heimat zurückgekehrt, aber nur als
gemachter Mann. Er faßte jetzt den Entschluß, Lotse auf dem Mississippi
zu werden. Welche Schwierigkeiten es für ihn zu überwinden gab, bis
dieser Plan verwirklicht wurde, schildert er selbst eingehend in seinem
›Leben auf dem Mississippi‹. Er hat das Andenken an jene Zeit, die ihn
rasch zum Manne reifte, stets besonders hoch gehalten und es auch durch
die Wahl seines Schriftstellernamens verewigt. Bei der Schiffahrt auf
den Flüssen im Westen darf nämlich, der vielen Sandbänke und seichten
Stellen wegen, das Senkblei kaum aus der Hand gelegt werden. Der
Matrose am Bugspriet, der die Messung anstellt, ruft dem Kapitän an
den gefährlichen Plätzen mit lauter Stimme zu, wieviel Fuß tief sein
Lot unter die Wasserfläche sinkt, worauf der Kapitän es dem Lotsen
wiederholt, damit dieser das Steuer richtig handhaben kann. ›~Mark
twain!~‹ schreit der Matrose, wenn er zwei Fuß Wasser findet. Aus
diesem, am Mississippi heimischen Ruf ist jetzt der weltberühmte Name
des ersten amerikanischen Humoristen geworden. Daß er eigentlich Samuel
Langhorne Clemens heißt, ist darüber fast in Vergessenheit geraten.



Zweites Kapitel.

In Nevada und Kalifornien.


Bei Ausbruch des Bürgerkrieges befand sich Mark Twain als
wohlbestallter Lotse auf dem Flußdampfer ›Alonzo Childs‹. Erst als dies
Fahrzeug in ein Widderschiff der Südstaaten umgewandelt wurde, gab er
seinen Platz am Steuer auf. Infolge des Bürgerkrieges konnte von einem
regelmäßigen und einträglichen Stromverkehr nicht länger die Rede sein.

Nach Hannibal zurückgekehrt, trat Clemens, der damals 24 Jahre alt
war, als Freiwilliger in die Südarmee unter General Price ein.
Seine militärische Laufbahn war jedoch von kurzer Dauer; die kleine
unorganisierte Schar, die ihn zum Lieutenant wählte, -- fünfzehn Mann,
alles in allem -- verrichtete keine großen Thaten. Clemens selbst
geriet in Gefangenschaft, es gelang ihm jedoch, zu entkommen, und er
beschloß nun sein Glück im fernen Westen zu suchen.

Sein älterer Bruder, Orion Clemens, war seit kurzem zum Vizegouverneur
von Nevada ernannt worden; und mit diesem begab sich unser
jugendlicher Abenteurer nach Carson City. Doch ließ ihn die Sorge,
daß er von vorüberziehenden Unionstruppen erkannt und an den Norden
ausgeliefert werden könne, auch hier keine Ruhe finden. Bis er die
Gefahr für beseitigt hielt, wollte er sich lieber in eine abgelegene
Bergwerksgegend zurückziehen und wählte die Niederlassung ›Aurora‹ zum
Aufenthalt.

Hier arbeitete er zuerst um Tagelohn in einer Quarzgrube, dann
für eigene Rechnung als Goldgräber. Auf kurze Zeit war er einmal
Mitbesitzer des berühmten Erzgangs von Combstock und Millionär, ohne es
zu wissen. Er erfuhr es erst, nachdem er seinen Anteil verkauft hatte.

Nach Nevada strömten damals die Abenteurer aus aller Herren Ländern.
Bankerotte Kaufleute, Studenten, die den Bücherstaub abschüttelten, um
Goldstaub zu suchen, entlaufene Mörder und Diebe, unglückliche Spieler,
und der Auswurf der großen Städte, alle suchten dort eine Zuflucht. In
der ganzen Gegend herrschte ein buntes und oft recht tolles Drängen
und Treiben; Stulpenstiefel, Zahnstocher und Revolver bildeten, wie
Mark Twain behauptet, die unentbehrlichsten Bestandteile der damaligen
Tracht.

Von Aurora aus schrieb der junge Clemens eine Anzahl Briefe an die
Herausgeber des ›Enterprise‹ in Virginia City und nahm 1862 eine
Redakteurstelle bei diesem Journal an. Viele der humoristischen
Skizzen, die seinen späteren Schriftstellerruhm begründeten, erschienen
um diese Zeit und zwar zum erstenmal unter dem Namen Mark Twain. Im
täglichen Verkehr war sein trockener Witz oft sehr unterhaltend für
die Kameraden, doch fürchteten sie ihn auch wegen der losen Streiche
und derben Scherze, die er mit ihnen trieb und gegen die sie nie genug
auf ihrer Hut sein konnten. Kein Wunder, daß sie manchmal versuchten,
ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen. Ein Beispiel hiervon erzählt der
Drucker Stebbins, der mit Clemens zugleich am ›Enterprise‹ beschäftigt
war.

»Er galt,« berichtet Stebbins, »für einen unverbesserlichen Raucher,
und seine Pfeife, die er kaum je aus dem Munde nahm, verbreitete
einen so schauderhaften Geruch, daß wir Drucker, obgleich sonst nicht
allzu heikel in solchen Dingen, sie nur den ›Leichnam‹ nannten. Wir
berieten hin und her, wie man den ›Leichnam‹ aus dem Wege schaffen
könne, doch trugen wir Bedenken, unsern Zerstörungsplan auszuführen,
denn es hieß, die Pfeife sei nicht nur an sich sehr wertvoll, sondern
auch ein liebes Andenken. Endlich kamen wir überein, Clemens eine neue
Pfeife zu verehren, doch wollten wir uns zugleich für alle Leiden,
die wir des ›Leichnams‹ wegen ausgestanden, schadlos halten und dem
Herrn Redakteur einen Streich spielen. Wir durchsuchten die ganze
Stadt, um die billigste Pfeife aufzutreiben, die jedoch abends bei
Licht den Eindruck eines kostbaren Stückes machte, und fanden endlich
eine, -- für dreißig Cents, wenn ich nicht irre. Zur Nachtzeit, als
unser Blatt gedruckt war, kamen wir in feierlichem Zuge in das Bureau
gegangen und überreichten Clemens die Pfeife. Es geschah alles mit
der größten Förmlichkeit. Einer aus unserer Mitte hielt eine höchst
rührende Ansprache; er schilderte den mühevollen Beruf des Journalisten
und seine saure Arbeit die lange Nacht hindurch, während alle Welt in
friedlichem Schlummer liege; ließ verschiedene poetische Anspielungen
auf den Tabak einfließen, durch den die erschlaffte Gehirnthätigkeit
neue Spannkraft und die so nötige Erholung finde; kam dann auf die
warme Freundschaft zu reden, welche zwischen der Druckerei und der
Schreibstube bestehe und sprach die Hoffnung aus, daß nichts je
imstande sein möchte, dies feste Band zu lockern. Schließlich händigte
er ihm das kostbare Geschenk ein, wischte sich gerührt die Augen und
setzte sich.

»Clemens hatte Mühe, seine Fassung zu bewahren, doch ermannte er
sich und dankte uns mit großer Herzlichkeit. Die schöne Gabe seiner
Mitarbeiter, sagte er, mache ihm innige Freude und werde ihn stets
an eine glückliche Zeit erinnern. Zwar sei ihm die alte Pfeife lange
eine treue Gefährtin und Trösterin in einsamen Stunden gewesen, aber,
dies werte Geschenk aus Freundeshand mache ihm den Abschied von ihr
leicht. Zum Schluß warf er, wie um seine Rede zu besiegeln, das alte,
übelriechende Ding aus dem Fenster. Wir folgten nun seiner Einladung,
mit ihm ins Gasthaus zu kommen, aber bei dem Gedanken, wie greulich wir
ihn beschwindelt hatten, fühlten wir Gewissensbisse über jeden Dollar,
den er ausgab.

»Gleich am nächsten Abend, als Clemens rauchen wollte, platzte
unglücklicherweise sein neuer Pfeifenkopf mitten auseinander. Wir
hörten ihn in der Schreibstube vor sich hin brummen und schauten
durch ein Loch in der Wand, welches er zu benutzen pflegte, um seine
Manuskripte uns zuzuschieben; er klopfte gerade die Asche von seinen
Kleidern und vom Schreibpult ab und murmelte dabei einige leise, aber
sehr ausdrucksvolle Verwünschungen. Zu uns sagte er kein Wort über den
Unfall, doch mochte ihm wohl nachträglich ein Licht aufgegangen sein;
wir verhielten uns natürlich mäuschenstill. Als er am folgenden Abend
wie gewöhnlich im Bureau erschien, rauchte er zu unserm nicht geringen
Schrecken wieder den ›Leichnam‹, als sei nichts vorgefallen. Er hatte
ihn nach einigem Suchen im Hof unversehrt wiedergefunden.« --

       *       *       *       *       *

Von Virginia City aus führte Mark Twains Weg naturgemäß nach San
Francisco, dem Zufluchtsort aller Abenteurer der Westküste. Er litt
damals an fortwährendem Geldmangel und ging, um Arbeit zu suchen,
gleich nach seiner Ankunft auf das Bureau des ›Morning Call‹, einer
Zeitung, für die er schon in Nevada verschiedene Artikel geschrieben
hatte. Sein Anzug bestand aus einem abgeschabten Filzhut, einem blauen
Soldatenmantel und Beinkleidern, die nur bis zu den Stiefelschäften
reichten. George Barnes, der Redakteur, empfing ihn freundlich,
forderte ihn auf, gleich am nächsten Tage mit der Arbeit zu beginnen
und händigte ihm eine Anweisung auf die Geschäftskasse ein, damit er
sich anständige Kleider verschaffe.

[Illustration]

Die Beschäftigung muß Mark Twain jedoch wenig behagt haben.
Stadtneuigkeiten und Polizeiberichte zu schreiben, war nicht nach
seinem Geschmack. Wenn er irgend konnte, mied er es, den Verhandlungen
auf dem Rathause beizuwohnen, und das Journal hatte wenig Nutzen von
der Mitarbeiterschaft des unstäten, saumseligen Berichterstatters.
Er selbst fühlte sich nicht an seinem Platz. So war er es denn
wohlzufrieden, als ihm Barnes, dem zuletzt die Geduld riß, vorschlug,
sich eine andere Anstellung zu suchen.

General Mc Comb, der mit Mark Twain befreundet war und eine hohe
Meinung von seinem Schriftstellertalent hatte, erzählt, Clemens sei ihm
einmal auf der Straße begegnet und habe ihm mitgeteilt, daß er sich
nächstens wieder als Lotse anstellen lassen wolle; Berichterstatter
möge er nicht länger sein und er habe bereits eine Eingabe bei der
Regierung in Washington gemacht, die wahrscheinlich berücksichtigt
werden würde. Der General, dem dieser Entschluß höchlich mißfiel,
redete Mark Twain aus allen Kräften zu, den Plan aufzugeben, indem
er ihm vorstellte, daß er es bei seinen Gaben zu etwas weit Besserem
bringen könne, als sein Leben lang einen Flußdampfer zu steuern. Wenn
er das Zeitungswesen satt habe, so solle er ein Buch schreiben oder
Skizzen und was ihm sonst in den Kopf käme. Bei seinem originellen,
kernigen Stil würde er sicherlich ein Publikum finden, das ihn zu
schätzen wisse, und mehr verdienen als im Lotsenberuf. Mark Twain nahm
den Rat des Freundes an und blieb der Feder getreu, mit der er später
sein Glück machen sollte.

Zunächst beteiligte er sich mit Bret Harte an der Herausgabe des
›Kaliforniers‹. Viele seiner besten Skizzen erschienen in dem Blatt
und fanden durch häufigen Nachdruck auch in den Städten des Ostens
Verbreitung. Das Unternehmen hatte jedoch nur kurzen Bestand. Eines
schönen Tages brachen die beiden Redakteure zusammen nach den Bergen
auf, um zu versuchen, ob es ihnen mit dem Goldgraben besser glücken
werde. Das war jedoch nicht der Fall, und Mark Twain fand bei der
Rückkehr nach San Francisco obendrein, daß er seine Gesundheit stark
geschädigt hatte. Um sich zu erholen, ging er als Zeitungsreporter nach
den Sandwich-Inseln und schickte von Honolulu aus sehr lesbare Artikel
über die dortigen Zustände und Lebensgewohnheiten an die ›Union‹ in
Sacramento zur Veröffentlichung.

Die Schönheit der Sandwich-Inseln schildert er noch in spätern Jahren
wie folgt:

»Kein fremdes Land in der ganzen Welt hat je einen solchen Reiz auf
mich ausgeübt, mir eine so sehnsuchtsvolle und lebendige Erinnerung
hinterlassen, die ich mein halbes Leben lang, weder schlafend noch
wachend los werden konnte. Andere Eindrücke verbleichen, aber dieser
bleibt; andere Länder schwinden mir aus dem Gedächtnis, aber dies
kann ich nie vergessen. Seine balsamische Luft umweht mich stets, auf
seinem Meer strahlt die Sommersonne, ich höre die Brandung an die
Klippen schlagen und sehe seine blumenbekränzten Ufer, die schäumenden
Wasserfälle, die gefiederten Palmbäume in der Mittagsruhe, die fernen
Berggipfel, die wie Inseln über die Wolken ragen. Noch durchströmt mich
das wohlige Gefühl, das ich dort in der Waldeseinsamkeit empfunden
habe, das Plätschern des Baches tönt mir im Ohr und ich atme noch den
Duft der Blumen, die vor mehr als zwanzig Sommern verwelkt sind.« --

Das milde Klima von Hawai stellte Mark Twains Gesundheit schnell wieder
her. Nach zweimonatlicher Abwesenheit kehrte er neugekräftigt nach San
Francisco zurück, um dort den Kampf ums Dasein weiter fortzusetzen.



Drittes Kapitel.

Ein ›Harmloser‹ auf Reisen.


Im Winter von 1866 auf 67 hatte sich eine Anzahl begabter Journalisten
in San Francisco zusammengefunden, die kümmerlich von der Hand in den
Mund lebten. Die bekanntesten unter diesen Glücksjägern, welche mit
einander in der Bergmannsschenke speisten, waren Bret Harte, Stoddard,
Webb, Mulford und Mark Twain. So drückenden Mangel wie Samuel Clemens,
der nicht selten am Hungertuche nagte, litt jedoch keiner von ihnen.

Einmal bot ihm ein Schauspieler, der ihn kannte, fünf Dollars für fünf
gute Witze, die er in seiner Rolle anbringen wollte. »Kann leider nicht
dienen,« gab ihm der Humorist zur Antwort, »denn fände man fünf Dollars
bei mir armem Schlucker, so hielte man mich sicherlich für einen Dieb.
Aber auch bei Ihnen, alter Junge, würde gleich jedermann denken,
Sie hätten die Witze, die Sie zum besten geben, gestohlen, wenn sie
einigermaßen anständig wären.«

Als im Januar 1867 Stoddard und Mulford mit Erfolg öffentliche
Vorträge in San Francisco gehalten hatten, erwachte auch Mark Twains
Unternehmungsgeist und er begab sich auf eine Vorlesungstour in den
Städten von Kalifornien und Nevada.

Ein Freund von ihm schildert uns seinen Vortrag in Carson City wie
folgt:

»Das Publikum kam damals mit größter Bereitwilligkeit zu jeder
Unterhaltung herbeigeströmt, die man ihm bot. Auch Mark Twain fand
ein volles Haus, als er gegen acht Uhr die Rednertribüne bestieg. Er
verbeugte sich höflich und faltete eine riesige braune Papierrolle
auseinander, die wie eine Wandkarte aussah. Es stellte sich jedoch
heraus, daß es seine Vorlesung war, die er auf große Bogen Packpapier
mit Frakturschrift geschrieben hatte. Nun drehte er dem Publikum den
Rücken zu, hielt sein seltsames Manuskript dicht an die Lampe, reckte
den Hals, als könne er noch immer nicht sehen und fing an zu lesen.

»Sein Thema war die Zukunft Nevadas und er behandelte es auf ganz
originelle Weise. Er weissagte, daß eine Periode ungeheuren Reichtums
für die Bewohner des Staates im Anzuge sei, forderte sie auf, sich
darauf vorzubereiten und erzählte die unglaublichsten Geschichten
über schier unmögliche Entdeckungen von Silbergruben und Goldlagern,
welche in nächster Zeit bevorstünden. Merkwürdigerweise erschloß sich
unmittelbar darauf wirklich die reichste Fundgrube in Virginia City,
so daß sich seine Prophezeiungen buchstäblich zu erfüllen schienen.
Mark Twains Vorlesung an jenem Abend ist mir immer im Gedächtnis
geblieben. Schade, daß sie nie gedruckt worden ist; ich habe in allen
seinen Büchern, durch die er später berühmt wurde, kaum etwas Besseres
gefunden.«

Mark Twain reiste mehrere Monate lang als Vorleser von einer Stadt zur
andern und fand vielen Anklang; daneben schrieb er interessante Briefe
an verschiedene Zeitungen des Ostens. Auch sammelte er damals den
ersten Band seiner Skizzen, der im März 1867 erschien und nicht nur in
Amerika, sondern auch in England begierige Leser fand.

Ueber Panama ging Clemens nun nach New York und von da nach
Washington, wo er sich seinen Unterhalt erwarb, indem er Reisebriefe
für kalifornische Journale schrieb. Auch als Vorleser trat er in der
Bundeshauptstadt auf, wie aus folgender Schilderung hervorgeht:

»Am zweiten Morgen nach meiner Ankunft in Washington,« erzählt er, »kam
ein Bekannter in aller Frühe zu mir in den Gasthof. Er weckte mich
aus festem Schlaf und legte mir die niederschmetternde Frage vor, ob
ich auch wisse, daß ich noch am Abend des selbigen Tages in Lincoln
Hall eine Vorlesung zu halten habe? -- Ich erwiderte, er müsse wohl
übergeschnappt sein, sonst wäre er ruhig daheim im Bette geblieben,
statt mir zu so ungelegener Zeit mit dergleichen Abgeschmacktheiten zu
kommen. Er aber gab mir, zum Beweis, daß er ganz bei Verstande sei,
eine Anzeige im Morgenblatt zu lesen, in welcher stand, daß Mark Twain
am Abend einen Vortrag über die Sandwich-Inseln halten werde. Meine
Ueberraschung war grenzenlos und mein Aerger nicht gering, denn ich
sah wohl, daß irgend jemand mir den schlechten Streich gespielt haben
müsse.

»Bei näherer Erkundigung stellte sich denn auch alsbald heraus, wie
die Sache zusammenhing. Einer meiner Freunde vom Theater hatte in der
Meinung, mir einen Gefallen zu thun, alle nötigen Vorkehrungen aufs
gründlichste getroffen und nur die Kleinigkeit vergessen, mich von
seinen Absichten in Kenntnis zu setzen. Die Lincoln-Halle war für den
Abend gemietet, die Vorlesung durch Anschlagzettel in der ganzen Stadt
angekündigt und alle Zeitungen brachten Anzeigen und besondere Notizen,
um das Publikum auf den zu erwartenden Genuß vorzubereiten. Ich war in
einer schönen Klemme und wußte mir keinen Rat, denn eine Vorlesung über
die Sandwich-Inseln hatte ich weder je gehalten noch aufgeschrieben.
Aber das konnte ich doch den Leuten nicht sagen -- sie hätten es
einfach nicht geglaubt, nachdem sie es auf den Zetteln gedruckt
gelesen. Der einzige Ausweg, der mir blieb, war, mich in mein Zimmer
einzuschließen und gleich nach dem Frühstück anzufangen, die Vorlesung
zu Papier zu bringen. Das that ich denn auch im Schweiße meines
Angesichts. Ich wurde wirklich bis halb acht Uhr abends damit fertig
und fand bei meiner Ankunft im Saal eine so zahlreiche Zuhörerschaft,
wie ich sie nie im Leben gesehen hatte.

»Ich pflegte zwar im allgemeinen mein Manuskript nicht zu benutzen,
doch schrieb ich damals die Vorlesung immer nieder und legte die
Blätter auf ein Lesepult, wenn ich die Tribüne betrat. Mein Gedächtnis
war gut, ich brauchte auch keine Notizen, doch wollte ich für den
Notfall das Manuskript bei der Hand haben und mich nicht der Beschämung
aussetzen, es erst aus der Tasche ziehen zu müssen. Dies Bewußtsein
beruhigte mich und flößte mir Mut ein, so daß keine verlegenen Pausen
entstanden. Auch an jenem Abend ging alles gut, aber in meiner ganzen
öffentlichen Laufbahn ist mir niemals wieder ein so saueres Stück
Arbeit aufgebürdet worden, als das Abfassen jener Vorlesung über die
Sandwich-Inseln.« --

Eines Nachmittags saß Mark Twain wie gewöhnlich in seinem kleinen
dumpfen Zimmer, rauchte seine Thonpfeife und las mit großem Interesse,
daß das Dampfboot ›Quaker City‹ binnen kurzem eine Fahrt nach Europa
und dem Heiligen Lande antreten werde. Ohne zu ahnen, an welchem
entscheidenden Wendepunkt seines Lebens er stand, schrieb er sofort
an seinen alten Freund, General John Mc Comb, der damals Mitbesitzer
des in San Francisco erscheinenden Tagblatts ›Alta Kalifornia‹ war
und bat ihn um einen Vorschuß von 1200 Dollars in Gold, den er durch
Reisebriefe zu fünfzehn Dollars das Stück zurückerstatten wolle.
Es war keine kleine Zumutung für eine kalifornische Zeitung in den
sechziger Jahren, doch bewog Mc Comb die andern Teilhaber, das Gesuch
zu bewilligen.

So kam es, daß Mark Twain in der ›Quaker City‹ den Ausflug mitmachte,
welche eine geschlossene Gesellschaft nach dem Süden Europas und
dem Orient unternahm. Kapitän Duncan, der den Dampfer befehligte,
behauptet, Clemens habe sich, als er den Platz bestellte, für einen
Baptistenprediger von San Francisco ausgegeben, der seine angegriffene
Gesundheit durch die Fahrt wieder herzustellen wünsche. In Wirklichkeit
reiste er jedoch als Zeitungskorrespondent und wußte die Gelegenheit
vortrefflich auszunützen.

Nach beendeter Reise kehrte Mark Twain zunächst nach Washington zurück,
wo er seine Thätigkeit als Zeitungskorrespondent fortsetzte und die
Abfassung seiner großen Reisebeschreibung, durch welche er seinen
litterarischen Weltruf begründete, begann. Ein Bekannter aus jener Zeit
erzählt über seine damalige Lebensweise:

[Illustration]

»In seinem Zimmer herrschte der größte Wirrwarr, den man sich
vorstellen kann; auf dem Schreibtisch, der eine förmliche
Sehenswürdigkeit war, lag alles durcheinander, neben alten Manuskripten
standen nicht selten alte Stiefel. Beim Schreiben legte er das Papier
nie auf den Tisch, dazu gab es keinen Raum, auch hätte die aufrechte
Stellung ihm nicht behagt. Die Füße auf einem Haufen Manuskripte den
Stuhl nach hinten übergekippt, Notizbuch und Bleistift in der Hand --
so war er gewohnt zu arbeiten. Um seine Gedanken in Fluß zu bringen,
bedurfte es einer ganz besonderen Atmosphäre. Die Luft mußte erst
mit dem abscheulichsten Tabaksqualm durchschwängert sein, den er aus
einer Pfeife dampfte, welche niemals gereinigt wurde, wie viele meiner
damaligen Bekannten bezeugen können. Die Pfeife sollte ihn zugleich
vor unwillkommenen Besuchern schützen; mit recht boshaftem Vergnügen
paffte er darauf los, um einen lästigen Störenfried zu vertreiben,
und beobachtete schadenfroh, wie der unglückliche Eindringling immer
blasser wurde, je länger er den Giftstoff einatmen mußte.«

Im März 1868 reiste Mark Twain in Geschäften nach San Francisco,
kehrte aber schon nach fünfmonatlicher Abwesenheit wieder in den Osten
zurück. Unterwegs auf dem Dampfboot und während des Aufenthalts in
Kalifornien vollendete er die ›~Innocents Abroad~‹, zu deutsch ›Die
Harmlosen auf Reisen‹, welchen Titel er den Schilderungen seiner
Reise auf der ›Quaker City‹ gab, um dadurch seinen naiv unbefangenen
Standpunkt als Beurteiler von Land und Leuten anzudeuten. Von New
York aus sah er sich dann nach einem Verleger für sein Werk um, es
wollte ihm aber damit nicht nach Wunsch gelingen. Vergebens wandte
er sich wohl an ein Dutzend New Yorker Firmen, dann bot er das Buch
einem Verleger in Hartford an und schickte es endlich nach Boston
und Philadelphia; überall fand er den gleichen Mißerfolg. In höchst
begreiflicher Entmutigung legte er das Manuskript nun beiseite, bis es
eines Tages zufällig einem seiner litterarischen Freunde in die Hände
geriet. Diesem gefiel es ausnehmend und er konnte nicht begreifen, daß
nicht jeder erfahrene und urteilsfähige Verleger auf den ersten Blick
erkannt habe, welche Anziehungskraft ein von so echtem Witz und Humor
übersprudelndes Buch gerade auf das amerikanische Publikum üben müsse.

Es gelang denn auch wirklich, die Amerikanische Verlagsgesellschaft
in Hartford zur Herausgabe der ›Harmlosen auf Reisen‹ zu bewegen. Der
Entschluß ward den Direktoren schwer, aber sie brauchten ihn nicht
zu bereuen. Es wurden etwa 200,000 Exemplare verkauft, mit denen die
Verleger etwa 75,000 Dollars Reingewinn erzielten. Mark Twain erhielt
die Hälfte der Einnahme und war überglücklich. Außer ›Onkel Toms Hütte‹
hatte noch nie ein Buch einen ähnlichen Erfolg in Amerika aufzuweisen
gehabt und mit einem Schlage war der Ruhm des Verfassers begründet.

Nachdem seit der Veröffentlichung der ›Harmlosen auf Reisen‹ bald
fünfundzwanzig Jahre verflossen sind, hat sich in den von Mark Twain
damals bereisten Ländern so manches verändert, daß das Werk heute
lange nicht den unmittelbaren und frischen Eindruck macht wie nach
dem Erscheinen. Die gelungensten Episoden aus demselben sind in dem
gegenwärtigen Band wiedergegeben.



Viertes Kapitel.

Verheiratung.


Unter den Passagieren des Dampfers ›Quaker City‹, mit welchem Mark
Twain diese denkwürdige Fahrt nach Europa unternahm, befand sich auch
die Familie des Richters Langdon aus Elmira im Staate New York.

Ein Sohn des Richters wird uns unter dem Namen ›Dan‹ in den ›Harmlosen
auf Reisen‹ vorgestellt, seine Tochter Lizzie aber, eine hübsche,
talentvolle junge Dame, die damals etwas leidend war, machte einen
tiefen Eindruck auf das Herz des Humoristen.

Die Nähe von Elmira mag wohl Mark Twain bestimmt haben, sich um eine
Redakteurstelle in Buffalo zu bewerben, wenigstens finden wir ihn
gegen Ende des Jahres 1869 dort an der Zeitung ›Expreß‹ beschäftigt.
Bei gelegentlichen Besuchen in Elmira erneuerte er die Bekanntschaft
mit Fräulein Langdon. Daß die junge Dame sehr wohlhabend war und in
den angesehensten Verhältnissen lebte, auch ihr Vater ihn keineswegs
begünstigte, wußte der schüchterne Liebhaber nur zu wohl.

Endlich faßte er sich ein Herz und hielt um ihre Hand an, ward aber zu
seinem großen Leidwesen von dem Fräulein abgewiesen.

»Mir war es selbst höchst zweifelhaft, ob Sie mich nehmen würden,«
bemerkte er kleinlaut, »aber versuchen wollte ich’s doch wenigstens.«

Nach einiger Zeit wiederholte er seinen Antrag, jedoch ohne besseren
Erfolg. »Wissen Sie,« sagte er in seiner wohlbekannten, schleppenden
Redeweise, »ich habe eine weit höhere Meinung von Ihnen, als wenn Sie
›ja‹ gesagt hätten -- aber hart ist’s doch.« -- Bei der dritten Anfrage
hatte er endlich mehr Glück, aber nun galt es noch das schwierigste
Werk zu vollbringen, nämlich den Vater zu erobern.

»Herr Richter,« redete er den stolzen Millionär an, »haben Sie wohl
bemerkt, daß zwischen mir und Fräulein Lizzie etwas im Werke ist?«

Der alte Herr, der nicht begriff, was Clemens wollte, betrachtete ihn
mit strenger Miene:

»Durchaus nicht, nein, ich habe nichts bemerkt, wovon reden Sie denn?«

»Nun geben Sie acht, dann werden Sie es schon sehen.«

Das that Herr Langdon denn auch und nachher, als ihm die Augen
aufgegangen waren, ließ er den feurigen Verehrer seiner Tochter eines
Tages in sein Privatzimmer kommen.

»Herr Clemens,« sagte er, »ich bin jetzt über den Zweck Ihrer Besuche
in meinem Hause nicht mehr im unklaren. Die Sache ist von großer
Wichtigkeit für mich und die meinigen, denn das Wohl meiner Tochter
liegt mir sehr am Herzen. Bevor ich Ihnen also gestatten kann, sich
um ihre Hand zu bewerben, möchte ich etwas genauer über Ihr früheres
Leben unterrichtet sein. Ich muß Sie daher bitten, mir die Namen Ihrer
Freunde in Kalifornien zu nennen, von denen ich Näheres über Sie
erfahren kann.«

Mark Twain mußte sich wohl oder übel dem Verlangen des besorgten
Vaters fügen. Wie vorauszusehen war, erhielt Herr Langdon auf seine
nun angestellten Erkundigungen manchen ungünstigen Bescheid;
besonders wurde die Möglichkeit, daß Clemens je ein guter Ehegatte
werden könne, stark in Zweifel gezogen. Im Beisein der Liebenden las
der Schwiegervater ~in spe~ die eingelaufenen Briefe laut vor und es
entstand eine peinliche Stille. Seine Verlobte machte der Verlegenheit
jedoch ein Ende; sie schob die Papiere beiseite und sagte: »Wir wollen
unser Heil doch zusammen versuchen -- trotz alledem.«

So wurde denn die Hochzeit im Langdonschen Hause in Elmira gefeiert.

Die folgende Episode müssen wir von Mark Twain selbst erzählen lassen:

    »Da wir eine Wohnung brauchten, ich mich aber mit diesen
    irdischen Dingen nicht befassen wollte, so hatte ich meinen
    Schwiegerpapa ein paar Wochen vorher gebeten, mir in Buffalo
    eine Wohnung nach seinem Geschmack zu besorgen. Er schmunzelte
    und nach einigen Tagen sagte er mir, er habe gefunden, was ihm
    passend scheine; ob ich’s mir ansehen wolle.

    »Ach wozu?« gab ich zur Antwort; »wenn du’s gesehen hast, und
    dir paßt es, brauche ich’s nicht zu sehen, denn mir paßt es
    gewiß.« Und damit war die Sache abgethan.

    Am Tage der Hochzeit, ziemlich spät abends, stand ich vom
    Tische auf und meinte:

    »Na, nun ist’s aber Zeit! Schwiegerväterchen, wo wohnen wir
    denn eigentlich?«

    »Das will ich euch gleich zeigen, Kinder, fahren wir ’mal hin.«
    Und die Freunde, die unsere Hochzeit mit gefeiert hatten,
    riefen ~unisono~:

    »Wir begleiten euch, wir begleiten euch alle.«

    »Na, schön,« sagte ich, »wenn ihr nur dann macht, daß ihr bald
    fortkommt!« Dann packte ich mein Weibchen zusammen, hob sie,
    ehe sie sich dessen versah, auf, und trug sie, die anderen
    jubelnd und lachend hintendrein, auf meinen Armen die Treppe
    hinunter.

    Unten vor dem Hause standen Wagen; ich, mein Weibchen, mein
    Schwiegerpapa und Bob Raleigh in den einen, die anderen in die
    anderen und -- hui, ging es dem neuen Heime zu.

    Wir fuhren und fuhren und fuhren. Ich merkte nichts; ich hatte
    mit meinem Weibchen zu thun. Endlich aber, bei Gott, dauerte es
    mir doch zu lange.

    »Zum Teufel, Papa,« rief ich, »sind wir denn noch nicht dort?«

    »Bald, mein Junge, bald,« und er lachte ganz merkwürdig.

    Dieses ›bald‹ aber dauerte mir ewig.

    »Papa,« sagte ich, »ich hatte nicht geglaubt, daß du unsere
    Wohnung auf dem Lande nehmen würdest. In Buffalo wäre ja doch
    wahrhaftig auch noch ’was zu finden gewesen.«

    Er aber lachte nur.

    »Gleich sind wir da,« sagte er, beugte sich zum Fenster hinaus,
    sagte dem Kutscher irgend etwas und der Wagen hielt an.

    Wir stiegen aus. Die Wirtin Frau Johnson kam uns entgegen und
    führte uns in die für uns gemietete Wohnung. Ich sah mir alles
    mit einem Blicke an und wurde ganz verteufelt verzagt dabei.

    »Höre Pa ...« sagte ich und nahm meinen Schwiegervater
    beiseite. »Bei dir ist’s wohl nicht richtig, daß du solch ’ne
    Wohnung für mich nimmst.«

    »Weshalb, mein Junge?« fragte er und machte das ehrlichste
    Spitzbubengesicht von der Welt.

    »Teufel, weil das Ding Geld kostet, sicherlich heidenmäßig viel
    Geld, und ich keins habe! Wenigstens nicht genug. Kannst du mir
    keins pumpen?«

    Da aber lachte er auf. »Nein, mein Junge; aber laß dir kein
    graues Haar wachsen, fürs erste werde schon ich dafür sorgen.«

    »Na, wenn’s so ist, meinetwegen.«

    Und ich nahm mein Weibchen unter den Arm und zeigte ihr all die
    schönen Räume, die ich für sie gemietet hatte, mit dem stolzen
    Bewußtsein meiner Splendidität.

    »Aber das ist ja viel zu schön,« sagte sie bewundernd.

    Ich aber entgegnete stolz: »O für dich, mein Kind, ist mir
    nichts zu teuer.«

    Meine Freunde indessen, und es kamen deren immer mehr, denn
    hinter jeder Gardine, hinter jedem Schrank steckte einer,
    hatten sich’s bequem gemacht, und schickten sich an, das
    Bankett hier erneuern zu wollen. Vergeblich erklärte ich, daß
    sich das wahrhaftig nicht schicke. Sie möchten jetzt ’mal
    gehen und uns allein lassen. Sie lachten aber nur, und mein
    Schwiegerpapa -- lachte auch. Was blieb zu thun?

    Ich warf kurz entschlossen einen nach dem andern hübsch sachte
    und freundlich zur Thür hinaus, meinen Schwiegerpapa und Frau
    Johnson mit inbegriffen; dann schloß ich zu -- sah noch unter
    jedes Möbelstück, ob nicht doch noch ein oder der andere Freund
    drunter stecken geblieben wäre und atmete auf.

    Nichts, gar nichts. Wir waren allein. Endlich allein!

    Ich schloß mein Weibchen in die Arme und hob es dann jubelnd in
    die Höhe, in demselben Augenblicke aber ließ ich sie ziemlich
    unsanft fallen -- denn was war das? Dort auf dem Tischchen lag
    eine Urkunde. Ich trat hin.

    Es war eine Schenkungsurkunde, auf Grund deren mir mein
    Schwiegerpapa das ganze Haus, in dem ich wohnte, samt dessen
    Einrichtung zum Geschenk machte!! --

    Ich muß dabei ein unglaublich dummes Gesicht gemacht haben,
    denn mein Weibchen lachte und lachte, daß ihr die Thränen in
    die Augen traten. Dann aber zog sie mich am Arme zum Fenster
    hin.

    »Da sieh hin,« sagte sie und wies auf das Haus gegenüber.

    Hol’ mich der Teufel, -- das Haus, das Haus da gegenüber war
    wahrhaftig -- das Haus meines Schwiegervaters. Mein Haus und
    sein Haus lagen einander querüber und um hierher zu gelangen,
    waren wir drei Stunden immer in der Runde herumgefahren, und
    das -- in der Hochzeitsnacht!

    Na -- wenn man mit solch einem Schwiegervater nicht Humorist
    werden soll, dann wird man es nie und nimmermehr!« --

Im Herbst 1870 gab Clemens seine Stellung in Buffalo auf und zog nach
Hartford in Connecticut. Er war jetzt ein wohlhabender Mann, denn die
›Harmlosen auf Reisen‹ brachten ihm bedeutende Summen ein und auch
das Vermögen seiner Frau war nicht unbeträchtlich. 1871 erschien ein
neues Buch von ihm, ›~Roughing it~‹, in welchem er mit köstlichem
Humor sein abenteuerliches Leben unter den Goldgräbern schildert. Das
Werk fand großen Beifall, was der Verfasser in seiner humoristischen
Weise besonders der anregenden Wirkung des Tabaks zuschreibt. »Von
meinem achten Jahre an,« berichtet er, »begann ich unmäßig zu rauchen,
monatlich etwa hundert Zigarren; als ich zwanzig Jahre alt war,
verbrauchte ich zweihundert den Monat und mit dreißig Jahren hatte ich
es bis dreihundert gebracht. In meinem fünfzehnten Jahre rauchte ich
einmal drei Monate lang gar nicht, ob das aber eine gute oder schlechte
Wirkung hatte, erinnere ich mich nicht mehr. Mit zweiundzwanzig Jahren
wiederholte ich den Versuch; mit vierunddreißig hörte ich anderthalb
Jahre lang ganz auf zu rauchen. Meine Gesundheit wurde nicht besser
davon, wahrscheinlich, weil an derselben überhaupt nichts auszusetzen
war. Damals schrieb ich nur zum Zeitvertreib dann und wann einen
Journalartikel und eine Abnahme meiner Geisteskräfte war mir nicht
gerade aufgefallen. Als ich mich nun aber eines Tages daran machte,
laut abgeschlossenen Vertrags für einen Verleger ein Buch zu schreiben
-- nämlich ›~Roughing it~‹[13] -- da fühlte ich, wie schwer es mir
wurde. In drei Wochen brachte ich nur sechs Kapitel fertig. Nun wußte
ich, was die Glocke geschlagen hatte; ich gab den Kampf auf, rauchte
wieder meine dreihundert Zigarren, verbrannte die sechs Kapitel und
beendete das ganze Buch mit Leichtigkeit in drei Monaten.«

    [13] In unserer Ausgabe betitelt: »Nach dem fernen Westen«
        und: »Im Gold- und Silberlande.« (Band 4 und 5 der
        humoristischen Schriften.)



Fünftes Kapitel.

Mark Twains spätere Werke.


Im Jahre 1872 unternahm Mark Twain eine Reise nach Europa, um mit
dortigen Verlegern über die Herausgabe seiner Bücher zu unterhandeln.
In England war er schon wohlbekannt und ein willkommener Gast.
Er erzählt uns von einem Festmahl in London, zu welchem acht-
bis neunhundert Personen Einladungen erhalten hatten und dem er
auch beiwohnte. Bei Beginn des Festes wurden die Namen sämtlicher
Berühmtheiten verlesen, welche anwesend waren, wobei die Versammlung
jeden einzelnen mit mehr oder weniger Beifall begrüßte. Dies fand
Mark Twain auf die Dauer ermüdend und er fing an, sich mit seinem
Tischnachbar zu unterhalten, bis plötzlich ein wahrhaft betäubender
Beifallssturm das Gespräch unterbrach. Von der allgemeinen Begeisterung
mit fortgerissen, begann auch er aus Leibeskräften zu klatschen. »Wem
gilt denn das?« fragte er endlich verwundert, als sich der Lärm noch
immer nicht legen wollte. »Herrn Samuel Clemens,« war die Antwort.
Das überwältigte ihn so sehr, daß er die Arme sinken ließ, regungslos
sitzen blieb und sich in seiner Verwirrung nicht einmal dankend
verbeugte.

Als ›Tom Sawyer‹ 1876 erschien, erreichte Mark Twain den Gipfel seines
Ruhms. Das Buch fand ungeheuern Absatz; in kürzester Frist war immer
eine Auflage nach der andern vergriffen. Im folgenden Jahre kam
das ›Skizzenbuch‹ heraus, eine Sammlung humoristischer Erzählungen
und Aufsätze, die der Verfasser gelegentlich in verschiedenen
Zeitungsblättern veröffentlicht hatte. Es zeugt von seiner großen
Vielseitigkeit und manche Liebhaber Mark Twains geben diesen kleinen
Stücken den Vorzug vor seinen größeren Schöpfungen.

Die Reise, welche Mark Twain im Frühling 1878 mit seiner Familie
nach Europa machte, lieferte ihm den Stoff für sein berühmtes Buch:
›~A Tramp Abroad~‹. Der Weg führte ihn durch England, Frankreich und
die Schweiz nach Deutschland, wo er sich für den Sommer niederließ
und eingehende Studien über Sprache, Sitten, Lebensgewohnheiten und
Vergnügungen der Deutschen anstellte. Wir lernen in diesem Buch eine
ganz neue und unterhaltende Persönlichkeit kennen, nämlich Twains
Reisegefährten Harris, der bald Führer, bald Kurier ist, sich zur
Zielscheibe vieler Späße hergeben muß und in allerlei Verlegenheiten
gerät. Zu einer wörtlichen und vollständigen Wiedergabe im Deutschen
eignet sich ›~A Tramp Abroad~‹ nicht, dagegen sind die vorzüglichsten
Episoden daraus unserer Auswahl im gegenwärtigen Bande einverleibt.

Nach Amerika zurückgekehrt, gab Mark Twain den ›Gestohlenen weißen
Elefanten‹ heraus. In diesem Band findet sich auch das berühmte:
›Brüder, knipst ein!‹ dessen Ursprung auf eine Einrichtung
zurückzuführen ist, die damals versuchsweise in der New Yorker
Stadtbahn getroffen wurde. Sie bestand in einer Art gegenseitiger
Kontrole für Schaffner und Reisende; die betreffende Verfügung der
Direktion wurde in den Koupees angeschlagen; sie war zufällig so
abgefaßt, daß sie sich von selbst zu reimen schien und eine Art
Gassenhauer bildete, der bald in aller Munde war. Mark Twain hat diesen
Umstand aufs trefflichste benützt, um seinen Witz auszulassen.

Im Jahre 1883 erschien das ›Leben auf dem Mississippi‹, welches ein
bedeutendes Bruchstück aus dem eigenen Leben des Verfassers enthält. Im
ersten Teil desselben schildert er aufs anschaulichste seine Thätigkeit
als Lotse auf einem Dampfer des Riesenstromes, während er im zweiten
Teil bei den Veränderungen verweilt, die sich seit dem Bürgerkriege auf
dem Mississippi und an dessen Ufern vollzogen haben.

Eine Erzählung ganz eigener Art, mit der Mark Twain selbst seine
genauesten Freunde überraschte, ›Prinz und Bettelknabe‹ folgte 1885.
Es kann nicht eigentlich unter die humoristischen Schriften zählen,
verrät vielmehr die eingehendsten und genauesten Kenntnisse der
Zustände Altenglands, die nur als Frucht ausgedehnter Geschichts- und
Sprachstudien gewonnen werden konnten.

In ›Huckleberry Finn‹, der Fortsetzung und dem Seitenstück von ›Tom
Sawyer‹, das 1886 veröffentlicht wurde, bot der Verfasser seinem
Publikum eine hochwillkommene Gabe. Sie berichtet die weiteren
Erlebnisse Tom Sawyers und seines Freundes Huckleberry und macht den
Leser mit einer Menge neuer Charaktere bekannt, die durch ihre Frische
und Eigenartigkeit ungewöhnlich anziehend sind.

Ferner hat Mark Twain geschrieben: ›Der amerikanische Prätendent‹, --
›Ein Yankee an dem Hofe König Arthurs‹, -- ›Die Jungfrau von Orleans‹.
Die erste dieser Erzählungen erschien zwar in deutscher Uebersetzung,
bleibt jedoch hinter anderen humoristischen Schöpfungen des Autors
zurück. Die beiden anderen Erzählungen verraten gleich dem früher
erwähnten ›Prinz und Bettelknabe‹, daß Mark Twain sehr eingehende
Studien der altenglischen und altfranzösischen Geschichte getrieben
hat; sie liegen jedoch nach Stoff und Behandlung einem deutschen
Leserkreis fern; sein Werk über die ›Jungfrau von Orleans‹ ist übrigens
durchaus ernster Art. Dagegen zeigt er in seiner Erzählung ›Querkopf
Wilson‹ (in deutscher Uebersetzung 1898 im Verlag von Rob. Lutz in
besonderer Ausgabe erschienen) wiederum den Humor seiner besten Zeit,
ja manche Kritiker schätzen ›Querkopf Wilson‹ als eine der genialsten
Gaben des Autors. Die Erzählung spielt in den dreißiger Jahren in einem
der damaligen Sklavenstaaten am Mississippi und er hat in ihr den Typus
einer Negermutter geschaffen, der in seiner tragi-komischen Gestaltung
kaum wirkungsvoller dargestellt werden könnte. Der eigentliche Held der
Erzählung ›Querkopf Wilson‹ ist ein Sonderling, dem Mark Twain durch
eine Reihe von Sprüchen, die im ›Kalender Wilsons‹ enthalten sind,
einen Teil seiner eigenen Lebensweisheit in den Mund gelegt hat. -- Von
seinem allerneuesten Werk: der ›Reise um die Welt‹ wird später die Rede
sein.

Von Mark Twain’s Büchern sind in Amerika über eine Million Exemplare
verkauft worden und ungefähr halb so viele in England und den
Kolonieen; auch wurden die meisten seiner Werke ins Französische,
Italienische, Deutsche, Norwegische und Dänische übertragen.

In Deutschland waren Mark Twains Schriften vor Erscheinen der
vorliegenden Ausgabe wenig verbreitet. Erst durch diese, welche
den schwer zu verdeutschenden Autor in einer allen Anforderungen
entsprechenden guten Uebersetzung zu billigem Preis bringt, und
zwar durch Auswahl des Allerbesten und für Deutschland Passendsten,
hat Mark Twain in Deutschland eine noch immer im Wachsen begriffene
Volkstümlichkeit erlangt.



Sechstes Kapitel.

Oeffentliche Vorlesungen.


Von vielen Seiten aufgefordert, vereinigten sich Mark Twain und George
W. Cable im Jahre 1884 zu einer Rundreise durch die Vereinigten
Staaten, um Vorlesungen aus ihren eigenen Werken zu halten. Ueberall,
wohin die beiden Schriftsteller kamen, wurden sie mit Freuden
aufgenommen und fanden volle Häuser. Wie wir bereits wissen, war für
Mark Twain ein solches öffentliches Auftreten nichts Neues; schon 1866
und 1867 hatte er in Nevada und Kalifornien eine Reihe von Vorlesungen
gehalten, sich auch bei verschiedenen Gelegenheiten in England vor
einem größeren Publikum hören lassen. Sehr beliebt war er auch als
Tischredner bei Festessen, seine Toaste in Boston und New York hatten
Aufsehen erregt, auch seine Shakespearevorlesungen rühmte man als
meisterhaft.

Die obenerwähnte Vorlesungstour dauerte fünf Monate und es trug
sich manches Spaßhafte dabei zu. Als Clemens und Cable nach Albany,
der Hauptstadt des Staates New York, kamen, machten sie dort in
Gesellschaft mehrerer anderer Herren dem Gouverneur ihre Aufwartung und
wollten auch das Kapitol besuchen. Der Generaladjutant war ausgegangen
und sie mußten im Bureau auf seine Rückkehr warten. Clemens ließ sich
behaglich an einem der Schreibtische nieder, die andern Herren setzten
sich gleichfalls und bald war eine heitere Unterhaltung im Gange. Da
kamen plötzlich von allen Seiten wohl ein Dutzend Schreiber und Beamte,
die in der Abteilung beschäftigt waren, ins Bureau gestürzt, um nach
ihrem Begehr zu fragen. Die Mitglieder der Gesellschaft sahen einander
verwundert an, sie begriffen nicht, um was es sich handeln könne. Bald
jedoch stellte sich heraus, daß Mark Twain zufällig oder absichtlich
auf den elektrischen Klingeln Platz genommen und die ganze Reihe auf
einmal in Bewegung gesetzt hatte.

In Montreal befanden sich unter Mark Twains Zuhörern viele Franzosen;
dies veranlaßte ihn zu folgender Anrede:

»Die hier anwesenden Gäste sind der größten Anzahl nach Franzosen; es
wird daher wohl angemessen sein, daß ich wenigstens einen Teil meiner
Rede in ihrer schönen Sprache halte, um doch einigermaßen verstanden
zu werden. Mich überfällt immer eine gewisse Blödigkeit, wenn ich
französisch sprechen soll; nur wenn ich in Aufregung gerate, geht es
fließend. Auch bin ich, soviel ich weiß, noch nie für einen Franzosen
gehalten worden, wenigstens nicht von Menschen, höchstens von Pferden.
Ich hatte früher gehofft, mich durch den französischen _Satzbau_
allein schon verständlich machen zu können, aber, der Versuch, welchen
ich einmal in Quebec damit anstellte, mißlang gänzlich. Als das
Dienstmädchen mir öffnete, fragte ich: ›Herr Soundso, ist er bei sich?‹
-- Sie verstand mich nicht. Ich fuhr fort: ›Ist es, daß er noch nicht
ist zurückgekehrt nach seinem Haus der Geschäfte?‹ -- Sie begriff mich
noch immer nicht. ›Er wird sein trostlos, wenn er hört, daß sein Freund
Amerikaner ist angekommen und er nicht bei sich, ihm zu schütteln die
Hand.‹ Selbst das verstand sie nicht -- weshalb, ist mir unbegreiflich.
Ja, sie wurde sogar ärgerlich und als ihr jemand von hinten zurief:
›Wer ist denn da?‹ erwiderte sie kurz: ›Ein Narr!‹ und schlug mir die
Thür vor der Nase zu. -- Vielleicht hatte sie nicht unrecht; aber
wie konnte sie es wissen -- sie sah mich doch zum allererstenmal! --
Wie gesagt, ich möchte bei diesem Vortrag meinen Gefühlen gern auf
Französisch Luft machen, aber ganz schmucklos, ohne alle blumigen
Redensarten, denn nach meiner Meinung ist edle Einfachheit die größte
Zierde jedes litterarischen Erzeugnisses! also: ~J’ai un beau bouton
de mon oncle, mais je n’ai pas celui du charpentier. Si vous avez le
fromage du brave menuisier, c’est bon; mais si vous ne l’avez pas, ne
vous désolez pas, prenez le chapeau de drap noir de son beau-frère
malade. Tout à l’heure! Savoir faire! Qu’est ce que vous dites? Pâté
de foie gras. Revenons à nos moutons. Pardon messieurs, pardonnez moi;
j’ai essayé de parler la belle langue d’Ollendorf~, aber das macht mir
mehr Mühe als Sie sich vorstellen können. Glauben Sie mir, ich habe es
in bester Absicht gethan und so gut ich irgend konnte.« -- Von seinen
bekanntesten Tischreden erwähnen wir nur einen Toast auf das ›Weib‹. Er
sagte dabei unter anderem folgendes:

»Die Tochter der modernen Zivilisation ist das kostbarste und
auserlesenste Wunder, das uns je vorgekommen ist. Um sie zu erzeugen,
müssen alle Länder, alle Zonen, alle Künste ihren Beitrag liefern: Ihr
Weißzeug ist aus Belfast, ihr Kleid aus Paris, ihr Fächer aus Japan,
ihr Bouquethalter aus China, ihre Uhr aus Genf, ihr Haar aus -- ja,
wo ihr Haar her ist, habe ich nie ausfindig machen können. Ich meine
natürlich nicht ihr gewöhnliches Haar, mit dem sie zu Bette geht,
sondern ihr Sonntagshaar, das Ding, das sie zusammendreht und dann
immer rund um den Kopf wickelt wie einen Bienenkorb, unter dem sie
zuletzt das Ende verschwinden läßt ...«

       *       *       *       *       *

Bald nachdem Clemens wieder nach Hartford zurückgekehrt war, suchte ihn
dort ein angesehener Verleger auf, der von ihm einen litterarischen
Beitrag zu haben wünschte und sich erbot, jeden Preis dafür zu zahlen,
den der Humorist fordern würde.

»Wissen Sie,« erwiderte ihm Mark Twain in seiner schleppenden Weise,
»eben erst habe ich mir ein schauderhaft dickes Buch vom Halse
geschrieben und den Bewohnern dieses unglücklichen Landes eine
endlose Reihe Vorlesungen auf den Hals gejagt; mir ist zu Mute wie
einer Riesenschlange, die einen Ziegenbock verschluckt hat. Ich muß
wenigstens ein halbes Jahr still liegen, ohne auch nur den Schwanz zu
rühren.«

Das sollte seine abschlägige Antwort bedeuten.



Siebentes Kapitel.

Mark Twain daheim.


Als Clemens 1871 den Entschluß faßte, Buffalo zu verlassen und seinen
dauernden Wohnsitz im Osten zu nehmen, wählte er, wie bereits erwähnt,
Hartford in Connecticut. Die Stadt hatte ihm bei einem früheren
Besuche gleich ausnehmend gefallen, da sie regen geistigen Verkehr
und lebhaften Handel und Wandel mit ländlicher Zurückgezogenheit zu
vereinigen schien.

In Nook Farm auf der Farmington Avenue, etwa fünfviertel Meilen von der
Geschäftsgegend der Stadt entfernt, baute er sich ganz nach eigenem
Geschmack ein geräumiges Wohnhaus aus verschiedenfarbigen Backsteinen
und buntem Mörtel, welches mit seinen Giebeln, Bogenwölbungen und
altertümlichen Fenstern einem jener altadeligen Herrenhäuser nicht
unähnlich sieht, an welchen England so reich ist.

Von Mark Twains glücklichem Leben in den siebenziger und achtziger
Jahren hat ein Hausfreund ein anziehendes Bild entworfen. Er schreibt:

    An Mitteln, sein Besitztum zu vergrößern und zu verschönern,
    hat es Mark Twain nicht gefehlt, seit er mit seiner jungen Frau
    in Hartford Einzug gehalten hat. Alles, was die Neuzeit durch
    Kunst und Erfindung zur Annehmlichkeit des Lebens beitragen
    kann, findet sich in ihrem Heim reichlich vertreten.

    Mark Twains Arbeitszimmer ist im obern Stock und bietet
    eine herrliche Aussicht, die man am besten von einem der
    drei Balkons genießt, welche an das Zimmer stoßen. In einer
    Ecke steht der Schreibtisch und in der Mitte des Raumes das
    Billard, auf dem der Hausherr gern von Zeit zu Zeit ein paar
    kunstgerechte Stöße thut, wenn er sich vom Schriftstellern
    erholen will. Es ist sein Lieblingsspiel, das er mit ebenso
    viel Eifer als Geschicklichkeit betreibt. Ein Freund erzählt
    von ihm, er habe einmal mitten in der Partie bemerkt, daß
    Funken, die aus dem Kamin gesprungen waren, einen Haufen loser
    Papiere auf dem Boden entzündet hatten und eine Feuersbrunst zu
    befürchten stand. Statt das Spiel zu unterbrechen, klingelte er
    nach dem Diener, befahl diesem, den Brand zu löschen und that
    zugleich einen wahren Meisterstoß mit dem Queue, das er in der
    Hand hielt. Mark Twain gerät nie in Aufregung.

    Das Jahr zerfällt für ihn in zwei Teile. Vom 1. Juni bis Mitte
    September lebt er auf der Besitzung von Verwandten seiner
    Frau, in Quarry Farm bei Elmira im Staate New York. Hier
    ist für ihn ein Sommerhaus errichtet worden, das auf einer
    Bergspitze, sechshundert Fuß über dem Thalgrund, steht. Das
    Gebäude ist fast durchweg aus Glas und zwar nach dem Muster
    der Lotsenbehausung auf einem Mississippidampfer gebaut. Von
    allem Verkehr mit der Außenwelt abgeschlossen, beschäftigt sich
    Clemens hier hauptsächlich mit seinen schriftstellerischen
    Arbeiten. Jeden Morgen um halb neun begiebt er sich in seine
    luftige Schreibstube, die etwas abseits vom Hause liegt,
    und bleibt dort, bis das Blasen eines Horns ihn ungefähr um
    fünf Uhr zu Tische ruft. Dazwischen nimmt er keine Mahlzeit
    ein und es herrscht strenge Weisung, ihn während seiner
    Arbeitszeit nicht zu stören. Sein einziger Genuß währenddem
    ist seine Zigarre. Wie bekannt, ist er ein leidenschaftlicher
    Raucher und läßt die Zigarre selten ausgehen. Bei der Arbeit
    ist sie ihm geradezu unentbehrlich, da er ohne sie nichts
    von Belang zustande bringt. Auf Reisen nimmt er immer seine
    eigene Sorte mit, auch eine Auswahl der kurzen Pfeifen, an
    die er gewöhnt ist, und einen Vorrat Tabak. Ein Herr, der
    ihn bei seiner letzten Ueberfahrt nach Frankreich auf dem
    Dampfer traf, erzählt scherzend, er sei stets mit einem
    ungeheuern Tabakspaket und einer Anzahl Zigarrenschachteln
    auf Deck gekommen, da er die Sorge für diesen Teil seines
    Gepäcks keiner Menschenseele anvertrauen wollte. Wenn er sich
    eine frische Zigarre anzündete, so habe er unterdessen das
    Tabakspaket auf den Boden gelegt und mit dem Fuße festgehalten,
    damit es ihm niemand entwenden konnte.

    [Illustration]

    Er ist übrigens beständig auf der Jagd nach einer Zigarre, die
    in Bezug auf Preis und Güte alle seine Ansprüche befriedigt.
    Einmal glaubte er die Sorte gefunden zu haben, die er suchte,
    und man sagt, daß nach einer Abendgesellschaft, die er im
    Winter bei sich in Hartford gab, jeder seiner Gäste sich vor
    dem Fortgehen eine von diesen Zigarren anzünden mußte. Am
    andern Morgen fand er sie sämtlich auf dem Schnee liegen, neben
    dem Fußpfad, der durch seine Wiese führt. Die Herren hatten sie
    alle aus Höflichkeit geraucht, bis sie im Freien waren, wo ihr
    Selbsterhaltungstrieb über die Höflichkeit siegte. Sie warfen
    die Zigarren fort, ohne zu bedenken, daß man sie bei Tageslicht
    finden werde. Durch die Entdeckung, welche der nächste Morgen
    brachte, war das Urteil über die neue Sorte ein für allemal
    gesprochen.

    In Elmira arbeitet Clemens angestrengt. Er stellt da die
    Aufzeichnungen, die er das Jahr über in seinen Notizbüchern
    gemacht hat, zu einem Ganzen zusammen, beendet angefangene
    Arbeiten und giebt dem, was nur Entwurf war, seine endgültige
    Form. Es liegt übrigens nicht in seiner Art, bei einer
    schriftstellerischen Unternehmung zu bleiben und sie zu Ende zu
    führen, ehe er etwas Neues beginnt, sondern er hat immer eine
    Anzahl Pläne zugleich vor und arbeitet daran je nach Stimmung.

    Außer seiner Leidenschaft für das Billard hat Mark Twain
    auch eine große Vorliebe für das Velociped. Er hält sich
    zwar in Hartford Wagen und Pferde, macht aber am liebsten
    große Ausflüge auf dem Zweirad. Auch ist er ein unermüdlicher
    Fußgänger; sein Freund, der Prediger an der Hartforder Kirche,
    welche Clemens regelmäßig besucht, begleitet ihn gewöhnlich auf
    seinen weiten Spaziergängen.

    Führt Clemens in Elmira ein meist zurückgezogenes Leben, so
    ist dagegen sein Tageslauf in Hartford, wohin er im September
    zurückkehrt, voll Abwechslung und Unterhaltung. Hier hält er
    seine Zeit weniger streng zu Rate und überläßt sich ungehindert
    den Freuden des geselligen Verkehrs. Er bewirtet viele Freunde
    und sein gastfreies Haus bildet einen Mittelpunkt für die
    litterarische Welt. Howells, der ausgezeichnete Novellist,
    verkehrt fleißig bei ihm, wie früher Bayard Taylor, Cable,
    Aldrich, Henry Irving und viele andere Berühmtheiten bei ihm zu
    Gaste gewesen sind; der Humorist Dudley Warner und die bekannte
    Harriet Beecher-Stowe wohnen ganz in seiner Nähe. Man sagt, daß
    er einmal, als er der Verfasserin von ›Onkel Toms Hütte‹ einen
    Besuch machte, in seiner Zerstreutheit vergessen hatte, Kragen
    und Krawatte anzulegen. Bei seiner Heimkehr bemerkte seine
    Gemahlin mit Schrecken, welchen gesellschaftlichen Verstoß
    er begangen habe; Mark Twain blieb jedoch höchst gelassen und
    sagte, er wolle es schon wieder gut machen. Er legte nun den
    Kragen nebst der Krawatte in eine Schachtel und schickte beides
    zu Frau Stowe hinüber.

    Mark Twain liebt seine Häuslichkeit über alles und ist ein
    zärtlicher Gatte und Vater. Von seinen drei hübschen Töchtern
    ist Susie, die älteste, 1872 geboren, Clara 1874 und Jean 1880;
    ein Söhnchen starb schon in früher Kindheit. Frau Clemens
    ist zehn Jahre jünger als ihr Mann, einfach und anspruchslos
    in ihrem ganzen Wesen und Auftreten und von sanfter, stiller
    Gemütsart. Derselben soll, wie behauptet wird, jeder Sinn für
    ihres Mannes Witze abgehen. Bei dem Tode seiner Mutter habe
    Clemens geäußert, jetzt lebe kein Glied mehr in der Familie,
    das seine Witze verstehen könne.

    Susie Clemens gilt für ihres Vaters Liebling und hat viel
    von seiner Begabung geerbt. In dem Tagebuch, das sie eine
    Zeitlang führte, pflegte sie allerlei kleine Familienereignisse
    aufzuzeichnen und eigene Bemerkungen hinzuzufügen. Frau Clemens
    las einmal darin folgenden Satz: »Der Vater braucht immer viel
    stärkere Ausdrücke, wenn die Mutter nicht dabei ist, oder wenn
    er glaubt, daß ›wir‹ es nicht hören.« Sie zeigte dies ihrem
    Gatten, der nun absichtlich mancherlei sagte, was dem Kinde
    auffallen mußte. Auch fand er seine Aussprüche nachträglich
    stets in dem Tagebuche verzeichnet, bis es einmal darin hieß:
    »Ich werde jetzt nichts mehr über den Vater schreiben, denn
    ich glaube, er hat mein Tagebuch gelesen und thut und sagt mit
    Fleiß viele Dinge, damit ich sie aufschreiben soll.«

Dieses schöne Familienglück ist später durch den Tod Susies, wovon
weiter unten die Rede sein wird, sowie durch andere Ereignisse in
trauriger Weise gestört worden. -- Wir möchten diesen Abschnitt aber
nicht schließen, ohne nochmals auf das schöne Band zurückzukommen,
das Mark Twain und seine Gattin verbindet. Von ihr als der Erzieherin
seiner Kinder schrieb er folgende goldene Worte:

    »Meine Kinder haben keine treuere und bessere Freundin als ihre
    Mutter, das wissen sie, und was ihre Hand nur berührt hat,
    gilt ihnen als geheiligt. Nie hat sie ihnen unrecht gethan,
    nie ist sie ihnen gegenüber von der _Wahrheit_ abgewichen; sie
    hält jedes Versprechen, ob es Lohn oder Strafe verheißt, darauf
    können sie sich verlassen; kein _unverständiges Gebot_ ist je
    aus ihrem Munde gegangen und stets hat sie unbedingten Gehorsam
    verlangt. Freundlich und höflich müssen sie in Wort und
    Benehmen gegen Leute _jeden Standes_ sein und auch ihnen wird
    stets die liebevollste Rücksicht zu teil. Das alles wissen sie,
    denn sie besitzen die beste und gütigste Mutter, die gelebt
    hat.«

Das Zusammenleben mit seiner edlen Gattin betrachtet Mark Twain als
das größte Glück seines Lebens und, wenn gelegentlich eine Trennung
unvermeidlich ist, dann sucht er in einer täglichen Korrespondenz
Ersatz. Es berührt uns in dem Zeitalter der Postkarten ganz wunderbar,
wenn er erzählt, wie umfangreich der Briefwechsel zwischen ihm und
seiner Frau bei jeder Trennung ist. Er schreibt ihr täglich. »In sechs
Monaten,« sagte er einmal zu einem Bekannten, »habe ich mindestens
200,000 Wörter an meine Frau geschrieben, und diese Briefe sind nach
meiner Ansicht auch in litterarischer Beziehung das Beste, was ich je
verfaßt habe, der Stil ist so leicht und fließend und die Schilderung
so lebendig, wie sie mir nie gelingt, wenn ich für den Druck schreibe.
Als ich dies einmal Herrn Walker vom ›Cosmopolitan‹ erzählte, meinte
er, es sei eine kolossale Verschwendung, er würde mir 1000 Dollars
für jeden dieser Briefe geben. Das schrieb ich meiner Frau und sagte
ihr, ich könne keine solche Verschwendung treiben, sie möchte mir die
Briefe wieder schicken. ›Nur für 1500 Dollars das Stück,‹ schrieb sie
zurück. Aber ich weiß schon, wenn ich sie beim Wort nähme, würde sie
aufschlagen.« --

Im übrigen kann Mark Twain sehr schreibfaul sein; wo Liebe oder Pflicht
ihm nicht die Feder in die Hand drücken, läßt er dieselbe gerne
ruhen. In dieser Beziehung ist folgende Anekdote charakteristisch:
Der englische Schriftsteller Ballentine hatte lange auf eine Antwort
von Mark Twain gewartet. Endlich verlor er die Geduld und schickte
ihm mit der Post einen Briefbogen und eine Briefmarke, um ihn an sein
Versäumnis zu erinnern. Als Erwiderung erhielt er folgende Postkarte:
»Papier und Marke erhalten. Bitte, schicken Sie ein Kouvert.«



Achtes Kapitel.

Erfinder und Verleger.


Mark Twains Lebenslauf ist ganz der eines ›~self made man~‹, d. h.
eines Mannes, der sich aus eigener Kraft emporgearbeitet. Seine
Schriftstellerei hat darum so viel Kraft und Gehalt, weil sie erfüllt
ist von dem, was der Autor selbst erlebt und durchgemacht. Er war nach
einander Buchdrucker, Lotse, Privatsekretär, Goldgräber, Redakteur
und Vorleser und damit nicht genug wurde er auch noch Erfinder und
Verleger. Die praktischen Erfindungen, die er gemacht und industriell
verwertet hat, sind aus dem eigenen Bequemlichkeitsbedürfnis
entstanden. So erdachte er ein besonderes Taschenbuch zum Aufzeichnen
von Notizen und Einfällen aller Art. Clemens hatte immer vergeblich ein
passendes Buch dieser Art gesucht, alle vorhandenen hatten nämlich die
schlechte Gewohnheit, sich an der falschen Stelle aufzuklappen und ihn
so irre zu machen. _Sein_ Notizbuch dagegen schlägt sich mittels einer
einfachen Vorrichtung immer am rechten Fleck auf -- bei der zuletzt
beschriebenen Seite.

Auch eine Weste hat Mark Twain erfunden, bei der die Tragbänder
überflüssig sind, ein Hemd mit Kragen und Manschetten, in denen man
keinerlei Knöpfe braucht, einen immerwährenden Kalender an die Uhr zu
hängen und ein Brettspiel: eine Art Geschichtslotto, durch das sich die
Jahreszahlen dem Gedächtnis einprägen sollen.

Als Schriftsteller ist Mark Twain vom Glück in hohem Grade begünstigt
worden. Nach seinen ersten Erfolgen als Autor hat Mark Twain oft
geäußert, er würde, wenn er das Leben noch einmal von vorn anfangen
könnte, seine Bücher selbst herausgeben, weil er als sein eigener
Verleger weit mehr Gewinn mit dem Verkauf seiner Schriften erzielen
könnte. Als er im März 1884 das Manuskript von ›Huckleberry Finn‹
beendet hatte, bot er es der ›Amerikanischen Verlagsgesellschaft‹
an, die durch Herausgabe seiner Werke zu bedeutendem Ansehen und
Reichtum gelangt war. Mark Twain hatte bis dahin alles in allem etwa
400,000 Dollars Honorar erhalten. Ueber das neue Buch konnten sich
jedoch Verfasser und Verleger nicht einigen. Lange schwankten die
Verhandlungen hin und her; man bot ihm die Hälfte der Reineinnahme,
aber das genügte ihm nicht, er verlangte sechzig Prozent des Gewinns.
Hierauf glaubte sich die Gesellschaft nicht einlassen zu können, das
Geschäft zerschlug sich und Mark Twain beschloß seinen ›Huckleberry‹
im eigenen Verlage erscheinen zu lassen. In Verbindung mit seinem
Neffen Charles L. Webster, von dessen Geschäftskenntnis er eine hohe
Meinung hatte, gründete er die Firma Webster und Co., welche das neue
Buch herausgab. Jedermann war auf das Ergebnis gespannt und siehe da
-- ›Huckleberry Finn‹ brachte seinem Verfasser eine Nettoeinnahme von
100,000 Dollars. Zwar starb der junge Webster bald darauf, aber der
Name der Firma blieb unverändert bestehen. Sie veröffentlichte auch
noch andere Bücher außer den Mark Twainschen und hat besonders mit den
Memoiren des Papstes und den Denkwürdigkeiten des Generals Grant ein
ungeheures Geschäft gemacht. Für letztere hatte Clemens der Familie
Grant einen Preis geboten, den andere Verleger nicht zu zahlen wagten.
Sie verstanden, nach seiner Ansicht, diese einzigartige Gelegenheit
nicht zu würdigen. Welche Umstände schon nach einigen Jahren den
Zurückgang der Firma Webster herbeiführten, ist uns nicht bekannt
geworden.

[Illustration]



Neuntes Kapitel.

Schicksalsschläge.


Im Jahre 1895, um die Zeit seines 60. Geburtstags brach das Unglück
durch den Bankrott der Firma Webster über ihn herein. Er verlor dabei
sein ganzes Vermögen. Die Firma hinterließ eine große Schuldenlast,
welche er mit einem geradezu heroischen Mute abzutragen beschloß.

Ohne auf die Vorstellungen seiner Freunde zu achten, daß er nach
kaufmännischer Gepflogenheit die Gläubiger mit einem gewissen
Prozentsatz abfinden solle, und ohne die ihm bereitwilligst gebotene
finanzielle Hilfe anzunehmen, gab er sein Wort, die Schulden innerhalb
4 Jahren bei Heller und Pfennig abzutragen. Er hat diese Ehrenpflicht
glänzend erfüllt.

Es war ein Riesenwerk. Um es zu vollbringen, unternahm er eine
Vorlesungstour, die ihn zuerst durch den Norden der Vereinigten Staaten
und dann rund um die Erde führte. Nur die moralische Notwendigkeit,
jene Schulden zu bezahlen, veranlaßte ihn, jahrelang auf Ruhe und
Behagen zu verzichten; denn das anstrengende Reisen machte ihm in
seinem Alter kein Vergnügen mehr.

Aber das Opfer ist nicht vergeblich gewesen. Schon die freundliche
Aufnahme und das herzliche Wohlwollen, welches ihm allenthalben bezeugt
wurde, gewährte Mark Twain hohe Befriedigung und einen persönlichen
Gewinn, der ihm ebenso wichtig war wie die Einnahmen, welche seinen
Gläubigern zugute kamen. Zuerst ging er nach Australien. In jeder
Stadt erfreute sich der beliebte Redner und Schriftsteller des
wärmsten Empfanges; seine Reise glich einem Triumphzug durch das ganze
Land. Großen Erfolg hatte er auch bei den Rajahs in Indien, und die
dortigen englischen Bewohner zeigten sich unermüdlich in den Beweisen
von Verehrung und Bewunderung, mit denen sie ihn überhäuften. Nicht
minder angenehm waren die Erfahrungen, welche Mark Twain bei seinem
Besuch in Südafrika machte. Er sah sich im Rückblick auf so viele
hochinteressante Erlebnisse fast veranlaßt, das Mißgeschick zu preisen,
das ihn genötigt hatte, jene wunderbaren Länder aufzusuchen.

Nach Europa zurückgekehrt, ließ sich Clemens zuerst in London nieder,
wo er ein Haus in Chelsea mietete. Dort schrieb er seine ›_Reise um
die Welt_‹, in welcher er den reichen Stoff, den er gesammelt hatte,
litterarisch verwertete. Das Buch (1898 in deutscher Uebersetzung im
Verlag des Herausgebers der vorliegenden Sammlung erschienen) bietet
neben den bekannten Vorzügen des unvergleichlichen Humoristen eine
Fülle von kulturgeschichtlicher Belehrung, so daß uns Mark Twain hier
zugleich als ernster, gediegener Schriftsteller entgegentritt; immer
wieder aber zuckt sein köstlicher Humor oft blitzartig durch alle
Erzählungen und Beschreibungen hindurch, wo es der Leser am wenigsten
erwartet.

Nach Vollendung seiner ›Reise um die Welt‹ ruhte er sich im vorigen
Sommer einige Monate in der Schweiz aus und siedelte dann im Herbst
1897 mit seiner Familie nach Wien über, wo er noch heute lebt. Der
dortige Aufenthalt gilt hauptsächlich der musikalischen Ausbildung
seiner Tochter Clara unter der Leitung des berühmten Meisters
Leschetitzky. Seine älteste Tochter Susie hatte Mark Twain das Unglück,
vor einigen Jahren zu verlieren, nachdem sie eben ihre Ausbildung als
Gesangskünstlerin beendet hatte: der herbste Schicksalsschlag, der
bis dahin den Vater getroffen. In Wien fand Mark Twain die einem so
hervorragenden Gaste gebührende Aufnahme. Bald nach seiner Ankunft
veranstaltete der Schriftsteller- und Journalistenverein ›Concordia‹
Mark Twain zu Ehren eine Festkneipe, bei welcher er zur allgemeinen
Ueberraschung als Redner in deutscher Sprache auftrat. Er versicherte
der Versammlung mit drolligem Ernste, es sei stets der Traum seines
Lebens gewesen, ein Reformator der edlen deutschen Sprache zu werden.
Daß es hauptsächlich die langen Wörter und Sätze, sowie die trennbaren
Zeitwörter waren, gegen die er zu Felde zog, darüber wird niemand in
Zweifel sein, der seinen gelungenen Aufsatz über die ›_Schrecken der
deutschen Sprache_‹ (Bd. VI, S. 79) gelesen hat.

Daß Mark Twain unter allen Nationen, mit denen er auf seinen Reisen in
näheren Verkehr getreten ist, der deutschen den Vorzug giebt, beweist
er schon dadurch, daß er sich oft und mit Vorliebe unter den Deutschen
niedergelassen hat. Der ernste Fleiß und die Gründlichkeit ihres Wesens
haben für ihn, seinem ganzen Charakter nach, die größte Anziehung.

So kann es denn auch nicht fehlen, daß die Deutschen ihm und seinen
Werken überall die freundlichste Aufnahme bereiten und er sich auch bei
uns allgemein einer Beliebtheit erfreut, wie sie ein Schriftsteller bei
Lebzeiten nur selten genießen darf. Er hat unserm sorgenvollen, ernsten
Geschlecht so viele harmlos frohe Stunden bereitet, daß wir ihn getrost
einen Wohlthäter der Menschheit nennen dürfen.

    _Stuttgart_, November 1898.



Verlag von _Robert Lutz_ in _Stuttgart_


Fritz Reuters Meisterwerke

Hochdeutsche Ausgabe

Herausgegeben von ~Dr.~ _Heinrich Conrad_

6 Bände ~à~ M. 1.20 broschiert, M. 1.80 i. Lwd. geb.

Jeder Band einzeln käuflich

_Inhalt_: Bd. 1. Aus der Franzosenzeit. -- Wie ich zu einer Frau kam.
-- Bd. 2. Aus meiner Festungszeit. -- Bd. 3--5. Aus meiner Stromzeit.
-- Bd. 6. Dörchläuchting.

_Einige Urteile_:

_J. V. Widmann urteilt_: »Schon nach den ersten Kapiteln der
»Franzosenzeit« war ich mir darüber klar, daß ein bisher im engern
Verschluß der Mundart gehaltenes Meisterwerk nun _durch diese
Übertragung in die Schriftsprache den Charakter eines_

_Nationalgeschenkes für Deutschland_

erhalten hat.«

_Kölnische Volkszeitung_: »Diese Übertragung, _die übrigens nicht
vor dem Dialog Halt macht_, sondern auch diesen _verständigerweise
hochdeutsch wiedergibt, zeigt einen Übersetzungskünstler_, der im
Stil und der Redeweise der Personen jene Nüancierung der Formen
anzuwenden weiß, die auch dem Hochdeutschen gar wohl eigen ist und dem
Vorgebrachten _ein charakteristisches Kolorit_ verleiht.«

_»Dienet einander« (~Dr.~ W. Rathmann)_: »_Die vorliegende hochdeutsche
Ausgabe macht Reuters Werke erst zum Besitz der ganzen Nation._
Die Verlagshandlung verbindet die gute Ausstattung in großem Druck
auf holzfreiem Papier mit einem so _billigen Preise_, daß auch die
_kleinste Bibliothek_ die geringen Kosten nicht scheuen darf.«


W. W. Jacobs

Seemannshumor

Geschichten und Schwänke von der Wasserkante

=I. Band=: 13 Erzählungen. -- =II. Band=: 15 Erzählungen.

        Jeder Band ist einzeln käuflich
        zu M. 2.50 broschiert; M. 3.50 in Lwd. gebunden.

Einige Urteile:

    Hamburger Nachrichten: »Es herrscht hier _ein wirklicher,
        behaglicher Humor_, voll der tollsten Einfälle und reger
        Phantasie. Echt und frisch sind die wetterharten Gestalten
        gezeichnet. _Es kichert und lacht_ in und zwischen den
        Zeilen.«

    Intern. Literaturberichte: »Wer einmal recht herzlich lachen
        will, mag getrost zu Jacobs Seemannshumor greifen.«

    Nordd. Allg. Zeitung: »Jede einzelne der Erzählungen ruft
        herzliches Lachen hervor.«

    Deutsche Tageszeitung: »Die Geschichten zeugen von einem _ganz
        prächtigen, urwüchsigen Seemannshumor_.«



    Weitere Anmerkungen zur Transkription


    Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.
    Unterschiedliche Schreibweisen im Original wurden beibehalten. Die
    Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.

    Korrekturen:

    S. 118: scherzhafte → herzhafte
      ihrer Erholung auf so {herzhafte} Weise

    S. 162: erledigten → entledigten
      womit wir uns ihrer {entledigten}

    S. 194: Anzahl → Unzahl
      Eine {Unzahl} Skizzen müssen fertig werden



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