Home
  By Author [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Title [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Language
all Classics books content using ISYS

Download this book: [ ASCII ]

Look for this book on Amazon


We have new books nearly every day.
If you would like a news letter once a week or once a month
fill out this form and we will give you a summary of the books for that week or month by email.

Title: Segen der Erde
Author: Hamsun, Knut
Language: German
As this book started as an ASCII text book there are no pictures available.


*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Segen der Erde" ***

This book is indexed by ISYS Web Indexing system to allow the reader find any word or number within the document.

  +------------------------------------------------------------------+
  | Anmerkungen zur Transkription                                    |
  |                                                                  |
  | Gesperrter Text ist als _gesperrt_ dargestellt, Antiquaschrift   |
  | als ~Antiqua~, und Kursivschrift als ¯kursiv¯.                   |
  | Eine Liste der Änderungen befindet sich am Ende des Buchs.       |
  +------------------------------------------------------------------+


                     Knut Hamsun / Segen der Erde


                             ¯Knut Hamsun¯



                                 Segen
                                  der
                                 Erde

                                ¯Roman¯

                            [Illustration]

                     ¯Deutsche Buch-Gemeinschaft¯

                             ~G. m. b. H.~

                                Berlin



  Berechtigte Übersetzung von

  _Pauline Klaiber-Gottschau_

  Revidiert von

  _J. Sandmeier_

  Copyright 1918 by Albert Langen, Munich

  Printed in Germany

  Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung,
  Dramatisierung, Verfilmung und Radiosendung, vorbehalten

  _Knut Hamsun_                    _Albert Langen_



Erster Teil



1


Der lange, lange Pfad über das Moor in den Wald hinein -- wer hat ihn
ausgetreten? Der Mann, der Mensch, der erste, der hier war. Für ihn war
noch kein Pfad vorhanden. Später folgte dann das eine oder andere Tier
der schwachen Spur über Sümpfe und Moore und machte sie deutlicher, und
wieder später schnupperte allmählich der oder jener Lappe den Pfad auf
und benützte ihn, wenn er von Berg zu Berg wanderte, um nach seinen
Renntieren zu sehen. So entstand der Weg durch die weite Allmende, die
niemand gehörte, durch das herrenlose Land.

Der Mann kommt in nördlicher Richtung gegangen. Er trägt einen Sack,
den Sack, der Mundvorrat und einiges Handwerkszeug enthält. Der Mann
ist stark und derb, er hat einen rostigen Bart und kleine Narben im
Gesicht und an den Händen -- diese Wundenzeichen, hat er sie sich bei
der Arbeit oder im Kampf geholt? Er kommt vielleicht aus dem Gefängnis
und will sich verbergen, vielleicht ist er ein Philosoph und sucht
Frieden, jedenfalls aber kommt er dahergewandert, ein Mensch mitten
in dieser ungeheuren Einsamkeit. Er geht und geht, still ist es
ringsum, kein Vogel, kein Tier ist zu hören, bisweilen redet er ein
paar Worte mit sich selbst. Ach ja, Herrgott im Himmel! sagt er. Wenn
er auf seiner Wanderung an Moore und wirtliche Stellen oder offene
freie Plätze im Walde kommt, legt er seinen Sack ab, geht umher und
untersucht die Bodenverhältnisse; nach einer Weile kehrt er zurück,
nimmt seinen Sack wieder auf den Rücken und wandert weiter. Dies währt
den ganzen Tag, er sieht an der Sonne, welche Zeit es ist, es wird
Nacht, und er wirft sich ins Heidekraut und schläft auf seinem Arm.

Nach einigen Stunden geht er wieder weiter. Ach ja, Herrgott im Himmel!
geht wieder geradeaus nach Norden, sieht an der Sonne die Tageszeit,
hält Mittagsrast mit einem Stück Hartbrot und Ziegenkäse, trinkt
Wasser aus einem Bach dazu und setzt seinen Weg fort. Auch diesen
ganzen Tag wandert er ununterbrochen weiter, denn er muß sehr viele
wirtliche Plätze im Walde untersuchen. Was sucht er? Land, Erde? Er ist
vielleicht ein Auswanderer aus den Dörfern, denn er schaut sich scharf
und spähend um, manchmal ersteigt er auch einen Hügel und späht von da
umher. Jetzt ist die Sonne wieder am Untergehen.

Er befindet sich jetzt auf der Westseite eines langgestreckten Tales
mit gemischtem Wald, hier ist auch Laubwald, und Weideflächen mischen
sich darein, stundenlang geht es so fort; es dämmert, aber der Mann
hört das leise Rauschen eines Flusses, und dieses leichte Rauschen ist
wie etwas Lebendiges und muntert ihn auf. Als er die Höhe erreicht,
sieht er das Tal im Halbdunkel vor sich liegen und weit draußen nach
Süden den Himmel darüber. Nun legt er sich schlafen.

Am Morgen sieht er eine Landschaft mit Wald und Weideland vor sich
ausgebreitet. Er steigt hinunter: da ist ein grüner Berghang, weit
unten erblickt er ein Stück des Flusses und einen Hasen, der in
einem Sprung darüber hinwegsetzt. Der Mann nickt, als sei es ihm
gerade recht, daß der Fluß nicht breiter ist als ein Hasensprung. Ein
brütendes Schneehuhn flattert plötzlich zu seinen Füßen auf und zischt
ihn wild an, und wieder nickt der Mann: hier sind Tiere und Vögel, das
ist abermals gerade recht! Seine Füße waten durch Blaubeerenbüsche
und Preiselbeerkraut, durch siebengezackte Waldsterne und niedere
Farnkräuter; wenn er da und dort anhält und mit einem Eisen in der
Erde gräbt, findet er hier Walderde und dort mit Laub und verrotteten
Zweigen seit Tausenden von Jahren gedüngten Moorboden. Der Mann nickt,
hier will er sich niederlassen, ja, hier sich niederlassen, das will
er. Noch zwei weitere Tage streift er in der Gegend umher, kehrt aber
am Abend immer wieder zu dieser Halde zurück. Des Nachts schläft er
auf seinem Lager aus Tannenzweigen, er ist ganz daheim hier, er hat ja
schon ein Lager unter einem Felsvorsprung.

Das schlimmste war gewesen, den Ort zu finden, einen Ort, der niemand
gehörte, der sein war; jetzt kamen die Tage der Arbeit. Er fing sofort
an, in den etwas weiter entfernten Wäldern Rinde von den Birken zu
schälen, jetzt, während der Saft noch in den Bäumen war. Dann legte
er die Rinden fest zusammen, beschwerte sie mit Steinen und ließ sie
trocknen. Wenn er eine große Last beisammen hatte, trug er sie die
vielen Meilen zurück ins Dorf und verkaufte sie als Baumaterial. Und
auf seine Halde dort droben brachte er neue Säcke mit Lebensmitteln und
Werkzeug heim: Mehl, Speck, einen Kochtopf, einen Spaten; unverdrossen
wanderte er den Pfad hin und her und schleppte sich ab. Ein geborener
Lastträger, ein Prahm, der durch die Wälder ging, oh, es war, als liebe
er diesen seinen Beruf, viel zu geben und viel zu tragen, als dünke
ihn, ohne Last auf dem Rücken zu gehen, ein faules Dasein, das für ihn
nicht passe.

Eines Tages kam er dahergewandert mit seiner schweren Last auf dem
Rücken und außerdem mit zwei Ziegen und einem jungen Bock an der Leine.
Er war so beglückt über die Ziegen, gerade als seien es Kühe, und er
war gut gegen sie. Der erste fremde Mensch kam vorüber, ein wandernder
Lappe. Dieser sah die Ziegen und erriet, daß er auf einen Mann traf,
der sich da niedergelassen hatte, und sagte:

Willst du hier dauernd wohnen? -- Ja, antwortete der Mann. -- Wie heißt
du? -- Isak. Weißt du keine Magd für mich? -- Nein, aber ich will
darüber reden, dort, wo ich vorüberkomme. -- Ja, tu das! Sage, daß ich
Haustiere habe, aber niemand, der sie besorgt.

Isak also, ja, auch das wollte der Lappe ausrichten. Der Mann auf der
Halde war kein Flüchtling, er sagte seinen Namen. Er ein Flüchtling?
Dann hätte man ihn aufgespürt. Er war nur ein unverdrossener Arbeiter,
er sammelte Winterfutter für seine Ziegen, fing an Boden urbar zu
machen, einen Acker zu roden, Steine wegzuschaffen, Steinwälle
aufzurichten. Im Herbst hatte er eine Wohnung fertig, eine Erdhütte,
eine Gamme, die war dicht und warm, sie krachte nicht in den Fugen beim
Sturm, und sie konnte nicht abbrennen. Er konnte in diese Heimstätte
hineingehen, die Türe hinter sich zumachen und da drinnen bleiben,
oder er konnte vor der Türöffnung stehen und sich als den Herrn seines
Hauses zeigen, wenn jemand vorbeikäme. Die Gamme war in zwei Teile
geteilt, in dem einen wohnte er selbst, im andern seine Tiere. Ganz
innen unter dem Felsen hatte er seinen Heuboden errichtet. Alles war da.

Wieder kommen ein paar Lappen vorüber, Vater und Sohn. Sie bleiben
stehen, stützen sich mit beiden Händen auf ihre langen Stöcke,
betrachten die Hütte und das urbar gemachte Land und hören die
Ziegenglocken oben am Hang.

Ja, guten Tag, sagen sie, hier sind ja große Leute hergekommen. Die
Lappen schmeicheln immer.

Ihr wißt wohl keine Magd für mich? versetzt Isak, denn er hat nur das
eine im Kopf.

Eine Magd zur Hilfe? Nein. Aber wir wollen es weitersagen. -- Ja, wenn
ihr so gut sein wollt. Und daß ich ein Haus und Ackerland und Vieh
habe, aber keine Magd zur Hilfe, das sollt ihr sagen.

Ach, sooft er mit seinen Birkenrinden drunten im Dorfe war, hatte
er nach dieser Magd zur Hilfe ausgeschaut, aber keine gefunden. Sie
hatten ihn betrachtet, eine Witwe, ein paar ältere Mädchen, es aber
nicht gewagt, ihm Hilfe zu versprechen; woher das kommen mochte, das
begriff Isak nicht. Begriff er es wirklich nicht? Wer wollte bei einem
Manne dienen, draußen im Ödland, meilenweit von den Menschen, ja eine
Tagereise von der nächsten menschlichen Behausung entfernt! Und der
Mann selbst war nicht die Spur lieb und hübsch, im Gegenteil, wenn er
sprach, war er kein Tenor mit gen Himmel gerichteten Augen, sondern
hatte eine etwas tierische und grobe Stimme.

Dann mußte er eben allein bleiben.

Im Winter machte er große Holztröge, verkaufte diese im Dorfe und kam
mit Säcken voll Lebensmitteln und Werkzeug durch den Schnee zurück. Das
waren harte Tage, ja er hatte eine schwere Last. Er hatte ja Haustiere,
und die konnte er nicht längere Zeit verlassen. Wie hielt er es da?
Die Not macht erfinderisch, sein Gehirn war stark und unverbraucht,
und er übte es immer mehr. Das erste, was er tat, wenn er fortging,
war, die Ziegen loszulassen, so daß sie an den Zweigen im Walde ihren
Hunger stillen konnten. Aber er wußte auch noch einen anderen Ausweg.
Er hängte am Fluß ein großes Holzgefäß auf und ließ ein kleines Rinnsal
hineinlaufen; es dauerte vierzehn Stunden, bis dies Gefäß voll war.
Wenn das Gefäß bis zum Überlaufen voll war, dann hatte es gerade das
rechte Gewicht, daß es heruntersank, aber indem es sank, zog es an
einer Leine, die mit dem Heuboden in Verbindung stand, eine Luke
öffnete sich, drei abgemessene Geißenmahlzeiten fielen herunter, und
die Tiere hatten ihre Nahrung.

Auf diese Weise machte er es.

Eine geistreiche Erfindung, ja vielleicht eine Eingebung von Gott,
dem Manne war geholfen. Es ging gut bis in den Spätherbst, dann kam
Schnee, dann Regen, dann wieder Schnee, dauernd Schnee; da wirkte die
Einrichtung mit der Heuversorgung verkehrt, das Gefäß füllte sich mit
Regenwasser und öffnete die Luke vor der Zeit. Der Mann deckte das
Gefäß zu, dann ging es wieder eine Weile gut, aber als der Winter
einsetzte, fror das Rinnsal ein, und die Einrichtung versagte gänzlich.

Da mußten die Ziegen und auch der Mann selbst entbehren lernen.

Das waren harte Tage, der Mann mußte Hilfe haben, hatte jedoch keine.
Er wurde aber deshalb doch nicht ratlos. Er schaffte an seinem
Heim weiter, machte ein Fenster in die Hütte, ein Fenster mit zwei
Glasscheiben. Das war ein merkwürdiger und heller Tag in seinem Leben,
als er nicht auf dem Herd Feuer anzünden mußte, um sehen zu können,
nun konnte er drinnen sitzenbleiben und bei Tageslicht Tröge aus Holz
anfertigen. Es wurde besser für ihn und lichter. Ach ja, Herrgott im
Himmel! Er las nie in einem Buche, seine Gedanken beschäftigten sich
aber oft mit Gott, er konnte nicht anders, Vertrauen und Ehrfurcht
wohnten in seiner Seele. Der Sternenhimmel, das Rauschen des Waldes,
die Einsamkeit, die Schneemassen, die Gewalten auf der Erde und über
der Erde stimmten ihn oftmals am Tage nachdenklich und andächtig; er
fühlte sich sündig und war gottesfürchtig, des Sonntags wusch er sich
zur Ehre des Feiertages, arbeitete aber sonst wie alle Tage.

Der Frühling kam heran, er bebaute seinen kleinen Acker und steckte
Kartoffeln. Er hatte jetzt einen größeren Viehbestand, jede Ziege
hatte Zwillinge gebracht, es waren jetzt sieben Geißen, groß und klein
zusammengerechnet. Mit der Zukunft vor Augen erweiterte er seinen Stall
und setzte auch da ein paar Fensterscheiben ein. Es wurde heller und
tagte in jeder Weise.

Eines Tages kam die Hilfe. Droben auf der Halde wanderte sie lange hin
und her, ehe sie sich hervorwagte. Es wurde Abend, bis sie herankam,
aber dann kam sie -- ein großes, braunäugiges Mädchen; sie war so üppig
und derb, mit festen guten Händen, mit Lappenschuhen an den Füßen,
obgleich sie keine Lappin war, und mit einem Kalbfellsack auf dem
Rücken. Sie war wohl schon etwas bei Jahren, höflich gesprochen, nahe
an den Dreißigern.

Warum sollte sie sich denn fürchten? Sie grüßte, fügte jedoch rasch
hinzu: Ich muß nur über die Berge, darum bin ich diesen Weg gegangen.
-- So, sagte der Mann. Er verstand sie nicht ganz, sie redete
undeutlich und wendete überdies das Gesicht weg. -- Ja, sagte sie. Und
es ist ein sehr weiter Weg. -- Ja, antwortete er. Willst du über das
Gebirge? -- Ja. -- Was willst du dort? -- Ich habe meine Leute dort. --
So, hast du deine Leute dort? Wie heißt du? -- Inger, und wie heißt du?
-- Isak. -- So, Isak. Wohnst du hier? -- Ja, ich wohne hier und habe es
so, wie du hier siehst. -- Das ist wohl nicht übel, sagte sie lobend.

Isak war im Denken ein ganzer Mann geworden, und nun kam ihm der
Gedanke, daß sie wohl im Auftrag von jemand gekommen sei und nicht
weiter wolle. Sie hatte vielleicht gehört, daß ihm weibliche Hilfe
fehle.

Komm herein und ruh dich aus! sagte er.

Sie traten in die Hütte, aßen von ihrem Mundvorrat und tranken von
seiner Geißenmilch; dann kochten sie Kaffee, den sie in einer Blase bei
sich hatte. Sie hatten es sehr behaglich beim Kaffee, ehe sie schlafen
gingen. Nachts lag er da und war gierig nach ihr und bekam sie.

Am Morgen ging sie nicht wieder weg und den Tag über auch nicht; sie
machte sich nützlich, melkte die Ziegen und scheuerte die Holzgefäße
mit feinem Sand und machte sie sauber. Sie ging nie wieder fort. Inger
hieß sie, Isak hieß er.

Nun begann ein anderes Leben für den einsamen Mann. Das einzige war,
daß seine Frau undeutlich redete und wegen einer Hasenscharte immer das
Gesicht wegwendete, aber das war nichts, um sich darüber zu beklagen.
Ohne diesen verunstalteten Mund wäre sie wohl nie zu ihm gekommen, die
Hasenscharte war sein Glück. Und er selbst, war er ohne Fehl? Isak mit
dem rostigen Vollbart und dem zu untersetzten Körper, er war wie ein
greulicher Mühlgeist, ja wie durch eine verzerrende Fensterscheibe
gesehen. Und wer sonst ging mit einem solchen Ausdruck im Gesicht
umher? Es war, als könne er jeden Augenblick eine Art von Barrabas
loslassen. Es bedeutete schon viel, daß Inger nicht davonlief.

Sie lief nicht davon. Wenn er fort war und wieder heimkam, war Inger
bei der Hütte, die beiden waren eins, die Hütte und sie.

Er hatte nun einen Menschen mehr zu versorgen, aber es lohnte sich, er
konnte länger fort sein, er konnte sich rühren. Da war der Fluß, ein
freundlicher Fluß, der neben seinem freundlichen Aussehen auch tief und
raschen Laufes war; es war durchaus kein geringer Fluß, er mußte aus
einem großen See droben im Gebirge kommen. Nun verschaffte Isak sich
Fischgeräte und suchte diesen See auf; wenn er dann am Abend heimkam,
brachte er eine ordentliche Anzahl Forellen und Alpensalme mit. Inger
empfing ihn mit großer Verwunderung, sie war ganz überwältigt, schlug
die Hände zusammen und rief: Um alles in der Welt! Sie merkte wohl,
wie erfreut und stolz er über ihr Lob war, und da sagte sie noch mehr
freundliche Worte: daß sie so etwas noch nie gesehen habe und gar nicht
verstehe, wie er das zuwege bringen konnte.

Auch auf andere Weise war Inger ein Segen für ihn. Obgleich sie nicht
gerade ein schönes Gesicht und Verstand im Kopfe hatte, so hatte sie
doch bei einem ihrer Leute zwei Schafe mit ihren Lämmern stehen,
und die holte sie. Das war das Notwendigste, was jetzt in die Gamme
gebracht werden konnte, Schafe mit Wolle und Lämmern, vier lebende
Tiere, der Viehstand vermehrte sich im großen Stil, wunderbar war
es, wie er zunahm. Inger holte außerdem noch ihre Kleider und andere
Sachen, die ihr gehörten, einen Spiegel, eine Schnur mit einigen
hübschen Glasperlen daran, Kardätschen und ein Spinnrad. Sieh, wenn
sie so weiter machte, war bald alles voll vom Boden bis zur Decke, und
die Gamme hatte nicht Raum für alles! Isak war natürlich sehr bewegt
beim Anblick dieser irdischen Reichtümer; aber da er von Natur wortkarg
war, fiel es ihm schwer, sich darüber auszusprechen, er ging hinaus
vors Haus, sah nach dem Wetter und kam wieder herein. Ja, gewiß hatte
er großes Glück gehabt, und er fühlte immer mehr einen heißen Drang in
sich aufsteigen, Zuneigung oder Liebe, oder was es nun genannt werden
konnte.

Du brauchst nicht so viel mitzubringen, sagte er. -- Ich habe sogar
anderswo noch mehr. Und dann habe ich den Oheim Sivert, den Bruder
meiner Mutter, hast du von ihm gehört? -- Nein. -- Das ist ein reicher
Mann, er ist Bezirkskassierer der Gemeinde.

Die Liebe macht den Klugen dumm; Isak wollte sich auf seine Weise
angenehm zeigen, und da tat er zuviel.

Was ich sagen wollte, begann er; du sollst die Kartoffeln nicht hacken.
Ich werde sie hacken, wenn ich heute abend heimkomme.

Damit nahm er die Axt und ging in den Wald. Sie hörte ihn im Walde
Bäume fällen, es war nicht weit weg, und sie hörte am Krachen, daß er
große Stämme fällte. Nachdem sie eine Weile zugehört hatte, ging sie
hinaus und hackte die Kartoffeln. Die Liebe macht den Dummen klug.

Am Abend kam er mit einem großen Balken an, den er an einem Seil hinter
sich herschleppte. Ach, der grobe, treuherzige Isak, er machte so viel
Lärm mit dem Balken, als er nur konnte, räusperte sich und hustete,
damit sie herauskommen und sich nicht wenig über ihn verwundern sollte.

Ganz richtig, als er daherkam, rief sie auch: Ich glaube, du bist
verrückt! Du bist doch wohl ein Mensch! sagte sie. Der Mann erwiderte
nichts. Das fiel ihm nicht ein. Im Vergleich zu einem Baumstamm etwas
mehr als ein Mensch zu sein, das war nicht der Rede wert. -- Und wozu
willst du denn den Stamm? fragte sie. -- Ach, das weiß ich selbst noch
nicht, antwortete er wichtig tuend.

Aber jetzt sah er, daß sie die Kartoffeln schon gehackt hatte, und
dadurch zeigte sie sich fast ebenso tüchtig wie er. Das war jedoch
nicht nach seinem Sinn, da machte er das Seil von dem Baumstamm los
und ging damit fort. Gehst du wieder? fragte sie. -- Ja, antwortete er
beleidigt.

Er kam mit einem zweiten Baumstamm daher, schnaufte nicht, lärmte
nicht, sondern zog ihn nur wie ein Ochse bis zur Gamme heran und ließ
ihn da liegen.

Im Laufe des Sommers schleppte er noch viele Baumstämme vor die Gamme.



2


Eines Tages legte Inger wieder Mundvorrat in ihren Kalbfellsack und
sagte: Jetzt mach ich wieder einen kurzen Besuch bei meinen Leuten. --
So, sagte Isak. -- Ja, ich muß nur einiges mit ihnen besprechen.

Isak ging nicht zugleich mit ihr hinaus, sondern zögerte noch lange
in der Gamme. Als er endlich auf die Schwelle trat und gar nicht
neugierig tat, aber voll banger Ahnungen war, verschwand Inger gerade
am Waldesrand. Hm. Kommst du wieder? konnte er nicht unterlassen, ihr
nachzurufen. -- Nicht wiederkommen! erwiderte sie. Ich glaube, du
spottest. -- So.

Dann war er wieder allein. Ach ja, Herrgott im Himmel! Mit seinen
Arbeitskräften und seiner Arbeitslust konnte er nicht nur in der Gamme
aus und ein gehen und sich nur selbst im Wege sein, da fing er an zu
arbeiten; er zweigte seine Baumstämme ab und hieb sie auf zwei Seiten
flach. Bis zum Abend schaffte er daran, dann melkte er die Ziegen und
legte sich schlafen.

Öde und stille war's in der Gamme, dumpfes Schweigen schlug ihm
entgegen vom Lehmboden und von den Torfwänden. Aber das Spinnrad und
die Kardätschen waren an ihrem Platz, und die Perlen an ihrem Faden
lagen wohlverwahrt in einem Beutel unter dem Dach. Inger hatte nichts
mitgenommen. Isak war jedoch so unendlich dumm, daß er sich in der
hellen Sommernacht vor der Dunkelheit fürchtete und bald dies, bald das
an den Fensterscheiben vorbeischleichen sah. Als es nach der Helligkeit
draußen ungefähr zwei Uhr sein mochte, stand er lieber wieder auf und
aß sein Frühstück. Er kochte eine ungeheure Schüssel Grütze, gleich für
den ganzen Tag, damit er nicht noch mehr Zeit aufs Kochen verwenden
müßte. Bis zum Abend brach er zur Erweiterung des Kartoffelackers
Neuland um.

Drei Tage lang behaute er abwechslungsweise Baumstämme und brach Land
um, am nächsten Tag kam dann wohl Inger. Es wäre nicht zuviel, wenn
er bei ihrer Ankunft Fische für sie bereit hätte, dachte er; aber er
wollte sich nicht auf den Weg machen und ihr geradeswegs übers Gebirge
entgegengehen, deshalb machte er einen Umweg nach dem Fischplatz. Dabei
kam er in unbekannte Gegenden des Gebirges; da waren nun graue Felsen
und braunes Geröll, ganz schwere Steine, die aus Blei oder Kupfer sein
konnten. Vieles konnte in diesen Steinen enthalten sein, vielleicht
Silber und Gold; er verstand sich jedoch nicht darauf, und so konnte
es ihm einerlei sein. Er kam an das Fischwasser; die Fische bissen
bei dem schnakenvollen Wetter in dieser Nacht gut an, es gab wieder
eine schwere Menge Salme und Forellen, und Inger würde aufschauen. Als
er bei Tagesanbruch auf demselben Umweg, auf dem er hergekommen war,
wieder zurückging, nahm er ein paar Stücke von dem Geröll mit, sie
waren braun mit dunkelblauen Flecken darin und gewaltig schwer.

Inger war nicht gekommen und kam auch nicht. Nun war es schon der
vierte Tag. Er melkte die Ziegen wie damals, wo er noch allein mit
ihnen gewesen war und niemand anderen zu dieser Arbeit hatte, dann
ging er zur Geröllhalde und trug große Haufen zu einer Mauer passender
Steine auf den Hofplatz. Er hatte wahrlich vielerlei Arbeit.

Am fünften Abend ging er mit leisem Mißtrauen im Herzen zu Bett, im
übrigen waren ja aber das Spinnrad und die Kardätschen noch da und
auch die Perlen. Dieselbe Öde in der Hütte und nirgends ein Laut! Das
wurden lange Stunden, und als er endlich eine Art Schritt draußen
vernahm, dachte er, das sei nur etwas, was er sich einbilde. Ach ja,
Herrgott im Himmel! sagte er in seiner Verlassenheit, und solche Worte
sprach Isak nicht, wenn er sie nicht wirklich meinte. Jetzt hörte
er die Schritte aufs neue, und kurz nachher sah er etwas am Fenster
vorbeigleiten, was es nun auch sein mochte, aber etwas mit Hörnern
war es, leibhaftig. Er sprang auf und zum Hause hinaus, und da sah er
etwas! Gott oder Teufel! murmelte er, und so etwas sagte Isak nicht,
ohne daß er sich dazu gezwungen fühlte. Er sah eine Kuh, Inger und eine
Kuh, die im Stalle verschwanden.

Wenn er nun nicht Inger im Stall noch leise mit der Kuh hätte reden
hören, hätte er wahrlich seinen Augen nicht getraut, aber er hörte
sie, und im selben Augenblick stieg ihm eine böse Ahnung auf: Himmel!
Natürlich war sie eine ausgezeichnete, verteufelte Frau, aber zu viel
war zu viel. Spinnrad und Kardätsche, das mochte hingehen, die Perlen
waren bedenklich vornehm, aber auch die mochten hingehen. Aber eine
Kuh, vielleicht auf einem Weg oder auf der Weide eines Bauern gefunden,
die von dem Besitzer vermißt wurde und nach der man forschen würde!

Jetzt trat Inger wieder aus dem Stall und sagte stolz lächelnd: Ich
habe nur meine Kuh mitgebracht! -- So, erwiderte er. -- Es dauerte so
lange, weil ich nicht rascher mit ihr übers Gebirge konnte; sie ist
trächtig. -- Hast du eine Kuh mitgebracht? sagte er. -- Ja, antwortete
sie, und war vom Reichtum dieser Erde bis zum Zerspringen erfüllt. Oder
meinst du, ich lüge dich an? sagte sie. Isak fürchtete das Schlimmste,
hielt sich aber im Zaum und sagte nur: Komm jetzt herein und iß etwas.

Hast du die Kuh gesehen? Ist sie nicht schön? -- Prächtig. Woher
hast du sie? fragte er so gleichgültig, als er konnte. -- Sie heißt
Goldhorn. Was willst du mit der Mauer, die du da aufgeführt hast? Du
schindest dich noch zu Tode, ja, das tust du. Ach, komm und sieh dir
die Kuh an!

Sie gingen hinaus, Isak war in Unterkleidern, aber das tat nichts. Sie
betrachteten die Kuh unendlich genau und von allen Seiten, den Kopf,
das Euter, das Kreuz, die Lenden; rot und weiß, gut gebaut.

Isak sagte vorsichtig: Für wie alt hältst du sie? -- Halten? entgegnete
Inger. Sie ist ganz genau, aufs Tüpfelchen genau, im vierten Sommer.
Ich habe sie selbst aufgezogen, und alle sagten damals, es sei das
netteste Kalb, das sie von ihrer Kindheit an gesehen hätten. Was meinst
du, haben wir Futter für sie?

Isak fing an, das zu glauben, was er gerne glauben wollte, und
erklärte: Was das Futter betrifft, so werden wir genug für sie haben.

Dann gingen sie hinein und aßen und tranken und legten sich zur Ruhe.
Aber sie redeten noch lange von der Kuh, von dem großen Ereignis. Ja,
aber ist es nicht eine schöne Kuh? Jetzt bekommt sie das zweite Kalb.
Sie heißt Goldhorn. Schläfst du, Isak? -- Nein. -- Und denk dir, sie
hat mich sofort wiedererkannt und ist mir gestern wie ein Lamm gefolgt.
Wir haben heute nacht eine Weile auf dem Gebirge ausgeruht. -- So? --
Wir müssen sie aber den ganzen Sommer auf der Weide anbinden, sonst
reißt sie aus, denn Kuh ist Kuh. -- Wo ist sie vorher gewesen? fragte
Isak schließlich. -- Bei meinen Leuten, die haben sie versorgt. Sie
wollten sie nicht hergeben, und die Kinder weinten, als ich sie mitnahm.

War es möglich, daß Inger so herrlich lügen konnte? Sie sprach
natürlich die Wahrheit, und die Kuh gehörte ihr. Nun wurde es großartig
und behaglich auf dem Hofe, bald gab es nichts mehr, was noch fehlte!
O diese Inger, er liebte sie, und sie liebte ihn wieder, sie waren
genügsam, sie lebten im Zeitalter des Holzlöffels und hatten es
gut. Wir wollen schlafen! dachten sie. Und dann schliefen sie. Bei
Morgengrauen erwachten sie zum nächsten Tag; es gab wohl allerlei, mit
dem man sich abplagen mußte, jawohl, Kampf und Freude, wie das Leben
eben ist.

Da waren nun zum Beispiel diese Balken. Sollte er versuchen, sie
aufzulegen? Isak hatte sich wohl umgesehen, als er im Dorfe war, und
sich die Bauart ausgedacht, er konnte eine Eckfuge aushauen. Und mußte
er es nicht durchaus tun? Jetzt waren Schafe auf den Hof gekommen, eine
Kuh war gekommen, der Ziegen waren es viele geworden und würden immer
mehr werden, der Viehstand sprengte den einen Raum der Gamme, er mußte
einen Ausweg finden. Am besten war es, er fing gleich an, solange die
Kartoffeln blühten und die Heuernte noch nicht begonnen hatte; Inger
mußte da und dort mit Hand anlegen.

In der Nacht erwacht Isak und steht auf. Inger schläft, fest und tief
schläft sie nach ihrer Wanderung. Er geht wieder in den Stall. Jetzt
redet er die Kuh ja nicht so an, daß es in widerliche Schmeicheleien
übergeht, aber er tätschelt sie freundlich und untersucht sie aufs neue
nach allen Richtungen, ob sie nicht irgendein Merkmal, ein Zeichen von
einem fremden Eigentümer habe. Aber er findet kein Zeichen und geht
erleichtert fort.

Da liegt das Bauholz. Er fängt an, es auseinander zu rollen, es in
einem Viereck auf die Mauer zu heben, ein großes Viereck für die Stube
und ein kleines Viereck für die Kammer. Es war sehr unterhaltend und
nahm ihn so in Anspruch, daß er darüber die Zeit vergaß. Jetzt rauchte
es aus dem Dachloch der Gamme, Inger trat heraus und meldete, das
Frühstück sei fertig. Und was hast du denn hier vor? fragte sie. --
Bist du aufgestanden? erwiderte Isak.

Seht, dieser Isak, er tat sehr geheimnisvoll, aber es gefiel ihm gut,
daß sie fragte und neugierig war und ein Wesen aus seinem Vorhaben
machte. Als er gegessen hatte, blieb er noch ziemlich lange in der
Gamme sitzen, ehe er wieder hinausging. Worauf wartete er?

Nein, ich bleibe hier sitzen! sagte er schließlich und stand auf. Und
ich habe doch so viel zu tun! sagte er. -- Baust du ein Haus? fragte
sie. Kannst du nicht antworten? -- Er antwortete aus Gnade, ja, er
fühlte sich außerordentlich groß, weil er ein Haus baute und dem Ganzen
vorstand, deshalb antwortete er: Du siehst doch wohl, daß ich baue. --
So? Ja, ja. -- Kann ich denn anders? sagte er. Du kommst wahrhaftig mit
einer ganzen Kuh daher, und da muß ich doch einen Stall für sie haben.

Arme Inger, sie war nicht so unmenschlich klug wie er, wie Isak, der
Herr der Schöpfung. Und es war, ehe sie ihn kennenlernte, ehe sie seine
Art zu sprechen verstand. Inger sagte: Aber du wirst doch nicht am
Ende einen Stall bauen? -- So, sagte er. -- Du führst mich wohl an,
denn es wäre ja viel besser, du bautest ein Haus. -- So, meinst du
das? erwiderte er und sah sie mit verstellt ausdrucksloser Miene an,
ja, als ob ihm bei ihrer Frage erst ein Licht aufginge. -- Ja, dann
können die Tiere die Gamme bekommen. -- Er überlegte und sagte dann:
Ich glaube wirklich, so wird es am besten sein! -- Da siehst du, sagte
die siegende Inger, ich bin auch nicht so ganz auf den Kopf gefallen.
-- Nein. Und was meinst du zu einer Kammer neben der Stube? -- Eine
Kammer? Dann wäre es bei uns wie bei anderen Leuten. Ja, wenn uns das
widerfahren würde.

Und es widerfuhr ihnen. Isak baute und hieb Eckfugen aus; er legte die
Balken im Viereck, und zugleich mauerte er eine Feuerstelle aus dazu
passenden Steinen; aber diese letzte Arbeit gelang ihm am wenigsten,
und er war zuzeiten recht unzufrieden mit sich. Als die Heuernte
begann, muß er von seinem Bauwerk heruntersteigen, um weitum in den
Halden das Gras zu mähen; danach trug er das Heu in ungeheuren Lasten
nach Hause.

An einem Regentag sagte Isak, er müsse hinunter ins Dorf.

Was willst du dort? fragte Inger. -- Ich weiß es selbst nicht genau,
antwortete er.

Er ging, war zwei volle Tage abwesend und brachte dann einen Kochherd
angeschleppt -- der Prahm kam durch den Wald dahergesegelt mit einem
Kochherd auf dem Rücken.

Du bist nicht wie ein Mensch gegen dich selbst, sagte Inger. Nun riß
Isak die Feuerstelle, die sich in dem neuen Haus so schlecht ausnahm,
wieder ein und stellte den Herd an ihren Platz. Nicht alle Leute haben
einen Kochherd, sagte Inger, und nun haben wir einen! sagte sie.

Die Heuernte ging ihren Gang, Isak brachte Heu in Massen heim, denn
Waldgras ist leider nicht dasselbe wie Wiesengras, sondern viel
geringer. Nun konnte er bloß an Regentagen an seinem Haus bauen, da
ging es langsam vorwärts, und im August, als Isak alles Heu unter dem
Felsenhang wohlgeborgen hatte, war das neue Haus erst halb gebaut.

Im September sagte Isak zu Inger: So geht es nicht, ich glaube, du mußt
hinunter ins Dorf gehen und mir einen Mann zur Hilfe holen. Inger aber
war in der letzten Zeit etwas schweratmig geworden und konnte nicht
mehr so schnell laufen, doch machte sie sich selbstverständlich fertig,
seinen Auftrag auszurichten.

Aber indessen hatte der Mann es sich anders überlegt, er wurde wieder
hoffärtig und wollte alles allein machen. Es ist nicht der Mühe wert,
die Leute darum anzugehen, sagte er, ich bringe es schon allein fertig.
-- Nein, du kannst es nicht schaffen, versetzte Inger. -- Doch, hilf
mir nur mit den Balken.

Als der Oktober herangekommen war, sagte Inger: Ich kann nicht mehr!
Das war nun sehr schlimm. Die Dachbalken sollten und mußten aufgesetzt
werden, damit das Haus gedeckt wurde, ehe die Herbstregen einsetzten,
es war höchste Zeit. Was hatte Inger nur? Sie wurde doch nicht krank?

Wohl bereitete sie ab und zu noch Ziegenkäse, sonst aber leistete sie
nichts mehr, als die Kuh Goldhorn auf der Weide viele Male am Tage
an einen andern Platz anzubinden. -- Bring einen großen Korb oder
eine Kiste oder so etwas mit, wenn du wieder ins Dorf gehst, hatte
Inger gesagt. -- Was willst du damit? fragte Isak. -- Ich brauche es,
antwortete sie nur.

Isak zog die Dachbalken an Seilen hinauf, und Inger schob mit einer
Hand nach; es war, als helfe es schon, wenn sie nur dabei war.
Allmählich ging es doch vorwärts; es war ja kein sehr hohes Dach, aber
die Balken waren abenteuerlich groß und dick für das kleine Haus.

Das gute Herbstwetter hielt sich einigermaßen, Inger hackte alle
Kartoffeln allein heraus, und Isak bekam das Haus unter Dach, ehe der
Regen endgültig einsetzte. Die Ziegen waren jetzt schon nachts bei den
Menschen in der Hütte drinnen, auch das ging, alles ging. Die Menschen
klagten nicht darüber. Isak machte sich wieder zu einem seiner Gänge
ins Dorf fertig. Du solltest für mich einen großen Korb oder eine Kiste
mitbringen, sagte Inger wieder, und es klang wie ein demütiger Wunsch.
-- Ich habe mir einige Fenster mit Glasscheiben bestellt, die ich
holen muß, erwiderte Isak. Und ich habe auch zwei angestrichene Türen
bestellt, fügte er überlegen hinzu. -- Nun ja, dann muß der Korb eben
warten. -- Was willst du mit dem? -- Was ich damit will? Ja, hast du
denn keine Augen im Kopf?

In tiefe Gedanken versunken, ging Isak seines Wegs dahin, und als er
nach zwei Tagen zurückkam, brachte er nicht allein ein Fenster, eine
Tür zur Wohnstube und eine Tür zur Schlafkammer mit, sondern über die
Brust herunter hing ihm auch die Kiste für Inger, und in der Kiste
waren verschiedene Eßwaren.

Inger sagte: Wenn du dich nur nicht eines Tages noch zu Tode
abschleppst! -- Hoho, zu Tode! Isak war so unendlich weit davon
entfernt, sich zu Tode zu schleppen, daß er aus seiner Tasche eine
Arzneiflasche mit Naphtha zog und sie Inger mit der Ermahnung übergab,
recht tüchtig davon zu trinken, damit sie wieder gesund werde. Und
da waren nun die Fenster und die angestrichenen Türen, mit denen er
großtun konnte, und er machte sich auch gleich daran, sie einzusetzen.
Ach, diese kleinen Türen, und gebraucht waren sie auch schon, aber
gemalt waren sie hübsch mit weißen und roten Farben, die schmückten die
Stuben wie Bilder an den Wänden.

Jetzt zogen sie in das neue Haus ein, und der Viehbestand wurde in der
ganzen Gamme verteilt. Zu der Kuh wurde ein Mutterschaf mit seinen
Lämmern hineingestellt, damit sie es nicht gar so einsam hätte.

Die Leute auf dem Ödland hatten es nun weit gebracht, wunderbar weit!



3


Solange das Erdreich noch weich war, brach Isak Steine und Wurzelstöcke
heraus und richtete sein Land fürs nächste Jahr, und als dann der Boden
gefror, ging er in den Wald und fällte große Mengen Klafterholz.

Was willst du mit all dem Holz? konnte Inger fragen. -- Das weiß ich
nicht so genau, antwortete Isak; aber er wußte es recht wohl. Der alte
düstere Urwald stand noch zu dicht ans Haus heran und versperrte jede
Erweiterung des Wiesenlandes, außerdem wollte er das Klafterholz
während des Winters auf irgendeine Weise ins Dorf hinunterschaffen und
es an Leute verkaufen, die kein Brennholz hatten. Isak war überzeugt,
daß das ein sehr guter Gedanke sei, deshalb fällte er fleißig Bäume und
hieb sie zu Klafterholz zurecht. Inger kam oft heraus und sah ihm zu;
er tat zwar, als sei ihm das gleichgültig und als sei das gar nicht
notwendig von ihr, aber sie fühlte doch, daß sie ihm dadurch wohltat.

Manchmal fielen dabei merkwürdige Worte zwischen ihnen. Hast du nichts
anderes zu tun, als hier herauszulaufen und dich zu Tode zu frieren?
sagte Isak. -- Ich friere nicht, antwortete Inger, aber du wirst dich
noch krank schaffen. -- Jetzt ziehst du gleich meine Jacke an, die dort
drüben liegt. -- Das fiele mir gerade noch ein, ich kann doch nicht
hierbleiben, wenn Goldhorn eben am Kalben ist. -- Ach so, Goldhorn ist
am Kalben? -- Hast du das nicht gewußt? Und was meinst du, sollen wir
das Kalb aufziehen? -- Das machst du, wie du willst, ich weiß es nicht.
-- Aber wir können doch das Kalb nicht aufessen, so viel ist gewiß.
Denn dann hätten wir immer wieder nur eine einzige Kuh. -- Und ich bin
auch fest überzeugt, du möchtest gar nicht, daß wir das Kalb aufäßen,
sagte Isak.

Diese einsamen Menschen, so ungeschlacht und zu sehr ihren Trieben
ergeben, aber voller Güte gegeneinander, gegen das Vieh und gegen die
Erde!

Dann brachte Goldhorn ein Kalb zur Welt. Das war ein bedeutungsvoller
Tag im Ödland, eine überaus große Freude und ein großes Glück. Goldhorn
bekam guten Mehltrank, und Isak sagte: Spar nicht am Mehl! obgleich
er es auf seinem Rücken heraufgetragen hatte. Da lag nun ein hübsches
Kalb, eine Schönheit von einem Kalb, rosig war es auch, sonderbar
verwirrt nach dem Wunder, das es durchgemacht hatte. In ein paar Jahren
würde es selbst Mutter sein. Dieses Kalb wird eine prachtvolle Kuh
werden, sagte Inger, und ich weiß gar nicht, wie es heißen soll, sagte
sie. Inger war etwas kindisch und hatte für so etwas nur eine schlechte
Erfindungsgabe. -- Heißen? sagte Isak. Du kannst keinen passenderen
Namen finden als Silberhorn.

Nun fiel der erste Schnee, und sobald der Schnee fest und tragfähig
war, zog Isak hinunter ins Dorf. Er tat geheimnisvoll wie immer und
wollte Inger nicht sagen, was er im Sinn hatte. Und er kehrte zurück,
zur größten Überraschung -- mit Pferd und Schlitten. Ich glaube, du
treibst deinen Scherz, sagte Inger, und du hast doch wohl das Pferd
nicht genommen? -- Ich, das Pferd genommen! -- Gefunden, meine ich!
Ach, wenn Isak jetzt hätte sagen können: mein Pferd, unser Pferd! Aber
er hatte es nur für einige Zeit leihweise bekommen, er wollte sein
Klafterholz mit ihm hinunterführen.

Isak fuhr Klafterholz ins Dorf und brachte dafür allerlei Eßwaren und
Mehl und Heringe mit herauf. Und einmal kam er mit einem jungen Stier
auf dem Schlitten, er hatte ihn unglaublich billig bekommen, weil im
Dorf bereits Futtermangel herrschte. Mager und zottig war der Stier,
und er konnte nicht so recht brüllen, aber er war keine Mißgeburt und
würde sich bei guter Pflege bald herausmachen, er war eben zweijährig.
Inger sagte: Du bringst doch alles mit.

Ja, Isak brachte alles; er brachte Planken und Bretter, die er für
Klafterholz eingetauscht hatte, er brachte einen Schleifstein, ein
Waffeleisen, Handwerkszeug, alles für Klafterholz eingetauscht. Inger
schwoll vor Reichtum, und sie sagte jedesmal: Bringst du noch mehr?
Jetzt haben wir einen Stier und alles, was wir uns nur denken können!
-- Und eines Tages antwortete Isak: Nein, jetzt bringe ich übrigens
nichts mehr.

Sie hatten jetzt genug für lange Zeit und waren wohlgeborgene Leute.
Was würde sich Isak nun im Frühjahr vornehmen? An die hundertmal hatte
er es sich ausgedacht, wenn er hinter seiner Holzfuhre hergeschritten
war: er wollte auf der Halde weiter umroden, wollte den Boden urbar
machen, Klafterholz zurechtmachen, es im Sommer trocknen lassen und
im nächsten Winter noch einmal so viel hinunterfahren. Die Rechnung
stimmte, es war kein Fehler darin. Und an die hundertmal hatte Isak
auch an etwas anderes gedacht, nämlich an die Kuh Goldhorn. Woher kam
sie, wem gehörte sie? So eine Frau wie Inger gab es nicht mehr, oh, sie
war ein tolles Mädchen, und sie wollte alles, was er von ihr wollte
und war zufrieden damit. Aber eines schönen Tages konnte jemand kommen
und Goldhorn zurückverlangen und sie an einem Strick davonführen. Und
viel Schlimmeres konnte daraus erwachsen. Du hast doch wohl das Pferd
nicht genommen oder es gefunden? hatte Inger gesagt. Das war ihr erster
Gedanke gewesen; man konnte ihr wohl nicht so recht glauben, und was
sollte er tun? Daran hatte er gedacht. Hatte er nicht auch einen Stier
für Goldhorn, vielleicht für eine gestohlene Kuh erstanden?

Und nun mußte das Pferd zurückgegeben werden. Das war schade, denn
das Pferd war klein und rund und sehr zutraulich geworden. O ja, aber
du hast schon sehr Großes damit geleistet, sagte Inger tröstend. --
Aber im Frühjahr sollte ich eben das Pferd haben, da würde ich es so
notwendig brauchen! versetzte Isak.

Im Morgendämmern fuhr er mit seiner letzten Holzladung langsam von
zu Hause fort und blieb zwei volle Tage weg. Als er wieder zu Fuß
heimwärts wanderte, hörte er vor dem Hause einen sonderbaren Ton. Was
konnte das sein? Er blieb lauschend stehen. Kindergeschrei -- ach ja,
Herrgott im Himmel, es war nicht anders, aber es war schrecklich und
sonderbar, und Inger hatte nichts gesagt.

Er trat ein und sah zuerst die Kiste, die vielbesprochene Kiste, die er
auf seiner Brust heraufgetragen hatte! Sie hing nun an zwei Stricken
vom Dachfirst herunter und war eine Wiege und eine Schaukel für das
Kind. Inger ging halb angekleidet umher, ja, sie hatte wahrhaftig auch
die Kuh und die Ziegen gemolken!

Als das Kind schwieg, fragte Isak: Hast du das alles schon getan?
-- Ja, jetzt ist es getan. -- So. -- Es kam an dem Tag, an dem du
wegfuhrst, am Abend. -- So. -- Ich mußte mich nur noch recken, um die
Kiste aufzuhängen, dann war alles vorbereitet; aber das konnte ich
nicht ertragen, es wurde mir übel danach. -- Warum hast du mir nichts
davon gesagt? -- Konnte ich denn die Zeit so genau wissen? Es ist ein
Junge. -- Ach so, es ist ein Junge. -- Und wenn ich jetzt nur wüßte,
wie er heißen soll! sagte Inger.

Isak durfte das kleine rote Gesicht sehen; es war wohlgeformt und
hatte keine Hasenscharte, und es hatte dichtes Haar auf dem Kopf. Ein
hübscher kleiner Kerl war er, seinem Stand und seiner Stellung nach,
wie er da in seiner Kiste lag. Isak war es ganz seltsam zumute, und er
fühlte sich ordentlich schwach; der Mühlengeist stand vor dem Wunder;
es war einmal in einem heiligen Nebel entstanden, es zeigte sich im
Leben mit einem kleinen Gesicht wie ein Sinnbild. Tage und Jahre würden
das Wunder zu einem Menschen machen.

Komm und iß etwas, sagte Inger ...

Isak fällt Bäume und schichtet Klafterholz. Er ist jetzt
weitergekommen, als er war. Er hat eine Säge. Er sägt Brennholz, und
die Klafterbeugen werden gewaltig groß, er macht eine Straße aus ihnen,
ein ganzes Dorf. Inger ist jetzt mehr ans Haus gebunden und kann den
Mann nicht bei seiner Arbeit besuchen, aber dafür macht Isak kleine
Abstecher zu ihr. Putzig mit so einem winzigen Kerl in einer Kiste! Es
konnte Isak nicht einfallen, sich um ihn zu kümmern, und außerdem war
es ja nur ein kleiner Wurm, mochte er da liegenbleiben! Aber man war
doch ein Mensch und konnte das Geschrei nicht teilnahmslos mit anhören,
so ein kleines Geschrei.

Nein, faß ihn nicht an! sagte Inger. Denn du hast gewiß Harz an den
Händen, sagte sie. -- Ich, Harz an den Händen? Du bist wohl verrückt!
erwiderte Isak. Seit das Haus fertig geworden ist, habe ich kein Harz
mehr an den Händen gehabt. Gib den Jungen her, dann will ich ihn in
Schlaf wiegen! -- Nein, jetzt ist er gleich still ...

Im Mai kommt eine fremde Frauensperson übers Gebirge zu der einsamen
Ansiedlung; sie ist eine Verwandte von Inger und wird gut aufgenommen.
Sie sagt: Ich wollte nur sehen, wie es Goldhorn geht, seit sie von uns
fortgekommen ist! -- Die Leute fragen nicht viel nach dir, nach so
einem kleinen Kerl, flüstert Inger betrübt dem Kinde zu. -- Ach, er --
nun das seh ich ja, wie es ihm geht. Es ist ein prächtiger Junge, das
seh ich! Und wenn mir jemand das vor einem Jahr gesagt hätte, daß ich
dich hier wiederfinden würde, Inger, mit Mann und Kind und Haus und
allem übrigen! -- Von mir sollst du nicht reden, das ist nicht der Mühe
wert. Aber da ist nun er, der mich so genommen hat, wie ich war! --
Seid ihr getraut? So, ihr seid noch nicht getraut? -- Aber wir werden
jetzt sehen, wenn der Kleine getauft wird, sagt Inger. Wir haben uns
schon trauen lassen wollen, aber es hat sich nicht einrichten lassen.
Was sagst du dazu, Isak? -- Ja, trauen lassen -- versteht sich. --
Kannst du nicht nach der Heuernte hierherkommen, Oline, und das Vieh
versorgen, während wir die Reise machen? fragte Inger. -- O doch, das
versprach der Besuch. -- Wir werden dich dafür schadlos halten. --
Ja, das wisse sie wohl ... Und nun wollt ihr noch weiter bauen, sehe
ich. Was baut ihr denn? Habt ihr noch nicht genug? -- Inger schüttelt
den Kopf und sagt: Ja, frag du ihn, ich bekomme es nicht zu wissen.
-- Was ich baue? sagt Isak, es ist nicht der Rede wert. Einen kleinen
Schuppen, für den Fall, daß ich einen brauche. Aber du hast ja nach
Goldhorn gefragt, willst du sie sehen? fragt er den Gast.

Sie gehen in den Stall, Kuh und Kalb werden gezeigt. Der Stier ist
ein prächtiges Stück Vieh, der Gast nickt wohlgefällig über das Vieh
und den Stall, sagt, sie seien von bester Art, und die ausgesuchte
Reinlichkeit, die sei großartig. Ich stehe bei Inger für alles ein, was
gute und erfahrene Behandlung der Tiere betrifft, sagte die Verwandte.

Isak fragt: So, also die Kuh Goldhorn ist vorher bei dir gewesen? --
Ja, von ihrer Geburt an! Ja, nicht gerade bei mir, sondern bei meinem
Sohn; aber das ist dasselbe. Wir haben sogar noch ihre Mutter in unserm
Stall!

Isak hatte seit langer Zeit keine angenehmere Botschaft gehört, und
ein Stein fiel ihm vom Herzen, jetzt war Goldhorn mit Recht seine und
Ingers Kuh. Um die Wahrheit zu sagen, so hatte er sich halb und halb
den traurigen Ausweg aus seiner Ungewißheit ausgedacht gehabt, Goldhorn
im Herbst zu schlachten, die Haare von der Haut zu schaben, die Hörner
in der Erde zu vergraben und so jegliche Spur von der Kuh Goldhorn
zu vertilgen. Jetzt war dies unnötig. Er wurde so stolz auf Inger,
daß er sagte: Reinlich? Ja, so wie sie gibt es keine mehr. Es muß mir
wahrhaftig vorher bestimmt gewesen sein, daß ich eine vermögliche
Frau bekommen sollte! -- Das war nicht anders zu erwarten! sagt die
Verwandte.

Diese Frau von jenseits des Gebirges, eine freundliche Person mit
wohlgesetzter Rede, ein verständiges Menschenkind namens Oline, sie
blieb nur ein paar Tage da und schlief in der Kammer nebenan. Als sie
wieder fortging, bekam sie etwas Wolle von Ingers Schafen, die sie
jedoch, einerlei aus welchem Grunde, vor Isak verbarg.

Das Kind, Isak und die Frau -- die Welt wurde dann wieder dieselbe,
tägliche Arbeit, viele kleine und große Freuden, Goldhorn gab reichlich
Milch, die Ziegen hatten junge Zicklein und gaben auch reichlich Milch,
Inger verfertigte eine Reihe weißer und roter Käse und stellte sie zum
Reifen auf. Ihr Plan war, so viele Käslaibe herzustellen, daß sie sich
einen Webstuhl dafür kaufen konnte -- o diese Inger, sie konnte weben!

Und Isak baute einen Schuppen, auch er hatte wohl einen Plan.
Er errichtete den neuen Anbau an die Gamme mit einer doppelten
Bretterwand, machte eine Tür hinein und ein nettes kleines Fenster
mit vier Scheiben; dann legte er vorläufig ein Notdach darauf und
wartete mit der Birkenrinde, bis der Boden auftauen würde und er
Wasen ausstechen könnte. Nur das Notwendigste wurde gemacht, kein
Bretterboden, keine gehobelten Wände, aber Isak zimmerte einen Stand
wie für ein Pferd und machte eine Krippe.

Es war schon Ende Mai, als die Sonne die Hügel aufgetaut hatte und
Isak seinen Schuppen mit Wasen decken konnte; nun war das neue
Gebäude fertig. Dann eines Morgens aß er eine Mahlzeit, die einen Tag
ausreichen konnte, nahm außerdem noch Mundvorrat mit, legte Hacke und
Spaten über die Schulter und ging ins Dorf.

Kannst du vier Ellen Zitz mitbringen? rief ihm Inger nach. -- Was
willst du damit? versetzte Isak.

Es sah aus, als wollte er für immer fortbleiben. Inger sah jeden Tag
nach dem Wetter, nach der Windrichtung, als erwarte sie ein Schiff,
ging in der Nacht hinaus und lauschte, sie dachte daran, das Kind auf
den Arm zu nehmen und ihm nachzulaufen. Endlich kehrte er zurück mit
Pferd und Wagen. Ptro! sagte Isak laut vor der Tür, und obgleich das
Pferd ruhig und fromm dastand und wiedererkennend nach der Hütte
wieherte, rief Isak ins Haus hinein: Kannst du herauskommen und das
Pferd ein wenig halten?

Inger kam heraus. Was ist das? rief sie. Sag, hast du es wirklich
wieder entlehnen können? Wo bist du denn die ganze Zeit gewesen? Heut
ist der siebente Tag. -- Wo sollte ich gewesen sein? Ich mußte an
vielen Stellen erst den Weg bahnen, um mit meinem Wagen durchzukommen.
Halt das Pferd ein wenig, hab ich gesagt! -- Mit deinem Wagen? Du hast
doch, soviel ich weiß, den Wagen nicht gekauft?

Isak blieb stumm, ganz geschwollen vor Stummheit. Er fängt an, den
Karren abzuladen; Pflug und Egge, die er sich angeschafft hat, Nägel,
Eßwaren, einen Spaten, einen Sack voll Saatkorn. Wie geht es dem Kinde?
fragt er.

Das Kind leidet keine Not. Hast du den Karren gekauft? frage ich.
Und ich quäle und quäle mich um einen Webstuhl ab, sagt sie richtig
scherzhaft, so froh war sie, daß er wieder daheim war.

Isak schwieg wieder eine lange Weile und war mit sich selbst
beschäftigt. Er überlegte und schaute sich um, wo er alle die Waren und
die Geräte unterbringen sollte. Es schien gar nicht so leicht, auf dem
Hofe Platz für alles zu finden. Aber als Inger es aufgab, noch weiter
zu fragen und statt dessen mit dem Pferde plauderte, brach Isak das
Schweigen und sagte: Hast du schon einen Hof ohne Pferd und Wagen und
Pflug und Egge und alles, was noch dazu gehört, gesehen? Und da du es
wissen willst, ja, ich habe das Pferd und den Karren und alles, was
darauf ist, gekauft. -- Danach konnte Inger nur den Kopf schütteln und
sagen: Um alles in der Welt!

Und nun war Isak nicht klein und verzagt, es war, als habe er wie ein
großer Herr für Goldhorn bezahlt: Bitte -- in runder Summe meinerseits
ein Pferd! Er war so muskelstark, daß er den Pflug noch einmal
aufnahm, ihn mit einer Hand an die Hauswand trug und da aufstellte. So
ein Herrscher war er! Und dann trug er die Egge, den Spaten, eine neue
Heugabel, die er gekauft hatte, alle die teuren landwirtschaftlichen
Geräte, die Kleinode, in den Neubau. Großartig, oh, volle Ausrüstung,
jetzt fehlte nichts mehr!

Hm. Und es wird wohl auch zu einem Webstuhl reichen, sagte er,
vorausgesetzt, daß ich gesund bleibe. Da ist der Zitz, sie hatten
nichts anderes als diesen blauen Kattun.

Er war grundlos und schöpfte immer mehr. So war's immer, wenn er vom
Dorf kam.

Inger sagte: Es war recht schade, daß die Oline nicht das alles zu
sehen bekam, solange sie hier war.

Lauter Getue und Eitelkeit von seiten des Weibes, und der Mann lächelte
verächtlich über ihre Worte. Oh, aber er hätte gewiß nichts dagegen
gehabt, wenn Oline diese ganze Herrlichkeit gesehen hätte.

Das Kind weinte.

Geh wieder zu dem Jungen hinein, sagte Isak. Denn nun hat sich das
Pferd beruhigt.

Er spannt aus und führt das Pferd in den Stall hinein -- stellte sein
Pferd in den Stall. Er füttert und striegelt es und liebkost es. Was er
für Pferd und Karren schuldig war? Alles, die ganze Summe, eine sehr
große Schuld, aber sie sollte nicht älter werden, als bis Ende des
Sommers. Er hatte Klafterholz dafür, etwas getrocknete Birkenrinde zum
Bauen vom vorigen Jahr und schließlich noch einige gute Stämme. Aber
das hielt nicht vor. Als sich später die Spannkraft und der kecke Mut
etwas gelegt hatten, stellte sich manche bittere Stunde der Furcht und
Besorgnis ein; jetzt kam alles auf den Sommer und den Herbst an!

Die Tage waren mit Feldarbeit ausgefüllt, mit immer mehr Feldarbeit! Er
reinigte neue Strecken von Wurzeln und Steinen, pflügte sie um, düngte,
pflügte, hackte, zerkleinerte Klumpen mit den Händen und mit den
Absätzen, war überall ein fleißiger Ackermann und machte den Acker so
glatt wie Plüsch. Dann wartete er ein paar Tage, und als es nach Regen
aussah, säte er Korn.

Seit mehreren hundert Jahren hatten wohl seine Vorfahren Korn gesät.
Das war eine Arbeit, die an einem milden, windstillen Abend in
Andacht vollbracht wurde, am liebsten bei einem geeigneten feinen
Staubregen, so es möglich war, am liebsten, gleich wenn die Wildgänse
gezogen kamen. Die Kartoffel war eine neue Frucht, da war nichts
Geheimnisvolles dabei, nichts Religiöses. Frauen und Kinder konnten
beim Legen dabeisein, beim Legen dieser Erdäpfel, die von einem fremden
Lande kamen, gerade wie der Kaffee, ein großartiges, herrliches
Lebensmittel, aber von der Familie der Rüben. Korn, das war das Brot,
Korn oder nicht Korn, das war Leben oder Tod. Isak schritt barhäuptig
und in Jesu Namen dahin und säte; er war wie ein Baumstumpf mit Händen,
aber innerlich war er wie ein Kind. Auf jeden seiner Samenwürfe
verwendete er größte Sorgfalt, er war freundlich und ergeben gestimmt.
Seht, jetzt keimt das Korn und wird zu Ähren mit vielen Körnern, und
so ist es auf der ganzen Welt, wenn Korn gesät wird. Im Morgenland, in
Amerika, im Gudbrandstal -- ach, wie groß die Erde ist, und das winzig
kleine Feld, auf das Isak säte! Das war der Mittelpunkt von allem.
Fächer von Körnern strahlten aus seiner Hand. Der Himmel war bewölkt
und günstig, es sah nach einem ganz feinen Staubregen aus.



4


Zwischen Frühjahrs- und Herbstarbeit kamen und gingen die Tage, aber
Oline kam nicht.

Isak hatte jetzt seine Felder bestellt, er richtete zwei Sensen
und zwei Rechen zur Heuernte, machte einen langen Boden auf seinen
Karren, damit er Heu darauf laden konnte, richtete sich auch Kufen und
geeignetes Holz zu einem Arbeitsschlitten für den Winter her. Er machte
viele gute Sachen. Und was zwei Borte an der Wand in der Stube betraf,
so brachte er auch diese an, so daß man die verschiedensten Dinge
darauf legen konnte, den Kalender, den er sich endlich gekauft hatte,
und Quirle und Schöpfkellen, die nicht im Gebrauch waren. Inger sagte,
diese beiden Bretter seien etwas außerordentlich Gutes.

Inger fand alles außerordentlich gut. Seht, Goldhorn wollte nun nicht
mehr durchgehen, sondern sie vergnügte sich mit dem Kalb und dem
Stier und weidete den lieben langen Tag im Walde. Seht, die Ziegen
gediehen so, daß ihre schweren Euter fast auf dem Boden schleppten.
Inger nähte ein langes Kleidchen aus blauem Kattun und ein Mützchen
von demselben Stoff, es war das Hübscheste, was man sehen konnte, es
war der Taufanzug. Das Kind selbst lag ganz still da und verfolgte das
Werk mit seinen Augen, es war schon ein rechter Junge geworden, und
wenn er durchaus Eleseus heißen sollte, so wollte sich Isak auch nicht
länger dagegen sträuben. Als das Kleidchen fertig war, hatte es eine
zwei Ellen lange Schleppe, und jede Elle kostete ihr Geld, aber das
half nichts, das Kind war nun einmal der Erstgeborene. -- Wenn dein
Perlenhalsband einmal getragen werden soll, so ist es wohl diesmal
an der Zeit, sagte Isak. -- Oh, Inger hatte auch schon an die Perlen
gedacht, sie war nicht umsonst Mutter, sondern durchaus einfältig und
stolz. Die Perlen reichten dem Jungen nicht um den Hals, aber sie
würden vorne auf der Mütze hübsch aussehen, und da brachte sie sie an.

Aber Oline kam nicht.

Wäre es nicht wegen der Tiere gewesen, dann hätten alle Bewohner das
Haus verlassen und mit dem getauften Kinde nach drei bis vier Tagen
zurückkommen können. Und wäre es nicht wegen der Trauung gewesen, so
hätte Inger allein reisen können. -- Ob wir nicht die Trauung so lange
verschieben könnten? sagte Isak. -- Aber Inger antwortete: Es wird zehn
bis zwölf Jahre dauern, bis Eleseus daheim bleiben und melken kann.

Nun, da mußte Isak seinen Verstand gebrauchen. Eigentlich war das Ganze
nicht am Anfang begonnen worden, und die Trauung war vielleicht ebenso
notwendig wie die Taufe, was wußte er. Jetzt sah es nach Trockenheit
aus, nach richtiger böser Trockenheit; wenn nicht bald Regen kam,
verbrannte der Ertrag der Felder, aber alles stand in Gottes Hand.
Isak machte sich fertig, ins Dorf hinunterzueilen und sich nach einem
Menschen zur Aushilfe umzusehen. Da mußte er wieder viele Meilen laufen.

All diese Beschwer einer Trauung und einer Taufe wegen! Die Leute im
Ödland haben wirklich viele kleine und große Sorgen!

Dann kam Oline ...

Jetzt waren sie verheiratet und getauft, alles war in Ordnung, sie
waren sogar darauf bedacht gewesen, sich zuerst trauen zu lassen,
damit das Kind ehelich wurde. Aber die Trockenheit hielt an, und nun
verbrannten die kleinen Kornäcker, verbrannten diese Plüschteppiche,
und warum nur? Alles stand in Gottes Hand. Isak mähte seine
Wiesenstücke, aber es stand kein hohes Gras darauf, obgleich der Boden
im Frühjahr gedüngt worden war. Er mähte und mähte auch auf weit
entfernten Halden und wurde nicht müde, zu mähen, zu trocknen und
Futter heimzuführen, denn er hatte ja jetzt ein Pferd und einen großen
Viehstand. Aber mitten im Juli mußte er auch das Korn zu Grünfutter
mähen, zu anderem war es nicht zu gebrauchen. So, und nun kam es nur
noch auf die Kartoffeln an.

Wie stand es mit der Kartoffel? War sie nur eine Kaffeeart aus
fremdem Lande, die entbehrt werden konnte? Oh, die Kartoffel ist eine
unvergleichliche Frucht, sie steht draußen in Trockenheit, steht in
Nässe, wächst aber doch. Sie trotzt dem Wetter und hält viel aus,
bekommt sie nur eine einigermaßen gute Behandlung von den Menschen, so
lohnt sie es fünfzehnfach. Seht, die Kartoffel hat nicht das Blut der
Traube, aber sie hat das Fleisch der Kastanie, man kann sie braten und
kochen und zu allem benutzen. Ein Mensch kann Mangel an Brot haben, hat
er Kartoffeln, dann ist er nicht ohne Nahrung. Die Kartoffeln können
in warmer Asche gebraten werden und ein Abendessen sein, sie können
in Wasser gekocht werden und zum Frühstück dienen. Was brauchen sie
an Zuspeise? Wenig. Die Kartoffeln sind genügsam, eine Schale Milch,
ein Hering ist genug für sie. Der Reichtum ißt Butter dazu, die Armut
taucht sie in ein bißchen Salz auf einem Teller. Isak verzehrte sie als
Sonntagsspeise mit ein wenig Sahne von Goldhorns Milch. Die mißachtete,
gesegnete Kartoffel!

Aber jetzt spukte es auch für die Kartoffel.

Unzählige Male am Tag sah Isak nach dem Himmel. Der Himmel war blau.
Manchen Abend sah es nach einem Regenschauer aus. Dann ging Isak hinein
und sagte: Möchte wissen, ob es nicht doch Regen gibt. Aber nach ein
paar Stunden war alle Hoffnung wieder verschwunden.

Jetzt hatte die Trockenheit schon sieben Wochen gedauert, und die Hitze
war sehr groß. Die Kartoffel stand in all dieser Zeit in voller Blüte,
sie blühte unnatürlich und wunderbar prächtig. Die Äcker sahen von
ferne aus wie Schneefelder. Wie sollte das schließlich werden? Der
Kalender gab keinen Wink, der derzeitige Kalender war nicht mehr wie
früher, der taugte gar nichts. Jetzt sah es wieder nach Regen aus, und
Isak ging zu Inger hinein und sagte: Mit Gottes Hilfe wird nun heute
nacht doch Regen kommen! -- Sieht es nach Regen aus? -- Ja, und das
Pferd schüttelt sich im Geschirr.

Inger schaute zur Tür hinaus und sagte: Ja, jetzt wirst du sehen! --
Ein paar Tropfen fielen. Die Stunden vergingen, die Leute legten sich
zur Ruhe, und als Isak in der Nacht einmal hinausging, um nachzusehen,
war der Himmel blau.

Ach du lieber Gott im Himmel! sagte Inger. Nun, dann wird morgen auch
dein letztes Laub trocken, sagte sie und tröstete, so gut sie konnte.

Jawohl, Isak hatte auch Laub gesammelt und besaß nun eine Menge vom
besten Laub. Das war wertvolles Futter, er behandelte es wie Heu
und bedeckte es mit Birkenrinde im Walde. Jetzt war nur noch ein
kleiner Rest draußen, deshalb antwortete er Inger tief verzweifelt
und gleichgültig: Ich nehme es nicht herein, und wenn es auch ganz
austrocknet. -- Du weißt nicht, was du redest, versetzte Inger.

Am nächsten Tag holte er es also nicht herein -- da er es nun einmal
gesagt hatte, holte er das Laub nicht herein. Es konnte draußen
bleiben, es kam ja doch kein Regen, mochte es in Gottes Namen draußen
sein! Er konnte es vor Weihnachten einmal hereinnehmen, wenn es bis
dahin die Sonne nicht ganz und gar versengt habe.

Ganz tief und vollständig gekränkt fühlte er sich, es war ihm keine
Freude mehr, unter der Haustür zu sitzen und über seinen Grund
und Boden hinzusehen und alles zu besitzen. Da standen nun die
Kartoffeläcker, blühten wie verrückt und vertrockneten, dann mochte
auch das Laub bleiben, wo es war, bitte! Oh, aber Isak -- vielleicht
hatte er mitten in seiner dicken Treuherzigkeit doch einen kleinen
schlauen Hintergedanken, vielleicht tat er es aus Berechnung und wollte
versuchen, jetzt beim Mondwechsel den blauen Himmel herauszufordern.

Am Abend sah es wiederum nach Regen aus. Du hättest das Laub
hereinholen sollen, sagte Inger. -- Warum denn? fragte Isak und tat
äußerst unzugänglich. -- Ja, ja, du spottest, aber es könnte jetzt doch
Regen kommen. -- Du siehst doch wohl, daß in diesem Jahr kein Regen
kommt.

Aber in der Nacht war es doch, als würden die Glasscheiben ganz dunkel,
und es war auch, als jage etwas dagegen und mache sie naß, was es nun
auch sein mochte.

Inger erwachte und sagte: Es regnet! Sieh die Fenster an. -- Isak
schnaubte nur verächtlich und erwiderte: Regen? Das ist kein Regen. Ich
verstehe nicht, was du sagst. -- Ach, du sollst nicht spotten, sagte
Inger.

Isak spottete, ja. Und er betrog sich nur selbst. Gewiß regnete es, und
zwar einen tüchtigen Schauer; aber als Isaks Laub ordentlich durchnäßt
war, hörte es auf zu regnen. Der Himmel war wieder blau. Ich hab' es ja
vorhergesagt, daß kein Regen kommt, sagte Isak eigensinnig und recht
sündhaft.

Für die Kartoffeln nützte dieser Regenschauer nichts, die Tage kamen
und gingen. Der Himmel war blau. Da machte sich Isak an die Herstellung
seines Holzschlittens. Er gab sich alle Mühe damit. Er beugte sein Herz
und hobelte demütig Kufen und Stangen. Ach ja, Herrgott im Himmel!
Seht, die Tage kamen und gingen ja, das Kind wuchs heran, Inger machte
Butter und Käse, es war eigentlich nicht so schlimm, ein Mißjahr
überlebten tüchtige Leute draußen im Ödland wohl. Und außerdem -- als
neun Wochen vergangen waren, kam auch richtiger, segensreicher Regen;
einen ganzen Tag und eine ganze Nacht hindurch regnete es, sechzehn
Stunden lang goß es in Strömen, die Himmel hatten sich geöffnet. Wenn
es nun vierzehn Tage früher gewesen wäre, dann hätte Isak gesagt: Es
ist zu spät. Jetzt aber sagte er zu Inger: Du wirst sehen, es hilft den
Kartoffeln doch noch ein wenig auf. -- O ja, antwortete Inger tröstend,
es hilft ihnen noch ganz und gar.

Und dann sah es allmählich besser aus; jeden Tag fiel ein Regenschauer,
das Gras wurde wieder grün wie durch Zauber, die Kartoffeln blühten,
jawohl, und zwar mehr als zuerst, und an den Stengeln wuchsen große
Beeren, und das war eigentlich ganz richtig, aber niemand wußte, was
unten an den Wurzeln war; Isak wagte nicht nachzusehen. Dann kam eines
Tages Inger daher, und sie hatte unter einem Stock zwanzig kleine
Kartoffeln gefunden. Und jetzt haben sie noch fünf Wochen zum Wachsen!
sagte Inger. -- Diese Inger, sie mußte immerfort trösten und gut
zureden mit ihrer Hasenscharte! Und eine jämmerliche Stimme hatte sie,
sie zischte, es war, wie wenn ein Ventil etwas Dampf herausläßt; aber
ihr Trösten war eine Wohltat draußen im Ödland. Und eine lebensfrohe
Natur hatte sie auch. -- Wenn du noch eine Bettstatt zimmern könntest,
sagte sie zu Isak. -- So? sagte er. -- Ja, ja, es eilt nicht gerade,
sagte sie.

Sie machten sich an die Kartoffelernte und wurden nach altem Herkommen
bis Michaelis damit fertig. Es wurde ein mittelmäßiges Jahr, ein gutes
Jahr; es zeigte sich wieder, daß die Kartoffeln nicht so sehr vom
Wetter abhängig sind, sondern viel aushalten und doch heranwachsen.
Natürlich war es, wenn sie genau nachrechneten, nicht gerade ein so
recht mittelmäßiges und gutes Jahr, aber in diesem Jahr konnten sie
nicht so genau nachrechnen. Eines Tages war ein Lappe vorübergekommen
und hatte sich über all die Kartoffeln auf der Ansiedlung sehr
verwundert; in den Dörfern sei es viel schlimmer, sagte er.

Dann hatte Isak wieder einige Wochen vor sich, während der er Land
roden konnte, ehe die Kälte einsetzte und der Boden gefror. Jetzt
weidete das Vieh auf den Feldern und wo es wollte. Es machte Isak
Freude, mit den Tieren zusammen zu arbeiten und ihre Glocken zu hören.
Es hielt ihn zwar auch von der Arbeit ab, denn der Stier stieß gar zu
gerne mit seinen Hörnern in die Laubhaufen hinein, oder die Geißen
waren droben und drunten und überall, sogar auf dem Dach der Hütte.

Kleine und große Sorgen!

Eines Tages hörte Isak einen lauten Schrei. Inger steht vor dem Hause
mit dem Kind auf dem Arm und deutet auf den Stier und die kleine Kuh
Silberhorn; die sind Liebesleute. Isak wirft die Haue weg und rennt
hinunter, aber es ist zu spät, das Unglück ist geschehen. Sieh die
Hexe, die ist zeitig dran, erst ein Jahr alt, ein halbes Jahr zu früh,
die Hexe, das Kind. Isak bringt sie in den Stall hinein, aber es ist
wohl zu spät. Ja, ja, sagt Inger, es ist nun gewissermaßen gut, sonst
wären beide Kühe im Herbst trächtig geworden. -- Ach, diese Inger,
nein, sie hatte keinen guten Kopf, aber sie hatte vielleicht gewußt,
was sie tat, als sie am Morgen Silberhorn und den Stier zusammen
herausließ.

Es wurde Winter, Inger kardätschte und spann, Isak fuhr Klafterholz zu
Tal, ungeheure Ladungen von trockenem Holz auf guter Schlittenbahn;
alle Schulden wurden getilgt, Pferd und Wagen, Pflug und Egge gehörten
nun ihm. Er fuhr mit Ingers Ziegenkäse zu Tal und brachte Webgarn,
Webstuhl, Haspel und Scherbaum dafür nach Hause, und wieder brachte er
Mehl und Eßwaren, und wieder Bretter, Dielen und Nägel; eines Tages
kam er sogar mit einer Lampe an. So wahr ich hier dastehe, rief Inger,
du bist verrückt! Aber sie hatte schon lange erraten, daß die Lampe
kommen würde. Am Abend zündeten sie sie an und waren wie im Paradies,
der kleine Eleseus glaubte gewiß, es sei die Sonne. Siehst du, wie
verwundert er ist! sagte Isak. Von da an konnte Inger bei Lampenlicht
spinnen.

Isak brachte Leinwand zu Hemden und neue Schuhe für Inger. Sie hatte
ihn um verschiedene Farben zum Färben der Wolle gebeten, und er brachte
auch diese. Aber eines Tages kam er wahrhaftig mit einer Uhr an! Mit
was? Mit einer Uhr! Da war Inger wie aus den Wolken gefallen, und sie
konnte eine Weile kein Wort herausbringen.

Isak hing die Uhr mit vorsichtigen Händen an die Wand und stellte
sie nach seiner Schätzung; er zog die Gewichte auf und ließ die Uhr
schlagen. Das Kind drehte die Augen nach dem tiefen Klang und sah dann
die Mutter an. Ja, du kannst dich wohl verwundern! sagte sie und nahm
den Jungen auf den Schoß und war selbst gerührt. Denn von allem Guten
hier in der Einsamkeit konnte sich nichts mit der Wanduhr vergleichen,
die den ganzen dunklen Winter hindurch ging und die Stunden richtig
schlug.

Dann war alles Holz fortgeschafft, Isak ging wieder in den Wald und
fällte wieder Bäume; er machte seine Straßen und seine Stadt aus
Klafterholzstapeln für den nächsten Winter. Er mußte jetzt immer
weiter von seinem Haus weggehen, eine große, weite Halde lag da schon
zum Bebauen bereit, und er wollte jetzt nicht noch mehr Boden ganz
abholzen, sondern von jetzt an nur die ältesten Bäume mit vertrockneten
Wipfeln fällen.

Natürlich hatte er auch schon längst verstanden, warum Inger von einem
zweiten Bett gesprochen hatte, jetzt durfte er es wohl nicht länger
hinausschieben, sondern mußte sich beeilen. Als er an einem dunklen
Abend aus dem Walde heimkehrte, da war es geschehen: die Familie hatte
sich vermehrt, wieder um einen Jungen. Inger lag zu Bett. Diese Inger!
Am Morgen hatte sie ihn ins Dorf hinunterschicken wollen. Du solltest
das Pferd ein wenig bewegen, hatte sie gesagt. Denn es steht nur in
seinem Stand und scharrt. -- Ich habe keine Zeit zu solchem Unsinn,
sagte Isak und ging fort. Jetzt merkte er, daß sie ihn nur aus dem Wege
hatte haben wollen, aber warum? Es wäre doch vielleicht gut gewesen,
wenn sie ihn in der Nähe gehabt hätte. -- Wie kommt es nur, daß du
einem nie ein Zeichen geben kannst? sagte er. -- Nun mußt du dir eine
eigene Bettstatt richten und in der Kammer schlafen, erwiderte sie.

Aber mit der Bettlade war es nicht getan, es gehörten auch Bettstücke
hinein. Sie hatten keine zwei Felldecken und konnten sich auch vor
dem nächsten Herbst, wo sie einige Hämmel schlachten würden, keine
zweite Felldecke verschaffen; aber selbst von zwei Hämmeln bekam man
noch keine Decke. In der nächsten Zeit hatte es Isak nicht gut, er
fror jämmerlich bei Nacht. Er versuchte, sich in das Heu unter dem
Felsenhang einzugraben, versuchte, bei den Kühen zu schlafen, obdachlos
war er. Zum Glück war es schon Mai, dann kam der Juni, der Juli ...

Merkwürdig, wieviel hier in nur drei Jahren zustande gebracht worden
war: eine Behausung für Menschen, ein Stall und urbar gemachtes Land.
Was baute Isak jetzt? Einen neuen Schuppen, eine Scheune, einen Anbau
ans Wohnhaus? Es dröhnte durchs Haus, wenn er die acht Zoll langen
Nägel hineinschlug, und Inger kam ab und zu heraus und bat um Gnade
für die Kleinen. Jawohl, die Kleinen! Unterhalte sie einstweilen.
Sing ihnen was vor, gib dem Eleseus den Eimerdeckel, dann kann er
damit lärmen! Die großen Nägel werden bald hineingeschlagen sein, sie
müssen eben gerade hier sitzen, in den Streckbalken, mit denen der
Anbau am Haus festgemacht wird. Nachher hab' ich nur noch Bretter und
zweieinhalb Zoll lange Nägel, das ist das reine Kinderspiel.

Hätte er es vermeiden können, zu hämmern? Bisher wurden die
Heringstonne, das Mehl und andere Eßwaren im Stall aufbewahrt, damit
sie nicht unter freiem Himmel stehen mußten; aber der Speck bekam einen
Stallgeschmack, eine Vorratskammer war die reinste Notwendigkeit.
Die kleinen Jungen mußten sich auch an so ein paar Hammerschläge an
die Wand gewöhnen; Eleseus war allerdings etwas zart und schwächlich
geworden, aber der andere saugte wie ein Posaunenengel, und wenn er
nicht schrie, dann schlief er. Ein prächtiger Junge! Isak wollte sich
dem nicht widersetzen, daß er Sivert heißen sollte, es war vielleicht
am besten so, obgleich er abermals an den Namen Jakob gedacht hatte.
In manchen Fällen hatte Inger recht, Eleseus war nach ihrem Pfarrer
getauft, und es war ein vornehmer Name, aber Sivert hieß Ingers Oheim,
der Bezirkskassierer, der ein Junggeselle und ein vermöglicher Mann
ohne Erben war. Was hätte dem Kinde Besseres widerfahren können, als
Sivert zu heißen!

Dann kam wieder die Frühjahrsarbeit, und alles wurde vor Pfingsten in
die Erde gelegt. Damals, als Inger nur Eleseus ihr eigen nannte, hatte
sie nie Zeit gehabt, ihrem Manne zu helfen, so sehr hatte sie der
Erstgeborene in Anspruch genommen. Jetzt, da sie zwei Kinder hatte,
jätete sie das Unkraut aus und verrichtete noch vieles andere; sie half
viele Stunden lang beim Kartoffellegen, säte auch Karotten und Rüben.
Eine solche Frau fand sich nicht so leicht wieder. Und hatte sie nicht
auch Tuch auf dem Webstuhl? Jeden Augenblick nützte sie aus, um in die
Kammer zu laufen und ein paar Spulen abzuweben; es war halbwollenes
Tuch zu Wäsche für den Winter. Nachdem das Garn gefärbt war, webte sie
blau und roten Kleiderstoff für sich und die Kinder; dann legte sie
noch mehr Farben ein und machte Bettbezüge für Isak. Lauter notwendige,
nützliche und höchst dauerhafte Sachen.

Seht, nun war die Familie im Ödland schon recht heraufgekommen, und
wenn dieses Jahr gut einschlug, waren die Ansiedler geradezu zu
beneiden. Was fehlte ihnen noch? Ein Heuschuppen natürlich, eine
Scheune mit einer Tenne in der Mitte, das war ein Zukunftsziel, und
es würde erreicht werden wie die andern Ziele auch. Mit der Zeit, ja!
Jetzt hatte die kleine Silberhorn ein Kalb, und die Ziegen hatten
Zicklein, und die Schafe hatten Lämmer, es wimmelte von kleinen Tieren
auf der Weide. Und die Menschen? Eleseus konnte schon auf seinen
eigenen Beinen gehen, wohin er wollte, und der kleine Sivert war
getauft. Und Inger? Sie war gewiß schon wieder guter Hoffnung, sie sah
so rundlich aus. Was war auch ein Kind für sie? Nichts -- das heißt
große Dinge, nette kleine Leute, sie war stolz auf ihre Kinder und
gab zu verstehen, daß Gott nicht allen Leuten solche großen, hübschen
Kinder anvertraue. Inger war ganz davon in Anspruch genommen, jung
zu sein. Sie hatte ein verunstaltetes Gesicht und hatte ihre ganze
Jugend als eine Ausgestoßene verbracht, die Burschen hatten sie nicht
angesehen, obgleich sie tanzen und arbeiten konnte, sie hatten ihre
gute Weiblichkeit verschmäht, sie hatten sich weggewendet -- jetzt war
ihre Zeit, sie entfaltete sich, sie stand ununterbrochen in voller
Blüte und war guter Hoffnung. Isak selbst, der Hausvater, war und blieb
ein ernster Mann, aber er hatte guten Erfolg gehabt und war zufrieden.
Wie und womit er sich das Leben erträglich gemacht hatte, ehe Inger
kam, war sehr dunkel; mit Kartoffeln und Ziegenmilch, ja mit gewagten
Gerichten ohne Namen; jetzt hatte er alles, was ein Mann in seinen
Verhältnissen nur verlangen konnte.

Wieder kam große Trockenheit, wieder ein Mißjahr. Der Lappe Os-Anders,
der mit seinem Hund vorüberkam, konnte berichten, daß die Leute im
Dorfe schon alles Getreide zu Viehfutter abgemäht hätten. -- So, sie
hatten also keine Hoffnung mehr? fragte Inger. -- Nein, aber dafür
haben sie einen guten Heringsfang gemacht. Dein Oheim Sivert bekommt
seinen Anteil als Strandbesitzer. Und er hat doch vorher schon ein
bißchen etwas in Küche und Keller gehabt. Gerade wie du, Inger. -- Ja,
Gott sei Dank, ich habe nichts zu klagen. Was sagen sie denn daheim von
mir? -- Os-Anders wiegt den Kopf hin und her und sagt schmeichlerisch,
er habe keine Worte dafür! -- Wenn du eine Schale süße Milch möchtest,
so brauchst du es nur zu sagen, versetzt Inger. -- Du sollst dich nicht
in Unkosten stürzen. Aber hast du ein wenig für den Hund?

Die Milch kam, das Futter für den Hund auch. Der Lappe hörte Musik aus
der Stube heraus und lauschte: Was ist das? -- Das ist unsere Wanduhr,
die schlägt, sagt Inger; sie ist am Platzen vor lauter Stolz.

Wieder wiegte der Lappe den Kopf hin und her und sagte: Ihr habt Haus
und Pferd und Wohlbehagen, kannst du mir sagen, was ihr nicht habt?
-- Nein, wir können Gott nicht genug danken. -- Oline hat mir einen
Gruß an dich aufgetragen. -- So. Wie geht es ihr? -- Es geht. Wo ist
dein Mann? -- Er ist auf dem Feld draußen. -- Es heißt, er habe nicht
gekauft! wirft der Lappe hin. -- Gekauft? Wer sagt das? -- Es heißt
so. -- Von wem sollte er denn kaufen? Es ist Allmende. -- Ja, ja. --
Und viele Schweißtropfen hat er in diesen Grund und Boden hineinfallen
lassen. -- Es heißt, euer Boden gehöre dem Staat.

Inger verstand davon nichts und sagte: Ja, das kann schon sein. Hat
etwa sie, die Oline, das gesagt? -- Ich erinnere mich nicht, wer es
war, antwortete der Lappe, und er ließ seine unsteten Augen in allen
Richtungen umherschweifen. Inger wunderte sich darüber, daß er nicht
um etwas bettelte, das tat Os-Anders sonst immer, alle Lappen betteln.
Os-Anders aber sitzt ruhig da, stopft seine kurze Kreidepfeife und
zündet sie an. Das ist eine Pfeife! Er raucht und pafft so, daß sein
ganzes runzliges Gesicht aussieht wie ein Rindenstück. -- Ja, ich
brauche nicht zu fragen, ob das deine Kinder sind, sagte er noch
schmeichlerischer. Denn sie sind dir so ähnlich. Genau so nett wie du
selbst, als du klein warst.

Inger, die eine Mißgeburt und ein Auswurf gewesen war -- natürlich war
es verkehrt, aber ihr Herz schwoll doch vor Stolz. Selbst ein Lappe
kann ein Mutterherz froh machen. Wenn dein Sack nicht schon so voll
wäre, so würde ich dir ein bißchen was hineintun, sagte sie. -- Nein,
du sollst dich nicht in Unkosten stürzen!

Inger geht mit dem Kind auf dem Arm hinein, während Eleseus bei dem
Lappen draußen bleibt. Die beiden kommen gut miteinander aus. Der Junge
darf etwas Merkwürdiges aus des Lappen Sack sehen, etwas Haariges, er
darf es streicheln. Der Hund winselt und bellt. Als Inger mit etwas
Mundvorrat herauskommt, stößt sie einen kleinen Seufzer aus und sinkt
auf die Türschwelle. Was hast du da? fragt sie. -- Ach nichts, es ist
ein Hase. -- Das hab' ich gesehen. -- Dein Kleiner wollte ihn sehen.
Mein Hund hat ihn heute gejagt und umgebracht. -- Da ist dein Essen,
sagt Inger.



5


Es ist eine alte Erfahrung, daß wenigstens zwei Mißjahre aufeinander
folgen. Isak war geduldig geworden und fand sich in sein Los. Das
Getreide verbrannte auf dem Felde, und die Heuernte war mittelmäßig,
aber die Kartoffeln sahen wieder aus, als würden sie sich erholen;
es war demnach zwar schlimm genug, aber doch keine Not. Isak hatte
auch noch Klafterholz und Balken, die er ins Dorf hinunterschaffen
konnte, und da an der ganzen Küste der Heringsfang gut ausgefallen
war, hatten die Leute Geld genug zum Holzkaufen. Es sah fast wie eine
Fügung aus, daß die Getreideernte fehlschlug, denn wie hätte er dieses
Korn dreschen sollen, ohne eine Scheune mit einer Tenne? Ja, laß Fügung
Fügung sein, das schadet auf die Dauer nichts!

Eine andere Sache war die, daß Neues auftauchte und ihn beunruhigte.
Was war nun das, was ein gewisser Lappe im Sommer zu Inger gesagt hatte
-- daß er nicht gekauft habe? Hätte er kaufen sollen, warum denn? Der
Boden lag ja da, der Wald stand da, er machte Land urbar, errichtete
sich ein Haus mitten in der Urnatur, ernährte seine Familie und seinen
Viehstand, war niemand etwas schuldig, arbeitete, arbeitete. Schon
wiederholt hatte er, wenn er drunten im Dorfe war, daran gedacht, mit
dem Lensmann zu sprechen, dies aber immer wieder hinausgeschoben. Der
Lensmann war nicht beliebt, und Isak war wortkarg. Was sollte er sagen,
wenn er ankam, welchen Grund angeben, warum er gekommen sei?

Eines Tages im Winter kam indes der Lensmann selbst in die Ansiedlung
dahergefahren; er hatte einen Mann bei sich und brachte eine von
Papieren strotzende Tasche mit -- und es war der Lensmann Geißler
selbst. Er sah die große offene Halde, die abgeholzt war und glatt und
eben unter dem Schnee lag, und er meinte wohl, die ganze weite Fläche
sei angebaut, deshalb sagte er: Das ist ja ein großes Anwesen, meinst
du, das bekommst du umsonst?

Nun war es da! Isak erschrak bis ins innerste Mark und erwiderte nichts.

Du hättest zu mir kommen und den Boden kaufen sollen, sagte der
Lensmann. -- Ja. -- Der Lensmann sprach von Einschätzung, von
Grenzscheiden, von Steuer, „Kronsteuer”, sagte er; als Isak
einigermaßen Aufklärung bekam, fand er es immer weniger ungereimt. Der
Lensmann neckte seinen Begleiter und sagte: Nun, du Schätzungsmann,
wie groß ist die Ansiedlung? Aber er wartete nicht auf Antwort, sondern
schrieb die Größe aufs Geratewohl hin. Dann fragte er Isak nach
den Heulasten und nach den Kartoffeltonnen. Und wie sie es mit der
Grenzscheide halten wollten? Sie könnten doch nicht die Grenzscheide
in mannshohem Schnee abschreiten, und im Sommer könnten Menschen
nicht hier heraufkommen. Was Isak sich selbst als Weideland und Wald
ausgedacht habe? -- Das wußte Isak nicht, bis jetzt hatte er, so weit
er blickte, für sein Eigentum betrachtet. Der Lensmann sagte, der Staat
setzt Grenzen. Je mehr Land du bekommst, desto mehr kostet es, sagte
er. -- So? -- Ja, du bekommst nicht so viel, als du überschauen kannst,
sondern so viel, als du brauchst. -- So? --

Inger setzte Milch vor, und der Lensmann und sein Begleiter tranken.
Sie brachte noch mehr Milch. Der Lensmann sollte streng sein? Er strich
sogar Eleseus übers Haar und sagte: Spielt er mit Steinen? Laß mich die
Steine mal sehen! Was ist denn das? Die sind aber schwer, da ist gewiß
irgendein Metall drin! -- Ja, von denen gibt's genug oben im Gebirge,
sagt Isak.

Der Lensmann kehrte zum Geschäftlichen zurück. -- Südlich und westlich
ist es wohl am vorteilhaftesten für dich? sagte er zu Isak. Sagen
wir eine Viertelmeile südwärts! -- Was, eine ganze Viertelmeile?
rief der Begleiter des Lensmannes. -- Du allerdings könntest keine
zweihundert Ellen umbrechen, versetzte der Lensmann kurz. -- Isak
fragte: Was kostet eine Viertelmeile? -- Das weiß ich nicht, antwortete
der Lensmann, das weiß niemand. Aber ich werde einen niederen Preis
vorschlagen. Es ist ja meilenweit im Ödland drinnen, ohne jegliche
Zufahrt.

Ja, aber eine ganze Viertelmeile! sagte der Begleiter wieder.

Der Lensmann schrieb eine Viertelmeile südwärts und fragte: Und
aufwärts nach den Bergen? -- Ja, da muß ich es bis zum See haben. Dort
ist ein großer See, antwortete Isak.

Der Lensmann schrieb weiter. Jetzt nach Norden? -- Da kommt es nicht so
genau drauf an, auf dem Moor ist kein ordentlicher Wald, meinte Isak.

Der Lensmann schrieb nach seinem eigenen Kopf eine halbe Viertelmeile.
Nach Osten? -- Da ist es auch nicht so genau. Dort ist nur Gebirge nach
Schweden hinüber.

Der Lensmann schrieb.

Als er fertig war, rechnete er das Ganze in einem Augenblick zusammen
und sagte: Natürlich wird das ein großes Besitztum, und wenn es drunten
in der Gemeinde läge, könnte niemand es kaufen. Ich will hundert Taler
für alles miteinander vorschlagen. Was meinst du? fragte er seinen
Begleiter. -- Das ist ja gar kein Preis, antwortete dieser. -- Hundert
Taler! sagte Inger. Du brauchst gar nicht so viel Land. -- Nein, sagte
Isak. -- Der Begleiter fiel ein: Es ist, wie ich sage. Was wolltet ihr
mit so viel Land?

Der Lensmann sagte: Es roden.

Nun hatte er dagesessen, sich abgemüht und niedergeschrieben; ab und
zu schrie ein Kind in der Stube, er hätte nur ungern das Ganze noch
einmal geschrieben, er kam auch erst spät in der Nacht wieder heim,
nein, erst gegen Morgen sogar. So steckte er entschlossen die Urkunde
in seine Tasche. Geh hinaus und spann an! befahl er seinem Begleiter.
Dann wendete er sich an Isak und sagte: Eigentlich hättest du den Platz
umsonst haben sollen und noch Bezahlung obendrein, so wie du geschafft
hast. Und das will ich bei meinem Vorschlag auch sagen. Dann werden wir
sehen, was der Staat für einen Kaufbrief verlangt.

Isak -- Gott weiß, wie ihm zumute war. Es war, als hätte er nichts
dagegen, daß ein hoher Preis für seine Ansiedlung und seine ungeheure
Arbeit hier angesetzt würde. Er hielt es wohl nicht für unmöglich, mit
der Zeit hundert Taler abzubezahlen, deshalb sagte er nichts mehr; er
konnte wie vorher arbeiten, das Land bebauen und überständigen Wald in
Klafterholz umwandeln. Isak gehörte nicht zu denen, die umherspähen, er
stand nicht auf dem Ausguck nach Glückszufällen, er arbeitete.

Inger bedankte sich beim Lensmann und bat ihn, beim Staat ein gutes
Wort für sie einzulegen.

Jawohl. Aber die Entscheidung liegt ja nicht bei mir, ich gebe nur mein
Gutachten dazu. Wie alt ist denn der Kleinste da? -- Gut ein halbes
Jahr. -- Junge oder Mädchen? -- Ein Junge.

Der Lensmann war nicht hart, sondern oberflächlich und wenig
gewissenhaft. Seinen Vertrauens- und Schätzungsmann, den Gerichtsboten
Brede Olsen, hörte er nicht an, das wichtige Geschäft ordnete er aufs
Geratewohl und nach Gutdünken; diese große Sache, entscheidend für Isak
und seine Frau und entscheidend auch für ihre Nachkommen vielleicht in
zahllosen Geschlechtern, entschied er auf gut Glück, er schrieb nur
so hin. Aber er erwies den Ansiedlern viel Freundlichkeit, er zog ein
glänzendes Geldstück aus der Tasche und gab es dem kleinen Sivert in
die Hand, dann nickte er noch freundlich und ging hinaus zum Schlitten.

Plötzlich fragte er: Wie heißt der Ort?

Heißen? -- Welchen Namen hat er? Wir müssen ihm einen Namen geben.

Daran hatten die Leute nicht gedacht, und Inger und Isak sahen einander
an.

Sellanraa? sagte der Lensmann. Er hatte diesen Namen wohl erfunden, es
war vielleicht gar kein Name, aber er wiederholte: Sellanraa! nickte
und fuhr davon.

Alles aufs Geratewohl, die Grenzscheide, den Preis, den Namen ...

Einige Wochen später, als Isak im Dorfe war, hörte er, daß es mit
dem Lensmann Schwierigkeiten gegeben habe. Es war nach verschiedenen
Geldern geforscht worden, über die er nicht Rechenschaft hatte ablegen
können, und man hatte ihn deshalb beim Landrichter angezeigt. So
schlimm kann es kommen; manche Menschen taumeln so durchs Leben dahin,
dann kommen sie an denen, die bedächtigen Schrittes gehen, zu Fall!

Eines Tages, als Isak mit einer seiner letzten Holzfuhren im Dorf
gewesen war und sich auf dem Heimweg befand, geschah es, daß er den
Lensmann fahren sollte. Der Lensmann trat ohne weiteres mit einer
Reisetasche in der Hand aus dem Walde heraus und sagte: Laß mich bei
dir aufsitzen!

Sie fuhren eine Weile, keiner von beiden sprach ein Wort. Ab und zu
zog der Lensmann eine Flasche heraus und trank einen Schluck; er bot
auch Isak an, der aber dankte. Ich fürchte für meinen Magen auf dieser
Reise, sagte der Lensmann.

Dann sprach er von Isaks Hofangelegenheit und sagte: Ich habe die
Sache gleich weiterbefördert und sie warm empfohlen. Sellanraa ist ein
hübscher Name. Eigentlich hättest du das Land umsonst haben sollen,
aber wenn ich das geschrieben hätte, wäre der Staat unverschämt
geworden und hätte seinen eigenen Preis angesetzt. Ich habe fünfzig
Taler geschrieben. -- Ach so, habt Ihr also nicht hundert Taler
geschrieben? -- Der Lensmann runzelte die Stirn und überlegte, dann
sagte er: Soviel ich mich erinnere, habe ich fünfzig Taler geschrieben.

Wohin reist Ihr jetzt? fragte Isak. -- Nach Vesterbotten, zur Familie
meiner Frau. -- In dieser Jahreszeit? Das ist ein böser Weg, um da
hinüberzukommen. -- Oh, es wird schon gehen. Kannst du mich nicht ein
Stück weit begleiten? -- Doch. Ihr dürft nicht allein gehen.

Sie erreichten die Ansiedlung, und der Lensmann übernachtete in der
Kammer. Am Morgen nahm er wieder einen Schluck aus seiner Flasche und
sagte: Ich ruiniere mir gewiß den Magen auf dieser Reise. Sonst war
er ganz wie bei seinem letzten Besuch, wohlwollend entschieden, aber
etwas fahrig und nur wenig mit seinem eigenen Schicksal beschäftigt;
vielleicht war es auch gar nicht so trostlos. Als Isak sagte, nicht
die ganze Halde sei angebaut, sondern nur ein kleines Stück davon, nur
ein paar Felder, gab der Lensmann die überraschende Antwort: Das hab'
ich wohl verstanden, als ich damals hier saß und schrieb. Aber mein
Fuhrmann Brede verstand nichts davon, er ist ein Esel. Das Ministerium
hat eine Art Tabelle. Wenn nun auf so einer großen Landstrecke so wenig
Heulasten und so wenig Kartoffeltonnen geerntet werden, dann sagt die
Tabelle des Ministeriums, das sei elender Boden, billiger Boden. Ich
bin auf deiner Seite gewesen, und ich verpfände gern meine Seligkeit
auf dieses Schelmenstück. Ja, zwei- bis dreitausend solcher Männer, wie
du einer bist, sollten wir hier im Lande haben. Der Lensmann nickte und
wendete sich dann an Inger: Wie alt ist der Kleinste? -- Jetzt ist er
dreiviertel Jahr alt. -- Und es ist ein Junge? -- Ja. --

Aber du mußt dich ins Zeug legen und deine Hofangelegenheit so rasch
wie möglich in Ordnung bringen, sagte der Lensmann zu Isak. Es ist noch
ein Mann da, der ungefähr auf halbem Wege zwischen hier und dem Dorf
kaufen will, und dann steigt der Boden im Wert. Kauf du nur zuerst,
dann mag der Preis nachher steigen. Du aber hast dann doch etwas von
all deiner Arbeit. Du hast den Anfang gemacht hier im Ödland.

Die Leute waren ihm dankbar für seinen Rat und fragten ihn, ob er
denn nicht selbst die Angelegenheit zum Abschluß bringen werde. Er
antwortete, er habe nun das seinige dabei getan, es komme jetzt nur
noch auf den Staat an. Ich reise jetzt nach Vesterbotten und kehre
nicht mehr hierher zurück, sagte er geradeheraus.

Er gab Inger ein Geldstück, aber das war wirklich zu viel. Vergiß
nicht, meiner Familie im Dorf etwas zum Schlachten mitzubringen, ein
Kalb oder ein Schaf, meine Frau bezahlt dir's. Nimm auch ab und zu ein
paar Ziegenkäse mit, meine Kinder essen ihn so gern, sagte er.

Isak begleitet ihn übers Gebirge; auf der Höhe lag fester Harsch, man
konnte also gut vorwärts kommen. Isak bekam einen ganzen Taler.

So zog denn Lensmann Geißler fort und kehrte nicht mehr ins Dorf
zurück. Die Leute sagten, es sei ihnen einerlei; man hielt ihn für
einen unzuverlässigen Menschen und einen Abenteurer. Nicht, daß er
nicht genug gewußt hätte, er war ein wohlunterrichteter Mann, der viel
gelernt hatte, aber er tat sich zu viel darauf zugut und verbrauchte
anderer Leute Geld. Es wurde ruchbar, daß er auf ein scharfes Schreiben
von Amtmann Pleym hin durchgebrannt war; aber seiner Familie geschah
nichts Böses, sie bestand aus der Frau und drei Kindern, und die
blieben noch längere Zeit in der Gemeinde wohnen. Übrigens dauerte
es nicht lange, bis die fehlenden Gelder von Schweden aus geschickt
wurden; die Lensmannsfamilie war dann nicht mehr als Pfand da, sondern
blieb aus freiem Willen, weil sie selbst es wollte.

Für Isak und Inger war dieser Geißler kein schlechter Mensch gewesen,
im Gegenteil. Gott mochte wissen, wie sich nun der neue Lensmann zu der
Sache stellen würde, ob am Ende das ganze Geschäft mit der Ansiedlung
noch einmal gemacht werden mußte!

Der Amtmann schickte einen von seinen Schreibern in die Gemeinde, das
war der neue Lensmann. Es war ein Mann in den Vierzigern, der Sohn
eines Vogts und hieß Heyerdahl; er war zu arm gewesen, um zu studieren
und Beamter zu werden, aber er hatte auf einer Gerichtsstube gesessen
und war da fünfzehn Jahre lang Schreiber gewesen. Da er niemals Geld
genug zum Heiraten gehabt hatte, war er Junggeselle; der Amtmann Pleym
hatte ihn von seinem Vorgänger geerbt und gab ihm dasselbe armselige
Gehalt, das er vorher bezogen hatte. Heyerdahl empfing sein Gehalt
und schrieb weiter. Er wurde ein mißmutiger, vertrockneter, aber
zuverlässiger und rechtschaffener Mann, war dabei auch, soweit seine
Begabung reichte, sehr tüchtig zu den Arbeiten, die er einmal gelernt
hatte. Jetzt, da er Lensmann geworden war, stieg sein Selbstgefühl
bedeutend.

Isak faßte sich ein Herz und ging zu ihm.

Die Sache Sellanraa -- ja, da ist sie, vom Ministerium zurückgekommen.
Die Herren wollen über vieles noch Aufklärung haben, das Ganze ist
ja von der Hand dieses Geißlers das reine Durcheinander, sagte der
Lensmann. Das Königliche Ministerium will wissen, ob da vielleicht
große herrliche Multebeerenmoore auf dem Platze sind. Ob Hochwald da
ist. Ob sich möglicherweise Erze und verschiedene andere Metalle in den
Bergen ringsum finden. Es sei ein großer Gebirgssee genannt, ob es da
Fische gebe. Dieser Geißler hat allerdings einige Aufklärung gegeben,
aber es ist ja kein Verlaß auf ihn, ich muß hier alles von ihm genau
durchgehen. Ich werde also so bald wie möglich auf deine Ansiedlung
nach Sellanraa hinaufkommen und alles untersuchen und es einschätzen.
Wie viele Meilen ist es hinauf? Das Königliche Ministerium will, daß
die Grenzen ordentlich abgeschritten werden. -- Es wird sehr schwierig
sein, die Grenzscheide vor dem Sommer abzuschreiten, sagte Isak. --
Ach, es wird sich schon machen lassen. Wir können das Ministerium nicht
bis zum Sommer auf Antwort warten lassen, versetzte Heyerdahl. Ich
komme in den nächsten Tagen hinauf. Bei derselben Gelegenheit soll vom
Staat aus auch noch an einen andern Mann Siedlungsland verkauft werden.
-- Ist das der Mann, der auf halbem Wege von der Gemeinde bis zu mir
herauf Land kaufen will? -- Das weiß ich nicht, aber vielleicht ist er
es. Ein Mann von hier übrigens, mein Schätzungsmann, mein Amtsdiener.
Er hat schon bei Geißler wegen des Kaufs angefragt; aber Geißler hatte
ihn abgewiesen und gesagt, er könne ja nicht einmal zweihundert Ellen
umgraben. Da hat der Mann an das Landgericht selbst geschrieben, und
jetzt ist mir die Sache zur Begutachtung übergeben. Ja, dieser Geißler!

Lensmann Heyerdahl kam zur Ansiedlung und hatte den Schätzungsmann
Brede bei sich. Sie waren sehr naß geworden beim Überschreiten
des Moors und wurden noch nasser, als sie dann im schmelzenden
Frühjahrsschnee die Grenze den Berghang hinauf abschreiten sollten.
Am ersten Tag war der Lensmann sehr eifrig, am zweiten ging er müde
dahin und blieb weit unten stehen, rief nur und deutete. Nein, es war
nicht mehr die Rede davon, die „Berge ringsum abzuschürfen”, und die
Multebeermoore sollten erst auf dem Heimweg genau untersucht werden,
sagte er.

Das Ministerium hatte viele Fragen gestellt, es hatte wohl wieder eine
Tabelle vor; die einzige von diesen Fragen, die einen Sinn hatte,
war die nach dem Walde. Ganz richtig, es war etwas Hochwald da, und
er stand innerhalb Isaks Viertelmeile, aber es war kein Bauholz zum
Verkauf da, nur gerade genug für den eigenen Bedarf. Aber selbst
wenn hier Bauholz gestanden hätte, wer hätte es meilenweit ins Dorf
hinunterschaffen sollen? Das konnte nur der Mühlengeist Isak, wenn er
im Laufe des Winters ein paar Stämme hinunterfuhr und dafür Balken und
Bretter bekam.

Es zeigte sich, daß dieser merkwürdige Mann Geißler eine Darstellung
gegeben hatte, die man nicht außer acht lassen konnte. Da saß nun
der neue Lensmann und versuchte, seinem Vorgänger etwas am Zeuge zu
flicken und Fehler zu finden, mußte dieses Bemühen aber aufgeben. So
fragte er nur öfter als Geißler seinen Begleiter und Schätzungsmann um
Rat und richtete sich nach dessen Worten, und derselbe Schätzungsmann
mußte sich wohl bekehrt und eine andere Ansicht bekommen haben, seit
er selbst Allmende vom Staat kaufen wollte. -- Was denkst du über
diesen Preis? fragte der Lensmann. -- Fünfzig Taler ist mehr als genug
für den, der es kaufen muß, antwortete der Schätzungsmann. -- Der
Lensmann faßte das Gesuch in wohlgesetzten Worten ab. Geißler hatte
geschrieben: Der Mann will von jetzt an auch jährliche Steuer bezahlen,
er sieht sich nicht in der Lage, eine höhere Kaufsumme zu entrichten
als fünfzig Taler, auf zehn Jahre verteilt. Der Staat muß dieses
Angebot annehmen oder dem Mann sein Land und seine Arbeit entziehen. --
Heyerdahl schrieb: Der Mann ersucht ehrerbietig das hohe Ministerium,
das Grundstück, das ihm nicht gehört, auf das er aber bedeutende Arbeit
verwendet hat, behalten zu dürfen für 50 -- fünfzig -- Speziestaler, zu
bezahlen in Terminen nach dem wohlwollenden Ermessen des Ministeriums.

Ich glaube, es wird mir gelingen, dir das Grundstück zu sichern, sagte
Lensmann Heyerdahl zu Isak.



6


Heute soll der große Stier fortgeführt werden. Er ist ein ungeheures
Tier geworden und zu wertvoll, um noch länger auf der Ansiedlung zu
bleiben. Isak will hinunter ins Dorf mit ihm, ihn verkaufen und dafür
einen netten jungen Stier mitbringen.

Inger ist es, die das durchgesetzt hat, und Inger wußte wohl, was sie
tat, wenn sie Isak gerade an diesem Tag fort haben wollte.

Wenn du gehen willst, muß es heute sein, sagte sie. Der Stier ist
gemästet, gemästete Ware steht im Frühjahr gut im Preis, er kann in
die Stadt geschickt werden. Da werden Riesensummen bezahlt. -- Ja,
ja, sagte Isak. -- Die einzige Gefahr ist, daß der Stier auf dem
Hinunterweg wild werden könnte, fuhr Inger fort. -- Darauf gab Isak
keine Antwort. -- Aber seit einer Woche ist er immer etwas draußen
gewesen, hat sich umgesehen und sich ans Freie gewöhnt. -- Isak
schwieg; aber er hängte ein großes Messer am Riemen um und führte den
Stier heraus.

Ach, was für ein Koloß, prächtig und furchtbar zugleich, seine Lenden
schwankten bei jedem Schritt! Er war ziemlich kurzbeinig; wenn er
dahinschritt, brach er mit der Brust den Jungwald nieder, er war wie
eine Lokomotive. Sein Hals war gewaltig bis zur Unförmigkeit, in diesem
Hals wohnte die Stärke eines Elefanten.

Wenn er jetzt nur nicht wild wird und auf dich losgeht, sagte Inger.
-- Erst nach einer Weile antwortete Isak: Nun, dann muß ich ihn eben
unterwegs schlachten und das Fleisch fortschaffen.

Inger setzte sich auf die Türschwelle. Es war ihr übel, und ihr Gesicht
war brennend rot. Sie hatte sich aufrecht gehalten, bis Isak gegangen
war, jetzt verschwand er mit dem Stier im Walde, und Inger konnte ohne
Gefahr stöhnen. Der kleine Eleseus kann schon sprechen, und er fragt:
Mutter weh? -- Ja, weh. -- Er ahmt seine Mutter nach, greift sich nach
dem Rücken und stöhnt auch. Klein-Sivert schläft.

Inger nimmt Eleseus mit sich hinein, gibt ihm allerlei Sachen, womit er
auf dem Boden spielen kann, und legt sich selbst zu Bett. Ihre Stunde
war gekommen. Sie ist die ganze Zeit bei vollem Bewußtsein, gibt auf
Eleseus acht, läßt ihren Blick über die Wiege hinschweifen und sieht
auf die Uhr an der Wand. Sie schreit nicht, bewegt sich kaum; ein
Kampf geht in ihren Eingeweiden vor sich, eine Last gleitet plötzlich
von ihr ab. Fast im selben Augenblick hört sie ein fremdes Geschrei
in ihrem Bett, ein liebes Stimmchen weint. Und jetzt hat Inger keine
Ruhe mehr, sie richtet sich auf und schaut an sich hinunter. Was sieht
sie? Ihr Gesicht wird im selben Augenblick aschgrau und starr, ohne
Ausdruck und Verstand, ein Ächzen wird laut, ein so unnatürliches, so
erschütterndes, wie ein Heulen aus ihrem Innersten heraus.

Sie sinkt zurück. Eine Minute vergeht, sie hat keine Ruhe, das Weinen
im Bett wird lauter, sie richtet sich wieder auf und schaut -- ach
Gott, das schlimmste von allem, ohne Gnade, und das Kind ist überdies
ein Mädchen!

Isak konnte vielleicht noch nicht eine halbe Meile weit gekommen sein,
und es war jetzt kaum eine Stunde vergangen, seit er den Hof verlassen
hatte. In zehn Minuten war das Kind geboren und umgebracht ...

Am dritten Tag kehrte Isak zurück; er führte einen mageren, halb
verhungerten Stier, der kaum vorwärts kommen konnte, an der Leine,
deshalb war er so lange unterwegs gewesen.

Wie ist es gegangen? fragte Inger, und doch war sie selbst recht
gedrückt und krank.

Oh, es war ganz leidlich gegangen. Ja, ja, während der letzten halben
Meile war der Stier allerdings wild geworden. Isak hatte ihn anbinden
und Hilfe aus dem Dorfe holen müssen. Als er zurück kam, hatte der
Stier sich losgerissen, und sie hatten ihn lange suchen müssen. Na, es
war ja alles noch gut abgelaufen. Der Händler, der Schlachtvieh für die
Stadt aufkaufte, hatte gut bezahlt. -- Und da ist nun der neue Stier,
sagte Isak, bring die Kinder heraus und seht ihn euch an!

Das gleiche Interesse für jedes neue Stück Vieh. Inger betrachtete den
Stier, befühlte ihn und fragte nach dem Preis. Klein-Sivert durfte auf
seinem Rücken sitzen. -- Es tut mir leid um den großen Stier, sagte
Inger, er war so glänzend und brav! Wenn sie ihn jetzt nur ordentlich
abschlachten!

Die Tage waren mit Frühjahrsarbeit ausgefüllt, die Tiere waren
hinausgelassen worden, in dem leeren Stall standen Kisten und Kasten
voll Saatkartoffeln. Isak säte in diesem Jahr mehr Korn als sonst und
wandte seinen äußersten Fleiß auf, um es gut in die Erde zu bringen,
er richtete Beete für Karotten und Rüben, und Inger streute den Samen
hinein. Alles ging wie früher.

Eine Zeitlang trug Inger ein Heukissen auf dem Leib, um dick
auszusehen. Allmählich verminderte sie das Heu, und schließlich ließ
sie den Sack weg. Endlich eines Tages fiel es Isak auf, und er fragte
verwundert: Was ist denn das? Ist diesmal nichts daraus geworden? --
Nein, sagte sie, diesmal nicht. -- So, warum nicht? -- Ach, es war
eben so. Was glaubst du, Isak, bis wann du alles das umgebrochen haben
wirst, das wir da vor uns sehen? -- Ist es eine Fehlgeburt gewesen?
fragte er. -- Ja. -- So. Und du hast keinen Schaden davongetragen? --
Nein. Du, Isak, ich habe schon sooft gedacht, ob wir uns nicht Schweine
aufziehen sollten. -- Isak, der sehr bedächtig war, sagte nach einer
Weile: Ja, ein Schwein. Ich hab' in jedem Frühjahr daran gedacht. Aber
solange wir nicht mehr Eßkartoffeln und auch Futterkartoffeln und etwas
mehr Getreide haben, haben wir kein Futter für ein Schwein. Nun, wir
wollen in diesem Jahr einmal sehen. -- Es wäre sehr schön, wenn wir ein
Schwein hätten. -- Ja.

Die Tage vergehen. Regen fällt, und Acker und Wiese stehen schön, in
diesem Jahr darf man auf Gutes hoffen! Große und kleine Erlebnisse
folgen einander, es gibt Mahlzeiten, Schlaf und Arbeit, Sonntage mit
rein gewaschenen Gesichtern und gekämmten Haaren, Isak trägt sein neues
rotes Hemd, das Inger gewebt und genäht hat. Da geschieht es, daß das
gleichmäßige Leben durch ein großes Ereignis aufgescheucht wird. Ein
Mutterschaf mit seinem Lamm hat sich in einem Felsenspalt eingeklemmt;
die anderen Schafe kommen am Abend heim, Inger vermißt sofort die
beiden, die fehlen. Isak geht hinaus, sie zu suchen. Sein erster
Gedanke ist, wenn ein Unglück geschehen sei, so sei es nur gut, daß
es gerade Sonntag sei und er somit nicht von der Arbeit weg müsse. Er
sucht stundenlang, endlos ist das Weideland, er geht und geht. Daheim
ist das ganze Haus in Aufregung; die Mutter beschwichtigt ihre Kinder
mit kurzen Worten: Zwei Schafe fehlen, schweigt! Alle tragen an der
Sorge mit, die ganze kleine Gesellschaft, selbst die Kühe merken, daß
etwas Ungewöhnliches vorgeht, und brüllen, denn bisweilen ist Inger
draußen und lockt mit lauter Stimme nach dem Walde hin, obgleich die
Nacht schon herannaht. Dies ist ein Ereignis im Ödland, ein allgemeines
Unglück. Als Inger die Kinder zu Bett gebracht hat, geht sie selbst
hinaus und sucht auch; dazwischen ruft sie, bekommt aber keine Antwort,
Isak ist wohl auch weit weg.

Wo können die Schafe nur sein, was ist ihnen geschehen? Sind Bären
unterwegs? Sind Wölfe von Schweden und Finnland übers Gebirge
herübergekommen? Keins von beiden. Als Isak die Vermißten findet, ist
das Mutterschaf in eine Felsenspalte eingeklemmt mit einem gebrochenen
Bein und stark verletztem Euter. Es muß lange in der Felsenspalte
festgehalten worden sein, denn obgleich es ernstlich verwundet ist, hat
es doch das Gras um sich her bis an die Wurzeln abgenagt. Isak hebt
das Schaf heraus, und das erste, was dieses tut, ist, nach Futter zu
suchen. Das Lamm saugt sofort an der Mutter, es ist die reine Heilung
für das arme wunde Euter, daß es geleert wird.

Nun sucht Isak Steine und wirft sie in die gefährliche Felsenspalte;
diese heimtückische Öffnung soll nie wieder ein Schafbein brechen! Isak
trägt lederne Hosenträger, er zieht sie aus, legt sie um das Schaf und
hält dadurch das aufgerissene Euter an seinem Platz. Dann hebt er das
Schaf auf seine Schulter und trägt es heim. Das Lamm läuft hinter ihm
her.

Und nachher? Schienen und Teerlappen. In einigen Tagen fängt das Schaf
an, mit dem kranken Fuß zu zappeln, weil die Wunde beißt und heilt. Ja,
alles miteinander wird wieder gut -- bis sich wieder etwas ereignet.

Das tägliche Leben, Ereignisse, die das Leben der Ansiedler ganz
ausfüllen. Ach, das sind keineswegs Kleinigkeiten, es ist das
Schicksal, es gilt Glück, Behagen und Wohlfahrt.

Isak benutzt die Zeit zwischen Frühjahr- und Sommerarbeit, um ein paar
neue Stämme zu behauen, die gefällt daliegen; er hat wohl einen Plan
mit ihnen. Außerdem bricht er viele nützliche Steine aus und schafft
sie zum Hofe hin. Wenn er genug Steine beisammen hat, schichtet er sie
zu einer Mauer. Wäre es nun noch wie vor einem Jahr gewesen, so wäre
Inger neugierig geworden und hätte sich gefragt, was denn ihr Mann im
Sinne habe; aber jetzt beschäftigte sie sich lieber mit ihren eigenen
Sachen und stellte keine Fragen mehr. Inger ist so fleißig wie früher;
sie versorgt das Haus und die Kinder und die Tiere, aber sie hat
angefangen zu singen, und das tat sie früher nicht. Sie hat Eleseus ein
Abendgebet gelehrt, das hatte sie früher nicht getan. Isak vermißt ihre
Fragen; ihre Neugierde und ihr Lob über das, was er leistete, waren es,
die ihn zu einem zufriedenen und einem ausgezeichneten Mann gemacht
hatten. Jetzt geht sie an ihm vorbei und sagt höchstens, er werde sich
noch zu Tode schinden. Es muß ihr beim letztenmal doch recht schlecht
gegangen sein! denkt Isak.

Oline kommt wieder zu Besuch. Wäre es nun noch wie im vorigen Jahre
gewesen, so hätte man sie sehr willkommen geheißen; aber jetzt ist es
anders. Inger begegnet ihr vom ersten Augenblick an feindselig; was nun
auch der Grund sein mag, aber Inger ist ihr feindselig gesinnt.

Ich dachte halb und halb, ich würde zu rechter Zeit kommen, sagt Oline
mit feiner Anspielung. -- Wieso? -- Ja, daß das dritte getauft werden
sollte. Wie steht es damit? -- Ach, sagte Inger, darum hättest du dich
nicht herzubemühen brauchen. -- So.

Dann fängt Oline an zu loben, die beiden Jungen seien so groß und
hübsch geworden, und Isak sei so fleißig, und es sehe aus, als wolle
er wieder bauen -- großartig sei es hier, so einen Hof gebe es nicht
wieder! Und kannst du mir sagen, was er jetzt bauen will? -- Nein, das
kann ich nicht, du mußt ihn selbst danach fragen. -- Nein, sagt Oline,
das geht mich nichts an. Ich wollte nur sehen, wie es euch geht, denn
dies ist eine große Freude und Beruhigung für mich. Nach Goldhorn will
ich gar nicht fragen oder ihren Namen in den Mund nehmen, sie hat es ja
so gut wie nur möglich.

Eine Weile vergeht unter guter Unterhaltung, und Inger ist nicht mehr
so unfreundlich. Als die Uhr an der Wand ihre herrlichen Schläge
ertönen läßt, treten Oline die Tränen in die Augen; sie sagt, sie habe
in ihrem ganzen armen Leben noch nie so eine Kirchenorgel gehört. Da
fühlt sich Inger wieder reich und großmütig aufgelegt gegen die arme
Verwandte, und sie sagt: Komm mit in die Kammer, ich zeig dir meinen
Webstuhl.

Oline bleibt den Tag über da. Sie spricht mit Isak und lobt alles, was
er getan hat. -- Ich höre, du hast nach jeder Richtung hin eine Meile
gekauft, hättest du es nicht umsonst haben können? Wer hat es dir
mißgönnt?

Jetzt bekam Isak die Lobsprüche, die ihm gefehlt hatten, und er fühlte
sich wieder mehr anerkannt und obenauf. Ich kaufe es von der Regierung,
antwortet er. -- Jawohl, aber sie soll nicht wie ein Raubtier gegen
dich sein, diese Regierung. Was baust du? -- Das weiß ich noch nicht.
Es wird nichts Besonderes herauskommen. -- Du schindest dich und
baust, du hast gemalte Türen und eine Wanduhr in der Stube, dann
baust du wohl eine Großstube? -- Ach, spotte nicht! erwidert Isak.
Aber es gefällt ihm gut, und er sagt zu Inger: Kannst du nicht ein
klein wenig Sahnengrütze für unsern Gast kochen? -- Nein, antwortete
Inger, denn ich habe erst gebuttert. -- Ich spotte nicht, ich bin nur
ein einfältiges Frauenzimmer, das Fragen stellt, beeilte sich Oline
einzuwerfen. Na ja, wenn es keine Großstube ist, so wird es wohl ein
mächtiges Gebäude zu einer Scheune. Du hast Acker und Wiesen, und alles
wächst heran, und es ist so, wie es in der Bibel steht, hier fließen
Milch und Honig.

Isak fragt: Wie sind die Aussichten heuer in eurer Gegend? -- Ach, es
geht an. Wenn nur unser Herrgott nicht auch diesmal Feuer drauf fallen
und es verbrennen läßt, Gott verzeih mir meine Sünden! Alles steht in
seiner Hand und Allmacht. Aber so großartig wie hier bei euch steht es
nirgends bei uns, o weit, weit entfernt!

Inger erkundigte sich nach einigen von ihren anderen Verwandten,
besonders nach dem Oheim Sivert, dem Bezirkskassierer, der ist der
große Mann der Familie, besitzt ein Großnetz und einen Bootsschuppen,
er weiß bald nicht mehr, was er mit all seinem Reichtum anfangen soll.

Während dieser Unterhaltung versinkt Isak mehr und mehr in Gedanken,
und sein neuer Bauplan ist vergessen. Schließlich sagt er: Nun, da du
es durchaus wissen willst, Oline, so ist es eben eine kleine Scheune
mit einer Dreschtenne, die ich zu bauen versuchen will.

Das hab' ich mir gedacht, sagte Oline. Rechte Leute pflegen vorwärts
und rückwärts zu denken und alles im Kopf zu haben. Hier ist keine
Kanne und kein Gefäß, die du dir nicht im voraus ausgedacht hättest.
Und mit einer Tenne, hast du gesagt, nicht wahr?

Isak ist ein großes Kind, Olines Lobhudeleien steigen ihm zu Kopf, und
er macht sich ein wenig lächerlich. Ja, was das neue Haus betrifft, so
soll eine Tenne drinnen sein, das ist meine Meinung und Absicht, sagt
er. -- Eine Tenne! sagt Oline bewundernd und wiegt den Kopf hin und
her. -- Ja, denn was sollen wir mit Korn auf dem Acker, wenn wir es
nicht dreschen können? sagt er. -- Es ist, wie ich sage, du denkst dir
alles im Kopf aus, versetzt Oline.

Inger ist wieder unfreundlich geworden, das Gerede zwischen den beiden
hat sie wohl aufgeregt, und sie sagt plötzlich: Sahnengrütze -- wo soll
ich denn die Sahne hernehmen? Gibt es etwa Sahne im Fluß?

Oline weicht der Gefahr aus. Liebste, beste Inger, versteh mich doch
recht! Du brauchst dich nicht wegen der Sahnengrütze zu entschuldigen
oder auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Wegen einer Person wie
ich, die sich nur auf den Höfen herumtreibt!

Isak bleibt noch eine Weile sitzen, dann sagt er: Nein, hier sitze
ich und sollte doch Steine zu meiner Mauer ausbrechen. -- Ja, zu so
einer Mauer wie diese hier braucht man viele Steine! -- Viele Steine?
erwiderte Isak. Ja, es ist gerade, als wären es niemals genug.

Als Isak gegangen ist, werden die beiden Frauen wieder einträchtiger,
sie haben so viel über die Gemeinde miteinander zu reden. Die Stunden
vergehen. Am Abend bekommt Oline zu sehen, wie der Viehstand gewachsen
ist. Zwei Kühe mit dem Stier, zwei Kälber, ein Gewimmel von Ziegen und
Schafen. Wo will das noch hinaus! sagt Oline und schlägt die Augen zum
Himmel auf.

Sie bleibt über Nacht.

Aber am nächsten Tag geht sie. Wieder hat sie etwas in einem Bündel
mitbekommen; da Isak im Steinbruch ist, macht sie einen kleinen Umweg,
um ihn zu vermeiden.

Zwei Stunden später erscheint Oline wieder in der Ansiedlung; sie tritt
ein und fragt: Wo ist Isak?

Inger ist beim Geschirraufwaschen. Sie merkt, daß Oline bei Isak und
den Kindern, die im Steinbruch sind, vorbeigekommen sein muß, und
sie ahnt gleich Unrat. Oline, was willst du von Isak? fragt sie. --
Oh, nichts Besonderes! Aber ich habe ihm nicht Lebewohl gesagt. --
Schweigen. Oline sinkt ohne weiteres auf eine Bank nieder, wie wenn
sie ihre Beine nicht mehr tragen wollten. Sie läßt absichtlich etwas
Ungewöhnliches ahnen, gerade indem sie zeigt, daß sie am Umsinken ist.
Nun kann sich Inger nicht länger beherrschen, ihr Gesicht ist verzerrt
und drückt Wut und Entsetzen aus. Sie sagt: Ich hab' einen Gruß von
dir bekommen durch Os-Anders. Es war ein netter Gruß. -- Was denn? --
Es war ein Hase. -- Was du nicht sagst? versetzte Oline merkwürdig
freundlich. -- Wage nicht, es zu leugnen! ruft Inger mit irren Augen.
Ich schlage dir mit der Holzkelle hier mitten ins Gesicht! So, da!

Schlug sie zu? Ja, gewiß. Und da Oline nicht beim ersten Schlag
zurücktaumelt, sondern im Gegenteil aufsässig wird und ruft: Nimm
dich in acht! Ich weiß, was ich von dir weiß! da gebraucht Inger die
Holzkelle weiter und schlägt Oline zu Boden, zwingt sie unter sich und
setzt ihr das Knie auf die Brust.

Willst du mich ganz töten? fragt Oline. Sie hatte diesen schrecklichen
Hasenmund über sich, eine große, starke Frau mit einem wahren Prügel
von einem Holzlöffel in der Hand. Oline hatte schon Beulen von den
Schlägen, sie blutete, aber sie knurrte noch mehr und gab nicht nach.
So, du willst mich _auch_ umbringen? -- Ja -- dich umbringen, antwortet
Inger und schlägt weiter. Da hast du! Ich werde dich totschlagen! --
Sie hatte jetzt die Gewißheit, daß Oline ihr Geheimnis kannte, und es
war ihr alles einerlei. -- Da hast du eins auf deinen Rachen! -- Meinen
Rachen! _Du_ hast einen Rachen! stöhnt Oline. Unser Herrgott hat dir
ein Kreuz ins Gesicht geschnitten.

Da Oline zu zäh ist, um überwältigt werden zu können, ja, verdammt
zäh, muß Inger mit ihren Schlägen aufhören; es nützt alles nichts,
sie erschöpft sich nur selbst. Aber sie droht -- oh, sie droht Oline
mit der Holzkelle dicht vor den Augen, oh, sie werde noch bekommen,
sie werde noch für alle Zeiten genug bekommen! Ich hab' auch ein
Küchenmesser, du wirst es gleich sehen!

Sie richtet sich auf, wie um nach dem Messer zu greifen, nach dem
großen Tischmesser; aber jetzt ist ihre erste Aufregung vorüber, und
sie gebraucht nur noch den Mund. Oline richtet sich auch auf und setzt
sich wieder auf die Bank, blau und gelb im Gesicht, voller Beulen und
blutig. Sie streicht sich das Haar zurück, rückt ihr Kopftuch zurecht,
spuckt aus; ihr Mund ist verschwollen! Du Vieh! sagt sie.

Du bist im Wald gewesen und hast herumgeschnüffelt! ruft Inger; dazu
hast du die Stunden angewendet, und du hast das kleine Grab gefunden.
Aber du hättest gleich ein Loch für dich selbst graben sollen! -- Du
wirst schon sehen! erwidert Oline, und ihre Augen funkeln vor Rachgier.
Ich sage nichts mehr, aber nun wirst du keine Stube nebst Kammer und
Orgelwerk mehr haben. -- Das kannst du nicht bestimmen! -- Oh, das
werden die Oline und ich bestimmen!

Die zwei Weiber zanken sich weiter. Oline ist nicht so grob und laut,
sie ist in ihrer häßlichen Bosheit geradezu friedlich, aber sie ist
verbissen und gefährlich. Ich gehe, um mein Bündel zu holen, ich
bereue, daß ich es im Wald hab' liegen lassen. Ich gebe dir die Wolle
zurück, ich will sie gar nicht haben. -- So, du denkst wohl, ich hätte
sie gestohlen. -- Das weißt du selbst, was du getan hast.

Darüber zanken sie sich wieder. Inger sagt, sie wolle das Schaf zeigen,
von dem sie die Wolle geschoren habe. Oline erwidert friedlich und
gelassen: Jawohl, aber wer weiß, wo du das erste Schaf herhast? --
Inger nennt Namen und Ort, wo ihre ersten Schafe und Lämmer in Futter
gestanden haben. Und das sag ich dir, nimm dich ein für allemal mit
deinem Mund in acht! droht sie. -- Haha! lacht Oline verächtlich.
Sie hat immer eine Antwort bereit und gibt nicht nach. Meinen Mund!
Und deinen eigenen Mund! Sie deutet auf Ingers Hasenscharte und
sagt, sie sei ein Abscheu vor Gott und den Menschen. Inger antwortet
wutschnaubend, und da Oline dick ist, schimpft sie sie einen Fettwanst
-- ein solcher gemeiner Fettwanst, wie du bist! Und ich danke dir auch
für den Hasen, den du mir geschickt hast. -- Hasen? Wenn ich in allem
so frei von Schuld wäre wie bei dem Hasen! Wie sah er denn aus? -- Wie
sieht ein Hase aus? -- Wie du! Ganz genau wie du! Und du hättest es gar
nicht nötig, Hasen anzusehen. -- Jetzt machst du, daß du hinauskommst!
schreit Inger. Du hast Os-Anders mit dem Hasen hierhergeschickt. Ich
werde dich strafen lassen. -- Strafen lassen! Hast du strafen lassen
gesagt? -- Du bist voller Neid, du gönnst mir nichts von allem, was ich
habe, und du verbrennst fast vor Neid darüber, fährt Inger fort. Seit
ich verheiratet bin und Isak und alles, was hier ist, bekommen habe,
hast du vor lauter Mißgunst fast kein Auge mehr zugetan. Großer Gott
und Vater im Himmel, was willst du denn von mir? Ist es meine Schuld,
daß deine Kinder nicht irgendwohin kamen, wo etwas aus ihnen geworden
ist? Du kannst es nicht ertragen, daß meine Kinder wohlgestaltet sind
und schönere Namen haben als die deinigen, aber kann ich etwas dafür,
daß sie von besserem Fleisch und Blut sind, als deine waren!

Konnte etwas Oline rasend machen, so war es dies. Sie hatte so viele
Kinder geboren und besaß nichts als diese Kinder, so wie sie nun einmal
waren; sie sagte, sie seien gut und prahlte mit ihnen, sie log ihnen
Verdienste an, die sie nicht hatten, und verbarg ihre Fehler. -- Was
hast du gesagt? erwiderte sie Inger. Daß du nicht vor Scham in die
Erde versinkst. Meine Kinder, die im Vergleich zu den deinen wie eine
himmlische Engelschar waren! Wagst du es, meine Kinder in den Mund zu
nehmen? Alle sieben waren als klein wahre Gottesgeschöpfe und jetzt als
erwachsen sind sie alle miteinander groß und wohlgestaltet. Nimm dich
in acht, du! -- Und die Lise, kam sie nicht ins Gefängnis, wie war denn
das? fragt Inger. -- Sie hatte nichts getan, sie war so unschuldig wie
eine Blume, sagt Oline. Und jetzt ist sie in Bergen verheiratet und
geht im Hut. Aber was tust du? -- Und wie war's mit Nils? -- Es ist
mir nicht der Mühe wert, dir zu antworten. Aber du hast eines drüben
im Walde liegen, was hast du mit dem getan? Du hast es umgebracht. --
Pack dich und mach, daß du hinauskommst! schreit Inger wieder, und sie
dringt aufs neue auf Oline ein.

Aber Oline weicht nicht, sie steht nicht einmal auf. Diese
Unerschrockenheit, die wie Verstocktheit aussieht, lähmt Inger
abermals, und sie sagt nur: Jetzt hole ich aber gleich das Hackmesser!
-- Laß das lieber sein, rät Oline, ich gehe schon von selbst. Aber was
das betrifft, daß du deine eigenen Verwandten hinauswirfst, so bist du
ein Vieh. -- Ja, aber mach nur, daß du fortkommst.

Aber Oline geht nicht. Die beiden Frauen zanken sich noch eine gute
Weile, und sooft die Wanduhr halb oder ganz schlägt, stößt Oline ein
Hohngelächter aus und macht Inger rasend. Schließlich beruhigen sich
beide doch ein wenig, und Oline macht sich zum Gehen fertig. Ich habe
einen weiten Weg und die Nacht vor mir, sagt sie. Und es war recht
dumm, ich hätte von daheim etwas zum Essen mitnehmen sollen, sagt sie.

Darauf gibt Inger keine Antwort, sie ist jetzt wieder vernünftig
geworden; sie füllt Wasser in ein Becken und sagt: Da, wenn du dich
abreiben willst! Oline sieht ein, daß sie sich waschen muß, ehe sie
geht, aber da sie nicht weiß, wo sie blutig ist, wäscht sie an den
verkehrten Stellen. Inger sieht ihr eine Weile zu, dann deutet sie.
Da -- fahr auch über die Schläfe, nein, die andere Schläfe, ich deute
ja darauf. -- Hab' ich wissen können, auf welche Seite du gedeutet
hast? versetzt Oline. -- An deinem Mund sitzt auch noch etwas. Bist du
vielleicht wasserscheu? fragt Inger.

Schließlich muß Inger selbst die Verwundete waschen und ihr ein
Handtuch hinwerfen.

Was ich sagen wollte, beginnt Oline, während sie sich abtrocknet, und
sie ist jetzt wieder vollkommen friedlich, wie soll Isak mit den
Kindern das überstehen? -- Weiß er's? fragt Inger. -- Ob er es weiß! Er
kam dazu und sah es. -- Was sagte er? -- Was konnte er sagen! Er war
sprachlos, wie ich auch.

Schweigen.

Du, du bist an allem miteinander schuld! klagt Inger und bricht in
Tränen aus. -- Wenn ich nur an allem so frei von Schuld wäre! -- Ich
werde ihn, den Os-Anders, fragen, darauf kannst du dich verlassen! --
Ja, tu das!

Sie sprechen es in Ruhe durch, und Oline scheint jetzt weniger
rachsüchtig zu sein. Oh, sie ist ein Politikus ersten Ranges und
gewohnt, Auswege zu finden, jetzt äußert sie sogar eine Art Mitgefühl,
indem sie sagt, wenn es nun herauskomme, dann täten ihr Isak und auch
die Kinder herzlich leid. -- Ja, sagt Inger und weint noch mehr.
Ich habe Tag und Nacht gegrübelt und gegrübelt. Als Ausweg fällt es
nun Oline plötzlich ein, daß sie eine Hilfe sein könne, sie könne
vielleicht herkommen und auf der Ansiedlung bleiben, wenn Inger ins
Gefängnis müsse.

Jetzt weint Inger nicht mehr, sie horcht gleichsam plötzlich auf und
überlegt. Nein, du versorgst die Kinder nicht, sagt sie. -- Soll ich
die Kinder nicht versorgen? Du spottest! -- So. -- Ja, denn wenn ich
für etwas ein Herz habe, so sind es Kinder. -- Ja, für deine eigenen,
aber wie wirst du gegen die meinigen sein? Und wenn ich daran denke,
daß du mir den Hasen geschickt hast, nur um mich zu verderben, so bist
du ganz und gar schuld daran. -- Ich? fragt Oline. Meinst du mich? --
Ja, dich meine ich, antwortet Inger mit lautem Schluchzen. Du bist das
größte Scheusal gegen mich gewesen, und ich trau dir nichts Gutes zu.
Und außerdem würdest du uns nur alle Wolle stehlen, wenn du hierher
kämst. Und einen Ziegenkäse nach dem andern würden deine Leute bekommen
und nicht die meinigen. -- Du bist ein Vieh, sagt Oline.

Inger weint, wischt sich die Augen und spricht ab und zu ein paar
Worte. Oline sagt, sie wolle sich gewiß nicht aufdrängen, denn sie
könne bei ihrem Sohn Nils sein, wo sie schon immer gewohnt habe. Wenn
nun aber Inger ins Gefängnis komme, so wäre Isak mit den unschuldigen
Kleinen ganz verlassen, da könne sie hierher kommen und auf sie
aufpassen. Sie stellt das recht verlockend hin, es werde gewiß nicht
schlimm gehen. Du kannst es dir nun überlegen, sagt sie.

Inger ist mutlos; sie weint und schüttelt den Kopf und schaut zu Boden.
Wie eine Schlafwandlerin geht sie in die Vorratskammer und macht für
den Gast Mundvorrat zurecht. -- Nein, du sollst dich nicht in Unkosten
stürzen, sagt Oline. -- Und du sollst nicht ohne Mundvorrat übers
Gebirge gehen, entgegnet Inger.

Als Oline gegangen ist, schleicht sich Inger hinaus, sieht sich um,
horcht. Kein Laut vom Steinbruch herüber! Sie geht näher hin und hört
die Kinder; sie spielen mit Geröll. Isak hat sich gesetzt; er hält den
Spaten zwischen den Knien und stützt sich darauf, wie auf einen Stock.
Da sitzt er.

Inger schleicht sich zum Waldsaum hin. Sie hatte ein kleines Kreuz in
die Erde gesteckt; das Kreuz liegt am Boden, aber da, wo es gestanden
hat, ist der Rasen weggenommen und die Erde aufgewühlt. Inger setzt
sich nieder und scharrt die Erde mit den Händen wieder zusammen. Und da
sitzt sie.

Sie kam aus Neugier, um zu sehen, wie tief Oline in dem kleinen
Grab gewühlt hat, sie bleibt sitzen, weil die Haustiere noch nicht
heimgekommen sind. Sie weint und schüttelt den Kopf und sieht zu Boden.



7


Die Tage vergehen. Es ist ein ausgezeichnetes Wetter für das Feld, mit
Sonnenschein und Regenschauern, und die Frucht wächst dementsprechend
heran. Die Ansiedler sind mit der Heuernte schon fast fertig, und
sie bekommen eine Menge Heu; fast ist nicht alles unter Dach und
Fach zu bringen, sie stopfen es unter vorspringende Felsen, in den
Stall, unter das Wohnhaus, räumen das Vorratshaus ganz aus und stopfen
dieses auch bis zum Dache voll. Früh und spät arbeitet Inger mit als
unentbehrliche Hilfe und Stütze. Isak benützt jeden Regenaugenblick, um
die neue Scheune unter Dach zu bringen und auf jeden Fall die Südseite
vollständig fertigzumachen, dann kann so viel Heu untergebracht werden,
als es nur gibt. Es geht tüchtig vorwärts, es wird schon recht werden!

Das große, traurige Ereignis mit seiner Sorge war da, die Tat war
getan, und die Folgen würden nicht ausbleiben. Das Gute geht oft einen
spurlosen Weg, das Böse zieht immer seine Folgen nach sich. Isak faßte
die Sache von Anfang an verständig auf und sagte nichts weiter zu
seiner Frau, als: Wie bist du nur dazu gekommen? -- Darauf antwortete
Inger nichts. Und nach einer Weile sagte Isak wieder: Hast du es
erwürgt? -- Ja, sagte Inger. -- Das hättest du nicht tun sollen. --
Nein, antwortete sie. -- Und ich verstehe nicht, wie du es hast tun
können. -- Sie hat genau so ausgesehen wie ich, sagte Inger. -- Wieso?
-- Am Mund. -- Isak dachte lange nach, dann sagte er: Ja, ja.

Weiter wurde vorerst nichts darüber gesprochen, und als die Tage
genau so ruhig vergingen wie vorher und außerdem sehr viel Heu
hereingeschafft und untergebracht werden mußte, auch besonders viel
Feldarbeit zu verrichten war, trat die Missetat allmählich in ihren
Gedanken zurück. Aber sie hing die ganze Zeit über den Menschen und
über der ganzen Ansiedlung. Die Eheleute konnten nicht hoffen, daß
Oline schweigen würde, das war zu unsicher. Und selbst wenn Oline
schwieg, konnten dann die stummen Zeugen nicht eine Stimme bekommen,
die Wände des Hauses oder die Bäume im Walde rings um das kleine Grab?
Os-Anders konnte Andeutungen machen, Inger selbst konnte sich wachend
oder schlafend verraten. Sie waren auf das Schlimmste gefaßt.

Was konnte Isak anders tun, als die Sache verständig auffassen? Jetzt
begriff er, warum Inger jedesmal bei der Geburt hatte allein sein
wollen, allein hatte sie die große Angst über die Wohlgestaltetheit
des Kindes ausstehen, allein der Gefahr entgegengehen wollen. Dreimal
hatte sich das wiederholt. Isak schüttelte den Kopf, und sie tat
ihm sehr leid mit ihrem Unglück, die arme Inger. Und als er von der
Sendung des Lappen mit dem Hasen hörte, da sprach er Inger frei. Das
führte zu großer Liebe zwischen ihnen, einer verrückten Liebe, sie
schmiegten sich aneinander an in der Gefahr, sie war voll urwüchsiger
Süßigkeit gegen ihn, und er wurde wild und unmäßig gierig nach ihr, der
Mühlengeist, der Klotz. Als Schuhwerk gebrauchte sie nur Lappenschuhe,
aber sie hatte nichts von einer Lappennatur an sich, sie war nicht
klein und welk, sondern im Gegenteil herrlich und groß. Jetzt im Sommer
ging sie barfuß und kurzgeschürzt, mit nackten Waden, und von diesen
nackten Waden konnte Isak seine Augen nicht losreißen.

Den ganzen Sommer hindurch sang sie Bruchstücke von Kirchenliedern
und lehrte auch Eleseus Gebete hersagen; aber sie haßte alle Lappen
ganz unchristlich und sagte denen, die vorbeizogen, ihre Meinung
geradeheraus. Sie könnten ja wieder von jemand geschickt sein, könnten
einen Hasen in ihrem Fellsack haben, sie sollten nur weitergehen! --
Einen Hasen? Was für einen Hasen? -- Na, hast du nicht gehört, was
Os-Anders getan hat? -- Nein. -- Ich kann es dir gern selbst sagen. Er
kam mit einem Hasen hierher, als ich guter Hoffnung war. -- Hat man je
so etwas gehört? Hast du einen Schaden davon gehabt? -- Das kümmert
dich nichts, geh jetzt nur! Da hast du einen Bissen und dann mach, daß
du weiterkommst! -- Du hast wohl nicht ein Stück Leder, womit ich meine
Schuhe ausbessern kann? -- Nein, aber einen Stecken kannst du zu fühlen
bekommen, wenn du jetzt nicht gehst.

Ein Lappe bettelt demütig, bekommt er jedoch nichts, dann wird er
rachsüchtig und droht. Jetzt kam ein Lappenpaar mit zwei Kindern an der
Siedlung vorüber; die Kinder wurden ins Haus geschickt, um zu betteln,
sie kamen zurück und meldeten, es sei niemand daheim. Die Familie blieb
eine Weile stehen und redete lappisch miteinander, dann ging der Mann
hinein, um nachzusehen. Er kam nicht wieder. Da ging die Frau ihm nach
und zuletzt auch die Kinder, sie blieben alle in der Stube stehen und
flüsterten in der Lappensprache. Der Mann steckt den Kopf in die Kammer
hinein, auch da war niemand. Jetzt schlägt die Wanduhr, die Familie
lauscht verwundert und bleibt stehen.

Inger mußte geahnt haben, daß fremde Leute auf den Hof kamen, jetzt
lief sie rasch die Halde herunter. Als sie sieht, daß es Lappen sind,
und dazu Lappen, die sie nicht kennt, sagt sie geradeheraus: Was wollt
ihr hier? Habt ihr nicht gesehen, daß niemand daheim war? -- O ja, sagt
der Mann. -- Inger sagt: Macht, daß ihr fortkommt!

Die Familie rückt langsam und widerwillig hinaus. Wir sind
stehengeblieben und haben dieser Uhr zugehört, sagt der Mann. Sie hat
so wundervoll geschlagen. -- Du hast wohl nicht einen Brotlaib für uns?
sagt die Frau. -- Woher kommt ihr? fragt Inger. -- Von Vatnan auf der
andern Seite. Wir sind die ganze Nacht hindurch gewandert. -- Wohin
wollt ihr? -- Übers Gebirge.

Inger geht hinein und richtet etwas Mundvorrat; als sie wieder
herauskommt, bettelt die Frau noch um Stoff zu einer Mütze, um einen
Knäuel Wolle, um ein Stück Ziegenkäse, alles kann sie gebrauchen. Inger
hat keine Zeit, Isak und die Kinder sind auf der gemähten Wiese. Jetzt
geht nur, sagt sie.

Die Frau versucht es mit Schmeicheln: Wir haben dein Vieh auf der Weide
gesehen, es sind so viele Tiere, gerade wie die Sterne am Himmel.
-- Großartig! sagt auch der Mann. Hättest du nicht ein paar alte
Lappenschuhe?

Inger schließt die Haustür und geht zu ihrer Arbeit zurück. Da rief der
Mann ihr etwas nach, sie tat jedoch, als höre sie es nicht, und ging
nur weiter, aber sie hatte es gut gehört. Ist es richtig, daß du Hasen
kaufst?

Das war nicht mißzuverstehen. Der Lappe hatte vielleicht in gutem
Glauben gefragt, vielleicht hatte es ihm jemand weisgemacht, vielleicht
fragte er auch aus Bosheit, aber Inger hatte jedenfalls eine Warnung
erhalten. Das Schicksal meldete sich ...

Die Tage vergingen. Die Ansiedler waren gesunde Menschen, was kommen
sollte, mochte kommen, sie taten ihre Arbeit und warteten. Sie lebten
dicht beieinander wie Tiere im Walde, sie schliefen und aßen, die
Jahreszeit war schon so vorgeschritten, daß sie die neuen Kartoffeln
versuchten; sie waren groß und mehlig. Der Schlag -- warum fiel der
Schlag nicht? Jetzt war es schon Ende August, bald kam der September,
sollten sie den Winter über verschont bleiben? Sie waren beständig
auf der Wacht, jeden Abend krochen sie in ihrer Höhle zusammen, froh
darüber, daß der Tag ohne etwas Schlimmes vergangen war. So verstrich
die Zeit bis zum Oktober, da erschien der Lensmann mit einem Mann und
einer Aktenmappe bei ihnen. Das Gesetz schritt zur Tür herein.

Die Nachforschungen brauchten Zeit, Inger wurde unter vier Augen
verhört. Sie leugnete nichts; das Grab im Walde wurde geöffnet und
geleert und die kleine Leiche zur Untersuchung eingeschickt. Die kleine
Leiche war in Eleseus' Taufkleid gehüllt und hatte die Mütze mit den
Perlen auf dem Köpfchen.

Da fand Isak gleichsam seine Sprache wieder. Ja, ja, jetzt steht es so
schlimm für uns, als es nur kann, sagte er. Ich sage eben auch jetzt
noch dasselbe, du hättest es nicht tun sollen. -- Nein, gibt Inger
zu. -- Wie hast du es gemacht? -- Inger gab keine Antwort. -- Und daß
du es übers Herz hast bringen können! -- Sie war genau so wie ich. Da
legte ich sie aufs Gesicht. Isak schüttelte den Kopf. -- Und dann starb
sie, fuhr Inger fort und brach in lautes Weinen aus. Isak schwieg eine
Weile. Ja, ja, jetzt ist es zu spät zum Weinen, sagte er dann. -- Sie
hatte braunes Haar im Nacken, schluchzte Inger.

Damit war die Angelegenheit wieder zu Ende.

Und wieder vergingen die Tage. Inger wurde nicht festgenommen, die
Obrigkeit ließ Milde walten. Lensmann Heyerdahl fragte sie aus, wie er
jeden anderen Menschen ausgefragt hätte, und sagte nur: Es ist traurig,
daß so etwas vorkommt! Als Inger fragte, wer sie angezeigt habe,
antwortete der Lensmann, niemand, es seien ihm von verschiedenen Seiten
Andeutungen über die Sache gemacht worden. Ob sie sich nicht selbst
teilweise bei einigen Lappen verraten habe? -- Inger antwortete: Ja,
sie habe einigen Lappen von Os-Anders erzählt, der mitten im Sommer mit
einem Hasen zu ihr gekommen sei, und davon habe das Kind unter ihrem
Herzen eine Hasenscharte bekommen. Und Oline habe doch sicher den Hasen
geschickt! -- Davon wußte der Lensmann nichts. Aber wie es auch sein
mochte, solche Unwissenheit und solchen Aberglauben würde er nicht
einmal in sein Protokoll aufnehmen. -- Meine Mutter bekam einen Hasen
zu sehen, als sie mich unter dem Herzen trug, sagte Inger ...

Die Scheune war fertig, es war eine geräumige Hütte mit einem
Heuverschlag auf beiden Seiten und einer Tenne in der Mitte. Das
Vorratshaus und die anderen vorläufigen Aufbewahrungsorte wurden
geräumt und das Heu in die Scheune geschafft. Das Korn wurde
geschnitten, auf Heinzen getrocknet und dann eingefahren. Inger grub
die Karotten und Rüben heraus. Nun war alles unter Dach. Jetzt wäre
alles gut gewesen, Wohlstand herrschte auf der Ansiedlung, Isak rodete
wieder Neuland, bevor der Frost kam, und vergrößerte den Kornacker, und
er war ein wirklicher Roder, das war er. Aber im November sagte Inger:
Jetzt wäre sie ein halbes Jahr alt und hätte uns alle gekannt! -- Da
ist nichts mehr daran zu ändern, sagte Isak.

Im Winter drosch Isak auf der neuen Scheunentenne Korn, Inger half ihm
viele Stunden lang und führte ihren Dreschflegel so gut wie er, während
die Kinder im Heu spielten. Die Ähren gaben große dicke Körner. Gegen
Neujahr war eine gute Schlittenbahn, und Isak fing an Klafterholz
fürs Dorf zu richten; er hatte jetzt feste Käufer, und sein im Sommer
getrocknetes Holz wurde gut bezahlt.

Eines Tages kam er mit Inger überein, das fette Kalb, das von Goldhorn
stammte, mitzunehmen und es zu Madam Geißler zu bringen nebst einem
Ziegenkäse. Die Madam war entzückt und fragte ihn, was die Sachen
kosteten. -- Nichts, sagte Isak, der Lensmann hat es schon bezahlt. --
Gott segne ihn, hat er das getan? sagte Frau Geißler gerührt. Sie gab
Isak für Eleseus und Sivert Bilderbücher und Kuchen und Spielsachen
mit. Als Isak heimkam und Inger die Sachen sah, wendete sie sich
ab und begann zu weinen. Was hast du denn? fragte Isak. -- Nichts,
antwortete Inger. Aber gerade jetzt wäre sie ein Jahr alt gewesen und
hätte alles dieses sehen können. -- Jawohl, aber du weißt doch, wie
sie gewesen ist, erwiderte Isak, um Inger zu trösten. Und außerdem ist
es möglich, daß es nicht so schlimm ausfällt. Ich habe mich erkundigt,
wo Geißler sich aufhält. -- Inger horchte auf. Ja, kann er uns denn
helfen? fragte sie. -- Das weiß ich nicht.

Dann fuhr Isak das Korn in die Mühle, es wurde gemahlen, und er brachte
Mehl nach Hause. Dann ging er wieder in den Wald und fällte Bäume für
das Klafterholz des nächsten Jahres. Sein Leben ging von einer Arbeit
zur andern, je nach den Jahreszeiten vom Feld in den Wald und vom Wald
wieder aufs Feld. Jetzt hatte Isak sechs Jahre auf seiner Ansiedlung
gearbeitet und Inger fünf; alles war recht und gut, wenn es so weiter
ging. Aber es ging nicht so weiter. Inger warf das Weberschiffchen hin
und her und versorgte ihren Viehstand, sie sang auch fleißig geistliche
Lieder, aber, ach, du lieber Gott, ihr Gesang war eine Glocke ohne
Klöppel!

Sobald der Weg gangbar war, wurde sie zum Verhör ins Dorf
hinuntergeholt. Isak mußte daheim bleiben. Während er da allein
war, nahm er sich vor, nach Schweden hinüberzuwandern und Geißler
aufzusuchen, der wohlwollende Lensmann würde den Leuten auf Sellanraa
vielleicht noch einmal freundlich entgegenkommen. Aber als Inger
zurückkam, hatte sie schon nach allem gefragt und wußte über das Urteil
einigermaßen Bescheid. Eigentlich sei es lebenslänglich, Paragraph 1,
aber ... Seht, sie hatte sich mitten vor den heiligen Richterstuhl
des Gesetzes hingestellt und einfach alles gestanden; die beiden
Zeugen der Gemeinde hatten sie mitleidig angesehen, und der Hardesvogt
hatte sie freundlich ausgefragt; aber sie war den hellen Köpfen der
Herren vom Gesetz doch unterlegen. Die hohen Herren Juristen sind so
tüchtig, die kennen ihre Paragraphen, sie haben sie auswendig gelernt
und im Gedächtnis, so helle Köpfe sind sie. Und sie sind auch nicht
ohne Verstand neben ihrem Amt, nicht einmal ohne Herz. Inger konnte
sich nicht über das Gericht beklagen; sie hatte nichts von dem Hasen
gesagt, aber als sie unter Tränen gestand, daß sie ihrem mißgestalteten
Kind nichts so Böses habe antun wollen, wie es am Leben zu lassen,
da hatte der Hardesvogt ernst und sachte mit dem Kopf genickt. Aber,
hatte er gesagt, du hast ja selbst eine Hasenscharte, und dir ist es
doch gut ergangen. -- Ja, Gott sei Dank! hatte Inger nur geantwortet.
Und sie hatte nichts von den geheimen Leiden ihrer Kindheit und Jugend
vorbringen können.

Aber der Hardesvogt mußte doch das eine und andere gemerkt haben,
er schleppte selbst einen Klumpfuß herum und hatte niemals tanzen
können. Das Urteil -- nein, das weiß ich noch nicht. Eigentlich ist es
lebenslängliches Gefängnis, aber ... Und ich weiß nicht, ob wir es in
die nächsten Stufen hinunterbringen, in die zweite oder dritte Stufe,
fünfzehn bis zwölf, zwölf bis neun Jahre. Da sitzen einige Männer und
humanisieren das Strafgesetz, werden aber nicht damit fertig. Aber wir
müssen das Beste hoffen, sagte er.

Inger kam in einer stumpfen Gelassenheit zurück, es war nicht nötig
gewesen, sie in Haft zu behalten. Ein paar Monate vergingen, und als
Isak eines Abends vom Fischen heimkam, waren der Lensmann und sein
neuer Gerichtsbote auf Sellanraa gewesen. Inger war lieb und gut gegen
Isak und lobte ihn, obgleich er nicht viel Fische gefangen hatte.

Was wollte ich doch sagen, sind Fremde hier gewesen? fragte er. --
Fremde? Warum fragst du? -- Ich sehe neue Fußstapfen draußen. Spuren
von Stiefeln. -- Es ist niemand anders dagewesen als der Lensmann und
noch einer. -- So. Was wollten sie? -- Das wirst du dir denken können.
-- Wollten sie dich holen? -- Mich holen? Nein, es war nur das Urteil.
Und das kann ich dir sagen, Isak, Gott ist gnädig gewesen, es ist nicht
so, wie ich gefürchtet habe. -- So, sagte Isak gespannt, dann ist es
vielleicht doch nicht sehr lang? -- Nein, nur einige Jahre. -- Wie
viele? -- Ja, ja, du wirst wohl finden, es seien viele Jahre, aber ich
danke Gott, daß ich wenigstens mit dem Leben davonkomme.

Inger nannte die Zahl nicht. Später am Abend fragte Isak, um welche
Zeit man sie holen würde; aber das wußte sie nicht, oder sie wollte es
nicht sagen. Sie war jetzt wieder sehr nachdenklich, redete davon, daß
sie nicht wisse, wie alles gehen solle, aber Oline werde wohl kommen,
und Isak wußte auch keinen anderen Ausweg. Wo war übrigens Oline
geblieben? Sie war in diesem Jahr nicht wie sonst gekommen. War es ihre
Absicht, ganz wegzubleiben, nachdem sie bei ihnen alles aus dem Geleise
gebracht hatte? Sie machten die Feldarbeit, aber Oline kam nicht.
Sollte man sie vielleicht holen? Ach, sie würde schon dahergeschwankt
kommen, der Fettwanst, das Untier!

Endlich eines Tages kam sie. Welch ein Frauenzimmer! Es war, als sei
zwischen ihr und dem Ehepaar gar nichts vorgefallen, sie strickte sogar
ein Paar gereifelte Strümpfe für Eleseus, wie sie sagte. Ich wollte nur
sehen, wie ihr es hier auf dieser Seite des Gebirges habt, begann sie.
Es zeigte sich, daß sie ihre Kleider und Sachen in einem Sack im Walde
liegen hatte und darauf eingerichtet war, dazubleiben.

Am Abend nahm Inger ihren Mann auf die Seite und sagte: Hast du nicht
gesagt, du wollest versuchen, Geißler aufzufinden? Jetzt ist ruhige
Zeit. -- Ja, antwortete Isak, da Oline jetzt da ist, breche ich gleich
morgen früh auf. -- Inger sagte, sie wäre ihm dankbar dafür. Und du
mußt alles bare Geld mitnehmen, das du hast, sagte sie. -- So. Kannst
du es nicht aufheben? -- Nein.

Inger machte reichlich Mundvorrat für ihn zurecht, und Isak wachte
bereits in der Nacht auf und machte sich zum Aufbruch fertig. Inger
begleitete ihn bis zur Haustür, sie weinte nicht und jammerte nicht,
aber sie sagte: Jetzt können sie jeden Tag kommen, um mich zu holen. --
Weißt du etwas? -- Nein, wie sollte ich etwas wissen? Und es wird wohl
auch noch nicht so bald sein, aber ... Wenn du jetzt nur den Geißler
fändest und er dir irgendeinen guten Rat geben könnte!

Was hätte Geißler jetzt noch tun können? Nichts. Aber Isak ging doch.

Aber ja, Inger hatte wohl etwas gewußt. Sie hatte vielleicht auch durch
irgend jemand Oline Nachricht zukommen lassen. Als Isak von Schweden
heimkam, war Inger abgeholt worden, und Oline war bei den beiden
Kindern geblieben.

Das war eine traurige Nachricht für Isak bei seiner Heimkehr, als er
mit lauter Stimme nach Inger rief und keine Antwort bekam. Ist sie
fort? fragte er. -- Ja, antwortete Oline. -- An welchem Tag war es?
-- Am Tag, nachdem du weggegangen warst. -- Jetzt erriet Isak, daß
Inger bei der Entscheidung wieder allein hatte sein wollen und sie ihn
deshalb auch gebeten hatte, alles Geld mitzunehmen. Ach, Inger hätte
gern ein paar Groschen für die große Reise haben können!

Aber die kleinen Jungen waren gleich ganz in Anspruch genommen von dem
netten gelben Ferkelchen, das Isak mitgebracht hatte. Das war übrigens
auch das einzige, was er mitbrachte. Geißlers Adresse war veraltet.
Geißler war nicht mehr in Schweden, er war in Drontheim. Aber das
Ferkelchen hatte Isak auf seinen Armen von Schweden herübergetragen,
er hatte es mit Milch aus seiner Flasche geatzt und im Gebirge mit ihm
auf der Brust geschlafen. Er hatte Inger eine Freude machen wollen,
jetzt spielten Eleseus und Sivert damit und hatten großen Spaß daran.
Das zerstreute Isak ein wenig. Dazu kam noch, daß Oline vom Lensmann
grüßen konnte und ausrichtete, der Staat sei endlich auf den Verkauf
von Sellanraa eingegangen, und Isak solle nur in die Amtsstube des
Lensmanns hinunterkommen und bezahlen. Das war eine gute Nachricht, und
sie riß Isak aus seiner tiefsten Niedergeschlagenheit heraus. Obgleich
er noch recht müde und steifbeinig von seiner Reise war, packte er
neuen Mundvorrat zusammen und wanderte gleich ins Dorf hinunter. Er
hatte wohl eine leise Hoffnung, Inger noch dort zu treffen.

Aber diese Hoffnung ging nicht in Erfüllung, Inger war fort, für acht
Jahre. Isak wurde es öde und düster zumute, und er verstand nur das
eine und andere von dem, was der Lensmann sagte. Es sei traurig, daß so
etwas vorkommen könne. Er hoffe, es werde Inger eine Lehre sein, daß
sie sich bekehre und ein besserer Mensch werde und ihre Kinder nicht
mehr umbringe.

Lensmann Heyerdahl war seit dem vorigen Jahr verheiratet. Seine Frau
wollte nicht Mutter werden und wollte keine Kinder haben -- sie
bedankte sich dafür. Und sie hatte auch keine.

Endlich kann ich auch die Sache Sellanraa abschließen, sagte der
Lensmann dann. Das Königliche Ministerium ist einigermaßen nach meinen
Vorschlägen auf den Verkauf eingegangen. -- So, sagte Isak. -- Es hat
lang gedauert, aber ich habe die Befriedigung, daß meine Arbeit nicht
vergeblich gewesen ist! Was ich geschrieben habe, ist beinahe Punkt
für Punkt durchgegangen. -- Punkt für Punkt, wiederholte Isak und
nickte. -- Hier ist die Urkunde. Du kannst sie beim nächsten Thing
verlesen lassen. -- Ja, sagte Isak. Was muß ich bezahlen? -- Zehn Taler
jährlich. Hier hat das Ministerium allerdings eine kleine Veränderung
vorgenommen, anstatt fünf Taler jährlich zehn. Ich weiß nicht, wie du
das aufnimmst? -- Wenn ich es nur leisten kann, antwortete Isak. -- Und
zehn Jahre lang. -- Isak sah erschrocken auf. -- Ja, das Ministerium
will auf nichts anderes eingehen, sagte der Lensmann. -- Und das ist
auch gar keine Bezahlung für ein so großes Grundstück, urbar gemacht
und so angebaut, wie es nun dasteht.

Isak hatte die zehn Taler für dieses Jahr, er hatte sie für Klafterholz
und die Ziegenkäse bekommen, die Inger zusammengespart hatte. Er
bezahlte, und es blieb ihm noch ein Rest übrig.

Es ist wirklich ein Glück für dich, daß das Ministerium nichts von der
Tat deiner Frau erfahren hat, fuhr der Lensmann fort. Sonst hätten sie
vielleicht einen anderen Käufer dafür genommen. -- So, sagte Isak,
und dann fragte er: Und sie ist also nun für volle acht Jahre fort?
-- Ja, das läßt sich nicht ändern, die Gerechtigkeit muß ihren Lauf
haben. Ihre Strafe ist übrigens milder als mild. Das nächste, was du
nun zu tun hast, ist, eine deutliche Grenzscheide zwischen dir und
dem Staatseigentum auszuhauen. Rode alles mit Stumpf und Stiel aus,
in gerader Linie nach den Merkzeichen, die ich angegeben und in mein
Protokoll eingetragen habe. Das Holz gehört dir. Ich werde später
hinaufkommen und nachsehen.

Isak wanderte heim.



8


Die Jahre vergehen rasch? Ja, für den, der altert. Isak war weder alt
noch geschwächt, ihm wurden die Jahre lang. Er arbeitete auf seinem
Hofe und ließ seinen rostroten Bart wachsen, wie er wollte.

Ab und zu, wenn ein Lappe vorbeikam oder sich dies und jenes im
Viehstand ereignete, wurde die Einförmigkeit im Ödland unterbrochen.
Einmal kamen viele Männer vorbeigewandert; sie ruhten auf Sellanraa
aus, aßen und tranken Milch dazu und fragten Isak und Oline nach dem
Weg übers Gebirge aus; sie sollten eine Telegraphenlinie abschreiten,
sagten sie. Ein anderes Mal erschien Geißler -- kein Geringerer als
Geißler. Er kam frisch und froh vom Dorfe heraufmarschiert und hatte
zwei Mann bei sich mit Bergwerksgeräten und Pickel und Spaten.

Dieser Geißler! Er war ganz derselbe wie früher, ganz unverändert.
Er sagte guten Tag, plauderte mit den Kindern, ging ins Haus und kam
wieder heraus, betrachtete die Felder, öffnete die Türen von Stall und
Scheune und schaute hinein. Ausgezeichnet! sagte er. Isak, hast du die
kleinen Steine noch? -- Die kleinen Steine? -- Ja, die kleinen schweren
Steine, mit denen dein Junge gespielt hat, als ich das letztemal hier
war?

Die Steine waren im Vorratshaus, sie lagen als Gewicht auf den
Mausefallen, nun wurden sie hereingeholt. Der Lensmann und die beiden
Männer untersuchten sie, besprachen sich darüber, klopften darauf und
wogen sie in der Hand. Schwarzkupfer! sagten sie. -- Kannst du mit ins
Gebirge gehen und uns zeigen, wo du die Steine gefunden hast? fragte
der Lensmann.

Alle miteinander gingen in die Berge, und es war nicht weit bis zur
Fundstätte; aber sie wanderten doch ein paar Tage umher, suchten nach
Metall und sprengten da und dort einen Stein los. Als sie in den Hof
zurückkehrten, brachten sie zwei schwere Säcke voll Steine mit.

Währenddem hatte Isak mit Geißler seine ganze Lage besprochen, auch daß
der Preis für den Hof auf hundert Taler anstatt auf fünfzig festgesetzt
worden war. -- Ach, das spielt keine Rolle, sagte Geißler leichthin.
Du hast vielleicht Kostbarkeiten in deinem Gestein, die Tausende wert
sind. -- So, sagte Isak. -- Aber du mußt die gerichtliche Bestätigung
der Urkunde so rasch wie möglich ins Werk setzen. -- Ja. -- Damit dir
der Staat nicht einen Prügel in den Weg wirft, verstehst du? sagte
er. -- Isak verstand. Ja, ja, aber das Schlimmste ist doch die Sache
mit Inger, erwiderte er. -- Ach ja, sagte Geißler, und er überlegte
für seine Art ungewöhnlich lange. Der Fall könnte vielleicht noch
einmal aufgenommen werden. Wenn alles an den Tag käme, würde ihre
Strafe vielleicht etwas heruntergesetzt. Aber wir könnten vielleicht
um Begnadigung einkommen und damit ungefähr dasselbe erreichen. -- So,
meint Ihr das? -- Um Begnadigung können wir zwar vorderhand noch nicht
einkommen, da muß erst einige Zeit verstrichen sein. Aber was ich sagen
wollte: Du hast meiner Familie ein Kalb und Ziegenkäse gebracht, was
bin ich dir dafür schuldig? -- Nichts, Ihr habt schon dafür bezahlt. --
Ich? -- Und Ihr habt uns so viel geholfen. -- Nein, sagte Geißler kurz,
indem er einige Talerscheine auf den Tisch legte. Hier nimm dies! sagte
er.

Er war ein Mann, der nichts umsonst wollte, und es schienen auch noch
genug Geldscheine in seiner Brusttasche zu stecken, so dick war sie.
Gott mochte wissen, ob er wirklich so reich war!

Aber sie schreibt, sie habe es gut, sagte Isak, der nur an seine
Angelegenheiten dachte. -- Ach so, deine Frau? -- Ja, seit sie das
kleine Mädchen bekommen hat -- sie hat ein kräftiges, wohlgestaltetes
Mädchen bekommen. -- Das ist ausgezeichnet! -- Ja, und die anderen
helfen ihr alle miteinander, und jedermann sei gut gegen sie, schreibt
sie.

Geißler sagte: Jetzt schicke ich diese kleinen Steine hier an einige
gesteinskundige Herren, um zu erfahren, woraus sie bestehen. Wenn
ordentlich Kupfer drin ist, bekommst du viel Geld. -- So, sagte Isak.
Und wann meint Ihr wohl, daß wir um Begnadigung einkommen können? --
In einiger Zeit. Ich werde für dich hinschreiben, und ich komme später
auch selbst wieder her. Was hast du gesagt? Hat deine Frau ein Kind
bekommen, seit sie von hier fort ist? -- Ja. -- Dann haben sie sie
in schwangerem Zustand hier weggeholt? Das hätten sie nicht dürfen.
-- Nicht? -- Nein, und das ist ein Grund mehr, daß sie nach einer
bestimmten Zeit frei wird. -- Das wäre ja sehr gut, sagte Isak dankbar.

Isak wußte nicht, daß die Obrigkeit schon viele und lange Aktenstücke
wegen der schwangeren Frau hatte hin und her schicken müssen. Sie
hatte es seinerzeit aus zweierlei Gründen unterlassen, Inger von ihrem
Hause weg in Haft zu nehmen. Erstens hatte es an einem Arrestlokal
für sie gefehlt, und zweitens hatte die Obrigkeit milde sein wollen.
Die Folgen waren unberechenbar. Später, als Inger festgenommen werden
sollte, hatte niemand nach ihrem Zustand gefragt, und sie selbst hatte
nichts gesagt. Vielleicht hatte sie auch absichtlich geschwiegen, um
das Kind in den bösen Jahren in ihrer Nähe zu haben; wenn sie sich gut
aufführte, durfte sie es vielleicht ab und zu einmal sehen. Vielleicht
war sie aber auch nur stumpf gewesen und war trotz ihres Zustandes
gleichgültig darauf eingegangen, von zu Hause fortgeführt zu werden.

Isak arbeitete auf seinem Grund und Boden, er entwässerte und brach
seine Äcker um, hieb die Grenzscheide zwischen sich und dem Staat
aus, und die dabei gefällten Bäume gaben Klafterholz für ein ganzes
Jahr. Aber da er Inger nicht mehr hatte, die ihn mit ihren Lobsprüchen
anfeuerte, so schaffte er mehr aus Gewohnheit als aus Lust. Nun hatte
er auch schon zwei Thinge vorübergehen lassen, ohne die Bestätigung
seiner Urkunde einzuholen, weil es ihm eben nicht so sehr am Herzen
gelegen hatte. Jetzt erst im Herbst raffte er sich dazu auf. Es stand
bei ihm nicht alles, wie es sein sollte. Geduldig und besonnen, ja
gewiß, das war er, aber er war geduldig und besonnen, weil er von Natur
dazu angelegt war. Er suchte seine Häute zusammen, seine Ziegenfelle
und Kalbfelle, legte sie in den Fluß, schabte später die Haare
herunter, gerbte sie und machte sie zur Verarbeitung für Schuhwerk
fertig. Im Winter stellte er schon beim ersten Schnee sein Saatkorn
fürs nächste Frühjahr auf die Seite, damit das getan war, denn es war
am besten, wenn es bereit stand; er war ein Mann der Ordnung. Aber
er war ein freudloser, einsamer Mann geworden, ach ja, wieder ein
unverheirateter Mann mit allem, was drum und dran war.

Welche Freude war es für ihn jetzt, am Sonntag in seiner Stube zu
sitzen, gewaschen und sauber in seinem roten Hemd, wenn er niemand
mehr hatte, für den er sich hübsch machen konnte? Die Sonntage waren
die längsten von allen Tagen, sie verdammten ihn zum Müßiggang und
zu traurigen Gedanken; er konnte nichts tun, als sich auf seinem
Grundstück umhertreiben und nach allem sehen, was getan werden mußte.
Jedesmal nahm er seine kleinen Jungen mit, immer einen von ihnen auf
dem Arm. Es war so nett, ihr Geplauder anzuhören und auf ihre Fragen zu
antworten.

Die alte Oline hatte er, weil er niemand andern hatte. Und im Grunde
genommen war es nicht so übel, Oline zu haben. Sie kardätschte Wolle
und spann, strickte Strümpfe und Fausthandschuhe, bereitete auch
Ziegenkäse; aber sie hatte keine glückliche Hand und arbeitete ohne
Liebe; von dem, was sie in die Hand nahm, gehörte ihr ja nichts zu
eigen. Da hatte nun Isak einmal zu Ingers Zeit eine besonders hübsche
Dose beim Händler gekauft, die ihren Platz auf dem Wandbrett hatte, sie
war aus Ton und hatte einen Hundekopf auf dem Deckel, eigentlich war
es eine Art Tabaksdose; Oline nahm einmal den Deckel ab und ließ ihn
auf den Boden fallen. Inger hatte einige Fuchsiaableger in einer Kiste
hinterlassen, die mit Glas zugedeckt waren; Oline nahm die Gläser ab
und drückte sie nachher hart und fest wieder darauf. -- Am nächsten
Tage waren alle Ableger tot. Es war wohl nicht so ganz leicht für Isak,
all dies mit anzusehen, und er machte vielleicht ein Gesicht, und da
nichts Weiches oder Schwammhaftes an ihm war, so war es vielleicht ein
gefährliches Gesicht. Oline war unverfroren und zungenfertig und muckte
auf. Kann ich etwas dafür? sagte sie. -- Das weiß ich nicht, erwiderte
Isak, aber du hättest die Hand davon lassen können. -- Ich werde ihre
Blumen nicht mehr anrühren, sagte Oline darauf; aber nun waren sie ja
tot.

Und wozu kamen jetzt sooft Lappen nach Sellanraa, jetzt viel öfters
als früher? Was hatte Os-Anders da zu tun, konnte er nicht einfach
vorübergehen? In einem Sommer kam er zweimal übers Gebirge gewandert;
aber Os-Anders hatte ja keine Renntiere, nach denen er hätte sehen
müssen, sondern lebte vom Bettel und von Besuchen bei anderen Lappen.
Wenn er auf die Ansiedlung kam, ließ Oline alle Arbeit liegen und
klatschte mit ihm über alle Leute im Dorfe, und wenn er wieder ging,
war sein Sack schwer von allem möglichen. Zwei Jahre lang schwieg Isak
geduldig dazu.

Dann wollte Oline wieder neue Schuhe haben, und da schwieg er nicht
länger. Es war im Herbst, und Oline trug jeden Tag Lederschuhe, anstatt
in Lappenschuhen oder Holzpantinen zu gehen. Isak sagte: Es ist schönes
Wetter heute. Hm! So fing er an. -- Ja, sagte Oline. -- Hast du nicht
heute morgen an den Ziegenkäsen bis auf zehn gezählt, Eleseus? fragte
Isak. -- Doch, antwortete Eleseus. -- Aber jetzt sind es nur noch neun.

Eleseus zählte wieder nach und überlegte in seinem kleinen Kopf, dann
sagte er: Ja, und dann der, den Os-Anders bekommen hat, dann sind es
zehn.

Schweigen rings in der Stube. Aber der kleine Sivert wollte auch
zählen, und so wiederholte er die Worte des Bruders: Dann sind es zehn.

Wieder Schweigen ringsum. Da mußte Oline schließlich eine Erklärung
geben. Ja, er hat einen ganz kleinen Käse bekommen, ich habe nicht
gedacht, daß das etwas ausmacht. Aber die Kinder sind noch nicht groß,
und es zeigt sich jetzt schon, was in ihnen steckt. Ich kann wohl sehen
und ausrechnen, wem sie nachschlagen! Dir jedenfalls nicht, Isak, das
weiß ich.

Das war eine Andeutung, die Isak zurückweisen mußte. Die Kinder sind
schon recht, sagte er. Aber kannst du mir sagen, welche Wohltaten
Os-Anders mir und den Meinigen erwiesen hat? -- Wohltaten? versetzte
Oline. -- Ja. -- Er, Os-Anders? wiederholte sie. -- Ja, weil ich ihm
Ziegenkäse schuldig bin. -- Oline hat nun Zeit zum Überlegen gehabt und
gibt folgende Antwort: Gott bewahre mich, Isak! Bin ich es gewesen, die
mit Os-Anders angefangen hat, so soll mich gleich der Schlag rühren!

Ausgezeichnet! Isak muß nachgeben, wie so manches Mal vorher.

Oline gab nicht nach: Und wenn ich jetzt, wo es dem Winter zugeht, hier
barfuß laufen und das nicht zu eigen haben soll, was Gott zu Schuhen
für die Füße geschaffen hat, dann sag es lieber geradeheraus. Schon vor
drei bis vier Wochen habe ich von Schuhen gesprochen, aber ich habe
noch nichts von ihnen gesehen und muß nun mit denen hier herumlaufen.
-- Isak erwiderte: Was fehlt denn eigentlich deinen Holzschuhen, daß
du sie nicht trägst? -- Was ihnen fehlt? fragte Oline überrumpelt.
-- Ja, das möchte ich fragen. -- Den Holzschuhen? -- Ja. -- Du sagst
nichts davon, daß ich Wolle kardätsche und spinne, das Vieh versorge
und die Kinder aufziehe, davon sagst du nichts. Und zum Kuckuck, deine
Frau, die im Gefängnis sitzt, die ist doch wohl auch nicht barfuß im
Schnee herumgelaufen. -- Nein, sie trug Holzschuhe, sagte Isak. Und
wenn sie in die Kirche oder zu ordentlichen Leuten ging, dann trug
sie Lappenschuhe, sagte er. -- Ja, ja, antwortete Oline, sie war eben
soviel besser! -- Ja, das war sie. Und wenn sie im Sommer Lappenschuhe
trug, so hatte sie nichts als dürres Gras darin. Aber du, du trägst das
ganze Jahr Strümpfe und Schuhe.

Oline sagte: Was das betrifft, so werde ich meine Holzschuhe wohl noch
abnützen. Ich habe nicht geglaubt, daß es so große Eile hätte, meine
eigenen Holzschuhe durchzulaufen. -- Sie sprach leise und gedämpft,
aber sie kniff die Augen halb zu, oh, sie war klug und schlau. Die
Inger, sagt sie, der Wechselbalg, wie wir sie genannt haben, ist unter
meinen Kindern umhergegangen und hat da in all den Jahren dies und
jenes gelernt. Jetzt haben wir den Dank dafür. Wenn meine Tochter in
Bergen einen Hut trägt, dann tut das Inger vielleicht südwärts da
drunten auch, ja, vielleicht ist sie nach Drontheim gereist, um sich
einen Hut zu kaufen, haha!

Isak stand auf und wollte hinausgehen. Aber jetzt war Oline das Herz
aufgegangen, und sie zeigte, wie schwarz es war, ja, sie strahlte
wahrhaftig Dunkelheit aus, sagte, keine von ihren Töchtern habe ein
Gesicht wie ein feuerspeiendes Raubtier, könne sie gern sagen, aber
deshalb seien sie doch gut genug. Nicht alle hätten Geschick dazu,
Kinder umzubringen. -- Jetzt nimm dich aber in acht! rief Isak, und
um sich recht klar verständlich zu machen, fügte er noch hinzu: Du
verdammtes Weibsbild.

Aber Oline nahm sich nicht in acht, nein. Haha! sagte sie und sah zum
Himmel auf und deutete an, daß es eigentlich übertrieben sei, mit einer
solchen Hasenscharte herumzulaufen wie gewisse Leute. Man könne auch
darin Maß halten.

Isak war wohl froh, als er endlich glücklich aus dem Hause draußen war.
Und was blieb ihm anderes übrig, als Oline Lederschuhe zu verschaffen!
Er war ein Ansiedler im Walde und war nicht einmal so weit den Göttern
ähnlich, daß er seine Arme über der Brust kreuzen und zu seinem
Dienstboten sagen konnte: Geh! Eine so unentbehrliche Haushälterin wie
Oline war in Sicherheit, sie mochte sagen und tun, was sie wollte.

Die Nächte sind kühl, und es ist Vollmond, die Moore erstarren so weit,
daß sie zur Not einen Mann tragen; bei Tag taut die Sonne sie wieder
auf und macht sie ungangbar. Isak wandert in einer kühlen Nacht ins
Dorf hinunter, um Schuhe für Oline zu bestellen. Er hat zwei Ziegenkäse
mit für Frau Geißler.

Auf halbem Wege nach dem Dorf hat sich nun der neue Ansiedler
niedergelassen. Er war wohl ein vermöglicher Mann, da er Zimmerleute
vom Dorfe bestellt hatte, die ihm sein Haus bauten, und dazu noch
Taglöhner, um ein Stück sandiges Moor für Kartoffeln umzugraben; er
selbst tat nichts oder nur wenig. Der Mann war Brede Olsen, Amtsdiener
und Gerichtsbote, ein Mann, an den man sich wenden mußte, wenn der
Doktor geholt oder bei der Pfarrfrau ein Schwein geschlachtet werden
sollte. Brede Olsen war noch nicht dreißig Jahre alt, hatte aber schon
vier Kinder zu versorgen, außer seiner Frau, die eigentlich auch noch
ein Kind war. Ach, Bredes Mittel waren wohl nicht so sehr groß, es warf
nicht so sehr viel ab, Topf und Pfanne zu sein und zu Auspfändungen zu
fahren; jetzt wollte er es mit der Landwirtschaft versuchen. Für seinen
Hausbau hatte er auf der Bank Geld aufgenommen. Sein Grundstück hieß
Breidablick, Lensmann Heyerdahls Frau hatte ihm diesen herrlichen Namen
gegeben.

Isak geht an der Ansiedlung vorüber und nimmt sich nicht Zeit,
hineinzugehen, aber so früh am Morgen es auch ist, am Fenster stehen
schon dichtgedrängt die Kinder und schauen heraus. Isak eilt vorüber,
er will beim nächsten Nachtfrost schon wieder hier zurück sein. Im
Ödland draußen hat ein Mann gar viel zu bedenken und sich zu überlegen,
wie er es auf die beste Weise einrichtet. Er hat zwar jetzt gerade
nicht so übermäßig viel Arbeit, aber er hat Heimweh nach den Kindern,
die daheim bei Oline zurückgeblieben sind.

Während er so dahinschreitet, muß er unwillkürlich an seine erste
Wanderung hier denken. Die Zeit ist dahingegangen, die beiden letzten
Jahre sind sehr lang gewesen; vieles ist gut gewesen auf Sellanraa,
aber etwas ist schlimm gewesen, ach ja, Herrgott im Himmel! Nun war
also eine neue Ansiedlung hier entstanden; Isak erkannte die Stelle gut
wieder, dies war einer von den wirklichen Plätzen, die er auf seiner
ersten Wanderung untersucht, dann aber wieder aufgegeben hatte. Es
war hier näher beim Dorf, jawohl, aber der Wald war nicht so gut; es
war hier Ebene, aber Moor, die Erde war leicht umzubrechen, aber das
Entwässern war schwierig. Der gute Brede hatte noch keinen Acker damit,
daß er Moorboden umgrub. Und was sollte das heißen, wollte denn Brede
nicht einen Schuppen an die Scheune anbauen für Geräte und Fahrzeuge?
Isak sah einen zweirädrigen Karren unter offenem Himmel gerade vor dem
Hause stehen.

Er macht seine Besorgung beim Schuhmacher, aber Geißler ist weggereist;
da verkauft er seine Ziegenkäse an den Krämer. Am Abend geht er
heimwärts. Es gefriert immer mehr, so daß man leicht übers Moor gehen
kann; aber Isaks Gang ist schwer. Gott mochte wissen, wann Geißler nun
wiederkam, da seine Frau verreist war, vielleicht kam er nie wieder.
Inger war fort, die Zeit verging.

Er geht auch jetzt auf dem Rückweg nicht zu Bredes hinein, nein, er
macht einen Bogen um Breidablick herum und kommt so ungesehen vorbei.
Er will nicht mit Menschen reden, er will nur weitergehen. Noch
immer steht Bredes Fuhrwerk im Freien. Ich möchte wissen, ob es da
stehenbleibt? denkt Isak. Na, jeder hat das Seine! Jetzt hat er ja
selbst, er, Isak, ein Fuhrwerk und einen Schuppen dazu, aber es ist
deshalb doch nicht besser gegangen, sein Heim ist nur halb, einmal war
es ganz, jetzt ist es nur halb.

Als er bei vollem Tageslicht so weit gekommen ist, daß er sein Haus auf
der Halde droben sehen kann, wird ihm leichter ums Herz, obgleich er
müde und matt ist nach der zweitägigen Wanderung. Die Gebäude stehen
noch da. Rauch steigt vom Schornstein auf, beide Jungen sind im Freien,
sowie sie ihn sehen, stürmen sie ihm entgegen. Er geht hinein, in der
Stube sitzen zwei Lappen. Oline steht überrascht vom Hocker auf und
sagt: Was -- bist du schon wieder da? Sie kocht Kaffee auf dem Herd.
Kaffee? Kaffee!

Isak hat es wohl schon früher bemerkt: wenn Os-Anders oder andere
Lappen dagewesen sind, kocht Oline sich lange Zeit nachher in Ingers
kleinem Kessel Kaffee. Sie tut es, wenn Isak im Wald oder auf dem Feld
ist; und wenn er unerwartet heimkommt und es sieht, schweigt er. Aber
er weiß, daß er jedesmal um ein Bündel Wolle oder einen Ziegenkäse
ärmer geworden ist. Deshalb ist es sehr gut von Isak, daß er Oline
jetzt nicht packt und zwischen seinen Händen zerschmettert für ihre
Niedertracht. Ja, im ganzen genommen versucht es Isak in Wahrheit, ein
immer besserer Mensch zu werden, was er auch dabei im Sinne haben
mag, ob er es um des lieben Friedens willen tut oder weil er hofft,
Gott werde ihm dann Inger früher zurückgeben. Er hat einen Hang zum
Grübeln und zum Aberglauben; selbst die Bauernschlauheit, die er hat,
ist treuherzig. Jetzt eben im Herbst hatte es sich gezeigt, daß das
Torfdach auf seinem Stall auf das Pferd herabzusinken drohte; da kaute
Isak ein paarmal an seinem rostigen Bart, aber dann lächelte er wie
jemand, der einen Spaß versteht, er richtete das Dach auf und stützte
es mit Sparren. Kein böses Wort entfuhr ihm. Ein anderer Zug: Das
Vorratshaus, in dem alle seine Lebensmittel untergebracht waren, stand
nur mit den Ecken auf hohen steinernen Füßen. Nun gelangten durch die
große Öffnung in der Grundmauer kleine Vögel ins Vorratshaus hinein,
flatterten darin herum und fanden den Weg nicht mehr hinaus. Oline
klagte, die kleinen Vögel pickten an den Eßwaren herum, liefen auf dem
Speck hin und her, ja, sie täten auch das, was noch schlimmer sei,
darauf. Isak sagte: Ja, es ist auch schlimm, daß die kleinen Vögel
hereinkommen und den Weg nicht mehr hinausfinden! Und mitten in der
strengen Arbeitszeit brach er Steine aus und füllte die Mauer damit auf.

Gott mochte wissen, was er sich dabei dachte, ob er hoffte, er werde,
wenn er sich so gut aufführe, Inger schon bald zurückbekommen.



9


Die Jahre vergehen.

Wieder kam ein Ingenieur mit einem Vorarbeiter und zwei Arbeitern nach
Sellanraa, und sie wollten wieder eine Telegraphenlinie übers Gebirge
abschreiten. So, wie sie jetzt abschritten, würde die Linie nicht
weit von Isaks Haus zu liegen kommen, und ein gerader Weg würde durch
den Wald geführt werden. Aber das schadete nichts, es würde den Ort
weniger öde machen, die Welt würde hereinkommen und ihn erhellen.

Der Ingenieur sagte: Dieser Platz hier wird nun der Mittelpunkt
zwischen zwei Tälern, man wird dir vielleicht die Aufsicht über die
Linie nach beiden Seiten hin anbieten. -- So, sagte Isak. -- Du
bekommst fünfundzwanzig Taler im Jahr dafür. -- So, sagte Isak, aber
was habe ich dafür zu tun? -- Die Leitung in Ordnung halten, die Drähte
ausbessern, wenn sie abgerissen sind, die Büsche weghauen, wenn sie
in die Linie hineinwachsen. Du bekommst eine nette kleine Maschine
an deine Wand, die dir zeigt, wenn du hinaus mußt. Dann mußt du
augenblicklich alles liegen und stehen lassen und gehen.

Isak überlegte: Im Winter könnte ich die Arbeit übernehmen, sagte er
dann. -- Nein, es muß das ganze Jahr hindurch sein, das ganze Jahr
natürlich, Sommer wie Winter. -- Aber Isak erklärte: Im Frühjahr und
im Sommer und im Herbst habe ich meine Feldarbeit und keine Zeit für
anderes.

Da mußte der Ingenieur Isak eine gute Weile ansehen, ehe er die
folgende erstaunte Frage tat: Kannst du damit mehr verdienen? --
Verdienen? sagte Isak. -- Ob du an den Tagen, die du bei der Aufsicht
der Telegraphenlinie verbringen mußt, mit Feldarbeit mehr verdienen
kannst? -- Das weiß ich nicht, antwortete Isak. Aber es ist nun einmal
so, daß ich wegen der Felder hier bin. Ich habe für das Leben von
vielen Menschen und von noch mehr Haustieren zu sorgen. Wir leben
von dem Grundstück. -- Ja, ja, ich kann den Posten auch einem andern
anbieten, versetzte der Ingenieur.

Diese Drohung schien wahrhaftig Isak das Herz nur zu erleichtern, er
wollte dem hohen Herrn wohl nur ungern eine abschlägige Antwort geben,
und so erklärte er: Ich habe ein Pferd und fünf Kühe, dazu einen
Stier. Dann habe ich zwanzig Schafe und sechzehn Ziegen. Die Tiere
geben uns Nahrung und Wolle und Felle, sie müssen Futter haben. -- Ja,
das ist klar, sagte der Ingenieur kurz. -- Jawohl. Und nun sage ich
nichts weiter als, wie sollte ich das Futter für sie herschaffen, wenn
ich mitten in der Heuernte fortgehen müßte und nach dem Telegraphen
sehen? -- Der Ingenieur erwiderte: Wir wollen gar nicht mehr darüber
reden. Der Mann da unten, Brede Olsen, soll die Aufsicht bekommen, er
übernimmt sie wohl gerne. -- Dann wendete er sich an seine Leute und
befahl: Kommt, wir wollen weitergehen!

Nun erriet wohl Oline an dem Ton, daß Isak steif und unvernünftig
gewesen war, das mußte ihr zugute kommen. Was hast du gesagt, Isak?
Sechzehn Ziegen? Es sind doch nicht mehr als fünfzehn. -- Isak sah sie
an, und Oline sah ihn an, sah ihm mitten ins Gesicht. -- Sind es nicht
sechzehn Ziegen? -- Nein, versetzte sie und sah den fremden Herrn über
Isaks Unvernunft ratlos an. -- So, sagte Isak leise. Er nahm einen
Büschel seines Bartes zwischen die Zähne und begann darauf zu kauen.

Der Ingenieur und seine Leute entfernten sich.

Wenn es nun Isak darum zu tun gewesen wäre, sich mit Oline unzufrieden
zu zeigen und sie vielleicht zu schlagen, so hätte er jetzt eine
gute Gelegenheit, oh, eine herrliche Gelegenheit dazu gehabt. Sie
waren wieder allein in der Stube, die Kinder waren mit den Fremden
hinausgelaufen und verschwunden. Isak stand mitten im Zimmer, und
Oline saß am Herd. Isak räusperte sich ein paarmal, um sie verstehen
zu lassen, daß er nicht weit davon entfernt sei, sich auszusprechen.
Aber er schwieg. Das war seine Seelenstärke. Sollte er etwa nicht
wissen, wie viele Ziegen er hatte, konnte er sie nicht an den Fingern
herzählen, war das Weib verrückt? Sollte eines von den Tieren im
Stall, mit denen er persönlich umging, mit denen er täglich plauderte,
verschwunden sein, eine von den Ziegen, die sechzehn an der Zahl waren!
Dann hatte wohl Oline die eine Ziege um irgend etwas vertauscht,
gestern, als die Frau von Breidablick dagewesen war und sich umgesehen
hatte.

Hm! sagte Isak, und er war nahe daran, noch mehr zu sagen. Was hatte
Oline getan? Es war vielleicht nicht geradezu ein Mord, aber doch nicht
weit davon. Er konnte in tödlichem Ernst von der sechzehnten Ziege
reden.

Er konnte jedoch nicht in alle Ewigkeit hier mitten in der Stube stehen
und schweigen. Er sagte: Hm! So, es sind also jetzt nicht mehr als
fünfzehn Ziegen? -- Nein, antwortete Oline freundlich. Ja, du kannst
sie ja selbst zählen, ich bekomme nicht mehr als fünfzehn heraus.

Jetzt, in diesem Augenblick hätte er es tun können: die Hände
ausstrecken und Oline in der Gestalt bedeutend verändern, nur mit einem
guten Griff. Das hätte er tun können. Er tat es nicht, aber er sagte
laut, indem er nach der Tür ging: Ich sage jetzt nichts weiter! Damit
ging er hinaus, wie wenn es beim nächsten Male von seiner Seite nicht
an deutlichen Worten fehlen sollte.

Eleseus! rief er.

Wo war Eleseus, wo waren beide Jungen geblieben? Der Vater wollte
eine Frage an sie stellen, sie waren jetzt große Jungen und hatten
Augen im Kopfe. Er fand sie unter dem Scheunenboden, sie waren da ganz
hineingekrochen und vollständig unsichtbar, aber sie verrieten sich
durch ein ängstliches Flüstern. Dann kamen sie zum Vorschein wie zwei
Sünder.

Die Sache war die, daß Eleseus ein Stück farbigen Bleistift gefunden
hatte, das dem Ingenieur gehörte; aber als er ihm damit nachlaufen
wollte, waren die weitausschreitenden erwachsenen Männer schon ein
Stück droben im Walde drin, und Eleseus blieb stehen. Der Gedanke stieg
in ihm auf, er könnte am Ende den Bleistift behalten -- ach, wenn er
das könnte! Er zog den kleinen Sivert mit sich fort, damit er die
Verantwortung nicht allein hätte, und dann krochen die zwei mit ihrer
Beute in einen Winkel unter dem Scheunenboden. Ach, dieses kurze Stück
Bleistift -- es war eine Merkwürdigkeit in ihrem Leben, ein Wunder!
Sie suchten sich Holzspäne und bedeckten sie mit allerlei Strichen,
und der Bleistift zeichnete rot mit dem einen Ende und blau mit dem
andern; die Jungen wechselten ab, wer ihn haben durfte. Als nun der
Vater so eindringlich und laut rief, flüsterte Eleseus: Die Fremden
sind wohl zurückgekommen, um den Bleistift zu holen! Da war die Freude
daran plötzlich verschwunden, sie war wie aus ihrer Seele weggewischt,
und die kleinen Herzen begannen ängstlich zu schlagen und zu hämmern.
Die Brüder krochen hervor; Eleseus hielt dem Vater den Bleistift auf
Armlänge entgegen, um ihm zu zeigen, daß sie ihn nicht zerbrochen
hatten, aber sie wünschten, sie hätten ihn nie gesehen.

Doch sie sahen keinen Ingenieur, da beruhigten sich ihre Herzen wieder
und fühlten einen wahren Gottesfrieden nach der Spannung.

War gestern eine Frau hier? fragte der Vater. -- Ja. -- Die Frau von
drunten? Habt ihr sie gesehen, als sie wegging? -- Ja. -- Hatte sie
eine Ziege bei sich? -- Nein, sagten die Kinder. Eine Ziege? -- Hatte
sie nicht eine Ziege bei sich, als sie wieder heimging? -- Nein. Was
für eine Ziege?

Isak überlegte und grübelte nach, und am Abend, als das Vieh von der
Weide zurückkam, zählte er die Ziegen zum erstenmal: es waren sechzehn.
Er zählte sie noch einmal, zählte fünfmal -- es waren sechzehn Ziegen.
Keine fehlte.

Isak atmete erleichtert auf. Wie war das zu verstehen? Oline, diese
Kreatur, hatte wohl nicht bis sechzehn zählen können. Er sagte in
ärgerlichem Ton zu ihr: Was faselst du denn, es sind ja sechzehn
Ziegen! -- Sind es sechzehn? fragte sie unschuldig. -- Ja. -- So, ja,
ja. -- Ja, du bist mir ein guter Rechenmeister. -- Darauf erwiderte
Oline ruhig und gekränkt: Nun, wenn alle Ziegen da sind, dann hat Oline
Gott sei Dank keine von ihnen aufgefressen. Ich bin recht froh für sie!

Sie verwirrte ihn mit diesem Streich und brachte ihn dazu, sich die
Sache aus dem Kopf zu schlagen. Er zählte nun den Viehstand nicht
mehr, es fiel ihm auch nicht ein, die Schafe zu zählen. Natürlich war
Oline nicht so schlimm, sie führte ihm gewissermaßen das Hauswesen,
versorgte sein Vieh, sie war nur sehr dumm -- aber dadurch schadet sie
sich selbst und nicht ihm. Mochte sie dableiben und weiterleben, sie
war nicht mehr wert. Aber es war düster und freudlos, in einem solchen
Leben der Isak zu sein.

Die Jahre waren vergangen. Jetzt war Gras auf dem Hausdach gewachsen,
ja, sogar das Scheunendach, das mehrere Jahre jünger war, stand grün.
Die Eingeborene des Waldes, die Feldmaus, hatte längst im Vorratshaus
ihren Einzug gehalten. Es schwirrte von Meisen und anderen kleinen
Vögeln auf der Ansiedlung, auf der Halde gab es Auerhähne, ja, auch
Krähen und Elstern waren herbeigekommen. Aber das Merkwürdigste hatte
sich doch im letzten Sommer begeben, da waren Möwen von der Meeresküste
heraufgeflogen und hatten sich auf dieses Grundstück im Ödland
herabgesenkt. So bekannt war die Ansiedlung unter der ganzen Schöpfung
geworden. Und was meint ihr, welche Gedanken in Eleseus und dem kleinen
Sivert aufstiegen, als sie die Möwen sahen? Oh, es waren fremde Vögel
von weit her, und sie waren nicht sehr zahlreich, aber es waren doch
sechs Stück, weiße Vögel, alle ganz gleich; sie spazierten auf den
Feldern umher, zuweilen bissen sie Gras ab. -- Vater, warum sind sie
hierhergekommen? fragten die kleinen Buben. -- Weil sie auf dem Meer
einen Sturm erwarteten. -- Ach, wie sonderbar und geheimnisvoll war
das mit den Möwen!

Und vieles andere Gute lehrte Isak seine Kinder. Sie waren jetzt
so alt, daß sie in die Schule gehen sollten, aber die Schule war
drunten im Dorfe, viele Meilen entfernt und nicht zu erreichen. An
den Sonntagen hatte Isak den Kindern selbst das Abc beigebracht, aber
irgendeinem höheren Unterricht war er nicht gewachsen, nein, dazu
war dieser geborene Landmann nicht geschaffen. Der Katechismus, die
biblische Geschichte lagen deshalb ruhig auf dem Wandbrett neben den
Ziegenkäsen. So wie Isak die Kinder heranwachsen ließ, mußte er wohl
denken, Unkenntnis in Buchweisheit sei für den Menschen bis zu einem
gewissen Grad eine Kraft. Beide Jungen waren ihm eine Herzensfreude;
Isak mußte oft daran denken, wie ihre Mutter, als sie noch ganz klein
waren, ihm verboten hatte, sie anzufassen, weil er Harz an den Händen
habe. Oh, Harz, das Reinste auf der Welt! Teer und Ziegenmilch und
zum Beispiel Mark -- sind auch gesund und vortrefflich; aber Harz,
Tannenharz -- o schweigt!

Ja, da gingen also die Kinder in einem Paradies von Schmutz und
Unwissenheit umher; aber es waren hübsche Kinder, wenn sie sich ein
seltenes Mal wuschen, und Klein-Sivert war geradezu ein Prachtkerl;
aber Eleseus war feiner und tiefer angelegt. -- Ja, aber woher können
die Möwen wissen, daß ein Sturm droht? fragte er. -- Sie werden
wetterkrank, antwortete der Vater. Aber außerdem sind sie nicht mehr
wetterkrank als die Fliegen, fuhr er fort, was diese auch haben mögen,
ob sie Gicht bekommen oder ob ihnen schwindlig wird oder so etwas.
Aber schlagt nie nach einer Fliege, denn dann wird sie nur schlimmer,
sagte er. Vergeßt das nicht, Jungen! Die Bremse ist von anderer Art,
sie stirbt von selbst. Ganz unversehens kommt die Bremse im Sommer
eines Tages daher, und hast du nicht gesehen, so ist sie auch wieder
verschwunden! -- Wo bleibt sie? fragte Eleseus. -- Wo sie bleibt? Das
Fett erstarrt in ihr, und dann bleibt sie liegen!

An jedem Tag mehr Gelehrsamkeit: Wenn die Kinder von hohen Felsblöcken
heruntersprangen, sollten sie die Zunge gut im Munde behalten, damit
sie ihnen nicht zwischen die Zähne komme. Wenn sie größer würden
und für die Kirche gut riechen wollten, sollten sie sich mit etwas
Rainfarn, der auf der Halde droben wuchs, einreiben. Der Vater war
voller Weisheit. Er erzählte den Kindern von den Steinen und vom
Feuerstein, und daß der weiße Stein härter sei als der graue; aber wenn
er einen Feuerstein fand, mußte er auch einen Feuerschwamm suchen, den
er in Lauge kochte und aus dem er dann Zunder machte. Dann schlug er
Feuer. Er erzählte ihnen vom Mond und sagte, wenn sie mit der linken
Hand in die Mondsichel hineingreifen könnten, dann sei der Mond im
Zunehmen, könnten sie das aber mit der rechten tun, dann sei er im
Abnehmen. -- Vergeßt das nicht, Jungen! Ein seltenes Mal ging Isak
indes zu weit, und da wurde er sonderbar und unverständlich: einmal kam
er mit einem Ausspruch daher, der darauf hinauslief, es sei schwieriger
für ein Kamel in den Himmel zu kommen, als für einen Menschen durch
ein Nadelöhr zu gehen. Ein anderes Mal, als er ihnen von dem Glanz
der Engel berichtete, sagte er, die Engel hätten die Sterne statt
Beschlägen an die Absätze ihrer Schuhe genagelt. Das war ein guter,
treuherziger Unterricht, der auf die Ansiedlung paßte, der Schullehrer
im Dorf drunten würde darüber gelächelt haben; Isaks Kinder dagegen
nährten ihre Phantasie ziemlich stark damit. Sie wurden für ihre eigene
enge Welt erzogen und unterrichtet; was hätte besser sein können? Beim
Schlachten im Herbst waren die Jungen höchst neugierig; für die Tiere,
die geschlachtet werden sollten, hatten sie große Angst, und ihre
kleinen Herzen waren tief betrübt. Da mußte nun Isak mit der einen
Hand das Tier festhalten und mit der andern zustechen, und Oline rührte
das Blut um. Jetzt wurde der alte Bock herausgeführt, weiß und bärtig
war er, die beiden kleinen Burschen standen an der Hausecke und guckten
hervor.

Das ist doch ein abscheulicher Wind heuer, sagte Eleseus und wendete
sich ab und wischte sich die Augen. Der kleine Sivert weinte
offenherziger, er konnte sich nicht beherrschen, sondern rief: Ach, der
arme alte Bock!

Als der Bock gestochen war, trat Isak zu seinen Kindern und gab ihnen
folgende Lehre: Ihr sollt nie ein Schlachtopfer bedauern und nicht
armes Tier sagen. Denn sonst wird es nur lebenszäher. Vergeßt das nicht!

So waren die Jahre vergangen, und abermals näherte sich der Frühling.

Inger hatte wieder geschrieben, daß sie es gut habe und in der Anstalt
sehr viel lerne. Ihr kleines Kind sei jetzt ein großes Mädchen, sie
heiße Leopoldine nach dem Tag ihrer Geburt, dem 15. November. Sie
könne alles und sei ein wahres Genie im Häkeln und Nähen, alles sei
wunderschön gearbeitet, einerlei, ob auf Stoff oder Stramin.

Das Merkwürdige an diesem letzten Brief war, daß Inger ihn selbst
buchstabiert und geschrieben hatte. Isak war nicht so geschickt, er
mußte sich den Brief beim Händler im Dorf vorlesen lassen; aber als er
ihn erst im Kopf hatte, saß er auch fest darin, und als Isak heimkam,
konnte er ihn auswendig.

Nun setzte er sich mit großer Feierlichkeit oben an den Tisch, breitete
den Brief aus und las ihn seinen Jungen vor. Oline sollte auch gerne
sehen, daß er Geschriebenes fließend lesen konnte, aber sonst richtete
er nicht einmal das Wort an sie. Als er fertig war, sagte er: Da könnt
ihr hören, du, Eleseus, und du, Sivert, eure Mutter hat diesen Brief
selbst geschrieben und hat alles mögliche gelernt. Und euer kleines
Schwesterchen kann jetzt schon mehr als wir alle miteinander. Vergeßt
das nicht, Jungen! -- Die Kinder saßen ganz still da und wunderten
sich. -- Ja, das ist großartig, sagte Oline.

Was meinte sie damit? Zog sie Ingers Wahrhaftigkeit in Zweifel? Oder
traute sie Isaks Vorlesen nicht? Olines wahre Meinung war nicht
leicht zu ergründen, wenn sie mit ihrem sanften Gesicht so dasaß und
Zweideutigkeiten sagte. Isak beschloß, sie gar nicht zu beachten.

Und wenn eure Mutter nun heimkommt, dann müßt ihr auch schreiben
lernen, sagte er zu den beiden Kindern.

Oline machte sich mit ein paar Kleidungsstücken zu schaffen, die am
Ofen zum Trocknen hingen, schob einen Kessel hin und her, hängte die
Kleidungsstücke wieder um und tat überhaupt sehr geschäftig. Aber
sie überlegte die ganze Zeit. -- Wenn es dann so großartig hier im
Walde wird, dann hättest du auch ein halbes Pfund Kaffee kaufen und
mitbringen können, sagte sie. -- _Kaffee?_ sagte Isak, das Wort entfuhr
ihm unwillkürlich. -- Oline antwortete ruhig: Bis jetzt habe ich immer
ein wenig von meinem eigenen Geld gekauft.

Kaffee, der für Isak ein Traum und ein Märchen war, ein Regenbogen!
Oline spottete natürlich, er wurde nicht böse auf sie; aber schließlich
fiel dem langsam denkenden Mann Olines Tauschhandel mit den Lappen
ein, und er sagte zornig: Ja, ich werde dir Kaffee kaufen! Ein halbes
Pfund hast du gesagt? Du hättest ein ganzes Pfund sagen sollen. Es
soll wahrlich nicht fehlen. -- Du brauchst nicht so zu spotten, Isak,
sagte sie. Mein Bruder Nils hat Kaffee, und drunten bei Bredes auf
Breidablick haben sie Kaffee. -- Jawohl, denn sie haben keine Milch,
gar keine Milch. -- Nun, das weiß ich nicht, und es ist mir auch
einerlei. Aber du, der so viel weiß und Geschriebenes so gut lesen kann
wie eine Renntierkuh laufen, du weißt wohl, daß es jetzt in allen
Häusern Kaffee gibt. -- Kreatur! sagte Isak.

Da setzte sich Oline auf den Hocker und wollte durchaus nicht
schweigen. Und was Inger betrifft, sagte sie, wenn ich ein so großes
Wort überhaupt in den Mund nehmen darf. -- Du kannst sagen, was du
willst, ich kümmere mich nicht darum. -- Sie kommt heim und hat alles
gelernt. Und dann hat sie wohl Perlen und Federn auf dem Hut? -- Ja,
das hat sie wohl. -- Ja, ja, sagte Oline, nun kann sie sich bei mir
ein bißchen für alle diese Größe bedanken, die sie erreicht hat. --
Bei dir? entfuhr es Isak. -- Oline antwortete demütig: Da ich ja als
geringes Werkzeug dazu gedient habe, sie fortzubringen.

Darauf konnte Isak nichts mehr sagen, die Worte blieben ihm im Halse
stecken, er saß still da und starrte vor sich hin. Hatte er recht
gehört? Oline sah aus, als habe sie gar nichts Besonderes gesagt. Nein,
in einem Wortstreit zog Isak den kürzeren.

Düsteren Sinnes trieb er sich draußen herum. Oline, dieses Vieh,
das sich von Bosheit nährte und fett dabei wurde -- oh, es war wohl
verkehrt von ihm gewesen, daß er sie nicht gleich im ersten Jahr
erschlagen hatte, dachte er und tat vor sich selbst groß. Dazu hätte
er der Mann sein sollen, dachte er weiter. Mann -- er? O ja, niemand
konnte fürchterlicher sein.

Und nun folgt ein komischer Auftritt: er geht in den Stall und zählt
seine Ziegen; da stehen sie mit ihren Zicklein und sind vollzählig.
Er zählt die Kühe, das Schwein, vierzehn Hühner, zwei Kälber. Und die
Schafe habe ich fast vergessen! sagt er laut zu sich selbst. Er zählt
auch die Schafe und tut, als sei er sehr gespannt, ob sie vollzählig
sind. Isak weiß sehr wohl, daß ein Schaf fehlt, ja, er hat es schon
lange gewußt, warum also tun, als wüßte er es nicht? Die Sache ist die:
Oline hatte ihn ja damals verwirrt gemacht und eine Ziege verleugnet,
obgleich alle Ziegen dagewesen waren. Damals war er tüchtig ins Zeug
gefahren, es war aber nichts dabei herausgekommen. Bei einem Streit mit
Oline kam nie etwas heraus. Als er im Herbst schlachten wollte, hatte
er gleich gemerkt, daß ein Mutterschaf fehlte, aber er hatte nicht das
Herz gehabt, sofort Rechenschaft dafür zu verlangen, und auch später
war ihm der Mut dazu nicht gekommen.

Aber heute ist er grimmig, ja, heute ist Isak grimmig, Oline hat ihn
wütend gemacht. Er zählt die Schafe noch einmal, legt den Zeigefinger
auf jedes einzelne und zählt laut. -- Oline darf es gern hören, falls
sie draußen steht und horcht. Und er sagt mit lauter Stimme viel
Schlechtes über Oline: sie habe eine ganz neue Art, die Schafe zu
füttern, so daß plötzlich eines verschwinde, ein Mutterschaf! Sie sei
eine abgefeimte Diebshure, ob sie das verstehe! Oh, Oline dürfe gern
vor der Tür stehen und einen ordentlichen Schrecken bekommen!

Er schreitet zum Stall hinaus, geht in den Pferdestall und zählt das
Pferd, von da will er ins Haus gehen und sich aussprechen. Er geht so
schnell, daß sein Kittel wie ein erregter Kittel von seinem Rücken
wegsteht. Aber Oline hat vielleicht vom Fenster aus dies und jenes
gemerkt, sie tritt ruhig und sicher zur Haustür heraus, die Milcheimer
in den Händen, und will in den Stall gehen.

Was hast du mit dem Mutterschaf mit den flachen Ohren gemacht? fragt
er. -- Mit dem Mutterschaf? -- Ja, und wenn es hier gewesen wäre, hätte
es jetzt schon zwei Lämmer; was hast du mit ihm gemacht? Es hatte
immer zwei Lämmer. Auf diese Weise hast du mir drei Schafe genommen;
verstehst du das?

Oline ist ganz überwältigt, vollständig vernichtet von der
Beschuldigung, sie wackelt mit dem Kopf, und ihre Beine scheinen
unter ihr wegzuschmelzen, so daß sie schließlich umfallen und sich
einen Schaden antun kann. Aber ihr Kopf überlegt die ganze Zeit, ihre
Geistesgegenwart hat ihr immer geholfen, hatte ihr immer Vorteile
gebracht, sie durfte sie auch jetzt nicht verlassen.

Ich stehle Ziegen und ich stehle Schafe, sagt sie still. Ich möchte
wissen, was ich mit ihnen tue. Ich esse sie wohl auf. -- Ja, das
weißt du selbst, was du damit tust. -- So, dann müßte ich hier in
deinem Haus, Isak, nicht Essen und Trinken im Überfluß haben, ich wäre
gezwungen, mir dazu zu stehlen. Aber das kann ich hinter deinem Rücken
sagen, daß ich das in all diesen Jahren nicht nötig gehabt habe. --
Aber was hast du dann mit dem Schaf gemacht? Hat Os-Anders es bekommen?
-- Os-Anders? Oline muß geradezu die Melkeimer abstellen und die Hände
zusammenschlagen: Wenn ich nur so frei von aller Schuld wäre! Was ist
denn das für ein Schaf mit seinen Lämmern, von dem du redest? Ist es
die eine Ziege, die flache Ohren hat? -- Kreatur! sagt Isak und will
gehen. -- Du bist doch ein komischer Kauz, Isak. Da hast du nun genug
Vieh von jeder Art und ein wahres Sternenheer von Tieren in deinem
Stall, aber du hast noch nicht genug! Kann ich wissen, welches Schaf
und welche Lämmer du von mir verlangst? Du müßtest Gott für seine
Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied danken. Wenn jetzt dieser
Sommer und ein Stück vom Winter vorbei sind, dann werfen deine Schafe
wieder Lämmer, und du bekommst dreimal soviel, als du jetzt hast!

O diese Oline!

Isak ging fort, wie ein Bär brummend. Was für ein Dummkopf war ich,
daß ich sie nicht am ersten Tag erschlagen habe! sagte er sich und
warf sich selbst allerlei Schimpfnamen an den Kopf. Was für ein Narr,
ein Roßdreck war ich doch! Aber es ist noch nicht zu spät, warte nur,
mag sie in den Stall gehen! Es ist nicht ratsam, an diesem Abend noch
etwas mit ihr anzufangen, aber morgen, da ist es ratsam. Drei Schafe
verloren! Kaffee! sagte sie.



10


Der nächste Tag sollte ein großes Ereignis bringen: Gäste kamen auf
die Ansiedlung, Geißler kam. Auf den Mooren war es noch nicht einmal
Sommer, aber Geißler machte sich nichts aus dem Weg, er kam zu Fuß
in prächtigen Schaftstiefeln mit breitem lackiertem Umschlag; gelbe
Handschuhe hatte er an, und er sah vornehm aus. Ein Mann aus dem Dorfe
trug sein Gepäck.

Er komme nun eigentlich, um eine Strecke Bergland von Isak zu kaufen,
eine Kupfermine, welchen Preis er dafür verlange? Übrigens könne er
von Inger grüßen -- eine tüchtige Frau, sehr beliebt; er komme von
Drontheim und habe sie da gesprochen. Isak, du hast ja hier mächtig
gearbeitet! -- O ja. So, Ihr habt mit Inger gesprochen? -- Was ist das
dort drüben? Hast du eine Mühle errichtet? Und mahlst du dein eigenes
Mehl? Ausgezeichnet. Und du hast sehr viel Boden umgebrochen, seit ich
das letztemal hier war. -- Und es ging ihr gut? -- Ja, es geht gut. Ach
so, deiner Frau! Ja, jetzt sollst du hören. Komm, wir wollen in die
Kammer gehen. -- Nein, es ist nicht so schön drinnen, sagt Oline, aus
mehreren Gründen abwehrend.

Aber die beiden gingen doch in die Kammer und machten die Tür hinter
sich zu; Oline stand allein in der Stube und bekam nichts zu hören.

Der Lensmann Geißler setzte sich, schlug sich einmal kräftig auf die
Knie und saß da mit Isaks Schicksal in der Hand. Du hast doch wohl
dein Kupferfeld nicht verkauft? fragte er. -- Nein. -- Gut. Ich kaufe
es. Ja, ich habe mit Inger und mit mehreren andern gesprochen. Sie
wird gewiß in allernächster Zeit frei, es liegt jetzt beim König. --
Beim König! -- Beim König. Ich bin zu deiner Frau gegangen, für mich
hatte es natürlich keine Schwierigkeiten, hineinzukommen, und wir
haben lange miteinander gesprochen: Nun, Inger, es geht dir ja gut,
richtig gut? -- Ja, ich habe nichts zu klagen. -- Sehnst du dich nicht
nach Hause? -- Doch, das kann ich nicht leugnen. -- Du sollst bald
heimkommen, sagte ich. Und das kann ich dir sagen, Isak, sie ist ein
tüchtiges Weib; keine Tränen, im Gegenteil, sie lächelte und lachte
-- ihr Mund ist übrigens operiert und zusammengenäht worden. Nun lebe
wohl, sagte ich zu ihr, du sollst nicht mehr lange hierbleiben, mein
Wort darauf.

Dann ging ich zum Direktor, es hätte ja nur gefehlt, daß er mich nicht
empfangen hätte. Sie haben eine Frau hier, die hinaus und wieder heim
gehört, sagte ich, Inger Sellanraa. -- Inger? versetzte er. Ja, sie
ist ein guter Mensch, ich würde sie gerne zwanzig Jahre hier behalten,
sagte er. -- Davon kann keine Rede sein, sagte ich, sie ist schon zu
lange hier gewesen. -- Zu lange? sagte er. Kennen Sie den Fall? --
Ja, ich kenne den Fall von Grund aus, ich bin ihr Lensmann gewesen.
-- Bitte, setzen Sie sich, sagte er da. -- Es hätte auch gerade noch
gefehlt! -- Ja, wir sorgen so gut wie möglich für Inger, sagte der
Direktor, und auch für ihr kleines Mädchen, jawohl. So, die Frau ist
also aus Ihrer Gegend? Wir haben ihr zu einer eigenen Nähmaschine
verholfen, sie hat ihr Gesellenstück in der Werkstatt gemacht, und wir
haben sie in Verschiedenem unterrichtet; sie hat ordentlich weben,
ordentlich nähen, färben und schneidern gelernt. Und Sie sagen, sie sei
schon zu lange hier gewesen? -- Ich wußte wohl, was ich zu antworten
hatte, aber ich wollte damit noch etwas warten, und so sagte ich: Ja,
der Fall ist schlecht geführt worden und muß wieder aufgenommen werden,
jetzt nach der Revision des Strafgesetzes würde sie vielleicht ganz
freigesprochen werden. Es ist ihr ein Hase zugeschickt worden, als sie
schwanger war. -- Ein Hase? fragte der Direktor. -- Ein Hase, sagte
ich. Und das Kind bekam eine Hasenscharte. -- Der Direktor lächelte.
So also. Ihrer Meinung nach ist also auf diesen Punkt nicht genug
Rücksicht genommen worden? -- Nein, antwortete ich, dieser Punkt wurde
gar nicht berührt. -- Nun, das ist wohl auch nicht so gefährlich.
-- Für sie war es gefährlich genug. -- Meinen Sie, ein Hase könne
Wundertaten verrichten? -- Ich erwiderte: Wieweit ein Hase Wundertaten
verrichten kann oder nicht, damit will ich Sie nicht unterhalten,
Herr Direktor. Die Frage ist die, welche Wirkung der Anblick eines
Hasen unter gewissen Umständen auf eine Frau, die eine Hasenscharte
hat, haben kann! -- Der Direktor überlegte eine Weile, dann sagte er:
Ja, ja, aber hier in der Anstalt haben wir die Verurteilten ja nur
aufzunehmen, wir revidieren das Urteil nicht. Nach dem Urteil ist Inger
nicht zu lange hier gewesen.

Jetzt kam ich mit dem heraus, was gesagt werden mußte. Bei der
Inhaftnehmung von Inger Sellanraa sind Fehler gemacht worden. --
Fehler? -- Erstens hätte sie in dem Zustand, in dem sie war, gar nicht
transportiert werden dürfen. -- Der Direktor sah mich scharf an. --
Das ist richtig, sagte er dann. Aber das ist nicht unsere Sache hier
im Gefängnis. -- Zweitens, fuhr ich fort, hätte sie nicht zwei Monate
lang in vollem Gewahrsam sein dürfen, bis ihr Zustand der Behörde hier
am Gefängnis offenbar wurde. Das saß. Der Direktor schwieg lange. --
Haben Sie Vollmacht, für die Frau zu handeln? fragte er. -- Ja, sagte
ich. -- Wie gesagt, wir sind hier zufrieden mit Inger und behandeln
sie auch danach, schwatzte der Direktor, und wieder zählte er auf,
was Inger alles gelernt habe, ja, sie hätten sie auch schreiben
gelehrt, sagte er. Und die kleine Tochter hätten sie bei jemand gut
untergebracht und so weiter. -- Ich erklärte ihm, wie die Verhältnisse
in Ingers Heim seien: da auch zwei kleine Kinder, gemietete Hilfe, um
sie zu versorgen, und so weiter. Ich habe eine Darlegung von ihrem
Manne, sagte ich, die kann beigelegt werden, ob der Fall nun wieder
aufgenommen werden soll oder ob man für die Frau um Begnadigung
einkommen will. -- Lassen Sie mich diese Darlegung sehen, sagte der
Direktor. -- Ich werde sie Ihnen morgen in der Besuchszeit bringen,
versetzte ich.

Isak hörte aufmerksam zu, das war ergreifend, ein Märchen aus fremdem
Land. Unverwandt hingen seine Augen an Geißlers Mund.

Geißler erzählte weiter. Ich ging zurück ins Gasthaus und setzte eine
Darlegung auf, ich machte die Sache zu der meinigen und unterschrieb
Isak Sellanraa. Aber du mußt ja nicht glauben, ich hätte ein Wort
davon verlauten lassen, daß im Gefängnis etwas Unrichtiges gemacht
worden sei. Keine Silbe davon! Rührte nicht daran. Und am nächsten
Tage brachte ich das Dokument hin. -- Bitte setzen Sie sich! sagte der
Direktor sofort. Er las meine Darlegung, nickte ab und zu, schließlich
sagte er: Ausgezeichnet. Sie genügt zwar nicht zur Wiederaufnahme des
Falles, aber ... -- Doch, mit einer Beilage, die ich ebenfalls hier
habe, sagte ich, und ich traf da wieder recht gut. Der Direktor beeilte
sich zu sagen: Ich habe mir die Sache seit gestern überlegt und finde
gute Gründe dafür, ein Gesuch um Begnadigung für Inger einzureichen. --
Das Sie im gegebenen Fall unterstützen werden, Herr Direktor? fragte
ich. -- Ich werde es befürworten, es warm befürworten. -- Da verbeugte
ich mich und sagte: Dann ist die Begnadigung sicher. Ich danke Ihnen im
Namen eines unglücklichen Mannes und eines verlassenen Hauses. -- Ich
glaube nicht, daß wir weitere Auskunft aus Ihrem Heimatort einzuholen
brauchen, sagte der Direktor, Sie kennen sie ja? -- Ich erriet wohl,
warum die Sache sozusagen in aller Stille abgemacht werden sollte, und
erwiderte: Die Auskunft von daheim würde die Sache nur in die Länge
ziehen.

Da hast du die ganze Geschichte, Isak. -- Geißler sah auf seine
Uhr. Und nun zur Sache selbst! Kannst du mich noch einmal nach dem
Kupferberg begleiten?

Isak war ein Stein und ein Klotz, er konnte nicht so augenblicklich von
einem zum andern überspringen. Aufs höchste verwundert und in tiefe
Gedanken versunken, saß er da; dann stellte er noch allerlei Fragen.
Er erfuhr, daß das Gesuch an den König abgegangen war und in einer der
ersten Sitzungen des Staatsrats entschieden werden konnte! Wunderbar!
sagte er.

Sie gingen auf den Berg. Geißler, sein Begleiter und Isak, und sie
blieben ein paar Stunden weg. In dieser kurzen Zeit verfolgte Geißler
den Lauf der Kupferader über einen langen Berg hin und steckte die
Grenzen für den Bereich ab, den er kaufen wollte. Wie ein Wiesel lief
er. Aber dumm war der Mann nicht, sein rasches Urteil war merkwürdig
sicher.

Als er auf den Hof zurückkam -- mit einem Sack voll neuer
Gesteinsproben --, bat er um Feder und Tinte und Papier und setzte
sich zum Schreiben hin. Aber er schrieb nicht immerfort eilig, sondern
plauderte auch dazwischen: Ja, Isak, große Summen bekommst du diesmal
nicht für deinen Berg, aber ein paar hundert Taler kannst du haben!
Dann schrieb er wieder. Vergiß nicht, mich daran zu erinnern, daß
ich auch noch deine Mühle ansehen will, ehe ich gehe, sagte er. Dann
fielen ihm einige rote und blaue Striche an dem Webstuhl auf, und er
sagte: Wer hat das gezeichnet? -- Ja, Eleseus hatte ein Pferd und einen
Bock gezeichnet, er versuchte sich mit seinem bunten Bleistift auf
dem Webstuhl und anderem Holzwerk, weil er kein Papier hatte. Geißler
sagte: Das ist gar nicht schlecht gemacht, und schenkte Eleseus eine
Münze.

Wieder schrieb Geißler eine Weile, dann sagte er: Es werden jetzt
wohl bald mehrere neue Ansiedler durchs Ödland hier heraufkommen!
-- Sein Begleiter fiel ein: Sie sind schon gekommen. -- Wer denn?
-- Vorerst ist da Breidablick, wie sie es nennen, der Brede auf
Breidablick drunten. -- Ach der! lächelte Geißler verächtlich. --
Jawohl, und dann haben noch ein paar andere Grund und Boden gekauft.
-- Wenn sie nur etwas taugen, sagte Geißler. Und da er in demselben
Augenblick entdeckte, daß zwei kleine Jungen in der Stube waren,
zog er Klein-Sivert zu sich heran und gab auch ihm eine Münze. Ein
merkwürdiger Mann, dieser Geißler! Jetzt waren überdies seine Augen
wie etwas entzündet, die Ränder waren wie von rotem Reif umgeben. Das
konnte von Nachtwachen kommen, manchmal kommt aber so etwas auch von
starken Getränken. Aber er machte nicht den Eindruck, als gehe es
bergab mit ihm; während er so über alles mögliche schwatzte, dachte er
gewiß die ganze Zeit an das Dokument vor sich, denn plötzlich ergriff
er rasch die Feder wieder und schrieb ein Stück weiter.

Jetzt schien er fertig zu sein.

Er wendete sich an Isak. Ja, wie gesagt, ein reicher Mann wirst du
nicht bei diesem Geschäft. Aber es kann später noch mehr werden. Wir
wollen es so aufsetzen, daß du später mehr bekommst. Zweihundert kannst
du jedoch jetzt gleich haben.

Isak verstand nicht viel vom Ganzen, aber zweihundert Taler, das war
jedenfalls wieder ein Wunder und eine großartige Bezahlung. Er würde
sie wohl nur auf dem Papier bekommen, natürlich nicht bar, aber es war
ihm auch so recht; er hatte ganz anderes im Kopf und fragte: Und Ihr
glaubt, daß sie begnadigt wird? -- Deine Frau? Wenn ein Telegraph im
Dorf wäre, dann würde ich in Drontheim anfragen, ob sie nicht schon
frei ist, antwortete Geißler. -- Isak hatte wohl vom Telegraphen reden
hören; das war etwas Merkwürdiges, ein Draht auf hohen Stangen, etwas
Überirdisches -- jetzt schlich sich fast etwas wie Mißtrauen gegen
Geißlers große Worte in sein Herz, und er wendete ein: Aber wenn
es der König abschlägt? -- In dem Fall schicke ich meine Beilage zu
der Darlegung ein, die alles enthält, und dann _muß_ deine Frau frei
werden. Zweifle nicht daran!

Dann las er vor, was er geschrieben hatte, den Kaufvertrag für den
Berg, zweihundert Taler in die Hand und später ordentlich hohe
Prozente beim Betrieb oder bei einem Weiterverkauf des Kupferfundes.
Unterschreib, hier! sagte Geißler.

Isak würde augenblicklich unterschrieben haben, aber er war kein
Schriftkundiger, sein ganzes Leben lang hatte er nur Buchstaben in Holz
geschnitten. Ach, und da stand die abscheuliche Oline und sah zu! Er
ergriff die Feder, diesen Greuel von einem leichten Ding, neigte das
richtige Ende nach unten und _schrieb_ -- schrieb seinen Namen. Danach
setzte Geißler noch etwas darunter, vermutlich eine Erklärung, und sein
Begleiter unterschrieb als Zeuge.

Fertig.

Aber immer noch blieb Oline unbeweglich stehen, ja, eigentlich wurde
sie jetzt erst steif. Was würde geschehen?

Stell das Essen auf den Tisch, Oline! sagte Isak, und er war vielleicht
ein wenig hochmütig, seit er auf Papier geschrieben hatte. Ihr müßt
eben vorliebnehmen, wie wir es haben! sagte er zu Geißler.

Es riecht gut nach Fleisch und Brühe, sagte Geißler. Da sieh her, Isak,
hier ist das Geld! -- Damit zog Geißler sein Taschenbuch heraus, das
dick und strotzend war, er nahm zwei Bündel Banknoten heraus, zählte
sie und legte sie auf den Tisch: Zähl selbst! sagte er.

Schweigen. Stille.

Isak! rief Geißler.

Ja. Na ja, sagte Isak, und er murmelte überwältigt: Das ist nun nicht
mein Anspruch -- nach allem, was Ihr schon getan habt. -- Es müssen
zehn Zehner und zwanzig Fünfer sein, sagte Geißler kurz. Ich hoffe, es
wird einmal viel mehr für dich herauskommen.

Da kam Oline wieder zu sich. Das Wunder war geschehen. Sie stellte das
Essen auf den Tisch.

Am nächsten Morgen ging Geißler nach dem Flusse und besah sich die
Mühle. Alles war klein und roh zusammengezimmert, ja, es war wie eine
Mühle für die Unterirdischen, aber stark und nützlich zum Gebrauch für
Menschen. Isak führte seinen Gast noch etwas weiter den Fluß hinauf und
zeigte ihm eine zweite Stromschnelle, wo er auch schon etwas gearbeitet
hatte; es sollte ein kleines Sägewerk werden, wenn ihm Gott die
Gesundheit erhielt.

Das einzige ist, daß wir hier so weit von der Schule entfernt sind,
sagte er. Ich muß die Jungen drunten im Dorf in Kost geben. -- Der
bewegliche Geißler sah darin keine größere Unannehmlichkeit. Gerade
jetzt lassen sich immer mehr Ansiedler hier in dieser Gegend nieder,
und dann kommt eine Schule her. -- Ach, das kommt wohl erst so weit,
wenn meine Kleinen groß sind. -- Und was tut's, wenn du sie drunten
unterbringst? Du fährst mit den Jungen und mit Lebensmitteln hinunter
und holst sie nach drei oder sechs Wochen wieder ab, das ist doch gar
nichts für dich. -- Nein.

Nein, eigentlich war es gar nichts, wenn Inger jetzt heim kam. Haus und
Hof, Nahrung und sonst viel Schönes hatte er, viel Geld hatte er also
jetzt auch und dazu eine eiserne Gesundheit. O diese Gesundheit, stark
und ungeschwächt in jeder Beziehung, die Gesundheit eines ganzen Mannes!

Als Geißler abgezogen war, begann Isak über viele hoffärtige Dinge
nachzudenken. Jawohl, denn dieser gute Geißler hatte zum Schlusse noch
die aufmunternden Worte gesagt, daß er Isak gleich Nachricht schicken
wolle, sobald er zum Telegraphen komme. In vierzehn Tagen kannst du
drunten auf der Post einmal nachfragen, hatte er gesagt. Das allein war
schon etwas Großen, und Isak machte sich nun daran, eine Sitzbank auf
seinem Karren zu verfertigen. Wahrhaftig einen Wagenstuhl, der zu den
Feldarbeiten abgenommen, aber wieder aufgesetzt wurde, wenn man ins
Dorf fuhr. Als jedoch der Wagenstuhl fertig war, sah er so weiß und
neu aus, daß er etwas dunkler angestrichen werden mußte. Und außerdem,
was war nicht alles zu machen! Der ganze Hof mußte angestrichen
werden. Hatte Isak nicht schon seit Jahren daran gedacht, eine große
Scheuer mit einer Einfahrtsbrücke zu bauen, um das Heu in den oberen
Raum hineinfahren zu können? Und hatte er nicht das Sägewerk bald
fertigstellen, sein ganzes Grundstück einfriedigen und ein Boot für den
Gebirgssee bauen wollen? Vieles hatte er sich vorgenommen. Aber es half
alles nichts, und wenn er auch seine Kräfte vertausendfachen könnte,
die _Zeit_ reichte nicht aus. Es war Sonntag, ehe er sich's versah, und
gleich darauf war es schon wieder Sonntag.

Aber anstreichen wollte er jedenfalls. Die Häuser standen ja jetzt so
nackt und grau da wie Häuser in Hemdärmeln. Er hatte noch Zeit vor der
Feldarbeit, es war ja noch gar nicht eigentlich Frühling, das Kleinvieh
war zwar schon draußen, aber der Boden war noch überall gefroren.

Isak packt einige Mandeln Eier ein, um sie zu verkaufen, geht ins Dorf
und kehrt mit Ölfarbe zurück. Sie reichte zu einem Gebäude, zu der
Scheune, diese wurde rot angestrichen. Er holt neue Farbe und gelben
Ocker fürs Wohnhaus. -- Ja, es ist, wie ich sage, hier wird's jetzt
vornehm, murmelt Oline täglich. O Oline, sie merkte wohl, daß ihre Zeit
auf Sellanraa bald zu Ende sein würde, sie war zäh und stark genug, es
zu ertragen, aber doch nicht ohne Bitterkeit. Isak seinerseits hielt
nun keine Abrechnung mehr mit ihr, obgleich sie in der letzten Zeit
gehörig stahl und unterschlug. Isak schenkte ihr sogar einen jungen
Widder, denn sie war ja eigentlich jetzt schon recht lange um wenig
Lohn bei ihm. Übrigens war Oline auch nicht schlecht gegen seine Kinder
gewesen; sie war nicht streng und rechtschaffen und dergleichen, aber
sie hatte eine bequeme Art für die Kinder, gab Rede und Antwort, wenn
sie fragten, und erlaubte ihnen fast alles. Kamen sie herbei, wenn sie
Käse machte, dann durften sie versuchen, und wenn sie an einem Sonntag
einmal vor dem Gesichtwaschen auskneifen wollten, dann ließ sie sie
laufen.

Als die Häuser mit der Grundfarbe angestrichen waren, holte Isak im
Dorf so viel Farbe, als er nur tragen konnte, und das war nicht wenig.
Dreimal strich er die Häuser an, und die Fensterkreuze und -rahmen
machte er weiß. Wenn er jetzt aus dem Dorfe zurückkam und sein Heim
da auf der Halde sah, war es ihm, als sehe er das Märchenschloß Soria
Moria vor sich! Das Ödland war bebaut und nicht mehr zu erkennen, Segen
ruhte darauf, Leben war entstanden aus einem langen Traum, Menschen
lebten da, Kinder spielten um die Häuser her. Bis hinauf zu den blauen
Bergen dehnte sich schöner großer Wald aus.

Und als Isak wieder einmal zum Kaufmann kam, gab dieser ihm
einen blauen Brief mit einem Wappen drauf, und der Brief kostete
fünf Schilling. Der Brief war ein Telegramm, das mit der Post
weitergeschickt worden war, und es war vom Lensmann Geißler. Nein,
dieser Geißler, was für ein merkwürdiger Mensch war er doch! Er
telegraphierte die wenigen Worte: Inger frei, kommt baldigst, Geißler.

Aber jetzt drehte sich der Kaufladen im Kreise vor Isak, und es
war, als wichen der Ladentisch und die Menschen weit, weit in den
Hintergrund zurück. Er fühlte mehr, als er es vernahm, daß er sagte:
Gott sei Lob und Dank! -- Du kannst sie möglicherweise schon morgen
hier haben, wenn sie zeitig genug von Drontheim abgereist ist. -- So,
sagte Isak.

Er wartete bis zum nächsten Tag. Das Boot, das die Post von der
Dampfschiffstation mitbrachte, kam allerdings, aber Inger war nicht an
Bord. -- Dann kann sie erst in der nächsten Woche hier sein, sagte der
Kaufmann.

Es war fast gut, daß Isak so viel Zeit vor sich hatte, denn es war
noch sehr viel zu tun. Sollte er alles vergessen und seine Felder
vernachlässigen? Er geht heim und fährt den Dung hinaus. Das ist
bald geschehen. Er sticht mit dem Spaten in die Erde und verfolgt
das Auftauen von Tag zu Tag. Die Sonne steht jetzt kräftig und groß
am Himmel, der Schnee ist verschwunden, es grünt überall, auch das
Rindvieh ist aus dem Stalle. An einem Tag pflügt Isak, ein paar Tage
darauf sät er sein Korn und legt Kartoffeln. Die kleinen Jungen legen
die Kartoffeln wie mit Engelshänden, sie haben sehr geschickte Hände
und kommen dem Vater weit voraus.

Dann wäscht Isak seinen Wagen am Fluß und befestigt den Sitz darauf.
Dann spricht er mit den Kindern von einem Ausflug, den er nach dem
Dorfe machen müsse. -- Aber gehst du denn nicht zu Fuß? fragen sie. --
Nein, ich habe die Absicht, diesmal mit Wagen und Pferd zu fahren. --
Dürfen wir nicht auch mitfahren? -- Nein, ihr müßt artige Jungen sein
und diesmal zu Hause bleiben. Jetzt kommt eure Mutter heim, und dann
könnt ihr vieles bei ihr lernen. -- Eleseus, der gerne lernen will,
fragt: Als du damals auf Papier geschrieben hast, wie war denn das? --
Ich habe es fast nicht gefühlt, antwortete der Vater, es ist, als sei
die Hand ganz leer dabei. -- Will sie nicht davonlaufen, gerade wie auf
dem Eis? -- Wer? -- Die Feder, mit der du geschrieben hast? -- O doch.
Jawohl, aber man muß eben lernen, sie zu lenken.

Der kleine Sivert jedoch war von anderer Art und sagte nichts von der
Feder, er wollte aufsitzen, wollte nur auf dem Wagenbrett sitzen, einen
unbespannten Wagen antreiben und ungeheuer schnell fahren. Er brachte
es so weit, daß der Vater beide Jungen ein großes Stück Wegs mitfahren
ließ.



11


Isak fährt, bis er an ein Moorloch kommt. Da hält er an. Ein schwarzes,
tiefes Moorloch, die blaue Wasserfläche liegt regungslos da; Isak
wußte, wozu sie gut war, er hatte wohl kaum je in seinem Leben einen
anderen Spiegel gebraucht als ein solches Moorloch. Seht, er ist heute
in seinem roten Hemd sehr hübsch und ordentlich angezogen, jetzt
zieht er eine Schere heraus und schneidet sich den Bart. Der eitle
Mühlengeist, wollte er sich geradezu prachtvoll machen und sich von
seinem fünf Jahre alten Vollbart trennen? Er schneidet und schneidet
und besieht sich im Wasser. Natürlich hätte er diese Arbeit heute auch
daheim verrichten können; aber er scheute sich vor Oline, es war schon
sehr viel gewesen, daß er gerade vor ihrer Nase das rote Hemd angezogen
hatte. Er schert und schert, ein gutes Teil Barthaare fallen auf den
Spiegel. Als das Pferd nicht länger ruhig stehen will, hört er auf und
erklärt sich für fertig. O jawohl, er fühlt sich bedeutend jünger. --
Ja zum Kuckuck, wenn er es verstand, auch bedeutend schlanker sogar.

Dann fährt er ins Dorf.

Am nächsten Tag kommt das Boot. Isak sitzt auf einem Felsblock neben
dem Schuppen des Kaufmanns und späht hinaus, aber auch diesmal
erscheint Inger nicht. Lieber Gott, es stiegen ziemlich viel Reisende
aus, Erwachsene und Kinder, aber Inger war nicht darunter. Isak hatte
sich im Hintergrund gehalten, sich auf diesen Felsblock gesetzt, nun
hatte er keinen Grund mehr, noch länger da sitzenzubleiben, und so
ging er zum Boot hin. Immer noch kamen Kisten und Tonnen, Leute und
Postsachen aus dem Achtriemer heraus, aber Isak sah Inger nicht.
Dagegen sah er eine Frau mit einem kleinen Mädchen, die schon drüben an
der Tür des Bootshauses stand, aber die Frau war hübscher als Inger,
obgleich Inger nicht häßlich war. -- Aber wie -- das _war_ ja Inger.
Hm! sagte Isak und eilte hinüber. Sie begrüßten einander; Inger sagte
guten Tag und reichte ihm die Hand, etwas erkältet und blaß noch von
der Seekrankheit und der Reise. Isak stand ganz still da, schließlich
sagte er: Ja, es ist recht schönes Wetter! -- Ich habe dich gut dort
drüben gesehen, sagte Inger, aber ich wollte mich nicht durchdrängen.
Bist du heute ohnedies im Dorf? fragte sie. -- Ja. Hm. -- Es geht
euch allen doch wohl gut? -- Ja, danke der Nachfrage. -- Dies ist die
Leopoldine, sie ist auf der Reise viel wohler gewesen als ich. Sieh,
das ist dein Vater, nun mußt du deinen Vater begrüßen, Leopoldine. --
Hm! sagte Isak auch jetzt wieder; es war ihm höchst sonderbar zumute,
oh, er war ein Fremder unter ihnen. -- Inger sagte: Wenn du am Boot
drunten eine Nähmaschine siehst -- sie gehört mir. Und dann habe ich
noch eine Kiste. -- Isak ging sofort; mehr als gerne ging er. Die
Bootsleute zeigten ihm die Kiste, aber wegen der Nähmaschine mußte
Inger selbst kommen und sie heraussuchen. Es war ein schöner Kasten von
unbekannter Form, mit einem runden Deckel und einem Henkel zum Tragen
-- eine Nähmaschine in dieser Gegend! Isak lud sich die Kiste und die
Nähmaschine auf und sagte zu seiner Familie: Ich laufe rasch mit diesem
hinauf ins Dorf, komme aber gleich wieder und trage dann sie, sagte
er. -- Wen tragen? fragte Inger lächelnd. Meinst du, das große Mädchen
könne nicht gehen?

Sie gingen miteinander zu dem Pferd und dem Wagen hin. Hast du ein
neues Pferd gekauft? fragte Inger. Und hast du einen Wagen mit
einem Wagenstuhl? -- Ja, das versteht sich. Doch was ich sagen
wollte: Möchtest du nicht erst ein wenig essen? Ich habe Mundvorrat
mitgebracht. -- Das kann warten, bis wir das Dorf hinter uns haben,
sagte sie. Was meinst du, Leopoldine, kannst du allein da sitzen? --
Aber das wollte der Vater nicht leiden. Nein, sie könnte auf die Räder
herunterfallen. Setz du dich mit ihr hinauf und nimm selbst die Zügel.

So fuhren sie ab, und Isak ging hinter dem Wagen her.

Er betrachtete die beiden auf dem Wagen. Da war nun Inger gekommen,
fremd nach Anzug und Aussehen, vornehm, ohne Hasenscharte, nur mit
einem roten Streifen auf der Oberlippe. Sie zischte nicht mehr, das war
das Merkwürdige, sie sprach ganz rein. Ein grau und rot gestreiftes
wollenes Kopftuch mit Fransen daran sah prachtvoll aus zu ihrem dunklen
Haar. Sie wendete sich auf dem Sitz um und sagte: Es wäre gut, wenn du
ein Fell mitgebracht hättest, es kann heute abend kühl für das Kind
werden. -- -- Sie kann meine Jacke haben, und wenn wir erst im Wald
sind, so ist dort ein Fell, ich habe es dort hinterlegt. -- So, du hast
ein Fell im Wald! -- Ja, ich habe es nicht den ganzen Weg auf dem Wagen
mitnehmen wollen, falls ihr heute nicht gekommen wäret. -- So. Was
hast du gesagt, geht es den beiden Jungen auch gut? -- Jawohl, danke
der Nachfrage. -- Sie werden jetzt groß sein, das kann ich mir denken.
-- Ja, daran fehlt's nicht. Sie haben jetzt gerade die Kartoffeln
gelegt. -- Ach so, sagte die Mutter und schüttelte den Kopf. Können sie
schon Kartoffeln legen? -- Eleseus geht mir bis hierher und Sivert bis
hierher, versetzte Isak und maß an sich.

Die kleine Leopoldine bat um etwas zu essen. Ach, das nette kleine
Geschöpf, ein Marienkäferchen auf einem Fuhrwerk. Sie sprach mit einem
singenden Tonfall, in einer merkwürdigen Sprache von Drontheim, der
Vater mußte es sich bisweilen übersetzen lassen. Sie hatte dieselben
Züge wie die Jungen, die braunen Augen und die länglichen Wangen,
die alle drei Kinder von der Mutter geerbt hatten; die Kinder waren
der Mutter Kinder, und das war gut so! Isak war seinem Töchterchen
gegenüber ein wenig schüchtern, angesichts ihrer kleinen Schuhe, der
langen dünnen Wollstrümpfe und des kurzen Kleides! Als sie den fremden
Vater begrüßte, hatte sie sich verneigt und ihm ein winziges Händchen
hingereicht.

Im Walde angekommen, rasteten sie und aßen, das Pferd bekam sein
Futter, und Leopoldine hüpfte mit ihrem Brot in der Hand im Heidekraut
umher.

Du hast dich nicht sehr verändert, sagte Inger, indem sie ihren Mann
betrachtete. -- Isak sah auf die Seite und antwortete: So, meinst du?
Aber du bist sehr vornehm geworden! -- Haha! Nein, ich bin jetzt alt,
erwiderte sie so recht scherzhaft. -- Es war offenbar, Isak fühlte sich
nicht recht sicher, er blieb zurückhaltend, war wie verschüchtert. Wie
alt war wohl seine Frau? Sie konnte nicht jünger als dreißig sein --
das heißt, sie konnte nicht mehr sein, unmöglich. Und obgleich Isak
aß, riß er doch ein Zweiglein Heidekraut ab und kaute auch daran. Was,
ißt du auch Heidekraut? rief Inger lachend. Isak warf das Heidekraut
weg und steckte einen Bissen in den Mund, dann ging er hin und hob das
Pferd vorne in die Höhe. Inger folgte diesem Auftritt mit Erstaunen,
sie sah, daß das Pferd auf zwei Beinen stand. -- Warum tust du das?
fragte sie. -- Es ist so zutraulich, sagte er von dem Pferd und ließ es
wieder los. Warum hatte er das nur getan? Er hatte wohl eine mächtige
Lust dazu verspürt. Vielleicht hatte er seine Verlegenheit dahinter
verbergen wollen.

Dann brachen sie wieder auf, und alle drei gingen eine Strecke zu
Fuß. Eine Ansiedlung kam in Sicht. Was ist das? fragte Inger. -- Das
ist Bredes Grundstück, er hat es gekauft. -- Brede? -- Und es heißt
Breidablick! Es sind große Moore da, aber wenig Wald. -- Als sie an
Breidablick vorbei waren, sprachen sie weiter darüber, Isak aber hatte
gesehen, daß Bredes Wagen unter freiem Himmel stand.

Doch jetzt wurde das Kind schläfrig, da nahm der Vater es fürsorglich
auf den Arm und trug es. Sie wanderten weiter, Leopoldine war bald
eingeschlafen, und Inger sagte: Nun legen wir sie in dem Fell auf den
Wagen, dann kann sie schlafen, solange sie will. -- Sie wird da so sehr
gerüttelt, meinte der Vater und wollte sie lieber tragen. Sie kommen
über das Moor und in den Wald hinein, und Ptro sagt Inger. Sie hält
das Pferd an, nimmt Isak das Kind ab und sagt, er solle die Kiste und
die Nähmaschine zusammenrücken, dann könne Leopoldine hinten im Wagen
liegen. Da wird sie gar nicht geschüttelt und gerüttelt, was ist das
für Unsinn! -- Isak tut, wie sie sagt, hüllt seine kleine Tochter in
das Fell und schiebt ihr seine Jacke unter den Kopf. Dann fahren sie
weiter.

Der Mann und die Frau gehen zu Fuß und reden von Verschiedenem. Die
Sonne scheint bis spät am Abend, und das Wetter ist warm. Oline --
wo schläft sie für gewöhnlich? fragt Inger. -- In der Kammer. -- So,
und die Buben? -- Die liegen in ihrem eigenen Bett in der Stube.
Es sind zwei Bettladen in der Stube, noch genau so wie damals, als
du fortgegangen bist. -- Ich betrachte dich immerfort, sagt Inger,
du siehst genau so aus wie früher. Und allerlei Lasten haben deine
Schultern durchs Ödland heraufgetragen, aber sie sind darum nicht
schwächer geworden. -- O nein. Aber was ich sagen wollte: ist es dir in
allen den Jahren erträglich gegangen? -- Oh, Isak war ganz bewegt, bei
dieser Frage zitterte ihm die Stimme. Inger antwortete, ja, sie könne
nicht klagen.

Es kam zu einer gefühlvollen Aussprache zwischen ihnen, und Isak
fragte, ob sie nicht müde sei und lieber fahren wolle. -- Nein, danke,
antwortete Inger. Aber ich weiß nicht, was mit mir ist, seit sich die
Seekrankheit ganz verzogen hat, bin ich immerfort hungrig. -- Möchtest
du noch etwas essen? -- Ja, wenn ich uns nicht zu sehr aufhalte. O
diese Inger, sie selbst war wohl nicht hungrig, aber sie gönnte Isak
noch etwas, er hatte ja seine letzte Mahlzeit mit dem Heidekrautstengel
unterbrochen.

Da der Abend warm und hell war und sie noch einen weiten Weg vor sich
hatten, fingen sie wieder an zu essen.

Inger holte ein Paket aus ihrer Kiste heraus und sagte: Ich habe ein
paar Sachen für die kleinen Buben. Komm, wir wollen zu dem Gebüsch
hinübergehen, da ist es sonnig. -- Sie setzten sich unter das Gebüsch,
und Inger zeigte die Sachen für die Jungen: hübsche Hosenträger mit
Schnallen daran, Schreibbücher mit Vorschriften darin, für jeden einen
Bleistift, ein Taschenmesser für jeden. Für sich selbst hatte sie ein
ausgezeichnetes Buch. Hier sieh, mein Name steht darauf, es ist ein
Andachtsbuch. Sie hatte es von dem Direktor zur Erinnerung bekommen.
Isak bewunderte alles mit leisen Worten. Sie zeigte auch eine Anzahl
Kragen, die Leopoldine gehörten, und Isak gab sie ein schwarzes, wie
Seide glänzendes Halstuch. -- Soll ich das haben? fragte er. -- Ja, das
bekommst du. -- Isak nahm es vorsichtig in die Hand und strich darüber
hin. -- Ist es nicht hübsch? -- Ach, hübsch! Damit könnte ich in der
ganzen Welt umherreisen! Aber seine Finger waren so rauh, daß sie an
der merkwürdigen Seide überall hängen blieben.

Jetzt hatte Inger nichts mehr vorzuweisen, aber als sie wieder
zusammenpackte, saß sie so, daß ihre Waden in den rotgestreiften
Strümpfen zum Vorschein kamen. -- Hm! Das sind wohl Stadtstrümpfe?
fragte er. -- Ja, es ist Garn aus der Stadt, aber ich habe sie selbst
geknüpft -- gestrickt, wie wir dort sagten. Es sind ganz lange
Strümpfe, bis über die Knie, sieh her ... Kurz darauf hörte sie sich
selbst flüstern: Du -- du bist noch ganz derselbe -- wie früher!

Eine Weile später fuhren sie weiter, Inger sitzt jetzt droben und lenkt
das Pferd. Ich habe auch ein Paket Kaffee mitgebracht, sagt sie, aber
heute abend kannst du ihn nicht mehr versuchen, denn er ist noch nicht
gebrannt. -- Du sollst dich auch nicht damit plagen, erwidert er.

Wieder nach einer Weile ist die Sonne untergegangen, und es wird kühl.
Inger will absteigen und gehen. Sie decken Leopoldine dichter mit dem
Fell zu und lächeln darüber, daß sie so lange schlafen kann. Dann
unterhalten sich Mann und Frau wieder im Weitergehen. Es ist ein wahres
Vergnügen, Inger jetzt sprechen zu hören, niemand hätte besser sprechen
können, als Inger jetzt sprach.

Haben wir nicht vier Kühe? fragt sie. -- O nein, wir haben jetzt mehr,
antwortet er stolz, wir haben acht. -- _Acht_ Kühe! -- Ja, wenn man den
Stier mitrechnet. -- Habt ihr Butter verkauft? -- O ja, und Eier. --
Haben wir denn auch Hühner? -- Ja, das versteht sich. Und ein Schwein.
-- Inger muß sich über die Maßen verwundern, sie kann das Gehörte kaum
fassen und hält einen Augenblick das Pferd an: Ptro! Und Isak ist stolz
und legt es darauf an, sie ganz zu überwältigen. Der Geißler, sagt er,
du weißt, der Geißler, der ist vor kurzem hier gewesen. -- So? -- Ja,
und er hat uns einen Kupferberg abgekauft. -- So, was ist denn das,
ein Kupferberg? -- Ein Berg aus Kupfer. Er liegt droben im Gebirge
an der ganzen Nordseite des Sees. -- So. Und das ist etwas, für das
du eine Bezahlung bekommen hast? -- Jawohl, der Geißler ist nicht der
Mann, der nicht bezahlt. -- Was hast du bekommen? -- Hm. Du wirst es
nicht glauben wollen, aber es sind zweihundert Taler. -- Die hast du
bekommen! ruft Inger und hält wieder einen Augenblick das Pferd an:
Ptro! -- Habe ich bekommen, jawohl. Und den Hof habe ich auch längst
bezahlt. -- Ach, du bist großartig!

Es war in Wahrheit ein Vergnügen, Inger in Verwunderung zu setzen und
sie zu einer reichen Frau zu machen; deshalb fügte Isak noch hinzu, daß
er auch weder beim Kaufmann noch bei sonst jemand Schulden stehen habe.
Und er habe nicht allein Geißlers zweihundert Taler noch unberührt
daliegen, sondern noch mehr, noch hundertsechzig Taler darüber. Sie
hätten also allen Grund, Gott dankbar zu sein. Sie sprachen noch
weiter von Geißler, und Inger konnte Aufklärung über das geben, was
er für ihre Freilassung getan hatte. Es war doch nicht alles so glatt
gegangen; er hatte lange damit zu tun gehabt und war sehr oft beim
Direktor gewesen. Geißler hatte auch ein Schreiben an die Staatsräte
selbst oder an einige andere von der Behörde geschickt, aber das hatte
er hinter dem Rücken des Direktors getan, und als der Direktor das
erfuhr, war er böse geworden und hatte sich gekränkt gefühlt, was ja
auch nicht anders zu erwarten gewesen war. Aber Geißler hatte sich
dadurch nicht einschüchtern lassen, er verlangte ein neues Verhör und
ein neues Gerichtsverfahren und alles miteinander. Und da hatte der
König unterschreiben müssen.

Der frühere Lensmann Geißler war für diese beiden Menschen immer ein
guter Herr gewesen, und sie hatten sich oft besonnen, aus welchem
Grunde er es wohl getan haben mochte, er hatte alles miteinander um
den einfachen Dank getan, es war nicht zu begreifen. Inger hatte in
Drontheim mit ihm gesprochen, war aber dadurch nicht klüger geworden.
Alle andern in der Gemeinde sind ihm ganz einerlei, ausgenommen wir,
erklärte Inger. -- Hat er das gesagt? -- Ja, er ist wütend auf die
Gemeinde hier. Und er werde es ihr schon noch zeigen! sagte er. -- So.
-- Und sie würden es schon noch bereuen, daß sie ihn verloren hätten,
sagte er.

Jetzt kamen sie aus dem Wald heraus, und da lag Sellanraa vor ihnen. Es
waren mehr Gebäude als früher, die Häuser waren hübsch angestrichen;
Inger kannte sich nicht mehr aus und hielt jäh an: Du willst doch nicht
sagen, daß das da -- daß das da bei uns ist! rief sie aus.

Die kleine Leopoldine erwachte endlich und richtete sich auf. Sie war
ganz ausgeruht, wurde heruntergehoben, durfte zu Fuß gehen! Gehen wir
dorthin? fragte sie. -- Ja, ist es nicht schön?

Drüben am Haus bewegten sich kleine Gestalten; das waren Eleseus und
Sivert, die Ausguck hielten, nun kamen sie dahergelaufen. Inger schien
plötzlich erkältet zu sein, sie hatte heftigen Husten und Schnupfen.
Ja, die Erkältung zog ihr sogar in die Augen, sie standen voll Wasser.
Man erkältet sich so leicht an Bord, ganz nasse Augen bekommt man vor
lauter Schnupfen.

Aber als die kleinen Burschen näher herankamen, hielten sie mitten in
ihrem Lauf inne und starrten nur noch. Wie ihre Mutter aussah, das
hatten sie vergessen, und ihre kleine Schwester hatten sie ja noch nie
gesehen. Aber der Vater -- ihn erkannten sie erst wieder, als er ganz
nahe herangekommen war. Er hatte sich seinen großen Bart abgeschnitten.



12


Nun ist alles gut. Isak sät seinen Hafer, eggt ihn und führt die Walze
darüber. Leopoldine kommt heraus und will auf der Walze sitzen. Was,
auf einer Walze sitzen -- sie ist so klein und kennt so was gar nicht,
ihre Brüder wissen es besser, es ist ja kein Sitz auf Vaters Walze.

Aber den Vater freut es, daß die kleine Leopoldine zu ihm herkommt
und schon so zutraulich ist; er redet mit ihr und sagt, sie müsse
vorsichtig auf den Acker treten, damit sie nicht die Schuhe voll Erde
bekomme. Ja, und was seh ich, du hast wahrhaftig heute ein blaues
Kleid an! Laß mich sehen, ja gewiß, es ist blau. Und einen Gürtel hast
du daran und alles miteinander. Kannst du dich an das große Schiff
erinnern, auf dem du hergefahren bist? Hast du die Maschine darin
gesehen? Ja, jetzt geh nur mit deinen Brüdern hinein, dann spielen sie
mit dir.

Seit Oline abgezogen ist, hat Inger ihre alte Arbeit in Haus und
Stall wieder übernommen. Sie übertreibt es vielleicht ein wenig mit
der Reinlichkeit und Ordnung, um zu zeigen, daß die Dinge jetzt eine
andere Art bekommen sollen, und es war auch merkwürdig, welche große
Veränderung bald mit allem vorging, sogar die Glasscheiben in der
Viehgamme wurden gewaschen und die Stände gescheuert.

Aber das war nur in den ersten Tagen, in der ersten Woche so, dann ließ
Inger nach. Eigentlich war es nicht nötig, im Stall alles so blitzblank
zu machen, die Zeit konnte besser angewendet werden. Inger hatte in der
Stadt viel gelernt, und dieses Wissen sollte ihr nun zugute kommen. Sie
nahm wieder Spinnrad und Webstuhl in Gebrauch, und wahrlich, sie war
noch geschickter und flinker geworden, etwas zu flink, hui! besonders
für Isak, wenn er ihr zusah; er begriff nicht, daß ein Mensch es
lernen konnte, so mit seinen Fingern umzugehen, diese langen, hübschen
Finger an Ingers großer Hand! Aber mittendrin gab Inger die eine
Arbeit auf und machte sich an eine andere. Jawohl, sie hatte jetzt
verschiedenes mehr zu besorgen als früher und in größerem Umfang,
vielleicht war sie auch nicht ganz so geduldigen Herzens wie einst,
etwas Unruhe hatte sich ihr wohl ins Herz geschlichen.

Gleich zuerst waren da die Blumen, die sie mitgebracht hatte, es
waren Knollen und Ableger, kleine Leben, an die auch gedacht werden
mußte. Die Fenster waren zu klein dafür, die Gesimse zu schmal, man
konnte da keine Blumentöpfe aufstellen, sie hatte auch keine Töpfe,
und Isak mußte ihr ganz kleine Kästen für Begonien, Fuchsien und Rosen
anfertigen. Und überdies genügte auch ein Fenster nicht, was war ein
Fenster für eine ganze Stube!

Und außerdem, sagte Inger, habe ich auch kein Bügeleisen. Ich sollte
ein Bügeleisen zum Plätten haben, wenn ich Kleider und Anzüge nähe;
niemand kann im Nähen etwas Ordentliches leisten, wenn er nicht eine
Art Plätteisen hat.

Isak versprach, den Schmied im Dorfe zu veranlassen, ein recht gutes
Bügeleisen zu schmieden. Oh, Isak wollte alles tun, wollte immer
nur tun, was Inger verlangte; denn das merkte er wohl, Inger hatte
sehr viel gelernt und war außerordentlich tüchtig geworden. Auch
ihre Sprache war eine andere geworden, eine bessere, gewähltere. Sie
rief ihn jetzt nie mehr mit den alten Worten: Komm herein und iß!
sondern sie sagte: Bitte zum Essen! Alles war anders geworden. In den
alten Tagen hatte er höchstens gesagt: Ja, und noch eine gute Weile
weitergearbeitet, ehe er hineinging. Jetzt antwortete er: Ja, danke,
und kam sofort. Die Liebe macht den Klugen dumm, manchmal antwortete
Isak: Danke, danke! Ja, gewiß war alles anders geworden, aber wurde es
nicht allmählich ein wenig zu vornehm? Wenn Isak in der Muttersprache
der Landwirtschaft redete und _Mist_ sagte, sagte Inger _Dung_, der
Kinder wegen.

Sie war sehr sorgfältig mit den Kindern, unterrichtete sie in allem und
brachte sie vorwärts; die kleinwinzige Leopoldine machte Fortschritte
im Häkeln und die Buben im Schreiben und in anderen Schulfächern,
sie würden also nicht ganz unvorbereitet in die Dorfschule kommen.
Besonders Eleseus war recht tüchtig geworden, der kleine Sivert dagegen
war, geradeheraus gesagt, nichts Besonderes, nur ein Spaßvogel, ein
Wildfang, er wagte es sogar, an der Nähmaschine seiner Mutter ein wenig
zu drehen und hatte mit seinem Taschenmesser auch schon am Tisch und an
den Stühlen herumgeschnitzelt. Jetzt war ihm schon mit der Wegnahme des
Taschenmessers gedroht worden.

Übrigens hatten die Kinder alle Tiere des Hofes zur Unterhaltung, und
Eleseus hatte außerdem noch seinen farbigen Bleistift. Er gebrauchte
ihn sehr vorsichtig und lieh ihn dem Bruder nur höchst ungern; mit der
Zeit waren indes alle Wände mit Zeichnungen bedeckt, und der Bleistift
wurde bedenklich kleiner. Schließlich sah sich Eleseus gezwungen,
Sivert auf Ration zu setzen und ihm den Bleistift nur noch am Sonntag
zu einer Zeichnung zu leihen. Das war nun nicht nach Siverts eigenem
Wunsch, aber Eleseus war nicht der Mann, der sich etwas abhandeln ließ.
Nicht gerade, weil Eleseus der Stärkere gewesen wäre, aber er hatte
längere Arme und konnte sich bei Streitigkeiten besser herauswinden.

Aber dieser Sivert! Ab und zu fand er ein Schneehuhnnest im Walde,
einmal redete er von einem Mäusenest und machte sich groß damit, wieder
einmal faselte er von einer Forelle im Fluß, die so groß sei wie ein
Mensch; aber es war die reine Erfindung von ihm, er war nicht ganz
frei davon, zu schwarz weiß zu sagen, aber sonst war er ein guter Kerl.
Als die Katze Junge bekam, war er es, der ihr Milch brachte, weil
sie Eleseus zu wütend anzischte, und Sivert wurde nicht müde, in die
unruhige Kiste hineinzuschauen, diese Heimstätte, wo es von kleinen
Pfoten wimmelte.

Und dann die Hühner, die er täglich beobachtete! Da war der große Hahn
mit seinem Kamm und seiner Federnpracht, die Hühner, die umherliefen
und gackerten und Sand aufpickten und nach dem Eierlegen plötzlich
ungeheuer verletzt zu schreien anfingen. Da war auch der große Widder.
Der kleine Sivert war jetzt im Vergleich zu früher sehr belesen, konnte
aber doch nicht von dem Widder sagen: Gott, welch eine römische Nase er
hat! Nein, das konnte er nicht. Aber Sivert konnte das, was besser war:
er kannte den Widder von klein auf, wo er noch ein kleines Lamm gewesen
war; er liebte ihn und war eins mit ihm, wie mit einem Verwandten,
einem Mitgeschöpf. Einmal war ein geheimnisvoller Ureindruck durch
seine Sinne geflattert, und das war ein Augenblick, den Sivert nie mehr
vergaß. Der Widder war draußen auf der Wiese und weidete, plötzlich
warf er den Kopf zurück und fraß nicht mehr, blieb nur stehen und
starrte geradeaus. Sivert sah unwillkürlich in dieselbe Richtung. --
Nein, nichts Merkwürdiges! Aber da fühlte Sivert etwas Merkwürdiges
in seinem Innern. Es ist fast, als sehe er in den Garten Eden hinein!
dachte Sivert.

Von den Kühen hatten die Kinder auch jeder zwei für sich, große,
schwer schreitende Tiere, gutmütige, freundliche Tiere, die sich von
den kleinen Menschenkindern jeden Augenblick einholen und streicheln
ließen. Dann war da das Schwein, weiß und peinlich sauber mit seiner
Person, wenn es gut gehalten wurde, das auf jeden Ton horchte, ein
Komiker, gierig auf sein Futter aus, dabei kitzlig und scheu wie ein
junges Mädchen. Und dann der Bock -- es war immer ein alter Ziegenbock
auf Sellanraa; wenn der eine das Leben lassen mußte, rückte ein anderer
an seine Stelle. Aber etwas so Bockmäßiges im Gesicht wie ein Bock!
Gerade in diesen Tagen hatte er auf sehr viele Geißen aufzupassen;
bisweilen jedoch wurde er seiner ganzen Gesellschaft überdrüssig und
legte sich, grüblerisch und langbärtig wie er war, auf den Boden, ein
Vater Abraham! Und dann plötzlich richtete er sich wieder auf die Knie
auf und trottete den Geißen nach. Wo er ging, hinterließ er eine Wolke
von scharfem Geruch.

Das tägliche Leben auf dem Hofe geht weiter. Wenn ein seltenes Mal ein
Wanderer, der über das Gebirge will, vorbeikommt und fragt: Und euch
geht es wohl gut?, da antwortet Isak und antwortet Inger: Ja, danke für
die Nachfrage!

Isak schafft und schafft, und für jede einzelne Arbeit zieht er den
Kalender zu Rat, er gibt auf den Mondwechsel acht und richtet sich nach
den Wetterzeichen, schafft, schafft.

Nun hat er ja durch das Ödland einen einigermaßen ordentlichen Weg
hergestellt, so daß er mit Wagen und Pferd bis ins Dorf hinunterfahren
kann, aber meist geht er lieber schwerbeladen zu Fuß, und da trägt
er dann Ziegenkäse oder Felle oder Birkenrinde, Butter und Eier,
lauter Waren, die er verkauft, und für die er andere Waren einholt.
Nein, im Sommer fährt er nicht oft, weil der Weg von Breidablick bis
vollends hinunter sehr schlecht ist. Er hat Brede Olsen aufgefordert,
beim Herstellen des Weges mit Hand anzulegen, und Brede hat es wohl
auch versprochen, aber nie Wort gehalten. Nun will Isak ihn nicht
noch einmal darum bitten. Lieber trägt er schwere Lasten auf seinem
Rücken. Inger sagt dann: Ich verstehe gar nicht, wie du das kannst! Du
hältst alles aus! Ja, er hielt alles aus. Er hatte Stiefel, die waren
so abenteuerlich dick und schwer, unter den Sohlen ganz mit Eisen
beschlagen, sogar die Schnürriemen waren mit Nietnägeln angeheftet --
schon das, daß ein Mann in solchen Stiefeln gehen konnte, war etwas
Merkwürdiges!

Als er nun wieder einmal ins Dorf hinuntergeht, trifft er an mehreren
Stellen kleine Gruppen von Arbeitern. Sie mauern steinerne Grundpfeiler
ein und stellen Telegraphenstangen auf. Die Leute sind teilweise
aus der Gemeinde, Brede Olsen ist auch dabei, obgleich er sich hier
niedergelassen hat, um Ackerbau zu treiben. Daß er Zeit übrig hat!
denkt Isak.

Der Aufseher fragt Isak, ob er Telegraphenstangen verkaufen wolle. --
Nein. -- Auch nicht gegen gute Bezahlung? -- Nein. -- Oh, Isak ging
es jetzt rascher von der Hand, er konnte nun schneller antworten.
Wenn er jetzt Stangen verkaufte, bekam er nur etwas mehr Geld, einige
Taler mehr, aber er hatte keinen Wald mehr, was für ein Vorteil war
dann dabei? Nun kommt der Ingenieur selbst herbei und wiederholt sein
Verlangen; aber Isak schlägt es auch ihm ab. -- Wir haben Stangen
genug, sagte der Ingenieur, aber es wäre uns nur bequemer, sie in
deinem Walde zu holen und die lange Herbeischaffung zu sparen. -- Ich
habe selbst zuwenig Stangen und Stämme, erwiderte Isak; ich wollte mir
übrigens ein kleines Sägewerk einrichten, denn ich habe keine Scheune
und keine Wirtschaftsgebäude.

Jetzt mischt Brede Olsen sich darein und sagt: Wenn ich du wäre,
würde ich die Stangen verkaufen, Isak. -- Da blitzten die Augen des
geduldigen Isak Brede wahrhaftig scharf an, und er erwiderte: Ja, das
glaube ich schon. -- Wieso? fragte Brede. -- Aber ich bin eben nicht
du, sagte Isak.

Einige von den Arbeitern kicherten ein wenig über diese Antwort.

Jawohl, Isak hatte einen besonderen Grund, seinen Nachbar etwas
zurückzuweisen, gerade heute hatte er nämlich drei Schafe auf
Breidablicks Grundstück gesehen, und das eine davon hatte Isak
wiedererkannt, das mit den flachen Ohren, das Oline im Tauschhandel
weggegeben hatte. Meinethalben mag Brede das Schaf behalten, dachte er
da und ging seines Weges weiter, meinethalben können Brede und seine
Frau sich an dem Schaf bereichern!

Und ganz richtig. Das Sägewerk hatte er auch immer im Kopf. O ja, schon
im Winter, als der Boden fest war, hatte er die große Kreissäge und
die notwendigen Beschläge, die ihm der Kaufmann von Drontheim hatte
kommen lassen, heraufgeschafft. Nun lagen diese Maschinenteile mit
Leinöl bestrichen, um sie gegen Rost zu schützen, in seinem Schuppen.
Einige von den Balken zum Sperrwerk hatte er auch schon herbeigefahren,
er hätte mit dem Aufrichten des Gebäudes jeden Tag anfangen können,
schob es aber noch hinaus. Was war das? Er begriff es nicht, nahmen
seine Kräfte etwa allmählich ab? Andere würden sich nicht darüber
wundern, aber ihm selbst kam es ganz unglaublich vor. War er schwindlig
geworden? Früher war er vor keiner Arbeit zurückgescheut, hatte er
sich denn verändert, seit er das Mahlhaus über einem ebenso großen
Wasserfall errichtet hatte? Er konnte sich ja Hilfe vom Dorf nehmen,
aber nun wollte er es erst einmal wieder allein versuchen und in den
nächsten Tagen damit anfangen; Inger sollte ein wenig mit Hand anlegen.

Er sprach mit Inger darüber. Hm, sagte er, wenn du einmal ein paar
Stunden Zeit übrig hast, könntest du mir bei dem Sägewerk helfen. --
Inger überlegte. Ja, wenn ich es einrichten kann, sagte sie. So, du
willst ein Sägewerk bauen? -- Ja, das ist meine Absicht. Ich habe es
mir jetzt genau überlegt. -- Ist es schwieriger als das Mahlhaus? --
Viel schwieriger, zehnmal schwieriger, prahlte er. Was denkst du denn?
Da muß alles bis aufs aller-, allergenaueste ineinanderpassen, und die
große Kreissäge muß in der Mitte laufen. -- Wenn du es nur zustande
bringst, Isak, entgegnete Inger in ihrer Gedankenlosigkeit. -- Isak
fühlte sich von diesen Worten gekränkt und erwiderte: Das wird sich ja
zeigen. -- Kannst du nicht einen in dieser Sache kundigen Mann zu Hilfe
nehmen? -- Nein. -- Nun, dann wirst du es auch nicht zustande bringen,
sagte sie und hielt nicht mit ihrer Meinung zurück.

Isak hob langsam die Hand an seinen Kopf, es war, als hebe ein Bär die
Tatze auf. -- Gerade das fürchte ich ja, daß ich es nicht fertigbringe,
sagte er, deshalb sollst du, die es versteht, ja auch Hand mit anlegen,
sagte er. -- Jawohl, da hatte der Bär getroffen, aber er errang keinen
Sieg damit. Inger warf den Kopf zurück, wurde widerspenstig und schlug
es ab, beim Sägewerk zu helfen. -- So, sagte Isak. -- Ja, soll ich
vielleicht im Fluß stehen und meine Gesundheit aufs Spiel setzen? Und
wer soll mit der Maschine nähen und das Vieh und den Haushalt und alles
miteinander versorgen? -- Nein, nein, sagte Isak.

Ach, aber es handelte sich ja nur um die vier Eckbalken und die zwei
Mittelbalken auf den beiden Langseiten, nur dazu hätte sie ihm helfen
sollen, sonst zu nichts! War denn Inger im tiefsten Innern während
ihres langen Stadtlebens so zimperlich geworden?

Jawohl, Inger hatte sich sehr verändert und dachte nicht mehr beständig
an ihr gemeinsames Beste, sondern an sich selbst. Wohl hatte sie
Kardätschen und Spinnrad und Webstuhl wieder in Gebrauch genommen, aber
sie saß viel lieber an ihrer Nähmaschine, und als der Schlosser ihr
ein Bügeleisen geschmiedet hatte, war sie fertig ausgerüstet, um sich
im Schneidern als regelrecht ausgebildet zu zeigen. Das war ihr Beruf.
Zuerst nähte sie ein paar Kleider für die kleine Leopoldine. Isak
gefielen sie, und er lobte sie vielleicht ein wenig zu sehr; Inger
deutete an, das sei noch gar nichts im Vergleich zu dem, was sie könne.
-- Aber sie sind zu kurz, sagte Isak. -- So werden sie in der Stadt
getragen, sagte Inger, das verstehst du eben nicht. -- Isak war also
zu weit gegangen, und er stellte Inger dafür ein Stück Tuch zu eigenem
Gebrauch in Aussicht. -- Tuch zu einem Mantel? fragte Inger. -- Ja,
oder wozu du es sonst willst. -- Inger entschied sich zu Tuch für einen
Mantel und beschrieb Isak, wie es sein sollte.

Aber als sie den Mantel fertig hatte, mußte sie auch jemand haben, dem
sie sich darin zeigen konnte; sie begleitete deshalb die beiden Jungen
ins Dorf, als sie dort in die Schule gebracht wurden. Und diese Reise
war nicht von geringem Nutzen, sie hinterließ Spuren.

Zuerst kamen sie an Breidablick vorüber, da kam die Frau mit ihren
Kindern heraus und starrte die Vorüberfahrenden an. Inger und ihre
beiden kleinen Jungen saßen auf dem Wagen, und sie fuhren wie
Herrenleute, die beiden Jungen kamen wahrhaftig in die Schule, und
Inger hatte einen Tuchmantel an! Bei diesem Anblick ging der Frau auf
Breidablick ein Stich durchs Herz, den Mantel konnte sie entbehren,
sie war gottlob nicht eitel, aber sie hatte selbst Kinder, das
große Mädchen Barbro, Helge, den Zweitältesten, und Katrine, alle
schulpflichtig. Natürlich waren die beiden älteren im Dorf schon in
der Schule gewesen, aber als die Familie aufs Moor und auf dieses
abgelegene Breidablick heraufzog, mußten ja die Kinder wieder Heiden
werden.

Hast du Lebensmittel für deine Buben mit? fragte die Frau. --
Lebensmittel, jawohl. Siehst du die Kiste da nicht? Das ist mein
Reisekoffer, den ich mitgebracht habe, und der ist ganz mit
Lebensmitteln angefüllt. -- Was hast du mitgenommen? -- Was ich
mitgenommen habe? Speck und Fleisch fürs Mittagessen und Butter und
Brot und Käse für die anderen Mahlzeiten. -- Ja, ihr habt es großartig
da droben, sagte die Frau, und ihre armen bleichwangigen Kinder
sperrten Augen und Ohren auf, als diese herrlichen Sachen aufgezählt
wurden. -- Wo willst du sie unterbringen? fragte die Frau weiter. --
Beim Schmied. -- So, sagte die Frau. Ja, die meinigen sollen jetzt
auch wieder in die Schule, und sie werden beim Lensmann wohnen. --
So, sagte Inger. -- Ja, oder beim Doktor oder beim Pfarrer. Brede ist
eben mit allen den Großen so gut bekannt, daher kommt es. -- Da strich
Inger ihren Mantel zurecht und schob etliche schwarzseidene Fransen
vorteilhaft hervor. -- Wo hast du den Mantel gekauft? fragte die Frau.
Hast du ihn mitgebracht? -- Ich habe ihn selbst genäht. -- Ja, es
ist, wie ich sage, ihr da droben sitzt bis über die Ohren in Geld und
Herrlichkeit.

Als Inger weiterfuhr, war ihr froh zumute, und sie war recht hochmütig,
und als sie ins Dorf kam, ließ sie das ein wenig zu sehr hervortreten,
jedenfalls nahm die Frau Lensmann Heyerdahl Ärgernis daran, daß sie
in einem Mantel ankam. Sie sagte, die Frau auf Sellanraa vergesse
offenbar, wer sie sei; ob sie denn vergessen habe, woher sie nach
sechsjähriger Abwesenheit gekommen war? Aber Inger hatte nun jedenfalls
ihren Mantel gezeigt, und weder die Frau des Kaufmanns noch die Frau
des Schmieds noch die Frau des Schullehrers würden etwas dagegen gehabt
haben, wenn sie selbst einen solchen Mantel besessen hätten; aber kommt
Zeit, kommt Rat.

Es dauerte gar nicht lange, bis Inger Kundschaft bekam. Einige Weiber
von der andern Seite des Gebirges kamen aus Neugier. Oline hatte wohl
gegen ihren Willen allerlei von Inger erzählt, und die nun kamen,
brachten Nachrichten von Ingers Heimatort mit; dafür wurde ihnen
aufgewartet, und sie durften die Nähmaschine sehen. Junge Mädchen kamen
zu zwei und zwei von der Gemeinde an der Küste herauf und berieten
sich mit Inger: es war Herbst, sie hatten zu einem neuen Kleid gespart,
und nun konnte ihnen Inger über die Mode in der Welt draußen Auskunft
geben, ja ab und zu auch den Stoff zuschneiden. Bei diesen Besuchen
lebte Inger auf, sie blühte förmlich, war freundlich und hilfreich und
dabei so tüchtig in ihrem Fach, daß sie aus freier Hand zuschneiden
konnte; bisweilen nähte sie auch lange Säume auf ihrer Maschine ganz
umsonst und gab dann den jungen Mädchen den Stoff zurück mit den
herrlich scherzhaften Worten: So, die Knöpfe kannst du jetzt selbst
annähen!

Später, im Herbst, wurde Inger sogar gebeten, ins Dorf herunterzukommen
und für die Großen zu nähen. Aber das konnte sie nicht, sie hatte ihre
Familie und das Vieh und die häuslichen Pflichten, und sie hatte kein
Dienstmädchen. Was hatte sie nicht? Ein Dienstmädchen!

Sie sagte zu Isak: Wenn ich eine Hilfe hätte, könnte ich ruhiger an
meiner Näharbeit bleiben. -- Isak verstand nicht, was sie meinte.
Hilfe? fragte er. -- Ja, Hilfe im Hause, ein Dienstmädchen. -- Da
drehte sich wohl alles im Kreise vor Isak, denn er lachte ein wenig
in seinen roten Bart und hielt es für Spaß: Jawohl, wir sollten ein
Dienstmädchen haben, sagte er. -- Das haben alle Hausfrauen in der
Stadt, versetzte Inger. -- Ach so, sagte Isak.

Seht, er war vielleicht nicht besonders froh und freundlich gestimmt,
nicht gut aufgelegt, denn nun hatte er mit dem Bau seines Sägewerks
angefangen, und es war nicht schnell vorwärtsgegangen; er konnte nicht
mit der einen Hand den Pfosten halten, ihn mit der andern wagerecht
leiten und zugleich die Schräghölzer befestigen. Aber als dann die
Jungen wieder von der Schule heimkamen, ging es besser, die guten
Jungen waren ihm eine große Hilfe. Sivert besonders war merkwürdig
gewandt beim Einschlagen der Nägel, aber Eleseus war tüchtiger beim
Loten mit der Schnur. Nach Verlauf von einer Woche hatten Isak und die
Jungen wirklich die Pfosten aufgerichtet und mit Schräghölzern so dick
wie Balken stark befestigt. Eine große Arbeit war bewältigt.

Es ging -- alles ging. Aber woher es auch kommen mochte, Isak war
jetzt an den Abenden oft müde. Es handelte sich ja nicht nur darum,
ein Sägewerk zu bauen und damit Punktum, alles andere mußte auch getan
werden. Das Heu war unter Dach, aber das Korn stand noch draußen
und färbte sich allmählich golden, bald mußte es geschnitten und
untergebracht werden, und auch die Kartoffelernte stand vor der Tür.
-- Aber Isak hatte eine ausgezeichnete Hilfe an seinen Jungen. Er
bedankte sich indes nicht bei ihnen, das war nicht Sitte unter Leuten
wie er und die Seinen, aber er war ungeheuer zufrieden mit ihnen. Ab
und zu, jedoch nur selten einmal, setzten sie sich wohl auch mitten in
der Arbeit zusammen und unterhielten sich miteinander, und da konnte
der Vater sich im Ernst mit den Jungen darüber beraten, was sie zuerst
und was nachher tun wollten. Das waren stolze Augenblicke für Eleseus
und Sivert, und sie lernten dabei wohl zu überlegen, ehe sie redeten,
um nicht unrecht zu bekommen. -- Es wäre doch schlimm, wenn wir das
Sägewerk nicht unter Dach brächten, ehe die Herbststürme einsetzen,
sagte der Vater.

Wenn nur Inger noch wie in den alten Tagen gewesen wäre! Aber Ingers
Gesundheit war wohl eben leider nicht mehr so gut wie früher, was ja
auch nach der langen Einsperrung nicht anders zu erwarten war. Daß
ihr Sinn sich verändert hatte, war eine Sache für sich, ach, sie war
jetzt so viel weniger nachdenklich, war gleichsam oberflächlicher,
leichtsinniger. Von dem Kinde, das sie umgebracht hatte, sagte sie: Ich
bin eine recht dumme Person gewesen, wir hätten sie operieren und ihren
Mund zunähen lassen können, dann hätte ich nicht nötig gehabt, sie zu
erwürgen. Und niemals ging sie hinaus in den Wald an ein kleines Grab,
wo sie einstmals die Erde mit den Händen zusammengescharrt und ein
kleines Kreuz darauf gesetzt hatte.

Aber Inger war keine unmenschliche Mutter, sie sorgte treulich für ihre
anderen Kinder, hielt sie in Ordnung, nähte für sie und konnte bis spät
in die Nacht hinein aufsitzen, um ihre Kleider zu flicken. Es war ihr
höchster Traum, daß etwas Rechtes aus ihnen werden sollte.

Dann wurde das Korn eingefahren, dann wurden die Kartoffeln
herausgehackt, und dann wurde es Winter. Ach nein, das Sägewerk kam
nicht unter Dach im Herbst! Aber da war nun nichts zu machen, es ging
ja auch nicht ums Leben, und bis zum Sommer kam wohl Zeit und Rat.



13


Und im Winter kam die gewohnte Arbeit an die Reihe, Holz wurde
gefahren, die Wirtschaftsgeräte und die Fuhrwerke wurden hergerichtet,
Inger versorgte das Haus, schaffte und nähte, und die Jungen waren
wieder für lange Zeit in der Schule. Seit mehreren Jahren schon hatten
sie miteinander ein Paar Schneeschuhe gehabt, und dies eine Paar hatte
für beide genügt, solange sie daheim gewesen waren. Da hatte der eine
gewartet, solange der andere lief, oder der eine stellte sich hinter
dem andern auf. Oh, es war gut gegangen, etwas Schöneres hatten sie
sich gar nicht vorstellen können, sie waren unschuldig. Aber drunten
im Dorf waren die Verhältnisse größer, in der Schule wimmelte es von
Schneeschuhen, ja, es zeigte sich, daß sogar die Kinder auf Breidablick
jedes ein eigenes Paar hatte. Da mußte schließlich Isak ein neues Paar
für Eleseus machen, und Sivert durfte die alten behalten.

Isak tat mehr, er kaufte den Jungen Winteranzüge und unzerreißbare
Stiefel. Aber als dies getan war, ging Isak zum Kaufmann und bestellte
einen Ring. -- Einen Ring? fragte der Kaufmann. -- Ja, einen
Fingerring. Ich bin so hoffärtig geworden, daß ich meiner Frau einen
Fingerring schenken will. -- Soll es ein silberner oder ein goldener
sein oder nur einer aus Messing, der im Goldbad gewesen ist? -- Es
soll ein silberner sein. -- Der Kaufmann überlegte lange, dann sagte
er: Wenn du das tun willst, Isak, und wenn du deiner Frau einen Ring
verehren willst, den sie zeigen kann -- so kaufe ihr einen goldenen
Ring. -- Was? sagte Isak laut. Aber im innersten Herzen hatte er wohl
selbst an einen goldenen Ring gedacht.

Sie besprachen es nach allen Richtungen und einigten sich schließlich
über Größe und Preis des Ringes; aber noch immer überlegte Isak und
schüttelte den Kopf und meinte, das sei doch ein teures Stück; aber der
Kaufmann wollte eben durchaus einen echt goldenen Ring bestellen. Als
Isak heimwärts wanderte, war er eigentlich froh über seinen Entschluß,
aber zugleich entsetzte er sich über die Ausgaben, zu denen einen die
Liebe bringen konnte.

Es war ein richtiger Schneewinter, und als gegen Neujahr eine gute
Bahn war, fingen die Leute aus dem Dorf an, Telegraphenstangen über
die Moore heraufzufahren und sie in gewissen Abständen voneinander
abzuladen. Sie fuhren mit vielen Pferden an Breidablick vorüber, kamen
auch an Sellanraa vorbei -- schließlich trafen sie mit anderen Pferden
zusammen, die von jenseits des Gebirges Stangen herauffuhren, und da
war die ganze Linie vollständig.

So verging ein Tag um den andern ohne große Ereignisse. Was hätte
geschehen sollen? Im Frühling begann man mit dem Aufstellen der
Telegraphenstangen, Brede Olsen war auch wieder dabei, obgleich er die
Frühjahrsarbeit auf seinem Hofe hätte besorgen sollen. Daß er Zeit dazu
hat! fragte sich Isak wieder.

Isak selbst hatte kaum Ruhe zum Essen und Schlafen, er konnte kaum
alles zur rechten Zeit fertigbringen, seine Felder waren jetzt recht
groß geworden.

Aber dann vor der Erntezeit brachte er das Sägewerk unter Dach und
konnte sich nun an das Einsetzen der Säge machen. Seht, es war kein
Wunderwerk von einem Holzbau, den er fertiggebracht hatte, aber der
Bau war riesenstark und stand nun da und war von großem Nutzen. Die
Säge ging, die Säge schnitt, Isak hatte seine Augen gebraucht, wenn er
drunten im Dorf in der Sägemühle gewesen war, und hatte sich alles wohl
gemerkt. Es war eine herzlich kleine Sägemühle, die er da errichtet
hatte, aber er war zufrieden mit ihr, er hieb die Jahreszahl über der
Tür ein und setzte sein Hauszeichen darunter.

Und in diesem Sommer ereignete sich nun doch mehr als gewöhnlich auf
Sellanraa.

Die Telegraphenarbeiter waren jetzt so weit heraufgekommen, daß die
erste Gruppe eines Abends an dem Hofe anklopfte und um Obdach bat. Die
Leute durften in der Scheune schlafen. Als die Tage vergingen, kam auch
die zweite Gruppe, und alle fanden Obdach auf Sellanraa. Die Linie
wurde am Hof vorbei weiter hinaufgeführt, aber die Leute kamen trotzdem
noch auf den Hof, um da zu übernachten. Und an einem Samstagabend
erschien der Ingenieur, um die Löhne auszuzahlen.

Als Eleseus den Ingenieur sah, bekam er Herzklopfen, und er schlich
sich zur Tür hinaus, um nicht nach dem farbigen Bleistift gefragt zu
werden. Ach, das war ein böser Augenblick, und Sivert kam auch nicht
heraus, an dem er ein wenig eine Stütze hätte haben können! Wie ein
bleiches Gespenst glitt Eleseus um die Hausecke; endlich traf er die
Mutter. Eleseus bat sie gleich, sie möchte Sivert herausschicken, er
konnte sich nicht anders helfen.

Sivert nahm die Sache weniger schwer, er hatte ja auch nicht die
große Schuld auf sich liegen. Die Brüder setzten sich in ziemlicher
Entfernung nieder, und Eleseus sagte: Wenn du es auf dich nehmen
würdest! -- Ich? sagte Sivert. -- Denn du bist soviel kleiner, dir
würde er nichts tun. -- Sivert überlegte, er sah, daß der Bruder in
großer Not war, und es schmeichelte ihm auch, daß Eleseus ihn brauchte.
-- Ich könnte dir vielleicht eine Handreichung tun, sagte er altklug.
-- Du mußt es tun! rief Eleseus und drückte einfach seinem Bruder das
Stückchen, das noch von dem farbigen Bleistift übrig war, in die Hand.
Es soll dir gehören, sagte er.

Sie wollten miteinander wieder hineingehen, aber Eleseus sagte, er habe
noch etwas am Sägewerk zu tun oder vielmehr im Mahlhaus, etwas, was
er nachsehen müsse, es gehe nicht so schnell, er werde kaum vor einer
guten Weile fertig sein. Sivert ging allein hinein.

Da saß der Ingenieur mit Silbergeld und Banknoten vor sich und zahlte
die Löhne aus. Als das geschehen war, setzte ihm Inger einen Topf Milch
nebst Glas vor, und er war dankbar dafür. Er trank. Dann plauderte er
mit der kleinen Leopoldine, und als er die Zeichnungen an den Wänden
sah, fragte er gleich, wer denn der Meister sei, der sie gemacht
habe. Bist du es? fragte er Sivert. Der Ingenieur wollte sich wohl
bei der Mutter für die Gastfreundschaft dankbar erweisen. Er erfreute
die Mutter, indem er die Zeichnungen lobte, und Inger gab eine gute
Erklärung. Ihre Buben hätten die Zeichnungen gemacht, beide Buben; bis
sie heimgekommen und dafür gesorgt habe, hätten die Kinder kein Papier
gehabt und deshalb die Wände bekritzelt, nun habe sie das Herz nicht,
es abzuwaschen. -- Laß es nur stehen, sagte der Ingenieur. Papier?
sagte er und legte eine Menge großer Bogen auf den Tisch. Da, zeichnet
nur weiter, bis ich das nächste Mal wiederkomme! Wie steht es denn mit
Bleistiften? -- Da trat Sivert ganz einfach mit dem Bleistiftstümpfchen
vor und zeigte, wie klein es war. Und siehe, er bekam einen neuen, noch
ungespitzten farbigen Bleistift! Zeichnet nur drauflos! Aber macht
lieber das Pferd rot und den Bock blau. Nicht wahr, du hast noch kein
blaues Pferd gesehen?

Dann ging der Ingenieur wieder fort.

Am selben Abend kam ein Mann vom Dorf herauf mit einem Ranzen auf dem
Rücken. Er gab einige Flaschen für die Arbeiter ab und entfernte sich
dann wieder. Aber nachdem er gegangen war, blieb es nicht mehr so still
auf Sellanraa; die Ziehharmonika ertönte, es wurde laut gesprochen und
gesungen und auf dem Hofplatz getanzt. Einer der Arbeiter forderte
Inger zu einem kleinen Drehum auf, und Inger -- ja, wer verstand sich
auf sie? Sie kicherte und tanzte wahrhaftig ein paarmal im Kreise
herum. Als dies getan war, wollten die andern auch mit ihr tanzen, und
da tanzte sie recht flott mit.

Wer verstand sich auf Inger! Hier tanzte sie nun vielleicht ihren
ersten seligen Tanz in ihrem Leben; man riß sich um sie, dreißig Männer
waren hinter ihr her, sie war allein, die einzige, die gewählt werden
konnte, keine andere stach sie aus. Und wie flott diese riesenhaften
Telegraphenarbeiter sie vom Boden aufhoben! Warum nicht tanzen? Eleseus
und Sivert schliefen schon drinnen in der Kammer wie Säcke trotz des
Tumultes auf dem Hofe, die kleine Leopoldine aber war noch auf und
stand dabei und sah mit großen verwunderten Augen den Sprüngen der
Mutter zu.

Isak war indessen die ganze Zeit nach dem Abendessen draußen auf dem
Feld gewesen. Als er wieder hereinkam, um zu Bett zu gehen, wurde ihm
aus einer Flasche zu trinken angeboten, und er trank auch ein wenig. Er
setzte sich, nahm Leopoldine auf den Schoß und sah dem Tanzen zu. Da
kannst du dich ordentlich herumschwingen! sagte er gutmütig zu Inger.
Da kannst du wahrlich die Füße regen!

Aber nach einer Weile hörte der Musikant auf zu spielen, und der Tanz
war vorbei. Die Arbeiter machten sich nun fertig, den noch übrigen Teil
der Nacht und den ganzen nächsten Tag im Dorf zu verbringen und erst
am Montagmorgen wiederzukommen. Bald lag Sellanraa wieder ganz still
da, nur ein paar ältere Männer blieben zurück und legten sich in der
Scheune schlafen.

Isak sah sich nach Inger um, damit sie hineingehe und Leopoldine zu
Bett bringe; als er sie dann nirgends erblickte, ging er hinein und
legte das Kind zu Bett. Und er selbst ging auch zur Ruhe.

Gegen Morgen erwachte er, aber Inger war nicht da. Ist sie im Stall?
dachte er. Dann stand er auf und ging in den Stall. Inger? fragte er.
Keine Antwort. Die Kühe drehten die Köpfe und sahen ihn an. Alles
war still. Aus alter Gewohnheit zählte er das Vieh, zählte auch das
Kleinvieh, das eine Mutterschaf blieb so gern die Nacht über draußen --
jetzt war es wieder draußen geblieben. Inger? fragte er wieder. Auch
jetzt keine Antwort. Sie ist doch sicher nicht ganz mit hinunter ins
Dorf gegangen, dachte er.

Die Sommernacht war hell und warm; Isak blieb eine Weile unter der
Haustür sitzen, dann stand er auf und ging in den Wald, um nach dem
Mutterschaf zu sehen. Er fand Inger. Inger hier? Ja, Inger und noch
einer. Sie saßen im Heidekraut, Inger ließ seine Schildmütze auf
ihrem Zeigefinger tanzen, sie sprachen miteinander, Inger war wieder
umworben.

Isak ging leise zu ihnen hin. Inger wendete sich um und sah ihn. Da
wurde sie weiß wie ein Leintuch, der Kopf sank ihr auf die Brust,
sie ließ die Mütze fallen, war vernichtet. -- Hm! Weißt du, daß das
Mutterschaf wieder fehlt? sagte Isak. Aber das weißt du natürlich
nicht, sagte er.

Der junge Telegraphenarbeiter hob seine Mütze auf und verzog sich
seitwärts in die Büsche. Ich muß wohl den anderen nachgehen, sagte er.
Ja, gute Nacht, sagte er und ging. Niemand erwiderte seinen Gruß.

So, du sitzest hier? sagte Isak. Mußt du hier sitzen?

Er wendete sich heimwärts, und Inger richtete sich auf die Knie auf;
sie kam auf die Füße und ging ihm nach. So gingen sie dahin, der Mann
voraus, die Frau hinterdrein, Tandem. Sie kamen heim.

Inger hatte wohl indessen Zeit gehabt, sich zu fassen. Und sie faßte
sich: Ich wollte gerade nach dem Mutterschaf sehen, sagte sie, denn ich
hatte gesehen, daß es nicht da war. Dann kam der Mann, er hat mir beim
Suchen geholfen. Wir hatten uns kaum hingesetzt gehabt, als du kamst.
Wo willst du jetzt hin?

Ich? Ich muß wohl nach dem Tier sehen.

Nein, jetzt sollst du zu Bett gehen. Und wenn noch jemand suchen soll,
so werde ich es tun. Geh du nur zur Ruhe, du kannst sie notwendig
brauchen. Im übrigen kann das Schaf auch draußen übernachten, das hat
es schon öfters getan.

Ja, um von Raubtieren aufgefressen zu werden, sagte Isak und ging.

Nein, du darfst nicht! rief sie und holte ihn ein. Du brauchst Schlaf,
ich will gehen.

Isak ließ sich überreden. Aber er wollte auch nichts davon hören, daß
Inger noch nach dem Schaf suchen sollte, und so gingen beide hinein.

Inger sah sofort nach den Kindern. Sie ging in die Kammer, trat an das
Bett und tat, als sei sie aus den erlaubtesten Gründen draußen gewesen,
ja, sie war nicht ganz frei davon, mit Isak ein wenig zu liebäugeln,
wie wenn sie von ihm noch eine ganz andere Zuneigung erwartete, als ihr
an dem ganzen Abend entgegengebracht worden war -- denn jetzt hatte er
ja eine volle Erklärung, meinte sie. Aber nein, danke! Isak war nicht
so leicht herumzubringen, er hätte es am liebsten gesehen, wenn sie so
recht betrübt gewesen wäre und nicht gewußt hätte, was sie vor Reue
tun sollte. Das hätte er am liebsten gesehen. Was war denn das, daß
sie im Wald draußen etwas zusammengesunken war, das ärmliche bißchen
Schrecken, als er sie im Wald entdeckt hatte -- was half das, wenn es
so schnell wieder verflog!

Am nächsten Tag, der doch ein Sonntag war, zeigte sich Isak noch
durchaus nicht versöhnt, er wanderte draußen umher, sah nach seinem
Sägewerk und seiner Mühle und betrachtete seine Felder, teils mit den
Kindern, teils allein. Als Inger sich einmal anzuschließen versuchte,
ging Isak gleich seines Wegs und sagte: Ich muß an den Fluß hinauf und
nach etwas sehen. Irgend etwas nagte offenbar an ihm, aber er trug es
in der Stille und donnerte nicht los. Oh, Isak war ein Großer, zum
Beispiel Israel, dem das gelobte Land wohl verheißen war, der jedoch
darum betrogen worden war, aber dennoch gläubig blieb.

Am Montag war die Stimmung bedeutend leichter, und als die Tage
vergingen, begann der ärgerliche Eindruck von jener Nacht sich
allmählich zu verwischen. Die Zeit macht gar vieles wieder gut, mit
Spucke und Lappen, mit Schlaf und Essen heilt sie alle Wunden. Isak war
nicht zum schlimmsten dabei gefahren, er hatte nicht einmal Gewißheit,
ob ihm Unrecht angetan worden war, außerdem hatte er an vieles andre
zu denken, denn jetzt fing die Ernte an. Und schließlich war ja die
Telegraphenlinie bald fertig, dann würde es wohl wieder ruhig auf dem
Hof werden. Eine breite helle Straße zog sich nun durch den Laubwald
hin, in ihrer Mitte standen die Stangen mit Drähten bis ganz hinauf
aufs Gebirge.

Am nächsten Samstag, an dem die letzte Lohnauszahlung stattfand,
richtete es Isak so ein, daß er von zu Hause abwesend war; er wollte
es selbst so. Er ging mit Butter und Käse ins Dorf hinunter und kam
erst in der Nacht zum Montag wieder zurück. Die Arbeiter hatten da
alle miteinander die Scheune verlassen, beinahe alle, der letzte Mann
schwankte mit einem Sack auf dem Rücken eben zum Hof hinaus, beinahe
der letzte Mann. Daß es doch noch nicht ganz sicher war, erriet Isak an
einer Eßkiste, die noch in der Scheune stand; wo der Eigentümer war,
wußte er nicht, wollte es auch nicht wissen, aber eine Schildmütze lag
als anstößiger Beweis auf der Eßkiste.

Isak schleuderte die Eßkiste auf den Hofplatz hinaus, und die Mütze
flog hinterdrein, dann schloß er die Scheune ab, ging in den Stall und
guckte durchs Fenster hinaus. Mag die Kiste da stehen und die Mütze da
liegen bleiben, dachte er wohl; es ist mir einerlei, wem sie gehören,
es ist eine schlechte Kiste, und ich verachte sie, dachte er wohl. Aber
wenn er jetzt seine Eßkiste holen will, dann wird Isak hinausgehen und
ihn ein wenig am Arm nehmen, daß er blau und grün wird. Und wo der Weg
zum Hof hinausgeht, das soll er auch erfahren!

Damit verließ Isak das Fenster im Pferdestall und ging zu den Kühen
hinein und sah von dort aus zum Fenster hinaus und fand keine Ruhe.
Die Kiste war mit einem Strick zusammengeschnürt, der jämmerliche
Kerl hatte nicht einmal ein Schloß daran; der Strick war aufgegangen
-- hatte Isak wohl die Kiste zu fest angepackt? Woher es auch kommen
mochte, aber Isak war nicht mehr so ganz sicher, ob er auch recht
gehandelt habe. Bei seinem Gang durchs Dorf hatte er nach seinem neuen
Reolpflug gefragt, einem besonders starken zum Umroden von Ödland, den
er bestellt hatte; oh, eine ausgezeichnete Maschine, eine Gottesgabe,
ja, und diese war eben angekommen! Da war es ihm gewesen, als komme
Segen mit ihr in sein Haus. Die höhere Macht, die die Schritte der
Menschen lenkt, war vielleicht jetzt nahe und sah ihm zu, ob er den
Segen verdiene oder nicht; Isak war immer mit den höheren Mächten
beschäftigt, ja, in einer Herbstnacht hatte er im Walde draußen Gott
mit eigenen Augen gesehen; das war vor allem ein merkwürdiger Anblick
gewesen.

Isak ging auf den Hofplatz hinaus und blieb bei der fremden Kiste
stehen. Noch überlegte er, ja, er schob seinen Hut schief und kratzte
sich am Kopfe, dabei sah er ganz keck und flott aus, wie ein Spanier
sah er aus. Aber dann mußte er ungefähr so gedacht haben: Ach, da
stehe ich und bin weit davon entfernt, ein prächtiger, ausgezeichneter
Mensch zu sein, ich bin ein Hund! Dann schnürte er den Strick um die
Kiste fest zu, hob die Mütze auf und trug beides wieder in die Scheune
hinein. Nun war es getan.

Als er wieder aus der Scheune heraustrat und sich nach der Mühle
wandte, weg von seinem Hause, weg von allem, da stand Inger nicht am
Fenster, nein. Nun wohl, mag sie stehen, wo sie will, übrigens war
sie wohl in ihrem Bett, wo hätte sie sonst sein sollen? Aber in den
alten Tagen, in den ersten unschuldigen Jahren auf der Ansiedlung, da
hatte Inger keine Ruhe gehabt, sondern war aufgeblieben und hatte auf
ihn gewartet, wenn er auf dem Heimweg vom Dorfe war. Das war jetzt
anders geworden, alles war anders geworden. Auch als er ihr den Ring
gab -- ach, hätte etwas mehr mißglückt sein können? Isak war übermäßig
bescheiden gewesen und weit entfernt, von einem echt goldenen Ring zu
sprechen. Es ist nichts Besonderes, hatte er gesagt, steck ihn einmal
an den Finger und probier, ob er dir paßt. -- Ist das Gold? fragte sie.
-- Ja, aber er ist nicht sehr breit, versetzte er. -- Doch! hätte sie
erwidern sollen, sie sagte indes: Nein, aber gerade recht. -- Du kannst
ihn ja jetzt behalten wie sonst eine Kleinigkeit, sagte er schließlich
niedergeschlagen.

Aber Inger war doch dankbar für den Ring, sie trug ihn an der rechten
Hand und ließ ihn funkeln, wenn sie nähte; ab und zu durften ihn die
Mädchen anprobieren und ihn eine Weile am Finger behalten, wenn sie bei
ihr waren und sie wegen eines neuen Kleides um Rat fragten. Begriff
denn Isak nicht, daß sie ungeheuer stolz auf den Ring war! ...

Aber es war sehr einsam, da in der Mühle zu sitzen und die ganze
lange Nacht dem Brausen des Sturzbaches zuzuhören. Isak hatte nichts
Unrechtes getan und brauchte sich nicht zu verstecken, er ging also von
der Mühle fort, heimwärts, in sein Haus. --

Und nun wurde Isak ganz beschämt, wahrlich beschämt und froh. Brede
Olsen saß da, der Nachbar, niemand anderer, er saß da und trank Kaffee.
Ja, Inger war auf, die beiden saßen nur beieinander und tranken Kaffee.
Da ist Isak! sagte Inger in freundlichem Ton, indem sie aufstand und
ihm auch eine Schale Kaffee einschenkte. Guten Abend! sagte Brede
ebenso freundlich.

Isak merkte wohl, daß Brede bei dem Abschiedsfest der
Telegraphenarbeiter mit dabei gewesen war; er sah übernächtigt aus,
aber das tat nichts, er war fröhlich und freundlich. Natürlich
tat er ein wenig groß: Eigentlich habe er keine Zeit zu dieser
Telegraphenarbeit, denn er habe ja seinen Hof, aber er habe nicht nein
sagen können, der Ingenieur sei so sehr in ihn gedrungen. Und dann habe
es ja auch dazu geführt, daß Brede nun die Inspektorstelle über die
Linie übernehmen müsse. Es sei nicht wegen der Bezahlung, sagte Brede,
er könnte im Dorf drunten viel mehr verdienen, aber er habe nicht
ungefällig sein wollen. Nun habe man ihm eine kleine glänzende Maschine
an der Wand angebracht, die sei ganz unterhaltend, fast ein Telegraph
selbst.

Isak konnte mit dem besten Willen über diesen Prahlhans und Faulpelz
nicht böse sein, dafür fühlte er sich zu erleichtert, als er an diesem
Abend anstatt eines Fremden seinen Nachbar in seinem Hause vorfand.
Isak hatte das Gleichgewicht des Bauern, dessen einfache Gefühle,
dessen Handfestigkeit, dessen Langsamkeit; er stimmte Brede zu und
nickte zu seiner Oberflächlichkeit. Hast du nicht noch eine Schale
Kaffee für Brede? fragte er Inger. Und Inger schenkte ein.

Übrigens erzählte Inger, der Ingenieur sei ein ganz ausgezeichnet
freundlicher Herr. Er habe sich die Zeichnungen und das Geschriebene
der Kinder angesehen und habe dann gesagt, er wolle Eleseus zu sich
nehmen. -- Zu sich nehmen? fragte Isak. -- Ja, mit in die Stadt. Er
solle für ihn schreiben, solle Schreiber auf seinem Büro werden, so
sehr hätten ihm Eleseus' Zeichnungen und das Geschriebene gefallen.
-- So, sagte Isak. -- Ja, was meinst du dazu? Er will ihn auch dort
konfirmieren lassen. Das sind doch schöne Aussichten, nicht wahr? --
Das meine ich auch, sagte Brede. Und soweit kenne ich den Ingenieur,
wenn der schon so etwas sagt, dann meint er es auch. -- Wir haben hier
auf der Ansiedlung keinen Eleseus, den wir entbehren könnten, sagte
Isak.

Nach diesen Worten wurde es eine Weile ganz still und unbehaglich in
der Stube. Natürlich war Isak nicht der Mann, mit dem sich reden ließ.
-- Wenn nun aber der Junge selbst vorwärtskommen will, und wenn er
das Genie hat, etwas Rechtes zu werden! sagte Inger schließlich. --
Wieder Stille. Doch nun sagte Brede lächelnd: Wenn doch der Ingenieur
eines von meinen Kindern nehmen wollte! Ich habe genug Kinder. Aber
das älteste ist die Barbro, und das ist ein Mädchen. -- Ja, ja, die
Barbro ist recht und gut, sagte Inger, um höflich zu sein. -- O ja,
daran fehlt es nicht, stimmte Brede bei, die Barbro ist ein tüchtiges
Mädchen, sie kommt jetzt zum Lensmann in Dienst. -- Zum Lensmann? --
Ja, ich habe es durchaus versprechen müssen. Die Frau Lensmann hat mir
gar keine Ruhe gelassen.

Es war jetzt schon gegen Morgen, und Brede rüstete sich zum Aufbruch.
-- Ich habe noch meine Mütze und meine Eßkiste in eurer Scheune stehen,
sagte er. Wenn nicht etwa die Burschen alles miteinander mitgenommen
haben, fügte er scherzhaft hinzu.



14


Und die Zeit verging.

Ja, natürlich kam Eleseus in die Stadt, Inger setzte es durch. Nachdem
er ein Jahr dort gewesen war, wurde er konfirmiert, dann blieb er fest
auf dem Büro des Ingenieurs und wurde immer tüchtiger im Schreiben.
Oh, was waren das für Briefe, die er heimschickte, bisweilen mit roter
und blauer Tinte geschrieben, die reinen Gemälde! Und wie die Sprache
darin, die Sätze! Ab und zu bat Eleseus um Geld, bat um Unterstützung:
er brauchte Geld zu einer Taschenuhr samt Kette, damit er am Morgen
nicht zu lange schlief; dann zu einer Pfeife und Tabak, wie es die
andern jungen Schreiber in der Stadt hatten; dann zu etwas, das er
Taschengeld nannte; dann zu etwas, das Abendschule hieß, wo er Zeichnen
und Turnen und andere für seinen Stand und seine Stellung notwendige
Dinge lernte. Alles in allem war Eleseus in einer Stellung in der Stadt
nicht billig zu haben.

Taschengeld? fragte Isak. Ist das Geld, das man in der Tasche hat?
-- Ja, das muß wohl so sein, man tut es wohl, damit man nicht ganz
leer daherkommt. Und es ist ja gar nicht so viel, ein Taler ab und
zu. -- Ganz richtig, ein Taler hier und ein Taler dort, antwortete
Isak zornig. Aber er war zornig, weil Eleseus ihm fehlte und er ihn
daheim haben wollte. Aber schließlich werden es viele Taler, fuhr er
fort. Ich kann das nicht leisten, du mußt ihm schreiben, daß er nichts
mehr bekommt. -- So, na ja, sagte Inger beleidigt. -- Der Sivert, was
bekommt denn der als Taschengeld? fragte Isak. -- Inger erwiderte: Du
bist nie in einer Stadt gewesen und verstehst das nicht, der Sivert
braucht kein Taschengeld. Und im übrigen kommt der Sivert nicht zu
kurz, wenn sein Oheim Sivert einmal stirbt. -- Das weißt du nicht. --
Doch, das weiß ich.

Und das war gewissermaßen richtig, der Oheim Sivert hatte sich dahin
ausgesprochen, daß Klein-Sivert ihn beerben solle. Oheim Sivert hatte
an Eleseus' Prahlerei und Vornehmtuerei in der Stadt Anstoß genommen,
er hatte genickt und die Lippen zusammengekniffen und gesagt, ein
Schwestersohn, der nach ihm genannt sei -- nach dem Oheim Sivert --
brauche keineswegs zu verhungern. Aber was besaß der Oheim Sivert wohl?
Besaß er neben seinem vernachlässigten Hof und seinem Bootsschuppen
auch noch einen so großen Haufen Geld, wie man allgemein annahm?
Niemand wußte es. Und dazu kam noch, daß Oheim Sivert ein eigensinniger
Mensch war, er verlangte, Klein-Sivert solle zu ihm kommen und bei
ihm bleiben. Oheim Sivert betrachtete das als Ehrensache: er wollte
Klein-Sivert zu sich nehmen, wie der Ingenieur Eleseus zu sich genommen
hatte. Aber wie sollte Klein-Sivert von zu Hause wegkommen? Das
war unmöglich. Er war des Vaters einzige Hilfe. Außerdem hatte der
Junge auch keine große Lust, zu dem Oheim zu gehen, dem berühmten
Bezirkskassierer; er war schon einmal dort gewesen, aber dann lieber
wieder heimgegangen. Er war jetzt konfirmiert, reckte und streckte sich
und wuchs heran, feiner Flaum sproßte ihm auf den Wangen, und er hatte
starke Hände mit Schwielen daran. Er schaffte wie ein Mann.

Isak hätte ohne Siverts Hilfe niemals die neue Scheune aufrichten
können, aber jetzt stand sie mit der Einfahrtsbrücke und den Luken
und allem ebenso groß da wie die Pfarrscheune selbst. Natürlich war
sie nur aus Fachwerk mit Bretterverschalung, aber besonders solid
gebaut mit eisernen Klammern an den Ecken und mit zolldicken Brettern
aus der eigenen Sägemühle verschalt. Ja, und da hatte Klein-Sivert
mehr als einen Nagel eingeschlagen und hatte die schweren Balken fürs
Sparrenwerk aufgehoben, daß er fast darunter umgesunken war. Sivert
verstand sich ausgezeichnet mit seinem Vater und arbeitete ständig
an seiner Seite, er war von des Vaters Art. Und er war nicht so fein
und so verwöhnt, sondern ging nur jedesmal, ehe er sich auf den Weg
zur Kirche machte, auf die Halde hinauf und rieb sich mit ein wenig
Rainfarn ab, um einen guten Geruch an sich zu haben. Da fing wahrlich
die kleine Leopoldine an, größere Ansprüche zu machen, was man ja auch
nicht anders erwarten konnte, da sie ein Mädchen und dazu die einzige
Tochter war. Jetzt im Sommer hatte sie ihre abendliche Grütze nicht
ohne Sirup darauf essen können, nein, das gewann sie nicht über sich.
Und sie leistete auch nicht viel bei der Arbeit.

Inger hatte den Gedanken an ein Dienstmädchen nicht aufgegeben, und
jeden Frühling hatte sie aufs neue davon angefangen, aber jedesmal war
Isak unnachgiebig geblieben. Wieviel mehr Kleider hätte sie zuschneiden
können, wieviel mehr nähen und feine Stoffe weben und gestickte
Pantoffeln fertigbringen, wenn sie Zeit gehabt hätte! Aber eigentlich
zeigte sich Isak gar nicht mehr so unnachgiebig wie früher, wenn er
auch noch brummte. Hoho, beim erstenmal hatte er eine lange Rede
gehalten, nicht aus Rechtsgefühl und Verständigkeit, auch nicht aus
Hochmut, sondern leider nur aus Schwäche, aus Wut. Aber jetzt war es,
als habe er etwas nachgegeben, und als schäme er sich.

Wenn ich Hilfe im Haus haben soll, so ist jetzt die Zeit dazu, sagte
Inger. Denn später ist Leopoldine größer und kann dies und jenes tun.
-- Hilfe? fragte Isak, wobei sollst du dir denn helfen lassen? -- Wobei
ich mir helfen lassen will? Läßt du dir etwa nicht helfen? Wozu ist
denn Sivert da?

Was sollte Isak auf solchen Unverstand entgegnen? Er sagte: Ja, ja,
wenn du eine Magd bekommst, dann werdet ihr wohl pflügen und ernten und
den Hof besorgen. Dann können Sivert und ich unserer Wege gehen.

Wie das auch sein mag, entgegnete Inger, jedenfalls könnte ich jetzt
Barbro als Magd bekommen, sie hat ihrem Vater darüber geschrieben.
-- Welche Barbro? fragte Isak. Etwa Bredes Barbro? -- Ja, sie ist in
Bergen. -- Bredes Barbro will ich nicht hier in meinem Hause haben,
sagte er. Wen du auch sonst nehmen magst, fügte er hinzu.

Er wies also nicht jede andere zurück.

Seht, in Barbro von Breidablick hatte Isak kein Vertrauen; sie war
unbeständig und oberflächlich wie der Vater -- vielleicht auch wie die
Mutter --, war flüchtigen Sinnes, ohne Ausdauer. Beim Lensmann war sie
nicht lange geblieben, nur ein Jahr; als sie dann konfirmiert war, kam
sie zum Kaufmann, blieb aber auch da nur ein Jahr. Dann war sie erweckt
und fromm geworden, und als die Heilsarmee ins Dorf kam, trat sie in
diese ein, bekam eine rote Binde um den Arm und eine Gitarre in die
Hände. In dieser Ausstaffierung reiste sie auf der Jacht des Kaufmanns
nach Bergen. Das war im vorigen Jahr gewesen, und jetzt eben hatte
sie ihre Photographie heim nach Breidablick geschickt; Isak hatte sie
gesehen: ein fremdes Fräulein mit gekräuseltem Haar und einer langen
Uhrkette über die Brust herunter. Die Eltern waren stolz auf ihre
kleine Barbro und zeigten das Bild jedem, der an Breidablick vorbeikam;
es war großartig, wie sie sich herausgemacht hatte, und sie hatte keine
rote Binde mehr um den Arm und keine Gitarre mehr in den Händen.

Ich habe es mitgenommen und es der Frau des Lensmanns gezeigt, die
erkannte sie gar nicht wieder, sagte Brede. -- Bleibt sie in Bergen?
fragte Isak mißtrauisch. -- Sie bleibt in Bergen, solange sie dort
ihr Brot verdient, antwortete Brede. Wenn sie nicht lieber nach
Christiania reist, setzte er hinzu. Was soll sie hier daheim! Sie
hat jetzt eine neue Stelle, ist Haushälterin bei zwei Junggesellen,
feinen Kontorherren. Und was sie für einen großen Lohn hat! -- Wieviel?
fragte Isak. -- Das gibt sie in ihrem Brief nicht genau an. Aber daß
er etwas Ungeheures ist gegen hier im Dorf, das merke ich daran, daß
sie Weihnachtsgeschenke und viele andere Geschenke bekommen hat, ohne
daß am Lohn etwas abgezogen worden wäre. -- So, sagt Isak. -- Ja, du
möchtest sie wohl nicht als Magd haben? fragte Brede. -- Ich? entfuhr
es Isak. -- Nein, hehe, ich hab' nur so gefragt. Denn die Barbro soll
nur bleiben, wo sie ist. Aber was ich sagen wollte: Du hast nichts
Besonderes am Telegraphen droben bemerkt? -- Am Telegraphen? Nein.
-- Ach nein, es ist nicht oft etwas in Unordnung daran, seit ich ihn
übernommen habe. Und dann habe ich ja meine eigene Maschine an der
Wand, die mir's anzeigt, wenn etwas daran fehlt. In den nächsten Tagen
muß ich aber einmal die Linie abschreiten und nachsehen. Ich habe eben
viel zuviel zu tun und zu besorgen, ein einziger Mann kann das nicht
alles leisten. Aber da ich nun einmal Inspektor hier bin und dies
öffentliche Amt habe, muß ich ihm eben auch nachkommen, solange ich
es habe. -- Isak fragte: Du denkst doch nicht daran, es aufzugeben?
-- Ich weiß nicht, antwortete Brede, ich bin noch nicht entschlossen.
Aber man läßt mir keine Ruhe, ich soll wieder ins Dorf hinunterkommen.
-- Wer läßt dir keine Ruhe? fragte Isak. -- Alle miteinander. Der
Lensmann möchte mich wieder als Gerichtsdiener, dem Doktor fehle ich
zum Überlandfahren, und die Frau Pfarrer hätte mich schon mehr als
einmal zur Hilfe haben wollen, wenn nur nicht der Weg so weit wäre.
Nun, wie war es denn, Isak, hast du wirklich so viel Geld für deinen
Berg bekommen? -- Ja, das ist nicht gelogen, antwortete Isak. -- Aber
was wollte denn der Geißler damit? Nun liegt er da. Das ist doch etwas
Merkwürdiges. Jetzt ist ein Jahr ums andere darüber hingegangen. --
Isak hatte selbst oft über dieses Rätsel nachgegrübelt, er hatte auch
mit dem Lensmann darüber geredet, hatte nach Geißlers Adresse gefragt,
um ihm zu schreiben. Gewiß war die Sache merkwürdig. -- Ich weiß
nichts, sagte Isak.

Brede verbarg nicht, daß ihn dieser Handel mit dem Berg sehr
interessiere: Es heißt, es seien noch mehrere Berge wie die deinigen
droben in der Allmende, sagte er; da können große Dinge drin sein, wir
aber gehen hier umher wie die stummen Tiere und sehen es nicht. Ich
habe mich nun entschlossen, an einem Tag einmal hinaufzugehen und da zu
untersuchen. -- Ach so, du verstehst dich auf Felsen und Gesteinsarten?
fragte Isak. -- Ja, ein wenig schon, und ich habe auch andere darüber
befragt. Und wie es auch sein mag, so muß ich irgend etwas für mich
finden, ich kann mit all den Meinen nicht von dem Hofe hier leben. Zum
Kuckuck, das ist einfach unmöglich. Bei dir ist es ganz anders, du hast
lauter Wald und guten Ackerboden. Bei mir ist nichts als Moor. -- Moor
ist guter Boden, sagte Isak kurz. Ich habe selbst Moor. -- Es ist ganz
unmöglich, es auszutrocknen, erwiderte Brede ...

Aber es war nicht unmöglich, das Moor auszutrocknen. Als Isak an
diesem Tag weiter hinunterkam, stieß er auf neue Ansiedlungen. Zwei
lagen weiter unten, dem Dorfe zu, aber eine war hoch droben zwischen
Breidablick und Sellanraa -- oh, es wurde allmählich im Ödland
gearbeitet, in Isaks erster Zeit lag es ganz menschenleer da. Und diese
drei Ansiedler waren von auswärts, es schienen Leute mit Verstand
zu sein; das erste, was sie taten, war nicht, Geld aufzunehmen und
sich ein Haus zu bauen, sie kamen in einem Jahr her, zogen Gräben
und verschwanden wieder, genau wie wenn sie gestorben wären. Das war
die richtige Art: Gräben ziehen, pflügen, säen. Axel Ström war jetzt
Isaks nächster Nachbar, ein tüchtiger Mann, Junggeselle, von Geburt
ein Helgeländer; er hatte Isaks neuen Reolpflug entlehnt, um seinen
Moorboden damit umzupflügen, und erst im zweiten Jahr hatte er sich
einen Heuschuppen und eine Gamme errichtet und sich ein paar Stück Vieh
angeschafft. Sein Besitztum hieß Maaneland, Mondland, weil der Mond so
schön darauf schien. Er hatte keine eigene Frauensperson zur Hilfe, und
Hilfe im Sommer war an diesem abgelegenen Ort nur schwer zu haben, aber
wie er seine Arbeit einteilte und ausführte, das war ganz und gar die
richtige Art. Oder hätte er etwa wie Brede zuerst ein Haus bauen und
dann mit seiner Familie und vielen kleinen Kindern ins Ödland kommen
sollen, ohne Vieh oder Äcker, von denen er leben konnte? Was verstand
Brede Olsen vom Entwässern des Moores oder Urbarmachen des Ödlandes?

Brede Olsen verstand es, die Zeit mit Lappalien zu vergeuden; da kam
er wirklich eines Tages an Sellanraa vorüber und wollte hinauf auf die
Berge, um nach edlen Metallen zu suchen! Am Abend kehrte er zurück,
hatte aber nichts Bestimmtes gefunden. Nur ein paar Anzeichen, sagte er
und nickte dazu. Er wollte den Gang bald noch einmal machen und wollte
auch die Berge nach Schweden zu untersuchen.

Und ganz richtig, Brede kam wieder. Er hatte wohl Geschmack daran
gewonnen, er schob es auf die Telegraphenlinie, er müsse sie nachsehen.
Indessen versorgten Frau und Kinder den Hof daheim oder ließen alles
ungetan liegen. Isak bekam Bredes Besuche bald satt, und er ging aus
dem Hause, wenn er kam. Dann schwätzten Inger und Brede herzlich
miteinander. Was konnten sie nur zu schwätzen haben? Oh, Brede war
oft im Dorf drunten und wußte immer etwas Neues von den Großen dort,
Inger aber hatte ihrerseits ihre berühmte Reise nach Drontheim und
ihren Aufenthalt, von dem sie erzählen konnte. In den Jahren, die sie
fortgewesen war, hatte sie schwätzen gelernt, sie fing mit jedermann
gleich eine Unterhaltung an. Nein, sie war nicht mehr dieselbe
treuherzige, rechtschaffene Inger von früher.

Immer noch kamen Frauen und Mädchen nach Sellanraa, um sich Kleider
zuschneiden oder im Handumdrehen wohl auch einen langen Saum auf
der Maschine nähen zu lassen, und Inger unterhielt sie gut dabei.
Auch Oline kam wieder, sie konnte es wahrscheinlich nicht aushalten,
wegzubleiben, denn sie kam sowohl im Frühjahr als im Herbst, aalglatt,
butterweich und falsch. -- Ich mußte einmal sehen, wie es bei euch
steht, sagte sie jedesmal. Und ich habe so Heimweh nach den kleinen
Knaben, sagte sie, ich habe sie so in mein Herz geschlossen, die lieben
Engel, die sie damals waren. Ja, ja, jetzt sind es große Burschen; aber
es ist ganz merkwürdig, ich muß immer daran denken, wie sie noch so
klein waren und ich für sie zu sorgen hatte. Und ihr baut und baut und
macht den Hof zu einer ganzen Stadt. Werdet ihr auch eine Glocke auf
dem neuen Scheunendach anbringen, gerade wie im Pfarrhaus?

Als Oline wieder einmal auf Sellanraa ankam, brachte sie eine andere
Frau mit, und die beiden Frauen und Inger hatten einen guten Tag
zusammen. Je mehr Menschen Inger um sich herumsitzen hatte, desto
besser und desto schneller hantierte sie mit der Schere und nähte auf
der Maschine; sie tat groß, schwang ihre Schere oder das Plätteisen.
Das erinnerte sie an die Zeit in der Anstalt, wo sie so viele gewesen
waren. Inger verbarg durchaus nicht, wo sie ihre Kunst und ihr Wissen
her hatte, von Drontheim hatte sie's. Es war, als habe sie nicht auf
gewöhnliche Weise dort eine Strafe abgesessen, sondern als sei sie
in der Lehre gewesen: Schneidern, Weben, Färben und Schreiben, in
all dem hatte sie Unterricht in Drontheim gehabt. Von der Anstalt
redete sie mit einem gewissen Heimatgefühl, es waren so viele Leute
dagewesen: Vorsteher und Aufsichtsbeamte und Wächter; als sie damals
wieder heimgekommen war, sei es sehr einsam für sie gewesen, und es
sei ihr überaus hart gefallen, sich von dem Gesellschaftsleben, an das
sie nun gewohnt gewesen, zurückzuziehen. Sie tat sogar, als habe sie
sich erkältet, weil sie in der rauhen Luft draußen gewesen war, ja,
noch jahrelang nach ihrer Rückkehr sei es ihr nicht gut bekommen, in
Wind und Wetter draußen zu sein. Zu der Arbeit außer dem Hause müßte
sie eigentlich eine Magd haben. -- Ja, aber Herrgott im Himmel, sagte
Oline, du mit deiner Gelehrsamkeit und mit deinem großen Haus, du
müßtest doch eine Magd halten können!

Es war recht angenehm, auf Verständnis zu stoßen, und Inger widersprach
Oline nicht. Sie rasselte mit ihrer Maschine, daß es dröhnte, und ließ
den Ring an ihrem Finger funkeln.

Nun siehst du selbst, sagte Oline zu der andern Frau, ist es nicht
wahr, daß Inger einen goldenen Ring bekommen hat? -- Wollt ihr ihn
sehen? fragte Inger und zog ihn ab. Oline griff danach, sie schien
nicht ganz sicher zu sein und untersuchte den Ring, wie ein Affe eine
Nuß untersucht: sah auch nach dem Stempel: Ja, es ist, wie ich sagte,
diese Inger mit all ihrem Reichtum und all ihren Mitteln. -- Die andere
Frau nahm den Ring mit Ehrfurcht in die Hand und lächelte demütig. --
Du darfst ihn eine Weile anbehalten, sagte Inger. Steck ihn nur an, er
geht nicht entzwei!

Und Inger war freundlich und gutherzig. Sie erzählte von der Domkirche
in Drontheim und begann: Ihr habt wohl die Domkirche in Drontheim nicht
gesehen? Nein, ihr seid ja nicht in Drontheim gewesen! Diese Domkirche
war gleichsam Ingers eigene Domkirche; sie verteidigte sie, prahlte mit
ihr, gab Höhe und Breite an, sie sei wie ein Märchen! Sieben Pfarrer
predigten gleichzeitig in ihr und hörten doch nichts voneinander. Dann
habt ihr wohl den Brunnen des heiligen Olaf auch nicht gesehen? Er
liegt mitten in der Domkirche auf der einen Seite, und dieser Brunnen
ist grundlos. Als wir da hingingen, hatten wir einen Stein mitgenommen,
und den ließen wir hineinfallen, aber er erreichte den Grund nicht. --
Er erreichte den Grund nicht! flüsterten die Frauen und schüttelten
die Köpfe. -- Aber außerdem sind noch tausend andere Dinge in der
Domkirche! rief Inger entzückt aus. Da ist nun der silberne Schrein,
das ist der Schrein von Sankt Olaf dem Heiligen, ihm gehört er. Aber
die Marmorkirche, die eine kleine Kirche ganz und gar aus Marmor war,
aber diese Kirche, die haben uns die Dänen im Krieg genommen ...

Die Frauen mußten aufbrechen. Oline zog Inger auf die Seite und
mit sich in die Vorratskammer hinein, wo, wie sie wußte, die Käse
lagen, und machte die Tür hinter sich zu. -- Was willst du von mir?
fragte Inger. -- Oline flüsterte: Der Os-Anders wagt nicht mehr
hierherzukommen. Ich habe es ihm gesagt. -- Ach so, sagte Inger.
-- Ich habe ihm gesagt, er solle es nur wagen, nach dem, was er dir
angetan hat! -- Ja, ja, sagte Inger. Aber er ist seither mehrere Male
hier gewesen, und im übrigen kann er gerne kommen, ich fürchte mich
nicht vor ihm! -- Nein, sagte Oline, aber ich weiß, was ich weiß, und
wenn du es willst, werde ich ihn anzeigen. -- So, sagte Inger, nein,
das sollst du nicht tun.

Aber es war ihr nicht widerwärtig, daß Oline auf ihrer Seite stand; es
kostete sie zwar einen kleinen Ziegenkäse, aber Oline bedankte sich
großartig dafür. Es ist, wie ich sage und immer gesagt habe. Inger
besinnt sich nicht lange, wenn sie gibt, dann gebraucht sie beide
Hände. Nein, du hast keine Angst vor Os-Anders, aber ich habe ihm
nun verboten, dir je wieder unter die Augen zu kommen. Das war das
mindeste, was ich für dich tun konnte. -- Da sagte Inger: Was kann es
mir ausmachen, wenn er kommt, mir kann er nicht mehr schaden. -- Oline
spitzte die Ohren: So, hast du ein Mittel dagegen erfahren? -- Ich
bekomme keine Kinder mehr, sagte Inger.

Da standen sie ja auf gleichem Fuß und hatten beide gleich gute
Trümpfe. Oline wußte ja, daß der Lappe Os-Anders vorgestern gestorben
war ...

Warum sollte Inger keine Kinder mehr bekommen? Sie lebte nicht in
Feindschaft mit ihrem Mann, sie waren nicht wie Hund und Katze, weit
entfernt! Alle beide hatten ihre Eigenheiten, aber sie stritten sich
selten und nie lange, nachher war alles wieder gut. Oftmals konnte
auch Inger wieder wie in den alten Tagen sein und im Stall und auf den
Feldern große Arbeit leisten; es war, als ginge sie da in sich und
bekomme gesunde Rückfälle. Dann sah Isak seine Frau mit dankbaren Augen
an, und wenn er zu denen gehört hätte, die sich gleich aussprechen,
würde er wohl gesagt haben: Was? Hm! Was machst du für einen Spaß!
oder etwas anderes Anerkennendes. Allein er schwieg zu lange, und sein
Lob kam zu spät. Aber auf diese Weise machte es Inger keine Freude, und
es lag nichts daran, ständig tüchtig zu sein.

Sie hätte über fünfzig Jahre alt sein und noch Kinder bekommen können,
aber so wie sie aussah, sich drehte und wendete, war sie vielleicht
nicht einmal vierzig. Alles hatte sie in der Anstalt gelernt --
hatte sie wohl auch einige Kunstgriffe für ihre Person gelernt?
Außerordentlich wohlüberlegt und wohlunterrichtet kehrte sie von dem
Umgang mit den andern Mörderinnen heim, vielleicht hatte sie auch dies
und jenes von den Herren gehört, von den Aufsehern, den Ärzten? Einmal
erzählte sie Isak, ein junger Mediziner habe über ihr ganzes Verbrechen
gesagt: Warum sollte man jemand strafen, wenn er Kinder umbringt, ja,
sogar gesunde Kinder, sogar wohlgestaltete? Die sind da doch nichts
anderes als Fleischklumpen. -- Isak erwiderte: War er denn ein Untier?
-- Er! rief Inger, und dann erzählte sie, wie gut er gegen sie gewesen
sei, gegen sie, Inger selbst, er gerade habe ja einen anderen Arzt
veranlaßt, ihren Mund zu operieren und sie zu einem Menschen zu machen.
Ja, jetzt habe sie nur eine Narbe.

Ja, jetzt hatte sie nur eine Narbe, und sie war eine recht hübsche
Frau geworden, groß, ohne Fettansatz, mit bräunlicher Haut und dichtem
Haarwuchs. Im Sommer ging sie meist barfuß und hoch aufgeschürzt mit
freimütigen Beinen. Isak sah sie, wer sah sie nicht!

Sie stritten sich nicht, nein, Isak hatte nicht die Gabe dazu, und
seine Frau war jetzt viel mundfertiger geworden. Zu einem guten
gründlichen Streit brauchte dieser Klotz, dieser Mühlengeist Zeit,
er verwirrte sich in ihren Worten und brachte nicht viel heraus, und
außerdem hatte er auch ein Herz für sie, eine kräftige Liebe. Er
brauchte sich auch gar nicht oft zu verteidigen, Inger griff ihn
nicht an, er war in vieler Beziehung ein ausgezeichneter Mann, und
Inger ließ ihn ungerügt. Worüber hätte sie sich beklagen sollen?
Wahrlich, Isak war nicht zu verachten, sie hätte einen schlimmeren Mann
bekommen können. War er alt geworden, abgerackert? Freilich hatte sie
Anzeichen von Müdigkeit an ihm bemerkt, aber nicht so, daß es etwas
ausgemacht hätte. Er war, sozusagen, erfüllt von alter Gesundheit und
Unverbrauchtheit ebenso wie sie, und im Nachsommer ihrer Ehe leistete
er seinen Teil an Zärtlichkeit mindestens ebenso warm wie sie.

Aber eine besondere Pracht oder Schönheit war keineswegs an ihm.
Nein, darin war Inger ihm überlegen. Bisweilen dachte sie wohl auch,
sie habe schon Schöneres gesehen, Männer in feinen Kleidern und mit
Spazierstöcken; Herren mit Taschentüchern und gestärkten Kragen, o
diese Stadtherren! Deshalb behandelte sie Isak auch nur als den, der er
war, sozusagen nur nach Verdienst, nicht besser: er war ein Ansiedler
im Walde; wäre ihr Mund von jeher recht gewesen, so hätte sie ihn
nie genommen, das wußte sie jetzt. Nein, dann hätte sie einen andern
kriegen können. Diese Heimat, die ihr geworden war, dieses ganze öde
Dasein, das ihr Isak bereitet hatte, war im Grunde genommen recht
mäßig; jedenfalls hätte sie drunten in ihrer Heimatgemeinde verheiratet
sein und Gesellschaft und Umgang genug haben können, anstatt hier oben
im Ödland eine Hexe zu werden. Hier paßte sie nicht mehr her, sie hatte
jetzt andere Anschauungen.

War es nicht merkwürdig, wie sich die Ansichten ändern konnten! Es
gelang Inger nicht mehr, sich über ein besonders schönes Kalb zu freuen
oder die Hände vor Verwunderung zusammenzuschlagen, wenn Isak mit
einer recht großen Beute vom Fischfang heimkam, nein, sie hatte sechs
Jahre lang in größeren Verhältnissen gelebt. Ja, so ganz allmählich
waren auch die Tage vorüber, wo sie ihn freundlich und liebreich zu
den Mahlzeiten hereinrief. Jetzt sagte sie: Kommst du denn nicht zum
Essen? War das eine Art! Zuerst wunderte er sich ein wenig über diese
Veränderung, über eine so verdammt verdrießliche und unhöfliche Art,
und er erwiderte: Ich habe nicht gewußt, daß das Essen fertig ist. --
Aber als sie behauptete, er müsse das doch einigermaßen nach dem Stand
der Sonne wissen, hörte er auf, etwas zu entgegnen und noch ein Wort
darüber zu verlieren.

Oh, aber einmal, da ertappte er sie und griff tüchtig zu! Das war, als
sie ihm Geld stehlen wollte. Nicht weil er selbst so sehr aufs Geld aus
gewesen wäre, sondern weil es durchaus und ganz allein ihm gehörte.
Hoho, da hätte sie fürs ganze Leben einen Leibschaden davontragen
können! Und doch war Inger da nicht ganz verworfen und gottvergessen
gewesen; Eleseus sollte ja das Geld haben, der liebe Eleseus in der
Stadt, der wieder um einen Taler gebeten hatte. Sollte er da zwischen
all den andern feinen Leuten mit leeren Taschen umhergehen müssen?
Hatte sie nicht ein Mutterherz? Sie hatte Geld von Isak verlangt, und
da dies nicht half, hatte sie selbst zugegriffen. Woher es nun aber
kommen mochte, ob Isak ihr mißtraute, oder ob es ein Zufall war --
der böse Streich wurde jedenfalls gleich entdeckt, und in demselben
Augenblick fühlte sich Inger an beiden Armen gefaßt; sie fühlte, daß
sie zuerst in die Höhe gehoben und dann schwer auf den Boden gestoßen
wurde. Das war etwas Ungewöhnliches, eine Art Bergsturz. Oh, da waren
Isaks Hände nicht abgeschafft und müde! Inger stöhnte laut auf, ihr
Kopf sank nach hinten, sie zitterte und streckte ihm den Taler hin.

Auch jetzt sprach sich Isak nicht weiter aus, obgleich Inger ihn nicht
daran hinderte, zu Wort zu kommen, er stieß eigentlich nur schnaufend
hervor: Prügel gehören dir, sonst kann man dich nicht mehr im Zaum
halten!

Er war nicht wiederzuerkennen. Oh, er machte wohl lang unterdrücktem
Ärger Luft!

Nun verging ein trauriger Tag und eine lange Nacht und noch ein
weiterer Tag. Isak ging fort und schlief draußen, obgleich er trockenes
Heu liegen hatte, das eingefahren werden sollte; Sivert war bei dem
Vater. Inger hatte Leopoldine und die Tiere um sich, aber sie fühlte
sich allein, weinte die ganze Zeit und schüttelte den Kopf über sich
selbst: eine so große Gemütsbewegung hatte sie nur einmal in ihrem
Leben durchgemacht; jetzt mußte sie an damals denken, als sie ihr
neugeborenes Kind umbrachte.

Wo waren Isak und der Sohn? Sie waren nicht müßig gewesen; wohl
stahlen sie einen Tag und mehr von der Heuernte, aber sie bauten ein
Boot droben am Bergsee. Allerdings ein plumpes Fahrzeug ohne alle
Ausschmückung, aber stark und dicht war es wie alles, was sie machten,
und nun hatten sie ein Boot und konnten mit dem Netze fischen.

Als sie wieder heimkamen, lag das Heu noch ebenso trocken da. Sie
hatten dem Himmel den Streich gespielt, sich auf ihn zu verlassen,
und hatten dabei noch gewonnen, der Vorteil war auf ihrer Seite. Da
deutete Sivert plötzlich hinüber und rief: Die Mutter hat geheut! --
Der Vater sah auf die Wiese hinunter und sagte: So. -- Isak hatte ja
gleich gesehen, daß ein Teil des Heus verschwunden war, jetzt war Inger
wohl drinnen bei der Hausarbeit. Das war eine ganz besondere Leistung,
nachdem er ihr gestern mit Schlägen gedroht und sie geschüttelt hatte.
Und es war schweres, kräftiges Heu, sie hatte hart arbeiten müssen, und
außerdem hatte sie auch noch alle Kühe und Ziegen zu melken gehabt. --
Geh hinein und iß! sagte Isak zu Sivert. -- Du nicht auch? -- Nein.

Als Sivert eine Weile drinnen gewesen war, kam Inger heraus; sie blieb
demütig auf der Türschwelle stehen und sagte: Kannst du dir's nicht
selbst gönnen, daß du auch hereinkommst und etwas ißt? -- Darauf
knurrte Isak nur und sagte: Hm. Aber Inger demütig zu sehen, war in
der letzten Zeit ein so seltenes Erlebnis geworden, daß er in seinem
Starrsinn etwas erschüttert wurde. -- Wenn du mir ein paar Zähne in
meinen Rechen einsetzen würdest, dann könnte ich weiter rechen, sagte
sie. Sie wendete sich mit einer Bitte an den Herrn des Hofes, an
das Oberhaupt von allem, und sie war dankbar, daß er ihr nicht eine
höhnische, abschlägige Antwort gab. -- Du hast jetzt genug gerecht und
eingefahren, sagte er. -- Nein, es ist noch nicht genug. -- Ich habe
jetzt keine Zeit, deinen Rechen zu flicken, du siehst, daß Regen kommt.

Damit ging Isak an die Arbeit.

Er wollte sie wohl schonen; die paar Minuten Zeit, die das Flicken des
Rechens in Anspruch genommen hätte, wären zehnmal aufgewogen worden,
wenn Inger mit auf der Wiese geblieben wäre. Nun kam überdies Inger mit
dem Rechen, so wie er war, herbei und begann Heu zusammenzurechen, daß
es eine Art hatte. Sivert kam mit Pferd und Heuwagen, alle strengten
sich aufs äußerste an, der Schweiß lief ihnen herunter, und das Heu
wurde geborgen. Das war ein Meisterstück. Und wieder versank Isak in
Gedanken an jene höhere Macht, die alle unsere Schritte lenkt, von dem
Stehlen eines Talers an bis zum Bergen einer großen Menge trockenen
Heus. Außerdem lag nun auch das Boot fertig droben; nachdem er ein
halbes Menschenalter lang über ein solches nachgegrübelt hatte, lag es
nun droben im Gebirgssee. Ach ja, Herrgott im Himmel! sagte er.



15


Im ganzen genommen wurde das ein merkwürdiger Abend, ein Wendepunkt;
Inger, die seit langer Zeit neben dem Geleise hergegangen war, war
durch ein einziges Aufheben vom Boden wieder auf den richtigen Platz
gekommen. Keines von ihnen sprach von dem Geschehenen; Isak hatte sich
später wegen dieses Talers, der ja nicht viel Geld war, und den er doch
herausgeben mußte, weil er selbst ihn dem Eleseus gönnte, geschämt. Und
gehörte der Taler nicht überdies ebensogut Inger wie ihm? Es kam eine
Zeit, da Isak der Demütige war.

Es kamen allerhand Zeiten; Inger hatte also wieder ihren Sinn geändert.
Ja, sie änderte sich wieder, gab allmählich ihre Vornehmtuerei auf und
wurde wieder eine ernste und herzliche Frau auf einer Ansiedlung. Daß
die Fäuste eines Mannes so Großes ausrichten konnten! Aber so sollte es
sein, es handelte sich hier um ein starkes, tüchtiges Frauenzimmer, das
ein langer Aufenthalt in künstlicher Luft verwirrt gemacht hatte -- sie
stieß nach dem Manne, der aber zu fest auf seinen Füßen stand. Er hatte
seinen natürlichen Platz auf der Erde, auf seinem Grund und Boden,
nicht einen Augenblick verlassen. Er konnte nicht weggeschoben werden.

Es kamen vielerlei Zeiten; im nächsten Jahr herrschte wieder
Trockenheit, und wahrlich, sie verminderte die Ernte und zehrte am
Mut der Menschen. Das Korn auf dem Felde verbrannte, die Kartoffeln
jedoch -- die merkwürdigen Kartoffeln -- wurden nicht versengt, sondern
blühten, blühten. Die Wiesen sahen allmählich grau aus, aber die
Kartoffeln blühten. Eine höhere Macht leitete alle Dinge, aber die
Wiesen fingen an grau zu werden.

Da, eines Tages erschien Geißler, der frühere Lensmann Geißler, endlich
kam er wieder. Es war wirklich seltsam, daß er nicht tot war, sondern
wieder auftauchte. Warum kam er wohl?

Diesmal hatte Geißler allerdings kein großes Gepäck und allerlei
Dokumente über Gebirgskäufe und so weiter bei sich, er war im Gegenteil
recht einfach gekleidet, sein Haar und Bart waren ergraut und seine
Augen rot umrändert. Er brachte niemand mit, der ihm seine Sachen trug,
er hatte nur eine Tasche mit Schriftstücken und nicht einmal einen
Reisesack bei sich.

Guten Tag! sagte Geißler.

Guten Tag! erwiderten Isak und Inger. Seid Ihr wieder auf Reisen?

Geißler nickte.

Und ich danke auch für den Besuch in Drontheim! fügte Inger noch hinzu.

Dazu nickte auch Isak und sagte: Ja, wir beide sagen schönen Dank dafür.

Aber Geißler hatte die Gewohnheit, nicht nur Herz und Gefühl zu zeigen,
er sagte gleich: Ich will übers Gebirge nach Schweden hinüber.

Obgleich die Leute auf dem Hofe wegen der Trockenheit niedergedrückt
waren, wurden sie durch Geißlers Besuch doch aufgeheitert; sie
bewirteten ihn reichlich. Es war eine große Freude für sie, ihn
herzlich aufnehmen zu können, er hatte ihnen ja so viel Gutes getan.

Geißler selbst war nicht niedergedrückt; er redete sofort von allem
möglichen, sah auf die Felder hinaus und nickte; oh, er war noch immer
ganz aufrecht und sah aus, als habe er mehrere hundert Taler bei sich.
Mit ihm kam Leben und Aufmunterung ins Haus; nicht daß er gelärmt
hätte, aber er führte eine lebhafte Unterhaltung.

Ein herrlicher Ort, dieses Sellanraa! sagte er. Und jetzt ziehen immer
mehr Leute hier herauf, Isak, fünf Ansiedlungen hab' ich gezählt, oder
sind es noch mehr?

Sieben im ganzen, die beiden andern kann man vom Weg aus nicht sehen.

Sieben Höfe, sagen wir fünfzig Menschen. Die Umgebung hier
wird allmählich dicht bebaut. Habt ihr nicht auch schon eine
Schulgerechtigkeit und eine Schulstube?

Doch.

Das habe ich gehört. Ein Schulhaus auf Bredes Grundstück, weil das mehr
in der Mitte liegt. Also, Brede ist ein Ansiedler geworden! Geißler
lachte verächtlich. Von dir habe ich reden hören, Isak, du bist der
Meister hier. Das freut mich. Du sollst ja jetzt auch ein Sägewerk
haben?

Ja, so, wie es eben ist. Aber ich fahre gut dabei. Und ich habe auch
schon öfters einen Balken für die da unten gesägt.

So soll es sein!

Es würde mich freuen, zu hören, was Ihr darüber sagt, Herr Lensmann,
wenn Ihr mitgehen und das Sägewerk ansehen wolltet.

Geißler nickte, wie wenn er ein Fachmann wäre, und sagte, das wolle
er gerne tun, ja, er werde sich das Sägewerk ansehen und alles genau
betrachten. Er fragte: Du hast doch _zwei_ Jungen, wo ist denn der
andere? In der Stadt? Auf einem Büro? Hm! sagte Geißler. Aber dieser
dort sieht aus wie ein Prachtkerl! Wie heißt du?

Sivert.

Und der andere?

Eleseus.

Auf so einem Ingenieurbüro ist er? Was lernt er denn dort? Das ist nur
Hungerleiderei. Er hätte zu mir kommen können, sagte Geißler.

O ja, versetzte Isak nur, um sich höflich zu zeigen. Geißler tat ihm
leid. Oh, der gute Geißler sah nicht aus, als könne er sich jetzt
fremde Hilfe halten, er hatte es vielleicht jetzt allein schwer genug,
sein Rock war ja an den Handgelenken geradezu ausgefranst.

Möchtet Ihr nicht ein Paar trockene Strümpfe anziehen? fragte Inger,
indem sie ein Paar von ihren eigenen neuen herbeibrachte, ein Paar
gereifelte und dünne aus ihren eigenen vornehmsten Tagen.

Nein, danke, sagte Geißler kurz, obgleich er gewiß triefend nasse Füße
hatte.

Er hätte lieber zu mir kommen sollen, sagte er von Eleseus. Ich könnte
ihn sehr notwendig brauchen, sagte er, indem er eine kleine silberne
Tabaksdose aus der Tasche zog und damit spielte. Das war vielleicht das
einzige Prachtstück, das er von früher her noch besaß.

Aber er hatte keine rechte Ruhe und hielt sich nicht lange bei einem
Gegenstand auf. Die silberne Dose wurde wieder eingesteckt, und er fing
von etwas Neuem an. Aber wie grau doch die Wiese da draußen aussieht!
Vorhin dachte ich, es sei der Schatten. Warum muß denn der Boden hier
verbrennen? Komm einmal mit mir, Sivert!

Rasch stand er von dem gedeckten Tisch auf, wendete sich der Tür zu,
dankte Inger für das Essen und verschwand. Sivert ging mit ihm.

Sie gingen nach dem Fluß. Geißler spähte die ganze Zeit mit klugen
Augen umher; plötzlich blieb er stehen und sagte: Hier! Und dann
erklärte er: Es geht durchaus nicht an, daß ihr den Boden verbrennen
laßt, wenn ihr doch einen allmächtigen Fluß habt, wo ihr Wasser holen
könnt. Morgen soll die Wiese wieder grün sein.

Der erstaunte Sivert sagte nur: Ja.

Jetzt hebst du hier schräg herunter einen mäßigen Graben aus, der Boden
ist eben, und am Einlauf machen wir eine Rinne. Da ihr eine Sägemühle
habt, habt ihr wohl auch ein paar lange Bretter? Gut! Hol Hacke und
Spaten und fang hier an, ich komme gleich wieder und stecke die Linie
ordentlich ab.

Er lief wieder ins Haus hinein, es quietschte in seinen Stiefeln, so
naß waren sie. Er stellte Isak bei den Holzrinnen an; er müsse viele
Rinnen machen, und sie müßten da und dort, wo der Boden nicht durch
einen Graben aufgerissen werden dürfe, gelegt werden. Isak versuchte
einzuwenden, daß das Wasser vielleicht nicht bis dahin dringen würde,
es sei ein sehr weiter Weg, der trockene Boden werde es aufsaugen,
ehe es bis an die versengten Stellen gelange. Geißler erklärte,
ja, es werde wohl eine Weile dauern, die Erde werde zuerst tüchtig
aufschlucken, aber dann werde die Feuchtigkeit weitergehen. -- Morgen
um diese Zeit werden Acker und Wiese wieder grün sein! -- So, sagte
Isak und nagelte aus Leibeskräften Rinnen zusammen.

Geißler ging zu Sivert zurück. So ist's recht, sagte er, mach nur so
weiter, ich habe gleich gesehen, daß du ein Prachtkerl bist! Die Linie
muß nach diesen Pflöcken laufen. Triffst du auf große Steine oder
Felsblöcke, so weich aus, aber bleib in der gleichen Höhe. Verstehst
du, in derselben Höhe!

Wieder ging's zurück zu Isak. Jetzt hast du eine Rinne fertig, aber
wir brauchen sechs. Spute dich, Isak, morgen wird alles grün sein, und
deine Ernte ist gerettet!

Geißler setzte sich auf den Hügel, legte beide Hände auf die Knie und
war entzückt; er plauderte, blitzschnell kamen ihm die Gedanken. Hast
du Pech, hast du Werg? Das ist ausgezeichnet, alles hast du. Denn im
Anfang werden ja die Rinnen lecken, dann aber ziehen sie an und werden
so dicht wie Flaschen. Du sagst, du habest Werg und Pech vom Bootbauen,
nun, wo ist das Boot? Droben im Gebirgssee? Das will ich mir auch
ansehen.

Oh, der Geißler versprach so viel! Er war ein flüchtiger Herr und war
noch unruhiger geworden als früher, alles mußte bei ihm sozusagen im
Sprung geschehen. Aber dann ging es auch im Sturm. Er war nicht ohne
Überlegenheit. Natürlich war er zu Übertreibungen geneigt. Acker und
Wiese konnten unmöglich über Nacht grün werden; aber Geißler war rasch
im Erfassen und Beschließen; wenn die Ernte auf Sellanraa gerettet
wurde, war es wirklich diesem merkwürdigen Mann zu verdanken.

Wie viele Rinnen hast du jetzt? Das ist zu wenig. Je mehr Holzrinnen du
hast, desto glatter läuft das Wasser. Wenn du zehn bis zwölf zehn Ellen
lange Rinnen zusammennagelst, so fährst du gut dabei. Was sagst du, du
habest zwölf Ellen lange Bretter? Dann nimm sie, es bezahlt sich bis
zum Herbst.

Danach hatte Geißler wieder keine Ruhe mehr. Er stand auf und lief
abermals zu Sivert hinüber. Großartig, Sivert, jetzt geht's gut! Dein
Vater hämmert die Rinnen zusammen und dichtet sie, wir bekommen mehr,
als ich mir zuerst dachte; geh jetzt und hole die Rinnen, wir wollen
anfangen!

Den ganzen Nachmittag herrschte ein großes Gehetze, das war die tollste
Arbeit, die Sivert je mitgemacht hatte, ein ihm ganz unbekanntes Tempo.
Sie gönnten sich keine Zeit, zum Essen hineinzugehen. Aber jetzt lief
das Wasser! Da und dort mußten sie tiefer graben, da und dort mußte
eine Rinne gehoben oder tiefer gelegt werden, aber das Wasser lief!
Bis zum späten Abend gingen die drei Männer umher, verbesserten und
förderten ihre Arbeit und waren ernsthaft davon erfüllt; und als die
Flüssigkeit anfing, über die ausgetrockneten Stellen hinzurieseln,
blitzte ein heller Freudenstrahl in den Herzen der Hofbewohner auf.

Ich habe meine Uhr vergessen, wieviel Uhr ist es denn? fragte Geißler.
Ja, grün, morgen um diese Zeit! sagte er.

Sogar in der Nacht stand Sivert auf und sah nach der Wasserleitung. Er
begegnete seinem Vater, der zu demselben Zweck draußen war. Ach Gott,
welche Spannung und welches Ereignis im Ödland!

Aber am nächsten Tag lag Geißler lange zu Bett und war schlaff; der
Eifer hatte ihn verlassen. Er hatte keine Lust, das Boot droben
anzusehen, und nur weil er sich schämte, ging er wenigstens nach dem
Sägewerk. Nicht einmal für die Wasserleitung hatte er noch dasselbe
Interesse. Als er sah, daß weder Acker noch Wiese über Nacht grün
geworden waren, verlor er den Mut; er dachte nicht daran, daß das
Wasser immer weiter lief und sich immer weiter ausbreitete. Doch hielt
er sich einigermaßen aufrecht, und so sagte er: Möglicherweise kann es
bis morgen dauern, ehe du den Erfolg siehst, aber du darfst den Mut
nicht verlieren.

Gegen Abend kam Brede Olsen dahergeschlendert. Er brachte
Gesteinsproben mit, die er Geißler zeigen wollte. Sie sind meiner
Ansicht nach außerordentlich merkwürdig, sagte er. -- Aber Geißler
wollte Bredes Steine nicht sehen. Treibst du auf diese Weise Ackerbau
hier, indem du herumläufst und Reichtümer entdecken willst? fragte er
höhnisch. -- Brede hatte indes keine Lust mehr, von seinem früheren
Lensmann Zurechtweisungen hinzunehmen, er gab es ihm tüchtig heim, fing
an, ihn zu duzen, und sagte: Ich kümmere mich nicht um dich! -- Du tust
ja heute noch nichts Rechtes, treibst nichts als Lappalien, versetzte
Geißler. -- Und du etwa? sagte Brede. Was hast denn du diese ganze Zeit
über getan? Du hast einen Berg da droben gekauft, der gar nichts wert
ist und nur so daliegt. Hehe, ja, du bist mir der Rechte, du! -- Mach,
daß du fortkommst! sagte Geißler. -- Und Brede hielt sich auch nicht
länger auf, er hob seinen kleinen Sack auf die Schulter und kehrte ohne
Abschied in sein Nest zurück.

Geißler setzte sich wieder, blätterte in einigen Papieren und dachte
eifrig nach. Es war, als habe er Blut geleckt und wolle nun nachsehen,
wie es sich mit dem Kupferberg verhielt, mit dem Kontrakt, der Analyse:
es war ja fast reines Kupfer, Schwarzkupfer da, er mußte etwas damit
anfangen, durfte nicht wieder zusammenklappen.

Der Grund, warum ich eigentlich gekommen bin, ist, dies hier in
Ordnung zu bringen, sagte er zu Isak. Ich habe die Absicht, recht
viele Leute hierherzuziehen und droben im Gebirge einen großen Betrieb
einzurichten. Was denkst du dazu?

Isak tat er wieder leid, deshalb widersprach er nicht.

Das ist nicht gleichgültig für dich, fuhr Geißler fort. Es kommen
dann viele Menschen hierher, und es gibt viel Umtrieb und Lärm
und Sprengungen, ich weiß nicht, wie dir das gefallen wird. Aber
andrerseits kommt Leben und Bewegung in den Bezirk, und du wirst großen
Absatz für die Erzeugnisse deiner Milchwirtschaft bekommen. Du kannst
dafür verlangen, was du willst.

Ja, sagte Isak.

Gar nicht davon zu reden, daß du von dem, was aus dem Berg gewonnen
wird, hohe Prozente erhältst. Das wird viel Geld, Isak.

Isak antwortete: Ich habe schon zu viel von Euch bekommen ...

Am nächsten Morgen verließ Geißler den Hof und wanderte in östlicher
Richtung weiter, Schweden zu. Als Isak sich erhob, ihn zu begleiten,
sagte er kurz: Nein, ich danke. Es tat Isak fast weh, als er ihn so arm
und allein fortgehen sah. Inger hatte ihm einen prächtigen Mundvorrat
mitgegeben, sie hatte sogar Waffeln für ihn gebacken, aber sie waren
bei weitem nicht gut genug, er hätte auch noch Sahne in einer Flasche
und eine Menge Eier mitnehmen sollen; aber das wollte er nicht tragen.
Inger war recht enttäuscht darüber.

Geißler wurde es gewiß schwer, Sellanraa zu verlassen, ohne für seinen
Aufenthalt zu bezahlen, wie er es gewohnt war. Er tat deshalb, als habe
er bezahlt, als habe er wirklich einen größeren Geldschein hingelegt,
denn er sagte zu der kleinen Leopoldine: Und nun sollst du auch noch
etwas haben. Hier nimm! Damit gab er ihr seine Tabaksdose, die silberne
Dose! -- Du kannst sie auswaschen und Nadeln drin aufheben. Übrigens
paßt sie nicht gut dazu; wenn ich nur geschwind nach Hause könnte, dann
solltest du etwas anderes bekommen, ich habe ja verschiedenes ...

Aber die Wasserleitung lag nach Geißlers Besuch noch da, sie lag da
und schaffte Tag und Nacht, Woche um Woche, sie machte die Felder
grün, half den Kartoffeln zum Verblühen, half dem Korn in den Halm zu
schießen.

Die Ansiedler von weiter unten kamen einer nach dem andern herauf,
um sich das Wunderwerk anzusehen. Auch Axel Ström kam, der Besitzer
von Maaneland, der unverheiratet war und keine eigene weibliche Hilfe
hatte, sondern alles selbst besorgte, auch er kam. Er war heute
aufgeräumter und sagte, es sei ihm nun ein Mädchen zur Hilfe für den
Sommer versprochen worden, nun sei dieser Kummer gestillt! Er nannte
den Namen des Mädchens nicht, und Isak fragte nicht danach; aber es
war Bredes Barbro, die man ihm versprochen hatte, es sollte ihn nur
ein Telegramm nach Bergen kosten. Na, und Axel legte ja das Geld für
dieses Telegramm aus, obgleich er gewiß ein äußerst sparsamer Mann, ja
geradezu etwas geizig war.

Die Wasserleitung war es, die Axel an diesem Tag heraufgelockt hatte;
er sah sie sich von dem einen Ende bis zum andern an und interessierte
sich ungeheuer dafür. Auf seinem Grundstück war zwar kein größerer
Fluß, aber doch ein Bach, auch hatte er keine Bretter zu Rinnen, aber
er wollte den ganzen Wasserlauf in die Erde graben, das ließ sich
auch machen. Es sehe auch auf seinem tiefgelegenen Grundstück nicht
so schlimm aus, wenn aber die Trockenheit anhalte, müsse er auch
bewässern. -- Als er das gesehen hatte, was er hatte sehen wollen,
sagte er Lebewohl. Isak und seine Frau luden ihn ein, hereinzukommen,
aber er sagte, er habe keine Zeit, er wolle an diesem Abend noch mit
dem Graben anfangen; dann ging er.

Das war ein anderer Mann als Brede!

Oh, jetzt hatte Brede Grund, über die Moore zu laufen, um über die
Wasserleitung und das Wunderwerk auf Sellanraa zu schwatzen! Ja, es ist
nicht gut, wenn man zu fleißig auf seinem Grundstück ist, sagte er. Da
hat nun der Isak so viele Gräben zum Austrocknen gezogen, daß er jetzt
wieder wässern muß.

Isak war geduldig, aber er wünschte oft, er könnte diesen Menschen
loswerden, diesen Schwätzer in der Nähe von Sellanraa. Brede war
verpflichtet, die Telegraphenlinie in Ordnung zu halten, da er ja
regelrecht dazu angestellt war. Aber die Telegraphenbehörde hatte ihm
schon mehrere Male wegen seiner Nachlässigkeit einen Rüffel erteilen
müssen, und jetzt war Isak abermals die Stelle angeboten worden. Nein,
mit dem Telegraphen war Brede nicht beschäftigt, sondern mit den
Metallen in den Bergen; es war eine wahre Sucht bei ihm geworden, eine
fixe Idee.

Jetzt geschah es auch recht oft, daß er in Sellanraa einkehrte und
meinte, er habe den Schatz gefunden. Er nickte dann und sagte: Ich
sag jetzt nichts mehr, aber ich habe etwas ganz Besonderes gefunden,
das leugne ich nicht. Er verschwendete seine Zeit und seine Kräfte um
nichts und wieder nichts. Wenn er dann müde in sein Haus zurückkehrte,
warf er einen kleinen mit Gesteinsproben gefüllten Sack auf den Boden,
pustete und schnaufte nach seinem Tagewerk und meinte, niemand arbeite
so hart für seinen Unterhalt wie er. Er baute etwas Kartoffeln auf
saurem Moorboden, mähte die Grasplätze ab, die von selbst um sein
Haus her wuchsen, das war seine Feldarbeit. Er war in ein falsches
Fahrwasser geraten, es mußte ein schlimmes Ende mit ihm nehmen.
Jetzt war schon sein Torfdach zerfetzt und die Küchentreppe von der
Dachtraufe verfault, ein kleiner Schleifstein lag umgestürzt am Boden,
und das Fuhrwerk stand ewig unter freiem Himmel.

Brede hatte es insofern gut, als er sich über solche Kleinigkeiten
durchaus nicht abgrämte. Wenn die Kinder den Schleifstein beim
Spielen umherrollten, war der Vater sehr gutmütig und lieb, ja, er
half bisweilen selbst beim Rollen. Eine leichte und faule Natur,
ohne Ernst, aber auch ohne Schwerlebigkeit, ein schwacher Charakter
ohne Verantwortlichkeitsgefühl, aber er fand Auswege, sich den
Lebensunterhalt zu verschaffen, wie er auch sein mochte; so lebte er
mit den Seinen von der Hand in den Mund, sie lebten alle miteinander.
Aber natürlich konnte der Kaufmann Brede und seine Familie nicht
in alle Ewigkeit am Leben erhalten, das hatte er schon oft gesagt,
und jetzt sagte er es in strengem Ton. Brede sah das selbst ein und
versprach, nun werde er die Sache in Ordnung bringen; er wolle sein
Grundstück verkaufen, vielleicht verdiene er gut dabei, und dann werde
er den Kaufmann bezahlen.

Ja, selbst wenn er daran verlor, wollte Brede verkaufen, was sollte er
mit einem Grundstück! Er sehnte sich wieder ins Dorf hinunter, nach
Leichtsinn, Klatschereien und dem Kaufladen -- dahin sehnte er sich,
anstatt ruhig hier zu schaffen und zu wirken und die große Welt zu
vergessen. Ach, hätte er die Weihnachtsfeiern mit dem Lichterbaum oder
das Nationalfest am siebzehnten Mai oder die Wohltätigkeitsverkäufe
im Gemeindehaus vergessen können! Er liebte es ja über alles, mit den
Leuten zu schwatzen, sich nach Neuigkeiten zu erkundigen, aber mit
wem hätte er sich hier auf den Mooren unterhalten können? Inger auf
Sellanraa hatte eine Weile Anlage dazu gezeigt, jetzt war sie wieder
ganz anders geworden, wieder ganz wortkarg. Und übrigens war sie im
Gefängnis gewesen, und er war ein öffentlich angestellter Mann, das
schickte sich nicht.

Nein, er hatte sich selbst auf die Seite gestellt, als er das Dorf
verließ. Jetzt sah er mit Eifersucht, daß der Lensmann einen andern
Gerichtsboten und daß der Doktor einen andern Kutscher hatte; er
war von den Menschen, die ihn brauchten, fortgelaufen, jetzt, da er
nicht mehr zur Hand war, behalfen sie sich ohne ihn. Aber welch ein
Gerichtsbote und welch ein Kutscher! Eigentlich müßte er -- Brede --
mit Wagen und Pferd ins Dorf zurückgeholt werden!

Aber da war nun Barbro, und warum hatte er denn versucht, sie auf
Sellanraa unterzubringen? Oh, das hatte er nach reiflicher Überlegung
mit seiner Frau getan. Wenn alles richtig ging, so hätte das Mädchen da
Aussichten für die Zukunft gehabt, ja, vielleicht wären da Aussichten
für die ganze Familie Brede gewesen. Die Haushälterinstelle bei den
zwei Kontoristen in Bergen war ja schon recht, aber Gott mochte
wissen, was Barbro da schließlich bekam? Barbro war ja hübsch und auf
ihren Vorteil aus, sie hätte vielleicht hier bessere Gelegenheit,
vorwärtszukommen. Es waren zwei Söhne auf Sellanraa.

Aber als Brede merkte, daß dieser Plan fehlschlug, dachte er sich einen
andern aus. Oh, im Grunde war es wirklich nichts Erstrebenswertes,
mit Inger verwandt zu werden, mit einer bestraften Person, es gab
noch andere Burschen als die auf Sellanraa! Da war nun Axel Ström. Er
hatte Hof und Gamme, er war ein Mann, der schaffte und sparte und sich
allmählich Vieh und andere Besitztümer anschaffte, aber keine Frau und
keine weibliche Hilfe hatte. Das kann ich dir sagen, wenn du Barbro
bekommst, so hast du alle Hilfe, die dir not tut! sagte er zu Axel. Und
hier kannst du ihre Photographie sehen, sagte er.

Ein paar Wochen vergingen, dann kam Barbro. Ja, Axel war nun schon
mitten in der Heuernte, er mußte bei Nacht mähen und bei Tag wenden
und hatte alles allein zu leisten; aber nun kam Barbro. Sie kam wie
ein wirkliches Geschenk. Es zeigte sich auch, daß sie arbeiten konnte;
sie scheuerte das Geschirr, wusch die Kleider und kochte das Essen,
sie melkte die Tiere und half draußen beim Heurechen, jawohl, sie war
mit draußen beim Heu und trug es mit herein, es fehlte nichts. Axel
entschloß sich, ihr einen guten Lohn zu geben, er gewann doch noch
dabei.

Hier war sie nicht nur die Photographie einer feinen Dame. Barbro
war groß und schlank, sie hatte eine etwas heisere Stimme, zeigte
Reife und Erfahrung in vielem und war durchaus keine Neukonfirmierte.
Axel begriff nicht, warum ihr Gesicht so mager und elend aussah: Ich
sollte dich eigentlich vom Ansehen kennen, aber du gleichst deiner
Photographie gar nicht. -- Das kommt von der Reise, erwiderte sie. Ja
und von der Stadtluft. -- Es dauerte auch nicht lange, da wurde sie
wieder rund und hübsch, und sie sagte: Glaub mir, so eine Reise und so
eine Stadtluft, die zehren tüchtig an einem! Sie spielte auch auf die
Versuchungen in Bergen an -- da müsse man sich in acht nehmen! Aber
während sie sich weiter unterhielten, sagte sie, Axel solle sich auf
eine Zeitung, eine Bergener Zeitung abonnieren, damit sie auch sehen
könne, was in der Welt vorgehe. Sie sei jetzt ans Lesen, an Theater und
Musik gewöhnt, hier sei es sehr einsam, sagte sie.

Da Axel Ström mit seiner Sommeraushilfe so Glück gehabt hatte,
abonnierte er auf die Zeitung und ertrug auch die Familie Brede, die
recht oft auf seine Ansiedlung kam und da aß und trank. Er wollte
seiner Dienstmagd Freude machen. Nichts konnte behaglicher sein als
die Sonntagabende, wenn Barbro die Saiten ihrer Gitarre schlug und
mit ihrer etwas heiseren Stimme dazu sang; Axel war über die fremden
hübschen Lieder und darüber, daß wirklich jemand auf der Ansiedlung bei
ihm war und sang, gerührt.

Im Laufe des Sommers lernte er Barbro allerdings auch von anderen
Seiten kennen, aber im großen und ganzen war er zufrieden. Sie war
nicht ohne Launen, und sie konnte rasche Antworten geben, etwas zu
rasche. An jenem Sonnabend, als Axel notwendig ins Dorf hinunter zum
Kaufmann mußte, hätte Barbro das Vieh und die Hütte nicht verlassen und
auch alles andere nicht einfach im Stich lassen dürfen. Die Ursache
dazu war ein kleiner Streit gewesen. Und wo war sie hingegangen? Nur
nach Hause, nach Breidablick, aber trotzdem. Als Axel in der Nacht
zurückkam, war Barbro nicht da, er versorgte die Tiere, aß und ging
schlafen. Gegen Morgen erschien Barbro. -- Ich wollte wieder einmal
fühlen, wie es einem in einem Haus mit einem Bretterboden zumut ist,
sagte sie recht höhnisch. -- Darauf konnte Axel eigentlich nichts
erwidern, denn er hatte ja nur eine Torfhütte mit einem Lehmboden, aber
er antwortete, er habe immerhin auch Bretter und werde wohl auch einmal
ein Haus mit einem Bretterboden haben! -- Da war es, als gehe sie in
sich; nein, schlimmer war Barbro nicht, und obgleich es Sonntag war,
ging sie rasch in den Wald, holte Wacholderzweige für den Lehmboden und
machte ihn hübsch.

Aber da sie so ausgezeichnet und von Herzen gut war, mußte ja auch
Axel mit dem hübschen Kopftuch herausrücken, das er am vorhergehenden
Abend für sie gekauft hatte; er hatte eigentlich gedacht, er wolle es
aufheben, um ordentlich etwas von ihr dafür zu erreichen. Aber nun
gefiel es ihr sehr gut, sie probierte es sofort auf, ja, sie fragte
ihn, ob es ihr nicht gut stehe. O doch, sehr gut, aber sie könnte gerne
sein Felleisen auf den Kopf setzen, es würde ihr auch stehen. Da lachte
sie und wollte auch recht liebenswürdig sein, deshalb sagte sie: Ich
gehe lieber mit diesem Kopftuch in die Kirche und zum Abendmahl als im
Hut. In Bergen trugen wir ja alle Hüte, ja, ausgenommen gewöhnliche
Dienstmädchen, die vom Lande hereinkamen.

Wieder lauter Freundschaft!

Und als Axel mit der Zeitung herausrückte, die ihm auf der Post
mitgegeben worden war, setzte sich Barbro hin und las die neuesten
Nachrichten von der Welt draußen: von einem Einbruch bei einem
Goldschmied in der Strandstraße, von einer Schlägerei zwischen
Zigeunern, von einer Kindsleiche, die in den Stadtfjord hereingetrieben
und in ein altes, unter den Armen quer abgeschnittenes Hemd
eingewickelt gewesen war. Wer kann nur das Kind ins Wasser geworfen
haben? fragte Barbro. Aus alter Gewohnheit las sie auch noch die
Marktpreise.

Und die Zeit verging.



16


Auf Sellanraa gab es große Veränderungen.

Ja, nichts war von der ersten Zeit her wiederzuerkennen. Hier waren
nun verschiedene Gebäude, ein Sägewerk und eine Mühle, und die öden
Strecken waren wohlbebautes Land geworden. Und noch mehr stand bevor.
Aber Inger war vielleicht noch am merkwürdigsten, ganz anders wieder
und überaus tüchtig.

Die Krise vom letzten Sommer hatte wohl nicht auf einmal ihren
Leichtsinn besiegen können, im Anfang hatte sie mehrere Rückfälle;
sie ertappte sich darauf, daß sie von der Anstalt und von Drontheims
Domkirche sprechen wollte. Ach, so kleine unschuldige Dinge! Ihren
Ring zog sie vom Finger, und ihre so freimütig kurzen Röcke machte sie
länger. Sie war nachdenklich geworden, es wurde stiller auf dem Hofe,
die Besuche nahmen ab, die fremden Mädchen und Frauen aus dem Dorf
kamen seltener, weil sie sich nicht mehr mit ihnen einließ. Niemand
kann im Ödland leben und nur immer lachen und scherzen, Freude ist
nicht Lustigkeit.

Droben im Ödland hat jede Jahreszeit ihre Wunder, aber immer und
unveränderlich sind die dunklen, unermeßlichen Laute von Himmel und
Erde, das Umringtsein nach allen Seiten hin, die Waldesdunkelheit, die
Freundlichkeit der Bäume. Alles ist schwer und weich zugleich, kein
Gedanke ist da unmöglich. Nördlich von Sellanraa lag ein ganz kleiner
Teich, eine Lache, nur so groß wie ein Aquarium. Da tummelten sich
winzige Fischkinder, die nie größer wurden; sie lebten und starben und
waren zu nichts nütze, lieber Gott, zu rein gar nichts! Eines Abends
stand Inger da und horchte auf die Kuhglocken. Sie hörte nichts, denn
alles war totenstill ringsum, aber plötzlich vernahm sie Gesang aus dem
Aquarium. Er war sehr schwach und beinahe nicht vernehmlich, nur wie
hinsterbend. Das war das Lied der kleinwinzigen Fische.

Sellanraa lag so günstig, daß die Bewohner jeden Herbst und Frühjahr
die Wildgänse, die über das Ödland hinflogen, sahen und ihr Rufen und
Locken in der Luft droben hören konnten, es klang wie verwirrtes Reden.
Und dann war es, als stehe die Welt stille, bis der Zug vorüber war.
Fühlten sich die Menschen da nicht von einer Art Schwäche überfallen?
Sie nahmen ihre Arbeit wieder auf, aber zuvor taten sie einen tiefen
Atemzug, ein Hauch aus dem Jenseits hatte sie gestreift.

Große Wunder umgaben sie zu allen Zeiten. Im Winter die Sterne und auch
die Nordlichter, ein flammendes Firmament, eine Feuersbrunst droben
bei Gott. Hier und da, nicht oft, nicht für gewöhnlich, aber hier und
da vernahmen sie auch donnern. Das war hauptsächlich im Herbst, und
es war düster und feierlich für Menschen und Tiere. Die Haustiere,
die auf der nahen Wiese weideten, drängten sich zusammen und blieben
beieinander stehen. Worauf horchten sie? Warteten sie auf das Ende?
Und worauf warteten die Menschen im Ödland, wenn sie beim Grollen des
Donners mit gesenktem Kopfe dastanden?

Der Frühling -- jawohl, dessen Eile und Ausgelassenheit und Entzücken;
aber der Herbst! Der stimmte die Leute anders. Da fürchteten sie sich
oft in der Dunkelheit, und sie nahmen ihre Zuflucht zum Abendgebet, sie
wurden hellseherisch und hörten Vorboten. Manchmal gingen sie an einem
Herbsttag hinaus, um etwas hereinzuholen, die Männer vielleicht Holz,
die Frauen das Vieh, das jetzt wie unsinnig nach Pilzen suchte -- und
sie kehrten zurück, das Herz von geheimnisvollen Dingen erfüllt. Waren
sie unversehens auf eine Ameise getreten und hatten deren Hinterleib
auf dem Pfad festgetreten, so daß der Vorderkörper nicht mehr loskommen
konnte? Oder waren sie einem Schneehuhnnest zu nahe gekommen und war
ihnen eine Mutter zischend entgegengeflattert? Und nicht einmal die
großen Kuhpilze waren ohne Bedeutung. Der Mensch wird nicht starr und
bleich, wenn er sie nur ansieht. Ein Kuhpilz blüht nicht und rührt sich
nicht von der Stelle, aber es ist etwas Überwältigendes an ihm, und er
ist ein Ungeheuer, er gleicht einer Lunge, die nackt und ohne hüllenden
Körper ein eigenes Leben führt.

Inger wurde schließlich recht schwermütig, das Ödland bedrückte sie,
sie wurde fromm. Hätte sie dem entgehen können? Niemand im Ödland kann
dem entgehen, da gibt es nicht nur irdisches Streben und Weltlichkeit,
da ist Frömmigkeit und Gottesfurcht und viel Aberglauben. Inger meinte
wohl, sie habe mehr Grund als andere, der Züchtigung des Himmels
gewärtig sein zu müssen, diese würde wohl nicht ausbleiben; sie wußte,
daß Gott an den Abenden durch das ganze Ödland streifte und fabelhaft
gute Augen hatte, er würde sie schon finden. In ihrem täglichen Leben
war nicht so sehr viel, was sie hätte anders machen können. Oh, sie
konnte den goldenen Ring zuunterst in ihrer Truhe verbergen, und sie
konnte an Eleseus schreiben, er solle sich auch bekehren; aber außerdem
blieb wohl nichts anderes übrig, als selbst gute Arbeit zu leisten und
sich nicht zu schonen. Ja, eines konnte sie doch noch tun! Sich in
demütige Kleider hüllen und nur am Sonntag ein schmales blauseidenes
Band um den Hals tragen, um einen Unterschied vom Werktag zu machen.
Diese unechte und unnotwendige Armut war der Ausdruck für eine Art
Philosophie, für Selbsterniedrigung, Stoizismus. Das blauseidene Band
war nicht mehr neu, war von einer Mütze abgetrennt, die Leopoldine zu
klein geworden war, es war da und dort verblichen und geradeheraus
gesagt auch etwas schmutzig -- nun gebrauchte es Inger als einen
demütigen Sonntagsstaat. Jawohl, sie übertrieb und machte die Armut
in der Hütte nach, sie trug eine falsche Armut zur Schau -- wäre ihr
Verdienst größer gewesen, wenn sie zu einem so geringen Staat gezwungen
gewesen wäre? Laßt sie in Frieden, sie hat ein Recht auf Frieden!

Sie übertrieb großartig und tat mehr, als sie mußte. Es waren zwei
Männer auf dem Hofe, aber Inger paßte wohl auf, bis sie fort waren, und
sägte dann Holz; wozu sollte nun diese Qual und Züchtigung gut sein?
Sie war ein ganz unbedeutender, ganz geringer Mensch, ihre Fähigkeiten
waren recht gewöhnlich, ihr Tod oder ihr Leben würde nirgends im Lande
gemerkt werden, außer hier im Ödland. Hier war sie beinahe groß,
jedenfalls war sie die größte, und sie meinte, sie sei aller der
Züchtigung, die sie auf sich selbst verwendete, wohl wert. -- Ihr Mann
sagte: Sivert und ich haben darüber gesprochen, wir wollen nichts davon
wissen, daß du unser Holz sägst und dich überschaffst. -- Ich tue es um
meines Gewissens willen, entgegnete Inger.

Um des Gewissens willen? Das stimmte Isak wieder nachdenklich; er war
jetzt ein Mann in Jahren, langsam im Überlegen, aber gewichtig, wenn
er schließlich seine Ansicht sagte. Das Gewissen mußte doch recht
kräftig sein, wenn es Inger so vollständig hatte umwenden können. Und
was es nun auch sein mochte, aber Ingers Bekehrung wirkte auch auf ihn
ein, sie steckte ihren Mann an, er wurde grüblerisch und zahm. Das
war ein sehr schwerer, fast unüberwindlicher Winter; Isak suchte die
Einsamkeit, suchte Verborgenheit. Um seinen eigenen Wald zu schonen,
hatte er nun im Staatswald an der schwedischen Grenze einige Dutzend
gute Stämme gekauft -- er wollte beim Fällen dieser Bäume niemand zu
Hilfe haben, er wollte allein sein; Sivert wurde befohlen, daheim zu
bleiben und auf die Mutter aufzupassen, damit sie sich nicht zu sehr
anstrenge.

In den kurzen Wintertagen ging also Isak noch in der Dunkelheit zum
Wald und kam erst bei Dunkelheit wieder heim. Nicht immer schienen Mond
und Sterne, manchmal waren seine eigenen Fußstapfen vom Morgen wieder
zugeschneit, dann konnte er sich nur schwer zurechtfinden. Und an einem
Abend hatte er ein Erlebnis.

Er hatte schon den größten Teil des Wegs zurückgelegt, und bei
dem hellen Mondschein sah er Sellanraa schon drüben auf der Halde
liegen; da lag es hübsch und wohl gebaut, aber klein, fast wie ein
unterirdisches Gehöft anzusehen, weil es so tief eingeschneit war.
Aber jetzt bekam er wieder Bauholz, und Inger sowie die Kinder würden
sich sehr verwundern, wozu er das Holz verwenden wollte, an was für
ein überirdisches Gebäude er dachte. Er setzte sich in den Schnee und
wollte ein wenig ausruhen, um nicht erschöpft heimzukommen.

Ringsum ist es ganz still, und Gott sei Dank für diese Stille und seine
eigene nachdenkliche Stimmung, sie ist nur vom Guten! Isak ist ja ein
Ansiedler, und er schaut nach seinem Grundstück hinüber, wo er noch
mehr Ödland umgraben muß. Er bricht in Gedanken große Steine aus, er
hat ein entschiedenes Talent zum Entwässern. Und er weiß, dort drüben
liegt noch eine recht tiefe Sumpfstrecke auf seinem Eigentum. Dieser
Sumpf ist voller Erz, eine metallische Haut steht auf jeder Lache,
den will er jetzt trockenlegen. Mit den Augen teilt er den Boden in
Vierecke ein, er hat Pläne und Absichten mit diesen Vierecken, er will
sie recht grün und fruchtbar machen. Oh, ein urbar gemachtes Feld war
etwas sehr Gutes, es wirkte auf ihn wie Ordnung und Recht und dazu wie
Genuß ...

Er stand auf und fand sich nicht mehr ganz zurecht. Hm! Was war
geschehen? Nichts, er hatte nur ein wenig ausgeruht. Jetzt aber steht
etwas vor ihm, ein Wesen, ein Geist, graue Seide -- nein, es war
nichts. Es wurde ihm sonderbar zumut, er machte einen kurzen unsicheren
Schritt vorwärts und ging geradeswegs auf einen Blick zu, einen großen
Blick, zwei Augen, gleichzeitig fangen die Espen in der Nähe zu
rauschen und zu raunen an. Nun weiß jedermann, daß die Espe eine ganz
infame, unbehagliche Art zu rauschen hat, jedenfalls hatte Isak noch
niemals ein widerlicheres Rauschen gehört als jetzt, und er fühlte, wie
ihm ein Schauer über den Rücken lief. Er griff auch mit der Hand nach
vorne, aber dies war vielleicht die hilfloseste Bewegung, die diese
Hand je gemacht hatte.

Aber was war nun das da vor ihm, und hatte es eine Gestalt oder nicht?
Isak hatte ja seiner Lebtag darauf geschworen, daß es eine höhere
Macht gebe, und einmal hatte er sie auch gesehen, aber das, was er
jetzt sah, glich Gott nicht. Ob der Heilige Geist wohl so aussah? Aber
warum stand er dann jetzt hier -- auf dem weiten Feld zwei Augen, ein
Blick und sonst nichts? War es, um ihn zu holen, um seine Seele zu
holen, dann mochte es so sein, einmal würde es ja doch geschehen, dann
wurde er selig und kam in den Himmel.

Isak war gespannt, was geschehen würde, ein Schauder durchrieselte ihn,
die Gestalt strömte ja Kälte und Frost aus, es mußte der Teufel sein.
Hier betrat Isak sozusagen bekannten Boden, es war nicht unmöglich, daß
es der Teufel war; aber was wollte er hier? Auf was hatte er Isak jetzt
eben ertappt? Auf dem Gedanken, Ödland umzubrechen, aber das konnte ihn
doch unmöglich geärgert haben. Von einer anderen Sünde, die er begangen
haben konnte, wußte Isak nichts, er war nur auf dem Heimweg vom Walde,
ein müder und hungriger Arbeiter, er wollte nach Sellanraa, alles in
guter Absicht.

Wieder machte er einen Schritt vorwärts, aber es war kein langer
Schritt, und er wich überdies sofort wieder ebenso weit zurück. Da die
Erscheinung nicht weichen wollte, runzelte Isak wahrhaftig die Stirne,
als traue er der Sache nicht mehr recht. Wenn es der Teufel war, so
mochte es der Teufel sein, der hatte jedoch nicht die höchste Macht.
Luther hatte ihn einstmals beinahe umgebracht, und es gab viele, die
ihn mit dem Kreuzeszeichen und Jesu Namen verscheucht hatten. Nicht,
daß Isak die Gefahr herausgefordert und sich dann hingesetzt und
darüber gelacht hätte, aber das Sterben und Seligwerden, das er zuerst
im Sinne gehabt hatte, diesen Gedanken gab er jedenfalls auf, und jetzt
machte er zwei Schritte auf die Erscheinung zu, bekreuzigte sich und
rief: Im Namen Jesu!

Hm? Als er seine eigene Stimme hörte, war es, als komme er plötzlich
wieder zu sich, und er sah Sellanraa auf der Halde liegen. Die Espen
rauschten nicht mehr, die beiden Augen waren aus der Luft verschwunden.

Er zögerte nicht länger auf dem Weg und forderte die Gefahr nicht
heraus. Aber als er auf seiner eigenen Türschwelle stand, räusperte
er sich kräftig und erleichtert, und er ging erhobenen Hauptes in die
Stube hinein wie ein Mann, ja, wie ein Held.

Inger stutzte und fragte, warum er so leichenblaß aussähe.

Da leugnete er nicht, daß er dem Teufel begegnet sei.

Wo? fragte sie.

Dort drüben. Uns gerade gegenüber.

Inger zeigte keinen Neid. Ja, sie lobte ihn nicht gerade deshalb, aber
in ihrer Miene lag nichts, was einem bösen Wort oder einem Fußtritt
geglichen hätte. Ach, Ingers Gemüt hatte sich im Gegenteil in den
letzten Tagen etwas aufgehellt, und sie war freundlicher geworden,
woher es auch kommen mochte; nun fragte sie nur:

Ist es der Teufel selbst gewesen?

Isak nickte und sagte, soweit er habe sehen können, sei er es selbst
gewesen.

Wie bist du ihn losgeworden?

Ich ging im Namen Jesu auf ihn los, antwortete Isak.

Inger wiegte überwältigt den Kopf hin und her, und es dauerte eine
Weile, bis sie das Essen auftragen konnte. Jedenfalls darfst du aber
jetzt nicht mehr ganz allein in den Wald gehen, sagte sie.

Sie zeigte sich besorgt um ihn, das tat ihm wohl. Er tat, als sei er
noch gleich mutig und als kümmere er sich durchaus nicht um irgendeine
Begleitung in den Wald, aber er tat nur so, um Inger mit seinem
unheimlichen Erlebnis nicht mehr als notwendig zu erschrecken. Er war
ja der Mann und das Oberhaupt des Hauses, der Schutz aller.

Inger durchschaute ihn auch und sagte: Ja, ja, du willst mich nur nicht
ängstlich machen, aber du mußt Sivert mitnehmen. -- Isak lächelte nur
verächtlich. -- Du kannst im Walde krank und elend werden, und ich
glaube, du bist auch in der letzten Zeit nicht so recht gesund gewesen.
-- Wieder lächelte Isak verächtlich. Krank? Abgeschunden und müde,
jawohl; aber krank? Inger solle ihn nicht lächerlich machen, er sei
und bleibe gesund, er esse, schlafe und arbeite, er sei ja geradezu
unheilbar gesund. Einmal sei ein gefällter Baum auf ihn gestürzt und
habe ihm das Ohr abgerissen, er habe das Ohr aufgehoben und es mit
der Mütze Tag und Nacht an seinem Platz festgehalten, und da sei es
wieder angewachsen. Für innere Unpäßlichkeiten nehme er Süßholzsaft in
kochender Milch und komme dadurch in Schweiß, Lakritze also, die er
beim Kaufmann hole, ein erprobtes Mittel, das Theriak der Alten. Wenn
er sich in die Hand haue, lasse er sein Wasser über die Wunde laufen
und salze sie ein, dann sei es in wenigen Tagen geheilt. Der Doktor sei
noch nie nach Sellanraa geholt worden.

Nein, Isak war nicht krank. Eine Begegnung mit dem Teufel konnte
schließlich der Gesündeste haben. Isak fühlte auch von dem gefährlichen
Abenteuer keine Nachwehen, im Gegenteil, es war, als sei er dadurch
gestärkt worden. Als sich der Winter seinem Ende zuneigte und der
Frühling nicht mehr so ewig weit entfernt war, fühlte sich der Mann
und das Oberhaupt allmählich als eine Art Held: Ich verstehe mich auf
solche Dinge, wir müssen nur meinem Rat folgen, zur Not kann ich sogar
bannen.

Im ganzen genommen waren ja die Tage länger und heller, Ostern war
vorüber, die gefällten Bäume waren heimgefahren, alles leuchtete, die
Menschen atmeten nach dem überstandenen Winter auf.

Inger war wieder die erste, die sich aufrichtete, sie war jetzt schon
lange in guter Laune. Woher das kam? Hoho, es hatte seine guten Gründe,
sie war wieder dick geworden, sollte wieder ein Kind bekommen. Alles
ebnete sich in ihrem Leben, nichts versagte. Aber das war ja die größte
Barmherzigkeit nach all dem, was sie verbrochen hatte, sie hatte Glück,
das Glück verfolgte sie! Isak wurde wahrhaftig eines Tages aufmerksam
und mußte sie fragen: Ich glaube wirklich, es wird wieder etwas, wie
ist das möglich? -- Ja, gottlob, es wird gewiß etwas! antwortete sie.
-- Beide waren gleich überrascht. Natürlich war Inger nicht zu alt;
Isak kam sie nicht zu alt vor, aber trotzdem, wieder ein Kind, ja, ja!
Die kleine Leopoldine war ja schon mehrere Male im Jahr für längere
Zeit in der Schule auf Breidablick, da hatten sie keine Kleinen mehr zu
Hause, und außerdem war Leopoldine jetzt auch schon ein großes Mädchen.

Einige Tage vergingen, aber am nächsten Samstag machte sich Isak
energisch auf den Weg ins Dorf, und er wollte erst am Montagmorgen
zurückkommen. Er wollte nicht sagen, was er im Sinne hatte, aber
siehe da, er kam mit einer Magd zurück. Sie hieß Jensine. -- Du bist
wohl nicht recht klug, sagte Inger, ich brauche sie nicht. -- Isak
erwiderte, jawohl, jetzt brauche sie eine Magd.

Und jedenfalls war das nun ein so hübscher und gutherziger Einfall von
Isak, daß Inger ganz beschämt und gerührt war; das neue Mädchen war die
Tochter des Schmieds; sie sollte vorerst den Sommer über dableiben,
später werde man weitersehen.

Und außerdem, sagte Isak, habe ich an Eleseus telegraphiert.

Inger zuckte zusammen. Telegraphiert? Wollte Isak sie rein umbringen
mit seiner Gutherzigkeit? Seht, es war ja seit langer Zeit ihr großer
Schmerz, daß Eleseus in der Stadt war, in der ruchlosen Stadt! Sie
hatte an ihn vom lieben Gott geschrieben und ihm außerdem auch erklärt,
der Vater werde allmählich alt, der Hof aber immer größer, Klein-Sivert
könne nicht alles leisten, und er solle ja auch den Oheim Sivert einmal
beerben -- und sie hatte ihm für alle Fälle einmal auch das Reisegeld
geschickt. Aber Eleseus war ein Stadtmensch geworden und sehnte sich
nicht ins Bauernleben zurück, er erwiderte, was er denn daheim ungefähr
tun solle? Ob er auf dem Hofe schaffen und all sein Wissen und seine
Gelehrtheit wegwerfen solle? Und tatsächlich habe ich keine Lust dazu,
schrieb er. Und wenn du mir wieder etwas Stoff zu Wäsche schicken
kannst, dann brauche ich deshalb keine Schulden zu machen, schrieb er.
-- O ja, die Mutter schickte Stoff zu Wäsche, sandte merkwürdig oft
Stoff zu Wäsche; aber als sie erweckt und fromm geworden war, da war es
ihr wie Schuppen von den Augen gefallen, und sie begriff, daß Eleseus
den Stoff unter der Hand verkaufte und das Geld zu anderem benutzte.

Dasselbe begriff auch der Vater. Er sagte nie ein Wort darüber, denn
er wußte, daß Eleseus der Augapfel der Mutter war, daß sie über ihn
weinte und den Kopf schüttelte; trotzdem aber verschwand ein Stück
doppelseitiges Tuch nach dem andern. Darüber war sich Isak ganz klar,
daß kein Mensch auf der weiten Welt soviel Wäsche auftragen könnte.
Wenn er also alles in allem betrachtete, so mußte Isak deshalb als Mann
und Oberhaupt wieder eingreifen. So ein Telegramm durch den Kaufmann
kostete allerdings unverhältnismäßig viel, aber teils würde das
Telegramm sicher eine ungeheure Wirkung auf den Sohn ausüben, teils war
es ja für Isak selbst etwas ganz Außergewöhnliches, wenn er bei seiner
Rückkehr Inger von dem Telegramm mitteilen konnte. Als er heimwärts
wanderte, trug er sogar noch den Koffer der Magd auf dem Rücken; und er
fühlte sich ebenso stolz und so geheimnisvoll wie an jenem Tage, als
er Inger den goldenen Ring mitgebracht hatte ...

Es kam eine herrliche Zeit, Inger wußte gar nicht, was Nützliches und
Gutes sie nun alles tun sollte. Wie in alten Tagen sagte sie oft zu
ihrem Mann: Du kannst alles zustande bringen! Und ein anderes Mal: Du
schaffst dich zu Tode! Und abermals: Nein, jetzt mußt du hereinkommen
und essen, ich habe Waffeln für dich gebacken! Um ihm eine Freude zu
machen, fragte sie: Ich möchte nur wissen, was du mit diesen Balken
vorhast und was du eigentlich bauen willst? -- Nein, das weiß ich noch
nicht recht, antwortete er und tat sehr wichtig.

Es war jetzt wieder ganz wie in den alten Tagen. Und nachdem das Kind
geboren war -- es war ein Mädchen, ein großes, wohlgestaltetes Mädchen
--, hätte Isak ein Stein oder ein Hund sein müssen, wenn er nicht Gott
dankbar gewesen wäre. Aber was wollte er bauen? Das wäre etwas für
Oline, darüber könnte sie klatschen: einen Anbau ans Haus, noch eine
Stube. Seht, die Familie auf Sellanraa war nun sehr zahlreich geworden:
sie hatten eine Magd, sie erwarteten Eleseus nach Hause, und ein
funkelnagelneues kleines Mädchen war angekommen -- die alte Stube mußte
nun Schlafkammer werden, anders ging es nicht.

Und natürlich mußte Isak das Inger eines Tages erzählen; sie war ja
so neugierig darauf, es zu erfahren, und obgleich Inger das ganze
Geheimnis vielleicht schon von Sivert gehört hatte -- sie tuschelten
ja oft miteinander --, so tat sie ordentlich überrascht, ließ die Arme
sinken und sagte: Das ist doch wohl nicht dein Ernst? -- Aber zum
Platzen voll von innerem Glück erwiderte er: Du kommst mit so vielen
neuen Kindern daher, wie soll ich sie denn unterbringen?

Die Mannsleute waren nun jeden Tag eifrig beim Steinausbrechen für die
neue Grundmauer. Sie waren einander jetzt ungefähr gleich bei dieser
Arbeit; der eine frisch und fest in seinem jungen Körper und rasch im
Erfassen der günstigsten Lage, im Erkennen der passendsten Steine,
der andere alternd und zäh, mit langen Armen und das Brecheisen mit
ungeheurem Gewicht einsetzend. Und wenn sie einmal so ein richtiges
Kraftstück ausgeführt hatten, schnauften sie gerne eine Weile aus und
hielten einen scherzhaften und zurückhaltenden Schwatz miteinander.

Brede will ja verkaufen, sagte der Vater. -- Ja, versetzte der Sohn.
-- Möchte wissen, wieviel er verlangt. -- Ja, wieviel wohl? -- Du hast
nichts gehört? -- Nein, doch, zweihundert. -- Der Vater überlegte eine
Weile, dann sagte er: Was meinst du, gibt das hier einen Eckstein?
-- Es kommt darauf an, ob wir ihn zuhauen können, antwortete Sivert
und stand augenblicklich auf, reichte dem Vater den Setzhammer und
nahm selbst den Vorhammer. Er wurde rot und heiß, richtete sich in
seiner ganzen Größe auf und ließ den Vorhammer niedersausen, richtete
sich wieder auf und ließ ihn abermals niederfallen -- zwanzig gleiche
Schläge, zwanzig Donnerschläge! Er schonte weder das Werkzeug noch
sich selbst, er leistete tüchtige Arbeit, das Hemd kroch ihm über die
Hose heraus und entblößte ihm den Bauch, bei jedem Schlag richtete er
sich auf die Zehenspitzen auf, um dem Hammer noch größere Wucht zu
verleihen. Zwanzig Schläge!

Nun wollen wir sehen! rief der Vater. -- Der Sohn hielt inne und
fragte: Hat er einen Sprung bekommen? -- Alle beide legten sich nieder
und untersuchten den Stein, untersuchten den Kerl, den Halunken, nein,
er hatte keinen Sprung bekommen. -- Jetzt will ich es einmal mit dem
Vorhammer allein probieren, sagte der Vater und richtete sich auf.
Noch gröbere Arbeit, einzig und allein mit Kraft, der Vorhammer wurde
heiß, der Stahl gab nach, die Feder, mit der Isak schrieb, wurde
stumpf. Er geht vom Stiel ab, sagte er von dem Vorhammer und hörte auf
zu schlagen. Ich kann auch nicht mehr, sagte Isak. Oh, das meinte er
nicht, daß er nicht mehr könne!

Dieser Vater, dieser Prahm, unansehnlich, voller Geduld und Güte, er
gönnte es dem Sohn, den letzten Schlag zu tun und den Stein zu spalten.
-- Da lag er nun in zwei Teilen. Ja, du hast einen kleinen Kniff dabei,
sagte der Vater. Hm. Aus Breidablick könnte man schon etwas machen. --
Ja, das sollte ich meinen. -- Ja, wenn das Moor mit Gräben durchzogen
und umgegraben würde. -- Das Haus müßte hergerichtet werden. -- Ja,
selbstverständlich, das Haus müßte hergerichtet werden, oh, es würde
viel zu arbeiten geben dort, aber ... Wie war es, hast du gehört,
ob die Mutter am Sonntag in die Kirche will? -- Ja, sie hat davon
gesprochen. -- So. Aber komm, nun müssen wir uns ordentlich umschauen,
damit wir eine schöne Steinschwelle für den Anbau finden. Du hast wohl
noch nichts Passendes dazu gesehen? -- Nein, antwortete Sivert.

Dann arbeiteten sie weiter.

Ein paar Tage später meinten beide, nun hätten sie genug Steine
zu der Mauer. Es war an einem Freitagabend, sie setzten sich, um
auszuschnaufen, und plauderten wieder eine Weile.

Hm. Nun, was meinst du, sagte der Vater, wollen wir ein wenig an
Breidablick denken? -- Warum? fragte Sivert. Was sollen wir damit? --
Ja, das weiß ich nicht. Das Schulhaus ist auch dort, und Breidablick
liegt mittendrin. -- Ja, und? fragte der Sohn. -- Ich wüßte gar nichts
damit anzufangen, denn man kann es zu nichts verwenden. -- Hast du
daran gedacht? fragte Sivert. -- Der Vater antwortete: Nein. Ich denke
an Eleseus, ob er wohl darauf arbeiten möchte? -- Eleseus? -- Ja, aber
ich weiß nicht. -- Lange Überlegung auf beiden Seiten. Dann sammelte
der Vater das Handwerkszeug zusammen, lud es sich auf und wendete sich
heimwärts. -- Ich meine, du solltest mit ihm darüber reden, sagte
Sivert schließlich. Und der Vater schloß das Gespräch mit den Worten:
Nun haben wir auch heute keinen schönen Stein zu der Türschwelle
gefunden.

Der nächste Tag war ein Samstag, und da mußten sie schon sehr früh
aufbrechen, um mit dem Kinde rechtzeitig übers Gebirge zu kommen.
Jensine, die Magd, sollte auch mit, da hatten sie die eine Patin, die
andern Gevattern mußten jenseits des Gebirges unter Ingers Verwandten
aufgetrieben werden.

Inger war sehr hübsch, sie hatte sich ein besonders kleidsames
Kattunkleid genäht und trug überdies weiße Streifen um den Hals und
an den Handgelenken. Das Kind war ganz in Weiß, nur unten am Saum war
ein neues blauseidenes Band durchgezogen; aber es war ja auch ein
ganz besonderes Kind, es lächelte und plauderte schon und horchte
auf, wenn die Stubenuhr schlug. Der Vater hatte den Namen ausgewählt.
Ihm kam dies zu, er wollte hier eingreifen -- laßt uns nur meinem Rat
folgen! Er hatte zwischen Jakobine und Rebekka, die beide etwas mit
Isak zusammenhingen, geschwankt, schließlich war er zu Inger gegangen
und hatte ängstlich gesagt: Hm. Was meinst du zu Rebekka? -- O ja,
antwortete Inger. -- Als Isak dies hörte, wurde er ordentlich männlich
und sagte barsch: Wenn sie etwas heißen soll, so soll sie Rebekka
heißen. Dafür stehe ich ein!

Und natürlich wollte er mit in der Kirche sein, der Ordnung halber
und auch, um das Kind zu tragen, der kleinen Rebekka sollte ein gutes
Taufgeleite nicht fehlen. Er stutzte sich den Bart, zog wie in jüngeren
Jahren ein frisches rotes Hemd an; es war zwar in der größten Hitze,
aber er hatte einen schönen neuen Winteranzug, den legte er an.
Übrigens war Isak nicht der Mann, der sich Verschwendung und Flottheit
zur Pflicht machte, deshalb zog er zu der Wanderung übers Gebirge ein
Paar von seinen märchenhaften Siebenmeilenstiefeln an.

Sivert und Leopoldine mußten bei den Haustieren daheim bleiben.

Sie ruderten im Boot über den Gebirgssee, und das war eine große
Erleichterung gegen früher, wo sie immer außen herum hatten wandern
müssen. Aber mitten auf dem Wasser, als Inger der Kleinen die Brust
geben wollte, sah Isak etwas Glänzendes an einem Faden um ihren Hals
hängen. -- Was konnte das sein? In der Kirche bemerkte er, daß sie den
goldenen Ring am Finger trug. Oh, diese Inger, sie hatte sich es nicht
versagen können!



17


Eleseus kam nach Hause.

Er war jetzt mehrere Jahre fort gewesen und war größer als der
Vater geworden, mit langen weißen Händen und einem kleinen dunklen
Schnurrbart. Er spielte sich nicht auf, sondern schien sich ein
natürliches, freundliches Wesen zur Pflicht zu machen; die Mutter war
verwundert und froh darüber. Er bekam mit Sivert zusammen die Kammer,
die Brüder waren gut Freund miteinander und spielten einander manchen
Schabernack, an dem sie sich höchlich ergötzten. Aber natürlich mußte
Eleseus beim Zimmern des Anbaus helfen, und da wurde er bald müde und
erschöpft, weil er körperlicher Arbeit ganz ungewohnt war. Ganz schlimm
wurde es, als Sivert die Arbeit aufgeben und sie den beiden andern
überlassen mußte -- ja, da war dem Vater eher geschadet als gedient.

Und wohin ging Sivert? Ja, war nicht eines Tages Oline übers Gebirge
dahergekommen mit der Botschaft von Oheim Sivert, daß er im Sterben
liege! Mußte da nicht Klein-Sivert hingehen? Das war ein Zustand! --
Niemals hätte das Verlangen des Oheims, Sivert jetzt bei sich zu haben,
ungelegener kommen können; aber da war nichts zu machen.

Oline sagte: Ich hatte gar keine Zeit, den Auftrag zu übernehmen, nein,
ganz und gar nicht, aber ich habe nun einmal die Liebe zu allen den
Kindern hier und für Klein-Sivert besonders, und so wollte ich ihm zu
seinem Erbe verhelfen. -- Ist denn der Oheim Sivert sehr krank? --
Ach du lieber Gott, er nimmt mit jedem Tag mehr ab! -- Liegt er zu
Bett? -- Zu Bett! Herr des Himmels, ihr solltet nicht so freventlich
herausreden. Sivert springt und läuft nicht mehr auf dieser Welt.

Nach dieser Antwort mußten sie ja annehmen, daß es mit dem Oheim Sivert
stark auf das Ende zugehe, und Inger trieb Klein-Sivert noch tüchtig
zur Eile an; sofort sollte er gehen.

Aber der Oheim Sivert, der Halunke, der Schelm, lag durchaus nicht im
Sterben, er lag nicht einmal beständig zu Bett. Als Klein-Sivert ankam,
fand er eine fürchterliche Unordnung und Vernachlässigung auf dem
kleinen Hofe vor, ja, die Frühjahrsarbeit war nicht einmal ordentlich
getan worden, nein, nicht einmal der Winterdung war hinausgefahren,
aber der Tod schien nicht augenblicklich bevorzustehen. Der Oheim
Sivert war allerdings ein alter Mann, über siebzig, er war hinfällig
und trieb sich halb angezogen im Hause umher, lag auch oft zu Bett
und mußte für verschiedenes notwendig Hilfe haben; zum Beispiel mußte
das Heringsnetz, das im Bootsschuppen hing und da schlecht aufgehoben
war, ausgebessert werden. O ja, aber der Oheim war durchaus nicht so
am Ende, daß er nicht noch gepökelte Fische essen und sein Pfeifchen
rauchen konnte.

Nachdem Sivert eine halbe Stunde dagewesen war und gesehen hatte, wie
alles zusammenhing, wollte er gleich wieder heim. -- Heim? fragte der
Alte. -- Ja, wir bauen eine Stube, und dem Vater fehlt meine Hilfe.
-- So, sagte der Alte, ist denn nicht Eleseus daheim? -- Doch, aber
der ist diese Arbeit nicht gewohnt. -- Warum bist du dann gekommen? --
Sivert erklärte, welche Botschaft Oline gebracht habe. -- Im Sterben?
fragte der Alte. Meinte sie, ich liege im Sterben? Zum Teufel auch!
-- Hahaha! lachte Sivert. -- Der Alte sah den Neffen gekränkt an und
sagte: Du machst dich über einen Sterbenden lustig, und du bist nach
mir getauft worden! -- Sivert war zu jung, um eine betrübte Miene
aufzusetzen, er hatte sich nie etwas aus dem Oheim gemacht, und jetzt
wollte er wieder heim.

Na, und du hast also auch gemeint, ich liege im Sterben und bist da
gleich hergerannt, sagte der Alte. -- Oline hat es gesagt, beharrte
Sivert. -- Nach kurzem Schweigen machte der Oheim ein Angebot: Wenn
du mein Netz im Bootsschuppen flickst, darfst du etwas bei mir sehen.
-- So, sagte Sivert, und was ist es? -- Ach, das geht dich nichts an,
versetzte der Alte mürrisch und legte sich wieder zu Bett.

Die Verhandlungen brauchten offenbar Zeit. Sivert wußte nicht recht,
was tun. Er ging hinaus und sah sich um, alles war unordentlich und
vernachlässigt, die Arbeit hier in Angriff nehmen zu sollen, wäre ein
Unding gewesen. Als er wieder hereinkam, war der Oheim auf und saß am
Ofen.

Siehst du dies? fragte er und deutete auf einen eichenen Schrein, der
zwischen seinen Füßen auf dem Boden stand. Das war der Geldschrein.
In Wirklichkeit war es einer von jenen Flaschenkasten, mit vielen
Abteilungen, den Beamte und andere vornehme Leute in alten Tagen auf
ihren Reisen mit sich geführt hatten; es waren jetzt keine Flaschen
mehr drin, der alte Bezirkskassierer bewahrte Rechnungen und Gelder
darin auf. Oh, diese Flaschenkiste, die Sage ging, daß sie den Reichtum
der ganzen Welt berge, die Leute im Dorfe pflegten zu sagen: Wenn ich
nur das Geld hätte, das der Sivert in seinem Schrein hat!

Der Oheim Sivert entnahm dem Schrein ein Papier und sagte feierlich:
Du kannst doch wohl Geschriebenes lesen? Lies dies Dokument! --
Klein-Sivert war durchaus nicht überlegen im Lesen von Schriftstücken,
nein, das war er nicht, aber jetzt las er, daß er zum Erben der ganzen
Hinterlassenschaft des Oheims eingesetzt sei. -- Und nun kannst du tun,
was du willst, sagte der Alte und legte das Dokument wieder in den
Schrein.

Sivert fühlte sich nicht besonders gerührt, das Dokument berichtete
ihm eigentlich nicht mehr, als was er vorher gewußt hatte, schon von
Kind auf hatte er ja nichts anderes gehört, als daß er den Oheim einmal
beerben werde. Etwas anderes wäre es gewesen, wenn er in dem Schrein
Kostbarkeiten hätte zu sehen bekommen. -- Es ist wohl viel Merkwürdiges
in dem Schrein, sagte er. -- Mehr als du denkst, versetzte der Oheim
kurz.

Er war so enttäuscht und ärgerlich über den Neffen, daß er den
Schrein zuschloß und wieder zu Bett ging. Da lag er dann und gab
verschiedene Mitteilungen kund: Dreißig Jahre lang bin ich hier im
Dorf Bevollmächtigter und Herr der Gelder gewesen, ich habe es nicht
nötig, jemand um eine Handreichung anzuflehen. Woher wußte denn Oline,
daß ich am Sterben sei? Kann ich nicht, wenn ich will, drei Mann zum
Doktor fahren lassen? Ihr sollt nicht euren Spott mit mir treiben. Und
du, Sivert, kannst nicht warten, bis ich meinen Geist ausgehaucht habe.
Ich will dir nur eins sagen: Jetzt hast du das Dokument gelesen, und es
liegt in meinem Geldschrein; mehr sag ich nicht. Aber wenn du von mir
fortgehst, dann richte deinem Bruder Eleseus aus, daß er hierherkommen
soll. Er heißt nicht nach mir und trägt nicht meinen irdischen Namen --
aber er soll nur kommen!

Trotz der Drohung, die in diesen Worten lag, überlegte Sivert sich die
Sache und sagte dann: Ich werde Eleseus deinen Auftrag ausrichten.

Oline war noch auf Sellanraa, als Sivert zurückkam. Sie hatte Zeit
gehabt, einen Gang durch die Gegend zu machen, ja sogar bis zu Axel
Ström und Barbros Ansiedlung, dann kam sie wieder zurück und tat
äußerst wichtig und geheimnisvoll. Die Barbro ist dicker geworden,
sagte sie flüsternd, das wird doch nichts zu bedeuten haben? Aber sagt
es niemand! Was, da bist du ja wieder, Sivert, da brauche ich ja wohl
nicht erst zu fragen, ob dein Oheim entschlafen ist? Ja, ja, er war ein
alter Mann und ein Greis am Rande des Grabes. Was -- er ist also nicht
tot? Gott sei Lob und Dank! Was, ich hätte nur ein leeres Geschwätz
verführt, sagst du? Wenn ich nur bei allem so frei von Schuld wäre!
Konnte ich denn wissen, daß dein Oheim Gott ins Angesicht log? Er nimmt
ab, das waren meine Worte, und diese werde ich einmal vor Gottes Thron
wiederholen. Was sagst du, Sivert? Ja, aber lag nicht dein Oheim zu
Bett und rauchte und faltete beide Hände auf der Brust und sagte, nun
liege er da und kämpfe es aus?

Mit Oline konnte man sich unmöglich in einen Streit einlassen, sie
überwältigte ihren Gegner mit ihrem Geschwätz und machte ihn mundtot.
Als sie hörte, daß der Oheim Sivert Eleseus zu sich rief, ergriff sie
auch diesen Umstand sofort und verwendete ihn zu ihrem Vorteil. Da
könnt ihr hören, ob ich ein leeres Geschwätz im Munde geführt habe. Der
alte Sivert ruft seine Verwandten herbei und schmachtet nach seinem
Fleisch und Blut, es ist am letzten bei ihm. Du mußt ihm das nicht
abschlagen, Eleseus, geh nur gleich, damit du deinen Oheim noch am
Leben triffst. Ich muß auch übers Gebirge, da können wir zusammen gehen.

Oline verließ indes Sellanraa nicht, bis sie Inger auf die Seite
gezogen und ihr noch über Barbro zugeflüstert hatte: Sag es niemand,
aber sie hat die Anzeichen! Und nun meint sie wohl, sie werde die Frau
auf der Ansiedlung. Manche Leute kommen obenauf, ob sie auch von Anfang
an so klein sind wie Sandkörner am Meeresstrand. Wer hätte nun das
von Barbro geglaubt! Axel ist sicher ein fleißiger Mann, und so große
Güter und Höfe wie hier im Ödland gibt es nicht auf unserer Seite des
Gebirges, das weißt du auch, Inger, du stammst ja aus unserer Gemeinde
und bist dort geboren. Barbro hatte ein paar Pfund Wolle in einer
Kiste, es war lauter Winterwolle, ich habe keine davon verlangt, und
sie hat mir auch keine davon angeboten; wir sagten nur Grüßgott und
Gutentag, obgleich ich sie von Kindesbeinen an gekannt habe, damals,
als ich hier auf Sellanraa war, und du, Inger, fort in der Lehre --

Jetzt weint die kleine Rebekka, warf Inger rasch ein, und dann steckte
sie Oline noch eine Handvoll Wolle zu.

Große Dankesbezeugung von Oline: Ja, ist es nicht, wie ich eben zu der
Barbro gesagt habe, so freigebig wie die Inger gibt es niemand mehr,
sie schenkt sich wahrhaftig lahm und wund und murrt nie darüber. Ja,
geh nur hinein zu dem kleinen Engel, noch nie hat ein Kind seiner
Mutter so ähnlich gesehen wie die kleine Rebekka dir. Ob sich Inger
erinnern könne, was sie einmal gesagt habe, daß sie keine Kinder mehr
bekomme? Da könne sie nun sehen! Nein, man solle auf die Alten hören,
die selbst Kinder gehabt hätten, denn Gottes Wege sind unerforschlich,
sagte Oline.

Dann trabte sie hinter Eleseus durch den Wald aufwärts, vor Alter
gebückt, fahl und grau und neugierig, immer dieselbe. Nun würde
sie zum alten Sivert gehen und zu ihm sagen, sie -- Oline -- sei es
gewesen, die Eleseus bestimmt habe, zu ihm zu kommen.

Aber Eleseus hatte sich durchaus nicht nötigen lassen, es war nicht
schwer gewesen, ihn zu überreden. Seht, im Grunde genommen war er
besser, als es den Anschein hatte, er war wirklich auf seine Art
ein guter Bursche, gutmütig und freundlich von Natur, nur ohne
große körperliche Kräfte. Daß er aus der Stadt nur ungern aufs Land
zurückkehrte, hatte seinen guten Grund, er wußte ja wohl, daß die
Mutter wegen Kindsmord in der Strafanstalt gewesen war, in der Stadt
hörte er nichts davon, aber da auf dem Lande wußten es wohl alle. War
er nun nicht mehrere Jahre lang mit Kameraden zusammen gewesen, die ihm
ein feineres Empfinden beigebracht hatten, als er früher gehabt hatte?
War nicht eine Gabel ebenso notwendig wie ein Messer? Hatte er nicht
alle Tage da drinnen nach Kronen und Öre gerechnet, und hier rechnete
man immer noch nach dem alten Talerfuß. O ja, er wanderte sehr gern
übers Gebirge in eine andere Gegend, daheim auf dem väterlichen Hofe
mußte er ja jeden Augenblick seine Überlegenheit im Zaume halten. Er
gab sich Mühe, sich den andern anzupassen, und es gelang ihm auch,
aber er mußte auf der Hut sein, zum Beispiel, als er vor ein paar
Wochen nach Sellanraa heimgekommen war. Er hatte ja einen hellgrauen
Frühjahrsüberzieher mitgenommen, obgleich man mitten im Sommer war;
als er ihn an einem Nagel in der Wohnstube aufhängte, hätte er gut
das silberne Schild mit seinen Buchstaben darauf nach außen drehen
können, aber er hatte es nicht getan. Ebenso war es mit dem Stock, dem
Spazierstock! Es war allerdings nur ein Regenschirmstock, von dem er
den Stoff und die Stahlschienen abgemacht hatte, aber auf Sellanraa
hatte er ihn nicht getragen und lustig geschwungen, weit entfernt, er
hatte ihn verborgen am Schenkel angelegt getragen.

Nein, es war nicht verwunderlich, daß Eleseus übers Gebirge ging. Er
taugte nicht zum Hausbauen, er taugte dazu, Buchstaben zu schreiben,
das konnte nicht der erste beste, aber in seiner Heimat war niemand,
der seine Gelehrsamkeit und seine Kunst zu schätzen wußte, ausgenommen
vielleicht die Mutter. So wanderte er fröhlichen Herzens vor Oline her
den Wald hinauf, er wollte weiter oben auf sie warten, er lief wie ein
Kalb, hetzte ordentlich vorwärts. Eleseus hatte sich gewissermaßen vom
Hofe weggestohlen, er hatte Angst, gesehen zu werden, jawohl, denn
er hatte den Frühjahrsüberzieher und den Spazierstock mitgenommen.
Jenseits des Gebirges konnte er ja hoffen, bessere Leute zu treffen
und auch selbst gesehen zu werden, vielleicht sogar in die Kirche zu
kommen. Deshalb plagte er sich in der Sonnenhitze mit dem überflüssigen
Überrock.

Und er hinterließ keine Lücke, wurde nicht vermißt beim Hausbau, im
Gegenteil, nun bekam ja der Vater den Sivert wieder, der Sivert war von
viel größerem Nutzen und hielt vom Morgen bis Abend aus. Sie brauchten
auch nicht viel Zeit zum Aufrichten des Gebäudes, es war nur ein Anbau,
drei Wände; sie brauchten auch die Stämme nicht zuzuhauen, das wurde
im Sägewerk gemacht. Die Schwartenbretter kamen ihnen dann gleich
beim Dachbau zugute. Eines schönen Tages stand wirklich die Stube vor
ihren Augen fertig da, gedeckt, mit gelegtem Boden und eingesetzten
Fenstern. Weiter konnten sie vor der Ernte nicht mehr damit kommen. Das
Verschalen und Anstreichen mußte auf später warten.

Da kam plötzlich Geißler mit großer Gefolgschaft übers Gebirge daher!
Und das Gefolge war zu Pferde, auf glänzenden Pferden mit gelben
Sätteln; es waren wohl reiche Reisende, sie waren sehr schwer und dick,
die Pferde bogen sich unter ihnen durch. Mitten unter diesen großen
Herren ging Geißler zu Fuß. Es waren im ganzen vier Herren und Geißler,
dazu noch zwei Diener, von denen jeder ein Lastpferd führte.

Auf dem Hofplatz stiegen die Reiter ab, und Geißler sagte: Da haben wir
Isak, den Markgrafen selbst. Guten Tag, Isak! Du siehst, da komme ich
wieder, wie ich gesagt habe.

Geißler war noch ganz der alte; obgleich er zu Fuß kam, schien er sich
keineswegs geringer zu fühlen als die andern, ja, sein abgetragener
Rock hing ihm lang und leer über seinen eingefallenen Rücken hinunter,
aber sein Gesicht zeigte einen überlegenen und hochmütigen Ausdruck. Er
sagte: Diese Herren und ich haben die Absicht, ein Stück weit den Berg
hinaufzuwandern; sie sind zu dick und möchten ein wenig Speck loswerden.

Die Herren waren übrigens freundlich und gutmütig; sie lächelten zu
Geißlers Worten und entschuldigten sich, daß sie wie im Krieg über den
Hof hereinbrächen. Sie hätten Mundvorrat bei sich, würden ihn also
nicht arm fressen, wären aber dankbar, wenn sie für die Nacht ein Dach
über den Kopf bekommen könnten. Vielleicht dürften sie in dem neuen
Gebäude da übernachten.

Als sie eine Weile ausgeruht hatten und Geißler bei Inger und den
Kindern drin gewesen war, gingen alle die Gäste auf den Berg und
blieben bis zum späten Abend weg. Am Nachmittag hatten die Leute auf
dem Hofe ab und zu ganz unerklärliche Laute, Schüsse, gehört, und bei
der Rückkehr brachten die Herren neue Gesteinsproben in Säcken mit.
Schwarzkupfer, sagten sie und nickten über den Steinen. Es entspann
sich eine lange, gelehrte Unterredung, und sie guckten dabei in eine
Karte, die sie in groben Strichen gezeichnet hatten. Unter den Herren
waren ein Sachverständiger und ein Ingenieur, einer wurde Landrat
genannt, einer Hüttenbesitzer. Luftbahn, sagten sie, Seilbahn, sagten
sie. Geißler warf ab und zu ein Wort ein, und das schien die Herren
jedesmal richtig aufzuklären; es wurde großes Gewicht auf seine Worte
gelegt.

Wem gehört das Land südlich vom See? fragte der Landrat Isak. -- Dem
Staat, antwortete Geißler flugs. Er war wachsam und klug, in der
Hand hielt er das Dokument, das Isak einst mit seinem Namenszeichen
unterschrieben hatte. -- Ich habe ja schon gesagt, daß es dem Staat
gehört, warum fragst du noch einmal danach? sagte er. Wenn du mich
kontrollieren willst, bitte!

Später am Abend nahm Geißler Isak allein mit sich hinein und sagte:
Wollen wir den Kupferberg verkaufen? -- Isak antwortete: Aber der Herr
Lensmann hat mir ja den Berg schon einmal abgekauft und bezahlt. --
Richtig, sagte Geißler, ich habe den Berg gekauft. Aber du sollst doch
auch Prozente vom weiteren Verkauf oder vom Betrieb haben; willst du
diese Prozente verkaufen? -- Das verstand Isak nicht, und Geißler mußte
es ihm erklären. Isak könne keine Grube in Betrieb setzen, er sei ein
Landmann, er mache Land urbar; er, Geißler, könne aber auch keine Grube
betreiben. Aber Geld, Kapital? Oh, soviel er wolle! Aber er habe keine
Zeit, er habe gar so vielerlei vor, sei ständig auf Reisen, müsse für
seine Güter im Norden und im Süden sorgen. Nun wolle er -- Geißler --
an diese schwedischen Herren verkaufen, sie seien alle Verwandte seiner
Frau und reiche Leute, Fachleute, sie könnten die Grube eröffnen und in
Betrieb nehmen. Ob Isak es nun verstehe? -- Ich will, wie Sie wollen,
sagte Isak.

Merkwürdig -- dieses große Zutrauen tat dem armen Geißler wohl: Ja, ich
weiß nun nicht, ob du gut dabei fährst, sagte er und überlegte. Doch
plötzlich wurde er sicher und fuhr fort: Aber wenn du mir freie Hand
gibst, werde ich jedenfalls besser für dich handeln, als du es selbst
tun könntest. -- Isak fing an: Hm. Ihr seid von der ersten Stunde an
hier ein guter Herr für uns gewesen ... Geißler runzelte die Stirn und
unterbrach ihn: Also, es ist gut!

Am nächsten Morgen setzten sich die Herren hin, um zu schreiben.
Sehr ernsthafte Sachen schrieben sie; zuerst einen Kaufkontrakt
auf vierzigtausend Kronen für den Kupferberg, dann ein Dokument,
worin Geißler zugunsten seiner Frau und seiner Kinder auf jeden
Heller von diesen vierzigtausend verzichtete. Isak und Sivert wurden
hereingerufen, um diese Papiere als Zeugen zu unterschreiben. Als dies
getan war, wollten die Herren Isak seine Prozente für eine Bagatelle
abkaufen, für fünfhundert Kronen. Aber Geißler unterbrach sie mit den
Worten: Scherz beiseite!

Isak verstand nicht viel vom Ganzen, er hatte einmal verkauft und
seine Bezahlung dafür erhalten, und im übrigen, Kronen -- das war gar
nichts, es waren keine Taler. Sivert dagegen dachte sich mehr dabei,
der Ton der Verhandlungen war ihm auffallend: das war gewiß eine
Familiensache, die hier beigelegt und abgemacht wurde. So sagte einer
der Herren: Lieber Geißler, du brauchtest wirklich nicht so rote Ränder
um die Augen zu haben! Worauf Geißler scharfsinnig aber ausweichend
antwortete: Nein, das brauche ich wirklich nicht. Aber es geht eben
nicht nach Verdienst in dieser Welt.

War es so, daß Frau Geißlers Brüder und Verwandte ihren Mann abfinden,
sich vielleicht mit einem Schlag von seinen Besuchen befreien und
die widerwärtige Verwandtschaft loswerden wollten? Nun war ja der
Kupferberg wahrscheinlich nicht wertlos, das wurde von keinem
behauptet, aber er war sehr abgelegen, die Herren sagten geradezu,
sie kauften ihn jetzt, um ihn weiterzuverhandeln an Leute, die viel
leichter eine Grube in Betrieb setzen und ausbauen könnten als sie.
Darin lag nichts Unnatürliches. Sie sagten auch offen, sie wüßten
nicht, wieviel der Berg eintragen könnte. Wenn eine Grube eröffnet
würde, seien vielleicht vierzigtausend Kronen keine Bezahlung;
wenn aber der Berg so liegen bleibe, wie er jetzt sei, dann sei es
hinausgeworfenes Geld. Aber jedenfalls wollten sie reinen Tisch machen,
und deshalb böten sie Isak fünfhundert Kronen für seinen Anteil.

Ich bin Isaks Bevollmächtigter, sagte Geißler, und ich verkaufe sein
Recht nicht unter zehn Prozent der Kaufsumme.

Viertausend! sagten die Herren.

Viertausend! beharrte Geißler. Der Berg ist Isaks Eigentum gewesen,
er erhält viertausend. Mir hat er nicht gehört, ich bekomme
vierzigtausend. Wollen sich die Herren wohl die Mühe nehmen und das
bedenken.

Ja, aber viertausend!

Geißler stand auf und sagte: Jawohl oder gar kein Verkauf.

Sie überlegten, tuschelten miteinander und gingen auf den Hofplatz
hinaus, zogen die Sache in die Länge. Richtet die Pferde! riefen sie
dann den Dienern zu. Einer der Herren ging zu Inger hinein, bezahlte
fürstlich für den Kaffee, einige Eier und das Nachtquartier. Geißler
ging anscheinend gleichgültig umher, aber er war noch ebenso wachsam:
Wie ist es mit der Wasserleitung im vorigen Jahr gegangen? fragte er
Sivert. -- Sie hat uns die ganze Ernte gerettet. -- Ich sehe, ihr habt
den Sumpf dort umgerodet, seit ich das letztemal hier war. -- Ja. --
Ihr müßt euch noch ein Pferd anschaffen, sagte Geißler. Er sah alles.

Komm jetzt her, damit wir fertig werden! rief der Hüttenbesitzer.

Darauf gingen alle miteinander in den Neubau, und Isaks viertausend
wurden aufgezählt. Geißler bekam eine Urkunde; er steckte sie
nachlässig in die Tasche, als hätte sie gar keinen Wert. Heb sie wohl
auf, sagten die andern zu ihm, und deiner Frau wird das Bankbuch in
einigen Tagen zugestellt werden, sagten sie. -- Geißler runzelte die
Stirne und erwiderte: Es ist gut!

Aber sie waren noch nicht fertig mit Geißler. Nicht als ob er den Mund
aufgetan hätte, um etwas für sich zu verlangen, aber da stand er nun,
und sie sahen, wie er dastand; vielleicht hatte er sich auch selbst
einen kleinen Teil des Geldes ausbedungen. Als der Hüttenbesitzer ihm
ein Banknotenbündel reichte, nickte Geißler nur und sagte wieder, es
sei gut. Und nun trinken wir noch ein Glas mit Geißler, sagte der
Hüttenbesitzer.

Sie tranken, dann waren sie fertig und verabschiedeten sich von Geißler.

In diesem Augenblick kam Brede Olsen einher. Was wollte der nun? Brede
hatte natürlich die dröhnenden Schüsse am gestrigen Tage gehört und
verstanden, daß droben im Gebirge etwas vor sich ging. Jetzt kam er
und wollte auch Gebirgsstrecken verkaufen. Er ging an Geißler vorbei,
wendete sich an die Herren und sagte: er habe einige merkwürdige
Gesteinsarten entdeckt, ganz wunderbare, die einen seien rot wie Blut,
andere hell wie Silber; er kenne jeden Winkel da droben und könne rasch
mit den Herren hinaufgehen, er wisse mehrere lange Metalladern -- was
das wohl für eine Art Metall sein könne? -- Hast du Proben bei dir?
fragte der Bergbaukundige. -- Ja. Aber ob sie nicht ebensogut auf den
Berg hinaufgehen könnten? Es sei nicht weit, Proben, jawohl! Viele
Säcke voll, viele Kisten voll, er habe sie zwar nicht bei sich, aber
daheim in seinem Hause; er könne rasch hinlaufen und sie holen. Aber
er könne in kürzerer Zeit von den Bergen droben holen, wenn die Herren
warten wollten. Die Herren jedoch schüttelten den Kopf und ritten
davon.

Brede sah ihnen gekränkt nach. Wenn die Hoffnung einen Augenblick in
ihm aufgetaucht war, dann erlosch sie jetzt wieder; er arbeitete unter
der Ungunst des Schicksals, nichts wollte ihm glücken. Nur gut, daß er
einen leichten Sinn hatte, um das Leben trotzdem ertragen zu können.
Er sah den Reitern nach und sagte schließlich: Na, viel Glück auf die
Reise!

Aber jetzt zeigte er sich wieder unterwürfig gegen Geißler, seinen
früheren Lensmann, er duzte ihn nicht mehr, sondern verbeugte sich und
sagte Ihr. Geißler hatte unter irgendeinem Vorwand seine Brieftasche
herausgezogen und ließ sehen, wie sie von Banknoten strotzte. -- Könnt
Ihr mir nicht helfen, Lensmann! sagte Brede. -- Geh heim und grabe
dein Moor um! sagte Geißler und half ihm nicht im geringsten. -- Ich
hätte gut eine ganze Traglast voll Steine mitbringen können, aber wäre
es denn nicht viel besser gewesen, die Herren hätten die Berge selbst
angesehen, da sie nun doch einmal hier waren? -- Geißler tat, als
höre er nicht, was Brede sagte, sondern fragte Isak: Weißt du nicht,
was ich mit dem Dokument gemacht habe? Es war äußerst wichtig, viele
tausend Kronen wert. Ach, da ist es, mitten zwischen den Banknoten. --
Was waren denn das für Leute, haben sie nur einen Ausflug zu Pferde
gemacht? fragte Brede.

Geißler war wohl vorher in großer Spannung gewesen, jetzt fiel er
merklich ab. Aber er hatte doch noch Lust und Leben genug, um noch
allerlei auszurichten. Sivert sollte mit ihm hinauf auf den Berg,
Geißler hatte ein großes Papier bei sich, da zeichnete er die Grenze
auf der Südseite des Wassers deutlich darauf ein. -- Was er wohl für
einen Gedanken dabei hatte! Als er ein paar Stunden später wieder auf
den Hof zurückkam, war Brede noch da, aber Geißler beantwortete keine
einzige von seinen Fragen, sondern war müde und winkte ihm nur mit der
Hand ab.

Er schlief ununterbrochen bis zum nächsten Morgen, da stand er mit der
Sonne auf und war wieder ganz frisch. Sellanraa! sagte er, als er auf
dem Hofplatz stand und weit umherschaute.

All das Geld, das ich bekommen habe, soll denn das mir gehören? fragte
Isak.

Was du sagst! erwiderte Geißler. Verstehst du denn nicht, daß du mehr
hättest haben sollen? Und eigentlich hättest du sie nach unserem
Kontrakt von mir haben sollen, aber wie du gesehen hast, ließ sich das
nicht machen. Wieviel hast du bekommen? Nach alter Rechnung nur tausend
Taler. Ich denke eben darüber nach, daß du noch ein Pferd für den Hof
haben mußt. -- Ja. -- Ich weiß dir ein Pferd. Der jetzige Gerichtsbote
bei Lensmann Heyerdahl läßt seinen Hof verfallen, das Herumreisen und
die Leute auspfänden ist ihm unterhaltender. Er hat schon einen Teil
seines Viehstandes verkauft, jetzt will er auch seinen Gaul los sein.
-- Ich werde mit ihm reden, sagte Isak.

Geißler deutete mit der Hand weit herum und sagte: Alles gehört dem
Markgrafen! Du hast Haus und Vieh und wohlbestellte Felder, niemand
kann dich aushungern.

Nein, antwortete Isak, wir haben alles, was Gott geschaffen hat.

Geißler lief noch eine Weile auf dem Hof umher, dann ging er plötzlich
zu Inger hinein. Kannst du wohl auch heute etwas Mundvorrat entbehren?
fragte er. Wieder ein paar Waffeln, aber ohne Butter und Käse darauf;
sie sind allein schon nahrhaft und fett genug. Nein, tu, wie ich sage,
ich will nicht noch mehr tragen.

Geißler ging wieder hinaus. Er hatte wohl allerlei Gedanken im Kopf. Im
Neubau setzte er sich an den Tisch und begann zu schreiben. Er hatte
sich die Sache schon vorher ausgedacht, deshalb brauchte er nicht viel
Zeit dazu. Es sei eine Eingabe an den Staat, sagte er überlegen zu
Isak. An das Ministerium des Innern, sagte er. Ich habe für so vieles
zu sorgen!

Als er seinen Mundvorrat bekommen hatte und sich verabschiedete, war
es, als falle ihm plötzlich noch etwas ein. Ja, richtig, als ich das
letztemal fortging, vergaß ich gewiß -- ich hatte einen Schein aus
meiner Brieftasche genommen, hatte ihn dann aber in meine Westentasche
gesteckt. Da habe ich ihn nachher gefunden. Ich habe so vielerlei
Geschäfte. Damit steckte er Inger etwas in die Hand und ging.

Ja, dann ging Geißler, und er schien ganz getrosten Mutes zu sein.
Er war durchaus nicht herunter und starb auch noch lange nicht, kam
auch wieder nach Sellanraa, und erst viele Jahre später starb er.
Die Hofleute vermißten ihn aber sehr, als er nun gegangen war; Isak
hatte ihn wegen Breidablick um Rat fragen wollen, war aber nicht dazu
gekommen. Geißler hätte ihm wohl auch abgeraten, den Hof zu kaufen --
für einen Kontoristen wie Eleseus Ödland zu kaufen!



18


Oheim Sivert war doch am Sterben. Eleseus war ungefähr drei Wochen
bei dem Alten gewesen, da war er tot. Eleseus bestellte das Begräbnis
und war recht tüchtig in dieser Richtung, er holte da und dort in den
Häusern einige Fuchsiastöcke, entlehnte eine Flagge und hing sie auf
Halbmast, kaufte schwarzen Flor beim Kaufmann zu heruntergelassenen
Vorhängen. Isak und Inger wurden benachrichtigt und kamen zum
Begräbnis. Eleseus war der eigentliche Wirt und verstand sich sehr
wohl auf die Aufwartung für die Eingeladenen, ja, nachdem am Sarg
noch gesungen worden war, sprach Eleseus sogar einige passende Worte,
worüber seine Mutter vor lauter Stolz und Rührung ihr Taschentuch
gebrauchen mußte. Alles ging ausgezeichnet.

Auf dem Heimweg in seines Vaters Gesellschaft mußte Eleseus seinen
Überzieher offen tragen, den Spazierstock aber verbarg er in seinem
Ärmel. Es ging alles gut, bis sie im Boot übers Wasser fuhren; da stieß
Isak aus Versehen an den Rock, und ein Krach ließ sich hören. -- Was
war das? fragte Isak. -- O nichts, antwortete Eleseus.

Aber der zerbrochene Stock wurde nicht weggeworfen; als sie heimkamen,
suchte Eleseus nach einem passenden Ring um die Bruchstelle. -- Können
wir ihn nicht speideln? fragte Sivert, der große Spaßvogel. Sieh
hier, wenn wir auf beiden Seiten einen guten Holzspan legen und mit
Pechdraht umwickeln ...? -- Ja, ich werde dich mit Pechdraht umwickeln!
erwiderte Eleseus. -- Hahaha! Ach so, du willst wohl lieber ein rotes
Strumpfband herumwickeln? -- Hahaha! lachte auch Eleseus, aber dann
ging er zu seiner Mutter hinein, und bei ihr bekam er einen alten
Fingerhut, von dem er den oberen Teil abfeilte, wodurch er dann einen
sehr schönen Ring für den Spazierstock bekam. Oh, Eleseus war gar nicht
so ungeschickt mit seinen langen Fingern.

Die Brüder trieben immer noch ihren Spaß miteinander. Bekomme ich
das, was der Oheim Sivert hinterlassen hat? fragte Eleseus. -- Ob du
es bekommst? Wieviel ist es? versetzte Sivert. -- Hahaha! Du willst
zuerst wissen, wieviel es ist, du Geizhals! -- Ja, du kannst es gern
haben, sagte Sivert. -- Es wird zwischen fünf- und zehntausend sein. --
Talern? rief Sivert; er konnte die Frage nicht zurückhalten. -- Eleseus
rechnete ja nicht nach Talern, aber jetzt paßte es ihm, er nickte und
ließ Sivert bis zum nächsten Tag in diesem Glauben.

Dann kam Eleseus wieder auf die Sache zurück. Reut dich wohl dein
Geschenk von gestern? fragte er. -- Du Dummkopf, versetzte Sivert;
allerdings, aber fünftausend Taler waren nun einmal fünftausend Taler
und keine Kleinigkeit; wenn der Bruder nicht ein Geizhals oder ein
schlechter Kerl war, dann teilte er mit ihm. -- Nun will ich dir etwas
sagen, erklärte endlich Eleseus, ich glaube nicht, daß ich von der
Erbschaft fett werde. -- Sivert sah ihn überrascht an: So, nicht? --
Nein, nicht besonders und nicht ~par excellence~ fett.

Eleseus hatte ja gelernt, sich in Rechnungen auszukennen; der Schrein
des Oheims, der berühmte Flaschenkasten, war vor ihm geöffnet worden,
und er hatte alle Papiere und Summen durchgehen und Kassensturz
halten müssen. Oheim Sivert hatte seinen Neffen nicht zu Landarbeit
oder zum Flicken des Fischnetzes verwendet, sondern ihn in eine
fürchterliche Unordnung von Zahlen und Rechnungen hineinversetzt. Wenn
ein Steuerzahler vor zehn Jahren mit einer Ziege oder einer Kiste
getrocknetem Kohlfisch bezahlt hatte, dann stand weder die Ziege noch
der Kohlfisch da, sondern der alte Sivert holte den Mann aus seinem
Gedächtnis hervor und sagte: Er hat bezahlt. -- Nun, dann streichen wir
diesen Posten, sagte Eleseus.

Hier war Eleseus der rechte Mann, er war freundlich und munterte den
Kranken damit auf, daß er sagte, es stehe alles gut; die beiden hatten
sich gut zusammen eingelebt, ja, ab und zu hatten sie sogar ihren Spaß
miteinander. Eleseus war ja wohl in dem einen oder andern töricht,
aber das war der alte Sivert auch; sie hatten geradezu hochtrabende
Dokumente abgefaßt, nicht nur zum Vorteil von Klein-Sivert, sondern
auch fürs Dorf, die Gemeinde, der der Alte dreißig Jahre gedient hatte.
-- Herrliche Tage waren es! -- Ich hätte wahrlich niemand Besseren
bekommen können als dich, Eleseus! sagte Oheim Sivert. Er schickte
jemand fort und ließ mitten im Sommer ein geschlachtetes Schaf kaufen,
die Fische wurden ihm frisch aus dem Meer gebracht, und Eleseus wurde
befohlen, aus dem Schrein zu bezahlen; sie lebten recht gut miteinander.

Sie ließen Oline kommen, und sie hätten niemand Besseren haben können,
um an einem Festmahl teilzunehmen, auch war niemand besser dazu
geschaffen als sie, von des alten Siverts letzten Tagen großen Ruhm
zu verbreiten. Und die Befriedigung war gegenseitig. Ich meine, wir
sollten Oline auch mit einer kleinen Erbschaft bedenken, sagte der
Oheim, sie ist jetzt Witwe und hat es recht knapp. Es bleibt trotzdem
noch genug für Klein-Sivert. -- Es kostete Eleseus nur ein paar
Federstriche mir geübter Hand, einen Nachtrag zu dem letzten Willen,
und dann war auch Oline unter die Erben eingereiht. -- Ich werde für
dich sorgen, sagte der alte Sivert zu ihr; falls ich nicht wieder
gesund werden sollte und nicht mehr auf der Erde leben werde, will
ich, daß du nicht Hunger leiden mußt, sagte er. -- Oline rief, sie sei
sprachlos; aber das war sie gar nicht, sie war gerührt und weinte und
dankte; niemand hätte solche Verbindung zwischen einer irdischen Gabe
und zum Beispiel „der großen himmlischen Wiedervergeltung im Jenseits”
finden können wie Oline. Nein, sprachlos war sie nicht.

Aber Eleseus? Waren ihm vielleicht im Anfang die Verhältnisse des
Oheims günstig und zufriedenstellend vorgekommen, so mußte er sich doch
später die Sache neu überlegen und mit der Wahrheit herausrücken. Er
versuchte es mit einem schwachen Einwand: Die Kasse ist ja nicht so
ganz in Ordnung, sagte er. -- Jawohl, aber da ist ja alles, was ich
sonst hinterlasse. -- Ja, und dann hast du wohl auch noch da und dort
Geld auf der Bank? fragte Eleseus, denn so ging das Gerücht. -- Na,
antwortete der Alte, das kann nun sein, wie es will. Aber das Großnetz,
der Hof und die Häuser und das Vieh, und weiße Kühe und rote Kühe! Ich
glaube, du faselst, mein guter Eleseus!

Eleseus wußte nicht, wieviel das Großnetz wert sein konnte; aber das
Vieh hatte er jedenfalls gesehen: es bestand aus einer Kuh. Sie war
weiß und rot. Oheim Sivert redete vielleicht irre. Und Eleseus verstand
auch des Alten Rechnungen nicht alle; sie waren in einem großen
Durcheinander, der reine Wirrwarr, besonders seit dem Jahr, in dem der
Münzfuß von Talern in Kronen übergegangen war. Der Bezirkskassierer
hatte oft die kleinen Kronen für volle Taler gerechnet. Kein Wunder,
daß er sich für reich hielt! Aber Eleseus fürchtete, wenn erst einmal
alles geordnet sein würde, werde nicht viel übrigbleiben, vielleicht
nichts, ja, vielleicht werde es nicht einmal hinreichen.

Oh, Klein-Sivert konnte ihm leicht das versprechen, was der Oheim
hinterlassen würde!

Die Brüder scherzten darüber, Sivert war nicht niedergeschlagen, im
Gegenteil, vielleicht hätte er sich schließlich mehr gegrämt, wenn er
wirklich fünftausend Taler verschleudert hätte. Er wußte wohl, daß er
aus reiner Berechnung nach dem Oheim genannt worden war, er hatte also
auch nichts von ihm verdient. Jetzt zwang er Eleseus die Erbschaft
förmlich auf: Ja, gewiß mußt du sie annehmen, komm, wir wollen es
schriftlich machen! sagte er. Ich gönne es dir, wenn du reich wirst.
Verschmäh es nicht!

Sie hatten viel Spaß miteinander. Sivert war in der Tat der, der
Eleseus am meisten half, das Leben daheim auszuhalten, vieles wäre ohne
Sivert schwerer für Eleseus gewesen.

Jetzt war übrigens Eleseus wieder tüchtig verdorben worden, die drei
Wochen Müßiggang jenseits des Gebirges waren nicht vom Guten für ihn
gewesen; er war da auch in die Kirche gegangen und hatte sich gut
herausgeputzt, ja, er war auch mit jungen Mädchen zusammengetroffen.
Daheim auf Sellanraa gab es keine. Jensine, die Magd, war nicht zu
rechnen, sie war nur ein Arbeitstier, sie paßte besser für Sivert. --
Ich möchte wohl wissen, wie die Barbro von Breidablick geworden ist,
seit sie erwachsen ist, sagte er. -- Geh hinunter zu Axel Ström und
sieh sie dir an, entgegnete Sivert.

An einem Sonntag machte sich Eleseus auf den Weg. Jawohl, er war
auswärts gewesen und hatte Mut und Lustigkeit wiedergefunden, hatte
Blut geleckt, in Axels Gamme lebte er wieder auf. Barbro selbst war
keineswegs zu verachten, jedenfalls war sie die einzige hier in der
Gegend; sie spielte Gitarre und war witzig, außerdem roch sie nicht
nach Rainfarn, sondern nach echten Sachen, nach Haarwasser. Seinerseits
gab Eleseus zu verstehen, daß er nur in den Ferien daheim sei, das Büro
werde ihn bald zurückberufen. Immerhin sei es angenehm, wieder einmal
daheim zu sein, wieder in der alten Heimat, und er habe jetzt droben
die Kammer für sich allein zum Bewohnen. Aber es sei eben doch nicht
die Stadt!

Nein, das weiß Gott, daß das Ödland nicht die Stadt ist! stimmte Barbro
bei.

Axel selbst kam diesen beiden Stadtkindern gegenüber nicht recht zur
Geltung. Er langweilte sich und ging hinaus auf seine Felder. Nun
hatten die beiden freie Hand, und Eleseus war großartig. Er erzählte,
er sei im Nachbardorfe gewesen und habe dort einen Oheim begraben, auch
vergaß er nicht zu sagen, daß er am Sarge eine Rede gehalten hatte.

Als er ging, sagte er zu Barbro, sie solle ihn ein Stück Wegs
begleiten. Aber nein, danke! -- Ist es Sitte und Brauch in der Stadt,
daß die Damen die Herren heimbegleiten? fragte sie. -- Da wurde
Eleseus wahrhaftig rot und verstand, daß er sie beleidigt hatte.

Trotzdem ging er am nächsten Sonntag wieder aufs Nachbargut, und da
trug er den Spazierstock in der Hand. Die beiden unterhielten sich
wieder wie das letztemal, und Axel wurde wieder übersehen: Dein Vater
hat jetzt einen großen Hof, er hat sehr viel gebaut, sagte er. -- O
ja, und er hat auch das Geld zum Bauen. Vater kann alles, was er will!
antwortete Eleseus und prahlte drauflos; für uns andere arme Schlucker
ist es nicht so leicht. -- Wieso? -- Na, habt ihr es nicht gehört?
Jetzt eben sind einige schwedische Millionäre bei ihm gewesen und haben
ihm einen Kupferberg abgekauft. -- Was du da sagst? Und hat er viel
Geld dafür bekommen? -- Kolossal viel. Ja, ja, ich will nicht prahlen,
aber es waren jedenfalls viele Tausend. Aber was ich sagen wollte:
Bauen, sagtest du? Ich sehe, du hast Zimmerholz draußen liegen, wann
willst du selbst bauen? -- Niemals, warf Barbro ein.

Niemals! Das war nun Vorwitz oder Übertreibung. Axel hatte im letzten
Herbst Steine ausgebrochen und sie im Winter hergefahren; jetzt im
Sommer hatte er die Mauer samt Keller und allem andern fertiggemacht,
er brauchte nur noch das Haus aufzurichten. Er sagte, er hoffe das
Haus schon im Herbst unter Dach zu bringen, er habe auch schon daran
gedacht, Sivert zu bitten, ihm ein paar Tage zu helfen, was Eleseus
dazu meine? -- O ja, meinte Eleseus. Aber du kannst mich bekommen,
fügte er lächelnd hinzu. -- Euch? sagte Axel ehrerbietig und redete ihn
plötzlich mit Euch an. Ihr habt Genie für andere Sachen. -- Wie das
schmeckte, sogar hier im Ödland anerkannt zu werden. Ich fürchte sehr,
daß diese meine Hände nicht dazu taugen, sagte Eleseus auch und tat
äußerst vornehm. -- Laß mich sehen! sagte Barbro, indem sie seine Hand
ergiff.

Axel fühlte sich wieder auf die Seite gesetzt und ging hinaus; nun
waren die beiden abermals allein. Sie waren gleichaltrig, waren
zusammen in die Schule gegangen, hatten miteinander gespielt,
umhergetollt und sich geküßt; jetzt frischten sie mit unendlicher
Überlegenheit die Kindheitserinnerungen auf, und Barbro spielte sich
ordentlich auf, das war nicht zu verkennen. Natürlich war Eleseus nicht
zu vergleichen mit den großen Kontoristen in Bergen, die Kneifer und
goldene Uhren hatten, aber hier auf dem Ödland war er unleugbar ein
richtiger Herr. Und nun holte sie ihre Photographie von Bergen herbei
und zeigte sie ihm: so habe sie damals ausgesehen, und wie jetzt! --
Was soll dir denn jetzt fehlen? fragte er. -- So, du meinst, ich habe
nicht verloren? -- Verloren? Ich will dir nur ein für allemal sagen,
daß du jetzt doppelt so hübsch bist, überhaupt voller geworden, sagte
er. Verloren? Nein, das ist klassisch! sagte er. -- Aber findest du
mein Kleid, das am Hals und im Rücken ausgeschnitten ist, auf dem Bild
nicht hübsch? Und dann hatte ich auch, wie du siehst, eine silberne
Kette, die habe ich von einem der Kontoristen, bei denen ich war,
geschenkt bekommen. Aber dann habe ich sie verloren; das heißt nicht
geradezu verloren, sondern ich brauchte Geld, als ich heimreiste.
-- Eleseus fragte: Kann ich nicht die Photographie bekommen? -- Sie
bekommen? Und was bekomme ich dafür? Oh, Eleseus wußte recht gut, was
er am liebsten geantwortet hätte, aber er wagte es nicht zu sagen.
Ich werde mich photographieren lassen, wenn ich wieder in der Stadt
bin, dann bekommst du meine auch, sagte er dagegen. Sie aber nahm das
Bild wieder an sich und sagte: Nein, ich habe nur noch die eine. -- Da
wurde es düster in seinem jungen Herzen, und er streckte die Hand nach
dem Bild aus. -- Ja, ja, dann gib mir gleich etwas dafür! sagte sie
lachend. Oh, da griff er zu und küßte sie herzlich ab.

Nun wurde es ungezwungener; Eleseus entfaltete sich, er wurde
großartig. Sie liebäugelten und lachten und scherzten. Als du nach
meiner Hand gefaßt hast, war das so weich wie ein Samtpfötchen, sagte
er. -- Ja, ja, nun fährst du bald wieder in die Stadt, und dann
kommst du wohl nie mehr hierher, sagte Barbro. -- Hältst du mich für
so schlecht? versetzte Eleseus. -- Hast du niemand dort, der dich
zurückhält? -- Nein. Unter uns gesagt, ich bin nicht verlobt, sagte er.
-- Doch, das bist du gewiß. -- Nein, es ist tatsächlich wahr, was ich
sage.

Sie scherzten und liebäugelten lange miteinander, Eleseus war ganz
verliebt. Ich werde dir schreiben, sagte er, darf ich das? -- Ja,
antwortete sie. -- Ja, denn ich will nicht kleinlich sein und es
nicht ohne Erlaubnis tun! Doch plötzlich wurde er eifersüchtig und
fragte: Es heißt, du seiest mit Axel hier verlobt. Ist es so? -- Mit
ihm, dem Axel! sagte sie so verächtlich, daß es ihn tröstete. Er wird
sich brennen! sagte sie. Dann bereute sie ihre Worte, und sie fügte
hinzu: Der Axel ist schon recht. Und er hält eine Zeitung für mich
und macht mir sehr oft Geschenke, ich kann nichts anderes sagen. --
Gott bewahre mich, er kann in seiner Art ein höchst vorzüglicher und
unvergleichlicher Mann sein, gab Eleseus zu, aber das ist nun einmal
nicht der Kernpunkt.

Aber bei dem Gedanken an Axel mußte sich Barbro wohl etwas beunruhigt
fühlen, sie stand auf und sagte zu Eleseus: Nein, jetzt mußt du gehen,
ich muß in den Stall.

Am nächsten Sonntag ging Eleseus bedeutend später als sonst hinunter,
und er hatte den Brief selbst mitgenommen. Das war ein Brief. Das
Entzücken und Kopfzerbrechen einer ganzen Woche hatten ihn zustande
gebracht, ihn ausgedacht! An Fräulein Barbro Bredesen, zwei- bis
dreimal habe ich nun das für mich so unaussprechliche Glück gehabt,
dich wiederzusehen ...

Wenn er nun so spät am Abend ankam, mußte wohl Barbro im Stall fertig
sein, ja, sie war vielleicht eben zu Bett gegangen. Doch das schadete
nichts, es paßte im Gegenteil gerade gut.

Barbro war jedoch auf und saß in der Gamme. Aber jetzt sah es plötzlich
aus, als wolle sie gar nicht mehr zärtlich sein, nein, durchaus nicht.
Eleseus bekam den Eindruck, daß Axel wohl hinter ihr her gewesen sein
und sie ermahnt haben mußte. -- Bitte, hier ist der Brief, den ich dir
versprochen habe. -- Danke! sagte sie, indem sie den Brief öffnete
und ihn ohne ersichtliche Freude las. -- Ich hätte wohl ebensogut
schreiben können wie du! sagte sie. -- Er war enttäuscht, was hatte sie
nur? Und wo war Axel? Fort. Er war dieser törichten Sonntagsbesuche
vielleicht überdrüssig und wollte nicht dabeisein; aber er konnte ja
auch eine notwendige Besorgung gehabt haben, so daß er gestern ins Dorf
hinuntergegangen war. Fort war er jedenfalls.

Warum sitzt du denn an einem so schönen Abend in der dumpfen Gamme?
Komm mit heraus! sagte Eleseus. -- Ich warte auf Axel, antwortete sie.
-- Auf Axel? Kannst du nicht ohne den Axel sein? -- Doch, aber soll er
etwa nichts zu essen haben, wenn er kommt?

Die Zeit verging, sie war vergeudet, die beiden kamen sich nicht
näher; Barbro war und blieb launisch. Er versuchte ihr wieder vom
Nachbardorf zu erzählen und vergaß wieder nicht, daß er eine Rede
gehalten hatte: Ich hatte allerdings nicht so besonders viel zu sagen,
aber einige waren doch zu Tränen gerührt. -- So, sagte sie. -- Und an
einem Sonntag bin ich in der Kirche gewesen. -- Hast du da mit einer
angebändelt? -- Ob ich mit einer angebändelt habe? Ich war nur dort und
habe mich umgesehen. Der Pfarrer predigte nicht besonders nach meiner
unmaßgeblichen Meinung, er hatte keinen guten Vortrag.

Die Zeit verging.

Was meinst du wohl, was Axel denken wird, wenn er dich so spät hier
antrifft? fragte Barbro plötzlich. -- Ach, wenn sie ihm einen Stoß vor
die Brust versetzt hätte, hätte er nicht mutloser werden können. Hatte
sie denn das letztemal ganz vergessen? War nicht verabredet worden,
daß er am heutigen Abend kommen sollte? Er war schwer gekränkt und
murmelte: Ich kann ja wieder gehen! -- Darüber schien sie sich nicht zu
entsetzen. -- Was habe ich dir getan? fragte er mit bebenden Lippen.
Es schien ihm sehr tief zu gehen, er war in großer Not. -- Mir getan?
Ach, du hast mir nichts getan. -- Aber was ist denn mit dir heute
abend? -- Mit mir? Hahaha! Aber im übrigen kann ich mich nicht darüber
wundern, wenn Axel böse wird. -- Ich werde gehen, wiederholte Eleseus.
Aber sie erschrak wieder nicht darüber, sie machte sich nichts aus ihm,
und es war ihr einerlei, daß er da vor ihr saß und mit seinen Gefühlen
kämpfte. Oh, sie war eine Canaille!

Nun begann der Ärger in ihm aufzukochen. Zuerst äußerte er ihn in
feiner Weise: sie sei wahrlich keine vorteilhafte Repräsentantin des
weiblichen Geschlechtes. Und als das nichts half -- oh, er hätte
lieber schweigen und ertragen sollen, sie wurde nur immer schlimmer.
Aber er wurde auch nicht besser, sondern sagte: Wenn ich gewußt hätte,
wie du bist, wäre ich heute abend gar nicht heruntergekommen. -- Und
was dann? versetzte sie. Dann hättest du deinen Stock, den du da in
der Hand hältst, nicht spazierengetragen. -- Oh, Barbro war in Bergen
gewesen, sie konnte spotten, sie hatte auch ordentliche Spazierstöcke
gesehen, deshalb konnte sie jetzt so unverschämt fragen, was das für
ein geflickter Regenschirmstock sei, mit dem er anstolziert komme?
-- Er ertrug es. Dann möchtest du wohl auch deine Photographie
wiederhaben? fragte er. -- Wenn das nicht wirkte, dann wirkte nichts
mehr. Ein Geschenk zurücknehmen, das war das Äußerste, was man sich
im Ödland denken konnte! Was machst du dir denn daraus? antwortete
sie ausweichend. -- Gut, erklärte er keck, ich werde sie dir sofort
zurückschicken. Gib mir nun auch meinen Brief wieder.

Damit stand er auf.

Jawohl, sie gab ihm den Brief, aber da traten ihr auch die Tränen
in die Augen, und ihre Laune schlug plötzlich um. Das Dienstmädchen
war gerührt, der Freund verließ sie, leb' wohl zum letztenmal! Du
brauchst nicht zu gehen, sagte sie, ich mache mir nichts daraus, was
Axel glaubt. -- Aber jetzt wollte er seinen Vorteil ausnützen, und
so verabschiedete er sich. Denn wenn eine Dame so ist wie du, dann
absentiere ich mich, sagte er.

Langsam wanderte er von der Gamme weg heimwärts, er pfiff und schwang
seinen Stock und tat ganz unbekümmert. Bah! Eine kleine Weile nachher
kam Barbro auch heraus und rief ihm ein paarmal nach. Jawohl, er blieb
stehen, das tat er, aber er war ein beleidigter Löwe. Sie setzte sich
ins Heidekraut und schien ihr Benehmen zu bereuen, sie zerrte an
einem Heidekrautbüschel, und allmählich wurde er wieder vernünftiger,
ja, er bat sie sogar noch um einen Kuß, zum letzten Abschied, sagte
er. -- Nein, das wollte sie nicht. -- So sei doch so reizend wie das
letztemal! sagte er. Er schwänzelte von allen Seiten um sie herum
und ging immer rascher und rascher, um womöglich eine Gelegenheit zu
erwischen. Aber sie wollte nicht reizend sein, sie erhob sich, und da
stand sie. Da nickte er nur und ging.

Als er außer Sehweite war, trat plötzlich Axel hinter einigen Büschen
hervor. Barbro fuhr zusammen und fragte: Wie ist denn das, kommst du
von oben herunter? -- Nein, ich komme von unten herauf, antwortete er,
aber ich habe euch beide hier heraufgehen sehen. -- Ach so, wirklich!
Ja, davon wirst du fett werden! rief sie auf einmal rasend, sie war
auch jetzt ebenso schlechter Laune wie vorher! Was brauchst du da
herumzuschnüffeln? Was geht es dich an? -- Axel war auch nicht gerade
freundlich. -- So, er ist also heute auch wieder hier gewesen? -- Und
wenn auch? Was willst du von ihm? -- Was _ich_ von ihm will? Nein, was
willst _du_ von ihm? Du solltest dich schämen! -- Mich schämen? Sollen
wir darüber schweigen, oder sollen wir darüber reden? fragte Barbro
nach einer alten Redensart. Ich will nicht wie ein altes Steinbild in
deiner Gamme sitzen, daß du es weißt. Warum ich mich schämen sollte?
Wenn du eine andere Haushälterin nehmen willst, dann gehe ich meiner
Wege. Du brauchst nur deinen Mund zu halten, wenn es nicht schändlich
ist, dich überhaupt darum zu bitten. Da hast du meine Antwort. Jetzt
werde ich auf der Stelle hineingehen, dir dein Essen anrichten und
Kaffee kochen, dann kann ich nachher tun, was ich will.

Unter fortwährendem Zanken ging sie hinein.

Nein, Axel und Barbro waren nicht immer einig. Sie war nun schon
zwei Jahre bei ihm, aber es hatte immer ab und zu Streit gegeben,
hauptsächlich weil Barbro wieder fort wollte. Er drang in sie, wollte,
sie solle für immer dableiben, sich ganz bei ihm niederlassen und
seine Gamme und sein Leben mit ihm teilen, er wußte, wie schlimm es
wäre, wenn er wieder ohne Hilfe sein müßte -- sie hatte ihm auch schon
mehrere Male versprochen, seinen Antrag anzunehmen, ja, in liebevollen
Stunden konnte sie sich gar nichts anderes denken als dazubleiben.
Aber sobald sich ein Streit entspann, drohte sie mit dem Fortgehen,
und wenn sie auch nichts anderes sagte als: sie wolle in die Stadt und
ihre Zähne herrichten lassen, sie fielen ihr sonst aus. Fortgehen,
fortgehen! Er mußte sie irgendwie an den Ort fesseln können.

Fesseln? Es klang, als höhne sie einer jeden Fessel.

So, du willst auch jetzt fortgehen? sagte er. -- Und wenn dem so
wäre? versetzte sie. -- _Kannst_ du denn reisen? -- Kann ich nicht? Du
meinst, ich sei in Not, weil es dem Winter zugeht, aber ich kann in
Bergen jederzeit eine Stelle bekommen. -- Da sagte Axel sehr ruhig:
Das kannst du jedenfalls vorderhand nicht! Du sollst doch ein Kind
bekommen? -- Ein Kind? Nein, von was für einem Kind redest du da? --
Axel starrte sie an. War Barbro verrückt geworden?

Etwas anderes war, daß Axel selbst vielleicht etwas zu wenig
nachsichtig war: seit er nun diesen Anspruch auf sie hatte, war er mit
etwas zu großer Sicherheit aufgetreten; das war unklug, er brauchte
ihr ja nicht sooft zu widersprechen und sie zu reizen; es wäre nicht
notwendig gewesen, ihr im Frühjahr geradezu zu befehlen, die Kartoffeln
zu legen, er hätte sie zur Not allein legen können. Wenn sie erst
verheiratet wären, würde schon die Zeit kommen, wo er sich zum Herrn
aufwerfen konnte, aber bis dahin mußte er seinen Verstand gebrauchen
und nachgeben.

Aber das Schmähliche war eben die Sache mit diesem Kontoristen,
dem Eleseus, der mit glatten Redensarten und einem Spazierstock
einhergeschlendert kam. War nun das ein Benehmen für ein verlobtes
Mädchen in ihrem Zustand? War so etwas überhaupt zu begreifen? Bis
jetzt war Axel ohne Nebenbuhler hier gewesen. Ja, so änderte sich die
Lage!

Hier sind neue Zeitungen für dich, sagte Axel. Und hier ist eine
Kleinigkeit, die ich für dich gekauft habe. Du kannst nun sehen, ob es
dir gefällt. -- Sie war kalt. Obgleich alle beide kochend heißen Kaffee
tranken, antwortete sie eiskalt: Ich wette, es ist ein goldener Ring,
den du mir schon seit über einem Jahr versprochen hast.

Da hatte sie sich jedenfalls vergaloppiert, denn es war tatsächlich der
Ring. Ein goldener Ring war es allerdings nicht, und einen solchen
hatte er ihr auch nie versprochen, daran erinnerte sie sich jetzt: aber
es war ein silberner Ring mit zwei vergoldeten Händen darauf, also ein
echter karatgestempelter. Aber ach, der unglückselige Aufenthalt in
Bergen! Barbro hatte dort richtige Verlobungsringe gesehen, man sollte
ihr nur nichts weismachen wollen! -- Diesen Ring kannst du selbst
behalten, sagte sie. -- Was fehlt denn daran? -- Was daran fehlt?
Nichts fehlt daran, antwortete sie. Damit stand sie auf und begann
den Tisch abzuräumen. -- Du kannst ja diesen vorläufig haben, später
wird sich dann vielleicht auch noch ein anderer finden, sagte Axel. --
Darauf erwiderte Barbro nichts.

Übrigens war Barbro an dem Abend recht schlecht. War nicht ein neuer
silberner Ring dankenswert? Dieser vornehme Kontorist hatte ihr wohl
den Kopf verdreht. Axel konnte sich nicht enthalten zu sagen, was
dieser Eleseus immer hier zu suchen habe. Was will er von dir? -- Von
mir? -- Ja, sieht denn der Mensch nicht, wie es um dich bestellt ist?
Sieht er dich denn nicht an? -- Barbro stellte sich vor Axel hin und
sagte: So, du meinst wohl, du habest mich nun an dich gebunden, aber
du sollst sehen, daß das erlogen ist. -- So, sagte Axel. -- Ja, und du
sollst sehen, daß ich auch von hier fortgehe. -- Darauf verzog Axel nur
den Mund zu einem leichten Lächeln, aber er tat es nicht einmal offen
und in die Augen fallend, denn er wollte sie nicht reizen. Dann sagte
er beruhigend wie zu einem Kinde: Nun sei einmal artig, Barbro. Du
weißt ja, du und ich!

Und natürlich, spät in der Nacht endete es damit, daß Barbro wieder
freundlich wurde und sogar mit dem silbernen Ring am Finger einschlief.

Oh, es würde wohl alles wieder gut werden!

Für die beiden in der Gamme wurde wirklich alles wieder gut, aber für
Eleseus war es schlimmer. Es fiel ihm schwer, die Kränkung, die er
erlitten hatte, zu überwinden. Da er sich nicht auf Hysterie verstand,
glaubte er, er sei aus reiner Bosheit genarrt worden; die Barbro auf
Breidablick war ein wenig zu keck gewesen, selbst wenn man mit in
Rechnung zog, daß sie in Bergen gewesen war.

Die Photographie hatte er Barbro auf diese Weise zurückgeschickt, daß
er sie selbst in einer Nacht zurückbrachte und zu ihr in den Heuboden
hineinwarf, wo sie ihre Schlafstelle hatte. -- Er hatte es aber
durchaus nicht in grober, unhöflicher Form getan, nein, weit entfernt;
er hatte lange an der Tür herumgetastet, um sie aufzuwecken, und als
sie sich auf den Ellbogen aufrichtete und fragte: Findest du denn heut
nacht den Weg nicht herein? hatte diese vertrauliche Frage ihn wie mit
einer Nadel oder einem Degen gestochen; aber er hatte nicht geschrien,
sondern nur die Photographie hübsch auf den Fußboden hineingleiten
lassen. Und dann war er seiner Wege gegangen. Gegangen? Tatsächlich
war er nur ein paar Schritte gegangen, dann fing er an zu laufen, zu
laufen; er war sehr aufgeregt, ja, förmlich lustig, das Herz hämmerte
ihm in der Brust; hinter einem Buschwerk hielt er an und schaute
zurück, nein, sie kam ihm nicht nach! Ach, er hatte es halb gehofft!
Und wenn sie ihm wenigstens so annähernd Zuneigung gezeigt hätte. Aber
zum Kuckuck, dann brauchte er auch nicht so zu laufen, wenn sie ihm
nicht auf den Fersen folgte, nur im Hemd und Unterrock, verzweifelt,
ja, zerschmettert über sich selbst und über die vertrauliche Frage, die
nicht für ihn bestimmt gewesen war!

Er wanderte heimwärts, ohne Stock und ohne zu pfeifen, nein, er war
kein großer Herr mehr. Ein Stich in die Brust ist keine Kleinigkeit.

Und war es damit zu Ende?

An einem Sonntag ging er wieder hinunter, nur um Ausschau zu halten.
Mit einer fast krankhaften unglaublichen Geduld lag er lauernd hinter
dem Gebüsch und starrte nach der Hütte hinüber. Als sich endlich Leben
und Bewegung zeigte, war es, als sollte er vollends vernichtet werden.
Axel und Barbro traten beide aus der Gamme und gingen zusammen in
den Stall. Sie waren jetzt zärtlich zueinander, ja, sie hatten eine
freundliche Stunde, sie gingen Arm in Arm, er wollte ihr wohl im Stall
helfen. Sieh einer!

Eleseus betrachtete das Paar mit einer Miene, als habe er alles
verloren, als sei er zugrunde gerichtet. Vielleicht dachte er ungefähr
so: sie geht Arm in Arm mit Axel Ström, wie sie dazu gekommen ist, weiß
ich nicht, einmal hat sie ihre Arme um mich geschlungen.

Sie verschwanden im Stall.

Na, meinetwegen! Bah! Sollte er hier im Gebüsch liegen und sich selbst
vergessen? Das sollte er wohl tun, sich flach auf die Erde legen und
sich so vergessen? Wer war sie? Aber er war der, der er war. Oh, noch
einmal: Bah!

Er sprang auf und stand aufrecht da. Dann streifte er Blätter und
Heidekraut von seinen Hosen und richtete sich wieder hoch auf.
Sein Zorn und sein Übermut traten auf seltsame Art zutage: er war
desperat und fing an ein Lied von nicht unbedeutender Leichtfertigkeit
anzustimmen. Und wenn er dann die schlimmsten Stellen recht absichtlich
viel lauter sang, dann lag auf seinem Gesicht ein inniger Ausdruck.



19


Isak kam mit einem Pferd aus dem Dorfe zurück. Jawohl, er hatte das
Pferd des Amtsdieners gekauft, es war, wie Geißler gesagt hatte, zu
haben, aber es kostete zweihundertvierzig Kronen, gleich sechzig Taler.
Die Pferdepreise waren jetzt ins Unerschwingliche gestiegen, in Isaks
Kindheit hatte man die besten Pferde für fünfzig Taler haben können.

Aber warum hatte er nicht selbst Pferde gezüchtet? Oh, er hatte es
sich wohl überlegt, hatte an ein junges Füllen gedacht -- das er ein
und auch zwei Jahre hätte aufziehen müssen. Das konnte der tun, dem
seine Feldarbeit Zeit dazu ließ, einer, der seine Sümpfe so daliegen
lassen konnte und sie nicht umzuroden brauchte, bis er einmal ein Pferd
hatte, das ihm die Ernte heimfuhr. Wie der Amtsdiener sagte: Ich habe
keine Lust, ein Pferd zu füttern; das Heu, das ich habe, können meine
Frauenzimmer hereintragen, während ich auf Verdienst auswärts bin.

Das neue Pferd war schon ein alter Gedanke von Isak, ein mehrjähriger
Gedanke, nicht Geißler hatte ihn ihm erst in den Kopf gesetzt. Deshalb
hatte er ja auch soweit möglich Vorbereitungen dafür getroffen, noch
eine Raufe, noch einen Weidepfahl für den Sommer; Wagen und Karren
hatte er mehrere, und weitere wollte er im Herbst anfertigen. Das
Wichtigste von allem, das Futter, hatte er natürlich auch nicht
vergessen; warum wäre es sonst so notwendig gewesen, das letzte Stück
Moor schon im letzten Jahre umzubrechen, wenn er nicht hätte vorbeugen
wollen, weil er sonst seinen Kuhbestand hätte vermindern müssen! Jetzt
war auf dem Moor Grünfutter gesät worden, das war für die kalbenden
Kühe bestimmt.

Ja, alles war bedacht worden. Inger hatte wieder guten Grund, wie in
alten Tagen vor Verwunderung die Hände zusammenzuschlagen.

Isak brachte Neuigkeiten aus dem Dorf mit: Breidablick sollte verkauft
werden, jetzt war es vom Kirchplatz aus bekanntgemacht worden. Die
wenigen Felder, die bebaut waren, die Wiesen und die Kartoffeläcker,
alles war inbegriffen, vielleicht auch das Vieh, ein paar Haustiere,
Kleinvieh. Will er denn rump und stump alles verkaufen und sich ganz
ausziehen? rief Inger. Und wo will er denn hinziehen? -- Ins Dorf. --

Das war ganz richtig, Brede wollte ins Dorf ziehen. Allerdings hatte
er zuerst versucht, sich bei Axel Ström einzuquartieren, wo ja Barbro
schon war. Das ging jedoch nicht. Brede wollte um alles in der Welt
das Verhältnis zwischen seiner Tochter und Axel nicht zerstören, und
so nahm er sich wohl in acht, aufdringlich zu werden, aber natürlich
war es ihm ein böser Strich durch die Rechnung. Axel wollte ja bis
zum Herbst das neue Haus unter Dach bringen, wenn dann er und Barbro
hineinzogen, hätte da nicht Brede mit seiner Familie die Gamme
bekommen können? Nein! Seht, Brede dachte nicht als Ansiedler, er
verstand nicht, daß Axel ausziehen mußte, weil er die Gamme für seinen
wachsenden Viehstand brauchte; die Gamme mußte auch hier in den Stall
verwandelt werden. Aber selbst nachdem Brede alles erklärt worden war,
blieb ihm dieser Gedankengang fremd. Die Menschen kommen doch wohl vor
den Tieren, sagte er. -- Nein, das war nicht des Ansiedlers Ansicht,
oh, weit entfernt! Die Tiere zuerst, die Menschen konnten sich immer
einen Winteraufenthalt verschaffen. -- Da mischte sich Barbro drein und
sagte: So, du stellst die Tiere über die Menschen? Es ist gut, daß ich
das erfahren habe! -- Wahrlich, Axel machte sich ja eine ganze Familie
zum Feind, weil er kein Obdach für sie hatte. Aber er gab nicht nach.
Er war ja auch nicht dumm und gutmütig, sondern im Gegenteil allmählich
immer geiziger geworden; er wußte wohl, daß bei einer solchen
Einquartierung mehr Mägen zu befriedigen sein würden.

Brede beschwichtigte seine Tochter und gab ihr zu verstehen, daß er
am liebsten wieder ins Dorf ziehe; er könne es auf dem Ödland nicht
aushalten, sagte er, und allein aus diesem Grunde verkaufe er seinen
Hof.

Ja, aber im Grunde genommen war es nun nicht Brede Olsen, der
verkaufte, sondern die Bank und der Kaufmann waren es, die Breidablick
zu Geld machten, aber um den Schein zu wahren, sollte es in Bredes
Namen geschehen. Auf diese Weise glaubte er der Schande zu entgehen.
Und Brede war auch gar nicht so sehr niedergedrückt, als Isak mit ihm
zusammentraf, er tröstete sich damit, daß er ja immer noch Inspektor
über die Telegraphenlinie sei; das sei eine sichere Einnahme, und mit
der Zeit werde er sich schon wieder zu seiner alten Stellung im Dorfe,
zum allgemeinen Helfer und Begleiter des Lensmanns, emporarbeiten.

Natürlich war Brede auch gerührt gewesen. Das gehörte dazu: es sei ja
so eine Sache, sich von der Stelle, die er liebgewonnen und wo er so
viele Jahre lang gelebt und geschafft und gearbeitet habe, zu trennen.
Aber der gute Brede ließ sich nie dauernd unterkriegen, das war seine
gute Seite, das Anziehende an ihm. Er hatte einmal die Eingebung
bekommen, Ödland urbar zu machen, dieser Versuch war nicht glücklich
ausgefallen; aber auf dieselbe lustige Weise hatte er auch in anderen
Fragen gehandelt, und da war es ihm besser gelungen. Ja, wer konnte
wissen, ob er nicht mit seinen Gesteinsproben noch einmal gewaltige
Geschäfte machte! Und jedenfalls war da Barbro, die er auf Maaneland
untergebracht hatte! Sie komme ja nie wieder von Axel Ström weg, das
dürfe man wohl sagen, es sei jedermann offenkundig!

Nein, solange er seine Gesundheit habe und für sich und die Seinen
schaffen könne, stehe es nicht schlecht, sagte Brede Olsen. Und
gerade jetzt seien alle seine Kinder allmählich erwachsen, sie zögen
fort und sorgten für sich selbst, sagte er. Helge sei schon bei der
Heringsfischerei, und Katrine komme zu Doktors in Dienst. Dann hätten
sie nur zwei kleinere Kinder daheim -- allerdings komme bald noch ein
drittes dazu, aber ...

Isak brachte aus dem Dorf eine Neuigkeit mit: Die Frau des Lensmannes
hatte ein Kleines bekommen. -- Inger fragte plötzlich lebhaft: Einen
Jungen oder ein Mädchen? -- Das habe ich nicht gehört, antwortete Isak.

Also die Frau des Lensmannes hatte ein Kind bekommen, sie, die immer
im Frauenverein gegen die überhandnehmenden Geburten bei den Armen
geeifert hatte. Man solle der Frau das Stimmrecht geben und ihr Einfluß
auf ihr eigenes Schicksal einräumen, hatte sie gesagt. Jetzt war
sie gefangen. Ja, sagte die Frau Pastor, sie hat ihren Einfluß wohl
angewendet, hahaha, und doch ist sie ihrem Schicksal nicht entgangen!
Dieses witzige Wort über Frau Heyerdahl ging im ganzen Dorf herum und
wurde von sehr vielen verstanden; auch Inger verstand es vielleicht,
nur Isak verstand nichts.

Isak verstand zu arbeiten, verstand seine Hantierung zu betreiben.
Er war jetzt ein reicher Mann mit einem großen Hof, aber von dem
vielen baren Geld, das ihm der Zufall in den Schoß geworfen hatte,
machte er nur einen schlechten Gebrauch: er hob es auf. Das Ödland
rettete ihn. Hätte Isak im Dorf gewohnt, dann hätte vielleicht die
große Welt auch etwas auf ihn eingewirkt; dort war so viel Schönes,
so vornehme Verhältnisse, er würde Unnötiges gekauft haben und wäre
am Werktag in einem roten Hemd gegangen. Hier im Ödland war er gegen
alle Verschwendung geschützt, er lebte in reiner Luft, wusch sich
am Sonntagmorgen und badete, wenn er droben am Gebirgssee war.
Die tausend Taler -- jawohl, ein Geschenk vom Himmel, jeden Heller
davon zum Aufbewahren! Wozu sonst? Isak konnte seine gewöhnlichen
Ausgaben mit Leichtigkeit durch den Verkauf seiner Erträgnisse von dem
Viehbestand und den Feldern bestreiten.

Eleseus wußte ja besser Bescheid, er hatte dem Vater geraten, sein
Geld auf der Bank anzulegen. Es war auch wohl möglich, daß dies das
verständigste gewesen wäre, aber jedenfalls war es aufgeschoben worden,
wurde vielleicht nie getan. Nicht, weil Isak immer den Rat des Sohnes
überhört hätte, Eleseus war wahrlich nicht so schlimm, das hatte Isak
in der letzten Zeit herausgefunden. Jetzt in der Heuernte hatte er
es mit dem Mähen versucht -- nein, ein Meister wurde er darin nicht,
und er mußte sich in Siverts Nähe halten und sich von ihm jedesmal
die Sense wetzen lassen, aber Eleseus hatte lange Arme und konnte das
Heu wie ein ganzer Mann zusammenraffen. Jetzt waren er und Sivert und
Leopoldine und Jensine drüben auf der Wiese und setzten das erste Heu
auf Heinzen, und Eleseus schonte sich da auch nicht, sondern arbeitete
mit dem Rechen, bis er Blasen bekam und mit verbundenen Händen gehen
mußte. Seit mehreren Wochen schon hatte er keinen rechten Appetit
gehabt, war aber deshalb doch nicht arbeitsscheu geworden. Über den
Jungen mußte etwas Neues gekommen sein, es sah aus, als sei ein
gewisses Mißgeschick in einer gewissen Liebesangelegenheit oder etwas
anderes in dieser Richtung, ein großer Schmerz oder eine Enttäuschung,
vom Guten für ihn gewesen. Seht, jetzt hat er sogar seinen letzten von
der Stadt mitgebrachten Tabak aufgeraucht, und das hätte vielleicht
unter anderen Umständen einen Kontoristen dazu bringen können, die Türe
zuzuschlagen oder sich über dies und jenes scharf auszusprechen; aber
nein, Eleseus wurde dadurch nur ein gesetzter Bursche, fester in der
Haltung, ja, wahrlich ein Mann.

Auf was verfiel aber dann der Spaßvogel Sivert, um ihn zu reizen?

An diesem Tag knieten beide Brüder auf Steinen im Fluß und tranken, und
Sivert war so unvorsichtig, Eleseus anzubieten, ihm ein besonders gutes
Moos zu Tabak zu trocknen -- oder vielleicht willst du es roh rauchen?
sagte er. -- Ich werde dir Tabak geben, versetzte Eleseus, indem er den
Arm ausstreckte und den Bruder bis an die Schultern ins Wasser tauchte.
Ha, da bekam er's! Sivert lief noch lange mit einem nassen Kopf umher.

Ich glaube, Eleseus wächst sich allmählich zu einem tüchtigen Kerl
heraus, dachte der Vater, wenn er den Sohn bei der Arbeit sah. -- Hm.
Ob der Eleseus nun für ganz daheimbleiben will? fragte er Inger. -- Sie
sagte ebenso sonderbar vorsichtig: Das könnte ich nicht sagen. Nein,
das will er nicht. -- So, hast du mit ihm darüber gesprochen? -- Ach
nein. Doch, ich habe nur ein ganz klein wenig gesagt. Aber ich errate
es. -- Ich möchte wissen, wie es wäre, wenn er einen eigenen Hof hätte?
-- Wieso? -- Ob er ihn bebauen würde? -- Nein. -- So, hast du mit ihm
darüber geredet? -- Darüber geredet? Siehst du nicht, wie verändert er
ist? Ich kenne ihn gar nicht mehr. -- Du brauchst ihn nicht schlecht
zu machen, sagte Isak unparteiisch. Ich sehe nichts anderes, als daß
er draußen ein gutes Tagewerk vollbringt. -- So, ja, ja, antwortete
Inger schüchtern. -- Ich weiß nicht, was du gegen den Jungen hast! rief
Isak erzürnt. Er leistet mit jedem Tag bessere Arbeit, kannst du mehr
erwarten? -- Inger murmelte: Er ist nicht mehr, wie er war. Du solltest
mit ihm wegen der Westen sprechen. -- Wegen der Westen? Wieso? -- Er
sagt, daß er im Sommer in der Stadt weiße Westen getragen habe. --
Isak dachte darüber nach und begriff nichts. Aber kann er denn nicht
eine weiße Weste bekommen? fragte er. Isak war verwirrt, das Ganze war
natürlich nur ein Weibergeschwätz, er meinte, der Junge sei mit der
weißen Weste im Recht und begriff überdies nicht, was das bedeuten
sollte, er wollte also rasch darüber weggehen. Nun, was würdest du dazu
sagen, wenn er Bredes Ansiedlung zum Heraufarbeiten bekäme? -- Wer?
fragte Inger. -- Eleseus. -- Breidablick? fragte Inger. Tu das ja nicht.

Die Sache war nämlich die, daß sie den Plan schon mit Eleseus
durchgesprochen hatte, sie kannte ihn wohl von Sivert, der den Mund
nicht hatte halten können. Und im übrigen -- warum hätte Sivert über
den Plan schweigen sollen, den der Vater sicher nur deshalb verraten
hatte, damit er durchgesprochen würde? Es war nicht das erstemal, daß
er Sivert auf diese Weise zum Vermittler machte. Na, aber was hatte
Eleseus geantwortet? Wie früher, wie in seinen Briefen aus der Stadt:
Nein, ich will das, was ich gelernt habe, nicht wegwerfen und wieder
der reine Garnichts sein! Das hatte er geantwortet. Ja, dann war ja
die Mutter mit ihren guten Gründen herausgerückt, aber Eleseus hatte
für alles nur abschlägige Antworten gehabt und gesagt, er habe andere
Pläne für sein Leben. Das junge Herz hat seine unerforschlichen Gründe;
nach dem, was geschehen war, fand er es vielleicht auch unmöglich,
der Nachbar von Barbro zu werden. Das konnte niemand wissen. Er hatte
der Mutter gegenüber nur obenhin Auskunft gegeben und gesagt, er
könne in der Stadt eine bessere Stelle bekommen, als er jetzt habe;
er könne auch Schreiber beim Landrichter oder Landrat werden; man
müsse hinaufkommen, in einigen Jahren werde er vielleicht Lensmann
oder Leuchtturmwächter, oder er komme aufs Zollamt. Es gebe so viele
Möglichkeiten für den, der etwas gelernt habe.

Woher es nun auch kam, aber jedenfalls wurde die Mutter bekehrt, wurde
mitgerissen, und sie war ja selbst so wenig sicher, die Welt konnte sie
gar leicht wieder in ihre Schlingen ziehen. Im Winter hatte sie sogar
in einem gewissen ausgezeichneten Andachtsbuch gelesen, das sie bei
ihrem Weggang in der Anstalt in Drontheim bekommen hatte; aber jetzt?
Ob denn Eleseus wirklich Lensmann werden könne? -- Jawohl, antwortete
Eleseus. Was ist denn der Lensmann Heyerdahl anderes als ein früherer
Schreiber auf einer Amtsstube?

Große Aussichten! Die Mutter wollte Eleseus geradezu abraten, sein
Leben zu ändern und sich wegzuwerfen. Was sollte ein solcher Mann im
Ödland?

Aber warum gab sich Eleseus jetzt so viele Mühe und schaffte so fleißig
auf den Feldern der Heimat? Gott mochte es wissen, er hatte vielleicht
eine Absicht dabei! Etwas Bauernehrgeiz hatte er wohl auch, er wollte
nicht zurückstehen. Außerdem schadete es nicht, wenn er an dem Tag,
an dem er die Heimat wieder verließ, mit dem Vater gut Freund war. Um
die Wahrheit zu sagen, so hatte er verschiedene kleine Schulden in der
Stadt, es wäre gut, wenn er diese bereinigen könnte. Das würde großen
neuen Kredit bedeuten. Und hier handelte es sich nicht nur um einen
Hundertkronenschein, sondern um etwas, das etwas war.

Eleseus war nicht dumm, oh, weit entfernt, er war sogar auf seine Art
schlau. Er hatte den Vater wohl heimkommen sehen und wußte, daß er
in diesem Augenblick drinnen am Fenster saß und herüberschaute. Wenn
sich da nun Eleseus besondere Mühe bei der Arbeit gab, gereichte ihm
das vielleicht gerade jetzt zum Vorteil, und es geschah ja niemand ein
Unrecht dadurch.

Eleseus hatte etwas Verfeinertes an sich, was es nun auch sein mochte,
aber zugleich auch etwas Verpfuschtes wie etwas Zerstörtes, er war
nicht böse, aber ein wenig verstockt. Hatte ihm in den verflossenen
Jahren eine starke Hand über sich gefehlt? Was konnte die Mutter jetzt
für ihn tun? Einzig und allein ihm helfen. Sie konnte sich von den
großen Zukunftsaussichten des Sohnes blenden lassen und ihm beim Vater
die Stange halten. Das konnte sie.

Aber Isak wurde schließlich ärgerlich über ihre abweisende Haltung,
seiner Meinung nach war der Plan mit Breidablick gar nicht so übel.
Heute auf dem Heimweg hatte er sogar der Versuchung nachgegeben und das
Pferd angehalten, um sich in aller Eile einen sachkundigen Überblick
über die vernachlässigte Ansiedlung zu verschaffen: unter arbeitsamen
Händen konnte etwas daraus werden. -- Warum soll ich es nicht wagen?
fragte er Inger jetzt. Ich habe so viel Herz für Eleseus übrig, daß
ich ihm dazu verhelfen will. -- Ach, wenn du ein Herz für ihn hast, so
nenne Breidablick vor ihm nicht mehr, versetzte sie. -- So. -- Nein,
denn er hat viel größere Gedanken als wir.

Isak ist ja selbst seiner Sache nicht ganz sicher, er kann also nicht
so recht gewichtig reden, aber es ärgert ihn, daß er mit diesem Plan
herausgerückt ist und so unvorsichtig offen geredet hat, deshalb will
er ihn nur ungern aufgeben. Er soll tun, was er will, erklärte Isak
plötzlich. Und er sagt es mit lauter, drohender Stimme zum Besten für
Inger, falls sie zufällig nicht gut hören sollte. Ja, sieh mich nur an,
aber ich sage jetzt nichts mehr. Das Schulhaus ist dort, und es ist
auf dem halben Wege vom Dorfe hierher, und alles miteinander, was sind
denn das für große Gedanken, die er hat? Mit einem Sohne wie er könnte
ich leicht verhungern, ist das etwa besser? Aber nun frage ich, wie
es kommt, daß mein eigenes Fleisch und Blut ungehorsam gegen -- mein
eigenes Fleisch und Blut sein kann? -- Isak schwieg. Er begriff wohl,
je mehr er redete, desto schlimmer wurde es. Er wollte jetzt erst
einmal die Sonntagskleider ausziehen, in denen er im Dorfe gewesen war;
aber nein, er änderte diesen Entschluß wieder und wollte so bleiben,
wie er war -- was er wohl damit wollte? Du mußt versuchen, es mit
Eleseus ins reine zu bringen, sagte er dann. -- Inger antwortete: Es
wäre am besten, du würdest es ihm selbst sagen. Mir folgt er nicht!
-- Jawohl, Isak ist das Haupt für alle, das wollte er meinen. Eleseus
sollte es nur versuchen, sich zu mucksen! Aber ob es nun war, weil er
eine Niederlage befürchtete -- Isak weicht jetzt aus und sagt: Ja, das
könnte ich tun, ich könnte es ihm selbst sagen. Aber da ich so vieles
andere zu besorgen habe, so muß ich jetzt an anderes denken. -- So?
fragt Inger verwundert.

Nun geht Isak wieder fort, nur bis an die Grenze des Grundstücks,
aber jedenfalls fort. Er ist sehr geheimnisvoll und will allein sein.
Die Sache ist die, er ist heute mit einer dritten Neuigkeit vom Dorf
zurückgekommen, und diese dritte ist größer als die beiden anderen, sie
ist ungeheuer groß; er hat sie am Waldessaum versteckt. Da steht sie,
in Sackleinwand und Papier eingebunden. Er packt sie aus, und es ist
eine große Maschine. Seht, sie ist rot und blau, wunderbar, mit vielen
Zähnen und vielen Messern, mit Gelenken, mit Armen, Rädern, Schrauben,
eine Mähmaschine. Natürlich wäre das neue Pferd nicht gerade an diesem
Tag geholt worden, wenn es nicht wegen der Mähmaschine hätte sein
müssen.

Isak steht mit einem ungeheuer scharfsinnigen Gesicht da und versucht,
die Gebrauchsanweisung, die der Kaufmann ihm vorgelesen hatte, von
einem Ende zum andern aus seinem Gedächtnis hervorzuholen; er befestigt
eine Stahlfeder da und schiebt dort einen Bolzen ein, dann ölt er jedes
Loch und jede Ritze, dann sieht er das Ganze noch einmal nach. Noch
nie hat Isak einen solchen Augenblick erlebt. Eine Feder in die Hand
nehmen und sein Hauszeichen unter ein Dokument setzen -- jawohl, auch
das ist eine große Gefahr und Schwierigkeit. Ebenso mit dem Reolpflug,
der viele gebogene Messer hat, die ineinandergreifen müssen. Und dann
die große Kreissäge im Sägewerk, die haargenau in ihrem Lager ruhen muß
und nicht nach Ost und West ausweichen oder gar herausspringen darf.
Aber die Mähmaschine -- ein wahres Elsternest aus stählernen Zweigen
und Haken und Vorrichtungen und Hunderten von Schrauben. Oh, Ingers
Nähmaschine war nur eine Kleinigkeit dagegen!

Dann spannte sich Isak selbst vor und probierte die Maschine. Das war
gerade der große Augenblick. Deshalb wollte er zuerst im verborgenen
mit der Maschine bleiben und auch sein eigenes Pferd sein.

Denn wie, wenn nun die Maschine falsch zusammengesetzt war und ihre
Arbeit nicht verrichtete, sondern mit einem Knall zersprang? Aber
das geschah nicht, die Maschine mähte Gras. Das würde auch gerade
noch fehlen! Isak hatte hier in tiefes Studium versunken stundenlang
gestanden, die Sonne war indessen untergegangen. Wieder spannt er sich
vor und probiert, die Maschine mäht Gras. Das fehlte auch gerade noch!

Als gleich nach dem heißen Tag der Tau fiel und die beiden Brüder,
jeder mit seiner Sense, auf der Wiese standen, um für den nächsten Tag
zu mähen, tauchte Isak bei den Häusern auf und sagte: Hängt eure Sensen
heute abend nur wieder hinein. Ihr könnt das neue Pferd anschirren und
mit ihm hinüber an den Wald kommen.

Damit ging aber Isak nicht ins Haus hinein, um sein Abendbrot zu essen,
was die andern schon getan hatten, sondern er drehte auf dem Hofplatz
gleich wieder um und ging aufs neue dahin, woher er gekommen war.

Sollen wir den Karren anspannen? rief ihm Sivert nach.

Nein, antwortete der Vater und ging weiter.

Er strotzte förmlich von Geheimniskrämerei und war ganz übermütig, bei
jedem Schritt wiegte er sich in den Knien, so nachdrücklich schritt er
dahin. Ging es dem Tod und Untergang entgegen, so war er jedenfalls
ein mutiger Mann, er trug nichts in den Händen, mit dem er sich hätte
verteidigen können.

Die Jungen kamen mit dem Pferd nach, jetzt sahen sie die Maschine, und
sie hielten jäh an. Das war die erste Mähmaschine hier im Ödland, die
erste auch im Dorfe, rot und blau, prachtvoll anzusehen. Der Vater, das
Oberhaupt aller, rief gleichgültig und ganz wie sonst: Kommt her und
spannt das Pferd vor diese Mähmaschine! -- Die Söhne spannten ein.

Dann fuhren sie, der Vater fuhr. Brr! sagte die Maschine und mähte das
Gras nieder. Die Söhne hinterher, ohne etwas in den Händen, ohne zu
arbeiten, lächelnd. Jetzt hielt der Vater an und sah zurück -- na, es
könnte besser gemäht sein. Er schraubte an ein paar Stellen, um die
Messer näher an den Boden zu legen, und probierte wieder. Nein, so wird
ungleich gemäht, uneben gemäht. Die Scheide, an der alle Messer sind,
wackelt ein wenig auf und nieder. Vater und Söhne wechselten ein paar
Worte. Eleseus hat die Gebrauchsanweisung gefunden und liest darin.

Da steht, daß du dich auf den Sitz setzen sollst, Vater, dann gehe die
Maschine ruhiger, sagt er. -- So, versetzte der Vater. Ja, das weiß ich
wohl, fügte er hinzu, ich habe alles genau studiert. -- Er setzt sich
auf den Sitz und fährt wieder, nun geht es ruhig. Aber plötzlich mäht
die Maschine nicht mehr, nein, alle Messer stehen auf einmal still. Ho!
Was nun? Der Vater springt vom Sitz herunter, aber jetzt ist er nicht
mehr übermütig, sondern beugt ein kummervolles, fragendes Gesicht über
die Maschine. Vater und Söhne starren diese an; etwas ist verkehrt.
Eleseus hat die Gebrauchsanweisung in der Hand. -- Da liegt ein kleiner
Bolzen! sagt Sivert, indem er ihn vom Boden aufhebt. -- Ach so, es ist
gut, daß du ihn gefunden hast, sagt der Vater, als wäre das alles,
was er brauchte, um die Maschine wieder in Ordnung zu bringen. Gerade
diesen Bolzen habe ich gesucht. -- Aber nun konnten sie das Loch nicht
finden; wo zum Kuckuck war das Loch zu dem Bolzen? Da, sagt Eleseus und
deutet mit dem Finger.

Und jetzt mußte sich Eleseus wohl der Sache etwas gewachsen fühlen,
seine Fähigkeit, eine Gebrauchsanweisung zu erforschen, war hier
unersetzlich; er deutete überflüssig lange auf das Loch und sagte:
Nach der Illustration zu verstehen, muß der Bolzen hier hinein! --
Jawohl muß er hier hinein, sagte auch der Vater, da hatte ich ihn ja
eingesetzt! Und um seine Autorität wieder herzustellen, befahl er
Sivert, nach noch weiteren Bolzen im Gras zu suchen. Es muß noch einer
da sein, sagte er mit ungeheuer wichtiger Miene, wie wenn er alles im
Kopf hätte. Findest du keinen mehr? Na, dann sitzt er wohl noch in
seinem Loch!

Dann wollte der Vater wieder fahren.

Aber das ist falsch! ruft Eleseus. Oh, Eleseus steht mit der Zeichnung
in der Hand, mit dem Gesetz in der Hand da, ihn darf man nicht auf
die Seite schieben. Diese Feder hier muß außen sein! -- Ja? fragt
der Vater. -- Jawohl, aber jetzt ist sie unten, du hast sie unten
hingesetzt. Es ist eine Stahlfeder, die muß außen sein, sonst springt
der Bolzen wieder heraus, und dann stehen alle Messer still. Hier
steht es auf der Abbildung! -- Ich habe meine Brille nicht bei mir,
deshalb kann ich die Zeichnung nicht deutlich sehen, sagte der Vater
kleinlauter. Hier, du hast bessere Augen, schraube du die Feder ein.
Aber mach es nun richtig. Wenn es nicht so weit wäre, würde ich meine
Brille holen.

Jetzt ist alles in Ordnung, und der Vater sitzt auf. Eleseus ruft ihm
nach: Und dann mußt du ein bißchen schnell fahren, dann schneiden die
Messer besser! Hier steht es!

Isak fährt und fährt, und alles geht gut, und Brr! sagt die Maschine.
Sie hinterläßt einen breiten Weg von gemähtem Gras, in einer schönen
Linie liegt es da, fertig zum Ausbreiten. Jetzt kann man Isak vom Hause
aus sehen, und alle Frauenzimmer eilen heraus. Inger trägt die kleine
Rebekka auf dem Arm, obgleich die kleine Rebekka längst laufen kann.
Aber jetzt kommen sie daher, vier Frauenzimmer, große und kleine, und
sie eilen mit weit aufgerissenen Augen zu dem Wunderwerk hin, sie
umdrängen es. Oh, wie mächtig Isak jetzt ist und richtig stolz; frei
auf der Maschine droben sitzt er, im Sonntagsgewand, in vollem Staat,
in Rock und Hut, obgleich ihm der Schweiß von der Stirne tropft. Er
fährt in vier großen Winkeln über ein passendes Wiesenstück, schwingt
um, fährt, mäht, kommt an den Frauen vorüber, die wie aus den Wolken
gefallen sind, sie begreifen es nicht, und Brr! sagt die Maschine.

Dann hält Isak an und steigt herunter. Seht, er sehnt sich gewißlich
danach, zu hören, was die Menschen auf der Erde sagen, was sie jetzt
wohl sprechen werden! Er hört leise Ausrufe, die Menschen wollen ihn
auf seinem großen Posten nicht stören, aber sie stellen ängstliche
Fragen aneinander, und diese Fragen hört Isak. Und jetzt, um ein
freundliches väterliches Oberhaupt für alle zu sein, muntert Isak sie
auf, indem er sagt: Ja, ja, ich mähe nun dieses Wiesenstück, dann
könnt ihr das Heu morgen ausbreiten. -- Du hast wohl gar keine Zeit,
hereinzukommen und zu essen? fragt Inger überwältigt. -- Nein, ich habe
jetzt anderes zu tun, erwidert er.

Dann ölt er die Maschine noch einmal und gibt den anderen zu verstehen,
daß es sich hier um eigentliche Wissenschaft handle. Dann fährt er
wieder und mäht weiter. Schließlich gehen die Frauenzimmer wieder
hinein.

Glücklicher Isak! Glückliche Menschen auf Sellanraa!

Isak erwartet sehr bald, die Nachbarn von drunten ankommen zu sehen.
Axel Ström hat sehr viel Interesse, er kommt vielleicht schon morgen.
Aber Brede von Breidablick ist imstande und kommt noch heute nacht.
Isak hätte gar nichts dagegen, ihnen die Mähmaschine zu erklären
und darzutun, wie gut er sie in allem regieren kann. Er will darauf
hinweisen, daß man mit der Sense unmöglich so glatt und gleichmäßig
mähen könne. Aber was eine solche erstklassige blau und rote
Mähmaschine kostet, das ist auch gar nicht zu sagen!

Glücklicher Isak!

Aber als er die Maschine zum drittenmal anhält und wieder ölt, fällt
ihm wahrhaftig die Brille aus der Tasche. Und das schlimmste ist, daß
seine Söhne es gesehen haben. War eine höhere Macht dabei im Spiel, war
es eine Ermahnung, etwas weniger hochmütig zu sein? Er hatte ja auf dem
Heimweg oft die Brille aufgesetzt und die Gebrauchsanweisung studiert,
sie aber eben nicht verstanden, da hatte Eleseus eintreten müssen. Ach
Gott im Himmel, ja, Kenntnisse sind etwas Gutes! Und um sich selbst
zu demütigen, will Isak es nun aufgeben, Eleseus zum Landmann zu
machen, er wollte nicht mehr davon reden. Nicht, daß die Jungen aus
dem Mißgeschick mit der Brille eine große Sache gemacht hätten, im
Gegenteil; der Spaßvogel Sivert konnte zwar nicht an sich halten, nein,
das konnte er nicht, er zupfte Eleseus am Ärmel und sagte: Komm, jetzt
gehen wir hinein und verbrennen unsere Sensen; Vater mäht für uns! --
Dieser Scherz kam im rechten Augenblick.



Zweiter Teil



1


Sellanraa ist nicht länger eine unbewohnte Stätte, sieben Menschen
leben hier mit groß und klein. Aber während der kurzen Zeit der
Heuernte kam auch noch der eine oder andere Besuch dazu, Leute, die
gerne die Mähmaschine sehen wollten, Brede natürlich als der erste;
aber auch Axel Ström kam und die Nachbarn bis zum Dorf hinunter. Und
von der andern Seite des Gebirges kam Oline; sie war unverwüstlich.

Auch diesmal kam Oline nicht ohne Neuigkeiten aus ihrem Dorfe; sie
stellte sich nie leer ein: Jetzt war die Verrechnung von dem Nachlaß
des alten Sivert fertig geworden, und es blieb kein Vermögen übrig! Gar
keines!

Hier kniff Oline den Mund zusammen, und ihre Blicke schweiften gespannt
von einem zum andern. Na, tönte denn kein Seufzer durch die Stube,
fiel nicht die Decke ein? Eleseus war der erste, der lächelte. Wie
ist's denn, bist du nicht nach dem Ohm Sivert getauft? fragte er mit
gedämpfter Stimme. Und Klein-Sivert antwortete ebenso gedämpft: Doch.
Aber ich habe ja seinen ganzen Nachlaß dir verehrt. -- Wieviel war's
denn? -- Zwischen fünf- und zehntausend. -- Taler? rief Eleseus schnell
und machte Sivert genau nach.

Oline meinte, es sei jetzt nicht Zeit zu spaßen, ach, wie war sie
selbst geprellt worden, und sie hatte doch am Sarg des alten Sivert
ihre ganze zähe Willenskraft aufgeboten und Tränen geweint. Eleseus
wußte ja selbst am besten, was er geschrieben hatte: soundso viel
für Oline als Stab und Stütze für ihr Alter. Was war aus diesem Stab
geworden? Übers Knie gelegt und gebrochen.

Arme Oline, sie hätte wohl eine Kleinigkeit erben dürfen, das wäre der
einzige lichte Punkt in ihrem Leben gewesen! Sie war nicht verwöhnt.
Geübt im Bösen, jawohl, daran gewöhnt, sich von Tag zu Tag mit Kniffen
und kleinen Betrügereien durchzuschlagen, groß allein in der Kunst,
Klatsch zu verbreiten, ihre Zunge gefürchtet zu machen, jawohl.
Nichts hätte sie jetzt noch schlimmer machen können, eine Erbschaft
am allerwenigsten. Sie hatte ihr ganzes Leben lang gearbeitet,
hatte Kinder geboren und ihnen ihre eigenen paar Handfertigkeiten
beigebracht, hatte für sie gebettelt, vielleicht auch gestohlen,
aber sie doch ernährt -- eine Mutter in kleinen Verhältnissen. Ihre
Gaben waren nicht geringer als die Gaben anderer Politiker, sie
wirkte und schaffte für sich und die Ihrigen, richtete sich nach dem
Augenblick und brachte sich durch, verdiente ein Käschen da und eine
Handvoll Wolle dort und würde in alltäglicher und unaufrichtiger
Schlagfertigkeit leben und sterben. Oline -- vielleicht hatte sich der
alte Sivert an die Zeit erinnert, wo er sie noch als jung, rotwangig
und hübsch gekannt hatte. Aber nun war sie alt und häßlich, ein
Bild der Vergänglichkeit, sie sollte lieber tot sein. Wo wird sie
begraben? Sie besitzt kein eigenes Erbbegräbnis, wahrscheinlich wird
sie einmal in irgendeinem Kirchhof bei lauter fremden und unbekannten
Knochenresten unter den Boden gebracht, da wird sie einmal landen.
Oline, geboren und gestorben. Auch sie war einmal jung. Eine Erbschaft
für sie jetzt noch zur elften Stunde! Jawohl, ein einziger lichter
Punkt, und die Hände einer Sklavin der Arbeit würden sich für einen
Augenblick gefaltet haben. Die Gerechtigkeit hätte ihr noch einen
verspäteten Lohn gespendet, weil sie für ihre Kinder gebettelt,
vielleicht auch gestohlen, sie aber jedenfalls ernährt hatte. Für einen
Augenblick -- und wieder hätte Dunkel in ihr geherrscht, die Augen
hätten geschielt, die Hände gesucht und getastet: Wieviel ist es? würde
sie sagen. Was, nicht mehr? würde sie sagen. Und sie hätte wieder
recht. Sie war vielfache Mutter und verstand das Leben einzuschätzen,
das war großen Lohnes wert.

Alles schlug fehl. Die Rechnungen des alten Sivert waren jetzt, nachdem
Eleseus sie durchgesehen hatte, wohl einigermaßen in Ordnung, aber der
kleine Hof und die Kuh, der Bootsschuppen und das Großnetz deckten nur
knapp den Fehlbetrag in der Kasse. Und daß es überhaupt einigermaßen
so gut ging, wie es ging, das war zum Teil Oline zu verdanken; sie
war sehr versessen darauf, daß ein Rest für sie übrigbleibe, und so
zog sie vergessene Posten, von denen sie als alte Klatschbase wußte,
oder Posten, die der Revisor absichtlich übersehen hatte, um nicht
achtenswerte Dorfgenossen in Schaden zu bringen, ans Licht. Diese
verflixte Oline! Und sie beschuldigte nicht einmal den alten Sivert
selbst; er hatte ja sicherlich aus gutem Herzen testiert und hätte
auch reichlich Geld hinterlassen, jawohl; nein, die beiden Vertreter
der Kreisverwaltung, die die Sache zu ordnen hatten, die hatten sie
geprellt. Aber einst wird auch dies dem Allwissenden zu Ohren kommen!
sagte Oline drohend.

Merkwürdigerweise sah sie nichts Lächerliches darin, daß sie im
Testamente genannt war; das war trotz allem eine Ehre, niemand sonst
von den Ihrigen stand darin.

Die Leute auf Sellanraa trugen das Unglück mit Geduld, sie waren ja
auch nicht ganz unvorbereitet. Inger konnte es allerdings nicht recht
fassen: Der Oheim Sivert, der seiner Lebtag so reich gewesen ist!
sagte sie. -- Er hätte als aufrechter und reicher Mann vor den Thron
des Lammes treten können, aber sie haben ihn beraubt! behauptete
Oline. -- Isak war im Begriff, fortzugehen, und Oline sagte: Das ist
sehr dumm, Isak, daß du fort willst, so kriege ich ja die Mähmaschine
nicht zu sehen. Du hast doch eine Mähmaschine, nicht wahr? -- Jawohl.
-- Ja, jedermann spricht davon. Und daß sie rascher mäht als hundert
Sensen. Was du dir nicht alles anschaffen kannst, Isak, mit deinem
Geld und deinem Vermögen! Unser Pfarrer hat einen neuen Pflug mit zwei
Pflugscharen, aber was ist der Pfarrer neben dir! Das würde ich ihm
offen ins Gesicht sagen. -- Sivert kann dir mit der Maschine vormähen,
er kann es schon viel besser als ich, sagte Isak und ging fort.

Isak ging fort. Auf Breidablick ist Versteigerung gerade um die
Mittagsstunde, und er kann eben noch rechtzeitig hinkommen.

Nicht als ob Isak noch daran dachte, die Ansiedlung zu kaufen, aber das
ist nun die erste Versteigerung in der Gegend, und da will er dabeisein.

Als er bis nach Maaneland gekommen ist und Barbro da sieht, will er
nur grüßen und weitergehen, aber Barbro redet ihn an und fragt ihn, ob
er dort hinunter wolle? -- Ja, antwortet er und will weitergehen. Es
ist Barbros Kinderheimat, die versteigert wird, deshalb antwortet er
so kurz angebunden. -- Willst du zur Versteigerung? fragt sie. -- Zur
Versteigerung? Na, ich gehe eben einmal hinunter. Wo ist denn Axel? --
Axel? Ich weiß nicht, wo er ist. Er ist zur Versteigerung gegangen, er
will wohl auch dies oder jenes zu einem Spottpreis ergattern.

Wie dick doch Barbro war, und wie bissig, ganz rasend!

Die Versteigerung hat schon angefangen. Isak hört des Lensmanns Aufrufe
und sieht viele Leute. Als er näher kommt, sieht er, daß er nicht alle
kennt; es sind verschiedene Leute von auswärts da, aber Brede treibt
sich in seinem besten Anzug umher und ist lebhaft und gesprächig:
Guten Tag, Isak! So, du erweist mir auch die Ehre und kommst zu meiner
Versteigerung. Ich danke dir! Wir sind viele Jahre lang Nachbarn und
gute Freunde gewesen, und niemals hat es ein böses Wort zwischen uns
gegeben. -- Brede wird ganz gerührt: Es ist ja sonderbar, wenn man sich
vorstellt, daß man einen Ort verlassen soll, für den man gelebt und
gestrebt und den man liebgewonnen hat. Aber was hilft es, wenn es einem
nun einmal so bestimmt ist. -- Vielleicht wird es jetzt für dich viel
besser, tröstet Isak. -- Ja, weißt du, das glaube ich auch, erwiderte
Brede rasch gefaßt. Es ist mir nicht leid, durchaus nicht. Ich habe
hier auf dem Lande keine Seide gesponnen, das wird jetzt besser werden,
die Kinder werden größer und fliegen aus dem Nest -- na, die Frau
sorgt ja wieder für ein Kleines, aber trotzdem! Und plötzlich sagt
Brede klipp und klar: Ich habe den Telegraphen aufgekündigt. -- Was?
fragt Isak. -- Ich habe den Telegraphen aufgekündigt. -- Du hast den
Telegraphen aufgekündigt? -- Ja, zu Neujahr. Was soll ich weiter damit?
Und wenn ich im Verdienen wäre und den Lensmann oder den Pfarrer fahren
müßte, dann hätte immer der Telegraph zu allererst kommen müssen. Nein,
das gibt es nicht. Das kann einer machen, der überflüssige Zeit hat;
die Telegraphenlinie entlang rennen, über Berg und Tal für eine kleine
oder gar keine Bezahlung, das tut der Brede nicht! Und außerdem habe
ich mich mit dem Vorstand, der mein Vorgesetzter ist, verkracht.

Der Lensmann wiederholt immer noch die Angebote auf die Ansiedlung,
und sie haben nun die wenigen hundert Kronen erreicht, die das Gut
geschätzt wird, deshalb werden jetzt nur noch fünf oder zehn Kronen
mehr auf einmal geboten. Ich glaube wahrhaftig, jetzt bietet der Axel!
sagt Brede plötzlich und eilt neugierig zu ihm hinüber. Willst du
meinen Hof kaufen? Ist dir deiner nicht groß genug? -- Ich biete für
einen andern Mann, erwidert Axel etwas ausweichend. -- Na ja, das
ist mir einerlei, so ist das nicht gemeint. -- Der Lensmann hebt den
Hammer, ein neues Gebot wird gemacht, hundert Kronen mehr auf einmal;
niemand geht höher, der Lensmann nennt das letzte Angebot noch ein
paarmal, wartet eine Weile mit erhobenem Hammer und schlägt dann zu.

Wer hatte geboten?

Axel Ström. Für einen andern Mann.

Der Lensmann schreibt ins Protokoll: Axel Ström pr. Kommission.

Für wen kaufst du? fragte Brede. Nicht, als ob es mir nicht ganz
einerlei wäre.

Aber nun stecken einige Herren am Tische des Lensmannes die Köpfe
zusammen. Da sitzt ein Vertreter der Bank, der Kaufmann ist, mit seinem
Ladendiener da, etwas hat sich ereignet, die Forderungen der Gläubiger
sind nicht gedeckt! Brede wird gerufen, leicht und sorglos kommt er
daher und nickt nur, jawohl, ganz derselben Ansicht. Wer hätte auch
denken können, daß der Hof nicht mehr bringen werde, sagte er. Und
plötzlich verkündet er allen Anwesenden mit lauter Stimme: Da wir nun
mit der Versteigerung fertig sind und ich doch einmal den Lensmann
herbemüht habe, so will ich alles verkaufen, was ich hier habe. Den
Wagen, die Tiere, eine Mistgabel, den Schleifstein, das brauche ich
alles nicht mehr, ich verkaufe Rump und Stump.

Geringe Angebote. Bredes Frau, auch sie leichtfüßig und sorglos, trotz
ihres ungeheuren Umfangs, hat inzwischen begonnen, an einem Tisch
Kaffee zu verkaufen; sie findet diese Beschäftigung unterhaltend, sie
lächelt, und als Brede selbst kommt und Kaffee trinkt, verlangt sie zum
Spaß auch von ihm Bezahlung. Und Brede zieht wirklich seinen mageren
Beutel und bezahlt. Seht doch nur die Frau an! sagt er zu der ganzen
Versammlung. Sie versteht's! sagt er.

Der Wagen ist nicht viel wert, er hat zu oft unter freiem Himmel
gestanden; aber Axel bietet schließlich noch ganze fünf Kronen mehr
und ersteht auch den Wagen. Dann kauft Axel nichts mehr. Aber alles
verwundert sich, daß der vorsichtige Mann so viel gekauft hat.

Nun ging's an die Tiere. Sie standen heute im Stall, um in der Nähe zu
sein. Was sollte Brede mit Tieren, wenn er kein Weideland mehr dafür
hatte! Kühe hatte er gar nicht, er hatte seine Landwirtschaft mit zwei
Geißen begonnen, jetzt hatte er vier. Außerdem hatte er sechs Schafe.
Ein Pferd besaß er nicht.

Isak kaufte ein gewisses Schaf mit flachen Ohren. Als Bredes Kinder
dieses Schaf aus dem Stall herausführten, bot er sofort darauf; das
erregte Aufmerksamkeit; Isak von Sellanraa war ja ein reicher und
angesehener Mann, der brauchte doch nicht noch mehr Schafe, als er
schon hatte. Bredes Frau hält einen Augenblick mit ihrem Kaffeeverkauf
inne und sagt: Zu diesem Schaf kann man dir nur zureden, Isak; es ist
zwar alt, aber es wirft jedes Jahr zwei oder drei Lämmer. -- Ja, das
weiß ich, erwidert Isak und sieht sie voll an. Ich kenne das Schaf.

Er macht sich mit Axel Ström zusammen auf den Heimweg und führt sein
Schaf am Strick. Axel ist schweigsam, und irgend etwas scheint ihn zu
wurmen, was es nun auch sein mag. Aber er hat doch eigentlich keine
äußere Ursache, niedergeschlagen zu sein, denkt Isak. Seine Wirtschaft
ist in gutem Stande, er hat das meiste Futter schon hereingebracht, und
er ist eben dabei, sein Wohnhaus aufzurichten. Es geht bei Axel Ström,
wie es gehen soll, ein wenig langsam, aber sicher. Jetzt hat er sich
auch ein Pferd angeschafft.

Du hast Bredes Hof gekauft, sagt Isak. Willst du ihn bewirtschaften? --
Nein, ich will ihn nicht bewirtschaften. Ich habe ihn für einen andern
gekauft. -- So. -- Was meinst du, habe ich zuviel bezahlt? -- O nein.
Er hat gute Moore, wenn sie entwässert werden. -- Ich habe den Hof für
meinen Bruder in Helgeland gekauft. -- So. -- Aber ich habe so halb und
halb daran gedacht, mit ihm zu tauschen. -- Du willst mit ihm tauschen?
-- Wenn Barbro lieber da unten wohnen möchte.

Schweigend gehen sie ein gutes Stück. Dann sagt Axel: Man ist
sehr hinter mir her, ich soll den Telegraphen übernehmen. -- Den
Telegraphen? So. Ja, ich habe gehört, der Brede habe ihn aufgekündigt.
-- So, antwortet Axel lächelnd; das ist nicht ganz genau so gewesen,
ihm, dem Brede, ist aufgekündigt worden. -- Ja, ja, sagte Isak und
versuchte Brede ein wenig zu entschuldigen; der Telegraph nimmt viel
Zeit weg. -- Sie haben ihm zu Neujahr gekündigt, wenn er sich nicht
bessere. -- So. -- Meinst du nicht, ich könnte den Posten übernehmen?
-- Isak dachte lange nach und antwortete dann: Ja, ja, das bringt Geld.
-- Sie wollen mir mehr geben. -- Wieviel? -- Das Doppelte. -- Das
Doppelte? Ja, dann meine ich, du könntest es dir überlegen. -- Aber die
Strecke ist etwas länger geworden. Nein, ich weiß doch nicht, was ich
tun soll; es läßt sich jedoch jetzt weniger aus dem Wald herausschlagen
als zu deiner Zeit, und ich muß mir noch mehr Geräte anschaffen, ich
habe jetzt zu wenig. An bar Geld fehlt es immer, und mein Viehstand ist
nicht so groß, daß ich davon verkaufen könnte. Ich meine, ich sollte
es einmal ein Jahr mit dem Telegraphen versuchen ... Keinem der beiden
fiel es ein, daß Brede sich bessern und seinen Posten behalten könnte.

Als sie nach Maaneland kamen, ist auch Oline auf ihrem Heimweg dort
angelangt, ja, Oline ist merkwürdig, sie kriecht fett und rund daher
wie eine Raupe und ist doch über siebzig Jahre, aber sie kommt weiter.
Sie sitzt in der Gamme und trinkt Kaffee, aber als sie die Männer
gewahr wird, läßt sie alles liegen und stehen und kommt heraus. Guten
Tag, Axel, zurück von der Versteigerung? fragt sie. Du hast doch nichts
dagegen, daß ich Barbro einen Besuch mache? Und du baust ein Wohnhaus
und wirst ein immer größerer Herr? Du hast ein Schaf gekauft, Isak?
-- Ja, erwidert Isak, kommt es dir nicht bekannt vor? -- Ob es mir
bekannt vorkommt? Nein. -- Es hat aber doch diese flachen Ohren, sieh
nur. -- Flache Ohren, wieso denn? Und wenn auch? Ja, was ich sagen
wollte: Wer hat denn Bredes Hof gekauft? Eben habe ich zu der Barbro
gesagt, wer wohl ihr Nachbar werden würde, habe ich gesagt. Die arme
Barbro sitzt nur da und weint, wie nicht anders zu erwarten ist. Aber
der Allmächtige hat ihr eine zweite Heimat hier auf Maaneland beschert.
Flache Ohren? Ich habe in meinem Leben schon viele Schafe mit flachen
Ohren gesehen. Und das ist wahr, Isak, diese Maschine, die du hast, ist
fast mehr als meine alten Augen fassen können. Und was sie gekostet
hat, danach will ich lieber gar nicht fragen, so hoch kann ich gar
nicht zählen. Wenn du sie gesehen hast, Axel, dann weißt du, was ich
meine, es war mir, als sähe ich Elias in seinem feurigen Wagen; Gott
verzeih mir die Sünde ...

Als das Heu unter Dach war, fing Eleseus an, sich zur Abreise zu
rüsten. Er hatte dem Ingenieur geschrieben, er komme jetzt wieder, aber
darauf die sonderbare Antwort erhalten, daß die Zeiten schlecht seien,
man müsse sich einschränken, der Ingenieur könne den Posten nicht mehr
besetzen und müsse von nun an alles selbst schreiben.

Das war doch eine verfluchte Sache! Aber wozu brauchte auch dieser
Bezirksingenieur einen Schreiber? Damals, als er den kleinen Jungen
Eleseus von seinem Elternhaus wegnahm, wollte er sich wohl nur als
großer Mann in der Gegend zeigen, und wenn er ihn bis über die
Konfirmation genährt und gekleidet hatte, so hatte er auch ein wenig
Hilfe auf dem Büro dafür gehabt. Jetzt war der Junge erwachsen, nun war
es eine andere Sache.

Aber, schrieb der Ingenieur, wenn Du zurückkommst, so will ich tun, was
ich kann, um Dich auf einem anderen Büro unterzubringen, obgleich es
wahrscheinlich schwierig sein wird. Es gibt so überflüssig viele junge
Leute hier, die diese Laufbahn einschlagen. Freundliche Grüße.

Gewiß wollte Eleseus zurück in die Stadt, ja, ganz zweifellos. Sollte
er sich wegwerfen? Er wollte doch weiterkommen in der Welt. Und Eleseus
sagte den Seinigen nichts von der veränderten Sachlage; das führte
doch zu nichts, und außerdem war er etwas schlapp, also schwieg er.
Das Leben auf Sellanraa wirkte wieder auf ihn, es war ein ruhmloses
und alltägliches Dasein, es war ruhig und einschläfernd, man wurde ein
Träumer, da war niemand, vor dem er sich hätte aufspielen, niemand,
mit dem er sich hätte messen können. Das Stadtleben hatte sein Wesen
gespalten, hatte ihn vornehmer gemacht als die andern, aber auch
schwächer, er fühlte sich jetzt eigentlich überall heimatlos. Daß er
wieder anfing, den Geruch des Rainfarn angenehm zu finden -- nun gut!
Aber es hatte doch keinen Sinn, wenn ein Bauernjunge, der abends seine
Mutter die Kühe melken hörte, dabei auf folgenden Gedanken kam: Jetzt
wird gemolken, hör doch nur, es ist beinahe wunderbar anzuhören, es
ist wie eine Art Lied, in lauter einzelnen Strahlen, ganz anders als
die Hornmusik in der Stadt oder die Heilsarmee oder die Pfeife des
Dampfschiffs. Der Milchstrahl, der in ein Gefäß rinnt ...

Es war nicht Brauch auf Sellanraa, seine Gefühle sehr zu zeigen, und
Eleseus fürchtete sich vor dem Augenblick des Abschieds. Er war jetzt
gut ausgestattet, er sollte wieder einen Ballen Leinwand zu Unterzeug
mitbekommen, und der Vater hatte Geld bereitgelegt, das Eleseus
eingehändigt werden sollte, wenn er die Schwelle überschritt. Geld --
konnte Isak wirklich Geld entbehren? Aber es ging nicht anders, Inger
deutete ja an, daß es zum letztenmal sei. Eleseus werde bald aufrücken
und für sich selbst sorgen. -- So, sagte Isak. -- Die Stimmung wurde
feierlich, im Hause wurde es still, alle hatten zum Abschiedsessen ein
gekochtes Ei bekommen, und Sivert stand schon draußen, fertig gerüstet,
mitzugehen und das Gepäck zu tragen. Eleseus konnte mit dem Abschied
anfangen.

Er fing bei Leopoldine an. Ja, sie sagte ihm auch Lebewohl und machte
das recht nett. Ebenso wiederholte die Magd Jensine, die eben Wolle
kardätschte, den Abschiedsgruß. Aber beide Mädchen glotzten ihn ganz
verflucht an, nur weil er vielleicht ein klein wenig rote Augen hatte.
Er reichte seiner Mutter die Hand, und sie weinte natürlich laut auf
und kümmerte sich den Henker darum, daß er das Weinen nicht leiden
konnte. Laß dir's gut gehen! schluchzte sie. Der Abschied vom Vater war
der schlimmste, unbedingt, aus tausend Gründen: er war so abgearbeitet
und so unendlich getreu, hatte die Kinder auf den Armen getragen, ihnen
von Möwen und anderen Vögeln erzählt und von Tieren und allen Wundern
des Feldes. Das war gar nicht lange her, ein paar Jahre ...

Der Vater steht am Fenster, dann dreht er sich plötzlich um, ergreift
die Hand des Sohnes und sagt laut und ärgerlich: Ja, ja, leb wohl!
Ich sehe, das neue Pferd hat sich dort losgerissen! Und hinaus
läuft er und rennt davon. Ach, und er hatte sich ja selbst kurz
vorher hingeschlichen und das Pferd losgebunden, und das wußte der
Spitzbube Sivert recht gut, der draußen stand und dem Vater lächelnd
nachschaute. Und außerdem war ja das Pferd auf der Nachmahd.

Dann war Eleseus fertig.

Doch da kam ihm die Mutter auf die Türschwelle nach, schluchzte noch
mehr und sagte: Gott sei mit dir! und drückte ihm etwas in die Hand.
Dies hier -- und du sollst ihm nicht danken, das mag er nicht. Und
schreib auch fleißig!

Zweihundert Kronen.

Eleseus sah hinüber. Der Vater strengte sich ungeheuer an, einen
Tüderpflock in die Erde zu rammen, was ihm anscheinend gar nicht
gelingen wollte, obgleich es doch weicher Wiesengrund war.

Die Brüder schritten fleißig aus, sie kamen nach Maaneland, da stand
Barbro auf der Schwelle und lud sie ins Haus ein. Gehst du wieder fort,
Eleseus? Dann mußt du aber hereinkommen und wenigstens eine Tasse
Kaffee trinken.

Sie gehen in die Gamme, und Eleseus ist nicht mehr verrückt vor
Liebe und will zum Fenster hinausspringen oder Gift nehmen, nein, er
legt seinen hellen Überrock über die Knie und sorgt dafür, daß das
silberne Schild obenhin zu liegen kommt, danach fährt er sich mit dem
Taschentuch übers Haar, und dann macht er die sehr feine Bemerkung: Ein
klassisches Wetter heute!

Barbro hat auch nicht die Fassung verloren, sie spielt mit ihrem
silbernen Ring an der einen Hand und mit dem goldenen an der andern
-- ja, sie hatte wahrhaftig jetzt auch den goldenen Ring bekommen --,
und sie hat eine Schürze an, die vom Hals bis zu den Füßen geht, so
sieht man ihr wenigstens ihre Rundlichkeit nicht an. Und nachdem sie
den Kaffee gekocht hat und während die Gäste ihn trinken, näht sie erst
ein bißchen an einem weißen Tuch und häkelt dann ein bißchen an einem
Kragen und betreibt allerlei jungfrauenhafte Arbeiten. Barbro ist nicht
in Verlegenheit über den Besuch, und das ist gut, dadurch wird der Ton
natürlich, und Eleseus kann wieder so obenhin und einnehmend tun.

Wo ist denn Axel? fragt Sivert.

Wo er ist? Irgendwo, antwortet Barbro und richtet sich auf. Ja, jetzt
kommst du wohl nie wieder heim aufs Land? fragt sie Eleseus. -- Das
ist höchst unwahrscheinlich, erwidert er. -- Hier ist nicht der rechte
Ort für jemand, der an die Stadt gewöhnt ist. Ich wäre froh, wenn ich
mit dir reisen könnte. -- Ach, das ist dir nicht Ernst. -- Nicht,
meinst du? Oh, ich habe es erfahren, wie es ist, wenn man in der
Stadt wohnt, und wie es auf dem Lande ist. Ich bin in einer größeren
Stadt gewesen als du. Da ist es kein Wunder, wenn es mir hier nicht
gefällt. -- Gewiß, so habe ich es nicht gemeint, du bist ja sogar in
Bergen gewesen, beeilte er sich zu sagen. Es war ja schrecklich, wie
hochfahrend sie war! -- Ja, wenn ich die Zeitung nicht hätte, so liefe
ich sofort davon, sagte Barbro. -- Aber der Axel und alles miteinander,
das habe ich gemeint. -- Ach, der Axel, das ginge mich nichts an.
Und du selbst, hast du nicht vielleicht jemand in der Stadt, der auf
dich wartet? -- Nun konnte Eleseus nicht anders, er mußte sich ein
wenig aufspielen, er kniff die Augen zu und ließ es auf der Zunge
zerschmelzen: daß er allerdings doch vielleicht jemand in der Stadt
habe, der auf ihn warte. Ach ja, aber er hätte das alles noch ganz
anders ausnützen können, wenn Sivert nicht dabeigesessen hätte; so
konnte er nur sagen: Ach, Unsinn! -- Na, sagte sie verletzt, und es war
eigentlich eine Schande, wie übellaunig sie war: Unsinn! Ja, du kannst
von den Leuten auf Maaneland nicht mehr erwarten, wir sind nicht so
großartig.

Aber Eleseus kümmerte sich den Henker um sie, sie war recht fleckig im
Gesicht geworden, und ihr Zustand war jetzt sogar seinen Kinderaugen
aufgegangen. -- Willst du nicht ein wenig Gitarre spielen? fragte er.
-- Nein, erwiderte sie kurz angebunden. Was ich sagen wollte, Sivert,
kannst du nicht kommen und Axel ein paar Tage beim Aufrichten des neuen
Hauses helfen? Wie wär's, wenn du gleich morgen dabliebst, wenn du
vom Dorf zurückkommst? -- Sivert überlegte: Ja, aber ich habe keinen
Arbeitsanzug da, sagte er. -- Ich will heut abend hinlaufen und deine
Werktagskleider holen, daß du sie hast, wenn du zurückkommst. -- Na ja,
sagte Sivert, ich will mir's überlegen. -- Barbro wurde unnötig eifrig.
Du mußt es aber gern tun! Der Sommer vergeht, und das Wohnhaus sollte
noch vor den Herbsttagen aufgerichtet und gedeckt sein. Axel hat dich
schon oft darum bitten wollen, aber er kommt immer nicht dazu. Nein, du
mußt uns diese Handreichung gern tun. -- Wenn ich etwas helfen kann,
dann tu ich es auch gern, erwiderte Sivert.

Das war also abgemacht.

Aber nun ist Eleseus wirklich berechtigt, sich beleidigt zu fühlen.
Er sieht ja ein, daß es von Barbro recht klug ist, wenn sie um ihrer
selbst und um Axels willen darauf aus ist, Hilfe für den Hausbau
zu bekommen; aber sie tut das zu offenkundig. Sie ist noch nicht
die Hausfrau auf dem Hofe, und es ist noch keine Ewigkeit her, seit
er selbst sie geküßt hat, dieses Frauenzimmer! Hatte sie denn gar
keine Scham im Leibe? -- Doch, sagt er darum plötzlich, ich werde
wiederkommen und bei dir Gevatter stehen. -- Barbro warf ihm einen
Blick zu und sagte ärgerlich: Gevatter? Und du willst von Unsinn
sprechen! Außerdem werde ich dir Nachricht schicken, wenn ich einmal
um einen Gevatter verlegen sein sollte. -- Was konnte Eleseus anderes
tun, als beschämt lächeln und sich weit weg wünschen! -- Besten Dank
für den Kaffee, sagte Sivert. -- Ja, Dank für den Kaffee, sagte auch
Eleseus, aber er stand nicht auf und verbeugte sich auch nicht, nein,
zum Henker; sie schwoll ja vor Gift und Galle!

Laß doch einmal sehen, sagte Barbro. Ja, die Kontorherren, bei denen
ich war, die hatten auch silberne Schildchen in den Röcken, noch viel
größere, sagte sie. Nun, also du kommst zurück und bleibst hier über
Nacht, Sivert? Ich hole deine Kleider.

Das war der Abschied.

Die Brüder gingen weiter, Eleseus hatte zwei große Banknoten in der
Brusttasche, und die Barbro konnte seinetwegen der Kuckuck holen. Die
Brüder hüteten sich wohl, auf irgendeinen rührenden Gesprächsstoff zu
kommen, auf des Vaters sonderbaren Abschied und der Mutter Tränen, sie
machten einen Umweg um Breidablick herum, um dort nicht angehalten zu
werden, und führten scherzhafte Reden über diesen Streich. Als sie so
weit hinuntergekommen waren, daß sie das Dorf sehen konnten, wo Sivert
umdrehen sollte, übermannte es sie beide doch ein wenig. Sivert sagte:
Es kann wohl sein, daß es jetzt ohne dich ein wenig einförmig wird.
-- Da fing Eleseus an zu pfeifen und seine Schuhe zu untersuchen, und
er sah, daß er einen Spreißel im Finger hatte, und suchte in seinen
Taschen -- nach Papieren, sagte er --, oh, wie schlau! Aber es wäre
dennoch schlimm gegangen, wenn nicht Sivert sie beide gerettet hätte:
Den Letzten! rief er, gab dem Bruder einen Schlag auf den Rücken und
lief davon. Das half, sie riefen einander noch einige Abschiedsworte
zu, und dann zog jeder seines Weges.

Schicksal oder Glückszufall! Eleseus kehrte trotz allem in die Stadt
zurück auf einen Posten, den er nicht mehr innehatte, aber durch
dieselbe besondere Fügung bekam Axel Ström einen Arbeiter. Am 21.
August fingen sie an das Blockhaus aufzurichten, und zehn Tage später
war es unter Dach. Ach, es war kein großartiges Wohnhaus und nur
ein paar Balkenlagen hoch, aber es war doch ein Blockhaus und keine
Erdhütte, und das Vieh konnte nun in dem Raum, der seither menschliche
Wohnung gewesen war, einen herrlichen Winterstall bekommen.



2


Am dritten September verschwand Barbro, das heißt, ganz verschwand
sie nicht, sie war nur bei den Gebäuden nirgend zu finden. Axel
schreinerte, so gut er konnte, er war dabei, ein Fenster und eine Tür
in den Neubau einzusetzen, und war sehr in seine Arbeit vertieft.
Als aber die Mittagszeit vorbei war und man ihn immer noch nicht
hineinrief, ging er in die Gamme. Niemand war da. Er suchte sich selbst
etwas Essen zusammen und schaute sich um, während er aß; Barbros
Kleider hingen alle da, sie konnte also nur draußen irgendwo sein. Er
ging wieder an seine Arbeit im Neubau und schaffte dort eine Weile,
dann schaute er wieder in die Gamme -- noch immer niemand da. Sie mußte
irgendwo liegengeblieben sein.

Barbro! ruft er. Nichts. Er sucht in der Umgebung der Häuser, geht
hinüber zu einigen Gebüschen bei den Feldern, er sucht lange,
vielleicht eine Stunde, er ruft -- nichts! Endlich findet er sie weit
entfernt; sie liegt auf der Erde hinter Gebüsch versteckt, der Bach
läuft an ihren Füßen vorbei, sie ist barhäuptig und barfuß, und sie ist
bis in den Rücken hinauf tropfnaß.

Hier liegst du? sagt er. Warum hast du keine Antwort gegeben? -- Ich
konnte nicht, flüsterte sie und war stockheiser. -- Was -- hast du
denn im Wasser gelegen? -- Ja, ich bin ausgeglitten. Oh! -- Ist dir
schlecht? -- Ja. Es ist vorbei. -- Ist es vorbei? fragt er. -- Ja.
Jetzt mußt du mir helfen, daß ich nach Hause komme. -- Wo ist --? --
Was? -- Wo ist das Kind? -- Es war tot. -- War es tot? -- Ja.

Axel rührt sich nicht, er bleibt stehen. Wo ist es? fragt er.

Das brauchst du nicht zu wissen, erwidert sie. Hilf mir nach Hause. Es
war tot. Ich kann selbst gehen, wenn du mich nur ein wenig unter dem
Arme faßt.

Axel trägt sie nach Haus und setzt sie auf einen Stuhl, das Wasser
läuft an ihr herab. -- Ist es tot gewesen? fragt er. -- Du hörst es ja,
erwidert sie. -- Wo hast du es? -- Du willst es wohl ausschnüffeln?
Hast du etwas zu essen gefunden, während ich fort war? -- Was wolltest
du denn dort am Bach? -- Was ich am Bach wollte? Ich wollte Wacholder
holen. -- Wacholder? -- Für die Milcheimer. -- Dort wächst doch kein
Wacholder, sagt er. -- So geh doch an deine Arbeit! ruft sie heiser und
ungeduldig. Was ich am Bach wollte? Ich wollte mir Besenreis holen.
Ob du gegessen hast? frag ich. -- Gegessen? wiederholte er. Ist es
dir sehr schlecht? -- Ach nein! -- Ich will den Doktor holen. -- Ja,
untersteh dich! erwidert sie. Damit steht sie auf und fängt an, sich
trockene Kleider zum Umziehen herbeizuholen. Weißt du sonst gar nicht,
wie du dein Geld wegwerfen sollst?

Axel geht wieder an seine Arbeit, verrichtet indes nicht viel; aber
er klopft ein wenig und hobelt ein wenig, damit ihn Barbro hört;
schließlich keilt er das Fenster ein und dichtet es mit Moos.

Am Abend hat Barbro nicht viel Hunger, aber sie arbeitet hier ein wenig
und dort ein wenig, sie geht in den Stall und melkt und steigt nur
etwas vorsichtiger als sonst über die hohen Schwellen. Wie gewöhnlich,
legte sie sich im Heustall schlafen, und die beiden Male, die Axel
während der Nacht nach ihr schaute, schlief sie fest. Sie hatte eine
gute Nacht.

Am nächsten Morgen war Barbro beinahe wie sonst, nur gänzlich stimmlos
vor Heiserkeit, und sie hatte sich einen langen Strumpf um den Hals
gewickelt. Sie konnten nichts miteinander reden. Die Tage vergingen,
und das Ereignis wurde alt, andere Dinge traten in den Vordergrund.
Der Neubau sollte eigentlich leer stehen, daß die Balken sich setzen
konnten, damit das Haus dicht und zugfrei werde, aber es blieb keine
Zeit, das abzuwarten, es mußte sofort beziehbar gemacht und der Stall
eingerichtet werden. Nachdem dies geschehen und der Umzug vollendet
war, wurden die Kartoffeln herausgenommen und nachher das Korn
geschnitten. Das Leben lief im gewohnten Geleise.

Aber an vielen kleinen und großen Dingen merkte Axel, daß ihre
Beziehungen lockerer geworden waren, Barbro fühlte sich in Maaneland
jetzt nicht mehr zu Hause und auch nicht mehr gebunden als jedes andere
Dienstmädchen. Das Band zwischen ihnen hatte sich gelockert, als das
Kind starb. Axel hatte immer so großartig gedacht: Warte nur, bis das
Kind da ist! Aber das Kind kam und ging wieder. Zuletzt legte Barbro
auch noch die Fingerringe ab und trug keinen mehr davon. -- Was soll
das bedeuten? fragte er. -- Was das bedeuten soll? sagte sie und warf
den Kopf zurück.

Aber das konnte doch nichts anderes als Arglist und Verrat von ihrer
Seite sein.

Jetzt hatte er die kleine Leiche am Ufer des Baches gefunden. Nicht
als ob er weiter danach gesucht hätte, er wußte ja beinahe genau das
Plätzchen, wo sie liegen mußte, aber er ließ es träge auf sich beruhen.
Der Zufall wollte, daß er es nicht ganz vergaß: Vögel fingen an, über
dieser Stätte zu kreisen, schreiende Elstern und Raben und eine Weile
später auch ein Adlerpaar in schwindelnder Höhe. Es war gerade, als ob
zuerst eine einzelne Elster gesehen hätte, daß hier etwas niedergelegt
worden war, und als ob sie dann auch gerade wie ein Mensch nicht
darüber hätte schweigen können, sondern hätte darüber schwatzen müssen.
Dadurch wurde auch Axel aus seiner Gleichgültigkeit geweckt, und er
wartete einen passenden Augenblick ab, sich hinzuschleichen. Er fand
die Leiche unter Moos und Zweigen und ein paar Steinplatten in ein
Tuch, einen großen Lappen, gewickelt. Mit einer Mischung von Neugier
und Grausen öffnete er das Bündel ein wenig -- geschlossene Augen,
dunkle Haare, ein Junge, gekreuzte Beine, mehr sah er nicht. Der Lappen
war naß gewesen und war halb getrocknet, das Ganze sah aus wie ein halb
ausgewundenes Bündel von Wäsche.

Axel konnte die Leiche nicht so offen liegenlassen, im Innersten
hatte er wohl auch Angst für sich selbst und für sein Haus; er lief
heim, holte einen Spaten und machte das Grab tiefer; aber da es so
nah am Bach war, sickerte das Wasser herein, und er mußte weiter oben
am Hügel ein neues Grab schaufeln. Währenddem schwand seine Furcht,
Barbro könnte kommen und ihn hier finden, er wurde trotzig und dachte,
seinetwegen könne sie wohl kommen, ja, dann könnte sie, bitte, die
kleine Leiche nett und ordentlich einhüllen, ob das Kind nun totgeboren
war oder nicht. Er sah sehr wohl ein, was er mit dem Tode dieses Kindes
verloren, daß er nun alle Aussicht hatte, in seinem Neubau ohne Hilfe
zu sitzen, und zwar gerade jetzt, wo sein Viehstand mehr als dreimal
so groß war wie vorher. Bitte schön, es wäre gar nicht zu viel, wenn
sie käme! Aber Barbro -- es kann gut sein, daß sie entdeckt hatte,
womit er beschäftigt war, jedenfalls kam sie nicht, er mußte selbst die
kleine Leiche einhüllen, so gut er konnte, und sie in das neue Grab
legen. Dann breitete er schließlich die Rasenstücke wieder darüber und
verwischte jede Spur; nun war nichts weiter zu sehen als ein kleiner
grüner Hügel im Gebüsch.

Als er heimkehrte, traf er Barbro im Hofe. Wo bist du gewesen? fragte
sie. -- Die Bitterkeit in seinem Herzen hatte sich wohl verloren, denn
er antwortete: Nirgends. Wo bist denn du gewesen? Aber Barbro las wohl
eine Warnung aus seinem Gesichtsausdruck, sie ging ins Haus, ohne noch
ein Wort zu sagen.

Axel ging ihr nach.

Was soll denn das bedeuten, daß du deine Fingerringe nicht mehr trägst?
fragte er geradezu. -- Vielleicht fand sie es am ratsamsten, ein klein
wenig nachzugeben, sie lachte und sagte: Du bist so grimmig, daß ich
lachen muß. Wenn du aber willst, daß ich die Ringe zuschanden arbeite,
wenn ich sie werktags trage, so kann ich es ja tun! Damit suchte sie
sie hervor und steckte sie an.

Aber nun sah sie wohl, daß sein Gesicht einen dumm-zufriedenen Ausdruck
annahm, und sie fragte dreist: Hast du noch mehr an mir auszusetzen? --
Ich habe nichts an dir auszusetzen, erwiderte er. Du sollst nur wieder
sein, wie du früher gewesen bist, ganz zu Anfang, als du herkamst.
Das meine ich. -- Es ist nicht so leicht, immer gleich zu sein, sagte
sie. -- Er fuhr fort: Daß ich deines Vaters Gut kaufte, geschah nur
deshalb, daß wir dorthin ziehen könnten, wenn du lieber dort wohnen
möchtest. Was meinst du dazu? -- Ho, nun hatte er verspielt, oh, er
hatte nur Angst, er könnte seine weibliche Hilfe verlieren und mit
seinem Viehstand und seinem Haushalt allein bleiben, das merkte sie
gut. -- Das hast du schon einmal gesagt, erwiderte sie abweisend. --
Jawohl, aber ich habe keine Antwort erhalten. -- Antwort? sagte sie.
Ich ertrage es nicht, das noch einmal zu hören.

Axel meinte, er sei ihr weit entgegengekommen. Er hatte die Familie
Brede weiter auf Breidablick wohnen lassen, und obgleich er den
kleinen Ertrag mit dem Gut gekauft hatte, so hatte er doch nur einige
Fuhren Heu eingeführt und die Kartoffeln der Familie überlassen. Es war
eine große Ungereimtheit von Barbro, jetzt böse zu werden, aber ihr war
das ganz einerlei; sie fragte, als ob sie tief gekränkt wäre: Sollten
wir nach Breidablick ziehen und meine ganze Familie obdachlos machen?

Hörte er denn recht? Mit offenem Mund saß er da, dann fing er an zu
schlucken, als bereite er sich zu einer langen Antwort vor, aber es
wurde nichts daraus, und er fragte nur: Ziehen sie denn nicht ins Dorf?
-- Das weiß ich nicht, erwiderte sie. Hast du ihnen vielleicht dort
eine Wohnung gemietet?

Axel wollte nicht weiter mit ihr rechten, aber er konnte doch nicht
ganz verschweigen, daß sie ihn einigermaßen in Verwunderung gesetzt
habe, und so sagte er: Du wirst immer halsstarriger und verstockter,
aber du meinst es nicht so. -- Ich meine alles, was ich sage,
entgegnete sie. Und nun sag mir einmal, warum konnten meine Leute nicht
lieber hierher ziehen? Dann hätte ich doch etwas Hilfe von meiner
Mutter gehabt. Aber du meinst ja, ich hätte nicht so viel zu tun, daß
ich Hilfe brauche.

Sie hatte damit natürlich einigermaßen recht, aber auch sehr viel
unrecht: Die Familie Brede hätte ja dann in der Gamme wohnen müssen,
und Axel hätte wieder nicht gewußt, wohin mit seinem Vieh. Wo wollte
sie denn hinaus, fehlte ihr denn aller Sinn und Verstand? -- Ich will
dir etwas sagen, es ist besser, du bekommst eine Magd. -- Jetzt im
Winter, wo es nicht mehr so viel zu tun gibt? Nein, ich danke. Damals,
als ich eine brauchte, da hätte ich eine bekommen sollen, jawohl.

Wieder hatte sie einigermaßen recht: sie hätte eine Magd haben müssen,
als sie nicht wohl und in gesegneten Umständen war. Aber Barbro war ja
niemals mit ihrer Arbeit im Rückstand geblieben, sie war eigentlich
jetzt ebenso flink und tüchtig, tat alles, was geschehen mußte, und
ließ niemals ein Wort von einer Magd verlauten. Aber sie hätte eine
haben sollen. Ja, dann verstehe ich es nicht, sagte er mutlos.

Schweigen.

Dann fragte Barbro: Ich habe sagen hören, du wollest den Telegraphen
übernehmen, den mein Vater hat? -- Wieso, wer hat das gesagt? -- Es
geht das Gerede. -- Ja, es ist nicht unmöglich, erklärte Axel. -- So.
-- Warum fragst du? -- Ich frage, weil du meinem Vater Haus und Hof
abgenommen hast und ihm nun auch noch seinen Lebensunterhalt nehmen
willst.

Schweigen.

Aber nun wollte sich Axel doch nicht noch mehr gefallen lassen, und er
rief: Ich will dir etwas sagen, du bist das gar nicht wert, was ich für
dich und die Deinen tue.

So, sagte Barbro.

Nein! rief er und schlug mit der Faust auf den Tisch. Dann stand er auf.

Du brauchst nicht zu meinen, daß du mir Angst machen kannst, piepste
sie mit schwacher Stimme und drückte sich näher an die Wand.

Dir Angst machen! machte er ihr nach und blies verächtlich. Aber jetzt
ist es Ernst, und ich will wissen, wie es mit dem Kind gewesen ist.
Hast du es ertränkt?

Ertränkt?

Ja, es ist doch im Wasser gewesen.

So, du hast das gesehen? sagte sie. Du hast wohl -- daran gerochen,
hätte sie beinahe gesagt, wagte es aber nicht, denn es war vielleicht
jetzt gerade nicht mit ihm zu spaßen. Du hast es also gesehen?

Ich habe gesehen, daß es im Wasser gelegen hat.

Ach, das hast du wohl sehen dürfen, versetzte sie. Es wurde im Wasser
geboren, ich glitt aus und konnte nicht mehr aufstehen.

So, du bist ausgeglitten?

Ja, und in demselben Augenblick kam auch das Kind.

So, sagte er. Aber du hast doch einen Lappen mitgenommen. Hast du
geahnt, daß du ausgleiten würdest?

Einen Lappen mitgenommen? wiederholte sie.

Einen großen weißen Lappen, eines von meinen Hemden, das du quer
abgeschnitten hattest.

Jawohl, den Lappen habe ich mitgenommen, um Wacholder drin nach Hause
zu tragen, sagte Barbro.

Wacholder?

Ja, Wacholder. Habe ich dir nicht gesagt, daß ich Wacholder holen
wollte?

Ja, oder Besenreis.

Ach, das ist doch einerlei, was es war ...

Allein trotz dieses starken Zusammenstoßes wurde es wieder gut zwischen
den beiden, das heißt, es wurde nicht mehr gut, aber erträglich; Barbro
war klug und zeigte sich nachgiebiger, sie witterte Gefahr. Aber unter
diesen Verhältnissen wurde ja das Leben auf Maaneland immer gezwungener
und unerträglicher, ohne Vertrauen, ohne Freude, immer auf der Hut.
Es ging immer nur einen Tag um den andern, aber solange es überhaupt
ging, mußte Axel zufrieden sein. Er hatte nun einmal dieses Mädchen zu
sich genommen, er brauchte es, war ihr Liebster gewesen, hatte sich an
sie gebunden, es war keine leichte Sache, sich und sein ganzes Leben
zu ändern. Barbro wußte alles, was mit dem Neubau zusammenhing, wo
Hab und Gut aufbewahrt war, wann die Kühe und Geißen werfen würden,
ob das Winterfutter kärglich oder reichlich war, welche Milch zu
Käsen bestimmt war und welche im Haushalt verbraucht werden durfte --
eine Fremde wurde von nichts eine Ahnung haben, und eine Fremde war
vielleicht gar nicht aufzutreiben.

Ach, aber oft schon hatte Axel doch daran gedacht, Barbro
fortzuschicken und ein anderes Mädchen dafür zu nehmen; sie war
zuweilen ein wahrer Zankapfel, und er fürchtete sich beinahe vor ihr.
Selbst zu der Zeit, in der er das Unglück gehabt hatte, Glück bei
ihr zu haben, war er bisweilen vor ihrer merkwürdig grimmigen und
unliebenswürdigen Art zurückgewichen. Allein sie war schön und hatte
auch ihre süßen Stunden und begrub ihn gut in ihren Umarmungen. Doch
das war einmal, jetzt hatte es aufgehört. Nein, danke schön, diese
elende Geschichte wollte sie nicht noch einmal durchmachen! Aber es ist
nicht so leicht, sich und sein ganzes Leben umzuformen. Dann wollen wir
sofort heiraten, sagte Axel dringend. -- Sofort? erwiderte sie. Nein,
ich fahre zuerst in die Stadt und lasse meine Zähne herrichten. Ich
habe sie ja vor lauter Zahnweh beinahe alle verloren.

Da mußte es nun eben weitergehen wie seither; Barbro bekam keinen
bestimmten Lohn mehr, aber sie bekam viel mehr als ihren Lohn, und
sooft sie Geld begehrte und es auch erhielt, dankte sie dafür, als ob
es ein Geschenk wäre. Übrigens begriff Axel nicht, wozu sie das Geld
brauchte; was sollte sie hier auf dem Lande mit Geld? Sparte sie es
zusammen? Aber wozu in aller Welt sparte sie jahraus, jahrein zusammen?

Es war da sehr viel, was Axel nicht begriff: hatte sie denn nicht
den Verlobungsring, ja sogar einen goldenen Ring bekommen? Es hatte
ja auch lange Zeit nach diesem letzten großen Geschenk ein gutes
Verhältnis zwischen ihnen geherrscht, aber in alle Ewigkeit wirkte es
doch nicht, keineswegs, und er konnte ihr doch nicht immer wieder Ringe
kaufen. Kurz und gut: wollte ihn Barbro nicht? Frauenzimmer sind doch
merkwürdige Geschöpfe! Stand sonst noch irgendwo ein Mann mit schönem
Viehstand und einem neuen Wohnhaus für sie bereit? Axel hatte alles
Recht, mit der Faust auf den Tisch zu schlagen über die Dummheit und
Launenhaftigkeit der Weiber.

Es war ganz merkwürdig, Barbro schien keinen andern Gedanken im Kopf zu
haben als das Leben in der Stadt und in Bergen. Aber um Gottes willen,
warum war sie dann überhaupt wieder herauf in den Norden gekommen?
Ein Telegramm ihres Vaters allein hätte sie nicht dazu vermocht, auch
nur einen Fuß vor den andern zu setzen, sie mußte einen andern Grund
gehabt haben. Hier war sie doch Jahr um Jahr von morgens bis abends
unzufrieden. Holzgeschirre statt solcher aus Blech und Eisen, Kessel
statt Kasserollen; dieses ewige Melken statt eines Spaziergangs in die
Meierei; Bauernstiefel, Schmierseife, einen Heusack unter dem Kopf,
niemals Hornmusik, keine Menschen. Hier war sie ...

Nach dem großen Zusammenstoß haderten sie noch oftmals miteinander.
Sollen wir darüber schweigen oder sollen wir darüber reden? sagte
Barbro. Du denkst wohl gar nicht mehr daran, was du meinem Vater
angetan hast? sagte sie. -- Axel fragte: So, was habe ich denn getan?
-- Das weißt du selbst am besten, sagte sie. Aber Inspektor wirst du
nun übrigens doch nicht. -- So. -- Nein, das glaube ich nicht, bis ich
es sehe. -- Du meinst wohl, ich sei nicht klug genug dazu? -- Es ist
ja ganz gut für dich, wenn du klug bist, aber du liest nicht und du
schreibst nicht, du nimmst auch niemals nur eine Zeitung in die Hand.
-- Ich kann so viel lesen und schreiben, als ich nötig habe, sagte er;
aber du bist nichts als ein großes Lästermaul. -- Da hast du deinen
Ring! schrie sie und warf den silbernen Ring auf den Tisch. -- So,
und wo ist denn der andere? fragte er nach einer Weile. -- Wenn du
deine Ringe wiedernehmen willst, so kannst du sie haben, sagte sie und
mühte sich, den goldenen Ring abzustreifen. -- Dein Zorn macht keinen
Eindruck auf mich, sagte er und ging hinaus.

Und natürlich trug sie sehr bald beide Ringe wieder.

Es machte Barbro auf die Dauer auch nichts aus, daß er sie wegen des
Todes des Kindes im Verdacht hatte. Ganz im Gegenteil, sie pfiff darauf
und war hochmütig. Nicht als ob sie etwas eingestanden hätte, aber sie
sagte: Ja, und wenn ich es auch ertränkt hätte! Du lebst hier in der
Einöde und weißt nichts davon, wie es sonst in der Welt zugeht. -- Als
sie wieder einmal über diese Frage sprachen, dachte sie, sie wolle ihm
einen Begriff davon beibringen, daß er die Sache viel zu ernsthaft
nehme; sie selbst legte einem Kindsmord nicht mehr Wichtigkeit bei, als
er verdiente. Sie wußte von zwei Mädchen in Bergen zu erzählen, die
ihre Kinder umgebracht hatten, und die eine hatte einige Monate Strafe
erhalten, weil sie so dumm gewesen war und es nicht selbst umgebracht,
sondern es ausgesetzt hatte, damit es erfrieren sollte, und die andere
war freigesprochen worden. Nein, das Gesetz ist jetzt hierin nicht mehr
so unmenschlich wie früher, sagte Barbro. Und außerdem kommt es auch
gar nicht immer heraus, sagte sie. Eines der Mädchen, die im Hotel in
Bergen dienten, hat zwei Kinder umgebracht; sie war aus Christiania
und trug einen Hut mit Federn darauf. Für das letzte Kind bekam sie
drei Monate, aber das mit dem ersten ist nicht herausgekommen, erzählte
Barbro.

Axel hörte zu, und es graute ihm immer mehr vor ihr. Er suchte zu
begreifen, suchte in dieser Finsternis irgend etwas zu erkennen, aber
im Grunde hatte sie recht. Er nahm die Sache viel zu ernsthaft. Sie
war mit all ihrer banalen Verderbtheit eines ernsthaften Gedankens
gar nicht wert. Ein Kindsmord war für sie gar kein Begriff, hatte
gar nichts Außerordentliches an sich, es war nur der Ausschlag der
ganzen moralischen Sittenlosigkeit und des Leichtsinns, der von einem
Dienstmädchen zu erwarten war. Das zeigte sich auch in den Tagen,
die darauf folgten: da gab es keine Stunde des Nachdenkens, sie war
genau wie früher voll überflüssigen Geschwätzes, ganz Dienstmädchen.
Ich muß fort wegen meiner Zähne, sagte sie. Und dann sollte ich ein
Mantlett haben. Ein „Mantlett” war eine Art kurzen Kragens, der nur bis
zur Mitte reichte, das war einige Jahre lang Mode gewesen, und Barbro
wollte auch ein Mantlett haben.

Wenn Barbro alles so selbstverständlich hinnahm, was blieb Axel dann
übrig, als sich auch zu beruhigen? Sein Verdacht stand auch nicht
immer ganz fest, und sie gestand ja niemals etwas ein, im Gegenteil,
sie hatte einmal ums andere alle Schuld geleugnet, ohne Zorn, ohne
Halsstarrigkeit, aber zum Henker, genau so, wie ein Dienstmädchen
leugnet, eine Schüssel zerschlagen zu haben, selbst wenn sie es getan
hat. Ein paar Wochen vergingen, dann wurde es Axel doch zuviel,
er blieb eines Tages mitten in der Stube stehen und hatte eine
Offenbarung. Aber du großer Gott, alle hatten doch ihren Zustand
gesehen, daß sie rund und dick und in anderen Umständen war! Und jetzt
war sie wieder schlank, wo aber war das Kind? Wenn nun alle Menschen
kämen und suchten? Sie würden eines Tages eine Erklärung verlangen.
Und wenn also nichts Schlimmes geschehen war, so wäre es viel besser
gewesen, die Leiche auf dem Friedhof zu begraben. Dann wäre sie fort
aus dem Gebüsch, fort aus Maaneland.

Nein, das hätte mir nur Unannehmlichkeiten bereitet, erklärte Barbro.
Sie hätten das Kind geöffnet, und es hätte ein Verhör gegeben. Das
wollte ich nicht haben.

Wenn es nur später nicht viel schlimmer wird, sagte er.

Barbro entgegnete: Warum denkst du so viel darüber nach? Laß es doch im
Gebüsch! Ja, sie fragte lächelnd: Meinst du vielleicht, es komme hinter
dir her? Du mußt nur den Mund halten und dich nicht mehr darum kümmern.

So, na ja.

Habe ich vielleicht das Kind ertränkt? Nein, es hat sich selbst
ertränkt, als ich ins Wasser fiel. Es ist ja unglaublich, was du für
Gedanken hast! Und außerdem kommt es nie heraus, sagte sie.

Mit Inger von Sellanraa ist es doch auch herausgekommen, wie ich gehört
habe, wendete er ein.

Barbro dachte nach. Das beunruhigt mich gar nicht! sagte sie. Das
Gesetz ist seither anders geworden; wenn du die Zeitung lesen würdest,
hättest du es gesehen. Viele kriegen Kinder und töten sie, und niemand
tut ihnen deshalb weiter etwas zuleide! Barbro sucht ihm das zu
erklären, und sie versteht etwas von der Sache, sie ist nicht umsonst
draußen in der Welt gewesen und hat viel gehört und gesehen und
gelernt; jetzt saß sie vor ihm und war gescheiter als er. Sie hatte
drei Hauptgründe, die sie immer wieder vorbrachte: erstens hatte sie es
nicht getan, zweitens wäre es gar nicht so gefährlich, selbst wenn sie
es getan hätte, und drittens würde es niemals herauskommen.

Ich habe gemeint, es komme alles heraus, wendete er ein.

O nein, bei weitem nicht! entgegnete sie. Und ob sie ihn nun verblüffen
oder ihm Mut machen wollte, oder ob es aus Eitelkeit oder aus
Großtuerei geschah, sie ließ in diesem Augenblick eine Bombe platzen:
Ich habe selbst etwas getan, das nicht herausgekommen ist, sagte sie.

Du? sagte er ungläubig. Was hast du denn getan?

Was ich getan habe? Ich habe getötet.

Vielleicht hatte sie nicht beabsichtigt, ganz so weit zu gehen, jetzt
mußte sie aber noch weiter gehen, er saß ja da und starrte sie an. Ach,
es war nicht einmal grenzenlose Frechheit von ihr, es war Zanksucht,
Großtuerei, sie wollte überlegen sein und das letzte Wort behalten:
Glaubst du mir nicht? rief sie. Erinnerst du dich an die Kindsleiche im
Hafen? Die hatte ich hineingeworfen.

Was! rief er.

Die Kindsleiche damals. Du weißt auch gar nichts mehr! Wir haben doch
in der Zeitung davon gelesen.

Nach einer Weile brach er los: Du bist ein entsetzliches Weib!

Aber seine Verwirrung stärkte sie, flößte ihr eine Art unnatürlicher
Kraft ein, so daß sie Einzelheiten berichten konnte: Ich hatte es mit
in meinem Koffer -- ja, es war tot, das hatte ich gleich getan, als es
geboren war. Und als wir in den Hafen kamen, warf ich es hinaus.

Axel saß finster und schweigend da; aber Barbro redete weiter, das sei
jetzt schon lange her, schon mehrere Jahre, es sei damals gewesen, als
sie nach Maaneland kam. Da könne er sehen, daß nicht alles herauskomme,
bei weitem nicht alles. Was er meine, wie das wäre, wenn alles
herauskäme, was alle Leute täten? Und was erst die verheirateten Leute
in der Stadt täten! Die brächten ihre Kinder um, ehe sie geboren seien,
es gebe besondere Ärzte dafür. Diese Leute wollten nicht mehr als ein
Kind, höchstens zwei Kinder haben, und darum tötete es der Doktor im
Mutterleib. Axel könne ihr glauben, daß das draußen in der Welt nicht
schwer genommen werde.

Axel fragte: Na, dann hast du wohl das zweite Kind auch umgebracht?

Nein, erwiderte sie äußerst gleichgültig. Das habe ich nicht nötig
gehabt, sagte sie. Aber sie kam noch einmal darauf zurück, daß es gar
nicht so gefährlich gewesen wäre. Sie schien daran gewöhnt, dieser
Frage in die Augen zu sehen, deshalb blieb sie so gleichgültig dabei.
Beim erstenmal war es allerdings vielleicht etwas grausig, ein klein
wenig unheimlich für sie gewesen, ein Kind umzubringen, aber das
zweitemal? Sie konnte mit einer Art von geschichtlichem Gefühl an die
Tat denken: das war geschehen und geschah auch wieder.

Mit schwerem Kopf verließ Axel die Stube. Es focht ihn weiter nicht
sehr an, daß Barbro ihr erstes Kind umgebracht hatte; das ging ihn
nichts an. Und daß sie dieses Kind überhaupt gehabt hatte, darüber war
auch nicht viel zu sagen. Eine Unschuld war sie nicht gewesen, und
sie hatte sich auch nicht dafür ausgegeben, im Gegenteil, sie hatte
ihre Erfahrenheit durchaus nicht verborgen und ihn sogar in manchem
dunkeln Spiel unterwiesen. Gut. Aber dieses letzte Kind hätte er gerne
behalten, ein kleiner Junge, ein weißes Geschöpfchen in einen Lappen
gewickelt! Wenn sie schuld war an des Kindes Tod, so hatte sie ihm ein
Unrecht zugefügt, ein Band zerschnitten, das ihm wertvoll war, und das
ihm nie mehr ersetzt wurde. Aber es konnte ja sein, daß er ihr unrecht
tat, daß sie wirklich im Bach ausgeglitten war und sich nicht mehr
aufrichten konnte. Allerdings, der Lappen war ja da, das halbe Hemd,
das sie mitgenommen hatte ...

Die Stunden gingen auch jetzt hin, es wurde Mittag und es wurde
Abend. Und als Axel zu Bett gegangen war und lange genug ins Dunkel
hineingestarrt hatte, schlief er ein und schlief bis an den Morgen. Ein
neuer Tag brach an, und nach diesem Tag kamen noch andere Tage.

Barbro blieb immer dieselbe. Sie wußte sehr viel von der Welt und
behandelte solche Kleinigkeiten, die hier auf dem Lande Gefahren
waren und Schrecken verbreiteten, mit Gleichgültigkeit. Das war auch
wieder tröstlich, sie war gescheit für beide, unbesorgt für beide.
Übrigens sah sie auch nicht aus wie ein gefährlicher Mensch. Barbro
ein Ungeheuer? Keine Spur. Sie war im Gegenteil ein schönes Mädchen,
blauäugig mit einem Stumpfnäschen, und die Arbeit ging ihr flink von
der Hand. Die Ansiedlung war ihr nur ein wenig verleidet, und verleidet
waren ihr auch die Holzgeschirre, die sooft gescheuert werden mußten,
und vielleicht war ihr auch der ganze Axel verleidet und das ganze
verflucht zurückgezogene Leben, das sie führte. Aber sie brachte keines
der Tiere um und stand auch nicht bei Nacht mit gezücktem Messer über
ihm.

Nur noch einmal kam es dazu, daß die beiden über die Kindsleiche
draußen im Walde miteinander sprachen. Axel wiederholte noch einmal,
sie hätte auf dem Kirchhof begraben und mit Erde bedeckt werden sollen,
aber Barbro blieb auch jetzt dabei, daß ihre Handlungsweise ganz recht
gewesen sei. Bei dieser Gelegenheit sagte sie etwas, das zeigte, daß
auch sie überlegte, ho, und schlau war, und weiter sah, als ihre Nase
reichte, ja, daß sie mit einem kleinen ärmlichen Negergehirn dachte:
Und wenn es auch aufkommt, dann spreche ich mit dem Lensmann, ich habe
bei ihm gedient, und die Frau Heyerdahl hilft mir. Es stehen nicht alle
so gut wie ich, und sie werden doch freigesprochen. Und außerdem steht
Vater gut mit den großen Herren, er ist Gerichtsbote und alles, was
drum und dran ist.

Axel schüttelte nur den Kopf.

Du glaubst es nicht?

Was du dir einbildest, daß dein Vater ausrichten könne!

Was weißt denn du davon? rief sie ärgerlich. Denk daran, daß du ihn ins
Elend gebracht hast, du hast ihm seinen Hof und seinen Lebensunterhalt
genommen!

Sicherlich hatte sie eine Art Vorstellung davon, daß ihres Vaters
Ansehen in der letzten Zeit eingebüßt hatte und daß dies zum Schaden
für sie selbst ausschlagen könnte. Was sollte Axel darauf antworten? Er
schwieg. Er war ein Mann des Friedens, ein Mann der Arbeit.



3


Als es dem Winter zuging, war Axel wieder der einzige Mensch auf
Maaneland. Barbro war gegangen. Ja, das war das Ende. Ihre Reise in die
Stadt solle nicht lange dauern, sagte sie. Es sei ja keine Reise nach
Bergen, aber sie wolle nicht einen Zahn nach dem andern verlieren und
einen Mund bekommen wie ein Kalb. Was das kosten werde? fragte Axel. --
Wie kann ich das wissen? erwiderte sie. Dich wird's jedenfalls nichts
kosten, ich werde es abverdienen.

Sie hatte ihm auch auseinandergesetzt, warum es am besten sei, wenn
sie die Reise jetzt mache; jetzt seien nur zwei Kühe zu melken, bis
zum Frühjahr würden noch zwei kalben und auch die Geißen Junge werfen,
die Heuernte würde kommen, die Arbeit würde drängen bis über den Juni
hinaus. -- Tu, was du willst, sagte Axel.

Die Sache sollte ihn nichts kosten, gar nichts. Aber sie müsse doch
etwas Geld haben, nur eine kleine Summe; sie brauche Geld zur Reise
und für den Zahnarzt, außerdem brauche sie ein Mantlett und noch
verschiedenes andere, aber das müsse ja nicht sein, wenn es ihm
unangenehm sei. -- Du hast bis jetzt schon Geld genug bekommen, sagte
Axel. -- So, erwiderte sie. Das ist aber jedenfalls nicht mehr da. --
Hast du denn nichts zurückgelegt? -- Zurückgelegt? Du kannst ja in
meiner Kiste nachsuchen. Ich habe auch in Bergen nichts zurückgelegt,
und dort hatte ich doch einen viel größeren Lohn. -- Ich habe kein Geld
für dich, sagte er.

Axel hatte keinen rechten Glauben daran, daß Barbro von dieser
Reise zurückkommen werde, und sie hatte seine Geduld mit ihrer
Unliebenswürdigkeit so über alle Maßen geprüft, daß er anfing, ihrer
überdrüssig zu werden. Es gelang ihr schließlich auch nicht, eine
nennenswerte Summe aus ihm herauszuwinden, aber er sah durch die
Finger, als sie sich einen ungeheuren Mundvorrat einpackte, ja, er
selbst fuhr sie und ihre Kiste hinunter ins Dorf zum Postboot.

Nun war es also geschehen.

Er hätte ganz gut wieder allein auf der Ansiedlung sein können, er war
es von früher her gewöhnt, aber er war jetzt durch seinen Viehstand
allzusehr gebunden, und wenn er einmal von Hause abwesend sein mußte,
waren die Tiere nicht versorgt. Der Kaufmann hatte ihm geraten, sich
Oline kommen zu lassen, sie sei doch einmal mehrere Jahre auf Sellanraa
gewesen, allerdings sei sie jetzt alt, aber noch rührig und arbeitsam.
Ja, Axel hatte nach Oline geschickt, aber sie war nicht gekommen, und
er hatte auch nichts von ihr gehört.

Während Axel auf sie wartet, fällt er Holz im Walde, drischt seine
kleine Kornernte und besorgt seinen Viehstand. Es war einsam und still
um ihn. Ab und zu kam Sivert von Sellanraa vorbei auf der Fahrt ins
Dorf oder vom Dorf zurück; hinunter führte er Brennholz oder Häute oder
Käse, aber zurück kam er fast immer leer, der Hof Sellanraa brauchte
nicht viel Waren zu kaufen.

Dann und wann kam auch Brede Olsen an Maaneland vorbei und in der
letzten Zeit häufiger als sonst -- wer konnte wissen, was er hier so
eifrig, so fleißig zu laufen hatte! Es war, als ob er sich noch in den
letzten Wochen an der Telegraphenlinie unentbehrlich machen und den
Posten behalten wolle. Seit Barbro abgereist war, kam er nie mehr zu
Axel herein, sondern ging nur rasch vorbei, und das war doch vielleicht
ein gar zu arger Hochmut von ihm, da er immer noch auf Breidablick
wohnen blieb und nicht abgezogen war. Eines Tages, als er vorbeigehen
wollte, ohne auch nur zu grüßen, hielt ihn Axel an und fragte, bis wann
er den Hof zu räumen gedenke. -- Auf welche Weise hast du dich von
Barbro getrennt? fragte Brede dagegen. Das eine Wort gab das andere:
Du hast sie ohne alle Mittel fortgeschickt. Es war nahe daran, daß sie
nicht einmal bis Bergen gekommen wäre.

So, sie ist also in Bergen? -- Ja, schließlich sei sie hingekommen,
schreibt sie, aber dir hat sie nicht dafür zu danken. -- Ich werde dich
jetzt sofort aus Breidablick hinauswerfen, sagte Axel. -- Ja, weil du
seither so gutherzig gewesen bist, erwiderte der andere spöttisch. Nach
Neujahr werfen wir uns selbst hinaus, fuhr er fort und ging dann seines
Weges.

So, Barbro war nach Bergen gereist, es war also genau so gegangen,
wie Axel sich gedacht hatte. Er war nicht betrübt darüber. Betrübt?
Weit entfernt, sie war ein Zankteufel, aber bis jetzt hatte er doch
noch nicht alle Hoffnung aufgegeben gehabt, sie würde doch vielleicht
wiederkommen. Er wußte beim Henker nicht, wie es zuging, er hing doch
ein bißchen zu fest an dieser Person, an diesem Ungeheuer; zuzeiten
konnte sie ihre süßen Stunden haben, unvergeßliche Stunden, und gerade,
um sie daran zu hindern, ganz bis Bergen durchzubrennen, war er beim
Abschied mit Geld so geizig gewesen. Und nun war sie doch auf und
davon gegangen. Von ihren Kleidern hing noch dies und das da, und ein
Strohhut mit einem Flügel darauf lag in Papier gehüllt droben auf
dem Bodenraum; aber sie kam nicht, ihr Eigentum zu holen. Ach ja,
vielleicht war er doch ein wenig betrübt! Wie Spott und Hohn erschien
es ihm, daß er immer noch ihre Zeitung erhielt, und das würde wohl auch
vor Neujahr nicht aufhören.

Aber schließlich hatte er doch an anderes zu denken, er mußte ein Mann
sein.

Im Frühjahr mußte er an der Nordwand des Neubaus eine Scheune anfügen,
jetzt im Winter mußten die Stämme dazu gefällt und die Bretter gesägt
werden. Axel hatte keinen zusammenhängenden Wald mit großen Bäumen,
aber da und dort standen auf seinem Grund und Boden mächtige Föhren,
und er suchte sich solche am Wege nach Sellanraa aus, damit sich das
Hinschaffen der Stämme nach dem Sägewerk leichter bewerkstelligen ließe.

Eines Morgens füttert er sein Vieh sehr reichlich, damit es bis zum
Abend aushalten kann, schließt die Türen hinter sich zu und geht
in den Wald; außer Axt und Mundvorrat nimmt er noch eine hölzerne
Schneeschaufel mit. Das Wetter ist mild, gestern tobte ein schwerer
Sturm mit Niederschlägen, aber heute ist es still. Er geht den ganzen
Weg an der Telegraphenlinie entlang, bis er zur Stelle ist; dort zieht
er seine Jacke aus und fängt an zu hacken. Jeden Baum, den er fällt,
zweigt er sofort ab, haut die Stämme glatt und schichtet Zweige und
Äste auf Haufen.

Brede Olsen kommt den Weg herauf, dann ist also die Linie wohl durch
den gestrigen Sturm in Unordnung geraten. Aber vielleicht lief Brede
auch ohne besonderen Grund die Linie ab, er war sehr eifrig im Dienst
geworden, er hatte sich also doch gebessert. Die Männer sprachen nicht
miteinander und grüßten sich auch nicht.

Axel merkt wohl, daß das Wetter im Begriff ist umzuschlagen, der
Wind wird immer stärker, aber Axel arbeitet nur eifrig weiter. Die
Mittagsstunde ist längst vorbei, aber er hat noch nichts gegessen.
Jetzt eben fällt er eine große Föhre, und diese schlägt ihn in ihrem
Fall zu Boden. Wie ist das zugegangen? Unglück war unterwegs. Eine
Riesenföhre schwankt auf ihrer Wurzel, der Mensch bestimmt ihr eine
Seite zum Fallen, der Sturm eine andere. Der Mensch verliert. Es wäre
noch angegangen, allein der Schnee deckte den unebenen Boden, Axel trat
fehl, sprang auf die Seite und kam mit einem Bein in eine Felsspalte,
nun lag er zwischen Felsen eingeklemmt und hatte eine große Föhre über
sich.

Jawohl, es hätte trotzdem noch angehen können, allein er lag so
ausgesucht verdreht, allerdings, soweit er fühlen konnte, mit ganzen
Gliedern, aber schief und ohne eine Möglichkeit, sich unter dem
schweren Gewicht hervorzuarbeiten. Nach einer Weile hatte er die eine
Hand frei, auf der andern aber liegt er, und er kann die Axt nicht
erreichen. Er sieht sich um und überlegt, wie jedes gefangene Tier es
auch gemacht hätte, sieht sich um und überlegt und arbeitet und müht
sich unter dem Baum ab. Brede muß in einiger Zeit auf dem Rückweg
wieder vorbeikommen, denkt er und müht sich ab und atmet schwer.

Im Anfang nimmt Axel die Sache leicht und ist nur ärgerlich, daß er
durch diesen Zufall, dieses elende Ungefähr festgehalten ist, er ist
keine Spur besorgt für seine Gesundheit und noch weniger für sein
Leben. Allerdings fühlt er, daß die Hand, auf der er liegt, allmählich
gefühllos wird, und auch das Bein in der Felsenspalte wird kalt und
auch gefühllos, aber das geht ja immer noch an. Brede kommt wohl bald.

Aber Brede kommt nicht.

Der Sturm nimmt zu und treibt Axel den Schnee gerade ins Gesicht. Jetzt
wird's Ernst! denkt er, ist aber immer noch unbekümmert, ja, es ist
beinahe, als ob er sich selbst durch den Schnee zublinzle: Aufgepaßt,
jetzt wird's nämlich Ernst! Nach einer langen Weile stößt er einen
einzelnen Hilferuf aus. Der ist wohl bei dem Sturm nicht weit zu
hören, aber er geht die Linie entlang zu Brede. Axel liegt da mit ganz
wertlosen Gedanken: wenn er doch nur die Axt erreichen könnte, dann
könnte er sich vielleicht freihacken! Wenn er nur die Hand hervorziehen
könnte! Diese lag auf etwas Spitzem, einem Stein, und der bohrte sich
langsam und höflich allmählich in den Handrücken ein. Wenn nur dieser
verflixte Stein weg gewesen wäre! Aber noch niemals hat jemand von
einem Stein einen rührenden Zug berichten können.

Die Zeit vergeht, das Schneetreiben wird schlimmer. Axel wird
zugeschneit; er ist ganz hilflos, der Schnee legt sich harmlos und
unschuldig auf sein Gesicht, eine Weile schmilzt er, dann wird das
Gesicht kalt, und der Schnee schmilzt nicht mehr. Nun wird es wirklich
Ernst!

Jetzt stößt er zwei laute Hilferufe aus und horcht dann hinaus.

Nun wird auch seine Axt zugeschneit, er sieht nur noch ein Stückchen
Schaft hervorragen. Dort drüben hängt sein Beutel mit dem Mundvorrat;
hätte er ihn nur erreichen können, dann hätte er etwas gegessen,
einen ordentlichen Happen. Und wenn er schon in seinen Ansprüchen an
das Leben so dreist war, so konnte er sich gleich auch seine Jacke
herwünschen, denn es wird kalt. Wieder stößt er einen gewaltigen Ruf
aus.

Da steht Brede. Er ist stehengeblieben und sieht hinüber zu dem
rufenden Mann, er bleibt nur einen Augenblick stehen und sieht hinüber,
wie um zu ergründen, was los ist. Komm her und gib mir meine Axt! ruft
Axel etwas kläglich. -- Brede sieht weg, er hat ergründet, was los ist,
jetzt schaut er in die Höhe zu dem Telegraphendraht hinauf und will
augenscheinlich anfangen zu pfeifen! War er denn verrückt? -- Komm her
und gib mir die Axt, ich liege unter einem Baum! wiederholte Axel etwas
lauter als vorher. Aber Brede hat sich so sehr gebessert und ist so
eifrig in seinem Dienste, daß er nichts sieht als den Telegraphendraht
und nur eifrig pfeift. Und wohlgemerkt, munter und rachgierig pfeift
er! -- So, du willst mich umbringen und mir nicht einmal die Axt
reichen! ruft Axel. -- Aber jetzt muß Brede offenbar notwendig noch
weiter die Linie entlang gehen und nach dem Draht schauen, und er
verschwindet im Schneetreiben.

So, na ja! Aber jetzt wäre es doch ein rechter Staatsstreich, wenn Axel
sich selbst so weit frei machte, daß er die Axt erreichen könnte!
Er spannt Leib und Brust an, um die ungeheure Last zu heben, die
ihn daniederhält, er bewegt den Baum, schüttelt ihn, erreicht aber
damit nur, daß noch mehr Schnee auf ihn herabrieselt. Nach einigen
vergeblichen Versuchen gibt er es auf.

Es fängt an zu dunkeln. Brede ist gegangen, aber wie weit kann er
inzwischen gekommen sein? Nicht sehr weit, Axel ruft wieder und redet
dabei von der Leber weg: Willst du mich hier einfach liegenlassen, du
Mörder? ruft er. Denkst du nicht an deiner Seelen Seligkeit? Du weißt,
du könntest für eine einzige kleine Handreichung eine Kuh von mir
bekommen, aber du bist ein Hund, Brede, und du willst mich umbringen!
Aber ich werde dich anzeigen, so wahr ich hier liege, merk dir's!
Kannst du nicht herkommen und mir die Axt geben?

Stille. Axel strengt sich wieder unter seinem Baume an, hebt ihn ein
wenig mit dem Leib und erreicht damit, daß immer noch mehr Schnee auf
ihn herunterfällt. Dann ergibt er sich in sein Schicksal und seufzt,
matt und schläfrig wird er auch. Sein Vieh steht jetzt in der Gamme und
brüllt, es hat seit heute morgen nicht naß und nicht trocken bekommen,
Barbro füttert es nicht mehr, sie ist davongelaufen, mit beiden
Fingerringen noch dazu. Es wird dunkel, jawohl, es wird Abend, und es
wird Nacht, aber das ginge ja noch an, allein es wird auch kalt, sein
Bart vereist, seine Augen werden auch bald vereisen, die Jacke dort am
Baume würde ihm guttun, und ist es denn möglich, das eine Bein ist bis
zur Hüfte wie tot? Alles steht in Gottes Vaterhand! sagt er, er kann
augenscheinlich ganz fromm reden, wenn er will. Es wird dunkel, jawohl,
er kann auch ohne angezündete Lampe sterben! Er wird ganz weich und
gut, und um recht demütig zu sein, lächelt er freundlich und albern
ins Unwetter hinein, es ist ja der Schnee des Herrn, der unschuldige
Schnee! Ja, er kann es ja auch lassen, Brede anzuzeigen.

Er wird still und immer schläfriger, ganz lahm, als ob er vergiftet
wäre, er sieht so viel Weiß vor den Augen, Wälder und Ebenen, große
Schwingen, weiße Schleier, weiße Segel, weiß, weiß -- was kann das
sein? Unsinn, er weiß ganz gut, daß das Schnee ist, er liegt im Freien,
es ist kein Wahn, daß er unter einem Baum begraben ist. Dann ruft
er wieder aufs Geratewohl, brüllt, da unten im Schnee liegt seine
gewaltige haarige Brust und brüllt, es muß bis in die Gamme bei dem
Vieh zu hören sein, er brüllt ein ums andere Mal. Du bist ein Schwein,
ein Untier! ruft er Brede nach. Hast du bedacht, was du tust, wenn du
mich so verkommen läßt? Willst du mir die Axt geben? frag ich. Bist du
ein gemeines Vieh oder ein Mensch? Aber Glück zu, wenn es deine Absicht
ist, mich hier liegenzulassen --

Er muß geschlafen haben, er liegt ganz steif und leblos da, aber seine
Augen stehen offen, zwar mit Eis umrändert, aber offen, er kann nicht
damit blinzeln; hat er mit offenen Augen geschlafen? Vielleicht hat
er nur ein paar Minuten oder auch eine Stunde geschlummert, Gott weiß
es, aber jetzt steht Oline da. Axel hört, daß sie fragt: Im Namen Jesu
Christi, lebst du noch? Und weiter fragt sie, warum er da liege, ob er
verrückt sei? Jedenfalls steht Oline da.

Ja, Oline hat etwas Witterndes, etwas Schakalartiges, sie taucht auf,
wenn ein Unglück um den Weg ist, sie hat eine sehr scharfe Witterung.
Wie hätte Oline im Leben vorwärtskommen können, wenn sie nicht so
eifrig gewesen wäre und keine so scharfe Witterung gehabt hätte? Jetzt
hatte sie also Axels Botschaft erhalten und war trotz ihrer siebzig
Jahre über das Gebirge gekommen, um ihm zu helfen. Gestern hat sie der
Sturm in Sellanraa festgehalten, heute kam sie nach Maaneland, fand
niemand zu Hause, fütterte das Vieh, trat unter die Tür und horchte
hinaus, melkte das Vieh, lauschte dann wieder, sie begriff gar nicht --

Da hörte sie rufen und sagte sich: Entweder ist es der Axel oder einer
der Unterirdischen, in beiden Fällen ist es der Mühe wert, ein wenig
nachzusehen, die ewige Weisheit des Allmächtigen in so viel Unruhe im
Walde zu ergründen -- und mir tut er nichts, ich bin nicht wert, ihm
die Schuhriemen zu lösen --

Hier steht sie nun.

Die Axt? Oline gräbt und gräbt im Schnee und findet die Axt nicht.
Sie versucht ohne Axt fertig zu werden und gibt sich Mühe, den Baum,
so wie er daliegt, zu heben; aber sie ist wie ein kleines Kind und
vermag nur die äußersten Zweige zu schütteln. Sie sucht wieder nach
der Axt, es ist finster, aber sie gräbt mit Händen und Füßen. Axel
kann nicht deuten, er kann nur sagen, wo die Axt einmal gelegen hatte,
aber da ist sie nicht mehr. Wenn es nur nach Sellanraa nicht so weit
wäre! sagt Axel. Aber nun fängt Oline an, nach ihrem eigenen Kopf zu
suchen, und Axel ruft ihr zu, nein, nein, dort sei sie nicht. -- Nein,
nein, sagt Oline, ich will nur überall nachsehen. Und was ist denn
das? fragt sie. -- Hast du sie gefunden? fragt Axel. -- Ja, mit des
Allmächtigen Beistand erwidert Oline hochtrabend. Aber Axel ist nicht
sehr hochgemut, er gibt zu, daß er vielleicht nicht recht bei Verstand
sei, er ist beinahe fertig. Und was denn Axel mit der Axt wolle? Er
könne sich ja nicht rühren, sie, Oline, müsse ihn loshacken. Oh, Oline
habe schon mehr Äxte in der Hand gehabt, habe schon mehr als einmal in
ihrem Leben Holz gespalten!

Axel kann nicht gehen, das eine Bein ist ihm bis zur Hälfte wie
abgestorben, der Rücken ist ihm wie gerädert, heftige Stiche bringen
ihn beinahe zum Heulen, im ganzen genommen fühlt er sich kaum als
lebendiger Mensch, ein Teil von ihm liegt immer noch unter dem Baum.
Es ist so sonderbar, und ich verstehe es nicht, sagt er. Oline versteht
es gut und erklärt das Ganze mit wunderbaren Worten: ja, sie hat einen
Menschen vom Tode errettet, und so viel weiß sie, der Allmächtige hat
sie als sein geringes Werkzeug gebraucht, er hat keine himmlischen
Heerscharen schicken wollen. Ob Axel nicht seinen weisen Ratschluß
erkenne? Und wenn der Herr einen Wurm in der Erde hätte zu Hilfe
schicken wollen, so hätte er das tun können. -- Ja, das weiß ich wohl,
aber es ist mir so sonderbar zumut, sagte Axel. -- Sonderbar? Er
solle nur ein ganz klein wenig warten, sich bewegen, sich vorbeugen
und wieder aufrichten, ja, so, immer nur ein wenig auf einmal, seine
Gelenke seien eingerostet und abgestorben, er solle seine Jacke
anziehen, damit er warm werde. In ihrem ganzen Leben werde sie nun und
nimmer den Engel des Herrn vergessen, der sie das letztemal vor die Tür
gerufen habe -- und da hörte sie Rufe aus dem Walde. Es sei wie in den
Tagen des Paradieses gewesen, als mit Posaunen geblasen wurde bei den
Mauern von Jericho.

Wunderbar! Aber während dieses Geschwätzes hat Axel Zeit, er übt seine
Gelenke und lernt gehen.

Langsam geht's dem Hause zu, Oline ist immer noch der Retter in der
Not und stützt Axel. So geht es ganz gut. Als sie ein Stück Weges
hinuntergekommen sind, begegnen sie Brede. -- Was ist denn das? fragt
Brede. Bist du krank? Soll ich dir helfen? sagt er. -- Axel schweigt
abweisend. Er hat Gott gelobt, sich nicht zu rächen und Brede nicht
anzuzeigen, aber weiter ist er nicht gegangen. Und weshalb war Brede
nun wieder auf dem Wege bergauf? Hatte er gesehen, daß Oline nach
Maaneland gekommen war, und begriffen, daß sie die Hilferufe hören
mußte? -- So, du bist da, Oline? sagt Brede geschwätzig. Wo hast du
ihn gefunden? Unter einem Baum? Ja, ist es nicht sonderbar mit uns
Menschen! legt er los. Ich sah eben die Telegraphenlinie nach, da
hörte ich rufen. Wer sich sofort auf die Beine machte, das war ich;
ich wollte Hilfe leisten, falls es nötig sein sollte. Also du bist es
gewesen, Axel? Und du hast unter einem Baum gelegen? -- Jawohl, und du
hast es gehört und gesehen, als du herunterkamst, aber du bist an mir
vorbeigegangen, antwortete Axel. -- Gott sei mir Sünder gnädig! ruft
Oline über solch schwarze Bosheit. -- Brede erklärt, wie es gewesen
sei. Dich gesehen? Ich hab' dich gut gesehen. Aber du hättest mich doch
rufen können, warum hast du nicht gerufen? Ich sah dich ausgezeichnet,
aber ich dachte, du hättest dich ein wenig zum Ausruhen hingelegt. --
Willst du den Mund halten! ruft Axel drohend. Du hast mich absichtlich
liegenlassen.

Oline sieht ein, daß Brede jetzt nicht eingreifen darf, das würde
ihre eigene Unentbehrlichkeit verringern und ihr Rettungswerk nicht
mehr ganz vollständig erscheinen lassen. Sie verhinderte Brede, Axel
hilfreiche Hand zu reichen, ja, er darf nicht einmal den Rucksack oder
die Axt tragen. Oh, in diesem Augenblick ist Oline vollständig auf
Axels Seite; wenn sie später einmal zu Brede kommt und hinter einer
Schale Kaffee sitzt, wird sie ganz auf seiner Seite sein. -- Laß mich
doch wenigstens die Axt oder die Schneeschaufel tragen, sagt Brede.
-- Nein! erwidert Oline an Axels Statt. Die will er selbst tragen. --
Brede bleibt dabei: Du hättest mich doch rufen können, Axel. Wir sind
doch nicht so verfeindet, daß du mir das Wort nicht hättest gönnen
können. Du hast gerufen? So, dann hättest du lauter rufen müssen, du
mußt doch wissen, was für ein Schneesturm tobte. Und außerdem hättest
du mir mit der Hand winken können. -- Ich hatte keine Hand frei, mit
der ich hätte winken können, erwidert Axel. Du hast wohl gesehen, daß
ich wie gefesselt dalag. -- Nein, das hab' ich nicht gesehen. So etwas
ist mir doch noch nie vorgekommen! Laß mich doch deine Sachen tragen,
hörst du! -- Oline sagt: Laß Axel in Frieden! Er ist krank.

Aber jetzt hat auch Axels Hirn sich wieder erholt. Er hat schon früher
allerlei von der alten Oline gehört und begreift, daß sie für alle
Zukunft teuer und lästig für ihn werden würde, wenn sie die einzige
wäre, die ihm das Leben gerettet hatte. Er will den Triumph ein wenig
verteilen, Brede darf wirklich den Rucksack und die Werkzeuge tragen,
ja, Axel ließ ein Wort fallen, daß ihm das eine Erleichterung sei, daß
es ihm wohltue. Allein Oline will sich nicht darein finden, sie zerrt
an dem Rucksack und erklärt, daß sie und sonst niemand tragen werde,
was zu tragen sei. Die schlaue Einfalt ist im Streit von allen Seiten.
Axel steht einen Augenblick ohne Stütze da, und Brede muß wahrhaftig
den Rucksack fahren lassen, um Axel zu stützen, obgleich dieser gar
nicht mehr wankt.

Und nun geht es in der Weise weiter, daß Brede den schwachen Mann
stützt und Oline die Last trägt. Sie schleppt und schleppt und ist
voll Grimm und Bosheit. Sie hat sich den geringsten und gröbsten Teil
der Arbeit auf dem Heimwege zuschieben lassen müssen! Was, zum Teufel,
hatte Brede hier verloren? -- Du, Brede, sagte sie. Was muß ich hören?
Dein Hof ist dir verkauft worden? -- Warum fragst du? erwiderte Brede
keck. -- Warum ich frage? Ich hab' nicht gewußt, daß das geheimgehalten
werden soll. -- Unsinn, Oline, du hättest kommen und auf den Hof bieten
sollen! -- Ich? Du treibst deinen Spott mit einem alten Weibe. -- So,
bist du denn nicht reich geworden? Es heißt doch, du habest des alten
Sivert Goldschrein geerbt, hahaha! -- Es stimmte Oline nicht milder,
daß sie an das fehlgeschlagene Erbe erinnert wurde. Ja, er, der alte
Sivert, hat mir alles Gute gegönnt, das kann man nicht anders sagen,
erwidert sie. Aber als er tot war, wurde er all seines irdischen
Gutes beraubt. Du weißt es ja auch, Brede, wie es ist, wenn man
ausgeplündert wird und kein eigenes Dach mehr über dem Kopf hat. Aber
der alte Sivert, der hat jetzt große Säle und Paläste, und du und ich,
Brede, wir sind noch auf der Erde, und jedermann wischt die Schuhe an
uns ab. -- Was gehst denn du mich an, sagt Brede und wendet sich an
Axel. Ich bin sehr froh, daß ich gerade vorbeigekommen bin und dir nach
Hause helfen kann. Gehe ich dir auch nicht zu schnell? -- Nein.

Aber mit Oline streiten, ein Wortgefecht mit Oline! Unmöglich!
Niemals gab sie nach, und niemand kam ihr darin gleich, Himmel und
Erde zusammenzumischen zu einem einzigen Gebräu von Bosheit und
Freundschaft, Gift und Gefasel. Nun muß sie auch noch hören, daß es
eigentlich Brede ist, der Axel nach Hause hilft. -- Was ich sagen
wollte, fing sie an. Hast du eigentlich den großen Herren, die damals
auf Sellanraa waren, deine Säcke mit Steinen gezeigt? -- Wenn du
willst, Axel, so nehme ich dich einfach auf den Rücken und trage dich,
sagt Brede. -- Nein, erwidert Axel. Aber ich danke dir für den guten
Willen.

Unterdessen gehen sie immer weiter, sie sind nun bald zu Hause, und
Oline begreift, daß sie keine Zeit verlieren darf, wenn sie noch etwas
erreichen will: Es wäre am besten gewesen, Brede, wenn _du_ Axel vom
Tode errettet hättest, sagt sie. Aber wie war das, Brede, du hast
seine Not gesehen und hast seine Hilferufe gehört und bist einfach
vorbeigegangen? -- Halt nur deinen Mund, Oline! sagt Brede.

Mundhalten wäre nun eigentlich auch das bequemste für sie gewesen,
sie watete im Schnee und hatte schwer zu tragen; sie keuchte, aber
den Mund hielt sie dennoch nicht. Sie hatte sich einen Trumpf für
zuletzt aufgespart, eine gefährliche Sache, sollte sie es wagen? --
Und die Barbro, die ist also auf und davon gegangen? fragt sie. -- Ja,
erwidert Brede leichtfertig. Und dadurch hast du einen Winterverdienst
bekommen. -- Aber hier bot sich Oline wieder eine gute Gelegenheit,
sie konnte zu verstehen geben, wie sehr sie gesucht sei, begehrt weit
herum in ihrer Gemeinde. Sie hätte zwei Plätze, ja eigentlich drei
haben können. Im Pfarrhaus wolle man sie auch haben. Und zu gleicher
Zeit gab sie etwas zu verstehen, was Axel wohl hören durfte, das konnte
nichts schaden: es sei ihr soundso viel für den Winter geboten worden,
dazu ein Paar neue Schuhe und das Futter für ein Schaf obendrein. Aber
sie wisse, daß sie hier auf Maaneland zu einem besonders guten Mann
komme, der sie überreich belohnen werde, und darum komme sie lieber
hierher. Nein, Brede solle sich nur keine Sorge machen, bis jetzt habe
ja der himmlische Vater eine Tür nach der andern vor ihr aufgetan
und sie aufgefordert, einzutreten. Und es sehe ja aus, als ob Gott
eine besondere Absicht dabei gehabt habe, als er sie nach Maaneland
schickte, denn sie habe heute abend einen Menschen vom Tode errettet.

Jetzt ist Axel ganz ermattet, und sein Bein versagt. Merkwürdig, bis
dahin ist es immer besser gegangen, je mehr Wärme und Leben in seine
Glieder zurückkehrten, jetzt jedoch hat er Brede dringend nötig, um
sich aufrecht halten zu können! Es schien anzufangen, als Oline von
ihrem Lohn sprach, und später, als sie ihm wieder das Leben gerettet
hatte, da wurde es ganz schlimm. Wollte er ihren Triumph noch einmal
herabsetzen? Gott weiß es, aber sein Hirn war jedenfalls wieder ganz in
Ordnung. Als sie sich den Häusern nähern, bleibt Axel stehen und sagt:
Ich glaube nicht, daß ich bis nach Hause kommen kann. Brede nimmt ihn
ohne weiteres auf den Rücken. Und nun geht's weiter, Oline voll Gift
und Galle, Axel, so lang er ist, auf Bredes Rücken. Aber wie ist denn
das, sollte Barbro nicht ein Kind bekommen? -- Ein Kind? stöhnt Brede
unter seiner Last. Es ist ein äußerst sonderbarer Aufzug, Axel läßt
sich bis auf die Türschwelle tragen.

Brede keucht unmäßig. Ja, oder war es etwa kein Kind? fragt Oline. --
Hier fällt Axel ein und sagt zu Brede: Ich weiß wirklich nicht, wie
ich heute abend hätte heimkommen sollen, wenn du nicht gewesen wärest!
Aber er vergißt auch Oline nicht und sagt: Ich danke auch dir, Oline,
du bist die erste gewesen, die mich gefunden hat. Ich danke euch allen
beiden.

Das war der Abend, an dem Axel gerettet wurde.

In den folgenden Tagen ist Oline schwer dazu zu bringen, von etwas
anderem zu reden als von dem großen Ereignis. Axel hat genug zu tun,
sie etwas in den Schranken zu halten. Oline kann das Plätzchen in
der Stube zeigen, wo sie stand, als der Engel des Herrn sie vor die
Tür rief, damit sie die Hilferufe höre; Axel hat wieder anderes zu
denken und muß ein Mann sein. Er fängt seine Arbeit im Walde wieder
an, und als er mit dem Baumfällen fertig ist, fährt er die Stämme nach
Sellanraa in die Sägemühle.

Das ist eine glatte und ebene Winterarbeit: Stämme hinauf und
zugeschnittene Bretter herunter! Aber es gilt, sich zu beeilen und
vor Neujahr fertig zu werden, bevor der starke Frost einsetzt und das
Sägewerk einfriert. Es geht sehr gut, alles wird fertig. Wenn Sivert
von Sellanraa gerade leer aus dem Dorf zurückkommt, nimmt auch er
einen Stamm auf seinen Schlitten und hilft seinem Nachbar. Die beiden
halten dann einen ordentlichen Schwatz zusammen und haben ihre Freude
aneinander.

Was gibt's Neues im Dorf? fragt Axel. -- Nichts, erwidert Sivert. Es
soll ein neuer Ansiedler hierherkommen.

Ein neuer Ansiedler, oh, das war nicht nichts, es war nur Siverts Art
zu sprechen. Jedes Jahr kam ein neuer Ansiedler in die Gegend und
ließ sich da nieder; es waren jetzt fünf Ansiedlungen unterhalb von
Breidablick, oberhalb ging es langsamer mit dem Kolonisieren, obgleich
der Boden nach Süden zu überall mehr Ackerkrume und weniger Moorland
aufwies. Der Ansiedler, der sich am weitesten hinausgewagt hatte, war
Isak, als er Sellanraa gründete, er war der mutigste und klügste. Nach
ihm kam Axel Ström. Nun hatte sich also ein neuer Mann angekauft. Der
neue Mann sollte eine große Strecke Moorland zum Entwässern und Wald
unterhalb Maaneland gekauft haben -- es war ja genug da.

Hast du gehört, was für ein Mann es ist? fragt Axel. -- Nein, erwidert
Sivert. Er kommt mit fertigen Häusern, die er herführen läßt und im
Handumdrehen aufstellt. -- So, dann hat er also Geld? -- Das muß er
wohl haben. Er kommt mit Familie, mit einer Frau und drei Kindern.
Und er hat Vieh und Pferde. -- Ja, dann hat er Geld, sagt Axel. Hast
du sonst nichts gehört? -- Nein. Er sei dreiunddreißig Jahre alt.
-- Wie heißt er denn? -- Aron, wird behauptet. Seinen Hof hat er
Storborg genannt. -- So, also Storborg, die große Burg. Ja, ja, das
ist nicht klein. -- Er ist von der Küste. Es heißt, er sei bis jetzt
beim Fischhandel gewesen. -- Dann kommt es also darauf an, ob er etwas
von der Landwirtschaft versteht, sagt Axel. Hast du sonst nichts von
ihm gehört? -- Nein. Er hat bar bezahlt, als er den Kaufbrief bekam.
Sonst hab' ich nichts gehört. Aber es heißt, er habe ein Heidengeld
mit seiner Fischerei verdient. Jetzt wolle er sich hier niederlassen
und Handel treiben. Ja, das wird behauptet. -- So, er will also Handel
treiben!

Das war das allerwichtigste, und die beiden Nachbarn besprachen
die Sache nach allen Seiten, während sie dahinfuhren. Es war eine
große Neuigkeit, vielleicht die größte in der ganzen Geschichte der
Ansiedlung, und es gab viel zu besprechen: Mit wem wollte der neue
Ansiedler Handel treiben? Mit den acht Gehöften auf der Allmende?
Oder hoffte er auch auf Kunden aus dem Dorfe? Auf jeden Fall würde ein
Kaufladen von großer Bedeutung sein, vielleicht vermehrte das auch die
Kolonisierung, und die Güter stiegen im Preise, wer konnte es wissen!

Wie sie redeten und der Sache nicht müde wurden! Diese beiden Männer
hatten ihre Interessen und ihre Ziele, die ebenso wichtig waren wie
die anderer, das Land war ihre Welt, die Arbeit, die Jahreszeiten,
die Ernte waren die Abenteuer, die sie erlebten. War dabei nicht auch
Spannung? Ho, Spannung genug! Oftmals konnten sie nur kurze Zeit
schlafen, oftmals mußten sie über die Mahlzeiten weg arbeiten, sie
konnten das ertragen, sie hatten die Gesundheit dazu; sieben Stunden
unter einem Föhrenstamm schadete ihnen nichts an Leben und Gesundheit,
wenn die Knochen ganz geblieben waren. Ein Leben in einer Welt ohne
Weite, ohne Ausblick? So! Aber welch eine Welt von Ausblick bot dieses
Storborg mit seinem Handel draußen auf dem Ödland!

Bis Weihnachten wurde darüber geredet ...

Axel hatte einen Brief erhalten, einen großen Brief mit einem Löwen
darauf, der war vom Staate: er solle die Telegraphendrähte, die Geräte
und das Werkzeug bei Brede Olsen abholen und von Neujahr an die
Aufsicht über die Linie übernehmen.



4


Mit vielen Pferden wird über das Moor gefahren, die Häuser werden dem
neuen Ansiedler zugefahren, eine Wagenladung nach der andern, tagelang.
An einer Stelle, die später Storborg heißen soll, wird abgeladen; das
Anwesen wird auch gewiß einmal sehr groß, vier Mann sind drüben am Hang
und brechen Steine zu einer Mauer und zwei Kellern aus.

Es wird gefahren und gefahren. Jeder Balken ist schon genau zugehauen,
sie brauchen, wenn der Frühling kommt, nur zusammengefügt werden,
das ist fein ausgerechnet; die Balken haben laufende Nummern, und es
fehlt keine Tür, kein Fenster, ja nicht eine farbige Glasscheibe für
die Veranda. Und eines Tages kommt ein Wagen mit einer hohen Last von
Latten daher. Was ist das? Einer von den Ansiedlern unterhalb von
Breidablick weiß es; er ist aus dem Süden und hat das schon früher
gesehen. Das gibt einen Gartenzaun, sagt er. -- Der neue Mann will sich
also hier im Ödland einen Garten anlegen, einen großen Garten.

Das schien sich gut anzulassen, noch niemals hatte es einen solchen
Verkehr über die Moore gegeben, und viele Pferdebesitzer verdienten ein
schönes Geld durch Fuhren, die sie leisteten. Sie besprachen auch die
Sache mündlich unter sich: Nun war Aussicht auf zukünftigen Verdienst,
der Kaufmann würde seine Waren aus dem In- und Ausland beziehen, und
sie mußten mit vielen Pferden von der See heraufgeführt werden.

Es sah aus, als ob alles recht großartig werden würde. Ein junger
Aufseher oder Bevollmächtigter war angekommen, der den Fuhrbetrieb
leitete, er trieb und drängte und schien nicht Pferde genug auftreiben
zu können, obgleich nicht mehr allzu viele Wagenladungen übrig waren.
Es sind ja gar nicht so viele Wagenladungen von den Häusern mehr übrig,
wurde ihm gesagt. -- Ja, aber alle Waren, erwiderte er. -- Sivert von
Sellanraa kam wieder wie gewöhnlich mit leerem Wagen dahergefahren,
und der Aufseher rief ihm zu: Warum kommst du leer? Du hättest doch
eine Wagenladung für uns bis Storborg mitnehmen können. -- Das hätte
ich wohl können, aber ich wußte nichts davon, entgegnete Sivert. -- Er
ist von Sellanraa, und sie haben dort zwei Pferde, flüsterte jemand
dem Aufseher zu. -- Ist es wahr, daß ihr zwei Pferde habt? fragte
dieser. Komm mit beiden her und leiste Fuhren für uns, hier ist Geld
zu verdienen. -- Ja, das wäre nicht so uneben, meinte Sievert. Aber
jetzt gerade haben wir schlecht Zeit! -- Hast du keine Zeit, Geld zu
verdienen? fragte der Aufseher.

Nein, auf Sellanraa hatten sie nicht immer übrige Zeit, es war da gar
zu viel zu tun. Und jetzt hatten sie sogar zum erstenmal Männer zur
Hilfe gedingt, zwei schwedische Maurer sprengten Steine zu einem Stall.

Dieser Stall war seit vielen Jahren Isaks großer Gedanke gewesen,
die Gamme für das Vieh wurde allmählich zu klein und zu dürftig, ein
steinerner Stall mit doppelten Mauern und einer richtigen Dungstätte
sollte es werden. Aber es war so vieles, was gemacht werden sollte,
das eine zog immer wieder das andere nach sich; jedenfalls hörte das
Bauen niemals auf. Isak hatte ein Sägewerk und eine Mühle und einen
Sommerstall, warum sollte er nicht auch eine Schmiede haben? Nur eine
kleine Schmiede zur Nothilfe, es war ja so weit ins Dorf, wenn der
Vorhammer sich bog oder man ein paar neue Hufeisen brauchte. Eine Esse
und einen Amboß, warum sollte er die nicht haben? Im ganzen entstanden
ja so viele große und kleine Gebäude auf Sellanraa.

Der Hof wird immer größer, wird gewaltig groß, es geht auch nicht
mehr ohne Dienstmagd, und Jensine muß ganz dableiben. Ihr Vater, der
Schmied, fragt gelegentlich nach ihr, und ob sie nicht bald wieder
heimkomme, aber er besteht nicht darauf, er ist sehr nachgiebig und
hat wohl eine Absicht dabei. Sellanraa liegt am höchsten in der
Allmende und nimmt immer mehr zu, nimmt zu an Häusern und an Grund
und Boden, die Menschen sind immer dieselben. Die Lappen kommen jetzt
nicht mehr vorbei und spielen sich als Herren in der Ansiedlung auf,
das hat längst aufgehört. Die Lappen kommen überhaupt nicht mehr
oft vorbei, sie machen lieber einen großen Bogen um den Hof herum,
jedenfalls kommen sie nicht mehr ins Haus herein, sie bleiben draußen
stehen, wenn sie überhaupt stehenbleiben. Die Lappen treiben sich in
der Einöde, im Dunkeln herum; wenn sie in Licht und Luft gebracht
werden, gehen sie ein wie Maden und Ungeziefer. Ab und zu verschwindet
an einer entlegenen Stelle ein Kalb oder ein Lamm, ganz weit draußen,
wo Sellanraa aufhört. Dagegen ist nichts zu machen. Natürlich kann
Sellanraa das tragen. Und wenn Sivert auch schießen könnte, so hätte
er doch keine Flinte, aber er kann nicht schießen, er ist lustig und
unkriegerisch, ein großer Schelm. Außerdem ist das Abschießen von
Lappen wohl verboten, sagt er.

Sellanraa kann kleine Verluste seines Viehstandes verschmerzen, denn es
ist groß und stark, aber es ist nicht ohne Sorgen, ach nein! Inger ist
keineswegs das ganze Jahr hindurch mit sich und ihrem Leben zufrieden,
nein, sie hat einmal eine große Reise gemacht, und da ist wohl eine
Art verderblicher Abgespanntheit über sie gekommen. Die verschwindet
und kommt wieder. Sie ist rasch und fleißig wie in ihren besten Tagen,
und sie ist eine hübsche und gesunde Frau für ihren Mann, für den
Mühlengeist, aber hat sie nicht auch Erinnerungen von Drontheim? Träumt
sie niemals? Doch und besonders während des Winters. Da gärt zuweilen
eine ganz verfluchte Lebenslust in ihr, und da sie nicht allein tanzen
kann, gibt es keinen Ball. Schwere Gedanken und ein Andachtsbuch? Ach
ja, jawohl, aber Gott weiß, das andere ist auch schön und herrlich! Sie
ist genügsam geworden; die schwedischen Maurer sind jedenfalls fremde
Menschen und ungewohnte Stimmen auf dem Hofe, aber es sind ältere und
ruhige Männer, die nicht spielen, sondern arbeiten. Aber sie sind doch
besser als gar nichts, sie bringen doch etwas Leben mit sich, der eine
singt wunderschön, und Inger bleibt bisweilen stehen und hört ihm zu.
Der Mann heißt Hjalmar.

Aber damit ist noch nicht alles gut und recht auf Sellanraa. Da ist
zum Beispiel die große Enttäuschung mit Eleseus. Von ihm war ein
Brief gekommen, daß seine Stelle bei dem Ingenieur aufgehört habe,
aber er werde bald eine andere bekommen, er müsse nur warten. Dann
kam ein Brief, er könne, während er auf einen hohen Posten in einem
Büro warte, nicht von nichts leben, und als ihm von zu Hause ein
Hundertkronenschein geschickt wurde, schrieb er zurück, das habe gerade
genügt, einige kleine Schulden zu decken. -- So, sagte Isak. Aber nun
haben wir die Maurer und allerlei Auslagen, frag du nur den Eleseus, ob
er nicht lieber heimkommen wolle und uns helfen! -- Inger schrieb, aber
Eleseus wollte nicht wieder heimkommen, nein, er wollte die Reise nicht
unnötig noch einmal machen, lieber wollte er hungern.

Seht, es war wohl in der ganzen Stadt keine hohe Stelle in einem Büro
frei, und Eleseus war vielleicht auch nicht Draufgänger genug, sich
seinen Weg zu bahnen. Gott weiß, vielleicht war er auch nicht besonders
tüchtig. Geschickt und fleißig im Schreiben war er wohl, aber ob er
auch klug und gescheit war? Und wenn nicht, wie würde es ihm dann gehen?

Als er mit den zweihundert Kronen von zu Hause in die Stadt
zurückkehrte, kam diese sofort mit ihren unbezahlten Rechnungen daher,
und nachdem er diese beglichen hatte, mußte er sich einen Stock kaufen,
der alte Regenschirmstock tat es nicht mehr. Verschiedene andere Dinge,
die er sich anschaffen mußte, lagen auch nahe, eine Pelzmütze für den
Winter, wie alle seine Kameraden eine hatten, ein Paar Schlittschuhe,
einen silbernen Zahnstocher, um sich damit die Zähne zu stochern und
elegant damit zu deuten, wenn man bei einem Gläschen zusammensaß und
schwatzte. Und solange er noch reich war, hielt er die andern frei,
so gut er konnte; bei seinem Ankunftsfest ließ er mit der größten
Sparsamkeit ein halbes Dutzend Bierflaschen aufziehen. -- Was, du gibst
der Kellnerin zwanzig Öre? wurde er gefragt. Wir geben zehn. -- Nur
nicht kleinlich sein! sagte Eleseus.

Er war nicht kleinlich, nein, das stand ihm gar nicht an, er stammte
von einem großen Hof, ja, von einem Herrenhof, sein Vater, der
Markgraf, besaß unendliche Wälder und vier Pferde, dreißig Kühe
und drei Mähmaschinen. Eleseus war kein Lügenbeutel, und nicht er
hatte die Märe von dem Herrenhof Sellanraa verbreitet, das hatte der
Bezirksingenieur seinerzeit getan und in der Stadt damit geprahlt.
Aber es war Eleseus nicht gerade zuwider, daß dieses Märchen so halb
und halb geglaubt wurde. Da er selber nichts war, konnte er wenigstens
der Sohn von jemand sein, das verschaffte ihm Kredit, und er konnte
sich durchschlagen. Aber auf die Dauer ging das doch nicht, endlich
sollte er doch einmal bezahlen, und da saß er fest. Einer seiner
Kameraden verschaffte ihm dann eine Anstellung im Geschäft seines
Vaters. Es war ein Laden mit Bauernkundschaft, der die verschiedensten
Waren führte; aber es war immerhin besser als gar nichts. Es war recht
unangenehm für einen so alten Knaben, mit einem Anfängergehalt in einem
Kramladen zu stehen, wenn er sich doch zum Lensmann hatte ausbilden
wollen; aber er verdiente wenigstens seinen Lebensunterhalt dabei,
es war ein vorläufiger Ausweg, ach, es war eigentlich gar nicht so
schlimm. Eleseus war auch hier freundlich und gefällig und war bei den
Kunden beliebt. Und er schrieb nach Hause, er sei jetzt zum Handel
übergegangen.

Aber das war nun die große Enttäuschung seiner Mutter. Wenn Eleseus
hinter einem Ladentisch stand, so war er ja auch nicht mehr als
der Ladendiener beim Kaufmann im Dorfe drunten. Früher war er
unvergleichlich viel mehr gewesen, außer ihm hatte niemand je das Dorf
verlassen und auf einem Büro gearbeitet. Hatte er denn sein großes
Ziel aus dem Auge verloren? Inger war nicht so dumm, sie wußte, daß es
einen Unterschied gab zwischen dem Gewöhnlichen und dem Ungewöhnlichen,
aber sie konnte das vielleicht nicht so genau unterscheiden. Isak war
einfältiger und einfacher, er rechnete jetzt immer weniger mit Eleseus,
wenn er rechnete; sein ältester Sohn war gewissermaßen aus seinem
Gesichtskreis hinausgeglitten, er hörte auf, sich Sellanraa zwischen
seinen beiden Söhnen geteilt zu denken, wenn er einmal nicht mehr
dasein sollte.

Im Frühjahr kamen Ingenieure und Arbeiter aus Schweden; sie sollten
Wege bauen, Baracken errichten, Grundstücke ausebnen, sprengen,
Verbindungen mit Lebensmittellieferanten, mit Pferdebesitzern, mit
Grundbesitzern an der See abschließen -- wozu das alles? Sind wir denn
nicht im Ödland, wo alles still und tot ist? Doch, aber jetzt sollte
ein Versuchsbetrieb auf dem Kupferberg eröffnet werden.

So, nun wurde also doch etwas aus der Sache, Geißler hatte keine leeren
Umtriebe gemacht.

Es waren nicht dieselben großen Herren wie das letztemal, der Landrat
fehlte, der Grubenbesitzer fehlte, aber es war der alte Sachverständige
und der alte Ingenieur. Sie kauften Isak alle seine gesägten Bretter
ab, die er nur entbehren konnte, sie kauften Nahrungsmittel und
Getränke und bezahlten gut, dann unterhielten sie sich und waren
freundlich und sagten, Sellanraa gefalle ihnen. Eine Seilbahn! sagten
sie. Eine Luftbahn vom Berggipfel hinunter an die See, sagten sie. --
Über alle Moore weg? fragte Isak, denn er war schwach im Denken. --
Ach, da mußten sie lachen! Auf der andern Seite, sagten sie, nicht
auf dieser Seite, das würde ja viele Meilen weit sein. Nein, auf der
andern Seite des Berges, gleich zum Meer hinunter, da ist starkes
Gefälle und gar keine Entfernung. Wir lassen das Erz durch die Luft
in eisernen Trögen hinunter, du wirst sehen, es wird großartig! Aber
zum Anfang wird das Erz hinuntergefahren, wir bauen einen Weg und
lassen es mit den Pferden hinunterfahren -- oh, mit wenigstens fünfzig
Pferden, auch das wird großartig. Und wir sind auch nicht nur so wenig
Leute, wie du hier siehst. Was sind denn wir? Nichts! Von der andern
Seite kommen noch mehr; ein ganzer Zug Arbeiter und fertige Baracken
und Nahrungsmittel und alle Art von Gerätschaften, wir treffen oben
auf der Höhe zusammen. Es kommt Zug in die Sache, Millionen, und das
Erz kommt nach Südamerika. -- Ist der Landrat nicht mit dabei? fragte
Isak. -- Was für ein Landrat? Ach der? Nein, der hat verkauft! -- Und
der Grubenbesitzer? -- Der hat auch verkauft. So, du erinnerst dich an
sie? Nein, die haben verkauft. Und die von ihnen abgekauft haben, haben
wieder verkauft. Jetzt gehört der Kupferberg einer großen Gesellschaft,
ungeheuer reichen Leuten. -- Wo mag wohl Geißler sein? fragte Isak.
-- Geißler? Kenne ich nicht. -- Der Lensmann Geißler, der damals den
Kupferberg verkauft hat. -- Ach der! Hat der Geißler geheißen? Gott
weiß, wo er hingekommen ist. Erinnerst du dich an den auch noch?

Dann sprengten sie und arbeiteten in den Bergen mit vielen Leuten
den ganzen Sommer über, es war ein großer Betrieb. Inger hatte
einen ausgedehnten Handel mit Milch und Käse, und sie fand es recht
unterhaltend, Handel zu treiben und viele Menschen kommen und gehen zu
sehen. Isak schritt mit seinem dröhnenden Gang weit aus und bestellte
sein Land, er ließ sich durch nichts stören. Die zwei Maurer und Sivert
bauten den Stall. Es wurde ein großer Bau; aber es dauerte lange, bis
er aufgerichtet war, es waren zu wenig Mann bei der Arbeit, und Sivert
war außerdem oft nicht dabei, weil er bei der Feldarbeit helfen mußte.
Jetzt war es gut, daß sie eine Mähmaschine hatten und drei flinke
Frauenzimmer beim Heuwenden.

Alles war gut geworden, das Ödland war zum Leben erwacht, Geld blühte
allenthalben.

Seht doch nur den Handelsplatz Storborg, war das nicht ein Geschäft
im großen Stil? Dieser Aron mußte doch ein verfluchter Kerl sein, er
mußte seinerzeit von der bevorstehenden Grubenarbeit Wind bekommen
haben und war sofort heraufgezogen mit seinem Kramladen; er handelte,
oh, er handelte wie eine Regierung, ja, wie ein König. Zuallererst
verkaufte er allerlei Haushaltungsgegenstände und Arbeiteranzüge; aber
die Grubenarbeiter, die Geld haben, sind nicht so sparsam damit, daß
sie alle nur das Notwendige kaufen, nein, sie kaufen alles. Besonders
an den Sonntagabenden wimmelte es auf dem Handelsplatz Storborg von
Käufern, und Aron strich Geld ein; er hatte seinen Ladendiener und
seine Frau zur Hilfe hinter dem Ladentisch und verkaufte selbst, was
er vermochte, aber es wurde nicht leer in seinem Laden bis tief in die
Nacht hinein. Und es zeigte sich, daß die Pferdebesitzer im Dorfe recht
behielten, es gab einen gewaltigen Fuhrwerksbetrieb mit Waren hinauf
nach Storborg, die Straße mußte an verschiedenen Stellen verlegt und
ordentlich instand gesetzt werden, jetzt war es etwas ganz anderes als
Isaks schmaler Fußweg durchs Ödland. Aron wurde der reine Wohltäter für
die Gegend mit seinem Handel und seiner Straße. Er hieß übrigens nicht
Aron, das war nur sein Taufname, er hieß Aronsen, so nannte er sich
wenigstens selbst, und so hieß ihn seine Frau. Die Familie tat recht
großartig und hielt zwei Dienstmägde und einen Knecht.

Der Grund und Boden auf Storborg blieb vorläufig unbebaut liegen, sie
hatten keine Zeit für Landwirtschaft, wer hätte auch im Moor Gräben
ziehen wollen! Dafür hatte Aronsen einen Garten mit einem Lattenzaun
und mit Johannisbeerensträuchern und Astern und Ebereschen und anderen
gepflanzten Bäumen, einen feinen Garten. Es war ein breiter Gang darin,
auf dem Aronsen an den Sonntagen auf und ab gehen und eine lange Pfeife
rauchen konnte. Im Hintergrund lag die Veranda des Hauses mit roten und
gelben und blauen Scheiben. Storborg! Drei kleine hübsche Kinder liefen
herum, das Mädchen sollte lernen, Haustochter eines Kaufmanns zu sein,
die Söhne sollten selbst die Handelsschaft erlernen; oh, drei Kinder
mit einer Zukunft vor sich!

Hätte Aronsen nicht an die Zukunft gedacht, so wäre er überhaupt nicht
hierhergekommen. Er hätte bei seiner Fischerei bleiben, und wenn er
Glück hatte, auch dabei viel Geld verdienen können; aber das war
nicht so vornehm wie ein Handelsgeschäft, es brachte nicht so viel
Hochachtung ein, die Hüte flogen da nicht vor einem von den Köpfen.
Aronsen hatte seither gerudert, in Zukunft wollte er segeln. Er hatte
eine Redensart: bom konstant. Seine Kinder sollten es mehr bom konstant
haben, als er es gehabt hatte, sagte er, damit meinte er, sie sollten
weniger hart arbeiten müssen.

Und siehe da, die Sache ließ sich gut an, er und seine Frau, ja sogar
seine Kinder wurden höflich gegrüßt. Man durfte es nicht gering
anschlagen, daß sogar die Kinder gegrüßt wurden. Die Grubenarbeiter
kamen vom Berg herunter und hatten seit langer Zeit keine Kinder mehr
gesehen. Aronsens Kinder liefen ihnen bis vor den Hof entgegen, und
die Arbeiter redeten gleich so freundlich mit ihnen, als hätten sie
drei Pudelhunde vor sich. Sie hätten den Kindern gerne Geld geschenkt,
weil es aber die Kinder des Kaufmanns waren, spielten sie ihnen statt
dessen auf der Mundharmonika vor. Gustaf kam, der junge Wildfang mit
dem Hut auf einem Ohre und dem munteren Geplauder, ja er kam herbei und
schäkerte eine gute Weile mit den Kindern. Die Kinder kannten ihn auch
gleich, wenn er ankam, und liefen ihm entgegen, er lud sie sich alle
drei auf den Rücken und tanzte mit ihnen herum. Ho! sagte Gustaf und
tanzte. Dann nahm er seine Mundharmonika und blies Lieder und Weisen,
so schön, daß die beiden Dienstmägde herauskamen und Gustafs Spiel mit
nassen Augen zuhörten. Gustaf wußte, was er tat, der ausgelassene Kerl!

Nach einer Weile ging er in den Laden und klimperte mit seinem Geld und
füllte seinen ganzen Rucksack mit den verschiedensten Sachen, und als
er dann wieder heim in die Berge ging, hatte er einen ganzen kleinen
Kramladen bei sich, den er auf Sellanraa auspackte und vorwies. Er
hatte Briefpapier mit Blumen darauf und eine neue Pfeife und ein neues
Hemd und ein Halstuch mit Fransen dran, hatte Süßigkeiten, die er an
die Frauen austeilte; er hatte glänzende Sachen, eine Uhrkette mit
einem Kompaß daran, ein Federmesser; ja, er hatte eine Menge Sachen,
unter anderem auch Raketen, die er sich für den Sonntag gekauft hatte,
um sich und andere damit zu unterhalten. Inger setzte ihm Milch zu
trinken vor, und er spaßte mit Leopoldine und hob die kleine Rebekka
hoch in die Luft. -- Na, steht der Stall bald? fragte er seine
Landsleute, die Maurer, und war auch mit diesen gut Freund. -- Nein,
sie hätten nicht Hilfe genug, sagten die Maurer. -- Dann wolle er ihnen
helfen, sagte Gustaf zum Spaß. -- Das wäre sehr gut, meinte Inger, denn
der Stall sollte bis zum Herbst fertig sein, wenn das Vieh nicht mehr
draußen bleiben könne.

Nun ließ Gustaf eine Rakete steigen, und nachdem er einmal eine
abgebrannt hatte, konnte er auch gleich alle sechse steigen lassen,
und die Weiberleute und die Kinder hielten den Atem an vor lauter
Verwunderung über dieses Hexenwerk und den Hexenmeister, der es gemacht
hatte. Inger hatte noch niemals eine Rakete gesehen, aber dieser
sonderbare Blitz erinnerte sie an die große Welt. Was wollte jetzt
eine Nähmaschine bedeuten! Und als Gustaf schließlich auch noch die
Mundharmonika spielte, wäre ihm Inger am liebsten nachgezogen vor
lauter Rührung...

Die Grubenarbeit geht ihren Gang, und das Erz wird mit Pferden an die
See hinuntergefahren; ein Dampfschiff ist schon damit beladen worden
und nach Südamerika abgedampft, und dafür ist ein neues angekommen.
Großer Betrieb. Jedermann, der überhaupt gehen kann, ist im Gebirge
gewesen und hat sich die Wunder angeschaut, auch Brede Olsen ist mit
seinen Gesteinsproben dort gewesen, ist jedoch abgewiesen worden,
weil der Sachverständige wieder nach Schweden abgereist war. An den
Sonntagen war große Völkerwanderung aus dem Dorfe, ja sogar Axel Ström,
der keine Zeit zu verlieren hat, ist ein paarmal, als er die Linie
nachsah, dagewesen. Jetzt gibt es bald niemand mehr, der die Wunder
noch nicht gesehen hat. Da zieht wahrhaftig sogar Inger Sellanraa ihre
schönen Kleider an, steckt den goldenen Ring an den Finger und geht in
die Berge.

Was will sie dort?

Sie will eigentlich gar nichts, sie ist nicht einmal neugierig, zu
sehen, wie der Berg geöffnet wird, sie will nur sich sehen lassen.
Als Inger sah, daß andere Frauen in die Berge gingen, spürte sie, daß
auch sie ihnen nach mußte. Sie hat eine entstellende Narbe an der
Oberlippe und hat erwachsene Kinder, aber sie will den andern nach. Es
ärgert sie, daß diese jung sind, aber sie will versuchen, es mit ihnen
aufzunehmen; sie hat noch nicht angefangen, dick zu werden, sie ist
groß und hübsch und sieht gut aus. Natürlich ist sie nicht mehr rot und
weiß, und ihre zarte Pfirsichhaut ist schon längst vergangen, aber man
würde schon sehen, sie kamen sicher, nickten und sagten: Die ist recht!

Die Arbeiter kommen ihr mit großer Freundlichkeit entgegen, sie haben
von Inger manchen Topf Milch erhalten und kennen sie; sie führen sie in
den Gruben, in den Baracken, in den Ställen, in der Küche, im Keller,
im Vorratshaus umher, die dreistesten unter ihnen rücken ihr auf den
Leib und nehmen sie ein wenig in den Arm; aber das macht Inger nichts,
das tut ihr wohl. Wenn sie Stufen hinauf- oder hinuntergeht, hebt sie
den Rock hoch auf und läßt ihre Waden sehen, aber sie ist ganz gelassen
dabei und tut, als ob nichts geschehen wäre. Die ist recht! denken die
Arbeiter.

Das alte Ding, sie ist trotz allem rührend: es war leicht zu merken,
ein ihr zugeworfener Blick von diesen warmblütigen Mannsleuten kam
ihr unerwartet, sie war dankbar dafür und vergalt ihn, es tat ihr
ordentlich wohl, in Gefahr zu sein, sie war ein Frauenzimmer wie
andere. Sie war wohl aus Mangel an Versuchung bisher ehrbar gewesen.

Das alte Ding!

Gustaf kam auch dazu. Er überließ zwei Mädchen aus dem Dorf einem
Kameraden, nur um herbeikommen zu können. Gustaf wußte, was er tat; er
schüttelte Inger mit überflüssiger Wärme die Hand zum Gruße, aber er
drängte sich nicht auf. -- Na, Gustaf, kommst du nicht bald und hilfst
uns beim Stallbau? fragte Inger und wird dabei dunkelrot. -- Gustaf
antwortet, ja, nun komme er bald. Seine Kameraden hören das und sagen,
sie kämen nun bald alle miteinander. -- Ja, werdet ihr denn nicht den
ganzen Winter hier in den Bergen bleiben? fragt Inger. Die Arbeiter
antworten zurückhaltend, nein, es sehe nicht danach aus. Gustaf ist
kecker, er sagt lachend, sie hätten nun bald alles vorhandene Kupfer
herausgekratzt. -- Das ist nicht dein Ernst! ruft Inger. -- Nein,
erwiderten die andern Arbeiter, Gustaf solle sich in acht nehmen, so
etwas zu sagen.

Aber Gustaf nahm sich nicht in acht, er sagte lachend noch viel mehr,
und was Inger betrifft, so gewann er sie für sich allein, obgleich
er nicht zudringlich war. Ein anderer junger Mann spielte die
Ziehharmonika, aber das war lange nicht dasselbe, wie wenn Gustaf die
Mundharmonika blies. Ein dritter junger Mann, auch ein Tausendsassa,
suchte dadurch die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, daß er auswendig
ein Lied zur Ziehharmonika sang; aber es war auch das nichts
Besonderes, obgleich er eine rollende Stimme hatte. Nach kurzer Zeit
hatte Gustaf wahrhaftig Ingers goldenen Ring an seinem kleinen Finger
stecken. Und wie war das zugegangen, da er sich doch nicht aufgedrängt
hatte? Ei, er drängte sich genügend herzu, aber er machte es in aller
Stille, gerade wie sie auch, es ging ohne Worte, sie tat, wie wenn sie
es gar nicht merkte, als er sich mit ihrer Hand zu schaffen machte. Als
sie dann später in der Barackenküche saß und Kaffee trank, hörte sie
draußen etwas Lärm und Streit, und sie begriff, daß dies sozusagen ihr
zu Ehren war. Das reizte sie auf, das alte Birkhuhn saß da und lauschte
auf ein angenehmes Geräusch.

Wie Inger an jenem Sonntagabend von den Bergen nach Hause kam? Ho,
ausgezeichnet, ebenso tugendhaft, wie sie gegangen war, nicht mehr
und nicht minder. Viele Männer gaben ihr das Geleite, und die vielen
Männer wollten nicht umkehren, solange Gustaf bei ihr war, sie gaben
nicht nach, sie wollten nicht nachgeben! Nicht einmal draußen in der
großen Welt hatte es Inger so unterhaltend gehabt. -- Ob Inger nichts
vermisse, fragten sie schließlich. -- Vermissen, nein. -- Den goldenen
Ring! sagten sie. -- Nun mußte Gustaf damit herausrücken, er hatte ein
ganzes Heer gegen sich. -- Es ist gut, daß du ihn gefunden hast, sagte
Inger und beeilte sich, von ihrem Gefolge Abschied zu nehmen.

Sie näherte sich Sellanraa und sah die vielen Dächer, dort unten war
ihr Heim. Sie erwachte wieder zu der tüchtigen Frau, die sie war; sie
geht einen Fußweg am Sommerstall vorbei, um nach dem Vieh zu sehen, und
auf dem Wege dahin kommt sie an einer Stelle vorbei, die sie gut kennt:
hier lag einmal ein kleines Kind begraben, sie hatte die Erde mit den
Händen zusammengescharrt und ein kleines Kreuz darauf gesteckt. Ach,
wie lange war das her! Und gleich denkt sie weiter: Ob wohl die Mädchen
gemolken und für den Abend alles in Ordnung gebracht haben!

Die Grubenarbeit geht weiter, jawohl, aber es wird gemunkelt, daß der
Berg nicht halte, was er versprochen habe. Der Sachkundige, der nach
Hause gereist war, kommt wieder und hat noch einen zweiten Sachkundigen
bei sich, sie bohren und sprengen und untersuchen gründlich. Was ist
denn nicht in Ordnung? Das Kupfer ist fein genug, daran fehlt es nicht,
aber die Ader ist dünn, sie nimmt nach Süden an Dicke zu und fängt
gerade da, wo die Grenzlinie der Gesellschaft geht, erst an, dick
und herrlich zu werden, aber da ist die Allmende. Seht, die ersten
Käufer hatten sich wohl nicht viel bei ihrem Kauf gedacht, es war ein
Familienrat, Verwandte, die auf Spekulation kauften; sie hatten sich
nicht den ganzen Berg gesichert, all die vielen Meilen bis zum nächsten
Tale, nein, sie kauften ein Stückchen von Isak Sellanraa und Geißler
und verkauften dann wieder.

Und was ist nun zu tun? Die Herren und die Vorarbeiter und die
Sachkundigen wissen das sehr gut, sie müssen sofort mit dem
Staat verhandeln. Sie schicken also eine Stafette nach Hause mit
Briefschaften und Karten und reiten danach selbst zum Lensmann, um
Beschlag auf den ganzen Bergzug auf der Südseite des Wassers zu legen.
Aber jetzt treffen sie auf allerlei Schwierigkeiten. Das Gesetz steht
ihnen im Weg, sie sind Ausländer, sie können nicht direkt kaufen.
Das wissen sie wohl, da haben sie vorgesorgt. Allein die Südseite des
Berges ist bereits verkauft, das haben sie nicht gewußt. -- Verkauft?
sagen die Herren. -- Schon lange, schon seit mehreren Jahren. -- Wer
hat das Land gekauft? -- Geißler. -- Was für ein Geißler? Ach der? --
Verbrieft und versiegelt, sagt der Lensmann. Es ist kahler Fels, er hat
ihn beinahe für nichts bekommen. -- Aber zum Kuckuck, was ist denn das
für ein Geißler, von dem wir immer wieder hören! Wo ist er? -- Gott
weiß, wo er ist.

Die Herren mußten eine neue Stafette nach Schweden schicken. Und sie
mußten ja auch versuchen, herauszubringen, wer dieser Geißler war.
Vorläufig konnten sie nicht mehr mit voller Mannschaft weiterarbeiten
lassen.

Nun kam Gustaf hinunter nach Sellanraa; er trug all sein irdisch Gut
auf dem Rücken und sagte, nun komme er! Jawohl, Gustaf hatte den Dienst
bei der Gesellschaft verlassen, das heißt, er hatte sich am letzten
Sonntag etwas zu offenherzig über den Kupferberg geäußert, seine Worte
waren dem Vorarbeiter und dem Ingenieur hinterbracht worden, und Gustaf
hatte den Abschied erhalten. Glückliche Reise, und außerdem war es
vielleicht gerade das, was er gewollt hatte: nun erweckte es keinen
Verdacht, wenn er nach Sellanraa ging. Er bekam sofort Arbeit beim
Stallbau.

Sie mauern und mauern, und als kurz darauf noch ein Mann von den Bergen
kommt, findet auch er einen Platz bei der Arbeit; nun konnten zwei
Schichten gemacht werden, und die Arbeit ging rasch von der Hand. Der
Stall würde bis zum Herbst doch noch fertig werden.

Aber ein Arbeiter nach dem andern kam von den Bergen herunter, allen
war aufgekündigt worden, und sie zogen wieder heim nach Schweden. Der
Versuchsbetrieb sollte aufhören. Im Dorfe drunten ging es wie ein
Seufzer durch alle Menschen; seht, sie waren so töricht, sie begriffen
nicht, daß ein Probebetrieb ein Betrieb auf Probe ist, aber das war
es. Mißmut und schlimme Ahnungen ergriffen die Menschen im Dorfe, das
Geld wurde seltener, die Löhne wurden herabgesetzt, der Handelsplatz
Storborg verödete. Was sollte das alles bedeuten? Nun war doch alles
so schön im Gang, Aronsen hatte sich eine Flaggenstange und eine
Flagge angeschafft, er hatte sich für den Winter ein Eisbärfell für
seinen Familienschlitten gekauft und die ganze Familie mit großartigen
Kleidern ausstaffiert. Das waren ja nur Kleinigkeiten, aber es waren
auch große Dinge geschehen: zwei neue Ansiedler hatten sich Rodeland
in der Gegend gekauft, hoch oben zwischen Maaneland und Sellanraa,
das war keine unbedeutende Sache für diese kleine abgelegene Welt.
Die beiden Ansiedler hatten ihre Gammen errichtet, hatten gerodet und
Moore entwässert, es waren fleißige Leute, sie waren in kurzer Zeit
weit gekommen. Den ganzen Sommer über hatten sie ihre Nahrungsmittel
in Storborg gekauft, aber als sie das letztemal kamen, war fast
nichts mehr zu haben. Waren -- was sollte Aronsen mit Waren, wenn
der Grubenbetrieb aufgehört hatte? Nun hatte er beinahe keine Waren
mehr, er hatte nur Geld. Von allen Leuten in der Gegend war vielleicht
Aronsen der mißmutigste; er hatte sich mit seinem Überschlag gar zu
sehr verrechnet. Als ihm geraten wurde, sein Land zu bebauen und bis
bessere Zeiten kämen, davon zu leben, antwortete er: Das Land bebauen?
Dazu bin ich mit den Meinen nicht hierhergekommen.

Zuletzt hielt es Aronsen nicht mehr aus, er wollte selbst hinauf zu
den Gruben und einmal nach der Sache sehen. Es war an einem Sonntag.
Als er nach Sellanraa kam, wollte er Isak mit hinaufnehmen; aber Isak
hatte noch keinen Fuß ins Gebirge gesetzt, seit dort der Betrieb
angefangen hatte, er gedieh am besten auf seiner Halde. Inger mußte
sich ins Mittel legen. Kannst du denn nicht mit Aronsen gehen, wenn er
dich darum bittet, sagte sie. Sieh einmal an, Inger hatte wohl nichts
dagegen, wenn Isak eine Weile von zu Hause weg war! Es war Sonntag, sie
wollte ihn wohl gerne ein paar Stunden los sein. So ging Isak also mit.

Sie sahen allerlei Neues auf dem Berge, Isak kannte sich in dieser
neuen Stadt von Baracken und Wagenschuppen und gähnenden Gruben gar
nicht mehr aus. Der Ingenieur selbst führte sie herum. Vielleicht
war dem guten Ingenieur zurzeit nicht so ganz leicht zumute, aber er
versuchte, der schweren Stimmung, die auf der ganzen Gegend und auf der
Gemeinde lastete, entgegenzuarbeiten. Da war nun eine gute Gelegenheit,
der Markgraf von Sellanraa selbst und der Kaufmann von Storborg waren
auf dem Platze.

Der Ingenieur erklärte die Gesteinsarten: Kies, Kupferkies, der
enthielt Kupfer, Eisen und Schwefel. Ja, er wußte bis aufs Tüpfelchen,
was der Berg enthielt, er enthielt sogar ein wenig Silber und Gold.
Man trieb nicht Bergbau, ohne seine Sache zu können. Aber soll das
nun aufhören? fragte Aronsen. -- Aufhören? wiederholte der Ingenieur
erstaunt. Damit wäre Südamerika nicht gedient. Mit dem Versuchsbetrieb
würde nun eine Weile Schluß gemacht, sie hätten ja jetzt gesehen, was
vorhanden war, jetzt würde erst die Luftbahn gebaut, und dann erst
werde es in dem Gebirge nach Süden zu losgehen. Isak wisse wohl nicht,
wo dieser Geißler hingekommen sei? -- Nein. -- Na, er werde schon zu
finden sein. Dann gehe es erst recht im Ernst los. Was, aufhören!

Isak ist in Verwunderung und Bewegung geraten über eine kleine
Maschine, die mit dem Fuß getreten wird; er erkennt sofort, was das
ist; das ist ja eine kleine Schmiede, die auf einem Karren geführt und
überall aufgestellt werden kann. -- Was kostet eine solche Maschine?
fragt Isak. -- Diese? Die Feldesse? Oh, die kostet nicht viel. Sie
hätten mehrere solche, aber sie hätten ganz andere Maschinen und
Einrichtungen drunten an der See, ungeheure Maschinen. Isak werde wohl
begreifen, daß man solchen tiefen Tälern und Abgründen in den Bergen
nicht mit Nägeln zu Leibe gehen könne, hahaha.

Sie gehen weiter, und der Ingenieur erzählt, daß er in den nächsten
Tagen nach Schweden abzureisen gedenke. -- Aber Ihr kommt doch wieder?
fragt Aronsen. -- Natürlich. Der Ingenieur war sich nichts bewußt,
weshalb ihn die Regierung oder die Polizei zu Hause festsetzen könnte.
Isak richtete es so ein, daß sie noch einmal vor die kleine Schmiede
zu stehen kamen. Wieviel kann solch eine Esse kosten? fragt er. --
Kosten. Das wußte der Ingenieur wahrhaftig nicht mehr. Sie kostet ja
wohl einiges Geld, aber bei einem so großen Betrieb kommt das gar nicht
in Betracht. Der prächtige Ingenieur, vielleicht war ihm jetzt gerade
nicht ganz leicht zu Sinn, aber er wahrte den Schein und tat großartig
bis zuletzt. Ob Isak eine Feldesse brauchen könne? Dann solle er nur
diese nehmen. Seine Gesellschaft sei mächtig genug, sie schenke ihm die
Feldesse!

Eine Stunde später wandern Isak und Aronsen wieder nach Hause. Aronsen
ist ruhiger geworden und hat ein wenig Hoffnung geschöpft, Isak
schreitet den Berg hinunter mit der kostbaren Feldesse auf dem Rücken.
Der alte Prahm war es gewöhnt, Lasten zu tragen! Der Ingenieur hatte
angeboten, am nächsten Tag das Kleinod durch einen Mann nach Sellanraa
zu schicken, aber Isak dankte und sagte, das sei nicht nötig. Er
dachte, wie die zu Hause sich verwundern würden, wenn er mit einer
Schmiede auf dem Rücken ankam!

Aber es war Isak, der sich verwundern mußte, als er heimkam.

Dort kam gerade ein Pferd mit einer ganz sonderbaren Wagenladung
auf den Hof gefahren. Der Kutscher war ein Mann aus dem Dorfe, aber
nebenher schritt ein Herr, den Isak verwundert anstarrte: es war
Geißler.



5


Isak hätte sich auch sonst noch über das eine oder andere verwundern
können, aber er war nicht dazu geschaffen, an viele Dinge auf einmal zu
denken. Wo ist Inger? fragte er nur, als er an der Küchentür vorbeikam,
denn er dachte daran, daß Geißler ordentlich bewirtet werden müsse.

Inger? Sie war in die Beeren gegangen, war in den Beeren gewesen, seit
Isak auf den Berg gestiegen war, sie mit Gustaf, dem Schweden. Das alte
Ding, sie war so toll und verliebt; es ging zwar dem Herbst und dem
Winter zu, aber sie fühlte wieder Sommerhitze in sich, ihr Herz blühte!
Komm und zeig mir, wo Multebeeren wachsen, sagte Gustaf. Wer hätte da
widerstehen können! Sie lief in ihre Kammer und war einige Minuten lang
ernst und fromm; aber er stand draußen und wartete, die Welt war ihr
dicht auf den Fersen; sie ordnete ihre Haare, beschaute sich nach allen
Seiten im Spiegel und ging dann wieder hinaus. Was weiter, wer hätte
das auch nicht getan! Die Frauen können den einen Mann nicht von dem
andern unterscheiden, nicht immer, nicht oft. --

Sie gehen also in die Beeren und pflücken, pflücken Multebeeren auf dem
Moor, sie steigen von einem Erdhaufen auf den andern, sie hebt ihre
Röcke in die Höhe und läßt ihre schönen Waden sehen. Rundum ist es
still, das Schneehuhn hat schon große Junge und zischt nicht mehr, es
gibt weiche Plätzchen im Gebüsch auf dem Moor. Sie sind noch nicht eine
Stunde gegangen, und schon ruhen sie aus. Inger sagt: Bist du so einer!
Ach, sie ist so schwach ihm gegenüber, sie lächelt verlegen, denn
sie ist sehr verliebt; ach, wie ist doch Verliebtsein süß und bitter
zugleich! Schick und Brauch verlangen wohl, sich zu wehren. Ja, um
endlich doch nachzugeben. Inger ist sehr verliebt, sterblich und ohne
Gnade verliebt, sie will ihm wohl und ist nur gut und herzlich gegen
ihn.

Das alte Ding!

Wenn der Stall fertig ist, dann gehst du fort, sagt sie. -- Nein, er
gehe nicht fort. Natürlich müsse er einmal fortgehen, aber nicht schon
in einer Woche. -- Wollen wir nicht heimgehen? fragt sie. -- Nein.

Sie pflücken Beeren, und nach einer Weile finden sie wieder weiche
Plätzchen im Gebüsch, und Inger sagt: Du bist verrückt, Gustaf! Die
Stunden vergehen, jetzt sind sie wohl im Gebüsch eingeschlafen. Sind
sie eingeschlafen? Das ist ausgezeichnet, mitten im Ödland, in Eden.
Da setzt sich Inger auf und horcht und sagt: Ich meine, ich höre weit
drüben auf dem Weg einen Wagen fahren.

Die Sonne sinkt; während sie heimgehen, werden die Heidehügel im
Schatten dunkler. Sie kommen noch an vielen geschützten Stellen vorbei,
Gustaf sieht sie, und Inger sieht sie wohl auch, aber sie meint die
ganze Zeit, es fahre jemand vor ihnen her. Aber sich auf dem ganzen
Heimweg gegen einen närrischen hübschen Jungen wehren müssen? Inger ist
sehr schwach, sie lächelt nur und sagt: Nein, so einen wie dich hab'
ich doch noch nie gesehen!

Inger kommt allein nach Hause. Es ist gut, daß sie jetzt kommt,
großartig ist es, eine Minute später wäre nicht so gut gewesen. Isak
ist gerade mit seiner Schmiede und mit Aronsen in den Hof getreten,
und ein Pferd mit einem Wagen hält auch eben vor der Tür.

Guten Tag! sagt Geißler und begrüßt dann auch Inger.

Da stehen diese Menschen und schauen einander an. Es könnte nicht
besser passen.

Geißler ist wiedergekommen. Er ist einige Jahre weggewesen, aber jetzt
ist er wieder da, etwas älter und grauer, aber lebhaft wie immer, und
jetzt ist er fein gekleidet, trägt eine weiße Weste und eine goldene
Kette. Der Teufel versteht diesen Mann!

Hat er Kunde erhalten, daß jetzt auf dem Kupferberg etwas vor sich
ging, und wollte er die Sache untersuchen? Gut, hier war er. Er
sieht hell wach aus, mustert Häuser und Felder, indem er den Kopf
sachte hin und her dreht und die Blicke wandern läßt; er sieht große
Veränderungen, der Markgraf hat seine Herrschaft erweitert. Geißler
nickt befriedigt.

Was schleppst du denn da herbei? fragte er Isak. Das ist ja eine ganze
Pferdelast! sagt er. -- Eine Schmiedeesse, erklärt Isak. Die wird mir
hier auf der Ansiedlung manches liebe Mal zugute kommen, sagt er und
heißt Sellanraa immer noch eine Ansiedlung. -- Wo hast du sie her? --
Der Ingenieur droben auf dem Berg hat sie mir geschenkt. -- Ist auf dem
Berg ein Ingenieur? fragt Geißler, wie wenn er es nicht wüßte.

Sollte Geißler hinter dem Ingenieur auf dem Berg zurückstehen? Ich habe
gehört, daß du dir eine Mähmaschine gekauft hast, jetzt habe ich dir
dazu einen Heurechen mitgebracht, sagt er und deutet auf den Wagen.
Da stand die Maschine, rot und blau, ein unmäßig großer Kamm, ein
Heurechen, der von einem Pferd gezogen wurde. Sie hoben die Maschine
vom Wagen und betrachteten sie, Isak spannte sich vor und versuchte sie
auf der nackten Erde. Der Mund stand ihm offen vor Verwunderung. Ein
Wunder nach dem andern war nach Sellanraa gekommen.

Sie sprachen über den Kupferberg, über das Bergwerk. Sie haben dort
eifrig nach Euch gefragt, sagt Isak. -- Wer hat gefragt? -- Der
Ingenieur und alle die Herren. Sie müßten Euch unbedingt auffinden,
sagten sie. Ach, Isak machte sicher zuviel aus der Sache, Geißler
vertrug das vielleicht nicht, er machte einen steifen Nacken und sagte:
Da bin ich, wenn sie etwas von mir wollen.

Den Tag darauf kamen die beiden Stafetten aus Schweden zurück, und mit
ihnen kamen zwei von den Eigentümern des Bergwerks; sie waren zu Pferd,
vornehme, dicke Herren und allem Anschein nach steinreich. Sie hielten
auf Sellanraa fast nicht an, sondern erkundigten sich nur vom Pferd
aus nach dem Wege und ritten weiter nach dem Berge zu. Sie taten, als
ob sie Geißler gar nicht sähen, obgleich er ganz in der Nähe stand.
Die Stafetten mit den beladenen Packpferden ruhten eine Stunde aus,
unterhielten sich mit den Maurern, die am Stall arbeiteten, erfuhren,
daß der alte Herr mit der weißen Weste und der goldenen Kette Geißler
sei, und dann zogen auch sie weiter. Aber die eine der Stafetten kam
noch am selben Abend wieder auf den Hof herunter mit der mündlichen
Botschaft, Geißler solle zu den Herren hinaufkommen. Hier bin ich, wenn
sie etwas von mir wollen, ließ Geißler antworten.

Geißler war großartig geworden, er dachte vielleicht, er habe die
ganze Welt in der Tasche, oder fand er eine mündliche Botschaft gar zu
nachlässig? Aber wie ging es zu, daß er gerade in dem Augenblick nach
Sellanraa kam, wo man ihn brauchte? War er denn allwissend? Na, als
die Herren auf dem Berge diese Antwort bekamen, mußten sie sich wohl
oder übel nach Sellanraa herabbemühen. Der Ingenieur und die beiden
Sachverständigen kamen mit.

Aber es waren noch allerlei Wendungen und Winkelzüge notwendig, ehe die
Zusammenkunft zustande kam. Das versprach nicht viel Gutes, Geißler tat
ungeheuer großartig.

Die Herren waren jetzt recht höflich, sie baten Geißler, zu
entschuldigen, daß sie gestern nach ihm geschickt hätten, sie seien
von der Reise sehr ermüdet gewesen. Geißler war auch wieder höflich,
er erwiderte, auch er sei von seiner Reise ermüdet gewesen, sonst wäre
er hinaufgekommen. Ja, aber nun zur Sache: Ob er den Berg auf der
Südseite des Wassers verkaufen wolle? -- Sind die Herren selbst Käufer
oder spreche ich mit Zwischenhändlern? -- Das war die reine Bosheit von
Geißlers Seite, er mußte doch sehen, daß diese vornehmen und dicken
Herren keine Zwischenhändler sein konnten. Dann ging es weiter: Der
Preis? fragten sie. -- Ja, der Preis! sagte auch Geißler und überlegte.
Zwei Millionen, sagte er dann. -- Ach so, sagten die Herren und
lächelten. -- Aber Geißler lächelte nicht.

Der Ingenieur und die Sachverständigen hatten so obenhin den Berg
untersucht, hatten einige Löcher gebohrt und gesprengt, und das
Ergebnis lautete also: Das Vorkommen des Kupfers war auf Eruptionen
zurückzuführen, die Kupferfunde waren sehr ungleich verteilt,
nach der vorläufigen Untersuchung waren sie am mächtigsten an der
Grenze zwischen dem Eigentum der Gesellschaft und dem von Geißler,
weiterhin nahmen sie wieder ab. Auf der letzten halben Meile kam kein
abbauwürdiger Kupferkies mehr vor.

Geißler hörte diesem Bericht mit der größten Gleichgültigkeit zu. Er
zog einige Dokumente aus der Tasche, die er aufmerksam durchsah, aber
es waren keine Karten, und Gott weiß, ob sie überhaupt den Kupferberg
betrafen. -- Es ist nur nicht tief genug gebohrt worden, sagte er, als
ob er das aus seinen Papieren entnehme. Das gaben die Herren sofort
zu; aber der Ingenieur fragte, wie Geißler das wissen könne, er habe
ja überhaupt gar nicht gebohrt. -- Da lächelte Geißler, als ob er
mindestens ein paar hundert Meter tief in den Erdball hineingebohrt,
aber dann die Bohrlöcher unkenntlich gemacht habe.

Bis Mittag redeten sie hin und her, dann schauten die Herren auf ihre
Uhren. Geißler war mit seinen Ansprüchen bis auf eine Viertelmillion
heruntergegangen, aber weiter herunter ging er nicht um Haaresbreite.
Nein, sie mußten ihn ernstlich verletzt haben, sie gingen von der
Anschauung aus, daß er gerne verkaufen würde, daß er genötigt sei
zu verkaufen; aber das war er nicht, hoho, konnten sie denn nicht
sehen, daß er beinahe ebenso vornehm und großartig war wie sie? --
Fünfzehn- bis zwanzigtausend seien auch eine schöne Summe, meinten die
Herren. -- Geißler sagte: Dagegen sei nichts einzuwenden, wenn man
das Geld gerade nötig habe, aber zweihundertundfünfzigtausend seien
mehr. -- Da sagte einer von den Herren, und er sagte das, um Geißler
gleichsam niederzudrücken: Eben fällt mir ein, wir sollen Sie von Frau
Geißlers Verwandten in Schweden grüßen. -- Danke! sagte Geißler. --
Apropos! sagte der andere Herr, da dies nichts genützt hatte. Eine
Viertelmillion! Es ist doch aber kein Gold, sondern Kupferkies. --
Geißler nickte. Ja, es ist Kupferkies.

Da wurden die Herren alle miteinander ungeduldig, fünf Uhrendeckel
sprangen auf und klappten wieder zu, und jetzt war keine Zeit mehr
zum Scherzen, jetzt war Mittag. Die Herren verlangten kein Essen auf
Sellanraa, sie ritten zurück zu den Gruben und speisten dort ihr
eigenes Essen.

So verlief diese Zusammenkunft.

Geißler blieb allein zurück.

Was waren das wohl für Überlegungen, die ihn bewegten? Vielleicht
gar keine, vielleicht war es ihm gleichgültig, und er überlegte gar
nicht. O nein, er überlegte, aber er ließ keinerlei Unruhe merken. Nach
dem Mittagessen sagte er zu Isak: Ich wollte eigentlich einen weiten
Gang über meinen Berg machen und hätte wie das letztemal Sivert gerne
mitgenommen. -- Isak sagte augenblicklich zu. -- Nein, er hat anderes
zu tun, erklärte Geißler. -- Er soll sofort mit Euch gehen, sagte Isak
und rief Sivert von seiner Maurerarbeit ab. -- Aber Geißler hob die
Hand und sagte kurz: Nein!

Er trieb sich auf dem ganzen Hof herum, kam auch mehrere Male wieder
bei den Maurern vorbei und unterhielt sich da lebhaft mit ihnen. Daß
er das konnte, wo ihn doch eben erst so etwas Wichtiges in Anspruch
genommen hatte! Oh, vielleicht hatte er solange in unsicheren
Verhältnissen gelebt, daß eigentlich für ihn gar nichts mehr auf dem
Spiele zu stehen schien, einen schwindelnden Sturz würde er auf keinen
Fall tun.

Hier stand er nun vor einem reinen Glücksfall. Nachdem er das kleine
Grubenstück an die Verwandten seiner Frau verkauft hatte, ging er
stracks hin und kaufte den ganzen übrigen Berg; warum hatte er das
getan? Wollte er die jetzigen Eigentümer dadurch ärgern, daß er ihr
nächster Nachbar wurde? Ursprünglich hatte er wohl nur auf der Südseite
des Wassers, da, wohin die Grubenstadt kommen mußte, wenn je ein
Bergwerk errichtet wurde, einen Streifen haben wollen; Eigentümer des
ganzen Berges aber wurde er, weil ihn dies beinahe nichts kostete, und
weil er sich die Mühe einer weitläufigen Grenzabsperrung sparen wollte.
Er wurde Bergkönig aus Gleichgültigkeit, ein kleiner Bauplatz für
Baracken und Maschinenschuppen wurde zu einem Reiche, das bis hinunter
ans Meer ging.

In Schweden ging der erste kleine Grubenteil von Hand zu Hand, und
Geißler hielt sich über dessen Schicksal stets unterrichtet. Natürlich
hatten die ersten Besitzer dumm gekauft, verrückt dumm, der Familienrat
war nicht sachverständig gewesen, und die Herren hatten sich kein
genügend großes Stück des Berges gesichert, sie hatten nur einen
gewissen Geißler abfinden und sich ihn vom Halse schaffen wollen.
Aber die neuen Besitzer waren nicht weniger komische Leute, sie waren
gewaltige Männer, die sich einen Scherz erlauben und nur so zum
Vergnügen, etwa bei einem Gelage, kaufen konnten, wer weiß! Aber als es
nun zu einem Versuchsbetrieb kam und Ernst aus der Sache wurde, standen
sie plötzlich vor einer Mauer: Geißler.

Sie sind Kinder! dachte Geißler vielleicht von seiner Höhe herunter, er
war sehr mutig und steifnackig geworden. Die Herren hatten allerdings
versucht, ihn mit kaltem Wasser zu begießen, sie hatten geglaubt, vor
einem Dürftigen zu stehen und deshalb ein Wörtlein von so fünfzehn bis
zwanzigtausend fallen lassen. Sie waren Kinder, sie kannten Geißler
nicht. Hier stand er.

Die Herren kamen an diesem Tage nicht mehr vom Berg herunter, sie
meinten wohl, klug zu handeln, wenn sie sich nicht gar so eifrig
zeigten. Am nächsten Morgen kamen sie indes doch, hatten ihr Packpferd
bei sich und waren auf der Heimreise. Aber da war Geißler weggegangen.

War Geißler weggegangen?

Die Herren konnten unter diesen Umständen nichts vom Pferde aus
abmachen, sie mußten absteigen und warten. Wohin war Geißler gegangen?
Niemand wußte es, er ging überall herum, er interessierte sich für
Sellanraa, zuletzt war er bei dem Sägewerk gesehen worden. Die
Stafetten wurden ausgesandt, ihn zu suchen, aber er mußte wohl weit
weggegangen sein, denn er gab keine Antwort, als er gerufen wurde. Die
Herren schauten nach ihren Uhren und waren anfänglich sehr ärgerlich
und sagten: Wir werden doch nicht die Narren sein und warten. Wenn
Geißler verkaufen will, so soll er auch auf dem Platze sein! O ja,
aber der große Ärger der Herren legte sich, sie warteten, ja, sie
wurden scherzhaft, das war ja zum Verzweifeln, sie mußten hier an der
Grenzscheide des Berges über Nacht bleiben. Das geht ja brillant,
sagten sie. Unsere Angehörigen werden dereinst unsere gebleichten
Gebeine finden!

Endlich kam Geißler. Er hatte sich auf dem ganzen Gute umgesehen, und
jetzt kam er eben vom Sommerstall. Es kommt mir vor, als ob auch der
Sommerstall für dich zu klein würde, sagte er zu Isak. Wieviel Stück
Vieh hast du denn alles in allem da droben? -- So konnte er sprechen,
obgleich die Herren mit der Uhr in der Hand dastanden. Geißler hatte
eine merkwürdige Röte im Gesicht, als ob er starke Getränke genossen
hätte. Puh, ist mir von dem Gang warm geworden! sagte er.

Wir hatten einigermaßen erwartet, Sie würden auf dem Platze sein,
sagte einer der Herren. -- Darum hatten mich die Herren nicht gebeten,
erwiderte Geißler. Sonst wäre ich auf dem Platze gewesen. -- Na, und
der Handel? Ob Geißler heute ein vernünftiges Gebot annehmen wolle?
Es würden ihm doch wohl nicht jeden Tag fünfzehn- bis zwanzigtausend
angeboten, oder doch? -- Diese neue Andeutung verletzte Geißler
bedeutend. War das auch eine Art? Und die Herren hätten sicherlich
nicht so gesprochen, wenn sie nicht ärgerlich gewesen wären, und
Geißler wäre nicht auf der Stelle blaß geworden, wenn er nicht vorher
an einem einsamen Ort gewesen und rot geworden wäre. Jetzt erbleichte
er und erwiderte kalt: Ich will nicht andeuten, was den Herren zu
bezahlen vielleicht erschwinglich ist, dagegen weiß ich, was ich haben
will. Ich will das Kindergeschwätz über den Berg nicht mehr hören.
Mein Preis ist derselbe wie gestern. -- Eine Viertelmillion Kronen? --
Ja. --

Die Herren stiegen zu Pferd.

Jetzt will ich Ihnen etwas sagen, Geißler, begann der eine. Wir wollen
bis auf fünfundzwanzigtausend gehen. -- Sie sind immer noch scherzhaft
aufgelegt, erwiderte Geißler. Ich will Ihnen einen ernsthaft gemeinten
Gegenvorschlag machen: Wollen Sie mir Ihr kleines Grubenstückchen
verkaufen? -- Ja, das lasse sich überlegen, sagten die einigermaßen
überrumpelten Herren. -- Dann werde ich es kaufen, erklärte Geißler.

Oh, dieser Geißler! Der ganze Hof stand voller Menschen, die ihn reden
hörten, alle Leute von Sellanraa und die Maurer und die Herren und
die Stafetten; er konnte sich vielleicht überhaupt kein Geld zu einem
solchen Geschäft verschaffen, aber Gott weiß, ob er es nicht am Ende
doch konnte, wer verstand sich auf ihn! Auf jeden Fall brachte er mit
seinen wenigen Worten eine kleine Revolution unter den Herren hervor.
Wollte er ihnen ein Schnippchen schlagen? Meinte er, seinen Berg durch
dieses Vorgehen wertvoller zu machen?

Die Herren überlegten wirklich, die Herren fingen an, leise miteinander
darüber zu reden, sie stiegen wieder von den Pferden. Da mischte sich
der Ingenieur in die Sache, sie kam ihm wohl zu erbärmlich vor, und er
schien auch die Macht und die Gewalt dazu zu haben. Jetzt stand ja der
ganze Hof voll von Leuten, die alle zuhörten. -- Wir verkaufen nicht!
erklärte er bestimmt. -- Nicht? fragten die Herren. -- Nein!

Sie flüsterten ein Weilchen zusammen, dann stiegen sie wirklich im
Ernst zu Pferd. -- Fünfundzwanzigtausend! rief einer der Herren. --
Geißler gab keine Antwort, er drehte sich um und ging wieder zu den
Maurern.

Und so verlief die letzte Zusammenkunft.

Geißler tat den Folgen gegenüber ganz gleichgültig, er ging hin und
her und sprach von dem und jenem, jetzt war er ganz davon hingenommen,
daß die Maurer eben gewaltig große Deckenbalken über den ganzen Stall
legten. Sie wollten noch in dieser Woche mit dem Stall fertig werden,
es sollte nur ein Notdach errichtet werden, später würde man noch einen
Heuboden auf den Stall aufsetzen.

Isak hielt Sivert von der Arbeit am Stall zurück und ließ ihn nichts
tun, damit Geißler zu jeder Zeit den jungen Mann zu einem Gang in die
Berge bereit finde. Das war eine unnütze Vorsorge, Geißler hatte seine
Absicht aufgegeben oder sie vielleicht auch vergessen. Nachdem er von
Inger etwas Mundvorrat bekommen hatte, schlug er gegen Abend den Weg
nach dem Dorf hinunter ein und blieb über das Abendessen fort.

Er kam an den beiden neuen Ansiedlungen unterhalb Sellanraa vorbei
und sprach mit den Leuten dort, er kam bis nach Maaneland und wollte
sehen, was Ström in den letzten Jahren ausgerichtet hatte. Es war
mit ihm nicht so sehr vorwärtsgegangen, aber er hatte doch viel Land
urbar gemacht. Geißler interessierte sich auch für diese Ansiedlung
und fragt: Hast du ein Pferd? -- Ja. -- Unten, weiter südlich, habe
ich eine Mähmaschine und einen Reolpflug stehen, neue Sachen, die
will ich dir schicken. -- Was! rief Axel und konnte sich eine solche
Freigebigkeit gar nicht vorstellen; er dachte an Abzahlung. -- Ich
will dir die Geräte schenken, sagte Geißler. -- Das ist doch nicht
möglich! meinte Axel. -- Aber du mußt deinen beiden Nachbarn helfen
und ihnen ein Stück Neuland umbrechen, verlangte Geißler. -- Das soll
nicht fehlen, versprach Axel, aber er konnte den ganzen Geißler nicht
verstehen. So, dann habt Ihr also Grundbesitz und Maschinen im Süden?
fragte er. -- Geißler antwortete: Ach, ich habe gar vielerlei. --
Seht, das hatte Geißler vielleicht gar nicht, er hatte nicht vielerlei
Geschäfte, aber er tat oft so. Diese Mähmaschine und diesen Reolpflug
brauchte er ja nur in irgendeiner Stadt zu kaufen und heraufzuschicken.

Er hatte ein langes Gespräch mit Axel Ström über die andern Ansiedler
in der Gegend, über das Handelshaus Storborg, über Axels Bruder, einen
jung verheirateten Mann, der jetzt nach Breidablick gekommen war und
angefangen hatte, die Moore zu entwässern. Axel beklagte sich darüber,
daß keine weibliche Hilfe zu bekommen sei, er habe nur eine alte Frau
namens Oline, sie sei nicht viel nütze, aber er müsse doch froh sein,
solange er sie halten könne. Im Sommer habe er eine Zeitlang Tag und
Nacht arbeiten müssen. Er hätte vielleicht eine weibliche Hilfe aus
seinem Heimatort, aus Helgeland, bekommen können, aber dann hätte
er ihr außer dem Lohn auch noch das Reisegeld bezahlen müssen. Er
habe Ausgaben nach allen Seiten. Axel erzählte weiter, daß er die
Aufsicht über die Telegraphenlinie übernommen habe, aber das reue ihn
einigermaßen. -- Das ist etwas für Leute wie Brede, sagte Geißler. --
Ja, das ist sehr richtig gesagt, gab Axel zu. Aber es war wegen des
Geldes. -- Wie viele Kühe hast du? fragte Geißler. -- Vier. Und einen
jungen Stier. Es ist sehr weit bis nach Sellanraa zum Stier.

Aber eine viel wichtigere Sache, die er mit Geißler besprechen wollte,
lag Axel Ström auf dem Herzen. Es war jetzt eine Untersuchung im Gang
gegen Barbro. Ja, natürlich war die Sache herausgekommen. Barbro war
guter Hoffnung gewesen, aber sie war frank und frei und ohne Kind von
hier abgereist. Wie hing das zusammen? Als Geißler vernahm, um was es
sich handelte, sagte er kurz und gut: Komm mit! und führte Axel weit
von den Gebäuden weg. Dann setzte er eine äußerst wichtige Miene auf
und benahm sich wie eine Art Obrigkeit. Sie ließen sich am Waldessaum
nieder, und Geißler sagte: So, nun laß mich hören!

Natürlich war die Sache herausgekommen, wie hätte es auch anders gehen
können! Die Gegend war nicht mehr menschenleer, und außerdem war Oline
gekommen. Was hatte Oline mit der Sache zu tun? Oh, die! Und außerdem
hatte sich Brede mit ihr verkracht. Jetzt war an Oline nicht mehr
länger vorbeizukommen, sie wohnte an Ort und Stelle und konnte Axel
selbst allmählich ausforschen; sie lebte ja für verdächtige Sachen, ja
sie lebte zum Teil davon, da war also wieder etwas mit der richtigen
Witterung! Eigentlich war Oline jetzt zu alt, um Haus und Vieh auf
Maaneland zu versorgen, sie hätte es aufgeben sollen, aber konnte sie
das? Hätte sie einen Ort, wo ein so großes Geheimnis verborgen lag,
ruhig verlassen können? Sie brachte die Winterarbeit fertig, ja sie
schindete sich auch noch den Sommer hindurch, es kostete sie große
Anstrengung, und sie hielt sich nur durch die Aussicht aufrecht, einer
Tochter von Brede etwas nachweisen zu können. Kaum fing im Frühjahr
der Schnee an zu schmelzen, so schnupperte Oline bereits in der Gegend
umher, sie fand den kleinen Hügel am Bach und erkannte sofort, daß der
Rasen in Stücken aufgelegt war; sie hatte auch eines Tages das Glück
gehabt, Axel zu treffen, wie er das kleine Grab festtrat und es ebnete.
Axel wußte also auch von der Sache. Oline nickte mit ihrem grauen Kopf,
jetzt war ihre Zeit gekommen.

Nicht Axels wegen. Axel war gar kein unguter Mann, um bei ihm zu sein,
aber er war sehr genau und zählte seine Käse und wußte Bescheid von
jedem Büschel Wolle. Oline hatte durchaus nicht freie Hand. Und bei
der Rettung letztes Jahr, hatte sich Axel da als Herr gezeigt und sich
freigebig erwiesen? Nein, im Gegenteil, er bestand auf seiner Teilung
des Triumphes. Jawohl, sagte er, wäre Oline nicht gekommen, so hätte
er in der Nacht erfrieren müssen, aber Brede sei ihm auf dem Heimweg
auch eine gute Hilfe gewesen! Das war der Dank! Oline meinte, da müsse
sich der Allmächtige über die Menschen empören! Hätte nicht Axel eine
Kuh am Strick ergreifen, sie herausführen und sagen können: Das ist
deine Kuh, Oline! Aber nein.

Jetzt kam's darauf an, ob es ihn nicht mehr kosten würde als eine Kuh.

Den Sommer über paßte Oline jeden einzelnen Menschen ab, der
vorbeiging, sie flüsterte mit ihm und nickte und vertraute sich ihm
an. Aber kein Wort weitersagen! gebot sie. Oline war auch ein paarmal
drunten im Dorf. Und nun schwirrte es mit Gerüchten in der Gegend,
die waren wie ein Nebel, der sich um die Gesichter legt und in die
Ohren dringt, selbst die Kinder, die auf Breidablick in die Schule
gingen, fingen an zu nicken und geheimnisvoll zu tun. Schließlich
mußte sich auch der Lensmann rühren, mußte Bericht erstatten und seine
Befehle entgegennehmen. Eines Tages kam er mit einem Begleiter und
einem Protokoll nach Maaneland und untersuchte und schrieb und ging
wieder heim. Aber drei Wochen danach kam er wieder und untersuchte und
schrieb noch mehr, und diesmal öffnete er auch einen kleinen grünen
Hügel am Bach und holte die Kindesleiche heraus. Oline war ihm dabei
eine unentbehrliche Hilfe, und als Entgelt für ihre Mühe mußte er
ihre vielen Fragen beantworten, und da sagte er unter anderem auch,
ja, es könnte schon die Rede davon sein, Axel zu verhaften. Da schlug
Oline die Hände zusammen über all die Schändlichkeit, in die sie hier
hineingekommen sei, und wünschte sich weg, weit weg! Aber sie, die
Barbro? flüsterte sie. -- Das Mädchen Barbro sitzt verhaftet in Bergen,
sagte der Lensmann. Die Gerechtigkeit muß ihren Gang gehen, sagte er.
Dann nahm er die Leiche mit sich und fuhr wieder fort.

Es war also nicht verwunderlich, daß Axel in großer Spannung war. Er
hatte dem Lensmann seine Aussagen gemacht und nichts geleugnet. Das
Kind war sein, und er hatte ihm mit eigener Hand ein Grab gegraben.
Nun erkundigte er sich bei Geißler, wie es wohl weitergehen werde. Er
müsse wohl in die Stadt und ein viel schlimmeres Verhör und sonstige
Widerwärtigkeiten erdulden?

Geißler war nicht mehr der gleiche wie zuvor, nein, die umständliche
Erzählung hatte ihn ermüdet, er schien schläfrig zu werden -- was nun
auch der Grund sein mochte; ob vielleicht der Geist vom Morgen nicht
mehr über ihm war? Er sah auf seine Uhr, stand auf und sagte: Das muß
gründlich überlegt werden, ich will darüber nachdenken. Du sollst meine
Antwort bekommen, ehe ich abreise.

Damit ging Geißler.

Gegen Abend kam er nach Sellanraa zurück, aß ein wenig und ging zu
Bett. Er schlief bis tief in den Tag hinein, schlief und ruhte aus;
er war wohl ermattet nach der Zusammenkunft mit den schwedischen
Grubenbesitzern. Erst zwei Tage nachher machte er sich zur Abreise
fertig. Da war er wieder großartig und überlegen, bezahlte reichlich
und schenkte der kleinen Rebekka ein neues Kronenstück.

Isak hielt er eine Rede und sagte: Es ist ganz einerlei, daß es jetzt
nicht zu einem Verkauf gekommen ist, das wird schon noch werden.
Vorläufig lege ich den Betrieb dort oben lahm. Das waren rechte Kinder,
sie meinten mich übers Ohr hauen zu können. Hast du gehört, daß sie
mir fünfundzwanzigtausend boten? -- Ja, sagte Isak. -- Nun, erwiderte
Geißler und scheuchte mit einer Kopfbewegung jede Art von Schandangebot
und jegliches Staubkorn weit weg. Es schadet dem Bezirk hier oben gar
nichts, wenn ich den Betrieb lahmlege, im Gegenteil, es wird die Leute
veranlassen, ihr Land zu bebauen. Aber drunten im Dorf, da wird man's
merken. Es ist ja im Sommer viel Geld unter die Leute gekommen, schöne
Kleider und süßen Brei gab's für jedermann; damit ist es jetzt aus.
Siehst du, das Dorf hätte wohl gut Freund mit mir sein können, dann
wäre es vielleicht anders gegangen. Jetzt habe _ich_ zu bestimmen.

Er sah nun allerdings nicht so aus, als habe er über viel zu gebieten;
als er ging, trug er ein Päckchen mit Mundvorrat in der Hand, und seine
Weste war nicht mehr blendend weiß. Vielleicht hatte ihn seine gute
Frau mit dem Rest der vierzigtausend Kronen, die sie einmal erhalten
hatte, für diese Reise ausgestattet, Gott weiß, ob das nicht der Fall
war. Aber nun kommt er kahl heim!

Geißler vergaß nicht, auf dem Heimweg bei Axel Ström einzutreten und
ihm Bescheid zu sagen. Ich habe darüber nachgedacht, die Sache ist nun
einmal im Gang, du kannst jetzt nichts tun. Du wirst zu einem Verhör
vorgeladen werden und mußt deine Aussagen machen ... Das war nur so ein
Gerede, Geißler hatte vielleicht gar nicht mehr an die Sache gedacht.
Und Axel sagte niedergeschlagen zu allem ja. Zum Schluß aber blies sich
Geißler wieder zu einem gewaltigen Mann auf, er zog die Brauen hoch
und sagte nachdenklich: Ob ich vielleicht in die Stadt kommen und bei
der Verhandlung anwesend sein könnte? -- Ach ja, wenn Ihr das könntet!
rief Axel. -- Im nächsten Augenblick entschied Geißler: Ich will sehen,
ob ich nicht Zeit finden kann. Für heute leb wohl! Ich werde dir die
Maschinen schicken.

Geißler ging.

Ob das nun wohl seine letzte Reise in die Gegend gewesen war?



6


Die letzte Gruppe von Arbeitern kommt vom Berg herunter, der Betrieb
hat völlig aufgehört, jetzt liegt der Berg wieder verödet da. Auch der
gemauerte Stall auf Sellanraa ist nun fertig. Er hat ein Notdach aus
Rasenstücken für den Winter bekommen. Der große Raum ist in einzelne
kleinere Räume eingeteilt, helle Räume, ein gewaltig großer Salon in
der Mitte und große Kabinette an den beiden Enden, ja, es ist gerade
wie für die Menschen. Isak hat einmal hier auf dem Platz mit einigen
Geißen zusammen in einer Gamme gewohnt; jetzt ist auf Sellanraa keine
Gamme mehr zu finden.

Der Stall wird mit Abteilungen, mit Ständen und Holzverschlägen
eingerichtet. Damit das alles rasch fertig wird, sind die beiden Maurer
immer noch da, aber Gustaf sagt, er verstehe nichts von der Holzarbeit,
und will nun weiter. Gustaf hat sich bei der Maurerarbeit als sehr
brauchbar erwiesen und hat Lasten gehoben wie ein Bär. Abends war er
allen zur Freude und Aufmunterung gewesen; er hatte die Mundharmonika
gespielt und hatte außerdem den Frauen geholfen, schwere Kufen hinunter
an den Fluß und wieder heraufzutragen. Aber jetzt will er abreisen.
Nein, die Holzarbeit verstehe er nicht, sagt er. Es ist gerade, als ob
er durchaus fort wolle.

Du könntest wohl noch bis morgen bleiben, sagt Inger. -- Nein, es gebe
jetzt hier keine Arbeit mehr für ihn, und er habe auch in den letzten
Grubenarbeitern Begleitung übers Gebirge. -- Wer wird mir jetzt beim
Wasserholen helfen? sagt Inger und lächelt wehmütig dabei. -- Da weiß
der flinke Gustaf sofort einen guten Rat; er nennt Hjalmar. -- Hjalmar
war der jüngste von den beiden Maurern, aber keiner von beiden war
so jung wie Gustaf oder sonst im mindesten wie er. -- Ach was, der
Hjalmar! erwidert Inger verächtlich. Aber plötzlich faßt sie sich und
will Gustaf reizen und sagt: Jawohl, der Hjalmar ist gar nicht so übel.
Und draußen auf dem Felsblock singt er schön. -- Ein Tausendsassa! sagt
Gustaf, ohne sich reizen zu lassen. -- Aber er könne doch die Nacht
über noch bleiben, meint Inger. -- Nein, dann ginge er der Begleitung
verlustig.

Oh, nun war Gustaf der Sache überdrüssig geworden. Es war ja prächtig
gewesen, sie den Kameraden vor der Nase wegzuschnappen und sie die
paar Wochen über, die er da arbeitete, zu haben. Aber nun wollte er
weiter, an andere Arbeit, vielleicht zu einer Liebsten daheim, das
waren neue Aussichten. Sollte er sich Ingers wegen hier ohne Arbeit
umhertreiben? Er hatte so gute Gründe, ein Ende zu machen, daß es Inger
doch wohl einsehen mußte. Aber sie war so keck geworden, dachte an
keine Verantwortung mehr und kümmerte sich um nichts. Sehr lange war es
allerdings nicht so zwischen den beiden gewesen, aber doch so lange,
als die Maurerarbeit währte.

Inger ist wirklich traurig, ja, sie geht in ihrer verirrten Treue so
weit, daß sie sich grämt. Das ist nicht gut für sie, sie ist ohne
Getue, einfach offen und ehrlich verliebt. Nein, sie schämt sich dessen
nicht, sie ist ein kraftstrotzendes Weib voller Schwachheit, sie geht
nur mit der Natur um sie her, sie ist voller Herbstglut. Während sie
etwas Mundvorrat für Gustaf zusammenpackt, wogt ihr der Busen vor
heftigen Gefühlen. Sie denkt nicht darüber nach, ob sie ein Recht dazu
hat, oder ob Gefahr dabei sein könnte, sie gibt sich einfach hin, sie
ist gierig geworden, zu schmecken, zu genießen. Isak könnte sie noch
einmal bis an die Decke heben und sie dann wieder auf den Boden stoßen
-- jawohl, sie enthielte sich dennoch nicht.

Nun geht sie mit ihrem Mundvorrat hinaus und gibt ihn ab. Sie hatte
neben der Treppe eine Kufe zurechtgestellt, die ihr Gustaf zum
letztenmal an den Fluß hinuntertragen helfen sollte. Vielleicht wollte
sie ihm noch etwas sagen, vielleicht ihm etwas zustecken, den goldenen
Ring, Gott weiß, es ist ihr alles zuzutrauen. Aber das muß jetzt ein
Ende haben, Gustaf dankt für den Mundvorrat, sagt Lebewohl und geht.
Und geht.

Da steht sie.

Hjalmar! ruft sie laut, ganz unnötig laut. Es klingt wie ein trotziger
Jubelruf, wie ein Notschrei.

Gustaf geht ...

Den Herbst über wird nun in der ganzen Gegend bis zum Dorf hinunter die
gewöhnliche Arbeit getan; die Kartoffeln werden herausgehackt, das Korn
hereingeschafft, die Kühe werden auf die Weide gelassen. Es sind acht
Ansiedlungen, und überall drängt die Arbeit; aber auf dem Handelsplatz
Storborg haben sie kein Vieh und kein bestelltes Land, sie haben nur
einen Garten, und Handel haben sie auch keinen mehr, auf Storborg
gibt's keine dringende Arbeit.

Auf Sellanraa haben sie eine neue Hackfrucht, die Turnips heißt, die
steht grün und riesengroß da und weht mit den Blättern, und es ist
ganz unmöglich, die Kühe davon fernzuhalten, diese brechen alle Gatter
nieder und stürmen brüllend darauf zu. Darum müssen nun Leopoldine und
die kleine Rebekka das Turnipsfeld hüten, die kleine Rebekka hat eine
große Rute in der Hand und jagt die Kühe mit wütendem Eifer. Der Vater
arbeitet in der Nähe, und von Zeit zu Zeit kommt er her, befühlt ihre
Hände und Füße und fragt, ob sie nicht friere. Leopoldine, die groß
und beinahe erwachsen ist, strickt beim Hüten Strümpfe und Socken für
den Winter. Sie ist in Drontheim geboren und war fünf Jahre alt, als
sie nach Sellanraa kam; die Erinnerung an eine große Stadt mit vielen
Menschen und an eine weite Reise auf dem Dampfschiff gleitet bei ihr
immer mehr in den Hintergrund, sie ist ein Landkind und kennt keine
andere große Welt als das Dorf dort unten, wo sie einige Male in der
Kirche gewesen und wo sie letztes Jahr konfirmiert worden ist ...

Jetzt kommen einige Nebenarbeiten an die Reihe, so der Weg abwärts, der
an einigen Stellen kaum fahrbar ist. Da die Erde noch nicht gefroren
ist, fangen Isak und Sivert eines schönen Tages an, an dem Wege Gräben
zu ziehen. Es sind noch zwei Stücke Moorland da, die entwässert werden
müssen.

Axel Ström hat versprochen, sich an dieser Arbeit zu beteiligen, weil
auch er ein Pferd hat und den Weg braucht. Aber nun hat Axel ein
dringendes Geschäft in der Stadt -- was in aller Welt wollte er denn
dort --, es sei eine ganz dringende Sache, sagte er. Statt seiner
schickt er seinen Bruder von Breidablick zu dem Wegbau. Fredrik heißt
er.

Dieser Mann war jung und neu verheiratet, ein leichtlebiger Kunde, der
gerne sein Späßchen macht und trotzdem brauchbar ist. Er und Sivert
sind einander recht ähnlich. Nun war Fredrik, als er morgens heraufkam,
bei seinem nächsten Nachbarn Aronsen auf Storborg gewesen und noch ganz
erfüllt von dem, was ihm der Kaufmann gesagt hatte. Es hatte damit
angefangen, daß Fredrik eine Rolle Tabak verlangte. Ich werde dir
eine Rolle Tabak verehren, wenn ich selbst eine habe, sagte Aronsen.
-- So, habt Ihr nicht einmal mehr Tabak? -- Nein, und ich lasse auch
keinen mehr kommen, es ist ja niemand mehr da, der ihn kauft. Was
meinst du denn, daß ich an einer Rolle Tabak verdiene? Aronsen war in
recht schlechter Laune gewesen, er war der Ansicht, die schwedische
Grubengesellschaft habe ihn an der Nase herumgeführt. Nun hatte er sich
hier in der Einöde niedergelassen, um Handel zu treiben, und da wurde
der Grubenbetrieb eingestellt!

Fredrik lächelt behaglich über Aronsen und spottet über ihn: Nein, er
hat gar kein Land bestellt und hat nicht einmal Futter für sein Vieh,
das kauft er! Er ist bei mir gewesen und wollte Heu kaufen. Nein, ich
hatte kein Heu zu verkaufen. So, du brauchst also kein Geld? fragte er,
der Aronsen. Er meint, es sei alles, wenn man nur Geld habe, warf einen
Hundertkronenschein auf den Tisch und sagte: Da ist Geld. -- Ja, Geld
ist etwas Schönes, sagte ich. -- Das ist bom konstant, sagte er. Es ist
gerade, als sei er ab und zu ein bißchen närrisch, und seine Frau läuft
am hellen Werktag mit einer Taschenuhr umher -- was das nur für eine
wichtige Stunde sein mag, die sie nicht vergessen darf.

Sivert fragt: Hat der Aronsen nichts von einem Mann gesagt, der
Geißler heißt? -- Doch, das sei einer, der seinen Berganteil nicht
verkaufen wolle, sagte er. Aronsen war rasend: Ein abgesetzter
Lensmann, sagte er, der vielleicht keine fünf Kronen im Beutel hat, er
sollte totgeschossen werden! -- Ihr müßt nur ein wenig warten, sagte
ich. Vielleicht verkauft er später. -- Nein, sagte der Aronsen, das
darfst du nicht glauben. Das begreife ich als Kaufmann ganz gut, wenn
die eine Partei zweihundertfünfzigtausend verlangt und die andere
fünfundzwanzigtausend bietet, dann steht zuviel zwischen ihnen, das
gibt kein Geschäft. Aber Glück zu! sagte der Aronsen, wenn nur ich mit
den Meinigen den Fuß niemals in dieses Loch gesetzt hätte. -- Ja, denkt
Ihr vielleicht daran, zu verkaufen? fragte ich. -- Ja, sagte er, genau
an das denke ich. Diese Moorsümpfe, dieses Loch und diese Einöde! Ich
nehme ja keine Krone mehr am Tag ein, sagte er.

Die Männer lachten über Aronsen und hatten keinerlei Mitleid mit ihm.
Glaubst du, daß er wirklich verkauft? fragte Isak. -- Ja, er tat so.
Und er hat auch schon den Knecht entlassen. Ja, der Aronsen ist ein
komischer Kerl, das ist gewißlich wahr. Den Knecht entläßt er, der
das Holz für den Winter schlagen und mit seinem eigenen Pferd Heu
einführen könnte, aber den Ladendiener behält er. Es ist wohl wahr, er
verkauft nicht für eine Krone am Tag, denn er hat keine Waren mehr in
seinem Laden, aber wozu braucht er dann den Ladendiener? Ich glaube, es
ist nur Hochmut, Großtuerei. Er muß einen Mann haben, der am Pult steht
und in große Bücher schreibt. Hahaha, ja, es ist gerade, als ob der
Aronsen ein ganz klein wenig verrückt wäre.

Die drei Männer arbeiten bis zur Mittagsstunde, verzehren dann ihr
mitgebrachtes Essen und plaudern noch ein Weilchen. Sie haben ihre
eigenen Angelegenheiten zu bereden, das Wohl und Wehe der Gegend
und der Ansiedler, das sind keine Kleinigkeiten, aber sie behandeln
sie mit Gelassenheit, sie sind gesetzte Männer, ihre Nerven sind
unverbraucht und tun nicht, was sie nicht tun sollten. Nun kommt das
Spätjahr, rundum im Wald ist es still geworden, die Berge stehen hier
und die Sonne steht dort, am Abend kommen die Sterne und der Mond,
das sind alles feste Verhältnisse, sie sind voller Freundlichkeit wie
eine Umarmung. Hier haben die Menschen noch Zeit, sich im Heidekraut
auszuruhen, mit dem einen Arm als Kopfkissen.

Fredrik spricht von Breidablick und daß er dort noch nicht viel habe
ausrichten können. Doch, sagte Isak, du hast schon viel getan, das
hab' ich gesehen, als ich drunten war. -- Dieses Lob von dem ältesten
Ansiedler in der Gegend, dem Riesen, tut Fredrik augenscheinlich
wohl, er fragt ehrlich: Meint Ihr wirklich? Nein, es muß immer noch
besser kommen. Ich bin in diesem Jahr sooft abgehalten worden. Das
Wohnhaus mußte hergerichtet werden, es war nicht dicht und wurde immer
schlimmer, und den Heuschuppen mußte ich einreißen und neu aufstellen.
Die Stallgamme war zu klein, ich habe Kühe und Kälber, was der Brede
zu seiner Zeit nicht gehabt hat, sagt Fredrik stolz. -- Gefällt es dir
hier? fragt Isak. -- Ja, mir gefällt es, und meiner Frau gefällt es
auch, warum sollte es uns nicht gefallen? Wir haben einen weiten Blick
und sehen die Straße hinauf und hinunter. Das kleine Gehölz beim Hause
ist nach unserer Meinung sehr hübsch, es sind Birken und Weiden darin,
und wenn ich Zeit habe, will ich auf der andern Seite des Hofplatzes
noch mehr Bäume pflanzen. Es ist großartig, wie trocken das Moor schon
geworden ist, seit ich im Frühjahr Gräben gezogen habe. Nun wollen wir
sehen, was heuer darauf wächst! Ob es uns gefällt? O ja, wenn doch
meine Frau und ich Haus und Hof und Grund und Boden haben! -- Na, wollt
ihr immer nur zu zweit bleiben? fragt Sivert listig. -- Nein, weißt du,
es kann wohl sein, daß wir mehr werden, erwidert Fredrik munter. Und
wenn wir schon davon reden, ob es uns hier gefällt, so habe ich meine
Frau noch nie so gedeihlich gesehen wie jetzt.

Sie arbeiten bis zum Abend. Zuweilen richten sie sich auf und schwatzen
miteinander. Du hast also keinen Tabak bekommen? fragt Sivert. -- Nein,
und das tat mir auch nicht leid. Ich rauche nicht, erwidert Fredrik.
-- Du rauchst nicht? -- Nein. Ich bin zu dem Aronsen nur hingegangen,
um zu hören, was er sagt. Da lachten die beiden Spitzbuben und freuten
sich diebisch.

Auf dem Heimweg sind Vater und Sohn schweigsam wie gewöhnlich. Aber
Isak muß sich etwas ausgedacht haben, denn er sagt: Du, Sivert? -- Ja?
erwidert Sivert. -- Ach, nichts Besonderes, sagt Isak. -- Sie gehen
eine lange Strecke weiter, dann spricht der Vater wieder: Kann denn
Aronsen Handel treiben, wenn er keine Waren mehr hat? -- Nein, sagt
Sivert. Aber es sind jetzt nicht mehr viele Menschen da, für die er
Waren braucht. -- So, meinst du? Ja, du kannst recht haben. -- Sivert
wundert sich ein wenig über diese Worte seines Vaters, und dieser fährt
fort: Es sind jetzt allerdings nur acht Ansiedlungen hier, aber es
können mehr und immer mehr werden. Wer weiß! -- Sivert wundert sich
noch mehr, woran denkt sein Vater? Oh, an nichts. Wieder gehen die
beiden eine lange Strecke weiter und sind beinahe zu Hause. Da fragt
der Alte: Hm. Was meinst du wohl, daß der Aronsen für den Hof haben
will? -- Ja, das kommt nun darauf an! antwortet Sivert. Willst du ihn
kaufen? sagt er im Spaß. Aber plötzlich geht ihm ein Licht auf, wo sein
Vater hinaus will: An Eleseus denkt der Alte. Oho, er hat ihn wohl
nie vergessen gehabt, er hat ebenso getreulich an ihn gedacht wie die
Mutter, nur auf seine eigene Weise, näher bei der Erde und auch näher
bei Sellanraa. Da sagt Sivert: Der Preis wird wohl erschwinglich sein.
Und als Sivert so viel gesagt hat, da merkt der Vater seinerseits, daß
er verstanden worden ist, und wie wenn er Angst hätte, zu deutlich
geworden zu sein, sagt er nun schnell ein paar Worte über den Wegbau
und daß es gut sei, den hinter sich zu haben.

In den nächsten Tagen steckten Sivert und seine Mutter die Köpfe
zusammen, sie ratschlagten und hatten viel zu flüstern, auch schrieben
sie einen Brief, und als der Samstag kam, bezeigte Sivert Lust, ins
Dorf zu gehen. -- Was willst du denn schon wieder im Dorfe? du läufst
nur unnötig deine Schuhe durch, sagte der Vater sehr ärgerlich, oh,
viel grimmiger im Gesicht, als natürlich gewesen wäre; er merkte wohl,
daß Sivert auf die Post wollte. -- Ich will in die Kirche, sagte
Sivert. -- Einen besseren Grund fand er nicht, und der Vater sagte: Ja,
wenn es nicht anders sein kann.

Aber wenn Sivert schon einmal in die Kirche wollte, dann konnte er
auch einspannen und die kleine Rebekka mitnehmen. Der kleinen Rebekka
konnte man doch wirklich zum erstenmal in ihrem Leben dieses Vergnügen
machen, sie hatte ja so eifrig das Turnipsfeld gehütet und war im
großen ganzen die Blüte und die Perle von allen auf dem Hofe; ja, das
war sie. Es wurde also angespannt, und Rebekka bekam die Magd Jensine
zur Begleitung mit -- wogegen Sivert nichts einzuwenden hatte.

Während sie fort sind, geschieht es, daß der Ladendiener von Storborg
daherkommt. Was nun? Ei, nichts Besonderes, nur daß ein Ladendiener,
ein Mann namens Andresen daherkommt; er soll in die Berge hinauf, sein
Herr schickt ihn. Weiter ist es nichts. Und dieses Geschehnis bringt
auch keine große Aufregung auf Sellanraa hervor, es ist nicht wie in
alten Tagen, wo ein Fremder ein seltener Anblick auf der Ansiedlung
war und Inger sich mehr oder minder darüber aufregte. Nein, Inger ist
wieder in sich gegangen und ist still und ruhig.

Ein merkwürdiges Ding, dieses Andachtsbuch, ein Führer, ja, ein Arm
um den Hals! Als Inger sich selbst verloren hatte und in den Beeren
irregegangen war, fand sie sich wieder beim Gedanken an ihre Kammer
und an das Andachtsbuch, und zurzeit war sie wieder in sich versunken
und gottesfürchtig. Sie gedenkt der längst verflossenen Jahre, als
sie, wenn sie nähte und sich in den Finger stach, der Teufel auch!
sagte. Das lernte sie von ihren Mitschwestern an dem großen Tisch in
der Nähstube. Jetzt sticht sie sich mit der Nadel, daß es blutet,
und saugt schweigsam das Blut aus. Es gehört nicht wenig Überwindung
zu solcher Umkehr! Aber Inger ging noch weiter. Als der steinerne
Stall fertiggebaut war und alle Arbeiter sich entfernt hatten und
ganz Sellanraa wieder einsam und verlassen dalag, da hatte Inger eine
Krisis und weinte viel und litt schwere Not. Sie bürdete niemand als
sich selbst die Schuld dafür auf, und sie war tief demütig. Wenn
sie nur mit Isak hätte reden und sich das Herz erleichtern können;
aber auf Sellanraa sprach niemand von seinen Gefühlen, und niemand
bekannte seine Fehler. So holte sie ihren Mann sehr fürsorglich zu den
Mahlzeiten herein; sie ging dazu bis zu ihm hin und forderte ihn auf,
statt nur unter der Haustür zu rufen, und abends sah sie seine Kleider
durch und nähte die Knöpfe an. Ja, Inger ging sogar noch weiter. Eines
Nachts stützte sie sich auf den Ellbogen und sagte: Du, Isak. -- Was
gibt's? fragt Isak. -- So, wachst du? -- Ja. -- Ach, nichts Besonderes,
sagt Inger. Aber ich bin nicht gewesen, wie ich hätte sein sollen. --
Was? fragt Isak. Das entfuhr ihm, und auch er richtete sich auf den
Ellbogen auf. Dann redeten sie weiter miteinander, sie ist nun eben
doch eine prächtige Frau und hat das Herz voll. Ich bin nicht so gegen
dich gewesen, wie ich hätte sein sollen, sagt sie. Das tut mir sehr
leid. -- Diese einfachen Worte rühren ihn, sie rühren den Mühlengeist,
und er will Inger gerne trösten; er versteht zwar nichts von der Sache,
versteht nur so viel, daß es keine mehr gibt wie sie. -- Deshalb
brauchst du nicht zu weinen, sagt Isak. Wir sind alle nicht, wie wir
sein sollten. -- Ach nein, sagt sie dankbar. Oh, Isak hatte eine
gesunde Art, die Dinge zu behandeln, er richtete sie wieder auf, wenn
sie umfallen wollten. Wer ist, wie er sein sollte! Er hatte recht; der
Gott des Herzens selbst, der doch ein Gott ist, geht auf Abenteuer aus,
und wir können es ihm ansehen, dem Wildfang: an einem Tag taucht er in
einen Rosenreichtum unter und wiegt sich wohlig darin und leckt sich
die Lippen, am anderen Tag hat er sich einen Dorn in den Fuß getreten
und zieht ihn mit verzweifeltem Gesicht heraus. Stirbt er daran? Oh,
keine Spur. Er ist so gesund wie vorher. Das wäre was Schönes, wenn er
daran stürbe!

Auch mit Inger kam das alles wieder in die Reihe, sie überwindet
es, aber sie bleibt bei ihren Andachtstunden und findet ihren Trost
darin. Inger ist jeden Tag fleißig und geduldig und herzensgut, sie
schätzt Isak vor allen Männern und wünscht sich keinen andern als
ihn. Natürlich ist er dem äußeren Anschein nach kein Tausendsassa und
Sänger, aber er ist schon recht, hoho, das wollte sie meinen! Und es
bewahrheitete sich wieder, daß es ein großer Gewinn ist, gottesfürchtig
und genügsam zu sein.

Und nun kam also dieser kleine Ladenjüngling von Storborg, dieser
Andresen, er kam Sonntags nach Sellanraa, und Inger wurde darüber nicht
erregt, durchaus nicht, sie wollte nicht einmal selbst mit einem Topf
Milch zu ihm hineingehen, und da die Magd nicht zu Hause war, schickte
sie Leopoldine mit der Milch. Und Leopoldine trug ja auch den Topf
Milch recht nett hinein und sagte Bitte! und wurde rot, obgleich sie
doch ihre Sonntagskleider trug und keinen Grund hatte sich zu schämen.
-- Danke, das ist allzuviel, sagte Andresen. Ist dein Vater zu Hause?
fragte er. -- Jawohl, er ist draußen irgendwo. -- Andresen trank,
wischte sich den Mund mit dem Taschentuch ab und sah nach der Uhr. Ist
es weit bis zu den Gruben? fragte er. -- Nein, es ist kaum eine Stunde.
-- Ich soll hinauf und sie mir für Aronsen, bei dem ich angestellt bin,
ansehen. -- So. -- Ja, du kennst mich doch. Ich bin der Ladendiener bei
Aronsen; du bist schon bei uns gewesen und hast eingekauft. -- Ja. --
Ich erinnere mich deiner ganz gut, du hast zweimal bei uns eingekauft.
-- Das ist mehr, als ich erwarten konnte, daß Ihr Euch meiner erinnert,
sagte Leopoldine, dann aber waren ihre Kräfte erschöpft, und sie hielt
sich an einem Stuhl fest. Andresen jedoch hatte noch Kräfte übrig,
er fuhr fort: Warum sollte ich mich nicht mehr an dich erinnern? Und
weiter fragte er: Kannst du nicht mit mir zu den Gruben hinaufgehen?

Allmählich wurde es Leopoldine ganz rot und sonderbar vor den Augen,
der Fußboden schwankte unter ihr, und der Ladendiener Andresen sprach
wie aus weiter Ferne: Hast du keine Zeit? -- Nein, sagte sie. Gott
weiß, wie sie wieder hinauskam in die Küche. Die Mutter sah sie an und
fragte: Was fehlt dir denn? -- Nichts.

Nichts, o nein! Aber seht, jetzt war Leopoldine an der Reihe, erregt
zu werden, nun begann der Kreislauf bei ihr. Sie war ganz geeignet
dazu, rund und hübsch und neukonfirmiert, sie gab ein schönes Opfer.
Ein Vogel zwitschert in ihrer Brust, ihre langen Hände sind wie die
ihrer Mutter voller Zärtlichkeit, voller Weiblichkeit. Konnte sie nicht
tanzen? O doch. Es war ein Wunder, wo sie es lernten, aber sie lernten
tanzen, auch auf Sellanraa, Sivert konnte es, Leopoldine konnte es,
es war ein Tanz, im Ödland entstanden, ein bodenständiges Drehen und
Wenden mit vielen Kräften, Schottisch, Mazurka, Rheinländer und Walzer.
Und warum sollte Leopoldine nicht auch sich putzen und verliebt sein
und mit offenen Augen träumen? Genau wie andere! Als sie konfirmiert
wurde, lieh ihr die Mutter ihren goldenen Ring, es war kein sündiger
Gedanke dabei, es war nur hübsch, und am nächsten Tag, als sie zum
Abendmahl ging, steckte sie übrigens den Ring erst an, als alles
überstanden war. Sie konnte wohl mit einem goldenen Ring am Finger
vor dem Altar stehen, sie war die Tochter eines mächtigen Mannes, des
Markgrafen.

Als der Ladendiener Andresen wieder vom Berg herunterkam, traf er
Isak an und wurde ins Haus geladen. Er bekam Mittagessen und Kaffee.
Alle Hausbewohner waren jetzt in der Stube versammelt und nahmen
teil an der Unterhaltung. Der Ladendiener erklärte, Aronsen habe
ihn hinaufgeschickt, er solle einmal untersuchen, wie es mit den
Gruben stehe, ob Anzeichen zu sehen seien, daß der Betrieb und die
Arbeit wieder aufgenommen werden würden. Gott weiß, der Ladendiener
schwindelte vielleicht gewaltig, wenn er sagte, er sei geschickt
worden, vielleicht hatte er den Gang auf eigene Rechnung gemacht,
und jedenfalls konnte er in der kurzen Zeit, die er weggewesen war,
nicht bis an die Gruben hinaufgekommen sein. -- So von außen kann man
nicht sehen, ob die Gesellschaft wieder anfangen will, sagte Isak. --
Nein, das räumte der Ladendiener ein, aber Aronsen habe ihn nun einmal
heraufgeschickt, und es sei ja auch wahr, vier Augen sähen mehr als
zwei.

Aber nun konnte sich Inger nicht mehr halten, sie fragte: Ist es wahr,
was die Leute sagen, daß der Aronsen verkaufen will? -- Der Ladendiener
antwortete: Er spricht davon. Und ein Mann wie er kann tun, was er
will, er hat das Geld zu allem. -- Na, hat er wirklich soviel Geld? --
Ja, erwidert der Ladendiener und nickt, daran fehlt es nicht. -- Wieder
kann Inger nicht schweigen, sie fragt: Was will er wohl für das Gut?
-- Doch jetzt greift Isak ein, er ist vielleicht noch neugieriger als
Inger, aber der Gedanke, Storborg zu kaufen, soll nun einmal durchaus
nicht von ihm herrühren, und so tut er, als ob ihn das gar nichts
anginge. Er sagt: Weshalb fragst du denn, Inger? -- Ach, ich frage
nur so, erwidert sie. -- Beide sehen gespannt den Ladendiener an und
warten. Endlich rückt er mit der Antwort heraus.

Er spricht sehr zurückhaltend, von dem Preis weiß er nichts, aber
er weiß, was Aronsen selbst gesagt hat, daß Storborg ihn gekostet
habe. -- Und wieviel ist das? fragt Inger, denn sie vermag nicht zu
schweigen und den Mund zu halten. -- Sechzehnhundert Kronen, erwidert
der Ladendiener. -- Ach so! Inger schlägt sofort die Hände zusammen,
denn wenn die Weiberleute etwas nicht haben, so ist es, in Beziehung
auf Güterpreise, Witz und Verstand. Aber sechzehnhundert Kronen sind
nun einmal keine kleine Summe hier im Ödland, und Inger hat nur _eine_
Angst, daß sich nämlich Isak dadurch abschrecken lassen könnte. Aber
Isak ist unerschütterlich wie ein Fels und sagt nur: Das machen die
großen Häuser. -- Ja, sagt auch der Ladendiener Andresen, das machen
die gewaltig großen Häuser.

Kurz ehe der Ladendiener geht, hat sich Leopoldine zur Tür
hinausgedrückt. Es ist höchst sonderbar, aber es kommt ihr ganz
unmöglich vor, ihm die Hand zu geben. Sie hat indes einen guten Platz
gefunden, sie steht in dem neuen Stall und schaut zu einem der Fenster
hinaus. Sie trägt ein blauseidenes Band um den Hals, das hatte sie
vorher nicht gehabt, und das merkwürdigste ist, daß sie Zeit gefunden
hat, es umzubinden. Da geht er vorbei, er ist etwas klein und rund, mit
flinken Beinen, hat einen blonden Vollbart und ist acht bis zehn Jahre
älter als sie. Er ist ganz nett, sollte sie meinen.

Spät in der Nacht zwischen Sonntag und Montag kamen die Kirchgänger
wieder zurück. Alles war gut gegangen, die kleine Rebekka hatte auf
der Heimfahrt während der letzten Stunden geschlafen, und sie wurde
auch schlafend aus dem Wagen gehoben und ins Haus getragen. Sivert hat
viel Neues erfahren, aber als die Mutter fragt: Was gibt's denn Neues?
sagt er nur: Oh, nichts Besonderes. Der Axel hat eine Mähmaschine und
einen Reolpflug. -- Was du sagst? ruft der Vater mit großem Interesse.
Hast du sie gesehen? -- Ja, ich habe sie gesehen, sie standen am
Landungsplatz. -- So, deshalb ist er also in der Stadt gewesen! sagt
der Vater. Und Sivert sitzt dick geschwollen von besserem Wissen da,
sagt aber kein Wort mehr.

Mochte der Vater glauben, Axel sei in die Stadt gefahren, um eine
Mähmaschine und einen Reolpflug zu kaufen; auch die Mutter sollte das
nur glauben. Ach, aber keines der beiden Eltern glaubte das wirklich,
sie hatten auch munkeln hören, daß das mit einem neuen Kindsmord in
der Gegend zusammenhing. -- Geh du jetzt nur zu Bett! sagt der Vater
schließlich.

Sivert, dick geschwollen von Wissen, geht und legt sich zu Bett. Axel
ist zu einer Verhandlung vorgeladen, es war eine große Sache, der
Lensmann ist mit ihm hingereist. Es war eine so große Sache, daß auch
die Frau Lensmann, die wahrhaftig wieder ein Kleines hatte, ihr Kind
verließ und mit in die Stadt reiste. Sie hatte gesagt, sie wolle ein
Wort mit dem Gericht reden.

Nun schwirrten Klatsch und allerlei Gerüchte durchs Dorf, und Sivert
merkte gut, daß auch wieder von einem älteren Kindsmord geflüstert
wurde. Vor der Kirche stockte jede Unterhaltung, wenn er sich nahte,
und wäre er nicht der gewesen, der er war, so hätten ihm die Leute
vielleicht den Rücken gekehrt. Es war recht gut, Sivert zu sein,
erstens einmal von einem großen Hof zu stammen, eines reichen Mannes
Sohn zu sein und dann auch selbst für einen tüchtigen Kerl, für
einen guten Arbeiter zu gelten. Er wurde von anderen geschätzt und
hochgeachtet, und er hatte auch jederzeit die Volksgunst genossen.
Wenn jetzt nur nicht Jensine zu viel hörte, ehe sie wieder nach Hause
fuhren. Sivert hatte übrigens so seine eigenen Gründe zur Beängstigung,
auch die Leute auf dem Ödland können erröten und erbleichen. Er sah,
wie Jensine mit der kleinen Rebekka aus der Kirche trat, sie hatte auch
ihn gesehen, war aber einfach vorbeigegangen. So wartet er eine Weile
und fährt dann beim Schmied vor, um die beiden abzuholen.

Beim Schmied wird zu Mittag gegessen, das ganze Haus ist versammelt,
und auch Sivert wird etwas zu essen angeboten, aber er hat schon
gegessen und dankt. Sie wußten, daß er um diese Zeit kommen werde, sie
hätten auch die kleine Weile auf ihn warten können, in Sellanraa hätte
man das getan, aber hier tat man es nicht. -- Ach nein, du bist es
jedenfalls besser gewöhnt, sagt die Frau des Schmieds. -- Hast du in
der Kirche etwas Neues erfahren? fragte der Schmied, obgleich er selbst
in der Kirche gewesen ist.

Als Jensine und die kleine Rebekka auf dem Wagen sitzen, sagt die
Schmiedfrau zu ihrer Tochter: Ja, ja, Jensine, laß es nun nicht zu
lange anstehen, bis du wieder nach Hause kommst. -- Das kann man auf
zwei Arten verstehen, dachte Sivert, aber er mischte sich nicht in die
Sache. Wäre die Rede ein klein wenig bestimmter gewesen, so hätte er
vielleicht Antwort gegeben. Er runzelt die Stirne und wartet -- nein,
nichts mehr.

Sie fahren heimwärts, und die kleine Rebekka ist die einzige, die etwas
zu plaudern hat, sie ist erfüllt von dem Erlebnis ihres Kirchganges,
von dem Geistlichen in seinem schwarzen Talar mit dem silbernen Kreuz,
von dem Lichterglanz und dem Orgelschall. Nach einer langen Weile sagt
Jensine: Das mit Barbro ist eine Schande! -- Was hat deine Mutter damit
gemeint, daß du bald wieder nach Hause kommen sollest? fragt Sivert.
-- Was sie damit meinte? -- Willst du uns verlassen? -- Einmal muß ich
ja doch wieder nach Hause, sagt sie. -- Prrr! ruft Sivert und hält das
Pferd an. Soll ich jetzt gleich wieder mit dir umdrehen? fragt er.
-- Jensine sieht ihn an, er ist blaß wie der Tod. -- Nein, erwidert
sie, und gleich darauf fängt sie an zu weinen. Die kleine Rebekka
sieht erstaunt von einem zum andern. Ach, die kleine Rebekka war sehr
nützlich auf einer solchen Fahrt, sie ergriff Partei für Jensine,
streichelte sie und brachte sie wieder dazu, daß sie lächelte. Und als
die kleine Rebekka ihrem Bruder drohte, sie werde vom Wagen springen
und sich einen Stecken für ihn suchen, da mußte auch Sivert lächeln. --
Aber nun muß ich fragen, was du gemeint hast? sagt Jensine. -- Sivert
antwortet ohne Bedenken: Ich meinte, daß wir, wenn du uns verlassen
wollest, eben sehen müßten, ohne dich fertig zu werden. -- Lange Zeit
darauf sagte Jensine: Jawohl, die Leopoldine ist ja nun erwachsen und
kann meine Arbeit tun.

Es wurde eine wehmütige Heimfahrt.



7


Ein Mann geht übers Ödland hinauf. Es stürmt und regnet, die
Herbstregen haben begonnen, aber darum kümmert sich dieser Mann
nicht, er sieht froh aus und ist es auch; es ist Axel Ström, er
kommt vom Verhör, wo er freigesprochen worden ist. Und er ist froh:
erstens stehen eine Mähmaschine und ein Reolpflug für ihn drunten
am Landungsplatz, und zweitens ist er freigesprochen. Er hat nicht
geholfen, ein Kind zu ermorden. So kann es gehen!

Aber was für schwere Stunden hat er durchgemacht! Als er dastand und
Zeugnis ablegte, hatte dieser sich in täglicher Arbeit abmühende Mann
die schwerste Arbeit seines Lebens vor sich gehabt. Er hatte keinen
Nutzen davon, Barbros Schuld zu vergrößern, deshalb nahm er sich in
acht, ja nicht zuviel zu sagen, ja, er sagte nicht einmal alles, was
er wußte, jedes Wort mußte aus ihm herausgefragt werden, und meistens
antwortete er nur mit ja und nein. War das nicht genug? Sollte die
Sache noch größer gemacht werden, als sie schon war? Ach, es sah häufig
aus, als ob es Ernst werden wollte; die hohe Obrigkeit war gar so
schwarz gekleidet und gefährlich, mit wenigen Worten hätte sie alles
zum Schlimmsten wenden und ihn vielleicht gar verurteilen können. Aber
es waren nette Leute, sie wollten seinen Untergang nicht. Und außerdem
traf es sich auch noch so, daß mächtige Kräfte in Tätigkeit waren, um
Barbro zu retten, und das gereichte auch ihm zum Nutzen.

Was in aller Welt konnte ihm nun noch geschehen?

Barbro selbst konnte doch wohl nicht auf die Gedanken kommen, Aussagen
zu machen, die ihren gewesenen Hausherrn und Liebsten belastet hätten;
er war im Besitz eines gar zu furchtbaren Wissens, sowohl um diese wie
um eine frühere Kindsangelegenheit, so dumm war Barbro nicht. Oh,
und sie war schlau genug, sie lobte Axel und sagte, er habe nicht das
mindeste von ihrer Niederkunft gewußt, bis alles vorüber gewesen sei.
Er sei ziemlich eigen, und sie stimmten nicht überein, aber er sei ein
stiller Mann und ein ausgezeichneter Mensch. Nein, daß er ein neues
Grab gegraben und die Leiche hineingetan habe, das sei viel später
geschehen, und zwar nur deshalb, weil er meinte, das erste Grab sei
nicht trocken genug; das sei es übrigens doch gewesen, nur sei Axel
eben gar so eigen.

Was konnte also Axel geschehen, wenn Barbro so die ganze Schuld
auf sich nahm? Und für Barbro selbst waren sehr mächtige Kräfte in
Bewegung; die Frau Lensmann Heyerdahl war in Bewegung.

Sie ging zu Hoch und Nieder und schonte sich keineswegs, sie verlangte
als Zeugin verhört zu werden und hielt vor Gericht eine große Rede. Als
sie an die Reihe kam, stand sie vor den Schranken als recht vornehme
Dame, sie erfaßte die Frage des Kindsmordes in ihrer ganzen Breite
und hielt dem Gericht eine Vorlesung; man hätte meinen können, sie
habe sich die Erlaubnis dazu im voraus erwirkt. Man konnte von der
Frau Lensmann sonst denken, was man wollte, aber Reden halten konnte
sie, und gelehrt in Politik und allen sozialen Fragen war sie. Es war
nur ein Wunder, wo sie alle die Worte hernahm. Ab und zu hatte es den
Anschein, als wolle der Vorsitzende versuchen, sie zu veranlassen,
etwas mehr zur Sache zu kommen, aber er hatte augenscheinlich nicht
das Herz, sie zu unterbrechen, und so ließ er sie weiterreden. Und zum
Schluß förderte sie einige brauchbare Aufklärungen zutage und machte
dem Gericht einen aufsehenerregenden Vorschlag.

Von rechtstechnischen Weitläufigkeiten abgesehen, ging die Geschichte
zu wie folgt:

Wir Frauen, sagte die Frau Lensmann, wir sind die unglückliche und
unterdrückte Hälfte der Menschheit. Die Männer machen die Gesetze,
wir Frauen haben keinen Einfluß darauf. Aber kann sich nun etwa ein
Mann hineinversetzen in das, was es für eine Frau heißt, ein Kind zu
gebären? Hat er ihre Angst gefühlt, hat er die unsäglichen Schmerzen
gefühlt, und hat er ihre Weheschreie ausgestoßen?

In dem Falle hier ist es ein Dienstmädchen, das ein Kind geboren
hat. Sie ist unverheiratet, sie muß also die ganze Zeit ihrer
Schwangerschaft über ihren Zustand zu verbergen suchen. Warum muß sie
ihn verbergen? Der Vorurteile der menschlichen Gesellschaft wegen.
Diese Gesellschaft verachtet die Ledige, die ein Kind unter dem Herzen
trägt. Sie beschützt sie nicht allein nicht, nein, sie verfolgt sie
auch noch mit Schande und Verachtung. Ist das nicht haarsträubend?
Jawohl, und jeder Mensch mit einem Herz im Leibe muß sich darüber
empören! Das Mädchen muß nicht nur ein Kind gebären, was an sich schon
schlimm genug wäre, nein, es soll auch noch dafür als Verbrecherin
gebrandmarkt werden. Ich kann nur sagen, für dieses Mädchen hier
auf der Anklagebank war es ein Glück, daß ihr Kind durch einen
unglücklichen Zufall im Bach zur Welt kam und sofort ersticken mußte.
Es war ein Glück für sie und für das Kind. Solange die Gesellschaft so
ist wie jetzt, müßte eine ledige Mutter straffrei ausgehen, und wenn
sie auch ihr Kind absichtlich umbringt!

Hier läßt der Vorsitzende ein schwaches Murren hören.

Oder jedenfalls dürfte sie nur unbedeutend bestraft werden, sagt die
Frau Lensmann. Selbstverständlich sind wir alle darüber einig, daß das
Leben des Kindes erhalten bleiben muß, sagte sie, aber sollte denn
von allen Gesetzen der Menschlichkeit gar kein einziges auch für die
unglückliche Mutter gelten? Stellen Sie sich doch einmal vor, was sie
alles während der Schwangerschaft durchgemacht hat, welche Qualen sie
erduldet hat, um ihren Zustand zu verbergen, und wie sie keinen Ausweg
mehr wußte weder für sich selbst, noch für ihr Kind. Darein kann sich
überhaupt kein Mensch versetzen, sagte sie. Das Kind stirbt jedenfalls
eines wohlgemeinten Todes. Die Mutter wünscht weder sich selbst noch
diesem lieben Kinde etwas so Böses, daß es leben soll, die Schande
ist ihr zu schwer zu tragen, und indessen reift der Plan in ihr, das
Kind zu töten. So gebiert sie im geheimen, und vierundzwanzig Stunden
lang ist sie so von Sinnen, daß sie bei der Tat unzurechnungsfähig
ist. Sie hat sie sozusagen gar nicht wirklich verübt, so von Sinnen
ist sie. Während ihr noch von der Niederkunft jeder Knochen und jeder
Muskel im Leibe weh tut, muß sie das Kind umbringen und die Leiche
wegschaffen -- stellen Sie sich einmal die Willensanspannung vor, die
zu dieser Arbeit gehört! Aber natürlich wünschen wir alle, daß die
Kinder am Leben bleiben, und es ist schwer zu beklagen, daß das Leben
von einigen ausgelöscht wird. Aber das ist einzig und allein die Schuld
der menschlichen Gesellschaft, dieser hoffnungslosen, unbarmherzigen,
verleumderischen, verfolgungswütigen, boshaften Gesellschaft, die
allzeit auf der Wacht steht, um die ledige Mutter mit allen Mitteln zu
erdrosseln!

Aber selbst nach dieser Behandlung seitens der Gesellschaft können sich
die mißhandelten Mütter wieder erheben. Sehr oft fangen gerade diese
Mädchen nach ihrem gesellschaftlichen Fehltritt an, ihre besten und
edelsten Eigenschaften zu entwickeln. Das Gericht könnte sich ja einmal
bei den Vorsteherinnen der Asyle, in denen Mutter und Kind aufgenommen
werden, erkundigen, ob das nicht wahr ist! Und es ist erfahrungsgemäß
erwiesen, daß gerade die Mädchen, die -- ja, die von der Gesellschaft
gezwungen worden sind, ihr Kind zu töten, ausgezeichnete Kindermädchen
werden. Das sollte doch jedermann Stoff zum Nachdenken geben.

Eine andere Seite der Sache ist die: Warum soll der Mann straffrei
ausgehen? Die Mutter, die einen Kindsmord begangen hat, wird gepeinigt
und ins Gefängnis geworfen, er jedoch, der Vater des Kindes, der
Verführer, dem geschieht nichts. Aber solange er der Urheber des Kindes
ist, hat er auch teil an dem Morde, und zwar den größeren Anteil, ohne
ihn wäre das Unglück überhaupt nicht geschehen. Warum geht er frank und
frei aus? Weil die Gesetze von den Männern gemacht werden, das ist die
Antwort. Man sollte laut den Himmel um Schutz gegen diese Männergesetze
ausrufen! Und das wird niemals besser, solange wir Frauen nicht bei
den Wahlen und in den gesetzgebenden Versammlungen ein Wort mitzureden
haben.

Aber, sagt die Frau Lensmann, wenn nun dieses grausame Gesetz die
schuldige -- oder mehr oder minder schuldige -- unverheiratete Mutter
trifft, die einen Kindsmord begeht, was sollen wir dann von der
unschuldigen sagen, die nur des Mordes verdächtigt wird und gar keinen
Kindsmord begangen hat? Welche Genugtuung gibt die Gesellschaft diesem
ihrem Opfer? Keinerlei Genugtuung! Ich bezeuge, daß ich das hier
sitzende angeklagte Mädchen kenne, seit es ein Kind gewesen ist; sie
war in meinen Diensten, ihr Vater ist meines Mannes Amtsdiener. Wir
Frauen erlauben uns, gerade entgegengesetzt zu denken und zu fühlen als
die Männer mit ihren Anklagen und Verfolgungen, wir erlauben uns, eine
Ansicht über die Dinge zu haben. Das Mädchen hier ist verhaftet und
ihrer Freiheit beraubt, verdächtigt, erstens einmal im geheimen geboren
und zweitens ihr Kind umgebracht zu haben. Sie hat -- daran zweifle
ich durchaus nicht -- beides nicht getan. Das Gericht wird selbst zu
dieser sonnenklaren Schlußfolgerung kommen. Im geheimen? Sie hat am
hellen Tag geboren. Wohl ist sie allein gewesen, aber wer hätte bei
ihr sein sollen? Sie wohnte weit droben im Ödland, der einzige Mensch
außer ihr selbst, der zur Stelle war, das war ein Mann; hätte sie einen
solchen in diesem Augenblick zur Hilfe rufen sollen? Wir Frauen empören
uns schon allein bei diesem Gedanken, wir schlagen schamvoll die Augen
nieder. -- Und dann soll sie das Kind getötet haben? Es wurde in einem
Bach geboren, sie lag da in dem eiskalten Wasser, als sie gebar. Wie
ist sie in den Bach gekommen? Sie ist ein Dienstmädchen, also eine
Sklavin, sie hat ihre täglichen Pflichten zu erfüllen, sie wollte in
den Wald, um Wacholder zum Scheuern ihres Melkeimers zu holen. Als sie
durch den Bach watet, gleitet sie aus und fällt. Sie bleibt liegen, das
Kind wird geboren und erstickt im Wasser.

Die Frau Lensmann hält inne. Sie konnte es den Richtern und den
Zuhörern ansehen, daß sie wunderbar gut gesprochen hatte, es war
mäuschenstill im Saal, und nur Barbro trocknete sich von Zeit zu
Zeit die Augen vor Rührung. Dann schließt die Frau Lensmann: Wir
Frauen haben ein Herz; ich habe meine eigenen Kinder fremden Händen
anvertraut, um hierherreisen, um für das unglückliche Mädchen, das hier
sitzt, Zeugnis ablegen zu können. Männergesetze können einer Frau nicht
verbieten zu denken: ich denke, daß das Mädchen hier ausreichend dafür
bestraft ist, überhaupt nichts Böses getan zu haben. Sprechen Sie die
Angeklagte frei, dann werde ich sie mit nach Hause nehmen, und sie wird
das ausgezeichnetste Kindermädchen werden, das ich je gehabt habe.

Die Frau Lensmann ist zu Ende.

Der Vorsitzende bemerkt: Ja, aber wären es nun nach der Rede der Frau
Lensmann nicht eigentlich die Kindsmörderinnen, die die ausgezeichneten
Kindermädchen geben sollen? Oh, aber der Vorsitzende war nicht uneinig
mit Frau Lensmann Heyerdahl, ganz im Gegenteil, auch er fühlte
menschlich, ganz priesterlich mild. Während der Staatsanwalt dann noch
ein paar Fragen an die Frau Lensmann richtete, saß der Vorsitzende
ruhig auf seinem Stuhl und schrieb sich Anmerkungen auf.

Es war nicht viel mehr als eine Vormittagsverhandlung, da nur sehr
wenige Zeugen zu verhören waren und die Sache ja auch ganz klar
lag. Axel Ström saß da und hoffte das Beste, da schienen sich indes
plötzlich der Staatsanwalt und die Frau Lensmann zu vereinigen, um
ihn in Ungelegenheiten zu bringen, weil er die Kindsleiche begraben
hatte, statt den Todesfall zu melden. Er wurde mit Strenge verhört und
hätte vielleicht diesen Punkt nicht allzu gut erklären können, wenn er
nicht hinten im Saal Geißler wahrgenommen hätte. Ganz richtig, da saß
Geißler! Das gab Axel eine Art Stütze, er fühlte sich nicht mehr einsam
und verlassen der Obrigkeit gegenüber, die ihm zu Leibe wollte; Geißler
nickte ihm zu.

Jawohl, Geißler war in die Stadt gekommen. Er hatte sich zwar nicht als
Zeuge gemeldet, aber er war doch zur Stelle. Er hatte auch vor Beginn
der Verhandlung einige Tage dazu verwendet, sich Einsicht in den Fall
zu verschaffen und das aufzuschreiben, was er noch von Axels Bericht
auf Maaneland wußte. Die meisten der vorliegenden Dokumente waren in
Geißlers Augen nur Wische; dieser Lensmann Heyerdahl war ein sehr
beschränkter Mensch, er hatte es bei seiner Untersuchung von Anfang
an darauf angelegt, Axel zum Mitwisser an dem Kindsmord zu stempeln.
Dieser Esel, dieser Dummkopf, er verstand nicht das mindeste vom Leben
im Ödland, er sah nicht ein, daß dieses Kind gerade das Band war, das
die weibliche Hilfskraft an Axels Hof fesseln sollte.

Geißler redete mit dem Staatsanwalt, aber er gewann den Eindruck, daß
dies gar nicht nötig gewesen wäre. Er wollte Axel dazu verhelfen, daß
er wieder auf seinen Hof im Ödland kam, aber Axel brauchte gar keine
Hilfe. Nein, denn es sah ja sogar ganz vielversprechend für Barbro
selbst aus, und wenn sie freigesprochen wurde, fiel Axels Mitschuld von
selbst weg. Es kam nur noch auf die Zeugenaussagen an.

Nachdem die paar Zeugen verhört waren -- Oline war nicht vorgeladen,
aber der Lensmann, Axel, ein Sachverständiger und ein paar Mädchen aus
der Gemeinde --, nachdem also diese verhört waren, wurde Mittagspause
gemacht, und Geißler ging wieder zu dem Staatsanwalt hin. Nein, der
Staatsanwalt hatte die Ansicht, daß es immer noch vielversprechend für
Barbro aussehe. Frau Lensmann Heyerdahls Zeugnis war von großem Einfluß
gewesen. Es komme auf die Geschworenen an.

Nehmen Sie besonderen Anteil an diesem Mädchen? erkundigte sich der
Staatsanwalt. -- Einigermaßen, erwiderte Geißler. Eigentlich nehme
ich mehr Anteil an dem Manne. -- Hat sie auch bei Ihnen gedient?
-- Nein, sie hat nicht bei mir gedient. -- Ach so, an dem Manne
also? Aber das Mädchen? Die Teilnahme des Gerichtes ist auf ihrer
Seite. -- Nein, sie hat nicht bei mir gedient. -- Der Mann ist mehr
verdächtig, sagt der Staatsanwalt. Er geht ganz allein hin und begräbt
die Kindsleiche mitten im Wald. Das ist entschieden verdächtig. --
Er wollte das Kind wohl nur richtig begraben, sagt Geißler, das war
beim erstenmal nicht geschehen. -- Nun, sie war eine Frau und hatte
nicht die Kraft eines Mannes zum Graben, und in dem Zustand, in dem
sie sich befand, vermochte sie es nicht. Im großen ganzen, sagt der
Staatsanwalt, haben wir uns zu einer menschlicheren Ansicht über diese
Kindsmorde durchgerungen. Ich möchte es als Richter nicht auf mich
nehmen, dieses Mädchen zu verurteilen, und wie die Sache liegt, kann
ich ihre Verurteilung nicht beantragen. -- Das ist sehr erfreulich,
sagte Geißler mit einer Verbeugung. -- Der Staatsanwalt fuhr fort: Als
Mensch und Privatmann würde ich sogar noch weitergehen: ich würde keine
einzige ledige Mutter, die ihr Kind umbringt, zur Strafe verurteilen.
-- Es ist sehr interessant, daß der Herr Staatsanwalt und die Dame,
die heute Zeugnis abgelegt hat, gleicher Ansicht sind. -- Ach sie! Sie
hat übrigens gut gesprochen. Aber wozu alle diese Verurteilungen? Eine
ledige Mutter hat schon zum voraus so unerhörte Qualen erduldet und
sie wird durch die Härte und Brutalität der Welt in allen menschlichen
Verhältnissen so tief hinuntergedrückt, daß das Strafe genug ist.
-- Geißler erhob sich und sagte zum Schluß: Ja, aber die Kinder?
-- Allerdings, mit den Kindern ist es sehr traurig, erwiderte der
Staatsanwalt. Aber schließlich ist es ja auch für die Kinder ein Segen.
Und gerade solchen unehelichen Kindern, wie schlecht geht es ihnen
gewöhnlich! Was wird aus ihnen? -- Geißler wollte vielleicht diesen
wohlgenährten Mann ein wenig reizen, oder vielleicht wollte er sich
auch nur als tiefsinnig und geheimnisvoll aufspielen, er sagte: Erasmus
war ein lediges Kind. -- Erasmus? -- Erasmus von Rotterdam. -- Ach so.
-- Und Leonardo war ein lediges Kind. -- Leonardo da Vinci? So. Ja,
Ausnahmen kommen natürlich vor, sie bestätigen nur die Regel. Aber im
großen und ganzen! -- Wir schützen Vögel und Tiere, sagte Geißler,
und es klingt etwas sonderbar, daß kleine Kinder nicht auch geschützt
werden sollen. -- Der Staatsanwalt griff langsam und würdevoll nach
einigen Papieren, zum Zeichen, daß er jetzt abbrechen müsse. Ja,
sagte er geistesabwesend, ja, jawohl. Geißler bedankte sich für die
außerordentlich lehrreiche Unterredung, der er gewürdigt worden sei,
und ging.

Er setzte sich in den Gerichtssaal, um beizeiten da zu sein. Seine
geheime Macht kitzelte ihn wohl sehr: er wußte von einem gewissen
abgeschnittenen Hemd, in dem -- Besenreis geholt werden sollte, und
von einer Kindsleiche, die einmal im Stadthafen herumtrieb; er konnte
das Gericht aufsitzen lassen, ein Wort von ihm würde so gut sein wie
tausend Schwerter. Aber Geißler hatte gewiß nicht im Sinn, dieses
Wort jetzt auszusprechen, wenn es nicht notwendig wurde. Das war ja
ausgezeichnet, sogar der öffentliche Ankläger stand auf seiten der
Angeklagten!

Der Saal füllte sich, und das Gericht trat wieder zusammen.

Das wurde eine reizende Komödie in der kleinen Stadt, der ermahnende
Ernst des Staatsanwalts, des Verteidigers rührselige Beredsamkeit. Die
Geschworenen saßen da und horchten zu, was sie wohl über Barbro und den
Tod ihres Kindes zu denken hätten.

Allerdings, so ganz einfach war es nun doch nicht, das herauszufinden.
Der Staatsanwalt war ein schöner Mann von Ansehen, und er war gewiß
auch ein guter Mensch, aber etwas mußte ihn ganz kürzlich erst
geärgert haben, oder vielleicht war ihm eingefallen, daß er in der
norwegischen Rechtspflege einen Standpunkt aufrechtzuerhalten habe,
wer weiß! Es war unbegreiflich, aber er war nicht mehr so zugänglich
wie am Vormittag, er rügte die Missetat, falls sie geschehen sei,
scharf, sagte, es sei ein dunkles Blatt, wenn mit Bestimmtheit gesagt
werden könne, daß die Sache wirklich so dunkel sei, wie man nach
einzelnen Zeugenaussagen glauben und meinen könne. Darüber hätten die
Gerichtsbeisitzer zu entscheiden. Er selbst möchte die Aufmerksamkeit
auf drei Punkte lenken: der erste Punkt sei der, ob hier eine Geburt im
geheimen vorliege, ob diese Frage den Herren Richtern klar sei? Hier
machte er einige persönliche Bemerkungen. Der zweite Punkt sei das
Kleidungsstück, das halbe Hemd, wozu die Angeklagte das mitgenommen
habe? Ob sie eine Ahnung gehabt habe, daß sie es brauchen werde? Er
entwickelte diesen Punkt noch weiter. Der dritte Punkt sei das sehr
verdächtige heimliche Begräbnis, ohne den Todesfall dem Geistlichen
und dem Lensmann zu melden. Hierbei sei der hier anwesende Mann die
Hauptperson gewesen, und es sei von der größten Wichtigkeit für
die Geschworenen, sich hier die richtige Ansicht zu bilden. Denn
es sei ja doch einleuchtend, daß der Mann Mitwisser sei, und wenn
er das Begräbnis auf eigene Hand vorgenommen hatte, so mußte sein
Dienstmädchen eine Missetat begangen haben, deren Mitwisser er geworden
war.

Hm! ertönte es im Saale.

Axel Ström merkte, daß er wieder in Gefahr war; er begegnete, als er
aufsah, nicht einem einzigen Blick, aller Augen hingen an dem Redner.
Aber ganz hinten im Saale saß Geißler wieder, er sah äußerst überlegen
aus, als ob er platzen wolle vor Hochmut, mit seiner vorgeschobenen
Unterlippe und mit gen Himmel gewandtem Gesicht. Diese ungeheure
Gleichgültigkeit gegen den Ernst des Gerichtes, dieses laute gen Himmel
gesandte Hm wirkte ermunternd auf Axel, er fühlte sich wieder der
ganzen Welt gegenüber nicht mehr allein.

Und nun kam endlich die Sache ins Blei, dieser Staatsanwalt schien
endlich zu der Einsicht zu kommen, daß es nun genug sei, er hatte so
viel Bosheit und Verdacht gegen Axel verbreitet, als irgend möglich
war, nun hielt er inne. Ja, der Herr Staatsanwalt machte gewissermaßen
vollkommen kehrt, er beantragte nicht einmal Barbros Verurteilung. Er
sagte zum Schluß geradeheraus, daß er selbst nach den vorliegenden
Zeugenaussagen nicht die Verurteilung der Angeklagten beantragen könne.

Das ist ja sehr gut, dachte Axel. Dann hat die Geschichte ein Ende.

Nun legte sich der Verteidiger ins Zeug, ein junger Mann, der die
Juristerei studiert hatte und dem nun in diesem prächtigen Fall die
Verteidigung anvertraut worden war. Es war auch nachher nur eine Stimme
darüber, noch niemals sei ein Mann so sicher gewesen, eine Unschuldige
zu verteidigen. Im Grunde war ihm diese Frau Lensmann Heyerdahl
zuvorgekommen, sie hatte ihm am Vormittag verschiedene Argumente
gestohlen, er war sehr unzufrieden damit, daß sie die Gesellschaft
ausgenützt hatte. -- Oh, die Gesellschaft hatte auch bei ihm sehr viel
auf dem Kerbholz! Er war ärgerlich auf den Vorsitzenden, daß er Frau
Heyerdahl das Wort nicht entzogen hatte. Das war ja eine ganz richtige
Verteidigungsrede gewesen, die sie gehalten hatte; was blieb da ihm
noch übrig?

Er fing mit dem allerersten Anfang von Barbro Bredes Lebenslauf an;
sie stammte aus kleinen Verhältnissen, übrigens von strebsamen und
achtungswerten Eltern, sie sei frühzeitig in den Dienst gekommen,
und zwar zuerst zu dem Lensmann. Wir haben heute die Ansicht gehört,
die ihre Dienstherrin, Frau Heyerdahl, von ihr hatte, sie könnte
nicht strahlender sein. Dann sei Barbro nach Bergen gekommen. Der
Verteidiger verbreitet sich eingehend über das sehr wohlmeinende
Zeugnis, das ihr von den beiden Kontoristen in Bergen, bei denen sie
eine Vertrauensstellung eingenommen hatte, ausgestellt worden war. Dann
sei Barbro wieder heimgekommen, als Haushälterin bei einem Junggesellen
draußen im Ödland. Hier habe ihr Unglück angefangen.

Von diesem Junggesellen habe sie ein Kind unter dem Herzen getragen.
Der geehrte Herr Staatsanwalt habe -- übrigens auf die allertaktvollste
und schonendste Weise -- die Möglichkeit einer Geburt im geheimen
angedeutet. Ob Barbro ihren Zustand verborgen, ob sie ihn verhehlt
habe? Die beiden Zeuginnen, Mädchen aus ihrem Heimatdorf, hatten
gemeint, daß sie guter Hoffnung sei, und als sie sie fragten, leugnete
sie durchaus nicht, sie ging nur kurz darüber weg. So machten es junge
Mädchen in diesen Fällen, sie gingen kurz darüber weg. Sonst sei Barbro
überhaupt von niemand gefragt worden. Ob sie zu ihrer Frau gegangen sei
und ihr gebeichtet habe? Sie habe keine Frau gehabt, sie sei selbst die
Frau gewesen. Einen Hausherrn habe sie allerdings gehabt; aber so ein
junges Mädchen gehe mit einem solchen Geheimnis nicht zu ihrem Herrn,
sie trage ihr Kreuz allein, sie spreche nicht davon, sie flüstere nicht
einmal, sie sei eine Trappistin. Sie verstecke sich nicht, aber sie
halte sich in der Einsamkeit.

Das Kind werde geboren, es sei ein ausgetragener und wohlgebildeter
Junge, er habe nach der Geburt gelebt und geatmet, aber er sei
erstickt. Das Schwurgericht kenne die näheren Umstände bei dieser
Geburt, sie sei im Wasser vor sich gegangen, die Mutter sei im Bach
gestürzt und habe dort geboren, sie sei nicht imstande gewesen, das
Kind zu retten, sie habe liegenbleiben müssen und sich selbst erst
nachher ans Land retten können. Nun gut, an dem Kinde sei keine Spur
von ihm angetaner Gewalt zu entdecken gewesen, es trage keine Spuren
davon an seinem Leibe, niemand habe seinen Tod gewollt, es sei im
Wasser erstickt. Es sei gar nicht möglich, eine natürlichere Erklärung
für seinen Tod zu finden.

Der geehrte Herr Staatsanwalt habe auf ein Kleidungsstück hingedeutet:
es sei ein dunkler Punkt, daß sie dieses halbe Hemd mit auf ihren Gang
genommen habe. Aber nichts sei klarer als diese Dunkelheit; sie habe
den Lappen mitgenommen, um Wacholderreis darein zu sammeln. Sie hätte
ja auch -- sagen wir einmal -- einen Kissenbezug mitnehmen können,
aber sie habe nun einmal das Stück Hemd mitgenommen; etwas habe sie
ja doch haben müssen, sie hätte das Wacholderreis nicht in den Händen
heimtragen können. Nein, hierüber könne sich das Gericht vollständig
beruhigen.

Aber es gäbe da noch einen anderen Punkt, der nicht ganz so klar sei.
Ist der Angeklagten die Unterstützung und die Sorgfalt zuteil geworden,
die ihr Zustand zu jener Zeit verlangte? Wurde sie von ihrem Hausherrn
mit Schonung behandelt? Schön, wenn er es getan hat. Das Mädchen
habe hier während des Verhörs mit Anerkennung von ihrem Hausherrn
gesprochen, das deute auf eine gute und edle Gesinnung von ihr. Der
Mann selbst, Axel Ström, habe in seinen Aussagen die Beklagte durchaus
nicht belastet -- und darin habe er auch ganz recht getan, um nicht zu
sagen klug, denn mit ihr würde auch er freigesprochen werden. Möglichst
viel Schuld auf sie zu werfen, würde ja, wenn es zu ihrer Verurteilung
führte, ihn selbst mit ins Verderben reißen.

Es sei unmöglich, sich in der vorliegenden Sache in die Akten zu
vertiefen, ohne vom innigsten Mitleid mit diesem Mädchen und ihrer
Verlassenheit ergriffen zu werden. Und dennoch habe sie nicht nötig,
die Barmherzigkeit anzurufen, sie wende sich nur an die Gerechtigkeit
und das Verständnis. Sie und ihr Hausherr seien gewissermaßen verlobt
miteinander, aber Uneinigkeit und entgegengesetzte Interessen schlössen
die Ehe aus. Bei diesem Mann könne dieses Mädchen in der Zukunft nicht
das Glück finden. Es sei nicht angenehm, davon zu reden, aber um noch
einmal auf das mitgenommene Kleidungsstück zu kommen, wenn man der
Sache nähertrete, so habe das Mädchen nicht eines von ihren eigenen,
sondern eines von den Hemden ihres Hausherrn mitgenommen. Wir haben
uns selbst gleich zu Anfang gefragt: War ihr dieses Hemd von ihm zur
Verfügung gestellt worden? sagte der Verteidiger. Hier, meinten wir,
könnte eine Möglichkeit bestehen, daß der Mann Axel die Hand mit im
Spiel gehabt habe.

Hm! machte es hinten im Saale. Das klang so hart und laut, daß der
Redner innehielt, aller Augen suchten nach dem Urheber dieser
Unterbrechung, und der Vorsitzende schleuderte einen scharfen Blick in
jene Richtung.

Aber, fuhr der Verteidiger fort, nachdem er sich wieder gefaßt hatte,
auch über diesen Punkt können wir völlig beruhigt sein, dank der
Angeklagten selbst. Obgleich es in ihrem Vorteil gelegen hätte, hier
die Hälfte der Schuld von sich abzuwälzen, hat sie das doch nicht
getan. Sie hat auf das bestimmteste Axel Ström von dem Verdacht
freigesprochen, er habe etwas davon gewußt, daß sie sein Hemd statt des
ihrigen an den Bach mitgenommen hatte -- ich meine, mit in den Wald, um
Wacholderreis zu holen. Es liegt nicht der mindeste Grund vor, an den
Worten der Angeklagten zu zweifeln; diese haben überall Stich gehalten
und halten auch hier Stich. Hätte sie das Hemd aus des Mannes Hand
entgegengenommen, so würde das den vollendeten Kindsmord voraussetzen,
und die Angeklagte mit ihrer Wahrheitsliebe will nicht dazu beitragen,
den Mann zu einem Verbrecher zu stempeln, der er gar nicht ist. Im
ganzen genommen macht sie redliche und offene Aussagen und hat nicht
versucht, irgendwelche Schuld auf andere zu schieben. Dieser schöne
Zug, gegen andere gut zu sein, zeigt sich überall bei ihr, so hat
sie zum Beispiel die kleine Leiche auf die beste Art und mit großer
Sorgfalt eingehüllt. In diesem Zustand hat sie der Lensmann im Grabe
gefunden.

Der Vorsitzende will -- der Ordnung halber -- darauf hinweisen, daß es
das Grab Nummer zwei war, das der Lensmann fand, und in das habe ja
Axel das Kind gelegt.

Jawohl, das ist so, und ich danke dem Herrn Vorsitzenden! sagt der
Verteidiger mit all der Ehrerbietung, die man der Justiz schuldig
ist. Jawohl, das ist so. Aber nun hat doch Axel selbst ausgesagt, er
habe die Leiche nur in das neue Grab hinübergehoben und sie darein
gebettet. Und es ist doch unzweifelhaft, daß eine Frau ein Kind besser
einzuhüllen versteht als ein Mann. Und wer hüllt es am allerbesten
ein? Doch eine Mutter mit ihren liebevollen Händen!

Der Vorsitzende nickt beifällig.

Übrigens hätte nicht das Mädchen -- wenn es wirklich zu der Sorte
gehört hätte -- das Kind einfach nackt begraben können? Ich will so
weit gehen, zu sagen, sie hätte es in einen Kehrichteimer legen können.
Sie hätte es über der Erde unter einem Baum liegenlassen können, daß es
hätte erfrieren müssen -- das heißt, wenn es nicht schon tot gewesen
wäre. Sie hätte es in einem unbewachten Augenblick in den Ofen stecken
und verbrennen können. Sie hätte es an den Bach von Sellanraa tragen
und es dort hineinwerfen können. Aber von dem allem hat diese Mutter
nichts getan, sie hat das Kind sorgfältig eingehüllt und begraben. Und
wenn es so schön und gut eingewickelt war, wie es gefunden wurde, so
ist es von einer Frau eingehüllt worden und nicht von einem Mann.

Nun sagte der Verteidiger, jetzt hätten die Geschworenen darüber
abzuurteilen, was von Schuld an dem Mädchen Barbro übrigbleibe, nach
des Verteidigers Meinung bleibe keine übrig. Es könnte höchstens
sein, daß die Geschworenen sie deshalb verurteilen wollten, weil sie
den Todesfall nicht angezeigt habe. Aber das Kind sei nun einmal tot
gewesen, es sei weit draußen im Ödland und viele Meilen zum Pfarrer und
Lensmann, es habe seinen ewigen Schlaf in einem schönen Grabe im Walde
schlafen dürfen. Wenn es ein Verbrechen sei, es so begraben zu haben,
so teile die Beklagte dieses Verbrechen mit dem Vater des Kindes,
aber dieses Verbrechen sei in jedem Fall verzeihlich. Man sei immer
mehr davon abgekommen, die Verbrecher zu bestrafen, man suche sie zu
bessern. In alten Zeiten sei man für alles mögliche gestraft worden,
das sei nach dem Gesetz der Rache im Alten Testament gegangen: Auge um
Auge, Zahn um Zahn. Nein, das sei nicht mehr der Geist, der jetzt in
der Gesetzgebung walte; die moderne Rechtspflege sei menschlich; sie
suche sich dem Grad der verbrecherischen _Gesinnung_ anzupassen, die
die Betreffenden bewiesen hätten.

Darum verurteilt dieses Mädchen nicht! rief der Verteidiger. Es
handelt sich hier nicht darum, einen Verbrecher mehr zu fassen, nein,
es handelt sich darum, der menschlichen Gesellschaft ein gutes und
nützliches Mitglied zurückzugeben! Der Verteidiger deutete darauf
hin, daß der Angeklagten nun in einer neuen Stelle, die ihr angeboten
sei, die sorgfältigste Aufsicht zuteil werden würde. Frau Lensmann
Heyerdahl habe aus reicher mütterlicher Erfahrung und weil sie Barbro
seit vielen Jahren kenne, dieser ihr Haus weit aufgetan. Das Gericht
möge nun im Vollgefühl seiner Verantwortung das Mädchen verurteilen
oder freisprechen. Zum Schluß dankte der Verteidiger dem Staatsanwalt,
daß er keine Verurteilung beantragt habe. Daran erkenne man sein tiefes
menschliches Verständnis.

Der Verteidiger setzte sich.

Der Rest der Verhandlung nahm nicht mehr viel Zeit in Anspruch. Das
Referat wiederholte dasselbe, von zwei Seiten gesehen, noch einmal, es
gab eine kurze Übersicht über den ganzen Vorgang, trocken, langweilig
und würdevoll. Es war alles sehr trefflich gegangen, sowohl der
Staatsanwalt als der Verteidiger hatten in das Gebiet des Vorsitzenden
hinübergegriffen, sie hatten ihm sein Amt leicht gemacht.

Es wurde Licht angesteckt, zwei Hängelampen brannten und gaben ein
erbärmliches Licht, bei dem der Vorsitzende kaum seine Anmerkungen
lesen konnte. Er tadelte äußerst scharf, daß der Tod des Kindes den
Behörden nicht gemeldet worden war; aber, sagte er, das wäre unter
den vorliegenden Umständen weit eher dem Kindsvater zugekommen als
der Mutter, da sie zu schwach dazu gewesen sei. Nun hätten also die
Geschworenen zu entscheiden, ob Geburt im geheimen und Kindsmord
vorliege. Alles wurde noch einmal von Anfang bis zu Ende erklärt.
Darauf folgte die gebräuchliche Ermahnung, der Verantwortung eingedenk
zu sein, warum das Gericht eingesetzt sei, und endlich der bekannte
Rat, im Zweifelsfalle zugunsten der Angeklagten zu entscheiden.

Nun war alles klar.

Die Geschworenen verließen den Saal und zogen sich zurück. Sie sollten
sich über den Fragebogen beraten, der dem einen von ihnen mitgegeben
worden war. Fünf Minuten waren sie weg, dann traten sie wieder ein mit
einem Nein auf alle Fragen.

Nein, das Mädchen Barbro hatte ihr Kind nicht getötet.

Nun redete der Vorsitzende noch einige Worte und erklärte, das Mädchen
Barbro sei frei.

Die Zuhörer verließen den Saal. Die Komödie war zu Ende ...

Irgend jemand ergreift Axel am Arm, es ist Geißler. Er sagt: So, nun
bist du also die Geschichte los. -- Ja, sagte Axel. -- Und sie haben
dich ganz unnötig vorgeladen. -- Ja, sagte Axel wieder. Aber inzwischen
hatte er sich etwas gefaßt und fuhr fort: Ich bin aber doch recht froh,
daß ich so davongekommen bin. -- Das hätte auch gerade noch gefehlt!
rief Geißler, und er betonte jedes Wort nachdrücklich. -- Davon bekam
Axel den Eindruck, daß Geißler die Hand im Spiel gehabt, daß er
eingegriffen habe. Gott mochte wissen, ob nicht am Ende Geißler das
Gericht gelenkt und den Erfolg, den er selbst gewollt, herbeigeführt
hatte. Das war dunkel.

Allein so viel begriff Axel doch, daß Geißler den ganzen Tag über auf
seiner Seite gestanden hatte. Ja, ich danke Euch vielmals, sagte er
und wollte Geißler die Hand drücken. -- Wofür? fragte Geißler. --
Für -- ja für alles miteinander. -- Geißler wies ihn kurz ab. Ich
hatte gar nicht im Sinn, etwas zu tun, es war nicht der Mühe wert.
-- Aber Geißler hatte darum doch vielleicht nichts gegen diesen Dank
einzuwenden, es war, als hätte er darauf gewartet und hätte ihn nun
erhalten. Ich habe keine Zeit, mich gerade jetzt noch länger mit dir zu
unterhalten, sagte er. Gehst du morgen wieder nach Hause? Das ist gut.
Leb wohl und auf Wiedersehen! Geißler ging die Straße hinunter ...

Auf der Heimfahrt traf Axel auf dem Dampfschiff den Lensmann und
seine Frau, Barbro und die zwei Mädchen, die als Zeuginnen vorgeladen
gewesen waren. Nun, bist du nicht froh über den Ausgang der Sache?
fragte die Frau Lensmann. -- Doch, erwiderte Axel, er sei sehr froh,
daß die Geschichte zu Ende sei. Auch der Lensmann ergriff das Wort und
sagte: Das ist nun der zweite Kindsmordprozeß, den ich in der Gegend
gehabt habe, der erste galt Inger von Sellanraa, jetzt bin ich auch den
zweiten los. Nein, man darf solche Fälle nicht nur so hingehen lassen,
dem Recht muß Genüge geschehen.

Aber die Frau Lensmann begriff wohl, daß Axel ihr, wegen ihrer
Aussagen gestern, nicht wohlgeneigt sein konnte, jetzt wollte sie das
verwischen, wollte es wieder gutmachen. Du hast doch gestern begriffen,
warum ich gegen dich gesprochen habe? sagte sie. -- Ja, jawohl,
erwiderte Axel. -- Ja, du hast es gewiß eingesehen. Du hast doch sicher
nicht gemeint, ich wolle dir schaden? Dich habe ich jederzeit für einen
prächtigen Mann gehalten, das kann ich dir wohl sagen. -- So! war
alles, was Axel sagte, allein er war froh und gerührt. -- Jawohl, das
habe ich, sagte die Frau Lensmann. Aber ich war genötigt, dir einen
kleinen Teil von der Schuld zuzuschieben, sonst wäre Barbro verurteilt
worden, und du mit ihr. Es geschah meinerseits in der besten Absicht.
-- Jawohl, ja, und ich danke Euch bestens. -- Ich bin es gewesen und
sonst niemand anders, die in der Stadt von Herodes zu Pilatus gelaufen
ist und für euch beide gewirkt hat. Und du hast doch wohl begriffen,
daß wir alle, wie wir es vor Gericht getan haben, einen Teil Schuld auf
dich laden mußten, um euch beide frei zu bekommen! -- Ja, sagte Axel.
-- Und du hast doch wohl keinen Augenblick geglaubt, daß ich gegen dich
sei, nicht wahr? Ich gegen dich sein, wo ich dich doch für so einen
ausgezeichneten Mann halte!

Wie tat das gut nach all den Demütigungen! Axel war jetzt jedenfalls
so gerührt, daß er wahrhaftig der Frau Lensmann etwas schenken wollte,
irgend etwas, um ihr seine Dankbarkeit zu beweisen, vielleicht ein
Stück Schlachtvieh im Herbst. Er hatte einen jungen Ochsen.

Die Frau Lensmann Heyerdahl hielt Wort: sie nahm Barbro zu sich. Auch
schon hier auf dem Schiff nahm sie sich ihrer an und ließ sie weder
frieren noch hungern, und sie duldete auch nicht, daß Barbro mit dem
bergenschen Steuermann schäkerte. Als es das erstemal geschah, sagte
Frau Heyerdahl nichts darüber, sie rief nur Barbro zu sich. Aber siehe
da, bald stand Barbro wieder bei dem Steuermann und schäkerte mit ihm,
sie machte einen schiefen Kopf, sprach bergenschen Dialekt und lächelte
hold; da rief Frau Heyerdahl sie abermals zu sich und sagte: Es will
mir nicht gefallen, Barbro, daß du dich jetzt auf Unterhaltungen mit
Mannsleuten einläßt. Denk doch daran, was du durchgemacht hast und
wo du herkommst. -- Ich habe nur gehört, daß er aus Bergen ist, und
deshalb ein paar Worte mit ihm gesprochen, erwiderte Barbro.

Axel sprach nicht mit ihr. Er bemerkte aber, daß ihre Haut fein und
blaß war und daß sie schöne Zähne bekommen hatte. Seine Ringe trug sie
nicht an den Fingern.

Und nun schreitet Axel also wieder durchs Ödland hinauf. Es stürmt und
regnet zwar, aber er ist seelenvergnügt, er hat die Mähmaschine und
den Reolpflug am Landungsplatz gesehen. Ach, dieser Geißler! Kein Wort
hat er in der Stadt von dieser Sendung verlauten lassen. Er war ein
merkwürdiger Herr.



8


Axel hatte daheim keine lange Ruhezeit; mit den Herbststürmen begann
eine persönliche Mühe und ein großer Verdruß, den er sich selbst
zugezogen hatte: Der Telegraph an seiner Wand meldete, daß die Linie in
Unordnung sei.

Ach, er war zu gierig nach dem baren Geld gewesen, als er diesen Posten
übernommen hatte! Alles war von Anfang an unangenehm gewesen, Brede
Olsen hatte ihm gewissermaßen gedroht, als er die Telegraphensachen und
das Werkzeug bei ihm abholte; er hatte gesagt: Du denkst wohl nicht
mehr daran, daß ich dir im Winter das Leben gerettet habe? -- Oline
hat mir das Leben gerettet, erwiderte Axel. -- So, habe ich dich nicht
auf meinem eigenen armen Rücken nach Hause getragen? Und außerdem hast
du im Sommer nur darauf gepaßt, mir meinen Hof abzukaufen und mich für
den Winter heimatlos zu machen. Ja, Brede war tief gekränkt, er sagte:
Nimm du nur den Telegraphen und das ganze Zeug mit dir. Ich und meine
Familie, wir lassen uns im Dorf nieder und fangen etwas an; was es ist,
weißt du nicht, aber es ist etwas mit einem Hotel und einem Platz,
wo die Leute Kaffee trinken können. Oh, meinst du, wir werden nicht
durchkommen? Meine Frau kann alle Arten von Lebensmitteln verkaufen,
und ich selbst kann Geschäfte machen und viel mehr dabei verdienen als
du. Aber ich will dir nur sagen, Axel, ich könnte dir allerlei Possen
spielen, da ich den ganzen Telegraphen sehr gut kenne; ich könnte
Stangen umwerfen und Drähte abreißen. Dann müßtest du mitten in der
dringendsten Arbeit hinaus. Das will ich dir nur sagen, und du kannst
es dir hinter die Ohren schreiben ...

Jetzt aber hätte Axel notwendig die Maschinen vom Landungsplatz
heraufholen sollen -- ach, jede davon war so schön vergoldet und bunt
bemalt wie ein Bild, er hätte sie heute haben und sie besehen und
sich genau in ihrem Gebrauch unterrichten können -- jetzt mußten sie
stehenbleiben. Es war nicht gut, wenn er wegen der Telegraphenlinie
wichtige Arbeit versäumen mußte. Aber es brachte doch Geld ein.

Oben auf dem Berg trifft er Aronsen. Der Kaufmann Aronsen steht da und
schaut in den Sturm hinaus, ja, er stand da wie eine Erscheinung. Was
wollte er da oben? Er hatte wohl keine Ruhe mehr gehabt und war in die
Berge gegangen, um selbst die Gruben zu untersuchen. Seht, das tat der
Kaufmann Aronsen aus reiner Besorgnis für sich und seine Zukunft. Nun
steht er da auf dem verlassenen Berg vor lauter Elend und Zerstörung:
verrostete Maschinen, Handwerkszeug, Fuhrwerke, vieles davon unter
freiem Himmel, alles ganz trostlos. An verschiedenen Stellen waren an
den Wänden der Baracken geschriebene Zettel angeheftet, die verboten,
die Gebäude, Gerätschaften und Wagen der Gesellschaft zu beschädigen
oder etwas davon mitzunehmen.

Axel fängt ein Gespräch mit dem zornigen Krämer an und fragt: Seid
Ihr auf der Jagd? -- Ja, wenn ich ihn nur getroffen hätte! antwortete
Aronsen. -- Wen hättet Ihr denn gerne getroffen? -- Wen denn sonst, als
den Mann, der mich und alle hier herum ins Verderben bringt? Den Mann,
der seinen Berg nicht verkaufen will und weder Bewegung, noch Handel,
noch Geld unter die Leute kommen läßt. -- Meint Ihr den Geißler? --
Ja, gerade den Kerl meine ich. Er müßte erschossen werden! -- Axel
lacht und sagt: Der Geißler war jetzt vor wenigen Tagen in der Stadt,
da hättet Ihr ihn treffen können. Aber nach meiner geringen Meinung
glaube ich nicht, daß Ihr den Mann dafür verantwortlich machen solltet.
-- Warum nicht? fragte Aronsen wütend. -- Ich fürchte, er wäre etwas
zu unergründlich und zu hochangesehen für Euch. -- Sie stritten eine
Weile darüber, und Aronsen wurde immer heftiger. Zum Schluß fragte
Axel im Scherz: Na, Ihr werdet uns hier im Ödland doch nicht stecken
lassen und ganz von hier fortziehen wollen? -- Meinst du etwa, ich
wolle hier in euren Sümpfen verfaulen und nicht einmal den Tabak für
meine Pfeife verdienen? rief Aronsen ärgerlich. Wenn du mir einen
Käufer verschaffst, so verkaufe ich auf der Stelle. -- Einen Käufer?
rief Axel. Auf Eurem Grundstück ist guter Boden, wenn Ihr ihn bebauen
wolltet. Bei der Größe des Grundstücks nährt es seinen Mann. -- Du
hörst doch, daß ich nicht in der Erde graben mag! rief Aronsen wieder
in den Sturm hinaus. Ich kann etwas Besseres tun. -- Axel meinte, ein
Käufer werde wohl zu finden sein, aber Aronsen verhöhnte den bloßen
Gedanken daran. Im ganzen Ödland ist kein einziger Mann, der mich
auszahlen könnte. -- Nein, nicht gerade hier im Ödland. Aber es gibt
noch andere. -- Ach, hier ist nichts als Armut und Elend! rief Aronsen
wütend. -- Ja, das mag sein. Aber der Isak auf Sellanraa könnte Euch
jeden Tag auszahlen, sagte Axel beleidigt. -- Das glaube ich nicht,
entgegnete Aronsen. -- Es ist mir gleichgültig, was Ihr glaubt, sagte
Axel und wollte weitergehen. -- Aber Aronsen rief ihm nach: Wart doch
einen Augenblick! Meinst du wirklich, Isak könnte mich von Storborg
befreien? -- Ja, erwidert Axel. Von fünf Storborg, was das Geld und die
Mittel anbelangt.

Aronsen war beim Aufstieg um Sellanraa herumgegangen, er hatte sich
nicht sehen lassen wollen, jetzt auf dem Heimweg ging er hinein und
hatte eine Unterredung mit Isak. Nein, sagte Isak und schüttelte nur
den Kopf. Daran habe ich noch nie gedacht und habe es auch nicht im
Sinn. --

Aber als Eleseus zu Weihnachten nach Hause kam, war Isak nicht mehr
ganz so ablehnend. Er selbst hatte jedenfalls noch nie so etwas
Verrücktes gehört, wie Storborg zu kaufen, dieser Einfall wäre ihm
jedenfalls nicht selbst gekommen, wenn aber Eleseus meinte, das
Geschäft sei etwas für ihn, dann konnte man sich die Sache ja überlegen.

Eleseus selbst schwankte. Er war nicht dafür, aber auch auch nicht
dagegen. Blieb er jetzt zu Hause, so war es gewissermaßen mit ihm aus
und vorbei; das Ödland war nicht die Stadt.

Im Herbst, als die Leute aus der Gegend zu dem großen Verhör in der
Stadt vorgeladen waren, vermied er es, sich zu zeigen, er hatte keine
Lust, mit diesen Dörflern zusammenzutreffen, sie gehörten einer anderen
Welt an. Und sollte er nun selbst in diese Welt zurückkehren?

Seine Mutter wollte, man solle kaufen. Sivert wollte auch, daß gekauft
werde; die beiden taten sich mit Eleseus zusammen, und eines schönen
Tages fuhren alle drei nach Storborg hinunter, um sich dort die
Herrlichkeit zu beschauen.

Aber mit der Aussicht, sein Gut loszuwerden, wurde Aronsen sofort ein
ganz anderer: er habe nicht nötig, zu verkaufen! Wenn er von hier
fortgehe, so könne der Hof einfach liegenbleiben, der Hof sei bom
konstant, ein prächtiges Gut, er könne es jeden Tag verkaufen. Ihr
zahlt mir doch nicht, was ich dafür haben will, behauptete Aronsen.
-- Sie gingen durch alle Räume, waren im Stall, im Vorratshaus, sie
besahen sich die armseligen Reste von Waren: einige Mundharmoniken,
Uhrketten, Schachteln mit rosa Papier, Hängelampen mit Prismen, lauter
bei den Ansiedlern unverkäufliche Sachen. Außerdem war noch ein Rest
Baumwollstoffe vorhanden und einige Kisten mit Nägeln.

Eleseus spielte sich auf und beschaute alles mit Sachkenntnis. Für
diese Art Waren hab' ich keine Verwendung, sagte er. -- Ihr braucht
sie ja nicht zu kaufen, erwiderte Aronsen. -- Aber ich biete Euch
fünfzehnhundert Kronen für den Hof, so wie er dasteht, mit Waren und
Viehstand und allem zusammen, sagte Eleseus. Oh, es war ihm sehr
gleichgültig, sein Angebot war nur ein Spott, er wollte sich aufspielen.

Dann fuhren sie wieder nach Hause. Nein, es wurde nichts aus dem
Geschäft. Eleseus hatte Aronsen ein Schandangebot gemacht und ihn damit
beleidigt: Ich höre überhaupt gar nicht hin, was du sagst, erklärte
Aronsen und duzte ihn, duzte diesen städtischen Springinsfeld, der den
Kaufmann Aronsen über Waren belehren wollte. -- Soviel ich weiß, habe
ich nicht Brüderschaft mit dir getrunken, sagte Eleseus ebenso erzürnt.
Oh, das mußte eine lebenslängliche Feindschaft geben!

Aber warum war Aronsen vom ersten Augenblick an so aufgeblasen gewesen
und hatte getan, wie wenn er nicht zum Verkaufen genötigt wäre? Das
hatte seinen Grund, Aronsen hatte nämlich wieder eine Art Hoffnung.

Im Dorf unten war eine Versammlung abgehalten worden, um den Zustand
zu besprechen, der dadurch eingetreten war, daß Geißler seinen Berg
nicht verkaufen wollte. Nicht nur das Ödland litt darunter, der ganze
Bezirk kämpfte mit dem Tode. Aber warum konnten denn die Menschen
jetzt nicht mehr ebenso gut oder schlecht leben wie damals, bevor der
Versuchsbetrieb in Angriff genommen war? Nein, das konnten die Menschen
nicht! Sie hatten sich jetzt an weiße Grütze gewöhnt und an weißes
Brot, an gekaufte Kleiderstoffe, hohe Löhne, ein flottes Leben, ja,
die Menschen hatten sich daran gewöhnt, viel Geld zu haben. Doch nun
war der Geldstrom versiegt, wie ein Heringszug war er wieder im Meer
verschwunden; lieber Gott, was war das für eine Not, was ließ sich da
machen?

Es war kein Zweifel, der ehemalige Lensmann Geißler wollte sich am
Dorfe rächen, weil es dem Amtmann beigestanden hatte, ihn abzusetzen,
und es war auch gar kein Zweifel, daß das Dorf diesen Mann unterschätzt
hatte. Er war nicht so dumm. Mit dem ganz einfachen Mittel, eine
schamlose Viertelmillion für ein Stück Berg zu verlangen, hielt er
die ganze Entwicklung der Gemeinde auf. War er nicht mächtig? Axel
Ström von Maaneland konnte hier mitreden, er hatte Geißler zuletzt
gesprochen. Barbro, Bredes Tochter, war in der Stadt vor Gericht
geladen gewesen und freigesprochen wieder nach Hause gekommen, und da
war Geißler während der ganzen Verhandlung zugegen gewesen! Und wer
etwa meinte, der Geißler habe abgewirtschaftet und liege danieder wie
irgendein armer Schlucker, der brauchte ja nur die teuren Maschinen zu
betrachten, die er Axel zum Geschenk gemacht hatte!

Dieser Mann hielt also das Geschick des Bezirks in seiner Hand, und
man mußte sich mit ihm abfinden. Um wieviel würde Geißler wohl im
allerletzten Fall seinen Berg verkaufen? Darüber mußte man ins reine
kommen. Die Schweden hatten ihm fünfundzwanzigtausend geboten, das
hatte Geißler abgelehnt. Aber wie, wenn nun das Dorf, wenn die Gemeinde
den Rest zuschoß, damit das Geschäft zustande kam? Wenn es nicht eine
gar zu ungereimte Summe war, würde es sich lohnen. Sowohl der Kaufmann
unten an der Küste, als auch der Kaufmann Aronsen auf Storborg würden
ganz in der Stille und in aller Heimlichkeit einen Beitrag geben;
eine solche jetzt gemachte Auslage würde ihnen mit der Zeit wieder
hereinkommen.

Schließlich waren zwei Mann beauftragt worden, zu Geißler zu reisen und
mit ihm zu reden. Und die wurden nun bald zurückerwartet.

Seht, darum hatte Aronsen wieder Hoffnung gefaßt und glaubte, einen
Mann, der Storborg kaufen wollte, hochfahrend behandeln zu können. Aber
er sollte nicht lange hochfahrend bleiben.

Nach einer Woche kamen die zwei Abgesandten mit einer unbedingten
Ablehnung heim. Ach, das schlimme an der Sache war schon von Anfang
an, daß einer der beiden Abgesandten Brede Olsen war -- weil er so gut
Zeit hatte. Die Männer hatten Geißler ganz richtig aufgefunden, aber
Geißler hatte nur den Kopf geschüttelt und gelacht. Reist nur wieder
nach Hause! hatte er gesagt; aber er hatte ihnen die Heimreise bezahlt.

Und so mußte nun also der ganze Bezirk untergehen!

Nachdem Aronsen eine Zeitlang getobt hatte und allmählich immer
ratloser geworden war, ging er eines Tages hinauf nach Sellanraa und
schloß den Handel ab. Ja, das tat Aronsen. Eleseus bekam, was er haben
wollte, einen Hof mit Gebäuden und Vieh und Waren für fünfzehnhundert
Kronen. Allerdings zeigte es sich bei der Übernahme, daß Aronsens Frau
den größten Teil des Baumwollzeugs an sich genommen hatte; um solche
Kleinigkeiten kümmerte sich jedoch ein Mann wie Eleseus nicht. Man darf
nicht kleinlich sein! sagte er.

Aber im ganzen genommen war Eleseus nichts weniger als entzückt. Nun
war sein Lebenslauf also besiegelt, das Ödland würde sein Grab werden.
Er mußte alle seine großen Pläne fahren lassen; Büroschreiber war er
nicht mehr, Lensmann konnte er nicht werden, nein, er war nicht einmal
ein städtischer Herr. Seinem Vater und den andern daheim gegenüber
tat er ein wenig groß damit, daß er Storborg genau um den Preis, den
er geboten, auch bekommen hatte, da konnten sie sehen, daß er sich auf
die Sache verstand! Aber dieser kleine Triumph reichte nicht weit. Er
hatte auch die Befriedigung, den Ladendiener Andresen mit übernehmen
zu können, der ging gewissermaßen bei dem Handel mit drein, Aronsen
brauchte ihn nicht mehr, solange er kein neues Geschäft hatte. Es
kitzelte Eleseus ganz eigenartig, als Andresen kam und fragte, ob er
nicht bleiben dürfe; da war er nun zum erstenmal Herr und Meister. Du
kannst bleiben! sagte er. Ich muß hier am Platz einen Stellvertreter
haben, wenn ich meine Geschäftsreisen mache und Handelsverbindungen mit
Bergen und Drontheim anknüpfe, sagte er.

Und Andresen war kein schlechter Stellvertreter, das sah er gleich;
er war fleißig und hielt gute Aufsicht, während der Herr und Meister
Eleseus abwesend war. Nur im Anfang hatte der Ladendiener Andresen hier
im Ödland den großen und feinen Herrn herausgekehrt, und daran war
sein Herr, Aronsen, schuld gewesen. Jetzt war es anders geworden. Als
im Frühjahr die Moore etwas aufgetaut waren, kam Sivert von Sellanraa
nach Storborg hinunter und fing an, bei seinem Bruder Gräben zu ziehen
-- und da ging wahrhaftig auch der Ladendiener Andresen hinaus aufs
Moor und half Gräben ziehen aus was für einem Grunde es auch geschehen
mochte, da er es eigentlich nicht nötig hatte; aber ein Mann von
solcher Art war er. Der Boden war noch so wenig aufgetaut, daß sie
lange nicht tief genug graben konnten, aber sie taten einstweilen
wenigstens die halbe Arbeit, und das war schon viel getan. Es war des
alten Isaks Gedanke, auf Storborg die Moore zu entwässern und Ackerbau
zu treiben, der kleine Kramhandel sollte nur so nebenbei betrieben
werden, daß die Leute im Ödland nicht nötig hatten, ins Dorf zu gehen,
wenn sie eine Rolle Faden brauchten.

So zogen also Sivert und Andresen Gräben und verschnauften sich
zuweilen und führten eine muntere Unterhaltung. Andresen war auf
irgendeine Weise in den Besitz eines goldenen Zwanzigkronenstücks
gekommen, und nach diesem blitzblanken Goldstück verspürte Sivert
großes Gelüste; aber Andresen wollte sich nicht davon trennen, er
wickelte es in Seidenpapier und verwahrte es in seiner Truhe. Sivert
schlug vor, sie wollten um das Geldstück losen, sie wollten darum
kämpfen, aber darauf wagte Andresen sich nicht einzulassen. Sivert bot
ihm dann zwanzig Kronen in Papier, und außerdem wollte er das ganze
Moor allein entwässern, wenn er das Geldstück bekomme. Aber da war der
Ladendiener Andresen beleidigt und sagte: So, damit du deinen Leuten
zu Hause erzählen könntest, ich brächte es nicht fertig, im Moor zu
arbeiten! Zuletzt einigten sie sich über fünfundzwanzig Kronen in
Papier für das Goldstück, und Sivert lief in der Nacht nach Sellanraa
und bekam das Papiergeld von seinem Vater.

Ein jugendlicher Einfall, ein Einfall der wackeren, lebenskräftigen
Jugend! Eine durchwachte Nacht, eine Meile hin, eine Meile her,
den Tag darauf wieder die volle Arbeit -- das war nichts für den
kräftigen jungen Mann, und es war ein schönes Goldstück. Es war nicht
ausgeschlossen, daß sich Andresen wegen dieses guten Handels ein wenig
über ihn lustig machte; aber da wußte Sivert guten Rat, er brauchte
nur ein Wort von Leopoldine verlauten zu lassen, etwa: Ach ja, das ist
wahr, ich sollte dich von Leopoldine grüßen! so hörte Andresen sofort
auf und wurde dunkelrot.

Es waren vergnügliche Tage für die beiden, während sie im Moor
arbeiteten und sich zum Spaß stritten, wieder arbeiteten und wieder
stritten. Zuweilen kam Eleseus zu ihnen heraus und half mit, aber
er wurde rasch müde, er hatte weder einen starken Körper noch einen
starken Willen, aber er war der liebenswürdigste Mensch. -- Da kommt
die Oline! konnte der Schäker Sivert sagen. Nun mußt du heimgehen und
ihr wieder ein halbes Pfund Kaffee verkaufen! Und das tat Eleseus
gerne. Er ging hin und verkaufte Oline irgendeine Kleinigkeit. Solange
brauchte er doch keine Schollen umzukehren.

Und die arme Oline, sie mußte von Zeit zu Zeit ein paar Kaffeebohnen
haben, ob sie nun ein seltenes Mal das Geld dazu von Axel bekam oder
sich die Bohnen für einen kleinen Ziegenkäse eintauschte. Oline war
nicht mehr so ganz unverändert, der Dienst auf Maaneland war im Grunde
zu schwer für dies alte Weib und hatte an ihr gezehrt, aber doch nicht
so sehr, daß sie ihr Alter oder ihre Hinfälligkeit zugegeben hätte,
hoho, sie hätte ihre Meinung ordentlich gesagt, wenn ihr aufgekündigt
worden wäre! Sie war zäh und nicht unterzukriegen, tat ihre Arbeit und
fand noch Zeit, zu den Nachbarn zu wandern und einen kleinen, unendlich
angenehmen Schwatz zu halten, den sie daheim vermissen mußte, denn Axel
war kein Redner.

Sie war unzufrieden mit der Gerichtsverhandlung, enttäuscht von dem
Ausfall der Verhandlung, dem Freispruch auf der ganzen Linie. Daß
Barbro, Bredes Tochter, ohne Strafe davonkam, wenn Inger auf Sellanraa
acht Jahre bekommen hatte, das konnte Oline nicht fassen und begreifen,
sie nahm ein ganz unchristliches Ärgernis daran, daß man gegen eine
andere „so gütig gewesen war”. -- Aber der Allmächtige hat seine
Meinung noch nicht kundgetan! sagte Oline und nickte mit dem Kopfe.
Sie stellte damit ein mögliches späteres himmlisches Strafgericht in
Aussicht. Natürlich war Oline außerstande, ihr Mißvergnügen über die
Sache bei sich zu behalten; besonders wenn sie mit ihrem Hausherrn
über das eine oder andere uneinig wurde, machte sie auf ihre Weise
Andeutungen und wurde äußerst spitzig: Ja, ich weiß nicht, wie das
Gesetz jetzt gegen die Sünder von Sodom und Gomorra geworden ist. Ich
aber halte mich an Gottes Wort, so einfältig bin ich.

Ach, Axel war seiner Haushälterin mehr als überdrüssig und wünschte sie
dahin, wo der Pfeffer wächst. Nun kam das Frühjahr wieder, und er mußte
wieder alle Feldarbeit allein verrichten. Dann kam die Heuernte, und
er war verraten und verkauft. Das waren Aussichten! Seine Schwägerin
auf Breidablick hatte heim nach Helgeland geschrieben und versucht,
eine ordentliche weibliche Hilfskraft für ihn aufzutreiben, aber bis
jetzt war es ihr noch nicht geglückt. Und jedenfalls hätte er dann das
Reisegeld bezahlen müssen.

Nein, das war eine böse und schlechte Tat von Barbro gewesen, das
kleine Kind auf die Seite zu schaffen und selbst auf und davon zu
gehen. Zwei Winter und einen Sommer hatte er sich nun mit Oline
behelfen müssen, und es sah ganz so aus, als ob es noch länger so
bleiben müßte. Aber nahm sich Barbro, die schlechte Person, dies
irgendwie zu Herzen? Er hatte einmal während des Winters drunten
im Dorf einige Worte mit ihr gesprochen, aber keine Träne war ihr
langsam heruntergerollt und da festgefroren. -- Was ist aus den Ringen
geworden, die ich dir gegeben habe? fragte er. -- Ringe? sagte sie. --
Ja, Ringe. -- Die hab' ich nicht mehr. -- So, du hast sie nicht mehr?
-- Zwischen uns war ja alles aus, sagte sie, da konnte ich doch die
Ringe nicht mehr tragen. Das ist nicht der Brauch, wenn doch alles aus
ist. -- Ich möchte nur wissen, was du damit angefangen hast. -- Willst
du sie wiederhaben? fragte sie. Ich hätte dich nicht für so gemein
gehalten. -- Axel überlegte einen Augenblick, dann sagte er: Ich hätte
dich dafür entschädigen können. Du hättest sie nicht umsonst hergeben
müssen.

Aber nichts da, Barbro hatte die Ringe abgelegt und gab Axel nicht
einmal Gelegenheit, um einen billigen Preis zu einem goldenen und einem
silbernen Ring zu kommen.

Übrigens war Barbro nicht roh und häßlich, nein, das war sie
keineswegs. Sie trug eine lange Schürze mit Trägern und Falten, und um
ihren Hals stand ein weißer Streifen in die Höhe, das war hübsch. Die
Leute behaupteten, sie habe sich im Dorf bereits wieder einen Schatz
angeschafft, aber das war vielleicht nur Gerede; die Frau Lensmann
hielt sie jedenfalls gut im Zaum und ließ sie in diesem Jahr durchaus
nicht zum Weihnachtstanz gehen.

Na, diese Frau Lensmann paßte wahrlich gut auf; während Axel auf der
Straße mit seiner früheren Magd über zwei Ringe verhandelte, trat die
Frau Lensmann plötzlich dazwischen und sagte: Du solltest mir doch
etwas aus dem Laden holen, Barbro! -- Barbro lief davon. Nun wandte
sich die Frau an Axel und sagte: Könntest du mir nicht irgendein Stück
Schlachtvieh verkaufen? -- Hm! war alles, was Axel erwiderte, und er
grüßte höflich.

Es war ja gerade diese Frau Lensmann gewesen, die ihn im Herbst als
einen ausgezeichneten, ja als einen der allerausgezeichnetsten Menschen
gelobt und gepriesen hatte, das verdiente wohl ein Entgegenkommen.
Axel kannte von früher her die ländliche Art des Benehmens, den
großen Herren und der Obrigkeit gegenüber, und es hatte ihm ja auch
gleich ein Stück Schlachtvieh, ein junges Rind, das er opfern könnte,
vorgeschwebt. Aber es verging ein Tag um den andern, der ganze Herbst
verging und ein Monat nach dem andern, und er sparte das Rind. Es sah
nicht danach aus, als ob irgend etwas Schlimmes geschehen würde, wenn
er es ganz behielte; er wäre jedenfalls um so viel ärmer, wenn er es
weggäbe, und es war ein Staatsrind.

Hm. Guten Tag! Nein, sagte Axel und schüttelte den Kopf, er habe kein
Schlachtvieh. -- Es war, als ob die Frau seine innersten Gedanken
erriete, denn sie sagte: Ich habe gehört, du habest ein junges Rind.
-- Jawohl, das hab' ich, erwiderte er. -- Willst du es aufziehen? --
Ja, ich will es aufziehen. -- So, sagte die Frau Lensmann. Und hast du
nicht einen Hammel? -- Nein, jetzt nicht. Ich habe nämlich nicht mehr
Vieh behalten, als ich großziehen will. -- Nun ja, dann ist es eben
nichts, sagte die Frau Lensmann, nickte ihm zu und ging.

Axel fuhr nach Hause, aber er dachte weiter über diese Unterredung
nach, und er fürchtete, er habe sich am Ende dumm benommen. Die
Frau Lensmann war doch einmal eine wichtige Zeugin gewesen, für ihn
und gegen ihn, aber eine wichtige Zeugin. Man hatte ihm ja allerlei
nachgesagt, aber er war doch aus einer schwierigen und unheimlichen
Geschichte mit einer Kindsleiche in seinem Walde glatt herausgekommen.
Er mußte am Ende doch einen Hammel opfern.

Übrigens merkwürdig, dieser Gedanke stand in einem fernen Zusammenhang
mit Barbro. Wenn er mit einem Hammel zu ihrer Herrin kam, mußte Barbro
doch einen gewissen Eindruck von ihm bekommen.

Aber wieder verging ein Tag um den andern, und es geschah nichts
Schlimmes durch den Aufschub. Als er wieder ins Dorf hinunterfuhr,
nahm er keinen Hammel mit, nein; das tat er nicht. Aber im letzten
Augenblick nahm er ein Lamm mit. Es war übrigens ein großes Lamm, also
kein geringes Tier, und als er damit ankam, sagte er: Die Hammel haben
ein zähes Fleisch, ich wollte Ihnen etwas wirklich Gutes bringen. --
Aber die Frau Lensmann wollte nichts von einem Geschenk hören. Sag,
was du für das Lamm haben willst, sagte sie. Diese Dame hielt etwas
auf öffentliche Ordnung. Nein, danke, sie nahm keine Geschenke von den
Leuten entgegen. Und die Sache lief wahrhaftig darauf hinaus, daß Axel
sein Lamm gut bezahlt bekam.

Barbro bekam er nicht zu Gesicht. Die Frau Lensmann hatte ihn wohl
kommen sehen und Barbro aus dem Wege geschafft. Na, Glück zu, Barbro
hatte ihn anderthalb Jahre lang um seine weibliche Hilfskraft betrogen!



9


Im Frühjahr ereignete sich etwas höchst Unerwartetes und dabei sehr
Bedeutungsvolles: der Betrieb in den Kupfergruben sollte wieder
aufgenommen werden, Geißler hatte seinen Berg verkauft. War das
Unglaubliche geschehen? Ach, dieser Geißler war nun einmal ein
unergründlicher Herr, er konnte tun und konnte lassen, verneinend den
Kopf schütteln und bejahend nicken. Er konnte ein ganzes Dorf wieder
zum Lächeln bringen.

Hatte ihm am Ende doch das Gewissen geschlagen und wollte er den
Bezirk, in dem er Lensmann gewesen war, nicht länger mit selbstgebauter
Grütze und mit Geldmangel strafen? Oder hatte er gar seine
Viertelmillion bekommen? Oder war vielleicht die Sache so, daß Geißler
selbst Geld brauchte und den Berg für das, was er eben dafür bekam,
verkaufen mußte? Fünfundzwanzigtausend oder fünfzigtausend sind ja
schließlich auch ein schönes Geld. Es wurde übrigens behauptet, sein
Sohn habe in seinem Namen das Geschäft abgeschlossen.

Jedenfalls aber wurde der Betrieb wieder aufgenommen; derselbe
Ingenieur mit verschiedener Arbeiterschaft kehrte zurück, und dieselbe
Arbeit fing wieder an. Dieselbe Arbeit, ja, aber auf eine ganz andere
Weise als früher, gerade umgekehrt.

Alles schien ganz in Ordnung zu sein; die Schweden kamen mit Leuten
und Dynamit und Geld, was konnte da noch fehlen? Und auch Aronsen
kam wieder, der Kaufmann Aronsen, und wollte durchaus Storborg wieder
kaufen. -- Nein, erklärte Eleseus, ich verkaufe nicht. -- Ihr werdet
doch gewiß verkaufen, wenn Ihr Geld genug bekommt? -- Nein.

Nein, Eleseus wollte Storborg nicht verkaufen. Die Sache war die, sein
Dasein als Kaufmann auf dem Ödland kam ihm nicht mehr gar so elend
vor; er hatte eine schöne Veranda mit bunten Glasscheiben, er hatte
einen Ladendiener, der die Arbeit tat, er selbst konnte auf Reisen
sein. Ja, reisen auf dem ersten Platz, zusammen mit vornehmen Leuten.
Wenn er nur einmal ganz bis nach Amerika kommen könnte, daran hatte
er schon oft gedacht. Schon allein von diesen Geschäftsreisen in die
Städte im Süden, um Verbindungen anzuknüpfen, konnte er nachher immer
noch lange zehren. Nicht, als ob er üppig gelebt hätte, mit eigenem
Dampfschiff gefahren wäre und Orgien gefeiert hätte. Er und Orgien!
Er war eigentlich ein sonderbarer Mensch, um Mädchen bekümmerte er
sich gar nicht mehr, er ließ sie links liegen, hatte alles Herz für
sie verloren. Nein, aber natürlich war er der Sohn des Markgrafen,
der auf dem ersten Platz fuhr und vielerlei Waren kaufte. Er selbst
kam jedesmal von seinen Ausflügen ein wenig feiner und vornehmer nach
Hause, das letztemal kam er mit Galoschen an den Füßen zurück. Trägst
du zwei Paar Schuhe? wurde er gefragt. -- Ja, ich leide an kalten
Füßen, erklärte Eleseus. Und da hatte man herzliches Mitleid mit seinen
kalten Füßen.

Glückselige Tage, ein Herrenleben und Müßiggang! Nein, er wollte
Storborg nicht verkaufen. Sollte er wieder in das Städtchen
zurückkehren, von neuem in dem kleinen Bauernkramladen stehen und
keinen Ladendiener unter sich haben? Übrigens hoffte er auch darauf, es
werde sich von nun an ein ungeheurer Betrieb auf Storborg entwickeln;
die Schweden waren zurückgekehrt und würden die Gegend mit Geld
überschwemmen, er wäre ein Narr, wenn er verkaufen würde. Aronsen mußte
einmal ums andere mit einer Absage seines Weges ziehen und entsetzte
sich immer mehr über seine eigene Dummheit, das Ödland verlassen zu
haben.

Ach, Aronsen hätte mit seinen Selbstvorwürfen Maß halten und ebenso
hätte Eleseus seine großen Erwartungen einschränken dürfen; aber vor
allen Dingen hätten die Ansiedler und die Dorfbewohner weniger große
Hoffnungen hegen und nicht lächeln und sich die Hände reiben sollen,
wie es die Englein tun, weil sie selig sind; nein, das hätten die
Ansiedler und Dorfbewohner durchaus nicht tun sollen, denn nun wurde
die Enttäuschung gewaltig. Sollte man es glauben: die Grubenarbeit
begann zwar ganz richtig, aber sie begann auf der andern Seite des
Berges, zwei Meilen weit entfernt, am südlichen Ende von Geißlers
Gebiet, weit drinnen in einem anderen Kirchspiel, das die diesseitigen
Bewohner nichts anging. Von da aus sollte sich die Arbeit langsam nach
Norden zu durchfressen, bis zu der ersten Fundstelle des Kupfers, bis
zu Isaks Fundstelle, und ein Segen für das Ödland und das Dorf werden.
Das würde im besten Fall viele Jahre dauern, vielleicht Menschenalter.

Diese Erkenntnis kam und wirkte wie die ärgste Dynamitsprengung mit
Bewußtlosigkeit und Taubheit. Die Dorfbewohner versanken in Kummer und
Sorgen. Einige schimpften auf Geißler: dieser verfluchte Geißler habe
ihnen wieder einen Possen gespielt; andere krochen zu einer Versammlung
zusammen und schickten eine neue Gesandtschaft von Vertrauensmännern
aus, diesmal zu der Grubengesellschaft, zu dem Ingenieur. Dieser
Schritt führte zu gar nichts; der Ingenieur setzte ihnen auseinander,
daß er mit der Arbeit auf der Südseite beginnen müsse, weil es von
dort näher zum Meere sei, dort brauche man keine Luftbahn, dort sei
fast gar kein Transport nötig. Nein, die Arbeit müsse auf der Südseite
anfangen. Damit basta!

Da reiste Aronsen sofort hinüber auf das neue Arbeitsfeld zu der neuen
Goldgrube. Er wollte auch den Ladendiener Andresen mitnehmen. Wozu
willst du hier im Ödland bleiben? sagte er. Es ist viel besser für
dich, wenn du mit mir gehst. -- Aber der Ladendiener Andresen wollte
das Ödland nicht verlassen, es war unbegreiflich, aber es war gerade,
als ob ihn etwas hier fesselte; es schien ihm hier zu gefallen, er
war hier festgewurzelt. Andresen selbst mußte sich verändert haben,
das Ödland hatte sich nicht geändert. Hier waren die Leute und die
Verhältnisse noch genau so wie früher: der Bergwerksbetrieb war zwar
aus der Gegend verschwunden, aber keiner der Ödlandbewohner hatte
darüber den Kopf verloren, sie hatten ihre Landwirtschaft, ihre Ernten
und ihren Viehbestand. Bares Geld gab es allerdings nicht so viel bei
ihnen, sie hatten alle Lebensbedürfnisse, einfach alle. Nicht einmal
Eleseus verzweifelte darüber, daß der Geldstrom an ihm vorüberfloß;
das schlimmste war, daß er in der ersten Begeisterung eine Menge
unverkäuflicher Waren angeschafft hatte. Nun, die mußten eben vorläufig
lagern bleiben, sie putzten den Laden heraus und dienten ihm zur Ehre.

Nein, der Ödlandbauer verlor den Kopf nicht. Er fand die Luft nicht
ungesund, hatte Bewunderer genug für seine neuen Kleider, er vermißte
die Diamanten nicht, und Wein kannte er nur von der Hochzeit zu Kanaan.
Der Ödlandbewohner quälte sich nicht wegen der Herrlichkeiten, auf die
er verzichten mußte: Kunst, Zeitungen, Luxus, Politik waren gerade
soviel wert, als die Menschen dafür bezahlen wollten, nicht mehr. Der
Erntesegen aber mußte erarbeitet werden um jeden Preis, das war der
Ursprung, die Quelle von allem und jedem.

Was, das Leben des Ödlandbewohners öde und traurig? Hoho, nichts
dergleichen! Er hatte seine höheren Mächte, seine Träume, sein
Liebesleben, seinen reichen Aberglauben. Eines Abends geht Sivert
den Fluß entlang und bleibt plötzlich stehen: im Wasser liegen zwei
Wildenten, Ente und Enterich. Sie haben ihn entdeckt, haben den
Menschen gesehen und sind scheu geworden, einer der Vögel sagt etwas,
er stößt einen kurzen Laut aus, eine Melodie in drei Tönen, und der
andere antwortet gleichlautend. Im selben Augenblick heben sie die
Flügel und sausen wie zwei kleine Räder einen Steinwurf weit den Fluß
hinauf, wo sie sich wieder aufs Wasser niederlassen. Da sagt der eine
wieder etwas, und der andere antwortet; es ist dieselbe Sprache, wie
das erstemal, aber so innig befreit, daß es eine kleine Seligkeit
ist: die Töne sind zwei Oktaven höher gestimmt. Sivert steht da und
betrachtet die Vögel, sieht an ihnen vorbei und weit ins Land der
Träume hinein. Ein Laut ist in ihm erklungen, eine Süßigkeit in ihm
aufgestiegen, er stand da mit einer zarten, feinen Erinnerung an etwas
Wildes und Schönes, etwas früher Erlebtes, von dem die Erinnerung in
ihm erloschen ist. Stille geht er nach Hause, er spricht nicht davon,
plaudert nicht darüber, irdische Worte reichten dazu nicht aus. Es war
Sivert von Sellanraa, jung und durchschnittlich ging er eines Tages aus
und hatte dieses Erlebnis.

Und das war nicht sein einziges Abenteuer, er erlebte noch andere. Aber
er mußte auch das Abenteuer erleben, daß Jensine Sellanraa verließ. Das
brachte große Unordnung in Siverts Gemütsleben.

Ja, es kam wirklich so weit, daß Jensine fortging, sie wollte selbst
gehen. Ach, Jensine war nicht die erste beste, das konnte niemand
behaupten! Sivert hatte ihr einmal angeboten, sie wieder nach Hause
zu fahren; bei der Gelegenheit hatte sie leider geweint, später aber
hatten ihre Tränen sie gereut, und sie zeigte, daß sie bereute, sie
kündigte. Jawohl, in aller Ordnung.

Und nichts auf der Welt wäre Inger auf Sellanraa erwünschter gewesen,
als daß Jensine ging; Inger hatte angefangen, unzufrieden mit ihrer
Magd zu sein. Das war merkwürdig, denn sie hatte nichts an ihr
auszusetzen, aber sie schien sie nur mit Überwindung ansehen und ihre
Anwesenheit auf dem Hofe kaum noch ertragen zu können. Das hing wohl
mit Ingers Gemütszustand zusammen: sie war den ganzen Winter über
schwermütig und fromm gewesen und kam nicht darüber hinweg. Du willst
gehen? Jawohl, geh nur, sagte Inger. Das war ein Segen, eine Erhörung
nächtlicher Gebete. Es blieben trotzdem noch zwei erwachsene weibliche
Personen auf dem Hofe, was sollte diese lebensfrische und mannbare
Jensine hier? Mit Unwillen betrachtete Inger diese Mannbarkeit, und sie
dachte wohl: gerade wie ich damals!

Ihre große Frömmigkeit ließ nicht nach. Sie war nicht an sich
lasterhaft, sie hatte gekostet, jawohl, sie hatte genippt, aber sie
hatte nicht im Sinn, das bis ins Alter zu treiben, keine Rede davon.
Inger wies diesen Gedanken mit Entsetzen von sich. Der Grubenbetrieb
hörte auf, und alle Arbeiter verschwanden -- lieber Gott, nichts hätte
besser sein können! Die Tugend war nicht nur erträglich, sie war
notwendig, ein notwendiges Gut, eine Gnade.

Allein die Welt war schlecht. Seht, da war nun Leopoldine, die kleine
Leopoldine, ein Fruchtkeim, ein kleines Kind, und war zum Überfließen
voll Gesundheit und Sünde. Wenn sich ihr ein Arm um die Mitte legte, so
würde sie zusammensinken, pfui! Sie hatte Finnen im Gesicht bekommen,
das deutete auf Wildheit im Blute, ach, die Mutter erinnerte sich
wohl daran, damit begann die Wildheit im Blute. Die Mutter verdammte
die Tochter durchaus nicht wegen dieser Finnen im Gesicht, aber sie
wollte ihnen ein Ende machen. Leopoldine sollte damit aufhören. Was
hatte auch dieser Ladendiener Andresen an den Sonntagen nach Sellanraa
heraufzukommen und mit Isak von der Landwirtschaft zu schwatzen?
Bildeten sich denn diese beiden Mannsleute ein, daß die kleine
Leopoldine gar nichts merke? Oh, die Jugend war schon früher verrückt
gewesen, vor dreißig, vierzig Jahren, aber jetzt war sie schlimmer
geworden.

Ja, wie es nun auch geht! sagte Isak, als sie davon sprachen. Jetzt
ist das Frühjahr da, und Jensine ist fort, und wen können wir für die
Sommerarbeit bekommen? -- Die Leopoldine und ich werden arbeiten,
erklärte Inger. Lieber will ich Tag und Nacht arbeiten! rief sie erregt
und dem Weinen nahe. -- Isak konnte sich diesen heftigen Ausbruch
nicht erklären, aber er hatte seine eigenen Ansichten, deshalb ging
er mit Hacke und Spaten an den Waldrand und fing an, einen Stein zu
bearbeiten. Nein, wahrhaftig, Isak konnte nicht verstehen, daß die Magd
Jensine fortgegangen war, sie war doch ein tüchtiges Mädchen gewesen.
Er verstand im ganzen nur das Nächstliegende, die Arbeit, gesetzliches
und natürliches Tun. Er war von rundem und gewaltigem Körperbau,
niemand war weniger astral wie er, er aß wie ein rechter Mann, und es
bekam ihm gut, deshalb kam er auch höchst selten aus dem Gleichgewicht.

Da war nun also dieser Stein. Es waren noch viele andere Steine da,
aber mit einem mußte er nun einmal anfangen. Isak sieht den Tag kommen,
da er hier ein Häuschen bauen muß, eine Heimstätte für sich und Inger.
Er will den Bauplatz ein wenig ebnen, während Sivert drunten auf
Storborg ist, sonst muß er seinem Sohn eine Erklärung geben, und das
möchte er vermeiden. Natürlich wird der Tag kommen, wo Sivert alle
Gebäude auf dem Hofe für sich selbst braucht, dann müssen die Eltern
eine Wohnung haben. Sie kamen ja mit dem Bauen auf Sellanraa niemals
zu Ende, der große Futterboden auf dem steinernen Stall war auch noch
nicht gebaut. Aber die Balken und die Bretter dazu lagen fertig da.

Also da war nun dieser Stein. Was davon aus der Erde hervorragte, sah
nicht besonders groß aus, aber er rührte und regte sich nicht, er mußte
also doch ein gewaltiger Brocken sein. Isak grub rund darum herum und
machte einen Versuch mit dem Spaten, aber der Stein rührte sich nicht.
Er grub noch tiefer und versuchte es wieder -- nein. Nun mußte Isak
nach Hause und eine Schaufel holen, um die lose Erde wegzuschaffen.
Dann grub er wieder und probierte -- nein. Das ist einmal ein Block!
dachte Isak in all seiner Geduld. Er grub nun schon eine gute Weile,
der Stein reichte immer tiefer in die Erde hinunter, und er konnte
ihn nirgends richtig anpacken. Es wäre doch recht ärgerlich, wenn er
genötigt wäre, den Stein zu sprengen. Dann wären die Schläge, um das
Bohrloch zu machen, weithin zu hören und würden alle Hausbewohner
herbeirufen. Isak grub weiter, aber dann holte er eine Hebestange
und versuchte es damit -- nein. Er grub wieder. Nun fing Isak doch
allmählich an, etwas ärgerlich auf den Stein zu werden; er runzelte die
Stirn und schaute ihn an, wie wenn er eben nur gekommen wäre, um die
Steine hier ein wenig zu beaufsichtigen, und wie wenn gerade dieser
Stein hier besonders dumm wäre. Er kritisierte ihn, er war so rund und
dumm, er war nirgends zu fassen, ja, er meinte beinahe, er habe eine
ganz verkehrte Form. Sollte er ihn sprengen? Keine Rede davon, wozu
auch noch Pulver an ihn verschwenden! Oder sollte er ihn aufgeben,
sollte er eine Art von Furcht zeigen, der Stein könnte ihm überlegen
sein?

Isak grub. Er mühte sich im Schweiße seines Angesichts, aber was war
der Erfolg? Endlich bekam er die Spitze der Hebestange darunter und
machte einen Versuch -- der Stein rührte sich nicht. Sachgemäß war an
seinem Vorgehen nichts auszusetzen, aber es hatte keinen Erfolg. Was
war denn das? Hatte er denn nicht auch sonst schon Steine ausgebrochen?
War er alt geworden? Komisch, hehe! Lächerlich. Er hatte ja wohl
neulich einmal Anzeichen von abnehmender Kraft bemerkt, das heißt,
er hatte es nicht bemerkt, er hatte sich nicht darum gekümmert, es
war Einbildung gewesen. Und nun geht er wieder an den Stein, völlig
entschlossen, ihn zu heben.

Oh, das war keine Kleinigkeit, wenn Isak sich über eine Hebestange
legte und sich schwer machte! Da liegt er vorgebeugt und hebt und hebt,
zyklopisch und mit außerordentlicher Kraft, mit einem Oberkörper, der
bis zu den Knien zu reichen scheint. Es war ein gewisser Pomp und eine
Pracht über ihm, sein Äquator war ungeheuer.

Allein der Stein rührte sich nicht.

Es half alles nichts, er mußte noch tiefer graben. Sollte er den Stein
sprengen? Schweig still! Nein, aber er mußte noch tiefer graben. Er
wurde sehr eifrig. Der Stein mußte und sollte heraus! Man konnte nicht
sagen, es sei in diesem Trieb von seiten Isaks etwas Perverses gewesen;
es war die alte Liebe des Ackerbauern zur Urbarmachung des Bodens, aber
gänzlich ohne Zärtlichkeit. Es sah ganz närrisch aus, erst umkreiste
er den Stein von allen Seiten, ehe er sich dranmachte, dann grub er
ringsherum und betastete ihn und schaufelte die Erde mit den bloßen
Händen weg, ja, das tat er. Aber das alles waren keine Liebkosungen.
Es war ihm heiß geworden, aber heiß vor Eifer. Wie, wenn er es jetzt
wieder mit der Hebestange versuchte? Er setzte sie da an, wo er sich am
meisten Erfolg versprach -- nein. War das einmal ein merkwürdiger Trotz
und Eigensinn von einem Stein! Aber jetzt schien es zu gehen. Isak
versucht es noch einmal und bekommt Hoffnung, der Erdarbeiter hatte es
im Gefühl, daß der Stein nicht mehr unüberwindlich war. Da glitt die
Hebestange ab und warf Isak zu Boden. Verdammt! sagte er. Das fuhr ihm
so heraus. Seine Mütze hatte zu gleicher Zeit einen Schupps gekriegt
und saß nun so schief, daß er ganz spanisch, ganz räubermäßig aussah.
Er spuckte aus.

Da kommt Inger dahergegangen. Du mußt jetzt zum Essen kommen, Isak,
sagt sie ganz lieb und freundlich. -- Ja, gibt er zur Antwort, aber
er will nicht, daß sie näher herankommt, und er will kein Gerede.
Ach, diese Inger, sie merkte gar nichts, sie kam näher. Was hast du
dir jetzt wieder ausgedacht? fragt sie, denn sie möchte ihm damit
schmeicheln, daß er sich fast jeden Tag etwas Neues und Großartiges
ausdenkt. -- Aber Isak ist sehr grimmig, fürchterlich grimmig ist er,
er erwidert: Das weiß ich nicht. -- Und Inger ihrerseits ist sehr
töricht, sie fragt ihn und plaudert ihm noch allerlei vor und geht
nicht. -- Da du es nun doch einmal gesehen hast, ich will diesen Stein
herausheben, sagt er. -- So, du willst ihn herausheben? fragt sie. --
Ja. -- Ich kann dir wohl nicht helfen? -- Isak schüttelt den Kopf. Aber
es war doch ein hübscher Zug von Inger, daß sie ihm helfen wollte, und
er konnte sie nicht länger zurückweisen. Wenn du ein klein wenig warten
willst, sagt er und läuft nach Hause, um den Schmiedehammer und einen
Meißel zu holen.

Wenn er den Stein an der richtigen Stelle etwas uneben machte, indem
er einen Splitter abschlug, so bekam die Hebestange einen besseren
Halt. Inger hält den Meißel, und Isak schlägt zu. Ja, es gelingt, ein
Splitter fällt ab. -- Ich danke dir für die Hilfe, sagt Isak. Und du
sollst vorerst mit dem Essen nicht auf mich warten, ich will erst
diesen Stein heraus haben.

Allein Inger geht nicht, und im Grunde genommen ist es Isak auch lieb,
daß sie stehenbleibt und ihm bei seiner Arbeit zuschaut, das hatte
er schon in jungen Tagen gern gehabt. Und siehe da, er findet einen
prächtigen Halt für die Hebestange und hebt -- der Stein bewegt sich!
-- Er bewegt sich! sagt Inger. -- Du willst mich doch nicht foppen?
fragt Isak. -- Ich foppen! Er bewegt sich!

Soweit war er gekommen, wahrhaftig, der Stein bewegte sich, er hatte
den Stein für die Sache gewonnen, jetzt arbeiteten sie zusammen.
Isak hebt und wiegt die Stange hin und her, und der Stein bewegt
sich ein wenig, aber nicht mehr. Isak macht eine Weile so weiter,
allein es führt zu nichts. Plötzlich sieht er ein, daß es sich nicht
darum handelt, ob sein Körpergewicht zureicht, er hat nicht mehr
die alte Kraft, das ist die Sache, er hat die zähe Biegsamkeit des
Körpers eingebüßt. Körpergewicht? Es wäre ja gar nichts gewesen, sich
über die schwere Stange zu legen und sie abzubrechen. Aber er hatte
an Kraft verloren, so sah es aus. Das erfüllte den duldsamen Mann
mit Bitterkeit; wenn nur wenigstens nicht Inger dabeigestanden und
zugeschaut hätte!

Plötzlich läßt er die Stange fahren und ergreift den Schmiedehammer.
Der Zorn hatte ihn erfaßt, er war in der Stimmung, Gewalt zu
gebrauchen. Seht, er hat immer noch die Mütze auf dem Ohre sitzen und
sieht räubermäßig aus, jetzt läuft er mit gewaltigen Schritten rund
um den Stein herum, als ob er sich selbst dem Stein gegenüber in das
richtige Licht setzen wollte, ho, es sah aus, als ob er jetzt diesen
Stein als eine Ruine hinter sich zurücklassen wollte. Warum sollte er
das nicht tun? Einen Stein, den man tödlich haßt, zu zerschmettern, das
ist nur Formsache. Und wenn der Stein Widerstand leistete, wenn er sich
nicht zerschmettern ließ? Oh, es würde sich schon zeigen, wer von ihnen
beiden der Überlebende sein würde!

Aber jetzt redet Inger ein wenig ängstlich, denn sie merkt wohl, was in
dem Manne gärt, sie sagt: Wie wär's, wenn wir uns beide auf den Balken
da legten? und mit dem Balken meinte sie die Hebestange. -- Nein! rief
Isak rasend. Aber nach einem Augenblick des Nachdenkens sagt er: ja,
wenn du doch schon einmal da bist, aber ich begreife nicht, warum du
nicht nach Hause gehst. Wir wollen's einmal versuchen!

Und nun gelingt es ihnen, den Stein auf die Kante zu drehen. Es glückt.
Puh! sagt Isak.

Allein nun offenbart sich vor ihren Augen etwas Unerwartetes: die
Unterseite des Steines ist eine Fläche, eine große schöne Fläche,
eben, glatt wie der Fußboden. Der Stein ist also nur die Hälfte eines
Steines, die andere Hälfte muß irgendwo in der Nähe liegen. Isak wußte
wohl, daß die beiden Hälften eines Steines sehr gut eine verschiedene
Lage in der Erde haben konnten, es war wohl der Frost gewesen, der sie
im Laufe langer Zeiträume voneinander entfernt hatte. Aber dieser ganze
Fund freut ihn außerordentlich. Oh, dieser Stein ist brauchbar, er gibt
eine prächtige Türschwelle. Selbst eine größere Geldsumme würde das
Herz des Ödlandbewohners nicht mit solcher Befriedigung erfüllt haben.
Das ist eine feine Türschwelle, sagt er stolz, und Inger bricht im
guten Glauben in die Worte aus: Ich begreife nur nicht, wie du das hast
wissen können! -- Hm! sagt Isak. Meinst du, ich hätte für nichts hier
in der Erde gegraben?

Sie gehen zusammen nach Hause, Isak hat sich eine unverdiente
Bewunderung erschlichen; die schmeckt aber nicht viel anders als die
verdiente. Er setzt auseinander, daß er die ganze Zeit über auf der
Jagd nach einer ordentlichen Türschwelle gewesen sei, jetzt habe er
eine gefunden. Von jetzt an war es auch nicht mehr verdächtig, wenn er
auf dem Bauplatz arbeitete, er konnte dort unter dem Vorwand nach der
zweiten Hälfte der Türschwelle zu suchen, roden, soviel er wollte. Und
als Sivert nach Hause kam, ließ sich Isak sogar von dem Sohne helfen.

Aber wenn es so weit gekommen war, daß er nicht mehr allein hingehen
und einen Stein aus der Erde brechen konnte, dann hatte sich viel
geändert, dann sah es gefährlich aus, dann eilte es mit dem Bauplatz.
Das Alter hatte Isak eingeholt, er fing an, für die Ausdingstube
reif zu werden. Der Triumph, den er sich angeeignet hatte, als er
die Türschwelle fand, verglühte im Laufe der Tage, er war unecht und
undauerhaft gewesen. Isak fing an, etwas gebeugt zu gehen.

War er denn nicht einstmals in seinem Leben aufmerksam und hellhörig
geworden, sobald nur jemand Stein oder Graben zu ihm gesagt hatte? Das
war noch gar nicht lange her, nur einige Jahre. Und damals mußte sich
ja einer, der ein trocken gelegtes Moor nur mit einem schiefen Blick
ansah, vor ihm in acht nehmen. Jetzt fing er so langsam und allmählich
an, derartiges mit mehr Ruhe aufzufassen, ach ja, Herrgott im Himmel!
Nichts war mehr so wie früher, das ganze Ödland hatte sich verändert,
dieser breite Telegraphenweg durch den Wald war früher nicht da, die
Berge droben am Wasser waren früher nicht gesprengt und durchwühlt
gewesen. Und die Menschen? Sagten sie noch Grüß Gott! wenn sie kamen,
und Behüt dich Gott! wenn sie gingen? Sie nickten nur, und oft das
nicht einmal.

Aber früher hatte es auch kein Sellanraa gegeben, nur eine Torfgamme;
aber was war es jetzt? Und dann war auch früher kein Markgraf dagewesen.

Ja, und was war der Markgraf jetzt! Nichts als ein trauriger und
vertrockneter alter Mann. Was nützte es zu essen und gute Gedärme zu
haben, wenn das keine Kraft mehr gab? Jetzt war es Sivert, der Kräfte
hatte, und gottlob, daß er sie hatte; aber wie, wenn auch Isak selbst
sie gehabt hätte! Wozu sollte es gut sein, daß sein Rad anfing sich
langsamer zu drehen? Er hatte geschafft wie ein rechter Mann, sein
Rücken hatte die Lasten eines Lasttiers getragen, jetzt sollte er
Ausdauer darin zeigen, auf einem Hocker herumzusitzen.

Isak ist mißvergnügt, Isak ist schwermütig.

Da liegt ein alter Südwester auf dem Hügel und vermodert. Der Sturm
hat ihn hierher an den Waldessaum geweht, oder vielleicht haben ihn
auch die Kinder dorthin gebracht, als sie noch klein waren. Da liegt
er nun ein Jahr ums andere und vermodert immer mehr, und er war doch
einmal ein neuer Südwester gewesen, ein schöner gelber Südwester. Isak
erinnert sich noch, wie er damit vom Kaufmann nach Hause kam, und wie
Inger sagte, das sei ein schöner Südwester. Ein paar Jahre später ging
er damit zum Maler ins Dorf hinunter und ließ ihn glänzend schwarz
lackieren und den Schirm daran grün malen. Als er damit nach Hause kam,
sagte Inger, er sei jetzt schöner als je. Inger gefiel immer alles
ausgezeichnet, ach, das war eine schöne Zeit; er schlug Klafterholz,
und Inger sah ihm zu, das war seine beste Zeit im Leben gewesen. Und
wenn der März und April kam, dann wurden er und Inger verliebt, gerade
wie die Vögel und Tiere des Waldes, und wenn der Mai kam, dann säte er
Korn und legte Kartoffeln und arbeitete Tag und Nacht. Es gab Schlaf
und Arbeit, Liebe und Träumerei, er war wie sein erster großer Stier,
und der war ein Wundertier gewesen, groß und glänzend wie ein König,
wenn er in seiner Pracht einherschritt. Aber einen solchen Mai bringen
die Jahre jetzt nicht mehr, das gibt es nicht mehr.

Einige Tage lang war Isak niedergeschlagen. Das waren dunkle
Tage. Er fühlte weder Lust noch Kraft in sich, mit dem Aufbau des
Futterspeichers zu beginnen. Das wird einmal Siverts Sache sein, jetzt
galt es, das Ausdinghäuschen fertigzustellen. Auf die Dauer konnte er
es nicht vor Sivert verborgen halten, daß es ein Bauplatz war, den er
hier am Waldrand rodete, und eines Tages offenbarte er die Sache: Das
da ist ein guter Stein, wenn wir einmal wieder etwas mauern wollen,
sagte er. -- Und das da ist auch ein guter Stein, sagte er. -- Sivert
verzog keine Miene, er erwiderte: Prächtige Grundsteine. -- Ja, was
meinst du? sagt der Vater. Wir haben nun hier so lange nach der zweiten
Türschwelle gegraben, daß ein ganz schöner Bauplatz entstanden ist.
Aber ich weiß nicht. -- Das wäre wirklich kein dummer Bauplatz, sagte
Sivert und läßt seinen Blick über den Platz hingleiten. -- So, meinst
du? Wir könnten ja hier ein kleines Häuschen bauen für Besuche, wenn
jemand kommt. -- Ja. -- Es müßte wohl eine Stube und eine Kammer
sein? Du hast ja gesehen, wie es war, als die schwedischen Herren das
letztemal hier waren, und jetzt haben wir keinen Neubau für sie. Aber
was meinst du, eine kleine Küche müßte doch auch dabei sein, falls sie
kochen wollten? -- Ja, ohne eine kleine Küche könnten sie nicht sein,
sie müßten uns ja auslachen, sagt Sivert. -- So, meinst du?

Der Vater schwieg. Aber der Sivert war doch ein wunderbarer Junge, wie
schnell er begriff und einsah, was schwedische Herren alles notwendig
brauchten; nicht eine einzige Frage stellte er, er sagte nur: Wenn ich
du wäre, so würde ich an die Nordwand eine kleine Scheune anbauen.
Es wäre sehr bequem für sie, wenn sie eine Scheune hätten, falls sie
einmal nasse Kleider zum Trocknen aufhängen wollten.

Der Vater fällt sofort ein: Da hast du recht!

Nun schweigen beide und arbeiten an ihren Steinen weiter. Nach einer
Weile fragt der Vater: Ist Eleseus noch nicht heimgekommen? -- Sivert
erwidert ausweichend: Er kommt jetzt bald.

Die Sache mit Eleseus war die, er war sehr häufig fort, wollte
beständig reisen. Hätte er denn die Waren nicht auch schriftlich
bestellen können, statt selbst hinzureisen und sie einzukaufen? Er
bekam sie allerdings viel billiger, aber wieviel kosteten die Reisen!
Er hatte eine so merkwürdige Art zu denken. Und was wollte er denn
mit noch mehr Baumwollstoff und seidenen Bändern für Taufhäubchen und
schwarzen und weißen Strohhüten und langen Tabakspfeifen? Derartiges
kaufte doch kein Ödlandbewohner, und die Kunden aus dem Dorf kamen nur
nach Storborg herauf, wenn sie kein Geld hatten. Eleseus war in seiner
Art recht tüchtig, oh, man mußte nur einmal sehen, wie geschickt er
auf Papier schrieb oder mit der Kreide rechnete! Wenn ich nur deinen
Kopf hätte! sagten die Leute bei solchen Gelegenheiten. Das alles war
ganz richtig, aber er hatte zuviel Geld ausstehen. Diese Dorfleute
bezahlten ja niemals, was sie schuldig waren, und selbst so ein
Bettelmann wie Brede Olsen war im Winter nach Storborg gekommen und
hatte Baumwollstoff und Kaffee und Sirup und Kerzen auf Borg erhalten.

Isak hat ja nun schon sehr viel Geld für Eleseus und sein Geschäft und
seine Reisen ausgegeben, und so sehr viel von dem Reichtum, den er für
den Kupferberg erhalten hat, ist nicht mehr übrig, und was dann? -- Wie
glaubst du, daß das mit Eleseus weitergehen wird? fragt Isak plötzlich.
-- Weitergehen? fragt Sivert zurück, um Zeit zu gewinnen. -- Es sieht
nicht aus, als ob es gehen wollte. -- Er selbst ist voll der besten
Hoffnung, sagt Sivert. -- So, hast du mit ihm darüber gesprochen? --
Nein, Andresen hat es gesagt. -- Der Vater denkt darüber nach und
schüttelt den Kopf: Nein, es geht nicht, sagt er. Aber es ist schade um
Eleseus!

Und der Vater wird immer finsterer und war doch schon vorher nicht
allzu leichten Sinnes gewesen.

Da rückt Sivert mit einer Neuigkeit heraus: Es kommen jetzt noch
mehr Ansiedler ins Ödland. -- Wieso? -- Ja, zwei neue Ansiedler. Sie
haben sich noch weiter oben als wir angekauft. -- Isak bleibt mit dem
Spaten in der Hand stehen, das war eine große Neuigkeit und eine gute
Neuigkeit, eine von den besten. Dann sind wir zehn Ödlandbauern, sagt
er. Isak bekommt nähere Auskunft, wo sich die neuen Ansiedler angekauft
haben, er hat die ganze Geographie im Kopf und nickt: Ja, da haben sie
recht getan, dort haben sie einen guten Wald für Brennholz und auch
Hochstämme. Das Grundstück neigt sich gegen Südosten.

Nein, nichts konnte die Ansiedler zurückhalten; es kamen immer mehr
neue Leute her. Der Bergwerksbetrieb hörte allerdings auf, aber das war
ja nur zum Nutzen der Landwirtschaft, es war nicht wahr, daß das Ödland
tot dalag, im Gegenteil, es wimmelte da von Leben, zwei neue Ansiedler
mehr, vier Hände mehr, Äcker, Wiesen und Häuser. Ach, die freien,
grünen Halden im Walde, Hütten und Quellen, Kinder und Tiere! Korn
wächst auf den Mooren, wo zuvor nur Schachtelhalme gestanden hatten,
blaue Glockenblumen nicken von den Hügeln, Sonnengold leuchtet auf dem
blühenden Hornklee vor den Häusern. Und Menschen sind da und sprechen
und denken und sind eins mit Himmel und Erde.

Hier steht nun der erste, der sich im Ödland niedergelassen hat. Als er
kam, watete er bis an die Knie in Sumpf und Heide, er fand eine sonnige
Halde und siedelte sich da an. Andere kamen nach ihm, sie traten einen
Fußpfad durch die unbebaute Allmende, noch andere kamen, der Fußpfad
wurde zu einem Fahrweg, nun fuhren sie mit Karren darauf. Isak muß sich
zufrieden fühlen, Stolz muß ihn durchzucken, er hat den Grund zu dieser
ganzen Ansiedlung gelegt, er ist der Markgraf.

Ja, ja, aber wir können nicht ewig hier auf diesem Bauplatz
weiterroden, wenn wir in diesem Jahr noch den Futterspeicher aufrichten
wollen, sagt er.

Und das sagte er wohl in einer plötzlichen frohen Laune, mit neuem
Lebensmut.



10


Eine Frau wandert durch das Ödland hinauf. Es fällt ein milder
Sommerregen, sie wird naß, aber darum kümmert sie sich nicht, sie hat
anderes zu denken, sie ist sehr gespannt, ob -- es ist Barbro, und
keine andere, Barbro, Bredes Tochter. Jawohl, sie darf wohl gespannt
sein, sie kann nicht wissen, wie dieses Abenteuer ablaufen wird, aber
sie ist von der Frau Lensmann entlassen und ist fort aus dem Dorf. So
steht es.

Sie macht einen Bogen um alle Ansiedlungen im Ödland herum, denn sie
möchte alle Menschen vermeiden. Jedermann würde ja gleich erraten,
wohin sie will, denn sie trägt ein Bündel mit Kleidern auf dem Rücken.
Jawohl, sie will nach Maaneland und will wieder dort bleiben.

Zehn Monate lang hat sie bei der Frau Lensmann gedient, und das ist
keine kurze Zeit, wenn man sie in Tage und Nächte umrechnet, aber wenn
man den Zwang und alle die hinausziehenden Gedanken bedenkt, dann ist
es eine Ewigkeit. Im Anfang ging alles wirklich gut; Frau Heyerdahl war
sehr besorgt um Barbro und gab ihr Schürzen und putzte sie heraus, es
war eine Freude, in so schönen Kleidern in den Kaufladen geschickt zu
werden. Barbro war ja schon als Kind hier im Dorf gewesen, sie kannte
alle Leute von der Zeit her, wo sie hier in die Schule gegangen war
und die Jungen geküßt und mit Steinen und Muscheln allerlei Spiele
gespielt hatte. Ein paar Monate ging alles gut. Aber dann umsorgte die
Frau Heyerdahl sie immer noch mehr, und als die Weihnachtsvergnügungen
angingen, wurde Frau Heyerdahl streng. Aber wozu das alles, doch nur
um das gute Verhältnis zu stören! Barbro hätte es überhaupt nicht
ausgehalten, wenn sie nicht gewisse Nachtstunden für sich gehabt hätte:
von zwei Uhr an bis morgens um sechs konnte sie ziemlich sicher sein,
und sie gestattete sich manche verstohlene Freuden in diesen Stunden.
Aber was für ein Mädchen war denn die Köchin, daß sie Barbro nicht
anzeigte? Sie war das ganz gewöhnliche Dienstmädchen und ging selbst
unerlaubterweise aus. Die beiden hielten abwechselnd Wache.

Es verging auch eine recht lange Zeit, ehe sie entdeckt wurden. Barbro
war keineswegs so leichtsinnig, daß ihr an die Stirn geschrieben
gewesen wäre, an ihr sei nichts mehr zu verderben. Verderben?
Sie widerstand so viel als nötig war. Wenn ein Bursche sie zum
Weihnachtstanz einlud, so sagte sie das erstemal nein, das zweitemal
auch, aber das drittemal sagte sie: Ich will sehen, ob ich von zwei
bis sechs Uhr kommen kann. Seht, so antwortet ein anständiges Mädchen
und macht sich nicht schlechter, als sie ist, und läßt keine Frechheit
sehen. Sie war ein Dienstmädchen und diente die ganze Zeit und kannte
kein anderes Vergnügen als Ausgelassenheit. Das war auch alles, was sie
begehrte. Die Frau Lensmann hielt ihr lange Reden und borgte ihr Bücher
-- die Närrin! Barbro bildende Bücher leihen, die in Bergen gewesen
war, Zeitungen gelesen und das Theater besucht hatte! Sie war doch
nicht Gottes Wort vom Lande!

Aber die Frau Lensmann mußte doch Verdacht geschöpft haben, eines
Morgens um drei Uhr steht sie vor der Mägdekammer und ruft: Barbro!
-- Ja, antwortet die Köchin. -- Ist Barbro nicht da? Mach auf! --
Die Köchin schließt auf und gibt die zuvor vereinbarte Erklärung:
Barbro habe ganz notwendig auf der Stelle nach Hause laufen müssen.
-- Nach Hause, auf der Stelle? Es ist drei Uhr in der Nacht, sagt
Frau Heyerdahl und hält mit ihrer Verwunderung darüber nicht zurück.
Am anderen Morgen gab es ein großes Verhör; Brede wurde gerufen, und
die Frau Lensmann fragte: Ist Barbro heute nacht um drei Uhr bei euch
gewesen? -- Brede war nicht vorbereitet, aber er sagt sofort ja. --
Jawohl um drei Uhr in der Nacht. Wir waren sogar solange aufgeblieben,
weil wir etwas Wichtiges zu besprechen hatten, antwortete Barbros
Vater. -- Darauf verkündet die Frau Lensmann feierlich: Barbro geht bei
Nacht nicht mehr aus! -- Nein, gewiß nicht, erwidert Brede. -- Solange
sie in meinem Hause ist wenigstens nicht. -- Nein. Ja, da hörst du's,
Barbro, ich habe es dir gleich gesagt! spricht der Vater. -- Du kannst
zuweilen vormittags zu deinen Eltern gehen, bestimmt die Frau Lensmann.

Aber die wachsame Frau Lensmann hat darum ihren Verdacht doch nicht
ganz aufgegeben; sie läßt eine Woche verstreichen, dann macht sie um
vier Uhr morgens eine Stichprobe. Barbro! rief sie. Oh, aber diesmal
war die Köchin aus, Barbro war daheim, und die Mägdekammer glänzte in
Unschuld. Die Frau mußte schnell einen Vorwand erfinden. Hast du die
Wäsche gestern abend hereingeholt? -- Ja! -- Das ist gut, denn es fängt
an zu stürmen. Gute Nacht.

Es war übrigens recht lästig für Frau Heyerdahl, sich von ihrem Mann in
der Nacht wecken zu lassen und selbst zu den Mädchen hinüberzutappen,
um nachzusehen, ob sie zu Hause seien! Geschehe, was da wolle, sie tat
es nicht mehr.

Und wenn nun das Glück sie nicht im Stich gelassen hätte, so hätte
es Barbro auf diese Weise das Jahr durch mit ihrer Herrin aushalten
können. Aber vor einigen Tagen hatte es einen Krach zwischen ihnen
gegeben.

Es war frühmorgens in der Küche. Zuerst hatte sich Barbro ein wenig
mit der Köchin gezankt, ja, nicht nur so ganz wenig, sie sprachen
lauter und lauter und vergaßen, daß Frau Heyerdahl kommen könnte.
Die Köchin hatte sich schlecht benommen und hatte sich außer der
Reihe fortgeschlichen, weil es Sonntagnacht gewesen war. Und womit
entschuldigte sie sich? Sagte sie, sie habe fort müssen, um sich von
einer teuren Schwester zu verabschieden, die nach Amerika reise?
Keine Spur, sie entschuldigte sich gar nicht, sondern behauptete, sie
habe diese Sonntagnacht gut gehabt. -- Daß du auch gar keine Ehre und
Wahrhaftigkeit im Leibe hast, du Canaille! rief Barbro.

Da stand Frau Heyerdahl unter der Tür.

Sie hatte sich vielleicht ursprünglich nur eine Erklärung für dieses
laute Geschrei ausbitten wollen, erwiderte auch noch den Mädchen ihren
Morgengruß, aber dann sah sie plötzlich Barbro scharf an, sah Barbros
Brusttuch an, beugte sich vor und sah noch näher zu. Das fing an
unheimlich zu werden. Und plötzlich stößt Frau Heyerdahl einen Schrei
aus und weicht zur Tür zurück. Was in aller Welt ist das? denkt Barbro
und schaut an sich herunter. Lieber Gott, nichts als eine Laus! Barbro
muß ein wenig lächeln, und da es ihr nicht ungewohnt ist, auch in
außerordentlichen Umständen zu wissen, was sie zu tun hat, knipst sie
die Laus weg. -- -- Was, auf den Fußboden! schreit die Frau Lensmann.
Bist du verrückt! Gleich nimm das Tier auf! -- Ja, Barbro beginnt
zu suchen und ist wieder rasch gefaßt, sie tut, als ob sie die Laus
gefunden hätte und wirft sie großartig ins Küchenfeuer.

Wo hast du die her? fragt die Frau erregt. -- Wo ich die her habe?
antwortet Barbro. -- Ja, ich will wissen, wo du gewesen bist und sie
dir geholt hast. Antworte! -- Nun machte Barbro den großen Fehler, daß
sie nicht sagte: Im Kaufladen! Das wäre das einzig richtige gewesen.
Nein, sie wußte nicht, wo sie die Laus aufgelesen haben könnte, aber
sie deutete an, sie habe sie vielleicht durch die Köchin bekommen. Da
fuhr die Köchin plötzlich hoch auf: Du von mir! Du bringst es für dich
allein fertig, dir Läuse zu holen! -- Aber du warst es doch, die heute
nacht aus war!

Abermals ein großer Fehler, das hätte sie niemals sagen sollen. Nun
hatte die Köchin auch keinen Grund mehr zu schweigen, und alles von
den unglückseligen Nächten außer dem Hause kam an den Tag. Frau
Heyerdahl ist in höchster Erregung; von der Köchin will sie nichts,
ihre Erregung gilt Barbro, dem Mädchen, für das sie eingestanden ist.
Und dennoch hätte vielleicht auch jetzt noch alles gerettet werden
können, wenn Barbro ihr Haupt gebeugt hätte wie ein Schilfrohr, und zu
Boden gesunken wäre und sich hoch und teuer verschworen hätte, es in
Zukunft nie mehr zu tun. Aber nein, Frau Heyerdahl mußte schließlich
ihr Kindermädchen daran erinnern, was sie alles für sie getan hatte,
und da gab Barbro wahrhaftig Antwort, sie trumpfte auf, so dumm war
sie. Ja, oder vielleicht war sie auch so klug, vielleicht wollte sie
die Sache auf die Spitze treiben, um von da wegzukommen. Frau Heyerdahl
sagte: Ich habe dich aus den Klauen des Löwen gerissen. -- Was das
betrifft, erwiderte Barbro, so wäre es mir ebenso lieb, wenn Ihr es
nicht getan hättet. -- Ist das der ganze Dank, den ich bekomme? rief
Frau Heyerdahl. -- Ach, was soll das Gerede! sagte Barbro. Vielleicht
wäre ich verurteilt worden, aber mehr als ein paar Monate hätte man mir
jedenfalls nicht gegeben, und dann wäre ich die Geschichte los! -- Frau
Heyerdahl ist einen Augenblick sprachlos, ja, eine Weile steht sie nur
da, öffnet den Mund und schließt ihn wieder. Das erste Wort, das sie
herausbringt, ist die Kündigung. -- Ja, ganz wie Ihr wollt, ist alles,
was Barbro erwidert.

Während der Tage, die seither verflossen sind, hat sich Barbro bei
ihren Eltern aufgehalten. Aber dort konnte sie nicht immer bleiben.
Oh, es ging ihnen nicht schlecht, die Mutter trieb jetzt einen
Kaffeeausschank, und es kamen immer viele Leute ins Haus; aber davon
konnte Barbro nicht leben, und sie konnte ja auch andere gute Gründe
haben, warum sie wieder in eine feste Stellung kommen wollte. So nahm
sie also heute einen Sack mit Kleidern auf den Rücken und wanderte ins
Ödland hinauf. Nun kam es darauf an, ob Axel Ström sie wieder aufnehmen
würde! Aber sie hatte am letzten Sonntag das Aufgebot verkünden lassen.

Es regnet, der Weg ist schmutzig, aber Barbro geht weiter. Es wird
Abend, und da der Sankt-Olafstag noch nicht gewesen ist, wird es nicht
dunkel. Arme Barbro, sie schont sich nicht, sie hat eine bestimmte
Absicht, sie hat ein Ziel, und so nimmt sie den ersten Kampf auf.
Sie hat sich im Grunde niemals geschont, ist niemals träge gewesen,
darum ist sie auch ein schönes und feines Geschöpf. Barbro hat eine
leichte Auffassungsgabe, gebraucht sie jedoch oftmals zu ihrem eigenen
Verderben. Was war auch anderes zu erwarten? Sie hat gelernt, sich
von einer Not in die andere zu retten, aber sie hat verschiedene gute
Eigenschaften behalten; der Tod eines Kindes ist ihr nichts, aber ein
lebendes Kind könnte es gut bei ihr haben. Außerdem hat sie ein sehr
musikalisches Ohr, sie klimpert weich und richtig auf der Gitarre und
singt mit etwas heiserer Stimme dazu, was angenehm und etwas wehmütig
anzuhören ist. Sich selbst schonen? Ho, so wenig, daß sie sich selbst
völlig weggeworfen und den Verlust nicht einmal empfunden hatte. Dann
und wann weinte sie, und das Herz wollte ihr über dies und jenes in
ihrem Leben fast brechen; das gehört dazu, das kommt von den rührenden
Liedern, die sie singt, das ist die Poesie und die süße Wonne der
Wehmut in ihr, sie hat häufig sich selbst und andere damit angeführt.
Hätte sie ihre Gitarre mit sich nehmen können, so hätte sie heute abend
Axel etwas vorgeklimmpert.

Sie richtet sich so ein, daß sie spät anlangt, und auf Maaneland ist
alles still, als sie den Hofraum betritt. Sieh, Axel hat schon in der
Nähe des Hauses mit dem Mähen begonnen und wahrhaftig auch schon etwas
trockenes Heu eingefahren! Nun überlegt sich Barbro, die alte Oline
werde drinnen in der Schlafkammer schlafen und Axel in der Heuscheune,
wo sie selbst früher geschlafen hatte. Wie ein Dieb in der Nacht
schleicht sie auf die bekannte Tür zu, dann ruft sie leise: Axel! --
Was gibt's? antwortet Axel sofort. -- Ich bin's nur, sagt Barbro und
tritt zu ihm ein. Kannst du mich über Nacht hierbehalten?

Axel schaut sie an, er ist etwas langsam, er sitzt in seinen
Unterkleidern da und schaut sie an. So, du bist's? sagt er. Wo willst
du hin? -- Ja, das kommt nun zuerst darauf an, ob du eine Hilfe für
die Sommerarbeit brauchst, erwidert sie. -- Axel denkt darüber nach
und fragt: Bleibst du nicht mehr dort, wo du gewesen bist? -- Nein,
bei Lensmanns hab' ich Schluß gemacht. -- Ich könnte recht gut eine
Hilfe für die Sommerzeit brauchen, sagt Axel. Aber was soll das heißen,
willst du etwa wiederkommen? -- Nein, du brauchst dich gar nicht um
mich zu kümmern, wehrt Barbro ab. Morgen geh ich weiter, ich geh nach
Sellanraa und über die Berge, dort hab' ich eine Stelle. -- So, du hast
dich verdingt? -- Ja. -- Ich könnte wohl eine Hilfe für den Sommer
brauchen, wiederholt Axel.

Barbro ist ganz naß, sie hat Kleider in ihrem Bündel bei sich und muß
sich umziehen. Kümmere dich gar nicht darum, daß ich hier bin, sagt
Axel und weicht nur ein wenig nach der Tür zurück. Barbro zieht die
nassen Kleider aus, und währenddessen sprechen sie miteinander, und
Axel dreht öfters den Kopf nach ihr um. -- Aber jetzt mußt du ein wenig
hinausgehen, sagt Barbro. -- Hinausgehen? fragt er. Und es war auch
wirklich kein Wetter zum Hinausgehen. Er steht da und sieht zu, wie
sie immer nackter wird, er kann kein Auge von ihr abwenden; und wie
gedankenlos Barbro ist, sie hätte gut immer ein trockenes Stück anlegen
können, wenn sie das nasse abzog, aber das tat sie nicht. Ihr Hemd
ist ganz dünn und klebt an ihrem Körper, sie knöpft es auf der einen
Achsel auf und wendet sich um, sie ist sehr geübt. In diesem Augenblick
schweigt Axel bumsstill und sieht, daß sie nur einen Griff oder zwei
braucht, um das Hemd abzuziehen. Das ist prachtvoll gemacht, denkt er.
Und da bleibt sie nun ganz gedankenlos stehen.

Später liegen sie im Heu und unterhalten sich. Jawohl, er brauche eine
Hilfe für den Sommer, das sei schon wahr. -- Ja, so sagte man mir,
stimmt Barbro bei. -- Er habe auch in diesem Jahr wieder allein mit
dem Mähen und Heumachen anfangen müssen, Barbro könne wohl verstehen,
wie ratlos er sei. -- Ja, Barbro verstand alles. -- Andrerseits sei es
doch gerade Barbro gewesen, die damals davongelaufen sei und ihn ohne
weibliche Hilfe zurückgelassen habe; das könne er nicht vergessen, und
die Ringe habe sie auch mitgenommen. Und zu aller Schmach sei auch
noch ihre Zeitung immer weiter gekommen, diese Bergensche Zeitung,
die er gar nicht loswerden konnte, und er habe sie hinterher noch
für ein ganzes Jahr bezahlen müssen. -- Das war ja ein schändliches
Blatt, sagte Barbro und stellte sich die ganze Zeit auf seine Seite.
Aber bei so großer Willfährigkeit konnte auch Axel kein Unmensch
sein, er gab zu, daß Barbro Grund gehabt haben könnte, sich auch über
ihn zu ärgern, weil er die Aufsicht über die Telegraphenlinie ihrem
Vater weggenommen hatte. Übrigens kann dein Vater den Telegraphen
wiederhaben, ich mache mir nichts daraus, es ist nur Zeitverlust.
-- Ja, sagte Barbro. -- Axel überlegte eine Weile, dann fragte er
geradezu: Ja, wie ist das, willst du nur den Sommer über bleiben? --
Ach, das soll so werden, wie du es haben willst, entgegnete Barbro. --
So, ist das deine aufrichtige Meinung? -- Ja, genau was du willst, das
will ich auch. Du brauchst nicht mehr an mir zu zweifeln. -- So. --
Nein. Und ich hab' uns auch in der Kirche aufbieten lassen.

So. Das war keine schlimme Kunde. Axel blieb ruhig liegen und
überlegte. Wenn es diesmal Ernst war und nicht wieder ein schändlicher
Verrat, so hatte er die eigene Frau im Hause, und es war ihm für alle
Zeit geholfen. -- Ich hätte eine Frau von daheim haben können, sagte
er. Sie hat geschrieben, sie wolle mich haben. Aber ich hätte ihr die
Rückreise von Amerika bezahlen müssen. -- Barbro fragt: So, ist sie in
Amerika? -- Ja, sie ist voriges Jahr hingereist; aber es gefällt ihr
nicht dort. -- Nein, du mußt dich nicht um sie kümmern! erklärt Barbro.
Was würde sonst aus mir? fragt sie und beginnt zu weinen. -- Darum hab'
ich es auch nicht fest mit ihr gemacht, sagt Axel.

Nun wollte Barbro aber auch nicht zurückstehen, sie bekannte, daß sie
in Bergen einen Mann hätte haben können, er sei Bierführer bei einer
gewaltig großen Brauerei, und ihm sei viel anvertraut. Und er grämt
sich gewiß immer noch um mich, sagt Barbro schluchzend. Aber weißt du,
wenn zwei Leute so viel miteinander gehabt haben wie du und ich, Axel,
dann kann ich nicht vergessen, wenn du auch längst vergessen hast. --
Wer, ich? erwidert Axel. Nein, darum brauchst du nicht zu weinen, ich
habe dich niemals vergessen. -- So.

Dieses Zugeständnis ist Barbro eine große Hilfe, und sie sagt:
Unsinn, was willst du denn das viele Reisegeld ganz von Amerika
herüber bezahlen, wenn du es doch nicht nötig hast. -- Sie rät ihm von
der ganzen Sache ab, es würde zu teuer, und er sei doch nicht dazu
gezwungen. Barbro schien es sich in den Kopf gesetzt zu haben, sein
Glück selbst zu begründen.

Im Lauf der Nacht werden sie einig. Sie waren einander ja nicht fremd
und hatten schon oft alles miteinander besprochen. Auch die notwendige
Trauung sollte noch vor dem Sankt-Olafstag und der Heuernte vor sich
gehen, sie hatten nicht nötig, sich zu verstellen, und Barbro drängte
jetzt selbst am eifrigsten. Axel stieß sich nicht daran, daß Barbro
es jetzt so eilig hatte, und es erweckte auch keinen Verdacht in ihm,
im Gegenteil, ihre Eile schmeichelte ihm und feuerte ihn an. Jawohl,
er war ein Ödlandbewohner, ein wetterfester Mann, er nahm es nicht so
genau, war wahrlich nicht überfein, er war zu allerlei genötigt, er sah
auf den Nutzen. Dazu kam noch, daß ihm Barbro wieder ganz neu und schön
erschien, beinahe reizender als zuvor. Sie war ein frischer Apfel, und
er biß hinein. Sie waren ja bereits aufgeboten.

Über die Kindsleiche und die Gerichtsverhandlung schwiegen alle beide.

Dagegen redeten sie von Oline, und wie sie sie loswerden könnten? Ja,
sie muß zum Hause hinaus, erklärte Barbro. Wir sind ihr keinen Dank
schuldig. Sie ist nichts als ein Klatschweib voller Bosheit. -- Aber es
erwies sich als sehr schwierig, Oline loszuwerden.

Gleich am ersten Morgen, als Barbro zum Vorschein kam, ahnte Oline
ihr Schicksal. Ihr wurde sofort schlimm zumute, aber sie verbarg das
und nickte und bot Barbro einen Stuhl an. Es war doch auf Maaneland
einen Tag nach dem andern gegangen. Axel hatte Wasser und Brennholz
herbeigetragen und ihr die schwersten Arbeiten abgenommen, und den
Rest hatte Oline fertiggebracht. Im Lauf der Zeit hatte sie sich
entschlossen, bis zum Ende ihres Lebens auf der Ansiedlung zu bleiben,
aber da kam diese Barbro und machte diesen Plan zunichte.

Wenn eine Kaffeebohne im Hause wäre, so hätte ich dir einen Kaffee
gemacht, sagte sie zu Barbro. Willst du noch weiter hinauf in die
Berge? -- Nein, erwiderte Barbro. -- So, du willst nicht weiter hinauf?
-- Nein. -- Nun, mich geht es ja nichts an, sagte Oline. Willst du
wieder hinunter? -- Nein, auch das nicht, ich bleibe jetzt wieder hier.
-- So, du willst wieder hierbleiben? -- Ja, so wird's wohl kommen.

Oline wartet eine Weile, sie gebraucht ihren alten Kopf, der steckt
bereits voller Politik: Ja, sagt sie. Dann kann ich hier loskommen.
Das freut mich sehr. -- So, ist Axel ein so scharfer Herr gewesen?
sagt Barbro im Scherz. -- Scharf? Er? Geh doch und treibe nicht deinen
Spaß mit einer alten Frau, die nur noch auf die Erlösung wartet. Er,
der Axel ist wie ein Vater und eine höhere Fügung für mich gewesen,
jeden Tag und jede Stunde, anders kann ich nicht sagen. Aber ich habe
nun einmal niemand von den Meinigen hier in der Gegend, ich stehe
einsam und verlassen auf anderer Leute Eigentum und habe alle meine
Angehörigen auf der andern Seite des Gebirges.

Aber Oline blieb da. Sie war nicht eher als nach der Trauung zu
entbehren, und Oline sträubte sich lange, sagte aber endlich ja, sie
wolle ihnen die Gefälligkeit erweisen und das Haus hüten und für
das Vieh sorgen, während sie getraut würden. Das nahm zwei Tage in
Anspruch. Als aber die Neuverheirateten heimkamen, ging Oline doch
nicht. Sie verschob es immer wieder, den einen Tag behauptete sie, es
sei ihr nicht gut, den andern sah es aus, als ob es regnen wollte.
Sie schmeichelte Barbro, es sei jetzt auf Maaneland mit der Kost ganz
anders geworden und doch auch Kaffee im Hause! Oh, Oline scheute vor
nichts zurück, sie fragte Barbro bei Dingen um Rat, die sie selbst viel
besser wußte. Was meinst du, soll ich die Kühe nach der Reihe melken,
wie sie im Stall stehen, oder soll ich Bordelin zuerst nehmen? -- Das
kannst du halten, wie du willst. -- Ja, hab' ich es nicht gesagt! ruft
Oline. Du bist draußen in der Welt unter hohen und vornehmen Leuten
gewesen und hast alles gelernt. Mir armen Person ist's nicht so gut
gegangen.

Nein, Oline scheute vor nichts zurück, sondern trieb Politik Tag und
Nacht. Erzählte sie nicht Barbro, wie sehr gut Freund sie mit ihrem
Vater, mit Brede Olsen, sei! Ho, sie habe manche vergnügte Stunde mit
ihm verplaudert, er sei so ein netter und freundlicher Mann, der Brede,
nie höre man ein unfreundliches Wort aus seinem Munde!

Aber es ging doch nicht auf die Dauer, weder Axel noch Barbro wollte
Oline länger im Hause behalten, und Barbro nahm ihr alle Arbeit aus der
Hand. Oline beklagte sich nicht, aber sie sagte mit einem gefährlichen
Seitenblick auf die Hausfrau und mit leicht verändertem Tone: Ja, ihr
seid jetzt große Leute, sagte sie. Der Axel hat letzten Herbst eine
Reise in die Stadt gemacht, hast du ihn dort getroffen? Ach nein, du
bist ja in den Bergen gewesen. Er hatte etwas in der Stadt zu besorgen,
er hat eine Mähmaschine und einen Reolpflug gekauft. Was sind die auf
Sellanraa gegen euch? Gar nicht zu vergleichen!

Oline versetzte kleine Nadelstiche, allein auch das half nichts, die
Herrschaft fürchtete sich nicht vor ihr, Axel sagte ihr eines Tages
geradeheraus, daß sie jetzt gehen müsse. -- Gehen? fragte Oline. Wie
denn? Muß ich kriechen? Sie weigerte sich zu gehen unter dem Vorwand,
daß sie nicht recht gesund sei und die Beine nicht rühren könne. Und so
schlimm mußte es wirklich gehen: als ihr die Arbeit abgenommen war und
sie kein Feld der Tätigkeit mehr hatte, da fiel sie zusammen und wurde
tatsächlich krank. Sie schleppte sich noch eine Woche lang umher, Axel
schaute sie wütend an, aber Oline blieb aus lauter Bosheit, und zuletzt
mußte sie sich zu Bett legen.

Aber nun lag sie keineswegs nur da und wartete auf ihre Erlösung, sie
sprach im Gegenteil stundenlang davon, daß sie bald wieder gesund
werde. Sie begehrte den Doktor, eine Großartigkeit, die im Ödland
völlig unbekannt war. -- Den Doktor? sagte Axel fragend. Bist du nicht
bei Trost? -- Wieso? fragte Oline sanft zurück und verstand rein gar
nichts. Ja, sie war ganz sanft und mild und sprach sich so erfreut aus,
daß sie niemand zur Last falle, sie könne den Doktor selbst bezahlen.
-- So, das kannst du? sagte Axel. -- So, kann ich es vielleicht nicht?
entgegnete Oline. Und außerdem werde ich doch nicht angesichts des
Erlösers wie ein Tier hier verenden sollen? -- Jetzt mischte sich
Barbro ein und fragte unvorsichtigerweise: Was fehlt dir denn? Ich
bringe dir doch deine Mahlzeiten. Aber den Kaffee habe ich dir in guter
Absicht versagt. -- Bist das du, Barbro? fragt Oline und dreht nur die
Augen nach ihr hin. Sie ist sehr elend und sieht mit den verdrehten
Augen ganz unheimlich aus. Es wird wohl so sein, wie du sagst, Barbro,
daß ich von einem winzigen Tröpfchen Kaffee, einem Löffelchen voll
Kaffee viel kränker würde. -- Wenn du wärest wie ich, so hättest du
jetzt an anderes zu denken als an Kaffee, sagte Barbro. -- Habe ich es
nicht gesagt? Du hast noch nie eines Menschen Tod gewollt, sondern daß
er sich bekehre und lebe. Aber was -- was sehe ich? Bist du denn in
der Hoffnung, Barbro? -- Ich! rief Barbro und fügte wütend hinzu: Du
gehörst auf den Mist geworfen mit deinem Mundwerk!

Hier schweigt die Kranke einen Augenblick nachdenklich, und ihr Mund
zittert, als ob er durchaus lächeln möchte und doch nicht dürfe. --
Ich habe heute nacht jemand rufen hören, sagt sie. -- Sie ist nicht
bei sich! flüstert Axel. -- Doch, ich bin ganz bei mir. Es war gerade,
als ob jemand riefe. Es kam aus dem Wald oder vom Bach her. Es war
sonderbar, gerade wie das Schreien eines kleinen Kindes. Ist Barbro
hinausgegangen? -- Ja, sagte Axel, sie will deine Narrheiten nicht
länger mit anhören. -- Ich spreche keine Narrheiten, ich bin nicht
so von Sinnen, wie ihr meint, sagte Oline. Nein, das ist nicht des
Allmächtigen Wunsch und Wille, daß ich jetzt schon mit allem, was ich
von Maaneland weiß, zum Thron des Lammes eingehen soll. Ich werde wohl
wieder gesund. Aber du sollst mir den Doktor holen, Axel, dann geht es
schneller. Was ist das für eine Kuh, die du mir geben willst? -- Was
für eine Kuh? -- Die Kuh, die du mir versprochen hast. Ist es Bordelin?
-- Du sprichst in den Tag hinein, sagt Axel. -- Du weißt, daß du mir
eine Kuh versprochen hast, damals, als ich dir das Leben rettete. --
Nein, das weiß ich nicht.

Da hebt Oline den Kopf und schaut ihn an. Sie ist ganz kahlköpfig und
grau, ihr Kopf sitzt auf einem langen Vogelhals, sie sieht hexenmäßig
und fürchterlich aus, Axel fährt zurück und greift rückwärts nach der
Türklinke. -- So, sagt Oline, du bist von der Sorte! Dann sprechen wir
vorerst nicht mehr davon. Ich kann auch ohne die Kuh leben und werde
sie nicht mehr in den Mund nehmen. Aber es ist gut, daß du dich genau
als der Mann gezeigt hast, der du bist, so weiß ich es für ein andermal.

Aber in der Nacht starb Oline, zu irgendeiner Stunde in der Nacht,
jedenfalls war sie bereits kalt, als sie morgens zu ihr hereinkamen.

Die alte Oline, geboren und gestorben ...

Es war weder Axel noch Barbro unlieb, daß sie Oline für immer begraben
konnten, sie brauchten jetzt nicht mehr so auf der Hut zu sein, sie
konnten vergnügt leben. Barbro klagt wieder über Zahnweh, sonst ist
alles gut. Aber dieses ewige wollene Tuch um den Mund, das sie immer
wegziehen muß, wenn sie ein Wort reden will, ist keine kleine Plage,
und Axel kann das viele Zahnweh nicht begreifen. Er hatte wohl die
ganze Zeit her ihre vorsichtige Art zu kauen beobachtet, aber es fehlte
ihr doch kein Zahn im Mund. -- Hast du dir denn keine neuen Zähne
machen lassen? fragt er. -- Doch. -- Ja, tun die denn auch weh? --
Spotte nicht so! erwidert Barbro erzürnt, obgleich er wirklich in gutem
Glauben gefragt hatte. Und in ihrer Bitterkeit kommt sie dazu, bessere
Auskunft zu geben: Du siehst doch, wie es mit mir steht.

Wie es mit ihr stand? Axel sieht etwas näher zu und bemerkt, daß
sie bereits anfängt einen dicken Leib zu bekommen. -- Du bist doch
nicht in der Hoffnung? fragt er. -- Doch, das weißt du wohl, erwidert
sie. -- Etwas vor den Kopf geschlagen starrt er sie an. In all
seiner Langsamkeit sitzt er da und rechnet eine Weile: eine Woche,
zwei Wochen, in der dritten Woche. -- Weiß ich das? sagt er. --
Barbro ist sehr gereizt durch dieses Zwiegespräch und fängt an laut
hinauszuweinen, ja gekränkt zu weinen. Du kannst mich nur auch gleich
in die Erde graben, dann bist du mich los! ruft sie.

Merkwürdig, was die Weiberleute für Gründe zum Weinen finden können!

Nein, Axel will Barbro durchaus nicht in die Erde graben, er ist ein
handfester Mann, der auf den Nutzen sieht; in einem Blumenflor zu
waten, dazu hat er keine Lust. -- Dann kannst du im Sommer nicht auf
dem Feld arbeiten? fragt er. -- Was, nicht auf dem Feld arbeiten?
erwidert sie entsetzt. Und lieber Gott, worüber ein Frauenzimmer doch
plötzlich wieder lächeln kann! Als es Axel auf diese Weise nahm,
rieselte ein hysterisches Glücksgefühl durch Barbros Körper, und sie
rief: Für zwei werde ich arbeiten! Du wirst sehen, Axel, daß ich alles
arbeite, wobei du mich anstellst, und noch viel mehr. Ich will mich
abrackern und noch vergnügt dabei sein, wenn du nur zufrieden bist!

Es gab noch mehr Tränen und Lächeln und Zärtlichkeiten. Die beiden
waren allein im Ödland, niemand war zu fürchten, offene Türen,
Sommerwärme, Fliegengesumm. Sie war so willfährig und hingebend, alles
wollte sie genau so wie er.

Nach Sonnenuntergang ist Axel damit beschäftigt, seine Mähmaschine
anzuspannen, er will noch ein kleines Stück abmähen für den nächsten
Morgen. Barbro kommt hastig herausgelaufen, als ob sie etwas Wichtiges
zu besorgen hätte, und sagt: Du, Axel, wie hast du überhaupt daran
denken können, dir jemand aus Amerika kommen zu lassen? Sie wäre ja
erst bis zum Winter hier gewesen, und was hättest du da noch mit ihr
angefangen? -- Seht, auf diesen Gedanken war Barbro verfallen, und nun
kam sie damit angelaufen, wie wenn das notwendig wäre!

Aber es war keineswegs notwendig, Axel hatte von der ersten Stunde an
eingesehen, daß er eine weibliche Hilfe für ein ganzes Jahr gewann,
wenn er Barbro wieder zu sich nahm. Dieser Mann schwankt nicht, und
er träumt sich nicht zu den Sternen hinauf. Nun hat er die eigene
Frau im Hause und kann auch die Telegraphenlinie noch eine Zeitlang
behalten. Im Jahre macht das doch viel Geld aus, und das ist ihm sehr
willkommen, solange er nicht viel vom Ertrag des Hofes verkaufen kann.
Alles geht und fügt sich ineinander, er ist mitten in der Wirklichkeit.
Und von Brede, der jetzt sein Schwiegervater ist, erwartet er auf der
Telegraphenlinie keinen Überfall mehr.

Das Glück fängt an, Axel mit seinen Gaben zu überschütten.



11


Die Zeit vergeht, der Winter vergeht, es wird wieder Frühling.
Natürlich mußte Isak eines Tages notwendig ins Dorf. Es wurde gefragt,
was er dort wolle. Ich weiß es nicht recht, sagte er. Aber er putzte
den Karren sehr rein, stellte den Sitz darauf und fuhr davon. Und
natürlich hatte er verschiedentliche Eßwaren für Eleseus auf Storborg
bei sich. Es fuhr ja kein Wagen von Sellanraa ab, der nicht irgend
etwas für Eleseus mitnahm.

Wenn Isak das Ödland hinunterfuhr, so war das kein unbedeutendes
Ereignis; er selbst tat es nur selten, Sivert pflegte es an seiner
Statt zu tun. In den zwei ersten Ansiedlungen stehen die Leute unter
der Gammentür und sagen zueinander: das ist der Isak selbst, ich möchte
nur wissen, warum er heute fährt. Als er nach Maaneland kommt, steht
Barbro mit einem Kind auf dem Arm unter dem Fenster, und als sie ihn
sieht, denkt sie: das ist der Isak selbst!

Er kommt nach Storborg und hält an: Prrr! Ist Eleseus daheim? --
Eleseus kommt heraus. Jawohl, er ist daheim, er ist noch nicht
abgereist, aber er will abreisen, er will seinen Frühlingsausflug nach
den Städten im Süden antreten. -- Da schickt dir die Mutter etwas, sagt
der Vater. Ich weiß nicht, was es ist, es wird weiter nichts Besonderes
sein. -- Eleseus nimmt die Gefäße entgegen, dankt und fragt: Hast du
nicht auch einen Brief oder so etwas? -- Doch, antwortet der Vater
und sucht in seinen Taschen. Er ist wohl von der kleinen Rebekka. --
Eleseus bekommt den Brief, darauf hat er gewartet, er sieht, daß er
schön dick ist, und sagt zu seinem Vater: Es ist sehr schade, daß du so
früh kommst, zwei Tage zu früh. Aber wenn du ein bißchen warten willst,
kannst du meinen Koffer gleich mitnehmen.

Isak steigt ab und bindet das Pferd an. Dann macht er einen Gang
über die Felder. Der kleine Ladendiener Andresen ist kein schlechter
Landwirt auf Eleseus' Grund und Boden, Sivert ist ihm allerdings mit
den Pferden von Sellanraa zu Hilfe gekommen, aber er hat auch auf
eigene Faust Moor entwässert und einen Mann zu Hilfe genommen, der die
Gräben mit Steinen auslegte. In diesem Jahr braucht auf Storborg kein
Futter gekauft zu werden, und im nächsten Jahr konnte sich Eleseus
vielleicht ein eigenes Pferd halten. Das hatte er Andresens Freude an
der Landwirtschaft zu verdanken.

Nach einiger Zeit ruft Eleseus, daß er seinen Koffer gepackt habe und
fertig sei. Er selbst steht auch fertig da und will mitkommen, er
hat einen schönen blauen Anzug an und trägt einen weißen Kragen um
den Hals, Galoschen an den Füßen und einen Spazierstock in der Hand.
Allerdings kommt er so mehr als zwei Tage zu früh für das Postboot,
aber das macht nichts, er kann ja im Dorf solange warten; es ist ganz
einerlei, wo er sich aufhält.

Vater und Sohn fahren ab. Der Ladendiener Andresen steht unter der
Ladentür und wünscht: Glückliche Reise!

Der Vater ist besorgt für seinen Sohn und will ihm den Sitz allein
überlassen, aber Eleseus lehnt sofort entschieden ab und setzt sich
neben den Vater. Sie kommen an Breidablick vorbei, da fällt es Eleseus
plötzlich ein, daß er etwas vergessen hat. Prrr! Was denn? fragt der
Vater. Oh, es ist der Regenschirm, Eleseus hat seinen Regenschirm
vergessen; das kann er nicht offen sagen, deshalb sagt er nur: Das
hilft jetzt nichts, fahr zu! -- Wollen wir nicht umkehren? -- Nein,
fahr zu! -- Aber es war eine verwünschte Sache, daß er auch so
vergeßlich sein mußte! Das kam von der großen Eile, weil der Vater über
die Felder wanderte und auf ihn wartete. Nun mußte sich Eleseus aber,
wenn er nach Drontheim kam, einen neuen Regenschirm kaufen. Es tat ja
auch nichts, wenn er zwei Regenschirme hatte. Aber er ist so ärgerlich
auf sich selbst, daß er abspringt und hinter dem Wagen hergeht.

Auf diese Weise können die beiden nicht viel miteinander reden, weil
sich der Vater nun bei jedem Wort umdrehen und über die Achsel reden
muß. Der Vater fragt: Wie lange bleibst du weg? und Eleseus antwortete:
Drei bis vier Wochen etwa. -- Der Vater spricht seine Verwunderung aus
darüber, daß sich die Leute in den großen Städten nicht verirren, aber
Eleseus sagt ihm, er sei selbst an die großen Städte gewöhnt, er habe
sich noch nie verirrt. -- Nun meint der Vater, es sei eine Schande, daß
er allein auf dem Wagen sitze, und er sagt: Mußt du eine Weile fahren,
ich mag nicht mehr. Eleseus will jedoch seinen Vater um keinen Preis
von dem Sitz vertreiben und steigt lieber selbst wieder zu ihm auf.
Aber vorher halten sie eine Mahlzeit aus des Vaters schönem Mundvorrat.
Dann fahren sie weiter.

Endlich kommen sie zu den beiden Ansiedlungen, die am weitesten unten
im Tal liegen, und man merkt jetzt wohl, daß man in der Nähe des
Dorfes ist; auf beiden Neusiedlungen hängen wahrhaftig an dem kleinen
Stubenfenster, das nach der Straße geht, weiße Vorhänge, und auf dem
Dachfirst des Heubodens ist eine kleine Stange für die Flagge zu Ehren
des siebzehnten Mai aufgepflanzt. -- Das ist der Isak selbst, sagen die
Leute der beiden Ansiedlungen, als sie die Reisenden sehen.

Endlich vermag Eleseus seine Gedanken so weit von seiner eigenen
Person und seinen eigenen Angelegenheiten abzulenken, daß er fragt:
Was hast du eigentlich heute vor? -- Hm! eigentlich nichts Besonderes,
erwidert sein Vater. Aber Eleseus reiste ja jedenfalls ab, so konnte
es also nichts schaden, wenn er erfuhr, was der Vater vorhatte. -- Die
Jensine vom Schmied will ich holen, erklärte der Vater, ja, gesteht er
wirklich zu. -- Mußt du dir selbst die Mühe machen; hätte denn nicht
Sivert fahren können? fragt Eleseus. -- Seht, Eleseus verstand es nicht
besser, er meinte also, Sivert werde Jensine mit dem Wagen wiederholen,
nachdem sie einmal so hochmütig getan hatte und von Sellanraa
fortgegangen war!

Nein, es war letztes Jahr mit dem Heumachen gar nicht gegangen.
Inger hatte sich allerdings sehr darangehalten, wie sie versprochen
hatte, Leopoldine tat auch ihre Arbeit, und dazu hatten sie auch den
Heurechen, der von einem Pferd gezogen wurde. Aber das Heu war zum
Teil schweres Timotheusgras und die Wiesen weit vom Hause entfernt.
Sellanraa war jetzt ein großes Gut, die Frauen hatten dort anderes zu
tun, als Heu zu machen; all das viele Vieh mußte versorgt werden, das
Essen mußte zur rechten Zeit fertig sein, das Buttern und Käsemachen
war zu besorgen, desgleichen das Waschen und das Backen, Mutter und
Tochter schafften sich gar zu sehr ab. Einen solchen Sommer wollte
Isak nicht noch einmal erleben, er bestimmte kurz und gut, daß
Jensine wiederkommen solle, wenn sie zu haben sei. Inger hatte jetzt
auch nichts mehr dagegen, sie hatte ihren Verstand wieder und sagte:
Meinetwegen mach es, wie du willst. Oh, Inger war jetzt fügsamer
geworden, es ist keine kleine Sache, wenn man seinen verlorenen
Verstand wiederkriegt. Inger hatte keine heiße Glut mehr zu verstecken,
keine innere Leidenschaft mehr im Zaum zu halten, der Winter hatte sie
abgekühlt, sie hatte nur noch Glut genug für den Hausgebrauch. Sie fing
jetzt an, an Körperfülle zuzunehmen, schön und stattlich sah sie aus.
Es war merkwürdig, wie wenig sie alterte, sie wurde nicht stückweise
alt und welk, vielleicht kam es daher, weil sie erst so spät aufgeblüht
war. Gott mag wissen, woher alles kommt, nichts hat nur eine einzige
Ursache, alles hat eine Ursachen_reihe_! Und hatte nicht Inger das
größte Lob bei der Frau des Schmieds? Was konnte die Schmiedfrau
ihr vorwerfen? Durch ihr verunziertes Gesicht war sie um ihren Lenz
betrogen worden, später war sie in künstliche Luft versetzt worden, und
dadurch waren ihr sechs Jahre ihres Sommers gestohlen; da sie aber doch
heißes Blut hatte, mußte ihr Herbst wilde Schößlinge treiben. Inger
ist besser als so eine Schmiedfrau, zwar ein bißchen beschädigt, ein
bißchen verzerrt, aber eine gute Natur, eine tüchtige Natur ...

Vater und Sohn fahren weiter, sie fahren an Brede Olsens Herberge vor
und führen das Pferd in den Schuppen. Es ist Abend geworden. Sie selbst
gehen ins Haus.

Brede Olsen hat dieses Haus gemietet, es ist eigentlich ein
Nebengebäude, das dem Kaufmann gehört, jetzt sind zwei Stuben und zwei
Schlafkammern darin eingerichtet; es ist ganz erträglich, und die Lage
ist gut, das Haus wird von Kaffeegästen besucht und außerdem von den
Leuten in der Umgegend, die mit dem Postschiff fahren wollen.

Brede scheint wirklich einmal Glück gehabt zu haben, er ist auf den
richtigen Platz gekommen, und das hat er seiner Frau zu verdanken.
Bredes Frau kam auf den Gedanken, dieses Kaffeehaus und diese Herberge
einzurichten, als sie während der Versteigerung auf Breidablick
Kaffee verkaufte; das war damals sehr unterhaltend gewesen, es war
angenehm, Münze zwischen den Fingern zu haben, bares Geld. Seit sie
hierhergekommen sind, ist alles gut gegangen, die Frau verkauft jetzt
im Ernst Kaffee und beherbergt allerlei Leute, die kein Dach über dem
Kopf haben. Sie wird auch von den Reisenden recht gelobt. Natürlich
ist ihre Tochter Katrine, die jetzt ein großes Mädchen und eine flinke
Aufwärterin ist, eine gute Hilfe. Aber ebenso natürlich ist es nur eine
Zeitfrage, bis wann die kleine Katrine nicht mehr im Hause ihrer Eltern
sein und da aufwarten wird. Aber inzwischen geht es ganz ordentlich
mit dem Umsatz, und das ist die Hauptsache. Der Anfang war entschieden
gut gewesen und hätte noch besser sein können, wenn sich der Kaufmann
genügend mit Brezeln und Spekulatius zum Kaffee vorgesehen hätte; da
saßen nun alle Leute, die den siebzehnten Mai feiern wollten, und
riefen vergebens nach Kuchen zum Kaffee: Kaffeekuchen! Da lernte es der
Kaufmann, sich mit Backwaren für die Feste des Dorfes zu versehen.

Brede und die ganze Familie leben von diesem Betrieb, so gut es geht.
Zu gar vielen Mahlzeiten gibt es nichts als Kaffee mit übriggebliebenem
Kaffeekuchen, aber auch das hält Leib und Seele zusammen, und die
Kinder bekommen davon ein feines, ja sozusagen ein verfeinertes
Aussehen. Es haben nicht alle Kuchen zum Kaffee! sagten die Leute im
Dorf. Der Familie Brede scheint es gut zu gehen, sie halten sogar
einen Hund, der bei den Gästen herumschleicht, Bissen erschnappt und
fett wird. Was ist doch so ein fetter Hund eine Anpreisung für die
Verpflegung in einer Herberge!

Brede Olsen nimmt also die Stelle des Hausherrn in diesem Betrieb ein
und hat sich auch nebenher emporgearbeitet. Er ist wieder der Begleiter
und Amtsdiener des Lensmannes geworden und hatte in dieser Stellung
eine Zeitlang viel zu tun. Aber letzten Herbst hat seine Tochter
Barbro mit der Frau Lensmann Streit bekommen, wegen einer Kleinigkeit,
geradeheraus gesagt, wegen einer Laus, und seit der Zeit ist auch Brede
bei der Herrschaft nicht mehr gern gesehen. Aber Brede hat dadurch
nicht viel verloren, er hat andere Herrschaften, die ihn, gerade um
die Frau Lensmann zu ärgern, aufsuchen, so daß er als Doktorkutscher
ein gesuchter Mann ist, und die Frau Pfarrer hat gar nicht so viele
Schweine, als sie Brede gerne schlachten lassen würde -- das sind seine
eigenen Worte.

Manchmal ist allerdings auch jetzt noch bei der Familie Brede
Schmalhans Küchenmeister, und nicht alle sind so fett wie der Hund.
Aber Gott sei Dank, Brede hat einen leichten Sinn: Die Kinder werden
alle Tage größer, sagt er, obgleich auch immer wieder neue kleine
dazukommen. Die Großen, die fortgezogen sind, sorgen ja nun für sich
selbst und schicken zuweilen auch eine Kleinigkeit nach Hause. Barbro
ist auf Maaneland verheiratet, und Helge ist beim Heringsfang; sie
geben den Eltern Waren oder Geld, wenn sie es möglich machen können,
ja, sogar Katrine, die zu Hause die Gäste bedient, hat im Winter
einmal, als es recht trübe aussah, ihrem Vater einen Fünfkronenschein
zustecken können. Das ist ein Mädchen! rühmte Brede, und er fragte
nicht danach, von wem und wofür sie den Schein bekommen habe. So war
es recht, die Kinder sollten ein Herz für ihre Eltern haben und ihnen
beistehen!

Mit seinem Sohn Helge ist Brede nicht ebenso zufrieden; zuweilen
steht er im Kaufladen und entwickelt allen, die ihm zuhören wollen,
seine Ansichten über die Pflichten der Kinder ihren Eltern gegenüber:
Nehmt zum Beispiel meinen Sohn Helge. Wenn er ein bißchen Tabak
raucht und gelegentlich einmal ein Gläschen trinkt, so hab' ich gar
nichts dagegen, wir sind alle einmal jung gewesen. Aber er soll uns
nicht einen Brief um den andern schicken mit nichts darin als schönen
Grüßen. Er soll nicht die Ursache sein, daß seine Mutter weint. Das ist
unrecht. In früherer Zeit war es anders. In früheren Zeiten waren sich
die Kinder nicht zu gut dazu, sie gingen in einen Dienst und halfen
ihren Eltern. So sollte es immer sein. Haben nicht Vater und Mutter sie
unter dem Herzen getragen und blutigen Schweiß geschwitzt, bis sie sie
großgezogen hatten? Das sollten sie nie vergessen.

Es war gerade, als hätte Helge diese Rede seines Vaters mit angehört,
denn eben jetzt kam ein Brief von ihm mit einem Geldschein, einem
ganzen Fünfzigkronenschein. Und nun fing in der Familie Brede ein
Herrenleben an; sie kauften in ihrem Übermut Fisch und Fleisch zum
Mittagessen und eine Hängelampe mit Prismen dran in die beste Stube der
Herberge.

So verging ein Tag nach dem andern, und was will man mehr? Die Familie
Brede lebte weiter, lebte von der Hand in den Mund, aber ohne sich
große Sorgen zu machen, und was will man mehr?

Das ist einmal ein seltener Besuch! rief Brede und führte Isak und
Eleseus in die Stube mit der Prismenlampe. Aber was sehe ich! Du, Isak,
wirst doch nicht verreisen wollen! -- Nein, ich habe nur beim Schmied
etwas zu besorgen. -- So, dann ist es wohl Eleseus, der wieder seine
Reise in die Städte antritt?

Eleseus ist an das Leben in Gasthäusern gewöhnt, er macht sich's
bequem, hängt seinen Überzieher und seinen Stock auf und verlangt
Kaffee. Etwas zu essen hat der Vater mit. Katrine kommt mit Kaffee.
-- Nein, ihr dürft nichts bezahlen, erklärt Brede. Ich bin schon
sooft in Sellanraa bewirtet worden, und bei Eleseus stehe ich auch im
Schuldbuch. Du nimmst keine Öre, Katrine! -- Aber Eleseus bezahlt,
er zieht den Beutel und bezahlt und gibt noch zwanzig Öre Trinkgeld.
Nichts da! Kein Geschwätz!

Isak geht zum Schmied, und Eleseus setzt sich wieder.

Mit Katrine spricht er das Notwendigste, aber nicht mehr, er unterhält
sich lieber mit ihrem Vater. Nein, Eleseus macht sich nichts aus den
Mädchen, er ist einmal von ihnen schlecht behandelt worden, und jetzt
will er nichts mehr von ihnen wissen. Vielleicht hat er überhaupt nie
einen Liebesdrang gehabt, der der Rede wert gewesen wäre, da er sich
gar nicht um sie kümmert. Ein wunderbarer Mann im Ödland, ein Herr mit
schmächtigen Schreiberhänden und ganz weiblichem Sinn für Putz und
Regenschirm und Spazierstock und Gummischuhe. Verschroben, verdreht,
ein unverständlicher Junggeselle. Auf einer Oberlippe will nicht einmal
ein rechter Bart wachsen. Aber vielleicht hatte dieser Junge einmal
gute Anlagen gehabt, war einmal von Natur ordentlich ausgesteuert
gewesen, war aber dann in unnatürliche Verhältnisse gekommen und zum
Wechselbalg geworden. Ist er so fleißig auf einem Büro und in einem
Kaufladen gewesen, daß all seine Ursprünglichkeit verlorengegangen
ist? Vielleicht war es so. Jedenfalls ist er nun da, gewandt und
leidenschaftslos, etwas schwächlich, etwas gleichgültig, und geht
weiter und weiter auf seinem Abweg. Er könnte jeden einzelnen Mann im
Ödland beneiden, allein nicht einmal dazu ist er imstande.

Katrine ist daran gewöhnt, mit den Gästen zu scherzen, und nun zieht
sie ihn auf, er wolle wohl wieder gen Süden zu seiner Liebsten? -- Ich
habe andere Dinge im Kopf, erwidert Eleseus. Ich will Geschäfte machen,
Verbindungen anknüpfen. -- Du mußt besseren Leuten gegenüber nicht so
zudringlich sein, Katrine, ermahnt sie ihr Vater. Oh, Brede Olsen ist
sehr höflich gegen Eleseus, ganz ungeheuer respektvoll. Das darf er
auch wohl sein, es ist klug von ihm, er ist auf Storborg Geld schuldig
und steht seinem Gläubiger gegenüber. Und Eleseus? Ho, ihm gefällt
diese Höflichkeit, und er ist dafür gut und gnädig. Hochverehrtester!
heißt er Brede im Spaß und spielt sich auf. Er spricht davon, daß er
wieder seinen Regenschirm vergessen habe. Gerade in dem Augenblick,
als wir an Breidablick vorbeifuhren, fiel mir mein Regenschirm ein! --
Brede fragt: Ihr werdet wohl heute abend bei unserm kleinen Kaufmann
ein Glas Toddy trinken? -- Und Eleseus antwortet: Ja, wenn ich allein
wäre! Aber ich habe meinen Vater bei mir. -- Brede tut ganz behaglich
und plaudert weiter: Übermorgen kommt ein Mann hierher, der wieder nach
Amerika zurück will. -- Ist er zu Besuch daheim gewesen? -- Ja. Er
ist vom Oberdorf. Er ist eine lange Reihe von Jahren drüben gewesen,
aber nun hat er den Winter daheim zugebracht. Sein Koffer ist schon
mit einer Fuhre heruntergekommen, das ist ein Riesenkoffer. -- Ich
hab' auch schon daran gedacht, nach Amerika zu gehen, sagt Eleseus
aufrichtig. -- Ihr? ruft Brede. Ihr habt das doch nicht nötig. -- Ich
bliebe wahrscheinlich auch nicht für Zeit und Ewigkeit drüben, ich
weiß nicht. Aber ich habe schon so viele Reisen gemacht, da könnte ich
auch diese einmal machen. -- Gewiß. Und man muß drüben in dem Amerika
wüst Geld verdienen. Nehmen wir nur einmal den Mann an, von dem ich
vorhin gesprochen habe. Er hat jetzt im Winter droben im Oberdorf
ein Weihnachtsvergnügen nach dem andern bezahlt, und wenn er zu mir
kommt, so sagt er: Ich will einen ganzen Kessel Kaffee haben und allen
Kaffeekuchen, den du hast! Ja, so sagt er. Wollt Ihr seinen Koffer
sehen?

Sie gingen in den Gang hinaus und betrachteten den Koffer. Ein wahres
Weltwunder, glänzte auf allen Seiten von Metall und Beschlägen, mit
drei Schnappschlössern dran, noch außer dem eigentlichen Schloß. --
Diebssicher! sagte Brede, wie wenn er den Versuch gemacht hätte.

Sie gingen wieder ins Zimmer hinein, aber Eleseus war still geworden.
Dieser Mann aus dem Oberdorf machte ihn völlig zunichte, der trat
auf Reisen wie der größte Beamte auf; Brede war augenscheinlich ganz
von diesem Menschen erfüllt. Eleseus verlangte noch mehr Kaffee und
versuchte auch reich zu tun; er verlangte Kuchen zu seinem Kaffee und
fütterte den Hund damit. Ach ja, aber er fühlte sich dennoch gering
und niedergeschmettert. Was war sein eigener Koffer diesem Wunderwerk
gegenüber? Da stand er, schwarzes Wachstuch, die Ecken verstoßen
und weiß geworden, ein Handkoffer -- bei Gott, er wollte sich einen
prachtvollen Koffer kaufen, wenn er hinunterkam -- paßt nur auf! Gebt
doch dem Hund nichts! sagte Brede. -- Aber Eleseus war wieder ein
bißchen Mensch geworden und spielte sich auf. Das ist einmal ein riesig
fetter Hund! sagte er.

Von dem einen Gedanken kam er auf den andern, er brach die Unterhaltung
mit Brede ab und ging hinaus, ging in den Schuppen zu dem Pferd. Dort
machte er den Brief auf, den er in der Tasche hatte. Er hatte ihn nur
eingesteckt und nicht nachgesehen, wieviel Geld er enthielt; er hatte
solche Briefe von zu Hause schon öfters erhalten, und es waren immer
verschiedene Geldscheine darin gewesen, eine Beisteuer zu der Reise.
Was war aber jetzt das? Ein großes Stück graues Papier, über und über
bemalt von der kleinen Rebekka für ihren lieben Bruder Eleseus, dabei
ein Briefchen von der Mutter. Was sonst noch? Nichts mehr. Kein Geld.

Die Mutter schrieb, sie habe den Vater nicht mehr um Geld bitten
können, denn es sei jetzt von dem Reichtum, den sie seinerzeit für den
Kupferberg bekommen hätten, nicht mehr viel übrig. Das Geld sei für den
Ankauf von Storborg und seither für alle die Waren und für die vielen
Reisen draufgegangen. Nun müsse er versuchen, sich das Geld für die
Reise diesmal selbst zu beschaffen, denn das Geld, das jetzt noch da
sei, müßten seine Geschwister bekommen, die dürften auch nicht ganz
leer ausgehen. Glückliche Reise und herzliche Grüße!

Kein Geld.

Eleseus hatte selbst nicht genug Geld für die Reise, er hatte seine
Ladenkasse umgekehrt, aber nicht viel darin gefunden. Ach, wie dumm war
er gewesen; er hatte erst neulich seinem Lieferanten in Bergen einen
Geldbrief geschickt und einige Rechnungen bezahlt. Das hätte warten
können. Natürlich war es auch allzu sorglos von ihm gewesen, sich auf
den Weg zu machen, ohne vorher den Brief zu öffnen, da hätte er sich
die Wagenfahrt ins Dorf mit seinem elenden Koffer sparen können. Jetzt
stand er da ...

Der Vater kam vom Schmied zurück mit wohlgelungener Besorgung: Jensine
wollte morgen mit ihm kommen. Seht, Jensine war durchaus nicht
querköpfig gewesen und hatte sich nicht lange bitten lassen, sie hatte
sofort begriffen, daß man auf Sellanraa eine Hilfe für die Sommerarbeit
brauchte und hatte nichts dagegen, wiederzukommen. Wieder ein glatter
Bescheid.

Während der Vater erzählt, denkt Eleseus über seine eigenen
Angelegenheiten nach. Er zeigt dem Vater den Koffer des Amerikaners und
sagt: Ich wäre froh, wenn ich da stünde, wo dieser Koffer hergekommen
ist! -- Und der Vater erwidert: Ja, das wäre noch nicht das schlimmste
...

Am nächsten Morgen macht sich der Vater zur Heimfahrt bereit; er
frühstückt, spannt an und fährt beim Schmied vor, um Jensine und ihre
Truhe abzuholen. Eleseus sieht ihnen lange nach, und als der Wagen im
Walde verschwunden ist, bezahlt er in der Herberge und gibt wieder ein
Trinkgeld. Laß meinen Koffer da stehen, bis ich zurückkomme, sagt er zu
Katrine und geht fort.

Wo geht Eleseus hin? Er hat nur einen Ort, wo er hingehen kann, er
dreht um, er muß in sein Heim zurückkehren. Er nimmt den Weg hinauf
unter die Füße und gibt sich Mühe, dem Vater und Jensine so nahe als
möglich zu bleiben, ohne von ihnen gesehen zu werden. Er geht und
geht, und jetzt fängt er wirklich an, jeden einzelnen Ödlandbauern zu
beneiden.

Es ist schade um Eleseus, er ist vom Leben so verdreht worden.

Betreibt er denn nicht auf Storborg einen Kaufladen? Jawohl, aber
dort Herr zu sein, das will doch gar nichts heißen, er macht zu viele
vergnügliche Reisen, um Geschäftsverbindungen anzuknüpfen, die kosten
zuviel, er reist nicht billig. Nur nicht kleinlich sein! sagt Eleseus
und gibt zwanzig Öre Trinkgeld, wo zehn auch genug wären. Diesen
flotten Herrn kann sein Geschäft nicht erhalten, er braucht Zuschuß von
zu Hause. Jetzt erntet man auf Storborg Kartoffeln, Heu und Korn für
den Haushalt, aber der Belag aufs Brot muß von Sellanraa kommen. Ist
das alles? Sivert muß alle Waren umsonst von der Küste herauffahren.
Ist das jetzt alles? Die Mutter muß ihm vom Vater das Geld zu seinen
Reisen verschaffen. Ist das jetzt alles?

Das Schlimmste kommt noch.

Eleseus betreibt sein Geschäft wie ein Narr. Er fühlt sich so
geschmeichelt, wenn die Leute aus dem Dorf zu ihm heraufkommen, um
einzukaufen, daß er ihnen gern auf Borg gibt. Und als das einmal
bekannt wird, kommen mehr und immer mehr und kaufen auf Borg; Eleseus
ist entgegenkommend und borgt, sein Laden wird leer und füllt sich
wieder. Das alles kostet Geld. Wer bezahlt? Der Vater.

Im Anfang war die Mutter seine gläubige Fürsprecherin: Eleseus sei der
helle Kopf in der Familie, man müsse ihm ordentlich vorwärts helfen.
Bedenke nur, wie billig er Storborg bekommen hat, und wie er gleich
haarscharf sagte, was er dafür geben wolle! Wenn der Vater meinte,
Eleseus' Geschäft sei allmählich die reine Komödie, so erwiderte seine
Mutter: Was ist das für ein Geschwätz! und sie gebrauchte so deutliche
Redensarten, daß es war, als sei der gute Isak Eleseus gegenüber doch
gar zu familiär geworden.

Seht, die Mutter war selbst weggewesen und hatte Reisen gemacht, sie
begriff, daß Eleseus hier im Ödland nicht recht gedeihen konnte, er war
an feinere Sitten gewöhnt, hatte sich in allerlei Gesellschaftskreisen
bewegt, und hier fehlten ihm Ebenbürtige. Allerdings, er borgte armen
Leuten zuviel; aber das tat Eleseus nicht aus Bosheit und um seine
Eltern zu ruinieren, er tat es aus guter und vornehmer Veranlagung,
er hatte den Drang, den Leuten, die unter ihm standen, zu helfen.
Du liebe Zeit, er war der einzige Mensch im Ödland mit einem weißen
Taschentuch, das fortwährend gewaschen werden mußte. Wenn sich die
Leute vertrauensvoll an ihn wandten und um Kredit baten und er hätte
nein gesagt, so hätte das mißverstanden werden können, als sei er
nicht der ausgezeichnete Mensch, für den er galt. Außerdem hatte er
auch Pflichten als der Städter und das Genie unter den Bewohnern des
Ödlandes.

Dies alles zog die Mutter wohl in Betracht.

Aber der Vater, der davon keinen Deut begriff, öffnete ihr eines Tages
die Augen und die Ohren und sagte: Sieh her, das ist jetzt der Rest von
dem Geld für das Kupferbergwerk. -- So, so, sagte sie. Und wo ist denn
das andere hingekommen? -- Das hat alles Eleseus bekommen. -- Dann soll
er endlich einmal seinen Verstand gebrauchen!

Armer Eleseus, er ist zerfahren und verpfuscht. Er hätte Ödlandbauer
bleiben sollen, jetzt ist er ein Mensch, der Buchstaben zu schreiben
gelernt hat, er hat keinen Unternehmungsgeist, keine Tiefe. Aber ein
kohlschwarzer Teufelskerl ist er auch nicht, er ist nicht verliebt und
nicht ehrgeizig, er ist eigentlich gar nichts, nicht einmal ein großer
Übeltäter.

Der junge Mann hatte etwas Unglückliches, etwas Verurteiltes an
sich, wie wenn er in seinem Innern Schaden genommen hätte. Der gute
Bezirksingenieur aus der Stadt hätte ihn lieber in seiner Jugend
nicht entdecken, ihn nicht zu sich nehmen und nicht etwas aus ihm
machen sollen, da wurden dem Kinde die Wurzeln abgerissen, und es fuhr
schlecht dabei. Alles, was er jetzt vornimmt, läßt einen Schaden bei
ihm erkennen, etwas Dunkles auf hellem Grunde ...

Eleseus geht und geht. Die beiden auf dem Wagen sind an Storborg
vorbeigefahren. Eleseus macht einen Bogen darum herum und wandert auch
an Storborg vorbei; was sollte er daheim in seinem Kaufladen? Die zwei
auf dem Wagen kamen mit Anbruch der Nacht auf Sellanraa an, Eleseus
ist ihnen dicht auf den Fersen. Er sieht, daß Sivert auf den Hofplatz
herauskommt und verwundert Jensine betrachtet; die beiden geben
einander die Hand und lachen ein wenig, dann nimmt Sivert das Pferd am
Zügel und führt es in den Stall.

Jetzt wagt sich auch Eleseus hervor, er, der Stolz der Familie wagt
sich hervor. Er geht nicht, er schleicht, er trifft Sivert im Stall.
Ich bin's nur, sagt er. -- Was, du bist auch da? ruft Sivert und ist
von neuem verwundert.

Die beiden Brüder reden leise miteinander, es handelt sich darum, ob
Sivert wohl die Mutter dazu bringen kann, Geld herbeizuschaffen, eine
Rettung, Reisegeld. So wie jetzt könne es nicht weitergehen.

Eleseus habe es jetzt satt, er habe schon oft daran gedacht, und heute
nacht solle es nun geschehen, eine lange Reise, Amerika, jetzt in
dieser Nacht noch. -- Amerika! sagt Sivert laut. -- Pst! Ich habe schon
oft daran gedacht, jetzt mußt du die Mutter dazu bringen, es geht so
nicht weiter, ich habe schon oft daran gedacht. -- Aber Amerika! sagt
Sivert. Nein, das darfst du nicht tun. -- Unbedingt! Ich gehe auf der
Stelle wieder zurück, ich erreiche das Postschiff noch. -- Du wirst
doch wohl vorher etwas essen? -- Ich bin nicht hungrig. -- Willst du
nicht ein wenig schlafen? -- Nein.

Sivert will seinem Bruder wohl und sucht ihn zurückzuhalten, allein
Eleseus ist standhaft, zum erstenmal standhaft. Sivert ist ganz
verwirrt, zuerst, als er Jensine sah, war ihm schon ein wenig sonderbar
zumut geworden, und nun will Eleseus das Ödland vollständig verlassen,
sozusagen diese Welt verlassen. -- Was willst du mit Storborg anfangen?
fragt er. -- Andresen kann es haben, antwortet Eleseus. -- Andresen
kann es haben, wieso denn? -- Bekommt er denn nicht Leopoldine? -- Das
weiß ich nicht. Doch das kann wohl sein.

Sie reden und reden immer leise weiter. Sivert meinte, es wäre am
besten, wenn der Vater selbst herauskäme, so daß Eleseus mit ihm reden
könnte; aber nein, nein! flüstert Eleseus zurück. Nein, das könne
er nicht; er hat es noch nie vermocht, Gefahren von solcher Art ins
Angesicht zu schauen, er hat stets einen Vermittler nötig gehabt.
Sivert sagt: Du weißt ja, wie die Mutter ist. Mit ihr kommst du nicht
weiter vor lauter Tränen und Zuständen, sie darf es nicht wissen. --
Nein, sagt auch Eleseus, sie darf es nicht wissen.

Sivert geht ins Haus, er bleibt eine Ewigkeit weg und kommt mit Geld
zurück, mit viel Geld. Da sieh her, das ist alles, was er hat; meinst
du, es sei genug? Zähl nach, er hat das Geld nicht gezählt. -- Was
hat der Vater gesagt? -- Er hat nicht viel gesagt. Jetzt mußt du noch
einen Augenblick warten, ich zieh nur noch etwas an und komme mit dir.
-- Das darfst du nicht, du mußt schlafen gehen. -- So? Fürchtest du
dich vielleicht, wenn du in der Dunkelheit eine Weile allein im Stall
bleiben sollst? fragt Sivert mit einem schwachen Versuch zu scherzen.

Er bleibt nur einen Augenblick weg, kommt fertig angezogen zurück
und bringt auch des Vaters Rucksack mit dem Mundvorrat mit. Wie sie
hinausgehen, steht plötzlich der Vater vor ihnen: Was höre ich, du
willst so weit fort? sagt er. -- Ja, erwiderte Eleseus, aber ich komme
wieder. -- Ach, ich steh nur da und halte dich auf, murmelt der Alte
und kehrt um. Glückliche Reise! ruft er noch mit sonderbar heiserer
Stimme zurück und geht rasch seines Weges.

Die Brüder wandern zusammen den Weg hinunter, und nach einer Weile
setzen sie sich und essen. Eleseus ist hungrig, er kann kaum gesättigt
werden. Es ist die herrlichste Frühlingsnacht, auf allen Hügeln balzen
die Auerhähne, und dieser heimische Laut macht den Auswanderer einen
Augenblick verzagt. Es ist schönes Wetter, sagt er. Aber jetzt mußt du
umdrehen, Sivert. -- So, sagt Sivert und geht weiter. -- Sie kommen
an Storborg vorbei, an Breidablick vorbei, die Auerhähne balzen auf
dem ganzen Weg auf dem und jenem Hügel; es ist keine Hornmusik wie in
den Städten, nein, aber es sind Stimmen, das öffentliche Aufgebot, das
den Frühling verkündigt. Plötzlich hören sie den ersten Singvogel vom
Gipfel eines Baumes, er weckt auch andere, sie fragen und antworten von
allen Seiten, das ist mehr als ein Gesang, das ist ein Lobgesang. Der
Auswanderer fühlt etwas Heimweh in sich aufsteigen, etwas Hilfloses, er
soll nach Amerika, niemand ist dazu so reif wie er. -- Aber jetzt mußt
du umkehren, Sivert, sagt er. -- Ja, erwiderte der Bruder, da du es
durchaus willst.

Sie setzen sich am Waldrand nieder und sehen das Dorf vor sich liegen,
den Kaufladen, den Landungsplatz, Bredes Herberge. Beim Postschiff
laufen einige Leute hin und her und machen sich zur Abreise fertig.

Ich habe keine Zeit mehr, noch länger hier sitzenzubleiben, sagt
Eleseus und steht wieder auf. -- Es ist recht schade, daß du so weit
fortgehst, sagt Sivert. -- Eleseus erwidert: Aber ich komme wieder. Und
dann reise ich nicht bloß mit einem Wachstuchkoffer.

Als sie einander Lebewohl sagen, steckt Sivert dem Bruder ein kleines
Ding zu, etwas, das in Papier gewickelt ist. -- Was ist das? fragt
Eleseus. -- Sivert entgegnet: Schreib auch fleißig! dann geht er.

Eleseus macht das Papier auf und sieht nach: es ist das Goldstück, die
zwanzig Kronen in Gold. -- Nein, das sollst du mir nicht geben! ruft
er dem Bruder nach. -- Aber Sivert geht weiter.

Er geht eine Weile, dann dreht er um und setzt sich wieder am Waldrand
nieder. Um das Postschiff her wird es immer lebhafter, er sieht, wie
die Leute an Bord gehen, auch sein Bruder geht an Bord, und das Schiff
fährt ab. Da reist Eleseus nach Amerika.

Er kam niemals wieder.



12


Ein merkwürdiger Zug kommt nach Sellanraa herauf, vielleicht als Zug
ein bißchen lächerlich, aber doch nicht nur lächerlich: es sind drei
Männer mit ungeheuren Lasten auf dem Rücken, mit Säcken, die ihnen
über die Brust und den Rücken herunterhängen. Sie gehen im Gänsemarsch
und rufen einander Scherzworte zu, aber sie haben schwer zu tragen.
Der kleine Ladendiener Andresen geht als erster im Zug, übrigens ist
es auch sein Zug; er hat sich selbst, Sivert von Sellanraa und einen
dritten, Fredrik Ström von Breidablick, zu diesem Zug ausgerüstet. Ein
verfluchter kleiner Kerl, dieser Ladendiener Andresen; seine Schultern
sind fast bis zur Erde gebeugt, und seine Jacke ist ihm vom Hals
heruntergezerrt, aber er schleppt, er schleppt seine Last.

Er hat nicht einfach Storborg und den Kaufladen gekauft, dazu hat er
kein Geld, lieber wartet er eine Weile und bekommt dann vielleicht
alles umsonst. Andresen ist kein unbrauchbarer Mensch, er hat
einstweilen Storborg gepachtet und betreibt den Handel weiter.

Er hat den ganzen Warenvorrat durchgesehen und da eine Menge
unverkäuflicher Sachen vorgefunden, von Zahnbürsten an bis zu
gestickten Tischläufern, ja, bis zu kleinen Vögeln auf Drähten, die
„piep” sagten, wenn man sie an der richtigen Stelle klemmte.

Mit all diesen Waren ist er jetzt auf die Wanderschaft gezogen, er will
sie an die Grubenarbeiter jenseits des Berges verkaufen. Er hat von
Aronsens Tagen her Erfahrung darin, daß Grubenarbeiter mit Geld in der
Hand alles in der Welt kaufen. Jetzt ärgert er sich nur darüber, daß er
sechs Schaukelpferde, die Eleseus auf seiner letzten Reise nach Bergen
eingekauft hatte, zurücklassen mußte.

Die Karawane kommt in den Hofraum von Sellanraa herein, und die Männer
legen ihre Lasten ab. Sie ruhen nicht lange; nachdem sie Milch zu
trinken bekommen und zum Spaß ihre Waren allen Leuten auf dem Hof
angeboten haben, nehmen sie ihre Lasten wieder auf und gehen weiter.
Sie sind nicht bloß zum Scherz ausgezogen. In südlicher Richtung durch
den Wald schwanken sie mit ihrer Last weiter.

Sie gehen bis zur Mittagszeit, essen zu Mittag und wandern dann weiter,
bis es Abend wird. Dann machen sie ein Feuer an, lagern sich und
schlafen eine Weile. Sivert schläft sitzend auf einem Stein, den er
seinen Polsterstuhl nennt. Ja, Sivert versteht sich auf das Leben im
Ödland, die Sonne hat den ganzen Tag auf den Stein gebrannt, und es
ist gut darauf zu sitzen und zu schlafen. Seine Kameraden sind nicht
so erfahren und nehmen auch keinen guten Rat an, sie legen sich ins
Heidekraut und wachen frierend und niesend auf. Dann frühstücken sie
und gehen weiter.

Jetzt fangen sie an, die Ohren zu spitzen, ob sie keine Schüsse hören,
und sie hoffen, im Laufe des Tages auf Leute zu stoßen und an die
Gruben zu kommen. Die Arbeit kann inzwischen wohl von der See her weit
in der Richtung auf Sellanraa zu vorgerückt sein. Sie hören keinen
Schuß. Sie gehen bis zur Mittagszeit und begegnen keinem Menschen, aber
sie kommen von Zeit zu Zeit an großen Löchern in der Erde vorbei, die
die Leute zur Probe gegraben haben. Wie hängt das zusammen? Es muß
wohl so sein, daß das Erz auf dieser Seite des Berges ganz überaus
reich ist; es wird also im reinen, schweren Kupfer gearbeitet, und die
Arbeiter rücken von der See her kaum vor.

Nachmittags stoßen sie auf noch mehr Gruben, aber immer noch keine
Menschen; sie gehen weiter bis zum Abend und erblicken schon das Meer
unter sich, sie wandern durch ein Ödland von verlassenen Gruben und
vernehmen keinen einzigen Schuß. Das ist doch gar zu merkwürdig, aber
sie müssen noch einmal ein Feuer machen und sich wieder für die Nacht
lagern. Sie beraten: Ist die Arbeit hier zu Ende? Sollen sie mit ihren
Lasten wieder umkehren? Kein Gedanke! sagt der Ladendiener Andresen.

Am nächsten Morgen kommt ein Mann an ihr Lager, ein blasser und
vergrämter Mann, der die Brauen runzelt, die Leute betrachtet, sie
mustert. Bist du das, Andresen? fragt er. Es ist Aronsen, der Kaufmann
Aronsen; er hat nichts dagegen, von der Karawane Kaffee und etwas zu
essen zu bekommen, und läßt sich bei den Männern nieder. Ich hab'
euern Rauch gesehen und wollte ergründen, was das sei, erklärt er. Ich
dachte: du wirst sehen, sie nehmen Vernunft an und beginnen wieder mit
der Arbeit! Und nun seid nur ihr es! Wo wollt ihr hin? -- Wir wollen
hierher. -- Was habt ihr in euren Säcken? -- Waren! -- Waren? schreit
Aronsen. Wollt ihr hier Waren verkaufen? Hier wohnt niemand. Sie sind
am Samstag abgezogen. -- Wer ist abgezogen? -- Alle miteinander. Hier
ist alles leer und verlassen. Und außerdem hab' ich Waren genug; den
ganzen Laden voll. Ihr könnt bei mir kaufen.

Ach, nun ist der Kaufmann Aronsen wieder übel daran, mit dem
Grubenbetrieb ist es zu Ende!

Sie beruhigen ihn mit noch etwas mehr Kaffee und fragen ihn dann aus.

Aronsen schüttelt ganz zerschmettert den Kopf: Es ist nicht zu sagen,
es ist ganz unbegreiflich! sagt er. Alles war sehr gut gegangen, er
hatte Waren verkauft und viel Geld eingenommen, das ganze Kirchspiel
rund umher blühte und konnte sich weiße Grütze, ein neues Schulhaus
und Lampen mit Prismen dran und städtisches Schuhwerk leisten. Da
fanden die Herren plötzlich, daß es sich nicht mehr lohne, und sie
machten Schluß. Lohnte es sich wirklich nicht mehr? Es hatte sich doch
seither gelohnt, nicht wahr? Kam denn nicht das Kupfererz bei jeder
Sprengung zutage? Das war einfach Betrug. Und sie bedenken nicht, daß
sie damit einen Mann wie mich in die größten Ungelegenheiten bringen,
sagte Aronsen. Aber es ist wohl so, wie behauptet wird, daß der Geißler
wieder an allem schuld ist. Er ist genau in dem Augenblick gekommen,
als die Arbeit stillgelegt wurde; es ist gerade, als ob er es gerochen
hätte!

Ist Geißler hier?

Ob er hier ist! Er gehört erschossen! Er kam eines Tages mit dem
Postschiff an und fragte den Ingenieur: Nun, wie geht's? -- Gut, soviel
ich weiß, antwortet der Ingenieur. Aber der Geißler fragte nun noch
einmal: So, es geht also gut? -- Ja, könnte nicht besser gehen, soviel
ich weiß! erwiderte der Ingenieur. Na, ich danke! Als die Post geöffnet
wurde, war ein Brief und ein Telegramm an den Ingenieur dabei, daß sich
die Arbeit nicht mehr lohne, er solle Schluß machen.

Die Teilnehmer der Karawane schauen einander an; aber der Führer, der
schlaue Kerl Andresen, hat den Mut augenscheinlich noch nicht verloren.
-- Kehrt nur wieder um! rät Aronsen. -- Das tun wir nicht, sagt
Andresen und packt den Kaffeekessel ein. -- Aronsen starrt alle drei
einen nach dem andern an. Ihr seid verrückt! sagt er.

Seht, der Ladendiener Andresen kümmert sich nicht sehr um seinen
früheren Herrn, jetzt ist er selbst Herr, er hat diesen Zug in ferne
Gaue ausgerüstet, er würde an Ansehen einbüßen, wenn er hier auf dem
Berge umkehrte. -- Aber wo wollt ihr denn hin? fragt Aronsen erbittert.
-- Das weiß ich nicht, sagt Andresen. Aber er hat doch wohl seine
Absicht, er denkt vielleicht an die Eingeborenen: daß er hier drei Mann
stark mit Glasperlen und Fingerringen herkommt. -- Kommt, wir wollen
gehen! sagt er zu seinen Kameraden.

Nun hatte sich Aronsen eigentlich diesen Morgen länger draußen
aufhalten wollen; da er einmal unterwegs war, wollte er vielleicht
nachsehen, ob wirklich alle Gruben verlassen seien, ob es wahr sei, daß
alle Menschen fort waren. Aber da diese Hausierer so eigensinnig sind
und weiter wollen, wird er eigentlich an seinem Vorhaben gehindert,
er muß ihnen immer und immer wieder von ihrem Weitermarsch abreden.
Aronsen ist rasend, er geht vor der Karawane her den Berg hinunter,
er dreht sich immer im Kreise und schreit ihnen zu, hält sie auf, er
verteidigt sein Gebiet. So kommen sie zu der Barackenstadt hinunter.

Da sieht es leer und trostlos aus. Die wichtigsten Geräte und Maschinen
sind unter Dach gebracht, aber Balken, Bretter, zerbrochene Wagen,
Kisten und Fässer liegen überall umher. An einigen Häusern prangt ein
Plakat, das den Zutritt verbietet.

Da seht ihr! ruft Aronsen. Nirgends ein Mensch! Wo wollt ihr denn hin?
Und er droht der Karawane mit großem Unheil und mit dem Lensmann; er
selbst wolle sie Schritt für Schritt begleiten und zusehen, ob sie
nicht ungesetzliche Waren verkauften. Darauf stehe Zuchthaus und die
Galeeren, bom konstant.

Plötzlich wird Sivert von jemand angerufen. Die Stadt ist also doch
nicht völlig verlassen, nicht ganz ausgestorben. Ein Mann an einer
Hausecke winkt ihnen. Sivert schwankt mit seiner Last auf ihn zu und
erkennt sofort, wer es ist: Es ist Geißler.

Ein merkwürdiges Zusammentreffen! sagt Geißler. Er hat ein blühend
rosiges Gesicht, aber seine Augen scheinen in der hellen Frühlingssonne
Schaden gelitten zu haben, denn er trägt einen grauen Zwicker. Er
spricht lebhaft wie immer. Ein glückliches Zusammentreffen! sagt
er. Das spart mir den Weg nach Sellanraa, ich habe so viel zu
besorgen. Wie viele Ansiedlungen sind jetzt dort auf der Allmende? --
Zehn. -- Zehn Ansiedlungen? Das gefällt mir, da bin ich zufrieden.
Zweiunddreißigtausend solche Männer wie dein Vater sollten im Lande
sein, ich hab' es ausgerechnet! sagt er und nickt dazu.

Kommst du, Sivert? ruft die Karawane. -- Geißler horcht auf und
antwortet rasch: Nein! -- Ich komme nach! ruft Sivert und legt seine
Last ab.

Die beiden setzen sich und reden zusammen; über Geißler ist der Geist
gekommen, und er schweigt nur, sooft Sivert eine kurze Antwort gibt,
dann legt er wieder los: Ein ganz einzigartiges Zusammentreffen! Ich
komme gar nicht davon weg! Meine ganze Reise ist so ausgezeichnet
verlaufen, und nun treffe ich dich auch noch hier und kann mir
den Umweg über Sellanraa sparen! Wie geht's zu Hause? -- Dank
der Nachfrage. -- Habt ihr schon den Heuboden auf dem steinernen
Stallgebäude aufgeschlagen? -- Ja. -- Ja, ich bin sehr überlastet, die
Geschäfte wachsen mir allmählich über den Kopf. Sieh dir doch einmal
an, wo wir jetzt sitzen, lieber Sivert! Auf der Ruine einer Stadt. Die
haben nun die Menschen ihrem eigenen Vorteil gerade entgegen aufgebaut.
Eigentlich bin ich die Ursache von dem allem, das heißt, ich bin einer
der Vermittler in einem kleinen Komödienspiel des Schicksals. Es hat
damit angefangen, daß dein Vater im Gebirge einige Steine fand und
dich damit spielen ließ, als du noch ein Kind warst. Damit hat es
angefangen. Ich wußte es ganz genau, daß diese Steine nur den Wert
hatten, den die Menschen ihnen beilegten; gut, ich setzte einen Preis
dafür fest und kaufte sie. Von da an gingen die Steine von Hand zu Hand
und plünderten die Leute aus. Die Zeit verging. Vor einigen Tagen bin
ich hier heraufgekommen, und weißt du, was ich hier will? Die Steine
wieder zurückkaufen!

Geißler schweigt und schaut Sivert an. Dabei fällt ihm auch der große
Sack in die Augen, und er fragt plötzlich: Was hast du da? -- Waren
antwortet Sivert. Wir wollen damit hinunter ins Kirchspiel.

Geißler bezeigt keine besondere Teilnahme für diese Antwort, er hat sie
vielleicht gar nicht gehört, er fährt fort: Ich will also die Steine
zurückkaufen. Das letztemal ließ ich meinen Sohn verkaufen, der ist ein
junger Mann deines Alters und weiter nichts. Er ist der Blitz in der
Familie, ich bin der Nebel. Ich gehöre zu denen, die das Rechte wissen,
aber es nicht tun. Er ist der Blitz, zurzeit hat er sich in den Dienst
der Industrie gestellt. Er hat das letztemal in meinem Namen verkauft.
Ich bin etwas, aber er ist nichts; er ist nur der Blitz, der rasche
Mann der Gegenwart. Aber der Blitz als solcher ist unfruchtbar. Nehmen
wir einmal euch Leute auf Sellanraa. Ihr seht alle Tage blaue Berge
vor euch; das sind keine erfundenen Dinge, das sind alte Berge, die
stehen da seit alter grauer Vorzeit, aber sie sind eure Kameraden. So
geht ihr zusammen mit Himmel und Erde, seid eins mit ihnen, seid eins
mit dieser Weite und seid bodenständig. Ihr braucht kein Schwert in der
Faust, ihr geht unbewehrten Hauptes und mit unbewehrter Faust durchs
Leben, umgeben von großer Freundlichkeit. Sieh, da ist die Natur, sie
gehört dir und den Deinen. Der Mensch und die Natur bekämpfen einander
nicht, sie geben einander recht, sie treten nicht in Wettbewerb, laufen
nicht um die Wette irgendeinem Vorteil nach, sie gehen Hand in Hand.
Mittendrin geht ihr Leute auf Sellanraa und gedeiht. Die Berge, der
Wald, die Moore, die Matten, der Himmel und die Sterne -- ach, das
alles ist nicht armselig und karg zugemessen, das ist ohne alles Maß!
Hör auf mich, Sivert, sei zufrieden mit deinem Los! Ihr habt alles,
was ihr zum Leben braucht, alles, wofür ihr lebt; ihr werdet geboren
und erzeugt neue Geschlechter, ihr seid notwendig auf der Erde. Das
sind nicht alle, aber ihr seid es: notwendig auf der Erde. Ihr erhaltet
das Leben. Bei euch folgt ein Geschlecht dem andern, wenn das eine
stirbt, tritt das nächste an seine Stelle. Das eben ist unter dem
ewigen Leben zu verstehen. Und was habt ihr dafür? Ein Dasein in Recht
und Gerechtigkeit, ein Dasein in wahrer und aufrichtiger Stellung zu
allem. Was habt ihr weiter dafür? Nichts unterjocht und beherrscht
euch Leute von Sellanraa, ihr habt Ruhe und Macht und Gewalt, ihr seid
umschlossen von der großen Freundlichkeit. Das habt ihr dafür. Ihr
liegt an einem warmen Busen und spielt mit einer weichen Mutterhand
und trinkt euch satt. Ich denke an deinen Vater, er ist einer von den
zweiunddreißigtausend. Was ist so mancher andere? Ich bin etwas, ich
bin der Nebel, ich bin hier und ich bin dort, ich woge hin und her,
zuweilen bin ich der Regen auf einer dürren Stätte. Aber die anderen?
Mein Sohn ist der Blitz, der eigentlich nichts ist, ein nutzloses
Aufleuchten, er kann Handel treiben. Mein Sohn ist der Typus des
Menschen unserer Zeit, er glaubt aufrichtig an das, was die Zeit ihn
gelehrt hat, was der Jude und der Yankee ihn gelehrt haben; ich jedoch
schüttle den Kopf dazu. Aber ich bin nichts Geheimnisvolles, nur in
meiner eigenen Familie bin ich der Nebel, da sitze ich und schüttle den
Kopf. Die Sache ist die, mir fehlt die Gabe zu einem reuelosen Handeln.
Hätte ich diese Gabe, dann könnte ich selbst der Blitz sein. So bin ich
der Nebel.

Plötzlich kommt Geißler gleichsam wieder zu sich und fragt: Habt ihr
den Heuboden auf eurem steinernen Stallgebäude aufgeschlagen? -- Ja.
Und der Vater hat auch noch ein Wohnhaus gebaut. -- Noch ein Wohnhaus?
-- Ja, für den Fall, daß jemand kommt, sagt er, für den Fall, daß der
Geißler kommt, sagt er. -- Geißler denkt darüber nach und erklärt: Dann
muß ich gewiß kommen. Doch, dann komm ich, sag das deinem Vater. Aber
ich habe so viele Geschäfte. Jetzt bin ich hier heraufgekommen und habe
zu dem Ingenieur gesagt: Grüßen Sie die Herren in Schweden und sagen
Sie, ich sei Käufer. Und nun müssen wir sehen, was daraus wird. Mir
ist es einerlei, ich habe keine Eile. Du hättest den Ingenieur sehen
sollen! Er hat hier den Betrieb im Gang gehalten mit Menschen und
Pferden und Geld und Maschinen und allem Zeug, er glaubte das Rechte
zu tun, er wußte es nicht anders. Er meint, je mehr Steine er zu Geld
mache, desto besser sei es und er tue etwas Verdienstvolles damit, daß
er dem Kirchspiel, daß er dem Lande Geld verschafft, es rast mit ihm
immer mehr dem Untergang entgegen, und er merkt es nicht. Nicht Geld
braucht das Land, das Land hat Geld mehr als genug. Solche Männer, wie
dein Vater einer ist, davon hat es nicht genug. Wenn man bedenkt, daß
sie das Mittel zum Zweck machen und stolz darauf sind! Sie sind krank
und verrückt, sie arbeiten nicht, sie kennen den Pflug nicht, sie
kennen nur den Würfel. Haben sie denn keine Verdienste? sie reiben sich
ja auf mit ihrer Narretei. Sieh sie an, setzen sie denn nicht ihr alles
ein? Der Fehler dabei ist nur, daß dieses Spiel nicht Übermut ist,
nicht einmal Mut, es ist Schrecken. Weißt du, was Glücksspiel ist? Es
ist Angst, die einem den Schweiß auf die Stirne treibt, das ist es. Der
Fehler ist, daß sie nicht im Takt mit dem Leben schreiten wollen, sie
wollen rascher gehen als das Leben, sie jagen, sie treiben sich selbst
wie Keile ins Leben hinein. Aber dann sagen ja ihre Flanken -- halt,
es knackt, such einen Ausweg, halt inne, die Flanken! Dann zerbricht
sie das Leben, höflich, aber bestimmt. Und dann beginnen die Klagen
über das Leben, das Toben gegen das Leben. Jeder nach seinem Gefallen,
einige haben wohl Grund zur Klage, andere nicht, aber niemand sollte
gegen das Leben toben. Man sollte das Leben nicht hart und streng
und gerecht beurteilen, man sollte barmherzig gegen es sein und es
verteidigen: bedenke doch, mit welchen Mitspielern das Leben sein Spiel
spielen muß!

Geißler kommt wieder zu sich und sagt: Wir wollen das auf sich
beruhen lassen. Er ist augenscheinlich müde, er gähnt. Willst du
hinunter? fragt er. -- Ja. -- Das eilt nicht. Du bist mir noch einen
weiten Gang über die Berge schuldig, lieber Sivert, weißt du noch?
Ich erinnere mich noch an alles und jedes. Ich erinnere mich noch,
wie ich anderthalb Jahre alt war: da stand ich schwankend auf der
Scheunenbrücke auf dem Hof Garmo in Lom und roch einen bestimmten
Geruch. Diesen Geruch kenne ich immer noch. Aber wir wollen auch das
auf sich beruhen lassen. Wir hätten jetzt den Gang über die Berge
machen können, wenn du nicht den Sack da tragen müßtest. Was hast du in
dem Sack? -- Waren. Andresen will sie verkaufen. -- Ich bin also ein
Mann, der das Richtige weiß, aber es nicht tut, sagt Geißler. Das ist
buchstäblich zu verstehen. Ich bin der Nebel. An einem der nächsten
Tage kaufe ich vielleicht den Berg wieder, das ist gar nicht unmöglich.
Aber in diesem Falle stelle ich mich nicht hin, schaue in die Luft
und sage: Luftbahn, Südamerika! Das ist etwas für Glücksspieler. Die
Leute hier meinen, ich sei der leibhaftige Teufel, weil ich wußte, daß
es hier einen Krach geben werde. Aber es ist nichts Geheimnisvolles
an mir, die ganze Sache ist sehr einfach: die neuen Kupferlager in
Montana. Die Yankees sind schlauere Spieler als wir, die schlagen uns
mit ihrem Wettbewerb in Südamerika tot. Unser Erz ist zu arm. Mein
Sohn ist der Blitz, er hörte ein Vögelchen davon singen, da bin ich
hergeschwommen. So einfach ist es. Ich war nur den Herren in Schweden
ein paar Stunden voraus, das ist alles.

Geißler gähnt wieder, steht auf und sagt: Wenn du hinunter willst, so
wollen wir jetzt gehen.

Sie gehen miteinander den Berg hinunter, Geißler stapft hinterdrein und
ist schlapp und müde. Die Karawane hat am Landungsplatz haltgemacht,
der muntere Fredrik Ström ist dabei, Aronsen steigen zu lassen. Ich
habe keinen Tabak mehr, habt ihr Tabak? -- Ich werde dir Tabak geben!
ruft Aronsen. -- Fredrik lacht und tröstet ihn: Nehmt es doch nicht
so schwer, Aronsen! Wir wollen jetzt nur diese Waren vor Euren Augen
verkaufen, dann gehen wir wieder heim. -- Halt deinen ungewaschenen
Mund! ruft Aronsen erbost. -- Hahaha, nein, Ihr sollt nicht so
aufgeregt umherlaufen, Ihr sollt wie eine ruhige Landschaft sein!

Geißler ist müde, sehr müde, nicht einmal der graue Zwicker hilft
mehr, die Augen wollen ihm in dem hellen Frühlingsschein zufallen. Leb
wohl, lieber Sivert! sagt er plötzlich. Nein, ich kann diesmal doch
nicht nach Sellanraa kommen, sag das deinem Vater. Ich habe so viel zu
besorgen. Aber sag ihm, daß ich später einmal komme. --

Aronsen spuckt hinter ihm aus und sagt noch einmal: Er gehört
totgeschossen!

In drei Tagen verkauft die Karawane ihre Säcke leer und bekommt gute
Preise. Es wurde ein glänzendes Geschäft. Die Leute des Kirchspiels
hatten noch herrlich viel Geld trotz des Krachs und waren in
bester Übung, es auszugeben; sie brauchten diese Vögel auf Draht
notwendig, sie stellten sie auf ihre Kommoden und kauften auch schöne
Papiermesser, um ihre Kalender damit aufzuschneiden. Aronsen tobte:
Als ob ich nicht geradeso schöne Sachen in meinem Laden hätte!

Der Kaufmann Aronsen war in großer Not, er wollte ja dabeisein und
diese Hausierer bewachen, aber die trennten sich, und jeder ging
allein seines Wegs, und er hätte sich in Stücke reißen müssen, um
allen dreien nachzulaufen. So gab er zuerst Fredrik Ström auf, der das
ungewaschenste Mundwerk hatte, dann Sivert, der ihm niemals auch nur
ein einziges Wort erwiderte, sondern nur immer verkaufte. Aronsen zog
vor, seinem alten Ladendiener Andresen nachzulaufen und in den Häusern
gegen ihn zu arbeiten. Oh, aber der Ladendiener Andresen kannte ja
seinen alten Herrn und dessen Unwissenheit in Beziehung aufs Geschäft
und auf verbotene Waren. So, englischer Faden ist nicht verboten?
fragte Aronsen und stellte sich kundig. -- Doch, erwiderte Andresen.
Ich habe aber auch keine einzige Fadenrolle hier. Die kann ich im
Ödland auch verkaufen. Ich habe keine einzige Fadenrolle, da seht
selbst! -- Das ist schon möglich. Aber du siehst, ich weiß auch, was
verboten ist, da machst du mir nichts weis.

Einen Tag lang hielt es Aronsen aus, dann gab er auch Andresen auf und
ging heim. Die Hausierer hatten jetzt keine Aufsicht mehr.

Und von nun an ging alles ausgezeichnet. In jenen Tagen trugen die
Frauen falsche Haarzöpfe, und der Ladendiener Andresen war ein Meister
darin, solche Zöpfe zu verkaufen, ja, im Notfall verkaufte er helle
Zöpfe an schwarzhaarige Mädchen und bedauerte nur, daß er nicht noch
hellere Zöpfe habe, oder graue, die die teuersten seien. Jeden Abend
kamen die drei jungen Männer an einem vorher bestimmten Platz zusammen
und erstatteten Bericht und halfen einander mit nicht ausverkauften
Sachen aus, und Andresen setzte sich dann gerne mit einer Feile in der
Hand hin und feilte eine deutsche Fabrikmarke auf einer Jagdflinte aus
oder entfernte den Namen Faber von den Bleistiften. Andresen war und
blieb ein Teufelskerl.

Sivert dagegen war eine Enttäuschung. Nicht als ob er faul gewesen wäre
und keine Waren abgesetzt hätte, er setzte sogar die meisten ab. Aber
er bekam zuwenig Geld dafür. Du sprichst nicht genug, erklärte Andresen.

Nein, Sivert hielt keine langen Reden, er war ein Ödlandbauer, war
wortkarg und gelassen. Was war da lange zu schwatzen? Außerdem wollte
Sivert bis zum Sonntag fertig sein und wieder nach Hause gehen,
es gab gar viel Arbeit auf dem Ödland. -- Die Jensine zieht ihn,
behauptete Fredrik Ström. -- Derselbe Fredrik hatte übrigens selbst
die Frühjahrsbestellung zu besorgen und wenig Zeit zu verlieren, aber
trotzdem mußte er am letzten Tag noch zu Aronsen gehen und eine Weile
mit ihm streiten. Ich will ihm die leeren Säcke verkaufen, sagte er.

Andresen und Sivert gingen wieder hinaus und warteten auf ihn. Sie
hörten den herrlichsten Wortwechsel aus dem Kaufladen herausdringen und
ab und zu auch Fredriks Gelächter. Dann machte Aronsen seine Ladentür
auf und wies den Gast hinaus. Oh, aber Fredrik kam nicht, nein, er ließ
sich Zeit und redete in einem fort; das letzte, was sie hörten, war,
daß er den Versuch machte, die Schaukelpferde an Aronsen zu verhandeln.

Dann zog die Karawane heimwärts, drei junge Männer voll Jugendlust
und Gesundheit. Sie sangen, während sie dahinschritten, schliefen
eine Weile im Gebirge und wanderten dann weiter. Als sie am Montag
in Sellanraa ankamen, hatte Isak mit dem Säen begonnen. Es war das
richtige Wetter dazu: feuchte Luft, dann und wann drang die Sonne
durch, und ein ungeheurer Regenbogen spannte sich über den Himmel hin.

Die Karawane löste sich auf: Leb wohl, leb wohl! ...

Dort schreitet Isak übers Feld und sät, er ist ein Mühlengeist von
Gestalt, ein Klotz. Er trägt hausgewebte Kleider, die Wolle stammt von
seinen eigenen Schafen, die Stiefel stammen von seinen eigenen Kälbern
und Kühen. Er geht nach frommer Sitte barhaupt, während er sät; auf dem
Wirbel ist er kahl, sonst aber überaus haarig, ein ganzer Kranz von
Haar und Bart steht um seinen Kopf. Das ist Isak der Markgraf.

Er wußte selten das genaue Datum, wozu hätte er es wissen sollen? Er
hatte keine Papiere einzulösen. Die Kreuze im Kalender zeigten an,
wann jede Kuh kalben sollte. Aber er wußte, daß bis zum Sankt-Olafstag
im Herbst alles Heu hereingebracht sein mußte, und er wußte, wann im
Frühjahr der Viehmarkt war und daß drei Wochen danach der Bär aus
seiner Höhle ging. Da mußte die Saat in der Erde sein. Das Notwendige
wußte er.

Er ist Ödlandbauer bis in die Knochen und Landwirt vom Scheitel bis
zur Sohle. Ein Wiedererstandener aus der Vorzeit, der in die Zukunft
hinausdeutet, ein Mann aus der Zeit des Ackerbaus, ein Landnamsmann,
neunhundert Jahre alt und doch auch wieder der Mann des Tages.

Nein, er hatte nichts mehr übrig von dem Geld für den Kupferberg, das
war in alle Winde verflogen. Und wer hatte jetzt noch etwas davon, da
der Berg wieder verlassen war? Aber die Allmende liegt da und trägt
zehn Neusiedlungen und wartet auf weitere Hunderte.

Wächst und gedeiht hier nichts? Hier wächst und gedeiht alles, Menschen
und Tiere und die Früchte des Feldes. Isak sät. Die Abendsonne
bescheint das Korn, er streut es im Bogen aus seiner Hand, und wie ein
Goldregen sinkt es auf die Erde. Da kommt Sivert und eggt, nachher
walzt er, dann eggt er wieder. Der Wald und die Berge stehen da und
schauen zu, alles ist Macht und Hoheit, hier ist ein Zusammenhang und
ein Ziel.

Klingeling! sagen die Kuhglocken auf den Halden, sie kommen näher
und näher, das Vieh zieht seinem Stalle zu. Es sind fünfzehn Kühe
und fünfundvierzig Stück Kleinvieh, im ganzen sechzig Stück Vieh. Da
gehen die Frauen mit ihren Melkkübeln dem Sommerstall zu, sie tragen
sie am Joch über den Schultern, es ist Leopoldine, Jensine und die
kleine Rebekka. Alle drei gehen barfuß. Die Markgräfin, Inger selbst,
ist nicht mit dabei, sie ist im Haus, sie kocht das Abendessen; hoch
und stattlich schreitet sie durch ihr Haus, eine Vestalin, die das
Feuer in einem Kochherd unterhält. Nun, Inger ist auf das weite Meer
hinausgesegelt, sie ist in der Stadt gewesen, jetzt ist sie wieder
daheim. Die Welt ist weit, es wimmelt auf ihr von Punkten, Inger hat
mitgewimmelt. Sie war beinahe ein Nichts unter den Menschen, nur ein
einzelner unter ihnen.

Und nun wird es Abend.



[Illustration]


Dieses Werk ist eine Veröffentlichung der

      Deutschen Buch-Gemeinschaft

  Wien      Berlin SW 68      New York

      Alte Jakobstraße 156/157

  Guten und doch billigen Büchern in vorbildlicher Formgebung
  und bester Ausstattung den Weg in alle Schichten
  unseres Volkes zu bahnen, ist die Aufgabe der Deutschen
  Buch-Gemeinschaft. Sie erreicht dies durch Herstellung und
  Vertrieb in eigenem Wirkungsbereich.

  Jedermann wird durch Beitritt zur Deutschen Buch-Gemeinschaft
  die vorteilhafteste Gelegenheit gegeben, sich unter neuen
  Bezugsformen eine eigene und wertvolle Hausbibliothek
  anzuschaffen.

Ausführliche, reich illustrierte Werbeschrift wird auf Wunsch kostenlos
zugesandt.


  Druck von
  A. Seydel & Cie. Aktiengesellschaft,
  Berlin ~SW~ 61



  +----------------------------------------------------------------+
  | Anmerkungen zur Transkription                                  |
  |                                                                |
  | Inkonsistenzen wurden beibehalten, wenn beide Schreibweisen    |
  | gebräuchlich waren, wie:                                       |
  |                                                                |
  | anderen -- andern                                              |
  | daheimbleiben -- daheim bleiben                                |
  | Felsenspalte -- Felsspalte                                     |
  | Kindesleiche -- Kindsleiche                                    |
  | Lensmannes -- Lensmanns                                        |
  | Mühlengeist -- Mühlgeist                                       |
  | sollest -- sollst                                              |
  | unserem -- unserm                                              |
  |                                                                |
  | Interpunktion wurde ohne Erwähnung korrigiert.                 |
  | Im Text wurden folgende Änderungen vorgenommen:                |
  |                                                                |
  | S. 29 »halbangekleidet« in »halb angekleidet« geändert.        |
  | S. 48 »wie wie du selbst« in »wie du selbst« geändert.         |
  | S. 152 »Aband« in »Abend« geändert.                            |
  | S. 168 »Gebirgsee« in »Gebirgssee« geändert.                   |
  | S. 170 »bei sei« in »bei sich« geändert.                       |
  | S. 197 »Handwerkzeug« in »Handwerkszeug« geändert.             |
  | S. 205 »Gofolgschaft« in »Gefolgschaft« geändert.              |
  | S. 236 »mit mit Eleseus« in »mit Eleseus« geändert.            |
  | S. 281 »bemerkstelligen« in »bewerkstelligen« geändert.        |
  | S. 338 »Inge« in »Inger« geändert.                             |
  | S. 339 »Tausendsasa« in »Tausendsassa« geändert.               |
  | S. 366 »Jetzt aben« in »Jetzt aber« geändert.                  |
  | S. 407 »Tröpfen Kaffee« in »Tröpfchen Kaffee« geändert.        |
  | S. 418 »keinen Öre« in »keine Öre« geändert.                   |
  | S. 439 »Aronson« in »Aronsen« geändert.                        |
  +----------------------------------------------------------------+



*** End of this LibraryBlog Digital Book "Segen der Erde" ***

Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.



Home