Home
  By Author [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Title [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Language
all Classics books content using ISYS

Download this book: [ ASCII ]

Look for this book on Amazon


We have new books nearly every day.
If you would like a news letter once a week or once a month
fill out this form and we will give you a summary of the books for that week or month by email.

Title: Die Sitten der Völker, Erster Band
Author: Buschan, Georg
Language: German
As this book started as an ASCII text book there are no pictures available.


*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Die Sitten der Völker, Erster Band" ***

This book is indexed by ISYS Web Indexing system to allow the reader find any word or number within the document.

ERSTER BAND ***


 ######################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

  Der vorliegende Text wurde anhand der 1914 erschienenen Buchausgabe
  so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
  Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute
  nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen sowie Schreibvarianten bleiben
  gegenüber dem Original unverändert, sofern der Sinn des Texts dadurch
  nicht beeinträchtigt wird.

  Besondere Schriftschnitte wurden mit Hilfe der folgenden
  Sonderzeichen gekennzeichnet:

      gesperrt: +Pluszeichen+
      Antiqua:  ~Tilden~

 ######################################################################



[Illustration: Feuerlauf auf Fidschi.

Etwa ein Dutzend Männer eines Stammes der Insel Bega wandern ganz
langsam auf glühend heiß gemachten Steinen eine Minute lang umher, ohne
daß von der großen Hitze auch nur die Haare an den Beinen versengt
werden oder Brandwunden entstehen.]



                         Die Sitten der Völker

             Liebe·Ehe·Heirat·Geburt·Religion·Aberglaube·
             Lebensgewohnheiten·Kultureigentümlichkeiten·
             Tod und Bestattung bei allen Völkern der Erde

           Bearbeitet auf Grund der Beiträge hervorragender
                           Fachgelehrter wie

                T. J. Allridge, Baudesson, E. Eylmann,
               G. Grandidier, A. C. Haddon, Sven Hedin,
              E. Hoffmann-Krayer, Ch. Hose, H. Johnston,
             T. Atoll Joyce, Th. Koch-Grünberg, A. Krämer,
          H. Maître, R. Parkinson, Ch. Rudy, C. G. Seligmann,
                  B. Spencer, R. Temple, E. Thurston,
               A. J. N. Tremearne, L. A. Wadell u. a. m.

                                  von

                           Dr·Georg Buschan·

                              Erster Band

        Mit 500 Abbildungen im Text, 11 farbigen Kunstbeilagen
                 und 3 Kunstblättern in Doppeltondruck

                            [Illustration]

    Stuttgart, Berlin, Leipzig * Union Deutsche Verlagsgesellschaft



                          Nachdruck verboten

                        Alle Rechte vorbehalten


       Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart



Inhaltsübersicht


                                             Seite

    Einleitung                                   V


    Australien und Ozeanien                      1

    Polynesien und Mikronesien                   1

    Die Fidschiinseln                           38

    Melanesien                                  49

    Australien                                 149


    Asien                                      205

    Indonesien                                 205

    Die Philippinen                            262

    Malakka oder die malaiische Halbinsel      295

    Andamanen und Nikobaren                    313

    Hinterindien                               326

      Siam                                     327

      Birma                                    352

    Französisch-Indochina                      387

    China                                      406



Verzeichnis der Kunstbeilagen


                                                        Zugehöriger
                                                           Text
                                           Nach Seite      Seite

    Feuerlauf auf Fidschi (vor dem Titel)                    46

    Zwei Mädchen aus Tutuila                    8             2

    Wellenreiten der Hawaiinsulaner            24            26

    Klubhaus der Palauinsulaner                32            36

    Duk-Duk-Tänzer (Gazellehalbinsel)          68            68

    Tänzer vom Flyrivergebiet in
    Festtracht                                 72            72

    Kanuhaus auf Neumecklenburg
    (Siar)                                     96            97

    Rorohäuptling im Festschmuck              104           100

    Szene aus einem Korroborie                172           172

    Dajakfrauen mit Menschenschädeln
    in den Händen, zu
    einem Tanze versammelt                    240           240

    Hahnenkampf auf Borneo                    248           250

    Betende Menge vor einer Pagode
    in Rangoon                                360           359

    Verbrennung der Leiche eines
    Mönchs in Birma                           384           384

    Totenzeremonie der Chinesen
    in Tientsin                               428           432

[Illustration]



Einleitung.


Bei allen Kulturvölkern, in noch ausgeprägterem Maße bei denen, die die
höchste Stufe der Zivilisation noch nicht erklommen haben, begegnen wir
unter dem gewöhnlichen Volke, vor allem auf dem Lande, indessen auch
unter den gebildeteren Schichten eigenartigen Gewohnheiten, Sitten,
Anschauungen und Zeremonien, die uns in unserem aufgeklärten Zeitalter
recht sonderbar erscheinen, manchmal direkt abgeschmackt und töricht
anmuten. Und doch steckt hinter solchen Gewohnheiten, über die wir,
wie gesagt, lachen möchten, zumeist ein tiefernster Sinn, den wir aber
von unserem christlichen Standpunkte aus nicht zu fassen vermögen.
Früher begnügte man sich einfach damit, diese Absonderlichkeiten,
denen wir beinahe auf Schritt und Tritt in unserem gewöhnlichen Leben
begegnen können, sofern wir nur danach suchen, als den Ausfluß krassen
Aberglaubens zu betrachten, über dessen Entstehung man sich keine
weitere Vorstellung machte. Seitdem aber die vergleichende Volkskunde
sich dieser Dinge angenommen und die Beobachtung gemacht hat, daß sich
ähnliche Gebräuche, Sitten und dergleichen nicht nur beim eigenen
Volke finden, sondern vielfach auch bei wohl allen höher und niedriger
stehenden Völkern angetroffen werden, ja sogar bei den auf der
untersten Stufe der Kultur stehenden Völkern, den sogenannten Wilden,
und hier in besonderer Häufigkeit und ausgedehnter Ausbildung, so daß
ihr ganzes privates und öffentliches Leben und Treiben von solchen
zeremoniellen Handlungen gleichsam durchsetzt erscheint, seitdem wir
dieses alles festgestellt haben, gewinnen alle diese abergläubischen
Gebräuche, Sitten, Veranstaltungen, Redensarten, Zauberformeln und
ähnliches mehr eine ganz andere Bedeutung in unseren Augen. Wir wissen
jetzt, daß es sich um Überreste uralter, ursprünglicher Anschauungen
handelt, die auf den heidnischen Glauben unserer Altvorderen
zurückgreifen und sich ähnlich bei den auf primitiver Stufe lebenden
Naturvölkern finden, also ein Gemeingut der ursprünglichen Menschheit
vorstellen. An einer Reihe Beispiele sei dies nachstehend weiter
ausgeführt.

In den Dörfern Thüringens pflegen die Kinder am Pfingstheiligabend
Lärchenbäume zu holen und sie um den Dorfbrunnen herum einzugraben,
die Mädchen aber bunte Papierketten anzufertigen, Girlanden und
Kränze aus Fichtengrün zu winden, ausgeblasene, bemalte Eier auf
Schnüren aufzureihen und schließlich die Bäume mit diesem Putz zu
schmücken. Dieser schönen Sitte liegt der alte heidnische Gedanke
zugrunde, die Quellen zur Frühlingszeit zu schmücken und auf diese
Weise für das segenspendende Element den Quellgöttern den schuldigen
Dank abzustatten. In Bayern ist es auf dem Lande Sitte, bei unreinem
Trinkwasser in dieses einen glühend gemachten Stein hineinzuwerfen; bei
den Wanderzigeunern Siebenbürgens muß ein Weib, das gern Mutter werden
möchte, Wasser trinken, in das der Mann glühende Kohlen unter Hersagen
der Worte: „Wie ich die Flamme bin, so sei du die Kohle!“ geworfen
hat. Beide Male dürfte dieser Aberglaube mit der reinigenden Kraft des
Feuers zusammenhängen. In katholischen Gegenden Süddeutschlands werden
am Morgen des Sonnabends vor Ostern alle Kirchenlichter ausgelöscht,
und mit Hilfe von Stahl und Feuerstein, Hohlspiegel oder Kristallen
(Linsen) wird ein „neues“ Feuer erzeugt, an dem man die Altarkerzen
anbrennt. In feierlicher Prozession begibt man sich darauf auf den
Kirchhofplatz, wo ein mächtiger Holzstoß errichtet wurde, und zündet
diesen mit einer dieser Osterkerzen an, verbrennt auch in seiner
lodernden Flamme die Wolle, die der Priester bei der Taufe oder beim
Spenden der letzten Ölung zum Abwischen des heiligen Öles gebrauchte,
Kirchenlichterreste, alte Meßgewänder und anderes mehr, und wirft
schließlich an manchen Orten eine Strohfigur hinein, die den Verräter
Judas Ischariot darstellen soll. Dieses ganze Verfahren ist gleichfalls
ein Überbleibsel jener uralten heidnischen Feuer, die vorzeiten zu
Ehren der im Kampfe über die froststarrenden Winterriesen siegreichen
Licht- und Frühlingsgötter bei unseren Vorfahren emporloderten und
vermöge ihrer läuternden Kraft die schädigenden und unheilbringenden
Dämonen verscheuchen sollten. Der gleiche Gedanke liegt den im Anfange
des vorigen Jahrhunderts bei uns noch üblichen Not- oder Willfeuern
zugrunde, die veranstaltet wurden, wenn Mißernte, Viehseuche, Pest oder
ähnliches Mißgeschick ein Dorf heimgesucht hatten; nachdem alle Feuer
in der Gemeinde ausgelöscht worden waren, kamen die jungen Burschen
zusammen und erzeugten durch Reiben oder Drehen eines runden Holzes in
der Vertiefung eines anderen ein Feuer, von dem sich die Dorfbewohner
erst wieder mit ihrem Hausfeuer versorgten, und mit dem sie einen
Haufen Reisig in Brand steckten, dessen Asche über die Felder gestreut
und den kranken Tieren in das Fressen gegeben wurde. In Holstein wird
zwischen Fastnacht und Ostern ein Spiel von den Kindern gespielt, bei
dem die eine Hälfte der Mitwirkenden einen Ring (Kreis) um die in der
Mitte sitzende Königstochter bildet, die andere Hälfte aber draußen
steht und die Kette zu durchbrechen und unter Absingen von Liedern
die gefangene Königstochter zu befreien sucht. Dieses von den Kleinen
heutzutage gedankenlos betriebene Spiel enthält noch Anklänge an den
Glauben unserer Vorfahren von dem Kampfe der Winter- und Sommergötter.
Nach dieser Anschauung wurde die Sonnengöttin von den Winterriesen
geraubt und in einer Eisburg gefangen gehalten, aus der sie befreit
werden mußte, weil sie sonst der Erde den Lenz nicht zu bringen
vermochte.

Die Griechin, die fruchtbar zu werden wünscht, berührt mit ihrem
Unterleib in der Nähe der Kallirrhoe bei Athen einen Felsen; diese
Handlung steht offenbar zu dem Opfer in Beziehung, das ihre Vorfahren
vordem der Mutter Erde aus dem gleichen Grunde darzubringen pflegten.
Die Spanierin der Pyrenäen tut das gleiche an einer steinernen Figur
in der Nähe von Bouy d’Oueli, sie umarmt und küßt außerdem noch
die Statue. Hierin liegen offenbar Anklänge an den Phalluskultus.
Deutlicher traten solche noch Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts in
der kleinen italienischen Stadt Iseria zutage, wo alljährlich am 27.
September die unfruchtbaren Frauen in der Kapelle der beiden Märtyrer
Kosmas und Damian aus Wachs hergestellte Opfer darbrachten. Im Dorfe
Tunxdorf in der Provinz Hannover besteht noch heute die Sitte, daß die
jungen Mädchen am ersten Sonntage im Mai Spalier bilden und eine etwa
anwesende jung verheiratete Frau zwingen, dazwischen durchzulaufen, und
ihr dabei leichte Schläge mit einer Rute versetzen. Dieses Stäupen oder
Auspeitschen, bei dem sich das junge Volk weiter nichts denkt, und das
in anderen Gegenden noch vielfach nicht nur an Menschen, zum Beispiel
am Aschermittwoch, sondern auch an Tieren und Bäumen vorgenommen wird,
geschah früher in der Absicht, die Fruchtbarkeit der betreffenden
Person, Tiere und Pflanzen zu steigern. Daher wurden ursprünglich
die Frauen mit der Gerte auch auf den Unterleib geschlagen; später,
als diese ursprüngliche Bedeutung des Schlagens verloren gegangen
war, erstreckte sich das Stäupen auf den ganzen Körper, wenigstens
auf keine einzelne Teile von ihm. Auch das Einholen des Maibaumes,
eine in der ganzen germanischen und slawischen Welt weit verbreitete
Sitte, hängt offenbar mit dem Phalluskult zusammen. An einzelnen Orten
tritt an Stelle des Maibaums bei diesen Frühlingsfesten eine männliche
Puppe oder auch eine lebendige männliche Person, die als Partnerin
ein entsprechendes weibliches Wesen erhält. Zweifelsohne soll hierbei
auf das Erwachen der Liebe und der Zeugungstriebe in der Natur beim
Eintritt des Frühlings angespielt werden.

In Bosnien hängt eine unfruchtbare Frau, die gern Kinder haben möchte,
am Vorabend des St. Georgtages ein neues Frauenhemd unter einen
fruchttragenden Baum und sieht am anderen Morgen vor Sonnenaufgang
nach, ob etwa irgend ein lebendes Wesen auf das Hemd gekrochen ist.
Trifft dies zu, dann erblickt sie hierin ein Anzeichen, daß ihr Wunsch
in Erfüllung gehen wird. Bei diesem Aberglauben handelt es sich um ein
Überbleibsel der primitiven Auffassung, daß die Seelen, im besonderen
die der Kinder, in einem Baume leben und von hier aus durch ein Tier in
den Leib der Mutter übertragen werden können.

In Norddeutschland wird die jung Vermählte, wenn sie zum ersten Male
das neue Heim betritt, dreimal um den Herd geführt, in Böhmen muß sie
sich dreimal vor ihm verneigen und drei ihrer Haare ins Feuer werfen.
Wir dürfen in diesen zeremoniellen Handlungen Nachklänge des Opfers vor
den Ahnen der Familie erblicken, denn der Herd galt ursprünglich für
den heiligsten Platz des Hauses; hier stand der Hausaltar und vor allem
die Ahnenbilder.

In der Kaschubei stürzen bei der Feier des Erntefestes die jungen
Burschen und Mädchen aus einem Versteck mit Eimern voll Wasser
hervor und begießen damit die Schnitter dermaßen, daß an ihnen kein
trockenes Haar bleibt, um für das nächste Jahr eine recht reiche
Ernte zu erzielen. Dieser Vorgang erinnert an ähnliche Verfahren der
Naturvölker, die dadurch das belebende Naß des Regens herbeizuführen
suchen.

Bei den Zeltzigeunern Siebenbürgens tritt der Mann stets in die
Sippe seiner Frau ein, die der Ehe entsprießenden Kinder gehören ihr
ebenfalls an und dürfen niemals in die Sippe der Mutter hineinheiraten,
wohl aber in die des Vaters. Es handelt sich bei diesem Brauch um ein
Nachleben der Idee von der Mutterherrschaft (Matriarchat) zur Urzeit.

In Montenegro schläft die erste Nacht nach der Trauung der Brautführer
neben der Braut, angeblich „alles in Ehren“, und in Kupres in Bosnien
pflegt jeder der männlichen Hochzeitsgäste die Braut an die Wand
zu drücken, gleichsam um damit die eheliche Umarmung symbolisch
anzudeuten. Jene Sitte steht wahrscheinlich mit dem früheren Recht der
Erstnacht (~Jus primae noctis~) in Beziehung, diese weist auf die
in der Urzeit bestehende Gemeinschaftsehe zurück.

In jüdischen Familien besteht der Brauch, daß eine Witwe, wenn sie
wieder eine Ehe eingehen will, dem früheren Schwager die Knoten an
einem besonders für diesen Zweck vorhandenen Schuh auflöst, ihm
diesen auszieht, vor ihm auf den Boden speit und dabei die biblischen
Worte ausruft: „So soll man mit jedem Mann tun, der seines Bruders
Haus nicht bebauen will.“ Erst wenn die Witwe dies getan hat, erhält
sie die Berechtigung, sich wieder zu verheiraten. Durch diesen uns
höchst sonderbar anmutenden Vorgang soll angedeutet werden, daß die
sich wieder Verheiratende von der Verwandtschaft des ersten Mannes
freigegeben worden ist; er ist zurückzuführen auf den uralten Brauch
der Leviratsehe bei den alten Israeliten, wonach nach dem Tode des
Mannes, wenn er keinen männlichen Erben hinterlassen hatte, der jüngere
Bruder die Pflicht hatte, die Witwe zu ehelichen, um mit ihr einen
Stammhalter zu erzeugen, der dann auch den Namen des Verstorbenen
annahm, denn dem neuen Gatten wurde es zur ganz besonderen Pflicht
gemacht, für die Nachfolge zu sorgen und die Familie des älteren
Bruders fortzupflanzen. Die Leviratsehe ist aber wieder nur eine Form
der Polyandrie, der Vielmännerehe, die noch heutigentags vorkommt.

Bei den Chewsuren nimmt der Ehemann während der ersten sieben Wochen
nach der Niederkunft seiner Frau an keiner Festlichkeit teil, sondern
bleibt abgesondert zu Hause; man bringt ihm vom Festschmaus Bier und
Fleisch ins Haus. In diesem Brauch lebt die in der Vorzeit und auch
bei einzelnen Naturvölkern noch vorkommende Sitte des Männerkindbettes
(Couvade) fort. Der Mann mußte nach der Geburt der Frau an ihrer
Stelle längere Zeit mit dem Neugeborenen im Bette liegen, sich gewisse
Nahrungsbeschränkungen auferlegen und die Besuche der Anverwandten
empfangen.

Aus den angeführten Beispielen dürfte zur Genüge hervorgehen, von wie
großer Wichtigkeit für das Verständnis unserer modernen Einrichtungen
und Sitten die Kenntnis der Gewohnheiten und Bräuche bei den niederen
Völkern ist. Leider ist es zurzeit nicht mehr möglich, allen unseren
heutigen Gebräuchen in der Weise auf den Grund zu gehen, wie es
wünschenswert wäre, denn dazu fehlen uns vielfach die Unterlagen.
Die Völkerkunde ist eine verhältnismäßig sehr junge Wissenschaft.
Man sammelte früher wohl hier und da sogenannte „Kuriositäten“ oder
„Raritäten“, wie übrigens der Ausdruck für ethnographische Gegenstände
in den exotischen Ländern noch heute gang und gäbe ist, aber ein
ernsthaftes, systematisch betriebenes Sammeln setzte erst gegen Ausgang
vorigen Jahrhunderts ein, als der große Bastian die Aufmerksamkeit der
wissenschaftlichen Welt auf die Tatsache lenkte, daß die Naturvölker
mit auffälliger Schnelligkeit dem Untergange entgegen eilen, und daher
den Warnruf erließ, in zwölfter Stunde noch alles zu sammeln, was
sich von ihnen noch erhalten hätte. Auf diese eindringliche Mahnung
hin wurden Expeditionen ausgerüstet, und vieles von dem materiellen
Besitz der im Aussterben begriffenen Stämme, also von ihren Waffen,
Werkzeugen, Kleidung und vielen anderen Gegenständen des täglichen
Lebens konnte noch gerettet und den ethnographischen Museen einverleibt
werden. Weniger trifft dies aber für den geistigen Kulturbesitz der
fraglichen Völker, wie Sitten, Gebräuche, religiöse Ansichten und
dergleichen zu, obwohl manche der Forschungsreisenden gerade auch
auf dieses Gebiet bei ihren Forschungen Gewicht legten; aber leider
gehört, um in das Innenleben der primitiven Völker einzudringen, das
ein ganz anderes als bei uns Kulturmenschen ist, viel Zeitaufwand und
Mühe, und zum anderen haben ihre Vorstellungen verschiedentlich durch
europäischen Einfluß, der manchmal auf Umwegen, auf denen man es gar
nicht vermuten würde, schon in früheren Zeiten zu ihnen gelangte, eine
Abänderung erfahren.

An einer zusammenfassenden Darstellung dieser Gebräuche, Sitten
und Gewohnheiten der Völker des Erdenrunds fehlte es bisher in der
Literatur. Aus der Erkenntnis dieses Mangels ist das vorliegende, für
die weitesten Volkskreise bestimmte Buch entstanden. Ist es schon an
und für sich für gebildete Kreise reizvoll, die Sitten und Gebräuche
der verschiedensten Völker der Erde durch Wort und Bild kennen zu
lernen, so ist eine solche Zusammenstellung auch von wissenschaftlichem
Werte unter dem am Eingang bereits erörterten Gesichtspunkte; vermögen
wir doch durch sie unsere modernen Kulturverhältnisse besser zu
verstehen und die Entwicklung der menschlichen Einrichtungen von den
primitiven Zuständen an durch alle Stufen der Kultur hindurch zu
verfolgen. Bei der Abfassung habe ich mich bemüht, ein für jedermann
verständliches Werk zu schaffen, für das die neuesten Arbeiten
bedeutender Forschungsreisender benutzt wurden. Da gerade auch deutsche
Gelehrte an der Erforschung der Probleme der Völkerkunde lebhaften
Anteil genommen haben, so war es mein Bestreben, in dem vorliegenden
Werke die Ergebnisse dieser neben den gleichwertigen fremder, meist
englischer Forscher, zur vollen Geltung zu bringen. Möge daher dieses
die Sitten und Gebräuche aller Völker der Erde behandelnde Werk in
allen Kreisen des deutschen Volkes Beifall finden und das Interesse für
die Völkerkunde in die weitesten Volksschichten hineintragen, sowie
schließlich auch dazu die Anregung geben, daß mancher über die Sitten
und Gebräuche seines eigenen Volksstammes nicht achtlos hinweggeht oder
sie gar belächelt, sondern sie als ein altes Erbstück der Vorväter
weiter pflegt und hegt.

    Der Verfasser.



Australien und Ozeanien

[Illustration]



[Illustration:

    Phot. H. J. Shepstone.

Abb. 1. Picknickszene auf Hawai.

Die Teilnehmer essen aus den Kalabassennäpfen ein Gericht, Poi genannt,
das aus zerriebenem Taro hergestellt wird, mit den Fingern. Die
Gitarren sind modernen Ursprungs.]



Polynesien und Mikronesien.


Östlich und nördlich von dem Festlande Australien breitet sich in
der Richtung nach Amerika zu eine aus unzähligen Eilanden bestehende
Inselwelt aus, die man insgesamt als Ozeanien bezeichnet. Innerhalb
ihrer Bevölkerung lassen sich zwei Typen unterscheiden, eine schwarze
und eine braune Rasse; dementsprechend führen die Inseln, auf denen die
erstere vertreten ist, die Bezeichnung „Melanesien“, das heißt schwarze
Inseln; die übrigen, mit denen wir uns zuerst beschäftigen, werden
„Polynesien“ und „Mikronesien“ genannt.

In der polynesischen Inselflur treffen wir dicht hinter Fidschi, wenn
wir nach Osten fahren, zunächst die Tonga- und Samoagruppe, noch weiter
östlich die Cookinseln, Tahiti mit seinen Eilanden, die Paumotu-
und die Marquesasinseln und stoßen schließlich, in der gleichen
Richtung weiter gehend, auf den am weitesten vorgeschobenen Posten,
die Osterinsel. Fast ebenso einsam liegen im Norden die Hawaiinseln
da, während in entgegengesetzter Richtung, nämlich nach Südwest,
gleichfalls isoliert Neuseeland liegt, die größte der Inseln des
Stillen Ozeans.

Nordwestlich von Polynesien und nördlich von Melanesien finden
wir Mikronesien, das heißt die kleinen Inseln. Innerhalb dieses
Archipels unterscheidet die Wissenschaft wieder einzelne Gruppen, die
Karolinen mit den Palauinseln sowie den Marianen oder Ladronen, die
Marshallinseln, die Gilbertinseln und die Ellice- (oder Lagunen-)
Inseln. Mit Ausnahme der beiden letzten Gruppen ist Mikronesien
deutscher Kolonialbesitz.

Die +Bevölkerung Polynesiens+ ist am reinsten in den Samoanern
vertreten, daher möchte ich diese auch als den polynesischen Typus
hinstellen. Die Samoaner sind von hoher Statur -- Körpergrößen
von hundertachtzig Zentimeter und darüber sind bei der männlichen
Bevölkerung keine Seltenheit --, sie haben eine durchweg schöne,
ebenmäßige Gestalt, die besonders beim weiblichen Geschlecht, bei
dem es trotz der kurzen dicken Beine wirkliche Schönheiten gibt,
auffällt (Abb. 2 und 3). Sie besitzen eine hellbraune Hautfarbe,
welliges oder fein gelocktes Haar von schwarzer bis braunschwarzer
Farbe, kurzen Schädel, regelmäßiges Gesicht mit oft leichter Andeutung
der Mongolenfalte, eine kleine, breite Stumpfnase mit kleinen,
runden Nasenlöchern und etwas vorspringende Lippen. Im allgemeinen
zeichnen sich die Polynesier durch eine Reihe guter Eigenschaften wie
Rechtschaffenheit, Friedlichkeit, Gastfreundschaft, Ordnungsliebe,
Reinlichkeits- und Schönheitssinn aus. Damit hängt auch die peinliche
Sorgfalt zusammen, die sie der Pflege und Ausschmückung ihres Körpers,
besonders auch des Kopfhaares, widmen.

[Illustration:

    Phot. M. Kiepenheuer.

Abb. 2. Samoanerin in gewöhnlicher Kleidung, mit zierlich geschnitztem
Fächer in der Hand, auf Tapamatten ruhend, die auch die Wand bedecken.]

[Illustration: Abb. 3. Samoaschönheiten mit hübschem Halsschmuck und
Blumen im Haar.]

Leider haben Kleidung und Schmuck der Polynesier seit der Entdeckung
der Inseln infolge des sich mehr und mehr ausbreitenden europäischen
Einflusses eine große Veränderung erfahren. Hier, wo die klimatischen
Verhältnisse so äußerst günstig liegen, bedurfte der Körper kaum des
Schutzes gegen die Witterung, in seiner Bekleidung nahm vielmehr
ein schlichter und einfacher Schmuck die erste Stelle ein (siehe
die Kunstbeilage). +Tatauierungen+ -- diese Schreibweise, die mit
dem polynesischen Worte „tatau = kunstgerecht“ zusammenhängt, nicht
die veranglisierte „Tätowierung“ ist die richtige -- galten für
den wichtigsten und vornehmsten Zierat; nichttatauiert zu sein
war eine Schande. Daher nahm das Auftragen der Zeichnungen (Abb.
4 und 5) fast immer auch den Charakter einer religiösen Zeremonie
an. Währenddessen stand der „Patient“ unter verschiedenen Verboten
(Tabu), die sich an manchen Orten sogar noch auf andere Dorfbewohner
ausdehnten. Der Vorgang spielte sich überall in fast der gleichen Weise
ab. Als Werkzeug benutzte man einen Gegenstand, der einer kleinen
Zimmermannsaxt glich; seine Schneide war aus Knochen hergestellt und
am vorderen Ende mit einer Anzahl Zähne wie beim Kamm versehen. Jetzt
bedient man sich auf Mikronesien der Stahlnadeln. Der Operateur, der
das Tatauieren als Beruf ausführt und deswegen eine hochgeachtete
Stellung einnimmt, zieht die Umrisse der Zeichnung auf den Körper
und führt die Farbe ein, indem er mit einem kleinen Stabe auf das
mit schwarzer Farbe getränkte Beilchen schlägt (Abb. 7). Die ganze
Ausführung eines vollständigen Musters nimmt für gewöhnlich mehrere
Monate in Anspruch infolge des bei der Operation entstehenden Schmerzes
und der manchmal unerwartet hinzutretenden heftigen Entzündung. Während
die Tatauierung vorgenommen wird, singt ein Mädchenchor Rituallieder,
wovon, wie man in früheren Tagen glaubte, der Erfolg der Operation
abhängig war. Auf den Marshallinseln pflegt man die Jünglinge immer
gleichzeitig zu einer bestimmten Jahreszeit zusammen zu tatauieren,
wofür eine besondere Hütte gebaut und den Göttern Speiseopfer
dargebracht werden; denn die Gottheiten des Tatauierens nehmen in der
heimischen Götterwelt einen sehr hohen Rang ein. Ein ausgedehnter
Kultus wurde mit den Tatauierungen von den Maori auf Neuseeland
getrieben; das dazu verwandte Werkzeug war nicht gezähnt, sondern besaß
einen geraden Schneiderand; mit ihm wurden Rillen in die Haut geritzt,
wodurch die Operation sich schmerzhafter gestaltete. Das ganze Gesicht
wurde mit ineinandergreifenden Spiralen und Linien bedeckt, sogar
bis auf die Lippen herab (Abb. 6), wo der Schmerz besonders heftig
empfunden wurde. Das Tatauieren auf dieser Insel war das Vorrecht der
regierenden Klasse; mit der Tatauierung waren für den Betreffenden
strenge Tabu verknüpft. Seiner Person wurde während des Vorgangs eine
so hohe, heilige Ehrfurcht entgegengebracht, daß er es nicht einmal
wagte, selbst seine Nahrung zu sich zu nehmen aus Furcht, sie könnte
ihm verhängnisvoll werden; daher wurde er von anderer Hand gefüttert.
In einem besonderen mit Schnitzerei verzierten Holztrichter gab man
ihm zu trinken. Die Tatauierungen der Häuptlinge spielten im ersten
Verkehre zwischen Maori und Europäern eine interessante Rolle insofern,
als in den uns hinterlassenen Papieren, die sich auf die Abtretung
von Land beziehen, der Häuptling als Unterschrift einen Teil seines
tatauierten Gesichtes hinzeichnete.

[Illustration:

    Aus: Kraemer, Samoainseln.

Abb. 4. Tatauierungsmuster eines Samoaners,

~a~) von der Hinterseite, ~b~) von der Vorderseite des
Oberschenkels und der Hüfte.]

[Illustration:

    Aus: Kraemer, Samoainseln.

Abb. 5. Tatauierungsmuster einer Samoanerin,

~a~) von der Rückseite, ~b~) von der Vorderseite des
Oberschenkels.]

Ein eigentümliches +Schmuckstück+, das Tiki-Tiki der Maori, verdient
besondere Erwähnung (Abb. 11). Es besteht aus einer kleinen
merkwürdigen Figur aus Nephrit oder Jadeit, die für gewöhnlich von
dem Familienoberhaupt um den Hals getragen wurde und den primitiven
Ahnen vorstellen soll. Man vererbte es von Generation auf Generation
als kostbares Familienstück, und daher gilt es noch heutigentags für
die meisten Eingeborenen als unveräußerlich. -- Die Marshallinsulaner
dehnen die für die Aufnahme des Ohrschmucks angefertigten Löcher in
ihren Ohren dermaßen aus, daß sie diese Ohrschlinge manchmal über
den Kopf streifen können. Ein typischer Schmuck, den Eingeborene von
hohem Rang auf Tonga, Samoa (und auch Fidschi) tragen, besteht in
einer Halskette von Walfischzähnen (Abb. 8), die abgeschliffen und zu
einem klauenartigen Gehänge aufgereiht sind, während der Maori aus
guter Familie das Recht hat, als Haarschmuck die Feder des Huiavogels
zu tragen (Abb. 10). -- Ein sehr hübscher Zug der Ozeanier ist
entschieden ihre große Vorliebe für Blumen als persönlichen Schmuck,
wie wir dies besonders bei den Hawaiern und den Samoanern wie auch bei
anderen Stämmen beobachten können, die sich täglich frische Kränze aus
farbenprächtigen Blumen und, in früherer Zeit, leuchtend bunten Federn
winden (Abb. 3 und 15).

[Illustration:

    Phot.  A. J. Iles.

Abb 6. Ein Maorihäuptling der alten Schule

mit schöner, aber nicht ganz vollständiger Gesichtstatauierung und dem
für die Maori charakteristischen Mantel von Flachsblättern, der einen
ausgezeichneten Schutz gegen den Regen bietet.]

Zu Halsketten werden vielfach auch Muscheln verwendet (Abb. 14),
die entweder in ganzen Stücken oder, wie in Mikronesien üblich, in
kleine Scheibchen geschnitten und auf ein Band aufgezogen werden.
Die Herstellung der Scheibchen erfordert eine langwierige Arbeit;
die Muschel wird in passende Stücke zerbrochen, von denen jedes mit
einer Art primitiven Drillbohrers durchlöchert und bis auf einen
zierlichen Kreis durch sorgfältiges Abschleifen verkleinert wird.
Auf den Gilbertinseln trägt man mit Vorliebe Halsketten, die aus den
Schneidezähnen eines verstorbenen Vorfahren hergestellt sind, und hält
solchen Schmuck hoch in Ehren.

[Illustration: Abb. 7. Tatauieren auf Samoa.

Die Muster der Zeichnung werden auf der straff gezogenen Haut mit dem
Tatauierinstrument, das zuvor in einen schwarzen Farbstoff getaucht
wurde, durch Aufschlagen eines Stäbchens eingegraben.]

Die eigentliche +Kleidung+ bestand in Polynesien vordem allgemein
aus Matten und Tapastoffen (Abb. 8 und 13); beide werden noch jetzt
bei Tänzen und zeremoniellen Veranstaltungen verwendet. Die Tapa
(Abb. 2) ist eine Art Filz, der aus der Rinde des Papiermaulbeerbaums
durch beständiges Klopfen, manchmal so dünn wie Papier, hergestellt
wird. Was die moderne Kleidung anbetrifft, so pflegen die Männer ein
Hüftentuch aus europäischem Stoff und eine Jacke zu tragen; Rock und
Hosen finden jetzt mehr und mehr Aufnahme. Die Frauen dagegen sind mit
einem Gewand, Holoku genannt, bekleidet, das lang herabfallend einem
Nachthemd gleicht. Die frühere Bekleidung (Abb. 12) kommt aber noch
bei Tänzen zum Vorschein. Abseits von den größeren Plätzen verzichten
die Männer meistens auf das Obergewand. Leider ist die Einführung der
europäischen Kleidung nicht von Vorteil gewesen, da sie den Körper der
Eingeborenen verweichlichte und die Neigung für Erkältungskrankheiten
erhöhte; Influenza und Lungenentzündung richteten seitdem viel Unheil
unter ihnen an. Von den hochzivilisierten Tonganern, bei denen heute
ein Frack kein ungewöhnlicher Anblick mehr ist, wird bei feierlichen
Gelegenheiten oft über dem europäischen Kleid noch die primitive Matte
getragen, die häufig genug durch ihr altertümliches, abgenutztes
Aussehen zu dem modernen Kleidungsstück einen auffälligen Gegensatz
bildet.

[Illustration:

    Aus: Kraemer, Samoainseln.

Abb. 8. Samoanisches Mädchen in Mattenkleidung

und mit einer Halskette von Walfischzähnen.]

Auf Neuseeland wurde die Tapa niemals angefertigt, denn hier besaß
man in dem einheimischen Flachs ein viel besseres Kleidermaterial.
In früheren Tagen trugen beide Geschlechter daraus hergestellte
Faltenröcke, dazu einen vielfach noch mit Federn geschmückten
Schultermantel (Abb. 6 u. 10), der bei der Arbeit und beim Tanz
abgelegt wurde. Das Weben von Stoffen, das hauptsächlich von den
Weibern betrieben wurde, trug den Charakter einer heiligen Zeremonie;
es wurde von besonderen Priestern gelehrt, und an die verschiedenen
Stadien des Webens knüpften sich besondere Zaubersprüche. Außerdem
mußten dabei die unvermeidlichen Tabu beobachtet werden, auf deren
Vernachlässigung Strafen durch übernatürliche Wesen folgten. -- In
Mikronesien bestehen die Kleider, obgleich hier wohl an einigen Plätzen
Tapa gewonnen wird, aus Blättern und Matten. Auf den Marshallinseln
sieht man die alten Gewänder nur noch selten; sie bestehen beim Manne
in einem Bastrock, eigentlich aus zwei durch ein Band miteinander
verbundenen Büscheln mit langen Fransen; das Band kommt auf den Damm zu
liegen, und die beiden Quasten werden vorn und hinten hochgenommen und
durch einen Leibgürtel in dieser Lage festgehalten, über den sie nach
vorn und hinten fallen, so daß die beiden Seiten des Oberschenkels und
die Hüften unbedeckt bleiben und beim Gehen die Tatauierung an diesen
Stellen sichtbar wird. Das Kleid der Frauen setzt sich aus zwei Matten
zusammen, die hinten und vorn getragen werden. -- Auf den Gilbertinseln
verhält sich die Art der Bekleidung gerade umgekehrt; die Männer tragen
hier Matten, die Frauen aber faltenreiche Röcke aus Pandanusblättern
(Abb. 13). Auf den Karolinen dagegen, wo bereits der Webstuhl in die
Erscheinung tritt, besteht die Männerkleidung in prächtig gewebten
Gürteln aus Pflanzenfasern und für zeremonielle Zwecke in einem kurzen
Rock aus schmal geschnittenen und oft strahlend gelb gefärbten,
sorgfältig gekräuselten Kokosblättern. Die Nationaltracht der Frauen
ist ein weiter, aus Borte gewebter Rock, der von der Taille bis auf die
Knie reicht. -- Eine besondere, auf den Gilbertinseln bestehende Sitte,
die sich auf die Toilette bezieht, mag noch hervorgehoben werden.
Hier sammeln die Frauen am Riff einen Wurm, der eine große Menge Jod
enthält, und verreiben ihn auf ihrem Körper, wodurch diesem ein Duft
mitgeteilt wird, der ihre Anziehungskraft sehr steigert.

Eine seltsame +Rüstung+ trifft man +auf den Gilbertinseln+ an. Sie
besteht in einem aus Kokosfasern dicht geknüpften Beinkleid und
einem Panzer aus dem gleichen Material, der auf der Rückseite einen
sich fächerartig hinter dem Kopf erhebenden Nackenschutz besitzt und
vorn noch eine Brustplatte oder einen Gürtel aus der hornartigen
Haut des Stachelrochens trägt; dazu kommt ein Helm aus der Haut des
Igelballonfisches und Handwaffen (Speere und Dolche), die auf beiden
Seiten dicht mit Haifischzähnen besetzt sind (Abb. 16 und 18).

[Illustration:

    Aus: Kraemer, Samoainseln.

Abb. 9. Samoanisches Langhaus.

Im Vordergrund ist ein Fischnetz zum Trocknen ausgespannt, rechts
im Hintergrund steht eine Bananenpflanzung, links vorne ein
Apfelsinenbaum.]

[Illustration:

    Aus Kraemer, Samoa.

Zwei Mädchen aus Tutuila.]

[Illustration:

    Phot. A. J. Iles.

Abb. 10. Eine Maorimutter mit einer Feder des Huiavogels im Haar.

Sie trägt ihr Kind in altgewohnter Weise in ihrem Mantel, der aus
Flachsblättern und Kiwifedern besteht. Vielfach sind die Maorifrauen um
Kinn und Lippen tatauiert, wie dies früher alle Frauen von Rang dieses
Volkes waren.]

Eine hundertjährige Berührung mit den Europäern hat fast alle
ursprünglichen Gebräuche und Sitten der Polynesier zerstört; nicht
zum mindesten hat dazu ihre Bekehrung zum Christentum beigetragen.
Da beinahe alle ihre Gebräuche und besonders ihre politischen
Einrichtungen auf ihrer alten Religion aufgebaut waren, so hat das
Aufhören der letzteren das Verschwinden der ersteren, wenigstens
zum größten Teile, zur Folge gehabt. Mit Mikronesien ist es in dieser
Hinsicht weniger schlecht bestellt; wir finden dort noch viele
Überreste der ursprünglichen Lebensweise, und obgleich das Christentum
hier ebenfalls bedeutende Fortschritte zu verzeichnen hat, so können
wir doch noch den Spuren des alten Glaubens, besonders auf den
entfernteren Inseln, vielfach begegnen.

[Illustration:

    Phot. Josiah Martin.

Abb. 11. Tiki-Tiki der Maori aus Jadeit,

das gewöhnlich von dem Familienoberhaupt getragen wird.]

[Illustration: Abb. 12. Festgewänder der Eingeborenen auf Tahiti.]

Der Aberglauben der Polynesier setzt bereits vor der Geburt des Kindes
ein. Das erste Anzeichen der +Schwangerschaft+ wird auf Samoa mit
einem kleinen Fest gefeiert. Auf den Gilbertinseln wird damit, wenn es
die erste Schwangerschaft ist, eine umständliche Zeremonie verbunden.
Gegen Ende des zweiten Monats wird von einer alten weisen Frau aus den
Schalen von ungefähr fünfzig Kokosnüssen eine Pyramide aufgebaut und
in deren Spitze das Herzblatt einer Kokospalme gesteckt. Darauf heißt
sie die Schwangere sich auf einer Matte daneben setzen, nimmt von einem
dazu besonders bereiteten Brote aus Taroknollen und Kokosnußkernen ein
ungefähr einen Fuß langes Stück, rollt es zwischen den Händen, berührt
damit die angehende Mutter an verschiedenen Körperstellen und murmelt
gleichzeitig Gebete an die Göttin Eibong des Inhaltes, daß das zu
erwartende Kind schön und wohlgestaltet ankäme und, wenn es ein Knabe
sei, dieser später die Liebe und Zuneigung junger Mädchen gewinne,
oder, wenn es ein Mädchen sein sollte, dieses die Liebe eines reichen
Mannes oder eines tapferen Kriegers finden möge. Darauf bricht sie
ein Stück von dem Gebäck ab, reicht es der jungen Frau und den Rest
dem jungen Ehemanne zum essen. Bis zum Morgen am vierten Tage schläft
die Alte dann mit der Schwangeren jede Nacht neben der Kokospyramide.
Jetzt melden sich Adoptiveltern für das Kind, da es Sitte ist, dieses
nach Beendigung der Säugezeit anderen Eltern zu übergeben. Am Ende des
dritten Monats begibt sich das junge Paar mit seinen Verwandten und
der weisen Frau an einen unbewohnten Ort. Letztere stellt hier Speisen
und Getränke unter einem Baum auf, um den der Adoptivvater des Gatten
der Schwangeren mit ihr dreimal herumgeht; dann nehmen beide unter
dem Baume Platz und werden von der alten Frau mit Speise versorgt.
Hieran schließt sich ein allgemeiner Schmaus mit Tanz und Gesang. Am
Schluß des vierten Monats endlich geht die Alte mit der Schwangeren
und dem Adoptivvater ihres Mannes zu einem Kreuzwege. Hier nimmt sie
der jungen Frau die Bekleidung ab und verbrennt sie. Dafür legt sie
ihr eine neue um die Hüfte, die der Schwiegervater mitgebracht hat.
Gleichzeitig wird ihr gesagt, daß sie mit dem Ablegen des Kleides ihrer
Kindheit nun zu den Frauen gerechnet werde, und daß sie ihrem Manne
sich recht angenehm erweisen und vor allen Dingen ihm treu bleiben
müsse. Hierauf gehen sie nach Hause, wo wiederum ein Schmaus mit den
Verwandten stattfindet. Außerdem läßt sich die Schwangere von dem
Augenblick an, in dem sie sich guter Hoffnung fühlt, ihr bis dahin kahl
geschorenes Kopfhaar wachsen und schneidet es erst wieder ab, wenn das
Kind ungefähr ein Jahr alt geworden ist.

[Illustration:

    Aus: Kraemer, Hawaï.

Abb. 13. Marshallinsulanerin (Ralikgruppe) in alter Mattentracht.

Die aus Pandanusblättern geflochtenen Matten weisen hübsche Muster auf.]

Auf der Insel Jap (Karolinen) stellt die Schwangere, wenn sie die
ersten Anzeichen ihres Zustandes verspürt, den Geschlechtsverkehr mit
ihrem Manne ein und hält diese Enthaltsamkeit auch noch acht bis zehn
Monate nach der Niederkunft inne. Der Mann entschädigt sich inzwischen
in seinem Klubhaus, wo er sich eine oder mehrere Liebsten hält. Auch
auf den Gilbertinseln lebt der Ehemann während der Schwangerschaft mit
einer anderen Frau in seinem eigenen Hause weiter, während die Gattin
sich in das Haus von Verwandten begibt.

Verschiedentlich bestehen für die Schwangere auch sonstige Verbote. Auf
den Karolinen hat sie mehrere Arten von Kokosnüssen und Brotfrüchte
zu vermeiden und darf nur Kokosmilch als Getränk zu sich nehmen. Auf
Samoa glaubten die Eingeborenen, daß das Übertreten der bestehenden
Vorschriften sich damit rächt, daß das Neugeborene mit einem schwarzen
Mal auf die Welt kommt, wodurch die Sünde der Mutter offenbar wird,
und zwar soll dieses Kainsabzeichen in seinem Aussehen dem Gegenstand
entsprechen, an dem die Mutter gesündigt hatte. So wurde einmal
behauptet, daß ein solches Mal dem Leberlappen eines Schweines gleiche,
den die Schwangere heimlich entwendet und gegessen hätte, ein anderes
Mal, daß es einem Hühnerkopfe ähnlich wäre, weil sie sich mit einer
Nachbarin um das Eigentum einer brütenden Henne gestritten hätte, und
anderes mehr.

[Illustration: Abb. 14. Karolinerinnen von Saipan in Festtracht.]

[Illustration: Abb. 15. Mädchen von Nauru, mit Grasröckchen bekleidet
und mit blumengeschmücktem, herabwallendem Haar.]

[Illustration:

    Aus: Kraemer, Hawai.

Abb. 16. Krieger der Gilbertinseln bei einem Kampfspiel.]

Auf der Insel Nauru wurden in den Häuptlingsfamilien ähnliche strenge
Verbote peinlich genau beobachtet. Es durften zum Beispiel keine
Kokosnüsse berührt werden, die in einem Umkreise von dreißig Meter
um die Hütte herabfielen. Die Schwangere durfte keine Speise essen,
die der Mann oder die Eltern schon berührt hatten; vom fünften
Monat an durfte im Hause kein Nagel eingeschlagen, überhaupt kein
Geräusch gemacht und nichts von der Wand genommen werden, bis das
Kind geboren war. Wir sehen hier bereits, daß sich die Verbote auch
auf den Mann erstrecken. Auf der Insel Jap darf er vom vierten Monat
der Schwangerschaft an keine Bananen oder abgefallene Kokosnüsse
essen, keine Bäume fällen, weil sonst die Glieder des Kindes brechen
oder es eine Wolfsscharte bekommen könnte, keine Scholle verzehren,
weil es dann kraftlos würde, ebensowenig Schildkrötenfleisch, weil
es sonst ohne Finger geboren würde, keine Krabben oder gesprenkelte
Fische essen, weil es sonst ebenfalls gesprenkelt zur Welt käme,
keinen Bindfaden drehen, weil sich sonst die Nabelschnur um den Hals
legen könnte, kein Haus einreißen, weil sonst Abort eintreten würde,
und anderes mehr. -- +Fruchtabtreibung+ ist über ganz Polynesien eine
sehr verbreitete Unsitte; vielfach ist sie an Stelle des früheren
Kindsmordes getreten. Für die Einleitung des künstlichen Abortes sind
mancherlei Beweggründe maßgebend, einmal die Abneigung gegen eine
zahlreiche Familie, entweder weil die Frau fürchtet, wegen ihrer
vielen Kinder dem Gespötte der Nachbarinnen zum Opfer zu fallen,
oder weil sie Angst hat, daß sie dadurch bald verwelke und altere,
oder auch weil sie sich wegen vermeintlicher Untreue ihres Mannes
an ihm rächen will, zum anderen auch aus Angst, es könnten durch
eine große Familie Nahrungsschwierigkeiten entstehen, schließlich
bei Unverheirateten auch aus Scham vor der Schande. Die Abtreibung
wird meistens von Frauen vorgenommen, die dies als Gewerbe betreiben
und sich dadurch einen guten Verdienst sichern. Die Methoden, die
sie anwenden, bestehen entweder in dem Eingeben gewisser Speisen
oder Tränke, oder man bedient sich auch vielfach rein mechanischer
Hilfsmittel, die allerdings äußerst primitiv und roh sind. -- Meistens
zieht sich die Schwangere kurz vor der Geburt von der Familie zurück;
vielfach wird für sie eigens eine kleine Hütte errichtet, die manchmal
ganz primitiver Natur ist, so daß die Wöchnerin und auch ihr Kind den
Unbilden der Witterung ausgesetzt sind. Diese Absonderung hängt mit dem
Glauben zusammen, daß niederkommende Frauen unrein sind. Auf Neuseeland
gilt nicht nur ihre Person, sondern alles, was mit ihnen in Berührung
kommt, als unrein. Auf Samoa zieht sich die Schwangere bereits im
achten bis neunten Monat in das elterliche Haus zurück, ebenso auf
den Gilbertinseln in das der Pflegeeltern, die das zu erwartende Kind
adoptieren wollen, oder sie bleibt vorläufig noch in ihrem eigenen,
siedelt dann aber in das Haus der Adoptiveltern über. Gegenüber
dieser Absonderung fällt es auf, daß einige Beobachter angeben, daß
die Gebärende öffentlich vor allen Dorfbewohnern niederkommt, so daß
diese den ganzen Vorgang genau mitansehen können, so zum Beispiel
auf Neuseeland und Hawai. Meistens vollzieht sich die Niederkunft
ohne Mithilfe anderer, aber auf einzelnen Inseln sind Frauen dabei
behilflich. So stehen bei den Maori die Großmutter mütterlicherseits
oder in ihrer Behinderung die Großmutter väterlicherseits, auf Samoa
zwei weise Frauen der Gebärenden bei; auch auf Fidschi üben Weiber
schon berufsmäßig Geburtshilfe aus. Manchmal assistiert auch der
Ehemann.

[Illustration: Abb. 17. Stillende Mikronesierin, in der Seitenlage auf
flacher Erde liegend.]

[Illustration:

    Aus: Kraemer, Hawai.

Abb. 18. Krieger der Gilbertinseln

in ihren aus Kokosnußfasern geflochtenen Panzern und Helmen aus der
Haut des Igelballonfisches. Der Eingeborene zur Linken hält eine Lanze
mit Haifischzähnen, während die Lanze seines Nebenmannes mit Zinken
versehen ist, welche die Haifischzähne am Speer des Gegners wegreißen
sollen.]

Die +Nabelschnur+ wird meistens von der Mutter selbst mittels
eines Bambusspans, eines scharfen Steines oder einer Muschelschale
abgetrennt; an anderen Orten tun dies die Helferinnen oder auch der
Mann. Vielfach wird der Nabelstrang auch mit den Zähnen durchbissen.
Auf den Marquesasinseln ist es bei der Geburt von Häuptlingskindern
sogar vorgeschrieben, daß die Großmutter die Nabelschnur mit ihren
Zähnen abbeißt. Dieser mangelhaften Behandlung ist das überaus häufige
Vorkommen von Nabelschnurbrüchen unter der polynesischen Bevölkerung
zuzuschreiben. An die Abnabelung des Kindes knüpfen sich verschiedene
Zeremonien. Auf Samoa schlägt man die Nabelschnur bei einem Knaben mit
einer Keule durch, um anzudeuten, daß er ein tüchtiger Krieger werden
solle, bei einem Mädchen trennt man sie mit einem Messer auf einem
Brette ab, auf dem die Tapa geklopft wird, mit dem Wunsche, daß aus dem
Kinde eine tüchtige Hausfrau werden soll; Kriegskeule und Tapabrett
versinnbildlichen die Hauptbeschäftigung der beiden Geschlechter.
Auf den Fidschiinseln dürfen die Nachbarn aus dem Hause, in dem ein
Kind geboren wurde, vier Tage lang kein Feuer holen, weil sonst der
Wundverlauf am Nabel ein ungünstiger sein würde. Auf Viti Lewu sendet
ein Priester an dem Tage, an dem der Abfall der Nabelschnur zu erwarten
steht, Gebete zu den Göttern, um Gesundheit und langes Leben für
das Kind herabzuflehen, und segnet die Speisen, die ihm gereicht
werden. Auf Neuseeland wird der abgefallene Rest der Nabelschnur in
der Muschel, mit der sie abgeschnitten wurde, in fließendes Wasser
gelegt; schwimmt diese mit ihrem Inhalte weiter, dann ist dies eine
gute Vorbedeutung dafür, daß das Kind glücklich werden wird, sinkt sie
dagegen unter, so heißt es, daß es früh sterben oder ihm sonst ein
Unglück zustoßen wird.

Über +Zwillinge+ bestehen manche abergläubische Vorstellungen. Sind
sie ungleichen Geschlechtes, so wird auf Nauru das männliche Kind
getötet, weil man annimmt, daß beide im Mutterleibe, weil verschiedenen
Geschlechtes, miteinander Unzucht getrieben haben, was für ein schweres
Verbrechen gilt. Auf Jap wird von Zwillingen der eine an den Bruder
des Vaters oder in Ermangelung eines solchen an einen anderen nahen
Verwandten fortgegeben, aus Furcht, es könnte sonst eins der Kinder
sterben. Das aus dem Haus gegebene Kind bleibt Eigentum dessen,
der es bekommen hat, und darf, im Falle das andere stirbt, nicht
zurückgefordert werden.

[Illustration:

    Phot. Josiah Martin.

Abb. 19. Tanz samoanischer Frauen und Männer,

der in außerordentlich ausdrucksvollen und gleichmäßigen Bewegungen der
Arme und Hände besteht.]

Sogleich nach der Niederkunft pflegt die +Wöchnerin+, um auf diese
nunmehr wieder zurückzukommen, ein Bad in der See oder einem nahen
Flusse -- auf größeren Inseln wird die Gebärhütte bereits in der
Nähe eines solchen angelegt -- zu nehmen und gleichzeitig auch ihr
Kleines, das sie selbst säugt (Abb. 17), zu baden. Weiter muß sie
meistens auch noch längere oder kürzere Zeit in ihrer Hütte in voller
Abgeschlossenheit von den Männern zubringen. Auf Tahiti erstreckte
sich diese Abschließung bis zu drei Monaten für die wohlhabenderen
Wöchnerinnen. Während dieser Zeit mußten sie gefüttert werden; der
Vater hatte stets ungehinderten Zutritt, die übrigen Verwandten durften
nur die Hütte betreten, wenn sie ihre Kleider abgelegt hatten. Alles,
was das Kind, besonders mit seinem Kopf, berührte, wurde sein Eigentum.
Nach Ablauf dieser Periode brachten die Ärmeren Reinigungsopfer dar,
die Reichen hingegen veranstalteten ein großes Fest, Oroa genannt. Auf
den Palauinseln bleibt der Gatte von seiner Frau zehn Monate lang
streng geschieden; er hält sich im Junggesellenhaus auf und darf seine
Wohnung nur, um das Essen einzunehmen, betreten.

[Illustration:

    Phot. A. J. Iles.

Abb. 20. Nasengruß der Maori,

denen die Sitte, sich zu küssen, wie den Naturvölkern des Orients im
allgemeinen, unbekannt ist. Das eine der beiden Mädchen trägt einen
Mantel aus Flachs mit Schnüren verziert, das andere einen Überwurf aus
Federn.]

Auf den Marianen verteilt man unter die bei der Geburt Beteiligten Reis
und Fische; zum Ausdruck der Hochachtung für den Vater bestreut man
den Weg, den er zum ersten Male nach der Geburt seines Kindes beging,
mit Reis. Auf der Insel Truk (Karolinen) pflegt der Vater bei diesem
freudigen Ereignis sich wohlriechende Kräuter an den Gürtel zu stecken
und beim Ausgang die Lanze mit der Spitze nach unten zu halten, weil
ihm sonst die Seele des Kindes nachfolgen könnte. Auf Nauru führen die
jungen Leute nach der Geburt eines Kindes zum Zeichen ihrer Freude
einen Ringkampf auf. Bei den Maori Neuseelands ist das Neugeborene
tabu und darf von niemand berührt werden, bevor es nicht von diesem
Banne erlöst worden ist. Dies geschieht in der Weise, daß der Vater
auf einem kleinen Feuer etwas Tarowurzel röstet, das Kind in den Arm
nimmt, dessen Körper an verschiedenen Stellen damit berührt und sodann
die Wurzel ißt. Doch ist damit die Befreiung von dem Tabu noch nicht
erreicht, denn am andern Morgen kommt die älteste Verwandte des Kindes
mütterlicherseits und nimmt die gleiche Zeremonie an dem Vater selbst
vor. Erst wenn diese beiden Handlungen (Tautane und Reahine genannt)
vorüber sind, ist das Kind von seinem Tabu befreit und erhält seinen
Namen.

[Illustration:

    Phot. J. J. Lister.

Abb. 21. Sitztanz auf Samoa.

Eine samoanische Taupu mit ihren Gefährtinnen einen der für Polynesien
so charakteristischen Sitztänze ausführend, die in anmutigen Bewegungen
der Arme und des Oberkörpers bestehen.]

Die +Namensgebung+ erfolgt in Polynesien meistens bald nach der Geburt
und wird vielfach von Festlichkeiten (Tänzen, Wettkämpfen und Gelagen)
begleitet. Auf der Insel Jap mußte die Schwester des Vaters diesen nach
dem gewünschten Namen des neugeborenen Kindes fragen und ihn dann der
Mutter mitteilen; auf Nauru wählte eine alte Verwandte den Namen aus
und auf Rotuma sogar der Häuptling. Bei den Maori ging die Namensgebung
mit besonderen Feierlichkeiten in Gegenwart der Eltern und Verwandten
vor sich. Ein Priester tauchte einen grünen Zweig ins Wasser und
besprengte damit das Haupt des Kindes, wobei er geheimnisvolle Wünsche
murmelte; die Mutter durfte bei der Besprengung nicht zusehen.

Meistens wird das Kind von der jungen Mutter gesäugt. Auf Fidschi
glaubte man früher, daß eine andere Milch als die der eigenen Mutter
dem Kinde sicher den Tod bringe; ja, man trieb diese Vorsicht so weit,
daß die Mutter, wenn sie aufs Feld ging, für den Säugling eigene Milch
in einem Bambusröhrchen hinterließ. Früher war langdauerndes +Säugen
der Kinder+ sehr verbreitet; besonders auf den Karolinen betrachteten
die Frauen es für eine Ehrenpflicht, ihre Kleinen jahrelang, oft bis
zum zehnten Lebensjahre zu säugen; auf Samoa sah ein Beobachter einmal
eine Mutter sogar drei aufeinanderfolgenden Kindern zu gleicher Zeit
abwechselnd die Brust reichen und auf den Marianen ein anderer einen
sechsjährigen Jungen abwechselnd aus der Mutterbrust trinken und aus
einer Tabakspfeife einen Zug tun. Natürlich wird neben der Muttermilch
überall den Kleinen auch andere Nahrung verabreicht, die die Mutter
ihnen meistens vorkaut, wie zum Beispiel Kokosnüsse, Bananen, Taro und
anderes mehr.

[Illustration:

    Phot. J. J. Lister.

Abb. 22. Sitztanz auf Samoa.]

[Illustration:

    Phot. J. J. Lister.

Abb. 23. Sitztanz auf Samoa.]

Auf Samoa wird der +Beginn jedes neuen Lebensabschnittes des Kindes
durch Feste gefeiert+. Sobald es sitzen kann, gibt dies zu einem Feste
Anlaß; seine ersten Kriechversuche ebenfalls; wenn es zum ersten Male
steht, wird dies wiederum durch ein Fest gefeiert, und so geht es
weiter. Wenn die Knaben größer geworden sind, helfen sie meistens ihren
Vätern beim Fischen oder auf den Plantagen, während die heranwachsenden
Mädchen am Riff Nahrung suchen, Wasser aus der Quelle holen oder sich
mit der Anfertigung von Tapa und Matten beschäftigen. Auf Samoa umfaßt
der Unterricht der Knaben auch die Ausbildung im Kochen, denn man hält
es für richtig, daß auch ein Mann sich darauf versteht, eine Speise
zuzubereiten.

[Illustration:

    Phot. J. Turner-Turner.

Abb. 24. Ein Häuptlingserbe aus Samoa,

der durch seinen Rang berechtigt ist, den aus Mädchenhaar gefertigten
Kopfschmuck zu tragen. In den Händen hält er das samoanische
Kopfmesser.]

[Illustration: Abb. 25. Eröffnungsszene eines „Eva“, eines Tanzes der
Bewohner von Rara Tonga (Cookinseln),

der manchmal die Taten der Helden und Halbgötter der Vorzeit zur
Darstellung bringt.]

+Die sittlichen Verhältnisse der Polynesier+ werden von den
Forschungsreisenden verschieden beurteilt, und es scheinen in der Tat
zwischen den einzelnen Inselgruppen in dieser Hinsicht Unterschiede
zu bestehen. Vielfach in Polynesien und fast überall in Mikronesien
herrscht für die jungen Leute beiderlei Geschlechts bis zur Ehe
vollständige geschlechtliche Freiheit. Die unverheirateten Männer
leben in ihren Junggesellenhäusern zusammen und führen hier längere
oder kürzere Zeit ein freies Liebesleben mit den jungen Mädchen,
gelegentlich auch mit Frauen. Diese Weiber, auf den Karolinen Armengol
(Dirnen) genannt, sind meistens aus anderen Dörfern geraubt worden,
manchmal nur scheinbar, denn vorher wurde ein Einverständnis mit ihren
Eltern erzielt, oder sie liefen freiwillig den Junggesellenhäusern zu.
Sie bilden hier das Gemeinschaftsgut der Männer, sowohl der ledigen
wie der verheirateten. Auf den Karolinen erhalten die Mädchen für
diesen Liebesdienst Geld, das sie sich sammeln und in die Heimat
zuruckbringen, wo es vielfach der Häuptling sich aneignet und verteilt.
Auf den Marshallinseln besteht auch die gastliche Prostitution; ein
Mädchen wird im Männerhause dem Fremden überlassen, der sich durch
kleine Geschenke dafür erkenntlich zeigt; diese fallen dem Häuptlinge
zu. Auf den Palauinseln läuft die Ehefrau, wenn ihr Mann sie schlecht
behandelt, in das Junggesellenhaus; hier muß dieser sie dann durch
Geld loskaufen; gibt er kein Geld für sie, so verliert er das Anrecht
auf seine Gattin, und sie bleibt so lange im Junggesellenhaus, bis
ein wohlhabender Eingeborener sie auslöst. -- Homosexuelle Neigungen
wurden auch unter den Polynesiern beobachtet; besonders unter der
Bevölkerung Tahitis kamen sie häufiger vor, bei den sogenannten
Mahus, die in Kleidung und Gebärden die Weiber nachahmten, unter ihnen
lebten, weibliche Arbeiten verrichteten und mit Männern geschlechtlich
verkehrten.

[Illustration:

    Phot. J. Turner-Turner.

Abb. 26. Junge Samoanerin, deren langes Haar der Sitte gemäß später für
einen Häuptlingskopfputz verwendet wird.]

Die +Brautwerbung+ der jungen Leute bietet im allgemeinen nichts
Charakteristisches; sie pflegte meistens als ein einfaches Geschäft
und für gewöhnlich ohne jegliche Umschweife von den beiden
Hauptbeteiligten betrieben zu werden. Jedoch ist gelegentlich auch
wirkliche Herzensneigung dabei im Spiele. Von den Samoanern zum
Beispiel erzählt Kubary eingehende Einzelheiten über das Liebeswerben
des Jünglings um seine Auserkorene und die Liebesneigung der letzteren
zu ihm. Küsse werden unter den Liebenden nicht ausgetauscht, wie wohl
nirgends bei den Naturvölkern, aber die moderne Kultur hat auch schon
verschiedentlich diese europäische Gewohnheit nach dem fernen Osten
verpflanzt. Dagegen ist unter den Maori zwischen Freunden, Verwandten
und Liebenden das Aneinanderdrücken der Nasen eine allgemein übliche
Liebesbezeigung (Abb. 20).

[Illustration: Abb. 27. Schlußszene eines „Eva“ von Rara Tonga.

Die Spieler der obenstehenden Szene haben am Schlusse des Tanzes
ihre Gesichtsmasken abgenommen und auf die Spitze ihrer Kriegspeere
gesteckt.]

Eine gewisse Formalität wird von den Samoanern bei der Werbung
beobachtet, zumal, wenn es sich um Leute von Rang handelt. Will zum
Beispiel ein Häuptlingssohn auf Samoa eine Taupu des benachbarten
Dorfes heiraten, so macht eine dazu aus den Verwandten des jungen
Mannes erwählte Abordnung ihrem Vater einen unverbindlichen Besuch,
um das Mädchen in Augenschein zu nehmen. Sind sie mit der Wahl
zufrieden, so macht eine größere Gesandtschaft einen feierlicheren
Besuch und bringt Geschenke in Gestalt von Schweinen und Taro mit.
Nimmt sie der Vater des Mädchens an und zeigt dieses selbst keinen
Widerstand, dann gilt die Angelegenheit als erledigt, und man kann nun
an die Vorbereitungen zur Hochzeit gehen. Schlägt dagegen der Vater
die Geschenke aus, ist aber das Mädchen nicht abgeneigt, dann wird
eine zweite Gesandtschaft abgeschickt, die sich aus einflußreicheren
Personen zusammensetzt und zu ihren Mitgliedern auch den jungen
Bewerber zählt. Sollte auch diese zweite Mission nichts ausrichten,
so kann nur noch der Häuptling in eigener Person, von seinem ganzen
Gefolge begleitet, anfragen. Dieser Schritt wird indessen nur dort
unternommen, wo der Häuptling und seine Untertanen diese Verbindung
durchaus wollen. Dieses Mal muß der Vater des Mädchens nachgeben. Die
Verwandten des Bräutigams bereiten eine Menge Geschenke, aus Sachen
bestehend, die die Männer angefertigt haben, für die Verwandten der
Braut vor, diese selbst aber erhält von ihrer Familie eine große
Aussteuer in Gestalt von Stoffen und der sehr geschätzten und hübsch
geflochtenen Matten. Nach dem Austausch der Geschenke und einem
großen Schmaus geht der Bräutigam mit der Braut in sein Dorf zurück.
Seine Hütte ist meistens auf einer Plattform aus Steinen gegenüber
dem Schlafraum des Häuptlings durch einen Knappen seines Vaters
erbaut worden, wofür ersterer als Entgelt einen Anteil an den schönen
Aussteuermatten erhält. Letztere werden in der Tat unter die Einwohner
des Dorfes, namentlich unter die Knappen des Häuptlings, die eine
privilegierte Kaste bilden, verteilt.

[Illustration: Abb. 28. Ein Tonganer, dessen Haarfrisur für eine
Festlichkeit mittels Ton hergestellt wurde.]

Die +Hochzeitsgebräuche+ sind seit der Einführung des Christentums
so ziemlich in Vergessenheit geraten. Zwar lag ihnen überhaupt
keine ernstere Bedeutung zugrunde, zumal die Eheschließung früher
lediglich ein Zivilvertrag war und daher religiöser Riten entbehrte.
Bemerkenswert war auf Samoa und Tonga ein Brauch, bei dem die Unschuld
einer Braut von hohem Rang öffentlich auf die Probe gestellt wurde;
heutzutage ist er in Vergessenheit geraten. -- In Mikronesien spielt
sich die Hochzeit etwas feierlicher ab. Auf den Karolinen zum Beispiel
führt der Bräutigam das Mädchen seiner Wahl in sein Haus; dort wird sie
offiziell von der Schwiegermutter anerkannt, die ihr den Rücken mit
Kokosnußöl einreibt. Darauf bekommt sie eine Kranzkrone aufgesetzt, und
das Festessen beginnt.

Auf den Gilbertinseln sind die Männer sehr eifersüchtig; die
Eingeborenen wagen daher kaum, mit einer jungen Frau zu sprechen, weil
sonst der Gatte leicht zu Gewalttätigkeiten gereizt wird. Ein großer
Prozentsatz der Leute trägt die Spuren solcher Reibereien in Gestalt
von Narben an sich, die ihnen von dem eifersüchtigen Gatten mittels der
üblichen Waffen aus Haifischzähnen beigebracht wurden. Recht drollig
ist der Ursprung der Sitte, daß ein Mann, der auf dem Palmbaum mit der
Palmweinernte beschäftigt ist, laut singen muß. Bei einer Gelegenheit
glaubte einmal ein Häuptling von einem Manne, der in dieser Weise
beschäftigt war, annehmen zu dürfen, daß er sich in dem Baumgipfel
versteckt habe, um die in der Nähe badenden Frauen des Häuptlings zu
sehen; er erschoß ihn daraufhin kurz und bündig. Daher beweisen die
Eingeborenen ihre ~bona fides~ in der Weise, daß sie so viel wie
möglich Lärm machen, wenn sie oben in der Baumkrone beschäftigt sind.
-- Bei den Gilbertinsulanern besteht auch das Recht, daß ein Mann, der
die älteste von mehreren Schwestern geheiratet hat, noch die übrigen
als Frauen nehmen darf, vorausgesetzt, daß er dazu Lust hat und sich
diesen Luxus zu leisten vermag. Anderseits darf kein anderer diese
Schwestern ohne seine Erlaubnis heiraten.

[Illustration:

    Aus: Hesse-Wartegg, Samoa.

Abb. 29. Samoaner beim Reinigen ihrer Wäsche am Vaisinganofluß bei
Azin.]

Von den +Unterhaltungen+ der Polynesier steht der +Tanz+ oben an;
er darf bei keiner zeremoniellen Veranstaltung fehlen. Gegenstand
des Tanzes sind gelegentlich die Taten der Vorfahren und Halbgötter
(Abb. 25 und 27). Merkwürdigerweise besteht er vielfach weniger in
den Bewegungen der Füße, wie bei den sogenannten klassischen Tänzen,
sondern vielmehr in einem Spiel der Hände und Arme (Abb. 19). Dies
zeigt sich besonders an den Sitztänzen, die für Samoa typisch sind
(Abb. 21 bis 23), obgleich wir ähnlichen, wenn auch unbedeutenderen
Vorstellungen in Mikronesien begegnen. Auf Samoa laden die Bewohner
eines Dorfes häufig die eines andern zu einem Tanze ein; ein solcher
vollzieht sich unter großen Förmlichkeiten und fängt gewöhnlich
mit einem oder mehreren dieser Sitztänze an, bei dem die Taupu,
die Häuptlingstochter, in Begleitung von zehn Dorfschönheiten die
Hauptrolle spielt. Bei solchen zeremoniellen Gelegenheiten trägt sie
und der Erbe des Häuptlings, sofern ein solcher anwesend ist, einen
eigenartigen, wertvollen Kopfputz, der aus Menschenhaar angefertigt
und mit drei aus ihm hervorragenden perlmuschelbesetzten Stäben,
sowie einem Band aus buntschillernden Muscheln quer über die Stirn
verziert ist (Abb. 24 und 26). Ein Chor, der hinter den Aufführenden
sitzt, begleitet ihren Tanz mit Liedern und schlägt den Takt dazu auf
Matten, die um einen Bambusstamm gerollt sind. Hieran schließen sich
stehende Tänze, die einen mimischen Charakter tragen und Vorgänge
des täglichen Lebens, zum Beispiel das Aufspeeren von Fischen und
den Schildkrötenfang zur Darstellung bringen. Die Bewegungen der
Tänzer sind äußerst anmutig, und der Ruhm einer besonders gewandten
Taupu breitet sich weit über die Grenzen ihres eigenen Landes aus.
Auch auf Neuseeland gibt es Sitztänze, bei denen die Mädchen die
Einzelheiten einer Kanufahrt oder eines ähnlichen Vorganges vorführen.
Noch ein Tanz verdient Erwähnung, es ist der Handklatschtanz auf den
Gilbertinseln, bei dem vier Tänzer den Takt zu ihrem Liede angeben,
indem sie sich gegenseitig auf die Hände schlagen, wie unsere Kinder
dies beim Händeklatschen tun. Von den markanteren Tänzen wollen wir
den Hula der Hawaier nennen, der deswegen interessant erscheint, weil
die weiblichen Tänzer teilweise noch den alten Blätterfaltenrock und
Blumenkränze tragen, die das anmutige Kostüm vorzivilisierter Zeiten
ausmachten (Abb. 30 bis 32). Die Bewegungen dieses Tanzes, sowie
mancher anderen Polynesiens, sind oft genug recht lasziv und dazu
angetan, die geschlechtlichen Begierden der Teilnehmer und Zuschauer
wachzurufen; nicht selten endigen sie in sexuelle Orgien und einen
allgemeinen geschlechtlichen Verkehr. -- In den direkt Kraft und
Energie erfordernden Tänzen (Kriegstänze) stehen die Neuseeländer
unübertroffen da (Abb. 33 und 34). Leider sind diese Tänze bei weitem
nicht mehr das, was sie noch im Anfange des vorigen Jahrhunderts waren,
als unter dem Gestampfe von Hunderten von Füßen, die mit einem einzigen
Schlage aufsetzten, die Erde erdröhnte und die Verzerrungen im Gesichte
der Tänzer, die ihre Augen rollen ließen und die Zunge möglichst weit
hervorstreckten -- beides ein erstrebenswertes Ziel der Übungen --
großen Schrecken einflößten.

[Illustration:

    Phot. H. J. Shepstone.

Abb. 30. Eine Musikbande beim Hulatanz, die Trommeln sind aus großen
Kürbisfrüchten hergestellt.]

[Illustration:

    Phot. H. J. Shepstone.

Abb. 31. Hulatanz der Hawaierinnen in moderner Kleidung, abgesehen von
den Rasseln um die Fußgelenke.]

[Illustration: Wellenreiten der Hawaiinsulaner,

welche diesem Sport, der jetzt auch an den Küsten Australiens und des
Stillen Ozeans ausgeübt wird, mit Begeisterung huldigen.]

Außer dem Tanz kennen die Polynesier noch +viele andere
Unterhaltungen+, die sie mit der Jugend zivilisierter Länder gemeinsam
haben, nämlich das Drachensteigenlassen, Kreiselspiel, Stelzenlaufen,
Ringkampf (Abb. 35), Fadenspiel (Abnehmen von Figuren aus Bindfaden
von der Hand einer Person auf die einer anderen), Rätselraten, das
Lafospiel und anderes mehr. Auch Ballspiele sind nichts Ungewöhnliches.
Auf den Gilbertinseln spielen Personen gleichen Geschlechtes
miteinander; ein Spieler wirft den Ball, einen in ein Tuch gehüllten
und mit einem Kokosfaserband umwickelten Stein, in die Höhe und
schlägt ihn mit der Hand nach der anderen Seite hinüber; wird er dort
aufgefangen, so bekommt diese Partei einen Punkt, im anderen Falle
zählt die Partei des Werfenden einen solchen. Schaukelspiele haben in
Polynesien weite Verbreitung; besonders abwechslungsreich sind sie auf
den Gilbertinseln. Ein beliebtes Spiel ist hier zum Beispiel folgendes:
An der Spitze einer überhängenden Palme wird ein Seil befestigt und
in seiner Endschlinge eine Matte als Sitzgelegenheit für ein junges
Mädchen gehängt. Sobald diese Schaukel nun vorwärts schwingt, springt
einer der zahlreich versammelten jungen Männer auf, hält sich am Seil
fest und begleitet das Mädchen auf seinem Flug in die Luft; wenn sich
beide dann der Erde nähern, springt er herab und ein anderer nimmt
bei dem nächsten Schwung nach vorn seine Stelle ein; in dieser Weise
geht das Spiel weiter. Als einst ein Eingeborener gefragt wurde,
warum gerade immer ein Mädchen den Schaukelplatz einnehme, gab er zur
Antwort, daß das Spiel für die jungen Männer sonst keinen Reiz haben
würde.

[Illustration:

    Phot. H. J. Shepstone.

Abb. 32. Eine Hawaierin beim Hulatanz.

Dieser Nationaltanz hat sich trotz aller Bemühungen der Missionare bis
auf die heutige Zeit erhalten.]

Mit dem Einzug der Zivilisation ist auch das Kricketspiel nach
Polynesien gekommen; besonders auf Tonga nahm es eine große Verbreitung
an. Ein anderes +Spiel+, das gleichfalls einen westlichen Beigeschmack
verrät, aber doch aus den voreuropäischen Tagen stammt, ist das auf
Samoa und noch weit mehr in Mikronesien sehr beliebte Schausegeln.
Hierfür werden besondere Boote gebaut von dem Typus der üblichen
Auslegerfahrzeuge der betreffenden Gegend, aber mit dem Unterschied,
daß die Ausleger verhältnismäßig lang und die Fläche des Segels groß
zum Rumpfe des Schiffes ausfallen. Zu einer bestimmten Jahreszeit
werden dann Wettfahrten unternommen, bei denen sich ein großer Eifer
zwischen den Besitzern der Fahrzeuge und selbst zwischen den einzelnen
Dörfern entwickelt. Ein früher auf Hawai viel geübter Sport, dessen
Spuren noch jetzt angetroffen werden, war das Hörnerschlittenfahren.
Auf primitiven Schlitten sauste der junge Häuptling die steile
Hügelseite so rasend schnell herab, daß man glaubte, es gälte sein
Leben oder zum mindesten seine Glieder.

[Illustration:

    Phot. Muir & Moodie.

Abb. 33. Maori zum Hakatanz versammelt.

Der links außen befindliche Maori trägt ein Gewand, das aus Hanffasern
hergestellt und mit Federn vollständig bedeckt ist.]

Von sämtlichen Wassersportarten bereitet das +Wassertreten+ den
Polynesiern die größte Freude. Der junge Polynesier schwimmt mit einem
kleinen Brett in die See hinaus, taucht unter die sich heranwälzenden
Wellen, bis er die äußere Linie der Sturzwellen erreicht hat, wartet
hier eine besonders große Welle ab, wirft sich, sobald ihre innere
Höhlung ihn streift, auf sein Brett und wird mit großer Geschwindigkeit
ans Land getragen. Manche Eingeborene besitzen darin eine solche
Fertigkeit, daß sie ihre Wellenfahrt sogar stehend zurücklegen, wozu
eine große Geschicklichkeit gehört, einmal beim Stehenbleiben auf dem
Brette und zum anderen beim Ausweichen der Korallenbänke (Abb. 36 und
farbige Kunstbeilage).

+Kanuwettfahrten+ bilden gleichfalls einen beliebten Sport, besonders
bei den Maori. Mit zwanzig Paddlern hintereinander besetzt, erzielen
diese Kanu eine beachtenswerte Schnelligkeit. Am eigenartigsten und
aufregendsten sind jedoch die Hindernisrennen mit Kanus über quer über
die Rennstrecke gelegte, auf eingetriebenen Pfählen ungefähr einen Fuß
höher als die Wasseroberfläche ruhende Stangen. Nähert sich ein solches
Kanu, das mit zwei Paddlern besetzt ist, dem Hindernis, so wirft sich
der Paddler am Bug rückwärts, dadurch hebt sich das Vorderteil scharf
empor und gleitet über das Hindernis hinweg nach der anderen Seite, wo
das Paddeln wieder aufgenommen wird (Abb. 37).

Ein Sport, der den Bewohnern der Gilbertinseln und der ihnen
benachbarten kleinen Insel Nauru eigentümlich ist, besteht in der
+Jagd auf Fregattenvögel+ (Abb. 38 bis 40), die als Lieblingstiere
in Dörfern gehalten werden. Die wilden Vögel werden durch gezähmte
angelockt und, sobald sie herangekommen sind, schleudern die im
nahen Versteck lauernden Jäger einen langen Bindfaden, an dem ein
walnußgroßes Stück harten Korallenkalkes oder einer Tridacnamuschel
befestigt ist, über den Fregattenvogel hinweg, so daß die Schnur über
seine ausgebreiteten Flügel fällt. Ehe er sich davon befreien kann,
wird er von den Vogelfängern ergriffen. In der Regel müssen bei einem
Wettkampf dreißig Vögel auf diese Weise eingefangen werden. Da sich
keine Frau der Fangstelle nähern darf, so malen sich die Jünglinge,
die an der Jagd beteiligt sind, einen schwarzen Ring auf das Gesicht,
um dadurch ihre Beschäftigung zu bekunden. -- Vogelfang mit Schlingen,
einst ein beliebter Sport auf Samoa, wird bis zu einem gewissen Grade
auch heute noch betrieben. Es werden dafür als Lockmittel Tauben
verwendet, die in offenen, in den Wald gehängten Bauern angebunden sind
und durch ihren streitsüchtigen Charakter vorbeifliegende Vögel zum
Kampfe herausfordern und in das Bauer locken sollen, um darin von den
im Versteck liegenden Jägern gefangen zu werden. Die auf solche Weise
erbeuteten Vögel werden als Lieblingstiere gehalten und sorgfältig mit
Taro gefüttert, selbst wenn die eigene Nahrung knapp wird. Den Vögeln
des Häuptlings wird eine besondere Achtung gezollt und sie werden, wenn
man sich mit ihnen abgibt, mit denselben feierlichen Redewendungen
angeredet, in denen man zu ihrem Herrn spricht.

[Illustration:

    Phot. H. J. Iles.

Abb. 34. Darsteller eines mimischen Tanzes der Maori.

Die Tänze, die einen mimischen Charakter tragen, kommen in der Tat
einer Pantomime gleich. Die Tänzer tragen den früher üblichen Rock aus
Flachsfasern.]

Von den +Sterbe- und Totengebräuchen+ wollen wir nur die alten Sitten
auf Samoa etwas eingehender schildern. Fühlte in früheren Zeiten ein
Familienvater sein Ende bevorstehen, dann ließ er durch ausgesandte
Boten sämtliche Angehörige um sich versammeln. Alle feinen Matten, die
die Familie besaß -- sie stellten einen hohen Wert dar -- wurden vor
ihm angehäuft, damit er zum letzten Male an diesem seinem Reichtum
sein Herz erfreue. Darauf brach ein lautes Klagen und Weinen aus, und
die Götter des Todes wurden um Mitleid angefleht; dabei schlugen sich
die Jammernden die Köpfe mit Steinen blutig oder ritzten sich die Haut
mit Haifischzähnen. Wenn trotzdem der Tod sich einstellte, so wurden
diese Götter, deren Hilfe man soeben noch angerufen harte, gehörig
beschimpft, weil sie nicht geholfen hatten. Der Leichnam wurde nun
von alten Frauen mit Kokosnußöl eingerieben und auf einem Lager von
Rindenstoffen aufgebahrt, in seltenen Fällen, das heißt wenn es sich
um Häuptlinge handelte, auch einbalsamiert. Währenddessen schaufelten
die jungen Leute in der Nähe der Hütte ein nur wenige Fuß tiefes Grab
und bekleideten den Boden und die Seiten mit Korallenstücken; sie
legten die Leiche bald nach dem Tode hinein und schlossen die Grube
ebenfalls mit Korallensteinen. Auf dem darüber errichteten Hügel
häuften sie in den folgenden Tagen Lavasteine auf, so daß oft ein nach
oben stufenweise sich verjüngender Kegel entstand. Im Sterbehause
war es den Angehörigen verboten, Speise und Trank zu sich zu nehmen
bis die Beerdigung beendet war, nur die Totenfrauen durften davon
eine Ausnahme machen, sie wurden aber gefüttert, weil ihnen jegliche
Speise zu berühren untersagt war. Nach der Beisetzung dagegen fand ein
Leichenschmaus statt, mit einem sich daran anschließenden, bis tief in
die Nacht hinein dauernden wilden Tanz. Starb jemand nicht in seiner
Behausung, sondern durch Zufall im Freien oder eines gewaltsamen Todes,
so glaubte man, daß seine Seele in irgend einer Tiergestalt umherirre
und, falls sie nicht eingefangen und mit dem Körper begraben würde,
als böser Dämon (Aïtu) sehr schaden könne. Daher breitete man an der
Stelle, wo der Tod den Verstorbenen ereilt hatte, ein großes Stück
Tapa aus und wartete, bis irgend ein Tier, entweder eine Eidechse oder
Heuschrecke oder auch nur eine Ameise, sich darauf zeigte. Sofort
schlug man in der Annahme, daß dieses Geschöpf die Seele beherberge,
das Tuch über ihm zusammen und legte es dem Toten mit ins Grab. Von nun
an hatten der Verstorbene und seine Angehörigen Ruhe; ersterer konnte
nunmehr seine Reise nach der Unterwelt antreten, deren Eingang auf die
stark vulkanische Insel Sawai verlegt wurde. Das Abfangen der Seele ist
noch heute üblich. -- Geht das Leben eines Häuptlings auf Samoa seinem
Ende zu, dann ist natürlich das Sterbegefolge ein noch viel größeres,
denn es versammeln sich um ihn alle seine Lehnsleute. Von besonderer
Wichtigkeit ist dabei die Anwesenheit seiner Schwester, damit jedweder,
wenn auch nur geringfügiger Streit zwischen beiden beigelegt werde,
denn der Fluch einer Schwester gilt für das größte Unheil. Auf der
ganzen Insel wird nach dem Tode umfangreiche Trauer angelegt. Vielfach
zieht der Tod eines Häuptlings besondere Folgen nach sich. Auf Hawai
führte der Heimgang des obersten Herrschers in früheren Tagen eine
Neueinteilung aller Ländereien, die seine untergeordneten Häuptlinge im
Leben von ihm erhalten hatten, und oft genug dieserhalb Streitigkeiten
und selbst Kämpfe unter ihnen herbei. Auf Tonga wurde gelegentlich
des Todes König Georgs I. ein strenges Tabu auf alle Arten von
Beschäftigungen erlassen; diese Einstellung jeglicher Arbeit und der
große Aufwand beim Begräbnis brachten die ohnehin schon in finanziellen
Nöten sich befindliche Insel beinahe zum Bankrott.

[Illustration:

    Phot. F. Danvers Power.

Abb. 35. Ringkampf auf den Elliceinseln.

Der Ringende fordert seinen Gegner dadurch zum Kampfe auf, daß er ihn
dreimal auf die Brust schlägt. Der Kampf ist entschieden, wenn einer
der Ringer einmal zu Boden geworfen ist.]

[Illustration:

    Phot. H. J. Shepstone.

Abb. 36. Wellenreiten der Samoaner,

ein beliebter Sport der Eingeborenen, die darin große Geschicklichkeit
an den Tag legen und oft stehend auf den schmalen Brettern ans Land
gleiten.]

[Illustration:

    Phot. Josiah Martin.

Abb. 37. Kanuwettfahrt auf Neuseeland,

eine sportliche Übung, in der sich die Frauen in gleicher Weise wie die
Männer auszeichnen.]

Als +Grabstätten+ dienten bereits vor der Berührung mit Europäern auf
Hawai, den Cookinseln sowie auf Neuseeland Felshöhlen; die Gebeine
verehrungswürdiger Vorfahren wurden oft gesammelt und in zierliche
Pakete gelegt. Bis vor kurzem bewahrte man noch auf der Penrhyninsel
die in Matten eingewickelten Toten im Hause hängend auf. Meistens
finden sich die Gräber auf regelrecht angelegten Friedhöfen; auch sie
werden auf irgend eine Weise kenntlich gemacht, zum Beispiel durch
einen Hügel (Abb. 41), dessen Größe den Rang des Verstorbenen anzeigt,
oder, wie auf den Marshallinseln, durch Aufstellen von Paddeln am Kopf-
und Fußende und anderes mehr. In vielen Teilen Polynesiens legt man den
Besitz des Verstorbenen auf sein Grab, selbst wertvolle Sachen, wie
einmal eine Nähmaschine. Die dort niedergelegten Gegenstände werden
indessen von niemand berührt, geschweige denn fortgenommen, so großen
Wert sie auch besitzen mögen; denn das Tabu, das sich auf Tote bezieht,
ist fast noch strenger als das für Lebende. -- Vielfach herrscht neben
dem Glauben, daß die Toten in der Nähe zurückgeblieben sind, auch
Furcht vor Gespenstern. Auf Niue hält man sich Hunde, deren Bellen
übernatürliche Besucher fernhalten soll. Dagegen hegen die Bewohner von
Penrhyn freundlichere Gefühle für die Heimgegangenen, denn sie bauen
Hütten über ihren Gräbern, in denen sie schlafen, und hoffen, daß ihre
Geliebten ihnen im Traume erscheinen. Ebenso ist auf den Paumotuinseln
die Sitte, auf den Kirchhöfen zu schlafen, sehr verbreitet.

[Illustration:

    Phot. J. Danvers Power.

Abb. 38. Stangen mit zahmen Vögeln auf Nauru,

die als Lockmittel dienen. Der Eingeborene spritzt Wasser aus seinem
Munde, das den Vögeln zum Trinken dient.]

[Illustration:

    Phot. J. Danvers Power.

Abb. 39. Jagd auf Fregattenvögel auf Nauru.

Auf einem tragbaren Gestell sitzen Lockvögel, die durch ihr Geschrei
die wilden Vögel anlocken.]

Von der früheren +Religion+ sind auf Polynesien nur noch wenige Spuren
vorhanden. Der Glaube an die hohen Götter des Meeres, des Himmels,
der Erde und des Krieges ist heutzutage geschwunden. Nur dort, wo
die christliche Religion noch nicht hingelangt ist, treffen wir
noch Verehrung der alten Götter an; so hat auf Mikronesien, wo für
die kleinen Koralleneilande die beständige Gefahr besteht, daß sie
durch eine Sturmflut hinweggeschwemmt werden könnten, der Hauptgott
des Sturmes noch Ansehen. Die meisten mikronesischen Götter werden
durch Tiere oder Pflanzen verkörpert, so der Regengott durch einen
Sternfisch, der Kriegsgott durch einen Haifisch, der Donnergott durch
einen Kastanienbaum. Die Opfer, die man diesen Gottheiten darbringt,
werden einfach unter einem Baume niedergelegt; Menschenopfer waren in
Polynesien nie üblich. Obwohl auch die Sitte des Tabu schon sehr im
Abnehmen begriffen ist, spielt sie doch verschiedentlich noch eine
nützliche Rolle, zum Beispiel wenn ein Häuptling ein Tabu auf Ernten
setzt, damit sie nicht vorzeitig eingeholt werden, oder wie auf den
Paumotuinseln auf eine bestimmte Lagune mit Perlenfischerei, damit für
eine gewisse Zeit ihre Ausnutzung verhindert werde, oder auf bestimmte
Äcker, damit sie nicht bestohlen werden. Äußerlich wird dieses Verbot
durch besondere Kennzeichen bekundet, wie durch Aufstellen einer aus
Blättern angefertigten Figur eines Hornhechtes oder Haifisches --
wer das Tabu bricht, ist in Angst, er könnte beim nächsten Baden von
einem solchen Tiere angegriffen werden --, oder einfach durch Anbinden
eines Blattes um den Stamm eines Baumes auf der Plantage, Aufhängen
von Kokosnüssen auf dem sichtbaren Stumpfe eines Baumes und anderes
mehr. Derartige Zeichen verfehlen ihren Zweck nie, denn der Eingeborene
glaubt bestimmt, daß ihn ein Unglück, Krankheit, Blitz oder dergleichen
treffen werde, sofern er ein solches Warnungszeichen nicht beachtet.

[Illustration:

    Phot. J. Danvers Power.

Abb. 40. Plattform für den Fang des Fregattenvogels auf Nauru.

Junge Leute auf Nauru werden erst als heiratsfähig betrachtet, wenn sie
mindestens vierzig Fregattenvögel gefangen haben.]

Einer großen Verbreitung erfreut sich noch der +Aberglaube+, daß man
jemand durch +Zauber+ mit einer Haarlocke, einem Fetzen Zeug oder einem
Speiserest von einer Person Unglück zufügen könne. Auch +Wahrsagerei+
wird noch viel betrieben, ebenso wird noch an +Gottesurteile+ geglaubt.
Auf Samoa zum Beispiel sucht man bei einem Diebstahl den Täter in der
Weise zu bekommen, daß man alle Beteiligten um eine Schüssel mit Kava
versammelt, in der ein kleiner geknoteter Faden schwimmt, und aufpaßt,
in wessen Trinkschale beim Verteilen sich der verräterische Faden zeigt.

[Illustration:

    Phot. J. J. Lister.

Abb. 41. Tonganerwitwe am Grabe ihres Gatten.

In der Regel hegen die Polynesier mit großer Sorgfalt die Gräber ihrer
Toten. Die Witwe auf diesem Bilde gießt Öl auf die letzte Ruhestätte
ihres Gatten.]

Die primitive +Methode des Kochens+, wie sie in Polynesien und
Mikronesien üblich ist, bietet viel des Interessanten. Man kocht
oder vielmehr röstet die Speisen in heißer Asche eines offenen
Feuers. Zu diesem Zwecke wird in den Erdboden eine Grube oder Furche
in gewünschter Größe ausgehoben, mit Brennholz angefüllt, darauf
eine Anzahl Steine gelegt und das Holz angezündet. Sobald dieses
niedergebrannt ist, und die Steine glühend rot geworden sind, wird
die Grube von Asche und Kohlen gereinigt, und auf die noch glühend
heißen Steine kommen die Gerichte, die gar werden sollen, zu liegen,
alle in aromatische Blätter gewickelt. Darüber werden Erde und Matten
gedeckt, um die Hitze an dem Entweichen zu verhindern (Abb. 42).
Für gewöhnlich, doch nicht überall, gießt man noch Wasser auf die
Blattpakete, bevor der Ofen geschlossen wird; man kocht dann mittels
Dampf. Nach Ablauf einer gewissen Zeit, etwa einer Stunde oder noch
mehr, je nach der Größe des Ofens und der Menge der Speisen, wird
letzterer wieder aufgedeckt, und Fleisch und Gemüse sind bei dieser
Behandlung völlig gar gekocht. Auf Neuseeland, wo noch Vulkane, im
besonderen sogenannte Geiser in Tätigkeit sind, bietet die Natur
den Menschen eine viel bequemere Kochmethode dar, nämlich heiße
Quellen (Abb. 43), die in ihrer Temperatur zwischen kochend und warm
abwechseln. Der Maori braucht seine Speisen, die er gar haben will,
nur in einem Netz in eine solche kochende Quelle oder in den daraus
ausströmenden Dampf zu halten, und die Natur besorgt in kurzer Zeit das
weitere. Nebenbei werden diese Quellen auch noch allgemein zum Baden
benutzt.

[Illustration:

    Phot. Josiah Martin.

Abb. 42. Kochen in Erdöfen auf Neuseeland.

Die auf den glühend heißen Steinen gar gekochten Speisen sind
außerordentlich schmackhaft.]

[Illustration:

    Aus „Kolonie und Heimat“.

Klubhaus der Palauinsulaner.]

[Illustration:

    Phot. A. J. Iles.

Abb. 43. Eine natürliche Küche auf Neuseeland.

Die heißen Quellen dieses an Geisern so reichen Landes liefern seinen
Bewohnern Wasser in allen Wärmegraden, das zum Kochen wie zum Baden
verwendet wird.]

Das +Feuer+ wird durch Reiben zweier Hölzer, von denen das eine hart,
das andere weich sein muß, gewonnen. Man reibt das harte angespitzte
Stück mit starkem Druck in einer Rille auf der Unterlage hin und her,
bis die durch Reibung erzeugte Hitze den dabei entstehenden feinen
Staub zum Glühen bringt, und entfacht diesen durch Anblasen und
Auffangen mittels trockenen Grases zu einer Flamme. -- Die +Nahrung+
der Polynesier besteht in den Früchten der Kokos- und Pandanuspalme,
des Brotfruchtbaumes, den Wurzelknollen des Tarogewächses -- auf Hawai
ist Poi (Abb. 1) eine daraus hergestellte sehr beliebte teigartige
Speise --, in Schweinen, Hühnern und den Erzeugnissen des Meeres
(Fischen, Krebsen, Muscheln und Schildkröten). Ein Hauptleckerbissen
der Samoaner ist der Palolo, ein Wurm der Eunicegattung, der zu
bestimmten Zeiten in großen Massen unter Festlichkeiten gesammelt
wird. Eine andere eigenartige Speise bereiten die Marshallinsulaner
aus Pandanusnüssen. Man kocht diese, preßt den Saft heraus,
nachdem die Frucht mit der Schale geschrappt worden ist, und setzt ihn
der Sonnenhitze zum Eintrocknen aus, wodurch eine Art Teig in Form
von Eierkuchen entsteht. Eine Anzahl dieser Kuchen wird lagenweise
aufeinander gelegt und bildet so eine große Wurst, die mit Blättern
umwickelt und fest verschnürt wird. Solche Rollen haben manchmal eine
Länge von fast drei und einen Umfang von nahezu zwei Meter (Abb. 44).
Sie halten sich sehr lange Zeit, und je nach Bedarf werden Stücke davon
abgeschnitten.

[Illustration:

    Aus: Kraemer, Samoainseln.

Abb. 44. Eine große Rolle mit konservierten Lebensmitteln,

wie sie auf den Marshallinseln aus Pandanusnüssen bereitet werden.
Diese Rollen werden aufbewahrt und dienen als Proviant für längere
Reisen.]

[Illustration:

    Phot. J. W. Walters.

Abb. 45. Zubereitung der Kava.

Die Wurzel des Rauschpfeffers wird zerstoßen oder gekaut, dann wird die
Masse mit Wasser gemischt und hierauf durch ein Faserbündel geseiht.]

Eine eingehendere Behandlung erfordern die +Zubereitung der Kava+ (Abb.
45), des Nationalgetränkes der Polynesier, sowie die Zeremonien des
Kavatrinkens. Die Gewohnheit des Kavatrinkens erstreckt sich nicht nur
über ganz Polynesien, mit Ausnahme der südlichen Gebiete von Neuseeland
und die Chataminseln, und Mikronesien (Karolinen), sondern kommt auch
auf Neuguinea und verschiedenen anderen Inseln Melanesiens vor. Der
Kavatrank wird aus der Wurzel einer Pfefferart, des Rauschpfeffers
(~Piper methysticum For.~) gewonnen. Die ursprüngliche Methode der
Zubereitung bestand darin, daß man die zerkleinerte Wurzel vollständig,
etwa zehn Minuten lang, zerkaute, sie mit dem dabei angesammelten
Speichel, von dem nichts verschluckt werden durfte, in ein Gesäß
ausspie und das Ganze hierin mit Wasser oder auch Kokosmilch verdünnte.
Auf den Tonga- und Marquesasinseln, auch auf Fidschi waren es Jünglinge
oder Knaben mit guten Zähnen und gesunder Mundhöhle, die das Kauen
der Wurzel besorgten, auf Samoa und Tahiti aber junge Mädchen, die
sich vorher die Hände waschen und den Mund ausspülen mußten. Auf
Samoa im besonderen fiel dieses Amt einer Häuptlingstochter, der
Dorfjungfrau oder Taupu zu (Abb. 46), die allgemein ein großes Ansehen
genießt. Schon in der frühesten Jugend wird eine Häuptlingstochter
für diesen Posten ausgewählt, den sie bis zu ihrer Verheiratung
ehrenamtlich bekleidet. Sie wird bis ins kleinste hinein in allen
geselligen Talenten, besonders im Tanzen, ausgebildet; auf ihre äußere
Erscheinung wird großer Wert gelegt und nirgends geht sie hin, ohne von
zwei Anstandsdamen begleitet zu sein, denn ihr guter Ruf muß sorgfältig
behütet werden. Natürlich ist sie von aller anstrengenden Arbeit
befreit. Zur Reifezeit nimmt sie ihre gesellschaftlichen Pflichten auf,
die darin bestehen, daß sie, wenn großer Besuch ins Dorf kommt, die
Wirtin macht, die Gäste begrüßt und bei festlichen Gelegenheiten die
Kavabowle darreicht (früher auch vorher kaute), sowie den Tanz anführt.
-- Die Sitte des Kavakauens ist jetzt vielfach abgekommen zugunsten des
Reibens mit Steinen. Auf Samoa benutzt man auch Maschinen.

[Illustration: Aus: Hesse-Wartegg, Samoa.

Abb. 46. Samoanische Taupu im Blumenschmuck und mit einem Halsband aus
Walfischzähnen.]

Das +Kavatrinken+ spielt bei den meisten Zeremonien (Abb. 48) eine
sehr große Rolle und ist das unvermeidliche Vorspiel für alle
Erörterungen politischer Angelegenheiten. Auf Tonga setzen sich bei
einer solchen Zeremonie alle diejenigen, deren Rang es zuläßt, in
einem Oval nieder, das eine Ende nimmt der erste Häuptling ein, das
andere aber bleibt offen, denn hier steht die große hölzerne Schüssel
für die Zubereitung der Kava, und hinter ihr sitzt, dem präsidierenden
Häuptlinge gegenüber, der Zubereiter und an jeder Seite ein Gehilfe,
der eine mit einem Fächer bewaffnet, um die Fliegen fernzuhalten, der
andere mit mehreren großen Schalen Wassers. Hinter ihnen kauern die
Zuschauer, deren Rang nicht gestattet, in dem Kreise der Auserwählten
Platz zu nehmen. Die zerkleinerte Wurzel wird in die Schüssel getan;
diese Tatsache kündet der Zubereiter mit einer stereotypen Phrase an,
worauf einer der dem präsidierenden Häuptlinge zur Seite sitzenden
Matabule, das ist Knappen, ihm mit dem Worte „Mische“ antwortet. Ein
Gehilfe gießt nun Wasser auf, und der Zubereiter knetet die Masse mit
beiden Händen, bis sie die erforderliche Festigkeit angenommen hat.
Die Flüssigkeit wird dann durch ein Büschel aus Hibiskusfasern mittels
Auswindens filtriert und das Getränk ist mundfertig. Die Gehilfen
füllen nun die aus halben, dünn geschliffenen und fein geglätteten
Kokosschalen hergestellten Trinkbecher an und der Matabule ruft die
Namen derjenigen auf, denen sie gebracht werden sollen, wobei sehr
wichtig ist, daß die Reihenfolge in der anerkannten Rangfolge gewahrt
wird. Der Empfänger klatscht in die Hände, um zu zeigen, wo er seinen
Platz hat. -- Auf Samoa, wo die Eingeborenen mit großer Hartnäckigkeit
an der alten Sitte des Kavatrinkens festhalten, spielt sich die
Zeremonie in ziemlich der gleichen Weise ab. Bei der Verteilung des
Trankes an hohe Häuptlinge wird indessen nicht ihr Name, sondern
der ihres Bechers ausgerufen. In früheren Tagen war die Zeremonie
des Kavatrinkens noch mit religiösen Riten verbunden. Sobald das
Kavatrinken einen offiziellen Anstrich hat, sind überall die Frauen
von der Teilnahme ausgeschlossen, sonst aber nehmen sie dieses Getränk
sehr gern zu sich, und auf Viti Lewu und Tonga soll es wirkliche
Kavakränzchen geben, die ausschließlich von Frauen besucht werden. --
In kleinen Mengen oder in schwacher Lösung getrunken, bildet die Kava
ein ungemein erfrischendes und kühlendes Anregungsmittel, in größeren
Mengen übt sie eine leicht narkotisierende Wirkung aus, die das Gefühl
von Behaglichkeit, Zufriedenheit und Glückseligkeit schafft.

Großen Fleiß und peinliche Sorgfalt verwenden die Polynesier auf den
Bau ihrer +Wohnstätten+, namentlich auf den ihrer Klubhäuser (siehe die
Kunstbeilage), die sie kunstvoll verzieren, eine bedeutende Leistung in
Anbetracht der primitiven (Stein-)Werkzeuge, die ihnen vor Einführung
der Metallinstrumente hiefür zur Verfügung standen.

[Illustration: Phot. Freih. v. Rummler.

Abb. 47. Bewohner der Insel Jap mit Ringgeld.]

[Illustration: Phot. Josiah Martin.

Abb. 48. Feierliches Kavatrinken auf Tonga. Der präsidierende Häuptling
sitzt links auf einer Matte, ihm gegenüber befindet sich die Schüssel
mit der Kava. Der davorsitzende Tonganer kämmt eben das Faserbündel
aus, mit dem er die Kava durchgeseiht hat. Neben dem Häuptling sitzt je
ein Matabule, die als Vorsichtsmaßregel für den Häuptling zuvor von der
Kava trinken.]

Schließlich sei noch ein eigenartiges +Münzsystem+ auf Mikronesien,
speziell auf den Karolinen erwähnt. Es besteht aus kreisförmigen,
Mühlsteinen ähnlichen Steinen, die in der Mitte durchbohrt sind
(Abb. 47). Der stolze Besitzer mehrerer dieser mächtigen Steine
gilt für reich. Indessen eignen sich diese „Münzen“ nicht für
den praktischen Gebrauch, sondern mehr zur Zierde, zumal sie vor
den Häusern aufgestellt zu werden pflegen. Leichter zu handhaben
sind die niedrigeren Werte, zum Beispiel ganze Perlmuschel- oder
Muschelscheibenschnüre, wie sie auf ganz Ozeanien üblich sind.



[Illustration: Aus „Kolonie und Heimat“.

Abb. 49. Hausboot der Fidschiinsulaner.]



Die Fidschiinseln.


Trotzdem die Fidschigruppe geographisch und anthropologisch noch
zu Melanesien zählt, schließen wir sie doch an Polynesien an, weil
infolge des regen Verkehrs, der seit langem zwischen ihr und den
nächstgelegenen polynesischen Inseln sich entwickelt hat, ihre Bewohner
mit der Zeit ihren rein melanesischen Charakter verloren haben und
durch den polynesischen Kontakt in ihren Sitten und Gebräuchen stark
beeinflußt worden sind.

Die gewöhnliche +Bekleidung+ des heutigen Fidschianers besteht in
einem Lendentuch aus europäischem Stoff und einem Hemd, während
sie früher aus langgestreiften Blättern und von den Eingeborenen
selbst gewirkten Geweben (Abb. 52) oder aus Rindenstoff (Abb. 54)
bestand; bei zeremoniellen Anlässen fügen Standespersonen wohl noch
einen Tapastreifen hinzu, der um den Körper geschlungen wird (Abb.
53). Es ist diese Sitte ein Überbleibsel aus alter Zeit, wo der
Rock eines Häuptlings ein einziger Rindenstreifen war, dessen Länge
jedoch über hundertsechzig Meter betrug. Die Frauen sind heutzutage
mit einem Faltenrock und einem blusenartigen Gewand bekleidet, oder
tragen auch ein Kleid, das dem polynesischen Hänger ähnlich ist; in
abgelegenen Dörfern des Innern dagegen ist noch der gefranste Gürtel
aus Rindenfasern, das echte Kleid der Eingeborenen, anzutreffen. -- Die
alte Mode, das +Kopfhaar+ mit Kalk zu bleichen, besteht noch, obgleich
das Färben mit roter Farbe oder mit Ruß eine gefällige Abwechslung
abgibt. Die Frauen behandeln ihr Haar so ziemlich gleichmäßig;
unverheiratete Mädchen aber tragen manchmal noch die lange Strähne
(Abb. 50), die sie, wie in früheren Tagen, als Jungfrau kennzeichnete
und bei der Hochzeit feierlich abgeschnitten wurde.

Die übliche +Wohnung+ der Fidschianer ist das rechteckige Haus mit
langem Firstdach: oft steht es auf einem ein bis zwei Meter hohen
Erdhügel, der um so größer ausfällt, je höher der betreffende Bewohner
im Ansehen steht. Als Material werden häufig dicke Lagen Gras verwendet
(Abb. 51). -- Bei Fahrten über See werden auf den Booten ähnliche
Häuser aufgebaut (Abb. 49).

Das +Kind+ der Fidschiinsulanerin kommt für gewöhnlich mit Hilfe einer
weisen Frau auf die Welt. Wird es tot oder besinnungslos geboren, dann
versucht man es durch das Geräusch einer Klapper mit Kürbiskernen
wieder zum Leben zu erwecken. Verläuft alles gut, so wird das Kind nach
der Geburt gewaschen und erhält den Saft eines Kerzennußbaums in den
Mund geträufelt, damit es sich zunächst übergibt; dann erst bekommt
es seine erste Nahrung, bestehend aus zerkleinerter und zerkauter
gerösteter Kokosnuß oder Banane.

Die Mädchen werden +tatauiert+, sobald sie sich dem Reifealter
nähern, um dieses äußerlich zu kennzeichnen. Die Muster beschränken
sich dabei größtenteils auf die Rumpf- und Lendenteile, die der Rock
bedeckt. Die Finger bekommen auch ein paar Zeichen eintatauiert, um
sie hervorzuheben, wenn sie dem Häuptlinge Speise darreichen. Frauen
schmücken sich auch manchmal mit wuchernden +Narben+ in bestimmten
Mustern auf Arm und Rücken, die sie dadurch erzeugen, daß sie sich
die Haut mit einem glühenden Stück Holz einbrennen lassen und das
Zusammenheilen wochenlang künstlich verhindern. -- Die Knaben werden
+beschnitten+ (Abb. 55).

[Illustration:

    Phot. ~Dr.~ Thilenius.

Abb. 50. Junge Fidschiinsulanerin

mit der typischen Haarsträhne der Unvermählten.]

Von den +Unterhaltungen+ besitzt der +Tanz+, wie wohl überall unter
den Naturvölkern, die größte Anziehungskraft; daher pflegt er bei
den meisten Freudenfesten wohl nie zu fehlen. Der Sitztanz, wie wir
ihn in Polynesien finden, hat hier zwar auch Eingang gefunden, aber
charakteristischer und beliebter sind die richtigen „Balletttänze“,
welche von einer großen Anzahl Tänzer aufgeführt werden. Sie
sind mimischer Natur, so zum Beispiel halten die Tanzenden lange
Tapastreifen und schwingen sie, um die sich brechenden Kämme der
Brandung zu veranschaulichen (Abbild. 56). Die besten Tänze jedoch
sind die, welche bewaffnete Krieger aufführen und einen Kampf mit
Keule und Speer, wie er früher unter den primitiven Verhältnissen
üblich war, versinnbildlichen (Abbildung 57). Hier sind die Fidschianer
ganz in ihrem Elemente. Personen, die solche Tänze gesehen haben,
können nicht genug die Exaktheit in den Bewegungen -- ein Beobachter
erzählt, daß dieselben mit Armen und Füßen von zweihundert Menschen so
genau ausgeführt wurden, daß man den Eindruck hatte, sie säßen alle
wie Marionetten an einem Drahte -- und das Feuer, ja die Wildheit
hervorheben, die die Fidschianer bei ihren Kriegstänzen zur Schau
trugen. Nach dem Tanze wurde der umfangreiche Schmuck, den die Tänzer
trugen, unter die Zuschauer verteilt.

Die am meisten charakteristischen +Spiele+ der Fidschiinsulaner sind
Lafo und Tiqa (tinkua gesprochen). Das erstere, das auch in Samoa
und Tonga Eingang gefunden hat, wird mit Kokosnüssen gespielt. Die
Hälften eines in der Mitte gespaltenen Palmblattes werden mit nach
oben zeigenden Rippen auf die Erde gelegt und darüber wird eine lange
Matte ausgebreitet, an deren Ende je zwei Spieler sich niederlassen;
jedes Paar erhält fünf Kokosnußscheiben in abgestuften Größen. Man
beginnt auf der einen Seite und wirft die kleinste Scheibe so nahe
wie möglich an das andere Ende der Matte; die andere Partei wirft
ihre dazu passende Scheibe noch näher an das Ende oder stößt die
Scheibe des Gegners herunter. So wirft man die Scheiben der Größe nach
abwechselnd weiter und derjenige, dessen Scheibe beim Aufhören des
Spiels dem Rand der Matte am nächsten liegt, hat gewonnen. Darauf nimmt
das andere Paar das Spiel von neuem auf. -- Tiqa ist ein Spiel, das
mit einem sonderbaren Wurfgeschoß ausgeübt wird; es besteht aus einem
kegelförmigen polierten Kopf aus hartem Holz, an dessen Ende ein langes
Rohr eingepaßt ist. Der Spieler stützt dieses Rohr auf den Mittelfinger
und wirft den Apparat mit einer dem Kegeln ähnlichen Bewegung; die Tiqa
fliegt durch die Luft und streift dann die Erde eine ziemliche Strecke
entlang; der längste Wurf gewinnt das Spiel. Auf Fidschi besitzt
beinahe jedes Dorf seinen Tiqaplatz, auf dem die Bewohner des einen
gegen die des anderen mit großer Begeisterung Wettspiele abhalten.

[Illustration:

    Phot. Muir & Moodie.

Abb. 51. Häuptlingshütte auf Fidschi.

Durch das seitliche Tor dürfen nur Besucher von Rang eintreten. Kein
gewöhnlicher Fidschianer wagt es, den Häuptling in einer anderen als
kauernden Stellung anzusprechen.]

[Illustration:

    Phot. Muir & Moodie.

Abb. 52. Fidschiinsulaner im Festgewand,

das aus Blättern und Rindenstoffen gemacht ist. Die Leute tragen das
Haar kurz geschnitten und nach oben gebürstet.]

[Illustration:

    Phot. Josiah Martin.

Abb. 53. Hochzeit auf Fidschi.

Die drei Personen in der Mitte sind der Häuptling von Rewa, die
Prinzessin von Bau und der große Häuptling derselben Insel. Alle
sind in die zeremoniellen Gewänder aus zahlreichen Lagen Rindenstoff
gekleidet, die unzähligemal um den Körper gewunden sind.]

Über das +Eheleben+ ist wenig zu sagen, da die Inselbewohner,
wenigstens dem Namen nach, sich zum Christentum bekennen; die
Behörden oder die Missionare schließen den Ehebund. Das wichtigste
davon betrifft das eigentümliche Verwandtschaftsverhältnis der
sich Heiratenden. Der Sitte gemäß ist die richtige Frau für einen
Mann die Tochter seines Onkels mütterlicherseits oder seiner Tante
väterlicherseits; sie kommt nämlich bereits als seine Frau zur Welt,
und wenn er sie auch wirklich nicht heiratet, so stehen ihre Verwandten
zu ihm doch in einem solchen Verhältnis, als wäre sie wirklich seine
Gattin. Gehen die beiden jungen Leute eine andere Heirat ein, so gelten
ihre beiderseitigen Kinder als Geschwister, die unter sich nicht
heiraten dürfen. Anderseits ist einem Mann unter keinen Umständen
erlaubt, die Tochter seines Onkels väterlicherseits oder die seiner
Tante mütterlicherseits zu ehelichen, ebensowenig wie er seine eigene
Schwester heiraten darf; denn vom einheimischen Standpunkte aus sind
sie ja in der Tat seine Schwestern. Die Beziehungen zwischen einem
Mann und seiner natürlichen Frau, wenn dieses Wesen, das ihm die Sitte
vorschreibt, so genannt werden darf, waren in den früheren Tagen der
Polygamie so enge, daß ein Mann nicht nur eine von mehreren Schwestern
nehmen konnte, sondern alle nehmen mußte; starb er, dann waren seine
Frauen verpflichtet, Bräute seines Bruders zu werden. So fest ist
diese alte Anschauung im Volke eingewurzelt, daß heutzutage, obgleich
Wahlfreiheit in der Auswahl der Gatten herrscht, doch noch dreißig
Prozent der Heiraten zwischen Personen geschlossen werden, die in dem
besprochenen Verwandtschaftsverhältnis stehen. Neben dieser Gewohnheit
ist als einzig überlebender Zug alter +Hochzeitsgebräuche+ nur noch das
eigentliche Fest übrig geblieben, das mit großem Prunk, entsprechend
dem Range der sich Heiratenden, gefeiert wird. Handelt es sich um einen
Häuptling, dann geht alles auf sehr großem Fuße vor sich, und manche
der alten Zeremonien leben dann wieder auf. Dies geschah noch bei der
Hochzeit eines Häuptlings von Rewa mit einer Prinzessin von Bau. Die
Hauptpersonen waren mit Rindentuch in zahlreichen Schichten umwickelt,
wie es ihrem Range zukam. Gelage und Tanz dauerten tagelang, und Berge
von Schweinen und Schildkröten wurden verzehrt. Eine Menge Besitztum
wurde von der Bevölkerung als Hochzeitsgabe beigesteuert, alles aber
mußte ihr wieder zurückgegeben oder gegen Geschenke höheren Wertes
eingetauscht werden. Auch die Zeremonie der Reinigung der Braut von dem
Tabu, das durch die Ehe über sie ausgesprochen war, wurde ausgeführt.
Am dritten Tage wurde nämlich ein neuerbautes Kanu zum Hause des
Bräutigams geschafft, die Braut mit ihrem Gefolge nahm darin Platz
und wurde zum Fluß getragen (Abb. 59). Das Kanu wurde hier ins Wasser
gelassen und schnell stromabwärts gerudert, während die bewundernde
Menge am Ufer sich niederwarf. Dadurch wurde die Reinigung vollzogen.
Ihren Einzug in das häusliche Leben bekundete die Braut dadurch, daß
sie mit ihrem auserwählten Lebensgefährten fischen ging.

[Illustration:

    Phot.  Mansell & Co.

Abb. 54. Fidschiinsulanerin

mit einem Rocke aus Rindenstoff, Keule und Fächer.]

[Illustration:

    Aus: Kraemer, Samoainseln.

Abb. 55. Religiöse Zeremonie der Beschneidung auf Fidschi.]

Ein Fidschiinsulaner steht mit der Sippe seiner Mutter im nahen
Verwandtschaftsverhältnis und darf alles, was ihm gerade gefällt,
verlangen, wenn er in deren Dorf kommt. Allerdings würde es nur
ein Mann von hohem Range wagen, von dieser Befugnis Gebrauch zu
machen. Ähnliche Rechte bestehen zwischen Dörfern, deren Bewohner
ihre Abstammung von einem gemeinsamen Vorfahren ableiten. Wenn sie
ausgeübt werden, kommt ein solcher Besuch einer wahren Zerstörung
gleich; alle Schweine werden dann unter Umständen getötet, alle Früchte
tragenden Bäume abgehauen und anderes mehr. Alles, was den armen
Opfern davon übrig bleibt, ist nur die Aussicht, bei einem ähnlichen
Gegenbesuch sich zu entschädigen.

[Illustration:

    Phot. Josiah Martin.

Abb. 56. Der Wogentanz der Fidschiinsulaner,

bei dem das Brechen der Brandung an dem Riff zur Darstellung gebracht
wird.]

[Illustration:

    Phot. Underwood & Underwood.

Abb. 57. Ein Kriegstanz der Fidschiinsulaner mit Keulen,

einst ihre hauptsächlichste Waffe.]

[Illustration:

    Phot. Josiah Martin.

Abb. 58. Vorbereitungen zu einem Festschmaus, bei dem Schweine den
Hauptbestandteil bilden.]

[Illustration:

    Phot. Josiah Martin.

Abb. 59. Reinigungszeremonie auf Fidschi.

Drei Tage nach der Hochzeit wurde früher die Braut, die von hohem Rang
war, auf einem neuen Boot nach dem Fluß gebracht und auf diesem ein
kurzes Stück entlang gerudert, damit sie von dem durch ihre Heirat
aufgeladenen Tabu befreit würde.]

Trotzdem die Fidschianer dem Namen nach Christen sind, hat sich
unter ihnen manches aus ihrer +ursprünglichen Religion+, deren Kern
Ahnenkultus und Seelenwanderung bildeten, bis in die heutige Zeit
hinein erhalten. Nach diesem Glauben hatte die Seele des Verstorbenen
vielerlei Abenteuer auf ihrer Wanderung westwärts zum Himmel zu
bestehen. So hatte sie mancherlei Mühsale durchzumachen, zur Prüfung,
ob der Verstorbene ein tapferer Mann oder ein Feigling gewesen ist und
ob er eines gewaltsamen Todes starb oder nicht, denn nur die Mutigen
und die im Kampfe Gefallenen oder Erdrosselten vermochten sich zu
dem Berge, der ihr Paradies bedeutete, durchzuarbeiten. Schreckliche
Ungeheuer lagen auf der Lauer, um den Wanderer mit Steinen oder einer
Axt zu erschlagen, mit einem Rohr aufzuspießen und dergleichen. War er
ein Feigling gewesen, dann wurde er von zwei weiblichen Teufeln mit
großen Zähnen gejagt und vermochte nicht über das Netz zu springen, das
zwei andere übernatürliche Wesen für die Schatten ausgespannt hatten.
War einer unnatürlichen Todes gestorben, dann konnte er auf die Erde
zurückgeschickt werden, um seine Vergehen zu sühnen, aber machte er
alle Prüfungen durch, so erreichte er doch den Fluß der Vergessenheit,
der alle Traurigkeit und allen Schmerz über die Trennung von den
Angehörigen von ihm nahm. Der Schatten fand auf seiner Wanderung auch
mehrfach Gelegenheit zu erfahren, ob seine Frau ihm im Tode nachfolgen
würde, wie es die gute Sitte erforderte, indem sie sich bei seinem
Begräbnis erdrosseln ließ, oder nicht. Sehr ansprechend nach unserem
Empfinden war die Auffassung von einem großen Baume, der den Weg,
den die Seele des Verstorbenen nahm, an einer bestimmten Stelle
beschattete und an dessen Zweigen die Seelen kleiner Kinder hingen, die
vor ihren Eltern gestorben waren und hier auf ihre Väter und Mütter
warteten. Sobald die Mutter einem solchen Seelchen sich näherte, stieg
es herab und ging mit ihr zu den Gefilden der Seligen. All dieser und
ähnlicher Glaube gehört jetzt der Vergangenheit an; was von ihm übrig
geblieben ist, sind einige geringfügige abergläubische Vorstellungen
und ein paar Zeremonien, von denen vielleicht der +Feuerlauf+ bei
einem Stamme auf der Insel Beqa der interessanteste sein dürfte. Ein
flacher, etwa dreißig Fuß breiter Graben wird abwechselnd mit einer
Lage Holz und Steinen belegt und das Holz darauf angezündet; nachdem
es ungefähr zwölf Stunden lang gebrannt hat, werden die Aschenreste
weggekehrt und die glühend heißen Steine ausgebreitet. Zwölf bis
vierzehn Männer treten nun hervor und wandeln langsam auf den Steinen
herum und über den Graben; eine volle Minute halten sie sich in ihm auf
(Abb. 60, 61 und farbige Kunstbeilage). Wenn diese Prozedur vorüber
ist, werden Blätter und Gemüse auf die noch heißen Steine gelegt und
zu einem Schmaus gekocht, mit dem die Festlichkeit ihren Abschluß
findet. Gebratene Schweine bilden bei solchen Schmausereien den
Hauptbestandteil (Abb. 58). Wie ein Naturforscher, der im Jahre 1904
den ganzen Vorgang zu beobachten Gelegenheit hatte, sich überzeugte,
verkohlte ein Taschentuch, das er auf einen dieser Steine legte,
innerhalb weniger Sekunden, und ein Thermometer, das er über der Grube
aufhing, zeigte hundertunddreißig Grad Celsius. Der Beobachter prüfte
auch die Beine und Füße der Betreffenden, sowohl vor wie nach der
Zeremonie, und stellte fest, daß sie mit keinem Präparat eingerieben
waren; trotz der mächtigen Hitze wurden nicht einmal die Haare an ihren
Beinen versengt. Dieses Kunststück dürfte zum Teil aus der Gewohnheit
der Leute zu erklären sein, auf den heißen Steinen am Strande zu gehen.

[Illustration:

    Phot. Josiah Martin.

Abb. 60. Feuerlaufzeremonie auf Beqa. Die Eingeborenen ebnen für den
Feuerlauf die heiß gemachten Steine, nachdem das Feuer entfernt worden
ist.]

[Illustration:

    Phot. Josiah Martin.

Abb. 61. Feuerlaufzeremonie auf Beqa.

Die Eingeborenen, die einem bestimmten Geheimbund angehören, stehen auf
den rotglühenden Steinen.]

Der +Glaube an Behextsein+ ist bei den Fidschiinsulanern heutigentags
noch nicht ausgestorben; sie glauben noch fest daran, und es kommt vor,
daß ein Fidschianer, nachdem er die Überzeugung gewonnen hat, daß er
verzaubert worden ist und daraufhin sterben soll, sich ruhig auf seine
Matte legt und den Tod abwartet, es sei denn, daß er ein Gegenmittel
sich zu verschaffen weiß. In ähnlicher Weise glaubt man, daß der
Besitzer eines „Leprasteines“ die Macht besitzen soll, jedem beliebigen
diese Krankheit zuzufügen.

[Illustration:

    Phot. Museum f. Völkerkunde, Berlin.

Abb. 62. Menschenfresserbesteck,

bestehend aus einem Holzteller und einer Gabel.]

Ehedem war auf Fidschi noch Menschenfresserei üblich; das
Menschenfleisch wurde auf Holztellern dargereicht und mit hölzernen
Gabeln aufgespießt (Abb. 62).

Die +Grabstätten+ gleichen im großen und ganzen denen in Polynesien.



[Illustration:

    Aus: Parkinson, Dreißig Jahre in der Südsee.

Abb. 63. Duk-Duk-Tänzer.

Die Duk-Duk-Männer bereiten sich in dem abgeschlossenen Raum für die
Einweihung von Jünglingen in die Geheimnisse ihres Bundes und ihre
Aufnahme in ihn zu einem Tanze vor.]



Melanesien.


Unter Melanesien verstehen wir eine Gruppe von Inseln im Stillen
Ozean, die sich gleichsam wie ein Bogen um Australien in der Richtung
von Südosten nach Nordwesten hinzieht. Das Gebiet beginnt mit den
schon behandelten Fidschiinseln, es schließen sich in der angegebenen
Richtung an: Neukaledonien, die Loyalitätsinseln, die Neuhebriden, die
Banksinseln, die Salomoinseln; ferner der Bismarckarchipel und die
Admiralitätsinseln, die deutscher Kolonialbesitz sind, und schließlich
Neuguinea, die größte Insel Ozeaniens, die zum Teil unter deutscher
Flagge steht. Obgleich die +Melanesier in körperlicher Hinsicht+ sich
nicht unwesentlich voneinander unterscheiden, so läßt sich doch als
gemeinsames Merkmal ihre dunkle Hautfarbe bezeichnen, die dem ganzen
Gebiet den Namen Melanesien (= schwarze Inseln, das heißt mit schwarzer
Bevölkerung) gegeben hat; jedoch ist die Farbe kein eigentliches
Schwarz, sondern vielmehr ein tiefes Braun in verschiedenen
Abstufungen. Diese starke Färbung erstreckt sich sogar auf die
Schleimhäute, zum Beispiel die Bindehaut des Auges, die besonders bei
älteren Leuten manchmal einen bräunlichen Ton aufweist. Die Melanesier
(Abb. 65) sind ziemlich große Gestalten von etwa hundertzweiundsechzig
Zentimeter im Mittel, sie besitzen plumpe Gliedmaßen, einen länglichen,
schmalen Schädel und reichliches schwarzes, krauses Kopfhaar. In
den am meisten nach Westen vorgeschobenen Teilen, im besonderen auf
Neuguinea, hat sich ein Sondertypus herausgebildet, die +Papua+.
Dieser ist im allgemeinen durch eine höhere, mehr schlanke Gestalt,
dunklere Hautfärbung und eine lange, konvex gekrümmte, manchmal
vogelschnabelähnliche Nase in einem schmalen Gesicht gekennzeichnet.

Die +Bekleidung+ der Melanesier fällt in den einzelnen Teilen ihres
Verbreitungsgebietes sehr verschieden aus. An vielen Orten gehen die
Männer einfach ganz nackt, oder sie tragen höchstens ein Lendentuch
oder auch nur einen Schamgurt, der zwischen den Beinen durchgezogen und
um die Hüften geschlungen wird. Die Kleidung der Weiber bildet meistens
ein ebensolches Tuch oder ein Röckchen aus Blättern, Fasern oder Gras
(Abb. 66 und 77), seltener ein Schamgurt (Abb. 89) oder Lendenschurz
(Abb. 64). Nur in wenigen Gegenden sind die Angehörigen des weiblichen
Geschlechts noch ganz unbekleidet, zumal wenn sie das heiratsfähige
Alter erreicht haben. -- Die Melanesier bekunden eine große Vorliebe
für Schmuck, die sich nicht nur in reichlichem Körperzierat, wie
Federputz im Haare (Abb. 68), Halsketten und Gehängen aus Hundezähnen,
Perlen und getrockneten Früchten und dergleichen (Abb. 73 und 75),
Ohrringen in großer Mannigfaltigkeit, Nasenstäbchen, Gürteln,
Armbändern um die Handgelenke, Ringen um die Beine und Fußgelenke, die
entweder aus geflochtenen Fasern, Rinde, oder aus Muscheln bestehen,
sondern auch in regelrechter Verzierung ihrer Gerätschaften, Werkzeuge
und Gebäude durch Schnitzereien und Einbrennen von realistischen und
konventionellen Figuren (menschlichen Wesen, Vögeln, Pflanzen und
ähnlichem) ausprägt. In der künstlerischen Auffassung bestehen zwischen
den verschiedenen Stämmen große Unterschiede; einzelne davon, die in
anderer Hinsicht zu den primitivsten zählen, verraten ganz bedeutende
Fähigkeiten auf künstlerischem Gebiete.

[Illustration:

    Aus: Pfeil, Studien und Beobachtungen aus der Südsee.

Abb. 64. Mädchen von den Admiralitätsinseln

mit zierlich geflochtenem Lendenschurz.]

+Tatauierung+ ist auf den meisten Inseln üblich; auf einzelnen werden
sowohl Männer wie Weiber, auf anderen wieder nur letztere tatauiert
(Abb. 66, 67 und 72). Für beide Geschlechter gilt dieser Schmuck
einfach als ein Zeichen der Geschlechtsreife und der Heiratsfähigkeit,
besonders beim weiblichen Geschlecht, in anderen Gegenden als
Klanabzeichen, in noch anderen als Ehrenabzeichen für Männer, die
sich hervorgetan, zum Beispiel einen Feind getötet haben und anderes
mehr. Schnitte ins Fleisch und davon zurückbleibende +Narben+ sind
gleichfalls eine übliche Form des Körperschmuckes, auch häufig ein
besonderes Merkmal zur Kennzeichnung der Sippe. Die Wilden von
Liueniua, die verwandtschaftlich mehr zu den Polynesiern gehören,
schlitzen die Nasenspitzen auf (Abb. 83). +Nasen- und Ohrdurchbohrung+
ist bei beiden Geschlechtern sehr beliebt (Abb. 69 und 70). In die so
entstandenen Löcher werden später die verschiedenartigsten Gegenstände
eingeführt, wie Stäbchen, Muscheln, Blumen, Gras und dergleichen.
Die Ohrlöcher werden vielfach durch Hindurchstecken immer größerer
Gegenstände in dem Maße ausgedehnt (Abb. 76), daß sie, wenn nichts
in ihnen steckt, wie lange, schwebende Fleischlappen beinahe bis auf
die Schultern herabhängen (Abb. 80); umschließen sie aber eine große
Scheibe, dann sehen sie wie mit einem schmalen Rande (Fleischsaum)
eingefaßte Brillengläser aus (Abb. 69). -- Auf einzelnen Inseln übt
man auch die +Verunstaltung des Schädels+. So wird dem Schädel der
Kinder auf Neupommern durch Pressen eine hohe, spitze Form gegeben
(Abb. 84).

[Illustration:

    Aus: „Kolonie und Heimat“.

Abb. 65. Eingeborene von der Gazellehalbinsel.

Beachtenswert sind die morgensternartigen Keulen und die großen
Halskragen, tellerartige breite Gebilde aus besonders zugerichteten
Nassaschnecken, die auf dünnen Rotangstreifen festgenäht sind.]

[Illustration:

    Phot. Rev. A. H. Fillodean.

Abb. 66. Mädchen von Neuguinea

mit Tatauierungen, die nur an den unteren Körperteilen durchgeführt
sind und auf dem Oberkörper später vervollständigt werden. Wenn
der ganze Körper tatauiert ist, verliert er fast den Eindruck der
Nacktheit. Der übliche Grasrock wurde gekürzt, um die Tatauierung zu
zeigen.]

[Illustration:

    Aus: Brown, Melanesier und Polynesier.

Abb. 67. Heiratsfähiges Mädchen der Koita (Neuguinea)

mit Tatauierungen, die vom fünften Jahre ab begonnen und jedes
Jahr fortgesetzt werden. Die ~V~-förmige Zeichnung zeigt die
Heiratsfähigkeit des Mädchens an.]

Die +Wohnstätten+ der Melanesier zeigen verschiedenen Typus; man
begegnet ganz primitiven, bienenkorbähnlichen Hütten neben ziemlich
ansehnlichen, selbst zweistöckigen Häusern (Abb. 71). In den
Küstengebieten, aber weniger am offenen Meere, als vielmehr in seichtem
Wasser der geschützten Buchten, stehen die Häuser auf Pfählen (Abb.
74, 78 und 79) und bilden hier ganze Dörfer. Der Grund dieser Bauweise
mag wohl der sein, sich gegen feindliche Überfälle sowohl von seiten
der Menschen wie auch wilder Tiere, desgleichen gegen Überschwemmungen
zu schützen. Allerdings ist der Aufenthalt im Innern dieser Häuser
zumeist nur auf die Nacht beschränkt, denn tagsüber spielt sich das
Leben entweder auf der am Giebel angebauten überdachten Plattform oder
auf freiem Platze vor dem Hause ab. Die innere Einrichtung der Häuser
ist sehr primitiv. Ein Abteilen des gesamten Innenraumes durch Wände
(Matten) geschieht nur selten, vielmehr hausen alle Familienmitglieder
zusammen mit Schweinen, Hunden und anderem Getier in diesem einzigen
Raum. Als Ruhestätte dient ihnen der bloße Fußboden. Auf Neuguinea sind
bei vielen Stämmen zur Schonung der kunstvollen Haarfrisuren schön
geschnitzte Kopfruhebänkchen oder, richtiger gesagt, Nackenstützen
in Gebrauch. -- Eine eigentümliche Abart der Behausung stellen die
Baumhäuser dar, die ihre Entstehung wohl dem gleichen Grunde wie die
Pfahlhäuser verdanken. Man gelangt zu ihnen auf Strickleitern und
bringt darin nur die Nacht zu, während am Tage zum Aufenthalt der Boden
am Fuße des Baumes dient (Abb. 86 und 92).

Eine typische Erscheinung von Melanesien sind die sogenannten
Junggesellen- und Versammlungshäuser, zumeist stattliche, durch
Schnitzwerk reich verzierte Gebäude, in denen die männlichen
Dorfbewohner die Nacht zubringen, öffentliche Versammlungen abhalten,
die Schilde und Masken, sowie die großen Trommeln aufbewahren.

[Illustration:

    Phot. G. Landmann.

Abb. 68. Haarschmuck eines Papua von der Mündung des Flyriver.

Meist zum Tanz, häufig auch alltäglich rollen die Eingeborenen jenes
Gebietes ihr langes wolliges Haar mit ihren mit Kokosnußöl benetzten
Fingern korkzieherähnlich auf, manchmal benutzen sie dazu auch weißen
Schlamm. Die Stirne wird mit einem Büschel Federn des Kasuars oder
Paradiesvogels geschmückt.]

Die +Nahrung+ der Melanesier besteht in dem Ertrag ihres primitiven
Feldbaus, der Yams- und Tarowurzel, Kokosnuß, Bananen- und
Brotbaumfrucht, sowie in dem Fleisch von Fischen, Hühnern, Schweinen
und Hunden. Jagd wird, weil das Wild sehr knapp ist, nur wenig
betrieben, dagegen vielfach Fischfang mittels Speeren und Reusen
(Abb. 81 und 82). Die Genußmittel bestehen in Betel und Tabak.
Früher war über den größeren Teil Melanesiens auch Menschenfresserei
(Kannibalismus) sehr verbreitet (Abb. 87), doch ist sie dank des
europäischen Einflusses so ziemlich gänzlich ausgerottet worden, nur
an einzelnen Orten, wohin dieser Einfluß noch nicht gedrungen ist,
scheint diese Unsitte ihr Dasein noch ganz im Verborgenen zu fristen.
Die Gründe, die zum Kannibalismus treiben, sind häufig abergläubischer
Natur; man hofft durch das Verzehren seines Mitmenschen dessen gute
Eigenschaften, im besonderen seinen Mut sich anzueignen. Gelegentlich
führen aber auch Rache und Haß dazu, aber nur selten wohl gewöhnlicher
Fleischhunger. Nach den Schilderungen des Forschers Loria von den
Sitten der damaligen Bewohner von Logea, einer Insel, die südwestlich
von Neuguinea liegt, wurde der Körper des erschlagenen Feindes in
getrocknete Kokosnußblätter gewickelt, mit einem Strick an einem Baume
über ein Feuer gehängt und geröstet. Sobald der Strick durchgebrannt
und der Leichnam zu Boden gefallen war, stürzten sich alle Teilnehmer
unter mächtigem Freudengeheul auf den halbverkohlten Körper und
schnitten sich mit dem Messer Stück für Stück von ihm ab. In anderen
Gegenden wurde der frische Leichnam vor dem Rösten sachgemäß in Stücke
zerlegt, darauf die einzelnen Teile in Blätter gewickelt und am Feuer
gebraten. Gewöhnlich aß man zuerst das Gehirn, dann die Schenkel und
schließlich den übrigen Körper. Einzelne Stämme, zum Beispiel die
Tugeri, trugen die Mahlzeitüberreste, wie die Knochen, später als
Körperschmuck. Vielfach durften die Frauen, denen die sämtlichen
Zubereitungen zu diesem Mahle oblagen, an ihm nicht teilnehmen, sondern
mußten sich damit begnügen, die saftdurchtränkten Blätter abzulecken.

Eine eigenartige Form des Kannibalismus ist die +Kopfjägerei+, eine
Unsitte, der die Bewohner in den nördlichen Teilen Neuguineas noch
heute huldigen. Die Gründe hierfür sind einmal religiöser Natur; der
erbeutete Schädel soll ein Opfer bedeuten, zum Beispiel für glückliche
Vollendung eines Haus- oder Kanubaues. Oder es liegt ihr Eitelkeit
des jungen Mannes zugrunde, der Wunsch, in den Augen seiner Schönen
Anerkennung und Entgegenkommen zu finden; denn je mehr Schädel von ihm
erbeutet werden, um so höher steht der Kopfjäger im Ansehen. Daher
werden die Opfer zumeist aus ganz geringfügigem Anlaß angegriffen oder
hinterrücks überfallen; der erbeutete Schädel wird vom Rumpfe getrennt,
ins Dorf mitgenommen und vor dem Hause auf einer Stange oder einem
Speer aufgepflanzt.

[Illustration:

    Phot. C. M. Woodford.

Abb. 69. Verunstaltetes Ohr bei einem Salomoinsulaner mit eingelegtem
Perlmuschelring.]

[Illustration:

    Phot. J. W. Beattie, Hobart.

Abb. 70. Malailaeingeborener mit Nasen- und Ohrenschmuck.

Das Halsband besteht aus Cuscuszähnen, die am Wurzelende durchbohrt und
einer nach dem andern an dünnen Schnüren befestigt werden. Nasenring,
Ohr- und Brustschmuck sind aus der Tricadnamuschel hergestellt.]

[Illustration:

    Aus „Kolonie und Heimat“.

Abb. 71. Eingeborenendorf in Neumecklenburg.]

Äußerst zahlreich sind die +Zeremonien+ der Melanesier, die sich +auf
den Eintritt in die verschiedenen Lebensstadien+ beziehen. Schon +vor
der Geburt+ ist das Kind Gegenstand abergläubischer Fürsorge und
Furcht. Während der Schwangerschaft müssen von der angehenden Mutter
manche Bestimmungen eingehalten und gewisse Zeremonien beobachtet
werden, um die Leibesfrucht vor dem Einflusse böser Geister zu
schützen oder Mißbildungen vorzubeugen, auch um die Niederkunft zu
erleichtern. So verfertigt auf Neupommern der Dorfzauberer für die
Frauen, die zum ersten Male guter Hoffnung sind, oder auch für solche,
die eine Fehlgeburt durchgemacht haben, ein Amulett aus Tierzähnen,
Muscheln und Rotangfasern, das die weiblichen Teile versinnbildlicht
und über der Brust oder den Rücken getragen wird (Abb. 88). --
Vielfach begegnen wir auch gewissen Speiseverboten; so dürfen die
schwangeren Motu-Motu-Frauen (Britisch Neuguinea) keine Taro- oder
Yamswurzel und Süßkartoffeln, die Schwangeren anderer Gegenden
keine scharfen Speisen zu sich nehmen, ebenso dürfen die Kunifrauen
(Britisch-Neuguinea) keine Schlangen, Leguane und dergleichen essen.
Die angehenden Mütter glauben, daß diese Tiere sich sonst in ihrem
Leibe festsetzen und dadurch die Geburt hindern könnten und anderes
mehr. Bei verschiedenen Stämmen müssen sich die Schwangeren einige
Zeit vor der Geburt von der Außenwelt absondern, zumeist in einer
für diesen Zweck eigens erbauten kleinen Hütte, in der sie kein
männliches Wesen, der eigene Mann nur vereinzelt besuchen darf. Die
Verpflegung der Abgesonderten geschieht durch Frauen, die ihr auch
in der schweren Stunde beistehen. -- Geht jemand auf der Insel Andei
(Nordküste Neuguineas) an einem solchen Hüttchen vorbei, dann darf er
auf dem gleichen Wege nicht wieder zurückkehren, andernfalls würden
die Gärten durch Schweine verwüstet werden. Wer die Mutter mit dem
noch säugenden Kinde trifft, muß das Gesicht von ihr abwenden, um
nicht krank zu werden. Im Bismarckarchipel begibt sich die Schwangere
kurz vor ihrer Entbindung an den Meeresstrand und wirft sich mit einem
Stein in die brandende Welle. Hebt diese sie empor, so muß sie von
neuem untertauchen; sie hofft dadurch die Geburt zu erleichtern und des
Kindes Wohlbefinden zu fördern. -- Auch der Mann übernimmt während der
Schwangerschaft der Frau gewisse Pflichten. Die Motu-Motu-Männer müssen
in dieser Zeit auf den Genuß von Krokodilfleisch und Fischen, die Papua
von Kaiser-Wilhelms-Land auf Betelkauen und Tabakrauchen verzichten.
Selbst männliche Verrichtungen müssen eingestellt werden, so dürfen
die Ehemänner der Papua von Kaiser-Wilhelms-Land sich nicht aufs Meer
wagen, weil sie dort ertrinken könnten, auch keine Fische fangen, weil
dies sich doch nicht lohne, überhaupt die männlichen Dorfbewohner
insgesamt das Dorf nicht verlassen, weil sonst die Plantagen nicht
gedeihen würden und dergleichen mehr.

[Illustration:

    Phot. George Brown.

Abb. 72.

Tatauiertes Koitamädchen aus Neuguinea in der Rückansicht.]

Auf den Inseln der Torresstraße geht ein Mann, dessen Frau in
Geburtswehen liegt und große Schmerzen erleidet, bisweilen an die See
und taucht immerfort darin unter, möglicherweise stundenlang, bis
das Kind geboren wird, in dem Aberglauben, daß dieses Verfahren der
Mutter eine Erleichterung bringe. Wenn die Geburt sich verzögert, nimmt
der Zauberer irgend einen geweihten Gegenstand und wirft ihn in das
Wasser, damit das Kind zur Welt kommt, oder der Gatte steht so lange
in der See, bis es ihn an den Beinen friert, und hofft auf diese Weise
dasselbe Ergebnis zustande zu bringen. Bei den Motu-Motu pflegt sich
der Mann, sofern die Geburtswehen der Frau sehr heftige sind, dicht
neben sie zu setzen und seine Armspangen abzunehmen, was die Schmerzen
lindern soll. Nach der Geburt legt er sie wieder an.

[Illustration:

    Phot. R. W. Williamson.

Abb. 73. Mafulumädchen.

Der Gürtel, aus Rohrstöckchen geschlungen, wird bei knapper Nahrung
oder in der Fastenzeit straffer angezogen, um das Hungergefühl zu
mildern.]

[Illustration:

    Phot. Underwood & Underwood.

Abb. 74. Pfahlbauten der Eingeborenen auf Neuguinea.]

Die +Nabelschnur+ wird, wie es sonst meistens üblich ist,
abgeschnitten. Die Papua von Kaiser-Wilhelms-Land bewahren sie auf, bis
das Kind zu gehen anfängt, denn sie fürchten, daß mit ihr Mißbrauch
getrieben und dem Kinde dadurch geschadet werden könnte; nach Ablauf
dieser Zeit ist ihre Furcht geschwunden und der Nabelschnurrest wird
dann fortgeworfen. Auf Holländisch-Neuguinea wird beim Abfall der
Nabelschnur ein ähnliches Fest wie bei der Geburt gefeiert. In Doreh
bestand früher die Sitte, daß man sie an einem Baum aufhing, wenn der
Vater von einer längeren Reise zurückerwartet wurde, damit er sogleich
daraus ersehe, ob das inzwischen geborene Kind noch lebe oder schon
gestorben sei; hing sie an einem trocknen Ast, dann war das Kind tot.
-- Eine in Neukaledonien übliche Kinderwiege zeigt die Abbildung 85.

Anklänge an das +Männerkindbett+ (Couvade), das ist das Zubettliegen
des Vaters als Kranker, und verwandte Gebräuche sollen sich vereinzelt,
so zum Beispiel auf den Salomonen, finden. Auf ganz Melanesien herrscht
dagegen die Sitte, daß der Vater sowohl vor wie nach der Geburt,
und zwar letzteres in ausgedehnterem Umfange als seine Frau, eine
Zeitlang sich bestimmten Verboten zu unterziehen hat. Vielfach muß
er sich solcher Nahrung enthalten, die dem Kinde schaden könnte. Auf
den Neuhebriden und anderen Inseln muß er es manchmal unterlassen,
schwere Gegenstände zu heben, auf einen Baum zu klettern, irgend eine
schwere Arbeit zu verrichten oder auf die See hinauszufahren, alles aus
Furcht, es könnte dem Kinde Schaden bringen. Auf Britisch-Neuguinea
muß der Vater längere Zeit im Versammlungshaus leben, in Suau ist
ihm sogar jeglicher Verkehr mit der Familie untersagt; er sieht Frau
und Kind erst nach Ablauf einer bestimmten Zeit, während der er auch
fasten muß. Bei den Monumbopapua (Deutsch-Neuguinea) muß er noch
andere Vorschriften beachten: er darf sich nur an dem Feuer seines
eigenen Hauses, niemals an einem fremden, seinen Tabak anzünden und
nur mit jenem kochen, daher es niemals ausgehen lassen; er darf alles
Geröstete, ferner das Fleisch vom Dorfschwein, alles Fischfleisch und
sämtliche Speisen, die einem kürzlich Verstorbenen gehörten, nicht
essen. -- Für die junge Mutter bestehen solche Tabu nur in beschränktem
Maße. So muß sie ihren Tabak während einer gewissen Zeit anstatt mit
den Fingern, wie sonst üblich, mit einem gespaltenen Stäbchen halten.
Auf Andei darf sie bei einem etwaigen Besuche ihres Gatten, was aber
nicht gern gesehen wird, nicht die Treppe ins Haus hinaufgehen, sondern
muß auf einem Balken, der nur wenige und ganz flache Einkerbungen
trägt, hinaufklettern, im anderen Falle würde sie den Hausinsassen
Unglück bringen.

[Illustration:

    Phot. F. Clauser.

Abb. 75. Mafulufrau im Festschmuck,

der in der sorgfältigen Verzierung des Kopfhaares mit Perlen und
Hundezähnen, dem aus Muscheln und Zähnen hergestellten Halsschmuck,
sowie den gleichfalls zur Verzierung über die Schultern herabhängenden
Schweineschwänzen besteht.]

Vielfach begegnen wir auch +geschlechtlicher Abstinenz+ für eine
bestimmte Zeit, die nicht nur die Frau, sondern auch der Mann zu
beobachten hat. Bei den Monumbo erfordert diese Sitte so lange
Enthaltsamkeit, bis das Kind gehen kann, und dies für den Mann nicht
allein der eigenen, sondern auch einer anderen Frau gegenüber.

[Illustration:

    Phot. C. M. Woodford.

Abb. 76. Erweiterung der Ohrdurchbohrung

durch Pflöcke, die allmählich immer dicker genommen werden.]

Im allgemeinen gibt man sich auf Melanesien bei der +Geburt eines
Kindes+ nicht viel mit Zeremonien ab, jedoch werden hin und wieder
solche angetroffen; öfters beschränken sie sich auch nur auf
Erstgeburten, manchmal auch nur auf Kinder von Häuptlingen. Auf
Neumecklenburg gibt die Geburt eines Erstgeborenen Anlaß zu einem
Scheinkampfe zwischen Männern und Frauen, von denen die ersteren mit
Stöcken, die letzteren mit Steinen und anderen Wurfgeschossen bewaffnet
sind, und einem sich daran anschließenden Schmaus. In den gebirgigen
Gegenden im Innern Neuguineas wird ein solcher Angriff nur von den
Frauen unternommen, so bei den Kuni auf das Haus der Wöchnerin und
das Männerklubhaus, bei den Mafulu auf das Haus des Häuptlings und
gleichfalls auf das Dorfklubhaus; die Weiber, die dabei in vollem
Tanzschmuck sind, sollen ihre Speere und Knüttel mit solcher Kraft
gegen diese Häuser schleudern, daß sie nicht selten durch das Dach
ins Innere dringen. Immer gibt es nach diesen Angriffen ein längeres
Festessen. Auf Kaiser-Wilhelms-Land laufen die Papuaweiber bei der
Geburt eines Erstgeborenen zusammen, jagen die männlichen Verwandten
des Kindes oder werfen auf sie; die Zeremonie endigt auch hier wieder
mit einem Schmaus, an dem bei den Motu-Motu-Leuten nur die „alten
Damen“ teilnehmen dürfen. Auch anderwärts, zum Beispiel bei den Roro,
wird die Geburt des ersten Kindes durch einen Tanz gefeiert, zu dem
man sich prächtig schmückt (Abb. 90). In eigenartiger Weise werden
die neugeborenen Kinder von den Mekeoweibern in einem durch den Kopf
gestützten, nach vorn hängenden Netz getragen (Abb. 93).

[Illustration:

    Phot. Mansell & Co.

Abb. 77. Mädchen von den Salomoinseln

in vollem Schmuck, mit rot gefärbtem Haar.]

Zahlreicher sind jedoch die Gebräuche, die sich im engeren Kreise
abspielen. In einer Gegend von Südost-Neuguinea hebt die junge Mutter
ihr Kind beim ersten Vollmond nach der Geburt auf und zeigt es ihm,
damit es daraufhin schnell wachse und bald sprechen lerne. Auf einer
der Neuhebriden geht der Vater etwa zehn Tage nach der Geburt zum
Strande und zerstreut auf dem Wege kleine Spielzeugbogen, wenn es
sich bei dem Familienzuwachs um einen Knaben handelt, oder Stücke von
Pandanusfasern, wenn es ein Mädchen war; mit dem ersteren ist der
Wunsch verbunden, daß der Knabe ein kräftiger Bogenschütze werden möge,
mit dem letzteren, daß das Mädchen späterhin stets ihrer Pflicht als
Mattenflechterin, also als Hausfrau eingedenk sein möge. Auf einer
anderen Insel bringen die Verwandten des Vaters der Mutter Speisen und
Matten, sie legen solche nebst Bändern, mit denen Schweine angebunden
werden, auf das Haupt des Kindes, was der Vater als Zeichen dafür
hinnimmt, daß sie später einmal im Notfalle seinem Kinde helfen und
es zu ernähren bereit sein werden. -- In Kaiser-Wilhelms-Land legt
die junge Mutter beim ersten Ausgang mit dem Kinde Holz und Grasbündel
auf den Weg, damit die Geister ihm nichts anhaben können; muß sie über
ein Wasser gehen, so werfen die Familienmitglieder aus dem gleichen
Grunde Steine hinein, mit denen sich die Geister anstatt mit dem Kinde
beschäftigen sollen. -- Auf der Gazellehalbinsel bewegt eine Frau das
Neugeborene durch den Rauch eines Feuers mit den Worten: „Zupfe deinen
Bart und knirsche mit den Zähnen, schmücke deinen Hals und trage die
Streitkeule, wenn du den Busch durchschreitest,“ sofern es ein Knabe
ist, oder „bestelle die Pflanzung, gebäre Kinder, beiße die Lianen
zum Aufreihen des Muschelgeldes zurecht, bringe das Getreide herbei
und ziehe auf den Markt,“ wenn es sich um ein Mädchen handelt. Ein
Zauberer streckt dabei seine Hand in den Rauch, nimmt etwas Asche
zwischen die Finger und berührt damit Augen, Ohren, Schläfe, Nase
und Mund des Kindes, um ihm dadurch gegen die bösen Geister Kraft zu
verleihen. -- In den mittleren Teilen Neupommerns versammeln sich die
Männer des Dorfes im Klubhaus, jeder mit einem Baumzweig versehen. Sie
brechen ein paar Zweige ab, die junge Schößlinge haben, und behalten
sie in der Hand, während sie die übrigen Blätter verbrennen. Darauf
spricht einer von ihnen einen Zauberspruch über ein Stück Ingwer, das
sodann unter die übrigen verteilt wird. Die Männer zerkauen den Ingwer,
speien ihn auf die Zweige aus und halten diese in den Rauch hinein.
Merkwürdigerweise soll dieser Vorgang weniger dem Kinde, als vielmehr
den Teilnehmern nützen, denn sie glauben, daß, wenn sie diese Zeremonie
bei der Geburt eines Kindes nicht beobachten, sie selbst im Kriege
feige sein, und ihre Waffen ihre Macht verlieren würden. Eine Frau der
Kiriwina im Südosten von Neuguinea trägt nach der Geburt eine Zeitlang
einen langen Grasmantel an Stelle des sonst üblichen kurzen Grasrockes
(Abb. 91).

[Illustration:

    Phot. R. W. Williamson.

Abb. 78. Ein Klubhaus der Mekeo.

Die Einrichtung solcher Häuser ist in Melanesien allgemein. Sie bilden
den Sammelplatz der Männer, namentlich die Junggesellen leben darin,
und die Besucher aus anderen Dörfern finden dort gastliche Aufnahme.]

[Illustration:

    Phot. R. W. Williamson.

Abb. 79. Das Klubbaus einer Mekeofamilie.

In jenem Gebiet haben oft Gruppen verwandter Familien ihre eigenen
Klubhäuser, die in beträchtlicher Höhe über dem Boden errichtet werden
und Plattformen besitzen.]

[Illustration:

    Phot. J. W. Beattie, Hobart.

Abb. 80. Verunstaltung der Ohren bei einem Salomoinsulaner.]

+Kindsmord+ ist eine fast über ganz Melanesien verbreitete Unsitte.
Bekommt ein lediges Mädchen ein Kind, so tötet sie es meistens,
denn, obgleich die sexuelle Moral fast auf allen Inseln Melanesiens
eine lockere ist und vielfach überhaupt nicht besteht, sind uneheliche
Kinder sehr unerwünscht; vielfach hält man eine Niederkunft vor der
Ehe direkt für eine Schande und bestraft sie, selbst mit dem Tode.
Wie verbreitet deshalb die Kindesabtreibung in Melanesien sein mag,
geht aus einer Mitteilung Parkinsons hervor, daß auf Neumecklenburg
sechzehn- bis achtzehnjährige Mädchen durchaus keinen Hehl daraus
machten, daß sie bereits drei- bis viermal ihr Kind abgetrieben hätten.
Die Methoden sind ziemlich die gleichen, wie wir sie an anderer Stelle
bereits erwähnten. Bei den Jabim (Finschhafen) geben Mütter ihren
Töchtern gleich solche Mittel in die Ehe mit, damit sie einen etwa
eintretenden größeren Kindersegen verhindern und so nicht frühzeitig
verwelken.

[Illustration:

    Phot. J. W. Beattie, Hobart.

Abb. 81. Salomoinsulaner auf dem Fischfang mittels Speeres.

Der Gebrauch, Fische mit dreizackigen Speeren aufzuspießen, ist in
Melanesien allgemein. Die Zinken sind meist aus hartem Bambusrohr
gefertigt.]

Mannigfach sind die Gründe, aus denen auch ehelich geborene Kinder
getötet werden. Entweder wollen die Eltern überhaupt keinen
Familienzuwachs mehr, weil ihnen die Aufzucht der Kinder Mühe, Sorgen
und Kosten macht, oder sie hatten sich ein Kind anderen Geschlechtes
gewünscht, oder sie geben andere, uns ganz seltsam anmutende Ursachen
an. So zum Beispiel begründete eine Kunifrau die Tötung ihres
Neugeborenen damit, daß sie durch das Beiseiteschaffen ihres Kindes
frei sein wollte, um ein Ferkel säugen zu können. Bei den Mafulu ist
es Sitte, daß eine Frau, ehe sie ein Kind bekommt, ein Schwein für
einen Dorfschmaus stiften muß; ist ihr dies nicht möglich und kommt sie
inzwischen nieder, ohne jene Pflicht erfüllt zu haben, so verheimlicht
sie die Geburt des Kindes und bringt es beiseite.

[Illustration:

    Aus: Brown, The Melanesians.

Abb. 82. Fischreusen der Eingeborenen von Neupommern.

Diese sonderbaren Fischreusen werden im Wasser verankert. Als Anker
dient ein mit Steinen gefüllter Korb.]

Auch abergläubische Vorstellungen erfordern bei diesem Volke den Tod
eines Neugeborenen. Die Mutter geht mit ihrem Säugling an den Fluß und
gibt ihm von dessen Wasser zu trinken; nimmt das Kind etwas davon,
dann läßt die Mutter es am Leben, wo nicht, so gilt dies als ein
Zeichen, daß das Kind sowieso bald sterben würde, sie wirft es darauf
kurzerhand in den Fluß.

Die Geburt von +Zwillingen+ wird nicht überall mit gleichen Gefühlen
aufgenommen. In einigen Gegenden ist man stolz auf sie, in anderen
gelten sie als Schande. Die Nachbarn vergleichen die Geburt dann oft
verächtlich mit einem Schweine- oder Hundewurf oder verdächtigen die
Mutter des Ehebruchs -- man läßt sich dabei von dem Aberglauben leiten,
daß Zwillinge verschiedene Väter haben müßten --, auch wohl den Vater
des Bruches eines Gelöbnisses oder eines Tabus, wofür sie auf diese
Weise bestraft werden. Überall dort, wo Zwillinge nicht gern gesehen
werden, ist es üblich, entweder beide oder wenigstens einen von ihnen
zu töten. Hierfür sind meistens ähnliche Anschauungen maßgebend, wie
wir sie bei den Polynesiern bereits kennen gelernt haben.

[Illustration:

    Phot. G. Brown.

Abb. 83. Eingeborene von Lineniua mit aufgeschlitzten Nasenspitzen.]

[Illustration:

    Aus: Parkinson, Dreißig Jahre in der Südsee.

Abb. 84. Verunstaltung des Kopfes auf Neupommern.]

Mannigfache Gebräuche knüpfen sich auch an die wichtigsten Momente
im Leben der heranwachsenden Jugend. Im Innern von Neupommern gibt
das Anlegen der ersten Kleidung eines Erstgeborenen Anlaß zu einem
Schmaus. Dem Kinde werden die Kopfhaare so abrasiert, daß nur eine
Haarkrone stehen bleibt; es wird festlich geputzt und dann zur
Bewunderung vor die Festteilnehmer gesetzt. Ist es ein Knabe, so bleibt
er so lange unbekleidet, bis ein naher Verwandter ihm ein Lendentuch
bringt, seine Hüften damit reibt, eine Zauberformel dazu spricht und
das Tuch schließlich am Körper befestigt; darauf findet ein Maskentanz
statt und der Knabe wird in gewisse Geheimnisse eingeweiht, die er
nicht verraten darf. Als Zeichen der Bestrafung für die Übertretung
des Verbots wird vor seinen Augen ein Mann geschlagen. Man schlägt
den Knaben auch wohl auf die Beine, damit er schnell laufe, und auf
den Mund, damit er eine kühne Sprache führe. Bei den Roro und Mekeo
(Neuguinea) wird der Knabe, nachdem die Verwandten mütterlicherseits
ein vom Vater geschenktes Schwein verzehrt haben, in das Haus seines
Onkels geschickt, der ihm in Abwesenheit der väterlichen Verwandten,
denen es verboten ist, hierbei zuzusehen, den Schamgurt umlegt. An
allen diesen und ähnlichen Zeremonien nehmen die männlichen Verwandten
der Mutter des Knaben den Hauptanteil, während die Tätigkeit des
Vaters sich meistens auf die Bewirtung und Beschenkung der Gäste
beschränkt. Es hängt diese Eigentümlichkeit mit dem Begriff über die
Abstammung in mütterlicher Linie, welcher der natürlichen Auffassung
der Blutsverwandtschaft entspricht und noch vielfach in Melanesien
verbreitet ist, zusammen. Dieser Auffassung zufolge gehört das Kind
der Sippe seiner Mutter an und steht mit deren Angehörigen in näherer
Verwandtschaft, als mit der des Vaters, da man bei der ursprünglichen
allgemeinen Vermischung nie wissen konnte, wer der richtige Vater war.
Die Verwandten der Mutter sind daher auch an vielen Orten in höherem
Grade für die Erziehung des Kindes verantwortlich als die eigentlichen
Familienangehörigen in unserem Sinne. Ähnlichen Zeremonien beim Anlegen
der ersten Kleidung begegnen wir verschiedentlich. Bei den Mafulu,
die damit eine große Schmauserei verbinden (Abb. 94), besteht noch
eine eigenartige Zeremonie, deren Vollziehung dem Knaben das Recht
verleiht, in das Dorfklubhaus einzutreten und hier zu wohnen. Das
festlich geschmückte Kind muß hierbei auf einem geschlachteten Schwein
stehen, es wird dann von dem Eingeborenen, der das Schwein brachte,
sofort wieder fortgenommen und in eiligem Lauf zum Klubhaus an dem
einen Ende des Dorfes getragen, auf dessen Plattform zwei Reihen
Männer sitzen; der Knabe wandert nun von einer Hand in die andere und
wird darauf dem Überbringer zurückgegeben, der mit ihm zum Klubhaus
am entgegengesetzten Ende des Dorfes eilt, wo mit dem Kinde dasselbe
vorgenommen wird. Schließlich trägt der Mann es zu seinen Eltern zurück.

[Illustration: Abb. 85. Kinderwiege aus Neukaledonien.]

[Illustration:

    Phot. Underwood & Underwood.

Abb. 86. Baumhaus in Melanesien.

Diese Häuser werden in den Kriegen vielfach als Festungen und
Zufluchtsorte gebraucht. Sie dienen außerdem zur Aufbewahrung von
allerhand Kriegsgeräten.]

[Illustration:

    Phot. H. O. Forbes.

Abb. 87. Junge Leute von Rurepo, einer Insel bei Neuguinea, zu einem
Tanz geschmückt, der gelegentlich eines Schmauses von Menschenfleisch
aufgeführt wurde. Jeder der Tänzer trug eine Stange, an deren Ende ein
Stück eines Menschenschädels hing.]

Mit dem Zeitpunkt, in dem die Knaben sich der Reife (Pubertät) nähern,
werden sie in die Gebräuche und Sitten des Stammes, sowie in seine
etwaigen Geheimnisse eingeführt. Dabei ist meistens Bedingung, daß
die Knaben in einer besonders errichteten Hütte eine gewisse Zeit,
während deren sie von anderen Stammesangehörigen gemieden werden, in
Abgeschlossenheit zubringen und gewöhnlich auch vor und während der
mit ihnen vorzunehmenden Einweihung eine Anzahl Unannehmlichkeiten
erdulden müssen. Auf den Anachoreteninseln werden die einzuweihenden
Knaben in einem besonderen Hause abseits vom Dorfe untergebracht und
der Obhut eines alten Mannes übergeben; sie dürfen nur besondere
Speisen, die man im Dorfe zubereitet, genießen, ihre Haare nicht mit
Salzwasser benetzen, keine Fische fangen, kein weibliches Wesen ansehen
und beim Erscheinen ihres Vaters ihm nicht unter die Augen treten.
Während dieser ihrer Abgeschlossenheit werden sie in die Sitten und
Gebräuche ihres Stammes eingeführt und kehren schließlich in ihr
eigenes Heim zurück, wobei jeder von ihnen einen mächtigen herzförmigen
Aufbau aus Holz auf dem Kopfe trägt. Fortan dürfen sie auch Betelnuß
kauen. Ein Schmaus beschließt diese Feier. In einem gewissen Gebiete
Neupommerns besteht die Sitte, daß, wenn dieser Schmaus seinen
Höhepunkt erreicht hat, die Männer sich auf die Knaben stürzen, sie
schnell von hinten ergreifen und ihnen die Arme fesseln. Es kann dies
ein gefährlicher Angriff für diese Männer werden, denn die Knaben
dürfen sich verteidigen und den Angreifern mit dem Speer zu Leibe
gehen. Im übrigen besteht für die Knaben, die sich freimachen, die
Pflicht, den, der sie gefangen nehmen wollte, zu bekämpfen. Während die
Knaben nun festgehalten werden, nähert sich ihnen ein Häuptling oder
Verwandter mit einer Muschelgeldrolle und wirft sie ihnen über den Kopf
auf die Schultern, worauf sie jeden Widerstand aufgeben müssen. Jeder
Knabe, der eingefangen worden ist, muß in den Busch gehen, wo für ihn
eine besondere Hütte errichtet wurde und darin sechs Monate bleiben.
Während dieser Frist darf er keine seiner weiblichen Verwandten sehen;
gegenüber anderen weiblichen Wesen besteht diese Verpflichtung nicht.
Wenn er durch Zufall einer Verwandten in den Weg kommen sollte, muß er
ihr, was er gerade bei sich trägt, anbieten, gleichsam als Ausgleich
für die Schande, ihr begegnet zu sein; diesen Gegenstand nimmt sie auch
ohne ein Wort zu sagen an. Nach Ablauf dieser Wartezeit werden die
Knaben in anderen Häusern, die am Strand für sie erbaut worden sind,
untergebracht. Ein Schmaus, den ihre Freunde geben, vervollständigt
dann die Zeremonie.

[Illustration:

    Aus: Ploß-Renz, Das Kind.

Abb. 88. Zum ersten Male schwangere Frau aus Neupommern (Herbertshöhe),
die ein Amulett auf der Brust trägt.]

Das Interessanteste in dieser Hinsicht sind indessen die Gebräuche,
die sich auf die +Zulassung der Knaben in eine geheime Gesellschaft+
beziehen. Gerade Melanesien ist das Verbreitungsgebiet solcher
Gesellschaften, das heißt Verbände von Männern, die in einem besonderen
Gebäude oder auch an bestimmten, für gewöhnlich geheim gehaltenen
oder durch ein Tabuzeichen als unzugänglich für Uneingeweihte
gekennzeichneten Orten sich treffen. Sie nehmen dort Übungen und
Zeremonien vor, die nicht näher bekannt sind und deren Geheimnisse
ängstlich vor den Nichtmitgliedern, im besonderen vor den Frauen
verborgen gehalten werden. Auf den Verrat dieser Geheimnisse steht eine
strenge Strafe. Auch dürfen sich Uneingeweihte solchen Orten nicht
nähern, sie haben bei Übertretung schwere Strafen, selbst den Tod zu
gewärtigen. Alles, was über die bei diesen Mysterien sich abspielenden
Vorgänge an die Öffentlichkeit gedrungen ist, beschränkt sich darauf,
daß seltsame Rufe sowie unheimliche, schreckenerregende Geräusche, von
besonders dazu angefertigten Werkzeugen verursacht, aus dem Innern
ertönen, die die Außenstehenden mit Furcht erfüllen sollen. Auch
werden an diesen Stätten Masken (Abb. 97, 98, 102, 108 bis 112, 114
bis 116 und 119) von teilweise schreckenerregendem Äußern und Gewänder
angefertigt, mit denen angetan die Männer zuzeiten hervorkommen und
sich ins Dorf stürzen, hier die Gärten und Obstbäume plündern oder
die angsterfüllten Frauen und Kinder verfolgen, jeden Mann, dessen
sie habhaft werden können, durchprügeln und solchen, die sich die
Mißgunst der Gesellschaft irgendwie zugezogen haben, eine besonders
schwere Strafe erteilen. Es ist Sitte, daß sich jeder angehende junge
Mann in diese Geheimbünde aufnehmen läßt, denn derjenige, der nicht
beigetreten ist, nimmt keine sozial gleichberechtigte Stellung mit
solchen Jünglingen ein, die schon zu den Mitgliedern des Bundes zählen;
er wird unter anderem auch keine Frau bekommen. -- Der Ursprung dieser
Gesellschaften ist unbekannt. Vielleicht wurzelt er im Aberglauben.
In den meisten Fällen scheint er mit Zauberei verbunden zu sein und
den Zweck zu verfolgen, von seinen Anhängern das Böse fernzuhalten und
ihnen Wohlergehen zu verschaffen. Wenngleich heutzutage die übrigen
Dorfbewohner den wahren Hergang dieses Mummenschanzes und der damit
zusammenhängenden Plünderungen erkannt haben oder ihn wenigstens
vermuten, so ist damit doch nicht ganz die Furcht vor dem Bunde und
seinen Taten beseitigt; sind die letzteren an und für sich doch
schreckenerregend genug für diese Wilden bei der abergläubischen
Furcht, die ihnen innewohnt.

[Illustration:

    Phot. H. W. Dauncey.

Abb. 89. Unanamädchen mit Dammgurt an Stelle des sonst üblichen
Grasrockes, und mit dem bei den Papuafrauen gebräuchlichen Netzsack auf
dem Rücken.]

[Illustration: Duk-Duk-Tänzer (Gazellehalbinsel).

Auf dem Bismarckarchipel müssen gewöhnlich die jungen Leute in die
Gesellschaft der Duk-Duk eingeführt sein, ehe sie heiraten dürfen.
Uneingeweihten und Frauen, welche die Geheimnisse des Bundes
auszuspähen suchen, droht die Todesstrafe.]

[Illustration:

    Phot. H. W. Dauncey.

Abb. 90. Roromädchen im Tanzschmuck zur Feier eines Erstgeborenen ihrer
Sippe.]

[Illustration:

    Aus: Parkinson, Dreißig Jahre in der Südsee.

Abb. 91. Aus Gras angefertigtes langes Gewand,

das die Mutter nach der Geburt eines Kindes zu Kiriwina
(Südost-Neuguinea) trägt.]

Von den am besten bekannten Geheimbünden sind die
+Duk-Duk-Gesellschaften+ zu nennen, die über einen großen Teil
Neupommerns sich verbreitet finden. Die Angehörigen dieses Bundes
treffen sich für gewöhnlich auf einem freien Platz oder einem Tanzplatz
im Walde, der den Blicken Unberufener durch dichtes Unterholz
entzogen oder noch häufiger durch Kokosmatten direkt verhüllt wird.
Auf diesem Platz werden eine oder zwei Hütten errichtet (siehe
die farbige Kunstbeilage), um in ihnen die Masken aufzubewahren
(Abb. 95 und 113); größere Masken werden an Pfosten vor der Hütte
aufgehängt. Nichtmitglieder wissen, wo sich diese Plätze befinden,
und meiden sie sorgfältig, da sie sonst streng bestraft werden, auch
wenn das Vergehen unbeabsichtigt war. Soll eine Anzahl Jünglinge
in die Duk-Duk-Gemeinde aufgenommen werden, so geschieht dies mit
ganz besonderen Feierlichkeiten. Das Fest wird bei Anbruch des Tages
durch großes Geschrei vom Tanzplatze aus verkündet, die Jünglinge
werden sodann hereingelassen und in einem Kreise aufgestellt. Ein
hoher Würdenträger des Bundes, mit Maske und Schmuck seines Ranges
bekleidet (Abb. 63 u. 101), tanzt nun in der Mitte dieses Ringes,
schreit, gestikuliert lebhaft und schlägt dabei die Jünglinge mit
einem Stock, während die übrigen Mitglieder, die außerhalb des Kreises
stehen, das gleiche tun, so daß das Schreien und Stöhnen der
gepeinigten Opfer nach außen dringt. Währenddessen sitzen die Mütter
und Schwestern zu Hause und weinen. Sodann wird den Novizen Nahrung
verabreicht, worauf der hohe Würdenträger sich seines Putzes entledigt
und die Knaben auffordert, diesen anzulegen, aber sie weigern sich,
weil sie annehmen, daß dahinter ein Zauber steckt. Schließlich folgt
ein Tanz, dessen verschiedene Schritte den Jünglingen gelehrt werden.
Feierlich werden sie noch vor den schrecklichen Folgen gewarnt, die
ein Verrat der Geheimnisse des Bundes nach sich zieht. Der erste
Tag des Festes endigt mit einem großen, von den Verwandten der
Jünglinge veranstalteten Schmaus, an dem diese sowie die Mitglieder
der Gesellschaft teilnehmen. Die nun in den Bund aufgenommenen Knaben
verbringen die erste Nacht bei den Mitgliedern auf dem Tanzplatze. Am
nächsten Morgen erhalten sie ihr Duk-Duk-Gewand. Ist der Tanzplatz in
der Nähe der See, so besteigen die Duk-Duk-Männer geschmückte Kanu
und werden von unmaskierten Eingeborenen mit Gesang und Trommelschlag
die Küste entlang gerudert (Abb. 103). Hierauf kehren sie alle unter
gleichem Lärme zum Platz zurück (Abb. 104), wo nunmehr ein wilder Tanz
stattfindet. Sobald dieser sich seinem Ende nähert, ergreift jeder der
Teilnehmer ein starkes Bambusrohr. Der Würdenträger der Gesellschaft
schlägt nun die maskierten Leute, die an ihm vorbeispringen, diese
aber geben die empfangenen Schläge wieder zurück. Die Frauen draußen
hören das Schreien und Kreischen und begleiten es mit ohrenbetäubenden
Rufen. Nach Ablauf der ganzen Vorstellung bilden die Mitglieder einen
großen Kreis um den Würdenträger, der einheimisches Geld erhält;
ebenso erhalten die neuen Mitglieder etwas davon, zum Zeichen, wie
vorteilhaft es für sie ist, dem Bunde anzugehören. Darauf werden die
Masken beiseite gelegt, und schließlich wird noch ein Schmaus von den
Verwandten der neu Aufgenommenen abgehalten. Am nächsten Tage beginnen
die Duk-Duk-Männer eine Geldsammlung, die täglich einen, wohl auch zwei
Monate lang fortgesetzt wird, wobei sie jede Hütte in der Umgebung
aufsuchen und ein Geschenk verlangen, also gleichsam eine Erpressung
ausüben; die Leute geben auch durchweg, denn sie wissen ganz gut, wie
schlecht es ihnen ergehen kann, falls sie die Forderung abschlagen
sollten. Nach Ablauf der Sammlung erklärt der oberste Würdenträger
die Duk-Duk-Männer für tot; es findet noch ein letzter Schmaus statt,
alle Masken und sonstiges Gerät werden wieder fortgeräumt, und die
Mitglieder kehren in ihre Hütten zurück bis zum nächsten Mal.

[Illustration:

    Aus „Kolonie und Heimat“.

Abb. 92. Baumhaus der Eingeborenen auf Neupommern.]

Abgesehen von den größeren Zeremonien, die oft wochenlang dauern,
halten andere Stämme, wie zum Beispiel am Flyriver, häufig kleine Feste
ab, die von der Dämmerung bis zum Morgengrauen währen. Tänze spielen
auch hier die Hauptrolle, sie dauern die ganze Nacht und gemeinsamer
Gesang der phantastisch herausgeputzten Eingeborenen begleitet ihr
taktmäßiges Schlagen der Trommeln (siehe die farbige Kunstbeilage).

[Illustration:

    Phot.  A. M. Fillodean.

Abb. 93. Mekeoweib, das ihr Kind in einem Netz mit sich schleppt.

Für gewöhnlich dient ein solches Netz, das vom Kopf über den Rücken
herabhängt, zum Tragen von Früchten und Feuerholz.]

[Illustration: Tänzer vom Flyrivergebiet in Festtracht.

Von den großen Zeremonien abgesehen, die manchmal wochenlang dauern,
werden von den Eingeborenen dieses Gebiets häufig kleinere Feste
abgehalten, die vom Abend bis zum Morgen andauern. Die ganze Nacht über
ertönt der gemeinsame Gesang des Wilden zum Klang der Trommeln und zum
Stampfen der Tänzer, während flackernde Feuer die phantastische Szene
beleuchten.]

Auf den Inseln des Bismarckarchipels gibt es eine andere Form von
Geheimgesellschaften, +Ingiet+ genannt; an ihrer Spitze steht ein
großer Zauberer, der den Ruf, mächtige Zauberkraft zu besitzen,
genießt. Nach dem Aberglauben der Eingeborenen vermag dieser Zauberer
die Geister zu beschwören, indem er Kalk verspritzt, Ingwer ißt und
Zaubersprüche hersagt; er wird daher auch in Krankheitsfällen zu Rate
gezogen. Ebenso wie der Duk-Duk-Bund besitzen die Ingietgesellschaften
ihren geheimen Versammlungsort, dessen Betreten von seiten
Uneingeweihter durch die Geister mit dem Tode geahndet wird. Der
Platz ist umzäunt, und an einer Stelle der Umfriedigung werden roh
in Stein gehauene oder aus Holz geschnitzte und bemalte Bildnisse
aufbewahrt, welche menschliche Wesen, Schweine, Krokodile, Haifische,
Vögel und andere Tiere darstellen. Da nur das Haupt der Ingietgemeinde
diesen geheiligten Ort betreten darf, so müssen die Novizen bei ihrem
ersten Erscheinen zuvor vor der Todesstrafe, die sonst die Folge
unbefugten Eindringens sein würde, geschützt werden, indem sie Ingwer
kauen, die Ingwerpflanze in den Händen halten und sich um den Hals
legen. Der oberste des Bundes bemalt die neu Aufzunehmenden außerdem
noch mit einem Zauberstoff, den er aus ausgekautem Ingwer und Kalk
zusammengestellt hat und aus seinem Munde auf ihre Körper, desgleichen
auf die Bildnisse an der geweihten Stätte bläst. Bei der sich daran
anschließenden Einweihungsfeier hält der Häuptling den Stiel einer
bestimmten Pflanze, der Einzuweihende deren Blätter in der Hand,
dann zieht der erstere und streift auf diese Weise die Blätter unter
Hersagen von Zaubersprüchen durch die Hand des Novizen. Damit ist die
Einweihungsfeier vollzogen. -- Mit den angeführten Gesellschaften ist
indessen die Zahl der auf Melanesien vorhandenen Geheimbünde noch nicht
erschöpft; es gibt noch eine Reihe anderer, von denen jeder seine
eigenen Gebräuche bei der Einweihungsfeier der neu Aufzunehmenden
und bei anderen festlichen Gelegenheiten besitzt. Eine dieser
Geheimgesellschaften wollen wir indessen noch erwähnen, die bis vor
kurzem auf einer der Torresstraßengruppe ihr Wesen trieb, da sie von
der bisher beschriebenen Art stark abwich. Jeder Novize wurde während
der Dauer der Zeremonie am ganzen Körper täglich mit Ruß angemalt; er
wurde außerdem in ein Mattenzelt von der Form eines steilen Daches
gesteckt, das an seinem Körper befestigt wurde und einen so geringen
Umfang besaß, daß der Knabe, damit das Zelt auf die Erde reichte, eine
sitzende Stellung einnehmen mußte. Einen vollen Monat hatten die neu
Aufzunehmenden in der erstickenden Hitze und Dunkelheit eingezwängt
auszuhalten. Sie durften weder spielen noch sprechen, weder ihre Väter
noch ein weibliches Wesen sehen; sie wurden streng bewacht und mußten,
obgleich sie allabendlich zu einem für sie besonders hergerichteten
Hause geführt und morgens vor Sonnenaufgang wieder zurückgebracht
wurden, ihre Zelte mit sich schleppen, so daß beim Gehen nur ihre Beine
sichtbar blieben. Während ihrer Abgeschlossenheit wurden die Novizen
in den Lehren und Gebräuchen ihres Stammes unterwiesen und über ihre
moralischen Pflichten, sowie über den Umgang mit den Frauen aufgeklärt;
im besonderen mußten sie gewisse Zauberformeln und Mittel kennen
lernen, durch die sie die Zuneigung eines Mädchens gewinnen konnten.
Eines dieser Mittel bestand darin, die Erde an bestimmten Stellen mit
dem Speer zu bearbeiten und bei dessen Herausziehen den Namen des
Mädchens auszurufen, ein anderes in der Bereitung einer besonderen
„Mädchenmedizin“ durch Vermischung mit Tabak und ihrer Darreichung an
die Geliebte, oder auch in dem Salben des ganzen Körpers mit dieser
Medizin. Am Ende des Monats wurden die Trommeln geschlagen und die
Zelte den Knaben abgenommen; sie wurden dann in der See gewaschen, mit
Blättern abgerieben und mit der wirklichen „Mädchenmedizin“ gesalbt.
Bei Einbruch der Nacht mußten sie alle zu einem freien Platze in der
Nähe des Dorfes wandern, wo ihre Angehörigen auf sie warteten. Auf
dem Hinweg wurde eine lange Matte vorangetragen, welche die Knaben
verbarg. Nachdem die Aufgenommenen sich gelagert hatten, wurde die
Matte entfernt und die Jünglinge zeigten sich nun den hocherfreuten
Verwandten als Männer, nicht mehr als Knaben.

[Illustration:

    Phot. R. W. Williamson.

Abb. 94. Festlichkeit bei den Mafulu (Neuguinea), die veranstaltet
wird, wenn die Kinder ihre erste Bekleidung, die aus einem Dammgurt
besteht, erhalten. Die Eltern jedes Kindes haben zu der Bewirtung der
Gäste aus anderen Gemeinden ein Schwein und Früchte beizusteuern.]

[Illustration:

    Aus: Meyer-Parkinson, Papua-Album II.

Abb. 95. Maskenhaus auf Neumecklenburg.

In der unteren Reihe sind gewöhnliche Tanzmasken, in der oberen Reihe
Totenmasken aufbewahrt.]

Belustigungen und Spiele erfreuen sich unter den Eingeborenen
Melanesiens bei Klein und Groß allgemeiner Beliebtheit, so das
Fadenspiel (Abb. 117), in dem die Erwachsenen eine große Fertigkeit
aufweisen, und das Cuscusspiel (Abb. 121) der Kleinen.

[Illustration:

    Aus: Parkinson, Dreißig Jahre in der Südsee.

Abb. 96. Einweihung von Jünglingen in Nordbougainville in die Sitten
und Gebräuche ihres Stammes.

Ein Häuptling wählt vier oder fünf Jünglinge aus, die in eine Hütte
geführt werden. Sie müssen verschiedene Verrichtungen vollführen, die
Stammesregeln lernen und müssen immer die merkwürdige ballonförmige
Kopfbedeckung tragen. Wenn ihr Haar die letztere ausfüllt, dann ist die
Zeit ihrer Abschließung vorüber.]

[Illustration:

    Aus: Parkinson, Dreißig Jahre in der Südsee.

Abb. 97. Maske aus Bougainville,

die indessen nie zu Tänzen getragen wurde.]

[Illustration:

    Aus: Parkinson, Dreißig Jahre in der Südsee.

Abb. 98. Tanzmaske von der Insel Nissan,

mit der die Eingeborenen erschreckt und verscheucht wurden, so daß die
Mitglieder des Geheimbundes deren Habseligkeiten rauben konnten.]

Verschiedentlich wird auf Melanesien mit Eintritt der Geschlechtsreife
eine +Beschneidung+ der Knaben vorgenommen. Jedoch kommt es auch
gelegentlich vor, daß man schon verheiratete junge Leute zusammen
mit kleinen Knaben dieser Operation unterwirft, wenn man nämlich
in einem Dorfe für diese Feierlichkeit, die alljährlich höchstens
einmal stattfindet, nicht genügend Kandidaten beisammen hat, so daß
das Fest um ein oder mehrere Jahre hinausgeschoben werden muß. Auf
Kaiser-Wilhelms-Land, wo die Beschneidung keineswegs allgemein üblich
ist, spielt sich der Vorgang folgendermaßen ab. Für die Jünglinge
bestehen, wie bei ähnlichen Feierlichkeiten, strenge Diätvorschriften.
Nach solcher Vorbereitungszeit werden die Kandidaten unter dem
Geheul der Weiber und unter Rutenstreichen der Männer zu dem für die
Beschneidung bestimmten Platze geführt, wo sich das Haus des „Balum“,
eines mythischen Ungeheuers, befindet. Schon während des Baues dieser
Hütte dürfen die Weiber des Dorfes sich ihr nicht nähern, nötigenfalls
müssen sie auf ihren Gängen große Umwege machen. Außerdem müssen
Frauen und Kinder so lange, als das Ungeheuer in diesem Hause weilt,
außerhalb des Dorfes in eigens dazu errichteten Hütten wohnen; auch
dürfen sie keinen der zu beschneidenden Knaben sehen, es würde ihnen
sonst das Leben kosten. Um sich bemerkbar zu machen, verursachen sie
bei ihren Ausgängen innerhalb des Dorfes mittels eines trommelartigen
Werkzeuges Lärm, der von den Knaben, wenn sie ihn hören, durch das
Blasen von Bambusflöten erwidert wird, um die Frauen zu warnen, in
dieser Richtung weiter zu gehen, oder sie zu veranlassen, auszuweichen.
Sobald die Kandidaten an der Hütte des Balum, die sein „Magen“ heißt,
angekommen sind, ruft man den Balum mit Namen und fordert ihn durch
Blasen auf Muscheltrompeten auf, herauszukommen. Gibt er dann aus dem
Innern der Hütte ein Zeichen von sich, dann beginnen die Männer ihre
Gesänge, die mehr einem Geheule gleichen, und opfern Schweine, um das
Leben der Knaben zu erhalten. Den Weibern wird vorgeredet, der Balum
verschlinge die Knaben und gebe sie nach dem Schweineopfer als kräftige
Burschen wieder von sich. In Wahrheit aber wird das Fleisch von den
Männern verspeist. Damit das Ungeheuer nicht fortlaufe und die übrigen
Dorfbewohner belästige, wird die Hütte mit Stricken festgebunden. In
ihrem Innern vollzieht sich nun die Beschneidung. Stirbt dabei etwa ein
Knabe, dann sagt man, er sei unversehens in den Schweine- anstatt in
den Menschenmagen des Balum geraten; nur der letztere könne ihn wieder
von sich geben. Ist die Operation vorbei, dann müssen die Beschnittenen
noch so lange in der Balumhütte bleiben, bis sie durch ein nochmaliges
Schweineopfer für erlöst erklärt werden. Darauf werden sie in
feierlichem Zuge zum Dorfe zurückgeführt und erhalten von nun an das
Recht, an den zukünftigen Beschneidungsfeierlichkeiten teilzunehmen.
Auf der Insel Karesau (Neuguinea) sind die Beschneidungszeremonien noch
verwickelter. Nachdem die Kandidaten ein Bad genommen haben, werden
sie in besonderen Häusern am Ende des Dorfes untergebracht und dürfen
ihre Angehörigen nicht mehr zu Gesicht bekommen. Das Essen erhalten
sie von ihren Beschneidungspaten gebracht, deren Frauen es zubereiten.
In der ersten Nacht kündigt sich das Nahen des Kasuargeistes Makarpon
von der See aus an; die See wird mit Kokoswedeln geschlagen, Flöten
werden geblasen (Abbild. 118) und schlangenförmige Windungen im
Ufersande gezeichnet, welche die Schwanzspuren des Geistes bei seinem
Kommen vorstellen sollen. Dieser begibt sich nun in ein außerhalb des
Dorfes gelegenes Geisterhaus, in das am anderen Morgen die Kandidaten
geführt werden. Sobald sie auf dem davor liegenden Platze erscheinen,
nahen sich ihnen von dem Geisterhause aus verschiedene Geisterpaare
in Gestalt von Vögeln -- von diesem Zeitpunkt an dürfen die Knaben
Zeit ihres Lebens Fische und Vögel nur noch im Geisterhaus genießen
-- und stürzen sich, nachdem sie untereinander einen Kampf aufgeführt
haben, auf die Knaben mit ausgebreiteten Flügeln, um sie anscheinend zu
fressen, kehren jedoch wieder in das Geisterhaus zurück, das nunmehr
verschlossen wird. Die Knaben werden darauf einer nach dem anderen
nach einem abseits gelegenen Platz am Strande gebracht, wo zwei Männer
ihrer warten. Der Beschneidungspate faßt nun den Knaben, der nicht
ahnt, was mit ihm vorgenommen werden soll, von hinten an den Armen und
beugt seinen Kopf so weit nach rückwärts, daß er von der Operation,
die an ihm vorgenommen wird, nichts sehen kann. Die abgeschnittene
Vorhaut wird entweder in einen Ameisenhaufen geworfen oder in einer
kleinen Grube in der Erde verscharrt. Bei den jüngeren Knaben wird nur
die Durchbohrung des Gliedes vorgenommen, eine wirkliche Abtragung
der Vorhaut findet für gewöhnlich dann nicht mehr statt; nur wenn sie
als verheiratete Männer das Geisterhaus betreten wollen, wird die
Beschneidung mit Gewalt an ihnen ausgeführt. Knaben, die sich bei der
Operation widerspenstig zeigen, wird mit Speer und Dolch gedroht;
auch werden ihnen ernste Mahnungen darüber zuteil, daß sie den ganzen
Vorgang geheim zu halten haben. Die Beschnittenen waschen sich in
der Regel sogleich die Wunde im Meere. Nachdem sie bis dahin nackt
gegangen sind, erhalten sie jetzt einen Lendengurt. Bei ihrer Rückkehr
zum Geisterhaus werden sie von ihren Paten ermahnt, bis zum Abschluß
der Zeremonie nichts mit Frauen zu tun zu haben, fortan nie mehr mit
kleinen Mädchen zu spielen und nicht mehr auf Männer zu schimpfen und
anderes mehr. Für jeden Knaben ist gegenüber dem Geisterhaus ein Lager
bereitet, auf dem sie, mit geschlossenen Augen den Strahlen der Sonne
preisgegeben, für Stunden so lange verharren müssen, bis ihnen durch
den Ton einer Flöte, der dem Bellen eines Hundes ähnlich ist, gestattet
wird, die Augen wieder zu öffnen und zu sprechen. Mittlerweile ist
den Frauen im Dorfe ebenfalls durch Blasen auf Bambusflöten verkündet
worden, daß die Beschnittenen sich nun im Bauche des Kasuargeistes
befinden, und einige Stunden später auf die gleiche Weise, daß sie
ihn nun verlassen hätten. Sobald die Knaben von ihrer Pein erlöst
sind, nahen sich ihnen bewaffnete Männer aus dem Wald und schleudern
einen Speer oder schießen einen Pfeil dicht über die rechte Schulter
der beschnittenen Knaben in die Erde. Das ist das Zeichen für diese,
nunmehr aufzuspringen und dafür, daß die eigentliche Feier beendet ist.
Aber damit ist die Zahl der mit dem Vorgang verbundenen Zeremonien noch
nicht erschöpft. Einige davon sollen hier noch Erwähnung finden.

[Illustration:

    Phot. A. C. Haddon.

Abb. 99. Szene aus den Feierlichkeiten bei der Einweihung von
Jünglingen auf den Inseln der Torresstraße in die Stammesgebräuche.

Während dieser Zeremonie sind die Jünglinge zum ersten Male Zeugen der
heiligen Tänze und lernen die Legenden ihres Stammes kennen. Hierauf
werden sie zusammengestellt und von bewaffneten Männern, die Geister
vorstellen, angegriffen und oft stark verletzt.]

[Illustration:

    Phot. A. C. Haddon.

Abb. 100. Einweihungstanz auf den Inseln der Torresstraße.

Der vorderste der drei Tänzer, der bei jedem Schritt das eine Bein für
kurze Zeit hoch hebt, trägt eine Maske ohne Augen und wird daher von
dem zweiten mit einem Strick geleitet.]

Nach Sonnenuntergang hauen die Beschnittenen einem Baum, der einer
Tanne gleicht und Kalpem genannt wird, die Äste so weit ab, daß nur
noch Stümpfe davon am Stamme bleiben, schälen die Rinde vollständig
ab und bemalen den Baum mit schwarzen, roten und weißen Ringen,
darauf behängen sie ihn mit Federn und Girlanden aus bunten Früchten
und pflanzen ihn in die Erde. Außerdem stecken sie in einer gewissen
Entfernung von diesem Baum zwei Stäbe in die Erde und verbinden sie
mit kunstvollen, mit Federn verzierten Geflechten aus Kokosblättern.
Sobald diese Vorbereitungen getroffen sind, stimmen die Knaben
unter Trommelschlägen einen Gesang an, der die ganze Nacht andauert
und ihre ganze „Nationalliteratur“ umfaßt. Beim Aufgehen des
Morgensterns stellen sie die Trommeln um den Kalpembaum und gehen
ins Geisterhaus, um zu schlafen. Hierauf kommen einige Männer aus
dem Dorfe, vergewissern sich, daß die Knaben diesen Baum ohne fremde
Beihilfe angefertigt haben, bewundern ihn, reißen ihn aber aus und
nehmen die Federn, mit denen er geschmückt war, als ihr Eigentum an
sich. -- Weitere Zeremonien sind die Kanufahrten der älteren Knaben
unter den Beschnittenen, die unter Gesang Baumrinde holen, woraus nach
der Rückkehr vor dem Geisterhaus Lendentücher angefertigt werden,
und daran anschließend die Bootsfahrten der Männer, um eine für tabu
geltende Liane aufzusuchen, aus der sie Saft abzapfen, mit dem vor dem
Geisterhause auch wieder Zauber getrieben wird; ferner das Schleudern
eines mehrzinkigen Fischspeeres von seiten der Knaben in eine Yams
enthaltende Schüssel, das Herausholen eines Stückes, das Lecken
daran, dessen Zurückwerfen samt dem anhaftenden Speer in die Schüssel
und das schließliche Schleudern ihres ganzen Inhaltes ins Meer; die
Zubereitung einer Salbe aus Kokosnußöl und roter Farbe, womit die Haare
eingerieben werden; die Gewinnung einer wohlriechenden Substanz aus den
Blättern eines bestimmten Baumes und Einsalben des Körpers damit; das
Aufpflanzen eines mit Blättern geschmückten Pfahles und dessen Anspeien
mit wohlriechender Substanz durch sämtliche Knaben, die ihn dabei mit
Gesang umkreisen und vieles andere mehr.

[Illustration:

    Phot. E. v. Hesse-Wartegg.

Abb. 101. Duk-Duk-Tänzer vom Bismarckarchipel.

Die Duk-Duk-Gesellschaften halten ihre Zusammenkünfte auf
abgeschlossenen Plätzen ab, die Uneingeweihte und Frauen nicht betreten
dürfen. Durch Lärmen und Schreien suchen sie die anderen Eingeborenen
einzuschüchtern.]

[Illustration:

    Aus: R. Neuhauß, Deutsch-Neuguinea.

Abb. 102. Geflochtene Tanzmaske vom Kaiserin-Augusta-Fluß.]

[Illustration:

    Phot. E. v. Hesse-Wartegg.

Abb. 103. Wasserfahrt der Duk-Duk-Tänzer.]

[Illustration:

    Aus: Parkinson, Dreißig Jahre in der Südsee.

Abb. 104. Landen der Duk-Duk-Tänzer, nach welchem der Tanz seinen
Fortgang nimmt.]

In bestimmten Teilen des Bismarckarchipels und auf den westlich daran
anstoßenden Inseln herrscht die barbarische Sitte der +Abschließung
junger Mädchen+, besonders solcher, die im jüngsten Kindesalter
bereits mit einer Person von Ansehen, zum Beispiel mit dem Sohne des
Häuptlings verlobt wurden. Kegelförmige Käfige, bisweilen nur etwas
über zwei Meter hoch bis zur Spitze und im unteren Durchmesser oft
nicht größer, werden aus breiten, dicht zusammengenähten Blättern
hergestellt, so daß in Wirklichkeit kein Licht und fast gar keine Luft
in sie einzudringen vermag; jeder dieser Käfige besitzt eine nur kleine
Öffnung, die mit einer ähnlich gebauten, nach außen sich öffnenden Tür
versehen ist. In diesen Käfigen, die überdies für gewöhnlich noch in
Hütten stehen, werden die Mädchen Jahre hindurch gefangen gehalten,
oft fünf Jahre und noch länger; sie dürfen weder Tag noch Nacht
herauskommen, auch wenn sie krank werden sollten, ausgenommen einmal am
Tage, um in einer Schüssel oder Holzschale, die dicht dabei steht, zu
baden. Diese Käfige sind oft so klein, daß das Mädchen nur sitzen oder
gekrümmt darin liegen kann (Abb. 122).

[Illustration:

    Aus: Hesse-Wartegg, Samoa.

Abb. 105. Duk-Duk-Tänzer im Festschmuck.]

Auch im Bereiche von Deutsch-Neuguinea werden Mädchen, die das
Reifealter besitzen, in strenger Abgeschlossenheit gehalten; während
dieser Zeit müssen sie eine sorgfältige Tatauierung über sich ergehen
lassen und werden von älteren Frauen in Dinge eingeweiht, die sich auf
das Geschlechtsleben beziehen.

[Illustration:

    Aus: Hesse-Wartegg, Samoa.

Abb. 106. Duk-Duk-Tänzer im Festschmuck.]

Das +Durchbohren von Nase und Ohren+ ist für gewöhnlich kein Ereignis
von feierlichem Charakter, nur vereinzelt, zum Beispiel bei den Mafulu,
werden dabei bestimmte Vorschriften eingehalten, wie Absonderung,
Speiseverbote und andere Entsagungen.

Sobald an den Knaben und Mädchen die Zeremonie der erlangten Reife
vollzogen ist, sind sie +heiratsfähig+ und können sich nach einem
Lebensgefährten umsehen. Verschiedentlich wird die +Ehe+ bereits
frühzeitig eingegangen (Abb. 124); auf Neuguinea wurden Fälle
beobachtet, in denen die jungen Männer nur vierzehn bis fünfzehn, die
jungen Frauen erst neun bis zehn Jahre zählten.

[Illustration:

    Aus: Parkinson, Dreißig Jahre in der Südsee.

Abb. 107. Sisumasken der Sulka,

die nach dem Glauben dieses Stammes geheime Eigenschaften besitzen. Die
Tänzer kriechen zunächst auf dem Boden, die Kinder berühren sie dann,
damit sie gedeihen und stark werden.]

Gelegentlich finden bei den Papua und auch anderwärts in der
melanesischen Inselwelt Verlobungen der Kinder statt. Auf den
Salomonen werden in Häuptlingsfamilien die Kinder sogar schon, bevor
sie geboren sind, einander versprochen; die Abmachungen werden hier
nicht von den Eltern, sondern von bestimmten Heiratsvermittlern
geführt, die auch den Kaufpreis festlegen. Besondere Festlichkeiten
finden bei diesen +Kinderverlobungen+ im allgemeinen nicht statt.
Die Koita veranstalten ein feierliches Familienkauen von Betelnüssen.
Verschiedentlich wird ein Schmaus und ein Tanz veranstaltet. Auf den
Neuhebriden muß bei der Verlobung einer Häuptlingstochter der kindliche
Bräutigam, wenn er schon alt genug dazu ist, ein Drakänenblatt in
das Auge einer jungen trinkbaren Kokosnuß stecken und letztere der
Mutter des Mädchens überreichen, damit dieses daraus trinke. Auf einer
anderen Insel dieser Gruppe bringt bei der Geburt eines weiblichen
Kindes der Vater oder die Mutter eines Knaben diesen und ein mit Wasser
angefülltes Bambusrohr in das Haus des Mädchens, das der Knabe wäscht,
wodurch es seine Verlobte wird. Solche Kinderverlobungen sind unter
Umständen so bindend, daß, als einmal in den Mafulubergen ein verlobter
Knabe, lange bevor ein eheliches Verhältnis möglich war, starb, das
Mädchen für seine Witwe angesehen wurde.

[Illustration:

    Phot. Mus. f. Völkerkunde, Berlin.

Abb. 108. Tanzmaske aus Neumecklenburg.]

[Illustration:

    Phot. Mus. f. Völkerkunde, Berlin.

Abb. 109. Tanzmaske aus Neumecklenburg.]

Abgesehen von solchen Kinderverlobungen wählen sich die jungen
Melanesier meist ihre zukünftige Gattin aus freien Stücken. Findet zum
Beispiel ein Papua der Astrolabebai an einem Mädchen Gefallen, so dreht
er sich eine Zigarette, wobei er Haare von verschiedenen Stellen seines
Körpers mit hineinwickelt, raucht diese zur Hälfte auf und übergibt den
Rest seiner Mutter, auf daß sie diesen der Auserwählten bringe. Raucht
das Mädchen die Zigarette nun auf, so ist dies ein Zeichen, daß sie
die Werbung annimmt. In einer der Küstengegenden von Deutsch-Neuguinea
schlägt ein junger Mann das Mädchen, das er heiraten möchte, leicht mit
einem kleinen, geschnitzten, flachen Stück Holz auf die Wange; dies ist
sein +Heiratsantrag+.

[Illustration:

    Phot. Mus. f. Völkerkunde, Berlin.

Abb. 110. Tanzmaske aus Neumecklenburg.]

Um die Zuneigung der Mädchen zu gewinnen, wird von den jungen Leuten
mancherlei +Liebeszauber+ angewendet. Ein Jüngling der Koita versenkt
bisweilen ein Stück Quarz in die Milch einer jungen Kokosnuß, reibt
sich damit das Gesicht ein und denkt dabei scharf an das Mädchen,
dessen Liebe er erwerben möchte. Auf einigen Inseln östlich von
Neuguinea bereiten sich die jungen Leute einen sehr wirksamen
Liebeszauber, indem sie die Rinde eines bestimmten Baumes zu Pulver
zerreiben, dieses mit Kokosnußschnitzeln vermischen, die Mischung in
ein Blatt rollen und das Ganze braten. Das Zaubermittel wird einfach
in der Weise angewendet, daß der Saft dieses Gemengsels dem Mädchen,
während es schläft, ins Gesicht gespritzt wird. Man glaubt dann, daß
es sich innerhalb weniger Tage in den, der dieses Verfahren anwendet,
heftig verlieben wird. Bei den Mafulu üben die jungen Burschen eine
Art Sympathiezauber aus. Sie tragen in einer kleinen Tasche beständig
Holz- oder Steinstückchen mit sich herum, damit diese den Geruch ihres
Körpers annehmen, mischen, ehe sie sich dem Mädchen ihrer Wahl nähern,
Tabak darunter und schicken diesen dann dem Mädchen zum Rauchen. Da
der Besitzer eines solchen Mittels, dessen Wirksamkeit mit der Zeit
zunehmen soll und außerdem noch durch die Kraft eines wirklichen
Zauberers erhöht werden kann, es schwer zu ersetzen vermag, so trennt
er sich unter keinen Umständen davon. Die Mafulu besitzen auch ein
Mittel, um die Zukünftige zu entdecken. Ist ein Jüngling heiratslustig,
weiß er aber nicht, woher er eine Frau nehmen soll, dann zündet er bei
Windstille ein helles Feuer an und wartet ab, bis ein leiser Lufthauch
die Flamme oder den Rauch nach einer bestimmten Richtung trägt; in
dieser geht er auf die Suche nach einer Braut.

[Illustration:

    Aus: Pfeil, Studien und Beobachtungen aus der Südsee.

Abb. 111. Maskentänzer aus Neumecklenburg.]

Verschiedentlich begegnen wir in Melanesien auch der +Raubehe+. Wenn
ein Baininger (Neupommern) ein bestimmtes Mädchen zur Frau haben will,
so veranlaßt er seine Bekannten, es für ihn zu rauben. Daher pflegen
dort die Eltern vielfach ihre Töchter sorgfältig zu verbergen; das
Heiraten ist für die jungen Leute somit nicht leicht gemacht. Glückt
der Raub, so stellt sich zunächst ein feindschaftliches Verhältnis
zwischen beiden Parteien ein, das aber bald wieder beigelegt wird.
Entweicht das Mädchen den Entführern und läuft es zu den Eltern
zurück, so pflegen sie, falls sie einverstanden sind, ihr Kind mit
Geschenken dem Manne wieder zurückzuschicken, wofür dieser sich durch
Gegengeschenke erkenntlich erweist. Im Innern Neuguineas ist der
Brautraub bereits zu einer Formsache abgeschwächt. Ist der Jüngling
nämlich mit seiner Erwählten einig, dann wird eine Entführung
verabredet. Das glückliche Paar flieht zu einem befreundeten Stamme,
bei dem es seine Flitterwochen verbringt, hierauf kehrt es wieder nach
Hause zurück und die Heirat wird durch Erlegung des Kaufpreises eine
rechtmäßige. Die +Kaufehe+ ist die in Melanesien am meisten verbreitete
Form. Der Vater des Bräutigams und seine Sippe zahlen den ausbedungenen
Preis (Abb. 123 u. 127) meistens in Gestalt von Muschelgeld, an anderen
Orten auch von Stoffen, Waffen, Goldsachen und Schmuckgegenständen an
die Verwandten der Braut. Nach der Verlobung bleibt das junge Mädchen
meistens noch im Hause der Eltern, bei anderen Stämmen wieder siedelt
es zu den zukünftigen Schwiegereltern über und wartet hier so lange,
bis der Bräutigam das neue Heim hergestellt hat. -- Sehr strenge sind
die +Verhaltungsmaßregeln für die Braut+ bei den Sulka auf Neupommern.
Sie muß dort im Hause der Schwiegereltern bis zur Hochzeit ganz
zurückgezogen leben, was monatelang dauern kann. Am hinteren Ende
der gemeinsamen Wohnhütte wird für sie durch Matten ein kleiner Raum
abgetrennt, wo sie, nur von einer jungen Verwandten des Bräutigams, die
ihr das Essen reicht, unterstützt, hausen muß, unter Befolgung strenger
Verbotsvorschriften, die sich auf verschiedene Speisen, ebenso auf
das Wasser, beziehen. Ihren Durst darf die Zurückgezogene nur durch
Aussaugen von Zuckerrohr löschen, ihre Nahrung niemals mit dem Finger
berühren, sondern nur mit einem Stäbchen aus einer Kokosblattrippe zum
Munde führen. Sie darf ferner keinen Mann sehen und, wenn sie einmal
auszugehen genötigt ist, muß sie mit einem langen, von den Schultern
bis zu den Füßen reichenden Mantel aus Bananenblättern bekleidet oder
mit einer Matte bedeckt sein und unterwegs durch Pfeifen sich bemerkbar
machen, damit die Männer ihr beizeiten aus dem Weg gehen können.
Schließlich werden ihr von Weibern, die der Bräutigam dafür durch einen
Schmaus entlohnt, Verzierungen auf Brust, Rücken und Bauch teils mit
Obsidiansplittern eingeritzt, teils mit glühenden Kokosblattrippen
eingebrannt. Ein ähnlicher Brauch herrscht auf den Admiralitätsinseln,
wo diese Verbannung gegen sechs Monate, und in gewissen Teilen
Neumecklenburgs, wo sie sogar oft zehn bis zwanzig Monate andauert.

[Illustration:

    Phot. Brit. Museum London.

Abb. 112. Maske aus Neukaledonien.]

[Illustration:

    Aus: Meyer-Parkinson, Papua-Album II.

Abb. 113. Maskenhaus einer geheimen Gesellschaft auf dem
Bismarckarchipel.]

Die eigentliche +Hochzeitszeremonie+ ist in Melanesien ganz
verschiedenartig; an sehr vielen Orten verdient sie kaum diese
Bezeichnung, da sich der ganze Vorgang nur auf die Auszahlung des
Kaufpreises beschränkt. Bei den Bainingern tauschen die Verlobten
einfach Betelnüsse aus, und die Ehe gilt für geschlossen. Bei den
Gebirgsvölkern im Innern Neuguineas besteht die Zeremonie darin, daß
sich sämtliche Beteiligten, einschließlich der beiden Elternpaare, an
der Stirn blutig ritzen, zum Zeichen, daß die beiden jungen Leute nun
zueinander gehören. Auf den Neuhebriden hält der Vater des Mädchens
oder ein einflußreicher Freund vor den versammelten Gästen eine Rede,
ermahnt darin den Bräutigam, seine Frau gut zu ernähren, sie freundlich
zu behandeln, sowie nicht mürrisch gegen sie zu sein und überreicht ihm
hierauf die Braut, die in einen neuen Grasrock gekleidet ist. Vorher
hat der Jüngling einen Drakänenzweig in die Erde gesteckt und Schweine,
Nahrungsmittel und Matten als Entgelt für die Braut herbeigebracht.
Den Schluß bildet ein Festschmaus, bei dem sich der junge Ehemann
voller Aufmerksamkeit gegen seinen Schwiegervater oder den Festredner
erweist, indem er sie unter anderem zum Zeichen seines Dankes zärtlich
streichelt.

[Illustration:

    Aus: Neuhauß, Deutsch-Neuguinea.

Abb. 114. Maske für die Einweihungsfeierlichkeiten bei den Warapu.]

[Illustration:

    Aus: Parkinson, Dreißig Jahre in der Südsee.

Abb. 115. Knieender Maskenträger von den Französischen Inseln
(Bismarckarchipel).]

[Illustration:

    Aus: Parkinson, Dreißig Jahre in der Südsee.

Abb. 116. Geistermasken eines alten, nunmehr vergessenen Brauches auf
der Gazellehalbinsel.

Obgleich die jetzigen Eingeborenen nicht mehr wissen, welche Geister
diese Masken darstellen, halten sie noch an den alten Geistertänzen
fest, bei denen diese Masken getragen werden.]

[Illustration:

    Phot. C. M. Woodford.

Abb. 117. Salomoinsulaner beim Fadenspiel,

das sehr beliebt ist. Sie besitzen darin große Gewandtheit, machen alle
mögliche, oft schwierige Figuren, ahmen mit Hilfe der Fäden Menschen,
Tiere und andere, selbst in Bewegung befindliche Dinge, wie kämpfende
Männer, nach.]

[Illustration:

    Aus: Meyer-Parkinson, Papua-Album II.

Abb. 118. Eingeborene mit Panflöten.

Diese Instrumente, mit denen die Insulaner eine ganz gute musikalische
Wirkung erzielen, werden in Melanesien häufig angetroffen.]

In den Hochzeitszeremonien kehren verschiedentlich Anklänge an
die Raubehe wieder. So umzingeln, um ein Beispiel anzuführen, im
Rorogebiet (Britisch-Neuguinea) am Hochzeitstage eine Anzahl Freunde
des Bräutigams das elterliche Haus des Mädchens und nehmen von ihm
durch einen Scheinangriff unter viel Lärm und Toben Besitz. Das Mädchen
entkommt dabei, wird aber verfolgt und wieder eingefangen, trotzdem
es sich gegen seine Feinde mit Händen, Füßen und Zähnen verteidigt.
Währenddessen spielt sich in seines Vaters Haus der Kampf weiter ab.
Seine Mutter schlägt jeden leblosen Gegenstand ihrer Umgebung mit
einer Keule oder einer Waffe und stößt dabei gegen die Räuber ihrer
Tochter Flüche aus, schließlich bricht sie zusammen und verfällt ins
Weinen, in das andere Frauen aus dem Dorf mit einstimmen. Ihre Klagen
dauern drei Tage lang. Nachdem das Mädchen eingefangen ist, wird es in
das väterliche Haus des Knaben geführt und auf die Verandaplattform
gesetzt. Sobald der Jüngling sie ankommen sieht, läuft er seinerseits
weg und versteckt sich, wird aber schleunigst von seinen Freunden
wieder eingefangen, angemalt und geschmückt; dabei leistet er immer
noch Widerstand. Endlich bringen sie ihn doch in das väterliche
Haus, wo er sich neben das Mädchen setzen muß. Sodann wird die Ehe
als vollzogen verkündet, aber das Paar nimmt nicht die geringste
Notiz voneinander; es tut so, als ob es sich nicht kennt. Am nächsten
Morgen muß der Vater des jungen Mannes eine Flut von Schimpfreden
von dem Vater des jungen Mädchens über sich ergehen lassen, die ihr
Ende nur durch ein Sühnegeschenk in Gestalt eines geschlachteten
Hundes findet. Am Nachmittag wird die junge Frau von den Verwandten
des jungen Mannes geschmückt, und das Paar wiederum auf derselben
Plattform zusammengebracht. Auch jetzt ignoriert es einander wieder
vollständig. Indessen bei der Wiederholung am dritten Tage kommt
gewöhnlich eine Aussöhnung zustande. Das Mädchen reicht dem Jüngling
Betel, dieser nimmt ihn und kaut ihn. Endlich kommt die Mutter des
Mädchens, die sich bisher von allen diesen Zusammenkünften ferngehalten
hat, und besucht ihre Tochter, über die sie weint und klagt, bis ein
geschlachtetes Schwein ihr als Sühne angeboten wird. Der zweite Teil
der Hochzeitszeremonie findet etwa drei bis acht Wochen später statt;
vordem darf die Braut weder ihres Vaters Dorf besuchen, noch etwas von
dorther essen. Auf die Einladung der Verwandten der jungen Frau hin
wandern die Angehörigen des Mannes in das Dorf, in dem ihr Vater wohnt,
und bringen sie, reich geschmückt an der Spitze des Zuges einhergehend,
mit. Man trägt an einem Stock aufgehängte Schweine und wertvollen
Federkopfputz (Abbild. 126); alles dieses erhält der Vater der jungen
Frau. Hiernach wird ihr aller Schmuck abgenommen und ebenfalls ihrem
Vater überreicht, der als Gegengabe an die Familie des jungen Mannes
Fische und Bananen gibt. Diese nimmt sie ins Dorf mit und verteilt sie
unter die Freunde, die zu dem Kaufpreis beigesteuert haben. Einige
Tage später besucht das Paar wieder das Dorf der jungen Frau und
erhält hier Geschenke. Man sieht, Geschenke und Festessen machen in
der Hauptsache überall die Hochzeitsfeierlichkeiten aus, die nur hie
und da ihre örtlichen Verschiedenheiten aufweisen. So wird auf den
Torresstraßeninseln, wo übrigens die Hochzeit mit einer Entführung
des Mädchens durch den Jüngling in der Nacht vorher ihre Einleitung
erfährt, die Braut mit einem Rock nach dem anderen behängt, bis die
Last sie so sehr beschwert, daß sie nicht mehr stehen kann, sondern
von zwei Frauen aufrecht gehalten werden muß. Auf solche Weise schwer
belastet, muß sie unter strenger Aufsicht einen Monat lang verharren,
dann erst werden ihr die Röcke wieder abgenommen. Die weitere Feier
liefert Stoff zu mancherlei Scherzen.

[Illustration:

    Aus: Parkinson, Dreißig Jahre in der Südsee.

Abb. 119. Hahnenmaske von der Gazellehalbinsel, die nur von Knaben
gemacht und von ihnen beim Tanz getragen wird. Bei einer der vielen
Zeremonien auf dieser Landzunge geben angesehene Eingeborene ihren
Nachbarn ein Fest, bei dem jede Familie tanzt. Es wird von letzteren
erwartet, daß sie die Geschenke, die der Gastgeber vordem verabreichte,
vergüten. Die Knaben tanzen in ihren Masken und verlangen dafür Geld
von den Zuschauern.]

Wir schließen die Hochzeitszeremonien mit der Schilderung eines solchen
Festes, das in einem Dorfe von Holländisch-Neuguinea vor sich ging.
Es begann am Abend vorher mit dem Jammern der Frauen, die der Braut
das Geleite aus ihrem Dorfe in das ihres Bräutigams gegeben hatten
und nun den Verlust beklagten. Diese Klagen glichen vollkommen einem
Klagelied bei einem Begräbnis. Jede Strophe setzte laut und in hoher
Tonlage ein, ließ dann an Stärke nach und endete mit tiefen gedämpften
Tönen. Die Stimmenzahl mehrte sich allmählich während der ganzen
Nacht, und bis drei Uhr morgens war die Luft von den schrillen Tönen
erfüllt. Bei Tagesanbruch, als die Braut sich fertig machte, um sich
dem Brautzug anzuschließen, stieg der Lärm aufs höchste. Kaum war die
Sonne aufgegangen, so setzte sich der Zug unter großem Andrang in
Bewegung. Voran ging die mit Blumen und Schmucksachen im Haar reich
gezierte und mit einem langen weißen Rindenrocke bekleidete Braut;
sie hielt die Augen geschlossen und die Arme nach oben und etwas nach
vorn ausgebreitet; an jeder Seite von ihr ging ein alter Mann, der sie
am Oberarm zu führen schien, hinter ihnen folgten unter Wehklagen die
Frauen ihres eigenen Dorfes, nach denen die Frauen aus dem Dorfe des
Bräutigams kamen. Der Zug bewegte sich durch das Dorfgemeindehaus,
dessen Fußboden ungefähr einen Meter höher lag als der Erdboden; die
Braut mußte sich dabei vorwärts tasten, als sie den hinaufführenden
schmalen Balken hinanschritt. Die Männer saßen umher und kümmerten sich
anscheinend nicht um diesen Zug, an dem fast nur Frauen teilnahmen. Vor
dem Hause des Häuptlings, dessen Sohn die Hochzeit feierte, gingen die
Teilnehmer des Zuges auseinander; von weiteren Festlichkeiten merkte
der Berichterstatter nichts.

[Illustration:

    Phot. E. v. Hesse-Wartegg.

Abb. 120. Papua beim Anfertigen von Armspangen.]

[Illustration:

    Phot. H. M. Dauncey.

Abb. 121. Cuscusspiel der Rorokinder, bei dem die Bewegungen eines
Cuscus, eines unseren Eichhörnchen ähnlichen Tieres, an einem
Baumstamme nachgeahmt werden.]

[Illustration:

    Aus: Parkinson, Dreißig Jahre in der Südsee.

Abb. 122. Käfig für die verlobten Mädchen auf dem Bismarckarchipel.

Die Mädchen müssen in diesen Käfigen, die sehr eng sind, mehrere Jahre
vor ihrer Verheiratung zubringen.]

Vielfach bestehen noch bei den exogamen Stämmen Melanesiens
+Eheverbote+, die durch das Abstammungssystem in weiblicher Linie
bedingt sind. Wie bereits hervorgehoben, gehört die Frau und ebenso
ihre Kinder ihrer Sippe an; letztere sind daher mit der des Vaters
nicht verwandt. Mitglieder derselben Sippe dürfen sich nicht heiraten.
Auf der anderen Seite aber wieder kommen infolge dieser Auffassung ganz
eigenartige Heiraten zustande. So dürfen zum Beispiel der Sohn von
eines Mannes Weib aus dem einen Clan (Sippe) und die Tochter seiner
Frau aus einem anderen wohl einander heiraten, vorausgesetzt, daß
Exogamie herrscht und keine Vorschriften über Blutsverwandtschaften
bestehen; im letzteren Falle würde dies nicht möglich sein und streng
bestraft werden. Auch die Leviratsehe, das heißt der Brauch, daß
nach dem Tode eines Mannes dessen Bruder oder ein naher Verwandter
ein Anrecht auf die Witwe hat, ist sehr verbreitet. Er ist wohl
darauf zurückzuführen, daß vordem das Kaufgeld, das ein Mann für
seine Frau zu zahlen hatte, von ihm nicht allein, sondern von der
ganzen Familie aufgebracht wurde, so daß jene in gewissem Sinne ein
Familiennachlaß wurde. Diesen Anspruch erhob nach dem Tode des Ehemanns
natürlicherweise zunächst der Bruder des Verstorbenen als der nächste
Verwandte; die Anrechte der übrigen männlichen Angehörigen folgten
nacheinander gemäß den Vorschriften über Blutsverwandtschaft.

[Illustration:

    Phot. J. W. Beattie, Hobart.

Abb. 123. Der Preis für eine Braut auf Santa Cruz.

Das aus roten Papageifedern angefertigte Federgeld auf Santa Cruz dient
als Brautpreis. Diese Papageifedern werden mit Taubenfedern in Rollen
gebunden und diese dann aufgereiht.]

[Illustration:

    Aus:  Meyer-Parkinson, Papuatypen.

Abb. 124. Ein jungvermähltes Paar von Siar mit sorgfältig frisiertem
Haar.]

Die Ehe des Melanesiers ist zumeist ein lockeres Band, sie kann daher
leicht gelöst werden. Von dieser Vergünstigung macht er auch reichlich
Gebrauch. Wenn ein Mann seiner Frau überdrüssig geworden ist oder
eine andere haben will, schickt er sie einfach fort, und umgekehrt,
wenn einer Frau das Leben an der Seite ihres Mannes nicht mehr behagt
oder sie einen Liebhaber vorzieht, läuft sie ihrem Mann davon. Solche
+ehelichen Zwistigkeiten+ sind schuld an vielen Kämpfen und Morden
zwischen den einzelnen Eingeborenen sowohl wie zwischen den Stämmen,
die eine Beleidigung eines ihrer Mitglieder als eine solche des ganzen
Stammes auffassen und dann ihre Rache nicht nur an dem wirklichen
Missetäter auslassen, sondern auch an dessen Familie und Sippe. Der
Mann, der mit eines anderen Frau durchgegangen ist, wird meistens von
dem betrogenen Ehemanne getötet. Es kommt aber auch gelegentlich eine
friedliche Beilegung der Angelegenheit vor. Der betrogene Gatte fordert
von der Familie der Frau einfach den Kaufpreis zurück, den er für sie
gezahlt hat; wird ihm dieser verweigert, dann kommt es natürlich zu
einem Streit. Bei den Bainingern versucht ein einflußreicher Mann,
falls beide Parteien aus dem gleichen Dorfe stammen, einen Vergleich
dahingehend, daß jeder Teil dem anderen einige Schläge verabfolgt. Nach
dem Tode des Mannes kehrt die Frau häufig, zumal wenn sie keine oder
nur kleine Kinder hat, in die Wohnung ihrer Eltern zurück, manchmal
heiratet sie, wie wir oben sahen, auch den Bruder des Verstorbenen.

[Illustration:

    Phot. Rev. G. Brown.

Abb. 125. Musikinstrument aus Neumecklenburg,

auf dem die Eingeborenen durch Streichen mit der flachen Hand
melodische Töne hervorbringen.]

[Illustration:

    Phot. H. M. Dauncey.

Abb. 126. Heiratszug.

Die mit dem Familienstaat herausgeputzte Braut wird von ihren Freunden
begleitet, die an Stangen die Armringe, Halsbänder, Federn und anderen
Schmuck tragen, den sie als Brautgeschenk erhielt.]

Entsprechend den lockeren Banden der Ehe ist die +geschlechtliche
Ungebundenheit+ teilweise eine sehr große, und auf verschiedenen
Inseln herrscht anerkannte Prostitution. Auf Neupommern, Neulauenburg,
Nissan und so weiter wird eine Witwe zum Gemeingut für alle Männer
verurteilt, an dem der Häuptling den Vorrang genießt. Auf dem
Bismarckarchipel ist für manche Feste den Weibern Preisgabe gestattet,
und bei dem Unu-(Einführungs-)fest der Jünglinge werden vom Häuptling
für die teilnehmenden Gäste junge Mädchen zu geschlechtlichen Zwecken
gemietet. Auf Florida bestimmen die Häuptlinge verheiratete Frauen
von schlechter Führung zu öffentlichen Dirnen und weisen ihnen in
einem ihrer Häuser Wohnung an, wofür sie aber auch den größten Teil
des Erwerbes einheimsen. Auf den Santa Cruz-Inseln gibt es in den
Männerhäusern immer einige Mädchen, die meist schon als Kinder von
einem wohlhabenden Junggesellen aufgekauft wurden und später, wenn er
ihrer überdrüssig geworden ist, an die übrigen Bewohner des Hauses
gleichsam versteigert werden. Auf San Cristobal treffen wir neben
den Mädchen, die der freien Liebe huldigen, wie dies ja fast überall
vor der Ehe erlaubt ist, auch Frauen und Witwen an, die sich für
öffentliche Dirnen ausgeben.

[Illustration:

    Aus „Kolonie und Heimat“.

Kanuhaus auf Neumecklenburg (Siar).]

[Illustration:

    Phot. Rev. A. H. Fillodean.

Abb. 127. Schweine und Paradiesvögel als Brautpreis.]

[Illustration:

    Phot. J. W. Beattie, Hobart.

Abb. 128. Prächtig verziertes Klubhaus auf den Salomonen

mit schön geschnitzter Speiseschüssel und geschnitzten Fregattenvögeln
auf dem Dachgiebel.]

Wir erwähnten bereits öfter die +Klubhäuser+, jene Gebäude, die im
Grunde genommen den Mittelpunkt des ganzen geselligen Lebens der
männlichen Dorfbewohner bilden, insofern als hier nicht nur die
Junggesellen, zu bestimmten Zeiten auch die verheirateten Männer
wohnen, sondern auch alle wichtigen Fragen gemeinsam auf der Plattform
besprochen werden und Besucher des Dorfes gastliche Aufnahme finden
(Abb. 128), ferner die Masken und andere Zeremonialgeräte aufbewahrt
werden (Abb. 130 und 131). In manchen Küstengegenden, besonders in den
alten Kopfjägerbezirken, waren die großen Kanuhäuser, in denen die
Kriegsboote aufbewahrt wurden, gleichzeitig Klubhäuser; diese haben
indessen heutzutage ihre kriegerische Bedeutung durch die Einhalt
gebietende Hand des Weißen verloren. Es bedarf wohl keiner weiteren
Begründung, daß die +Einweihung so wichtiger Gebäude+ zumeist mit
mehr oder weniger Feierlichkeiten begangen wird. Zwar sind die alten
Gebräuche, die sich an die Fertigstellung eines Kanuhauses (siehe
die Kunstbeilage) knüpften und, wie auf den Salomonen, Neuhebriden
und anderen Inseln, früher mit Menschentötung und Kannibalismus
einhergingen, durch das Verbot der zuständigen Regierung meistens
geschwunden, aber in entlegenen Gegenden dürften sie doch hin und
wieder noch ihr Dasein fristen. Jetzt sind die Zeremonien viel
harmloserer Natur. In der Rorogegend wird die Front eines neuerbauten
Klubhauses vor der Einweihungsfeier, zu der die befreundeten Dörfer
von den Häuptlingen persönlich durch Überreichung einer Arekanuß,
das anerkannte Zeichen der Freundschaft, eingeladen werden, häufig
mit Kokosmatten verhängt und die Umgebung durch Nahrungsmittel
sowie Palmenblätterfahnen, die an Bambusstangen befestigt sind,
ausgeputzt. Von jedem Häuptling, der mit seinen Leuten der Einladung
Folge leistet, wird erwartet, daß er ganze Büschel von Bananen
als Gegengabe für die Beköstigung mitbringt. Die Besucher kommen
abends an und werden zunächst mit einem kleinen, zwanglosen Tanz der
Dorfbewohner unterhalten. Bei einbrechender Dunkelheit werden die
Matten vor dem Klubhaus entfernt, die Häuptlinge, deren Leuten das
Haus gehört, halten Reden von seiner Plattform herab, worauf auch
die Schnitzereien am Bau von ihren Hüllen befreit werden. Dann setzt
der große feierliche Tanz ein, der bis in den Morgen hinein oder
noch länger andauert. Die Bewohner rivalisierender Dörfer oder Clans
wetteifern oft miteinander, wer dabei wohl am längsten aushält; so
soll einst ein solcher Tanz sechsundzwanzig Stunden gedauert haben.
Nach dem Tanze gibt es ein Festessen. Bei den Koita vertritt der
+Dubu+ (Abb. 129) das sonst mehr übliche Klubhaus; es ist dies aber
nur ein offener Plattformbau, der nicht zum Schlafen, sondern nur zu
geselligen und festlichen Zusammenkünften benutzt wird. Dem Feste
gehen Spiele voraus, zum Beispiel ein Ringkampfspiel der Männer gegen
die Frauen oder ein Spiel, bei dem die eine Gruppe durch die andere
hindurchzukommen trachtet. Auf eine provisorisch erbaute Plattform,
auf der gekochte Yamswurzeln sowie Bananen aufgespeichert liegen,
klettert eine Anzahl Männer und unverheirateter Mädchen; die letzteren
führen einen Tanz auf, bei dem sie ihre Grasröcke von einer Seite zur
anderen schwenken, indem sie den Körper von den Hüften aus biegen und
drehen. Diese Aufführung, an die sich noch andere Tänze anschließen,
ist in Wirklichkeit nur die öffentliche Ankündigung dafür, daß die
große Zeremonie bevorsteht. Wenn der wirkliche Dubu vorbereitet ist,
wird er geschmückt und so hoch wie möglich mit Eßwaren beladen; die
Eingeborenen fällen junge Bäume, schlagen ihre Äste ab und pflanzen sie
dann wieder in den Boden ein. Jeder von ihnen erhält eine Umzäunung aus
Zuckerrohrstangen, wobei die Stangen dicht aneinander gefügt werden,
so daß gleichsam große vertikale Behälter entstehen. Diese werden
wieder mit Yamswurzeln, Bananenbüscheln und Kokosnüssen angefüllt; die
gleichen Früchte werden auf und unter die Plattform sowie zu beiden
Seiten der nach oben führenden Leiter aufgestapelt. Am Festmorgen
endlich werden noch Schweine auf die Plattform gebracht. Nach diesen
Vorbereitungen waschen sich die Leute in der See, schmücken sich und
versammeln sich auf dem Dubu, wo sie ihre Mahlzeit in Schweinefleisch
einnehmen und die Gäste erwarten. Diese sind inzwischen aus den
umliegenden Dörfern eingetroffen, und zwar bewaffnet, und versammeln
sich im Busch ums Dorf. Auf ein mit einer Seemuschel vom Dubu aus
gegebenes Zeichen stürzen dann alle Männer in das Dorf, und schwingen
die Speere und Keulen unter Trommelschlag. Früher gab dieser Überfall
oft Anlaß zu einem Kampf, indessen trat man den Gästen paarweise mit
Zuckerrohrbündeln entgegen und schlug damit die Speere und Keulen der
Besucher nieder; es galt als unhöflich, den Streit dann noch weiter
fortzusetzen. Hinter den Männern kommen eine Anzahl Frauen, die ihre
Röcke schwenken, jede einzelne trägt zwei große Yamswurzeln, die sie
Eingeborenen von Rang schenken. Und nun klettert eine Anzahl Mädchen
auf die Pfosten des Dubu, stellt sich auf die Querbalken und schwenkt
eifrig die Röcke. Während all dieser Vorgänge bleiben die Männer der
Sippe, die das Fest gibt, zunächst ruhig auf dem Dubu sitzen, sobald
sich die allgemeine Aufregung gelegt hat, steigen sie von ihm herab,
setzen sich zu den Besuchern und rauchen dabei oder kauen Betel. Die
weiblichen Gäste werden auch herbeigeholt und erhalten ihre Handtaschen
mit Yamswurzeln angefüllt. Darauf besteigen die festgebenden Männer
wieder den Dubu, die Eßwaren werden nun allgemein unter die Besucher
verteilt, und der Tanz beginnt.

[Illustration:

    Aus: Seligmann, The Melanesians.

Abb. 129. Dubuplattform der Koita (Neuguinea) zur Abhaltung von
Zeremonien. Sie ist heilig und die Geister der Toten sollen nach dem
Glauben der Koita zu gewissen Zeiten auf sie zurückkehren.]

Auf Neuguinea knüpfen sich auch an die +Verleihung der Häuptlingswürde+
gewisse Zeremonien. Bei den Mekeo zum Beispiel besteht die Sitte,
daß ein Häuptling noch bei Lebzeiten einen Mann der gleichen Sippe
zu seinem Nachfolger bestimmt und die Einweihung sogleich vornimmt.
Dieser Vorgang gestaltet sich zu einem großartigen Fest, denn es werden
viele Häuptlinge aus anderen Sippen eingeladen, von denen jeder wieder
seine Freunde mitbringt. Die Vorbereitungen zu dem mit diesem Fest
verbundenen Schmaus erfordern viele wilde Schweine, Känguruhe und Emue.

Alle eingeladenen Häuptlinge nehmen nach ihrer Ankunft auf der großen
Verandaplattform des Gemeindehauses der Sippe, deren Häuptling die
Zeremonie leitet, Platz. Dann betritt der alte Häuptling, mit dem
Abzeichen seiner Würde bekleidet, das bei den Roro in einem auf der
Brust ruhenden Schmuckstück aus dünnen Plättchen abgeschliffener Hauer
des Ebers besteht (siehe die farbige Kunstbeilage), in Begleitung
seines voraussichtlichen Nachfolgers die Plattform; er trägt dabei in
der Hand einen Kürbis mit Kalkpaste (Abb. 132), die als Würze beim
Betelkauen dient, und hält eine Ansprache an die anderen Amtsgenossen,
in der er ihnen das Recht der Nachfolge, das der Vorgeschlagene
besitzt, auseinandersetzt. Hierauf klappert er mit dem Kalkspatel an
seinen Kürbis und reicht diesen seinem Nachfolger, der gleichfalls mit
dem Spatel daran schlägt und dann den Kürbis wieder zurückgibt. Damit
ist die Amtsverleihung vollzogen.

[Illustration:

    Phot.  H. M. Dauncey.

Abb. 130. Inneres eines Klubhauses der Roro.

Bemerkenswert sind die beiden geschnitzten Pfosten mit Darstellungen
eines Krokodils und eines menschlichen Kopfes.]

[Illustration:

    Phot. Donald Mackay.

Abb. 131. Inneres eines Klubhauses auf Toripi mit Waffen, Masken,
Zauberzeichen und Menschenschädeln.]

In manchen Gegenden Melanesiens gibt es auch +Erntefeste+. Wenn in
dem südöstlichen Gebiet von Neuguinea die Ernte eingebracht, und im
besonderen die Yamswurzel im Yamshause geborgen ist, so bindet der
Häuptling, der bereits schon Tage vorher unter Nahrungsbeschränkung
gestanden hat, ein Stück präparierter Faser um einen Pfosten jedes
Yamshauses; dadurch wird es tabu, das heißt es darf von niemand
angefaßt werden (Abb. 135). Außerdem werden auf einer kleinen
Plattform Armringe, einheimisches Geld und andere Schätze ausgelegt.
Hieran schließen sich Schmaus und Tanz viele Tage lang (Abbild. 133).
Weiterhin versammeln sich die Männer, gehen im Dorf umher, schreien,
schlagen an die Pfähle der Häuser und werfen alles um, worin sie einen
Geist verborgen vermuten. Damit endigt diese sonderbare Zeremonie, der
offenbar der Gedanke zugrunde liegt, daß die Geister, nachdem sie an
dem Feste teilgenommen, nämlich die Tänze mit angesehen, die Lieder
gehört, sowie Yamswurzeln und die zur Schau gelegten Sachen angeboten
erhalten haben, reich und gut versorgt seien und daher nunmehr
vertrieben werden müßten, um kein Unheil anzurichten.

[Illustration:

    Aus: Seligmann, The Melanesians.

Abb. 132. Kalkbüchse eines Häuptlings aus einem Kürbis,

zum Gebrauch beim Betelkauen.]

[Illustration:

    Aus: Brown, Melanesians and Polynesians.

Abb. 133. Tanz beim Yamserntefest.]

Eine ähnliche Erntefestlichkeit wird auf Ruo (Neuguinea) zu Ehren der
Kokospalme gefeiert, die bekanntlich das Material für Nahrung, Wohnung
und Kleidung liefert und in ganz Melanesien eine außerordentlich
wichtige Rolle spielt. Für diesen Zweck werden die von den Bäumen
gefallenen reifen Nüsse das ganze Jahr hindurch sorgfältig gesammelt
und in einer vor der Sonne geschützten Hütte aufbewahrt. Kurz vor dem
Herannahen des Festtages, der stets auf einen Vollmond fällt, ergehen
Einladungen an die benachbarten und befreundeten Stämme. Die Weiber und
Kinder binden die gesammelten Nüsse in Reihen an Stangen, mit denen der
Tanzplatz abgesteckt wird (Abb. 137). Der eigentliche Festtag wird mit
einem großen Hunde- und Schweineschlachten eingeleitet; das Fleisch
wird zusammen mit Taro, Yams und Bananen in einem mächtigen Topfe
gekocht. Darauf verteilen die Dorfältesten die einzelnen Portionen an
die erschienenen Gäste und ein großes Festessen beginnt, an das sich
der übliche Tanz anschließt. Der Lärm hält bis Sonnenaufgang an.

[Illustration:

    Phot. R. W. Williamson.

Abb. 134.

Zwei Mekeomänner im Tanzschmuck,

der aus Muscheln, Hundezähnen, Federn und dergleichen besteht. Die
vorderen Scheiben über der Stirn sind aus Schildpatt mit weißer
Muschelauflage hergestellt und stellen Auszeichnungen für die Tötung
von Feinden dar.

Zwei Mekeofrauen im Tanzschmuck

aus Muschel- und Zahnketten, in mit roten und gelben Streifen gefärbten
Grasröcken. Bei jedem Tanzschritt schwingen die Frauen die Hüften, so
daß der Rock bis zu den Schultern in die Höhe fliegt.

Zwei Mekeomänner in Kriegstracht.

Der Kopfputz besteht aus Paradiesvogelfedern, die große Muschel wird
beim Kampfe vor dem Munde getragen.]

[Illustration:

    Phot. H. M. Dauncey.

Abb. 135. Maske der Kaiwakuku mit dreifachem Gesicht,

das heißt der Personen, die gleichsam als Polizisten die tabu erklärte
Ernte zu bewachen haben.]

[Illustration: Rorohäuptling im Festschmuck.

Das auf der Mitte der Brust ruhende Schmuckstück ist das Abzeichen der
Häuptlingswürde, es besteht in der Hauptsache aus zwei Reihen zu dünnen
Plättchen abgeschliffener Hauer des Ebers. Ein junger Häuptling, der
das Mannesalter erreicht, wird feierlich mit diesem Zeichen geschmückt.]

Viele Jahre hindurch bestand unter den Dorfbewohnern in der Nähe von
Port Moresby der Brauch, daß in jedem Herbste +Handelsexpeditionen+
in die Dörfer an den Mündungen der großen Flüsse des Papuagolfes zum
Austausch der selbst angefertigten Topfwaren gegen Sago ausgerüstet
wurden. Die Vorbereitungen für diese mit großen Segelschiffen, den
sogenannten Lakatoi (Abb. 136), unternommenen Fahrten wurden bereits im
Frühjahr durch zwei Männer des Dorfes getroffen, welche die Bezeichnung
eines „Oberst“ und „Unternehmers“ erhielten. Sie warben sich zunächst
für jedes Schiff die Mast- und Segelkapitäne und sodann die übrige
Mannschaft. Erst im Hochsommer begann man mit dem Bau des Schiffes, das
eigentlich aus vier aneinander gefügten einzelnen Kanu bestand. Nach
der Fertigstellung räucherte ein Zauberer bestimmte Teile des Bootes
mit dem Rauch einer Mischung aus einer wild wachsenden Pflanzenwurzel,
Emuklauen und Hornhechtschnauze und band kleine Säckchen aus
Bananenblättern mit Blättern der gleichen wild wachsenden Pflanze an
bestimmte Teile des Bootes. Durch diese Zeremonie sollte das Lakatoi
erhöhte Segelkraft erhalten und die Expedition von Glück begünstigt
werden. Danach wurden die Masten eingesetzt und die Mattensegel,
die in ihrer Gestalt Krebsscheren glichen, angebunden. Der Anker, der
aus einem durch ein Netz gehaltenen Steine bestand, galt ebenfalls
als heilig. Er mußte, sobald er herabgelassen war, von drei Männern
eigens bewacht werden. Nachdem schließlich auch er herbeigeschafft
war, fuhr man zunächst einmal Probe; bei diesen Fahrten versammelten
sich ganze Scharen von Mädchen auf den Plattformen der Schiffe und
führten Tänze auf. Solange die Expedition unterwegs war, unterlagen die
Frauen des Unternehmers und Obersten ähnlichen Nahrungsbeschränkungen
wie ihre Männer vor Beginn der Fahrt. Sie durften auch kein fremdes
Haus betreten und das Feuer in ihrem eigenen nicht ausgehen lassen,
bis das Lakatoi zurückgekehrt war. In jedem Hause wurde außerdem ein
langer Faden aufgehängt und täglich ein Knoten hineingeschlungen;
an jedem zehnten Tage wurde um den betreffenden Knoten eine Faser
gebunden, um ihn zu kennzeichnen, und ein kleines Fest im Hause durch
die Verwandten der Mannschaft des Lakatoi veranstaltet. Wenn fünfzig
Tage verstrichen waren und somit der fünfte große Knoten gebunden war,
wurde die Expedition täglich zurückerwartet. Interessant sind die
Wahrzeichen, aus denen die Zurückgebliebenen zu wissen glaubten, ob es
ihren kühnen Angehörigen auf der Fahrt gut oder schlecht ging. Empfand
zum Beispiel jemand auf der rechten Körperseite Jucken, so war dies
eine gute Vorbedeutung, auf der linken jedoch eine böse. Auch Träume
gaben darüber Auskunft, es bedurfte aber dann der Auslegung durch einen
Zauberer. Sah jemand im Traume Gras brennen, so galt ihm dies als ein
gutes Omen, auch wenn er einen Hund ein Wallaby jagen oder sich selbst
eine schwere Bananenlast tragen sah; dagegen war es ein böses Omen,
wenn jemand einen großen Felsen oder Stein erblickte oder sich selbst
auf einem im Wasser frei treibenden Stück Holz stehen und mit ihm sich
untergehen sah und ähnliches.

[Illustration:

    Aus: Seligmann, The Melanesians.

Abb. 136. Ein Lakatoiboot der Koita.]

Sobald die zurückkehrende Flottille in einer Entfernung von zwanzig
bis dreißig Seemeilen gesichtet wurde, nahmen die beiden Frauen der
Führer sowie die Angehörigen der Mannschaft ein Bad und fuhren den
Ankömmlingen in Kanus entgegen; ihre Rückkehr war für alle eine Zeit
der Freude und der Aufregung (Abb. 142).

Die Eingeborenen der Santa Cruz-Inseln verwenden für ihre oft weiten
Fahrten zur See noch die primitiven, mit Plattform und Hütte versehenen
Auslegerboote (Abb. 138), während die Hermitinsulaner bereits große,
prächtig geschnitzte und bemalte Boote bauen (Abb. 140).

Ein weiterer seltsamer Brauch auf Neuguinea ist mit dem +Anfertigen
von Trommeln+ (Abb. 139) durch Knaben, die sie beim Tanzen schlagen,
verknüpft. Sobald ein Roroknabe das Reifealter erreicht hat, ist seine
erste Pflicht, sich eine solche Trommel anzufertigen. Zu diesem Zwecke
muß er im Busch wohnen; meistens gesellen sich hierfür mehrere Knaben
zusammen. Ehe die Höhlung dieser Trommeln, die aus einem Stück eines
Baumstammes hergestellt werden, nicht genügend ausgebrannt und die
Trommel selbst nicht durch das Abschrapen des Holzes die richtige Form
erhalten hat, sind den Knaben viele Speisen zu essen verboten; sie
müssen auch jedwede Berührung mit frischem Wasser vermeiden, weil sonst
die heiße Asche, mit der sie die Höhlung des Holzes ausbrennen, nicht
glühen würde. Als Getränk dient ihnen das in den Bananenblätterscheiden
sich ansammelnde Wasser oder Kokosnußmilch. Die Nahrung muß ihnen in
einem besonders kleinen Topf gekocht werden, damit sie nicht zu stark
werden und gut tanzen können. Sollte einer von ihnen Fische essen,
so würde eine Gräte das Fell seiner Trommel durchlöchern. Vor allen
Dingen aber müssen die Knaben es vermeiden, daß sie von den Frauen
gesehen werden; würde eine Frau einen Knaben erblicken, dann wäre
seine, wenngleich zum großen Teil schon fertige Trommel unbrauchbar,
und er könnte sie ruhig fortwerfen und eine neue anfangen. Bei den
Mafulu muß der Knabe auf einen Baum oder eine Plattform klettern und
dort so lange bleiben, bis er seine Trommel fertiggestellt hat. Bei der
Arbeit muß er sie stets mit der Fellseite dem Winde zukehren, wodurch
die Trommel einen musikalischen Klang bekommt. Eine Frau, meistens die
Mutter, bringt ihm das Essen, das er sich an einem Strick auf seinen
erhöhten Sitz hinaufzieht. Er steht indessen unter keinem Speiseverbot,
auch hat er keinen Schaden davon, wenn ihn weibliche Wesen sehen. --
Eine weitere Art von Trommeln, die aus einem ausgehöhlten Baumstamme
(Abb. 143) angefertigt und mittels eines starken Stockes gerührt wird,
dient den Eingeborenen des Bismarckarchipels auf weite Entfernungen zum
Signalgeben.

[Illustration:

    Aus „Kolonie und Heimat.“

Abb. 137. Kokosnußfest auf Ruo (Neuguinea).]

[Illustration:

    Phot. J. W. Beattie, Hobart.

Abb. 138. Kanu von Santa Cruz,

das sich durch die lange Plattform und die auf einem Ausleger ruhende
Hütte von der Bauart der Boote im übrigen Melanesien wesentlich
unterscheidet. Für lange Reisen werden scherenförmige Segel aufgesetzt.]

Ein Brauch der Koita sei noch erwähnt, der eines gewissen Humors
nicht entbehrt, nämlich des +Wettbewerbes zweier führenden Männer+
verschiedener Sippen, von denen der eine behauptet, er wäre größer und
reicher als der andere, besäße zum Beispiel einen größeren Garten,
ernte mehr ein und ähnliches. Der andere, der sich durch solche
Behauptung benachteiligt fühlt, fordert ihn daher zum Wettbewerb auf,
bei dem ein jeder mit Hilfe der Genossen seiner Sippe soviel wie
möglich herbeizuschaffen sich bemüht. Tagelang beschenkt der eine bei
allen nur sich darbietenden Gelegenheiten den anderen mit Eßwaren,
wofür dieser sich verpflichtet fühlt, möglichst bald ein Gegengeschenk
zu machen, das aber der erhaltenen Gabe an Menge und Güte gleichkommen
muß; der Empfänger und seine Familie verzehren das ihnen Dargebotene.
An einem festgesetzten Tage wird nun auf der einen Dorfseite entlang
eine Reihe vertikaler Stangen aufgestellt, und diese durch horizontale
Stangen miteinander verbunden. An ihnen hängt jede Partei, die eine
an dem einen, die andere an dem anderen Ende beginnend, die sowohl
in den eigenen Gärten, wie auch in denen ihrer Freunde gesammelten
Bananen der Reihe nach auf. Da jeder die allgemeine Unterstützung
seiner Clangenossen findet, so werden die Dorfgärten in Wahrheit
ausgeplündert. Jetzt kommt das eigentliche Fest, zu dem jeder der
beiden Wetteifernden alle seine Bananen und möglichst viel Zuckerrohr
zu einem mächtigen Stoß aufstapelt. Wieder fängt das gegenseitige
Beschenken an, wobei einer den anderen zu überbieten sucht, aber
dieses Mal handelt es sich nicht um Eßwaren, sondern um wertvolle
Geschenke. Fällt nun die relative Größe der aufgebauten Früchtehaufen
auf beiden Seiten gleich aus, dann ist der Ehre Genüge geschehen und
der Wettstreit beendigt; wenn nicht, so fängt er von neuem an, und
erforderlichenfalls schließen sich diesem noch andere an, ehe eine
Gleichmäßigkeit erreicht wird.

[Illustration:

    Phot. C. G. Seligmann.

Abb. 139. Ein Mekeogeck im Tanzschmuck,

mit einer unter den Mekeo als elegant geltenden Wespentaille.]

[Illustration:

    Aus: Parkinson, Dreißig Jahre in der Südsee.

Abb. 140. Schön geschnitztes und verziertes Segelboot von den
Hermitinseln, das für längere Reisen bestimmt ist.

Die Muster an den Bootswänden sind braun und weiß gemalt, an den
einwärts gebogenen Enden des Kiels am Bug und Heck hängen Federbüschel
herab.]

Die +religiösen Ansichten+ der Melanesier sind ziemlich unklare,
wenigstens für uns, zumal sich die bisherigen Forschungen nur auf
wenige Stämme erstrecken. So viel scheint aber festzustehen, daß
ein Glaube an ein einzelnes höheres Wesen bei ihnen nicht besteht.
Hauptsächlich beruht ihre religiöse Anschauung auf der Macht der
Seelen Verstorbener sowie der Geister, das heißt solcher überirdischer
Kräfte, die keine bestimmte Form angenommen haben. Der Untergedanke,
der dieser Auffassung zugrunde liegt, ist der an eine +übernatürliche
Macht+, an das +Mana+, die zunächst den Geistern und Seelen der
Abgeschiedenen innewohnt, aber auch auf gewisse Menschen und andere
lebende Wesen, ja selbst leblose Gegenstände übergehen kann. Beim
Menschen äußert sich das Mana in besonderer physischer Kraft oder in
sonstiger Überlegenheit und Vortrefflichkeit, überhaupt in solchen
Eigenschaften, die die Macht des gewöhnlichen Sterblichen übersteigen,
die außerhalb des natürlichen Verlaufs der Dinge liegen. Hat ein Mann
zum Beispiel im Kampfe ein besonderes Glück, so ist dies nicht etwa
seinen persönlichen Fähigkeiten zuzuschreiben, sondern das Mana eines
Geistes oder verstorbenen Kriegers hat ihm die Macht dazu verliehen,
vielleicht durch irgend ein Amulett (Stein), das er am Halse trug,
oder ein Blätterbüschel, das er im Gürtel stecken hatte, oder einen
Zahn am Finger der Hand, die den Bogen führte, oder auch nur durch
eine Formel, kraft deren er sich übernatürliche Kräfte zu verschaffen
wußte. Stirbt ein solcher mit Mana ausgerüsteter Mann, so lebt seine
übernatürliche Kraft nach seinem Tode in seiner Seele in verstärktem
Maße und mit größerer Bewegungsfreiheit weiter fort. Aber, wie schon
gesagt, kann Mana auch auf Tiere, Pflanzen und sogar leblose Dinge
übergehen. Findet ein Mann einen seltsam geformten Stein, der ganz
anders aussieht als die, die er bisher kannte, der vielleicht einer
Yamsknolle oder einer Kokosnuß gleicht, so ist er überzeugt, daß diesem
Gebilde Mana innewohnen muß; er nimmt daher den Stein mit sich und
vergräbt ihn in seinem Garten oder auf seinem Acker, damit er hier
Wirksamkeit entfalte. Stellt sich daraufhin wirklich eine reichliche
Ernte ein, dann erblickt er hierin eine Bestätigung seiner Annahme.
In letzter Linie scheint das Mana von den Geistern herzurühren, die
seine Quelle vorstellen und es durch Übertragung in andere lebende und
leblose Wesen ausstrahlen lassen. Jede Person oder jedes Ding, das Mana
aufzuweisen hat, kann es dann wieder weiter übertragen, also auch auf
Steine und andere Dinge. Mana selbst ist etwas Unpersönliches, doch ist
es in seiner Wirkung stets mit einem persönlichen Wesen verknüpft. Ein
Stein zum Beispiel besitzt Mana, weil ein Geist sich mit ihm verbunden
hat, oder ein Knochen eines Toten ist damit ausgestattet, weil des
Betreffenden Seele bei ihm weilt, oder ein ausgesprochener Zauber hat
Kraft, weil der Name einer Seele oder eines Geistes, der in der Formel
ausgedrückt wird, ihm diese Macht überträgt. Jeder sichtbare Erfolg
eines Menschen beweist, daß er Mana besitzen muß, und je größer dieser
Erfolg ausfällt, um so größer muß auch sein Gehalt an Mana sein.

[Illustration:

    Phot. British Museum.

Abb. 141. Figur eines Gottes von den Neuhebriden

mit einem menschlichen Schädel.]

Die +religiösen Übungen+ der Melanesier, zu denen die absonderlichsten
Götzenbilder dienen (Abb. 141 u. 144), gipfeln vor allem auf Neuguinea
-- denn hierüber sind wir am besten unterrichtet -- in dem Bestreben,
durch Gebete und Opfer die Macht des Mana sich anzueignen oder zum
eigenen Wohle nutzbar zu machen. In einigen Teilen Melanesiens bezieht
sich diese Verehrung hauptsächlich auf die Seelen Verstorbener, zum
Beispiel auf den Salomonen und den mehr westlich gelegenen Inseln, auf
anderen wieder sowohl auf diese wie auch auf Geister, zum Beispiel auf
den Neuhebriden und östlicheren Inseln. Gebete, die an diese Mächte
gerichtet werden, sind meistens Formeln, von denen man glaubt, daß sie
dem angerufenen Wesen angenehm und nur solchen bekannt sind, die zu
ihm Zutritt haben. Die +Opfer+ entspringen verschiedenen Motiven; sie
werden entweder dargebracht, um an Stelle des Menschen, der gefehlt
hat, die betreffende Macht durch ein Tier zu versöhnen, oder um etwas
von ihr zu erbitten, oder um sie zu erfreuen, mit dem stillen Wunsche,
dabei etwas zu erreichen, oder zum Ausdruck gebührender Aufmerksamkeit
oder Achtung. -- Auf den Neuhebriden und benachbarten Inseln werden zur
Erinnerung an Verstorbene von Rang große, aufrechtstehende Trommeln
errichtet, die nur bei Bestattungsfeierlichkeiten geschlagen werden
(Abb. 146).

[Illustration:

    Phot.  Rev. G. Brown.

Abb. 142. Melanesische Frauen,

festlich geschmückt zum Empfang ihrer von der Seereise zurückkehrenden
Männer. Die weißen Striche im Gesicht sind mit Kreide gezeichnet.]

Der einfachste und verbreitetste Opferakt ist der, daß den Seelen der
Toten ein kleiner Teil einer Yamswurzel oder einer anderen Speise,
die zum Essen zubereitet wurden, zugeworfen wird als Zeichen des
Gedenkens oder des Anteils für den Geschiedenen. Dieser Brauch herrscht
über ganz Melanesien. Er erfährt eine weitere Entwicklung dadurch,
daß man Speisen auf die Begräbnisstelle oder vor ein Gedenkbild des
Toten legt (Abb. 145), sie aber nicht verbrennt, sondern später wieder
fortnimmt und verzehrt. Eine noch höhere Stufe des Totenkultus stellt
die Sitte dar, die Speisen ebenfalls auf das Grab, vor das Gedenkbild
oder auf einen Altar zu legen, aber anzubrennen und später auch wieder
zu essen. Als Beispiel für ein solches Opfer führe ich die Schilderung
einer Zeremonie an, die auf der Insel San Cristobal (Salomonengruppe)
vorgenommen wurde, bevor man einen Kriegszug unternahm.

Die Macht, der ein solches Opfer dargebracht wurde, war der Seelengeist
eines Mannes genannt Harumä, der vor noch nicht zu langer Zeit
gestorben war, denn einige ältere Männer erinnerten sich noch seiner.
Dieser Geist stand in dem Glauben, stark und mächtig im Kriege zu sein,
etwas zwar Seltsames, wenn man bedenkt, daß Harumä, als er lebte, ein
freundlicher und wohlwollender Mann gewesen ist, der wohl gut mit
Mana ausgestattet, aber durchaus kein großer Krieger war. Harumäs
Totenschrein war ein kleines Haus im Dorfe, in dem seine Überreste
aufbewahrt wurden. Alte Männer des Dorfes versammelten sich hier, der
Hauptopferbringer wählte einen Mann aus, der an dieser Stätte ein
Schwein erdrosselte. Das tote Tier legte man nun in eine Schüssel und
zerschnitt es darin, damit sich das Blut in ihr ansammle und nicht auf
die Erde fließe. Nachdem dies geschehen war, nahm der Auserwählte ein
Stück Fleisch, schöpfte mit einer Kokosnußschippe etwas Blut aus der
Schüssel, betrat dann den Schrein und nahm das Stück Fleisch, sowie die
mit Blut gefüllte Schale mit hinein. Nun legte er erst seine Tasche
weg, wusch sich die Hände, damit der Ahne ihn nicht mit Widerwillen
abweise, und rief laut aus: „Harumä, Häuptling im Kriege! wir bringen
dir dieses Schwein zum Opfer, damit du uns beistehen mögest, jenen
Ort zu bestrafen; alles, was wir von dort forttragen werden, soll
dein Eigentum sein, und wir werden dir angehören.“ Hierauf brannte er
das Fleisch am Feuer auf einem Steine des Altares an und goß Blut in
die Glut. Diese flammte hoch auf und der Schrein füllte sich mit dem
Geruch des angebrannten Schweinefleisches, ein Zeichen, daß der Geist
des Harumä die Bitte erhört hatte. Das Fleisch wurde darauf verzehrt.
Die geschilderte Zeremonie wurde von einem einzelnen zum Wohle der
Gesamtheit vorgenommen, um einen Erfolg in dem bevorstehenden Kriege zu
erzielen.

[Illustration:

    Aus „Kolonie und Heimat“.

Abb. 143. Signaltrommel vom Bismarckarchipel,

die aus einem ausgehöhlten Baumstamme hergestellt wird.]

[Illustration: Abb. 144. Kriegsgott von Hawai,

ganz aus bunten Federn bestehend.]

[Illustration:

    Aus: Rannie, South Sea Cannibals.

Abb. 145. Erinnerungsbilder an Verstorbene auf den Salomonen,

die häufig auf einem Haufen Steine über der Grabstätte errichtet und
denen Opfergaben dargebracht werden.]

Es kommt aber auch vor, daß ein Eingeborener durch Mitteilung anderer
von gewissen Dingen Kenntnis erhalten hat, die ein besonderer
Vorfahrengeist sehr liebt, und diese zu seinem eigenen Vorteil
verwertet. Dies ist gewöhnlich im Kampf oder im Streit gegen einen
persönlichen Feind der Fall. Denn ohne diese Geisterhilfe würde
sich der hoffnungsvolle Sieger nicht nur der Gefahr des Mißerfolges
aussetzen, sondern auch der Wahrscheinlichkeit, daß, selbst wenn er
sein Opfer töten sollte, er dem Geiste dieses Gefallenen auf Gnade
und Ungnade ausgeliefert würde. Daher nimmt er nur unter dem Schutze
eines noch stärkeren Ahnengeistes, der seiner Ansicht nach mehr Mana
besitzt, den Kampf in dem Gefühl der Sicherheit auf. Er bietet zunächst
seinem befreundeten Geist etwas von dessen Lieblingsspeise an und
ruft seine Hilfe und seinen Schutz herbei, bevor er den in Aussicht
stehenden Angriff unternimmt. Befindet sich ein Melanesier in Gefahr
oder bedrängter Lage, so ruft er natürlich ebenfalls ein Wesen an, von
dessen Macht und Bereitwilligkeit ihm zu helfen er überzeugt ist. Er
tut es auch, damit dieses ihn vor Gefahren auf der See bewahre, seinem
Kanu schnelle Fahrt verschaffe, ihm in Krankheitsfällen beistehe,
beim Fischen oder bei der Ernte ihm einen guten Erfolg beschere und
anderes mehr. Fällt das Ergebnis zur Zufriedenheit aus, so richtet
der Betreffende Lobsprüche an seinen Geist. Aber, wie gesagt, muß
es sich um den Geist oder die Seele solcher Männer handeln, die bei
Lebzeiten Mana in sich trugen; die Seelen unbedeutender Männer sind
ebenso wie vor so auch nach ihrem Tode ohne Gewicht und vermögen nichts
auszurichten. Dagegen wird die Seele eines bedeutenden Mannes an Mana
nach dem Tode noch mehr erhalten und daher imstande sein, die Wünsche
derer zu erfüllen, die sich darauf verstehen, sich ihrer Hilfe zu
versichern.

Die +eigentlichen Geister+, das heißt diejenigen, die niemals als
Wesen in menschlicher Gestalt gesteckt haben, sind häufiger Gegenstand
einer Zeremonie auf den westlichen Inselgebieten Melanesiens. Die Art
und Weise ihrer Verehrung weicht indessen von der oben geschilderten
nicht unwesentlich ab. Diese Geister haben nämlich weder Totenschreine
noch Gedächtnisbilder, wie sie für die abgeschiedenen Seelen großer
Leute errichtet werden, sondern die ihnen geweihten Stätten sind
hauptsächlich das Werk der Natur. Das einzige, was für gewöhnlich
mit einem solchen Geist verknüpft ist, besteht in einem Stein von
etwas seltsamer Form. Solche Steine mögen manchmal wohl individuellen
Geistern aus alter Zeit heilig gewesen sein; oftmals weiß nur ein
einzelner Mensch darüber Bescheid, in welcher Weise man sich ihnen
nähern kann, und zwar kam diese Kenntnis auf ihn durch Überlieferung
von Generation zu Generation. Daher vermag er allein sich dem Steine
zu nähern, weil nur er eine persönliche Bekanntschaft mit dem Geist
besitzt. Jeder andere, der den Vorzug genießen will, von dem Geist
etwas zu erreichen, muß dies durch Vermittlung dieses Mannes tun.
Zunächst macht er diesem ein Geschenk in Gestalt eines Schweines, mit
Matten, einheimischem Muschelgeld und anderen Kostbarkeiten. Letzterer
opfert nun, indem er seine Gabe auf den geweihten Stein legt, dem
Geist, und ruft seine Hilfe an.

[Illustration:

    Phot. C. M. Woodford.

Abb. 146. Erinnerungsbilder an verstorbene Eingeborene von Rang auf den
Neuhebriden

in Gestalt großer, aufrechtstehender Trommeln, die nur bei
Begräbnisfeierlichkeiten geschlagen werden.]

[Illustration:

    Phot. J. W. Beattie, Hobart.

Abb. 147. Totenschrein für einen vornehmen Eingeborenen der
Salomoinseln.]

Über das +Wesen der Ahnenseelen und Geister+ haben sich die Melanesier
folgende Ansicht gebildet. Der Mensch beherbergt während seines
Lebens in seinem Körper sein „Seelenich“, das ihn bei seinem Tode
als Ahnenseele verläßt. Es kann sich auch während des Schlafes aus
dem Körper entfernen; erwacht der Mensch aber, bevor die Seele
zurückgekehrt ist, so wird der Betreffende wahrscheinlich krank;
bleibt die Seele zu lange fort, dann stirbt der Mensch. Niesen gilt
bei den Koita für ein Anzeichen, daß die Seele wiedergekehrt ist;
wenn ein Mensch wochenlang nicht niest, so wird dies als eine üble
Vorbedeutung angesehen. Stirbt ein Mensch, dann geht seine Seele nach
einem bestimmten Ort, der von den einzelnen Völkern ganz verschieden
lokalisiert wird, im allgemeinen aber für eine Art Paradies gilt,
das heißt eine Stätte, wo die Seele ein ähnliches glückliches Dasein
führt wie bei Lebzeiten, unter anderem Häuser, Gärten, Weiber,
Nahrung und so weiter zur Verfügung hat. Wichtig ist, daß dem
Verstorbenen bei Lebzeiten die Nasenscheidewand durchbohrt worden
ist; andernfalls muß dies nach dem Tode noch nachgeholt werden. Denn
käme er ohne diese Verschönerung des Körpers im Paradies an, dann
hätte er zu gewärtigen, dort mit einem blindschleichenähnlichen
Tiere in der Nase einherspazieren zu müssen. Nach dem Glauben der
Eingeborenen von Neupommern muß die Seele auf ihrer Wanderung zu
ihrem zukünftigen Aufenthaltsort an zwei Felsen vorbei, an denen sie
über ihr Leben ausgefragt wird. War ihr Besitzer freigebig, dann darf
sie weitergehen, war er aber geizig, dann muß sie wieder zurück nach
Süden in ein Gebirge, wo sie in einen Felsen verwandelt wird und in
der Brandung stehen muß. Indessen bleibt die Seele, die den Körper
verlassen hat, nicht dauernd in diesem Geisterreich, sondern zieht
es vor, gelegentlich, meistens in der Nacht in ihre frühere Heimat
zurückzukehren, aber keineswegs immer mit dem Gefühle des Wohlwollens;
im Gegenteil, sie sucht die Zurückgebliebenen zu schädigen, besonders
wenn sie etwas verbrochen haben, zum Beispiel die Begräbnisgebräuche
vernachlässigten, die Stammessatzungen verletzten und ähnliches mehr.
Für solche Taten schickt die Seele Krankheit und Unglück. Daher
opfert man den Seelen der Verstorbenen, um sie gut zu stimmen oder zu
versöhnen. Verschiedentlich nimmt man an, daß die Seelen bestimmte
Gestalt annehmen können, zum Beispiel nach dem Glauben der Mafululeute,
daß die Seele eines jungen Menschen zu einem schimmernden Lichte auf
dem Erdboden oder im Unterholz werde, oder die eines älteren Mannes
zu einer großen Pilzart, die auf den dortigen Bergen wächst, nach dem
Glauben der Sulka (Neupommern), daß sie sich in eine Sternschnuppe
verwandle und anderes mehr. Die Mafulu sind davon überzeugt, daß die
Seelen manchmal in die Dörfer herabsteigen, um sich Nahrung zu holen,
oder auch in anderer Absicht, und da sie ihre Besuche fürchten, so
verschließen sie nachts alle Öffnungen in ihren Häusern, durch welche
die Geister etwa eindringen könnten. Sie waren daher nicht wenig
erstaunt, als sie sahen, daß die katholischen Missionare bei Eröffnung
der Mafulustation alle bei offenen Türen und Fenstern zu schlafen
wagten. Die Mafulu halten überhaupt jeden Ort, der etwas ungewöhnlich
aussieht, wie einen Wasserfall, eine tiefe Stelle in einem Fluß,
eine schmale, tiefe Felsschlucht oder einen seltsam geformten Felsen
für den möglichen Wohnort einer Seele. Sie glauben auch, daß gewisse
Bäume und Schlingpflanzen von Seelen bewohnt werden, und wagen es
daher nicht, diese zu fällen oder abzuschneiden. Geht eine plaudernde
Gruppe Eingeborener an Stätten vorbei, die vermutlich von einer Seele
bewohnt sind, so verstummen sie; ein jeder hat sich zuvor mit einem
Grasbündel, das zu einem Knoten gebunden ist, bewaffnet, und legt es
beim Vorübergehen auf die geheimnisvolle Stelle; dadurch glaubt er jede
Gefahr von sich abzuwenden.

[Illustration:

    Phot. G. Landtmann.

Abb. 148. Eingeborener vom Flyriver in dem Aufzug eines aus dem Lande
der Toten zurückgekehrten Geistes.

Die Umhüllung besteht ganz aus Blättern. Die Frauen glauben, daß der
vor ihnen tanzende Geist ihr verstorbener Verwandter sei und weinen
während des Tanzes.]

Bei den Papua westlich des Flyriver führen Männer, die aus dem
Lande der Toten zurückgekehrte Geister darstellen sollen, vor den
eingeborenen Frauen einen Tanz auf. Ihr Körper nebst dem Gesicht ist
ganz mit Blättern bedeckt (Abb. 148), so daß sie nicht erkannt werden
können. Die Frauen glauben, daß die Tänzer ihre verstorbenen Verwandten
sind, und weinen während des Tanzes. -- Auch Geister spielen in dem
Glauben der Melanesier eine große Rolle. Sie glauben sich beinahe auf
Schritt und Tritt von ihnen und ihren Einflüssen umgeben. Man meint,
daß sie bestimmte Orte oder Bezirke, auch Gegenstände, wie Felsen,
Bäume, Quellen, Wasserlöcher bewohnen, die Gestalt von gewissen Tieren,
wie Schlangen, Sternfischen, Krabben und dergleichen, annehmen können
und innerhalb ihres Bereiches ihre Macht ausüben. Wird zum Beispiel ein
Mitglied einer im Freien lagernden Gruppe von irgend einer Krankheit
oder dem Tod befallen, bekommt es durch den Biß eines Insektes Wunden
oder Geschwüre, erfährt es überhaupt eine Widerwärtigkeit, dann
schreibt man dieses Ereignis dem Werke eines Geistes der betreffenden
Stelle, wo der Verunglückte sich gerade aufhielt, zu. Man fürchtet
sich daher vor diesem Orte und meidet ihn beim nächsten Male. Gegen
solche Zufälle sucht man sich durch Zauber zu schützen, beziehungsweise
ihnen vorzubeugen. In der Nähe von Port Moresby zum Beispiel liegt ein
seltsam geformter Hügel, der für den Sitz eines Geistes gilt und daher
nicht betreten wird; mit einem Knüttel oder einem Holz von einem Baume
seiner Umgebung könnte man einem anderen schwere Wunden beibringen.
Tötet jemand in der Umgebung dieses Hügels auf der Jagd ein Wallaby, so
achtet er sorgfältig darauf, daß kein Tropfen Blut auf die Erde fällt.
Sollte dies unglücklicherweise doch geschehen, so wird das Stück Erde
behutsam fortgenommen und in den Fluß geworfen; denn sonst würden die
Menschen, die von dem Tiere essen, erkranken. Wollen Menschen aus einem
bestimmten Wasserloch trinken, das von einem Geiste bewohnt wird, so
müssen sie erst in das kegelförmig zusammengerollte Blatt, mit dem
sie schöpfen, ein Loch machen, damit der Geist herausfalle. Täten sie
dieses nicht, dann würde er in den Menschen, der das Wasser trinkt,
einziehen und ihn zum Anschwellen und Sterben bringen. Bisweilen
nimmt auch ein böser Geist von dem Seelenich eines Mannes Besitz.
Wenn zum Beispiel jemand auf seiner Rückkehr aus dem Busch das Fieber
mit dem es begleitenden Schüttelfrost bekommt, so nimmt man an, er
sei gefallen und ein Geist habe sein Seelenich mitgenommen. Es ist
dann eine besondere Zeremonie nötig, um den Geist zu veranlassen,
daß er wieder herausgeht. Wertvolle Zieraten werden an ein langes
Bambusrohr gebunden, und der Kranke sowie seine Freunde gehen an die
Stelle zurück, von der er glaubt, daß er dort hingefallen sei und die
Besinnung verloren habe; zwei andere Männer bringen das Rohr mit. Jetzt
stellen sie einen Topf auf die Erde, füllen ihn mit einer besonderen
Grasart und einem brennenden Feuerstock und halten das Bambusrohr in
horizontaler Lage darüber. Während das Gras knisternd brennt und die
Männer den Topf umstehen, jeder mit einem Steine in der Hand, schlagen
sie mit diesem auf den Topf und zertrümmern ihn unter Stöhnen. Dann
kehrt die Gesellschaft mit ihrem Bambus in das Dorf zurück, aber
niemand darf sich dabei umsehen. Zu Hause angekommen legt sich der
Kranke nieder, der Bambusstock wird über seinem Lager aufgehängt. Es
scheint dabei der Aberglaube zu bestehen, daß der Geist die Seelen der
Ziergegenstände, die an dem Bambusstock befestigt sind, als Ersatz für
die Seele des kranken Mannes hinnehme und daß daraufhin sich dieser
wieder erhole.

+Zauberei und Magie+ nehmen einen großen Platz in den abergläubischen
Vorstellungen der Melanesier ein. So verwenden die Wahrsager auf den
Inseln der Torresstraße eigens dazu präparierte Menschenschädel (Abb.
149 und 150). Wir haben bereits mehrfach diese beiden Punkte berührt.
Der Zauberer, der seine geheimnisvolle Kraft ausübt, tut dies mit Hilfe
eines Geistes, und zwar vermöge des Mana, das dieser ihm verliehen
hat. Solche Fähigkeiten werden von ihren Inhabern wieder auf andere
vererbt, indem diese von ihnen darin eingeweiht werden. Jegliche
Krankheit, die nicht gerade eine gewöhnliche ist, also im natürlichen
Verlaufe des Lebens vorkommt und dann auch als eine solche aufgefaßt
wird, gilt ihnen als das Werk eines Geistes oder einer Ahnenseele. Die
Wesen jedoch, denen für gewöhnlich die Verursachung von Krankheiten
zugeschrieben werden, sind Seelen, die entweder beleidigt wurden, oder
die um ihre verderbliche Hilfe von den mit ihnen verbundenen Menschen
durch Opfer und Zaubersprüche angegangen wurden, oder die aus reiner
Bosheit gegen die Lebenden so handeln. Der gewöhnliche Glaube geht
dahin, daß der Geist den Menschen dabei auffrißt. Oft muß zunächst
erst die Seele oder der Geist ausfindig gemacht werden, welche die
Krankheit hervorgerufen haben; hat sich zum Beispiel herausgestellt,
daß der Kranke verbotenerweise einen geweihten Ort betrat, dann
liegt die Annahme nahe, daß der Geist dieses Ortes seine Krankheit
herbeigeführt haben muß. In diesem Falle wird der Vertraute dieses
Geistes geholt, der daraufhin eine Zeremonie mit dem Kranken vornimmt
-- so kaut er auf Florida (Salomoinseln) Ingwer und bläst ihn in das
Ohr des Patienten -- und den Geist bittet, die Krankheit zu beseitigen.
Wird der Kranke nicht gesund, dann versucht man es mit einem anderen,
möglicherweise beleidigten Geist auf die gleiche Art. Kann man das
betreffende überirdische Wesen überhaupt nicht feststellen, so wendet
sich jemand, der mit einem mächtigen Geist vertraut ist, an diesen
und bittet ihn um Vermittlung bei dem beleidigten Geist, wobei ohne
weiteres vorausgesetzt wird, daß jener diesen kenne. In manchen Fällen
vermutet man auch, daß irgend ein Mensch, der dem Kranken übel will,
seinen eigenen ihm vertrauten Geist angerufen und dazu gebracht hat,
die Krankheit zu verursachen; dann bemüht man sich, einen mit einem
noch mächtigeren Geist verbundenen Menschen zu veranlassen, daß er
aus Mitgefühl den verzehrenden Geist abrufe. Weigert er sich, dies zu
tun, dann bleibt immer noch die Möglichkeit, seine Zuflucht zu einem
zu nehmen, der zu einem noch mächtigeren Geiste Beziehungen unterhält,
damit der den anderen austreibe. Der Ausgang, ob Genesung oder Tod,
beeinflußt dann die öffentliche Meinung über die relative Macht der
verschiedenen Seelen oder Geister.

[Illustration:

    Phot. A. C. Haddon.

Abb. 149. Präparierter und verzierter Schädel zum Wahrsagen auf den
Inseln der Torresstraße.

Wer seine Wirksamkeit in Anspruch nehmen will, legt ihn nachts neben
seinen Kopf; im Traume wird ihm die Wahrheit kund.]

[Illustration:

    Phot. A. C. Haddon.

Abb. 150. Präparierter und verzierter Schädel zum Wahrsagen auf den
Inseln der Torresstraße.]

Von den Eingeborenen Neumecklenburgs, Neulauenburgs und noch anderer
Inseln Melanesiens wird zur Behandlung von Schädelverletzungen, die
zumeist durch Schleudersteine entstehen, sowie zur Beseitigung von
Epilepsie oder Linderung andauernder heftiger Kopfschmerzen die
Trepanation vorgenommen, das heißt die Freilegung der Schädeloberfläche
und unter Umständen die Öffnung der Schädelhöhle. Man begnügt sich
auch in weniger ernsten Fällen mit einem Schaben des Stirnknochens;
auch hiervon können tiefe Narben zurückbleiben (Abb. 151). Ein
Obsidiansplitter, ein scharfer Haifischzahn oder eine geschärfte
Muschel geben das primitive Handwerkszeug für diese Operationen ab.

Wenn man in einer Gegend von Neumecklenburg die Vermutung hat, daß ein
Mann durch Zauberei gestorben ist, so versammeln sich seine Freunde
in der nächsten Nacht um sein Haus; ein Zauberer ruft seine Seele an
und fragt sie, wer der Schuldige war. Erhält er keine Antwort, so ruft
er den Namen eines Verdächtigen aus, und die Umstehenden lauschen
eifrig auf die Antwort. Kommt aber keine solche, so wird ein anderer
Name gerufen; dies wiederholt sich so lange, bis ein Laut, sei es
auch nur ein Geräusch, wie wenn jemand mit dem Finger auf ein Brett
tippt, vernommen wird. Daraufhin hält man den zuletzt Genannten für den
Schuldigen; das heißt, man glaubt, daß nicht er direkt den Tod seines
Nächsten verschuldet hat, sondern die Macht des ihm vertrauten Geistes.
In manchen Gegenden der Salomoinseln entdeckt der zur Erkrankung eines
Menschen herbeigerufene Zauberer den Geist, der das Unheil angerichtet
hat, dadurch, daß er einen Stein an einem Bindfaden, den er in der Hand
hält, befestigt und die Namen der kürzlich Verstorbenen aufruft. Gerät
der senkrecht an dem Faden hängende Stein bei irgend einem Namen in
Bewegung, dann erkennt man daran, daß es nur die Seele dieses Mannes
gewesen sein kann. Nun werden die Namen von Geschenken für den Geist,
zum Beispiel Yamswurzel, Fische, Schweinefleisch und dergleichen, der
Reihe nach genannt; der Ausschlag des Steines zeigt dann an, was der
Geist zur Besänftigung ausgewählt hat. Das von ihm geforderte Geschenk
wird am Grabe des Toten oder an einem geweihten Orte geopfert.

[Illustration:

    Aus: Parkinson, Dreißig Jahre in der Südsee.

Abb. 151. Junger Mann mit tiefen Stirnnarben,

die von einer Operation am Schädel herrühren; sie wurde in der
frühesten Kindheit vorgenommen, um Epilepsie oder Kopfschmerzen dadurch
zu beseitigen.]

[Illustration:

    Aus: Seligmann, The Melanesians.

Abb. 152. Ein zu Zauberkünsten dienender menschlicher Schädel aus Roro
(Neuguinea).

Der Schädel ist in einen Weidenkorb gestellt mit der Basis nach außen,
die ein Gesicht darstellen soll.]

In manchen Gegenden Melanesiens gibt es +verschiedene Methoden, um
Krankheit oder Tod herbeizuführen+, aber allen liegt doch der Gedanke
zugrunde, daß das Opfer mit dem Geist in irgend einer Weise in
Verbindung gebracht werden muß, der ihm schaden soll. Für gewöhnlich
macht man es so. Man nimmt etwas vom Körper des ausersehenen Opfers
(Abb. 152 und 153), zum Beispiel ein Haar, ein Stück Fingernagel oder
etwas, was sonst mit ihm eng verbunden war, sagen wir ein Überbleibsel
seiner Mahlzeit, die er kürzlich eingenommen hat, oder ein Blatt, mit
dem er sich den Schweiß von der Stirn trocknete, und leitet darauf
die böse Zauberkraft eines Knochens von einem Toten, dessen Seele die
ausübende Kraft ist, oder eines Steines, der Mana besitzt, um Unheil
anzurichten, oder irgend eines anderen derartigen Gegenstandes. Oder
man wirft den betreffenden Gegenstand auch auf eine geweihte Stätte,
die der Geist bewohnt. Dadurch soll dessen Träger krank werden oder
sonst ein Unglück erleiden. Das Opfer erfährt bald davon durch einen
Dritten, daß es verzaubert worden ist, und die Einbildung, daß ihm ein
Unheil, zumeist der Tod bevorstehe, wirkt so mächtig auf sein Gemüt
ein, daß es tatsächlich krank und von Tag zu Tag hinfälliger wird.
Die Angehörigen wenden sich nun an einen Zauberer, der daraufhin den
fremden Geist mit Hilfe des ihm vertrauten zu bestimmen versucht, daß
er von seinem Opfer abläßt. Um solchem Unheil vorzubeugen, ist es daher
allgemein Brauch bei diesen Leuten, daß sie etwaige Gegenstände, die
für diese Zwecke Verwendung finden könnten, sorgfältig verstecken,
damit sie nicht einem Übelwollenden in die Hände fallen. Ein anderes
Vorgehen zur Abwendung eines Zaubers wurde in einer Gegend von
Deutsch-Neuguinea beobachtet. Ein Kranker sandte öfters einen Boten
nach einem bestimmten Orte, wo die verdächtige Seele hausen sollte,
um von dort ein Büschel Gras zu holen; dieses trug er in die Blätter
einer besonderen Pflanze eingewickelt und mit einer bestimmten
Schlingpflanze noch zusammengebunden zurück. Der Kranke wurde mit
dem kleinen Bündel gestreichelt, damit die böse Macht, von der er
besessen wäre, dorthin übergehe; darnach wurde das Büschel tüchtig
geschlagen, um die Macht zu zermalmen, oder es wurde in den Rauch des
Feuers gehängt, um sie zu ersticken. -- Die Eingeborenen verwenden
auch Heilmittel, die nach ihrem Glauben Zauber und Krankheit zu bannen
vermögen. Manchen von ihnen mag zwar eine gewisse Heilkraft zukommen,
aber zumeist beruht ihre Wirksamkeit doch auf dem Glauben an die Macht
eines übernatürlichen Geistes; der ausübende Zauberer ist mit dem
Geisterwesen vertraut, und der in Betracht kommende Geist bringt eben
die Heilung zustande.

[Illustration:

    Aus: Brown, The Melanesians.

Abb. 153. Die Mittel eines Zauberers.

Der Inhalt der Netze besteht aus Körperteilen (Haaren, Zehennägeln und
dergleichen) von einem Menschen, der verhext werden soll.]

Die Geister und Seelen haben auch das +Wetter+ in der Hand; und ebenso
beherrschen es alle diejenigen, die mit diesen vertraut sind und ihre
Vermittlung anrufen können. Daher gibt es auch Wettermacher, die Wind
und Stille, Regen und Sonnenschein, Hungersnot und reichliche Ernte
herbeiführen zum Vorteil derer, die ihre Hilfe in Anspruch nehmen, oder
zum Schaden der Feinde letzterer (Abbild. 154 u. 155). Die Geister und
Seelen können auch Beschwörungsformeln, Steinen, Blättern und anderen
leblosen Gegenständen Macht verleihen, damit sie aus sich heraus das
Wetter beeinflussen. Die Methoden, die diese Wettermacher anwenden,
sind ganz verschiedene. Auf einer der Salomonen zum Beispiel wurde
folgendes Verfahren eingeschlagen, um Sonnenschein herbeizuführen.
Bestimmte Blätter und Schlingpflanzenranken wurden von einem Insulaner
an das Ende eines Bambusstockes gebunden und über ein Feuer gehalten.
Der Mann fachte das Feuer an und sang dabei, um dem Feuer Mana
einzuverleiben, das dieses wiederum auf die Blätter übertragen sollte.
Dann kletterte er auf einen Baum und befestigte den Bambusstock an
dessen äußerstem Zweig. Während der Wind das biegsame Rohr hin und
her bewegte, verbreitete es Mana um sich, woraus alsdann die Sonne
zum Vorschein kommen sollte. -- Auf den Neuhebriden glauben die
Eingeborenen, sich dadurch Sonnenschein verschaffen zu können, daß sie
Zweige einer Pflanze, die mit Mana getrocknet wurden, über das Feuer
halten, und dabei Zaubersprüche singen in der Hoffnung, daß dadurch
geradeso, wie diese Zweige vertrockneten und in dem Feuer verbrannten,
auch die Erde infolge der kommenden Sonnenhitze Trockenheit annehmen
wird. Auf den Santa-Cruz-Inseln wird, um Wind herbeizuführen, der Zweig
eines bestimmten Baumes ebenfalls unter Absingen von Zaubersprüchen in
der Luft geschwenkt.

[Illustration:

    Phot. A. C. Haddon.

Abb. 154. Regenschirm aus Kokosnußblättern,

in dem der Zauberer den Regenzauber verbirgt. Sein oberer Teil wird
schwarz gemacht, um die Wolke vorzustellen, an der Spitze werden junge
Kokosnußblätter aufgehängt, um die fallenden Regentropfen anzudeuten.]

Das ganze Leben und Treiben der Melanesier erscheint von Zauberei
gleichsam durchsetzt zu sein, die bei den verschiedensten
Gelegenheiten, überhaupt bei allem, was des Menschen Herz beschäftigt
und erfreut, angewendet wird. Will zum Beispiel auf Deutsch-Neuguinea
ein Jäger auf seinem Ausfluge Glück haben, so verbrennt er eine
bestimmte Sorte Holz, das aus dem Innern, wo die „Jagdgeister“
hausen, herstammt, und schwärzt sich mit dem Ruß Gesicht, Hände, Knie
und Ellbogen, desgleichen die Nase seines Hundes, oder er mischt
winzige Teilchen eines Krokodilzahnes unter das Hundefutter, damit die
Gier und Kraft dieses Tieres auf seinen Begleiter übergehe, oder er
berührt die Nase des Hundes mit der Klaue eines habichtartigen Vogels,
damit er seine Beute krampfhaft festhalte wie dieser. Um beim Anbau
von Tarowurzeln einen guten Erfolg zu erzielen, muß der Eingeborene
einen Tarostein besitzen, den er anruft, und mit dem er die Tarostücke
berührt, ehe er sie in die Erde legt. Die Entstehung solcher Tarosteine
wird auf folgende interessante Legende zurückgeführt. Es war einmal
ein Geist, der großen Appetit auf Taro hatte und von dieser Wurzel
eine riesige Menge verzehrte; als aber die Wurzeln in seinem Magen
zu sprossen begannen, platzte dieser und die Tarostücke flogen nach
allen Richtungen und verwandelten sich in Steine, die fortan die
Macht besaßen, bei der Tarozucht Erfolg herbeizuführen. Zaubersteine
finden auch Verwendung, um Männer flink, leichtfüßig und ausdauernd
zu machen, so daß sie imstande sind, ohne Ermattung die ganze Nacht
hindurch zu tanzen; man schabt von den Steinen ein Pulver ab und reibt
damit die Glieder dieser Dauertänzer ein. Manche Männer besitzen
auch die +Macht des Weissagens+, die ihnen nach dem Aberglauben
der Eingeborenen meistens durch die Geister und Seelen Verstorbener
verliehen wird; ihre Antworten gehen durch den Mund des Wahrsagers, der
während des Zwiegesprächs mit den Geistern anscheinend die Besinnung
verloren hat. Wird zum Beispiel über einen Kriegszug beraten, so niest
und schüttelt sich einer der Teilnehmer, der im Rufe steht, mit einem
überirdischen Geiste vertraut zu sein, woraus man entnimmt, daß der
Geist bei ihm Einzug gehalten hat. Seine Augen beginnen zu funkeln,
sein Mund zu schäumen, seine Glieder zu zucken, schließlich krampft
sich der ganze Körper zusammen; darauf ertönt aus seiner Kehle eine
Stimme, aber angeblich nicht seine eigene, sondern die des Geistes, die
den Vorschlag der Versammlung mißbilligt oder gutheißt. Diese Antwort
ist dann ausschlaggebend für die Teilnehmer.

[Illustration:

    Phot. A. C. Haddon.

Abb. 155. Ein Regenzauber (menschliches Gesicht)

von den Inseln der Torresstraße.]

[Illustration:

    Phot. R. W. Williamson.

Abb. 156. Tabuzeichen auf den Salomonen,

das ein Krokodil darstellen soll; zum Schutz der Kokospalmen.]

[Illustration:

    Phot. R. W. Williamson.

Abb. 157. Tabuzeichen aus einem Bündel Blätter,

das andeutet, daß der Übertreter des Verbots in seinem Kanu auf See
durch die Winde weggeblasen und untergehen wird.]

[Illustration:

    Phot. R. W. Williamson.

Abb. 158. Tabuzeichen (Muschel auf einem Stock),

welches besagt, daß der Übertreter sein Gehör (Ähnlichkeit der Muschel
mit einem Ohr) verlieren wird.]

In einer Gegend der Admiralitätsinseln stellt man auf folgende Weise
durch Zauber fest, ob ein Kampf unternommen werden soll oder nicht.
Der Wahrsager rollt ein Betelblatt zusammen, beißt ein Stückchen davon
ab, kaut es mit Arekanuß und läßt den Speichel in die Rolle fallen; je
nach der Richtung, nach welcher dieser in ihr nach dem Öffnen abfließt,
wird Krieg oder Frieden beschlossen. Auf den Salomonen und auch
anderwärts sind +Gottesurteile+ üblich, um die Schuld oder Unschuld
eines Menschen, der eines Vergehens angeklagt ist, zu erweisen. Die
Art und Weise dieser Gottesurteile oder Ordalien ist in den einzelnen
Gegenden ganz verschieden. Der Beschuldigte ruft zum Beispiel die
Hilfe eines Mannes an, der einen Stein mit Zauberkraft besitzt. Dieser
erhitzt ihn und wirft ihn aus einer Hand in die andere; verbrennt
er sich die Hände dabei, so ist der Angeklagte schuldig, wo nicht,
trifft ihn keine Schuld. In einigen Gegenden von Holländisch-Neuguinea
schreiben die Eingeborenen, wie meistens in Melanesien, den Tod eines
ihrer Angehörigen den bösen Anschlägen irgend eines anderen zu und
suchen diesen ausfindig zu machen. Der Körper eines Verstorbenen wird
nun dort über einem mäßigen Feuer ausgetrocknet und die Flüssigkeit,
die in den nächsten Tagen aus dem Körper fließt, wird aufgefangen und
aufbewahrt. Diese Flüssigkeit wird dann bei passender Gelegenheit
solchen, die im Verdacht stehen, den Tod herbeigeführt zu haben,
zu trinken gegeben; wenn sie sich nach dem Genusse übergeben, gilt
ihre Schuld für erwiesen, und ihr Tod ist die weitere Folge. Auf
einer kleinen Insel nördlich von Holländisch-Neuguinea nimmt die
Stelle dieser Leichenflüssigkeit ein Pulver ein, das aus den Knochen
eines Verstorbenen hergestellt ist. Ist der Verdächtige außerstande,
das Pulver hinunterzuschlucken, so gilt seine Schuld als erwiesen,
und der Tod ist ihm gewiß. In der Nähe von Finschhafen lauscht man
ängstlich und gespannt auf die Worte, die ein Kranker in seinen
Fieberphantasien oder im Traume ausstößt, um den Namen der Person,
welche die Verzauberung bewirkt hat, zu erfahren, oder man zündet am
Abend des Sterbetages ein Feuer im Dorfe an und nennt nacheinander die
Namen von Personen, die den Tod verschuldet haben könnten; diejenige,
bei deren Namensnennung das Feuer hell auflodert, wird als der Täter
angesehen. Es drängt sich nun von selbst die Frage auf, ob für den
Fall, daß der Zauberer unrecht hat oder seine Weissagungen nicht
in Erfüllung gehen, nicht das Rechtsgefühl der Eingeborenen sich
aufbäumt. Manchmal geschieht dies allerdings. So wird der Zauberer auf
Deutsch-Neuguinea häufig in Fällen, in denen er seinen Zauber nicht
nach Wunsch ausgeführt hat, zum Schadenersatz angehalten. Ist er zum
Beispiel um Regen angegangen worden, und will dieser, nachdem er sich
in Strömen eingestellt hatte, nicht wieder aufhören, so muß er den
Schaden tragen, den die Feldfrüchte durch den übermäßigen Niederschlag
erlitten haben. Vielfach wird der Zauberer wohl durch seine langjährige
Beobachtung und Erfahrung das Richtige treffen. Ein Mißlingen schiebt
er aber klugerweise vielfach auch dem Umstande zu, daß die Macht des
Geistes, den er angerufen hatte, durch die Gegenwirkung eines noch
höheren Geistes beeinträchtigt worden sei, und die Eingeborenen geben
sich damit zufrieden.

[Illustration:

    Original i. Museum f. Völkerkunde, Berlin.

Abb. 159 u. 160. Präparierte Menschenschädel vom Kaiserin-Augusta-Fluß
(Deutsch-Neuguinea).]

[Illustration:

    Original i. Museum f. Völkerkunde, Berlin.

Abb. 161 u. 162. Präparierte Menschenschädel vom Kaiserin-Augusta-Fluß
(Deutsch-Neuguinea).]

Sehr verbreitet über ganz Melanesien ist auch der +Glaube an
Vorzeichen+, im besonderen, wenn es sich um den Ausgang eines geplanten
Zuges, entweder zur Jagd oder zum Fischfang oder zum Kriege, handelt.
Auf einigen Ost-Neuguinea vorgelagerten Inseln verkündet das Piepen
eines fliegenden Fuchses den Fischern am Riff Glück, der Schrei eines
gewissen Vogels aber Unglück; wer letzteren hört, kehrt sofort um.
Auf einer der Neuhebriden lebt ein kleiner Vogel, dessen Ruf bald wie
das einheimische „nein“, bald wie die Stimme eines redenden Menschen
klingt. Wenn Männer auf einer Expedition den ersteren Ruf hören, so
halten sie dies für ein böses Zeichen, im anderen Falle ziehen sie mit
großer Hoffnung aus. Bei den Koita hält man es auf dem Schildkröten-
oder Dujongfang für glückbringend, wenn ein fliegender Fisch in ihr
Kanu springt, oder auf einem Jagdausflug ein bestimmter Vogel ruft;
sofort gehen sie in der Richtung weiter, aus welcher der Ruf erklang.
Dagegen gilt das Auftauchen einer grünen Taubenart als ein böses Omen;
begegnet eine Jagdgesellschaft einem solchen Tiere aus der Richtung,
die sie gerade einschlug, dann kehrt sie sofort um und unternimmt
bis zum nächsten Tage nichts weiter. Auch links und rechts spielen
in dem Aberglauben der Melanesier eine Rolle. Springt zum Beispiel
ein Hornhecht rechts vom Kanu auf oder stößt ein Jäger zufällig mit
seinem rechten Fuß gegen einen Stein, so bedeutet dies für ihn Glück,
im entgegengesetzten Falle befürchtet er ein Unglück. Manche Vorfälle
werden als Warnungen vor einem bösen Ereignis, das im Anzuge ist,
angesehen. Das Erscheinen eines Frosches oder eines anderen Geschöpfes,
das sonst nicht in eine Hütte zu kommen pflegt, wird von den Bewohnern
der Neuhebriden als der Vorbote des Todes gedeutet; eine glänzende,
goldfarbene Schlange gilt gleichfalls als Anzeichen des Todes; bleibt
sie ruhig liegen, dann glaubt man, daß der Tod durch eine Krankheit
verursacht wird, bewegt sie sich aber, dann tritt ein gewaltsamer Tod
ein. Auf der Gazellehalbinsel gilt ein gewisser Vogel als Weissager des
bevorstehenden Todes; die gleiche Bedeutung haben hier Sternschnuppen;
man hält sie für Seelen Abgeschiedener, die auf die Erde kommen, um
jemand, den sie sich dazu ausersehen haben, zu holen. Bei den Bewohnern
im Innern Neupommerns besagt ein Ring um die Sonne, daß irgend ein
Mensch getötet worden ist, phosphoreszierende Lichter auf dem Wasser
sollen von badenden Geistern herrühren und so fort.

Auch die +Einrichtung des Tabus+, das heißt die Sitte, gewisse
Gegenstände, Personen oder Plätze gleichsam durch Belegen mit einem
Bann für eine bestimmte Zeit oder auch für immer unantastbar oder
unbetretbar zu machen, findet sich in Melanesien. Sein Ansehen und
seine einschränkende Kraft liegen aber nicht allein in dem persönlichen
Verbot, das ein Mann erläßt, sondern in der Macht des Geistes, der
vermöge seines Manas mit ihm in Verbindung steht und jede Übertretung
des Tabus auch ahndet. Man kann das Tabu hinsichtlich dieser seiner
Wirksamkeit mit einem Fluch vergleichen. Durch das Tabu wird im
allgemeinen das Eigentumsrecht einer Person geschützt. Der eine will
dadurch seine Gärten oder Kokosnußbäume davor bewahren, daß ihm die
Erträge geraubt werden, ein anderer sein Fischnetz oder sein Kanu vor
Fortnahme, ein dritter belegt sein Haus während längerer Abwesenheit
mit einem Tabu aus dem gleichen Grunde. Auch Knaben und Mädchen stehen,
wie wir oben hörten, vor Eintritt der Mannbarkeit unter einem Tabu,
das heißt, es dürfen bestimmte Personen sich ihnen nicht nähern, sie
selbst bestimmte Gegenstände nicht anrühren und bestimmte Speisen nicht
genießen. Für die Frauen und Kinder sind die Versammlungshäuser der
Männer, sowie die Plätze der geheimen Gesellschaften tabu, das heißt
jene dürfen sie nicht betreten und die sich auf ihnen abspielenden
heiligen Handlungen nicht anschauen. Äußerlich wird das Tabu durch
ein deutlich sichtbares Merkmal gekennzeichnet, zum Beispiel durch
Grasbüschel oder Blätterbündel (Abb. 157), die man an den betreffenden
Gegenstand anbindet, oder durch zwei kreuzweise in die Erde gesteckte
Hölzer, geschnitzte Stöcke, zwei mit ihrer konkaven Fläche aufeinander
gelegte und am Rande eingekerbte Palmblätter, wodurch das Aussehen
eines Krokodilrachens vorgetäuscht wird und anderes mehr (Abb. 156 u.
158). Jedes dieser Zeichen genügt als Warnung, die verstanden und im
allgemeinen auch befolgt wird. Denn eine Verletzung des Tabus zieht
strenge Strafe des Geistes, meistens schwere Krankheit oder auch den
Tod nach sich. Auf Kaiser-Wilhelms-Land kann man bei unbeabsichtigter
Verletzung des Tabus vor der Strafe bewahrt werden; der Geschädigte
verabreicht dem Frevler als Heilmittel ein durch Zauber besprochenes
Wasser zum Trinken.

[Illustration:

    Phot. R. W. Williamson.

Abb 163. Mafulugrab.]

Eine ausführlichere Besprechung erfordern die +Toten- und
Bestattungsgebräuche+ der Melanesier, die manchmal mit recht
verwickelten Zeremonien verknüpft sind. Eine Übereinstimmung bezüglich
der Art und Weise, wie man sich des Toten entledigt, herrscht in
Melanesien nicht. Mit dem gewöhnlichen Volke pflegt man im allgemeinen
nicht viel Umstände zu machen, dagegen erfährt in der Regel der tote
Körper eines Häuptlings oder einer Standesperson eine ehrenvolle
Behandlung.

[Illustration:

    Aus: Seligmann, The Melanesians.

Abb. 164. Totenstuhl der Koita.]

Zumeist wird der Tote wie bei uns der Erde übergeben. In Gegenden,
wo eine solche Bestattung ein Vorrecht der Häuptlinge ist, wird die
Leiche in die See versenkt. In einigen Gegenden ist es Brauch, daß nahe
Verwandte des Toten ein paar Knochen von ihm zurückbehalten und sie
später als Reliquien tragen, oder in bestimmten Schreinen aufbewahren.
Am Kaiserin-Augusta-Fluß (Deutsch-Neuguinea) trägt man auf die Schädel
Verstorbener eine plastische Masse auf und modelliert diese naturgetreu
zu einem Gesicht. Die Augen werden durch Muscheln ersetzt, die
Kopfhaare durch Zotteln, das ganze Gesicht schließlich mit Zeichnungen
bedeckt, die an die Tatauierungen der Maori erinnern (Abb. 159 bis
162). Anderwärts wieder herrscht die Sitte, zunächst den ganzen Körper
zu bestatten, später aber das Skelett auszugraben und einzelne Teile
davon zur Aufbewahrung loszulösen. Für bedeutendere Personen werden
bisweilen große, mehr oder weniger verzierte Totenschreine errichtet,
in denen die Habseligkeiten des Toten mit der Leiche untergebracht
werden. Diese Schreine genießen dann den Ruf besonderer Heiligkeit.
Oft werden dem Verstorbenen der Schmuck und andere Gegenstände, die er
im Leben besessen hat, ins Grab mitgegeben oder auch vor dem Begräbnis
neben der Leiche zur Schau gestellt, in dem Glauben, daß die Seele des
Toten die gespenstischen Elemente der Sachen mit sich nimmt; bisweilen
wird auch die ganze Habe des Verstorbenen zerstört. Auf den Salomonen
wird das Grab eines Häuptlings oder einer Person von Ansehen mit einem
manchmal treppenförmig abgestuften Steinhaufen bedeckt, auf dem oben
ein aus einem Baumstamme roh geschnittener Gedächtnisblock aufgestellt
oder auch ein kleiner Aufbau, etwa ein auf einem kurzen Pfosten
ruhendes Kegeldach oder ein von aufrecht stehenden Stöcken getragenes
Giebeldach oder auch ein winziges hausähnliches Gefäß errichtet werden
(Abb. 182). Meistens findet sich aber in einem solchen Grabe nicht
der ganze Körper des Toten, sondern nur sein Schädel oder einzelne
Knochen beigesetzt. Bei den Mafulu und in einigen Teilen Neuguineas
werden die Toten auf Plattformen, die auf rohen Holzgerüsten für diesen
Zweck besonders errichtet sind, oder in die Gabelung eines heiligen
Feigenbaumes ausgesetzt und dem Verfall überlassen (Abb. 163).

[Illustration:

    Phot. A. C. Haddon.

Abb. 165. Totentänzer der Torresstraßeinseln.]

[Illustration:

    Phot. A. C. Haddon.

Abb. 166. Totentänzer der Torresstraßeinseln.]

Die nachstehend geschilderten typischen Begräbnisszenen aus den
verschiedenen Teilen Melanesiens sind heutigentags vielfach im
Verschwinden begriffen, da die Missionare die Eingeborenen mehr und
mehr veranlassen, ihre Toten nach den Gebräuchen der christlichen
Kirche zu bestatten. Nach dem Tode eines Koita auf Neuguinea
malt man auf sein Gesicht rote Farbstriche und sein Körper wird
reich geschmückt. Die Dorfbewohner treten nun an den Toten heran,
berühren sein Gesicht mit ihrer Nase, was etwa unserem Abschiedskuß
gleichkommen dürfte, und wachen und jammern bei der Leiche die ganze
Nacht hindurch, ohne Nahrung zu sich zu nehmen. Sodann wird der Tote
auf einen Totenstuhl (Abb. 164), das heißt ein rohes Holzgestell,
dessen Sitzbrett für drei Personen Raum bietet, gesetzt, neben ihm
nehmen zwei Lebende, etwa seine Frau und sein ältester Sohn, Platz.
Eine Stunde lang ertönen Trommelschlag und Totenlieder, dann werden
des Verstorbenen Besitzgegenstände zerschlagen und an der Seite des
Stuhles ausgelegt. Hierauf nimmt man dem Toten fast seinen ganzen
Schmuck wieder ab, „küßt“ ihn noch einmal, rollt ihn in eine Matte
und trägt ihn auf einer Stange zu Grabe. In den nächsten Tagen folgt
nun ein Leichenschmaus dem anderen. Hierauf muß die Witwe, die von
Kopf bis zu Fuß schwarz bemalt und am Haupthaar geschoren wird, einen
bestimmten Trauerschmuck tragen. Die Trauer um ihren Gatten dauert
sechs Monate, und während dieser Zeit ist sie verschiedenen Tabu
unterworfen. Nach Ablauf dieser Frist wird wieder ein Fest gefeiert,
an dem die Witwe endlich ihre Trauer ablegt; die schwarze Farbe wird
mit dem Saft unreifer Kokosnüsse von ihrem Körper abgewaschen. Bei den
Roro wird der Tote, nachdem man ihn ins Grab versenkt hat, zweimal mit
einem Baumzweige von Kopf bis zu Fuß gestreichelt, um seinen Geist
zu vertreiben. Ein oder zwei Monate lang nach dem Begräbnis brennt
nachtsüber ein Feuer auf seinem Grabe, um „den Toten zu wärmen“.
Im Mekeogebiet legen, wenn ein Mann gestorben ist, alle Verwandten
Trauer an; sie enthalten sich außerdem des Tanzens, Singens und
der lauten Lustbarkeiten. Beim Bemalen ihres Körpers verwenden sie
keine rote Farbe; die männlichen Verwandten dürfen überhaupt nichts
Bemaltes tragen und die Frauen vertauschen ihren mit Grasfransen
besetzten Rock, der sich eng um ihren ganzen Körper schmiegt, gegen
einen viel kleineren und kürzeren, der nur vorn und hinten wie eine
Schürze herunterhängt und die Seiten unbedeckt läßt. Der Tote wird im
Gemeindehaus oder auf einem besonders dazu erbauten Gerüste aufgestellt
und unter Weinen und Wehklagen, in eine Palmenblattmatte gehüllt, in
die Erde versenkt. Sobald der Tote von einer dünnen Erdschicht bedeckt
ist, wirft sich der nächste Angehörige in das Grab hinein und verharrt
hier weinend so lange, bis das Grab vollgeschaufelt ist. Nachdem das
Begräbnis vorüber ist, läßt sich dieser nächste Verwandte vor den
anderen nicht wieder sehen; nur mit einer rohen Rindenhülle bekleidet
(Abb. 177), muß er die Tage im verborgenen und die Nächte weinend auf
dem Grabe zubringen. Zur Nachtzeit wandert er auch wohl an den Orten
umher, die der Verstorbene besucht hat, und ruft ihn. Dies dauert so
lange, bis die formelle Anlegung des Trauerschmuckes vor sich geht.
Ganz im Gegensatz zu diesem Brauch tiefster Trauer geben die Männer,
die den Begräbnisritus ausgeführt haben, sich einem heiteren Feste hin,
das mit einem Spiel endigt, bei dem sie nach einem hängenden Eber- oder
Känguruhschenkel schnappen.

[Illustration:

    Phot. R. W. Williamson.

Abb. 167. Tanz der Mafulu bei einer Leichenfeierlichkeit

vor dem im Vordergrund gelegenen Grabe.]

Erst nach Wochen oder Monaten beginnt man in aller Form den
Trauerschmuck anzulegen. Die Verwandten versammeln sich im
Gemeindehaus der Sippe, ihr Körper ist mehr oder weniger schwarz
angemalt und ihr Haar abrasiert; bei den Frauen wird das ganze
Kopfhaar weggenommen, bei den Männern bleiben kleine Haarbüschel über
den Ohren stehen. Gleichzeitig gibt es einen gemeinsamen Schmaus.
Der Trauerschmuck besteht für gewöhnlich in Halskragen, Armbändern
oder Hüftengürtel aus geflochtenen Binsen oder Gras. Diese formelle
Trauer dauert eine Zeitlang, gewöhnlich mehrere Monate. Währenddessen
dürfen die Leidtragenden nicht baden und unterliegen besonderen
Nahrungseinschränkungen. Der Abschluß der Trauerzeit wird wiederum
festlich begangen; der Trauerschmuck wird den Trägern in aller Form
abgenommen, wodurch sie auch von den Speiseverboten befreit werden.
Natürlich bilden den Schluß wieder Schweineschlachten, Schmaus und Tanz
(Abb. 165 und 166).

[Illustration:

    Phot. R. W. Williamson.

Abb. 168. Tanz des Häuptlings der Mafulu vor dem Grabe.]

[Illustration:

    Phot. G. Landtman.

Abb. 169. Witwe in Halbtrauer.]

[Illustration:

    Phot. G. Landtman.

Abb. 170. Plattform für Leichen vom Flyriver.]

[Illustration:

    Phot. G. Landtman.

Abb. 171. Kiwaigrab.]

Eigenartig sind die Totengebräuche bei den Mafulu. Beim Herannahen
des Todes wird dem Sterbenden ein Weib, das diese Tätigkeit als
Beruf betreibt, zur Bewachung beigegeben. Sobald sie sich überzeugt
hat, daß der Tod eingetreten ist, verabreicht sie dem Toten mit der
Faust einen Schlag auf den Kopf und erklärt ihn für tot; falls er
es bis dahin noch nicht gewesen sein sollte, ist er es jetzt in der
Tat. Bei einem Häuptlinge kommt noch ein umständlicheres Verfahren
in Betracht. Ein Zauberer geht mit einem Stücke des Dammgurtes des
Sterbenden sowie mit einem Rest der Speise, die er eben erst gegessen
hat, in den Busch, steckt den Speiserest in den Gürtel und umwickelt
diesen wieder mit einem Blatt, so daß eine Kugel daraus entsteht.
Diese steckt er unter ein brennendes Holzscheit, sich selbst legt
er daneben mit geschlossenen Augen, verharrt aber so nur wenige
Minuten, springt dann wieder auf und untersucht die Kugel. Ist die
Speise verbrannt oder angesengt, so ist dies ein Anzeichen dafür, daß
der Häuptling sterben muß; er erhält dann den bewußten Schlag auf
den Kopf. Manchmal behaupten die Mafulu, daß ein Zauberer aus einem
feindlich gesinnten Dorfe den Tod eines Häuptlings durch solch ein
Verfahren absichtlich herbeigeführt habe; dann ist ein Kampf zwischen
den beiden Sippen die natürliche Folge. -- Auf die Todesverkündigung
hin erfolgt lautes Geschrei von den Männern des Dorfes, das den Zweck
haben soll, den Geist einzuschüchtern. Die Frauen, die schon eine
Zeitlang gejammert haben, stimmen nun ein richtiges Begräbnislied
an, das sie bis zur Beisetzung mit Unterbrechung absingen, und
die Verwandten des Heimgegangenen bestreichen sich den Körper mit
Lehm. Inzwischen erscheinen Männer und Frauen aus anderen Dörfern;
die Frauen sind ebenfalls mit Lehm beschmiert. Jetzt erhebt sich
wiederum lautes Wehklagen und Singen. Das Begräbnis selbst findet
etwa vierundzwanzig Stunden nach dem Tode statt. Der Körper wird,
die Knie bis ans Kinn angezogen, in Blätter und Rinde eingewickelt,
und unter Gesang der Frauen, die ihre Begräbnislieder fortsetzen, zu
Grabe getragen. Daraufhin schreien die Männer wieder ganz laut, um
den Geist noch mehr einzuschüchtern und ihn schließlich gänzlich zu
vertreiben. Die Angehörigen legen nun Trauer an, die hauptsächlich in
dem Anschwärzen des Gesichtes, oft auch des ganzen Körpers, besteht.
Die Witwe beziehungsweise der Witwer oder auch der nächste Anverwandte
trägt eine kleine Trauerhalskette aus Bindfaden. Sind zwei oder drei
Tage verstrichen, so findet der Leichenschmaus statt, zu dem Leute aus
anderen Dörfern geladen werden. Zuerst betreten zwei weibliche Gäste
mit Speeren in den Händen das Dorf und laufen zweimal unter Schwingen
der Speere darin umher. Bei ihrer zweiten Tour folgt ihnen eine Schar
männlicher Gäste, die die Dorfumzäunung mit gleichfalls geschwungenen
Speeren herunter und wieder zurück tanzen, bis sie das Grab erreicht
haben (Abb. 167). Dann betritt ein weiterer Gast, gewöhnlich der
Häuptling oder sein Sohn, das Dorf in vollem Tanzschmuck (Abb. 168);
er schlägt seine Trommel und tanzt im Zickzack die Umfriedigung
entlang, bis auch er zu dem Grab kommt. Daraufhin entfernt der
Häuptling des Dorfclans seinen Kopftanzputz, ein schweres Holzgestell
mit Federaufputz, der manchmal meterhoch über seinen Kopf hinausragt,
und der Tanz ist zu Ende. Schließlich wird ein Schwein nach dem anderen
aufs Grab gelegt, getötet und zerteilt; hierdurch soll die Seele des
Abgeschiedenen endgültig versöhnt werden. Die Gäste werden alle mit
Gemüse und Schweinefleisch bewirtet. War der Tote ein Häuptling oder
eine gewichtige Persönlichkeit, so darf sein Körper nicht der Erde
anvertraut werden, sondern bleibt frei an der Luft liegen. Um den
widrigen Ausströmungen der faulenden Leiche zu entgehen, verlassen die
Bewohner für diese Zeit das Dorf, es bleiben aber zwei Frauen auf Wache
bei dem Leichnam zurück; diese sollen indessen nicht seine irdischen
Überreste, sondern das Schweineblut bewachen.

Merkwürdig ist die Zeremonie, die man mit der Trauerablegung hier
sowohl wie bei den Mekeo verbindet. Nach Verlauf von etwa ein bis
zwei Wochen, aber auch bis zu sechs Monaten, wird ein Schwein
unter dem Gerüst eines Häuptlingsgrabes getötet; darauf wird dem
Hauptleidtragenden sein Trauerbindfaden vom Halse abgeschnitten, in das
Schweineblut eingetaucht und fortgeworfen; sein Gesicht bekommt zwei
Farbstriche, gewöhnlich in Rot, auf jede Backe; es folgen nun Gelage
und Tanz.

[Illustration:

    Phot. G. Landtman.

Abb. 172. Witwe in Ganztrauer.]

Die Kiwai an der Mündung des Flyrivers (Britisch-Neuguinea) legten
früher den Toten zusammen mit seinen Waffen, Werkzeugen und
Schmucksachen auf eine Plattform (Abb. 170) und brachten ihm von Zeit
zu Zeit Geschenke, die in Nahrungsmitteln bestanden. Die Verwandten
aber begossen täglich die Leiche mit Wasser, um den Auflösungsprozeß
dadurch zu beschleunigen. Sobald nur noch die Knochen übrig waren,
wuschen und begruben sie diese im Garten. Den Schädel aber behielten
sie oft eine Zeitlang zurück; der eine oder andere Leidtragende band
ihn sich um den Hals, bisweilen auch Schädelreste von mehreren
Verwandten der Reihe nach. Der Trauernde konnte sich angeblich mittels
des Schädels mit dem Toten verständigen, das heißt mit seiner Hilfe
weissagen. Jetzt setzt das Kiwaivolk seine Toten in der Erde bei; der
Kopf ist nach Westen, das heißt nach der Richtung der untergehenden
Sonne und dem Monde zu, wo das Land der Toten liegt, gerichtet. Man
baut schließlich ein kleines Haus über dem Grabe (Abb. 171), dessen
Form eine ganz verschiedene ist. Die Habseligkeiten des Toten werden
an einem Stock, der in der Erde steckt, oder an den Ecken des kleinen
Hauses aufgehängt. Wochenlang brennt für den Toten ein Feuer unter oder
neben diesem Häuschen am Fuße des Grabes. Ein Korb, der denjenigen
ähnelt, in welchen die Mütter in diesen Gegenden ihre Kinder zu tragen
pflegen, zeigt an, daß hier ein Kind bestattet liegt (Abb. 173).
Sogleich nach dem Tode ertönt das Klagen und Singen der Dorfbewohner.

[Illustration:

    Phot. G. Landtman.

Abb. 173. Kiwaikindergrab.]

Ist der Verstorbene ein Mann, so wird seine Frau in einem
Mattenverschlag in dem langen Frauenhaus des Dorfes abgeschlossen; sie
darf sich nicht an dem Begräbnis beteiligen. Zum Zeichen ihrer Trauer
bestreicht sie ihren Körper mit Lehm, jammert unaufhörlich und geht
nur im Dunkeln aus. Wenn sie schließlich den Verschlag verläßt, trägt
sie ein Trauergewand aus Gras, das ihren ganzen Körper bedeckt und mit
dem sie auch ihr Gesicht verhüllen kann (Abbild. 172). Nach ein paar
Wochen tritt an Stelle dieser den Körper verhüllenden Trauergewänder
eine Kappe und ein Kopfputz aus Gras, der über Rücken und Brust
herabhängt (Abbildung 169), und um die Hüften ein Rock, den sie mehrere
Wochen trägt, um dann ein Stück nach dem anderen abzulegen. Trauert
ein Kiwaimann, so bestreicht er sich zum Zeichen dafür ganz und gar
mit Lehm und trägt ein Grasgewand um seinen Hals, das hinten fast bis
auf die Erde reicht und vorn bis über die Brust geht (Abb. 176); auch
dieses wird allmählich mit dem Nachlassen der Trauer verkürzt. In einer
anderen Gegend des östlichen Flyriverufers tragen die Eingeborenen
zum Zeichen der Trauer ein kapuzenartiges Netz, das über Kopf und
Gesicht gestreift wird und dieses wie ein Schleier bedeckt (Abb. 175).
In dem Grade, wie die Trauer geringer wird, lüftet sein Träger die
Kapuze und gibt das Gesicht frei. Überhaupt ist der Trauerschmuck über
ganz Neuguinea verbreitet. Allgemein gilt als Ausdruck des Schmerzes
ein Bemalen der Brust und des Gesichtes mit schwarzer Farbe; auch
Trauernetze sind vielfach in Gebrauch. Die Basilakiweiber tragen
Muschelschmuck als Trauerabzeichen (Abb. 181). Bei den Papua von
Holländisch-Neuguinea (Abb. 177) wird nach dem Hinscheiden einer Person
von den Klageweibern ein Totengesang angestimmt, der öfters eines
poetischen Reizes nicht entbehrt; unter anderem werden darin die treue
Vorsorge des Verstorbenen für seine Familie, sowie seine Tugenden,
vor allem seine Kriegs- und Heldentaten verherrlicht. Die Klageweiber
waschen auch die Leiche, hüllen sie in Matten und umschnüren sie mit
festem Bast, worauf die Bestattung in der Erde erfolgt. Bei den
Mambri stellt man das Ahnenbild des Verstorbenen neben sein Grab und
schilt es tüchtig dafür aus, daß es einen so tapferen Mann hat sterben
lassen. Daneben gibt es aber noch ganz seltsame Bestattungsgebräuche.
In einer Gegend werden die Toten in ausgestreckter, horizontaler Lage
in Käfige aus geflochtenen Zweigen gelegt, die auf Pfählen am Strande
hinter dem Dorfe ruhen. In einer anderen Gegend werden dem Leichnam die
Knie stark hochgezogen und der Kopf tief auf die Brust herabgedrückt;
in dieser Stellung wird der ganze Körper in einen Palmblätterkorb
gesteckt, der ihn ganz fest umschließt, verschnürt und in der Wohnung
an der Wand aufgehängt. Bei einem anderen Stamme legt man den Toten in
ein flaches Grab, deckt ihn mit schweren Steinen zu und umzäunt die
Stätte mit starken Ästen (Abb. 179), über die man quer Sagoblätter
sowie den oder die Spaten legt, die zum Schaufeln des Grabes benutzt
wurden. Diese Ruhestätten tragen öfters auch ein niederes Giebeldach
aus Blättern (Abb. 178). In einer anderen Gegend wird die Umzäunung
dicht um das Grab herumgelegt und das Ganze mit einem Palmblätterdach
bedeckt, so daß ein kleiner hausähnlicher Bau entsteht, den man oft
hübsch ausputzt. Schließlich verdient noch eine Grabform Erwähnung.
Sie besteht aus einem kleinen, aus vier Holzplatten gezimmerten,
ebenfalls hausähnlichen Bau, der auf einem Pfosten ruht und von einem
geschnitzten und verzierten Dach gekrönt wird. Dieses Behältnis ist so
klein, daß nur die Knochen darin aufbewahrt werden können, es bildet
also eine Art Totenschrein (Abb. 188).

[Illustration:

    Phot. D. Mackay.

Abb. 174. Menschliche Amulette aus getrockneten und geräucherten
Körperteilen, die als Andenken an einen Verstorbenen von dessen
Angehörigen getragen werden.]

[Illustration:

    Phot. G. Landtman.

Abb. 175. Mann in Trauertracht von Gaima (Ostufer des Flyrivers).]

[Illustration:

    Phot. G. Landtman.

Abb. 176. Kiwaimann in voller Trauer.]

Ein eigenartiger Kultus wird mit dem Schädel von den Eingeborenen der
Geelvinkbai betrieben. Hier wird der Kopf vom übrigen Körper losgelöst,
geräuchert und schön präpariert, das heißt mit künstlichen Ohren und
Nase, die aus Holz geschnitten wurden, und mit Augen aus Fruchtkernen
oder Glasperlen versehen, sodann in einen sogenannten Korwar (Abb.
180), einem aus Holz schön geschnitzten Ahnenbild, aufbewahrt. Außerdem
wird er wie eine lebende Person behandelt; er bekommt seine Mahlzeiten,
empfängt Besuche der Anverwandten und Bekannten und wird von ersteren
um Rat angegangen. -- Die Bergstämme landeinwärts der genannten Bai
trocknen die Leiche auf einem Gerüst, in seltenen Fällen tun sie dies
auch direkt in der Hütte, wo sie den toten Körper an die Wand hängen.
Früher bestand dabei die schreckliche Sitte, das bei der Fäulnis
abfließende Leichenwasser in einem darunterstehenden Gefäße aufzufangen
und der Witwe zum Trinken zu reichen, mit der Begründung, daß sie
sterben müsse, falls sie davon nichts genieße.

Auf den Inseln am östlichen Ende Neuguineas bewahrt man nicht nur den
Schädel, sondern auch andere Knochen des Toten auf, wie die Wirbel,
Finger- und Fußknochen, desgleichen den Unterkiefer, die aufgereiht
von den Verwandten als Armbänder oder Halsschmuck getragen werden
(Abb. 174). Die langen Röhrenknochen werden zu den kleinen Spateln
umgearbeitet, mit denen man bei feierlichen Gelegenheiten die Kalkmasse
aus dem Kürbisbehälter für das Betelkauen herausholt.

[Illustration:

    Aus: v. d. Sande, Nova Guinea.

Abb. 177. Trauertracht aus Rindenstoff auf Holländisch-Neuguinea.]

[Illustration:

    Aus: v. d. Sande, Nova Guinea.

Abb. 178. Gräber auf Holländisch-Neuguinea.]

[Illustration:

    Aus: v. d. Sande, Nova Guinea.

Abb. 179. Gräber auf Holländisch-Neuguinea.]

Was den Bismarckarchipel anbetrifft, so sei zunächst die Schilderung
der Vorgänge, die sich beim Tode eines großen Häuptlings auf der
Gazellehalbinsel abspielten, hervorgehoben. Als sein Ende geahnt
wurde, ertönte die große Trommel und rief die Verwandten zum
Sterbelager. Die nächsten Angehörigen setzten sich dicht neben den
Sterbenden, befühlten ihn von oben bis unten und murmelten ihm
Trostworte zu; andere saßen umher und kauten Betel, währenddessen
die Weiber draußen ein lautes Geschrei anstimmten. Die Trommel
verkündete schließlich den Tod des Häuptlings. Darauf begann das
Wehklagen der Männer und Frauen, sowie das Dröhnen der Trommel von
neuem; dies währte die ganze Nacht hindurch. Inzwischen wurde eine
niedere Plattform errichtet, auf der am frühen Morgen die Leiche
in sitzender Stellung aufgebahrt und geschmückt wurde (Abbild.
184). In der Zwischenzeit wurden die Plantagen des Verstorbenen
zerstört und all seine Schätze zusammengesucht, die man um ihn herum
aufbaute. Jetzt traten maskierte Gestalten aus dem Walde hervor und
führten eine Reihe Tänze um den Toten auf, die von Trommelschlag
begleitet und durch Wehklagen unterbrochen wurden. Ein Verwandter
des Häuptlings legte einheimisches Geld zu seinen Füßen, das unter
die Tänzer verteilt wurde; diese zogen sich darauf zurück. Weiter
brachte man ein Kanu herbei, legte den Toten hinein, gab ihm ein
Ruder in die Hand, schmückte ihn von neuem, hüllte ihn in Matten und
trug ihn endlich zu Grabe. Das Wehklagen wurde nun stärker, und die
Verwandten ließen sich nur mit Mühe davon abhalten, nicht in das Grab
zu springen. Doch schließlich wurde dieses zugeschaufelt. Und wieder
ertönte Trommelschlag bis zum Morgen. Dadurch wollte man die Seele
des Verstorbenen weit weg nach dem Osten begleiten, an den Ort, wohin
sie vermutlich wandert und wohin die Reise vom frühen Morgen bis zum
Sonnenuntergang dauert. Als daher am nächsten Tage sich die Sonne
zeigte, spähte man nach dem östlichen Himmel aus, um zu sehen, ob eine
Wolke die dort untergehenden Sterne verhülle; war dies der Fall, dann
erblickte man darin ein Anzeichen, daß der Geist seinen Einzug gehalten
hatte. Ungefähr ein Jahr später wurde der Schädel des Häuptlings wieder
ausgegraben, rot und weiß angemalt, mit einem Federbusch geschmückt und
auf eine besondere Plattform gebracht.

[Illustration:

    Original i. Ethnogr. Museum, Dresden.

Abb. 180. Schädelkorwar aus Holländisch-Neuguinea.]

[Illustration:

    Aus: Brown, Melanesians and Polynesians.

Abb. 181. Basilakiweiber im Trauerschmuck.]

Bei den Sulka, einem Stamme des mittleren Neupommern, sind die
Begräbnisfeierlichkeiten auch für einen gewöhnlichen Mann ziemlich
umständliche. Sobald der Tod eingetreten ist, wird seine Hütte
geschmückt und sein gleichfalls schön ausgeputzter Leichnam in
sie hineingelegt, worauf wieder ein großes Wehklagen anhebt. Die
Plantagen des Verstorbenen werden auch hier verwüstet, seine Schweine
getötet und verteilt, seine Waffen zerschlagen; früher wurden auch,
falls es sich um einen reichen Mann handelte, seine Weiber getötet.
Der Leichnam wird nun am nächsten Tage in sitzender Stellung, den
Kopf über der Erde, im Hause selbst beigesetzt und mit einem Haufen
Bananenblätter bedeckt; dann werden Steine darumgelegt und wird ein
Feuer angezündet. Längere Zeit hindurch schlafen die Verwandten neben
ihm, die Männer auf der einen, die Weiber auf der anderen Seite. Sehr
wichtig ist nun die Vertreibung der Seele des Verstorbenen. Damit sie
keinen Widerstand leiste, wird der Zeitpunkt hierfür geheim gehalten
und die Vorbereitungen über Nacht getroffen. Sehr früh am nächsten
Morgen fahren plötzlich die Männer mit einem Schrei in die Höhe,
schlagen gegen die Wände des Hauses und laufen mit brennenden Fackeln
aus Kokosnußblättern umher; durch diesen Lärm entweicht darauf der
erschreckte Geist. Wenn das Fleisch des Leichnams ganz zersetzt ist,
werden die Knochen wieder ausgegraben, in einen Sack aus Blättern
gehüllt und im Hause aufgehängt. Nach Ablauf einer gewissen Zeit gibt
es einen Gedenkschmaus.

[Illustration:

    Aus: Brown, Melanesians and Polynesians.

Abb. 182. Grab eines Häuptlings auf den Salomoinseln.

Das giebelartige Gebilde enthält den Schädel des Toten, den die
geschnitzte Figur zur Rechten darstellen soll. Die Eingeborenen bringen
dem Geiste des verstorbenen Häuptlings Opfer, die auf dem Steinhaufen
niedergelegt und verbrannt werden.]

[Illustration:

    Aus „Kolonie und Heimat“.

Abb. 183. Scheiterhaufen zur Leichenverbrennung auf den Salomonen.]

In Nord-Neumecklenburg und auf Neuhannover wird der Körper eines Toten
auf Speeren aufgebahrt, von den Angehörigen von Haus zu Haus getragen
und am nächsten Tage auf eine Plattform vor seinem Hause gelegt,
unter der man einen Holzstoß errichtet. Je angesehener die Stellung
war, die der Verstorbene bekleidete, um so höher fällt die Plattform
aus. Nachdem sodann der Holzstoß in Brand gesteckt ist, besteigt ein
männlicher Verwandter die Plattform und berührt den Kopf des Toten von
Zeit zu Zeit unter Gesang mit einem Speer, so lange, bis die Flammen
ihn zum Herabsteigen zwingen. Endlich fängt auch die Plattform Feuer,
bricht zusammen, und mit ihr fällt der Leichnam in die Glut. Er wird
sodann herausgenommen, ein Stück von ihm losgelöst und unter die
Jünglinge des Dorfes verteilt, der übrige Körper aber noch einmal ins
Feuer gelegt und zu Asche verbrannt. Alle diese Vorgänge begleiten
lautes Wehklagen und Geschrei. Schließlich folgt ein Gelage. Über der
Asche des Feuers und des Toten wird ein Dach errichtet. Nach einigen
Wochen vermischt man die Aschenreste mit Kokosnußmilch; mit diesem Brei
schmieren sich die Leidtragenden den ganzen Körper ein. Die Trauer hält
eine bestimmte Zeit lang an und findet ihren Abschluß in einem Schmaus.
-- Auf Neumecklenburg treffen wir auch noch andere Bestattungsgebräuche
an. In manchen Teilen der Insel wird der Tote in einer Hütte eingebaut,
oder in einem Kanu aufgestellt, auch mit Ocker eingerieben, oder die
Daumen werden ihm zusammengebunden, so daß seine Hände wie zum Gebet
erhoben erscheinen, und der ganze Körper wird verbrannt. Anderwärts
fertigt man eine Figur des Verstorbenen in Lebensgröße an, bringt
sie morgens auf eine Plattform und verbrennt sie abends. In den
Rosselbergen legt man den Toten, in sitzender Stellung ganz und gar
mit gepulvertem Kalk bestrichen und in Blätter eingehüllt, auf einem
Querbalken unter das Dach seines Hauses, wo er jahrelang aufbewahrt
bleibt.

[Illustration:

    Aus: Parkinson, Dreißig Jahre in der Südsee.

Abb. 184. Feierlichkeit zu Ehren des auf dem Totenstuhl ruhenden
Verstorbenen von hohem Rang bei einer Duk-Duk-Gesellschaft.]

[Illustration:

    Aus: Parkinson, Dreißig Jahre in der Südsee.

Abb. 185. Aufbahren einer Leiche auf der Gazellehalbinsel.]

In einer Küstengegend der Admiralitätsinseln, wo die Häuser auf Pfählen
in die See hineingebaut sind und es besondere Hütten für die Frauen
gibt, wird der Tote in einem solchen Frauenhaus mit dem Kopfe nach
der See zu aufgebahrt; hier verbleibt er bis zur völligen Verwesung.
Die Weiber bewachen die Leiche, entfernen das faulende Fleisch,
versenken es in Körben in das Meer, das Skelett aber waschen sie mit
Seewasser und begraben es in Körbe verpackt in der Erde, mit Ausnahme
des Schädels, der Rippen und der Knochen der Unterarme, die in einen
zweiten Korb gelegt und in die See hinabgelassen werden, bis alles
gebleicht und sauber geworden ist. Dann legt man die Knochen mit
scharf riechenden Kräutern in eine hölzerne Schüssel und bringt sie
in das Haus, in dem der Verstorbene lebte. Aus den Zähnen verfertigen
sich die Geschwister eine Halskette. Bei einer späteren Festlichkeit
werden die zurückbehaltenen Knochen unter die nahen Verwandten
verteilt, die sie zum Andenken an den Verstorbenen tragen. Der Schädel
indessen wird für eine noch spätere, ganz besonders wichtige Zeremonie
zurückgelegt, zu der ausgedehnte Vorbereitungen getroffen werden. Zu
diesem Zweck wird eine prächtig geschnitzte Plattform hergestellt, die
den Schädel aufnehmen soll. Am anderen Morgen kniet der Veranstalter
der Festlichkeit nieder, ein Zauberer setzt sich auf seine Schultern
und hält sich an seinen Haaren fest; dadurch will er jenem Kraft
verleihen, damit er seinen Pflichten beim Fest gewachsen ist. Darauf
ertönt Trommelschlag in der ganzen Umgegend, die Gäste strömen herbei,
und wenn sie versammelt sind, hält der Veranstalter (gewöhnlich der
Sohn des Verstorbenen) eine Ansprache, in der er den Toten und die
Anwesenden, auch sich selbst lobt und ihre Feinde schmäht. Schließlich
tritt unter Trommelwirbel der Zauberer hervor und nimmt den Schädel
in die Hand, worauf der Festgeber ihn mit einem in Öl getauchten
Drakänenzweig schlägt und dabei die Worte ausruft: „Du bist mein
Vater“; nach einer Weile wiederholt er den gleichen Vorgang und ruft
dieses Mal: „Empfange diese Speise, die dir zu Ehren zubereitet wurde“,
und beim dritten Male: „Beschütze mich, beschütze mein Volk, beschütze
meine Kinder“. In jeder Pause werden die Trommeln geschlagen, und
ein Trommelzeichen beschließt auch die Feier, worauf das eigentliche
Freudenfest einsetzt. Der Schädel wird stets sorgfältig aufbewahrt.

Auf dem Bismarckarchipel gibt es in manchen Gegenden auch
Gesellschaften, die gewissermaßen den Geheimbünden gleichen, nur daß
sie ihre Tätigkeit ausschließlich zum Andenken Verstorbener entfalten.
Diese Gesellschaften halten das ganze Jahr hindurch Aufführungen und
Zeremonien auf ihren geheimen Plätzen ab, aber einmal im Jahre nehmen
sie zu Ehren der Toten eine öffentliche heilige Handlung vor, bei
welcher geschmaust und getanzt wird (Abb. 186). Wenn sie die heiligen
Masken auf den Tanzplatz bringen, so tun sie es unter Wehklagen und
lautem Ausrufen der Namen der Gestorbenen, zu deren Ehren sie die
Masken angefertigt hatten; die Weiber schreien ebenfalls, raufen sich
die Haare aus und reißen sich sogar die Kleider vom Leibe, gleichsam
als ob sie den Verstand verloren hätten. Auf der Gazellehalbinsel wird
der Tote nochmals in sitzender Stellung aufgebahrt (Abb. 185) und
geschmückt, die Maskentänzer führen ihm zu Ehren einen Tanz auf, dem
andere Zeremonien folgen. Auch die Duk-Duk-Leute führen beim Tode ihrer
Mitglieder Tänze auf (Abb. 184).

[Illustration:

    Aus: Parkinson, Dreißig Jahre in der Südsee.

Abb. 186.

Maskierte Tänzer einer geheimen Gesellschaft auf Neumecklenburg,

die im Gegensatz zu den anderen Gesellschaften ihre Tänze nur zu Ehren
ihrer Toten aufführen.]

Auf den Salomonen endlich sind die Trauergebräuche im allgemeinen den
oben geschilderten ähnlich. Auch hier trauern die Weiber, indem sie
sich Kopfhaar, Gesicht und Oberkörper mit einer aus Kokosnußöl und
Holzkohle bereiteten breiigen Masse einreiben und dumpfe, eintönige
Klagelieder, die den Lebensgang des Abgeschiedenen sowie seine Taten
verherrlichen, anstimmen. Die Leiche wird darauf auf einen Holzstoß
gelegt und dieser angezündet; die Männer werfen Yamswurzeln, Taro,
Bananen und andere Früchte, Wohlhabendere auch Hunde und Schweine in
die Glut, damit diese Speisen dem Verstorbenen als Wegzehrung für seine
lange Reise dienen. Die Weiber sitzen unterdessen, in burnusartige
Gewänder aus Bananenblättern gehüllt, um den Scheiterhaufen und setzen
ihre klagenden Sterbegesänge fort. Die Überreste des Toten werden aus
der Asche von den männlichen Anverwandten sorgfältig gesammelt und in
einem Mattenkorb aufbewahrt. Zum Andenken an ihn errichtet man über
der Verbrennungsstätte kleine zusammenhängende Häuschen aus Bambus
und den trockenen Blättern der Sagopalme, in denen der Korb mit den
Knochenresten zeitweilig aufgestellt wird. Wenn Wind und Wetter diese
kleinen Ahnenhäuschen zerstört haben, werden die Knochenreste in
ein Kanu gelegt, von jungen Männern in die See hinausgefahren und
hier versenkt. -- Auf Holländisch-Neuguinea werden die Leichen in
hausförmige, überdachte Särge gelegt, die jedoch manchmal so schmal
sind, daß nur die Knochen darin untergebracht werden können (Abb. 187).

[Illustration:

    Aus: Van der Sande, Nova Guinea.

Abb. 187. Am Grabe des Mannes trauernde Witwe (Holländisch-Neuguinea).]

[Illustration:

    Phot. A. C. Haddon.

Abb. 188. Kindermumie von den Inseln der Torresstraße.]

Im Anschluß hieran mögen noch einige Worte über die +Begräbnisgebräuche
beim Tode von Kindern+ folgen. Trotz ihrer niederen Kultur scheint
vielen Melanesiern der Tod ihrer Kleinen doch nahe zu gehen.
Verschiedentlich lesen wir, daß die Eltern die üblichen Totenklagen
ihretwegen anstimmen und sich das Gesicht schwärzen, wie beim Tode
eines Erwachsenen. Auf Kaiser-Wilhelms-Land trennen sich die Eltern
schwer von ihren Lieblingen; sie bemalen sie mit Ocker, wickeln sie in
Blätter ein und bewahren sie eine Zeitlang in ihrer Hütte auf. Bei den
Papua der Torresstraße soll der Fall vorgekommen sein, daß eine Mutter
ihr totes Kind beständig auf ihrem Rücken mit sich herumschleppte (Abb.
188), und ein Papua von Doreh soll sich das Bild seines Söhnchens
auf den Rücken haben einbrennen lassen. Bei den Mafulu herrscht die
seltsame Sitte, daß eine Frau, die ein Kind verloren hat, sich einen
ihrer Finger amputieren läßt; sie unterzieht sich dieser Prozedur
jedesmal, wenn sie dasselbe Unglück trifft; manchmal sogar drei- bis
viermal hintereinander.



[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Native Tribes of Central-Australia.

Abb. 189. Hochwerfen eines Knaben in die Luft bei einer der
Aufnahmezeremonien des Aruntastammes.]



Australien.


Die Eingeborenen Australiens bieten in ihrem Äußeren ein im großen
und ganzen einheitliches Bild dar, das sie deutlich sowohl von den
Schwarzen Melanesiens als denen Afrikas unterscheidet, wenngleich
zwischen einzelnen Stämmen manche Abweichungen nicht zu verkennen
sind, was in erster Linie wohl mit der verschiedenen Lebensweise,
im besonderen der Ernährung, sodann aber auch mit der verschiedenen
ethnischen Mischung zusammenhängen dürfte. Sie sind eine Rasse von
etwas über Mittelgröße; die Männer werden im Durchschnitt etwa
hundertundsechzig bis hundertachtundsechzig Zentimeter hoch, jedoch
kommen gelegentlich auch große Leute vor. Trotzdem sie im allgemeinen
eine leidlich gut entwickelte Muskulatur besitzen, fallen die
Australier doch durch ihre große Magerkeit auf, die nicht selten so
hochgradig ist, daß man sozusagen die Knochen durch ihre Haut sehen
kann. Fettansatz fehlt ihnen zumeist, wohl infolge ungenügender
Ernährung. Dessenungeachtet ist ihr Körper auffällig geschmeidig
und ziemlich leistungsfähig. Daneben gibt es aber auch Stämme von
kräftiger, muskulöser Gestalt, und zwar dort, wo die Lebensbedingungen
günstigere sind. Die samtweich sich anfühlende Haut der Australier
wird für gewöhnlich als schwarz beschrieben, in Wirklichkeit aber
ist ihre Farbe mehr ein Schokoladenbraun; es kommen aber alle
möglichen Schattierungen vom dunkleren Schwarzbraun bis zum Braun des
Milchkaffees vor. Vielfach wird eine dunklere Farbe durch Einreiben
mit Ocker vorgetäuscht. Der Haarwuchs ist sehr üppig, selbst die Arme
sind zumeist mit kurzen, gekräuselten Haaren dicht bedeckt, oft genug
auch die ganze Körperoberfläche. Das Kopfhaar ist gewellt oder lockig,
und fällt für gewöhnlich bis auf die Schultern herab. Seine Farbe
ist ein glänzendes Schwarz mit einem Stich ins Braune oder Rotbraune;
etwa vorkommende rötliche Haare rühren vom Färben her. Der Bart pflegt
gut entwickelt zu sein. Der Schädel ist von langer, ziemlich hoher
Form. Das Gesicht ist niedrig und breit, die Backenknochen stehen
etwas vor, die niedrige, schmale Stirn dagegen tritt sehr zurück.
Bemerkenswert sind die kräftig entwickelten Augenbrauenwülste, die
große, ausdrucksvolle, tiefliegende Augen überschatten. Die Nase ist
kurz und dick, besitzt einen gerade verlaufenden Rücken und dicke
große Flügel; die Nasenwurzel ist durch eine scharfe Einsattlung von
der Stirn abgesetzt. Diese eigenartige Gesichtsbildung verleiht den
Australiern etwas ungemein Abstoßendes (Abb. 190 und 191).

Die +geistigen und sittlichen Eigenschaften+ der Australier werden
vielfach unterschätzt. Sie sollen nach dem Zeugnisse guter Kenner
über leichte Auffassungsgabe, scharfes Denken, gutes Vermögen, die
Dinge geistig zu verarbeiten, und ein vorzügliches Gedächtnis verfügen
und sich durch persönlichen Mut, Standhaftigkeit, Entschlossenheit,
Ausdauer, Selbstbeherrschung, Stolz, Zuneigung zu Familienmitgliedern
und ein gewisses Gefühl der Stammeszugehörigkeit auszeichnen. Daneben
weisen sie aber auch eine Reihe schlechter Eigenschaften auf, wie
Habsucht, Gefühllosigkeit, Rachsucht, Undankbarkeit, Mißtrauen,
Lügenhaftigkeit, Trägheit und große Unreinlichkeit. Seit der Entdeckung
Australiens durch die Europäer und der Besitzergreifung der brauchbaren
Landstrecken durch sie ist die eingeborene Bevölkerung in stetem
Rückgange begriffen, zumal da die Kolonisatoren rücksichtslos gegen
sie vorgegangen sind und epidemische Krankheiten verheerend auf sie
eingewirkt haben.

[Illustration:

    Aus Straß, Naturgeschichte des Menschen.

Abb. 190. Australisches Mädchen.]

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 191. Australierin mit Schmucknarben.

Die bei den Eingeborenen als schön geltenden Narben werden ihnen in der
Zeit des Wachstums beigebracht.]

Die Australier +leben+ zerstreut über das Land +in kleinen Gruppen+
zusammen, in +Horden+ von höchstens hundert Mitgliedern, die das Land
durchstreifen und deren mehrere sich gewöhnlich zu einem Stamme,
allerdings oft genug in ganz losem Zusammenhange aneinandergeschlossen
haben. Jede Horde besitzt eine ziemliche Selbständigkeit und erledigt
ihre eigenen Angelegenheiten; die Ordnung innerhalb der Gruppe liegt in
den Händen älterer Männer, die sich durch große Klugheit, Gewandtheit,
Mut und gewisse Zauberkräfte vor den anderen hervorgetan haben und
darauf achten, daß die überkommenen Gebräuche streng weiter bewahrt
und Übertreter bestraft werden. -- Das gemeinsame Band, das die Horden
eines Stammes umschlingt, pflegen in erster Linie die gemeinsame
Sprache oder Mundart, ferner gemeinsame Gewohnheiten und Anschauungen
sowie gegenseitige Heirat und Tauschverkehr zu sein. Der Grund dafür,
daß es in Australien zu keiner Bildung größerer Verbände unter den
Eingeborenen gekommen ist, liegt darin, daß die trockene, dürre Natur
des Landes größere Menschenansammlungen nicht zu ernähren imstande
ist. -- In ihrer +Nahrung+ sind die Australier nicht wählerisch;
sie genießen alles, was sie auf ihren Streifzügen auf dem Lande und
zu Wasser erbeuten, hauptsächlich Beuteltiere, wie zum Beispiel das
Känguruh und Opossum, ferner Emue, Schlangen, Fische und so weiter,
und was ihre Weiber mit Hand und Grabstock an Wurzeln, Früchten,
Pilzen, Flechten und kleinem Getier wie Würmern, Larven, Insekten,
Ameisen, Heuschrecken, Raupen aus dem Boden ausgraben oder auflesen.
Mit großem Geschick verstehen sie sich darauf, der Fährte des Wildes
nachzugehen, sich an dasselbe wie ein Raubtier heranzupirschen und
aus unmittelbarer Nähe mittels Wurfspießes zu erlegen. Wenn der Wind
ungünstig steht, beschmieren sich gewisse Stämme Südaustraliens mit
Schlamm, um der Witterung vorzubeugen, oder, wenn es an Deckung fehlt,
bedecken sie ihren Körper mit stark beblätterten Zweigen; bei der Jagd
auf Wasservögel hüllen sie ihr Haupt in Schilf. Die Fische werden im
seichten Wasser entweder mit der Hand direkt ergriffen oder mittels
eines flachen Gegenstandes aufs Trockene geschleudert; in tieferen
Gewässern benutzt man Schlepp- oder Stellnetze, auch Hürden und Dämme,
sowie Fischspeere. -- Kleinere Tiere, sowie Wurzeln und Knollen werden
roh verzehrt, alles übrige in glühender Asche, auf heißen Steinen
oder, wie wir es in Polynesien bereits kennen lernten, in erhitzten
Erdgruben geröstet, beziehungsweise gargekocht. Das dazu erforderliche
Feuer gewinnt man entweder durch Bohren, Quirlen oder Reiben.
Menschenfresserei kam früher häufig vor, war aber wohl kaum allgemein
verbreitet. Sie entsprang dem Bestreben, durch Verzehren von Herz und
Nieren seines Feindes sich dessen gute Eigenschaften, in besonderem
Mut anzueignen, sowie der Rachsucht, Leckerei und in Zeiten der Not
auch dem Mangel an Fleisch. Im Innern des australischen Erdteils
scheint man dieser Unsitte noch zu frönen; hier bestand auch früher
Endokannibalismus, das heißt das Leichenverzehren von Angehörigen.

[Illustration:

    Aus: Weule, Leitfaden der Völkerkunde.

Abb. 192. Windschirm, den Australiern als Wohnung dienend.]

Die +Wohnungen+ der Australier sind, entsprechend ihrer
umherschweifenden Lebensweise, die denkbar primitivsten. Zumeist sind
sie nicht über einfache Windschirme oder Wetterdächer aus Rindenstücken
oder Zweigen hinausgekommen (Abb. 192). In Nord- und Zentralaustralien
sind dagegen wirkliche Hütten eine keineswegs seltene Erscheinung.

Obwohl das Klima, besonders im Süden, stellenweise recht rauh ist und
häufig empfindliche Wetterstürze stattfinden, ist die +Bekleidung+ des
Australiers eine nur geringe. Man kann bei ihm mehr von einem Schmuck
als von einer Bedeckung sprechen. Die Männer tragen meistens einen
Rinden- oder Bastgürtel, ein winziges Band aus gedrehten Menschenhaaren
oder ein Stückchen Perlschnur; in den Gegenden, wo das Klima einem
schroffen Wechsel unterworfen ist, werden zum Schutze gegen Kälte und
Regen kleine Mäntel aus Känguruh- oder Opossumfell oder Matten über den
Rücken gehängt. In der gleichen Weise wie die Männer bekleiden sich die
Frauen; charakteristisch für sie ist stellenweise ein Mantelsack aus
Känguruhfell, in dem sie die Säugekinder mit sich schleppen. In manchen
Gegenden aber gehen beide Geschlechter, zumal auf ihren Wanderungen,
am liebsten splitternackt. Dagegen legt man allgemein auf reichliche
Körperbedeckung bei den Festen und Tänzen Wert.

[Illustration:

    Phot. W. E. Roth.

Abb. 193. Weiber aus Nordqueensland,

die zum Gesang der Männer bei einer Festlichkeit mit ihren Händen den
Takt schlagen.]

Der eigentliche +Schmuck+ besteht aus Schnüren aus Menschenhaar
oder Pelzstückchen um den Hals oder Oberarm. Sehr beliebt ist in
vielen Gegenden ein Putz aus den Schwänzen kleiner Tiere; nicht minder
verbreitet sind Perlmuscheln, Tierzähne, Krebsschalen, Rohrstengel,
geflochtene Grasreifen und ähnliches mehr. Besonders das männliche
Geschlecht bevorzugt den Schmuck. Zum Verzieren des Körpers zählen
auch die Hautbemalung in den Farben Schwarz, Weiß, Rot, auf die wir
gelegentlich der Schilderung der verschiedenen Festlichkeiten noch
zurückkommen, das Färben der Haarkrone mit Erde und das Erzeugen von
Narbenwülsten auf Brust und Rücken; das letztere ist eine bei beiden
Geschlechtern weit verbreitete Sitte (Abb. 191 und 193). Diese Narben,
die aus Einritzungen der Haut mittels Steinmesser oder einfacher
Steinsplitter hervorgehen, sind meistens quer verlaufende, reliefartig
hervortretende Stränge, die nicht nur zur Verschönerung dienen, sondern
auch Alters- und Rangabzeichen darstellen, sowie den Schmerz über
den Tod eines Angehörigen andeuten sollen. Viele Stämme Australiens
betreiben noch andere +körperliche Verunstaltungen+, die ähnliche
Bedeutungen haben, wie das Durchbohren der Nasenscheidewand und
Ausschlagen eines Vorderzahns (Abb. 204). Eine unter den australischen
Stämmen sehr verbreitete, ganz sonderbare Unsitte ist das Aufschlitzen
der männlichen Harnröhre (von den Zentralaustraliern mika genannt),
deren Zweck uns unbekannt ist. Früher glaubte man in diesem operativen
Eingriff eine antikonzeptionelle Präventivmaßregel erblicken zu
dürfen, indessen sprechen verschiedene Gründe (relative Unwirksamkeit,
Unwissenheit der Australier über die Bedeutung dieser Verstümmlung,
Unkenntnis des Vorganges der Konzeption) gegen eine solche Auslegung.
Neuerdings glaubt man, dieser seltsamen Prozedur homosexuelle Bedeutung
beilegen zu sollen. Der +Geschlechtstrieb+ der Australier ist
ein ziemlich reger, zumal die Kinder in ganz frühen Jahren von den
Eltern in die Geheimnisse des geschlechtlichen Lebens eingeweiht
werden. Die Mädchen verlieren ihre Reinheit schon, sobald sich der
Fortpflanzungstrieb einstellt, was bereits um das achte bis zwölfte
Lebensjahr der Fall ist; sie geben sich dann etwas älteren Knaben
preis. Das weibliche Geschlecht soll besonders wollüstig veranlagt
sein. Trotzdem gehen die Australier nicht wahllos Verbindungen
miteinander ein, sondern ihr Geschlechtstrieb scheint im großen und
ganzen auf eine bestimmte Person gerichtet zu sein. Die strengen
Vorschriften bei Eingehen der Ehe regeln außerdem den geschlechtlichen
Verkehr. Nur gelegentlich der großen Korroborietänze, die vielfach
unter obszönen Bewegungen getanzt werden, herrscht bei manchen Stämmen
allgemeine geschlechtliche Vermischung.

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 194. Australierin vor einem Steine,

der als der Sitz von Kindergeistern gilt.]

[Illustration:

    Phot. Kerry & Co.

Abb. 195. Szene aus einer Borazeremonie (Ostaustralien).

Die einzuführenden Jünglinge müssen eine Anzahl Pantomimen mitmachen,
die ihnen die Männer nachher erklären.]

Die Tatsache, daß verschiedene Australierstämme nicht wissen, daß
der Mensch aus dem Kohabitationsakte hervorgeht, sondern über seine
Entstehung noch ganz primitive Auffassungen haben, gibt uns Anlaß,
hierauf etwas näher einzugehen. Entsprechend den ursprünglichen
Ansichten der Naturvölker, daß die Geister der Verstorbenen unter
anderem in den Wäldern umherstreifen, in den Bäumen und Pflanzen
Wohnung nehmen und sich wieder zu Menschen umwandeln können, glauben
die Australier, daß ein Pflanzengeist bei der Entstehung eines neuen
Menschen in ein Weib fährt und sich in ihm dazu ausbildet, daß es
sich also bei der Geburt um eine Inkarnation, Wiederfleischwerdung
eines Ahnen handelt. Sie halten daher auch eine Beteiligung des Vaters,
das heißt den Geschlechtsverkehr für belanglos, höchstens meinen
sie, daß dadurch die Geschlechtswege passierbar für den Austritt des
Kindes gemacht werden. Die Arunta bilden sich zum Beispiel ein, daß
in gewissen Steinen Kindergeister stecken, die sowohl durch Zauber
wie durch eigene Macht in den Körper eines Weibes übergehen, und zwar
durch den Nabel in der Größe eines kleinen Sandkornes, das aber bereits
vollkommen gestaltete menschliche Wesen, Knaben oder Mädchen, vorstelle
und Leben und Seele besitze. Auf einem solchen Steine befindet sich ein
kleines rundes Loch, durch das die Geister vermutlich hinausgelangen
(Abb. 194). Über ihm ist ein schwarzer Strich mit Holzkohle gezogen,
und jedermann, der diese Stätte zufällig besucht, erneuert ihn. Dieser
Strich trägt den gleichen Namen, wie der Streifen, den dieser Stamm
über die Augen eines neugeborenen Kindes zur Abwendung von Krankheiten
zeichnet. Wenn Frauen diesen Stein aufsuchen, so tun sie dies, um
schwanger zu werden. Ein Mann, der die Kraft und den Willen dazu
besitzt, kann die Frauen aus seiner Umgebung dazu bringen, daß sie
Kinder bekommen, wenn sie zu diesem Steine gehen und einen Zauberspruch
über ihn sprechen. Anderseits, wenn eine junge Frau an diesem Steine
vorbei muß, aber keinen Nachwuchs mehr haben möchte, dann sucht sie
den Geist des Steines über ihr Alter zu täuschen, indem sie sich als
ein altes Weib gibt, ihr Gesicht in Falten zieht, sich vornüber bückt
und an einem Stock geht, auch mit bebender Stimme, wie sie alte Frauen
haben, ausruft: „Komm nicht zu mir, ich bin eine alte Frau“. Auf diese
Weise hofft sie unbehelligt von den Kindergeistern gelassen zu werden.
Interessant ist der Glaube, daß irrtümlicherweise auch in einen Mann
ein solches Geisterkind hineingehen könne; in diesem Falle stirbt er,
obgleich ein geschickter Medizinmann vielleicht imstande ist, ihn zu
retten.

[Illustration:

    Phot. ~The Royal Colonial Institute~.

Abb. 196. Baum mit Mustern,

die für die Borazeremonie eingeschnitten werden.]

Wie bereits erwähnt, ist es der Ahnengeist, der die +Kinderkeime+
(ratapa) außerhalb des Mutterleibes entstehen und bei passender
Gelegenheit in sie hineintreten läßt. Als Wohnsitz solcher Kinderkeime
gelten Bäume, Felsen, Steine, Wassertümpel und die Tschuringa oder
das +Schwirrholz+. Letzteres ist ein flaches längliches Stück
Holz oder ein Stein, die an einem Ende durchbohrt und mit einer Schnur
versehen sind; wird das Tschuringa rasch und kräftig gedreht, dann
gibt es einen sausenden Ton (wie unsere Waldteufel) von sich. Daß
diesem Gerät, das übrigens bei den Zeremonien der Australier eine große
Rolle spielt, wie wir noch sehen werden, der Wohnsitz eines ratapa
zugeschrieben wird, kommt daher, daß nach dem Glauben der Australier
die Bäume, aus denen es hergestellt wird, aus dem Körper eines von
zwei Hunden zerrissenen geisterhaften Wesens, namens Murtamurta,
gewachsen sind. Eine nähere Berührung mit den angeführten Gegenständen
hat zur Folge, daß eine Frau guter Hoffnung wird. Badet eine Frau zum
Beispiel am Proserpine River (Queensland), so gehen die Kinderkeime der
Pandanuswurzel in sie über; hat sie bei einem anderen Stamm nach dem
Genuß von Lalitjafrüchten Erbrechen, dann ist dies ein Anzeichen, daß
der Lalitjakindeskeim durch ihre Hüften in sie eindrang, oder schlägt
sie einen Gummibaum mit einem Beil, dann wird dadurch gleichfalls ein
Kinderkeim frei. Diese Kinderkeime gehen nun keineswegs immer sogleich
in Menschengestalt in den Leib des Weibes über, sondern auch in der
eines Tieres, zum Beispiel eines Regenvogels (Mädchen) oder einer
Schlange (Knaben) und anderes mehr, verwandeln sich aber im Mutterleib
wieder in einen Menschen. Auch die Berührung einer Frau mit einem
Tschuringaholz genügt, um sie in gute Hoffnung kommen zu lassen.

Während der +Schwangerschaft+ ist die Australierin, wie wir es
schon von der Melanesierin her kennen, bestimmten Speiseverboten
unterworfen, jedoch scheinen diese nicht so umfangreich wie dort zu
sein. Sie darf gewisse Fleischspeisen, hauptsächlich vom Ameisenigel,
Känguruh, Opossum, Emu und Schlangen, bei anderen Stämmen überhaupt
kein Fleisch genießen. Als Grund für diese Einschränkungen wird
angegeben, daß entweder die Mutter eine schwere Krankheit davon
bekomme, oder das Kind am Mutterleibe anwachse oder sterbe und so
weiter. Meistens ist auch der Mann an diese Vorschriften gebunden.
Bei den Urubunna geht er während dieser Zeit auch nicht auf die
Jagd, denn der Geist des Tieres, von dessen Fleisch er aß, würde ihn
begleiten, das Wild warnen und das Wurfgeschoß ablenken.

[Illustration:

    Phot. W. E. Roth.

Abb. 197. Fadenspiele aus Nordqueensland.

Sie stellen vor (linke Reihe von oben nach unten:) zwei Männer, die
ein Tal hinabsteigen; zwei Ratten nebeneinander; vier in einer Reihe
gehende Knaben, die sich die Hände reichen; einen laufenden Emu; eine
Fledermaus; zwei ruhende Kakadu; (mittlere Reihe:) einen Kasuar; ein
Krokodil; einen Mann, der auf einen Baum klettert; eine Schildkröte;
(rechte Reihe:) eine Schildkröte; zwei weiße Kraniche; zwei mit Stöcken
fechtende Frauen; eine fliegende Ente; zwei Fische; ein Känguruh.]

[Illustration:

    Phot. Kerry & Co.

Abb. 198. Szene aus einer Borazeremonie.

Die Medizinmänner des Stammes führen eine Reihe von Handlungen, die nur
in Kunstgriffen bestehen, aus, um die Knaben in dem Glauben, daß sie
zaubern können, zu bestärken.]

Über die +Geburt+ der Australierin habe ich nichts Näheres in Erfahrung
bringen können. Die Abnabelung wird mittels Muschel, Känguruhknochen,
Stein oder Obsidianmesser vorgenommen und gibt verschiedentlich Anlaß
zu bestimmten Zeremonien. Bei den Narrinjeri bewahrt der Vater die
+Nabelschnur+ sorgfältig in einem Bündel Federn auf. Übergibt er
dieses Bündel dem Vater eines Kindes aus einem anderen Stamme, dann
werden beide Kinder Ngia Ngiampe, das heißt sie dürfen, solange die
Nabelschnur nicht wieder zurückgegeben ist, miteinander nicht nur nicht
sprechen, sondern sich auch nicht berühren oder überhaupt nahekommen.
Nach der Rückgabe des Büschels erlischt diese Vereinbarung. Über ihren
Zweck sich näher auszulassen, würde zu weit führen. -- Wirft bei den
Westaustraliern die Mutter die Nabelschnur ins Wasser, dann wird der
Sohn später ein guter Schwimmer. Die Kaitisch (Zentralaustralien)
wickeln den Nabelstrang in Pelzstreifen und binden diese dem Kinde um
den Hals. Die Warrunga, die ähnlich damit verfahren, überreichen sie,
falls es sich um ein Mädchen handelt, das der Oheim mütterlicherseits
verheiraten muß, später diesem, der sie eine Zeitlang in seinem Armband
trägt und dem Vater des Kindes Waffen schenkt; er darf aber das
Kind selbst nicht eher sehen, als bis es laufen kann. Sobald dieser
Zeitpunkt gekommen ist, erhält er vom Vater Pelzstreifen übersandt,
kommt ins Lager, sieht sich das Kind an und bringt dem Vater Geschenke
mit. Den Nabelschnurrest legt er in einen hohlen Baum, dessen Ort er
niemanden verrät. Bei den Kaitisch müssen der Vater und die Großeltern
mütterlicherseits während der Entbindung im Busch sich aufhalten; bei
der Rückkehr bringt der Großvater einen Strauß mit und berührt mit ihm
das Haupt der Wöchnerin, die darauf ihr Kind in einem hölzernen Gefäß,
das als Wiege dient, in die Höhe hebt und es der Großmutter reicht.
Diese reibt das Kind an ihrem Magen herum und wirft es mehrere Male in
die Höhe, dann umarmt sie es von rückwärts. Der Vater wärmt bei seiner
Rückkehr einen Speer über dem Feuer und läßt ihn über dem Neugeborenen
hin und her gleiten. Darauf zeichnet er dem Kinde einen schwarzen
Kreis um die Augen und den Nabel und gibt es der Mutter zurück. -- Die
+Namengebung+ findet bei einigen Stämmen sogleich nach der Geburt,
bei anderen erst nach Wochen statt. Die Bewohner des unteren Murray
halten es für unheilbringend, dem Kinde einen Namen zu geben, ehe es
gehen kann. In noch anderen Gegenden erfolgt eine zweite Namengebung,
zum Beispiel im Knabenalter. In Westaustralien tauscht man seinen Namen
als Zeichen der Freundschaft aus. Bei den Muralug (Kap York) wird
in Gegenwart aller Verwandten bei der Namengebung eine Festlichkeit
veranstaltet, der Vater aber darf dabei nicht anwesend sein. Die Mutter
hält das Kind über einen Karamubusch und fleht den Segen der Götter auf
das Neugeborene herab.

[Illustration:

    Phot. Kerry & Co.

Abb. 199. Szene aus der Borazeremonie der Stämme Ostaustraliens.

Die Jünglinge werden mit bedecktem Kopf den Pfad von einem Teil des
Borakreises zum anderen längs der eingegrabenen Zeichnungen geführt.]

+Zwillinge+ werden in Zentralaustralien sofort getötet, verkrüppelte
Kinder entweder ebenfalls aus dem Wege geräumt oder aus Aberglauben am
Leben gelassen und verehrt. Überhaupt ist in allen Teilen Australiens
der Kindsmord sehr verbreitet, die englische Regierung vermag hiergegen
wenig auszurichten. Oberländer sah am Murray ein Weib, das zehn bis
elf ihrer Kinder getötet hatte. Der Grund für diese Grausamkeit
liegt darin, daß man von einer größeren Anzahl Kinder, meistens bei
mehr als zwei, nicht erbaut ist, weil sie bei der Erziehung unter
den obwaltenden recht ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnissen
Schwierigkeiten bereiten und auf den langen Märschen lästig fallen. Die
getöteten Kinder wurden früher allgemein gegessen, und zwar beteiligten
sich an dem Mahl nur die Frauen.

[Illustration:

    Phot. Kerry & Co.

Abb. 200. Szene aus einer Borazeremonie.

Die Männer gehen mit Speeren auf ein in den Sand gezeichnetes Känguruh
los.]

[Illustration: Abb. 201. Szene aus einer Einführungszeremonie des
Warramungastammes.

Das Schweigegebot, das den Jünglingen bei dieser Zeremonie auferlegt
wird, wird durch Berührung des Hauptes eines der alten Männer mittels
eines beblätterten Zweiges gelöst.]

Auch die Australierin säugt ihre Kinder lange Zeit, in der Regel vier
bis fünf Jahre lang. Solvado beobachtete nicht selten, daß Knaben
ihr Waffenspiel unterbrachen und zur Mutter eilten, die gerade einem
jüngeren Kinde die Brust reichte und sie auch damit versorgte.

Bis zum Alter von etwa sieben Jahren wachsen die +Knaben+ mit den
Mädchen zusammen unter der Obhut der Mutter auf, dann werden sie
getrennt; sie erhalten fortan +Unterweisung+ in mancherlei Künsten.
So eignen sie sich die Kenntnisse, die sie als Jäger brauchen, an,
indem sie im Lande umherstreifen und die Beschaffenheit und den
Aufenthaltsort von Tieren und Pflanzen, die als Nahrung dienen, kennen
lernen; dadurch erwerben sie sich gleichzeitig eine staunenswerte
Beobachtungsgabe. Sie werden ferner in dem Gebrauch der Waffen
unterwiesen und erfahren das Nötigste von den Gebräuchen des Stammes.
Alles dieses wird den Knaben gleichsam spielend beigebracht, nicht
durch systematische Belehrung. Bei einigen Stämmen ist es Sitte,
die Knaben, sobald sie das richtige Alter erreicht haben, aus dem
Heimatdorfe fortzuschicken, um einige Monate unter den Leuten einer
anderen Gruppe desselben Stammes oder auch von fremden Stämmen
zuzubringen und hier ebenfalls Erfahrungen zu sammeln. Während dieses
Aufenthaltes kümmern sich die Männer der Gruppe, bei welcher der Knabe
untergebracht ist, um seine Erziehung; er lernt dadurch andere Orte
und Gebräuche kennen, gewinnt neue Freunde und zieht manchen Vorteil
für sein späteres Leben aus solcher „Pension“. Nach Ablauf dieser Zeit
kehrt er in die Heimat zurück, wobei ihn ein paar Männer begleiten,
die hier einige Tage lang bewirtet werden, und wird dann als Mann
aufgenommen; dieses Ereignis wird für gewöhnlich durch irgend eine
Zeremonie zum Ausdruck gebracht. Die Stammesgruppe, die sich in der
geschilderten Weise für den Knaben verpflichtete, pflegt meistens einen
ihrer eigenen Knaben zur Erziehung der Gruppe zu übergeben, aus welcher
dieser Knabe stammt; es besteht also gleichsam ein Austausch der
Kinder. Dieser beschränkt sich aber nicht nur auf bestimmte Gruppen,
sondern der eine Knabe geht in diese, der andere in jene Gruppe zur
Ausbildung. Es bahnt sich dadurch ein engeres Verhältnis zwischen den
einzelnen Personen wie zwischen den verschiedenen Gruppen eines und
auch eines fremden Stammes an.

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 202. Tanzunterricht der Knaben für einen Korroborie.

Der alte Mann lehrt sie diesen Tanz. Er singt und schlägt den Takt dazu
mit zwei Bumerangs.]

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 203. Zeremonialgegenstände der Australier.

An beiden Seiten sind Zauberstöcke dargestellt, mit denen die
Eingeborenen glauben, durch „Zielen“ auf einen Menschen diesem
Unheil bringen zu können; oben ist ein Halsschmuck der Leute des
Adlerhabichtclans, unten ein Tschuringa und in der Mitte ein Halsband
mit Quaste abgebildet.]

Schon beim Heranwachsen zum Jüngling haben die Knaben sich bestimmten
+Speiseverboten+ zu unterziehen. Die verschiedenen Stämme besitzen ihre
eigenen Bestimmungen darüber, aber es gelten immer die beliebtesten
Speisen als verboten, zum Beispiel der Emu, der für die Australier
eine große Delikatesse bedeutet, oder in den Küstengegenden der Dugong
oder die Schildkröte; sonstige Gerichte, die anderwärts auf dieser
Verbotstafel stehen, sind das Stachelschwein, der Wombat, Aale, Emueier
und Honig. Je mehr sich der heranwachsende Jüngling dem Mannesalter
nähert, um so mehr werden für ihn diese Speiseverbote eingeschränkt,
ihm die beliebten Speisen also wieder freigegeben. Zu einem bestimmten
Zeitpunkte entscheiden ein paar Männer darüber, ob er jetzt von einem
bestimmten Verbot zu befreien ist, etwa von dem Verbot, Fleisch vom
Beuteldachs (Bandikut) zu essen. Es wird dafür ein solches Tier
eingefangen und gekocht; einer der Männer reibt dem Jünglinge das
Fett über den Mund und gibt ihm von dem Fleisch zu essen; fortan ist
es ihm gestattet von dieser Nahrung zu sich zu nehmen. In ähnlicher
Weise werden die verschiedenen Speiseverbote nacheinander aufgehoben.
Manche Stämme dehnen diesen Widerruf auf eine sehr lange Spanne Zeit
aus; so kommt es schließlich soweit, daß ein Mann bereits alt und grau
geworden ist, ehe er alle Speisen essen darf. Auch die Frauen müssen
sich ähnlichen Vorschriften unterziehen und sich bestimmter Speisen
bis zu einem gewissen Alter enthalten. Bei manchen Stämmen scheint
das Erzeugen von Schmucknarben mit der Aufhebung dieser Verbote in
Zusammenhang zu stehen; bei jedem Widerruf werden eine oder mehrere
Narben beigebracht.

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 204. Ausschlagen eines Schneidezahnes bei einem Mädchen des
Kaitischstammes,

ein Brauch, der vielen australischen Stämmen eigen ist und bei Knaben
oder Mädchen in einem gewissen Alter ausgeführt wird.]

Wie unter den Melanesiern, so sind auch unter den Eingeborenen
Nordqueenslands +Fadenspiele+ sehr verbreitet. Es handelt sich
hierbei darum, eine Schnur zwischen den Fingern zu allerlei Figuren --
beliebt sind unter anderem Fische, Schildkröte, fliegender Fuchs, Kanu,
Kokospalme -- zu verstricken (Abb. 197).

Die +Zeremonien+, mit denen die Jünglinge in +die geheimen Sitten ihres
Stammes eingeführt werden+, stimmen in ihren großen Zügen in fast ganz
Ostaustralien (Viktoria, Neusüdwales und einem Teil von Queensland)
miteinander überein, dagegen wechseln sie in ihren Einzelheiten sowie
in ihrem Namen von Stamm zu Stamm. Der Einfachheit halber wollen wir
sie kurz als +Borazeremonien+, dem bei einigen Stämmen von Neusüdwales
üblichen und in die Wissenschaft eingeführten Namen, bezeichnen. Erst
wenn ein Mann mehrere Boraversammlungen mitgemacht hat, gilt er für
ein völlig eingeweihtes Mitglied des Stammes, indessen ist für ihn
die erste Sitzung, bei der er als Knabe zugegen war, die bei weitem
wichtigste.

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 205. Teilnehmer einer Einführungszeremonie (Pflaumenbaumtotem) bei
den Arunta.

Sie sind mit Streifen aus gelbem Ocker und Kohle bemalt und mit Daunen
beklebt; die sitzende Person trägt einen hohen Kopfputz, der einen
Pflaumenbaum darstellen soll.]

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 206. Schlußszene der Einführungszeremonie bei dem Aruntastamme.

Die Knaben müssen, ohne zu sprechen, längere Zeit im Sande liegen.]

Besitzt eine Ortsgruppe einen oder zwei Knaben, die nach Ansicht der
älteren Männer das erforderliche Alter für die erste Bora erreicht
haben, so wird darüber in einer Sitzung ein Beschluß gefaßt und die
Vorbereitungen für die erste Sitzung getroffen, die vielleicht erst
nach Monaten zustande kommt. Es werden nun Boten ausgeschickt, um die
benachbarten Gruppen davon zu benachrichtigen. Auf diesen Gängen führen
die Boten gewöhnlich diesen oder jenen Gegenstand, je nach der bei den
einzelnen Stämmen herrschenden Sitte, mit sich, bald einen Botenstock,
ein kleines Stück Holz, das Kerben aufweist, bald ein Schwirrholz, oder
einen Männergürtel, oder einen Strauß Federn. Unter Vorzeigung dieses
Kennzeichens macht der Bote vor den alten Männern des Lagers Mitteilung
über Zeit und Ort der nächsten Bora, ladet sie ein und fordert sie
gleichzeitig auf, diejenigen Knaben mitzubringen, die ihrem Alter
nach eingeführt werden können. Ein solcher Bote gilt stets für heilig
und unverletzlich, selbst wenn er zu feindlich gesinnten Eingeborenen
kommen sollte. Kurz vor dem festgesetzten Tage begibt sich die das Fest
gebende Gruppe aufs Feld in die Nähe der Stelle, wo die Bora abgehalten
werden soll. Die eingeweihten Männer beginnen dann den Erdboden für
die Feier vorzubereiten. Der Plan hierzu fällt an den verschiedenen
Orten verschieden aus, allgemein üblich ist jedoch eine Dreiteilung des
Boragrundes. Man unterscheidet einen großen, kreisförmigen, sorgfältig
gesäuberten und geglätteten Platz, der von einem niedrigen Erddamm
umgeben ist, sodann einen oft vierhundert bis vierhundertfünfzig Meter
langen Pfad, der von dem großen Kreis in den Busch führt und in einen
kleinen gelichteten Kreis endet, der ebenfalls von einem niedrigen Damm
umzäunt wird. Frauen dürfen nur den größeren Kreis aufsuchen, aber
keine davon, überhaupt kein Uneingeweihter darf den Pfad erblicken;
auf Übertretung steht Todesstrafe. Auf jeder Seite des Pfades werden
nämlich verschiedene Zeichnungen auf dem Erdboden gemacht, entweder in
Gestalt erhöhter Erdhügel oder von Umrißzeichnungen (Abb. 195), die
mit einem Beil hergestellt werden und meistens verschiedene Tierarten,
zum Beispiel Känguruhe, Emue, Schlangen und so weiter, manchmal auch
geometrische Muster (Abb. 199) darstellen. Die Bäume zu beiden Seiten
des Pfades werden mit Schnitzereien verziert (Abb. 196), entweder
gleichfalls mit geometrischen Mustern oder mit Tieren. An einer Stelle
des Pfades oder des kleineren Kreises findet sich oft ein Erdhügel
aufgeworfen in Form einer menschlichen Gestalt, die ein mythisches
Wesen darstellt. Dieses, von einigen Stämmen Baiame genannt, hat nach
dem Aberglauben der Eingeborenen die Borazeremonien eingeführt und
findet sich bei jeder Veranstaltung wieder ein, um zuzusehen, ob die
Feier auch nach den alten Vorschriften durchgeführt wird.

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 207. Szene eines Korroborietanzes des Aruntastammes.

Die sitzenden Leute singen und schlagen den Takt zu dem Tanz mit ihren
Bumerangs. In der Laubhütte schmücken sich die Tänzer.]

Rückt der Tag für die Zeremonie heran, so treffen die eingeladenen
Gäste aus der Umgebung allmählich ein. Sobald sich eine Gruppe dem
Borafeld nähert, sendet sie einen Boten voraus, der ihre Ankunft
ankündigt. Man empfängt die Gäste mit großer Feierlichkeit, die
teilweise in einem Tanze im großen Kreise besteht. Den Eingeweihten
unter ihnen wird dann der Pfad gezeigt, ebenso der kleine Kreis und
die Zeichnungen. Bei diesen Gelegenheiten, wo Männer aus verschiedenen
Gegenden zusammenströmen, kommt es zum Austrag alter Kränkungen durch
einen Kampf; aber wenn dann die Uneinigkeiten ausgeglichen sind, ist
der Friede wieder hergestellt, und die Zeremonie geht vor sich, sobald
der letzte Trupp der Eingeladenen eingetroffen ist.

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 208. Mann mit Froschtotem.

Der hohe Kopfputz stellt einen heiligen Baum dar, und die Daunen an des
Mannes Kopf und Körper seine Wurzeln.]

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 209. Schlußszene eines Korroborietanzes,

die der vorderste, ein übernatürliches Wesen darstellende Mann anführt.]

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 210. Szene aus der Feuerzeremonie des Aruntastammes.

Die Knaben liegen auf der niedergebrannten Glut.]

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 211. Zeremonie des Wildkatzentotems des Aruntastammes.

Der aufrechte Gegenstand stellt den mythischen Vorfahren dar.]

Es ist unmöglich, in Kürze alle Einzelheiten der Zeremonie (Abb.
195, 198 bis 200) zu beschreiben, die überdies bei den verschiedenen
Stämmen anders ausfallen. Am ersten Abschnitt, der am großen Borakreis
sich abspielt, beteiligen sich auch die alten Frauen; von den übrigen
Vorgängen ist das weibliche Geschlecht ausgeschlossen. Die Knaben
werden zu dem kleineren Ring geführt, die Zeichnungen an den Bäumen und
die Figuren auf dem Erdboden ihnen von älteren Männern, die während der
ganzen Zeit ihre Beschützer sind, gezeigt und erklärt (Abb. 199). Die
Männer führen Zauberspiele und Pantomimen auf, welche die Knaben sich
mitansehen müssen und von jenen erklärt werden. Bei dieser Gelegenheit
erblicken die Knaben auch zum erstenmal ein Tschuringa oder Schwirrholz
(Abb. 203), jenes Stück Holz von spitz-ovaler Form, das mit einer an
seinem Ende befestigten Schnur schnell in Bewegung gesetzt wird und
einen summenden Ton hervorbringt. Frauen bekommen dieses Gerät niemals
zu Gesicht, die Knaben werden auch davor gewarnt, einer Frau gegenüber
jemals von ihm zu sprechen, geschweige denn es einer solchen zu zeigen.
Sollte ein weibliches Wesen aus Unachtsamkeit etwa ein Schwirrholz
erblicken, so wird es getötet. Es wird den Frauen vorgeredet, daß der
Ton, den das Schwirrholz verursacht, die Stimme eines übernatürlichen
Wesens sei. Solange die Zeremonie der Bora vor sich geht, hört man ihn.
Die Zeremonien bestehen zum großen Teil in Pantomimen, bei denen die
Darsteller die Tätigkeit von Tieren nachahmen. Alle diese Vorgänge,
sowie die Dinge, die den Novizen in dieser Zeit gezeigt werden, sind
heilig und dürfen von den Frauen nicht gesehen werden. -- Die Knaben
haben meistens auch noch einen blutigen Eingriff an ihrem Gliede zu
erdulden; es wird an ihnen die Beschneidung, das heißt die Abtrennung
der Vorhaut vollzogen. Bei einigen Stämmen erfolgt nach einigen Wochen
noch eine zweite Operation, das Bloßlegen (Aufschlitzen) der Harnröhre,
die wir bereits oben (S. 154) erwähnten. Bei den Arunta wird mit
dem bei diesen Eingriffen abfließenden Blute ein kleines Schwirrholz
bestrichen, damit es später als Liebeszauber diene. Der Jüngling, der
ein Mädchen zur Heirat geneigt machen will, läßt es dann schwirren.
Bei anderen Stämmen gehört zu den Einweihungsfeierlichkeiten auch das
Ausschlagen eines Vorderzahnes (Abb. 204), das Hochwerfen der Knaben
in die Luft (Abb. 189), das Anbringen von Narben und eine Art von
Feuerprobe. Während aller dieser Vorgänge werden die Knaben scharf
beobachtet, ob sie sich dabei richtig benehmen; befolgt einer von
ihnen nicht die Befehle seines Beschützers, so wird er umgebracht.
Solange die Borazeremonie dauert, sind die Knaben und ihre Begleiter
von den Frauen und Mädchen getrennt. Die Männer verbringen einen Teil
des Tages mit der Beschaffung der Nahrung durch Jagd, die übrige
Zeit gilt den Vorführungen. Am Schluß werden die Knaben den Frauen
zugeführt, und öfters wird noch ein Fest veranstaltet, an dem sich
auch diese beteiligen. Die Knaben aber leben noch eine Zeitlang,
manchmal vier Monate, mit ihren Beschützern im Busch und werden von
ihnen über alle Gesetze und Gebräuche des Stammes, sowie über die
Notwendigkeit, diese zu befolgen und den älteren Männern zu gehorchen,
unterwiesen. Während dieser Probezeit dürfen die Knaben keine Frauen
sehen, noch von ihnen gesehen werden. Bei einigen Stämmen dauert dies
so lange, bis sich für die Knaben Gelegenheit bietet der nächsten Bora
beizuwohnen. Zur vollständigen Mannbarwerdung müssen die Jünglinge
mehrere Boraversammlungen besuchen, bei deren jeder sie immer etwas
Neues sehen, das ihnen vordem noch vorenthalten wurde.

[Illustration:

    Phot. W. E. Roth.

Abb. 212. Zaubergestalt von Nordqueensland,

die zur Vertreibung der Moskitos verbrannt wird.]

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 213. Szene aus der Adler-Habicht-Zeremonie des Aruntastammes bei
den Einführungsfeierlichkeiten der Jünglinge.

Die beiden handelnden Personen stellen zwei dieser Vögel im Streite um
ein Stück Fleisch dar.]

[Illustration: Szene aus einem Korroborie,

einer Art dramatischer Pantomime und Tanz. Der am Boden liegende
Eingeborene soll einen schlafenden Mann darstellen, während der auf ihn
Zuschreitende zwischen den Zehen ein in Rinde gehülltes Pulver eines
Zaubersteines hält, das er auf den Schlafenden fallen läßt, um ihn so
zu töten.]

Die Feuerzeremonie oder Ingwurra (Abb. 210), um auf sie noch einmal
etwas ausführlicher zurückzukommen, ist das letzte Stadium der
Einweihungsfeierlichkeiten bei den Arunta und führt die Bevölkerung
von weit und breit auf Einladung zusammen. Eigentlich ist sie eine
Aufeinanderfolge verschiedener Akte. Die Feierlichkeiten werden
wochenlang mit den üblichen Korrobories eingeleitet, an denen sich
auch die Frauen beteiligen. Ein Korroborie, eine Art dramatischer
Unterhaltung, ein pantomimischer Tanz (Abb. 202, 207, 209 und farbige
Kunstbeilage), den ein Gesang begleitet, besteht gewöhnlich aus einem
Zyklus von Vorführungen, von denen eine jede einen Abend ausfüllt,
so daß das Ganze mehrere Abende hintereinander in Anspruch nimmt.
Den Korrobories folgt als zweiter Akt die Ingwurrazeremonie. Jetzt
trennen sich die Frauen von den Männern und bleiben auf dem Felde,
während letztere mit Ausnahme einiger Tagesstunden, die sie der Jagd
widmen, auf dem Festplatz leben und diese Zeit auf die Vorbereitung und
Aufführung heiliger Zeremonien verwenden. Da wir weiter unten auf diese
etwas ausführlicher zurückkommen, wollen wir hier nur erwähnen, daß sie
die heiligen Mythen des Stammes versinnbildlichen und für die jungen
Leute ein Mittel abgeben sollen, sie in den Glaubensauffassungen, die
damit in Zusammenhang stehen, zu unterweisen. Diese Vorbereitungen
erfordern eine geraume Zeit, obwohl jede Aufführung eigentlich nur
wenige Minuten dauert. Wenn damit Monate vergangen sind, beginnen nun
die wirklichen Zeremonien, die sich auf etwa zwei Wochen erstrecken.
Täglich werden die jungen Leute, die aufgenommen werden sollen, auf
die Jagd gesandt, deren Beute sie aber nicht für sich behalten dürfen,
sondern an die älteren Männer abliefern müssen. Bevor sie des Abends
zurückkehren, besorgen sich die Frauen Feuer, trockenes Gras und
Reisig. Die Jünglinge versehen sich bei ihrer Ankunft aus dem Busch mit
einer Anzahl beblätterter Zweige, stellen sich in einem dichten Viereck
zusammen, laufen den sie erwartenden Frauen, die das Gras und das Holz
angezündet haben und es auf die Eindringlinge zu werfen sich bemühen,
entgegen, und suchen sich dagegen, so gut sie können, mit ihren Zweigen
zu schützen. Nach einiger Zeit kehren sie auf den Festplatz zurück,
bringen hier ihre Zweige unter und legen sich nieder; sie müssen so
stundenlang ohne etwas zu sprechen verharren (Abb. 206). Nachdem sich
dieser Vorgang mehrere Tage hindurch wiederholt hat und die heiligen
Zeremonien inzwischen Tag und Nacht ihren Fortgang genommen haben,
werden die Knaben auf zwei Tage in den Busch geschickt, um hier eine
eingreifendere Feuerprobe durchzumachen. Die älteren Männer, denen
die Novizen anvertraut sind, zünden aus Kloben und Ästen ein großes
Feuer von etwa zwei bis drei Meter im Durchmesser an, bedecken die
Glut, sobald das Feuer heruntergebrannt ist, mit Zweigen und fordern
die Jünglinge auf, sich auf die Äste zu legen und hier vier bis fünf
Minuten auszuhalten (Abb. 210). Trotzdem die auf die glühende Asche
gelegten Sträucher die direkte Berührung mit ihr verhindern, so daß die
jungen Leute sich nicht verbrennen können, erfordern die große Hitze
und der Rauch doch einen großen Aufwand an Energie, um diese Probe
durchzuführen. Sodann kehren die Jünglinge nach dem Lagerplatz zurück.
Hier wird der Abend mit allerlei Neckereien zugebracht; die Frauen in
dem Lager und die Männer auf dem Festplatze rufen einander Scherzworte
zu und ziehen einander auf. Bei solcher Gelegenheit darf ein Mann auch
seiner Schwiegermutter zurufen, mit der er sonst jeglichen Verkehr
meiden muß. In fast ganz Australien nämlich bestehen zwischen beiden
Parteien merkwürdige Sitten. Sieht ein Mann seine Schwiegermutter
kommen, so muß er sich verstecken und sie vorüberlassen, damit
sich beide auf keinen Fall zu Gesicht bekommen. Ist ein Verstecken
unmöglich, so muß er nach rechts oder links mit abgewendetem Gesicht
abbiegen, einen großen Bogen um sie machen und ihr auf jeden Fall
ausweichen. Bei einzelnen Stämmen darf er sich mit ihr überhaupt in
kein Gespräch einlassen. Vernachlässigt jemand diese Vorschriften, so
kann er vom Häuptling in Strafe genommen werden.

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 214. Zauberzeremonie behufs Vermehrung von Würmern.]

Am nächsten Tage haben die jungen Leute die letzte Feuerzeremonie zu
bestehen. Auch hierbei werden von den Frauen große Feuer angelegt und
die glühende Asche mit grünen Zweigen bedeckt. Dieses Mal aber müssen
die Jünglinge der Reihe nach in das Feuer hineintreten und mitten im
dichten Rauch niederknien, wobei sie eine der Frauen an den Schultern
noch herabdrückt. Damit schließt endlich die Ingwurrazeremonie. Wenn
die Jünglinge alle verschiedenen Feuerproben bestanden haben, werden
sie fortan als vollgültige Mitglieder des Stammes angesehen. Nachdem in
den nächsten Tagen noch einige gewöhnliche Korrobories, an denen auch
die Frauen sich beteiligen, abgehalten worden sind, ziehen die fremden
Gruppen in ihr eigenes Dorf zurück.

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 215. Zauberzeremonie, die bezweckt, Insekten zu veranlassen, daß
sie Eier legen.]

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 216. Zeremonie behufs Vermehrung von Schlangen bei dem
Urabunnastamme.]

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 217. Totemzeremonie des Aruntastammes.

Die beiden aufgeputzten Männer stellen zwei Vorfahren des Stammes dar;
der eine dieser Vorfahren steht in Verbindung mit der Sonne, der andere
mit einem Baum, dessen Blüten zu einem bestimmten Tranke verwendet
werden.]

Die Zeremonien der Australier hängen eng mit ihrer Religion
zusammen. Ihre +religiösen Vorstellungen+ beruhen auf dem Glauben an
überirdische, meist mythenhafte Wesen und auf Zauberei. Im allgemeinen
werden gute und böse Geister unterschieden, darunter wiederum
mächtigere und unbedeutendere. Leider ist es den Europäern bis jetzt
nur in unvollkommenem Maße möglich gewesen, in das religiöse Leben
und Denken der Australier einzudringen. Dazu kommt, daß unter ihnen
selbst nur ganz verschwommene Begriffe von den Geistern und so weiter
herrschen, so daß wir nur ein mangelhaftes Bild von ihrer Religion
besitzen. Eine große Rolle spielt dabei das bekannte Totemwesen. Ein
jeder Stamm zerfällt in eine Anzahl Gruppen (Clans oder Sippen), von
denen jede in einem, zumeist genetischen Verhältnis zu irgend einem
Gegenstand oder einer Erscheinung in der Natur zu stehen glaubt, zu
seinem Totem. Dieses ist zumeist ein bestimmtes Tier oder eine Pflanze,
die zu Nahrungszwecken dienen, aber auch eine Naturerscheinung. Dieses
Totem, nach dem sich die Sippe auch benennt, wird von ihr verehrt.
Die eine Gruppe steht, um ein paar Beispiele anzuführen, mit einem
Känguruh, andere mit dem Opossum oder dem Emu oder einer Schlange,
wieder andere mit einer Akazienart, einem Grassamen und ähnlichem,
noch andere mit Regen, Wind, Feuer und so weiter in Zusammenhang
(Abb. 205, 208, 211 und 213). Für gewöhnlich darf kein Mitglied einer
Totemgruppe sein eigenes Totem verzehren, wenn es sich um ein Tier oder
eine Pflanze handelt, oder es töten, wenn es das erstere betrifft,
denn es ist ihm heilig, wohl aber ist ihm gestattet, das einer anderen
Gruppe zu essen, beziehungsweise zu töten. Ferner besteht vielfach
der Glaube, daß die Anhänger eines Totems bewirken können, daß dieses
sich vermehrt oder zunimmt, also einem bestimmten Teile der Natur zu
befehlen imstande sind. Ein Känguruhmann zum Beispiel kann das Känguruh
zur starken Vermehrung zwingen, ein Regenmann Regen hervorrufen, ein
Feuermann stets sein eigenes Feuer erzeugen, so daß er dazu keiner
Vorrichtungen bedarf. Wohl gemerkt, diese Fähigkeit beschränkt sich
immer nur auf das eigene Totem. Ein Mitglied des Känguruhtotems kann
daher keinen Regen machen, und ein Mann des Regentotems nichts dazu
tun, daß sich das Känguruh vermehre. In vielen Gegenden Australiens
bestehen gewisse Zeremonien, die besonders zu dem Zwecke abgehalten
werden, um das Totem zu vermehren. Jede Totemgruppe pflegt eine
bestimmte Stelle zu besitzen, an der man diese Zeremonien vornimmt;
meistens ist dies das Verbreitungszentrum des betreffenden Tieres
oder der Hauptstandort der Pflanze. Ein paar Beispiele von solchen
Zeremonien. Handelt es sich darum, die Vermehrung von Schlangen zu
erwirken, so erscheint an dem betreffenden Totemplatz der mit rotem und
gelbem Ocker angemalte und mit dem Waningakopfputz (das weitere über
ihn siehe weiter unten) ausgerüstete Oberste der Schlangentotemgruppe,
kniet vor den versammelten Mitgliedern nieder und streckt die Arme
ganz lang aus, wobei er in jeder Hand einen angespitzten Knochen hält.
Ein Mann, der zu seiner Rechten kniet, nimmt sich den Knochen aus der
entsprechenden Hand, hebt an seinem Oberarm eine Hautfalte hoch und
durchsticht sie mit diesem Knochen; dasselbe tut ein Mann, der zur
Linken sich niedergelassen hat (Abb. 216). Der Oberste singt darauf,
in der gleichen Stellung verharrend, ein Lied oder einen Zauberspruch,
dessen Inhalt den Anwesenden heutzutage unverständlich erscheint,
und die Zeremonie ist beendigt. Wenn daraufhin die Schlangen recht
zahlreich geworden sind, bringen Männer, welche der betreffenden Gruppe
nicht angehören, einige dieser Tiere dem Obersten mit den Worten:
„Siehe, hier sind Schlangen“. Dieser nimmt etwas Schlangenfett, reibt
sich damit die Arme ein und antwortet: „So esset alle“. Damit will er
besagen, daß die Schlangen dank seiner Zeremonie so zahlreich geworden
sind, daß jeder Stamm sie in genügender Menge zur Verfügung hat. --
Um Würmer, eine Delikatesse für die Australier, zu vermehren, reibt
ein Mann die Magengegend eines anderen mit einem heiligen Steine, der
das Ei eines solchen Tieres darstellen soll (Abb. 214); oder singt
die Insekten an, auf daß sie Eier legen (Abb. 215). Um Regenwetter
herbeizuführen, wurde bei den Kurna an einem Wasserloch eine Grube
ausgeworfen und über ihr eine Hütte errichtet. Nachdem sich in ihr
alle Anwesenden, darunter auch Gäste, versammelt hatten, schnürte
sich einer der älteren Männer ein Band fest um den linken Oberarm
und öffnete mit einem spitzen Steine eine Blutader in der Gegend des
Ellenbogengelenkes. Das ausströmende Blut ließ er über die am Boden
dicht gedrängt Hockenden laufen, auf die mit Blut bespritzten Stellen
streute er Vogeldaunen. Jetzt wurden einige vor Beginn der Zeremonie in
die Wassergrube geworfene Steine herausgenommen und an einem entfernten
Platz in das Astwerk eines der höchsten Bäume gelegt. Währenddessen
zerrieben andere Männer Gipsspat zu feinem Pulver und streuten es
auf die Oberfläche des Wassers. Schließlich stießen alle Anwesenden
die Hütte mit dem Kopfe um. Das fließende Blut soll den vom Himmel
strömenden Regen versinnbildlichen, die Daunen leichte, die Steine
schwere Wolken; das Verstecken der Steine in den Baumgipfeln geschieht
in der Absicht, daß sie der Regengeist sehe, und mit dem Niederreißen
der Hütte soll angedeutet werden, daß der Geist in gleicher Weise die
Wolken durchbohren möge. Um anderseits kühle Witterung zu bekommen,
zünden geschmückte Männer hinter einem Windschirm ein Feuer an,
lassen sich an ihm nieder und geben an, daß sie frieren und vor Kälte
zittern. Hierdurch hoffen sie eine Abkühlung des Wetters herbeiführen
zu können. Manche Stämme nehmen an, daß ein Mann sich in sein Totem
verwandeln könne, wenn dieses ein Tier ist. Ein Totemtier verletzt
nach der allgemeinen Annahme niemals seine menschlichen Verwandten;
daher braucht zum Beispiel ein Anhänger des Schlangentotems nicht zu
befürchten, von einer Schlange gebissen zu werden.

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 218. Bodenzeichnungen für die Wollunquatotemzeremonie.

Diese Zeichnungen gelten den Eingeborenen als heilig und dürfen
von Frauen nicht gesehen werden; in diesem Bilde stellen sie die
Wanderungen des mythischen Vorfahren Wollunqua dar.]

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 219. Warramungaleute im Schmuck für eine Zeremonie des
Wollunquatotems.

Der Gegenstand über dem Kopf des einen Mannes ist aus Grasstengeln
hergestellt und mit Schnur aus Menschenhaar umwickelt; er soll
Wollunqua, eine mythische Schlange, darstellen.]

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 220. Schlußszene bei der Wollunquatotemzeremonie des
Warramungastammes,

bei der den Aufführenden der Kopfputz abgenommen wird.]

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 221. Szene aus der Wollunquatotemzeremonie des Warramungastammes.

Ein Mann streicht mit einem Zweige über die auf einem Erdhaufen
dargestellte mythische Schlange Wollunqua; dies soll sie versöhnen.]

Alle Mitglieder einer jeden Totemsippe halten sich für nahe
Blutsverwandte; die Mitgliedschaft zu einer Gruppe wird durch die
Erbfolge geregelt. In Gegenden (Ostaustralien), wo ein Kind dem Clan
der Mutter angehört, erbt es das Totem der Mutter, in anderen wieder,
wo es zur Gruppe des Vaters zählt, nimmt es dessen Totem an. Bei noch
anderen Stämmen wird das Totem nicht vererbt, sondern auf andere Weise
erworben. Wie wir schon hörten, ist jedes Totem an einen bestimmten
Platz oder Gegenstand gebunden. Wird bei den Arunta zum Beispiel ein
Kind geboren, so erhält es das Totem der Stelle, in dessen Nähe es
angeblich von der Mutter empfangen wurde. Glaubt also eine Frau, daß
sie ihr Kind bei einem bestimmten Baume oder einem Felsen empfangen
habe, der mit dem Emu in Verbindung steht, so bekommt das Kind das
Emutotem, ganz gleich welcher Sippe die Mutter angehört.

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 222. Szene aus der Feuerzeremonie des Warramungastammes.]

Das Totemwesen zeigt seine höchste Entwicklung in Zentralaustralien.
Hier hat man auch die ganze Lehre tiefer durchdacht und sich
ihren Ursprung zurechtgelegt. Vor Zeiten, bevor es noch einen
Menschen gab, lebte in Australien eine Art übernatürlicher Wesen,
die Totemahnen. Sie besaßen ganz erstaunliche Kräfte und auch die
Fähigkeit, sowohl die Natur des Menschen wie die von Tieren oder
Pflanzen in sich zu verkörpern. Alle diese Vorfahren, so meinen einige
Stämme nun, ließen, während sie das Land durchzogen, an bestimmten
Orten viele Kindergeister zurück, die, wie wir bereits vordem (S.
156) entwickelten, in die Frauen übergehen und dann als richtige
Menschenkinder geboren werden. Nach dem Tode kehrt ihr Geist wieder
zu seiner Ursprungsstätte, zum Beispiel in einen heiligen Stein oder
Baum, mit denen er verbunden ist, zurück und wartet dort auf seine
Wiederfleischwerdung. Jedes Stammesmitglied ist also die Wiedergeburt
eines der Vorfahren. Die Stämme im Innern Australiens führen nun
Zeremonien auf, die auf diese Totemvorfahren Bezug nehmen, indem sie
dieselben zur Darstellung bringen (Abb. 217). Allgemein nimmt man an,
daß diese Totemahnen die betreffenden Zeremonien der Sippe persönlich
in der Weise, wie sie heute begangen werden, vordem eingeführt
haben. Die bei den Einweihungsfeierlichkeiten der Jünglinge von uns
erwähnten Zeremonien sind zum Teil solche, die mit dem Totemahnen in
Zusammenhang stehen. Als Beispiel, wie es bei einer solchen zugeht,
möge die Zeremonie des Schlangentotems der Warramunga gelten. Der
Vorfahre dieses Totems soll ein mythisches Wesen Wollunqua gewesen
sein, das eine solche Größe besaß, daß es, wenn es auf dem Schwanz
gestanden hätte, mit seinem Kopf bis in den Himmel hineingereicht
haben würde; jetzt liegt es in ein großes Wasserloch in einem einsamen
Tal gebannt. Bei einer der darauf bezüglichen Zeremonien nun wird ein
Erdhügel geformt und auf ihn die Gestalt einer Schlange gezeichnet
(Abb. 221). Darauf gehen die Männer des Wollunquatotems (Abb. 219) um
den Hügel herum, und einer von ihnen streicht mit einem Zweig über
den Fuß des Hügels (Abb. 221); nachdem man darauf den größten Teil
der Nacht gesungen und um den Hügel getanzt hat, greift man am frühen
Morgen den Hügel mit Speeren, Bumerangs und Keulen an und zertrümmert
ihn. Offenbar soll durch diese Zeremonie Wollunqua verhindert werden,
sein Wasserloch zu verlassen. In dem übrigen Australien, wo kein
Totemglauben herrscht -- nur im Zentrum des Erdteiles treffen wir ihn
im vollen Umfange an --, kommt den Zeremonien eine andere Bedeutung
bei. Allerdings bilden ihren Hintergrund teilweise hier auch noch
mythische Vorstellungen von Vorfahren -- diese Legenden und Erzählungen
von den Ahnen werden den Jünglingen also nicht nur erzählt, sondern
auch dramatisch vorgeführt --, daneben aber auch wieder Geschichten
über Tiere. In diesem Falle ahmen die darstellenden Männer die
Handlungen der Tiere nach oder führen etwas um Zeichnungen, die Tiere
wiedergeben, auf. So zum Beispiel laufen sie auf allen Vieren herum wie
ein grasendes Känguruh und ähnliches. Allen diesen Vorführungen, wie
den die Wanderungen des Totemahnen darstellenden Zeichnungen (Abb.
218 und 220) ist gemeinsam ihre Heiligkeit; daher dürfen sie weder von
Frauen noch von Kindern gesehen werden.

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 223. Szene aus der Feuerzeremonie des Warramungastammes.

Die Eingeborenen tanzen vor der Hütte, in der andere Männer sitzen und
singen. Die Fackeln, die sie halten, werden später abgebrannt.]

Außer den Zeremonien, die der Verehrung des Totems und der Verkörperung
der heiligen Mythen dienen sollen, kennen verschiedene Stämme noch eine
Reihe anderer Zeremonien, die ganz anderer Natur sind. Als Beispiel
von solchen diene die +Feuerzeremonie+ der Warramunga, die indessen
mit der gelegentlich der Jünglingsweihen stattfindenden und oben
geschilderten nicht identisch ist. Sie geht darauf hinaus, daß alle
Beteiligten die zwischen ihnen bestehenden Streitigkeiten beilegen. Ein
Augenzeuge schreibt, daß die Zeremonie an einem Abend damit einsetzte,
daß, nachdem sich die Männer um einige kleinere Feuer gruppiert hatten,
ein komisches Intermezzo sich abspielte. Einige sprangen zunächst auf,
stürmten mit erhobenen Waffen wütend umher, schrien laut und gebärdeten
sich ganz unsinnig; hierauf begann man mit Neckereien, einer machte
über den anderen höhnische Bemerkungen, suchte ihn auch direkt zu
beleidigen, nahm ihm seine Waffen fort und versteckte sie im Busch; die
jüngeren Leute nahmen den älteren die Speisen weg, eine unter anderen
Umständen ganz unerhörte Beleidigung -- über alles amüsierten sich die
Anwesenden köstlich. Darauf setzte der Tanz ein, an dem die Teilnehmer
sich so grotesk wie möglich benahmen, auch die Frauen wirkten dabei
mit, die vordem den Vorgängen nur von weitem zugesehen hatten. Diese
Belustigungen dauerten bis gegen Mitternacht. Am nächsten Morgen
bemalten sich die Männer mit Ocker und führten eine ganz drollige
Pantomime auf; die Hände hinten am Kopfe haltend, tanzten sie zunächst
in der Richtung des Lagers der Frauen zu, wenn sie sich ihm näherten,
gingen sie bald auf den Händen, bald auf den Knien vorwärts (Abb. 222),
kehrten aber vor dem Lager um und in das ihrige zurück. Hierauf zogen
sich die Männer, einige alte Leute ausgenommen, in den Busch zurück und
blieben hier eine Woche. Wichtig ist bei diesem Akte der Zeremonie, daß
die jungen Männer die Frauen nicht sehen durften. Nach der Rückkehr der
Männer aus dem Walde begannen die Vorbereitungen für die eigentliche
Feuerzeremonie, die unter anderem in der Anfertigung mächtiger Fackeln
aus Zweigen (Abb. 223) und in der Errichtung einer etwa sechs Meter
hohen, mit rotem Ocker bemalten und an der Spitze mit einem Busch
Zweige geschmückten Stange zwischen dem Männer- und Frauenlager
bestanden. Die eigentliche Feuerzeremonie spielte sich nachts ab. Die
sie darstellenden Männer bestrichen sich dazu von Kopf bis zu Fuß mit
rotem Lehm und darüber mit einer dicken Schicht weißen Pfeifentons
und nahmen die Fackeln in die Hand. Dann ging einer zum Angriff über,
indem er mit seiner Fackel wie mit einem vorgestreckten Spieß in die
Menschengruppe hineinstürmte, in der sich einer der Männer befand, mit
dem er im letzten Jahre einen heftigen Streit gehabt hatte. Man wehrte
hier den Angriff mit Keulen und Speeren ab. Damit war das Zeichen zu
einem allgemeinen Durcheinander gegeben. Beide Parteien stürmten nun
aufeinander los, die brennenden Fackeln sausten dabei auf Kopf und
Rumpf nieder und die glühenden Kohlenreste stoben auseinander. Die
Frauen standen klagend daneben und senkten brennende Zweige, um, wie
sie behaupteten, dadurch zu verhindern, daß die Männer sich ernstlich
verletzten. Die lodernde Glut, der mächtige Qualm, im Gegensatz dazu
die weiß angestrichenen Körper, der mächtige Lärm, alles dieses machte
den Eindruck einer recht wilden rohen Szene. Endlich wurden die Fackeln
auf die Erde geschleudert und ihre Flammen gelöscht.

[Illustration:

    Phot. Kerry & Co.

Abb. 224. Eingeborener der Prince of Wales-Insel

mit einem Stabe, der ein Waninga trägt.]

Bei der Beschreibung der Zeremonien erwähnten wir bereits
verschiedentlich heilige Gegenstände, vor allem das Schwirrholz, das
besonders bei den Jünglingsweihen eine wichtige Rolle spielt. Denn
bei dieser Gelegenheit erfahren die Knaben zum ersten Male, daß jene
geheimnisvollen Töne, die einem überirdischen Wesen zugeschrieben
werden und oft genug ihnen großen Schrecken einflößten, durch diesen
unscheinbaren Gegenstand hervorgerufen werden. Wir sprachen auch
bereits von dem +Tschuringa+ (Abb. 203), das dem eigentlichen
Schwirrholz in der Form wohl gleicht, aber kein Loch für die Schnur
besitzt, also nicht geschwungen werden kann. Der Name für diesen
Gegenstand stammt aus der Aruntasprache und bedeutet „heilig“. Es ist
oft mit eingeritzten Mustern schön verziert. Die Stämme von Mittel-
und Westaustralien verwenden das Tschuringa nur bei ihren heiligen
Handlungen, vor allem sind die Gebräuche, die damit im Zusammenhange
stehen, bei den Arunta hoch entwickelt. Hier besitzt jede Person, Mann,
Weib und Kind, sein eigenes Tschuringa, mit dem ein jedes verbunden
ist; die Frauen und Kinder aber dürfen das ihrige nicht zu Gesicht
bekommen. Alle Tschuringa, die einer Totemgruppe angehören, werden an
einem besonderen Ort aufbewahrt. Dieser gilt ebenfalls für heilig; ein
Jäger zum Beispiel würde auf der Jagd nach einem Känguruh, wenn er
sich solchen Aufbewahrungsorten näherte, ihm nicht weiter nachstellen,
sondern davon Abstand nehmen. Während der Zeremonien werden diese
Tschuringa, die sonst wie ein großer Schatz ängstlich gehütet werden,
hervorgeholt, betrachtet und befühlt; dabei sprechen die Eingeborenen
nur im Flüsterton und betragen sich höchst feierlich. Aus Höflichkeit
pflegt eine Totemgruppe einer anderen wohl ihr Tschuringa zu leihen,
sie erhält es dann unter vielen feierlichen Zeremonien wieder zurück
(Abb. 225).

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 225. Zurückbringen eines ausgeliehenen Tschuringa.]

Ein anderer heiliger Gegenstand, auf den schon hingewiesen wurde, ist
das +Waninga+. In seiner einfachsten Form besteht es aus zwei in
der Mitte in Gestalt eines Kreuzes zusammengebundenen Stöcken, auf
welches Haar- oder Pelzsträhnen webartig gewickelt sind. Bald wird es
in der Hand (Abb. 224), bald auf dem Kopfe (Abb. 227) getragen. Im
westlichen Australien weist dieser Gegenstand entwickeltere Formen auf.
In dem in Abbildung 227 dargestellten Falle sind fünf kleine Waninga
zu einem einzigen Ganzen zusammengefügt. Die Bedeutung des Waninga,
das ebenso wie das Schwirrholz und das Tschuringa weder Frauen noch
Kinder erblicken dürfen, ist eine dunkle. Bei manchen Zeremonien
soll es nach Aussage der Eingeborenen das Totem darstellen, mit dem
sie in Zusammenhang steht, also eine Ratte oder eine Schlange. In
Westaustralien scheint das Waninga eine ähnliche Rolle wie die Masken
Melanesiens und anderer Länder zu spielen. Solche kommen übrigens
auch im äußersten Norden von Queensland vor, offenbar liegt hier ein
Einfluß von Neuguinea her vor, mit dem Australien durch die Inseln der
Torresstraße in Verbindung steht (Abb. 226).

[Illustration:

    Phot. W. E. Roth.

Abb. 226. Maskentänzer (Krokodiltanz)

bei einer Einführungszeremonie in Nordqueensland.]

[Illustration:

    Phot. A. R. Brown.

Abb. 227. Eingeborener mit Waningahaarputz.]

Wir schließen hieran eine Besprechung des Glaubens an +Magie und
Zauberei+, durch den das Leben der Eingeborenen Australiens stark
beeinflußt wird. Wird ein Mann in einem Kampfe durch einen Speer
verwundet oder getötet, so kommt dies daher, daß der Speer verzaubert
war; verfehlte ein Speer, der nach einem Känguruh geworfen wurde,
sein Ziel, so war dabei ebenfalls Zauberei im Spiele. Um sich gegen
solchen Zauber zu wehren, beziehungsweise ihm vorzubeugen, besitzen
manche Stämme in Westaustralien kleine Zauberlieder oder Sprüche, die
Männer und Frauen, wenn sie mit irgend einer Arbeit beschäftigt sind,
singen. Ein Mann, der sich zum Beispiel Widerhaken an seinen Speer
schnitzt, singt dann ein bestimmtes Lied, damit sie stark werden und
nicht abbrechen; ein anderes Lied wieder, wenn er eine Speerschleuder
anfertigt und so weiter. Ähnlich wie wir es bereits von den Melanesiern
her kennen, werden +Krankheit und Tod+ nicht auf natürliche Ursachen
zurückgeführt, sondern als die Wirkung +böser Zauberei+ gedeutet,
die einer, der dem Betreffenden übel wollte, ihm zufügte. Mancherlei
Zaubermittel gibt es, um bei einem anderen Krankheit oder sogar den Tod
hervorzurufen. Am verbreitetsten ist das Verfahren des Zuspitzens, wie
man es bezeichnen kann. Bei einzelnen Stämmen kann nur ein Zauberer
es ausüben, bei anderen hingegen jedermann, sofern er nur den dazu
erforderlichen Apparat besitzt. Es gibt von ihm zwar verschiedene
Formen, indessen ist der wesentliche Teil daran stets ein Stück Knochen
oder Holz, das an dem einen Ende zugespitzt ist; ihm wohnt der böse
Zauber inne. Während der Mann nämlich den Stock oder Knochen zuspitzt,
murmelt er Flüche, wie etwa: „Möge dein Herz auseinandergerissen
werden“ oder: „Möge dein Rücken sich spalten und deine Rippen
auseinandergezerrt werden“ und ähnliches mehr und legt dadurch den
Zauber in den angespitzten Gegenstand hinein. Ebenso verschieden wie
die Form des Werkzeuges ist auch seine Anwendung; sie beruht in der
Hauptsache darauf, daß der Knochen oder Stein nach der Richtung der
zu schädigenden Person gerichtet wird. Natürlich darf das Opfer von
diesen Machenschaften nichts erfahren. Ein solcher Richtapparat, der
von zwei Personen bedient wird, besteht aus einer langen gedrehten
Schnur aus Menschenhaar, an deren einem Ende fünf kleine Richtknochen
und an deren anderem ein solcher und ein paar Klauen von Adlerfalken
an einem Stück Harz sitzen. Der vordere Mann hält bei seiner Anwendung
die Richtknochen und der hintere die Vogelklauen, ersterer richtet
die Knochen nach der Richtung, wo derjenige, dem er Schaden zufügen
will, weilt, und stößt sie mit einem Ruck dorthin. Der böse Zauber
nimmt dementsprechend diese Richtung und dringt in den Menschen, auf
den es abgesehen ist, ein. Dieser erkrankt und bekommt heftige innere
Schmerzen, die den Falkenklauen zugeschrieben werden, da diese, wie man
annimmt, die inneren Organe umkrallen (Abb. 228 und 229).

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 228. Zauberhandlung, um einen Menschen zu töten,

indem der kniende Mann rechts mit einem Zauberknochen in die Richtung
zeigt, in welcher der Gegner vermutet wird.]

Eines ganz seltsamen Zauberbrauches müssen wir noch gedenken, der,
sofern er wirklich auf Wahrheit beruht, vielleicht der +Kraft der
Suggestion+ zuzuschreiben ist. Gewisse Männer sollen die Macht
besitzen, einen Mann oder eine Frau zu töten und ihre Opfer später
wieder ins Leben zurückzurufen, aber nur noch auf ein paar Tage, so daß
schließlich doch der Tod bei ihnen eintritt. Ein Mensch, der mit dieser
Macht ausgestattet ist, kann sie entweder aus freiem Antriebe für sich
allein gegen jemanden, dem er böse gesinnt ist, ausüben, oder sie in
den Dienst einer Gruppe von Männern stellen, deren ausführendes Organ
er somit wird. In solchem Falle vollzieht er die Todesstrafe an einer
Person, über die die alten Männer sie verhängt haben. Zu diesem Zwecke
reibt sich dieser Gewaltige, der bei den Arunta Kurdaitscha heißt,
ganz und gar mit Holzkohle ein, schmückt sein Gesicht und sonstigen
Körper mit weißen Daunen, zieht Schuhe aus Emufedern an, die mit Blut
zusammengeklebt sind und Zauberwirkung besitzen sollen; er ist ferner
mit Schild und Speer, sowie mit einem oder zwei Tschuringa ausgerüstet
(Abb. 230). -- Der Aberglauben, nach dem gewisse Männer eine solche
seltsame Macht besitzen, ist über ganz Australien verbreitet. Auf
diese Weise sucht man unbequeme Leute im geheimen ins Jenseits zu
befördern. Es hält aber schwer herauszubekommen, in welcher Weise
man dabei verfährt. Anscheinend ist dies bei den einzelnen Stämmen
ganz verschieden. Bei den Diäri zum Beispiel braucht der Zauberer in
einer faustgroßen Grube nur eine Mischung von Harz aus den Wurzeln
des Eisenholzes und dem Kote des auserkorenen Opfers zu verbrennen;
wenn dann dieses an der betreffenden Stelle vorbeigeht, muß es über
kurz oder lang sterben. Energischer gehen diese Zauberer in anderen
Gegenden vor. Sie sollen hier ihr Opfer durch einen Schlag auf den
Kopf bewußtlos machen, ihm die Lenden aufschneiden, das Nierenfett
entfernen und die Wunde schließlich mit Gras verstopfen. Der Mann
kehrt zwar wieder zum Bewußtsein zurück, stirbt aber in ein paar
Tagen. In westaustralischen Gegenden bedient man sich einer noch
grausameren Methode. Der Mörder, beziehungsweise der Vollstrecker
eines Urteils schleicht an sein Opfer heran, während es schläft,
kneift ihm die Nasenlöcher leicht zusammen, damit es den Mund öffne,
den er ihm sofort mit Sand verstopft. So geknebelt schleppt er den
Mann eine kleine Strecke in den Busch hinein, nimmt ihn beim Kopfe,
dreht diesen mit einem besonderen Kunstgriff schnell herum, so daß
der Halswirbel ausgerenkt wird, und bringt den Kopf sofort wieder in
seine natürliche Lage zurück. Man behauptet, daß, wenn ein Opfer diese
Marter durchgemacht hat, es noch ein paar Tage in einem Dämmerzustand
verharre, dann aber doch sterbe.

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 229. Zauberhandlung, um einen Menschen zu töten.

Der Eingeborene rechts hält einen Zauberstock (siehe Abb. 203) in der
Richtung des Gegners, der von dem bösen Zauber befallen werden soll,
welcher bei Anfertigung des Zauberstockes über diesen gesprochen worden
ist.]

Die Zauberer genießen in Australien einen großen Ruf; sie vermögen
nach Angabe der Eingeborenen, wie schon gesagt, Krankheiten und Tod
zu bewirken, die Todesstunde des Menschen vorauszusagen, Schwerkranke
aber auch wieder gesund zu machen und selbst Tote wieder ins Leben
zurückzuführen. Bei der Heilung einer Krankheit gehen sie in der Weise
vor, daß sie die Körperstelle, die sie für den Sitz des Leidens halten,
zunächst reiben, drücken, anblasen, an ihr saugen und schließlich ein
Stöckchen oder einen Stein hervorbringen, den sie angeblich aus dem
Körper entfernt haben und als die Ursache der Krankheit bezeichnen.

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 230. Ein Zauberer (Kurdaitscha)

in Schuhen aus Emufedern und mit solchen am Körper geschmückt an den
Feind heranschleichend.]

Neben den Einschränkungen, die das weit verbreitete Totemwesen bei
den Heiraten der Australier auferlegt, gibt es noch weitere, die
durch das bei ihnen herrschende +klassifikatorische System+, wie die
Wissenschaft es nennt, bedingt werden. In Australien nämlich sind
die Verwandtschaftsgrade von so großer Wichtigkeit, wie bei keinem
anderen Volke der Erde, sie beherrschen und regeln ihr ganzes soziales
Leben. Weil ein Stamm nur wenige hundert Mitglieder umfaßt und diese
vielfach untereinander heiraten, so ist es für die damit vertrauten
alten Leute eine ziemliche Leichtigkeit, Generationen hindurch das
gegenseitige Verwandtschaftsverhältnis zweier Personen festzustellen.
Diese Verwandtschaftsgrade aber werden von den Australiern nicht
nach unseren Grundsätzen bestimmt und bezeichnet, sondern sie
verwenden dazu ein ganz eigentümliches, uns in mancher Hinsicht
unverständliches System, eben das sogenannte klassifikatorische. Sie
besitzen nur eine kleine Anzahl Worte, und jedes derselben wenden
sie auf eine große Anzahl Verwandtschaftsgrade an, auf eine größere
Anzahl verschiedener Personen. Wie wir in unserem Sprachgebrauche
zum Beispiel das Wort „Onkel“ für verschiedene Personen wie
Vaters und Mutters Bruder, Ehegatten der Schwestern der Eltern
und so weiter gebrauchen, so besitzt der Australier für bestimmte
Verwandtschaftsgrade einen bestimmten Ausdruck, aber er wendet ihn
auf eine ganze Reihe von Verwandten an, die derselben bestimmten
Verwandtschaftsklasse angehören. So kennt er kein eigenes Wort für
Vater (das heißt Erzeuger) in unserem Sinne, sondern er bezeichnet mit
einem gemeinsamen Ausdruck nicht nur den wirklichen Vater, sondern
auch den Bruder des Vaters, die Söhne des Bruders des Großvaters, die
Ehegatten der Schwester der Mutter und eine ganze Reihe entfernter
Verwandten mehr. In der gleichen Weise nennt er „Mutter“ nicht nur
seine wirkliche Erzeugerin, sondern dehnt diese Bezeichnung auch auf
die Schwestern der eigentlichen Mutter, die Frauen des Bruders des
Vaters und andere mehr aus. Auf diese Weise erhält jeder Mensch eine
große Anzahl Väter und Mütter. Dabei macht der Australier aber doch
einen Unterschied zwischen seinem eigentlichen Vater, beziehungsweise
seiner eigentlichen Mutter und anderen Männern wie Frauen, die die
gleiche Bezeichnung führen, geradeso wie wir zwischen Vettern ersten,
zweiten und dritten Grades unterscheiden, wenngleich wir diese alle
auf die gleiche Weise so nennen. Ebenso unterscheidet er innerhalb
jeder einzelnen Verwandtschaftsklasse, das heißt den Leuten, welche
die gleiche Verwandtschaftsbezeichnung führen, zwischen näher und
entfernter stehenden Verwandten. Wenngleich er daher allen Männern, die
er mit „Vater“ anredet, die gleiche Ehrfurcht und Hochachtung schuldet,
so macht er doch nach dem Grade der Verwandtschaft zwischen ihnen
Unterschiede. Nach diesem Klassensystem ist also jeder Mann, jede Frau
und jedes Kind, die mit einem Australier in gesellige Beziehung treten,
für ihn verwandt, allerdings in verschiedenem Grade.

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 231. Australier beim Tanz, bevor sie ihren Rachezug antreten.

Wenn ein Todesfall eintritt, so glauben die australischen Eingeborenen,
daß er durch Zauberei hervorgerufen worden sei. Die Pflicht der
Verwandten ist es dann, Rache zu üben, doch selten wird dabei Blut
vergossen.]

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 232. Rückkehr vom Rachezug,

bei der die Weiber die Schilde der Teilnehmer prüfen. Wenn einer hohl
klingt, so steht sein Besitzer unter bösem Einfluß und wird sterben.]

Dieses +Verwandtschaftssystem+ beeinflußt nun das ganze soziale
Leben des Australiers, vor allem seine +Heiratsgesetze+, denn er
darf nur in eine bestimmte Verwandtschaftsklasse hineinheiraten.

Die unter den Australiern vorherrschende Eheform ist die +Polygamie+
(im Durchschnitt zwei bis drei Frauen); Einehe kommt natürlich auch
vor und währt unter Umständen auch zeitlebens. In der Regel leisten
sich die älteren Männer mehr als eine Frau, denn ihre Zahl richtet
sich danach, wieviele Frauen ein Mann zu ernähren imstande ist. Ihm
liegt die Pflicht ob, seine Frau hinreichend mit tierischer Nahrung zu
versorgen, während diese die pflanzliche beschaffen muß. Daher kann
sich ein tüchtiger Jäger eher mehrere Frauen leisten. -- Merkwürdige
Eheverhältnisse herrschen in Zentralaustralien, wo achtzehn- bis
fünfundzwanzigjährige Männer eine Ehegenossin besitzen, die dem Alter
nach ihre Großmutter sein könnte, und wo die ältesten einflußreichsten
Männer der Gemeinde die meisten Frauen aufweisen, und zwar unter
ihnen gleichzeitig Greisinnen und im Backfischalter stehende Mädchen.
Außerdem kommt in Australien noch die sogenannte Piraûruehe vor, das
ist eine Art +Gruppenehe+. In ihr ist eine Anzahl Personen beiderlei
Geschlechts zu einer Gemeinschaft vereinigt, deren männliche Mitglieder
das Recht haben, mit einer größeren oder geringeren Anzahl der
weiblichen Mitglieder Geschlechtsverkehr zu unterhalten. Das Weib,
das die Piraûruehe eingeht, ist stets die rechtmäßige Gattin eines
bestimmten Mannes und bleibt es auch während dieser Zeit, insofern er
ihr seinen Schutz angedeihen läßt und ein Vorrecht hinsichtlich der
ehelichen Beiwohnung vor den anderen Männern beanspruchen kann. Die
Mitehemänner, deren Anzahl übrigens nicht groß zu sein pflegt, sind
gewöhnlich ältere, einflußreiche Leute des Stammes. Stets aber werden
auch bei dem Eingehen der Piraûruehe die Gesetze streng befolgt, welche
Klassen und Verwandtschaftsgrade für die Heirat vorschreiben.

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 233. Die Besucher eines befreundeten Lagers bei ihrer Ankunft,

bei der sie mit gewissen Formalitäten empfangen werden.]

Die +Ehe der Australier+ kommt durch Vereinbarung zustande. Zumeist
werden zwei Frauen, die im richtigen Verwandtschaftsverhältnis
zueinander stehen, zu den besonderen Schwiegermüttern ihrer
beiderseitigen Söhne ernannt. Oft trifft man ein solches Abkommen
bereits, wenn diese Frauen noch keine Kinder haben, oder auch gar,
wenn sie selbst noch gar nicht verheiratet sind. Der Mann erhält dann
bereits seine Spezialschwiegermutter vor der Geburt seiner Zukünftigen;
schenkt diese Schwiegermutter einer Tochter das Leben, dann steht
dem betreffenden Manne also das Recht zu, diese sich zur Frau zu
fordern. Anderseits, wenn er eine Schwester besitzt und seine besondere
Schwiegermutter einen Sohn, so muß er diese seine Schwester gegen
die Frau, die er bekommt, eintauschen. Bekommt die Schwiegermutter
aber mehrere Mädchen, dann hat der Bräutigam das Recht auf alle diese
und heiratet sie der Reihe nach, sobald sie das heiratsfähige Alter
erreicht haben. Mag er sie aber nicht sämtlich heiraten, dann kann er
dieses Vorrecht aufgeben, meistens zugunsten eines jüngeren Bruders,
der dann gewöhnlich die Mädchen zu Frauen nimmt, auf die der ältere
Bruder Anspruch hatte. Für den Fall, daß die Spezialschwiegermutter
nur Söhne gebären oder frühzeitig sterben sollte, trifft man eine
Vereinbarung dahin, daß der mutmaßliche Schwiegersohn ein weiteres
Anrecht auf die Töchter anderer Familien hat. Bei allen diesen
Verlöbnissen müssen natürlich die bestehenden Heiratsgesetze
innegehalten werden. Der eigenartigen Beschränkungen im Verkehr
zwischen Schwiegermutter und Schwiegersohn gedachten wir bereits oben.
Im allgemeinen läßt sich aber sagen, daß, wenn ein junger Mann etwa
zwanzig Jahre alt ist, eine dauernde Vereinbarung über seine Zukünftige
bereits getroffen sein wird. Nun kann es allerdings vorkommen, daß
diese erst einige wenige Jahre alt ist, dann muß er eben warten, bis
sie das heiratsfähige Alter erreicht hat, was bereits mit vierzehn
Jahren der Fall sein kann. Während dieser Wartezeit stattet der
Bräutigam dem Mädchen regelmäßig seine Besuche ab und bringt dem Vater
passende Geschenke mit. Sobald nun nach Ansicht des Vaters und der
Angehörigen das Mädchen alt genug geworden ist, um zu freien, wird sie
dem versprochenen Manne übergeben. Eine besondere Festlichkeit findet
bei den meisten Stämmen nicht statt; nachdem die weiblichen Angehörigen
der Braut oder auch diese selbst für ein primitives Obdach gesorgt
haben, erwartet der junge Mann unter ihm gegen Abend das Mädchen, das
ihm von jenen zugeführt wird.

[Illustration:

    Phot. W. Saville Kent.

Abb. 234. Duell zwischen zwei Männern mittels Bumerang.]

[Illustration:

    Phot. W. Saville Kent.

Abb. 235. Kriegstanz der Eingeborenen vom Kimberleydistrikt.

Er geht den Einzelkämpfen zwischen den beiden Parteien, die sich
bekämpfen, voraus.]

Wenn ein Mann keine Gelegenheit hat, auf dem üblichen Wege eine Frau zu
erhalten, bleibt er entweder Junggeselle oder er nimmt einem anderen
seine Frau fort. Anderseits aber auch kommt es vor, daß eine Frau sich
aus ihrem Gatten oder dem ihr versprochenen Mann nichts macht und
ihm einen anderen vorzieht. Entführungen sind daher aus diesem oder
jenem Grunde keine Seltenheit. In den Augen der Australier kommt es
auf dasselbe heraus, ob ein Mann einem anderen das Mädchen, das ihm
versprochen worden ist, oder seine wirkliche Frau entführt; in beiden
Fällen handelt es sich um ein „Stehlen“, und dies erfordert Sühne.
Der beleidigte Mann und seine Verwandten oder Freunde setzen den
Flüchtlingen nach; holt man sie sogleich wieder ein, so wird die Frau
dem Manne wieder zurückgegeben und erhält eine tüchtige Tracht Prügel,
der Verführer aber muß sich hinstellen und sich von dem Beleidigten mit
einer Anzahl Speere bewerfen lassen. Indessen ist diese Sache nicht
so gefährlich, wie es auf den ersten Anblick erscheint, denn der
Übeltäter erhält meistens einen Schild zur Abwehr und außerdem darf auf
keine edleren Körperteile gezielt werden, sondern nur auf die Lenden,
so daß im allgemeinen keine lebensgefährlichen Verletzungen entstehen.
Wenn die Flüchtlinge aber ihren Verfolgern längere Zeit zu entweichen
verstanden haben, darf der Verführer meist seinen Raub behalten,
besonders wenn er ein tüchtiger Krieger ist oder einflußreiche Freunde
ihn dabei unterstützen. Die Frau kommt aber stets schlecht weg, denn
sie wird fast immer tüchtig verprügelt. Ganz anders aber gestalten
sich die Folgen, wenn ein Mann eine Frau entführt hat, die er nach den
bestehenden Heiratsgesetzen nicht heiraten durfte. In diesem Falle ist
die Entführung nicht allein ein Vergehen gegen die Anverwandten der
Frau, sondern auch gegen das Gesetz des Stammes. Während nämlich dann,
wenn ein Mann eine Frau entführte, die mit ihm in dem richtigen Grade
verwandt ist, seine Verwandten und Freunde sich für ihn verwenden und
wenigstens dafür sorgen, daß ihm kein ernster Schaden zugefügt wird,
nehmen sie im Falle der Blutschande, das heißt wenn die Entführte nicht
im rechten Verwandtschaftsgrade zu ihm steht, gegen ihn energisch
Partei. Sie bestrafen den Missetäter dafür gewöhnlich mit dem Tode oder
trennen die Vereinten für immer, so daß sie niemals wie Mann und Frau
zusammenleben können. Bei anderen Stämmen verfährt das Gesetz etwas
weniger streng, insofern es, wenn die Entlaufenen sich genügend lange
verstecken konnten, ihnen zwar gestattet, zusammenzuleben, aber der
Fluch der Blutschande bleibt doch auf ihnen lasten.

[Illustration:

    Phot. W. E. Roth.

Abb. 236. Duell zwischen zwei Frauen mit einem Grabstock.]

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 237. Bestattungsbrauch bei den Warramunga.

Einige Tage nach der Bestattung untersuchen Verwandte des Toten bei
Sonnenaufgang den auf einem Baum beigesetzten Leichnam in der Annahme,
herausfinden zu können, wer den Tod durch Zauber verursachte. Die
Eingeborenen glauben nämlich, daß der Geist des Mörders das Grab
besucht und Spuren hinterläßt, an denen der Mörder zu erkennen ist.]

Ein Fortlaufen der Frau wird unter gewissen Umständen von der
öffentlichen Meinung ohne weiteres gebilligt, wenn nämlich der Ehegatte
nicht imstande ist, sie genügend mit Fleisch zu ernähren. Außer seiner
Frau muß er auch seinem Schwiegervater reichlich von den Erträgen
seiner Jagd abgeben, und zwar manchmal nicht nur dem wirklichen
Schwiegervater allein, sondern auch allen denjenigen Verwandten des
Mädchens, die zu ihm in dem gleichen Verwandtschaftsgrade stehen. Daher
wird auch kein Kaufgeld für die Braut bezahlt, wie dies bei vielen
anderen Völkern üblich ist, wohl aber muß der Mann dem Schwiegervater
des öfteren Geschenke machen.

Eine ganz allgemein über Australien verbreitete Sitte ist das
+Verleihen der Frau+, das wie die Heirat durch die Verwandtschaft
geregelt wird. Ein Mann darf nämlich seine Ehefrau nur dem leihen,
der mit ihm als „Bruder“ verwandt ist, das heißt der sie von Rechts
wegen auch heiraten könnte. Ein Verheirateter, der ein anderes Lager
ohne seine Frau besucht, erhält oft von einem Verwandten, bei dem er
Aufenthalt nimmt, eine Frau geliehen. Natürlich wird diese Gefälligkeit
bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit erwidert. -- Außer
dieser regelrechten Frauenverleihung, die sich teils nach bestimmten
Gesetzen, teils ohne solche regelt, herrscht bei vielen australischen
Stämmen noch die Sitte des +zeitweiligen Austausches+ von Frauen,
was mit besonderen Zeremonien verbunden ist. In solchen Fällen ist
der Austausch und die dazu gehörige Genehmigung in Wirklichkeit eine
Zauberzeremonie oder ein religiöser Akt, über dessen Bedeutung wir
nichts Näheres wissen.

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 238. Bestattungsbrauch bei den Warramunga: Schlußszene bei einem
Begräbnis.

Die Männer stellen sich breitbeinig einer hinter dem andern auf, die
Weiber kriechen zwischen ihren Beinen hindurch. Die letzte der Frauen
trägt dabei den schön geschmückten Armknochen des Toten; sobald sie
am Ende angelangt ist, entreißt man ihr denselben. Hierauf wird der
Armknochen entzweigeschlagen und vergraben. Die Weiber fliehen, sobald
sie das Krachen des Knochens hören, schreiend in ihr Lager zurück.]

Die +sittlichen Anschauungen+ der Australier sind in mancher Hinsicht
recht lockere, wenngleich wir sagen müssen, daß die Weiber, was
zum Beispiel die Bloßstellung ihrer Geschlechtsteile anbetrifft,
sichtliches Schamgefühl bekunden. Keuschheit der jungen Mädchen
ist aber ein unbekannter Begriff; sie verlieren, sobald sich der
Fortpflanzungstrieb bei ihnen einstellt, ihre geschlechtliche
Reinheit; im Alter von acht bis zehn Jahren pflegen sie sich den
Knaben preiszugeben. -- Der +Geschlechtstrieb+ scheint bei beiden
Geschlechtern stark entwickelt zu sein und artet nicht selten in ganz
unzüchtige Handlungen aus. Bei den Borazeremonien ist es gang und gäbe,
daß den Novizen ganz unzüchtige pantomimische Tänze vorgeführt werden,
die ihnen angeblich zur Abschreckung dienen sollen.

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 239. Bestattungsbrauch bei den Warramunga.

Die Weiber warten auf die Zeremonie des Durchkriechens (siehe Abb.
238). Die angemalte alte Frau im Vordergrund hält das Bündel mit dem
Armknochen, eine andere hat in einer Mulde gekochte Schlangen für die
alten Männer.]

Den mutmaßlichen Zweck der +Mikaoperation+ deuteten wir bereits an
anderer Stelle an. Sie besteht in einer Bloßlegung der männlichen
Harnröhre durch Aufschlitzen des Gliedes an seiner unteren Seite
mittels eines zugespitzten Feuersteinmessers oder einer Muschel,
neuerdings auch mittels Glassplitters und in einem Auseinanderzerren
der Wundränder, beziehungsweise Verhindern ihres Zusammenheilens. Über
die mögliche Entstehungsursache dieser Unsitte, die sich über fast zwei
Drittel Nordwestaustraliens verbreitet findet, gehen die Ansichten sehr
auseinander; Roth und nach ihm Klaatsch bringen Gründe für die Annahme
bei, daß die so geschaffene Öffnung am Gliede gleichgeschlechtlichem
Verkehr diene; jedoch dürfte dies wohl kaum der alleinige Grund
sein, denn dagegen spricht meines Erachtens die große Verbreitung
der Mikaoperation. Lumbholtz berichtet, daß in dem von ihm besuchten
Gebiete nur etwa fünf von hundert Knaben von ihr bewahrt blieben.
Auf der anderen Seite wieder steht fest, daß die Australier sehr zu
widernatürlichem Geschlechtsverkehr hinneigen. Die Operation wird
meistens in den Knaben- und Jünglingsjahren vorgenommen, jedoch werden
ihr auch noch verheiratete Männer unterworfen.

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 240. Einsammeln der Totenknochen bei den Warramunga,

wobei die Männer sie nicht mit den Händen berühren dürfen.]

Vielfach begegnet man der Meinung, daß die Wilden in beständigen
gegenseitigen Fehden lägen. Für andere Länder mag dies wohl teilweise
zutreffen, nicht jedoch für Australien. Hier bilden Kriegszüge (Abb.
231 und 232) nur die Ausnahme. Zwar betrachtet der Australier jeden
Fremden, den er antrifft, auch jeden Schwarzen für seinen persönlichen
Feind und sucht sich seiner nach Möglichkeit zu entledigen, aber,
da er meistens im Bereich seiner Heimat bleibt, so kommen derartige
Zusammenstöße nur vereinzelt vor. Jede Ortsgruppe bewohnt ihr
bestimmtes Gebiet, in dem sie umherzieht, Eroberungsgelüste kennt
der Australier nicht, und das Land bietet Raum genug für die wenigen
Horden. Somit bekommt er wenig Fremde zu Gesicht, es müßte denn
sein, daß er, um Besuche zu machen, weite Märsche unternimmt (Abb.
233). Dagegen herrscht bei vielen Stämmen der Brauch, den Tod eines
Angehörigen zu rächen. Wir hörten bereits oben, daß man den Tod einer
Person einer +Verzauberung+ zuschreibt und durch Vermutung den Urheber
herauszubekommen sucht, wobei meistens ein Medizinmann hilfreiche Hand
leistet. Kann man den Schuldigen nicht ermitteln oder hält man es aus
irgend einem Grunde für rätlich, ihn öffentlich nicht zu töten, so
verhängt man gleichfalls einen Zauber über ihn. Zu diesem Zweck senden
die Arunta einen Schamanen unter Begleitung eines gewöhnlichen Mannes
nach dem Orte, wo sich der vermeintliche Mörder aufhält, aus. Um seine
Spuren zu verdecken, trägt er an seinen Füßen ganz weiche Schuhe, die
aus durch Menschenblut zusammengeklebten Emufedern hergestellt und von
einem taschenförmigen, aus Menschenhaar geknüpften Netz umspannt sind;
außerdem umschließt er seinen Leib mit einem Zaubergürtel aus dem Haar
eines toten Kriegers, bemalt sich Brust und Gesicht und schmückt sich
den Kopf mit Federbüscheln und Blättern. Im Dunkel der Nacht sucht er
das erkorene Opfer durch einen Speerstoß zu töten oder wenigstens durch
Verwünschungen oder Verrichtungen mit zauberkräftigen Gegenständen
Unheil und Tod über dasselbe zu verhängen. In anderen Fällen wieder
wird ein Rachezug nach der Gegend hin unternommen, wo man den Täter
anzutreffen hofft. Die Bluträcher, bei den Diäri zum Beispiel durch ein
weißes Stirnband kenntlich, schleichen sich in die Nähe des Lagers,
kundschaften aus, wo sich ihr Opfer befindet, beschmieren ihren Körper
sodann mit weißer Farbe, um sich unkenntlich zu machen, und dringen
um Mitternacht ins Lager. Meistens pflegt keiner der Eingeborenen
im Augenblick Widerstand zu leisten, selbst die Weiber sind so
eingeschüchtert, daß sie keinen Laut von sich zu geben wagen. Sobald
der dem Tode Geweihte herausgefunden ist, muß er seine Hütte verlassen
und wird dann draußen durch Speerwürfe getötet. Natürlich verschwören
sich die so Überrumpelten nicht selten zu einem Vergeltungszug.

[Illustration:

    Phot. ~Dr.~ Hose.

Abb. 241. Höhlengrab in Nordwestaustralien.

Die an den Wänden angebrachten Figuren ohne Mund stellen wahrscheinlich
überirdische Wesen dar.]

Ganz sonderbare Zeremonien werden an den Teilnehmern eines solchen
Zuges vorgenommen. Bei den Arunta stellt sich ein Bruder des Ermordeten
aus den Haaren des Toten einen Gürtel her, klemmt ihn in seiner
Achselhöhle fest, kniet vor jedem Krieger, der sich beteiligen will,
nieder, legt sein Geschlechtsglied in dessen Hand und reibt es darin,
alsdann nimmt er den Gürtel aus seiner Achselhöhle heraus und drückt
ihn gegen den Bauch seines Partners. Dadurch soll dieser zum Kampfe
gestärkt und gleichzeitig zur Teilnahme an ihm verpflichtet werden.
Vor dem Ausrücken tanzen die Krieger um ihre Speere. Die Führer gehen
während des Rachezuges an jeden Teilnehmer heran, geben ihm das eine
Ende des Haargürtels in den Mund, während sie das andere an ihr Glied
halten, wobei sie sich umarmen. Außerdem gehen dem Zusammenstoße mit
dem Gegner manchmal Kriegstänze voraus (Abb. 231 und 235).

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 242. Beisetzen der gesammelten Knochen in einem Grabhügel bei den
Warramunga.]

In anderen Fällen nähern sich die Rächer frei und offen dem Lager der
Gegner und setzen älteren Männern, die ihnen entgegengesandt werden,
um den Grund ihres Besuches auszukundschaften, diesen auseinander.
Letztere bemühen sich nun, sie umzustimmen und zu versöhnen. Gelingt
ihnen dies aber nicht, so einigt man sich dahin, daß die Rächer
entweder den Mann, um dessentwillen sie gekommen sind, oder einen
seiner Verwandten töten. Gelegentlich bestimmen die älteren Leute auch,
daß ein Mann, der aus irgendeinem Grunde unbeliebt ist, ausgeliefert
und getötet werden soll. -- Streitigkeiten werden im allgemeinen von
vielen Stämmen zwischen den einzelnen Ortsgruppen in Zusammenkünften
beigelegt, die in regelmäßigen Zeitabschnitten einberufen werden. Bei
einer solchen Versammlung wird alles streng nach Sitte und Brauch
geordnet, und die alten Leute halten streng auf die Befolgung der
Vorschriften. +Wenn zwei Männer verschiedener Parteien sich gegenseitig
gekränkt haben+, können sie ihren +Streit durch ein Duell ausfechten+,
entweder mittels Bumerang oder Keule oder Steinmesser (Abb. 234). Im
letzteren Falle stechen sie sich so lange in den Rücken, bis der eine
oder der andere nachgibt oder die Freunde die Streitenden trennen;
bei Anwendung von Fernwaffen (Bumerang, Speere) darf man sich mit dem
Schild verteidigen. Außer diesen Duellen gibt es zur Schlichtung von
Streitigkeiten noch +Gottesurteile+. Hat ein Mann zum Beispiel einem
anderen seine Frau gestohlen oder sonst ihn in irgend einer Weise
geschädigt, so wird er gezwungen, sich einer Strafe durch Gottesurteil
zu unterwerfen. Bei einigen Stämmen muß er sich, ganz gleich ob er
schuldig ist oder nicht, hinstellen und sich den Speeren der anderen
aussetzen; manchmal darf er sich durch einen Schild dagegen schützen
und entkommt dann unbeschadet; auch wenn er keinen Schild benutzen
darf, gelingt es ihm häufig, den Speerwürfen auszuweichen. Bei anderen
Stämmen muß er Bumerange auf sich werfen lassen, oder der Beleidigte
stößt dem Übeltäter einen zackigen Speer in seine Lende. Bei allen
diesen Gottesurteilen wird jedoch darauf gesehen, daß der Übeltäter
nicht getötet wird. Sollte indessen ein solcher Fall eintreten, dann
würde der Getötete wahrscheinlich von seinen Angehörigen gerächt werden.

Auch +Frauen bringen ihre Streitigkeiten durch ein Duell zum Austrag+,
und zwar überall mit dem bekannten Grabstock (Abb. 236). Mit diesem
gehen sie scharf aufeinander los und schlagen sich gegenseitig so
lange, bis eine von ihnen genug hat oder bis sie getrennt werden.

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 243. Trauernde Witwen mit abgeschnittenem Haupthaar und mit Kalk
bemaltem Körper.

Sie trauern um ihren gemeinsamen Gatten in einer abseits vom Lager
des betreffenden Stammes selbstgebauten Laubhütte, wo sie nicht eher
miteinander sprechen dürfen, als bis die Trauerzeremonien beendet sind,
was unter Umständen mehrere Monate dauern kann.]

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 244. Sterbeszene bei den Warramunga.

Die Männer sitzen um den Sterbenden herum, während die Weiber laut
um ihn klagen und den Männern winken, die aufspringen und sich mit
Steinmessern Schnittwunden beibringen.]

Die +Beerdigungsgebräuche+ der australischen Eingeborenen wechseln von
Stamm zu Stamm, weswegen wir sie hier nur in großen Zügen behandeln
können. Zum Teil entledigt man sich der Toten, indem man sie in die
Erde vergräbt, sie auf erhöhten Plattformen aussetzt oder in einen
Baum legt, zum Teil werden sie konserviert, meistens durch Rauch, oder
verbrannt, vielfach auch verzehrt. Einst war die +Menschenfresserei+
eine über ganz Australien verbreitete Unsitte, bis die Ankunft der
Weißen ihr vielfach den Garaus machte, indessen steht fest, daß man
ihr noch jetzt weit und breit huldigt, selbst dort, wo die Schwarzen
im Bereiche der Weißen hausen. Die hauptsächlichste Ursache für den
Kannibalismus ist ohne Zweifel die Leckerei; nach dem Urteile von
solchen, die gezwungen waren, kannibalischen Schmausereien beizuwohnen,
soll Menschenfleisch ungefähr wie Schweinefleisch munden. Die meisten
Stämme ziehen Kinderfleisch dem Fleisch von Erwachsenen vor, bei
letzterem legen sie großen Wert darauf, daß es recht fett ist,
verschmähen dagegen Personen, die zumeist infolge langer Krankheit
abmagerten. Bei vielen Stämmen wird jede Person, die gestorben ist
oder getötet wurde, verzehrt; einige verspeisen die ganze Leiche,
andere begnügen sich, von ihr etwas Fleisch oder Fett zu essen. In
manchen Gegenden Queenslands wurde ein Eingeborener, wenn er im Kampfe
gefallen war, von seinen Angehörigen gekocht und gegessen, seine Haut
getrocknet und als wertvolles Gut aufbewahrt; diese Behandlung der
Leiche galt für die ehrenwerteste Form des Begräbnisses. In Viktoria
malen sich alle Leute, die bei der Totenfeier von dem Fett der Leiche
gegessen haben, mit roter Farbe einen Kreis um den Mund. Einen
erschlagenen Feind verzehrte man wohl auch, aber nur diejenigen nahmen
an dem Mahl teil, die ihn umgebracht hatten, nicht die Verwandten oder
Freunde des Verstorbenen.

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 245. Trauersitte bei den Warramunga.

Ein Mann mit klaffender Wunde am Oberschenkel, die er sich zum Zeichen
der Trauer beibrachte; um sie weit offen zu halten, hat er oberhalb und
unterhalb Umschnürungen angebracht.]

Die +Bestattung+ des Toten wird hauptsächlich in solchen Gegenden
ausgeübt, die völlig baumlos sind. Der Tote wird in große
Rindenstreifen eingewickelt und der Kleinheit des Grabes wegen in
Hockerstellung in einem röhren- oder schachtförmigen engen Erdloche
beigesetzt. Einzelne Stämme begraben ihre Toten nicht sogleich, sondern
trocknen sie erst aus. Zu diesem Zwecke setzen sie den Leichnam in
einer Art Hütte, mit Stricken zusammengebunden, auf ein rostähnliches
Holzgestell und unterhalten unter ihm längere Zeit hindurch ein
schwaches, aber stark rauchendes Feuer. Wenn der Tote auf diese
Weise ausgedörrt ist, wird er erst begraben oder in einem Baumgeäst
ausgesetzt (Abb. 237). Gelegentlich kommt er aber nach der Austrocknung
noch zu keiner Ruhe, sondern wird von den Angehörigen, denen die
Trennung schwer fällt, in ihrer Hütte noch wochenlang aufbewahrt, auch
wohl auf ihren Wanderungen von Lager zu Lager mitgeschleppt, bis er
endlich seine Ruhestätte findet. In anderen Gegenden begräbt man wohl
den Körper, behält sich aber einen Teil zurück (Abb. 238 und 239) und
bewahrt ihn auf, so in Westaustralien und Viktoria die Knochen eines
Beines oder Armes, bei den Kurnai eine Hand, die abgeschnitten,
getrocknet und um den Hals getragen wird. Man glaubt nämlich, daß, wenn
ein Feind sich dem Träger eines solchen Amulettes nähert, die tote Hand
ihn ergreifen und kneifen würde, oder daß sie, in die Höhe gehalten und
befragt, anzeigen würde, aus welcher Richtung der Feind zu erwarten
steht. Die Stämme im Norden und Nordwesten des Festlandes haben fast
nur das +Baumbegräbnis+; hier ist der Boden meistens felsig, so daß das
Schaufeln eines Grabes auf große Schwierigkeiten stößt. Man bereitet
in der Regel in etwa drei bis vier Meter Entfernung vom Erdboden in
dem Geäst eines Baumes eine Plattform aus wagrecht gelegten Ästen und
Buschwerk, auf das die Leiche zu liegen kommt. Infolge der großen
Trockenheit der Luft werden diese Leichen vielfach zu Mumien. Die
Knochen werden häufig später eingesammelt (Abbild. 240) und vergraben
(Abb. 242). Im Kimberleydistrikt (Westaustralien) setzt man sie in
einer Höhle bei, deren Wand reichen Figurenschmuck trägt (Abb. 241).

[Illustration:

    Aus: Spencer & Gillen, Central-Australia.

Abb. 246. Trauersitte bei den Australiern.

Um den Bann des Schweigens nach Ablauf der erforderlichen Trauerzeit
von einigen Monaten zu beendigen, dem die mit dem Verstorbenen
verwandten Frauen unterworfen sind, bringen sie einigen der männlichen
Verwandten Geschenke an Nahrungsmitteln; sie beißen dann in die Finger
jedes Mannes, wodurch sie von dem Banne erlöst sind.]

Die +Kundgebung der Trauer+ besteht bei den meisten Stämmen in
Selbstquälereien und lauten Klagen (Abb. 244). Verschiedentlich ist
mit der Trauer auch die Pflicht des Schweigens verknüpft (Abb. 243
und 246). In Zentralaustralien bringen sich die Männer, die zu dem
Toten in verwandtschaftlichem Verhältnis stehen, mittels Steinmesser
tiefe Schnittwunden am Oberschenkel bei (Abb. 245), so daß sie
manchmal von Blut gleichsam triefen, die Weiber schneiden sich
auch die Haare ab, während sie bei anderen Stämmen sich dieselben
absengen, die Männer verfahren in der gleichen Weise mit ihrem Bart.
Als Trauertracht ist allgemein das Bestreichen des Körpers mit Farbe
Sitte. Im ganzen Binnenland bildet Weiß das Kennzeichen der Trauer, in
den Küstengegenden dagegen Schwarz. Man bestreicht sich Kopf, Brust
und Oberarme mit Kalk oder Asche. Der Anstrich wird von Zeit zu Zeit
erneuert, solange die Trauerzeit anhält, etwa ein Jahr. Das Jammern
der Angehörigen, im besonderen der Weiber, setzt ein, sobald der
Sterbende den letzten Atemzug getan und dauert so lange, bis er, wenn
auch nur seine provisorische Bestattung gefunden hat. Vielfach ist es
auch Brauch, die Hütte, in der eine Person starb, niederzubrennen,
selbst das ganze Lager zu verlassen, wenn ein Mensch gestorben ist. Man
vermeidet überall, den Namen eines Verstorbenen auszusprechen, weil man
glaubt, die Toten wünschten nicht genannt zu werden.



Asien

[Illustration]



[Illustration:

    Phot. Ch. Hose.

Abb. 247. Geräucherte Köpfe erschlagener Feinde.]



Indonesien.


Unter Indonesien verstehen wir die weite Inselflur, die sich zwischen
Südostasien beziehungsweise Hinterindien, Neuguinea und Australien
ausbreitet und die großen (Sumatra, Java, Borneo, Zelebes) und kleinen
Sundainseln (Bali, Lombok, Sumbawa, Sumba, Flores, Timor und andere
mehr), sowie die Molukken (Ceram, Amboina, Djijolo) und die Philippinen
(Luzon, Mindanao, Sulu und so weiter) umfaßt. Man nennt dieses
Gebiet auch den Malaiischen Archipel, weil er von einem besonderen
Menschenschlag, der malaiischen Rasse, bewohnt wird. Diese Rasse, die
offenbar aus der gelben Grundrasse, wie die Chinesen und Japaner,
hervorgegangen ist, zeigt in körperlicher Hinsicht große Ähnlichkeit
mit den Polynesiern, die einen Zweig von ihnen bilden. Während letztere
aber infolge längerer Isolierung auf ihren einsam gelegenen Inseln
einen mehr einheitlichen Typus angenommen haben, trifft dieses für
die Malaien weniger zu, weil sich in den von ihnen bewohnten Gebieten
im Laufe der Zeiten reichlich Gelegenheit sich mit anderen Rassen zu
vermischen bot. Im allgemeinen gleicht daher der Typus der Malaien dem
der Polynesier, mit dem Unterschied, daß er sich vielfach verwischt
hat, indem er sich teils verfeinerte durch Kreuzung mit Hindu-, das
heißt mit indogermanischem Blute -- die Javaner dürften für seine
Vertreter gelten, besonders in ihren höheren Schichten -- (Abb. 248),
teils gröber wurde durch Vermischung mit den primitiven Inlandstämmen,
den Resten der Urbevölkerung der Inseln (Abb. 311 und 312). Unter
dieser letzteren lassen sich wiederum zwei Typen unterscheiden, ein
kurzköpfiger brauner mit krausem Haar und ein langköpfiger dunklerer
mit langem, straffem Haar; jener gehört der afrikanischen, dieser
der südasiatischen Grundrasse an; die Verwandten des ersteren sind
die Zwergvölker Mittel- und Zentralafrikas, sowie die Bewohner der
Andamanen, die des letzteren die Wedda auf Ceylon, die Semang-Senoi auf
Malakka, die Australier und Tasmanier. Beide Typen sind im Laufe der
langen Zeiten vielfach Vermischungen miteinander eingegangen, so daß
es schwer hält, im einzelnen Falle mit Bestimmtheit zu sagen, welchem
Typus der Vertreter eines Inlandstammes angehört. Gemeinsam ist beiden
Typen die niedere Körpergröße. Am reinsten hat sich die afrikanische
Grundrasse noch in den sogenannten Negrito der Philippinen (Aëta,
Baluga, Mammamua und so weiter) erhalten. Reste der +Urbevölkerung+
trifft man auf den meisten Inseln noch an; die bekanntesten Stämme
sind auf Sumatra die Kubu und Gajo, auf Borneo die Punam, Ot,
Bakatan, Ukit, Kajan, auf Zelebes die Toala und so weiter. Alle diese
Stämme stehen auf einer recht niederen Kulturstufe, ähnlich wie die
Australier. Größtenteils schweifen sie ohne feste Wohnsitze in kleinen
Familienhorden umher, für die Nacht benutzen sie höchstens eine aus
Laubblättern hergestellte primitive Regenschutzhütte und leben von den
Erträgnissen des Sammelns oder der Jagd auf kleine Tiere. Bei letzterer
bedienen sie sich ihrer einzigen Waffe, des hölzernen Wurfspießes; zum
Ausgraben der Wurzeln benutzen sie Grabstöcke. Ihre Kleidung besteht
bei den auf niedrigster Stufe stehenden Stämmen in einem zwischen den
Beinen durchgezogenen Gürtel aus geklopfter Rinde (Abb. 249) und in
einer Kopfbinde aus dem gleichen Stoff. Haustiere und Kulturpflanzen
kennen die Urstämme nicht, höchstens besitzen sie Hunde und Hühner,
die sie durch Tausch mit den kultivierteren Nachbarstämmen erhielten.
Schmuck findet sich bei ihnen nur in bescheidenem Maße vertreten oder
fehlt gänzlich. Ihre soziale Ordnung beruht auf der patriarchalischen
Familie.

[Illustration:

    Aus: Stratz, Rassenschönheit des Weibes.

Abb. 248. Sechzehnjährige Sundanesin.]

[Illustration:

    Phot. A. C. Pratt.

Abb. 249. Eingeborene der Tenimberinseln,

die ständig auf dem Kriegsfuß miteinander leben. Sie treiben Ackerbau,
Jagd und Fischfang und besitzen auch einige Fertigkeiten in der
Bearbeitung von Eisen und Kupfer. In religiöser Beziehung sind sie
Animisten. Ihre Häuser sind auf Pfählen erbaut.]

Ungleich höher als diese Kultur der Indonesier steht die der
eigentlichen +Malaien+ (Abb. 251), selbst in ihren tiefsten Schichten.
Sie führen bereits eine seßhafte Lebensweise, soweit sie Ackerbau
betreiben. Ihre wichtigste Kulturpflanze bildet der Reis; er wird
entweder auf trockenen (Ladangs) oder unter Wasser stehenden (Sawahs)
Feldern angebaut. Andere Nutzpflanzen sind Süßkartoffeln, Zuckerrohr,
Bananen, Kokos- und Betelpalmen, sowie Gemüse der verschiedensten Art.
An Haustieren besitzen sie Büffel, Pferde, Ziegen, Schafe, Hunde,
Hühner und so weiter. -- Das typische +Haus+ der Malaien ist der
Pfahlbau mit Giebeldach. Ähnlich wie in Ozeanien dienen diese Häuser
verschiedenen Zwecken. Es gibt Familien-, selbst ganze Sippenhäuser
von großen Dimensionen, in denen mehrere Familien zusammenwohnen, und
als gemeinsamen Aufenthaltsort die lange Galerie (Abb. 250) benutzen
-- im Bedarfsfalle wird ein Stück angebaut --, Junggesellenhäuser, in
denen die Unverheirateten hausen, sowie Besuchsgäste Unterkunft finden,
die öffentlichen Angelegenheiten besprochen werden, auch vereinzelt
Häuser für ledige Frauen, ferner Speicher zur Aufbewahrung von Reis
und anderen Früchten und kleine Totenhäuschen, die nach dem Muster
eines wirklichen Hauses gebaut sind. Die Häuser stehen in Dörfern, den
sogenannten Kampongs, zusammen. Die von der Hindukultur beeinflußten
Javaner wohnen in Häusern auf ebener Erde; auf einzelnen kleinen Inseln
treffen wir auch Rundhütten an.

[Illustration:

    Aus: Hose, The Pagan Tribes of Borneo.

Abb. 250. Die lange Galerie eines Familienhauses als gemeinsamer
Aufenthalt für seine Bewohner.

Ein Haus in durchschnittlicher Größe nimmt ungefähr zweihundert
Bewohner auf, es ist im Rechteck gebaut, manchmal über
dreihundertfünfzig Meter lang und in der Mitte durch eine die ganze
Länge durchgehende Mauer in zwei Hälften, deren eine die offene Halle
ist, getrennt.]

[Illustration:

    Phot. Edward Elven.

Abb. 251. Malaiische Frauen aus Sumatra,

wo die Malaien am stärksten verbreitet sind. Von gedrungener,
muskulöser Gestalt, mit kleinen Händen und Füßen, besitzt der Malaie
große Gelenkigkeit und Ausdauer. Er ist intelligent, tätig und fleißig,
großer Ergebenheit, aber noch stärkeren Hasses fähig und von scheuer,
empfänglicher, rachsüchtiger und verräterischer Natur.]

Die Malaien sind mit einem unterrockartigen Gewande, dem Sarong (Abb.
252), einem Kopftuch oder einer Mütze und einem Umschlagtuche um den
Oberkörper bekleidet; die mehr zivilisierten Stämme tragen jetzt auch
Hosen. Die Frauenkleidung ist die gleiche, nur fällt bei ihr meistens
das Kopftuch fort, dafür aber tritt eine Jacke (Abb. 253) hinzu.
Die Stoffe für diese Gewänder sind Erzeugnisse der einheimischen
Webekunst. -- Ein auf Java beschränktes, aber hier seit undenklichen
Zeiten allgemein geübtes Hausgewerbe ist das +Batiken+ (Abb. 254)
des einheimischen oder eingeführten Kattuns, das ist das Herstellen
warmer Farbentöne auf diesem mittels eines eigenartigen Verfahrens.
Auf dem Stoffe werden zunächst die Muster, zumeist Arabesken, sodann
aber auch Pflanzen, Tiere und szenische Darstellungen, mittels Wachs
abgedeckt, meistens freihändig, bei komplizierteren Mustern auch
nach Aufzeichnen mittels Holzkohle. Das Abdecken von schmäleren
Flächen, Linien oder Punkten geschieht mit einer Art Füllfederhalter,
einem Näpfchen mit lang ausgezogener Ausgußöffnung zur Aufnahme des
Wachses, das beständig in kleinen Tonschalen über kleinen Herden
flüssig gehalten wird, bei größeren Flächen mittels Pinsels. Das fertig
abgedeckte Tuch wird nun ins Farbbad in einen großen Kupferkessel
gebracht; dadurch nehmen diejenigen Stellen, an denen das Wachs
aufsitzt, keine Farbe an, sondern bleiben weiß, wenn dieses wieder
entfernt worden ist. Dies geschieht durch Eintauchen und Umherschwenken
des gefärbten Stoffes in kochendem Wasser. So einfach das Batiken
auch erscheint, so ist es doch äußerst mühsam und zeitraubend, zumal
wenn das Tuch mehrfarbig ausfallen soll, da sich dann der Prozeß des
Abdeckens, Färbens, des Wachssammelns und so weiter mehrfach wiederholt.

[Illustration:

    Phot. Ch. Hose.

Abb. 252. Dajakfrau in ihrer Tracht.]

Recht mannigfaltig ist der Körperschmuck der Malaien. Kopf, Ohren,
Hals, Brust, Arme und Beine werden mit allerlei Zierat behängt (Abb.
255 und 258), zu dem mit großer Vorliebe bunte Glasperlen (Abb. 256) --
es gibt darunter sehr alte von hohem Wert, die gleichbedeutend mit Geld
sind, ähnlich wie alte Tongefäße (Abbild. 257) --, verwendet werden.
Aber auch Muschelplättchen, Fruchtkerne, bunte Federn, gefärbtes Holz,
Bambusfasern, Zinn, Messing und Edelmetalle (Gold und Silber), sowie
Edelsteine finden Verarbeitung. Wie wohl bei keinem anderen Volke sind
hier allerlei Körperdeformationen sehr beliebt.

[Illustration:

    Phot. A. Heim.

Abb. 253. Frauen auf Sumatra im Festschmuck.

Die Mädchen und Frauen der Familien von Rang kleiden sich zu den
Festlichkeiten in farbenfreudige Gewänder, die reich mit Gold und
Silber durchbrochen und von hohem Werte sind, und tragen goldene
Stirnbänder. Die Mädchen lassen sich dem mohammedanischen Brauch
zufolge nur zu solchen Gelegenheiten sehen.]

Allgemein verbreitet ist die Sitte der +Zähneverunstaltung+
(Abb. 259), der beide Geschlechter zur Zeit, wenn die Kinder die
geschlechtliche Reife erlangen, unterworfen werden. Mittels eines
kleinen eisernen Meißels und eines hölzernen Hammers werden die
Schneidezähne beider Kiefer sowie vereinzelt auch noch die Eckzähne
stückweise abgesprengt, bis sie die richtige Form und Länge erhalten
haben, und die Kanten durch Feilen geglättet. Durch dieses sehr
schmerzhafte Verfahren erhält das Profil der Zähne ein sägeartiges
Aussehen. An das Feilen schließt sich dann noch das Schwarzfärben
sämtlicher Zähne an. Zugespitzte und geschwärzte Zähne gelten
allgemein für sehr schön, und mit nicht zu verkennender Verachtung
blicken die so verschönten Malaien auf die Europäer herab, deren
Zähne „denen der Hunde gleichen“. Vornehme Bataker lassen sich
überdies noch schmale Goldstreifen an den Zähnen entlang legen oder
sie mit Goldschlägerhäutchen, die wieder kleine Ornamente aufweisen,
überziehen, auch sie selbst mit Gold- oder Perlmutterstückchen
auslegen (Abb. 259). Die Vornahme des Zähnefeilens ist vielfach mit
Festlichkeiten, zum mindesten mit einem Schmaus verbunden. Auf Celebes
beobachtete man, daß der Operateur für die Arbeit, die er an einer
Prinzessin vorgenommen hatte, ein Huhn erhielt, diesem darauf ein Stück
vom Kamm abbiß und das aussickernde Blut über Zähne und Lippen der
Schönen fließen ließ.

+Tatauierung+ ist gleichfalls ein beliebtes Verschönerungsmittel; die
Muster, die dabei entstehen, pflegen recht abwechslungsreich und oft
ganz geschmackvoll auszufallen (Abb. 261).

[Illustration:

    Phot. ~Dr.~ E. Carthaus.

Abb. 254. Herstellung von Batiktüchern auf Java.]

Bei einzelnen Stämmen Borneos und Celebes’ begegnen wir auch der
+Verunstaltung des Kopfes+ (Abb. 263). Für gewöhnlich wird der Kopf
der Neugeborenen zwischen zwei festen Gegenständen, von denen der eine
die Unterlage für das Hinterhaupt bildet, der andere, ein Brettchen,
über die Stirn zu liegen kommt, zusammengepreßt, so daß eine Abflachung
der vorderen Kopfpartie daraus hervorgeht, was gleichfalls für ein
Schönheitszeichen angesehen wird. Auch besondere Vorrichtungen sind
hierfür vorhanden (Abb. 262). Auf Celebes muß das Kind in dieser
qualvollen Enge monatelang verharren, nur alle zwei Tage wird es für
kurze Zeit davon befreit, um gebadet zu werden. Auf Borneo dagegen
ist das Vorgehen der Mutter weniger barbarisch, im Gegenteil, man
beobachtete, daß sie mit besonderer Fürsorge sich um ihr Kind kümmerte,
zwischen Brett und Kopf ein Kissen oder ein Polster aus weichen,
fleischigen Blättern legte, ziemlich häufig nachsah und den Apparat
lüftete, sobald ihr Kind ein Unbehagen äußerte. -- Auch die +Ohren+
bleiben von der +Verunstaltung+ nicht verschont (Abb. 260). Das
Läppchen wird durchbohrt und durch Bambuspflöcke oder Tuchknäuel in
genügender Weise erweitert, um einen oder mehrere Ringe aus Messing
oder Edelmetall und so weiter als Schmuck darin einzuhängen, die durch
ihr Gewicht das Ohrläppchen noch weiter ausdehnen, oft bis zu solcher
Länge, daß es wie eine Schlinge bis auf die Schulter herabhängt. Auch
die oberen Teile der Ohrmuschel werden durchlöchert und mit zierlichen
Ringen geschmückt. -- Die Weiber pflegen sich auch vielfach die Haare
am Unterleib abzurasieren oder mittels Pinzette auszurupfen.

Vor Eintritt der Pubertät werden Knaben und auch Mädchen der
+Beschneidung+ unterworfen, namentlich ist dies unter der
mohammedanischen Bevölkerung Brauch. Unbeschnittenen Mädchen ist
es verboten, in geschlechtlichen Verkehr zu treten oder eine Ehe
einzugehen.

[Illustration:

    Aus: Hose, Pagan Tribes.

Abb. 255. Dajakkinder im Festgewand.

Die einer Schnürbrust ähnliche Umhüllung beim Mädchen besteht
aus Rotangfasern, die mit kleinen Messingringen bedeckt und mit
Silbermünzen verziert sind.]

+Familienzuwachs+ wird von allen malaiischen Stämmen mit Freuden
begrüßt, besonders sind es Knabengeburten, die gern gesehen werden,
weil dadurch für Fortführung der Familie Gewähr geleistet wird. Eine
Frau, die bei den Batakern dem Gatten keine Knaben schenkt oder alle
Söhne durch den Tod verloren hat, kann nicht nur von ihm verstoßen
werden, sondern ihr Vater muß ihm auch den für sie seinerzeit gezahlten
Brautpreis zurückerstatten.

[Illustration:

    Phot. Ch. Hose.

Abb. 256. Kajangeld.

Kostbare alte Perlen, als Brautschmuck von den Kajan um die Hüften
getragen; sie gelten auch als Münze.]

[Illustration:

    Phot. Ch. Hose.

Abb. 257. Geld der Dajak in Form alter Tonkrüge,

die wahrscheinlich vor zweihundert bis dreihundert Jahren aus China
und Siam eingeführt wurden und einen sehr großen Wert besitzen, unter
Umständen jeder einen solchen von etwa sechshundert bis achthundert
Mark.]

[Illustration:

    Phot. C. B. Cloß.

Abb. 258. Eingeborener der nördlichen Niasinseln.

Die Bewohner der Niasinseln, der Rasse nach Malayo-Polynesier, leben
von Fischfang und Ackerbau. Sie lieben es außerordentlich, sich reich
zu putzen; die Schmuckstücke des oben abgebildeten Insulaners sind aus
reinem Gold. Die Eingeborenen huldigen in religiöser Hinsicht einer
Art von Animismus, der hauptsächlich in der Aussöhnung übelwollender
Geister besteht.]

Damit die +Schwangerschaft+ einen guten Verlauf nehme und das Kind
sich wohl entwickle, müssen allerlei Opfer dargebracht oder bestimmte
Zeremonien vollzogen werden. Fühlt sich zum Beispiel eine Frau auf den
Seranglaoinseln Mutter, so muß sie ein Stück Ingwer von einem Priester
durch Anblasen und Abbeten einer Koransure weihen lassen, einen Teil
davon kauen, ihn wieder von sich speien und den Rest gut verwahren,
auf der Insel Roti muß sie dem Geiste Tefamuli ein Opfer, bestehend
in einem roten Hahn, einem Büschel Pisang, sieben Sirehfrüchten,
einem Teller Rohreis und einer Kokosschale darbringen; auf Borneo muß
die Dajakfrau den Wassergeistern ein kleines Häuschen opfern, das
unter Gesang und Trommelschlag entweder in den Fluß versenkt oder
in den Wipfel eines Baumes gestellt wird. Das in ihm befindliche,
die Schwangere darstellende Püppchen soll all das Unheil, das der
angehenden Mutter drohen könnte, an sich ziehen. Bei anderen Stämmen
trägt die Schwangere ein Amulett, um sich und ihre Frucht gegen die
bösen Geister zu schützen, oder befolgt aus dem gleichen Grunde
bestimmte Vorschriften. Bei den Alfuren im nördlichen Celebes hütet
sie sich, mit fliegendem Haar einherzugehen, weil sich in ihm die
bösen Geister mit Leichtigkeit festsetzen könnten, ebensowenig darf
sie abends oder bei Regen das Haus verlassen; auf Roti kaut die
Schwangere das Stroh ihres Hauses und speit es von Zeit zu Zeit um sich
aus; auf Nias darf sie nicht an Orten vorbeigehen, wo vordem einmal
ein Mensch ermordet oder ein Tier getötet wurde, ebenso kein Schwein
stechen oder zerlegen, weil sich sonst bei dem Kinde etwas einstellen
würde, das den Krümmungen des sterbenden Menschen oder Tieres gleicht,
sie darf auch nicht in einen Spiegel oder ein Bambusrohr hineinsehen,
weil das Kind sonst einäugig oder schielen würde, nichts verkorken oder
verstopfen, weil das Kind sonst an Verstopfung leiden würde, an keinem
Orte vorbeigehen, wo der Blitz eingeschlagen hat, weil sonst das Kind
eine schwarze Haut erhielte, aus dem Kochtopf nicht essen, weil sonst
die Nachgeburt hängen bliebe und vieles andere mehr. Verschiedentlich
vermeidet es die Schwangere auch, daß ihr Blick auf häßliche
Gegenstände oder Tiere fällt, weil sie fürchtet, daß das Kind davon
etwas annehmen könnte. So darf sie zum Beispiel bei den Kenjah sich
keinen langnasigen Affen ansehen. Wie auch anderwärts sind der Frau,
die guter Hoffnung ist, eine ganze Reihe Speisen verboten, die unter
Umständen so zahlreich sind, daß man meinen könnte, daß ihr eigentlich
nichts mehr zu essen übrig bliebe.

[Illustration:

    Phot. W. H. Furneß.

Abb. 259. Dajak mit Stiftzähnen,

die mit Bronzestückchen in Sternform ausgelegt sind.]

Selbst der Ehemann bleibt von bestimmten Tabuvorschriften nicht
verschont. Wenn er bei den Alfuren nach seiner Rückkehr die Leiter
seines Hauses hinansteigt, muß er einzelne Stufen auslassen, damit die
Geister, die ihm folgen könnten, auf eine andere Fährte gelenkt werden
und somit nicht mit in das Haus eindringen; bringt er seiner Frau
gekochten Reis von einem Feste heim, so muß er ein paar Dornen in die
Speise stecken und, bevor davon gegessen wird, etwas unter die Hütte
werfen; bei den Atschinesen darf er während der ersten fünf Monate der
Schwangerschaft kein Tier töten, auch nicht einmal einen Tiger oder
eine Schlange, weil sonst die Geburt sich schwer abwickeln und das Kind
Eigenschaften dieses Tieres annehmen würde; auf den Mentaweiinseln
muß er eine Reihe häuslicher Arbeiten verrichten, die sonst der Frau
zufallen, und anderes mehr.

[Illustration:

    Aus: Hose, Pagan Tribes.

Abb. 260. Lirongfrau mit lang ausgedehnten Ohrläppchen.

Die Durchbohrung der Ohrläppchen wird schon im frühen Alter
vorgenommen. Wenn das Loch groß genug ist, wird ein Kupferring von fast
zwei Zentimeter Durchmesser eingeführt, von Zeit zu Zeit werden weitere
Ringe eingehängt, so daß, wenn die Schlinge bis zum Schlüsselbein
herabhängt, oft ein Gewicht von über zwei Pfund an jedem Ohre hängt.]

Auch Verwandte und Freunde nehmen gelegentlich an den bevorstehenden
Mutterfreuden Anteil. Erfahren sie zum Beispiel auf Java, daß eine
Frau guter Hoffnung ist, dann bringen sie ihr Geschenke dar. Bei den
Ärmeren bestehen diese in Reis, der durch Safran gelb gefärbt ist, in
wohlriechenden Ölen und Kerzen; in den höheren Ständen fügt man noch
Kleidungsstücke, goldene und silberne Armbänder, goldene Schmucknadeln
und Kupferbecher hinzu. Im siebenten Monat erwidern die Eltern die
Geschenke durch einen Festschmaus, bei dem die Schüssel mit Reis, der
gelb -- die Glücksfarbe -- gefärbt ist, niemals fehlen darf. Darauf
wäscht die angehende junge Mutter ihren Körper mit der Milch einer
Kokosnuß, die der Gatte geöffnet haben muß; auf ihre Schale sind ein
Knabe und ein Mädchen mit größter Sorgfalt gezeichnet; hierdurch soll
die Mutter günstig beeinflußt werden, daß sie ein schönes Kind zur Welt
bringt. Nach dieser Waschung nimmt sie noch ein Bad, in das lieblich
duftende Blumen gestreut worden sind, zieht sich sodann neue Kleider
an und macht der Hebamme, die sie bei ihren Reinigungen unterstützte,
ein Geschenk an Reis, Kokosnüssen und Betel. Am Abend findet noch eine
Vorführung des Wayangschattenspieles (siehe S. 250) statt.

[Illustration:

    Phot. W. H. Furneß.

Abb. 261. Kajandajakfrau

mit schöner Tatauierung des Unterkörpers, die aus dreierlei Gründen
vorgenommen wird. Zunächst zum Schmuck, dann zur Verhinderung und
Heilung von Krankheiten und schließlich, damit die Tatauierungszeichen
nach dem Tode des Trägers als Fackeln dienen, um dessen Geist auf dem
Wege zu dem Geisterreich zu leuchten.]

[Illustration:

    Orig. Mus. f. Völkerkunde zu Berlin.

Abb. 262. Wiege mit Kopfpresse für Kinder aus Celebes.]

[Illustration:

    Phot. W. H. Furneß.

Abb. 263. Schädelverunstaltung bei einem Milanaukind.]

Viele Malaienstämme haben bestimmte Weiber, die, ähnlich wie bei uns,
berufsmäßig Hebammendienste bei der Niederkunft verrichten, das heißt
der Gebärenden nicht nur beistehen, sondern auch die Wöchnerin pflegen,
ihr Rat in Kinderangelegenheiten erteilen und Abtreibungen vornehmen.
Dagegen ziehen die Tenggeresinnen und Baliinsulanerinnen nur männliche
Hilfe bei ihren Geburten hinzu. -- Wie während der Schwangerschaft, so
sucht man auch bei der +Niederkunft+ nach Möglichkeit den schädigenden
Einfluß der Dämonen, die nach Ansicht der Malaien das ganze Leben des
Menschen bedrohen, fernzuhalten. Zu diesem Zweck vertreibt man sie auf
den Aaruinseln durch Trommeln. Auf den Inseln des Sawuarchipels wehrt
man den bösen Geist Wango durch Dornengebüsch von dem Hause ab; auch
feindlichen Überfällen sucht man durch solche Sicherheitsmaßregeln, im
besonderen durch aufgehäufte Bambussplitter zu begegnen (Abb. 264). Auf
Nias stellt man neben der Kreißenden ein Götzenbild in Gestalt eines
schwangeren Weibes auf, das sie vor dem Dämon Bechumatiana schützen
soll. Bei den Atschinesen hängt man, um einem anderen gefährlichen
Dämon den Eintritt in das Haus zu verwehren, an der Decke des
Gebärraumes einen bestimmten dornigen Zweig auf, zündet vier kleine
Holzfeuer an den Ecken des Hauses an, namentlich wenn die Niederkunft
in der Nacht erfolgt, und wirft von Zeit zu Zeit in sie Salz, Pfeffer,
Schwefel und Hornstückchen hinein, wodurch ein mächtiger Gestank
entsteht, der in gleicher Weise wie die Dornen den Dämon fernhalten
soll; außerdem reibt die Hebamme die große Zehe der Kreißenden,
als dessen mutmaßliche Eintrittspforte, mit einem Gemisch von fein
gestoßenem Pfeffer, Zwiebeln und ~Asa foetida~ ein. Bei schwerer Geburt
lassen die Atschinesen die Kreißende lauwarmes Wasser trinken, in dem
sich eine sogenannte Jerichorose entfaltet hat. Auf Ambon und den
Uliaseinseln legt man zur Erleichterung der Geburt auf den Platz, wo
die Niederkunft stattfindet, alte Kleidungsstücke des Mannes, damit
das Kind, durch den ihnen anhaftenden Schweißgeruch angezogen, recht
schnell erscheine.

[Illustration:

    Phot. Ch. Hose.

Abb. 264. Gegen feindliche Überfälle mit Bambusspittern befestigtes
Haus.]

An die +Nachgeburt+ knüpft sich mancherlei Aberglauben. Eine ganz
eigenartige Auffassung über ihre Bedeutung besteht bei den Bewohnern
der Inseln Bali und Nias, bei den Atschinesen und so weiter. Sie
halten diese nämlich für den Bruder, beziehungsweise die Schwester des
Neugeborenen und glauben, daß, wenn jemand stirbt, ihm die Seele seiner
Nachgeburt auf dem halben Wege entgegenkomme, um dem Verstorbenen den
Weg zum Paradiese zu zeigen. Daher wird die Nachgeburt auch sorgfältig
behandelt; meistens pflegt man sie zu waschen und in einem Gefäß,
Bambusrohr, in der Blütenhülle des Pinang (Arekablüte) und ähnlichem
gut verpackt, entweder im Hause aufzuheben oder in dessen Nähe zu
vergraben. Bei anderen Stämmen ist es Sitte, sie auf einem kleinen
Bambusfloß, das mit Blumen und Früchten festlich geschmückt und mit
Kerzen beleuchtet ist, den Fluß hinabtreiben zu lassen, als ein Opfer
für die Krokodile, welche die Seele der Vorfahren beherbergen. Der
Aberglaube von dem Nachgeburtszwilling treibt noch weitere Blüten.
Wird ein Kind krank, so meint man, daß die Nachgeburt in ihrem Grabe
krank geworden sei, und legt daher die Heilmittel auf die Stelle, wo
sie verscharrt wurde; bessert sich trotzdem das Befinden des Kindes
nicht, so ist man überzeugt, daß die Nachgeburt kein angenehmes Lager
gefunden habe, gräbt sie wieder aus und beerdigt sie an einer anderen
Stelle. Man vermutet ferner, daß die Seele der Nachgeburt zeitweilig
ihre Stätte verlasse, um mit ihrem Zwillinge zu spielen, und daß ein
Lächeln des Kindes im Schlafe darauf hindeute. -- Die Abtrennung der
+Nabelschnur+ wird meistens mit einem Bambussplitter vorgenommen;
wollen bei den Atschinesen die Eltern, daß ihr Sohn eine gute Stimme
bekomme, so wird dieser Splitter aus einer Bambusflöte geschnitten.
Meistens trocknet man den Nabelschnurrest und bewahrt ihn auf: bei
Erkrankungen wird er entweder zu Pulver gestoßen und dem Patienten
eingegeben oder in Form von Umschlägen angewendet. Verschiedentlich
tragen die Kinder ihre eigenen Nabelschnurreste auch als Amulett um
Hals und Bauch.

Die +Wöchnerin+ wird allgemein als unrein angesehen. Während dieser
Zeit haben bei den Atschinesen nur Frauen zu ihr Zutritt, ausgenommen
der Ehegatte, der ihr Essen bringt, aber nur das Notwendigste mit ihr
sprechen, sie nie berühren, noch von den Speisen und Getränken, die
sie angefaßt hat, etwas essen darf. Merkwürdig ist der Brauch auf den
Tanembar- und Timorlaoinseln, daß in der ersten Zeit nach der Geburt
der Ehegatte das Kind zu pflegen und zu besorgen hat, während die
Frau ihrer gewohnten Tagesbeschäftigung nachgeht; offenbar handelt es
sich hierbei um die letzten Ausklänge der ursprünglichen Sitte des
Männerkindbettes. -- Die jungen Mütter pflegen ihr Kind oft jahrelang
selbst zu stillen, aber daneben ihm auch andere Kost zu verabreichen.
Ist eine Mutter aus irgend einem Grunde außerstande, ihr Kind selbst zu
nähren, dann übernimmt vielfach die Großmutter diese Funktion. Infolge
des Reizes, der durch das wiederholte Anlegen an die Brust auf diese
ausgeübt wird, kommt es trotz des Alters doch noch zur Absonderung von
Milch. Bei der Arbeit schleppt die Mutter ihr Kind in einem Korbe auf
dem Rücken mit sich herum (Abb. 265).

[Illustration:

    Phot. W. H. Furneß.

Abb. 265. Punanfrau, ihr Kind in einem Korbe auf dem Rücken tragend,

in dem es bequem ruht, während die Frau ihre Arbeit fortsetzt.]

Stirbt die Mutter bei der Geburt, so pflegt man allgemein auch das Kind
zu töten, weil man entweder annimmt, daß es an dem Tode der Mutter
schuld ist, oder weil man fürchtet, daß es doch nur ein Unglücklicher
werden würde. Meistens geschieht die Tötung auf grausame Art. Die Dajak
legen das Kind lebend in den Sarg der Mutter, die Niasser stecken
es in einen Sack und hängen ihn im Wald an einem Baume auf, die
Mentaweiinsulaner drücken ihm den Kopf ein und halten ihm Mund und Nase
zu und anderes mehr.

+Künstliche Abtreibung+ der Leibesfrucht wird auf den Inseln des
malaiischen Archipels in großem Umfange geübt; einige Stämme sollen es
zu großer Fertigkeit darin gebracht haben.

+Zwillinge+ werden vielfach, wie auch anderwärts, als ein Unglück
angesehen, zumal, wenn sie verschiedenen Geschlechtes sind. Die Dajak
geben den männlichen Zwilling als Sklaven fort, die Balinesen verhängen
schwere Strafen über die Mutter; sie verbannen sie für mehrere Monate
an einen einsamen Ort, brennen ihre Hütte nieder, reinigen das
ganze Dorf, und bringen zahlreiche Opfer dar, um die vermeintliche
Blutschande im Mutterleibe zu sühnen. Auf einzelnen kleineren Inseln
dagegen werden Zwillinge hochgeschätzt, als ein Geschenk der Götter
angesehen und besonders gepflegt.

Mit dem +Neugeborenen+ werden ebenfalls allerlei Zeremonien vorgenommen
und Mittel angewendet, um den Einfluß der bösen Geister zu verhindern.
Sehr beliebt ist als Opfer für sie ein Huhn, dessen Blut über das
Kind gespritzt wird. Bei den Batakern läßt man einen Zauberer kommen,
der dem Kinde das Horoskop stellen, das heißt sagen muß, ob es unter
günstigen oder ungünstigen Gestirnen geboren ist. Bei den Kenjah
wird der neue Weltbürger mit Trommelschlag begrüßt, und jeder der
anwesenden Hausgenossen erhält für gewöhnlich eine Handvoll Salz zum
Geschenk. Wenn sie sich nicht im Hause befinden, erwartet man umgekehrt
von ihnen, daß sie dem Kinde ein Geschenk machen. Sehr wichtig ist
auch, daß kein Fremder von dem Kinde Notiz nimmt, da man fürchtet,
daß eine solche Beachtung die Aufmerksamkeit der Geister auf dasselbe
lenken könnte; vergeht sich der Fremde gegen diese Vorschrift, so
muß er zur Sühne dem Kinde etwas schenken. -- Auf Java wird bei der
Geburt eines Knaben ein scharfer Bambusspan in ein Papier, das mit
dem javanischen Alphabet beschrieben ist, eingewickelt, in eine Kanne
getan und vergraben. In der ersten Nacht nach der Geburt bewachen
Leute das Kind und lesen ihm eine Art Erzählung vor; einige Tage
später erhält es seinen Namen. Ist es neun Monate alt, dann findet
eine Wayangvorstellung statt. Bei den Dajak erfolgt die Namensgebung
auf ein bestimmtes Wahrzeichen hin. Man kitzelt dem Kinde mit einer
Feder die Nasenschleimhaut; nießt es, so gilt dies für eine günstige
Vorbedeutung und die Namensgebung erfolgt; andernfalls wird sie auf
später verschoben. Bei der Namensgebung nimmt die Mutter das Kind vor
das Haus, badet es, hebt es dreimal nach Westen und dreimal nach Osten
in die Höhe, wobei sie Segenswünsche für sein Gedeihen ausspricht,
opfert darauf ein Huhn, bespritzt mit dessen Blut ihr Kind und gibt
ihm den Namen. Die Alfuren auf Celebes opfern bei dieser Gelegenheit
für einen Knaben zwei Böcke, für ein Mädchen nur eine Ziege, deren
Köpfe, Fell und Pfoten vergraben werden. Natürlich knüpfen sich an alle
diese Handlungen größere oder kleinere Feste. -- Bei den Klemantanen
erhält das Kind in den ersten paar Jahren seines Lebens noch keinen
Namen; man spricht von ihm in unbestimmten Ausdrücken, wie etwa
„das Dingsda“ oder „das kleine Wurm“ und dergleichen. Man fürchtet
nämlich, daß, da das Kind noch klein und schwächlich ist, es für die
bösen Geister empfänglicher ist, und daß es deren Aufmerksamkeit
wahrscheinlich noch leichter auf sich lenken könnte, wenn es mit
einem Namen gerufen würde. Erst im Alter von drei bis vier Jahren
erhält es einen solchen. Für gewöhnlich wird der Name des Großvaters
beziehungsweise der Großmutter dazu gewählt, wenn diese besonderes
Glück im Leben gehabt haben. Wird das Kind aber von Unglück verfolgt,
oder bekommt es eine ernste Krankheit, dann wird sein Name gewöhnlich
gegen einen anderen vertauscht. Manchmal wählt man auch einen unschönen
Namen, etwa entsprechend unserem „Dung“ oder „schlecht“ aus dem schon
angegebenen Grunde, um die unfreundlichen Geister irrezuführen. Bei
den Kajan am oberen Rejang ist die Namensfeier sehr verwickelt. Die
Dajong, eine Frau, die im Namengeben bewandert ist, wird gerufen, und
alle Familienmitglieder werden zu einem großen Festessen eingeladen,
zu dem man alles mögliche Eßbare an Fischen und Tieren, auch Bananen
herbeischleppt. Die Dajong bringt ein Hühnerei mit und bestreicht
damit das Kind vom Nabel bis zur Stirn; bei jedem Strich spricht sie
einen Namen aus, bis sie glaubt, einen passenden gefunden zu haben.
Dann wird das Kind in einen großen Raum gebracht, wo ein Huhn geopfert
und seine Eingeweide auf etwaige gute Vorbedeutung untersucht werden.
Trifft diese zu, dann stimmt die Dajong einen Gesang an und erbittet
den Schutz der guten Geister für das Kind. Nachdem sodann sechzehn
Männer und ebensoviele Frauen, deren Eltern noch am Leben sind, Wasser
zur Benutzung für Mutter und Kind herbeigebracht haben, beginnt das
Essen. Einige der Gäste essen dabei zum Besten des Kindes, wenn es noch
zu jung ist, um selbst daran teilzunehmen. Acht Tage später wird der
Schutz der Geister wiederum angerufen, und das Kind den Hausgenossen
gezeigt. Ein naher Verwandter zeichnet ihm mit einem Stück Holzkohle
ein Kreuz auf den rechten Fuß; sodann bringt man das Kind vor die Tür
eines jeden Dorfbewohners, damit er es beschenkt. Hierauf muß es acht
Tage in dem Raum der Eltern bleiben, ehe es wieder heraus darf. Wenn
dann bis zum nächsten Herbst dem Kinde kein Unglück zugestoßen ist,
wird sein Name bestätigt; ist ihm aber irgend etwas geschehen, so
erhält es den Namen irgend eines Verwandten, dem es gut geht, dafür
verliert es den ersten Namen. Selten behält übrigens ein Angehöriger
der Klemantanen den Namen, der ihm als Kind gegeben wurde, sein ganzes
Leben lang. Nach einer jeden Krankheit oder irgend einem Unglück wird
er gewechselt, damit die bösen Mächte, die beständig in der Umgebung
der Menschen weilen, unter dem neuen Namen ihn nicht mehr erkennen.

[Illustration: Abb. 266. Hochzeit bei den Dajak.

Eine Betelnuß wird in Gegenwart von Freunden und Zeugen gespalten,
um den Eltern und Verwandten zu zeigen, daß die Ehe glücklich sein
wird. Ist die Betelnuß gut, was gewöhnlich der Fall ist, so ist die
Hochzeitszeremonie damit beendet. Allen Anwesenden wird dann ein Fest
gegeben.]

Bei den Balinesen sind die Zeremonien anläßlich einer Geburt ziemlich
die gleichen wie bei den Javanern, nur kommen sie bei gewissen
Gebräuchen in Wegfall, die der Islam vorschreibt. -- Bei den
Atschinesen erhält die Schwangere im vierten bis sechsten Monat einen
zeremoniellen Besuch von ihrer Schwiegermutter, die ihr ein Geschenk
bringt und dafür Tabak und Nahrungsmittel mitnimmt. Ebenso fühlen
sich andere Besucher verpflichtet, der angehenden Mutter Geschenke zu
machen. Auch hier trifft man tausenderlei Vorsichtsmaßregeln gegen den
Einfluß der bösen Geister. -- Bei der Wöchnerin wird vierundvierzig
Tage lang ein Feuer unterhalten. Die Wiege des Kindes wird mit
Amuletten behängt, um das Kind gegen den Pontianak gefeit zu machen.
Es ist dies ein Teufel, der nur aus einem Kopf besteht, von dem
Eingeweide heraushängen. Sieben Tage nach der Geburt wird dem Kinde der
Kopf rasiert, was ohne Festessen nicht abgeht, und bald darauf unter
Darbringung eines mohammedanischen Opfers ihm der Name gegeben.

Im Alter von etwa neun bis zwölf Jahren werden die +Knaben der
Dajak als Mitglied der Gemeinde+ aufgenommen; verschiedentlich
bekommen sie auch dann einen neuen Namen. Bei den Kajan findet bei
dieser Gelegenheit eine große Zeremonie statt, bei der ein auf der
nachfolgend beschriebenen Kopfjagd erbeuteter Schädel eine wichtige
Rolle spielt. In dem Hause, in dem sich mehrere Knaben befinden,
denen noch nicht die Aufnahme zuteil geworden ist, schlachtet ein
dazu erwählter Zeremonienmeister ein Huhn und zerlegt es in drei
Stücke, eins davon für die Erwachsenen, ein zweites für die Knaben
und ein drittes für die kleinen Kinder. Darauf bindet er jedem Knaben
ein Armband aus Palmblattstreifen um das Handgelenk und besprengt es
mit dem Hühnerblut. Nun muß jeder Knabe dem erbeuteten Kopf, den die
heimkehrenden Männer mit großem Gepränge anbrachten, einen Schlag
austeilen. Schließlich werden die Knaben an einen Fluß geführt, um
hier zu baden, währenddessen wird ein Büschel Palmblätter, mit dem der
Schädel geschmückt war, über sie geschwenkt. Kein Jüngling darf sich
einem Kriegszuge anschließen, bevor er diesen Ritus nicht durchgemacht
hat. Einige Jahre nach dieser Einweihungsfeier werden die bereits oben
geschilderten Körperverunstaltungen an den Knaben vorgenommen. In
gleicher Weise müssen sich ihnen auch die Mädchen unterziehen.

Das +heiratsfähige Alter+ tritt bei den malaiischen Stämmen bereits
sehr früh ein. Die Banjanesinnen auf Borneo sollen schon mit acht bis
neun Jahren, die Javanerinnen sogar mit sieben bis acht Jahren in die
Ehe treten, also schon zu einem Zeitpunkt, wo sich die geschlechtliche
Reife bei ihnen noch nicht eingestellt hat und sie noch nicht zur
Mutterschaft gelangen können. Entsprechend frühzeitig heiraten auch die
jungen Männer.

[Illustration:

    Phot. Ch. Hose.

Abb. 267. Eingeborener von Borneo im Kriegsschmuck,

der aus einem Leopardenfell, das über die Schultern hängt, einem
Brustschmuck aus Perlmutter und einem rot bemalten Holzschild und
Schwert besteht.]

Auf der Insel Nias ist es nicht ungewöhnlich, daß wohlhabende Männer
ihren zwei- bis dreijährigen Sohn mit einem erwachsenen Mädchen
verheiraten und damit die ehelichen Rechte und Pflichten des jungen
Ehemanns so lange übernehmen, bis dieser dazu allein imstande ist.
Daher kann es vorkommen, daß die junge Frau nicht nur ihrem Kinde,
dessen Vater ihr Schwiegervater ist, sondern auch ihrem gesetzlichen
Manne gleichzeitig die Brust reicht. -- Auch auf Java werden die
Ehen sehr frühzeitig geschlossen; hier sieht man nicht selten sehr
begüterte junge Burschen im Alter von dreizehn bis vierzehn Jahren
im Besitze eines Harems. -- Über die +Keuschheit+ der Mädchen vor
der Ehe herrschen ganz verschiedene Anschauungen in Indonesien; bei
einigen Stämmen ist der Geschlechtsverkehr den Mädchen erlaubt, bei
anderen dagegen wird daran großer Anstoß genommen. Unter den Batakern
ist ein „Ausleben“ der jungen Mädchen etwas Selbstverständliches,
und ein solches, das jungfräulich stirbt, wird nach ihrer Annahme zu
einem bösen Geiste, der den Männern nachstellt, weil es bei Lebzeiten
die Freuden der Liebe nicht kosten konnte. Auf den Mentaweiinseln
empfangen junge Mädchen direkt ihre Liebhaber in einer der zahlreichen
kleinen Feldhütten, die außerhalb des Dorfes erbaut sind, um mit
ihnen die Nächte zuzubringen. Bei den Tenggeresen auf Java wird einem
jungen Mann, der eine befreundete Familie besucht, für die Nacht die
Tochter des Hauses zur Verfügung gestellt. Dagegen halten die Dajak
Südostborneos sehr auf geschlechtliche Reinheit ihrer Töchter. Hat
ein junger Mann trotzdem ein Mädchen verführt, so ist er gezwungen,
es zu heiraten; außerdem müssen beide zur „Reinigung“ des Dorfes ein
Huhn und ein Schwein schlachten lassen und alle Dorfbewohner zum
Verzehren einladen. Bei anderen Stämmen werden die Mädchen, die sich
außerehelich preisgeben, mit dem Tode bestraft oder in sehr schwere
Geldstrafe genommen. Dies gilt auch für verschiedene Stämme auf Sumatra
und Celebes. Die Sibuyan (Borneo) sehen uneheliche Mutterschaft sogar
für eine schwere Beleidigung der höheren Mächte an, wofür der ganze
Stamm von ihnen bestraft werden würde; sie bringen daher für gefallene
Mädchen Sühneopfer dar und bestrafen die Schuldigen, beziehungsweise
deren Eltern. -- Die Bewohner der Insel Nias führen ein Ausbleiben des
Regens auf eine außereheliche Schwangerschaft zurück und untersuchen
vorkommendenfalls alle jungen Mädchen im Dorfe daraufhin. Jede
Schwangere, die man findet, wird mit ihrem Verführer getötet. Um dieser
harten Strafe zu entgehen, kommen manche Mädchen auf den Gedanken zu
behaupten, sie wären von einem bösen Geiste geschwängert worden; der
Volksglaube läßt aber aus solcher Verbindung Albinos hervorgehen. Wird
nun ein Kind geboren, das kein Albino ist, dann forscht man unter den
jungen Männern nach, welchem es ähnlich sieht, und erklärt diesen für
den Vater. Dieser mutmaßliche Verführer und das junge Mädchen werden
daraufhin auf grausame Weise getötet, das Kind aber wird in einem Sack
an einen Baum gehängt und dem Hungertode preisgegeben.

[Illustration:

    Phot. ~Dr.~ Arnold Heim.

Abb. 268. Ein malaiisches Opfer auf Sumatra.

Die Malaien der südöstlichen Gebiete Sumatras töten zu jedem Fest einen
Ochsen. Wenn letzteres vorüber ist, wird der Kopf des Tieres in ein
weißes Tuch eingeschlagen und unter das Haus des Dorfhäuptlings oder
des Gastgebers gelegt.]

Bei einigen Stämmen Borneos kommt auch +Prostitution+ vor, und zwar
geben sich gewisse Priesterinnen (Balian) dazu her; sie nehmen trotzdem
eine geachtete Stellung unter der Bevölkerung ein. Ebenso sollen auf
Java Prostituierte im herzlichen Verkehr mit ihren Angehörigen bleiben
und sich nach Aufgabe ihres Gewerbes noch verheiraten können und selbst
für ehrenhafte Frauen gelten. -- Sehr verbreitet scheint auf Borneo
und Celebes die männliche Prostitution zu sein. Diese Leute (Basir
genannt) ahmen in der Kleidung und im Benehmen die Frauen nach und
geben sich gegen entsprechende Bezahlung +homosexuellem Verkehr+ hin.
Wegen ihrer abnormen Veranlagung werden sie vom Volke für etwas Höheres
gehalten, nehmen daher die Funktionen von Priestern wahr und gelten
für Vermittler im Verkehr mit den Geistern. Manche Männer knüpfen
dauernde Liebesverhältnisse mit solchen Basir an und schließen mit
ihnen sogar eine regelrechte Ehe. Allerdings darf man nicht bei allen
Männern, die nach Weiberart gekleidet einhergehen, annehmen, daß sie
homosexuellen Neigungen nachgehen; denn es kommt auch vor, daß sie ihr
Gewand geändert haben, um böse Geister, die sie jahrelang mit Unglück
und Krankheit verfolgten, dadurch zu täuschen.

Die Indonesier scheinen +sehr sinnlich veranlagt+ zu sein. Um den
Weibern die Freude beim Geschlechtsgenuß zu erhöhen, ist es bei
verschiedenen Stämmen des Archipels (Dajak, Bisayo) üblich, die
Eichel des männlichen Gliedes zu durchbohren und durch die Öffnung
ein Stäbchen aus Elfenbein, Messing oder Silber zu stecken, das nicht
selten an jedem abgerundeten Ende noch eine kleine Kugel aus Metall
oder Stein trägt. Diese Vorrichtung, +Ampallang+, Palang, Utang oder
Kampion genannt, wird erst vor Vollziehen des Beischlafes angelegt. Die
Weiber einiger Stämme sind nicht mit einem einzigen Stäbchen zufrieden,
sondern verlangen deren drei, die durch drei Öffnungen in verschiedenen
Richtungen des Gliedes gesteckt werden. Die Frauen sollen in Männer,
die über solche mechanische Reizmittel verfügen, wie vernarrt sein und
nur solche zu heiraten pflegen.

[Illustration:

    Aus: de Wit, Java.

Abb. 269. Opfer in Form von Nahrungsmitteln,

die nicht allein aus Anlaß von Geburt, Hochzeit, Todesfall, Zeremonien
für das Gedeihen der Feldfrüchte, sondern bei fast allen Zwischenfällen
des Lebens stattfinden.]

[Illustration:

    Aus: de Wit, Java; Facts and Fancies.

Abb. 270. Gäste bei einer Hochzeit auf Java.]

[Illustration:

    Phot. Ch. Hose.

Abb. 271. Kajandajak im Gespräche mit seinem Gott.

Der Kajan bittet den Geist des toten Schweines, seine Botschaft an das
höhere Wesen zu bringen, wobei er mit einem glimmenden Holzspan die
Borsten absengt und das tote Schwein sticht, um dessen Aufmerksamkeit,
während er spricht, wach zu halten. Nachdem er seine Wünsche geäußert
hat, wird das Schwein zerlegt und die Leber untersucht, um daraus
gewisse Vorbedeutungen zu schließen.]

[Illustration:

    Aus: de Wit, Java.

Abb. 272. Hochzeitsbräuche auf Java.

Wenn Braut und Bräutigam sich sehen, bewerfen sie sich mit Säckchen,
die mit Kalk und Betelnüssen gefüllt sind.]

[Illustration:

    Aus: de Wit, Java.

Abb. 273. Der Bräutigam auf Java

wird von den männlichen Hochzeitsteilnehmern und dem Vater der Braut in
die Moschee begleitet.]

Gewöhnlich ergreift der Jüngling die +Initiative, um Liebe zu
gewinnen+, nur bei den Kalabit tut dies das Mädchen. Die Seedajak
kennen einen eigenartigen +Liebestrank+, um sich ein Mädchen geneigt
zu machen oder deren verlorene Liebe wieder zu gewinnen, den Jayan.
In der Hauptsache besteht er in Kokosnußöl, das aber ein noch in der
Reife stehendes Mädchen zubereitet haben muß, und anderen Zusätzen, die
dem Hersteller im Traume genannt wurden. Sehr wirksam sollen darunter
die Tränen eines weiblichen Meerschweinchens sein; allerdings sind
diese schwer zu erlangen, da man einem Tiere seine Jungen fortnehmen
muß, um es zum Weinen zu bringen. Die Flüssigkeit wird in drei Gefäße
gefüllt, die mit Zeugstopfen verschlossen werden; der Verschluß der
kleinsten Flasche wird mit einer Nadel durchstochen. Man will damit
erreichen, daß, wie die spitze Nadel in den Stoff sich einbohrte, auch
der Liebeszauber in das betreffende Mädchen eindringe. Das Ganze muß an
einem Orte, der von Menschen wenig begangen wird, versteckt werden. Vor
der Anwendung wird an einem entlegenen Platze ein Feuer angezündet, in
dieses wohlriechende Kräuter und aromatische Rinde gestreut und unter
Hersagen eines Zaubergesanges das Gemisch über der Flamme hin und her
geschwenkt. Darauf reibt man damit entweder das Lager oder die Kleider
der Person, die man sich in der Liebe geneigt machen will, oder sie
auch selbst im Schlafe ein, oder setzt die Mischung den Bestandteilen
beim Betelkauen zu. Wer so behandelt wird, der findet angeblich nicht
eher Ruhe, bis er sich in Liebe mit dem Spender vereinigt hat. Fühlt
sich ein Dajakjüngling von einem Mädchen angezogen, so stattet er ihm
Besuche ab, und zwar für gewöhnlich des Nachts, weil das Mädchen dann
von ihren Eltern getrennt, wenn auch oft in demselben Raume schläft.
In solchen Fällen pflegt man von ihm zu sagen, er sei Tabak suchen
gegangen; eine Redensart, die wohl darin ihren Ursprung haben mag, daß
die Frauen des Hauses den Gästen Zigaretten verabreichen. Der Jüngling
weckt das Mädchen und macht ihr ein Geschenk durch eine Betelnuß, die
er sorgfältig in ein Sirihblatt eingehüllt hat. Nimmt sie es an, so
erblickt er hierin das übliche Zeichen der Ermutigung dafür, daß er
bleiben und sich mit ihr unterhalten darf. Nach dem ersten Besuche
läßt er manchmal unter dem Kopfkissen des Mädchens eine Halskette aus
den aufeinandergereihten wohlriechenden Samenkörnern der Balongfrucht
zurück. Sagen dem Mädchen die Besuche ihres Bewerbers zu, so gibt
es ihm dies auf irgendeine Weise zu verstehen, meistens durch eine
Zigarette aus Tabak. Bei den Dajak herrscht, wie bereits erwähnt, das
Herkommen, den Gästen Zigaretten, die in getrocknete Bananenblätter
eingewickelt sind, anzubieten. Das Mädchen pflegt dann ihrem Verehrer
eine nach besonderer Art zusammengebundene Zigarette zu geben, wenn sie
den Wunsch hegt, daß er seinen Besuch verlängern möchte. Findet der
Jüngling, daß das Mädchen seine Besuche gern sieht, dann wiederholt
er sie. Bei glattem Verlauf der ganzen Angelegenheit reißt ihm das
Mädchen die Haare der Augenbrauen und die Wimpern mit einer messingnen
Haarzange aus, während er mit seinem Kopf auf ihrem Schoße ruht;
besitzt er etwa nur wenig Haare, dann pflegt sie wohl zu sagen, daß ein
anderes Mädchen sie schon vor ihr ausgerissen habe. Wenn die Sache so
weit gediehen ist, verbleibt der Jüngling auch die ganze Nacht bis zum
frühen Morgen bei seiner Liebsten. Sodann verlangt er von einem seiner
Bekannten, daß er den Eltern seines Mädchens von seiner Heiratslust
Mitteilung mache. Diese geraten auf diese Nachricht hin in Erstaunen,
manchmal auch nur zum Schein. Begünstigen sie das Verhältnis, so
macht der junge Mann ihnen ein Messinggong oder eine wertvolle Perle
als Unterpfand seiner Aufrichtigkeit zum Geschenk; wird später das
Verhältnis aus irgendeinem Grunde, für den er nicht verantwortlich
gemacht werden kann, gelöst, so erhält er die Geschenke zurück. Jetzt
erfordert die gute Sitte, daß auch die Öffentlichkeit ihre Anerkennung
gibt; irgend ein Freund macht dem Häuptling Mitteilung, der die
Sache entweder gutheißt, womit das Verlöbnis geschlossen ist, oder
irgendeinen Einwand dagegen erhebt, dann aber auch für gewöhnlich
dafür sorgt, daß die Hochzeit überhaupt nicht stattfindet. Nach der
Verlobung sucht man nach günstigen Vorbedeutungen für die Hochzeit.
Der Schrei bestimmter Vögel und der Rehe, wenn sie in der Nähe des
Hauses vernommen werden, gelten als böse Vorbedeutungen; ein Kundiger
wird in den Wald gesandt, um dafür gute zu suchen oder wenigstens
solche, die genügen, um nicht allzu schlechte wieder auszugleichen.
Das Pfeifen eines Trogon, das Zirpen des Mauerspechtes und der hohe
Flug eines Habichts von rechts nach links gelten als günstige Zeichen.
Sind dagegen die Vorzeichen fortdauernd schlechte, so wird die Hochzeit
um ein Jahr aufgeschoben, worauf man die Schicksalsfragen von neuem
stellt. Inzwischen verläßt der Jüngling meistens das Dorf, um sich auf
die Probe zu stellen; er sieht sich nach anderen Mädchen um für den
Fall, daß er sich in seiner ersten Wahl geirrt haben sollte. Kehrt
er aber ebenso gesonnen wieder heim, wie er fortgegangen ist und hat
man inzwischen gute Vorbedeutungen erhalten, so findet die Hochzeit
bald statt, vielfach nach der Ernte um die Zeit des Neumonds, denn
diese gilt für die günstigste. Am Tage vor der Hochzeit läßt sich der
Bräutigam angelegen sein, einen möglichst großen Vorrat an Betelnüssen
und anderen eßbaren Dingen zu beschaffen, damit die Gäste während der
bevorstehenden Zeremonie etwas zu kauen haben. Er selbst und seine
Angehörigen machen den Eltern des Mädchens viele Geschenke, deren Zahl
sich nach der gesellschaftlichen Stellung der Teilnehmer richtet.
Findet die Hochzeit im Hause der Braut statt, so werden Freunde beider
Familien dazu eingeladen; sie versammeln sich in der langen Galerie des
Hauses (Abb. 266). Früh am Morgen erscheint der Bräutigam mit seinen
Trauzeugen und einer Anzahl Krieger im vollen Kriegsstaat (Abb. 267) im
Boot vor dem Hause der Braut, selbst wenn er nur wenige Schritte von
ihr ab wohnen sollte. Sie marschieren alle zum Hause heran und stellen
manchmal große Messinggongs, die sie mitbrachten, in der Galerie in
solchen Zwischenräumen auf, daß die Braut von einem zum anderen treten
kann; auch bringen sie Geschenke mit, die sie vor der Türe aufhäufen.
Darauf versuchen der Bräutigam und seine Gesellschaft die Türe mit
Gewalt zu öffnen, aber die Partei der Braut tritt ihnen entgegen und
treibt sie zurück, worauf sich ein Scheinkampf entspinnt. Dieser
Versuch mit seinen Folgen wiederholt sich mehrere Male, bis schließlich
der Bräutigam und seine Partei ins Zimmer gelangen, aber dann
vielleicht die Entdeckung machen, daß die Braut durch eine andere Türe
in das Zimmer eines ihrer Nachbarn entschlüpft ist. Hat der Bräutigam
die Spur der Braut ganz verloren, so setzt er sich mitten ins Zimmer
hin und raucht gemütlich Zigaretten. Bald erscheint die inzwischen
nachgiebig gewordene Braut mit ihren Freundinnen, findet aber von
seiten des Bräutigams keine Beachtung. Jetzt ist der Zeitpunkt für
die Festsetzung der Mitgift gekommen; den bereits mitgebrachten Gongs
werden bisweilen noch weitere als Teilzahlung hinzugefügt. Ein Schwein
wird darauf getötet, und wenn die Untersuchung seiner Eingeweide
günstige Anzeichen ergibt, besprengt eine Dajong alle Anwesenden mit
dem Blute, segnet gleichzeitig das junge Paar ein und wünscht ihm gut
Glück und viele Kinder. Schließlich treten die Jungvermählten von Gong
zu Gong; damit ist die Zeremonie beendet bis auf einen noch folgenden
Schmaus. -- Der Anklang an die ursprüngliche Raubheirat tritt noch
deutlicher zutage, wenn der Bräutigam eine Entführung in Szene setzt.
Er sowie seine Anhänger rudern mit dem Mädchen davon, werden aber
von den Angehörigen und Freunden des Mädchens scharf verfolgt. Jene
werfen in einemfort wertvolle Gegenstände aus dem Boot ans Ufer, um
die Verfolger dadurch zu veranlassen, daß sie diese aufheben, und sie
so am Näherkommen zu hindern. Dies wird so lange fortgesetzt, bis die
Verfolger annehmen, daß sie den ganzen Besitz des Bräutigams erwischt
haben; dann erst lassen sie ihn und die Braut in Ruhe.

[Illustration:

    Aus: de Wit, Java.

Abb. 274. Waschen der Füße des Bräutigams

durch die Braut als Zeichen ihrer Unterordnung.]

[Illustration:

    Aus: de Wit, Java.

Abb. 275. Braut und Bräutigam auf Java im Hochzeitstaat.]

[Illustration:

    Aus: Hose, Pagan Tribes.

Abb. 276. Eine Kenjahgottheit, Bali Atap genannt,

die mit dem Speer Krankheit oder Unglück von dem Dorfe abhalten soll.
Um den Hals trägt die Figur eine Anzahl Schnüre mit Knoten; jede Schnur
bezeichnet eine Familie und jeder Knoten eine Person, die ein Opfer
dargebracht hat.]

Bei den +Balinesen+ regeln die Eltern gleichfalls durch Festsetzung des
+Kaufpreises+ die Heirat ihrer Kinder. Dabei muß streng darauf gehalten
werden, daß das Brautpaar derselben Kaste angehört, nur die Brahminen
haben das Recht, sich Frauen aus jeder der vier Kasten zu holen. Bei
Leuten mit geringeren Mitteln stellt sich eine Braut aus ungefähr
vierzig bis zweihundert, bei reicheren auf tausend Mark. Fast immer muß
der Bewerber in dem Hause der Schwiegereltern längere Zeit arbeiten,
um sich den Menadid, das heißt den Brautpreis dadurch zu verdienen.
Daher greift in neuerer Zeit mehr und mehr der +Brautraub+ um sich;
nicht selten findet direkte Entführung des Mädchens gegen den Willen
der Eltern statt. Der Räuber muß dann sein Opfer so lange verborgen
halten, bis die Eltern ihr Jawort gegeben und den Kaufpreis erhalten
haben. Weigern sie sich, dann trifft der Fürst die Entscheidung. Ohne
Zustimmung der Eltern oder Eingreifen eines Prinzen darf keine Ehe
geschlossen werden. Das Los einer Balinesin ist ein äußerst trauriges,
wenn sie dem Manne keine Kinder oder nur Töchter schenkt, denn darin
liegt eine Strafe für begangenes Unrecht; sie kann ihr Schicksal nur
dadurch bessern, daß sie einen Sohn bekommt. Selbst die Frauen der
Prinzen sind davon nicht ausgenommen. Manchmal wird die Schwierigkeit
durch Adoption eines Neffen oder eines fremden Kindes gehoben. --
Einer Witwe aus hoher Kaste ist die Wiederverheiratung bei Androhung
der schwersten und entehrendsten Strafen verboten.

Bei den +Atschinesen+ kommt die +Heirat+ durch Vermittler zustande.
Das Mädchen erhält von ihrem Verlobten ein Geschenk, das sie auch
behält, wenn die Verlobung ohne ihre Schuld aufgelöst wird. Die
Jungverheiratete lebt nach ihrer Hochzeit mit ihrer Mutter weiter und
empfängt den Besuch ihres Gatten; ihre Eltern bestreiten zunächst den
Haushalt, jedoch ist der Mann später verpflichtet, seiner Frau zur
Deckung der Unkosten für den Unterhalt Geschenke zu machen.

+Nach der Hochzeit+ lebt das junge Paar zunächst in der Wohnung
seines Schwiegervaters, wie bereits bei den Besprechungen im voraus
vereinbart wurde. Hier bleibt es während des ersten Jahres der Ehe;
währenddessen arbeitet der Ehemann auf dem Felde und hilft den Eltern
seiner Frau. Darauf erst nimmt sich das Paar eine eigene Stube im Dorfe
des Mannes und führt einen eigenen Haushalt. Während also bei den hier
geschilderten Kajandajak schon das Patriarchat herrscht, geht bei den
Punan noch der Mann bei seiner Heirat in die Gemeinde der Frau über
(Matriarchat), und dies meistens auf Lebenszeit. In diesem Falle hat er
den Eltern keinen Kaufpreis zu zahlen, sondern nur ein kleines Geschenk
in Gestalt von Tabak zu machen. -- Auf einigen Inseln ist noch die
Leviratsehe bekannt. Bei den Batakern Westsumatras darf die Witwe aber
nur den jüngeren Bruder des Verstorbenen heiraten, denn die Ehe mit dem
älteren würde als Blutschande gelten und den Freier die Todesstrafe
treffen.

[Illustration:

    Phot. Ch. Hose.

Abb. 277. Friedenschluß zwischen zwei feindlichen Parteien.

Die Geister der auf beiden Seiten getöteten Schweine sollen den Göttern
den Friedenschwur bekannt geben, um ihn so für beide Parteien bindend
zu machen.]

[Illustration:

    Phot. Ch. Hose.

Abb. 278. Eingeborener Krieger von Borneo,

dessen Schild dicht mit Menschenhaar geschmückt ist, um dem Feinde
Schrecken einzujagen.]

Als Gegenstück hierzu eine +Hochzeitsfeierlichkeit bei den Javanern+.
Hier wählen die Eltern für ihre Kinder die Ehegatten aus und beraten
über die Mitgiftsbedingungen. Die Eltern des Mädchens geben denen des
Knaben ein Verlobungspfand, die ihrerseits bald darauf den Kaufpreis
für die Braut in Silber, Schmucksachen, Stoffen und Eßwaren anbieten;
Vater und Mutter des Mädchens erhalten noch ein besonderes Geschenk. An
dem Tage, an dem diese Geschenke überreicht werden, finden sich Freunde
und Angehörige beider Parteien auf Einladung zu einem Festessen ein. Am
Vorabend der Hochzeit bleiben die zukünftigen Eheleute wach; täten sie
dies nicht, dann könnte ein Unglück eintreten. Am nächsten Tage findet
die Eheschließung nach mohammedanischem Brauch in der Moschee statt.
Musik geht voran, der Bräutigam, von seinen Freunden begleitet (Abb.
270 und 273), folgt mit bemaltem Gesicht in einem Prunkgewand (Abb.
272); die Braut aber bleibt zu Hause und wird in der Moschee durch
ihren Vormund vertreten. Alsdann begibt sich der Bräutigam, nachdem er
ein anderes kostbares Gewand angelegt hat, in das Haus seiner Frau, die
ihn erwartet. Sie ist aufs feinste geschmückt (Abb. 275); ihr Gesicht
ist gleichfalls bemalt, ihr Oberkörper und die Arme sind unbedeckt,
jedoch mit einer Mischung aus Mohnöl und Safran gesalbt. Nachdem sie
ihrem Gatten zum Zeichen des Gehorsams die Füße gewaschen hat (Abb.
274), wird sie im feierlichen Zuge zu dem Heim ihrer neuen Familie
geleitet, wo für alle Gäste ein Festessen stattfindet. Am nächsten
Tage wiederholt sich das Fest im Hause der Eltern der Braut, und erst
am dritten Tage darf sich das junge Paar im eigenen Heim häuslich
einrichten. -- Zu allen Festlichkeiten, die aus Anlaß einer Geburt,
Hochzeit oder eines Todesfalles stattfinden, pflegen die Javaner Opfer
in Nahrungsmitteln darzubringen (Abb. 269). Die Malaien im Süden
Sumatras schlachten zu ihren Festen jedesmal einen Ochsen. Nachdem
dieses vorüber ist, hüllen sie den Kopf des Tieres in weiße Tücher und
legen ihn unter das Haus des Dorfhäuptlings oder des Gastgebers (Abb.
268). -- +Kinderverlobungen+ kommen bei den Javanern zu dem Zwecke vor,
dem Kinde beizeiten eine vorteilhafte Partie zu verschaffen; in diesem
Falle bleiben die beiden Kleinen in ihrem elterlichen Heim, bis sie die
Reifezeit erreicht haben, worauf dann erst die Ehe vollzogen wird.

[Illustration:

    Phot. Ch. Hose.

Abb. 279. Kajan befragen die Leber eines Schweines,

ehe sie ein wichtiges Vorhaben ausführen. Ist die Vorbedeutung
ungünstig, so töten sie noch ein Schwein; ist auch diese Untersuchung
ungünstig, so geben sie ihren Plan auf.]

Die weitaus häufigste +Eheform+ des malaiischen Archipels ist die
Einehe, jedoch begegnen wir auch der +Vielweiberei+ und selbst Spuren
der Vielmännerei. In der Landschaft Lampong (Südsumatra) heiraten
manche Männer mehrere Frauen, um sie gegen Bezahlung an andere
auszuleihen und damit ein einträgliches Geschäft zu machen. Diese
Gepflogenheit machen sich sehr wohlhabende junge Leute zunutze, indem
sie ein armes Mädchen, das sie lieben, aber als unter ihrem Stande
stehend nicht heiraten können, gegen Bezahlung einem armen Menschen
aufhängen und dann im Hause als gern gesehener Hausfreund verkehren.
An die +Vielmännerei+, die früher auf den Keyinseln üblich gewesen
sein soll, erinnert die Sitte der Punan im Innern von Borneo, daß alte
Männer, die in kinderloser Ehe mit einer jungen Frau leben, einen
gesunden, kräftigen Burschen ins Haus nehmen, damit er als dritter im
Bunde dem Gatten zur Vaterschaft verhelfe. Mag vor der Ehe sexuelle
Freiheit der jungen Mädchen bestanden haben oder nicht, auf jeden Fall
ist die verheiratete Frau verpflichtet, dem Manne die Treue zu halten.
Nur vereinzelt kommen Ausnahmen vor und dies nur aus besonderem Anlaß;
wenn zum Beispiel gute Freunde oder Blutsbrüder einander besuchen, dann
überläßt der Hausherr seinem Gastfreunde für die Nacht gelegentlich
wohl seine Frau. Sonst aber ist den +Frauen strenge Keuschheit+ zur
Pflicht gemacht. Der beleidigte Gatte hat meistens das Recht, auf
frischer Tat den Verführer und seine schuldige Gattin zu töten, oder
letztere als Sklavin zu verkaufen. Bei manchen Stämmen der Dajak hat
auch der Mann die Pflicht, die eheliche Treue zu halten. Die betrogene
Ehefrau soll mitunter befugt sein, ihrer Nebenbuhlerin mit einer Keule
auf den Kopf zu schlagen. +Ehescheidung+ ist im allgemeinen auf dem
malaiischen Archipel nicht so leicht, wie zum Beispiel in Ozeanien,
jedoch können die Dajak jederzeit ohne triftigen Grund, schon auf
den Laut eines unheilverkündenden Tieres hin, die Frau fortschicken.
Es soll daher dort nicht selten vorkommen, daß Frauen sieben- bis
achtmal den Gatten gewechselt haben, bevor sie für immer in den Hafen
der Ehe einlaufen. Im allgemeinen aber geben Untreue der Frau, auch
wohl von seiten des Mannes, und Mißhandlung der Frau die wichtigsten
Scheidungsgründe ab. Im letzteren Falle erhält der Ehemann nicht nur
den Brautpreis nicht zurück, sondern muß auch die bei der Hochzeit
erhaltenen Geschenke herausgeben, ebenso deren Kosten zurückzahlen. Auf
Java dagegen ist die Ehescheidung leicht, dank den Erleichterungen,
die der Islam den Männern gewährt; hier sind solche beinahe etwas
Alltägliches. Der Ehemann kann sich freimachen, wenn er nur die
ausbedungene Summe an die Frau zahlt.

Der +Glauben der Malaien+, sofern sie nicht Anhänger des Islam sind,
kennt drei Arten Geister. Erstens übernatürliche Geister, die sehr
weit in kaum geahnten Fernen wohnen, große Macht besitzen, in alle
menschlichen Dinge einzugreifen und gleichsam die wirklichen Götter
vorstellen; sie erfreuen sich großer Scheu und Verehrung. Zweitens die
Geister lebender und verstorbener Personen, jene in Verbindung mit den
Weissagetieren und solchen Tieren, wie Schwein, Hund, Krokodil, Huhn
und einigen anderen mehr. Drittens eine Unmasse Geister, die sich unter
die vorstehend genannten Gruppen nicht einreihen lassen, die aber nach
dem Aberglauben der Malaien alles auf der Erde umgeben. Sie sind bald
wohlwollend, bald übel gesonnen, meistens aber das letztere. Als solche
gelten zum Beispiel die Geister, die nach dem allgemeinen Glauben die
im Hause hängenden erbeuteten Schädel umgeben.

Der Malaie glaubt, daß die Götter über alles, was sein Leben
anbetrifft, die Oberaufsicht führen. Auch unter ihnen unterscheidet
er freundliche und unfreundliche Wesen. Wenn Bitten an sie zu richten
sind, so geschieht dies durch die Seelen der Schweine oder Hühner,
von denen jedesmal ein Tier geschlachtet wird, so oft man die Götter
unter Beihilfe des aufsteigenden Rauches eines Feuers anrufen will
(Abb. 271). Richten die Kajan Gebete an die Götter zum Besten des
ganzen Hauses, dann pflanzen sie einen Baum in die Erde, aber mit der
Krone nach unten und mit der Wurzel himmelwärts; dadurch meinen sie
eine Art Verbindungsleiter mit ihnen herzustellen. Für gewöhnlich
wird auch eine feierliche Handlung vor einer roh geschnitzten Figur
(Abb. 276) vorgenommen, die vor dem Hause steht, die aber keinen
Götzen vorstellen soll, sondern eher als Altar oder Symbol des Gottes
aufgefaßt werden muß. Als Überbringer der Botschaften von den Göttern
sieht man Tiere (Abb. 277), im besonderen Vögel an. Da diese also
die Verbindung zwischen Göttern und Menschen vermitteln, sind sie
Gegenstand besonderer Ehrfurcht. Überhaupt spielt die Weissagung bei
allen wichtigen Angelegenheiten eine große Rolle; stets pflegt man
dann die betreffenden Tiere zu Rate zu ziehen. Wenn die Untersuchung
der Eingeweide eines Schweines (Abb. 279) oder eines Huhnes kein
gutes Vorzeichen zutage gefördert hat, tötet man noch mehr Tiere,
bis es vielleicht den Weissagern gelingt, eine günstige Vorbedingung
zu verkünden. Sehr häufig werden den Göttern auch Opfer gebracht;
hier sind es wiederum in erster Linie das Schwein und das Huhn, die
dazu verwendet werden. Aber auch kostbaren Besitz ihnen darzureichen
scheut man sich nicht; so zum Beispiel schneidet eine Frau ihr Haar
bei Erkrankung des Kindes als Opfer ab. Alle Geister der dritten
Gruppe sind böswillig oder wenigstens leicht beleidigt und imstande,
Männern wie Frauen Unglück zu bringen. Die einflußreichsten unter ihnen
pflegt man mit den schon erwähnten eingetrockneten Menschenköpfen in
Zusammenhang zu bringen, die bei irgend einem Überfall erbeutet wurden.
Indessen darf man sie nicht für die Geister derjenigen ansehen, von
deren Schultern der Kopf abgehauen wurde, sondern es sind dies fremde
Geister, die um die Köpfe herumzuschweben scheinen. Sind sie beleidigt
worden, etwa durch Nichtbeachtung der gebräuchlichen Aufmerksamkeiten,
die man, wie üblich, den abgeschlagenen Köpfen zollen muß, dann beleben
sie diese und lassen sie mit den Zähnen klappern.

[Illustration:

    Aus: Hose, Pagan Tribes.

Abb. 280. Kajanfrau mit einem erbeuteten Menschenschädel tanzend.

Die Frauen gehen den von einem Kriegszug heimkehrenden Männern
entgegen, nehmen ihnen die erbeuteten Köpfe ab und führen mit diesen,
indem sie die Schädel mit der Hand halten, einen Tanz auf. Große Freude
herrscht über einen erfolgreichen Zug.]

[Illustration:

    Aus: Hose, Pagan Tribes.

Abb. 281. Pfosten, die nach einer Kopfjagd errichtet werden

und zum Aufhängen der erbeuteten Schädel dienen. Die Pfosten sind dem
Gotte Bali Flaki zu Ehren, der dem Beutezug gute Vorbedeutung gab,
errichtet. Schmale Streifen Fleisch von den enthaupteten Körpern werden
als Opfergabe an den Pflöcken der Pfosten aufgehängt.]

[Illustration:

    Phot. Ch. Hose.

Abb. 282. Bestimmung der Zeit der Aussaat mittels einer Art Sonnenuhr
bei den Kenjah.

Sie wird durch einen Eingeborenen vorgenommen, der dieses Amt
ausschließlich ausübt. Er verläßt sich dabei nur auf die Sonnenhöhe und
verwendet zu seiner Bestimmung einen der Sonnenuhr gleichenden Apparat.
Wenn der Schatten mittags eine bestimmte Kürze erreicht, die ihn seine
Erfahrung als günstigen Zeitpunkt lehrte, so zeigt er diesen als zum
Aussäen geeignet an.]

[Illustration:

    Aus: Hose, Pagan Tribes.

Abb. 283. Dankopfer eines Klemantanen für überstandene Krankheit in
Gestalt eines Eies an die Weissagevögel.

Dieselbe Gabe bringen auch Kinder den Geistern dar, wenn sie einen Fluß
zum ersten Male betreten, um deren Gunst zu erlangen.]

Die +Kopfjagden+ sind so weit verbreitet, als Malaien wohnen, von Assam
an über die Sundainseln bis nach den Molukken und den Philippinen
hinauf. Die Beweggründe für das Heimbringen von Köpfen der erschlagenen
Opfer sind mehrfache. Zunächst gilt derjenige, der möglichst viele
Köpfe erbeutet hat, für einen großen Krieger und erfreut sich
besonderer Achtung unter seinen Dorfgenossen; ein Jüngling, der ein
solches Zeichen der Tapferkeit noch nicht aufzuweisen hat, findet
bei seiner Schönen kein Gehör. Außerdem pflegt man die Handgriffe
der Schwerter und die Schilde mit Menschenhaar zu schmücken (Abb.
278). Je mehr Köpfe ein Mann von seinem Kriegszuge nach Hause bringt,
um so höheres Ansehen genießt er. Auf den Mentaweiinseln wird seine
Tatauierung mit jedem erbeuteten Kopfe reicher, und an der Kleidung
der Naga in Assam macht sich in gleicher Weise die Zahl der erbeuteten
Köpfe in bestimmten Abzeichen bemerkbar. Ferner erfordert der Brauch,
daß beim Bau eines neuen Hauses menschliche Opfer dargebracht werden;
man begnügt sich mit menschlichen Köpfen, die unter den Pfeilern
eingegraben werden, und wählt dazu die Köpfe der Feinde aus. --
Zieht man zur Erlangung von Köpfen aus, dann geschieht dies meistens
ganz verstohlen bei Tagesanbruch. Man umzingelt ein bestimmtes Haus,
steckt es in Brand und sucht die herausstürmenden Menschen im Kampfe
niederzuschlagen. Nachdem den Gefallenen die Köpfe abgehauen worden
sind, tritt man in großer Eile den Rückzug an aus Furcht, aufgelauert
oder verfolgt zu werden. Ein Gefangener wird für gewöhnlich nicht
getötet; nur wenn man keinen Kopf eines Erschlagenen erbeuten konnte,
haut man einem schwerverwundeten Gefangenen den seinen ab. Hat man
auf der Expedition Erfolg gehabt, dann schmückt man die Boote bei
der Heimfahrt mit Palmblättern; die erbeuteten Köpfe werden leicht
angeräuchert und am Heck des Bootes untergebracht. Vor jedem Dorfe,
bei dem man vorbeikommt, wird ein lauter Kriegsgesang angestimmt,
und diejenigen, die einen Kopf sich verschafften, stehen im Boote
auf. Im Heimatdorfe findet eine große Jubelfeier statt, an der sich
alle Dorfbewohner beteiligen. Die Köpfe werden in besonderen Hütten
geräuchert und sodann unter Absingen von Kriegsgesängen und Darbringung
von Opfern ins Haus überführt (Abb. 281). Hieran schließt sich ein
allgemeiner Freudentaumel, bei dem die Frauen die Köpfe ergreifen und
phantastische Tänze aufführen (Abb. 280 und farbige Kunstbeilage);
das gleiche tun die Männer in vollem Kriegsschmuck. Schließlich
werden die Köpfe sorgfältig mit Rotang umwunden und neben den bereits
früher erbeuteten aufgehängt (Abb. 247). Im Anschluß hieran wird noch
ein großes Festessen veranstaltet, bei dem man den Köpfen ein Stück
Schweinefleisch in den Mund steckt und das aus Reis hergestellte
Nationalgetränk, Borak, in einen daneben hängenden Bambusbecher
füllt. Man nimmt an, daß die mit den Köpfen verbundenen Geister diese
Opfergaben verzehren, wenn auch nicht direkt, so doch deren Seele.
Ein Feuer brennt beständig unter den Köpfen, damit diese sich warm
und behaglich fühlen, überhaupt erweist man ihnen die größte Achtung.
Denn man nimmt von ihnen an, daß sie dem Haushalte nützlich sind und
ihn beschirmen, sofern man ihnen nur die geziemende Verehrung zollt,
und daß sie nur, wenn sie vernachlässigt oder mißachtet werden, sich
beleidigt fühlen und Unheil anrichten.

[Illustration: Dajakfrauen mit Menschenschädeln in den Händen, zu einem
Tanze versammelt.

Einige Tage nach der Rückkehr einer erfolgreichen Kopfjägerexpedition
werden die abgehackten Köpfe im Triumph ins Haus gebracht. Darauf folgt
eine Zeit von Festfreuden, nach welcher die Schädel, nachdem sie von
den eingeborenen Frauen zu einem phantastischen Tanz benutzt wurden,
neben die alten gehängt werden. Das Vorhandensein von Schädeln in einem
Hause soll das Wohlwollen der Geister, die es umgeben, herbeiführen,
vorausgesetzt, daß sie genügend beachtet werden.]

Neben diesen Geistern der Köpfe gibt es aber in der Natur noch eine
Unmasse anderer, wie die der Flüsse, Berge, Gräber, Höhlen und so
weiter. In der Tat besitzt nach dem Glauben der Malaien eine jede
Örtlichkeit ihren Geist, und das Volk ist darauf bedacht, alle
erforderlichen Vorschriften und Gebräuche zu erfüllen, um sich ihrer
Gunst zu versichern. Je entlegener ein Ort ist, desto mehr ist sein
Geist zu fürchten; die Menschen, die sich zum ersten Male dorthin
begeben, achten wohl darauf, daß sie genau die vorgeschriebenen
Zeremonien erfüllen, die ganz besonderer Art sind. Auch Kinder tun
dies; kommen sie zum ersten Male in eine unbekannte Gegend, dann
stecken sie zum Beispiel ein Ei in das Ende eines Bambusstockes, um
sich den Ortsgeist geneigt zu machen (Abb. 283).

Wir knüpfen hieran einige andere +Gebräuche+ der Dajak, im besonderen
des Kenjahstammes. Wird ein +neues Haus bezogen+, so überführt man die
Köpfe aus dem alten mit dem gleichen Gepränge, wie es bei der Heimkehr
der triumphierenden Krieger üblich ist. Da man aber nicht liebt, mehr
als dreißig Köpfe in seinem Hause zu beherbergen, so benutzen die
Kenjah diese Gelegenheit, sich der überflüssigen Köpfe zu entledigen.
Sie schlagen eine besondere Hütte für diese auf und bringen darin
diejenigen, die sie los werden wollen, unter. Damit die Geister aber
nicht merken, daß man sie im Stiche gelassen hat, unterhält man an dem
neuen Aufbewahrungsort ein schwelendes Feuer und glaubt, daß, wenn
dieses erlischt, die Geister, auch wenn sie kommen wollten, sich zu
rächen, hierzu nicht mehr imstande sind.

[Illustration:

    Phot. A. W. Nieuwenhuis.

Abb. 284. Tabuzeichen,

das über einen Fluß gespannt ist, um aus irgend einem Grunde den Zugang
zu verbieten. Jedes an dem Seile hängende Stück hat seine besondere
Bedeutung, die den Leuten bekannt ist.]

Ganz eigenartig ist die +Art und Weise+, wie die Dajak +einen
gewichtigen Gast empfangen+. Dieser läßt zuvor auskundschaften, ob etwa
auf dem Hause, das er zu besuchen beabsichtigt, ein Tabu ruht. Nach
günstigem Bescheid begibt er sich mit seiner Umgebung zur Galerie des
Hauses, spricht und sieht eine Minute lang seinen Gastgeber aber nicht
an, der sich übrigens auch um ihn nicht kümmert; im Gegenteil, er macht
sich mit seiner Zigarette zu schaffen und blickt auf die Erde. Der
Gast seinerseits räuspert sich höchstens oder hüstelt; darauf bringt
ihm jemand eine Zigarette, worauf erst der Gastgeber die Unterhaltung
aufnimmt mit der üblichen Frage nach der Herkunft und der Zeit des
Aufbruchs des Fremden. Wenn nach etwa einer Stunde etwas zu essen
gereicht wird, Reis oder Schweinefleisch, läßt der Gast einen Rest
davon auf seinem Teller zurück, um anzuzeigen, daß er nicht gierig
nach der Speise ist; außerdem erfordert es die gute Erziehung, daß
er seine Zufriedenheit mit der Mahlzeit ausdrückt, indem er langsam
und laut durch die Nase ausatmet. Darauf spült er sich den Mund mit
Wasser, speit es zwischen die Fußbodenbretter aus, putzt sich die
Zähne mit dem Zeigefinger und wäscht sich die Hände. Beim Abendessen
wird Reisschnaps vorgesetzt und ein voller Becher zuerst dem Gastgeber
gereicht, der den Weissagevögeln und anderen geneigten Geistern ein
Trankopfer hinschüttet und sodann trinkt. Ein zweiter Becher wird dem
Ehrengast kredenzt, der mit den Lippen schnalzt und grunzt, um dadurch
seine Anerkennung zum Ausdruck zu bringen. Bei der Mahlzeit werden
Trinklieder angestimmt, in deren Endreim alle Anwesenden einstimmen.

[Illustration:

    Phot. Ch. Hose.

Abb. 285. Dajak auf der Lauer nach Vorzeichen.

Die von dem Flug oder dem Pfeifen der Vögel erhaltenen Vorzeichen
werden vor der Hütte mit einem Pflocke angemerkt so lange, bis die
guten Vorbedeutungen mit der Zahl fünf überwiegen. Die Männer dürfen
nicht mit etwa Vorbeigehenden sprechen.]

[Illustration:

    Phot. A. W. Nieuwenhuis.

Abb. 286. Klemantanenfrauen beim Erntefest.

Die Frauen ziehen sich zu diesem Feste wie die Männer an.]

[Illustration:

    Phot. Ch. Hose.

Abb. 287. Hütte, für die Weissagevögel errichtet.

Unmittelbar bevor die Vorzeichen untersucht werden, wird eine Hütte
errichtet, womit die Eingeborenen zeigen, daß sie sich unter den Schutz
der Weissagevögel gestellt haben. Die Hütte, die Merkmale solcher
Vorzeichen enthält, wird als heilig betrachtet.]

Wie bei jeder wichtigen Handlung im Leben die +Weissagungen+ zu
Rate gezogen werden, so geschieht dies auch, bevor man mit dem Säen
beginnt. Die Jahreszeit, wenn die Aussaat stattfinden soll, bestimmt
ein darin bewanderter Mann mittels einer Art Sonnenuhr (Abb. 282).
Wenn der Schatten eines senkrecht stehenden Stockes zur Mittagszeit
eine bestimmte Länge angenommen hat, dann ist der richtige Augenblick
gekommen. Ein Schwein oder ein Huhn wird geopfert, und das Blut an
eine Holzfigur vor dem Hause geschmiert. Darauf begibt sich eine
Anzahl Eingeborener in den Wald, um den Flug und Ruf bestimmter Vögel,
besonders des Mauerspechts, Habichts und Trogons zu beobachten.
Währenddessen ruht auf jedem Hause ein strenges Tabu; niemand außer den
eigenen Bewohnern darf es betreten, und nur die notwendigste Arbeit
darf darin vorgenommen werden. Sind die Vorbedeutungen günstig, so
erfolgt die Aussaat. Während die Frucht heranwächst, werden über sie
viele Zaubersprüche ausgesprochen und abergläubische Handlungen an ihr
vorgenommen. So zum Beispiel schwenken die Frauen einen verzauberten
Gegenstand oder ein Huhn über die Ernte und erteilen ihr, desgleichen
den Ratten, Sperlingen und anderen Schädlingen ernste Ermahnungen.
Wenn die ersten Erntesammler, die stets Frauen sind, irgend etwas
sehen oder hören, das von böser Bedeutung ist, gehen sie zurück ins
Haus und verbleiben hier bei Androhung von Todesstrafe oder schwerer
Krankheit achtundvierzig Stunden lang. Ist das Korn eingebracht,
dann darf niemand auf die Dauer von zehn Tagen das betreffende Haus
betreten; dies wird durch ein Tabuzeichen kenntlich gemacht (Abb.
284). Erst wenn das Einbringen gute Fortschritte gemacht hat, wird
ein Fest veranstaltet, bei dem das Saatgetreide für das nächste Jahr
schon vorbereitet wird. Um die gleiche Zeit wird noch ein anderer
interessanter Brauch geübt. Vier Wasserkäfer werden eingefangen und
in ein mit Wasser angefülltes großes Gong gesetzt. Ein alter Mann
beobachtet nun ihre Bewegungen und legt diese entweder als gute oder
unheilvolle Zeichen für die kommende Ernte aus. Gleichzeitig ruft er
die Erntegottheit (Laki Ivong) an, damit sie die Seele des Korns in
die Wohnungen führe. Nachdem Zuckerrohrsaft auf das Wasser gegossen
ist, trinken es die Frauen, während die Käfer wieder vorsichtig
herausgenommen werden, um die Botschaft der Menschen den Erntegöttern
zu überbringen. Hierauf setzt lärmendes Vergnügen ein. Die Frauen
kochen klebrigen Reis, bedecken ihn mit Ruß und bespritzen damit die
Männer, so daß die Spuren davon an ihnen haften bleiben. Bei dem
allgemeinen Tanz (Abb. 291), der nun folgt, verkleiden sich die Frauen
als Männer (Abb. 286), diese aber geben Vorstellungen, indem sie Tiere,
wie Affen und Nashornvögel, nachahmen.

[Illustration:

    Phot. W. H. Furneß.

Abb. 288. Kriegsboote der Kajan,

die durch Aushöhlen eines einzigen Baumstammes hergestellt werden. Das
abgebildete Boot ist über vierzig Meter lang.]

[Illustration:

    Aus: Hose, Pagan Tribes.

Abb. 289. Feuererzeugen bei den Kajan durch Reiben eines Strickes um
ein Stück weichen, trockenen Holzes.]

Auch bei ihren Kriegszügen, sei es, daß sie zur Erlangung von Köpfen
oder um Rache für vorausgegangene Beleidigungen oder aus ganz
allgemeinen Gründen unternommen werden, werden allerlei Vorzeichen zu
Rate gezogen. Es geschieht dies besonders vor Antritt der Kopfjagden
unter großem Aufwand von Förmlichkeiten. Zwei Männer, die dazu
besonders ausgesucht und in den Busch gesandt wurden, müssen den
Laut und die Bewegung gewisser Tiere beobachten (Abb. 285 und 287),
und erst wenn ihre Meldungen nach jeder Richtung hin günstig lauten,
zieht die Mannschaft in ihren Kriegskanus aus (Abb. 288). Trotzdem
verhält sie sich noch tagelang untätig, bis ausgesandte Spione oder die
Untersuchung einer Schweineleber (Abb. 271) die Bewegung des Feindes
festgestellt haben. Jeder beteiligte Mann beachtet inzwischen bestimmte
Tabu; man darf nicht rauchen, Knaben müssen in zusammengeduckter
Haltung schlafen, Feuer darf nur durch Reibung erzeugt werden (Abb.
289) und anderes mehr. Darauf schreitet man bei Tagesanbruch zum
Angriff vor. Der weitere Verlauf der Kopfjagd wurde bereits oben
beschrieben.

[Illustration:

    Aus: Hose, Pagan Tribes.

Abb. 290. Geisterhaus für die Bajohzeremonie.]

Ist eine Frau erkrankt, dann bringt man ihr durch Zureden die
Überzeugung bei, daß sie vom Teufel besessen ist und eine Medizinfrau
werden müsse; nur auf diese Weise könne sie von ihrem Leiden befreit
werden und erlange gleichzeitig die Fähigkeit, anderen zu helfen.
Ob sie nun wirklich dazu imstande ist, wird durch eine bestimmte
Zeremonie, Bajoh genannt (Abb. 290), festgestellt. Der Raum, in dem
die mächtigen Geister, die man dazu ins Haus geladen hat, erscheinen
sollen, ist kunstvoll geschmückt; Musik von Gongs und Trommeln
erschallt durch das ganze Dorf und wird zu bestimmten Zeiten während
der ganzen Nacht wiederholt. Die Medizinfrauen, meistens sind es
alte und wenig anziehende, dafür aber prunkvoll aufgeputzte Weiber,
versammeln sich nun in der Mitte des Raumes und fangen im Takte nach
der Musik eine nach der anderen zu tanzen an, dabei zischen sie und
schlagen mit den Händen wild um sich. Eine von ihnen nähert sich der
Kranken und gibt ihr eine Pinangblüte in die Hand, außerdem bedeckt
sie ihren Kopf mit einem Tuch. Darauf setzen sie die Kranke auf ein
kegelförmiges Gerät und wirbeln dieses mit großer Schnelligkeit
im Kreise herum. Mit der Zeit geraten alle in förmliche Raserei;
dadurch sollen die Geister angelockt werden. Sie fragen sodann die
Hauptmedizinfrau, warum man sie rufe, worauf diese antwortet, daß
jemand krank sei. Nunmehr ziehen sich die Geister zurück und holen
einen mächtigeren Geist herbei, dem sie untertan sind, damit er helfe.
Die oberste Medizinfrau fragt diesen, ob er die Kranke heilen wolle.
Weigert er sich, dies zu tun, so muß ein anderer mächtiger Geist
herbeigeschafft und in der gleichen Weise gefragt werden, jeden Abend
von neuem, bis die Kranke genesen ist. Bisweilen gestaltet sich die
ganze Zeremonie sehr prunkvoll. Die Medizinfrauen spielen dabei ihre
Rolle sehr realistisch; sie fassen den Kopf der Kranken fest an unter
dem Vorwande, den bösen Geist gefangen zu nehmen. Nicht selten stellt
sich auch ein Erfolg dieser Kur ein.

[Illustration:

    Phot. Ch. Hose.

Abb. 291. Kenjahfrau beim Erntetanz,

der in langsamen, graziösen Wendungen besteht, die Arme ahmen dabei die
Bewegungen einer Schlange oder eines im Fluge begriffenen Vogels nach.]

Die +Religion+ der Javaner, Sundanesen und Maduresen ist der
Mohammedanismus, allerdings vielfach noch mit den Überresten und
Gebräuchen des älteren heidnischen Kultus durchsetzt. Die Javaner,
die ursprünglich wohl wie alle halbzivilisierten Indonesier Animisten
waren, wurden schließlich hinduisiert. Zuerst kam die Schiwaanbetung
und dann der Buddhismus; beide Religionen übten einen großen Einfluß
auf ihre Kultur aus; besonders sind jene prachtvollen Tempel der
Zivilisation von seiten der Hindu zu verdanken, die, heutzutage
verfallen, über ganz Java sich zerstreut finden, wie der Borobudur,
Prambanan und Mendut, um nur die berühmtesten unter ihnen zu nennen.
Schließlich kam der Islam nach Java, wahrscheinlich um das dreizehnte
Jahrhundert herum; von hier aus verbreitete sich die neue Lehre bald
über alle Inseln des malaiischen Archipels. Daneben sind doch noch
eine ganze Anzahl Stämme heidnisch geblieben, andere haben auch das
Christentum angenommen. -- Trotz der Lehre des Islam haben sich unter
dem javanischen Volk noch überall die alten Vorstellungen erhalten. Die
Javaner glauben an gute und böse Geister, fürchten sich vor Gespenstern
und vertrauen auf Astrologie, Glücks- und Unglückstage, Vorbedeutungen
und allerhand Zauber. Ihre Heilkunde war bis vor kurzem, bevor
europäisch geschulte Ärzte sich ihrer annahmen, der reine Schamanismus,
und lag in den Händen der Dunkun, einer Art Zauberer (beiderlei
Geschlechts), die böse Geister austrieben, Kranke folterten, ihnen
selbstbereitete Säfte von Pflanzen oder Wurzeln in den Hals gossen und
anderen Unfug mehr verübten.

[Illustration:

    Phot. Ch. Hose.

Abb. 292. Ein gefesseltes Krokodil,

das von den Kajan als Freund und heiliges Tier betrachtet wird und
nicht getötet werden darf. Daher wird es, wenn es einen Menschen
tötete, gefangen, unter freundlicher Anrede wie „Großvater“ und
ähnlichem gebunden und dem natürlichen Tode überlassen.]

[Illustration: Hahnenkampf auf Borneo,

der eine beliebte Unterhaltung der Seedajak oder Ibaner ist. Die
Eigentümer halten die Hähne einander gegenüber und lassen sie los,
sobald sie durch das Sträuben der Halsfedern ihre Neigung zum Kampfe
zeigen.]

Die Bewohner der kleinen fruchtbaren vulkanischen Insel Bali sind
bisher die hartnäckigsten Anhänger des Hinduismus geblieben (Abb.
293) trotz der zahlreichen Versuche des Islam, seine Lehre auch hier
zu verbreiten. Im besonderen hat sich unter ihnen der Schiwakultus
Jahrhunderte hindurch erhalten, der sonst überall in Indonesien
ausgerottet worden ist. Schiwa und seine Gemahlin Durga, sowie ein
gewisser Devi Seri sind die einzigen wirklichen Gottheiten der
Balinesen, wenngleich sie auch die anderen Götter des hindostanischen
Pantheons in ihre schön ausgemalten und reich vergoldeten Tempel
zulassen. Zeremonien, die sich auf den Ackerbau beziehen, nehmen in der
Religion der Balinesen einen großen Platz ein, jedoch haben sie die
Gebete, die Läuterungsfasten, die Totenverbrennung, die vollständige
Abneigung gegen das Fleisch des Rindes und der Büffel, die Achtung
vor den „fünf Erzeugnissen“ der Kuh und das lästige Kastenwesen
beibehalten, wodurch sich das Hindutum genügend kennzeichnet.
Merkwürdigerweise treffen wir auf Bali noch alte polynesische Götzen
an, seltsame kleine Figuren, die aus chinesischem Geld hergestellt und
mit reichen Stoffen ausgeputzt sind, die sogenannten Rabut Sedana. Die
Bugis und Makassaren auf Celebes sind heutzutage mehr oder weniger
mohammedanisiert, jedoch haben sich unter ihnen einige Hindubräuche
erhalten, zum Beispiel die schiwaistische Anbetung des Lingam. Sie
verehren auch das Krokodil (Abb. 292) und den Aal und glauben stark an
das Können gewisser Zauberer.

Die +Nationalwaffe+ der Malaien ist der Kris, ein kurzes,
dolchähnliches, aufs kostbarste verziertes Schwert (Abb. 294 u. 296)
mit meist flammender Klinge. Dazu treten noch das lange Schwert, die
Lanze und der Schild (Abbild. 295). Auch Bogen und Pfeile, sowie das
Blasrohr werden benutzt, aber nicht durchweg, sondern nur in einzelnen
Teilen des Archipels.

Unter den +Handfertigkeiten+ der Malaien stehen obenan die
Waffenfabrikation, die Verarbeitung von Gold, Silber und Eisen zu
Schmucksachen (Filigranarbeiten), der Gelbguß, die Weberei und
Flechterei, die Batikfärberei und der Schiffbau.

[Illustration:

    Phot. Edward Elven.

Abb. 293. Balinesische Schnitzerei.

Die hölzerne Figur stellt den Gott Krischna, auf seinem Adler reitend,
dar, ein auf der Insel Bali, wo der Hinduismus überdauerte, häufiges
Motiv.]

Leidenschaftlich huldigt der Malaie +Musik+, +Spiel+ (Abb. 300) und
+Tanz+. Die Musik der Javaner steht auf hoher Stufe, obwohl einer, der
sie nicht gewohnt ist, sie zunächst als schrill empfindet, indessen
liegt in ihr viel Melancholisches und Melodisches. Ein vollständiges
Orchester, das sogenannte Gamelang (Abb. 299), umfaßt einige
volltönende Bambusflöten, eine Reihe Gongs, die mit Stöcken geschlagen
werden, Bratschen, Violinen, Gitarren, Trommeln und Xylophone. Kein
Fest oder große Zeremonie findet auf Java statt ohne Gamelang. Kaum
zu trennen ist davon die Vorführung des Wajang oder Schattenspiels.
Zu diesem werden aus Büffelhaut geschnittene, bemalte oder vergoldete
Figuren benutzt (Abb. 298), deren Schatten der hinter einem
erleuchteten Wandschirm sitzende Darsteller auf diesen fallen läßt.
Die Arme der Figuren, die auf einem Holzreck stehen, werden mittels
Holzstäbchen bewegt. Den Inhalt der Vorführungen bilden denkwürdige
Ereignisse aus der Vergangenheit, aus den großen indischen Epen
Mahabharata und Ramayana. Der männliche Teil der Zuhörer sieht auf der
einen Seite des Schirmes den Bewegungen dieser Marionetten direkt, der
weibliche auf der anderen dagegen ihren auf ihn fallenden Schatten zu.
Das Wajangspiel, das sich übrigens über Siam, China, Ägypten und die
Türkei verbreitet findet, wird bei allen festlichen Gelegenheiten, wie
Namensgebung, Beschneidungs- und Zahnfeilungsfeierlichkeiten, Hochzeit
und so weiter vorgeführt. Eine andere Unterhaltung der Javaner sind
die Vorführungen der Ronggeng, der öffentlichen Tänzer (Abbild. 297 u.
301), die aus einer Reihenfolge plastischer Posen und lebender Bilder
sich zusammensetzen. Sehr beliebt sind schließlich noch auf Java, wie
auch anderwärts im malaiischen Archipel, Tierkämpfe zwischen Hähnen
(siehe farbige Kunstbeilage), Wachteln, Grillen, Büffeln und selbst
Tigern, Schachspiele, Kartenspiele und dergleichen mehr.

[Illustration:

    Originalaufnahme von ~Dr.~ Buschan.

Abb. 294. Javanische Krieger.]

[Illustration:

    Phot. Ch. Hose.

Abb. 295. Dajakkrieger vom Baramdistrikt.

Die Bekleidung besteht aus Ziegenfell; sein Schild ist mit erbeutetem
Menschenhaar geschmückt; in der Hand hält er das Nationalschwert, den
Kris.]

Wie wir es bereits bei anderen Völkern sahen, so schreiben auch
die Malaien die +Entstehung von Krankheiten+, im besonderen den
Wahnsinn, dem Einfluß der bösen Dämonen zu; dementsprechend ist
ihre Austreibung aus dem Körper das übliche Heilverfahren. Droht
dem Kranken ein tödlicher Ausgang, so nimmt man an, daß seine Seele
den Körper verlassen habe, und daß man sie durch irgend ein Mittel
wieder zur Rückkehr bewegen müsse. Dies geschieht bei den Kajandajak
mit Hilfe eines Seelenfängers, des Dajong (Abb. 302 und 303), in den
meisten Fällen einer Frau, der durch einen höheren Willen im Traume
offenbar geworden ist, diesen Beruf zu ergreifen. Bei der Ausübung
ihrer Tätigkeit verfällt diese Person zunächst in einen Trancezustand,
damit ihre Seele der anderen Seele, die inzwischen schon eine gute
Strecke Weges zu dem Aufenthaltsorte der heimgegangenen Geister
zurückgelegt hat, nachgehe und sie zu der Rückkehr überrede. Zu diesem
Zwecke wird der Kranke auf der langen Galerie des Hauses inmitten
seiner Verwandten und Freunde niedergelegt und die Dajong beginnt ihr
Werk. Sie geht mit geschlossenen Augen auf und ab und murmelt dabei in
Absätzen Lieder und bestimmte Gebetsformeln an die Gottheiten. Ihre
lebhaften Bewegungen und Aussprüche während dieser feierlichen Handlung
sollen ihre, beziehungsweise des Kranken eigene Seelenwanderungen und
Kümmernisse wiedergeben. Von Zeit zu Zeit stellt sich die Dajong so,
als ob sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen sei und den Versuch, die Seele
zurückzurufen, aufgeben müsse; dann versprechen ihr die Versammelten
gewöhnlich noch mehr Geschenke, damit sie ihre Aufgabe erfüllen kann;
manchmal gelingt es ihr auch. Wenn die Seele daraufhin zurückgewonnen
ist, besteht die nächste Schwierigkeit darin, sie zu überreden, daß sie
auch wieder in den Körper einzieht. Um dies zu ermöglichen, schwingt
die Dajong ein Schwert und starrt darauf hin, um einen flüchtigen
Blick der Seele in ihm aufzufangen. Hiermit endet der Trancezustand.
Die Dajong legt nun irgendeinen kleinen Gegenstand, zum Beispiel eine
Reisflocke vor, die die Seele enthalten soll. Diese wird dem Kranken
auf den Kopf gedrückt, und ihm ein Palmblattstreifen um das Handgelenk
gebunden, in der merkwürdigen Absicht, dadurch die Seele zu hindern,
daß sie den Körper von neuem verläßt. Im Anschluß hieran wird ein Huhn
geopfert, in schlimmen Fällen ein Schwein, und das Blut des Tieres über
das Palmblattarmband gestrichen. Schließlich werden dem Kranken noch
gewisse Tabu auferlegt. Das ganze Verfahren ist wohl geeignet, in ihm
Vertrauen zu sich selbst zu erwecken und einen günstigen Einfluß auf
sein Leiden auszuüben.

[Illustration:

    Phot. Edward Elven.

Abb. 296. Handgriffe von malaiischen Kris,

von denen der mittlere, balinesischen Ursprungs, mit bunten
Glasstückchen ausgelegt ist, während die beiden anderen aus Bein
geschnitzt sind.]

[Illustration:

    Aus: de Wit, Java.

Abb. 297. Javanische Straßentänzer.]

[Illustration:

    Aus „Kolonie und Heimat“.

Abb. 298. Wajangpuppen,

aus Büffelleder angefertigt, reich bemalt und vergoldet.]

[Illustration:

    Orig. Museum f. Völkerkunde, Leipzig.

Abb. 299. Malaiisches Orchester, Gamelang genannt.]

Ist der +Kranke+ trotzdem +gestorben+, dann wird eine Trommel oder
ein Gong geschlagen, um den abgeschiedenen Seelen in der Unterwelt
davon Kunde zu geben; die Zahl der Schläge richtet sich nach der
gesellschaftlichen und öffentlichen Stellung des Verstorbenen. Solange
der Leichnam aufgebahrt liegt, ist er mit seinen schönsten Kleidern und
dem prächtigsten Schmuck angetan, eine kostbare Perle ist ihm dabei
unter jedes Augenlid geschoben. In der Nähe des Sarges brennt stets ein
Feuer; außerdem liegen dort kleine Päckchen von gekochtem Reis sowie
Zigaretten für den persönlichen Gebrauch der Seele. Letztere senden
Freunde und Bekannte oft zu Hunderten ins Haus. Während der ganzen
Zeit der Aufbahrung bleiben stets zwei oder drei Leute, die beständig
jammern, an der Seite des Sarges. Am Tage der Beerdigung erscheint die
Dajong, setzt sich neben den Toten und singt, um dadurch der Seele den
Weg über den Fluß in die andere Welt zu weisen; gleichzeitig zeigt sie
einem der Angehörigen, wie er die Schnüre oben am Sarg zu lösen habe,
um der Seele das Scheiden zu erleichtern. Dies soll der Augenblick
sein, in dem diese den Körper endgültig verläßt. Hierauf werden noch
zwei kleine Figuren, von denen die eine eine Frauen-, die andere eine
Männergestalt darstellt, an Kopf- und Fußende des Sarges gebunden (Abb.
304), anscheinend ein Überbleibsel der früheren Sitte, Sklaven zu
opfern, damit die Seele in der anderen Welt auch Bedienung habe. Der
Sarg wird durch den Fußboden aus dem Hause gelassen -- brächte man ihn
die Hausleiter herunter, dann würde das Gespenst den Weg nach innen
leichter zurückfinden --, an das Flußufer gebracht, hier in ein Boot
gesetzt, das mit buntfarbigen Tüchern und Flaggen geschmückt ist, und
zum Grabe gerudert. In den nachfolgenden Booten sitzen die trauernden
Angehörigen, die die ganze Zeit über schweigen müssen.

[Illustration:

    Mit Erl. der Kgl. Niederl. Postlinie.

Abb. 300. Szene aus dem Spiel „Srikandi und der Riese“,

das bei den Javanern sehr beliebt ist.]

[Illustration:

    Aus: de Wit, Java.

Abb. 301. Wajangtänzer,

die während der Pausen des Wajangspiels auftreten.]

[Illustration:

    Phot. A. W. Nieuwenhuis.

Abb. 302. Phantastischer Tanz der Kenjahmedizinmänner,

um die Seele eines Sterbenden zurückzurufen.]

Ganz eigenartig ist das Grab eines Kajanhäuptlings. Es besteht in
einem langen Holzklotz, der mit seinem kurzen Ende senkrecht in die
Erde geschlagen wird. Seine Größe richtet sich nach Rang und Stand des
Verstorbenen und fällt am längsten bei Personen von ganz besonderer
Bedeutung aus. Das obere Ende dieses dicken Holzpfeilers ist so
weit gespalten, daß der Sarg hineinpaßt (Abb. 305). Hier wird er
eingesetzt, über ihn kommt eine große Grabtafel zu liegen mit kunstvoll
geschnitzten Holzseiten, die den Sarg in der Baumspalte umschließen.
Man pflegt auch noch die Waffen und andere Besitzgegenstände des Toten
ans Grab zu hängen (Abb. 307), und, falls er deren nicht viel besitzt,
fügen Angehörige und Freunde etwas hinzu. Der Schatten dieser Dinge
soll dem Verstorbenen auf seiner mühsamen Reise ins Jenseits von Nutzen
sein. Die Klemantanen zerbrechen oder verunstalten die Sachen, die sie
aufs Grab legen, angeblich, weil in der anderen Welt alles umgekehrt
wäre, wahrscheinlich aber, damit niemand in die Versuchung komme,
etwas davon zu stehlen. -- Noch am Grabe müssen die Leidtragenden von
der Dajong geläutert werden; zu diesem Zwecke besprengt diese sie mit
Wasser, in dem die Kinnladen eines geopferten Schweines liegen. Während
die Dajong diesen Akt vollzieht, murmelt sie Worte, in denen sie die
Hoffnung ausdrückt, daß den Leidtragenden Unglück erspart bleiben
möge. Diese treten einzeln den Rückweg an, dabei gehen sie unter einem
Stock hindurch, der gabelförmig aus einem Stück Holz des Grabpfeilers
gespalten wurde, treten sodann auf ein lebendes Huhn, bespeien es und
rufen es an, daß es das Böse abwende. Die Trauerzeit findet ihren
Abschluß damit, daß ein menschlicher Kopf ins Haus gebracht wird, woran
sich ein allgemeines Freudenfest und ein Schmaus anschließen. Der
Kopf oder ein Teil von ihm wird dann mit den Blättern der Silatpalme
geschmückt und an dem Grabe aufgehängt. Eigenartig ist auch die Art und
Weise, wie die Kajan das Besitztum des Verstorbenen, falls er keine
Bestimmungen hierüber hinterlassen hat, verteilen. Die Dajong wird
gerufen; sie läßt ein kleines Modellhaus anfertigen, in das Zigaretten,
Speise und Getränk gestellt werden, setzt es in die Nähe des Raumes,
den der Tote bewohnte, und bittet seine Seele flehentlich, ins Haus
zu kommen, von dem Essen zu nehmen und ihre Wünsche zu äußern. Von
Zeit zu Zeit tut sie dann so, als lausche sie, sieht ins Haus hinein
und verkündet den Verwandten, die Seele sei gekommen und genieße von
der bereitstehenden Mahlzeit. Sodann teilt sie den Versammelten die
angeblichen Wünsche des Toten mit; diese werden ohne Murren befolgt.

Die Kenjah entledigen sich ihrer Toten in ziemlich derselben Weise, nur
die Klemantanen behalten manchmal den Sarg auf der Galerie des Hauses
zurück, bis die Zeit der Trauer verstrichen ist; der Sarg wird mit
Wachs versiegelt, nach einiger Zeit aber geöffnet, dann die Knochen
herausgenommen und gereinigt. Die während der Fäulnis ausfließende
Flüssigkeit wird durch ein Bambusrohr in die Erde geleitet. Die
gesäuberten Knochen werden in einen kleineren Sarg oder einen Krug
gelegt und nach dem Begräbnisplatz gebracht. Hier wird dieser neue Sarg
in ein großes allgemeines Mausoleum aus Holz (Abb. 308) oder in einen
ausgehöhlten Baumstamm gestellt.

[Illustration:

    Phot. A. W. Nieuwenhuis.

Abb. 303. Kenjahmedizinmänner.]

Ganz anders gestaltet sich das Begräbnis bei den Seedajak. Nach dem
Tode wird der Körper gewaschen, mit Reis auf der Brust bestreut
-- damit sollen die Götter für begangenes Unrecht des Toten
versöhnt werden -- und in kostbare Gewänder gekleidet; alle seine
Habseligkeiten, die er in der besseren Welt gebrauchen könnte, werden
zusammengelegt. Manchmal wird auch ein Klageweib von Beruf gedingt,
das, auf einer Schaukel am Kopfende sitzend, dann und wann die
verschiedenen Teile des Hauses anruft und ihnen Vorwürfe macht, daß
sie nicht genug getan hätten, um die Seele des Verstorbenen länger zu
fesseln, und schließlich die Geister bittet, die Seele unbeschadet
fortzugeleiten. Am Abend wird neben der Leiche ein Feuer angezündet,
am nächsten Morgen etwas zu essen hingestellt, auch gekochter Reis ihr
in den Mund gesteckt, damit der Tote auf seiner langen Reise etwas zur
Stärkung habe. Das Gefäß, in welchem die Speise gekocht wurde, wird
stets zerschlagen, damit es späterhin niemand mehr benutze.

[Illustration:

    Phot. A. W. Nieuwenhuis.

Abb. 304. Pengsärge auf den Vorsprüngen der Kalksteinfelsen am
Mahakamfluß.

Die beiden Figuren im Vordergrunde stellen Sklaven dar, die dem
Verstorbenen in der neuen Welt aufwarten sollen.]

[Illustration:

    Phot. W. H. Furneß.

Abb. 305. Schön verzierter Grabpfahl mit aufgesetztem Sarg eines
Kajanhäuptlings.]

Auf dem Wege zum Grabe wird Asche von dem Feuer, das am Tage vorher
neben der Leiche brannte, dem Sarge nachgestreut; dies geschieht,
damit die Seele des Toten das Haus nicht wieder erkenne und
zurückkehre, um Unheil anzurichten. Frauen dürfen dem Begräbniszug
nicht folgen, sondern bleiben zurück und erheben ein lautes Wehklagen,
sobald die Leiche herausgetragen wird. Der Leichenzug begibt sich
entweder zu Fuß oder im Boot nach dem Begräbnisplatz. Hier wird dem
Geist Pulang Gana, dem das Land gehört, Reis auf die Erde gestreut als
Preis für das Grab, das er überläßt. Sodann wird ein Huhn geschlachtet,
um die bösen Geister zu versöhnen. Die Särge werden etwa einen Meter
tief in die Erde versenkt; dies geschieht möglichst schnell, damit
man nicht etwa noch den Ruf eines Unglücksvogels vernehme. Krüge
und Messinggongs, desgleichen Geräte, die für die Beschäftigung des
Verstorbenen bezeichnend sind, werden auf sein Grab gelegt, Essen und
Trinken wird ihm an die Seite gestellt und das Ganze mit einem Zaun
umgeben. Wenn die Leidtragenden nach Haus gehen, pflanzen die letzten
von ihnen Pfähle in die Erde, damit die bösen Geister ihnen nicht in
die Wohnung folgen. Am dritten Tage nach dem Begräbnis bringen die
Nachbarn ein Hackmesser, eine Axt, eine Tasse, einen Teller voll Reis
und andere Eßwaren in den Raum, den der Tote bewohnte, und ersuchen die
Verwandten, ihm davon etwas zu essen zu geben und fortan nicht mehr zu
weinen. Sodann öffnen sie das Fenster mit dem Hackmesser und werfen die
Speise für den Toten und seine Geistergefährten durch dasselbe hinaus.
Die Verwandten nehmen in dem Zimmer fortan ihre Beschäftigung wieder
auf. Zwölf Monate nach dem Todesfall findet noch ein allgemeines Fest
statt, Gawai Autu genannt (Abb. 306), zu Ehren aller, die seit dem
letzten Male, wo dasselbe veranstaltet wurde, gestorben sind. Auf jedes
Grab stellt man seltsam geformte Körbe, welche die Gebrauchsgegenstände
jedes Toten enthalten, damit er im Land der abgeschiedenen Seelen,
im Sabayan, die Möglichkeit finde, sich seinen Lebensunterhalt zu
verschaffen. Damit ist die Trauer beendet.

[Illustration:

    Phot. Ch. Hose.

Abb. 306. Dajak in Festtracht

mit erbeuteten Köpfen in den Händen, bei einem Gawai-Autu-Fest, das
jedes oder alle zwei Jahre zu Ehren der Geister der Verstorbenen
stattfindet, die nach dem Glauben der Dajak die Köpfe, welche in ihrem
Hause hängen, umgeben. Sie hoffen dadurch in der Gunst jener Geister zu
bleiben und Glück zu haben.]

Bei den +Javanern+ spielen sich die Leichenfeiern nach mohammedanischem
Ritus ab. Nach dem Tode finden sich die Imame, das heißt die
Geistlichen ein, sprechen einige Suren aus dem Koran über den
Verstorbenen, waschen ihn -- neuerdings besorgen dies häufig die
nächsten Angehörigen -- und hüllen ihn in ein Leichentuch, das
sieben- bis achtmal um den ganzen Körper, einschließlich des Kopfes,
geschlungen wird. Nach vierundzwanzig Stunden trägt man den Toten auf
einer Bambusbahre, die durch einen Sonnenschirm beschattet wird, um ihn
vor Sonne und Regen zu schützen, zum Grabe; Priester gehen voran und
sprechen Gebete, Freunde und Angehörige folgen. In der Regel wird die
Leiche, nur in ein Grabtuch eingehüllt, in einer Nische beigesetzt, die
seitlich im Grabe ausgehöhlt ist und mit Brettern ausgeschlagen wird,
ehe man das Grab zuschaufelt.

[Illustration:

    Phot. A. W. Nieuwenhuis.

Abb. 307. Grab einer angesehenen Kenjahfrau,

behängt mit zahlreichen Kleidungsstücken, darunter Hüten, unter
denen sich auch solche von Freundinnen befinden, die sie als Zeichen
besonderer Hochachtung hinhängen.]

Bei den +Balibegräbnissen+ haben sich noch die charakteristischen
Gebräuche der hindostanischen Religion erhalten, nämlich den Toten
zu verbrennen und seine Asche in die See zu schütten; eine Ausnahme
erfährt dieser Gebrauch nur bei Kinderleichen und zu Zeiten einer
Epidemie, zum Beispiel bei Pocken. Da eine Verbrennung mit großen
Unkosten verknüpft ist, so bleibt die Leiche oft lange genug, unter
Umständen fünf bis zehn Jahre, unbeerdigt liegen, ehe sie verbrannt
wird. Da im letzteren Falle von ihr schließlich nichts mehr übrig ist,
verbrennt man für sie eine Puppe aus Palmblättern; dies geschieht auch
bei Balileuten, die fern von der Heimat sterben. Die Einäscherung
geht auf einem pyramidenförmigen Gestell aus Bambus und Rotang, Sema
genannt, vor sich, nachdem alle religiösen Förmlichkeiten erfüllt
sind. Stirbt ein Prinz oder eine Prinzessin königlichen Geblütes, dann
drängen sich die Frauen des ersteren und Sklaven unter lauten Klagen
um den Toten und fordern eindringlich, mit ihrem Herrn oder Gatten
ebenfalls sterben zu dürfen; der König trifft dann die Entscheidung
hierüber. Wer dazu von ihm auserwählt wird, bekundet fortan große
Ergebenheit und gilt für heilig; da er mit seinen nackten Füßen unter
diesen Umständen nicht länger den Erdboden berühren darf, so werden
sie in weißes Leinen gehüllt. Die Frauen des Verstorbenen bringen der
Leiche ihres Mannes täglich Speise, küssen sie und benetzen sie mit
ihren Tränen bis zum Tage der Einäscherung. Der frühen Zersetzung des
Körpers beugt man durch Räuchern mit Benzoe vor. Am Vorabend vor dem
Begräbnis schlägt die tiefe Trauer in Fröhlichkeit und Tänze um die
hierfür auserlesenen Opfer um; man bietet ihnen leckere Speisen an und
zwingt sie, viel starken Branntwein zu trinken, während die Priester
ihnen die Freuden ausmalen, die ihrer in der anderen Welt warten. Am
Tage des Leichenbegängnisses wird jeder der Mitsterbenden einzeln in
einer Sänfte zum Scheiterhaufen getragen, nachdem den Göttern Opfer
dargebracht wurden. Am Verbrennungsplatze geht das Opfer zunächst um
seinen für ihn in Gestalt eines Troges errichteten Scheiterhaufen
herum, steigt hinein, entblößt seinen Oberkörper und wird erstochen;
darauf stürzen sich die weiblichen Verwandten hinzu, waschen den
Körper und bedecken ihn bis zum Kopfe mit Holz, das darauf angezündet
wird. Früher erlaubten die Gattinnen der verstorbenen Prinzen oder
Prinzessinnen es nicht, daß jemand sie anrührte, um sie zu erstechen,
weil sie sich dadurch für entweiht glaubten; sie sprangen vielmehr
aus freien Stücken in den angezündeten Scheiterhaufen hinein. Unter
dem Druck der holländischen Regierung ist diese Witwenverbrennung
königlicher Anverwandten auf Bali fast gänzlich abgekommen.

[Illustration:

    Phot. Ch. Hose.

Abb. 308. Mausoleum der Klemantanen,

in dem zehn und mehr Särge einer Familie Aufnahme finden.]

Die +Bataker+ beerdigen entweder oder verbrennen ihre Leichen, sofern
es sich um wohlhabende Personen handelt; im ersteren Falle legt man
in den Sarg wohlriechenden Kampfer und leitet die sich entwickelnden
Fäulnisgase durch ein Bambusrohr in die Erde. Arme Leute werden einfach
in eine Matte gehüllt und begraben. Die Bataker standen früher in
dem Ruf, ihre bejahrten Eltern zu essen, wenn diese nicht mehr für
sich selbst sorgen konnten, damit sie ihnen nicht zur Last lägen. Um
die Jahreszeit, wenn die Orangen reif waren, mußte die betreffende
alte Person, die für den Festtagsbraten bestimmt war, auf einen Baum
klettern, die Familie sang unten im Refrain. „Wenn die Frucht reif ist,
dann fällt sie vom Baume.“ Darauf ließ sich das Opfer auf die Erde
herabfallen, es wurde geschlachtet und verzehrt.



[Illustration:

    Phot. Fay Cooper Cole.

Abb. 309. Musizierende Negrito.

Ihr Lieblingsinstrument ist ein horizontal aufgehängter, kleiner,
abgeschälter Baumstamm, den die Weiber mit kurzen Stöcken im Takt
schlagen, während einer oder zwei Männer sie auf kupfernen Gongs
begleiten. Eigenartig ist, daß sie sich die vordere Schädelhälfte
rasieren.]



Die Philippinen.


Die Gruppe der Philippinen, die mehr als tausend Inseln umfaßt, liegt
nördlich von den großen Sundainseln und wird im Westen und Norden von
der chinesischen Südsee, im Süden von der Celebessee und im Osten vom
Stillen Ozean bespült. Als ihre Urbewohner sind die Negrito anzusehen,
eine Menschenrasse, die für stammverwandt mit der südafrikanischen
Zwergrasse gelten kann, und bei dem Erscheinen neuer Ankömmlinge in
die Berge und in die unzugänglicheren Teile des Archipels zurückwich.
Die ersten Eindringlinge, die das idyllische Leben dieser Ureinwohner
störten, waren Indonesier, also Angehörige der indoaustralischen
Grundrasse, deren Vertreter wir auf den Inseln des malaiischen
Archipels soeben kennen gelernt haben. Ihre wichtigsten Stämme sind
heutigentags die Ibang, Ifugao, Igorroten, Tinguianen, Bogobo, Tagalen
und Mandaya. Sie kamen vom südostasiatischen Festlande und von den
südlich der Philippinen gelegenen Inseln her. Zu ihnen gesellten sich
später malaiische Völker hinzu, unter ihnen befanden sich auch die Moro
oder mohammedanischen Malaien, die man hauptsächlich auf Palawan und
Mindanao antrifft. Im sechzehnten Jahrhundert landeten die Spanier auf
den Inseln und schließlich folgten ihnen noch Chinesen und Japaner, die
der bereits ziemlich gemischten Bevölkerung noch weiteren Einschlag
brachten. Daher kommen heutzutage alle möglichen Kreuzungen zwischen
den angeführten Rassen vor, an denen neuerdings auch die Nordamerikaner
Anteil nehmen.

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 310. Bontokigorroten von Nordluzon beim Tanz.

Jeder von ihnen trägt dabei eine Ganza oder Bronzegong, das er mit
einem Knüppel anschlägt. Den Griff einer Ganza bildet ein menschlicher
Unterkiefer.]

Die +Negrito+ finden sich noch auf den Inseln Luzon, Tablas, Panay,
Mindanao und einigen anderen, wie Palawan, wo sie verschiedene Namen,
wie Aëta, Ita, Agta, Baluga, Hilluma, Mamamura und so weiter, führen.
Ihre Zahl ist höchstens auf zehntausend Köpfe zu veranschlagen; mit
Riesenschritten eilen sie leider ihrem Untergange entgegen. Wie die
afrikanischen Pygmäen sind die Negrito von kleiner Statur (Abb. 311),
die Männer messen im Durchschnitt hundertundvierzig, die Weiber
hundertundsiebenunddreißig Zentimeter. Jedoch weisen sie einen guten
Körperbau auf, mit regelmäßig geformten Gliedmaßen, breitem Brustkasten
und gut entwickelter Muskulatur. Ihre Hautfarbe ist braunschwarz,
ebenso ihr Kopfhaar, das kurz und wollig, aber nicht in dem Grade
spiralig gedreht erscheint, wie das der afrikanischen Zwerge, manchmal
auch schon mehr oder weniger wellig oder beinahe flockig ausfällt
(Abb. 312). Offenbar deutet dieses Verhalten Mischung an, wie auch die
ungleiche Schädelform, die fliehende Stirn und die stark vorspringenden
Augenbrauenbogen vermuten lassen. Die Nase ist kurz, aufgestülpt und
platt, die Augen von rundlicher Form. Der Bart ist spärlich entwickelt.

[Illustration:

    Phot. Fay Cooper Cole.

Abb. 311. Gruppe von Leuten der Zwergvölker von Palawan.

Die Männer kleiden sich für gewöhnlich in Rindentücher und ebensolche
Kopftücher, die bei besonderen Gelegenheiten verziert sind, wozu dann
noch Blumen im Haar, leuchtende Blätter und Halsketten kommen.]

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 312. Negritofrau.

Die Negrito sind die Ureinwohner der Philippinen.]

[Illustration:

    Aus „Globus“.

Abb. 313. Windschirm der Aëta (Negrito).]

Die Berührung mit den fremden Rassenelementen hat nicht nur die
körperliche Beschaffenheit der Negrito, sondern auch ihre ursprüngliche
Kultur stellenweise mehr oder weniger beeinflußt. Jedoch leben noch
genug Stämme unter ihnen unter ganz primitiven Verhältnissen, so zum
Beispiel die Aëta im Innern von Luzon. Diese führen in kleinen Horden
von höchstens fünfzig Personen ein Wanderleben; der Älteste einer
Schar ist ihr Oberhaupt. Als Obdach dienen ihnen einfache Windschirme
(Abb. 313) oder ähnliche Unterschlupfe, andere Negritostämme kennen
bereits primitive Hütten. Die wichtigste Quelle ihrer Ernährung gibt
neben den Erträgen der Fischerei und den Früchten des Waldes die
+Jagd+ ab; man kann die Negrito geradezu als passionierte Jäger
bezeichnen, die mit großer Gewandtheit und vorzüglichem Scharfsinn
diesem Beruf obliegen. Wenngleich ihre Umgebung keine große Auswahl an
Wild gestattet, so ist doch niemals Schmalhans bei ihnen Küchenmeister,
denn Rotwild, Wildschweine, Eichhörnchen und verschiedene Vögel gibt
es in Hülle und Fülle. Den größeren Säugetieren wird manchmal mit
Fallen nachgestellt, sonst aber ist die Jagd mit Hunden üblich. Selbst
die Frauen beteiligen sich bei den Zambala mit Eifer daran, zumal
wenn Mangel an Hunden ist, und durchstreifen mit lautem Geschrei das
Unterholz, um das Wild aufzuscheuchen. Pfeil und Bogen zu führen, ist
ein Vorrecht der Männer; es sind dies die hauptsächlichsten Waffen,
die die Negrito kennen; daneben kommen bei ihnen auch Lanzen vor und
bei den Batakern von Palawan auch Blasrohre. Der Ertrag der Jagd wird
ins Dorf gebracht, hier zerlegt und verteilt; hierbei wird noch an
dem alten Brauche festgehalten, daß der Mann, der das Tier zuerst
verwundete, dessen Kopf und Brust, derjenige, dessen Hund es zuerst
aufscheuchte, das Hinterviertel und so weiter erhalten. Der Verteilung
geht aber noch eine Opfergabe an die Geister voraus; der Häuptling
schneidet nämlich einen Teil des Herzens oder der Eingeweide des
erbeuteten Tieres in kleine Teile und streut diese umher, wobei er
in eintönigem Gesange ein Gebet hersagt, etwa des Inhaltes: „Geister,
wir danken euch für diese erfolgreiche Jagd. Hier ist euer Anteil
an ihr.“ -- Von einzelnen Stämmen wird auch primitiver Ackerbau in
Form einfachen Reis- und Süßkartoffelanbaus betrieben; der Boden in
den Dschungeln wird durch Abbrennen urbar gemacht. Das +Feuer+
wird auf noch ganz primitive Weise durch Reiben gewonnen. Eine
interessante Abweichung trifft man bei den Batakern der Insel Palawan
an; hier wird ein Rotangstreifen zwischen einem Stück Rindenstoff und
einem gespaltenen Stück Holz mit großer Schnelligkeit auf und nieder
gezogen, bis der Stoff Feuer fängt. Als Kochgeräte bedient man sich der
Bambusröhren, als Teller der Bananenblätter; doch kommen auch schon
eingeführte Gefäße aus Ton und selbst Eisen vor.

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 314. Eine Bogobofrau von der Insel Mindanao

mit spitz gefeilten und geschwärzten Zähnen.]

Die +Kleidung+ der Negrito besteht nur in einem schmalen Stück Baumbast
oder auch verschiedentlich schon in eingeführten Stoffen, die als
Gürtel umgebunden werden. Auch +Körperschmuck+ wird vereinzelt getragen
in Gestalt von Ketten aus Samenkernen, von Perlen, Kämmen mit buntem
Federschmuck, Blumen, Ringen und Armbändern aus Metall; die letzteren
sind bereits Importware. Tatauierung kommt bei einigen Stämmen vor,
auch Zahnfeilung (Abb. 314) und Durchbohrung des Ohrläppchens, um durch
das Loch allerlei Dinge zu stecken.

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 315.]

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 316.

Abb. 315 und 316. Igorroten und Ilongoten beim Tanz,

der in Bewegungen im Kreise unter Begleitung bronzener Gongs besteht
und von einem Manne angeführt wird. Die Schritte wechseln dabei und die
Bewegungen sind oft dramatischer Natur.]

Die Negrito bekunden eine große +Vorliebe für Musik und Tanz+,
die sie übrigens mit allen Pygmäenvölkern teilen. Zwar sind ihre
Musikinstrumente sehr primitiver Natur; sie bestehen in Flöten und
Violinen aus Bambus, sowie in roh geformten Gitarren, an manchen Orten
aber auch in Gongs, die wahrscheinlich von den Malaien herrühren.
Ein beliebtes Musikwerkzeug ist ein Baumstamm, der zwischen zwei
Bambusgerüsten aufgehängt und so in der Schwebe erhalten wird (Abb.
309). Die Weiber stellen sich in einer Reihe auf und bearbeiten ihn
mit kurzen Hölzern in rhythmischem Trommelschlag, während ein oder
zwei Männer ein Gong zur Begleitung anschlagen. Tanzen bildet ein
Hauptvergnügen für die Negrito und bietet ihnen Gelegenheit, ihrer
übersprudelnden Laune freien Lauf zu lassen. Neben Schrittänzen kennen
sie auch mimische Tänze, in denen sie unter anderem das Einholen
der Ernte, das Einsammeln von Honig, oder Episoden, die sich auf den
Krieg und die Liebe beziehen, dramatisch vorführen. Die +sittlichen
Anschauungen+ der Negrito sind in der Regel ziemlich hohe, wie die
vielen Züge, die über sie berichtet werden, erkennen lassen. Die Liebe
der Eltern zu ihren Kindern ist eine rührende, die ihrerseits wieder
den Eltern mit Hochachtung begegnen. Im allgemeinen können die Negrito
für friedfertig, wahrheitsliebend und ehrlich gelten. Mord soll unter
ihnen eine äußerst seltene Erscheinung sein und nur in der Notwehr
oder aus Blutrache vorkommen. Gelegentliche Abweichungen von dieser
relativ hohen Moral kann nur durch ungünstigen fremden Einfluß erklärt
werden. Über die +Religion+ der Negrito fließen die Beobachtungen nur
spärlich. Was wir wissen, ist, daß sie in dem Glauben an die Geister
Verstorbener besteht, mit denen sie jeden Ort sich belebt denken und
deren Tätigkeit sie jedwedes Mißgeschick zuschreiben. Wenn ihnen
alles gelingt, kümmern sie sich wenig um die Geister. Äußere Formen
der Religion sind unbekannt, außer den schon erwähnten Opfern, die
man nach erfolgreicher Jagd darbringt. Krankheiten betrachtet man
als Strafe, die die Geister für ein Vergehen auferlegen. In nicht
ernsten Fällen machen Medizinmänner den Versuch, den Kranken durch
Austreiben des Geistes zu heilen. Dieses Vorgehen ist für diese unter
Umständen gewagt, wenn nämlich der Erfolg ausbleibt und sie dafür zur
Rechenschaft gezogen werden. Auch +Zaubermittel+ sind den Negrito
bekannt, um Krankheit zu heilen oder Frauen sich geneigt zu machen.
Regen- und Wetterzauber scheinen sie nicht zu kennen, abgesehen, daß
sie Wildknochen verbrennen, um heftige Gewitter abzuschwächen. Auch
glauben sie an gewisse +Vorbedeutungen+.

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 317. Mangyanmann von Bulalakao (Mindoro)

auf der Brautsuche.]

Über das +soziale Leben+ der Negrito ist herzlich wenig bekannt.
Um die bösen Mächte von der Schwangeren fernzuhalten, wendet man
auch hier Abwehrmaßregeln an. Besonders gefürchtet ist der Dämon
Patianak, der Mutter und Kind zu töten trachtet, wenn erstere gerade
in schweren Wehen liegt. Dann verschließt der Mann sorgfältig die
Hütte, zündet ein großes Feuer an, legt seine wenigen Kleidungsstücke
ab und schwingt den Kampilan, bis seine Frau entbunden ist. -- Weder
die +Geburt+ eines Kindes noch seine +Namenverleihung+ bieten Anlaß zu
einem besonderen Fest. In den meisten Fällen bekommt das Neugeborene
einen Namen, den für gewöhnlich die älteren Männer der Gemeinde, nicht
die Eltern, aussuchen, und der meistens auf irgendeinen in der Nähe
der Geburtstätte befindlichen, in die Augen fallenden Gegenstand,
oder auch auf irgendein Ereignis oder eine Eigenschaft Bezug hat,
sogleich am Tage seiner Geburt. Es wird nur ein Name gegeben, und kein
Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Namen gemacht. Wird ein
Kind kränklich, dann vertauscht man seinen Namen, weil man annimmt,
daß der Geist, der die Stelle bewohnt, wo das Kind das Licht der Welt
erblickte, mit dessen Namen nicht zufrieden ist. Würde man diesen
Versuch, den Geist zu versöhnen, nicht anstellen, dann könnte das Kind
sterben.

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 318. Weib der Kalinga, eines Igorrotenstammes,

in Festtracht.]

Die +Heiraten+ werden gewöhnlich von den Eltern abgeschlossen, doch
wird den Mädchen auch eine gewisse Freiheit in der Auswahl ihres
Zukünftigen gewährt. Es herrscht auch der Brauch, die Bräute zwischen
Familien auszutauschen; Bruder und Schwester aus einer Familie heiraten
Schwester und Bruder aus einer anderen, wodurch die Unkosten der
Hochzeit vermindert werden. Hin und wieder werden Kinder miteinander
verlobt. Der Schwiegersohn gibt dem Vater der Braut ein kleines
Geschenk; von eigentlichem Kauf kann man indessen nicht gut sprechen,
zumal dieser der Tochter eine Anzahl Sachen mit in die Ehe gibt, die
ihm aber als Eigentum verbleiben. Eine eigentliche Hochzeitszeremonie,
wenigstens in großem Stile, gibt es bei den Negrito nicht; aber ein
Festgelage mit sich daran anschließendem Tanz (Abb. 315 und 316) wird
für gewöhnlich doch abgehalten. In manchen Gegenden setzen sich Mann
und Frau, die die Ehe eingehen wollen, mitten in den Kreis ihrer
Verwandten und füttern sich gegenseitig aus einer gemeinsamen Schüssel;
außerdem verrichten sie, wenn die Zuschauer diese Handlung beifällig
aufgenommen haben, noch irgendeine gemeinsame Dienstleistung, um
dadurch zu bekunden, daß sie in ihrem zukünftigen Ehestande gemeinsam
arbeiten wollen. Die nächsten Tage verbringen die jungen Eheleute
im Hause der Eltern der Frau, darauf kehren sie in ihr eigenes Heim
ein. Ihre Rückkehr wird mit weiteren Geschenken an die Braut, mit
Tanz und Gelage gefeiert, je nach den Mitteln des jungen Ehemannes.
Diese bestimmen auch die Anzahl der Frauen, die er sich hält. -- Auf
+Keuschheit+ vor der Ehe wird strenge gehalten und Zuwiderhandeln bei
beiden Teilen aufs empfindlichste, selbst mit dem Tode bestraft. Wenn
ein Mann ein Mädchen schwängert, wird er, selbst wenn er sie heiratet,
auch noch streng bestraft. Ehebruch kommt äußerst selten vor und wird
für gewöhnlich ebenfalls mit dem Tode geahndet, reiche Leute können
auch in Geldbuße genommen werden. Scheidung aber kommt häufig vor; wenn
Mann und Frau und die beiderseitigen Familien darin einwilligen, so
wird der Besitz gleichmäßig unter beide Teile geteilt, die Kinder aber
bekommt die Frau.

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 319. Ifugaofrauen beim Flechten der Haare.]

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 320. Ilongotenkrieger aus Nordluzon

mit eigenartigem Kopfputz und einem schön gearbeiteten und verzierten
Schwert.]

Neben den Negrito kommen nun auf den Philippinen noch malaiische oder,
besser gesagt, +indonesische Völker+ (Abb. 310 und 317) vor, die sich,
wie wir bereits hörten, teils mit jenen, teils mit hinzugewanderten
Chinesen und Japanern kreuzten. Mit den wichtigsten von ihnen wollen
wir uns nunmehr noch beschäftigen. Auf +Luzon+, der größten Insel des
Archipels, leben die Igorroten (Abb. 315, 316 und 321), Tinguianen,
Ilongoten (Abb. 320), Kalinga (Abb. 318 und 323) und Ifugao (Abbild.
319). Die Ilongoten haben viel Negrito-, die Kalinga viel Chinesen-
und Japanerblut in sich aufgenommen. Im allgemeinen sind diese Völker
schön gebaute Leute von mittlerer Körpergröße und rötlich bis dunkel
oliv-brauner Hautfarbe. Ihr Haar ist lang und straff. Einzelne Stämme,
zum Beispiel die Igorroten und Tinguianen, tragen ihr Kopfhaar lang
und binden es auf dem Scheitel in einen Knoten zusammen (Abbild. 321),
flechten auch wohl Bänder oder Perlenketten hinein und raffen die
Stirnhaare in einem kleinen Netz nach oben, andere wieder, wie die
Ifugao, rasieren sich den Kopf ringsherum und lassen nur in der Mitte
einen Schopf stehen.

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 321. Bontokigorrotenweib.

Ihr Hauptschmuck besteht in der schönen Frisur des Kopfhaares, das mit
einer Perlenschnur verziert ist.]

Die +Kleidung+ dieser Leute pflegt für die Männer in einer Hose (Abb.
322), für die Weiber in einem kurzen, von den Hüften bis zu den Knien
reichenden Rock zu bestehen, sowie für beide Geschlechter in einer
anschließenden Jacke (Abb. 324). +Tatauierung+ wird von ihnen allen
geübt (Abb. 323), besondere Sorgfalt verwenden darauf die Igorroten
und Ifugao; die bei ihnen am meisten verbreiteten Muster setzen sich
aus geraden und gebogenen Linien zusammen. Die Frauen lieben allgemein
+Körperschmuck+ in Form von Ohrringen, Halsketten, Spangen und
Ringen (Abb. 324 und 325). Bei den Tinguianen sind ein wesentlicher
Bestandteil ihres Schmuckes Perlenschnüre, mit denen sie sich nicht
nur das Kopfhaar und den Hals, sondern auch die Arme behängen (Abb.
326). An den Armen legen sie eine Schnur über die andere, so daß die
Ketten schließlich vom Handgelenk bis zu dem Ellbogen reichen und,
wenn die Wohlhabenheit ihres Besitzers es gestattet, sogar bis an die
Schulter herauf. Als Zeichen der Vornehmheit gilt es, die Schnüre um
das Handgelenk so fest anzuziehen, daß sie das Glied zum Anschwellen
bringen; aber gern unterzieht man sich dieser Unbequemlichkeit aus
Eitelkeit. -- Vornehme Ifugao leisten sich als Ruhestätte eine aus Holz
geschnitzte, unseren Liegestühlen ähnliche Bank (Abb. 327).

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 322. Manobomann von der Insel Mindanao beim Bogenschießen.

Er trägt kurze Hosen und eine kurze Jacke.]

Die Indonesier Luzons sind alle fest angesiedelte +Ackerbauer+, aber
dabei durchweg noch Kopfjäger oder waren es wenigstens bis in die
neueste Zeit hinein; denn die amerikanische Regierung sucht natürlich
mit allen Mitteln diesem Unwesen Einhalt zu gebieten. Die +Igorroten+
wohnen im nördlichen Luzon in festen Dörfern, deren Bevölkerung drei-
bis viertausend Köpfe ausmacht. Jedes Dorf enthält in seiner Mitte das
Gemeindegerichtshaus (Abb. 328), in welchem der Häuptling zusammen
mit den Ältesten die Streitigkeiten schlichtet und die sonstigen
Gemeindesachen ordnet. Auch dienen diese Häuser ähnlichen Zwecken,
wie in Ozeanien die Junggesellenhäuser; es wohnen und schlafen in
ihnen die Unverheirateten, es werden in ihnen die Gäste empfangen und
beherbergt und schließlich auch die Kriegstrophäen aufbewahrt. Der
Zutritt zu diesen Häusern ist dem weiblichen Geschlecht verboten; die
unverheirateten Mädchen schlafen ebenfalls in besonderen Hütten. Die
+Tinguianen+ hausen in den rauhen Gebirgsabhängen des nordwestlichen
Luzon. Sie haben es in geschickter Weise verstanden, sich trotz der
ungünstigen Geländeverhältnisse den Boden zu Ackerzwecken nutzbar
zu machen. Um Ackerland zu gewinnen, ziehen sie an den Bergabhängen
eine Steinmauer, hauen dahinter den Steinboden ab und füllen ihn auf,
bis sie eine Terrasse hergestellt haben; hinter dieser errichten sie
eine zweite Steinmauer, die sie wieder auffüllen, und fahren so fort,
bis sich schließlich Stufe über Stufe die Abhänge hinauf erhebt. Für
die Bewässerung dieser +Terrassenfelder+ sorgt man in der Weise, daß
man das Wasser eines Bergstromes auf die höchste Terrasse leitet
und es, wenn diese Terrasse genügend begossen worden ist, auf die
nächst darunterliegende laufen läßt und so weiter. Manchmal ist es
erforderlich, lange Dämme aufzuwerfen und zwischen ihnen gleichsam
wie in einer Wasserleitung den Gebirgsbach große Strecken weit zu
dem Punkt, wo man ihn sich nutzbar machen will, hinabzubefördern.
Der beständige Kriegszustand, unter dem die Tinguianen mit ihrer
Nachbarschaft leben, weil sie eifrige Kopfjäger sind, hat sie
gezwungen, sich in befestigte Ansiedlungen zurückzuziehen. Ihre
Verfassung ist eine oligarchische; kein Häuptling steht an der Spitze
der Gemeinde, sondern einige wenige ältere Männer regeln die Geschäfte.
Bei den bis in die jüngste Zeit üblichen +Kopfjagden+ gingen die
Krieger zunächst mit dem Speere vor; bei Handgemenge aber verließen sie
sich auf ihren Schild, ihre Kopfaxt und ihr Jagdmesser. Mit dem Schild,
der an seinem oberen Rande mit drei Sprossen ausgestattet ist (Abb.
329), versuchten sie dem Gegner zwischen die Beine zu fahren, um ihn
hinzuwerfen, ihm dann weiter mit der Axt einen Schlag auf den Kopf zu
geben, um ihn kampfunfähig zu machen. Sodann trat das untere Ende des
Schildes in Wirksamkeit. In seine beiden Sprossen wurde der Hals des
Opfers wie in eine Knopfgabel eingezwängt, und dann der Kopf vom Rumpfe
abgetrennt. Wenn die Sieger mit ihren Trophäen (Abb. 331) heimgekehrt
waren, wurde eine große Feier abgehalten, die wie üblich in Tanz,
Gesang und Schnapstrinken bestand. Die besondere Vorliebe der Filippino
für Tanz und Musik erwähnten wir bereits oben. Unter den üblichen
Musikinstrumenten kommt auch die Nasenflöte vor (Abb. 330), auf der
eine klagende Melodie gespielt wird, dadurch, daß man leise mit einem
Nasenloch hineinbläst, während das andere verstopft ist, um keine Kraft
zu vergeuden. Nach Beendigung des Kriegstanzes werden die erbeuteten
Köpfe in kleine Stücke gespalten und eines davon als Andenken an die
Tapferkeit der Sieger jedem Gaste überreicht, der es mit nach Hause
nimmt. Bei anderen Stämmen, zum Beispiel den Ifuago, werden die von den
Kopfjägern heimgebrachten Schädel in den Häusern aufbewahrt (Abb. 332).

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 323. Kalingamann mit Tatauierung,

die bei diesem Stamme sehr verbreitet ist und bald nur als Schmuck,
bald als Auszeichnung, bald zu medizinischen Zwecken ausgeübt wird.]

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 324. Mangyanfrau von Mindoro,

eines Stammes aus dem Innern, der wahrscheinlich Negerblut in sich
aufgenommen hat. Zwischen den Lippen hält sie ein Stückchen Tabak, um
die Zähne damit zu schwärzen.]

Die Tinguianen bekunden eine große +Fertigkeit in der Herstellung von
Schmiedearbeiten+, und dabei ist das dazu zur Verwendung kommende
Handwerkszeug ein ganz primitives. Zwei ausgehöhlte Holzkloben oder
Palmenstämme, in denen Stempel mit einem Federbündel, das die Höhlung
genügend füllt, auf und nieder bewegt werden, bilden den Blasebalg. Das
untere Ende eines jeden Baumzylinders setzt sich in einen Bambusstab
fort, der mit ihm durch Tonmasse verbunden ist und horizontal bis
zum Schmelzofen zusammen mit dem Bambusstab des anderen Zylinders
verläuft. Wird der Stempel nach unten gestoßen, dann drängt er die
im Zylinder befindliche Luft nach dem Schmelzgut, wird er sodann
wieder hochgezogen, dann fallen die Federn zusammen und lassen die
Luft von oben eindringen, und so fort. Das glühend gemachte Eisen
wird auf einfachen großen Steinen, die als Amboß dienen, mittels
schwerer Steinhämmer zusammengeschweißt und darauf noch mittels kleiner
Metallhämmer weiter bearbeitet. Ist der auf diese Weise geschmiedete
Gegenstand fertig, so wird er noch durch wiederholtes Erhitzen gehärtet
und dann in kaltes Wasser gestürzt. Der Ruhm der Schmiedeerzeugnisse
der Tinguianen hat sich auf alle Nachbarstämme ausgebreitet und dazu
beigetragen, daß ihre Speere und Kopfäxte nicht nur auf Luzon, sondern
auch darüber hinaus im ganzen Archipel Absatz finden.

Die +Religion+ der Luzonvölker gipfelt in Animismus und Ahnenkultus.
Die Igorroten glauben außer an eine Reihe Gottheiten, die durch die
Ahnengeister mit ihnen in Verbindung steht, noch an ein höheres Wesen.
Man sucht diese Götter durch Opfer gut zu stimmen; rohgeschnitzte
Holzstücke stellen die Geister vor. In der Nähe eines jeden Dorfes
befindet sich ein geweihter Baum, in dem, wie man annimmt, die
Ahnengeister ihre Wohnung haben; vor das Wohnhaus legt man Reis und
andere Speisen für sie auf kleine Bänke hin (Abb. 333). Die Tinguianen
glauben mittels der Hilfe von bestimmten Medien mit den Geistern, deren
sie eine ganze Schar besitzen, sprechen zu können; die Geister nehmen
dabei von diesen Medien Besitz und verkünden durch deren Mund selbst,
was man tun soll. Zu diesem Zwecke begibt sich der Vermittler in einen
in der Nähe des Dorfes gelegenen Hain und bringt dort den Pinaing auf
einem Altar Opfer dar. Diese sind eigenartig geformte Steine (Abbild.
337); in ihnen sieht man den Aufenthaltsort der Geister, die das Dorf
beschützen; ihre Köpfe werden eingeölt, ihr Hals mit Rindenbändern
umwunden und vor ihnen außerdem noch Blut von einem geopferten Schweine
zusammen mit Reis ausgeschüttet. Bevor man das Tier tötet, wird es auf
die Erde gelegt, Betelnuß und Kalk kommt darauf zu liegen (Abb. 334),
sodann wird es vom Medium mit geölten Fingern bestrichen, das dabei
die Götter auffordert, dem bevorstehenden Opfer ihre Aufmerksamkeit
zu schenken (Abb. 336). Wenn man annehmen kann, daß die Geister von
dem geopferten Tiere genügend genossen haben, wird das Schwein für die
Beteiligten weiter zurechtgemacht und verspeist. Natürlich finden im
Anschluß hieran auch wieder Tänze statt. Der Glaube an die Macht und
das Interesse der Geisterwelt ist so stark beim Volke eingewurzelt,
daß jedes Ereignis des gewöhnlichen Lebens von Kundgebungen dieser
Anschauungen begleitet wird.

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 325. Kopfputz der Kalinga.]

[Illustration:

    Phot. Fay Cooper Cole.

Abb. 326. Ein Opfer an die Geister in einem Tinguianenhaus.

Man beachte die am Arm übereinander liegenden Perlenbänder des das
Opfer Darbringenden.]

Alle Igorrotenstämme stehen auf einer +hohen Stufe der Moral+. Die
Keuschheit der Mädchen wird ängstlich behütet; um Anfechtungen nicht
ausgesetzt zu sein, müssen die unverheirateten Mädchen die Nächte in
besonders hierzu bestimmten Schlafhäusern zubringen (Abb. 338). Ein
Fehltritt wird mit schweren körperlichen Züchtigungen und sogar mit
dem Tode bestraft. Bei einem bestimmten Stamme hat der Verführer die
Pflicht, das Mädchen zu heiraten oder ihr als Buße ein vollständiges
neues Gewand und ein trächtiges Schwein zu schenken; auch muß er ein
der Liebelei etwa entsprungenes Kind unterhalten. Sobald zwei Verliebte
die Zustimmung ihrer Eltern erhalten haben, müssen sie eine Art
Probeehe eingehen. Es wird ein großes Fest veranstaltet, während dessen
die beiden allein in eine Hütte eingesperrt werden und sich etwa vier
bis fünf Tage lang bis zum Schluß des Festes darin aufhalten; Speisen
werden ihnen verabreicht. Nach Ablauf dieser Frist steht es jedem Teile
frei, von der Heirat Abstand zu nehmen, er muß dann aber Buße an seinen
Partner zahlen. Tritt der junge Mann zurück, so hat er dem Mädchen
eine Anzahl Gegenstände zum Geschenk zu machen und die gewiß nicht
geringen Kosten des Festes zu bestreiten, tritt dagegen das Mädchen
zurück, so fallen ihr die Unkosten der Feier zu. Wird das Mädchen
aber schwanger, so muß der Mann sie heiraten. Bei einigen Stämmen der
Igorroten kann der Mann seine Frau sechs Monate nach der Hochzeit
wieder verlassen, falls sie innerhalb dieser Zeit nicht guter Hoffnung
geworden ist. Ist dieser Fall aber eingetreten, dann ist er für immer
an sie gebunden und kann getötet werden, sofern er die Ehe einseitig
aufhebt. Von den +Geburtsgebräuchen+ der Igorroten ist wenig bekannt.
Kommt ein Kind mit umschlungener Nabelschnur zur Welt, so wird es
sofort begraben, weil man von ihm fürchtet, daß es später seinen
Eltern nach dem Leben trachten könnte. Zwillinge werden gleichfalls
als unglückbringend angesehen und aus dem Wege gebracht, es müßte denn
sein, daß sich ein Nachbar ausfindig machen läßt, der sie adoptiert; in
diesem Falle stehen keine schlimmen Folgen von ihnen zu befürchten.

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 327. Ein Ifugao auf seiner roh aus Holz geschnitzten Ruhebank,

die sich nur Leute von Vornehmheit leisten können.]

Bei den Tinguianen werden bereits für ganz junge Kinder von den
Eltern die Ehen abgeschlossen; man bezahlt für das Mädchen eine
Kaufsumme. Aber erst von der Pubertät an leben beide Teile zusammen.
Naht der Zeitpunkt des Eheabschlusses, so überreicht der Bräutigam
seinen Schwiegereltern eine wertvolle Kanne und darf sie von diesem
Zeitpunkte an nicht mehr bei Namen nennen. Die Eltern des Mädchens
machen eine Schüssel Reis zurecht und füllen in eine Kokosnußschale
Wasser; beides stellen sie zwischen das Paar auf die Erde (Abb. 339).
Das Mädchen nimmt eine Handvoll Reis, drückt die Körner zu einem
Ballen zusammen und läßt sie zwischen die Bambusstäbe des Fußbodens
hindurchfallen, als Opfer für die Geister. Der Jüngling ballt ebenfalls
eine Reiskugel zusammen und wirft sie in die Höhe. Bricht sie nach dem
Herabfallen auseinander oder kommt sie ins Rollen, so gilt dies als
ein böses Vorzeichen dafür, daß das Paar sich untreu werde oder daß
seine Kinder sterben werden; bleibt sie aber an der Stelle liegen, wo
sie hingefallen ist, dann liegt die Zukunft für die jungen Eheleute
günstig. Sie trinken von dem kalten Wasser aus der Kokosschale, und
die eigentliche Ehezeremonie ist vorüber. -- Die Ifugao des nördlichen
Luzon (Abb. 340) feiern die Hochzeit mit einer größeren Festlichkeit.

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 328. Ein Igorrotengerichtshof.

Diese Gebäude, zu denen der Zutritt den Frauen verboten ist, dienen
auch als Aufenthaltsort für die Männer und als Schlafstätte für die
Jünglinge.]

[Illustration:

    Phot. Fay Cooper Cole.

Abb. 329. Ein Krieger der Tinguianen.

Das Verlangen nach Köpfen veranlaßt die jungen Leute häufig, Angriffe
auf fremde Siedlungen zu unternehmen. Der Angriff erfolgt mittels des
Speeres; beim Kampf in geschlossenen Reihen aber bedient man sich der
Kopfaxt, des Schlachtmessers und des Schildes.]

Ein +Begräbnis+ in einem Tinguianendorf ist ein großes Ereignis.
Der Tote wird in seine besten Gewänder gekleidet und in sitzender
Stellung gegen die Wand des Zimmers gelehnt (Abb. 341); um und über
ihn werden Decken und andere wertvolle Geschenke aufgehäuft, deren
Geisterseelen seiner Seele zu den Ahnen nach Maglawa, dem künftigen
Heim, zu folgen haben. Während des Begräbnisses, das gewöhnlich drei
Tage dauert, muß die Witwe unter einer weißen Decke verbleiben und
wird samt der Leiche Tag und Nacht von Wehklagenden bewacht, aus dem
Grunde, daß nicht böswillige Geister dem Toten schaden und den Tod
der Hinterbliebenen herbeiführen können. Am Morgen des dritten Tages
versammeln sich alle Freunde und Verwandte im Hause des Toten, worauf
ein jeder männliche Gast etwa hundertfünfzig Hiebe erhält, „damit sie
alle ebenso betrübt seien, wie die Familie des Toten“ (Abb. 344). Mit
Einbruch der Nacht setzt sich eine alte Frau vor die Leiche, bedeckt
sich ihr Gesicht mit den Händen und beginnt laut zu klagen und den
Geist des Verstorbenen zu bitten, in ihren Körper einzutreten. Daß
dieser Wunsch erfüllt ist, zeigt sich sodann daran, daß sie sich wie
besessen gebärdet und ohnmächtig zusammensinkt. Einen Augenblick läßt
man sie in diesem Zustande, darauf bringt man Feuer und Wasser und
verscheucht dadurch den Geist; die Verzückte macht aber zuvor noch den
Anwesenden Mitteilung von des Toten letztem Willen. Der Tote wird in
einer Gruft unter dem Hause begraben, in der bereits einer oder mehrere
seiner Vorfahren ruhen; die Familie bleibt noch viele Tage lang mit
verschiedenen strengen Tabu belegt, und das Grab wird dauernd bewacht,
damit sich ihm keine feindlichen Geister nähern.

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 330. Tinguian auf einer Nasenflöte spielend.

Das bei diesem Volksstamme sehr beliebte Musikwerkzeug wird mittels
eines Nasenloches geblasen.]

Auf der +Insel Mindanao+ sind die wichtigsten Stämme die +Subanun+ auf
der westlichen Halbinsel des Eilands, die +Bogobo+ an den Abhängen
des Berges Apo. Die +Kleidung+ dieser Leute ist die übliche der
Filippino; besonders malerisch soll die Tracht der Bogobostämme sein.
Die Männer halten ihr Haar mit Tüchern zusammen (Abbild. 343), deren
Spitzen sie mit Perlen und Troddeln verzieren; oft tragen sie über
einem enganschließenden Hemd einen kunstvoll mit Perlen besetzten oder
bestickten Rock, der vorn offen ist. Die Beinkleider sind gleichfalls
an ihrem unteren Rande mit einem perlenverzierten oder ausgestickten
Streifen besetzt. An Stelle der Taschen trägt jeder Mann auf seinem
Rücken einen kunstvoll mit Perlen besetzten hanfenen Beutel, der mit
Troddeln und Schellen (eigenem Erzeugnis der Eingeborenen) umrandet
ist. Die Kleidung der Bagobofrauen ist nicht minder künstlerisch. Die
bis auf den Rock reichende und am Halse fest anschließende Jacke,
wodurch der Oberkörper vollständig verhüllt wird, ist auf den Schultern
und den Ärmeln, am Halse und Taillenschluß ebenfalls bestickt, oft auch
mit komplizierten Mustern in Muschelscheiben oder Perlen verziert.
Männer wie Frauen tragen außerdem um den Hals Perlenschnüre, die oft
frei bis auf die Brust herabfallen, sowie Schellenarmbänder. Die
Frauen lieben es auch, sich die Arme mit Messing- und Muschelschmuck,
die Beine und Knöchel mit Spangen zu überladen, an denen Klappern und
Schellen sitzen.

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 331. Ifugaokrieger mit erbeuteten Schädeltrophäen.]

Die +Bogobo+ (Abb. 347) sind zwar nominell einem Herrscher unterstellt,
aber die Unterhäuptlinge erkennen nicht immer seine Herrschaft an.
Neben ihnen (Datus genannt), die Recht zu sprechen und darauf zu achten
haben, daß Übertreter des Gesetzes bestraft werden, verfügen auch
noch +Priesterinnen+ über eine gewisse Macht. Es sind dieses meistens
Frauen in mittleren Jahren, die unter anderem große Fertigkeit in der
Webekunst besitzen und von den Geistern sich berufen fühlen, eine
„Mabalian“ zu werden; sie sind auch in der Arzneikunde bewandert und
pflegen die Kranken. Als Auszeichnung dürfen sie eine besondere Tracht
tragen, die sich keine andere Frau beilegen darf, sonst würde sie von
den Geistern bestraft werden. Die Pflicht dieser Priesterinnen ist es,
die Zeremonien zu leiten, die zur Besänftigung der Geister beständig
abgehalten werden, und ihnen im besonderen Opfergaben darzubringen.
Auch bei der Geburt sind sie hilfreich. Ist ein Kind geboren, dann
reibt die Priesterin dessen Augen und die der Zuschauer mit einer
besonderen Art von Erde ein, damit sie nicht blind werden, und erhält
dafür eine Belohnung in Geld.

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 332. Geschmückte Schädeltrophäen in einem Ifugaohaus.

Wenn einer der Ihrigen im Kampfe fiel und seinen Kopf einbüßte, wird
von den Ifugao der kopflose Körper unter großer Beteiligung feierlich
begraben und an den nächsten Tagen eine Rachezeremonie abgehalten.]

Bei den +Subanun+ (Abb. 345) unterziehen sich beide Eltern vor der
+Geburt+ ihres zu erwartenden Kindes einer Reihe Einschränkungen
bezüglich der Kost sowohl wie der Beschäftigung. Der Gatte darf nicht
anders als ruhig und gebückt einhergehen, vielleicht aus Furcht, er
könnte die Aufmerksamkeit böser Geister auf sich lenken. Er darf das
Sparrenwerk seines Hauses, ebensowenig andere Dinge, nicht festbinden,
weil er sonst dadurch Verwicklungen bei der Geburt herbeiführen würde
und anderes mehr. Die Geburt spielt sich selten im eigenen Hause ab,
vielmehr wird für die Mutter kurze Zeit vor ihrer Niederkunft abseits
eine kleine Hütte erbaut, in die man allerlei Zaubermittel hängt. Der
Grund für diese Absonderung liegt vielleicht in der Furcht, die Frau
könnte während der Geburt im Wohnhaus sterben. Nach ihrer Niederkunft
muß die junge Mutter noch tagelang in der Hütte verweilen und wird
dabei der Hitze eines großen Feuers ausgesetzt, ein recht unangenehmes
Verfahren, das wohl zur Austrocknung vorgenommen wird und meist
große Brandwunden hinterläßt. +Knaben und Mädchen+ der Subanun gehen
jahrelang vollständig nackend, sie sind nur mit Zaubermitteln behängt
gegen böse Geister. Sie erhalten nicht eher einen Namen, als bis sie
vier oder fünf Jahre alt geworden sind. Für Knaben und Mädchen gibt es
keine besonderen Schlafräume, wie bei anderen Philippinenstämmen; sie
schlafen mit den Eltern zusammen.

[Illustration:

    Phot. Fay Cooper Cole.

Abb. 333. Tinguianenaltare für den Geisterkult,

auf denen Opfer dargebracht und vor denen Tänze abgehalten werden.]

Mit der +Heirat der Subanun+ sind keine bemerkenswerten Sonderbräuche
verbunden; das Wichtigste ist dabei die symbolische gegenseitige
Reisfütterung des Paares aus einer gemeinsamen Schüssel, wozu der
Priester den Segen der Geister anruft. Die Eltern vereinbaren das
Nötige bezüglich des Brautpreises. Die Schwiegereltern werden mit
großer Achtung behandelt; der junge Ehemann redet den Vater und die
Mutter seiner Frau nicht mit ihrem Namen an, die Frau erweist den
Eltern ihres Mannes die gleiche Höflichkeit. Von Polygamie, die wohl
gestattet ist, wird selten Gebrauch gemacht, weil dies ein Luxus ist,
den sich nur die Reichen leisten können. Da die Ehe der Subanun mehr
auf Verstandesgrundlage denn auf solcher des Gefühls beruht, so erklärt
es sich, daß sie von langer Dauer ist und durch Untreue nicht getrübt
wird. Diese Sicherheit wird durch das Bewußtsein noch erhöht, daß die
Partei, die danach trachtet, die Ehe zu lösen, Entschädigung zahlen muß
oder eines Teils des ihr Ausgesetzten verlustig geht.

[Illustration:

    Phot. Fay Cooper Cole.

Abb. 334. Ein Tinguian beim Ölen eines Schweines für das Opfer.]

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 335. Ifugao beim Tanz um ein Bildnis.

Die Arme werden dabei abwechselnd vorwärts und rückwärts gestoßen.]

Die +Bogobo heiraten+ in einem verhältnismäßig viel späteren Alter
als anderswo auf den Philippinen; die die Ehe eingehenden Teile sind
manchmal schon zwanzig Jahre alt. Die Eltern bringen für gewöhnlich
die Partie zustande, die dann in aller Form bei einer Versammlung
von Freunden und Verwandten, wobei zwei Gemeindehäuptlinge die
beiden Personen vertreten, ihre Bestätigung findet. Der Vater des
Mädchens macht stets ein Gegengeschenk, das ungefähr der Hälfte der
Hochzeitsgabe von seiten des Bräutigams entspricht, damit es nicht
heißt, er habe seine Tochter verkauft. Die Hochzeit findet aber dann
noch nicht statt, sondern der Jüngling muß erst ein Jahr lang für
seinen zukünftigen Schwiegervater arbeiten. Die Hochzeitszeremonie
ist die gleiche wie anderwärts; Braut und Bräutigam bedienen sich
gegenseitig mit Reis aus einer gemeinsamen Schüssel, und die Priesterin
bringt den Geistern Opfer dar. Die Jungvermählten begeben sich zwar in
ihr eigenes Heim, der Ehemann aber muß noch jahrelang gewisse Dienste
für die Familie seiner Frau verrichten.

[Illustration:

    Phot. Fay Cooper Cole.

Abb. 336. Tinguian bei den Vorbereitungen für ein Opfer.

Das Medium ruft die Aufmerksamkeit der Geister auf das Opfer an, das
man ihnen darbringt, darauf läßt man eine kurze Zeit verstreichen,
damit sie daran teilnehmen können, und richtet die Tiere dann zum
Verspeisen zu.]

Die +Religion+ der Bogobo ist der Geisterkult; für sie hat man in
den Häusern besondere Vorrichtungen als Wohnung geschaffen, damit sie
beständig zugegen sein und alles, was die Menschen tun, fördern können.
Die Zahl der +Geister+ ist sehr groß; sie üben einen besonderen
Schutz für bestimmte Menschen aus, so zum Beispiel kümmert sich ein
Geist um die Krieger, ein anderer um die Weber, ein dritter um die
Messingarbeiter und so weiter. Der Geist, dem alles Eßbare gehört und
der nach den Feldern und Ernten sieht, erhält einen Schrein für sich
mitten auf dem Reisfeld erbaut; nachdem die Ernte eingetragen ist, wird
ihm zu Ehren eine große Feier abgehalten. Ein Geist führt die Rolle
des Oberhauptes aller Geister; er ist es, der die Welt erschaffen hat
und der stets sein Opfer zuerst erhält, sobald irgendeine Zeremonie
vollzogen wird. Ihm sind die anderen Geister auch untertan. Interessant
ist der Aberglaube, daß, wenn Kinder aus zwei Familien sich heiraten,
sich die besonderen Schutzgeister jeder Partei miteinander verschmelzen
und fortan ein Geist werden, der das Paar beschirmt. Die Geister,
die die Krieger beschützen, sind mit besonderer Macht ausgestattet
und dürfen auch nur von solchen Kriegern angeredet werden, die eine
oder mehrere Personen bereits getötet haben; auch ein Mann, der den
Verehrer einer ungetreuen Frau umbrachte, zählt zu diesen Bevorzugten.
Diese Krieger haben die Berechtigung, ein besonderes Gewand zu tragen,
und wenn sie mehreren Menschen im Kriege den Garaus gemacht haben,
diesem einen weiteren Schmuck hinzufügen. Gelegentlich bringt man den
Schutzgeistern der Krieger ein Menschenopfer, das in einem Sklaven oder
einem Gefangenen besteht; Sklaverei ist eine anerkannte Einrichtung
der Bogobo und das Bedürfnis nach Sklaven führt oft zu Einfällen bei
den Nachbarstämmen. Bei diesem Opfer darf ein jeder teilnehmen, der
während des Jahres von Unglück geplagt wurde, oder jede Familie, in der
ein Todesfall vorgekommen ist; Vorbedingung ist aber, daß dem Datu das
Opfer bezahlt oder ein eigenes gestellt wird. Der zum Opfer auserlesene
Sklave wird mit über den Kopf zusammengebundenen Händen an einen Baum
gestellt und über ihn ein Gebet gesprochen. Darauf wird ein Speer mit
sehr langem Schaft gegen seine linke Brust gerichtet und alle, die zum
Kauf des Sklaven beigetragen haben, beteiligen sich insofern an dem
Opfer, als sie den Schaft entweder halten oder ihn berühren. Auf ein
bestimmtes Zeichen wird der Speer sodann durch das Herz gestoßen. Die
Leiche erhält dann noch eine Anzahl Stichwunden und wird begraben.
Hieran schließt sich eine Zeremonie, bei der zwei bekränzte Stangen
hoch aufgerichtet werden, um das Ereignis zu kennzeichnen, die Krieger
sich stark betrinken, ihre Taten dabei rühmen und so weiter.

[Illustration:

    Phot. Fay Cooper Cole.

Abb. 337. Ein Tinguian beim Darbringen eines Opfers für die
Wächtersteine.

Diese Steine, in die der Aufenthalt der Wachtgötter verlegt wird,
werden vor Beginn bestimmter Zeremonien mit Rindenbändern umwickelt
und mit Öl eingerieben, darauf wird vor ihnen Reis mit Schweineblut
ausgestreut.]

+Erkrankt+ ein Bogobo, so wird er in das Haus eines anderen gebracht,
damit die bösen Hausgeister ihn aus den Augen verlieren und die guten
der anderen Behausung sich seiner annehmen; sobald man aber den
Eindruck des bevorstehenden Todes hat, wird der Kranke in sein eigenes
Haus wieder zurückgebracht, damit sein Tod nicht die Aufmerksamkeit
der bösen Geister auf das Haus des Freundes lenke. Stirbt ein Mensch
dennoch im Hause eines anderen, so muß seine Familie für das Unglück,
das sein Tod diesem sicherlich bringen wird, eine Buße zahlen. --
Von einer Klasse Geister glaubt man, daß sie die Schatten des Toten
verzehren und Macht besitzen, den Lebenden ein Leid anzutun; sie
werden manchmal direkt als gleichbedeutend mit den Geistern der Toten
betrachtet.

Die +Subanun+ kennen ebenfalls zahlreiche Geister, unter anderen
solche der See, der Erde, der Wälder, der Flüsse und Beschützer der
Kranken. Ihre +Religion+ beruht auf einer Reihe Offenbarungen, die
den +Medizinmännern+ von Zeit zu Zeit zuteil werden. Deren Tätigkeit
besteht in dem Verkünden von Orakeln oder Aussprüchen der Geister, mit
denen sie zu sprechen vermögen, in Opfern und Gebeten an diese und
in der Heilung von Krankheiten. Die bedeutenderen unter ihnen werden
hochgeehrt. Man begräbt die Medizinmänner auch nicht, sondern setzt
sie unter Schutzdächern aus, da man glaubt, daß sie wieder zur Erde
zurückkehren.

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 338. Weiberschlafhaus bei den Bontokigorroten.

Die Mädchen schlafen in diesen Hütten, die so niedrig sind, daß eine
Person kaum aufrecht in ihnen stehen kann, und einen knapp dreiviertel
Meter hohen Eingang besitzen, etwa zwei Jahre lang bis zu ihrer Heirat.]

Den +Geistern+ werden rohe Altäre errichtet, auf denen man Reis,
Hühner, Eier, Betel, Tabak und Reisbier in Krügen darbringt; auch
kleine Boote setzt man mit Opfergaben beladen aufs Wasser, wohl in der
Hoffnung, daß sie die bösen Einflüsse mit sich fortnehmen möchten.
Auch auf +Vorbedeutungen+ legt man Gewicht; auf Grund solcher
Verkündigungen wird gelegentlich eine Verlobung wieder aufgelöst oder
eine Reise unterlassen, bei anderen das Vorhaben nur aufgeschoben.
Viele Zeremonien dienen der Versöhnung der Geister oder ihrer
Vermittlung bei unangenehmen Lagen, auch der Förderung der Ernte, dem
Schutze des Hauses bei seinem Aufbau und anderes mehr.

[Illustration:

    Phot. Fay Cooper Cole.

Abb. 339. Tinguianenhochzeit.

Die Braut nimmt eine Handvoll Reis aus einem Napf und zerstreut sie
zwischen die Latten des Bambusfußbodens als Opfer für die Geister.
Der Bräutigam wirft einen Reisballen in die Luft, um aus dessen
Niederfallen festzustellen, ob seine Verbindung glückbringend sein
wird. Beide trinken darauf Wasser aus einer Kokosnußschale, womit die
Zeremonie beendet ist.]

Sehr häufig werden +Feste+ gefeiert, zu denen die Vorräte bereits
beizeiten gesammelt und die benachbarten Häuptlinge eingeladen
werden. Eigenartig ist die Form der Einladung; es werden Rotangstücke
überbracht, die Knoten tragen, und zwar so viel, als noch Tage bis
zur Veranstaltung des Festes vorhanden sind. Jeden Tag schneidet der
Eingeladene einen Knoten ab, und wenn nur noch ein Knoten übrig bleibt,
dann weiß er, daß die festgesetzte Zeit herangekommen ist. Haben sich
die Gäste versammelt, dann werden alle Waffen beiseite gelegt und der
Obhut eines oder zweier Männer übergeben. Vor Beginn des Festes pflegt
ein Freund des Festgebers darauf aufmerksam zu machen, daß derjenige,
der nicht den erforderlichen Anstand bewahrt, in Strafe genommen
wird. -- Bei solchen Festen, die zur Erfüllung eines Gelübdes, daß
ein Kranker sich erhole, oder zur Erinnerung an einen Toten, oder zu
irgendeinem anderen frommen Zweck veranstaltet werden, errichtet man
Altäre, vor denen die Medizinmänner die Zeremonien vollziehen. Die
Gäste aber lassen sich dadurch in ihrem Vergnügen nicht im geringsten
stören, da sie auf dem Standpunkt stehen, daß die ernste Seite der
Feier ausschließlich Sache der Medizinmänner ist.

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 340. Ein Ifugaopaar im Hochzeitsschmuck.

Die Hochzeit wird bei den Ifugao wie alle besonderen Ereignisse in
ihrem Leben mit großer Festlichkeit begangen. Sie verwenden viel Zeit
auf das Sammeln des für solche, einen religiösen Charakter tragenden
Feiern notwendigen Materials.]

Wie schon erwähnt, werden die +Leichen+ der Medizinmänner im Freien
ausgesetzt; der gewöhnliche Mensch wird in eine Matte gehüllt
oder in einen Sarg gelegt und dann in der Erde begraben. Nach dem
Begräbnis baden die Angehörigen im Flusse, bevor sie in ihre Wohnungen
zurückkehren.

[Illustration:

    Phot. Fay Cooper Cole.

Abb. 341. Trauer bei einem Begräbnis der Tinguianen.

Der Tote ruht, in seine besten Gewänder gekleidet und von Tüchern und
anderen Wertsachen, die er ins Jenseits mitnehmen soll, umgeben, in
sitzender Stellung gegen die Wand der Hütte gelehnt.]

Es erübrigt sich noch der +Moro+ (Abb. 346) zu gedenken, Malaien
mohammedanischen Glaubens, die ursprünglich Bewohner der Nordküste
Borneos waren, wo sie unter der Bezeichnung Bajau oder Seezigeuner
bekannt sind und erhebliche Kreuzungen mit Arabern eingegangen sind.
Kurz vor der Entdeckung der Philippinen durch die Spanier nahmen sie
von den Suluinseln Besitz und wurden von hier aus durch ihre Raubzüge
zur See zu Anfang des vorigen Jahrhunderts eine ständige Quelle des
Schreckens für die Bewohner der umliegenden Inseln, deren Besitztum
und Frauen ihre Bedürfnisse befriedigen. Daher bekunden sie auch eine
Abneigung gegen die Arbeit, zumal sie von früher Jugend ab bereits
an die Waffen und die Seeräuberei gewohnt werden. Durch diese ihre
Beschäftigung sind sie kriegerisch und furchtlos, selbst grausam
geworden, trotzdem heutzutage wenig Gelegenheit für die Ausübung ihres
Handwerks sich ihnen bietet, da man sehr auf sie acht gibt. Um ihrem
Gewerbe leicht nachgehen zu können, haben sie ihre Wohnungen an der
Küste auf Pfählen errichtet; im gegebenen Augenblick können sie von
hier aus sofort in ihre Boote gelangen, die dicht vor der Tür vor Anker
liegen. Es bedarf keines Hinweises, daß sie tüchtige Seeleute und des
Schwimmens kundig sind.

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 342. Eine Frau der Bontokigorroten in ihrem Leichenstaat.

Die Igorroten nehmen den Tod sehr gelassen auf und klagen weder, noch
trauern sie lange um einen Verstorbenen, am wenigsten um eine bejahrte
Person. Trotzdem dauern die Trauerzeremonien zwei bis acht Tage, je
nach dem Rang des Verstorbenen.]

Die Moro sind von kleiner Gestalt, schlank gebaut und doch muskulös;
sie sind sehr beweglich und zeigen sehr lebhafte Augen unter einer
niederen Stirn in einem kleinen Gesicht. Der Sultan von Sulu ist
nominell der Herrscher aller Moro, doch wird seine Autorität auf den
außenliegenden Inseln nicht immer anerkannt von denen, die ihm
untergeordnete Vertrauensstellen innehaben. In jedem Dorfe nämlich
liegt die Führung der Gemeinde in den Händen eines Datu oder Pangiran;
daneben aber kommt auch dem Priester eine gewisse Macht zu. Mit der
+Religiosität+ des Moro ist es nicht weit her; sie tritt meistens
nur dann in Erscheinung, wenn er, vom Leben angewidert oder um ein
Gelübde zu erfüllen, Amok läuft und möglichst viele Ketzer umbringt,
ehe er mit dem eigenen Leben die Strafe seiner Begeisterung bezahlt.
Die Moscheen der Moro sind in schlechtem Zustand, die vorgeschriebenen
Fasten werden unregelmäßig eingehalten und sonstige Enthaltsamkeit, die
der Islam vorschreibt, wird wenig beachtet, sofern man annehmen kann,
daß diese Übertretung nicht bemerkt wird. Der Moro zollt zwar dem Koran
große Verehrung, hat aber fast keine Ahnung von seinem Inhalt.

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 343. Ein Bogobo

mit prächtig gestickter Kleidung.]

[Illustration:

    Phot. Fay Cooper Cole.

Abb. 344. Zeremonie des Durchpeitschens bei einer Totenfeier der
Tinguianen.

Jeder der männlichen Gäste wird durchgepeitscht, damit alle sich so
traurig fühlen, wie die Familie des Verschiedenen.]

Die Männer tragen Hemden, Jacken und Hosen, dazu eine Schärpe in
leuchtender Farbe und Kopf- oder Halstuch, Leute, die eine Wallfahrt
nach Mekka unternommen haben, auch einen Turban. Ihre Gewänder
sind gleichfalls kunstvoll gestickt und oft aus schwerster Seide
hergestellt. Die Männer tragen das Haar herabfallend, die Frauen
schlingen es zu einem mehr oder weniger phantastischen Knoten. Eine
Eigenart ist das Feilen und Schwärzen der Zähne. -- Besondere Sorgfalt
widmen die Moro ihren Waffen, als da sind der Barong, ein kurzes,
schweres Hackmesser mit einer scharfen Schneide wie ein Rasiermesser
und einem dicken Rücken, sodann der Kris, der Kampilan, ein Schwert
mit zwei Griffen, und die Lanze. Diese Waffen sind durchweg aus dem
allerbesten Material hergestellt, manchmal prächtig mit Gravierungen
und Tauschierung aus Silber verziert.

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 345. Frau der Subanun (westliche Halbinsel Mindanaos),

die sich sehr zu putzen lieben.]

Die Moro finden anscheinend nicht viel +Vergnügen am Tanz+, dagegen
widmen sich ihm viel die Frauen, so bei Hochzeiten und anderen
Gelegenheiten. Ihr Tanz kennzeichnet sich durch Bewegungen mit dem
Oberkörper, die im besonderen die Arme und Hände ausführen, während die
Füße überhaupt nicht in Tätigkeit treten. Die jungen Leute bekunden
nur Interesse an einer Art Kriegstanz, den sie mit Schwert und Stock
bewaffnet aufführen, und bei dem sie mit besonderer Geschicklichkeit
und Schnelligkeit Fechterkunststücke darbieten. -- Die +Musik+, für
die die Moro viel übrig haben, soll ihre Lebensweise widerspiegeln,
ihr Gesang dem Rollen der See ähneln. Das am meisten gebräuchliche
Instrument ist eine Art Xylophon, auf dem die Frauen oft stundenlang

spielen.

[Illustration:

    Phot. Bureau of Science, Manila.

Abb. 346. Moromann vom Suluarchipel.

Die Moro wanderten kurz vor der Invasion der Spanier ein.]

An die +Geburt+ eines Kindes knüpfen sich bei den Bewohnern des
Suluarchipels einige eigenartige Gebräuche. Bei zögernder Geburt wird
durch Spalten von Pinang oder Zerschneiden der Ingwerwurzel darüber Rat
eingeholt, was die Ursache hierfür sein könnte, und dementsprechend
werden Maßregeln getroffen. Hat die Kreißende zum Beispiel mit ihren
Eltern Streit gehabt, so müssen diese sich Gesicht und Hände in einem
Gefäß mit Wasser waschen und dabei geloben, nach günstigem Verlauf
der Geburt ein Opfer darzubringen. Ein Teil dieses Waschwassers wird
der Gebärenden zu trinken gegeben, der Rest über sie ausgegossen.
Unmittelbar vor der Abnabelung ruft die Hebamme dem Kinde einen Namen
zu und fragt an, ob es so heißen will; gibt es durch einen Ton seine
Zustimmung, so behält es diesen Namen, verhält es sich aber ruhig, so
wird ein anderer Name ausgedacht. Den abgetrennten +Nabelstrang+
eines Knaben hebt man in einem kleinen Kober auf, der von diesem,
sobald er erwachsen ist, um den Hals oder den Bauch getragen wird;
derjenige der Mädchen wird sofort begraben. Die +Nachgeburt+
wird mit Asche und Pinangblüten in ein Pinangblatt gewickelt und in
eine Kalapanuß gelegt, die man zubindet. Eine der Geburtshelferinnen
trägt sie mit bedecktem Kopfe hinaus und begräbt sie dicht bei der
Wohnung; unterwegs aber darf sie kein Wort sprechen und niemand Rede
stehen; sonst wird das Kind heuchlerisch. An der Stelle, wo die
Nachgeburt vergraben ist, pflanzt man einen Gagabaum und zündet dort
vier Nächte hindurch Harzfackeln an. Eigenartig ist die +Anerkennung
des Kindes+ durch den Vater. Die Hebamme gibt die Erklärung ab, wer
der Vater ist. Dieser oder einer der männlichen Blutsverwandten muß
dann den Bambussplitter, mit dem die Nabelschnur durchtrennt wurde, an
einem Speer befestigen. Diesen steckt der Betreffende dann in einen
bestimmten Baum und erkennt durch diese Zeremonie das Kind vor allen
Dorfgenossen als sein eigenes an. Der Baum verbleibt Eigentum des
Kindes.

[Illustration: Abb. 347. Bogobomusikanten.

Bemerkenswert ist ihre reich bestickte Kleidung, die häufig noch mit
Muschelreihen oder Perlen behängt wird.]

Die Polygamie ist allgemein verbreitet, da der Koran mehrere legale
Frauen erlaubt. Die Frauen werden meistens gekauft; ihre Stellung ist
eine ziemlich hohe. Ihre Heiratsfähigkeit beginnt mit dem dreizehnten
Lebensjahr. Auf den Suluinseln soll vor der Landung der Spanier die
Homosexualität sehr verbreitet gewesen sein, in dem Maße, daß auf
Antrag der Frauen an dem Gliede der geschlechtsreifen jungen Männer
eine eigentümliche Operation vorgenommen wurde, durch die jeder
gleichgeschlechtliche Verkehr unmöglich gemacht werden sollte.



[Illustration:

    Phot. W. Tams.

Abb. 348. Geisterboot von der Westküste Malakkas,

in das Opfer für die Geister gelegt werden. Diese werden eingeladen,
auf ihm wegzusegeln, worauf das Boot zur Ebbe ins Wasser gesetzt wird.
Die Figuren und Opfergegenstände stammen von einem solchen Geisterboot,
das an der Ostküste treibend aufgefunden wurde.]



Malakka oder die malaiische Halbinsel.


Die malaiische Halbinsel, die südöstliche Spitze des asiatischen
Festlandes, bildete von jeher die Brücke zwischen dem letzteren,
im besonderen Indochina, und den Inseln des Malaiischen Archipels
und war somit den Völkerwanderungen, die teils von China, teils von
Vorderindien aus im Laufe der Zeiten dieses Gebiet überfluteten, in
hohem Grade ausgesetzt. Es kann daher kein Wunder nehmen, wenn wir
hier einen richtigen „Völkerbrei“ antreffen, an dem die Malaien,
beziehungsweise ihnen verwandte Völker den Hauptbestandteil ausmachen.
Indessen bewohnen diese heutzutage vorwiegend die Küstengegenden,
während im Innern noch verschiedene Stämme wilder Ureinwohner hausen,
vor allem die Semang, Senoi, Sakai (Abb. 350) und Jakhûn oder Jokol.
Die Orang ûtan, Lâut, Belenda, Tanggan und andere mehr sind entweder
nur Unterabteilungen dieser Völker oder ihnen verwandte Stämme. Die
Semang und Senoi weisen überwiegend die charakteristischen Züge der
Negrito, also der afrikanischen Grundrasse auf, die Sakai dagegen
nähern sich mehr den Australiern und den Wedda, also den Angehörigen
der sinoaustralischen Grundrasse; beide Völker sind vielfach
miteinander Kreuzungen eingegangen. In den Jakhûn dagegen ist bereits
malaiisches Blut vertreten. Alle diese Stämme leben in der Hauptsache
von der Jagd, wozu sie kleine Bogen und Pfeile, auch Blasrohre (Abb.
349) mit einem in den Giftsaft des Upasbaumes getauchten Geschoß
benutzen, und den Erträgen des einheimischen Bodens (Yams und andere
Wurzeln). Ackerbau betreiben sie nicht, wohl aber handeln sie mit
Honig, Kampfer, Gummi und anderen tropischen Erzeugnissen. Feste
Wohnungen kennen sie nicht; für gewöhnlich hausen sie hinter primitiven
Windschirmen, unter Laubdächern, überhängenden Felsen oder Höhlen;
aber auch auf Bäumen werden sie angetroffen. Schlagen sie auf ihren
Wanderungen ein primitives Lager auf, dann muß ein unverheiratetes
Mädchen durch Quirlen Feuer anmachen, um mit gutem Erfolge kochen
zu können. Damit man stets dazu bereit ist, trägt jeder Jakhûn das
erforderliche Hölzchen am Körper oder auch auf dem Stirnband von Rinde
immer bei sich. -- Die Semang erzeugen auch Feuer durch Sägen, das
heißt durch Hin- und Herziehen einer Liane über ein Stück Holz.

[Illustration:

    Aus: Skeat & Blagden, Pagan Tribes.

Abb. 349. Jakhûn, mit dem Blasrohr auf einen Vogel schießend.

In dem an seiner Seite befestigten Köcher befinden sich die vergifteten
Pfeile.]

Die +Kleidung+ der Männer besteht bei den Wildstämmen in einem
Gürtel aus mehrfach gewundener Schnur oder in einer Schambinde
aus Rindenstoff, bei den Frauen in einer solchen aus zahlreich
herabhängenden Schnüren. Wie anderwärts besteht auch bei allen diesen
Stämmen lebhafte Neigung, sich mit irgendeinem glänzenden oder
farbigen Gegenstande, wie bunten Seemuscheln, Samenkernen und anderem
mehr zu schmücken. Außerdem wird der Körper bemalt, jedoch nicht
tatauiert. Auch Ohrdurchbohrung (Abb. 351) und Zahnfeilung kommen,
von den Malaien übernommen, vor. -- Die Frauen der Semang tragen in
ihrem Haar mit eigentümlichen Mustern bedeckte Kämme, aber nicht zur
Zierde oder zum Halt für die Haare -- sie besitzen meist nur etwa drei
Zähne --, sondern zum Schutze gegen bestimmte Krankheiten, gegen die
man die Zeichnungen eingeritzt hat. Jede Frau hat eine große Anzahl
dieser Zauberkämme in ihrem Besitz und tauscht sie mit anderen Frauen
leihweise aus.

[Illustration:

    Phot. L. Wray.

Abb. 350. Musikkapelle wilder Sakai von Perak.

Links spielen zwei Eingeborene auf Bambusgitarren, daneben bläst
ein Jüngling die Nasenflöte und im Hintergrunde spielt einer die
Maultrommel.]

Mit diesen +Zaubermustern+ hat es nämlich eine ganz eigentümliche
Bewandtnis. Es sind durchweg geometrische Zeichnungen (Abb. 352)
in großer Reichhaltigkeit und Fülle -- man zählt ihrer gegen
hundertundvierzig --, die die Semang angeblich schon von ihren
Vorfahren überkommen haben. Ihre Bedeutung ist eine zeremonielle; jedes
der einzelnen Muster soll eine Krankheit bezeichnen, beziehungsweise
eine Blume, durch deren Geruch der Geist dieser Krankheit von dem
Träger des betreffenden Gegenstandes abgehalten wird. Mit Vorliebe
werden solche Zaubermuster auf den Köchern und Zaubergefäßen, sowie auf
den Kämmen angebracht. Außer diesen geometrischen Mustern schnitzt man
noch andere Zeichnungen auf den Bambusgegenständen ein, die Menschen,
Tiere, Pflanzen, allerdings manchmal in recht schematischer Wiedergabe,
veranschaulichen. Diese werden auf Gegenständen angebracht, die
gleichsam repräsentativen Zwecken dienen.

[Illustration:

    Phot. ~Dr.~ J. Gimlette.

Abb. 351. Kelantanmädchen mit Ohrstiften,

die früher von der weiblichen Jugend bis zur Hochzeit getragen werden
mußten.]

Von den verschiedenen Wildstämmen Malakkas stehen die Semang in
kultureller Hinsicht am tiefsten; sie sind sicher als bodenständig
zu betrachten; höher stehen schon die Sakai, die sich mit ihnen
vermischten. Auf der verhältnismäßig höchsten Stufe, bereits auf
einer Art Halbkultur, die vielfach von den benachbarten Malaien mit
übernommen wurde, stehen die Jakhûn und Belenda. Unser Wissen über
diese Wildstämme ist nur ein stückweises.

Wie die Australier stellen sich auch die Semang die +Seele als einen
Vogel+ vor und erklären sich die Entstehung des Menschen in der Weise,
daß dieser Seelenvogel, der auf den Zweigen eines Himmelsbaumes
sitzt, von Kari, dem höchsten Gotte, zur Erde gesandt, hier von
dem Ehemanne getötet und der Frau zu essen gegeben werde; dadurch
gehe die Seele des Vogels in den Fötus über. Sonst darf dieser
Seelenvogel von niemanden getötet und verspeist werden. -- Während der
+Schwangerschaft+ weicht der Orang ûtan-Mann, wenn irgend möglich,
nicht von der Seite seiner Frau; durch seine Anwesenheit glaubt er
das Gedeihen des werdenden Kindes zu fördern. Bei den Jakhûn wird die
schwere Stunde äußerlich durch ein in die Augen fallendes Büschel von
Palmblätterfasern kenntlich gemacht, damit jede männliche Person, die
dies bemerkt, sogleich umkehrt; nur der eigene Mann darf in der Nähe
bleiben, um helfen zu können. Für gewöhnlich aber stehen auch bei den
Urwaldstämmen weise Frauen der Gebärenden bei, meistens alte Weiber,
die eine bevorzugte Stellung unter den Frauen einnehmen, insofern
sie von allen gemeinsam durch diese zu leistenden Arbeiten, wie
Rotangwinden, Wurzelsuchen und so weiter befreit sind, dafür aber auch
die Kinder des Dorfes in ihre Obhut zu nehmen haben. Ihre Hütten sind
im Gegensatz zu denen der übrigen Bewohner, die auf Pfählen ruhen,
direkt auf dem Erdboden erbaut und besitzen eine ganz niedere, kleine
Tür, damit niemand hineinschauen kann. Denn hier pflegen die Weiber
des Dorfes auch niederzukommen. In dem Augenblick, wo das Kind das
Licht der Welt erblickt, erheben die Orang Lâut ein mächtiges Geschrei
und schlagen dabei die Trommeln, um die bösen Geister zu vertreiben;
wenn die Nabelschnur durchschnitten ist, brauchen sie von ihnen nichts
mehr zu befürchten. Die weise Frau, die der jungen Mutter in ihren
Nöten beigestanden hat, bläst während dieses Lärms kräftig auf das
Neugeborene.

[Illustration:

    Aus: Skeat & Blagden, Pagan Tribes.

Abb. 352. Zauberkämme der Semang.]

[Illustration:

    Aus: Skeat & Blagden, Pagan Tribes.

Abb. 353. Sakaifrauen, die Junge ihrer Haustiere säugen.]

In dem Augenblick, in dem die Nabelschnur durchschnitten wird, geben
die Belenda dem Kinde den +Namen+; sie nennen es entweder nach dem
wichtigsten Moment, der in ihren Träumen eine Rolle spielte, oder nach
dem Gegenstand, den sie am Morgen der Geburt erblickten; ein Zauberer
legt dem Kinde einen von ihm angefertigten Kopfreifen aus Baumrinde
um, auf dem der vereinbarte Name geschrieben steht. Die Semang nennen
das Kind nach dem Namen des Baumes, unter dem es geboren worden ist.
Der Nabelschnurrest der Knaben wurde von den Jakhûn an einen Wurfstein
des Vaters gebunden, mit dem dieser schon einmal einen Feind getötet
hatte, darauf in Seewasser getaucht, gewaschen und in den Rauch zum
Trocknen gehängt, schließlich mit dem Wurfsteine aufbewahrt, bis der
Knabe erwachsen war. Bei seiner Verheiratung nahm er beide Dinge in
Empfang und hob sie gleichfalls auf; ein solcher Wurfstein verfehlte
dann niemals sein Ziel. -- Oft säugen die Frauen der Sakai neben ihren
Kindern auch noch die Jungen ihrer Haustiere, namentlich solche, denen
sie zugetan sind (Abb. 353).

[Illustration:

    Phot. J. W. Knocker.

Abb. 354. Wagen, wie er bei Einweihungsfeierlichkeiten für Aufzüge
benützt wird.

An der Ostküste sind Wagen üblich, die Fabelwesen, wie Pfau-Löwen,
fliegende Pferde mit Menschenkopf und so weiter als Aufsatz tragen. Im
Hintergrund des Bildes ist ein solcher Wagen sichtbar.]

+Bei den Malaien+ wird die Mutter und das Kind nicht nur vor der
Geburt des letzteren, sondern auch nachher gegen die bösen Geister
durch mancherlei Methoden gefeit. Eine davon besteht darin, daß sie
einen Heiltrank, genannt der „Hundert-Kräuter-Trank“, weil er so viel
Bestandteile aufweisen soll, zu sich nehmen muß, eine andere darin,
daß sie sozusagen geröstet wird. Mehrmals am Tage wird sie auf einem
erhöhten Gerüst, unter dem ein helles Holzfeuer lodert, der größten
Hitze ausgesetzt, eine allerdings recht grausame Behandlung, die vier
bis vierzig Tage durchgeführt wird und unter Umständen das arme Opfer
buchstäblich seiner Sinne beraubt oder es direkt tötet. Das malaiische
Baby erhält meistens im Verlaufe der ersten Woche (anscheinend
probeweise) seinen +Namen+, erkrankt es aber, dann wird es sofort
von einem anderen adoptiert, wenigstens vorübergehend, und erhält
damit einen neuen Namen. Auf der Ostküste der Halbinsel besteht die
hübsche Sitte, auf sieben verschiedene Bananen verschiedene Namen zu
schreiben und das Kind seinen eigenen selbst wählen zu lassen. Später
schließt sich an die Namensgebung die +Zeremonie des Rasierens des
Kopfes+ und des +ersten Nägelbeschneidens+. Jede dieser Zeremonien
verlangt das Opfer zweier Ziegen, wenn das Kind ein Knabe, und nur
einer Ziege, wenn es ein Mädchen ist. Die Haarabfälle und Nägel werden
jedesmal am Fuße eines Obstbaumes (Bananen-, Granatbaumes und so
weiter) begraben, dadurch glaubt man seine Fruchtbarkeit zu heben.
Ungefähr am vierzigsten Tage wird das Kind ins Freie gebracht und den
Wassergeistern vorgestellt. -- Der Eintritt der Pubertät wird festlich
begangen (Abb. 354).

Die +Ehe der Semang+ ist die Einehe. Während vor ihr große
geschlechtliche Freiheit herrscht, bleiben sich nach ihrem Eingehen
die beiden Gatten fortan treu. Ehebruch wird mit dem Tode bestraft,
indessen kann diese Strafe durch eine Geldbuße abgelöst werden, deren
Höhe aber doch der für einen Mord entspricht. Zeremonien finden
bei Eingehen der Ehe nicht statt. Dagegen begegnen wir solchen in
ausgedehntem Maße bei den malaiischen Stämmen.

[Illustration:

    Phot. N. Annandale.

Abb. 355. Szene von einem Kampf zwischen zwei Stieren.

Ihre Haut wird mit Tigerfett eingerieben, um den Gegner mutlos zu
machen.]

Die +Ehe der Malaien+ Malakkas wird von seiten der Eltern oder
Verwandten des Jünglings eingeleitet. Glauben sie, eine passende
Partie für ihn gefunden zu haben, so lassen sie zunächst durch einen
zuverlässigen Boten aushorchen, ob das Mädchen etwa schon versprochen
ist, falls dies nicht zutrifft, geben sie ihren Wunsch zu erkennen
und lassen gleichzeitig den Tag für die weiteren Vereinbarungen
festsetzen. An diesem Tage stellen sich Vertreter des Jünglings
pünktlich ein, der eine von ihnen überreicht ein Betelnußtablett mit
den dazu gehörigen Dingen (Betelblatt, Kalk, Betelnuß, Gambir) und
die erste Abschlagszahlung des Brautpreises in Gestalt von Silber
oder Schmucksachen. Ein Bruch des Eheversprechens von seiten des
Jünglings hat in der Regel zur Folge, daß er seine Verlobungsgeschenke
(Abb. 356) verwirkt, ein solcher von seiten des Mädchens, daß es
sie in doppeltem Werte zurückerstatten muß. An die Hochzeit selbst
knüpfen sich bei den von dem Islam noch nicht beeinflußten malaiischen
Stämmen eine Unmasse von Gebräuchen, unter denen die Läuterungs- und
Reinigungszeremonien die Hauptsache ausmachen. Sie beruhen zum größten
Teil auf dem Gedanken, daß Bräutigam und Braut eine königliche Rolle
spielen, eine angenommene Identitätsvertauschung, um die Gefahren
abzuwenden, die dem früheren Glauben nach jede Hochzeitsfeier wie
überhaupt jedes kritische Ereignis im Leben des Stammes begleiten. Die
Sitte erfordert drei Dinge für die Gültigkeit der Ehe: die Zahlung des
Brautpreises, das gemeinsame Essen der Brautleute von einer Speise
und die Anerkennung der Ehe vor Zeugen, unter denen die Dorfältesten
anwesend sein müssen. Diese drei Elemente des Eheschlusses finden
sich auch bei den Urwaldstämmen, dagegen erfahren wir nichts von
ihnen über eigentliche Läuterungs- und Reinigungszeremonien. Die
Besisistämme legen großes Gewicht darauf, daß der zukünftige Ehemann
auch imstande ist, seine Frau durch seiner Hände Kraft zu ernähren,
und stellen an ihn diesbezügliche Fragen. Die Parteien setzen sich um
einen Hügel und an den Bräutigam werden etwa folgende Fragen gerichtet:
„Gehst du geschickt mit dem Blasrohr um?“, „Kannst du geschickt Bäume
fällen?“, „Kannst du tüchtig Zigaretten rauchen?“ Fallen die Antworten
zur Zufriedenheit aus, dann wird der letzte Punkt sogleich praktisch
erprobt. Nachdem der Bräutigam der Braut eine Zigarette gegeben und
sich selber auch eine angezündet hat, wird er aufgefordert, sie dreimal
um den Hügel herumzujagen. Erhascht er sie, dann werden beide für
verheiratet erklärt, wenn nicht, dann hat der Mann das Recht, bei einer
anderen Gelegenheit noch einmal sein Glück zu versuchen. Bei anderen
wilden Stämmen tritt an Stelle des Hügels ein Feuer, um das die Braut
herumgejagt wird. Offenbar handelt es sich bei dieser Zeremonie um
einen Überrest des Brautraubes.

[Illustration:

    Phot. Cambridge Archaeolog. Museum.

Abb. 356. Körbchen in Vogelform,

die der malaiische Jüngling bei der Verlobung seiner Angebeteten
darbringt.]

Bei den zivilisierten Malaien treten, wie gesagt, noch die
Reinigungszeremonien hinzu, wenn wir von dem kurzen Akte absehen, den
der mohammedanische Moscheebeamte vornimmt; häufig genug aber wird die
+Hochzeit+ ohne Zutun des letzteren gefeiert. Die verschiedenen
Zeremonien, die sich an eine Hochzeit dieser Malaienstämme knüpfen,
sollen oft sieben Tage und ebensoviel Nächte hintereinander dauern. Die
drei ersten Nächte sind hauptsächlich der Austreibung oder Aufhebung
der bösen Mächte und außerdem der Zeremonie des Hennafärbens gewidmet,
die jede für sich in dem Hause des Bräutigams, beziehungsweise
der Braut stattfindet. Am vierten Tage findet der feierliche Zug
des Bräutigams zum Hause der Braut und sodann das königliche
Paradesitzen oder die Erhebung des Brautpaares auf den Thron statt
(Abb. 357). Schließlich wird der letzte oder die drei letzten Tage,
je nach der Dauer der vorausgegangenen Zeremonien, den üblichen
+Läuterungsfeierlichkeiten+ gewidmet. Während der ganzen Zeit
werden jetzt meistens arabische Hymnen gesungen, sowie malaiisches
Fechten und andere Tänze aufgeführt an Stelle der früher bei dieser
Gelegenheit üblichen Hahnen- (Abb. 361) und Stierkämpfe (Abb. 355),
Aufführungen des malaiischen Dramas und so weiter, die aber heutzutage
wohl nur noch im Norden üblich sein dürften.

[Illustration:

    Phot. F. W. Knocker.

Abb. 357. Malaiisches Brautpaar bei der Bersandingzeremonie,

bei der es für einen Tag zum Range eines Königs und einer Königin
erhoben wird.]

Das Hennafärben findet zunächst für sich statt, am zweiten Abend
indessen öffentlich unter „Zurschaustellung“ des Brautpaares und zwar
jedes Teiles bei sich zu Hause, und zur Entgegennahme von Glückwünschen
und Geschenken seitens des beiderseitigen Bekanntenkreises. Eine
auserwählte Sippe von Verwandten, Freunden und Dienern begrüßt
Braut und Bräutigam nacheinander nach malaiischer Sitte, streut
etwas gerösteten, mit Safran gelb gefärbten und ganz gewöhnlichen
„gewaschenen“ Reis umher, berührt Stirn und Hände der Brautleute
mit einer zauberkräftigen Reispaste und färbt ihnen noch Hände
und Fußseiten mit Henna. Am vierten Tage spielt das Paar, in
prächtige Gewänder gekleidet, die Rolle eines „eintägigen Königs und
Königin“, wie die malaiische Bezeichnung lautet. Das Eigenartige an
einem malaiischen Hochzeitskleide sind eine goldgestickte, kurze,
krappfarbene Jacke mit engen Ärmeln, ein Sarong und lose seidene
Beinkleider; dazu kommen bei der Braut noch zahlreiche, oft auch nur
geliehene Armbänder, Fußbänder, Halsketten und Brustschmuck, mit denen
sie gleichsam überladen wird, sowie ein seltsam geformter Kopfputz
aus unechten Gold- oder Silberblumen, die, da sie auf Draht gezogen
sind, bei der geringsten Bewegung erzittern und schillern. Außerdem
werden der Braut die Haarspitzen abgeschnitten. Der Bräutigam ist mit
einem steifen Kopfputz, der künstliche Blumen und Reiherfedern trägt,
Halsketten, Armbändern, Brustschmuck und einem Kris geschmückt. Diese
auffällige Anpassung der beiden Geschlechter in ihrer Hochzeitskleidung
soll ohne Zweifel die Gefahren des kritischen Zeitpunktes mildern.

[Illustration:

    Phot. W. Tams.

Abb. 358. Hochzeitsandenken und Betelbäume für Aufzüge.

Die vier unteren Stöcke werden jedem Gaste gereicht; sie bestehen aus
bemalten Eiern, ähnlich unseren Ostereiern, Blumen und in Fähnchen, in
die Tierformen eingeschnitten sind. Der Betelbaum in der Mitte wird bei
Hochzeiten im Zuge getragen.]

[Illustration:

    Phot. Cambridge Archaeolog. Museum.

Abb. 359. Geisterschwinge eines Zauberers.

Ihr Inhalt besteht in glückbringenden, aus Teig geformten Fischen,
Hühnern, Katzen, Büffeln und Krabben, die den Geistern dargebracht
werden.]

[Illustration:

    Phot. Cambridge Archaeolog. Museum.

Abb. 360. Ein Geisterhäuschen,

wie es bei den Einführungsfesten der Jünglinge an der Ostküste
verwendet wird. Man füllt das Häuschen mit den Gaben für die Gäste.]

[Illustration:

    Phot. J. Scott-Mason.

Abb. 361. Hahnenkämpfe bei den Malaien.]

[Illustration:

    Phot. Cambridge Archaeolog. Museum.

Abb. 362. Malaiischer Hochzeitsschmuck.

Die drei mittleren Stücke sollen „Betelblätterbäume“ vorstellen gemäß
der alten Sitte von Selangor, Betelblätter beim Hochzeitszuge zu
tragen. Die beiden äußeren Sträuße werden von Braut und Bräutigam
getragen.]

[Illustration:

    Phot. N. Annandale.

Abb. 363. Ein Götterschrein in einer Höhle auf den kleinen
„Birdnest“-Inseln in der Inlandsee von Singora.

Die Tonfiguren sind zur Versöhnung der Götter dargebracht.]

Nachdem die letzten Vorbereitungen getroffen sind, bricht die Partei
des Bräutigams, nach älterem Brauch mit einer alten Frau an der Spitze
unter lautem Trommelschlag, Gongbegleitung und Raketengeknatter nach
dem Hause der Braut auf; in abgelegenen Teilen des Landes trägt noch
ein Verwandter oder Diener den Bräutigam auf den Schultern, in den
von der europäischen Kultur beleckten Gebieten zieht er in einem
modernen Gefährt aus, am liebsten in einem Automobil. Früher war es
üblich, daß der Bräutigam vor dem Hause der Braut so lange warten
mußte, bis er den „Tribut an die Königin des Landes“, die Braut,
gezahlt hatte; heute wird er ohne weiteres hineingelassen. Er wird in
das Prunkzimmer geführt, das mit dem gestreiften „Regenbogen“, einem
Wandbehang, und farbigen „Himmel“, einem Deckentuch ausgestattet ist,
und hier von der Braut erwartet. Darauf setzt sich das Paar. Dies
geschieht aber in aller Form und ist eine langweilige Sache, denn
beide müssen ihre Knie ganz allmählich, ohne Unterbrechung, beugen,
bis sie sitzen, ebenso langsam müssen sie sich wieder erheben, bis
sie aufrecht stehen; dieser Vorgang wiederholt sich so lange, bis
sich beide zu genau demselben Augenblick niederlassen. Wenn es ihm
gelingt, soll sich der Bräutigam auf einen Teil des Brautkleides
setzen, denn dadurch sichert er sich die wirkliche und nominelle
Oberherrschaft im Hause. Sitzt nun endlich das Paar, dann tauscht es
das vorschriftsmäßige Gelübde aus und bietet sich zu diesem Zwecke
besonders zubereiteten Reis, „den Reis der königlichen Anwesenheit“,
zu essen an. Er wird in einem achteckigen Behälter dargereicht (Abb.
358), der auch bunte Eier enthält und verzierte Wimpeln trägt, die
hier die weißseidenen Hochzeitsschleifen vertreten; jeder Gast erhält
hiervon ein Stück; falls man es ihm vorenthalten würde, hätte es
früher daraufhin einen Kampf mit dem Kris gegeben. Der letzte Akt der
Hochzeitsfeier besteht in dem Besprengen des Brautpaares, das mit
vorgestreckten Händen dasitzt, mit Weihwasser. Fast allgemein üblich
ist schließlich noch, daß ein Knoten in Form eines ~V~ von der
Braut und dem Bräutigam gelöst wird -- dieses Lösen ist ein Sinnbild
der Vertreibung aller schädlichen Einflüsse --, und eine Schnur oder
ein Gürtel aus regenbogenfarbigen Fäden siebenmal über die Köpfe und
unter die Füße des jetzt verbundenen Paares geführt wird, um dann
entweder vom Bräutigam entzweigerissen oder durchgebrannt zu werden;
das verkohlte Ende wird sodann noch dem jungen Paare auf die Stirn
gerieben. Zum Schluß wird die ganze Hochzeitsgesellschaft von den
Jünglingen mittels Bambusspritzen durchnäßt. In Selangor war es früher
üblich, Bäumchen aus Betelblättern im Hochzeitszug zu tragen, während
Braut und Bräutigam Betelsträuße in der Hand hielten (Abb. 362).

[Illustration:

    Phot. N. Annandale.

Abb. 364. Ein Zauberer in Erwartung des Geistes,

der von ihm Besitz ergreifen soll.]

Während die malaiischen Stämme sich im allgemeinen zu der Lehre des
Islam bekennen, die allerdings auch bei ihnen vielfach noch mit
Dämonenglauben durchsetzt ist, sind die Urwaldstämme Anhänger des
+Animismus+ und des +Ahnendienstes+. Für sie ist die ganze Natur von
Geistern (Abb. 348, 360 und 363) angefüllt; die einen sitzen im Regen,
andere in der Hitze, oder in den Bergen, Flüssen, Seen, in Tieren und
so weiter. Gegen ihren bösen Einfluß sucht man sich mit Hilfe von
Zauberern zu schützen (Abb. 359, 364 und 365). Im Gegensatz zu dieser
religiösen Auffassung scheint die der +Semang+ zu stehen. Dieser Stamm
bekennt sich anscheinend zu einem +höchsten Wesen+ namens Kari. Dieses
ist von übernatürlicher Gestalt, besitzt feurigen Atem und hat alle
Dinge mit Ausnahme des Menschen und der Erde erschaffen, jedoch dem
ersteren, den auf sein Geheiß ein untergeordnetes Wesen, Ple genannt,
schuf, die Seele eingegeben. Es sendet auch die Seelen, die alle auf
einem großen Baume hinter seinem Throne sitzen, vermittels bestimmter
Vögel in den Leib der schwangeren Mutter. Für den Kari existieren keine
Bildnisse, Tempel oder sonstige Kultorte, auch keine Priesterschaft.
Von einer äußerlichen Verehrung dieses Wesens weiß man nur das eine,
daß die Semang bei einem Gewitter ihm Opfer in Gestalt einiger
Blutstropfen darbringen, die sie sich aus der Gegend des Schienbeins
entnehmen, und mit Wasser vermischt gen Himmel spritzen; sie hoffen
dadurch Kari zu besänftigen.

[Illustration:

    Phot. Cambridge Archaeolog. Museum.

Abb. 365. Schwarze Zauberfiguren.

Will man einem Menschen etwas Böses zufügen, dann formt man von ihm
eine Figur und durchbohrt mit einer Nadel den Körperteil, dem man an
der lebenden Person Schaden zufügen will. Die Schirme und Kerzen finden
bei der Zeremonie Anwendung.]

[Illustration:

    Phot. N. Annandale.

Abb. 366. Schnurflechtwerk über einem malaiischen Grabe an der Ostküste
(bei Singora).]

Der +Tod+ wird durch die Todesgeister herbeigeführt; diese besorgen
dies aber nicht nach eigenem Wunsch, sondern auf Befehl des Kari. Wenn
sie auf ihrer unsichtbaren Wanderung einen Menschen erblicken, der
reif zum Sterben ist, so melden sie dies dem Ple, der seinerseits
diese Mitteilung dem Kari weitergibt. Dieser trifft die Entscheidung;
fällt sie zuungunsten des betreffenden Menschen aus, so senden die
Todesgeister den Totenwind, der über den dem Sterben Geweihten
hinwegweht. Hiergegen vermag aber kein Zauber zu helfen, wie gegen
Krankheiten. Die +Leichen+ werden im allgemeinen begraben, und zwar
zusammengebunden in sitzender Stellung; bei einigen Stämmen wird das
Grab mit einem kleinen Zaun von stachligen Blättern und Zweigen,
seltener mit einem Flechtwerk aus Schnur (Abb. 366) umgeben. Auf das
Grab selbst setzt man Speisen, neben ihm zündet man Feuer an. Die
Zauberer der Pangan werden nicht begraben, sondern in den Zweigen eines
Baumes beigesetzt, damit ihre Seele über den bösen Geist hinwegfliegen
kann, der für gewöhnliche Menschen den Weg zum Paradies versperrt. Auch
Menschen, die eines gewaltsamen Todes sterben, werden zwischen den
Zweigen ausgesetzt (Abb. 368). Von einer Wiederherausnahme der Leichen
oder Knochen, sowie von einer Verehrung der letzteren wird nichts
berichtet. Die Semang geben den Verstorbenen ins Grab eine Bambusröhre
mit, auf der die Häuptlinge bestimmte Zauberzeichen eingeschnitzt
haben; mit diesen müssen jene bei dem Gericht vor Kari erscheinen und
sie vorweisen. Nachdem Gericht abgehalten worden ist, gehen die guten
Seelen nach dem Untergang der Sonne ins Paradies, die bösen aber können
dorthin nicht gelangen, weil sie durch eigene Wächter davon abgehalten
werden; sie müssen ins Fegefeuer, wo sie ein elendes Dasein zu führen
haben. -- Die buddhistischen Malaien setzen ihre Leichen der Luft aus
(Abb. 367 u. 369) und verbrennen ihre Knochen, wenn sie verwest sind.
Die Asche setzt man vor den Buddhabildern nieder (Abbild. 370).

[Illustration:

    Phot. N. Annandale.

Abb. 367. Malaiisches Begräbnis.

Die Leiche wird bis zur völligen Verwesung in einer luftdurchlässigen
Kiste aufbewahrt.]

[Illustration:

    Phot. N. Annandale.

Abb. 368. Eigentümlicher luftiger Sarg der Malaien

für solche, die eines gewaltsamen Todes gestorben sind.]

Viel prunkvoller dagegen gestaltet sich ein +Begräbnis mohammedanischer
Malaien+, wie man es tagtäglich beobachten kann. Der Leichnam wird in
schöne Sarongs eingehüllt, die, wenn die Angehörigen es sich leisten
können, reich mit Goldfäden bestickt sind, und über einer Matte auf
eine Matratze gelegt; der Kopf ruht dabei auf fünf bis sechs Kissen;
die Hände, zwischen deren Finger ein Dolch oder eine Betelnußschere
als „Symbol des Eisens“ -- wie man behauptet, soll das den Toten am
Aufstehen hindern -- geschoben ist, liegen über der Brust gefaltet.
Eine Schale mit Weihwasser wird zu jeder Seite auf die Erde gestellt,
und die gestreiften Behänge, die bei keiner malaiischen Festlichkeit
fehlen dürfen, werden angebracht, so daß das Ganze auch hier sozusagen
einen „königlichen“ Eindruck macht. Zu gleicher Zeit wird eine
Leichenwache abgehalten, die so lange bleibt, als der Tote noch im
Hause weilt; das Herdfeuer und die angezündeten Lampen müssen aber
mindestens sieben Tage und ebensoviel Nächte nachher noch brennen.
Der mohammedanische Priester wird geholt, und die Verwandten werden
benachrichtigt. Jetzt wird der Tote mittels einer Anzahl malaiischer
Schönheitsmittel gewaschen und bekommt die letzten „neun Spülungen“.
Diese Zeremonie wird aus dem Grunde so genannt, weil das Wasser
dreimal zur Linken, dreimal zur Rechten und dreimal vorn über die
Leiche ausgeschüttet wird. Gleichzeitig wird dem Toten auch der Mund
verstopft, damit nichts Unreines eindringen kann. Nachdem er in
ein Leinentuch gewickelt ist, wird dieses mit den zu diesem Zwecke
abgerissenen Ecken an fünf Stellen zusammengebunden; wohlriechende
Essenzen, zerpflückte Blumen und Girlanden aus Blätterwerk, „Füße des
Tausendfußes“ genannt, werden für den Leichenzug fertig gemacht. Nun
wird der Tote in den Sarg gelegt, dieser auf die Bahre gesetzt und
mit einem schwarzen Leichentuch bedeckt, auf das die „Tausendfüße“
gestreut werden. Da die malaiische Sitte ein Gefährt mit Rädern für
die Überführung der Leiche verbietet, so wird der Sarg stets getragen;
die Zahl der Träger richtet sich nach dem Range des Verstorbenen. Am
Grabe angekommen, wird der Sarg in die Erde versenkt und die fünf
Wickelbänder gelöst. Die Angehörigen reichen den Totengräbern in der
Gruft Erdbälle, die sie geknetet haben; diese werden dem Toten unter
die Nase gehalten, damit er daran „rieche“. Das Grab wird sodann ganz
vorsichtig zugeschüttet, denn die Erde darf die Körperoberfläche
nicht direkt treffen. Schließlich werden zwei rauhe Pfosten aus Holz
(Abb. 371), runde bei einem Manne, flache bei einem Weibe, vorläufig
eingeschlagen, und zwar einer am Kopfende, der andere in der Mitte
(nicht am Fußende). Bei dem Begräbnis eines Sultans werden manchmal
weiße Tuchstreifen verteilt; Weiß ist nämlich wie bei den Malaien
seit undenklichen Zeiten die Farbe der Trauer. Weiß spielt im übrigen
auch bei den religiösen Gebräuchen der Malaien eine große Rolle
(Abb. 372), alle weißen Tiere sind heilig, und nach der allgemeinen
Annahme fließt in den Adern ihrer Könige und Fürsten weißes Blut. Wenn
möglich, leitet ein mohammedanischer Geistlicher die Totenfeier; er
streut die duftenden Essenzen und die zerpflückten Blumen, die auf
der Bahre lagen, über das Grab und richtet sodann an den Toten eine
Ermahnung. Es besteht nämlich der Glaube, daß der Tote sich bei
dieser Gelegenheit noch einmal ermannt und mit den Händen umhertastet,
um zu erfahren, wo er sich befindet; entdeckt er an seinem Tuche, daß
die Ecken fehlen, dann begreift er, daß er tot ist, und gibt sich
zufrieden; er stützt sich darauf auf den Ellbogen und lauscht der
Ermahnung; wenn sie zu Ende ist, sinkt er zurück und ist nun wirklich
tot. Die ganze Versammlung, die bei der Zeremonie mit gekreuzten Beinen
auf der Erde sitzt, spricht dem Priester hundertmal das bekannte
Gebet nach: „Allah ist groß, es gibt keinen Gott außer Allah,“ zuerst
langsam und dann allmählich immer schneller werdend bis zur hundertsten
Wiederholung; schließlich sind die Worte nur noch ein Geschnatter. Die
Feier endet mit einem Leichenschmaus. Die Nachbarn dehnen ihn drei
Tage lang aus; dabei wird dem Toten der Koran jeden Abend vorgelesen.
Am dritten, siebten, vierzehnten, vierzigsten und hundertsten Tage
wird wieder geschmaust und schließlich ein bestimmter Tag im Jahre für
ein Festessen zum Andenken der Ahnen festgesetzt. Die provisorisch
eingeschlagenen Pfosten werden später durch dauernde ersetzt; außerdem
werden vier Planken mit zugeschnittenen Enden um den Grabhügel
gelegt, um ihm die richtige Lage zu erhalten. Diese fromme Pflicht
erfordert wiederum die Veranstaltung eines Festes. Wegen der großen
Kostspieligkeit, die mit den Begräbniszeremonien verknüpft ist, werden
diese in den meisten Fällen sehr abgekürzt.

[Illustration:

    Phot. N. Annandale.

Abb. 369. Malaiisches Begräbnis.

Die Leichen werden in luftdurchlässigen Särgen der Verwesung
überlassen. Die Skelettknochen werden dann in Reisbeuteln oder Matten
für die Verbrennung gesammelt.]

[Illustration: Abb. 370. Malaiisches Begräbnis.

Die Asche der verbrannten Knochen wird gesammelt und in kleinen Gefäßen
oder Trommeln vor dem Buddhabildnis aufgestellt.]

[Illustration: Abb. 371. Malaiische Moschee mit Friedhof.

Die runden Grabsteine bezeichnen Männer-, die flachen Frauengräber.]

[Illustration:

    Phot. G. M. Laidlaw.

Abb. 372. Malaien vor dem Grab eines wundertätigen Heiligen,

vor dem sie ein Gelübde ablegen dadurch, daß sie einen Streifen weißes
Tuch an einem Stock befestigen.]



[Illustration:

    Phot. E. H. Man.

Abb. 373. Angehende Priester der Nikobaresen im Tragstuhl.]



Andamanen und Nikobaren.


Die Andamanen und Nikobaren sind zwei im Bengalischen Golf zwischen
Vorder- und Hinterindien gelegene Inselgruppen, die trotz ihrer
räumlichen Nähe doch ganz verschiedene Menschen aufweisen. Beide stehen
unter englisch-indischer, wenn auch eigener lokaler Verwaltung. In Port
Blair auf den Andamanen befindet sich die Strafkolonie des indischen
Königreichs, etwa sechzehntausend Menschen, die zu lebenslänglicher
oder doch wenigstens langjähriger Haft auf diesem idyllisch schön
gelegenen Stück Erde verurteilt sind.

Die +Ureinwohner+ der +Andamanen+ sind Negrito, Leute von sehr kleiner
Statur (ein Meter achtundvierzig Zentimeter für die Männer) und dunkler
Hautfarbe mit kurzem Kopf und spiralgelocktem Haar (Abb. 374 und 375),
also Verwandte der Semang auf Malakka und der eigentlichen Negrito
auf den Philippinen, die wie diese auf recht niederer Kulturstufe
stehen. Hingegen sind die +Bewohner+ der +Nikobaren+ hochgewachsene,
hellfarbige Menschen mit langem Schädel und langem, schlichtem Haar,
die eine höhere Kultur bereits besitzen, wahrscheinlich von der
südöstlichen Spitze des asiatischen Festlandes herstammen und den
wilden Malaien verwandt sind. So verschieden wie die Bewohner der
Andamanen und Nikobaren in ihrem Äußern sind, ebenso unterscheiden sie
sich in ihren Gebräuchen und religiösen Ansichten.

Die +Andamanesen+ kennen feste +Wohnungen+ nicht; sie leben unter
Laubdächern. Ihre +Kleidung+ ist sehr primitiv und besteht aus einem
Blätterschurz; vielfach gehen sie auch ganz nackt. +Körperschmuck+
ist bei ihnen nur gering entwickelt. Beliebt ist +Bemalung+ mit rotem
Ocker, besonders unter den Weibern, die sich außerdem ihr Gesicht,
bisweilen auch Arme, Beine und Rumpf mit breiten weißen Farbstreifen
schmücken. Kokette Personen legen sich ein aus Pflanzenfasern
geflochtenes schmales Band um die Hüften, an dem als Berlocke ein
kleiner schöngeglätteter und gebleichter Fischknochen herabhängt.
Auch +Tatauierung+ kommt bei beiden Geschlechtern vor (Abb. 374). Es
scheint, daß diese Muster, die durch kleine Einschnitte auf Brust und
Rücken hervorgebracht werden, teils Kennzeichen der geschlechtlichen
Reife, teils Stammesmarken abgeben. Die +Waffen+ der Andamanesen sind
Bogen und Pfeil, sowie Speere. Ihre +soziale Einrichtung+ ist die
Großfamilie; eine feste Organisation gibt es nicht. Die +Erzeugung
des Feuers+ ist ihnen merkwürdigerweise unbekannt, auch ihre Sprache
besitzt keinerlei Bezeichnung, die dafür spricht, daß sie vormals sich
auf die Feuerzubereitung verstanden hätten. Trotzdem verfügen sie
heutzutage wohl über Feuer, aber es wird stets an schon vorhandenem
angezündet. Dagegen sind die Andamanesen imstande, rohes +Topfgeschirr+
anzufertigen und es auch bereits mit einfachen Mustern zu versehen.
Ihre +Nahrung+ sind die Erträge der Jagd und des Bodens. Bemerkenswert
ist die Sitte, daß ein jeder, ganz gleich ob Mann oder Weib, irgendein
Tier sein ganzes Leben lang von seiner Nahrung ausschließen muß;
bei Übertretung dieser Vorschrift steht zu gewärtigen, daß sich
dem Betreffenden die Haut abschält, er weiße Haare bekommt und so
weiter. Bei der Auswahl der verbotenen Speise ist in den meisten
Fällen die Behauptung der Mutter maßgebend, daß diese dem Kinde
Verdauungsbeschwerden mache, in anderen Fällen wird irgendein Tier aus
eigenem Antrieb erwählt, natürlich zumeist ein wenig schmackhaftes
(Individualtotemismus).

Die Andamanesen stehen in +geistiger Hinsicht+ auf der Stufe des
Kindes. Nach den Schilderungen von Richard Temple sind sie gegen Fremde
argwöhnisch, aber auch gastfrei, undankbar, nachäffend, eitel und unter
dem Einfluß der Eitelkeit fleißig und ausdauernd, gelehrig, aber nur
bis zu einer gewissen Grenze, die schnell erreicht wird, geistig leicht
ermüdend, von kurzem, aber zähem Gedächtnis, geneigt für Spiel und
Scherz; sie sind ferner sorglos und unbekümmert, waghalsig, aber nicht
mutig, selbstsüchtig, aufbrausend, ganz unverantwortlich im Zorn, aber
leicht auch zu besänftigen. Unter sich sind sie in der Regel liebevoll
und freundlich, rücksichtsvoll gegen alte Leute, Schwache und Hilflose,
gütig gegen ihre Frauen und Kinder und stolz auf die letzteren, die sie
häufig verwöhnen. Werden sie aber gereizt, dann werden sie grausam,
neidisch, verräterisch und rachsüchtig.

[Illustration:

    Phot. E. H. Man.

Abb. 374. Andamanese mit Schmucknarben,

die von Frauen an beiden Geschlechtern zwischen acht und achtzehn
Jahren angebracht werden. Sie bestehen aus einer Reihe von
Einschnitten, die mit einem Glasscherben erzeugt werden.]

[Illustration:

    Phot. Lady Eadley-Wilmot.

Abb. 375. Trauernde Andamanesen,

die ihren Körper mit olivgrünem Lehm beschmieren und ihn dann mit
gelbem Ocker bemalen. Im Vordergrunde in der Mitte eine trauernde
Mutter mit senkrechter Streifenbemalung, links von ihr eine trauernde
Gattin mit dem Schädel des Verstorbenen auf dem Rücken.]

+Soziale Empfindungen+ werden im allgemeinen nicht in Worte gekleidet.
Kommt man zusammen, dann starrt man sich eine Zeitlang schweigend an,
bis der Jüngere das Schweigen mit einer alltäglichen Bemerkung bricht.
Dann erst erfolgt eifriges Erzählen von Neuigkeiten; diesen zuzuhören
bereitet dem Andamanesen ein großes Vergnügen. Wenn hingegen Verwandte
zusammenkommen, dann setzt sich einer dem anderen auf den Schoß (Abb.
376); sie schmiegen sich fest aneinander an, weinen laut und gebärden
sich überschwenglich; nach einer langen Trennung dauert dieses
Verhalten unter Umständen stundenlang. Beim Abschied reicht man sich
die Hand, pustet darauf und tauscht Abschiedsworte aus.

[Illustration:

    Phot. Heywood Seton-Karr.

Abb. 376. Gegenseitige Begrüßung der Andamanesen nach langer
Abwesenheit.]

[Illustration:

    Phot. A. R. Brown.

Abb. 377. Eheschließung der Andamanesen.]

Die Andamanesen bekunden eine kindliche +Vorliebe für Spiele+;
sie kennen ein einheimisches Blindekuhspiel, Bockspringen und
ein Versteckspiel. Scheinjagden auf Tiere, Scheinbegräbnisse und
Geistersuchen sind ihr Lieblingssport; sie veranstalten auch
gern Wettspiele beim Schwimmen, Werfen, Schaukeln, Bogenschießen
und Ringkampf. Die Beschaffung der Nahrung ist natürlich ihre
Hauptbeschäftigung; dann kommt aber sogleich der regelmäßige +Abend-
oder Nachttanz+, eine seltsame, eintönige Aufführung, bei der die
Füße rhythmisch auf einem besonderen Schallbrett (einem schildartig
ausgehöhlten Stück Holz, das auf einem Querholz ruht) aufschlagen,
ein oder mehrere Lieder aus dem Stegreif gesungen und die Hände in
gleichmäßigem Takte auf die Lenden geklatscht werden. Dieser Tanz
findet jeden Abend statt, sofern sich nur genügend Teilnehmer
zusammenfinden; er wird stundenlang, bei besonderen Gelegenheiten auch
die ganze Nacht lang ausgedehnt. Beide Geschlechter tanzen die ihnen
zugewiesenen Rollen. Diese Vergnügungen und die Schildkrötenjagd sind
die einzigen Beschäftigungen, die den Andamanesen die ganze Nacht
hindurch wachzuhalten vermögen.

[Illustration:

    Phot. A. R. Brown.

Abb. 378. Eine andamanesische Mutter,

die ebenso wie ihr Kind am Kopfe geschoren ist.]

Die +Religion+ der Andamanesen besteht in der einfachsten Form des
Animismus, das heißt sie beschränkt sich auf eine unbestimmte Furcht
vor den Geistern der Ahnen und den bösen Geistern des Waldes, der See
und der Krankheit; sie ist darauf bedacht, Handlungen zu vermeiden,
die für diese unangenehm sind. Außerdem kennen sie eine Art höchsten
Wesens, den Sturmgott, Puluga genannt, der früher auf der Erde auf
dem höchsten Berge der Andamanen lebte, jetzt aber im Himmel in einem
großen Hause wohnt. Er hat die ganze Welt und alle Dinge geschaffen,
ausgenommen die bösen Kräfte. Daher besitzt er auch über diese keine
Macht; er begnügt sich damit, ihnen seine Beleidiger anzugeben. Puluga
hat auch eine Frau, die er sich selbst schuf, und viele Kinder, die
sich im Verein mit der Mutter damit vergnügen, von Zeit zu Zeit Fische
und Krabben in die Flüsse und in das Meer für die Bewohner der Erde
zu werfen. Verehrung oder Gottesdienst kommt bei den Andamanesen in
keinerlei Form vor. Man braucht sich gar nicht weiter um die höchste
Gottheit zu kümmern, darf nur das nicht tun, wodurch sie veranlaßt
werden könnte, den Ertrag des Dschungels zu schädigen. Jedoch kennen
sie einige Maßregeln, um sich vor Unglück zu schützen. So tragen sie
stets Feuer bei sich, um den Waldgeist zu verscheuchen, sie werfen
explodierende Blätter ins Feuer und verbrennen Bienenwachs, um den
Sturmgeist fernzuhalten, sie schwirren mit dem Bogen und machen sich
dabei lustig über den Mond bei einer Finsternis und ähnliches mehr.
Die Andamanesen glauben stark an Träume, die oft genug ihr späteres
Benehmen beeinflussen, auch an die Aussprüche weiser Männer, von
solchen, die prophetische Träume haben, mit einem zweiten Gesicht
begabt sind und die Macht besitzen, mit Geistern zu verkehren, oder
imstande sind, Glück und Unglück herbeizuführen. Solche Leute betreiben
eine primitive Zauber- und Hexenkunst und ziehen dabei für sich
Nutzen aus den Dingen, die sie zu diesem Zweck mit Tabu belegen. Der
Andamanese hat eine bestimmte +Vorstellung über die Seele+, die er
von seinem Spiegelbild im Wasser, nicht von seinem Schatten herleitet.
Sie wandert nach dem Tode in eine andere Dschungelwelt und lebt dort,
wie sie hier auf Erden gelebt hat; hin und wieder besucht sie die
Erde und bekundet eine deutliche Neigung, in andere Wesen einzugehen.
Demnach hat jedes empfangene Kind schon vorher ein Dasein geführt.
Auch Tieren und im besonderen Vögeln werden menschliche Eigenschaften
beigelegt. Gefangene, die von den Andamanesen ermordet worden waren,
fand man mit schweren Steinen bedeckt, um die Vögel zu warnen, daß sie
den Engländern nicht verrieten, was vorgefallen war, und wohin sich die
Mörder begeben hatten. Die Andamanesen besitzen eine Unmasse Märchen,
an deren Wirklichkeit sie glauben; in ihnen spielt die Verwandlung von
Menschen in Tiere, Vögel, Fische, Steine und andere Gegenstände eine
große Rolle; daher erblicken sie in den wichtigsten Tieren ihrer Fauna
die tierischen Formen ihrer Ahnen.

[Illustration:

    Phot. E. H. Man.

Abb. 379. Pfahlbaudorf der Nikobaresen zu Camorta Harbour.

Die großen Gebäude sind Wohnhäuser, die kleineren mit geradem Dach
Küchenhäuser. Die Stangen zur Linken sind zum Schutze gegen die bösen
Geister aufgestellt.]

Das +Kind+ erhält bereits vor der Geburt seinen Namen, der beim
männlichen Geschlecht allerdings meist bei Eintritt der Mannbarkeit,
bei der Hochzeit und im höheren Alter einen Wechsel oder eine
Abänderung erfährt. Heißt ein Knabe zum Beispiel Hira, so wird dieser
Name bei der Reife in Guma-hira, bei der Hochzeit in Maya-hira
und im Alter in Maya-jangi-hira umgeändert. Hübsch ist die Sitte,
ein Mädchen bei der zweiten Namensgebung nach einem von sechzehn
auserwählten Bäumchen zu benennen, das gerade um die Zeit, in der es
das Reifealter erreicht, blüht. Am Morgen nach der Geburt wird dem
Kinde das Kopfhaar geschoren; würde dies sofort geschehen, dann könnte
das Kind sterben. Auch an der Mutter wird dieses Verfahren, wenn auch
nur teilweise, vorgenommen (Abb. 378). Bald nach der Geburt formt der
Vater dem Kinde den Kopf, indem er mit angewärmten Händen ihn von allen
Seiten zusammendrückt; in gleicher Weise verfährt er mit den übrigen
Körperknochen. -- Merkwürdig ist der Brauch, daß innerhalb des Stammes
einer die Kinder des anderen annimmt; Kinder, die nach dem sechsten
oder siebenten geboren werden, leben daher selten bei ihren Eltern.
Haben die Knaben und Mädchen die Zeit der Reife erreicht, so finden
bestimmte Einweihungsfeierlichkeiten statt. Nachdem sie Jahre hindurch
bestimmten Speiseverboten (Enthalten des Genusses von Schildkröten,
Schweinen, bestimmten Fischen, Honig und so weiter) sich unterworfen
haben, werden diese Verbote durch besondere Feiern gruppenweise
wieder aufgehoben. Eine zeitweise Absonderung der Novizen findet aber
nicht statt, und beide Geschlechter dürfen an den Feierlichkeiten
teilnehmen.

[Illustration:

    Phot. E. H. Man.

Abb. 380. Ringkampf der Nikobaresen,

der bei ihnen sehr beliebt ist. Dieser Kampf wird an den Geisterpfosten
am Landungsplatze des Dorfes abgehalten. Auch die Vorliebe dieses
Volkes für europäische Kleidung zeigt sich in diesem Bilde. Der rechts
außen stehende Eingeborene trägt nichts als einen steifen Hut, neben
ihm steht ein birmanischer Händler, der übernächste trägt außer dem
Tropenhelm nur ein Hemd usw.]

[Illustration:

    Phot. E. H. Man.

Abb. 381. Modelle der Nikobaresen von Häusern, Kanus, Lärmgeräten, um
die Geister zu erschrecken,

wozu die Brettchen in der Mitte mit eingeschnittenen tanzenden
Männern und Frauen und die Figuren unmittelbar darüber dienen. Die
drei Kopfbedeckungen daneben werden in der Nacht vor dem großen
Erinnerungsfest an die Verstorbenen den ausgegrabenen weiblichen
Schädeln aufgesetzt.]

Die +Heirat+ wird durch die Eltern oder Verwandten zustande gebracht;
auch kleine Kinder werden bereits miteinander verlobt und müssen,
wenn sie das heiratsfähige Alter erreicht haben, diese Vereinbarung
erfüllen. Die +Ehe+ der Andamanesen ist die Einehe. Auch Leviratsehe
besteht, das heißt die Pflicht für den unverheirateten jüngeren
Bruder, die Witwe des verstorbenen Bruders oder für einen kinderlosen
Witwer, die jüngere Schwester seiner verstorbenen Frau zu heiraten,
vorausgesetzt, daß kein zu großer Altersunterschied besteht. -- Der
+Hochzeitsritus+ ist ein ganz einfacher und besteht nur darin, daß an
einem Morgen in Gegenwart des Häuptlings und derer, die es angeht, der
Bräutigam seine Beine über die der Braut legt (Abb. 377), und daß man
zum Zeichen der vollzogenen Ehe Fackeln um sie anzündet. Trotz dieser
gewiß einfach zu nennenden Zeremonie, der jede religiöse Bedeutung
abgeht, bleibt die Ehe doch eine feste; eine Scheidung kommt selten
vor, niemals aber nach der Geburt eines Kindes. Ebenso ist Polygamie
oder Blutschande ausgeschlossen. Auf Untreue ruht Todesstrafe für beide
schuldigen Teile, obgleich geschlechtlicher Verkehr schon vor der
Hochzeit die Regel ist.

Mehr Bedeutung als den übrigen Ereignissen des Lebens legt man
der +Bestattung der Toten+ bei. Kleine Kinder werden nur einfach
unter dem Fußboden der elterlichen Hütte begraben, dagegen die
Erwachsenen entweder in einer flachen Gruft beigesetzt, oder, was
als eine besondere Ehre gilt, zu einem Bündel zusammengebunden, auf
eine Plattform oder in die Zweige eines Baumes gelegt. Kränze aus
Rohrblättern werden sichtbar um den Platz herum aufgehängt, der
ungefähr drei Monate lang vereinsamt bleibt. Merkwürdig ist, daß dieses
alles ohne irgendwelches Weinen oder Wehklagen vor sich geht. Nach
Ablauf dieser Zeit werden die Knochen des Verstorbenen ausgegraben,
gewaschen, zerbrochen und an die Bekannten verteilt, auch zu Schmuck
verarbeitet; man legt ihnen großen Wert bei, einmal als Andenken an
den Toten und zum anderen als Linderungsmittel bei Schmerzen wie
überhaupt als Heilmittel bei Krankheiten; es genügt, sie einfach auf
die erkrankte Körperstelle zu legen. Der Schädel erfährt meistens eine
besondere Ehrung. Der nächste Angehörige pflegt ihn mit roter Farbe
bemalt und mit Fransen aus Holzfasern verziert, vom Halse herab das
ganze Leben lang auf dem Rücken oder auf der Brust zu tragen (Abb.
375). Die Trauer selbst besteht darin, daß man sich den Kopf mit
grüngrauem Lehm beschmiert und den übrigen Körper mit gelbem Ocker
bemalt -- die Eltern schmücken sich mit senkrechten Streifen --, sowie
das Tanzen einstellt.

[Illustration:

    Phot. E. H. Man.

Abb. 382. Opfer an die bösen Geister in Gestalt von Früchten,

dargebracht von den Angehörigen eines Toten, um sie bei guter Laune zu
erhalten.]

Die +Nikobaresen+, die bereits bei ihrer Einwanderung die Eigenschaften
der Kontinentalvölker, denen sie angehörten, mitbrachten, aber diese
frühere Halbkultur wegen der isolierten Lage ihrer neuen Heimat
unverändert beibehielten, sind ein intelligentes Volk, das sich mit
Leichtigkeit fremde Sprachen aneignet und sehr bewandert ist im Handel
mit ihrem Hauptausfuhrartikel, den Erzeugnissen der Kokospalme. Der
Wunsch, fremde Sprachen, Kleidung und Manieren nachzuahmen, und die
erfrischende Naivität, die dabei zum Ausdruck kommt, lassen sie dem
Fremden gegenüber als ein äußerst amüsantes Volk erscheinen (Abb.
380). Wie ihre Stammesgenossen auf dem Festlande leben sie ebenfalls
in festen Wohnungen, die für gewöhnlich auf Pfählen, entweder direkt
auf dem trockenen Lande oder an Hintergewässern oder an sonstigen
geeigneten, vor hohem Seegang geschützten Stellen gruppenweise (Dörfer)
errichtet sind (Abb. 379). Die Nikobaresen waren früher Strand- und
Seeräuber, bis die indische Regierung diesem Unfug Einhalt tat; sonst
sind sie nach der Schilderung von Temple ein ruhiges, friedliebendes,
gegen Kinder, alte Leute und Frauen gütiges Völkchen. Ihre Verwaltung
ist ganz demokratisch und liegt in den Händen eines Häuptlings; dabei
halten sie streng an den althergebrachten Gewohnheiten fest.

Die +Stellung der Frau+ ist bei den Nikobaresen eine verhältnismäßig
hohe; sie ist hier nicht mehr die Sklavin des Mannes, sondern genießt
volle Freiheit. Das mag zum Teil daher rühren, daß Mädchengeburten
auf diesen Inseln relativ spärlich sind und daher mehr Nachfrage nach
weiblichen Wesen herrscht. Ein Mädchen hat auch das Recht, einen ihr
unangenehmen Freier zurückzuweisen. Bei der Hochzeit bekommt die
Braut eine Aussteuer an Schweinen, Kokos- und Pandanusbäumen mit.
Der Ehemann siedelt merkwürdigerweise in das Haus seiner jungen Frau
über, nicht umgekehrt. -- Kommt die +Nikobaresin in andere Umstände+,
dann wird sie und ihr Gatte von allen Arbeiten befreit. Wo sie beide
hinkommen, werden sie freudig aufgenommen, und ihnen zu Ehren wird
das beste Schwein geschlachtet. Für gewöhnlich verlangt man dann von
der Schwangeren auch, daß sie Samenkörner in die Erde lege, weil man
sich von dieser Saat eine besondere Fruchtbarkeit verspricht. -- Da
hochgradige Schädelabflachung auch unter diesen Insulanern für schön
gilt, ist es allgemeiner Brauch, daß die Mütter ihren Kindern sogleich
von der Geburt an den Kopf in eine bestimmte Form bringen, indem sie
ihn mit angefeuchteten Händen jeden Tag mehrere Stunden lang sanft
zusammendrücken.

[Illustration:

    Phot. E. H. Man.

Abb. 383. Kleines Boot, in das der Priester einen Geist gebannt hat und
in dem dieser stromab treibt.]

[Illustration:

    Phot. A. R. Brown.

Abb. 384. Tanz beim Friedensschluß.]

Da die Nikobaresen in einem für ihre Lebensweise und ihre Anforderungen
an Behaglichkeit wirklichen Lande des Überflusses leben, so bleibt
ihnen naturgemäß viel freie Zeit übrig, die sie zum großen Teil,
man kann fast sagen, gänzlich auf +religiöse Zeremonien+ und das
Verfertigen der dafür nötigen Gegenstände (Abb. 381) verwenden. Die
Zeremonien beruhen sämtlich auf einer alles beherrschenden Angst vor
Geistern und Gespenstern und auf der daraus folgenden Notwendigkeit,
diese zu verscheuchen und zu bannen. Dieser Gedanke liegt jedweder
Zeremonie zugrunde, ob sie geselliger oder anderer Natur ist; er
füllt einen großen Teil ihres Lebens aus, besonders des Nachts. Ein
Ausfluß dieses Aberglaubens ist auch die feierliche Hinrichtung der
Übeltäter, die sich schwerer Vergehen gegen die Gemeinde, wie Mord,
Gewohnheitsdiebstahl und öffentliches Ärgernis zuschulden kommen
ließen; da in ihren Augen der Teufel von ihnen Besitz ergriffen hat,
so werden sie in aller Form mit großer Grausamkeit getötet. Hexen
und Hexenentdecker gibt es natürlich im Überfluß, da jedes Unglück
und jede Krankheit einer Hexe oder einem Geist zugeschrieben werden.
Das alleinige Heilmittel dafür bleibt dann stets die Austreibung,
die entweder privatim oder von einem Heilpriester vorgenommen wird.
Letzterer, übrigens ein Typus, wie er unter vielen halbkultivierten
Volksstämmen angetroffen wird, erscheint hier in interessanter
Abwechslung in der Gestalt des Mafai, das heißt „eines Menschen, der
priesterlichen Unterricht erhält“ (= Adepten). Ein jeder, der sich dazu
berufen fühlt, kann es zu einem solchen Mafai bringen, deswegen braucht
er schließlich doch noch nicht ein vollkommener Priester zu werden.
Dieser priesterliche „Student“ führt ein behagliches, müßiges Leben,
denn seine Bediensteten besorgen alles; er wird in einer Art Feldstuhl
von einem Ort zum anderen getragen (Abb. 373).

Aus der Fülle abergläubischer Gebräuche der Nikobaresen wollen wir
uns darauf beschränken, eine wenige hier herauszugreifen. Die Familie
und ihre Freunde halten mit Hilfe des Priesters einige allgemeine
Geisterbeschwörungen in der Form eines Geisterfestes ab. Die Männer
sitzen dabei umher, rauchen und trinken, die Weiber schleppen an
Hausvorrat Lebensmittel, Geräte, Waffen und allerlei sonstigen Kram
herbei; letzterer wird, nachdem man tüchtig geheult hat, zerbrochen
und vors Haus geworfen. Dann wird ein besonders gemästetes, großes
Schwein im ganzen gebraten und unter die Vorfahren und die Anwesenden,
hauptsächlich aber unter letztere, verteilt. Dadurch sollen die Geister
besänftigt werden (Abb. 382). Der Priester, der inzwischen vom Trinken
und seiner Geheimniskrämerei in Verzückung geraten ist, beginnt jetzt
sein Geschäft; er ist ganz mit Öl eingerieben und im Gesicht rot
bemalt. Er singt klagend mit tiefer Baßstimme, eilt umher, um den Geist
des Unheils zu fangen, zu beschwatzen, auszuschelten und zu schmähen,
die Frauen begleiten sein Getue mit fürchterlichem Geheul, so lange,
bis nach einem Kampf der Geist angeblich ergriffen, in ein kleines,
verziertes Modellboot gesteckt und weit in die See hinausgetrieben
wird (Abb. 383). Da man sich nun vor dem bösen Geist sicher glaubt,
setzt die Belustigung ein, bis spät in die Nacht dauern Essen, Trinken,
Singen und Tanzen an. Sollte das Boot etwa in einem anderen Dorf landen
und dort sich festsetzen, dann greifen dessen Bewohner die Beleidiger
mit kurzen, dicken Stöcken nach alter Sitte an, bis ein paar Köpfe oder
Gliedmaßen verletzt sind. Erst dann wird der +Friede erklärt+, der
manchmal unter sonderbaren Zeremonien geschlossen wird. Die Männer,
die den letzten Angriff unternommen haben, errichten eine Wand aus
Grasfasern und stellen sich vor sie hin, während die Weiber auf dem
Boden vor ihr Platz nehmen und im Takte mit ihren Händen die Schenkel
schlagen (Abb. 384). Die Männer der Gegenpartei tanzen dann vor ihnen;
jeder Tänzer legt seine Arme auf die Schulter eines der stehenden
Männer und springt mit ihm unter tüchtigem Schütteln auf und ab. Nach
dem Tanze weinen beide Teile und tauschen ihre Waffen untereinander
aus. Hieran schließt sich noch ein Fest, bei dem die Angreifer als
Gäste des fremden Dorfes einen oder zwei Tage bleiben.

Das Leben der Nikobaresen ist von zahlreichen +Tabu+ durchsetzt, die
ihnen manchmal wirklich recht unbequem werden. Die sonderbarsten
derartigen Verbote dürften diejenigen sein, die die Sprache und
Nomenklatur der Leute beeinflussen. Ein jeder Mensch hat das Recht,
sich ein beliebiges Wort aus der Landessprache, sei es noch so
wesentlich oder ganz allgemein, als Name anzueignen; stirbt er aber,
dann wird dieses Wort für etwa eine ganze Generation mit Tabu belegt,
aus Furcht, man könnte, wenn man es ausspräche, den Geist herbeirufen.
Einen noch augenfälligeren Beweis dafür, wie stark der Aberglaube
häusliche Gepflogenheiten beeinflußt, können wir in der Gewohnheit
erblicken, im Hauseingang Schreckbilder der Geister aufzuhängen;
es sind dies manchmal lebensgroße Figuren menschlicher Wesen, die
oft mit Speeren bewaffnet sind, manchmal auch mythische Tiere, mit
Fischen, Krokodilen, Vögeln und Schweinen als Unterlage und bildliche
Darstellungen aller möglichen Dinge in bunten Farben auf flache
Arekablattscheiden gemalt. Auch draußen vor dem Hause befinden sich
ähnliche Geisterscheuchen.

Die +Begräbnisfeierlichkeiten+ der Nikobaresen sind zahlreich und
ziehen sich sehr in die Länge; sie verfolgen lediglich den Zweck, die
Geister in Furcht zu versetzen, an anderen Orten auch, um den Geist bei
guter Laune zu erhalten und die Lebenden vor seinem Zorn zu schützen.
Ein Todesfall bringt viel Unkosten mit sich, die die Eingeborenen
aber gern auf sich nehmen, falls nur der Geist dadurch beschwichtigt
wird. Die Leichen werden zwischen Sonnenuntergang und Tagesanbruch
begraben, damit die Schatten der Trauergesellschaft nicht in die
Gräber fallen und mit dem Toten begraben werden; denn der Schatten des
Nikobaresen ist das sichtbare Zeichen seines Geistes, vielfach feiert
man daher noch ganz besonders „das Speisen der Schatten“. Der Geist
des Verstorbenen gilt für um so gefährlicher, je kürzere Zeit seit dem
Tode vergangen ist; darum hält man an manchen Stellen recht bald ein
Fest ab, bei dem die Toten wieder ausgegraben, die Knochen gesäubert
und nochmals in der Erde beigesetzt werden. An manchen Orten nimmt
diese Sitte die Form einer gemeinsamen alljährlich wiederkehrenden
Ausgrabung aller kürzlich Verstorbenen an, die mit großer Feierlichkeit
einhergeht; die Knochen werden sodann in einem Beinhause untereinander
gemischt; die Geister können nun keinen Schaden mehr anrichten. In noch
anderen Dörfern legt man die Leichen in ein Halbkanu, das zu diesem
Zwecke in der Mitte durchgeschnitten wurde, und stellt dieses in die
Gabelung zweier Pfosten ins Dschungel, bis der Körper herausfällt
und das Fleisch von den Schweinen verzehrt wird. Ab und zu finden
die Gebeine dieser Leichen unter großem Gepränge ebenfalls Aufnahme
in einem gemeinsamen Beinhause. Und in noch anderen Orten gibt es
neben dem Begräbnisplatze besondere Sterbehäuser, in die man sich
zurückzieht, wenn es ans Sterben geht (Abb. 385).

[Illustration:

    Phot. E. H. Man.

Abb. 385. Begräbnisplatz mit Grabpfosten und Sterbehaus auf den
Nikobaren.]



[Illustration:

    Phot. R. Lenz.

Abb. 386. Begräbniswagen mit der Leiche des letzten verstorbenen
Königs.]



Hinterindien.


Hinterindien, der zwischen dem Bengalischen Meerbusen und der
chinesischen Südsee liegende Abschnitt des südöstlichen asiatischen
Festlandes (abgesehen von der malaiischen Halbinsel) zerfiel vor dem
Eingreifen der Engländer und Franzosen in mehrere Staaten: Birma, Siam,
Annam, Tonking, Kotschinchina und Kambodscha. Mit Ausnahme von Siam,
das ein eigenes, selbständiges Reich geblieben ist, haben alle andern
die europäische Oberherrschaft anerkannt, jedoch hat sich in ihnen
eine herrschende Oberschicht erhalten, die wir als Birmanen, Siamesen,
Annamiten und so weiter bezeichnen. In ihrem Äußeren machen diese
Völker einen ziemlich einheitlichen Eindruck; ihr Rassenverhältnis
ist im übrigen aber noch nicht aufgeklärt. Es scheint jedoch so viel
festzustehen, daß sich zu einer bodenständigen Urbevölkerung, die
wahrscheinlich der indoaustralischen Grundrasse angehörte, also den
Senoi, Kubu, Toala und so weiter verwandt war, im Laufe der Zeiten von
Westen her sich nordindische (Tibet) und von Norden her chinesische
Elemente hinzugesellten, die teils die einheimische Bevölkerung
allmählich aufsogen, teils in die unzugänglichen Landesteile
verdrängten. Die aus diesem Mischungsprozeß, an dem übrigens auch die
Malaien Anteil nahmen, hervorgegangene Bevölkerung bezeichnet man als
Thaivölker (= freie Männer). Diese Thai haben sich wieder in vier
große Stämme gegliedert, in die Thosmuong im Nordosten (Tonking und
Annam), die Schan mit den Khamti, Sing-po und Katschin im Nordwesten
(Oberbirma), die Laotier im Südosten (Französisch-Laos) und die
Siamesen im Südwesten (Siam).

In +kultureller Hinsicht+ stehen die Thaivölker den Chinesen und
Tibetern näher, in gesellschaftlicher aber schließen sie sich mehr
an die Malaien an. Im allgemeinen sind die Kulturverhältnisse
Hinterindiens recht verschiedene. Die in die Berge zurückgedrängten
Stämme haben zumeist ihren ursprünglichen Zustand noch bewahrt,
hingegen die genannten herrschenden Stämme der fruchtbaren Ebenen
sich eine gewisse Halbkultur angeeignet, die teils indischem, teils
chinesischem Einflusse ihre Entstehung verdankt. Überreste der ersteren
sind die großartigen zahlreichen, von Birma bis nach Kotschinchina
hin vorkommenden Tempelruinen, die mit ihren reichen Skulpturen und
Sanskritinschriften von der ehemaligen Herrschaft des Brahmanentums
Zeugnis ablegen; es sei unter anderem nur an die prächtigen Tempelreste
von Angkor-Wat (erbaut 825 vor Christi) und Nakhon-Thom erinnert.
Beschäftigen wir uns nunmehr mit den Sitten und Gebräuchen in den
einzelnen Ländern Hinterindiens.


Siam.

Über die Abstammung der +Siamesen+ haben wir uns im vorstehenden
bereits ausgelassen. Ihr +Äußeres+ wird gekennzeichnet durch eine
mittelgroße Gestalt, olivbraune Hautfarbe, schwarzes glattes
Haar, auffallend kurzen Kopf, rautenförmiges Gesicht, vorstehende
Backenknochen, große Augen, flache, kurze Nase, aufgeworfene Lippen
und kurzes Kinn. Dieser im allgemeinen unangenehme Eindruck wird
beim männlichen Geschlecht noch durch die unschöne Haartracht (kurz
abgeschnittene, bürstenartig hochstehende Haare) und die schwarz
gefärbten Zähne verstärkt. Die Frauen dagegen tragen das Kopfhaar lang
und halten sich ihre Zähne mehr oder weniger weiß. Wie alle Malaien
wohnen die Siamesen meistens auch in Pfahlbauten. Auf den großen
Flüssen bringen sie ihr Leben vielfach direkt auf Booten zu, so daß
sozusagen schwimmende Dörfer hier entstehen (Abb. 389).

[Illustration:

    Phot. Gebr. Haeckel.

Abb. 387. Siamesisches Mädchen.]

Die +Nationaltracht+ der Männer ist der Panung, ein etwa ein Meter
breites und zweieinhalb Meter langes Stück Tuch, das mit seiner Mitte
um den Körper gelegt und vorn so befestigt wird, daß die beiden Enden
herunterhängen, die dann wie ein Strick gedreht, zwischen den Beinen
durchgeführt, hinten hochgehoben und in der Taille mitten auf dem
Rücken zusammengerafft werden. Sieht man einen so bekleideten Mann von
vorn, so hat man den Eindruck, als ob er in Kniehosen einherginge.
Früher pflegten die Frauen ebenfalls mit einem Panung sich zu
bekleiden, der als Rock eingerichtet war, und trugen dazu noch eine von
der Schulter herabhängende kleine, die Brust bedeckende Schärpe (Abb.
387). Heutzutage wird dagegen noch eine Jacke und eine reich bestickte
europäische Bluse getragen; Damen der besseren Gesellschaft gehen
indessen vollständig nach der neuesten abendländischen Mode angezogen.
Auch die Männer in den Städten tragen meistens unter dem Panung weiße
Drillichhosen nach europäischem Schnitt, baumwollene Strümpfe, und
Schuhe, die Beamten sämtlich Uniform. Kleine Kinder dagegen gehen für
gewöhnlich nackt einher, wenn man nicht gerade eine herzförmige Scheibe
aus Gold oder Silber, die die kleinen Mädchen umgehängt erhalten, als
Kleidungsstück ansehen will. Auf dem Lande aber herrscht noch die alte
Mode vor. Die Laosfrauen tragen noch heute einen Rock, die Männer einen
Gürtel über dem Panung. Eine alte Bestimmung schreibt eine gewisse
Farbe für die einzelnen Wochentage vor, für Sonntag rosa, für Montag
silbergrau, Dienstag rot, Mittwoch grün, Donnerstag verschieden,
Freitag hellblau, Sonnabend dunkelblau. -- Die Karenfrauen pflegen ihre
Gewänder mit hübschen Stickereien zu verzieren (Abb. 391).

[Illustration:

    Phot. R. Lenz.

Abb. 388. Ein Meaoweib mit eigenartigem Kopfputz,

der aus Bambusringen besteht, die mit Tuch aneinander befestigt und mit
Perlen und Silberkörnern sowie Hahnenfedern reich verziert sind. Seine
obere Partie gleicht einem Körbchen.]

Die Leidenschaft der Siamesen für +Schmuck+ ist groß. Mag eine Person
sonst noch so arm sein, stets wird sie mit dem einen oder anderen
Schmuckstück aus Edelmetall sich zieren. Selbst kleine Kinder behängt
man bereits mit Ringen um Finger, Arme und Beine aus Gold oder Silber.
Die Erwachsenen schmücken sich außerdem noch mit wertvollen Halsketten,
Ohrringen, Gürteln und so weiter (Abb. 388). Ganz eigenartig ist das
Tragen langer Fingernägel, das ebenso wie in China als ein Zeichen von
Vornehmheit gilt, sowie das schon erwähnte Schwärzen der Zähne (bei den
Männern).

[Illustration:

    Phot. Gebr. Haeckel.

Abb. 389. Schwimmendes siamesisches Dorf auf dem Menam.]

Ihrem Charakter nach kann man die Siamesen als große Kinder bezeichnen.
Sie sind liebenswürdige, friedfertige, sorglose, nüchterne, besonders
im Darreichen von Almosen freigebige, sehr zum Müßiggang neigende,
leidenschaftslose Menschen, die an den althergebrachten Einrichtungen
zähe festhalten und streng auf Etikette achten. Auch geben sie sich
gern dem +Vergnügen+ hin, besonders haben sie eine ausgesprochene
Vorliebe für das +Theater+. Das „Lakon“, wie die Siamesen das Theater
nennen, findet während der Zeit des Vollmonds statt, so daß die
Teilnehmer nach der Vorstellung am späten Abend noch gut nach Hause
finden können. Sie besuchen diese mit der ganzen Familie und nehmen
sich auch Eßwaren dorthin mit. Die Bühne ist meistens oval, die Zuhörer
sitzen rings herum, außer an dem einen Ende, an dem sich zwei Zugänge
befinden. Kleine umherziehende Gesellschaften, deren es viele im Lande
gibt, sind gewohnt, auch ohne Hintergrund fertig zu werden und ziehen
sich nötigenfalls auch in Gegenwart der Zuhörer um. Im Gegensatz
zu allen anderen orientalischen Völkern übernehmen die Frauen alle
ernsten Männerrollen. Das Drama, das sich vor den Zuschauern abspielt,
verrät keine Gedanken und zusammenhängenden Handlungen, sondern gibt
einzelne Ereignisse aus der Mythologie der Brahmanen wieder, die
durch die Tradition geheiligt sind. Die Trachten, die dabei getragen
werden, sind ganz phantastische, mit bunten Steinen und flimmerndem
Flitter besetzte Gewänder, welche die Überlieferung den Gottheiten und
königlichen Personen von früher zuschreibt (Abb. 390). Durch Auftragen
einer dicken weißen Paste auf das Gesicht als Schönheitsmittel wird
den Darstellern die Möglichkeit genommen, Leidenschaften zum Ausdruck
zu bringen; alle sind vielmehr von tiefem Ernst durchdrungen. Eine
Ausnahme hiervon machen die Clowns, die ungeschminkt, einfach wie
moderne Bauern gekleidet, die heiligsten und heldenhaftesten Stellen
mit komischen Gesprächen unterbrechen, die auf Tagesereignisse
anspielen. -- Auch das Vorführen von +Tänzen+ ist in Siam sehr
beliebt. Alten Traditionen gemäß werden sie hier, wie überhaupt in
Hinterindien, in ganz eigenartiger Weise ausgeführt. Sie bestehen
nämlich in Posen mit gebeugten Knien, wobei die sich windenden Arme
vorgestreckt werden und die Tänzerinnen sich langsam mit dem flachen
Fuß vorwärtsschieben. Dazu kommen aber auch heftigere Kundgebungen,
die sich in mächtigen Sprüngen, Aufschlagen der Absätze und Posieren
in ausgebreiteter Adlerflügelstellung äußern. Auf den Fußspitzen zu
tanzen oder zu pirouettieren, wie unsere Tänzerinnen es tun, ist in
Siam ganz unbekannt. Die Beweglichkeit der siamesischen Tänzerinnen ist
eine außerordentlich große; man könnte fast behaupten, daß diese ihre
Geschmeidigkeit von doppelten Gelenken herrühre. Sie befähigt sie bei
den Bühnenspielen mehr zum Ausdruck zu bringen als die Sprache.

Der Siamese huldigt auch sehr dem +Glücksspiel+; daher sind die
Spielhäuser, besonders in der Hauptstadt Bangkok, Tag und Nacht über
gefüllt. Die Spielregeln sind ganz einfache. Die Spieler sitzen um
eine in vier Felder eingeteilte Matte herum und setzen auf dieser.
Der Spielleiter wirft eine beliebige Anzahl Muscheln auf ihre Mitte
und zählt von dieser Summe immer vier ab. Der Spieler, dessen Feld
der Zahl der übrig gebliebenen Anzahl Muscheln entspricht, erhält
das Doppelte seines Einsatzes, das übrige streicht der Croupier mit
einer kleinen Harke ein. Auch wettet man noch, ob die Anzahl der
übrig bleibenden Muscheln eine gerade oder ungerade sein wird. Die
Leidenschaft der Siamesen für dieses Spiel ist eine so große, daß sich
um die Spielhöllen herum gleichzeitig Pfandhäuser aufgetan haben, in
denen ein blühendes Geschäft betrieben wird. Täglich kommen Landleute
an, die infolge eines Traumes oder irgend einer anderen Vorbedeutung
die Bank zu sprengen gedenken, aber recht bald nicht nur ihre gesamten
Ersparnisse verloren gehen sehen, sondern auch die ihrer Freunde, unter
Umständen die Ernteerträge eines ganzen Dorfes.

[Illustration:

    Phot. R. Lenz.

Abb. 390. Siamesische Ballettänzerinnen.

Ein großer Teil der Theatervorstellungen besteht nur in Schrittänzen,
welche Liebe, Triumph, Zurückweisung versinnbildlichen, und in
Balletten, welche die Schlachtordnung der Truppen oder, wie in obigem
Bild, den Flug von Engeln darstellen.]

Eine sehr beliebte Unterhaltung ist auch das +Ballspiel+, wobei ein
geflochtener leichter Ball mit dem Kopf oder irgend einem Körperteil,
ausgenommen die Arme und Hände, aufgefangen wird, aber vorher die
Erde nicht berühren darf. Ferner ist das +Drachensteigenlassen+ ein
viel betriebener Sport bei heißer Witterung; hierbei werden gleichsam
Duelle ausgetragen, die Besitzer der Drachen suchen sich gegenseitig
die Schnur zu zerreißen oder zu verwirren. Die Drachen haben die Form
eines Sterns, besitzen aber keinen Schwanz. Auch +Hahnenkämpfe+ in der
schon beschriebenen Form und sogar +Fischkämpfe+ sind ein beliebter
Zeitvertreib. Bei letzteren werden in einem Bassin zwei kleine zornige
rote Fische aufeinander losgelassen, und mit Interesse beobachtet man,
wie sie sich gegenseitig zerfleischen.

Die +Elefantenjagd+ ist ein königlicher Sport. Die wilden Elefanten,
die die Steppe durchstreifen, werden zu diesem Zweck zu bestimmten
Zeiten in einem großen Kraal zu Ayuthia, der alten Landeshauptstadt,
zusammengetrieben. Viel Volks strömt bei dieser Gelegenheit zusammen,
um sich die Vorgänge, die sich abspielen, mit anzusehen; auch der König
und sein Hof beobachten sie von einer Loge aus. Von den eingetriebenen
Elephanten werden dann diejenigen, die gezähmt werden sollen,
ausgesucht. Leute, die auf zahmen Elefanten inmitten der Herde sitzen,
legen den auserwählten Tieren sehr geschickt die Endschlinge eines
langen Seils um ein hinteres Bein und befestigen es an einem Pfosten
(Abb. 392). Die wilden Anstrengungen des so eingefangenen Tieres
bereiten den Zuschauern eine große Freude, ebenfalls reizt es sie,
wenn die wieder in Freiheit gelassenen übrigen Elefanten von der Menge
geneckt werden und dabei ein etwas zu waghalsiger Mensch den Tieren zu
nahe kommt, ergriffen und getötet wird.

[Illustration:

    Phot. R. Lenz.

Abb. 391. Eine Karenfrau.

Die Karen von Siam sind reine Geisteranbeter, deren Ritus in Opfern
besteht mit den sie begleitenden Festen und Trinkgelagen. Die
Wahrsagekunst wird bei ihnen viel ausgeübt, hauptsächlich mit Hilfe der
Knochen von geschlachtetem Geflügel. Die Frauen schmücken ihre Gewänder
mit Stickereien aus Grassamen, sie tragen silberne Ringe in den Ohren
und, nachdem sie verheiratet sind, ein blaues Tuch um den Kopf.]

[Illustration:

    Phot. R. Lenz.

Abb. 392. Das Einfangen wilder Elefanten.]

In Siam gilt die +Person des Königs+ für ein übernatürliches Wesen
und ist daher Gegenstand besonderer Heiligkeit und Verehrung. Der
Volksmund behauptet, daß im Königspalaste zu Bangkok ein Dämon, Phra
Deng oder der „Rote Herr“ genannt, der einst ein Halbgott war und zu
Beginn der gegenwärtigen siamesischen Ära vom Himmel herabflog, mit
Ketten gefangen gehalten würde und, solange er nicht entwische, dem
Königshause und dem Volke Glück bringe. Bei allem, was mit dem Hofe
zusammenhängt, wird eine strenge Etikette bewahrt. Die Zeremonien,
die mit dem Thron in Verbindung stehen, zum Beispiel die Krönung,
sind sämtlich religiöser Natur und stark mit brahmanischem Einfluß
durchsetzt, allerdings hat der König Chulalongkorn bereits manchen
der Riten, mit denen seine Vorgänger bedacht wurden, abgeschafft. Zu
den althergebrachten Sinnbildern, wie dem Dreizack, dem Schirm und so
weiter, gehört seit undenklichen Zeiten auch der weiße Elefant, ohne
den, wie auch früher in Indochina, nach der Annahme des Volkes kein
König echt sein könne. Es ist dies eigentlich kein direkt weißes Tier,
sondern ein solches, dessen Hautfarbe pathologischen Ursprunges ist,
ein Albino, denn es besitzt schmutzig graues Haar, weiße Nägel auf
den Zehen und eine gelbe oder rosafarbene Regenbogenhaut. -- Zweimal
im Jahre schwören die Prinzenschaft, der Adel und der Beamtenstand
im ganzen Lande dem König den Eid der Treue. Diese Zeremonie, die
den Namen Teu Nam oder das „Wasserhalten“ führt, kann auf ein
sehr hohes Alter zurückblicken, denn schon am Hofe der Könige von
Brahmanisch-Indien wurde sie vor mehr als zweitausendfünfhundert Jahren
abgehalten. In Bangkok findet sie in Gegenwart des Königs statt. In
einem Tempel ganz dicht beim Palaste versammeln sich die Prinzen und
führenden Staatsbeamten, während draußen auf den weiten Rasenflächen
der äußeren Palastumgrenzung Soldaten aller Truppengattungen in
blinkenden Uniformen und weiße Elefanten in glänzender Ausstaffierung
Aufstellung nehmen. Unter Trommelschlag und Fanfarenklang wird
der König auf einem goldenen Thron aus dem Innern des Palastes
herausgetragen, Tausende von Bajonetten blitzen zum Gruße auf, Kanonen
donnern und zahlreiche Militärkapellen verkünden die Nationalhymne,
während Seine Majestät vor den Truppen entlang passiert und sich
sodann niederläßt, um zu beobachten, wie der Hof und die Staatsbeamten
zu zweien in den Palast hineingehen, vom Tische einen kleinen Becher
Wasser nehmen, das besonders für diesen Zweck unter machtvollen
brahmanischen Formeln geweiht wurde, ihn mit den Lippen berühren und
sich durch eine Außentür wieder zurückziehen. In den Provinzen wird die
gleiche Zeremonie vor den amtlichen Vertretern des Königs vollzogen.

[Illustration:

    Phot. Antonio.

Abb 393. Eine königliche Barke,

die jetzt nur noch bei Staatsangelegenheiten gebraucht wird. Früher
benutzte der König häufig eine vergoldete Barke, die mit fünfzig und
mehr rotgekleideten Ruderern bemannt war.]

Höflichkeit und Achtung erfordern, daß bei einer Unterhaltung mit
Personen königlichen Geblütes bestimmte Redensarten, gleichsam nur
gewählte Ausdrücke angewendet werden, ein Brauch, der vielleicht mit
dem allgemeinen Empfinden zusammenhängt, man könne, wenn man einen
gewöhnlichen Gegenstand umschreibt oder ein Fremdwort für ihn sagt,
seine Niedrigkeit gleichsam mildern. Diese sogenannte Palastsprache
ist so fein durchgearbeitet, daß man nicht nur Hunde, Krähen und
andere gewöhnliche und unreine Tiere mit besonderen Worten benennt,
sondern auch die Tätigkeit der hohen Herrschaften, wie essen, schlafen,
gehen, sprechen, baden und so weiter mit gewählteren Ausdrücken
bezeichnet, als wenn man sie auf einfache Leute anwendet. Im übrigen
ist der Siamese bestrebt, jedweder im Range höher stehenden Person
die erforderliche Achtung zu zollen. So wagt zum Beispiel niemand,
seinen Kopf so hoch wie sein Vorgesetzter zu tragen, niemand über eine
Brücke zu gehen, wenn ein anderer von höherem Range sie in demselben
Augenblicke überschreiten will und anderes mehr.

[Illustration:

    Phot. F. Chit.

Abb. 394. Überführung eines alten Buddhabildes in einen neuen Tempel,

das sich unter dem Baldachin auf dem festlichen Boot befindet; der
König und sein Hof begleiten diese Überführung in Staatsbooten.]

Die Siamesen sind +Anhänger der Lehre Buddhas+, indessen ist diese
in vieler Hinsicht noch mit dem alten +Geisterglauben+ durchsetzt.
Sie halten das ganze Weltall von allen möglichen Geistern gleichsam
überflutet: von den mächtigen Königen der Himmel und der Höllen, den
Gottheiten der Lehre Brahmas, die sich in dieser Auffassung des Volkes
noch widerspiegelt, an bis zu den kleinsten Elfen, die in der Dachrinne
hausen, und den Kobolden, die in der Nacht die Kinder an den Fußsohlen
kitzeln, herab. Jeder Fluß, jeder See, jeder Berg, jede Klippe, jeder
Baum, jedes Feld, jeder Garten, jede Behausung wird als Sitz von
Geistern, Waldnymphen und Gespenstern gedacht. Auf der Veranda oder auf
dem Hofe eines jeden Hauses steht ein winziges Puppenhäuschen, in dem
ein Spukgeist wohnt, der, falls man ihm fleißig Opfer darbringt, als
Dank das Haus vor Unheil und anderen bösen Geistern beschirmt, wenn er
aber vernachlässigt oder nicht beachtet wird, aus Rache es mit allem
möglichen Bösen heimsucht. Alle Geister sind ihrer Veranlagung nach
bösartig, die meisten von ihnen besitzen aber irgend eine Schwäche
und lassen sich durch Gaben, die ihrem Geschmack zusagen, umstimmen.
Manche wiederum sind schwer zu versöhnen oder leicht zu kränken; ihrem
Zorn schreibt man beinahe alles Unglück zu, das den Menschen trifft,
so die Stürme, Erdbeben, Überschwemmungen und andere folgenschwere
Naturereignisse, die Unfälle und Krankheiten. Es gibt aber auch
wachsame Geister, die sich angelegen sein lassen, Städte und Paläste
zu schützen, die aus ihren Verstecken hervorkommen und den Kampf
gegen die Einfälle böser Geister aufnehmen, sofern sie gut behandelt
werden. Diese läßt der Aberglaube von gesunden, kräftigen Menschen
herstammen, die vorzeiten man einfach köpfte und an den betreffenden
Stellen unter der Mauer, an den Eingängen und so weiter begrub. So
leicht öffentliche Gebäude auf diese Weise sich vor den bösen Geistern
Schutz verschaffen können, so schwer wird dies dem einzelnen gemacht;
er ist auf die Hilfe eines Vermittlers angewiesen, eines Zauberers,
Wahrsagers oder ähnlichen Geschäftsmannes, der dann meistens eine
Teufelaustreibung vornimmt. Auch die medizinische Wissenschaft der
Siamesen greift auf solchen Hokuspokus zurück, wenngleich ihr auch
eine ganze Reihe von Kräuterheilmitteln, die einen wirklichen Heilwert
besitzen, zur Verfügung stehen. Aber die Ärzte schätzen sie nicht immer
deswegen hoch, weil ihnen eine Heilkraft innewohnt, sondern weil sie
glauben, daß diese gegen die Geister, Hexen und so weiter wirksam sind.
Musik, Tanz, häufiges Baden sind allgemeine Rezepte für die meisten
Krankheiten. Der behandelnde Arzt versucht auch oft, das Übel durch
Pusten, Ausspeien, Pfeifen und Schwenken grüner Zweige auszutreiben.
Der Verkauf von Zaubermitteln ist für den Apotheker eine gute
Einnahmequelle, jedoch wird ihm viel Konkurrenz durch die Tätigkeit der
Buddhamönche gemacht, die als Teufelaustreiber auftreten, obwohl ihnen
diese Tätigkeit untersagt ist. Denn nach der Lehre Buddhas besteht die
Macht der Geister nur in der Einbildung. Aber der Siamese läßt sich von
seinem alten Aberglauben einmal nicht abbringen. -- Die Abbildung 394
zeigt die Überführung einer Buddhastatue in einer festlich geschmückten
Barke nach einem neuen Tempel, begleitet von dem König und seiner
Familie. Die vergoldete königliche Barke (Abb. 393) wird jetzt nur noch
bei besonderen Staatsangelegenheiten benutzt.

[Illustration:

    Phot. Antonio.

Abb. 395. Ein Buddhistenmönch bei der Predigt.]

Diese +Buddhistenmönche+ sind Menschen, die sich vor der Welt
zurückgezogen haben, um die Sünde zu meiden und dadurch göttliche
Belohnung zu erringen. Ihre Mission besteht etwa nicht darin, daß sie
den Menschen dienen; wenn sie es tun, dann geschieht dies nur aus dem
Grunde, um für sich dadurch einen Vorteil zu erreichen. Die sündigen
Laien, die nicht genug Kraft in sich verspüren, der Welt zu entsagen,
können aber doch für ihr eigenes Seelenheil Vorteil herausschlagen,
wenn sie jene unterstützen. Ursprünglich waren die Buddhistenmönche
Bettler, die in Lumpen gehüllt im Lande umherzogen und von den
erbettelten Almosen lebten; jetzt aber kleiden sie sich in bessere
Stoffe und leben in behaglichen Klöstern; dabei verschmähen sie oft
genug die Brocken und die grobe Kost, die sie sich den Satzungen ihres
Ordens gemäß eigentlich erbetteln müßten. Die Klöster stehen unter
geregelter Aufsicht; in ihnen werden strenge Lebensregeln befolgt,
die den Insassen ein Faulenzen nicht gestatten. Die Mönche sind
bestrebt, ihren Sinn von weltlichen Dingen durch Nachdenken abzulenken;
während der einsamen Stunden, die sie in ihren Zellen zubringen,
werden ihnen verschiedene Themata zur Betrachtung zugewiesen, in die
sie sich vertiefen müssen. Durch andauerndes Studium können sie sich
verschiedene Grade von Gelehrsamkeit erwerben, die sie zu höheren
Stellen in der Kirche befähigen. In der trockenen Jahreszeit aber wird
das Klosterleben aufgehoben und an Stelle der Betrachtungen nehmen
die Mönche das alte Bettlerleben wieder auf. Sie wandern von Ort zu
Ort, legen dabei oft genug große Strecken zurück, ehe die einsetzende
Regenzeit sie in ihre Klöster sich wieder zu flüchten zwingt. Sie
führen auf ihren Reisen wenig mit sich außer einem großen weißen
Schirm, der sie am Tage gegen die brennende Sonne schützt und ihnen in
der Nacht als Zelt dient. Für alles, was sie sonst benötigen, rechnen
sie auf die Almosen der Frommen. Sind die Mönche an einem Orte, dann
halten sie zweimal täglich einen kurzen Gottesdienst in den Tempeln ab,
die zum Kloster gehören; an Feiertagen predigt der höchste der Mönche
oder der Abt von einem Platze zu Füßen des Buddhabildes aus (Abb. 395).

[Illustration:

    Phot. R. Lenz.

Abb. 396. Das Sandfest der Siamesen.

Im März jeden Jahres bringt man Sand auf die Vorplätze der Tempel und
formt daraus kleine Haufen in Gestalt von Pagoden, die man mit Fähnchen
und so weiter schmückt im Glauben, sich dadurch ein Verdienst zu
erwerben.]

[Illustration:

    Phot. T. A. Gerald Strickland.

Abb. 397. Aufzug beim Schaukelfest.

Die Männer im Vordergrund stellen Doktoren der alten Zeit dar. Alle
Arten von Armen von der Vergangenheit bis auf den letzten Tag werden in
dem Zuge gezeigt.]

Gelangt ein Siamese zu Reichtum, so läßt er sich die +Erbauung eines
Klosters+, eines Tempels oder einer Pagode angelegen sein und hofft
dadurch einen wesentlichen Vorteil zugunsten seines Seelenheils zu
erlangen. Um ein verfallenes kirchliches Gebäude wieder herzustellen,
gibt er aber kein Geld aus, weil er fürchten muß, daß er, wenn er
dieses für das Werk eines anderen verwendete, er nur zu dessen Heil
beitragen würde. Überhaupt muß der Buddhist, wenn er zukünftiges Glück
erlangen will, sich bereits in diesem Leben verdient machen. Die
beliebteste Art und Weise, dies zu ermöglichen, wenn er nicht gerade
in ein Kloster gehen will, besteht eben darin, den Mönchen Geschenke
zu machen, die diese in jeder dargebotenen Form annehmen, sei es, daß
es sich um ein wenig gekochten Reis oder um ein prachtvolles Kloster
mit allem Zubehör handelt. Man hat auch bestimmte Tage und bestimmte
Jahreszeiten, an denen man diese besondere Form, Gutes zu tun, zum
Ausdruck bringt, dabei verbindet man aber auch mit diesen Pflichten
allerhand +Vergnügungen+ (Abb. 396). Vier Tage im Monat sind heilige
Tage, an denen die Leute ihre besten Kleider anlegen und zum Tempel
wandeln, um hier kleine Opfer darzubringen. Am Anfang und Ende
der buddhistischen Fastenzeit bietet sich zu ähnlichen Gebräuchen
Gelegenheit. Im April wird die Geburt des Buddha und sein Tod durch
einen dreitägigen Gottesdienst im Tempel gefeiert, und am Abend finden
Feuerwerk, festliche Beleuchtung und Theater statt. Im Oktober sind
alle Menschen eifrig dabei, den Mönchen Kleider zu schenken; es ist
dies das bedeutendste Fest der buddhistischen Religion, das Tot Krathin
oder das „Niederlegen des heiligen Tuches“. Dieses Fest dauert ungefähr
einen Monat und verschlingt eine Unmasse Geld, das für das gelbe Tuch
der Mönche ausgegeben wird. Jeder von ihnen bekommt viel mehr davon
als er irgend nur gebrauchen kann. Die Hauptsache aber dabei ist, daß
das ganze Volk vom König abwärts sich dadurch sehr verdient macht und
trefflich unterhält. Zum Prabahtfest, das in den Monat Oktober fällt,
unternimmt das Volk Pilgerfahrten in die Berge bei Bangkok, um dort
in einem Tempel zu beten, der auf den angeblichen Fußspuren Buddhas,
allerdings auf solchen von mehr als einem Meter Länge, erbaut ist. Kurz
vor Vollmond bringen Sonderzüge die Pilger zum geweihten Ort; während
der nächsten Tage drängen sie sich auf den Stufen des Tempels, um
Geschenke niederzulegen, Spielsachen, Bilder, Uhren und andere seltsame
Gegenstände, die in Bangkok gekauft wurden, oder um Goldschaum auf jede
nur erreichbare Stelle der Tempelmauer zu kleben. Die Nächte bringen
sie mit Lesen der heiligen Schriften oder mit Unterhaltungen und Flirt
bei hellem Mondschein zu.

[Illustration:

    Phot. R. Lenz.

Abb. 398. Szene aus dem Schaukelfest.]

[Illustration:

    Phot. F. Ebit.

Abb. 399. Szene aus dem Fest des ersten Pflügens.

In Vertretung des Königs wird der Ackerbauminister zum Festplatze
getragen.]

Andere Feste religiöser Natur, die die Siamesen feiern, sind
entweder aus dem Brahmakultus übernommen oder beruhen auf deutlicher
Geisteranbetung. Im April findet das Songkranfest statt, nach einem
brahmanischen Gott so benannt, der auf die Erde kommt, um das neue
Jahr einzuweihen. Einige Tage vorher verkünden die Brahmanenpriester
des Hofes die Anwesenheit dieses Gottes auf der Erde. Daraufhin macht
sich das ganze Volk daran, die Erde mit Trankopfern zu begießen und
damit auch Personen zu bedenken, denen ihre Ehrfurcht gilt. Mit
besonderem Ernst wird diese Zeremonie im Königspalast vorgenommen,
indem man die Erde und das Staatsoberhaupt feierlichst mit Weihwasser
besprengt. Andernorts nimmt diese Zeremonie aber mehr die Form einer
Belustigung an, bei der die weibliche Jugend die Führung hat und die
sie so lange betätigt, bis sie und alle, die sich ihr nähern, ganz und
gar durchnäßt sind. Die Verkündigung der Rückkehr des Gottes in den
Himmel macht dem Spiel ein Ende. -- Im Oktober wird die Versöhnung des
Flußgeistes mit großartiger Feierlichkeit begangen; man nennt diese
Zeremonie Loi Kratung oder das „Schwimmen der Körbe“, weil man auf
dem Flusse Dankopfer in Körben aussetzt und diese hinabtreiben läßt.
In Bangkok, wo man diese Festlichkeit in der Nacht vornimmt, wird ein
jeder Korb noch beleuchtet, so daß der ganze Strom einem funkelnden
Lichtmeer gleicht, und diese Wirkung wird noch durch Feuerwerk erhöht.
-- Das alljährlich stattfindende Schaukelfest, das eine althergebrachte
Einrichtung ist, soll den Dank für die letzte Ernte und gleichzeitig
die Fürbitte um einen reichlichen Ertrag im nächsten Jahre bedeuten
(Abb. 397). Der Gott Indra, in Gestalt eines vornehmen Siamesen,
überwacht die Feier und marschiert im Zuge, der sich von einem entfernt
gelegenen Tempel bis zu dem Platze begibt, wo die große Schaukel steht,
mit. Vier Männer, deren Tracht auf einen Zusammenhang mit Regengöttern
hinweist, werden auf die Schaukel gehoben -- diese selbst ist gegen
dreißig Meter hoch und das Schaukelbrett befindet sich etwa fünf Meter
über der Erde --, ergreifen die herabhängenden Seile und setzen sie
in Bewegung. Sobald sie genügend in Schwung geraten ist, sucht einer
einen kleinen Beutel zu erfassen, der an einer langen Bambusstange in
der Nähe der Schaukel hängt und Münzen enthält (Abb. 398). Glückt es
ihm, ihn zu erfassen, dann ruft die zahlreich versammelte Menge vor
Freuden Beifall, verfehlt er ihn aber, dann erhebt sich Bedauern. Daß
das Volk so lebhaften Anteil an dem Gelingen dieses Versuches nimmt,
hängt mit dem Aberglauben zusammen, daß dadurch eine zwischen Indra und
den Regengöttern abgeschlossene Wette ausgetragen werden soll. Wenn die
Münzen ergriffen werden, so haben letztere gewonnen.

[Illustration:

    Phot. W. A. Graham.

Abb. 400. Das Fest des ersten Pflügens.]

Zum Schluß sei noch das Rek Na-Fest oder das „erste Pflügen“ erwähnt,
eine Zeremonie, um die Götter des Ackerbaues günstig zu stimmen und zu
erfahren, wie voraussichtlich die nächste Ernte ausfallen wird. Mit ihm
wird die Feldarbeit eröffnet. Ehemals führte der König selbst diese
Zeremonie aus, jetzt vertritt ihn dabei ein hoher Beamter, meistens der
Ackerbauminister (Abb. 399). Dieser lenkt einen vergoldeten Pflug, der
von bunt angeschirrten Ochsen gezogen wird (Abbild. 400), dreimal um
ein geweihtes Feld, auf das nachher Reis gestreut und sofort vom Volke
wieder aufgelesen wird, in dem Glauben, daß, wenn man diese Körner
unter die eigene Saat mischt, sie gute Ernte zeitigen werden. Außerdem
werden zwei jungen Ochsen verschiedene Getreidesorten vorgelegt und
aufgepaßt, von welcher sie am meisten fressen. Diese wird aber nicht
angebaut, weil dann die Ernte schlecht ausfallen würde. Zum Schluß der
Zeremonie werden die Ernteaussichten der bevorstehenden Jahreszeit
verkündet.

[Illustration:

    Aus „Anthropos“.

Abb. 401. Siamesische Tafel, um das Horoskop zu stellen.

Der silberne Schirm zum Beispiel bedeutet: Ehren, Macht, Achtung;
der Mann ohne Kopf: Verlust eines Prozesses, materiellen Verlust,
auch gewaltsamen Tod; der königliche Palast: hohe Würden, Protektion,
Einfluß auf andere und so weiter.]

[Illustration:

    Phot. Antonio.

Abb. 402. Ein siamesischer Knabe, zur Zeremonie des
Haarknotenabschneidens vorbereitet.

Er ist in schöne Gewänder gekleidet und mit den Familienkostbarkeiten
geschmückt.]

Allerlei +Gebräuche+ knüpfen sich auch +an die wichtigsten Augenblicke
im Leben der Siamesen+. Sobald ein +Kind geboren+ ist, wird es von der
weisen Frau sogleich auf Anzeichen hin untersucht, die dem Wahrsager
als Unterlage dienen könnten, um ihm die Zukunft zu prophezeien, und
dann sich selbst überlassen, während die Mutter, auf einem Plankenbett
liegend, der Hitze eines großen Feuers ausgesetzt wird, das angeblich
ihre Genesung beschleunigen soll. Ist das Kind einen Monat alt
geworden, dann wird ihm feierlichst der Kopf glatt geschoren und vom
Familienwahrsager das Horoskop gestellt. Um die Zeit herum, wenn es die
ersten Schritte macht, wird der Wahrsager noch einmal herbeigerufen
und, nachdem er von neuem das Horoskop und andere üble Vorbedeutungen
in Betracht gezogen hat, ein Name für das Kind unter denen ausgewählt,
die sich für das Jahr, den Monat, Tag und Augenblick am besten eignen.
Um das Horoskop zu stellen, bedient man sich einer Tafel (Abb. 401),
die um den Mittelpunkt angeordnet in zwölf Segmenten je eine Figur
trägt (Buddhapyramide, Drache, Zauberin, Wahrsager, silberner und
goldener Sonnenschirm, Mann ohne Kopf und so weiter). Jeder von ihnen
kommt eine besondere glück- oder unglückbringende Bedeutung für die
Begebenheiten des täglichen Lebens zu. Bei der Benutzung dieser
Wahrsagetafel fängt man bei der Buddhapyramide an zu zählen und geht,
wenn es sich um ein männliches Wesen handelt, nach links, wenn um ein
weibliches, nach rechts herum. Zunächst zählt man die Wochentage,
dann in gleicher Weise die Monattage und schließlich die Jahre, von
denen jedes unter einem der zwölf Zeichen steht, von dem gleichen
Ausgangspunkt aus ab, bis man zu seinem Datum kommt, und ermittelt
auf diese Weise drei Figuren. Wenn alle drei unglückverheißend sind,
dann steht zweifelsohne ein Mißerfolg zu erwarten; wenn man nur eine
böse Figur unter den dreien erhält, dann ist die Vorhersage gut,
sind alle drei aber günstige, dann kann das Unternehmen nur glücklich
ausschlagen. -- Das Siamesenbaby tyrannisiert gleichsam seine
Hausgenossen. Alle seine Verwandten sind seine Sklaven und erfüllen ihm
seine leisesten Wünsche; von allen wird es verwöhnt und verhätschelt.
Der +Kopf+ wird ihm bis ungefähr zum vierten Jahre beständig +rasiert+,
von da ab beginnt die Mutter sein Kopfhaar zu pflegen; sie dreht es
zu einem Büschel oben auf dem Scheitel und steckt eine bunte Nadel
hindurch. Bald darauf bekommt das Kind auch Kleider und wird später in
die Klosterschule des Dorfes gesandt. Von jetzt an nimmt der Lebenslauf
der beiden Geschlechter eine verschiedene Richtung. Die Mädchen nämlich
erhalten für gewöhnlich keinen Unterricht in der Schule, sondern
werden in die Pflichten ihres späteren Hausfrauenberufes eingeführt.
-- Sobald bei den Kindern die Reife sich einzustellen beginnt, also um
das zehnte bis dreizehnte Lebensjahr, wird den Knaben und Mädchen das
+Haarbüschel unter großer Feierlichkeit abgeschnitten+; es ist dies der
wichtigste Augenblick im ganzen Leben des Siamesen. An einem von dem
Wahrsager festgesetzten Tage wird im Hause der Eltern ein Altar mit dem
Buddhabildnis errichtet, und dieser mit Kerzen und Zieraten, soweit
die Mittel es erlauben, geschmückt. Um den Altar herum verteilt man
eine große Schere, eine Schale mit geweihtem Wasser, eine Seemuschel
und andere Gegenstände, die zu der Zeremonie gehören, und stellt auf
einen Ständer in der Nähe kleine Portionen Speise zur Erfrischung für
die Familiengötter hin. Ein geweihter Faden wird sodann unter der
Dachrinne rings um das Haus herumgeführt und seine beiden Enden werden
ins Haus hinein zu den Händen der Mönche geleitet, deren Predigten an
der Schnur entlang gleiten sollen, um die bösen Geister zu verhindern,
störend in die heilige Handlung einzugreifen. Der Ahnen wird auch
nicht vergessen, denn ihre Urnen mit der Asche finden sich auf einem
kleineren Altar aufgestellt. Schließlich ist draußen vor dem Hause
noch ein Gerüst mit einem Baldachin auf vier Pfosten erbaut, unter
dem auf einem spitz zulaufenden Gestelle etwas Speise für den Gott
Kedu, den Spender langen Lebens, gestellt wird. -- Am Nachmittage des
dem eigentlichen Feste vorausgehenden Tages finden sich zuerst die
Familienfreunde, jeder mit einem Geschenk, sodann die Mönche ein, die
bei ihrem Erscheinen mit Gongschlägen begrüßt und mit Tee bewirtet
werden. Nach einer Pause tritt das Kind auf, vornehm angezogen und mit
dem ganzen Familienschmuck behängt (Abb. 402). Die Mönche sprechen
Gebete, in die die anwesenden Besucher einfallen; Musik spielt sodann
auf; Tee, Zigarren, Speise und Betel werden herumgereicht, und alles
widmet sich dem Vergnügen. Der nächste Tag vergeht in ähnlicher Weise
und erst am dritten findet die Hauptzeremonie statt. Vorher wird größte
Ruhe gewahrt, damit die bösen Geister, die sich vielleicht in der Nähe
aufhalten, nicht merken, daß etwas im Gange ist. Kurz vor Sonnenaufgang
erscheint das Kind wieder, den Kopf bis auf das Haarbüschel glatt
rasiert. Das Haarbüschel wird in drei Strähnen geteilt, der Gast, dem
von den Anwesenden die höchste Ehre gebührt, sowie zwei hochbetagte
Anverwandte erfassen jeder eine Strähne und schneiden sie genau bei
Sonnenaufgang ab. Ohrenbetäubender Trommelschlag und Musik setzen in
diesem Augenblick ein. Die Speise für den Ketu wird von der Plattform
draußen genommen und das Kind unter dem Baldachin an ihre Stelle
gesetzt. Darauf treten die Verwandten und Freunde einer nach dem
anderen heran und gießen Wasser aus einer Muschel auf den kahlen Kopf
des Kindes, das bis auf die Haut durchnäßt wird (Abb. 404). Von neuem
bekleidet, und diesesmal mit seinem schönsten Gewand, übernimmt das
Kind die zeremonielle Speisung der Mönche; dieser Abschnitt der Feier
vollzieht sich unter Musikbegleitung sowie unter Hersagen und Absingen
heiliger Worte und endigt mit einer Predigt. -- Der Prunk, mit dem die
Zeremonie des Haarabschneidens vollzogen wird, richtet sich natürlich
nach dem Reichtum und dem Stand der betreffenden Familie. Wird einem
königlichen Prinzen das Haarbüschel abgeschnitten, dann gestaltet sich
diese Zeremonie zu einem wahren Volksfest, bei dem es allenthalben hoch
hergeht.

[Illustration:

    Phot. F. Chit.

Abb. 403. Der Kronprinz im Mönchskloster zur Ablegung des üblichen
Ordensgelübdes.]

[Illustration:

    Phot. F. Chit.

Abb. 404. Die Zeremonie des Haarknotenabschneidens am siamesischen
königlichen Hofe.

Der König gießt einem seiner Söhne, an dem die Zeremonie soeben
vollzogen wurde, geweihtes Wasser über das Haupt.]

Nachdem ihnen das Haarbüschel abgeschnitten ist, nehmen die Mädchen
ihre häusliche Beschäftigung wieder auf, ebenso bilden sich die Knaben
weiter aus, bis sie das zwanzigste Lebensjahr erreicht haben. Dann
werden sie sozusagen konfirmiert und in den heiligen Orden der Mönche
aufgenommen. Die Lehre Buddhas schreibt nämlich vor, daß jeder, der
sich ernstlich zu ihr bekennt, dies dadurch betätigen muß, daß er vor
der Welt flüchtet und in den Orden sich aufnehmen läßt, allerdings kann
er dieses Gelübde jederzeit widerrufen. Daher legt jeder siamesische
Jüngling, auch wenn er sich nicht den geistlichen Beruf erwählt hat,
das Ordensgelübde ab, um dem Buchstaben des Gesetzes zu genügen (Abb.
403). Wer nicht die Absicht hat, ein Glied des Ordens zu bleiben,
bittet nach einiger Zeit, für gewöhnlich nach drei Monaten, ihn von
seinem Gelübde wieder zu entbinden, was anstandslos gewährt wird. Dann
darf er aus der Abgeschlossenheit wieder in die Welt zurücktreten.
Die Aufnahme in den Orden gestaltet sich für die Angehörigen zu einem
großen Freudenfest. In kostbare Gewänder gekleidet, begibt sich der
Kandidat mit seinen Verwandten, Freunden und allen Mädchen seiner
Bekanntschaft in den Tempel, wirft sich dreimal vor den Mönchen demütig
auf die Erde und wird in aller Form von den Angehörigen vorgestellt,
die den Mönchen Geschenke anbieten. Sodann muß er ein Verhör, ob er
sich geistig und körperlich auch eigne, über sich ergehen lassen, und
wenn seine Antworten zur Zufriedenheit ausgefallen sind, wirft er sich
von neuem auf die Erde und bittet flehentlich, aus der schnöden Welt
befreit und in den Orden aufgenommen zu werden. Daraufhin wird er
seiner vornehmen Gewänder entkleidet und mit dem gelben Gewande des
Mönches angetan, bekommt einen Bettelnapf um die Schultern gehängt
und einen Fächer in die Hand. So ausgestattet, wirft er sich noch
einmal auf die Erde und legt sodann die zehn vorgeschriebenen Gelübde
ab, nämlich niemals ein Leben zu vernichten, niemals zu stehlen oder
zu lügen, stets ein züchtiges Leben zu führen, keine berauschenden
Getränke zu trinken, nur zu der vorgeschriebenen Zeit zu essen, alle
weltlichen Freuden zu meiden, keinen persönlichen Schmuck zu tragen,
nie mit Geld etwas zu tun zu haben und auf der Erde zu schlafen.
Der Abt macht nun öffentlich bekannt, daß der Kandidat in den Orden
aufgenommen ist, und erinnert ihn noch einmal an die Pflichten, die er
übernommen hat, und an die Sünden, die er meiden muß. Wie schon gesagt,
kann der Jüngling jederzeit von seinem Eide auf seinen Wunsch befreit
werden und in die Welt zurückkehren, wie es auch meistens geschieht.

[Illustration:

    Phot. R. Lenz.

Abb. 405. Aufbahrung der Leiche des Königs Chulalongkorn

für mehrere Monate in einer goldenen Urne auf der Spitze einer
kunstvollen goldenen Pyramide im Palaste.]

Er tut dies, wenn er heiraten will. Etwa um das zwanzigste Lebensjahr
herum pflegen die Jünglinge, zwischen vierzehn und siebzehn die jungen
Mädchen die +Ehe+ einzugehen. Sie verheiraten sich in Siam fast
alle; alte Jungfrauen kommen daher in diesem glücklichen Lande kaum
vor. -- In den meisten Fällen ist die Ehe lediglich eine Abmachung
zwischen den Familien, die ursprünglich eine ältere, diplomatisch
sehr gewandte Frau zustande brachte, jetzt aber mehr und mehr von
den Eltern direkt getroffen wird, die diese Dinge frei miteinander
erörtern. Auch Neigungsheiraten kommen heutzutage mehr in Aufnahme.
Einer +Ehezeremonie+ legt der Siamese wenig Gewicht bei, daher
verkürzt er sie vielfach oder läßt sie gänzlich fort; denn um einer
Ehe die gesetzliche Gültigkeit zu verschaffen, bedarf es nur des
Beisammenwohnens. Da aber manche Eltern natürlich das Verlangen
haben, die Hochzeit ihres Kindes zu einem Ereignis zu machen, so spielt
sie sich in sehr vielen Fällen wenigstens zum Teil mit Feierlichkeiten
verknüpft ab. Wenn man die Zeremonie in ihrem vollen Umfange
betrachtet, findet die Hochzeit im Hause der Braut statt und dauert
zwei Tage. Freunde und eine bezahlte Musikbande geben dem Bräutigam das
Geleite dorthin, wo die Freunde sich versammelt haben und sich in den
Empfangsräumen an Essen, Trinken und Betelkauen gütlich tun, während
die Eltern das von beiden Teilen beigesteuerte Kapital für das junge
Paar nachzählen und prüfen. Sobald das Brautpaar erscheint, wird es
mit einer geweihten Schnur zusammengebunden, kniet nieder, wird mit
Reis beschüttet und von den Gästen aus einer Seemuschel mit Weihwasser
begossen. Darauf werden beide getrennt; der Bräutigam bringt seiner
Geliebten mit Hilfe einer Kapelle die Nacht über ein Ständchen. Am
nächsten Morgen werden die amtierenden Mönche festlich bewirtet, und
den ganzen Tag über herrscht eine ausgelassene Lustbarkeit. Am Abend
endlich wird die Braut in aller Form zum Hochzeitsgemach geleitet. Das
junge Paar lebt lange mit der Familie der Frau zusammen, oft bis zur
Geburt des ersten Kindes.

[Illustration:

    Phot. Antonio.

Abb. 406. Leichenzeremonie im Hause eines reichen Siamesen.

Der Sarg pflegt auf einem hohen, reich verzierten Unterbau, umgeben von
Leuchtern, für längere Zeit aufgestellt zu werden.]

[Illustration:

    Phot. R. Lenz.

Abb. 407. Der künstlerische Gerüstaufbau für die Einäscherung der
Leiche des verstorbenen Königs Chulalongkorn.]

Da die +Vielweiberei+ von Buddha nicht ausdrücklich verboten ist,
so gilt sie für erlaubt, und ein Mann kann daher so viele eheliche
Verbindungen eingehen, als er sich Frauen zu leisten vermag. Die erste
Frau behält aber immer das Vorrecht und bleibt das anerkannte Oberhaupt
aller auf sie noch folgenden. Altert eine Frau, dann hält sie es für
ratsam, ihrem Manne Nebenfrauen zu verschaffen, einmal weil sie dadurch
das Heim für diesen noch weiter anziehend zu gestalten hofft und zum
anderen, weil sie sich dann als Oberhaupt einer großen Häuslichkeit
aufspielen kann. -- +Scheidung+ erfolgt mit beiderseitiger Zustimmung
und hat die Teilung des Besitztums zur Folge, ausgenommen, wenn es
sich um Nebenfrauen handelt, die auf Wunsch des Mannes einfach beiseite
geschoben werden können ohne jedwede Vergütung. Alle Kinder sind
erbberechtigt, aber die von der ersten Frau erhalten den größten Anteil.

[Illustration:

    Phot. R. Lenz.

Abb. 408. Einäscherungszeremonie für einen vornehmen Siamesen.

Der Vorgang spielt sich hinter dem Schirm in einem Tempel ab.]

Die Eigenart der buddhistischen Lehre nimmt dem Siamesen, wenn es
mit ihm zum +Sterben+ geht, viel von der Todesfurcht; er beschäftigt
sich in diesen Augenblicken mehr mit seiner Wiedergeburt als mit dem
Schrecken der bevorstehenden Auflösung und verspürt bei seinem nahen
Ende den Trost einer gütigen Philosophie, die vielfach dazu beigetragen
hat, bereits sein Leben zu einem ruhigen zu gestalten. +Nach dem Tode+
wird der Körper gewaschen, in ein sauberes weißes Tuch gehüllt und mit
einer Münze im Munde, um damit den Zoll zum Paradiese zu zahlen, in den
Sarg gelegt. Um diesen, der mit schwarzem Tuch bedeckt und mit Zierat
aus Silberpapier geschmückt zusammen mit Kerzen und anderen Dingen,
die dem Verstorbenen wert waren, im Prunkzimmer des Hauses steht (Abb.
406), halten Freunde ein bis zwei Tage und Nächte Wache. Dazu lesen
eingeladene Mönche am Abend Totenmessen. Währenddessen empfangen
die Angehörigen die Beileidsbesuche ihrer Bekannten, denen sie eine
kleine Erfrischung vorsetzen. Außerdem wird sogleich nach dem Tode
eine Musikkapelle geholt, die ihre Weisen ertönen lassen muß, einmal
um die Trauernden aufzuheitern, zum andern aber auch, um die bösen
Geister fernzuhalten. Manchmal müssen auch Klageweiber ein möglichst
lautes Geheul anstimmen. Ist die Totenwache vorüber, dann wird der Sarg
in den Tempel gebracht, bisweilen jedoch, vor allem am Hofe und in
wohlhabenden Familien, behält man ihn noch längere Zeit, selbst Monate
hindurch, im Hause aufgebahrt (Abb. 405). Wird der Sarg herausgetragen,
dann tut man dies durch ein Loch in der Wand und führt ihn mehrere Male
um das Haus herum, bevor man ihn in den Tempel bringt (Abb. 386), wo
er auf einem Scheiterhaufen verbrannt wird (Abb. 407 und 408). Vorher
trägt man ihn auch hier noch dreimal um diesen herum. Man will dadurch
den Geist im unklaren über die eingeschlagene Richtung lassen, damit
er den Weg nach Hause nicht wiederfindet. -- In Bangkok gibt es eine
regelrechte Saison für +Verbrennungen+ derer, die im vergangenen Jahre
starben (Abb. 409). Es wird dann eine große Pracht entfaltet, das
Feuer des Scheiterhaufens wird von wohlriechenden Kerzen unterhalten,
Musik, Tanz und Schmaus begleiten die Feier und der Armen wird durch
reichliche Spenden gedacht. Es ist gleichsam Ehrensache, so viel Geld
wie möglich dafür auszugeben, und es kommt oft vor, daß die ganze
Hinterlassenschaft eines Menschen von den Erben vergeudet wird, um ihm
einen geziemenden Abschied aus diesem Leben zu bereiten.

[Illustration:

    Phot. F. Chit.

Abb. 409. Krematorium zu Bangkok,

in dem die Einäscherung derjenigen Personen, die im vergangenen Jahre
starben, festlich begangen wird.]

Die Verbrennung von Königen und Prinzen ist ein höchst wichtiges
Ereignis und gestaltet sich fast zu einem Volksfest, das sich nicht
selten auf die Dauer eines Monats erstreckt; während dieser Zeit
werden Tausende von Menschen täglich auf königliche Kosten gespeist
und bewirtet. Die Leichen des Königshauses kommen nicht in Särge,
sondern zusammengekauert in kupferne, stark vergoldete Urnen.
Jedes Stadium einer königlichen Verbrennung, der Leichenzug, die
Übergabe auf den Scheiterhaufen, das Anzünden des Feuers und das
Einsammeln der Aschenreste, jede dieser Handlungen ist eine Feier
für sich, die manchmal einen ganzen Tag in Anspruch nimmt. Jedesmal
ist der Hof vollzählig zugegen, die Damen ganz in Weiß gekleidet
und das Haar geschoren. Die Asche wird in kleinen goldenen Urnen im
Palast aufbewahrt und ist von Zeit zu Zeit Gegenstand ehrfürchtiger
Zeremonien. Von den Gebeinen der Könige werden Teile unter die
Mitglieder der königlichen Familie und an Günstlinge aus dem Adel
verteilt. -- Die Angehörigen einfacher Leute bewahren ebenfalls die
Asche ihrer Verstorbenen in kleinen Urnen auf, die in ihren Häusern
Platz finden.


[Illustration: Abb. 410. Gebrauch der Ruder bei den Eingeborenen der
südlichen Schanstaaten Birmas.

Anstatt mit der Hand rudern sie mit den Füßen und vermögen dies
stundenlang fortzusetzen.]


Birma.


Die Birmanen gehören zur Gruppe der Schanvölker und gleichen +in
ihrem Äußeren+ im großen und ganzen den Siamesen. Sie sind kräftig,
wohlproportioniert und von ziemlicher Größe, die Höchstgewachsenen
unter den Stämmen Hinterindiens. Ihre Hautfarbe ist braun, ihr Kopfhaar
dicht, lang und schwarz. Ihre Gesichtszüge sind etwas edler als die der
Siamesen, so daß sie, im besonderen Frauen, oft angenehm auffallen.

Die +Kleidung+ ist bei beiden Geschlechtern die gleiche. Den Oberkörper
bedeckt eine lose anliegende Jacke, den Unterkörper umhüllt von der
Hüfte bis zu den Knien ein Stück Tuch oder noch häufiger Seidenstoff.
Das Haar wird entweder auf dem Kopfe in einen Knoten geschlungen oder
fällt chignonartig in den Nacken herab. Den Kopf umschlingt beim
männlichen Geschlecht ein turbanartig umgebundenes Tuch (Abb. 412), die
Frauen gehen barhäuptig, flechten sich aber Ketten und Blumen in die
Haare (Abb. 411). Eine ganz eigenartige Form besitzen die geflochtenen
großen Hüte der Schan, die zugleich als Schutz gegen den Regen dienen.
Eine stete Begleiterscheinung der Birmanen ist sein Regenschirm aus
braungefirnißtem, mit bunten Streifen besetztem Papier. +Schmuck+
fehlt natürlich nicht, besonders beim weiblichen Geschlecht. Bei den
Padaungfrauen sind schwere massive Ringe sehr beliebt, die um den Hals,
die Unterarme und die Beine getragen werden und zusammen ein Gewicht
von vierzig bis fünfzig Pfund ausmachen. Ganz besonders fallen davon
die Ringe auf, die den Nacken wie ein steifer Stehkragen umgeben;
sie werden nicht auf einmal, sondern nacheinander umgelegt, bis zu
zweiundzwanzig Stück (Abb. 414). Nicht minder merkwürdig muten die
Fußringe der Loilongfrauen an (Abb. 413). -- Ein jeder Birmane, der
etwas auf sich hält, läßt sich +tatauieren+, und zwar in Blau auf
den Oberschenkeln, von der Hüfte bis zum Knie, und in Rot auf dem
Oberkörper und den Armen (Abb. 416). Die eintatauierten Muster pflegen
Tiere, im besonderen Tiger darzustellen, die von allerlei Schnörkeln
umgeben sind.

[Illustration:

    Phot. Major Pearce.

Abb. 411. Mann und Frauen in der üblichen Landestracht auf einem
Ochsenwagen, wie er auf dem Lande gebräuchlich ist.]

[Illustration:

    Aus „Kolonie und Heimat“.

Abb. 412. Ein vornehmer Birmane.]

[Illustration:

    Phot. Sir George Scott.

Abb. 413. Loilong-Karen-Frauen mit sonderbarem Beinschmuck,

bestehend aus Messingringen, die an einem Rotangbande unterhalb des
Knies hängen. Diese Ringe hindern die Bewegung erheblich. Keine Frau
geht ohne Not aus und wenige kommen Zeit ihres Lebens weiter als eine
Stunde von ihrem Dorfe. Die Arme sind von einer engen Messinghülse bis
zu den Ellbogen bedeckt.]

Bis zur Besitzergreifung durch die Engländer herrschte in Birma eine
durchaus +despotische Regierung+. Erbliche Ehren gab es nicht, ein
jeder konnte durch persönliche Tüchtigkeit es zu hohem Ansehen bringen,
allerdings war dabei der Günstlingswirtschaft Tür und Tor geöffnet.
Es gab eine Unmasse Beamte, von denen ein jeder durch irgend ein
besonderes Merkmal an einem Gebrauchsgegenstand oder Schmuckstück,
seien es Ohrringe, die Kopfbedeckung, der Regenschirm und so weiter als
Rangabzeichen sich kenntlich machte. Die kleinen Bürger und Arbeiter
gehörten dem Stande der Unfreien an; sie konnten jederzeit vom Könige
zu seinen Dienstleistungen als Soldaten oder Sklaven verwendet werden.

[Illustration:

    Phot. H. G. A. Leveson.

Abb. 414. Padaungfrauen mit schweren Messingringen um Hals und Beine.

Trotz des großen Gewichts der Ringe wandern die Frauen stundenweit und
verrichten alle ihre Arbeit auf dem Felde.]

[Illustration:

    Phot. N. Edwards, Littlehampton.

Abb. 415. Opfer vor einem Buddhabildnis in Rangoon.]

Die Birmanen sind Anhänger der +Lehre Buddhas+ (Abb. 415) und befolgen
auch nach außen hin deren Gebote aufs strengste. Aber im Grunde ihres
Herzens huldigen sie alle der +Geisteranbetung+. Besonders trifft dies
für die auf niederer Kulturstufe stehenden Stämme in den Bergen zu, wie
die Katschin, Karen, Tschin, Lahu, Akha, Wa und andere. Stets ist man
darauf bedacht, die Geister, von denen man sich überall, in Wald und
Flur, auf Flüssen, in den Bergen und anderwärts sonst, umgeben glaubt,
fernzuhalten. Daher trifft man außerhalb der Umfriedigung der Dörfer
Geistertore an; die Katschin legen von einem Baum zum anderen ein
Bambusrohr quer über den Weg, der zum Dorfe führt, und behängen ihn mit
Kreisen, Kreuzen und seltsamen Figuren aus gespaltenem Rohr, um dadurch
die Geister, die ein böses Gewissen haben, von dem Betreten des Dorfes
abzuhalten; sie sollen nämlich glauben, daß die verschiedenen Symbole,
die im Winde wehen, so und so viele Fallen sind, die man ihnen stellt,
und daher keine Lust verspüren, einen Umweg ins Dorf ausfindig zu
machen, sondern vorziehen umzukehren. Die Schan von Nam Hkon errichten
im Flusse ein Häuschen für die Geister (Abb. 417), hindern sie aber
daran nachts an Land zu gehen, indem sie die Verbindungsbrücke, die sie
sonst nötig haben, um ihnen ein Opfer zu bringen, einfach abbrechen.
In jedem birmanischen Hause auf dem Lande hängt in einem viereckigen
Bambusrahmen eine Kokosnuß und darüber als Turban ein rotes Stück
Zeug; dies ist der Aufenthaltsort des Magayi Nat, des Hausgeistes,
dem man täglich Opfergaben darbringt und jedes Kind, das im Hause
geboren wird, in aller Form vorstellt. Recht bezeichnend für die
Doppelreligion des Birmanen ist es, wenn er in einem Augenblick dem
Hausgeiste ein Opfer darbringt und im nächsten den Bettelmönchen auf
ihrer täglichen Runde Almosen reicht. Der Buddhismus ist eben seine
angelernte Religion (Abb. 419), die Geisteranbetung seine rituelle.
Auch jedes Dorf besitzt seinen +Schutzgeist+; er lebt im Dschungel,
und daher steht sein Altar und seine Wohnung immer im Dickicht oder
mitten in einer Bambusgruppe, auch am Fuße eines sehr großen Baumes,
meistens eines Feigenbaumes (Abbild. 418). In dieser seiner kleinen
Behausung findet man oft die Figur eines Geistes oder ein Bett, das ihm
zur Ruhestätte dienen soll (manchmal auch zwei davon, falls er seine
Frau bei sich hat) und oft mit einem winzigen Moskitonetz überspannt
ist, ringsherum ferner Wasserkrüge, Speinäpfe, Betelkästchen, alles
natürlich ~en miniature~, manchmal auch noch Flinten und Speere,
gleichfalls der Größe des Raumes angemessen, damit der Geist sie
benutzen kann, wenn er in den Kampf ziehen will. Diesen Geistern werden
an bestimmten Tagen Opfergaben dargebracht (Abbildung 421). Der Birmane
kennt auch eine regelrechte Liste seiner siebenunddreißig +Nats+ oder
+Nationalgeister+, die er sich meist in Menschengestalt vorstellt. Die
Tänze zu ihren Ehren werden stets von Frauen ausgeführt, sie entbehren
aber des Gemessenen, Künstlerischen in der Haltung der Tänzerinnen,
zeichnen sich durch wilde, tobende Bewegungen aus.

[Illustration:

    Phot. P. Klier.

Abb. 416. Ein tatauierter Birmane.

Die eintatauierten Muster unter der Hüfte pflegen Tiere, im besonderen
Tiger, von allerlei Schnörkeln umgeben, darzustellen. Die Figuren auf
dem Oberkörper und den Armen sollen Unverletzlichkeit gegen Schwert und
Schußwaffen oder Erfolg in der Liebe bezwecken.]

[Illustration:

    Phot. Sir George Scott.

Abb. 417. Geisterhaus mitten im Fluß.]

[Illustration:

    Phot. Sir George Scott.

Abb. 418. Ein Geisterschrein am Fuße eines Pipulbaumes zu Hsataw.]

[Illustration:

    Phot R. W. Marshall.

Abb. 419. Feierlicher Gottesdienst in einem birmanischen Kloster.]

Wenn der Birmane ein Wohnhaus baut, so legt er auf jeden Pfosten ein
Tuch, um den Geist, der darin wohnt, zu bedecken; diese Gewohnheit
dehnt er auch auf die Rasthäuser, die Holzbrücken und sogar auf die
Klöster aus. Vor Beginn des Wettrennens zweier Boote werden Opfergaben
in den Bug eines jeden davon für die Wassergeister gelegt, damit sie
sich nicht aus reiner Bosheit an den Kiel hängen. Der Birmane gibt
den Mönchen (Abb. 423) Almosen, er betet vor der Pagode an bestimmten
Pflichttagen (siehe farbige Kunstbeilage), wenn er jung ist, und
hält jeden Abend um die Dämmerstunde an einem geweihten Ort seine
Andacht ab, wenn er in die Jahre kommt; er zündet Kerzen an, legt
Gebetsfahnen und Blumen, auch kleine Wachsfiguren der Wesen, die
über dem betreffenden Wochentag walten, an dem er das Licht der Welt
erblickte, nieder (Abb. 424) und sagt seine frommen Sprüche her, die
er als Knabe in der Schule lernte, und doch wird er niemals in seinem
Leben es versäumen, bevor er etwas unternimmt, sein Horoskop sich
stellen zu lassen und seine +Zauberbücher+ zu Rate zu ziehen, die
ihm anzeigen, wann er zum Beispiel seiner Tochter die Ohren durchbohren
lassen, eine Reise unternehmen, mit Pflügen beginnen oder mit der Ernte
anfangen, ein Boot ins Wasser setzen, einen Einkauf machen, sich oder
seine Tochter verheiraten, ein Familienmitglied begraben oder eine
Pagode stiften soll. In fast jedem Dorfe gibt es +Geistermedien+;
gewöhnlich sind es Frauen, deren Beruf in direktem Widerspruch zu
den Lehren des Buddhismus steht; denn sie halten wie jeder andere
Gläubige ihre Andachten ab und geben den Mönchen Almosen, damit sie in
ihrem nächsten Dasein eine Stufe höher im Leben stehen. Bei Ausbruch
einer Krankheit werden sie oft herbeigerufen, um zu heilen, denn eine
Krankheit gilt stets für die Anfechtung eines bösen Geistes (Abb.
422). Bei der Ausübung ihrer Tätigkeit binden sich die Frauen meistens
ein rotes Tuch um den Kopf und beschränken ihre Geheimnistuerei
auf hysterische Gesänge und wilde Wirbeltänze, die den Kranken oft
genug anstecken. Manchmal erholt er sich dann infolge der Erregung,
oft genug aber auch bricht er vor Erschöpfung zusammen. Was für den
Birmanen die Zauberbücher, das sind für die roten Karen und Wastämme
die +Geflügelknochen+; nichts unternimmt er, ehe er diese um Rat
gefragt hat. Die Wa verwenden sie recht oft, manche von ihnen tragen
sie paarweise in den Ohren, sie sind dann oft so schmutzig und von
Alter gebräunt, daß sie wie ein altes Erbstück anmuten. -- Um Glück bei
seinen Unternehmungen zu haben, läßt sich der Birmane runde Scheiben
aus Gold, Silber oder Blei, auch aus Schildpatt oder Horn, die das Bild
eines Schweinchens, umgeben von mythischen Zeichen, eingeritzt tragen,
unter die Brust- oder Armhaut einheilen. Mancher berüchtigte Räuber
wurde mit einer ganzen Reihe solcher Glücksschweinchen, die sich durch
Knoten verraten, festgenommen.

[Illustration:

    Phot. Sir George Scott.

Abb. 420. Geisterpfeiler,

die auf einem offenen Platz inmitten jedes Dorfes der roten Karen
errichtet werden, ihre Spitzen tragen allegorische Darstellungen.]

[Illustration: Betende Menge vor einer Pagode in Rangoon.

Die Frauen sind dabei in ihre besten Gewänder gekleidet und mit Blumen
im Haar geschmückt. Sie leiern das übliche Pali ab, wissen aber im
Grunde genommen meistens nicht, um was sie bitten und an wen sie beten.]

[Illustration:

    Phot. Sir George Scott.

Abb. 421. Ein Geisterhaus (Nat-haw) zu Kyèbogyi (Karenland)

mit Opferaltären außerhalb seiner Umzäunung. Auf dem rechten Altar
liegen der Kopf und die Eingeweide eines geopferten Büffels.]

Es gibt in Birma sehr viele +religiöse Feste+, bei denen man einen
großen Pomp zu entfalten pflegt. Es finden großartige Umzüge statt
(Abb. 425 und 428), bei denen die Götter auf phantastisch ausgeputzten
Wagen (Abb. 426 und 427) heimgefahren werden, Vorführungen werden
veranstaltet, bei denen Helden und Tiere der mythischen Zeit wieder
auftauchen und anderes mehr (Abb. 429 bis 432). Am höchsten werden
davon im ganzen Lande das Neujahrsfest, das die Europäer für gewöhnlich
unter dem Namen Wasserfest (Abb. 433) kennen, und das Tawadeinthafest
(nach Ablauf der Passionszeit) (Abb. 435) geschätzt. Daneben werden
aber noch eine ganze Reihe weiterer Feste gefeiert, die aber zumeist
in die heiße Jahreszeit verlegt sind, weil es sich dann viel leichter
wandern läßt und Feldarbeit nicht verrichtet werden kann. -- Das
+Neujahrsfest+ ist ein allgemeines Landesfest. Früher wurde das Datum
dazu mühsam von den Ponna oder brahmanischen Astrologen in Mandalay
ausgerechnet. Dem Feste liegt der Gedanke zugrunde, daß der König der
Nats vom Himmel dann herabsteige und nach einem eintägigen Aufenthalte
auf der Erde dahin wieder zurückkehre. Es wird zur Erinnerung an eine
Wette zwischen dem Könige und einem Brahmanen gefeiert; der Einsatz
beider war ihr Kopf. Der Brahmane, der Athi hieß, verlor seine Wette.
Der Natskönig ließ dem Verlierer einfach den Kopf abhauen, und dieser
wandert Jahr um Jahr von einer der sieben Schwestern zur anderen.
Er ist glühend heiß und muß durch reichliches Begießen mit Wasser
kühl gehalten werden. Aus diesem Grunde begießen sich alle Menschen
gegenseitig drei Tage lang zur Erinnerung an diese Tatsache mit Wasser.
Die älteren und würdigen Leute werden bei diesem „Um Verzeihung bitten
mit Wasser“ mit Nachsicht behandelt, aber die Jugend und vor allem die
Mädchen widmen sich mit großer Begeisterung dieser Aufgabe. -- Das
+Tawadeinthafest+ will auf den Besuch Bezug nehmen, den Buddha Gautama
dem Berg Meru abstattete, um seiner Mutter, der Königin Maya, das ewige
Gesetz zu predigen. Die wichtigste Zeremonie dabei ist das Herumtragen
der Padethabäume. Unter +Padetha+ verstehen die Birmanen einen Baum,
der auf der nördlichen Insel der birmanischen Fabelwelt wachsen und an
seinen Zweigen alles mögliche tragen soll, was man sich nur wünschen
kann. In der gegenwärtigen Zeit hat er die Gestalt einer hohen Pyramide
angenommen, die mit allen nur denkbaren Gegenständen behängt ist
(Abb. 435), von Büchsen mit kondensierter Milch und Sardinen an bis
zu Waschschüsseln und Uhren. Mit diesen Bäumen stolzieren Männer
im Stadtviertel oder im Dorf umher und legen sie schließlich in der
Klosterumfriedigung nieder, wo die Mönche, je nachdem sie Zeit und
Lust haben, die Opfergaben abnehmen. Am ausgelassensten ist bei dem
Tawadeinthafeste die Jugend, die mit besonderem Interesse das Pwè
verfolgt. Ein Pwè ist eine Vorführung oder Vorstellung irgendeiner
Art; es kann sich dabei sowohl um einen Boxerwettkampf wie auch um ein
ernstes mysteriöses Schauspiel handeln. Die höchste Bedeutung legen die
Birmanen dem Pwè in Gestalt einer dramatischen Vorstellung bei. Die
Bühne ist ein mit Bambusmatten belegter Platz, in dessen Mitte immer
ein Baum steht. Die Schauspieler singen im tiefsten Alt und führen
dabei Tänze auf, die aber nach unserer Auffassung nur in künstlichen
Gliederverrenkungen und schlangenförmigen Bewegungen bestehen; dabei
spielt eine Musikbande auf, so daß die Zuhörer auf eine harte Probe
gestellt werden, zumal eine Vorstellung eine ganze Nacht, auch
mehrere Nächte und selbst ein paar Tage andauert. Aber die Birmanen
halten unentwegt so lange aus. Für gewöhnlich beginnt die eigentliche
Vorstellung, nachdem die Dunkelheit eingesetzt hat. -- Sehr ansprechend
sind dagegen die Yein oder +A-neyein Pwè+, Tänze, die von jungen
Mädchen und Kindern aufgeführt und oft wochenlang vorbereitet werden
(Abbild. 434). Den Unterricht erteilt eine richtige Ballettlehrerin,
die sehr streng vorgeht und große Ansprüche an das Können ihrer
Schülerinnen stellt. Sie gibt gewöhnlich den Kehrreim der Melodie an,
nach der getanzt wird; die meisten der Tänzerinnen fallen dann in diese
Melodie ein. Die Mädchen haben ihre buntesten Gewänder an und sind mit
Familienschmuck gleichsam überladen. Die Tänze werden sowohl stehend
wie sitzend ausgeführt und bestehen nur in rhythmischen Bewegungen der
in hohem Grade schmiegsamen Körper. Die Füße werden dabei überhaupt
nicht von der Erde gehoben; der Takt ist der Minutentakt, und der Reiz
des Ganzen liegt lediglich in den glänzenden Farben der Kleidung, der
ernsten Feierlichkeit der Tänzerinnen und in dem genauen Einhalten des
Taktes.

[Illustration:

    Phot. R. W. Marshall.

Abb. 422. Medizinmänner (Tumsa) der Katschin.

Unter gewöhnlichen Umständen sind es einfache Dorfbewohner wie alle
andern, sie arbeiten gleich den übrigen auf den Feldern, aber wenn
Geister in wichtigen Angelegenheiten um Rat befragt werden sollen,
legen sie besondere Kleider an.]

[Illustration:

    Phot. R. W. Marshall.

Abb. 423. Bettelmönche beim Auszug aus dem Kloster.

Die Mönche stehen bei Tagesanbruch auf und beginnen ihren täglichen
Bettelumzug. Sie gehen hintereinander, der Abt an der Spitze und die
übrigen dem Alter nach.]

Ganz anders dagegen sind die +Tänze der Bergstämme+ (Abb. 436), die in
wilden Bewegungen bestehen, sei es, daß es sich um Bewerbungstänze,
Totentänze oder Geistertänze der verschiedensten Art handelt. Ihnen
liegt fast immer ein religiöses Moment zugrunde; man will dadurch
die unsichtbaren Geister der Luft versöhnen. Selbst die Tänze der
Wa, wenn sie ausziehen, um Köpfe zu erbeuten, sind gewissermaßen
religiöser Natur, denn die Schädeljagd ist für sie sozusagen eine
landwirtschaftliche Notwendigkeit. Würde ein Dorf nicht jedes Jahr
seinen Schädel erhalten, dann würde der Regen ausbleiben und die
Gemeinde eine Mißernte erleben.

[Illustration:

    Phot. D. A. Ahuja.

Abb. 424. Opfergaben, die man den Mönchen dargebracht hat.

Wohlhabende Leute spenden oft am ersten Tage Blumen, am
nächsten Früchte und andere Eßwaren und am dritten allerlei
Gebrauchsgegenstände. Die sämtlichen Geschenke werden in einem Schuppen
des Klosters gesammelt; die Nachbarn kommen, um sie zu besichtigen.]

[Illustration:

    Phot. R. Grant Brown.

Abb. 425. Blumenfestzug birmanischer Mädchen und Frauen,

die in kostbare Gewänder gekleidet sind und in Gefäßen Blätter und
Zweige des heiligen Feigenbaums tragen, zur Pagode gelegentlich der
Feiertage, besonders des Neujahrsfestes.]

[Illustration:

    Phot. R. Grant Brown.

Abb. 426. Wagen bei festlichen Aufzügen.]

[Illustration:

    Phot. R. Grant Brown.

Abb. 427. Wagen beim Festzug.

Der vordere Büffelwagen trägt eine mythologische Gestalt,
Elefantenvogel genannt, der nach einem Volksspiel die Königin Kithani
davontrug. Er ist aus Bambus gefertigt und mit bemaltem rauhem Papier
überzogen; zu den Kosten steuerte ein ganzes Dorf bei.]

Die +Geburt+ eines Birmanenkindes erfordert nach altem Brauch eine
Unmasse von Förmlichkeiten, so daß dieser Akt für die Frau, abgesehen
von den wirklichen Geburtsschmerzen, zu einer wahren Qual wird. Setzen
die ersten Wehen ein, dann muß entweder die Schwangere selbst oder ihre
Mutter oder eine Freundin der Geburtsgöttin, die „Dame des Westens“
genannt -- diese Bezeichnung dürfte wohl daher rühren, daß in dem nach
dieser Himmelsrichtung hin gelegenen Teile des königlichen Palastes
die Frauen niederkamen -- eine Opfergabe darbringen, die in einer
Maß Reis, einem Vier-Anna-Stück (etwa zwanzig Pfennig) und einigen
Knoblauchknollen besteht und von den Worten begleitet wird: „Öffne
weit die Tore des Lebens, damit das neue Wesen hereintrete; Schmerz
und Trübsal mögen vorübergehen und die Freude von langer Dauer sein.“
Sodann legt sich die junge Mutter auf die Matte. Von nun an beginnt für
sie eine wirkliche Qual, die so groß ist, daß viele Birmanenfrauen es
vorziehen, ihre Kinderzahl zu beschränken. Um die Gunst der „Dame des
Westens“ sich zu erringen, nimmt sie zunächst ungekochten Reis in die
flache Hand, verbeugt sich nach dem Untergang der Sonne zu und spricht
dabei: „Erschrick mich nicht; rege mich nicht auf; tue mir kein Leid
an; raube mir nicht den Atem“, worauf sie den Reis über einen niederen
Schemel streut, den sie in der nächsten Zeit viel benutzt. Alles
Lüften hört fortan im Zimmer auf, im Gegenteil, es wird eine wahre
Backofenhitze darin unterhalten, ganz gleich, in welcher Jahreszeit
man sich befinden mag. Die Gebärende wird dreimal täglich ganz und
gar mit indischem Safran bestrichen, bekommt täglich ein heißes Bad,
wird darauf massiert und schließlich in ein etwa drei Meter langes
Tuch eingewickelt. Um den Kopf werden ihr noch fünf Turbane gelegt,
weil man annimmt, daß sie dadurch keine Kopfschmerzen bekommen wird,
und ihr heißes Wasser, in dem Safran und Salz aufgelöst sind, zu
trinken gegeben. Dieses alles aber ist erst die Vorbereitung für die
Hauptzeremonie, bei der die arme Frau auf ihrem Schemel sitzend vor
einem glühenden Feuer, dessen Wärmekraft noch durch aufgelegte Steine
erhöht wird, täglich eine Zeitlang buchstäblich braten muß. Dabei wird
sie auf dem Rücken und in den Seiten mit Kleidern und Decken reichlich
bepackt. Das Feuer brennt ununterbrochen Tag und Nacht; wohlriechende
Holzsorten finden dabei Verwendung, deren Rauch das Unglücksweib auch
noch einatmen muß. Sieben Tage lang geht dies so weiter, dann bekommt
die Entbundene ein einfaches türkisches Bad, das über einem Topfe
kochenden Wassers mit Tamarinden und anderen Blättern und Gräsern
hergestellt wird; dieses muß sie in Matten und Decken gehüllt eine
Stunde lang genießen. Darauf wird ihr ein kaltes Bad verabreicht,
damit ihr die Füße nicht anschwellen, aus dem gleichen Grunde muß sie
auch etwas umhergehen, die Zahl der Schritte, die sie dabei zu machen
hat, darf nicht unter sieben betragen. Es liegt hierin offenbar ein
Zugeständnis, daß die Förmlichkeiten bei der Geburt für die Wöchnerin
ziemlich anstrengende sind. Mittlerweile ist das Kind auch geboren
worden. Seine Mutter aber darf sich mit ihm erst vom siebenten Tage
an beschäftigen. Gleichzeitig setzt die Geburts- oder Wiegenzeremonie
ein. Kleine Zeugbeutelchen werden zunächst an den vier Ecken der Wiege
befestigt; ein jedes von ihnen enthält etwas Reis, einige Münzen,
Kokosnuß, Pipul, verschiedene Blätter, Gras und ähnliches. Sehr wichtig
ist dabei, daß in jedem Päckchen auch für den einzelnen Wochentag
bestimmte Blätter und Gräser vorhanden sind, mindestens aber dasjenige,
das dem Tage entspricht, an dem das Kind geboren wurde. Über dem Kinde
wird sodann eine Decke ausgebreitet, und, falls es ein Knabe ist,
obendrauf noch eine vollständige Männerausstattung, bestehend in einem
Hüfttuch, einer Jacke, einem Turban, einem Dolch, dem Familienschmuck
in Gold und Silber, einem Spiegel, einem Kamm, einem Rubinring, falls
solcher vorhanden ist, und mit Edelsteinen möglichst reich besetzten
Ohrzylindern gelegt. Thanaka, der Ersatz für Puder bei den birmanischen
Schönen, wird gemahlen und über das Ganze zerstäubt. Darauf füttert
man das Kind symbolisch mit ein wenig Reis und Curry in Wasser, der
sogenannten „gesegneten Speise“. Diese Zeremonie vollzieht die Hebamme,
nicht die Mutter, und zwar dreimal. Sie rasiert auch den Kopf des
Kindes (mit dem Schaum aus den Samen der Seifenakazie) und windet um
sein Handgelenk, um Hals und Fußgelenk sieben weiße Baumwollfäden.
Während man nun das dabei gewiß etwas nervös gewordene Kind sich selbst
in der Wiege überläßt, beschäftigt man sich jetzt mit dem Nat, dem
Schutzgeist des Hauses. Sein Aufenthaltsort ist eine Kokosnuß, die
in einem Bambuskorb vor der Veranda eines jeden birmanischen Hauses
aufgehängt ist; diese Behausung muß zu Anfang eines birmanischen Jahres
und zu Anfang und Ende der buddhistischen Fastenzeit gewechselt werden;
dabei achtet man aber sorgfältig darauf, daß dies nicht an einem
Mittwoch, oder am vierten, sechsten oder neunten Tage des zunehmenden
Mondes geschieht. Die Kokosnuß wird auch stets umgetauscht, wenn
ein Kind im Hause zur Welt kommt. Man teilt dieses Ereignis bei dem
Wiegenfeste dem Hausgeiste mit und bringt ihm, beziehungsweise seinem
Symbol, eben dieser Kokosnuß, Opfer dar, nämlich Bananen, Arekanüsse,
Blumen, Tee, Kuchen, Sirup, ein Ei und so weiter; die Nuß wird dabei
heruntergenommen. Ist das Kind ein Knabe, dann wird es auch noch in
zwei Stücke gelben Tuches gekleidet, womit sein Eintritt in den „Edlen
Orden des gelben Gewandes“ schon frühzeitig gekennzeichnet werden soll,
eine Vorsichtsmaßregel für den Fall, daß das Kind sterben sollte, bevor
es das Alter für den Eintritt in einen Mönchsorden erreicht hat. Der
älteste der anwesenden Männer schaukelt die Wiege siebenmal und ruft
dabei aus: „Möge das Kind hundertundzwanzig Jahre alt werden; möge
es weise werden, möge es reich werden, möge es schön werden, möge es
jedwede schätzenswerte Eigenschaft besitzen.“ --

[Illustration:

    Phot. R. Grant Brown.

Abb. 428. Prozession der Götterbilder.]

Zur +Namensfeier+ des Kindes werden alle Verwandten und sämtliche
Dorfältesten eingeladen, außerdem noch so viele Nachbarn, als man
bewirten und im Hause unterbringen kann. Dort sitzen sie, mit ihren
besten Kleidern angetan, in einem Kreise und unterhalten sich geraume
Zeit über Gemeindeangelegenheiten. Ganz plötzlich schlägt dann
einer der älteren Männer einen Namen vor, wie wenn er ihm soeben,
zum Beispiel in Verbindung mit der Meinung seines Nachbarn über die
Ernteaussichten, eingefallen wäre. In Wirklichkeit aber haben ihn die
Eltern nach vierzehntägiger Überlegung bereits ausgewählt. Da es aber
gegen die gute Sitte verstoßen würde, ihn vorher zu verkünden, machen
sie einen Fremden zum Sprachrohr ihres Wunsches.

[Illustration:

    Phot. R. W. Marshall.

Abb. 429. Eine Schauzeremonie.

Aus festlichen Anlässen werden oft Tiere der Fabel aus der Heldenzeit
aufgestellt, zum Beispiel die obige furchterweckende Tiergestalt, die
in den Geisterwäldern hausen soll.]

Wenngleich den Eltern also das Recht zukommt, ihrem eigenen Kinde einen
+Namen zu geben+, so sind sie bei dessen +Auswahl+ doch an bestimmte
Vorschriften gebunden. Es ist nicht üblich, Kinder nach ihrem Vater
zu benennen und auch nicht notwendig, daß auch nur ein Bestandteil
ihres Namens auf einen der Eltern hinweist. Familiennamen gibt es
überhaupt nicht. Der Wochentag, an dem das Kind geboren wurde, pflegt
für den Namen entscheidend zu sein. Man geht bei der Namensgebung
folgendermaßen vor: das birmanische Alphabet ist in eine Anzahl
Gruppen eingeteilt wie in alle mit k zusammenhängenden Buchstaben,
in b und seine Verwandten, in alle Zahnbuchstaben und in die Vokale.
Alle diese Buchstaben werden den einzelnen Wochentagen zuerteilt. Für
Horoskopzwecke hat man acht Planetenkörper, der achte ist Rahu, der
dunkle oder boshafte Planet, der Finsternisse hervorruft; er beherrscht
den Mittwoch von Mittag bis Mitternacht und hat den Buchstaben y ganz
für sich. Innerhalb der angeführten Schranken, die den Eltern für
die Namensgebung auferlegt sind, können sie das Kind nennen, wie es
ihnen beliebt. Ein Kind, das Sonntags geboren ist, hat alle Vokale zur
Verfügung. So zum Beispiel kann, da Maung in der birmanischen Sprache
ein männliches, Ma ein weibliches Wesen bezeichnet, ein Sonntagskind
Maung O (= Herr Topf), Ma At (= Fräulein Nähnadel), Maung Eng Saung
= (Herr Verwalter-das-Haus) oder Ma E (= Fräulein Frostig) genannt
werden. Dem Freitag gehört der Buchstabe th und h, daher wird ein
an diesem Tage geborenes Kind etwa die Namen Maung Thaw (= Herr
Geräuschvoll) oder Ma Ho (= Fräulein Drüben) führen. Unter diesen
Umständen ist es auch ein leichtes, wenn man den Namen eines Menschen
kennt, seinen Geburtstag zu wissen. Ein Mann namens Maung Lauk (= Herr
Made) kennzeichnet sich als Mittwochskind, eine Frau namens Ma Ba Tu
(= Frau Ihrem-Vater-ähnlich) als Donnerstagskind und andere mehr.
Im Grunde genommen hat ein Birmane an einem Tage jeder Woche seinen
Geburtstag; viele Menschen vom Lande haben sowohl den Monat als auch
das Jahr ihrer Geburt vergessen oder überhaupt nicht gewußt. Mit
Eintritt der Entwicklungsjahre steht es einem jeden aber frei, seinen
Namen zu wechseln. Man braucht, um dies kundzutun, nur ein Päckchen Tee
umherzuschicken und zu erwähnen, daß man fortan soundso heißen wird.

[Illustration:

    Phot. R. Grant Brown.

Abb. 430. Maskierte Figuren,

wie sie gelegentlich eines großen Festes, ähnlich wie bei dem beliebten
Vot-the oder Marionettenspiel im kleinen, verwendet werden.]

Die +Kinder+ gehen die ersten Jahre ihres Lebens, im allgemeinen bis
zum siebenten oder achten Jahre, unbekleidet einher, nur selten werden
sie bereits früher in Gewänder eingekleidet und sind dann gleichsam
Miniaturausgaben der Erwachsenen, deren Kleidung die ihrige vollständig
gleicht. Sie wachsen sorglos und im Genusse völliger Freiheit auf. Von
der frühesten Kindheit an erfreuen sich die Kleinen schon des Genusses
einer Zigarre (Abb. 437). Es ist für den zum ersten Male nach Birma
kommenden Europäer ein ganz seltsamer Anblick, wenn er kleine Mädchen
nur mit „Luft bekleidet“ neben ihren Eltern an einem Glimmstengel
ziehen sieht. Die birmanische Zigarre ist ein wahres Monstrum an
Größe und Dicke, aber sehr mild; sie besteht aus einer Mischung von
wohlriechenden Kräutern und Tabak. -- Von dem angegebenen Alter an
werden die Kinder auf jeden Fall in Kleider gesteckt und in die Schule
gesandt; soweit nicht bereits europäischer Einfluß sich bemerkbar
gemacht hat, sind dies die Klosterschulen. Die buddhistischen Mönche
nämlich sind keine Prediger in unserem Sinne, keine Verkünder des
Wortes Gottes an das Volk; nur durch ihr entsagungsvolles Beispiel
wollen sie auf dieses einwirken, dafür aber erteilen sie der Jugend
Unterricht. Die Klosterschule (Abb. 438) nun soll den Birmanenjüngling
auf das bedeutungsvollste Ereignis seines Lebens vorbereiten, auf das
Anlegen des gelben Mönchgewandes. Erst von diesem Augenblick an gilt
der Birmane für einen Mann und kann durch seine Taten sich Verdienste
für sein ferneres Leben erwerben, um sich dadurch einen Aufstieg in der
Daseinsstufe zu ermöglichen.

[Illustration:

    Phot. R. Grant Brown.

Abb. 431. Szene aus dem Taungnyospiel.

Dikyamba, der Bruder des Königs von Prome, liebte Saw Yu, die Schwester
des Schankönigs von Taungnyo. Er lebte in ihres Vaters Palast und
erhielt, nachdem sie von ihm ein Kind geboren hatte, die Erlaubnis,
sie nach Prome zu nehmen. Hier aber tötete der König von Prome seinen
Bruder und sandte dessen Weib nach Taungnyo zurück. Vor Gram starb sie
aber auf dem Wege dorthin. Die obige Szene stellt die Prinzessin dar,
die zum König bittet, und ihren Gatten, der das Kind hält.]

[Illustration:

    Phot. D. A. Ahuja.

Abb. 432. Öffentliche Aufführung in Birma.

Zwei Personen, die einen Prinzen und eine Prinzessin darstellen,
tanzen zur Musik. Das wichtigste Instrument einer birmanischen
Musikkapelle ist das Saing-Kaing, ein kreisförmiges Gestell mit
achtzehn zylindrischen Trommeln in seinem Innern, und ein zweites
ähnlich gebautes mit Gongs, die alle auf einen Ton abgestimmt sind.
Die Stimmung auf einen bestimmten Ton wird bei den Trommeln mit einer
Mischung aus gekochtem Reis und Asche, bei den Gongs mit Bienenwachs
erreicht.]

Für die +Aufnahme in den Orden+ ist ein Mindestalter von zwölf Jahren
vorgeschrieben, allerdings wird der so frühzeitig Aufgenommene dann
hier Novize oder Upazin. Erst mit zwanzig Jahren kann er wirkliches
Mitglied (Akoluth oder Shin) werden. Die Mehrheit der Birmanen
zieht es vor, als Knaben einzutreten, weil sie möglicherweise sterben
könnten, bevor sie das Mannesalter erreicht haben. Die Aufnahme
spielt sich mit großem Gepränge ab. Der Knabe wird, mit möglichst
viel Schmuck beladen, auf einen Pony oder in einen Wagen gesetzt
und im Zuge unter einem goldenen Schirm durch die Straßen geführt;
er spricht unterwegs bei allen Freunden und Bekannten vor, die ihm
moralische Ratschläge geben, und, was eigentlich die Hauptsache ist,
zu den Unkosten der Feierlichkeit beitragen sollen. Alle Verwandten,
in ihre schönsten Gewänder gekleidet, begleiten den Knaben in dem
Zuge, den eine Musikkapelle mit ihren lustigen Weisen eröffnet. Vor
dem Kloster, wo der Umzug endet, legt der Knabe all seinen Putz ab
und zieht sich ein weißes baumwollenes Gewand dafür an. Sein langes
Kopfhaar wird ihm abgeschnitten (Abb. 439), der Kopf rasiert (Abb.
443), mit Safran eingerieben und mit dem Absud von Seifenakaziensamen
gewaschen. Die Haare werden der Mutter oder den Schwestern übergeben,
die, wie es scheint, sich später Zöpfe daraus machen lassen. Nach
diesen Vorbereitungen kniet der Knabe vor den Mönchen nieder, sagt
seine Formel her, mit der er um Aufnahme als Novize bittet, und wird
sodann in aller Form in die Kleider gehüllt, die die Eltern für ihn
beschafft haben. Jetzt ist er zum Mann geworden und dokumentiert dies
auch nach außen hin, indem er sich tatauieren läßt. Der ganze Körper
wird von der Hüfte bis zum Knie mit Tiergestalten (Tigern, Löwen,
Affen und so weiter) und um diese herum mit kabbalistischen Zeichen
als Einfassung bedeckt, und erweckt auf den Beschauer den Eindruck,
als ob sein Besitzer Kniehosen anhätte (Abb. 416). Ein Mann, der sich
in dieser Weise nicht hat tatauieren lassen, gilt für einen Feigling;
er rafft aus diesem Grunde auch nicht sein Lendentuch auf, besonders
nicht, wenn Mädchen in der Nähe sind. Diese Tatauierung wird in blauer
Farbe ausgeführt. Zu ihr gesellt sich vielfach noch eine rote an dem
Oberkörper, die den Zweck haben soll, sich die Liebe der Mädchen zu
erringen oder Unverletzbarkeit gegen Krankheiten zu erlangen. Mädchen
werden nur dann tatauiert, wenn sich Bewerber für sie nicht einfinden
wollen.

[Illustration:

    Phot. Sir George Scott.

Abb. 433. Wasserfest der Birmanen

zur Erinnerung an den Besuch eines birmanischen Königs auf einem
„magischen Floß“ in den Schanstaaten vor vielen Jahrhunderten. Das
Bild, das dieses Fahrzeug darstellt, wird für elfeinhalb Monate im
Kloster aufbewahrt, aber jedes Jahr im Oktober in einem festlich
geschmückten Boote für einige Wochen auf dem See umhergefahren.]

[Illustration:

    Phot. Sir George Scott.

Abb. 434. Birmanischer Tanz (Yein Pwè), ausgeführt von jungen Mädchen,
die dazu besonderen Unterricht erhalten.]

Die +Mädchen+ stehen auf einer viel niedereren Stufe als die Knaben;
sie werden nicht für voll angesehen. Sie dürfen weder in ein Kloster
noch in ein Stift eintreten. Das Beste, was sie erhoffen können und
weswegen die meisten von ihnen inbrünstig mit Blumen in den Händen
in demütiger Haltung vor den Altären und Pagoden beten (Abb. 440),
ist, daß sie zu ihrem nächsten Erdendasein als Männer auf die Welt
kommen. Um den gleichen Zeitpunkt herum, zu dem die Knaben ihr gelbes
Gewand anlegen und sich tatauieren lassen, also etwa um das zwölfte
bis dreizehnte Lebensjahr, manchmal auch schon früher, werden ihnen
die Ohren durchbohrt (Abb. 442). Die gute Sitte erfordert nämlich, daß
kein Mädchen irgendeinen Schmuck anlegt, bevor es nicht diese Operation
durchgemacht hat. Diese nimmt ein Ohrenbohrer von Beruf mit silbernen
oder goldenen Nadeln vor, führt sie aber nicht eher aus, als bis der
Astrologe, der das Horoskop des Mädchens studiert hat, ihm sagt, daß
jetzt der günstige Augenblick gekommen sei. Mit teils freudigem, teils
ängstlichem Gefühl sehen ihm die Mädchen entgegen; sie verfallen unter
Umständen in eine Art hysterische Aufgeregtheit und müssen gewaltsam
niedergehalten werden. Um ihr Geschrei bei dem Eingriffe zu ersticken,
spielt eine Musikbande laute Weisen auf. Der Operateur legt einen
Kork unter das Ohr und sticht die Nadel durch das Ohrläppchen. Die
Nadeln bleiben eine Zeitlang in der Wunde und werden jeden Tag ein-
bis zweimal hin und her bewegt, bis die Haut heil ist. Dann werden
sie durch Grashalme ersetzt; täglich kommt ein neuer hinzu, bis die
Öffnung so groß geworden ist, daß man einen Finger hindurchstecken
kann. Der birmanische Ohrschmuck besteht weniger in einem Ohrringe,
als vielmehr in einem Stifte oder einer Tube. Für gewöhnlich trägt
man Bernsteinstifte, die Reichen tragen bei festlichen Gelegenheiten
goldene Tuben, die an ihren Enden mit Steinen besetzt sind. Die Armen
begnügen sich mit hohlen Tuben aus Glas, recht häufig auch nur mit
festen Papierrollen. Auf dem Felde oder auf dem Wege zum Basar tragen
die Mädchen oft auch Ersatzzigarren in den Ohren. -- Beim männlichen
Geschlecht beschränkt sich die Ohrläppchendurchbohrung auf die Reichen.
Die mit Diamanten besetzten Ohrtuben der Schanhäuptlinge gehören in
den meisten Fällen zum Staatsschatze und gehen von einem Häuptling auf
seinen Nachfolger über.

[Illustration:

    Phot. Underwood & Underwood.

Abb. 435. Tawadeinthafest mit Padethabäumen.]

[Illustration:

    Phot. Sir George Scott.

Abb. 436. Szene aus einem Tanz der Padaungmänner.

Einer schlägt die Trommel zum Ton einer Flöte und ein anderer geht
dabei auf und ab oder setzt sich nieder und steht abwechselnd auf
zwischen Trommelfell und Trommelschläger. Eine Strafe muß von ihm
bezahlt werden, wenn er dabei von diesem berührt wird. Das Ganze ist
mehr ein Trick als ein Tanz.]

Mit dem Augenblick der Aufnahme in den Orden ist der Knabe zum Mann,
mit dem Augenblick der Ohrdurchbohrung das Mädchen zur Frau geworden.
Es hat jetzt das Recht erworben, Juwelen zu tragen und die Lehrzeit
im Spinnen, Weben, Kochen und Wassertragen überwunden. Zum Zeichen
dessen, daß sie nun erwachsen sind, eröffnen die meisten Mädchen im
Basar oder auf dem Markte ihres Heimatsdorfes eine Verkaufsbude. Hier
verkaufen sie alle nur denkbaren Gegenstände (Drogen und Medikamente
ausgenommen); die reicheren handeln mit Vorliebe mit Seide. Der
Verkehr mit dem Publikum schärft ihren kaufmännischen Blick, fördert
ihre Auffassungsgabe und läßt sie Kenntnisse sammeln, die sie später
zu der fähigeren Ehehälfte machen. Außerdem hat dieser Umstand noch
den Vorteil, daß die Mädchen mit den Jünglingen Bekanntschaften
anknüpfen. Hat das Mädchen einen weiten Weg zu ihrem Verkaufsladen,
so geht es im einfachen Hauskleid dorthin und putzt sich erst an
Ort und Stelle. Da der Stand ringsum offen ist, so kann jedermann
Zeuge von der Vornahme ihrer Toilette sein. Zu allererst gibt sich
das Mädchen Teint, indem es Thanaka, eine Paste aus feingemahlener
Borke und der Wurzel eines Strauches, auf das ganze Gesicht und den
Hals aufträgt. Da die Paste ungefähr eine Stunde zum Eintrocknen
gebraucht, so benutzt es die Zwischenzeit, um ihr Haar in Ordnung zu
bringen. Sie kämmt und flechtet es, salbt es mit Kokosnußöl ein und
befestigt es mit einer Nadel. Bei erwachsenen Mädchen ist das Kopfhaar
ziemlich lang; man bemißt es nur nach Armlängen. Aber bei jüngeren
muß dem Chignon durch Flechten nachgeholfen werden, die zumeist von
dem abgeschnittenen Haar der Brüder herstammen. Nach Beendigung der
Haarfrisur wird auf das inzwischen trocken gewordene Gesicht eine Art
Schmelz in die Haut eingerieben. Zum Schluß werden noch die Augenbrauen
nachgezeichnet und eine gelbe Blume, eine Rose oder eine Orchidee, in
das glänzende, rabenschwarze Haar gesteckt. Ein graziös um Hals und
Schultern geschlungener Schal vervollständigt die Toilette, und ein
Blick in den Spiegel überzeugt das junge Mädchen, daß es sich sehen
lassen kann. Es zündet sich nun eine Zigarre an und plaudert lustig
mit seinen Nachbarinnen, den Vorübergehenden und den Käufern. Dabei
benimmt es sich aber durchaus dezent, spricht ungezwungen und harmlos
mit jedermann und nimmt gelassen und leidenschaftslos die Komplimente
entgegen, geradeso als wüßte es nur zu gut, daß es im Besitze der „fünf
Schönheitspunkte der vollendeten Frau“ ist. Einem Birmanen kommt es
niemals in den Sinn, einem Mädchen öffentlich den Hof zu machen; er
sagt ihm wohl im Vorübergehen gelegentlich Komplimente, die sie mit
einem verächtlichen Hintenüberwerfen des Kopfes und einem Blick aus den
schwarzen Augen quittiert, er denkt aber nicht daran, vor oder in der
Bude herumzustehen und einen Flirt zu beginnen. Alle Klatschmäuler des
Ortes würden sonst ihre Köpfe zusammenstecken und über ihn herfallen.
Der rechte Ort für eine Werbung ist die Wohnung des Mädchens, wofür
auch nach altem Brauche eine bestimmte Stunde festgesetzt ist.
„Burschen-gehen-Werbezeit“, „Treu-Liebender-Stelldichein“ ist die
landesübliche Bezeichnung für den Zeitraum zwischen acht und zehn
Uhr abends. Wer ernste Absichten hat, wählt diese Zeit aus. Indessen
geht alles dabei in Ehren zu. Sogar feste Grundsätze herrschen über
diese Zusammenkünfte. Jedes Dorf oder jedes Stadtviertel hat nämlich
einen sogenannten Junggesellenführer, dem die Aufgabe zufällt, solche
Zusammenkünfte für Liebende zusammenzubringen. Die Jünglinge treffen
sich auf Verabredung und marschieren unter Führung dieser Personen
geschlossen durch den Ort; wo ein Verehrer seine Liebste wohnen
hat, bleibt er zurück und gibt durch ein besonderes Kennzeichen zu
verstehen, daß er angekommen sei. Manche spielen die Flöte, andere
klatschen sich mit der rechten Hand auf den linken Arm oder husten,
noch andere rufen „Ma Meit (Fräulein Liebchen), bist du da?“ und so
weiter. Die Erlaubnis zum Betreten der Wohnung, in der das junge
Mädchen angeputzt und siegesbereit dasitzt, wird fast niemals
verweigert. Die Eltern sind in der Regel zunächst anwesend, nachdem sie
aber lange genug über das Wetter, die Ernte oder irgendein anderes
Ereignis geplaudert haben, schützen sie Müdigkeit vor und ziehen sich
zurück. Indessen können sie, wenn sie es wollen, von ihrem Schlafzimmer
aus durch Gucklöcher das Treiben des jungen Paares beobachten, und
erörtern manchmal mit hörbarer und staunenswerter Offenheit das Äußere
des Jünglings. Dieser bringt die Bewerbung seiner Angebeteten vor,
zumeist in ganz poetischer Form, wie er es selbst vermag oder aus
Liederbüchern gelernt oder auf der Bühne gesehen hat. Das Mädchen
beschränkt sich für gewöhnlich aufs Zuhören oder auf kurze Antworten.
Ein Küssen während der Brautzeit gilt für sehr unschicklich, auch
schon das Sich-die-Händegeben für unfein. Der Dauer des Besuches wird
nach der schicklichen Zeit von dem Junggesellenführer draußen durch
krampfhaftes Husten oder, wenn dies nicht genügt, durch deutlichere
Bemerkungen eine Grenze gesetzt.

Die +Birmanin+ hat völlige Freiheit in der Wahl ihres Lebensgefährten,
und die Eltern treten keineswegs hindernd dazwischen. Sie regeln aber
doch die Einzelheiten der an sie zu zahlenden Summe, lediglich eine von
früher her überkommene Sitte. Entführungen sind durchaus keine seltenen
Erscheinungen und werden von den Eltern auch zumeist geduldet. Alles,
was die Frau in die Gemeinschaftsehe mitbringt, bleibt ihr Eigentum.
Bei einer Trennung steht ihr das Recht zu, es wieder mit sich zu
nehmen, desgleichen die Hälfte dessen, was gemeinsam erworben wurde,
sowie eine etwaige Erbschaft, die ihr während der Ehe zufiel.

[Illustration:

    Phot. D. A. Ahuja.

Abb. 437. Birmanenjunge beim Rauchen.]

Die birmanische +Heirat+ ist eine rein bürgerliche Zeremonie, nur
das Öffentliche dabei macht sie bindend. Nachdem im Elternhause das
Brautgemach hergerichtet worden ist, werden alle Verwandten und Freunde
zu einem großen Feste eingeladen, bei dem die eigentliche Trauung nur
eine unbedeutende Rolle spielt. Sobald ein Astrolog den Augenblick für
günstig erklärt hat, legt das Paar seine Hände flach aneinander und
steckt sich gegenseitig Reiskörner aus einer Schüssel in den Mund.
Damit ist der Zeremonie Genüge geleistet. Viel wichtiger ist noch die
Übergabe des bei der Verlobung ausbedungenen Geldes und der Geschenke
durch die Eltern des Bräutigams.

Auf dem Lande herrscht noch der Brauch, daß Junggesellen in der
Hochzeitsnacht Steine auf das Dach der Neuvermählten werfen. Diese
Sitte, von der man sich durch ein paar Rupien loskaufen kann, scheint
nicht unflätigen Motiven entsprungen zu sein, sondern ihre Entstehung
der folgenden Sage zu verdanken. Zu Anfang der Welt hatte es fünf
Männer und nur vier Frauen gegeben; als sie sich nun zu Paaren
zusammengeschlossen hatten, konnte der übrig bleibende Junggeselle
seinen Groll und seine Gefühle nicht meistern und hatte in der Nacht
seinem Unwillen in der geschilderten Weise Ausdruck gegeben.

[Illustration:

    Phot. P. Klier.

Abb. 438. Unterricht der in den Mönchorden Neuaufgenommenen.]

Bei den weniger zivilisierten Birmanenstämmen dagegen trifft man
vielfach noch umfangreiche +Ehezeremonien+ an, sie sind hier überall
stark mit Brahmanismus durchsetzt. Schon bei den Schan ist dies der
Fall, noch mehr aber bei den Katschin. Bei den Katschin wird das
Hochzeitsfest damit eingeleitet, daß man Hühner, Schweine, selbst
Ochsen oder Büffel schlachtet, den Hausgeistern Opfer darbringt und
ihnen unter Gesang und Gebeten für das Wohl der zukünftigen Eheleute
die Braut vorstellt. Darauf bereitet man vor dem Hause einen Kamphan
vor, das heißt man steckt in einer Länge von etwa hundertfünfzig
Zentimetern Bündel von Halmen in die Erde und legt in der Mitte dieser
Reihe ein Brett über den Boden. Gegen Mittag erscheinen nun einige
Matronen, die noch einen Gatten am Leben haben und eine zahlreiche
Kinderschar besitzen, mit einem Gefäß voll Branntwein und einem
zweiten voll Bier bei dem Lakya Wa, einem angesehenen Dorfbewohner,
zu dem die Braut am Vorabend gebracht wurde, geben ihr davon zu
trinken und holen sie ab. Zwei Ehrenjungfrauen folgen ihr, die eine
mit Zeremonialhellebarden auf der Schulter, die andere mit Säbeln
und anderen Geschenken in ihrem Tragkorb. Sobald man sie ankommen
sieht, opfert man beim Kamphan zweien Geistern Hühner, oft auch ein
ganzes Schwein und spritzt Blut umher. Sodann führt eine der Matronen
die Braut an der Hand mitten durch den Kamphan, dadurch wird sie
gereinigt und für die Zukunft von den Hausgeistern, die ihr folgten,
befreit. Gleitet sie auf der Planke beim Überschreiten aber aus,
dann gilt dies für eine böse Vorbedeutung (kurzes Leben); bleibt ihr
Kleid von den Blutspritzern frei, dann glaubt man, daß sie lange
leben und eine große Nachkommenschaft haben wird. Nun wird die Braut
auf einer neuen Treppe ins Haus geführt; besteigt sie diese mit dem
rechten Fuß, dann bekommt sie als erstes Kind einen Knaben, im anderen
Falle ein Mädchen. An der Schwelle empfängt sie die Schwiegermutter
und legt ihr ein silbernes Halsband als Zeichen der Aufnahme um; im
Zimmer der Schwiegereltern legt die Braut die Geschenke nieder, die
ihre Brautjungfern mitbrachten, und wird dem Gatten zugeführt, den
sie oft jetzt erst zum ersten Male erblickt. Man läßt beide sich auf
eine Matte niedersetzen, gibt ihnen Branntwein zu trinken und von
einem Stück Tabak zu kauen. Darauf verteilen die junge Frau und die
Ehrenjungfrauen an alle Teilnehmer zahlreiche Prims, die die Eltern des
Gatten geliefert hatten, und gehen an den Brunnen, wo sich die junge
Frau von etwaigen Sünden, die ihr anhaften, reinigt und Wasser schöpft,
das sie am Abend beim Zeigen ihrer Kochkünste verwertet. Inzwischen
haben einige Mundschenken Bier oder Branntwein herumgereicht und die
Köche das Fleisch der Opfertiere und Reis zu Gerichten gekocht, die von
den Anwesenden genossen werden. Die Freunde der Familie veranstalten
eine Sammlung zur Deckung der Unkosten. Die Eltern der jungen Frau
nehmen nicht an diesen Feierlichkeiten teil, am Abend senden ihnen
die jungen Leute aber eine Keule und den Schwanz vom Opferschwein und
einen Teil des Brautpreises; der Rest wird nach und nach bezahlt. Zur
Nacht setzen sich die Festlichkeiten fort. Die junge Frau muß zunächst
ihre Talente im Kochen entwickeln; sie stellt einige Gerichte mit
Hilfe ihrer Brautjungfern her und verteilt sie an die Festgenossen.
Diese kosten sie und pflegen dann auszurufen: „Ah, wie vorzüglich,
möge die Jungvermählte lange leben, eine zahlreiche Nachkommenschaft
haben“ und so weiter. Wenn alle Welt satt geworden ist, hält ein Dumsa
noch die Zeremonie des ~num lani de~ ab. An jeder Seite des Herdes im
Zimmer der Eltern stellt er zwei Paare von alten Zeremonialwaffen und
einen Bambusstab auf, an dem ein Bündel Hirse befestigt ist, und legt
davor weibliche Kleider und Schmucksachen, einen Topf, einen Dreifuß,
Krüge mit Bier und Branntwein, einen Schweineschlegel und so weiter.
Neben dem Herde nehmen die junge Frau und ihr Gefolge Platz. Der Dumsa
macht nun allerhand Hokuspokus. Er ladet wohlwollende Geister ein,
treibt übelgesinnte aus, erzählt eine Geschichte von dem Ursprung
der Ehe, die ganz verschieden ausfällt, je nachdem es sich um einen
Mann aus dem Volke oder um einen Vornehmen handelt, und wendet sich
schließlich unter Hinweis auf die beim Herde niedergelegten Gegenstände
an die junge Frau mit den Worten: „Dies ist alles für euch. Möget
ihr hart werden wie diese Waffen, mögest du schön bleiben wie diese
Schmuckstücke, gut sein wie dieser Branntwein und dieses Fleisch, möge
euch dieser Topf lange zum Kochen des Reises für eure Schwiegereltern
dienen und möget ihr euch vermehren wie die Körner der Hirse.“ Nach
Beendigung dieser Zeremonie reicht man dem jungen Paar Branntwein,
Bier und ein Blatt mit einer Mischung von Reis und Hühnerfleisch. Der
Mann reicht der Frau die Tassen mit den Flüssigkeiten an die Lippen,
um sie davon kosten zu lassen, und bietet ihr etwas von der Speise
an, dasselbe tut die Frau mit dem Ehegatten. Der Rest der Speisen
und Getränke wird an die Ehrenjungfrauen und an die Jugend verteilt.
Damit ist die Hochzeitsfeierlichkeit beendet. Am anderen Morgen findet
Empfang der Vornehmen des Ortes und der Freunde statt, die von den
Getränken kosten und ihrerseits den Jungvermählten alles Glück wünschen.

Bei den Karen, wo +Endogamie+ herrscht, bestehen bestimmte
Heiratsverbote, die aber nach den verschiedenen Stämmen ganz
verschieden ausfallen. Der eine Stamm gestattet die Heirat nur unter
nahen Verwandten, ein anderer erlaubt eine eheliche Vereinigung
nicht nur außerhalb der Familie, sondern auch außerhalb des Stammes
und selbst der Rasse. Bei den Tschinvölkern anderseits treffen wir
+Exogamie+ an, das heißt die Heirat ist zwischen Mitgliedern des
gleichen Stammes, des gleichen Dorfes oder der gleichen Gruppe
verboten. Geradezu beängstigend sind die Eheverbote bei den Bergkaren.
Hier sind der Heirat so zahlreiche Schranken gesetzt, daß es viele alte
Junggesellen gibt, die deswegen keine passende Frau finden konnten
und daher Zeit ihres Lebens in den Junggesellenhäusern zubringen.
Diese Einrichtung der +Junggesellenhäuser+ finden wir nicht nur
bei den Karen, sondern auch bei verschiedenen anderen birmanischen
Volksstämmen, wie den Luschai, Kuki, Padaung. Bei den Bergkaren sind
die Junggesellen durch eine besondere Tracht kenntlich gemacht; sie
tragen eine Art Muscheljacke mit Samenkörnern oder Muschelgeld besetzt,
Halsketten aus farbigen Steinen, Perlen oder Schilfsamen, an denen ein
Eberhauer auf die Brust herabhängt, in den Ohren große silberne Tuben
und bei manchen Stämmen über der Stirn noch eine mit Muschelgeld und
einem Reisstengelbündel verziertes Band. Heiratet ein Junggeselle, dann
bekommt zunächst seine Frau den ganzen Schmuck, später geht er auf den
ältesten Sohn über.

[Illustration:

    Phot. R. Grant Brown.

Abb. 439. Die Zeremonie des Haarabschneidens.]

Da die Birmanen sich einer ausgezeichneten Gesundheit erfreuen, viel
auf dem Lande leben und die Städte, bis auf einen gelegentlichen
Besuch, zu meiden pflegen, so haben die +Ärzte+ wenig mit Krankheiten
zu kämpfen. Es ist dies auch ein Glück für die Patienten, denn die
einheimischen Heilkundigen sind alles andere als wissenschaftlich
ausgebildete Mediziner. Man unterscheidet ihrer zwei Arten, die
Drogisten und die Deitisten, dazu kommen für ernste Notfälle noch die
Geisterdoktoren. Die Drogisten verabreichen, gewöhnlich zum Schaden
ihrer Klienten, diesen alle nur denkbaren und unmöglichen Heilmittel,
die aus tierischen, pflanzlichen und anorganischen Substanzen
zusammengebraut sind. Ein Medikament, das aus hundertsiebenundvierzig
Bestandteilen sich zusammensetzt, muß doch eine Wirkung äußern,
entweder so oder so. Die Deitisten verlassen sich in der Hauptsache
auf Glaubensheilungen und beschränken ihre Verordnungen, wie es
scheint, auf Nahrungsvorschriften, die darauf hinauslaufen, daß der
Kranke nur solche Lebensmittel genieße, deren Namen mit einem der
Buchstaben beginnen, die dem Wochentage zuerteilt sind, an dem er
geboren wurde. Der Geisterdoktor ist der gefürchtetste von allen, denn
er pufft und knufft den armen Kranken, dem er Beistand leisten soll,
nach allen Regeln der Kunst unter dem Vorwande, er treibe den Geist
des Fiebers, der Kolik und so weiter, der von seinem Körper Besitz
ergriffen habe, aus. Daher ruft man ihn, der am unbeliebtesten ist,
erst, wenn es sozusagen Matthäi am letzten steht.

[Illustration:

    Phot. P. Klier.

Abb. 440. Birmanenmädchen in Anbetung vor einem Götterschrein.

Sie halten in den gefalteten Händen Opferkerzen. Neben dem ersten
Mädchen liegt eine große grüne Zigarre, die es sich sofort anzündet,
wenn es sein Gebet beendet hat.]

[Illustration:

    Phot. R. Grant Brown.

Abb. 441. Einweihungszeremonie.

Dem Kinde werden sieben Baumwollfäden um das Handgelenk gebunden.]

Einen +Todesfall+ geben die Angehörigen den Nachbarn stets durch
lautes Wehgeschrei kund. Sofort wird eine Musikkapelle geholt, um
ununterbrochen bis zur Beerdigung aufzuspielen. Der Leichnam wird
auf der offenen Veranda gewaschen, von der Brust abwärts in ein
weißes Baumwolltuch gehüllt und in die buntesten Gewänder gekleidet.
Darauf werden ihm die beiden Daumen und die beiden großen Zehen
zusammengebunden, wenn möglich mit Haaren des Sohnes oder der Tochter,
falls aber keine Kinder vorhanden oder solche Haare nicht zu beschaffen
sind, mittels gedrehter weißer Baumwolle. Es wird dem Verstorbenen
außerdem noch eine kleine Münze in den Mund gesteckt, um damit die
„Fahrgebühren“ bei der Reise ins Land der Geister zu bezahlen. Dieses
alles besorgen die Verwandten. Die weitere Behandlung der Leiche, um
sie für die Einsargung vorzubereiten, ist Aufgabe einer besonderen,
tiefstehenden Kaste, der Sandala. Der Sarg wird aus ganz leichtem
Holze angefertigt und trägt einen turmähnlichen Aufbau, der aus Bambus
hergestellt und daher ebenfalls ganz leicht ist und mit allerlei
Flittergold und buntem Papier behangen wird. Die Sandala graben auch
das Grab auf dem Friedhofe aus, der immer westlich von der Ortschaft
gelegen sein muß, unter keinen Umständen östlich davon, da diese
Richtung die unglückbringende ist, auch nicht nach Norden, weil
dorthin der Kopf des Gautama Buddha bestattet liegt. Dem nächsten
Kloster sendet man, zum Heile des Verstorbenen, besondere Opfergaben
in Eßwaren, dafür kommen ein paar Mönche und lesen Gebete und fromme
Sprüche aus heiligen Büchern vor, um die Geister, die vielleicht sich
einfinden und Unheil anrichten könnten, fernzuhalten. Aus dem gleichen
Grunde spielt auch die Kapelle unentwegt auf der Straße. Trauerkleider
werden beim Begräbnis nicht getragen; die Leidtragenden kommen alle
in ihren besten Gewändern, wie zu einem heiteren Fest. Man sieht es
gern, wenn Mönche dem Trauerzuge vorangehen, der sich aus Angehörigen
beiderlei Geschlechtes zusammensetzt; die Männer gehen aber von den
Frauen getrennt. Fremde schließen sich oft dem Zuge aus Pietätsgründen
an und werden wie alle Teilnehmer von den Frauen mit Erfrischungen
und Zigarren bedacht. Der Trauerzug macht vor der Leichenhalle halt;
hier hört die Musik zu spielen auf. Die Mönche lesen hier noch einmal
Auszüge aus den heiligen Schriften zum Heile der Lebenden wie des
Toten vor und ziehen sich dann gleichfalls zurück. Der Sarg wird
zum Grabe getragen und, ehe man ihn versenkt, mehrmals hin und her
geschwenkt. Die nächsten Angehörigen streuen stumm ein paar Hände
voll Erde über die Bretter, dann schütten die Sandala das Grab zu.
Jetzt ist es noch die Aufgabe des ältesten männlichen Verwandten,
den Geist des Verstorbenen einzufangen und mitzunehmen. Nach dem
Glauben der Birmanen ist dieser Geist, Leipbya (das heißt sehr sinnig
„Schmetterling“) genannt, solange der Mensch lebt und wach ist, bei
ihm; wenn er schläft, verläßt er ihn auf einige Zeit, weswegen man
einen schlafenden Menschen nicht plötzlich wecken darf, es könnte sonst
seine umherschweifende Seele nicht beizeiten zurückkommen und der
Betreffende sterben; wenn der Mensch aber tot ist, dann muß der Leipbya
eingefangen werden, um nicht auf dem Friedhof zurückzubleiben und zum
bösen Geist zu werden. Zu diesem Zwecke hält der bejahrte Verwandte
ein Taschentuch hin, ruft die Worte aus: „Komm mit uns mit“ und drückt
es darauf plötzlich zusammen; er glaubt dadurch den entkörperten Geist
eingefangen zu haben. Das Taschentuch wird nach Hause mitgenommen, hier
sieben Tage lang zwischen zwei Hauspfosten auf der linken Seite der
Eingangsstufen untergebracht, und am siebenten Tage bei Anwesenheit der
Mönche, die eine Art Läuterungsfest veranstalten, auseinandergenommen.
Damit ist die Gefahr, daß der Geist des Verstorbenen nach dem Friedhof
zurückkehren und ein Ghul werden könnte, beseitigt. Reiche Leute
bewirten die leidtragenden Gäste während dieser sieben Tage; wenn
ärmere dies tun, geraten sie dabei leicht in Schulden.

[Illustration:

    Phot. R. W. Marshall.

Abb. 442. Die Zeremonie des Ohrdurchbohrens in Birma.]

Früher war +Leichenverbrennung+ allgemein üblich, jetzt beschränkt sich
diese Sitte auf einzelne Landesteile. Die drei nächsten Verwandten
sammeln die übrig gebliebenen Knochen, waschen sie in wohlriechendem
Wasser oder Kokosnußmilch, wickeln sie in weiße Watte und legen sie
in einen Krug. Dieser kommt zunächst ins Haus zurück, wird aber nach
dem Läuterungsfest in der Nähe eines Klosters oder einer Pagode in der
Erde beigesetzt. Ein hölzerner Turm wird als Denkmal über dem Grabe
errichtet; wenn er verfallen ist, kennt niemand die Stätte mehr. Reiche
Leute gestatten sich einen massiven Pfosten oder auch einen gemauerten
Turm. Pagoden werden über königlichen Toten errichtet, können auch über
Mönchen oder Häuptlingen (bei den Schan) erbaut werden.

[Illustration:

    Phot. D. A. Ahuja.

Abb. 443. Jünglinge nach ihrer Aufnahme in den Mönchorden.

Ihre Köpfe sind rasiert.]

[Illustration: Abb. 444. Der letzte Erzbischof von Birma,

der zwei Jahre lang einbalsamiert vor seiner Einäscherung aufgebahrt
lag.]

[Illustration: Verbrennung der Leiche eines Mönchs in Birma.

Wenn ein birmanischer Mönch gestorben ist, so wird er nicht beerdigt,
sondern stets verbrannt. Der Scheiterhaufen wird aus Bambusrohr
aufgebaut und das Ganze wird über und über mit Goldpapier und Flitter
bedeckt. Der Aufbau nimmt lange Zeit in Anspruch; von allen Seiten
führen Seile zu ihm empor, an denen Raketen befestigt sind. Die Rakete,
welche die Spitze entzündet, soll dem Dorf, das sie gestiftet hat,
Glück bringen. Die Menge umtanzt den Scheiterhaufen mit hellem Jubel.]

[Illustration:

    Phot. Klier.

Abb. 445. Birmanisches Leichenbegängnis.]

Das Begräbnis eines angesehenen Mannes pflegt keine besonders
großartige Feier zu sein, dagegen wird reichlicher Pomp beim +Tode
eines Mönches+ entfaltet (Abb. 445). Je älter ein Mönch und je
größer die Zahl der Fasten war, die er im Kloster ausübte, um so länger
wartet man mit seinem Begräbnis, denn es müssen zuvor noch die Gelder
für die Feier eingesammelt werden. Hat ein Bettelmönch kein Vermögen
hinterlassen, so wird das Kloster, selbst wenn es Geld besitzt, doch
dem Volke nicht die Gelegenheit nehmen, sich durch eine gute Tat
verdient zu machen. Unter Umständen kann oft ein Jahr vergehen, oder
noch mehr Zeit, ehe genügend Mittel zusammengekommen sind, um dem
Haupte eines Klosters die gebührenden Ehren zu erweisen. Daher wird
der fromme Mann sofort, meistens indem der Leichnam in Honig gelegt
wird, einbalsamiert (Abb. 444). Der Sarg, der aus einem Stück Holz
geschnitzt ist, wird noch von einem vergoldeten und reich verzierten
Behälter in Form eines Gerüstes mit einem Baldachin umgeben und in
einem provisorischen Gebäude, Nirwanakloster genannt, untergebracht.
Ringsherum werden überraschenderweise sehr oft eine Anzahl ganz
unzüchtiger Bilder angebracht; sie sollen indessen die Versuchungen
darstellen, denen der heilige Mann widerstand. Hier verbleibt der Sarg,
bis alle Vorkehrungen zu der „Rückkehr in die große Herrlichkeit“,
wie man die Feuerbestattung eines Mönches zu nennen pflegt, getroffen
sind; dies ist im Februar oder März der Fall, wenn der Reis eingeerntet
ist und die Landbevölkerung viel Geld in den Händen hat. An dem
festgesetzten Tage errichtet man auf einem Hügel oder einem freien
Platze einen mächtigen Scheiterhaufen in Gestalt eines hohen Turmes
mit sieben Dächern (Abb. 446 und farbige Kunstbeilage), der aufs
bunteste mit Blattgold, Flitter und Bildern ausgeschmückt ist; in den
unteren Stockwerken wird er mit Brennstoffen und wohlriechenden
Hölzern ausgefüllt. Der vergoldete Behälter mit dem Sarg wird auf
einem riesengroßen Wagen von so viel Menschen, als nur die Rotangseile
erfassen können, herangeschleppt. Noch geschäftiger gestalten sich die
allgemeinen Bemühungen, sobald der Wagen an der Verbrennungsstätte
anlangt. Hunderte von Männern, Frauen und Kindern legen Hand an, heben
den Sarg von dem Wagen und bringen ihn an seinen Platz. Dabei ertönt
ein großes Geschrei der Teilnehmer, Musikbanden lassen ihre Weisen
erschallen, und man bekommt den Eindruck, daß es sich hier um etwas
ganz anderes, als um ein Begräbnis handeln müsse. Inzwischen haben
Mönche in Bambushäusern, die ringsherum provisorisch erbaut wurden, die
ganze Zeit hindurch aus frommen Büchern vorgelesen und gleichzeitig
eine Unmasse an Opfergaben der verschiedensten Art eingeheimst. Darauf
wird der Scheiterhaufen mittels Raketen angezündet. Diese Raketen
sind mit Schießpulver gefüllte Bambusstäbe; an der Herstellung einer
einzelnen arbeitet für gewöhnlich ein ganzes Dorf. Die Rakete, die die
Spitze in Brand setzt, bringt dem betreffenden Dorfe Glück. Sobald eine
Rakete zündet, erhebt sich unter dem Volk ein mächtiges Freudengeheul,
wenn sie aber versagt, ein lautes Hohngelächter. Die Leiche ist bald
verbrannt, denn in der heißen Jahreszeit, in der die Feuerbestattung
erfolgt, ist alles trocken wie Zunder. Die in der Asche gesammelten
Knochen werden in der Nähe eines geweihten Ortes begraben, oder es wird
über ihnen ein viereckiger Turm ohne Spitze oder eine Pagode errichtet.
Dieses Grabmal trägt aber niemals eine Inschrift, so daß nur die Leute
im Orte imstande sind zu sagen, zu wessen Andenken solch ein Bau
zustande kam. [Illustration:

    Phot. D. A. Ahuja.

Abb. 446. Verbrennung der Leiche eines Mönchs in Birma.]



[Illustration:

    Phot. A. Cabaton.

Abb. 447. Königliche Elefanten in vollem Staat.

Elefanten sind in Kambodscha ziemlich selten und daher sehr wertvoll.
Jeder weiße Elefant gehört dem König, der jeden reich belohnt, der ihm
ein solches heiliges Tier sichert.]



Französisch-Indochina.


Französisch-Indochina, ein schmaler Küstenstreifen, der sich östlich
von Birma und Siam an der chinesischen Südsee hinzieht, steht, wie sein
Name besagt, jetzt unter französischer Oberhoheit. Das Land zerfällt
politisch in Kambodscha, Kotschinchina, Annam und Tonkin und umfaßt an
Völkern die Kambodschaner oder Khmer, die Annamiten, die Tonkinesen,
die Laotier und einige mehr oder weniger „wilde“ Stämme.

+Kambodscha+, vordem ein mächtiges Reich am Unterlaufe des Mekong -- im
sechzehnten Jahrhundert erstreckte es sich über einen Teil von Siam,
über Annam und Laos -- hatte unter der Dynastie der Khmer eine hohe
Stufe auf dem Gebiete der Künste und Wissenschaften erreicht; von dem
Abglanz dieser hohen Kultur legen zahlreiche Ruinen Zeugnis ab. Sodann
aber warfen sich die Siamesen zu den Herren dieses Landes auf und
zuletzt eigneten es sich die Franzosen an.

Die +Kambodschaner+ sind mittelgroße (Männer im Durchschnitt
hundertdreiundsechzig Zentimeter), dabei aber kräftig gebaute Leute mit
kurzem Schädel, geradestehenden, selten geschlitzten Augen, breiter,
an der Wurzel eingesattelter, wenig vorspringender Nase, straffem,
tiefschwarzem Haar und rötlichbrauner Hautfarbe; im allgemeinen läßt
sich an ihrem Äußeren ein gewisser negerähnlicher Einschlag (Mischung
mit Negritos!) nicht verkennen. Die Männer tragen eine fest anliegende
Jacke und einen Sampot, das ist ein Stück Zeug, das sie um die Hüften
und darauf zwischen den Beinen derart hindurchschlingen, daß bauchige
Hosen daraus entstehen; die Frauen tragen außer dem Sampot noch einen
Überwurf oder öfters eine große farbige Schärpe, die Rücken und Arme
freiläßt. Beide Geschlechter lassen sich das Kopfhaar bürstenartig
kurz schneiden; ein etwaiges Streichen mit der Hand über die Haare,
auch wenn es aus Zärtlichkeit geschehen sollte, wird als schwere
Beleidigung, als Zauberei aufgefaßt. -- Die Kambodschaner wohnen in
+Häusern auf Pfählen+, die stets einstöckig sind, in der Annahme, daß
es einem Menschen Unglück bringen würde, wenn einer ihm über seinem
Kopfe umherginge. Die Kambodschaner sind nämlich sehr +abergläubisch+.
Wie die Siamesen, Annamiten und so weiter glauben sie an Glücks- und
Unglückstage, achten auf Wahrzeichen und lassen sich das Horoskop
stellen.

Ihre +Religion+ ist eine Mischung von Buddhismus und Brahmanismus,
ähnlich wie die Religion der Singhalesen. Nach außen bekennen sie sich
zu ersterem, aber der Aberglaube an gute und böse Geister, die in ihrer
Umgebung leben und Ehrerbietung erfordern, ist allenthalben unter ihnen
verbreitet. Zu den wohlwollenden +Geistern+ zählen die Nak Ta, deren
Aufenthaltsort man in schöne alte Bäume legt. Früher brachte man ihnen
anscheinend Menschenopfer dar, jetzt beschränkt man sich auf solche in
Gestalt von Büffeln, Ziegen, Hühnern, Reis und Obst. Ein einflußreicher
Geist ist ferner der Arak, ein gleichsam gottgewordener Ahne, der die
Familien beschirmt und der besonders in Krankheitsfällen angerufen
wird. Größere Macht als den guten Geistern wird von den Kambodschanern
den bösen (Pray) zugeschrieben; daher sind sie besonders bemüht, diese
zu versöhnen und in guter Stimmung zu erhalten. Die gefährlichsten
Geister sind die von Frauen, die im Kindbett gestorben sind oder einen
gewaltsamen Tod durch den Werwolf, den Chul und die Hexe gefunden
haben. Alle Krankheiten, alles Ungemach schreibt man ihnen zu; daher
spielt auch die Magie in der Heilkunde der Kambodschaner eine große
Rolle.

[Illustration:

    Phot. A. Cabaton.

Abb. 448. Sänften in Gestalt geflochtener Bambuskörbe,

in denen bei den buddhistischen Aufzügen in Kambodscha die Opfergaben
(Früchte, Reis, Münzen) den Priestern dargebracht werden.]

Eine große Vorliebe bekunden die Kambodschaner für das Feiern von
Festen; nicht nur alle Tage, die die Lehre Buddhas als heilig
vorschreibt, werden festlich, unter anderem durch Aufzüge (Abb.
448), begangen, sondern auch alle diejenigen Volksbräuche, die auf
animistischer Grundlage beruhen. Eine große Feierlichkeit knüpft sich
an das „Wasserfest“. Es ist dies eine Regatta religiösen Charakters,
die alljährlich vor dem Könige in Pnom Penh auf dem Tonle Sap
stattfindet. Im Palast spielt sich dann auch die Segnung des „Wassers
des Eides“ ab; ein jeder Bewohner des Landes, der im Dienste des Königs
steht, schwört ihm Treue, indem er das Wasser trinkt, das ihn bei Bruch
des Eides vergiften würde. -- Wie in Siam ist jeder weiße Elefant
Eigentum des Königs (Abb. 447).

[Illustration:

    Phot. A. Cabaton.

Abb. 449. Leichenzug in Kambodscha.

Im Vordergrunde wird in einer Sänfte unter einem großen Schirm der
„Führer der Seele“ einhergetragen. Er steht mit dem Sarg durch ein
langes weißes Band in Verbindung, dessen eines Ende auf seinem Kopf,
das andere an einem baumwollenen Halsband des Toten befestigt ist.]

[Illustration:

    Phot. A. Cabaton.

Abb. 450. Szene aus einem Begräbnisse in Kambodscha.

Auf der Sänfte wird der Katafalk mit dem Toten getragen. Oft wartet
man in einer Familie, bis mehrere Tote für die sehr kostspielige
Verbrennung beisammen sind.]

[Illustration:

    Phot. A. Cabaton.

Abb. 451. Hand eines vornehmen Annamiten.]

Das +Kind+ der Kambodschaner erhält im Alter von sechs Monaten seinen
Namen; dieser feierliche Augenblick wird mit allerlei Förmlichkeiten
begangen. Sobald das „Haarbüschel rasiert“ wird -- eine Vorschrift
für beide Geschlechter -- wird der Name geändert. Hierauf suchen die
Knaben als Novizen das Kloster auf, um hier unterwiesen zu werden.
Nach Abschluß ihrer Lehrzeit nehmen sie Aufenthalt im Gemeindehaus
und bleiben hier bis zu ihrer Hochzeit. Ein Stelldichein mit jungen
Mädchen ist nicht erlaubt; die Kambodschaner legen großen Wert auf
+Jungfräulichkeit vor der Ehe+. Die jungen Mädchen leben mit ihren
Eltern zusammen, bis sie in das Reifealter kommen. Dann müssen sie auf
Verlangen ihrer Eltern „in den Schatten treten“. An dem Abend, wo sich
bei ihnen die ersten Regeln zeigen, befestigen die Eltern Baumwollfäden
um das Handgelenk und bringen den Ahnen ein Opfer dar, bestehend in
Speisen, Kerzen und Räucherwerk, wobei sie ihnen dieses Ereignis
förmlich kundgeben. Gleichzeitig pflanzen sie einen Bananenbaum, dessen
Früchte entweder das junge Mädchen genießt oder an die Mönche schickt.
Darauf zieht es sich für längere Zeit zurück; diese Abgeschlossenheit
währt einige Monate bis mehrere Jahre, je nach der Lebensstellung und
dem Vermögen der Familie. Es werden ihm von den Eltern gute Lehren
mitgegeben, die etwa lauten: „Laß dich vor keinem fremden Manne sehen,
nimm ebenso wie die Mönche deine Speise nur zwischen Sonnenaufgang und
Mittag ein, iß nur Reis, Salz, Kokosnuß, Erbsen, Sesam und Früchte,
enthalte dich des Fleisches und Fisches; bade dich nur, wenn die Nacht
eingetreten ist, das heißt wenn keiner dich mehr erkennt, damit du
von keinem Menschen gesehen wirst.“ Während der ganzen Zeit seiner
Abgeschlossenheit bleibt das Mädchen tagsüber im Hause, es geht nicht
einmal nach der Pagode; nur während der Dunkelheit wird es von dieser
Pflicht befreit. Dann steckt es ein Betelmesser und den Behälter für
den zum Betelkauen erforderlichen Kalk zu sich, zündet Lichter und
Räucherkerzen an und geht hinaus, um das Ungeheuer, das die Finsternis
schickt, indem es die Sterne zwischen den Zähnen schüttelt, anzubeten
und Glück für sich herabzuflehen. Das „Heraustreten aus dem Schatten“
wird wiederum durch Gebete und ein Festessen feierlich begangen.
Manchmal schließt sich hieran das Färben der Zähne, das sonst meistens
bei der Heirat stattfindet. Bei den jungen Männern wird diese Zeremonie
entweder bereits bei der Aufnahme in den Mönchorden oder bei der
Heirat vorgenommen. Der Vorgang spielt sich für ein junges Mädchen
unter allerhand Förmlichkeiten ab. In seiner Abwesenheit breitet ein
weiser Mann auf der Erde ein Baumwolltuch aus, legt darauf zunächst
acht Strohhalme in der Richtung der Himmelsgegenden, einen Napf aus
Kokosnußschale, ein Webeschiffchen und einen Bronzebecher, streut dann
noch ungedroschenen Reis darauf, so daß die Gegenstände bedeckt sind,
streicht das Ganze glatt und deckt es mit den Zipfeln des Tuches zu.
Auf dem so zubereiteten Sitz läßt er das Mädchen Platz nehmen. Nachdem
einige Gebete gesprochen worden sind, stampfen zwei alte Leute, Mann
und Frau, in einem Mörser Lack, und sieben Knaben ahmen das Stampfen
mit Bananenzweigen nach; sie singen dabei den Refrain: „Großvater
Kuhê, Großmutter Kuhê, stampft den Lack gut, damit er an den Zähnen
hängen bleibe.“ Jedesmal, wenn sie das Wort stampfen aussprechen,
lassen die beiden alten Leute den Stampfer in dem Mörser niederfallen.
Ist der Lack genügend zerkleinert, dann wird er noch durch ein Stück
Musselin gesiebt. Daraufhin wird ein Kokosblatt in der Form eines
menschlichen Gebisses zugeschnitten, ein Stückchen Baumwollzeug mit dem
flüssig gemachten Lack getränkt und dem Mädchen auf die Zähne gelegt,
damit es beides bis zum Morgen im Munde liegen läßt; es darf nur in
Pisangblätter speien, die nach Form eines Näpfchens zusammengenäht
sind. Um Mitternacht werden dann die bösen Geister beschworen und gegen
Morgengrauen brechen die sieben Knaben im Zuge in die Nachbarschaft
auf, um auf die Hühner und Enten der Eingeladenen Jagd zu machen. Bei
Tagesanbruch verläßt das junge Mädchen das Haus und betet die Sonne an,
indem es sich vor ihr dreimal in den Staub wirft. Der alte Großvater
macht darauf die Bewegung, als ob er ihm mit Hammerschlägen die Zähne
ausschlagen wollte und bestreicht es mit Ruß. Schließlich muß sich das
Mädchen noch vor dem Hausaltar niederwerfen.

Mit ungefähr sechzehn Jahren gehen Jünglinge wie auch Jungfrauen die
+Ehe+ miteinander ein. Die Eltern pflegen wohl die Vorbereitungen dazu
zu treffen, ohne die Beteiligten zu fragen, indessen berücksichtigen
sie doch eine etwaige Abneigung der Tochter gegen ihren Auserwählten.
Nachdem der Jüngling ihnen die erforderlichen Geschenke an Arekanuß,
Betel, Gambier, Reiswein und Tabak dargebracht hat, findet die
Verlobung statt. Darauf begibt er sich auf unbestimmte Zeit in das Haus
seiner Schwiegereltern. Von diesem Augenblick an gilt das Paar in den
Augen der Öffentlichkeit für verheiratet, denn eine Hochzeitszeremonie
findet für gewöhnlich nicht statt, aus dem einfachen Grunde, weil
dadurch für den jungen Mann große Unkosten entstehen. Er muß nämlich
nicht nur seinen Schwiegereltern am Hochzeitstage eine Menge
ausbedungener Geschenke machen und seiner Frau mancherlei Schmucksachen
verehren, sondern auch viele Gaben freiwillig an Bekannte verteilen und
sie in ausgiebiger Weise bewirten.

[Illustration:

    Phot. A. Cabaton.

Abb. 452. Gerichtsszene bei den Annamiten.

Der Richter bestätigt mit erhobenem Finger das Urteil, das ein Mann zu
seiner Rechten vorliest. Der Büttel ist im Begriff, dem Verurteilten
die vorgeschriebenen hundert oder zweihundert Schläge mit einem
Rohrstock zu verabreichen.]

Wie überall in Indochina ist das +Begräbnis+ der wichtigste Moment
im Dasein des Kambodschaners. Es besteht in der Feuerbestattung; nur
sehr fromme Anhänger des Buddhismus bestimmen, daß ihr Fleisch in
Stücke geschnitten und den Vögeln zum Fraß vorgeworfen wird. Während
die ärmeren Volksschichten ihre Toten möglichst schnell verbrennen,
schieben die wohlhabenderen die Einäscherung auf lange Zeit, auf Monate
und selbst Jahre hinaus. Im letzteren Falle begräbt man sie vorher noch
oder bewahrt sie in hermetisch verschlossenen Särgen im Hause auf.
Drei Tage lang wird bei der Leiche Wache gehalten und gebetet, darauf
wird sie auf einen mit Goldflitter, Blumen und Lichtern geschmückten
Katafalk gelegt. Sie bekommt eine kleine Stange Gold oder Silber in
den Mund gesteckt und eine Kette aus weißen Baumwollfäden um den
Hals gelegt, dessen Enden außerhalb des Sarges an einem Stück weißen
Baumwolltuches befestigt werden; das andere Ende des Tuches hält der
jüngste Sohn oder Enkel. Dieser fährt beim Begräbnis auch vor dem
Katafalk in einer Sänfte als „Führer der Seele“ (Abb. 449 und 450). Auf
einem Wagen wird die Leiche zum Scheiterhaufen befördert, begleitet
von einer Musikbande, gemieteten Trauerweibern und den Angehörigen,
die in Weiß gekleidet sind und sich ihren Kopf zum Zeichen der Trauer
haben scheren lassen. Ehe die Leiche verbrannt wird, vergehen immer
noch einige Tage. Beim ersten Knistern des Feuers erhält der junge
„Seelenführer“ das Novizenkleid aus den Händen eines Priesters.

Die +Annamiten+, die sich hauptsächlich in Annam, Tonkin und
Kotschinchina angesiedelt haben und aus Tibet stammen sollen, besitzen
ebenfalls eine kleine (etwa hundertfünfundfünfzig Zentimeter hohe),
aber ein wenig gedrungenere Gestalt als die Kambodschaner, einen kurzen
Kopf, ein breites Gesicht mit sehr häufig (drei Viertel der Fälle)
schiefstehenden Mongolenaugen, sowie schwarzes, straffes Haar; im
allgemeinen weisen sie mehr den Typus der gelben asiatischen Rasse auf.
Ihre Haut ist heller als die der Kambodschaner, weswegen sie sich als
weiße Menschen betrachten und auf jene mit einer gewissen Verachtung
herabsehen.

[Illustration:

    Phot. Mme Basalle.

Abb. 453. Annamitische Schauspieler.]

[Illustration:

    Phot. A. Cabaton.

Abb. 454. Kampfszene auf einer annamitischen Bühne zwischen zwei hohen
Prinzenmandarinen

in reich verzierter Tracht, hinter denen je ein Page mit dem Banner
steht.]

Beide Geschlechter +kleiden+ sich in schwarze Beinkleider aus Seide und
in einen langen schwarzen oder blauen Überwurf aus dem gleichen Stoff,
wodurch Männer und Weiber, zumal beide auch langes Haar tragen, schwer
voneinander zu unterscheiden sind.

Allgemein verbreitet ist auch unter den Annamiten das +Schwärzen
der Zähne+, wie wir es bereits von den Kambodschanern her kennen
gelernt haben. Nur ist hier das ganze Verfahren viel langwieriger,
so daß das arme Opfer infolge der verminderten Nahrungsaufnahme,
der Abgeschlossenheit und Aufregungen schließlich ganz entkräftet
wird. Zunächst werden die Zähne mittels einer Paste, die man auf ein
zugeschnittenes Palmblatt streicht und auf die Zähne legt, rot
gefärbt. Um mit der Zunge diese Auflage nicht in Unordnung zu bringen,
muß die betreffende Person, an der die Färbung vorgenommen wird, mit
offenem Munde daliegen, darf keine warmen, sondern nur kalte Speisen,
am besten Reis, der in kleinen Klumpen hinuntergeschlungen wird,
genießen, und dieses während ganzer vierzehn Tage. In gleicher Weise
wird sodann eine schwarze Lacktinktur aufgetragen, diesesmal aber nur
zwei Tage lang. Schließlich wird den Zähnen mittels pulverisierter
Kohle aus gebrannter Kokosnußschale noch Glanz gegeben. Bei der
Vornahme dieses Verfahrens darf keine Frau zusehen, die Trauer hat,
noch eine, die schwanger ist oder menstruiert, weil sie sonst mißlingen
würde. Trotz der großen Beschwerden, die das Schwärzen der Zähne mit
sich bringt, lassen eitle Mädchen und Jünglinge es doch alle drei Jahre
von neuem wieder vornehmen. -- Ein weiterer Brauch der Annamitinnen ist
das +Entfernen der Schamhaare+. Vornehme Annamiten tragen wohlgepflegte
Fingernägel von ungewöhnlicher Länge als Zeichen dafür, daß sie nicht
zu arbeiten brauchen (Abb. 451).

[Illustration:

    Phot. Henri Maire.

Abb. 455. Buddhistische Prozession. Auf einem Altar werden Opfergaben
zu der Pagode gefahren.

Die beiden buddhistischen Feste, anläßlich deren Opfer gebracht werden,
sind die des „Throeu Con He Kak Thoeu“ und das „Blütenfest“, zu denen
das ganze Dorf nach der entfernten Pagode wandert.]

Über den +Charakter+ der Annamiten sprechen sich die meisten Kenner
der Verhältnisse ziemlich ungünstig aus; sie gelten für hinterlistig,
rachsüchtig, falsch, lügnerisch und in hohem Grade diebisch, die
annamitische Justiz (Abb. 452) ist indessen sehr streng; andere
Beobachter aber heben dagegen ihre Bescheidenheit, Gastfreundschaft,
Unterwürfigkeit, Höflichkeit, Hochachtung vor höher Stehenden und große
Liebe zu den Eltern, sowie ihre Betriebsamkeit hervor. Die letztere
macht sich auf dem Gebiete der technischen Fertigkeiten (Schnitzerei,
Stickerei, Perlmutterarbeiten und so weiter) bemerkbar, wobei auch ein
gewisser künstlerischer Sinn sich verrät. -- Leidenschaftlich huldigen
die Annamiten dem Spiel, sie zeichnen sich dabei durch Ruhe, Berechnung
und Kaltblütigkeit aus. Selbst kleine Kinder kann man die Spielhöllen
aufsuchen sehen. Auch für Theateraufführungen haben sie großes
Interesse (Abb. 453 und 454).

Große +Religiosität+ bekunden die Annamiten gerade nicht. Die
herrschende Religion ist zwar der Buddhismus (Abb. 455), aber er
ist auch hier wie anderwärts mit volkstümlichen, abergläubischen
Vorstellungen von Geistern und Dämonen durchsetzt. Der Kaiser und die
höheren Beamten bekennen sich zur Lehre des Konfuzius. Daneben hat
aber auch das Christentum zahlreiche Anhänger gefunden. -- Die große
Furcht der Annamiten +vor den Geistern+, besonders vor den zahlreichen
bösen, den Ma, erfordert, daß sie ihnen beständig Opfer darbringen,
um sie zu besänftigen; diese Gaben pflegen in ein wenig Reis oder
kleinen Kupfermünzen oder stangenähnlich geformtem Goldpapier, an dem
die Geister ebensolche Freude wie an massivem Gold haben sollen, zu
bestehen. Vor dem Tiger im besonderen haben die Annamiten große Angst
und reden ihn daher nur mit „Herr Tiger“ an; ebenso fürchten sie die
Ma-qui, die umherirrenden Seelen derer, die kein Begräbnis gefunden
haben. Gewisse andere Tiere, wie der Elefant, der Walfisch, der Delphin
stehen in dem Rufe, einen wohltätigen Einfluß auszuüben.

[Illustration:

    Phot. A. Cabaton.

Abb. 456. Szene aus einem annamitischen Leichenzug.

Der vornehm ausgestattete Katafalk, „das goldene Haus des Toten“, wird
von fünfzehn Trägern getragen.]

[Illustration:

    Phot. A. Cabaton.

Abb. 457. Szene aus einem annamitischen Leichenzug.

Der Altar der Vorfahren mit der Tafel des Verstorbenen wird in dem Zuge
mitgefahren.]

Für +Schwangere+ sind besonders die Geister Ma Con Ranh gefährlich,
die das Bestreben haben sich zu verkörpern und mit Vorliebe dazu die
werdende Leibesfrucht auswählen. Die Folge ist dann, daß diese abstirbt
und die Mutter ein totes Kind zur Welt bringt. Daher werden ihnen
während der Schwangerschaft und nach der Geburt Opfer dargebracht.
Der Annamitin ist es verboten, im eigenen Hause +niederzukommen+.
Daher errichtet man bei den wohlhabenderen Leuten für die Schwangere
im Hofe, also ziemlich nahe der eigentlichen Wohnung, eine besondere
kleine Bambushütte, in der sie während ihrer schweren Stunde auf einem
auf vier Pfählen ruhenden Bambuslattenlager aushalten und auch noch
einen Monat lang nach ihrer Niederkunft verweilen muß. Ärmere Leute
sind auf kleine schmutzige Winkel angewiesen, um niederzukommen, und
nicht selten vollzieht sich der Akt vor den Augen des Publikums auf
der Straße. Die +Nachgeburt+ wird von der Hebamme -- alte Frauen
leisten bei der Geburt Beistand -- in einen Fetzen Stoff gewickelt und
gegen Abend oder in der Nacht an einem von ihr geheim zu haltenden
Orte vergraben. Die abgefallene +Nabelschnur+ wird dagegen sorgfältig
aufbewahrt und findet als Zusatz zu einem Mittel gegen das Fieber,
falls das Kind in den ersten Jahren daran erkranken sollte, Verwendung.
Nach der Geburt eines Kindes hütet man sich für einige Tage, irgend
ein Wort auszusprechen, das mit Tod, Krankheit, Unglück und so weiter
in Zusammenhang steht, aus Furcht, das Kind könnte von einem solchen
Mißgeschick heimgesucht werden. In dieser Zeit darf man im Hause
auch nichts braten, weil sonst Mutter und Kind einen bläschenartigen
Ausschlag bekommen würden. Ist das Kind einen Monat alt geworden, dann
erhält es einen +Namen+, vorzugsweise einen häßlichen, wie Hund oder
Schwein, um die bösen Geister fernzuhalten. Erkrankt es etwa, dann
wird es angeblich an einen Priester verkauft, der es sofort wieder,
aber unter einem anderen Namen, an die Familie zurückveräußert, in
der Hoffnung, die bösen Geister dadurch irrezuführen. Hat ein Knabe
das erste Lebensjahr erreicht, dann werden vor ihm Arbeitsgeräte,
Waffen, ein Schreibtisch und ein Mandarinensiegel ausgebreitet; aus der
Bewegung, die seine Hand gegen den einen oder den anderen Gegenstand
macht, schließt man auf den Beruf, den er künftig ergreifen wird.

[Illustration:

    Phot. H. Baudesson.

Abb. 458. Hochzeitsszene bei den Laotiern.

Vor den Opferpfosten bindet der Priester mit einem Baumwollfaden die
Hände des Paares zusammen und dreht als Opfer einem Huhne den Hals ab.]

Die Annamiten gehen mit achtzehn oder zwanzig Jahren die +Ehe+ ein,
je nach dem Geschlecht. Die Eltern bringen die Angelegenheit in
Ordnung, setzen aber die Ahnen vorher von ihrem Entschluß in Kenntnis;
diejenigen, die es angeht, werden jedoch nicht gefragt. Selbst Kinder
in der Wiege werden schon verlobt. Ist der Bräutigam wohlhabend, dann
bringt er seiner Verlobten Geschenke dar, die nicht selten einen
bedeutenden Wert aufweisen, Juwelen, Lackkästen, Stoffe, Kerzen,
Reiswein, Betel und ein großes, fettes Schwein. Arme Jünglinge treten
bei ihrem Schwiegervater in Dienst. Die eigentliche +Hochzeit+, eine
rein häusliche Angelegenheit, erfordert vom Bräutigam neue Geschenke;
es ist üblich, daß diese möglichst viel in Rot, der Farbe des Glücks,
gehalten sind. In dem Hause beider Parteien werden den Ahnen Opfer
dargebracht; darauf bringt der Bräutigam seiner Braut ein paar Störche,
das Sinnbild der Treue, zum Geschenk dar, das Paar wirft sich vor
den Gottheiten, die über die Ehe wachen, dem „Genius der rotseidenen
Fäden“ und der „Frau Mond“ auf die Erde und überreicht ihnen die
Störche. Mit einem Festessen findet der erste Hochzeitstag seinen
Abschluß. Am anderen Morgen wird die junge Frau prachtvoll angekleidet
und in das Heim ihres Mannes geleitet; sie wirft sich hier vor den
Schutzgeistern der Ehe, den Ahnen, ihren Schwiegereltern und deren
Angehörigen nieder. Die Opfergabe vor dem Altar der Vorfahren macht
dabei den wesentlichsten Teil der Hochzeitszeremonie aus. Von diesem
Augenblick an ist die Frau in die Familie ihres Gatten eingetreten, zu
deren Religion sie fortan sich auch bekennt. Obgleich die Annamitin
in ihrem Hause, besonders als Mutter, der Achtung sich erfreut, so
ist ihr Los doch kein beneidenswertes. Die +Scheidung+ wird dem Manne
leicht gemacht; er kann sie aus sieben Gründen beantragen, von denen
die drei wichtigsten Unfruchtbarkeit, Schwatzhaftigkeit und Eifersucht
sind. Die reichen Annamiten, die es sich leisten können, leben in
Polygamie; indessen genießt nur die Frau, die unter den geschilderten
Förmlichkeiten geheiratet wurde, Ansehen und Macht.

[Illustration:

    Phot. H. Baudesson.

Abb. 459. Vermummungen der Laotier beim „Feste des Kalenderendes“.]

Da das Familienleben der Annamiten sich auf dem Ahnenkult aufbaut, so
kommt dem +Begräbnis+, durch das der Verstorbene zu den Ahnen aufrückt,
die größte Bedeutung zu; es muß unter feierlichen Zeremonien begangen
werden, weil sonst die Seele des Toten in die Hölle kommen würde.
Dem Sterbenden wird ein Stück weißer Seide, die „weiße Seele“ auf
die Brust gelegt, damit sich darin die scheidende Seele beim letzten
Atemzuge verfange. Priester halten die Leichenwache bei brennendem
Räucherwerk; vor der Tür wird kleines Kupfergeld ausgestreut, um die
bösen Geister anzuziehen. Nachdem der Tote mit besonderem Weihwasser
gewaschen und von seinen Söhnen und Enkeln angekleidet worden ist,
erhält er die „letzte Mahlzeit“, ein paar Reiskörner und etwas Geld,
in den Mund gesteckt und wird in einen möglichst reich und kunstvoll
ausgestatteten Sarg gelegt. Dieser wird geschlossen, mit allerlei
Amuletten bedeckt und auf einen mächtigen Katafalk aus Holz gestellt
(Abb. 456), der einem mehrstöckigen Gebäude nicht unähnlich sieht und
rot sowie mit Goldlack angestrichen ist. Die Angehörigen, welche die
in Indochina übliche weiße Trauerkleidung angelegt haben, umgeben ihn
unter Wehklagen. Nachdem ein Zauberer noch den Paß für die große Reise
ausgestellt hat, wird die Leiche auf den Friedhof überführt. Voran geht
ein Mann mit einer brennenden Fackel, ihm folgt ein anderer mit einem
Banner, dessen Inschrift oder Form Rang und Stand des Verstorbenen
verkündet, dahinter gehen Leute, die Gegenstände aus Gold- und
Silberpapier verteilen, in der Voraussetzung, daß die bösen Geister sie
mit großer Befriedigung aufnehmen. Weiter folgt dann die „Halbkutsche
der Seele“, oft von Musikanten umgeben. Es ist dies ein kleiner,
mit Perlen aus Goldpapier verzierter Aufbau, der in den Falten der
„weißen Seele“ eine rotlackierte Gedenktafel mit der Darstellung des
Verstorbenen in seinem neuen Range, ferner einen kleinen Altar, winzige
Papiermodelle von Gegenständen, die dem Toten teuer waren, Kleider,
Gebrauchsgegenstände und Goldpapierstangen trägt. Ganz zuletzt kommen
mitten in einer Musikbande der Leichenwagen selbst und vor ihm noch,
aber rückwärts tretend, die Söhne und Schwiegersöhne des Verstorbenen.
Die übrigen Familienangehörigen folgen in weißer Kleidung. Auf dem
Begräbnisplatz wird die „weiße Seele“ dreimal davon in Kenntnis
gesetzt, daß der Tote begraben wird, was dann auch geschieht; sie
selbst aber wird in feierlichem Zuge ins Haus zurückgebracht, wo die
Gedenktafel auf dem Ahnenaltar (Abb. 457) Aufstellung findet. Fünfzig
Tage oder ein Jahr darauf geben die Erben allen Teilnehmern beim
Begräbnis ein Festessen.

[Illustration:

    Phot. H. Baudesson.

Abb. 460. Ein Musiker, der dem jungverheirateten Paare eine Serenade
darbringt.

Das Instrument ist ein Flaschenkürbis, an dem drei Bambusflöten
befestigt sind.]

Die Bevölkerung des +Laosgebietes+ umfaßt eine Anzahl Stämme, zumeist
arischer oder indonesischer Abstammung, die hauptsächlich die Täler
der großen Flüsse Mekong, Menam und Salouen längs der westlichen
Grenze Annams bewohnen. Die Laotier sind von mittlerer Größe, wie die
Annamiten, indessen noch mehr untersetzt. Sie zeichnen sich durch
ziemliche Intelligenz und Sanftmütigkeit aus. Die +Kleidung+ der Männer
gleicht der der Annamiten, die Frauen tragen einen längsgestreiften,
bis an die Fußgelenke reichenden Rock und eine Schärpe von irgend einer
auffälligen Farbe. Ihre Haartracht ist je nach der Gegend verschieden;
die der verheirateten Frauen unterscheidet sich im allgemeinen von der
der jungen Mädchen. Die Männer tragen das Kopfhaar kurz geschnitten.

[Illustration:

    Phot. H. Baudesson.

Abb. 461. Szene vom Hochzeitsfest der Laotier.

Die Nichteingeladenen stürzen sich über die Mahlzeitreste her, die für
sie bereitgestellt wurden.]

Die +Religion+ der Laotier ist eine abgeschwächte Form des Buddhismus
auf der üblichen animistischen Grundlage. Jedem wichtigen Ereignis im
Leben muß eine Opfergabe, zumeist aus einem Krug Reiswein bestehend,
vorausgehen. Beim Genuß dieses Getränkes, das nicht länger als zwei
Monate und nicht kürzer als zehn Nächte gegärt haben darf, wird
eine bestimmte Zeremonie beobachtet. Der Krug wird an einer Stange
befestigt, darauf versenkt der Häuptling einen langen hohlen Rohrstock,
an dessen Ende eine Kerze zum Vertreiben der bösen Geister brennt, in
die Flüssigkeit, und ein jeder der Anwesenden muß den Mund vollsaugen;
ist der Krug leer, wird er von neuem gefüllt. Zahlreiche Feste werden
hier ebenso wie in Siam auch anderwärts gefeiert. Beim Feste des „Endes
des Kalenders“, das unserem Neujahrsfest entspricht, wird das alte Jahr
unter großem Gepränge hinausgeleitet. Die jungen Mädchen bespritzen
dabei die Jünglinge entweder mit wohlriechendem Wasser oder auch mit
Schmutz, was diese ihrerseits mit Humor aufnehmen; Schauspieler legen
sich zur Erinnerung an die ersten Menschen von Laos, die ein zottiges
Fell besaßen, ähnliche Gewänder an, setzen sich bizarre Gesichtsmasken
mit beweglichen Kinnladen auf, knien nieder, schreiten im Takte
einher und halten Reden, in denen sie jedermann im neuen Jahre alles
erdenkliche Gute wünschen (Abbild. 459).

Der +Verlobung+ der jungen Leute pflegt ein umfangreiches Flirten
vorauszugehen. Wenn die Feldarbeit getan ist, dann finden die jungen
Burschen Zeit, den Mädchen den Hof zu machen. Diese stellen sich,
wenn sie das heiratsfähige Alter erreicht haben, mit buntschillernden
Schärpen angetan auf besonders dazu erbauten Bühnen jenen zur Schau.
Vor ihnen brennen Lampen ähnlich den Rampenlichtern eines Theaters,
ein Tablett mit Betelpriemen und Speinapf (Bambusglied) wandert von
Hand zu Hand. Die jungen Männer hocken vor den Mädchen und erschöpfen
sich in allerhand Artigkeiten in Versen, die die Mädchen schlagfertig
mit lustigen und selbst spitzigen Worten erwidern. Endlich kommt es
dabei zur Verlobung und zur Hochzeit, deren Zeremonien denen in Siam
und Kambodscha im allgemeinen gleichen. Bei bestimmten wilden Stämmen
werden dem Paare von einem Zauberer einfach die Hände mit einem
Baumwollfaden zusammengebunden, nachdem ein Huhnopfer vorausgegangen
ist (Abb. 458). Die Frauen bringen an Geschenken in lange Streifen
geschnittenes rohes Fleisch, zu Kugeln geformten Reisbrei, gebratene
Heuschrecken und Reiswein dar. Tanz und Gesang unter Musikbegleitung
auf primitiven Instrumenten beschließen die Hochzeit (Abb. 460 und 461).

[Illustration:

    Phot. H. Baudesson.

Abb. 462. Stangen mit wippenden Peitschen,

die zu Ehren eines Toten von den Laotiern errichtet werden.]

[Illustration:

    Phot. H. Baudesson.

Abb. 463. Szene aus einer Totenfeier der Laotier.

Der Büffel für das Opfer wird herbeigeschleppt.]

[Illustration:

    Phot. H. Baudesson.

Abb. 464. Szene aus einer Totenfeier der Laotier.

Der Büffel wird zum Andenken an den Verstorbenen geschlachtet.]

Zu einem +Sterbenden+ wird eine Zauberin gerufen; sie streichelt
den Kranken, zündet sechs kleine Kerzen an und sagt eine ganze Litanei
von Beschwörungen her, wobei sie immer schneller redet, je weiter
die Flammen herunterbrennen. Darauf nimmt sie den Mund voll Wasser
und spritzt es in feinem Sprühregen dem Patienten auf den Magen,
um anscheinend aus ihm etwas zu entfernen. Endlich schwenkt sie
triumphierend einen Stein als die Ursache aller Unruhe in der Luft.
Wenn trotzdem der Kranke seinem Leiden unterliegt, so trifft die
Schuld hierfür ausschließlich die Angehörigen, die vielleicht eine
Ziege dem bösen Geist opferten, die zu mager war, so daß er dadurch
keine Befriedigung empfand. Die +Leiche+ wird sofort in eine
Kiste gelegt (Abb. 467) und erhält etwas Reisbrei als Nahrung für die
Seele in den Mund; darauf versucht jemand durch lautes Brüllen in
die Ohren den Toten ins Leben zurückzurufen. Am sechsten Tage endlich
wird die Leiche durch ein Loch in der Wand hinausbefördert und auf den
Friedhof getragen; die Angehörigen folgen ihr im Gänsemarsch. Damit
der Tote im Jenseits auch seine Lieblingsgegenstände wieder finde,
legt man sie ihm noch in den Sarg, bevor er der Erde übergeben wird.
-- Alljährlich finden +Erinnerungsfeiern an die Toten+ unter
großem Gepränge statt. Die Dorfbewohner rüsten sich dazu, indem sie
ihre Hütten neu bedecken, ihren Boden kehren und Pfähle mit riesigen
Peitschen an der Spitze errichten (Abb. 462), die sie außerdem mit
Blätterwerk schmücken. Zu Ehren eines jeden Dorfbewohners, der im Laufe
des Jahres ins Jenseits eingegangen ist, wird ein Büffel geopfert (Abb.
463 und 464), auf dessen blutigen Körper von einem Kinde die Kleider
des Verstorbenen gelegt werden. Unter Vorantritt eines Tamtamschlägers
nähert sich ihm nun die Familie, die Frauen werfen sich unter Wehklagen
mit verwirrten Haaren auf die Erde, währenddessen der Zauberer mit
Trauerstimme die Vorzüge des Verblichenen verkündet.

Die +Moïstämme+: Der mittlere Teil Indochinas (von Yünnan an bis
Kotschinchina herunter) wird von einer Reihe „wilder“ Stämme bewohnt,
die man, zumal sie in ihrem Äußeren und auch in ihrer Kultur ziemlich
übereinstimmen, unter der Kollektivbezeichnung der Moï zusammenfaßt. Je
nach dem Gebiete, in dem sie wohnen, führen sie andere Namen, so nennt
man sie zum Beispiel in Annam im besonderen Moï, in Kambodscha Peurong,
in Laos Khas und so weiter. Sie bieten einen ziemlich einheitlichen
Typus dar, der auf Verwandtschaft mit den Indonesiern einerseits
und den Chinesen anderseits hinweist. -- Die Moïstämme sind Jäger,
betreiben aber auch primitiven Ackerbau. Sie ernten die Reisfrucht
noch durch Abreißen mit den Händen und kochen ihr Wasser in hohlen
Bambusröhren. Sie gehen zumeist noch unbekleidet einher und benutzen
primitive Waffen, Speere, Bogen und vergiftete Pfeile.

[Illustration:

    Phot. Henri Maitre.

Abb. 465. Opferhütte der Moïstämme.]

[Illustration:

    Phot. H. Baudesson.

Abb. 466. Für die junge Mutter ist es bei den Laotiern Vorschrift,
längere Zeit an einem Feuer auszuharren,

das nur durch ganz besondere Hölzer unterhalten werden darf. Täglich
bringen ihr die Freundinnen das erforderliche Holz und nehmen dafür die
Mahlzeit bei ihr ein.]

Die Moï sind durchweg reine +Animisten+, die alles in der Natur für
belebt, mit einer Seele ausgestattet halten. Allerdings sollen sie
auch an ein +höheres Wesen+, das Himmel und Erde geschaffen hat und
der Gott des Donners ist, glauben. Sie verehren es in Gestalt eines
Steines in einer etwa zwei Meter hoch auf Pfählen ruhenden Bambushütte,
der man am Eingange der Dörfer begegnet (Abb. 465). Vor der Hütte sind
außerdem noch vier oder fünf kleine Mulden auf Bänken etagenförmig in
verschiedener Höhe aufgestellt, sie enthalten ebenso wie das Innere der
Hütte Opfergaben für den höchsten Geist, etwas Reis, Hirschknochen,
Stücke eines gekochten Hühnerkopfes und in Form von Elefantenzähnen
und Rhinozeroshörnern zugeschnittene Holzklötze. Diese Gaben sind für
den höchsten Geist bestimmt, von dem man annimmt, daß er in der Nacht
auf der Erde erscheine, eine kleine Leiter, die zu der Hütte führt,
hinaufsteige, die Opfergaben mustere und, wenn er alles in Ordnung
findet, befriedigt wieder umkehre, dagegen, falls etwas sein Mißfallen
erregen sollte, den Blitz in das Dorf einschlagen lasse und die Ernte
schädige. Alljährlich muß die Hütte vor der Saatzeit erneuert werden;
dabei wird ein Fest abgehalten und die Opfergaben werden mitgebracht,
die in ihr bis zum nächsten Jahre verbleiben. Neben dieser obersten
Gottheit glauben die Moï noch an zahllose kleinere +Geister+, Phi
genannt, mit denen sie sich Berge, Wälder, Wasserfälle, Quellen, Sümpfe
und so weiter belebt denken, und von denen sie auch annehmen, daß
sie gelegentlich sichtbare Formen, wie Menschen, Tiger und Schlangen
annehmen können. Sie sind den Menschen teils gut, teils böse gesinnt.
Zauberer vermitteln den Verkehr zwischen ihnen und den Erdgeborenen.
Eine wichtige Aufgabe dieser Zauberer besteht auch darin, Kranke zu
beschwören. Nach dem Glauben der Moï geht die Seele eines Menschen bei
seinem Tode in die Dörfer und bringt deren Bewohner Krankheit und Tod.
Sobald ein Mensch also erkrankt ist, muß der Zauberer herauszufinden
suchen, welche abgeschiedene Seele, Cong genannt, dafür verantwortlich
zu machen ist. Die nördlichen Jarai, Malang, Bahmar und ihre Nachbarn
bauen eine Reihe Zauberpflanzen an, die einen Einfluß auf solche
Krankheitsgeister ausüben sollen. Beim Säen dieser Kräuter wird dem
obersten Gotte ein Huhn oder ein Schwein geopfert, damit er einen
guten Geist aufs Feld in die aufgehende Saat sende. -- Die Moï glauben
auch an +Vorbedeutungen+, im besonderen an die Töne, die gewisse Tiere
von sich geben und die je nach der Richtung, aus der sie kommen, als
günstige oder ungünstige gedeutet werden. -- Bei den Mongstämmen
werden Hütten und selbst ganze Dörfer für eine gewisse Zeit, von einer
Nacht bis zu mehreren Tagen je nach dem Anlaß (Niederkunft, Erkrankung
von Menschen und Tieren, Saat, Ernte und so weiter), „isoliert“;
währenddessen sind die Einwohner gezwungen zu Hause zu bleiben, und
Fremde dürfen unter keinen Umständen das Haus oder Dorf betreten; zum
Zeichen dessen befestigt man einen Zweig an der Tür.

Jedweder Vorwand wird von den Moï dazu benutzt, um ein +Fest+ zu
feiern, das hauptsächlich im tüchtigen Essen und Trinken besteht; man
feiert den Beginn des neuen Jahres, das Einsetzen der Regenzeit, das
Bestellen der Felder, das Säen, das Aufsprießen der ersten Halme,
das Einernten, das Bergen der Frucht unter Dach und Fach und andere
Gelegenheiten mehr. Bei der +Geburt+ wird der Mutter der gekochte Saft
eines Sapan genannten Baumes, den der Vater einsammelte, verabreicht,
um ihr Kraft zu geben; nach der Geburt wird ihr Körper mit Ingwer
eingerieben und sie selbst muß mit dem Kinde eine Woche lang nahe
an einem Feuer ausharren (Abb. 466). Hieran schließt sich ein Fest
mit Namensgebung. -- +Ehen+ werden entweder durch Neigung der jungen
Leute, von denen der Jüngling dem Mädchen einen Antrag macht, oder auf
Vorschlag der Eltern geschlossen. Daraufhin siedelt er zu den Eltern
der Braut über, um für sie zu arbeiten. Bei der +Hochzeit+ beschwört
ein Zauberer die Schutzgeister, das junge Paar zu beschirmen, mischt
Schweineblut mit Reiswein und beschmiert damit die Füße von Mann und
Frau. -- +Polygamie+ kommt nur bei reichen Männern vor.

[Illustration:

    Phot. H. Baudesson.

Abb. 467. Sarg der Laotier aus einem Baumstamm.]

Beim +Tode+ eines Moï begeben sich sämtliche Dorfinsassen auf den Ruf
eines Gongs in das Haus des Verstorbenen; die Leiche wird mit allem
Schmuck, den der Tote besaß, aufgebahrt und mit einem Tuche bedeckt.
Am anderen Morgen wird im Walde ein großer Baum ausgesucht und zum
Sarg ausgehöhlt (Abbildung 467). Während seiner Anfertigung bleiben
die trauernden Freunde und Nachbarn im Hause des Toten und werden auf
Kosten der Familie mit Essen und Trinken bewirtet. Drei bis vier Männer
halten Leichenwache und fächeln die Fliegen mit Wedeln vom Toten ab.
In den mit Malereien verzierten Sarg werden neben den Toten allerlei
kleinere Gegenstände, die ihm gehörten, gelegt. Er wird sodann in
der Erde beigesetzt. In der Gruft werden unter dem Sarg am Kopfende
ein Korb mit Reis und ein Krug mit Reiswein, darüber eine Bambus-
und Blätterschicht gelegt und daneben zwei Bambusrohre senkrecht
aufgestellt, die bis über die Erdoberfläche hinausreichen und zur
Aufnahme von Speise und Trank dienen, die man täglich der Seele des
Toten spendet. Um das zugeschüttete +Grab+ wird noch ein etwa ein
Meter breiter und zwei Meter tiefer Graben kreisförmig herumgezogen;
die dabei ausgeworfene Erde wird zu einem mächtigen Grabhügel von
zwei bis zweieinhalb Meter Höhe aufgetürmt, aus dem die Speiseröhren
hervorragen. Später errichtet man über dem Grabhügel auf einer Stange
eine Miniaturhütte (ähnlich unserem Taubenschlag) und legt in sie
etwas zu essen hinein. Um die Seele des Verstorbenen aufzunehmen, die
sonst ins Dorf zurückkehren und seine Bewohner belästigen würde, läßt
man zum Schluß noch ein lebendiges Huhn frei. -- Die südlichen Jarai
umgeben ihre Gräber mit einem rechtwinkligen Palisadenzaun aus dicken
Bambusstäben, und setzen an die vier Ecken je einen mächtigen Pfosten,
der oben in eine geschnitzte große Trauermaske mit zwei Elefantenzähnen
endigt (Abb. 468). Die Gräber von Häuptlingen werden mit einem hohen
schmalen Dach aus geflochtenem Bambus bedeckt, das bei den nördlichen
Jarai oft die Höhe von fünf Metern erreicht und mit seltsamen
Verzierungen in Kreide und rotem Lehm bedeckt wird. Den Nächststehenden
des Verstorbenen ist es verboten, während der Monate bis zum Abschluß
der Trauer irgend einem Geschäfte nachzugehen. Bei dem Radestamm
stellen die geschnitzten Grabpfosten trauernde Frauen in hockender
Stellung dar (Abb. 469).

[Illustration:

    Phot. Henri Maitre.

Abb. 468. Gräber der südlichen Jarai.]

[Illustration:

    Phot. L. de Lajouquire.

Abb. 469. Häuptlingsgräber bei dem Radestamm.]



[Illustration:

    Phot. Charles Hose.

Abb. 470. Chinese beim Opiumrauchen.]



China.


Das weite ostasiatische Gebiet und die ihm vorgelagerten Inseln werden
von einer Völkergruppe eingenommen, die man kurzweg als Mongolen
bezeichnet. Den reinsten +mongolischen Typus+ (Abb. 472) trifft man
bei den Südmongolen an; er ist gekennzeichnet durch eine kleine,
untersetzte Gestalt (im Mittel gegen hundertsechzig Zentimeter)
mit verhältnismäßig langem Rumpfe und kurzen Unterextremitäten,
hochgradige Kurzköpfigkeit, rundliches bis breitovales, nach unten
spitz zulaufendes, gleichzeitig ausgesprochen flaches Gesicht, stark
vorspringende Wangenbeine, flache und breite Nasenwurzel, eher
konkaven als geraden Nasenrücken, dicke Nasenflügel mit querstehenden
Nasenlöchern, grobes, straffes, schwarzes Haar, spärlichen Bart und
eine gelbliche Hautfarbe. Besonders charakteristisch ist für die
Mongolen ihre sogenannte Schlitzäugigkeit, die dadurch hervorgerufen
wird, daß die Lidspalte von außen oben nach innen unten verläuft
und der innere Augenwinkel von einer Falte (Mongolenfalte) bedeckt
wird. Nach dem Norden zu verfeinert sich dieser Typus zum sogenannten
mandschu-koreanischen (gekennzeichnet durch stattlichere Körpergröße,
weniger breites Gesicht, weniger vorspringende Backenknochen, mehr
entwickelte Nase). Die anderseits weiter nach Süden vorgeschobenen
Abteilungen der südlichen Mongolen sind verschiedentlich Mischungen
mit den Vertretern der afrikanischen (Negrito) und indo-australischen
Grundrasse, sowie mit solchen arischer Abstammung eingegangen.

Ostasien umfaßt drei große Reiche, China, Korea und Japan. Alle drei
schließen sich nicht nur in anthropologischer, sondern noch mehr
in kultureller Beziehung zu einer engeren Gemeinschaft zusammen,
unterscheiden sich aber in sprachlicher Hinsicht. Die Chinesen sprechen
eine einsilbige, die Koreaner und Japaner eine mehrsilbige Sprache.

[Illustration: Abb. 471. Chinesische Frau von hohem Rang aus Hongkong.]

+China+, das „himmlische Reich der blumigen Mitte“, wie seine
Bewohner es nennen, ist ein uralter Kulturstaat, der auf ziemlich
der gleichen Stufe der Zivilisation viele Jahrhunderte hindurch
verharrte und erst neuerdings aus seinem Dornröschenschlaf aufgerüttelt
wurde. Dementsprechend sind seine Bewohner auch in ihren Sitten und
Gebräuchen sowie in ihrem ganzen Denken und ihren Auffassungen,
besonders auch in religiöser Hinsicht so konservativ geblieben wie
kaum ein anderer Staat der Erde. Allerdings machen sich innerhalb
des großen chinesischen Volkes gewisse Unterschiede bemerkbar, die
in der Hauptsache dem Umstande zuzuschreiben sind, daß eine das Land
in ostwestlicher Richtung durchschneidende Hochgebirgsmasse es in
zwei Teile gliedert und auch +verschiedene geographische Bedingungen+
schafft. Der Norden Chinas ist mehr eben, reich an Löß, untersteht
einem gemäßigten Klima und ist besonders für den Anbau von Weizen,
Gerste, Bohnen und so weiter geeignet, außerdem bietet er Gelegenheit
zu ausgedehntem Landverkehr; hingegen ist der Süden mehr gebirgig,
besitzt ein subtropisches Klima, läßt daher vorwiegend Reis, Tee und
Zuckerrohr gedeihen und verschafft den Bewohnern ohne viel Zutun einen
ziemlichen Wohlstand. Diese verschiedenen klimatischen Verhältnisse
sind auf den +Charakter+ des chinesischen Volkes nicht ohne Einfluß
geblieben. Die Nordchinesen stellen ein durch harte Landarbeit
erstarktes, auf althergebrachten Grundsätzen verharrendes nüchternes
Bauernvolk dar, das von jeher die Stütze der monarchischen Verfassung
war, die Südchinesen aber sind ungleich beweglichere, in ihrem Fühlen
und Wollen mehr schöpferisch veranlagte, daher auch für Neuerungen
mehr empfängliche, begabte Leute, die sich schwerer der Autorität
eines festen konstitutionellen Staatsgebäudes unterzuordnen verstehen.
Daher kommt es auch, daß die republikanischen Bestrebungen, die in
der jüngsten Zeit von außen her nach China hineingetragen wurden, in
Südchina mehr Boden fassen konnten.

Das Denken und Fühlen der Chinesen steht in vielen Punkten dem
europäischen Geiste fern. Eine Zahl guter +Eigenschaften+ zeichnen
den Charakter des Chinesen aus, wie Fleiß, Intelligenz, Genügsamkeit,
Sparsamkeit, Höflichkeit, Gastfreundschaft, vor allem aber ein
hervorragend ausgeprägter Familiensinn und damit zusammenhängend ein
willenloses Unterordnen unter die Autorität von Familie und Staat.
Dieser zuletzt erwähnte Umstand zeitigt bei ihm aber auch wieder eine
gleichsam negative Eigenschaft, das ist die Teilnahmlosigkeit für alle
öffentlichen Angelegenheiten und der Mangel an Vaterlandsliebe. Der
Chinese ist ein echter Stoiker, der sich um nichts bekümmert, sofern er
nur sein Auskommen hat. Sein ganzes Streben und Denken ist daher darauf
gerichtet, Reichtümer zu sammeln. Er erreicht auch immer dieses Ziel,
da er ein gewiegter, schlauer, oft auch gewissenloser, aber auf der
anderen Seite auch wieder äußerst fleißiger, vor keiner Dienstleistung
sich scheuender, stets dienstbereiter, in seinen Ansprüchen sehr
genügsamer Geschäftsmann ist. Leider übt er infolge dieses seines
rührigen, unter Umständen auch unehrlichen Wettbewerbes und seiner
überlegenen Intelligenz einen schädlichen Einfluß auf den Handel aus,
besonders außerhalb seiner Heimat.

[Illustration:

    Phot. B. Hagen.

Abb. 472. Zweiundzwanzigjährige Chinesin.]

Der Chinese +kleidet+ sich in unten zusammengeschnürte Beinkleider
und ein langes, rockartiges Obergewand, das je nach der Jahreszeit
von verschiedener Dicke (im Winter wattiert) ist, eventuell durch
Überziehen weiterer Gewänder verstärkt wird (Abb. 471 und 473). Auch
die kleinen Kinder packt man bereits in stark wattierte Kleider ein,
so daß sie beinahe ebenso breit wie lang aussehen und, wenn sie einmal
hingefallen sind, ohne Hilfe nicht aufzustehen vermögen, sondern wie
ein Häuflein Unglück liegen bleiben. -- Die chinesische Kleidung hat
den Nachteil, daß sie ein schnelles Vorwärtsschreiten nicht gestattet.
Da außerdem der Chinese sehr bequem ist, zumal er mit dem Alter auch
recht behäbig wird, so ziehen es wohlhabendere Leute vor, sich entweder
auf einem Karren (Nordchina) ziehen oder in einer Sänfte (Südchina)
tragen zu lassen. Für jeden Rang der Zivil- und Militärbehörden sind
besondere Abzeichen Vorschrift. Unterschiede in der Stickerei vorn
oder hinten auf der Jacke oder am Rock sowie in der Farbe des Knopfes
oben auf dem Hut deuten die Rangabzeichen an, die niemand tragen
darf, der diesen Rang nicht einnimmt. Personen der höchsten Rangstufe
tragen einen Korallenknopf, die hinter ihnen im Range folgenden einen
blauen, die der dritten Stufe einen solchen aus Kristall und die der
vierten einen einfachen aus Messing. Die Farbe der Sänfte bezeichnet in
gleicher Weise den Stand ihres Besitzers; die höchsten Vertreter dürfen
sich eines Tragstuhles aus grünen Bambusstäben, die der nächstniederen
Klasse eines aus blau gefärbten und die der dritten Rangklasse nur aus
Naturholz bedienen. Neben dem Hut wird von allen Chinesen noch eine aus
Roßhaar geflochtene Mütze mit einer roten Seidentroddel getragen; gegen
die Kälte legen beide Geschlechter Ohrenklappen an oder setzen eine
pelzverbrämte Kappe auf. Für vornehm gelten lange Fingernägel, weil
ihr Träger dadurch kundgibt, daß er keine Arbeit verrichtet; um sie zu
schützen, bedient man sich futteralähnlicher Hülsen (Abb. 473).

Wir können uns einen Chinesen kaum ohne Zopf vorstellen, und doch
ist dieser „Schweineschwanz“ keineswegs eine althergebrachte
Eigentümlichkeit des chinesischen Volkes, wie man immer glaubt,
sondern eine von auswärts eingeführte Mode, welche die im Jahre 1368
siegreich einziehenden Mandschu, beziehungsweise ihre Fürsten dem
Volke aufzwangen. Jedoch ist diese Neuerung in China niemals heimisch
geworden, denn mit dem Sturze der Mandschudynastie, die vor wenigen
Jahren erfolgte, gaben viele Chinesen trotz jahrhundertelangen
Bestehens diese Sitte wieder auf.

[Illustration:

    Phot. Fleet Agency.

Abb. 473. Ein vornehmer Chinese

mit langen Nägeln, die von denen, die es erschwingen können, durch
silberne Hülsen geschützt werden.]

[Illustration:

    Phot. Charles Hose.

Abb. 474. Einschnüren eines chinesischen Frauenfußes.]

[Illustration:

    Phot. Charles Hose.

Abb. 475. Chinesischer Frauenfuß,

„Goldene Lilie“ genannt.]

[Illustration:

    Phot. Richard Little.

Abb. 476. Röntgenaufnahme eines chinesischen Frauenfußes,

die zeigt, wie die Zehen nach unten gebunden sind.]

Anders verhält es sich mit einem für unseren Geschmack unverständlichen
Schönheitszeichen mit den +verkrüppelten Füßen+ der Chinesinnen
(Abb. 474). Ein möglichst kleiner Fuß gilt für berückend schön;
selbst männliche Stutzer streben danach, diese Zierde sich dadurch
anzueignen, daß sie nachts die Füße hochhalten und am Tage mittels
Draht die Zehen in die Höhe drängen, um auf diese Weise einen kleinen
Fuß vorzutäuschen. Die Frau wird daher nur nach der Kleinheit ihres
Fußes gewertet, nicht nach ihren sonstigen Schönheitsattributen, und
ein kleiner Fuß wiegt unter Umständen eine große Mitgift auf. Einem
Mädchen aus ärmeren Ständen, das über recht kleine Füße verfügt, wird
dadurch die Möglichkeit gegeben, in eine höhere Gesellschaftsklasse
einzutreten; auf der anderen Seite auch wieder ist über ein Mädchen,
das keinen verkrüppelten Fuß besitzt, von vornherein das Urteil
gesprochen; es ist für immer zur Ehelosigkeit verdammt. Für den
Chinesen bleibt der kleine Fuß der entzückendste und pikanteste
Körperteil seiner besseren Hälfte; der genießt ganz besonders ihre
Gunst, dessen Blicken sie ihren Fuß einmal enthüllen sollte, was
nur äußerst selten geschieht. Denn wie Chinesen versicherten, ruft
der Anblick eines verkrüppelten Fußes bei ihnen einen hochgradigen
Sinneskitzel hervor. Das Entblößen eines Frauenfußes gilt in hohem
Grade für unschicklich, ja selbst für unsittlich; das geht sogar so
weit, daß Europäer, die den nackten Fuß einer Prostituierten sehen
wollten, bei ihr auf Widerstand stießen. Darstellungen von nackten
Frauenfüßen finden sich auch nur in der pornographischen Literatur,
und nach den Füßen einer Chinesin sehen, ist gleichbedeutend mit
unsittliche Gedanken hegen. Der Ursprung des Fußverkrüppelns ist in
Dunkel gehüllt; die Legende berichtet, daß eine kaiserliche Nebenfrau
im sechsten Jahrhundert nach Christi Klumpfüße gehabt haben soll, die
ihr hoher Herr und Gebieter schön fand, und daß daraufhin sich alle
Hofdamen veranlaßt sahen, ihren Füßen durch Bandagieren dieselbe Form
zu geben. Auf jeden Fall hat sich diese Gewohnheit schon seit langen
Zeiten im himmlischen Reiche Bürgerrecht erworben, und alle namhaften
Dichter haben die „Goldenen Lilien“ unzählige Male besungen. Allerdings
ist sie nicht überall im Lande und nicht gleichmäßig verbreitet; im
Norden des Reiches begegnet man den verkrüppelten Füßen häufiger als
im Süden, bei den wohlhabenderen Volksschichten öfter als bei den
niedrigeren, und in der Stadt ebenfalls häufiger als auf dem Lande.
Merkwürdigerweise war am kaiserlichen Hofe die Verunstaltung des
Frauenfußes nach dem Sturze der Mingdynastie und der Herrschaft der
Mandschu, die an ihrer Stelle ans Staatsruder gelangten, verpönt.
Trotz wiederholter kaiserlicher Verbote hat sich diese schreckliche
Unsitte aber beim Volke bisher nicht abschaffen lassen. -- Die
Verkrüppelung wird durch stetigen Druck und Zug einer straffen, aber
nicht direkt schnürenden Binde im Verlaufe eines Jahrzehnts erzeugt.
Für gewöhnlich beginnt man damit bei den Mädchen im Alter von vier bis
acht Jahren, unter Umständen aber auch schon im zartesten Kindesalter.
In einzelnen Gegenden, wo die Eltern ihr Mädchen zur Feldarbeit
ausnutzen wollen, warten sie bis zu zwölf, dreizehn und auch vierzehn
Jahren; sie begnügen sich dann damit, alle Zehen unter den Fuß zu
binden, so daß sie mit ihrer Rückenfläche auf dem Boden aufliegen,
und ihn auf diese Weise kürzer machen. Verbreiteter ist dagegen ein
anderes Verfahren, das weit elegantere Füße schafft; hierbei wird ein
hohler Metallzylinder unter die Fußwölbung geschoben und über ihn die
ganze vordere Fußpartie nach unten gebogen. Diese Manipulation ist
ziemlich schmerzhaft; ein chinesisches Sprichwort besagt, daß jedes
Paar gewickelter Füße ein Tränenbad koste, und doch wird sie von den
Kindern meist gut ertragen, denn man sieht die Kleinen dessenungeachtet
tagaus, tagein auf der Straße sich tummeln. Die Binden werden jeden
Morgen, nachdem der Fuß gebadet und massiert worden ist, und dies
geschieht ein ganzes Jahrzehnt lang, ungefähr bis zur Pubertät, von
neuem umgelegt. Meistens bandagieren sich die erwachsenen Chinesinnen
ihren Fuß noch weiter, damit er seine Formen behalte. Das Ergebnis
dieser Verunstaltung ist grauenerregend. Zwar wird zumeist, um den
Fuß besonders klein erscheinen zu lassen, durch den Schuhmacher noch
etwas nachgeholfen, insofern er den Schuh nach hinten möglichst weit
und möglichst hoch herausarbeitet, wodurch der vor dem Spann liegende
Abschnitt auffällig verkürzt erscheint, indessen sollen Füße von nur
sieben bis neun Zentimeter Länge keineswegs eine Seltenheit sein. In
solchen Fällen, wo die Mutter ihr Meisterstück vollbracht hat, steht
das Fersenbein steil aufgerichtet, seine Längsachse ist zur Vertikalen
geworden; das Fersenbein hat eine Drehung um neunzig Grad erfahren
(Abb. 475 und 476). -- Die Muskulatur des Unterschenkels wird dadurch
natürlich mehr oder minder zum Schwinden gebracht, das Gehen somit
den Chinesinnen ungemein erschwert, jedoch nicht in dem Maße wie man
glauben könnte. Sie können nach Aussagen von Augenzeugen nicht nur
gehen, sondern auch tanzen und selbst auf einem Pferd oder einem
Seil akrobatische Kunststücke treiben. Allerdings wird so etwas bei
hochgradiger Verunstaltung, wie sie die Modedame aufweist, kaum möglich
sein; diese muß sich, um sich fortbewegen zu können, eines Stockes oder
der Unterstützung ihrer Dienerin bedienen oder sich tragen lassen. Auf
der Straße läßt sich die Chinesin, auch die des mittleren Standes,
tragen oder fahren.

[Illustration:

    Phot. The Baptist Missionary Society.

Abb. 477. Chinesische Haartrachten.]

Das Denken und Empfinden der Chinesen ist in vieler Hinsicht dem
unserigen diametral entgegengesetzt. Dem Europäer, der zum ersten Male
China aufsucht, fällt dies unter anderem dadurch auf, daß sie Dinge
des täglichen Lebens ganz anders als wir erledigen. Bei der Begrüßung
zum Beispiel geben sich die Chinesen nicht die Hand, sondern schütteln
sich ihre eigenen Hände, indem sie sie gleichzeitig derart ineinander
schließen, daß die Finger der rechten Hand über die linke und der
rechte Daumen über den linken zu liegen kommt, sich sehr oft verbeugen
und mit den Füßen scharren. Gehen sie aneinander vorbei und haben sie
keine Lust sich zu begrüßen, dann halten sie einen geöffneten Fächer
zwischen sich, wobei sie meinen, daß sie dadurch sich gesellschaftlich
unsichtbar machen, ohne die Höflichkeit zu verletzen. Die Zeitung
beginnt man auf der letzten Seite und von unten nach oben, sowie von
rechts nach links zu lesen. Wenn man ein Haus baut, dann fängt man mit
dem Dache an, das man auf Pfeiler stützt, und sodann erst errichtet man
die Mauern. Fährt man in einem Boot ans Land, so steht der Bootführer
mit dem Gesicht gegen den Bug gewendet und stößt die Ruder. Der
Zimmermann zieht den Hobel auf sich zu und sägt von sich weg. Wenn
man vom Tode eines nahen Verwandten spricht, muß man eine lächelnde
Miene aufsetzen, damit der andere nicht in die peinliche Lage kommt,
sein Beileid auszusprechen. Wenn ein Vorgesetzter in einer Sänfte
vorübergetragen wird, muß der ihm zufällig begegnende Untergebene so
tun, als ob er ihn nicht kenne; denn falls er ihn grüßen würde, müßte
der Vorgesetzte aus Höflichkeit aus der Sänfte steigen und ihm Guten
Tag wünschen.

Wie ich schon hervorhob, haben sich im Laufe der Zeiten die Sitten in
China wenig geändert. Schon vor mehr als zweitausend Jahren kleideten
sich die Söhne des Reiches der Mitte in dieselben Gewänder, auch die
gefütterten, wie heutzutage, puderten, schminkten sich die Frauen und
steckten sich künstliche Blumen in die Haare (Abb. 477), fächelten sich
beide Geschlechter und nahmen die Speisen mit dünnen Stäbchen, wie in
der gegenwärtigen Zeit. Man unterhielt sich schon seit alters durch das
Schachspiel, das bereits 2345 vor Christi Geburt erfunden worden sein
soll, und erfreute sich an der Musik, von der damals schon die zwölf
Halbtöne der Oktave bekannt waren.

[Illustration:

    Aus „Anthropos“.

Abb. 478. Chinesischer Schauspieler in einer Frauenrolle,

eine junge Gattin darstellend, die sich nach ihrem abwesenden Gatten
sehnt.]

Auch heutzutage spielt die +Musik+ bei allen feierlichen Gelegenheiten
im Leben der Chinesen eine große Rolle. Wann eine solche solenne
Festmusik stattfindet und wieviel Instrumente dabei tätig sein
müssen, ist durch strenge Etikette geregelt; je wichtiger der Akt,
desto umfangreicher das Orchester. In ganz eigenartiger Weise tritt
die Musik im chinesischen Theater in Wirksamkeit. Bei gesteigerten
Gemütsbewegungen, sei es im Trauer- oder im Lustspiel, namentlich bei
Aktabschlüssen hört mit einem Male die eintönige Rezitation auf und
es setzt eine Arie ein, nachdem schon vorher eine gellende Musik den
Schauspieler unterbrochen hat. Die üblichen musikalischen Werkzeuge
sind ein Flaschenkürbis mit darauf sitzenden Bambusflöten, eine
einfache Holzkiste, deren Innenseiten mit einem Hammer geschlagen
werden, ein glockenförmiges, oben mit einer, vorn mit drei und hinten
mit zwei Öffnungen versehenes Tongefäß, an einem Metallrahmen hängende
Glöckchen, wobei aber nicht direkt auf diese selbst, sondern auf den
Rahmen geschlagen wird, damit das Ganze zum Tönen kommt, in einem
ähnlichen Gestell aufgehängte klingende Steine, die mit Klöppeln
angeschlagen werden, ferner Geigen, Mandolinen, Gitarren, Pauken,
Trommeln, Trompeten, Becken, Xylophone und so weiter.

[Illustration:

    Aus „Anthropos“.

Abb. 479. Chinesische Bühne.

Die Szene stellt einen Akt aus Dschan Bei Yüan (Die Eroberung von Bei
Yüan) vor.]

Die Chinesen sind von alters her auch leidenschaftliche Liebhaber des
+Theaters+. Die Bühne pflegt ein von drei Seiten offener, überdeckter
Pavillon zu sein, an den sich im Hintergrunde ein Gebäude anschließt;
den Zuschauerraum gibt die Dorfstraße ab (Abb. 479). Die Schauspieler
von Beruf werden zu der niedrigsten Menschenklasse gerechnet und
sind von allen Ehrenämtern, desgleichen auch ihre Nachkommen,
ausgeschlossen. Frauenrollen werden ebenfalls von den Herren der
Schöpfung gespielt, die dann mächtig geschminkt und gepudert, zumeist
wie mit Tünche überzogen, auftreten (Abb. 478). Ihre buntschillernden
Kostüme sind fast immer recht kostbar und mit wundervollen Stickereien
bedeckt; ein Kopfputz erhöht die theatralische Wirkung. Die Handlung
nimmt auf historische oder mythische Ereignisse Bezug und besteht in
uns unverständlichen Gesten der Arme und Bewegungen der Beine, die oft
in seltsame Sprünge ausarten. Auf der mit nur spärlichen Requisiten
ausgestatteten Bühne herrscht meist ein furchtbarer Lärm, da ein
Schauspieler den anderen durch eine laute Stimme, zumeist in hoher
Fistellage, zu übertreffen sucht. Die Wiedergabe eines historischen
Heldenromans sieht sich wie eine Burleske an. Werden Kostümumwandlungen
nötig, dann stellen sich einige der Mitwirkenden vor die betreffende
Person, die den Wechsel auf der Bühne hinter dieser lebenden Schutzwand
vollzieht. Pausen werden durch das Auftreten mächtiger Gestalten mit
grotesken Masken und Vorführung von Tänzen ausgefüllt, die entweder
kriegerischer Natur sind und mit andauerndem Lärm und wildem
Umherschwingen der Schwerter und Lanzen einhergehen oder in ruhigeren
ballettartigen Bewegungen bestehen.

[Illustration:

    Phot. F. W. Carey.

Abb. 480. Chinese im Kang.]

[Illustration:

    Phot. F. W. Carey.

Abb. 481. Aufzug beim Ying Chun- oder Frühjahrsbegrüßungsfeste in
Yünnan.]

[Illustration:

    Phot. F. W. Carey.

Abb. 482. Szene vom Ying Chun-Feste.

Ein mächtiger Stoffdrachen wird durch die Strassen getragen.]

Unter großer Ausgelassenheit wird in China das +Neujahrsfest+, das
San-Lin, gefeiert; die große Bedeutung dieses Tages erklärt sich, wenn
man bedenkt, daß der erste Tag des neuen Jahres für den allgemeinen
Geburtstag der gesamten Bevölkerung gilt; jeder Chinese rechnet
daher sein Alter von dem Beginne des Jahres an, in dem er geboren
wurde, und ein Kind, das eine Woche vor Jahresschluß das Licht der
Welt erblickte, ist am ersten Tage des neuen Jahres bereits ein Jahr
alt. Schon wochenlang vorher macht sich das Nahen dieses wichtigen
Festes bemerkbar. Der Kaufmann schließt seine Bücher ab, treibt seine
ausstehenden Forderungen ein und läßt saumseligen Schuldnern die
Ladentore ausheben, damit die stets umherschweifenden bösen Geister
Eingang finden, außerdem bemüht er sich, sein Lager in den letzten
Wochen nach Möglichkeit zu räumen. Im Hause wird große Reinigung
vorgenommen. Auf den Höfen werden Opferaltäre errichtet, auf denen den
Göttern noch schnell, ehe das Jahr zur Neige geht, allerlei Kuchen und
Früchte dargebracht werden. Die Reichen errichten dazu große Pavillone
und behängen sie kunstvoll mit bunten Stoffen und Papierlaternen.
Die Tempel werden das ganze Jahr lang nicht von so vielen Menschen
aufgesucht, wie in den letzten Tagen. Überall auf den Straßen werden
zahllose rote Papiere angebracht, auf denen die Wünsche, meistens für
„langes Leben, Gesundheit, Reichtum, Liebe zur Tugend, und natürlichen
Tod“ geschrieben stehen. Alle Türen, Fenster, Hallen, Bäume, Sträucher,
Wagen, Tiere, Boote und sonstigen Gegenstände werden mit roten Papieren
behängt, auf denen man Glück und Segen herabfleht. So ist mittlerweile
die Neujahrsnacht herangerückt. Alles geht in prächtige Festgewänder
gekleidet, die Kinder in possierlichen Putz gesteckt, auf die Straße,
um sich die Beleuchtung der Häuser und das Feuerwerk anzusehen, das
zum Austreiben der bösen Geister angezündet wird; allenthalben wird
dabei ein ohrenbetäubender Lärm gemacht. So lebhaft und laut es in der
Nacht zugeht, so still und stumm ist es am Morgen des Neujahrstages.
Die Straßen liegen wie tot da, alle Läden, Geschäftsräume und Ämter
sind geschlossen; kein Verkehr, kein Geschäft findet statt. Erst gegen
Mittag kommt Leben hinein, die Männer erscheinen, die Vornehmeren in
ihrer Sänfte, die Ärmeren zu Fuß, um sich gegenseitig Neujahrsbesuche
abzustatten und ihre Visitenkarten abzugeben, auf denen für gewöhnlich
Kinder, Standeserhöhung und langes Leben gewünscht werden. Die
chinesischen Visitenkarten sind von roter (der Glücks-) Farbe und haben
eine ganz ungewöhnliche Größe; sie messen etwa zwanzig Zentimeter
in der Länge. Auch im Hause selbst werden ähnliche Glückwünsche
dargebracht. Die Kinder werfen sich vor ihren Eltern zum Kotau nieder,
die Schüler vor ihren Lehrern, die Diener vor ihrer Herrschaft, die
niederen Beamten vor den höheren und die Eltern vor den Ahnentafeln
ihrer Vorfahren, denen sie außerdem in Schalen Reis und Reiswein
vorsetzen. Ein jeder Gast erhält eine Schale Tee kredenzt, in die man
als Zeichen des Wohlstandes eine Mandel oder Olive hineinlegt. Am
Abend nimmt man das tolle Leben von der Neujahrsnacht wieder auf, und
nun setzt ein mehrtägiges Feiern ein, bei dem die Ausgelassenheit keine
Grenzen kennt. Währenddessen bleiben Geschäfte und Bureaus geschlossen;
alle Arbeit ruht. Und wenn sie auch nach fünf Tagen im allgemeinen
wieder aufgenommen wird, so hält doch das Feiern noch wochenlang an.
Der siebente Tag ist im besonderen dem schönen Geschlecht gewidmet;
dann erscheinen die Damen in großen Scharen in den öffentlichen
Gärten, um sich zu unterhalten, und am vierzehnten und fünfzehnten
Tage pflegen alle Mitglieder einer Sippe zu einem gemeinschaftlichen
Festmahle zusammenzukommen; das ist der Höhepunkt des Festtrubels. Das
Ganze findet seinen Abschluß in dem Laternenfest, bei dem Laternen von
allen Farben, Größen und Formen an Stöcken durch die Straßen in großer
Prozession getragen werden.

Karnevalähnliche Aufzüge pflegen wohl bei allen größeren Festlichkeiten
veranstaltet zu werden, so auch in großem Stile bei dem +Begrüßungsfest
des Frühlings+ (Ying Chun). Bei diesem trägt man große papierne
Drachen durch die Gassen (Abb. 481 und 482). -- Bei dieser Gelegenheit
soll auch einer uralten Sitte gedacht werden, die Schiller in einem
Gedichte verherrlicht hat, des +Pflugfestes+ der Chinesen, bei dem der
Kaiser alljährlich vor der Öffentlichkeit höchst feierlich in eigener
Person den Pflug lenkte und die Saat mit den Händen ausstreute. Dieser
Brauch soll bereits im Jahre 2800 vor Christo von dem zweiten der
legendenhaften Kaiser, namens Chin Nong, vorgeschrieben worden sein und
hatte sich bis in unsere Tage hinein erhalten.

[Illustration:

    Phot. F. W. Carey.

Abb. 483. Strafe für Räuber in China, wie sie früher üblich war.]

Die Chinesen sind im allgemeinen große +Feinschmecker+ und verfügen
aus diesem Grunde auch über eine +Unmasse von Delikatessen+, die unter
Umständen sich viel kostspieliger stellen als die teuersten Gerichte
unserer Speisekarte; aber für unseren Gaumen dürften die meisten von
ihnen grauen- und ekelerregend sein. Am höchsten werden Haifischflossen
geschätzt, beinahe ebenso getrocknete Austern und Vogelnestersuppe
(von einer Seeschwalbenart), deren Ruf bereits bis in die vornehmen
europäischen Gasthäuser gedrungen ist (wohl die teuerste Delikatesse
der Welt). Weitere beliebte Gerichte, die auf die chinesische Tafel
kommen, sind Tintenfische, künstlich, zumeist jahrzehntelang gereifte,
fälschlich faul genannte Eier, getrocknete Würmer, stinkende Fische,
Ratten-, Mäuse-, Katzen-, Hundebraten; daneben aber auch Schweinebraten
und eine Unmasse von Gemüsen und Früchten, von denen uns bittere
Melonen und Bambussprossen eigenartig anmuten. Für das Volk besteht
die Hauptnahrung in Reis, daneben aber kommen auch eine ganze Reihe
von Gemüsen, Wurzeln und Früchten sowie allerlei Erzeugnisse des
Meeres auf den Tisch, auch Seetang wird gern gegessen. Man nimmt den
Bissen mit langen Eßstäbchen aus Holz oder Elfenbein auf und führt ihn
damit auch zum Mund; Messer und Gabel kennen die Chinesen bei ihren
Tafelfreuden nicht. Die Getränkekarte ist bei ihnen sehr bescheiden;
die Weingewinnung kennen sie nicht. Wenn wir von dem Sekt absehen, der
bei den Diners der reichen Chinesen neuerdings mehr und mehr Eingang
findet, kennt man nur den warmen Reiswein, der auf keinem Tische fehlen
darf. Für die große Masse aber ist Tee das Hauptgetränk; in seiner
Zubereitung sind die Chinesen ja bekanntlich Meister. Wenig bekannt
dürfte sein, daß man aus Teeblättern auch einen schmackhaften Salat
bereitet.

Wir können den Abschnitt über die chinesische Küche nicht verlassen,
ohne noch einer schrecklichen Unsitte zu gedenken, die vordem in China
verbreitet gewesen sein muß, aber in gewisser Form bis in die jüngsten
Tage hinein noch ihr Dasein gefristet hat, nämlich das +Verzehren von
Menschenfleisch+. Besonders wird sie auf den Schlachtfeldern geübt, den
Beweis hierfür haben wir in verschiedenen der letzten Kriege erhalten.
Die Soldaten rissen den Schwerverwundeten Herz und Leber aus dem Körper
und verzehrten sie, oder, wenn solche im Übermaß vorhanden waren, so
daß sie sie nicht auf einmal aufessen konnten, trockneten sie dieselben
für später in der Sonne. Der Chinese hält nämlich diese Eingeweide, im
besonderen die Leber, für den Sitz des Mutes und glaubt dadurch, daß er
sie verzehrt, diesen auf den eigenen Körper zu übertragen. Vor kurzem
wurde noch berichtet, daß ein Ehepaar seine Schwiegermutter, weil sie
angeblich den Tod ihres Enkelkindes verschuldet hatte, tötete, das Herz
aus dem Leibe riß und den übrigen Körper in Stücke zerschnitt, die dann
gekocht und unter die Leute als Nahrungsmittel verkauft wurden. Zu
Zeiten großer Hungersnöte ist es allgemeiner Brauch, Menschenfleisch
nicht nur heimlich, sondern auch öffentlich zum Verkauf aufzubieten. --
Pietätvolle Kinder lassen sich als Kräftigungsmittel für ihre Eltern
Fleisch aus Arm und Bein schneiden. Damit berühren wir das Kapitel über
+chinesische Medizin+.

[Illustration:

    Phot. Archibald Little.

Abb. 484. Chinesische Fischer mit Kormoranen an ihrer Bootspitze,

die zur Jagd auf Fische abgerichtet sind.]

Die Vorstellungen der chinesischen Ärzte über die einzelnen Organe des
Körpers sind nur mangelhafte und ganz schiefe. Aus Sektionen können sie
sich keinen Rat holen, da für einen Chinesen der Gedanke entsetzlich
ist, als Verstümmelter das Totenreich zu betreten. Die chinesische
Medizin kennt nur fünf Organe, die sie zu dem ganzen Weltall in eine
mystische Beziehung der Harmonie, beziehungsweise bei Erkranktsein,
der Disharmonie setzen. In jedem dieser Organe herrscht eines der fünf
Elemente (zum Beispiel im Herzen das Feuer) vor und jedes steht auch
noch mit einem der fünf Planeten, der fünf Tages- und Jahreszeiten und
der fünf Geschmacksarten in Verbindung. Auf Grund solcher verworrenen
Ansichten stellt der chinesische Arzt nun seine Diagnose. Er prüft
zu diesem Zweck das Gesicht, die Zunge, die Haare und so weiter, vor
allem den Puls. Letzterer entspricht an einer bestimmten Körperstelle
einem bestimmten Organ; es gibt zweihundert Pulsarten, aus deren
Beschaffenheit der Arzt nun die Krankheit erkennt und seine Anordnungen
trifft, die Angaben des Kranken sind ihm nebensächlich. Die Behandlung
besteht in dem Schlucken einer Unmasse von Medikamenten, die manchmal
höchst problematischer Natur sind und in ekelerregenden Stoffen
bestehen.

Das +Opiumrauchen+ ist ein über ganz China verbreitetes Laster, das
große Verheerungen in gesundheitlicher Hinsicht unter der Bevölkerung
angerichtet hat und daher mit Recht von der Regierung neuerdings aufs
schärfste verfolgt wird. Die Opiumraucher finden sich in bestimmten
Räumen, den sogenannten Opiumhöhlen, ein, auf deren Diwanen sie sich
niederlegen (Abb. 470). Aus dem Opiumbehälter nehmen sie ein Stückchen
von etwa Erbsengröße, trocknen es an der Flamme mittels einer Nadel
erst etwas aus, stecken es in den Pfeifenkopf, zünden die Masse an und
ziehen den Rauch in wenigen, aber tiefen Zügen bis in die Lungen ein.
Die Anzahl der Pfeifen, deren ein Raucher nötig hat, um sich in den
gewünschten Zustand von Wohlbehagen zu versetzen, ist nach dem Grade
der Angewöhnung sehr verschieden; ein Chinese, der dreißig bis vierzig
Pfeifen am Tage raucht, wird noch als mäßiger Raucher angesehen.

Die Chinesen sind tüchtige +Handwerker+, die besonders auf dem
Gebiete der Seidenindustrie, sowie der Herstellung von ausgelegten
Gegenständen, Bronzen, feinem Porzellan, Papier, Lackarbeiten und
Schnitzereien Vorzügliches und direkt Künstlerisches leisten. Auch in
der Industrie zeigt sich wieder das Festhalten am Althergebrachten,
denn die Herstellungsmethoden sind zumeist noch sehr primitive. -- Von
der +Landwirtschaft+ der Chinesen war bereits oben die Rede. Sie geben
sich auch mit der Züchtung bizarrer Zwergbäume ab, die in Blumentöpfen
weiter gedeihen. Interessant ist das Fangen der Fische mittels
abgerichteter Kormorane vom Boot aus (Abb. 484).

[Illustration:

    Phot. N. P. Edwards, Littlehampton.

Abb. 485. Chinesischer Wachmann,

der entgegen dem Gebrauch bei uns sich durch ein Gong bemerkbar macht,
um den Dieb zu warnen.]

Die +Rechtspflege+ in China ist eine sehr traurige. Es gibt weder
Richter, noch Verteidiger, noch Staatsanwälte. Der Mandarin des Ortes
oder des Bezirkes übt allein das richterliche Amt in öffentlicher
Sitzung aus und verhängt die Strafen; über Todesstrafe verfügt allein
der Kaiser. Die gewöhnlichsten Strafen sind Stockhiebe, auch häufig
bestehen sie in dem Kangtragen. Der Kang (Abb. 480) sind zwei schwere
Bretter, die, mit Ausschnitten an der Innenseite versehen, um den Hals
des Verbrechers, ähnlich wie eine mittelalterliche Halskrause, gelegt
werden. Dieses Werkzeug, das gegen fünfzehn Kilogramm wiegt, muß für
die ganze Dauer der Strafe, manchmal monatelang getragen werden. Dazu
kommen als weitere Strafmittel allerlei Marterwerkzeuge, wie Daumen-
und Beinschrauben und so weiter (Abb. 483). Oft übt das Volk auch
Lynchjustiz aus und hängt den Übeltäter an einem Baume auf, ohne ihm
ernstlich Schaden dabei zu tun; in dieser lächerlichen Haltung ist er
für eine halbe Stunde dem Gespötte der Vorübergehenden preisgegeben
(Abb. 486). -- Wie die chinesischen Gebräuche auch sonst vielfach im
direkten Gegensatze zu den unserigen stehen, so sehen wir auch den
chinesischen Polizisten sich durch eine Trommel, die er anschlägt, dem
Verbrecher bemerkbar machen (Abb. 485).

[Illustration:

    Phot. F. W. Carey.

Abb. 486. Strafe für einen Hühnerdieb in Yünnan,

der so aufgehängt dem Gespötte der Vorübergehenden ausgesetzt wird.]

In China gibt es drei Religionen, zwei volkstümliche, den
Konfuzianismus und den Taoismus, und eine von auswärts eingeführte,
den Buddhismus. Konfuzius (geboren 551 vor Christo), chinesisch
Kung-fu-tse, das heißt Kung, der heilige Meister, schuf die nach ihm
benannte Lehre; eigentlich erfand er sie nicht, sondern sammelte in den
ihm zugeschriebenen heiligen Büchern (Khing und Shu) die alten von der
Urzeit an überlieferten religiösen Ansichten des Volkes, die nicht eine
Religion im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr Lebensweisheit und
Moraltheologie vorstellen. Der Taoismus rührt von Laot-se (geboren 604
vor Christi Geburt) her; seine in dem Tao-teh King niedergelegte Lehre
beschäftigt sich vorzugsweise mit dem Tao, das ist dem geraden Wege,
was sich vielleicht mit Vernunft oder Natur übersetzen läßt. Während
diese beiden Religionssysteme auf chinesischem Boden entsprossen sind,
drang der Buddhismus als eine fremde Religion im ersten Jahrhundert
nach Christo aus Indien in China ein. Kaiser Ming-ti erkannte im
Jahre 65 diese neue Lehre als dritte Staatsreligion für sein Reich
an. Alle drei Religionen wirken in China friedlich nebeneinander.
Dabei leben aber auch noch animistische Vorstellungen im Volke fort
von Baumanbetungen und Verehrung der Wasser- und Windgeister (Feng
Shui) (Abb. 487). Die Furcht vor bösen Geistern macht sich vielfach
in den Gewohnheiten der Chinesen bemerkbar, so unter anderem darin,
daß sie vor jeden Hauseingang einen Wandschirm stellen oder die Tür
nur in einem bestimmten Winkel offenstehen lassen in der Annahme,
daß alle bösen Geister geradeaus gehen und bei dieser Anordnung
schwer den Eingang finden. Vor allem zeigt sich der Ausfluß des alten
Dämonenglaubens in den Gebräuchen bei der Geburt eines Kindes.

[Illustration:

    Phot. Arthur Sowerby.

Abb. 487. Dorfgottheiten in Schansi.

Ein häufiger Brauch in Schansi ist, daß Götter zwei Dörfern angehören.
Sie werden in dem Tempel des einen Dorfes sechs Monate aufgestellt, um
dann in demjenigen des anderen untergebracht zu werden.]

[Illustration:

    Aus Hardy, John Chinaman at Home.

Abb. 488. Reich verzierte Hochzeitssänfte,

die von dem Bräutigam ins Haus der Braut gesandt wird, um diese
abzuholen.]

[Illustration:

    Aus Reitzenstein, Liebe und Ehe.

Abb. 489. Schmückung einer chinesischen Braut.

Sie erhält unter anderem Blumen, an denen zwei Knabenpuppen, die eine
grün, die andere rot, beide mit einem Kürbis in der Hand, hängen -- ein
Symbol der Fruchtbarkeit. Der Bräutigam betritt das Zimmer und nimmt
neben der Braut Platz.

(Malerei auf Seide. Museum für Völkerkunde, Berlin.)]

Die +Geburt+ geht unter Beihilfe einer Hebamme vor sich. Diese
Frauen pflegen ihre Tätigkeit durch ein bemaltes Schild vor ihrem
Wohnhause bekannt zu machen, das auf der Vorderseite diese ihre
Beschäftigung („Empfangsfrau“) kundgibt und auf der Rückseite irgend
einen glückverheißenden Spruch oder eine geschickte Anpreisung ihrer
gesegneten Tätigkeit, wie „flinkes Roß“ oder „leichtes Gefährt“
enthält. Bei jeder Geburt spielen Amulette eine große Rolle, um die
bösen Geister zu bannen. So zieht die Gebärende besondere Strümpfe an,
die der Dalai Lama eingesegnet hat, oder verschluckt Pillen aus Papier,
auf dem Zaubersprüche geschrieben stehen, oder man hängt in ihrer Nähe
zwei Zauberschwerter auf, das sind zwei Stäbe in Schwertform, die
sich aus etwa hundert aufeinander gereihten, womöglich recht alten,
Kashmünzen, zusammensetzen. Die +Nabelschnur+ wird von der Hebamme in
eine Holzkohle enthaltende Urne getan, die man sorgfältig versiegelt
und zehn Jahre hindurch, mitunter auch das ganze Leben lang, aufbewahrt
und im letzteren Falle mit ins Grab gibt. Manchmal wird sie auch
getrocknet, um pulverisiert dem Kinde bei Blattern als Heilmittel
gegeben zu werden. Die +Nachgeburt+ muß von der Mutter der Wöchnerin,
oder falls diese nicht mehr am Leben ist, von der ältesten Schwägerin
am dritten Tage nach der Niederkunft unter einem Steine vergraben
werden, damit sie niemand findet. Denn da sie ein von Apothekern sehr
gesuchter Artikel ist, um daraus ein Heilmittel zur „Herstellung der
Lebenskraft“ anzufertigen, so wird sie häufig gestohlen. Man gibt das
Mittel auch einer Schwangeren vor der Entbindung ein. Einem scheintoten
Kinde wird ein mit Öl getränktes Stück Papier auf den Nabel gelegt
und angebrannt, damit die dabei sich entwickelnde Hitze durch den Nabel
in den Magen ziehe und die Lebensgeister erwärme. Nach der Geburt
werden rote Kerzen in der Wochenstube angezündet und die Anwesenden
bemühen sich, nur Angenehmes zu erzählen, denn der neue Erdenbürger
darf nur Freudiges hören und sich nicht erschrecken. Die +Wöchnerin+
gilt für kürzere oder längere Zeit als unrein; kein männliches Wesen
und kein Fremder dürfen in ihre Stube kommen. Zum Zeichen dessen
hängt man an einem der Türklopfer ein Schloß auf und teilt auf einem
Stück roten Papiers mit, daß ein Knabe oder ein Mädchen angekommen
ist. Kein Mensch wird dann wagen einzutreten. Der Vater sieht sofort
nach der Geburt im Kalender nach, ob die Stunde günstig ist. Erblickt
ein Knabe um die Mittagstunde das Licht der Welt, dann wird er nicht
nur am Leben bleiben, sondern auch ein bedeutender Mann werden;
ein Mädchen dagegen wird sterben. Wird ein solches um Mitternacht
geboren, dann wird es wohl sein Leben behalten, aber unglücklich
werden; ein Knabe aber wird beständig Freude im Leben haben. Am
dritten Tage gibt man dem Kinde den ersten Namen, den sogenannten
Milchnamen (im Gegensatz zu dem Familiennamen), der meistens auf
irgend ein Ereignis, das bei der Geburt auffiel, zum Beispiel starken
Regen, Bezug nimmt. Geht der Knabe zur Schule, dann erhält er den
Schulnamen, manchmal wechselt er auch diesen noch, während Mädchen
Zeit ihres Lebens denselben Vornamen führen. Am achtundzwanzigsten
Tage wird ein großes Fest gefeiert, zu dem die Freunde sich mit ihren
Glückwünschen und Geschenken einfinden. Die Mutter überreicht dem
Vater das Kind, der es als das seine anerkennt. Es wird auch am Kopfe
rasiert, nur zwei kleine Büschel bleiben an den Schläfen stehen. Um den
Einfluß böser Geister zu bannen, wird an ihm noch die Zeremonie des
Tordurchschreitens vorgenommen. Es wird unter lauten Zymbalschlägen in
feierlichem Zug durch einen Torrahmen getragen, der mitten in einem
Zimmer aufgestellt ist, und erhält Speisen, Papiergeld und so weiter
angeboten. Hat das Kind das erste Lebensjahr vollendet, dann werden
neue Opferspenden dargebracht und daran anschließend ein neues Fest
veranstaltet. Nachdem Räucherkerzen angezündet worden sind, breitet
man vor den Ahnentafeln auf einer Platte im Kreise eine Geldwage, ein
Buch, Schmucksachen und so weiter aus, setzt das Kind mitten hinein und
beobachtet, welchem Stück es seine besondere Aufmerksamkeit zuwendet;
man schließt daraus auf seinen zukünftigen Beruf. Nach vollendetem
zehnten Jahre wird wiederum ein Fest abgehalten, und dies wiederholt
sich alle Dezennien. Die Kleider für ganz junge Kinder werden nach
dem Muster der Priesterkleidung angefertigt; hierdurch, wie durch
alle möglichen Zaubermittel, Glücksächelchen und Bildnisse besonderer
Schutzgottheiten, die man ihnen umhängt, soll der Schutz der Götter
gewonnen werden. Beständig ist die Mutter darauf bedacht, daß dem Kinde
ein böser Geist nichts antue. Aus diesem Grunde wird manchmal ein
Knabe als Mädchen und ein Mädchen als Knabe angezogen, um die Geister
irrezuführen.

[Illustration:

    Aus Reitzenstein, Liebe und Ehe.

Abb. 490. Chinesischer Brautzug nach dem Hause des Bräutigams.

Die erste Sänfte enthält die Braut, die zweite die Brautmutter. Die
Braut wird dabei in einer roten Sänfte getragen. Die vorangehenden
Laternenträger sind bei den oberen Gesellschaftsklassen mit
rotpunktierten grünen Röcken, bei den übrigen mit schwarzen Röcken
bekleidet.

(Malerei auf Seide. Museum für Völkerkunde, Berlin.)]

Mit sieben Jahren beginnt für die Knaben der erste +Unterricht+, der
in dem Lesenlernen und Schreiben der Tausende von Schriftzeichen und
in dem Auswendiglernen klassischer Bücher besteht. Nach einigen Jahren
wird ihnen die höhere Bildung zuteil, insofern sie über Abfassung
von Briefen, behördlichen Verordnungen, Kontrakten und so weiter
Unterweisung empfangen und sich mit literarischen Kompositionen und
poetischen Erzeugnissen beschäftigen. Nach abgeschlossenem Bildungsgang
legen die jungen Leute ihre +Examina+ ab, zu denen ein jeder, mit
wenigen Ausnahmen, wie zum Beispiel die Barbiere und Schauspieler,
zugelassen wird. Es ist dies eine uralte Einrichtung, die bereits
auf ein mehr als tausend Jahre langes Alter zurückblickt. In vielen
Gegenden legen die Kandidaten, wenn sie in Ehren bestanden haben, ein
besonderes Gewand an, das mit vielen Bändern geschmückt ist, gehen
umher, machen bei ihren Bekannten Besuche und nehmen deren Glückwünsche
entgegen. Über dem Haupteingang des Hauses, in dem sie wohnen, wird
ihr Name und akademischer Rang mit großen goldverzierten Buchstaben
aufgetragen, ein sinnreicher Tribut an die Gelehrsamkeit, durch den
in die Eintönigkeit der schmalen Straßen etwas Abwechslung gebracht
wird. Neuerdings beginnen mehr und mehr europäische Erziehungsmethoden
in China Eingang zu finden, auch der Mädchenbildung wird jetzt mehr
Beachtung geschenkt. Man läßt den Mädchen bis zu einem gewissen Grade
auch schon eine Erziehung zuteil werden, das heißt ihnen Unterricht
im Lesen und Schreiben, sowie in der Anfertigung von Handarbeiten, im
besonderen Sticken geben. Bis dahin beschränkte sich ihre Ausbildung in
dem Einüben von Begrüßungen, Verbeugungen und anderen Förmlichkeiten.
In Südchina schickt man die Mädchen sogar in Pensionate.

[Illustration:

    Phot. Messrs. Thomson.

Abb. 491. Ein Chinesenpaar in Andacht vor dem Schrein ihrer Vorfahren.]

[Illustration:

    Phot. Mrs. Cecil Holiday.

Abb. 492. Chinesisches Brautpaar,

der Bräutigam in Mandarinenkleidung, aber ohne Rangabzeichen
(Perlenhalsband und Stickerei auf der Vorderseite des Rockes), die
Braut in prunkvollem Kopfputz, der ihr Gesicht ziemlich verbirgt.]

Das Weib nimmt bei den Chinesen eine ganz untergeordnete Stellung
ein. Bereits die Geburt eines Mädchens wird in der chinesischen
Familie selten mit Freuden begrüßt und manchmal geradezu als ein böses
Geschick verwünscht, sobald keine Knaben vorhanden sind. Dies hängt
mit der Sitte der +Ahnenverehrung+, mit der Ansicht der Chinesen, daß
die Seelen der Vorfahren nur durch die Huldigung ihrer männlichen
Nachkommen ein glückliches Dasein führen, zusammen. Daher wird es
allgemein als Familienunglück angesehen, wenn kein Sohn vorhanden ist,
der den Ahnen die täglichen Ehren erweisen und Opfer darbringen kann,
damit sie in der Unterwelt nicht ewig hungern und dürsten brauchen.
Außerdem ist ein männlicher Nachkomme stets eine Stütze der Eltern,
zumal er auch nach seiner Verheiratung in ihrem Hause verbleibt und
sie unterhält. Kommt noch hinzu, daß er literarische Ehren erwirbt und
eine gute Stellung erhält, so gereicht dies nicht nur seinen Erzeugern,
sondern auch den Vorfahren zur Zierde. Eine Tochter dagegen fällt bis
zu ihrer Verheiratung den Eltern nur zur Last und vermag sie späterhin
nicht zu unterstützen, da sie in die Familie des Gatten übersiedelt. --
Der Chinese +heiratet+ für gewöhnlich jung, meist vor dem vollendeten
zwanzigsten Lebensjahre; es ist aber nichts Ungewöhnliches, daß
Knaben von sechzehn mit Mädchen von vierzehn Jahren die Ehe eingehen.
Verlobungen finden häufig schon viel früher statt. Liebe knüpft sehr
selten den Bund fürs Leben, sondern fast stets der Wille der Eltern,
gegen den das junge Mädchen nicht ankämpfen darf. Sie bekommen die
Schwiegertochter oft zu einem sehr niedrigen Preise oder gar umsonst
von einer Familie, die zu arm ist, um eine Tochter aufzuziehen. Es
ist in China üblich, daß die Schwiegertochter in das Haus der Eltern
des Bräutigams zieht, wo sie für immer verbleibt und mitarbeiten muß;
oft genug erfährt sie hier die grausamste Behandlung, besonders von
seiten der Schwiegermutter, die das ganze Hauswesen der Sitte gemäß
beherrscht, sogar tyrannisiert. Dieser Übelstand hat den Selbstmord
vieler chinesischer Frauen zur Folge, da sie die Mißhandlungen und
Kränkungen nicht auf die Dauer auszuhalten vermögen. In Südchina soll
es sogar einen Geheimbund junger Mädchen geben, „die Gesellschaft der
goldenen Regenbogen“, deren Mitglieder sich verpflichten, eher sich
das Leben zu nehmen, als zu heiraten. -- Der Heirat geht als Regel die
+Verlobung+ voraus, von der einer nur mit großer Schwierigkeit und
unter großem Geldaufwand loskommen kann. Stirbt der Jüngling vor der
Hochzeit, so gehört seine Braut trotzdem seiner Familie an und wird als
seine Witwe angesehen. Einer der seltsamsten Gebräuche ist ihre Trauung
mit dem Geiste ihres verstorbenen Bräutigams. Er wird durch eine Tafel
vertreten, die eine weibliche Verwandte bei der Trauung trägt und die
nachher in den Ahnensaal kommt; im übrigen spielt sich die Zeremonie so
ab, als ob der Bräutigam noch lebte. Drei Tage nach solcher Hochzeit
legt die Braut Trauer an und richtet sich lebenslänglich als Witwe ein;
sie adoptiert auch einen Sohn, der den Familiennamen des Verstorbenen
weiterführt und die Pflege der Ahnen übernimmt. -- Nachdem ein
Austausch von Geschenken stattgefunden hat, wird die im Brautkleid aufs
schönste geschmückte Braut (Abb. 489 und 492) auf einer Hochzeitssänfte
(Abb. 488) in das Haus der Schwiegereltern getragen (Abb. 490), wo
sie sofort diesen sowie den Großeltern, ganz gleich ob sie leben oder
nicht, ihre Ehrerbietung erweist; Vater und Mutter sitzen dabei,
und das Paar kniet vor ihnen nieder. In gleicher Weise muß es der
Ahnentafel seine Ehrerbietung erweisen (Abb. 491) und abwechselnd aus
demselben Becher Reiswein trinken. Damit ist die Ehe geschlossen.

[Illustration:

    Phot. Gebr. Haeckel.

Abb. 493. Chinesische Halbweltdame.]

Das +Los der Chinesin+ ist, sobald sie in das Haus ihres Gatten
übergesiedelt ist, ein trauriges; sie gilt ihm nicht als Gefährtin,
sondern als Sklavin, wird dementsprechend auch behandelt und unter
Umständen auch verprügelt. Etwas mehr Achtung genießt sie erst,
sobald sie einem oder mehreren Söhnen das Leben gegeben hat, und in
dem Maße als sie älter wird, gewinnt sie an Ansehen in ihrem eigenen
Hause, bis sie schließlich im Kreise ihrer Söhne und Schwiegertöchter
dieselbe ehrfurchtgebietende Stellung einnimmt, wie vordem ihre
eigene Schwiegermutter. -- Verheiratete Frauen pflegen sich täglich
zu besuchen, ihre Freundinnen zu kleinen Gesellschaften einzuladen,
auf denen, wie bei uns, viel geklatscht wird, und häufig in die
Tempel zu gehen. Neuerdings macht sich mehr und mehr eine Wandlung
in der Lebensweise der Frauen bemerkbar. Während bis dahin es streng
verboten war, daß die beiden Geschlechter miteinander zusammen kommen,
haben neuerdings in Peking einige Prinzessinnen und Frauen der guten
Gesellschaft die europäische Mode des zu Hause Empfangens eingeführt,
bei welcher Gelegenheit sich beide Geschlechter dann treffen. -- Dem
Manne steht das Recht zu, sich von seiner Frau +scheiden+ zu lassen,
und dies aus achterlei Gründen: wegen ungebührlichem Verhaltens gegen
seine Eltern, wegen Unfruchtbarkeit, Ehebruch, Abneigung, Eifersucht,
böser Krankheit, Schwatzhaftigkeit und Diebstahl an seinem Eigentum.
Erst seit dem Jahre 1873 hat auch die Frau ein gewisses Recht auf
Scheidung erlangt, die sie unter Beistand des Vaters oder eines
Verwandten vor dem Richter einreichen kann.

Daß eine +Witwe+ sich wieder verheiratet, gehört nicht zum guten Ton.
Wohl tut dies eine Frau der niederen Schichten aus Armut, aber in den
Familien der Vornehmen und Reichen kommt eine zweite Ehe selten vor;
die Wiederheirat würde dem zweiten Mann nur zur Schande gereichen. Auf
der anderen Seite fällt auch wieder ins Gewicht, daß die Frau, die
dem Gedächtnis des Verschiedenen treubleibt, dessen Erbin wird; sie
bekommt alle beweglichen und festen Hinterlassenschaften, kann über
sie schalten und walten wie sie will, verfügt über das ganze Haus mit
allen Nebenfrauen, Dienern und Sklaven und kann dieselbe väterliche
Gewalt über ihre Kinder wie der verstorbene Familienvater ausüben.
Unter Umständen kann ihr nach dem Tode auf höhere Anweisung von Peking
aus die Ehre zuteil werden, daß ihrem Andenken eine Ehrenpforte
errichtet wird, die den gegenwärtigen und zukünftigen Geschlechtern
verkündet, wie gewissenhaft sie ihre Pflichten als Witwe erfüllt hat.
-- Für die chinesische Witwe ist eine Mindesttrauer von drei Jahren
vorgeschrieben; trauert sie ihr ganzes Leben lang, so wird ihr dies
hoch angerechnet.

[Illustration:

    Phot. G. C. Binstead.

Abb. 494. Szene aus einem chinesischen Begräbnis.

Es werden Gerichte, Früchte, Waren und so weiter auf Tischen zum
Gebrauch für den Toten im Jenseits im Zuge mitgetragen und am Grabe
niedergestellt. Die eßbaren Dinge werden von den Leidtragenden
verzehrt.]

Die Chinesen, wie überhaupt alle Ostasiaten, gelten im allgemeinen
für ziemlich wollüstig, und ihr moralisches Leben entspricht wenig
unseren europäischen Sittlichkeitsbegriffen. Daher ist unter ihnen
das +Prostitutionswesen+ ungemein verbreitet. Die chinesischen
Freudenmädchen (Abb. 493) sind in luxuriösen Bordellen untergebracht,
die wegen ihrer blauen Jalousien die blauen Häuser (Tsing Lao) genannt
werden. In den Städten, die an Flüssen liegen, dienen dem gleichen
Zwecke die sogenannten Blumenboote, eigens dazu gebaute, am Lande
verankerte Schiffe. Ihre Insassen sind meistens armer Leute Kinder,
die diesen entweder entführt oder von ihnen im frühesten Alter gekauft
worden sind, um sie systematisch für ihren Beruf vorzubereiten. Bereits
mit sechs bis sieben Jahren werden sie in ihn eingeführt, indem sie die
älteren Kurtisanen und deren Besucher bedienen müssen. Sodann erhalten
sie im Singen und Lautespielen, sowie im Lesen, Schreiben und Malen
Unterricht, um die sie besuchenden Gäste auch genügend unterhalten zu
können, sobald sie mit etwa vierzehn Jahren ihr Gewerbe aufnehmen.
Daher spielten die Blumenmädchen in früheren Zeiten eine ähnliche Rolle
in China wie die Hetären im alten Griechenland. Die Jünglinge suchten
sie auf, um von ihrer Bildung und guten Erziehung etwas zu profitieren.
Heute soll dies teilweise auch noch der Fall sein, wenngleich bei
diesen Besuchen das sexuelle Moment wohl mehr im Vordergrund steht.

[Illustration:

    Phot. G. C. Binstead.

Abb. 495. Ein Pavillon mit Papiergeld;

er enthält in seinem Innern auch eine Tafel mit Inschriften, die die
Titel und den Rang des Verstorbenen anzeigen.]

Auch die +männliche Prostitution+ ist in China in solchem Maße
verbreitet wie wohl nirgends auf der Welt; besonders sollen die
nördlichen Provinzen und das Küstengebiet ein wahres Eldorado für die
Homosexualität abgeben. Diese männlichen Liebesdiener setzen sich hier
größtenteils aus jungen Männern zusammen, die von früher Jugend an,
ähnlich wie ihre weiblichen Kolleginnen, besonders für diesen Zweck
vorbereitet werden; es sind die sogenannten Sian-Kôn. Im Alter von vier
bis fünf Jahren werden sie ihren Eltern abgekauft, auch wohl geraubt
und in besonderen Lusthäusern auferzogen. Hier erfahren sie eine
besondere Pflege, um eine schöne Körperform zu erhalten, und werden
für ihren zukünftigen Beruf noch besonders geschult. Diese Sian-Kôn
finden in ihrer Blütezeit dann ihren Liebhaber, der sie aushält;
andere richten sich selbständig ein, wohnen in Bordellen und empfangen
hier den Besuch ihrer Verehrer geradeso wie die Freudenmädchen. Neben
dieser gleichsam organisierten Prostitution gibt es noch die freie,
die Gelegenheitsprostitution; es gehören ihr zumeist Schauspieler,
Lastträger, Wagenschieber, Straßenbummler und ausgediente, ihres
Jugendreizes verlustig gegangene Männer der ersten Gruppe an. Ein
besonders starkes Kontingent stellen dazu die Schauspieler; das Theater
in Peking ist gewissermaßen der Nährboden für sie, wo sie sowohl auf
der Bühne als auch im Zuschauerraum sich besonders breit machen und
sich nicht selten der Gunst reicher Chinesen erfreuen. „Der Saal, das
Parterre, die Logen sind mit einer Schar junger Leute angefüllt von oft
weiblichem Gang, aber in männlicher Kleidung aus Stoffen von glänzenden
Farben und feinstem Gewebe; sie gehen von Tisch zu Tisch, spenden
ein Lächeln hierhin, geben einen Wink dorthin, nehmen von diesem
einen Leckerbissen, von anderen einen Scherz zweifelhaften Charakters
entgegen und lassen sich schließlich an einem Tische bei Leuten nieder,
denen sie bekannt sind, oder welche ihnen den Eindruck des Reichtums
erwecken“ -- alles dieses, wie wir es an unseren Prostituierten in
bestimmten Lokalen beobachten.

[Illustration: Totenzeremonie der Chinesen in Tientsin.

Ein großer Drache wird von Männern in Schlangenlinien durch den Ort
bewegt; ein Chinese mit einer goldenen Kugel auf einer Stange, die die
Sonne darstellen soll, und die der Drache zu verschlingen versucht,
läuft ihm voran, zwei andere Personen greifen ihn mit Messern von der
Seite an. Die ganze Prozession zieht auf einem großen offenen Platz
umher, von kleineren Drachen und einer Musikkapelle begleitet, die die
Totengeister verjagen soll.]

[Illustration:

    Phot. F. W. Carey.

Abb. 496. Chinesischer Leichenzug,

der je nach dem Rang des Verstorbenen an Ausdehnung zunimmt.]

[Illustration:

    Phot. F. W. Carey.

Abb. 497. Pferd und Diener, in Papier ausgeführt, bei einem
chinesischen Leichenbegängnis

zum Gebrauch für den Toten im Jenseits.]

Ist ein Chinese +erkrankt+, so nimmt er zunächst seine Zuflucht zu dem
Übernatürlichen, da vielleicht einer der bösen Geister, möglicherweise
ein erzürnter Vorfahre, die Krankheit verhängt haben könnte. Deshalb
wirft sich die Familie vor dem Ahnenaltar nieder und fleht um Genesung.
Tritt diese nicht ein, dann wendet man sich an den Arzt, aber zunächst
nur, um die Diagnose von ihm zu erfahren, das heißt ob das Leiden von
einem Geiste der Vorfahren ausgeht oder von einem „bettelnden“ Geiste;
darunter versteht man Geister, die entweder keine Angehörigen mehr
haben oder von diesen keine genügende Verehrung erfahren, oder solche,
die im Kriege, auf der hohen See oder im fremden Lande verendeten;
sie sind zu „Bettlern“ verdammt, leben von der öffentlichen Fürsorge,
und rächen sich daher durch Heraufbeschwören von allerlei Unheil, wie
Hungersnot, Überschwemmungen, Krankheit und so weiter. Die Behandlung
in solchem Falle ist einfach, der beleidigte Geist muß versöhnt
werden. Zu diesem Zwecke verbrennt man Papiergeld (in Form kleiner
Boote, Nachahmung der Silbertaels) entweder bei erzürnten Vorfahren
vor dem Hausaltar oder bei erzürnten Bettelgeistern vor der Haustüre.
Als letzte Zuflucht wird noch ein Bonze geholt, der mit Beschwörungen
gegen die bösen Geister vorzugehen hat. Läßt sich auch hierdurch die
Auflösung des Kranken nicht aufhalten und steht sein sicheres Ende
bevor, so trifft man bereits Vorbereitungen zum Begräbnis. Man nimmt
dem Sterbenden Maß zu einem Leichengewande, das wattiert sein muß, weil
die Seele kalte Gegenden zu passieren hat -- auch ein Fußofen wird ihm
aus diesem Grunde mitgegeben -- und spricht in seiner Gegenwart ruhig
von seinem bevorstehenden Ende. Damit noch nicht genug, trägt man ihn
auch meistens aus dem Zimmer heraus oder gar auf die Straße, denn er
darf nicht in seinem Bette sterben, weil sich vielleicht ein Geist im
Bette oder Zimmer aufhält, der die Überlebenden dann heimsuchen könnte.
-- Die +Leiche+ wird in einen Sarg gelegt und dieser versiegelt. Beim
Begräbnis (Abb. 494 bis 496) werden besondere Leute gemietet, die
möglichst viele und laute Klagen anstimmen. Jedoch findet das Begräbnis
nicht sofort statt, sondern es können Wochen, selbst Monate vergehen,
ehe man den Leichnam der Erde anvertraut. Je höher der Verblichene
im Range stand, um so später erfolgt die Beisetzung. Reiche Chinesen
werden einbalsamiert und während dreier Monate -- bei dem verstorbenen
Kaiser dauerte es sechs Monate lang -- auf einem Katafalk, um den
beständig große rote Kerzen brennen, in ihrem Staatszimmer vor dem
Altare der Ahnen aufgebahrt; die Wände des Raumes schmücken große
Vorhänge aus weißem Tuch, auf dem in Tusche fromme Wünsche, religiöse
Ausrufe und Lobpreisungen auf den Toten geschrieben stehen. Bei den
ärmeren Leuten wird der Sarg bald der Erde überliefert, aber der Tote
noch drei Jahre lang als anwesend im Hause gedacht, und in seinem Namen
werden alle Anordnungen, seien sie zivilrechtlicher, behördlicher
oder religiöser Natur getroffen. Solange die Trauer dauert, darf die
Erbschaft nicht angetreten werden; auch ist es verboten, irgend ein
Fest, nicht einmal eine Hochzeit oder Verlobung, währenddem zu feiern.
Jedoch fällt dem ältesten männlichen Familienmitglied die Pflicht
zu, dem Verschiedenen seine weitere Verehrung in dem Darbringen von
Nahrung, Geld und Kleidern in Papier zu bezeigen; aus diesem Grunde
geht das Verlangen eines jeden Chinesen dahin, sich einen männlichen
Nachfolger zu verschaffen; wenn ihm dies Glück versagt ist, adoptiert
er sich einen solchen; stirbt er, bevor sein Wunsch in Erfüllung
gegangen ist, so stellt ihm die Familie pflichtgemäß einen Nachfolger.
Alle Jahre unternimmt die gesamte Bevölkerung einen Umzug zu den
Gräbern der Toten und bringt ihnen +Opfer+ dar; diese Zeremonien, bei
denen ein großes Gepränge entfaltet wird, beginnen in den ersten Tagen
des April und dauern zwei bis drei Wochen; alle Familienstreitigkeiten
müssen dann beseitigt werden. Die Familienmitglieder begeben sich
sämtlich zum Grabe ihres Angehörigen, das Oberhaupt stellt ein Opfer,
aus Lebensmitteln, Früchten und Wein bestehend, auf das Grab und zündet
Lichter an, dazu legt es alle möglichen Gegenstände, die der Tote im
Jenseits gebrauchen könnte, wie Wagen, Boote, Pferde, Sänftenträger,
Diener, Geld und so weiter, allerdings nur in Nachahmung aus Papier
(Abb. 497 und 498), begießt sie mit Alkohol und zündet das Ganze an.
Während dieser Feierlichkeit macht die Familie neun Kotau, das heißt
Verbeugungen vor dem Grabe. -- Die „bettelnden“ Geister verfallen der
öffentlichen Wohltätigkeit; man bringt ihnen ebenfalls an besonders
dazu festgesetzten Tagen solche Opfer dar; eine jede Familie trägt zu
dieser öffentlichen Fürsorge nach Maßgabe ihres Einkommens bei, und
die Summe, die hierbei einkommt, ist nicht unbeträchtlich; nach Yates
sollen jährlich gegen fünfzig Millionen dafür ausgegeben werden.

[Illustration:

    Phot. F. W. Carey.

Abb. 498. Sänfte mit vier Trägern, aus Papier angefertigt, bei einem
chinesischen Leichenzug.

Die Banner zur Linken geben die Würden des Toten bekannt, diejenigen in
der Mitte zeigen an, daß er gütig und gerecht war.]

+Kinder+ werden gewöhnlich in kleinen Kisten +beigesetzt+, sehr arme
Leute hüllen die Leiche in Strohmatten und legen sie einfach auf das
Grab Erwachsener. Da ein Baby noch keine Zähne hat und auch nicht
essen kann, ist es nach der Ansicht der Chinesen noch kein Mensch und
braucht nicht wie dieser begraben zu werden. Daher stiften wohltätige
Leute „Babytürme“, in denen die kleinen Kinder armer Leute mit Würde
und Anstand beerdigt werden können. Reiche Leute haben am Rande des
Familienfriedhofs einen Begräbnisplatz für Kinder, da ein Kind nicht
mit Erwachsenen zusammen begraben werden darf. Eine der rührendsten
Sitten in China ist das Suchen der Seele eines toten Kindes durch seine
Mutter. Diese zieht mit einer Laterne und einem Kleidungsstück ihres
Lieblings aus, um nachzusehen, wo er seine Seele habe fallen lassen;
sie bewegt die Laterne hin und her und ruft das Kind mit den Worten:
„Komm heim, komm heim!“ -- eine Mutterstimme, sagen die Chinesen,
reiche tausend und aber tausend Li (ein Li = vierhundertzweiunddreißig
Meter) weit -- und eine andere Frau antwortet darauf mit „Ich komme“;
man glaubt dann, daß das Seelchen der Mutter nach Hause folge. -- Eine
höchst phantastische Totenzeremonie in Tientsin zeigt unsere farbige
Kunstbeilage.

[Illustration]

[Illustration: Abb. 499 und 500. Steinfiguren an dem Weg zu den
Minggräbern bei Peking.]

Mandarine, bedeutende Personen, sowie Leute, die durch Mildtätigkeit
und Güte diese Ehre verdient haben, werden auf öffentliche Kosten
in kostbaren Mausoleen, die aus Granit oder Nephrit gebaut, mit
gebrannter Emaille geschmückt sind und ein Wohngebäude mit Saal für
Totenzeremonien enthalten, beigesetzt. Weltberühmt sind die +Gräber der
Kaiser+ aus der Mingdynastie, im besonderen das Grabmal des Herrschers
Yung-Lo bei Peking. Eine kilometerlange Allee von seltsam geformten
steinernen Riesentieren (Abb. 499 und 500), Kriegern und Ministern, von
denen ein jedes Bildnis aus einem einzigen Felsblock gehauen ist, führt
zu einem großen Hügel, auf dem sich das Grab dieses berühmten Kaisers
inmitten alter Eichen, Zedern und Sykomoren, ein Tempel auf einer
weißen, von einer skulpturenreichen Balustrade umgebenen Marmorterrasse
erhebt, und dessen gelbes Dach auf sechzig, drei Meter im Umfang
messenden Holzsäulen ruhend die goldene Ahnentafel beschattet.
Ursprünglich scheint man im Altertum bei chinesischen Begräbnissen auch
+Menschenopfer+ dargebracht zu haben; bis vor wenigen Jahrhunderten war
dies nachweislich noch bei kaiserlichen Begräbnissen der Fall.

Eine ebenso entsetzliche Unsitte, die noch bis vor ganz kurzem geübt
wurde, war das +Lebendigbegraben+. Dieses schauerliche Los traf
gewöhnlich solche Leute, die für ihre Familie oder Gemeinde eine
moralische oder physische Gefahr bedeuteten, wie leidenschaftliche
Spieler, unverbesserliche Opiumraucher, Diebe und Raufbolde, sowie
Aussätzige. Der chinesischen volkstümlichen Auffassung erscheint diese
Unsitte aber gar nicht so ungeheuer, denn ihr zufolge ist das Leben
nach dem Tode nur eine Fortsetzung des Lebens auf der Erde.

[Illustration]



*** End of this LibraryBlog Digital Book "Die Sitten der Völker, Erster Band" ***

Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.



Home