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Title: Aberglauben, Sitten und Gebräuche des sächsischen Obererzgebirges: Ein Beitrag zur Kenntnis des Volksglaubens und Volkslebens im Königreich Sachsen
Author: Spieß, Moritz
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Aberglauben, Sitten und Gebräuche des sächsischen Obererzgebirges: Ein Beitrag zur Kenntnis des Volksglaubens und Volkslebens im Königreich Sachsen" ***

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GEBRÄUCHE DES SÄCHSISCHEN OBERERZGEBIRGES ***


  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

  Der vorliegende Text wurde anhand der 1862 erschienenen Buchausgabe
  so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
  Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute
  nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen sowie Schreibvarianten bleiben
  gegenüber dem Original unverändert, sofern der Sinn des Texts dadurch
  nicht beeinträchtigt wird. Umlaute in Großbuchstaben (Ä, Ö, Ü) werden
  durch deren Umschreibungen (Ae, Oe, Ue) dargestellt.

  Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter der Übersichtlichkeit
  halber an den Anfang des Texts versetzt. Die Fußnoten wurden an das
  Ende des jeweiligen Abschnitts verschoben.

  Besondere Schriftschnitte wurden mit Hilfe der folgenden
  Sonderzeichen gekennzeichnet:

      fett:     =Gleichheitszeichen=
      gesperrt: +Pluszeichen+
      Antiqua:  ~Tilden~

  ####################################################################



                             Aberglauben,

                         Sitten und Gebräuche

                                  des

                     sächsischen Obererzgebirges.


                              Ein Beitrag

            zur Kenntnis des Volksglaubens und Volkslebens

                        im Königreich Sachsen.


 (Abhandlung, zum Programm der Realschule zu Annaberg für 1862 gehörig.)


                                  Von

                          ~Dr.~ Moritz Spieß.


                               Dresden,
             Königl. Hofbuchhandlung von Hermann Burdach.
                                 1862.



Inhalt.


                                                           Seite

  Vorrede                                                      3


  Erste Abtheilung.

  Aberglauben.

  Erstes Kapitel.

  Das Erkennen des künftigen Schicksals.


  I. Schicksalszeiten.

  § 1. Begriff                                                 5

  § 2. 3. Tageszeiten, Wochentage                              5

  § 4. Bestimmte Schicksalstage                                6

  § 5. 6. Weihnachtszeit                                       6

  § 7-9. Fastnacht                                             9

  § 10. 11. Osterzeit                                         11

  § 12. Walpurgis                                             13

  § 13. Himmelfahrt und Pfingsten                             13

  § 14. Johannistag                                           14

  § 15. Die zweite Hälfte des Jahres                          15

  § 16. Andreas                                               15

  § 17. Die Himmelszeichen                                    17

  § 18. Der Mond                                              17


  II. Die Schicksalszeichen.

  § 19. Begriff und Eintheilung                               17

  ~A.~ Von selbst sich darbietende Schicksalszeichen.

  § 20. Naturerscheinungen                                    18

  § 21-23. Thiere und Pflanzen                                18

  § 24. Zeichen von Menschen                                  20

  § 25. Zeichen aus dem Familien- und Geschäftsleben          20

  § 26. Zeichen von kirchlichen Dingen                        21

  § 27. 28. Zeichen bei dem Menschen selbst,
  dem die Zeichen gelten                                      21

  § 29. Träume                                                22

  ~B.~ Wahrsagungskunst.

  § 30. 31. Die Wahrsagekunst des Zufalls
  oder des Looses                                             22

  § 32. Die Zauberwahrsagerkunst                              24


  Zweites Kapitel.

  Die übernatürliche Einwirkung auf das eigene
  oder fremde Geschick, die Zauberei.


  I. Die Zaubermittel.

  § 33. 34. Einleitung                                        25

  § 35. Zauberei durch Worte                                  26

  § 36. Geschriebene Zauberformeln                            26

  § 37. Zaubernde Handlungen                                  26

  § 38. Zauberdinge                                           27


  II. Arten der Zauberei.

  ~A.~ Die Bosheitszauberei.

  § 39. Zweck und Arten                                       29


  ~B.~ Die Schutz- und Glückszauberei.

  § 40. 41. Zauber gegen mögliche Uebel                       30

  § 42. Zauber gegen vorhandene Uebel                         33

  § 43. Zauber zur Erwerbung von Glücksgütern                 34

  § 44-46. Zauber in Bezug auf den einzelnen
  Menschen (Geburt bis Tod)                                   35


  Anhang.

  § 47. Gespenster, Geister etc. Sagen                        39


  Zweite Abtheilung.

  Sitten und Gebräuche.

  Das Jahr mit seinen Festen.

  I. Feste des Kirchenjahres.

  § 48. Die Adventszeit                                       41

  § 49. 50. Weihnachten                                       42

  § 51. Sylvester und Neujahr                                 44

  § 52. Epiphanias                                            44

  § 53. Fastnacht und Aschermittwoch                          45

  § 54. Ostern                                                45

  § 55. Trinitatisfest                                        46

  § 56. Reformationsfest                                      46

  § 57. Martini                                               46

  § 58. Andreas                                               46

  § 59. Nikolaus                                              46


  II. Feste des bürgerlichen Jahres.

  1. Feste und Vergnügungen der unerwachsenen Jugend.

  § 60. Winter und Frühling                                   47

  § 61-64. Sommer                                             47

    § 61. Knabenspiele zu Anfang dieses
  Jahrhunderts                                                47

    § 62. Knabenspiele der Gegenwart                          48

    § 63. Das Gregoriusfest                                   49

    § 64. Das Schulfest                                       50

  § 65. Der Herbst                                            52

  2. Feste und Vergnügungen der erwachsenen Jugend.

  § 66. Tanz, Burkard, Heimblasen                             52

  § 67. Klöppelabende                                         52

  § 68. Wettspiele                                            53

  § 69. Gebräuche der Gesellen                                53

  3. Feste und Vergnügungen der Erwachsenen.

  § 70. Die Gruppen der Bevölkerung                           54

  ~a~) Der Bürger in der Stadt.

  § 71. Reihschank                                            54

  § 72. 73. Die Schützenfeste                                 54

  § 74. 75. Andere Feste (der Bäckerumzug,
  Kantoreischmaus, Thurmbrüderschaft)                         57

  § 76. Vereine u. s. w.                                      58

  § 77. Jahrmärkte                                            58

  ~b~) Der Bergmann und seine Feste.

  § 78. Das Leben des Bergmanns                               59

  § 79. 80. Bergfeste                                         59

  ~c~) Der Landmann und seine Feste.

  § 81. Allgemeines                                           60

  § 82. Kleidung                                              61

  § 83. 84. Wohnung                                           61

  § 85. Garten, Beschäftigung etc.                            65

  § 86. Die Feste, Laubtanz etc.                              66

  § 87. Erntefeste                                            66

  § 88. Kirmeß                                                67

  § 89-96. Bauerregeln                                        69


  III. Feste des Familienlebens.

  Haus und Familie.

  § 97. Hausbau und Hochzeit                                  72

  § 98. Taufe und Begräbnis                                   73


  Anhang.

  § 99. Lieder und Reime im Volksdialekt                      74



Vorrede.


Die Kenntnis von dem Aberglauben, den Sitten und Gebräuchen des
deutschen Volkes ist von mehrfacher Bedeutung. Einestheils ruhen
darin, zumal in dem Aberglauben, mehr als tausend Jahre alte Reste
der heidnischen Religion unserer Väter. Dieselben sind aber bei den
spärlichen Quellen, die es für die deutsche Götterlehre giebt, von
nicht geringem Werthe, da sie manchen wichtigen Beitrag dazu liefern.
Daher spüren die deutschen Mythologen mit regem Eifer diesen Reliquien
nach und schöpfen aus ihnen wesentlichen Gewinn für ihre Wissenschaft.
Anderentheils ist es für Alle, welche für das Volksleben sich
interessiren, sei es von Berufswegen, wie es bei Beamten, Geistlichen,
Lehrern u. s. w. der Fall ist, sei es aus einem anderen Grunde,
von entschiedenem Nutzen, abergläubische und nicht abergläubische
Sitten und Gebräuche zu kennen, theils um jene zu bekämpfen, diese zu
veredeln, theils aber auch um überhaupt das Volk richtig zu verstehen
und zu beurtheilen. Wie wichtig z. B. die Kenntniß des Aberglaubens für
Kirche und Schule sei, geht schon daraus hervor, daß der „evangelische
Kirchentag“, als er im Jahre 1858 in Hamburg versammelt war, eingehend
sich damit beschäftigte und in Folge dessen die bekannte Schrift von
~Dr.~ +Wuttke+, Professor der Theologie zu Berlin: „der deutsche
Volksaberglaube der Gegenwart“, erschien. Endlich weht uns aus
vielen dieser Satzungen und Bräuche, sie mögen nun dem Gebiete des
Aberglaubens oder der gewöhnlichen Sitte angehören, ein poetischer
Hauch entgegen. Sind sie doch in ihrem letzten Grunde das Ergebnis
und der Ausdruck des Volksgemüthes. Darum fließen da die Quellen am
reichsten, wo das Volksleben weniger von „dem modernen Aufkläricht und
der ausgleichenden Verflachung der Gegenwart“ berührt worden ist.

Aus diesen und anderen Gründen hat man in neuerer Zeit angefangen,
derartige Beiträge zur „Naturgeschichte des Volkes“ zu sammeln und
bereits besitzen wir in dieser Beziehung werthvolle Monographien über
einzelne Gauen und Volksstämme, namentlich Süd- und Westdeutschlands.
Unter den wenigen Ländern, welche noch nicht vertreten sind, befindet
sich auch unser liebes Sachsenland (und zwar nur das Königreich
Sachsen, denn die sächsischen Herzogthümer oder Thüringen und die
Provinz Sachsen haben bereits Bearbeiter gefunden), welches doch sonst
eine so reiche Literatur über seine Geschichte, Geographie u. s. w.
aufzuweisen vermag. Es wird daher gerechtfertigt erscheinen, wenn
der Verfasser den Versuch gewagt hat, Material zu einer Ethnographie
des sächsischen Volkes in dieser Richtung aus dem Kreise zu sammeln,
welchem derselbe durch mehrjährigen Aufenthalt angehörte. Was die
geographische Ausdehnung dieses Bezirkes anbelangt, so liegt er etwa
von einer Linie, die man von Zwickau im Westen und Saida im Osten
zieht, südlich bis zur sächsisch-böhmischen Grenze. Der größte Theil
des Stoffes ging dem Verfasser in seiner damaligen Stellung, als
Oberlehrer an der Realschule zu Annaberg, von den Schülern der oberen
Klassen der Anstalt auf seinerseits geschehene Aufforderung zu und er
sagt dafür den bereitwilligen und fleißigen Sammlern nochmals seinen
aufrichtigsten Dank. Die den einzelnen Nummern beigefügten Ortsangaben
nennen zunächst die Stadt oder das Dorf, welches die Heimat des
Mittheilenden war, ohne damit behaupten zu wollen, daß sich das Gesagte
nur daselbst finde. Die Sätze, welche gleichlautend von mehreren Seiten
eingingen, wurden als „allgemein“ bezeichnet, womit jedoch nicht
ausgesprochen sein soll, daß sie in dem ganzen Bezirk ausnahmslos
herrschen.

Auf Vollständigkeit, selbst nur für die bezeichnete Gegend, kann die
vorliegende Sammlung um so weniger Anspruch machen, da der Verfasser,
ehe er noch zu einer Sichtung und Ordnung der im Laufe von drei Jahren
ziemlich zahlreich eingegangenen Beiträge gekommen war, zu Anfang
des vorigen Jahres (Januar 1861) in seine gegenwärtige Stellung,
als Diakonus nach Pirna, versetzt wurde, in Folge dessen jede noch
wünschenswerthe Ergänzung und Erweiterung äußerst umständlich wurde.
Es ist daher die vorliegende Arbeit nur als ein Anfang zu betrachten,
der zu weiterer Beschaffung von Material aus dem Umfang des Königreichs
Sachsen einladen und dessen leichtere Einordnung ermöglichen soll. Wir
richten daher an Alle, die ein Interesse an derartigen Forschungen
haben oder durch ihre Stellung in vielfache Berührung mit dem Volke
kommen, wie Beamte, Aerzte, Geistliche, Lehrer u. s. w., die Bitte,
uns mit Beiträgen zu einer umfassenderen Schrift in dieser Richtung
unterstützen zu wollen. Außer den aus vorliegender Abhandlung von
selbst sich ergebenden Gegenständen bezeichnen wir noch als werthvoll
für unsern Zweck: Volkssagen, Volks- und Kinderlieder, Sprüchwörter und
sprüchwörtliche Redensarten, Wörter des Volksdialektes, kirchliche und
religiöse Sitten und Gebräuche (vergl. S. 45 Anm.) u. dergl. Auch die
Angabe, daß dieser oder jener Aberglaube, Sitte und Gebrauch, den wir
anführen, hier oder dort ebenfalls verbreitet ist, sowie Mittheilungen
behufs der Berichtigung und Vervollständigung des Vorliegenden würden
erwünscht sein. Die königliche Hofbuchhandlung von +Hermann Burdach+
in Dresden und die Buchhandlung von +Ludwig Nonne+ in Annaberg sind
bereit, etwaige Eingänge an den Unterzeichneten zu übermitteln, wie er
denn auch selbst Beiträge gern in Empfang nehmen wird. Entsprechende
Honorarzahlung würde seiner Zeit erfolgen.

Schließlich verwahren wir noch das sächsische Obergebirge und
insbesondere die häufig angeführten Ortschaften, bezüglich der +ersten+
Abtheilung unserer Abhandlung, gegen die Folgerung, als ob dort der
Aberglaube heimischer sei wie anderwärts. Er ist überall zu Hause:
man muß ihn nur in der rechten Weise und bei den rechten Leuten zu
suchen wissen. Damit ist aber nicht, so wenig wie durch vorliegende
Abhandlung bezüglich des Gebirges, behauptet, daß, wo ein Aberglaube
vorhanden ist, derselbe auch wirklich überall geglaubt werde, sondern
er wird vielfach nur als alte Gewohnheit bewahrt, wohl auch in Erwägung
gezogen, ohne ihm in den meisten Fällen große Tragweite beizumessen.
Es ist daher aber auch hohe Zeit, diese Nachklänge aus dem Heidenthum
unserer Urväter zu sammeln, so lange sie noch ihr Scheinleben fristen.

Bei der +zweiten+ Abtheilung hat uns nebenbei die Absicht geleitet,
dem oder jenem Vorurtheil, das, in Bezug auf das Obergebirge, noch
verbreitet ist, durch die selbst redende Anführung der bestehenden
Verhältnisse und Gewohnheiten entgegenzutreten. Mögen hierin, wie in
der ganzen Arbeit, die Leser, welche der in Rede stehenden Gegend
angehören, ein Zeugniß erkennen, daß der Verfasser dem Obergebirge fort
und fort ein treues Gedächtniß bewahrt.

 +Pirna+, den 31. März 1862.



Erste Abtheilung.

Aberglauben.


Bei Anordnung dieser Abtheilung sind wir meist der Schrift von ~Dr.~
Adolf +Wuttke+, Professor der Theologie zu Berlin: „der deutsche
Volksaberglaube der Gegenwart“ (Hamburg, 1860) gefolgt, weil dieselbe
auf diesem Gebiet der Literatur vor der Hand als maßgebend gilt und
wir unsere Arbeit nur als einen kleinen Beitrag zur Vervollständigung
des bereits dort angesammelten reichen Materials halten. Nur bei den
Festzeiten (siehe unter „Schicksalszeiten“) haben wir, um Alles das,
was dieselben in abergläubischer Beziehung charakterisirt, nicht zu
sehr zu zersplittern, Vieles vorausgenommen, was nach logischer Ordnung
unter das Kapitel der Zauberei gehören würde. Abgesehen von dieser,
wie wir glauben, gerechtfertigten Inconsequenz liegt vorliegender
Abtheilung folgender logischer Plan zu Grunde. Im ersten Kapitel
ist zusammengestellt, wann und woraus der Aberglaube das künftige
Schicksal zu erkennen sucht. Hier kommen die Schicksalszeiten und
Schicksalszeichen zur Sprache. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit
dem, was der Aberglaube thut, um Unglück von sich ab- oder Glück sich
zuzuwenden, behandelt also die Zauberei und zwar deren Mittel und deren
Zweck. Im Uebrigen müssen wir sowohl, was die Rechtfertigung dieser
Eintheilung, als die weitere Ausführung und Begründung des Einzelnen
anbelangt, auf das Wuttke’sche Buch selbst verweisen.

+Bemerkung.+ Die bei einzelnen Paragraphen in Parenthese beigefügten
Zahlen sind die Paragraphenziffern von +Wuttke+, der deutsche
Volksaberglaube. Die mit Sternchen *) bezeichneten Sätze finden
sich bei Wuttke nicht, die mit Kreuz †) weichen von dem von ihm
Mitgetheilten mehr oder weniger ab.



Erstes Kapitel.

Das Erkennen des künftigen Schicksals.


I. Die Schicksalszeiten.

§ 1 (6 ff.). +Schicksalszeiten+ nennen wir solche, die nach dem
Volksaberglauben an und für sich einen glücklichen oder unglücklichen
Einfluß auf Schicksal und Thun des Menschen ausüben und die ihm daher
im Voraus einen Blick in den Ausgang eines in solch eine Zeit fallenden
Ereignisses gestatten, sowie durch klügliche Benutzung solcher Weisheit
es ihm ermöglichen, Glück sich zuzuwenden oder Unglück von sich
abzuwehren.

§ 2. Bezüglich des einzelnen Tages hat der +Vormittag+ den Vorzug vor
dem Nachmittag.

1. Es ist besser, Vormittag zu säen, als Nachmittag (Frohnau), vgl.
468. -- * 2. Wenn man einen Tag lang Kartoffeln legt, so werden
diejenigen, welche Vormittag gelegt sind, besser gedeihen, als die vom
Nachmittag (Sosa), vgl. 5, 178 u. 468.

§ 3. Unter den einzelnen +Wochentagen+ giebt es Glücks- und
Unglückstage, doch scheint keine volle Uebereinstimmung darüber zu
herrschen, welche Tage heil- oder unheilbringend auf das an ihnen
Unternommene einwirken. Glückstage sind insbesondere der Sonntag und
Dienstag, Unglückstage der Donnerstag (als Tag des Donnergottes Thor)
und der Sonnabend. Montag ist vorbedeutend für die ganze Woche. Freitag
gilt, je nachdem die heidnische (Tag der Liebesgöttin Freya) oder
die christliche (Todestag des Herrn) Anschauung zu Grunde liegt, als
Glücks- oder als Unglückstag.

* 3. Das Vieh soll an einem Sonntag, Dienstag, Donnerstag oder
Sonnabend zum ersten Mal ausgetrieben werden (Saida), vgl. 464. --
* 4. Mittwoch und Sonnabend sind die besten Tage zum Waizensäen
(Ehrenfriedersdorf, Frohnau), vgl. 468. -- * 5. Nimmt man Montag
Vormittag kein Geld ein, so nimmt man die ganze Woche hindurch wenig
ein (Ehrenfriedersdorf), vgl. 229 ff. -- * 6. Montags soll man nichts
wegborgen (Geiersdorf). -- † 7. Guckt Jemand Montags früh bei seinem
Nachbar zum Fenster herein, so bringt dies für die ganze Woche
Unglück (Grünstädtel). Mehr Sinn hat das, was +Wuttke+ § 46 anführt:
„Betritt Montags ein +Jude+ als der erste das Haus, so giebt es einen
Proceß“ (Franken). -- 8. Nur Freitags soll man die Nägel abschneiden
(allgemein), vgl. 121 u. 399. -- * 9. Wenn man Freitags Brod in den
Ofen legt, so entsteht Zank (Raschau), vgl. 178 u. 397.

§ 4 (12). Durch das ganze Jahr zieht sich außerdem eine Reihe
+bestimmter+ Tage, die von besonderem Einfluß und Bedeutung sind
und deren abergläubische Wichtigkeit ihren letzten Grund nicht in
christlicher Sitte, sondern in dem Heidenthum unserer Urväter hat.

§ 5 (13 ff.). +Weihnachtszeit.+ Unter solchen +Schicksalstagen+ stehen
die Tage vom +Weihnachtsheiligenabend bis zum hohen Neujahr+ voran.
Da feierten die alten Deutschen das Fest der +Winter+sonnenwende
und meinten, die Götter hielten ihren Umzug über die Erde. Diese
Tage heißen zusammen die Zwölfnächte, die zwölf heiligen Nächte, die
Zwölften, die Unternächte, die Internächte, die Innernächte, die
Loostage. Man rüstet sich zu denselben durch Reinlichkeit in Stall,
Haus und an eigner Person und verrichtet während derselben keine
Arbeit, namentlich keine landwirthschaftliche. Bestimmte Speisen sind
zu genießen, andere zu meiden und auch die Hausthiere und die Obstbäume
des Gartens werden in die Festfreude hereingezogen. Diese Tage sind,
weil die Götter zur Erde niedersteigen, in ihrer Witterung und in den
gewöhnlichsten Erlebnissen vorbedeutend für das ganze Jahr und Träume,
sowie andere Schicksalszeichen öffnen einen Blick in die Zukunft. Je
mehr man aber im Laufe der Zeit den Ursprung dieser Gebräuche vergaß,
desto mehr hat man, den aus dem heidnischen Alterthum stammenden
Aberglauben im christlichen Sinne umdeutend, ihn auf einzelne Tage
unter den Zwölften beschränkt, namentlich auf die den drei hohen
Festen der Weihnachtszeit, dem ersten Feiertag, dem Neujahr und hohen
Neujahr (vgl. 325) vorangehenden Tage, die sogenannten drei heiligen
Abende und unter diesen nehmen wieder der Weihnachtsheiligeabend (24.
December) und der Neujahrsheiligeabend oder Sylvester (31. December)
die hervorragendste Stelle ein. Vgl. § 48-52 und 99.

§ 6 ~a~. +Ordnung und Reinlichkeit in Stall und Haus+ (vgl. § 8 d,
~aa~). * 10. Der Dünger wird am Tage vor dem heiligen Abend zierlich
mit der Mistgabel geflochten (vgl. 13, 414 u. 670) und die Asche aus
dem Ofen genommen (Grünstädtel). -- Man streut Stroh in die frisch
gescheuerten Stuben, um den Stall darzustellen (Lauter, Sehma). Die mit
dem Stroh zusammenhängenden Gebräuche in der Weihnachtszeit (vgl. 19)
scheinen aus den heidnischen Opfern, die unsere Vorfahren zu dieser
Zeit darbrachten, um ein fruchtbares Jahr von den Göttern zu erlangen,
entstanden zu sein. Vgl. 672 und „die Zwölften in Thüringen“, Aufsatz
in der illustrirten Zeitung 1861, Nr. 965.

~b.~ +Reinlichkeit in Kleidung etc.+ * 11. Man zieht am heiligen Abend
neuwaschene Strümpfe an (Grünstädtel) oder man bekleidet sich am
Neujahrsmorgen mit etwas Neuem (Marienberg), vgl. 71, 398 u. 445. In
Hessen ist, nach +Wuttke+ § 15, letzteres dagegen verboten.

~c.~ +Heilige Ruhezeit.+ † 12. Während der Zwölfnächte wird nicht
gedroschen (Marienberg); auch darf man nicht klöppeln, denn die
Klöpplerinnen würden ihre Spitzen beschmutzen (Grünstädtel). Es ist
dies moderne Umdeutung des heidnischen Aberglaubens, daß während der
Zwölfnächte nicht gesponnen werden dürfe, sonst kommt Wodan oder die
Frigga und zerzaust oder beschmutzt das Gespinnst. -- * 13. Man hüte
sich am Weihnachtsheiligenabend mit dem Dünger in Berührung zu kommen,
dies bedeutet Miswachs (Marienberg), vgl. 10, 104 u. 397.

~d.~ +Bestimmte Speisen+ (vgl. 72 ff. u. § 49, i). † 14. Es werden
neunerlei oder siebenerlei (beides heilige Zahlen) Speisen gegessen;
doch begnügt man sich auch mit wenigeren. Dennoch aber hält man an
bestimmten Gerichten fest (vgl. 398 u. 445), namentlich am Christabend.
Die gewöhnlichsten sind: 1. Bratwurst oder Schweinebraten (vgl. §
21, ~e~) mit Linsen, letztere, damit man viel Geld einnimmt, sowie
2. Häring mit Aepfelsalat. Die übrigen gebräuchlichsten sind etwa:
3. Grütze- oder Hirsebrei (vgl. § 23, ~q~), damit das Geld nicht
ausgeht; 4. Buttermilch, damit man keine Kopfschmerzen bekommt,
oder Semmelmilch, damit die Spitzen weiß bleiben (Raschau); 5.
Rothrübensalat, damit man rothe Backen behält, oder Krautsalat oder
Erdäpfelsalat; 6. Süßkraut, damit die Arbeit leicht werde, oder
Sauerkraut mit Braten oder Wurst, auch Karpfen, Schöpsenfleisch und
Weißkraut; 7. Klöse, damit viel Thaler einkommen; 8. getrocknete
Pilze oder Schwämme, sauer oder gedämpft; 9. gebackene Pflaumen, vgl.
+Wuttke+ § 14. -- † 15. Ueber die Speisen, die zu +meiden+ sind, ist
man ebenfalls nicht ganz einig. Während unter den vorgeschriebenen
Gerichten sich hie und da auch Suppe, namentlich Biersuppe mit Mandeln
und Erdäpfeln (als Klöse, Salat, Brei) finden, behaupten Andere:
Man genieße keine Suppe, sonst tropft die Nase das Jahr hindurch
(Ehrenfriedersdorf) und man esse keine Kartoffeln, sonst bekommt man
Schwäre (Sosa). Letztere Wirkung wird auch den Erbsen zugeschrieben
(Annaberg, auch Wuttke § 13). Zum Weihnachtsheiligenabend ist Saures,
z. B. Salat (s. o.), erlaubt, dagegen Sylvester und Neujahr verboten
(Marienberg), vgl. 397.

~e.~ +Hausthiere.+ * 16. Auch das Vieh muß seinen Antheil bekommen.
-- Die Kühe werden mit vielerlei Futter reichlich gefüttert und zwar
mit dreierlei Fleisch, allerlei Gewürz, Wurzeln und Kräutern. Außerdem
bekommen sie an jedem heiligen Abend etwas Nußkern auf Brod gesteckt
mit Salz. Den Ziegen giebt man Häringsköpfe und Häringsmilch. Auch
Pfeffer und Räucherkerzenasche oder ein Kräuterpulver, das in Bockau
bei Schwarzenberg bereitet wird, streut man den Thieren unter das
Futter. Befolgt man diese Regeln, so giebt das Vieh gute und reichliche
Milch und bleibt vor Krankheit und Hexerei verschont (allg.), vgl. 76,
96, 426 u. 462 ff. -- * 17. Man lasse (am Sylvester) die Pferde in
die Röhre sehen, dann geräth der Hafer (Zöblitz), vgl. 428 u. 470. --
18. Man füttere die Hühner mit Hirse (§ 23, ~q~) oder innerhalb eines
Reifens, dann legen sie die Eier nicht weiter (allg.), vgl. 50, 78 u.
432.

~f.~ +Obstbäume.+ † 19. Die Obstbäume werden, damit sie reichlich
tragen, beschenkt, d. h. der Hausherr umbindet sie in der Mitternachts-
oder wenigstens in einer Abendstunde mit einem Strohseile (vgl. 10),
wobei er den Spruch: „Wachse immer fort, Gott segne deine Frucht“ oder
einen ähnlichen betet und dann den Baum dreimal im Namen Gottes des
Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes bekreuzt (allg.); oder man
bindet den Obstbäumen etwas mittelst eines Tuches um. Das Tuch läßt man
am Baume verfaulen (Geier), vgl. 81, 421 u. 465.

~g.~ +Witterung.+ 20. Wie die Witterung in jeder der Zwölften ist, so
ist sie in dem entsprechenden Monat des Jahres (allg.). -- 21. „Ist
auf Weihnachten viel Wind, im nächsten Jahr voll Obst die Bäume sind“
(Annaberg). Wodan, der wilde Jäger, schüttelt die Bäume. -- * 22. Wenn
die Obstbäume während der Innernächte viel Schnee tragen, wird viel
Obst (Frohnau, Raschau). -- * 23. Wenn es in den zwölf Nächten nicht
von den Dächern tropft (d. h. thaut oder regnet), so geben die Kühe
wenig Milch (Marienberg). -- * 24. Geht starker Wind, so wird Krieg
(Raschau) oder viel Schadenfeuer (Saida). Vgl. auch 791-793.

~h.~ +Träume+ (vgl. § 29): 25. Was man je in diesen Nächten träumt,
geht in den entsprechenden Monaten in Erfüllung (allg.), doch darf man
die Träume Niemandem erzählen (Schneeberg), vgl. 281.

~i.~ +Andere Anzeichen und Vorbedeutungen+: * 26. Werden zufällig drei
Lichter auf den Tisch gesetzt, so ist eine Braut im Hause (Raschau);
gilt auch zu anderer Zeit, vgl. 240 u. 499. -- * 27. Wer das Licht
aus Versehen auslöscht oder ausputzt, stirbt (Johann-Georgenstadt)
oder es stirbt Jemand aus der Familie (Geier), vgl. 276 u. 530. --
† 28. Hat (am Sylvester) Jemandes Schatten an der Wand einen großen
Kopf, so bedeutet es Glück (Marienberg); erscheint dagegen Jemandes
Schatten ohne Kopf, so stirbt der betreffende im neuen Jahre (Annaberg,
Raschau). Letzteres scheint mit dem von +Wuttke+ § 63 angeführten
Aberglauben Tirols zusammenzuhängen, daß gewisse Leute in der
Sylvester-Mitternacht die, welche im neuen Jahre sterben, um den Altar
der Kirche zum Opfer gehen sehen; erblicken sie ihre eigne Gestalt ohne
Kopf, so sterben sie selbst. -- 29. Es ist nicht gut, wenn etwas von
der Wand fällt (Marienberg); gilt auch zu anderer Zeit, vgl. 247; oder
wenn man etwas zerbricht (Marienberg, Annaberg) oder sich ärgert oder
eine taube Nuß bekommt (allg.), vgl. 291. -- * 30. Wird (zum Sylvester)
am letzten Brode gegessen, so wird das ganze Jahr nur Ein Brod im
Hause sein (Elterlein), vgl. 397. -- * 31. Auch soll man nicht mangeln
(mandeln), sonst hat man Mangel (Annaberg); bloßer Wortwitz. -- * 32.
Wer beim Ankleiden zufällig etwas (z. B. die Weste) verkehrt anzieht,
dem geht es im neuen Jahre verkehrt (Elterlein), vgl. 276. -- * 33.
Läßt man das Feuer im Ofen ausgehen, so geht das Geld im Laufe des
Jahres aus (Geier), vgl. 276. -- * 34. Wer sich beim Gebete verspricht,
stirbt in dem Jahre (Raschau), vgl. 276, 397 u. 530. -- * 35. Wer (am
Sylvester) recht arbeitet, ist das ganze Jahr fleißig (Sosa), vgl.
455. -- * 36. Fällt in der Weihnachts- oder Sylvestermette (vgl. § 49
und § 51) während der Predigt ein Sitzbret in der Kirche um, so stirbt
bald Jemand (Ehrenfriedersdorf), vgl. 254 u. 530. -- * 37. Neigt sich
während dieser Mette ein Licht auf dem Kronleuchter seitwärts, so
bricht in dem nach dieser Richtung zunächst gelegenen Orte im folgenden
Jahre ein großes Feuer aus (Elterlein), vgl. 256 u. 257.

~k.~ +Erforschen der Zukunft+: 38. Man gießt Blei, setzt Korn- oder
Salzhäufchen, wirft den Pantoffel, Aepfelschalen, guckt in die Esse,
horcht auf das Geräusch, welches der Ofentopf macht oder draußen an
einem Fensterladen, läßt Nußschalen schwimmen u. s. w. (allg.). Vgl.
227, 216, 288-294, 296-307, 309-315, 318-322.

~l.~ +Andere Maßregeln+: * 39. Man koche reichlich (Grünstädtel),
vgl. 446. -- * 40. Man brenne keine ungerade Zahl Lichter auf dem
Christbaum (Zwickau), vgl. 397. -- * 41. Man esse auf dem Säetuch
(Grumbach, Mauersberg, Lauta bei Marienberg). -- † 42. Es darf nicht
eine ungerade Zahl von Personen, namentlich nicht dreizehn, zu Tische
sitzen, sonst stirbt Eines davon im Laufe des Jahres (allg.); gilt
auch überhaupt, vgl. 234, 397 u. 530. -- * 43. Man schneide an jedem
der drei heiligen Abende ein neues Brod an (Elterlein), vgl. 446. --
* 44. Wer viel Suppe ißt, lebt lange (allg.); gilt auch überhaupt,
vgl. 242 u. 451. -- * 45. Man esse von den verschiedenen Speisen
mindestens je drei Löffel voll (Elterlein), vgl. 446 u. 484. -- *
46. Wer am längsten ißt, lebt am längsten (Ehrenfriedersdorf), vgl.
451. -- * 47. Man esse sich recht satt, dann hungert man das ganze
Jahr nicht (Zwickau). -- * 48. Man trinke viel Bier, damit man stark
werde (Marienberg), vgl. 74 u. 454. -- * 49. Kein Gericht werde ganz
aufgegessen, dann hat man immer gefüllte Küche (Elterlein), vgl. 376
u. 447. -- * 50. Während des Essens darf Niemand vom Tische aufstehen
(Ehrenfriedersdorf), vgl. 397; oder wenn man eher aufsteht, als die
Anderen, verlegen die Hühner (Voigtsdorf), vgl. 18, 78 u. 432. -- 51.
Man verborge, verkaufe oder verschenke nichts, sonst giebt man den
Segen weg oder wird verhext (allg.), vgl. 118, 132, 171, 386 u. 389.
-- * 52. Wenn man sich das Licht bei einem Andern anzündet, so bedanke
man sich nicht (Ehrenfriedersdorf), vgl. 393 u. 397. -- * 53. Man gebe
(am Neujahrstage) kein Geld aus (Marienberg), vgl. 397 u. 457. -- † 54.
Man halte den Ofentopf immer voll Wasser (Annaberg, Geier), vgl. 446.
-- * 55. Man verschneide sich weder Nägel noch Haare, sonst bekommt man
böse Gliedmaßen (Schwarzenberg), vgl. 397. -- * 56. Wenn man zur Metten
(vgl. 36 u. 37) geht, nehme man das heilige Abendlicht (vgl. 58) nicht
vom Tische weg, sonst stirbt man in dem neuen Jahre (Raschau), vgl. 397
u. 530.

~m.~ Als Erinnerung an den +Umzug der Götter+ in dieser Zeit kann
Folgendes gelten, was namentlich am Christabend beobachtet wird. -- 57.
Die Reste der Speisen läßt man die Nacht über auf dem Tische stehen
oder wenigstens das in das Tischtuch eingeschlagene Brod daselbst
liegen (allg.), damit die Abgeschiedenen -- oder vielmehr die auf Erden
weilenden Götter -- davon genießen können (Sehma), oder damit es das
ganze Jahr nicht an Brod fehle (Elterlein). -- * 58. Man brennt das
sogenannte Heiligabendlicht, ein starkes Inseltlicht, welches während
des Abendessens auf dem Tische bleibt und nicht hinweggenommen werden
darf. Der Rest des Lichtes wird aufgehoben und bewahrt das Haus vor
Blitzschlag (allg.), vgl. 334 u. 420. -- * 59. Man reinige die Tenne
in der Scheune sorgfältig, weil die Abgeschiedenen -- die Götter, vgl.
57 -- um Mitternacht dort tanzen (Annaberg) oder ihre Metten halten
(Raschau). -- 60. Alles Wasser verwandelt sich Nachts zwölf Uhr in Wein
(allg.), vgl. 100. -- 60 ~b~. Am +zweiten Weihnachtsfeiertag+ gehen die
Burschen zu den Jungfrauen: „Frischgrün-Peitschen,“ d. h. sie schlagen
dieselben mit ausgeschlagenen Birkenruthen, die mit einem rothen Bande
zusammengebunden sind. Dafür werden sie mit Stollen bewirthet. Am
+dritten Weihnachtsfeiertag+ thun die Jungfrauen den Burschen desgl.
(Zwickau), vgl. 93 und „die Zwölften in Thüringen,“ Aufsatz in der
illustrirten Zeitung, 1861, Nr. 965.

Aus den Tagen des +Januar+ genießt noch der sogenannte „Knotentag“
Beachtung.

* 61. Am Knotentage, d. i. am Tage Fabian Sebastian (20. Januar) darf
man keine Pflanzen stecken (Mittweida), vgl. 397 und auch 698-705.

§ 7 (27). +Fastnacht.+ Im Laufe des Februar begingen die alten
Deutschen eine Vorfeier des Frühlings, die entweder je nach der
nördlicheren oder südlicheren Lage in die erste oder in die zweite
Hälfte des Monats fiel und deren Festlichkeiten später meist zu
Fastnacht vereinigt wurden. Es fand nach altdeutscher Mythologie
der Götterumzug der Hertha statt, der im Umzug der Priester und des
Volkes nachgeahmt und jetzt noch in den Fastnachtsmummereien und den
um „Kräppel“ bettelnden Kindern einen schwachen, entstellten Nachhall
findet. Mancher Aberglaube der Weihnachtszeit, wo Wodan mit den
Göttern dahinbrauste (vgl. 21), wiederholte sich daher hier, nur daß
die Beziehung auf Hertha, als der Beschützerin häuslicher Geschäfte
und namentlich des Flachsbaues, deutlicher hervortritt. Pfannkuchen
und Fastenbretzeln, Gebäcke, die insbesondere zu Fastnacht gebacken
und verspeist werden, sind wohl als Ueberreste heidnischer Opfer-
und Festgerichte, jene als Abbilder der Sonnenscheibe, diese des
Sonnenrades mit den Radspeichen oder von Thor’s Hammer (+Wuttke+ § 27)
zu betrachten, die man christlich in Erinnerungszeichen an den Schwamm,
mit dem Christus getränkt und in die Fessel, mit der er gebunden
wurde, umdeutete. Daß auch die Fastnacht vorbedeutend für die Zukunft
sei, lag nach der heidnischen Auffassung unserer Urväter nahe. Vgl. §
53 u. +Friedrich+, norddeutsche Fastnachtsgebräuche, Aufsatz in den
Hausblättern von Hackländer und Höfer (Stuttgart), 1860. 5. Heft.

§ 8 (27). ~a.~ +Frühlingsfest+ oder +Festfeier der Sonne+ (?): * 62.
Man baut Schneehütten, die man Abends mit inwendig aufgestellten
Lichtern erleuchtet, die durch die hie und da dünngeschabten Wände
hindurchschimmern (Marienberg).

~b.~ +Mummereien+: 63. Abgesehen von etwaigen Maskenbällen und
andern Lustbarkeiten, kleiden sich Kinder in altmodische oder sonst
entstellende Tracht (Tiroler, Soldat, Handwerksbursche, Handelsmann
und dergl. sind die gewöhnlichsten Verkleidungen) und überraschen am
Nachmittag als „Fastnachtsnarren“ (vgl. § 53) bekannte und befreundete
Familien; ärmere ziehen wohl auch von dem Lärm der Gassenjugend
begleitet von Haus zu Haus, um ein paar Pfennige zu verdienen. -- * 64.
Auf Dörfern (Raschau, Pöhla) kommt zuweilen noch ein sonderbarer Umzug
vor, zwei Bursche, der eine auf dem anderen, der auf allen Vieren geht
und in Form eines Thieres ausgestopft ist, reitend, stellen zusammen
Reiter und Roß vor und so wandert man in Begleitung der Genossen von
Haus zu Haus. -- * 65. Der Bretzeljunge erscheint am Fastnachtsdienstag
abenteuerlich ausstaffirt, z. B. mit geschminktem Gesicht und
angeklebtem Schnurrbart, auf dem Kopf ein dreieckiger Hut mit einem
großen Busch rother Papierstreifen als Federstutz, schwarze Jacke, auf
der Brust mit weißer Schleife, weite Kniehosen, weiße Strümpfe und
Schnallenschuhe. -- Hin und wieder sieht man auch ein mit Pfannkuchen
hausirendes Mädchen mit einem schief auf dem Kopf sitzenden Tyrolerhut,
unter dem die langen künstlich geflochtenen Haarzöpfe herunterhängen,
mit einem grünen Jäckchen, schwarzem mit bunten Streifen besetzten
Rock, weißen Strümpfen und Schnürstiefeln (vgl. 589).

~c.~ „+Kräppelschießen.+“ * 66. Aermere Kinder, die sich meist auch
verkleidet haben, gehen mit vorn gespitzten Stöckchen zu den Bauern, um
Pfannkuchen, auch Krapfen oder „Kräppel“ geheißen, zu erbetteln. Man
nennt dieses Ansprechen „Kräppel schießen“ oder „Spießeinrecken,“ weil,
was den letzteren Ausdruck anbelangt, dabei die Bittenden ihre Stäbchen
oder „Spieße“ durch die halbgeöffnete Stubenthüre hereinhalten. Dabei
werden gewisse Liedchen gesungen oder gesprochen, vgl. § 99.

~d.~ +Aehnliche Gebräuche wie Weihnachten+: ~aa~) +Reinlichkeit+ vergl.
§ 6 ~a.~ ~b.~: * 67. Man kehre den Schmutz aus allen vier Ecken der
Stube, dann bleibt man vor Ungeziefer bewahrt (Marienberg). -- * 68.
Tags vorher (Montag) werden alle Stuben, der Boden und den Hausflur
gewaschen, sowie der Stall gereinigt (Sehma), vgl. 446. -- * 69. Die
Fenster werden von innen und außen gewaschen, dann werden sie im
Sommer nicht so sehr von den Fliegen beschmutzt (Sehma), vgl. 410. --
* 70. Man wasche Wäsche, dann wird sie recht weiß (Schwarzenberg),
vgl. 447. -- * 71. Man ziehe, wenn man Abends zu Tanze geht, ein neues
Kleidungsstück, mindestens weiße Wäsche an (Sehma), vgl. 11, 398 u. 445.

~bb.~ +Bestimmte Speisen+, vgl. 14 ff. 72. Allgemein ißt man (vgl.
398, 445 u. 589) besonders an diesem Tage Pfannkuchen und Bretzeln.
In den Familien werden außer Pfannkuchen, wohl auch Hefenklöse oder
Haferstollen als Zukost zum Kaffee gebacken. -- † 73. Hie und da sind
Mittag neunerlei oder siebenerlei Gerichte gebräuchlich oder wenigstens
bestimmte Speisen, namentlich (vgl. § 21, ~e~) Schweinefleisch mit
Sauerkraut, geräuchertes Schweinefleisch mit Erbsen, Bratwurst mit
Kartoffelbrei, Blutwurst mit Linsen, Häring mit Kartoffelsalat,
Graupen, Grütze oder Hirsebrei (§ 23, ~q.~), Klöse, gebackene Pflaumen.
-- * 74. Auch soll man viel Bier (vgl. 48) oder Warmbier trinken, sonst
nehmen die Kräfte ab und man stirbt in dem Jahre, vgl. 530. -- * 75.
Man esse nicht viel Butter, sonst stoßen einen die Kühe, vgl. 397.

~cc.~ +Hausthiere+: * 76. Die Kühe, Ochsen und Pferde bekommen
Abends jedes ein Stück Brod, auf welches sogenanntes Bockauer
Gesundheitspulver, mit Salz vermengt, gestreut ist, damit dieselben
stark und gesund bleiben (Raschau), vgl. 16, 96, 397, 426 u. 462 ff.
-- * 77. Man führe das Vieh nicht aus dem Stall, weil man sonst keinen
glücklichen Kauf thut (Annaberg, Raschau). -- † 78. Vor Sonnenaufgang
füttere man die Hühner innerhalb eines Reifens, oder flechte aus Stroh
ein Hühnernest und stecke es dreimal, indem man sagt: „Bleib beim Haus,
wie’s Bein beim Leib,“ durch die Beine, dann verlegen die Hennen die
Eier nicht (Frohnau, Marienberg), vgl. 18 u. 432. -- * 79. Nach dem
Abendessen oder um Mitternacht verstutzt man den Hühnern Flügel und
Schwanz (Sehma, Raschau), vgl. 464.

~dd.~ +Obstbäume+ und +Feldfrüchte+, namentlich +Flachs+: * 80.
Man beschneide die Obstbäume, dann kommen die Raupen nicht hinauf
(Annaberg), vgl. 422 u. 465. -- † 81. Man behänge die Obstbäume mit
Strohkränzen, dann tragen sie reichlich (Jöhstadt, Marienberg), vgl.
19, 421, 465 und +Wuttke+ § 320. -- * 82. Vor Sonnenaufgang binde man
Strohbänder, dann kommen keine Mäuse in das Getreide (Frohnau), vgl.
412. -- † 83. Damit der Flachs gerathe, binde man zu den Arbeiten
am Tage eine blaue Leinwandschürze um (Raschau, Lauter), verstecke
am Abend die Spinnräder und tanze daheim (Zöblitz) oder gehe zu
Tanze in die Schänke (vgl. § 53), wozu die Hausfrau eine weiße
Leinwandschürze umbinde. Dabei springe man recht hoch, d. h. man mache
den sogenannten „Fosentsprung“ (Fastnachtssprung). Oder die Tänzer
heben die Tänzerinnen in die Höhe und rufen dabei: „nätt wahr, su lank
muß der Flachs wär’n“ (allg.), vgl. 471. -- 84. Fastnacht -- oder
auch Sylvester -- Mitternachts 12 Uhr mit dem ersten Schlage springe
die älteste Jungfrau des Hauses in ihrer Kammer auf den Tisch und mit
dem letzten Schlage rückwärts herunter; so hoch wächst der Flachs
(Annaberg, Raschau, Sehma), vgl. 471.

~ee.~ +Witterung+: * 85. Wenn Fastnacht die Sonne scheint, gedeiht
der Flachs (Ehrenfriedersdorf, Mildenau), oder genauer: ist am Tage
Sonnenschein, Abends aber Regen oder Thauwetter („tropft es vom
Zaune“), so gedeiht der Flachs (Sehma, Raschau), vgl. 723.

§ 9 (27). An Fastnacht schließt sich unmittelbar die +Aschermittwoch+
und daher hat man auch diese in den Kreis des Aberglaubens gezogen,
vgl. 593 ff.

86. Man zerstöre die Maulwurfshaufen, damit die Saat gedeihe
(Marienberg), vgl. 422 u. 467. -- * 87. Man wasche die Stube nicht,
sonst wird sie grau (Geier), vgl. 397.

§ 10 (20). +Osterzeit.+ Die eigentliche Frühlingsfeier fiel bei den
alten Deutschen in den Monat April und die Erinnerungen daran finden
sich noch vielfach an dem in diese Zeit verlegten Osterfeste mit dem
ihm vorangehenden Gründonnerstag und Charfreitag. Vgl.: „Deutsche
Volksgebräuche der Osterzeit,“ Aufsatz in der illustrirten Zeitung,
1860, Nr. 875.

Dies heidnische Osterfest (der Name von +Ostara+, der deutschen Erd-
oder Frühlingsgöttin) galt hauptsächlich als Fest der Keime, die beim
Beginn des Frühlings der Erde anvertraut werden, und Reste dieser Feier
des wiedererwachten Naturlebens finden sich noch in dem bis auf den
heutigen Tag gebräuchlichen Osterfeuer, den Ostereiern, dem Osterwasser
u. s. w.

~a.~ +Osterfeuer+: 88. Es werden Freudenfeuer angezündet. Dies ist
jedoch nur vereinzelt der Fall; zahlreicher geschieht es zu Walpurgis
(vgl. 129) und hie und da auch zum Johannisabend. Als moderne Zugabe
wird auch zu Ostern mit Böllern, Pistolen etc. geschossen.

~b.~ +Ostereier+, vgl. Gründonnerstag 110 u. 598.

~c.~ +Osterwasser+: 89. Man holt früh am ersten Osterfeiertage
fließendes Wasser, ohne auf dem Hin- und Herwege mit Jemandem zu
sprechen (allg.). Ehe man das Wasser schöpft, bete man mit entblößtem
Haupte ein stilles Vaterunser, dann schöpfe man das Wasser und bekreuze
sich (Marienberg). -- † 90. Man wäscht sich mit diesem Wasser, wodurch
man vor Krankheiten, namentlich Hautkrankheiten, bewahrt bleibt
(allg.), und von Krankheiten, mit denen man behaftet ist, befreit
wird (Geier); kranke Kinder werden darin gebadet (Lauter); das Brod
damit bestrichen (Lößnitz), vgl. 398, 399, 440, 445, 498. -- 91.
Das Osterwasser kann man viele Jahre aufheben, ohne daß es verdirbt
(Sehma, Lößnitz). -- 92. Das Wasserholen kann auch am Gründonnerstag,
Charfreitag geschehen, und am zweiten Feiertage wiederholt werden
(Lößnitz), vgl. 112, 113 u. § 38 ~A a.~

~d.~ +Andere Gebräuche+: * 93. Knechte, Mägde und Kinder treiben
frühzeitig die Langschläfer mit „Gerten“ von Birkenreisern aus dem
Bett (allg.), vgl. 455. Dieser Gebrauch findet sich anderwärts zu
Weihnachten oder Fastnacht, vgl. 60 ~b.~ -- * 94. Am zweiten Feiertag
soll man sich peitschen oder peitschen lassen, dann thuen im ganzen
Jahre die Beine nicht weh (Sosa), vgl. 399. -- † 95. Am Ostermorgen
steckt man in den Ställen grüne Tannenzweige (vgl. § 38 ~A g.~) auf,
um das Vieh vor den Hexen zu sichern (Saida), vgl. 413 u. 427. Nach
+Wuttke+ (§ 223) legt man in Schlesien zu diesem Zweck Fichtenreiser
vor die Ställe. -- * 96. Die Kühe bekommen vor Sonnenaufgang Bockaer
Kräuterpulver, damit sie nicht behext werden (Sehma), vgl. 16, 76 u.
426. -- * 97. Man fährt vor Sonnenaufgang Asche auf das Feld, dessen
Fruchtbarkeit dadurch befördert wird (Lauter), vgl. 466.

~e.~ +Speisen+: * 98. Mittags ißt man „Ostersuppe“, d. i. Biersuppe,
aus Bier oder Kovent, Eiern, Milch, Rosinen und Brod bestehend (allg.).
-- * 99. Zum Frühstück hat man vom Gründonnerstag an „Osterbrödchen“,
ein Semmelgebäck mit Anis und Fenchel (Lauter, Lößnitz), vgl. 398 u.
445.

~f.~ * 100. Das Wasser hat sich bis früh vor drei Uhr in Wein
verwandelt (Raschau), vgl. 60. Dasselbe führt auch +Montanus+, die
deutschen Volksfeste etc. (Iserlohn und Elberfeld 1854), 1. Bdchen. S.
26, an: „Auch geht eine alte Sage, daß in der Osternacht alle Wasser zu
Wein würden, ähnlich der Christnacht.“ -- Ueber die +Witterung+
vgl. 736-738.

§ 11 (21). +Gründonnerstag+ und +Charfreitag+ haben viele Gebräuche,
die ebenfalls an die altdeutsche Frühlingsfeier, und überhaupt an
heidnische Ursprünge, vermischt mit christlichen Elementen, erinnern.
Der abergläubischen Bedeutung der +Charwoche+ dagegen liegt deren Feier
im christlichen Sinne zu Grunde.

~a.~ Die +Charwoche+ (Char vom altdeutschen kara d. i. Trauer) empfing
den Begriff der Sühnung oder des vorbedeutenden Unglücks.

* 101. Stirbt Jemand in der Marterwoche, so machen die Gewitter im
Laufe des Jahres keinen Schaden (Mildenau), vgl. 125, 420 u. 532. -- *
102. Die in dieser Woche getauften Kinder sind unglücklich (Mildenau),
vgl. 397 u. 480. -- * 103. Man nehme keinen Aus- oder Einzug vor
(Lauter), vgl. 397. -- † 104. Man fahre keinen Dünger (Raschau), vgl.
13 u. 397. Nach +Wuttke+, § 27, gilt dasselbe in Hessen zur Fastnacht.
-- † 105. Man wasche keine Wäsche; geschieht es mit der Wäsche eines
Bergmanns, so verunglückt derselbe (Sosa); auch hänge man kein
gewaschenes Bettzeug in’s Freie (Lauter), vgl. 397 u. 530. Aehnlich
nach +Wuttke+, § 17, in Mecklenburg am Johannistage: „man lasse keine
Wäsche im Freien, weil der, welcher sie dann auf dem Leibe trägt, den
Krebsschaden bekommt.“

~b.~ +Gründonnerstag.+ Der Name rührt von der altdeutschen Sitte her,
an diesem Tage einen Muß aus neunerlei frischen Kräutern (Bachbungen
~veronica beccabunga~, Brunnenkresse ~sisymbrium nasturtium~,
Schlüsselblumen ~primula veris~, Hollundersprossen ~sambucus nigra~,
Gierenblätter ~sium sisarum~, Frauenmantel ~alchemilla~, Lauch
~allium~, Nessel ~urtica~, Kukuksmus ~oxalis~) zu essen. Als Sinnbilder
der Fruchtbarkeit opferte und aß man Eier mit den Farben der Sonne
gelb und roth bemalt. -- † 106. Man sammle Kräuter, diese helfen gegen
dicke Hälse; gilt auch vom Charfreitag, vgl. 122 u. 435. -- † 107.
Wenn man Weizen vor Sonnenaufgang säet, so gedeiht er gut (Raschau),
vgl. 468. -- † 108. Die ersten Kartoffeln muß man am Gründonnerstag
legen (Frohnau, Raschau), vgl. 468. -- * 109. Wenn es am Gründonnerstag
während der Nacht gefroren hat, so friert es vierzig Nächte hindurch.
Friert es aber auch am Charfreitag (128), so gehen von den vierzig
Nächten zwanzig zurück und die anderen sind für das Feld nicht
gefährlich (Raschau).

110. +Ostereier+ (vgl. § 10): Es werden hart gesottene Eier, meist bunt
gefärbt, gegessen (allg.), vgl. 398 u. 445. Man versteckt dieselben
und läßt sie von den Kindern suchen (Marienberg). -- † 111. Die Männer
müssen vor Sonnenaufgang ein gestoßenes Gänseei essen, so nehmen
sie bei schweren Arbeiten keinen Schaden (vgl. 123), bekommen keine
Kreuzschmerzen (Raschau, vgl. 399), es sticht sie kein giftiger Wurm
(Zschopau), es begegnet ihnen überhaupt kein Unfall (Lauter). Letztere
Wirkung hat auch das Ei einer schwarzen Henne (Annaberg).

112. +Osterwasser+ wird geholt (vgl. 92), sowie Osterbrödchen (Raschau)
gegessen, vgl. 99.

~c.~ +Charfreitag+: † 113. Charfreitag, Nachts 12 Uhr, soll man sich
mit Bachwasser waschen, dann bekommt man keinen Ausschlag (Sosa),
vgl. 90, 92 u. 399. -- † 114. Fingerringe aus Eisen geschmiedet,
welches man am Charfreitag, Nachts 12 Uhr von Särgen geholt hat,
schützen gegen Gespenster (Sosa), vgl. 407. Aehnliches berichtet die
illustrirte Zeitung, 1860, Nr. 875 aus Schwaben: „Am Charfreitag muß
der Zauberschlüssel aus den Nägeln eines Todtensarges geschmiedet
werden, mit dem man den Teufel bannen kann.“ Vgl. auch +Wuttke+ § 156.
-- * 115. Man fange vor Sonnenaufgang eine Kröte (vgl. § 38 ~s.~),
schlachte und dörre sie. Das daraus gestoßene Pulver sichert vor allen
Nachstellungen und Ertapptwerden (Annaberg), vgl. 407. -- * 116.
Man fange einen Raben, schlachte ihn und dörre das Herz. Das daraus
gestoßene Pulver unter das Schießpulver gemischt, macht, daß man sicher
trifft (Marienberg), vgl. § 38 ~r.~ 407 und 474. -- * 117. Der Rahmtopf
muß leer sein, dann kommen keine Hexen hinein (Sosa), vgl. 408. -- *
118. Man verkaufe nach 6 Uhr Abends keine Milch, sonst kommen Hexen in
den Stall (Raschau, Sosa). Gilt auch Walpurgis und Andreas; ähnlich
in den zwölf Nächten, vgl. 51, 132, 171, 389 u. 397. +Wuttke+ führt
dasselbe § 17 für Lausitz und Schlesien vom Johannistage an. -- † 119.
Wenn man am Charfreitag an Stellen kommt, wo Schätze liegen, so thuen
sich dieselben auf (Sosa), vgl. 460. Nach +Wuttke+ § 18 gilt dieser
Aberglauben in der Mark Brandenburg und Tirol am Johannistage. -- †
120. Man schneide früh ein Stück Rasen aus der Erde, hauche in das Loch
und decke es schnell mit dem Rasen wieder zu; hilft gegen Zahnschmerzen
(Markneukirchen), vgl. 328, § 42 und 434, +Wuttke+ § 266. -- † 121. Man
schneide die Nägel an Händen und Füßen kreuzweiß, d. h. erst die Nägel
der rechten Hand, dann die des linken Fußes u. s. w.; die Abschnitte
werden in Papier gewickelt und in fließendes Wasser geworfen; schützt
vor Zahnschmerzen (Mildenau), vgl. 8 u. 399. -- * 122. Kräuter am
Charfreitag gesammelt, helfen gegen dicke Hälse (Geier), vgl. 106
u. 435. -- * 123. Ein Gänseei vor Sonnenaufgang gegessen, schützt
gegen Bruchschaden, vgl. 111 u. 399. -- * 124. Ein Eschenzweig vor
Sonnenaufgang von sich abgewendet geschnitten, hilft, wenn man sich
damit im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes
streicht, gegen das Reißen (Lengefeld), vgl. § 38 ~A. f.~ § 42 und 434.
-- * 125. Ist Charfreitag ein Begräbniß, so schlägt in dem Jahre in dem
betreffenden Ort der Blitz nicht ein (Geier), vgl. 101, 420 u. 532;
gilt auch Sylvester (Ehrenfriedersdorf). -- * 126. Vor Sonnenaufgang
kann man Erlen- und Eschenzweige, sowie andere spröde Holzarten, drehen
wie Weidenholz; sie bleiben das ganze Jahr hindurch gedreht (Sayda).
-- * 127. Wenn man am Charfreitag Asche auf das Feld streut, so wächst
viel Klee (Raschau, Geier), vgl. § 38 ~A. e.~ u. 466. -- 128. Wenn es
Charfreitag friert, so müssen noch vierzig Fröste heraus, die aber den
Feldfrüchten nicht schaden (Annaberg, Raschau), vgl. 109 u. 736 ff.

§ 12 (23). +Walpurgis+: Die erste Mainacht begingen die alten Deutschen
als Fest des aufblühenden Frühlings, dessen Feier aber, als das
Christenthum Platz griff und hier kein einfallendes christliches
Fest zur Uebertragung sich darbot, als Teufelswerk und Hexenunfug
dargestellt und verpönt wurde. -- Gerade die Feier des Walpurgisabends
(30. April) ist im oberen Erzgebirge noch sehr lebendig.

~a.~ +Hexenschutz+: 129. Knaben und junge Leute begeben sich
mit wergumwickelten und pech- oder harzgetränkten Besen auf die
benachbarten Höhen und am Abend leuchten und tanzen ringsumher die
kunstlosen Fackeln. Dazu werden Pistolen, Schlüsselbüchsen etc.
losgeschossen und Zündhütchen zerschlagen, Feuerräder und Pulverfrösche
angebrannt, mit Peitschen geknallt und Breter („Schwarten“)
zusammengeschlagen, es wird geschrieen und getobt, kurz ein möglichst
großer Lärm gemacht, um, wie Einige sagen, den Hexentanz darzustellen
oder, wie allgemeiner behauptet wird, um die zum Blocksberg ziehenden
Hexen zu vertreiben. Vgl. 333 u. 407.

130. Um den Hexen den Eingang in die Ställe und Häuser zu wehren,
werden vor Sonnenuntergang mit Kreide drei Kreuze an die Stall- und
Hausthüren, häufig auch an die Fensterladen gemacht (allg.), vgl. § 38
~D. b.~, 409, 413, 427 u. 464. -- 131. Hie und da legt man auch noch
einen alten Besen oder ein Stück frischen Rasen vor die Thürschwellen,
damit die Hexen nicht herein- oder eine etwa darin schon befindliche
Unholdin nicht wieder heraus kann, vgl. 341, 413 u. 427. -- * 132.
Ebenfalls um das Vieh vor dem Behexen zu behüten, wird kein Stück am
Abend aus dem Stall gezogen (Raschau) und nach 6 Uhr Abends keine
Milch mehr verkauft (Geier), vgl. 51, 118, 171, 389 u. 397. -- * 133.
Auch werden aus demselben Grunde die Düngerhaufen mit Hollunder-
(~sambucus nigra~), mit Ahlert- (~prunus padus~) oder mit Weidenruthen
besteckt (Annaberg, Geiersdorf, Grünstädtel), oder in jede Ecke des
Düngerhaufens ein aus Weichselkirschbaumzweigen zusammengebundenes
Kreuz befestigt (Annaberg), vgl. § 38, ~A. h.~ und 414. -- † 134. Auch
auf die Klöppelsäcke steckt man Weidenruthen (Grünstädtel), vgl. 409,
+Wuttke+ § 231.

~b.~ +Zauberhilfe+: Auch finden sich noch Spuren, daß man die an diesem
Tage der Erde nahen Zaubermächte sich nutzbar machen kann: † 135. Um
eine in’s Feld gesteckte Stange binde man Werg, dann geräth der Flachs
(Sehma). Nach +Wuttke+, § 322, steckt man in Mecklenburg beim Säen des
Flachses den Rechen senkrecht in die Erde, dann wird der Flachs so hoch
wie der Rechen, vgl. 153 u. 471. -- * 136. Man buttere Nachts 12 Uhr,
dann erhält man viel Butter (Zöblitz), vgl. 462.

~c.~ +Viehaustreiben+: Am 1. Mai ist es auch im Obergebirge, wie
anderwärts, Sitte, das Vieh zum erstenmal auf die Weide zu treiben
(vgl. 618). † 137. Man legt dann als Schutz gegen das Beschreien
innerhalb des Stalles vor die Thürschwellen einen Schlüssel, vgl. 340
u. 464 (nach +Wuttke+, § 24, ist in der Altmark statt dessen ein Beil,
d. i. Thor’s Hammer, gebräuchlich), und ein Ei, bedeckt beides mit
frischem Rasen und läßt das Vieh darüber schreiten (allg.). -- * 138.
An der Stallthüre steht der „Kühjunge“ und bespritzt jedes Thier mit
Wasser (Annaberg, Elterlein). -- * 139. Man läßt eine Katze vorangehen,
damit nicht die Kühe, sondern die Katze behext werde (Sehma), vgl. 397
u. 427. -- * 140. Man vermeidet, eine schwarze Kuh voranzutreiben, denn
dies bedeutet Unglück, mindestens schlechtes Wetter (Marienberg). -- *
141. Dem Hirt wird ein gekochtes Ei mitgegeben, das er auf dem Felde
verzehrt und die Schalen vergräbt, damit die Heerde hübsch beisammen
bleibe (Sehma). Oder: der Hirt hat mitgegebene hartgesottene Eier unter
den Kühen herum zu „kaulern“ (kollern), bis sie von diesen zertreten
werden. Die Schalen sind dann ebenfalls zu vergraben (Saida), vgl. 328
u. 427. -- * 142. Der Hirt darf sich während des ersten Austreibens
nicht niedersetzen (Saida), vgl. 397. -- * 143. Kehren die Leute Abends
vom Felde zurück, so werden sie mit Eiern gespeist, und namentlich der
Kühjunge dabei reichlich bedacht (Annaberg), vgl. 427.

§ 13 (25). +Himmelfahrt+ und +Pfingsten+: In die Frühlingsmonate
fallen die Himmelfahrt und das Pfingstfest.

144. Am +Himmelfahrtstage+ kommt ein Gewitter oder es regnet wenigstens
(Lauter). -- † 145. Wenn das Brod in der Woche +vor Pfingsten+
aufschlägt, so bleibt es theuer (Raschau). -- Am Sonnabend vor
Pfingsten wird die Hausflur oder Stube mit Maien oder Maibäumchen
geschmückt, indem man Birkenreiser oder Zweige in Gefäße mit Wasser
steckt (allg.). -- Das Stück Spitzen, welches gerade geklöppelt wird,
muß vollendet sein, so daß es abgeschnitten werden kann (Lauter).
-- Der Hirt, welcher am Pfingstmorgen als der erste mit seinem Vieh
auf das Feld kommt, ist „Pfingstkönig“ und hat das Recht, eine
Pfingststange, d. h. einen mit Kränzen verzierten langen Stab, zu
setzen (Voigtsdorf). -- Wer am ersten Pfingstfeiertag spät aufsteht,
steht im ganzen Jahre spät auf und wer in einer Familie zuletzt aus
dem Bette sich erhebt, heißt der Pfingstlümmel (allg.). -- Ueber
+Witterung+ vgl. 741.

§ 14 (17 ff.). +Der Johannistag+: Dem Feste der Wintersonnenwende
bei den alten Deutschen in den Zwölfnächten, entsprach das Fest der
+Sommer+sonnenwende am +Johannistage+ (24. Juni; in seiner kirchlichen
und daher zum Theil auch in seiner volksthümlichen Feier auf den
nachfolgenden Sonntag verlegt). Zu Ehren der in ihrem Höhepunkte
angelangten Sonne brannte man die sogenannten +Johannisfeuer+ an, die
noch bis auf die Gegenwart über ganz Deutschland gebräuchlich sind, und
die reiche Entwicklung der blühenden Natur feierte man durch Blumen und
Kränze. Man glaubte, die überirdischen Mächte seien auch zu dieser Zeit
der Erde näher und wirkten theils heilsam, theils verderblich.

~a.~ +Johannisfeuer+: 146. „Jungen“ brennen Feuer im Freien an
(Annaberg; es geschieht dies jedoch nur vereinzelt, vgl. 88 u. 129).

~b.~ +Blumenfest+: 147. Am Morgen des Johannisfestes winden arme Kinder
einen Kranz von Feldblumen, der auf einen Teller gelegt wird. Damit
stellen sie sich auf die Straße und bitten die Vorübergehenden um
einen „Johannispfennig“, den man innerhalb des Kranzes hinlegt. Oder:
Kinder halten mit einer Schnur, die mit Blumen umwunden ist oder an der
ein Kranz hängt, die Vorübergehenden auf (allg.). Für das empfangene
Geld machen sie sich Abends eine Semmelmilch (Lauter). -- † 148. Es
wird um den +Johannisbaum+ getanzt. Derselbe ist eine aus vier Stäben
bestehende, mit Kränzen und Blumen verzierte Pyramide, welche in der
Stube oder auf der Straße auf ein Tischchen gestellt wird. Abends wird
dieselbe mit Lichtern geziert. Die Tänzer sind dabei weiß gekleidet und
singen verschiedene Liedchen (Zwickau), vgl. § 99. -- * 149. Ein großer
Topf, der +Johannistopf+, wird mit Kränzen geschmückt und ein Preis
darunter gelegt. Wer mit verbundenen Augen den Topf mit einem Stecken
trifft, erhält den Preis. Zum Schluß wird gewöhnlich eine Semmelmilch
gegessen und getanzt (Saida). -- * 150. Die „Kühjungen“ bekränzen einen
Ochsen und führen ihn zu ihrem Herrn, der sie mit einem Geldstücke
beschenkt (Annaberg).

~c.~ +Witterung+: „Ungewitter am Johannistage ist ungünstig, denn
es werden dann gleichsam die Festfeuer der Menschen von den Göttern
zurückgewiesen“ (+Wuttke+, § 39): 151. Wenn es am Johannistage regnet,
so bekommen wir theures Brod (Raschau). -- 152. Wenn am Johannistage
das Wasser steigt, so steigen die Getreidepreise, fällt das Wasser, so
fallen die Preise (Ehrenfriedersdorf), vgl. 189 ff. u. 749.

~d.~ +Zauberhilfe+: † 153. Man steckt Kränze in den Flachs; so hoch
der Kranz ist, so hoch wächst der Flachs (Marienberg, Zöblitz), vgl.
135 und 471. Nach +Wuttke+, § 322, „steckt man in Thüringen beim Säen
des Flachses große Zweige von Hollunder in die Erde und ißt, damit der
Flachs gut gerathe, am Himmelfahrtstage Milch mit Semmel.“ Vielleicht
hat das oben 147 und 149 erwähnte Semmelmilchessen denselben Grund. --
† 154. Mittags in der zwölften Stunde sammelt man schweigend Kräuter
zu Thee, der gegen alle Krankheiten hilft (allg.). Die gewöhnlichsten
Kräuter, die man sucht, sind: Kamille, Stiefmütterchen, Quendel
(~thymus serpyllum~) etc.; auch trägt man Johannisblumen (~arnica
montana~) ein und setzt sie auf Spiritus, der dann alle Wunden heilt
(vgl. 398).

~e.~ Der +Getreideschneider+. † 155. Am Johannisabend in der sechsten
Stunde kommt der sogenannte +Getreideschneider+, der über die Ecke
eines Stückes Getreide durchschneidet, von welchem er dann, wenn der
Bauer drischt, den halben Nutzen hat, vgl. 461. Um diesem vorzubeugen,
nimmt der Bauer Liebstöckelöl (d. i. Oel aus ~levisticum officinale~,
wächst im Gebirge nicht wild, sondern nur in Gärten, vgl. 337) und
macht, nachdem er den Finger in das Oel getaucht, ebenfalls in der
sechsten Abendstunde des Johannistages, drei Kreuze an jede Ecke des
Feldes auf die Erde. Ist aber der Getreideschneider bereits dagewesen,
so hängt der Bauer, bevor er das Getreide einführt, ein Büschel
Reißigspitzen (frischgrünende Tannenzweige) über dem Scheunthor auf,
drischt sobald als möglich und macht dabei mit dem Reißigbüschel den
Anfang. Dann ist der Bann gelöst und der Getreideschneider zieht keinen
Nutzen (Sehma), vgl. 422. -- +Wuttke+ gedenkt § 414 nach Berichten
aus Thüringen und Franken ebenfalls des Getreideschneiders, den er
+Binsenschnitter+ nennt und unter die bösartigen Geister rechnet. Er
sagt von ihm: „Derselbe macht fußbreite Wege durch die Getreidefelder,
indem er kleine Sicheln an den Füßen hat; und die Leute, bei denen er
geschnitten, kommen nie zu Vorrath. Man schützt sich vor ihm durch
kreuzweises Säen der ersten Handvoll Samen.“ Im baierischen Voigtlande
heißt er +Billmetschneider+ und wird als Mann gedacht, der in Folge
eines Bundes mit dem Bösen die Frucht des Feldes, das er umschreitet,
in seine Scheune zaubert, vgl.: „Aus dem baierischen Voigtlande“,
Aufsatz im Morgenblatt 1860, Nr. 31.

§ 15 (28 ff.). An der zweiten Hälfte des Jahres (vgl. § 92) haften,
außer dem Andreasabend (§ 16), nur noch an wenigen Tagen gewisse
Aberglauben in geringem Maaße (vgl. § 56 ff.).

~a.~ +Siebenschläfer+: † 156. Wer am Siebenschläfer (27. Juni) bis um 7
Uhr schläft, thut es das ganze Jahr hindurch (Zwickau), vgl. 145, 276
u. 751. Aehnlich +Wuttke+, S. 23, aber an einem andern Tage: „Am Tage
der sieben Brüder (10. Juli) muß man früh aufstehen, weil man sonst das
ganze Jahr ein Langschläfer wird.“ -- Ueber den +Oswaldstag+ vgl. 342.

~b.~ +Michaelis+: * 157. Man säe am Michaelistage (29. September) kein
Korn, sonst wird mehr Stroh als Körner (Mittweida), vgl. 397 u. 777.

~c.~ +Burkardi+: * 158. Am Burkarditage (11. October) soll man nicht
säen (Zwickau).

~d.~ +Martini+: * 159. Der Martinstag (11. November) wird hier und da
(Sehma) ebenfalls für geeignet zum Erforschen der Zukunft gehalten
(vgl. § 57).

§ 16 (30). Der +Andreastag+. Der Andreastag (30. November), namentlich
die späteren Abendstunden, sind die für Wahrsagung, besonders in
Beziehung auf künftige Ehe, günstige Zeit. -- Vielleicht feierten an
diesem Tage oder überhaupt um diese Zeit unsere Altvordern ein der
Frigga, der Gemahlin Odin’s, der Göttin der Ehe und des häuslichen
Lebens, geweihtes Fest, dessen Gebräuche und Aberglauben man auf
den christlichen Heiligen und seinen Namen übertrug. Ob das dabei
vorkommende Horchen auf Hundegebell oder das Schütteln an Obstbäumen
(namentlich Birnbäumen) oder an Gartenzäunen, sowie das Eintragen
von Zweigen fruchttragender Bäume oder Sträucher in irgend welcher
Erinnerung an heidnischen Glauben, der mit Frigga in Zusammenhang
stand, seinen Grund hat, wagen wir nicht zu entscheiden. Nicht
unwahrscheinlich ist es, daß der Hund, den die alten Deutschen den
Thieren beizählten, welche die Gabe der Weissagung besitzen, der Göttin
der Ehe, als Bild der Häuslichkeit, beigegeben war (vgl. § 21 ~a~)
und Bäume und Sträuche, welche in Gärten, also innerhalb der das Haus
umgebenden Einfriedigung gepflanzt waren, sammt dem Zaune selbst, unter
dem Schutze der Göttin des häuslichen Lebens standen. -- Anderwärts hat
der Valentinstag (14. Februar) eine ähnliche Bedeutung, wie bei uns der
Andreastag, vgl. v. +Reinsberg-Düringsfeld+, „der St. Valentinstag“,
Aufsatz in der illustrirten Zeitung, 1862, Nr. 972.

~a.~ Der +Andreasvers+: † 160. Dieser Vers wird von heiratslustigen
Mädchen gebetet. Entweder geschieht es vor dem Zubettegehen oder
im Bett selbst, nachdem man dreimal mit der großen Fußzehe an die
Bettstelle gepocht hat. Die geeignetste Zeit ist Mitternacht 12
Uhr (allg.). Besondere Maßregeln dabei sind noch: man esse vorher
schweigend einen Häring, steige rücklings in das Bett und unterlasse
für diesmal das gewöhnliche Abendgebet. Der Vers selbst lautet (vgl.
+Wuttke+ § 80):

„~Deus meus~, Heiliger St. Andreas, Ich bitt’ dich, laß mir erscheinen
Den Herzallerliebsten, meinen, In seiner Gestalt, Mit seiner Gewalt, In
seinem Habit, Wie er mit mir vor den Altar tritt.“ (Der Anfang lautet
auch: „~Deas meas~,“ „Ehes mies,“ „Eos meos,“ „Eos theos,“ was blos aus
Unkenntniß hervorgegangene Verstümmelungen der lateinischen oder der
statt deren gebrauchten griechischen Worte, ~theos emos~, sind.)

Außer diesem Vers darf man nichts sprechen, muß sich auch vor dem
Versprechen hüten, sonst bekommt man von unsichtbarer Hand eine
Ohrfeige oder erfährt sonst einen Schabernack (Annaberg). -- Der
künftige Ehemann erscheint dann im Traume, vgl. § 29. Mitunter meint
man wohl, die Herausforderung soweit steigern zu können, daß die
Gestalt des künftigen Gatten den wachenden Augen erscheint, vgl. 161, §
32 u. +Wuttke+ § 88 ~b~. Zu diesem Behufe schließt sich die betreffende
Jungfrau in der zwölften Nachtstunde in ihre Kammer, kehrt dieselbe
aus, deckt dann den Tisch, trägt verschiedene Speisen (Einige verlangen
neun), als Brod, Wasser, Wein, Bier u. s. w. auf und stellt dann einen
Stuhl an den Tisch. Schlag 12 Uhr spricht sie folgenden Vers:

„~Deus meus~, Heiliger Andreas, Ich bitt dich, laß mir erscheinen Den
Herzallerliebsten, meinen, In seiner Gestalt, In meiner Gewalt, Wie er
stieht, Wie er mit mir vor’n Altar kniet. Soll er mit mir in Freuden
sein, So laß ihn erscheinen bei Bier und Wein. Soll er mit mir leiden
Noth, So laß ihn erscheinen bei Wasser und Brod. Soll er mit mir ziehen
über Land, So gieb ihm den Stab in die rechte Hand“ (Zwickau). -- Oder:
„Hat er ein Pferd, so reit er, Hat er keins, so schreit er. Schenkt
er Bier und Wein, So schenk er mir ein Gläschen ein“ (Marienberg). --
Oder: „Hat er Vieh, so treib er, Hat er Eseln oder Schwein, So komm’ er
vor das Bett allein“ (Geier). Vgl. hierzu und zu den folgenden Nummern
unten 499.

~b~) +Das Rütteln von Bäumen, an Zäunen+ etc.: † 161. Ebenfalls Nachts
12 Uhr rüttle man an einem Baum -- nach Einigen muß es ein Obstbaum
im Garten, bestimmter ein Birnbaum sein, nach Andern muß derselbe auf
einem Kreuzwege stehen -- und spreche:

„Bäumlein, ich rüttle dich, Feines Liebchen melde dich, Willst du aber
dich nicht melden, So laß doch dein Hündlein bellten“ (Zöblitz). --
Oder: „Liebes Bäumchen, ich schüttle dich, Sende den, der liebet mich.
Und will er nicht sich stellen, So mag doch nur sein Hündlein bellen“
(Annaberg, Marienberg).

Es erscheint nun entweder der künftige Gatte oder man hört Hundegebell.
Woher letzteres schallt, in jene Gegend heiratet man. Vgl. +Wuttke+ §
89.

† 162. Statt des Baumes kann man auch an einem Gartenzaun rütteln,
wobei der Zaun eines Gartens, der durch Erbschaft an den gegenwärtigen
Besitzer übergegangen, wirksamer als jeder andere ist, vgl. § 32 und
+Wuttke+ § 92. Der Vers lautet dann: „Erbzaun, ich rüttle dich, Feines
Lieb, ich bitte dich. Beil, beil Hündelein, Wo mein feines Lieb wird
sein“ (Marienberg). * 163. Den Wohnort des Geliebten kann man auch
erfahren, wenn man unter einen Birnbaum kniet (Schneeberg) oder durch
das Astloch einer Breterwand horcht (Annaberg) bis man Hundegebell
hört; wo es her schallt, dort ist die Heimat des Zukünftigen. -- Das
Horchen an einem +Astloch+ beruht auf dem Glauben, daß durch diese
Oeffnungen die Elfen und andere Geisterwesen ihren Durchgang nehmen.
Insofern gehen sie den Kreuzwegen parallel. +Wuttke+ § 270. +Simrock+,
Mythologie S. 545.

* 164. Statt Mitternacht kann man sowohl für das Beten des
Andreasverses, als bei dem Baumrütteln u. s. w. in Annaberg 7 Uhr
Abends wählen und zwar die Zeit während des daselbst gebräuchlichen
Läutens. Die erste hierauf begegnende Mannsperson ist der gewünschte
Bräutigam.

~c~) +Eintragen von Zweigen+: † 165. Mittag 12 Uhr oder Abends in der
6. Stunde pflückt man Zweige von sieben oder neun verschiedenen Bäumen
und Sträuchern, bindet sie in einen Strauß und stellt sie in ein Gefäß
mit Wasser. Blühen dieselben dann am ersten Weihnachtsfeiertag, so ist
es ein gutes Zeichen für baldige Verheiratung (allg.), vgl. +Wuttke+
§ 82. -- * 166. Man soll folgende Baum- und Straucharten wählen:
Kirschbaum, Apfelbaum, Birnbaum, Pflaumenbaum, Kastanie (~aesculus
hippocastanum~), Himbeere, Johannisbeere, Stachelbeere und Hollunder
(vgl. § 23, ~n.~) d. i. ~sambucus nigra~ (Raschau).

~d~) +Andere Gebräuche+: * 167. Man nehme Mittags 12 Uhr einen Löffel
Hirsebrei (vgl. § 23, ~q.~) und stelle sich damit vor die Hausthüre,
wo man den Brei, sobald es 12 schlägt, essen muß. Die nächste
vorübergehende Mannsperson ist der Bräutigam (Annaberg, Marienberg).
-- † 168. Man lege einen Apfel unter das Kopfkissen und lasse ihn bis
Weihnachten daselbst liegen. Am ersten Weihnachtsfeiertag, wenn zur
Kirche eingelauten wird, stelle man sich damit unter die Hausthüre. Aus
der Verwandtschaft des Mannes, den man zuerst sieht, wird man heiraten
(Marienberg), vgl. +Wuttke+ § 80. -- 169. Außerdem kann man alle die
Mittel, welche man überhaupt gebraucht, um das künftige Geschick zu
erforschen, z. B. Bleigießen, Pantoffel werfen etc. anwenden und daraus
etwaige Heiratshoffnungen ableiten, vgl. 228, 288-290, 294, 295, 303,
305, 308 u. 312. -- 170. Auch das männliche Geschlecht befragt mitunter
die angeführten Liebesorakel, um über die künftige Braut Fingerzeige zu
empfangen (allg.).

~e.~) +Anderweiter Aberglaube.+ * 171. Nach 6 Uhr Abends darf keine
Milch verkauft werden, sonst wird das Vieh verhext. Vgl. 51, 118, 132
u. 389.

§ 17 (31 ff.). Außer den § 5-16 angeführten Festzeiten giebt es
noch andere Schicksalszeiten, deren Bedeutung auf +astrologischem+
Aberglauben beruht. Die sogenannten „Planeten“ werden noch vielfach auf
Jahrmärkten (§ 77) verkauft und man hört es wohl auch aussprechen, daß
es von Wichtigkeit sei, unter welchem Sternbilde ein Kind geboren oder
getauft werde. Im Einzelnen wird Folgendes angeführt:

172. Im Krebse geboren, kommt der Mensch schwer zu etwas und besitzt
er, so geht es mit ihm rückwärts (Frohnau), vgl. 476. -- * 173. In den
Fischen geboren, geht es mit dem Menschen vorwärts und er kommt zu
etwas (Frohnau), vgl. 476. -- † 174. Erdäpfel im Zeichen der Fische
gelegt, werden wässerig (Raschau), vgl. 397. Anderwärts (Geier)
schreibt man diesen Einfluß überhaupt allen sogenannten „Wasserzeichen“
zu, d. h. außer den Fischen, auch dem Krebs und Wassermann. Die rechte
Zeit ist im Zeichen des Steinbocks und der Zwillinge (Raschau). Nach
+Wuttke+ § 323 meint man dagegen in Mecklenburg, daß Kartoffeln, an
einem Tage, der im Kalender mit dem Zeichen des Steinbocks bezeichnet
ist, gesteckt, hart werden. -- 175. Ist ein Kind im Zeichen des
Wassermanns geboren, so muß man ein getragenes Kleid desselben ins
Wasser werfen, sonst läuft es Gefahr früher oder später zu ertrinken
(Frohnau), vgl. 476.

§ 18 (34 ff.). Für einflußreich unter den Gestirnen wird besonders
der +Mond+ gehalten, wobei jedoch theilweise eine an sich nicht
falsche Naturbeobachtung zu Grunde liegen kann. Seine Wechsel gelten
für wichtige Bestimmungszeichen bei der Landwirthschaft, bei Kuren,
beim Haareschneiden, bei Familienereignissen. Im Allgemeinen gilt der
zunehmende Mond als eine günstige, der abnehmende als eine ungünstige
Zeit. Vgl. auch § 94.

* 176. Rüben sind bei abnehmendem Monde zu stecken (Frohnau), ebenso
ist das Säen des Getreides zu vollziehen (Raschau), vgl. 468. -- *
177. Im Neumond darf man keine Erdäpfel legen und keine Erbsen säen,
sonst blühen sie immerfort und setzen keine Früchte an, vgl. 397 und
Wuttke § 323. -- * 178. Wenn man am letzten Freitag im Monde Asche
Vormittags streut, so wird viel Klee, streut man sie aber Nachmittags,
so werden viel Wicken (Raschau), vgl. 466. -- * 179. Wenn die Bäume im
Vollmonde blühen, so wird viel Obst, blühen sie im abnehmenden Monde,
so tragen sie keine Früchte (Raschau). -- 180. Die Kälber sind bei
zunehmendem Monde abzunehmen (Frohnau), vgl. 464 u. +Wuttke+ § 316.
-- 181. Der Eintritt in eine neue Stellung, ein Umzug, die Hochzeit
u. s. w. geschehe bei zunehmendem Monde (allg.), vgl. 450. -- * 182.
Wenn man vor dem am Himmel stehenden Vollmonde drei Verbeugungen macht,
bekommt man etwas geschenkt (Marienberg), vgl. 449. -- * 183. Wird
eine Leiche im Vollmonde begraben, so nimmt sie den Segen mit aus dem
Hause (Saida), vgl. 532. -- * 184. Stirbt Jemand im abnehmenden Monde,
so geht es mit seiner Familie rückwärts (Schneeberg). -- * 185. Manche
Leute geben bei abnehmendem Monde der Leiche Geld und Brod mit in den
Sarg, vgl. 409.


II. Die Schicksalszeichen.

§ 19 (36 ff.). +Schicksalszeichen+ sind Zeichen oder Anzeichen, aus
denen man das künftige Geschick vorauserkennen kann. Sie bieten sich
entweder von selbst dar in dem Natur- und Menschenleben und bedürfen
nur der Ausdeutung, oder sie sind durch Anwendung geheimer, angeblich
überlieferter Weisheit zu erkennen und auszulegen (Wahrsagekunst).


~A.~ Von selbst sich darbietende Schicksalszeichen.

§ 20 (38 ff.). „Die Schicksalszeichen sind entweder +an und für sich+
bedeutsam, also auch überall und jederzeit, wo und wann sie erscheinen,
wie etwa die Kometen, oder sie sind es nur zu bestimmten +Zeiten+, also
in den eigentlichen Schicksalszeiten (vgl. I.) oder unter bestimmten
+Umständen+ bei Geburten, Hochzeiten, Todesfällen u. s. w.“


1. Naturerscheinungen.

~a.~ +Kometen+: 186. Ein Komet bedeutet Krieg, Theuerung, überhaupt
Unglück (allg.).

~b.~ +Nordlichter+: 187. Ein Nordlicht bedeutet Krieg (Zwickau).

~c.~ +Sternschnuppen+: * 188. Wenn eine Sternschnuppe fällt, wird eine
Seele aus der Hölle erlöst (Annaberg), vgl. 449. Bei diesem aus der
katholischen Zeit stammenden Aberglauben ist wohl die Hölle für das
Fegefeuer substituirt.

~d.~ +Regen+: 189. Wenn es der Braut in den Kranz regnet, ist die Ehe
gesegnet (allg.), denn der Regen ist eine Gabe Donar’s. Vgl. 508. --
† 190. Andere halten es für ersprießlich, wenn es am Tage vor der
Hochzeit (Lößnitz), oder beim Gang in die Kirche, während die Sonne
scheint, regnet (Schneeberg). -- * 191. Wenn es bei einem Umzuge
regnet, werden die Leute reich (Lauter), vgl. 23, 144, 151 u. 152.

~e.~ +Nebel+: 192. Ist am Trauungstage nebeliges Wetter, so folgt
Krankheit in der Ehe (Saida), vgl. 508. Nach +Wuttke+ § 39 hält man
es in Lauenburg dagegen für ein glückliches Zeichen, wenn es in den
Brautkranz nebelt oder schneit.

~f.~ +Wind+: * 193. Kommt beim Säen der Wind von Morgen, so entsteht
Unkraut, von Mittag Disteln, von Mitternacht gute Ernte (Schneeberg),
vgl. 468. -- † 194. Wenn der Wind recht summt, so hat sich Jemand
erhängt (Raschau), vgl. Wuttke § 391: „Der Teufel fährt mit der Seele
des Erhängten im Sturme davon (Schlesien, Lausitz, Mark, Schwaben).“ --
* 195. Wenn am Trauungstage der Wind stark weht, so wird das Paar arm
(Saida), vgl. 21, 24 u. 508.

Vgl. noch: +Witterung+ 20, 85. +Schnee und Frost+ 22, 109, 128.
+Sternbilder+ 172 ff. +Mond+ 179.


2. Thiere und Pflanzen.

§ 21 (40 ff.). ~a.~ Der +Hund+, der Frigga beigegeben als Sinnbild
der Häuslichkeit (§ 16), besitzt daher als in Göttergemeinschaft
stehend, die Gabe des Blickes in die Zukunft und sieht namentlich
die leichenwählenden Nornen oder Walkyren nahen. Vgl. 244 u. 812. --
196. Heult ein Hund mit erhobenem Kopfe, so bricht Feuer aus, senkt
er den Kopf dabei, so stirbt Jemand (allg.), vgl. 530. * Ruft man ihn
aber beim Namen, so wird dem Unglück, welches er anzeigt, vorgebeugt
(Zwickau), vgl. 407. -- 197. Begegnet man beim Ausgehen einem Hunde, so
ist es ein gutes Anzeichen (Annaberg), vgl. 161 ff.

~b.~ Das +Pferd+. 198. Das Pferd gilt ebenfalls als ein weissagendes
Thier, vgl. 250.

~c.~ Der +Hase+. 199. Der Hase wird wegen seiner oft koboldartig
erscheinenden Gestalt für eine verkappte Hexe gehalten (vgl. 351 u.
353), daher bedeutet ein über den Weg laufender Hase Unglück (allg.).
Vgl. „Die Symbolik in der deutschen Mythologie“ Aufsatz in den
Grenzboten 1862. I. S. 104 ff.

~d.~ Die +Katze+, wie der Hund der Frigga heilig, ist als Begleiterin
oder auch als angenommene Hülle der Hexen (vgl. 351) dem Aberglauben
ebenfalls ein vorbedeutendes Thier. -- 200. Eine über den Weg laufende
Katze, besonders eine schwarze, bedeutet Unglück (allg.). -- 201. Wenn
die Katze sich putzt (Marienberg), oder einen krummen Rücken macht
(Schwarzenberg), kommt Besuch. Vgl. 813 u. 814.

~e.~ Das +Schwein+ war das gewöhnliche Opferthier bei den alten
Deutschen und daher dürfen aus diesem Thiere bereitete Speisen
Weihnachten und Fastnachten nicht fehlen, vgl. 14, 73 u. 452. -- 202.
Der Aberglaube, daß begegnende Schweine Unglück, wenigstens Prügel,
bedeuten, +Schafe+ dagegen Glück oder daß man gern gesehen werde
(allg.), stammt wohl aus der alttestamentlichen Bedeutung dieser
Thiere. -- * 203. Wenn das Schwein beim Schlachten nicht schreit, so
ist es nicht fett (Mildenau). -- Die +Kuh+ vgl. 140 u. 815.

§ 22 (42 ff.). ~f.~ Die +Krähe+ und +Dohle+ vertreten die Stelle des
im Gebirge nicht vorkommenden +Raben+, der, als Wodan’s Vogel, Unglück
verkündend ist. -- † 204. Setzt sich eine Krähe auf ein Haus, so stirbt
Jemand in diesem (Annaberg) oder in dem gegenüberstehenden Hause oder
überhaupt in der Nachbarschaft (Raschau). Dasselbe gilt von der Dohle
(Annaberg). -- * 205. In Annaberg ist namentlich Eine von gewissen
klugen Leuten gekannte Dohle, aus der Zahl derer, welche in der Nähe
des Gottesackers sich aufhalten, die, wenn ein Todesfall im Hause
eintreten wird, sich auf das betreffende Haus setzt und jämmerlich zu
schreien anfängt. Vgl. 530, 825 u. 826.

~g.~ Das ganze Geschlecht der +Eulen+ steht nach altem Aberglauben mit
den finstern Mächten im Bunde. -- † 206. Wenn das +Käuzchen+ schreit,
so stirbt innerhalb dreier Nächte ein Verwandter oder Freund dessen,
der es hört (Zwickau), vgl. 412 u. 530.

~h.~ Die +Henne+. 207. Wenn eine Henne kräht, bedeutet es Unglück
(Geiersdorf, Marienberg), vgl. 818 ff.

~i.~ Die +Schwalbe+ ist ein glückbringender Vogel. Ebenso die
+Wachtel+, vgl. 423. -- † 208. „Jag’ die Schwalben nicht ’naus, denn
sie bringen Segen in’s Haus“ (Annaberg, Raschau). -- † 209. In dem
Hause, wo Schwalben nisten, kommt kein Feuer heraus (allg.), vgl. 366,
420, 672 u. 824.

~k.~ Der +Kukuk+ gehört ebenfalls zu den Göttervögeln des deutschen
Heidenthums und gilt allgemein als weissagend. -- 210. Wenn man den
Kukuk im Frühjahr zum erstenmal rufen hört, frage man: „Kukuk, schrei
mir meine Jahre aus, wie lange ich noch leben soll.“ So viel mal sein
Ruf ertönt, so viele Jahre lebt man noch (allg.). -- 211. Bei dem
ersten Kukuksruf greife man an den Geldbeutel, dann geht einem das
Geld im ganzen Jahre nicht aus. Wer dabei aber kein Geld bei sich hat,
dem fehlt es das ganze Jahr hindurch (allg.), vgl. 457. -- 212. Den
Burschen und Mädchen giebt er auf ihre Frage an, wieviele Jahre sie
noch ledig bleiben (Schwarzbach).

~l.~ Die +Spinnen+ gehören als Mitbewohner des Hauses zum Gefolge der
Freya, vgl. 367, 420, 830 und +Wuttke+, § 202. -- 213. Wenn früh eine
Spinne auf Jemanden zuläuft, so bedeutet dies Glück (allg.). * Oder:
wenn die am Vormittag auf Jemanden zulaufende Spinne bei dem Zuruf:
„Spinne, bringst du Glück, bleib’ steh’n, bringst du keins, lauf’
fort“ sitzen bleibt, ist es ein glückbringendes Anzeichen (Raschau).
Neueren Ursprungs scheint der entgegengesetzte Aberglaube: „Die
Spinne am Morgen bringt Kummer und Sorgen“, vgl. das Französische:
~araignée au matin grand chagrin, araignée du soir grand espoir~. Eine
Vereinigung beider Aberglauben findet sich in folgender Ansicht: *
Spinnen, namentlich Kreuzspinnen, früh in der siebenten Stunde bedeuten
Glück, in der zehnten Vormittagsstunde zeigen sie Unglück, wenigstens
Verdruß an (Zwickau). -- * 214. Läuft die Spinne an Jemanden hinauf, so
bedeutet es Glück, läuft sie abwärts aber Unglück (Zöblitz), vgl. 367.

~m.~ Der +Holzwurm+, die Todtenuhr, auch die Holzmühle genannt. 215.
Dieser Käfer zeigt durch sein Picken den nahe bevorstehenden Tod eines
der Hausbewohner an (allg.), vgl. 530 und +Wuttke+, § 50.

§ 23 (45). +n.+ Der +Hollunderstrauch+ (vgl. 133 u. 166) war im
deutschen Heidenthum von hoher Bedeutung und stand namentlich auch in
Beziehung zu den Todten (+Montanus+, die deutschen Volksfeste etc. 2.
Bdchen., S. 149), daher sein häufiges Vorkommen auf Gottesäckern. --
* 216. Wenn im Herbste ein Hollunderbaum wieder blüht, so stirbt bald
Jemand aus der Familie, der der Baum gehört (Schneeberg), vgl. 530.

~o.~ Die +Haselstaude+ (~corylus avellana~) ist ebenfalls dem deutschen
Heidenthum bekannt, woher noch ihre Verwendung zur Wünschelruthe rührt,
vgl. 459. -- * 217. Jedes Zäpfchen am Haselstrauch nach Michaelis, wo
zwei und zwei zusammengewachsen sind, bedeutet einen Groschen Aufschlag
am Brode (Ehrenfriedersdorf). -- * 218. Wenn viele Haselnüsse werden,
entstehen viele uneheliche Kinder (Geier), vgl. 475. +Wuttke+ sagt §
366: „Die Nüsse, besonders die Haselnüsse, haben durch ganz Deutschland
eine besondere Beziehung zur Liebe und zur Ehe.“

~p.~ Der +Hagerosenstrauch+ (~rosa canina~), „Hanebuttenstrauch“,
diente wahrscheinlich zum Einzäunen der heiligen Hainstätten und
war ein Gegenstand abergläubischer Verehrung. -- * 219. Wenn der
Hagebuttenstrauch viel Früchte trägt, so kommt viel Sturm und Regen
(Raschau), vgl. 832 ff.

~q.~ Außer den angeführten Gewächsen giebt es noch mehrere, denen
ebenfalls eine besondere Bedeutung, deren Ursprung bis in das deutsche
Heidenthum zurückreicht, beigelegt wird. Z. B.: der +Hirse+ war eine
in den frühsten Zeiten unsers Volkes sehr verbreitete Getreideart
und gewöhnliche Festspeise, daher noch jetzt seine abergläubische
Anwendung, vgl. 14, 18, 73, 167 u. 365.

~r.~ Neueren Ursprungs sind Anzeichen an folgenden Gewächsen: * 220.
Wenn das +Korn+ abgehauen wird und es schlägt das Brod auf, so wird das
Brod billig (Raschau). -- * 221. Wenn der Brei von neuen +Erdäpfeln+
recht quillt, so bleiben dieselben billig (Geier). -- * 222. Je mehr
Brode in dem „+Brodkörbchen+“, einem kleinen schwammartigen Gewächs,
desto wohlfeiler wird das Brod und umgekehrt (Ehrenfriedersdorf). --
Vgl. die Botanik des Aberglaubens, Aufsatz in der Illustrirten Zeitung
1860, Nr. 879.


3. Zeichen von Menschen.

§ 24 (46). † 223. Wenn zwei Menschen zusammen in demselben Augenblick
dasselbe sagen, so erfahren sie an diesem Tage etwas Neues (Raschau),
oder es kommt ein Schneider in den Himmel (Zwickau). -- 224. „+Kinder+
gelten als besonders wichtige Weissagungsorgane“ (vgl. 507): Wenn
Kinder beim Spielen feierliche Weisen auf der Gasse singen, so stirbt
Jemand in der Nachbarschaft (Raschau, Lengefeld).

225. Begegnet man früh beim ersten Ausgang oder wenn man ein wichtiges
Unternehmen vorhat, einer alten Frau, so bedeutet dies Unglück (allg.).
-- * 226. Kommt die Leichenfrau ungerufen in ein Haus, so stirbt bald
Jemand aus demselben (Zwickau), vgl. 255 u. 530.

† 227. Am heiligen Abend oder am Sylvesterabend horcht man an einem
fremden Fensterladen; hört man zuerst +Ja+ sprechen, so geht das,
was man sich denkt, in Erfüllung, hört man aber +Nein+, so geschieht
es nicht (Marienberg). Hört man Lärm, so wird ein unruhiges Jahr
(Annaberg), vgl. 38. -- † 228. Am Andreasabend, namentlich während
des Siebenuhrlautens (vgl. 164, 169), deutet das Ja auf baldige
Heirat. Oder: man horcht auf einen Namen, der gehörte ist dann der des
künftigen Gatten (Annaberg). Vgl. 7, 101, 125, 183, 184 u. 499.


4. Aus dem Familien- und Geschäftsleben.

§ 25 (47 ff.). † 229. Wenn beim Heben des Hauses das heruntergeworfene
Glas nicht zerbricht, so ist es ein übles Zeichen (allg.), vgl. 836.
-- 230. Wenn ein Unternehmen übel anfängt, so hat es einen schlimmen
Verlauf (allg.), vgl. 5. -- * 231. Begegnet man beim Antritt einer
Reise zuerst Jemandem mit einem leeren Korbe, so hat man Unglück
(Marienberg). -- * 232. Begegnet einem Fuhrwerk eine Frau mit einem
leeren Topfe, so wirft entweder der Wagen um, oder es stürzt eins der
Thiere (Raschau). -- * 233. Wenn Verkäufer an Markttagen bald Handgeld
bekommen (d. h. bald etwas verkaufen), namentlich von jungen Personen,
so machen sie glückliche Geschäfte (Zwickau).

234. Wenn dreizehn Personen bei Tische sitzen, stirbt eine davon in
demselben Jahre (allg.); gilt namentlich am Weihnachts-Heiligenabend,
vgl. 42 u. 530. -- 235. Wenn es in einer Gesellschaft plötzlich ganz
still wird, so fliegt ein Engel durch die Stube (allg.). -- 236. Wenn
man etwas Spitziges (Messer, Gabel, Scheere etc.) fallen läßt und es
spießt in den Boden ein, so kommt Besuch (allg.). * Dasselbe wird
angezeigt, wenn an einem vom Feuer genommenen Topfe Kohlen hängen
bleiben (Annaberg). -- 237. Wenn bei Tische Alles rein aufgegessen
wird, so bedeutet dies schönes Wetter (allg.), vgl. 472. -- 238. Wenn
bei Tische ein Teller mehr als nöthig hingesetzt wird, so kommt noch
ein hungriger Gast (Raschau). -- 239. Wer das Salz verschüttet, wird an
dem Tage noch ausgezankt (allg.), vgl. 397. -- * 240. Werden zufällig
drei Lichter auf den Tisch gesetzt, so ist eine Braut im Hause (allg.);
gilt namentlich am Weihnachts-Heiligenabend, vgl. 26 u. 499. -- * 241.
Wenn man Brod abschneidet und es entsteht eine Kerbe, so hat man vorher
eine Lüge gesagt (Raschau), vgl 397. -- * 242. Wer viel Suppe ißt, lebt
lange (Marienberg); gilt namentlich am Weihnachts-Heiligenabend, vgl.
44 u. 451. -- * 243. Beim Abschiede mehrerer Personen dürfen sich die
verschiedenen Paare die Hände nicht über’s Kreuz reichen, sonst stirbt
Jemand davon oder die Freundschaft wird getrennt (Annaberg). Vgl. noch
30, 31, 397, 512, 524, 525 u. 530.

244. Wenn bei einer Feuersbrunst der Kettenhund (§ 21 ~a~) mit
verbrennt, so brennt es auf diesem Gehöfte bald -- nach Einigen binnen
sieben Jahren -- wieder (Annaberg, Grünstädtel). -- * 245. Wenn die in
Folge eines ausgekommenen Feuers herausgefahrene Spritze kein Feuer
sieht, so brennt es bald wieder (Grünstädtel). Vgl. 415. -- 246. Man
horcht am Weihnachts Heiligenabend oder am Sylvester auf das Geräusch,
welches der kochende Ofentopf macht. Hört man einen winselnden Ton, so
stirbt Jemand aus der Familie (Marienberg, Lauter), vgl. 38 u. 530.

247. Wenn etwas von der Wand fällt, so stirbt Jemand aus der
Freundschaft (Schwarzenberg); gilt namentlich am Weihnachts
Heiligenabend und Sylvester, vgl. 29. -- Vgl. noch 215.

248. Wenn die Leiche welk ist, so holt sie noch dieses Jahr eine Person
aus der Freundschaft (Schwarzbach); † ebenso wenn der Mund aufsteht
(Ehrenfriedersdorf), † wenn sie sich noch sehr ähnlich sieht (Lauter),
* oder wenn sie rothe Lippen hat (Raschau). Vgl. auch 543. -- 249. Wenn
dem Leichenzuge zuerst ein Mann begegnet, so ist die nächste Leiche
ein Mann u. s. w. (Scheibenberg), vgl. 546. -- † 250. Begegnet dem
Leichenzug ein Fuhrwerk mit zwei Pferden (vgl. 198), so stirbt in dem
Orte, wo die Leiche her ist, bald ein Ehepaar (Raschau). -- † 251.
Begegnet der Leichenzug einem Hochzeitszug, so stirbt bald eins von dem
Paar (Raschau), vgl. 513 u. 528. -- * 252. Wenn der Leichenzug weit
auseinander geht, so stirbt bald wieder Jemand (Raschau), vgl. 397. --
253. Wenn ein Kranker gerüchtweise todt gesagt wird, so lebt er desto
länger (allg.).


5. Zeichen von kirchlichen Dingen.

§ 26 (53 ff.). * 254. Fällt während der Predigt (Einige beschränken
es auf die Predigt zur Weihnachtsmesse, vgl. 36) ein in die Höhe
geschlagenes Sitzbret in einem Männerstuhl nieder, so ist die nächste
Leiche ein Mann u. s. w. (Ehrenfriedersdorf, Elterlein). -- * 255. Wenn
die Chorknaben, die mit dem Crucifix zu einer Leiche gehen, zufällig
vor einem Hause stehen bleiben, so stirbt bald Jemand aus diesem Hause
(Lauter), vgl. 226 u. 530.

256. Wenn es auf zwei Thürmen zugleich schlägt, so bricht Feuer aus
(Raschau). -- † 257. Wenn die Glocken von selbst sich bewegen und
klingen, so bricht Feuer aus (Raschau), vgl. 37.

* 258. Wenn das Kind vor der Taufe niest, so wird es klug
(Scheibenberg), vgl. 482. -- * 259. Schreit das Kind bei der Taufe,
so stirbt es im ersten Jahre (Marienberg) oder sein Schicksal ist
wenigstens kein gutes (Stollberg), schreit es dagegen während der Zeit,
wo es der Pfarrer auf dem Arme hält, so wird es reich (Marienberg). --
260. Wenn es während der Taufe auf dem Thurme schlägt, so stirbt das
Kind bald (Lauter).

261. Wenn bei der Trauung der Ring herunterfällt, so giebt es eine
unglückliche Ehe (Elterlein), vgl. 280, 397 u. 515. -- † 262. Wenn bei
der Trauung, sowie überhaupt während der Hochzeit etwas verloren geht
oder zerbricht, so hat das Paar kein Glück (Raschau, Schneeberg). -- *
263. Wenn die Braut das Schnupftuch verliert, so bedeutet dies Unglück
(Lauter).

264. Ein Kommunikant, bei welchem der Kelch von neuem gefüllt wird,
steht bald Gevatter (Zwickau). -- * 265. Wenn es Sonntags unter die
Kirchleute regnet, regnet es die ganze Woche (Schneeberg).


6. Bei dem Menschen selbst, dem die Zeichen gelten.


~a.~ Leibliche Zeichen.

§ 27 (57 ff.). † 266. Wenn das Auge juckt, so bekommt man Besuch
(Raschau). -- * 267. Wenn das Ohr klingt, so denkt Jemand an einen
(Zwickau). Oder: Wenn das rechte Ohr klingt, bedeutet es gute Nachrede,
wenn das linke, das Gegentheil (allg.); denkt man dabei: „der oder der
redet Schlimmes von mir“, so hört das Klingen sofort auf, wenn man
richtig gerathen (Annaberg).

† 268. Wenn man des Morgens nüchtern dreimal niest, so bekommt man den
Tag über ein Geschenk (Annaberg, Sosa) oder erfährt eine Neuigkeit
(Zwickau). -- † 269. „Nüchterne Nieß, setzt Geld oder Stieß“, d. i.
Stöße (Zwickau). -- 270. Schlucken bedeutet, daß man in demselben
Augenblick verlästert werde (Raschau).

271. Wenn einem die Zähne weit auseinander stehen, so kommt man weit
fort (Marienberg).

272. Wenn sich ein Mädchen beim Waschen die Schürze naß macht, so
bekommt sie einen versoffenen Mann (Marienberg), vgl. 499. -- *
273. Wenn eines der Brautleute bei der Trauung niest, so wird die
Ehe unglücklich (Marienberg), vgl. 517. -- * 274. Wenn die Kinder
Mitesser (kleine Schwäre) haben, werden sie nicht über zwölf Jahre alt
(Zwickau), vgl. 475 u. 530.


~b.~ Andere Zeichen von mehr geistiger Art.

§ 28 (60 ff.). 275. Das +Vergessen+ ist ein sehr häufiges
Schicksalszeichen; ganz allgemein gilt es als ein Unglückszeichen, wenn
man beim Ausgehen etwas vergessen hat und daher wieder umkehren muß,
vgl. 397. Doch kann man das Unglück abwenden, wenn man in das Zimmer
zurückkehrt und vor dem Wiederfortgehen kurze Zeit sich niedersetzt
(allg.). -- 276. Vergißt Jemand, was er sagen wollte, so war es eine
Lüge (allg.). -- Vgl. noch 27, 32, 33, 34 u. 156. -- 277. Wenn die
Köchin die Suppe versalzt, ist sie verliebt (allg.), vgl. 499. -- *
278. Wer den Hausschlüssel verliert, wird bald sterben (Breitenbrunn),
vgl. 397 u. 530.

† 279. Wenn eins der Brautleute auf dem Wege zur Kirche oder in der
Kirche sich umsieht, so löst sich die Ehe bald wieder (Grünstädtel),
oder die betreffende Person lebt nicht mehr lange (Geier), oder die
zu hoffenden Kinder bekommen, wenn es die Braut thut, schiefe Hälse
(Zwickau), vgl. 483. -- 280. Wenn eines der Brautleute auf dem Wege zur
Kirche den Trauring verliert, so wird die Ehe unglücklich (Marienberg),
vgl. 261, 397 u. 513.


7. Träume.

§ 29 (64 ff.). † 281. Man erzähle die Träume nicht nüchtern, denn ist
es ein guter Traum, so geht er dann nicht in Erfüllung, während dagegen
der schlechte seine Kraft behält (Marienberg), vgl. 25 u. 397. -- Oder:
hat man einen unheilvollen Traum gehabt, so darf man ihn vor Mittag
Niemandem erzählen, dann wird seine Erfüllung abgewendet (Zöblitz),
vgl. +Wuttke+ § 97.

* 282. Wenn man träumt, Kuchen zu essen, so widerfährt Einem etwas
Uebles (Zwickau). -- * 283. Wenn man im Traume helles Feuer sieht,
so bekommt man am folgenden Tage etwas geschenkt (Grünstädtel), oder
ist überhaupt glücklich (Marienberg), oder erhält einen Gevatterbrief
(Raschau, Sosa). Sieht man blos Rauch, so bedeutet dies Unglück
(Zwickau). -- 284. Ausfallen eines Zahns bedeutet Tod eines Verwandten
(Raschau), vgl. 530. -- * 285. Träumt man von Fischen, so erhält man
Geld (Sosa). -- * 286. Träumt man von Geld, so bekommt man Schläge
(Sosa). -- * 287. Wenn man von einem Ort träumt, an welchem etwas
liegt, so stehe man gleich auf und gehe, ohne sich anzukleiden, an
diese Stelle. Dort hebe man, was da liegt, sei es, was es wolle, auf.
Ein Jahr darauf verwandelt es sich in lauter Gold (Sosa), vgl. 457.

Die Träume während der Zwölfnächte sind bereits § 6 ~h.~ erwähnt, sowie
auch das Träumen in der Andreasnacht § 16 ~a.~


~B.~ Wahrsagungskunst.


1. Die Wahrsagekunst des Zufalls oder des Looses.

§ 30 (71 ff.). Das +einfache+ Loos, welches nur bejahend oder
verneinend antwortet.

288. Am Andreasabend, Nachts 12 Uhr, werfen heiratslustige Mädchen,
indem sie sich mit dem Kopf gegen die Thüre gekehrt in die Stube legen,
den +Pantoffel+ über sich nach der Thüre, und sprechen dazu: „Schühkel
(d. i. Schühchel, kleiner Schuh) aus, Schühkel ein, wo werd’ ich heut’
übers Jahr sein.“ Fällt der Pantoffel mit der Spitze nach der Thüre
zu, so hoffen sie, daß sie im nächsten Jahre heiraten (Annaberg). Auch
am Weihnachtsheiligenabend und am Sylvester wird dies Spiel getrieben.
Vgl. 499. -- † 289. Man kann durch denselben Versuch auch erfahren,
ob man überhaupt im nächsten Jahre noch in dem Hause bleibt oder es
verlassen muß. Vgl. 25, 38 u. 169.

290. In der Christnacht oder Sylvester, auch zu Andreas, am
erfolgreichsten Mitternachts, klopfen die Mädchen dreimal an den
„Hühnerhort“ (Hühnerstall) mit den Worten: „Gackert der Hahn, so krieg
ich en Mann, gackert die Henn’, so krieg’ ich noch kenn’.“ Meldet sich
nun zuerst der Hahn, so macht die Betreffende in dem Jahre Hochzeit,
wenn aber eine Henne, so bleibt sie noch ledig (allg.), vgl. 499. --
291. Am Christabend oder am Sylvester werden Nüsse aufgemacht; der,
welcher dabei zuerst eine taube oder schwarze trifft, stirbt in dem
kommenden Jahre (Marienberg), vgl. 29 u. 530. -- 292. Oder man klebt
Wachsstocklichtchen in Nußschalen und setzt diese kleinen Schiffchen,
nachdem man sie je mit Namen von Anwesenden benannt, auf ein Becken mit
Wasser. Die Nußschalenpaare, die sich zuerst berühren, heiraten zuerst.
Oder man sucht sonst aus dem Schicksal eines Schiffchens die Zukunft
dessen, nach dem es benannt ist, zu erforschen (Annaberg, Marienberg).
Vgl. 38 u. 499. -- 293. Oder man nimmt drei Stückchen Kork, bezeichnet
das eine als Mann, das andere als Frau, das dritte stellt den Pastor
vor. Stoßen nun die ersten beiden zusammen, so heiratet sich das
Paar bald (Raschau). -- 294. Am Sylvester- oder am Andreasabend, wo
möglich Mitternacht, rafft man auf dem Holzboden so viel Holzscheite,
als man fassen kann, zusammen. Unten angekommen, zählt man dieselben.
Paaren sich dabei die Stücke, d. h. ist es eine gerade Zahl Scheite,
so heiratet man noch in dem Jahre (Marienberg, Raschau). -- † 295.
Am Andreasabend zieht man, während des Siebenuhrlautens, aus einem
Holzhaufen (am liebsten nicht aus einem eigenen, sondern aus einem
fremden) ein Scheit; je nachdem dieses gerade oder krumm ist, deutet
es die Gestalt des künftigen Gatten an (Annaberg), vgl. 326. -- 296.
Am Christabend oder am Sylvester, besonders Mitternacht, setzt man
mittelst eines Fingerhutes oder eines Näpfchens Häufchen von Salz,
hie und da auch von Sand (Annaberg), und giebt jedem den Namen einer
Person. Wessen Häufchen am folgenden Morgen eingefallen ist, stirbt
in dem Jahre (Raschau), vgl. 530. Andere fügen noch hinzu, Tropfen
an einem Häufchen bedeuten Thränen (Zschopau). Vgl. 38. -- * 297. Am
Sylvester sticht man tief in ein noch frisches Brod mit dem Messer.
Ist das Messer, wenn man es nach einer Weile herauszieht, feucht, so
wird ein nasses Jahr, ist es trocken, ein fruchtbares (Annaberg). --
* 298. Oder man nimmt das „Wassermessen“ vor, indem man ein Gefäß
bis zu einer bezeichneten Stelle mit Wasser füllt; steigt das Wasser
während der Nacht über diesen Strich, so hofft man ein gesegnetes
Jahr (Stollberg). -- * 299. Aehnlich ist das „Getreidemessen“. Man
füllt am Christabend ein kleines Gefäß, z. B. ein halbes Maaß, eine
Untertasse, einen Fingerhut etc. mit Getreide oder Salz und schütte je
ein Häufchen auf jede Tischecke. Am folgenden Morgen mißt man wieder
und je nachdem es reichlich oder knapp ist, wird das Getreide in den
vier Vierteljahren ab- oder aufschlagen (Ehrenfriedersdorf) oder man
bezieht es auch im Allgemeinen auf die Getreidepreise des folgenden
Jahres überhaupt (Annaberg, Marienberg). -- * 300. Oder man setzt auf
die vier Tischecken je ein Salzhäufchen; welches am Morgen eingefallen
ist, deutet in dem entsprechenden Vierteljahre auf schlechte Zeit
(Zwönitz). -- † 301. Oder man nimmt zwölf Zwiebelschalen, thut in jede
etwas Salz: je nachdem das Salz am Morgen trocken oder feucht ist, wird
der entsprechende Monat sein (Grünhain). Vgl. 165.

§ 31 (77 ff.) Enthüllungen der Zukunft mit speciellerem Inhalt.

302. Das +Kartenlegen+, jedenfalls aus dem Loosen mit Runenstäben
entstanden, ist noch vielfach gebräuchlich, während das Wahrsagen aus
dem +Kaffeesatz+ nur vereinzelt oder gar nicht mehr vorzukommen scheint.

303. Das +Blei-+ oder +Zinngießen+ wird an den drei
Weihnachtsheiligenabenden, sowie am Andreasabend, noch häufig geübt.
Vgl. 38 u. 169. Man gießt das Metall am erfolgreichsten durch einen
Erbschlüssel (vgl. 32 u. 38) in eine mit Wasser gefüllte Schüssel,
indem man spricht: „Ich gieß’ mei Zinn und mei Blei, was wird mei
Handwerk sei.“ Aus den entstehenden Figuren deutet man die Zukunft
oder speciell den Stand des zu hoffenden Gatten. Viele spitzige,
kleine Theile zeigen Krieg an und dergl. Vgl. 499. -- 304. Man nimmt
ein am Christabend gelegtes Ei und schlägt es Nachts 12 Uhr in ein
Glas Wasser, das man unter das Bett stellt. Aus den bis zum Morgen
entstandenen Figuren sucht man zu wahrsagen (Annaberg, aber nur
vereinzelt). -- * 305 ~a.~ Man läßt den +Erbring+ schlagen. Ein Ring,
den man ererbt hat, wird an das Haar desjenigen, der den Versuch machen
will, gebunden. Man hält dann den Ring am Haare ruhig in ein Glas und
so oft der Ring an die Innenfläche des Glases anschlägt, so viele
Jahre dauert es noch, bis man heiratet (Voigtsdorf). -- † 305 ~b.~ Am
Andreas- oder am Christabend (während des Siebenuhrlautens) werfen
die Mädchen ein Stück Holz (Raschau) oder einen Strohwisch (Geier)
auf einen Baum, bis er liegen bleibt; so oft sie werfen müssen, so
viele Jahre bleiben sie noch ledig, vgl. 499. -- * 306. Am Sylvester,
Mitternacht, raffen Unverheiratete mit der Hand klein gespaltene Stücke
Holz auf, deren Zahl die zu hoffende Kinderzahl angiebt (Zschopau),
vgl. 475.

† 307. Am Sylvester verdeckt man ein Häufchen Salz, ein Stück Brod und
ein Leinwandläppchen mit einem Tuche und läßt wählen. Das Salz bedeutet
Glück, das Brod gutes Auskommen, die Leinwand Krankheit (Annaberg).
-- * 308. Am Andreasabend legen die Mägde ein Stück Brod, ein Messer,
ein Glas, einen Nagel, einen Riemen u. s. w. auf den Tisch. Hierauf
werden einer Magd die Augen verbunden und die verschiedenen Gegenstände
verschoben. Ergreift dann die Magd das Stück Brod, so heiratet sie im
nächsten Jahre einen Bäcker, bei dem Messer einen Schmied und so fort
(Schneeberg), vgl. 499. -- * 309. Am Christabend setzt man neunerlei
auf den Tisch: helles Wasser, trübes Wasser, eine Trauerschleife, Brod,
Geld, einen Ring, ein hölzernes Kind (eine Puppe), einen Blumenstrauß
und einen Gevatterbrief. Dann muß man dreimal mit verbundenen Augen
um den Tisch gehen und nach einem dieser Gegenstände greifen. Was
man ergreift, deutet an, was im nächsten Jahre geschieht (Zwickau),
vgl. 530. -- * 310. Oder man nimmt neun Tassen und thut in acht je
folgende Sinnbilder: klares Wasser (Freude), trübes Wasser (Verdruß
oder Krankheit), ein Kränzchen (Gevatterschaft), ein größeres Spähnchen
(Mann oder Frau), ein kleineres Spähnchen (Kind), ein Geldstück
(Reichthum), Brod (kein Mangel), schwarzes Band (Trauer). Eine Tasse
bleibt leer und bedeutet, daß nichts Hauptsächliches vorfällt. Hierauf
werden Einem die Augen verbunden und je nach dem er wählt, wird im
nächsten Jahre sein Schicksal sein (Zwönitz).

311. Am Weihnachtsheiligenabend werfen die Mädchen eine schmal
geschälte Aepfelschale rückwärts über den Kopf und ersehen dann aus
der Figur den Anfangsbuchstaben des künftigen Geliebten (Marienberg).
Vgl. 38. -- 312. Am Sylvester-, Andreas- oder Martiniabend schreiben
die Mädchen die Buchstaben auf einzelne Blättchen und legen sie unter
das Kopfkissen. Dasjenige, welches sie beim Erwachen in der Nacht oder
am Morgen hervorziehen, bezeichnet den Anfangsbuchstaben des künftigen
Bräutigams (Marienberg, Sehma). -- * 313. Wenn man in einen Brunnen
guckt, erblickt man den künftigen Gatten (Schneeberg).

* 314. Um zu sehen, welche Art des Getreides im neuen Jahre am besten
gerathen werde, nimmt man am Sylvesterabend eine Schüssel mit Wasser,
legt vier Stäbchen, zwei der Länge und zwei der Quere, über das Wasser
und schüttet nun in die dadurch entstandenen neun Fächer verschiedene
Getreidearten. Diejenige derselben, welche bis zum Morgen am meisten
gequollen ist, wird am besten gedeihen (Lengefeld).

315. Eine verbreitete Art der Wahrsagerei ist das +Aufschlagen+ von
Büchern. Man schlägt am Sylvester das Gesangbuch (oder auch die Bibel)
nach Zufall auf und sucht aus dem ersten Liede der aufgeschlagenen
Seite die Zukunft zu deuten. -- 316. Hierher gehören auch das
Erforschen der Zukunft durch +Punktiren+ mit Hilfe der sogenannten
„Punktirbüchlein“, sowie die am Andreasabend gebräuchlichen Arten des
Wahrsagens, vgl. 159-170.


2. Die Zauberwahrsagekunst.

§ 32 (86 ff.). Hierbei sucht man durch gewisse den Schein des
Geheimnißvollen und Magischen an sich tragende Mittel und Wege
die Zukunft zu enthüllen. -- Die folgenden Anführungen machen auf
Vollständigkeit um so weniger Anspruch, als gerade derartige Dinge von
den sogenannten Wissenden möglichst verborgen gehalten werden.

317. Die +Zauberspiegel+, die hie und da bei Jahrmärkten aufgestellt
sind, finden immer noch Gläubige. Vgl. 499.

† 318. Am Weihnachtsabend oder am Sylvester sieht man in die Esse;
erblickt man dort einen Sarg, so stirbt im folgenden Jahre Jemand aus
der Familie (allg.), vgl. 530.

An das Gebiet der Zauberei streift die Wahrsagerei, zu deren
Ausführung man sich auf das geheimnißvolle Gebiet der +Kreuzwege+
begiebt, deren Bedeutung wohl aus dem unheimlichen Gefühl der
Rathlosigkeit stammt, welches den der Gegend unkundigen Wanderer,
besonders in der Nacht, an einem Kreuzwege befällt (+Wuttke+ § 102).
Dort halten Abends die Hexen ihre Sitzungen (Annaberg), man tritt also
damit unter den Einfluß dieser Dienerinnen des Teufels, ähnlich wie bei
dem Horchen an einem Astloch, vgl. 163.

319. Am Sylvester, Nachts 12 Uhr, stelle man sich auf einen Kreuzweg,
um aus irgend einem Zeichen, z. B. einem vorüberfliegenden Vogel, die
Zukunft zu errathen (Dittersdorf); sieht man aus einem Hause Lichter
herausfahren, so wird dort im Laufe des Jahres Jemand sterben (Lauter),
oder nach der Gegend zu, wo Leuchtkugeln (?) fallen, wird Feuer
ausbrechen (Zwönitz). -- * 320. Oder man beschreibt auf dem Kreuzweg
einen Kreis, murmelt Zauberformeln und ruft einen Verstorbenen beim
Namen. Der Geist erscheint und sagt auf Verlangen Alles, was in dem
neuen Jahre vorfällt. Steht der Geist nicht, so stirbt der Beschwörer
(Grünstädtel, Schwarzbach). -- * 321. Minder gefährlich, aber auch
weniger zuverlässig ist, wenn man sich blos horchend aufstellt,
ohne einen besonderen Geist zu citiren. Zuweilen hört man dann auch
(wahrscheinlich, wenn einer der Geister gerade Zeit oder Lust hat),
was im neuen Jahre geschieht. In Ermangelung eines Kreuzweges thut ein
Kreuzbalken, an dem man horcht, dieselben Dienste (Zwickau).

* 322. Hierher gehört auch das geheimnißvolle „Kornhorchengehen.“ Man
lege sich am Sylvester Mitternachts an einen Feldrand, namentlich wo
Winterkorn gesäet ist, dann hört man, was in dem neuen Jahre sich
zutragen wird (Raschau). Vgl. auch 160 ff.

Zu den Zauberwahrsagereien gehören auch alle, die mit +Erbsachen+ --
vom Vater und Großvater ererbt -- vorgenommen werden. Es liegt diesem
Aberglauben der ächt deutsche Sinn zu Grunde, daß solch ein Erbstück
Liebe und Interesse für das Haus habe, gleichsam Träger oder Organ der
das Haus schützenden Ahnengeister sei. Der Erbschlüssel vertritt das
Recht des Hausbesitzes, der Erbzaun den Besitz des ganzen Gehöftes.
Daher das erfolgreichere Bleigießen durch einen Erbschlüssel und das
Rütteln eines Erbzaunes am Andreasabend, vgl. 162, 303, 305 ~a~, 326,
430 u. 442.

Der Wahrsagereien durch +klopfende Tische+ und durch vermeintliche
+Somnambulen+ (vgl. 458) gedenken wir nur beiläufig. Jene spielten
namentlich 1853 und folgende Jahre eine nicht unwichtige Rolle auch im
Gebirge und diese tauchen von Zeit zu Zeit mit mehr oder weniger Zulauf
je nach ihrer Geschicklichkeit hie und da auf.



Zweites Kapitel.

Die übernatürliche Einwirkung auf das eigene und auf das fremde
Geschick, die Zauberei.


I. Die Zaubermittel.

§ 33 (98 ff.). Die Zauberei ist nicht allezeit gleich wirksam, sondern
hat ihre besonderen +Zeiten+. Die verhängnißvollen Schicksalszeiten,
wie die Zwölfnächte, Ostern, Walpurgis, Johannis, Andreas u. s. w.
(vgl. § 4-16) sind auch zum Zaubern die geeignetsten. Der Mondwechsel
(§ 18) kommt auch hier in Betracht und von den Tageszeiten ist
die Morgen- oder Abenddämmerung (z. B. jene zu Ostern, diese zu
Weihnachten; in Annaberg namentlich auch die Zeit während des
Siebenuhrlautens, vgl. 164 u. 295), am Johannistage die Mittagsstunde,
sonst aber allgemein die Mitternachtsstunde (von 11 bis 12 Uhr), die
eigentliche Geisterstunde, die wichtigste.

Die Zauberei ist nicht überall gleich wirksam, sondern hat oft auch
ihre besonderen +Orte+, namentlich die Kreuzwege (vgl. 319 ff., 362)
und die Kirchhöfe oder sie weiht sich ihre Orte durch besondere
Zauberkünste.

Die meisten Zaubereien müssen +schweigend+ geschehen und auch da, wo
Worte nöthig sind, wie bei Besprechungen und dergl., sollen sie mit
leisem Murmeln gesprochen werden.

Auch die +Zahlen+ sind zu beachten. Die geeignetsten sind drei, sieben,
neun, überhaupt alle ungeraden Zahlen.

Endlich gilt die +linke+ Seite, sowohl an dem Menschen selbst, wie
außer ihm, für zauberkräftiger, als die rechte.

§ 34 (105 ff.). Die +Zaubermittel+ theilen sich in vier Klassen (vgl.
§ 35 ff.). Man zaubert durch gesprochene oder vielmehr gemurmelte
Worte (vgl. § 33), durch niedergeschriebene Formeln, durch gewisse
Thätigkeiten oder Handlungen und durch sogenannte Zauberdinge.

Die Anweisung zum Zaubern muß man sich entweder durch mündliche
Belehrung seitens der „Wissenden“ zu verschaffen suchen oder man kann
sich aus den mehr oder minder geheim gehaltenen +Zauberschriften+
unterrichten. Das Nähere über diese Literatur s. bei +Wuttke+, § 108.

323. Zauberschriften sind auch im oberen Erzgebirge mehr, als man
glaubt, unter dem Volke verbreitet. Man findet +Faust’s+ Höllenzwang,
+Scheible+, Kloster (Stuttgart, 1847), den feurigen Drachen (Ilmenau,
4. Aufl., 1850) u. s. w.; auch handschriftliche Bücher, theils
als Abschriften aus gedruckten Büchern, theils wohl auch noch
ungedruckte Manuscripte. Mit Hilfe dieser Literatur, die geheim
gehalten und nur mit einer gewissen Scheu gezeigt wird, sucht man
namentlich unterirdische Schätze zu heben und trägt sich dabei mit
den abenteuerlichsten Hoffnungen. -- Leichtgläubige lassen sich auch
zuweilen Bücher u. s. w., die durchaus nichts mit Zauberei zu thun
haben, als derartige aufschwatzen. So wurde dem Schreiber dieses einst
ein altes Buch, das arme Leute unter dem Vorgehen, es sei das 6. und
7. Buch Mosis, für 13 Gulden erschwungen, gezeigt, welches bei näherer
Betrachtung als eine Ausgabe des Cäsar von Sincerus sich ergab. Ein
andermal brachte ihm ein Mann mit geheimnißvoller Miene sogenannte
„Zaubertafeln“, die sich als Blätter aus dem Himmelsatlas von Homann
erwiesen.


1. Zauberei durch Worte.

§ 35 (109 ff.). Die Zauberei durch Worte, durch sogenannte
Beschwörungsformeln, geschieht in leisem, murmelndem Ton (§ 33). Die
Formeln sind oft gereimt und nicht selten mit christlichen Redensarten
verziert.

* 324. Man schützt sich mit den Worten: Ist Jemand stärker als Jesus,
der greife mich an (Lauter). Vgl. 19, 327, 338 u. 404.


2. Aufgeschriebene Zauberformeln.

§ 36 (113 ff.). Geschriebene Zauberformeln, Amulette schützen gegen
feindliche Mächte. Man schreibt sie entweder auf den bedrohten
Gegenstand oder hängt sie diesem oder sich selbst um, nachdem man
dieselben auf einen Zettel geschrieben.

325. Am Dreikönigsfeste (vgl. § 5 u. § 52) schreibt man die
drei bekreuzten Buchstaben ~C~ † ~M~ † ~B~ † (bekanntlich die
Anfangsbuchstaben von den traditionellen Namen der drei Könige Kaspar,
Melchior, Balthasar) mit Kreide über die Thüre, damit keine ansteckende
Krankheit entstehe (Marienberg), vgl. 398 u. 409.


3. Zaubernde Handlungen.

§ 37 (120 ff.). Zu der Zauberei durch gewisse Thätigkeiten der
Sinneswerkzeuge oder durch Handlungen rechnen wir den sogenannten
„+bösen Blick+“ (+Wuttke+, § 120) mit verderblicher, das +Anhauchen+
und +Anspucken+ (vgl. 443) mit heilsamer Wirkung; ferner gehört das
dreimalige +Herumgehen+ oder +Herumreiten+ um einen Gegenstand dazu.

Oft kommt auch das +Stehlen+ als eine den Zauber mit bedingende
Handlung vor, indem manche Dinge nur dann den Zauber ausüben, wenn sie
gestohlen sind. Das ist der Gegensatz zu dem Aberglauben, der sich auf
Erbsachen gründet (§ 32) und zu der Sitte, nichts ganz umsonst weg zu
geben (vgl. 386).

* 326. Man stiehlt ein Stück Holz und verbrennt es am Andreasabend. Wer
während dieser Zeit in die Stube tritt, führt den Namen des künftigen
Gatten (Annaberg). Besonders wirksam ist Holz von einem Erbzaun
abgebrochen (Marienberg). Auch nimmt man wohl neunerlei verschiedene
Holzarten und verbrennt sie Mittags zwischen 11 und 12 Uhr oder Abends
während des Siebenuhrläutens (Annaberg), vgl. 295 u. 499. -- * 327.
Man stiehlt ein Stück Fleisch und reibe bei zunehmendem Monde die
Warzen oder sonst ein Gebrechen, das man los werden will, indem man
sagt: „Was ich seh’, nimmt zu, was ich streich’, nehm’ ab. So gut wie
dies Stücklein Fleisch verdorrt, soll auch mein Gebrechen verdorren“
(Lauter), vgl. 433.

Andererseits wird wieder vorgeschrieben, daß gewisse Dinge
zauberkräftig sind, wenn man dieselben +erbettelt+ oder ohne
abzuhandeln +gekauft+ hat.

Den Handlungen sind auch beizuzählen die als „+Sympathie+“ (vgl.
§ 42) bezeichneten Zaubermittel, wobei die Krankheit auf einen
anderen Gegenstand über- und abgeleitet wird, dieser also in die
„Mitleidenheit“ gezogen wird.

328. Hat man Warzen oder sonst etwas Böses am Körper, so bestreicht man
das Krankhafte mit etwas Leinwand und legt diese mit in den Sarg. Mit
dem Verwesen der Leiche vergeht auch das Uebel (Zschopau). Vgl. 120,
141, 327, 433, 443 und +Wuttke+ § 266. -- * 329. Trägt man Salpeter,
Kampfer und Schwefel acht Tage lang auf der Brust in einem Säckchen
verwahrt und wirft dann dieses rücklings in einen Bach, so vergeht der
Zahnschmerz, vgl. 434.

Spuren von +Opfern+, die ebenfalls unter den Begriff einer Handlung
fallen, finden sich vereinzelt.

† 330. Wenn man Aepfel oder Birnen schüttelt, läßt man einen Apfel oder
eine Birne hängen, damit der Baum wieder trage (Sosa), vgl. 465. --
Dieser Gebrauch beruht wohl auf einem dem Wodan geweihten Dank.


4. Zauberdinge.

§ 38 (132 ff.). Zauberdinge sind Gegenstände, mit denen man
übernatürliche Wirkungen hervorzubringen meint. Sie haben diese
Bedeutung meist noch aus dem deutschen Heidenthum, hie und da im Laufe
der Zeit mit christlichen Elementen durchsetzt. Die wenigsten derselben
haben an und für sich eine Zauberkraft, sondern erst unter gewissen
örtlichen und zeitlichen Bedingungen, vgl. § 33. Wir theilen diese
Zauberdinge, ähnlich wie die Schicksalszeichen (vgl. § 19 ff.) in
Natur- und Kunstprodukte, sowie in vom menschlichen Körper oder aus dem
Kreis der kirchlich-religiösen Gegenstände genommene Mittel.


~A.~ Naturerscheinungen und Naturprodukte.

~a.~ Das +Wasser+ am Gründonnerstag, Charfreitag und zu Ostern, vgl. 89
ff. u. 498.

~b.~ Der +Schnee+. * 331. Der erste Märzschnee wird in die Kammern
getragen und damit ausgekehrt; befreit von Ungeziefer (Raschau), vgl.
410.

~c.~ Der +Regen+. 332. Mairegen befördert das Wachsthum der Kinder,
wenn sie mit unbedecktem Kopfe sich demselben aussetzen (allg.), vgl.
453.

~d.~ Das +Feuer+. 333. Die Feuer zu Walpurgis vertreiben die Hexen,
vgl. 129 u. 407. -- * 334. Ein Feuerzeug als Hochzeitsgeschenk bringt
Segen (Markneukirchen), vgl. 507. Vgl. auch 58 das Heiligabendlicht. --
~e.~ +Asche+, vgl. 127.

~f.~ Die +Esche+ (~fraxinus~) wurde im deutschen Alterthum besonders
zu Speerschaften benutzt. -- * 335. Ein Wagen mit Deichsel und Gabel
von Eschenholz erschwert einen vorausfahrenden Wagen um 5 Centner
(Marienberg); vgl. 124, 126 u. 473.

~g.~ Die +Tanne+ (~pinus silvestris~). Beim Wintersonnenwendefest
verwendete man namentlich die immergrünen Zweige der Tanne, daher noch
unsere Christbäume. Vgl. auch 95, 155, 573 u. +Rochholz+, Weihnachten,
Aufsatz in der illustrirten Zeitung, 1860 Nr. 912.

~h.~ +Hollunderzweige+ (vgl. § 23 ~n~) und +Weidenruthen+ schützen
am Walpurgis vor Hexen, vgl. 133. Die Weide (~salix~) galt den alten
Deutschen ebenfalls als ein geweihter Baum (vgl. +Montanus+, 2. Bdchen,
S. 152). +Haselstrauch+, vgl. § 23 ~o~.

~i.~ +Kräuter+, vgl. 106 u. 154. -- ~k.~ * 336. +Gutheinrichwurzel+
oder +Gundermann+ heilt das Behextsein (Sehma), vgl. 361 u. 440. --
~l.~ * 337. +Liebstöckelöl+ (vgl. 155) macht, wenn es dem Rindvieh an
die Hörner gestrichen wird, daß es nicht stößt (Sehma), vgl. 426.

~m.~ +Hirse+, vgl. § 23 ~q~. -- ~n.~ +Kornblüthe.+ 338. Wenn man das
Korn zum erstenmal im Jahre blühen sieht, soll man die Blüthe von drei
Aehren und zwar im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen
Geistes essen, so sticht Einem keine Otter und man nimmt überhaupt
keinen Schaden (allg.), 398, 436 u. 445.

~o.~ +Frischer Rasen+, vgl. 137. -- ~p.~ +Nußkern+, +Safran+,
+Weihrauch+, +Salz+, +Kreide+ u. s. w. sind dem Vieh heilsam und
befördern den Milchertrag, namentlich an Weihnachten und wenn die
Thiere Junge bekommen haben, vgl. 16, 76 u. 96.

~q.~ Das +Salz+ ist ein Schutzmittel gegen Behexen und ein Heilmittel
bei sympathetischen Kuren -- * 339. Wenn die Leute Milch bei den Bauern
holen, thuen letztere etwas Salz in den Milchkrug, damit die Milch
nicht behext werde (Annaberg), vgl. 408.

~r.~ Der +Rabe+, vgl. § 22 f. u. 116. -- ~s.~ Die +Kröte+, von den
Hexen zu Gifttränken verwendet, galt wohl auch als Maske des Teufels,
vgl. 115, 351 u. 354. -- ~t.~ +Eier+, vgl. 110, 141, 143 u. 487.


~B.~ Kunstprodukte.

~a.~ Der +Schlüssel+. † 340. Ein Schlüssel, über den man Walpurgis das
Vieh hinwegtreibt, schützt gegen Behexung desselben (vgl. 137 u. 427).

~b.~ Der +Besen+ spielt im Zauber- und Hexenwesen eine große Rolle;
wahrscheinlich stand derselbe in irgend einer noch nicht hinreichend
nachgewiesenen Beziehung zu Thor, sei es als ein Sinnbild der
auseinanderfahrenden Blitze, sei es, weil vielleicht das sogenannte
Besenkraut (Sarothamnus) dem Gotte geweiht war. -- 341. Die Hexen
reiten auf Besen durch die Luft, respectiren aber auch ihr eigenes
Wahrzeichen. Daher legt man Besen zu Walpurgis vor die Stallthüre.
-- Vermuthet man eine Hexe im Stalle, so stelle man zwei neue Besen
kreuzweis vor die Thüre. Ist wirklich eine Hexe im Stall, so geräth sie
ganz außer sich und befiehlt, die Besen wegzuschaffen, vgl. 131, 413 u.
427. -- * 342. Ist das Kraut gepflanzt, so steckt man in eine Ecke des
Feldes einen Stallbesen, damit die Raupen nicht in das Kraut kommen. Am
Oswaldstage (5. August) nimmt man ihn wieder weg (allg.). Man umsteckt
denselben auch mit Nesseln (Grünstädtel), vgl. 425. -- * 343. Menschen
oder Vieh mit Besen geschlagen, werden dürr (Raschau), vgl. 397. --
Vgl. 41: Das Essen auf dem +Säetuch+ am Weihnachtsabend.


~C.~ Der menschliche Körper und seine Theile.

Einen besonderen Kreis von Zaubermitteln bilden Theile des menschlichen
Körpers, wie Blut, Nägel, Haare u. s. w., namentlich auch von
Hingerichteten. Ebenso knüpft sich mancherlei Aberglaube an Leichen an
und was mit ihnen in Zusammenhang steht, vgl. 101 u. 114.


~D.~ Christlich-kirchliche Dinge.

~a.~ Das +Taufwasser+: * 344. Man wasche sich mit Taufwasser, so kommt
man Gott näher (Markneukirchen), vgl. 456.

~b.~ Das +Kreuzeszeichen+: † 345. Wenn ein Fuhrmann von zu Hause
wegfährt, macht er drei Kreuze hinter den Wagen (Zöblitz), vgl. 406.
-- * 346. Die Bauerfrau näht in ihr Seihtuch drei Kreuze (Frohnau).
-- * 347. Ehe man zu buttern anfängt, macht man drei Kreuze über das
Butterfaß (Frohnau), vgl. 408. -- † 348. Wenn ein kleines Kind gähnt
(vgl. 405, 488 u. +Wuttke+ § 219) mache man ihm drei Kreuze über den
Mund (Marienberg). Vgl. auch 130 u. 362.


II. Arten der Zauberei.


~A.~ Die Bosheits-Zauberei.

§ 39 (171 ff.). Der Zweck dieser Zauberei ist zunächst Anstiften des
Bösen aus Lust am Bösen und sie beruht in ihrem letzten Grunde auf der
Ansicht eines Bündnisses mit dem Teufel.

Auf solchem Bündniß mit dem Satan beruht die vermeintliche Macht der
+Hexen+.

349. Zwar kann man annehmen, daß der Verdacht, eine +bestimmte+ Person
sei eine Hexe, unter dem Volke des Erzgebirges sich nicht mehr finde,
dennoch ist der mit dem Hexenwesen in Zusammenhang stehende Aberglaube
noch ziemlich lebendig, vgl. § 12: Walpurgis.

350. Eine Hexe erkennt man daran, daß sie rothe Haare, rothe,
triefende Augen, und große, buschige Augenbrauen hat, die über der
Nase zusammengewachsen sind. Außerdem hat sie Platt- oder Drudenfüße
(Annaberg). -- 351. Die Hexen können andere Gestalten annehmen und
verwandeln sich namentlich in Katzen, Hasen und Kröten (vgl. § 21 ~c.~
~d.~ u. § 38 ~A s.~). -- 352. Daher hat, wer Katzen ersäuft, kein Glück
(Lengefeld) oder bestimmter, sieben Jahre Unglück (Ehrenfriedersdorf),
vgl. 397. -- 353. Die Hexen laufen in Hasengestalt (vgl. § 21 ~c.~)
unter die weidenden Viehheerden und richten allerlei Unheil an (Saida).
-- 354. Wenn ein Bauer auf seinem Felde eine Kröte sieht, so fügt er
ihr irgend einen Schaden zu, indem er glaubt, daß er einer in der Kröte
steckenden Hexe Schaden zufügt (Raschau). -- * 355. Auch die Maus ist
verdächtig, z. B. wenn man ein trächtiges Stück Vieh mit einer Maus
wirft, so kommt das Junge todt zur Welt (Raschau), vgl. 397.

Die gewöhnlichste und einfachste Weise des Behexens bei Menschen und
Vieh ist das „+Beschreien+.“

356. Das Beschreien geschieht, indem man Jemanden oder etwas wegen
seiner Gesundheit, Schönheit, Kraft oder sonstiger guter Eigenschaften
+lobt+. Dadurch bewirkt man alsbald das Entgegengesetzte des
Ausgesprochenen, Krankheit und dergl. Ja dieses Beschreien gilt und
wirkt selbst dann, wenn gar nicht einmal eine böse Absicht dabei ist,
sondern das Lob aus guter Meinung geschieht. Daher haben die Leute sehr
allgemein, bis weit in die höher gebildeten Stände hinauf, eine solche
Angst vor dem Loben ihrer oder ihrer Angehörigen Gesundheit etc. und
suchen sich dagegen zu schützen, vgl. 368 u. 400.

357. Wenn man Jemanden, der auf die Jagd geht, Glück wünscht, so
trifft er nichts oder es begegnet ihm sonst ein Unglück (allg.). --
358. Um die kleinen Kinder vor dem Beschreien zu schützen, binde
man ihnen ein rothes Bändchen um das Handgelenk (allg.), vgl. 488.
-- 359. Damit die jungen Kühe nicht beschrieen werden, binde man
ihnen ein rothes Bändchen um die Stirn (Schneeberg). Oder: Spricht
man sich über eine Kuh lobend aus und sagt nicht: „Gott behüt’s,“
so ist sie verschrieen und es passirt derselben irgend ein Unheil
(Annaberg), vgl. 426. -- 360. Wenn das Vieh keine Milch giebt, so ist
es beschrieen (Marienberg). -- * 361. Sind die Kühe behext, so hole man
„Gutheinrichwurzel“ und sage während des Ausziehens: „Gut Heinrich, du
bist mein Knecht, mit meiner Kuh ist’s nicht recht; geh’ das Dorf auf
und nieder, bring mir meinen Nutzen wieder“ (Sehma), vgl. 336 u. 441.
-- Andere Schutzmittel gegen Hexen und Hexerei s. § 38 u. § 42.

Die Hexen richten auch sonst, wie und wo sie können, Schaden an. Doch
fehlt es auch anderer Seits nicht an Schutzmitteln dagegen.

* 362. Man vermeide Abends Kreuzwege, denn die Hexen, die dort ihre
Sitzungen halten, führen einen sonst in die Irre. Nimmt man aber die
Mütze ab und macht mit Kreide ein Kreuz (§ 38 ~D b.~) hinein, so haben
sie keine Macht (Annaberg), vgl. 404 u. 440. -- † 363. Wenn Heu gemacht
wird und es erhebt sich ein Wind (+Wuttke+, § 191 u. 301), so daß er
das Heu fortjagt, so schreibt man dies auch den Hexen oder direkt dem
Teufel zu. Die Leute schlagen dann mit ihren Rechen auf das Heu oder
werfen mit Messern in die Luft, um den Teufel zu verjagen (Raschau),
vgl. 444.

Eine besondere Art des Behexens ist das sogenannte +Alpdrücken+:

† 364. Wenn man den Alp zum Kaffee für den andern Morgen einladet, so
geht er fort (Zwickau), vgl. 440 u. § 47. -- Aehnlich bei +Wuttke+,
§ 193, der noch hinzufügt: „er kommt dann, um das Versprochene zu
empfangen, meist in der Gestalt eines Bettlers oder eines Bettelweibes.“

Auf dem Glauben an ein Satansbündniß beruht auch das Gerede von dem
+Drachen+, den manche Leute haben sollen (+Wuttke+, § 179) und der
ihnen Geld und andere Gegenstände zuträgt, die er anders wo geraubt hat.

† 365. Der Teufel fährt bei solchen Leuten von Zeit zu Zeit in Gestalt
eines Drachen zur Feueresse herein. Man muß ihm dann eine Schüssel
Hirsebrei (vgl. § 23 ~q.~) auf den Oberboden setzen. Er verzehrt den
Brei und legt statt dessen Geld in die Schüssel (vgl. 461). Ein solches
Geldstück, welches der Drache gebracht hat, kommt stets wieder, wenn
es ausgegeben worden ist. Thut es dagegen der Empfänger in ein Glas,
das er mit einem Deckel, auf den er einen Kreis mit Kreide beschreibt
und innerhalb desselben die Kreide liegen läßt, verwahrt hat, so muß es
bleiben (Marienberg), vgl. 444 u. § 47.

Ebenfalls Boten des Teufels sind der sogenannte +Getreideschneider+
sammt den übrigen gespenstischen Thieren und Geschöpfen, vgl. 155 u. §
47.

Auf der Ansicht eines Bündnisses mit dem „Bösen“ beruht auch der
schauerlichere Theil der Zauberwahrsagekunst, vgl. § 32.


~B.~ Die Schutz- und Glückszauberei.

§ 40 (197 ff.). Der Zweck dieser Zauberei ist Abwenden von möglichen
oder schon vorhandenen Uebeln und Zuwenden von irdischem Glück.


1. Der schützende Zauber gegen mögliche Uebel.

Das schützende Zaubern gegen mögliche Uebel besteht theils in dem
Unterlassen bestimmter, sonst erlaubter Handlungen, theils in dem Thun
gewisser Handlungen.


~a.~ +Das Unterlassen bestimmter Handlungen.+

„Der Aberglaube hat eine sehr genaue, ins Einzelne gehende Gesetzgebung
und überall tritt dem Menschen ein drohendes: „Du darfst nicht“
entgegen. Manche dieser Verbote haben allerdings einen tieferen
sittlichen oder auch praktischen Grund, sind aber in ihrer Weise
dennoch Aberglauben, weil nicht dieser vernünftige Grund, sondern eine
Zauber-Bewahrung als Zweck in das Bewußtsein tritt.“

† 366. Wer eine Schwalbe (§ 22 ~i.~) tödtet, dessen Haus brennt ab,
denn die übrigen Schwalben speien Feuer auf dasselbe (Sosa). -- 367.
Wer eine Spinne (§ 22 ~l.~) tödtet, hat kein Glück (allg.).

368. Man rühme sich weder seines Glückes noch seiner Gesundheit oder
sonstiger günstiger Umstände seines Familien- und wirthschaftlichen
Lebens (allg.), vgl. 356 u. 357. -- * 369. Man lasse sich nicht malen,
sonst muß man sterben (Zwickau).

† 370. Man lasse die Wäsche nicht über Nacht draußen, sonst kommt der
Nachtschatten hinein und wer sie anzieht, wird mondsüchtig (Sosa). --
371. Des Morgens darf man nicht mit dem linken Fuß zuerst aus dem Bette
steigen, weil man sonst den ganzen Tag verdrießlich ist oder von einem
Unfall betroffen wird (Marienberg). -- 372. Wenn Jemand zu Besuch
kommt und sich nicht niedersetzt, so nimmt er die Ruhe mit (allg.). --
* 373. Wenn man sein Geld immer zählt, wird es weniger (Sosa).

† 374. Man soll bei einem Gewitter nicht sagen: „Der Himmel ist
schwarz,“ sonst wird Gott zornig (Raschau), vgl. 419.

375. Das Brod darf man nicht verkehrt auf den Tisch legen, sonst giebt
man den bösen Leuten Macht über das Haus (Marienberg); auch nicht mit
der angeschnittenen Seite nach der Stubenthüre, sonst geht der Segen
aus dem Hause (Zwickau). -- 376. Bei der Mittagsmahlzeit darf man
nichts übrig lassen, sonst wird schlechtes Wetter (allg.), vgl. 49. --
377. Ein halb ausgetrunkenes Glas darf man nicht wieder vollschenken,
sonst bekommt der daraus Trinkende die Gicht (Buchholz). -- 378. Das
Messer darf man nicht mit der Schneide nach oben hinlegen, sonst
schneiden sich die Engel (allg.); * ebenso wenig lege man den Rechen
mit nach oben gekehrten Zinken hin (Sehma).

* 379. Ein Fuhrmann soll kein Brod anschneiden, sonst fällt der Wagen
um (Raschau).

† 380. Man werfe die beim Kämmen ausgehenden Haare nicht zum Fenster
hinaus, denn kommen die Spinnen darüber, so verliert man noch mehr
Haare (Raschau).

* 381. Wenn man etwas Eingewickeltes findet, soll man es nicht
aufheben, es könnte etwas darin „verthan sein,“ d. h. eine Krankheit
hineingebannt sein, welche, sobald man es angreift, auf Einen übergeht
(Zwickau). -- * 382. Man krieche durch nichts, ohne daß man wieder auf
demselben Wege zurückkriecht, sonst wächst man nicht mehr (Geier), vgl.
493. -- 383. Wenn man über Jemanden springt, ohne wieder rückwärts
über ihn zu springen oder zu schreiten, so wächst dieser nicht mehr
(Raschau).

384. Den Kehricht werfe man nicht auf den Dünger, man wirft sonst
das Glück mit hinaus (Annaberg). -- * 385. Man gehe nicht über den
Kehricht, sonst bekommt man Verdruß (allg.).

386. Man darf nichts, namentlich Erzeugnisse des Feldes, des Gartens
und des Viehstandes, z. B. Sämereien, Milch etc. ganz umsonst weggeben,
sonst giebt man das Glück mit weg; man nehme daher wenigstens eine
Kleinigkeit, sei es auch nur eine Stecknadel, als Bezahlung (allg.);
gilt namentlich während der sogenannten Schicksalszeiten, vgl. 6, 51
u. § 37. -- 387. Man gebe nicht das erste Stück eines Brodes, den
Anschnitt, aus dem Hause, sonst trägt der Empfänger den Segen fort
(Raschau). -- 388. Nadeln darf man nicht verschenken, sonst zersticht
man die Freundschaft (allg.).

389. Nach Sonnenuntergang darf man nichts, namentlich nicht Milch,
Butter, Eier etc., aus dem Hause verkaufen, weil sonst der Segen aus
dem Hause gegeben wird (allg.); gilt namentlich während der sogenannten
Schicksalszeiten, vgl. 51, 118, 132 u. 171.

† 390. Wenn Jemand mit dem Löffel, womit schon ein Anderer gegessen,
ißt, ohne ihn vorher abzuwischen, so werden beide einander gram (Sosa).
-- * 391. Wenn zwei zugleich sich an dasselbe Handtuch trocknen, so
werden sie Feinde (Raschau). -- * 392. Wenn man eine Cigarre raucht
und giebt sie einem Anderen, ohne vorher den Speichel abzuwischen, so
werden sie Feinde (Schwarzbach). -- * 393. Man darf die Lampe oder
das Licht nicht bei einem Andern anbrennen, sonst kommt Feuer aus
(Ehrenfriedersdorf), vgl. 52.

† 394. An dem Tage, wo eine Kuh kalbt, darf keine Milch weggegeben
werden, sonst stirbt das Kalb bald (Raschau).

395. Wenn man das Vieh beim Schlachten bedauert, kann es nicht sterben
(allg.).

* 396. Wenn man im Walde, während des Sommers Butter auf dem Brode hat,
so ziehen Einem die Ottern nach (Raschau).

397. Vieles, was man unterlassen oder wovor man sich hüten muß, ist
außerdem schon bei den Schicksalszeiten erwähnt worden, und zwar vgl.
zum Schutz gegen Unglück überhaupt: 15, 31 ff., 40, 50, 52, 102-105,
243, 275, 281 u. 352; vgl. auch 448; gegen Unglück im häuslichen
Leben und in der Ehe: 9, 30, 53, 87, 239, 241, 261 ff., 272, 279 u.
280; gegen Leibesschaden und Tod: 15, 34, 42, 55, 56, 75, 243, 252 u.
278; gegen Miswachs: 13, 61, 157, 158, 174 u. 177 und gegen Unglück
im Viehstand: 77, 118, 132, 139, 142, 343 u. 355. Aus den folgenden
Paragraphen ist hierher zu ziehen: in Bezug auf Geburt etc.: 475, 478,
480, 481, 483, 485, 486, 489, 490, 492-495; in Bezug auf Brautstand
etc.: 500-503, 506, 507, 509, 511, 517, 520, 523, 526 u. 528; in Bezug
auf Tod und Begräbniß: 533, 539, 540, 542 u. 547.


~b.~ Das Thun bestimmter Handlungen.

§ 41 (214 ff.). Es sind dies entweder bestimmte einmalige Handlungen
oder bleibende zauberkräftige Schutzmittel.

398. Vor +Krankheit+ und +Schaden+ überhaupt schützt das Waschen mit
Osterwasser (90 u. 498), das Anziehen frischer Wäsche am heiligen
Abend, Neujahr und Fastnacht (11 u. 71), das Genießen bestimmter
Speisen zu Weihnacht, Fastnacht und Ostern (14, 15, 72, 73, 98 u.
99), das Essen von Ostereiern (110), das Verschlucken der Blüthe von
den ersten drei Kornähren, die man im Sommer sieht (vgl. 338; schützt
namentlich auch gegen den Stich der Ottern, vgl. 111), das Trinken
des am Johannistag gesammelten Thees (vgl. 154; bewahrt insbesondere
auch vor allen Wunden) und das Anschreiben der Anfangsbuchstaben der
heiligen drei Könige (325) über die Thüre. Vgl. überhaupt 445.

† 399. Vor dem +Ausschlag+ und überhaupt vor +Hautkrankheiten+ schützt
man sich, wenn man sich mit Osterwasser (90) oder am Charfreitag mit
Bachwasser wäscht (113), vor +Bruchschaden+ durch Essen eines Gänseeies
am Charfreitag (123), vor +Zahnschmerzen+, wenn man sich die Nägel
allemal Freitags, namentlich am Charfreitag, schneidet (8 u. 121), vor
+Rückenschmerzen+ durch Essen von Ostereiern (111), sowie dadurch, daß
man sich beim ersten Donner, den man im Frühling hört, mit dem Rücken
auf die Erde legt (Raschau), vor +Schmerzen im Bein+ durch Peitschen
oder Peitschenlassen zu Ostern (94). Vgl. auch 497.

400. Da man es durchaus vermeiden muß, sich seiner Gesundheit zu
rühmen (356), so muß man, wenn man von derselben spricht, ein „Gott
sei Dank“ hinzusetzen und wenn ein Anderer sie lobt, füge man selbst
oder der Lobende ein „Gott behüt’s“ hinzu (allg.). -- 401. In gleicher
Weise müssen auch Mütter ihre Kinder, überhaupt Jeder das, was er
liebt, gegen eigenes oder fremdes Lob schützen (allg.). -- 402. Als
Schutzmittel gegen das Beschreien gilt namentlich die rothe Farbe, vgl.
358, 359 u. 488.

* 403. Wenn ein Paar zusammen auf der Straße geht, so sollen sie
Niemanden zwischen sich hindurch lassen, sonst nimmt diese Person den
Anderen das Glück (Raschau). Vgl. auch 491.

404. Vor +Behexung+ schützt man sich durch das Kreuzeszeichen und
durch Anrufung Jesu (324 u. 362). -- 405. Wenn man gähnt, muß man
sich im Namen der Dreieinigkeit bekreuzen, damit nichts Böses in den
Mund kommt (348). -- † 406. Wenn der Wagen aus dem Bauerhofe abfährt,
so knallt der Fuhrmann dreimal, der Tisch wird abgeräumt und (wie
schon 345 erwähnt) drei Kreuze werden dem Wagen nach gemacht, dann
geht die Fahrt glücklich von statten (Zöblitz). -- 407. Schutz gegen
Hexen vgl. 129 u. 333, gegen Gespenster 114, gegen Ertapptwerden 115,
gegen Fehlschießen 116, gegen Todesanzeichen 196. Gegen Unglück in der
Kindererziehung vgl. 477, in der Ehe 506, 508, 515, 516, 519 u. 529, in
Folge eines Todesfalles 535-538, 541 u. 544. -- 408. Gegen das Behexen
der Milch und der Butter hilft Salz oder das Kreuzeszeichen vgl. 339,
346 u. 347; dem +leeren+ Rahmtopf können die Hexen nichts anhaben vgl.
117. -- † 409. Das +Haus+ im Allgemeinen, sowie das Hauswesen bis
herab auf die Klöppelsäcke werden vor bösem Zauber und anderem Unheil
geschützt durch Kreuzeszeichen zu Walpurgis (130 u. 134), oder durch
die Anfangsbuchstaben der heiligen drei Könige zu Epiphanias (325) oder
durch andere Maßnahmen (185).

† 410. Vor +Ungeziefer+ schützt man das Haus, außer den bei Fastnacht
(67-69) gegebenen Regeln dadurch, daß man mit dem ersten Märzenschnee
(+Wuttke+, § 223, sagt: mit Osterwasser) auskehrt, vgl. 331. -- * 411.
Die Betten müssen früh gemacht werden, damit man keine Flöhe bekommt
(Sehma).

412. Eine Eule (vgl. § 22 g), an das Scheunenthor genagelt, schützt das
+Getreide+ vor Bezauberung (Marienberg), vgl. 82 u. 680. -- 413. Den
+Stall+ schützt man durch Tannenreiser zu Ostern, sowie durch Kreuz und
Besen an Walpurgis, vgl. 95, 130, 131, 341 u. 427. -- 414. Ebenso wird
auch der Düngerstätte ihr Schutz (vgl. 10 u. 133) zu Theil.

415. Vor Feuersgefahr schützt man das Haus durch „Besprechen“ (vgl. §
42) oder durch den Feuersegen: So soll eine alte Zigeunerin die Stadt
Zwickau durch ihren Feuersegen geschützt haben, daß nie ein größerer
Brand daselbst entsteht. Vgl. 244 u. 245.

416. Steht ein +Gewitter+ am Himmel, so muß man singen (wohl geistliche
Lieder?), um es zu vertreiben (Markneukirchen). -- * 417. Man öffne
die Stubenthür, dann schlägt der Blitz nicht ein (Raschau); beruht
wohl auf einfacher Naturbeobachtung. -- * 418. Ist man bei einem
Gewitter im freien Felde, so laufe man nicht, sonst zieht man den
Blitz nach (Raschau); hat ebenfalls seinen natürlichen Grund. --
419. Von dem Gewitter spreche man nur in lobenden Ausdrücken (vgl.
374); das stammt jedenfalls aus dem Donarkultus (+Wuttke+, § 226). --
420. Hierher gehört auch der Glaube an den Schutz, welchen im Hause
nistende Schwalben und daselbst sich aufhaltende Spinnen demselben
gewähren, (vgl. § 22 ~i.~ u. ~l.~), sowie der Aberglaube bezüglich
des Heiligabendlichtes und die Meinung, daß, wenn eine Leiche am
Charfreitage oder überhaupt in der Charwoche in einem Hause ist, dieses
für das folgende Jahr vor Blitzschlag gesichert ist, vgl. 58, 101 u.
125.

421. +Feld+ und +Garten+ schützt man vor Behexung durch Strohseile,
welche man in der Christnacht um die Baumstämme bindet (19), oder
durch Strohkränze, womit man Fastnacht die Bäume behängt (81). Vgl.
auch 535. -- 422. Die Saat wird vor Maulwürfen durch Zerstören der
Maulwurfshaufen am Aschermittwoch (86), die Bäume werden vor Raupen
durch Beschneiden an Fastnacht behütet (80). Vgl. auch 155 den
„Getreideschneider“. -- 423. Auf ein Feld, auf welchem +Wachteln+ (§
22 ~i.~) nisten, fällt kein Hagelschlag (Sosa). -- † 424. Den +Weizen+
beschützt man vor Ruß, indem man ihn vor dem Säen mit Kalkwasser wäscht
(Schwarzbach), oder, wenn man säen will, stürze man den Sack um, so
daß der Kopf nach unten zu stehen kommt und spreche dann, indem man
drei Kreuze darüber macht: „Herr dies Land behüt’ vor Ruß und Brand“
(Marienberg). -- 425. Der Schutz des +Krautes+ gegen Behexung, d. h.
gegen Raupen, ist bereits 342 erwähnt.

426. Das +Vieh+ wird vor Schaden behütet durch mancherlei Futter und
durch besondere Bissen, die man ihm in der Christnacht, zu Fastnacht
und Ostern giebt (16, 76 u. 96), desgleichen vor Stößigwerden
durch Liebstöckelöl und vor dem Beschreien durch rothe Bändchen
und schützende Worte (337 u. 359). -- 427. Hierher ist auch der
Schutz zu rechnen, den man (wie schon 413 erwähnt) dem Stall zu
Ostern und zu Walpurgis angedeihen läßt, (vgl. auch 408), sowie die
Vorsichtsmaßregeln, die man beim ersten Austreiben der Heerden im
Frühlinge anwendet (137 ff., 141, 143 u. 340). Vgl. auch 535. -- *
428. Wenn man ein Stück Vieh gekauft hat, so muß man dasselbe in das
Ofenloch sehen lassen, dann läuft es nicht davon (Sosa), vgl. 17.
-- * 429. Wenn ein Kalb verkauft wird, so muß man demselben Haare
abschneiden und der Mutterkuh zu fressen geben oder ihr den Strick,
mit dem das Kalb angebunden war, um die Hörner binden, dann blökt sie
nicht mehr (Sosa). -- * 430. Wenn ein Kalb abgenommen wird, so führe
man es dreimal um einen Erbschlüssel herum und sage dabei die Worte:
„Vergiß deine Mutter und friß ihr Futter“ (Ehrenfriedersdorf), oder man
gebe ihm gekautes Brod, indem man spricht: „Hier Kalb ist dein Futter,
vergiß deine Mutter“ (Marienberg). -- * 431. Wenn ein Stück Vieh zum
erstenmal eingespannt wird, führe man dasselbe an einem Handtuche aus
dem Stall und die zuerst hinzukommende Frauensperson muß mit einspannen
helfen (Ehrenfriedersdorf).

432. Damit die +Hühner+ die Eier nicht verlegen, füttere man sie
Weihnacht oder Fastnacht mit Hirse oder innerhalb eines Reifens (18 u.
78).


2. Der schützende Zauber gegen vorhandene Uebel.

§ 42 (238 ff.). Dergleichen durch zauberhaften Einfluß erregte Uebel
sind Krankheiten und andere Behexungen und Schäden, sowie Feuersbrunst
und überhaupt Gefährdungen von Haus und Hof durch Diebstahl u. dergl.

In Betreff der +Krankheiten+ ist hier das weite Gebiet der
sympathetischen Kuren (vgl. § 37) anzuführen, die durch „Besprechen“
(vgl. 124 u. 415), durch „Abbinden“, durch „Abgraben“ (vgl. 120), durch
„Vergraben“ (vgl. 328), durch „Abschreiben“ u. s. w. vollzogen werden.
Das Nähere bei +Wuttke+, § 239 bis 274. -- Wir führen aus diesem
reichen Felde des Aberglaubens nur noch folgende Einzelheiten an.

† 433. Um +Warzen+ zu vertreiben, reibt man diese mit Fleisch und rohen
Kartoffeln und legt dieses sodann in eine Rinne (Markneukirchen);
ähnlich 327. Vgl. auch 328 u. +Wuttke+, § 264.

* 434. Gegen +Zahnschmerz+: 120 u. 329. Gegen +Reißen+: 124. -- 435.
Gegen +dicken Hals+ helfen Kräuter, am Gründonnerstag oder Charfreitag
gesammelt: 106 u. 122. -- 436. Gegen das +Fieber+ hilft das auch sonst
(338) empfohlene Essen der ersten Kornblüthe. -- * 437. Wenn Jemand
die +Krämpfe+ (Epilepsie) bekommt, so werden die Spiegel umgewendet
(Raschau). -- * 438. Wenn Jemand den +Schlucken+ hat, so denke man
an einen Schimmel (?), so hört er auf (Zwickau). -- * 439. Gegen
+Furcht vor Gewitter+ hilft, wenn man sich, sobald man es zum erstenmal
wieder donnern hört, auf die Erde niederwirft (Sosa). -- 440. Auch das
Osterwasser (90) wird als Heilmittel in Krankheiten angewendet. Gegen
das Behextsein im Allgemeinen hilft Gutheinrichwurzel (336) und gegen
die Hexen schützt man sich durch das Kreuzeszeichen (362). Gegen den
Alp vgl. 364.

441. Gegen die Krankheiten des +Viehes+, insofern man dieselben
hexenhaften Einflüssen zuschreibt, helfen ebenfalls sympathetische
Mittel, z. B. Gutheinrichwurzel, vgl. 336 u. 361.

442. Um bei einem +Feuer+ die Flamme von dem Nachbarhause abzuhalten,
lege man in einiger Entfernung einen Erbbacktrog (§ 32) mit der Höhlung
gegen das Feuer gewendet auf die Erde hin, alsbald wird sich nach
dieser Seite zu die Gluth mindern (Zschopau), vgl. +Wuttke+, § 301.
-- * 443. Wenn ein +Regen+ nachtheilig auf Feld und Flur einwirkt, so
spucke man dreimal aus (vgl. § 37), dann hört der Regen auf (Zwickau).
Es liegt auch hierbei die Anschauung zu Grunde, daß solcher Regen
durch böse Mächte erregt sei, deren Kraft durch dreimaliges Ausspucken
gebrochen werde. -- 444. Hierher gehört auch die Hilfe gegen Schaden
bei der Heuernte und gegen Benachtheiligung an Geld und Besitz durch
den Einfluß höllischer Mächte, vgl. 363 u. 365. -- Ferner kann
Mehreres, was bereits § 40 und namentlich § 41 angeführt ist, hierher
gezogen werden, dort als Vorsichtsmaßregel, hier als wirkliches
Hilfsmittel.


3. Erwerbung von Glücksgütern.

§ 43 (304 ff.). Das Gebiet derselben ist das der einfachsten irdischen
(vgl. dagegen 456) Glücksgüter: Wohlsein im Allgemeinen, besonders für
den Hausstand, Geld, Reichthum des Viehstandes und in Garten und Feld,
Glück in Handel und Wandel u. s. w.

445. +Wohlsein im Allgemeinen+ schafft das Waschen mit Osterwasser
(90), das Anziehen frischer Wäsche am heiligen Abend, Neujahr und
Fastnacht (11 u. 71), das Genießen bestimmter Speisen zu Weihnacht,
Fastnacht und Ostern (14, 72 ff., 98 u. 99), das Essen von Ostereiern
(110), das Verschlucken der Blüthe von den ersten drei Kornähren,
die man im Sommer sieht (338) u. dergl. Vgl. überhaupt 398. -- 446.
+Beförderung des Hausstandes+ überhaupt wird erreicht dadurch, daß man
zu Weihnacht reichlich kocht, an jedem der drei heiligen Abende ein
frisches Brod anschneidet, von den verschiedenen Gerichten mindestens
je drei Löffel voll ißt und den Ofentopf immer gefüllt erhält (39,
43, 45 u. 54), sowie daß man zu Fastnacht das ganze Haus reinigt
und säubert (68). In Bezug auf Glück an den Kindern vgl. 479, 482,
484, 487 u. 496, und in der Ehe: 504, 505, 508, 510, 521 u. 522. Das
Regiment im Hause kann man durch mancherlei Mittel erlangen vgl. 514,
518 u. 527. -- 447. Gefüllte Küche erlangt man dadurch, daß man zu
Weihnachten kein Gericht ganz aufißt (49), weiße Wäsche, wenn Fastnacht
gewaschen wird (70). -- * 448. „Schneide das Brod gleich, dann wirst du
reich“ (allg.). Anderwärts (Ehrenfriedersdorf) wird noch hinzugefügt:
„Schneidet ihr’s aber der Quer, so geht euch Alles der Quer“, vgl. 397.

449. Wenn man, während man eine Sternschnuppe (vgl. 188) fallen sieht,
einen Wunsch thut, so geht er in Erfüllung (Marienberg). Vgl. 182. --
450. Wenn man seine +Wohnung+ wechselt (vgl. 181), soll man zuerst in
die neue Wohnung Brod, Butter und Holz tragen, so wird es einem nie
daran fehlen (allg.). Andere geben specieller folgende Gegenstände
an: Salz, Brod, Butter, Fleisch, einen neuen Besen, einen Hader, eine
Scheuerbürste und ein Waschfaß (Marienberg). Vgl. 522.

451. +Langes Leben+ verschafft man sich durch viel Suppe essen,
überhaupt durch langes Essen, namentlich zu Weihnachten (44, 46 u. 242).

452. +Wachsthum+: Wenn ein Schwein (§ 21 ~e~) geschlachtet wird, so muß
der Kleinste aus der Familie den Schwanz essen, dann wächst er im Jahre
soviel, als der Schwanz lang ist (Schwarzbach). -- 453. Wer wachsen
will, gehe baarhaupt im Regen (Zwickau), vgl. 332. -- 454. Wer +stark+
werden will, trinke viel Bier, insbesondere zu Weihnacht (48).

455. Wenn man +früh aufstehen+ will, so stoße man vor dem Einschlafen
so viel mal mit der großen Zehe des rechten Fußes an das Bettende, als
die Uhr beim Erwachen zeigen soll (allg.). Will man eine halbe Stunde
andeuten, so macht man einen Strich mit der Zehe (Zwickau). Andere
(Sosa) rathen, dreimal drei auf die angegebene Weise zu pochen. Vgl.
auch 35 u. 93.

456. Ein auch +geistiger+ Segen ist angedeutet in dem Rath, sich mit
Taufwasser zu waschen, wodurch man Gott näher komme (344).

457. Für +Geld+vorrath sorgt man, wenn man beim ersten Kukuksruf an den
Beutel greift (211). Vgl. 33, 53, 287 u. 510.

458. Der Glaube an verborgene +Schätze+, die man durch Zauberei heben
könne, ist im Gebirge nicht selten, und bis auf die neueste Zeit ist
derselbe von schlauen Betrügern vielfach ausgebeutet worden. Wir
erinnern nur an die Gerichtsverhandlungen vor dem Bezirksgericht zu
Annaberg gegen die Somnambule Friederike Lahl aus Königswalde im
Februar 1860. -- 459. Hierher gehört auch der Aberglaube mit der
+Wünschelruthe+ (vgl. § 23 ~o~). Bei deren Erwähnung berichtet +Wuttke+
selbst § 312 folgenden Fall, der wenigstens mittelbar in Bezug auf das
Erzgebirge steht: „Ein Rittergutsbesitzer aus der Umgegend von Leipzig
kam hier (Schwarzwasserthal bei Schwarzenberg) vor einigen Tagen (im
Sommer 1859) an, um einen im Rufe des Schätzehebens und des Besitzes
einer Wünschelruthe stehenden Bergmann zu holen, der die vermeintlich
auf jenem Gute von den Franzosen 1813 vergrabene Kriegskasse mittelst
seiner Wünschelruthe aufsuchen soll; der Bergmann wurde angeworben und
erhält außer dem Reisegeld drei Thaler für den Tag und das Versprechen
einer angemessenen Belohnung bei dem Gelingen seiner Kunstübung.“

460. Wenn ein Regenbogen am Himmel steht, so gehe man ohne Ausruhen
nach dem Orte, wo er aufzutreffen scheint, dort liegt ein Schatz
(Sosa), vgl. 119.

461. Die Vorstellung, sich durch Hilfe des Teufels Geld und Reichthum
verschaffen zu können, liegt dem Glauben an den Drachen (365) und an
den Getreideschneider zu Grunde (155).

462. Reichen Ertrag an +Butter+ und +Milch+ empfängt man, wenn man die
Kühe Weihnacht und Fastnacht mit besonderem Futter füttert (16 u. 76)
oder in der Fastnacht buttert (136). -- † 463. Wenn eine +Kuh+ gekalbt
hat, so gebe man ihr Butterbrod, mit Kreide und Safran bestrichen
(Raschau), oder süße Mandeln (Sosa), dann giebt sie gute Milch. Den
+Ziegen+ gebe man zu demselben Zweck Rosinen und Mandeln (Raschau). --
464. Das +Vieh+ überhaupt erhält man durch die erwähnten Fütterungen
an Weihnacht und Fastnacht stark und kräftig, ferner durch Austreiben
an bestimmten Tagen (3), sowie durch Befolgung der bei Walpurgis
und bei dem erstmaligen Austreiben (130 ff. u. 137 ff.) angegebenen
Vorsichtsmaßregeln. Bezüglich der +Kälber+ ist 180, bezüglich der
+Hühner+ 79 zu vergleichen. Ueberhaupt vgl. § 40 und 41 und was
daselbst in Hinsicht auf Hausthiere gesagt ist, denn, wenn dem Schaden
vorgebeugt wird, so befördert man den Nutzen.

465. Die +Obstbäume+ tragen reichlich, wenn man sie zu Weihnachten
mit Strohbändern oder Tüchern umwindet (19), oder zu Fastnacht mit
Strohkränzen behängt (81). Vgl. auch 330.

466. Die +Fruchtbarkeit+ des +Feldes+ wird erhöht, wenn man zu
Ostern vor Sonnenaufgang Asche darauf fährt (97), namentlich gedeiht
Klee, wenn es am Charfreitag (127) oder am letzten Freitag im Monde
Vormittags geschieht; thut man es Nachmittags, so wachsen viel
Wicken (178). -- * 467. Wenn man das zum Säen bestimmte Getreide
mißt, so messe man gehauft, man bekommt es in der Ernte reichlich
wieder (Raschau, Geier). Vgl. auch 86: Aschermittwoch. -- 468. Das
+Säen+ ist erfolgreicher Vormittags, als Nachmittags, ebenso das
Kartoffellegen (1, 2 u. 193). Das Getreide säe und die Rüben stecke man
bei abnehmendem Monde (176), zum Weizensäen wähle man Mittwoch oder
Sonnabend (4), besonders die Zeit vor Sonnenaufgang zu Ostern (107),
zum Kartoffellegen den Gründonnerstag (108). -- 469. Wenn man Erdäpfel
gelegt hat, so setze man sich erst ein wenig an den Rand des Ackers
nieder, damit die Kartoffeln mit ausruhen, dann tragen sie reichlicher
(Raschau, Geier). -- 470. Der +Hafer+ gedeiht, wenn man die Pferde am
Weihnachts-Heiligenabend in die Röhre sehen läßt (17). -- 471. Das
Gedeihen des +Flachses+ hat man namentlich Fastnacht, Walpurgis und
am Johannistage durch mancherlei Maßregeln (83, 84, 135 u. 153) zu
befördern.

472. +Schönes Wetter+ bekommt man, wenn bei Tische Alles rein
aufgegessen wird (237). -- 473. Den Vorsprung vor anderem Fuhrwerk
ermöglicht man durch Deichsel und Gabel von Eschenholz (335). -- 474.
Ein sicherer Schütze wird man durch besonders zubereitetes Schießpulver
(116).


4. Der schützende Zauber in Beziehung auf den einzelnen Menschen.

§ 44 (337 ff.). Wir fassen unter dieser Ueberschrift das zusammen, was
der Aberglaube namentlich in Bezug auf Geburt, Ehe und Tod aufgestellt
hat.


~a.~ Geburt, Taufe, Erziehung.

Die Geburt und Alles, was damit in Zusammenhang steht, ist vielfach mit
abergläubischen Anzeichen, mit allerlei Verhütungsmaßregeln und mit
Glück bringendem Zauber ausgestattet worden. Vgl. § 98.

+Vor der Geburt.+ * 475. Eine schwangere Frau soll nicht essend vor dem
Brodschrank stehen, sonst bekommt ihr Kind Mitesser (Zwickau), vgl. 274
u. 397. Vgl. auch 218 u. 306.

+Geburt.+ 476. Die Zukunft des Kindes wird durch das Himmelszeichen,
unter dem es geboren, bestimmt, vgl. 172, 173 u. 175.

+Taufe.+ * 477. Die Pathen müssen mit frischer Wäsche gekleidet
erscheinen, sonst wird das Kind schmutzig und liederlich (Marienberg),
vgl. 407. -- * 478. Man soll, wenn man den Pathenbrief bei sich
führt, nicht auf den Abtritt gehen, sonst wird das Kind verwahrlost
(Marienberg) oder verunreinigt stets das Bett (Geier); ebenso führe
man kein Messer bei sich, sonst wird das Kind ein Selbstmörder
(Marienberg); trägt man einen Schlüssel bei sich, so bekommt es ein
verschlossenes Herz (Marienberg), vgl. 397. -- * 479. Vor der Taufe,
ehe man in die Kirche geht, lege man die Handschuhe auf das Bett des
Kindes, dann steht ihm Alles gut; auch esse man ein Bischen Kuchen,
damit es denselben ebenfalls essen lerne (Zwickau), vgl. 446. -- 480.
Man lasse nicht in der Charwoche taufen (102). -- * 481. Man gehe nicht
zur Taufe, wenn ein Grab auf dem Kirchhofe offen ist (vgl. 509); das
Kind würde bald sterben (Lauter), vgl. 397 u. 531. -- * 482. Wird zur
Taufe recht lange geläutet, so wird das Kind klug (Zschopau), vgl.
446. Vgl. auch 258 ff. -- * 483. Sehen sich die Pathen bei der Taufe
um, so wird das Kind neugierig (Voigtsdorf), vgl. 279 u. 397. -- *
484. Bei der Taufmahlzeit müssen die Pathen von jedem Gerichte essen
(Grünstädtel), vgl. 45 u. 446.

+Wochenzeit.+ * 485. Die Mutter soll als Wöchnerin kein schwarzes
Mieder tragen, sonst wird das Kind furchtsam; auch soll sie im Garten
nicht über die Beete gehen, sonst wächst nichts mehr darauf (Zwickau)
und soll keinem Leichenzug nachsehen, sonst stirbt im nächsten Jahre
ihr Mann (Lauter), vgl. 397 u. 531.

Das +erste Lebensjahr.+ * 486. Das Kind soll nicht unter sechs Wochen
„über den Wechsel getragen werden“ (d. h. wohl, bald auf dem rechten,
bald auf dem linken Arme), sonst holt es der Wechselbalg (Marienberg),
vgl. 397 u. § 47. Ist wohl also zu verstehen: Man meint, die Zwerge
oder andere neckende Geister holen das Kind weg und legen statt dessen
einen Wechselbalg hin, d. h. ein widerwärtiges, dickes, geistig und
leiblich verkümmertes Wesen, das sich nie zu voller menschlicher
Ausbildung entwickelt, vgl. +Wuttke+, § 343. -- 487. Dem Säugling,
der auf dem Arme seiner Mutter bei den Nachbarn und Gefreundeten den
ersten Besuch macht, werden drei frische +Eier+ geschenkt, damit er
leicht sprechen lerne (allg.), vgl. 446. -- * 488. Beim Entwöhnen
wird das Kind mit einem langen, rothseidenen Bande beschenkt. Man
nennt dies „den Zitz verkaufen“ (Grünstädtel). Es scheint dies eine
Vorsichtsmaßregel gegen das +Beschreien+. In dieser Beziehung vgl.
noch 348, 358, 401 u. 204. -- * 489. Der erste Brei soll dem Kinde
nicht geblasen werden, damit es nicht einst den Mund mit heißer Suppe
sich verbrenne (Zwickau), vgl. 397. -- 490. Man soll die leere Wiege
nicht bewegen, sonst raubt man dem Kinde die Ruhe (allg.). -- 491. Wenn
man in ein Haus kommt, in welchem kleine Kinder sind, muß man sich
niedersetzen, sonst nimmt man den Kindern die Ruhe (allg.).

† 492. Unter einem Jahre soll man das Kind nicht in den Spiegel
sehen lassen, sonst wird es eitel (Marienberg), ihm die Nägel nicht
verschneiden, sonst schneidet man ihm das Glück weg (Raschau), es nicht
an Blumen riechen lassen, sonst verliert es den Geruch (Lauter), vgl.
397. -- * 493. Reicht man ein Kind unter einem Jahre durch ein Fenster
und nimmt es nicht wieder rückwärts herein, so wächst es nicht mehr
(Raschau), vgl. 382. -- * 494. Zwei Kinder unter einem Jahre sollen
sich nicht küssen, sonst wachsen sie nicht mehr (Raschau). -- 495.
Kinder dürfen nicht mit Feuer spielen („gokeln“), sonst nässen sie
das Bett (allg). -- * 496. Wenn ein Kind noch kein Jahr alt ist, soll
man es zu einem Fleischer tragen, der ihm mit dem in das Blut eines
frischgeschlachteten Kalbes getauchten Finger in den Mund fährt, dann
zahnt es leichter (Geier), vgl. 446. -- * 497. Man lege dem Kinde ein
Gesangbuch und ein schwarzseidenes Tuch unter das Kopfkissen, dann
bekommt es keine Krämpfe (Geiersdorf), vgl. 399. -- 498. Kranke Kinder
bade man in Osterwasser, vgl. 90. Vgl. auch 274 u. § 38 ~a.~


~b.~ Brautstand, Hochzeit, Ehe.

§ 45 (360 ff.). Die Liebe der Geschlechter ist von jeher eines der
angebautesten Gebiete des Aberglaubens gewesen. Vgl. § 97.

499. Bereits erwähnt sind die Anzeichen, die auf eine Braut im Hause
(26 u. 240) oder auf die Gefühle der hoffenden Jungfrau (277) oder auf
die Beschaffenheit des künftigen Gatten schließen lassen (272). Hierher
gehören auch die Fragen, die man an das Schicksal stellt, bezüglich
einer etwaigen Heirat und wodurch man sonstige nähere Umstände über
Zeit und Ort, sowie über Stand und Aussehen des Gehofften zu erkunden
sucht, vgl. 160-170, 228, 288, 290, 292-295, 303, 305, 308-314, 317
u. 326. Zu diesem bereits besprochenen Aberglauben führen wir noch
Folgendes an:

* 500. Schneidet Jemand, der noch unverheiratet ist, ein Stück Butter
an, so wird er innerhalb der nächsten sieben Jahre nicht heiraten
(allg.), vgl. 397. -- * 501. Setzt sich eine Ledige an eine Tischecke,
so bekommt sie keinen Mann (Annaberg). -- * 502. Wenn man die Cigarren
an der Lampe anbrennt, bekommt man eine schwarze Frau (Annaberg,
Raschau). -- * 503. Brautleute schneiden, wenn sie zusammen sind, nicht
gern Brod oder Butter an, weil sie sonst Zank fürchten (Zwickau). --
* 504. Vor der Trauung müssen Braut und Bräutigam einmal aus einer
Schüssel essen, das befördert die Einigkeit in der Ehe (Lauter),
vgl. 446. -- * 505. Am Tage vor der Hochzeit wird das Brautbett --
am liebsten von Jungfrauen oder jungen Frauen, dann wird das Paar
glücklich (Raschau) -- unter mancherlei Sprüchen hoch aufgebaut. Das
Stroh, das dabei in die Stube fällt, wird zuletzt mit einem neuen Besen
zusammengekehrt und dieser dann unter das Bett geworfen. Bisweilen wird
am Schluß der Vers: „Was Gott thut, das ist wohlgethan“ mit Begleitung
der Musik gesungen (Lößnitz). -- * 506. Die Betten und Tücher dürfen
bei Herrichtung des Brautbettes nicht ausgeklopft, sondern nur
ausgestrichen werden, sonst kommt die Frau unter die Herrschaft des
Mannes (Markneukirchen), vgl. 397, 407, 514, 518 u. 527. -- * 507.
Vor der Trauung kommen die Freundinnen der Braut zur „Brautschau“,
d. h. zur Besichtigung des angeschafften oder geschenkt erhaltenen
Hausgeräthes etc. (vgl. 334). Lärmen dabei die begleitenden Kinder
(vgl. 224), so entsteht Unfriede im Ehestande (Zschopau), vgl. 397.

508. Das übliche Zerschlagen von Töpfen und dergl. an der Hausthüre der
Braut am Polterabend hat ursprünglich jedenfalls den Sinn, die bösen
Geister zu verscheuchen. * Je mehr Scherben, desto glücklicher wird
das Paar (Marienberg), vgl. 407 u. 446. Bezüglich der Vorbedeutung des
Wetters vgl. 189, 190, 192 u. 195.

509. Wenn ein Grab auf dem Kirchhofe offen steht (vgl. 481), darf man
nicht zur Trauung in die Kirche gehen, sonst stirbt bald eines aus dem
Paare (allg.), vgl. 397 u. 531. -- 510. Zum +Gang+ in die Kirche sollen
sich die Brautleute Geld in die Schuhe legen, dann wird es ihnen nie
an Geld fehlen (Zwickau), vgl. 446 u. 457. -- * 511. Man soll nicht
mit Schimmeln zur Trauung fahren, sonst wird das Paar unglücklich
(Marienberg). -- * 512. Bei dem Wege zur Trauung dürfen dem Paare
keine Verwandten begegnen, sonst wird die Ehe unglücklich (Lauter),
vgl. 243. -- * 513. Begegnet dem Brautpaare ein geladener Wagen, so
werden sie reich (Geier); dasselbe bedeutet auch ein Düngerwagen
(Raschau), während ein solcher anderwärts (Geier) für Unglück bedeutend
gehalten wird, vgl. 251, 279 u. 280. -- † 514. Wenn bei der Trauung
die Braut zuerst in die Kirche tritt, bekommt sie den Mann unter den
Pantoffel (Zschopau), vgl. 506, 518 u. 527. In Franken erreicht sie
dies, wenn sie bei der Rückkehr von der Trauung zuerst den Fuß auf die
Thürschwelle setzt, vgl. +Wuttke+ § 365.

† 515. Bei der +Trauung+ selbst müssen alle Ceremonien streng
beobachtet werden, sonst löst sich die Ehe bald wieder (Grünstädtel),
vgl. 261 ff. u. 407. -- 516. Braut und Bräutigam müssen sich möglichst
eng aneinander stellen, damit der Böse nicht hindurch kann (Lauter),
die Ehe wird sonst unglücklich (Zwickau), indem die Gatten sich
scheiden lassen (Marienberg), oder der Tod sie trennt (Elterlein),
vgl. 531. -- † 517. Die Braut darf bei der Trauung nicht weinen, sonst
muß sie die Thränen im Ehestande doppelt vergießen (Lauter), vgl. 273
u. 397. Anders +Wuttke+, § 365: „Wenn die Braut nicht weint vor dem
Altar, so weint sie in der Ehe“ (Wetterau, Tirol, Schlesien). -- †
518. Am Altare soll die Braut den Fuß ein Bischen weiter vorsetzen als
der Bräutigam, dann wird sie Herrin im Hause sein (Zwickau), vgl. 506,
514 u. 527. -- † 519. Beide Verlobte sollen vom Altar gleichzeitig
aufstehen, wer aber von Beiden früher aufsteht, stirbt zuerst
(Markneukirchen), vgl. 407 u. 531.

520. Zwei Paare sollen nicht zugleich getraut werden, sonst ist das
eine unglücklich (Lauter), vgl. 397. -- † 521. Die junge Frau wirft
auf dem Heimwege ein Stück Geld weg, dann ist der Ehestand glücklich
(Marienberg), vgl. 446. -- † 522. Wenn die junge Frau zum erstenmal
in das Haus geht, so soll sie ein Gesangbuch und Essen mitbringen
(Marienberg), vgl. 450.

523. Wenn zwei Geschwister in demselben Jahre heiraten, wird eine von
beiden Ehen unglücklich (allg.), vgl. 397. -- * 524. Wenn es auf der
Hochzeit friedlich zugeht, so hat das Paar auf eine friedliche Ehe zu
hoffen (Stollberg), vgl. 243. -- 525. Wenn bei dem Hochzeitsessen das
erste Brod angeschnitten wird, so hebt sich entweder der Bräutigam oder
die Braut den Abschnitt, „das Ränftchen,“ auf; zerbröckelt es nach
einiger Zeit, so stirbt die betreffende Person bald (Schneeberg), vgl.
531. -- * 526. Braut und Bräutigam dürfen am Hochzeitstage kein Geld
wechseln, sonst kommt ihnen in der Ehe Geld weg (Ehrenfriedersdorf),
vgl. 397. -- * 527. Hängt der Bräutigam am Trautage seinen Rock auf
den der Braut, so behält er die Herrschaft im Hause, geschieht es
umgekehrt, so kommt er unter den Pantoffel (Lauter), vgl. 506, 514 u.
518. -- 528. Wer von beiden am Hochzeitstage zuerst einschläft, stirbt
zuerst (Markneukirchen), vgl. 251, 397 u. 531. -- * 529. Die ersten
Schuhe, welche eine junge Frau abreißt, dürfen weder verschenkt noch
verkauft werden, sondern müssen weggeworfen werden, sonst kommt Unglück
über die Eheleute (Markneukirchen).


~c.~ Tod und Begräbniß.

§ 46 (370 ff.). Tod und Begräbniß hat der Aberglaube mit einer Fülle
von Anzeichen und behütenden Maßregeln umsponnen. Vgl. § 98.

530. Die +Wahrsagung+ in Beziehung auf den Tod ist die reichste und
mannichfaltigste von allen: vgl. zu Weihnachten 27 ff., 34, 36, 42 u.
56, zu Fastnacht 74, in der Charwoche 105. Dazu kommen die Orakel aus
der Thier- und Pflanzenwelt: Hund 196, Krähen und Dohlen 204 u. 205,
Eulen 206, Holzwurm 215, Hollunder 216, sowie aus dem täglichen Leben
u. s. w.: 226, 234, 243, 246-252, 254, 255, 274, 278, 284, 291, 296,
309, 310 u. 318 ff. -- 531. Diese Zeichen beginnen mit der Geburt und
ziehen sich durch das ganze Leben: 481, 485, 509, 516, 519, 525 u. 528.

532. Segen bringt eine Leiche in der Charwoche oder am Charfreitag (101
u. 125), dagegen Nachtheil, wenn Jemand bei Vollmond oder abnehmendem
Monde begraben wird (183 ff.).

* 533. Begehrt ein Kranker das heilige Abendmahl, so frage man ihn
nicht, welchen Geistlichen er haben wolle (Elterlein), vgl. 397. -- *
534. Liegt Jemand im Sterben, so wird die Uhr angehalten (Schwarzbach,
Lauter).

535. Ist Jemand im Hause gestorben, so muß es den Thieren des Hauses
gemeldet werden, damit sie nicht nachsterben. Insbesondere muß der
Tod des Hausherrn den Pferden und Bienen, auch den Bäumen des Gartens
„angesagt“ werden (allg.), vgl. 407, 421 u. 427. -- † 536. Ist Jemand
verschieden, so öffne man die Fenster und wedle mit Tüchern, damit
die Seele hinauskönne. Hierauf verhülle man alles Glänzende und alles
Rothe, z. B. Spiegel, Fenster, Bilder, Uhren etc. mit weißen Tüchern.
Diese Ueberhänge bleiben bis nach dem Begräbniß (allg.).

* 537. Zieht man eine Leiche bei der großen Fußzehe und ruft zugleich
ihren Taufnamen, so fürchtet man sich nicht vor ihr und die Trauer wird
gemindert (Marienberg), vgl. 407.

538. Bei dem Aufbahren der Leiche legt man Alles, womit dieselbe
gewaschen, gekämmt, barbiert u. s. w. wurde, mit in den Sarg. Auch
ein Licht wird hinzugefügt, damit, wenn der Todte ja wieder erwachen
sollte, es hell wäre (Grünstädtel). -- 539. Auf die Leiche lasse man
keine Thräne fallen, sonst stirbt man bald nach (Zwickau), vgl. 397.
-- † 540. Man lege dem Todten keine Blume an den Mund, sonst holt sie
bald ein anderes Familienglied nach (Marienberg). -- 541. Alle Bänder,
die bei einer weiblichen Todten um den Kopf herum sich befinden, müssen
angesteckt werden, damit sie dieselben nicht in den Mund bekommt;
sie würde dann daran kauen („kätschen“) und dadurch Jemanden aus der
Familie nachholen (Lauter), vgl. 407. -- † 542. So lange die Leiche
aufgebahrt ist, darf Niemand im Hause Brod essen, sonst fallen ihm die
Zähne aus (Raschau), vgl. 397 u. +Wuttke+, § 382. -- * 543. Stirbt in
einem Hause die Frau, so heiratet der Wittwer diejenige, welche zum
Begräbnisse zuerst in die Stube tritt; ebenso, wenn der Mann u. s. w.
(Zwickau). Vgl. auch 248.

544. Ist der Leichenzug aus dem Hause, so wird die Hausthüre sogleich
verschlossen, damit die Leiche nicht wieder komme. Das Gestelle,
worauf der Sarg gestanden, wird umgestürzt * und das Haus gekehrt. Der
dabei gebrauchte Besen wird weggeworfen. Die Thüre bleibt so lange
verschlossen und es wird Niemand herein, noch heraus gelassen, bis
das Trauergefolge von dem Begräbniß zurückgekehrt ist. Durch diese
Vorsichtsmaßregeln verhütet man, daß die Leiche Jemanden aus dem
Hause nachhole (allg.), vgl. 407. -- * 545. Unterläßt man bei einem
Leichenbegängniß die Thüre zu schließen, so stirbt, wer zuerst nach dem
Forttragen der Leiche in das Haus tritt (Geier).

546. Ueber die Wahrsagungszeichen bei dem Begräbniß vgl. 249-253.

547. An die Blumen auf den Gräbern darf man nicht riechen, sonst
verliert man den Geruch (Lauter), vgl. 397.



Anhang.

Gespenster, Geister und gespenstige Thiere. Sagen.


§ 47 (386 ff.). Der Glaube an +Gespenster+, die man meist als ruhelos
umherirrende Seelen auffaßt, ist im Gebirge weit verbreitet und
Spuckgeschichten sind noch in den letzten Jahren vielfach hie und da
(z. B. in Annaberg) aufgetaucht. Dem Gespensterglauben ist der Glaube
an +Geister+ nahe verwandt, und es sind namentlich „Berggeister,“ von
denen Bergleute dies und jenes zu erzählen wissen. Die +gespenstigen
Thiere+, wie der Drache, der Getreideschneider, der Alp u. s. w., sind
bereits durch das früher Angeführte erledigt (vgl. 114, 155, 364, 365
u. 486).

Hier führt uns der Aberglaube in das Gebiet der Sagen, von denen sich
im Gebirge ein nicht unbedeutender Schatz findet. Viele derselben sind
bereits gesammelt (vgl. +Gräße+, Sagenschatz des Königreichs Sachsen,
Dresden 1855, S. 313-412. +Segnitz+, Sagen, Legenden etc. aus der
Geschichte des sächsischen Volkes, 2 Bde., Meißen 1839/41. +Ziehnert+,
Sachsen’s Volksagen, 1. Aufl., 3 Bde., Annaberg 1838 ff., neue Ausgabe
in Einem Bande, ebenda 1851). Viele derselben aber sind nur mündlich
verbreitet. Von letzteren wollen wir die wenigen Mittheilungen, die uns
in dieser Beziehung zugegangen sind, anschließen.

548. Es spuckt bei den Sandgruben, welche zwischen +Buchholz+ und
+Schlettau+ an der sogenannten alten Straße liegen. -- 549. Desgleichen
ist es nicht geheuer bei der letzten Vertiefung, welche die Chaussee
zwischen +Schlettau+ und +Scheibenberg+ macht, bei dem sogenannten
Saubade, das seinen Namen von den wilden Schweinen hat, die sich lange
vor Anlegung der Chaussee in dem sumpfigen Moorboden daselbst abkühlten.

550. Zwischen +Geiersdorf+ und +Königswalde+, am linken Ufer der Pöhla,
liegt eine Wiese (nach ihrem Besitzer die Reicheltwiese genannt), die,
da dieselbe sumpfigen Untergrund hat, sehr weich und „papprich“ ist.
In derselben soll ein Fuhrmann, der Salz geladen hatte, mit Wagen und
Pferden versunken sein. Abends 9 Uhr erscheine derselbe mit seinem
Fuhrwerk wieder, knalle mit der Peitsche und rufe: „Hüoh!“ -- 551.
Bei der Grube „Dorothea“ auf +Geiersdorfer+ Gebiet und bei der Grube
„Stern“ auf +Mildenauer+ Revier läßt sich zu gewissen Zeiten ein
Lichtchen sehen. -- 552. In der +Zschopau+ giebt es einen Nix, der
jährlich sein Opfer fordert.

553. Auf dem +Greifenstein+ bei Geier läßt sich der Kaspar sehen. Er
erscheint in weißen Hosen, rothem Fräckel, großen Kanonenstiefeln und
Bonaparthut. Man erzählt z. B.: eines Tages, Nachmittags 4 Uhr, als die
Arbeiter eines Steinbruches, welcher dem Greifenstein sehr nahe liegt,
ihr Brod verzehrten, ruft aus Unmuth einer von den Arbeitern gegen die
Höhe des Felsens: „komm, Kaspar, iß mit.“ In demselben Augenblick
kommt ein großer Stein vom Fels herab und fällt gerade neben dem
Arbeiter hin. -- 554. Als der früher in Ehrenfriedersdorf angestellte
Förster Töpel eines Tages bei dem +Greifenstein+ vorbeiritt, hingen
soviel Gras- und Strohhalme von den nahen Bäumen herab, daß er kaum
hindurchreiten konnte. Dabei bleiben einige Halme auf seinem Hute
liegen. Als er daheim seinen Hut abnimmt, hat er um denselben eine
goldne Kette. Es soll noch ein Stück von dieser Kette vorhanden sein.

555. „Of dem +Schladenberg+ (Schlettenberg bei Marienberg) da lössen
sich immer ä paar Lichtle sahn. Da drinn stackt nämlich e goldnes Kinn
(Kind). Un an en gewissen Tog wächst do druff eene schüne Blum. Wär
nu die nimmt, dar kan in den Barg nei gihn. Do liegt ä goldnes Gungel
(Junge) in eener gold’n Pfann. Doas Zeig (Zeug) bewacht ä grußer Hund.
Där nu die Blume hoat, darf se nur den grußen Hund hinweißen. Nu ko er
die Pfann mit dem Gungel nahm. Nu ober muß er ausreißen. Iß er über’n
Hammergraben, do kan der Hund nischt mer thun. Wenn er aber noch nich
d’rüber ist, un der Hund hat’n eigehult, do muß er d’s Gungel un d’s
annere Zeig her goben un der Hund trogt’s wieder nuff.“



Zweite Abtheilung.

Sitten und Gebräuche.


Bei dieser Abtheilung machte es besondere Schwierigkeiten, den ziemlich
umfangreichen, aber andererseits durchaus nicht vollständigen Stoff
in eine leidliche logische Ordnung zu bringen. Es wurde vor Allem der
Gesichtspunkt der +Feste+ in das Auge gefaßt und zunächst diejenigen
Sitten und Gebräuche erörtert, welche sich an noch gegenwärtige oder
frühere kirchliche Feiertage anschließen. Dann folgen die Feste, deren
Feier aus dem alltäglichen Leben und dem Bedürfnisse nach religiöser
Weihe oder nach leiblicher Erholung hervorgegangen ist. Die Feste
endlich, welche die einzelne Familie bei besonderen Ereignissen ihres
häuslichen Kreises begeht, bilden den Schluß. Es lag nahe, namentlich
„bei den Festen des bürgerlichen Jahres,“ an die feiernden Personen
das oder jenes anzuschließen, was ebenfalls in das Gebiet der Sitten
und Gebräuche gehört. Es werden daher bei der Kinderwelt außer dem
Schulfeste auch Spiele und andere Erholungen besprochen und bei den
Festen der Erwachsenen ist insbesondere auf die Eigenthümlichkeiten des
Bergmannes und des Bauers näher eingegangen. Diese gesammte Anordnung
kann vielfach angefochten werden, doch erschien sie immer noch als die
übersichtlichste und ist deshalb gewählt worden. -- Ein anderer Mangel
liegt weniger in der Form, als in dem Inhalt. Manches, was vielleicht
ausführlich behandelt ist, wird der oder jener für unwichtig halten,
während er Anderes, was gar nicht erwähnt ist, vermißt. Wir gestehen
dies gern zu; doch rechnen wir aus den in der Vorrede angeführten
Gründen auf nachsichtige Beurtheilung.


Das Jahr mit seinen Festen.


I. Feste des Kirchenjahres.

§ 48. 1. +Die Adventzeit.+ Als Vorläufer des Christkindes erscheint der
Knecht +Ruprecht+ (vgl. 613) mit dem +Brunnenkind+, Gestalten, die in
ihrem Ursprung auf das deutsche Heidenthum zurückzuführen sind. Daneben
fehlt es, abgesehen von der rein kirchlichen Feier dieser Zeit, hie
und da nicht an Veranstaltungen, das fromme Gemüth in eine gehobenere
Stimmung zu versetzen. Vgl. § 5 u. 6.

556. Es erscheinen der „Hans Ruprecht,“ ein verkleideter Knecht, der
einen vollen Nußsack auf dem Rücken trägt, mit dem „Bornkinnel,“
einer in Weiß gekleideten Magd, als Vorboten des Weihnachtsfestes.
Wenn das Paar eintritt, fallen die Kinder auf die Kniee, sprechen ein
Gebet, z. B. das Vaterunser, und bitten, nachdem sie das Versprechen
gegeben, recht fleißige und artige Kinder zu sein, zu Weihnachten
wiederzukommen (Grünstädtel). -- 557. Oder: In Pelz eingehüllt mit
langen, gerollten Werglocken, großer Pudelmütze, knotigem Prügel und
schwerem Sack eilt „Hans Ruprecht“ von Haus zu Haus, murmelnd, fluchend
und drohend. In seiner Anwesenheit müssen die ängstlich hinter der
Mutter sich versteckenden Kinder ihre gelernten Gebetchen und Sprüche
hersagen. Bei seinem Fortgange verkündigt er, daß er am Weihnachtsabend
wiederkommen werde und räth den Kindern, daß sie nur recht folgen
sollen. Kaum ist er zur Thüre hinaus, so kehrt er wieder um, und wirft
einige Aepfel und Nüsse in die Stube, die die nun kecker werdenden
Kinder mit Freuden aufsuchen und verzehren (allg.).

558. Vom 1. Advent bis zum Weihnachts Heiligen-Abend blasen in
+Ehrenfriedersdorf+ die Stadtmusici vom Thurme, und zwar „nach dem
dreimaligen Feldgeschrei“ (einem dreimaligen Signal mit den Trompeten)
den Choral: „Sehet auf! der Herr wird bald kommen und alle seine
Heiligen mit ihm und wird an demselbigen Tage ein groß Gericht sein.
Halleluja!“ Am heiligen Abend selbst wird der Thurm illuminirt und
daselbst das Transparent: „Gott segne unsere Stadt“ aufgestellt, d. i.
die sogenannte Mette. -- 559. Der Stadtmusikus, der zugleich Thürmer
ist, giebt den Musicis ein Mahl, wobei man das Lied: „da Christus
geboren ward“ singt und der Stadtmusikus eine kurze Ansprache an seine
Musici hält.

§ 49. 2. +Weihnachten.+ Vor Allem hat das Weihnachtsfest, wie überall,
so namentlich auch im Obergebirge, eine reiche Ausstattung mit allerlei
Sitten und Gebräuchen. Vgl. § 5 u. 6.

560. Das +Haus+ rüstet sich auf die kommenden Festtage. Es wird ein
Schwein geschlachtet, gebacken und gescheuert (vgl. § 6 ~a.~ ~b.~). --
561. Entweder bäckt man selbst, d. h. der Teig wird von der Mutter zu
Hause vorgerichtet und dann bei dem Bäcker gebacken oder man kauft die
fertige Waare bei dem Bäcker. -- 562. Das Hauptbackwerk sind Stollen
und Kuchen, daneben auch Bretzeln und Hörnchen (allg.). -- 563. In
Ehrenfriedersdorf darf ein Gebäck, „das Christkind“, ähnlich einem
Niklaszopfe, nicht fehlen (vgl. § 6 ~d.~).

564. Die +Volksschulen+ schließen den Unterricht vor dem Feste mit
der sogenannten „letzten Schule,“ auch „Schulmette“ genannt. Dieselbe
wird entweder Abends gegen 5 oder früh um 6 Uhr unter Theilnahme der
Eltern, anderer Verwandter und Angehöriger der Kinder gehalten. Jedes
Kind bringt ein Licht mit, das es brennend vor sich auf die Tafel
stellt. Es werden kindliche Weihnachtslieder gesungen, der Lehrer hält
eine Ansprache oder bezügliche Katechisation und die Schüler oder
Schülerinnen deklamiren geeignete Gedichte. Dem Lehrer wird entweder
dabei oder nachher seitens der Kinder entweder durch eine gemeinsame
Gabe oder durch Einzelgeschenke bescheert.

565. Die +Kaufleute+ und andere Gewerbtreibende zeigen sich
auch erkenntlich gegen ihre Kunden, indem sie dieselben mit
einer Kleinigkeit, sei es auch nur ein Hering oder eine kleine
Chocoladentafel, beschenken (Ehrenfriedersdorf).

566. In vielen Häusern herrscht an den drei heiligen Abenden noch die
löbliche Sitte, nach Einbrechen der Dunkelheit um den beleuchteten
Familientisch versammelt einige +Weihnachtslieder+ zu singen. -- 567.
Arme, Kinder oder Erwachsene, ziehen von Haus zu Haus, und singen
Weihnachtslieder, um dadurch sich etwas zu erwerben.

568. Die kirchliche Feier durch sogenannte +Christmetten+ (vgl. 36 u.
37) findet sich noch mehrfach. Dieselben werden entweder am heiligen
Abend (Lößnitz, Schneeberg) oder am ersten Feiertag früh 6 Uhr
(Buchholz) gehalten; sie sind aber auch an einigen Orten durch einen
Abendgottesdienst am Sylvester (vgl. 585) verdrängt worden. -- 569.
In den Bergstädten feierte man sonst -- in Schneeberg bis 1860 -- am
Abend vor dem ersten Weihnachtsfeiertag „+Bergmetten+,“ zu denen die
Bergleute von ihrer Wohnung aus mit brennenden Grubenlichtern gingen.

570. Die +Bescheerung+ ist der Mittelpunkt des Festes für das Haus.
-- 571. Dabei darf es nicht an Lichterglanz, auch nach außen -- die
Bergleute z. B. setzen am heiligen Abend Lämpchen an die Fenster
und illuminiren so (Schneeberg) -- fehlen und die behagliche,
hellerleuchtete und wohl durchwärmte Stube muß von Weihrauchduft --
man zündet Räucherkerzchen an -- erfüllt sein. -- 572. Die Zeit der
Bescheerung ist entweder am Abend +vor+ dem Feste oder am Morgen
desselben. Dieses scheint alte, jenes neuere Sitte zu sein.

§ 50. Außer den verschiedenen Gaben bei der Bescheerung finden wir im
Obergebirge in den meisten Familien neben dem Christbaum auch die sonst
mehr nur in katholischen Ländern gebräuchliche Christgeburt. Vgl. v.
+Reinsberg-Düringsfeld+, Festkalender aus Böhmen, Wien und Prag 1861 u.
+L. Frank+, „etwas von Glauben und Bräuchen in Sachsen“ (d. i. in der
Provinz Sachsen), Aufsatz in den Hausblättern, 1861, 3. Bd. S. 374 ff.

573. Der +Christbaum+, ein Tannenbaum (vgl. § 38 ~g.~), ist, wie
überall in dem evangelischen Deutschland, mit Lichtern oder kleinen
Oellämpchen besteckt, mit vergoldeten Aepfeln und Nüssen sammt allerlei
kleinem Zucker- und Backwerk behängt.

574. Die +Christgeburt+, auch Christgarten, Paradiesgarten, Krippe,
Bethlehem genannt, befindet sich entweder als Zubehör des Christbaumes
am Fuße desselben oder ist als besonderes Schaustück in einer Ecke
des Zimmers auf einem Tisch oder dergl. aufgestellt. -- 575. Im
ersteren Falle ist es ein mit einem Zaun umgebenes Bret, das mit Moos
belegt ist. Ein mit Sand bestreuter Weg führt vom Eingang zu dem an
der Seite stehenden Stall, in welchem sich Maria und Joseph, dabei
das Christkind in der Krippe befinden. Die heiligen drei Könige, der
eine von weißer, der andere von brauner, der dritte von schwarzer
Gesichtsfarbe, stehen davor. Dem Stall gegenüber befinden sich die
Hirten mit den Heerden. Der Engel, mit Draht an einen Baum befestigt,
schwebt in der Luft und verkündigt die Geburt Christi. -- 576. Ist
die Christgeburt als besonderer Theil aufgestellt, so ist dieselbe
gewöhnlich 1½ Ellen über dem Fußboden anfangend an die Wand gebaut
und mit Moos, glänzenden Steinen, Erzen und dergl. ausgeschmückt.
Unten ist der Stall, in dem, außer den heiligen Personen, sich noch
Ochs und Esel befinden, „die dem Christkinde den ausgehenden Odem
wieder eingeblasen haben sollen.“ Seitwärts erblickt man die Hirten
mit ihren Heerden, denen der Engel erscheint. Im Hintergrunde ist
Sand gestreut und auf dieser künstlichen Wüste kommen die heiligen
drei Könige gezogen. Die Terasse enthält verschiedene Gruppen meist
aus der biblischen Geschichte, theils Darstellungen der messianischen
Weissagungen z. B. die Schlange im Paradiese, theils der Ereignisse
aus dem Leben, besonders aus der Kindheitsgeschichte Jesu. Die Höhe
bildet die Stadt Bethlehem, durch mehr oder weniger Häuser angedeutet.
Ueber der Stadt ist ein großer Stern an der Wand befestigt. -- 577.
Oder: In einer künstlich angelegten Nische, die mit Tannenzweigen,
zwischen denen vergoldete Aepfel und Nüsse prangen, ausgekleidet ist,
erblickt man die Stadt Bethlehem, durch mehrere Straßen aus hölzernen
Häuschen aufgebaut, vertreten, die sich terassenförmig in sieben
bis acht Stufen nach oben verjüngen. Auf den Gassen stehen kleine
Figuren, theils Männer, theils Frauen. Zu unterst ist ein größeres,
offenes Haus, darin man das Christkind, die Eltern, die drei Weisen
u. s. w. erblickt. Im Vordergrunde schließt sich an dieses Haus eine
Wiese, wo die Hirten ihre Heerden hüten. -- 578. Außerdem findet man
auch häufig die sogenannten +Pyramiden+, im Volksdialekt „Perametten“
genannt. Dieselben sind entweder einfach, d. h. vier mit buntem Papier
überzogene Stäbe, unten durch Querleisten verbunden und oben in eine
Spitze vereinigt, sind mit Lichtern und anderem Christschmuck geziert,
oder man trifft auch sehr kunstvoll zusammengesetzte an. -- 579. Eine
solche besteht gewöhnlich aus vier Stockwerken („Platten“), die an
einem in der Mitte stehenden senkrechten Stab befestigt sind. An dem
oberen Ende des letzteren sind zwei Flügel angebracht, welche sich
durch die Wärme der auf die eigentliche Pyramide gesteckten Lichter
drehen und dadurch das Ganze in Bewegung setzen. Auf den Platten stehen
verschiedene Figuren, die gewöhnlich die Entwicklung der christlichen
Kirche von Christus bis auf die Gegenwart darstellen. Auf der unteren
Platte die Gründung der Kirche, dargestellt durch die Geburt Christi,
die in der bereits beschriebenen Weise dem Auge vorgeführt ist. Auf
der zweiten Platte sind die ersten Jahrhunderte angedeutet, z. B. aus
flimmerigen Steinen gebaute Höhlen, darin Holzfigürchen, sollen an
die Christenverfolgungen erinnern; auf der dritten Platte folgt das
Mittelalter: Ritter, Bischöfe, die Reformation, Luther etc. bis endlich
die vierte Platte mit der Neuzeit (geistliche und weltliche Beamte,
Soldaten und dergl.) den Beschluß macht. -- 580. Schon aus dem zuletzt
Angeführten erkennt man, daß hierbei der Phantasie ziemlich freier
Spielraum gelassen ist, wie überhaupt die oben gegebenen Beschreibungen
durchaus nicht feststehende Typen der Ausführung sind, sondern nur die
große Mannichfaltigkeit dieser Weihnachtsaufstellungen andeuten.

581. Der Hausvater baut meist selbst, in Gemeinschaft mit den Kindern,
die Krippen und Pyramiden, die von Jahr zu Jahr aufgehoben werden, in
den Vorabenden des Festes auf und nach Lust, Geschmack und Vermögen
wird das oder jenes alljährlich hinzugefügt, was in der Darstellung
eines Gartens, einer Stadt u. s. w. sich anbringen läßt. So findet
man Springbrunnen, Jagden, selbst Bergwerke und andere Staffage
aufgestellt, oft ist ein Theil der Gruppen durch Maschinerie beweglich.
Die Figuren und Häuser sind meist im modernen Styl gehalten und den
bekannten Spielwaarenfabriken des oberen Gebirges entnommen, aber
mitunter findet man auch wahre Kunstwerke. Immer aber giebt dies Alles
der Feier des Weihnachtsfestes im Obergebirge einen eigenthümlichen
Reiz und erhöht die gemüthlichen Freuden des Familienkreises.

582. Zu einem rechten Weihnachtsfest gehört auch der brennende
+Leuchter+. Fast in allen Familien nämlich wird ein Kronleuchter an
der Decke aufgehängt. In den wohlhabenderen Familien ist derselbe
oft sehr kostbar und geschmackvoll von Metall- oder Holzbronce,
von geschliffenem Glas oder dergleichen, oft auch künstlich
geschnitzt; so sahen wir z. B. einen mit zwölf Armen, deren jeder
die buntgemalte Statuette eines Apostels trug, in der Mitte stand in
gleicher Ausführung Christus. -- 583. Vielfach sieht man statt des
Kronleuchters, namentlich in den mittleren und unteren Ständen, einen
aus Holz geschnitzten, mittelgroßen, buntbemalten +Engel+ an der Decke
schweben. Derselbe trägt an Drähten, welche in dem Holzleib befestigt
sind, vergoldete Früchte (meist kleine, mit Rauschgold überzogene
Holzkugeln), sowie Lichterteller oder Oellämpchen.

584. Die gemüthvolle Auffassung des Weihnachtsfestes seitens
des Gebirgers ist auch der Grund, daß bei ihm die sogenannten
+Weihnachtsspiele+, dramatische Darstellungen der Begebenheiten bei der
Geburt des Heilandes, in der „Engelschaar“ und dem „Dreikönigsspiel“
bestehend, bis 1847 wenigstens vereinzelt sich erhalten hatten. Zum
Weihnachtsfeste 1861 sind sie, namentlich auf Veranlassung des von dem
Verein zur Verbreitung guter und wohlfeiler Volksschriften in Zwickau
herausgegebenen Buches von dem Gymnasiallehrer Gustav +Mosen+: „Die
Weihnachtsspiele im sächsischen Erzgebirge (Zwickau 1861)“ in Kranzahl
und Neudorf bei Annaberg erneuert worden. Vgl. § 99.

§ 51. 3. +Sylvester+ und +Neujahr+. Der Schluß des alten und der Beginn
des neuen Jahres bietet im Obergebirge nicht mehr und nicht weniger
Charakteristisches als anderwärts. Wir begnügen uns mit folgenden
Anführungen.

585. Am +Sylvester+ wird Nachmittags 5 Uhr in Annaberg und einigen
anderen Städten Gottesdienst gehalten (vgl. 36, 37 u. 568). -- In
Schneeberg wird Nachts 12 Uhr mit allen Glocken gelauten. Auch ist hie
und da gebräuchlich, daß vom Thurme geblasen, auf dem Markte gesungen,
von den benachbarten Bergen geschossen wird und dergl.

586. Das Glückwünschen zum +Neujahr+ ist noch sehr in Gebrauch.
Zunächst im Kreise der Familie; die Kinder überreichen ihren Eltern
geschriebene Neujahrwünsche. Durch Freundschaft oder Amt Verbundene
machen sich Neujahrsbesuche oder schicken Gratulationskarten und
dergl. (vgl. 680). -- 587. Die Stadtmusici und die Kurrendaner
halten ihren Umgang in Annaberg, Schneeberg und anderwärts. -- 588.
Früher (bis 1834) hielten in Annaberg außer diesen noch folgende
ihren Neujahrsumgang: der Kantor, der Kirchner, der Rathsdiener, der
Marktmeister, der Gerichtsdiener, der Beifrohn, der Bettelvoigt,
der Röhrmeister, die Wasserleute, der Nachtwächter und der
Schornsteinfeger; zusammen elf Personen.

§ 52. 4. +Epiphanias.+ Das Hoheneujahr (vgl. 325 u. § 5) bringt anstatt
der Weihnachtsstollen Bretzeln und Pfannkuchen.

589. Von Hohneujahr (früher von Fastnacht) bis Gründonnerstag werden
Bretzeln gebacken. Das Backen derselben hatte bis Ende 1861 Ein
bestimmter Bäcker (seit Anfang 1862, mit Eintreten der Gewerbefreiheit,
ist auch das Bretzelbacken freigegeben). Die Herumträger (die vom
Thaler verkaufter Waare 3 Neugroschen erhalten) machen die Leute
durch das Schnarren der sogenannten Bretzelschnarren auf das
Kaufen aufmerksam. In Annaberg sind seit Neujahr 1859 statt dieser
unangenehm tönenden Instrumente sogenannte Papagenopfeifen eingeführt.
Zu Fastnacht (vgl. § 8 ~b~) und Gründonnerstag verkleiden sich die
„Bretzeljungen.“ Auch das Backen der Pfannkuchen beginnt am Tage der
drei Könige; Palmsonntag ist gebräuchlich damit abzuschließen.

§ 53. 5. +Fastnacht und Aschermittwoch.+ +Fastnacht+ wird, wenn auch
nicht kirchlich, doch durch das sogenannte Fastenbeten, durch Aussetzen
der Schulen, durch Bälle und andere Lustbarkeiten ausgezeichnet. Hier
und an +Aschermittwoch+ ist vielfacher Schabernak gebräuchlich, vgl. §
7-9.

590. +Fastenbeten.+ An vielen Orten ist es Sitte, daß gewöhnlich
am Fastnachtsdienstag die Schulkinder der obern Klasse, sowie die
erwachsene Jugend bis zum 18. oder 20. Jahre in der Kirche oder in der
Schule sich versammeln, woselbst der Geistliche eine Katechese hält und
einen vorher aufgegebenen Psalmen und Gesangbuchslied überhört. -- Nach
dieser Feier, der auch Eltern und andere Gemeindeglieder beiwohnen,
werden die Kinder mit Bretzeln beschenkt.[1]

591. Aus dem Besuche der Schenke seitens der Bauern zu +Fastnacht+
(vgl. 83) hat sich die Sitte entwickelt, daß auch die, welche mit der
Landwirthschaft nichts zu thun haben, nicht gern leer ausgehen. Daher
geben auch Fabrikherren ihren Arbeitern Geld, damit sie sich einen
vergnügten Tag machen. Es wird getanzt, gespielt, Bier und Branntwein
getrunken (Geiersdorf). -- 592. Man hat sich zum Besten; der Gefoppte
heißt der „Fastnachtsnarr“, vgl. 63 u. 616.

593. +Aschermittwoch+ gehen die Knaben und junge Bursche früh in die
Kammern und beschütten die Schlafenden mit Asche oder auch mit Wasser
(Marienberg).

594. Das +Aschtopftragen+, ebenfalls ein Schabernak der jungen
Leute, ist gebräuchlich: ein alter Topf mit Asche, Topfscherben und
anderen Unrath gefüllt, wird fest zugebunden und damit schleicht sich
ein Einzelner an ein Haus. In dem Augenblicke, wo Niemand in der
Hausflur ist, schleudert er den Topf an die Stubenthüre oder wagt
sich wohl in das Haus und wirft ihn durch die geöffnete Thüre in die
Stube. Schleunigst muß er nun sein Heil in der Flucht suchen, denn
alle Hausbewohner jagen dem Thäter alsbald nach. Wird er erwischt,
so bekommt er tüchtige Prügel oder man setzt ihn in den nächsten
Wassertrog, wenn er sich nicht mit einer Quantität Schnaps löst.
Entkommt er, ist aber erkannt worden, so sucht man ihm denselben Possen
zu spielen (Geier, Frohnau, Sehma, Raschau), vgl. 647. -- 595. Oder:
Man setzt einen großen Topf mit Wasser leise an die Stubenthür, so daß,
wenn letztere geöffnet wird, der Topf umfällt und die Fluth sich in die
Hausflur ergießt (Raschau).

596. Auch ist es Sitte, Aschensäckchen zu machen und den
Vorübergehenden auf den Rücken zu streuen (Marienberg). -- 597. Oefters
gehen Kinder oder Kuhhirten, von den Knechten oder Bauern selbst
geschickt, zu den Nachbarn, um noch einmal „Spieß einzurecken“ (vgl.
66). Hier aber werden sie mit einem Topf Wasser, der oft mit Asche
schmutzig gemacht worden ist, beschüttet und mit Schimpf und Schande
müssen die zum Narren gehabten abziehen (Dittersdorf).

§ 54. 6. +Ostern.+ Das obere Voigtland hat einen alten,
eigenthümlichen, an die Ostereier (vgl. § 10 ~b~) sich anschließenden
Gebrauch, das „Eierhärten.“

598. Schon vier Wochen vor Ostern sehen sich die Bub’n nach harten
Eiern um und bezahlen ein solches, das eine recht feste, starke Schale
hat, mit einem Neugroschen und noch theurer. Erscheint nun Ostern,
so versammelt sich die ganze Jugend auf dem Markte und das Härten
beginnt. Ehe jedoch der Eine mit dem Andern härtet, nimmt er das Ei
des Gegners und pocht damit gegen die Zähne, indem er dabei mit der
einen Hand das Ohr zuhält, um die Stärke der Schale zu prüfen. Glaubt
er nun, sein Ei sei härter, so härtet er mit dem Gegner entweder „auf
Rück’ +und+ Spitz’“ oder blos „auf Rück’ +oder+ Spitz’“ (d. h. sie
schlagen entweder sowohl mit der Spitze als mit der unteren Seite
der Eier oder nur mit der oberen und unteren Spitze zusammen). Der,
dessen Ei zerbricht, hat verloren. Zuweilen kommt es vor, daß Einzelne
mit Pech ausgegossene Eier haben. Wird es entdeckt, so werden ihnen
unter allgemeinem Jubel schlechte Eier auf den Rücken geworfen und sie
mit großem Hallo vom Platze getrieben. -- In neuerer Zeit hat dieses
Eierhärten sehr abgenommen, weil die Polizei nicht duldet, daß am 1.
und 2. Osterfeiertag solch ein Lärm auf einem öffentlichen Platze
gemacht werde (Markneukirchen).

§ 55. 7. +Trinitatisfest+ (+Pfingsten+, s. § 13). Das Trinitatisfest
wird in Annaberg und Buchholz als Todtenfest, ähnlich wie anderwärts
das Johannisfest, gefeiert.

599. Die Hospitalkirche oder Gottesackerkirche zu Annaberg ist im Jahre
1517 der heiligen Dreieinigkeit geweiht worden und daher feiert am
Trinitatisfest das Hospital seine Kirchweih. An diesem Tag war daher
bis zur Einführung der Reformation der Gottesacker, in Folge einer
Bulle Papst Leo X., ein vielbesuchter Wallfahrtsort, woran sich eine
Art Jahrmarkt anschloß. Letzterer hat sich auch nach der Einführung
der Reformation im albertinischen Sachsen (1539) erhalten. Es werden
Buden auf dem Platze neben dem Gottesacker erbaut, in denen Eßwaaren,
namentlich die sogenannten Fesselkuchen, eine Art Pfefferkuchen,
verkauft werden. Auch Schaubuden befinden sich daselbst. -- Die Gräber
werden zu diesem Tage von den Angehörigen geschmückt und Mittag 12
Uhr die sogenannte Gottesackerpredigt gehalten. Es herrscht daher an
diesen Tagen (mit Einschluß des Montags) ein reges Leben auf und um den
Friedhof Annabergs. Näheres hierüber in dem Buche: „Der Gottesacker
zu Annaberg“ (Annaberg 1860), S. 128 ff. Vgl. auch: Des Annaberger
Naturdichters Gottlieb +Grund+ Gedicht in erzgebirgischer Mundart: „das
Trinitatisfest zu Annaberg“ in dessen vermischten Gedichten (Annaberg
1816), S. 194 ff. -- 600. In +Buchholz+ wird das Trinitatisfest
ebenfalls mit Schmückung der Gräber und mit Predigt in der dasigen
Gottesackerkirche begangen.

§ 56. 8. +Das Reformationsfest.+ Das Reformationsfest, am 31. October,
wird im ganzen Obergebirge mit großer, allgemeiner Betheiligung,
namentlich durch zahlreichen Besuch der Kirche, gefeiert.

601. In Annaberg durchziehen am Vorabend des Festes, 6 Uhr, die
Zöglinge des Seminars die Hauptstraßen der Stadt unter dem Gesang des
Liedes: „Ein’ feste Burg ist unser Gott.“ -- 602. In Johanngeorgenstadt
wird Nachts 12 Uhr die Melodie dieses Schutz- und Trutzliedes der
evangelischen Kirche vom Thurme geblasen. -- 603. In Zwickau halten die
Gymnasiasten einen solennen Fackelzug. -- 604. Die Bäcker fast in allen
Städten des Obergebirges backen sogenannte „Reformationsbrodchen.“

§ 57. 9. +Martini.+ Des Martinstages, des 11. Novembers, wird
wenigstens bezüglich leiblicher Genüsse auch im Gebirge gedacht (vgl. §
15 ~d~).

605. Zu Martini, auch „Märtens“ genannt, wird gewöhnlich eine Gans,
die „Martinsgans“ geschlachtet. Dieselbe ist von der Familie an diesem
Tage ganz aufzuessen (Annaberg). -- 606. Es werden die sogenannten
„Martinshörner“ gebacken, welche hufeisenartige Gestalt haben und
in allen Größen zu bekommen sind (allg.). In Marienberg bäckt man
statt dessen sogenannte „Winterzecken“. -- 607. Die Familienglieder
beschenken einander mit solchen Hörnchen (Dittersdorf). -- 608.
Dem Lehrer an Elementarklassen wird von seinen Schülern ein großes
Martinshorn, oft auch unter Hinzufügung anderer Gaben bescheert
(Lößnitz, Zwickau, Plauen), vgl. 612.

§ 58. 10. +Andreas.+ Der Tag des heiligen Andreas (30. November) wird
hie und da durch weltliche Vergnügungen ausgezeichnet (vgl. § 16).

609. Die Gesellen bekommen Abends ein Essen oder es wird ihnen eine
sonstige Lustbarkeit bereitet (Geier).

§ 59. 11. +Nikolaus.+ Der heilige Nikolaus (6. Dezember), gewöhnlich
„Nikels“ genannt, ist sehr populär, namentlich im östlichen Obergebirge.

610. Man bäckt in verschiedener Größe, Güte und Preis (von drei
Pfennigen bis ein Thaler und darüber das Stück) sogenannte
„Nikelszöpfe“, ein zopfartig gewundenes Gebäck, das nach unten sich
zuspitzt (allg.). -- 611. Die Kinder werden namentlich mit solchen
Zöpfen beglückt. -- 612. Die Schulkinder sammeln Geld und kaufen dafür
einen großen Niklaszopf nebst einigen anderen Kleinigkeiten, die sie
dem Lehrer in der Schule bescheeren. Gewöhnlich werden auch seine
Kinder dabei bedacht. Oder das Geschenk wird gegen Abend dem Lehrer
in seine Wohnung getragen, wo dann der Lehrer die Schenkenden durch
Erzählen kleiner Geschichten, durch angestellte Spiele u. s. w. erfreut
(Annaberg), vgl. 608. -- 613. Mit dem auf Nikolaus folgenden Sonnabend
beginnt in Annaberg der Christmarkt. Daher erfolgt oft schon an diesem
Tage eine kleine Vorbescheerung, der Ruprecht (vgl. § 48) fängt an sich
einzustellen und Haus und Familie beginnen die Zurüstungen auf das
Weihnachtsfest.


  [1] Weitere Beiträge zur Sammlung der kirchlichen und religiösen
      Gebräuche und Sitten des Erzgebirges und des übrigen Sachsens
      wären sehr erwünscht. Für Preußen vgl. +Pröhle+, kirchliche
      Sitten, Berlin 1858.


II. Feste des bürgerlichen Jahres.

§ 60. 1. +Feste und Vergnügungen der unerwachsenen Jugend.+ Jede
Jahreszeit bringt der Kinderwelt bis zu ihrem Austritt aus der Schule
und darüber hinaus besondere Vergnügungen, die nach der verschiedenen
Gegend ihr Charakteristisches haben und weil sie den Gesichtskreis
des heranwachsenden Geschlechtes mit bedingen helfen, nicht ohne
kulturhistorische Bedeutung sind.

~a.~ Der +Winter+: 614. Das hauptsächlichste Wintervergnügen ist das
sogenannte „Ruscheln“, d. h. Herabfahren von Anhöhen auf kleinen
Schlitten. Es wird mit seltener Ausdauer und Kühnheit schon von
vierjährigen Knaben und Mädchen getrieben und hat selbst unter den
Erwachsenen entschiedene Anhänger. Allerdings wird es auch durch
die bergige Gegend wesentlich begünstigt. -- 615. Daß daneben das
sogenannte „Zschinnern“, Schlittschuhfahren, Schneebataillen und
Anderes nicht fehlen, ist selbstverständlich.

~b.~ +Frühling.+ 616. Am 1. April hat man sich gegenseitig zum
Besten. Wer sich anführen läßt, wird „Aprilnarr“ genannt (allg.),
vgl. 592. -- 617. Sobald die ersten Frühlingsblumen zum Vorschein
kommen, wandern die Kinder hinaus in Wald und Flur, um Blumensträuße
zu pflücken; namentlich haben die Himmelschlüssel (~primula veris~)
zahlreiche Freunde. -- 618. Die erwachsenen Knaben betheiligen sich
bei dem Viehaustreiben, das gewöhnlich am ersten Mai (vgl. § 12
~c~) seinen Anfang nimmt. Die Hirten entwickeln ein gemüthliches
Naturleben: Eine Hauptunterhaltung ist das Knallen mit ihren großen
Peitschen, worin jeder den anderen zu übertreffen sucht. Oder sie
rufen sich gegenseitig von entfernten Höhen mit lauter Stimme zu:
„I nu aha, welle Zeit is deh? aha!“ Die Gegenantwort lautet: „Uem
die gestrige Zeit“ (Geiersdorf), vgl. 642. -- 619. Das +Anschlagen+,
ein Kinderspiel, das etwa seit 1840 aufgekommen ist, wird gespielt,
sobald die Straßen vom Winterschnee trocken sind. Man wirft einen
Spielpfennig mit der Breitseite an eine Häuserwand und sucht dadurch
denselben möglichst weit abzuprellen. Wessen Pfennig am weitesten
fällt, hat gewonnen. -- 620. Wenn die Frühlingswinde wehen, lassen
die Knaben +Drachen+ steigen, ein Vergnügen, das etwa seit 1810 auf
unseren Bergen heimisch geworden ist. -- 621. Aelter ist das Schießen
mit sogenannten +Himmelsbolzen+. Ein solcher Bolzen ist ein von
weichem Holz geschnitzter Pfeil, etwa eine halbe Elle lang, in der
Mitte mit einer Kerbe. Dazu gehört ein biegsames Stäbchen mit einer
Schnur, an deren Spitze ein kleines Hölzchen befestigt ist. Letzteres
legt man in die Kerbe, nimmt den Pfeil mit der Spitze zwischen Daumen
und Zeigenfinger der linken Hand und schnellt ihn nun mittelst des
peitschenartigen Stäbchens durch die rechte Hand in die Höhe. -- 622.
Auch das +Stelzenlaufen+ ist sehr gebräuchlich und wird mit großer
Virtuosität betrieben.

~c.~ +Sommer+: Im Zusammenhange mit den zuletzt erwähnten
Unterhaltungen des Knabenalters schließen wir eine kurze Uebersicht
der gebräuchlichsten +Spiele+ der Sommerzeit an, insofern sie etwas
Charakteristisches an sich tragen:

§ 61. ~aa.~ +Spiele der Knaben dieses Jahrhunderts in Annaberg+ waren:
623. Das „+Hödern+.“ Die Spielenden bilden einen Kreis. Einer zählt aus
und wen das letzte Wort trifft, muß „hödern,“ d. h. Einen aus der Zahl
der Mitspielenden, die alsbald nach allen Seiten aus einander stieben,
zu fangen suchen. -- 624. Das +Spittelschlagen+. Jeder Spielende hat
ein ohngefähr eine Elle langes, an der einen Seite zugespitztes Holz
von der Stärke einer Bohnenstange. Dieser Spittel (wohl Deminutiv von
Spaten?) wird von einem der Spielenden mit wuchtender Hand fest in den
Boden eingehauen. Ein anderer sucht nun, indem er einen Stab dicht
neben dem des ersten einschlagen läßt, diesen herauszuschlagen und so
fort die übrigen Spieler. Wer den Spittel des anderen herausschlägt,
ist Sieger. -- 625. Das +Schweinchenschlagen+ (vgl. 635). Jeder
Mitspieler, bewaffnet mit einem kurzen Stock, macht vor seinem Platze
ein kleines, rundes Loch in die Erde. In der Mitte des Kreises, den man
gebildet, liegt ein rundlicher Stein oder eine kleine Kugel. Diese
beginnt man nun mit den Stöcken zutreiben. Wer sie also schlägt, daß
sie in eines der Löcher rollt, empfängt von dem Betroffenen einen
Gewinn. -- 626. Außerdem übte man seinen Muth, seine Kraft und List
in großen Schlachten, die man sich auf und an den alten Berghalden
lieferte und wo es mitunter nicht ohne blutige Köpfe ablief.

§ 62. ~bb.~ +Knabenspiele der Gegenwart+ (gesammelt 1858): 627. +Räuber
und Schütz.+ Eine Partei macht die Räuber, die sich verstecken.
Auf ein von diesen gegebenes Zeichen bricht die andere Rotte, die
Schützen, auf, um dieselben zu suchen und zu greifen. -- 628. +Fuchs
in’s Loch+: Einer der Gesellschaft ist Fuchs, der seinen Bau (Loch) an
einem bestimmten Platze (einem Baume, Steine etc.) hat. Die Uebrigen
umkreisen denselben neckend und der Fuchs sucht einen derselben mit
seinem Plumpsack zu schlagen, muß aber dabei, sobald er über das ihm
angewiesene beschränkte Revier hinausgeht, auf Einem Beine hüpfen.
Gelingt es ihm, einen Anderen zu treffen, so wird dieser an seiner
Stelle Fuchs. -- 629. +Stando.+ Einer aus der Gesellschaft wirft
einen Ball gegen eine Wand und ruft einen auf, der ihn fangen soll,
während die Anderen die Flucht ergreifen. Sobald letzterer den Ball
gefangen, ruft er: „stando!“ bei welchem Wort Jeder auf seinem Platze
stehen bleibt. Der Ballinhaber wirft nun nach Einem, trifft er ihn, so
übernimmt dieser das Ballwerfen, wo nicht, so erhält der Fehlwerfer
von Jedem einen Schlag. -- 630. +Katze und Maus.+ Die Gesellschaft
bildet einen Kreis. Eine Person, die Katze, ist außerhalb des Kreises,
eine andere, die Maus, innerhalb desselben. Hierauf beginnt die Katze:
„Mäuschen, Mäuschen, komm heraus!“ worauf die Maus erwiedert: „Ich
komm’ dir doch nicht ’raus!“ Darauf die Katze: „Kratz’ ich dir die
Augen ’raus!“ und die Maus: „Fahr ich zu mein’ Löchel ’naus.“ Die
Katze sucht nun in den Kreis zu dringen; gelingt ihr dieses, so muß
die Maus heraus gelassen und die Katze zurückgehalten werden. Erhascht
die Katze die Maus, so werden zwei andere zu diesen Rollen gewählt. --
631. +Mauerbrechen.+ Die Gesellschaft bildet zwei Abtheilungen, die
mit den Händen fest zusammenhalten. Von der einen Partei wird Einer
gewählt, der die andere Reihe zu durchbrechen sucht, kommt er bei
dreimaligem Anlauf nicht hindurch, so muß er „Spießruthen laufen“.
-- 632. +Schlange.+ Die ganze Gesellschaft bildet durch Handreichen
eine lange Reihe. Der erste beginnt nun in verschiedenen Wendungen
zu laufen und ihm nach müssen die Anderen, sich fest an den Händen
haltend, in derselben Richtung ziehen. -- 633. +Krimmer+ (d. i.
Habicht). Man zählt aus und der Getroffene ist der Krimmer. Dieser
sucht die Anderen, die sich zerstreuen und ihn mit dem Verschen necken:
„Krimmerle, Krimmerle, geck, geck, Schneit mer meine Haare weg,“ mit
seinem Plumpsack zu treffen und dadurch zu seinen Gefangenen und
Mithelfern zu machen. Das Spiel dauert so lange, bis Alle in die Gewalt
des Krimmers gekommen sind -- 634. +Anbrennen.+ Man zählt aus. Der
Zurückgebliebene stellt sich mit zugehaltenen Augen an einen Baum und
zählt laut bis zu einer bestimmten Zahl. Unterdeß verstecken sich die
übrigen. Nun sucht er. Entfernt er sich jedoch zu weit vom Baume, so
springt ein Mitspieler schnell aus seinem Versteck hervor und eilt dem
Baume zu. Der Häscher rennt auch dahin. Kommt jener eher, so befreit er
sich vom weiteren Mitspielen, indem er dreimal an den Baum pocht und
ruft: „eins, zwei, drei erlöst“. Kommt jedoch der Haschende zuerst an
den Baum, und pocht dreimal an den Baum mit den Worten: „N. N. eins,
zwei, drei angebrannt“, so wird der Andere dadurch sein Gefangener.
Sind alle wieder versammelt, so wird der zuerst Angebrannte jetzt der
Anbrennende. -- 635. +Sautreiben+ (vgl. 625). Die Zahl der Spielenden
darf nicht zu groß sein. Es sind z. B. sechs, so gräbt man in einem
Kreis fünf kleine Löcher und in die Mitte ein größeres. Jeder Spieler
ist mit einem kurzen Stock bewaffnet, und außerdem braucht man noch die
sogenannte Sau, ein Stück Holz oder sonst einen Körper, der sich leicht
fortschlagen läßt. Nun stellt man sich an, indem die sechs Spielenden
mit ihren Knitteln die „Sau“, die abseits an der Erde liegt, halten.
Einer zählt: „eins, zwei, drei.“ Bei drei eilen alle den Erdlöchern
zu, um die kleinern zu besetzen. Der dem dies nicht gelingt, ist der
„Sautreiber“, oder „Saumelker.“ Dieser sucht nun die Sau in das große
Loch in der Mitte hineinzubringen, was aber die andern zu verhindern
streben, indem sie dieselbe mit den Knütteln fortschlagen. Dabei aber
müssen sie dem Sautreiber gegenüber stets ihre Stöcke in das von ihnen
besetzte Erdloch halten, denn gelingt es jenem in ein leerstehendes
seinen Stab zu stoßen, so kommt der Hinausgetriebene an seine Stelle.
Ebenso ist er erlöst, wenn die Sau in das große Loch gelangt, wo dann
das Spiel von neuem beginnt. Vgl. 619-622 und +Vogelsang+, Turnlehrer
in Annaberg, Leitfaden beim Unterrichte im Turnen, 2. Aufl. Annaberg
1862, S. 88 ff.

§ 63. Das Hauptfest in Annaberg für alle schulpflichtigen Kinder ist
das +Schulfest+, das die ganze Stadt in freudige Aufregung setzt. Ehe
wir aber zur näheren Beschreibung desselben übergehen, wollen wir des
+früheren+ Schulfestes, des Gregoriusfestes, gedenken, welches bis
zum Jahre 1824 die in Annaberg damals bestehende „lateinische Schule“
feierte.

636. Das +Gregoriusfest des Lyceums+: Dasselbe begann am Montag nach
dem Sonntag Rogate und dauerte bis Mittwoch vor Himmelfahrt. Schon
vier bis fünf Wochen vorher begann das Ueben der Trommler und Pfeifer.
Jene bestanden aus Primanern, diese aus Sekundanern. Nach vier Uhr,
wenn die Schulstunden zu Ende waren, mußten die „Serviteure“, d.
h. die unteren Alumnen, die Trommeln vor das Thor tragen. Von den
unteren Klassen schlossen sich mehrere freiwillig an. Draußen fanden
sich dann auch die Schüler der oberen Klassen dazu und übten sich
nun tüchtig auf der Trommel und der Pikelpfeife. Dies war schon ein
Vorgeschmack von den Freuden des eigentlichen Festes. Dieses selbst
wurde am +Montag+, früh 3 Uhr mit Reveille eröffnet, wobei die
Trommler und Pfeifer, sämmtlich kostümirt in rothen Collets mit blauen
Aufschlägen, abwechselnd aufspielten. Um 6 Uhr wurde Appell geschlagen
und nun strömte Alles herbei, was zur Schule gehörte. Alle Schüler,
vom obersten bis zum untersten, waren verkleidet: da gab es Husaren,
Dragoner, Schäfer, Köche, Jäger u. s. w., besonders viele Harlekine
mit Pritschen. Von den höheren Klassen hatten sich mehrere beritten
gemacht -- wer nur irgend eine Mähre auftreiben konnte, entlehnte sie
-- und paradirten kostümirt und mit Seitengewehren verschiedener Art
bewaffnet stolz zu Roß. Diese Reiterei zog nun abgesondert durch die
Gassen der Stadt und machte auch Ausflüge nach Klein-Rückerswalde,
Frohnau und Buchholz. Die Nichtberittenen dagegen begannen 7 Uhr
ihren Umzug durch die Stadt. Voran ging die Schulfahne, dann folgte
die Musik, bestehend aus Geigen und einer Baßgeige, die von Schülern
des Sängerchors gespielt wurden, darnach kam das Lehrerkollegium und
endlich die Schüler aller fünf Klassen. An der Seite schritten zwei
Primaner mit Sparbüchsen, welche die Beiträge, die aus jedem Hause
verabreicht wurden, einsammelten. Dieser Umzug dauerte bis 9 Uhr. Um
10 Uhr begann das Theater in dem zweiten Stockwerk des Rathhauses.
Gewöhnlich kam ein deutsches Lustspiel zur Aufführung, mitunter auch
eine deutsche Oper. Sämmtliche Spielende waren Primaner und Sekundaner,
denen ausnahmsweise auch einzelne Tertianer beigegeben wurden.
Die Spielenden waren natürlich entsprechend kostümirt und machten
ihre Sachen nach Verhältniß recht gut. Nach Beendigung der Komödie
begaben sich Alle zum Mittagsessen nach Hause und um 2 Uhr begann
abermals ein Umzug durch die Stadt, der bis nach 5 Uhr dauerte. Zum
Zapfenstreich ½8 Uhr fanden sich wieder alle Schüler, größtentheils in
Mißgestalten verwandelt, mit scheußlichen Larven vor den Gesichtern,
an der Schule ein. Da gab es Gespenster, Wechselbälge von allen Größen
u. dergl., selbst Nichtschüler mischten sich unter die Masken. Die
Primaner trommelten und spielten die Janitscharenmusik, zu der die
Schule sämmtliche Instrumente besaß, die übrige Musik besorgten die
Stadtmusici und so durchzog der Zapfenstreich die ganze Stadt bis in
die kleinsten und abgelegensten Gassen. Bei den Wohnungen der Behörden
und sonstiger Notabilitäten wurde Halt gemacht und ein kurzes Ständchen
gebracht, wofür nicht selten eine Erfrischung in Bier verabreicht
wurde. Nach 10 Uhr traf der Zug wieder an der Schule ein, worauf Alles
nach Hause strömte. -- +Dienstag+, der zweite Tag, verlief ähnlich
wie der erste, früh 3 Uhr Reveille, dann um 6 Uhr Appell, dann der
erste Umzug, hierauf wieder Aufführung eines zweiten Lustspieles im
Rathhause und nach Tische der zweite Umzug. Letzterer sammelte sich
gegen 4 Uhr auf dem Marktplatz unter Anschluß der Reiterei. Von dieser
hatte Jeder auf seinen blankgezogenen Säbel eine Citrone gesteckt und
so ritten sie mehrmals im Kreise auf dem Platze umher. Dann zogen
Alle, die Reiterei voran, nach der Schule zurück, worauf man sich nach
Hause begab, um sich ½8 Uhr zum Zapfenstreich einzufinden, der auch
diesmal den Tag beschloß. -- +Mittwoch+, als dem dritten Tag, war keine
Reveille. Um 8 Uhr fand ein grotesker Aufzug statt, dessen Kostüm früh
erst angeordnet und bekannt gemacht wurde. Ein Mal wurden lauter Mohren
dargestellt und sämmtliche Schüler erschienen dann schwarz gefärbt, ein
anderes Mal kamen andere Wilde zur Vorführung u. dergl. Unter Vortritt
der Janitscharenmusik ging es nun durch die ganze Stadt; an beiden
Seiten gingen Schüler mit Sparbüchsen, deren Einnahme, die aus allen
Häusern gesammelt wurde, man zu dem am Abend zu veranstaltenden Balle
verwendete. Kehrte der Zug gegen 12 Uhr von seiner Wanderung an die
Schule zurück, so trat der Präfekt vor die Fenster des Rektors, der
im Schulgebäude wohnte, und brachte dem Superintendenten, sämmtlichen
Behörden, dem Rektor u. s. w. ein Lebehoch, welches von Allen dreimal
wiederholt ward. Um 2 Uhr war Alles abermals auf dem Platze, die
oberen Schüler in gewöhnlichem, anständigem Anzuge, die kleine
Gesellschaft aber noch in ihrem Festkostüm. Es begann der Auszug nach
einem vor dem Thore gelegenen öffentlichen Orte (das eine Jahr nach
„Gensel’s Garten“, das andere nach dem Schießhaus) unter schallender
Janitscharenmusik. Dort angekommen unterhielt sich Jeder auf seine
Weise, die Schüler der oberen Klassen tranken Bier und rauchten Tabak
aus Thonpfeifen, die der unteren hielten sich schadlos an Kuchen, den
die Frau des Schulkalfaktors daselbst feilhielt. Gegen Abend wurden die
drei unteren Klassen entlassen, Prima und Sekunda aber begaben sich in
die Stadt, um die von den Eltern erbetenen Mädchen zum Balle abzuholen.
Dieser dauerte gewöhnlich so lange, bis die Glocken zum Gottesdienst
des Himmelfahrtfestes riefen. So endete das Fest. -- Einige Tage später
gab der Rektor dem ganzen Lehrerkollegium einen solennen Schmaus. Er
konnte dieses um so eher, da ihm die Einnahme bei dem ersten Umzug, das
Eintrittsgeld bei dem zweimaligen Theater und das sogenannte Rollengeld
(jeder Schüler, der in einem Stücke auftrat, mußte diese Bevorzugung
mit einem entsprechenden Betrage von 10 Neugroschen bis einen Thaler
vergüten) zuflossen. Alle diese Gaben hingen zwar von dem Belieben des
Einzelnen ab, fielen aber oft sehr reichlich aus. -- 637. Ein früherer
Lyceist, der vor drei Jahren (1859) hochgeachtet und hochbetagt starb,
urtheilte über dieses Fest also: „Ich werde die drei so fröhlich
verlebten Tage nie vergessen. Freilich würde dieses Fest jetzt bei dem
höheren Bildungsgrade als abgeschmackt erscheinen, allein das damalige
Publikum (um 1800) vertrug schon etwas und die tolle Lust der Jugend
fand allgemeinen Beifall und Theilnahme. Die Spenden fielen reichlich
aus und Jeder trug sein Scherflein bei. Das Wetter hat uns immer
begünstigt. Auch kann ich mich nicht entsinnen, daß nur ein Mal ein
Exceß dabei geschehen oder daß Jemand zu Schaden gekommen wäre.“

§ 64 (638). +Das Schulfest der Bürgerschule.+ Dieses seit Errichtung
einer Bürgerschule im Jahre 1835 gebräuchliche Fest hat der Natur
der Sache nach einen ächt kindlichen Charakter, erfreut sich aber
dessenohngeachtet oder vielmehr eben deshalb der entschiedenen Gunst
des Publikums der Gegenwart. Es fällt auf keinen bestimmten Tag,
sondern wird je nach Umständen, gewöhnlich an zwei ersten Wochentagen
im Spätsommer abgehalten. Schon mehrere Tage vorher rüstet sich Alles
darauf. Die Mütter sorgen für nette Kleidung namentlich der Mädchen;
da wird genäht, gewaschen und geplättet, Kränze gewunden und allerlei
Festschmuck, Fähnchen, Stäbe u. s. w., neu aufgeputzt. Draußen vor dem
Thore, auf dem Schießhause und dem umgebenden Platze läßt man es auch
nicht an Vorkehrungen fehlen. Es werden Buden aufgeschlagen, Schaukeln
errichtet, „Reitschulen“ (Karoussels) aufgebaut u. dergl.; ganze Lager
Bier werden hinausgeschafft und die Bäcker bereiten sich auf vermehrten
Absatz vor. Am Tage vor dem Feste windet man Kränze und Guirlanden im
Schulhause, womit man das Gebäude im Inneren und auswendig festtäglich
anputzt. Ist endlich der +erste Festtag+ angebrochen, so durchziehen
vier Tamboure in der 7. Morgenstunde die Stadt, um den sehnsüchtig
harrenden Kindern das Zeichen zum Sammeln zu geben. Alsbald strömen
Schüler und Schülerinnen, diese meist mit Kränzen, die an einem Stab
getragen werden, jene mit grün und weißen Fähnlein, in festlichem
Schmuck fröhlich und lustig nach dem Schulgebäude. Zunächst sammeln sie
sich in den verschiedenen Klassen und werden von da, geordnet von ihren
Lehrern, auf den angrenzenden Neumarkt geführt. Hier stellt sich die
gegen achtzehnhundert Köpfe betragende Kinderschaar, voran die unteren
Abtheilungen, auf, und gegen 8 Uhr setzt sich der Zug in Bewegung.
Eröffnet wird derselbe durch den Primus der ersten Bürgerschulklasse,
der als Zeichen seiner Würde einen Marschallsstab trägt und geleitet
von seinen beiden Schulnachbarn langsam vorwärts schreitet. Hierauf
folgt das erste Musikchor, das einen munteren Marsch aufspielt, und
hinter demselben die Fahne der „Bürgerschule“, von einem Zögling
derselben getragen. Diesem Kopfe des Zuges schließt sich der Cötus an
und zwar zunächst die vier unteren Klassen der Bürgerschule. Jeder
Klasse schreitet bei den Knaben der Träger der Klassenfahne, bei den
Mädchen die Trägerin einer an einem Stab befestigten Lyra, voran. Etwa
in der Mitte des Zuges läßt ein zweites Musikchor seine heiteren Klänge
ertönen und nach diesem kommen drei Knaben, deren mittelster die Fahne
der gesammten Bürgerschule (d. h. Bürgerschule und Selekta) trägt.
Darnach folgen, an der Spitze ihre Fahne, die fünf Klassen der Selekta,
sowie die drei oberen Klassen der Bürgerschule, von denen die erste
Knabenklasse, bewaffnet mit Armbrüsten, den Schluß bildet. Zur Seite
des langen Zuges, der ein lebendiges Wogen von Fähnlein und Kränzen,
von weißen Kleidern und bunten Bänderschmuck darstellt, schreiten
ordnend und helfend die Lehrer der Anstalt. Man zieht inmitten einer
zahlreich sich drängenden Zuschauermenge, meist Väter und Mütter
oder andere Verwandte der festlich geschmückten Kinder, vom Neumarkt
hinunter nach dem Marktplatz, der mehrmals umwandert und dann von dem
dreireihig gestellten Kinderkreis, in der Mitte die Musikchöre und
das Lehrerkollegium, umschlossen wird. Hier stimmt man das Lied: „Den
König segne Gott“ an und läßt einige Vivats ertönen; dann kehrt der
Zug nach der Bürgerschule zurück, von wo man sich nach Hause begiebt.
Nach eingenommenen Mittagsessen erfolgt um 1 Uhr der Auszug von der
Bürgerschule aus nach dem Schießhausplatz, auf dessen weiter Fläche
sich bald ein vielgestaltiges Leben entwickelt. Für die verschiedenen
Wünsche der Kinder ist gesorgt. Mehrere Buden mit verschiedenen
Eßwaaren, wie sie der Bäcker und Konditor, auch der Fleischer liefert,
sind aufgestellt, allerlei Obst wird feilgeboten. Bier wird im
Schießhause verabreicht. Für die einzelnen Klassen sind Spielplätze
angeordnet: dort schießen die oberen Knaben einen Vogel ab, während
hier die Mädchen mit einem gußeisernen Stoßvogel, der an einer Schnure
schwebt, einem sogenannten Stechvogel, die Scheiben eines großen
Sternes zu treffen suchen. Dort drehen sich lustig die Reitschulen mit
fröhlichen Kindern übervoll besetzt, während hier eine Anzahl Schaukeln
Andere lustig hin und her schwenken. Eine Walze, wo es gilt, das
Gleichgewicht zu halten, damit man durch die Drehung derselben nicht
herabfällt, ist hier der Mittelpunkt eines Kinderkreises, während dort
Knaben oder Mädchen munter am Rundlauf sich herum schwenken. Hier sind
an eine Stange eine Anzahl Gegenstände, Pfefferkuchen, Schreibbücher
u. s. w. an lange Bindfäden geknüpft, wovon dem zu Theil wird, der mit
verbundenen Augen den Faden glücklich findet, während dort auf langem
in der Schwebe gehenden Balken zwei Parten sich jauchzend auf- und
niedersteigen lassen. Dazu kommen noch die verschiedensten anderen
Spiele, die im Freien gebräuchlich sind, Schlangeziehen, Haschen,
„mein Knötchen geht ’rum“ u. dergl. Ueberall sind Lehrer oder Zöglinge
der oberen Seminarklassen als Leiter und Mitspieler gegenwärtig, an
Preisen und Gewinnen fehlt es auch nicht und wo das eine Spiel zu
ermüden anfängt, ist bald ein Vorschlag zum Wechsel da und ausgeführt.
Zwischen diesem regen Leben wandern die Eltern und andere Zuschauer
auf und ab, bald hier bald dort stehen bleibend und ihre kleinen
Lieblinge beobachtend, oder man lagert sich auf den weichen Grasplatz
oder sucht in den für die Gäste aufgeschlagenen Zelten und Buden ein
Sitzplätzchen und erquickt sich mit Kaffee oder Bier oder schaut hinaus
in das wechselvolle Bild der sich belustigenden Jugend, oder horcht
auf die Klänge des Koncerts, das das Stadtmusikchor unter dem Schatten
der großen Linde ertönen läßt. Kurz Alles freut sich mit und an den
Kindern und erquickt sich an der heitern, lebensfrohen und doch sittsam
bescheidenen kleinen Welt. Nach 7 Uhr erschallen die Trommeln und geben
das Zeichen zur Rückkehr in die Stadt; der Zug ordnet sich von neuem
und kehrt unter den Klängen der Musik, unter Jubel und Jauchzen der
Kinder, umdrängt von dichten Zuschauerschaaren zur Bürgerschule zurück,
von wo man sich nach Hause begiebt. Am Morgen des +zweiten Festtages+
nach 8 Uhr ziehen die Kinder abermals in der beschriebenen Weise auf
den Schießanger, dort empfängt jedes einen „Butterstollen“ und nun
beginnt Spiel und Lust von neuem. Mittag 1 Uhr vereinigt ein Festmahl
die Lehrer sammt den Spitzen der Behörden und zahlreichen Freunden der
Schule, das in der heitersten, geistig gemüthlichen Stimmung gewöhnlich
bis nach drei Uhr sich ausdehnt. Der Nachmittag verläuft abermals
im unermüdeten Genießen der gebotenen Spiele seitens der fröhlichen
Kinderschaaren, im Schauen und Sichmitfreuen des wieder zahlreich
versammelten Publikums, bis endlich der hereinbrechende Abend der
Festlust ein Ende macht und der Einzug nach der Stadt die zwei frohen
Tage schließt. Ein gemüthliches Tanzvergnügen vereinigt gewöhnlich noch
Lehrer und deren Freunde bis in die späteren Nachtstunden, worauf ein
schulfreier Tag Lehrenden und Lernenden die nöthige Ruhe gewährt und
Herz und Sinne wieder in die gewohnten Gleise zurückkehren läßt.

639. Mit gleicher Betheiligung der Eltern an dem Freudenfest ihrer
Kinder feiern auch die meisten anderen Städte und Dörfer des Gebirges
ein +Schulfest+ seitens der Volksschulen mit Umzug, Spielen im Freien
und allerlei leiblichen Genüssen.

640. Außer den Spielen und deren Vereinigung im Schulfest ist während
der zweiten Hälfte des Sommers ein Hauptvergnügen namentlich der
ländlichen Jugend, das „in die +Beeren+ gehen.“ Dort, wo noch größere
Waldungen an die Ortschaften grenzen, ziehen Knaben und Mädchen in der
Zeit, wo die Heidelbeeren, hier „Schwarzbeeren“ genannt, reifen, oft
schon am frühen Morgen mit Tragkörben, in denen Töpfe und Krüge sich
befinden, hinaus in den Wald, um Beeren zu sammeln. Am Abend kehren sie
dann mit gefüllten Körben zurück. Außerdem werden fast täglich, wenn es
die Witterung erlaubt, nach beendigten Schulstunden kleinere Streifzüge
„in die Beere“ unternommen und für manche ärmere Familie sind diese
eingetragenen Waldbeeren ein werther Zuschuß zu des Lebens Bedürfnissen
(vgl. 865-870).

§ 65. ~d.~ +Herbst.+ 641. So lange die Witterung es gestattet, dauert
die Lust der Kinder im Freien fort. Spiele und Herumstreifen in Flur
und Wald, sowie die Betheiligung bei dem Ernten des Getreides und der
anderen Feldfrüchte, insbesondere der Kartoffeln, gelten der leicht
befriedigten und nach Thätigkeit trachtenden Jugend als Feste. --
642. Das +Hüten des Viehes+ ist bereits bei dem Frühling erwähnt: im
Herbste erreicht es seinen Höhepunkt, denn nun sind mit Ausnahme der
Kartoffel-, Kraut- und Rübenfelder die Fluren leer und es kann vom
Michaelistag (29. September) an, wie die Hirten zu sagen pflegen: „über
und über gehütet werden“, d. h. die Heerden dürfen auf die abgeernteten
Felder, auf Wiesen u. s. w. auch anderer Besitzer getrieben werden,
ohne daß diesen ein Verbietungsrecht zusteht. Es bleiben dann meist die
Hirten vom Vormittag bis Abend ohne Unterbrechung auf dem Felde (vgl.
618 u. 871-875). Vgl. auch 781.

§ 66. 2. +Feste und Vergnügungen der erwachsenen Jugend.+ Das
Hauptvergnügen der erwachsenen Jugend ist auch im Gebirge der +Tanz+.
Die verschiedenen Tänze der ländlichen Bevölkerung haben nichts
Charakteristisches, es sind meist Rundtänze, nur mit etwas ungenirteren
Manieren, tollerer Lust und geringerem Comfort als in der Stadt. Wir
erwähnen außerdem noch zwei Gebräuche (von denen der zweite auch auf
Bällen der gebildeteren Kreise vorkommt):

643. Die gewöhnlichen +Tänze+ sind: Rutscher, Dreher, Walzer, Reiter,
„Hopsel“, baierische Polka oder „Sackmütze“; Galopp, Schottisch,
Tirolienne. Letztere drei haben erst in der neuesten Zeit auch bei der
ländlichen Bevölkerung, d. h. bei der jüngeren Generation, Eingang
gefunden.

644. +Burkard+: Mitunter machen die Tanzenden unter sich aus, daß die
Jungfrauen die Rolle der jungen Burschen übernehmen, d. h. diese werden
von jenen zum Tanz aufgefordert, sowie von ihnen mit Bier u. s. w.
bewirthet. Man nennt dies „Borkert“ oder „Burkert“. Ob diese Benennung
mit dem heiligen Burkhardus, dessen Gedächtnißtag der 14. Oktober ist,
in Zusammenhang steht, wissen wir nicht. Auf den städtischen Bällen
wird dieser Wechsel der Rollen als „Damenengagement“ bezeichnet.

645. Das +Heimblasen+: Ist das Tanzvergnügen zu Ende, so nimmt ein
Bauernbursche seine Geliebte am Arm und geht mit ihr vor den Platz der
Musikanten. Dort bestellt er, indem er ihnen den Rest seines Geldes
reicht, das „Heimblasen.“ Das Paar geht nun voran und die Musici geben
ihnen, einige lustige Märsche blasend, die weithin in die nächtliche
Ruhe hinaustönen, eine Strecke das Geleite. Darauf kehren diese zur
Schenke zurück, um abzuwarten, ob vielleicht ein anderes Paar denselben
Dienst begehre.

§ 67. Reste der sogenannten +Rockenabende+ finden sich noch hie und da
auf dem Lande.

646. An Winterabenden kommen eine Anzahl Spinnerinnen oder
Spitzenklöpplerinnen bei einer befreundeten Familie zusammen. Dabei
wird nun weniger gesponnen oder geklöppelt, sondern geplaudert und
erzählt. Die jungen Burschen stellen sich auch ein und geben der
Unterhaltung die höhere Würze. Ein Gläschen Schnaps und einige
„Schälchen feiner Kaffee“ (vgl. 876-878) erhöhen die heitere Stimmung.
Man nennt derartige Zusammenkünfte die „lange Nacht“, oder, finden
sie unter Klöpplerinnen zu der Zeit, wo diese aufhören bei Licht zu
arbeiten, statt, sagt man wohl auch „’n Klöppelstock versaufen.“ --
647. Mancherlei Schabernak wird dabei getrieben und verschiedene Spiele
verkürzen die Stunden der Nacht; z. B. eine Variation zu dem unter
Fastnacht (vgl. 594) erwähnten Aschtopftragen. Die jungen Burschen
gehen hinaus und beschließen einen bereit gehaltenen Topf den Mädchen
zu überreichen. Einmal füllt man denselben mit Bretzeln, ein andermal
mit Kaffee, oder mit Asche, mit Unrath u. s. f. Einer wird durch das
Loos bestimmt, den Topf hineinzutragen. Vermögen ihn dabei die Mädchen
fest zu halten, so wird er gebunden und zum Gelächter Aller im Dorfe
herumgeführt (Wünschendorf b. Lengefeld).

§ 68. Bei dieser Gelegenheit führen wir einige +Wettspiele+ an, wie
sie von Klöpplerinnen häufig ausgeführt werden (vgl. ~Dr.~ +Schubert+,
Oberlehrer an der Realschule zu Annaberg, „Barbara Uttmann und die
Spitzenklöppelei im Erzgebirge“, Aufsatz in Weber’s Volkskalender für
1861).

648. Das „+Haschen+“ findet entweder zwischen einer Mutter und ihren
Kindern, oder überhaupt zwischen einer geübteren und minder geübten
Klöpplerin statt und besteht darin, daß z. B. die Mutter dem Kinde
hundert, d. h. hundert gesteckte Nadeln vorgibt. Das Kind zählt
nun nach der ersten gesteckten Nadel fort und sagt laut: 101, nach
der zweiten Nadel 102 u. s. f., wogegen die Mutter nach der ersten
gesteckten Nadel mit 1 anfängt, nach der zweiten Nadel 2 u. s. w.
zählt. Beide zählen nun ihre gesteckten Nadeln für sich, aber laut
fort. Hat nun die Mutter die ebensovielste Nadel gesteckt, wie sie das
Kind fortgezählt hat, dann hat jene dieses eingeholt oder „gehascht.“
Je länger es dauert, bis sie dahin kommt, desto fleißiger und
geschickter ist das Kind. -- 649. Das „+Zählen+“ findet zwischen zwei
Klöpplerinnen von gleicher Fertigkeit oder Gewandtheit statt. Nach der
ersten gesteckten Nabel sagt die eine: „Bist mir eine“ (nämlich Nadel),
und hat die zweite die erste Nadel gesteckt, dann antwortet sie: „Bin
dir keine“ u. s. w. Angenommen, daß der einen ein Faden reißt oder
sonst in der Arbeit eine Verzögerung eintritt, die andere aber dieselbe
ununterbrochen fortsetzen, d. h. ihre Faden schlagen und die nach jedem
Schlage nöthige Nadel fortstecken und der Andern voraus zählen kann,
so überholt sie natürlich ihre Mitarbeiterin um ein großes Stück. Je
weiter diese nun in ihrem Zählen: „bist mir zwei, bist mir drei“ u. s.
w. vorschreitet, desto emsiger muß jene dann arbeiten, um diese Nadeln
wieder herunter zu arbeiten und das Guthaben auszugleichen. An dem
raschen Zählen kann man die Fertigkeit einer Klöpplerin bemessen. Wenn
man hört, wie schnell das Zählen der Nadeln nacheinander folgt, und
dabei erwägt, daß von den beiden Klöppeln jeder zu dem ganzen Schlag
dreimal oder zum halben Schlage zweimal um seine Axe gedreht und dann
die Kreuzung der gedrehten Faden erfolgen muß, bevor die Nadel gesteckt
und die Masche gebildet werden kann, dann erstaunt man, wie alle
diese Bewegungen in so kurzer Zeit erfolgen können. -- 650. Bei dem
„+Wetten+“ zwischen zwei oder mehreren Klöpplerinnen bestimmen sie sich
gegenseitig die innerhalb einer gewissen Zeit, gewöhnlich einer halben
bis einer ganzen Stunde, zu fertigende Arbeit. Wer mit seiner Arbeit
zuerst fertig ist, erhält von jeder der übrigen Klöpplerinnen eine
Stecknadel als Gewinn. -- 651. So einfach diese Mittel scheinen mögen,
so tragen sie doch nicht wenig dazu bei, den Fleiß zu steigern, die
Fertigkeit zu vergrößern, die Leistungen zu erhöhen und den so geringen
Verdienst der Klöpplerinnen wenigstens relativ zu vermehren.

§ 69. Von Handwerksgebräuchen der +Gesellen+ sind uns folgende
zwei mitgetheilt worden, die bis in dieses Jahrhundert in Annaberg
stattfanden.

652. +Der Umzug der Posamentirgesellen+: Am dritten Pfingstfeiertag
Nachmittags hielten die Posamentirgesellen einen solennen Umzug mit
Musik, welcher mit Trompetenfanfaren, die vom Thurme geblasen wurden,
abwechselte. Den Zug eröffneten zwei Harlekine in aus lauter bunten
Tuchflecken zusammengestückten Anzügen, dazu spitzen Hüten, unter denen
bemalte Gesichter schmunzelten, in der Hand die Pritsche. Dann folgten
die übrigen Gesellen, welche die Insignien des Posamentirhandwerks und
hohe zinnerne Trinkkannen trugen. So bewegte sich der Zug durch die
Stadt nach der Herberge. Vor derselben bestieg einer der Harlekine
einen hölzernen Stuhl und brachte eine Anzahl Gesundheiten aus. Hierauf
zog man in die Herberge ein und verbrachte diesen und den folgenden
Tag unter Tanz und anderen, namentlich in Verkleiden bestehenden
Belustigungen. -- 653. Das +Deponiren+: Sämmtliche im Laufe eines
Jahres zu Gesellen gewordenen Lehrlinge mußten sich an einem bestimmten
Tage auf der Herberge einfinden, woselbst schon die früheren Gesellen
vereinigt waren. Jeder Novize mußte sich auf einen Stuhl setzen. Zuerst
bekam er hier von dem Altgesellen eine Ohrfeige. Dann trat ein anderer
Geselle, der als Zimmermann gekleidet war, vor und bearbeitete den
Neuling mit einer hölzernen Axt, um, wie man sagte, die anhängenden
Spähne abzuhauen. Ein Anderer seifte ihn hierauf ein und barbierte ihn
mit einem hölzernen Messer; es folgten dann noch gegen zehn solcher
grober Manipulationen, die sämmtlich mit bezüglichen, dazu gesprochenen
stehenden Versen begleitet waren. Hatte der arme Bursche endlich
Alles geduldig über sich ergehen lassen, so galt er nun als richtiger
Geselle. Den Abend beschloß ein fröhliches Trinkgelag. Vgl. 659.

§ 70. 3. +Die Feste und Vergnügungen der Erwachsenen.+ Die Bevölkerung
des Obergebirges läßt sich, insofern durch Stand und Beruf gewisse
charakteristische Züge bedingt sind, in +drei+ Hauptgruppen zerlegen,
den Bürger in der Stadt, dem die Gewerbtreibenden auf dem Lande in
Sitte und Gewohnheit mehr oder weniger ähneln, den Bergmann und den
Landmann. Doch ist dadurch nicht ausgeschlossen, daß diese Unterschiede
vielfach in einander übergehen und sich vermischen. Vgl. +Sigismund+,
„Schilderungen vom Erzgebirge“, Briefe in der wissenschaftlichen
Beilage der Leipziger Zeitung, 1858, 1859; mit geringen Aenderungen
wieder abgedruckt in +Lorck’s+ Eisenbahnbüchern unter dem Titel:
„Lebensbilder vom Sächsischen Erzgebirge“, Leipzig, 1859, und (+Oehme+,
Stadtrath in Annaberg), „ein Bild für das Niederland von dem östlichen
Obergebirge“ (1858), S. 39 ff.

§ 71. ~a.~ +Der Bürger in der Stadt.+ Die gewöhnliche Erholung des
Bürgers ist der Besuch des Bierhauses. Entweder begiebt er sich nach
einem der vielen öffentlichen Schanklokale der Stadt oder deren
nächsten Umgebung oder er besucht denjenigen seiner Mitbürger, der
den +Reihschank+ hat. Letzterer ist eine eigenthümliche Einrichtung,
die sich in mehreren Städten und Städtchen des Obergebirges (z. B.
Annaberg, Buchholz, Marienberg u. s. w.) bis auf den heutigen Tag
erhalten hat.

654. Alle innerhalb der Ringmauern gelegenen Häuser haben die
Gerechtigkeit, Bier zu brauen und zu verschänken. Von dieser
Gerechtigkeit kann natürlich nicht gleichzeitig, sondern nur nach
einander Gebrauch gemacht werden. Die Reihenfolge wird durch das
Loos bestimmt. Wer nun sein Loos nicht verkauft, sondern sein
Gebräude, das für ihn dann in dem kommunlichen Brauhaus gebraut wird,
selbst ausschänken will, der verwandelt, wenn die Reihe ihn trifft,
seine Wohnung in ein Schanklokal. Die Fässer werden in den Keller
gebracht, er empfängt, sobald sein Vorgänger ausgeschenkt hat, die
erforderliche Anzahl Biergläser sowie die zinnernen Maßkannen durch die
Braudeputation, das Bierzeichen („das Bierreiß“) wird zum Dachfenster
herausgesteckt und der Bierschank „aufgethan“. Namentlich die Freunde,
Nachbarn, alle, die mit dem Wirth in geschäftlichen oder anderen
Beziehungen stehen, sowie Fremde, kommen nun zu Biere wie in eine
öffentliche Wirthschaft. Frugales Essen („kalte Speise“) ist ebenfalls,
natürlich Alles gegen baare Bezahlung, zu haben. Auch ist der Verkauf
über die Gasse gestattet. Je schneller das Bier abgeht, desto lieber
ist es dem Inhaber. Er hat dann in Kurzem den gehofften Nutzen und
kann zu seiner gewohnten häuslichen Ordnung wieder zurückkehren. Am
letzten Tage wird „den Gästen der Zapfen gegeben“, d. h. sie werden mit
Brod, Wurst und Häring traktirt. -- Im Falle, daß das bedungene und
übernommene Bierquantum nicht binnen 24 Tagen verschenkt ist, so nimmt
das Haus, was durch die Loosung als das nächstfolgende bestimmt ist,
das „Reiß“, jedoch darf der frühere Wirth seinen Vorrath noch selbst
verschenken.

§ 72. Eine andere Erholung des Bürgerstandes während der schönen
Jahreszeit ist das +Schießen+ mit Büchsen nach der Scheibe oder
mit der Armbrust nach dem Vogel. Zu diesem Behufe bestehen in
den Städten des Obergebirges, wie überall in ganz Deutschland,
Schützengesellschaften, deren Gründung, was unsere Gegend anbelangt,
meist im 16. Jahrhundert geschehen ist, als der Zeit, wo die Mehrzahl
der Städte des Obergebirges in Folge der fündig gewordenen Silberadern
ihren Anfang genommen haben. Wir führen zur Charakteristik einiges
über die zu Annaberg bestehenden beiden +Schützengesellschaften+, die
Büchsenschützen und die Armbrustschützen, an.

655. Die Gesellschaft der +Freischützen+ oder +Büchsenschützen+ hat
ihren ersten Auszug im Jahre 1507 gehalten. Ihre Dienstleistungen
bestanden darin, daß sie, abgesehen von den Schießübungen, bei
Jahrmärkten, Feuers-, Kriegs- und anderen Gefahren die nöthigen Wachen
gegen Vergütung verrichtete, nicht minder zu Visitationen, Exekutionen
und als Eskorte, sowie bei feierlichen Aufzügen zur Erhaltung guter
Ordnung gebraucht wurde. Bis zum Anfange des 7jährigen Krieges
genoß dieselbe einen landesherrlichen „Vortheil“ von 43 Thalern
aus den Einkünften des Mühlenamtes Annaberg. In Folge eines von dem
Annaberger Kauf- und Handelsherrn Christoph +Gülden+ (starb 1604)
gestifteten Legates empfing die Gesellschaft bei den 25jährlichen
„Aufschießen“ je einen Thaler aus der Stadtkasse, den sogenannten
„Rathsvortheil“, sowie, ebenfalls in Folge eines Vermächtnisses, den
„Musketen-Thaler“. Die Stadtkämmerei mußte ihr ferner jährlich sechs
Paar größere und sechs Paar kleinere Scheiben, im Ganzen also 24 Stück,
verabreichen, sowie der Rathskellerpachter zu dem Auszuge acht alte
Kannen Wein liefern. Diese Emolumente sind jedoch in neuerer Zeit
mit einem Gesammtkapital von 526⅔ Thaler abgelöst worden. Außerdem
sind dem Verein von einigen Freunden Legate ausgesetzt, wovon die
Zinsen an bestimmten Tagen ausgeschossen werden und zwar 1. 60
Thaler von dem Geleits- und Landaccis-Kommissar Mathesius im Jahre
1801; 2. 25 Thaler von den Erben des Kaufmann und Bürgermeisters
Christian Jakob Eisenstuck im Jahre 1811; 3. 50 Thaler vom Kaufmann
und Bürgermeister Querfurth im Jahre 1817; 4. 50 Thaler von dem
Kaufmann und Bürgermeister Benedikt im Jahre 1826. An der Spitze
der Gesellschaft steht ein Hauptmann; die Gliederung abwärts ist
militärisch: ein Oberlieutenant, vier Lieutenants, ein Feldwebel,
zwei Sergeanten, drei Jaloneure, acht Korporale und die gewöhnlichen
Schützen. Außerdem gibt es noch zwei Aelteste, den Schützenschreiber
und Kassirer. Die Uniform besteht in blauen Röcken mit silbernen
Knöpfen, schwarzsammtenen Kragen und Aufschlägen, ferner schwarzen
Tuch- oder weißen Leinwandbeinkleidern und Schützenhut mit weißen
und grünen Hahnenfedern. Die Chargirten haben als Abzeichen am
Kragen silberne Tressen und die höheren Offiziere außerdem noch
Epauletten und Säbel, während die übrigen nur kurze Seitengewehre
tragen. Jeder, der Mitglied wird, verpflichtet sich, auf 20 Jahre der
Gesellschaft anzugehören und muß jährlich mindestens zehn Schießtage
(jeden zu 45 Pfennigen Einlage) abschießen, sowie außerdem beim Aus-
und Einzuge je 62 Pfennige einlegen. Im Laufe des Jahres werden
+vier+ Feste gefeiert: 1. das „Quartal“ (bis 1861 Mittwoch in der
Osterwoche, seit 1862 aber 14 Tage nach Fastnacht), bei welchem der
Rechenschaftsbericht abgelegt und ein neuer Aelteste gewählt wird;
2. der Auszug (s. u.) am Montag nach dem Sonntag Quasimodogeniti; 3.
das Augustvogelschießen und 4. der Einzug, gewöhnlich im September,
wenn alle Legate und Vortheile aufgeschossen sind. Außerdem werden
zwischen Auszug und Einzug 25 Schießtage, gewöhnlich des Sonntags nach
beendigtem Nachmittagsgottesdienst, gehalten, wo der Schütze für seine
Einlage drei, am Tage des Auszugs vier Schüsse frei hat. Während der
Schießübungen sitzen der Jour habende Offizier, der Schützenschreiber
und die beiden Aeltesten an dem erhöhten Schützentisch in der Mitte des
Schießstandes. Auf jenem steht eine drei Viertelellen hohe Trinkkanne,
der sogenannte „Willkommen“. Auf dem Deckel derselben ist ein Knopf und
über diesem hängt ein Kranz von etwa 8 bis 9 Zoll im Durchmesser, der
aus einer Menge alter Münzen von verschiedener Größe und verschiedenem
Werthe, die an starkem Drahte befestigt sind, besteht. An diesem
Kranze ist eine Hülse, in welcher ein großer, frischer Blumenstrauß
steckt. Wer getroffen hat, muß an den Schützentisch treten, um es zu
melden. Dies geschieht aber nicht in Worten, sondern durch Riechen
an den Blumenstrauß. Der Gewinn oder „Vortheil“ („Vortel“) an einem
gewöhnlichen Schießtage besteht in 18 Neugroschen und einem zinnernen
Teller, doch kann solchen nur ein wirkliches Mitglied und auch nur
einmal jährlich erhalten. Als Gegengabe hat der glückliche Schütze für
den nächsten Schießtag einen frischen Strauß auf den Kranz zu besorgen.
Der Preis auf den Königsschuß, der am Tage des Auszuges gethan wird,
beträgt 3⅓ Thaler. An einem besonderen Schießtage im Herbste wird
der sogenannte „Musketenthaler“ geschossen und am Tage des Einzuges
die „Ritterscheibe“. Letztere hat etwa eine Elle im Durchmesser und
ist mit einem Bilde bemalt, unter dem die Jahreszahl und die Namen
der jedesmaligen Aeltesten stehen. Auf jenem Bilde wird ein Kreis,
der jedoch nicht gerade im Mittelpunkte der Scheibe sich zu befinden
braucht, abgezirkelt und dessen Stelle nur der Jour habende Offizier
und die beiden Aeltesten kennen. Es ist daher blindes Glück, wer das
Centrum trifft. Diese Ritterscheiben werden aufbewahrt und es ist die
ganze Decke der Schützenstube mit denselben getäfelt. Außerdem sind
noch eine Anzahl interessanter Scheiben in und an dem Hause befestigt,
darunter auch die, nach welcher Kurfürst August der Starke bei einem
Besuche Annabergs, am 30. Juni 1708, auf dem Schießhause geschossen
und „einigemal scharf getroffen“ hat. -- 656. Zum Schluß geben wir
noch eine kurze Beschreibung des +Schützenauszuges+, dem der Einzug im
wesentlichen ähnelt: In früher Morgenstunde, doch nicht eher, „als bis
es so hell ist, daß man im Freien einen Brief lesen kann“, marschirt
durch die noch leeren Straßen das Musikchor, einen schmetternden Marsch
blasend. Unter den Instrumenten zeichnen sich besonders aus ein hoher,
hellblinkender, mit Roßschweifen gezierter „Halbmond“, ein anderes
mit lauter Klingeln behangenes pyramidenförmiges Messinginstrument,
die große Trommel und die Becken. Vor der Wohnung des ältesten (d.
i. bejahrtesten) Schützen, der „Aeltesten“ und anderer Chargirter
wird ein kurzes Ständchen gebracht und diese Reveille bis gegen 8
Uhr fortgesetzt. Hierauf versammeln sich die Schützen mit ihren
Offizieren auf dem Rathhause und von hier aus setzt sich der Festzug
in Bewegung. Denselben eröffnen 3 Jaloneure, die an ihren Büchsen
rothe Fähnlein befestigt haben. Diesen folgen 2-3 Kolonnen Schützen,
je zu 12 bis 16 Mann unter Anführung eines Offiziers. Hierauf kommt
das Musikchor, dem 8 Tamboure, unter Leitung des Regimentstambours,
voranschreiten. Letzterer trägt einen mit breiten Goldtressen und einer
Kokarde gezierten Hut auf dem Kopfe, ein breites Pandelier über die
Brust und in der Hand schwingt er den vergoldeten, mit grüner Schnur
umflochtenen Regimentsstab. Hinter der Musik geht, in der Mitte zweier
Begleiter, der vorjährige König im Festschmuck, mit Ehrenkranz und
Blumenstrauß. Ueber seinem Haupte flattert die Schützenfahne, von einem
Sergeanten mit zwei Mann Bedeckung getragen. Den Zug schließen die
übrigen Schützen, jede Kolonne unter Anführung ihres Offiziers. Auf dem
Schießhaus angekommen, beginnt alsbald das Schießen nach der Scheibe.
Mittag folgt Festessen und nach 2 Uhr wird das Schießen fortgesetzt bis
gegen 6 Uhr, wo man unter klingendem Spiele in die Stadt zurückkehrt.
Den Abend herrscht reges Leben in dem Schießhaus. Man vergnügt sich mit
Tanz und anderen Belustigungen bis spät in die Nacht.

§ 73. 657. Die +Armbrust-+ oder +Bogenschützen+ feiern ihr Schützenfest
sehr solenn in den ersten Tagen des August. Wir wollen dasselbe hier
nach der Weise beschreiben, wie es in den zwanziger Jahren dieses
Jahrhunderts gefeiert wurde, da es neuerdings vielfach von seinem alten
Glanze verloren hat, obgleich es immer noch ein sehr heiteres Fest,
namentlich für die höheren Stände ist. Montags früh wurde Reveille
geschlagen und um acht Uhr fand der Auszug statt. Den Zug eröffnete der
Zieler, welcher einen großen, hölzernen, einem Papagei ähnlichen Vogel
auf der Schulter trug; dann folgten die Bolzenjungen, deren gewöhnlich
jeder Schütze einen gemiethet hatte. Diese trugen die Rüstungen ihrer
Herren geschultert. Nun kam das Musikchor. Hinter diesem schritt der
vorjährige König des Hauptvogels, geleitet von zwei Rathsherren, dann
der König vom „Gesellenvogel“ in der Mitte der beiden Schützenältesten
und hierauf die übrigen Schützen mit den oft sehr zahlreichen Gästen.
Den Beschluß machte eine Kompagnie Freischützen (dies ist jetzt
beseitigt). Das Schießen nach dem Hauptvogel füllte nun diesen Tag,
sowie gewöhnlich den Vormittag des folgenden, war aber am ersten Tage
durch das Mittagsessen, das die meisten auf dem Schießhause einnahmen,
unterbrochen, sowie durch die zum Kaffee herauskommenden Frauen
verschönert und durch reiches Frühstück am zweiten Tage belebt. War der
Königsschuß endlich am Dienstag geschehen, so folgte großes Festmahl,
an dem auch die Frauen sich betheiligten. Nach dem Diner begann das
Abschießen des „Gesellenvogels“ durch die jüngeren Herren, sowie
gleichzeitig das jedoch erst in neuerer Zeit eingeführte Damenschießen,
wobei die Frauen und Fräuleins mittelst eines „Stechvogels“ (vgl.
638) einen Stern abschießen. War auch in diesen beiden Schießen der
Königsschuß geschehen, so folgte der +Einzug+ in der beim Auszug
angegebenen Ordnung, nur statt der vorjährigen Könige die neubeglückten
voran. Dem Zuge schlossen sich sämmtliche Damen, von Herren geführt,
an, an ihrer Spitze die Königin mit einem großen blumenreichen Kranze.
An diesem Abend folgte großer Ball, nachdem schon am ersten Tag ein
solcher, meist aber weniger besucht, stattgefunden hatte, und damit
schloß das Fest. -- Die Einlage beim Hauptvogel betrug 1½ Thaler, der
Gewinn 15 Thaler, die der Landesherr zahlte, einige schwere zinnerne
Teller, eine Anzahl Flaschen Wein und die Grasnutzung des Stadtgrabens
vom böhmischen bis zum Wolkensteiner Thore. Beim Gesellenvogel war
20 Neugroschen Einlage. Die Damen zahlen keine Einlage, gewinnen
aber nette Quincaillerien. -- Im Spätherbste fand dann noch der
+Vogelkönigschmauß+ statt, ein reichbesetztes Mittagsessen. Nach
aufgehobener Tafel folgte Kaffee, bei dem auch die Frauenwelt sich
einstellte, sowie am Abend Ball. -- 658. Ein eigenthümlicher Schmuck,
den sowohl der König der Armbrustschützen als der der Büchsenschützen
bei den Festzügen über Schulter und Brust trägt, ist ein großer
Kranz aus kleinen metallenen Scheiben, Schilder genannt, aus alten
seltenen Münzen bestehend. Die Büchsenschützen gebrauchen ihren alten
„Schilderkranz“ noch, die Armbrustschützen haben den ihren modernisiren
lassen. Vgl. auch „Michel’s Erzählung vom Vogelschießen in Annaberg“,
Gedicht in erzgebirgischer Mundart von Gottlieb Grund, dem „Annaberger
Naturdichter“ (oben bei 599 bereits angeführt), S. 186 ff.

§ 74. Außer den Schützenfesten, bei denen alle Stände und Innungen
vertreten sind, haben einzelne Korporationen und die verschiedenen
Zünfte ebenfalls ihre besonderen Festivitäten. Auch hier steht uns blos
ein skizzenhaftes Material zu Gebote.

659. +Der Bäckerauszug+: Bald nach Mittag 12 Uhr an einem Sonntage im
August versammeln sich die Bäcker+gesellen+, wohl auch einige Meister,
bei dem jüngsten Bäckermeister, der die Gesellenlade in Verwahrung
hat. Es beginnt der Zug, den das Musikchor eröffnet und der von den
Bäckergesellen und Mühlknappen (die Meister betheiligen sich höchstens
als Zuschauer) gebildet wird. Erstere erscheinen in schwarzem Frack
und Hosen, weißer Weste und Handschuhen, ein Dreimaster deckt den
Kopf und ein Degen ziert die Seite. Die Mühlknappen gehen in gleicher
Kleidung, haben aber außerdem noch Schurzfelle vorgebunden. Voran weht
die Fahne der Bäckerinnung, deren Träger zwei Marschälle zur Seite
hat. Die „Lade“ wird von zwei Gesellen getragen, ein dritter trägt
den „Willkomm,“ eine silberne Trinkkanne, ein Vierter einen mächtigen
Blumenstrauß. Der Zug bewegt sich durch mehrere Gassen und hält vor
der Wohnung des Obermeisters und des Vorsitzenden der Innung sowie der
obersten städtischen Beamten eine Weile still. Endlich zieht man in
die Restauration ein, wo das „Quartal“ abgehalten wird. Dort werden
zuerst die offiziellen Geschäfte (z. B. Bezahlung der Krankensteuer,
Rechnungsablage etc.) erledigt, dann folgt Abendessen, bis endlich Tanz
die Feier schließt. Das Recht zu diesem Auszug soll auf der tapferen
Vertheidigung +Wien’s+, bei der Belagerung durch die Türken im Jahre
1683, seitens der Bäcker beruhen; Kaiser Leopold I. habe in Folge
dessen den Bäckerinnungen des deutschen Reiches das Privilegium zu
solcher jährlichen Festfeier verliehen.

660. In mehreren Städten (z. B. in Buchholz, Elterlein) und Dörfern
(Sehma) des Obergebirges bestehen Vereine derer, die bei der
Aufführung von Kirchenmusiken sich betheiligen, die sogenannten
+Kantoreigesellschaften+. Dieselben haben wie andere Korporationen ihre
„Lade“ mit Urkunden und auf den Verein bezüglichen Denkwürdigkeiten,
sowie einen Ladenvater und übriges Vorstandspersonal. Im Oktober
feiert man zwei Tage lang den sogenannten Kantoreischmaus oder
„Kränzelschmaus“, den nach bestimmter Reihenfolge je ein Mitglied
ausrichtet, mit Umzug, Mittagsmahl, Kaffee, Tanz und Abendessen.

§ 75. (661). In Ehrenfriedersdorf giebt es eine
„+Thurmlautbrüderschaft+“ oder „+Thurmbrüderschaft+“, einen Verein,
welcher gegenwärtig (1862) aus 30 Mitgliedern besteht. Der Zweck
dieses Vereins ist: das Einlauten an den drei hohen Festen, sowie
am Neujahrsfest, und überhaupt das Lauten bei jeder festlichen
Gelegenheit, zu besorgen. Was die Veranlassung gegeben hat, diesen
Verein zu bilden, weiß man nicht und über die Zeit der Entstehung
ist nur so viel bekannt, daß sie in den Anfang des 17. Jahrhunderts
fällt. Im Jahre 1772, wo in Ehrenfriedersdorf 596 Menschen in Folge der
Hungersnoth starben, starb dieser Verein bis auf 3 Mitglieder aus. Doch
diese kamen ihrer Pflicht mit Hilfe ihrer Frauen getreulich nach, bis
sich die Mitglieder wieder vermehrten. Die Einrichtung dieses Vereins
ist innungsmäßig. Die Mitglieder nennen sich „Brüder,“ besitzen eine
Lade und werden von einem Ladenvorsteher, einem Ladenschreiber und
einem Kassirer geleitet. Wer Mitglied oder vielmehr „Bruder“ werden
will, darf nicht unter 21 und nicht über 35 Jahre alt sein, und muß
bei seinem Eintritt einen Thaler Eintrittsgebühren bezahlen. Söhne und
Anverwandte haben nach dem Tode eines „Bruders“ den nächsten Anspruch
auf Annahme. Alle Jahre, den 7. Januar, wird das Stiftungsfest oder
„Hauptquartal“ gehalten. An diesem Tage versammeln sich die Brüder,
schwarz gekleidet, in der Wohnung des Ladenvorstehers, von wo aus sie
in geordnetem Zuge mit Musik, welche, nach den Statuten, den Choral:
„Ich freue mich in dir“ spielt, an den Ort, wo sie ihre Festlichkeit
halten, ziehen. Die Ordnung des Zuges wird nach der Aufnahme der
„Brüder“ bestimmt, so daß die ältesten oder die am längsten Thurmbrüder
sind, voranschreiten. Früher wurde bei diesem Zuge eine aus Pappe
nachgebildete Glocke mit herumgetragen. Die Festlichkeit besteht,
nach gehaltenem Quartale, in einem einfachen Festmahle und darnach in
gemüthlichen Belustigungen, wie Gesellschaftsspielen, Deklamationen,
Gesang etc. Während des Quartals, sowie beim Dienste auf dem Thurme
ist alles unnütze Reden, Zanken, Fluchen, Schwören und Tabakrauchen
bei Strafe verboten; ebenso auch alle Nachlässigkeit im Kommen
zum Lauten und alles unfriedliche, unsittsame und ungebührliche
Betragen beim Nachhausegehen vom Thurme, sowie das Wegbleiben aus
dem Gottesdienste am ersten Feiertage der drei hohen Feste und am
Neujahrstage. Für ihre Bemühungen erhalten „die Brüder“ jährlich 1
Thlr. 25 Ngr. auf der Stadtkasse. Dies ist für das viermalige Lauten
an den hohen Festen und am Neujahrstage; besondere Fälle werden
besonders vergütet. -- Stirbt ein Bruder, so haben die Hinterbliebenen
für das Begräbnisgeläute nichts zu bezahlen, weil es ein Theil der
Brüder selbst thut, während der andere Theil den Verstorbenen zur
Ruhestätte begleitet, ihn auch womöglich trägt. Die „Thurmbrüderschaft“
unterhält auch eine Begräbnißkasse unter sich, aus welcher bei jedem
Sterbefalle gegenwärtig 5 Thaler gezahlt werden. -- Im Jahre 1821
feierte ein Weißgerber, Kreyer mit Namen, sein 50jähriges Jubiläum als
„Thurmbruder.“

§ 76. In den Ortschaften des Gebirges fehlt es wie anderwärts
selbstverständlich nicht an zahlreichen Vereinen theils zu
wissenschaftlichen und allgemeinen Bildungszwecken, theils zur Pflege
gewerblicher, geselliger, oder wohlthätiger Absichten (in Annaberg
besteht sogar ein homöopathischer Verein): es giebt Gewerb- und
Lesevereine, Tauben- und Blumenvereine, Gesang- und Musikvereine,
Frauenvereine, Brüderschaften (Sehma), Gesellschaften für heitere
Unterhaltungen mit allerlei Namen u. s. w. Alle diese Vereine feiern
zu bestimmten Zeiten ihre Feste oder halten sonst Zusammenkünfte,
bieten aber sonst nichts Eigenthümliches, so daß wir von einem näheren
Eingehen auf dieselben absehen.

§ 77. +Jahrmärkte.+ Ein charakteristisches Gepräge tragen theilweise
noch die Jahrmärkte und wir schalten dieselben hier ein, da sie mit den
Handel und Gewerbe treibenden Ständen zunächst im Zusammenhange stehen.
Im Uebrigen sind sie Volksfeste, an denen sich alle Stände betheiligen.
Freilich verlieren sie in der neuern Zeit immer mehr von ihrer Poesie,
seitdem die Quacksalber und Zahnbrecher von ihnen verschwunden, die
Händler mit den „Planeten“ (§ 17) und die Bänkelsänger mit ihren
Schauergeschichten, die sie durch Bild und Lied illustriren, seltener
werden, die verschiedenen Bedürfnisse des Lebens auch auf kleineren
Dörfern jederzeit zu haben oder in Folge der besseren Straßen und
des gesteigerten Verkehrs aus der nächsten Stadt leicht zu beziehen
sind, und überhaupt auch der schlichte Landmann das horazische ~nil
admirari~ (über nichts zu erstaunen) gelernt hat. Dennoch aber haben
die Jahrmärkte, namentlich diejenigen gewisser Orte oder zu bestimmten
Zeiten, im Gebirge noch immer eine Art ererbte Zugkraft und wirken
vorzüglich in dem jüngeren Geschlecht der Städte und in einem großen
Theil der Dorfbewohner eine stille Sehnsucht und laute Begeisterung für
ihre Freuden und Genüsse. Letztere, weniger der Zweck zu kaufen, bilden
den Glanzpunkt für die Einbildungskraft des besuchenden Publikums.

662. Die +Annaberger Märkte+. Annaberg hält zwei Märkte, Montag nach
Lätare und Montag nach St. Anna (26. Juli). Letzterer dauerte früher
acht Tage und wurde mit der Rathhausglocke ein- und ausgelauten.
Tanz und Musik, Bier und Branntwein, Grog und Punsch, Wein und
Kaffee, Häring und Pöklinge, Wurst und saure Gurken, Kuchen und
Pfefferkuchen, Elektrisirmaschine und Liebesspiegel, Bänkelsänger und
Fleckseifenmänner u. s. w. sind etwa die Stichwörter für das, was vor
Allem anzieht und fesselt.

663. Der +Buchholzer Markt+. Buchholz hat Einen Jahrmarkt am Montag
+vor+ St. Katharina (25. November). Derselbe wird namentlich zum
Einkauf von Wintersachen benutzt und bietet ebenfalls einen Reichthum
aller möglichen Genüsse. Vgl. „der Jahrmarkt zu Buchholz“, Gedicht in
erzgebirgischer Mundart von +Grund+, S. 190 ff.

664. Der +Auer Markt+. Derselbe fällt in der zweiten Hälfte des August,
Montag nach Bartholomäus. Lange vorher wird geklöppelt und gespart, um
nach Aue auf den Markt zu gehen; selbst die kleinsten Kinder werden auf
dem Arm dahin getragen. Jede Frau kauft sich ein kleines Töpfchen und
eine Bratwurst, was sie dann mit nach Hause nimmt. Viele Leute rechnen
ihren Geburtstag darnach, indem sie sagen: „soviel Wochen vor oder nach
dem ‚Draarmark‘“ (Dreiermarkt). Ueberhaupt ist derselbe der größte
„Freßmarkt“ in der Umgegend und wer davon nach Hause geht, ohne gehörig
angeheitert zu sein, ist kein rechter Kerl.

§ 78. ~b.~ +Der Bergmann und seine Feste.+ Ein wesentliches Glied
in der obergebirgischen Bewohnerschaft ist, trotz der geminderten
Ergiebigkeit der unterirdischen Schätze, noch immer der Bergmann.

665. Das +Leben des Bergmanns+. Am frühen Morgen erhebt er sich von
seinem Lager, begrüßt die Seinen mit einem frohen „Glück auf!“ und
nimmt sein einfaches Frühstück ein. Hierauf zieht er den blousenartigen
Bergkittel an, schnallt das Bergleder mit der daran befestigten
Blende um und setzt den Schachthut auf. Herzlicher als Andere nimmt
er von Weib und Kind Abschied, weiß er doch nicht, ob er von seinem
gefahrvollen Tagewerk wiederkehrt, und begiebt sich auf den Weg zu
seiner Grube. Dort versammelt er sich mit seinen Mitarbeitern in der
Betstube des Huthauses zu der gewöhnlichen Morgenandacht. Es wird ein
Lied aus dem Gesangbuch gesungen und ein gemeinsames Gebet gesprochen.
Nun begiebt man sich in den Schuppen, wo die Werkzeuge aufbewahrt sind.
Der Bergmann nimmt Fäustel und Bohrer, die Fimmeln (eiserne Keile) und
die Brechstange, Schaufel und Kübel und schafft dieselben, entweder
selbsttragend oder mit Hilfe eines sogenannten „Hundes“ (d. i. eines
Bergkarren) vor Ort. Er beginnt seine Arbeit: mit Fäustel und Bohrer
sprengt er ein Loch von einer halben bis drei Viertel Elle Tiefe in den
Felsen, reinigt es und treibt, nachdem er eine eiserne oder kupferne
„Nadel“ hineingesteckt hat, wieder Steine oder harten Lehm darauf.
Dann wird die Nadel herausgeschlagen und in die Oeffnung zwei bis drei
mit Sprengpulver gefüllte Raketen gesenkt, an deren oberster Spitze
ein Stück Schwefelfaden befestigt ist. Letzterer wird angezündet, der
Bergmann eilt zu einem geschützten Ort und der Schuß erfolgt. Ist die
Gefahr vorüber, so begiebt sich der Arbeiter wieder an den Sprengort,
räumt den losgesprengten Schutt in den Kübel, der dann mittelst Haspel
nach oben abgeführt wird und sieht, ob er gute Anbrüche gewonnen. So
arbeitet er „tief unter dem Schall der menschlichen Rede“ im einsamen
Schacht bis Mittag, fährt dann aus und verzehrt oben im Lichte des
Tages sein einfaches Mittagsbrod. Ein kurzes Schläfchen stärkt ihn
zu neuer Arbeit, die er am Nachmittag bis zum Abend fortsetzt. Nun
ist sein schweres Tagewerk vollbracht und er eilt heim zu den Seinen,
die ihn freudig begrüßen. Mit ihrer Hilfe legt er die schmutzigen
Kleidungsstücke ab und erholt sich nun beim schlichten Abendbrod,
umgeben von Weib und Kind, bis er das nächtliche Lager aufsucht.

§ 79. Das +Bergfest+. Einen Lichtblick im einförmigen Leben des
Bergmanns bildet das jährliche Bergfest, das in einigen Bergstädten
des Gebirges zu Fastnacht (Marienberg, Ehrenfriedersdorf), in Annaberg
früher auch an diesem Tage, seit 1821 aber an einem Donnerstag in der
Mitte des Juli (in der 2. Woche im Quartale Crucis) gefeiert wird. Wir
lassen eine Beschreibung des letzteren folgen.

666. Am Morgen versammeln sich die einzelnen Bergleute bei ihrem
Steiger. Dort wird eine kurze Morgenandacht, in Gesang und Gebet
bestehend, gehalten und ein Imbiß eingenommen. Mit ihrem Steiger an
der Spitze begeben sich nun die einzelnen Trupps auf den allgemeinen
Sammelplatz, den Marktplatz. Eine Abtheilung holt hierauf unter dem
Schall der Musik die Fahne aus dem Bergamtsgebäude. Nachdem dieselbe
bei dem übrigen angelangt ist, setzt sich der Zug in folgender Ordnung
in Bewegung. Voran schreitet ein Schichtmeister in sogenannter ganzer
Parade: Den Kopf bedeckt der 7 Zoll hohe cylindrische Schachthut mit
grünem Manchester überzogen, oben und unten mit Goldtresse eingefaßt,
vorn das königliche Wappen aus Blech getrieben und vergoldet, an der
linken Seite die sächsische Kokarde, aus welcher der schwarze, unten
gelb unterbundene 7 Zoll hohe Federstutz hervorragt. Den Oberleib
bedeckt die „Puffjacke“, eine enganliegende bis in die Taille
reichende Jacke von blauschwarzem Tuch in kurze Schößchen auslaufend,
vorn mit einer Reihe vergoldeter Knöpfe und oben mit stehenden
goldbetreßten Kragen von schwarzem Manchester, darauf ein silberner
Stern. Auf den Schultern Patten von schwarzem Manchester mit goldenen
Franzen, dann am Oberarm enggefältete Tuchpuffen, und am Handgelenke
Aufschlagspatten von +weißem+ Tuch. Der Unterleib ist mit engen weißen
Tuchbeinkleidern, woran sich Kamaschen von weißem englischen Leder
schließen, bedeckt; um die Kniee sind die schwarzledernen Kniebügel
und hinten das ebenfalls schwarze Bergleder befestigt. An der Seite
hängt der Säbel mit vergoldetem Gefäß in schwarzer Lederscheide. In
der Rechten trägt der Steiger einen schwarzen Stock, dessen Griff
das vergoldete Steigerhäckchen bildet, sowie vorn an der Brust das
Tzscherpertäschchen von Leder mit zwei Tzscherpern (Messern mit drei
Zoll langer Klinge und drei Zoll langen beinernem Heft). -- Hinter
dem Schichtmeister folgen die Knappschaftsältesten, ähnlich wie
dieser gekleidet, nur statt des Hutes den Kopf mit der sogenannten
„fliegenden Kappe“ bedeckt, einer Art Haube von weißer Leinwand,
hinten mit weißem zwei Zoll breiten, flatternden Bande. Es kommen
nun drei Züge Häuer, jeder Zug in drei Reihen zu 6 Mann marschirend
und angeführt von je einem Steiger. Die Häuer tragen Schachthüte und
Paradekittel von schwarzer Leinwand, unter deren liegendem Kragen
ein mit Spitzen besetzter weißer Leinwandkranz hervorsteht. An die
bis zu den Knieen reichenden weißen Leinwandbeinkleider schließen
sich weiße Strümpfe und schwarze Schuhe; dazu kommen noch Kniegürtel,
Bergleder und Tzscherpertäschchen. Auf der rechten Schulter tragen
sie die Bergbarde, eine beilartige Waffe an 5 Viertel Ellen langem
Stiel. Es schließt sich das Chor der Berghoboisten an, d. i. das
städtische Musikchor in Bergmannstracht, und zwar schwarze Kittel und
Schachthüte mit goldgelben Tressen besetzt. Außer den gewöhnlichen
Blasinstrumenten sind die „russischen Hörner“ eigenthümlich, deren
längstes Mannshöhe hat, sowie der Transport der Pauken. Letztere werden
auf einem Gestelle von zwei Bergjungen an weiß und grünen Tragbändern
vor dem Paukenschläger getragen. Nach dem Musikchor erblicken wir die
mit Goldtressen besetzte Bergfahne, die auf weißseidenem Grunde das
sächsische Kurwappen entfaltet. Sie wird von dem ältesten Steiger
getragen, zu dessen Seiten je ein Obersteiger einherschreitet.
Dahinter gehen die Beamten der theilnehmenden Gruben in halber Parade,
d. h. in blauschwarzer mit goldenen Tressen und Knöpfen besetzter
Kleidung, an der Seite den Säbel, auf dem Kopfe den dreieckigen
Hut mit grünseidener silberner Kokarde. In ihrer Mitte haben sie
den Bergprediger (Annaberg hat bekanntlich die einzige Bergkirche
Sachsen’s, dessen Geistlicher gegenwärtig zugleich Diakonus an der
Stadtkirche ist) in seiner Amtstracht. Das Centrum des Zuges bilden
die Berghandwerker. Die Bergschmiede erscheinen in weißen mit rothen
Puffen versehenen Oberhemden mit schwarzem Kragen und Aufschlägen,
dazu weiße Beinkleider. Die Lenden sind mit dem schwarzen Schurzfell
umgürtet, den Kopf bedeckt ein schwarzer Schachthut und in der rechten
Hand tragen sie den Hammer. Die Maurer sind mit grünem Schachthut,
schwarzem Kittel und weißen Hosen, in denen an der Seite eine Schmiege
steckt, und gelbem Schurzfell bekleidet. Als Stab führen sie ein
langes Ellenmaß in der Hand. Die Zimmerlinge gehen wie die Häuer, nur
ruht, statt der Bergbarde, eine Axt auf ihren Schultern. Nach diesen
Berghandwerkern folgen einige Züge Häuer, dann einige Züge Lehrhäuer.
Letztere sind daran kenntlich, daß sie keine Kniebügel haben. Bei
den Knechten, die mit den Bergjungen den Schluß bilden, fällt auch
noch der weiße Landwandkragen und das Tzscherpertäschchen weg, und
statt der Barde stolzieren sie mit gewöhnlichen Stöcken einher. Die
Bergjungen ermangeln auch der Stöcke. Der letzte Mann des Zuges ist
der jüngste Steiger. Der wohlgeordnete Zug, aus etwa 300 Personen
bestehend, marschirt nun unter den Klängen der Musik in die Kirche,
wo Gottesdienst mit Predigt abgehalten wird. Dann wird auf den Markt
zurückgezogen, von wo aus die Theilnehmenden sich zerstreuen, um dann
mit ihren Frauen zurückzukehren und den Rest des Tages bei Tanz, Bier
und anderen Genüssen festlich zu begehen.

§ 80. Eine eigenthümliche Feier hat außer dem Bergfest noch die
Knappschaft zu Ehrenfriedersdorf, die sogenannte +lange Schicht+.

667. Dieses Fest wird am Montage nach dem Osterfeste mit Umzug durch
die Stadt unter dem Geläute des Bergglöckleins begangen, zum Andenken
an die lange Schicht von 61 Jahren des Oswald Barthel daselbst,
welcher 1507 verschüttet, erst 1568 zwar todt, aber doch unversehrt
wiedergefunden wurde.

§ 81. ~c.~ +Der Landmann und seine Feste.+ Der Landmann hat, wie
überall, so auch im Gebirge, die meisten Eigenthümlichkeiten bewahrt
und hält mit einem achtungswerthen Konservatismus alte Sitten und
Gebräuche fest, ist aber auch schon, namentlich in dem jüngeren
Geschlechte von dem nivellirenden Leben der Gegenwart berührt worden.
Wir führen hier nur das an, was ihn zunächst gemäß seiner Beschäftigung
angeht, bemerken aber ausdrücklich, daß Vieles, was wir z. B. unter
Aberglauben und sonst bereits brachten, sowie Manches, was in dem
Folgenden noch vorkommen wird, vorzüglich unter der ländlichen
Bevölkerung heimisch ist.

§ 82. Die +Kleidung+ sowie die häusliche +Einrichtung+ des Landmanns
hat immer noch gewisse feststehende Formen, die aber auch mannichfachen
Modifikationen nach Geschmack und Vermögensumständen unterworfen
sind. Es kann daher das hier Gesagte nur einen relativen Anspruch auf
allgemeine Gültigkeit haben.

~a.~ Die +Kleidung+. 668. Die +Kopfbedeckung+ bei der häuslichen Arbeit
ist entweder ein Käppchen von schwarzem Sammtmanchester oder eine
sogenannte „Schwanzmütze“. Letztere ist aus buntem Baumwollengarn,
ähnlich einer Nachtmütze gewirkt. Auf dem Felde trägt man einen
niedrigen Filz- oder Strohhut, mitunter von etwas grotesker Form, oder
eine Tuchmütze. -- Das +Haar+ wird schlicht gekämmt getragen. Nur noch
bei alten Bauern findet man es nach dem Hinterkopf bis in den Nacken
gewöhnt und dort mit rundgebogenen Messingkamm zusammengehalten;
darauf den dreieckigen Hut, den sogenannten „Nagelzwicker.“ -- Im
linken Ohr hängt häufig ein silberner +Ohrring+, in dessen innerer
Fläche zuweilen der Anfangsbuchstabe des Besitzers, ebenfalls aus
Silber gearbeitet, angebracht ist. -- Um den Hals wird ein rothes
oder gelbes Kattuntuch, über das der Hemdkragen von gröberem Zwillich
sich legt, lose geschlungen. -- Die Weste reicht meist vom Halse
bis über die Magengegend und ist aus blauem Sammtmanchester oder
scharlachrothem Wollenstoff oder sonst einem bunten, geblumten Zeuge,
mit einer Reihe blanker Knöpfe aus Zinn, Neusilber oder Messing. Bei
älteren Leuten sieht man mitunter an der Sonntagsweste (statt Weste
sagen diese „Brustlatz“), Silbergeldstücke, z. B. Zwanzigkreuzer,
halbe Gulden, mittelst Henkel als Knöpfe verwendet. -- Die silberne,
auch stählerne oder messingene Uhrkette meist mit Uhrschlüssel und
Petschaft zieht sich entweder quer über die Brust oder „baumelt“ unter
der Weste hervor. -- Die +Beinkleider+ sind gewöhnlich schwarze oder
gelbe Lederhosen, die entweder bis unter die Kniee oder bis zu den
Knöcheln reichen, wo dieselben gebunden werden. Die Füße und den noch
unbedeckten Theil des Beines schützen dann Stiefeln mit höheren oder
niedrigeren Schäften, entweder Aufschlag- oder Steifstiefel, oder
auch graue, blaue oder weiße Strümpfe und dazu derbe Schnallenschuhe.
Der ältere, ärmere Landmann trägt wohl auch sogenannte Beinstrümpfe,
die vom Knie bis an die Knöchel reichen und aus Leinwandstreifen
zusammengenäht oder im Ganzen (aus Wolle gestrickt) sind; der Fuß ist
dann bloß. -- Das Obergewand bildet entweder die Jacke („Koller“ oder
„Wamms“) oder der Rock, letzterer sehr lang, erstere mit Taschen an
der äußeren Seite. Der Stoff ist entweder blaue Leinwand oder grobes,
meist blaues Tuch. Die Jacke wird häufig auch von schwarzem oder blauem
Sammtmanchester getragen, mit großen Metallknöpfen besetzt. Im Winter
wird der Mantel oder der Pelz angezogen; letzterer meist ein Schafpelz
ohne Ueberzug, ein sogenannter „Zippelpelz“. Im Sommer arbeitet man
viel ohne Oberkleid, die Hemdärmel heraufgeschlagen und baarfuß. Dazu
trägt man noch eine hohe, gewöhnlich blaue Leinwandschürze, oder
eine ungefärbte Lederschürze. Der obere Theil derselben dient dann
zugleich als Tasche zur Bergung des Schnupftuches, der Pfeife oder
Schnupftabaksdose.

669. Die +Bauerfrau+ trägt Wochentags eine Haube von dunklem Zeuge oder
ein rothes Kopftuch, „Gucke“ genannt. Der Zopf ist einfach geflochten.
Den Oberkörper verhüllt ein enganliegendes Leibchen nebst buntem
Halstuch. Die Arme sind bis auf die kurzen Hemdärmel bloß oder es wird
eine dunkelfarbige Jacke („Kaschet“ oder „Kundusch“) von Tuch, Kattun
oder einem ähnlichen Zeuge, im Winter mit Pelz gefüttert, angezogen.
Der kurze Rock ist von Flanell oder einem entsprechenden Wollenstoff
meist roth oder roth gestreift nebst blauer Schürze. Dazu kommen noch
blaue oder weiße Strümpfe und rindslederne Knorrenschuhe oder wohl auch
bloße Füße in Holzpantoffeln. Am Sonntag fehlt es nicht an mancherlei
Schmuck und Putz: weiße Haube mit bunten Atlasbändern und Rosetten,
schwergoldene Ohrringe, Halskette mit Dukaten, seidenes Kleid mit
Bauschärmeln, baumwollene Handschuhe und Taschentuch, buntseidene
Falbelschürze, weiße Strümpfe und zierliche Schuhe.

§ 83. ~b.~ +Lage der Gebäude+: 670. Gewöhnlich bilden die Gebäude
eines Bauerngutes ein geschlossenes Viereck. Die dem Dorfe zugekehrte
Vorderseite bilden der Giebel des Wohnhauses, die durch ein Thor
geschlossene Einfahrt, an die oft noch ein Schuppen stößt, und die
Giebelseite der Scheune. Der Vorderseite des Wohnhauses sammt dem
Stalle liegt die Scheune gegenüber, während die hintere Schmalseite der
Schuppen und eine nach den Feldern führenden Ausfahrt, das Feldthor,
einnehmen. Unmittelbar an diese Baulichkeiten gränzt der Blumen-
und Gemüsegarten nebst dem mit Obstbäumen besetzten Grasgarten,
an die sich dann als weitere Umgebung des Gutes die Felder und
Wiesen anschließen. Im Hofraum sehen wir, nahe bei dem an den Stall
angrenzenden mit Pfosten belegten Jauchenloch, den mit der Düngergabel
geflochtenen Misthaufen (man sagt: „ein Misthaufen mit der Gabel
geflochten ziert das ganze Gut“, vgl. 10), ein Häuschen für die Tauben,
wenn diese ihren Schlag nicht an der Giebelseite des Wohngebäudes
haben, die Hundehütte, aufgeschlichtetes Scheitholz und dergl.

§ 84. ~c.~ +Die einzelnen Gebäude.+ 671. Wohnhaus und der Stall sind
meist im Erdgeschoß von Bruchsteinen (Gneus oder Schiefer), wohl
auch von bloßem Balkenwerk mit Lehmziegeln ausgesetzt, das Stockwerk
aus Fach- oder Klebwerk erbaut. Der Anstrich vorherrschend weiß, die
Balken schwarz, roth, braun oder blau. Die Fenster des Wohngebäudes
sind klein, meist 4 oder auch 6 Scheiben enthaltend, deren eine in
einem verschiebbaren Rahmen eingelassen ist. Die Rahmen, Fensterladen
und Thüren entsprechen mit ihrem Anstrich dem übrigen Holzwerk des
Gebäudes. Ueber der Hausthür, die gewöhnlich in eine Ober- und
Unterthüre, von denen die erstere am Tage offen steht, getheilt ist und
deren Gewände Holzpfosten sind, stehen gewöhnlich außer der Hausnummer
die Anfangsbuchstaben des Besitzers und das Jahr der Erbauung (oder man
findet auch diese Angaben in den mittleren Balken der Wohnstubendecke
eingeschnitten), vereinzelt noch ein frommer Hausspruch, z. B.:
„Alles ist an Gottes Segen und an seiner Gnad’ gelegen.“ -- Das Dach
ist meist mit Stroh, oft auch mit Schiefer gedeckt. In ersterem
Falle ist der First mit Schindeln oder Rasen belegt. Die Feueresse
streicht man, wenn sie äußerlich mit Bretern verkleidet ist, wie das
übrige Holzwerk an. An der Giebelseite fehlt selten die Käsedarre.
-- 672. Durch die Hausthüre (der Platz vor derselben wird hie und
da „Heist“ genannt) tritt man zunächst in die mit Schieferplatten
gepflasterte oder mit Lehm ausgetretene geräumige +Hausflur+, die
man zur Winterszeit mit Stroh auszulegen pflegt (vgl. 10). Daselbst
befindet sich öfters, wenn es nicht im Hofe seinen Platz hat, das
Wasser- und Milchhaus. In letzterem schwimmen die mit Milch halb
gefüllten Blechtöpfe, darüber hängen die blankgeputzten „Milchseier“
und daneben lehnen thönerne Milchäsche und die weißgescheuerten
„Scheffelgefäße“ (d. h. Kannen, kleinere Fässer und dergl.). Hier
steht auch das Butterfaß mit der „Butterstörl“ (Scheibe mit Stiel zum
Buttern) oder die „Butterrolle“ (Rolle, um das Butterfaß hin und her
zu schwingen). In der Nähe des Wasserhauses ist gewöhnlich der Trog,
wo das Viehfutter bereitet wird, in den durch eine Röhre heißes Wasser
aus der an die Rückwand anstoßenden Küche unmittelbar zu leiten ist.
Sonst findet sich in der Hausflur noch der Brodschrank („Kappel“ oder
„Almet“), öfters auch ein Schrank mit allerlei Küchengeschirr. An der
Balkendecke sind vorsorglich „Schwalbenbretchen“ angebracht, damit der
gerngesehene Vogel hier sein Nest aufbaue (vgl. § 22 ~i~). -- 673.
Wir wenden uns rechts, wo die rothangestrichene Thüre, in der sich
ein „Guckfenster“ befindet, durch das der Hausherr das in der Flur
und dem gegenüberliegenden Stall arbeitende Gesinde beobachten kann,
zur +Wohnstube+ führt. Diese ist geräumig, mit drei Fenstern nach
dem Hof und zwei nach der Giebelseite. Der vordere Theil derselben
ist oft mit Steinplatten belegt, der übrige gedielt. Im Winter wird
der Fußboden auch hier, wie in der Hausflur, mit Stroh belegt. Die
Wände sind weiß oder gelb angestrichen, die Decke tragen mächtige,
von der Zeit oder auch mit Farbe geschwärzte Balken. Hie und da sind
auch die Wände aus Holzbohlen, in die Fugen derselben steckt man dann
in der Nähe des Spiegels die Pathenbriefe. Ueber der Thüre sind die
Wochenbuchstaben zu einem immerwährenden Kalender angemalt und oberhalb
derselben das „Kuppchenbret“, zum Aufbewahren der täglich in Gebrauch
kommenden Kaffeetassen (von denen man die Obertasse auch „Kuppchen“
nennt). Rechts von der Thüre steht das „Seegerhaus“ mit der Wanduhr
und daneben das Tellerbret oder „Zübrät“ mit Schüsseln und Tellern von
Zinn, Steingut oder Thon. Links hängt ein weißes, breitgespanntes, mit
Spitzen oder Franzen besetztes Handtuch, hinter dem das zum täglichen
Gebrauch verwendete versteckt ist. Daneben zieht sich die Ofenbank
um den umfangreichen Ofen, gewöhnlich einem sogenannten Gabelofen,
mit eisernem Kasten und grünem Kachelaufsatze. Hinter diesem befindet
sich die behagliche „Hölle“. Oberhalb desselben sind an der Decke
Stangen, die sogenannte „Wäschtreiche“, angebracht und die Decke des
Ofens wird als Trockenplatz für Spähne, Schalen, Obst etc. benutzt.
Oft steht auch auf dem Ofen ein Gestelle zum Trocknen der Käse oder
der würflich geschnittenen Möhren oder Runkelrüben, die man dann
feingemahlen dem Kaffee zusetzt. In der Nähe hängen Majoranbündel zum
Abdörren, deren abgestreifte Blätter der Blutwurst zugemischt werden.
In der Fensterecke thront der große, unten mit Querleisten versehene
Familientisch, hinter dem sich längs beider Wände Bänke hinziehen
und um den hölzerne Stühle oder Schemmel stehen. Hie und da nimmt
ein langes, schlichtes Kanapee, wohl auch ein einfaches Pult, einen
Theil der Wand ein; oder ein Schränkchen, eine offene Nische und
dergl. dient als Aufbewahrungsort von einem Messerkörbchen, sowie von
Bibel, Gesangbuch und Kalender, wenn letzterer nicht in Gemeinschaft
mit der Ruthe, dem „Birkengottfriedel“, hinter dem kleinen, schräg
von der Wand abhängenden Spiegel steckt. Die Fenstersimse sind
theils mit Blumentöpfen besetzt, in denen Rosmarin-, Balsamin- und
Muskatstöckchen, Katzenkraut, Fuchsien und dergl. von der Hausfrau
gepflegt werden, während der Hausherr sich mehr für die selten
fehlende Lerche, Meise oder sonst einem im Käfig gehaltenen Singvogel
interessirt. Als Schmuck der Wände sieht man fast überall einige
eingerahmte Bilder mit ziemlich handwerksmäßigen bunten Lithographien,
entweder Darstellungen aus der biblischen Geschichte, aus der
Geschichte des Tell, der Genoveva u. s. w., wohl auch ein Portrait von
Franz Drake, dem Kartoffeleinführer, oder sonst einem Volksfreund,
nicht selten auch sogenannte Spruchblätter, z. B. mit den Worten: „des
Morgens denk an deinen Gott, des Mittags iß vergnügt dein Brod, Abends
verschlafe deine Noth“. Von Geräthschaften, die sich meist dauernd in
der Wohnstube befinden, gedenken wir noch der „Käsebank“ zum Bereiten
der Käse, der Handmandel, eines Bretes nebst Walze zum Glätten der
Wäsche, des Spahnleuchters, eines zwei Ellen hohen Gestelles, oben
mit einer Zange zum Einklemmen der langen Leuchtspähne, sowie der
über den großen Tisch hängenden Blendlampe. Sämmtliches Holzwerk der
Stube, wie Thüren, Fenstergewände und Rahmen, Tische, Bänke, Stühle
u. s. w. sind gewöhnlich roth oder blau angestrichen. -- 674. Neben
der Wohnstube befindet sich häufig ein einfenstriges +Nebenstübchen+,
„Stöbel“ genannt, der Aufenthaltsort der Herrschaft am Tage, mit
einfachem Meublement und den Hausgeräthen, die vom Hausherrn und der
Hausfrau gebraucht werden. -- 675. Von da führt eine Thüre in die
+Küche+, die mit Ofen, eingemauertem Kessel und Heerd, über dem sich
der weite Schornstein öffnet, mit Küchentisch, Küchenbank, Topfbret,
an dem die bunte „Salzmeste“ und das Löffelgesteck hängt, ausgestattet
ist. Oefters wird aber auch, da der Wohnstubenofen zugleich zum Kochen
verwendet wird, die Küche nur durch einen zum Kaffeebrennen u. s. w.
verwendbaren Heerd vertreten. -- 676. An die Küche grenzt der Backofen,
der nur in wenigen Bauergütern fehlt. Daneben ist die Treppe, die
zum +Keller+ führt. Hier lagern die Vorräthe an Kartoffeln, Möhren,
Kraut, Runkel- und Kohlrüben. In einem „Kellerloch“ stehen Töpfe mit
eingesottenen Preiselsbeeren, Flaschen mit getrockneten Schwarzbeeren,
Körbe mit schwarzem Rettig, Meerrettigstangen etc. Aus einem Winkel
duften uns Fässer mit Sauerkraut, saueren Gurken, wohl auch mit
Pöckelfleisch entgegen, während an der Wölbung ein paar Schinken
hängen. Ein Fäßchen Bier und einige Flaschen Schnaps dagegen kommen
seltener vor, da die nahe Schenke jetzt derartigen Bedarf liefert.

677. Auf der anderen Seite der Hausflur liegt der +Stall+. Die
Eingangsthüre desselben ist öfter zum Schutz gegen die Kälte mit
Strohbändern umflochten, während die Wohnstubenthüre nicht selten an
der Außenseite ein dickes Strohpolster trägt. An der inneren Stallthüre
hängen Kartätsche, Striegel und „Pferdeschwanz“, daneben lehnen die
Mistgabel, der Misthaken („Mistkralle“, „Mistgrahl“, auch „Mistkratze“
genannt) und Besen. Auf zwei Stangen in halber Höhe ruhen die Scheffel
oder „Stötze“ (Kübel zum Futterreichen), während auf der anderen Seite
Geschirre, Peitschen und anderes Geräth an der Wand hängen. In der
Nähe der Küche steht, wenn es nicht in der Hausflur seinen Platz hat,
das Brühfaß, auch Siedfaß oder Stampftrog genannt, in welchem das
Wurzelwerk für das Vieh mittelst eines scharfen, schlangenförmigen
Eisens gestoßen und mit heißem Wasser aufgebrüht wird. Unweit der
Pferde findet sich ein großer Kasten mit Häckerling, nebst Sieb und
Saufeimer. In der Mitte des Stalles zieht sich ein Plattengang hin, zu
dessen Seiten das „Sudelgleiß“ läuft, in welchem die Unreinigkeiten in
das Sudel- oder Jauchenloch fließen. Rechts und links befinden sich
die Stände des Rindviehes und der Pferde, während an der Wand die
Tröge oder Krippen, darüber die Raufen oder Leitern angebracht sind.
Im hinteren Theil findet man wohl noch Ziegen aufgestellt, sowie das
Behältniß für die Schweine, darüber den Hühnerstall. Am Boden haben
Kuhhasen und Kaninchen ihre Wohnung und aus einer Ecke schnattern uns
Gänse und Enten entgegen.

678. Von der Haustür führt eine meist hölzerne Treppe in das +obere
Stockwerk+. Wir treten auf einen geräumigen Saal, „Boden“ genannt,
wo ein paar große Schränke mit Namenszug und Jahreszahl, die den
sonntäglichen Anzug der Bauersleute bergen, eine Ziehmandel, die
Häckerlingslade (wenn diese nicht im Schuppen ihren Platz hat) und
ähnliche Geräthe stehen. Links ist die Oberstube, d. i. die gute Stube
und der Stolz der Bauerfrau. Hier erblicken wir den Glasschrank von
Eichenholz, darin die „Hausräthe“ z. B. den zinnernen Kaffeekessel,
Teller mit Reimsprüchen, die buntgemalten Geburtstagstassen,
seidene Zulpe und Anderes. In der Mitte steht ein altväterischer
Tisch. Polsterstühle und ein buntgemustertes Kanapee mit Lehne voll
Schnitzwerk laden zum Sitzen ein. An der Wand hängen der Spiegel,
hinter dem rechts und links je eine Pfauenfeder gesteckt ist, Bilder
unter Glas und Rahmen u. s. w. In der angrenzenden Schlafkammer
begrüßen uns zwei Himmelbetten, deren Betthimmel mit Bildern aus
der biblischen Geschichte geziert ist. Ein Kleiderschrank dient zur
Aufbewahrung der Alltagskleider. Neben der Schlafkammer ist gewöhnlich
noch eine andere Kammer, die zur Bergung von allerlei Vorräthen (Brod,
Mehl, Kleie, Obst etc.) oder von Wirthschaftssachen (Spinnrad, Siebe,
Geschirre etc.) benutzt wird. -- Auf der anderen Seite des Saales ist
ein Gang, zu dessen beiden Seiten je die Kammer für die Knechte und
Mägde sich befindet. Das Bett derselben besteht aus Stroh, darüber
ein Strohtuch, Zudecke und Kopfkissen. Ihre Habseligkeiten haben sie
in buntgemalten Laden oder Truhen verschlossen. Daran schließen sich
andere Kammern, wohl auch das Stübchen für den Auszügler, oder der
übrige Raum ist als Heuboden benutzt.

679. Eine Holztreppe leitet von dem Saal auf den Boden, „Oberboden“
genannt. Ein Theil desselben dient zum Trocknen der Wäsche, in
einem anderen ist das ausgedroschene Getreide (Korn, Gerste, Hafer,
Lein) aufgeschüttet. An der Giebelseite führt eine Leiter zu dem
Taubenschlag, während an der Feueresse eine eiserne Thüre die
Rauchkammer mit dem zu räuchernden Schweinefleisch („Schwärtel“
genannt) und Würsten verschließt.

680. Wir verlassen das Wohnhaus und wenden uns nach der auf der anderen
Seite des Gehöftes gelegenen +Scheune+, die in ihrem unteren Theil
(etwa 3 Fuß hoch) entweder von Bruchsteinen oder von Fachwerk erbaut
ist, im oberen meist blos aus Breterwand besteht und mit Stroh gedeckt
ist. An dem großen Thore ist gewöhnlich ein erlegter Raubvogel mit
ausgebreiteten Flügeln angenagelt, „um die Hühner von dem Getreide
abzuhalten“ (vgl. 412). Der Fußboden der +Tenne+ besteht entweder aus
Pfosten oder seltener aus festgetretenem Lehm. An den Wänden hängen
oder lehnen die Sense, der Dreschflegel, der Rechen, die Stroh- und
Schüttelgabel, die Wurfschaufeln, die „Schwingmultern“ (eine Mulde,
in der das Getreide geschwungen und dadurch gereinigt wird), das Sieb
und dergl. Auf der Tenne liegen „Knotten“ (Samenkapseln des Flachses),
Strohseile etc. Rechts und links von der Tenne sind zwei Ellen hohe
Breterwände mit sich entsprechenden Oeffnungen zur Befestigung der
„Riffelbank“, die zum Abstreifen der Knotten des Flachses dient.
Jenseits dieser Breterwände ist je ein Panzen, auch „die Pansel“ oder
„der Panze“ genannt, wo Korn-, Waizen- und Hafergarben, sowie Wicken-
und Erbsenbündel, Strohschütten u. s. w. liegen. Ueber der Tenne öffnet
sich in der Decke das Loch zum Boden, um die in die Tenne gefahrenen
Getreidegarben unmittelbar hinaufzureichen. Eben dahin führt auch
eine Holztreppe aus einem der Panzen. Außer den unausgedroschenen
Getreidevorräthen ist gewöhnlich auch ein Theil des Scheunenbodens mit
Heu gefüllt.

681. Der +Schuppen+, der in seinem oberen Theile öfters durch einen
verdeckten Bretergang unmittelbar mit der Scheune zusammenhängt,
ist meist blos aus Balken und Bretern erbaut. Unter dem Dache
hängen große Leitern und das geöffnete Thor zeigt uns im Innern
die Leiter- und Truh- (Kasten-) wagen, daneben wohl die zierliche
Chaise oder das blaue Planwägelchen des Landmanns, nebst dem
grünangestrichenen „Butterwagen“ der Bauersfrau. Im Hintergrunde
stehen die verschiedenen Schlitten, wenn man sie nicht auf in der Höhe
angebrachte Balken gehoben hat. Eine verschließbare Abtheilung enthält
allerlei Heizungsmaterial: gespaltenes Holz, Torf, „Reißigbüschel“
(Reißigbündel). Andere Abtheilungen oder auch ein abgesonderter
kleiner Schuppen, „Schöppel“ genannt, dient als Aufbewahrungsort der
verschiedenen landwirthschaftlichen Geräthschaften, als da sind:
Pflug und Egge, der „Krimel“ (ein Ackergeräth, ähnlich der Egge),
Schiebbock und Schubkarren, Walze, Winde, Hacken und Schaufeln, das
Grabscheit u. s. w. Dort steht das Tengelzeug und der Schleifstein,
hier liegen die „Jauchenzober“ oder Jauchenfässer. Eine angrenzende
Kammer enthält allerlei Werkzeug, eine Schnitz- und eine Hobelbank,
wohl auch eine Drehbank, daneben Axt und Säge, Hammer und Meisel,
Bohrer, Feilen u. s. w. In dem Schuppen steht auch gewöhnlich die
Häckerlingslade, auch Gehackbank, Häckermaschine genannt; auch hat er
Raum für allerlei „Gerümpel“ und unbrauchbar gewordene Geräthe. In
Wirthschaften, die Flachsbau treiben, fehlt auch die Hechelkammer nicht
mit der Brechmaschine und anderen zur Flachsbereitung erforderlichen
Gegenständen. Hier sind wohl auch „Kluhmen“, die gehechelten
„Flachsbündel“ aufgehäuft, während in einem Winkel „Brechenden“, die
beim Brechen des Flachses abfallenden Hülsen, welche zum Anfeuern
benutzt werden, liegen. Unterhalb des Schuppens befindet sich zuweilen
ein besonderer Kartoffelkeller, in den man die geerntete Frucht durch
das Kellerloch mittelst eingesetzter „Röhren“ hinabrollen läßt.

§ 85. ~d.~ +Der Garten und das Feld.+ 682. Der an das Gut
anstoßende Blumen- und Gemüse+garten+ wird zum Unterschiede von
dem umfangreicheren Grasgarten gewöhnlich das „Gärtel“ oder der
„klane“ (kleine) Garten genannt und ist die Freude der Bauerfrau.
Die Beete sind meist mit Buchsbaum, der unter der Scheere gehalten
wird, eingefaßt. Von Blumen liebt man besonders Rosen, Tulpen,
Hyazinthen, Narcissen, Nelken, Aurikel, Veilchen, Stiefmütterchen,
Vergißmeinnicht, Reseda, weiße und rothe Lilien, Päonien, Betunien,
Georginen, Astern, Sonnenblumen, Studentenblumen, Strohblumen u. s. w.
Von Gemüsen finden sich am häufigsten Bohnen, Schoten, Möhren, Kohl,
Salat, Kolerabi, Rettig, Radieschen, Sellerie, Petersilie, Zwiebeln;
von Fruchtsträuchern Johannis-, Stachel- und Himbeeren. -- In dem
angrenzenden Obstgarten stehen Aepfel- und Birnbäume, Kirsch- und
Pflaumenbäume. In einem Winkel versteckt findet sich gewöhnlich ein
Hollunderbaum (~sambucus nigra~), vgl. § 23 ~n~.

683. Auf seinen +Feldern+ baut der gebirgische Bauer besonders Roggen
und Hafer, seltener Gerste und Waizen; häufig Flachs, seltener Hanf,
Wicken, seltener Schoten, ferner Klee und namentlich viel Kartoffeln.
Die wohlgepflegten und günstig gelegenen +Wiesen+ liefern reichliches
Heu.

~e.~ +Beschäftigung.+ 684. An Beschäftigung fehlt es das ganze Jahr
nicht. Das Frühjahr, theilweise auch der Herbst, wird durch das
Düngerfahren (den Knecht, der Dünger ladet, nennt man wohl auch
scherzweise „Ladendiener“) und Ausbreiten desselben, sowie die
Bestellung der Felder in Anspruch genommen. Im Sommer, nach Johanni,
folgt die Heuernte, im August die Getreideernte. Der beginnende
Herbst bringt die Grummternte, der sich die Kartoffel- und Obsternte
anschließt, bis endlich das Abschneiden des Krautes den Beschluß macht.
(Ueber das Viehhüten vgl. 642.) Die rauhere Jahreszeit wird mit dem
Dreschen, mit Spinnen, Klöppeln und Federschließen verbracht. -- Bei
diesen Arbeiten überwacht der Bauer das Ganze, besorgt den Ein- und
Verkauf des Viehes und legt, wo es Noth ist, selbst thätig Hand an. Die
Frau führt das gesammte Hauswesen, besorgt das Kochen, den Milchkram u.
s. w. Den Knechten ist namentlich der Dienst bei den Pferden und deren
Arbeit übergeben, während die Mägde das Melkvieh und deren Versorgung
unter sich haben. -- +Bienenzucht+ findet sich nur in den milder
gelegenen Thälern.

~f.~ +Kost.+ 685. Die Kost ist einfach, aber ausreichend. Im Sommer
wird um ½5, im Winter ½6 Uhr aufgestanden. Gegen 7 oder 8 Uhr wird
Kaffee getrunken, der allerdings mehr aus Surrogaten (Möhren, Wurzeln
~cichorium intibus~, Gerste, Korn etc.) als aus arabischen Bohnen
gebraut ist. Jeder trinkt gegen 5 „Schälchen“ (Untertassen) und
verzehrt dazu einige bis eine Mandel Kartoffeln, oder etliche „Keile“
oder „Fitzen“ Brot, das aus Roggen, Gerste oder Hafer, oft auch aus
einem Gemenge dieser Getreidearten gebacken wird. Um 9 oder um 10
Uhr hilft ein zweites Frühstück, in einem umfangreichen Butterbrod
oder in Milch- oder Mehlsuppe bestehend, nach. Um 12 Uhr folgt das
Mittagsessen, welches an dem weißgedeckten Tisch eingenommen wird. Es
wird mit Gebet eröffnet und geschlossen und besteht entweder in einem
Fleischgericht mit Gemüse oder in einer Milch- oder Kartoffelspeise.
Sonn- und Festtags kommt Braten, gewöhnlich Kälberbraten mit gebackenen
Pflaumen, oder mindestens gekochtes Fleisch. Die Wochentagsgerichte
sind: Pökelfleisch oder Schwarzfleisch (d. i. geräuchertes Fleisch) und
Klöse oder Sauerkraut, Wurst und Kartoffelbrei oder Preißelsbeeren,
Schweinefleisch und Erbsen oder Linsen, Rindfleisch mit Reis, Häring
und Kartoffelsalat, Reisbrei, Griesbrei, Milchbrei, Hafergrütze etc.;
häufig ist auch ein verschiedenartig bereitetes Gebäck aus geriebenen
Kartoffeln, Mehl und Milch, das auch entsprechend verschiedene Namen
führt, als: Bröselgötzen, Pfannenzudel, Rauhemahd, Röhrenkloß,
Lockerkloß, Bambes, Stamper, Polst, Stopper und dergl. Es werden
wohl auch blos Kaffee und Kartoffeln aufgetischt. Um 4 oder 5 Uhr
ist Vesperzeit, wo man sich durch Kaffee und Butterbrod stärkt, bis
endlich Abends 7 Uhr Kartoffeln und Suppe oder Kaffee, im Sommer wohl
auch Semmelmilch, den Schluß bilden. -- 686. Das gewöhnliche Getränk
ist Wasser, daneben Milch, in der Erntezeit und Sonntags Bier. Der
Branntweingenuß ist mäßig. Dagegen wird viel Kaffee getrunken, meist
täglich fünfmal, je 5 und etliche Tassen. Ein „Kaffeekoch“, d. h. das
Kochen eines Kaffee’s kommt unter allen Verhältnissen erwünscht.

~g.~ +Charakter+ etc. 687. Der gebirgische Landmann ist religiös,
bieder und schlicht, fest, zuweilen starrköpfig, schweigsam und
arbeitsam, „er macht seine Arbeit still weg, mitunter ein Sturm.“ Er
liebt Neuerungen nicht, auch ist ihm die Einsamkeit zuwider, daher
gränzen die Güter meist an einander. Reinlichkeit und Sauberkeit
findet man fast allgemein und es ist der Stolz der Hausfrau, durch
blankgescheuerte Geräthe, durch ein wohlgehegtes Blumengärtchen und
durch blendendweiße Wäsche sich auszuzeichnen. (Zu den hohen Festen z.
B. wird was nur möglich gewaschen und gescheuert: Stühle und Schemel,
Fußbänke und „Hitschen,“ Tische und Bänke, selbst die Holzgewände der
Stuben und Kammern). -- 688. Die gewöhnlichen +Grüße+ und Gegengrüße
der Bauern sind: guten Morgen, guten Tag, guten Abend, gute Nacht,
schlaf’ wohl. Grüß’ Gott, Gott grüß dich, Hatje [Adieu], leb wohl,
bleib gesund, behüt’ dich Gott; willkommen; schönen Dank.

~h.~ +Erholung.+ 689. Am Abend kommen die Nachbarn zusammen, oder der
Vater liest aus dem Kalender, aus einer Zeitung (z. B. Dorfbarbier,
erzgebirgischer Volksfreund etc.) oder einer Monatsschrift (z. B.
Gartenlaube, erzgebirgische Hausblätter etc.), aus einem vom Pastor
oder Schulmeister geliehenem Buche (namentlich Bücher aus dem zwickauer
Volksschriftenverein) vor. Dann und wann wird die Schenke besucht. Die
Glanzpunkte aber im Leben des Bauern bilden die ländlichen Feste.

§ 86. Obgleich durch die Ungunst des Bodens und des Klima’s die Lage
des obergebirgischen Landmannes eine minder glückliche ist, als die des
Bauers im Niederlande, so feiert er doch seine Feste, vielleicht eben
deshalb, mit umso größerer Freude und innigerer Betheiligung. Dieselben
sind zunächst als Ruhepunkte nach Vollendung einer der Hauptarbeiten in
seinem Arbeitskreise zu betrachten.

~a.~ +Der Laubtanz.+ 690. Ein Fest in der Pfingstzeit, das regelmäßig
auf einen Sonntag fällt und ungeduldig von den jungen Leuten erwartet
wird. Schon einige Tage vorher pflückt man Laub, windet Kränze und
Guirlanden und schmückt damit den Saal der Schenke in- und auswendig.
Am Nachmittag des Festtages werden die Mädchen, welche Kränze mit
Bandschleifen am Arme tragen, aus dem elterlichen Hause unter Musik
geholt und mit „Gejauchze“ zieht man in den Saal, wo eine wohlbesetzte
Tafel gerüstet ist. Nachdem die Mädchen ihre Kränze aufgehängt haben,
setzt man sich und schmaust vergnügt. Nach dem Essen beginnt der Tanz,
der bis in die späte Nacht hinein dauert (Sehma).

~b.~ +Das Gemeindebier.+ 691. Das Abhalten desselben ist nicht streng
an eine Jahreszeit gebunden, doch geschieht es meistens im Sommer.
Wer ein Grundstück gekauft hat, giebt seinen neuen Gemeindegenossen
Bier zum Besten, und zwar hat er ein Gut gekauft zwei Tonnen, ein Haus
eine Tonne. Das Bier wird in der Schenke von den Bauern und Häuslern,
die mit ihren Frauen dahin zusammenkommen, vertrunken. Unter Tanz und
Scherz wird der Abend heiter verbracht.

§ 87. ~c.~ +Erntefeste.+ Vgl.: „Deutsche Erntegebräuche“, Aufsatz in
den Grenzboten, 1860, Nr. 34. -- 692. Hat der Hausvater auf seinem
prüfenden Gang durch die Felder gefunden, daß das Getreide reif zur
Ernte sei, so beginnen die Vorbereitungen zur morgenden Arbeit. Die
Sensen werden hervorgeholt und die Tengelzeuge herbeigesucht. Am
obern Theil des Sensenbaumes wird der Bügel aus Weiden-, Buchen-
oder Birkenholz befestigt und „die Sense angeschlagen.“ Dort rüstet
man den großen Erntewagen, indem die langen Leiterbäume aufgesetzt
werden, hier werden Tenne und Böden von dem noch umherliegenden Stroh
gesäubert, um der neuen Frucht eine ausreichende Stätte zu bereiten.
Die Knechte setzen sich mit Tengelstock und Hammer unter die alte,
schattenreiche Linde hinter dem Hofe und bald tönen die taktmäßigen
Hammertöne des Tengelns weithin durch die abendliche Stille. Beim
Grauen des nächsten Tages wird Leben im Hause, und nachdem die Arbeiten
im Stalle besorgt und die große, braune Kaffeekanne am gemeinsamen
Frühstückstisch zweimal geleert worden ist, zieht man hinaus auf das
Feld. Die Schnitter die Sense auf der Schulter und die „Wetzkitze“
mit dem Wetzstein an dem Mähergürtel, die Schnitterinnen den Rechen
tragend. Ist man zum Ziele gelangt, so werden die Sensen herabgenommen,
noch einmal mit dem nassen Wetzstein die Schneide derselben gestrichen
und mit einem „das walte Gott“ vollzieht der Hausvater den ersten
Schnitterhieb. Indem er weiter mäht, rafft eine Schnitterin ihm noch
die gefallenen „Schwaden“ auf und legt sie in Haufen auf die Stoppeln.
Diesem Paare folgen die anderen. Gegen 9 Uhr erscheint die Hausfrau mit
schwerbepacktem Korbe und Alles lagert sich an dem blumigen Feldrain,
um an Butterbrod, Bier und Schnaps sich zu erquicken. Von Neuem geht
man zur Arbeit, die man bis Mittag fortsetzt, wo man in das Gehöfte
zurückkehrt. Eine dampfende Biersuppe, kräftiges Rindfleisch mit Reis,
und kühlende Semmelmilch labt die müden Arbeiter. Am Nachmittag zieht
man zur Vollendung des Werkes hinaus, das zur Vesperzeit durch eine im
Freien aus Krügen verzehrte „Biermerthe“ unterbrochen wird. Zuletzt
wird das gemähte Getreide in Garben gebunden und gepuppt, worauf man
heim zum Abendbrode eilt und endlich von des Tages Last und Hitze
ausruht. -- Soll nun das geerntete Getreide eingefahren werden, so ist
man abermals früh auf. Bis zum 2. Frühstück werden die Getreidepuppen
aus einander genommen und die Garben auf das Feld geschlichtet. Nun
erscheint der Erntewagen, auf dem der „Wiesbaum,“ die Garbengabel,
Stricke und Seile liegen. Die Garben werden mittelst der Gabel auf den
Wagen gereicht und der obenstehende Knecht schichtet sie regelrecht bis
hoch über die Leiterbäume zu beiden Seiten. Langherüber wird hierauf
der Wiesbaum über das volle Fuder gelegt und befestigt. „Schwer herein
schwankt der Wagen kornbeladen.“

693. Ist die Getreideernte beendigt, weht der Wind über die Stoppeln,
so giebt der Hausherr seinen Leuten gewöhnlich am nächsten Sonntag
oder auch am Abend des letzten Erntetages ein kleines Fest, welches
+Stoppelhahn+ genannt wird. Die Hausfrau muß für Kuchen und Hefenklöse,
aus dem neuen Waizen gebacken, sorgen, der „Kuhprinz“ muß ein Fäßchen
Bier und eine ansehnliche Flasche „Branntewei“ aus der nächsten Stadt
holen, die Räucherkammer liefert geräuchertes Fleisch und Küche und
Keller das übrige. Ist die Mittagszeit herangerückt, so wird ein
schneeweißes Tuch über den großen Eßtisch gebreitet, das bessere
Geschirr aufgesetzt und alsbald erscheinen nun Knechte und Mägde, sowie
die bei der Ernte thätig gewesenen Tagelöhner und Gehilfen. Steht
endlich die dampfende Schüssel mit „Schwarzfleesch“ und „Artöppel
Klies“ auf dem Tisch, so tritt auch der Bauer mit Frau und Kindern an
die gerüstete Tafel. Ein längeres Tischgebet, von dem gewöhnlich jeder
der Anwesenden ein Stück aufsagt, wird gesprochen und man setzt sich
nun vor die lockenden Gerichte. Es wird tüchtig eingehauen und dabei
dem umher gereichten Gläschen mit einem feurigen „Pfeffermünz“ oder
Kümmel tapfer Bescheid gethan. Nachdem das Schlußgebet gesprochen,
folgt Kaffee mit Kartoffel-, Zimmt-, Pflaumen-, und anderen Kuchen. Da
öffnet sich die Thüre und die bestellten Musikanten, mit Ziehharmonika
und Flöte, Geige und Klarinette treten herein. Schnell werden Stühle
und Bänke auf die Seite geschafft, der Tisch in die Ecke geschoben und
der Tanz beginnt. Der Hausvater in Hemdärmeln und die Hausmutter mit
blendendweißer Schürze eröffnen den Reigen, ihnen folgen die Knechte
und Mägde, die Tagelöhner mit ihren Frauen, die Kühjungen mit den
Töchtern des Hauses und bald ist Alles voll Lust und Leben. Die Knechte
stampfen auf den Boden, schnalzen mit der Zunge, jauchzen und schreien.
Dazu kreist die Schnapsflasche und das Bierglas, auch an consistenterer
Nahrung fehlt es nicht. Jeder vergnügt sich nach seinem Geschmack bis
der „Kehraus“ gespielt wird. Mit Händedruck und Dank verabschiedet sich
jedes von dem Gastgeber, wobei die Tagelöhner gewöhnlich noch mit einem
Viertels- oder halben Kuchen für ihre Kinder daheim beschenkt werden.

694. Haben alle Güter einer Gemeinde geerntet, so folgt am nächsten
Sonntage das +Erntefest+. Kirche und Haus werden mit Kränzen von Aehren
und Blumen geschmückt. Wer nur irgend abkommen kann, geht in das
Gotteshaus, wo die Erntepredigt gewöhnlich Nachmittags 1 Uhr gehalten
wird. Im Hause fehlt es nicht an leiblichen Genüssen und am Abend wird
die Schenke besucht, um bei Tanz und Spiel sich zu erfreuen und zu
vergnügen.

695. Laut tönen nun wieder die Schläge des Dreschflegels aus allen
Scheunen durch das Dorf. Man kommt an die letzten Garben und endlich
wird auch das sogenannte „Gebrecht“, das Getreide, welches nach
der Ernte auf der Stoppel zusammengerecht worden ist, gedroschen.
Auf einmal schweigt in jener Scheune der Drescherschlag und lautes
Gelächter schallt herüber. „Du hast den +Panzelhahn+ geschlagen“ ruft
Einer, „Schnaps her, Schnaps her“ der Andere. Der Schnaps wird durch
den jüngsten Drescher geholt und nach der anstrengenden Arbeit folgt
ein fröhliches Gelag. Der Drescher, der den letzten Schlag gethan, muß
den Branntwein bezahlen, dem der Hausherr mitunter einen kleinen Imbiß
(die „Flegelmoolzet,“ d. i. Flegelmahlzeit) hinzufügt. Das ist der
sogenannte Panzelhahn.

§ 88. ~d.~ Die +Kirmeß+. 696. Kahl stehen die Bäume, öde die Felder,
der Herbst ist eingezogen und mischt sich bereits mit den Anfängen
des Winters. Da naht das Hauptfest des Landmanns, die Kirmeß. Es
setzt schon lange voraus, Herzen und Hände in Bewegung. Alle wollen
am Feste geschmückt erscheinen. Die Kinder erbitten von den Eltern,
dort ein neues Paar Hosen, hier eine neue Jacke. Auch die jungen
Leute machen bei dem Dorfschneider ihre Bestellungen, der kaum allen
Aufträgen genügen kann und die Botenfrau muß den jungen Mädchen bunte,
seidene Bänder und andere Schmucksachen häufiger als sonst aus der
Stadt mitbringen. Auch die Hausfrau hat ihre Pläne für das nahende
Fest. Lange vorher hat sie den Rahm gesammelt, um genug Butter zum
Kuchenbacken zu haben und bereitet nun Käse, läßt Rosinen, Mandeln,
Zucker, Hefen u. s. w. holen, auf daß nichts fehle. Die Kuchen sind
bereit und wandern zum Bäcker, um nach einigen Stunden, fertig und
noch rauchend, unter dem Jubel der Kinder ihren Einzug wieder in das
Haus zu halten. -- Aber noch andere Opfer sind nöthig. Ein Schwein
soll geschlachtet („Sauleed“ oder „Krumbeh“ gehalten) werden. Der
Fleischer ist bestellt, der Schlachtzettel besorgt, Gewürz, Wasser
und Brennmaterial schon am Abend vorher herbeigeschafft. Der späte
Herbsttag bricht an, schon knistert das Feuer unter dem Wurstkessel:
da klingelt die Thüre und herein tritt der Fleischer, Brust und
Beine bedeckt die weiße, frisch gemangelte Schürze. Der breite
Ledergürtel unter derselben ist mit Perlen oder Silberplättchen
verziert, und an der Seite hängt ein Köcher mit Messer, Gabel und
Wetzstahl. Er verrichtet sein Werk und bald ruht das todte Schwein
in dem bereitstehenden Troge. Mit Hilfe des heißen Wassers und des
Schabeisens sind die Borsten entfernt, das Schwein wird getheilt und
Stücken Fleisch in den brodelnden Kessel geworfen. Endlich ertönt
der Ruf: „das Wurstfleisch ist fertig“ und Alles eilt herbei, um an
dem leckern Genuß sich zu laben. Nun folgt das Bereiten und Kochen
der Würste, das Einsalzen des aufzuhebenden Fleisches, ein tüchtiges
Bratstück ist zur Kirmeß ausgesucht und der Abend schließt mit dem
Verzehren der Wurstsuppe und frischer Wurst, als eine Art Vorfeier des
immer näher rückenden Festes. Nun wird auch das ganze Haus gerüstet,
überall wäscht und kehrt, scheuert und putzt man. Der Kirmeßsonntag ist
da. Beim Aufgang der Sonne weckt das Blasen eines Chorals vom Thurme
durch die Dorfmusikanten die schlummernden Bewohner. Bald sind alle
in der Wohnstube beim Kaffeetisch versammelt. „Die gute Kaffeekanne“
dampft in der Mitte der Tassen und daneben locken Teller mit Thürmen
von Kuchenstücken. Man thut dem ersehnten Gebäck die möglichste Ehre
und Teller und Kanne sind schnell geleert. Der heutige Gottesdienst
wird nur spärlich besucht, denn erst am morgenden Tage, am Montag, ist
der eigentliche Kirchweihtag. Ist er endlich angebrochen und rufen
die Glocken zur Kirche, so eilen die festlich geschmückten Landleute
in einzelnen Trupps von allen Seiten nach der lieben Ortskirche,
deren Weihtag ja heute gefeiert wird. Heute darf die Kirchenmusik
nicht fehlen. Wieder ertönt Glockenklang und heraus strömt die Menge.
Jeder seiner Wohnung zu. -- Welche Freude giebt es bei der Heimkunft.
Der Vetter, aus der benachbarten Stadt, die Frau Gevatterin aus
einem entfernten Dorfe und andere geladene Gäste sind eingetroffen.
Endlich ist der Tisch gedeckt. Auf dem Tischtuch von selbst erbautem
Flachs prangen Schweine- und Hühnerbraten, daneben die beliebten
Kartoffelklöse und Sauerkraut, weißes Brod und Bier, vielleicht auch
eine Flasche Wein. Alles setzt sich. Auch der zitternde Großvater
im silberweißen Haar rückt seinen alterthümlichen Lehnstuhl heran
und von seinem wirthlichen Sohne gebeten, nimmt er das Sammtkäppchen
von dem ehrwürdigen Haupte in die gefalteten Hände und spricht das
Tischgebet. Jeder läßt sich die guten Gerichte wohlschmecken, deren
Schluß mächtige „Kuchenteller“ bilden. Nach Tische machen die Männer
einen Gang ins Freie, die Kinder haben ebenfalls draußen „ihre Lust“,
wo auf Wegen und Stegen ein fröhliches Leben herrscht. Nur die Frauen
bleiben sitzen und erzählen sich bei Kuchen und Kaffee die neusten
Geschichten. Die rückkehrenden Männer gesellen sich auch zu ihnen und
unter Gespräch und Genuß, vergeht die erste Hälfte des Nachmittags.
Später geht man wohl in die Schenke, wo der Tanz der jüngeren Leute
bereits um 3 Uhr begonnen hat. Dort setzt man sich zum Glase Bier, man
spielt einen Skat oder schaut der unermüdlichen Jugend zu. Um 7 Uhr
geht man zum Abendessen nach Hause, das von der Hausmutter festlich
zugerüstet ist. Alt und Jung nimmt Platz, die Teller werden gefüllt und
bald ist Alles in reger Arbeit. Ist die Rosinensuppe gegessen, folgt
Schweinefleisch mit Zwiebelbrühe, dann Karpfen mit Krautsalat, zuletzt
wieder Kuchen. An Bier, Branntwein, selbst an Wein ist kein Mangel.
Nach aufgehobener Tafel bleibt man noch eine Weile beisammen sitzen
oder man wandert wieder zur Schenke, wo nun auch die Verheirateten am
Tanz sich betheiligen, bald einen Walzer, bald einen Rutscher, einen
Dreher u. s. w. verlangend. Spät wird die Kirmeßlust beschlossen und
mit Kuchenpaketen beladen ziehen die Gäste dankend heim. -- Dienstag
bildet noch eine Art Nachfeier, bis endlich an der Mittwoch Haus und
Arbeit allmälig wieder in das ruhigere Gleiß einlenken. -- Am nächsten
Sonntag verhallen in der „Klein-Kirmeß“ die letzten Klänge und Freuden
des Festes: nur die Erinnerung tröstet noch und die Hoffnung, „daß
nächstes Jahr wieder Kirmeß ist“. Vgl. auch 879-886.

697. An manchen Orten (Dittersdorf) halten die Musikanten am
Kirmeßnachmittag einen Umzug, wobei sie mit Kuchen beschenkt werden.
Einer von ihnen ist als sogenanntes +Kirmeßweib+ verkleidet. Ein
Strohhut mit rothen, flatternden Bändern, berußtes Gesicht und dicht
gedrehte Werglocken, auf dem Rücken einen Tragkorb zur Bergung des
empfangenen Kuchens, in der rechten Hand ein langer Stab, in der linken
eine brennende Laterne bilden, nebst buntscheckiger Weibertracht sein
Kostüm. Von den übrigen Musikern begleitet geht der Zug bei dem Schall
der Instrumente, und unter mancherlei Scherz und Schabernack, gefolgt
von der Dorfjugend, von Gehöfte zu Gehöfte, und lenkt endlich wieder in
die Schenke ein, wo man sich an der erblasenen Sammlung ein Gütliches
thut.[2]

§ 89. Ehe wir von dem gebirgischen Landmann sammt seinem Thun und
Treiben scheiden, müssen wir noch der sogenannten +Bauerregeln+
gedenken, da diese auf sein Leben, namentlich auf die Anordnung seiner
wirthschaftlichen Arbeiten, nicht ohne Einfluß sind. Wir stellen hier
die zusammen, die auf einer gewissen Naturbeobachtung beruhen, da wir
diejenigen, welche ein abergläubisches Gepräge an sich tragen, bereits
im ersten Abschnitt erledigt haben. Dabei beschränken wir uns auf die,
welche aus dem Munde der gegenwärtigen Bevölkerung gesammelt sind, also
mehr oder weniger noch jetzt gläubige Anhänger und gehorsame Befolger
haben. Der Naturwissenschaft aber überlassen wir es den wirklichen
Gehalt derselben zu prüfen. Vgl.: +Böbel+, Haus- und Feldweisheit des
Landwirths, Berlin 1854.

§ 90. ~A.~ +Nach der Zeit geordnet.+ ~a.~ +Die Monate des Jahres.
Januar.+ 698. Sind im Jenner die Flüsse klein, giebt’s vielen und
guten Wein (Marienberg). -- 699. Januar warm, daß Gott erbarm (allg.).
-- 700. Ein schöner Januar bringt ein gutes Jahr (Annaberg). -- 701.
Wie der Januar, so der Juli (Grünstädtel). -- 702. Wenn Gras wächst
im Januar, wächst es schlecht im ganzen Jahr (Grünstädtel). -- 703.
Giebt’s im Januar viel Regen, bringt’s den Früchten keinen Segen
(Grünstädtel). -- 704. Tanzen im Januar die Mucken [Mücken], muß der
Bauer nach dem Futter gucken (Marienberg). -- 705. Wenn der Januar
gelind ist, so folgt ein rauher Frühling und ein heißer Sommer (Geier).

+Februar+ mit +Lichtmeß+, +Fastnacht+ etc. 706. Wie der Februar, so
der August (Grünstädtel). -- 707. Spielen die Mücken im Februar,
friert Schaf und Bien’ durch’s ganze Jahr (Lößnitz). -- 708. Wenn
im Hornung die Mücken schwärmen, muß man im März den Ofen wärmen
(Annaberg). -- 709. Wenn im Februar die Lerchen singen, wird’s uns
Frost und Kälte bringen (Zwönitz). -- 710. Wenn’s der Hornung gnädig
macht, bringen März und April den Frost bei Nacht (Grünstädtel). --
711. Die weiße Gans [Schnee] im Februar, brütet Segen für’s ganze Jahr
(Lößnitz). -- 712. Rollt im Februar der Donner, rollt’s noch mehr im
ganzen Sommer (Aue). -- 713. Donnert es über den kahlen Busch, so
kommen viel Gewitter (Marienberg). -- 714. Dunkle +Lichtmessen+ [2.
Februar] bringt reichlich Essen; Lichtmeß helle, bringt Mangel zur
Stelle (Grünstädtel). -- 715. Wenn an Lichtmeß die Sonne scheint,
dauert der Winter noch lang (allg.). -- 716. Wenn es zu Lichtmeß trüb
ist, so kann der Schäfer vier Wochen eher austreiben, scheint aber
die Sonne, so muß er vier Wochen länger zu Hause bleiben (Raschau).
-- 717. Der Schäfer sieht Lichtmeß lieber den Wolf im Stall, als
den Sonnenschein (Zöblitz). -- 718. Sonnt sich der Dachs in der
Lichtmeßwoch, geht er vier Wochen wieder zu Loch (Grünstädtel). --
719. Lichtmeß im Klee, Ostern im Schnee (Raschau). -- 720. Wenn es zu
+Alphonsus+ oder +Desiderius+ [11. Febr.] regnet, hören die Fröste
auf (Ehrenfriedersdorf). -- 721. +Petri Stuhlfeier+ [22. Febr.] kalt,
die Kälte noch anhalt (Geier). -- 722. Matthis [Matthäus, 24. Febr.]
bricht’s Eis; find’ er keins, so macht er eins (Stollberg). -- 723.
Trockne +Fasten+, gutes Jahr (Grünstädtel). -- 724. Wenn zu Fastnacht
die Sonne Vormittags scheint, so säe man den Flachs zeitig, scheint sie
aber Nachmittags, später (Marienberg), vgl. 85.

+März und Frühling.+ 725. Märzschnee thut der Saat weh (Marienberg).
-- 726. Hält der März den Pflug beim Sterz [d. h. kann man im
März pflügen], hält April ihn wieder still (Grünstädtel). -- 727.
Märzenstaub bringt Gras und Laub (Raschau). -- 728. Märzenlaub wird
gern vom Frost verzehrt (Lauter). -- 729. März nicht zu trocken, nicht
zu naß, füllt dem Bauer Kisten und Faß (Annaberg). -- 730. Wenn im März
der Schnee zerfließt, kommt viel Hagelwetter im Sommer (Raschau). --
731. Wer im +Frühling+ den Pflug trocken hinausführt, bringt ihn im
Herbst wieder naß herein (Sehma). -- 732. Jeder Märznebel kommt nach
hundert Tagen als Regen wieder (allg.).

§ 91. +April und Ostern.+ 733. April kalt und naß, füllt Scheuer und
Faß (allg.). -- 734. Regnet’s warm im April, so erntet der Bauer in
Füll’ (Marienberg). -- 735. Sei der April noch so gut, er schickt dem
Schäfer den Schnee auf den Hut (Annaberg). -- 736. St. +Georg+ und St.
+Markus+ [24. 25. April] drohen oft viel Arges (Lößnitz). -- 737. Wenn
es +Charfreitag+ regnet, wird ein trockner Sommer (Raschau). -- 738.
Charfreitag- und +Osterregen+ bringen schlechte Erntesegen (Annaberg).
-- 739. Regnet’s in die Ostern hinein, wird zu Wasser auch der Wein
(Marienberg), vgl. 109 u. 128.

+Mai und Pfingsten.+ 740. Donner im Mai, Sturm in’s Heu (Grünstädtel).
-- 741. Abenthau und Kühl’ im Mai bringt viel Wein und Heu (Annaberg,
Lößnitz). -- 742. Mai kühl, Juni naß, füllt Scheuer und Faß
(Marienberg). -- 743. Nach +Pankraz+ und +Servaz+ [12. u. 13. Mai]
schaden die Nachtfröste den Früchten nicht mehr (Raschau). -- 744.
Ist es schön auf +Petronell+ [31. Mai], meßt den Flachs ihr mit der
Ell’ (Marienberg). -- 745. +Pfingstregen+ bringt reichen Erntesegen
(Lößnitz). Vgl. auch 144.

+Juni, Sommer+ etc. 746. Wer nicht geht mit Sichel und Rechen auf’s
Feld, wenn Bienen und Bremsen stechen, der muß gehen mit dem Strohseil
und fragen, wer hat Heu feil (Marienberg). -- 747. Brachmonat naß,
leert Scheuer und Faß (Marienberg). -- 748. Wenn kalt und naß der Juni
war, verdirbt er meist das ganze Jahr (Annaberg). -- 749. Durch den
Juniwind aus Norden ist noch nichts verdorben worden (Marienberg).
-- 750. Das Kraut ist vor +Johanni+ [24. Juni] zu stecken (Frohnau),
vgl. 151 u. 152. -- 751. Der Brachmonat muß die Weiberlaunen haben
(Marienberg). -- 752. Wenn es am +Siebenschläfer+ [27. Juni] regnet, so
regnet es sieben Wochen lang (allg.), vgl. 156.

§ 92. +Juli, Hundstage+ etc. 753. Wind im Juli vom Niedergang [Westen]
ist des Regens Anfang (Lößnitz). -- 754. Viel Fliegen, viel Korn
(Marienberg). -- 755. Wenn es zum +Medardus+ [8. Juli] regnet, regnet
es 30 Tage lang (Marienberg). -- 756. +Hundstage+ [vom 24. Juli bis
24. Aug.] hell und klar, zeugen ein gutes Jahr (allg.). -- 757. Treten
die Hundstage gut ein, so wird vier Wochen gutes, treten sie schlecht
ein, vier Wochen schlechtes Wetter (Geier). -- 758. Wenn die Hundstage
gut eintreten, treten sie schlecht aus (Geier). -- 759. +Jakobi+ [25.
Juli] darf’s nicht regnen; regnet es, so regnet es den Weibern in den
Backtrog (Markneukirchen). -- 760. Zu Jakobi werden die neuen Erdäpfel
probirt (Lauter), vgl. Aug. -- 761. +St. Paulus+ (29. Juli) klar, ein
gutes Jahr (Marienberg).

+August.+ 762. Was im August nicht bäckt, wird im September nicht
braten (Marienberg). -- 763. Giebt’s im August Sonnenschein, so wird
die Ernte besser sein (Mildenau). -- 764. Die Nächte kühl, die Tage
schwühl, dann wird der Ernte viel (Marienberg). -- 765. +Laurentius+
[10 Aug.] werden zum erstenmal Kartoffeln geschüttelt, d. i. probirt
(Markneukirchen). -- 766. Um St. Laurenti Sonnenschein, bedeutet ein
gut Jahr von Wein (Lößnitz). -- 767. +Himmelfahrt Mariä+ [15. Aug.]
hell und rein, bringt guten Wein (Grünstädtel). -- 768. +Bartholomä+
[24. Aug.] Bauer sä. Oder genauer: Bartholomä Korn sä, Grummt mäh
(Markneukirchen). -- 769. Wenn zu Bartholomä der Himmel voller Wolken
ist, bekommen wir viel Schnee (Raschau). -- 770. Bartholomä werden
die Kartoffeln geschüttelt (Annaberg). -- 771. Bartholomä sch.... der
Teufel die schwarzen [Heidel-] Beere (Annaberg).

+September+ und +Herbst+. 772. Septemberregen ist der Saat gelegen
(Annaberg). -- 773. Wenn die Blätter im Herbste spät abfallen, so
deutet dies auf einen harten Winter (Lößnitz). -- 774. Sitzt das Laub
lange an den Bäumen, wird der Winter auch nicht säumen (Annaberg). --
775. +Egide+ [1. Sept.] Sonnenschein, tritt ein schöner Herbst ein
(Raschau). -- 776. Auf +Mariä Geburt+ [8. Sept.] zieht die Schwalbe
fort (Annaberg). -- 777. Wenn der +Michaelistag+ [29. Sept.] in den
zunehmenden Mond fällt, so wächst im nächsten Jahre viel Futter
(Raschau), vgl. 157.

§ 93. +Oktober.+ 778. Viele Nebel im Oktober geben viel Schnee im
Winter (Marienberg). -- 779. Wie die Witterung im Oktober ist, wird sie
auch im März sein (Lößnitz). -- 780. Im Oktober sind die Pferde pober
(Zschopau). -- 781. Zu +St. Gall+ (16. Okt.) bleibt die Kuh im Stall
(Voigtsdorf). -- 782. St. Gallen läßt den Schnee fallen (Annaberg). --
783. +Urschel+ [Ursula; 21. Okt.] fei, hackt’s Kraut rei (Frohnau). --
784. +Simon+ und +Judith+ [28. Okt.] bringen den Winter mit (Annaberg).

+November.+ 785. Geht die Gans zu +Martini+ [11. Nov.] auf dem Eise,
so geht sie zu Weihnachten auf dem Dreck (allg.) -- 786. Geht die Gans
zu Martini auf Dreck, so geht sie zu Weihnachten auf Eis (Lößnitz). --
787. Heut ist der Märts [Martini], nun kommt er [der Winter] gepärzt
[schnell gerannt] (Annaberg). -- 788. +Andreas+schnee [30. Nov.] treibt
die Preise in die Höh’ (Marienberg).

+December, Winter, Weihnachten+: 789. Kommt die Feldmaus in’s Haus, ist
der gelinde Winter aus (Marienberg). -- 790. Große Windwehen, große
Heuschober (Raschau). -- 96. Neuer Schnee, neue Kälte (allg.). -- 791.
Grün +Weihnacht’+, weiß Ostern; weiß Weihnacht’, grün Ostern (allg.)
-- 792. Wenn es zu Weihnachten sieht wie Klee, hängen die Palmen [die
Bäume am Palmsonntage] voller Schnee (Raschau). -- 793. Wenn es in der
Christnacht schneit, geräth der Hopfen (Lößnitz), vgl. 20-24.

§ 94. ~b.~ +Andere Zeitbestimmungen. Der Quatember+: 794. Wie das
Wetter am Quatember ist, so bleibt es in dem folgenden Vierteljahre
(allg.). -- 795. Wenn es zum Quatember regnet, so regnet es noch
hundert Stunden, dann wird schönes Wetter (Ehrenfriedersdorf).
-- 796. Wo die Luft in der hundertsten Stunde nach dem Quatember
herkommt, kommt sie das ganze Jahr her (Ehrenfriedersdorf). +Bestimmte
Wochentage+: 797. Wenn es am 1. Sonntag im Neumond regnet, regnet es
alle vier Sonntage (Raschau), vgl. § 18. -- 798. Was der Sonntag will,
bringt der Freitag (Marienberg), oder: wie der Freitag, so der Sonntag
(Schneeberg).

+Tageszeiten+: 799. Morgenroth bringt Wind oder Koth (allg.). Dagegen:
Abendrieth [Abendröthe] bringt schi [schönes] Wätter mit, oder:
Abendroth ist ä guter Wetterbot (allg.). -- 800. Wenn es in der
Mittagsstunde zu regnen oder zu donnern anfängt, regnet es an dem Tage
fort (Sosa).

§ 95. ~B.~ +Erscheinungen an Naturdingen.+ ~a.~ +Wolken, Regen,
Thau+ etc.: 801. Spitze +Wolken+ verkünden Regen. -- 802. Wenn die
+Sonne+ Wasser zieht, kommt am folgenden Tage Regen (Raschau). -- 803.
Scheint die Sonne auf ’n nassen Busch, kommt bald ein anderer Husch
[Regenschauer] (Schneeberg). -- 804. Wenn ein +Regenbogen+ entsteht,
regnet es den anderen Tag wieder (Schwarzenberg). -- 805. Wenn es,
während ein Regenbogen am Himmel steht, regnet, so regnet es noch drei
Tage hintereinander (Raschau). -- 806. Kleiner +Regen+ mag großen Wind
legen (Annaberg). -- 807. Ist der Regen wie Staub so fein, soll der
Bote guten Wetters sein (Annaberg). -- 808. Wenn es regnet und die
einzelnen Tropfen bleiben an den Fensterscheiben hängen, so regnet es
eine Zeitlang fort (Ehrenfriedersdorf). -- 809. Wenn die Regentropfen,
die in einen Teich oder überhaupt in stehendes Wasser fallen, Blasen
bilden, so regnet es eine Zeitlang fort (Raschau). -- 810. Der Regen,
der bei Sonnenschein fällt, wird Mühlthau [Mehlthau] genannt und ist
giftig; er schadet den Blüthen (Zschopau). -- 811. Hat es über Nacht
stark +gethaut+, so wird schönes Wetter (allg.).

§ 96. ~b.~ +Thiere+ und +Pflanzen+: 812. Wenn sich der +Hund+ auf dem
Rücken herumwälzt, so folgt schlechtes Wetter (Raschau, Geiersdorf),
vgl. § 21 ~a.~ -- 813. Wenn der Hund oder die +Katze+ Gras frißt,
wird schlechtes Wetter (allg.). -- 814. Wenn die Katze an den Stühlen
kratzt, wird anderes Wetter (Raschau), vgl. § 21 ~d~. -- 815. Wenn
die +Kühe+ im Herbste viel in die Höhe schnaufen, so schneit es
bald (Sosa). -- 816. Wenn die +Gänse+ sich früh baden, wird schönes
Wetter, baden sie sich Nachmittags, schlechtes Wetter (Raschau). --
817. Wenn es regnet und die Gänse halten die Köpfe in die Höh’, so
hört es bald wieder auf (Sosa). -- 818. Wenn die +Hühner+ hoch, d.
i. auf Bäume oder Dächer fliegen, wird schlechtes Wetter (Raschau),
vgl. § 22 ~h~. -- 819. Wenn es regnet und die Hühner treten unter, so
regnet es fort, bleiben sie aber im Freien, so hört es bald wieder auf
(Sosa). -- 820. Wenn der +Hahn+ auf den Gartenzaun fliegt, wird schönes
Wetter (Breitenbrunn). -- 821. Wenn die Hähne oft krähen, wird anderes
Wetter (Raschau). -- 822. Wenn der Hahn früh um 3 Uhr und Nachmittags
kräht, so wird schönes Wetter, kräht er aber Vormittags, schlechtes
(Raschau). -- 823. Wenn sich die +Tauben+ baden, wird schlechtes
Wetter (Zschopau). -- 824. Wenn die +Schwalbe+ hoch fliegt, wird gutes
Wetter, fliegt sie aber niedrig, auf der Erde oder auf dem Wasser
hin, wird schlechtes Wetter (allg.), vgl. § 22 ~i~. -- 825. Wenn die
+Krähen+ über die Stadt oder das Dorf fliegen, wird schlechtes Wetter
(Sosa). -- 826. Wenn sich die +Dohlen+ paaren, ändert sich das Wetter
(Marienberg), vgl. § 22 ~f~. -- 827. Wenn die +Fledermaus+ fliegt, wird
gutes Wetter (Zöblitz). -- 828. Wenn sich die +Sperlinge+ im Staube
baden, wird schlechtes Wetter (Schneeberg). -- 829. Wenn die +Frösche+
naß sind, regnet es nicht, wenn sie aber trocken sind, kommt Regen
(Raschau, Sosa). -- 830. Wenn die +Spinne+ in ihr Netz geht, so wird
schönes Wetter, zieht sie sich aber in ihren Schlupfwinkel zurück,
so wird schlechtes Wetter (allg.), vgl. § 22 ~l~. -- 831. Wenn die
+Mücken+ säulenförmig spielen, wird schlechtes Wetter (Schneeberg).

832. Blüht der +Weißdorn+, so wird es warm, blüht der später blühende
+Schwarzdorn+, so wird es kalt (Zschopau). -- 833. Viel +Kratzbeeren+
[Brombeeren], harter Winter (Lengefeld). -- 834. Wenn das +Haidekraut+
viel blüht, wird ein strenger Winter (Marienberg). -- 835. Der +Rettig+
früh Gift, Abends Arzenei (Raschau). Vgl. auch § 23.


  [2] Diese § 82-88 enthaltene, genaue und bis in das Einzelne gehende
      Auseinandersetzung über Kleidung, Wohnung, Kost etc. des
      Landmannes im Obergebirge wählten wir, um, abgesehen von
      der kulturhistorischen Bedeutung gerade dieses Standes, dem
      +Fernstehenden+ ein wahres und vollständiges Bild von dem
      „gebirgischen Bauer“ zu geben. Da derselbe bezüglich seines
      Lebens und seiner Einrichtungen in Wort und Schrift (so selbst in
      dem sonst trefflichen Buche von +Sigismund+, s. bei § 70) noch
      immer entschieden zu ungünstig beurtheilt wird.


III. Haus und Familie.

§ 97. Hausbau und Hochzeit, Taufe und Begräbniß sind, abgesehen von
den dabei stattfindenden Schmausereien, mit mancherlei Gebräuchen und
Sitten ausgestattet. Vgl. § 44-46.

1. +Hausbau.+ 836. Ist der Dachstuhl aufgesetzt, so wird das Haus
gehoben. Der Besitzer ladet Freunde, Nachbarn u. s. w. ein, ihm
das Haus heben zu helfen. Die Bauleute schmücken ein Tannen- oder
Birkenbäumchen mit bunten Tüchern und Sträußen und befestigen dasselbe
an der Giebelspitze des Daches. Hierauf versammeln sie sich in
sonntäglichem Anzuge sammt den Gästen des Bauherrn. Der Baumeister
oder der Obergeselle besteigt den First und hält von der Höhe herab
eine kurze Ansprache. Am Schlusse derselben trinkt er auf das Wohl des
Besitzers und seiner Familie und wirft das geleerte Glas herunter.
Zerbricht es, so ist es ein günstiges Anzeichen, bleibt es ganz, so
bedeutet es Brand- oder anderes Unglück (vgl. 229 u. 887). Die ganze
Versammlung singt hierauf das Lied: Nun danket Alle Gott. Mahl (der
„Hebeschmaus“) und Tanz beschließt die Festlichkeit.

2. +Hochzeit.+ 837. Die Brautleute werden von Verwandten und Freunden
mit Geschenken, mit einem Hausrath, bedacht (allg.). -- 838. Der
Kutscher, der das Brautpaar zur Kirche führt, bekommt ein buntes Tuch
an den Rock gesteckt (Mildenau). -- 839. Während das Brautpaar auf dem
Weg zur Kirche ist, sowie bei der Rückkehr aus derselben, wird mit
Pistolen, Böllern u. s. w. geschossen (Geiersdorf, Schwarzbach). --
840. Auf dem Wege zur Kirche wird das Brautpaar mit getheerten Stricken
angehalten und muß sich mit Geld lösen (Zschopau). -- 841. Bei dem
Hochzeitsschmaus darf die Brautsuppe nicht fehlen (Grünstädtel) und
nur Ein Glas wird auf den Tisch gesetzt (Mildenau). -- 842. Während
des Tanzes suchen die junge Burschen die Braut zu „rauben“: gelingt
es, so wird der unachtsame Bräutigam durch Hohngelächter gestraft
(Schneeberg). -- 843. Der Brautkranz wird der Braut unter Scherzreden
abgenommen und sie statt dessen mit einer Haube geschmückt, während
der Bräutigam hie und da mit einer Zipfelmütze beglückt wird. -- 844.
Nachdem der Braut der Kranz abgenommen ist, werden ihr die Augen
verbunden und ihr der Kranz in die Hand gegeben. Hierauf bilden ihre
Freundinnen einen Kreis und tanzen um sie herum. Welchem Mädchen die
Braut mit verbundenen Augen den Kranz hinreicht, dieses ist die nächste
Braut (Schneeberg). -- 845. Wenn das junge Ehepaar auf dem sogenannten
Kammerwagen, der die Ausstattung der Braut enthält, aus dem Dorfe
fährt, so werden sie aufgehalten, indem man zwei Rechen zusammenbindet
und über den Weg hält (Zschopau), oder ein buntes Band in der Mitte
mit einem Herzchen verziert (Schwarzbach), davor zieht. Die Gehemmten
müssen sich mit einem Geldstück lösen. -- 846. Noch gedenken wir
eines Gebrauchs in +Annaberg+, der seit der 2. Hälfte des vorigen
Jahrhunderts in Wegfall gekommen ist: Vor dem Hochzeitshaus wurde
gegen eine Abgabe von 1 Thlr. 14 Ggr. an die städtische Kasse, die
„Hochzeitsküche“, eine Art Bude, in der die Speisen zubereitet wurden,
aufgeschlagen. Diese Abgabe mußte bezahlt werden, auch wenn diese Küche
nicht beansprucht wurde.

§ 98. 3. +Taufe.+ 847. Sind die Pathen in der Kirche angelangt, oder
mit dem Täufling wieder daheim angekommen, so stecken sie dem Kinde
den „Pathenbrief“ mit einer Denkmünze oder einem Geldstück in das
Einbindebett (vgl. 888). -- 848. Wenn die Gevattern aus der Kirche
in das Haus zurückkehren, so kommt ihnen der Kindtaufsvater mit der
Branntweinflasche entgegen und „schenkt“ Jedem einmal (Schwarzbach).
-- 849. Bei dem Kindtaufsessen sitzen die Gevattern oben an. -- 850.
+Das „Liebereigeben“ in Ehrenfriedersdorf+: Wenn die Gäste beim
Kindtaufsschmause sitzen, wobei die beiden Gevattersbursche die
Gevattersjungfrau in der Mitte haben (wenn das Kind ein Knabe ist;
ist das Kind ein Mädchen, so sitzt der Gevattersbursche obenan und
zu seinen Seiten die beiden Gevatterinnen), so nehmen jene, nach
einer kurzen einleitenden Ansprache der Hebamme, die zugleich den
Ceremonienmeister macht, je ein gefülltes Bierglas, welches mit einem
Teller bedeckt ist und trinken ihrer Mitgevatterin mit den Worten
zu: „Prost auf die Lieberei.“ Diese antwortet: „Wohl bekomm’s auf
die Lieberei.“ Die Wechselreden auf die „Lieberei“ werden nun eine
Zeitlang unter Witz und Scherz fortgesetzt, bis endlich unversehens
das Mädchen ein Geschenk (z. B. eine Porzellanfigur oder dergl.) auf
einen Teller legt. Dies befriedigt jedoch die jungen Leute nicht,
und daher wird der Wettstreit fortgesetzt, bis die Gevatterin ein
Geschenk bietet, das den Erwartungen entspricht, z. B. eine Tasse.
Als Gegengeschenk empfängt die Gebende eine Zuckerdüte. -- 851.
Während der Taufmahlzeit geben die weiblichen Pathen dem Mitgevatter
ein Geschenk, z. B. eine seidene Weste. Dafür bezahlt dieser die
„Auflage“ (d. h. einen Beitrag zur Schulkasse oder zu anderen Zwecken,
der gewöhnlich mittelst eines herumgehenden Tellers einkassirt
wird) für seine Gevatterinnen (Schwarzbach). -- 852. Die Taufe
wird bei Familien der höheren Stände meist im Hause vollzogen, bei
bürgerlichen Familien geschieht dies jedoch nur im Nothfall. -- 853.
Wir lassen die Beschreibung eines +Tauffestes+, wie es etwa in einer
Bürgerfamilie Annabergs vor ohngefähr 30 Jahren gehalten wurde, folgen.
Der Hauptsache nach herrschen auch jetzt noch dieselben Gebräuche.
Gewöhnlich wurde gleich im Gevatterbrief, welchen jedesmal die Hebamme
oder „Wehfrau“ brachte, zum Essen eingeladen und man bemaß darnach die
Eingebinde und Geschenke. Nach beendigtem Nachmittagsgottesdienst,
oder in der Woche um 3 Uhr, wurden die zwei Nebengevattern in die
Kirche gefahren, der oder die Pathe aber zur Abholung des Täuflings in
das Kindtaufshaus. Nach beendigter Taufe fuhren alle mit dem Täufling
nach Hause, wo zunächst Kaffee und Kuchen servirt wurden. Dieser
Kuchen war sehr gut und drei bis vier Finger hoch, weshalb er „dicker
Kuchen“ genannt wurde. Während des Kaffee’s wurden die Kinder der
Pathen und der übrigen Gäste, die sogenannten „Zupfgäste“, spazieren
gefahren. Nach deren Zurückkunft fuhr man die weiblichen Gevattern
nach Hause, um sich umzukleiden, während die männlichen im Taufhause
blieben und sich bei Bier und Tabak (letzterer lag auf einem zinnernen
Teller und wurde aus Thonpfeifen geraucht) unterhielten. Nach der
Rückkehr der Frauen und Jungfrauen blieb die Gesellschaft beisammen
und vertrieb sich die Zeit bis zum Abendessen auf mannichfaltige
Weise. Neuerdings ist es Sitte, nach dem Kaffee durch die gemeinsame
Fahrt nach einem der Dorfwirthshäuser wo Tanz ist, namentlich nach
Sehma, die Zeit sich zu verkürzen. Das Abendessen bestand entweder in
gebratener Schweinskeule mit Sauerkraut, oder in gekochten Schinken
mit Pflaumen, Preiselsbeeren, Hagebutten mit Rosinen, oder mit Salat;
auch Karpfen mit Krautsalat oder Rindfleisch mit gedämpfter Brühe,
Rosinen und Mandeln waren gebräuchlich. Als Zukost gab man Semmeln
oder Brodchen, die man wohl auch aushöhlte und mit Hagebutten,
Rosinen oder gebackenen Pflaumen sammt der Brühe füllte und an die
kleinen Zupfgäste vertheilte. Nach dem Essen wurden Pfänder- oder
andere Gesellschaftsspiele vorgenommen und nach Mitternacht wieder
Kaffee und Kuchen aufgetragen. -- Am Tage nach der Kindtaufe erhielt
jeder Gevatter ein Viertel „dicken Kuchens“ in das Haus geschickt.
Sehr gewöhnlich war es, daß die Gevattern am nächsten Sonntag einen
Wochenbesuch machten, wo wieder Kuchen und Kaffee und gegen Abend
Butterbrod mit kalter Küche vorgesetzt wurde.

854. Bei der Taufe, als dem Feste der Namensgebung, gedenken wir
noch der sehr verbreiteten Sitte der sogenannten „+Spitznamen+.“
Es wird bei diesem meist der Taufname (natürlich im Volksdialekt)
dem Familiennamen angehängt, z. B. „Richterlieb“ (Gottlieb
Richter). Hat nun dieser Richterlieb einen Sohn Karl, so heißt
dieser „Richterliebkarl“ und dessen Sohn Gottfried wird nun
„Richterliebkarlfried“ oder mit Hinweglassung des großväterlichen
Taufnamens „Richterkarlfried“ genannt. Andere Beispiele sind:
„Hansenfritzenkarlfried“, „Bachfritzkarl“, „Bauerhanscordel“, vgl.
858 u. 859. -- Andere Spitznamen leiten sich von dem Stande oder
dem Namen der Wohnung ab. Z. B. es wohnt Jemand in einer Mühle, die
„Sorge“ genannt, so wird er der „Sorgenmüller“ genannt, auch wenn
er gar nicht Müller heißt, oder bestimmter, wenn sein Taufname Karl
ist, der „Sorgenmüllerkarl“. Sein Sohn, der vielleicht August heißt,
wird als „Sorgenmüllerkarlgust“ bezeichnet, auch wenn er einen andern
Beruf, als sein Vater gewählt hat. -- „Schneiderliebgust“ ist der Sohn
August des Schneiders Gottlieb N. N. -- Auch von anderen Umständen
und Verhältnissen wird der Spitzname entnommen, z. B. hat Jemand die
Gewohnheit nur fuchsfarbige Pferde zu halten, so nennt man ihn selbst
Fuchs und hängt den Taufnamen dazu, also „Fuchsdavid“, seine Tochter
Auguste heißt „Fuchsdavidguste“ u. s. w.

4. +Begräbniß.+ Bezüglich der Leichenbegängnisse sind uns keine
eigenthümlichen Gebräuche mitgetheilt worden. Denn die folgenden sind
allgemein verbreitet: 855. Der Schulmeister begiebt sich mit der
erwachsenen Schuljugend, deren Einer das Kreuz vorträgt, unter dem
Geläute Einer Glocke zur bestimmten Stunde, gewöhnlich Nachmittags
1 Uhr, in das Trauerhaus. Dort werden einige Lieder aus dem
„Sterbebüchel“ und zuletzt eine Arie gesungen. Dann setzt sich der Zug
nach dem Gottesacker in Bewegung (Geiersdorf). -- 856. Ist der Sarg
in das Grab gelassen, so werfen die Angehörigen je drei Hände voll
Erde darauf (allg.). -- 857. Beim Begräbniß eines Soldaten, der einen
Feldzug mitgemacht hat, wird von den begleitenden Kameraden über das
Grab geschossen (Marienberg). -- Ueber Leichenbegängniß und Begräbniß
in +Annaberg+ vgl. der Gottesacker zu Annaberg (Annaberg, 1860), S. 140
ff.



Anhang.

§ 99. Lieder und Reime im obererzgebirgischen Volksdialekt.


1. Weihnachten.

Folgende zwei Weihnachtsgedichte erläutern vielfach das oben §§ 5 und
6, sowie 49 und 50 Angeführte. Beide sind Volkslieder. Vergl. auch:
+Simrock+, deutsche Weihnachtslieder, Leipzig, 1859.


858. =Weihnachts heiliger Ohmd[3].=

’n Hammer sei Liedel.

(Aus +Marienberg+ mitgetheilt.)

    Schwenze lenz! heut’ bi ig fruh
    ’s wor mer lange Zeit net suh!
    Will heut Döbes[4] machen!
    Kinner[5], ig hob Gald, wie Heu.
    ’s kanne lecht zwee Tholer sei, --
    Ja drüm kah ich lachen!

    Sah dos heilig Ohmdlicht a,
    ’s sei fei ruthe Blümle dra.
    Unn a klahns[6] Gesprüchel![7]
    Hob zwee Grosch’ derfür bezohlt,
    Selber su schie ahgemohlt,
    Wie a Tahfet[8]-Tüchel.

    Fix! ne Krunelechter ro,
    Dann ig zammgepitzelt[9] ho,
    Unn vergold’t su machtig!
    Sahtt die golding Engele,
    Zwischen Sträuchla wackeln se,
    Ah, dos steht su prachtig!

    Su! Nu iß er ahgezünd’t;
    Ei wie schi der Lechter brünnt
    ’s kloppt mers Harz vor Fraden.
    Ach, die Schwarzbersträuchla[10] sei
    Ahgesah be Licht so fei
    Thunna racht schi kladen[11].

    Söll de ganze Sach wos tähng[12],
    Muß mer ah a Pfeifel rähng![13]
    Drüm will ig ahns stoppen.
    Do dar Kopp vun Porzelih[14]
    Iß dar epper net recht schi?
    Muß ’ne ärst auskloppen.

    Nogert[15] will ich hutzen[16] gih,
    Heut beschärt’s ne Kinnern schi,
    ’s iß gu heut Bornkinnel.
    Kumme ah de Madle nog,
    Bi dan Greten[17] gut mei Tog,
    ’s iß a lus Gesinnel![18]

    Bi a löd’ger[19] Poß,[20] unn ho
    Nog enn Schatz ball hie, ball do
    Schu gestrabbt vun Harzen.
    Ober dos iß wunnerlig,[21]
    Kane[22] thut, als will se mig;
    Nu, ig kah’s verschmarzen.

    Gutte Nacht, derweil, ihr Leut’ --
    Weckt mig morn’g ze rachter Zeut,
    Morn’g[23] giht’s in de Mätten!
    Wenn mer su de halbe Nocht
    Hod fei lustig zugebrocht,
    Kreucht mer in de Betten.


  [3]  +Ohmd+, Abend.

  [4]  +Döbes+, Töps, Lärm.

  [5]  +Kinner+, Kinder.

  [6]  +klahns+, kleines.

  [7]  +Gesprüchel+, Spruch.

  [8]  +Tahfet+, Taffent.

  [9]  +zammgepitzelt+, zusammengeschnitzelt.

  [10] +Schwarzbersträuchla+, Schwarzbeerensträuche, Heidelbeerkraut.

  [11] +kladen+, kleiden.

  [12] +tähng+, tauchen, nützen.

  [13] +rähng+, rauchen.

  [14] +Porzelih+, Porzellan.

  [15] +nogert+, hernach.

  [16] +hutzen+, Zu den Nachbarn auf Besuch gehen.

  [17] +Greten+, Kröten, schmeichelndes Schimpfwort.

  [18] +Gesinnel+, Gesindel.

  [19] +löd’ger+, lediger.

  [20] +Poß+, junger Bursch.

  [21] +wunnerlich+, wunderlich, sonderbar.

  [22] +kane+, keine.

  [23] +morn’g+, morgen.


859. =Zum heiling Ohmd.=

Gedicht von verw. Frau v. Elterlein in Schwarzenberg, geb. Benckert aus
Annaberg.

    Heut is der heil’ge Ohmd ihr Mäd,
    Kummt rei, mer gießen Blei.
    Fritz löf geschwind zur Hanne Christ,
    Se soll bei Zeiten rei.

    Mer hahm d’n Lächter[24] a’gebrannt;
    Satt[25] nuf, ihr Mäd, die Pracht.
    Do drühm bei euch, is a recht fei,
    Ihr hot ’ne Sau geschlacht.

    Ich hob mer a e Lichtel köft,
    Ver zwee un zwanzig Pfäng’.
    Gi Hanne hul’ ä Tüppel[26] rei,
    Mei Lächter is ze eng.

    Kahr,[27] zindt ä Weihrauchkärzel a,
    Doß a wie Weihnacht riecht;
    Unn stell’s ner of des Scherbel[28] dort,
    Dos unnern Ufen liegt.

    Lott’[29] dorten of der Hühnersteig[30]
    Do liegt men’ Lob[31] sei Blei.
    Mähd raffel[32] fei nett sehr dort rüm,
    S’ist[33] werd der Krienerts[34] scheu.

    Denn’s Mannsvulk hat sei Frehd an wos,
    Sei’s a an wos ner will.
    Mei Voter hot’s an Vugelstell’n,
    Der Kahr, der hot’s an Spiel.

    Ich gieß fei erst, wänn krieg’ ich da?
    Saht her en Hommerschmied!
    De Karlin[35] lacht, die denkt gewiß,
    Ich män ihr’n Richter Fried.

    Mer ham a sächzähn Butterstoll’n,
    Su lang wie ’n Ufenbank.
    Ihr Mäd, do werd’ gefrässn wär’n,
    Mer wär’n noch Alle krank.

    Mer ham a neunerlä gekucht,
    A Worscht unn Sauerkraut.
    Mei Mutter hot sich o geploocht,[36]
    Die ale[37] gute Haut.

    Fritz brock de Semmelmillich ei,
    Nasch ader[38] net derfu.[39]
    Ihr Ghunge[40] wärft kee Räspel[41] nei
    In’s heilig Ohm’nd Struh.

    Wär gieht den über’n Schwammentupp?!
    Nu Lotte ruh’ste nett!
    Wart, wenn när weerd der Voter kumm’,
    Do mußt dee glei ze Bett.

    Nä hurcht ner a mohl in Ufentupp,
    Dos Rumpeln und dos Geig’n.
    Na wenn es när nett winseln thut,
    Denn s’ist bedett’s[42] noch Leich’n.

    Den heiling’ Ohmd üm Mitternacht,
    Do läft statt Wasser Wei.[43]
    Wenn ich mich ner nett färchten thät,
    Ich hult ’n Tupp voll rei.

    Denn drühm an Nachbar’sch Wassertrug
    Do stieht ä grußer Mah.[44]
    Und wär nett reichte Tohzen[45] hat,
    Dän läßt er gor nett na.

    Lob hul derweil den Hanne Lieb[46]
    ’n Voter ä Kännel Bier.
    ’noch,[47] wenn de kümmst, do singe mer:[48]
    „Ich freue mich in Dir.“

    Ihr Kinner, gieht in’s Bett nu nuff,
    Der Seeger zeigt schu ens.
    Ob mer ä Weihnacht wieder erle’m?[49]
    Wie Gutt will, su gescheh’s.


  [24] +Lächter+, Leuchter.

  [25] +Satt+, sehet.

  [26] +Tüppel+, Töpfchen.

  [27] +Kahr+, Karl.

  [28] +Scherbel+, kleine Scherben.

  [29] +Lott’+, Charlotte.

  [30] +Hühnersteig+, Hühnerhorde, worin während des Winters Hühner in
       der Stube sich mit aufhalten.

  [31] +Lob+, Gottlob.

  [32] +raffel+, raschle.

  [33] +s’ist+, sonst.

  [34] +Krienerts+, Kreuzschnabel.

  [35] +Karlin+, Karoline.

  [36] +geploocht+, geplagt.

  [37] +ale+, alte.

  [38] +ader+, aber.

  [39] +derfu+, davon.

  [40] +Ghunge+, Jungen.

  [41] +Räspel+, Räuspel, Räuber am Licht.

  [42] +bedett+, bedeutet.

  [43] +Wei+, Wein.

  [44] +Mah.+ Mann.

  [45] +Tohzen+, Tatzen, starke Hände.

  [46] +Hanne Lieb+, Johannes Gottlieb.

  [47] +’noch+, hernach.

  [48] +mer+, wir.

  [49] +erle’m+, erleben.


=2. Neujahr= (vgl. 586).

Ein verbreiteter Scherzreim, namentlich auf dem Lande, ist folgender:

    860. Ich gratelir euch a zum neuen Kahr
         ’ne Kop vuller Haar,
         ’ne Stohl vuller Hüner,
         ’ne Buden vuller Kerner.


3. Fastnacht.

Wenn die Kinder „Spießeinrecken“ gehen (vgl. 66), singen sie folgende
Liedchen:

    861. Do reck ich män Spieß ei
         Ueber’n Herrn sän Tisch nei.
         Steckt er mir a Kräppel nah,
         Is er oh a feiner Ma.
         Is er ader a gorst’ger Ma,
         Steckt er mir ä Dreckel na.

    862. Ich renne dreimal um’s Haus.
         Ach du gute Frä im Haus,
         Lange mir ä Kräppel raus.

    863. Sie, Madame, Sie mein Leben,
         Könnten mir ä Kräppel geben.
         Nicht zu gruß und nicht zu klein,
         Daß ich könnt’ zufrieden sein.


4. Johannistag.

Beim Umtanzen des Johannisbaumes (vgl. 148) wird folgendes Liedchen
gesungen. +Simrock+, das deutsche Liederbuch, 2. Aufl., Frankfurt a. M.
1857, führt unter Nr. 823 u. 824 ähnliche Lieder an. Auf das angeführte
Buch desselben verweisen wir auch bezüglich der bei den Spielen der
Kinder im Obererzgebirge gebräuchlichen Auszählverse, sowie anderer
Kinderverschen.

    864. A. Wer steht denn draußen vor der Thür
            Und thut so leise klopfen?
         B. „Es ist der Förster, steht dafür
            Und hat sich was zu suchen.“
         C. Ich hab verloren meinen Schatz
            Allhier, allhier auf diesem Platz.
            Macht auf, macht auf den Garten.
            Sieh da, sieh da, hier ist mein Schatz,
            Mit dem ich mich verlobet.
            Hier hast du meine rechte Hand
            Und einen Kuß zum Unterpfand,
            Auf daß du bleibst mein eigen.


5. Heidelbeerlieder.

Bei der Rückkehr vom Sammeln der „Schwarzbeeren“ sind folgende Liedchen
gebräuchlich. Vergl. 640 und +Simrock+, Kinderbuch, Nr. 646.

    865. Toppe, Toppe, Bäre!
         Ich hatt men Topp vull Bäre;
         Ich hob’n wieder ausgefrass’n,
         Ho men Voter und Mutter vergass’n.
         Mei Voter nimmt dee Ufengobel
         Und schlät[50] mich uff’n Freßschnobel.
         Au weh, Auh weh, mei Bärschnobel!

    866. Men Topp ho’ ich zerbrochen,
         Aus wos soll mer kochen?
         „Aus den Ufentupp, aus den Ufentupp.“
         Der Ufentupp hot a ee Loch.
         Hoho!

         867. Rolle, rolle, rolle!
              Mer hob’n Olle volle,[51]
              Bis d’r Hinnre[52] nett.
              Hot Moos in Topp,
              Hot Werg in Kopp.
              Aho!

       868. Juck, juck jere!
            Mei Topp is voller Beere,
            Wer sin’n[53] Topp nicht volle hat
            Is ene faule Mähre.
            Kommt Alle ’raus,
            Macht Haufen drauf,
            Wie ä Wachtelhaus.[54]

         869. Roll, roll, roll!
              Mei Topp is voll,
              Mei Bauch is leer,
              Mei Kopf is schwer,
              Heuer sein viel schwarze Beer.

    870. Horei, Stallerei!
         Zie’hn die faulen Beerleute ei.
         Hab’n Alle voll
         Bis der Letzte net;
         Macht Alle nei,
         Daß’s voller werd.
         Ein’ Haufen d’rauf,
         Wie’s G’loserhaus, kischki!


  [50] +schlät+, schlägt.

  [51] +volle+, voll.

  [52] +Hinnre+, der Hintere, der zuletzt Stehende.

  [53] +sin’n+, seinen.

  [54] +Wachtelhaus+, Käfig einer Wachtel.


6. Hirtenlieder.

Bei dem Hüten des Viehes lassen die „Kühjungen“ lautschallende Lieder
ertönen. -- Die unter Nr. 874 und 875 ausgeführten Reime sind zu
Michaelis gebräuchlich, von wo an der Hirt, wie bereits (642) erwähnt,
„über und über“ hüten darf.

    871. Horaus! jetzt treibt der faule Kuhhirt aus.
         Meine Küh sind lange ’raus.
         Wenn ich austreib, liegst Du noch im Bett.
         Du fauler Hirt hast ausgeheckt
         Drei Mandeln junge Ziegenbock
         Sind alle verreckt.[55]
         O he ho, o he ho!

    872. Treib ei, treib ei, du fauler Hert,
         Wenn ich austreib, liegst du noch lang im Bett.
         Meine Küh sei olle saat.
         Deine ha’n net viel gefressen,
         Weil d’ bist uff der Ufenbank gesessen.

    873. Hohrei! Hohrei!
         Meine Küh sind alle ’rei
         ’s fehlt mer nur e Ziegenbuck:
         Wo muß der sei hingehuppt?
         ’nuner in dos Niederland,
         Wo die reichen Bauern sitzen
         Mit den langen Zippelmützen,
         Die den Quark mit Löffeln fressen
         und das Geld mit Scheffeln messen.[56]

    874. Michel ist vorüber,
         Nu hüt ich über und über.
         Hüt ich nei in Kraut und Mähren,[57]
         Ka mer der Bauer nischt verwehren.
         Un wen der Bauer ’raus kimmt,
         Setz ich mich auf den Geiselstäcken[58]
         Un thu d’n Bauer den Buckel zu räcken.

        875. Michele is do,
             Dee Herten sind fruh,[59]
             Den Bauern is leed[60]
             Um schlecht’s Bissel Weed.[61]


  [55] +verreckt+, krepirt, gestorben.

  [56] Dieses Lied findet sich fast gleichlautend bei +Simrock+, das
       deutsche Kinderbuch, Nr. 492.

  [57] +Mähren+, Möhren.

  [58] +Geiselstäcken+, Peitschenstecken.

  [59] +fruh+, froh.

  [60] +leed+, leid, bange.

  [61] +Weed+, Weide.


7. Kaffeelieder.

Bei der Vorliebe des Obererzgebirgers für den Kaffee ist es
begreiflich, daß er denselben auch poetisch verherrlicht hat und diese
Lieder bei seinen Kaffeefesten (vgl. 646) anstimmt.

    876. Der Kaffee schmeckt gut
         Ich schaff’ mer noch keen Ruk.
         Den alten thu ich flicken,
         ’n neuen thu ich sticken,
         Der Kaffee schmeckt gut.

    877. Kaffee thu ich gerne trinken,
         Uhne Kaffee bi ich krank.
         Kaffee trink ich, wo ich geh’ und steh’,
         Am liebsten auf’n Kanapee.

    878. O Kaffee, du edles Kraut,
         Wer dich gepflanzt, hat wohlgebaut.


8. Kirmeß.

Zur Kirmeß (vgl. § 88), sowie auch zum Erntefeste und zu Weihnachten,
ist es Sitte, daß ärmere Kinder von Haus zu Haus „Kuchensingen“ gehen,
wobei sie die Nr. 882-886 verzeichneten Liedchen anstimmen; die
Kühjungen gehen wohl auch „Kuchenklatschen“, d. h. sie geben durch
Peitschenknallen ihre Wünsche zu erkennen. Außerdem ist (879) noch ein
Kirmeßliedchen, eine scherzhafte Kirmeßeinladung(880), sowie ein auf
dieses Fest bezügliches Sprüchwort (881) mitgetheilt.

    879. Zur Kirmeß, zur Kirmeß,
         Da schlachtt mei Vater ’n Buck,
         Buck, Buck, Buck.[62]

    880. Seid zur Kirmeß eingeladen,
         Unser Kuchen ist gerathen,
         Unsre Würstchen rund und nett,
         Unser Braten braun und fett.

    881. Edelleuten muß man ihre Bälle,
         Den Bauern ihre Kirmeß lassen (Marienberg).

    882. Wir armen Kühjungen,
         Wir kommen gesungen,
         Um euch zu ersuchen,
         Gebt uns ein Stück Kuchen.

    883. Ich bin der kleine König,
         Gebt mir nur nicht zu wenig.
         Laßt mich nicht zu lange steh’n,
         Muß noch ein Häuschen weiter gehn.

      884. Wir woll’n heute Kuchen singen,
           Müssen noch heut weiter springen.
           Gebt uns ä Bissel weißen,
           Da woll’n wir uns drum beißen;
           Gäbtt uns ä Bissel mitteln,
           Da woll’n wir uns d’rum knitteln;
           Gäbtt uns ä Bissel schwarzen,
           Da woll’n wir uns d’rum kratzen.

      885. Dreimal, dreimal um das Haus,
           Bringt mer e Stückel Kuchen ’raus.
           Ist der Kuchen nett gerothen,
           Bringt mer e Stückel Schweinebroten.
           Schweinebroten schmeckt nett gut,
           Brengt mer e Stückel Haberbrud.
   (Oder:) Schweinebroten is’ vorbei,
           Bringt mer e Gläsel Branntewei’.

    886. Wir wollen Kuchen singen,
         Die junge Frau is’ hurtig und geschwinde.
         Gebt uns ooch en’ Gälen,[63]
         An Fressen sull’s nich fählen.
         Grün is’ die Linde,
         Die junge Frau is’ hurtig und geschwinde.


  [62] +Simrock+, Kinderbuch, führt Nr. 474 fast dieselben Reime an,
       fügt aber noch hinzu:

         Da tanzt meine Mutter
         Da wackelt ihr Rock.

  [63] +Gälen+, gelben Kuchen, d. i. Käse- oder Gießkuchen.


9. Hausbau.

Wenn beim Heben eines Hauses der Baumeister seine Rede vollendet hat,
wirft er das Glas (vgl. 836) mit folgenden Worten herunter:

    887. Das Glas ist aus,
         Was mach’ ich draus?
         Ich werde mich nicht lang’ bedenken,
         Und es über den Kopf hinunter schwenken.


10. Taufe.

Bei dem Hineinstecken des Pathengeschenkes in das Einbindebettchen
(vgl. 847) ist folgendes Verschen gebräuchlich:

    888. Do hast du das Deine,
         Laß Jedem das Seine.


11. Der Besenbinder.

Folgendes Volkslied, ein Wechselgesang, wurde uns aus +Arnsfeld+
mitgetheilt. Beim Singen wird die je zweite Zeile wiederholt, außerdem
noch die drei letzten Sylben jeder Zeile.

    Wenn ich kein Geld zum Saufen hab’,
    Geh ich in Wald, mach’ Reißig ab,
    Geh ich nach Haus, bind’ Besen draus,
    Da kommt schu wieder Geld in’s Haus.
    Wenn ich die Besen gebunden hab’,
    Geh ich die Straße auf und ab,
    Und ruf: „wer kauft mir Besen ab,
    Damit ich Geld zum Saufen hab.“
    Liesel steh’ auf und laß mich ein,
    Oder ich steig’ zum Fenster hinein.
    Liesel steh auf, mach Feuer an,
    Hast du kein Holz, leg Reißig an.
    Liesel steh auf, koch Hirschebrei,
    Hast du keine Butter, schlag Eier ’nei.
    Liesel steh auf! Oder kennst’e mich nich?
    Oder sind das deine Fenster nich?
    „Ich steh’ nicht auf! Ich kenn’ dich schon;
    Daß du ’n Rausch hast, seh’ ich schon.“
    Hab ich ’en Rausch, das macht der Wein.
    Liesel steh auf und laß mich ein!
    „Ich steh nicht auf, laß dich nicht ein:
    ’s könnt heut’ Nacht mein Unglück sein.“
    Ob ich dein Unglück bin oder nich’:
    Liesel mach auf, ich heirate dich.
    Bin ich einmal verheirat mit dir,
    Zwei schöne Rappen kauf ich mir,
    Zwei schöne Rappen und en’ Wag’n,
    Daß ich mit dir kann spazieren fahr’n.
    „Aepfel sind roth, sind Stiele d’ron:
    Buben sind falsch, das weiß man schon.“
    Kirschen sind roth, sind Kerne d’rin:
    Mädchen hann’ och kein’ treuern Sinn.
    „Nüsse sind hart, sind Schalen drum:
    Beide: Wer ist wohl falscher? das sage nun.“
    Pflaumen sind blau, sind honigsüß;
    Daß ich dir gut bleib’, das ist gewiß.
    Aepfel und Pflaumen sind roth und blau:
    Heisa wir werden bald Mann und Frau.


Dresden. Druck von C. C. Meinhold & Söhne. Königl. Hofbuchdruckerei.



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