Home
  By Author [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Title [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Language
all Classics books content using ISYS

Download this book: [ ASCII ]

Look for this book on Amazon


We have new books nearly every day.
If you would like a news letter once a week or once a month
fill out this form and we will give you a summary of the books for that week or month by email.

Title: Was der schwarze Hans erlebte: Kindererzählung aus der Heimat
Author: Zenner, Theodor
Language: German
As this book started as an ASCII text book there are no pictures available.


*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Was der schwarze Hans erlebte: Kindererzählung aus der Heimat" ***

This book is indexed by ISYS Web Indexing system to allow the reader find any word or number within the document.

ERLEBTE ***



                                  Was
                           der schwarze Hans
                                erlebte.


                     Kindererzählung aus der Heimat
                                  von
                            Theodor Zenner.


                          Esch an der Alzette.
                   Druck und Verlag: Kremer & Rettel.
                                 1921.


                           Meinem Vater selig
                        in dankbarer Erinnerung
                               gewidmet.



                                   I.


Der schwarze Hans?!

Wer war denn das? – Vielleicht ein ausgelassener, böser Bube? – ein
Räuber? – ein Neger im fernen Afrika?

Nichts von alledem. Der schwarze Hans war nichts anders als ein alter,
sehr alter Rabe.

Aus der Naturgeschichte ist euch gewiß bekannt, daß die Raben ein sehr
hohes Alter erreichen; ja man sagt sogar, sie könnten es bis auf 200
Jahre bringen. –

So alt war freilich unser Hans noch nicht; aber über 100 und weit
darüber gingen seine Jahre. Genau wie alt er sei, wußte er eigentlich
selbst nicht; denn die alte Tanne, worin er jedesmal ein Zeichen
eingehackt, wenn der garstige Winter von dannen zog und ein neuer
Frühling in die Länder kam, war vor 50 Jahren umgehauen worden; und so
war Hansens Tagebuch verloren gegangen. Gegen 140 mochten seine Sommer
zählen, vielleicht einige mehr, vielleicht einige weniger; doch das
verschlägt ja auch nichts; Hans war sehr alt, und das genügt.

Trotz seines hohen Alters war er aber noch sehr rüstig. Zwar ging er wie
alte Leute etwas gebückt, aber seine Federn waren noch nicht weiß
geworden; sie schillerten nur etwas ins Grünliche hinüber. Er hörte auch
noch vorzüglich, und im Fliegen hätte er es mit einem Zwanzigjährigen
aufnehmen können. Oft indes klagte Hans, daß in den letzten Jahren sein
Augenlicht bedeutend abgenommen habe; er sah bei weitem nicht mehr so
klar wie früher. Die Brille, die er im Garten des Lehrers gefunden,
leistete ihm daher treffliche Dienste. Fast beständig trug er sie;
selbst wenn er erzählte, setzte er sie bedächtig auf, und über die
Gläser hinweg sah er scharf seine Zuhörer an.

Viel war der Hans in seinem langen Leben im Lande herumgekommen. Gute
und böse Tage und Jahre hatte er gesehen. Für alles hatte er ein offenes
Auge gehabt; Land und Leute hatte er fleißig beobachtet, und er hatte
sich alles wohl gemerkt und eingeprägt. Sein Gedächtnis war noch frisch,
seine Zunge gelenkig wie in ihren besten Jahren. Kein Wunder also, wenn
Hans erzählen konnte, wie kaum ein zweiter. Weit und breit war er dafür
bekannt, und die Rabenbüblein der ganzen Gegend kamen gerne zu ihm, um
seinen Erzählungen zu lauschen.

Umsonst freilich erzählte der alte Hans nicht. Seine kleinen Zuhörer
mußten ihm Geschenke bringen, Engerlinge, Regenwürmer und dergleichen
Leckerbissen, und nach der Menge der Gaben richtete sich die Länge
seiner Geschichten.

Väterchen Hans erzählte gerne. Seine helle Freude hatte er jedesmal,
wenn ihm die Rabenbüblein mäuschenstill zuhorchten. Besonders gern
erzählte er „gruselig“, so gruselig, daß manchmal die schwarzen
Bürschlein regungslos da saßen, kein Auge von ihm abwandten und kaum
noch zu atmen wagten.

Heute nun, an einem lauen Sommerabend, waren sie wieder zu ihm gekommen;
jeder hatte das Beste mitgebracht, was er zu finden vermocht, und vieles
hatten sie zusammengetragen, daß Väterchen Hans ihnen einmal lange, sehr
lange erzählen möchte. So hatte er es neulich versprochen, und das
wußten sie, wenn Väterchen Hans etwas versprach, konnte man sich darauf
verlassen.

Auf einer hohen Eiche, droben bei Folkendingen, hatten sie Platz
genommen; zu oberst Vater Hans, um ihn herum ein halb Dutzend
schwarzhaariger Rabenbüblein, alle voller Spannung auf die versprochene
lange Geschichte.

Lächelnd hatte Meister Hans die hergebrachten Leckerbissen verzehrt;
einige Würmlein nur hatte er auf dem knorrigen Aste liegen gelassen, um
sich daran zu ergötzen, wenn ihm etwa während der Erzählung die Zunge
trocken werden sollte. Bedächtig rückte er die Brille zurecht und begann
dann feierlich und voller Weihe:

„Lange ist es her, Kinder, damals, als noch allenthalben dichte Wälder
das Luxemburger Land bedeckten, – gegen das Jahr 1780 – da stand meine
Wiege droben im Ösling“.

Da lachten die kleinen Rabenbuben hell auf: „Ha, ha, ha, ha! Papa Hans!
Deine Wiege! Eine Wiege hast du ja gar nicht gehabt! Ha, ha, ha!“

Vater Hans verzog mißmutig das Gesicht. Wie konnten die vorlauten Buben
wagen, ihm, dem alten Manne in die Rede zu fallen? Einen Augenblick sah
er sie vorwurfsvoll über die Brille an.

Doch bald lächelte er wieder und fuhr vergnügt fort: „Ja, es ist auch
nur um so zu sagen, Kinder. Unser Nest glich doch einer Wiege, denn
geschaukelt wurden wir darin mehr als manches Menschenkind in seinem
Holzkasten. Auf einer alten Eiche über der Anhöhe bei Michelau stand
unser Heim. Sorgsam hatten die Eltern es in die Baumkrone hineingesetzt.
Und weich, ganz weich war es gepolstert. Tief unten hatten die Eltern es
mit feiner Wolle ausgeschlagen, die sie an den Dornenhecken pflückten,
wo die Schafherde vorbeigegangen, und darüber hatten sie schöne weiße
Federchen und Daunen gelegt, die sie aus den Tannen bei Bürden holten,
wo die Habichte hausten und die Hühnchen und Tauben verzehrten.

Wie mir der Verstand aufging, saß ich droben auf dem hundertjährigen
Baume und sah mir die Gegend ringsum mit neugierigen Augen an. Unserm
Hause grade gegenüber, auf der jenseitigen Anhöhe, stand das Schloß von
Burscheid, voller Schönheit und Pracht! Heute, – ach wie sich die Zeiten
ändern! – heute ist es nur mehr eine traurige Ruine, die nicht einmal
mehr ein schwaches Bild seiner früheren Herrlichkeit geben kann. Und
drunten im Tale floß die Sauer, ein breiter Silberstreifen im saftigen
Wiesengrün. In weitem schlankem Bogen zog sich das klare Wasser zwischen
den hohen Bergen hindurch, von der Burscheidtermühle an, wo es aus den
Bergen zu kommen schien, bis unterhalb Michelau, wo es hinter einem
vorspringenden Bergrücken abermal zwischen den Felsen verschwand. Und
aus den Tümpeln an ihren Ufern brachten die Eltern Leckerbissen – ah!
Fischlein, Fischlein, ah!“ Dabei glitt die spitze Zunge Hansens langsam
am Schnabel vorbei, und die kleinen Rabenbuben taten desgleichen. Mit
glänzenden Augen sahen sie Vater Hans an; das Wasser lief ihnen im Munde
zusammen, und einer nach dem andern schluckte verstohlen, daß man es
leise in der Runde gurksen hörte.

„Und du hast keine Angst gehabt, Väterchen Hans,“ unterbrach der kleine
Rassi, ein vorwitziges gewecktes Kerlchen, „du könntest vom Baume
herunterfallen, als dir die Flügel noch nicht ausgewachsen waren?“

„A... Angst!“ wiederholte Vater Hans und verächtlich schaute er Rassi
an. „Bah, Angst! Angst hab ich in meinem ganzen Leben noch keine
gekannt. Und wenn der Wind recht heftig durch die Bäume fuhr und an
unserm Hause rüttelte, wenn gar von Kehmen herunter ein Gewitter
rabenschwarz ins Tal stieg und den Baum schüttelte, daß wir beinahe aus
dem Neste geschleudert wurden, dann hatte ich erst rechte Freude.“

Die Rabenbüblein wanderten sich und staunten über solchen Mut.

„Ja, damals, Väterchen Hans“, fuhr der kleine Rapsi, ein Bürschlein, das
erst vor drei Tagen flügge geworden war, dazwischen, „damals gab es wohl
auch noch keine so bösen Menschenbuben wie jetzt. Wenn du heute im Neste
sitzen würdest, dann würde dir schon die Angst kommen, ganz gewiß!“

„Paperlapap,“ grinste Hans. „Buben sind Buben. Auch früher gab es freche
Buben, grade so gut wie heute.“

Langsam rückte er mit einer Kralle die Brille zurecht, suchte den
dicksten der noch übriggebliebenen Würmer und verzehrte ihn mit
sichtlichem Wohlbehagen. Dann setzte er seine Erzählung fort:

„Böse Buben, ja, ja! Als ich noch im Neste saß, da kamen einmal ihrer
drei, böse, freche Kerle, – ich sehe sie noch. – Oben über die Felder
schlichen sie herunter und gingen am Saume der Hecken entlang. Plötzlich
blieben sie stehen. Sie hatten unser Nest entdeckt. Einen Augenblick
beratschlagten sie miteinander. Zwar verstanden wir nicht was sie
sagten, aber an den verstohlenen, unheimlichen Blicken, die sie nach dem
Neste richteten, erkannten wir wohl, daß sie nichts Gutes im Schilde
führten. Bald standen sie unter dem Baume. Schon schickten sie sich an,
denselben zu ersteigen. Einer umklammerte den knorrigen Stamm, die
beiden andern stützten ihn und halfen ihm nach. So kroch er herauf,
immer höher und höher. Da habe ich doch ein wenig gefürchtet. Schon saß
er in den Ästen. Deutlich hörte ich, wie er mit seinen Gesellen, die
unten standen, redete. Schwarze Pläne waren es, die sie ausspannen.
„Sind Eier drin“, sprach der Bösewicht, „so werden sie geschlürft, sind
Junge drin, dann gehen sie mit in den Käfig. Jeder von uns erhält einen,
und die überzählig sind, werden totgeschlagen.“

„Ha, der Mörder,“ knirschten erbost die Räblein!

„Wir waren zu vier Brüderlein“, erzählte Hans wehmütig weiter, „und
haben gezittert, als wir die freche Rede hörten.“

„Waren denn der Vater und die Mutter nicht da“, unterbrach hastig der
kleine Rassi, „daß sie den frechen Buben fortgetrieben hätten?“

„Ihr könnt euch denken, wie wir geschrieen haben“, entgegnete Hans, „so
laut, so laut. Aber die Eltern waren fort, weit fort, um Essen zu holen.
Hoch über den Berg, bis zum Kippenhof, waren sie geflogen. Dort hatten
sie tagsvorher ein Häslein für uns erbeutet, und das wollten sie uns
stückweise zum Neste bringen.

Schon war der böse Bube so nahe gekommen, daß er uns gleich erreichen
mußte. Angstvoll drückten wir uns in die entgegengesetzte Ecke des
Nestes und schrieen so laut wir nur konnten. Plötzlich, – ach ich
zittere so oft ich daran denke! – plötzlich neigte sich das Nest etwas
zur Seite und unser armes Brüderlein Jackli stürzte kopfüber in die
schaurige Tiefe.“

„Und die andern?“ zitterte Rassi.

„Es ging noch gut,“ atmete Hans auf, gleichsam als erlebe er diese
qualvolle Angst ein zweites Mal, „der Kleine hatte sich kein Leid getan;
in seiner Todesangst hatte er kräftig mit seinen Flügelein geflattert
und unter dem Baum war dichtes, weiches Moos; für uns aber sorgte der
Vater. Just wie der böse Bube die Hand nach uns ausstreckte, erschien
er, gerade noch zur rechten Zeit. Gleich hatte er die Absicht des bösen
Buben erkannt.“

Einen Augenblick hielt der alte Hans inne.

„Und dann, und dann ...?“ drängten neugierig und zitternd einige
Stimmen. „Und dann“, fuhr Vater Hans bedächtig fort, „dann hättet ihr
einmal meinen guten Vater sehen sollen! So zornig hatte ich ihn noch nie
gesehen. Geradeswegs stürzte er auf den Buben los. Mit einem heisern
Schrei saß er ihm im Nacken; wütend fuhr sein kräftiger Schnabel auf den
Bösewicht nieder. Ha! da hättet ihr einmal Schmerzensschreie hören
können! Heulend zog der Bube den Kopf zwischen die Schultern und
rutschte am Baume hinab, so schnell er nur konnte. Aber der Vater ließ
nicht locker. Immer wieder hieb er auf ihn ein. Hu! wie des Buben Federn
flogen! Ganze Büschel Haare zauste der Vater ihm aus; allenthalben lagen
sie später um den Stamm der Eiche herum. Hätte man sie sammeln wollen,
ein ganzes Nest hätte man damit auf’s feinste polstern können. Kaum war
der Bube unten am Boden angelangt, so eilte er den Berg hinunter, so
rasch er nur konnte; seine Mütze, die ihm entfallen war, ließ er unter
dem Baume liegen und drei Tage später war er noch nicht wiedergekommen,
sie zu holen. Seine Begleiter hatten schon das Weite gesucht, sonst
hätte der Vater auch ihnen die verdiente Strafe gegeben.“

„Bravo, Bravo!“ jubelten in einem Chor die Rabenbüblein und freudig
klopften sie mit den Flügeln. „Der hatte seinen Herrn gefunden, dem war
sein Recht geschehen!“

„Und sind sie anderntags nicht wiedergekommen und haben noch größere
Buben mitgebracht?“ fragte Rassi erregt.

„Nie sind sie wiedergekommen, bis heute nicht“, erwiderte Hans
triumphierend. Sie hatten sich die Lehre gemerkt und werden sie, denke
ich, zeitlebens nicht vergessen haben.



                                  II.


So war denn diese große Gefahr glücklich vorübergegangen. Unter der
sorgsamen Obhut der Eltern wuchsen wir heran. Nur mehr wenige Tage
trennten uns von der freudigen Stunde, wo wir großjährig werden und
unsern ersten Ausflug machen sollten.

Doch da kam jener Unglücksmorgen, den ich nie vergessen werde, und
sollte ich auch 500 Jahre alt werden. Die Eltern waren eben wieder
weggeflogen. Sie hatten uns mitgeteilt, daß sie bis Diekirch
hinuntereilen wollten, wo einer unserer dortigen Verwandten ein Reh in
einer Schlinge gefunden hatte. „Dort gebe es,“ sagte der Vater, „ein
Freudenmahl, wie unsere Familie schon jahrelang keines mehr gesehen
hätte. Vor Mittag könnten sie schwerlich zurück sein. Wir sollten uns
hübsch ruhig verhalten; vor allem dürfe sich niemand über das Nest
hinüberlehnen, damit kein Unglück geschehe. Auch versprach er uns einen
fetten Bissen mitzubringen, daß wir noch lange an jenen Tag denken
würden.“

Doch kaum waren die Eltern fortgeflogen, da kamen durch den gewundenen,
holperigen Heckenpfad von Lipperscheid herauf drei halberwachsene,
ausgelassene Burschen. Zaghaft zogen wir die Köpfchen ein. Tief duckten
wir uns in’s Nest, in der Hoffnung, daß sie uns nicht entdecken und dann
vorüberziehen würden.

Indes, wir hatten uns getäuscht. Unter dem Baume blieben sie stehen. Wir
hörten, wie sie von unserm Neste redeten.

Nachdem sie eine Zeitlang beratschlagt, schickte sich einer der drei an,
den Baum zu ersteigen. Es gelang ihm aber nicht, trotz wiederholter
Versuche. Auch die beiden andern, welche nach ihm heraufzuklettern
suchten, hatten keinen Erfolg. Jedesmal, wenn sie einige Meter erklommen
hatten, rutschten sie wieder hinab.“

„Aha, das war gut!“ jubelten die Räblein. „Ihr hattet ihnen doch nichts
zuleide getan, da konnten sie ja ruhig ihres Weges weiterziehen!“

„Wir freuten uns“, fuhr Vater Hans fort, „und hätten laut aufjubeln
mögen, als wir sie nach einer Weile unverrichteter Dinge abziehen sahen.

Aber leider sollte unsere Freude nicht von langer Dauer sein.

Voll Zorn, daß sie nichts erreicht hatten, stiegen die drei Lümmel die
kleine Anhöhe hinauf, welche zur Seite des Feldes unser Nest überragte.

Einige Zeit hatten wir nichts mehr gehört. Schon glaubten wir alle
Gefahr verschwunden. Da sauste plötzlich ein dicker Stein an unserm Nest
vorüber. Ich lüge nicht, aber ganz gewiß war er dicker als mein Kopf.“

Angstvoll reckten die Räblein ihre Köpfchen und mit weit aufgerissenen
Augen stierten sie den alten Hans an. Leise redete er weiter. „Wir
duckten uns rasch ins Nest hinein, so tief wir nur konnten. Weitere
Steine folgten. Immer zahlreicher hörten wir sie an uns vorbeifliegen.
Bald gingen sie in weitem Bogen über das Nest und den Baum hinweg; dann
wieder fuhren sie klatschend durch das Laub neben oder unter uns, und
leise hörten wir sie unten am Berge aufschlagen.

Lange folgte Schuß auf Schuß. Noch waren sie alle glücklich
vorbeigegangen. Weder uns noch unserm Neste war ein Unheil geschehen.
Das aber reizte die bösen Burschen noch mehr. Zitternd hörten wir, wie
sie abwechselnd einer den andern aufforderten, aus den umliegenden
Feldern Steine herbeizutragen. Ohne Rast und Erbarmen schleuderten sie
ihre Geschosse weiter.

Nach langen, qualvollen Minuten hielten sie plötzlich inne. Einige Zeit
blieb alles still. Ich horchte hinunter. Da ich gar nichts mehr hörte,
sprach ich freudig zu meinen Brüderlein: „Endlich sind sie fort.“
Erleichtert atmeten wir alle auf.

Ungefähr fünf Minuten war alles ruhig geblieben. Da beugte sich unser
Brüderchen Rappi rasch über den Rand des Restes hinüber. Er wollte
spähen, ob die grausamen Kerle wirklich davongegangen seien. Doch, o
weh! Gerade in dem Augenblick traf ihn der tötliche Schuß. Hart an die
Schläfe getroffen, schrie er plötzlich grell auf. Gleich sank sein
Köpfchen seitwärts und färbte die Reiser des Restes blutigrot. Seine
sonst so klaren Äuglein füllten sich mit Tränen. Wehmütig sah er uns
alle noch einmal an. In wenigen Sekunden wurde sein Blick trüb und immer
trüber; einige Male noch ging sein Atem rasch und schwer. Leise stöhnend
starb er schon nach etlichen Minuten.

Und von neuem sausten die bösen Steine, die auch uns ein jähes,
grausames Ende bringen konnten.“

Regungslos, mit halbgeöffnetem Schnabel saßen die Räblein da und sahen
Hans angstvoll an.

Leise, mit tränenerstickter Stimme, fragte Rassi teilnahmsvoll:

„Und was sagten die Eltern, Väterchen Hans, als sie Mittags
heimkehrten?“

„O, darüber laß mich schweigen, Rassi,“ entgegnete Hans traurig, „was
würden deine Eltern sagen, wenn ein böser Mensch dich totwerfen würde?

Anderntags, als die Mutter auf einem mehr abseits stehenden Baum
herzzerreißend um das tote Brüderlein weinte, nahm der Vater schluchzend
die kleine, blutbefleckte Leiche in seine festen Krallen und flog damit
fort, weit weg über die Berge. Erst nach langer Zeit kehrte er heim.
Wohin er das tote Brüderlein begraben, hat er uns nie mitgeteilt.“

Der alte Hans hielt inne. Tränen erstickten seine Stimme.

Das harte Mißgeschick, das den armen kleinen Rappi betroffen, und das
große Leid, welches die bösen Buben seinen lieben Eltern bereitet
hatten, war auch den Rabenbüblein tief zu Herzen gegangen. Bittere
Tränlein rollten aus ihren Augen und tröpfelten leise drunten in das
dürre Laub.



                                  III.


„Doch war damit“, fuhr Hans abermal fort, „des Unglückes noch nicht
genug. Einige Tage später kam ein großer Kerl – wie ich später erfuhr,
war er Knecht auf der Erpeldingermühle – an unserm Baum vorüber. Auch er
blieb stehen und spähte einige Zeit nach unserm Neste. Obschon wir uns
ganz ruhig verhielten, machte er dennoch bald Anstalten, den Baum zu
ersteigen. Er warf seine weiße Mütze zu Boden, umklammerte fest den
knorrigen Stamm und kam rasch an demselben empor.“

„Er kommt nicht herauf, er kommt nicht herauf,“ hastete Rassi wieder,
„es geht ihm wie den drei Buben, er rutscht wieder hinunter!“

„Ja Rassi,“ lächelte Vater Hans, „so hatten auch wir gehofft, aber
umsonst. Schon saß er in den Ästen. Nachdem er einige Minuten gerastet,
kletterte er, schwer atmend, weiter. Plötzlich erschien sein großer,
weißer Kopf ganz in unserer Nähe. Mit seinen frechen, schwarzen Augen
glotzte er uns triumphierend an.“

Mäuschenstill war es wieder in der Runde geworden, die kleinen
Rabenbüblein horchten unverwandten Auges.

„Kamen denn diesmal die Eltern nicht zu Hilfe?“ fragte Rassi zitternd.
„Väterchen Hans erzähl’, erzähl’! Wie ging es weiter? Kam nicht der
Vater und hat den frechen Buben gestraft und hinuntergetrieben, wie den
andern Bösewicht einige Tage früher?“

„Leider nicht, Rassi. Die Eltern waren fort und hörten unsere
flehentlichen Hilferufe nicht. Was hätte es auch genützt, wenn sie da
gewesen wären? Dieser Bursche war viel stärker als der Bube von damals;
zudem hatte er sich mit einem Stock bewaffnet, und damit hätte er sich
gewiß gegen die Eltern gewehrt; möglicherweise wären sie noch verwundet
worden, und schließlich wäre doch der Räuber Meister geblieben.“

„Wie schade“, klagte Rassi traurig, und indem er das Köpfchen neugierig
nach vorne streckte, „und dann, Väterchen Hans, und dann?“

„Guten Morgen, ihr Herren Räblein,“ sagte der Spötter. „Jetzt geht einer
von euch mit mir zur Mühle“.

Und er nahm einen von uns nach dem andern in die Hand und wog uns
bedächtig; dann breitete er uns die Flügel aus und betrachtete sie
genau; schließlich fand er mich als den größten von uns allen“.

„Du gehst mir jetzt mit, Hänslein“, sagte er, „und die andern hol’ ich
mir später, wenn sie etwas größer sind.“

Damit stieg er mit mir den Baum hinab; leise hörte ich noch einmal die
Brüderlein klagen, und seitdem habe ich nie wieder etwas von ihnen
erfahren“.

„Ach, der böse Dieb und Räuber! Du hättest ihn beißen sollen, Väterchen
Hans, bis er dich freigelassen hätte“, knirschte Rassi zornig, „oder
fortfliegen hättest du sollen, es wäre dir gewiß schon gelungen.“

„Es wäre mir nicht gelungen, Rassi“, erwiederte Hans betrübt, „seine
schwere Hand hatte mich zu fest umklammert; er preßte mir die Seiten
zusammen, daß ich beinahe nicht atmen konnte und in Gefahr schwebte zu
ersticken. Unter dem Baume drückte er mich in eine Tasche, die er mit
einer Stecknadel sorgfältig verschloß. So war es unmöglich
herauszuschlüpfen. In der Tasche war es eng, Kinder; eine Zehe war mir
zwischen zwei harten Gegenständen eingeklemmt und schmerzte mich
heftig.“

„War es denn hell in der Tasche, Väterchen Hans, und hast du gewußt,
wohin der Räuber dich tragen würde?“ unterbrach schon wieder Rassi.

„Ihr könnt euch denken“, lachte Hans, „ganz finster war es drinnen, so
schwarz, daß ich nicht einmal die Richtung wußte, in der ich
fortgetragen wurde. Nach einiger Zeit blieb mein Räuber stehen. Er
öffnete die Tasche, ergriff mich wieder mit seiner Eisenfaust und zog
mich ans Tageslicht. Aus der finsteren Tasche plötzlich in den hellsten
Sonnenschein zurückversetzt, vermochte ich anfangs nicht aufzublicken.
Nach einer Weile erst sah ich, daß sich die Gegend ganz verändert hatte.
Vor mir lag ein schöner Wiesengrund. Eine breite Fläche tiefen,
stehenden Wassers breitete sich in demselben aus, und seitwärts ging von
ihm ein schmaler Graben aus, der das Wasser mitten in das im Hintergrund
liegende weiße Haus hineinleitete. Das Haus war gedeckt mit Stroh, auf
welchem bis zum First hinauf allerlei Moosarten herumstanden.

Wir befanden uns vor einer alten Mühle. Heute ist sie verschwunden.
Bereits vor einigen Jahrzehnten ist sie abgebrochen worden, nachdem sie
lange Zeit als unbewohntes, baufälliges Gebäude leer gestanden hatte.
Damals war sie noch in Betrieb, und ein Poltern drang aus derselben
heraus, daß mir das Herz schneller schlug, und ich mein letztes
Stündlein gekommen glaubte.

Indem mein Räuber ein Liedlein pfiff, trug er mich dort hinein. Es war
das erste Menschenhaus, welches ich aus der Nähe sah. Allenthalben
standen sonderbare Gegenstände, die ich nicht kannte: schwere, runde
Steine, groß wie Räder, dann wieder Wagen, Säcke, Ackergeräte u. s. w.
Mit verwunderten Augen sah ich alles scheu an. Auf einmal fuhr ich
erschrocken zusammen. Hinterher aus dem Hof erscholl ein wildes Schreien
Hi ... hi ... hi! so fürchterlich, wie ich es noch niemals gehört hatte.
Und als ich hinsah, kamen zwei große, unheimliche Tiere heran,
tausendmal größer als ich. Rot waren sie wie die Eichhörnchen, aber viel
größer und wilder. Mit schweren Schritten kamen sie gerade auf mich zu.
Der Boden zitterte unter ihnen und Augen hatten sie größer wie mein
Kopf“.

„Wollten sie dich fressen, Väterchen Hans?“ fragte Rassi erschrocken.

„Ja, so hatte ich auch gefürchtet“, lächelte Hans, „aber sie gingen
vorüber, ohne nach mir zu schauen und verschwanden in einem schwarzen
Loch hinter dem Gebäude. Später hörte ich, daß man sie Pferde nannte“.

Laut krächzend lachten die Räblein auf.

„Und die hast du gefürchtet, Vater Hans“, kicherte Rassi, der vor lauter
Lachen fast nicht mehr reden konnte, „die guten Pferde, welche uns die
fetten Raupen und Würmer herausgraben, wenn sie das schwere Eisen durch
die Felder ziehen. Die hätte ich aber nicht gefürchtet!“

„Du willst immer den Held spielen, Rassi“, entgegnete Hans, voll Freude,
daß seine kleinen Zuhörer sich so an seiner Erzählung ergötzten, „wenn
du sie zum ersten Mal gesehen hättest, und du wärest festgehalten
gewesen wie ich, dann hättest auch du gefürchtet, kleiner Prahlhans“.

„Väterchen Hans, nur weitererzählen!“, klang es bittend aus der Runde,
„der dumme Rassi muß immer schwätzen und dich unterbrechen; Väterchen
Hans, und dann?“



                                  IV.


“Ja Kinder, dann kam für mich eine traurige Zeit, meine Gefängnisjahre
könnte ich sie nennen. Ich wurde in einen großen Käfig gesperrt und
mußte dort den ganzen Tag auf einem Stabe hocken. Der Stab war rund und
glatt, so daß ich jeden Augenblick achtgeben mußte, um nicht
herunterzurutschen. Auch Nachts mußte ich da sitzen, immer an derselben
Stelle. Von allen Seiten kam die Kälte leise hereingeflogen; nur gegen
den Regen war ich geschützt durch ein graues Tuch, welches Abends über
den Käfig ausgebreitet wurde. Und manchmal in finsterer Nacht schlichen
böse Tiere, die Katzen, mit grünschimmernden, raubgierigen Augen leise
um den Käfig herum und reichten ihre bekrallten Tatzen durch das Gitter
herein, um mich zu packen und mir den Garaus zu machen. Aber der
schwarze Hans blieb wohlweislich in der Mitte des Käfigs sitzen, und
ihre Mühe war umsonst“.

„Hast du denn nichts zu essen bekommen im Käfig?“ fragte schon wieder
der vorwitzige Rassi.

Vater Hans lächelte. „Dann hätte ich ja bald verhungern müssen. Essen
bekam ich wohl, mehr sogar als ich brauchte. Aber es war arme Kost,
beinahe immer dasselbe. Dicke Milch und Kartoffeln, ohne Abwechslung,
Morgens und Mittags und Abends dazu. Mein Räuber hatte einen eignen
Löffel geschnitzt, um mich zu füttern. Ein langes, schmales Holz war es,
das er inwendig etwas ausgehöhlt hatte. „Hänschen gaak,“ sagte er dann,
und jedesmal mußte ich den Schnabel weit aufsperren, worauf er mir die
Speise in den Mund drückte. Wenn ich aber einmal keinen Hunger hatte und
den Schnabel nicht öffnen wollte, dann preßte er mir denselben auf und
zwängte mir die Speise hinein. Trotz meines Widerwillens dagegen mußte
ich sie dann doch schlucken, um nicht zu erwürgen. Ach, welche Zeit!

Als ich dann größer wurde, ging es freilich besser; da brachte der
Knecht mir das Essen in einer Holzschüssel, stellte es in die Ecke des
Käfigs und sagte: „Hans gaak!“ worauf er sich wieder entfernte. Seit der
Zeit habe ich meinen häßlichen Namen Hans. Zu Hause nämlich hatten meine
Eltern mir einen viel schöneren Namen gegeben. Raspio hatte meine gute
Mutter mich immer genannt. Aber die Menschenbuben sind böse;
Schimpfnamen gefallen ihnen besser, und so ist mir der Name Hans
geblieben bis auf den heutigen Tag.

Auch andere törichte Reden führte der dumme Bursche, wenn er mir das
Essen brachte. „Vogel friß oder stirb“, sagte er gewöhnlich, wenn er
wegging. Dann lachte er selbst über diesen dummen Witz und er schien
noch zu staunen über solch’ vermeintliche Weisheit. Ich aber sah ihm
verächtlich nach und dachte: „Wenn Dummheit weh täte, was hätten manche
Menschen Schmerzen!“ So hatte mein Vater immer gesagt.“

[Illustration: Auf einer alten Eiche bei Folkendingen hatten sie Platz
genommen; alle waren voller Spannung auf die versprochene, lange
Geschichte.]

„Recht hast du gehabt, Vater Hans,“ nickte Rassi, „der dumme Kerl! Doch
Väterchen, Milch und Kartoffeln, war das schmackhaft?“

„Schmackhaft schon“, bejahte Hans, „aber bei weitem nicht so lecker wie
die Engerlinge und Fischlein, welche die Eltern brachten. Und auch der
besten Gerichte wird man schließlich überdrüssig, wenn sie zu oft
aufgetragen werden.“

Schon wieder platzte Rassi heraus: „Dann hätte ich es einfach stehen
lassen und hätte nichts gegessen, Väterchen Hans!“

„Ja Rassi, du hast gut sprechen! Wenn der Hunger nicht wäre! Da muß man
essen, auch wenn die Speise weniger zusagt!“

„Aber warum bist du denn nicht fortgeflogen, als du größer warst? Deine
Flügel sind doch stark geworden. Warum bist du nicht heimgeeilt zu
deinen Eltern?“

„Daran hatte ich schon gedacht, kleiner Naseweis. Aber die Türe des
Käfigs war immer sorgsam verschlossen, und das Gitter war fest. Manchmal
habe ich versucht es zu öffnen, habe mich manchmal an den Eisenstäben
müde geschnabelt, aber der Käfig war zu fest, zu fest; alle Mühe war
umsonst. Wenn ich dann hinaufsah zum blauen Himmelszelt, an dem die
Wolken, vom sanften Winde getragen, langsam und still dahinschwebten,
wenn ich unter ihnen die andern Rabenbuben lustig dahinfliegen sah mit
frohem Gesang, ja Kinder, dann wurde mir oft das Herz dick. Manchmal
weinte ich still und dachte: „Ach, wenn doch die Menschen wüßten,
welches Leid sie einem freien Vöglein antun, wenn sie es einsperren, sie
könnten doch nicht so grausam sein und müßten es wieder in die Freiheit
ziehen lassen.

Dann dachte ich auch an die armen Eltern und die Brüderlein droben, die
ich schon so lange nicht mehr gesehen.“

Traurig klang wieder Hansens Stimme, denn jedesmal, wo er von seinen
lieben Eltern redete, war sein Herz bewegt.

„Ach Väterchen Hans“, trösteten gleich einige der Büblein, „denk nicht
mehr an jene traurigen Tage. Heute hast du ja die goldene Freiheit.
Erzähle weiter.“

„Meine Gefangenschaft im Drahtkerker dauerte, wenn ich mich gut
erinnere, ungefähr sieben Jahre.“

Ein wehmütiges „Ah“ entschlüpfte den Räblein.

„Einige Freudentage gab es allerdings in jedem Jahr. Im Frühling und
Herbst war es, wenn der tiefe Mühlteich gereinigt wurde. Dann gab es
Freude für die Menschen in der Mühle, aber auch für den armen Raspio in
seinem eintönigen Gefängnis. Da gab es allemal Fische in Hülle und
Fülle. Ha, wie ich da von der Küche her die Pfannen krachen hörte! Es
war eine helle Freude. Die kleinen Fischlein, welche im Schlamme
zurückgeblieben waren, wurden für mich gesammelt; manchmal fand sich
auch ein Fröschlein dabei, und an diesen Leckerbissen konnte ich mich
dann ergötzen nach Herzenslust.“

Leise hörte man wieder die Zünglein der aufmerksamen Zuhörer schnalzen,
und der alte Hans selbst mußte schlucken, da er an diese Sonnentage
seiner Jugend zurückdachte.

„Aber ach“, sprach er, „diese Tage kamen nur zweimal im Jahr, und sie
waren so bald wieder vergessen. Dann zog wieder das ewige Einerlei in
meinen Speisezettel: Dicke Milch und Kartoffeln und wieder dicke Milch
und Kartoffeln. Und dann die Langeweile! Stetig an derselben Stelle
sitzen, Tag um Tag und Woche um Woche. Etwas Zerstreuung brachten nur
die Tage, an denen für die umliegenden Ortschaften gemahlen wurde. Alle
die in der Mühle aus und ein gingen, mußten an meinem Käfig vorbei, und
so hatte ich Gelegenheit, sie genau zu beobachten. Ich habe es auch
redlich getan; habe mir alle genau angesehen und manchmal meine bare
Freude an ihrer Torheit gehabt. Kinder! wenn Dummheit weh täte ...!
Junge Burschen sah ich oftmals kommen, stolzen Schrittes mit ihrer Last,
und sie prahlten gern mit ihrer Kraft. Jeder von ihnen wollte der
Stärkste und Tüchtigste sein. Besondere Freude machte es mir, sie zu
beobachten, wenn sie zu mehreren zusammen waren. Ei, wie sie da in die
Hände spuckten und die Mehlsäcke auf die Schulter warfen! Stolz blickten
sie noch einmal rasch um sich, ob man auch ihre Stärke bewundere, sagten
einen kräftigen „Guten Abend“ und traten den Heimweg an. Aber wenn sie
an meinem Käfig vorübergingen, hörte ich sie schon leise und verhalten
keuchen, und ich mußte über die Prahlhanse lachen, wenn sie drüben,
schon gleich beim Bergaufstieg, Rast machen mußten.

Aber was in der Mühle geschimpft wurde! Von den Namen, die mir gegeben
wurden, will ich nicht einmal reden. Da gab es den ganzen Tag nichts
anders als Hans hier und Hans da, gaak hier und gaak da. Freilich
gefielen mir diese Schimpfnamen nicht, doch was sollte ich tun? Ich
mußte mir dieselben ohne Klage gefallen lassen; ein Zornesausbruch
meinerseits hätte den Burschen doch nur Freude bereitet und hätte sie
noch schlimmer gegen mich gemacht. So blieb ich denn still auf meiner
Stange sitzen, träumte vor mich hin und stellte mich schlafend. Dann
zogen sie bald ab und ließen mich in Ruhe.“

„Ganz recht hast du getan, Väterchen,“ nickte Rassi, „so hätt’ ich es
auch gemacht.“

„Übrigens“, fuhr Hans fort, „konnte ich mich trösten, denn es gab
jemanden in der Mühle, der noch viel mehr gescholten wurde, wie der arme
Raspio. Es war der Müller selbst. Kaum einer seiner Kunden verließ die
Mühle, ohne sich bitter über ihn zu beklagen. Zwar verstand ich nicht
alles, was sie brummten und schalten, aber es schien mir alles auf
dasselbe hinauszuklingen: „Das sei nicht mehr gemoltert, das sei
einfachhin gestohlen; bald könne man in einer Tasche forttragen, was man
von diesem Wuchermüller noch mit nach Haus bekomme. Der klagte wieder,
er habe zu wenig Kleie bekommen und jener, sein Mehl sei zu schwarz und
entspreche nicht dem guten Getreide, welches er in die Mühle
eingeliefert habe; kurz, der ewigen Klagen gab es gar kein Ende.“

Der kleine Rassi trippelte ungeduldig auf seinem Ästchen. Eines machte
ihn besonders neugierig, wie Väterchen Hans die Freiheit wiedererlangt.
Alles, was in der Erzählung nicht darauf hinwies, interessierte ihn
weniger, und so drängte er denn schon wieder weiter: „Väterchen Hans,
und dann? Kamst du denn noch nicht bald in die goldene Freiheit?“

„Ach, Rassi, noch lange, lange nicht. Da kamen noch mancherlei Tage
dazwischen, gute, aber auch schlimme. Einer der allerschlimmsten meines
Lebens aber war der, wo ich in die Schule ging.“

Wiederum erklang ein schallendes Rabengelächter über die Bäume.

„So, Väterchen, auch in der Schule bist du gewesen? Ei, das muß lustig
sein! Erzähl’, erzähl’!“



                                   V.


„Nein Kinder, lustig ist es für den armen Raspio keineswegs gewesen.
Eines Tages erschien mein Kerkermeister, der Müllerknecht, am Käfig und
rief mir freundlich zu: „So, dann komm Hänschen, komm!“

Ich sah ihn erstaunt an, denn er sah ganz anders aus als sonst. Er trug
nicht den weißen Anzug mit der gleichfarbigen Mütze, sondern schwarze
Kleider, die beinahe so hübsch waren, wie Rabenkleider. Statt der
mehlbestaubten Mütze zierte ihn an jenem Tag ein weißer Strohhut mit
buntfarbenem Band. Es war nämlich einer jener Tage, wo die Glocken
allenthalben so feierlich klangen, von Diekirch herüber über den
Goldknapp und aus der Höhe von Burscheid hernieder. Frühmorgens, da der
Wind von Norden kam, hatte ich sogar den hellen Klang des
Willibrordusglöckleins der Kapelle von Lipperscheid vernommen.

An solchen Tagen kamen nie Leute zur Mühle; die Müllersleute aber gingen
dann regelmäßig in Festtagskleidern schon am Morgen fort und kehrten
erst gegen Mittag heim.

„Hänschen komm,“ sprach der Knecht noch einmal, „jetzt geht es in die
Schule.“ Dann lachte er auf, „denn“, sagte er, „was Hänschen nicht
lernt, lernt Hans nimmermehr.“

Was Schule sei, wußte ich nicht und verstand deshalb auch nichts von
dem, was er vorhatte. Ich wäre deshalb am liebsten ruhig in meinem Käfig
geblieben. So zog ich mich denn seitwärts und rückte auf der Stange bis
in die äußerste Ecke des Käfigs.

Mein Räuber aber war damit keineswegs zufrieden. Er versuchte mich nun
durch List aus dem Käfig hervorzulocken. Indem er mit seinem langen
Holzlöffelchen in den Überresten meines Mittagsmahles herumrührte, rief
er schmeichelnd: „Hänschen komm,“ ein um das andere Mal. Auch das half
nichts. „Rühr’ nur“, dachte ich, schüttelte still den Kopf und blieb in
meiner Ecke sitzen. Ich hoffte, er würde mich dann in Ruhe lassen.

Aber bald merkte ich, daß er anfing ungeduldig und zornig zu werden. Um
ihn nicht noch mehr zu reizen, entschloß ich mich denn schweren Herzens,
aus meiner sicheren Ecke herauszukommen; aber schon hatte er ein Reis
ergriffen, mit dem er mir einige harte Schläge über die Stirne
versetzte.

„Die Schule geht gut an“, dachte ich und hüpfte, vom Schmerz getrieben,
bis in die Mitte des Käfigs. Mit fester Hand ergriff mich daselbst der
Räuber und zog mich aus dem Käfig hervor.

Meine Flügel waren groß geworden, und im Stillen meines Herzens stiegen
süße Hoffnungen und Pläne auf. „Vielleicht“, dachte ich, „vielleicht
kommt jetzt in einem unbewachten Augenblick die Gelegenheit, rasch zu
entschlüpfen, auf ewig dir und deiner Schule Lebewohl zu sagen und
drüben über den Bergen die goldene Freiheit wiederzufinden.“

Rassi reckte abermal das Köpfchen.

„Indes sollte diesmal meine schöne Hoffnung noch nicht ihre Erfüllung
finden.

Unter der schattigen Linde am Ende des Hofes machte der Knecht Halt. Um
einen grüngestrichenen Gartentisch herum standen einige aus Haselstauden
roh geflochtene Stühle und Bänke. Dort setzte er sich nieder. Ich hatte
nun gemeint, er werde mich vor sich auf den Tisch stellen und dann ...!
Schon hatte ich nach Kippenhof hinauf geschickt, mein Plan war fertig.

Doch, hatte der Knecht meine verstohlenen Blicke gesehen oder traute er
mir ohnedies nicht, er nahm einen starken Bindfaden und strickte mich
damit fest an den Tisch. „Man weiß halt nicht“, sprach er leise, „was in
solch einem Rabenhirn vorgehen kann!“

Mitleidsvoll blickte Rassi den alten Hans an. „War der Faden stark,
Väterchen,“ fragte er, „und hättest du ihn nicht durchreißen können,
wenn du einmal rasch und fest gezogen hättest?“

„Es war unmöglich Rassi ... Über den Krallen war der Strick befestigt,
und dick war er, so dick, daß wir zu zehn ihn nicht hätten zerreißen
können.

Dann begann die sogenannte Schule. „Hannes“, sprach der Knecht, „nun
hübsch aufgepaßt!“ Dann fing er an: „Ta-ta, Ta-ta! Allons Hans, ta-ta,
ta-ta“ und immer wiederholte er dasselbe. „Ist der Bursche närrisch
geworden“, dachte ich, „oder was will er mit seinem blöden Ta-ta? – Will
er mir am Ende wieder einen neuen Namen geben? War schon der Schimpfname
Hans nicht mehr gut genug? Der hatte mir schon wenig gefallen, jetzt
auch noch Ta-ta zu heißen! „Nein, nein,“ dachte ich, „spar dir deine
Mühe, Knechtlein, daraus wird nichts“.

So schaute ich denn einfach vor mich hin und ließ alles geduldig über
mich ergehen. Aber mein Lehrer gab sich damit nicht zufrieden. Immer
wiederholte er jenes garstige Wort „Ta–ta“. Dann und wann stieß er mich
dazu auf den Schnabel und sagte: „Allez Hans!“ Zuletzt, da ich der
ganzen Sache überdrüssig wurde, rief ich einmal kräftig „Raspio“, um ihm
zu bedeuten, daß ich bei dem von meiner Mutter erhaltenen Namen zu
verbleiben gedenke und nicht gesonnen sei, andere Namen, wie Hans oder
Tata, anzunehmen.

Meine Antwort schien dem Peiniger Freude zu bereiten. „Brav, Hans“,
sagte er, „brav! aber Ta-ta, ta-ta“, und dann ging dieselbe Leier
weiter, fünfzig, sechzig Mal. Dabei sah ich den Burschen immer
ungeduldiger und zorniger werden. Immer lauter sprach er sein Tata. Die
Zornesader auf seiner Stirne begann zu schwellen, und immer unsanfter
schlug er mich auf den Schnabel. Schüchtern sprach ich noch einmal
„Raspio“, dann schwieg ich vollständig, denn ich sagte mir, einen
zornigen Menschen soll man nicht noch mehr reizen.“

„Das war auch das Allerbeste“, warf Rassi rasch dazwischen.

„Doch auch mein Schweigen brachte den Knecht nicht wieder zur Ruhe.
Grobe, sehr grobe Worte und Schimpfnamen wechselten schon mit seinem
Tata; dann redete er von Halsumdrehen und Ersäufen im Mühlenteich. Wie
gerne hätte ich wieder still in meinem Käfig gesessen! Als ich aber
dieserhalb einen flehentlichen Blick auf den Burschen richtete, fühlte
ich plötzlich einen derben Faustschlag auf meiner Stirne. Halb bewußtlos
sank ich zusammen. Was weiter geschah, kann ich mich nicht recht
entsinnen. Ich fühlte noch, wie eine feste Hand mir die Brust
umkrampfte, hörte noch abgerissene Worte, wie Schloß Burscheid und
verlaufen; verschwommen sah ich noch meinen Käfig wieder und fühlte
dann, wie ich hart auf dem Boden desselben aufschlug. Erschöpft blieb
ich auf demselben liegen.“

„Der grausame Narr“, knurrten die Räblein und knirschten zornig mit den
Schnäbeln.

„Wie lange ich bewußtlos da lag, kann ich nicht sagen. Als ich zu mir
kam, war es stockfinstere Nacht. Zitternd vor Kälte kauerte ich mich in
die Ecke des Käfigs, wo ich bald wieder in tiefen Schlaf versank. Bei
meinem Erwachen glitt schon vom Kippenhof her die Sonne über die vom
blühenden Ginster vergoldeten Abhänge, und silbern glitzerten ihre
Strahlen in den plätschernden Wellen der Sauer.

Vom Schlage am vorhergehenden Tage verspürte ich nur mehr sehr wenig;
doch ich war ganz durstig geworden. Glücklicherweise war das Wasser
meiner Schüssel nicht ganz ausgetrocknet, und so konnte ich mich am
kühlen Trunk erquicken. Bald fühlte ich mich wieder ganz wohl. Essen
wurde mir an jenem Tage keines gebracht bis am Nachmittag.

In derselben Einförmigkeit vergingen von da an wieder meine Tage.“

Abermals rückte der alte Hans an seiner Brille und stierte scharf auf
dem Aste umher; denn schon war es etwas dunkel über dem Walde geworden.
Vater Hans suchte nach seinen übriggelassenen Leckerbissen. Endlich
hatte er noch einen dicken Engerling gefunden. Während er denselben
langsam verzehrte, flatterten die Räblein einige Male leise mit den
Flügeln und lächelten einander freudig zu, weil Väterchen Hans heute so
lange erzählte. Dann setzten sie sich wieder still, denn schon war Hans
zur Fortsetzung seiner Erzählung bereit.

„Eines Tages, als eben die Müllersleute in Festtagskleidern verreist
waren, erschien am Nachmittag der Knecht wiederum an meinem Käfig.
Angstvoll dachte ich wieder an die Schule. Aber davon ging diesmal keine
Rede. Er hatte einen Korb mitgebracht, und ohne ein Wort zu sagen, nahm
er mich aus dem Käfig hervor. Dann setzte er mich in den Korb hinein und
verschloß sorgsam den Deckel desselben. Daran fühlte ich, wie er den
Korb aufhob und mit mir davonging. „Was soll er vorhaben? Wohin wird er
mich tragen?“ das waren die bangen Fragen, die mich beschäftigten.

Im Korbe war es ganz dunkel. Ich konnte nichts sehen. Ich hörte nur, daß
der Knecht auf einem harten Wege Schritt für Schritt weiterging. Dann
und wann pfiff er ein lustiges Liedlein, in das sich von fernher der
muntere Gesang freiheitsfroher Vöglein mischte.“

„Wohin hat er dich denn getragen? Erzähle etwas rascher, Väterchen,“
drängte Rassi.

„Nach Verlauf von etwa einer Stunde wurde der Korb plötzlich
niedergesetzt. Draußen hörte ich das Rauschen und Plätschern eines
großen Wassers, wie mir schien. In raschen Schlägen hämmerte mein Herz.
Sollte der Knecht mich weggetragen haben, um mich im Wasser zu
ertränken, wie er damals unter der Linde gedroht hatte? „Dann Raspio“,
sagte ich mir, „ist nun dein letztes Stündlein gekommen, ein Entweichen
hier ist nicht möglich.“ – Doch dachte ich wieder, „das kann doch kaum
seine Absicht sein; wollte er mich töten, so hätte er mich nicht so weit
fortzutragen brauchen; da hätte es genügt, mich in den Mühlteich oder in
den Fluß daneben zu werfen, und kein Hahn hätte mehr nach mir gekräht,
wie die Menschen zu sagen pflegen.

Während ich solchen Gedanken nachging, wurde der Korb wieder aufgehoben,
und wir gingen weiter. Wir mußten über ein Gewässer, entweder über eine
Brücke oder einen Steg geschritten sein und nun an der andern Seite
bergan steigen, denn ich fühlte, wie der Knecht nun bedeutend langsamer
und schwereren Schrittes ging.

Von oben herunter hörte ich das rauhe Bellen eines großen Hundes.“

Wiederum stierte Väterchen Hans suchend auf dem Aste hin und her.

Über den Waldbäumen war eben die rote Scheibe des Vollmondes
aufgestiegen, und mattes Licht legte sich über die Gegend. „So, Kinder“,
unterbrach jetzt plötzlich Vater Hans, „nun wollen wir für heute Schluß
machen. Die Nacht ist gekommen, da heißt es für die kleinen Kinder zu
Bette gehen; auch der alte Raspio muß nun sein Lager aufsuchen. Ein
andermal will ich euch weitererzählen.“

Ein langgezogenes „Ah“ ertönte aus dem Kreise der kleinen Zuhörer.
„Nein, Väterchen Hans, noch nicht aufhören!“, bettelten sie alle
zusammen. „Jetzt wird es erst recht schön im Walde. Wir sind noch gar
nicht müde; übrigens kann bei diesem warmen Wetter ja doch niemand
schlafen; und du Väterchen kannst morgen früh ruhen; wir werden dir
wieder viel Essen bringen, dann brauchst du den ganzen Tag nicht
auszufliegen und kannst rasten nach Herzenslust. Bitte, Vater Raspio,
erzähl noch ein wenig weiter!“

Darauf hatte der kluge Hans nur gewartet. So gab er sich denn gleich
zufrieden und setzte fröhlich seine Erzählung fort.

„Während wir weitergingen, erscholl das Hundegebell immer näher. Zuletzt
waren wir so nahe gekommen, daß es aus einem Hause dicht neben uns zu
kommen schien. Erschrocken fuhr ich zusammen. Eine rauhe, barsche Stimme
rief ein donnerndes Halt. Der Knecht blieb stehen, und die Stimme
fragte: „Wohin?“

Schüchtern entbot der Knecht seinen „Guten Abend“, worauf sich folgendes
Zwiegespräch entwickelte:

„Ich habe hier im Korbe eine schönen jungen Raben. Voriges Jahr erst
habe ich ihn gefangen und abgerichtet. Auch habe ich ihn einige Worte
reden gelehrt.“

„Ei du schwarzer Lügner“, dachte ich. „Voriges Jahr! Sieben sind es
ihrer schon, wo ich in deinem öden Kerker hocken mußte. Abgerichtet habe
ich ihn! Jawohl, mit Fausthieben abgerichtet, du Wüterich. Einige Worte
hast du mich sprechen gelehrt! Aha, jetzt geht mir ein Licht auf; dein
blödes Ta-ta sollte wohl die Lektion sein, die du mich gelehrt hättest.“

Doch noch immer redete der Lügner weiter: „Da ich nun gehört, der
Burgherr wolle einen abgerichteten Raben für sein Büblein, das kleine
Schloßherrlein kaufen, habe ich meinen Hans hieher gebracht und möchte
ihn dem Burgherrn zum Kaufe anbieten.“

„Das kann ich schon selbst besorgen,“ antwortete die fremde Stimme.
„Zeig’ her!“ Damit wurde der Korb geöffnet und ich herausgenommen.

Ein großer, bärtiger Mann nahm mich in die Hand. „Schön ist er schon,“
sprach er, indem er mich scharf besah, „und mit seinem Sprechen wird es
nicht so weit her sein“, fügte er spöttelnd hinzu. Nach einigem
Feilschen einigten sich die beiden; der Knecht erhielt einige
Kupfermünzen und wandte sich nach kurzem Gruß talabwärts, während der
schwarze Mann mich unter einem hohen, überwölbten Tor hindurch in mein
neues Heim, das Schloß Burscheid hineintrug.



                                  VI.


Inwendig führte der Weg leicht bergan und mündete zunächst auf einen
größern freien Platz. Rundum sah ich nichts als breite graue Mauern und
hohe runde Türme mit ganz schmalen engen Fenstern. Darüber ausgebreitet
ein wolkenloser, blauer Junihimmel. Später sollte ich Zeit und Muße
genug finden, mir alles genau anzusehen.

Über den Hof hinweg schritt der Mann mit mir zur nördlichen Ringmauer.
Dort bot die Burg am schwersten Zugang. Steil, fast jäh fielen da die
gewaltigen Felsen, auf denen das Schloß aufgebaut stand, bis tief unten
in die rasch dahinfließende Sauer. An dieser Mauer, dem Innern der Burg
zugekehrt, lagen die herrlich gepflegten Gärten. Breite Blumenbeete mit
allerlei Ziersträuchern wechselten miteinander in wundervollem, reichem
Farbengemisch. Unter einem vorspringenden Dache gegen den Regen
geschützt, stand daselbst ein großer Vogelkäfig. Durch Quergitter war er
in eine ganze Reihe von kleinern Käfigen eingeteilt. Dort öffnete der
Mann eine Türe und schob mich hinein. Mein neuer Kerker war viel
geräumiger als der in der Mühle drunten. Seine Drahtseiten waren hübsch
weiß angestrichen; ein richtiger Eichenast bot bequeme Sitzgelegenheit;
mit einem Wort, mein neues Heim war sehr wohnlich eingerichtet, es war
ein herrschaftliches Gebäude.“

„Doch Kerker ist Kerker“, sagte Rassi, „und hätte er auch goldene
Mauern. Besser arm in der Freiheit, als in einem Schlosse gefangen.“

„Allerdings“, entgegnete Hans, „aber da ich gefangen sein mußte, freute
ich mich doch, daß mein neuer Kerker schöner war, als der frühere. Doch
wie erschrak ich, als ich aus den Nachbarkäfigen eine ganze Reihe Augen
auf mich gerichtet sah.

Dicht neben mir hockte ein großer, brauner Kerl mit gekrümmtem, starkem
Schnabel. Unruhig trippelte er hin und her, spreizte seine Nackenfedern
und warf mir wütende Blicke zu. Es war ein Falke, der zur Jagd
abgerichtet war, und der manchem armen Turteltäubchen das
Lebenslichtlein ausblies.

Zwischen den Falken und unserer Familie besteht, wie ihr wißt, ewiger
Streit, und deshalb hätte er wohl auch mir am liebsten gleich ein jähes
Ende bereitet. Glücklicherweise trennte uns ein festes Eisengitter.
Nachdem er mich einige Minuten mit frechen, herausfordernden Blicken
gemustert, zog er sich in die Ecke seines Käfigs zurück und blickte nach
einer andern Seite.

Rechts von mir hauste ein großer, weißer Uhu. Hu! was hatte der zwei
kecke Augen im Katzenkopf. Am Abend leuchteten sie in fahlem Grün, als
habe er Lichter im Kopf mit grünen Gläsern. Auch vor ihm fürchtete ich
mich anfangs nicht wenig; doch erfuhr ich bald, daß er besser sei, als
sein Äußeres schien. Er war ein recht gemütlicher Bursche, der mir mit
seinen köstlichen Erzählungen manches Stündlein verkürzte und mir des
öftern am Morgen einen Leckerbissen in meinen Käfig warf. Des Nachts
wurde er nämlich freigelassen, und wehe dann den armen Mäuslein oder
Fröschen, die sich aus dem Gemäuer oder aus den Hecken um das Schloß
herum hervorwagten.

Kleinere Vögel waren in den obern Käfigen untergebracht. Alle sah ich
munter und fröhlich umherhüpfen und hörte sie manchmal aus voller Brust
ein lustiges Liedlein singen. „Meinen Nachbarn scheint es wirklich nicht
schlecht zu gehen“, dachte ich, „hoffentlich werde auch ich dann
einigermaßen hier zufrieden sein können.“

So war es in der Tat. Die Freiheit ausgenommen, fehlte mir im Schlosse
eigentlich nichts.“

„War das Schloß damals noch von Edelleuten bewohnt, Väterchen“, fragte
Rapsi, „oder hauste der Mann, der dich gekauft hatte, allein dort oben?“

„Geduld Kleiner, Geduld! Alles will ich euch erzählen. Eins nach dem
andern!

Anderntags, gleich am Morgen, erschien ein etwa zehnjährigen blonder
Knabe mit seinem Lehrer am Käfig. Freudig klatschte der Kleine in die
Händchen, als er meiner ansichtig wurde. Rasch griff er in die Tasche,
zog ein Stücklein süßen Kuchens hervor und rief mich ganz lieb und
freundlich zu sich. Seine Stimme klang so gut und sanft, daß ich mich
gar nicht vor ihm fürchtete. Er nahm mich in die Hand, streichelte mich
sanft und fragte seinen Lehrer, ob er mich gleich mitnehmen dürfe? Doch
der Lehrer bedeutet ihm, er müsse bis Mittag warten, da der Burgwart
erst meine Federn stutzen müsse, damit ich nicht fortfliegen könne. Der
Kleine gab sich damit gleich zufrieden, drückte mir den Rest des Kuchens
in das Gitter und sagte dann: „Auf Wiedersehen Räblein, bis heute
Mittag.“ Freundlich nickte ich ihm zu, denn am ganzen Auftreten dieses
Kindes hatte ich schon gemerkt, daß ich von ihm nichts zu fürchten
brauche.“

„Wie hast du gesagt, Väterchen,“ fragte Rassi neugierig, „deine Federn
stutzen, was war denn das?“

„Auch ich wußte es nicht, Rassi. Angstvoll fragte ich mich, was der
Hauslehrer damit meinen könnte? Sollte man mir etwa die Schwungfedern
ausreißen? Sollte man mir die Flügel abschneiden, damit ich als Krüppel
ewig an den Boden gefesselt wäre?

Bald sollte ich es erfahren.

Gegen 10 Uhr erschien der Burgwart, ein großer, düsterer Mann. Zunächst
stellte er das Essen in alle Käfige, ausgezeichnete Speisen: Fleisch,
Käse und Brot, sowie einen kleinen Blechnapf mit Wasser. Meine Nachbarn
begannen gleich ihr Mahl zu verzehren. Ich folgte ihrem Beispiel und tat
das Gleiche. Da ich seit dem Vortage außer dem Stücklein Kuchen nichts
genossen hatte, war ich sehr hungrig, und das erste Mahl im Schlosse
mundete mir ganz vortrefflich. Darnach setzte ich mich auf meine Stange,
um einige Stündlein Mittagsruhe zu halten.

Indes, bald wurde ich gestört. Der Burgwart erschien wieder mit einer
großen Schere. Ohne ein Wort zu reden nahm er mich aus dem Käfig heraus
und zog mir den rechten Flügel auseinander. Die Schere knackte, und
beinahe die Hälfte aller meiner schönen Federn lag abgeschnitten am
Boden. Dann kam die Reihe an den linken Flügel. Zuletzt stutzte er auch
noch die Steuerfedern meines Schwanzes. Jetzt verstand ich, was man mit
„Stutzen“ meinte. Nachdem der Mann mir die Flügel wieder zusammen
gelegt, knackte er noch hie und da ein Spitzchen ab und setzte mich in
den Käfig zurück.

Traurig sah ich die abgeschnittenen Federspitzen vor dem Käfig
umherliegen und nach und nach im Winde davonflattern. Aus dem
Falkenkäfig nebenan schien mir ein heimliches Kichern zu kommen, und wie
ich scheu hinüberlugte, sah ich, wie sein Insasse mich unverwandten
Auges mit spöttischen Blicken betrachtete. Der Uhu aber saß still auf
seinem Aste und nickte in tiefem Schlafe.“

„Hat es dich geschmerzt, Väterchen?“ fragte Rapsi mitleidig.

„Nein Kinder“, antwortete Hans, „Schmerzen empfand ich zwar keine in den
abgeschnittenen Federn, aber doch zürnte ich dem bösen Burgwart, denn
nun wußte ich wohl, daß ich nicht mehr fortfliegen könnte, und daß ich
alle diesbezüglichen Hoffnungen wenigstens vorläufig aufgeben mußte.

Von Bürden her leuchtete die Nachmittagssonne gerade in meinen Käfig
herein. An der Rückwand desselben sah ich mein Schattenbild; es war viel
schlanker als tagszuvor.



                                  VII.


Als die Trompete des Burgwächters fünf Uhr verkündet hatte, erschien der
kleine Burgherr und nahm mich aus dem Käfig heraus. Jubelnd eilte er mit
mir in die Laube unter der schattigen Kastanie, nahe dem Eingang des
Schlosses. Dort stellte er mich auf eine aus dünnen, schön geglätteten
Latten gezimmerte Bank und setzte sich neben mich. Ich versuchte nicht
einmal fortzufliegen, denn es war mir klar, daß bei meinen
abgeschnittenen Flügeln jeglicher Fluchtversuch vergebliche Mühe wäre.
Mein kleiner Herr, „Rudi“ war sein Name, hatte mir allerlei süße
Leckersachen mitgebracht, die ich froh verzehrte. Das liebe Kind vermied
sorgsam alles, was dem armen Raspio weh tun konnte, und so freute ich
mich bei ihm und war ohne jegliche Furcht.

O wie viel schöne Stunden habe ich bei diesem Kinde zugebracht! Nie
konnte ich gegen ihn die geringste Klage erheben.

Munter schritten wir nebeneinander über den Burghof, er in größeren und
ich in kleinern Schritten; dann wieder setzte er mich auf seine Hand und
seine Schulter und hüpfte mit mir im Kreise herum. Ein Reiter auf seinem
stolzen Rößlein konnte nicht herrlicher fahren als der schwarze Raspio.“

Sichtlich erfreut hüpften einige Male die Rabenbüblein leise auf und
schaukelten nachher noch einige Zeit auf ihren Ästchen langsam auf und
nieder.

Unten im Walde hörte man durch das dürre Laub ein Häslein eilenden
Schrittes vorüberhuschen. Einen Augenblick horchte Vater Hans auf. Dann
fuhr er ruhig weiter:

„Am liebsten verweilte ich mit Rudi droben auf dem hohen, flachen Turm.
Dort standen zwei Bänke um einen runden Tisch. Schön geschnittene
Lorbeer- und Oleanderstöcke gaben kühlen Schatten und schützten gegen
die allzu starke Sommersonne.

Von dort aus hatte man die schönste Aussicht. Den vielgezackten Burgpfad
konnte man überblicken, von der Mühle aus bis zur Pforte. Im Tale floß
die Sauer, in der sich die hohen grünen Berge spiegelten; im
Hintergrund, gegen Südosten, am Fuß des Donatiberges, kauerte im Grün
das blendend weiß getünchte Michelau. Drüben in den Hecken sah ich im
alten Pfade die Leute dahinziehen, winzig klein, da sie so weit entfernt
waren, muntern Schrittes die lebensfrohen Buben und schweren Fußes die
gebückten Alten. Vom Turme aus lauschte ich auch manchmal den frohen
Liedern, die allenthalben aus den Hecken tönten, wenn im Frühling die
Lohe geschlissen wurde. Von allen Seiten ertönte dann vom frühen Morgen
bis zum späten Abend lustiges Klopfen und Knacken. Und vom Tale an bis
auf die höchsten Bergesspitzen legten sich nach und nach, langen weißen
Knochen gleich, die entrindeten Stangen. Von dort aus sah ich auch
manchmal jenes herrliche Schauspiel, das den Öslingerbergen eigen ist,
wenn im September die Hecken „gesangt“ und gebrannt werden. Hei! wie
knisterten dann bis in die späte Nacht hinein die Reiser!“

[Illustration: Mit einem heiseren Schrei saß er ihm im Nacken; wütend
fuhr sein starker Schnabel auf den bösen Buben nieder.]

„Mein Großvater war auch aus dem Ösling“, unterbrach der kleine Rapsi
eilig, „davon hat er mir auch mehr als einmal erzählt. Doch, ist es
wahr, Väterchen, daß man dann das Feuer immer oben anlegt, daß es nach
unten brennen muß? Das versteh’ ich nicht, gewiß würde es doch besser
und schneller brennen, wenn man es unten im Tale anzündete?“

„Freilich, so ist es,“ erwiderte Hans zustimmend, „auch ich konnte mir
es nie erklären. Doch die Menschen haben es immer so getan, sie müssen
wohl einen Zweck dabei haben.“

„Ich kenne den Zweck, ich kenne ihn,“ jubelte Rapsi. „Legte man das
Feuer unten an, so würde es allzurasch brennen; die Flammen könnten auf
die umliegenden Hecken und Wälder übergreifen und großen Schaden
anrichten. Deshalb zündet man die Reiser oben an; das Feuer brennt nur
langsam, und mit leichter Mühe bleibt man Herr desselben.“

„Ganz recht“, erwiderte Hans, „so ist es in der Tat. Zudem werden beim
Brennen der Hecken noch andere Vorsichtsmaßregeln getroffen. Ehe man das
Feuer anlegt, wird die Brandstätte genau begrenzt; auf Meterbreite wird
die abgeholzte Fläche ringsum von allem dürren Laub und Reisig
sorgfältig gesäubert. Auch wird das Feuer wohl bewacht; ein entstehendes
Schadenfeuer würde allsogleich bemerkt und gelöscht werden.

Vom Turme aus sah ich aber auch den alten Eichbaum, wo einst vor langen
Jahren unser Nest gestanden. Sehnsüchtig schaute ich oft hinüber, ob ich
nicht die Eltern sehen könnte oder die Brüderlein, aber alles Spähen
blieb umsonst. Hätte ich reden können, Rudi hätte gewiß auf meine Bitten
hin den Burgwart hinübergeschickt, sich nach unserm Neste zu erkundigen;
aber meine flehentlichen Blicke verstand er nicht. So mußte ich denn
traurig hinübersehen, und da ich keine Spur der Meinigen entdeckte,
konnte ich nichts anders denken, als böse Räuber hätten auch die
Brüderlein fortgenommen, und die Eltern seien dann todestraurig
hinweggezogen in fremde Länder zu bessern Menschen.“

„Das war aber langweilig“, unterbrach nun wieder Rassi, „immer an
derselben Stelle droben auf dem Turm zu sitzen und immer nur dasselbe zu
sehen Tag für Tag.“

„Ich hatte geglaubt, du seiest eingeschlafen, Rassi,“ entgegnete
Väterchen Hans, „daß du so lange still sein konntest. Doch wenn du
glaubst, auf der Burg sei es langweilig gewesen, dann irrst du dich. Im
Gegenteil, es gab dort viele Abwechslung. Freudige Stunden erlebte ich
mit Rudi, freudige Stunden, besonders wenn fremde Spielleute und
Musikanten zur Burg kamen. Abends saß dann die ganze Schloßfamilie mit
diesen gern gesehenen Gästen auf dem Turme; Rudi hielt darauf, daß auch
ich dabei sein durfte, und dann lauschten wir bis tief in die Nacht
hinein den wunderschönen Erzählungen, Liedern und Melodien dieser
fahrenden Sänger. Manchmal wurden uns dabei die Augen naß, denn so oft
erzählten jene Leute von Ritterskindern, die ihren Eltern aus der
heimatlichen Burg weggeraubt wurden, und die dann in der Fremde ein
trauriges Leben führten. Aber schließlich brachte sie doch ein
glückliches Geschick endlich wieder heim zu den vor Freude
überglücklichen Eltern.

In jenen Stunden, glaubt mir es Kinder, wurde auch das Herz des armen
Raspio dick, er dachte zurück an seine Eltern, und der glimmende
Hoffnungsfunke, sie noch einmal wiederzufinden, leuchtete in ihm wieder
zur hellen Flamme auf.

Freilich auch traurige Tage gab es auf der Burg; denn mögen auch noch so
feste Türme und Ringmauern eine Menschenwohnung umschließen, gegen das
Leid sind sie dadurch nicht geschützt; früh oder spät wird es auch dort
seinen Einzug halten und den Freudenhimmel, der vielleicht jahrelang
über dem Hause war, mit dunkeln, schweren Wolken überziehen.

Im September war es, als das Laub der Lohhecken schon rot und gelb zu
werden anfing, als Nachmittags lange weiße Spinnfäden sich schlängelnd
zwischen den Bergen dahinzogen, da saßen Rudi und ich wieder zusammen
auf dem Turme. Schon seit einigen Tagen schien der Kleine äußerst
niedergeschlagen. Zwar war er gegen mich ganz lieb und gut, aber er
redete so wenig. Manchmal blickte er wie geistesabwesend in die Berge
hinein, stützte das Köpfchen in die Hand und weinte bitterlich. Etwas
Besonderes mußte sein gutes Herzchen drücken; den Gegenstand seiner
Trauer indes konnte ich nicht erraten. Da stand er plötzlich auf, nahm
mich auf die Hand und sagte traurig: „Räblein, Mütterchen ist krank,
sehr krank.“ Bittere Tränen rollten über seine Wangen. Schweigend trug
er mich zu meinem Käfig zurück und eilte still über den Hof in die
Ritterwohnung. In den nächsten Tagen sah ich das liebe Kind nicht
wieder. Eine traurige Stille lag über der ganzen Burg. Leise nur redeten
die Bedienten miteinander. Fremde Männer – es seien gelehrte Ärzte,
sagte man, – sah ich kommen. Als einer von ihnen wieder fortging, sah
ich Rudis Vater ihn bis zum Schloßtor begleiten, wo die beiden noch
einige Zeit ganz leise miteinander redeten. Als sich der fremde Mann
verabschiedet hatte, ging der Schloßherr einsam und traurig im Hofe auf
und ab, und als er an unserm Käfig vorüberschritt, merkte ich, wie aus
seinen Augen heiße Tränen stürzten.

Anderntags, da sich die Abendschatten leise über die Gegend zu legen
begannen, läutete das Glöcklein der kleinen Schloßkapelle Rudi’s liebem
Mütterlein das Totenlied. Leise schwebten des Glöckleins Töne traurig
hinab ins Tal. Die armen Leute der ganzen Gegend horchten erschrocken
auf, und in des Glöckleins Trauerklang mischte sich ihr Wehklagen, denn
die Verstorbene war ihnen stets eine wohltätige, gute Mutter gewesen.

Scharenweise kamen sie anderntags von allen Seiten herbei, um noch
einmal jene mildtätigen Hände zu sehen, die ihnen so viel Gutes
gespendet hatten.“

„Oh! der arme kleine Rudi,“ klagte Rassi traurig. „Und hast du auch das
Begräbnis gesehen, Väterchen Hans?“

„Gewiß Kinder, großartig waren die Leichenfeierlichkeiten für die
dahingeschiedene Edelfrau. Die adeligen Familien fast des ganzen Landes
waren erschienen, ihr das letzte Geleite zu geben. Tagszuvor waren die
Bewohner der näher gelegenen Schlösser mit ihrem Gefolge angekommen: Die
Herren von Esch an der Sauer, Wiltz, Schüttburg und Clerf; Vertreter der
weiter entfernten Burgen konnten erst am Begräbnistage selbst
erscheinen, da einzelne zwei Tagereisen zu machen hatten. Frühmorgens
kamen die Herren von Hollenfels, Simmern und Ansemburg; die Herren von
Befort hatten sich durch einen Eilboten entschuldigen und herrliche
Blumen am Sarge niederlegen lassen.

Nahe der Schloßmauer am stillsten Orte des Burggartens, fand die
Verstorbene vorläufig ihre letzte Ruhestätte.



                                 VIII.


Lange Zeit dauerte es, bis wieder frohes Leben in die Burg zurückkehrte;
ja ich kann sagen, daß es nie wiederkehrte wie früher. Einige Tage
später kam zwar Rudi und nahm mich wieder mit auf den Turm, aber nach
immer war er so traurig. Die schwarzen Kleider, die er vom Tode der
Mutter an während zweier voller Jahre trug, schienen auch den
Sonnenschein seines Herzens überdüstert zu haben.

In der letzten Zeit schien überhaupt die Freude von der Burg
verschwinden zu wollen. Noch zu Lebzeiten von Rudi’s Mutter hatten schon
manchmal besorgte Stunden daselbst geherrscht. Schon seit längerer Zeit
waren die Sänger, die früher so häufig zur Burg kamen, ausgeblieben.
Statt ihrer aber waren Boten gekommen, fern her aus Frankreich, und sie
hatten düstere Nachrichten von dort mitgebracht. Sie hatten erzählt, wie
blutgierige Menschen die Herrschaft an sich gebracht hätten; König
Ludwig und seine Gemahlin seien auf dem Schafott hingerichtet worden;
die adeligen Familien würden verfolgt und viele von ihnen verließen das
Land.

Immer zahlreicher wurden diese Unglücksboten; schon erschienen
Flüchtlinge, die einige Wochen blieben und dann weiterzogen nach den
Schlössern an Untermosel und Rhein. Tief erschüttert hatte ich einmal
gehört, wie ein fremder Mann herzzerreißend redete über das Schicksal
des kleinen Ludwig von Frankreich. Tieferzürnt hatte er erzählt von
jenem grausamen Mann, dem Schuster, dem man das arme Kind übergeben,
nachdem man ihm Vater und Mutter getötet, und der dann seine Wildheit an
dem armen Knaben ausließ.

Der kleine Rudi aber hatte seine Fäustchen geballt. „Wenn ich da gewesen
wäre,“ hatte er gesagt, „ich hätte dem kleinen Ludwig geholfen, wir
wären an den bösen Mann gegangen und hätten ihn zu zwei wohl
bemeistert.“ Seine Mutter aber hatte Rudi an sich gezogen, hatte einen
Kuß auf seine Wange gedrückt und schluchzend gesagt: „Armes Kind, wenn
nicht auch du noch leiden mußt von bösen Menschen.“

Einige Zeit waren solche Unglücksnachrichten wieder verstummt. Lange
schon war kein fremder Bote und kein Flüchtling mehr auf dem Schloß
erschienen. Alles schien wieder seinen gewöhnlichen Lauf anzunehmen.

In diese Zeit nun fiel ein Ereignis, das mich lebhaft ergriff, und das
sich mir tief in das Herz eingrub. Die Verurteilung und Hinrichtung der
beiden jugendlichen Verbrecher Franz und Jakob Heintzen.“

„Sind es die, welche gehängt worden sind?“ fragte Rassi, „davon hat mir
mein Großvater schon öfters erzählt, er war auch dabei gewesen.“

„Ja, sie sind am Galgen gestorben,“ antwortete Väterchen Hans, „das ist
eine gar traurige Geschichte. Doch da ihr sie ja kennt, kann ich darüber
hinweggehen.“

„Nein, Väterchen, nein. Wir haben sie noch nie gehört“, baten die
Übrigen und auch Rassi nickte: „Ja, Väterchen, erzähl’ sie noch einmal;
mein Großvater hat zwar davon gesprochen, aber solche Erzählungen könnte
ich jeden Tag hören, ich würde nicht müde werden, sag’ Vater, waren die
beiden schon alt, und wie kam es, daß sie so böse Verbrecher wurden, die
so arg gestraft werden mußten?“

„Anfangs der Zwanziger waren sie,“ sprach Hans, „und es kam, wie es in
solchen Fällen gewöhnlich kommt: „Im Kleinen fängt es an, im Großen hört
es auf.“ Ich erfuhr alles genau, als die Richter im Schlosse waren,
droben in der Laube, wo ich mit Rudi zugegen war, als sie alles genau
besprachen. Schon in ihrer Kindheit waren die beiden sehr unfolgsame und
unbändige Buben. Von niemanden ließen sie sich etwas sagen; über alle
Ermahnungen der Vorgesetzten setzten sie sich leichtfertig hinweg. Ihre
Eltern störten sie nicht, sondern nahmen sie noch in Schutz. Kam jemand,
der sich über neue Streiche ihrer ausgelassenen Kinder beklagte, so
sagten sie einfach, ihre Kinder seien nicht schlimmer wie die andern;
man solle sie nur ruhig lassen, wenn sie einmal größer geworden, würden
sie schon machen, wie es recht wäre.

„Im Kleinen fängt es an!“ Ja, Kinder, in den alten Sprichwörtern steckt
Erfahrung und Wahrheit. Mit Kleinigkeiten fingen die Heintzenknaben an
zu stehlen; zuerst heimlich Obst und Früchte in den Gärten und Feldern;
manches davon trugen sie auch heim; die Eltern nahmen es an und lobten
die kleinen Diebe ihrer Klugheit und Geschicklichkeit wegen.

Da sie größer wurden, gewöhnten sie sich an Müßiggang und Trinken. In
der Dorfschenke waren sie fleißige Besucher. Die Dorfbewohner wunderten
sich zwar, daß ihnen so viel Geld zur Verfügung stehe, daß aber dieses
Geld von den Diebstählen herrühre, die sich in den letzten Monaten in
der Umgegend immer mehr häuften, ahnten sie nicht. Eines Tages,
frühmorgens, als es eben erst im Osten zu dämmern begann, schlichen aus
den Lohhecken zwei verkleidete, geschwärzte Burschen, die eilig hinter
der Scheune des Heintzenhauses verschwanden. In jener Nacht war der
Burgförster von zwei Wilderern überfallen und übel mißhandelt worden. Da
man aber nicht bestimmt nachweisen konnte, daß die jungen Heintzen
wirklich die Täter waren, mußten sie freigesprochen werden. In der
Umgegend gingen von Tag zu Tag schlimmere Gerüchte über die Beiden um.

Immer mehr gerieten sie auf die Bahn des Bösen.

Eines Abends waren sie wieder angetrunken nach Hause gekommen; die
Eltern hatten ihnen Vorstellungen gemacht, waren aber von den beiden
verrohten Burschen schwer mißhandelt worden; eine volle Woche hatte der
Vater das Bett hüten müssen. Endlich gingen den Eltern die Augen auf;
sie ernteten die Früchte einer verfehlten Kindererziehung. Es grauste
ihnen vor den schlimmen Dingen, die sie herannahen sahen. Nun wollten
sie ihre Kinder wieder zu braven und fleißigen Menschen machen, durch
gute Worte wollten sie dieselben von ihren bösen Wegen zurückführen,
aber es war zu spät.

Faulenzerei, Diebstahl und Alkohol waren derart ihre vertrauten Freunde
geworden, daß sie sich nicht mehr zur Umkehr und Änderung ihres Lebens
bewegen ließen.“

„Väterchen Hans, nicht wahr,“ unterbrach Rassi, „da hätte gepaßt, was
dir der Knecht damals so töricht gesagt, als er dich in die Schule nahm:
„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.““

„Ja, du hast Recht, Rassi,“ entgegnete Hans. „„Jung gewohnt, alt getan,“
sagt das Sprichwort, und wenn die Kinder schon frühzeitig schlimme Wege
gehen, sind sie später schwer davon abzubringen. „Die Katze läßt das
Mausen nicht.“

So kam denn die schwarze Nacht des 17. Mai, von der die ganze Gegend
noch lange Jahre erzählte. Spät am Abend vom Felde heimkehrende
Landleute hatten zwei vermummte Männer begegnet, die aus dem Dorf kamen
und in der Richtung nach Brandenburg und Landscheid weitergingen. Scheu
waren die beiden am Wegesrand vorübergegangen und hatten den Abendgruß
nicht erwidert. Der Nickelsbauer, welcher an jenem Abend im Heintzenhaus
vorgesprochen, um ihre beiden Söhne für den folgenden Tag zur Heuernte
anzuwerben, hatte sie nicht zu Hause gefunden; ihre Mutter aber hatte
ihm die schüchterne Antwort gegeben, sie seien für einige Tage weiter
hinauf ins Ösling, nach Munshausen, zu ihren dortigen Verwandten auf
Besuch.

In jener Nacht war der Pächter der Bleesmühle unterhalb Gralingen
ermordet und beraubt worden. Vor wenigen Tagen hatte er auf dem
Jahrmarkt in Ettelbrück eine schwere Koppel Ochsen zu einem
außergewöhnlich hohen Preise verkauft. Viel war in der Gegend von diesem
Handel gesprochen worden.

In jener Nacht war der Pächter allein zu Hause gewesen, da seine
Verwandten nach Vianden zur Kirmeß gegangen waren und erst anderntags
heimkehren sollten. Der Pferdeknecht hatte in der Scheune geschlafen und
vom Verbrechen nichts gemerkt, bis er morgens die blutüberströmte Leiche
seines Herrn im Hausflur aufgefunden hatte. Alle Schränke waren
erbrochen und das Geld verschwunden.

Die Aufregung in der ganzen Gegend war ungeheuer.

Bald lenkte sich der Verdacht auf das Heintzenhaus, denn die beiden
Burschen waren es, welche am Morgen die Kunde von dem Verbrechen mit
viel Entrüstung im Dorfe verbreiteten. Dem Nickelsbauer schien es
verdächtig, daß die beiden nach Aussage der Mutter für einige Tage
abwesend sein sollten und nun waren sie schon wieder zu Hause. Alles
sprach sich leise herum; am Abend wurden die beiden Heintzen in
Untersuchungshaft abgeführt.

Hartnäckig leugneten sie die Tat. Wo sie aber in jener Nacht gewesen,
wußten sie anfangs nicht zu sagen. Zuletzt bestanden sie darauf, sie
hätten nach Diekirch gehen wollen, da sie aber ein Gewitter gefürchtet,
seien sie halbwegs umgekehrt und wieder nach Hause gekommen.

Gleich nach ihrer Verhaftung war eine Haussuchung im Heintzenhaus
vorgenommen worden. Eine größere Summe Papiergeldes wurde dabei zu Tage
gefördert, und weder Eltern noch Kinder wußten Aufschluß über dessen
Herkunft zu geben. Zuletzt erkannte der Metzger, welcher die Ochsen der
Bleesmühle gekauft hatte, in dem vorgefundenen Gelde eine Anzahl
derselben Scheine wieder, die er dem Ermordeten in Ettelbrück
ausgehändigt hatte. So verdichtete sich der Verdacht gegen die beiden
immer mehr; immer mehr verwickelten sie sich in Widersprüche. Nach
mehreren Wochen lügenhafter Abrede gaben sie endlich das Verbrechen zu
und legten ein vollständiges Geständnis ab. Auch bekannten sie die Tat
mit Vorbedacht begangen zu haben: „Zwar wäre es ihnen lieber gewesen,“
sagten sie, „wenn sie das Geld ohne Mord hätten an sich bringen können,
doch hätten sie sich mit Waffen versehen, für den Fall, wo sie an der
Arbeit überrascht werden sollten. Einer Gefangennahme und späteren
Verurteilung hätten sie um jeden Preis vorbeugen wollen und so hätten
sie den Mord geplant, für den Fall, wo ihr Einbruch hätte ruchbar werden
können.“ Einige Monate vorher bereits hätten sie zu zwei verschiedenen
Malen einen Einbruch in der Mühle versucht, wären aber jedesmal dabei
verscheucht worden.

Unter solchen Umständen stand es fest, daß die beiden Verbrecher nicht
freigesprochen werden konnten, sondern daß ihnen gegenüber die
Gerechtigkeit in ihrer ganzen Strenge zur Anwendung kommen mußte.
Niemand wunderte sich deshalb, als die beiden Gerichte, welche das
Urteil zu fällen hatten, einstimmig das Todesurteil aussprachen.

Im tiefsten Verließ des Burggefängnisses warteten die Verurteilten auf
den Tag der Hinrichtung. Wann diese aber stattfinden sollte, wußte ich
noch nicht.

Da erschien eines Tages Rudi morgens zu ungewöhnlich früher Stunde an
meinem Käfig und nahm mich mit auf unsern geliebten Ausschauturm. Ich
fragte mich erstaunt, weshalb wir denn heute schon so früh
hinaufstiegen. Bald sollte ich es erfahren.

Dem Ausschauturm grade gegenüber, auf dem kleinen Rundplatz auf der
äußersten, etwas vorspringenden Felsenkante, standen zwei hohe Balken,
die ich früher nie daselbst gesehen hatte. An diesen Balken war oben ein
kurzer Seitenarm angebracht. Von diesen herab hing ein starkes Seil,
dessen unterstes Ende in eine Schlinge auslief. An einem der Balken
stand eine schwere Leiter angelehnt. Kleine Gruppen von neugierigen
Zuschauern standen dicht in der Nähe, reckten die Köpfe zusammen und
unterhielten sich mit verhaltener Stimme. Auch Kinder sah ich an der
Hand ihres Vaters schüchtern den Berg heraufkommen und ängstlich nach
den beiden Balken schielen. Damit das schaurige Beispiel einer
Hinrichtung sie heilsam schrecke, hatten die Väter sie mitgebracht,
obwohl manche derselben gewiß lieber zu Hause geblieben wären.

Am jenseitigen Berge flatterten Raben von Baum zu Baum. Allmählig flogen
sie näher und näher zur Burg heran. Leise Hoffnung stieg in mir auf, daß
vielleicht meine lieben Eltern unter ihnen seien, und ich sie heute
wiedersehen könnte. Wieder andere Raben flogen hoch in der Luft kreisend
um das Schloß herum und ließen heisere, langgezogene Schreie gegen die
Wälder von Flehbour ertönen.

Gegen acht Uhr öffnete der Gefängniswärter mit großen Schlüsseln die
Haupttür des Burgverließes. Zwei Burgwächter, in ihrer frühern schwarzen
Rüstung, begleiteten ihn. Angstvoll blickte ich hinunter, denn an all
diesen Veranstaltungen erkannte ich, daß die Hinrichtung zweifellos an
diesem Morgen stattfinden würde. Nach einigen Minuten kamen die drei
wieder aus dem Verließ hervor. In ihrer Mitte führten sie gebunden die
beiden jungen Verbrecher. Beschämt sahen diese zu Boden; beide hatten
ein äußerst bleiches, verstörtes Aussehen. Das Gesicht zur Erde geneigt,
gingen sie ganz gebrochen aber willig zur Richtstätte mit.

Kein Wörtlein hörte ich mehr aus dem Munde der Zuschauer. Die Kinder
hatten sich hinter ihre Väter versteckt. Überall tiefes, angstvolles
Schweigen.

Nun standen die beiden droben unter den hergerichteten Galgen. Den
jüngern der Brüder sah man heftig weinen.

Bis dahin hatte auch Rudi angstvoll nach der Richtstätte hinübergespäht;
nun konnte er den Anblick nicht länger mehr aushalten. Weinend lief er
die Treppe hinunter und verschwand nach den Zimmern der Herrschaft.

Auch ich wäre am liebsten davongelaufen, aber die Raben von drüben waren
immer näher gekommen; einzelne hockten schon auf den Bäumen grade unter
unserm Turm. Sollten vielleicht auch meine Eltern jetzt heranfliegen?
Der Gedanke allein hielt mich zurück.

Da ich wieder nach der Richtstätte hinblickte, baumelte schon der ältere
der beiden Verbrecher zwischen Himmel und Erde. Leise drehte er am
Stricke hin und her. Einige Male ging noch ein hastiges Zittern und
Zucken durch seinen Leib; dann hing er schlaff und regungslos.

Schon stand die Leiter am zweiten Galgen. Leichenblaß stieg der jüngere
Heintzen hinauf. Seine Knie schlotterten, daß ich jeden Augenblick
fürchtete, er werde heruntertaumeln. Aber schon hatte ihm der
schwarzgekleidete Scharfrichter den Strick umgelegt. Mit hastigem Rucke
stieß er auch ihn von der Leiter herab.

In tiefem Schweigen war das schaurige Werk vor sich gegangen. Nur die
wenigsten der Zuschauer kamen näher an den Galgen heran. Langsam und
lautlos verschwanden sie talabwärts nach verschiedenen Richtungen. Auch
Scharfrichter und Schergen kehrten zur Burg zurück. Nun standen die
beiden Galgen einsam und verlassen mit den an ihnen hängenden Toten.

Solch Grauenhaftes habe ich in meinem Leben nicht wieder gesehen. Diesen
schaurigen Anblick kann ich nie vergessen, und sollte mein Leben noch
100 weitere Jahre dauern.

Regungslos hingen die Mörder da mit fahlem, entstelltem Gesicht. Und
erst ihre blaue heraushängende Zunge!“ ...

Jäh hatte Väterchen Hans seine Erzählung abgebrochen. Scheu sahen die
Räblein um sich. Jeder freute sich, daß er nicht allein war.

„Doch nicht lange mehr hingen die beiden einsam an ihrem Galgen. Schon
waren einige der Raben an die Balken herangeflogen, und mit heisern
Stimmen hatten sie sich auf die Hingerichteten gestürzt. Nach wenigen
Minuten waren ihre Gesichter zerfleischt und bis zur Unkenntlichkeit
entstellt.

Da konnte auch ich nicht länger hinsehen; meine Eltern hier zu sehen,
hoffte ich nicht mehr; zu solch schrecklichem Tun hätten sie nie
geholfen, dafür kannte ich sie zu gut.“

Erschüttert saßen die Rabenbüblein in der Runde. Auch der sonst so
vorlaute Rassi hatte still gehorcht und zitterte leise. „Väterchen
Hans“, sprach er bittend, „nachher wenn du aufhörst zu erzählen, gehst
du mit mir nach Hause, gelt? Ich habe so weit, und heute Abend fürchte
ich mich allein zu gehen.“

Hans lächelte, daß es ihm gelungen war, sogar Rassi in Angst zu
versetzen, beruhigte den Kleinen, den er doch gerne hatte und versprach
wenigstens ein Stück Weges mit ihm zu fliegen. Wohlgemut setzte er dann
seine Erzählung fort.



                                  IX.


„Ein kalter Winter zog 1794 über die Länder. Beinahe drei Monate lang
lag überall tiefer Schnee. Selten nur wurde ich aus meinem nach allen
Seiten mit Strohmatten wohl verdeckten Käfig herausgenommen. Seit dem
Tode der Mutter kam Rudi nur mehr selten zu mir, meistens blieb er im
Innern des Hauses. Tiefer Schnee verdeckte auch die Blümlein, welche er
so sorgsam auf das Grab seiner Mutter gepflanzt hatte; ja das Grab
selbst war unter der Schneehülle verschwunden. Bisweilen sah ich das
liebe Kind traurig am Grabe stehen und bitterlich weinen. Einige Male
kam er und nahm mich für ein Stündlein mit ins warme Wohnzimmer. „Siehst
du Räbi“, sprach er dann, „dort an der Mauer schläft lieb Mütterlein den
langen Schlaf. So nahe ist sie noch, aber sie redet nicht mehr mit mir,
wenn ich an ihrem Grabe weine. Zwar weine ich immer nur leise, damit der
gute Vater nicht noch trauriger wird, aber Mütterlein könnte mich wohl
hören in der kalten Erde, aber noch nie, nie hat sie ein Wörtlein
geredet. Sieh, Räbi, wir sind froh in der warmen Stube, aber lieb
Mütterlein muß draußen sein im kalten, schneebedeckten Grabe. Die
Blümlein, die ich ihr gepflanzt, sind im Herbste welk geworden und nun
ganz erfroren. Aber wenn wieder der Frühling kommt, dann soll Mütterchen
nicht mehr zu klagen brauchen; da werde ich andere Blümlein holen aus
den Hecken und Feldern, die schönsten, welche ich nur finden kann, und
lieb Mütterlein wird ein Gärtlein haben über ihrem Grabe, schöner noch
als im vergangenen Jahre.“

Und Rudi hat dem toten Mütterchen im kühlen Grabe Wort gehalten.

Als die ersten Frühlingsblümchen kamen, die Maßliebchen und die
Schlüsselblumen, da eilte er hinaus und keiner Müdigkeit achtend,
brachte er seine Sträußlein, stellte sie hin auf das Grab, und die
Tränlein rannen still über seine Wangen und tropften leise neben die
Blümlein auf Mütterleins Grab.

Als aber drunten an der Sauer die blauen Vergißmeinnichte zu blühen und
zu sprießen begannen, da eilte er hinab und trug sie freudig herauf zum
Grabe; am Rande desselben pflanzte er sie mit liebenden Händen und
täglich näßte er sie, daß sie weitersprossen und Mütterleins Grab zieren
sollten.

Wieder flackerten im September die „Sangen“. Wieder färbte sich das
Laub, und aus der sterbenden Natur flogen wehmütige Gefühle in die
Herzen der Menschen. Wiederum kamen auch in letzter Zeit müde Wanderer,
Flüchtlinge aus Frankreich, denen die Heimat zur Fremde geworden, und
die nun weiterzogen zu andersredenden Menschen, bis bessere Zeiten sie
heimgeleiten würden an den väterlichen Herd. Was sie erzählten, klang so
traurig und bitter; von Gesetzen sprachen sie, streng und grausam gegen
Adel und Priester, von Verbannung, Kerker und Tod. „Auch bis in die Gaue
des Luxemburger Landes werde der Sturm kommen“, sagten sie,
„zweifellos“. Rudi’s Vater solle klug sein und sich beizeiten vorsehen;
auch seines Bleibens könne nicht lange mehr in Burscheid sein, am
allerbesten täte er gewiß, gleich mit ihnen weiterzuziehen an den Rhein.

Lange wollte Rudi’s Vater davon nichts hören. Haus und Heimat, Bekannte
und Diener, die ihm treu ergeben waren, verlassen, um in der Fremde das
harte Brot der Verbannung zu essen, dazu konnte er sich nicht leicht
entschließen, und jedenfalls wollte er es verschieben, so lange er nur
immer könne. Als aber von Tag zu Tag die Unglücksboten sich mehrten, als
die durchreisenden Auswanderer immer zahlreicher wurden und ihn
ängstigten, da gab er endlich schweren Herzens nach und teilte Rudi mit,
sie könnten nicht länger mehr auf dem Schlosse bleiben. In bessern,
ruhigern Zeiten, so Gott wolle, würden sie nach der liebgewonnenen
Heimat zurückkehren ...

Als die Allerheiligenwoche zu Ende ging, bespannten die Knechte eines
Tages schon beim Morgengrauen zwei schwere Wagen. Das Wertvollste des
ganzen Schlosses trugen sie zusammen und packten es sorgsam ein. Bei
Sonnenaufgang hatten sie bereits die Burg verlassen.

Kurz darauf kam Rudi an der Hand des Vaters über den Hof. Mit trauerndem
Antlitz traten Vater und Kind an die Ringmauer zum Grabe der geliebten
Mutter. Kein Wörtlein konnte ich hören. Nachdem sie lange schweigend da
gestanden, gab der Vater dem Kleinen einen Wink, es sei Zeit zum
Aufbrechen. Am Schloßtor stand schon der herrschaftliche Wagen in
Bereitschaft. Schluchzend sah ich Rudi niederknien und einen letzten Kuß
auf die Steinplatte drücken, worauf der Name seiner verstorbenen Mutter
eingegraben war. Schnell pflückte er die letzten Sträußchen
Vergißmeinnicht, die noch am Grabesrande blühten, ab und legte sie
behutsam in ein mitgebrachtes Buch. Mit verweinten Augen sah ich Vater
und Sohn an meinem Käfig vorbei schweigend dem Tore zuschreiten.“

„Und sind sie da schon gleich für immer abgereist, Väterchen Hans?“
fragte Rassi mitleidsvoll.

„Das war auch meine Furcht, Rassi. Ängstlich sah ich deshalb zur Pforte.
Doch ich dachte mir: Es kann doch nicht sein! Ohne Abschied von mir zu
nehmen, wäre Rudi gewiß nicht weggegangen. Es konnte also nur zu einem
kurzen Besuch sein, daß sie fortgingen; über einige Tage würden sie
gewiß wiederkehren. Während ich mich mit diesen Gedanken beschäftigte,
sah ich plötzlich Rudi wieder vom Wagen, den er schon erstiegen hatte,
herunterspringen. Eilig kam er zu meinem Käfig. „Räbi“, sagte er
traurig, als er mich herausholte, „jetzt geht Rudi fort und vielleicht
wird er lange, lange nicht mehr wiederkommen. Weit, weit fort muß ich
gehen und wie Vater sagt, können wir Räbi bis dahin nicht mitholen.
Später werden wir vielleicht wiederkehren und Räbi dann mitnehmen. Dem
Burgwart habe ich gesagt, daß er gut auf Räbi achtgebe und dir viel
gutes Essen bringe. Wenn du aber fortfliegen willst, so magst du auch
dieses tun. Deinen Käfig will ich dir offen lassen, du kannst dann
fortfliegen in die Wälder und später wiederkommen, wenn Rudi einmal
wieder auf der Burg wohnt.“ Darauf zog er noch ein großes Stück Kuchen
aus der Tasche und legte es in meinen Käfig hinein. „Lebewohl Räblein“,
sprach er mit zitternder Stimme und ging dann fort, ohne ein weiteres
Wörtlein zu reden. Am Burgtor sah ich ihn zum letzten Mal, als der Wagen
um die Ecke bog; sein Gesichtchen hatte er in die Hände gestützt; er
weinte bitterlich. Seither habe ich das liebe Kind nie mehr
wiedergesehen.

Traurig saß ich nun im Käfig und dachte zurück an die schönen Tage, die
ich mit dem Kleinen verbracht und die niemals mehr wiederkommen
sollten.“

„Väterchen Hans, Rudi hatte ja die Türe des Käfigs offen gelassen, daß
du fortfliegen könntest,“ hastete Rassi erregt. „Hast du das denn nicht
gleich getan? Dann warst du aber dumm, Väterchen Hans!“

„Geduld, Geduld, Rassi, eins nach dem andern. Als ich das immer leiser
werdende Geräusch des davonrollenden Wagens nicht mehr hörte, hüpfte ich
rasch aus dem Käfig hervor. Das letzte Stück Kuchen, das Rudi mir
zurückgelassen, verzehrte ich vor dem Käfig und, indem ich dann vor
demselben hin und her spazierte, überlegte ich, was ich nun beginnen
sollte. Sollte ich wieder in den Käfig schlüpfen, dort bleiben und mich
auf die Güte des Burgwartes verlassen? Sollte ich auf der Burg bleiben,
bis Rudi zurückkäme? Ja, aber wenn er vielleicht gar nicht mehr
heimkehren sollte, wie er es angedeutet; wenn vielleicht die Franzosen
ins Luxemburgische kommen sollten, wenn sie das „Wälderdepartement“, wie
sie es nannten, durchziehen, vielleicht wieder die Burg belagern und
einnehmen sollten, wie sie es vor 100 Jahren getan, wie einst Rudi mir
erzählt hatte! – Oder sollte ich die mir dargebotene Gelegenheit
benutzen und der goldenen Freiheit folgen, die mir winkte? Dieses letzte
schien mir das Beste. Später könnte ich ja doch immerhin zurückkehren,
wenn ich wollte.“

Schon wieder fuhr Rassi dazwischen: „Ja, Väterchen Hans, so mußt du es
machen. Flieg schnell fort, lang genug warst du eingesperrt, nichts geht
über die schöne Freiheit.“

Väterchen Hans lachte: „Ja Rassi, das war auch meine Ansicht. Meine
Flügel waren wieder etwas gewachsen, so daß ich hoffen durfte, fliegen
zu können, wenn vielleicht auch noch nicht ganz weit. So lief ich denn
schnell bis in die Mitte des Hofes zurück, nahm einen großen Anlauf,
schlug kräftig mit den Flügeln und gelangte glücklich auf die hohe
Ringmauer. Dort blieb ich einen Augenblick sitzen und schaute nach allen
Seiten, ob ich den davonfahrenden Wagen nicht mehr entdecken könnte. Es
war unmöglich, denn die Wege führten alle durch den Wald.

Mein erster Gedanke war nun, hinüberzufliegen nach der alten Eiche, wo
einst unser Nest gestanden hatte. Beherzt schwang ich mich von der Mauer
hinab und schwebte im Gleitflug langsam zur Sauer. Welche Freude mich
zum erstenmal im Luftmeere schaukeln zu können! Bergab flog ich ganz
vorzüglich, beinahe ohne Anstrengung. Schon schwebte ich über dem
Wasser. Freilich ein wenig Angstbeklommen fühlte ich doch, als ich über
den Fluß flog, und mir mein Bild zitternd aus dem tiefen Wasser
wiederstrahlte. Am andern Ufer setzte ich mich zu kurzer Rast auf die
Wiese nieder. Ein Schnecklein kroch eben im Grase. „Da ist mein Tisch ja
schon gedeckt“, dachte ich, und schon war der Leckerbissen in meinem
Munde verschwunden.

Doch nun hieß es weiterfliegen. Einige Sekunden sah ich nach oben. Auf
direktem Wege diese steile Höhe zu erklimmen schien mir unmöglich, dazu
waren meine Flügel zu klein und zu schwach. So entschloß ich mich denn,
auf Umwegen mein Ziel zu erreichen. „Wer langsam geht, kommt auch ans
Ziel,“ hatte der Burgwart immer gesagt. So flog ich denn flußaufwärts
und stieg unterwegs immer höher bis in die Mitte des Berges oberhalb der
heutigen Burscheidter Mühle. Auf einer schlanken Pappel dicht am
Bergeseinschnitt, wo bei Regenwetter der Helkeschbach niederstürzt,
mußte ich ein Weilchen rasten, denn schon fühlte ich mich sehr ermüdet.
Sonst wäre ich gewiß bald in die Hecken gestürzt, und wie hätte ich mich
daraus wieder erheben können? Ein leichter Wind beugte die Pappelspitze
langsam hin und her und schaukelte mich mit derselben. Da der Wind von
Nordwesten kam, war er für meinen Weiterflug sehr günstig.

Nachdem ich ungefähr ein Viertelstündchen geruht und die Lungen mit
neuem Luftvorrat gefüllt, schwang ich mich abermals über die Bäume und
flog dem Flusse entlang, langsam aber stetig höher steigend. Schon sah
ich die Felder, die einst unser Nest überragt hatten, und von denen aus
die Buben mein Brüderlein totgeworfen. Nach einigem Suchen fand ich auch
unsere Eiche wieder; das Nest war verschwunden. Nur einige Reiser hingen
daselbst wirr durcheinander; alles war verlassen und verfallen.

Während des ganzen Nachmittags blieb ich wehmütig an der alten
Heimstätte zurück, flog bald hin und her und rief nach allen Seiten, ob
ich vielleicht die Eltern finden könnte oder einen meiner lieben
Brüderlein. Allein alles war umsonst. Auf meinen Ruf hin kamen zwar
einige Raben heran, aber ich kannte sie nicht. Spöttisch betrachteten
sie meine abgeschnittenen Federn und machten hämische Bemerkungen, die
mich im Herzen schmerzten. „Er ist von bessern Leuten! Ha ... a a ah!“,
lachten sie, „und er kleidet sich nach der neuesten Mode.“ Ich wollte
ihnen Erklärungen geben, aber sie ließen mich nicht reden. „Sei nur
still, du einfältiger Protz“, sagten sie, „wir kennen dich schon. Ein
feiner Herr hast du sein wollen und deshalb bist du zur Burg geflogen,
hast Burgkuchen gefressen und gegen uns gesprochen beim Jagdfalken, daß
er von Tag zu Tag gegen uns wütender wurde und noch in der letzten Woche
zwei von unsern Brüdern erschlagen hat.“

Abermals wollte ich beteuern, daß sie sich in all diesen Anschuldigungen
irrten, doch vergebens. Sie ließen mich gar nicht zu Worte kommen.
„Einen Tag“, sagten sie, „habe ich noch Zeit, mich wieder aus dem Staube
zu machen. Sollte ich anderntags noch das Unglück haben, mich in der
Gegend zu zeigen, so würden sie die ganze Sippe zusammenrufen und mir
die Augen aushacken; dann könnte ich blind zur Burg zurückflattern und
weiter Gnadenbrot fressen wie bisher. Übrigens wäre es wohl möglich, daß
ich nur herübergekommen sei, um zu spionieren, wo der Falke uns wieder
am besten überfallen könnte. Ich sei gewarnt und solle mich darnach
richten!“

„Das war aber gar nicht schön von ihnen,“ sagte Rassi zornig. „Väterchen
Hans, du hattest ihnen ja noch nichts zuleide getan.“

„Was sollte ich aber tun, Rassi?“ fuhr Hans fort. „So entschloß ich mich
denn weiter zu ziehen und in einer andern Gegend meinen Wohnsitz
aufzuschlagen. Da ich übrigens meine Eltern nicht wiedergefunden hatte,
fiel mir der Abschied nicht schwer.



                                   X.


Anderntags, frühmorgens, als die Hähne von Michelau einer um den andern
den neuen Tag ankündigten, machte ich mich auf den Weg. Über Flehbour
und Lipperscheidterdellt hinweg flog ich an Hoscheid, Dickt und Hosingen
vorbei, immer dem Höhenzug folgend, nach Marnach. Dann und wann setzte
ich mich zu kurzer Rast nieder und gelangte gegen Mittag nach Urspelt.
Dichte Lohhecken bedeckten die Abhänge; auch hohe, schöne Tannen fanden
sich dort, und ich faßte den Entschluß: „Hier will ich bleiben“.

Doch auch dort fand ich keine Freunde. Die Raben dieser Gegend sahen in
mir nur einen Fremden; die Verleumdung derjenigen, die mich schon aus
der Nähe des Schlosses vertrieben, folgte mir auch dorthin. Alle
schlossen mich aus ihrer Gesellschaft aus und keiner wollte mit mir
reden. So beschloß ich denn, fern von ihnen ein einsames Leben zu
führen. „Dann bekomme ich auch mit Niemanden Streit“, dachte ich und gab
mich zufrieden. Im Walde bei Urspelt fand ich Unterkunft. Nahrung gab es
dort genug, und die dichten Tannen boten ein schützendes Dach gegen
Sonnenschein und Regen.

Eines Tages wollte ich mir die Umgebung näher ansehen und flog deshalb
über den Wald hinweg gegen Reuler. Auf einem der letzten Bäume setzte
ich mich nieder und betrachtete die Felder und Äcker, die sich längs des
Waldes hinzogen. Armes, wenig fruchtbares Land war es, meist bestanden
von Heidekraut und mannshohem Ginster. Am Waldessaum graste eine
Schafherde. Dann und wann hörte ich alte Schafstimmen einige Male
blöcken, und kleine weiße Lämmer eilten durch den Ginster, schlugen
rasch mit ihren Schwänzlein und eilten der Stimme nach. Am Ende des
Feldes wachte ein großer Hund, daß keines der Schafe darüber hinausgehe
und sich im Walde verliere.

Doch, wo sollte denn der Hirt weilen? Allein waren doch die Schäflein
gewiß nicht hiehergekommen, und trotzdem konnte ich ihn nirgends
entdecken. Suchend flog ich einige Bäume weiter, und schließlich
erspähte ich den Schäfer mitten im Felde. Er saß auf einer Bürde
Ginster, über die er seinen Mantel ausgebreitet hatte. Fleißig flochten
seine Hände weißgeschlissene Weiden zu kunstfertigen Körbchen, deren
schon einige nebenan im Grase lagen. Dicht neben ihm hockte auf einem
Steine ein alter Rabe. Unverwandt blickte er den Schäfer an und lauschte
seinen Gesprächen.

„Dieser Hirt scheint ein guter Mann zu sein“, dachte ich, „da der Rabe
so furchtlos bei ihm sitzt.“ Doch eines war mir ein Rätsel: Wie kamen
die beiden zusammen? „Soll der Rabe“, fragte ich mich, „alle Tage mit
dem Schäfer vom Dorfe herauskommen, oder wohnt er hier im Walde und
fliegt nur zu ihm hin, bis jener die Herde heimtreibt?“ Schon faßte ich
Mut; schon hoffte ich, vielleicht auch an diesem Mann einen Freund
finden zu können, wie einst an Rudi auf dem Schlosse. Sein
Gesellschafter, der Rabe, würde gewiß meine Lage verstehen und nicht so
grob gegen mich sein, wie die andern Kameraden bisher gegen mich
gewesen. – Doch wie sollte ich es anstellen, ein Gespräch mit ihnen
anzuknüpfen?

So flog ich denn näher und setzte mich auf den ihnen zunächststehenden
Baum. Dann rief ich einige Male laut zu ihnen hinunter, aber weder der
Schäfer noch der Rabe sahen auf; sie schienen meine Gegenwart gar nicht
zu beachten. So nahm ich mir ein Herz und flog ins Ginsterfeld hinunter,
wo ich in einiger Entfernung von ihnen mich niedersetzte. Auch jetzt
noch kümmerten sie sich nicht um mich. Da schritt ich mutig gerade auf
sie zu, blickte bald auf den Schäfer, bald auf den Raben, bis sie
endlich beide aufschauten und mich erstaunt ansahen.

Doch der Mann war nicht böse. Er bückte sich nicht gleich nach einem
Stein oder einem Stock, wie ungezogene Buben tun, sondern er rief mich
ganz freundlich zu sich hin: „Räblein komm“, sprach er. Seine Stimme
klang so gut und lieb, beinahe wie Rudis Stimme. So trat ich denn ohne
Furcht an sie heran. Der Schäfer nahm seinen blechernen Eßtopf und gab
mir daraus einige schmackhafte Brocken von den Ueberresten seines
Mittagsmahles. Dankend nahm ich sie an. Bis Sonnenuntergang blieb ich
bei ihnen und horchte auf die schönen Erzählungen des Schäfers. Als des
Abends Schatten leise aufstiegen, erhob sich der Mann, nahm die
geflochtenen Weidenkörbchen zusammen und rief seine Schäflein. „Bis
Morgen also, Hänschen“, sprach er zu dem andern Raben, „und wenn du“,
fügte er zu mir gewandt hinzu, „auch wiederkommen willst, sollst du mir
herzlich willkommen sein; der Schäferhannes hat die Räblein gern und tut
ihnen nichts zuleide. Also bis Morgen!“ Wir nickten zustimmend und
flogen auf den nebenstehenden Baum. Langsam schritt der Schäferhannes
durch den Ginster. Unterwegs zog er den langen Mantel an, auf dem er
gesessen und hob seine Hirtenschaufel auf, um sich darauf wie auf einen
Stab zu stützen. „Lämmi komm, Lämmi komm“, rief er dann einige Male, und
die Schäflein liefen von allen Seiten zusammen und folgten ihm, während
er langsam weiterschritt. Bald war die ganze Herde zusammen; wedelnd
lief der Hund hinter ihr her und stieß mit der Schnauze die säumigen
Lämmlein, die noch ein Hälmchen am Wegesrand pflücken wollten.“

„Bist du denn von da an öfters zum Schäferhannes gegangen, Väterchen, da
er dich eingeladen hatte?“ fragte Rassi. „Und was hat er euch erzählt?
Hast du auch seither noch öfter mit dem andern Raben gesprochen?“

„Gewiß Rassi, der Schäferhannes und wir beide Raben waren von da an
jahrelang die besten Freunde. Beinahe Tag für Tag fanden wir uns bei den
Schäflein zusammen, aßen und tranken aus derselben Schüssel, freuten uns
und lauschten den Erzählungen des Schäfers. Abends, wenn die Herde
heimgetrieben war, und wir allein waren, erzählte mir mein neuer Kamerad
manches andere, und so erfuhr ich vieles aus der Gegend meiner neuen
Heimat.

Hannes war nicht Eigentümer der Herde. Er hütete sie für die Bauern von
Reuler. Sie hatten ihn gedungen, und getreulich tat er seine Pflicht.
Besser waren die Schäflein in hundert Jahren nicht gehütet worden als
von ihm. Frühmorgens ging sein Tagewerk an. Unten im Dorfe begann er die
Runde. Auf einer alten Flöte trillerte er einige Noten, die er sich
selbst zusammengestellt hatte, zuerst in tiefer, dann in höherer
Tonlage. Die Bauersleute kannten das Zeichen und öffneten die niedrigen
Tore ihrer Schafställe. Die Schäflein sprangen blöckend heraus und
eilten dem Schäferhannes freudig nach. So wuchs seine Herde von Haus zu
Haus, und am Ende des Dorfes hatte er alle zusammen, über 120 Stück.
Hannes kannte und rief sie alle mit Namen. Zwar konnte er nicht
schreiben, da er nie eine Schule besucht, aber er hatte einen klugen
Geist und ein vorzügliches Gedächtnis, das ihn nie im Stiche ließ. Noch
nach Jahren konnte er genau erzählen, was er einmal gesehen oder gehört
hatte. Wenn er Montags bei seiner Herde weilte, wiederholte er in
Gedanken, was der Pfarrer am Sonntag gepredigt hatte. So gut hatte er
aufgepasst, daß er alles fast wörtlich hätte hersagen können. Hannes war
auch sehr sparsam. Für sich brauchte er nur wenig; dann und wann ein
Pfündlein Tabak, das er in einer abgebrochenen irdenen Pfeife gemütlich
rauchte, an den Winterabenden bisweilen einige Groschen, wenn er beim
Kartenspiel verlor, was aber höchst selten vorkam, denn Hannes spielte
vorzüglich. Das war sein ganzer Verzehr. Seine Kost erhielt Hannes im
Dorfe. Haus um Haus mußte ihn beköstigen, jedes so viel Tage, als er aus
ihm Schäflein zu hüten hatte. War das letzte Haus erreicht, begann die
Runde allemal wieder beim ersten. In jedem Stall hatte auch Hannes ein
Schäflein stehen, das ihm selbst zu eigen gehörte. Darüber durfte er
frei verfügen. Gewöhnlich verkaufte er sie im Herbste wenn sie fett
geworden, an den Metzger von Clerf. Ein schönes Stück Geld zog dann
Hannes ein; an die Stelle der verkauften Schafe aber stellte er ein
Lamm, worauf er ebenfalls in jedem Haus ein Recht hatte. Die Schafschur
besorgte er selbst; ein Viertel der Wolle war für den Hirten. Von dem
Erlös kaufte sich Hannes einen neuen Sonntagsanzug, der im
darauffolgenden Jahr sein Werktagskleid wurde. Was er daneben noch
arbeitete durch Korbflechten oder wenn er im Winter beim Dreschen
aushalf, mußte ihm eigens bezahlt werden und auch dieses machte auf das
Jahr eine für damals bedeutende Summe. So hatte Hannes Alles, was er
brauchte und zufriedener wie er war kein König hier auf Erden. Von
seinen Ersparnissen legte er jährlich etwas kleines für sich zurück als
Zehrpfennig für das Alter, das übrige gab er seinem greisen Vater, der
nicht mehr arbeiten konnte, und dem es früher bei seiner großen Familie
nicht möglich gewesen war, etwas für das Alter zurückzulegen.

Bis gegen das Jahr 1797 blieb ich in Reuler als Freund des
Schäferhannes. Mein Kamerad war im vergangenen Winter spurlos
verschwunden. Abends hatten wir noch lange miteinander geplaudert. Er
hatte mir erzählt aus frühern Zeiten, denn er war bedeutend älter als
ich. Seine meisten Jahre hatte er in der Nähe von Vianden bei der Bauler
Klause zugebracht, und so wußte er viel zu erzählen von den Schlössern
von Vianden, Falkenstein und Stolzemburg und all dem, was sich in jener
Gegend zugetragen hatte. Zuletzt hatte er mir gesprochen von der großen
Überschwemmung, welche im Februar 1776 die Unterstadt Vianden verwüstete
und von dem großen Felssturz, der 1870 in der Nähe des alten Marktes
drei Häuser zerstört und elf Menschen begraben hatte. Spät gegen
Mitternacht waren wir heimgekehrt, er zu seiner alten Eiche und ich zu
meiner Tanne weiter im Walde. Morgens sollten wir einen Ausflug nach
Vianden machen, wo er mir an Ort und Stelle die Unglücksfälle näher
auseinandersetzen wollte. In der Luftlinie sei es gar nicht weit, in
höchstens einer Stunde seien wir da.

Morgens wartete ich bis neun Uhr; noch immer war mein Kamerad nicht
gekommen. So flog ich denn nach seiner Wohnung, um zu sehen, wo er so
lange bleibe. Die ausgehöhlte Eiche, in der er sich gewöhnlich aufhielt,
war leer. Unter dem Baume fand ich einige ausgerissene Rabenfedern und
viele frische Blutstropfen. Was war vorgefallen? Nie erfuhr ich etwas
Bestimmtes, aber ich vermute, daß eine Wildkatze, die in den Felsen
oberhalb Clerfs hauste, in der Nacht herausgekommen war und ihm ein
jähes Ende bereitet hatte.“

„Bist du denn von da an allein bei den guten Schäferhannes gegangen,
Väterchen,“ fragte Rassi, „oder bist du gleich aus Furcht vor den Katzen
in eine andere Gegend fortgezogen?“

„Gefürchtet habe ich schon“, entgegnete Hans, „aber fortgezogen bin ich
deshalb doch nicht. Des beständigen Wanderns wird man bald müde. Ich
traf meine Vorsichtsmaßregeln, daß die Katzen mir nicht schaden konnten,
selbst wenn sie es gewollt hätten. Ganz in die Spitze eines sehr dünnen
Ästchens setzte ich mich, worüber eine Katze nicht hätte gehen können,
ohne herunterzustürzen. So konnte ich beim Schäferhannes bleiben, seinen
Geschichtchen lauschen, von seinem Essen mithaben und mich bei dem guten
Manne freuen.



                                  XI.


Doch nicht lange mehr erzählte er mir freudige Geschichten und Märchen.
In den letzten Monaten war er so ernst geworden, und seine Stirne lag
fast beständig in sorgenvollen Falten. Als ich ihm darüber einmal einen
fragenden Blick zuwarf, erzählte er mir, es kämen vielleicht bald für
das schöne Ösling schlimme Zeiten. Die Franzosen, nicht zufrieden in
ihrem Land Unheil angestiftet zu haben, seien auf dem Wege nach
Luxemburg, um ihren schlimmen Gesetzen auch dort Geltung zu verschaffen.
„Esch an der Alzette hätten sie schon vor längerer Zeit eingenommen“,
erzählte er „und da die Einwohner sich in den Leudelingerwald
geflüchtet, hätten sie das Dorf in Brand gesteckt. Der alte Küster von
Düdelingen, der die Sturmglocke läutete, sei vom Kirchturm herab auf den
Kirchhof geworfen und 82 Einwohner getötet worden. Im ganzen Lande
wollten sie ihre gottlosen Gesetze einführen. Die Priester wollten sie
zwingen einen verbotenen schlechten Eid zu schwören, und da diese es
nicht wollten, setzten sie dieselben ab und drohten ihnen mit Verbannung
und Verfolgung. Die Kreuze rissen sie von den Kirchen, von den Wegen und
den Gräbern, der Sonntag sollte nicht mehr gefeiert werden, sondern in
seine Stelle jeder zehnte Tag ein Feiertag werden. Dazu sollte auch noch
das Land von der Karte Europas verschwinden, sollte die liebe Heimat
eine Provinz des Franzosenreiches werden; selbst der Name Luxemburgs
sollte nicht mehr genannt werden, nur als „Wälderdepartement“ sollte er
bestehen bleiben. Kriegssteuern zahlen müßten dazu die freiheitliebenden
Gaue der Heimat. Pferde sollten sie stellen für fremde Kriege, und
Militäraushebungen sollten stattfinden, wie seit Jahrhunderten nicht
mehr. Alle jungen Leute von 20 bis 25 Jahren würden eingezogen zum
Kriegsdienst unter französischen Fahnen; für Fremde sollten sie ihr Blut
vergießen und wahrscheinlich fern der Heimat einen fast sichern Tod
finden. Und dann erzählte Hannes mir die Greueltaten, die sie verübt in
der Stadt Luxemburg, wie sie das Heiligtum der Muttergottes, die
Wallfahrtskapelle geplündert und auch andere Kirchen entweiht hätten.
Aus der Franziskanerkirche sei ein Waffensaal geworden, aus der
Kapuzinerkirche ein Mehlmagazin, aus der Congregationskirche ein
Theatersaal und aus der Dominikanerkirche ein Saal für republikanische
Festgelage.“

Wie er das erzählte, da blitzten die Augen des Schäfers wild auf. Er,
der sonst so sanfte Mann, glühte vor Zorn; seine Stimme zitterte, daß
ich mich beinahe vor ihm fürchtete. Zuletzt sprang er auf, und indem er
die feste Faust nach dem Süden des Landes ballte, rief er: „Doch kommt
ihr Gottesschänder, hier im Ösling sollt ihr eure Herren finden! Es geht
um den Glauben, kommt!“ Dabei schlug er seine Hirtenschaufel auf den
Boden, daß der Stab splitternd in Stücke fuhr. In weitem Bogen
schleuderte er sie dann weg und sprach: „Ach was, fahre hin, ohnedies
kann ich dich in den nächsten Wochen nicht mehr brauchen; einen andern
Stab habe ich genommen; gescheuert steht er und geladen. Wehe dem
Ersten, den ich hier entdecken werde!“

Ohne ein Wort des Abschiedes ging er seiner Herde voraus und fuhr nach
Hause. Es war der letzte Tag, an dem ich ihn auf dem Felde bei der Herde
sah.

In den kommenden Wochen sah ich die Männer der Gegend oft zusammenstehen
und leise miteinander reden. Dann und wann hielten sie Versammlung im
Walde und schafften Waffen und Lebensmittel herbei, die sie an
abgelegenen, schwer zugänglichen Orten sorgsam versteckten. Daß sich
etwas Besonderes vorbereite, merkte ich wohl, was aber genau vor sich
gehe, wußte ich nicht, da der Schäferhannes nicht mehr mit seiner Herde
kam. Da erschienen eines Nachmittags im Ginsterfelde einige Hundert
Mann. Mit allen möglichen Waffen waren sie ausgerüstet. Einige trugen
Flinten, Sensen, auf lange Stangen aufgesetzte Heuhaken, andere Flegel
und Picken. Voller Aufregung beratschlagten sie miteinander, was zu tun
sei. Schließlich hörte ich, wie sie einig wurden nach Clerf
hinabzuziehen um dort die Franzosen zu erwarten. Im Schloß daselbst
würden sie sich verschanzen, dort würde es anderntags heißen: „Siegen
oder sterben!“

Also mußten die feindlichen Scharen wohl schon in der Nähe stehen.

Die ganze Nacht konnte ich nicht schlafen. Was sollte ich anderntags
tun?

Nach Clerf hinunterfliegen? Aber, wenn es zur Schlacht kommen sollte,
würden gewiß allenthalben die Kugeln durch die Bäume sausen und dann
...! Weshalb sollte ich mich einer solchen Gefahr aussetzen, wo ich doch
nichts helfen konnte? So entschloß ich mich denn in meinem Walde zu
bleiben und abzuwarten; später würde ich den Ausgang doch so wie so
erfahren.

Gespannt horchte ich am andern Morgen, ob ich nichts hören könnte. Alles
blieb still. Niemand arbeitete auf den Feldern. Alles war wie
ausgestorben. Nur von der Höhe droben, von Hosingen herüber, schallte
hie und da der Hufschlag dahinsprengender Pferde.

Eine schwüle Hitze lag über der Gegend. Da ich nachts nicht geschlafen
hatte, war ich sehr ermüdet. Angestrengt lauschte ich weiter. Einige
Zeit war wieder lautlose Stille. Tausend verschwommene Bilder schwirrten
durch mein müdes Hirn; nach und nach verlor ich mich in ein
träumerisches Sinnen und versank allmählich in einen festen Schlaf.

Gegen 10 Uhr mochte es sein, als ich jäh aufschreckte. Von den Höhen um
Marnach und aus dem Tale von Clerf herauf krachte Schuß auf Schuß.
Vielfältig warf das Echo den Knall zurück, und unheimlich hallte es
überall aus den Wäldern wieder.

Immer mehr zog sich der Lärm um Clerf zusammen.

Also war die Schlacht doch entbrannt. Im Geiste sah ich den
Schäferhannes und zitterte um sein Leben. Wie sollte der Tag enden? –
Sollten die braven Männer der Heimat die Oberhand behalten? – Sollten
sie die Fremdlinge hinunterjagen von den heimatlichen Bergen – oder
sollten diese weiterhin die Herzen und Gewissen eines freiheitliebenden
Volkes knechten?

Spät am Nachmittag hörte das Gefecht auf. Nur selten noch fiel ein Schuß
in den mehr nach Norden gelegenen Bergen.

Die Armee der Heimat, die braven „Klöppelmänner“, hatten die Schlacht
verloren. Einige lagen tot, andere saßen gefangen, andere zogen sich in
die Wälder zurück, um sich später wieder zu sammeln und den Kampf von
neuem aufzunehmen.



                                  XII.


Meine Gedanken waren noch immer bei dem Schäferhannes. Wo sollte er
weilen?

Plötzlich wurde ich in meinem Sinnen gestört. Im dürren Laube hörte ich
hastige Schritte, welche sich rasch näherten. Scharf spähte ich durch
die Äste nach dem Waldboden. Zwei junge Bauern stürzten schweißbedeckt
aus dem Tale herauf.

Dicht unter dem Baum, worauf ich saß, blieben sie einen Augenblick
stehen. Außer Atem beratschlagten sie in abgerissenen Worten, wohin sie
weiterflüchten sollten. Der eine von ihnen deutete nach dem Ginsterfelde
nebenan und dann darüber hinaus nach dem Dorfe. Der andere schien mit
diesem Plan durchaus nicht einverstanden. Keuchend stieß er die Worte
hervor: „Freies Feld ... erschießen!“ Aber es war keine Zeit zu
verlieren, unten vom Tale herauf schallten fremdlautige Worte, und im
dürren Laube am Waldesboden hörte man wieder Schritte, die sich vom Tale
herauf näherten. Rasch entschlossen lief der eine der beiden Flüchtlinge
im Zickzack durch den hohen Ginster. Der zweite aber blickte ratlos nach
allen Seiten. Schließlich umklammerte er eine der mächtigen alten
Eichen. Mit Aufbietung aller Kräfte suchte er dieselbe möglichst schnell
zu ersteigen, um so der Gefahr zu entrinnen. Die Hälfte des Baumes hatte
er ungefähr erklettert, da rannte schon ein französischer Soldat mit
gefälltem Bajonett unter dem Baume durch. Schon spähte er im Weitereilen
rings durch das Untergehölz und eilte dann durch das Ginsterfeld weiter.
Nach oben hatte er nicht geschaut, und so war er an dem Flüchtling
vorbeigelaufen. Kaum war er unter dem Baume verschwunden, da kletterte
dieser rasch weiter. Der Baum war inwendig ganz hohl, ich kannte ihn von
früher. Oben, wo die Äste auseinandergingen, konnte bequem ein Mensch
hineinkriechen und sich darin verbergen. Das schien auch der Plan des
Flüchtlings gewesen zu sein, denn sobald er die Äste erreicht hatte,
schlüpfte er schon in den hohlen Baum. Genau hatte ich ihn beobachtet.
Als ich nach einer Weile wieder zum Baume hinblickte, sah ich nur mehr
seinen Scheitel sowie die Fingerspitzen, mit denen er sich oben an der
Baumrinde festhielt. Vom Boden aus war es unmöglich, ihn zu entdecken.

Verschiedene Male sah ich noch unter dem Baume feindliche Soldaten
suchend hin und herlaufen. Daß aber der Flüchtling, den sie suchten, im
hohlen Baum steckte, ahnten sie nicht.

Nach Verlauf einer Stunde ungefähr gaben sie das Suchen auf und
verschwanden wieder bergab in der Richtung nach Clerf.

„Wie wird sich der Verfolgte freuen!“ dachte ich. So nahe dem Verderben
und nun doch noch glücklich gerettet!

Bange fragte ich mich, ob er nun gleich nach Abzug der Verfolger aus
seinem Versteck herabsteigen oder ob er erst im Dunkel der Nacht sich
auf den Heimweg begeben werde. Das Letztere hätte ich ihm entschieden
angeraten.

Lange spähte ich durch den Wald, ob keine andern Feinde seinen Spuren
folgten. Alles blieb still. Als ich wieder nach dem hohlen Baume sah,
konnte ich nichts mehr von dem Flüchtling erblicken. „Vielleicht“,
dachte ich, „ist er schnell herab gestiegen, während ich den Verfolgern
nachsah, und er ist seinem Begleiter gefolgt.“ Um mich zu vergewissern,
überflog ich in niedriger Höhe den Baum. Der junge Mann war wirklich
verschwunden. Nur die tiefe Höhlung sah ich schwarz im Baume klaffen.

Von allem, was ich im Walde gesehen, war ich sehr aufgeregt, und schon
hatte ich gedacht, mich in einigen Tagen nicht mehr aus den Bäumen
herauszuwagen. Wer wußte auch, ob nicht irgendwo ein Franzosensoldat auf
der Wache liege und mir in einem unbewachten Augenblick eine
totbringende Kugel heraufsenden könnte. Aber anderseits plagte mich doch
die Neugierde, und nur zu gerne wäre ich nach Clerf geflogen, um über
den Ausgang des Treffens Näheres zu erfahren. Auch das Los des
Schäferhannes, der gewiß am Kampfe teilgenommen, da er schon so lange
nicht mehr mit den Schafen zur Weide gekommen, beunruhigte mich sehr.
Zuletzt siegte die Neugierde.

Vorsichtig hob ich mich über die Bäume und flog gegen Marnach, von woher
früh am Morgen die ersten Schüsse gefallen waren. Doch kaum war ich fünf
Minuten geflogen, als ich rasch niedersteigen mußte. Auf der Landstraße
marschierten ganze Scharen französischer Soldaten. Schußbereit trugen
sie die Flinte in den Händen. „Soldatenvolk ist leichtfertig“, dachte
ich. „Mein Leben durch eure Kugeln zu lassen ist mir gar nicht lieb.“
Rasch verbarg ich mich in einer dichten Tanne. Erst im schützenden
Dunkel der Nacht wollte ich nach Hause zurückkehren.

Schon lag heller Mondschein über den Fluren, als ich nach Reuler
zurückflog. In der Straße standen schwarze Gestalten vor den Haustüren.
Wer war es und was mochten sie so leise sprechen? Geräuschlos ließ ich
mich am Wege nieder, um zu horchen. Doch es war umsonst. Alle redeten
nur mit leiser Stimme. Soviel erfuhr ich nur, daß es Dorfleute waren,
die die Ereignisse des Tages besprachen.

Gegen Mitternacht kam ich an meiner Wohnung an. Alsbald versank ich in
tiefen Schlaf, denn von all den Aufregungen des vergangenen Tages war
ich todmüde geworden.

Schon stand die Sonne hoch am Himmel, als ich andern Tags erwachte.
Dicht aus meiner Nähe kamen menschliche Hilferufe. Sofort dachte ich an
die beiden Flüchtlinge von tagszuvor. Oder sollte sich vielleicht ein
Verwundeter von Clerf herauf bis hiehin geschleppt haben und nun
erschöpft im Walde liegen, ohne weiterkommen zu können? Ringsherum
spähte ich durch den Wald, konnte indes keinen Menschen entdecken. Und
doch tönten die Hilferufe immer weiter. Ich horchte nach der Richtung
und flog einige Bäume weiter. Blitzartig stieg mir ein Gedanke auf. Der
Flüchtling, der gestern den Baum erstiegen und sich darin versteckt
hatte, wird es doch nicht sein?

Ich eilte zur alten Eiche. Richtig, da kamen die dumpfen Rufe tief unten
aus dem dunkeln Baume. Mit einem Schlage war mir alles klar. Eine dünne,
schon angefaulte Holzschicht war es wohl nur gewesen, auf die er sich im
Baume gestellt hatte, und nun war diese eingebrochen, und so hatte er
plötzlich allen Halt verloren. Einige Zeit mochte er sich noch
festzuhalten vermocht haben, dann aber hatten schließlich die Finger
seine ganze Last nicht mehr tragen können. Sich herauszuarbeiten war
unmöglich, und so war er schließlich hinuntergestürzt in den tiefen,
hohlen Baum. Nun lag er drunten in der Finsternis und war rettungslos
verloren, wenn ihm nicht bald von außen Hilfe kam.

„Armer Mensch,“ dachte ich, „wie will Jemand hier im Walde deine Rufe
hören, und sollte auch Jemand sie vernehmen, wie kann er dich in diesem
Gefängnis finden?“ Ich selbst konnte ihm nicht helfen; was hätte ich für
ihn tun können? So rief er den ganzen Nachmittag, während des Abends und
manchmal noch während der Nacht. Wie aus der Unterwelt herauf schallte
seine schaurige Stimme durch das stille Dunkel des Waldes.

Zwei lange Tage verstrichen. – Von Stunde zu Stunde wurde seine Stimme
flehentlicher. Erst am Nachmittag des dritten Tages kamen zwei Männer in
die Gegend.

Wieder rief es herzzerreißend aus dem hohlen Baum: „Hilfe, Hilfe!“ Wie
aus den hohen Lüften schien der Ruf zu kommen. Die Männer hatten die
Stimme gehört. Auch sie dachten an einen Verwundeten und suchten im
Dickicht. Sie fanden nichts.

Wieder erscholl die Stimme. Durch die Baumkronen schien sie diesmal in
den Wald dahinzuziehen.

Erschrocken eilten die Männer davon. Nach einiger Zeit kamen sie mit
verschiedenen Dorfbewohnern zurück. Alle suchten die Gegend auf’s
genaueste ab.

Immer noch erscholl das geheimnisvolle Rufen. Man suchte und suchte.
Dann horchten sie wieder und suchten noch einmal. Einige hatten schon
das Ohr an den Boden gelegt; um zu lauschen; ganz bis in die Nähe des
hohlen Baumes war niemand gekommen.

Da alles Suchen vergebens blieb, begann es den Männern unheimlich zu
werden. Fragend blickten sie einer den andern an.

„Das geht nicht mit rechten Dingen zu“, sprach endlich einer von ihnen
schüchtern. „Hilferufe ertönen und niemand ist da, von dem sie kommen!
Schließlich fange ich an zu glauben, was einst unsere Großmutter
erzählte. Hier im Walde gehe seit Jahrhunderten der Geist eines Mörders
um, der keine Ruhe finden könne. In früheren Zeiten schon habe man
manchmal in stillen Nächten seine kläglichen Hilferufe vernommen.“

Keiner der Männer entgegnete ein Wort. Wehmütig klagend drang abermal
die Stimme durch den Wald. Die Sucher erbleichten. Einer um den andern
verschwand eilig durch das Ginsterfeld. Lange Zeit sah ich keinen
Menschen mehr in der Gegend.

Anderntags ertönten die Hilferufe viel schwächer. Allmählich gingen sie
in ein leises Stöhnen und Wimmern über, bis auch dieses in einer
stürmischen Nacht verstummte.

Zwanzig Jahre später fand der Holzschlag an dieser Stelle des Waldes
statt. Auch die hohle Eiche wurde gefällt. Als sie mit dumpfem Schlage
bergab zur Erde stürzte, rollten aus ihr der weiße Totenschädel und die
gebleichten Gebeine des in ihr verhungerten Mannes.

„O der Unglückliche!“ klagten die Räblein, „das war ein bitterer,
grausiger Tod. Wie schade, daß man den armen Mann nicht beizeiten
gefunden und herausgezogen hat!“

Der kleine Rapsi weinte.

[Illustration: Der Schäferhannes hatte die Räblein gerne; oft flog ich
zu ihm hin und lauschte seinen Gesprächen.]

„Hu Väterchen,“ sprach er leise, indem er zitternd näherrückte, „bitte,
erzähle heute Abend keine so schaurige Geschichte mehr. Ich fürchte
heute Nacht kehrt sie mir im Traume wieder; ich sehe dann lauter bleiche
Schädel und verhungerte Tote und ich sterbe fast vor Angst. Vielleicht
schreie ich wieder im Schlafe laut auf wie letzthin, und morgen spotten
meine Brüder. Väterchen Hans, erzähle lieber von deinen Jagden oder wie
du die bösen Menschen betrogen hast, du weißt ja. Neulich hast du uns so
lange und so spannend davon gesprochen.“

„Nein Väterchen, das nicht,“ wehrte Rassi, „das wissen wir schon, ich
höre lieber von der alten Zeit. Wurden also die Franzosen im Kampfe
Meister, Väterchen Hans, und haben sie nachher die Priester verfolgt und
die jungen Männer zum Kriegsdienst ausgehoben, wie du eben vorhin
sagtest?“



                                 XIII.


„Jawohl Rassi, nun kam für die Gaue der Heimat eine gar schlimme Zeit.
Ihr Gewissen verbot den Priestern des Öslings, den für sie
vorgeschriebenen Eid zu leisten. Wenn sie ihn nicht leisteten, wartete
ihrer die Verfolgung. Am 14. Brumaire des Jahres 7 ihrer neuen
Zeitrechnung erschien das Verfolgungsdekret. 417 Priester des
Wälderdepartements, so nannte man damals unser Land, wurden durch dieses
Schreiben verbannt. Ein Teil derselben, den sie fangen konnten, wurde
weit weggeführt nach den Inseln des Meeres nach Cayenne, Ré u. s. w.
Unsägliches mußten sie unterwegs oder am Ort ihrer Verbannung leiden.“

„Konnten sie denn nicht fortlaufen, Väterchen? Ich hätte mich vor den
Verfolgern versteckt. Gute Leute hätten gewiß diese Priester nicht im
Stich gelassen und hätten doch sicher für sie gesorgt!“

„Gewiß Rassi, so geschah es auch vielfach. Den größten Teil dieser
Priester fanden die Franzosen nicht. Einzelne flüchteten über den Rhein,
andere verbargen sich in Kellern, Wäldern und Klüften. Zwar durcheilten
französische Gendarmen die ganze Gegend und fahndeten nach ihnen, aber
oftmals umsonst. Manchmal habe ich mich im Herzen gefreut, wenn ich sah,
wie die braven Leute treu zu ihnen standen, und wie sie immer eine neue
List zu erfinden wußten, um die Häscher zu täuschen.“

„Hast du denn nie einen solchen Priester im Walde begegnet, Väterchen?“

„Gewiß, Rassi, mehr denn einmal. Im Spätsommer war es, wo ich oft am
frühen Sonntagmorgen, wenn kaum noch der Tag graute, die Leute der
Gegend behutsam durch den Ginster schreiten sah. Von Marnach herunter
und aus dem Tale kamen sie, von Pintsch, Drauffelt und Wilwerwiltz, dem
sogenannten „Kirchspiel“. „Wird’s eine neue Verschwörung werden?“ fragte
ich mich, als ich sie zum ersten Male kommen sah. „Sollen sie des
unerhörten Druckes, der auf ihnen lastet, müde, von neuem zu den Waffen
greifen und noch einmal in einem Aufstand die verlorene Freiheit
wiederzugewinnen suchen?“ Da sie alle nach derselben Richtung gingen,
entschloß ich mich, ihnen heimlich zu folgen, um zu sehen, was vorging.

Zwischen den Felsen auf schwer zugänglichen Pfaden stiegen sie, leise,
ganz leise bergan. Oben, von Felsen umrahmt, lag ein freies Plätzchen,
das man dort nicht vermutet hätte. Kopf an Kopf standen dort die von
allen Seiten herbeigekommenen Leute. Im Hintergrunde sah man ein
kleines, aus Ästen roh zusammengefügtes Kreuz und einen aus Steinen
errichteten niedrigen Altar. Ein abgemagerter Priestergreis schickte
sich eben an, das hl. Meßopfer darzubringen. Weiter rechts, an die
Felsen angelehnt, ein aus Tannenzweigen errichtetes Hüttlein, das dem
geächteten Priester als Wohnung diente. In andächtiger Stille standen
die Gläubigen da. Manch heiße Träne rann über die Wangen. Einige leise
Worte der Belehrung und Ermunterung bildeten die kurze Predigt. Nach dem
hl. Opfer beichteten noch einige und empfingen die hl. Kommunion. Still,
wie sie gekommen, verschwanden wieder die frommen Beter.

Zwei starke Männer warteten bis zuletzt. Als die letzten fortgegangen,
verabschiedeten auch sie sich und legten einige dicke Steine in den
Zugang zum freien Platz. Durch darüber gestreutes dürres Laub
verwischten sie die Fußspuren im Pfade und kehrten ebenfalls ernsten
Antlitzes nach Hause zurück.

Tagelang sah man wieder keinen Menschen in der ganzen Umgegend. Der
Priester aber betete in der Einsamkeit für seine Schäflein, daß Gott der
Herr sie stark erhalte, damit sie standhalten möchten in der Stunde der
Gefahr.

Dann und wann erschienen zu stiller Nachtstunde einige Männer am Eingang
der stillen Einöde und gaben ein verabredetes Zeichen. Der Priester ging
dann mit ihnen zu einem Kranken, der seiner begehrte, spendete die
heiligen Tröstungen der Kirche, und ehe wieder der neue Morgen graute,
hatten die Männer ihren Priester zurückbegleitet zu seinem stillen
Verstecke. Auch die Häscher sah ich manchmal den Wald durchstreifen,
aber jedesmal gingen sie vorüber. Sie fanden nicht, was sie suchten.
Schon in allen Häusern des Dorfes hatten sie verschiedentlich
Haussuchung vorgenommen. Alle Hecken und Wälder hatten sie abgesucht.
Sie wußten, daß der Priester in der Nähe weilen müsse, aber keine Spur
hatten sie von ihm entdeckt. Auch in der Sonntagsnacht hielten sie
manchmal am Dorfe Wacht, um zu sehen, ob die Leute Sonntags zur Messe
gingen. Regelmäßig aber war die Gegenwart der Häscher von aufgestellten
Dorfwachen gemeldet worden. Ehe noch der Tag graute, brachen dann einige
Dorfbewohner auf und schlichen geräuschlos nach der Our hinunter. In
einiger Entfernung vom Dorfe zündeten sie ihre Laternen an und
schwenkten sie rasch, als ob sie eilig weiterschritten. Die fremden
Gendarmen ließen sich täuschen. Während sie schnell nach der Our
hinuntereilten und dort alles durchsuchten, gingen die Dorfbewohner in
entgegengesetzter Richtung zur Messe. In den Hecken an der Our aber
waren längst die Laternen erloschen und alles Suchen war umsonst.

So verging Sommer und Frühherbst. Als der Winter mit strenger Kälte sich
einstellte, konnte der Priester nicht länger im Walde bleiben. Da kehrte
er ins Dorf zurück. Manche der Häuser hatten heimliche Verstecke. In
ihnen konnte er sich verbergen, wenn Gefahr drohte. Dort waren auch die
hl. Gefäße aufgehoben, und da die Kirche ihnen nicht zu Gebote stand,
kamen die Leute in Scheunen und Wohnräumen zusammen. Ein Tisch oder
Schrein wurde zum Altar und das Haus zur Kirche. Wachen umstanden das
Dorf und meldeten, wenn sich etwas Verdächtiges in der Gegend zeigte.
Verräter gab es keine, alle waren wie eine Familie. Einmütig sehnten sie
sich alle nach den Tagen der Freiheit und unterdessen trugen sie
geduldig die harten Leiden der Verfolgung. Traurige Stille lag über den
Dörfern und den Fluren, denn die Glocken waren von den Türmen
herabgenommen und nach Luxemburg geführt worden, um zu Kanonen
umgegossen zu werden.“

„Und wie ging es den rekrutierten jungen Leuten, Väterchen Hans, nach
dem Klöppelkrieg?“

„Ach Rassi, das war auch eine schlimme Sache. Allenthalben wurden sie
ausgehoben. Von 1798-1815 wurden nicht weniger als 14000 junge
Luxemburger unter die französischen Fahnen gestellt. Traurig zogen sie
aus der lieben Heimat fort, einem fast sicheren Tode entgegen. Die
wenigsten von ihnen sahen die Heimat wieder. Kaum ein Drittel gelangte
krank und gebrochen an den väterlichen Herd zurück. Über 9000 fanden den
Tod auf den Schlachtfeldern Europas. Ach wie manche bittere Träne sah
ich in jenen Tagen fließen, wie manche traurige Mutterklage hörte ich um
den dahingeschiedenen Sohn. Eine Familie um die andere kleidete sich in
Trauer, wenn die seltene Post eintraf, und Nachrichten aus der Ferne
einliefen. Über eines aber waren die Eltern am meisten untröstlich, daß
sie den Sohn nicht hatten betten können in die heimatliche Erde. Nun lag
er begraben, fern der Heimat, an irgend einer Küste Italiens, in den
heißen Landen Spaniens oder im brennenden Wüstensand Ägyptens. Alles,
nur nicht die liebe Heimaterde deckte seine irdischen Überreste. Und die
alten Großväter, die sonst in stiller Stube bleiben durften und nur dann
und wann aufs Feld gekommen waren, um der Arbeit ihrer rüstigen Kinder
und Enkel zuzusehen, mußten müde wieder zur Arbeit schreiten, und
gebeugt von der Last der Jahre gingen sie wieder hinter dem Pfluge oder
führten langsam die schwere Sense durch das zur Ernte reife Korn.

„Und da hatte ich immer gemeint,“ sprach Rassi, „jene Zeit, wo die
Luxemburger unter Napoleon dienten, sei eine glorreiche Zeit gewesen,
wenigstens so hatte es mir immer nach den Erzählungen meines Großvaters
geschienen.“

„Ja, Rassi, nachher läßt sich leicht von schönen Tagen reden! Wer sie
aber miterleben und in ihnen mitleiden muß, der wird nicht viel von
ihrer Schönheit reden. Freilich interessant war es manchmal, wenn einer
dieser „Napoleonsdiener“ das Glück hatte, nach seinen gefährlichen
Kriegsfahrten heimzukehren.

In glänzender Uniform stolzierten sie durch die Dörfer und wußten so
viel zu erzählen von ihren Heldentaten und all dem, was sie in der
Fremde gesehen und erlebt hätten. Manchmal freilich war auch recht viel
dazugelogen. Wohl leuchteten dann hin und wieder in Begeisterung die
Augen auf, wenn sie von dem „großen Kaiser“ erzählten, der nur einen
Blick über das Schlachtfeld zu werfen brauche, um zu sehen, was noch
fehle und wo er seine Reserven einsetzen müsse, um noch vor
Sonnenuntergang die Schlacht zu seinen Gunsten zu entscheiden. Dann
erzählten sie wieder, wie er trotz allen Glanzes, mit dem er sich umgab,
doch herablassend sei, gegen den letzten der Soldaten nicht weniger als
gegen seine tüchtigsten Generäle. Aber glaubt mir es Kinder, größer als
die Freude, die hie und da im Lande aufflackerte, war die Trauer, der
man überall begegnete. Es war wie es immer ist hier auf Erden: Einzelnes
Schöne kann ein Krieg mit sich bringen, schöner sind und bleiben die
Güter eines gesegneten Friedens.“



                                  XIV.


„Gestatte, daß ich dich nochmals unterbreche, Väterchen Hans,“ bat Rassi
nochmals, „eben hast du vom großen Napoleon geredet, ist er nicht selbst
auch einmal in Luxemburg gewesen? Ich glaube das von meinem Großvater
gehört zu haben.“

„Du scheinst ein gutes Gedächtnis zu haben, Kleiner. So ist es in der
Tat. Doch Kinder, da war der alte Hans dabei, als der Kaiser kam; den
Tag werde ich in meinem Leben nie vergessen.

1804 war es. Schon zogen sich herbstliche Nebel langsam durch die Täler.
Kälter wurden schon die stetig länger werdenden Nächte; denn wir waren
im Oktober. Schon ein volles Jahr im voraus hatte man mit den
Vorbereitungen zum feierlichen Empfang begonnen. Gegen Ende September
erfuhr ich zufällig, daß der Einzug am 9. des folgenden Monats
stattfinden sollte. „Da muß ich dabei sein,“ sagte ich mir, „koste es,
was es wolle. Und sollte ich drei Tagreisen fliegen müssen, das Fest
wird mir nicht entgehen!“

Bereits in der Frühe des 7. Oktober machte ich mich auf den Weg. Schon
blies der Wind in der Höhe eisigkalt. So hielt ich mich in den Tälern
und folgte in niedriger Höhe dem Lauf der Clerf und Sauer, in ihrem
vielgewundenen Lauf bis nach Ettelbrück. Nach kurzer Rast daselbst
machte ich mich wieder auf die Flügel und flog Alzetteaufwärts in der
Richtung Mersch weiter. Unterwegs langweilte ich mich durchaus nicht.
Außer den Naturschönheiten, die sich in so rascher Folge ablösten, sah
ich schon auf allen Wegen Menschengruppen nach der Hauptstadt eilen. Man
hätte meinen sollen, wir seien in den Tagen der Oktave. „Die denken halt
wie ich selbst,“ sprach ich bei mir, wenn ich über sie hinwegflog. Einen
kräftigen „Guten Tag“ rief ich ihnen hinunter und eilte weiter, ihnen
munter voraus.

Auf der Höhe von Walferdingen machte ich Halt. Dort wollte ich die Nacht
verbringen. Ganz zeitig setzte ich mich zur Ruhe, um anderntags gleich
am frühen Morgen nach Luxemburg weiterzufliegen, wo es gewiß vieles zu
schauen geben würde. Noch ehe die Sonne über die Berge kam, war ich auf
den Flügeln. Eilig suchte ich meine Nahrung, und da ich voraussichtlich
am Mittag dazu keine Zeit finden würde, ließ ich mir es gleich am Morgen
recht wohl schmecken. Nachts hatte es ein wenig geregnet, so daß ich nur
über einen Feldweg zu laufen brauchte, um Regenwürmer die ganze Menge zu
finden.

Gegen acht Uhr hatte ich schon die Oberstadt zweimal überflogen. Alles
rüstete sich. Ganze Wagen frischgehauener Tannen standen in den Straßen,
durch die der Kaiser seinen Weg nehmen sollte. Einzelne Häuser waren
schon beflaggt, immer mehr folgten ihnen von Minute zu Minute. Alles war
in fieberhafter Tätigkeit. Die Festungstürme standen in bunten
Guirlanden und trugen an ihren Spitzen flatternde Oriflammen auf
haushohen Masten. Am Nachmittag ruhte ich auf einer der alten Weiden
neben dem Glacisfelde. Auch dort gab es vollauf zu sehen. Da kam zuerst
eine stolze Reiterbrigade und übte zum letzten Mal die Ehrenparade. Bald
kamen die flinken Rosse in stolzem Schritt, dann wieder hüpften sie in
leichtem Trab, dann sausten sie daher in rasendem, feurigem Galopp. Roß
und Reiter aber funkelten im Sonnenschein; aus den neupolierten,
glänzenden Knöpfen und aus den silbernen Schnallen des Pferdegeschirrs
schossen die Strahlen blitzartig über das Gelände. Später erfuhr ich,
daß fast alle jene Reiter dem Adelsstand angehörten, und so wunderte ich
mich nicht mehr über ihre reiche Ausstattung. Gegen 10 Uhr übte die
Ehrenkompagnie der Fußtruppen. Was mir am besten gefiel, war unstreitig,
das sogenannte „Mamelukenkorps“, das seine Übungen am Nachmittag auf
demselben Felde vornahm. Es bestand aus lauter Kindern. Knaben im Alter
von 10 bis 12 Jahren, geführt von ihrem Hauptmann, der ebenfalls noch
ein Kind war. Und doch waren sie schon Soldaten durch und durch, wie
eine Armee von Männern exerzierten sie; schneidig wie ein Heer, das
schon jahrelang unter Waffen steht, schritten sie auf und ab, bald zu
vier, bald zu zwei; dann teilten sie sich wieder in verschiedene
Abteilungen, um sich gleich darnach wieder zu vereinigen. Mit
sichtlichem Stolz schritt ihr junger Führer vor ihnen in die Stadt
zurück.

„Was muß das alles erst morgen werden“, dachte ich, „wenn heute schon
alles so schön ist.“ Da ich aber den ganzen Tag mich müde geschaut,
verschlief ich die ersten Morgenstunden des kommenden Festtages. Gegen 9
Uhr war es schon, als ich auf dem Glacisfelde, wo ich abends geblieben
war, erwachte. Gleich machte ich mich davon. Schnell flog ich über die
Oberstadt. In einem Meer von Tannengrün und Fahnen verschwanden die
geschmückten Straßen. Doch ich hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Auf
dem Weg zum Fetschenhof staute sich schon eine dichte Menge Volkes. Der
Festzug, der dem Kaiser auf der Trierer Straße entgegen ziehen sollte,
hatte sich schon geordnet und in Bewegung gesetzt. Mit den Abzeichen
seiner Würde schritt an seiner Spitze der Bürgermeister der Stadt; ihm
schlossen sich an die übrigen Würdenträger, die Ehrenkompagnien und ein
glänzend ausgestattetes Musikkorps. Von Trier aus sollte der gefeiertste
Mann Europas über Wasserbillig nach unserer Hauptstadt kommen.

Neugierig blickten die an der breiten Landstraße dichtgedrängten Scharen
die Straße entlang. Aber noch war nichts zu sehen. Nur vereinzelte
Neugierige schritten drunten, um ihm weiter entgegen zu gehen und die
ersten zu sein, ihn zu sehen. Eilig flog ich ihnen nach. „Ich bin
schneller als ihr“, dachte ich, „da werde ich auch der allererste sein,
sollte ich bis Roodt fliegen müssen. Frisch holte ich aus. Der sanfte
Westwind beschleunigte meine Flügel, und so war ich in kurzer Zeit am
Eingang von Roodt angelangt. Auf einem hohen Baum dicht an der Straße
setzte ich mich nieder; dort wollte ich etwas ruhen und die Ankunft des
Mächtigen erwarten.

Doch ich brauchte nicht lange zu warten. Schon nach wenigen Minuten sah
ich den kaiserlichen Zug in das Dorf einbiegen. Stolze Reiter trabten
voraus in goldglänzenden Uniformen. Reitereskadronen bildeten auch den
Abschluß. In der Mitte aber rollte, von vier Pferden gezogen, ein
goldschimmernder Prunkwagen. In strammer, würdevoller Haltung standen
auf dem Hinterteil des Wagens hochgalante Diener. In die Kutsche hinein
konnte ich nicht sehen, aber es war für mich kein Zweifel, daß der große
Kaiser wirklich in ihr sei. So flog ich denn eilig zurück, um mir das
Schauspiel beim Empfang am Fetschenhof nicht entgehen zu lassen. Dafür
hatte ich ja hauptsächlich die weite Reise aus dem Ösling her
unternommen. Ungefähr eine Viertelstunde langte ich vor dem kaiserlichen
Wagen an. Dort, wo die Ehrenkompagnien mit den Würdenträgern Aufstellung
genommen, machte ich Halt. Weit und breit, bis in die Felder hinein,
stauten sich die Zuschauer.

Ein unbeschreiblicher Jubel brach los, als die Menge des kaiserlichen
Wagens ansichtig wurde. «_Vive l’empereur! Vive Napoléon!_» klang es
immer wieder, und die Wälder der Umgegend gaben als Echo leise wieder:
«_Empereur! Napoléon!_».

Als die Karosse hielt, gab der Bürgermeister von Luxemburg der
vieltausendköpfigen Menge ein Zeichen mit der Hand. Alles stand
entblößten Hauptes in tiefstem, ehrfurchtsvollem Schweigen.

Nun trat der Bürgermeister an die kaiserliche Kutsche heran,
bewillkommnete den hohen Gast, und ich merkte, wie er eine längere Rede
an ihn hielt. Von den Festungswällen herüber dröhnte Ehrensalve auf
Ehrensalve.

Nach der Rede überreichten Bürgermeister und Kommandant auf einem
silbernen Teller den goldenen Schlüssel der Feste Luxemburg. Erstaunt
blickte der Kaiser das kostbare Geschenk an.

„Habt ihr diesen Goldschlüssel eigens für diesen Tag herstellen lassen?“
fragte er.

„Nein, Sire“, lautete die Antwort, „es ist der Schlüssel, den einst
unsere Väter der Muttergottes geschenkt, zum Zeichen, daß sie ihr die
Stadt anvertrauten; bisher hat sie als Königin ihn am Arme getragen.“

Als er das hörte, nahm Napoleon den Schlüssel nicht an. „Nehmt ihn
zurück“, sprach er „er befindet sich in guten Händen.“

„Jawohl“, dachten die biedern Luxemburger, „der Kaiser hat Recht, in
Mariens Händen ist dieser Schlüssel gut aufgehoben, unter Mariens Schutz
sind wir alle wohl geborgen.“

Erneuter Jubel setzte wieder ein, als der Kaiser weiterfuhr.

Während des ganzen Nachmittags wogten in der Stadt die Menschen
unabsehbar hin und her. Einzelheiten konnte ich keine mehr sehen, da ich
nicht in die Straßen herabsteigen konnte. Auch krachten immerfort die
Kanonen, so daß ich jeden Augenblick angsterfüllt auffuhr und deshalb
schon früh am Nachmittag die Heimreise antrat.

Das Schönste des Tages hatte ich ja doch gesehen, und meine Reise hat
mich nie gereut.“



                                  XV.


„Bist du denn von da an noch lange im Ösling geblieben, Väterchen?“
fragte Rapsi, „und wann bist du denn nach Folkendingen gekommen?“

„Da lag noch mancher Tag dazwischen, Rapsi, und viel Wasser lief seither
zum Meere.

Seit 1860 wohnte ich in der Nähe von Luxemburg. Im Ösling verschwanden
die schützenden Wälder und Lohhecken immer mehr, und damit wurden die
uns armen Räblein drohenden Gefahren von Tag zu Tag zahlreicher.
Schweren Herzens hatte ich mich deshalb mit einigen Freunden
entschlossen, jene liebgewonnenen Ardennerberge mit ihren starken,
wackern Bewohnern zu verlassen und wieder in der Fremde ein neues Heim
zu suchen. Zwar wurde mir das Herz schwer, als ich an Burscheid
vorüberfliegen sollte, – als ich drunten die Schloßruinen liegen sah und
den gegenüberliegenden Berg, wo einst das Haus der Eltern gestanden, –
aber ich machte das Auge zu und flog gedankenlos vorüber. Wieder folgte
ich von Ettelbrück aus über Mersch dem Lauf der Alzette. Hinter dem
Mansfelder Park, oberhalb Clausen, wo der alte Römerweg hoch über die
Felder nach dem Grünewald führt, machten wir Halt. Im alten Tannenwald
daselbst fanden wir eine stille und im Winter warme Unterkunft.

Auch dort verlebte Hans manch schöne Stunde. Drüben ragten noch die
Türme und Mauern der Festung trotzig in die Lüfte. Große Tore, woran Tag
und Nacht die Wachen standen, gaben allein Zutritt zur Stadt. Zwei
Minuten Flug hatte ich nur bis zum Fort Thüngen mit seinen weiten
Exerzierplätzen, wo so mancher fette Bissen für die Räblein abfiel. Auf
dem vorspringenden Berge nebenan, von der Höhe hinter Clausen aus, hatte
man die schönste Aussicht. Dort, wo die Felsen jäh hinabfallen, saß ich
oft auf der höchsten Spitze einer alten Eiche und blickte mit Verachtung
auf die niedrigen Häuser am Fuße der Felsen. Meine helle Freude hatte
ich, die Clausener Menschenbüblein auf dem freien Platz drunten zu
betrachten, die so winzig, winzig klein waren, daß sie wie Ameisen
aussahen, die im Sande krabbelten.“

„War es denn nicht gefährlich dort, Väterchen Hans?“ fragte wiederum
Rassi. „Dort gab es ja damals noch so viele Soldaten. Haben sie nicht
nach dir geschossen, um dich zu töten?“

„Da hatten wir gar nichts zu fürchten, Kleiner; nie habe ich mich über
einen Mordanschlag ihrerseits zu beklagen gehabt. Im Gegenteil, sie
waren sehr gut und lieb gegen uns. Sie hatten sogar einige Räblein
gefangen und aufgezogen. Die wohnten bei ihnen in der Festung, wo sie
frei umherfliegen durften. In Hülle und Fülle gaben sie ihnen
Nahrungsmittel und Leckerbissen. Niemand tat ihnen etwas zuleide, und
auch wir konnten ohne Furcht zu ihnen kommen und an ihrem Überflusse
teilnehmen.

So verflossen in rascher Eile die kommenden Jahre. 1866 sah ich eines
Tages mehrere Familien mit ihren ärmlichen Möbeln in unserm Walde
ankommen. Aus Reisig und Tannenzweigen errichteten sie sich eine
notdürftige Wohnung.“

„Es waren gewiß Zigeuner,“ entgegnete Rassi, „solche habe ich voriges
Jahr im Buchengebüsch drüben gesehen. Aber die haben fein musiziert!
Sogar ihre kleinen Buben strichen aus länglichen Holzkasten ganz
wunderbar schöne Töne und schlugen nachher die drolligsten Purzelbäume.“

„Da irrst du aber doch, Rassi“, verneinte Väterchen Hans. „Fahrendes
Volk, Zigeuner, die durch Musik und Vorstellungen von Ort zu Ort ihren
Lebensunterhalt verdienen, waren sie nicht. Es waren arme Leute aus der
Stadt selbst, und die Angst war es, die sie in den Wald getrieben, die
Angst vor einer unheimlichen, bösen Krankheit, welche in jenem Frühjahr
1866 das Land schwer heimsuchte. Im Walde, fern von den andern Menschen
hofften sie desto eher der Ansteckung zu entgehen und ihr Leben zu
retten.

Abends saßen sie am flackernden Feuer zusammen, und ich härte, wie sie
ernst und betrübt redeten von den Fortschritten, welche die „Cholera“
unablässig machte. Dann und wann erschien ein Fremder bei ihnen und
brachte neue, unerfreuliche Nachrichten.

Gegen Ostern wütete die schlimme Seuche am heftigsten. Bald von diesem,
bald von jenem erzählten sie: tagszuvor war er noch gesund und munter,
wenige Stunden später lag er bereits im Sarge. Ja man erzählte sogar,
daß die Totengräber es manchmal mit dem Begräbnis recht eilig nahmen,
und daß schon mancher ins Grab gegangen, der in Wirklichkeit nicht
einmal tot gewesen.

Wenn dann das Feuerlein beinahe verflackert war, knieten die
geängstigten Leute nieder, und ernstes Gebet stieg herauf durch die
Äste, so innig und flehentlich, wie ich es früher selten gehört.

Feierlich klangen wieder jeden Morgen die Glocken von Liebfrauen. Die
Oktave war gekommen, und mehr denn sonst eilten von allen Seiten die
Pilger herbei, um Hilfe gegen die furchtbare Geißel zu finden, die das
Land so hart schlug. Da hörte ich auch, wie eines Tages die Prozessionen
von Diekirch und Gilsdorf kamen und viele ihrer Pilger trugen
Trauerkleider; ihre Ortschaften waren besonders schwer heimgesucht
worden.

Anfangs Sommer hörte die heimtückische Krankheit auf. Eines Tages
verließen unsere Gäste ihren Aufenthalt im Walde und kehrten freudig
heim an den väterlichen Herd. Ich freute mich mit ihnen, daß sie nun
dieser bangen Sorgen enthoben waren und wieder froh in eine hoffentlich
bessere Zukunft blicken durften.

Auch meine Tage im Walde daselbst sollten nun bald gezählt sein. Ich
stand eingangs der Achtziger, und in diesem Alter liebt man schon die
Ruhe und wird gegen alle Aufregungen viel empfindlicher.

Die Menschen schrieben 1867. Da sah ich eines Tages ganze Regimenter mit
wehenden Fahnen aus der Festung ausziehen. Unter klingendem Spiel kamen
sie den Clausener Berg herab und schritten auf der Trierer Straße mit
wackern Schritten weiter. Ich dachte zunächst, sie würden zu einer
großen Übung ausziehen, wie in den frühern Jahren. Doch wunderte ich
mich, daß so viele Menschen ein Stück Weges mit ihnen gingen; das war
früher nie der Fall gewesen. Auf der Schloßbrücke und dem Fischmarkt
standen die Zuschauer Kopf an Kopf. Es mußte doch etwas
Außergewöhnliches vor sich gehen.

Anderntags erfuhr ich, daß die bisherige Festungsbesatzung endgültig die
Stadt verlassen habe, und daß nun wahrscheinlich die Festung
niedergerissen würde. Luxemburg sollte ein offenes Land werden. Seine
geschleifte Festung sollte seine Sicherheit noch vermehren. Ungeschützt
sollte es doch geschützt sein durch das Wohlwollen der Nationen.

Einige Zeit später fuhr ich eines Morgens jäh im Schlafe auf. Ein
furchtbarer, langanhaltender Knall dröhnte von Luxemburg herüber;
rauschend trug ihn das Echo weiter durch die Wälder. Eine mächtige,
dichte Staubwolke stieg gleich darauf im Westen der Stadt auf und senkte
sich wieder langsam gegen den Glacis. Wochenlang folgte Knall auf Knall.
Ein Stück der Festung sank nach dem andern in Trümmer; gewaltsam wurde
niedergerissen, was in jahrelanger, mühsamer Arbeit errichtet worden
war.

Diesen Lärm werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Zwar hatte ein
Rabenfreund mir gesagt, ich brauche mich nicht zu fürchten, es könnte
unmöglich ein Stein von drüben bis zu uns herüberfliegen; doch ich
konnte mich nicht beruhigen. Bei jeder neuen Explosion fuhr ich
erschreckt auf; von Tag zu Tag wurde ich mehr und mehr erregt, und bei
einem längeren Aufenthalt daselbst wäre ich gewiß krank geworden. „Was
soll ich mir meinen Lebensabend“, dachte ich, „noch hier verbittern
lassen? Reißet nieder und schießt so lange ihr wollt, der alte Hans will
lieber seine Ruhe haben.“ So entschloß ich mich denn abermal umzuziehen
und im stillen Süden des Landes meinen Wohnsitz, hoffentlich den letzten
aufzuschlagen.

Anfangs Juni war es, als ich eines frühen Morgens dem Clausenerberg und
dem Grünewald Lebewohl sagte und über Bonneweg, Hesperingen und
Peppingen hinweg den waldigen Höhen des Johannisberges bei Düdelingen
zusteuerte. Von Luxemburg aus hatte ich diesen Berg schon jahrelang Tag
um Tag gesehen; fern am blauen Horizonte schien er mir in seiner stillen
Einsamkeit ein Stätte der Ruhe und des schönsten Friedens zu sein. Was
ich auf ihm suchte, fand ich in der Tat. In den Waldungen des Berges
gegen Kayl schlug ich meinen neuen Wohnsitz auf. Welch herrliche Gegend!
Friedliches Gelände allenthalben, Felder und fruchtbare Äcker, von denen
fleißige Landleute hundertfältige Ernten jubelnd heimführten. Die hohen
Schmelzöfen mit ihren schlanken roten Ziegelschloten standen damals noch
nicht. Das Rasseln der Maschinen, das Hämmern und Surren der Fabriken
störte nirgends die friedliche Stille ländlicher Einsamkeit.

„Johannisberg. Johannisberg,“ wiederholte Rapsi, indem er nachdenklich
die Kralle an die Stirne führte, „sag’ Väterchen, liegt der nicht in der
Nähe der Dörfchen Bergem, Steinbrücken und Pissingen? Ich glaube, aus
dieser Gegend war mein Großvater.“

„Ganz recht, ganz recht,“ nickte Hans, „diese Ortschaften liegen in der
Nähe, doch mehr landeinwärts, ungefähr auf halbem Wege zwischen
Johannisberg und Zolverknapp.“

„Ist es das Dörfchen Pissingen, von dem die Menschen das törichte
Sprichwort haben?“ fragte Rapsi. „Du weißt ja: Brüderlich teilen, wie
die Pissinger mit den Raben! Wenn ich doch nur wüßte, wie man zu diesem
Spruche kommt! Verschiedentlich habe ich darnach gefragt; niemand wußte
mir eine Erklärung zu geben. Väterchen Hans, weißt du es vielleicht?“

„Wie die Pissinger die Raben teilten, müßte man eigentlich sagen,“
entgegnete Hans. „Ist es wahr oder erfunden, ich weiß es nicht, doch
mein Urgroßvater erzählte mir einst folgendermaßen:

Gingen da eines Tages in Pissingen drei Burschen auf die Rabenjagd.
Brüderlich sollten sie alle Beute teilen. Da entdeckte der eine von
ihnen ein Nest hoch auf einer Pappel. Er kletterte hinauf und brachte
die Insassen, drei junge Raben, herunter. Nun ging es ans Teilen. „Ich
verteile selbst,“ sprach er. „Ein Räblein muß ich vorwegbekommen, denn
ich habe das Nest zuerst gesehen; ich bin auch auf den Baum gestiegen,
deshalb ist auch das zweite mein und das dritte gehört mir als Anteil.“
So erhielt der eine alles, die andern nichts. Seit der Zeit sagen die
Menschen hierzulande: Brüderlich teilen, wie die Pissinger mit den
Raben.“

„Den Raben, den Raben,“ knirschte Rassi, „immer die Raben! Müssen wir
nun auch schon für dumme Witze herhalten? Es wäre wirklich besser, die
Menschen witzelten über ihre langen Ohren und ließen uns in Ruhe. Doch
Väterchen, erzähle weiter.“

„Gewiß Rassi. Auf dem Johannisberg gefiel es mir sehr wohl. Schon faßte
ich den Entschluß, immer dort zu bleiben und im Frieden des stillen
Berges meine letzten Tage zu verbringen.

Doch wandelbar wie das Wetter sind auch unsere Geschicke und Gedanken.

In den ersten Monaten 1870 war es. Wiederum reckten die Menschen die
Köpfe zusammen. Sie sprachen von Frankreich und Deutschland, und als
drittes Wort verbanden sie damit das schaurige, böse Wort Krieg. Und
wenn sie lange zusammengestanden und gesprochen hatten und dann
auseinandergingen, hörte ich verschiedentlich: „Nun, wir werden ja bald
sehen; ihr werdet mich nicht Lügner finden, in einigen Monaten sind sie
aneinander.“

Krieg! Ich wußte, was das Wort bedeute; genugsam hatte ich es schon
erfahren.

Lügner waren sie keine gewesen, die den Krieg vorherverkündet! Gegen
Ende Juli war ihre Prophezeiung zur Wirklichkeit geworden.

Vom Süden her dröhnte der Kanonendonner.

„Im Kriege ist man besser weiter von den Grenzen weg“, dachte ich, und
ohne viel nachzudenken und zu überlegen, entschloß ich mich rasch wieder
nach Norden zu ziehen. So kam ich denn schließlich hiehin und wurde
Bürger in diesem schönen Eichenbusch. Seit Juli sind es genau 50 Jahre.
Deshalb hat ja auch neulich unsere ganze Sippe mir das schöne Jubiläum
gehalten; das müßt ihr doch noch alle wissen!“

„Gewiß, gewiß, Vater Hans,“ nickte Rassi, „ich erinnere mich ganz wohl.
O, das war ein schöner Tag! Weißt du noch Väterchen, die schönen Lieder,
die wir sangen? Der alte Jack hatte sie eingeübt. Nun liegt er schon
über einen Monat in der Ernz begraben. Und dann die Wettflüge um den
Turm von Eppeldorf und die Beforter Heide! Wie schön, wie schön!“

„Und die Frösche, die du zum besten gabst, Väterchen!“ jubelte ein
anderer. „Sieben waren es, recht fette.“

Vater Hans lächelte vergnügt. „Ja, ja!“ sprach er freudig, „fürwahr!
aber Mühe hatte es gekostet, sie zu erhaschen. Wenigstens drei Stunden
hatte ich am Weiher gelauert, bis ich sie packen konnte, und viermal
mußte ich zurückfliegen, sie herüberzutragen. Doch eine Ehre ist der
andern wert,“ fügte er stolz hinzu.



                                  XVI.


Rassis rasche Gedanken weilten schon wieder in längst entschwundenen
Jahren.

„Dann weißt du auch noch vom strengen Winter 1879, Väterchen?“ sprach er
neugierig. „Warst du damals schon hier? Bitte erzähl’ uns davon; mein
Vater hat uns auch schon öfter davon gesprochen.“

„Dein Vater und erzählen!“ entgegnete Hans mit überlegener Miene, „was
soll er denn erzählen? Damals war er ja kaum dem Neste entwachsen. Doch
eine frohe Zeit war das nicht, Kinder.

Der Winter kam außergewöhnlich früh; um Martinustag fiel schon Schnee.
Übrigens hatte ich es vorausgesagt. Das Laub der Wälder war frühzeitig
abgefallen, die Schneegänse waren schon Anfang September vorübergezogen,
wie konnte es da anders kommen? Monatelang lag tiefer Schnee, und das
war schlimm; das schneeige Gelände ist zwar ein schönes Tischtuch, doch
was ist das beste Tischtuch ohne Nahrung? Anfangs konnten wir uns noch
helfen. Auf den Gehöften ringsum schlachtete man, und mancher fette
Bissen fiel uns zur Beute. Doch mit größter Vorsicht mußten wir zu Werke
gehen, denn in mehr denn einem der Häuser waren geladene Flinten und
müßige Burschen, die auf unser Kommen lauerten. Beim Brücherhof hatte
ein böser Knecht die Eingeweide eines geschlachteten Schafes als
Lockspeise für uns in eine Baumkrone geschlungen. Dann war er mit der
Flinte in die Scheune geschlichen. Unsere Beobachter hatten alles
gemerkt, und da wußten wir genug. „Wenn du uns Raben für dumm hältst“,
dachten wir, „dann bist du übel unterrichtet.“ Selbstverständlich ging
keiner von uns hinunter. Nur aus der Ferne krächzten wir hinüber:
„Knechtlein, bist du da? Ja, ja! Zur Lauer? Ja, ja!“ Dann kicherten wir
froh und dachten: „Lauere nur, lauere so lang dir beliebt. Steck die
kalte Nase ins Heu oder Stroh, wir kommen lieber ein andermal.“ Des
Abends, als es dunkel geworden, flogen wir still hinab und des Morgens
war der Baum leer, Raben und Speise waren verschwunden.“

„Bravo!“ flatterten die Räblein, und ein kurzes schadenfrohes Lachen
hallte in den Wald.

„Von Tag zu Tag“, setzte Hans fort, „verschlimmerte sich unsere Lage. Zu
den Nahrungsschwierigkeiten kamen Wohnungssorgen. Die Kälte nahm immer
mehr zu, bis schließlich auch die dichtesten Tannen keinen wirksamen
Schutz mehr gegen sie boten. Da war guter Rat teuer; wohin sollte man
sich wenden? Auf die Gehöfte fliegen und Unterkunft in einer Scheune
suchen? Das war gefährlich. Auch die Strohschober beim Dorfe boten nicht
die gewünschte Sicherheit, denn zu verschiedenen Malen hatte ich Wiesel
in ihrer Nähe gesehen. Da flog ich eines Nachmittags traurig über den
Eichenwald nach Broderbour hinüber. Auf einem der letzten Waldbäume
setzte ich mich nieder und lauschte nach den Steinbrüchen. Sonst
herrschte in ihnen reges Leben. Weithin hörte man hämmern, und bis zum
Walde herauf schallte der helle Ton der Picken und Meißel, wenn sie von
starker Hand geführt in regelmäßigen Schlägen auf das harte Gestein
niederfuhren. An jenem Tage aber war alles still. „Der Hunger treibt den
Wolf aus dem Wald und den Menschen vom Felde,“ dachte ich. „Gefrorene
Steine zerspringen, wenn man sie behauen will, und deshalb muß nun die
Arbeit ruhen. Nur aus der niedrigen Schmiede an der Steinwand hörte man
leises Klopfen, und aus dem Schornstein derselben drehte dünner Rauch in
den wolkenlosen Himmel. Ein leises, trostvolles Hoffen stieg in meinem
Innern auf. „Möglicherweise“, dachte ich, „wird diese Schmiede meine
Rettung. Vielleicht kann ich mich Abends in ihr einnisten, bis einmal
bessere Zeiten kommen, denn der Winter kann doch nicht immer dauern.“
Den ganzen Nachmittag wich ich nicht mehr aus der Nähe, und alles spähte
ich sorgfältig aus. Als die Sonne unterging, hörte das Hämmern im
Häuslein auf; ein Mann in den mittleren Jahren trat heraus, hüllte sich
fest in seinen alten, langen Mantel, schloß die Türe sorgfältig ab und
wandte sich schnellen Schrittes talabwärts. „Es gelingt“, dachte ich
voller Freuden. Vorsichtig flog ich näher und näher an die Schmiede
heran. Da ich nichts Verdächtiges merken konnte, setzte ich mich
schließlich auf das Fenster derselben und lugte verstohlen durch die
Scheiben. Kein Mensch war drinnen. Alles war schwarz, nur auf der Esse
glimmten Kohlen. Rasch entschlossen schlüpfte ich durch den Schornstein
hinein und verbrachte die Nacht auf der Querstange, mit der man den
Blasebalg in Bewegung setzte. Kein Laut und keine Störung die ganze
Nacht; besser hatte ich in zwanzig Jahren nicht mehr geschlafen.
Frühmorgens, ehe der Schmied wiederkam, verließ ich das gastliche Haus,
um mich am Tage in den Wäldern herumzutreiben; allabendlich lehrte ich
zu meinem neuen Heim zurück, bis des Frühlings laue Luft die Kälte
bannte, und neues Leben in die erstarrten Länder zog.“

„Verzeih’, Vater Hans“, unterbrach Rassi, „du hast noch etwas vergessen.
Was hast du denn in dieser bösen Zeit gegessen?“

„Was sich eben fand, Rassi. Leckerbissen waren es freilich nicht immer,
und halbe Tage gab es gar nichts. Manchmal erspähte ich ein erfrorenes
Vöglein oder Mäuschen, das auf seiner Wanderschaft durch den Schnee
ohnmächtig geworden, und dergleichen. Doch schließlich kam der Frühling
wieder, denn auf Erden hat alles ein Ende, wie es so schön in unserm
Liede heißt:

   „Nach des Winters bitt’rer Plage
   kommen wieder Sonnentage.“

„Ganz recht,“ nickte Rassi, und lustig summte er den Refrain des Liedes:

   „Ja ja, ja ja, ja ja,
   Jetzt ist der Sommer wieder da!“

Seine kleinen Kameraden waren müde geworden und redeten nicht mehr.

Schon hatte die Turmuhr von Diekirch die Mitternacht verkündet. Leise
waren die Schläge von ferne aus dem Tal heraufgeschwebt, und kaum hörbar
waren sie über den Eichenbusch dahingegangen. Der Vollmond am
Himmelszelt hatte seinen Höhepunkt überschritten und senkte sich langsam
gegen Stegen.

Die Rabenbüblein waren schläfrig geworden; ihre müden Äuglein wollten
nicht mehr offen bleiben. Einige von ihnen nickten, sogar Rassi war viel
stiller geworden.

Väterchen Hans aber hatte den Schelm im Busen. Ruhig wollte er in seinen
Erzählungen weiterfahren, bis all die kleinen Zuhörer in tiefen Schlaf
gesunken wären. Dann wollte er heimlich und unbemerkt davonfliegen und
sie allein auf der Eiche zurücklassen. Anderntags hätte er dann eine
willkommene Gelegenheit gehabt, ihnen ihre Unaufmerksamkeit vorzuwerfen
und sie damit zu necken, denn auch daran fand er manchmal seine helle
Freude.

So redete er denn immer leiser und eintöniger.

„Ja Kinder, früher gab es noch mehr Freude im Lande. Die Menschen waren
uns gegenüber nicht so böse wie heute, und wenn es auch hie und da ein
Böser unter ihnen war, so hatten sie doch damals nicht die Mittel uns zu
schaden, wie heute. Doch nun ist es ganz anders geworden. Schlimme
Zeiten sind über Europa gegangen; vier Jahre Krieg haben vieles im ...

[Druckzeile fehlt im Original. Mehr in den Anmerkungen zur Transkription
am Ende des Buches.]

...samer gemacht, auch gegen die armen Räblein. Als dann der Krieg
vorüber war, zogen die Armeen überall im Lande durch und wenn sich unser
einer aus seinem sicheren Versteck hervorwagte, schwebte er in
Lebensgefahr; gleich war irgendwo ein böser Soldat, der auf uns anlegte
und wer weiß, wie viele unserer Brüderlein erschossen wurden. Viermal
bin ich selbst mit knapper Not dem Unglück entronnen; viermal schon
hörte ich die mörderische Kugel dicht an meinem Haupte vorbeipfeifen.
Aber auch jetzt, wo die Armeen fortgezogen sind, ist es noch nicht viel
besser für uns geworden. Überall sind im Lande todbringende Gewehre und
Kugeln zurückgeblieben. Kinder, glaubt dem alten Hans, schlimme Zeiten
werdet ihr noch erleben, vielleicht schlimmere als damals, wo sie in
Luxemburg gegen uns Gesetze machten und beschlossen hatten, uns
auszurotten.“

                   *       *       *       *       *

Während der schwarze Hans solch düstere Zukunftsbilder entwarf, war vom
Moserhof her ein Bauernknecht mit einem Gewehre leise durch den Wald
geschlichen. Scharf hatte er im klaren Mondschein überall umhergespäht,
ob er nicht irgendwo ein ahnungslos grasendes Reh entdeckte oder ein
Häslein, das er als gute Beute mit nach Hause nehmen könnte. Geräuschlos
war er bis in die Nähe der alten Eiche gekommen, und nun hörte er droben
leise eintönige Laute; – der alte Hans erzählte noch immer weiter. Einen
Augenblick spähte der Knecht durch die Bäume. Plötzlich entdeckte er den
schwarzen Hans in der Baumkrone, grade vor der Mondscheibe.

Ganz still und geräuschlos hob sich der Gewehrlauf, – ein Schuß! – Aus
den Wäldern gab das Echo leise den Knall wieder. Erschrocken fuhren die
Rabenbüblein hoch auf und stoben nach allen Seiten angstschreiend davon.

Ins Herz getroffen, taumelte Väterchen Hans einen Augenblick, knickte
jäh zusammen und sank dann tot unter der alten Eiche nieder.



                     Von demselben Verfasser erschien:

                            „Im Walde verirrt!“

                             Kindererzählung.

             Einzelpreis: 0,85 Fr. durch alle Buchhandlungen.



                     Anmerkungen zur Transkription


Auf Seite 127 ist in der Druckvorlage eine Zeile doppelt (entfernt).
Statt dessen fehlt offenbar zwischen „vier Jahre Krieg haben vieles im
...“ und „...samer gemacht, auch gegen die armen Räblein.“ eine Zeile.
Da der Text nicht zweifelsfrei rekonstruiert werden konnte, wurde dies
so belassen wie im Original.

Offensichtliche Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere
Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):

   [S. 9]:
   ... Heute, – ach wie die Zeiten ändern! – heute ist es ...
   ... Heute, – ach wie sich die Zeiten ändern! – heute ist es ...

   [S. 44]:
   ... man mir etwa die Schwungfedern ausreißen. Sollte ...
   ... man mir etwa die Schwungfedern ausreißen? Sollte ...

   [S. 67]:
   ... nach mich für ein Stündlein mit ins warme Wohnzimmer. ...
   ... nahm mich für ein Stündlein mit ins warme Wohnzimmer. ...

   [S. 78]:
   ... Ginster. Am Waldessaum grauste eine Schafherde. ...
   ... Ginster. Am Waldessaum graste eine Schafherde. ...

   [S. 86]:
   ... Kriegssteuern zahlen müßten dazu die freiheitlieben ...
   ... Kriegssteuern zahlen müßten dazu die freiheitliebenden ...

   [S. 103]:
   ... es mir immer nach den Erzählung meines Großvaters ...
   ... es mir immer nach den Erzählungen meines Großvaters ...




*** End of this LibraryBlog Digital Book "Was der schwarze Hans erlebte: Kindererzählung aus der Heimat" ***

Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.



Home