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Title: Die Entwicklungsgeschichte der Stile in der bildenden Kunst. Erster Band.: Vom Altertum bis zur Gotik Author: Cohn-Wiener, Ernst Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Die Entwicklungsgeschichte der Stile in der bildenden Kunst. Erster Band.: Vom Altertum bis zur Gotik" *** This book is indexed by ISYS Web Indexing system to allow the reader find any word or number within the document. DER STILE IN DER BILDENDEN KUNST. ERSTER BAND. *** #################################################################### Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der 1917 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Begriffe wurden nicht korrigiert. Das Original enthielt einen Gesamtkatalog der Buchreihe „Aus restlichen Buchanzeigen wurden zusammengefasst am Ende des Texts wiedergegeben. Dieses Buch enthält Verweise auf Passagen im zweiten Band, welcher Die gedruckte Ausgabe wurde in Frakturschrift gesetzt. Besondere Schriftschnitte wurden mit Hilfe der folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet: kursiv: _Unterstriche_ fett: =Gleichheitszeichen= gesperrt: +Pluszeichen+ Antiqua: ~Tilden~ unterstrichen: #Rautenzeichen# #################################################################### Aus Natur und Geisteswelt Sammlung wissenschaftlich-gemeinverständlicher Darstellungen 317. Bändchen Die Entwicklungsgeschichte der Stile in der bildenden Kunst Von ~Dr. phil.~ Ernst Cohn-Wiener Dozent an der Humboldt-Akademie -- Freie Hochschule Berlin Erster Band: Vom Altertum bis zur Gotik Zweite Auflage Mit 66 Abbildungen im Text [Illustration] Verlag und Druck von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin 1917 [Illustration] Schutzformel für die Vereinigten Staaten von Amerika: ~+Copyright 1917 by B. G. Teubner in Leipzig+~ Alle Rechte, einschließlich des Übersetzungsrechts, vorbehalten. Frau Gemma zugeeignet Vorwort zur zweiten Auflage. Aus dem Bedürfnis des Unterrichtes und der eigenen Klärung ist dieses Buch entstanden, mit der Absicht, einen konsequenten Überblick über die Stile zu geben, der nicht nur, wie die allgemeinen Kunstgeschichten, Tabelle von Namen und Zahlen oder, wie die Stilkunde meist, Tabelle von Stilkennzeichen ist. Sie soll vom Wesen des Stiles ausgehen und die Formen aus der Kultur seines Geschmackes verstehen lassen. So mußte von einem Register nach Stichworten abgesehen werden. Für einzelne Epochen ist über diese Bewegungen bereits Klarheit geschaffen. Für das Verständnis der Renaissance hat Heinrich Wölfflin, der römischen Kunst Riegel und Wickhoff uns vieles gewonnen, für das Verständnis der hellenischen Antike Furtwängler das letzte Wort gesprochen. Für andere Stilgebiete aber, besonders für das Mittelalter, fehlen die stilgeschichtlichen Untersuchungen bisher fast vollkommen. Daran liegt es, daß Quellenangaben für das Buch kaum möglich sind. Ich habe versucht, die historischen Tatsachen bis auf die neusten Resultate fortzuführen, soweit die große Erstreckung des Stoffgebietes das gestattet. So würde das Zitieren auch nur der wichtigsten Werke Seiten füllen, während für das, was in diesem Buch das Wesentliche sein soll, nur wenige Vorarbeiten vorhanden sind. Gegenüber der ersten Auflage ist diese zweite wesentlich verändert und namentlich an Abbildungen bereichert worden. +Berlin+, im März +1917+. =Ernst Cohn-Wiener.= Inhaltsverzeichnis. Seite Einleitung 1 Erstes Kapitel. Die ägyptische Kunst 3 Zweites Kapitel. Die prähistorische Kunst des Ägäischen Meeres 14 Drittes Kapitel. Die hellenische Kunst 22 Viertes Kapitel. Die hellenistische und die römische Kunst 44 Fünftes Kapitel. Die frühchristliche Kunst 60 Sechstes Kapitel. Das frühe Mittelalter in Deutschland und der sog. romanische Stil 70 Siebentes Kapitel. Die Anfänge der Gotik 87 Achtes Kapitel. Die hohe Gotik 97 Neuntes Kapitel. Die Spätgotik 112 Einleitung. Jedes Kunstwerk gibt dem Betrachter zwei Genußmöglichkeiten, je nachdem man es an sich, absolut, oder nur als Glied im künstlerischen Schaffen seiner Zeit empfindet. Bachs hohe Messe in ~H~-Moll erschüttert auch im Konzertsaal -- aber lebendig ist sie erst als Glied der Andacht in einer Kirche ihrer Barockzeit, in der das prachtvolle Pathos ihrer großen Fugen eins wird mit der pathetischen Bewegung der Pfeilerreihen zum Altar und wieder zurück, der Jubel ihrer Bekenntnisse und Huldigungen mit dem Licht, das durch ihre hohe Kuppel strömt, ihre Begleitungen mit den Stuckranken, die jedes Glied des Baues an jedes andere heften. Ein Schnitzwerk von Tilman Riemenschneider ist immer schön. Aber es ist etwas anderes, es im Museum zu sehen, als bloßen Schaugegenstand, oder in seiner zierlichen Rahmung, die sich in die Sterngewölbe spätgotischer Kirchen auflösen soll. Wenn wir daraus die Konsequenz ziehen, so ergibt sich als Erstes, daß die Geschichte der bildenden Künste kein Recht hat, den Stil unter Vernachlässigung aller anderen Kunstformen nur als Baustil zu verstehen. Der Stil ist vielmehr in all seinen Charakterzügen nur aus der Summe alles von ihm Geschaffenen zu begreifen. Alle Ausdrucksformen des Zeitgeschmacks, Baukunst und Kunstgewerbe, Malerei und Plastik, Mode und Theater, sind zugleich Stilglieder. Und nur, indem man das ihnen Gemeinsame sucht, zeigt sich jene Einheit, die man eigentlich Stil nennt. Aber selbst dann erscheint sie nicht gleichbleibend, sondern als Bewegung, als gemeinsames Streben nach demselben Schönheitsziel. Selbst diese Einheit besteht nur für gleichzeitig, aber nicht für nacheinander geschaffene Werke. Denn das ist das Zweite, daß in der Kunst kein Stil konstant bleibt, daß langsam, aber mit Notwendigkeit, jeder sich fortbildet, um ganz allmählich seine Kraft zu verlieren und einer neuen Schönheit, einem neuen Stil Platz zu machen. Und diese Entwicklung ist die Geschichte der Kunst. Man hat in der Frühzeit der geologischen Wissenschaft geglaubt, daß die ungeheure Geschichte der Erde, das Verdrängen jeder Schicht durch eine andere, unmöglich ohne gewaltsame Prozesse hätte vor sich gehen können. Heute wissen wir, daß diese Entwicklungen sich allmählich und mit Notwendigkeit vollzogen. Aber es ist Zeit, daß dieser Grundsatz der Entwicklungsgeschichte nicht nur der Naturwissenschaft, sondern auch den anderen Wissensgebieten die Richtung des Gedankens vorzeichnet. Man weiß nichts von der Geschichte der Kunst, wenn man nichts als die Merkmale der Stile kennt, die sich nur auf ganz wenigen Kunstwerken gleichen, da sie mit dem Geschmack allmählich sich verändern. Wir dürfen nicht nur diese Merkmale der vollendeten Stile suchen, denn es liegt kein Grund vor, die feineren Übergänge zwischen den Epochen, in denen sich die Entwicklungsgeschichte der Kunst werdend ausspricht, geringer einzuschätzen. Es ist falsch, von der Frührenaissance zu sprechen, als wäre die Kunst in Italien von 1420 bis 1500 von einheitlichem Geschmack gewesen, während doch die allmähliche Abkehr von gotischen Prinzipien und der Übergang zur Hochrenaissance der eigentliche Inhalt der Epoche war, an dem Kräfte verschiedener Richtung mitwirkten. Es gibt auch keinen Begriff „die Antike“; zwischen den Anfängen der klassischen griechischen Zeit und ihren Werken in der Zeit der Diadochen liegt ein Weg wie vom Beginne christlicher Kunst bis zur reichsten Gotik. Wie die schaffenden Kräfte des Volkslebens nicht still stehen, so ist auch die Kunst nicht einen Augenblick ohne Fortentwicklung. Diese Fortentwicklung ist das innere Leben des Stils, ist das Wollen und Suchen aller Kräfte der Zeit. Das Werden des Stiles ist ihr Kampf gegen den vorhergehenden Stil, den sie auflösen; sie schaffen ihren eigenen Stil, den Stil ihrer Zeit, und seine Fortentwicklung ist ein allmähliches Überwinden seines Schönheitsgefühles durch den Geschmack eines neuen Wollens, eines neuen Stils. Ja, man hat nicht einmal ein Recht, vom Aufstieg und der Entartung des Stiles zu sprechen, sondern muß von der Entwicklung der bildenden Kunst reden wie von einer Wellenbewegung. Damit ist der Weg vorgezeichnet, den die Geschichte der Stile zu gehen hat. Die beherrschende Aufgabe ist, die Wege zu zeigen, auf denen die Kunstentwicklung, die Kunstgeschichte schreitet, von einem Stil zum anderen, von einer Epoche zur anderen, und die Fäden bloßzulegen, die die Geschichte über Zeit und Raum hinwegspinnt, als Gesetze der Entwicklung. Vorbedingung dafür aber ist die Erkenntnis des Stiles; nicht seiner Kennzeichen, deren Summe man so oft als Stil bezeichnet, sondern seines schaffenden Willens und der Einheit seiner künstlerischen Absichten. Es ist der Unterschied, wie zwischen dem Linnéschen Benennungssystem der Pflanzen und dem biologischen Studium ihres Lebens. Aus dem Werden und der Gestalt des Erschaffenen hat man zu schließen auf das Wesen des Schaffenden, auf das innere Wollen, auf den Geist des Stiles. Um aus den Erscheinungen jedesmal diesen „Stil an sich“ zu erschließen, müssen alle Gebiete bildender Kunst in gleicher Weise analysiert und beurteilt werden. Indessen sind -- und das erleichtert die Klarlegung -- je zwei Kunstübungen den Bedingungen nach, unter denen sie schaffen, parallel. Architektur und Kunstgewerbe dienen dem Bedürfnis, sind Zweckkünste; Malerei und Plastik dagegen sind freie Schöpfungen künstlerischer Phantasie. Wir werden sehen, daß trotzdem diese freien Künste in stilstrengen Perioden dem Zweck untergeordnet, die Zweckkünste in formfrohen Zeiten Schöpfer freier Schönheit werden. Aber man wird von den Zweckkünsten ausgehen müssen, weil der Grad, in dem ihre Werke durch die Aufgabe bedingt sind, den annähernd sichersten Maßstab für eine sachliche Untersuchung gibt. Nirgends aber sprechen die Zeiten in so großen, klaren Worten zu uns, wie in den Werken der Baukunst. Nicht nur um des größeren Maßstabes willen, der alles dem Auge so deutlich entgegenträgt. Aber von allen Musikinstrumenten ist die Orgel das einzige, das jede leiseste Untermelodie herauszuführen fähig ist, doch auch den kleinsten Fehler nicht verschweigt, eben weil ihr musikalischer Stil so gewaltig ist. Mit derselben Empfindlichkeit prägt die Baukunst die leisesten Entwicklungen aus und äußert schöpferische Kräfte in Wirkungen, die den Kraftaufwand zu vervielfachen scheinen. Erstes Kapitel. Die ägyptische Kunst. Es ist die Stärke der ägyptischen Kunst, daß in ihr nichts um des Menschen, alles um des Werkes willen geschieht. So schafft sie eine Stileinheit, die keinen Abweg oder Umweg duldet, sondern nur die vollkommenste Form. Des Königs Untertanen waren Knechte, die ihm fronen mußten. So konnte er ungeheure Bauten errichten, alle Künste ihnen dienstbar machen, aber außer den Bauten weniger Großer sind sie die einzigen Kunstleistungen des Landes gewesen. Die Lebensanschauung des Ägypters bedingte, daß diese Bauten fast nur religiösen Zwecken dienten, dem Kult der Götter und dem Kult der Toten, sogar von den Palästen der Könige ist uns wenig erhalten. Tempel und Grabbauten waren die architektonischen Hauptleistungen. Lange Zeit machte die Starrheit dieser Werke jedes persönliche Verhältnis zu ihnen unmöglich. Man sprach von ihnen als von rätselhaften Schöpfungen mit äußerster Bewunderung, aber ohne innerliches Verstehen ihrer fremdartigen Formen. Und erst unserer Zeit gelingt es, von ägyptischer Kunst allmählich eine historische Anschauung zu gewinnen. [Illustration: Abb. 1. Totentempel des Königs Ne-user-re. Säulenhof (Papyrussäulen mit geschlossenen Dolden). Rekonstruktion von Borchardt.] Der künstlerische Eindruck beruhte in ihr auf der Einfachheit der Linien und Formen, deren Steigerung ins ungeheuer Große sie zur Monumentalität erhob. Eben diese Einfachheit aber erschwerte die kunsthistorische Erkenntnis in einer Zeit, welche die einfachsten Formen von vornherein für die frühesten hielt. In Ägypten aber -- und nicht nur hier -- ist die Abfolge der Phasen genau umgekehrt. Der Urmensch, der Wilde, besitzt eine Frische des Auges und ein so unmittelbares Verhältnis zur Natur, daß die Höhlengemälde der Steinzeitmenschen reine Impressionen sind, unmittelbar gesehene und ebenso unmittelbar wiedergegebene Natureindrücke. Der Gedanke, der den Begriff „Primitivität“ gebildet hat, als müsse jeder Kunstbeginn unbehilflich sein, ist sicher falsch. Auch im alten Orient, in Mesopotamien, von dessen Kunst wir uns aber noch kein klares Stilbild machen können, ebenso wie in Ägypten ist die frühe Kunst reicher als die Hauptperiode, aber doch durch eingewurzeltes Stilgefühl so gebändigt, daß kein Impressionismus entsteht. Im alten Reich Ägyptens (3. Jahrtausend v. Chr.) stehen die Grabanlagen, die wichtigsten und fast einzigen künstlerischen Zeugnisse, nicht nur technisch, sondern auch künstlerisch bereits auf einer hohen Stufe der Entwicklung. Ihre Wurzeln greifen in prähistorische Zeiten zurück. Es war ägyptischer Glaube, daß beim Tode eines Menschen ein seelischer Rest von ihm zurückbleibe, der sich frei auf Erden bewegte, solange sein Körper erhalten blieb, und für dessen Nahrung und Bequemlichkeit durch wirkliche oder nachgebildete Speisen und Gerätschaften gesorgt werden mußte. Damit waren die Erfordernisse eines ägyptischen Grabes bedingt. Aber die Anlage, die ursprünglich nur aus einem hügelförmigen Grabgebäude (Mastaba), unter dem in der Erde der Sarkophag bestattet war, und einem Kultplatz davor bestand, entwickelte sich beim Königsbegräbnis zu einem reichen Organismus. Die Pyramide war niemals ein monumentales Einzeldenkmal. Schon in der vierten und fünften Dynastie des alten Reiches, etwa seit dem Jahr 2800 v. Chr., ist die Anlage harmonisch und reich durchgebildet. Von einem Torbau im Tale des Niles führt ein überdachter Aufweg zum Kultgebäude vor der Pyramide, in dem hintereinander Säulenhof, Säulensaal und Kultraum liegen. Das Ganze ist eine architektonische Anlage von vollkommener Einheitlichkeit, in der jedes Gebäude für sich von demselben Schönheitswert ist wie als Teil eines einheitlichen Ganzen. Borchardts Rekonstruktionen des Grabdenkmals für den König Ne-user-re (Dynastie 5) zeigen, daß hier eine künstlerische Absicht vollkommen klar durchgeführt wurde. Für unser Auge, das gewohnt war, die ägyptische Architektur als Massenwirkung zu empfinden, war die Entdeckung dieser feingegliederten Anlagen eine erstaunliche Überraschung. Beim Torbau im Tale ist noch nicht, wie später in ähnlichen Fällen, das Mauerwerk das ästhetisch Bedingende, sondern dem Zweck entsprechend die eigentliche Eingangshalle mit ihren logisch und fein geformten Säulen. Totentempel und Pyramide sind ebenso gut gegeneinander abgestimmt (Abb. 1). Denn die Zartheit erscheint noch feiner neben dem Wuchtigen und das Wuchtige noch energischer durch den Kontrast gegen das Zarte, da jedes dem Auge als Maß für das andere gilt. Die einheitliche Tendenz des Stiles aber, eindringliche Klarheit in der ruhenden Form zu finden, läßt auch so verschiedene Bauformen im Organismus des Ganzen aufgehen. Zwar ist jedes Formmotiv der lebenden Natur entnommen. Aus dem Boden wächst eine pflanzenförmige Säule gegen die als Himmel gedachte Decke empor. Im Säulenhof des Ne-user-re-Tempels sind vier Papyrusstengel, die aus gemeißelten Blättern emporsteigen und je in eine geschlossene Dolde auslaufen, durch steinernen Bast zur Säule zusammengeknüpft. Daneben kommen Papyrussäulen mit offener Dolde, Lotossäulen (Abb. 2) mit offenen und geschlossenen Blüten und Palmensäulen vor. Aber das Gefühl, daß die Säule Stütze ist, ordnet diese Naturformen der Zweckform unter. Eine runde Basisplatte trennt sie vom Erdboden, das allmähliche Emporsteigen der Stengel aus der Rundung zur geraden Senkrechten führt den Säulenschaft der Last entgegen. Der Bast wirkt als Zusammenschluß dieser Kraft, die gedrungene, schnell ausbiegende Blüte, in allen Teilen eine Steigerung der Schaftbewegung, als Kapitell. Eine viereckige Platte (~abacus~), schon nicht mehr Natur-, sondern Bauform, ladet ihr die Last auf. Sie ist ein einfacher Steinbalken, nur in ihrer naturgemäßen Linie entwickelt, der wagerechten, die dem Erdboden parallel gehend die eigentliche ruhende Linie ist. Das Kraftverhältnis zwischen Last und Träger ist für das Auge bis zur völligen Ausgeglichenheit abgestimmt. Dagegen ist die Pyramide eine bloße Steinmasse, zwischen einfache Linien in großen Flächen geordnet, wuchtig und lastend. Wohl war sie gebaut, um den Leichnam des Königs zu schützen, den in dieser Steinmasse eine versteckte Kammer barg; ein enger Gang führte zu ihr, durch den man den Sarg hineingeführt hatte, und den man mit Steinen verstopfte und mit dem Material der Außenbekleidung verschloß, um ihn unauffindbar zu machen. Aber darüber hinaus hat sie die künstlerische Absicht, Denkmal zu sein, sich sofort dem Beschauer einzuprägen in großen, herrschenden Formen. Die Monumentalität ist vielleicht niemals wieder so klassisch ausgedrückt worden wie in der Pyramide. Daß die Könige, die wie alle anderen schon bei Lebzeiten für ihre Grabstätten sorgten und zunächst einen kleinen Bau aufführten, dessen Art und Anlage um so mehr ausgestalteten, je länger sie lebten, ist beweisend dafür, daß hier mehr als nur ein Zweck, daß eine Wirkung erreicht werden sollte. Die Klarheit dieses Stilgefühls macht alle Künste der Architektur untertan, als der eigentlichen Zweckkunst. Selbst die Freiplastik gibt dem Körper keine Bewegung, sondern hält in den Würfelformen dieser Räume gefesselt, und die Reliefplastik ist reine Dekoration der Wand. [Illustration: Abb. 2. Lotossäule des alten Reiches. Kapitell in Form der geschlossenen Blüte.] [Illustration: Abb. 3. Relief aus dem Grab des Ma-nofer. Berlin.] Die meisten späteren Epochen malten Bilder mit starker Tiefenwirkung, mit Darstellung weiter Landschaften und Räume an die Wand, in die sie gleichsam hineinführten; so nahmen sie ihr ihren Sinn als Raumbegrenzung, dem Raum selbst seine Geschlossenheit. Der Ägypter begnügt sich damit, die Darstellungen von Göttermythen, von Königstaten, vom Besitz des Verstorbenen als wagerecht fortlaufende Friesreihen in flachem, bemaltem Relief zu geben. Denn er denkt logisch von der Wandfläche aus, deren Wert nicht gemindert werden darf, deren Hauptbegrenzungen durch Erdboden und Decke die wagerechte, ruhige Aufteilung verlangen, deren fortlaufende Fläche die ununterbrochene Reihung fordert. Diese Betonung der Wagerechten gibt dem Raum die Ruhe, während die vertikalen Linien, die von der Erde aufstreben, Träger architektonischer Bewegung sind. Es ist kein Zufall, daß gerade in der untersten Friesreihe, von der Abbildung 3 nur den Anfang geben kann, die Doppelreihe des Kleingeflügels fast wie ein Saum die Wand abschließt, mit Tieren, deren Kleinheit und Zartheit den schweren Schritt der Rinder über ihnen um so wuchtiger erscheinen läßt. Die Fläche schreibt auch der Einzelform das Gesetz vor. Nirgends treten die Darstellungen aus ihr heraus. Sie gibt dem Ägypter die Oberfläche seiner Figuren (Abb. 3). Um ihre Konturen herum tieft er den Grund aus, doch so, daß dieser Grund wieder eine vollkommene Ebene bildet (Relief ~en creux~). Er projiziert also seine Gestalten vollkommen in die Fläche und nimmt ihnen jede Tiefenwirkung. Sie schreiten im Profil, das am leichtesten die Bewegung auf die Linie zurückzuführen erlaubt, gehen auf einem Strich, statt auf einem Fußboden, und der Ort, an dem der Vorgang sich abspielt, wird durch keinen Hintergrund angedeutet. Und doch besitzen diese Künstler ein äußerst feines Naturgefühl, das aber völlig im Stilbewußtsein aufgeht. Man sehe, wie auf einem Relief des alten Reiches aus dem Grabe des Ma-nofer, wenn dem Verstorbenen sein Besitz vorgeführt wird (Abb. 3), das schwere Schreiten des Stieres, die elegante Zeichnung der Stelzvögel, der steife Gang der Enten gegeben sind. Man verfolge die Halslinien der prachtvollen Kranichgruppe vom Kopf bis herab zur Brust, den Kontur des Stieres in Brust und Rücken. Die Modellierung der Tierleiber innerhalb der Fläche des Reliefs ist von so vollkommener Feinheit, daß man diese ganz leisen Hebungen und Senkungen, diese feinsten Bewegungen der Fläche fast mit der Hand abtasten muß, wenn man sie ganz genießen will. Sie sind absichtlich so zart modelliert, und auch die Bemalung gab einst nur Farben und keine Eigenschaften der Haut. Denn für das Auge muß der Kontur das wichtigste bleiben, der als scharfe Linie in Licht und Schatten sich am Rande der Gestalten zeichnet und das Relief der Zeichnung gleichstellt. Die Linie ist die beherrschende Ausdrucksform. Sie erklärt auch jenes sonderbare Vorschieben einer Schulter in der ägyptischen Profildarstellung des Menschen. Es ist allerdings fraglos, daß bei Darstellungen der ältesten Zeit die Tendenz dahin ging, die Figur möglichst in allen Teilen klarzustellen, so daß man den Kopf im Profil, die Brust von vorn und die Füße wieder im Profil zeichnete. Aber es handelt sich dabei nicht um die Klarheit der Körperflächen, sondern vielmehr der Umrisse, des Kontur. Es will scheinen, als sei der Hauptgrund für die Vorschiebung der Achsel, etwa bei dem Schreiber in Abb. 3, die Absicht gewesen, die beiden Arme in der Zeichnung klar voneinander zu lösen. Die Beine gaben diese Klarheit durch die Schreitstellung von selbst her, die Stellung der Arme zueinander aber konnte so nicht ausgedrückt werden, da sich zwischen sie der Körper schob. Der Ägypter sah also zeichnerisch, wenn er als Maß der Entfernung vor allem die Achsellinie nahm und die Entfernung vom Halsansatz durch sie ausdrückte. Dem Bauch fehlt dagegen die Klarheit. Man merkt seinen Linien, die nur Übergänge zur Profilstellung der Beine sind, die Verlegenheit um logischen Ausdruck allzu deutlich an, und hier versagt auch die Modellierung des Körpers. Dafür, daß bei dieser Zeichnung nur Arm- und Schulterlinien maßgebend sind, nicht die Klarstellung der Flächen, scheint es ein vollkommener Beweis zu sein, daß, wenn beim dahinschreitenden Stier die Hörner symmetrisch in der Fläche dargestellt werden, wie auf unserem Relief, nur der obere Rand der Stirn mit ihnen in Vorderansicht gestellt wird, ohne daß der Kopf dieser Richtung folgt. [Illustration: Abb. 4. Tempel von Luksor. Fassade.] [Illustration: Abb. 5. Ammontempel zu Karnak. Schnitt durch die Halle (Papyrussäulen mit geöffneten und geschlossenen Dolden).] [Illustration: Abb. 6. König Seti I. räuchernd. Relief des neuen Reiches.] Über diese Epoche des alten Reiches hinaus schreitet die Entwicklung weiter. Wie wir in ihr den Entwicklungsgang am Grabbau verfolgen konnten, so zeigt von nun an der Tempelbau den Weg. Schon im mittleren Reich, das um das Jahr 2000 zu setzen ist, war die Technik des Pyramidenbaues immer schlechter geworden, da der König nicht mehr absolut herrschte, nicht mehr so unumschränkt über das ganze Volk gebot. Das neue Reich, das das 2. Jahrtausend v. Chr. in seiner zweiten Hälfte ausfüllt, kennt die Pyramiden überhaupt nicht mehr und stellt den Tempel in den Mittelpunkt seines architektonischen Interesses. Aber es erstrebt nicht mehr Formklarheit, sondern seelische Wirkungen, bestattet deshalb die Fürsten in düstere Felsengrüfte, deren Wände mit geheimnisvollen Götterszenen und Todesmythen gefüllt werden, und formt den Tempel als große ungegliederte Masse, um die Seele des Andächtigen zu erschüttern. Die Formen sind allerdings, wie stets, aus den vorhergehenden entwickelt, und man kann sagen, daß diese Richtung auf maßstäbliche Größe eine Folge der vorhergehenden, auf innere Größe gerichteten war. Die drei Haupträume des Tempels, den Säulenhof, den großen Saal und den Kultraum dahinter, hatte schon der Totentempel des alten Reiches besessen; aber die Zeiten differenzieren sich sofort, wenn man die feinfühlige Gliederung eines Torbaues im alten Reich mit der Fassade eines Tempels, wie etwa des von Luksor, vergleicht, der der Zeit kurz vor dem Beginn des neuen Reiches angehören dürfte. An Stelle der zweckvollen Gliederungen ist die gesammelte Energie des Ausdruckes getreten. Darauf beruht die ungeheure Kraft dieser Bauwerke, daß ihre Art so gewaltsam ist gegenüber der Natur des Bodens, in dem sie wurzeln. In Luksor, einem typischen Beispiel (Abb. 4), ist die Fassade rein als Masse empfunden; die Wand, mit flächenhaften, teppichartig gedachten Darstellungsreihen übersponnen, die aus dem Leben der Könige und den Mythen der Götter entnommen werden, spricht als große Fläche, und die Begrenzung muß um so schärfer sein, muß die Wand energisch zusammenschließen, da allein der Kontur dem ganzen Gebilde den Halt gibt. So ist es empfunden, wenn die Begrenzungslinien von unten aufsteigen, nach oben zu einander sich nähern und die Wand zwischen sich immer enger zusammendrängen, bis die wagerechte Hohlkehle oder eigentlich das von ihr weit vorgeschobene Sims den Bau oben gegen den Luftraum abschließt. Dekorativ empfindende Zeiten haben immer versucht, durch Vasen, Statuen und andere Schmuckformen, die sie auf das obere Sims stellten, eine allmähliche Überführung in den Luftraum herzustellen, und betonten das Hauptportal dadurch, daß sie über ihm das Dach am höchsten hinaufführten. Der Ägypter verfährt gerade umgekehrt. Er schließt den Bau in strenger Horizontale und betont das Portal dadurch, daß er die Wand hier niedriger abschließt. Dieses Herausheben soll nur dem Nahenden den Eingang weisen. Die ruhende Mauerfläche muß trotz seiner das Beherrschende bleiben. So nimmt man dem Portal möglichst seinen Wert als gliedernde Unterbrechung der Mauerfläche und führt die Einsenkung durch schräg aufsteigende Linien den seitlichen Pylonen wieder zu. Genau ebenso wertet die ägyptische Architektur im Innenbau des Tempels die Tür, die aus dem Säulensaal zum Allerheiligsten führte, und die nur wenigen Auserwählten sich öffnete. Und doch mußten in einer Halle, wie etwa der des Ammontempels zu Karnak (Abb. 5), diese kolossalen Säulen des Mittelganges, die wie riesige Wächter vor der geheimnisvollen Tür standen, das Auge des Beschauers durch ihre Reihung gerade dorthin führen, wie sie noch heute unseren Blick unwillkürlich dorthin leiten. Es war der religiöse Zweck der ägyptischen Kunst, auf das Geheimnisvolle hinzuweisen, ohne es zu entschleiern. Aber in der Architektur der Halle, in den gewaltigen Massen des Säulensaales kommt diese Tür kaum zum Wort gegenüber dem Gesamteindruck. Denn neben diesen führenden Säulenreihen ziehen andere dahin, und das Auge trifft nirgends einen Raum, der nicht nach wenigen Schritten begrenzt wäre. Ein solcher Raum ist gar nicht als Halle in unserem Sinn aufzufassen. Er ist eine gewaltige Masse von Säulen, zwischen denen ein schmaler Raum zum Wandeln bleibt. Nicht der freie Raum war die Hauptsache, sondern die atemraubende Dichtigkeit der sperrenden Architektur. Es ist also das Prinzip des möglichst wuchtigen Eindrucks im Innenbau dasselbe wie im Außenbau. Aber es ist selbstverständlich, daß auch beim Innenraum das Prinzip sich allmählich ausgebildet hat. Vergleicht man diese Halle der 19. Dynastie (um 1300 v. Chr.) mit Hallen aus früherer Zeit, so haben diese viel mehr Luftraum, viel mehr Bewegungsfreiheit für den Wandelnden. Dabei bedingt die Stilentwicklung, daß auch die Säule selbst früher empfindlichere Formen hatte. Wenn die Säulen des alten Reiches (Abb. 1) in Schaft und Kapitell nach Maßgabe der zugrunde liegenden Pflanzen durchgegliedert waren, so ist es für die Säulen des Tempels in Karnak ganz unwichtig, daß auch ihnen Pflanzenformen zugrunde liegen, die geöffnete Papyrusdolde den Säulen des Mittelganges, die geschlossene denen der begleitenden Reihen. Die Säule ist ein Steinklotz geworden, und die Pflanzenmotive sind nur noch traditionell beibehalten. Die Säulen sind zu ungeheurer Zahl gehäuft, aber sie scheinen als Masse viel zu tragfähig im Verhältnis zur wirklichen Last. Unausgenützte Kraft aber wirkt als Trägheit. Eine Masse ist noch kein organisches Gebilde. Der tektonisch Denkende verlangt den klaren Ausdruck der Verhältnisse zwischen Kraft und Last im Raume sowohl wie in der einzelnen Säule. Es ist notwendige Stileinheit, daß wie die Architektur so auch Plastik und Malerei im späteren Reich allmählich zu summarischer Behandlung der Formen kommen (Abb. 6). Man hat nicht einmal ein Recht, von Erstarrung zu sprechen. Die Entwicklung zum Gewaltigen verlangt das Vernachlässigen des Details. Der große Eindruck der spätägyptischen Wand würde gelähmt sein, wenn ihr Bilderschmuck nahe Betrachtung forderte. Die Plastik soll den Beschauer erdrücken wie die Baukunst. Auch ihr Streben geht nach der Monumentalität des maßstäblich Großen; Kolossalstatuen und Riesenreliefs entstehen wie nie zuvor, Vergrößerungen der alten durch die Religion geheiligten und geforderten Typen. Aber ihre Formen sind verarmt, weil kein schöpferisches Gefühl mehr stilbildend tätig ist, sind zur Phrase geworden, weil der Künstler keine Naturform mehr erlebt, um sie zur Kunstform umzumünzen. Daher die Unfähigkeit, diese Gestalten mit Formleben zu erfüllen, ihre Leere, ihr Glattwerden oder das unwillkürliche, verstohlene Eindringen realistischer Alltagszüge, eines Lächelns oder Drohens, das deutlich zeigt, wie wenig man noch die Augenstrenge hat, die die klassische Kunst des alten Reiches schuf. Daß dann der rücksichtslose Naturalismus, in der Malerei sogar der Impressionismus, der stärkste Gegensatz zur altägyptischen Formstrenge, von den Ägäischen Inseln eindringend, zum Durchbruch kommt, sobald ihm König Amenophis’ IV. Echnatons Kampf gegen die alte Götterreligion für kurze Zeit Lebensmöglichkeit schafft, ist nur natürliche Konsequenz. Aber es handelt sich hier um eine reine Episode. Eine wirkliche Stilentwicklung findet späterhin nicht mehr statt; nur daß die herben, hieratisch strengen Formen immer weichlicher, immer ausdrucksloser werden, je mehr die gefühlvolle Liebe unschöpferischer Perioden sie festzuhalten strebt. Im wesentlichen finden noch die fremden Völker, die seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. Ägypten abwechselnd unterjochen, finden Alexander der Große und seine Nachfolger bis zu den römischen Kaisern in Ägypten dieselbe Kunst vor wie der Perser Kambyses, als er im Jahre 525 v. Chr. Ägyptens letzten Pharao entthronte. Die Usurpatoren fügten sich der Tradition des Landes, bauten ihre Tempel dort im alten Stil und erschienen in der Plastik als Nachfolger der alten Pharaonen in Kostüm, Haltung und Handlung; und so bewahrte die offizielle ägyptische Kunst, deren große Taten dem alten und mittleren Reich gehörten, ein langes Scheinleben, indes längst neue Völker mit neuer Kraft eine Welt der Schönheit in Leben und Kunst geschaffen hatten. Zweites Kapitel. Die prähistorische Kunst des Ägäischen Meeres. Es ist kein Zufall, daß die ägyptische Kunst, sobald ihre Entwicklung sie für die impressionistische Auffassung reif gemacht hatte, unter den Einfluß der sog. mykenischen Kultur geriet. Sie ist die glänzendste Erscheinung der Bronzezeit. Der augenfrische Impressionismus des Urmenschen hat hier, auf später hellenischem Boden, Werke von überraschender Ausdrucksenergie geschaffen. In Malerei und Goldschmiedekunst, in Elfenbeinplastik und Steinschnitt gibt sie Tiere und Menschen in den kompliziertesten Bewegungen, schafft die zartesten, feinlinigsten Ornamente und belebt mit ihnen die bewegteste Architektur und das graziöseste Kunstgewerbe. Es ist jene Kultur, von deren Schönheit die Epen Homers erzählen. Von Kreta aus, dem Ort ihres Ursprungs und ihrem Hauptsitz, sandte sie ihren Reichtum in die Welt. Diese strömende Gestaltungskraft, die aus der Fülle ihres Reichtums Gestalten und Werke schuf, welche noch heute mit der Unmittelbarkeit des künstlerisch Geschauten zu uns sprechen, hat damals die ganze Welt befruchtet bis nach Spanien hin und ins vorisraelitische Kanaan. Und in den griechischen Mythen spielt König Minos von Kreta eine Rolle, die diese Macht auch die Nachwelt ahnen ließ. [Illustration: Abb. 7. Palast von Knossos. Treppenaufgang.] [Illustration: Abb. 8. Jüngling ein Gefäß tragend. Fresko im Palaste von Knossos.] Ein stärkerer Gegensatz als zwischen ägyptischen und kretischen Bauten (Abb. 7) ist kaum denkbar. Der Ägypter schließt jeden Raum streng gegen den anderen ab, überall soll man sich umgrenzt, eingehegt fühlen; der kretische Palast von Knossos öffnet die Räume gegeneinander, um durch die formenreiche Folge malerischer Durchblicke das Auge anzuregen. Die ägyptische Säule ist wuchtige, oft überschwere Trägerin; die kretische, unten zugespitzt, scheint zu balancieren, und ihr wulstiges Kapitell wirkt wie ein Pfühl, der sich unter dem Druck elastisch biegt. Die ägyptische Säule, die das Tragen stärker ausdrückt, ist also struktiver geformt als die kretische. Und ebenso ist die ägyptische Wand strenge Begrenzung des Zimmers, während die kretische es liebt, sich mit räumlich tiefen Darstellungen zu schmücken. Es genügt, eine der kretischen Wandmalereien aus demselben Palast von Knossos (Abb. 8) mit einem ägyptischen Relief der frühen, von fremdem Einfluß unberührten Zeit (Abb. 3) zu vergleichen, um die Gegensätzlichkeit zweier Kunstanschauungen zu empfinden. Der Ägypter gräbt die Linien des Umrisses, wie er sie bei genauer Detailbetrachtung feststellt, in die Fläche und sucht durch flache Modellierung der Innenform Herr zu werden. Der Kreter gibt den Gesamteindruck, die „Impression“, gibt die Form, wie sie dem Auge beim ersten Blick erscheint, und vernachlässigt das Detail. In der Plastik ebenso wie in der Malerei. Furtwängler sagt über die Gemmenplastik dieser Kultur: „Die mykenische Kultur kümmert sich wenig um klare Technik und den Knochenbau des Körpers, darin die ägyptische sich auszeichnet, aber die Wiedergabe des Fleisches, der Muskeln ist ihr Element.“ Damit ist der impressionistische Charakter dieser Plastik scharf gezeichnet, in der, ebenso wie in der Malerei, die gesehene Form und nicht die Zeichnung Mittel der künstlerischen Gestaltung ist. Das unmittelbare Festhalten des Geschauten bewirkt, daß eine Figur wie dieser kretische Gefäßträger so persönlich uns gegenübersteht, daß in den Gliedern der Stiere und ihrer Bändiger auf Goldreliefs das Leben zu pulsieren scheint, wie nie in einer ägyptischen Skulptur. Impressionismus und Realismus haben sich zu allen Zeiten gegenseitig bedingt. [Illustration: Abb. 9. Tongefäß aus Kreta.] Diese Stärke des Bildausdruckes macht die Figur körperhaft und unabhängig von der Wand, an die sie gemalt ist. Die zeichnende ägyptische Kunst geht, wie wir sahen, von der Wandfläche aus und bildet ihre Gestalten flächenhaft, der kretische Impressionismus geht von der Erscheinung der Gestalt aus und sucht die Form dann der ruhenden Fläche einzugliedern, ohne daß das vollkommen gelingen kann. Der Impressionismus hat zu jeder Zeit, in der er herrschte, den Grundsatz ~l’art pour l’art~ -- jede Kunst ist Selbstzweck -- proklamiert. Am klarsten sprechen hier die Gebilde des Kunstgewerbes. Es war schon in der Einleitung die Rede davon, daß das Kunstgewerbe als Zweckkunst jedesmal ähnliche Stiltendenzen verfolgen müßte wie die Architektur. In der Tat legt ein kretisches Gefäß (Abb. 9) den Wert nicht auf die funktionelle Gliederung, sondern allein auf die schöne Form. In wundervoller Ruhe gleitet hier die begrenzende Linie vom Mund bis zur spitzen Endigung hinab. Gerade dieser Abschluß beweist das Untektonische des Stiles. Denn ein struktiv empfindender Stil bildet den Fuß des Gefäßes zum Feststehen aus, während diese Spitze zwar einen wundervollen Zusammenfluß der Linien gibt, aber stets einer besonderen Stütze bedarf. Wir werden diese spitze Endigung bei fast allen untektonischen Epochen, in der deutschen Spätgotik, im Rokoko wiederfinden, ebenso den schmalen Hals, der die Linie des Gefäßbauchs in so ruhigem Fluß weiterführt. Nur der Wulst, der den Hals abgrenzt, aber nicht energisch genug, um die ruhige Überführung der Linien zu hemmen und Hals und Körper wirklich zu sondern, gibt Kunde davon, daß ein Gefühl für die Funktionen der Gefäßteile überhaupt vorhanden ist. Ebensowenig wirkt der Schmuck gliedernd. Er geht nicht von der begrenzenden Fläche der Gefäßwand aus, sondern von der körperlichen Erscheinung seiner Motive, gliedert nicht das Gefäß, sondern steigt an ihm auf. Man hat den Eindruck, vor einem Aquarium zu stehen. Auf dem Meeresboden wachsen Korallen und Seetang empor, die in der Strömung zu fluten scheinen, Seeschnecken und Seesterne schwimmen zwischen ihnen, all das, wie etwa in den Strähnen der schattenhaft sich wiegenden Seepflanzen, von einer vollkommenen Formschönheit. Es ist dasselbe Verhältnis wie in der Wandmalerei. Eine Impression sagt hier in Schwarz und Weiß dasselbe, wie dort in Farben, und wird durch Zurückführung auf einfachste Licht- und Schattenflächen, ähnlich wie in japanischen Holzschnitten, der Wandung eingefügt. [Illustration: Abb. 10. Das Löwentor zu Mykenai.] Es ist einmal gesagt worden, daß der Unterschied zwischen den Fürstensitzen auf Kreta und denen im gleichzeitigen Griechenland derselbe gewesen sei wie zwischen einem Prunkschloß, wie Versailles, und einer Burg, wie der Wartburg. Der Gegensatz ist vollkommen. Während in Kreta die Gemächer und Vorratsräume sich um offene Höfe gruppieren und miteinander durch eine Unzahl Türen verbunden sind, geht die Tendenz auf dem Festland auf die Klarstellung des einzelnen Gemaches. Das μέγαρον, der Männersaal, ist der Zentralraum der Anlage. Er liegt vollkommen isoliert, und auch die Nebengemächer liegen nicht Wand an Wand, sondern an Korridore gereiht. Das einzelne Gemach hatte seinen Eingang an der Schmalseite, so daß man es beim Eintritt vollkommen überblickte, während in Kreta die Haupttür an der Langseite lag. Und ebenso war die Gesamtheit der Anlage auf dem Festlande energischer, wo der Mauerring den ganzen Komplex zusammenhielt, als in Kreta, wo die Burgen Prunkpaläste waren, die offen im Land lagen. Es ist in jeder Hinsicht der Kontrast zwischen Zweckbau und Prunkbau, zwischen klarem Nebeneinander und malerischem Reichtum. Naturgemäß sprechen die eigentlichen Zweckbauten des Festlandes, die Befestigungsanlagen, diese Logik am strengsten aus. Sie sind es, die als pelasgische oder kyklopische Mauern so seltsame Legenden von Urweltriesen gezeugt haben. Aber sie sind, wenn auch roh gefügt, in Wahrheit von großer architektonischer Gewissenhaftigkeit. Das Löwentor von Mykenai (Abb. 10), die wichtigste Architektur des Festlandes, ist ein wohldurchdachtes Werk von gutem Ausdruck. Zwei Blöcke tragen einen steinernen Balken, der aber selbst nur Last ist, von dem die ganze Schwere der darüberliegenden Mauerschichten abgeleitet und durch abgeschrägte Steinblöcke auf die seitlichen Mauern übertragen ist. So bleibt über dem Tor ein dreieckiger unbelasteter Raum, der mit einer leichten skulpierten Steinplatte gefüllt wird. Man versteht also noch nicht, in Bogen zu wölben, aber es zeugt von hoher architektonischer Geschmackskultur, daß gerade nur diese Platte ausgeschmückt ist, die im Aufbau keine Funktion hat. Nun weiß man sofort, welches Bauglied trägt, und welches getragen wird; nur dem unbelasteten, füllenden Glied hat das tektonische Gefühl hier dekorative Gestalt zu geben gewagt. So sind auch die festländischen Geräte, deren Goldprunk die Burggräber von Mykenai hergegeben haben, in ihrer Form mehr durch die Aufgabe bedingt, als die kretischen. Sie sind geteilt nach der Funktion des Gerätes, stehen mit breitem Fuß, nehmen mit geöffnetem Kelch den Wein auf. Ihre Dekoration ist nicht einfach aus der Natur geholt, sondern zum Gefäßornament geworden, das etwa als Saum wirkt. Zwar ist Griechenland in der Epoche, in die die Burgen von Mykenai und Tiryns weisen, d. h. etwa in der Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr., stark von Kreta beeinflußt. Es gab damals dort Geräte mit lebhaften Jagdszenen in landschaftlich tiefem Raum, die fraglos von Kreta importiert sind. Auch die eigene Plastik, wie die Skulptur im Entlastungsdreieck des Löwentors, spricht ihren Einfluß aus. Nicht nur im Stil, der dem kretischen wesensverwandt ist und den Körper in wundervoll fleischiger Rundung gibt; auch die Darstellung findet sich im ganzen Kulturkreis, zwei Löwen, mit ihren Vorderpranken auf eine Art Altar gestützt, zu Seiten der charakteristischen Säulenform des Stils. Wahrscheinlich ist die Säule hier Symbol einer Gottheit, die die Löwen bezwungen hat, zumal die Tiere gelegentlich wirklich an die Säule gefesselt erscheinen. Dadurch ist eine zweite Deutung weniger wahrscheinlich geworden, die wohl, als man die Paralleldarstellungen noch nicht kannte, gerade durch das Löwentor entstanden ist, daß nämlich die Säule das Haus symbolisierte, vor dem die Löwen Wache hielten. Der Darstellung, die auch sonst oft, vor allem auf geschnittenen Steinen, vorkommt, scheinen orientalische Mythologieen zugrunde zu liegen. Jedenfalls ist die kretisch-mykenische Kunst, die in dieser Vorzeit sich plötzlich mit solcher Lebenskraft zutage drängt, nicht wurzellos gewesen. Es muß freilich überraschen, hier, wo man in der Bronzezeit fast an den Anfängen europäischer Kultur steht, eine ausgesprochene Luxuskunst zu finden, deren Formen nicht aus dem Zweck geboren sind, sondern, besonders in Kreta selbst, den klaren Zweckausdruck geradezu negieren. Der Impressionismus im Fresko und in der Dekoration der Vasen hat rein auflösende Funktion. Und wenn man sieht, wie die Frauentracht damals den Körper mit einem glitzernden Meer von ornamentierten Goldflittern umschimmerte, wider seine Struktur in der Hüfte zusammenschnürte und die Brust hervorpreßte, ja, wie die schlanke Taille auch beim Mann ein Schönheitsideal ist (Abb. 8), so fühlt man unmittelbar den Reichtum des Rokoko als den nächst verwandten Stil. Die hellenische Kunst, die auf demselben Boden erwächst, ist in ihrem tektonischen Bewußtsein, das jede Form ihrer Aufgabe gemäß ausgestaltet, der denkbar stärkste Gegensatz. Die Beziehungen zu Ägypten ermöglichen es, die Epoche ziemlich sicher zu datieren. Schon ums Jahr 2000 v. Chr. muß der Verkehr zwischen diesen beiden mächtigsten Anwohnern des Mittelländischen Meeres begonnen haben. Unter dem Namen Kaphtor kennt die Bibel ein Volk, das als Kephtiu huldigend auf ägyptischen Reliefs erscheint, dieselben trichterförmigen Gefäße tragend wie auf dem Fresko von Knossos. Man hat, wie wir sahen, in Ägypten mykenische Stücke technisch und künstlerisch kopiert, und auch die ägäische Kultur entnahm Ägypten manches Vorbild zu selbständiger Verarbeitung. Aber um 1200 holen die Anwohner des Ägäischen Meeres zu einem gewaltigen Schlage aus, unternehmen, alle Kraft zusammenraffend, einen kriegerischen Vorstoß gegen das Ägypterreich und werden zerschellt. Von da ab hören wir nichts mehr von der ägäischen Kultur, und wenn wir dann sehen, daß die Gefäße, die Hellas kurz darauf hervorbringt, ägäische Überlieferungen in ärmlicher Entartung fortsetzen, dann haben wir das Gefühl, einer der großen Tragödien in der Menschheitsgeschichte gegenüberzustehen. Drittes Kapitel. Die hellenische Kunst. Und nun ist es, als käme Ordnung in ein Chaos, wenn im nächsten Jahrtausend auf hellenischem Boden der dorische Tempel festgefügt vor uns steht. Die erste Architektur, die alle Wucht des Monuments begründet in der Gliederung der Einzelform, in der klaren Scheidung von Kraft und Last, tragendem und getragenem Gliede und sie wieder vereinigt durch den edlen Rhythmus des Ganzen. Der Poseidon-Tempel von Pästum (Abb. 11) ist nicht nur ein Bau von ungeheurer Kraft: zum erstenmal tritt das Verhältnis der Bauglieder zueinander, der Rhythmus der Proportionen, tritt die Schönheit als Meister des Baues ein. Sein tektonisches Gewissen hebt ihn weit über die Kunst der kretischen Paläste, seine Eurhythmie weit über die ägyptische Massenhaftigkeit. Aber, so edel die Erscheinung des Tempels auch ist, fehlt ihm heute vieles, um uns seinen ursprünglichen Sinn verstehen zu lassen; es fehlen ihm die Skulpturen im leeren Giebelfeld, die Reliefs im Fries, die Farben, die alle Glieder dieses Organismus überzogen. Er scheint zu ernst, zu streng, zu herb. Die Zeit hat die Festlichkeit zerstört, die der hellenischen Kunst wie dem hellenischen Leben die Harmonie mit dem Ernst des Daseins gab. Es ist bei dem eindringlichen Studium gerade der hellenischen Kunst natürlich, daß wir eine ganze Anzahl von Rekonstruktionen griechischer Tempel haben. Wenn in Bauwerken, wie diesem Tempel von Pästum etwa, die Grundelemente des Stils völlig erhalten sind, schien es nicht schwer zu sein, die Einzelheiten zu ergänzen. Aber gerade das Empfinden für diese Einzelheiten verlangt ein feines Stilgefühl, wie es wenige besitzen. Erst seit wenigen Jahren, seit Furtwängler, als er Ägina für die Kunstgeschichte gewann, eine Rekonstruktion des vorher Athena-Tempel genannten Aphaia-Tempels gab, besitzen wir eine vollendete Nachschöpfung, gegründet auf strengste Forschung, geschaffen mit feinstem Stilgefühl (Abb. 12). [Illustration: Abb. 11. Tempel des Poseidon zu Pästum.] [Illustration: Abb. 12. Westfront des Tempels von Ägina. Rekonstruktion von Furtwängler.] Es ist die Giebelseite, die alle Eigenschaften des Baues am energischsten konzentriert; die Säulenreihen der Längsseiten sind nur Verbindungen zwischen ihnen. Hier drücken Säulenreihe und Giebel das Verhältnis der Baumasse zum Dach, der Kraft zur Last mit vollkommener Klarheit aus. Was bei der ägyptischen Pyramide rohe Masse aufeinandergetürmter Steinschichten war, wird hier in Baufunktionen aufgeteilt. Von einem dreistufigen Postament, dem Stylobat, steigen unvermittelt sechs Säulen auf, senkrechte Rillungen, Kannelüren, schmücken den Schaft, führen die Säule aufwärts, dem Kapitell zu und der Last, die darauf ruht. Drei kleine Rillen umziehen oben die Säule, fassen ihre Kraft noch einmal zusammen, dann fügt sich das Kapitell an, leicht eingebogen, als wiche es ein wenig unter der Last zurück. Eine sichere Rechnung: nun hat man das Gefühl, das Verhältnis sei ausgeglichen; so weit ist die Säule unterlegen, nun trägt sie fest. Eine kleine quadratische Platte über jedem Kapitell, der Abakus, ist ihr Abschluß; ihre Kantigkeit, ein kleines Abbild der darüberliegenden Steinbalken, leitet schon zu ihnen hinüber, als wolle man sie nicht unmittelbar auf das Kapitell laden. Dann folgt die Last des Gebälkes, ein fester Steinblock, der Architrav, und ein kräftig gegliederter Fries; in ihm wechseln dreifach gekerbte Platten, Triglyphen, an denen Tröpfchen hängen, und flache Felder, Metopen, die leer sind, da sich bei den Ausgrabungen in Ägina keine Füllungen fanden, die aber anderwärts mit kleinen Reliefs gefüllt waren. Dieser Fries ist vermittelndes Glied zwischen Sockel und Krönung, zwischen dem unskulpierten rohen Balken, dem Architrav, der trägt, und dem freudigen Schmuck des Giebelfeldes. Nicht ohne Vermittlung durfte diese reiche Dekoration aussetzen auf den schweren Stein. Erst schiebt sich der leichtere Fries dazwischen, dessen Tröpfchen über die Abschlußlinien hinweg nach unten führen, dessen kräftiger Schmuck auf das Giebelfeld weist, das über ihm auf dem schmalen Steinbalken, dem Geison, ruht. Denn nun schließt sich der Bau, nun fassen die Fittiche des Giebels, den das ausdrucksvolle griechische Wort ἀετός, den Adler, nannte, vom Erdboden her das ganze Werk zusammen. Die beiden Greifenakroterien an den Ecken schließen, nach außen gewandt, ab. Die ganze Front unter sich fassend, gleiten von ihnen aus die Linien der Traufrinne (des Sima) aufwärts, gipfeln auf in dem edel gestalteten Akroterion der Mitte, das all die Köstlichkeit in den Raum führt. Es ist erstaunlich, wie hier der Skulpturenschmuck des Giebelfeldes dieses Zusammenfassen unterstützt, wie dieser schmuckreichste Teil des Baues dadurch organisches Glied der Architektur wird. Nur bei dieser einzigen Rekonstruktion ist uns das bisher fühlbar gemacht worden. Es ist vom strengsten Stilgefühl, wie die Dekoration die Architektur abschließt, die Architektur ihrerseits die Gruppen des Giebelfeldes gliedert. Die äußeren Säulen geben den Abschluß, von den vier inneren trifft jede auf einen niedergesunkenen Krieger. So erheben sie ihn zum wichtigsten Glied der Gruppen, die sich von ihm aus sondern und gliedern, und scheiden zugleich die vier Gruppen im Kampf. Nur Pallas Athene steht, emporgehoben durch das Akroterion, beherrschend im Zwischenraum, wie die Pause in einer Symphonie Beethovens den Akkord, der ihr folgt, am stärksten betont. Zugleich aber faßt die Füllung des Giebelfeldes mit denselben Linien Säulen und Fries zusammen und führt sie empor zum Akroterion, dem krönenden Schlußstein des Baues. [Illustration: Abb. 13. Grundrisse. _a_ Antentempel; _b_ Antentempel mit Hinterhalle.] Vollkommen durchgeführt ist in dieser Rekonstruktion die ausdrucksvolle Bemalung des Giebels. Wir tragen vom griechischen Tempel ein viel zu strenges Bild in uns. Ein Bau, wie der farblos herbe Tempel zu Pästum (Abb. 11), bedeutet uns den Sinn der griechischen Architektur. Aber das tektonische Gefühl des Hellenen gibt nicht nur die klaren, edlen Formen, sondern gibt diesen Formen durch die farbige Dekoration Ausdruck und Begründung. Den Abakus akzentuierte ein gemaltes scharfkantiges Mäanderband als viereckige Platte, kleine gemalte Blättchen umkränzten das Kapitell, daß es schien, als bögen sie sich unter der Last. So wurden sie Motivierung. Die gemalte Ornamentation des Sima, der Regenrinne, die an den äußersten Linien des Tempeldaches entlangläuft, läßt das Auge an sich hingleiten von Akroter zu Akroter. Denn das Ornament ist keineswegs ein nur äußerlicher Schmuck; sein Sinn ist, die Bewegungen der Form auszudeuten, die es bekleidet. Ein so durchdachtes Gebilde muß das Werk von Jahrhunderten sein. Der wahrscheinlich ursprünglichen Form, der ungeteilten Tempelzelle, deren Name Naos (Cella) auch in der erweiterten Anlage dem Raum für das Götterbild immer geblieben ist, hatte man in der Epoche des dorischen Stiles bereits die Vorhalle (Prodomos, Abb. 13 ~a~) und das Hinterhaus (Opisthodomos, Abb. 13 ~b~) hinzugefügt und so ein reicheres Gebilde geschaffen. Aber architektonisch war es streng zusammengehalten. Diese Nebenhallen wurden in die Architektur des Naos miteinbezogen. Man schob seine Seitenmauern vor und ließ sie in zwei Stirnpilastern (Anten) endigen; deren Form entsprach der Gliederung der beiden Säulen, welche zwischen ihnen den Eingang zur Cella, zugleich wohl die einzige Lichtquelle des Tempels, öffneten (~Templum in antis~). Bei den reichen Anlagen, wie wir sie in Ägina und Pästum kennen gelernt haben, umgab man diese Bauform, um sie unter eine einheitliche Bewegung zu bringen, rings mit einer Säulenhalle und schuf so die bekannteste Anlage des dorischen Tempels, den Peripteros (Abb. 14). Es ist Stilgesetz, daß die seitlichen Reihen nicht genau die doppelte Zahl der Frontsäulen haben. Ein einfaches Verhältnis würde hier seinen Wert allzu schnell erschöpfen. [Illustration: Abb. 14. Grundriß eines Peripteros.] Für die Bauformen ergibt sich eine parallele Entwicklung. Es ist wichtig, daß an den ältesten Steintempeln, die durchforscht sind, Sima und Akroterien aus Ton gearbeitet waren. Das ist nur zu erklären, wenn man annimmt, daß der archaische Tempel ein Holzbau gewesen ist, bei dem die Teile, die durch Regenwasser zu leiden hatten, aus Ton gearbeitet waren, und daß man beim Steintempel zunächst diese Tradition beibehielt. In der Tat können wir am Heraion in Olympia, das auch noch tönernes Sima und Akroterion gehabt hat, den Übergang vom Holzbau zum Steinbau verfolgen. Dort gleicht kein Säulenkapitell dem anderen, und es scheint, daß das Heraion ursprünglich ein Holzbau war, bei dem allmählich jede angefaulte Säule durch eine steinerne ersetzt wurde. So erklärt sich auch zwanglos die energische Gliederung des dorischen Frieses überhaupt, deren strenge Art vollkommen den Eindruck macht, daß sie von vornherein nicht dekoratives, sondern tektonisches Glied gewesen wäre. Die Triglyphen scheinen ihren Ursprung in den geschnitzten Außenendigungen der Dachbalken zu haben; die Öffnungen zwischen ihnen verkleidete man mit Holztafeln, an deren Stelle dann die Metopen traten, und hielt alles durch Nägel oder Pflöcke, aus deren Köpfen der Ursprung der Tropfen sich herleiten läßt. Mag hier im einzelnen noch manches hypothetisch sein, so ist doch sicher, daß im Holzbau, vielleicht sogar im mykenischen, die Wurzeln des hellenischen Tempels liegen. Die Form des Grundrisses, die nur vom Zimmer auf den Tempel übertragen wird, ist evident die mykenische des Festlandes, und es ist möglich, daß auch die Säulenform, die in frühen Beispielen das wulstige mykenische Kapitell besitzt, sich aus der mykenischen Holzsäule entwickelt hat. Im frühdorischen Stil herrscht unbedingt noch die dekorative Tendenz der Vorzeit. Es gibt ein athenisches Giebelfeld frühdorischen Stiles, dessen obere Begrenzung seitlich nicht von einem Akroter abgeschlossen wird, sondern sich in eine Schnecke zusammenrollt. Daraus folgt, daß diese Zeit die Linien des Giebelfeldes anders sah als die klassisch dorische, daß man die Linien noch nicht als von unten nach oben, sondern als von oben nach unten geführt empfand. Der konstruktive Stil aber geht vom Träger aus, der dekorative von der Bekrönung. Trotzdem die Entwicklung sich also ganz allmählich vollzieht, sind mykenischer und dorischer Stil scharf geschieden durch eine Epoche künstlerischer Armut, die von der Schaffensfreudigkeit des einen, der ihr vorausging, zur Strenge des anderen, der ihr folgte, die Brücke schlägt. Die Einwanderung der Dorier nach Griechenland seit dem Jahre 1200 v. Chr., die wohl nicht ohne Schuld am Schicksal der ägäischen Kultur ist, mag wohl auch der Grund für diese Verarmung gewesen sein, und der Stil, der dann folgt, trägt den Namen des dorischen wohl mit Recht. Die Eroberer zerstörten die alte Kultur und vermochten selbst nur langsam eine neue zu schaffen, ohne sich dabei ganz dem Einfluß des künstlerischen Reichtums, der im Lande wurzelte, entziehen zu können. Genau wie bei der Völkerwanderung ist auch bei der dorischen die erste Folge der gewaltsamen Zerstörung eine Verödung der Kunstformen, die zugleich in sich den Übergang zum neuen konstruktiven Stile birgt. [Illustration: Abb. 15. Vasenscherbe des sog. Dipylonstiles.] Die Vasenmalerei, die diesen Übergang am klarsten ausspricht, ist auch im Beginn des 1. Jahrtausends v. Chr. noch immer dekorativ in ihren Absichten. Friesartige Streifen, mit Ornamenten geschmückt, umziehen das Gefäß und wahren das Gleichmaß aller Teile der Gefäßfläche. In Athen ist man damals ruhig bis zur künstlerischen Erschöpfung. Hier hat man vor dem Doppeltore, dem Dipylon, auf Gräbern eine ganze Reihe bauchiger Kratere dieses sog. Dipylonstiles gefunden, die zu Totenopfern bestimmt waren. Auf ihnen bilden arme gradlinige Ornamente in wenig variierten Formen schmale Friese, die selbst auf ungeheuren Gefäßen nicht breiter werden, sondern nur mehr Reihen bilden (Abb. 15). Leichenzüge oder Kriegerreihen wiederholen in endloser Folge immer dieselbe in der Taille stark geschnürte Figur, die in schwarzer Silhouette gegeben wird, eintönige Friese immer das gleiche geometrisch einfache Ornament. Während also der Stil der Zeichnung noch auf mykenischer Grundlage ruht, bedeutet gerade die gleichmäßige Reihung das Erwachen des konstruktiven Verständnisses. Man beginnt auch schon, diese attischen Gefäße tektonisch zu gliedern, den Fuß gegen den Leib abzusetzen und zu festem Stehen auszubilden. Die Weiterentwicklung vollzieht sich in Athen, dem Hauptsitz des ionischen Zweiges der Hellenen, unter dem Einfluß der Kunst der stammverwandten kleinasiatischen Ionier. Nun schafft die archaische Keramik des 7. und 6. Jahrh. einen Stil, der tektonisch so vollkommen ist wie der dorische in der Baukunst. Er bildet beim Gefäß Fuß und Mündung aus und macht seinen Leib zu einem einheitlichen Gebilde dadurch, daß er dort an die Stelle der parallelen Friesreihen eine Darstellung aus Leben oder Mythus setzt, die den eigentlichen Körper in seiner ganzen Ausdehnung bedeckt. Abb. 16 gibt ein besonders edel geformtes Gerät dieses Stiles, eine Hydria (Wasserkrug), die vielleicht von einem Ionier in dem von Attika früh beeinflußten Etrurien gearbeitet worden ist. Auf breiter, starker Fußplatte, deren Rundung durch einen Kranz schwarzer Linien sich ausdrückt, steht das Gerät. Scharf setzt sich der Fuß gegen den Leib des Gefäßes ab, in dem Strahlen sofort die Richtung nach oben aufnehmen. Es folgt ein schmaler Fries von Jagdszenen, wie ein Auftakt zu dem eigentlichen Gefäßleib, der dann mit breiter Fülle kräftig ausladet. Eine einzige Darstellung umzieht ihn, die zwischen zwei schwarze Linien gefaßt ist, auf der einen Seite Herakles, der den ägyptischen König Busiris erwürgt, auf der uns zugekehrten Seite die Neger, die dem König mit energisch gezeichneter Hast zu Hilfe eilen. Diese Teilung ist vollkommen tektonisch; sie wird gefordert durch die beiden Seitenhenkel, an denen das Gefäß gehalten wurde, wenn man es mit Wasser füllte, genau so wie der dritte senkrechte Henkel, an dem man es beim Ausgießen hielt, die Gruppe der Neger gliedert. Außerordentlich fein sind die Strahlen empfunden, die geformt sind, als hefteten sie den Henkel an den Gefäßleib. Energisch grenzt sich oben der abgeflachte Leib ab. Steil und klar erhebt sich der Hals und schließt mit einer breiten Mündung, deren kräftigen Außenrand ein Mäanderband streng begrenzt. So hat die Malerei hier wie bei dem dorischen Tempel der Zeit den gleichen Zweck, nämlich die Funktionen der Gerätteile auszudrücken. Die Harmonie zwischen Form und Dekoration ist vollkommen. Beide sind aus dem Zweck der Gerätteile gewonnen und fügen sich zu kraftvoller Einheit zusammen. Und wie die Malerei die streng geformten Teile feiner scheidet und verbindet, so betont sie energisch den Wert der Fläche als Begrenzung. Wie beim Dipylonstil, sind auch noch bei diesem sog. schwarzfigurigen Stil alle Ornamente und Gestalten mit wenigen Farben, unter denen Schwarz herrscht, auf den Tongrund gemalt. Aber man gibt mit geritzten Linien auch die Konturen und die Innenzeichnung und schafft so den impressionistischen Stil in einen zeichnerischen um, der der Gefäßfläche unterworfen ist. [Illustration: Abb. 16. Hydria schwarzfigurigen Stiles.] [Illustration: Abb. 17. Amphora rotfigurigen Stils.] Gegen das Ende des 6. Jahrh., kurz vor den Perserkriegen, vollzieht sich auch hier eine Ausdruckssteigerung. An die Stelle des schwarzfigurigen Stiles tritt allmählich der rotfigurige, der den Tongrund schwarz firnißt, in ihm die Figuren ausspart und ihre Innenzeichnung mit schwarzen Linien gibt. Dieser Stilwandel war Notwendigkeit. Die Dramatik der Gestaltung hatte sich immer mehr entwickelt. Alles drängte nach plastischem Ausdruck im Raum. So war schließlich der schwarzfigurige Stil nur noch eine traditionelle Fessel, deren selbst Verfeinerung der Zeichnung nicht Herr werden konnte. Und so erscheint bereits auf den schwarzfigurigen Vasen vom Ende der Epoche zugleich auch das rotfigurige Bild, durch das die alte Technik bald vollkommen verdrängt wird (Abb. 17). Der neue Wert ist die ausdrucksvollere Zeichnung. Die Darstellung wird wirklicher. Die Innenzeichnung spricht schärfer schwarz auf der roten Fläche der Figuren, die Figur körperhafter vor dem schwarzen Hintergrund. Erst jetzt können Bewegungen überzeugend gegeben, Körperformen modelliert, Dinge hintereinander im Raum gezeichnet werden. Die ersten Bilder des neuen Stiles sind noch streng in der Zeichnung, straff in der Linie, der Gefäßwand angemessen. Aber die Technik war jeder Verfeinerung fähig und bildete die zarteste Linienführung aus. Mit fein bewegten Zügen zeichnete man nun alles, was das Leben des Tages brachte, Gastmähler und Kampfspiele, Schlachten und Stunden der Liebe neben den alten Göttermythen und Heldensagen, und die Harmonie dieses Lebens machte auch das Alltäglichste wert, Gegenstand der Darstellung zu sein. Entsprechend dieser größeren Ausdrucksfähigkeit des neuen Stiles, die die Darstellungen ohne Rücksicht auf die Gefäßwand selbst räumlich zu zeichnen beginnt, wird die Dekoration selbständiger. Die das Götterbild kränzenden Mänaden auf unserer Amphora füllen die ganze Gefäßfläche, dringen in sie ein und stehen in keinem tektonischen Verhältnis mehr zum Gerät. Aber diese Freiheit wäre unmöglich, wenn die Gerätteile selbst nicht ihre straffe Scheidung verlieren würden und durch Auflösung der zweckmäßigen Gliederung die Möglichkeit zu größerer Freiheit für die Dekoration gäben. Das Gerät selbst wird eleganter im Umriß, die feine Silhouette ersetzt die charaktervolle Scheidung. Die Fußplatte ist schmäler geworden. In schlanker Linie steigt von ihr der Leib des Gefäßes in die Höhe, geht in weicher Wendung in den zartgebogenen Hals über, die Henkel schmiegen sich diesen Linien an, und so ist das Ganze von erstaunlicher Feinfühligkeit. Der ästhetische Ausdruck beginnt an die Stelle des Zweckausdruckes zu treten. Wenn bei einer Trinkschale des schwarzfigurigen Stiles der Fuß, die eigentliche Schale und der Rand streng voneinander getrennt sind, und die Stelle, wo unten der Fuß ansetzt, im Innern der Schale durch einen kleinen, oft mit einem Kopf gefüllten Kreis, wie durch einen Nietenkopf, bezeichnet war, so werden nun die Teile der Schale miteinander zu wundervoll zart gefühlten Formen verschmolzen; aber es ist ungemein bezeichnend, daß jetzt das Innenbild der Schale seine tektonische Funktion verliert, weitaus größer wird und nur noch den Anlaß für eine umfangreiche bildliche Darstellung abgibt. So geht die Tendenz dieser Kunstentwicklung von der archaischen Strenge zur feinsten Empfindlichkeit in Form und Linie, von der Straffheit in der Epoche der Perserkriege zur Gelöstheit des Perikleischen Zeitalters. Genau dieselbe Entwicklung macht auch die +Plastik+ im dorischen Stile durch, die von der tektonisch gebundenen zur freien Form übergeht, und die Architektur, die von der Straffheit des dorischen zum gelösten ionischen Stil sich entwickelt. Der Parallelismus dieser Reihen ist äußerst instruktiv; jede ist in sich logisch zusammengeschlossen, und ihr Nebeneinander bedeutet die Einheitlichkeit der hellenischen Kultur und die Harmonie ihrer Entwicklung. Die griechische Freiplastik ist vom pfahlförmigen Holzidol der Dipylonzeit ausgegangen, und sie erscheint in ihrer Frühzeit stets noch durch ihre Aufgabe gebunden. Kunstwerke nur um der Schönheit willen zu schaffen, ist für das Hellas der Frühzeit unmöglich. Ein frühattisches Grabrelief, wie die Stele des Aristion (Abb. 18), entspricht der schwarzfigurigen Keramik in Zeit und Stil. Der Zweck ist entscheidend für die Form. Die Aufgabe ist der Denkstein, seine Einprägsamkeit ist entscheidend für die Ruhe der Form, und die Darstellung ordnet sich der Fläche ein wie das ägyptische Relief. Später, gegen 480 v. Chr., bezeichnen die Skulpturen im Giebel des Tempels von Ägina (Abb. 12) den Moment, in dem man die Bewegungskraft des Körpers zu spüren beginnt. Es sind Willensmenschen, die hier tätig sind, nicht Gefühlsmenschen, wie die Ionier, und so ist der Ausdruck nicht der der Grazie, sondern die Energie des Kriegers, die kräftige Bewegung des Zustoßens, wie die gespannte des Lauerns. Aber die Fläche des Giebels bindet auch jetzt noch die Gestalten, die sich wie Reliefs innerhalb einer Fläche bewegen und Teile der Architektur bleiben. Schon der zweite, dem Stil nach etwas spätere Giebel von Ägina, der an der Ostfront des Tempels steht, hat die strenge Gliederung und den festen Zusammenhang mit der Architektur verloren. Auch hier steht Athena noch in der Mitte. Auch hier kämpfen ihr zur Seite je zwei Helden, und in den Giebelecken liegt jedesmal ein Gefallener. Aber die strenge durch die Säulen bedingte Ordnung innerhalb der beiden Giebelhälften ist aufgehoben. Das Giebelfeld ist selbständiger geworden gegenüber dem Gefüge des ganzen Baues, nur noch die beiden Mittelsäulen haben architektonische Beziehung auf die Kämpfe. Die Plastik ordnet sich nicht mehr durch die Architektur, der sie dienen sollte, sondern durch die Darstellung selbst, und an die Stelle der Zweckformen treten auch hier, wie in der Keramik, allmählich die Ausdrucksformen. Alle Gestalten jeder Seite beteiligen sich am gleichen Kampf, und selbst Athena hat ihre hieratische Starrheit verloren und nimmt Partei. So wird das Ganze zwar einheitlicher als bildnerische Komposition, aber weniger übersichtlich. [Illustration: Abb. 18. Grabstele des Aristion.] [Illustration: Abb. 19. Westgiebel des Zeustempels zu Olympia.] Kaum eine Generation später sind am Zeus-Tempel zu Olympia (erbaut nach 480) die Giebelfelder nur noch Gebilde der Plastik (Abb. 19). Ihr Wert als Teil des architektonischen Gefüges ist vollkommen verloren gegangen. Die einzige Schranke ist die Form des Dreiecks, um derentwillen noch immer der Gott beherrschend in der Mitte steht, unsichtbar für die Teilnehmer gedacht, so daß noch immer die Gestalt neben ihm auf jeder Seite die Richtung nach der Ecke hat, und so die Hälften sich scheiden. Die Ausdruckskunst des Bildhauers aber hat sich inzwischen weiterentwickelt. Man hat gelernt, den Körper, den man in Ägina nur im klaren Profil gab, in allen Gliedern zu bewegen, in allen Gelenken zu drehen. So hebt man das reliefklare Nebeneinander der Figuren auf, um einem Kampf wie dem der Lapithen und Kentauren im +westlichen+ Giebel eine Fülle von Ausdruck zu geben (Abb. 19). Die räumlich gewordenen Bewegungen führen über den eigenen Körper hinaus und fordern die Gruppe. Man scheut sich nicht mehr, die Körper der Kämpfenden so dicht nebeneinander zu schieben, daß die Bewegungen der Leiber im kräftigsten Kontrast stehen, ohne Rücksicht darauf, daß die Gestalten sich gegenseitig überschneiden und sich teilweise verdecken. Wie die Bewegung so wird auch die Ruhe im Ausdruck gesteigert. Im Ostgiebel desselben Tempels ist der Augenblick dargestellt, in dem vor dem Wettkampf zwischen Perseus und Oinomaos Kämpfer und Zuschauer den Beginn des Wagenrennens erwarten. Nun aber wird nicht mehr, wie in Ägina, der Kämpfer dargestellt, der lauert, bis sein Moment gekommen ist -- ruhiges Lagern und müßiges Hocken unbeteiligter Zuschauer, unstraffes Stehen der Kämpfer, Steigerung der Ruhe bis zur Schlaffheit geht der Steigerung des tätigen Ausdrucks vom energisch geführten Kampf zum leidenschaftlichen Handgemenge parallel. Es kommt zur Zeit des Perikles, um 450, Myron, der die augenblicklichste Bewegung des Diskusschleuderers in Bronze bannt, es kommt Phidias, der der Ruhe ihre Verinnerlichung gibt, Polyklet, der durch das Studium der Proportionen die Gesetze der Körperschönheit selbst der Natur abzuringen sucht. Der ganze schöpferische Reichtum hellenischer Kunst strömt sich jetzt in den Bauten aus, die Perikles in Athen errichten läßt. Das Parthenon, 447 bis 432 erbaut, steht am Ende der Entwicklung des dorischen Stiles. Kaum eine Generation liegt zwischen ihm und dem Zeus-Tempel von Olympia, mit ihr aber die wichtigste Entwicklung hellenischer Plastik. Sie geht im Streben, das architektonische Element auszuschalten, vollkommen konsequent weiter. Die letzte Form, in der das Giebelfeld sich noch als Bauglied ausdrückt, fällt mit der beherrschenden Gestalt des Gottes in der Mitte. Spielten sich schon in den beiden Hälften des Ostgiebels von Olympia, von denen jede eine Partei aufnahm, nicht mehr getrennte Kämpfe ab, so stehen sich nun etwa im Westgiebel des Parthenon bei dem Streit zwischen Athena und Poseidon um den Besitz des attischen Landes die beiden Parteien in ungehemmtem Gegensatz gegenüber und prallen in der Mitte aufeinander. Nun ist das ganze Giebelfeld der Darstellung freigegeben, nun hat die Plastik freien Raum, auch hier alle Möglichkeiten der Bewegung auszuschöpfen. Die allmähliche Erkenntnis der Funktionen des menschlichen Körpers führt zu seiner Bewegung nach allen Seiten, zum dreidimensional räumlichen Ausdruck und zur Gruppenbildung. Ein Grabrelief aus dem Kreis des Phidias, wie die schöne Stele der Hegeso (Abb. 20), hat nur noch scheinbar den tektonischen Charakter der Aristion-Stele (Abb. 18). Seine Gestalten bleiben zwar Glieder der Fläche, aber nur noch äußerlich. Die Absicht ist stärkerer Ausdruck, und sie werden so verkürzt gezeichnet, wie die rotfigurigen Vasenbilder, und führen wie diese in die Tiefe, vernichten also die Flächenruhe des Denkmals. Die Bewegungen sind zwar ruhig, aber sie sind nicht mehr selbstverständlich statuarisch, sondern bedürfen der Begründung durch die Dienerin, die der Herrin das Schmuckkästchen reicht, so daß die Ruhe als Stimmungsmoment fast genrehaft erscheint. So werden die architektonischen Gesetze des Giebels, des Grabsteines und aller anderen plastischen Aufgaben im gleichen Augenblicke zerstört, in dem die entwickelte Körperzeichnung in der Vasenmalerei die Tektonik der Gefäßfläche vernichtet. Es ist bezeichnend, daß die Geschichte der hellenischen Plastik sich gerade in der Bauplastik so gut verfolgen läßt. Die Kraft dieser Entwicklung, die alle Fesseln der Zweckform sprengt, kommt in der Baukunst am klarsten zum Ausdruck. Denn wie der Entwicklung der keramischen Malerei eine Lockerung der Gefäßformen parallel ging, läuft neben dieser Entwicklung in der Plastik eine Entwicklung in der Architektur her, die ebenso das feste Gefüge des Tempels allmählich löst. [Illustration: Abb. 20. Grabstele der Hegeso.] Früher als die Stele des Aristion wurde der Poseidontempel von Pästum geschaffen (Abb. 11). Gleich ruhig und energisch sprechen beide zu uns. Mit ungeheurer Wucht pflanzt der Tempel seine Säulen in die Erde. Kraftvoll ist seine starre Gliederung, breit lastet das Giebelfeld. Das Ganze ist schwer und wuchtig und in dieser Schwere von logischer Geschlossenheit. Die Entwicklung beginnt dann die Masse zu bewegen. Den Giebelskulpturen des Tempels von Ägina entspricht die Architektur des Tempels selbst (Abb. 12). Nun ist in die dorische Säule stärkeres Leben gekommen, wie in die Krieger des Giebels Leben gekommen war; ein Emporstreben, das sich in der Schlankheit äußert, in der Verringerung des Durchmessers im Verhältnis zur Höhe. Die Säulen beginnen sich zu strecken und das Gebälk emporzuheben, das auf ihnen ruht. Die Zeit des Phidias bringt auch der Architektur die ungezwungene, fast grazile Bewegung. In Pästum lastete der Giebel auf den Säulen, und die Säulen schienen fest genug, ihn zu tragen. Beim Parthenon dagegen strecken sie sich leicht und elegant in die Höhe und tragen ein Giebelfeld, das sie emporzuschnellen scheinen und das deshalb auch seinerseits in den Skulpturen den strengen Zusammenhang mit der Architektur aufheben darf. So ist der dorische Stil auf seinem Entwicklungswege immer gelöster geworden, und man hat das Gefühl, als wäre er beim Parthenon angewandt wie ein traditioneller hieratischer Baustil, und als riefe die Zeit nach einem Stil, der formreicher wäre. Diesen hat sie sich im ionischen geschaffen. Der ionische Stil selbst ist freilich nicht in Hellas geboren. Seine charakteristischen Elemente hatten Kleinasien und die ionischen Städte und Inseln geschaffen. Er kam herüber zugleich mit ionischen Formen in Plastik und Keramik; das stammverwandte Athen war auch hier die Einfallspforte. Es ist leicht möglich, daß manches ursprünglich Eigentum asiatischer, anderes Eigentum kretisch-mykenischer Kultur war. Die Volute des Kapitells, der fortlaufende Fries außen um die Cella, die Karyatiden, kurz die wichtigsten dekorativen Bauglieder finden sich schon weit früher im ionischen Asien und an einem Schatzhaus, das die Ionier der Insel Siphnos in Delphi weihten. Ganz allmählich hat der ionische Stil in Hellas Eingang gefunden. Es ist ein starkes Anzeichen für die dekorative Tendenz in der spätdorischen Epoche Attikas und für die Gesetzmäßigkeit dieser Stilwandlung, daß sich am Parthenon, dem spätdorischen Bau, der ionische Cellafries bereits findet. Ums Jahr 430, in den letzten Jahren des Perikles, hat der ionische Stil in Hellas festen Fuß gefaßt. [Illustration: Abb. 21. Athen. Tempel der Nike Apteros.] [Illustration: Abb. 22. Grundriß des Amphiprostylos.] Ein edles Beispiel seiner Art birgt die Burg von Athen, den Tempel der Nike Apteros, der Athena als Siegesgöttin (Abb. 21). Gleich der Grundriß ist lockerer geworden. An Stelle des Doppelantentempels tritt der Doppelhallentempel, der Amphiprostylos für die Antenvorhallen, die durch die vorgeschobenen Seitenwände der Cella in die Architektur einbezogen waren, sind lose davorgestellte Hallen, von vier Säulen gestützt, eingetreten (Abb. 22). Und diese Säulen und das Gebälk, das auf ihnen ruht, sind von ganz neuer Art (Abb. 21). Man sehe, mit dem Empfinden des dorischen Stiles noch im Auge, wie schlank sie sich in die Luft strecken, wie leicht sie das schmale Gebälk tragen, wie die Funktionen des Tragens und Getragenseins aufgehoben scheinen. An Stelle des architektonischen Gleichmaßes ist die Absicht getreten, dem Ganzen etwas von lässiger Eleganz zu geben, an Stelle der Unterordnung der Einzelform die möglichste Ausbildung ihrer besonderen Schönheit. Die Gliederung geht darauf aus, für das Auge an die Stelle der funktionellen Wirkung der Bauglieder eine ästhetische, nur schöne zu setzen. Tragen die ionischen Säulen überhaupt ein Giebelfeld -- was nicht Stilgesetz gewesen zu sein scheint --, so war es flach und leicht. Unbelastet fast strebten die Säulen in die Höhe. Es ist wichtig, daß sie hier in kürzeren Intervallen nebeneinander stehen als bei den dorischen Tempeln, -- der untere Abschluß, die horizontale Linie des Postaments wurde so durch das Emporstreben der Säulen energischer aufgelöst. Fast ausgeschaltet aber wurde er durch die Basis. Starr und stark stieg die dorische Säule über den Stufen des Tempels empor, deren horizontale Linie Abschluß des Sockelbaues war. Nun schiebt sich die Basis mit ihren weichen Profilierungen hinein, als vermittelndes Glied zwischen ihnen und der Säule. Diese selbst ist schlanker geworden und steigt schon deshalb leichter empor. Überdies aber unterstützen bei ihr die Kannelüren diese Bewegung weitaus stärker als beim Schaft der dorischen Säule. Es ist wesentlich, daß bei dieser die Rillen in scharfen Graten aufeinanderstoßen; bei der ionischen Säule sind die Rillen tief, die Grate abgestumpft. Kannelüren aber erhalten ihren Ausdruck durch die Wirkung von Licht und Schatten in ihnen; bei der dorischen Säule waren die Übergänge von Rille zu Rille zart, bei der ionischen dagegen tritt die Grenze zwischen ihren tiefbeschatteten Rillen scharf hervor durch den hellen Streifen, den der stumpfe Steg zwischen sie fügt. Es kommt hinzu, daß der Schaft der dorischen Säule in etwa 16-20 Kannelüren, der der ionischen aber in 24 zerlegt ist, so daß bei der ionischen die Zusammendrängung der Lichtkontraste die Richtung viel intensiver ausprägt. So spricht die Aufwärtsbewegung bei der ionischen Säule viel stärker, und zugleich entsteht eine in Licht und Schatten ausgesprochen malerische Auflösung der Form. Es folgt als Übergang, schon im Kapitell selbst, ein verkümmertes dorisches Kapitell und darauf eine Doppelvolute, der die Lilienform der ägyptischen oder mykenischen Kunst zugrunde liegt. Sie wendet herabhängend die Säule vom Gebälk nach unten und grenzt beide Bauteile so vollkommen gegeneinander ab, daß hier nicht mehr das Verhältnis von Kraft und Last empfunden wird. Das Auge fühlt nicht mehr die Arbeit in der tragenden Säule, sondern diese Arbeit wird als selbstverständlich fast lässig geleistet, und nur die Formbewegung des Baugliedes kommt voll zum Bewußtsein. Sie ist auch die Tendenz der Gebälkgliederung. Über den Säulen setzt die Bewegung mit den drei Stufen des abgetreppten Architravs neu an, darüber läuft ein reliefgeschmückter Fries; ein kontrastierendes Ornament, der sog. Zahnschnitt, gibt den oberen Abschluß. Der strenge Wechsel von Triglyphen und Metopen erhielt dem dorischen Fries die Schwere des Architektonischen; der fortlaufende Fries des ionischen Baues ist leicht und macht das Gebälk zum nur schmückenden Gliede. Wir sahen eben, daß das Giebelfeld jetzt keine Rolle mehr zu spielen scheint. Der Fries tritt geradezu an seine Stelle. Das ist die letzte Folge aus der Entwicklung der Plastik, die bereits im Giebelfeld zuletzt zu einer friesähnlichen Komposition geführt hatte und nun die Randlinien als letzte tektonische Schranke zerstört. So ist der Unterschied der Stile in allen Bauteilen derselbe. Der dorische Stil gliederte energisch, den Baufunktionen gemäß, der ionische sucht die weichen Vermittlungen, die Bewegungen, die Eleganz. Trotzdem die Säulen des Parthenon, des Spätlings dorischen Stiles, sich der schlanken Proportion des ionischen Stiles nähern, ist der Unterschied zwischen den beiden Stilen fundamental, wie der Unterschied zwischen Energie und Zierlichkeit, zwischen sicherer Ruhe und leichter Bewegung. Es ist unmöglich, die ionische Volute oder den Fries in strenger architektonischer Logik aus der Gliederung des Baues zu begründen. Nur als ornamentale Glieder darf man sie auffassen. Der ionische Stil ist eben wegen der allzu differenzierten Durchbildung seiner Formen tektonisch weniger vollkommen als der dorische. Damit bekommen wir die Erklärung für eines des seltsamsten Gebilde hellenischer Baukunst, für die Korenhalle am Erechtheion in Athen. Der Tempel selbst ist ein Bau ionischen Stiles, und man hat kein Recht, wie es so oft geschieht, davon zu sprechen, daß hier die Karyatiden an Stelle gerader ionischer Säulen getreten wären, daß die fließenden Gewandfalten an Stelle der Kannelüren ständen, und ein fast dorisches Kapitell auf dem Kopf der Mädchen liege. Gehören doch gerade Karyatiden bereits zu den Bestandteilen des ältesten ionischen Stiles am Schatzhaus der Siphnier. Man mußte diese Figuren vielmehr so gehalten wie möglich meißeln, sollte der Eindruck der tragenden Frauen nicht unerträglich sein. Peinlich ist er immer, trotz ihrer ruhigen Schönheit. Sie läßt uns glauben, daß die Last leicht sei; die Mädchen tragen ohne Anstrengung, wie die ionische Säule ohne Anstrengung trug. Aber man hat vor menschlichen Gestalten nie das Gefühl des ewig Dauernden, das seine Stellung nicht ändert, wie bei leblosen, festen Baugliedern, die tragen, ohne den Nebenzweck, etwas darzustellen. Wir aber verlangen von keiner Kunst ein so starkes Gefühl ewiger Sicherheit wie von der Architektur. Schon bei der Analyse des Löwentors von Mykenai ergab sich, daß dekorative Verarbeitung eigentlich nur bei Baugliedern möglich ist, die nicht unmittelbare tektonische Funktionen haben, daß sie bei diesen den Zusammenhang des Ganzen zerreißen und ihnen etwas nur Momentanes geben würde, das dem Wesen dauernder Glieder widerspricht. Bei der Halle des Erechtheion tritt nun zum ersten Male in Griechenland Dekoration an einer Stelle auf, wo das Auge ein in allen Linien unbewegtes Glied verlangt, beim tragenden Glied, dem empfindlichsten Teil des Baues. Man kann nach den Erörterungen über den ionischen Stil verstehen, wie es kam, daß man bei den Versuchen, die Säule immer eleganter zu machen, die Säule selbst aufgab und das bewegungsfähigste Element, den menschlichen Körper, als Träger an ihre Stelle setzte. Es gibt keinen charakteristischeren Beleg für die Tendenzen des ionischen Stils. Der Augenblick, in dem er Griechenland erobert, bedeutet einen Wendepunkt in hellenischer Kunst und Geschichte. Von den dorischen Spartanern war die Hegemonie in Hellas auf die ionischen Athener übergegangen. Zwei Rassen von vollkommener Gegensätzlichkeit: der Spartaner Aristokrat und von strengster Disziplin, der Athener Demokrat mit starkem Hang zur Freiheit, selbst zur Leichtfertigkeit; Sparta, die amusische, die einen Rhapsoden bestraft, der eine Saite mehr, als traditionell, auf seine Leier zieht, Athen voll künstlerischer Phantasie und jeder neuen Kunstform froh zugänglich; Sparta, die Stadt ohne Mauern, in der allein die Tapferkeit der Bürger Wehr und Waffe sein sollte, Athen, die Stadt der hochragenden Akropolis, die die Zeit des Perikles allmählich in einen Festplatz umwandelte. Nichts ist belehrender als die Stellung der Frau in den beiden Ländern. Die Spartanerinnen, hochgeachtet von den Männern, im Staatswesen durchaus nicht ohne Stimme, haben ihren Körper geformt in gymnastischen Kämpfen, und die Sittlichkeit des Staates steht so hoch, daß sie ihren Körper in der geringen Bekleidung zeigen dürfen, die ihnen jede schnelle und gewandte Bewegung gestattet. Die Athenerin, auf das Haus verwiesen, hüllt sich von der Schulter bis zur Fußsohle in schweren Stoff. In Sparta, wo die Frau dem Manne gleich stand, gab es keine Hetären, während sie in Athen nicht nur geduldet wurden, sondern infolge der häuslichen Beschränkung der Bürgerin die einzigen gebildeten Frauen waren. So erklärt sich der Anstoß, den die Athenerin an der Nacktheit der Spartanerin nahm, als ein moralisches Vorurteil, gegründet auf die eigene Schwäche. Es ist sicher kein Zufall, daß die spartanische Stärke der attischen Gewandtheit zur selben Zeit weichen muß, wie der kräftige dorische Stil dem eleganten ionischen. Wir sahen diese Umgestaltung nacheinander in der Keramik, in der Plastik und der Architektur sich vollziehen, aber diese Entwicklung schafft damals die ganze hellenische Kultur vollkommen um. In der Kleidung tritt an Stelle des Linnens die weiche Wolle, im Kampf an Stelle des schwerbewaffneten Hopliten der leichtbewaffnete, bewegliche Peltast. In den Wettkämpfen besitzen nicht mehr die gymnischen Agone das Hauptinteresse, die persönliche Kraft verlangen, sondern die hippischen Agone, die Pferd- und Wagenrennen, die für das Auge reichere Schaustellungen sind. Im Dithyrambus war bisher das Wort der Träger der Empfindung und die Musik melodramatische Begleitung. Jetzt wird das Wort nebensächlich und die Musik führende Kunst. Derselbe Weg führt im Drama von Aischylus zu Euripides. War also der dorische Stil, stark wie die Tragödien des Aischylus, das Geschöpf der kraftvollsten Epoche des hellenischen Volkes, der Zeit der Perserkriege, war der euripideisch-schönredende ionische Stil Geburt seiner vornehmsten Kultur zur Zeit des Perikles, so hat die Zeit der Entartung, die Zeit, als Hellas den Heeren des Barbaren Alexander unterlag, im korinthischen Stile eine Kunsttendenz gezeugt, in der jedes tektonische Empfinden erstickt wurde unter dem wuchernden Glanz der Dekoration. Wir haben nur wenige Dokumente dieses Stiles auf hellenischem Boden, und vieles ist erst in römischer Zeit entstanden. Verhältnismäßig früh, kurz vor Alexander dem Großen, und fest datiert ist das kleine Denkmal des Lysikrates in Athen (Abb. 23). Lysikrates hatte mit einem Knabenchor im Gesangswettkampf 335 v. Chr. gesiegt und weihte den gewonnenen Siegespreis, den Dreifuß, der Gottheit. Die Ausführung des Denkmals gibt eine seltsame Umkehrung der Absichten, die ein Monument haben soll. Der Dreifuß, der oben auf das Kapitell gestellt ist, spielt im Monument nur die Rolle des oberen Abschlusses, der Sockel hat entschieden das Übergewicht. So untektonisch empfand man jetzt, daß das Bauwerk nur auf den Eindruck berechnet wurde und seine Zweckabsicht Nebensache war. Genau so ist der Wert der Bauglieder ein rein dekorativer. Nicht die Säule trägt hier, sondern der Mauerkern; sie tritt nur vor ihn, um das Tragen äußerlich anzudeuten, die Fläche zu gliedern und mit ihren weich abgestuften Profilen aufwärts zu leiten. Auch die Form des Monumentes selbst ist untektonisch. Eine frühere Zeit hatte dem Dreifuß in einem einfachen eckigen Sockel die energischste Unterstützung gegeben; denn jede durch Kanten deutlich begrenzte Form gibt dem Auge die ruhenden Linien, von denen aus es das Bauwerk gliedert. Hier dagegen gewährt die runde, gleitende Fläche dem Auge nirgends einen Ruhepunkt, macht es unmöglich, das Bauwerk von irgendwoher scharf zu begreifen. Man wird empfinden, wie untektonisch das ist. Daß auf so reiche Formen erst ein mißbrauchtes Kapitell als weiches Vermittlungsglied zum krönenden Dreifuß folgen mußte, ist verständlich. Jeder scharfe Abschluß ist einer untektonisch empfindenden Zeit stets unerträglich gewesen. Ganz gleich, ob in horizontaler Richtung, wie an Kanten, oder in vertikaler, wie hier bei der Krönung -- weiche Übergänge sind dem unenergischen Auge solcher Epochen Notwendigkeit. [Illustration: Abb. 23. Athen. Denkmal des Lysikrates. (Rekonstruiert.)] Es handelt sich dabei nicht um die vereinzelte Lösung einer besonderen Aufgabe, sondern um den Charakter des Stiles. Man vergleiche die korinthische Säule (Abb. 23) mit der ionischen (Abb. 21). Das Bauglied selbst ist durch Dekoration aufgelöst. Die Basis der korinthischen Säule, weicher abgestuft als die der ionischen, führt zu einem schlanken Schaft, dessen Kannelüren noch enger nebeneinanderstehen. Im Kapitell sind an die Stelle der beherrschenden Doppelschnecke vier Voluten in den Ecken getreten, die es nach vier Richtungen auseinanderreißen und richtungslos in die Decke gleiten lassen. Sein Leib ist formlos geworden, überwuchert durch die krautige Fülle der Akanthusblätter. Denn lineare Ornamentformen sind dem neuen Stilwollen zu leblos. Stets tritt in diesem Stadium der Umbildung tektonischer Stile das vegetabilische Ornament ein. Bei den Laubkapitellen der deutschen Spätgotik, die die gleiche Tendenz hat, ist es das in spitzige Zacken auslaufende Epheu- oder Weinblatt, beim korinthischen Kapitell der ebenso scharf gerippte, ebenso spitz endigende Akanthus, die das Kapitell überkleiden und seine Form vollkommen verwischen. Dieselbe Tendenz, die diese zierlichen, spitzen Formen sucht, bedingt es, daß sie scharf vom Grunde losgelöst werden, nicht nur als Form, sondern um die Fläche reich in Licht und Schatten zu zerlegen. Auch das in den Hauptzügen ionische Gebälk ist reicher, bewegter in den Formen, eleganter in der Aufeinanderfolge der Gliederprofile. Das schwere Giebelfeld fehlt zumeist, wird nur in später Zeit ganz dekorativ verwandt. Damit haben wir die Haupttendenz der späthellenischen Kunst in allen ihren Richtungen. Denn es ist dieselbe unarchitektonische Auflösung in Licht und Schatten, zu der wir Baukunst, Malerei und Plastik der hellenistischen Kunst entwickelt finden werden. Aber man wird verstehen, daß nur ein ornamentaler Stil der Universalstil der späten Antike in fast allen Ländern des Mittelmeerbeckens werden konnte, daß seine äußerliche, dekorative Art das autochthone Kunstempfinden überwucherte und erstickte. Ähnliches haben wir auch im 19. Jahrhundert erlebt. Das zierliche, einschmeichelnde Ornament stiehlt sich leicht in eine fremde Kunst hinein. Künstlerische Energie ist bodenständig, und ihre Herbheit wehrt jedem das Verständnis des künstlerischen Nachschaffens. Sie gehört dem Stamm und dem Land, die sie geboren haben. Viertes Kapitel. Die hellenistische und die römische Kunst. Das 4. Jahrhundert, das im korinthischen Baustil bereits die Dekoration über die Tektonik stellt, bezeichnet auch in den anderen Künsten den Punkt, an dem das Malerisch-Bewegte über die ruhigen, klaren Formen die Oberhand gewinnt. Unmerkbar freilich vollzieht sich der Übergang. Skopas und Praxiteles, die Meister der Zeit, ziehen eigentlich nur die Folgerungen aus den Resultaten der vorhergehenden Epoche. Sie führen die beiden Möglichkeiten des Affektes weiter, Skopas die leidenschaftliche Bewegung, Praxiteles die Ruhe. Aber ihr Künstlertum ist bewußter, eigenwilliger, sie sind individueller, ordnen ihr Werk nicht mehr dem Bau unter, und das führt sie, wie viele nach ihnen, bis an die Grenze des Virtuosentums. Es ist kein Zufall, daß die interessantesten Darstellungen aus dem Kreise des Skopas seine Amazonenkämpfe sind, Reliefs, die die Auflösung der Fläche bis an den Beginn der Zersetzung treiben (Abb. 24). Hier sprechen die Affekte am stärksten; zu dem muskulösen Körper des Mannes sind die weicheren Formen der Frau ein künstlerischer Gegensatz, der zugleich das Mitleid mit der Schwächeren bei dem Betrachter bedingt. So wird die Kraft des Mannes bis zur Roheit gesteigert, der Körper der Amazone zum Träger weicher Schönheit gemacht. Eine solche Auffassung des Themas ist erst jetzt möglich. Noch für Polyklet ist die starke Schönheit der Amazone ebenso Träger der Kraft wie der Körper des Jünglings. Und dieses Suchen nach der Schönheit des Zarten wird in Praxiteles das zweite Streben der Zeit. Aus ihm kann man verstehen, warum all die Götter, die früher reife Männer waren, wie etwa Hermes oder Dionysos, jetzt als Jünglinge dargestellt werden, die Kraft starken Stehens jetzt der rund, fast weiblich ausgebogenen Hüfte über lässig stehenden Beinen, die große Ruhe des Gesichts weicher Süße Platz macht und die nackte Frau nun höchste Aufgabe der Kunst wird. Praxiteles wagt hier noch nicht alles. Er muß für die Nacktheit noch nach einer Begründung suchen und läßt seine knidische Aphrodite eben das Gewand ablegen, um ins Bad zu steigen. Aber von ihm ab wird die nackte Schönheit der Frau Selbstzweck. Es tritt eine Verweichlichung ein, die sich auf den Grabstelen in fast schon sentimentalen Abschiedsszenen äußert und als erster Vorläufer des Realismus eine Genrekunst entwickelt, die besonders in den kleinen Terrakottastatuetten von Tanagra Bilder weiblicher Eleganz und drolliger Derbheit hinterlassen hat. [Illustration: Abb. 24. Amazonenkampf. Relief vom Mausoleum zu Halikarnaß.] Der Hellenismus, dieses internationale Ausströmen späthellenischer Kultur, dem die Schlachten Alexanders des Großen die Welt eroberten, führt dann diese Kunstentwicklung in allen Ländern des Mittelmeeres zur letzten Konsequenz. Es ist bezeichnend, daß schon die Zeitgenossen des Praxiteles ihre entscheidenden Aufträge nicht in ihrer Heimat erhalten. Das 4. Jahrhundert vereinigt seine Hauptmeister für ein Denkmal kleinasiatischen Despotenstolzes, das Mausoleum zu Halikarnaß. Wir stehen auf der Grenze zweier Zeitalter. Für den Hellenen der klassischen Zeit war seine Stadt, zugleich der Staat, der Mittelpunkt seiner Anschauungen gewesen. Zu ihr gehörte er als Glied eines Organismus; die Stadt war stark durch ihre Bürger, der einzelne Bürger stark im Bewußtsein dieser Zusammengehörigkeit. Daher das allgemeine Interesse an der Politik, daher die ungeheure Kraft dieser kleinen Staatswesen, daher aber auch der Partikularismus und die fortwährenden Reibereien zwischen ihnen. Der Hellenismus dagegen ist international. Immer stärker hatten hellenische Kultur und hellenische Sprache die Welt umfaßt. Griechische Kolonien säumten alle Küsten des Mittelländischen Meeres, drangen bis ins Innere Asiens, und jede dieser Kolonien schuf neue Wege und Beziehungen -- mitten in der Mark Brandenburg hat man einen Fund der edelsten griechischen Goldschmiedearbeiten südrussischen Stiles noch aus archaischer Zeit gehoben. Aber die Kolonisten fühlten sich noch immer als Bürger ihrer Mutterstadt, leisteten ihr im Kriege Gefolgschaft, führten die Waren der Mutterstadt aus und brachten auf deren Markt ihre eigenen. So mußte gerade das starke Stammesbewußtsein den Gesichtskreis des Hellenen erweitern. In demselben Maße aber, in dem die materiellen Interessen des Bürgers außerhalb seiner Stadt lagen, mußte sich der Zusammenhang innerhalb der Bürgerschaft selbst lockern. Daß im Kriege der Söldner an die Stelle des Bürgers tritt, ist nur ein Symptom. Der Bürger wird egoistisch, fühlt sich immer weniger als Glied des Staates, und der Individualismus entwickelt sich. Gerade die realistische Eigenwilligkeit des einzelnen Künstlers ist hier der Beweis und das Überhandnehmen der Porträtkunst. Luxus und Wohlleben gehen damit Hand in Hand. Nicht nur, wie man oft lesen kann, weil man sie im Orient kennen gelernt hat, sondern als notwendiges Ergebnis, sobald der einzelne nicht mehr an das Produkt seines Ackers gebunden ist. So haben selbst Neugründungen, wie Alexandria, wenn sie nur dem Handel günstig lagen, in kurzer Zeit Athen und Korinth überflügelt und sind zu Mittelpunkten griechischer Kultur geworden. Dadurch erklärt sich das seltsame Paradoxon, daß durch die Züge Alexanders des Großen der Orient nicht hellenischem Geiste unterworfen wurde, der ihn schon lange beherrscht hatte, sondern die kulturelle Herrschaft geradezu auf den Orient überging. Alexanders Siegeszug hatte den ganzen östlichen Bezirk des Mittelländischen Meeres zu einem griechischen Reiche gemacht. Sobald es zerfiel, blieb das Übergewicht den stärksten Teilen. Es ist unberechtigt, den Begriff der hellenistischen Kunst mit dem der römischen Kunst so zu verbinden, als hätte die hellenistische Kunst nach Rom nicht nur gerade ihren kräftigsten Zweig entsandt, sondern sich einzig und allein dort weitergebildet. Der Grund für diese Meinung ist allein, daß Italien, in dem Rom, Pompeji, Herkulanum eine Fülle von Denkmalen dieser Epoche besitzen, besser erforscht war als der Orient. Nach allem, was uns gerade die letzten Jahre über orientalischen Hellenismus gelehrt haben, ist in ihm der Ursprung fast aller künstlerischen Motive zu suchen, die Rom verarbeitet hat. Es ist kein Zufall, daß der ägyptische Isiskult und der Impressionismus der ägyptischen Mumienporträts zu gleicher Zeit und aus dem gleichen Lande des Orients nach Italien gelangten. Allerdings ist Rom nicht nur in hellenistischer Zeit unselbständig gewesen. Immer mehr stellt sich Mittelitalien, vor allem Etrurien, als ein Land heraus, das, solange man seine Kultur zurückverfolgen kann, von Griechenland abhängig war. Es hat archaische attische Geräte ebenso importiert, wie die Kunstwerke des reifen Stiles. In der hellenistisch-römischen Zeit vollends liegt der Schwerpunkt aller Kunst im Osten, Alexandria, Antiochia und der innere Orient blühen weiter, während Rom alle griechischen, ägyptischen, syrischen Anregungen verschmilzt und weiter verarbeitet. Rom ist immer nur ein Räuber gewesen, dem die Kunstwerke nur Kostbarkeiten waren, eingeschätzt nach dem Namen der Meister, die sie trugen, nicht Werke, die es mit seiner Seele liebte, wie Hellas, das sie geboren hatte. Wilde sagt einmal, es wäre das Unglück des Diebes, daß er den wahren Wert der Dinge nicht kenne, die er entwendet. Und so setzt Rom an die Stelle der Chöre attischer Bürger, die im griechischen Theater auftraten, Schauspielvirtuosen, an die Stelle der feingefügten attischen Komödie die pöbelhafte Farce, macht den griechischen Philosophen, dem es den Spottnamen Graeculus (Griechlein) gibt, zum notwendigen Glied im Hofstaat einer eleganten Dame. Es schleppt die kostbarsten Werke hellenischer Kunst schiffsladungsweise nach Rom, um sie zur Dekoration seiner Amphitheater zu verwenden, und seine Pfuscher kopieren gedankenlos die edlen Motive hellenischer Kunst. Es ist möglich, die römischen Werke der frühen Kaiserzeit, wie das Isisopfer aus Herkulanum (Abb. 27) oder den Spiegel von Boscoreale (Abb. 31), zur Charakteristik des Hellenismus zu verwenden. Aber es ist ungerechtfertigt, die römische Kunst als den allein wichtigen Sproß der späthellenischen anzusehen. Wir sahen schon, daß die hellenistische Epoche an einer Stelle der antiken Kunstentwicklung steht, wo die Kunst den Zweckzusammenhang verloren hat und frei geworden ist für jede Art des künstlerischen Ausdrucks. Die starke Innenbewegung der korinthischen Säule wendet sich nach außen und entzündet den ganzen Bau. Die klassische Tempelform wird nur noch traditionell beibehalten, und mit der Leichtigkeit oder Strenge der Säulenstile drückt man nur noch Wirkungen aus. Man liebt die geraden Linien langer Straßen, wie das aufgedeckte Priene gelehrt hat, liebt die großen Hallen und die weitausholenden Bewegungen hoher Stufenbauten. Der selbstverständliche Ernst des dorischen Tempels ist bei einem Bau wie dem Zeusaltar von Pergamon (Abb. 25) zum bewußten Pathos geworden. Aus dem Stylobat des klassischen Baues wurde eine hohe Treppe, die den Götterbau dem Menschen entrückt, aus dem geordneten Aufbau das prunkende Schreiten prozessionshafter Säulenreihen. Ihnen entspricht die Vorliebe für den ununterbrochenen Fries ebenso, wie dem neuen Stil der Plastik. [Illustration: Abb. 25. Zeusaltar von Pergamon. Rekonstruiert.] [Illustration: Abb. 26. Athena im Gigantenkampf. Relief vom Zeusaltar zu Pergamon.] Das Streben nach stärkerem Ausdruck und reicherer Bewegung bildet ihre Mittel weiter aus. Es ist irrtümlich zu glauben, in der Plastik käme es darauf an, der Naturform in ihrer Modellierung möglichst gleichzukommen. Es trifft zwar dasselbe Licht auf die Skulpturen, das auch den lebenden Menschen im Gegenspiel mit dem Schatten plastisch erscheinen läßt. Aber der Plastiker sucht dieses Licht in die Wirkung miteinzubeziehen, während es in der Natur ständig wechselt. Je mehr jetzt Bewegung die Ausdrucksform der Plastik wird, um so mehr bedarf man des Wechsels heller Lichter und tiefer Schatten. Man sucht malerische Kontraste und erreicht dadurch eine Wirklichkeit, der gegenüber die klassische Kunst wie ein unwahrhaftes Idealisieren erscheint. Ein Relief der Phidiaszeit (Abb. 20) erscheint unbelebt neben einem der hellenistischen (Abb. 26), wie die dorische Säule streng ist neben der Bewegung der korinthischen. Alles geschieht um der Wirkung willen, und diese wird aufs höchste gesteigert bis an die Grenze der Unbeherrschtheit. Die Zartheit wird zur sentimentalen Weichheit, die Kraft zur Roheit, die Furcht zum Grauen. Die Absicht der Künstler geht auf die Erregung der Lüsternheit und des Entsetzens. Man denke an die grauenvolle Gruppe des Farnesischen Stieres, wo eine Frau von zwei Männern an die Hörner eines wütenden Stieres gebunden wird, um von ihm zu Tode geschleift zu werden. Es war kein Zufall, daß die weichlich sentimentale Schönheit dieser Frau dem Menschen des 19. Jahrhunderts dasselbe lüsterne Mitleid erweckte, auf das es bei den entarteten Nachkömmlingen der Antike berechnet war. Oder man denke an die Laokoongruppe, an dieses wahnsinnige, grauenvolle Sich-Wehren gegen einen schleichenden, unabwendbaren Tod. Man sucht die spannendsten Momente in der Mythologie und drückt die Größe des Gottes nicht mehr durch ruhige Sicherheit, sondern durch pathetische Bewegung aus. Man liebt das Thema des Kampfes zwischen Göttern und Giganten (Abb. 26), in dem starke Gefühle und Leidenschaften sich überall begegnen, der Triumph des Siegers neben der Demütigung des Unterliegenden, das freudige Flügelrauschen der krönenden Siegesgöttin neben dem tiefen Schmerz der Mutter Erde steht, Mitleid und Furcht des Beschauers überall gleich erregt werden. Die schrankenlose Bewegung wird der Träger des Ausdrucks. Jede Gestalt entfaltet den höchsten Reichtum in Drehung und Gegendrehung in allen Gelenken, und jede Nachbarskulptur erhöht dieses Spiel durch gegensätzliche Kurven. Man verstärkt die Wirkung des Lichtes auf den Höhen durch die tiefen Schatten in den Faltenhöhlungen, den Bohrlöchern der wilden Haare, der Höhle des Mundes. Von tektonischer Bindung ist keine Rede mehr. Es ist kein Zufall, daß jetzt das Hochrelief zur Herrschaft kommt, das den Reliefgrund völlig zugunsten der frei bewegten Darstellung preisgibt. [Illustration: Abb. 27. Isiskult. Fresko aus Herkulanum.] Man hat dieser Art des Formbildens mit Recht den Namen „malerisch“ gegeben, denn während das Erfassen der begrenzten Form Sache des Tastgefühls ist, ist das Erfassen der Bewegung Sache des Auges. So muß die Malerei dieses Zeitalters mindestens den Wert seiner Plastik besessen haben, wenn auch ihre spärlichen Reste kein vollständiges Stilbild ergeben. Sie hat eine parallele Entwicklung erlebt. In der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts scheint, wie die Vasenmalereien lehren, Polygnot zwar noch versucht zu haben, die Herrschaft über den Körper durch genaue Zeichnung seiner Formen zu erzwingen, aber schon gegen das Ende desselben Jahrhunderts haben wir den „Schattenmaler“ Apollodor, der als erster den räumlichen Ausdruck als das Problem der Malerei empfunden zu haben scheint. Es ist in der Tat dasselbe Problem wie in der Plastik, nur modifiziert durch die Ausdrucksmittel, die zu Gebote stehen. Für die Malerei handelte es sich nicht nur um Licht und Schatten; sie mußte die Vermählung des Lichtes mit den Farben der Natur beobachten, die hier in fein abgestuften Nuancen die Formen modelliert und die Entfernungen im Raum ausdrückt, und mußte versuchen, dieser Farbenverbindungen Herr zu werden. So ergab sich für die Malerei der hellenistischen Epoche, die die Erscheinungen als Formen sieht, der sog. Impressionismus als notwendige Ausdrucksform, da er die Formen nicht durch abstrakte Zeichnung, sondern durch Wiedergabe des farbigen Eindrucks auszudrücken sucht. Für unsere Gegenwart, die den Impressionismus als eigenste Errungenschaft zu besitzen meinte, war es eine erstaunliche Überraschung, zu sehen, daß Porträts dieser Epoche, die sich auf spätägyptischen Mumien finden, glänzende Leistungen breit auftragender impressionistischer Farbentechnik sind, die den vollkommensten Ausdruck des Lebens geben. Sie sind nicht die einzigen Werke dieser Art, sondern der Orient, Pompeji, Herkulanum, kurz, die ganze hellenistische Welt ist voll von Werken dieses Stils, der die eigentliche Ausdrucksform der Zeit war. Ein außerordentlich charakteristisches Werk ist in Herkulanum gefunden worden, ein Fresko mit der Darstellung des Isisdienstes (Abb. 27). Erstaunlich kräftig und lebensvoll ist sein Eindruck: die Neger in der Mitte vorn, auf deren schwarzer Haut das Licht glänzt, die Volksmenge zu beiden Seiten, in der das Licht, als wäre es in lebendigster Bewegung, hier und da einen Kopf hell aufschimmern läßt, die klar gesonderte Gruppe der drei Priester im Hintergrunde, kräftig begrenzt durch Sphinxe zu beiden Seiten. Sieht man näher zu, so findet man, daß keine Linie gezeichnet ist, daß die Farbenflecken unvermittelt nebeneinandergestellt sind, in breiten Flächen aufgetragen, ja, daß nur die vorderen Gestalten in der Volksmenge als Körper geformt sind, daß sie, je weiter nach hinten, um so mehr dunkle Flecken werden ohne jede Angabe einer Form. Genau so erscheint unserem Auge die einzelne Form durch die Abstufungen in den Naturfarben plastisch, und erscheint die Reihenfolge der Gestalten im Naturbild deshalb als räumliches Hintereinander, weil wir nur die vordersten Gestalten genau erkennen, und ihre Aufreihung nach dem Hintergrund zugleich eine Abstufung der Deutlichkeit bedingt. So ist es möglich, den plastischen Eindruck, den die Natur dem Auge gibt, wiederzugeben, wenn man auf die Deutlichkeit der Detailformen verzichtet und die impressionistisch entscheidenden Raumformen sucht. Zeichnerische Struktivität der Formen und Impressionismus sind also Stilerscheinungen, die sich gegenseitig befehden. Man wird verstehen, daß mit dieser Fähigkeit, alle Dinge in ihrer Erscheinung wiedergeben zu können, ebenso wie mit der Freude der Kunst an der reinen Darstellung eigentlich alle Vorbedingungen für den schrankenlosesten Realismus in Malerei wie Plastik gegeben waren. Es war vielleicht dieser Trieb zum Wirklichsein, der erst die Augenerkenntnisse als Ausdrucksmittel forderte. Das tägliche Leben wird in dieser Zeit zu einem wichtigen Gegenstand der Kunst, Barbier und Koch, die bezechte Frau und der Bauer, der sein Vieh zum Markt treibt, die groben Komödienmasken begegnen uns in der Kleinplastik und in Terrakottafiguren. Wir hören schon sehr früh von Malern, die Barbierstuben und Krämerläden malten, und hören, daß die Vertreter idealistischer Anschauungen ihnen den Namen „Rhyparographen“, Schmutzmaler, gaben, wie man bei uns für eine Parallelerscheinung das Wort „Rinnsteinkunst“ gebildet hat. Es ist zuerst überraschend, den krassen Realismus dieser Darstellungen, die weiche, fast überweiche Schönheit weiblicher Göttinnen und das Pathos des Zeusaltars von Pergamon hier eng nebeneinander zu sehen, und ist doch natürlich. Jede Kunst schöpft ihre Vorstellungen aus ihrer Gegenwart. Solange das Leben eines Volkes im Einklang ist mit seiner Vorstellung vom Erhabensten, solange das tägliche Leben selbst groß ist, entstehen Werke wie die Ägineten, in denen Kraft und Hoheit eins sind. Eine Epoche aber, in der das Leben klein ist, vermag die Größe nicht zu gestalten, weil ihr das Nur-Einfache nicht interessant genug ist. Sie freut sich an der Buntheit ihres Lebens und verlangt zugleich von ihren Mächtigen ebenso wie von ihrer Kunst die laute Phrase, die aufdringliche Pose, das leere Pathos. Das gilt noch mehr von der römischen Kunst als von der griechischen. Je mehr die Kraft des römischen Volkes schwindet, desto anspruchsvoller wird es. Zur Zeit der Kaiser, in der die Ämter nur noch Titel waren, denen die wichtigsten Funktionen genommen sind, ist die größte Zahl von Porträtbüsten und Porträtstatuen geschaffen worden, voll des beabsichtigten Ausdruckes von Hoheit und Würde. Je später allerdings, desto mehr treten auch die eigentlich realistischen Züge in den Vordergrund, und es gibt Kaiserporträts der Spätzeit, die jeden Zug physiologischer Entartung zum Ausdruck bringen. [Illustration: Abb. 28. Pompeji. Haus der Vettier. Peristyl.] [Illustration: Abb. 29. Rom. Inneres des Pantheon.] Es ist von derselben Art, wenn in der Kaiserzeit die rein repräsentativen Bauten, die Triumphbogen und öffentlichen Gebäude sich häufen, wenn selbst die Zahl der Tempel sich über jedes Bedürfnis hinaus steigert. Dieselbe Gesinnung schafft das Wohnhaus zu einer prunkvollen Flucht von Räumen um, die den Reichtum des Besitzers zur Schau stellen. Der Hellenismus prägte eine klassische Form des Hauses, deren Mittelpunkt der Säulenhof, das Peristyl, war, Rom erweiterte durch sie sein altes Wohnhaus, dessen ursprünglich einziger Raum der Herdraum, das Atrium war. So wird das Bedürfnis durch bloße Repräsentationszimmer unverhältnismäßig in den Hintergrund gedrängt. Im pompejanischen Haus liegt nach der Straße zu das Atrium, jetzt bloßer Empfangsraum, dann folgt das Tablinum, das Familienzimmer, und schließlich das Peristyl (Abb. 28) als Stätte behaglicheren Verkehrs. Dieser reichere Raum ist mit Gartenanlagen geschmückt, in denen Marmortische stehen, Skulpturen und Hermen; die Säulen sind reich geformt, die Wände mit Ornamenten und Malereien geziert, all das mit der Absicht, den größten malerischen Reichtum zu erzielen, in Durchblicken, wie denen des kretischen Palastes. An ihn erinnert auch die Freude an der Wandmalerei, deren Entwicklung die Geschichte des spätantiken Raumgefühls ist. Während die hellenistische Wanddekoration die Fläche nur durch farbige Inkrustationen, die in echtem Material gearbeitet oder in Malerei kopiert sind, gliedert und ziert oder durch Halbsäulen und Architekturornamente, stellt sich in den letzten Jahrzehnten Pompejis, d. h. um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr., die Dekoration geradezu in Gegensatz zur Wand. Schon der Impressionismus der Wandgemälde mit seinem außerordentlichen Eindruck von Raumtiefe (Abb. 27) bedingt eine Auflösung der Mauerfläche. Allein die Wand wird nun ganz aufgelöst von phantastisch gemalten, stützlos schwebenden Architekturformen, zwischen denen Durchblicke in die freie Luft sich zu öffnen scheinen. Die Dekoration scheint den Blick in unerhörte Weiten zu führen, in Gärten und Landschaft und in romantisches Märchenland, und wird ein Spiel von Phantasien, denen die weiten Räume des Hauses zu eng waren. Bei Palästen, Marktanlagen oder bei den großen römischen Bädern müssen auf diese Weise außerordentliche räumliche Wirkungen erreicht worden sein. Daß die Entwicklung des Raumgefühls in der Architektur der Zeit die entscheidende Tendenz ist, lehrt ebenso Roms religiöse Baukunst. Zuerst begnügte man sich damit, den altetruskischen Tempel, einen Wandbau mit sehr großer Vorhalle, die den Zeichendeutungen dient, äußerlich als Peripteros zu gestalten. Und wenn auch dabei die Säulenform überreich korinthisch wird und ihre Verwendung als Halbsäule sie zum bloßen Wandschmuck macht, so bleibt doch die Gliederung altertümlich einfach. Erst das Pantheon (Abb. 29) aus der Zeit Hadrians bringt die späthellenistische Steigerung aller Wirkungen. Der Gegensatz einer verhältnismäßig einfachen Front zu einem wie ohne Grenzen gedehnten Innenraum steigert dessen Wirkung ins Ungeheure. Es war oben die Rede davon, daß die Kurve des Rundbaues das Auge sich nirgendwo festklammern läßt. Aber eben dadurch hemmt er es auch nie und läßt es ins Unbegrenzte blicken. Es ist ungemein interessant, wie das Pantheon in diesem Kreis jedem Fixpunkt, der sich etwa aus dem Eingang oder aus einem Altar für die Orientierung ergeben könnte, dadurch entgegenzuwirken sucht, daß es kleinere und größere Nischen gleicher Art in gleichen Abständen rings um den Raum verteilt. Den stärksten Eindruck von Raumfreiheit aber gibt die krönende Kuppel. Während Flachdecke und Tonnengewölbe auf geraden Wänden liegen und dadurch den Raum begrenzen, führt die Kuppel über jede Festlegung hinaus, da sie auf rundbewegten Mauern liegt und überall nur von der beweglichen Kurve begrenzt, ohne festen Abschluß ist. Die zerlegenden Kassetten sind wichtige Diener dieser Auflösung. Es handelt sich hier nicht nur um einen Fortschritt in der Wölbungstechnik -- man wäre nie dazu gelangt, wenn nicht das religiöse Gefühl, unzufrieden mit den alten Vorstellungen von der Gottheit, jetzt sehnsuchtsvoll in die Weite verlangt hätte. Romantische Tendenzen, wie in den Nachschöpfungen ägyptischer Kultstätten und landschaftlich berühmter Punkte in der Villa Hadrians, sind von derselben Erregtheit. Der hellenistische Osten, der so viel dem Römer Fremdes birgt, ist nicht zufällig die Grundlage ihrer Formen, wie derer des Pantheon. Es ist dasselbe Gefühl, das den Isiskult nach Rom bringt, den Mithrasdienst und schließlich als letzte Antwort auf all dieses Gottsuchen das Christentum. Die Steigerung dieser Erregtheit bedeutet für die Kunst eine immer größere Entfernung vom Tektonischen. Aus der Bewegung wird die Ziellosigkeit, und auf die Lösung des Bauzusammenhanges folgt die zügellose Herrschaft des Ornamentes. [Illustration: Abb. 30. Baalbek. Rundtempel.] Der Rundtempel von Baalbek (Abb. 30, erbaut im 2. Jahrh. n. Chr.) ist überwuchert vom Reichtum einer unsachlichen Dekoration. Alle Stilformen sind aus ihrem Zusammenhang gerissen. Korinthische Pilaster mit unreinem Kapitell rahmen die Nischen, zu ionischen Zahnschnitten im Fries gesellen sich korinthische Säulen ohne Kannelüren und korinthische Architravbalken, die nur halb aufliegen, damit nur ja auch hier die wirklichen Träger nicht zu tragen scheinen. Pilaster und Bogen dienen als Rahmen, kurzum, nirgends ist ein Bauglied durchgefühlt, immer nur ist es Dekoration vor der runden Mauer, die sogar noch von Nischen mit Statuen unterbrochen ist. Aber selbst diese unfeste Form wird noch gelöst, die halbkreisförmig geführten, von Säulen getragenen Simse wenden sich gegen die Mauer und lösen sie vollkommen in nach außen geführte Kurven auf. [Illustration: Abb. 31. Spiegel aus Boscoreale.] Die gleiche Anschauung zerstörte im Lauf dieser Jahrhunderte die klare Struktur des Gerätes. Im Boden von Schalen werden Hochreliefs angebracht, die nicht nur der Reinigung Schwierigkeiten bereiten, sondern bei der Benutzung so durch den Inhalt verdeckt werden mußten, daß man ein Stück wie etwa die Athenaschale des Hildesheimer Silberfundes nur zum Prunkgerät zählen kann. Auch beim Gebrauchsgerät, selbst beim ärmsten Tonnapf, ist an die Stelle der Flächenbemalung, die zuletzt impressionistisch genug war, die plastische Reliefdekoration getreten. Daß jetzt das Glas, dessen Durchsichtigkeit die begrenzende Fläche vollkommen zerstört, so beliebt wird, ist ungemein bezeichnend. Und von diesen Geräten steht kaum eines mehr fest auf dem Boden; sie spitzen sich nach unten zu oder sind auf kleine Füßchen gesetzt und ebensowenig in ihren Teilen straff geschieden. Es war ganz sachgemäß gewesen, wenn die klassische Zeit die Rückseite des polierten Metallspiegels nur durch gravierte Darstellungen, oft von edelster Zeichnung, belebte und den runden Spiegel streng vom Griff schied. So blieb die spiegelnde Fläche für den Eindruck des Gerätes das Beherrschende, waren seine Teile nach ihrem Zweck gesondert. Es ist erneuter Beweis für das Überhandnehmen der Dekoration, wenn sich auf einem Spiegel der ersten römischen Kaiserzeit (Abb. 31) die Rückseite so ungehindert vordrängen darf, daß man glauben könnte, sie wäre die Hauptsache. Der Reliefkopf des Dionysos in der Mitte, ein charakteristisches Beispiel für die Freude an komplizierter Bewegung selbst dort, wo keine Handlung sie nötig macht, arbeitet ebenso der sachlichen Form entgegen wie das Rankenornament, das den Griff des Spiegels vollkommen in ein Geflecht auflöst. Daß es dadurch jedes feste Anfassen unmöglich macht und eine zierliche Fingerhaltung bedingt, ist ungemein interessant für die Einheitlichkeit einer Kultur in Leben und Kunst. Die Enden dieser Ranken führen mit weichen Linien hinüber in die eigentliche Spiegelfläche, deren Rundbegrenzung durch die nach außen gerichteten Zacken vollkommen zerfasert wird, eine Auflösung, parallel der, die die Rundform des Tempels von Baalbek zerstörte. Gegen das Ende der antiken Welt ist die Verwirrung aufs höchste gestiegen. Nicht Klarheit ist die Tendenz, sondern Reichtum der Gefühle und des Ausdrucks. Das Bauwerk ist zerfetzt durch die Dekoration, und das Gerät duldet jede Durchbrechung seiner Flächen, bis es zum bloßen Netz wird. Die Aufgaben für Malerei und Plastik wachsen ins Unbegrenzte; überall braucht man sie, überall wirken sie zerstörend auf die Hauptaufgaben der Baukunst und werden durch die eigene Fülle zerstört. Die Götter verlieren ihre Majestät und werden leere Allegorien oder Symbole für religiöse Ideen. Die plastischen Ideen des Polyklet und Praxiteles werden als öde Schemata wiederholt, und inbrünstig sucht man die Götter der Urzeit in ihrer Primitivität zu gestalten, als wäre deren naive Innigkeit dem wahren Wesen der Gottheit näher, ein Gefühl, das die Romantik des 19. Jahrhunderts ebenso hatte. Je weniger wertvoll und wichtig der einzelne Mensch in sich ist, um so mehr wünscht er sich verherrlicht zu sehen; das Porträt wird wichtigste Aufgabe, und mit leeren Gesten bläht sich der unbedeutende Mensch in großen Posen. Die andringenden Germanenvölker und die jungen christlichen Gemeinden finden in Kunst und Leben eine Zersetzung, deren erst jahrhundertelange Arbeit wieder Herr werden konnte. Fünftes Kapitel. Die frühchristliche Kunst. Diese letzten Jahrhunderte antiker Kultur bedeuten zugleich die erste Epoche des Christentums. Es ist noch immer die Meinung nicht ausgetilgt, als hätte es in seinem Entstehen einen ganz neuen Stil, gewöhnlich als altchristlichen bezeichnet, hervorgebracht. Allein eine neue Weltanschauung kann der Kunst wohl neue Stoffe bieten, aber die Augen sind noch zu sehr in den Vorstellungen ihres Jahrhunderts befangen, um mit einem Schlage eine neue Kultur, einen neuen Geschmack zu schaffen. Es wäre so, als hätte für die Evangelien eine neue Sprache geschaffen werden sollen. Und selbst die neuen Stoffe kommen spät genug. Denn nur sehr allmählich haben die ersten christlichen Gemeinden, die in jüdisch-hellenistischen und römisch-hellenistischen Traditionen groß geworden waren, ihre Religion so scharf ausgeprägt, um für sie neue Formgedanken zu finden. Man hat es lange bemerkt, daß auf Wandmalereien und Mosaiken altchristlicher Katakomben und Kirchen dieselben weinkelternden Genien und impressionistischen Porträts vorkommen wie in Pompeji, und immer mehr sieht man, daß sogar Darstellungen von heidnischer Gesinnung, nackte Najaden und Götter, sich unter die altchristlichen Kunstwerke mischen konnten, ohne daß selbst spätere Zeiten sie anstößig fanden und vertilgten; an der Kanzel von Aachen haben sie sich bis heute erhalten. Die Meinung, es hätte das Christentum aus dem Nichts heraus eine neue Kunst schaffen können, ist uns Heutigen, die wir entwicklungsgeschichtlich denken, völlig absurd. Ist dieses Resultat gewonnen, so ist die wichtigste Frage die nach dem Kunstkreis, in dem sich der Übergang von der antiken zur christlichen Kunst vollzogen hat. Denn wir haben schon oben festgestellt, daß die spätantike Kunst keineswegs nur die römische ist, daß sich vielmehr die hellenistische Kunst in den alten Kunstzentren des Hellenismus, etwa Antiochien mit seinem Hinterlande Syrien und Alexandria mit Ägypten, rein und kräftig erhalten hat. Es galt lange Zeit als selbstverständlich, daß Rom der Ort war, an dem die christliche Kunst geboren wurde, die Hauptstadt der katholischen Kirche und das politische Zentrum für die letzten Jahrhunderte der antiken Welt. Daß es nicht zugleich das einzige Kunstzentrum war, wußte man nicht, da Gebiete außerhalb Italiens kaum durchforscht waren. So ergab sich die Kombination fast von selbst. Schließlich erkannte man doch, daß Rom erst in relativ später Zeit zur Hauptstadt der christlichen Kirche geworden ist. Die erste Metropole des Christentums war Byzanz (Konstantinopel), dessen Erhebung zur Hauptstadt des römischen Reiches im Anfang des 4. Jahrh. von Konstantin vollzogen wurde, demselben Kaiser, der für die Geschichte des Christentums so wichtig war. Allein auch in Byzanz darf man den Ursprung der christlichen Kunst nicht suchen. Die Gegenwart hat gesehen, daß bei einer Institution wie der katholischen Kirche diejenigen Kunstformen, die sie aufgenommen hat, bevor sie noch Institution war, aller späteren Ausgestaltung zugrunde liegen, und daß sie sich mit ihr auf ihrem Wege von der Lehre zur Kirche entwickelt haben. Man muß die früheste Entwicklung des Christentums beobachten, wenn man das Entstehen der christlichen Kunst erkennen will, die mit ihm emporgewachsen ist. Das Geburtsland des Christentums ist das hellenistische Judäa. Konzentrisch breitet es sich von hier aus. Die bedeutendsten Gemeinden der Apostelgeschichte liegen noch im kleinasiatischen Gebiet. Früh tritt Ägypten hinzu, in dem die ersten Klöster gegründet werden, dann erst dringt die neue Religion nach dem Abendlande vor. Es soll damit nicht gesagt sein, daß sie hier und in Rom nicht noch neue Elemente in sich aufgenommen hat, aber sie hat vieles schon fertig mitgebracht und ist an Orten, nach denen der hellenistische Strom auf Handelswegen vom Orient aus direkt floß, mindestens so früh gewesen wie in Rom, z. B., wie die Lazaruslegende anzudeuten scheint, in Massilia, dem heutigen Marseille. Rom war kirchlich noch nicht maßgebend, als es im Orient fast schon ein organisiertes Christentum gab. Es vergehen noch Jahrhunderte, bevor die Kirche sich in einen morgenländischen (griechisch-katholischen) und einen abendländischen Zweig spaltet, der abendländische Zweig seine Religion als die katholische proklamiert und das Mutterland der Kirche als ketzerisch verdammt. Eine Darstellung wie die Opferung Isaaks auf der Elfenbeinpyxis des Berliner Museums (Abb. 32) zeigt klar, wie unmerklich sich der Übergang von der späthellenistischen zur christlichen Kunst vollzog. Sie entstammt wohl dem 4. Jahrh. n. Chr. und ist vielleicht alexandrinischen Ursprungs. Die hellenistischen Traditionen sind hier viel treuer bewahrt als in Rom. Das sog. Eierstab-Ornament des oberen Randes ist klassisch dorisch, und in den Gestalten sprechen noch künstlerische Formen, die in Italien längst Floskeln und Phrasen geworden, selbst verkümmert sind. Man nehme den Abraham. Seine Haltung ist vollkommen die im 3. Jahrhundert v. Chr. ausgebildete. Das eine Bein steht fest, das andere, das Spielbein, ist leicht bewegt, die Hüfte herausgebogen, und während die Bewegung der Arme nach links gerichtet ist, ist der Kopf nach rechts gewandt, der Hand Gottes zu, die sich aus den Wolken streckt. Wie hier das Gegensätzliche der Bewegung das einzelne Glied in seinem Stil ausdrucksvoller macht, wie das Gewand sich um die Glieder strafft und sie hervortreten läßt: das ist echt hellenistisch. Man vergleiche die bekannte Sophoklesstatue, und man wird sehen, daß das Christentum hier künstlerische Ausdrucksformen verwendet, die Hellas geprägt und der Hellenismus zu geläufigen Typen ausgebildet hat. Auch sonst sind antike Philosophenstatuen oft das Vorbild für christliche Heilige gewesen, und der Christus dieser Zeit ist der unbärtige, jünglinghafte Gott, wie ihn Griechenland im Apollo-Typus geschaffen hat. Aber es ist die Folge der neuen christlichen Inbrunst, daß der antike Formenreichtum sich in das Kleingerät des Kultus flüchtet, das der Priester liebevoll in die Hand nimmt, Messekelch und Patene, gemalte und kostbar gebundene Evangelienhandschriften. Dagegen wird das Gotteshaus ein reiner Versammlungsraum. Es hat fast siebenhundert Jahre gedauert, bis die Stileinheit ganz wiederhergestellt war. [Illustration: Abb. 32. Elfenbeinpyxis mit Opferung Isaaks. Berlin, Kaiser-Friedrich-Museum.] Auch die Baukunst leitet ihre Kirchenformen vom hellenistischen Orient ab. Sie kennt zwei fast gegensätzliche Grundrißformen, den Zentralbau und den Langbau. Daß der christliche Zentralbau aus dem Orient stammt, war eigentlich immer feststehende Meinung, nur nahm man Byzanz als seine Heimat an, das ihn in Wirklichkeit erst aus Kleinasien übernommen zu haben scheint. Hier war er heimisch in jenem typischen Aufbau einer Kuppel über meist polygonalem Grundriß, wie die berühmte Kirche der Hagia Sophia, heute zur Moschee umgewandelt, ihn zeigt (Abb. 33). Daß ihre Erbauer im 6. Jahrhundert Anthemios von Tralles und Isidoros von Milet waren, also kleinasiatische Architekten, ist wichtig genug. Die Kuppel der Hagia Sophia wirkt so groß, weil das architektonische Leben, das sie unter sich zusammenfaßt, sehr viel reicher ist als noch beim Pantheon. Dort ruhte die Kuppel mit ihrem ganzen runden Rande auf der von Nischen durchbrochenen Mauer. So ging von der Decke eine Begrenzung des Raumes bis zur Erde. Bei der Hagia Sophia aber ruht die Kuppel zunächst auf Zwickeln (~pendentifs~), Mauerdreiecken, die mit ihren Viertelbogenrändern die Last auf vier gewaltig dicke Mauerpfeiler übertragen, die in den vier Ecken eines Quadrates stehen. So ist der Unterbau nur in den vier Ecken begrenzt, und die Bögen, die sich von Pfeiler zu Pfeiler spannen, bereiten vor auf die krönende Größe der Kuppel; zwischen den Eckpfeilern aber ist der Raum offen, gestattet die Anlage von Seitenschiffen, Nischen, Galerien, Emporen, die mit ihren reichen Säulenstellungen ungemein lebhaft wirken. Und während so einerseits das raumerweiternde Prinzip der späten Antike noch fortgebildet scheint, macht sich andererseits wieder eine Neigung zur Raumbegrenzung geltend. Gerade, daß der Saal nicht ganz rund ist, sondern durch die vier Eckpfeiler eine quadratische Orientierung erhält, gibt seiner Ausdehnung Grenzpunkte, und eine noch engere Begrenzung läuft an zwei Seiten dieses Quadrates entlang, indem Säulenreihen eine Verbindung zwischen den Eckpfeilern herstellen und vom Eingang bis zu den drei Altarnischen eine Art Langschiff abgrenzen. Hier liegt eine fruchtbare Neuschöpfung des christlichen Kirchenbaues. Wir finden es oft, daß die höchste Ausprägung des einen Stilprinzips bereits die ersten Symptome des neuen enthält, wie eine allzu schnell rotierende Scheibe stillzustehen scheint. So zeigt sich hier im spätantiken Zentralbau die Ankündigung des Langbaues. Das ist eine notwendige Folge der kontinuierlichen Entwicklung, und wir werden noch ein Parallelbeispiel in der Ornamentik der Zeit kennen lernen. Die Entwicklung der raumbegrenzenden Form ist die eigentlich stilbildende Tat der frühchristlichen Kunst. Das Herausschneiden eines Langschiffes in der Hagia Sophia bedeutet bereits einen Schritt in dieser Richtung, der die Basilika den vollen Ausdruck gegeben hat. [Illustration: Abb. 33. Konstantinopel. Hagia Sophia. Inneres.] Man hat nun gerade die Basilika, für die sich auf italienischem Boden, in Ravenna und Rom besonders, die zahlreichsten Beispiele erhalten haben, für ein Gebilde abendländischer Kunst gehalten und ihren Ursprung noch in Italien gesucht, als man den Wert des Orients für die christliche Kunst längst erkannt hatte. Nachdem die alte Meinung aufgegeben war, sie wäre aus der römischen Basilika, der Markt- und Gerichtshalle, entstanden, kam die Ableitung ihrer Anlage aus dem Bau des römischen Hauses, in dem sich die Gemeinde zuerst versammelt haben soll. Aber ihr Grundtypus läßt sich im Orient in sehr früher Zeit nachweisen, in viel mannigfaltigeren Variationen der Anlage, als das Abendland sie kennt, so daß die hellenistische Ableitung auch für diesen Typus festzustehen scheint. Ob es allerdings die hellenistisch-jüdische Synagoge war, die den Grundriß hergab, mag dahingestellt sein, ist aber bei dem durch lange Zeit gewahrten Zusammenhang zwischen Judentum und Christentum nicht unmöglich. Jedenfalls hat Rom die Basilika, auch wenn sie eine Schöpfung des Orients ist, mit der Ausdehnung der päpstlichen Macht in allen Gebieten des Okzidents heimisch und zu jener Hauptform des christlichen Gotteshauses gemacht, deren Weiterbildungen noch heute demselben Zwecke dienen. [Illustration: Abb. 34. Ravenna. ~S. Apollinare in classe.~ Inneres.] Im Gegensatz zum Zentralbau ist in der Basilika dem Auge des Eintretenden durch die Säulenreihen sofort eine feste Richtung, durch die Altarnische ein bestimmtes Ziel gegeben (Abb. 34). Das Wort, daß der Zentralbau die Ruhe, der Langbau die Bewegung bedeute, ist, absolut genommen, unrichtig; fast ist das Entgegengesetzte der Fall. Für den Zentralbau könnte der Mittelpunkt unter der Kuppel ein Ruhepunkt sein, wenn er zugleich die wichtigste Stelle im Gebäude ist. Wenn aber, wie bei der Hagia Sophia, in S. Vitale in Ravenna und in anderen christlichen Zentralbauten der Altar in einer großen Wandnische steht, dem Eingang gegenüber, fällt das Augenziel nicht mit dem räumlichen Mittelpunkt zusammen, und es entsteht eine Dissonanz, die für die noch spätantike Stilempfindung sehr charakteristisch ist. Bei der Basilika (Abb. 34) dagegen führen alle Linien des Baues nur auf den Altar hin, der so zugleich für Auge und Sinn das Ziel bedeutet. Zweck und Form sind hier in Einklang. Der ganze Bau hat nur eine Richtung, die nach der Apsis, der Altarnische an der Ostseite. Dorthin führen den Eintretenden, sobald er den zur Kirche gehörigen Vorhof, das Atrium, verlassen hat, von der Eingangshalle aus die ununterbrochen fließenden Reihen der Säulen, dorthin die horizontalen Linien der Wandteilung, die Balken der flachen Decke, die Musterung im Pflaster des Bodens. Die Seitenschiffe, hier, wie meist, eines auf jeder Seite, nehmen, durch die Säulenreihen und die Wand geführt, dieselbe Richtung auf. Und dort, wohin alle diese Linien zusammenfließen, faßt die Apsisnische, ausgeschnitten aus der Hochwand, die hier das Schiff abschließt und als Triumphbogen übrigbleibt, den Altar in sich. Die führenden Linien der Säulenreihen werden von ihr aufgenommen, und von oben her schließt die runde Wölbung den kleinen Raum unter sich zusammen. So ist jeder Bauteil aus seinem Zweck abgeleitet, aber auch jede Einzelform. Wie der Dachstuhl mit offenem Balkengerüst den Augen die Konstruktion klar aufzeigt, so tragen auch die Säulen ihre Last mit vollkommener Festigkeit des Ausdrucks. Aus spätantiken Formen abgeleitet, sind sie doch weitaus beruhigter. Es war notwendig, daß sich die Ornamente um so kräftiger gegen den Grund absetzen mußten, je schärfer die plastische Dekoration, antike Entwicklungen fortführend, den Gegensatz zwischen Licht und Schatten ausdrückte. Aus der weichen Modellierung wurden hartbegrenzte Formen, und damit näherte sich die Auffassung notwendig wieder der flächenmäßigen Bildung. So sehr im ravennatischen Kapitell des 6. Jahrhunderts (Abb. 35) der Gegensatz zwischen Licht und Schatten, Ornament und Grund verschärft ist, so ist er doch benutzt, um den Umriß des Ornamentes zu betonen, das an sich ganz flächenhaft gegeben ist. So dient es der Form des Kapitells, die es bestimmt. Denn das Kapitell trägt wirklich; es strebt nicht mehr auseinander, wie das korinthische oder gar dessen römische Nachbildungen mit ihrem wirren Schmuck. Fest haftet das Ornament am Grunde, und wenn der scharfe Gegensatz von Licht und Schatten den tektonischen Charakter des Gebildes zerstören zu können scheint, so faßt die strenge Begrenzung an den Kanten kraftvoll den Flächenschmuck zusammen. Sie ist es, deren nach unten weisende Linien zugleich die Last in den Säulenschaft hineinführen. Und auch sie ist überlegt geteilt. Das Ende des Bogens, der die Obermauer trägt, setzt nicht unmittelbar auf das Kapitell auf. Ein allmählich schmäler werdendes Zwischenglied, der Kämpfer, führt ihn mitten hinein ins Kapitell, an dessen stärksten Punkt, wo es vollkommen der Säule aufliegt. [Illustration: Abb. 35. Ravenna. S. Vitale. Kapitell und Kämpfer.] Wie bei jedem reinen Bedürfnisbau ist die Außenseite nur Mantel um das zweckgemäß gestaltete Innere. Sie trägt bei der Basilika (Abb. 36) keinen überflüssigen Schmuck und stellt den Grundriß offen zur Schau. Das Mittelschiff, die beiden Seitenschiffe und die Apsis werden auch hier vollkommen klar in ihrem Aufbau und ihrer räumlichen Lage, und die tragende Mauer ist formfest wie die tragende Säule. Die Gliederungen der Wand sind nicht mehr vorgelagerte Säulen wie beim Lysikratesdenkmal, sondern flache, arkadenartig geführte Mauervorsprünge. Wie eine empfindliche Epidermis legt sich diese feine Schicht über die Wandfläche, sie belebend und doch in so geringer Erhebung an die Wand geschmiegt, daß sie die raumbegrenzende Kraft der Wandfläche nicht hindert, sondern verstärkt. Der Glockenturm, der nicht zum Versammlungsraum gehört, sondern zu den Wohnstätten der Gemeinde, die er in das Gotteshaus ruft, wird als walzenförmiges Gerüst neben den Hauptbau gestellt und trägt einen selbständigen Teil des architektonischen Ausdruckes. Erschien im ersten Anblick das Nebeneinander der Bauteile zusammenhanglos und wenig ausgeglichen, so zeigt sich jetzt, wie es bedingt ist; kein notwendiger Bauteil, der nicht im Außenbau ausgedrückt, keine Gliederung, die nicht durch den Grundriß begründet wäre. Was fehlt, ist die funktionelle Durchbildung der Bauglieder. Wand und Säule sind nicht als Träger ausgedrückt, und der Glockenturm ist geradezu formlos. Allein die Grundlagen für einen zweckvoll formenden Stil, wie der dorische es war, sind wieder gegeben. Und wenn auch zunächst der antike Zentralbau der Basilikaform die Herrschaft streitig macht, so ist es doch die Klarheit ihrer Anlage, der die Zukunft gehört. Der romanische Baustil in Deutschland hat aus ihr die Erfüllung aller mittelalterlichen Bauforderungen geschaffen. [Illustration: Abb. 36. Ravenna. ~S. Apollinare in classe.~ Äußeres.] Malerei und Plastik folgen auf dem neuen Weg. Sie gehen als freie Künste unter und werden Diener der Architektur. Aber gerade sie zeigen, daß die neuen Stilformen nicht plötzlich entstehen. Der Kopf Kaiser Justinians auf dem zeremoniellen byzantinischen Stiftungs-Mosaik von S. Vitale in Ravenna (Abb. 37) ist im Grunde noch antik empfunden. Schon das Interesse am Porträt ist dafür charakteristisch, und der Stil ist der impressionistische der spätantiken Malereien. Ihm gehört dieses Mosaik so gut an wie die anderen frühchristlichen Mosaiken, wie die pastos hingestrichenen Wandmalereien in den Katakomben oder die Buchmalereien in den ältesten illustrierten Handschriften. Noch spricht bei ihm nicht der Umriß, sondern die Form, der farbige Lichter und Schatten den Ausdruck geben. Ja, es scheint, als könnte die Mosaiktechnik überhaupt nur Ausdrucksmittel einer impressionistischen Epoche sein, da sie mit ihrem Zusammensetzen aus farbigen Steinchen die Linien nur grob zu zeichnen, aber um so besser Farbenflächen zu geben vermag. Die ältesten uns erhaltenen Mosaiken stammen jedenfalls erst aus späthellenistischer Zeit. [Illustration: Abb. 37. Ravenna. S. Vitale. Kopf des Justinian vom Mosaik des Altarraumes.] Indessen zeigt auch das Porträt Justinians und die anderen gleichzeitigen Werke das Nahen des neuen Stilempfindens. Das starre Enface des Gesichts bedeutet einen Schritt über die bewegten Bildungen der Antike hinaus zu linearer Auffassung. Licht und Schatten begegnen sich ohne vermittelnde Übergänge, konzentrieren sich und werden zu linienscharfen Kontrastflächen. Und wie die Formbildung der Wand, ordnet sich die Komposition der Architektur unter. In S. Apollinare nuovo wirken die zum Altar ziehenden Märtyrerfriese mit den Säulen unter ihnen zu einer Bewegung zusammen, die die Mosaiken der Apsiswand weiterführen, und deren Ziel der Altar ist. Es gibt keinen stärkeren Gegensatz als zwischen ihrer Bewegung und der zügellos frei den Altar umkreisenden des Gigantenkampfes von Pergamon. Diesen linearen Zeichnungsstil hat das oströmische Reich im Laufe der Jahrhunderte als seinen eigenen, byzantinischen Stil entwickelt, der nach mannigfachen Wandlungen erst in dem Moment untergeht, in dem die Türken das oströmische Kaisertum und die oströmische Kultur vernichten (1453). Am Anfang seines Weges stehen diese oströmischen Mosaiken auf italienischem Boden, in denen sich Antike und Mittelalter für einen Augenblick begegnen. Wie Byzanz als neue Hauptstadt des römischen Reiches an die Stelle der Stadt Rom trat, so hatte es auch das künstlerische Erbe der Antike und die Bildgedanken, die das alte Christentum geschaffen hatte, übernommen. Es hat sie zu feststehenden Schematen umgebildet und um so schematischer immer wiederholt, je mehr seine Kräfte schwanden. Indessen waren im westlichen Europa die Völker emporgewachsen, denen das Mittelalter die klassische Zeit ihrer Kunst bedeutet, die, während im Osten der Baum der antiken Kunst allmählich verdorrte, neuen Samen ausstreuten und neue Früchte zur Reife brachten. Sechstes Kapitel. Das frühe Mittelalter in Deutschland und der sog. romanische Stil. Die Anfänge der germanischen Völkerwanderungskunst entwickeln sich überall auf antikem Kulturboden. Der Süden Rußlands, Spanien und Gallien waren schon seit hellenischer Zeit kolonisiert, das Rheingebiet war seit Cäsar vielleicht das wichtigste Zentrum römischer Provinzialkunst, selbst Ungarn, das in der Völkerwanderung der Tummelplatz aller Stämme war, hatte sich dem römischen Reichtum nicht verschließen können. So stießen die Germanen überall, wo sie weilten oder sich ansiedelten, auf eine Kunst, die zwar nicht klassisch antik war, aber doch als Provinzialkunst unter antikem Einfluß stand, und an deren Formenreichtum sie nicht ohne weiteres vorbeigehen konnte. So ist beispielsweise das Grabmal, das die Ostgoten in Ravenna ihrem König Theoderich errichteten, trotz mancher germanischen Züge doch im wesentlichen ein Monument spätantiker Kunst. Die Entwicklung wird durch die Völkerwanderung ebensowenig unterbrochen wie durch die Entstehung des Christentums; so wenig, daß man die Völkerwanderungskunst nur als ein Bindeglied ansehen darf, das spätrömische Elemente hinübergeführt hat bis ins germanische Mittelalter. Jener aus spätantiken Elementen gebildete Schmuckstil, den man kurzweg den Völkerwanderungsstil genannt hat, ist fortgebildet worden bis weit in die karolingische Zeit hinein. [Illustration: Abb. 38. Griff und Beschlag v. Schwert d. Childerich. Paris.] Überall, wo in diesen Jahrhunderten germanische Völker geweilt haben, hebt man aus ihren Gräbern Schmuckstücke, vor allem Gewandnadeln (Fibeln), geziert mit Goldzellen, in die rote indische Almandine gefügt sind (Abb. 38). Glänzend umfassen die goldenen Linien den tiefroten Stein, Zelle drängt sich neben Zelle, so strahlend und köstlich, daß auch der geringere Mann, für den das edle Material zu kostbar war, des Schmuckes nicht entbehren mochte und rotes Glas in Bronze faßte, ein interessanter Beweis für die auch sonst belegte Behauptung, das Altertum hätte die Bronze nicht patiniert, sondern in ihrer glänzenden Naturfarbe angewandt. Indessen ließen die einfachen Motive dieser sog. Verroterie den Schmuck als barbarisch erscheinen, bis die Entwicklung aus antiken Stilelementen zu diesem flächenhaften und doch farbigen Ausdruck nachgewiesen wurde, dessen Farbenkontraste mit dem scharfen Gegensatz von Licht und Schatten im ravennatischen Kapitell eng verwandt sind. Sicher ist, daß diese Technik dem Orient entstammt, sicher, daß sie von Byzanz aufgenommen und weiter entwickelt worden ist; von dort wahrscheinlich haben die germanischen Völker sie übernommen. Auf ihren Spuren finden wir sie in Südrußland und Ungarn, bei den Ostgoten von Ravenna und den Westgoten in Spanien. Immer feiner wird die Technik, immer zarter das Zellengewebe, immer zierlicher das Muster. In Paris bewahrt man das Schwert des Merovingers Childerich, dessen Griff in so feiner Verroterie gearbeitet ist, daß man sie geradezu für byzantinisch hält, und bis in die karolingische Zeit hinein ist in dieser Technik gearbeitet worden. [Illustration: Abb. 39. Gewandnadel aus einem alemannischen Grab.] Ein im engeren Sinne germanischer Schmuckstil, bei dem jeder Zusammenhang mit Ostrom ausgeschlossen scheint, ist ein hauptsächlich in Süddeutschland heimischer, dessen Ornamente aus Wurmformen und Bandverschlingungen weitergebildet sind (Abb. 39). Mit verschlungenen Bändern, wurmartig gekrümmten Tierleibern, wirren Rankengespinsten durchflicht seine lebhaft erregte Phantasie Schnallen und Fibeln. Die Technik ist selten die der Verroterie, die mit ihren großen Zellen nur für großzügige Muster geeignet ist, meist die beweglichere Metalltauschierung, bei der der Gegensatz zwischen hellem und dunklem Metall an die Stelle des Gegensatzes zwischen Gold und Almandin tritt. Also auch er, wie die Verroterie, ein malerischer Stil. Das isolierte Alemannien scheint ihn ausgebildet zu haben, aber er bleibt nicht auf seine Heimat beschränkt. Reichste Schöpfungen verschnörkelter Linienführung, köstlich in der Verschlingung phantastischer Tiergeschöpfe hat er in Irland hervorgebracht und ist hier nicht nur in der Kleinplastik, sondern auch in der Buchmalerei der eigentliche Stil des Landes geworden. Von hier aus ist er nach dem Nordland gewandert und hat in Skandinavien bis weit ins Mittelalter fortgewirkt. Ein Zusammenwirken beider altgermanischen Stile, die aber nie zu einer Einheit zusammengeflossen sind, findet zur Zeit Karls des Großen statt, eine Folge der Kulturentwicklung unter ihm. Denn er hat die Länder diesseits und jenseits des Rheines zu einem großen Reiche vereinigt und damit auch die spätantiken und die germanischen Kunstweisen, die getrennt in seinen Ländern sich entwickelt hatten, zu Werkzeugen +einer+ Kulturströmung, der sog. karolingischen Renaissance, umgeschaffen. Man darf freilich dieses Wort heute nicht mehr so verstehen wie damals, als man es nach literarischen Quellen zuerst prägte, als ob es sich um eine Wiederbelebung der antiken Kunst gehandelt hätte. Man überschätzt die Macht eines einzelnen Mannes, selbst von der Persönlichkeit Karls des Großen, wenn man nicht berücksichtigt, daß auch er von der Kultur, in der er aufwächst, abhängig ist. Vielmehr war die antike Tradition gerade im Frankenreiche bisher noch nie zerrissen worden, selbst durch die Völkerwanderung nicht. In dieses Land hatte sich die antike Kultur durch Jahrhunderte in tausend Strömen ergossen. Es erhielt auch jetzt noch, wohl über Massilia (Marseille), stets neue Anregungen aus der hellenistisch-christlichen Welt, vor allem aus Syrien, die die alten Traditionen lebendig nährten. Wenn fast ein Jahrhundert nach Karl die Normannen Paris belagern, so greifen sie mit denselben Kriegsmaschinen an, mit denen die Römer sich Gallien erobert hatten, und der Geistliche, der diesen Kampf beschreibt, bedient sich für sie noch derselben Worte wie Cäsar im Gallischen Krieg. In der kirchlichen Kunst wird immer noch die Erde als nährende Frau, das Meer als Neptun mit dem Ruder, werden Sonne und Mond als Götter auf ihren Viergespannen gebildet, und die vier Sangmeister vor David wie antike Ballettänzer. Für Karl den Großen handelte es sich nun um eine Stärkung der Bildung in seinem Lande. So erklärt sich das Paradoxon, daß er unzählige Evangelienbücher schreiben und zugleich die altdeutschen Heldensagen auszeichnen läßt, daß er Abteien gründet und zugleich die Namen der Monate verdeutscht. Um seinem Volke die Gelehrsamkeit nicht vorzuenthalten, die natürlich, nicht trotz der Zeitkultur, sondern ihr entsprechend, noch die antike der sieben freien Künste war, zieht er von allen Seiten die Männer an den Hof, die Träger der Bildung in ihrer Zeit sind, in erster Linie Geistliche. So werden hier die Kulturströmungen aller Länder zusammengeleitet. Die Folge davon ist, daß einerseits Karls Aachener Münster und einige andere Bauten im Grundriß und im Stil ebenso auf hellenistische Traditionen zurückgehen wie die Verroterie und gewisse Ornamente in der Buchmalerei der fränkischen Epoche vor Karl, daß gleichzeitig mit antikem, raumtiefem Impressionismus blattmäßig stilisierte Gestalten entstehen und vor allem mit den hochgebildeten irischen Geistlichen jenes phantastische Bandornament auch in die fränkische Kunst kommt, das wir in der alemannischen bereits kennen gelernt haben. Diese verschiedenartigen Stilrichtungen strömen nicht nur am Kaiserhof zusammen, sondern senden einen Zweig an diesen, einen anderen an jenen Ort, entsprechend dem Wirkungskreis der Männer, die sie verbreiten. Dort pflanzt sich dann die Tradition fort; es bilden sich Kunstschulen, und wir können diese für die karolingische Zeit so scharf trennen, wie die Malerschulen der italienischen Renaissance, und teilweise sogar die Klöster bestimmen, in denen die Stilformen daheim waren. Daß dabei die Kleinkünste jeder Art die eigentlichen Werte schaffen, zeigt, daß im Grunde die karolingische Kunst des Nordens und die frühchristliche des Südens dieselbe Stilstufe repräsentieren. Namentlich die Schreibstube von Reims, die auch Elfenbeinschnitzereien und Goldschmiedearbeiten geschaffen hat, hat sich in ihren Erzeugnissen klar heraussondern lassen, und es ist bezeichnend, daß sie, wohl die edelste Stätte karolingischer Kunst, in rein spätantikem Geiste schafft. Auf einem Blatt aus einem Kodex in Aachen (Abb. 40) sind die vier Evangelisten dargestellt, vor ihren Schreibpulten sitzend, inspiriert von ihren Symbolen, denen sie sich zuwenden. Die Bewegungen sind nicht nur mit aller Freude an ihrem Reichtum differenziert, sondern so frei und kühn, dabei so kompliziert, daß die antike Grundlage für diesen Impressionismus unzweifelhaft ist. Mit wenigen großzügigen Farbenstrichen ist der volle Wurf der Mäntel, sind die Gesichter, die lichtumflossenen Bäume der Landschaft zu räumlichen Erscheinungen geformt, die vier gesonderten Evangelistenbilder, die offenbar die Grundlage bildeten, so zusammenkomponiert, daß die Landschaften in Licht und Luft zusammengehen. Indessen, so kräftig auch das Nachleben der Antike in den Werken der karolingischen und selbst noch der ottonischen Kunst in Deutschland ist, so ist es doch eben nur ein Nachleben. Inzwischen waren schon die ersten Anregungen jenes neuen Stiles, den wir in Italien kennen gelernt haben, über die Alpen nach Deutschland gelangt. Schon zur Zeit Karls des Großen hatte sich die Basilika auch in Deutschland neben den Zentralbau -- der bedeutendste ist eben das Aachener Münster -- gestellt. Aus ihr formt sich allmählich jener Architekturstil, den wir unter dem Namen des „romanischen“ kennen. Die Geschichte seiner Ausbildung ist vorläufig noch wenig geklärt. Seine ältesten Werke im 10. Jahrhundert sind bereits vollkommen schöne Erzeugnisse seiner Art. [Illustration: Abb. 40. Die vier Evangelisten. Karolingische Buchmalerei. Aachen.] Es ist von vornherein anzunehmen, daß wir die wichtigsten Denkmale des neuen Stiles in Deutschland zu suchen haben werden. Denn nachdem Deutschland und Frankreich unter den Nachfolgern Karls sich getrennt hatten, hatte sich der Schwerpunkt des christlichen Europas immer mehr nach Osten verschoben. Im romanischen Mittelalter ist Deutschlands Volkskraft die mächtigste, und ihre Stärke konzentriert sich in den innersten Gebieten des Landes, in den Ländern am Harz und an der Elbe. Hier ist die Heimat der kräftigsten Kaisergeschlechter der Zeit, hier gründen sie ihre Burgen und ihre Kirchen, hier hat auch der romanische Stil seine vollkommenste Ausbildung erfahren. Es ist ungemein interessant zu verfolgen, wie der antike Impressionismus noch in der Buchmalerei der ersten Sachsenkaiser, der Ottonen, nachlebt, sich aber von antiker Art immer weiter entfernt, immer zeichnerischer wird, bis er schließlich, ganz linear geworden, sich dem Stil der romanischen Kunst vollkommen eingliedert. Das ist der Weg der allgemeinen Zeitkultur. War in karolingischer Zeit der Klerus die geistliche, wie der Staat die weltliche Macht, war die Bildung mannigfaltig, das Erbteil der Antike noch nicht ganz verzettelt, so stellen sich nun Kirche und Staat immer schärfer gegeneinander, bis Kaisermacht und Papsttum, Adel und Klerus einander als Feinde gegenüberstehen, die um die Macht in der Welt ringen. Da aber die Kirche den Geist der Menschen völlig beherrscht, ist sie nun der einzige Träger dessen geworden, was man damals unter Bildung verstehen kann, und diese Bildung selbst wird vollkommen kirchlich. Wenn bis in die ottonische Zeit die Geschichtschreibung blüht, wenn noch unter Otto dem Großen die Nonne Roswitha ihre geistlichen Dramen nach antikem Vorbild schreibt, so wird weiterhin die Literatur vollkommen christlich, und ihre Themen werden nicht einmal mehr der Bibel entnommen, sondern der Heiligenlegende. Und die Geschlossenheit dieser kirchlichen Weltanschauung, die immer ärmer, aber auch immer fester wird, steht im engsten Zusammenhang mit der Geschlossenheit der Stilanschauungen. Der romanischen Kirche liegt die Anlage der altchristlichen Basilika zugrunde. Was sie von diesem Vorgänger unterscheidet, ist die konsequentere Durchbildung, die organischere Gestaltung. Die Vorhalle wird verkleinert und in den Bau miteinbezogen, das Querschiff energisch ausgebildet, der Chor als Raum für die Geistlichkeit zum wichtigsten Teil der Kirche gemacht und über das Niveau des Schiffes erhoben, so daß unter ihm in einer Art Untergeschoß Platz für die Gruftkirche, die Krypta, bleibt. Dem wichtigen Ostchor wird oft im Westen noch ein zweiter Chor gegenübergestellt. So bedeutet die romanische Kirche in allen Teilen eine Steigerung der altchristlichen Bautendenz. Grundriß und Aufbau, Außenbau und Innenbau sind in ebenso vollkommener Einheit mit dem Organismus des Baues wie das Baudetail, das sich nie über ihn hinausdrängt, um nicht durch eigenes Leben die größere Harmonie zu stören. Wir haben in der romanischen Kirche das organisch vollkommenste Bauwerk zu sehen, das seit dem dorischen Tempel geschaffen worden ist. Daß unsere Zeit das bisher nicht erkannt hat, liegt daran, daß sie Reichtum mit Schönheit verwechselt und so dazu kam, den romanischen Bau mit dem Worte langweilig abzutun, anstatt seinen Stil zu verstehen. Man muß lernen, architektonische Klarheit und architektonische Schönheit als eines zu nehmen, wenn man diesen Werken gerecht werden will. [Illustration: Abb. 41. Hildesheim. St. Godehard. Äußeres.] [Illustration: Abb. 42. Portal der Marienkirche in Gelnhausen.] Es kommt hinzu, daß der Grundtypus schon früh umgeformt worden ist und wichtige Denkmale zugrunde gegangen sind, so daß es schwer hält, die klassische Form herauszuschälen. Das sächsische Land, aus dem, wie wir sahen, in der Blütezeit des Stiles die deutschen Kaiser erwuchsen, hat sie vielleicht am klarsten, am vollkommensten ausgeprägt. St. Godehard in Hildesheim (Abb. 41) ist ein klargeformtes, edles Werk des frühen 12. Jahrhunderts. Jeder Teil des Grundrisses, Mittelschiff und Seitenschiffe, das sie schneidende Querschiff und die Altarapsiden sind im Außenbau ausgedrückt und streng in ihrer Gestalt begrenzt. Scharf, ohne Übergang stoßen die Mauerkanten aufeinander. Die Mauerfestigkeit des Baues bleibt auch für das Auge vollkommen gewahrt. Wandgliederungen treten nur als belebende Begleitung auf, mit derselben Absicht, aber durchgebildeter in der Form wie bei der altchristlichen Basilika. Ein Sockel grenzt die Wand gegen den Boden ab, ein Fries von kleinen Bögen (Rundbogenfries) läuft den Dachlinien entlang und bezeichnet scharf den horizontalen Abschluß, in den seine Zacken die ganze Wand aufnehmen; flach hervortretende Mauerverstärkungen, Lisenen, verbinden Rundbogenfries und Sockel über die Wand hinweg und setzen so Wand und Gliederung in Einheit. So bleibt die Mauer auch für das Auge die starke Außenbegrenzung des Baues. Die Türme stehen nicht mehr lose neben dem Bau, ohne jede Beziehung zu ihm, aber sie drängen sich auch nicht in ihn hinein. Sie sondern sich klar vom Gebäude, dem sie doch an den Ecken den festen Abschluß geben. Dort, wo der Turm zum Innenraum Beziehung hat, an dem wichtigen Punkte, wo Langschiff und Querschiff sich kreuzen, der sog. Vierung, bindet er sie wie mit stark geschürztem Knoten zusammen. Man muß die Meinung fallen lassen, die seit der Pseudogotik des 19. Jahrhunderts bei uns herrschend ist, es müsse die wichtigste Seite einer Kirche die Schmalseite sein, der Eingang hier zwischen den Türmen liegen, sonst wird man der Schönheit dieser Bauten nicht gerecht. Denn die Schmalwand ist bei ihnen ungegliederte Mauer. Der Eingang liegt an der Langseite, der wichtigsten, da sie den Bau in seiner ganzen Erstreckung umfaßt. Das romanische Portal ist ein Gebilde von gleicher Selbstverständlichkeit (Abb. 42). Es ist nicht dem Nahenden entgegengeführt oder durch einen Rahmen von der Mauer geschieden, wie in der Renaissance, sondern lautlos in die Wand eingetieft; die Gewändeleibungen streng von den Archivolten (Bogen) scheidend, schließt es sich immer enger zusammen und zieht den Nahenden förmlich in sich hinein, nicht aufdringlich, aber mit der sicheren Kraft architektonischer Notwendigkeit. Wie sicher hier das Stilgefühl schafft, dafür mag ein Beispiel genügen. Die italienische Kirche der gleichen Zeit überdacht ihr Portal mit einem Baldachin, der auf löwengetragenen Säulen ruht, und da sich hier das Portal an der Schmalseite befindet, läßt man die Löwen senkrecht aus der Wand heraus dem Nahenden entgegentreten. Man wußte immer, daß ein solches italienisches Portal dem der Kirche von Königslutter bei Braunschweig zum Vorbild gedient haben mußte, das die gleichen auf Löwen ruhenden Säulen zeigt, und wußte doch nichts Rechtes damit anzufangen, denn hier stehen die Löwen zu beiden Seiten des Portals einander zugewandt, eng an die Wand geschmiegt. Allein das ist von unserm stilistischen Standpunkte aus ganz folgerichtig. Denn das Portal befindet sich hier eben an der Langseite, ihr müssen die Löwen sich einschmiegen, und gerade die Logik dieser Umwandlung des Vorbildes zeigt, wie die Gesetzmäßigkeit des architektonischen Gefüges hier jedes Bauglied durchdringt. [Illustration: Abb. 43. Hildesheim. St. Michael. Inneres.] Für die organische Klarheit des sächsischen Innenbaues, die dem Gefüge des Außenbaues entspricht, kann St. Michael in Hildesheim als klassisches Beispiel gelten (Abb. 43). Wie bei der altchristlichen Basilika führen auch hier die Reihen der Stützen auf die Apsis zu, aber nicht in so hastiger Linie; ernster, strenger macht hier der tektonische, rhythmisch gliedernde Stützenwechsel von Pfeilern und Säulen den Weg, wie der Triglyphen- und Metopenfries des dorischen Tempels strenger ist als der fortlaufende Fries des ionischen. Das Querschiff begegnet ihm, aber Bögen auf starken Pfeilern begrenzen nach allen vier Seiten das Vierungsquadrat. Aus ihm führt eine Treppe in die Krypta (Abb. 44) mit den Heiligengräbern der Kirche hinab, von ihm nimmt der Chor, der Raum für die Geistlichkeit, seinen Anfang. Erhöht und häufig durch reliefgeschmückte Schranken vom Schiff getrennt, ist er nicht mehr die einfache Nische der altchristlichen Kirche, sondern ein weit hinausgeschobener Raum, der für die größere Zahl der Geistlichen Platz bieten muß. Aber noch immer hat er dieselbe Funktion, als rundgeschlossene Nische den Schall der Worte, die am Altar gesprochen werden, zu sammeln und den Chorraum zugleich kräftig abzuschließen. So ist der Innenbau logisch gefügt wie der Außenbau. Auch seine Schönheit beruht auf der klaren Abgrenzung der Teile gegeneinander und dem klaren Ausdruck ihrer Funktionen. Man sieht, wo außen die Dächer der Seitenschiffe ansetzen, wo das Querschiff, wo der Chor beginnt. Daß die Fenster erst in der freien Obermauer des Mittelschiffes durchgebrochen werden können, ist selbstverständlich, aber es ist auch kein Versuch gemacht, sie irgendwie, etwa durch dekorative Halbsäulen, mit den Stützen der Wand zu verbinden. Das bringt erst das Ende des romanischen Stiles zugleich mit der Einwölbung. Hier aber ist die Decke noch eine hölzerne Flachdecke, die das Gebäude oben so wandgemäß abschließt, wie die Mauern an der Seite, und den Blick zusammen mit der Felderteilung der Obermauer sicher nach dem Altare lenkt. Und selbst, wo die Decke in dieser strengen Zeit schon gewölbt ist, über kleineren Räumen, wo die technischen Schwierigkeiten nicht so groß sind, über der Krypta etwa und allenfalls über den Seitenschiffen, ist die Wölbung flach und ruhig begrenzend. [Illustration: Abb. 44. Köln. St. Gereon. Krypta.] Jedes einzelne Bauglied ist mit dieser Logik gesättigt. Die tragende Säule (Abb. 44) ist hier ebenso sachgemäß gegliedert wie die tragende Mauer außen. Eine Platte trennt die Säule energisch vom Boden ab, dem sie doch durch ihre quadratische Form stärker angehört als die Basis über ihr, zu der Eckblättchen hinüberführen, und die durch ihre Rundung schon als zur Säule gehörig empfunden wird. Ungegliedert ruht der Schaft auf ihr, nicht aufwärts strebend, wie die kannelierte dorische Säule, sondern objektiv tragend; er endigt in einem Kapitell, dessen Rundung in einen vierkantigen Würfel übergeht (Würfelkapitell, Abb. 44) und so den runden Schaft hinaufführt in den kantigen Bogenansatz. Diese Form der romanischen Säule ist die struktivste, weil sie die architektonischen Funktionen am klarsten aufzeigt, aber die Formen sind ungemein variabel. Ganz abgesehen von dem Eckblatt, das dem Steinmetzen jede Freiheit der schöpferischen Phantasie gestattet, wird oft das Kapitell mit reichgeformtem Schmuck umkleidet, der Schaft mit Flechtwerk umschnürt, selbst regelrecht kanneliert. Immer aber sind diese Ornamente streng stilisiert, gehen ihre Formen eng mit denen der Säule zusammen; immer ist die Säule klar gegliedert, ist sie bei allem Reichtum stark und kraftvoll, niemals bloße Dekoration. Wie energisch sind die reichen Kapitelle von St. Michael in Hildesheim (Abb. 43); die Säulen sind hier um nichts schwächer als die kräftigen viereckigen Pfeiler zwischen ihnen, die nichts als vierkantiger Mauerrest sind, und deren Sims nur die Stützen klar vom Bogenansatz scheidet. Wir hätten heute in ihnen die Formen der Säulen kopiert und das Sims als Kapitell gestaltet. Der romanische Stil aber ist ehrlich bis zur absoluten Zweckschönheit. [Illustration: Abb. 45. Sündenfall an der Decke von St. Michael zu Hildesheim.] Es ist kein Zufall, sondern notwendige Logik, daß in dieser Kunst Freiplastik und Tafelmalerei vollkommen fehlen. Gleich dem dorischen Stil erkennt der romanische die Zweckkünste als die entscheidenden an, denen die „hohe Kunst“ sich unterordnen muß. Die Plastik, selbst die figurale, dient dem Schmuck der Bauwerke, ihrer Säulen, Wände und Portale, und bei dem Wert der Wand für die Stileinheit ist hier das flache Relief das erforderte Ausdrucksmittel. Die Darstellung des thronenden Christus zwischen Heiligen in der Lünette des Portals von Gelnhausen (Abb. 42) ist typisch. Das ruhige Enface der Gestalten in einer Aufreihung, die ohne den geringsten Versuch zur Gruppenbildung fast raumlos wirkt, die lineare Zeichnung der Gewänder macht sie zum flächenhaften Architekturornament. Aber gerade dadurch fügen sie sich dem Organismus des ganzen Baues so logisch ein, wie die Giebelskulpturen dem Tempel von Ägina, und ihre religiöse Hingegebenheit ist um so stärker, je weniger die Naturbeobachtung mitspricht. Die wenigen anderen, stets tektonischen Arten der Plastik, die Grabplastik etwa, schaffen die gleichen Formen unter den gleichen Bedingungen. Der Malerei steht in der Kirche der breite Raum der Obermauer des Mittelschiffes, die Fläche der Holzdecke zur Verfügung, ferner als ungemein reiches Feld die Ausschmückung von Tausenden und Tausenden geschriebener Bücher. Sie darf im Buch die Fläche des Blattes, an der Wand die Fläche der Mauer nicht sprengen durch Tiefenwirkung. So ist ihr zeichnerischer Charakter bedingt. Die Miniaturen der ottonischen Zeit, etwa des 10. Jahrhunderts, hatten wie die gleichzeitige Architektur noch manches von antiken Formen, noch vieles von antikem Impressionismus, von antiker Haltung und Bewegung der Gestalten besessen. Aber schon im 10. Jahrhundert beginnt, wie wir sahen, die Erstarrung, vollzieht sich ein Übergang zur zeichnerischen Darstellung, in der das Ornament eine große Rolle spielt, und zugleich zur kanonischen Festlegung der Bildtypen. Das 12. Jahrhundert bedeutet die Vollendung dieses Prozesses, der unter Mitwirkung byzantinischer Vorlagen vor sich geht. Aber sie sind keine Eindringlinge. Kein Künstler und keine Epoche erfährt irgendwelche Einflüsse, ohne sie als schön zu begehren. Losgelöst vom Räumlichen, ohne jede Tiefenwirkung, ohne jeden Augenblicksausdruck in den Gesichtern der Gestalten, nur dem Bild hingegeben, sind diese Malereien von einer Größe, die über jedes Irdische hinwegführt. Man nehme eine Darstellung des Sündenfalles, wie Meister Rathmann sie im 12. Jahrhundert an die Decke der Michaeliskirche zu Hildesheim gemalt hat (Abb. 45), und daneben die Auffassung Dürers vom gleichen Gegenstand (Bd. II, Abb. 12). Dem Meister der deutschen Renaissance ist der Sündenfall eine Genreszene, die in einem freundlichen, baumreichen, von buntem Getier bevölkerten Garten vor sich geht und noch heute so vor sich gehen könnte. Dem mittelalterlichen Maler, der sich mit den allerknappsten Andeutungen begnügt, um den monumentalen Stil der Wandmalerei nicht zu verlieren, der die Bäume durch Ranken, die Gesichter in der strengen Form der byzantinischen Kunst, das Darreichen und Empfangen des Apfels ohne jede Erregung gibt, ist sie die ernste, hieratisch streng gebildete Handlung, die den Fluch des Menschengeschlechtes bedeutet. Das Räumliche, das Individuelle hätte hier den irdischen Maßstab gegeben, der zu klein ist, um das Mysterium der Erbsünde in ihn zu fassen. Erst die Loslösung von jedem menschlichen Maß bedeutet die Loslösung vom Alltäglichen. [Illustration: Abb. 46. Romanischer Kelch von Wilthen.] Es ist interessant, daß die Buchmalerei genau die gleichen Wege geht wie die Wandmalerei. So selbstverständlich das ist, so beweist es uns doch, daß auch hier wieder Kunstgewerbe und Monumentalkunst denselben Gesetzen folgen. Auch das Kunsthandwerk formt und gliedert zweckgemäß. Das Reliquiar steht fest auf dem Boden und schließt oben kräftig ab. Der Kelch (Abb. 46), dessen Entwicklung aus den zierlichsten Trinkgefäßen des Altertums sich schrittweise verfolgen läßt, nimmt mit breiter Kuppa den Wein auf, steht auf kräftig verbreitertem Fuß, und der Knoten in der Mitte faßt die Teile zusammen wie die Vierungskuppel Lang- und Querschiff des Domes. Genau wie die Mauer oder die Buchseite braucht seine Wandung gleichmäßig flächenhafte Zeichnung, wenn ihre abschließende Kraft nicht leiden soll. Deshalb sind die flächenmäßig entrollten Ranken überall Hauptornament, ist die menschliche Gestalt ihnen gleichgestellt, zum Ornament geworden, und daher kommt es, daß die linienzeichnende Gravierung im romanischen Mittelalter eine bevorzugte Technik für die Dekoration von Metallflächen werden konnte. Ihre Steigerung ist das Niello, eine schwarze Schwefel-Silberverbindung, die in die vorgravierten Linien des glänzenden Silbers eingeschmolzen wird und so die Darstellung dunkel in hellem Grunde zeichnet. Gerade diese Anwendung ist bezeichnend, denn das Niello ist ursprünglich eine impressionistische Technik mit dem Zweck, in breite Flächen eingeschmolzen zu werden. So wird es im hellenistischen Kunstgewerbe verwandt, so in der Kleinkunst der italienischen Renaissance. Aber im romanischen Mittelalter zeichnet der dunkle Niellostreif auf dem hellen Metallgrund wie bei der Gravierung der Schatten in der eingeritzten Furche. Bedürfte es für die Stillogik dieser Anwendungsart noch eines Beweises, so würde ihn das Email liefern, an dem sich die Geschichte dieser Entwicklungen besonders klar ablesen läßt. Das mittelalterliche Email hat seine früheste Blüte in Byzanz gehabt. Wie die Verroterie die roten Steine in die Goldzellen bettet, inkrustiert, so schmilzt diese Technik die farbige Emailmasse in die Goldzellen. Und doch ist die Differenz sehr groß. Das beweglichere Email formt mit den Goldstreifchen die Randlinien figuraler Zeichnungen, füllt diese mit den mannigfaltigsten Farben, deren Flächen zwischen den dünnen Goldrändern für den Anblick entscheidend sind. Bei der Verroterie sind die Goldlinien derber, das Ornament strenger stilisiert, die Farbe einfacher. Kurz gesagt -- Email und Verroterie sind beides koloristische Techniken, aber die Verroterie entspricht dem kräftigen Wechsel von hellen und dunklen Tönen, wie im ravennatischen Kapitell (Abb. 35), das Email dem malerischen Nebeneinander der Farbenflächen, wie im byzantinischen Mosaik (Abb. 37). So wird es vom Deutschland der ottonischen Zeit übernommen, in dessen Buchmalerei wir die parallelen Erscheinungen schon kennen gelernt haben. In der klassischen Zeit des romanischen Stiles indessen wird dieses koloristische Zellenemail (~Email cloisonné~) von einer anderen Schmelztechnik verdrängt, die vollkommen zeichnerisch arbeitet, nämlich vom Gruben-Email (~Email champlevé~; Plättchen in Abb. 53). Jetzt hebt man aus einer Kupferplatte die Flächen, die das Email aufnehmen sollen, aus, und die breiteren Begrenzungslinien, die stehen bleiben und vergoldet werden, geben, oft noch durch Gravierung unterstützt, eine energische Zeichnung. Das Email selbst unterstützt diese Wirkung durch neue Eigenschaften. Waren seine Farben früher, da sie noch mit raumdurchbrechenden impressionistischen Tendenzen Zusammenhänge hatten, durchscheinend (transluzid) und ließen den goldenen Grund leuchtend durchschimmern, so ist nun, bei den undurchsichtigen (opaken) Emailen des Mittelalters allein die Oberfläche maßgebend für den farbigen Ausdruck. Das Gerät wirkt nur noch mit der Haut, wie die romanische Kirche mit der Wand. An die Stelle des tiefen, unersättlichen Glänzens tritt eine befriedigte Sicherheit, wie überall in diesem ernsthaft festen Stil. Er steht als eine Einheit vor uns, wie die Volkskraft einheitlich war, die ihn bildete, der religiöse Sinn stark, der seine Werke schuf. Architektur und Kunstgewerbe, Plastik und Malerei folgen demselben Schönheitsgesetz, und dieses ist im letzten Grunde dasselbe, das dem dorischen Stil der frühen Zeit seine strenge Größe gab: jede Form aus dem Zweck entstehen zu lassen und den Zweck in ihr auszudrücken. Das heißt nicht, daß der Stil phantasielos wäre. Von dem Reichtum des ornamentalen Details war schon die Rede, und es ist für jede Art der Dekoration nicht ärmer als für die architektonische. Aber selbst die Formen der Kirchen variieren in Grundriß und Aufbau nach Zweck und Landschaft. Westfälische Kirchen, denen ihr kubischer Turm den Charakter gibt, sind derber, rheinische belebter als sächsische. Sogar eine Hauptfrage, wie die der Bedachung, wird keineswegs nur durch die flache Balkendecke gelöst, wenn diese auch in der frühen Zeit die wichtigste Form ist, sondern auch durch gewölbte Steindecken, wie sie vor allem im Süden Frankreichs durch das ganze romanische Mittelalter vorkommen. Hier, wo die römischen Bauten noch immer als die besten Vorbilder technischer Konstruktion der Zeit vor Augen standen, werden Kuppeln und Tonnengewölbe in strengen, ruhenden Formen als kräftiger Abschluß fast regelmäßig verwandt. Aber das Kreuzgewölbe (Abb. 44), das einen quadratischen Raum in vier, in scharfen Graten zusammenstoßenden Kappen überwölbt, vermochte eine Reihe von aufeinanderfolgenden Quadraten, wie der basilikale Grundriß sie darstellt, am ehesten vollkommen gleichmäßig zu überdachen. Um das Jahr 1100 verdrängt diese alle anderen Abschlußformen des Raumes. Auf ihr beruht die Stilentwicklung der Folgezeit. [Illustration: Abb. 47. System des Domes zu Mainz.] Das Kreuzgewölbe ist in Frankreich, wohl an der Kirche von Cluny, zuerst zur Einwölbung des ganzen Baues verwandt worden. Zwar hatte man in ganz Deutschland, wie schon auseinandergesetzt, kleinere Räume mit Kreuzgewölben einzudecken verstanden (Abb. 44). Aber zur Einwölbung der ganzen Kirche gelangt Deutschland doch erst mit dem gegen 1100 erbauten Dom zu Mainz (Abb. 47). Sein System kann geradezu als Schulbeispiel für dieses Stadium des romanischen Stiles gelten. Mit Graten, den scharfen Kanten aneinanderstoßender Gewölbefelder, die zu zweit zum Halbkreis sich zusammenschließen, kann man ohne Gefahr des Einsturzes nur quadratische Felder überwölben, und da beim Mainzer Dom die Kurve nur ganz wenig vom Halbkreis zum Spitzbogen abweicht, so war man gezwungen, alle Gewölbejoche möglichst quadratisch zu machen und auf je ein Mittelschiffsquadrat zwei Seitenschiffsquadrate zu rechnen. Diese Notwendigkeit, die natürlich in der ganzen ersten Zeit romanischer Gewölbetechnik vorhanden war, und für die der Dom zu Mainz ein bis zu monumentaler Größe strenges Beispiel ist, bedingt einen Rhythmus der Architektur, der der romanischen Gesetzmäßigkeit durchaus willkommen sein mußte. Denn man ist dadurch gezwungen, zwischen die Hauptpfeiler je einen Nebenpfeiler einzuschieben, der die Last des quadratischen Seitenschiffsjoches aufnimmt (sog. gebundenes System). Das genügt. Denn es ist der große Fortschritt des Gratgewölbes gegenüber der Flachdecke, die auf einer fortlaufenden Mauer liegen muß, daß die Last der sich gegenseitig stützenden Kappen großenteils auf den runden Gurten und Mauerbögen ruht, so daß man zwar deren Endigungen durch Pfeiler unterstützen muß, aber die Mauern, auf denen die Gewölbe ruhen, weniger tragfähig zu machen braucht. So werden beim Dom von Mainz durch die Halbsäulen und die hinter ihnen liegenden Pfeiler die rundbogigen Gurte zwischen den Gewölbequadraten getragen, die zugleich die ästhetische Funktion erfüllen, die Gewölbejoche voneinander zu scheiden. Die beiden anderen Kappen ruhen zwar noch auf den Mauern des Schiffes, allein auch von ihrer Schwere wird so viel durch die Bögen aufgenommen, daß es möglich ist, die Obermauer des Mittelschiffes zwischen den Pfeilern schwächer zu bauen. Allerdings ist das nur rechts und links des Mittelpfeilers angängig, der die Last des Seitenschiffsgewölbes aufnimmt, und auf den durch kleinere Bögen in der Mauer zugleich die Last des darüberliegenden Teiles der Obermauer übertragen wird. Die folgenden Bauten, die Dome von Speyer und Worms, bilden das System noch stärker aus, lehnen an die Hauptpfeiler, die die Gurte tragen, Nebenpfeiler an, die die Grate aufnehmen, und höhlen zwischen diesem starken Tragegerüst die Mauern so sehr aus, daß die vom kleineren Mittelpfeiler aus an der Wand heraufgeführten Bögen die Fenster der Obermauer miteinschließen. Es ist sehr die Frage, ob die Durchbrechung hier nicht schon so stark ist, daß man ein Recht hat, vom vertikalen Emporstreben der Pfeiler zu sprechen gegenüber der horizontalen Richtung romanischer Baulinien, und die Bauten bereits den Vorläufern der Gotik in Deutschland, die man zum sog. Übergangsstil zusammengefaßt hat, zuzurechnen. Denn beim Dom zu Worms ist auch an den Außenseiten die Verbindung der Türme mit dem Hauptbau bereits sehr eng, ihre Form sehr steigend, der ganze Aufbau sehr der Gotik angenähert, die dann die Mauern auflöst und die Türme völlig in den Bau einbezieht. Mit diesen Bauten bricht die konsequente Stilentwicklung in Deutschland fast plötzlich ab. Aus welchen Gründen, wird noch zu erörtern sein. Wenn Frankreich bereits in diesem letzten halben Jahrhundert bahnbrechend war, so übernimmt es nun für die Epoche der Gotik vollkommen die Führung, und was Deutschland schafft, ist zunächst nicht viel mehr als umwertende Kopie. Siebentes Kapitel. Die Anfänge der Gotik. Es ist heute keine Frage mehr, daß die Gotik, die man in der romantischen Zeit des 19. Jahrhunderts als den deutschen Stil an sich ansah, in Frankreich geboren wurde. Von diesem Lande gehen nach der strenggesinnten romanischen Epoche alle Regungen eines modernen Geistes aus. Die Scholastik nimmt von hier ihren Ursprung, die zuerst wieder das philosophische Denken neben den reinen Glauben stellt, kirchliche Reformbewegungen, wie die der Cluniacenser, die vielleicht die Gratwölbung mit sich nach Deutschland geführt hat, die modischen Sitten des Rittertums, der Minnesang, die mystische Erregung der Kreuzzüge und die gotische Kunst. In diesem Lande, in dem man zuerst von der flachgedeckten zur gewölbten Basilika überging, vollzieht sich nun auch die Weiterentwicklung der Wölbungstechnik, wird der Schritt vom Grat zur Rippe, vom Rundbogen zum Spitzbogen getan (Abb. 48). Die Rippe ist ein ummantelter Grat, der dadurch aber eine sehr erhebliche Verstärkung seiner Tragkraft gewonnen hat. Denn während der Grat nur eine Linie ist, die den Druck des Gewölbes gewissermaßen in sich summiert, ist die Rippe ein Körper, ein Gebilde mit eigener Tragfähigkeit, das den Druck der Gewölbe in sich aufzunehmen vermag. Bedeutet so das Eintreten des Rippengewölbes an Stelle des romanischen Gratgewölbes schon ein wesentliches Hinausführen über das romanische Prinzip, so bedeutet die konstruktive Verwendung des +Spitz+bogens den neuen Stil. Denn während beim Halbkreisbogen, wie die romanischen Grate und Gurte ihn bildeten, die Steinschichten der Gewölbekappen nebeneinanderliegen, und so immer der Seitenschub wirkt, der der stützenden Mauer bedarf, liegen die Schichten beim steileren Spitzbogen übereinander, der Seitendruck ist fast ganz aufgehoben und in einen Druck nach unten verwandelt, der sich an den vier Eckpunkten des Gewölbefeldes summiert (Abb. 48 ~e~). So ist es möglich, die Mauer, die nun keinen Seitenschub mehr trägt und damit ihre eigentliche Funktion verloren hat, zu durchbrechen, wo man irgend will. Dagegen ist es notwendig, diese Eckpunkte, auf denen nun ein ungeheurer Druck liegt, zu stützen, und dazu genügen nicht einmal die gewaltigen Pfeiler des Kirchenschiffes. Sie müßten einknicken unter der Last, die sich auf sie türmt, wenn nicht auch sie an den empfindlichsten Stellen gestützt würden. Dazu dient das Strebesystem. An den gefährdetsten Punkten eines jeden Pfeilers, vor allem dort, wo das Gewölbe in ihn übergeht, werden freigeführte Bögen, sog. Strebebögen (~c~), angesetzt, die den Druck nach außen auf einen gewaltigen, massiv gemauerten Pfeiler (~a~) ableiten. Diese sog. Strebepfeiler, die an die Außenwand der Seitenschiffe angelehnt sind und dort zugleich den Schub der Seitenschiffsgewölbe aufnehmen, sind Mauerklötze von ungeheurer Stärke. Sie sind die eigentlichen Träger des Gewölbeschubes. Andererseits aber müssen auch innerhalb der Kirche im Scheitelpunkt des Joches die Gewölberippen zusammengehalten werden, wenn sie sich nicht voneinander lösen sollen (~e~). Das geschieht durch einen einzigen fest hineingekeilten Stein, den Schlußstein, dessen wichtige Baufunktion meist durch ornamentalen Schmuck besonders betont wird. [Illustration: Abb. 48. Gotisches System. (Kathedrale zu Amiens.) ~a~) Strebepfeiler. ~b~) Fiale. ~c~) Strebebogen. ~d~) Triforium. ~e~) Gewölbe mit Rippen und Schlußstein. ] [Illustration: Abb. 49. System der Kathedrale von Noyon.] Dieses ganze System, das es ermöglicht, die Kathedrale vollkommen auf Stützen zu bauen und die Wand überflüssig zu machen, entwickelt sich trotz der Gesetzmäßigkeit, mit der in ihm jeder Teil den andern bedingt, erst ganz allmählich zur vollkommenen Freiheit. Obgleich in der französischen Frühgotik der zweiten Hälfte des 12. Jahrh., in den Kathedralen von Paris, Laon, Noyon u. a. bereits alle wesentlichen Elemente des Systems vorhanden sind, sind sie doch noch keineswegs vollkommen ausgenutzt. Hatte doch die romanische Architektur in der Mauer den einzigen Träger der Eindeckung gesehen, und die Tendenz dieser neuen Kunst war die ganz entgegengesetzte, die vollkommene Ausschaltung der Wand. Betrachtet man das System einer solchen frühgotischen Kathedrale, etwa der von Noyon (Abb. 49), genauer, so sieht man, wie schrittweise die Entwicklung von der gewölbten romanischen Basilika her sich vollzieht. Aus den rundbogigen Graten sind zwar schon spitzbogige Rippen geworden, aber was hier zugrunde liegt, ist doch noch vollkommen das gebundene romanische System, in dem auf ein Mittelschiffsjoch zwei Seitenschiffsjoche kamen. Wir sahen auch schon, wie bei den spätromanischen Domen von Worms und Speyer die mittleren Pfeiler, die ursprünglich nur die Seitenschiffsgewölbe aufnehmen sollten, in die Höhe geführt wurden, um auch noch einen Teil des Druckes von Obermauer und Gewölbe aufzunehmen und die Wand zu entlasten. Dieser Funktion werden sie jetzt weit intensiver dienstbar gemacht. Denn nun werden auch von ihnen aus Halbpfeiler mit Gewölberippen in die Höhe geführt, um sich mit den Hauptpfeilern in die Last des Gewölbes zu teilen. Zwar gelten die Mittelpfeiler auch jetzt noch, wie in Mainz (Abb. 47), allzu deutlich als Nebenpfeiler, denn während bei den Hauptpfeilern die Gliederung des Gurtes und der Rippen bis zur Erde durchgeführt ist, ruhen sie auf einem säulenartig gebildeten Träger, wie um anzudeuten, daß sie mehr zum Nebenschiff gehören als zum Hauptschiff, mehr stützen als tragen. Aber die Funktion stellt sie doch schon vollkommen den Hauptpfeilern gleich. Denn jedes Gewölbejoch wird gleichmäßig von den sechs Rippen getragen, die es durchschneiden, und dieses sog. sechsteilige Gewölbe ist das charakteristische Kennzeichen der französischen Frühgotik. Auch die Durchbrechung der Wand schreitet weiter. Gegenüber der Kraft der romanischen Mauer scheint sie förmlich zerfetzt. Die hohen Fenster zu oberst, darunter die kleine, nur als Trennung wirkende Zwerggalerie (Triforium), schließlich die Bogenöffnungen der Empore über dem hochgewölbten Seitenschiff, all das bedeutet ihre völlige Auflösung. Und wenn auch die Simse und Gliederungen noch vollkommen horizontal laufen, wie die romanischen, so werden sie doch beherrscht durch die strebende Vertikale der Pfeiler, die so charakteristisch für den neuen Stil der Gotik ist. Wenn auch die Form dieser Stützen noch säulenhaft rund, der freitragende Teil im Kirchenschiff geradezu noch eine Säule ist, so bedeutet doch die neue Kapitellform, das Hörnerkapitell, bereits eine Auflösung des Kapitell-Leibes durch eine Knospenform, ihre Biegung eine Abkehr von der Last, die an die Wirkung der ionischen Volute erinnert (Abb. 50). Daß sich der Spitzbogen hier, wie an vielen anderen Bauten der Zeit, in der Dekoration noch nicht überall durchgesetzt hat, beweist nur, daß solche äußerlichen Kennzeichen für die Zuweisung an einen Stil gar nicht maßgebend sind. [Illustration: Abb. 50. Frühgotisches Hörnerkapitell. Paris, Notre Dame.] Wie im Innenbau dringt der Spitzbogen nun auch im Außenbau immer mehr durch. Schon die Aufreihung der Strebepfeiler an den Längswänden hätte es unmöglich gemacht, diese auch jetzt noch als Hauptwände der Kirche anzusehen. Die Schmalseite (Abb. 51) wird jetzt der wichtigste Fassadenteil, und von der ästhetischen Bedeutung dieses Schrittes wird noch die Rede sein müssen. Hier befindet sich jetzt das Hauptportal, hier sind die Haupttürme. Denn diese stehen jetzt nicht mehr lose neben dem Bau, sondern sind ihm organisch eingegliedert, ja, beginnen die Fassade nach oben aufzulösen. Freilich verlaufen nur die Pfeiler an den Turmecken vom Erdboden auf konsequent in vertikaler Richtung. Noch sind die wagerechten Linien der Simse und der Statuengalerie mächtig genug, um immer wieder die horizontale Richtung zur Geltung zu bringen und nicht mehr als eine bloße Durchbrechung der Wand zuzulassen. Denn das ist die Absicht etwa des großen Radfensters (Fensterrose), das den Raum zwischen den Türmen ausfüllt, der hohen malerisch dekorierten Fenster im Turm, des feinen Maßwerks der obersten Galerie. Auch die Skulptur ist hier keineswegs mehr so organisch dem Bau eingegliedert, sondern bedeutet in der Königsgalerie über dem Portal ebenso wie in den noch immer energisch abgetreppten Portalen zwar eine verstärkte Betonung der Richtungen, aber eine Auflösung der Form. Es ist nun diese frühe Form der französischen Gotik, die von Deutschlands Stilentwicklung entscheidend fortgeführt wurde. Mit dem großen französischen Kulturstrom kam auch die Kenntnis von Stil und Art der Gotik nach Deutschland hinüber, das schon durch die Entwicklung seiner spätromanischen Baukunst auf so bewegte Formen vorbereitet war und sie geradezu als die Lösung der eigenen Aufgaben ansehen mußte; aber es scheint, als hätte man der Schnelligkeit der französischen Entwicklung nicht mit gleicher Elastizität zu folgen vermocht. Denn die deutsche Kunst des 13. Jahrhunderts wird noch nicht mit ihr zu einer Einheit des gotischen Stilgebietes, sondern sie übernimmt einzelne Formen, einzelne Symptome des fremden Stiles fast regellos, so daß oft eine fast barocke Mischung von romanischen und gotischen Elementen entsteht. Unsere kunsthistorischen Handbücher gliedern diesen sog. Übergangsstil nach seinen Ornamentformen immer dem romanischen Stil an, allein er ist ohne Kenntnis der gleichzeitigen französischen Frühgotik nicht denkbar. Gerade an solchen Grenzgebieten wird klar, daß die Stilbenennungen Klassifikationen sind, die der Erkenntnis des lebendigen Stromes der Kunst nur hindernd im Wege stehen. Das Linnésche System leistet zwar dem Botaniker bei der Bestimmung der Pflanze gute Dienste, aber die biologische Kenntnis ihres Lebens fördert es nicht. Die Bezeichnung Übergangsstil ist aus deutschen Verhältnissen gefolgert, ohne Beziehung zum allgemeinen Kunstschaffen, ist aus der Erscheinung geschlossen, anstatt aus den Stilbewegungen. [Illustration: Abb. 51. Paris. Notre Dame. Fassade.] In der Tat ist man in Deutschland von den französischen Stilabsichten abhängig. Hatte schon die gewölbte Basilika von Worms die Türme in den Organismus des Baues aufgenommen, so fällt ihnen jetzt, im Beginn des 13. Jahrhunderts, ebenso wie in Frankreich, die Funktion zu, den Bau nach oben aufzulösen. Mag das durch zwei Türme geschehen, wie in Limburg oder Andernach, oder durch einen, wie in Neuß, immer ist trotz der Rundbogenformen diese Auflösung wirkungskräftig, um so mehr, als die Türme sich in den Dachlinien zuzuspitzen beginnen. Aber es ist bezeichnend für die allmähliche Verarbeitung der gotischen Tendenzen, daß man die neuen Stilforderungen, die Auflösung durch die Türme und die Zerfaserung der Wand, noch durch den Rundbogen auszudrücken sucht. Nur die runde Fensterrose wird, was verständlich ist, übernommen, auch sie aber als einfaches Loch in der Mauer; sonst besteht die Auflockerung der Außenwand darin, daß das romanische Bauelement immer formenreicher, immer bunter in der Verbindung von Lisenen, Bogen, Rundbogenfriesen und Fenstern wird, die sich schichtenweise in die Mauer hineinfressen. So wird die Wand allmählich vernichtet, bis ihre Fläche in bunten, licht- und schattenreichen Wechselbewegungen für das Auge kaum mehr herauszulösen ist. Wir werden später sehen, daß die Ausbildung dieses malerischen Prinzipes eines der wichtigsten Ergebnisse des gotischen Stiles ist. Im Innenbau wird nicht nur das spitzbogige Rippengewölbe übernommen, sondern oft das ganze System, samt den Hörnerkapitellen, wie man in Limburg (Abb. 52) das Noyon nahe verwandte Laon in Wand und Gewölbe fast vollkommen kopierte. Nur daß der mittlere Halbpfeiler in Limburg nicht bis nach unten durchgeführt, sondern mit einer Konsole an den romanischen Pfeiler angesetzt ist, macht den Eindruck des Aufgepfropften, zeigt, daß das fremde System noch nicht ganz zum eigenen Besitz geworden ist. In Freiberg i. S. entsteht damals ein Prachtportal mit reichem Skulpturenschmuck, die sog. goldene Pforte, die im Thema vollkommen französisch ist. Aber sie ist noch rundbogig, und nur die kräftige Betonung des Scheitelpunktes durch die Dekoration verrät die Bekanntschaft mit der neuen Tendenz des Spitzbogens. [Illustration: Abb. 52. Limburg a. L. Dom. Inneres.] [Illustration: Abb. 53. Marien-Reliquiar im Dome zu Aachen.] Aber wenn auch diese Verbindungen anderswo noch lockerer sind, so liegt das eben darin begründet, daß man das fremde Kunstgut sich erst zu eigen machen muß. Bis in ganz paralleler Weise die deutsche Spätgotik die italienische Renaissance verarbeitet hatte, hat länger gedauert. Auch hier bestätigt die allmähliche Vernichtung des rein zweckgemäßen Aufbaues im Kunstgewerbe und des Flächenstils im Dekor unsere Erfahrungen über den Parallelismus der Künste. Der Kelch, früher von straffer Form, die Fuß, Kuppa und Knoten streng schied (Abb. 46), verliert allmählich diese Kraft. Das Reliquiar (Abb. 53) ist nicht mehr ein einheitlicher kastenartiger Behälter, sondern wird durch die Dekoration in Teile zerlegt, von denen jeder einzelne mit dreifach gerundetem Kleeblattbogen oder gar schon mit spitzem Winkel ebenso allmählich verläuft, wie die Krönung mit einem durchbrochenen Kamm die Festigkeit des oberen Abschlusses vermindert. Dieses Auflösen der Form, das die anderen Gattungen des Gerätes in gleicher Weise der strengen Gestalt beraubt, wird aber erst vollendet durch das Verlassen des Flächenprinzips beim Ornament. An seine Stelle tritt plastischer Schmuck. Ein reiches Spiel verknoteter Ranken zerfasert im Kelch zuerst den Knoten, dann allmählich auch die Zweckglieder, Kuppa und Fuß. Das Filigran wird nun nicht mehr gleichmäßig auf den Grund gelegt, sondern löst sich in zierlichster Kräuselarbeit überall von ihm los. Die Heiligen werden nicht mehr mit Email, Gravierung oder Niello in die Wandfläche des Reliquiars gezeichnet, sondern treten in plastischer Treibarbeit, zuletzt, im 13. Jahrhundert, als vollkommene Freifiguren vor sie hin (Abb. 53). Denn selbstverständlich greift dieser Zersetzungsprozeß auch auf die Figurenzeichnung über. In der Wand- und Buchmalerei werden die Linien der Gewänder zunächst faltenreich, dann wirr und kraus, schließlich in den seltsamsten knittrigen Brüchen und Zick-Zack-Linien gezeichnet. Darin beruhte auch das erregende Moment für die Weiterentwicklung der Plastik. Bei den Portalen von Notre Dame in Paris (Abb. 51) und ihren Zeitgenossen fügt sich zwar der Skulpturenschmuck noch der Architektur ein, und die stärkere Abstufung, die die Skulpturenreihen im Gewände bedeuten, hat das romanische Hineinführen noch verstärkt, fast in ein Hineinreißen verwandelt. Andererseits aber sprengen die großen Figuren in den Leibungen, die hohen Reliefs im Tympanon die Ruhe des Architektonischen. Die Einzelfiguren mußten allmählich immer mehr aus dem Gewände heraustreten, immer mehr zu Freiskulpturen werden, während im Relief die gebundene Ruhe und die Isoliertheit der einzelnen Figur, die sie zum Architekturglied machte, verschwinden mußte. Parallel damit mußte auch die Bewegung immer freier, immer selbständiger werden, mußten die Gestalten zueinander in Beziehung treten und an Stelle der einfachen Aufreihung die Gruppe, die Handlung setzen. All das mußte dazu führen, die Plastik aus einer Dekorationsweise zu einer selbständigen Kunst zu entwickeln. Auf dieselbe Art wird auch die Malerei immer mehr der Wand- und Buchmalerei abgewandt und zur selbständigen Kunst, zur Tafelmalerei. Es ist dieselbe Umwandlung, die Hellas während des dorischen Stiles durchführte. Indessen fallen diese Entwicklungsgänge wesentlich bereits in die Epoche der vollendeten Gotik. Achtes Kapitel. Die hohe Gotik. Um 1250 zieht dieses Stilwollen die letzte Folgerung, wird die klassische Form der gotischen Kathedrale gefunden, das System, das oben (Abb. 48) besprochen wurde. Seine Hauptschöpfungen sind in Frankreich die Dome von Reims, Chartres, Amiens, in Deutschland die von Marburg, Straßburg, Freiburg und Köln. War in Noyon (Abb. 49) die Wand in ihrer ganzen Ausdehnung, wenn auch durchbrochen, so doch vorhanden, so hat in Reims (Abb. 54 ~a~) die Durchbrechung die Wand völlig aufgezehrt. Ihr ganzer oberer Teil zwischen den Pfeilern ist in große Fenster verwandelt, und nur dort, wo das Pultdach des Seitenschiffes ansetzt, muß sie stehen bleiben, wird aber durch die dekorative Triforiengalerie verkleidet. Im Straßburger Dom (Abb. 55), und in anderen Kathedralen des 14. Jahrhunderts fällt auch dieser letzte Rest der Mauer. Die Dächer der Seitenschiffe werden flach, so daß der kleine Raum unterhalb des Triforiums für sie genügt. So wird die Triforiumsmauer gleichfalls zum Fenster und ihre Galerie unten ebenso Fenstergliederung wie das Maßwerk oben. Dieses Maßwerk ist ein Stabwerk, in reichen Formen zackig gegliedert und kantig profiliert. Es hält nicht nur, wie das romanische Fenstergerüst, das Glas fest, sondern hat selbständigen ornamentalen Wert. [Illustration: _a_ _b_ Abb. 54. _a_ Inneres und _b_ äußeres System des Domes zu Reims.] [Illustration: Abb. 55. Straßburg. Dom. Inneres.] Diese Teilung des Fensters ist ungemein wichtig; im Zusammenhang mit der Glasmalerei, die nun an die Stelle der Wandmalerei treten muß und die Fenster mit ornamentalen und figuralen Darstellungen überkleidet, bedeutet sie, daß für das Gefühl dieses Stils selbst das Fenster noch viel zu flächenmäßig, selbst die Glaswand noch viel zu wandmäßig ist und durch das Maßwerk geteilt, durch die Malerei tief durchschimmert und so des Flächenwertes beraubt werden muß. [Illustration: Abb. 56. Gotisches Pfeilerkapitell. Reims, Kathedrale.] Mit dieser Zerstörung der Wand bekommt natürlich der Pfeiler einen um so größeren Wert. War er noch in Noyon (Abb. 49) der Wand einfach vorgelagert, hindern selbst noch in Reims (Abb. 54 ~a~), wo die Wand schon fast ganz zerstört ist, die horizontalen Triforiensimse, die über ihn hinweggeführt sind, sein freies Emporsteigen, so sind in Straßburg (Abb. 55) alle diese Hemmnisse verschwunden, und der Pfeiler entwickelt eine ganz neue Kraft. Seine Gliederung, um nicht zu sagen Spaltung durch die Nebenpfeiler (Dienste), die sich um den Kern legen, gibt ihm dieselbe pfeilschnelle Aufwärtsbewegung wie der korinthischen Säule ihre Kannelüren -- ich sage absichtlich der korinthischen, denn es handelt sich hier nicht um eine lineare Wirkung, sondern um eine durchaus malerische, die auf der Differenz zwischen hellen Höhen und dunklen Tiefen beruht. Es genügt nun nicht mehr, alle Gewölberippen und Gurte in den Pfeilern bis zur Basis hinab zu führen und die Pfeiler dadurch zu gliedern -- die Rippen und Gurte selbst werden aufs feinste profiliert, in den mannigfachsten Zierformen abgestuft und alle diese Gliederungen nun im Pfeiler bis zur Basis herab durchgeführt, so daß eine äußerst fein gegliederte Stütze entsteht, die aber immer mehr den Charakter des wirklich tragenden Gliedes verliert, immer stärker den Sinn einer Aufwärtsbewegung bekommt. Sogar die viereckige Grundform des Pfeilers wird aufgegeben, die dem Auge die Möglichkeit der tektonischen Orientierung bot, und ein runder Kern tritt an seine Stelle, der nur noch Schattenhintergrund ist. Es ist selbstverständlich, daß die einzelnen Teile des Pfeilers denselben Gesetzen folgen. Wie die Basis nicht mehr strenge Trennung, sondern zart abgestufte Vermittlung zum Erdboden ist, so ist das Kapitell nicht mehr kräftiger Träger des Gewölbes, sondern nur noch überleitendes Glied. Es ist selbst vollkommen malerisch geworden. Hatte schon beim spätromanischen Kapitell das Ornament sich immer mehr vom Kern gelöst, so tritt nun in der Gotik an Stelle des Ornaments überhaupt das realistische Laubwerk, wie einst das korinthische Kapitell die spitzige Akanthusranke an die Stelle der ionischen Voluten setzte. Auch die Gotik wählt lappiges und gezacktes Laub, das Eichen- und Efeublatt, Ahorn- und Weinlaub, unter deren bis ins feinste ausmodellierten Formen der Leib des Kapitells, der den Pfeilerprofilen folgt, allmählich fast völlig unwirksam wird. (Abb. 56). Und es ist von derselben Art, wenn man den Wasserspeier, der früher einfaches Röhrenende war, jetzt als phantastische Tierform gestaltet. [Illustration: Abb. 57. Grundriß des Domes zu Köln.] Wie Wand und Pfeiler kommt der ganze Bau in Auflösung. Man hat inzwischen gelernt, daß man mit Hilfe des Spitzbogens auch das gestreckteste Joch überwölben kann. So wird nun im Mittelschiff das große Joch des sechsteiligen Gewölbes in zwei Joche zerlegt, in deren jedem sich nur noch zwei Diagonalrippen kreuzen, und auf das nun nicht mehr zwei Joche des Seitenschiffes entfallen, sondern nur noch eines (Abb. 54 ~a~, Abb. 57). Wenn bisher je sechs Pfeiler mit ihren Rippen sich zu einer Travee (Joch) vereinigten, so bedeutete diese gewissermaßen ein Sammelbecken für einen großen Teil des Mittelschiffsraumes. Die Aneinanderreihung der neuen schmäleren Traveen, die nur noch vier Pfeiler vereinigen, von denen jeder zugleich Rippen nach dem Nachbarjoch entsendet, bedeutet eine Verkettung des ganzen Schiffes. Diese ist um so vollständiger, als nun auch alle Pfeiler gleichmäßig gestaltet nebeneinander stehen und mit der Scheidung in Haupt- und Nebenpfeiler das letzte Prinzip fällt, woran ein ordnender Geist in diesem Raum sich zurechtfinden könnte; diese Abfolge gleichmäßiger Traveen gewährt dem Auge nirgends einen Ruhepunkt auf dem Wege zum Chor. Der setzt ohne Trennung die Bewegung fort, wird auf gleiches Niveau mit dem Schiff gebracht und nicht mehr durch feste Schranken, sondern einen zierlichen Aufbau gegen die Gemeinde geschieden, der von der Verlesung der Episteln und Evangelien den Namen Lettner (lectionarium) erhält. Aber noch mehr -- der Chor selbst hört auf, Abschluß des Kirchenraumes zu sein. Er wird nicht nur weiter hinausgeschoben, sondern die inneren Seitenschiffe werden als Umgang, die äußeren als Kranz von Kapellen, der die Krypta mit den Reliquienaltären entbehrlich macht, um ihn herumgeführt. Wenn früher die Chorwand mit den Apsiden die Schiffe gleichmäßig abschloß, so trifft nun das Auge nicht nur überall auf dieselben hohen Fenster, die schon die Mittelschiffswand aufgelöst hatten, sondern es wird auch von diesen Reihungen immer weiter geführt, rings um den Chor herum, ohne je ein Ziel zu erreichen. Diese Umformungen der Wand, des Grundrisses und der immer kühner ansteigenden Gewölbe wirken zusammen, um dem Raum jede Einheit, jede Geschlossenheit zu nehmen. Die Auflösung aller Begrenzungen ist eine so vollkommene, daß er sich nach allen Richtungen in unendliche Fernen zu erstrecken scheint. Auch hier ist an die Stelle der zweckvollen Gestalt die eindrucksvolle getreten. [Illustration: Abb. 58. Köln. Dom. Fassade.] Die Außenseiten von Schiff und Chor werden vollkommen vom Strebesystem beherrscht (Abb. 54 ~b~). Denn an denselben Stellen, an denen innen die Pfeiler stehen, setzen sich außen die wuchtigen Strebepfeiler an. Es war selbstverständlich, daß diese Stützen um so kräftiger werden mußten, je eleganter die Pfeiler des Innenraums wurden. Aber auch dieser Wucht, dieser breiten Schwere arbeitet man entgegen und versucht, durch das Aufsetzen einer türmchenartigen Spitze (Fiale) dem Pfeiler dieselbe Richtung nach oben zu geben, die der Innenraum hatte. So bereitet die ganze Außenseite jene vollkommene Auflösung des Baues nach oben, jene weiche Überführung in die Lust hinein vor, die die Schmalseite vollendet. Daß sich in ihr der Eindruck des Baues summieren soll, lehrt allein schon die Verschiebung des Hauptportals hierher. Wenn man jetzt vom Hauptportal aus das Schiff betritt, so hat man den ganzen Innenraum vor sich; bis in den Chor hinein reiht sich vor dem Auge Joch an Joch, Pfeiler an Pfeiler. Und es ist wichtig, daß, wenn noch Notre Dame in Paris (Abb. 51) die Portale gleichmäßig an der Fassade verteilte und durch strenge Pfeiler sonderte, sie sich beim Kölner Dom (Abb. 58) und seinen hochgotischen Zeitgenossen nach der Mitte zusammendrängen. Gerade der Vergleich dieser beiden Kathedralfronten, der frühgotischen und der hochgotischen, lehrt die Konsequenz der Stilentwicklung, die sich in kaum einem Jahrhundert vollzogen hat. War in Paris immerhin noch die artikulierende Aufteilung vorherrschend, so scheint jetzt die Fassade durch den malerischen Wechsel von Licht und Schatten in den Abstufungen von Wand und Pfeilern geradezu wellenartig bewegt. Das ist eine Folge derselben Auflösung der Wand, die sich im Innern ergab und mit der hier dieselbe Steigerung der Vertikaltendenz Hand in Hand geht. Wenn in Paris noch jedes Stockwerk vom anderen durch horizontale Glieder getrennt war, wenn selbst in Reims diese Glieder noch wirksam waren, freilich schon durch Vertikalen zerrissen, so ist nun in der Fassade des Kölner Domes die Vertikaltendenz die einzig maßgebende. Man sehe, wie schon in den beiden untersten Stockwerken die Quersimse durch spitze Giebel (Wimperge) verdeckt werden, die von den Fenstern und Portalen aufsteigen, wie dann, wenn im dritten Stock die Türme ins Achteck übergehen, alles, was sie nicht in ihren Körper aufnehmen können, selbständig nach oben aufgelöst wird, die senkrechten Pfeiler zwischen den Türmen durch Fialen und die Front des Mittelschiffes, obgleich durch die Türme aufs äußerste komprimiert, durch einen Wimperg. Die Türme aber sind die Vollendung -- noch in Notre Dame endigten sie im ersten Stockwerk, und es scheint mir fraglos, daß sie dort nicht unvollendet sind, sondern so niedrig endigen sollten, da doch die Glocken keines höheren Aufbaues bedurften. In Köln aber spricht der Zweck überhaupt nicht mehr mit, sind die Türme die Träger der vertikalen Auflösung geworden. Immer steiler werden sie, und immer wird, was der Turmkörper übrig läßt, durch Fialen restlos nach oben aufgelöst, bis schließlich an den Krabben, den kleinen vorspringenden Ornamenten des Turmhelmes hin das Auge zur strahlenförmig auflösenden Kreuzblume emporgleitet. Es ist wichtig, daß sich unter ihr der Turm schon enger zusammengeschlossen hat. So ist sie wie eine Fackel, deren Flammen in die Luft schlagen. So also ist der ästhetische Eindruck der gotischen Kathedrale bedingt, den man als das Emporheben der Seele über das Irdische hinaus definiert hat, ein reiner Gefühlsausdruck also, wie alle Triebe in diesem Zeitalter tiefster Hingabe an die Gottheit Gefühlstriebe sind. Die Architektur ist Mittel, nicht Zweck, der Dom nicht Haus, sondern Mittler zwischen Himmel und Erde. Dasselbe Gefühl, das die Raumweitung des Pantheon entstehen ließ, entwickelt auch die des gotischen Domes, nur daß der antike Mensch sich, sozusagen, selbst in den Raum erweitert, der mittelalterliche Dualismus sich zu Gott emporhebt, indem er sich von der Erde entfernt. Es ist kein Zufall, daß die Schönheit des Innenraumes am eindringlichsten ist in der Morgen- und Abenddämmerung, wenn das unsichere Licht mit feinem Finger Säulen, Pfeiler und Wölbungen betastet. Hat man doch dieses unkräftige Gleiten des Lichtes durch die Farbigkeit der Glasfenster ein für allemal zur Eigenschaft des Raumes gemacht. Der Gegensatz zwischen romanischer und gotischer Kirche ist nicht nur der äußerliche von Wandfestigkeit und Wandzerstörung, von horizontaler und vertikaler Linie, sondern der innere des zweckvollen und des für den Eindruck geschaffenen Bauwerkes. Allein es zeigt sich gerade an der Differenz dieser beiden Stile, daß nur, solange man zweckvoll baut, die äußere Erscheinung mit dem inneren Sinn des Bauwerkes in Einklang steht, während das Bauen auf den Eindruck hin sofort Zwiespältigkeiten ergibt. Die romanische Kirche folgerte Innenbau und Außenbau in gleicher Weise aus dem Zweck, und das Resultat war eine vollkommene Einheit. Der gotische Baumeister dagegen arbeitet auf den Gefühlseindruck hin, erreicht in ihm das Letzte und Tiefste, aber mit je feineren Sinnen man an sein Werk herantritt, desto stärker drängen sich die Disharmonien auf. Schon die Verteilung der Funktionen des Tragens und Getragenwerdens will uns nicht recht harmonisch scheinen. Es widerstrebt uns, daß die Arbeit des Stützens auf den Außenbau abgewälzt wird, um den Eindruck des Innenraumes zur höchsten Freiheit zu steigern. Während beim romanischen Bau die Mauer innen und außen gleich fest war, sehen wir beim gotischen innen nicht recht, wo die Gewölbe ihren Halt finden, und außen nicht, was diese ungeheuren Strebepfeiler zu tragen haben. Das ist nicht nur ästhetische Reflexion. Je freier und kühner Pfeiler und Gewölbe im Schiff emporsteigen, desto unübersichtlicher und verworrener wird das äußere System, so daß vor allem an der Außenseite des Chores das ungeschulte Auge in den sich kreuzenden Linien der Pfeiler, Fialen und Bogen nur schwer Klarheit zu schaffen vermag. Dazu kommt eine arge Divergenz der Richtungen. Zwang das senkrechte Aufsteigen der Gewölbe die Steine in eine vertikale Lage, die ihrem bodensuchenden Schwergewicht nicht angemessen ist, so wohnt dem Strebepfeiler, dem bodenfestesten Glied am Bau, diese ruhende Tendenz ganz außerordentlich intensiv inne (Abb. 48). Die kleine Fiale, durch die man den Pfeiler dennoch dem Trieb zur Höhe einzufügen sucht, wird eine lächerlich kraftlose Dekoration, die auf dem ungeheuren Pfeilerleib sitzt wie der Vogel auf dem Dach und seiner tektonischen Wucht nicht das geringste anzuhaben vermag. Für das Auge aber entsteht ein unangenehmes Hin- und Herzerren hemmender und hebender Kräfte. Nun könnte man ja das für nicht so wesentlich halten, da die Absicht augenscheinlich dahin geht, die steigende Tendenz hauptsächlich in der Turmfront auszudrücken, in ihr gewissermaßen den ganzen Bau zu summieren und emporzuheben. Allein er wird tatsächlich hier nicht summiert. Vielmehr ist die Turmfront ganz lose vorgelagert wie eine Kulisse und steht in keinem architektonischen Zusammenhange mit dem Langhaus. Denn das Langhaus legt den Hauptton auf das Mittelschiff, während die Front im Gegensatz dazu die Wand des Mittelschiffes zu einer schmalen Fläche zusammendrückt und die wichtigste Vertikallinie, die der Türme, von den Seitenschiffen aus emporführt. So kommt es, daß eintürmige Fassaden, wie die von Freiburg i. B., einen wesentlich harmonischeren Eindruck machen. Im allgemeinen aber entsteht hier eine neue Disharmonie. Denn die Anlage der Portale innerhalb dieser Fassade führt, wie wir gesehen haben, den Nahenden sofort ins Mittelschiff, betont das Mittelschiff auch äußerlich, und mit dieser Richtung nach der Mitte hin ergibt die nach außen zerrende Bewegung der Türme eine Dissonanz, die dem empfindlichen Auge einen Eindruck macht wie die Exekution des Vierteilens. Man hat die Empfindung einer Zwiespältigkeit hier auch schon früher gehabt, nur blieb sie an dem äußerlichen Symptom haften, daß die Seitenportale neben sich einen gleichbreiten Raum übriglassen, den je ein Fenster füllt, und so die untere Turmfront in häßlicher Weise gespalten wird. So äußerlich dieses Symptom ist, so ist es doch bezeichnend für die Uneinheitlichkeit des Gefüges. [Illustration: Abb. 59. Karlsreliquiar. Bologna.] Wenn es alledem gegenüber noch fraglich sein könnte, daß die Gotik kein tektonischer, sondern ein malerischer, ein Bewegungsstil ist, so würde das Kunstgewerbe dafür den vollen Beweis erbringen. Wir haben oben festgestellt, daß das Email in der noch malerisch empfindenden ottonischen Zeit transluzid, im strengen romanischen Mittelalter opak ist. Und nun ist es gewissermaßen die Probe aufs Exempel, daß mit der Gotik sofort wieder das transluzide Email auftritt, als durchsichtiger Schmelz auf Silbergrund. Ja, die flächenzerstörende Tendenz ist so stark, daß man in den Silbergrund die Gestalten modelliert, um nur ja einen räumlichen Eindruck, eine Tiefenwirkung zu erzielen. Der Vergleich mit spätrömischen Trinkschalen, die Hochreliefs auf dem Grunde tragen, über welchen der Wein ganz ähnlich schimmern mußte, liegt auf der Hand. Allein das ist nur ein Schritt weiter auf jenem Wege der Auflösung, die wir vom streng-romanischen zum spät-romanischen Stil verfolgt hatten, und auf dem die Gotik konsequent weiterschreitet. Denn der Reichtum der Dekoration, den schon der Übergangsstil ausgebildet hatte, steigert sich jetzt bis zur Zierlichkeit, bis zur Eleganz. Das Mittel dazu ist das gleiche, das die gotische Architektur anwendet, um den gleichen Eindruck hervorzubringen, ist die Wertsteigerung des Ornaments und der Dekoration gegenüber der tektonischen Grundform. Kelch und Ciborium, Chorgestühl und Altaraufsatz werden zierlich durchlöchert und schlankgestreckt. Der gotische Reliquienschrein beispielsweise behält nicht nur den ornamentalen Reichtum und die Freiskulpturen der spätromanischen Form bei, sondern wird vollkommen zur dreischiffigen Kirche ausgestaltet mit Strebepfeilern und Strebebögen, mit Spitzbögen, Maßwerk und Fensterrose, mit Fialen, Krabben und Kreuzblume und dem vollständigen Figurenschmuck des Portals. So wird hier dasselbe zierliche Emporstreben wie in der Kathedrale, dieselbe Auflösung der Wand spielerisch zur Wirkung gebracht. Das ist nicht, wie eine bekannte Geschichte des Kunstgewerbes sagt, streng und sachlich. Denn ein solcher immerhin nicht großer Schrein bedarf nicht der Strebebögen, um sein Dach zu tragen, des Portales, um betreten zu werden, oder gar der Beleuchtung durch das obendrein noch von innen geschlossene Rosenfenster. [Illustration: Abb. 60. Portalskulpturen an der Kathedrale zu Reims.] Man wird verstehen, daß auf diesem Wege die Hauptsache, das eigentliche Reliquienbehältnis, unwichtig werden mußte gegenüber dem Schmuck. Aber auch das liegt tief im neuen Gefühl begründet. Man will nicht mehr nur ein Reliquienbehältnis schaffen, sondern in ihm einen Teil der Kirche und des Gottesdienstes, und es wird allmählich zum Attribut des Schmuckes, der dieses Gefühl auszudrücken vermag. War im romanischen Stil die Ornamentik dem Reliquiar untergeordnet, so wird das Verhältnis nun umgekehrt. So kommt es, daß bei einem Aachener Reliquiar mit der Darstellung Christi im Tempel der Reliquienbehälter nur als Altar dient, um den sich die großen getriebenen Figuren der Gruppe vereinigen, oder bei einem Bologneser Reliquiar (Abb. 59) die nur mit Krabben und Fiale geschmückte Reliquienkapsel von Engeln getragen wird, die die eigentliche künstlerische Aufgabe darstellen. Es war selbstverständlich, daß zu gleicher Zeit das parallele bürgerliche Aufbewahrungsgerät, die Truhe, aufhört, ein nur zweckmäßiger Kasten zu sein und ihre Wandung durch bauliche, figürliche und pflanzliche Ornamente zerstört wird. Und zugleich erklärt es die Entwicklung im gemalten Buch, dessen Blätter am Rand zackiges Pflanzenornament für das Auge auflöst, während gleichzeitig an Stelle der runden romanischen Letter die eckige gotische tritt. So wird allmählich die Unterordnung des Schmuckes unter den Zweck vollkommen aufgehoben, und mit ihr endet jene organische Verbindung beider, die den romanischen Stil so einheitlich machte. Die Architektur gibt die Plastik frei, und diese entwickelt sich zu einer Kunst von hoher, selbständiger Schönheit. Sie hat eine Kraft und Größe des Ausdrucks erreicht, vollkommen gleichwertig der Kunst des Perikleischen Zeitalters, in der sich eine gleiche Befreiung für sie vollzog. Skulpturen aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, wie die im Bamberger und Naumburger, Straßburger und Freiburger Dom, und die Meisterwerke in Amiens, Chartres und Reims (Abb. 60), sind von so gehaltener Größe, daß ihre edle Art mit unmittelbarer Gewalt uns gegenübertritt. Auch in der Gotik handelt es sich, wie in der klassischen Antike, um das Erfassen des Menschen als einer plastischen Form. Wenn Walter v. d. Vogelweide sagt: Ich saß auf einem Steine, Ließ ruhen Bein auf Beine, Darauf mein Ellenbogen stand, Und hielt geschmiegt in meine Hand Mein Kinn und eine Wange. (Übertr. Obermann.) so ist das eine Haltung, die für die bildende Kunst der Gotik typisch ist, und es ist kein Zufall, daß diese energische Bewegung fast die Haltung des antiken „Dornausziehers“ ist. Sicher hätte die romanische Zeit diese Haltung als unfein empfunden. Sie bedeutet die vollkommene Herauslösung des Körpers aus der Gebundenheit, seine Bewegung nach allen Richtungen. Aber es kann sich für die Gotik -- nicht aus religiösen Gründen, sondern weil ihre Wirklichkeit so ist -- ebenso nur um den bekleideten Körper handeln, wie für die antike Menschheit nur um den nackten. Der Meister unserer Gruppe stellt männliche Kraft und Frauenzartheit beinahe antithetisch einander gegenüber, aber nicht realistisch, sondern gebändigt durch das Gefühl des Statuarischen in ihnen, und der Plastiker des Naumburger Domes formt +Ideal+porträts fürstlicher Männer und Frauen, deren Sinn, so paradox es klingt, allein im realistischen Charakterisieren liegt. Aber alle diese Gestalten sind innerlich und formal noch gebunden. Erst das 14. Jahrhundert bedeutet für das Mittelalter dasselbe wie das 4. Jahrhundert v. Chr. für das Altertum, und die Folgen sind die gleichen. Auch in der gotischen Skulptur, etwa der Dome von Ulm und Augsburg, steigert sich der Ausdruck einerseits zu stärkerem und momentanerem Realismus, andererseits zu immer schmiegsamerer Grazie (Abb. 61). Bei hochgotischen Gestalten, auch denen des Bologneser Reliquiars, ist die weibliche Zartheit des Reimser Kopfes zur Zierlichkeit verfeinert, umzuckt ein preziöses Lächeln den fein geformten Mund, ebenso typisch für die gotische Grazie wie die schmiegsame Biegung des Körpers, die „gotische Kurve“. Diese geschwungene Linie, die sich bei der Reimser Skulptur schon leise in dem großen Faltenzug ankündigte, der von der Hüfte zum Fuß ging, hat sich jetzt zu einer Bewegung von edelster Eurythmie entwickelt. Wie das Lächeln eine Steigerung des Gesichtsausdrucks, ist die Kurve eine Steigerung des Körperausdrucks, die Hüften, Brust und Knie in Form und Linien elegant herausbiegt. Fraglos ist die nächste Parallele die praxitelische Kunst vom 4. Jahrhundert v. Chr. ab, die Hüfte und Bein ebenso weich heraustreten läßt, und es sind in Pergamon ganz frappante Analogien zutage gekommen. Allerdings muß berücksichtigt werden, daß sie immer architektonisch gebunden ist etwa durch irgendeinen Mauerpfeiler, an dem die Figur steht, im Bologneser Reliquiar durch den Parallelismus der beiden Engel. Isoliert würde sie unerträglich wirken. [Illustration: Abb. 61. Gotische Skulptur (Kluge Jungfrau). Gmünd. Kreuzkirche.] Das Lächeln und die gotische Kurve sind beide nur Symptome für die gesteigerte Charakteristik, die die Gotik in Bewegung und Handlung allmählich aus der Baugebundenheit entwickelt hat. Und wie die Dramatik der Einzelfigur, steigert sich auch die Dramatik der Handlung. Das Relief hat sich aus der romanischen Gestaltenreihung zur Erzählerin von Vorgängen, zunächst in frieshafter, dann in räumlicher Anordnung entwickelt. Jede unpersönlich starre Form ist bewegt geworden. Der Stil des Lebens selbst muß damals erregter geworden, das Blut rascher durch die Adern der Völker geflossen sein als in der romanischen Zeit. Unmöglich, daß die Zeit, die an die Stelle der Legenden das ritterliche Epos setzte und das Minnelied, an die Stelle des Glaubens die Mystik und die scholastische Philosophie, nicht ein kräftig erregtes Leben gelebt haben solle. Man nehme die Entwicklung des geistlichen Dramas. War es in romanischer Zeit ein Spiel, das von den Priestern mit den Worten der Bibel in ernstem Gesang aufgeführt wurde, ein tatsächlicher Bestandteil des Gottesdienstes, so läßt die Gotik am Grabe Christi die Frauen klagen, den Engel frohlocken, kurzum sie bringt den Affekt, bringt die Erregung. Es ist von derselben Art, wenn seit dem Beginn der Gotik der ganze Reichtum der biblischen und legendaren Themata zur Ausschmückung der Kirche und des Buches das Programm hergeben muß, wenn die ganze kirchliche Weltanschauung mit ihren abstraktesten Gedanken in Stein und Farben ausgedrückt wird. Szenen, die der Handlung bedürfen, und an deren Darstellung man vor dem 13. Jahrhundert kaum dachte, werden nun plötzlich beliebte Themata, wie die Krönung Mariä im Himmel, deren Geschichte geradezu eine Geschichte der Gruppenbildung ist. Wenn früher das Jüngste Gericht dargestellt wurde, so thronte Christus über den Auferstehenden mit der unbeugsamen Starrheit des Weltrichters. Jetzt wird seine Geste dramatisch, und er verdammt in der Erregtheit des Zornes. Unzweifelhaft ist diese anthropomorphe Auffassung ebenso eine Herabminderung der Hoheit, wie etwa das Emporschweben des früher von Engeln zum Himmel getragenen Christus oder die erregten Gespräche der Apostel beim Abendmahl. So wird nun auch die Seligkeit im Paradies, die Verdammnis in der Hölle mit ganz irdischen Zügen ausgemalt, und es ist ganz sicher kein Zufall, daß schon vor 1200 zugleich mit den ersten Eindrücken der französischen Frühgotik die detaillierten Höllenschilderungen der byzantinischen Kunst eindringen und daneben fast abstrakte Allegorien auf Christi Heilssendung und die Gottesmutterschaft. Es ist kulturhistorisch wichtig, daß stets zu gleicher Zeit zwei entgegengesetzte Bewegungen zersetzend auf die Religion einwirken, die Philosophie und der Aberglaube, beide als Abweichungen vom Gleichmaß der Weltanschauung. Dieser Zersetzungsprozeß beginnt in Leben und Stil der frühen Gotik, und die späte Gotik vollendet ihn. Neuntes Kapitel. Die Spätgotik. Die Lockerung der Formen, die schon die hohe Gotik erreicht hatte, steigert die späte Gotik des 15. Jahrhunderts, deren Zentren zunächst Burgund, dann Deutschland und die Niederlande sind, zur Zerrissenheit. Aus der ziellosen Bewegung wird die richtungslose, und auf das Ausschalten des Zweckgefühls folgt die Tyrannis des Ornaments. Wenn schon die Fialen an den gotischen Strebepfeilern der dekorativen Verkleidung tektonischer Notwendigkeiten dienten, werden jetzt auch Fenstermaßwerk und Wimperg, profilierte Rippen und Pfeilergliederungen derselben Absicht dienstbar gemacht, alles aus seinem Zusammenhang gerissen und an beliebigen Stellen rein als Schmuck angesetzt, gedreht und gebogen, ausgezackt und umrankt. Naturalistische Motive werden mit Architektur- und Bandformen vermengt, und eine durch nichts mehr gezügelte Phantasie gibt jeder Einzelform überraschende Reize. Man hat in Frankreich geradezu von einem „~Style flamboyant~“, einem züngelnden Stil, gesprochen. Was früher frei stand, wird jetzt als Rahmenwerk benutzt, und was früher als Stütze diente, hängt jetzt herab. Der Reichtum an Schmuckwerk wird die Schönheit an sich; eine unverzierte, standfeste Wand würde man als uninteressant empfunden haben (Abb. 62). [Illustration: Abb. 62. Straßburg. Dom. Laurentius-Portal.] Im Grunde genommen ist aber diese Entwicklung das fast notwendige Endergebnis der Gotik. Der Kirchenbau (Abb. 63) entfernt mit dem Unterschied zwischen Haupt- und Seitenschiffen die letzte ordnende Teilung im Bau, und die gleichmäßig hohe Halle, die überall vom Licht großer Fenster durchströmt werden kann, ist gegenüber der gotischen Basilika eine Steigerung der Raumwirkung, wie die Hagia Sophia gegenüber dem Pantheon. Man hört überhaupt damit auf, zwischen Haupt- und Nebengliederungen zu scheiden, um die Bewegung in größere Weite wirksam zu machen. Durchgängig fast fällt das Kapitell fort, das in der Gotik zwar das Gewölbe nicht mehr trug, es aber wenigstens vom Pfeiler trennte, so daß jetzt der Pfeiler ohne Unterbrechung bis ins Gewölbe zu steigen, die Rippe schon beim Erdboden zu beginnen scheint. Die Einschnitte zwischen den vertikalen Pfeilergliederungen, den Diensten, empfindet man nun als zu hart; sie verflachen sich, die Kanten werden weich ineinander übergeführt, und es kommt so weit, daß die gestreckte Form überhaupt verloren geht und sich die Pfeiler im Nordschiff des Braunschweiger Doms sogar in Schraubenlinien emporwinden. Das Maßwerk der Fenster wird immer zierlicher, immer feiner geteilt. Auch das Gewölbe verliert seinen klaren Aufbau. Zwischen die tragenden Rippen werden dekorative gestellt, alle werden miteinander durch Querrippen verbunden, und so entstehen seltsame vielstrahlige Sterngewölbe ohne Funktionsgefühl, wie Vorhänge den Raum abschließend. [Illustration: Abb. 63. Dinkelsbühl. Georgskirche. Inneres.] Für ihre Breite erscheint der Pfeiler viel zu schlank. Gerade das unfeste Stehen ist charakteristisch für die zierliche, unsachliche Art dieses späten Stiles. Es ist von derselben Art, wenn der Fuß des Pokales unmittelbar über der Fußplatte ganz schmal wird und der Leib seine höchste Breite im obersten Rand des Deckels erreicht (Bd. II Abb. 14), wenn die Monstranz auf durchbrochenem, gezacktem Fuß schmal emporsteigt, dessen Knoten nicht mehr, wie beim romanischen Kelch (Abb. 46) Bindung, sondern Auflösung ist, das Behältnis unter Ornamentwerk, dessen regellose Glieder der Architektur entnommen sind, fast erstickt und in ganz schmaler Spitze endigt (Abb. 64), oder wenn die Truhe nun zum Stollenschrank wird, der auf schlanken hohen Füßen steht und über und über mit geschnitzten Ornamenten bedeckt ist. Es ist vom selben Geschmack, wenn die Männertracht der Zeit an den vom Gewand eng umspannten Beinen spitze Schnabelschuhe fordert und das bunte Gewand selbst in „Zaddeln“ ausgezackt wird, wenn die gezierte Form der gotischen Kurve, bis zur martervoll erzwungenen Biegung übertrieben, für die Frau eine Modesache wird (Abb. 66). Wir können diese Vorliebe der Zeit für die unruhige Linie genau verfolgen, sehen, wie man jetzt nicht mehr mit geschlossenen, sondern wenn möglich mit gegrätschten Beinen sitzt, etwa auf einem dreieckigen Stuhl, dessen eine Ecke zwischen den Beinen hervorsteht. [Illustration: Abb. 64. Spätgotische Monstranz.] Diese Sucht, den Raum mit Bewegung zu füllen, führt zur Schaffung ganz neuer kirchlicher Mobilienformen, wie etwa des Sakramentshäuschens. Das eigentliche Behältnis für das Sakrament kommt in ihm gar nicht mehr zu Wort. Auf ganz leichten Stützen ruht es; sogar das Karyatidenmotiv, von dessen momentaner Art schon die Rede war, findet sich an dem besonders reichen Exemplar der Gattung, das Adam Kraft in Nürnberg meißelte, in den Gestalten von Meister und Gesellen wieder. Den Hauptwert, der ein Bewegungswert ist, trägt ein elegant ansteigender Turm, der in zierlichstem, spitzenartigem Steinwerk gearbeitet, von überreich verknoteten Ornamenten umsponnen, mit figürlichen Elementen durchsetzt ist. Er steigt ganz steil empor und wagt es noch nicht einmal, spitz zu endigen, sondern rollt die zierliche Spitze zur Schnecke zusammen. Es ist also eine gesteigerte Erregtheit des Sehens, die Plastiker und Maler des 15. Jahrhunderts bis zum Phantastischen führt. Man hat von ihrer Kunst als dem Beginn einer „deutschen Renaissance“ gesprochen; aber trotzdem die italienische Frührenaissance ihre Fülle zur gleichen Zeit entfaltet, darf man doch den Stilbegriff nicht einfach verpflanzen. Denn Masaccio und Donatello stehen am Anfang einer neuen Bewegung, Schongauer und Riemenschneider aber sind das letzte Resultat der Gotik, und das, trotzdem sie nahe am Zeitalter der Reformation und mitten unter ihren Vorboten stehen. Denn nur im Gegensatz zu unmittelbar Vorhergegangenem gesehen, bedeutet die Reformation den Beginn eines neuen Zeitalters. Sie ist es nicht mehr als die Schwärmerei der Kreuzzüge gegenüber der Selbstverständlichkeit romanischer Hingabe, und die Steigerung der gotischen Inbrunst führt wiederum zur Reformation. Wie jene die feudale Oberschicht erregt diese das ganze Volk, und auch hier ist die Entwicklung des Erlebens in Religion und Kunst ganz parallel. Es gibt keinen besseren Beweis dafür als die Geschichte des Kirchenbaues, die nach den Kirchen des frühen Mittelalters, in denen die Gemeinde von fern den Kulthandlungen, wie unbeteiligt, folgen mußte, die Pfarrkirche, die der Gemeinde gehört, zugleich mit der Predigt schafft, weil das Volk das Bedürfnis nach tieferem Anteil an der Religion hat, und jetzt, zugleich mit der Forderung gleichen Rechts mit dem Geistlichen, etwa des Laienkelches, die Hallenkirche als Bau ohne jede Scheidung entstehen läßt. Und so bereichert man das religiöse Gerät an Zahl und Form, um es mit den Inhalten eines erweiterten Vorstellungskreises zu schmücken. Wie das Sakramentshäuschen entsteht der Altarschrein, der an sich schon eine Auflösung formstrengerer Gestaltung bedeutet. In der Zeit des romanischen Stiles war der geweihte Stein der wichtigste Teil des Altars; wollte man ihn schmücken, so umkleidete man ihn mit getriebenen Goldplatten und anderem Flachschmuck. Der mittelromanische Stil bringt dann den Altaraufsatz als oberen Abschluß des Steines, wie er die strenge Horizontale der Architektur durch die Türme lockert. Aber erst die Gotik erhebt diesen Altaraufsatz zu einem wichtigen Teil des Altars, die späte Gotik geradezu zum wichtigsten. Wenn der Priester der romanischen Zeit auf Reisen ging, so führte er einen kleinen, geweihten Altarstein, einen sog. Tragaltar, mit. Wenn aber der Fürst des 15. Jahrhunderts auf Reisen geht, so nimmt er einen kleinen Flügelaltar als Reisealtar mit. Das Interesse hat sich also geradezu vom Altar selbst dem Aufsatz zugewandt, der vom Standpunkt des Gottesdienstes nur Schmuck war, aber ihm mit seinen Darstellungen bis ins Innerste seines Gefühls folgen konnte. Die übliche Form ist überall der Flügelaltar (Abb. 65), in Deutschland von schmaler Staffel aufsteigend, sich zum Schrein verbreiternd und in spitzem Fialenaufbau endigend, also ein Gebilde vom gleichen Umriß wie die Monstranz oder das Sakramentshäuschen. Der Hauptteil ist der mit gemalten oder geschnitzten Darstellungen gefüllte Mittelschrein, der von zwei innen und außen mit Darstellungen bedeckten Türen geschlossen wird. Die Entwicklung scheint zu sein, daß man seine Holzschnitzereien vor Staub schützen wollte, und daß er später, ohne von der einmal üblich gewordenen Form abzuweichen, zur gemalten Tafel wird, weil sie die Möglichkeit bot, durch religiöse Beziehungen verknüpfte Darstellungen zusammenzustellen. Für das 15. Jahrhundert und die Folgezeit ist diese Form geradezu ein Gegenstand des künstlerischen Raffinements. Man wählt die an den Werktagen sichtbaren Außenflügel in matten Farben, oft grau in grau, um an Festtagen mit dem Farbenreichtum des inneren Teiles der Flügel und des Mittelschreins eine um so vollere Festfreude auszudrücken. [Illustration: Abb. 65. Tilman Riemenschneider. Heiliger Blutaltar. Rotenburg o. T.] Wie die Zahl der Aufgaben wächst die Zahl der Künstler. Die Kunst ist, eben wegen ihrer reichen Ausdrucksmöglichkeit, eine der Lebensformen des Zeitalters geworden, von einer Wichtigkeit und Vielgestaltigkeit wie nur in der späten Antike. In Frankreich und besonders am Hof der burgundischen Fürsten ist die späte Gotik eine raffinierte Luxuskunst. Das zerlegte Ornament wird zu einem höchst sensitiven Organ zierlicher Möbel, zartfarbige Gobelins schmücken die Wand, und die Buchmalerei schafft ihre luxuriösesten ~Livres d’heures~. Aus ihr entwickelt sich in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine Malerreihe, an deren Anfängen die Brüder van Eyck stehen, starke Seher des wirklichen Seins. Aber spätgotisch zart sind neben ihnen die Altäre des burgundischen Hofmalers Rogier van der Weyden, des Hugo van der Goes, der seine Tage im Kloster beschließt, und des Hans Memling. In Deutschland hat damals jede Stadt von Bedeutung ihren Malerkreis, der sich in Köln um Stephan Lochner, in Ulm um Multscher, in Nürnberg um Wolgemut, am Oberrhein um Witz und Isenmann gruppiert. Und es ist bezeichnend für den neuen Geschmack, daß in der Plastik das vielfältiger modellierbare Holz das Hauptmaterial wird -- die wichtigsten Schnitzer sind Tilman Riemenschneider in Franken und Pacher in Tirol --, und daß der Kupferstich als eine neue Technik gefunden wird, die ebenfalls gegenüber der Malerei die Möglichkeit feinerer Durcharbeitung und zarterer Auflösungen bietet (Abb. 66). Sie wird sofort beliebter als der derbere buchillustrierende Holzschnitt. Ihre Hauptmeister sind Martin Schongauer in Kolmar, der sog. Hausbuchmeister, und andere, dem Namen nach nicht bekannte. [Illustration: Abb. 66. Martin Schongauer: Törichte Jungfrau.] Der künstlerische Vortrag wird gesteigert wie in der Architektur: der Formstil von der Modellierung zur Zerlegung, der Darstellungsstil von der Einheit zur Fülle. Wie in der späten Antike umfaßt die Entwicklung gleichzeitig alle Möglichkeiten, werden die beiden relativen Gegensätze des ruhigen und des bewegten Menschen bis zur kontrastreichen Zierlichkeit einerseits, bis zum kontrastreichen Realismus andererseits gesteigert. Wie sich im geistlichen Schauspiel der Ton bis zur Pöbelhaftigkeit erniedrigt, bis schließlich aus dem edlen Osterspiel eine wüste Szene voll Zoten und Schimpfreden geworden ist, in der Hans Wurst das große Wort führt, so scheut die biblische Darstellung sich vor keiner Konsequenz eines gegebenen Themas. Die Geißelung Christi, die Martyrien der heiligen Männer und Frauen werden mit einer Brutalität, die Physiognomien der Henker voll einer Roheit dargestellt, die die Charakteristik bis an die Grenze der Karikatur führen. Es ist kein Zufall, daß mit den Kreuzzügen die Judenverfolgungen beginnen, und daß sie und die Hexengerichte jetzt grauenhaften Umfang annehmen. Denn die Roheit ist charakteristisch für psychisch erregte Zeitalter. Auch in der antiken Welt kommen die Tierhetzen erst in der parallelen Epoche der späten Republik, von deren Sensationslust wir sprachen, und die seltsame Dekadenz der kretisch-mykenischen Zeit kannte ähnliches. Man wird verstehen, daß die spätantike wie die spätgotische Epoche auch erotisch äußerst erregt waren. So erklärt es sich vielleicht am ersten, warum Schongauer neben raufenden Lehrbuben und polternden Landsknechten die zartesten Frauen zeichnet mit trippelndem Schritt, mit weich geschwungener Körperlinie, zierlich geschnittenem Mündchen und zartem Gesichtsoval (Abb. 66). Die gotische Kurve wird bis zu den unmöglichsten Drehungen gesteigert. Der Oberkörper der Frau wird zurückgebogen, der Leib hervorgestreckt, und, wie wir sahen, gilt das nicht nur in der Kunst, sondern auch in der Wirklichkeit als Schönheitsideal. Wir sprachen schon von dem Nebeneinander von Zartem und Rohem, das in Wirklichkeit nur die gleiche Steigerung des Ausdruckes nach zwei Richtungen bedeutet, wie in der Architektur jetzt größtes Raumpathos mit zartestem Ornament verknüpft ist. Wie in der Architektur hört auch in den anderen Künsten die Klarheit auf, eine Tugend zu sein, und die Überfüllung des Raumes heißt Reichtum, heißt Schönheit. Wie sich über und zwischen den Skulpturen im Altarschrein zierliches Rankenwerk ansetzt, so darf in gemalten oder gestochenen Darstellungen kein leerer Raum im Bilde bleiben. Man schiebt Bauwerke, Bäume und anderes mit hinein, aber ohne Rücksicht auf Klarheit des Raumes oder des Vorganges, ja in den zeichnenden Künsten greift man zu dem Aushilfsmittel, den leeren Raum einfach mit Ranken und Bandrollen zu füllen. Es ist dasselbe Gefühl, das den neuen Formstil schafft, ebenfalls als bloße Bereicherung der gotischen Gewandfigur. Werden die Körperdrehungen reicher, so werden die Körper selbst nicht klarer unter den Kleidern, erst in Schongauers letzten Jahren spürt er ein unklares Bedürfnis nach Formerkenntnis. Gerade hier zeigt sich, daß Realismus keine Stilform sondern eine Tendenz ist, die jeder Stil haben kann. Er gründet sich hier nicht auf Formerkenntnis, wie der Gegensatz zeigt, der scheinbar zwischen den realistischen Köpfen und den ganz unwirklich stilisierten Gewändern besteht. Vielmehr werden die Köpfe so faltig durchmodelliert, weil der Stil die reiche Form braucht, und er findet sie ebenso im Gewand, indem er die weiche gotische Kurve zerknittert und dadurch vervielfacht, wie die Architektur das Ornament vervielfachte. Der spätgotische Stil bildet einen einheitlichen Komplex von Erscheinungen, und die Auflösung des spätgotischen Altars im Aufbau ist mit den Sterngewölben über ihm und dem starken Licht- und Schattenspiel in seinen Schnitzfiguren so völlig in Einklang, wie die Raumdehnung des Titusbogens mit dem Raumgefühl in seinen Friesen. Dieser Parallelismus ist tief begründet. Verfolgt man die Stilentwicklung von Antike und Mittelalter, so zeigt sich eine genaue Kongruenz. Drei Hauptstufen arbeiten sich heraus: die tektonische, die einheitlich bewegte und die richtungslos bewegte Stilform, in der Antike repräsentiert durch den dorischen Tempel, den Zeusaltar von Pergamon und den Rundtempel von Baalbek, im Mittelalter durch St. Michael in Hildesheim, das Münster von Straßburg und dessen Laurentius-Portal. Diese Formen sind nicht nur in der Baukunst parallel, sondern auch in Gebundenheit, Loslösung und Freiheit von Plastik und Malerei, selbst in den Phasen des religiösen Erlebens, die von der ruhigen Hingabe des Glaubens zur enthusiastischen Hingabe, zur Ekstase und schließlich zur Auflösung führen, und denen des seelischen Erlebens überhaupt. Innerhalb dieser Übereinstimmung unterscheiden sich dann freilich alle Details, alle Einzelerscheinungen genau so weit voneinander, wie sich der bewußte, einheitliche antike Mensch von dem dumpfen dualistischen mittelalterlichen Menschen unterscheidet. Verzeichnis der Abbildungen und ihrer Quellen. Abb. 1. Säulenhof im Totentempel des Königs Ne-user-re. Rekonstruktion. Nach Borchardt, Der Totentempel des Königs Ne-user-re. 2. Lotossäule des alten Reiches. Nach: Die ägyptische Pflanzensäule von L. Borchardt 1897, nach de Morgan Red. Arch. 1894, S. 28/29. 3. Relief aus dem Grab des Ma-nofer. (Berliner Museum.) Nach Photographie. 4. Fassade des Tempels von Luksor. Nach Perrot u. Chipiez, Geschichte der Kunst im Altertum. 5. Ammontempel zu Karnak. Nach Perrot u. Chipiez, Geschichte der Kunst im Altertum. 6. König Seti I. räuchernd. Nach: Denkmäler ägyptischer Skulptur. Herausgegeben von Fr. W. von Bissing. 7. Palast von Knossos. Aus Dussaud, ~Civilisations~. 8. Jüngling ein Gefäß tragend. Fresko aus Knossos. Nach Drerup, Homer. 9. Tongefäß aus Kreta. Nach ~Annual of British School of Athens~. 10. Das Löwentor zu Mykenai. Nach Photographie. 11. Tempel des Poseidon zu Pästum. Nach Photographie. 12. Westfront des Tempels von Ägina. (Rekonstruktion von Furtwängler.) Nach einer Photographie des Modells in der Münchner Glyptothek. 13. Grundrisse des Antentempels Nach Wägner-Baumgarten, Hellas. 14. Grundriß eines Peripteros. Springer-Michaelis, Kunstgeschichte I. 15. Vasenscherbe des sog. Dipylonstiles. Nach Mon. d. Inst. IX. 16. Hydria schwarzfigurigen Stiles aus Caere. (Wiener Museum.) Nach Furtwängler u. Reichhold, Griechische Vasenmalerei. 17. Amphora rotfigurigen Stiles. Nach Furtwängler u. Reichhold, Griechische Vasenmalerei. 18. Grabstele des Aristion. Nach Conze, Athenische Grabreliefs I. 19. Westgiebel des Zeustempels zu Olympia. Nach der Rekonstruktion von Treu. 20. Grabstele der Hegeso. Nach Sauerlandt, Griechische Bildwerke. 21. Athen. Tempel der Nike Apteros. Nach Photographie von Beer. 22. Grundriß des Amphiprostylos. Nach Wägner-Baumgarten, Hellas. 23. Athen. Denkmal des Lysikrates. Nach Winter, Kunstgeschichte in Bildern I. 24. Amazonenkampf. Denkmäler griech. und röm. Skulptur. Verlagsanstalt für Kunst und Wissenschaft von Friedr. Bruckmann, München. 25. Zeusaltar von Pergamon. Rekonstruiert von G. Schrammen. Verlag von Georg Reimer, Berlin. 26. Athena im Gigantenkampf. Relief vom Zeusaltar zu Pergamon. Heliogravüre von Georg Büchsenstein u. Co. Verlag von Georg Reimer, Berlin. 27. Isiskult. Fresko aus Herkulanum. Nach Photographie. 28. Pompeji. Haus der Vettier. Peristyl. Nach: Aus dem klassischen Süden. 29. Rom. Inneres des Pantheon. 30. Baalbek. Rundtempel. 31. Spiegel aus Boscoreale. Nach Mon. Piot V. 32. Elfenbeinpyxis im Kaiser-Friedrich-Museum, Berlin. Nach Photographie. 33. Konstantinopel. Inneres der Kirche Hagia Sophia. Nach Photographie. 34. Ravenna. ~S. Apollinare in classe.~ Inneres. Nach Dehio und Bezold, Kirchl. Baukunst des Abendlandes I. Tafel 20, 3 4. 35. Ravenna. S. Vitale. Kapitell und Kämpfer. Nach Photographie. 36. Ravenna. ~S. Apollinare in classe.~ Äußeres. Nach Photographie. 37. Ravenna. S. Vitale. Kopf des Justinian vom Mosaik des Altarraumes. Nach Photographie. 38. Griff und Beschlag vom Schwert des Childerich. Paris. Nach Molinier, ~Histoire Générale des Arts Appliqués à l’industrie~. 39. Gewandnadel aus einem alemann. Grab. Nach Lindenschmit, Altertümer. 40. Die vier Evangelisten. Karolingische Buchmalerei. Aus einer Evangelienhandschrift in Aachen. 41. Hildesheim. St. Godehard. Äußeres. Nach einer Aufnahme der Neuen Photographischen Gesellschaft A.-G., Steglitz-Berlin. 42. Portal der Marienkirche in Gelnhausen. 43. Hildesheim. St. Michael. Inneres. Originalaufnahme der Königlich Preußischen Meßbildanstalt zu Berlin. 44. Köln. St. Gereon. Krypta. Nach Photographie. 45. Sündenfall an der Decke von St. Michael zu Hildesheim. Originalaufnahme der Kgl. Preuß. Meßbildanstalt zu Berlin. 46. Kelch von Wilthen. Aus Geschichte des Deutschen Kunstgewerbes von Jakob v. Falke. 47. System des Domes zu Mainz. Nach Springer, Handbuch der Kunstgeschichte. 48. Gotisches System. (Kathedrale zu Amiens.) Nach Viollet-le-Duc. 49. System der Kathedrale von Noyon. Nach Springer, Handbuch der Kunstgeschichte II. 50. Frühgotisches Hörnerkapitell. Nach Vitry-Briere, ~Sculpt. Franç. d. M. A.~ 51. Paris. Notre Dame. Fassade. Nach Photographie. 52. Limburg a. L. Dom. Inneres. Nach Dehio und v. Bezold. 53. Marienreliquiar im Dome zu Aachen. Nach Springer, Handbuch der Kunstgeschichte II. 54. Inneres und äußeres System des Domes zu Reims. Nach Dehio u. v. Bezold, Kirchl. Baukunst. 55. Straßburg. Dom. Inneres. Nach Springer, Handbuch II. 56. Gotisches Pfeilerkapitell. Nach Vitry-Briere, ~Sculpture Franç. d. M. A.~ 57. Grundriß des Domes zu Köln. Nach Springer, Handbuch II. 58. Köln. Dom. Fassade. 59. Karlsreliquiar. Bologna. Nach Hirths Formenschatz. 60. Portalskulpturen an der Kathedrale zu Reims. Nach Photographie. 61. Gotische Skulptur (Kluge Jungfrau). Aus Hartmann, Die gotische Monumentalplastik in Schwaben. 62. Straßburg. Dom. Laurentius-Portal. Nach Photographie des Dombauamts zu Straßburg. 63. Dinkelsbühl. Georgskirche. Inneres. Nach Lübke-Semrau II. 64. Spätgotische Monstranz. Nach Knackfuß, Kunstgeschichte. 65. Tilman Riemenschneider: Heiliger Blutaltar. Rotenburg o. T. 66. Martin Schongauer: Törichte Jungfrau. Nach Max Lehrs. Die Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt“ nunmehr schon über 600 Bändchen umfassend, sucht seit ihrem Entstehen dem Gedanken zu dienen, der heute in das Wort: „+Freie Bahn dem Tüchtigen!+“ geprägt ist. Sie will die Errungenschaften von Wissenschaft, Kunst und Technik +einem jeden zugänglich+ machen, ihn dabei zugleich unmittelbar im +Beruf fördern+, den +Gesichtskreis erweiternd+, die +Einsicht+ in die Bedingungen der Berufsarbeit +vertiefend+. Sie bietet wirkliche „+Einführungen+“ in die Hauptwissensgebiete für den +Unterricht oder Selbstunterricht des Laien+, wie sie den heutigen methodischen Anforderungen entsprechen. So erfüllt sie ein Bedürfnis, dem Skizzen, die den Charakter von „Auszügen“ aus großen Lehrbüchern tragen, nie entsprechen können; denn solche setzen vielmehr eine Vertrautheit mit dem Stoffe schon voraus. Sie bietet aber auch dem +Fachmann+ eine +rasche zuverlässige Übersicht+ über die sich heute von Tag zu Tag weitenden Gebiete des geistigen Lebens in weitestem Umfang und vermag so vor allem auch dem immer stärker werdenden Bedürfnis des +Forschers+ zu dienen, sich +auf den Nachbargebieten+ auf dem laufenden zu erhalten. In den Dienst dieser Aufgabe haben sich darum auch in dankenswerter Weise von Anfang an die besten Namen gestellt, gern die Gelegenheit benutzend, sich an weiteste Kreise zu wenden, an ihrem Teil bestrebt, der Gefahr der „Spezialisierung“ unserer Kultur entgegenzuarbeiten. So konnte der Sammlung auch der Erfolg nicht fehlen. Mehr als die Hälfte der Bändchen liegen, bei jeder Auflage durchaus neu bearbeitet, bereits in 2. bis 6. Auflage vor, insgesamt hat die Sammlung bis jetzt eine Verbreitung von weit über 4 Millionen Exemplaren gefunden. Alles in allem sind die schmücken, gehaltvollen Bände besonders geeignet, die Freude am Buche zu wecken und daran zu gewöhnen, einen kleinen Betrag, den man für Erfüllung körperlicher Bedürfnisse nicht anzusehen pflegt, auch für die Befriedigung geistiger anzuwenden. Durch den billigen Preis ermöglichen sie es tatsächlich jedem, auch dem wenig Begüterten, sich eine Bücherei zu schaffen, die das für ihn Wertvollste „Aus Natur und Geisteswelt“ vereinigt. #Jedes der meist reich illustrierten Bändchen ist in sich abgeschlossen und einzeln käuflich# Jedes Bändchen geheftet M. 1.20, gebunden M. 1.50 Teuerungszuschläge 30% einschließl. 10% Zuschlag der Buchhandlung Leipzig, im Juni 1918. B. G. Teubner Jedes Bändchen geheftet M. 1.20, gebunden M. 1.50 Zur bildenden Kunst, Musik und Schauspielkunst sind bisher erschienen: Bildende Kunst Allgemeines: =Das Wesen der deutschen bildenden Kunst.= Von Geh. Rat Prof. ~Dr.~ +H. Thode+. (Bd. 585.) =Bau und Leben der bildenden Kunst.= Von Direktor Prof. ~Dr.~ +Th. Volbehr+. 2. Aufl. Mit 44 Abbildungen. (Bd. 68.) =Kunstpflege in Haus und Heimat.= Von weil. Superintendent +R. Bürkner+. 3. Auflage. Mit 29 Abbildungen. (Bd. 77.) =Ästhetik.= Von Prof. ~Dr.~ +R. Hamann+. 2. Aufl. (Bd. 345.) =*Einführung in die Geschichte der Ästhetik.= Von Privatdozent ~Dr.~ +H. Nohl+. (Bd. 602.) =Geometrisches Zeichnen.= Von akad. Zeichenlehrer +A. Schudeisky+. Mit Fig. (Bd. 568.) =Projektionslehre.= Die rechtwinklige Parallelprojektion und ihre Anwendung auf die Darstellung technischer Gebilde nebst einem Anhang über die schiefwinklige Parallelprojektion in kurzer leichtfaßlicher Darstellung für Selbstunterricht und Schulgebrauch. Von akad. Zeichenlehrer +A. Schudeisky+. Mit 208 Figuren im Text. (Bd. 564.) =Grundzüge der Perspektive nebst Anwendungen.= Von Prof. ~Dr.~ +K. Doehlemann+. Mit 91 Fig. u. 11 Abb. (Bd. 510.) =Der Weg zur Zeichenkunst.= Ein Büchlein für theoretische und praktische Selbstbildung. Von ~Dr.~ +E. Weber+. 2. Aufl. Mit 81 Abbildungen und 1 Farbtafel. (Bd. 430.) Geschichte: =Die Entwicklungsgeschichte d. Stile in d. bildenden Kunst.= Von ~Dr.~ +E. Cohn-Wiener+. 2 Bde. 2. Aufl. (Auch in 1 Bd. geb.) Bd. I: Vom Altertum bis zur Gotik. Mit 66 Abb. (Bd. 317.) Bd. II: Von d. Renaissance b. z. Gegenw. M. 42 Abb. (Bd. 318.) =*Wörterbuch zur Kunstgeschichte.= Von ~Dr.~ +E. Cohn-Wiener+. (Teubners kleine Fachwörterbücher. Geb. ca. M. 3.--.) Altertum: =Die Blütezeit der griechischen Kunst im Spiegel der Reliefsarkophage.= Eine Einführung in die griechische Plastik. Von Prof. ~Dr.~ +H. Wachtler+. Mit 8 Tafeln und 32 Abb. (Bd. 272.) =Pompeji, eine hellenistische Stadt in Italien.= Von Prof. ~Dr.~ +Fr. v. Duhn+. 3. Aufl. Mit 62 Abbildungen im Text und auf einer Tafel, sowie einem Plan. (Bd. 114.) Mittelalter und Neuzeit: =Deutsche Baukunst im Mittelalter.= Von Geh. Reg.-Rat Prof. ~Dr.~ +A. Matthaei+. I: Von den Anfängen bis zum Ausgang der romanischen Baukunst. Mit 42 Abb. im Text und auf einer Doppeltafel. II: Gotik und Spätgotik. 4. Aufl. Mit zahlr. Abb. (Bd. 8-9.) =Die altdeutschen Maler in Süddeutschland.= Von +H. Nemitz+. Mit 1 Abbildung im Text und einem Bilderanhang. (Bd. 464.) =Albrecht Dürer.= Von weil. Prof. ~Dr.~ +R. Wustmann+. 2. Aufl. von Geh. Reg.-Rat Prof. ~Dr.~ +A. Matthaei+. Mit Titelbild und zahlr. Abb. (Bd. 97.) =Die Renaissancearchitektur in Italien I.= Von ~Dr.~ +P. Frankl+. Mit 12 Tafeln und 27 Textabbildungen. (Bd. 331.) II. In Vorb. (Bd. 362.) =Michelangelo.= Eine Einführung in das Verständnis seiner Werke. Von Prof. ~Dr.~ +E. Hildebrandt+. Mit 44 Abbildungen. (Bd. 392.) =Niederländische Malerei im 17. Jahrhundert.= Von Prof. ~Dr.~ +H. Jantzen+. Mit 37 Abbildungen. (Bd. 373.) =Rembrandt.= Von Prof. ~Dr.~ +P. Schubring+. 2., verb. Aufl. Mit 48 Abbildungen auf 28 Tafeln im Anhang. (Bd. 158.) =Deutsche Baukunst seit dem Mittelalter bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts: Renaissance, Barock, Rokoko.= Von Geh. Reg.-Rat Prof. ~Dr.~ +A. Matthaei+. 2. Aufl. Mit Abbildungen und Tafeln. (Bd. 326.) 19. Jahrhundert: =Deutsche Baukunst im 19. Jahrhundert.= Von Geh. Reg.-Rat Prof. ~Dr.~ +A. Matthaei+. Mit 35 Abbildungen. (Bd. 453.) =Die deutsche Malerei im 19. Jahrhundert.= Von Prof. ~Dr.~ +R. Hamann+. 2 Bände Text, 2 Bände mit 57 ganzseitigen und 200 halbseitigen Abbildungen (Bd. 448-451, in 2 Doppelbänden je geh. M. 2.40, geb. M. 3.--, auch in 1 Halbpergamentband M. 7.--) =Die Maler des Impressionismus.= Von Prof. ~Dr.~ +B. Lázàr+. Mit 92 Abbildungen und 1 farbigen Tafel. (Bd. 395.) Kunstgewerbe: =Die dekorative Kunst des Altertums.= V. ~Dr.~ +Fr. Poulsen+. M. 112 Abb. (Bd. 454.) =Deutsche Kunst im tägl. Leben bis zum Schlusse d. 18. Jahrhunderts.= Von Prof. ~Dr.~ +B. Haendcke+. Mit 63 Abbildungen. (Bd. 198.) =Geschichte der Gartenkunst.= Von Baurat ~Dr.-Ing.~ +Chr. Ranck+. Mit 41 Abb. (B. 274.) =Die künstlerische Photographie.= Ihre Entwicklung, ihre Probleme, ihre Bedeutung. Von ~Dr.~ +M. Warstat+. Mit 12 Tafeln. (Bd. 410.) Musik =Geschichte der Musik.= Von ~Dr.~ +Alfred Einstein+. (Bd. 436.) =Beispielsammlung zur älteren Musikgeschichte.= Von ~Dr.~ +A. Einstein+. (Bd. 439.) =Haydn, Mozart, Beethoven.= Von Prof. ~Dr.~ +C. Krebs+. 2. Aufl. M. 4 Bildn. (Bd. 92.) =Die Blütezeit der musikalischen Romantik in Deutschland.= Von ~Dr.~ +E. Istel+. Mit 1 Silhouette. (Bd. 239.) =Das Kunstwerk Richard Wagners.= Von ~Dr.~ +E. Istel+. 2. Aufl. Mit 1 Bildnis Richard Wagners. (Bd. 330.) =Die moderne Oper.= Vom Tode Wagners bis zum Weltkrieg (1888-1914). Von ~Dr.~ +E. Istel+. Mit 3 Bildnissen. (Bd. 495.) =Die Grundlagen der Tonkunst.= Versuch einer entwickelnden Darstellung der allgemeinen Musiklehre. Von Prof. ~Dr.~ +H. Rietsch+. 2., durchgesehene Auflage. (Bd. 178.) =Musikalische Kompositionsformen.= Von +S. G. Kallenberg+. 2 Bände. Bd. I: Die elementaren Tonverbindungen als Grundlage der Harmonielehre. Bd. II: Kontrapunktik und Formenlehre. (Bd. 412 u. 413, auch in 1 Band gebunden.) =*Harmonielehre.= Von ~Dr.~ +H. Scholz+. (Bd. 560.) =Das moderne Orchester in seiner Entwicklung.= Von Prof. ~Dr.~ +Fr. Volbach+. 3. Aufl. Mit Partiturbeispielen u. Tafeln. (Bd. 308.) =Die Instrumente des Orchesters.= V. Prof. ~Dr.~ +Fr. Volbach+. Mit 60 Abb. (Bd. 384.) =Klavier, Orgel, Harmonium.= Das Wesen der Tasteninstrumente. Von Professor ~Dr.~ +O. Bie+. (Bd. 325.) Schauspielkunst =Das Theater.= Schauspielhaus und Schauspielkunst vom griechischen Altertum bis auf die Gegenwart. Von ~Dr.~ +Chr. Gaehde+. 2. Aufl. Mit 18 Abb. (Bd. 280.) =Die griechische Tragödie.= Von Prof. ~Dr.~ +J. Geffcken+. Mit 5 Abbildungen im Text und 1 Tafel. (Bd. 566.) =Die griechische Komödie.= Von Prof. ~Dr.~ +A. Körte+. M. Titelb. u. 2 Taf. (Bd. 400.) =Das Drama.= Von weil. ~Dr.~ +B. Busse+. Mit 3 Abb. 3 Bde. I: Von der Antike z. franz. Klassizismus. 2. Auflage, neu bearbeitet von Oberlehrer ~Dr.~ +Niedlich+, Prof. ~Dr.~ +R. Imelmann+ und Prof. ~Dr.~ +Glaser+. II: Von Versailles bis Weimar. III: Von der Romantik zur Gegenwart. (Bd. 287/289.) =Das deutsche Drama des 19. Jahrhunderts.= In seiner Entwicklung dargestellt von Prof. ~Dr.~ +G. Witkowski+. 4. Auflage. Mit 1 Bildnis Hebbels. (Bd. 51.) +Die mit * bezeichneten und weitere Bände in Vorbereitung.+ Als Fortsetzung des vorliegenden Bändchens ist von +demselben Verfasser+ erschienen: Von der Renaissance bis zur Gegenwart Mit zahlr. Abb. 2. Aufl. A. Nat. u. Geistesw. Bd. 318. M. 1.20, geb. M. 1.50 Geschichte der bildenden Künste Eine Einführung von ~Dr.~ +E. Cohn-Wiener+. Preis ca. M. 4.-- Das Buch will kein historisch geordnetes Nachschlagebuch sein, sondern möglichst viel vom Wesen der Kunst und des Kunstwerkes geben. Es sucht neben dem bloßen Wissen die Freude am Kunstwerk zu vermitteln, erkennen zu lassen, daß hinter dem Werk der Künstler als schöpferische Persönlichkeit steht. Seine Aufgabe, der Selbstbelehrung und als Lehrbuch zu dienen, sucht es nicht zu lösen, indem es durch oberflächliche Behandlung eines verwirrenden Vielerlei „mitzureden“ befähigt, sondern durch eingehende Bildhaftigkeit und Anschaulichkeit anstrebende Besprechung der behandelten Kunstwerke sucht es dem Leser den inneren Gehalt der Kunstepochen so vor Augen zu stellen, daß er auch die Werke, die das Büchlein selbst nicht erwähnen kann, zu verstehen vermag. Eine reiche Zahl von Abbildungen -- darunter auch farbige -- dient der Anschaulichkeit. Die neueste Zeit ist besonders eingehend behandelt worden, weil hier das Bedürfnis am unmittelbarsten ist. Wörterbuch zur Kunstgeschichte Von ~Dr.~ +Ernst Cohn-Wiener+. Gebunden M. 3.-- Elementargesetze der bildenden Kunst Grundlagen einer praktischen Ästhetik von Prof. ~Dr.~ +Hans Cornelius+. 2. Auflage. Mit 245 Abb. und 13 Tafeln. Geh. M. 7.--, geb. M. 8.-- „Es gibt kein Buch, in dem die elementarsten Gesetze künstlerischer Raumgestaltung so klar und anschaulich dargelegt, so überzeugend abgeleitet wären. Wir haben hier zum ersten Male eine zusammenfassende, an zahlreichen einfachen Beispielen erläuterte Darstellung der wesentlichsten Bedingungen, von denen namentlich die plastische Gestaltung in Architektur, Plastik und Kunstgewerbe abhängt.“ (+Zeitschrift für Ästhetik.+) Die bildenden Künste Ihre Eigenart und ihr Zusammenhang. Vorlesung von Professor ~Dr.~ +Karl Doehlemann+. Geheftet M. --.80 „Eine tiefgründige Besprechung der bildenden Künste -- Malerei, Plastik und Architektur umfassend -- in durchweg anregender Form. Die Fachwelt wie die gebildeten Stände werden die Schrift mit hoher Befriedigung aufnehmen.“ (+Wiener Bauindustrie-Ztg.+) Unser Verhältnis zu den bildenden Künsten Von Geh. Hofrat Prof. ~Dr.~ +A. Schmarsow+. Geh. M. 2.--, geb. M. 2.60 „Diese Vorträge bilden den wertvollsten Beitrag zur Literatur über die Kunsterziehungsfrage. Schmarsow entwickelt seine Anschauung über das Verhältnis der Künste zueinander, um zu zeigen, wie jede einzelne einer besonderen Seite der menschlichen Organisation entspreche, wie darum auch alle Künste eng miteinander verknüpft sind, da alle von einem Organismus ausstrahlen.“ (+Deutsche Literaturzeitung.+) Psychologie der Kunst Darstellung ihrer Grundzüge. V. ~Dr.~ +R. Müller-Freienfels+. 2 Bde. I: Die Psychologie d. Kunstgenießens u. Kunstschaffens. II: Die Formen d. Kunstwerks u. d. Psychol. d. Bewertung. Geh. je M. 4.40, in 1 Bd. geb. M. 10.-- „Was diesem Werke Beachtung und Anerkennung erworben hat, ist zum Teil der Umstand, daß es zu den sehr seltenen wissenschaftlichen deutschen Büchern gehört, die auch einen ästhetischen Wert besitzen, aus denen eine Persönlichkeit spricht, die über eine ungewöhnliche Gabe der Synthese verfügt.“ (+Zeitschrift für Ästhetik.+) Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin Bau und Leben der bildenden Kunst. Von ~Dr.~ Theodor Volbehr. Mit 44 Abb. Geh. M. 1.20, geb. M. 1.50 „Im Gegensatz zu den Kompendien und Leitfaden alten Stils, die die ‚Stile’ nach ihren äußeren Merkmalen klassifizieren, sucht der Verfasser von einem neuen Standpunkte aus in das Verständnis des Wesens der bildenden Kunst hineinzuführen. In durchaus allgemein verständlicher Darstellung führt uns das Buch in das Verständnis der Künstlerpersönlichkeit als des für die Kunst entscheidenden Faktors ein. Die Entwicklung eigener Ansichten verleiht dem feinsinnigen Buche hohen Reiz.“ (+Zeitschr. f. d. gewerbl. Unterr.+) Untersuchungen zur Geschichte der Architektur und Plastik des früheren Mittelalters. V. Priv.-Doz. ~Dr.~ G. Weise. Mit 22 Abb. i. Text u. 9 Abb. auf 5 Tafeln. Geh. M. 6.--, geb. M. 7.-- Die hier vereinigten Einzeluntersuchungen wollen neue Ergebnisse für die wichtigste Voraussetzung zur Erkenntnis ihres Entwicklungsganges durch eine möglichst genaue Datierung der erhaltenen Werke gewinnen und so für die karolingische und merowingische Zeit eine Vermehrung dieses Materials liefern. In drei Aufsätzen sind die Ergebnisse der von dem Verfasser in jüngster Zeit an verschiedenen karolingischen Denkmälern durchgeführten Grabungen niedergelegt. Eine Reihe kleinerer Aufsätze bringt den Versuch, das heute der Forschung zugängliche Material an karolingischen Denkmälern durch Rekonstruktion einzelner verschwundener Bauten auf Grund der Quellennachrichten zu bereichern. Die Renaissancearchitektur in Italien. Von ~Dr.~ P. Frankl. I. Teil. Mit 12 Taf. u. 27 Abb. M. 1.20, geb. M. 1.50 „Ein glänzend geschriebenes Kapitel über die sich an den Namen Brunelleschi knüpfende Stilwandlung leitet den Band ein, der die Darstellung der Renaissancearchitektur von den Florentiner Anfängen bis zu den durch Bramante, Spaventa u. Raffael geschaffenen Höhepunkten führt. Das Bändchen ist den +wichtigsten Erscheinungen über die italienische Renaissancearchitektur+ beizuzählen.“ (+Bau-Rundschau.+) Michelangelo. Eine Einführung in das Verständnis seiner Werke. Von Prof. Ed. Hildebrandt. Mit 1 Titelbild u. 43 Abb. i. Text. Geh. M. 1.20, geb. M. 1.50 „Dies Buch dürfte zu den besten populären Werken über M. gehören. In überzeugenden, klaren Worten behandelt der Verfasser das übermenschliche Werk dieses großen Meisters, sein Leben und sein Wirken. Bücher wie diese sind dazu geschaffen, tieferes Interesse an der Kunst zu erzeugen.“ (+Der Architekt.+) Deutsche Baukunst. Von Geh. Reg.-Rat Prof. ~Dr.~ Ad. Matthaei. 3 Bände. Bd. I. Deutsche Baukunst im Mittelalter. 3. Aufl. Mit 29 Abb. Bd. II: Deutsche Baukunst seit dem Mittelalter bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. Mit 62 Abb. und 3 Tafeln. Bd. III: Deutsche Baukunst im 19. Jahrhundert und in der Gegenwart. Mit 35 Abb. Geh. je M. 1.20, geb. je M. 1.50, in 1 Bd. geb. M. 4.50 „... In bündiger, überaus verständlicher Sprache entrollt der Verfasser die Entwicklungsgeschichte der deutschen Baukunst. Das Buch ist so recht geeignet, das zu erfüllen, was der Verfasser am Schlusse des Buches als Zweck desselben ausspricht: ‚Den Laien Klarheit schaffen über die Fragen der Baukunst und die Künstler auf jene Zeit hinweisen, in der die Baukunst der Ausdruck deutschen Wesens war.’“ (+Kunst und Handwerk.+) Die Entwicklungsphasen der neueren Baukunst. Von ~Dr.~ Paul Frankl. Mit 50 Abb. im Text u. 24 Abb. auf Tafeln. Geh. M. 6.-- geb. M. 7.50 +Inhalt+: Problem u. Methode. Die Entwicklungsphasen der Raumform -- der Körperform -- der Bildform -- der Zweckgesinnung. Das Unterscheidende und das Gemeinsame der vier Phasen. Das Problem, die Architekturstile seit der Renaissance streng zu definieren, wird hier von neuem aufgenommen. Die Methode ist die, daß die vier Elemente der Architektur, Raumform, Körperform, Bildform und Zweckgesinnung für sich untersucht werden und die Stilmerkmale, die für jede der Stilphasen, Renaissance, Barock, Rokoko und Klassizismus, als die entscheidenden gelten sollen, auf die allgemeinste Formulierung gebracht werden. Der gemeinsame Grundzug der ganzen Periode ist die Beziehung zur Antike zunächst und daraus folgend zu einem die Kunst verwissenschaftlichenden Begriff von Richtigkeit, der zuletzt sich ausweitet zu einem Nebeneinander und Nacheinander anerkannter Stilrichtigkeiten im 19. Jahrhundert. Die Begründung der modernen Ästhetik und Kunstwissenschaft durch Leon Battista Alberti. Eine krit. Darstell. als Beitrag z. Grundleg. d. Kunstwissenschaft. Von ~Dr.~ W. Flemming. Geh. M. 4.--, geb. M. 5.-- Muß Galilei der Begründer der modernen Naturwissenschaft genannt werden, so darf sein etwas älterer Zeitgenosse L. B. Alberti der Vater der modernen Kunstwissenschaft heißen. Bedeutungsvoller noch als seine Einzelergebnisse ist seine Methode. Diese herauszuarbeiten, ihre Fruchtbarkeit zu erweisen und also den Weg des Florentiners weiterzuschreiten ist das Ziel dieser Darstellung. Die altdeutschen Maler in Süddeutschland. Von Helene Nemitz. Mit Bilderanhang. Geh. M. 1.20, geb. M. 1.50 Das Bändchen sucht das Verständnis für die Eigenart und Größe der altdeutschen Malerei des 15. Jahrhunderts und so den Sinn für die in ihren Werken sich offenbarende echt deutsche Schönheit zu wecken. Es zeigt, wie das kraftvolle, tiefinnerliche Gefühlsleben jener Zeit kaum irgendwo eine künstlerisch reinere Ausprägung und Verklärung gefunden hat als in den Bildern der Meister Süddeutschlands. Albrecht Dürer. V. ~Dr.~ R. Wustmann. M. Titelbild u. 32 Abb. Geh. M. 1.20, geb. M. 1.50 Eine schlichte und knappe Erzählung des gewaltigen menschlichen und künstlerischen Entwicklungsganges Dürers und eine Darstellung seiner Kunst, in der nacheinander Selbst- und Angehörigenbildnisse, die Zeichnungen zur Apokalypse, die Darstellungen von Mann und Weib, das Marienleben, die Stiftungsgemälde, die Radierungen v. Rittertum, Trauer und Heiligkeit sowie die wichtigsten Werke aus der Zeit der Reife behandelt werden. Niederländische Malerei im 17. Jahrhundert. Von ~Dr.~ H. Jantzen. Mit 37 Abb. Geh. M. 1.20, geb. M. 1.50 Gibt eine Einführung in das Verständnis dieser Blütezeit der Malerei, indem es die zahlreichen, dort in immer neuen Stoffgebieten: Historienmalerei, Porträt, Gruppenbild, Sittenbild, Interieur, Landschaft, Seestück, Kirchenstück, Stilleben auftauchenden malerischen Probleme sowie ihre gesetzmäßigen Zusammenhänge darlegt und die einzelnen hervortretenden Künstlerpersönlichkeiten und -gruppen kurz und treffend charakterisiert. Rembrandt. V. Prof. ~Dr.~ P. Schubring. Mit 1 Titelb. u. 49 Abb. Geh. M. 1.20, geb. M. 1.50 Eine lebensvolle Schilderung des menschlichen u. künstl. Entwicklungsganges R’s. Zur Darstellung gelangen seine persönl. Schicksale bis 1642, die Frühzeit, die Zeit bis zu Saskias Tode, die Nachtwache, sein Verhältnis zur Bibel, die Radierungen, Urkundliches über die Zeit nach 1642, die Periode des farbigen Helldunkels, die Gemälde nach der Nachtwache und die Spätzeit. Beigefügt sind die beiden ältesten Biographien Rembrandts. Der Impressionismus. Von Prof. B. Lazar. Mit 1 farb. Tafel u. 32 Abb. auf Taf. Geh. M. 1.20, geb. 1.50 Betrachtet Werden und Wesen des Impressionismus bis in die jüngste Zeit, mit besonderer Betonung der geschichtlichen Entwicklung und mit Charakterisierung aller großen impressionistischen Maler der Neuzeit. Die künstlerische Photographie. Entwicklung, Probleme, Bedeutung. V. ~Dr.~ W. Warstat. M. Bilderanh. M. 1.20, geb. M. 1.50 Die Natur in der Kunst. Studien eines Naturforschers z. Geschichte d. Malerei. V. Prof. ~Dr.~ F. Rosen. M. 120 Abb. n. Zeichn. v. E. Süß u. Photograph. d. Verf. Geb. M. 12.-- Grundzüge der Perspektive nebst Anwendungen. Von Prof. ~Dr.~ Karl Doehlemann. Mit 91 Fig. u. 11 Abb. Geh. M. 1.20, geb. M. 1.50 Das für den Selbstunterricht gedachte Bändchen sucht auch dem den mathematischen Dingen Abholden durch die Anschauung die Einsicht in den Vorgang der perspektivischen Abbildung wie das Verständnis der „freien Perspektive“ zu vermitteln. Das Wesentliche und Gesetzmäßige ist hervorgehoben, mit einfachen auch figürlich veranschaulichten Anwendungsbeispielen belegt, ebenso sind Einzelaufgaben zur Übung beigegeben. Mathematik und Malerei. Von Oberlehrer ~Dr.~ G. Wolff. Mit 18 Fig. und 35 Abb. im Text u. auf 4 Tafeln. Kart. M. 1.60 Die nahen historischen Beziehungen zwischen Malerei und mathematischer Perspektive werden dazu benutzt, um aus formaler Darstellung eines Bildes dessen künstlerischen Wert zu beurteilen. Der 1. Teil entwickelt im engsten Anschluß an die Malerei die Grundlagen der malerischen Perspektive. Der 2. Teil analysiert mit den so gewonnenen Mitteln einzelne perspektivisch besonders lehrreiche Bilder. Mathematik und Architektur. Von Prof. ~Dr.~ K. Doehlemann. Kart. M. --.80 Deutsche Kunsterziehung. Im Auftrage des Deutschen Landesausschusses für den III. Internat. Kongreß zur Förderung des Zeichen- und Kunstunterrichts veröffentl. Mit Schülerzeichn. aus Preußen, Bayern, Sachsen u. Hamburg auf 16 Taf. Ausstattung des Buches v. Prof. P. Behrens. Geb. M. 2.-- +Inhalt+: +L. Pallat+: Zeichenunterricht. +G. Kerschensteiner+: Die Entwicklg. d. zeichner. Begabung. +P. Jessen+: Handarbeit u. Kunst. +G. Pauli+: Das deutsche Bilderbuch. +P. Hermann+: Das Wandbild in der Schule. +C. Götze+: Junge Kräfte. +A. Lichtwark+: Die Entwicklung der deutschen Kunstmuseen. Die Erziehung d. Anschauung. Von Prof. H. E. Timerding. Mit 164 Fig. Geh. M. 4.80, geb. M. 5.60 Wandtafel und Kreide im Elementarunterricht. Gedächtniszeichn. m. erläut. Text von Lehrer Othmer. 25 bunte Taf. mit Erläuterungsheft. In Mappe M. 6.50 Die Technik des Tafelzeichnens. Von ~Dr.~ Ernst Weber. 3. Aufl. 40 teils farb. in Kreidetechnik gezeichn. Taf. nebst 1 Erläuterungsheft m. 6 Illustr. In Mappe M. 6.-- Technisches Zeichnen. von Prof. Horstmann, Regierungs- u. Gewerbeschulrat. Geh. M. 1.20, geb. M. 1.50 Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin Das Wesen der deutschen Kunst Von Geh. Rat Prof. ~Dr.~ +H. Thode+. Mit Abb. Geh. M. 1.20, geb. M. 1.50 Eine eingehende Charakteristik der Eigentümlichkeiten deutschen bildenden Schaffens und deren Erklärung aus der Wesensanlage unseres Volkes, die an Einzelbeispielen zeigt, wie in dieser die künstlerischen Anschauungen, die Wahl und Auffassung des Gegenständlichen und die stilistischen Erscheinungen begründet sind, und auf Grund solcher Erkenntnis die Stellung und Bedeutung unserer bildenden Kunst der antiken und der romanischen gegenüber bestimmt. Die deutsche Malerei im 19. Jahrhundert Von Prof. ~Dr.~ +R. Hamann+. Mit 57 ganzseitigen und 200 halbseitigen Abbildungen. In Halbpergament M. 7.-- „H. hat eine ausgezeichnete Darstellung des Entwicklungsganges der Malerei während des letzten Jahrhunderts gegeben. Meines Wissens gibt es in der ganzen modernen Kunstgeschichtschreibung keine annähernd so vortreffliche Darstellung des Wesens der Malerei seit 1860 bis zum Einbruch des Naturalismus, als sie H. im 6. Kap. seines Werkes gibt. Es ist ein Genuß, sich der meisterhaften Behandlung dieser Epoche ruhig hinzugeben.“ (+Preuß. Jahrb.+) Der Landschaftsmaler Joh. Alexander Thiele u. seine sächsischen Prospekte. Von Landgerichtsrat ~Dr.~ +M. Stübel+. Text mit 15 Abb. u. 30 Lichtdrucktaf. In Mappe M. 20.--, in Leinwandmappe M. 24.-- Thieles Einfluß hat sich bis auf Richter und dessen Schule erstreckt. Seine Radierungen sind die ersten künstl. deutschen Landschaftsblätter des 18. Jahrh. Das Buch beschäftigt sich mit Thieles Leben und Werken vom kunst- und kulturgeschichtl. Standpunkt aus. Im 2. Teil sind auf 30 Lichtdrucktafeln sächsische Prospekte wiedergegeben und ausführlich beschrieben. Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen Von +Camillo Sitte+. Ein Beitrag zur Lösung moderner Fragen der Architektur und monumentalen Plastik unter besonderer Beziehung auf Wien. 4. Aufl. Vermehrt um „Großstadtgrün“. Mit 1 Heliogravüre, 114 Illustrationen und Detailplänen. Geh. M. 6.--, geb. M. 7.40 Kunst und Kirche Vorträge aus dem 1913 zu Dresden abgehaltenen Kursus für kirchliche Kunst- und Denkmalspflege. Herausgegeben vom Evang.-luther. Landeskonsistorium. Mit 61 Abbild. auf 32 Tafeln. Geh. M. 4.--, geb. M. 5.-- +Inhalt+: Gurlitt: Kunst und Kirche. -- Schmidt: Der sächs. Kirchenbau bis auf Georg Bähr. -- Bestelmeyer: Baukünstl. Aufgab. der ev. Kirche in der Gegenwart. -- Gurlitt: Kirchl. Denkmalspflege. -- Berling: Die Sonderausstellung kirchl. Kleinkunst. -- Högg: Friedhofskunst. Die Renaissance in Florenz und Rom 8 Vorträge von Prof. ~Dr.~ +K. Brandi+. 4. Aufl. Geh. M. 5.--, geb. M. 6.-- „... Meisterhaft sind die Erscheinungen von Politik, Gelehrsamkeit, Dichtung, bildender Kunst zum klaren Entwicklungsgebilde geordnet, mit großem Takte die Persönlichkeiten gezeichnet, aus freier Distanz die Ideen der Zeit betrachtet. Die Ausstattung des Buches dürfte zum Geschmackvollsten der neueren deutschen Typographie gehören.“ (+Hist. Jahrbuch.+) Schriften von Johann Georg, Herzog zu Sachsen Streifzüge durch die Kirchen und Klöster Ägyptens. Mit 239 Abb. Geh. M. 8.--. Tagebuchblätter aus Nordsyrien. Mit 85 Abb. Geh. M. 4.80 Das Katharinenkloster am Sinai. Mit 43 Abb. auf 12 Taf. Geh. M. 3.20 Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin *** End of this LibraryBlog Digital Book "Die Entwicklungsgeschichte der Stile in der bildenden Kunst. Erster Band.: Vom Altertum bis zur Gotik" *** Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.